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Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen, unter Mitwirkung von Geh. Rat Prof. Dr. Freih. v. Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. karcke Geh. Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr. Zopf herausgegeben
von
Dr. G. Brandes
Privaidozent der Zoologie an der Universität Halle
73. Band (Fünfte Folge, Elfter Band)
Mit 5 Tafeln und 27 Figuren im Text
Stuttgart E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Naegele) 1900
Inhalt des 73. Bandes.
I. Original- Abhandlungen.
Erdmann, Prof. Dr. H., C. Höpfner, 8. Februar 1857 bis 14. Dezember 1900. ee Notiz . ;
Fahrenhorst, Dr. J., Ueber ein Vorkommen von Dolomit en ee ; 2er a NONE: s
Gerbing, Walter, Die Charakters Be Be ilieher Thüringer Waldes
Kalberlah, Dr. med. Fritz, neu a oe ark der Plagio- stomen. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Central- nervensystems. Mit 1 Tafel und 1 Figur im Text
Kersten, H., Die idealistische Richtung in der modernen Ent- ea.
Marshall, Prof. Dr. W., Die Tierwelt as NN
— Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte und nn Wunder . i
Möller, Hugo, Ueber Hlenhas. itatins na Blinöcerek Merki als Inallırs des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über das erste Auftreten des Menschen in Europa. Mit ı Tafel UI WERE an an. ln ABETNTRUR IK IR RENSERSABI ALLE
Öfenheim, Dr. Ernst von, Ueber eine neue Distomidengttung Mit 1 Tafel und 4 Kieuren im Text .
Schönichen, Dr. Walther, Blütenbiologische Schemabilder. Ein Beitrag zur Methodik des naturkundlichen Unterrichts. Mit 12 Figuren im Text. SR NE RE Fee :
— Ueber Tier- und Menschenseele. Mit 10 Figuren im Text
Schulze, Dr. Erwin, Catalogus mammalium europaeorum .
Sceupin, Privatdozent Dr. H., Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. Mit 1 Tafel . i i
Wiegers, Dr. Fritz, Ueber ae yacheitnken, an ons Mit 1 Tafel SE RS KERNE NEN SAL SOHe 0): PER
Seite
367 275
398
4 145
97 225 187
359
267
IV
II. Kleinere Mitteilungen.
Astronomie.
Zur Jahrhundertwende Ueber Sonnenuhren
Physik und Chemie.
Thermographie
Ueber Aleuronatpräparate ;
Die Riechstoffe aus der Gruppe kn Aldehyde
Explosive Wirkung der flüssigen Luft \
Die Riechstoffe aus den Gruppen der Ketone, ir Phenole Tal der Säuren .
Die Kalkverbindungen Alt [onen amd die Being des assimilierbaren Kalkes im Boden .
Das Blau des Himmels und des Wassers
Die Wirkung des Lichts bei tiefen nen >
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Alkohole und Ester
Gleichzeitige Gewinnung von Stärke und Kleberteig .
Mineralogie und Geologie.
Ueber Argyrodit Ehe
Die Erdbeben im Könkersich Salem Ueber Thüringer Meteoriten
Die Lakkolithennatur des Brockens Neue Erdbebenschwärme im Vogtlande .
Botanik.
Ueber das Gefrieren der Pflanzen .
Nord und Süd im Jahresring . ;
Ueber eine gelbe Flagellate unserer omieiiieer
Die sogenannten Hexenbesen .
Ueber Maifröste . :
Ein Vorschlag zur Skalen Be der Pismenonkouresan Ueber Pflanzengallen .
Zur Biologie des Soll
Zoologie.
Die Ursache des Drehens der japanischen Tanzmäuse
Die Begattung von Clepsine tessulata .
Ein neuer viviparer Fisch . ’ 5 Ein Beitrag zur Schneckenfauna des Thiringer Waldes : Das Vorkommen von Planaria alpina nördlich vom Harz . Die Parthenogonie der Bienen
Seite
Zur Biologie des Maikäfers
Das Summen der Dasselfliegen
Die Beeinflussung des Vogelmagens nah die Art le: Neahenne, Die Zähne der Elefanten BENENNEN ARLLLERUDS LIE Sa,
III. Litteratur- Besprechungen.
Arbeiten der biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft am kaiserlichen Gesundheitsamte . i
Bade, Der Schleierschwanz und der Teleıkopschlenschwanz
Behrens, Nutzpflanzen ..
Bleier, Nom gasometrische Methoden sind! Aare
Bloehmann, Physik b
Eekstein, Der Kampf zwischen Mensch un. Tier
Fickert und a Tierkunde
Fischerei-Zeitung : I
Fortschritte der Physik im ale 1898. AT Teil
Garcke, Illustrierte Flora von Deutschland .
Gerstung, Glaubensbekenntnis eines Bienenvaters
Geyer, Katechismus für Aquarienliebhaber Ai
Goldfuss, Die Binnenmollusken Mitteldeutschlands .
Günther, Handbuch der Geophysik ‚ Alexander von Humboldt, Leopold von Buch. anche
ee, Das Tierleben der “Rirde ERRN RE
Hallier, Die Pestkrankheiten der Keule che
Höck, Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnis von der ur- sprünglichen Verbreitung der angebauten Nutzpflanzen .
Höfler und Maiss, Naturlehre für die unteren Klassen der Mittelschulen
Jühling, Die Tiere in der dlerichen NYalsmedi alter ed neuer Zeit 5
Kars, Der einstige Eoreitie Mond dr (Erde sk Taler aller miisahen Entwicklung . ß
Klein, Katechismus der aan 5 ; 5
Kleyers Eneyklopädie. Lehrbuch der ass $
Kloekmann, Lehrbuch der Mineralogie
Kraus, Brmickike der Naturlehre für Lehrer- und Tehrenmnen- ren Ä
Lehmann, Länder- und Völkerkunde i
Maiss Ku Höfler, Naturlehre für die en olsekian der Mittelschulen EAN:
Migula, Pflanzenbiologie .
Münch, Lehrbuch der Physik .
Nom, Naturgeschichte der Vögel Eee
Pohl, Die "Maus
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457 310 305 129
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453 461 305 307 132
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Preus, Geist und Stoff
Rössler, Die Raupen der Srsenahmakentasn Dankenkmis
Sehultz, Die Ursachen der Wettervorgänge . Schwippel, Verbreitung der Pflanzen und Tiere . Tümpel, Die Geradflügler Mitteleuropas . . . . . Woltersterff, Ueber ausgestorbene Riesenvögel Zenker, Lehrbuch der Photöchromie
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und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. Garcke,
Geh.-Rat Prof. Dr.-E. Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf
herausgegeben
von
Dr. G. Brandes,
Privatdozent der’Zoologie an der Universität Halle.
Mit 2-Tafeln und 13 Figuren im Text.
Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften. Preis des Bandes 12 Mark.
Vereinsausgabe.
Stuttgart
E. ‚Schweizerbart/sche Verlagshandlung (E. Naegele) 1900.
Baulscheh Chemie.
u. 2. Hoft. 20. Oktober 1900.
R wir: ‚verweisen auf den beiliegenden ‚Prospekt von Friedr. ieweg & Sohn, Braunschweig, no H. Erdmann, Lehrbuch
Inhalt.
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3 Dlkdahy erläh, Dr. med. Fritz, Ueber das Rückenmark der Plagio-
stomen. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Zentralnervensystems. Mit 1 Tafel und 1 Figur im Text
Möller, Hugo, Ueber Elephas antiquus und Rhinoceros Mercki als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über das erste Auftreten des Menschen in Europa. Mit ivTafel:, £ :
Marshall, Prof. Dr. W., Die sei Aha EURER:
Schoenichen, Dr. Walther, Blütenbiologische a ak Ein De zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes. Mit 12 Figuren im Text . B Me:
IH. Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie: Ueber Arsyrodit. 8.115. — Die Erdbeben im Königreich Sachsen. 8. 115.
Physik und Chemie: Thermographie. 8. 117. — Ueber Aleu- ronatpräparate. S. 118. — Die Riechstoffe aus der Gruppe der Aldehyde. S. 119. — Explosive We der flüssigen
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Botanik: Ueber das Gefrieren der Pflanzen. S. 122. — Nord und Süd im Jahresring. S. 122. — Ueber eine gelbe Flagellate unserer Gewächshäuser. 8. 123. — Die sog.
Hexenbesen. $. 123. — Ueber Maifröste. S.124.
Zoologie: Die Ursache des Drehens der japanischen Tanz- mäuse. $.125. — Die Begattung von Clepsine tessulata. S. 126.
III. Litteratur- Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
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Über das Rückenmark der Plagiostomen.
Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Centralnervensystems von Dr. med. Fritz Kalberlah,
Assistent an der psyebiatrischen und Nervenklinik in Halle.
Mit Tafel I und 1 Figur im Text.
Aus dem anatomischen Institut in Leipzig.
Während nach der Erfindung des Mikroskops die Kenntnis in der mikroskopischen Anatomie der verschiedenen Organe des tierischen Körpers, vor allem natürlich des Menschen, rasch durch eine grosse Reihe bedeutsamer Befunde erschlossen wurde, blieb die Erforschung des Centralnervensystems lange eine terra incognita für die Anatomen, trotzdem dies lebens- wichtige Organ als der Sitz der psychischen Vorgänge, als die Centrale für den komplizierten Lebensmechanismus in ganz besonderer Weise zum Studium anregte. Ja selbst heutzutage noch, wo die mikroskopische Forsehung unter dem Einfluss der modernen histologischen Technik einen so schnellen und erfolgreichen Aufschwung genommen hat, ist die intimere Bekanntschaft mit dem feineren Bau des nervösen Centralorgans sowohl nach der normal anatomischen und physiologischen als auch nach der pathologischen Seite hin im grossen ganzen auf die kleine Zahl der Mediziner beschränkt, die dies Gebiet zu ihrem speziellen Studium erwählt haben.
Dies kann aber auch nicht Wunder nehmen, so auffällig es vielleicht bei der Wichtigkeit des Organs erscheint, da wir ja nirgends im tierischen Körper auf so engem Rkaume eine solche Mannigfaltigkeit der Formen, ein so wechselvolles Bild in der Struktur, ein scheinbar unentwirrbares Durch- einander von anatomisch und funktionell versehiedenartigen Gebilden finden wie im Centralnervensystem. Hier gilt es
nieht nur, wenn wir das Gehirn als Ganzes kennen lernen Zeitschrift f. Naturwies. Bd. 73, 1900. 1
2 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
wollen, — und nur so kann es uns über seine Funktion Aufschluss geben, — die einzelnen Teile in ihre anatomischen Substrate zu zerlegen, sondern die Details zu einem Gesamt- bild zu vereinen und so allmählich das allerdings sehr komplizierte, aber doch in seinen Hauptzügen gesetzmässige Gerüst zu erhalten, das die Grundlage für seine Funktion bildet.
So erklärt sieh der überaus langsame Fortschritt auf diesem Gebiet.
Um den Zusammenhang der einzelnen Bezirke zu er- kennen, mussten erst von der Natur besonders markant gezeiehnete Bahnen genauer erforscht und in ihrer Bedeutung sicher gestellt werden; dann erst war es möglich, durch Anreihung von Einzelheiten das Gesamtbild verständlich zu machen. Diese Untersuchungen konnten aber nur dann zu einem befriedigenden Resultat führen, wenn daneben die Erforschung der einzelnen Formelemente, aus denen sich die nervösen Gebilde aufbauen, genügende Fortschritte machte, um immer eine richtige Deutung der vorliegenden Befunde zu ermögliehen. Die Natur der Ganglienzelle und des Axen- zylinders musste z. B. erst erkannt und die Anatomie dieser Gebilde bis zu einem gewissen Grade gefördert sein, bevor die Untersuchungen über den Faserverlauf mit Verständnis betrieben werden konnten.
Deshalb mussten sich auch die älteren Anatomen!) lange mit einer rein äusserlichen Beschreibung des Gehirnes begnügen, ohne eine eigentliche Kenntnis von dem Wert der einzelnen Teile und ihrer Entstehung zu haben, während im Innern desselben nur einige besonders auffällige Punkte die Aufmerksamkeit auf sich lenkten.?)
Erst die ontogenetisch und phylogenetisch durch- geführten entwicklungsgeschiehtlichen Untersuchungen der neueren Zeit?) brachten ung Aufschluss über die Morphologie
1) Das sind vor allen: Vieq d’ Azyr, Sömmering, Gall, Spurzheim, Bell, Arnold, Rolando, Foville u.a.
2) Siehe dazu besonders: Burdach, Vom Bau und Leben des Gehirns, 1819—26.
®) Vorallen: Tiedemann, Reichert, Kölliker, His, Goette, Kupffer, Burkhardt u.a.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 3
des Gehirns, so dass, nachdem dies äussere Gebäude in seinen Hauptzügen feststand, die Detailforschung sowohl in der Untersuchung der Faserstrassen und ihrem Zusammenhang als auch in der Bewertung der einzelnen Formelemente als solche und untereinander in anatomischer und physiologischer Beziehung erfolgreich einsetzen konnte.
Besonders waren es zwei Männer, die auf dem Gebiete der Erforschung des Centralnervensystems fruchtbringend wirkten, und als die Gründer der exakten Gehirnanatomie zu gelten haben, das sind SrıLLInG und MEYNERT.
Die Wege, auf denen die Erreichung dieses Zieles ver- sucht wurde, waren sehr verschieden, aber gerade diese mannigfaltige Inangriffnahme des spröden Stoffes führte dann in verhältnismässig kurzer Zeit zu reichen Erfolgen, so dass heutzutage bereits eine bei der Jugend dieser Wissenschaft recht grosse Litteratur über diesen Gegenstand vorliegt, und doch können wir nieht behaupten, dass wir damit einem Abschluss näher gekommen wären.
Die ersten bei der Grobheit der Methode auffallend reichen Resultate lieferte die Zerfaserung des alkohol- sehärteten Gehirns. So wichtig diese Art der Untersuchung für den damaligen Stand der Gehirnkenntnis war, so sehr ist sie jetzt gegen andere Verfahren zurückgetreten.
Bahnbrechend und auch heute noch massgebend für die Art der Bearbeitung des Centralnervensystems ist die Zer- legung des Gehirns in dünne Schnitte und, was noch wichtiger ist, in Schnittserien nach dem Vorgange STILLing’s, der selbst mit dieser Methode eine Fülle des Neuen finden konnte.
Aber auch so war es noch nicht möglich verschiedene eng zusammenliesende Fasersysteme, verfilzte oder sich kreuzende Fasergewirre oder zu Komplexen vereinigte Nervenkerne distinkt von einander zu unterscheiden und in ihrer Zusammengehörigkeit richtig zu erkennen. Dazu bedurfte es einmal einer Reihe gleich zu besprechender Massregeln, die uns erlauben, nur bestimmte gewünschte Teile des Centralnervensystems unabhängig von den anderen zu bearbeiten, dann galt es auch, überhaupt erst einmal die einzelnen Formelemente als solche in dem mikroskopischen
1*
+ Dr. med. Frıtz KALBERLAH,
Bilde schärfer hervorzuheben und gegen die Umgebung ab- zusetzen, was vor allem durch die Imprägnation mit bestimmten Farbstoffen und Metallsalzen erreicht wurde. Um so wertvoller wird eine solche Färbung sein, je präzis elektiver dieselbe die einzelnen Gebilde färbt. Nachdem GERLACH diese Färbung zuerst in die Gehirnforschung ein- geführt hatte, sind rasch eine Menge neuer Verfahren, die gegenüber der ersten Karmintinktion einen enormen Fort- schritt bedeuten, aufgetaucht, besonders verdanken wir WEIGERT, GOLGI, BELLONCI, MARCHI, EHRLICH, dann NissL, HELD, Apırtay, BETHE, v. LENHOSSER, RAMON Y CAJAL, VAN GıEson exakte Methoden.
Vor allem hat die Weıserr’'sche Markscheiden- färbung für die verschiedensten Arten der Untersuchung in normal anatomischer und pathologischer Beziehung grosse Bedeutung erlangt, weil diese Methode bei verhältnismässiger Einfachheit der Ausführung doch sehr exakte und dabei elegante Bilder garantiert. Wiehtig vor allem für praktische Zwecke ist, dass es bei den einzelnen Phasen der Färbung nieht auf übermässige Peinlichkeit der Behandlung ankommt und bei der Einwirkung der einzelnen Reagentien nicht mit Sekunden gerechnet zu werden braucht. Dadurch macht sich der Nachteil, der sonst bei jeder Färbung in dem Prinzip der Differenzierung liegt, nicht so sehr geltend. Etwas vermeiden lassen sich derartige aus zu starker Ent- färbung entspringende Fehlerquellen auch dadurch, dass man, wie ich es immer that, abweichend von der gegebenen Vorschrift das Haematoxylin 24 Stunden und länger bei Brutofenhitze einwirken lässt und mit etwas dünneren Differenzierungslösungen arbeitet; ein Nachteil ist dann allerdings die ungemein langsame Entfärbung, ein Vorteil aber die grosse Sicherheit, auch die feinsten und isoliertesten Nervenfasern tief dunkel und nieht dureh die Differenzierungs- flüssigkeit teilweise angegriffen vorzufinden.
Besonders enthusiastisch wurde vor allem die Golgi- methode der Silberimprägnation aufgenommen. Und mit Recht ist dieselbe als eine der wertvollsten Be- reicherungen unserer histologischen Technik der letzten Zeit aufzufassen, hat sie uns doch in kurzer Zeit eine
Über das Rückenmark der Plagiostomen. b)
ungeahnte Bereicherung in der feinsten Detailforschung des Gehirnes geliefert. So sehr aber ihre Bedeutung anzu- erkennen ist, so vorsichtig muss man in der Verwertung der damit erhaltenen Ergebnisse sein, wenn man nicht durch die blendenden Resultate zu Trugschlüssen kommen soll, zumal man ihre elektive Wirkung absolut nieht in der Hand hat, sondern ganz auf den Zufall angewiesen ist. Ihr Haupt- wert liegt wohl in der allerdings unentbehrlichen Ergänzung zu den anderen Methoden, vor allem zur WEIGERT’schen Markscheidenfärbung. Ganz unsicher wird oft die An- wendung bei niederen Vertebraten, wo manchmal bei ganzen Versuchsreihen die Imprägnation ohne erkennbare Ursache einfach ausbleiben kann.
Von vielleicht ebenso grosser Tragweite für die Er- forschung des Centralnervensystems dürfte die vitale Methylenblaufärbung von EurLich werden. Gerade die Vornahme der Färbung, während das Gewebe noch lebt, dürfte uns noch über viele Irrtümer aufklären, die uns durch die eingreifenden Behandlungen anderer Methoden vor- getäuscht werden. Gerade die Gefahr, vielfach Kunst- produkte zu erhalten, ist auch ein Vorwurf, den man der Golgimethode nicht ersparen kann.
Doch mit der rein mechanischen Behandlung der Präparate mit Farbstoffen wäre uns noch wenig gedient, wenn uns nicht Methoden zur Seite ständen, mittels derer es gelingt, wieder aus der Fülle des sich gleichfärbenden bestimmte funktionell und genetisch zusammenhängende Teile getrennt voneinander hervorzuheben, wobei besonders die Möglichkeit, bestimmt beabsichtigte Erfolge durch die methodische Vornahme der Untersuchung zu erzielen, von Wert ist.
Schon MEckeEn hatte erkannt, dass die Nervenfasern sich im Laufe der Entwicklung mit Markscheiden umgeben, aber das grosse Verdienst FLecasie’s ist es, diese Be- obachtung der Gehirnforschung dadurch dienstbar gemacht zu haben, dass er lehrte, dass diese Markscheidenentwicklung in Bezug auf die einzelnen Fasersysteme räumlich und zeitlich getrennt, aber in ganz systematischer, gesetzmässiger Weise, die mit der funktionellen Entwicklung im intimsten
6 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
Zusammenhang steht, vor sich geht. Durch Verwertung dieser Thatsache kann es nun gelingen unter Anwendung entsprechender Markscheidenfärbungen die weisse Substanz in eine Reihe von Einzelbahnen zu zerlegen, indem man die einzelnen Faserbündel bei Entwieklungsstufen verfolgt, wo dieselben, weil allein markhaltig, sieh gegen die noch mark- losen Partien scharf abheben. Vor allem durch die An- wendung der WEIGERT'schen Myelinfärbung ist diese Methode zu ihrer jetzigen Bedeutung gelangt.
Auf die Vereinigung derselben mit der vergleichend- anatomischen Untersuchung werden wir später noch näher eingehen.
Auf anderem Wege ging TÜRK vor, der uns die sekundären Degenerationen benutzen lehrte, wie sie entstehen, wenn man die Nervenfaser von ihrem trophischen Centrum, der Ganglienzelle, trennt. Bei Anwendung der Marchimethode der Osmiumtinktion, resp. der WEIGERT’schen Färbung erhält man so ungemein präzise und klare Bilder, da die degenerierende Nervenfaser vor allem in .centrifugaler Riehtung körnig zerfällt, resp. später völlig verschwindet und sich so den Färbungen gegenüber entsprechend anders als normale Teile verhält. Wird durch Ausschalten der Funktion die Nervenzelle zur Inaktivität gezwungen, so degeneriert auch sie, wie auch schliesslich der eentripetale Axeneylinder- stumpf (retrograde Degeneration). Diese Zellentartung ist für die Feststellung der Topographie der Nervenkerne von Bedeutung. Die Nissl-Held-Färbung ermöglicht hier in brillantem Kontrast die Erkennung der entarteten Zellen.
Wie experimentell, so kann die Degeneration auch durch pathologische Prozesse bedingt sein, wie z. B. bei den System- erkrankungen oder bei Unterbrechungen einzelner Bahnen durch Traumen, Neoplasmen u. s. w. Dies ist besonders von WESTPHAL, STRÜMPELL, CHARCOT, BRISSAUD u.a. ausgenutzt worden.
Oft können auch angeborene Entwieklungshem- mungen und Missbildungen uns ein Mittel an die Hand geben, mit Leichtigkeit komplizierte Verhältnisse klar zu analysieren, weil dieselben hier gerade besonders einfach liegen Können.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 7
Gewissermassen aus der Methode der Entwicklungs- hemmung und sekundären Atrophie zusammengesetzt ist das Untersuchungsverfahren von GUDDEN,!) der im peripheren oder eentralen Bezirk des Nervensystems bei ganz jungen Tieren Teile entfernte und später die daraus resultierenden Veränderungen studierte. Besonders von FOREL, MAYSER, GANSER?) und MonakKow?°) ist dies Verfahren ausgiebig an- gewandt worden, sollte aber, wie auch die anderen operativen Methoden noch mehr für die niederen Vertebraten ausgenutzt werden als bisher, da diese durch derartige Eingriffe in ihrem Befinden relativ wenig alteriert werden.
Wie es schon in der Natur der Sache liegt, konnte zu diesen verschiedenen Untersuchungsarten nicht immer das menschliehe Gehirn herangezogen werden, sondern vielfach musste das tierische, vor allem das der höher organisierten Säuger dafür eintreten. Weiter war es dann die zoologische Forsehung, die das Tiergehirn, und zwar auch das der niederen Tiere in den Kreis der Untersuchung zog, wenn auch meist nur auf die Beschreibung der äusseren Formen sich beschränkend. Erst die Technik der Schnittserien führte auch hier zur Durcharbeitung der komplizierteren inneren Verhältnisse.
Naehdem so ein gewisser Fonds von Detailkenntnissen über das Tiergehirn gewonnen war, konnte nun auch die vergleichend-anatomisehe Untersuchungsmethode einsetzen, um aus dem Erfahrungssatze, dass alle kom- plizierteren Organsysteme höherer Tiere nur durch das Studium der bei den niederen Vertebraten oft einfacher und durehsiehtiger liegenden Verhältnisse erkannt werden können, ebenfalls für sich ihre Vorteile zu ziehen. Und in der That
1) Siehe Gudden, Gesammelte hinterlassene Abhandlungen, Wies- baden, 1889.
2) Monakow, Zahlreiche Abhandlungen, meist im Archiv für Psychiatrie und im Neurolog. Centralblatt.
3) Forel, Mayser, Ganser, Über das Verhältnis der ex- perimentellen Atrophie- und Degenerationsmethode zur Anatomie und Histologie des Centralnervensystems. Festschrift zur Feier des 25. Doktorjubiläums von Nägeli und Kölliker, Zürich, 1891.
8 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
gilt dies auch für das Centralnervensystem: „Das Säuger- gehirn kann voll nur verstanden werden, wenn man berück- sichtigt, wie es in der Tierreihe geworden ist“.!) Es galt nur immer die Tierform aufzufinden, bei denen die ge- wünschten Bilder besonders scharf und deutlich ausgeprägt sich finden, und daraus die riehtigen Schlüsse für das höher organisierte Gehirn zu ziehen.
Vor allem an den Namen JoH. MÜLLER und MEYNERT anknüpfend hat dieser Gedanke in neuerer Zeit durch EDINGER festere Form gewonnen und besonders dadurch praktischen Wert bekommen, dass er mit der vergleichend- anatomischen Methode die der Markscheidenentwicklung kombinierte. Praktisch wertvoll deshalb, weil die Struktur- verhältnisse bei niederen Tieren, besonders in der Medulla oblongata und im Mittel- und Zwischenhirn durchaus nicht einfacher und durehsichtiger sind und dadurch das Studium leichter machen, während wir dagegen bei Embryonen und Jungen Entwieklungsstufen sofort ungemein klare Bilder er- halten und in ihren Details analysieren können. Auf diesem vergleiehend-entwieklungsgeschichtlichen Wege sind sicher noch sehr viele neue Aufschlüsse zu erwarten, wenn auch die Schwierigkeit ihrer Anwendung nicht zu leugnen ist. Nicht nur für die Anatomie werden sie von Nutzen sein, sondern auch wohl für das Verständnis des Lebensmechanismus, soweit er sich im Centralnervensystem abspielt, weil man ja bei niederen Tieren den einfacheren anatomischen Substraten entsprechend auch einfachere Lebensbedingungen findet. In dieser Beziehung hat übrigens schon die individuelle entwieklungsgeschiehtliche Methode von FLEcHsıe manches bieten können, denn auch hier haben wir eine, wenn auch in die Ontogenie zusammengedrängte, phylogenetische Entwicklungsreihe im Einzelindividuum vor uns, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese Ent- wieklungsreihe sich hier noch weniger lückenlos darstellt, wodurch oft gerade Typen ausfallen, die durch ihre Eigenart wiehtige Aufschlüsse hätten geben können.
') Edinger, Vorlesungen über den Bau der nervösen Central- organe des Menschen und der Tiere. VI. Aufl., Leipzig 1900.
Uber das Rückenmark der Plagiostomen. 9
Vorläufig können eigentlich nur die Vorarbeiten zur Aufstellung vergleichend-anatomischer Gesichtspunkte ge- schaffen werden, bevor es möglich ist, aus dem vielen heranzuziehenden Einzelmaterial ein einigermassen lücken- loses Gesamtgebäude aufzubauen. Vorher wird auch die Gefahr bei Anwendung dieser Methode zur voreiligen und nicht genügend begründeten Homologisierung von Einzel- verhältnissen bei höheren und niederen Tieren noch grösser sein, als wenn erst ein grosses und eingehend studiertes Untersuehungsmaterial vorliegt, denn je genauer zu ver- gleichende Dinge bekannt sind, desto exakter wird auch der Vergleich ausfallen.
Epınger hat uns im Vorwort zur 2. Auflage seines Buches kurz und treffend die Aufgabe der vergleichend anatomischen Riehtung der Gehirnforschung vorgezeichnet, wenn er sagt: „Es muss eine Anzahl anatomischer An- ordnungen geben, die bei allen Wirbeltieren in gleieher Weise vorhanden sind, diejenigen, welche die einfachsten Äusserungen der Thätigkeit des Centralorgans ermöglichen. Es gilt nun immer dasjenige Tier oder diejenige Ent- wieklungsstufe irgend eines Tieres ausfindig zu machen, bei der dieser oder jener Mechanismus so einfach zu Tage tritt, dass er voll verstanden werden kann. Hat man das Ver- halten einer solehen Einrichtung, eines Faserzuges, einer Zellanordnung nur einmal irgendwo ganz sicher gestellt, so findet man sie gewöhnlich leicht auch da wieder, wo sie durch neu Hinzugekommenes mehr oder weniger undeutlich gemacht wird. Das Auffinden soleher Grundlinien des Hirn- baues aber scheint die nächstliegendste und wichtigste Auf- gabe der Hirnanatomie zu sein. Kennen wir nur erst einmal sie, so wird es leicht sein, die komplizierten Einriehtungen zu verstehen, mit denen das höher organisierte Gehirn arbeitet.“
Auch HaALrter!) tritt dafür in seiner Einleitung zur Theorie des Wirbeltiergehirns ganz entschieden und ein- dringlich ein. Und die Stimme dieser beiden Forscher
1) Haller, B., Vom Bau des Wirbeltiergehirns T. 1. Salmo und Sceyllium, Morphol. Jahrbuch, Bd. XXVI.
10 Dr. med. Frırtz KALBERLAH,
muss um so gewichtiger sein, da sie ja beide durch die Resultate ihrer grundlegenden Arbeiten den besten Beweis für die Richtigkeit ihrer Worte beibringen können.
Die Bearbeitung des Tiergehirns hat schon früh ein- gesetzt und ist bis zur Jetztzeit bedeutend gefördert worden, wenn vielleicht auch die Menge der für die vergleichende Anatomie verwertbaren Punkte noch nicht allzu gross ist. Mindestens ist es aber schon möglich gewesen, auf diesem Wege gewisse. Grundzüge für den Aufbau des Gehirns in der Tierreihe aufzufinden, und der Versuch EpınGer’s, unter Verwertung dieses noch etwas spärlichen Materials das hochentwickelte Säugergehirn dem Verständnis näher zu bringen, ist wohl berechtigt.!)
Am ausführlichsten und detailliertesten ist natürlich das Gehirn der Säuger erforscht worden, zumal sie vor allem bei der Anwendung der experimentell-physiologischen und der der sekundären Degenerationen herangezogen wurden.
Eine ausführliche Bearbeitung dieses Stoffes findet sich in den umfassenden Werken über das Centralnervensystem des Mensehen, dann mit besonderer Berücksichtigung der vergleicehend-anatomischen Befunde in der Gewebelehre von KÖLLIKER,?) genauer allerdings nur für das Rückenmark, sehr dürftig für die Abschnitte des Gehirns, und in dem bisher erschienenen Teil vom Nervensystem von ZIEHEN und ZANDER,?) der sehr reichhaltig mit vergleichenden Be- merkungen ausgestattet ist. Ohne Berücksichtigung der inneren Strukturverhältnisse finden sich vergleichend -ana- tomische Bearbeitungen des Säugergehirns in dem Werke von FLATAU und JAKOBSOHN®) und in den Lehrbüchern von GEGENBAUR und WIEDERSHEIM.5) Die nur mangelhaften
1) Edinger, op. cit. (cf. pg. 8).
2) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen, VI. Aufl., Leipzig 1896.
3) Ziehen und Zander, Nervensystem. Aus dem Handbuch der Anatomie des Menschen von v. Bardeleben, 1899.
*) Flatau und Jakobsohn, Anatomie des Centralnervensystems der Säugetiere, Berlin 1899.
5) Die Lehrbücher der vergl. Anatomie.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 11
Ergebnisse bis zum Jahre 1857 sind in dem Werke von Leurer und GRATIOLET!) ziemlich umfassend mit guten Litteraturangaben zusammengestellt. Die in der Ent- wieklungsreihe am tiefsten stehenden Säuger sind in dem Buche von ZIEHEN?) über die Aplacentalier besonders be- handelt worden.
Für die vergleichend-anatomische Forschung im allge- meinen wertvolle Zusammenstellungen finden sich auch in den von EDINGER redigierten Jahresberichten aus dem Gebiete der Hirnanatomie in Schumipr's Jahrbüchern, vor allem aber in seinen „Vorlesungen“. Ein grosser Nachteil dieses Buches ist leider im vergleichend-anatomiscehen Teil die oft geradezu aphoristische Kürze der Darstellung, die zu Unklarheiten führen muss. Dieser Mangel in der Ausführung muss z. B. die Kapitel über das Mittel- und Zwischenhirn für den An- fänger sehr schwer verständlich machen.
Viel mehr zerstreut ist das, was wir aus der Anatomie des Gehirns der übrigen Tiere wissen; manche Gebiete sind hier fast noch gar nicht oder doch nur mangelhaft bearbeitet, so die ungeheure Menge der Wirbellosen, deren Centralnervensystem von den wunderschönen Untersuchungen von RErzıus?) und einigen anderen abgesehen, fast nur vom rein zoologischen Standpunkt bearbeitet ist. Auf diesem Gebiete ist vor allem von der vitalen Methylenblaufärbung viel zu erwarten.
STIEDA, AHLBORN, MAYSER, BELLONCI, HALLER, BuMM, EDINnGER sind es vor allem, denen wir grundlegende Arbeiten für die verschiedenen Tierklassen verdanken.
Am besten ist wohl unter den niederen Vertebraten die Klasse der Fische durchgearbeitet, besonders seitdem die Arbeiten von STIEDA,t) MAvskr,5) FRITscH,®) u. a. die Basis
») Leuret et Gratiolet, Anatomie comparee du systeme nerveux, Paris 1839—57.
?) Ziehen, Das Centralnervensystem der Monotremen und Masur- pialier, Jena.
®) Retzius, Bivlog. Untersuchungen.
#) Stieda, Über das Rückenmark und Gehirn von Esox lueius, Dorpat 1861. — Studien über das centrale Nervensystem der Knochen- fische, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XVII. — Über die Deutung der einzelnen Teile des Fischgehirns ibid. Bd. XXIII. (Anm. 5 u. 6 s. 5.12.)
12 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
dazu geschaffen hatten, um von den älteren Bearbeitungen wie CoLLINS, HALLER, VıcQ’D’ AZYR, TREVIRANUS, GOTTSCHE, SwAN u. a. abzusehen.
Ein Teil dieser einschlägigen Arbeiten wird im speziellen Teil, soweit das Rückenmark in Betracht kommt, vergleichend herangezogen werden.
Hier interessiert uns zur eingehenderen Betrachtung vor allem die Forschung über das Centralnervensystem der Selachier, speziell der Plagiostomen, die in den letzten Jahren durch umfassende Arbeiten grosse Bereicherung er- fahren hat.
Ehe ich mit der Mitteilung meiner Untersuchungen, die keineswegs abgeschlossen sind, beginne, möchte ich gleich einen Überblick über das vorausschieken, was bisher in der Selachierforschung zu Tage getreten ist, um nicht später wieder auf die bisherigen Forschungen eingehen zu müssen.
Die Selachier sind von Zoologen und vergleichenden Ana- tomen aueh in anderer Hinsicht mit Vorliebe zur Untersuchung gewählt und nach den verschiedensten Seiten gründlich durch- gearbeitet worden. Und das ist natürlich, denn die Organisation höherer Fische wird man leichter verstehen, wenn man von den Selachiern als der tieferen Stufe ausgeht. Für das Central- nervensystem ist allerdings zu bemerken, dass manche Ver- hältnisse bei den Ganoiden und Teleostiern besonders in der Medulla oblongata einfacher liegen.
Sehr genau ist allmählich das periphere Nerven- system und die Entwicklung des Centralorgans durchforscht, Arbeiten, deren Kenntnis zum richtigen Verständnis der inneren Strukturbilder, besonders der komplizierten Nerven- austritte nieht zu entbehren ist. Ich verweise auf die Ver- öffentlichungen von BALFOUR, BEARD, WIJHE, Hıs, DoHRN, FÜRBRINGER, STANNIUS, JACKSON und CLARKE, ÜONODI,
5) Mayser, Vergleichend anatomische Studien über das Gehirn der Knochenfische mit Berücksichtigung der Cyprinoiden, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXXVI.
#) Fritsch, Die elektrischen Fische, Nach neuen Untersuchungen anatom. zoolog. dargestellt, Leipzig 1881. — Untersuchungen über den feineren Bau des Fischgehirns. — Das Gehirn und Rückenmark von Gymnotus electricus, in Sachs, Untersuchungen über den Zitteraal,
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 13
MiıtnEs-MARSHALL, EWART, HormanNn und vor allem auf die der GEGEnBAUR’schen Schule.
Über die einzelnen Formelemente im Selachiergehirn geben uns die speziellen Arbeiten von SCZAWINSKA,!) LEv1,?) LENHOSSEK,5) SCHAPER*) und Rerzıus>) Aufschluss.
Eine Reihe von physiologischen Notizen finden sich bei STEINER,°) BoLL?) u. a.
Auch nur kurz angeführt seien die Bemerkungen SAUER- BECK’S®) über die Struktur einzelner Gehirnteile, die an GoLGI- Präparaten anknüpfen, aber ziemlich allgemeiner Art sind.
Eine vielfache Berücksichtigung der Verhältnisse bei den Selachiern finden wir, immer von vergleichend-ana- tomischen Gesichtspunkten aus dargestellt, in den Vor- lesungen von EDINGER. Derselbe Verfasser hat auch, um auf die speziellen Arbeiten zu kommen, eine ausführlich vergleichend anatomisch gehaltene Arbeit über das Zwischen- hirn der Selachier®) geliefert, die sich durch ihre genaue und klare Darstellung und ausgiebige kritische Berück- siehtigung der Litteratur auszeichnet. EDInGEr giebt darin abweichend von den früheren Angaben eine scharfe, genaue Abgrenzung des Zwischenhirns, wobei vor allem die auch
!) Sezawinska, Recherches sur le systeme nervenx des Selaciens, Archiv. Biolog. Bd. XV.
2) Levi, Riv. di pat. nerv. e ment. 1897. Sep. Abdruck.
3) v. Lenhossek, Zur Kenntnis des Rückenmarks der Rochen, in Beiträge zur Histologie des Nervensystems und der Sinnesorgane, Wiesbaden 1894. — Beobachtungen an den Spinalganglien und dem Rückenmark von Pristiurus-Embryonen. A. Anz. 1892.
*) Schaper, The finer Structure of the Selachian Cerebellum (Mustelus) as shown by chromesilver preparations, Journ. comp. Neurol. MokavIH.
°) Retzius, op. eit. (ef. pg. 11).
6) Steiner, Über das Centralnervensystem des Haifisches und des Amphioxus lanceolatus. Math. naturwiss. Mitteilungen der Akad. d. Wiss., Berlin, 1886.
”) Boll, Beiträge zur Physiologie von Torpedo, Arch. f. Phys. u. Anat. 1873.
®) Sauerbeck, Zum feineren Bau des Selachiergehirns, Anatom. Anzeiger, Bd. XII, 1896.
®) Edinger, Zwischenhirn der Selachier und Amphibien, Ab- handlungen der Senkenberg’schen Ges. 1892, Bd. 18. Untersucht sind: Torpedo, Raja, Cephaloptera, Scyllium, Mustelus.
14 Dr. med. Frıtz KALBERLAH,
jetzt noch recht unklaren Gebilde, wie die Epiphysis, dann die Hypophysis und der Saceus infundibularis, kurz der caudale Zwiscehenhirnabsehnitt (Pars infundibularis EpinGEr) genauere Würdigung erfahren. Weiter behandelt er die einzelnen Faserbahnen, besonders die interessanten Be- ziehungen der Ganglia habenulae und der Optieus-Ursprünge zu den anderen Hirnteilen.
Weiter liegt von ihm vor eine Arbeit über die Ver- bindung des 'Kleinhirns mit den Ganglien der sensiblen Nerven,!) also die direkte sensorische Kleinhirnbahn, die bei den Selachiern die Hauptmasse der Kleinhirnfaserung aus- macht. Das Vorderhirn?) hat ebenfalls eine genauere Dar- stellung gefunden, besonders die Beziehungen der Olfaktorius- bahnen zu den höheren Hirneentren, wobei stets die anderen Vertebraten in zahlreichen Beispielen herangezogen sind. Wir erfahren in dieser Arbeit, dass bei den Rochen das primäre ungeteilte Vorderhirn bestehen bleibt, während sich bei den Haien bereits eine Anlage zum sekundären Vorder- hirn findet. Dem Verfasser stand dabei ein sehr grosses und gut konserviertes Material zur Verfügung, das auf die verschiedenste Art behandelt wurde; so kam auch zum ersten Mal für die Selachier die sekundäre Degeneration zur Verwendung.
Eine sehr ausführliche Behandlung hat das Central- nervensystem der Plagiostomen, wenn wir von den veralteten Arbeiten von BuscH®) und MıcLucHo-MAcLAY?) abgehen, von VIAULT>) und in mehreren Abschnitten von Ronon erfahren.
VıauLt giebt uns eine gute, vieles Neue bringende
ı) Edinger, Anatomische und vergleichend anatomische Unter- suchungen über die Verbindung der sensorischen Hirnnerven mit dem Kleinhirn, Neurolog. Centralblatt, Jhrg. XVII.
2) Ders., Vorderhirn, Abhandlungen der Senkenberg’schen Ges. 1888, Bd. XV (Seyllium, Raja, Torpedo).
5) Busch, De Selachiorum et Ganoideorum Encephalo. Diss. inaug. 1848 (Raja, Lepidosteus, Mustelus, Seyllium, Hexanchus).
#) Mielucho-Maclay, Beiträge zur vergleichenden Neurologie der Wirbeltiere, Leipzig, 1870.
5) Viault, Recherches histologiques sur la structure des Centres nerveux des Plagiostomes, Archiv de Zoolog. experiment. et generale, 1876 (Torpedo, Trygon, Seyllium).
Über das Riickenmark der Plagiostomen. 15
Beschreibung der äusseren Formen und des zelligen Auf- baues und geht dann genauer auf die Verfolgung der Faser- strassen ein, doch ist dieser Teil seiner Arbeit ziemlich dürftig. Völlig unklar ist ihm noch der Trigeminus-faeialis- acusticus-Complex geblieben, zumal hier die Vorarbeiten über das periphere Nervensystem, speziell die Kranialnerven, der GEGENBAUR’schen Schule noch fehlten, resp. völlig un- berücksichtigt geblieben sind. Denn nur durch eine fort- gesetzte Ergänzung der Resultate in der Erforschung des centralen und peripheren Verlaufs der Nerven ist hier Klarheit zu schaffen. Übrigens werden wir auf diese Arbeit noch des öfteren zurückkommen.
Bedeutend höher steht die vergleichend -anatomische Studie Romon’s!) über das Selachiergehirn, wenn sich auch über die Berechtigung streiten lässt, ob man zum Vergleich bei einem so niedrig stehenden Vertebraten vor allem das menschliehe Gehirn, weil am eingehendsten untersucht, heran- ziehen soll. Auch hier finden wir noch manche fundamental falsche Auffassungen über die Einteilung des Gehirns, so hält er das Mittelhirndach für das Zwischenhirn und lässt nur den basalen Anteil Mittelhirn sein, eine unglückliche Ver- schiebung, nachdem schon Fritsch mit seiner Behauptung, das Mittelhirn sei ein sekundäres Vorderhirn, viel Ver- wirrung geschaffen hatte. Die schwierigen Verhältnisse des Trigeminus, Faeialis und Acustieus erfahren auch hier noch keine Aufklärung, wohl aber liegen wertvolle neue Daten über den Nervus Vagus vor, der auch in einer zweiten Arbeit?) ausführlich behandelt wurde. Die Untersuchungen über dessen Ursprungsgebiet knüpfen eng an die Resultate GEGENBAUR’S an; genauere Berücksiehtigung finden die Lobi eleetriei von Torpedo, die er gleich REICHENHEIN®) als
ı) Rohon, Das Centralorgan der Selachier, Denkschrift der K. Akad. der Wiss. in Wien, 1578. (Untersucht sind: Hexanchus, Squatina, Acanthias, Centrina, Sceyllium, Mustelus, Galeus, Carcharias, Raja, Laeviraja, Trygon, Myliobatis, Torpedo.
2) Rohon, Über den Ursprung des Vagus bei den Selachiern, Arbeit. des zoolog. Instit. zu Wien, 1878.
®) Reichenhein, Beitrag zur Kenntnis des elektrischen Central- organs von Torpedo, Arch. f. mikrosk. Anat. u. Phys. 1873 und Über das Rückenmark und den elektrischen Lappen von Torpedo, Berlin, 1878,
16 Dr. med. Frıtz KALBERLARH,
spezifische Centren auffasst, die nicht den Vaguslappen, wie FrITscH meint, analog seien. Er stellt dann hier zum ersten Male fest, dass der Vagus gemischt aus ventralen und dorsalen Wurzeln gebildet sei, im Gegensatz zu GEGENBAUR, ein Befund, der übrigens später von GORONOWITSCH!) und HALLER?) u. a. bestätigt wurde.
Die etwa 10 Jahre später erschienene Arbeit von SANDERS konnte ich mir leider nicht verschaffen, dem Referat?) nach scheint sie jedoch manches Neue zu bringen. Die Be- handlung des Rückenmarks scheint aber im wesentlichen eine Wiederholung der StıepA’schen Befunde zu sein.
Die bedeutsamste Leistung auf dem Gebiete der Selachier- gehirnforschung stammt aber unbedingt von BELA HALLER,?) der das Centralnervensystem von Seyllium in umfassender Weise durchgearbeitet hat. Der grosse Wert der Arbeit besteht vor allem darin, dass er immer, von vergleichend anatomischen Gesichtspunkten geleitet, das Gehirn der Teleostier (Salmo) als einer abgezweigten Gruppe der Fische ebenso ausführlich herauszieht. Eine genaue Be- rücksichtigung der Amnioten ist für einen 2. Teil in Aussicht gestellt. Leider ist auch hier die Darstellung oft recht unklar gehalten und erschwert ein Eindringen in die vielen neuen Thatsachen sehr, viel trägt dazu auch die oft ganz abweichende Nomenklatur bei. Jedenfalls kann man den Wert der Arbeit nieht hoch genug anschlagen, da hier über eine Unmenge von Punkten, die bisher noch wenig oder gar keine Aufklärung erfahren hatten, Licht verbreitet ist. Dem Abschluss nahe gebracht ist die Forschung über das Selachier- gehirn damit noch lange nicht, einmal sind noch viele Einzel- heiten völlig dunkel geblieben, dann sind auch viele Resultate durchaus nicht einwandsfre. Am meisten Sorgfalt wurde verwandt auf die feinere Analyse der bis dahin noch wenig
2) Goronowits ch, Gehirn und Kranialnerven von Acipenser, Morpholog. Jahrbuch Bd. 13.
2) Haller, Der Ursprung der Vagusgruppe bei den Teleostiern, Festschrift zum 70. Geburtstag von K. Gegenbaur, 1896.
») Sanders, Contributions to the Anatomy of the central nervous System of Plagiostomata. Proceed. of Royal Society Vol. XL, 1886.
(Khina, Seyllium, Acanthias u. a.) Haller, op. eit. (pg.'9):
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 1.
aufgeklärten eentralen Verhältnisse der Kranialnerven, auf den Zusammenhang der Faserstrassen und die Abgrenzung der einzelnen Gehirnabschnitte. Besonders ausführlich ist der metamere Abschnitt des Gehirns durchgearbeitet, der durch die von BURKHARDT entdeckte Spalte (Suleus inter- eneephalieus Hall.) vom prächordalen Teil getrennt ist. Auf seine auch hier durchweg vertretene Ansicht vom Vor- handensein eines Nervennetzes, etwa im Sinne GERLACH', kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Nur kurz berührt ist das Rückenmark, in dem er, wie auch in der Medulla oblongata, ein ventrales, ein mittleres und ein dorsales Centrum unterscheidet. Dieselben sollen sich allerdings nicht absolut scharf gegeneinander abgrenzen lassen; im allgemeinen liefern die ventralen die Vorder- stränge, die mittleren die Seitenstränge und die dorsalen die Hinterstränge. Im weiteren wurden dann die Ursprungs- beziehungen der Kranialnerven zu diesen Centren genauer zu bestimmen gesucht, so soll z.B. der Nervus Vagus aus allen 3 Gruppen Fasern beziehen. Die eingehendste Dar- stellung -hat die Acustieus-faeialis-trigeminus-Gruppe ge- funden, vor allem die Beziehungen ihrer Wurzelgebiete zum Kleinhirn und den vorderen Hirnabscehnitten. Ein grosser Abschnitt ist auch den Längsbahnen gewidmet, die das Rückenmark mit höher gelegenen Hirnteilen verbinden und besonders dadurch wichtig sind, dass sie die Ursprungskerne sämmtlicher metamerer Hirnnerven mit anderen Hirnteilen, wie Rückenmark, Pars infundibularis, sekundäres Vorder- hirn u. s. w. in Verbindung setzen. Das prächordale Gehirn ist nur kurz behandelt. ei
Die Arbeiten, die speziell das Rückenmark betreffen, werden immer an den entsprechenden Stellen im folgenden Teil herangezogen werden. Es sind dies Abhandlungen von STIEDA,!) Re'rzıus?) und v. LENHOSSER.°)
Leider muss ich vorläufig davon Abstand nehmen, meine Untersuchungen über die Medulla oblongata, das Mittel- und
1) Stieda, Über das Rückenmark der Rochen und Haie, Zeit- schrift f. wiss. Zool. XXXIIL, 1873. 2) Retzius, op. cit. (pg. 11), VII. Folge. >) v. Lenhossek, op. eit. (cf. pg. 13). Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900, 2
13 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
Zwischenhirn der Selachier zu veröffentlichen, weil ich die- selben noeh durch Anwendung anderer Methoden und durch Verarbeitung jüngerer Entwieklungsstufen ergänzen möchte. Ich werde, da mich Gründe äusserlicher Art zu einer Unter- brechung meiner Studien und zu einer Publikation nötigen, mich darauf beschränken, unter Heranziehung vergleiehend anatomischer Gesichtspunkte eine kurze Beschreibung des Rückenmarks zu geben. Auch dieser Gegenstand ist durch- aus nieht erschöpfend durchgearbeitet, es harren vielmehr noch viele Punkte der Aufklärung und Ergänzung. Ich konnte nämlieh nur die WEIGErT’sche Markscheidenfärbung anwenden, und zwar nur an ungefähr gleichalterigen Individuen, an denen schon alle Fasern markhaltig waren; nur ein einziges adultes Exemplar, das leider schlecht ge- härtet war, stand mir zur Verfügung.
Die Plagiostomengehirne sind von Herrn Privatdozent Dr. Kästner 1893 von Rovigno mitgebracht, wo sie in eine 2%/,-Lösung von Kalium biehromie. eingelegt wurden. Die eine viel jüngere Entwicklungsstufe erhielt ich von Herrn Professor Hıs. Für die Überweisung dieses Materials sage ich den genannten Herren auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank, ebenso auch Herrn Prof. Hero, der mir während meiner ganzen Arbeitszeit mit seinem Rat unterstützend zur Seite stand.
Für das Rückenmark kamen zur Untersuchung: Mustelus, Acanthias, Torpedo, Raja, Trygon.
Die Gehirne wurden in Celloidin eingebettet und mit Hilfe der Photoxylinplattenmethode in möglichst lückenlose Schnittserien zerlegt. Nachdem die einzelnen Blätter dann noch einmal 12 Stunden einer dünnen Kaliumbichromieum- lösung ausgesetzt waren, wurde die WEIGErT’sche Häma- toxylinfärbung angewandt mit der Par’schen Differenzierung in der anfangs angegebenen Modifikation.
Bei der Herstellung der Zeiehnungen ist in einzelnen wenigen Fällen bei der Verfolgung der frei im Grau verlaufenden Fasern der ScHuArrzr’sche!) Vorschlag der
!) Schaffer, Karl, Die Rekonstruktion mittels Zeichnung, Eine Metlıode zum Studium der Faserung im Centralnervensystem, Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie, Bd. VII, 1890.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 19
Rekonstruktion mittels doppelter Zeichnungen benutzt worden. Daher die öfter etwas schematisiert erscheinenden Zeich- nungen.
I. Topographische Übersicht.
Der Querschnitt des Rückenmarks der Plagiostomen ist rund bis oval, und zwar ist fast durchweg, wenigstens bei erwachsenen Individuen, der dorsoventrale Durchmesser der kleinere. Also eine Form, wie sie sich auch bei den anderen Fischen findet, mit Ausnahme der Cyklostomen und Dipnoer, die eine ganz ausgesprochen bandförmige Medulla spinalis haben.
Im allgemeinen ist immer die ventrale Fläche des Rücken- marks etwas breiter als die dorsale. Aber für Rochen und Haie je besonders eharakteristische Typen anzunehmen, ist wohl nieht durchzuführen, da die Form sehon in den einzelnen Spezies und in den verschiedenen Segmenten zu wechseln scheint. Jedenfalls kann ich die Angabe SrıepA’s, das Rückenmark der Rochen sei mehr vierseitig prismatisch und das der Haie eliptisch, nicht bestätigen, denn wir finden hier gerade z. B. bei Torpedo (Fig. 4) die runde bis etwas ovale Form vorherrschend, während man bei Mustelus (Fig. 1) eher von einer vorderen und hinteren und zwei seitlichen Flächen reden kann.
An der vorderen Seite zeigt das Rückenmark eine meist kaum ausgeprägte fissura longit. ant., die dann im oberen Teil beim Übergang in die Oblongata ganz verschwindet, indem dann hier die Raphekreuzung auftritt und deshalb nur noch ein Ventralseptum vorhanden ist. Der Mangel der bei den höheren Vertebraten tiefen Fissur findet sich über- haupt bei allen tiefer stehenden Wirbeltieren bis zu den anuren Amphibien herauf. Dorsal findet sich wie ge- wöhnlieh ein Ependymseptum, das die beiden Rückenmarks- hälften von einander scheidet. Die Sulei longit. med. ant. und post. bilden sanfte, aber ziemlich tiefe Furchen (Raja, Mustelus, Trygon), so dass der Querschnitt oft semmelförmig eingeschnürt erscheint. Die Sulei laterales sind nur schwach angedeutet.
2*F
20 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
.. Bei den Plagiostomen kann man bereits eine weisse und graue -Substanz unterscheiden, weil hier schon markhaltige Fasern existieren, während bei den Akraniern und Cyklos- tomen noch sämmtliche Stränge marklos sind.
Die Form der grauen Substanz entspricht im Prinzip schon dem gewöhnlichen Typus der höheren Vertebraten, wenn auch durch besondere Eigentümlichkeiten das Bild auf den ersten Blick etwas verwischt erscheint. Es ist also in der Mitte der Centralkanal, umgeben von der grauen Substanz, und gegen die Peripherie gedrängt die mark- haltigen Gebiete, die dann an bestimmten Stellen mehr Segen das Grau vorspringen, eine Sonderung, wie sie bei den Pleetognathen noch aussteht. Diese mehr diffuse Ver- teilung soll auch die Regel bei ganz jungen Selachier- individuen sein.
Die Vorderhörner, die eine ausgeprägt keilförmige Gestalt mit abgerundeter Basis haben, stehen fast horizontal gerichtet, um erst weiter gehirnwärts eine schiefe Stellung anzunehmen. Die Hinterhörner sind kaum einigermassen scharf zu um- grenzen, sondern gehen allmählich in die weisse Substanz über, weil die ganze Säule unregelmässig durchsetzt wird von ziemlich bedeutenden longitudinalen Faserbündeln.
Ein Reichtum der grauen Substanz an markhaltigen längsverlaufenden Fasern wird überhaupt von KÖLLIKER als charakteristisch für die Fische hervorgehoben.
Dadurch, dass diese im Grau ziehenden Bahnen und ein Teil des Seitenstranges sehr weit bis in die Mitte vorgelagert sind, bleiben die einzelnen Bezirke, je Vorderhorn und Hinter- horn und auch die beiden Rückenmarksgrauhälften nur durch schmale graue Kommissuren verbunden. Diese schmalen zwischen Vorder- und Hinterhorn neben dem Centralkanal übrigbleibenden Verbindungen sind den Selachiern wohl allein eigentümlich, wenigstens zeigen sie dies deutlich im Gegensatz zu den Ganoiden und den Teleostiern.
Dicht über der vorderen weissen Kommissur resp. über den Kuppen der Vorderstränge liegt der Centralkanal, so dass sich hier gar keine oder doch nur eine ganz schmale graue Kommissur findet. Er zeigt auf dem Querschnitt bei den Rochen ein ovales Lumen, bei den Haien ein rundes.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 21
Frei in der Liehtung des Centralkanals trifft man nun oft rätselhafte, glasig erscheinende Gebilde, die fast dem Quersehnitte von Axeneylindern in ihrem Aussehen gleichen. Sie sind hellbläulieh schwarz durch Weigertfärbung tingiert und rings mit einer etwas dunkleren Umrandung eingefasst. Dies Gebilde ist nach meinem Dafürhalten auf keinen Fall mit einem Axeneylinder zu identifizieren. Das erscheint eigentlich selbstverständlich, ich hebe es aber deshalb hervor, weil gerade in neuester Zeit entgegengesetzte Auffassungen vertreten worden sind.
Reissner!) hat auf dieselben zum ersten Male genauer aufmerksam gemacht, wonach sie aueh Reısswer’sche Fäden genannt sind; er hält sie für präformierte Gebilde im Gegen- satz zu STILLING?), der sie aus Zelldetritus zusammen- gesetzt erklärt, und zu BiDpErR und KupPprer?), die sie für Coagulationsprodukte halten. StıEDA®) hat sie bei Selachiern und Teleostiern gesehen, RoHon°) bei Selachiern; er nennt sie direkt Axeneylinder. Über ihr Woher und Wohin findet sich jedoch keine Angabe. Auch EDINGER®) erwähnt sie neuerdings, er hält sie für “Sekretströme“: „an den vor- trefflich konservierten Gehirnen liess sich auch immer er- kennen, dass von den Epithelien des Ventrikels oder von den Zwischenräumen zwischen denselben lange Sekretströme in den Ventrikel hineinreichten ...... man hat den Ein- druck, dass Verbrauchstoffe des Gehirns in den Ventrikel- raum hinein abgeschieden werden“. Auch STUDNICKA') hat sie vor kurzem als Produkt einer Sekretion erklärt.
1) Reissner, Beiträge zur Kenntnis vom Bau des Rückenmarks von Petromyzon fluviatilis, Arch. f. Anat., Phys. u. wiss. Med. 1860.
2) Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des Rücken- marks, Cassel, 1859.
3) Untersuchungen über die Textur des Rückenmarks und die Entwicklung seiner Formelemente, Leipzig 1857.
#) Stieda, op. eit. (pg. 17).
5) Rohon, op. eit. (pg. 15).
6) Edinger, op. eit. (pg. 14).
”) Studnicka, Der Reissner’sche Faden aus dem Centralkanal des Rückenmarks und sein Verhalten im Ventrieulus terminalis, Sitzungs- berichte der böhmischen Ges. d. Wiss., math, naturwiss. Klasse, Juli 1899,
22 Dr. med. FRITZ KALBERLAH,
Einen ganz anderen Standpunkt vertritt nun wieder in einer unlängst erschienenen Arbeit SARGENT,!) der eine grosse Reihe von Versuchen darauf hin an den verschiedensten Tieren und mit den verschiedensten Fixierungsmitteln an- gestellt hat und zu dem Resultate kommt, dass man hier ein Gebilde von nervöser Struktur vor sich habe. Er ver- folgte den Faden angeblich durch den Rückenmarkskanal, den IV. Ventrikel, den Aquädukt bis in den ventriele of optie. lobes. Über sein Ende sagt er: „At the anterior end of the ventriele, where, as the ventriele narrows, its floor becomes depressed, the fibre runs straight across the depression toward the torus longitudinalis, which projeets ventrad and caudad from the anterior wall of this ventriele. Passing along the median fissure of the torus for once half to two-thirds its lenght and elose to its surface, the fibre passes beneath the membrane which covers the torus and enters the brain substance.“
Vorher soll er sieh in feine Äste teilen; über den weiteren Verlauf sagt SARGENT: „the fine branches..... are intimately associated with the gelatinous traets of the torus, which run to the ectal side of the teetum optieum.“
Nachgewiesen zu haben glaubt er die Existenz dieser Fasern bei Selachiern, Teleostiern, Reptilien, Tauben, Mäusen u. a.
Einen ganz anderen Eindruck nun hatte ich, als ich die sonderbaren Gebilde im Centralkanal fand. Ich war dabei gänzlich unbeeinflusst von den Befunden anderer Unter- sucher, da ich die Litteratur erst später eingesehen habe. Zuerst hielt ich es, ohne viel Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, für ein Coagulum der Cerebrospinalflüssigkeit, bis mir doch die fast immer gleiehmässig runde, der Stärke eines dieken Axenceylinders entsprechende Form bei meist gleicher Lage im Lumen auffiel und mich vermuten liess, dass es sich hier um lange fädige Stränge handele. Zu- gleich erinnerte mieh das ganze durch sein Verhalten gegen- über der Färbung mit Weigerthämatoxylin an Myelin; man hatte etwa das Bild eines Axeneylinders, dessen Markscheide
!) Sargent, Reissner’s fibre in the Canalis Centralis of Verte- brates, Anat. Anz. 1900.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 23
dureh mangelhafte Fixage oder aus anderen Gründen ge- quollen glasig erscheint, ein Befund, den man auf Rücken- marksquerschnitten gelegentlich einmal macht.!) Nie dachte ich aber daran, hier nervöse Gebilde vor mir zu haben, allerdings hatte ieh auch keine andere bestimmte Vor- stellung. Da fand ich bei einem in toto in Müller gehärteten Acanthiasembryo (siehe dazu Fig. 3), bei dem auch wieder solche Pseudoaxeneylinder im Centralkanal lagen, an der Peripherie des Rückenmarks, und zwar an der ventralen Seite, den Suleus med. ausfüllend und breit aufliegend, eine ganze Kollektion soleher Fädenquerschnitte von der be- schriebenen merkwürdig glasig homogenen Beschaffenheit. (In Fig. 3 ist dies auf der rechten Seite durch einen anderen Farbenton wiedergegeben.) Caudalwärts wurde die Menge immer geringer, nach oben grösser, und hier lagen auch die einzelnen Quersehnitte enger aneinander, bis das ganze etwa in der Höhe der oberen Cerviealnerven plötzlich aufhörte. In dieser oberen Partie war der Suleus sehr vertieft, weil ein Teil der Ventralstränge direkt durch dies Anhängsel ersetzt war. Als ich diesen Anfangsteil, der doch voraus- siehtlieh auch der Ausgangspunkt war, näher untersuchte, fand ich folgendes:
Wie sehon berichtet, war hier der ventrale Teil der Vorderstränge durch das anhängende Gebilde zum Teil substituiert, nur dass die Breite und Dicke desselben noch über die normale Peripherie des Rückenmarks hinausging. Während nun weiter tiefer das Ganze aus lauter runden Quersehnitten zusammengesetzt war, zeigten sich hier der Grösse der vorherigen Durchmesser entsprechend breite Streifen, die rechtwinkelig zur bisherigen Verlaufsrichtung eentralwärts zogen und dort endeten, wo dann weiter höher wieder normale Markscheidenquerschnitte lagen. Dieser Befund war nicht anders zu erklären, als dass voraus- sichtlich durch den Einfluss ungünstiger Fixage?) veränderte
1) Bekanntlich hat man ja in diesen Veränderungen auch den Ausdruck gewisser pathologischer Läsionen sehen wollen.
2) Wohl postmortale Veränderungen des Markes infolge langsamen Eindringens der Fixierlösung, vielleicht besonders dadurch, dass die Schädeldecke nicht eröffnet war.
24° Dr. med. FrırTz KALBERLAH,
Myelinmassen nach aussen gequollen und am Rückenmark herabgeflossen waren. An der Austrittsstelle war daher die Struktur der Vorderstränge und die eigentliche Umrandung des Rückenmarks stark zerstört, während sich eaudalwärts nur an der Peripherie die herabgeflossenen Myelinfäden fanden. Als ich nun darauf hin den Centralkanal unter- suchte, konnte ich ebenfalls öfter Stellen finden, wo, wie auch EDInGER beschreibt, zwischen den Zellen der Kanal- wandung hindurch die Massen nach aussen drangen, und zwar besonders von den Kuppen der Ventralstränge aus, (Fig. 3) und dann die fädigen Gebilde darstellten.
Diese Fäden für physiologische Sekretströme zu halten, kann ich mich nicht entschliessen, noch weniger allerdings für präformierte nervöse Gebilde, wenigstens nach dem, was ich gesehen habe, und ich glaube sicher, dass dieselben mit dem von SARGENT und den anderen beschriebenen identisch sind. Ich halte die Fäden für Kunstprodukte, und zwar für herausgequollene Myelinmassen.
Was die Stützsubstanz betrifft, so zeigen uns er präparate, wie von der grauen Substanz aus meist von der Mitte radiär gerichtet und durch zahlreiche Zwischen- brücken verbunden starke Züge vom Stützgewebe zur binde- gewebigen Hülle des Markes ziehen, dadurch der weissen Substanz ein gefächertes Aussehen gebend. In diese Septen sollen übrigens nach HALLER!) zahlreiche kleine Ganglien- zellen eingestreut sein.
Die weisse Substanz umgiebt ringsum die graue, sich jedoch nur an den Vorderhörnern einigermassen scharf gegen dieselbe absetzend. Das Kaliber der Fasern ist ein sehr verschiedenes. Wir finden sehr feine Fasern und auffallend mächtige, ohne aber die sogen. Kolossalfasern anderer Fische vor uns zu haben.
MAUTHNERr’sche und MüLrer’sche Kolossalfasern fehlen eben bei den Plagiostomen, was eigentlich auffällig ist, da bei fast allen anderen Unterabteilungen der Fische, bei den Leptocardiern, Cyelostomen, Teleostiern und Dipnoern und auch noch bei den urodelen Amphibien solche gefunden
ı) Haller, op. eit. (cf. pg. 9).
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 25
werden. Es muss daher dieser negative Befund als Familien- merkmal besonders hervorgehoben werden. Leider lassen sich keine weiteren Schlüsse daraus ziehen, da wir über die physiologische Bedeutung der Kolossalfasern so gut wie nichts sicheres wissen, wenn auch die Vermutung von FRITSCH, dass sie zur Innervation der Sehwanzflossenmuskulatur dienen, viel für sich zu haben scheint. Übrigens ist auch HALLER auf Grund seiner Untersuchungen neuerdings dafür ein- getreten.
Unter den longitudinalen Faserelementen treffen wir die starkkalibrigsten in dem Vorderstrang, und zwar besonders im dorsalsten Teil und dann in dem Anteil des Seiten- stranges, der in auffallend mächtiger Entwicklung zwisehen Vorder- und Hintersäule nach der Mittellinie hin vorspringt (ventrales und dorsales Grobfaserbündel von LENHOSSER). Gemischte Fasern finden sich im allgemeinen im übrigen Teil des Seitenstranges und fast durchweg feine in den Hintersträngen, und zwar im peripheren Anteil die aller- feinsten, etwas stärkere dagegen in den in der grauen Substanz verteilten Bündeln, wie sich ja überhaupt bei allen Vertebraten der Hinterstrang aus feinkalibrigen Fasern zusammensetzt.
Die äusserliche Einteilung der weissen Substanz in Stränge ist die gewöhnliche, nur zeigt ihre Anordnung manche Eigentümlichkeiten.
Jederseits neben der Fissura long. ant., die weiter central dann in das kräftige Septum ant. übergeht, liegen die beiden verhältnismässig mächtig entwickelten Vorderstränge, die ihre seitliche Begrenzung durch die austretenden vorderen Wurzeln finden. Da die Vorderhörner eine ziemlich horizontale Lage haben, so ragt nur der alleroberste Teil der Stränge frei in die graue Substanz, während der grösste Teil sich an die Seitenstränge anschliesst. Eine besondere Zerlegung in einzelne grobe Bündelmassen erfährt der Vorderstrang dadurch, dass quer durch ihn starke Faserzüge verlaufen, auf die wir gleich noch näher eingehen werden.
Die grösste Entwicklung unter der weissen Substanz zeigen die Seitenstränge. Sie erstrecken sich von den vorderen Wurzeln an bis etwa zur Durchtrittsstelle der
26 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
sensiblen Nerven. An den Vorderhörnern setzen sie sich gegen die graue Substanz ziemlich scharf ab, an den Hinter- hörnern ist eine feste Abgrenzung nicht möglich. In den Seitensträngen findet sich auch die mächtigste Entwicklung der Stützsubstanz, die hier in starken Zügen vielfach anastomosierend die Seitenstränge in einzelne Biindel zer- legt. Während das Faserkaliber im allgemeinen ein mittleres ist, finden sich besonders an zwei Stellen gröbere Elemente vor. Einmal, wenn auch nur in geringem Masse, im dorsalsten peripheren Teil dieht an der Eintrittsstelle der hinteren Nerven, wo die Fasern vor allem auch diehter zusammen- liegen. Bei Mustelus und Trygon (Fig. 1 u. 6, Tec) z. B. hebt sich diese Partie auch nach aussen als flacher Wulst ab. Man könnte vielleicht analog den ventralen und dorsalen ‚Grobfaserbündeln (v. LENHossEkR) hier vom peripheren Grobfaserbündel sprechen. Die zweite Stelle bildet das erwähnte dorsale Grobfaserbündel (Fig. 1, Fm), das am meisten centralwärts in dem Teile der Seitenstränge liegt, der in mächtiger Entwieklung zwischen Vorder- und Hinterhorn nach der Mittellinie zu vorspringt. Hier ist vor allem durch Züge grauer Substanz eine Sonderung in viele einzelne Bündel durchgeführt. Der ganze Absehnitt ist wohl dem Processus retieularis der höheren Vertebraten an die Seite zu stellen.
Am meisten abweichend vom gewöhnlichen Typus zeigen sich die Hinterstränge.
Ich unterscheide an ihnen eine mediale, eine laterale und eine centrale Partie.
Der centrale Teil findet sich überall in der grauen Substanz der Hintersäulen in Form ziemlich starker Bündel verteilt (Fig. 1, Pc). Im äusseren Teil liegen die Bündel weiter und mehr zerstreut, nach dem Centrum zu jedoch enger zusammen, so dass sie bei einzelnen, z. B. bei Mustelus, Torpedo, Raja, dieht neben der Mittellinie sehr ansehnliche Massen bilden (Fig. 1, 4, 5).
Der periphere oder laterale Teil ist am wenigsten stark entwickelt, weist auch mit dem medialen zusammen ein viel feineres Faserkaliber auf (Fig. 1, Pl). Er umsäumt das Hinterhorn als schmaler weisser Streifen an der Peripherie des Markes.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 27
Der mediale Teil ist derjenige, der sich an den lateralen anschliessend jederseits neben dem Septum post. liegt (Fig. 1, Pm). Er ist meist auch nur verhältnismässig schwach entwickelt und reieht etwa centralwärts bis zur Hälfte der Entfernung vom Suleus long. post. zum Centralkanal.
Als Verbindung zwischen den beiden Rückenmarks- hälften finden wir die vordere und die hintere weisse Kommissur.
Sehr mächtig entwiekelt ist die vordere Kommissur, in die untermiseht mit feineren sehr dicke markhaltige Fasern eintreten (Fig. 1, Dv). Richtiger ist es allerdings von einer Deeussation zu sprechen, wenn sich in der Litteratur auch überall der andere Ausdruck findet. Denn der grösste Teil der Fasern, die dieselbe bilden, sind sich kreuzende heterodesmotische Elemente, wenn auch eine kleine Zahl echte Kommissurfasern sein mögen.
Die wenigsten Fasern dieser Decussation nun schlagen den Weg ein, den wir bei den höheren Vertebraten zu sehen gewohnt sind, indem nämlieh der weitaus bedeutendere Anteil nicht dorsal vom Vorderstrang unter dem Central- kanal entlang zieht, sondern in verschiedenen Bündeln quer durch die beiden Vorderstränge hindurch. Die eigentliche Kreuzung in der Mittellinie findet zwar nur im dorsalsten Teile statt, aber die einzelnen Bündel durchsetzen, indem sie von diesem Punkte ausstrahlen, doch fast die ganze obere Hälfte des Vorderstranges.
Nirgends findet sich bei meinen Exemplaren eine so scharf durchgeführte Sonderung in eine gewöhnliche ventrale Deeussation und eine tiefere sogen. Commissura transversa (STIEDA) oder aceessoria (MAUTHNER), wie bei den Teleostiern, bei denen sich übrigens am Anfang und Ende des Rücken- marks auch solche diffuse Ausbreitung finden soll!) und nur im übrigen Teil jene charakteristische Teilung in zwei Portionen.
Danach hätten wir also bei den Plagiostomen eine Zwischenstufe zwischen dem Verhalten bei den höheren Vertebraten und dem der Teleostier vor uns. Jedenfalls
1) Haller, op. eit. (ef. pg. 9).
28 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
scheint, soviel ich aus der Litteratur über die Fische er- sehen konnte, diese Form der Decussation für die Selachier recht charakteristisch zu sein.
Einen Unterschied dabei zu finden zwischen Rochen und Haien, wie ihn VıAuLTr und STIEDA machen, war mir nicht möglich. Auf jeden Fall zeigten alle die Species, die mir zur Verfügung standen (Mustelus (Fig. 1), Acanthias (Fig. 2 u. 3), Torpedo (Fig. 4), Raja (Fig. 5), Trygon (Fig. 6), in gleicher Weise die beschriebene Anordnung.
Viel lockerer und auch fast ganz aus sehr feinen Fasern gebildet ist die hintere dorsale Kommissur. An ihr kann man deutlich zwei Portionen unterscheiden. Ich werde den Anteil, der dorsal vom dorsalen Grobfaserbündel liegt, Portio dorsalis nennen und den ventral davon (aber dorsal vom Centralkanal) gelegenen Portio ventralis.
Die erstere ist die stärkere und breitere, wenn sie auch nur sehr locker ist, die letztere dagegen besteht nur aus wenigen markhaltigen Fasern. Sie liegt dieht über dem Centralkanal und dadurch unmittelbar über den obersten Faserbündeln der ventralen Deeussation.
II. Der feinere Bau.
Die _ weisse Substanz ist zusammengesetzt aus longi- tudinalen und transversalen Faserelementen. Der ersteren Kategorie gehören vor allem die in den Strängen ver- laufenden markhaltigen Fasern an und dann jene diffus in der grauen Substanz verteilten Faserbündel und einzelnen Fasern, die sich zusammensetzen aus verlängerten Wurzel- bahnen, Abkömmlingen von Strangzellen, von Kommissur- und Kommissurstrangzellen und eventuell Fasern anderer Herkunft.
A. Vorderstrang.
In der topographischen Übersicht des Rückenmarks hatten wir eine rein äusserliche Scheidung zwischen Vorder- strang und Seitenstrang vorgenommen, bei Betrachtung der feineren Verhältnisse müssen wir diese gekünstelte Ein- teilung jedoch fallen lassen und können nur von einem
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 29
Vorderseitenstrang (Bauchstrang, KÖLLIKER) sprechen.!) Jedenfalls kann man diese Teile ohne Untersuchung von Entwieklungsstufen oder Anwendung der Degenerations- methode nieht trennen. In diesem Vorderseitenstrang ver- laufen Bahnen, die für das Leben des Tieres von der grössten Bedeutung sind.
Wir treffen hier und wohl in überwiegender Mehrzahl die kurzen Bahnen, die als Associationsfasern die ver- schiedenen Höhen des Rückenmarks miteinander verbinden und sich nachher in die Formatio retieularis der Medulla oblongata fortsetzen, und dann jene wichtigen langen Bahnen, die als Vorderseitenstrangreste vom Rückenmark durch das verlängerte Mark hindurch bis zum Mittel- und Zwischenhirn, bei höheren Vertebraten sogar bis zum Grosshirn aufsteigen, wobei sie auf ihrem Wege direkt oder durch Collaterale mit den verschiedensten Teilen des Gehirns, vor allem den Gehirnnervenkernen, in Beziehung treten. Wenn wir dazu bedenken, dass eine dieser langen Bahnen, das hintere Längsbündel in der Entwicklung mit am ersten markhaltig wird, so erkennen wir, welch fundamental bedeutsame Strassen für das Tierleben wir hier vor uns haben.
Jederseits neben der Mittellinie dieht ventral vom Centralkanal müssen. wir die beiden späteren hinteren Längsbündel suchen, die sich im weiteren Verlauf immer in dieser Lage neben der Raphe deutlich durch ihr starkes Faserkaliber abheben und leicht verfolgen lassen. Es ist dies eine Bahn, die von den Fischen aufwärts sich konstant in gleicher Lage befindet. Sie zieht dieht unter dem eentralen Grau des IV. Ventrikels und des Aquäduktes bis zum Zwischenhirn, wobei vor allem die Gehirnnerven in nahe Beziehung zu ihr treten. Doch gehören zu dem Faser- komplex, der uns hier im Rückenmark im allgemeinen als hinteres Längsbündel imponiert, noch andere Bahnen, die wir überhaupt später erst davon trennen können, wenn sie - z. B. in die Commissura cerebri post. und in die fontainen- artige Haubenkreuzung übergehen. Wir haben hier im
1) Über die Einteilung des Rückenmarkes von B. Haller siehe pg. 17.
30 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
sanzen Bahnen vor uns, denen die wichtige Vermittelung zwischen Rückenmark und funktionell bedeutsamen Centren höher gelegener Hirnteile zukommt.
Weiter ist noch jener peripher dorsal gelegene Abschnitt des Vorderseitenstranges isoliert hervorzuheben, der sich durch ein grösseres Kaliber und das diehtere Zusammen- liegen seiner Fasern auszeichnet (peripheres Grobfaser- bündel), was besonders im obersten Teil des Rückenmarks deutlich ist.: Hier haben wir höchstwahrscheinlich den Traetus ecerebellospinalis (Fig. 1, 7e) vor uns, doch steht die absolut sichere Identifizierung mit der gleichen Bahn der höheren Vertebraten noch aus. Dieser Traktus soll sich nach EDInGEr von den Selachiern und Teleostiern an konstant in der Tierreihe als Verbindung des Rückenmarks mit dem Kleinhirn finden, und zwar, wie es scheint, überall in derselben Lage. Darüber, ob eine Beziehung zu einer bestimmten Gruppe von Zellen im Grau des Rückenmarks existiert, war hier nichts zu eruieren.
Wie schon hervorgehoben, fallen in dem medialsten Teile der als Processus retieularis bezeichneten Teile des Seitenstranges jederseits zwei starke dichte Bündel gross- kalibriger Nervenfasern auf, die von StiEDA und VIAULT schon erwähnt, von RoHon seitliches Längsbündel, von v. LexnosseX dorsales Grobfaserbündel und von HALLER Faseieulus medianus des Seitenstranges genannt wurden (Fig. 1, Fm). Sie geben dem Rückenmarksquer- schnitt ein für die Plagiostomen charakteristisches Gepräge, wenigstens finden wir nirgends in der Tierreihe wieder an gleicher Stelle ein so scharf umschriebenes und deutlich hervorgehobenes Fasersystem, das diesem ganz zu homo- logisieren wäre. Auch in diesen Fasern müssen wir eine lange Bahn suchen, die vom Rückenmark durch die Medulla oblongata heraufsteigt, aber das Mittelhirn nicht erreicht.
Vielleicht darf man ihnen eine ähnliche Rolle zu- schreiben wie den MaAurnuner’schen Fasern, wenigstens geben die Beziehungen, die beiden zum Acustieus zu- kommen, immerhin zu denken. Wiehtig wäre es allerdings für die Sicherung dieser Frage gewesen, wenn ich hätte bestimmen können, ob diese Bahn bis in den caudalsten
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 31
Absehnitt des Rückenmarks geht; leider standen mir nur obere und mittlere Rückenmarkstücke zur Verfügung, und Aufzeichnungen darüber in der Litteratur fehlen.
Die genauesten Angaben über ihr weiteres Verhalten im verlängerten Mark giebt HALLER,!) der darüber berichtet, dass die Fasern bis zur Acustieusgegend reichen, wo sie sich der Untersuchung entziehen. Einzelne feinere Fasern sollen sieh schon im mittleren Vaguskern auflösen, andere in die hintere Vaguskommissur übergehend hier enden oder mindestens sich hier kreuzen. Vielleicht biegen auch Fasern in die Postvagalnerven ein. Ich kann diese Angaben im wesentlichen bestätigen auf Grund meiner Untersuchungen, die ich gleichzeitig und unabhängig von BELA HALLER an- gestellt habe. Übrigens hoffe ich selbst in einer späteren Arbeit auf diesen Punkt genauer zurückkommen zu können.
Ausser diesen Faserkomplexen, deren Existenz man auf Querschnitten bei allen mir vorliegenden Arten mit Sicherheit nachweisen konnte, finden sich noch eine grosse Anzahl von markhaltigen Fasern von verschiedener Bedeutung. So haben wir hier wohl sicher noch gekreuzte oder ungekreuzte An- teile von Bahnen zu vermuten, die die Vorstufe der Schleife der höheren Vertebraten bilden. Auch hier dürfte uns nur die entwieklungsgeschichtliche Methode und das Experiment Aufschluss geben.
Pyramiden, d. h. das bei dem menschlichen Central- nervensystem so wichtige Fasersystem, das in der Grosshirn- rinde entspringend in die Vorderhörner des Rückenmarks zieht, fehlt den Plagiostomen, wie denn diese Bahn sicher erst bei den Säugern nachgewiesen ist, während bei den Vögeln noch unsichere Befunde vorliegen.)
Neben diesen zahlreichen longitudinalen Elementen sehen wir aber im Bereich des Vorderseitenstranges eine grosse Menge transversal verlaufender Fasern, die denselben ent- weder einfach durchqueren oder die Verbindung der grauen Substanz mit der weissen direkt oder per commissuram
') Haller, op. eit. (ef. pg. 9). ?2) Siehe dazu die zahlreichen diesbezüglichen Einzelarbeiten von Ziehen.
32 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
vermitteln. Immerhin ist aber hier die Anzahl der mark- haltigen Transversalfasern noch relativ gering, wenn man damit das Rückenmark höherer Vertebraten vergleicht. Diese Faserarmut, die wohl vor allem durch die geringe Menge von markhaltigen Collateralen bedingt ist, findet sich bis zu den Amphibien, wo die Batrachier plötzlich ganz auffällig das entgegengesetzte Verhalten zeigen.
Unter diesen horizontalen Fasern, die von Axeneylindern und Collateralen gebildet werden, was man aber an Weigert- sehnitten nicht sicher unterscheiden kann, lassen sich ihrem Verlauf und ihrer Zusammengehörigkeit nach unterscheiden:
1. Nervenwurzelfasern.
2. Direkte Verbindungsfasern der Stränge mit der grauen Substanz.
3. Durch die Kommissur resp. die Decussation ver- laufende Fasern.
1. Die vordere oder motorisehe Wurzel.
Die Fasern der vorderen Wurzel treten in nur kleinen und nieht ganz regelmässigen Abständen aus der ventralen Seite des Rückenmarks aus, meist immer eine ganze Anzahl von Wurzelbündeln zu einer längs gestellten Platte ver- einigt. Innerhalb der Rückenmarksubstanz strahlen dann die Bündel je nach der verschiedenen Lage ihrer Ursprungs- zellen auseinander, nachdem sie die weisse Substanz ziemlich geschlossen durchquert haben. Der grösste Teil der Fasern verliert sieh im unteren und mittleren Teil des Vorderhornes, und ich glaube, dass wir wohl auch im allgemeinen die Ursprungszellen dieser Abteilung der Wurzel auf ungefähr demselben Niveau zu suchen haben. Wenigstens habe ich auf Längsschnitten in der grauen Substanz der Vorderhörner keine Umbiegungen nach oben oder unten gesehen.
Eine weitere, aber geringere Portion des Nerven geht jedoch weiter lateral und dorsalwärts, um ziemlich dieht an der weissen Substanz jedenfalls in den Zellen sein Ende zu finden, die wir dort aus den GoLgI-Präparaten von RETzıus und v. LENHOSSEK!) kennen.
1) Siehe die Arbeiten dieser Autoren über das Rückenmark der Selachier.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 33
Bei dem jungen Acanthias-Exemplar konnte ich auch sicher einige Fasern beobachten, die aus dem Gebiet des Seitenstranges in das vordere Wurzelbündel eintreten (in Fig. 3 nicht gezeichnet); dies sind also entweder Axen- eylinder, deren Zellen in einem anderen Niveau liegen oder nur Collaterale aus Seitenstrangfasern (periphere Collaterale, HALLER).
Ein ganz bedeutender Anteil der vorderen Wurzel ent- springt jedoch nicht im gleichseitigen Vorderhorn, sondern kommt dieht an dem Vorderstrang entlang ziehend aus der vorderen Decussation. Ob wir damit gekreuzte Elemente der vorderen Wurzel vor uns haben, bleibt allerdings noch zweifelhaft, ein Punkt, der bei den verschiedenen Unter- suchern stets zu einer lebhaften Kontroverse Anlass gegeben hat. Auf Grund ihrer Beobachtungen haben sich EpınGEr,!) ÜBERSTEINER,?) STIEDA,?) VIAULT®) (Plagiostomen), MAYSER,?) HALLER®) (Teleostier), BrAnDIS’) (Vögel), SCHAFFER®) (Rep- tilien) dafür ausgesprochen im Gegensatz zu VAN GEHUCHTEN, Ramon Y CaJAL, KÖLLIKER, v. LENHOSSER,?) RETZIUS 10) (Plagiostomen) u. a., die einen gekreuzten Ursprung strikte leugnen und nur Axeneylinder von Kommissurzellen und direkte Zellfortsätze in der ventralen Decussation sehen wollen.
Verfolgt man die Fasern in die Decussation, so sieht man, wie sich ein grosser Teil bereits im Gebiet des gleich-
1) Edinger, op. eit. (ef. pg. 7).
2) Obersteiner, Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Centralorgane, III. Aufl., Leipzig und Wien 1896.
) Stieda, op. eit. (ef. pg. 17).
») Viault, op. eit. (ef. pg. 14).
5) Mayser, Vergleichend anatomische Studien über das Gehirn der Knochenfische mit besonderer Berücksichtigung der Cyprinoiden, Zeitschrift f. wiss. Zool. XXXVI, 1881.
°) Haller, Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier, Morpholog. Jahrbuch XXIII, 1895.
”) Brandis, Riückenmark der Vögel, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 41.
8) Schaffer, Vergleichend anatomische Studien über Rückenmark- faserung, Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XXXVIII, 1891.
9) v. Lenhossek, op. eit. (ef. pg. 13).
10) Retzius, op. cit. (cf. pg. 11). Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 32
34 Dr. med. Frırz KALBERLAH,
seitigen Vorderstranges verliert; ihre Ursprungszellen müssten danach in einem anderen Niveau liegen. Ein Rest über- schreitet aber sicher die Mittellinie. Eine direkte Verfolgung der Fasern bis ins Grau des anderen Vorderhorns ist natürlich bei Tieren, bei denen schon die ganze vordere Deeussation, also auch die Fasern, die ausserdem dieselbe bilden helfen, markhaltig ist, an Weigertpräparaten nicht möglich. Ich halte jedoch nach dem ganzen Befund den gekreuzten Ursprung für sehr wahrscheinlich.
Wenn andere Untersucher!) auf Grund ihrer Golgi- präparate solehe gekreuzten Anteile leugnen zu müssen glauben, so muss man doch zu bedenken geben, dass die Silberimprägnation gerade durch ihren Vorzug, aus der Fülle des Vorhandenen immer nur einzelne Teile zu färben, ein Niehtvorhandensein von Formelementen höchstens wahr- scheinlich machen, aber nie beweisen kann.
Einige der Wurzelfasern, die ganz medial am Vorderhorn centralwärts ziehen, streben dem dorsalen Grobfaserbündel zu. Diese Fasern können einmal kurz vorher entspringen, da hier gerade eine Ansammlung grosser Ganglienzellen sich findet, nieht unwahrscheinlich ist aber auch eine direkte Beziehung zum Grobfaserbündel, denn die letzten Gehirn- nerven stehen ja in ihrer motorischen Portion ganz sicher in enger Verbindung mit demselben.
2. Direkte Verbindungsfasern der Stränge mit der grauen Substanz sehen wir überall auf dem Querschnitt, mit Vorliebe folgen sie dem Verlauf der Stützsubstanzbrücken, so dass sie teilweise ziemlich weit zur Peripherie zu verfolgen sind. Wir haben hier sowohl die aus den Strangzellen ent- springenden Axencylinder vor uns, als auch sicherlich zahl- reiche von den Strangfasern ausgehende Collateralen.
3. Eine eingehende Betrachtung verdient noch die vordere Deeussation (Fig. 1, Dv), die, wie schon betont, sehr mächtig entwickelt ist. Einen wichtigen Anteil haben wir schon erledigt, nämlich den, der als mediale Portion in die vordere Wurzel übergeht. Die übrigen Elemente werden ge- bildet einmal durch Axencylinder, die von Kommissurzellen von
1) Besonders v. Lenhossek.
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 39
Grau zu Grau hinüberkreuzen oder von Kommissurstrangzellen in einen anderseitigen Strang gehen, dann jedenfalls auch von Collateralen der verschiedensten Fasern; schliesslich sollen sieh sehr reichlich direkte Zellfortsätze darin finden, um einen Befund von v. LENHoSSEX an Golgipräparaten heranzuziehen.
Die grösste Portion der in die vordere Decussation ein- tretenden Fasern geht in den entgegengesetzten Vorderstrang über, nachdem sie die Raphe gekreuzt haben, wobei ein Teil erst dieht an derselben entlang nach unten zieht und dann erst in den Ventralstrang eintritt. Die übrigen Elemente der Kreuzung, die darüber hinaus in das graue Vorderhorn der anderen Seite treten oder gar in den kontralateralen Seiten- strang, lassen sich an Weigertpräparaten erwachsener Exemplare wieder nur per analogiam vermuten, aber nicht dureh Verfolgen der einzelnen Fasern beweisen.
Wir wollen nun sehen, aus welchen Teilen des Rückenmarkquerschnittes die einzelnen Fasern der ven- tralen Kreuzung stammen.
Ein Anteil kommt aus dem Grau des Vorderhornes, eine Reihe anderer durchquert jedoch das Grau der Ventralsäule und gelangt in den Seitenstrang, und zwar so ziemlich in alle Teile desselben. Eine ebenso bedeutende Portion wie die, die aus der Deeussation ventralwärts in die motorische Wurzel überging, wie wir sahen, wendet sich im Bogen dorsalwärts, um teilweise im dorsalen Grobfaserbündel zu verschwinden. Ein kleinerer Teil strebt noch dorsaleren Partien zu, und zwar sieht man einige Fasern, die sich, um das Grobfaserbündel medial herumschlingend, nach dem Hinterhorn zu verlieren, während andere lateral in die Formatio retieularis eintreten und zum Teil im grossen Bogen weiter bis zum Hinterhorn zu verfolgen sind.
Nieht eigentlich zur vorderen Deeussation gehörig sind die nur spärlich vorhandenen locker nebeneinander liegenden Fasern, die dieht oberhalb des Centralkanals verlaufen und als ventrale Portion der dorsalen Kommissur bezeichnet sind (Fig. 1, Po). Ihre nähere Besprechung erfolgt aber deshalb an dieser Stelle, weil sie eben nur ventrale Bezirke, d. h. die beiden Vorderhörner miteinander verbinden. Da sie
3a*
36 Dr. med. Fritz KALBERLAH,
immer nur von Grau zu Grau zu verfolgen waren, so werden wir wohl lauter echte Kommissurzellfasern darin vor uns haben.
Um kurz zu rekapitulieren, kommen also für den Aufbau der vorderen Decussation in Betracht:
1. Vorderhorn . . . . . gekreuzter Vorderstrang
2. Seitenstrang . 1
(Diese Verbindung von em) bei Reptilien nachgewiesen, sonst meist geleugnet.) 3. Dors. Grobfaserbündel. gekreuzter Vorderstrang 4. Hinterhorn (resp. Hinterstrang) „ 5
“ an vom Grobfaserbündel 5. Proe. retieularis. . . . gekreuzter Vorderstrang
Über das Bereich des gekreuzten Vorderstranges hinaus- gehend, also sich der direkten Verfolgung entziehend:
1. Vorderhorn . . . . . gekreuzte motor. Wurzel 2. Vorderhorn . . . die eben unter 1—5 genannten, aber gekreuzten Bezirke.
B. Hinterstrang.
Wie wir schon im topographischen Teil sahen, kann man im Hinterstrang 3 Partien unterscheiden.
Die centrale nimmt die Mitte des Hinterhornes ein, und zwar ist dieser Teil bei erwachsenen Exemplaren von soleher Mächtigkeit, dass von der grauen Substanz nur schmale Streifen übrig bleiben, wodurch dann das Bild des Querschnittes ein ganz anderes Gepräge bekommt als bei adulten Individuen. Wir haben in diesen Fasern die ab- und aufsteigenden Teile der hinteren Wurzel zu suchen und noch eine Menge jedenfalls kürzerer longitudinaler Bahnen, wie man an Schnittserien sieht, wo die hintere Wurzel noch nicht markhaltig ist und wo doch eine geringe Menge von Faserbündeln sich finden.
Sehon verhältnismässig stark bei jungen Individuen entwickelt dagegen ist die mediale und laterale Partie.
2) Schaffer, op. eit. (ef. pg. 33).
Über das Rüickenmark der Plagiostomen. 87
Wir finden sie schon dann ziemlich bedeutend, wenn noch gar keine hinteren Wurzelfasern markhaltig sind, sie müssen also auch andere Faserelemente enthalten.
Eine Sonderung des Hinterstranges in GoLL’schen und Burpac#’schen Strang vorzunehmen gelingt ebenso wenig wie bei anderen Fischen.
Überall auf dem Quersehnitt sieht man in die Hinter- strangbündel feine Fasern eintreten und sich dort verlieren, besonders auch von dem centralen nach den beiden anderen Anteilen herüberlaufend. Diese Fasern verlaufen meist schief von unten nach oben oder umgekehrt, sind also im allge- meinen nicht in toto zu verfolgen.
Ein Teil derselben schliesst sich zuerst der hinteren Kommissur, und zwar der Portio dorsalis an, läuft aber in ihr nur bis zur Mittellinie, wo sie dorsalwärts umbiegen und in die mediale Partie des gleichseitigen Hinterstranges über- gehen, wobei sie zum Teil noch eine längere Strecke an dem Ependymseptum entlang laufen.
Aus.der centralen Partie sehen wir auch längere Fasern im Bogen durch den Processus retieularis hindurch ziehen zum Vorderhorn, wo sie teilweise enden, teilweise auch, wie wir gesehen haben, in die vordere Deeussation eintreten. Wir haben wohl hierin zum Teil KöLuıker’s Reflex- eollateralen (anteroposteriore Bündel, Ramon Y CAJAL) vor uns, anderseits aber wohl auch sicher direkte Axeneylinder, wofür ihr oft sehr starkes Kaliber spreehen dürfte.!)
Es wären dies dann die Axeneylinder, die im Vorderhorn entspringend durch die hintere Wurzel nach aussen gelangen sollen. Ein Befund, wie er von v. LENHOSSEK, EDINGER, Ramon Y CAyau besonders betont wird. Wir hätten damit also in der sensiblen Wurzel eentrifugale Bahnen, deren physiologische Bedeutung noch unsicher ist (EDINGER: motorische Eingeweidenerven; KÖLLIKER: Sympathieus- oder Gefässnerven).
Während wir ventral vom Centralkanal eine Deeussation vor uns hatten, finden wir dorsal eine eehte Kommissur, die
!) Es ist allerdings fraglich, ob man selbst bei auftälliger Ver-
schiedenheit des Faserkalibers das Recht hat, bei Weigertpräparaten Axeneylinder und Collaterale zu unterscheiden, wie esz.B. Kölliker thut.
38 Dr. med. Frırz KALBERLAH, sich ausspannt zwischen den beiden Hinterhörnern resp. Strängen, indem sie die beiden centralen Portionen und das sich hier ausbreitende Fasergewirr untereinander verbindet. Im ganzen ist die dorsale Kommissur sehr locker und spärlich, wird aber dadurch verstärkt, dass in ihr bis zur Mittellinie die bereits erwähnten Verbindungsfasern der eentralen mit der medialen Hinterstrangpartie verlaufen. Kurz vor dem Übergang in die Medulla oblongata, wo sich auch sonst zwischen den beiden dorsalen Grobfaser- bündeln und zwischen dorsaler Kommissur und Centralkanal ein dichtes Fasergewirr findet, nimmt sie an Mächtigkeit zu, um dann allmählich immer dünner und lockerer werdend durch die Eröffnung des IV. Ventrikels naturgemäss auf- zuhören.
Die hintere Wurzel.
Bei den Plagiostomen sind bereits typische von dem Medullarrohr abgetrennte Spinalganglien vorhanden, die bei Amphioxus noch fehlen, wo die sensiblen Wurzeln noch ganz aus dorsal am Rückenmark liegenden Zellen entspringen, während bei den Cyelostomen nach KÖLLIKER,!) der sich dabei auf die Freup’schen?) Befunde stützt, eine Übergangs- form anzunehmen ist, indem hier noch ein Teil der Zellen im Rückenmark liegt, der grösste Teil aber schon in den abgetrennten Spinalganglien. Diese hier bei den Cyelostomen aus dem Rückenmark austretenden Fasern sollen danach echte sensible Fasern sein, nicht etwa solche centrifugal leitenden, wie wir sie eben aus dem Ventralhorn zur Dorsal- wurzel ziehend kennen gelernt haben. Eine solehe echt sensible Faser aus dem dorsalen Vaguskern stammend und bis zu den Hautendverzweigungen zu verfolgen, bildet aller- dings HALLER?) neuerdings auch bei einem Teleostier (Salmo) ab. Ob auch für das Rückenmark ähnliche Befunde bei anderen Vertebraten vorliegen, weiss ich nieht. Möglicher- weise könnten ja auch noch bei den höheren Wirbeltieren
") Kölliker, op. eit. (ef. pg. 10).
2) Freud, Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln bei Ammocoetes Planeri, Wiener Sitzungsberichte 1877, Bd. 75.
3) Haller, op. cit. (ef. pg. 9).
Über das Rückenmark der Plagiostomen. 39
sich Reste des bei dem Amphioxus und den Cyelostomen persistierenden Zustandes finden, gesetzt die KöLLıkkr’sche Anschauung über die Bedeutung der in der hinteren Wurzel austretenden Fasern wäre richtig.
Die Durehtrittsstellen der hinteren Wurzeln finden sich an der dorsalen Seite des Rückenmarks in bestimmten Ab- ständen, die weiter sind als die engen Zwischenräume der fast in einer diehten Reihe angeordneten vorderen Wurzelbündel. Cd
Eine solehe Asymmetrie in dem Ur- sprung von motorischen und sensiblen Wurzeln findet sich übrigens auch bei den Cyelostomen, Ganoiden und Dipnoern.
Die vereinigten hinteren Wurzel- bündel übertreffen dadurch an Mächtig- Pl- keit die ja mehr in kleinen Partien austretenden vorderen Wurzeln.
Ihr Verlauf innerhalb des Rücken- marks ist schief von aussen unten nach oben innen. In der centralen Partie des Hinterstranges sehen wir auf dem Ag. Querschnitt die hinteren Wurzeln plötz- lich wie abgeschnitten aufhören, weil die Fasern hier in einen longitudinalen Verlauf übergehen und dabei vor allem die centrale Partie des Hinterstranges bilden. Jede Wurzel teilt sich dabei, .sschnitt äurch dns Rücken- in eine auf- und eine absteigende Partie mark von Raja. von annähernd gleicher Stärke, wobei (4 Hinterhorn. Fin, Dorsales . 0 ° ER: Grobfaserbündel. Pc, Centrale sich die einzelnen Fasern gegenseitig Partie des Hinterstranges. überkreuzen, wie das die nebenstehende 7% Taterale Partie des Hinter-
. 6 stranges. Ad, Hintere Wurzel. Figur zur Anschauung bringt.
Die so mitten im Grau des Hinterhornes verlaufenden Fasern schliessen sich in ihrem aufsteigenden Teil schliesslich den peripheren und medialen Partien des Hinterstranges an, um so nach oben zu steigen. Direkt in die lateralen Teile des Hinterstranges scheinen keine Fasern überzugehen, wenigstens sah ich das hintere Wurzelbündel hier immer ganz geschlossen durchtreten.
40 . Dr.med. Frırz KALBERLAH, Rückenmark der Plagiostomen.
Dass Fasern der hinteren Wurzel resp. Collaterale der- selben sich an der hinteren Kommissur beteiligen und nach der anderen Seite hinübergehen, darf man deshalb wohl mit Recht auch aus WEIGERT-Präparaten schliessen, weil der grösste Teil dieser Kommissur aus dem Bezirk der centralen Partie des Hinterstranges stammt und diese ja fast ganz aus hinteren Wurzelfasern besteht.
Tafel I.
Kalberlah, Über das Rückenmark der Plagiostomen
A. Haie Fig. 1. Mustelus, (15 >< vergr.) Fig. 2. Acanthias, erwachsen, (20 x vergr.) Fig. 3. Acanthias, junges Individuum (austretende Myelinmassen rechts ventral und im Centralkanal — Reissner’sche Fasern — (40 x vergr.)
B. Rochen Fig. 4 Torpedo, (20 x vergr.) Fig. Raja, (20 x vergr.) Fig. 6. Trygon, (20 x vergr.)
=
Zeichenerklärung
Cd = Columna dorsalis
Cv = Columna ventralis Dv = Decussatio ventralis
Fv = Funieulus ventralis
Fl = Funieulus lateralis
Fm = Fascieulus medianus des Seitenstranges Pd = Portio dorsalis | Pv = Portio ventralis| Pm == Portio medialis Pl = Portio lateralis ;, des Funieulus dorsalis Pc — Portio centralis
Rd == Radix dorsalis
FRv = Radix ventralis
Te — Traetus cerebello-spinalis
der Commissura dorsalis
Ueber Elepnas antiquus Falc. und Rhinoceros Merki
als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über das erste Auftreten des Menschen in Europa
von
Hugo Möller, Breslau. Mit Tafel II.
Das Vorkommen von Resten des Rentieres in den berühmten Ablagerungen des Sommethals, wo zuerst in den dreissiger Jahren des nun zur Rüste gehenden Jahrhunderts von BOUCHER DE PERTHES die ersten sicheren Beweise für die Existenz des diluvialen Menschen erbracht wurden, ge- stattet bekanntlich keine genaue Festsetzung darüber, in welchem Abschnitte der Diluvialepoche der Mensch dort gelebt hat, zumal dessen Ueberbleibsel sich daselbst auch noch auf sekundärer Lagerstätte vorfinden.
Man ist allerdings geneigt anzunehmen, dass das Somme- thal bereits während der ersten Interglacialzeit, vielleicht auch gar schon zur Präglaeialzeit bewohnt wurde, allein der sichere vollgültige Nachweis des alt-diluvialen Menschen hat für Europa bisher einzig und allein die klassische Fund- stelle von Taubach b. Weimar erbracht. Seit den 70er Jahren sind die Taubacher Travertin-Gruben schon mehr- fach — besonders von paläontologischer Seite — zum Gegenstand wissenschaftlicher Studien gemacht worden, es ist daher nicht nötig, hier nochmals auf die stratigraphischen und faunistischen Verhältnisse der Fundstelle näher einzu- gehen, und ich beschränke mich darauf, am Sehlusse meiner Abhandlung die einschlägige Litteratur namhaft zu machen.
Zeitschrift f. Naturwiss. Band 73. 1900. 3b
42 Huco MÖLLER, [2]
Der hohe wissenschaftliche Wert, welcher der Taubacher Fundstelle beizumessen ist, beruht, wie JoH. RAnkE!) treffend bemerkt hat, in der vollkommenen Reinheit und Ungemischt- heit der faunistischen Zeugnisse für die geologische Periode, in der der Mensch einst daselbst gehaust hat und auch darin, dass der gegen 5 m mächtige Schichtenkomplex, welcher über der Hauptfundschicht, dem „Knochensand“ lagerte, sich als durchaus klar und niemals gestört erwiesen hat. Weiterhin aber finden sich — das steht nunmehr fest — in Taubach die Reste des diluvialen Menschen nicht wie im Sommethal auf sekundärer, sondern auf primärer Lager- stätte.
Dureh die Auffindung wirklicher Menschenreste im Taubacher Travertinsand, bestehend in einem „vorderen Milehbackenzahn aus dem linken Unterkiefer eines etwa neunjährigen menschlichen Kindes?) und eines ersten wahren Molaren aus dem linken Unterkiefer eines erwachsenen Menschen“, wurde die Anwesenheit des Menschen zur Zeit der Ablagerung der Taubacher Hauptfundschicht (des Knochensandes), die ja bekanntermassen auch schon zuvor durch andere Belegstücke nachgewiesen war, als unum- stösslich sicher festgestellt. NEHRING der die beiden fossilen Mensehenzähne auf das eingehendste untersuchte und beschrieb, hat an beiden verschiedene pithekoide Merkmale festgestellt, die, wiewohl es sich hier um bisher
1) Joh. Ranke, Diluvium und Urmensch (fin Meyer’s Volks- bücher Nr. 1101—1103] Separat-Abdruck aus dessen Werk „Der Mensch“, Bd. I, S. 43/45, S. 46/49, S. 64/72).
2) Vgl. a) O. Schötensack, Diluvial-Funde von Taubach [in Verh. d. Berl. Anthropol. Ges. 1895, S. 92/95].
b) A. Nehring, Ueber einen fossilen Menschenzahn aus dem Diluvium von Taubach, [ebenda 1895, S. 338/340].
c) Ders., Ueber einen diluvialen Kinderzahn von Predmost in Mähren unter Bezugnahme auf den schon früher beschriebenen Kinder- zahn von Taubach, [ebenda 1895, S. 425/433].
d) Ders., Ueber einen menschlichen Molar aus dem Diluvium von Taubach, [ebenda 1895, 573/577].
e) Ders., Ueber fossile Menschenzähne aus dem Diluvium von Taubach [in Naturwissenschaftliche Wochenschrift, herausgegeben von Potoni&, 1895, 8. 371ff. u. 522].
[3] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 43
unwiderlegt gebliebene, allerdings vorläufig noch isoliert dastehende Thatsachen handelt, als eine starke Stütze für die durch Ernst HÄckEL in seinem Cambridge -Vortrage !) neuerdings abermals in Fluss gebrachte Frage, von der Primaten-Descendenz des Menschen angesehen werden können. Sollte es freilich gelingen den definitiven Nach- weis zu führen, dass, wie dies jetzt immer wahrscheinlicher wird, die Taubacher Hauptfundschieht (der Knochensand) präglacialen Alters ist, so erscheint mir die Spanne Zeit im geologischen Sinne zu kurz zu sein, die zwischen der Einlagerung der soviel Aufsehen erregenden Fossilreste des Pithecanthropus erectus Dubois in jene jung-pliocänen Schichten des erhärteten vulkanischen Tuffes von Trinil auf Java und der Einbettung der fossilen Menschenzähne im Kalktuff-„Sand“ von Taubach liest, um den Pithecan- thropus überhaupt als direkten Vorfahren des Menschen betrachten zu können. Es muss als feststehend angesehen werden, dass der alt-diluviale Mensch von Taubach trotz der von NEHRING nachgewiesenen pithekoiden Merkmale seiner Zähne, wie seine Kulturreste es bezeugen, uns schon in jener uralten Epoche als voller Mensch entgegentritt.?) Es bestätigt somit auch der Befund der Taubacher Zähne die Ansicht von H. KraArscH?) und W. Branco’s,!) dass bei Annahme der Primaten-Deseendenz des Menschen „die Ausprägung des menschlichen Typus in eine noch weiter zurückliegende Zeit als das Pliocän datiert werden muss“.
!) Vgl. E. Häckel, Ueber unsere gegenwärtige Kenntnis vom Ursprung des Menschen, Bonn 1898, 8, 17/21 u. 47/49.
2) Vgl. dazu: H. Pohlig, Die grossen Säugetiere der Diluvialzeit, Leipzig 1890, 8. 18/19.
>) Vgl. H. Klaatsch, Die Stellung des Menschen in der Primaten- reihe und der Modus seiner Hervorbildung aus einer niederen Form [im Korrespondenzbl. d. deutsch. Anthropol. Ges. XXX Jahrgang 1899, S. 154—157].
Desgl. „Globus“ Bd. LXXVI, Nr. 21 v. 2. Dez. 1899, S. 330/332, Nr. 22 v. 9. Dez. 1899, S. 354/357, speziell $. 356.
*) Vgl. W.Branco, Die menschenähnlichen Zähne aus dem Bohn- erz der schwäbischen Alb [in den Jahresheften des Vereins für vater- ländische Naturkunde in Würtemberg 54. Jahrg., Stuttgart 1898, S. 2/139].
3b*
44 Hugo MÖLLER, [4]
Seit dem Erscheinen der NEHrIn@’schen Publikationen über die Taubacher fossilen Menschenzähne, den geologisch ältesten Menschenresten, die bis jetzt mit Sicherheit in Europa nachgewiesen werden konnten, sind noch einige weitere höchst bemerkenswerte Funde aus Taubach bekannt geworden. Es sind dies einige Erwerbungen des RöÖMER- Museums in Hildesheim, aus der paläontologischen Sammlung des Herrn Lehrer Tu. REICHE in Braunschweig stammend.
Es befinden sich darunter zwei Stücke, deren schon PouuLıe in der Sitzung vom 16. Februar 1891 der nieder- rheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn kurz Erwähnung thut!) und deren Abbildung und Be- schreibung er später im Zusammenhang geben wollte, was aber bis dato unterblieben ist. Als anthropologisch von höchster Wiehtigkeit nenne ich hier zunächst die löffelartig zu einer Trinkschale künstlich ausgehöhlte Femurkugel von Rhinoceros Merki. Das in Fig. 1 Taf. II abgebildete Gefäss hat einen grössten Durchmesser von 111 mm und eine Höhe von 55 mm. Der Kubikinhalt der porösen, leim- getränkten Trinkschale lässt sich wegen ihres zerbröckelten, ungleichhohen Randes nur schätzungsweise angeben.?2) Mit den primitiven, nur ganz roh und unsymmetrisch zugehauenen Steinwerkzeugen des alt-diluvialen Urmenschen von Taubach, mag es ein äusserst mühseliges, zeitraubendes Stück Arbeit gewesen sein, den harten Gelenkkopf auszuhöhlen und aus- zuschaben, eine Arbeit, deren unverwischbare Spuren noch heute nach diversen zehntausend Jahren deutlich sichtbar sind. Ganz abgesehen davon, dass dieser Femur-Gelenkkopf des MErK’schen Nashorns vom alt-diluvialen Urmenschen
D) Vgl. H.Pohlig, Ueber neue Ausgrabungen von Taubach b. Weimar [in den Sitzungsberichten der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn 1891, S. 38/39, Sitzung v. 12./2. 1891].
2) Herr Prof. Dr. A. Andreae, Direktor des Römer-Museums in Hildesheim, hatte die Freundlichkeit mir die oben angegebenen Dimen- sionen der „Trinkschale‘ mitzuteilen, wofür ich demselben meinen besten Dank sage.
Vgl. auch Führer durch das Römer-Museum in Hildes- heim, Abteilung Nr. II, ethnographische u. prähistorische Sammlungen, Hildesheim 1897, S. 7/8 und Tafel I Fig. 1 u. 2.
[5] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 45
Taubach’s zu einem ausgesprochenen Gebrauchszweck be- arbeitet wurde, ist dieser bemerkenswerte Fund ein überaus wichtiges und sicheres Beweisstück für die Coexistenz des Menschen mit Rhinoceros Merki, der geologisch älteren Rasse der beiden diluvialen Rhinozeronten, denn nur im frischen Zustand ist es möglich den Gelenkkopf mit den armseligen Taubacher kleinen Feuersteinmessern (vom Chelles- Typus) derartig auszuhöhlen. Das grösste anthropologische Interesse gewinnt aber dieses Fundstück als ältestes von Menschenhand gefertigtes Trinkgeschirr bezw. Ge- fäss, das bisher mit Sicherheit in Europa nachweisbar ist. GörzE!) beschreibt zwar in seiner Abhandlung über „die paläolithische Fundstelle von Taubach b. Weimar“ ein Ge- bilde, hergestellt durch Abschlagen der störenden Knochen- teile, aus der „Gelenkpfanne“ eines grösseren Tieres, das er als „Becher“ bezeichnet. Indessen kann es sich bei diesem „Becher“ ebensogut auch um ein zufällig bei der Mahlzeit entstandenes Beekenbruchstück handeln, zumal es immerhin nieht ganz ausgeschlossen erscheint, dass die nach Görze’s Beschreibung „an einer Stelle deutlichen Spuren eines scharfen Instruments, vielleicht eines Meissels“ auf Einwirkungen von Tieren oder von Pflanzenwurzeln zurück- geführt werden können. Es gilt dies namentlich auch für „die vielen, in versehiedenen Riehtungen verlaufenden Kritze der ebenen Standfläche des Görze’schen Bechers. Allerdings darf nieht unerwähnt bleiben, dass das städtische Museum in Weimar noch einige ähnliche mindergut erhaltene und roher geformte Becekenbruchstücke aufbewahrt, deren An- fertigung für menschliche Gebrauchszwecke zwar zweifelhaft erscheint, die aber, selbst wenn zufällig entstanden, möglicher- weise doch Trinkzwecken gedient haben können, da sie sich thatsächlich hierzu einigermassen eignen.
Ein auf ähnliche Weise, wie die Femurkugel (Gelenk- kopf) von Khinoceros Merki künstlich ausgehöhlter Gelenk- kopf vom Schenkelbein eines Pferdes, der mutmasslich als „„ampe“ (?) verwendet worden sein soll, wahrscheinlich aber
») Vgl. A.Götze, Verhandlungen d. Berl. Anthropol. Ges. 1892, 8. 374/375.
46 Huco MÖLLER, [6]
gleichfalls Trinkzweeken diente, wird von MaskA!) be- schrieben und abgebildet. WANKEL fand dies „Gefäss“ mit zahlreichen anderen Artefakten in der Höhle Byeiskäla zwischen Josefsthal und Kiritein in Mähren. Dieser aus- gehöhlte Gelenkkopf vom Pferd befindet sich mit den übrigen Manufakten aus der Byeiskäla im naturhistorischen Hofmuseum in Wien und gehört einer wesentlich jüngeren Kulturperiode an.
Das RöMmeEr-Museum zu Hildesheim bewahrt auch das zweite von PoHLIG a. a. 0. erwähnte anthropologisch wichtige Fundstück, einen Knochendolch (Fig.2 und 3 Taf. II), her- gestellt aus der rechten inneren und proximalen Ulnahälfte eines Ursus arctos(?). Das Fundstück (die älteste bis dato nachweisbare Stichwaffe) gleicht, wie schon PonHLıG sehr richtig hervorhebt, ganz den heutigen, aus menschliehen Ulna- oberenden hergestellten polynesischen Knochendolchen und besitzt eine Länge von 198 mm, jedoch ist die Spitze leider ab- gebrochen. Der Dolch weist deutliche Bearbeitungsspuren auf.
Auch noch einen anderen, ebenfalls der REıcar’schen Sammlung entstammenden, paläolithisch - anthropologisch höchst wichtigen Fund, birgt das RÖMER-Museum, den gleichfalls die Taubacher Travertinsandgruben geliefert haben. Ich meine den in Schrank Nr. 3 aufbewahrten Schenkelknochen eines jungen Urelephanten (Fig. 4 Taf. I). Dieser Sehenkelknochen ist vom alt-diluvialen Urmenschen Taubachs zum Zwecke der Markgewinnung „durch Auf- schlagen mit einem spitzen Stein durchlöchert und ge- borsten“. An eine zufällige Durchlöcherung, Zerberstung und Zersplitterung in eben beschriebener Weise kann hier auf keinen Fall gedacht werden, das steht fest. Ebenso- wenig kann aber auch der Zahn eines Raubtieres, etwa der eines Bären, den Knochen derart durchlöchert und geborsten haben. Nur eine Möglichkeit giebt es hier! Einzig und allein die mit einem spitzen Stein bewaffnete Hand des nach dem fettreichen Mark der jungen Urelephanten lüsternen, alt-diluvialen Urmenschen, dem jegliche Haustiere und somit auch alles fette Fleisch fehlte, kann mit kräftigen Schlägen
ı) Vgl. Karl J.Maska, Der diluviale Mensch in Mähren, Neu- titschein 1886, 8.19 u. 29,
[7] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 47
diesen Schenkelknochen zertrümmert haben, um sich der vielbegehrten Marksubstanz in den Röhrenknochen des er- legten Jagdtieres zu versichern, da sie ihm nicht nur ein grosser Leckerbissen, sondern geradezu ein Lebensbedürfnis war. Gerade dieses Stück ist somit, wie kein anderer Fund aus den Taubacher Travertinsandgruben, als ein vollgültiger Beweis dafür anzusehen, dass der alt-diluviale Mensch von Taubach das grösste Landtier aller Zeiten, den mächtigen, über 5 m Schulterhöhe erreichenden Urelephanten (E. anti- quus Fale.) thatsächlich gejagt und vornehmlich dessen „Junge“ am Lagerfeuer verzehrt hat. Wir haben in diesem geöffneten Schenkelknochen abermals einen greifbaren, sicheren Beweis für die Co&xistenz des Menschen mit der Elephas antiquus-Fauna und für seine Existenz zur Zeit der Bildung der Taubacher Hauptfundschieht (des Knochen- sandes), was allerdings ebenso überzeugend auch durch den Fund der beiden fossilen Menschenzähne dargethan ward.
Wie anlässlich der Diskussion über den Vortrag von A. MakowskyY!) von dem Wiener Anatomen Prof. ToLpT (NB. auf dem vorjährigen Anthropologen-Kongress zu Lindau) dargethan worden ist, ist speziell bei jungen Elephanten die Spongiosa der Schenkelknochen mit reichliehen Markmassen erfüllt. Mit zunehmendem Alter des Tieres tritt an deren Stelle eine Markröhre, die zuerst auf die Mitte beschränkt ist, aber allmählich die ganze Länge des Knochens durch- setzt.) Es ist bekannt, dass der diluviale Mensch während einer erheblich späteren geologischen Periode in Mähren existierte, als wie dessen alt-diluvialer Vorläufer in Taubach. Merkwürdigerweise waren es aber ganz wie in Taubach
ı) Vgl. Bericht über den Anthropologen-Kongress in Lindau 1899 [in der 1. Beilage der Vossischen Zeitung, Berlin, Nr. 423, Morgen- Ausgabe vom 9. Sept. 1899].
Vgl. Alex. Makowsky, Ueber den diluvialen Menschen in Mähren [im Korrespondenzbl. d. deutsch. Anthrop. Ges. XXX Jahrg. 1899, Nr. 19, 8. 109/112].
Ders, Sitzungsbericht d. Wiener Anthrop. Ges. (in Mitteilungen der Anthrop. Ges. in Wien Bd. XXX, Nr. 1, Januar 1900, $. [41/46]).
?) Die Untersuchungen von E. Fraas bestätigen dies. Ueber die Markhöhle im Humerus von Elephas [vgl. Korrespondenzbl. d. deutsch. Anthrop. Ges. XXXI Jahrg. 1900, Heft 5, S. 38].
48 Huco MÖLLER, [8]
L
auch dort vornehmlich die jugendlichen Tiere, die den Gegenstand der prähistorischen Jagd bildeten. Es ist auch bei den so äusserst primitiven Waffen und geringen Hilfs- mitteln des Menschen der Diluvialzeit gar nicht zu ver- wundern, dass er sich in erster Linie die unbeholfeneren, weniger erfahrenen und daher leichter zu erlegenden Ele- phas- und Rhinoceros-Kälbehen als Jagdbeute ausersehen hat und die riesigen „Alten“ verschonte, bezw. sieh nicht getraute sie zu erlegen. Der Nachweis, dass der alt-diluviale Urmensch von Taubach thatsächlich den Elephas antiquus Fale. jagte und verzehrte, bezw. die Langknochen seiner „Jungen“ zum Zwecke der Markgewinnung zu öffnen ver- stand, bildet nun auch ein gewichtiges Argument für die Behauptung MAKkowsky’s, dass der geologisch jüngere Mensch der Diluvialzeit Mährens ebenfalls aus den Extremitäten- knochen der von ihm erlegten jungen Mammuthe die Mark- und Fettsubstanz herauszunehmen wusste, also gleichzeitig mit dem Mammuth in Mähren lebte.
Durch die neuerdings von NürscHh im Kesslerloch bewirkten Ausgrabungen !) ist endgültig festgestellt worden, dass der Renntierjäger des Kesslerloches, der wie PEnck ?) nachgewiesen hat diese Grotte erst nach dem Rückzuge der dritten alpinen Vergletscherung bewohnte, auch ein Mammuthjäger gewesen ist. Es geht aus Nürscnr’s Untersuchungen somit hervor, dass der Troglodyte des Kesslerloch’s bei Thayngen noch zur Postglaecialzeit ein Zeitgenosse des Mammuths in Süddeutschland gewesen ist, und mit diesem und dem Rennthier in Süddeutschland zusammengelebt hat. Er jagte und erlegte das Mammuth,
1) Vgl. den Brief von Dr. J. Nüesch, Schaffhausen an Dr. A.Makowsky, Brünn v. 5. Dez. 1899, publiziert [in Mitt. d. Anthrop. Ges. in Wien Bd. XXIX 1899, Sitzungsber. 1899 8. 68/69].
Vgl. Dr. J. Nüesch, Neue Grabungen und Funde im Kesslerloch bei Thayngen [im Korrespondenzblatt d. deutsch. Anthrop. Ges. 1899, Heft 11 u. 12, 8. 142/144].
2) Vgl. A.Penck, Die Glacialbildungen um Schaffhausen und ihre Beziehungen zu den prähistorischen Stationen des Schweizerbildes und von Thayngen, Teil IV von Dr. J. Nüesch, Das Schweizerbild [in Neue Denkschriften der allgemeinen schweizerischen Gesellschaft für die gesamten Naturwissenschaften Bd. XXXV, Zürich 1896, S. 154/180].
[9] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki et. 49
briet däs Fleisch am Lagerfeuer und nährte sich auch teil- weise davon, ganz wie sein alt-diluvialer Vorläufer in Tau- bach, der Zeitgenosse des riesigen Urelephanten diesen gleichfalls als Jagdtier erlegte und verzehrte.
Durch den Nachweis wirklicher Menschenreste in Gestalt der beiden Zähne aus der paläolithischen Fundschicht Tau- bachs, weiterhin durch die sicher erwiesene Thatsache, dass der alt-diluviale Mensch von Taubach den Zlephas antiguus erlegte und verzehrte, sowie endlich durch die neuen NüzscH’schen Funde im Kesslerloch dürften nun endlich einmal die von STEENSTRUP !) und neuerdings auch von RANKE?) geäusserten Bedenken hinsichtlich der Gleich- zeitigkeit des Menschen der Diluvialzeit Mährens mit dem Mammüuth endgültig beseitigt sein.
Die von JoH. RAnKkE a.a. 0. diesbezüglich geäusserten Zweifel sind allerdings vor Bekanntwerden der NürscH’schen neuen Funde im Kesslerloch voll und ganz berechtigt ge- wesen und wurden ja auch vor Publikation derselben niedergeschrieben. Nachdem jedoch inzwischen erwiesen ist, dass das Mammuth noch zur Postglaeialzeit in Deutsch- land zusammen mit Moschusochs und Rentier lebte sind Ranke’s mit kritischer Schärfe geführten Argumentationen hinfällig geworden.
Ebenso wie der jungdiluviale Mensch des Kesslerlochs, sowohl ein Rentierjäger, als auch ein Mammuthjäger gewesen ist, mit diesem Diekhäuter also zusammengelebt hat, muss dies auch von den Bewohner der Rentierstationen am „Schweizer- bild“ und in der Grotte von St. Madeleine?) im Perigord angenommen werden. In beiden Stationen fanden sich be- kanntlich auf einer Kalkstein- bezw. Elfenbeinplatte die beiden, soviel Aufsehen erregenden Gravierungen, welche
1) Vgl. Japetus Steenstrup, Die Lössstation von Prödmost in Mähren [in Mitt. der Anthrop. Ges. in Wien Bd. XX 1890].
2) Johannes Ranke, Vorgeschichte der Menschheit [in Welt- geschichte, unter Mitwirkung hervorragender Fachgelehrter heraus- gegeben von Dr. Hans F.Helmolt, Bd.I, Teil4, Leipzig u. Wien 1899, 8. 133/134].
3) Vgl. die Abbildung in Zittel, Karl A. v. Handbuch der Palä- ontologie München, Leipzig 1891/1893 Abt. I. Paläozoologie Bd. IV. Vertebrata S. 717 und Fig. 589.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 4
50 Huco MÖLLER, [10]
unverkennbar das Bild eines Mammuths darstellen. Bei dem nunmehrigen Stande unserer Kenntnisse der faunistischen Ver- hältnisse der Postglacialzeit Mitteleuropas, muss man, was bis- lang immer nur vermutet werden konnte, als sicher annehmen, dass die diluvialzeitlichen Künstler, die jene Abbildungen verfertigten, thatsächlich das Mammuth lebend gesehen und nach der Natur in rohen Umrissen portraitiert haben.
Auch das muss jetzt als feststehend angesehen werden, dass am Ende: der Eiszeit und im Beginn der Nacheiszeit der diluviale Mensch, sowohl in Predmost b. Prerau in Mähren, als auch in der Umgebung von Brünn und in den mährischen Devonkalkhöhlen gleichzeitig mit dem Mammuth gelebt und dieses gejagt und verzehrt hat, obgleich sich nebenbei, ganz wie im Kesslerloch auch unverkennbare Vertreter der eigentlichen Fauna der Rentierperiode, wie Wolf, Bär, Ren- tier, Mosehusochs und Wildpferd vorfinden.
Doch kehren wir nach dieser Abschweifung wieder zum Ausgangspunkt der vorliegenden Abhandlung, zur Tau- baecher Fundstelle zurück! Da scheint es mir zunächst am Platze zu sein einiger anderer, anthropologisch höchst wichtiger Momente zu gedenken, deren in zum Teil schwer zugänglichen nur einem kleinen Kreis von Fachgelehrten be- kannten paläontologischen Schriften Erwähnung gethan wird.
Ausser den heute nicht mehr festzustellenden, der Wissenschaft leider verloren gegangenen Knochenmengen, die man in den 60er Jahren bedauerlicherweise aus Unkenntnis wagenladungsweise in Taubach in die Ilm versenkte und von denen erst unlängst wieder, bei Baggerarbeiten einiges zu Tage gefördert wurde, erwähnt PonLıs der Reste von mindestens 100 Individuen des Rhinoceros Merki, die auf dem nur wenige Quadratruten grossen Platze gefunden worden seien, sodass letzteres sonach Hauptgegenstand der Jagd des alt-diluvialen Urmensehen gewesen zu sein scheint. Von Elephas antiquwus seien 40 (NB bis Febr. 1891) bezw. 50 (NB bis Herbst 1891) von eben daher nachweisbar und etwa gleich gross werde die Zahl der Reste je von Bären, Bison, Hirsch und Biber sein.!) Pontıg hat festgestellt — ich
ı) Vgl. H.Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrheinischen Ges. etec., Bonn 1891 $. 38/39].
[11] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. sl
bitte dies besonders zu beachten — dass „unter höchstens 50 Individuen von Elephas antiquus“ deren Reste bis zum Herbst des Jahres 1891 in Taubach gefunden wurden „sich mindestens 7 Stück so ganz jugendliche, fast embryonale Tierehen befanden, bei denen erst der erste Milchbacken- zahn durehgebrochen war, zu denen reichlich ebensoviel Reste von Tierchen kamen, die erst den zweiten Milchbacken- zahn in voller Thätigkeit hatten.“
Doch lassen wir uns von PoHLıG weiter über diese Ver- hältnisse, deren er an anderer Stelle erwähnte, eingehender unterrichten. Bis Herbst 1891 bezifferte sich nach dessen Angaben!) „die Anzahl der von Taubach bis dahin nach- weisbaren Urelephantenkälbehen bei denen der hinterste Milehmolar noch nieht, oder doch ganz wenig erst im Ge- brauch gewesen ist, auf mindestens etwa 20, unter den Resten von höchstens 50 Tieren der Spezies überhaupt, welehe man daselbst innerhalb weniger Quadratruten Landes teilweise zu Tage gefördert hat.“ „Diese verhältnismässig grosse Zahl von Resten ganz jugendlicher und jüngster Individuen zu Taubach, ist an sich schon wiederum ein anthropologisches Moment, so gut wie in der Höhle von Balve, in dem Löss von Predmost“ (NB und auch im Kesslerloch) „und in andern paläolithischen Stationen.“ „Der Taubacher Urmensch, dem es augenscheinlich nicht um das Elfenbein, sondern nur um den Braten zu thun war, hatte es ebenfalls des ausgiebigeren Fanges wegen, offenbar vorzugsweise auf Muttertiere abge- sehen.“ Haben doch seiner Zeit die Ausgrabungen in den Gruben Mehlhorn und Sonnrein neben zahlreichen Knochen- resten, auch noch ein wahres „Magazin“ von Zähnen des Elephas antiguus in allen Grössen und Altersstadien, in sehr sutem Erhaltungszustand aufgedeckt.
2) Vgl. H. Pohlig, Dentition und Kranologie des Elephas antiquus Fale. mit Beiträgen über Zlephas primigenius Blum und E. meridionalis Nest. [in den Verhandlungen der Kaiserl. Leopoldinisch Karolinischen deutschen Akademie der Naturforscher Bd. LVII. Halle a. S. 1892. S. 291, 295, 298]. Es ist dies der zweite Teil einer Monographien-Reihe, deren Herausgabe Prof. Pohlig sich vorgenommen hat, die aber bislang leider nur teilweise erschienen ist. (Titel: Monographie der Elephas antiguus Fale. führenden Travertine Thüringens, ihrer Fauna und Flora).
4*
82 HuGo MÖLLER, [12]
Nachdem nunmehr durch jenen zum Zwecke der Mark- gewinnung aufgeschlagenen Schenkelknochen nachgewiesen ist, dass der Taubacher Urmensch die erlegten Elephanten auch thatsächlich verzehrt hat, findet die von PonLıG be- kanntgegebene Anhäufung von Zähnen, in dem in Grube Mehlhorn und Sonnrein damals angebrochenen „Magazin fossilen Elfenbeins“ in befriedigender Weise wohl nur da- durch eine Erklärung, dass es sich hier um die Jagdtrophäen des alt-diluvialen Urmenschen handelt. Nichts deutet nämlich unter den zahlreichen in Taubach gefundenen Geräten aus Stein (Typus von Chelles) daraufhin, dass der Mensch be- reits damals die Möglichkeit der Verarbeitung des heute so gesuchten Elfenbein-Materials zu Gegenständen des Ge- brauchs kannte. Ich glaube daher nicht fehl zu gehen, wenn ich das von PonLıG erwähnte „Magazin“ als einen Sammelplatz der Jagdtrophäen der alt-diluvialen Klephas- und KRhinoceros-Jäger anspreche.
Aus allen dem geht nun auch zur Evidenz hervor, dass die Meinung von v. Frirsch,!) die Anhäufung der Knochen und Zähne auf so verhältnismässig kleinem Platze sei eine Folge von Zusammenschwemmung durch die Ilm eine irrige ist. Weiter- bin scheint mir durch diesen Nachweis die von v. FrIrscH a. a. O. gleichfalls ausgesprochene Ansicht widerlegt zu sein, dass die Entstehung der Knochenansammlungen ete. eventuell darauf zurückzuführen sei; dass sich auf der Taubacher Fundstelle einst eine „Suhle“ der diluvialen Tiere befunden habe, in welche die unbeholfenen, jugendlichen Tiere häufig beim Baden durch Einbrechen in die noch nachgiebige Kalk- kruste verunglückt seien. Die schon von Porrıs?) und später von GÖTZE®) gemachte Beobachtung, dass unter den Knochen
!) Vgl. v. Fritsch, Sitzungsberichte des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen u. Thüringen in Halle a. S., Sitzung v. 16. Febr. 1888. [in Zeitschrift für Naturwissenschaften, Bd. 61, Halle a. S. 1888. S. 78/79].
2) Vgl. Portis, Alessandro, Ueber die Osteologie von Rhino- ceros Merki Jäg. und über die diluviale Säugetierfauna v. Taubach b. Weimar [in Paläontographica Bd. XXV. 1878 S. 145—162 speciell 8. 159].
s) Vgl, Götze, A. 2.2.0. 8.376.
[13] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki etc. 59
der zahlreichen Individuen des Rrhinoceros Merki noch keine Rücken- und Lendenwirbel und nur vereinzelte Bruchstücke von Rippen gefunden wurden, da diese schwer transpor- tabelen und schlecht zerlegbaren Teile wohl am Orte der Jagd liegen bleiben, kann hier nicht gegen v. FrırscH’s An- nahme hervorgehoben werden, denn diese Beobachtungen sind nieht im vollen Umfang zutreffend. So wurden bei- spielsweise nach Weıss in Taubach Rippen in grossen Mengen gefunden, wurden jedoch als wertlos weggeworfen, da sie nicht präpariert werden konnten.
Nach PonHrıe’s Bericht befand sich damals in dessen Besitz unter vielen anderen aus Taubach stammenden Zähnen des Elephas antiquus Fale., der linke vorderste mandibulare Milchmolar eines sehr jugendlichen Kälbehens dieser Rle- phantenart. Dieser Zahn fand sieh, mit noch zwei anderen Zähnehen und Kieferbruchstücken desselben Tierchens in Grube Hänschen zu Taubach vor. Hierzu gesellten sich, wenn auch erst einige Jahre später, in der benachbarten MEHLHoRrN’schen Grube gefunden, der dazugehörige rechte vorderste maxillare Milchbackenzahn desselben Individuums. Beide Zähnchen sind bemerkenswert, weil sie die einzigen Taubacher Milchmolaren von E. antiquus Fale. darstellen, welche alte Brandspuren aufweisen, und die Fund- umstände deuten darauf hin, dass der junge Träger dieser Zähne von den alt-diluvialen Rhinoceros- und Elephas-Jägern Taubachs am Lagerfeuer verspeist wurde. „Die Brand- spuren sind bei dem vordersten Milehmolar der Maxille“, den PonLıG genau beschreibt und abbildet,!) „auf die Kau- fläche beschränkt, besonders stark am Dentin und Cortical, während an dem linkseitigen, vorderen, mandibularen Milch- backenzahn die Wurzel alte Spuren von Feuer und Absplitterung des Basalendes an sich trägt,2) wie sie nur beim Braten bezw. Rösten der Kieferstücke am offenen Feuer
ı) Vgl. Pohlig H. Dentition u. Kranologie ete. [in Verh.d. Kaiserl. Leop. Karol. Deutschen Akademie der Naturforscher Bd. LVI. Halle 1892 S. 292 u. Abbildung Tafel II bis Fig. 3—3b].
2) Pohlig, H., Dentition und Kranologie etc. [in Verhandlg. der Kaiserl. Leop. Karol. Deutsch. Akademie der Naturforscher, Bd. LIII, Halle 1889, S.71 und Abbildung, Tafel II, Fig. 5—5b].
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von Menschen hervorgebracht worden sein können. Als ebenfalls aus Taubach stammend und in der Sammlung des Herrn GABR. Max in München befindlich, erwähnt PoHLıe noch „das mandibulare Paar der ersten wahren Molaren (M!) und den M" der gleichen Mandibel. Die drei Molaren sind an den Innenwänden oben fast bis zur Hälfte bereits vor der Ausgrabung abgesplittert und angekohlt ge- wesen. PoHLIG, der diesen Fund nur vorläufig erwähnt, versprach an anderer Stelle (d.h. wohl in dem immer noch ausstehenden anthropologischen Teil seiner Monographien- Reihe) Abbildung und Beschreibung davon zu geben. Nachdem das Zusammenleben des Menschen sowohl mit der sogenannten Mammuth- als auch mit der Zlephas- antiquus-Fauna als sicher erwiesen betrachtet werden kann, entsteht nunmehr die Frage, ob nicht doch etwa irgend ein, wenn auch noch so isoliert dastehendes Ueberbleibsel mensch- licher Besiedelung Europas aus noch älteren Perioden des Diluviums nachweisbar ist? Mit anderen Worten: es fragt sich, ob der Mensch nicht schon vor der Zeit der Ablagerung der Taubacher Hauptfundschicht (des „Knochensandes“) den Boden Europas bewohnt hat?
Nach Penck!!) soll der Mensch bei Taubach nach dem Rückzug der Gletscher der ersten Eiszeit (d. h. der älteren diluvialen Vergletscherung Nord- und Mitteldeutschlands, welche der zweiten alpinen Eiszeit entsprechen würde) ge- lebt haben. Die dortigen Kalktuffe und Tuffsande sollen nach Penck’s Ausführungen, ähnlich den Cannstätter Tuffen, auf Quartärgeröll auflagern und dieses enthalte nordische Geschiebe (?), die nur durch skandinavische Vergletscherung nach Thüringen gelangt sein könnten. „Die Taubacher Fundstelle ruht“ — so sagt PEnck weiterhin — „un- mittelbar auf den äusseren Moränen der älteren Eiszeit auf, welche von der Ausdehnung der jüngeren nicht mehr er- reicht wurde.“
Diese Annahme Penck’s war damals, als sie ausge- sprochen wurde, wohl berechtigt, seitdem sind unsere Kennt-
1) Penck, A., „Mensch und Eiszeit“ [im Archiv für Anthropo- logie, Bd. 15, Jahrgang 1884, S. 216].
[15] Ueber Elephas antiguus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 59
nisse über die Taubacher Kalktuff-Ablagerungen und anderer Ablagerungen in der Nähe von Weimar-Taubach jedoch wesentlich bereichert worden, sodass heute, nach 16 Jahren, die Meinung PEnckK’s sich wohl kaum noch im vollen Um- fang aufrecht erhalten lassen wird.
Nach einer mir von Herrn Dr. phil. ARTHUR Weıss in Hildburghausen (früher in Weimar) gemachten Mitteilung, muss zunächst als feststehend angesehen werden, dass für die Taubacher Kalktuff-Ablagerungen — da charakteristische ‘ Glaeialbildungen an der Fundstelle fehlen — bisher noch in keiner Weise ein Zusammenhang mit den nordischen Eiszeiten gefunden ist. Man kann nach den faunistischen Verhältnissen der unteren Taubacher Schichten nur an- nehmen, dass diese Kalktuff- „Sande“ alt-diluvialen Alters sind und während einer der wärmeren Teilperioden des Alt- Diluviums abgelagert wurden. Ob speziell die hier in Frage kommende Hauptfundschicht, der Knochensand (populär „Scheuersand“ genannt) während der „Voreiszeit“ der prä- glaeialen Epoche, oder während der älteren (ersten) „Zwischen- eiszeit“ !) der alt-interglacialen Epoche abgelagert wurde, kann bisher, wie gesagt, mit Sicherheit noch nicht bestimmt werden. Leider hat A. Weiss?) seine Absicht, die geo- logischen Verhältnisse der Taubacher Schichten zu be- stimmen, bisher noch nicht ausführen können, da der Aufbau noch nicht genügend studiert ist, doch wird dessen Arbeit nun bald fertig gestellt. WAHNSCHAFFE hält den Kalktuff von Schwanebeck >) für präglacial, wegen seiner Lagerung,t)
1) Im Sinne von Keilhack, K., Gliederung der norddeutschen Diluvialablagerungen in dessen Abhandlung Die Geikiesche Gliederung der nordeuropäischen Glacialablagerungen [im Jahrbuch d. Kgl. Preuss. geologischen Landesanstalt für das Jahr 1895, Berlin 1896, S. 111—115, speziell S. 123].
2) Ich ergreife hier gerne die Gelegenheit, dem genauen Kenner der geologischen Verhältnisse Taubachs, Herrn Dr. phil. Arthur Weiss in Hildburghausen, meinen verbindlichsten Dank für die freund- liche Durchsicht des Manuskripts auszusprechen.
®) Vgl. Wolterstorff, Die Conchylienfauna der Travertine von Schwanebeck [in der Zeitschr. d. Deutsch. geolog. Ges., Bd. 48, 1896].
*) Vergl. dazu Zech, Leonh., Die geologischen Verhältnisse der nördlichen Umgebung von Halberstadt [im Jahresbericht der Oberreal-
56 Hugo MÖLLER, [16]
derselbe wird wegen seiner Fauna, die genau dieselbe ist wie die Weimar-Taubacher von Weiss als interglacial an- genommen.
Nach einem, wie ich mir wohl bewusst bin, nicht ohne weiteres zulässigen Analogieschluss, bin ich geneigt anzu- nehmen, dass die Taubacher paläolithische Hauptfundschicht, wie der Kalktuff von Schwanebeck präglaeialen Alters ist. Zu dieser Annahme eines präglacialen Alters stimmen dann auch sehr gut die von A. Wrıss gemachten Beobachtungen, nach denen bei den Tuffen „zu oberst oft an gewissen Sehiehten Faltungen und Stauchungen bemerkbar sind, welehe auf Gletscherwirkung schliessen lassen.“ Dies kann nur das Inlandeis der Hauptglacialzeit bewirkt haben, da die Vergletscherung der anderen Eiszeiten niemals bis in die Gegend von Weimar-Taubach reichte.!) Einschlüsse von erratischem Gneis im fossilreichen Kalksand und Tra- vertin Taubachs — wie v. FrITscH angiebt — und einzelne Gesteinsstücke skandinavischer Herkunft im Liegenden der Kalktuffsande nach PonuLıG und MicHAEL sprechen noch lange nieht gegen die Annahme des präglaeialen Alters der unteren Taubacher Schiehten. „So lange nieht der einwand- freie Nachweis geführt ist, dass im Liegenden der Kalktuff- „Sande“ noch wirkliche Moränenbildungen vorkommen, so lange muss man diese Kalktuff-Sande“ nach dem Vorgange KeıtHack’s?) als „diluvial-präglaeial bezw. alt-interglacial ansehen, d.h. als in einer Zeit abgelagert, in welcher das skandinavische Inlandeis noch bei weitem nicht bis zu so südlicher Gegend vorgedrnngen war, sondern erst durch seine von Norden nach Süden fliessenden Schmelzwasser, die grosse Quantitäten ausgewaschenen nördischen Materials mit sich führten gewissermassen sich ankündigte.“ In diesem Falle, der für die Bestimmung des geologischen Alters der
schule zu Halberstadt, Ostern 1894. Programm Nr. 273. 8. 14—15 u. Anm. 9 auf S. 19].
1) Vgl. A. Weiss, Zeitschr. der deutschen geologischen Gesellsch. Jahrg. 1896, 8. 182.
2) Vgl. Keilhack, K., Ueber präglaeiale Süsswasserbildungen im Diluvium Norddeutschlands [im Jahrbuch der geolog. Landesanstalt etc. für das Jahr 1882. Berlin 1883. S. 166—167].
[17] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 97
bisher ältesten, sicher nachweisbaren Spuren des Menschen in Europa so wichtig ist, können die faunistischen Ver- hältnisse allein unmöglich die ausschlaggebenden Faktoren der Altersbestimmung bilden. Hat doch die präglaeiale (jungplioeän-diluviale) Mischfauna der Sande und Kies- ablagerungen von Saint-Prest (Eure et Loire), Chagny (Saöne et Loire), Durfort (Gard) ete. sehr grosse Aehnlichheit mit derjenigen Taubachs, sodass man wohl sagen kann, die Fauna Taubachs ist jünger als diejenige der eben ange- führten Gegenden. Ob jedoch die Taubacher Travertin- „Sande“ der Hauptfundschicht vor oder nach der ersten diluvialen!) Vereisung abgelagert wurde, das ist aus den paläontologischen Erfunden bis heute noch in keiner Weise zu ersehen. Was EwALp Wüsrt?) für die Verhält- nisse der ersten Interglaeialzeit geltend macht, muss zweifel- los auch für die Praeglacialzeit als zu Rechte bestehend angesehen werden. Wir haben beide Abschnitte der Di- luvialepoche unbedingt als lange andauernde Perioden anzu- sehen, die man sich sehr wohl aus Zeitabschnitten mit, durch das allmähliche Absinken, bezw. die allmähliche Steigerung der mittleren Jahrestemperatur begründete, recht verschiedenartigen klimatischen, floristischen und faunistischen Verhältnissen vorstellen kann. Dadurch erklärt es sich auch, dass die alt-interglaeiale Fauna Mitteleuropas der voreis- zeitlichen (praeglaeialen) sehr ähnlich erscheint und es, wie ich wiederholt hervorhebe, unmöglich angängig ist, lediglich aus paläontologischen Gründen das Alter der Ablagerung der untersten Taubacher Schichten zu bestimmen.
Gerade Penck’s „Untersuchungen der Glaeialbildungen um Sehaffhausen“3) lehrten ja in überaus überzeugender Weise „auf wieschwachen Füssen die paläontologische
1) Die erste Eiszeit Geikie’s [dessen „Scanian“ die Schonensche Stufe] ist möglicherweise ein pliocäner Vorläufer der diluvialen Ver- gletscherung (Privatansicht des Verfassers), vgl. hierzu K. Keilhack, 2.2.0. S. 111 u. 115.
2) Wüst, Ewald, Die geologische Stellung des Kieslagers von Süssenborn bei Weimar [i. d. Zeitschrift f. Naturwissenschaften, Bd. 71, Heft 6. Halle a. S., 6. Juni 1899, S. 393—400, speziell 8. 399].
s) Vgl. hierzu auch das Referat von E. Geinitz [i. Neues Jahrb. für Mineralogie ete. Jahrgang 1898, Bd. II, S. 227—228].
58 Huco MÖLLER, [18]
Chronologie der Pleistoeänzeit steht.“ Durch die Er- gebnisse jener Untersuchungen (l. e. S. 175/179.) war PEncK bereits in der Lage, seine früheren Angaben (s. Mensch und Eiszeit) hinsichtlich des Alters der Stationen von Schussen- ried und Thayngen zu berichtigen. Beide prähistorische Stationen sind wie nunmehr feststeht nicht interglaeialen, sondern postglaeialen Alters, dies gilt auch für die Funde des Schweizerbildes.
Die Taubacher Hauptfundsehieht (der „Knochensand‘“) wird nun unterteuft von Kiesen, Sanden und Konglomeraten, welche PoHL1G, nach den angeblich darin gemachten Funden von zahlreichen Resten des Elephas trogontherii Pohl. der Mosbacher Stufe seiner Gliederung des Pleistocäns zurechnet. Nach A. Weiss!) ist es jedoch „trotz eifrigen Forschens noch lange nicht erwiesen, ob die „Kiese“ von Taubach (das Liegende der Taubacher Kalktuffe) den Süssenborner Kiesen und Sanden und somit auch den rheinischen Sanden von Mosbach, Mauer, Hangenbieten ete. gleichalterig sind, oder ob sie jünger sind. Ebensowenig ist bis dato sicher fest- gestellt, ob die Süssenborner Kiese alt-diluvialen oder plio- cänen Alters sind. Indessen berechtigen uns die paläonto- logischen Funde vollständig dazu die Kiese von Süssenborn für älter zu betrachten, als die Weimar-Taubacher Travertin- kalke.?)
Diese Auseinandersetzung war notwendig für das richtige Verständnis des Folgenden:
PoHLiG®) giebt in seiner zweiten Diluvial-Monographie „Ueber die Cerviden der thüringischen Diluvial-Travertine ete. Abbildung und Beschreibung eines Stangenstumpfes von Cervus (elaphus) Antigqui Pohl. (einen Vorläufer unseres heutigen Edelhirsches). Nach PoHaLıG zeigte dieser Geweih-
1) Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von Süssenborn bei Weimar [i. Zeitschrift der deutschen geolog. Ges., Bd. LI, 1899, S. 156—167, speziell 165—166].
2) Vgl. auch Ewald Wüst, a.a. O., S. 395.
s) Vgl. H. Pohlig, Ueber die Cerviden der thüringischen Diluvial- Travertine mit Beiträgen über andere diluviale und über rezente Hirsch- formen i. Palaeontographica, Bd. 39, 1892, pag. 239, 240, 249. — Vgl. auch das Referat [i. Archiv f. Anthropologie, Bd. 23, 1895, 8. 122—123].
[19] Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki et. 59
stumpf „eine deutliche Spur urmenschlieher Thätigkeit, in- dem der Stamm dieht ober dem Okularspross abgeschnitten worden ist. Die Schnittfläche ist glatt, sehr eben, geht fast über die innere Hälfte des Stammes und ist mit dem gleichen bräunlichen, mineralischen Ueberzug bedeckt, wie die sonstige Oberfläche des Stumpfes.“
Die Fundstätte soll nach Ponuie’s Angaben in Grube Mehlhorn jener von ihm mit der Bezeichnung „Trogon- therienschotter“!) belegte, „fluviatile Sand“ sein, der die Taubacher Hauptfundschieht (den Knochensand) unterteuft und in welchen der erstere dureh Thon und fluviatilen Sand allmählich übergeht. PonrLıs rechnet diese Sandsehichten wie bereits bemerkt der „Mosbacher Stufe“ seiner Gliederung des Pleistoeäns zu. Der Stumpf soll sich daselbst verge- sellsehaftet mit zahlreichen Resten von Elephas trogontheriü Pohl. vorgefunden haben.?)
Sowohl A. Weıss3) als auch EwAaLp Wüsrt) bezweifeln indes die Riehtigkeit dieser Angaben PonLıe’s. Wie Weiss be- richtet wurde nach dessen seit über zwölf Jahren ununter- brochen geübten Kontrolle der Taubacher Gruben nur zwei- mal Kies angeschürft und nichts von Wirbeltierresten sefunden. Die von PorLıe in „Paläontographica* XXXIX. 1892, p. 235, 239, 247, f. 22a. 249 besonders 260 aus dem Fluviatilsande von Taubach beschriebenen Funde gehören sicher alle dem Kieslager von Süssenborn an. Schwunghaftes Geschäft mit Süssenborner Klephas-Zähnen haben die Tau- bacher Grubenbesitzer MEHLHORN und ERNST getrieben, nachdem ihre Gruben schon seit dem Jahre 1890 nicht viel Wirbeltierreste mehr lieferten. Das auf pag. 239. Fig. 16a
D) Vgl. H. Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrhein. Ges. in Bonn 1883. pag. 228]. — Vgl. H. Pohlig [in Sitzungsber. d. niederrhein. Ges. in Bonn 1884. pag. 48. — Vgl. H.Pohlig [in Zeitschrift für (die ge- samten) Naturwissenschaften Halle 1885. Bd. LVIlI. pag. 258/259. — Vgl. H. Pohlig [in Zeitschrift d. Deutsch. geolog. Ges. Bd. XXXIX. 1887. pag. 806 etec.
2) Vgl. H. Pohlig, Ueber die Cerviden ete. a. o. 0. pag. 260.
®) Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von Süssenborn a. a. 0. pag. 161.
*) Vgl. Ewald Wüst, Die geolog. Stellung der Kiese v. Süssen- born. a. a. O. pag. 395. Anmerkung 1.
60 Huco MÖLLER, [20]
abgebildete Geweih z. B. wurde von dem Stuckateur ERNST in Süssenborn gekauft.“
Auch der Ponuie’sche „Geweihstumpf“ rührt wahr- scheinlich aus den Süssenborner Kiesgruben her, ist von dort nach Taubach importiert und als ein Taubacher Fund- stück ausgegeben worden. Soviel steht jedenfalls fest, dass kein Forscher jemals selbst, weder Elephas trogontherüi Pohl. Zähne, noch sonstige Wirbeltierreste den Taubacher Kiesen und Sanden entnommen hat, welche das Liegende der dortigen Kalktuffe bilden.
Da der Schotter die erst später abgelagerten Kalktuff- schichten Taubach’s unterteuft, die überlagernde Sehiehtung der Kalktuffe aber anerkanntermassen durchaus klar ist und niemals gestört wurde, so müsste der „Geweihstumpf“, wenn wir voraussetzen, dass dessen Entnahme aus dem Taubacher Schotter besser, bezw. einwandfreier bezeugt wäre, insofern ein hohes wissenschaftliches Interesse beanspruchen als er:
1. der älteste Beleg menschlieher Thätigkeit und An- wesenheit in Europa sein würde,
2. unter allen den Taubacher Nachweisen des alt-dilu- vialen Urmenschen als das geologische älteste Stück ange- sehen werden müsste,
3. aber müsste als nächste Konsequenz dieses Fundes gelten, dass der Mensch nieht nur Zeitgenosse des Klephas primigenius Blum. und des E. antiquus Fale. gewesen ist, sondern es müsste auch die Co&xistenz des Mensehen mit dem nur in den untersten Schichten des Alt-Diluviums vorkommenden und somit geologisch noch älteren Elephas trogontheriw Pohl. der direkten Uebergangsform zwischen dem plioeänen Elephas meridionalis und dem oberdiluvialen Mammuth als erwiesen angesehen werden, wenngleich es sich hier um einen isoliert dastehenden Fund handelt. Nach Pourıg!) steht nämlich die Molarenform seines Zlephas tro-
") Vgl. H. Pohlig, Dentition u. Kranologie [in Verh. d. K. Leop. Karol. Akademie Bd. LIII. Halle 1889. S. 208. Bd. LVII. Halle 1892. S. 458/459.] Vgl. H. Pohlig, Ueber Elephas trogontherü u. Rhinoceros Merki v. Rixdorf b. Berlin [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. XXXIX. 1887. 8. 789/807]. Vgl. A. Weiss, Die Conchylienfauna der Kiese von
Süssenborn. [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. LL. 1899. S. 160]. Vgl. Wilh. Volz, [in Ztschr. d. D. geolog. Ges. Bd. XLIX, 1897, S. 194].
[21] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 61
gontherüü zoologisch wie ihrer geologischen Lagerstätte nach in der Mitte zwischen derjenigen des Elephas primigenius und der des E. meridionalis. Dem E. antigquus kommt sie in der Lamellenformel am nächsten, ist aber in der Gestaltung der Sehmelzfiguren der Kaufläche und in der allgemeinen breiten Kronenform und geologischen Lagerstätte von dieser Art weit schärfer gesondert, als von den anderen beiden Spezies. Von der Stammform E. primigenius unterscheidet sich E. trogontherii Pohl. fernerhin durch beträchtlichere Dimensionen (?) und weniger gekrümmte Curve der Defensen. Elephas meridionalis und E. primigenius stehen nach Krano- logie und Dentition über Elephas trogontheri hin in direkter Verwandtschaft. Auf Grund der Bedeutung seines geo- logischen Vorkommens muss .E. trogontherii Pohl. nieht nur als selbständige Form von dem Rang einer natürlichen Rasse betrachtet werden, sondern auch als ein gutes Leitfossil für die Süssenborn-Mosbachstufe des Alt-Diluviums. Bedauerlicher Weise scheint PoHLıe, dieser um die Dentition und Kranologie der fossilen Elephanten und um die Paläontologie der grossen Diluvial-Säugetiere so ver- dienstvolle Gelehrte, was den „Geweihstumpf“ und seine Begleitfunde anbelangt das Opfer einer Fälschung geworden zu sein. Bei den weitgehenden, bereits vorstehend von mir angedeuteten Schlussfolgerungen, welche die Nachwelt, im Vertrauen auf die Richtigkeit von PoHtıe’s Angaben, möglicherweise auf jenes, wenn auch noch so isoliert da- stehende Fundobjekt aufbauen könnte, schien es mir ver- dienstlich zu sein, so lange noch Zeugen und genaue Lokal- kenner am Leben sind, diese Fälschung aufzudecken. Ob sich thatsächlich an dem „Geweihstumpf“ menschliche Be- arbeitungsspuren vorfinden, wage ich nicht zu entscheiden, da ich selbst das Fundstück niemals zu Gesicht bekam. Angebliche Bearbeitungsspuren an Funden aus Diluvial- Kiesen und Schottern sind im allgemeinen zu bezweifeln, dieselben können Rollstücke oder geschrammte oder gekritzte Glacialgeschiebe sein und Bruchspuren, welche abgenützt erscheinen, sind oft der Wasserwirkung zuzuschreiben. Wäre thatsächlich der „Geweihstumpf“ einwandfrei bezeugt dem Taubacher Sehotter entnommen worden, so er-
62 Hugo MÖLLER, [22]
hielte dieses Fundstück eine noch weit höhere wissenschaft- liehe Bedeutung durch den Fund menschlicher Skelett- reste aus der paläolithischen Kiesterasse von Galley- Hill (Kent), die der Geologe NewTon beschrieben und ab- gebildet hat.!) Diese menschlichen Skelettreste sind, wenn riehtig gedeutet, zu mindestens gleichaltrig mit den Tau- bacher fossilen Menschenzähnen, ja, wenn nicht alles trügt, gehören sie sogar ebenfalls der Süssenborn - Mosbach Stufe des Alt-Diluviums an, wie — die Richtigkeit von PoHLıG’s Angaben vorausgesetzt — der mehrfach erwähnte „Geweih- stumpf“ von Cervus (elaphus) Antigwi Pohl. Die gleich- alterigen Grandlager in der Nachbarschaft von Galley-Hill führen nämlich Säugetierreste, welche anscheinend der Fauna der.mitteldeutschen Trogontherienschotter von Mosbach bei Wiesbaden und Süssenborn bei Weimar angehören und so- mit als alt-diluvial (präglaeial?) bezeichnet werden müssen. Leider erfolgte die Aufdeekung der Skelettreste nicht durch einen Mann der Wissenschaft, sondern durch (allerdings einwandfreie) Privatpersonen, so kam es, wie bedauerlicher- weise schon oftmals, dass ein solch interessanter Diluvialfund nieht beweiskräftig genug wurde, weil die Lagerung nicht genügend festgestellt, oder doch die Feststellung nicht ge- nügend durch den Augenschein von Autoritäten gedeckt wurde. Der Skepsis bleibt daher auch in diesem Falle immerhin noch einiger Spielraum.
Wohin ich also auch blicke, bis zur Stunde noch müssen die beiden Taubacher Zähne als die geologisch ältesten fossilen menschlichen Reste angesehen werden, die in Europa mit Sicherheit nachzuweisen waren.
Ob thatsächlieh bereits vor Eintritt der „Gletscher- periode“ (also während der Präglacialzeit) der präglaeiale Urmensch bei Kiew gelebt, wie dies nach der hier unten wiedergegebenen, der russischen Tageszeitung „Kiewljanin“
1) Vgl.E. T. Newton, On fossile human remains from paläolithie Gravells at Galley-Hill (Kent) [in Quarterly Journal of the Geological Society. Vol. LI, 1895 (5), pag. 505—528]. — Vgl. hierzu auch das Referat von E.Koken, [i. d. Deutschen naturwissenschaftlichen Rund- schau, Jahrgang XI, 1895, Heft 1, S.6—8]. — Vgl. auch Archiv für Anthropologie, Bd. XXV, 1898, Litteraturverzeichnis, S. 161.
[23] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 68
entnommenen Notiz der Breslauer Morgenzeitung,!) die neueren Funde Cuwosko’s dargethan haben sollen, dar- über sind die Untersuchungen, wie es scheint, bislang noch zu keinem abschliessenden Resultat gelangt.
Uebrigens gedachte bereits auf dem X. russischen archäo- logischen Kongress zu Riga (1./13 bis 15./27. August 1896)
1) Breslauer Morgenzeitung Nr. 251, 2. Beilage (Donnerstag, den 1. Juni 1899): Die älteste Kulturstätte in Russland. Glänzende Resultate haben die Ausgrabungen gezeitigt, die unter der Leitung von Chwojko auf einer Privatbesitzung bei Kiew während der letzten sechs Jahre veranstaltet worden sind. Der „Kiewljanin“ berichtet dar- über folgendes: Es wurde eine Fülle von Mammuthknochen wie auch von Knochen anderer Tiere, ferner Kohle und Reste verkohlter und versteinerter Holzsticke und verschiedene Gerätschaften gefunden, die von der Hand eines Menschen aus Feuerstein und aus Mammuthknochen hergestellt waren. Letzteres verdient besonders hervorgehoben zu werden, da man bis jetzt bei den Ausgrabungen in Europa noch keine einzige Gerätschaft aus Mammuthknochen aufgefunden hatte. Feuer- steingerätschaften finden sich in dieser Schicht nur sehr spärlich und in einer sehr groben primitiven Form. Man darf wohl annehmen, dass man es hier mit dem ältesten der bis jetzt in Russland entdeckten Aufenthaltsorte des Urmenschen zu thun hat. Beim Beginn der Aus- grabungen in diesem Jahre wurde beschlossen, ein genaues Register der gefundenen Mammuthskelettreste zu führen, in der Zeit vom 15. Jan. bis 1. Mai konnten allein 31 Unterkiefer ausser einer grossen Zahl anderer Knochen verzeichnet werden. Die Zähne der gefundenen Mammuthkiefer deuten darauf hin, dass sie nicht nur von Mammuthen verschiedenen Alters stammen, sondern vielleicht auch von ver- schiedenen Unterarten. In einer offenen Kulturschicht wurden auch gut erhaltene Knochen einer Menschenhand gefunden. Die Ge- schichte des Hügels, auf dem diese Ausgrabungen gemacht werden, ist interessant. Es wurden zwei Kulturschichten in ihm freigelegt. In seinem untersten Teile sind die erwähnten Reste aufgefunden worden, die den Beweis zu liefern scheinen, dasshiervordemEintrittderGletscher- periode Urmenschen gelebt haben. Nach einem ausserordentlich langen Zeitraum erscheint dann wieder der Mensch fast auf dem neu- gebildeten Gipfel des Hügels, etwa 20 Meter höher als sein Ahne, der Zeitgenosse des Mammuths. Ein Beweis für die Existenz dieses zweiten Aufenthalts des Urmenschen liefern etwa 50 von Chwojko aufgefundene Höhlen und Erdhütten, die zur Wohnstätte dieses Menschen gedient haben. Der Mensch dieser Zeitperiode stand schon auf einer bedeutend höheren Kulturstufe, als jener erste, aus dessen Zeit die Reste in den untersten Kulturschichten stammen. Seine Wohnstätte — die Höhle — besass bereits ein Dach, das ihn vor Unwetter schützte. Unter den Ge- rätschaften, die in seinen Erdhütten gefunden wurden, befinden sich
64 Huco MÖLLER, [24]
Prof. W. B. Antoxowırsch aus Kiew!) auch der Funde CHwoJKo’s (bis zum Juli 1896) und erwähnt, dass die Mammuthknochen und Feuersteingeräte in sehr grosser Tiefe (über 20 m) gefunden sind, nämlich an der Grenze der tertiären Schicht.
Nach meiner Ueberzeugung hat der präglaeiale Mensch in Europa bereits existiert. Ich hoffe hierüber in kurzem Gewissheit zu erlangen und bereite demnächst eine Publikation über dies Thema vor.
Nach Professor ZITTEL,?) dem berufensten Forscher auf dem Gebiete der Paläontologie in Deutschland, steht der Existenz des Menschen in der Tertiärzeit an und für sich niehts entgegen, seine Entstehung im Tertiär ist sogar höchst wahrscheinlich. Vollgültige Beweise für die Existenz des Menschen — sagen wir noch Homo stupidus — während der Tertiärzeit liegen jedoch vorläufig noch nicht vor. Weitere Forschungsergebnisse bringen hierüber vielleicht früher oder später unerwartet neue Aufschlüsse, denn auch der Pithecanthropus erectus Dub. kann als direkter Vorläufer des Menschen auf keinen Fall angesehen werden.
Im Heppenloch, am Nordabhang der schwäbischen Alb fand allerdings Medizinalrat Dr. HEDINGER?) Steingeräte von beilförmiger, messerförmiger und keilförmiger Gestalt (den Taubacher Feuersteinsplittern am ähnlichsten), derart vergesellschaftet mit den Resten von pliocänen Tieren, dass die Existenz des Menschen zur Tertiärzeit kaum noch länger bezweifelt werden kann. Von den plio-
schon Aexte aus Feuerstein, Elentier- und Hirsch-Horn. Weiter sind viele kleinere Werkzeuge, hie und da auch Thongeschirre, aufgefunden worden. Verschiedene Tierknöchen, wie auch Fischgeräte, Muscheln etc. zeigen an, dass der Mensch von der Jagd lebte, aber auch Fische, Muscheln u. dergl. nicht verschmäht hat.
!) W. B. Antonowitsch, Die während der letzten drei Jahre in Kiew gefundenen Gegenstände der Steinzeit. Bericht über den zehnten archäologischen Kongress zu Riga (1/13 bis 15/27 Aug. 1896) [im Archiv für Anthropologie Bd. XXV. 1898. S. 78].
2) Zittel, Handbuch der Paläontologie Bd. IV. S. 719.
3) Vgl. Hedinger, Neue Höhlenfunde auf der schwäbischen Alb. [in Korrespondenz-Bl. d. deutsch. Anthropol. Ges. XXII. Jahrg. 1891. S. 9/12 u. 20/24].
[25] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 65
eänen Tieren nenne ich hier nur: den Oberkiefer eines Affen Inuus suevicus,') ferner das Aceratherium; ein dem Nashorn ähnliehes und das Palaeotherium, ein dem Tapir ähnliches Tier, ferner Oyon alpinus fossilis,2) eine Wolfsart. Aber auch die ausserdem noch im Heppenloch gefundenen Reste der eigentlichen Diluvialtiere zeigen einen älteren Typus, sodass wir es hier entschieden mit einer präglacialen, besser gesagt, jungtertiären Fauna zu thun haben.
1) Vgl. Hedinger, Neues Jahrbuch für Mineralogie ete. 1891. Bad. 1. S. 169 ete.
2) Vgl. Nehring, A., Sitzungsbericht der Ges. naturforschender Freunde zu Berlin Jahrg. 1890 No. 2. (Sitzung v. 18. Febr. 1890).
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900.
or
Litteratur.
1. Schmid, E. E., Geologische Spezialkarte von Preussen und den Thüringischen Staaten. 1:25000. Nr. 359. Blatt Magala nebst den Erläuterungen. (1872) pag. 8.
2. Schmid, E. E., Briefliche Mitteilungen desselben an Prof. H. B. Geinitz vom 20. Mai 1873, über die Auffindung der damals für Mammuthreste gehaltenen Skelettteile von E. antigquus Fale. (betrifft das grosse, sehr vollständige Skelett eines der riesigsten Urelephanten, das leider in 7 verschiedenen Museen Deutschlands stückweise aufbewahrt wird und sich in den Haupt- teilen in Jena befindet. [Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geo- logie und Paläontologie, 1873, S. 401.]
3. Pfeiffer, L., und Rohlfs, G., Nachricht über das an- sebliche Vorkommen von Menschenknochen, zusammen mit denen von Jthinoceros Merki in Taubach. |[Verhandl. der Berliner Gesellsch. £. Anthropologie ete. vom 12. Oktober 1872 8. (260), vom 14. Dezember 1872 8. (279).]
4. Vgl. auch [Korrespondenz-Blatt der deutschen anthropo- logischen Gesellschaft, 1873, 8. 3].
5. Fritsch, K. v., Ueber Wirbeltierreste von Taubach bei Weimar. [Zeitschrift für (die gesamten) Naturwissenschaften, Bd. 45 (N. F. 11. Bd), 8. 461. Berlin 1875.]
6. Fritsch, K.v., Ueber die bisher bekannt gewordene diluviale Fauna und Spuren urmenschlicher Thätigkeit, Lagerungs- verhältnisse und Entstehungsweise der Kalktuff- Ablagerungen von Taubach in [dieser Zeitschrift, Bd. 61 (4. Folge, 7. Bd.), Halle a. S. 1888, 8. 78—79]. Bericht über die Sitzung vom 16. Februar 1888 des naturwissenschaftl. Vereins für Sachsen und Thüringen.
7. Bericht über die VII. allgem. Versammlung d. deutschen Gesellschaft für Anthropologie ete. zu Jena am 9.—12. August 1876. [Korrespondenz-Blatt der deutschen anthrop. Ges. 1876, 8. 76. Ueber die Exkursion der Teilnehmer nach Taubach am 12. August 1876.]
[27| Weber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 67
8. Virchow, R., Ueber diluviale Funde bei Taubach (Weimar) in |Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropo- logie, Ethnologie u. Urgeschichte, Jahrg. IX, 1877 8. (25—27).]
9. Klopf£leisch, R., Ueber Spuren urmenschlicher Thätig- keit zusammen mit Resten von E. antiquus ete. in |Korrespondenz- Blatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft, 1877, Heft 5, 8. 37].
10. Klopfleisch, R., Fundbericht (Grube Hänschen) Feuer- stelle, in [Vorgeschichtliche Altertümer der Provinz Sachsen, Heft I, 8. 32—36].
11. Portis, Allessandro, Ueber die Osteologie von Rhinoceros Merki Jäg. und über die diluviale Säugetierfauna von Taubach bei Weimar in [Paläontographica von W. Dunker und K. v. Zittel, Bd. 25, Kassel 1878, S. 145—162].
12. Referat darüber in [Neues Jahrbuch f. Mineralogie ete. 1878, 8. 884—885].
13. Pohlig, H., Ueber Elephas antiquus Fale. und die Gliederung des Plistocäns in [Sitzungsbericht d. niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn 1882] (Sitzung vom 3. Juli 1882) S. 134—136.
14. Pohlig, H.. Ueber das Milchgebiss der Elephanten. [Sitzungsbericht der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn] Sitzung vom 4. Februar 1884.
15. Pohlig, H., Vorläufige Mitteilungen über das Plistocän, insbesondere Thüringens, gekürzte Ausführung. [Sitzungsbericht der niederrhein. Gesellschaft in Bonn] Sitzung vom 3. März 1884.
16. Pohlig, H., Vorläufige Mitteilungen über das Plistocän, insbesondere Thüringens, ausführlichere Behandlung, in [dieser Zeitschrift, Bd. 58 (4. Folge, 4. Bd.) Halle a. S., Jahrgang 1885, S. 258—276.
17. Pohlig, H., Beabsichtigte Herausgabe einer Mono- sraphie der Elephas antiquus Fale. führenden Travertine Thüringens, ihrer Flora und Fauna in 15 Büchern. (Bis jetzt nur 3 erschienen.) |Sitzungsbericht der niederrheinischen Ge- sellschaft in Bonn]. Sitzung vom 14. Januar 1888.
18. Pohlig, H., Dentition und Kranologie des Elephas antiguus Fale. mit Beiträgen über Elephas meridionalis Nest. und Elephas primigenius Blum. Buch I, 1, Dentition. [Ver- handl. der Kaiserlich - Leopoldinisch - Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher, Bd. 53, Halle 1889.]
19. Pohlig, H., vgl. das Referat von Branco in |Neues Jahrbuch für Mineralogie ete. Bd.1I, 1890, S. 462—466].
20. Pohlig, H., Kranologie und Nachtrag zur Dentition des Elephas antigquus Fale. Buch I, 2, Dentition, Buch II, Kranologie. Ibd. Bd. 57, Halle a. S. 1892.
5*
68 | . Hugo MÖLLER, 128]
21. Pohlig, H., Die grossen Säugetiere der Diluvialzeit. (Heft 5 von Zoologische Vorträge, herausgegeben von William Marshall.) Leipzig 1890, Verlag von Richard Freese (jetzt Dresden).
22. Pohlig, H., Vgl. Referat von Branco [in N. Jahrbuch für Mineral., Jahrg. 1891, S. 339.
23. Pohlig, H., Ueber neue Ausgrabungen in Taubach bei Weimar [Sitzungsbericht der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn, S. 38—39]. Sitzung vom 16. Febr. 1891.
24. Pohlig, H., Die Cerviden der thüringischen diluvial- Travertine mit Beiträgen über andere diluviale und über rezente Hirschformen, [Paläontographica Bd. 39. 1892 p. 215—262].
25. Pohlig, H., Vgl. Referat von Schlosser [im Archiv für Anthropol. Bd. 23, 1895 8. 122—123.
26. Förtsch, O., Die Entstehung der ältesten Werkzeuge und Geräte, Inaugural-Dissertation Halle a. S. 1892.
27. Götze, A., Die paläolithische Fundstelle in Taubach bei Weimar |Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropol. ete. Jahrgang 1892 8. 366—377].
28. Götze, A., Menschliche Spuren in den Travertinlagern bei Weimar (Hirsch’scher Steinbruch in der Belvedere- Allee). [Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropologie 1893, 8. 327—329].
29. Götze, A., Vgl. auch Regel, Thüringen (Bd. II, 2, 1895 Sb 387).
30. Götze, A., Die Urzeit des Menschen, Bilder aus den frühesten Tagen unserer Heimat, Szenischer Vortrag, Berlin 1898, Verlag der Gesellschaft „Urania“ Taubenstr. 48/49. 8. 6—9.
öl. Regel, Fr., Thüringen, Ein geographisches Handbuch. Jena, 1892—96.
a) Bd, I, 1892, S. 167, Fossilreste S. 168—169. Lagerungs-
verhältnisse (Grube Hänschen) S. 168--169, Flora und
Fauna der Kalktuffe, Gleichzeitigkeit des Menschen mit
den diluvialen Säugetieren S. 291, Schilderung nach
A.Porti, 5.400, Bruch bei Hänschen jetzt zugeschüttet.
b) Bd. II, 1. 1895, 8. 330, 333, 337. Conchylien Vor- kommen.
Bd. II, 2. 1895 S. 386, Privatsammlungen (Hänschen) S. 389— 390, Erste Nachrichten Altersbestimmung, S. 391— 392. Uebersicht der Fundstelle nach Götze, Lagerungsverhältnisse a) Grube Weise, b) Grube Ernst, primäre Lagerstätte, S. 393. Feuerstelle in Grube Hänschen, Spuren der Abrollung und Bearbeitung, S. 394 die Ab- lagerungszeit S. 394—397, die Funde (nach Götze)
C
DZ
[29] Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki ete. 69
S. 397 menschliche Spuren in den Travertinlagern der Belvedere-Allee.
d) Bd. III. 1896 S. 126, Kalktuff als Baumaterial 8. 415 fossiler Menschenzahn.
32. Ranke, Joh., 1896 Der Mensch Bd. II. 2. Aufl. 1894 8.417 &.
33. Ranke, Joh., 1896 Diluvium und Urmensch, Meyers Volksbücher Nr. 1101—1103.
34. Ranke, Joh., Vorgeschichte der Menschheit in „Welt- geschichte“ herausgegeben v. H. Helmolt, Bd. I, Teil IV 1. Leipzig und Wien 1899, S. 117—118 u. 121—124.
35. Schötensack, ©. Diluvial-Funde von Taubach in (Verhandl. der Berliner Gesellschaft für Anthropologie ete. 1895 S. 92 — 9.
36—-40. Nehring, A., Ueber die beiden fossilen Menschen- zähne von Taubach, vergl. die Fussnote, diese Zeitschrift, Bd. 73, 1900, 8. 42 [2].
41. Fraas, E., Ueber den Fund eines Menschenzahns im Alt-Diluvium von Taubach bei Weimar, [Zeitsch. der Deutschen geolog. Gesellschaft Bd. XLVII. 1895 S. 616 (v. 14. Aug. 1895)]
42. Fraas, E, Ueber die pleistoeänen Bildungen im schwäbischen Unterlande mit besonderer Berücksichtigung auf Cannstatt (Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XLVIII. 1896, S. 696).
43. Weiss, A., Die Conchylienfauna der 'altpleistocänen Travertine des Weimarisch-Taubacher Kalktuffbeckens und Ver- gleich der Fauna mit aequivalenten Pleistocänablagerungen, in [Nachrichtsblatt der deutschen Malako-zoologischen Gesellschaft, Nr. 9 u. 10, 1894, S. 145—165].
44. Weiss, A., Ueber die Conchylienfauna der inter- glacialen Travertine des Weimar -Taubacher Kalktuffbeckens, eine revidierte Liste der bis jetzt gefundenen Conchylien (13. bis 15. Dezember 1895). [Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XLVIII, 1896, S. 170—182.]
45. Weiss, A., Ueber die Conchylienfauna der inter- glacialen Travertine (Kalktuffe) von Burgtonna und Gräfentonna in Thüringen, eine revidierte Liste der bis jetzt dort nachge- wiesenen Conchylien (NB. bis 10. September 1897). [Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XLIX, 1897, 8. 685 —686.]
46. Weiss, A., Die Conchylienfauna der Kiese von Süssen- born bei Weimar (10. Januar 1899). [Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. LI, 1899, S. 156—167.]
70 Hugo MÖLLER, Ueber Elephas antiquus Fale. ete. [30]
47. Michael, P., Die Gerölle- und Geschiebevorkommnisse in der Umgegend von Weimar. [XXXIV. Jahresbericht des Real- gymnasiums zu Weimar. Ostern 1896. Programm Nr. 693, 8. 3—21, besonders 8. 16—18.]
48. Zech, Leonhard, Die geologischen Verhältnisse der nördlichen Umgebung von Halberstadt. [Jahresbericht der Ober- realschule zu Halberstadt. Ostern 1894. Programm Nr. 273, S. 3—19, besonders S. 14—15 u. 19 Anm. 8.]
49. Wolterstorff, W., Die Conchylienfauna der Kalk- tuffe der Helix canthensis Beyr. -Stufe des Altplistocän von Schwanebeck bei Halberstadt. [Zeitschrift der deutschen geo- logischen Gesellsch., Bd. XLVIII, 1896 (4. März), S. 192—196.]
50. Wolterstorff, W., Ueber fossile Frösche aus den altpleistocänen Kalktuffen von Weimar und Taubach (3. April 1896). [Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XLVII, 1896, S. 197—198.]
51. Bayberger, A., Der glaciale und der tertiäre Mensch. [Himmel und Erde, Jahrgang VII, S. 105—126.]
52. Buschan, Georg, Das erste Auftreten des Menschen auf der Erde. [Nord und Süd, LXXXIX. Bd., Breslau, April 1899, Heft 265, 8. 108—120.]
53. Beck, G., Der Urmensch. Kritische Studie, Basel, 1899, 62 8.
Tafel II.
Hugo Möller, Ueber Elephas antiquus Fale. und Rhinoceros Merki als Jagdtiere des alt-diluvialen Menschen in Thüringen und über das erste Auftreten des Menschen in Europa.
Fig. 1. Trinkschale vom alt-diluvialen Urmenschen Tau- bachs künstlich mittelst Feuersteinmesser bezw. Schaber aus einer Femurkugel von Rhinoceros Merki löftelartig ausgehöhlt. !/, nat. Grösse.
(NB. das älteste bisher mit Sicherheit nachweisbare Gefäss.)
Fig.2u.3. Knochendolch von Taubach, hergestellt aus der rechten inneren und proximalen Ulnahälfte eines Ursus arctos(?). Ansicht von zwei Seiten. 1!/, nat.
Grösse. (NB. die älteste bis jetzt nachweisbare Stichwafte.) Fig. 4. Schenkelknochen eines jungen Urele-
phanten, zum Zwecke der Markgewinnung vom alt-diluvialen Urmenschen Taubachs durch Auf- schlagen mit einem spitzen Stein durchlöchert und geborsten. 1/, nat. Grösse.
(NB. zeigt deutliche Hieb- bezw. Schlagmarken sowie zahlreiche Kritze.)
G
Die Tierwelt Chinas
Prof. Dr. W. Marshall - Leipzig.
Von der Ausdehnung Chinas kann man sich nur schwer eine richtige Vorstellung machen. Wenn man liest, es um- fasse 11115650 qkm, so liest man eben eine achtstellige Zahl. Etwas verständlicher wird nun die Sache, wenn man sich überlegt, dass die Insel Hainan, der südlichste Teil des Riesenreiches, der auf der Karte im Vergleich zu seinem festländischen sich nur sehr winzig ausnimmt, fast so gross ist wie die Königreiche Sachsen und Württemberg zu- sammen.
Das ganze Gebiet umfasst das eigentliche China im Süden, im Osten und im Zentrum, die Mandscehurei im Nordosten, die Mongolei im Norden, Tibet, die Dsungarei und ÖOstturkestan im Westen. Seine äussersten Grenzen liegen zwischen dem 18. und 53.° n. Br. und den 74. und 135. östl. L., sodass zwar der weitaus grössere Teil Chinas der subtropischen und gemässigten Zone angehört, aber im Süden doch ein ansehnliches Stück von ihm in die Tropen- natur hineinfällt. Etwa fünf Sechstel des ganzen Reiches sind gebirgig, erheben sich stellenweise bis in die Regionen des ewigen Schnees, oder sind wüste Hochplateaus von un- geheurem Umfang und schauerlicher Oede. Zwei grosse Ströme durchfliessen das Land wesentlich in der Richtung von Westen nach Osten, der eine, der Yang-tse-kiang im subtropischen, der andere, der Hwang-ho im Süden des ge- mässigten Gebiets. Ein System grösserer Süsswasserseen
72 Prof. Dr. W. MARSHALL, [2]
begleitet den untersten Lauf des Yang-tse-kiang und zahl- reiche Gebirgsseen zeichnen Tibet aus; der grösste von ihnen, der Kuku-nor liegt bei einer Höhe von 3070 m im Nord- osten. In der Mongolei zieht sich im Norden eine Reihe zum grösseren Teil salziger Seen nahe der russischen Grenze dahin.
In keinem politischen, in sich abgeschlossenen zusammen- hängenden Reiche der Erde sind die Bedingungen, die sich der Tierwelt bieten, so vielseitig wie in China, und kein Reich der Erde hat eine gleich mannigfaltige Fauna. Wir wissen zwar von der Tierwelt des grössten Teils des Riesen- landes sehr wenig, eigentlich so gut wie gar nichts, aber wir haben alle Ursache anzunehmen, dass dem so ist.
Wir brauchen bloss eine grosse, weit verbreitete Gattung von Käfern in dem Käferkatalog von Harold & Gemminger aufzuschlagen und den Bestand ihrer Arten zu prüfen, so werden wir bald gewahr werden, wie wenig bekannt die chinesische Fauna im Grunde genommen ist. Die Pracht- käfer-Gattung Acmaeodera umfasst 152 Arten, davon sind 26 nordamerikanisch, von den 126 verbleibenden finden sich 30 in Südeuropa und Nordafrika, der Rest verteilt sich auf Westasien, das kontinentale tropische und südliche Afrika und das tropische Amerika. Aus China ist keine einzige bekannt! Die Akmaeoderen sind aber keineswegs kleine und unscheinbare Käfer, sie haben eine Durchschnittslänge von 15 bis 20 mm, eine dunkelmetallische Körperfärbung und auf den Flügeldecken häufig sehr auffallende gelbe Flecken und Querbinden. Wenn aber um das adriatische und mittelländische Meer herum 30 und in Nordamerika 26 Arten der Gattung vorkommen, so ist es höchst wahr- scheinlich, dass China mindestens ein Dutzend Arten be- herberst.
Tiergeographisch können wir China in fünf Provinzen zerlegen: in die Nord-, Ost-, Süd-, Westprovinz und in die zentrale Provinz. Die Nordprovinz, die grösste von allen, erstreckt sich von der russischen Grenze an südwärts, im Osten bis zum 40.° n. Br., im Westen bis an das Küen-lüen- Gebirge und in ihren mittleren Teilen bis zum Bayan-Kara- Gebirge. Sie umfasst Ost-Turkestan, die Mongolei und die
[3] Die Tierwelt Chinas. 73
grössere, nördliche Hälfte der Mandschurei. Die Ostprovinz reicht vom 40.° bis zum 25.° n. B. und vom 117. östl. Länge bis an die Küste. Südlich schiebt sich zwischen sie und die Südküste die Südprovinz ein. Die Westprovinz dehnt sich westlich vom 100.0 östl. Länge bis an die Grenze und vom Küen-lüen-Gebirge im Norden bis in den Himalaya im Süden aus und umfasst die Dsungarei und Tibet. Der übrigbleibende Teil bildet die zentrale Provinz. —
Wir beginnen unsere eingehenderen Betrachtungen mit den Wirbeltieren und zwar mit den Säugetieren, die ver- hältnismässig noch am Besten gekannt sind und ja auch im Vordergrunde des allgemeineren Interesses stehen.
China ist sehr reich an originellen Säugetierformen, was sich besonders seit den Forschungen, die der Jesuiten- pater Armanp Davıp in Tibet Ende der sechziger Jahre vornahm, herausgestellt hat. Durch die nicht hoch genug zu würdigende Thätigkeit dieses Mannes lernte die Wissen- schaft nicht nur eine ganze Reihe höchst interessanter neuer Gattungen und Arten kennen, sondern auch eine grosse Zahl der überraschendsten tiergeographischen Thatsachen. Auch die Reisen, die der russische Oberst PRSCHEWALSKIJ von 1370 an nach den noch so gut wie ganz unbekannten Gegenden des nordwestlichen und nördlichen Chinas unter- nahm, haben unter anderen auch unsere Kenntnis der Säuge- tierfauna jener Länder sehr wesentlich bereichert. Die Wirbeltiere des Südens waren schon früher und zwar haupt- sächlich durch den Engländer ROBERT SwINHoR untersucht worden.
Der Süden und namentlich der Südwesten hat eine durch- aus indische Säugetierwelt. Hier findet sich ein sog. menschen- ähnlicher Affe, eine Gibbonart (Hylobates lar), ein paar Arten von Makaken, ein kleiner schwanzloser, wie fast alle An- gehörigen seiner Sippe nächtlieher Lemur (Nyeticebus tardi- gradus), der indische Tapir, das einhörnige Nashorn ete. Hier ist wohl auch die Gegend, wo der indische, jetzt fast in ganz China als Haustier verbreitete Büffel (Dos bubalus), noch in ursprünglicher Wildheit vorkommt.
Der tropische Süden Chinas ist aber merkwürdigerweise nicht das einzige Gebiet, in dem innerhalb seiner Grenzen
74 Prof. Dr. W. MARSHALL, [4]
Affen gefunden werden. Der erwähnte Pater Davıp war nicht wenig überrascht, als er 1869 in den Gebirgen von Nupin und des Koko-noor unter dem 32.° n. Br., in denen die Winter so streng sind, wie bei uns in den Alpen, in den Zweigen der schneebedeekten Bäume Affen herumklettern sah. Es waren dieht behaarte Makaken (Macacus tebetanus und icheliensis) und ein sehr grosser Nasenaffe (Rhinopithecus Rozxellana), dessen nächster Verwandter, der Kahau (Rhino- pithecus nasicus), eines der charakteristischsten Tropenländer, die Insel Borneo unmittelbar unter dem Aequator bewohnt. Jene nördliche Gebirgsform unterscheidet sich vom Kahau durch ihre beträchtlichere Grösse und ganz besonders durch die Bildung ihrer Nase. Der erwachsene Kahau hat be- kanntlich und namentlich im männlichen Geschlecht eine höchst wunderliche, grosse, herabhängende Nase, die beim Jungen noch als Wippnäschen auftritt. Eine, freilich an- sehnlichere Wippnase hat auch der tibetanische Nasenaffe.
Fledermäuse sind in China gut vertreten. Pater DAvıp fand in Tibet Arten aus 5 Gattungen der insektenfressenden Fledermäuse und im Süden ist diese Tierordnung noch besser entwickelt. Eine Art der fruchtfressenden Fledermäuse oder fliegenden Hunde (Pieropus) findet sich entlang der Süd- und Südostküste bis Amoy und wahrscheinlich noch weiter nördlich, da sie auch im südlichen Japan angetroffen wird.
Kein Land der Erde ist so reich an Insektenfressern, wie das Reich der Mitte. Abgesehen davon, dass sich Igel in den nördlichen Gegenden südlich bis Amoy herab und umgekehrt indisch-tropische Formen (Spitzhörnehen oder Tupajiden, kletternde, baumbewohnende Insektenfresser vom äusseren Vorkommen der Eiehhörnehen) im Süden etwa bis Amoy nördlich finden, ist Tibet und das nordwestliche China die Wiege der Desmane, der Spitzmäuse und der Maulwürfe. Hier existieren vom Pater Davıp entdeckte, höchst merk- würdige Formen, die — Eigenschaften dieser drei Gruppen in sich vereinigend — gewissermassen das sind, was die Palä- ontologen als Sammeltypen bezeichnen. Die von DAvıp entdeekten Gattungen sind: Nectogale, eine an das Wasser angepasste Form der Spitzmäuse mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen, Anurosorex, eine ungeschwänzte
[5] Die Tierwelt Chinas. 15
Spitzmaus, Scaptochirus, eine Maulwurfsform, Uropsilus, eine ‘ Gattung, die die japanische und nordamerikanische Gattung Urotrichus mit den Spitzmäusen und Scaptonyx, die sie mit den Maulwürfen verbindet.
Sehr artenreich sind die Raubtiere aller Familien in China vertreten. Im Norden werden sich so ziemlich alle europäisch-sibirischen Formen finden und im Süden Arten der meisten indischen Sippen. Hierzu kommen noch ver- schiedene, ursprünglich tibetanisch - chinesische, teilweise höchst originelle Gestalten.
Beginnen wir mit den Bären. Da wäre zunächst der gemeine, braune Bär (Ursus arctos),.der in einer sehr statt- lichen, grossen Form die Mandschurei bewohnt. Eine zweite kleinere Art von schwarzer Grundfarbe mit einer weissen, halbmondförmigen Binde über der Oberbrust (Ursus tibet- anus) haust im ganzen mittleren Asien querdurch, von Nepal und Silhat über China, die Amurländer bis Japan. Eine merkwürdige Bärenform, die am nächsten mit den amerikanischen Waschbären verwandt zu sein scheint, be- wohnt den Himalaya auch in seinen chinesischen Ausläufern. Das ist der Panda oder Katzenbär (Adlurus fulgens), ein Tier ungefähr von der Grösse einer mässigen Hauskatze mit einem langen, buschigen Schwanze. Seine Farbe ist oben schön glänzend rostrot, unten und an den Füssen glänzend schwarz. Die bei weitem merkwürdigste Bärenform, eine der interessantesten neueren Entdeckungen auf dem Gebiete der Säugetierkunde überhaupt, wurde von Pater DaAvıD in Tibet aufgefunden. Es ist das der Aeluropus melanoleucus, ein echter Bär fast von der Grösse eines grossen braunen Bären, ohne Schwanz, von weisser und schwarzer Farbe. Die Ohren, ein Kreis um jedes Auge, die Beine und ein von den Vorderbeinen zu den Schultern heraufziehendes Band sind schwarz, alles andere ist weiss. Ich kenne nur Abbildungen von diesem Tier, aber es muss, natürlich nach der Anschauungsweise eines Naturforschers beurteilt, ein wundervolles Geschöpf sein.
Unser gemeiner Dachs ist an für seine Existenz ge- eigneten Stellen durch das ganze nördliche und mittlere China verbreitet und findet sich auch in Japan. Eine andere
76 Prof. Dr. W. MARsHALL, [6]
Dachsform mit langem, busehigem Schwanze, die schon aus- gesprochene Beziehungen zu den Mardern zeigt, ein sog. Spitzfrett (Halictis moschata) ist indischen Ursprungs, kommt aber bis Shang-hai vor. Ebensoweit und bis auf die, politisch freilich nicht mehr, aber tiergeographisch trotzdem zu China gehörige Insel Formosa findet sich eine indische Art der Rollmarder, der Larvenroller (Paradozurus larvatus).
Unsere Fischotter und unsere Marder-, Iltis- und Wiesel- arten, oder doch zu ihnen gehörige Rassen leben auch im . nördlichen China. Indische Formen kleiner Raubtiere, Viverren (wie z.B. die Rasse — Viverra indica), Mangusten (wie z.B. der Mungos — Herpestes griseus) dıingen in die tropischen Gegenden des Südens vor.
Von Hunden ist der gemeine Fuchs so ziemlich durch das ganze chinesische Reich verbreitet und ebenso der Korsak. Der Wolf findet sich im Nordosten, eine sehr interessante, auch in Japan vorkommende Form, der Marderhund (Nyc- tereutes procyonoides) im Osten vom Amur südlich bis Kanton. Dieses Tier ist breit, dachsartig, klein, kurzbeinig und kurz- ohrig, mit gestrecktem Rumpfe, buschigen, bis zu den Fersen reichendem Schwanze. Es hat nächtliche Gewohnheiten und lebt hauptsächlich von Mäusen und Fischen.
Bei Betrachten des Vorkommens der Katzenformen in China begegnen wir einigen überraschenden Thatsaehen. Es war zu erwarten, dass indische Arten im Süden so wenig fehlen würden, wie sibirische im Norden. Hier mag der Silberluchs (Lynx cervaria) vorkommen, dort ist die Tüpfel- katze (Felis viverrina), die fishing-cat der englischen Inder keine Seltenheit, wohl aber ist das Vorkommen des Tigers neben dem Panther und dem Irbis durch einen grossen Teil Chinas, bis über seine Nordgrenze hinaus überraschend.
Der Verbreitungsbezirk des Tigers erstreckt sich von der Südküste Javas über Sumatra, Malakka durch ganz Hinter- und Vorderindien. In Ceylon ist er im 18. Jahr- hundert ausgerottet. Westlich wird er in ganz Persien und selbst in Kurdistan angetroffen, früher wurde er bei Tiflis und selbst bis Darbent gefunden und vor etwa 30—40 Jahren wurden an der Westseite des Kaspischen Meeres im Lenko- waner Kreise jährlich durchsehnittlich noch 15 geschossen.
[71 Die Tierwelt Chinas. 27
Am südlichen Ufer des Aralsees ist er nicht selten. Von hier aus erweitert sich die Grenze seines Vorkommens nord- wärts über das Altaigebirge hinaus bis Barnaul am Ob unter dem 53.° n. Br., in das Gebiet von Irkutsk, um den Baikalsee und durch das ganze Amurland bis zu den südlichen Ab- hängen des westlichen Teiles des Stanowoigebirges, wo er bei 55.° n. Br., also unter der Breite von Tilsit und Appen- rade seine Nordgrenze erreicht. In den Gebirgen geht der Tiger in bedeutende Höhen, im Himalaya bis zur Schnee- grenze. In der Mandschurei ist er besonders häufig, auch in Korea, der Mongolei und vielen Gegenden des eigentlichen Chinas.
Der sibirisch-mandschurische Tiger unterscheidet sich bedeutend von seinen südlichen Vettern, dem von Festlande von Indien nördlich bis Peking vorkommenden bengalischen und den sundanischen von Java und Sumatra. Die nörd- liehste Rasse soll konstant etwas kleiner sein als der süd- ehinesisch-indische, doch mass SwINnHoE ein Exemplar, das von der Sehnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel die respek- table Länge von 7 Fuss 8 Zoll englisch hatte. Sein Pelz hat immer, auch im Sommer, längeres Haar als der der südlichen Rassen, im Winter wird er aber noch weit länger und dichter, entwickelt um den Hals eine Art Mähne und wird sehr hellfarbig, gelblich weiss. Der nordehinesische muss durehschnittlich 3 Monate lang eine Kälte von — 20 bis 25% C. ertragen.
Der Panther (Felis pardus) hat eine ungeheuer weite Verbreitung, fast über das ganze kontinentale Afrika und in Asien von den Sundainseln nördlich bis zum Kaukasus, dem Aralsee bis Mittelehina und Japan. Hier wird seine Behaarung länger und ihre Farbe fällt mehr ins Graue als ins Gelbe.
An die nördliche Grenze seiner Verbreitung schliesst die südliche die des Irbis (Felis uncia), auch Unze oder Schneepanther, an. Die südlichen Exemplare dieser, dem Panther an Grösse wenig nachstehenden Katzenart werden, was die Färbung angeht, den nördlichen des Panthers äusserst ähnlieh, und vielleicht ist der Irbis bloss eine Rasse von diesem.
Nagetiere finden sich selbstverständlich in einem so
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ungeheuer grossen, dem Einflusse so verschiedener Klimate ausgesetzten Lande in zahlreichen Arten und Individuen. Auf den Hochplateauen Zentralasiens stand die Wiege der Hamsterformen, der echten Mäuse, der Feld- oder Wühl- mäuse, der Springmäuse, der Murmeltiere etee Wahr- scheinlich ist auch die in China vielfach gern gegessene Wanderratte, diese greuliche Bestie, eine Gabe des himmli- schen Reiches. Eine, bloss eine Art umfassende Hamster- gattung (Oricetulus) findet sich nur in der Gegend von Peking, wo auch ein Stachelschwein (Hystrix suberistatus) ange- troffen wird. Auch die beiden Arten der wie Maulwürfe unter der Erde lebenden Gattung Myospalax sind auf Nord- china und das benachbarte Sibirien besehränkt. Gleichfalls dem nördliehen China gehören fliegende Eichhörnchen an, die die Westgrenze ihrer Verbreitung in Lappland finden, von hier aus aber durch das ganze nördliche Asien und Amerika verbreitet sind. Im Süden Asiens, in Indien, auf Ceylon, auf Java, in Malakka und von hier bis Formosa treten wieder Arten derselben Gattung auf, während sie zwischen diesen Gebieten und Nordehina fehlen. Von den 5 Arten der Gattung der Backenhörnehen (Tamias), Eich- hörnchen, die sich an ein Leben auf und z. T. unter dem Boden angepasst haben. bewohnen vier Nordamerika und eine (Tamias striatus) lebt vom Ural an ostwärts durch das ganz nördliche Asien soweit es bewaldet ist. Hasen finden sich wohl in dem grössten Teil Chinas, eine Art (Lepus tolai) bevölkert die Wüsten der Mongolei und eine andere wird nur auf der Insel Hainan gefunden.
In den Wüsten und Steppen der Mongolei und Mand- schurei und südlich bis Tibet und Zentralehina lebt auch eine Art der Wildesel, der Dsehiggetai (Equus hemionus), eine andere (Eguus kiang) in Tibet selbst und eine dritte, in der man die wilde Stammform des gewöhnlichen Pferdes hat sehen wollen (Eguus Prschewalskii) in den Einöden der Dsungarei. Verwilderte Hauspferde, Tarpans, die man früher auch als die wilden Vorfahren derselben angesehen hat, durehsehwärmen oft in grossen Herden die Hochplateaus Tur- kestans und der Mongolei, die Wüste Gobi und dringen bis in die Hochgebirge Tibets vor.
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Die hirsehartigen Wiederkäuer sind im nördlichen und westlichen China durch sehr bemerkenswerte Formen ver- treten. Pater Davıp sah im kaiserlichen Park zu Peking eine eigentümliche, nach ihm benannte Hirschart, Cervus oder Hlaphus davidianus, den Widu, ein ziemlich helles Tier von der Grösse des Damhirsches, aber mit runden Geweihenden. Ferner finden sich noch kleine Vertreter ver- schiedener anderer abweichender Gattungen, so Elaphodus michianus mit ganz kleinen, nur ein Zoll langen, einfachen Geweihen, aber mit ziemlich langem Rosenstoeck und von Lophotragus, einer ganz geweihlosen Form. Der indische Muntjack (Cervulus muntjak) findet sich im Süden bis auf die Insel Hainan.
Eine Art von hirschähnlichen Tieren Chinas (oder besser ein Produkt von ihm) ist schon seit den Mittelalter im Abend- lande berühmt, das ist das ächte Moschustier (Moschus moschi- ferus), das Nordehina vom Amurfluss und Peking an süd- wärts bis in den Himalaya hinein und hier bis zu einer Höhe von- 2500 m hinauf bewohnt. Ein seltsames reh- artiges Tier, das geweihlose Wasserreh (Hydropotes inermis) das sich vor allen Wiederkäuern dadurch auszeichnet, dass es eine grössere Anzahl von Jungen (5 bis 6) zugleich wirft, lebt in den Ländern nördlich vom Yang-tse-kiang.
An hohlhörnigen Wiederkäuern, an Antilopen, Ziegen und Schafen ist in China kein Mangel. Herden von Dam- hirsch-grossen Kropfgazellen (Procapra gutterosa und pich- caudata) durehstreifen die Wüsten der Mongolei und Tibets. Durch einen Kollegen Davıp’s, den französischen Jesuiten- pater HAUDE, wissen wir, dass im Innern Chinas in den Gebirgen mehrere Arten von Ziegenantilopen (Nemorhoedus) vorkommen von Schaf- bis Kuhgrösse Die näher noch nieht gekannten Tiere leben ähnlich wie die Gemsen und haben kurze, nur sehr schwach nach hinten gebogene Hörner. Eine gleichfalls noch sehr wenig gekannte ansehnliche Antilope Osttibets ist der Takin (Budorcas taxicolor) mit schweren Kopf und runden, dicht beieinander stehenden Hörnern, die wie bei einem Gnu im untern Teile nach unten und aussen, im obern aber wieder nach oben und innen ge- bogen sind.
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Die hohen Gebirge Chinas werden von verschiedenen, grossen, teils auch fast unbekannten Formen und Lokal- rassen von wilden Ziegen und Schafen oder Steinböcken und Argalis bewohnt, ja, sie scheinen recht eigentlich der Herd zu sein, von den aus sich diese Tiere über die nördliche Erdhälfte, westlich bis Spanien und den Atlas, östlich bis Nordamerika, nördlich bis Kamtschatka und südlich bis zu den Nilgherribergen in Vorderindien verbreitet haben.
Ausser dem Büffel, der, wie erwähnt, wild im tropischen Südwesten Chinas vorkommen mag, umschliesst die Fauna des Reiches der Mitte noch eine andere Rinderart, den prächtigen Yak oder Grunzochsen (Poöphagus grunniens). Wild findet er sich nur in den Hochgebirgen des nördlichen Tibet, aber als Haustier ist er im innern Asien weit ver- breitet. Von den sog. zahnarmen Säugetieren oder Edentaten, deren Entwicklungs-Schwerpunkt in Südamerika liegt, ist ein Sehuppentier (Manis brachyurus) nordostwärts bis Hainan, Amoy, und den Tschusan-Archipel vorgedrungen.
Die Vogelwelt Chinas ist zu reich, als dass wir ihrer anders als nur andeutungsweise gedenken könnten. Was für die Verbreitung der meisten Angehörigen der ver- schiedenen Tierklassen in dem Riesenreiche gilt, gilt auch für die der Vögel: im Süden und Osten zahlreiche indische, im Westen mediterrane, und im Norden sibirische, daneben aber auch ein bedeutender Bestand eigentümlieher Formen. So kommt es stellenweise zu höchst eigentümlichen Misch- ungen: auf den Tschusan-Inseln leben unsere Elstern, Bastardnachtigallen, Feldsperlinge und Amseln neben echt ostindischen Vögeln wie dem bengalischen Eisvogel (Alcedo bengalensis) und dem indischen Pirol (Orxolus indieus). Manche indische Formen gehen entlang der Ostküste weit nach Norden, so finden sich bei Peking, also unter demselben Breitgrad (40. n. Br.) wie die Insel Sardinien: Drongowürger (Dieruridae), Brillenvögel (Zosteropidae), Pittas ete. Im Ganzen umfasst die Vogelwelt der mandschurischen Unter- region, d. h. Nordehinas, Koreas, Japans, die sich tier- geographisch nieht wohl trennen lassen, Vertreter von 105 Vogelgattungen, von denen 49 typisch nördlich-altweltliche, 56 aber orientalisch-indische sind.
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- Früher nannten die Tiergeographen diese Unterregion das „Reich der Fasanen“, und das war vollkommen be- rechtigt, denn in ihr sind 11 Gattungen von Fasanen durch mehr als 50 Arten vertreten, und es ist sehr wahrscheinlich, dass uns nieht wenige chinesische Fasanenformen noch völlig unbekannt sind. Der Gold- und Silberfasan stammen gleich- falls aus dieser Unterregion, und man kann sagen, dass sie so recht eigentlich der Entstehungsherd der fasanenartigen Vögel ist, über den hinaus sich nur wenig Arten südwärts bis Borneo, westwärts bis Afrika und in das südliche Europa verbreitet haben. Unser gemeiner Fasan ist nur ein ver- wilderter Südost-Europäer. Ob die nordamerikanischen Truthähne wirklich zu der Familie der Fasanen gehören, will ich hier unentschieden lassen; wäre es der Fall, dann würde sich die Verbreitung dieser schönen Familie ähnlich gestalten wie die der wilden Schafe und Ziegen.
Es dürften aber gewisse Teile Chinas, namentlich die Hochplateaus der Mongolei u.s.w.auch noch das Entstehungs- zentrum anderer Hühnerformen, kurzbeiniger langschwänziger, mit einem wunderbaren Flugvermögen begabter echter Wüstenvögel, der Sandflughühner (Pterocles) und der Faust- hühner (Syrrhaptes) sein. Eine der beiden Arten der Faust- hühner (Syrrhaptes paradoxus) ist es bekanntlich gewesen, über die zweimal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 1863 und 1888 jener wundersame Wandertrieb kam, der Hunderttausende von ihnen westwärts, vom Fusse der chinesischen Mauer bis an die Küsten des Atlantischen Ozeans und bis nach Grossbrittanien hinüberführte.
Jene Wüsten sind wahrscheinlich auch das Ursprungs- gebiet der Lerehen, die hier durch sechs bis acht Gattungen und zahlreiche Arten, namentlich von Haubenlerchen, ver- treten sind. Dass sie auch in Afrika zahlreich sind, beruht darauf, dass ihre Familie hier sehr günstige Lebens- bedingungen vorfand.. Die Tierwelt Afrikas ist seltsam gemischt: neben einer uralten Fauna, der die Halbaffen, Sehuppentiere, Erdferkel u. s. w. angehören, findet sich eine später eingewanderte, die die Affen, Katzen, Hyänen, Pferde, Wiederkäuer und viele andere Familien von Säugetieren und Vögeln mehr, unter diesen auch die Lerehen umfasst. Die
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 6
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Gattung der Rotschwänzchen (Ruticilla) dürfte in den Ge- birgen des Himalayasystems entstanden sein, denn hier finden sich ihrer 15—17 Arten, während in Europa bloss zwei und in den Gebirgen Abessiniens drei vorkommen.
Einer interessanten Thatsache sei noch gedacht. Ausser einigen kleineren Papageien aus den Gattungen Loriculus und Palaeornis findet sich ein ansehnlicher, auch von Pater Davın entdeckter (Palaeornis derbyana) im Tibet unter dem 32.'n. Br. Keine Papageienart geht in der Alten Welt gleich weit nach Norden.
Die Kriechtiere und Lurche des himmlischen Reiches sollen uns noch weniger eingehend beschäftigen als seine Vögel.
Auch in ihrer Verbreitung wiederholt sich die schon öfter hervorgehobene Thatsache, dass entlang der Süd- und Ostküste zahlreiche indische Formen vorgedrungen sind; so blinde Minirschlangen (Typhlyna), giftige grüne Baumottern (Trimesurus), Angehörige einer Familie harmloser aber bissiger Nattern, den Fangzähner (Lycodontidae) u. 8. w.
Ebenda findet sich die Pama (Bungarus fasciatus), eine fürchterliche Giftschlange, die bis 1,75 m lang wird. Die ebenso giftige Brillenschlange und eine Riesenschlangenart (Python Schneideri) werden noch auf den Tschusan-Inseln angetroffen, und eine auch auf Celebes und bei Cambodja lebende Natterart (Xenopeltis unicolor) selbst noch bei Peking. Im Norden, in Tibet, der Tatarei, Mongolei und Mandsehurei ist die giftige Halysschlange (Ancistrodon halys) keine Seltenheit und ebenso wenig unsere Kreuzotter, um so seltener aber eine sehr giftige Baumotter.
Die Eidechsen Chinas sind wenig charakteristisch. Im Süden finden sieh auch von ihnen indische Formen, farben- prächtige, schmetterlingsähnliche Flugechsen oder Drachen, Sehönechsen (Calotes) u.s. w. Auch das so ungemein weit, von Beludschistan und Ceylon bis zu den Fidschi- und Salomoninseln verbreitete Leistenkrokodil (Orocodilus bipor- catus) wird in den südlichen Strömen angetroffen. Weit interessanter aber ist die Thatsache, dass im unteren Lauf des Yang-tse-kiang eine bis 2m lang werdende Alligator- art (Alligator sinensis) lebt, also eine Vertreterin einer
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Gattung, deren übrige acht bis zehn Arten ausschliesslich amerikanisch sind.
Die seltsame, ganz flache Grosskopfschildkröte (Platy- sternum megacephalum) ist eine sehr charakteristische Be- wohnerin der westlichen Teile der südchinesischen Provinzen Kuang-tung und Kuang-si. Auch sonst finden sich im Süden, wie zu erwarten, die zahlreichsten Schildkrötenarten, doch fehlen sie auch im Norden nieht. So leben in den wenigen Bächen der Mongolei Weichschildkröten (Trionyx), die fast 1 m lang werden, sehr wild und bissig und den Mongolen ein Gegenstand des Aberglaubens und der Scheu sind.
Von niederen Wirbeltieren sind Lurche in den feuch- teren Teilen des ungeheueren Reiches, wie überall, vor- handen, dürften aber auf den gewaltigen Hochplateaus des Innern fehlen. Im Tschusan-Archipel begegnen sieh unsere Arten von Laub-, Gras- und Wasserfröschen neben indisch- tropischen Formen (Polypedates u. a.).
Weit interessanter sind die, nur in Amerika den Wende- kreis des -Krebses südwärts überschreitenden, geschwänzten Lurche, die in den nördlichen Gegenden Chinas sehr gut entwickelt sind. Neben den allgemein in der nördlichen Alten Welt, auch in Deutschland vorkommenden Arten ge- wöhnlicher Wassersalamander (Triton) finden sich auch eigene, sehr charakteristische Formen (Ranodon und Tylo- iriton). Wohl ins Auge zu fassen ist die Thatsache, dass von den drei Arten der Salamandergattung Dermodactylus (oder Hemidactylium) eine (Pinchonii) im nördlichen China, die zweite in Südkalifornien und die dritte in den östlichen Vereinigten Staaten von Nordamerika gefunden wird. Aus der Gattung Riesensalamander — sie hat eine ganze Reihe von Namen im Laufe der Zeit erhalten: Andrias, Orypto- branchus, Megalobatrachus, Sieboldia, Tritomegas — war seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine einzige, von VON SIEBOLD auf Nipon entdeckte Art (maximus) be- kannt, es gelang Pater Davıp eine zweite, sehr nahe mit dieser verwandten (davidianus) in den Seen des Koko-nor zu entdecken.
Sowohl die Küstengewässer wie die Flüsse und Seen Chinas werden von zahlreichen Arten und Individuen der
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verschiedensten Fische bewohnt, und Fische bilden ein Hauptnahrungsmittel der bezopften Kinder des Himmels. Unser Raum verbietet es näher auf sie einzugehen, nur Wichtigstes sei hervorgehoben.
Wie in alle mittelbar oder lber in den Atlan- tischen und Stillen Ozean mündenden Ströme und Flüsse der nördlichen Erdhälfte, steigen auch in die Chinas Stör- arten (z. B. .Acipenser sinensis) hinauf um zu laichen, aber wir finden gerade hier, wenigstens im Yang-tse-kiang Formen, die dauernd im süssen Wasser leben und zwar Formen, deren nächste Verwandte nordamerikanisch sind. Die merk- würdige, durch die zu einer langen Schaufel umgestaltete Obersehnauze so überaus charakteristische Familie der Spatelstöre (Spatularüudae) umfasst nur eine Gattung (Spa- tularia oder Polyodon), von dem die eine Art (gladius) den Yang-tse-kiang, die andere (fokum) den Mississippi bewohnt. Eine, auch durch eine, aber viel weniger stark verlängerte Schnauze gekennzeichnete Gattung der Störe (Scaphorhyn- chus) ist im Stromgebiet des Mississippi durch eine Art, in den süssen Gewässern Zentralasiens aber dureh vier Arten vertreten. Es verdient noch Erwähnung, dass der Yang- tse-kiang der südlichste Strom der Erde ist, der Störformen dauernd oder vorübergehend beherbergt.
Sehr charakteristisch für das nördliche und mittlere China sind karpfenartige Fische und zwar echte Karpfen (Cyprininae), Brachsen (Abramitinae) und Steinpeitzger und Sehmerlen (Cobitinae), während Weissfische (Leueiseinae) ebenso charakteristisch für Sibirien und das nördliche Europa sind. Jene Unterfamilien der Karpfenfische sind ohne Zweifel in Zentralasien entstanden und haben sich von hier aus strahlig über die süssen Gewässer der Alten und Neuen Welt und zwar besonders deren nördlicher Hälfte verbreitet. Auch unter den karpfenartigen Fischen stossen wir auf Gattungen, die nur in Nordamerika und China bezw. in Zentralasien Vertreter haben (z. B. die Gattung Catostomus). Sehr zahlreiche (18—20) spezifisch chinesische Karpfengattungen umfassen nur wenige (1—4) Arten. Unser gemeiner Karpfen stammt ursprünglich auch aus dem Innern Chinas, wo er wirklich wild massenhaft
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vorkommt, während die unsere Gewässer bewohnenden bloss verwildert sind. Auch der Goldfisch ist ein Produkt chine- sischer künstlicher Züchtung, das »erst 1691 nach England kam. Die wilde Stammform ist grausilberig wie unsere Karausche, der sie überhaupt sehr nahe verwandt ist, daher wäre der Name „Goldfisch“ und der lateinische Carassius auratus eigentlich zu verwerfen, da er sich auf seine dege- nerierte Kulturrasse bezieht, die freilich die abendländischen Naturforscher zuerst kennen lernten. —
Hiermit wollen wir Abschied von den chinesischen Wirbeltieren nehmen und uns der Fauna der Wirbellosen des Reiches der Mitte zuwenden, auf die wir selbstver- ständlich nur ganz kurze Streifblieke werfen können. Ueber die faunistischen Verhältnisse des Südens und Ostens sind wir in dieser Beziehung, wenn auch lange noch nicht gut, so doch besser als über die des Westens, des Nordens und namentlich des Zentrums unterrichtet. Hier kann von einer auch nur etwas zusammenhängenden Kenntnis nicht die Rede sein, nur fast verschwindend kleine Bruchstücke stehen zu unserer Verfügung.
Zunächst wollen wir uns den Insekten und zwar den Schmetterlingen widmen.
An Schmetterlingen ist China ungemein reich. Praehtvolle Formen von Tagfaltern und Spinnern bewohnen besonders den Süden. Eine Lokalität, an der die herrlichsten „Ausgeburten des Liehts“, um mit Goethe zu reden, fliegen sollen, ist halb sagenhaft. Etwa 14 Meilen von Kanton entfernt liegt der Lofou-Berg, der 4—5000 Fuss hoch ist. Eigentlich ist er ein aus mehreren Berghügeln, Thälern und Schluchten bestehender, von zahlreichen Bächen durchströmter Gebirgs- stoek, der eine Länge von drei und einen Umfang von 24 deutschen Meilen hat. „Die Schmetterlinge,“ schreibt der Missionar Krone im Jahre 1864 in PETERMANNS Mitteilungen, „sollen ausgezeichnet sein. Das Thal, wo sie besonders vor- kommen, nennt man das Schmetterlingsthal. Eine Art soll von sonst nie gesehener Grösse und wunderbarer Farben- pracht sein und die Teisten (wohl eine buddhistische Sekte) behaupten, dass dieselbe nur auf dem Lofou sich fände und
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aus den Kleidern des Kot-sin, eines teistischen Heiligen, entstanden sei.“
Die Schmetterlingsfauna des Südens hat wie seine ganze Insekten-, ja Tierwelt überhaupt, wie wir schon hervor- gehoben, einen wesentlich indischen Charakter, aber echte indische, unserem Schwalbensehwanz verwandte Falterformen finden sich aueh im Osten bei Peking, ja bis in das Thal des Amur, das eine merkwürdig gemischte Schmetterlings- welt beherbergt. Von den 324 bekannten Arten sind 274 über Europa und das mittlere und nördliche Asien weit verbreitet, 33 sind ausschliesslich hier zu Hause, der Rest
„ist tropisch-indisch. Es mag einen befremdenden Eindruck auf einen Deutschen, der in seiner Jugend einmal Schmetter- linge sammelte, machen, wenn er bei Peking 22 Arten ge- meiner deutscher Tagfalter, darunter den Distelfalter, dieses fast über die ganze Erde verbreitete Allerweltskind, den Schwalbenschwanz, den Rübenweissling, den grossen Fuchs herumfliegen sieht und dazwischen herrliche tropische Formen, wie den Paris oder den Bianor, beide wie unser Schwalbensehwanz und Segelfalter Angehörige der Familie der Papilioniden. Abends könnten wohl auch, wenn unser Deutscher im Garten sitzt, Landsleute wie der Weidenbohrer, der mittlere Weinvogel, der Windig oder Bisamschwärmer, der Goldafter und der Weidenspinner nach dem Lichte seiner Lampe fliegen.
In dem nordwestlichen Hochlande Chinas und an den Abhängen des nördlichen Himalayagebirges ist wohl die Wiege zahlreicher Schmetterlingsgattungen, namentlich auch der Apollofalter und der Kleevögelehen oder goldenen Achten (Colias) zu suchen, von dem die ersteren die gemässigten Gegenden, besonders die höheren Gebirge in Nordamerika, Asien und Europa, hier bis zum 60.° n. Br. hinauf bewohnen. Die Kleevögelehen haben sich weiter verbreitet. Das Zentrum ihres Vorkommens liest im sibirischen und mon- golisch-tibetanischen Mittelasien, von hier aus wanderten die Falter nach allen Richtungen der Windrose, südlich bis zu den Nilgerrhis in Vorderindien, durch Afrika bis zum Kap, wo eine Art gefunden wird und westwärts in fünf oder sechs Arten, von denen aber die meisten im östlichen
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Deutschland und in den Alpen ihre Westgrenze erreichen. Früh auch haben sie sich nach dem Norden gewendet und sie liefern den hauptsächlichsten Bestand oder den Stock der hochnordischen Tagschmetterlingsfauna in der Alten und Neuen Welt sowohl wie in Grönland. In Amerika sind sie, den hohen Gebirgen folgend, in einer Art bis Port Famine an der Magelhaös-Strasse vorgedrungen. Eine, wahrscheinlich aus Südamerika rückwärts eingewanderte und aberrant gewordene Form findet sich auf den Sand- wiehinseln.
Bekanntlich ist China auch das Vaterland verschiedener nützlicher Schmetterlinge, nämlich mehrerer Seidenspinner. darunter des nützlichsten von allen, des gewöhnlichen (Bombyz mori), der, in seinem Vaterlande seit Jahrtausenden gezüchtet, so entartet ist, dass seine Stammart mit Sicherheit ‚nieht nachgewiesen werden kann. Aber wahrscheinlich ist es Dombyx Huttoni, eine Form des südwestlichen Teils des himmlischen Reiches.
Drei andere Arten von prächtiger Gestalt und schöner Färbung gehören zur Gattung Saturnia. Es sind: der Ai- lanthusspinner (Saturnia Oynthia), aus Südchina, 1856 vom Pater ANNIBALE SAnTonI von Hang-Tung nach Paris ge- bracht, der sehr nahe verwandte Rieinusspinner (Saturnia Arindia), aus Tsino-kien in Nordehina von BARUFHI und BoRGoNZI zuerst nach Italien eingeführt und der chinesische Eichenspinner (Saturnia Pernyr), den Ende der 50er Jahre der französische Abbe PAuL Perny aus der Provinz Kuy- tschau nach Paris übersiedelte.
Die Käfer Chinas sind im Zusammenhange noch nicht untersucht. Im Süden herrschen indische Formen, besonders. schöne Prachtkäfer oder Buprestiden vor; in dem gebirgigen Tibet sind die Laufkäfer gegenüber ihrer Häufigkeit und Schönheit in Sibirien auffallend zurückgetreten, dagegen sind Mai- und Rosenkäferformen (Rhomborhina, Macronota u.8.w.), die dort nur gering entwickelt sind, auffallend zahlreich. Von Gruppen, die auch in Deutschland in einigen Arten eingewandert, sind Steppenformen des Zentrums her- vorzuheben, bei deren Verbreitung ähnliche Erscheinungen wie bei der der Kleevögelehen sich zeigen, nur sind sie
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noch nicht so weit vorgedrungen wie die leichtbeweglichen Schmetterlinge. Namentlich ist hier wohl der Entstehungs- herd eines eigentümlichen, an das Bodenleben angepassten und demzufolge flugunfähig gewordenen Geschlechts der Boekkäfer oder Cerambyeiden, der Gattung der Widderkäfer (Dorcadion), zu suchen. Die Tiere finden sich innerhalb eines Gürtels ungefähr zwischen dem 35. und 52.° n. Br., mit einer peripheren Art in den Nilgherri-Bergen in Vorder- indien. Nach Deutschland sind nur zwei oder drei Arten vorgedrungen, von der die am weitesten westlich vor- kommende etwa bei einer von Bielefeld nach Blankenburg am Harz gezogenen Linie ihre Grenze erreicht. In Süd- europa jenseits der Alpen, besonders aber auf der Balkan- insel und mehr noch in Spanien sind zahlreiche Arten vor- handen. Auf der iberischen Halbinsel fand diese Gattung Verhältnisse, namentlich in der Entwicklung der Hoch- plateaus, die der der ursprünglichen Heimat höchst ähnlich waren, und daher konnte sie sich besser als sonst wo im Westen entwiekeln und in zahlreiche neue Arten spalten. Was die übrige Insektenordnung angeht, so sei nur er- wähnt, dass auch in China Heuschreeken nicht selten ver- heerend auftreten und bei der stellenweise so bedeutenden Diehtigkeit der Bevölkerung sehr gefährlich werden können. Sehöne Cikaden finden sich im Süden, wo der schon länger als zwei Jahrhunderte in Europa von Sammlern geschätzte chinesische Laternenträger (Fulgora candellaria), eine mit einem langen, schlankkegelförmigen Stirnfortsatz ausge- zeiehnete Cikadenart von mennigeroter Körperfarbe mit srünen, gelbgefleckten Vorder- und orangenen, mit einer ‚schwarzen Spitze versehenen Hinterflügeln sehr gemein ist. So schön und stattlich dieses etwa 4 em lange und gegen 8 em klafternde Insekt auch ist, hat es sonst weiter keinen Wert, wohl aber eine andere chinesische Cikadenart (Flata limbata), die auf ihrer ganzen Körperoberfläche eine schnee- weisse Wachsmasse in Gestalt diehtstehender, nach hinten gerichteter Fäden ausschwitzt. Diese Substanz wird ge- sammelt und bildet als Pa-la-tsehong oder weisses China- wachs einen wertvollen Handelsartike. Als Chinawachs schlechthin kommt ein anderer Stoff in den Handel, den
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die chinesische Esche (Fraxinus chinensis) zufolge der Stiche einer Schildlaus (Ooccus ceriferus) absondert.
Von den sehr wenig gekannten Spinnentieren Chinas sei der Skorpiongattung Centaurus gedacht, weil diese nicht nur in Ostasien, sondern auch im nördlichen Amerika, sonst aber nirgends Vertreter hat.
Von der Naturgeschichte der übrigen Gliederfüsser Chinas wissen wir noch weniger als von der seiner Insekten und Spinnen. Dass die Küste besonders im Süden und Süd- osten zahlreiche Formen langsehwänziger Krebse und kurz- schwänziger Krabben beherbergen wird, ist bei den dortigen klimatischen Verhältnissen wenig befremdlich. Auch Süss- wasserkrabben bewohnen den Yang-tse-kiang und die kleinen Flüsse des Südens. Im Norden, im rechten Teil des Fluss- sebietes des Amurs, finden sich mindestens zwei Arten echter Süsswasserkrebse (Astacus Schranki und dauwricus), die von unseren Flusskrebsen nicht sehr wesentlich unterschieden sind.
Die Weichtierfauna des Innern des Reiches der Mitte ist noch wenig gekannt. Für die der Küsten gilt das eben für die Krebsfauna gesagte gleichfalls. Die des Südens gliedert sich unmittelbar an die indische an und ist reich an grossen und schönen Formen. Dass bei der diehtgedrängten Bevölkerung die Meereskonchylien wichtige Nahrungsmittel abgeben, liest auf der Hand. Auch grosse Seeschnecken, die sonst nicht gerade gern gegessen werden, finden hier ihr Liebhaber; so sah von MARTENS eine riesige Spindel- schnecke (Hemifusus colosseus) auf dem Markte von Hongkong.
In ganz China werden auch ausser Muscheln des Meeres solehe des braekischen und süssen Wassers von der ärmeren Bevölkerung in Mengen gegessen. Im Innern hauptsächlich eine massenhaft vorkommende Schwanenmuschel (Anodonta agricolarum), die Schwanenmuschel der Landleute oder des armen Mannes. In Shang-hai werden hauptsächlich zwei Braekwassermuscheln (Novaculina constriecta und Oyclina sinensis) in Massen auf den Markt gebracht.
Die erstere wird künstlich gezüchtet, indem man ihre, erst ein paar Millimeter grosse Brut in Menge sammelt und an geschützten Stellen, wo die Strömung sie nicht weg- spülen kann, „aussäet“. Hier überlässt man die Muscheln
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3 Jahre lang ruhig sich selber, bis sie 8 em lang und damit marktfähig geworden sind. Die Tiere vergraben sich 30 bis 40 em tief in den Schlamm, und auf den wattenartigen Strandbildungen des z. T. braekischen Nimrodsunds bei Ning-po fahren die Fischer bei der Ebbe, wie auf unseren nordwestlichen Watten die sog. Buttjer, auf Schlitten über den Schlamm um die Muscheln zu stechen, die ihre Gegen- wart dadurch verraten, dass sie ab und zu einen kleinen Wasserstrahl über das Niveau des Schlammes hervorspritzen.
An derselben Lokalität wird auch seit unvordenklichen Zeiten die künstliche Austernzucht getrieben, und die Austern- bänke des Nimrodsundes sind berühmt bei allen Fein- schmeckern des ganzen Reiches. Ein weniger leckeres Gericht mag eine grosse Auster (Ostrea gigas) in Norden abgeben, deren aus der Schale genommenen Weichteile mit einer Salzbrühe zusammengeschüttet in den Küstenstädten allenthalben feil geboten werden. Die Schalen werden eigens gesammelt und zum Kalkbrennen verkauft, denn der sparsame und spekulative Chinese lässt so leicht nicht etwas umkommen.
Die Schalen der Kuchenmuschel (Placuna placenta) werden zur Herstellung von Fensterscheiben benutzt. Sie sind sehr flach, fast kreisrund und durchscheinend. Da sie einen Durchmesser von nur 6 bis 8 cm haben und vor der Fassung viereckig geschnitten werden, so kann man denken, wie viele solcher Schalen nötig sind um auch ein bloss mässig grosses Wohnhaus mit Scheiben zu versehen.
Bekanntlich wissen die Chinesen und Japaner aus Muschelschalen alles mögliche herzustellen und die aus ein- gefassten Seeohren (Haliotis) von ihnen gefertigten Nadel- schälchen sind auch bei uns für ein Weniges zu haben. Den originellsten Gebrauch machen sie aber von den Schalen einer niedliehen Venusmuschel (Oytherea nisoria). Hierüber bemerkt von MARTENS: „Die Innenseiten derselben (der Schalen) wird willkürlich bemalt und zwar die zwei zu- sammengehörigen Schalenhälften desselben Individuums in ähnlicher Weise, dann werden die halben Schalen einer srösseren Anzahl unter einander gemischt, und die Spieler müssen die zusammengehörigen Paare zusammen finden; wer
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zuerst eine vorher bestimmte Anzahl Paare beisammen hat oder wer am Ende die meisten Paare hat, ist Gewinner. Es ist also ein Wettkampf in rascher Uebersicht und Augen- mass.“
In den Flüssen des nördlichen Chinas kommt eine riesen- hafte, bis 27 cm lange und 14 em hohe Schwanenmuschel (Oristaria plicata) vor, die grösste Süsswassermuschel, die es überhaupt giebt. Sie liefert Perlen und etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts werden bei Hutscheu-fu kleine aus Perlmutter geschnitzte Kügelehen und flache Buddhabildchen aus Zinn zwischen die Schale und den Mantel (eine diese und auch die Perlen bildende, das Muscheltier umhüllende Haut) geschoben. Nach 10 Monaten bis 3 Jahren werden die so behandelten Muscheln wieder aufgefischt und die ein- gelegten Fremdkörper sind dann vom Mantel her mit einer festen Perlmutterschicht überzogen und an der Innenseite der Schale angekittet, wobei die Figürchen in allen Teilen noch deutlich erkennbar sind.
Buddhapriester sollen diese Kunst ausüben und die Sehalen mit den Götzenbildehen um schweres Geld an die Gläubigen verkaufen, wahrscheinlich mit den Hinweis:
Ein tiefer Bliek in die Natur! Hier ist ein Wunder, glaubet nur.
Die Molluskenfauna ist in den südlichen Teilen rein indisch, enthält aber im Norden viel Elemente, die für die Länder um das östliche Mittelmeer herum hoch charakteristisch sind, namentlich Schliessmundschnecken oder Clausilien. Doch gehen tropische Formen bis Nordehina hinauf, besonders aus der unseren kleinen Glasschnecken (Vitrina) verwandten, grosse Arten umfassenden Gattung Nanina.
Süsswasserschnecken sind sehr zahlreich an Arten, vor- züglieh aus Gattungen, die in Europa gar nicht, oder nur sehr spärlich im Süden vertreten sind (Ampullaria, Melania). Eine Gattung (Potamidas), die eine Süsswasserform der sonst das Meer bewohnenden Hornsehnecken (Oerithiidae) ent- hält, findet sich zahlreich in den grossen Strömen vertreten,
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Auch in den Reisfeldern, die den grössten Teil des Jahres : etwas unter Wasser stehen, finden sich zahlreiche Süss- wasserschneeken.
Die übrigen wirbellosen Tiere des himmlischen Reiches sind noch weniger erforscht, nur wissen wir, dass die Menschen und Haustiere von äusserlichen und innerlichen Schmarotzern nieht wenig zu leiden haben. Das ist immer so, wo es sich um alte Kulturländer handelt, die meist dicht bevölkert waren, oder es noch sind, wie Aegypten, Indien, Japan. Hier wird Reinlichkeit zum Luxus, den sich nur die besser Situierten- gestatten, und die ärmere Bevölkerung muss hier allerlei in den Mund stecken, was die eines weniger stark bewohnten Landes mit Widerwillen zurück weist.
Zwei Doppellöcher oder Egelwürmer sind als spezifisch ehinesisch und japanisch bekannt. Das eine (Distomum Rathouisi), von 25 mm Länge und 16 mm Breite ging unter - europäischer ärztlicher Behandlung einer Chinesin, die über heftige Leberschmerzen klagte, ab. Eine andere 10 bis 13 mm lange, ziemlich schlanke Art (Distomum spathulatum) fand sich auch bei einem Chinesen in den Lebergängen. In Japan ist der letztere Parasit so häufig, dass in gewissen Distrikten 20 Prozent der Bevölkerung damit behaftet ist. Möglicherweise gelangen die Larven mit roh oder als Salat verzehrten und mit Kanalwasser mangelhaft gereinigten Gemüsen in den Menschen, indem sie entweder unmittelbar oder mit einem Zwischenwirte, einer kleinen Schneckenart etwa, mittelbar verzehrt werden.
Es ist nicht unmöglich, dass wir, wenn erst einmal die unsichtbare Mauer, mit der ganz China und ein jeder einzelne Chinese, sehr zum Unterschiede von den Japanern, sich um- giebt, gefallen ist, noch verschiedene neue Parasiten des Menschen und, wie wir hoffen wollen, auch sonst noch zahl- reiche und merkwürdige, höhere und niedere Wesen kennen lernen werden, die vielleicht ein neues Licht auf zur Zeit noch dunkele tiergeographische Fragen werfen werden.
[23] Die Tierwelt Chinas. 93
Wenn wir zum Sehlusse die Fauna und die tier- geographischen Verhältnisse Chinas kurz und allgemein zu- sammenfassend betrachten, so drängt sich uns bald die Ueberzeugung auf, dass die Berglande seines Westens und Nordwestens, wie die Zentralasiens überhaupt, für eine grosse Anzahl von Tierformen des Landes und des süssen Wassers aus allen Klassen und Ordnungen die Entstehungsherde ge- wesen sind. Von hier aus dehnten sich ihre Nachkommen, teils in derselben Gestalt wie die Vorfahren, teils in sich immer mehr modifizierender je weiter sie sich von ihren „Schöpfungszentrum“ entfernten, nach allen Seiten hin aus, aber in sehr verschiedenem Grade.
Die grössere Gleichartigkeit der klimatischen Bedingungen machten die west- und ostwärts gelegenen Gebiete leichter zugänglich als die nördlichen und südlichen. Besonders der Westen wurde reichlich besiedelt, und es ist in der That so, wie der vortreffliche russische Forscher SEWERZOW sagt: die mitteleuropäische Fauna ist im wesentlichen nichts anderes als eine verarmte, zentralasiatische. Von einer Mischung zentralasiatischer und mitteleuropäischer Elemente im Westen kann keine Rede sein, da es letztere als ur- sprüngliehe ja eigentlich gar nieht giebt. Es ist auch noch sehr die Frage. ob die südeuropäisch-nordafrikanischen Formen, die sich dort gleichfalls finden, nicht auch eigentlich aus Zentralasien stammen. Es beweist nichts, dass sie jetzt hier weniger zahlreich sind, als in den Ländern um die westlichen Teile des Mittelmeeres herum, wo sie als einge- wanderte Steppen- und Wüstentiere günstigste Verhältnisse für eine weitere Entwicklung und für eine weitere, artliche Differenzierung fanden.
Sehr eigentümlich sind die Verhältnisse in der chine- sischen, tiergeographischen Ostprovinz, da hier zu den ur- sprünglich zentralasiatischen Elementen eine sehr starke Beimischung indischer kam, die die Südprovinz fast ganz beherrschen. Es lässt sich oft beobachten, dass Tierformen sich entlang der Meeresküsten weiter nord-, süd-, ost- und westwärts, je nachdem verbreiten, als im Inneren eines Landes, auch im westlichen Mittel-, ja, selbst Nordeuropa treten afrikanische mediterrane Formen auf. Die Felstaube
94 Prof. Dr. W. MARSHALL, [24]
(Columba livia) findet sich als Brutvogel bis Norwegen und den Loffoten, der gemeine Pirol (Oriolus galbula) bietet in Westeuropa eine analoge Erscheinung wie der indische in Ostasien und der Provenzesänger (Sylria provencalis) findet sich entlang der Gestade des Atlantischen Ozeans bis nach Südengland. Die gesprenkelte Schnirkelschnecke (Helix adspersa), ein echt mediterranes Tier, geht im Westen unseres Kontinents bis Holland, Geomalacus maculatus, eine schöne, interessante Naektschnecke des südwestlichen Europas, bis Irland. Aehnliehe Thatsachen sind von Insekten, besonders von Käfern und nicht etwa bloss von salzliebenden Formen bekannt.
Der Grund der Erscheinung liegst darin, dass einmal der Weg entlang der Küste bequem zu sein pflegt, und zweitens darin, dass in der Regel in der Nähe des Meeres das Klima weit milder ist, und namentlich die Winter nicht so kalt werden, wie unter den gleichen Breitengraden tiefer im Innern des Kontinentes. Das gilt sowohl für die At- lantische wie für die Pacifische Küste der nördlichen Hälfte der Alten Welt.
Die interessanteste Thatsache hinsichtlich der Fauna des gemässigten Asiens liegt aber in der Uebereinstimmung des Vorkommens von Arten derselben Tierfamilien und -gattungen nur hier und in Nordamerika. Diese Familien und Gattungen können einmal sehr weit oder kosmopolitisch verbreitete, wahrscheinlich uralte sein, deren Entstehungs- herd mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr nachweisbar ist; dann solche, die in Zentralasien ihren wahrscheinlichen Ursprung hatten und sich konzentrisch oder radiär aus- breiteten, und endlich solehe, die nur in Ostasien und in Nordamerika Vertreter haben. Die ersten kommen hier nicht in Betracht. Zu den zweiten gehören von Säuge- tieren: die spitzmaus- und die maulwurfsartigen Insekten- fresser, die Schafe, die Wühlmäuse (Arvicola) und die Pfeifhasen (Lagomyidae). Von Vögeln dürften hierher ge- hören: die echten Steinschmätzer (Sazxicola), die Wasser- amseln (Oinchus), vielleicht die Zaunkönige (Troglodytes), die Baumläuferehen (Certhia), die Spechtmeisen (Stitta), die echten Würger (Lanius) und die Lerchengattung Otocorys.
[25] Die Tierwelt Chinas. 35
Von Lurchen, die in der nördlichen Alten und Neuen Welt als Arten gleicher Gattungen vorkommen und ihren Ur- sprung wahrscheinlich in Zentralasien hatten, dürften viel- leicht die echten Molehe (Triton) in Betracht kommen. Die auch in Nord- aber nieht in Südamerika vertretenen Karpfen (Oyprinidae) sind wohl die einzige Familie von Süsswasser- fisehen, die man zu den in Zentralasien entstandenen, von hier aus allseitig sich verbreitet habenden und auch in Nordamerika eingewanderten Tieren mit einiger Sicherheit rechnen kann. Von Insekten will ich bloss der Gattungen der Klee- (Colias) und der Apollofalter (Doritis oder Par- nassius) als ursprünglieher, nach Nordamerika vorgedrungener Kinder Zentralasiens gedenken.
Am bemerkenswertesten sind aber die Tiergattungen, die nur im mittleren östlichen und zentralen Asien und im Norden der Neuen Welt vorkommen, besonders aber die störartigen (Scaphorhynchus und Spatularıa) und karpfen- artigen (Catostomus und Sclerognathus) Süsswasserfische, denn für echte Süsswasserfische, d. h. für solehe, die zu im Meere nicht vertretenen Familien oder alten, hoch- originellen Gattungen gehören, bildet das Salzwasser ein unüberwindbares Hindernis der Verbreitung.
Die Thatsachen, die in dem Vorhergehenden mitgeteilt wurden, machen es höchst wahrscheinlich, ja, wir dürfen wohl sagen, beweisen, dass ein Zusammenhang der Alten und der Neuen Welt und zwar oben im Norden vor, geo- logisch gesprochen, noch gar nicht so lang entlegener Zeit stattgefunden haben muss, sonst ist es eine Unmöglichkeit, dass Gattungen und selbst Arten von echten Süsswasser- fischen (wie z. B. auch der gemeine Hecht) in beiden Ge- bieten vorkommen. Bemerkenswert ist noch das, dass jene gemeinsamen Formen in den weitaus meisten Fällen in der Neuen Welt sieh nieht an der viel näher gelegenen West-, sondern an der Ostseite des Felsengebirges finden. Der Zusammenhang der nordöstlichsten Teile Asiens und der nordwestliehsten Amerikas fand im höheren Norden statt, vielleicht mit einer breiten Landbrücke zwischen dem 60. und 70.°n. Br. und zu einer Zeit als das Felsengebirge und die Westküste Nordamerikas sich noch nicht gehoben hatten.
96 Prof. Dr. W. Marsnarı, Die Tierwelt Chinas. [26]
Auf das Vorkommen eines Alligators im Yang-tse-kiang möchte ieh nieht all zu viel Gewicht legen, denn wir wissen, dass in Südengland Reste von Krokodilen, Alligatoren und Gavialen im unteren Tertiär (Eoeän) nebeneinander gefunden werden.
Die Gegenwart mancher gleicher Tiergestalten im nörd- lichen Amerika, Europa und Asien südlich bis nach Nord- china hinein, wie die des Elchs, des Luchses, der Lemminge, der laehsartigen Fische u. s. w. darf nicht so ohne Weiteres aus den nämlichen Ursachen, wie die ähnlichen oder gleichen Formen in Ost- und Zentralasien und Nordamerika erklärt werden. Jene Tiere sind altarktische, eireumpolar verbreitete und sind Bestandteile einer eigenen Fauna, die weiter süd- wärts vorgedrungen sind als andere.
Blütenbiologische Schemabilder.
Ein Beitrag zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes von
Dr. Walther Schoenichen, Halle a. d. S.
Mit 12 Figuren im Text.
Anschaulichkeit ist eine der ersten Forderungen, die man an jede Unterrichtsmethode stellen muss. Namentlich gilt dies für den naturkundlichen Unterricht, der ja vor allem dazu berufen ist, Anschaulichkeit zu wahren und An- schauungskunst bei der Jugend heranzubilden. Und in der That sind die meisten Schulen wohl auch mit einem grösseren oder kleineren Vorrate von Ansehauungsmitteln ausgestattet; es fragt sich nur, ob diese Mittel immer zweckentsprechend sewählt sind. Unentbehrlich sind natürlich alle Ansehauungs- materialien aus der Natur, wie frische Pflanzen, konservierte Tiere, Skelette u. s. w. Weniger unentbehrlich dagegen sind vielleieht manche der üblichen Tafelabbildungen. Ganz ab- gesehen davon, dass sie meistens längst nicht gross genug sind, um bis in alle Einzelheiten auch aus grösserer Ent- fernung studiert werden zu können,!) sind sie vor allem deswegen nicht immer von grossem Nutzen, weil die Schüler namentlich in niederen Klassen noch gar nicht richtig sehen gelernt haben. Trotz der ausführlichen Erklärungen, die der Lehrer bei der Vorstellung einer Abbildung den Schülern zu teil werden lässt, wird oft genug manche wichtige Einzel- heit von einer Reihe von Schülern übersehen werden.
1) Die vortrefflichen zoologischen Wandtafeln von Leuckart und Chun machen hiervon meistens eine rühmliche Ausnahme. Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 7
98 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [2]
Ganz anders liegen diese Verhältnisse, wenn der Lehrer selbst in riesenhafter Vergrösserung Skizzen der zu be- trachtenden Naturobjekte an die Tafel entwirft. Hier sieht der Schüler jede Linie vor seinen Augen entstehen, und er wird nicht umhin können, von jedem einzelnen Striche besonders Notiz zu nehmen, um so weniger, als er gewöhn- lieh wohl veranlasst wird, das vom Lehrer an die Tafel skizzierte Bild schliesslich in das Diarium oder in ein be- sonderes Naturkundeheft abzuzeichnen. Der pädagogische Nutzwert solcher gleichsam in „statu nascendi“ vorgeführten Bilder wird stets grösser sein als der von fertigen Tafel- abbildungen. Allein nicht jeder Lehrer besitzt das nötige Geschick, um alle Naturobjekte in von ihm selbst kon- struierten, klaren schematischen Zeichnungen wiedergeben zu können. Um so mehr ist es erfreulich, dass es bereits einige Werkchen giebt, die entsprechende Vorlagen enthalten. Wir nennen hier die zoologischen Zeichentafeln von VoGEL und ÖOHMANN, sowie die von W. A. Lay herausgegebenen schematischen Zeichnungen zur Tier-, Menschen-, Pflanzen- und Mineralienkunde.
Freilich kann man auch mit diesen Vorlagen nicht immer ganz einverstanden sein. Hingewiesen sei hier nur auf eine Unsitte, die uns auch in fast allen Schullehrbüchern begegnet. Legt man durch eine radialsymmetrische Blüte einen Symmetrieschnitt, so wird dieser einerseits nur ein Kelehblatt, andererseits nur ein Blumenblatt treffen können. Statt dessen zeigen die üblichen Schemabilder jederseits sowohl ein Keleh- als auch ein Blumenblatt. Da nun der Schüler oft genug genötigt wird, in der Schule derartige Symmetrieschnitte auszuführen, so muss ihm der Wider- spruch zwischen Zeichnung und Naturbild offenbar werden. Nach meinem Gefühle verführe man wohl richtiger, wenn man dem nach der Natur entworfenen Bilde überall den Vorzug gäbe. Aber wenn man auch von diesen Kleinig- keiten absieht, so genügen die üblichen Schemazeichnungen den Anforderungen des modernen Naturkunde-Unterrichtes dennoch nicht in vollem Umfange, und zwar in erster Linie aus dem Grunde, weil sie fast durchgehend nur die morpho- logischen Verhältnisse der Pflanzen darstellen. Der moderne
[3] Blütenbiologische Schemabilder. 99
Naturkunde-Unterrieht will sich aber auf diese eine Seite der Pflanzenkunde nicht beschränken, sondern will möglichst viel Biologisches bieten, wie es in dem vortrefflichen Lehr- buche der Zoologie von SCHMEIL und in dem reizenden Werkchen „Pflanzen der Heimat“ von demselben Verfasser mit unübertroffenem Geschick durchgeführt ist.) Damit soll nimmermehr gesagt sein, dass jetzt in der Naturge- schichte auf die Kenntnis von dem morphologischen Bau eines Naturobjektes kein Wert mehr zu legen sei. Im Gegenteil: ein Naturobjekt biologisch betrachten heisst doch nichts anderes, als den Zweck, die Funktion seiner Organe und Glieder kennen lernen. Wer aber wissen will, wie ein Mechanismus funktioniert, der muss zunächst über dessen Aufbau völlige Klarheit besitzen. Deswegen wird ja auch im physikalischen Unterrichte jeder Apparat erst genau nach allen seinen Teilen beschrieben, ehe er dem Schüler in Thätigkeit gezeigt wird. Aus ganz demselben Grunde kann auch der moderne Naturkunde-Unterricht der bislang üblichen Anschauungsmaterialien, die in erster Linie die Morphologie der Naturobjekte darstellen, nieht völlig entbehren; allein er bedarf für seine Zwecke noch besonderer Anschauungs- mittel. Der Schüler soll auch über die biologischen Ver- hältnisse der Geschöpfe belehrt werden, und es muss auch für diesen Zweck Anschauungsmaterial geschaffen werden.
Die folgenden Schemabilder sind aus diesem Gedanken- gange herausgewachsen. Sie sind bestimmt, dem Lehrer einige Zeichnungen zu bieten, die er während des Unter- richtes möglichst gross an die Wandtafel entwerfen kann. Bei der einfarbigen Darstellung, in der hier die Zeich- nungen erscheinen, wird man vielleicht nicht umhin können, einige davon als zu unklar und verworren zu bezeichnen. Dies liess sich in der That nicht vermeiden, denn die Mittel, die bei diesen Vorlagen zur Unterscheidung der einzelnen Blütenteile angewendet werden konnten, bestehen in Schraffierung und in grösserer oder geringerer Dieke der Linien. An der Tafel aber soll mit farbiger Kreide ge- zeichnet werden, und dass hierbei recht klare und über-
1) Cfr. Dr. O0. Schmeil, Ueber die Reformbestrebungen auf dem Gebiete des naturgeschichtlichen Unterrichts. 4. Aufl. Stuttgart 1900.
7*
100 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [4]
siehtliche Bilder resultieren, habe ich in der Praxis häufig genug feststellen können.
Was nun den Inhalt der folgenden Zeiehnungen angeht, so fallen sie sämtlich unter das Kapitel der Blütenbestäubung. Ueberall sind in den Blüten die Insekten in dem Augenblicke gezeichnet, in dem sie entweder mit Blütenstaub beladen werden, oder den mitgebrachten Blütenstaub an der Narbe abstreifen. Ich. glaube, dass solche Zeichnungen zunächst geeignet sind, den Begriff der Insektenbestäubung bei dem Schüler recht konkret werden zu lassen. Wenn er immer und immer wieder Insekt und Blüte beisammen sieht, so wird es ihm schliesslich ganz und gar ins Gefühl übergehen, was Goethe mit den Worten ausgedrückt hat:
„Ein Blumenglöckchen Vom Boden hervor War früh gesprosset Im lieblichen Flor;
Da kam ein Bienchen Und naschte fein: — Die müssen wohl beide Für einander sein.“
Daneben wird durch manche der Abbildungen auch der Begriff der zeitlichen Trennung der Befruchtungsorgane, im besonderen der Begriff der Vormännlichkeit (Fig. 2, 3, 4, 10, 11) dem Schüler veranschaulicht.
Als Vorlagen haben mir bei diesen Schemabildern hin und wieder die Illustrationen aus KERNER voN MARILAUN’S Pflanzenleben gedient, so bei Nr. 4 und 8. Von einer künst- lerischen Vollendung der Zeichnungen musste schon deshalb abgesehen werden, weil dadurch ihr Wert als leicht kopier- barer Schemata allzu sehr beeinträchtigt worden wäre. Ueberhaupt soll diese Publikation in erster Linie für die- jenigen Kollegen, die über mehr pädagogisches und manuelles Geschick verfügen als ich, eine Anregung bieten, zur Schöpfung eines dem modernen Naturkunde-Unterrichte an- gepassten Anschauungsmateriales. |
[5] Blütenbiologische Schemabilder. 101
1. Die deutsche Schwertlilie (Zris germanica).
Die Anloekung der Insekten wird dureh Farbe und Duft der grossen Blüten bewirkt. Als Landungsplatz (?) wählen die Insekten eins der herabhängenden Blütenblätter. Der Weg zum Honig (h) führt durch einen Tunnel, dessen Decke von einem Narbenzipfel (rn), dessen Boden von dem zur Landung benutzten Blütenblatte gebildet wird. Als Wegweiser zum Honig dienen die weissen Streifen (s,) auf den herabhängenden Blütenblättern und der Bart von gelben Haaren (s,) am Eingange des Tunnels. Die Aufladung des Pollens erfolgt im Tunnel, an dessen Deeke sich ein seinen Staub nach unten entleerendes Staubgefäss befindet. Die Vermeidung der Selbstbefruehtung besorgt ein kleiner Saum (a), der hinter der belegungsfähigen Stelle der Narbe so befestigt ist, dass er nur dem einkehrenden Insekt die Abladung des Pollens gestattet.
[Die Zeiehnung stellt die von einem Symmetrieschnitt getroffenen Blütenteile dar. 5! — Blumenblatt, f = Samen- anlagen, d = Hüllblätter des Fruchtknotens.]
102 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [6]
A. Fig. 2. B.
Der Anlockung der Insekten dienstbar ist der Kelch (), dessen oberstes, helmförmiges Blatt das Innere der Blüte vor Benetzung schützt. Zu Honigbehältern (h) sind die beiden oberen Blütenblätter (bl) umgewandelt; die drei übrigen Blütenblätter (52) sind verkümmert. Das landende Insekt stellt sich breitbeinig über die Befruchtungsorgane. In jungen Blüten (Fig. A) ist dabei die Aufladung des Pollens an die Bauchseite des Insektes unvermeidlich, in älteren (Fig. B) die Abladung des Pollens an die Narben. Die Blüten sind also vormännlich.
Eine Blüte A erschliesse sich am 10., eine Blüte B am 12. Juli; nur etwa am 12. Juli, wo in beiden Blüten ent- gegengesetzte Geschleehtsorgane reif sind, ist eine Pollen- übertragung im Sinne des Pfeiles möglich. Siehe folgendes Schema:
Datum I 10. Juli | 12. Juli | 14. Juli
Blüte A (6) Q =
t
Blüte B — (6) 2
[7] Blütenbiologische Schemabilder. 103
LT IE 7 TINR FERN IR AL
1. Die Anloekung der Insekten ist den fünf lebhaft blau gefärbten Kelchblättern (%) übertragen. Weithin auf- fällig werden die Blüten durch ihre Häufung.
2. Als Landungsplatz benutzt das Insekt die unteren Blütenblätter (bl), auf die es seine Vorderbeine stellt, während die hinteren Beinpaare auf den unteren Kelehblättern ruhen.
3. Der Honig (h) befindet sich in den sporenförmigen Fortsätzen der beiden oberen Blütenblätter, die — wie zwei kleine Düten von einer grösseren — von dem Sporn des obersten Kelchblattes umschlossen sind.
4. Die Aufladung des Pollens (Fig. A) erfolgt auf jungen Blüten. In ihnen stellen die reifen Staubgefässe (m)
104 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [8]
ihre Beutel so vor den Eingang der Honigsporen, dass die Unterseite der Brust des naschenden Insektes unvermeidlich mit Pollen eingepudert wird. Die noch unreifen Staub- sefässe, sowie die noch wenig entwickelten Stempel (w) sind auf diesem Stadium durch das breitere Vorderende der unteren Blütenblätter vor jeder Berührung geschützt.
5. Die Abladung des Pollens (Fig. B) auf die Narben erfolgt bei älteren Blüten. In ihnen sind die Staubgefässe gewelkt; die Stempel dagegen sind gewachsen und stellen ihre belegungsfähigen Narben vor die Oeffnung der Honig- sporen, so dass ein mit Pollen beladenes Insekt beim Blüten- besuche unvermeidlich die Bestäubung ausführen muss.
Die Trennung der Geschlechter ist beim Rittersporn zeitlich; insbesondere sind seine Blüten vormännlich.
4. Die Trollblume (Trollius europaeus).
Zur Anlocekung der Bestäuber dienen neben dem aurikelartigen Dufte die gelben Kelehblätter (%), die infolge des feuchten Standortes der Pflanze niemals sich zurück- biegen, sondern stets den Pollen mit einer schützenden Kuppel überdachen.
Der Honig befindet sich in den zu spatelförmigen Nektarien umgewandelten Blütenblättern (bl).
Im ersten Stadium der Blüte (Fig. I) sind die Staub- gefässe (m) noch sämtlich geschlossen. Die Stempel (w) sind unentwickelt. Fig. II zeigt die äusserste Reihe der Staubgefässe gereift: sie haben ihre Staubbeutel so über die Nektarien gestellt, dass ein Insekt, das durch gewalt- sames Auseinanderbiegen der Kelchblätter sich den Eingang ins Blüteninnere gebahnt hat, an seinem Rüssel mit Staub beladen werden muss. In Fig. III ist die äusserste Reihe der Staubgefässe gewelkt; die zweite Reihe ist an ihren Platz getreten. Fig. IV zeigt die drei äussersten Staubgefäss- reihen gewelkt; nur noch die innerste Reihe bietet ihren Pollen aus.
[9] Blütenbiologische Schemabilder. 105
Endlich (Fig. V) nach Abwelkung aller Staubgefässe wachsen die Stempel (w) und stellen ihre belegungsfähigen Narben über die Nektarien an jene Stelle, die vorher die
III.
Staubbeutel inne hatten. Streekt jetzt ein Insekt seinen mit dem Pollen einer benachbarten Trolhius-Blüte beladenen Rüssel nach dem Nektarium, so ist eine Bestäubung unver- ‚meidlich.
106 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [10]
5. Die Akelei (Aqwilegia vulgaris).
Zur Anloekung der Hummeln dienen in erster Linie die fünf grossen, blattartigen Kelchblätter (A). Als Landungs- platz dient die von Staubgefässen und Stempeln gebildete Säule, die aus der Mitte der Blüte nach unten herabhängt. In hohem Masse auffällig wird der Landungsplatz durch seine gelbe, dem Blau der Blütenhülle entgegengesetzte Färbung. Der Honig (h) befindet sich in den dütenförmigen Blütenblättern (bl), die also in erster Linie als Honigbehälter und erst in zweiter Linie als Lockapparate dienen. Wenn die Hummel mit ihren Beinen die Säule der Staubgefässe umklammert, ist es unvermeidlich, dass ihr Bauch mit Pollen beladen wird. Abgeladen wird dieser Pollen sehr leicht an den Narben einer Blüte, deren Stempel die völlige Reife erlangt haben.
[Besser ist es, wenn in der Zeichnung das vordere Bein- paar des Bestäubers im Inneren des dütenförmigen Blüten- blattes ruht.]
[11] Blütenbiologische Schemabilder. 107
6. Der Erdrauch (Fumaria offieinalis).
1. Zur Anloekung dienen die vier rot gefärbten Blumenblätter (bl). Was den Blüten an Grösse abgeht, das ersetzen sie durch ihre Anzahl.
2. Als Landungsplatz (l) dienen die beiden seitlichen Blumenblätter, die wie zwei hohle Hände gegeneinander gelest die Befruchtungsorgane einschliessen. Um das Landen recht bequem zu machen, ist senkrecht zur Fläche dieser Blumenblätter jederseits eine Lamelle (») angebracht, worauf die Insekten ihre Beine wie auf ein Pedal oder ein Tritt- brett setzen können.
3. Der Honig (h) lagert in der spornartigen Erweiterung (sp) des oberen Blütenblattes, dessen krempenartiges Vorder- ende ein treffliches Schutzdach für die Befruchtungsorgane bildet.
4. Durch das Gewicht des Blumengastes werden die seitlichen Blumenblätter zum Herabsinken veranlasst, so dass die Staubgefässe (m) und der Stempel (w) nunmehr frei- stehen und wie eine Pistole dem Insekt auf die Brust ge- setzt sind. Dabei wird Pollen an der Brust des Insektes angeheftet und kann leicht auf die Narbe einer anderen Erdrauchblüte übergeführt werden.
[%* = Kelehblättehen. Die Zeichnung kann mit geringen Aenderungen auch bei Besprechung der Gattung Corydalis (Lerehensporn) verwendet werden.]
108 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [12]
7. Das hängende Herz (Dicentra spectabilis).
Die biologischen Verhältnisse der Dicentra-Blüte sind denen der Erdraueh-Blüte ausserordentlich ähnlich. Für den Unterrieht wird es sich stets empfehlen vor der Be- spreehung des Erdrauches das „hängende Herz“ vorzuführen, da seine Blüten erheblich grösser sind und deshalb alle jene beim Erdrauech so minutiösen Verhältnisse in voller Deutlichkeit erkennen lassen. Namentlich ist hier das Gelenk, das dem Endteile der seitlichen Blumenblätter infolge der Belastung durch das Insekt ein Herabsinken gestattet, sehr leicht nachzuweisen. Der Honig (k) wird am Grund der beiden halbherzförmigen Blütenblätter (bl) abgesondert. Ihn ent- wenden häufig die Ameisen, indem sie mit ihren Kiefern eine Oeffnung in den Grund der grossen Blütenblätter kneifen und sich so den Eintritt ins Innere erzwingen. In ähnlicher Weise werden auch die dütenförmigen Blütenblätter der Akelei häufig von Hummeln geöffnet und ihres Honigs be- raubt. Dureh Vormännlichkeit der Blüten ist bei der Di- centra eine Selbstbestäubung ausgeschlossen. Im übrigen bedeutet wie vorher:
bl — Blütenblatt,
} — Landungsplatz, » — Pedal, m — Staubgefäss.
[13] Blütenbiologische Schemabilder. 109
8. Das Veilchen (Viola odorata).
1. Die Anloekung der Insekten wird durch Farbe und Duft der Blüten bewirkt.
2. Als Landungsplatz (l) wählen die Insekten das unterste, lippenartig vorgeschobene Blütenblatt.
3. Der Weg zum Honig, der in den spornartigen An- hängen (k) der beiden untersten Staubgefässe abgesondert wird und in die Aussackung (sp) des unteren Blumenblattes herab- siekert, ist gekennzeichnet erstens durch die weissen Striche (s) auf den Blumenblättern. Sodann bilden die dreieckigen Zipfel, die den Staubbeuteln aufsitzen, am Eingange zum Honig eine Pyramide (s,), die durch ihre gelbe Farbe scharf sich abhebt von dem Blau der Blüte.
4. Das Insekt, das seinen Rüssel durch die vom unteren Blumenblatt gebildete Rinne nach dem Honig führt, muss an die hakig umgebogene Spitze des Stempels stossen. Hierdureh wird dieser erschüttert; die Erschütterung pflanzt sich fort auf die dem Stempel eng anliegenden Staubgefässe, aus denen der Pollen herausfällt auf den Rüssel des Insektes.
5. Wird dieser Pollen beladene Rüssel in eine andere Veilchenblüte eingeführt, so muss der Blütenstaub an der Narbe abgestreift werden.
bl = Blumenblatt, % = Kelehblatt.
110 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [14]
Bi):
Die Figur stellt einen Symmetrieschnitt durch eine Blüte dar. Rechts ist ein Blütenkronenzipfel (bl) und der Einsehnitt zwischen zwei Kelehzipfeln, links ist ein Kelch- zipfel (k) und der Einschnitt zwischen zwei Blumenkronen- zipfeln vom Schnitte getroffen. Die getroffenen Zipfel sind um 90° gedreht gedacht, so dass ihre Flächen in die Ebene der Zeichnung fallen. Vielleicht erscheint diese Art der Zeiehnung nieht jedermann vorteilhaft; alsdann empfiehlt es sich, auch die geschnittenen Zipfel nur durch einfache Linien anzudeuten.
Die beiden vorstehend verzeichneten Blüten sind hetero- styl. Eine Befruchtung kann nur zwischen Befruchtungs- organen von gleicher Höhe, im Sinne der beiden Pfeile, stattfinden. Da aber in jeder Blüte nur Befruchtungsorgane von ungleicher Höhe enthalten sind, so müssen bei der Be- stäubung stets zwei verschiedene Blüten mitwirken, d. h. die Fremdbestäubung ist gesichert.
Es bedeutet: s = Saftmal, das hier als orange-roter Fleck vor dem Eingange in die Blütenröhre ausgebildet ist; m — Staubgefäss, w — Stempel.
[15] Blütenbiologische Schemabilder. 111
Fig. 10.
1. Die Anloekung der Insekten (Hummeln) wird be- wirkt dureh Grösse, Häufung, einseitige Riehtung und Farbe der Blüten.
32. Als Landungsplatz dient der lippenartig vorge- zogene unterste Zipfel der Blumenkrone (l).
3. Der Weg zu dem am Grunde der Blüte befindlichen Honig ist durch zahlreiche braune Flecken kenntlich ge- macht (s).
4. Während das Insekt nach dem Honig kriecht, kommt in jungen Blüten sein Rücken mit den an der Decke des Blütentunnels aufgestellten Staubbeuteln in Berührung und wird mit Pollen beladen. Die Narbe (n) hat in diesem Stadium ihre Reife noch nicht erreicht; ihre Aeste liegen noch eng an einander.
5. In älteren Blüten biegen sich die Narbenäste aus- einander (a), so dass ein mit Pollen beladenes Insekt sie bei seiner Einkehr bestäuben muss.
L. Blum veröffentlicht in Jg. 8 der Luxemburger „Fauna“ bio- logische Beobachtungen am roten Fingerhut. Nach ihm sollen Ameisen, die er häufig in den Blüten fand, die Bestäubung besorgen. Natürlich handelt es sich hier nur um einen Honigraub. Dagegen beobachtet man im Garten vielfach Bienen an den Blüten. Sie nehmen ihren Weg zum Honig häufig an der Decke der Blütenröhre entlang und werden dann nicht auf dem Rücken, sondern auf der Bauchseite mit Pollen beladen,
112 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [16]
A. Die Staubgefässe (m) sind noch geschlossen. Der Stempel (w) erreicht noch nicht die Höhe der Staubgefässe, seine Narbenäste sind noch gegeneinander gelehnt, so dass die belegungsfähige Stelle unzugänglich ist.
[dl = Blumenkrone; fh — Fegehaare; f = Samenanlage. Das links stehende Diagramm zeigt, dass die Staubbeutel eine Röhre bilden.]
B. Die Staubgefässe (m) haben ihre Pollen (st) entleert, so dass er die von den Staubbeuteln gebildete Röhre wie ein Pfropfen verschliesst. Der Stempel ist wie vorher.
C. Der Stempel (w) wächst durch die von den Staub- beuteln gebildete Röhre und schiebt den Pollen vor sich
[17] Blütenbiologische Schemabilder. 113
her, so dass er aus der Antheren-Röhre herausgehoben wird. Ein über die Blüte schreitendes Insekt wird sich jetzt an seiner Unterseite leicht mit Pollen beladen können. Einige Staubkörnehen sind an den Fegehaaren hängen geblieben.
D. Durch Auseinanderbiegen der Narbenäste wird die belegungsfähige Stelle (») frei. Ein mit Pollen beladenes Insekt führt beim Ueberschreiten der Blüte die Bestäubung aus. Die Staubgefässe sind in dieser Figur und in der ent- sprechenden auf Bild 12 als verwelkt gezeichnet, um recht deutlich zur Anschauung zu bringen, dass die Blüten vor- männlich sind.
E. Durch starkes Zurückbiegen der Narbenäste kommt die belegungsfähige Stelle mit dem an den Fegehaaren haften gebliebenen Pollen in Berührung; so kann im Falle des Ausbleibens einer Fremdbestäubung Selbstbefruchtung eintreten.
12. Blütenköpfchen einer Composite.
Die zeitlich aufeinanderfolgenden Stadien, die eine einzelne Röhrenblüte während ihrer Entwieklung zu dureh- laufen hat, sind auf Figur 12 an einer Mehrzahl von Röhrenblüten räumlich nebeneinander dargestellt. Obwohl der Entwurf dieser Zeichnung an die Tafel mehr Zeit in Anspruch nimmt als bei Fig. 11, so bietet sie andrerseits insofern einen Vorteil, als sie über die Beziehungen, die zwischen den Röhrenblüten innerhalb des Blütenköpfehens herrschen einige Aufklärung giebt.
Zunächst zeigt sich klar, dass die Röhrenblüten um so eher aufblühen, je näher sie der Peripherie der Scheibe stehen. So erklärt es sich, dass die äussersten Röhrenblüten in unserer Darstellung bereits auf Stadium 5 angelangt sind, während. die mittelste noch auf dem ersten Stadium verharrt.
Die rechte Hälfte unserer Darstellung enthält nur eine Wiederholung der Fig. 11. Auf der linken Hälfte hingegen sieht man, wie infolge einer Erschütterung der Pflanze, etwa durch einen Windstoss, der Pollen der höher gelegenen
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 8
114 Dr. W. SchornIcHen, Blütenbiologische Schemabilder. [18]
> Fig. 12. [Die einzelnen Stadien der Blütenentwicklung sind an
den Zeiehnungen 11 und 12 mit voller Absicht schärfer von einander getrennt, als dies in der Natur meist der Fall ist.]
Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie.
Ueber Argyrodit. Das Freiberger Vorkommnis dieses interessanten Minerals, in dem CL. WINKLER das Germanium entdeckte, war als monoklin angesprochen worden. Später wurde dasselbe Mineral in Amerika in anderer Krystallform regulär aufgefunden und als Canfieldit bezeichnet. Eine Vergleichung dieser beiden Mineralien ergab aber, dass die sehr undeutlichen Formen des Arsyrodit ebenfalls dem regulären System angehören und dass Canfieldit und Argy- rodit dasselbe Mineral sind.
In allerneuester Zeit wurde nun ein in der Freiberger Sammlung befindliches, im Jahre 1821 in der Grube „Simon Bogner’s Neuwerk“ gefundenes und damals als Pulsinglanz bezeichnetes Mineral von FREnzEL gleichfalls als Argyrodit erkannt. Dieser war also schon im Jahre 1821 entdeckt, aber man ahnte nicht, dass er ein neues Element enthielt. Dieses aufzufinden, war erst CL. WINKLER vorbehalten.
Prof. Lüdecke, Ver.-Sitz. 26. April 00.
Die Erdbeben im Königreich Sachsen, die seit dem Jahre 1875 in beträchtlicher Anzahl zur Beobachtung ge- kommen sind und deren 15 ersten von HERMANN ÜREDNER in dieser Zeitschrift (1876, S. 246; 1878, S. 275; 1884, 8.1) ausführlich beschrieben wurden, sind von dem genannten Forscher fortdauernd gebucht und eingehend studiert worden. Er berichtet darüber in einer grösseren Abhandlung!) und
1) Die sächsischen Erdbeben während der Jahre i889—1897, ins- besondere das sächsisch-böhmische Erdbeben vom 24. Oktober bis
8*
116 Kleinere Mitteilungen.
einer kleineren Mitteilung!) aus der wir folgende allgemeine Resultate entnehmen.
Von den in den ersten 22 Jahren registrierten 38 Beben, von denen das letzte 37 Tage andauerte und hunderte von zum Teil erschreckenden Erschütterungen brachte, konzen- trieren sich nicht weniger als 22 und unter diesen die in- tensivsten Ersehütterungen auf das Vogtland, während sich die übrigen 16 über die verschiedensten anderen Gebiete des Königreiches verteilen. Das Vogtland stellt also ein ehronisches Schüttergebiet vor.
Von diesen 38 sächsischen Erdbeben fallen 29 und unter denselben von den 22 vogtländischen Beben nicht weniger als 16 in die herbstlich-winterliche Zeit von Mitte September bis Anfang März und zwar gehören diesem Zeit- abschnitte die zugleich kräftigsten Erschütterungen an.
Jene 38 Erdbeben haben sich mit wenig Ausnahmen in dem nächtlichen Tagesabschnitt zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens, vorzugsweise aber in den Stunden nach Mitternacht ereignet.
Im Laufe der letzten zwei (resp. drei) Jahre, wurden in Folge eines sehr viel diehteren Beobachtungsnetzes 13 Erd- erschütterungen registriert, von denen sich nicht weniger als 12 im Vogtlande äusserten.
Diese 12 vogtländischen Beben fallen ausnahmslos in den winterlichen Zeitabsehnitt, nämlich in die Monate Dezember bis März, nur die einzige, unbedeutende, ausser- vogtländische Erschütterung ereignete sich im August.
Die bei weitem meisten der 41 makroseismischen Einzel- stösse obiger 13 Beben, nämlich 29, gehören dem nächtlichen Tagesabschnitte, und zwar wesentlich den Stunden nach Mitternacht an.
Die letztjährigen Erfahrungen auf dem Gebiete säch- sischer Seismologie stehen also in vollstem Einklang mit denjenigen der vorhergegangenen 22 Jahre.
29. November 1897 (mit 5 Tafeln und 2 Karten). Abh. der math. phys. Cl. d. Kgl. Sächs. Akad. d. Wiss. Wien 1898.
!) Die seismischen Erscheinungen im Königreich Sachsen während der Jahre 1898 und 1899 bis zum Mai 1900. Ber. der math. phys. Cl. d. Kgl. Sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig, 7. Mai 1900.
Kleinere Mitteilungen. 117
Was die Ausgangspunkte der vostländischen Erdbeben angeht, so hat sich ergeben, dass sie an Gebiete grösserer tektonischer Störungen gebunden sind, dass sie also der Gruppe der tektonischen Beben zugezählt werden müssen.
CREDNER vermutet aber, dass der gebirgsbildende Druck nur als indirekte Ursache der Erdbeben bezeichnet werden darf, indem die dureh ihn entstandenen Dislokationen jene Gebiete zur Erdbebenentstehung prädisponiert haben, während die Erregung der seismischen Thätigkeit selbst in anderen Agentien gesucht werden müsste Für diese Vermutung macht CREDNER geltend, dass die Beben sowohl in der Zahl, wie in der Intensität einer gewissen Periodi- zität unterworfen sind, indem sie sich einerseits auf die Wintermonate, andererseits auf die Zeit von Mitternacht bis 8 Uhr morgens konzentrieren.
Physik und Chemie,
Thermographie. Dem bekannten Düsseldorfer Photo- graphen R. E. LIESEGANG ist es gelungen, einen chemischen Körper herzustellen, der eine bemerkenswerte Empfindlichkeit gegen strahlende Wärme besitzt. Dieser intensiv dunkel- blaue Körper entsteht nach Lresegang’s Mitteilung in der neu gegründeten „Physikal. Zeitschrift“, Jahrgang I, S. 317, dureh Verrühren gleicher Teile von Hydrochinon und wasser- freien kohlensauren Natron mit einer so geringen Menge von Alkohol, dass das Pulver eben nur befeuchtet und streichfähig wird. LIESEGANnG hält diesen nach wenigen Minuten entstehenden blauen Körper für eine Zwischenstufe der Oxydation von Hydrochinon und kohlensaurem Natron.
Verstreicht man den alkoholischen Brei auf dünnes Briefpapier und wischt alles weg was nicht in das Papier eingedrungen ist, so färbt sich das Papier dunkelblau. Setzt man ein solches Papier der Strahlung eines Gasofens aus, so tritt innerhalb 5 Sekunden eine vollkommene Bleichung des blauen Körpers ein. Aufgelegte Münzen und andere Objekte bilden in dieser Zeit ihren Schatten ab. Die Ent- stehung solcher Bilder wird nur um wenige Sekunden ver-
118 Kleinere Mitteilungen.
zögert. wenn man das empfindliche Präparat in schwarzes Papier einschlägt.
Dieses in so ungewöhnlich hohem Masse wärmeempfind- liche Papier ist nur wenige Tage haltbar.
Ueber Aleuronat-Präparate. Jeder Mensch, der sich ergiebig ernähren will, muss seinem Körper täglich eine be- stimmte Summe von Eiweiss, Fetten und Kohlenhydraten zu- führen. Die Statistik belehrt uns jedoch darüber, dass bei den ärmeren Schiehten der Bevölkerung das Eiweiss (wohl zumeist wegen seines hohen Kaufpreises) nicht in genügen- dem Masse genossen wird. Die Industrie hat hier helfend einzugreifen und billige Eiweissnährpräparate zu liefern gesucht.
Die Aleuronat-Präparate bilden eine Gruppe dieser künstlichen Nahrungsmittel. Sie werden aus den Neben- produkten der Stärkefabrikation gewonnen und zeiehnen sich durch hohen Eiweissgehalt aus. Der Kleber, der bei dem sog. Halleschen- oder Sauer-Verfahren, das hier noch in etwa 20 Fabriken betrieben wird, in solcher Form ge- wonnen wird, dass er zur Umwandlung in menschliche Nahrungsmittel unbrauchbar ist und nur als Schweinefutter oder zur Herstellung von Schusterpapp (Schuhleim) ver- wendet werden kann, wird bei dem Marrı-Verfahren als eine frische, zähe Masse erhalten, die Anfang der sieb- ziger Jahre zum ersten Male in Paris unter Zusatz von Mehl zur Herstellung eines Kleberbrotes benutzt wurde. Später unternahmen drei Mannheimer Fabriken Sehritte nach der- selben Riehtung. Aber ein bedeutender Fortschritt war erst zu verzeichnen, als es im Jahre 1889 Dr. HUNDHAUSEN in Hamm gelang, den Kleber zu trocknen. Der getrocknete Kleber gelangt gemahlen unter dem Namen Aleuronat in den Handel. Dieses enthält 80 %/, Eiweiss, 10°/, Stärke und 10°/, Wasser. Da es ausserdem nicht teuer ist, so kann es als Zusatz zu Speisen oder Gebäck aller Art eine weite Verwendung finden.
Prof. Baumert, Ver.-Sitz. 1. März 00,
Kleinere Mitteilungen. 119
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Aldehyde. Man kann die Riechstoffe nach ihrer chemischen Konstitution und ihrem Geruchscharakter in etwa 7 Hauptgruppen ein- teilen. Diese Gruppen sind in einer ihrer Bedeutung un- sefähr entsprechenden Reihenfolge aufgezählt: 1. Aldehyde, 2. Alkohole und Ester, 3. Ketone, 4. Phenole und Phenol- äther, 5. Säuren und Säureanhydride, 6. Stiekstoffhaltige Substanzen, 7. Kohlenwasserstoffe.
Die erste und wichtigste Klasse, sowohl hinsichtlich der Intensität und Feinheit ihres Aromas, als auch hin- siehtlich ihrer grossen Verbreitung in den ätherischen Oelen sind die Aldehyde. Die niedrigsten Glieder dieser Gruppe, die Aldehyde der Fettreihe, wie Formaldehyd, Acetaldehyd, Butyraldehyd, Valeraldehyd finden sich zwar häufig in den Organen der Pflanzen und, da sie leicht flüchtig sind, auch in ätherischen Oelen, sie sind jedoch keine eigentlichen Riechstoffe, wenigstens nicht im Sinne wohlriechender Sub- stanzen; sie wirken höchst steehend. Unter den höheren Gliedern mit offener Kette sind hervorzuheben das Citral und Citronellal, beide im Citronenöl vorhanden. Das Citral stellt recht eigentlich das riechende Prinzip des Citronenöles dar; auch das Lemongrasöl besteht grossenteils aus Citral, eine Frage, die bekanntlich eine wichtige Rolle in dem Jonon- oder Veilchenölprozess der Firma Haarmann und Reimer gegen Fritzsche & Co. in Hamburg gespielt hat. Künstlich lässt sich Citral bereiten durch Oxydation des zugehörigen Alkohols, des Rhodinols (Geraniols) oder auch des Linalols.
Das Furfurol gehört schon zu den eyklischen Alde- hyden, es kommt ihm keine grössere Verbreitung. in den ätherischen Oelen zu; immerhin ist sein beständiges Vor- kommen im Nelkenöl interessant, in welchem es sich leicht nachweisen lässt durch die schöne rote Färbung, welche Furfurol mit einer Lösung von 8-Naphtylamin in Eisessig liefert. !)
Von den aromatischen Aldehyden ist der Benzaldehyd,
1) Vgl. E.Erdmann, Die Analyse des Nelkenöls. Diese Zeit- schrift, Bd. 70, 8. 224.
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welcher bekanntlich in grossem Massstabe aus Toluol künst- lich dargestellt wird, zu bekannt, als dass ich darüber ein Wort zu sagen brauchte. Weniger bekannt ist sein nächstes Homologe, der Phenylacetaldehyd. Derselbe hat einen intensiven, angenehmen Hyacinthengeruch und dürfte sich in diesen Blumen vorfinden, wenngleich er bisher nieht in der Natur nachgewiesen worden ist. Er lässt sich bei An- wendung bestimmter Vorsichtsmassregeln in guter Ausbeute aus Zimmtsäure herstellen.!) Leider polymerisiert sich diese Substanz sehr leicht, weit leichter wie Acetaldehyd, so dass die leichtbewegliche Flüssigkeit, welehe im Vacuum fast konstant bei SS—90° und 15 mm siedet, beim Aufbewahren diekflüssig wird.
Synthetisch lässt sich auch der Anisaldehyd her- stellen durch methylieren von p-Oxybenzaldehyd. Gewöhn- lich wird er jedoch durch Oxydation von Anethol bereitet. Anisaldehyd besitzt den Geruch des blühenden Weissdorns (Crataegus oxyacantha) und kommt in Frankreich unter dem Namen „Aubepine“ in den Handel. Auch in fester Form, nämlich als Natriumbisulfitverbindung, bildet er ein Handels- produkt.
Der Zimmtaldehyd ist derjenige Stoff, weleher dem aus den chinesischen Zimmteassiablättern destillierten Cas- siaöl Geruch und Geschmack verleiht, und auch im Ceylon- zimmtöl, welches aus der Rinde des eigentlichen Zimmt- baumes (Cinnamomum Ceylonicum) destilliert wird, sind davon 65 —75°/, enthalten. Synthetisch lässt sich der Zimmtaldehyd aus Benzaldehyd erhalten und von dieser Darstellung macht die Industrie Gebrauch.
Vanillin, das riechende Prinzip der Vanillenschote, der Frucht einer in den tropischen Ländern Amerikas wachsenden Orchidee, ist in der Natur weit verbreitet. Es ist im Perubalsam enthalten und im Benzo&harz, es wurde in einigen Rübenzuckern nachgewiesen und kommt in der Holzsubstanz ziemlich allgemein vor. Die Vanillenscehote enthält davon durchschnittlich 2%). Den Bemühungen des unlängst verstorbenen Prof. FERDINAND TIEMANN ist be-
ı) H. Erdmann, D.R.P. Nr. 107228 und 107229.
_ Kleinere Mitteilungen. 121
kanntlieh nieht nur die Aufklärung der Konstitution des Vanillins gelungen, sondern auch seine künstliche Herstellung. Anfangs durch Oxydation des Coniferins erhalten, eines im Cambialsaft der Nadelhölzer enthaltenen Stoffes, wird es jetzt ganz allgemein aus dem Nelkenöle dargestellt. Das in letzterem enthaltene Eugenol wird zunächst in Isoeugenol übergeführt, dieses wird acetyliert und dann oxydiert. Die künstliche Herstellung des Vanillins ist also kein synthe- tischer Prozess, sondern ein Prozess des Abbaues. Die eigentliche Synthese, d. h. der Aufbau des Vanillins aus einfacheren Benzolabkömmlingen, ist bisher in einer technisch brauchbaren Weise trotz aller auf derartige Verfahren ge- nommenen Patente nicht gelungen und bei dem niedrigen Preise des Nelkenöles und dem Preissturz, den das Vanillin selbst vor zwei Jahren erfahren hat, sind derartige Bestreb- ungen auch ganz aussichtslos. Der Preis des Vanillins be- trug 1876 Mk. 7000, 1897 Mk. 120 pro 1 kg und ist seitdem noch weiter gefallen.
Das Heliotropin oder Piperonal ist dem Vanillin ähnlieh konstituiert und wird auch in analoger Weise durch Abbau aus dem Piperin, dem Hauptbestandteil des Pfeffers, billiger aber aus dem Isosafrol gewonnen. Es ist für Helio- tropparfums sehr geschätzt; sein Preis beträgt zur Zeit nur
etwa Mk. 30 pro 1 kg. Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Explosive Wirkung der flüssigen Luft. Professor LinpeE hat in der Münchener Akademie der Wissenschaften über eine Art der Verwendung der flüssigen Luft berichtet, die nieht nur technisches, sondern in ebenso hohem Grade theoretisches Interesse beanspruchen darf.
Durch eine Tränkung von gepulverter Kohle mit flüssiger Luft nimmt erstere in mehrfacher Hinsicht die Eigenschaften des Schiesspulvers an, so explodiert sie schon bei der Be- rührung mit der Flamme eines Zündhölzchens.
Hat man vorher das Kohlenpulver mit Petroleum ge- tränkt, so wird die Explosion ohne weiteres durch die Hüssige Luft selber ausgelöst. Die Wirkung ist eine sehr heftige und besonders dadurch interessant, dass sie sich
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von einer Sprengpatrone auf andere fortpflanzen kann, wenn diese in einer Entfernung von !/, m aufgestellt sind.
Theoretisch sind diese Vorgänge deshalb von so grossem Interesse, weil sie sich bei einer sehr niedrigen Temperatur (— 1800) abspielen. Bei solchen Temperaturen hören chemische Prozesse gewöhnlich auf uud andererseits be- trachtet man die Explosion als eine durch chemische Umsetzung hervorgerufene Gasentwieklung. So bemächtigt sich bei vielen Explosivstoffen — und das wird auch hier der Fall sein — der vorhandene Kohlenstoff des reichlich vorhandenen oder hinzutretenden Sauerstoffes und bildet da- mit in unmessbar kurzer Zeit grosse Mengen von Kohlen- säuregas.
Botanik.
Ueber das Gefrieren der Pflanzen. Bei Frost scheiden die Pflanzenzellen Wasser in die Intracellularräume aus, um so eine stärkere Konzentration zu erreichen und infolge da- von das Gefrieren des Zellsaftes zu erschweren. Gelingt es den Pflanzen, bei langsamen Aufthauen von dem ausge- schiedenen Wasser die nötige Menge in die Zellen zurück- zuziehen, so wird die Gefahr des Erfrierens vermieden. Vielleicht beruht auf diesem Feuchtigkeitsbedürfnis ge- frorener Pflanzen eine Methode, die von Gärtnern vielfach zur Rettung derartiger Gewächse angewendet wird und die darin besteht, dass man die gefrorenen Pflanzenteile vor- siehtig mit Wasser besprengt.
Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 22. Febr. 00.
Nord und Süd im Jahresring. Einem weitverbreiteten Volksglauben zufolge zeigen die Jahresringe unserer Bäume eine Exzentrizität in der Art, dass sie auf der Nordseite ‚enger als auf der Südseite sind. Vielfach geht man sogar so weit, dass man bei dem Umsetzen eines Baumes ängstlich eine Aenderung in der Riehtung dieser Exzentrizität ver- meidet.
Genaue Messungen, die Professor GR. Kraus an Material
_ Kleinere Mitteilungen. 123
des hiesigen zoologischen Gartens angestellt hat, haben er- geben, dass von einer solehen Nord -Süd-Exzentrizität nieht die Rede sein kann. Die Entstehung des obigen Aber- glaubens führt genannter Forscher zurück auf die irrtümliche Verbindung der Thatsache des Bestehens einer beliebigen Exzentrizität an den Jahresringen mit der häufig zu be- obachtenden Erscheinung, dass die Rinde an der Südseite stärker als an der Nordseite entwickelt ist.
Dr. Schoenichen, Ver.-Sitz. 25. Jan. 00.
Ueber eine gelbe Flagellate unserer ßewächshäuser. Auf der Oberfläche finnländischer Moraste entdeckte WORONIN im Jahre 1876 einen staubartigen, goldgelben Ueberzug, der von einer Flagellate (Ohromulina) gebildet wird. Eine ähn- liche Form (Ohromulina woroniniana) fand später Fısch in den Wassergefässen der Gewächshäuser. Auch in dem Ge- wächshaus des hiesigen botanischen Gartens zeigt ein Vallis- nerien enthaltendes Gefäss den Ohromulina-Ueberzug. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, dass die Flagellaten nicht im Wasser, sondern nur aufihm liegen. Eine Gallert- hülle schliesst meist eine Anzahl der Flagellaten des Wasser- spiegels ein, doch haben die Einzelorganismen die Fähigkeit, mittels einer Geissel im Wasser frei umherzuschwimmen. Namentlich bei Beunruhigung der Wasseroberfläche gehen die Flagellaten in den freischwimmenden Zustand über, als- dann verschwindet der staubartige Ueberzug des Wasser- spiegels. Die goldgelbe Färbung erklärt sich aus der An- wesenheit eines grossen Pigmentfleckes.
Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 8. März 00.
Die sog. Hexenbesen, auch Donnerbüschel und Wasser- besen genannt, sind sonderbar gestaltete Missbildungen an den Zweigen höherer Sträuche und Bäume, die durch para- sitische Pilze verursacht werden und erst nach mehrjährigem Wachstum absterben. Am leichtesten kenntlich sind die Hexenbesen der Birken, deren infizierte Zweige eine Art Nest bilden; in jedem Jahre werden neue Zweige des Hexen-
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besens, die stets emporgeriehtet sind, erzeugt; hellgraue Flecken auf der Unterseite der Blätter bezeichnen die Stellen, an denen die Pilze ihre Sporenschläuche entwickeln. Bei Erle, Birke, Kirsche und Pflaume sind es Arten der Gattung Exoascus, die die Veranlassung zu der sonderbaren Wucher- ung geben, wohingegen die Hexenbesen der Akazie und Edeltanne durch Aecidium-Arten, also durch Rostpilze, ver- ursacht werden. Die Zweige des Hexenbesens der Edel- tanne zeichnen sich gegenüber den normalen Zweigen da- durch aus, dass die Nadeln nieht zweireihig, sondern rings um den Spross angeordnet sind. Eigentümlich ist den Hexenbesenzweigen die von der normalen abweichende Wachstumsrichtung, indem sie stets in die Höhe streben, weiter aber, dass sie fast nie Blüten tragen, sondern nur Blätter, die der Fructifieation des Pilzes dienen und durch diesen beeinflusst, meist ein zerknittertes Aussehen zeigen. — Als Hexenbesen bezeichnet man auch Wucherungen an den Zweigen von Syringa vulgaris und Ligustrum vulgare, die durch Stiche von Gallmilben veranlasst werden.
Dr. Dittrieh, Ver.-Sitz. 10. Mai 00.
Ueber Maifröste. Selbst die heissen Tage, die so häufig das Ende des April und die erste Hälfte des Mai auszeichnen, werden verständige Gärtner nicht bewegen, empfindliche Pflanzen ins Freie zu stellen, da sie wissen, dass fast regelmässig in der Mitte des Mai ein oft sehr empfindlicher Kälterückschlag zu erwarten steht, und der Landwirt sieht mit Zagen dem Erscheinen der Nachtfröste entgegen, die leider gerade dann erscheinen, wenn die Junge Saat saftstrotzend wenig Widerstand zu leisten vermag. Der Volksmund legt bei uns die sog. drei Eismänner oder gestrengen Herren auf den 11.—13. Mai. In der That scheinen diese Tage besonders vom Froste heimgesucht zu werden. Nach 56 jährigen Aufzeichnungen (1824—1881) hat sich nach den Untersuchungen von Assmann ergeben, dass in Magdeburg innerhalb dieses Zeitraumes nur in sieben Jahren im Mai keine Nachtfröste stattgefunden hatten. Fast im ganzen Monat Mai traten Nachtfröste auf; die Höchstzahl
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"Kleinere Mitteilungen. 125
13, d.h. 7%/,, fällt auf den 10. Mai, auch am 11. Mai waren für jenen Zeitraum in 11 Jahren Nachtfröste verzeichnet. So nimmt also in der That vom 5. Mai an die Disposition zu Nachtfrösten entschieden zu, was besonders beim Ver- gleich der 5tägigen Perioden hervortritt, indem der 1.—5.Mai 230%, Fröste haben, der 6.—10. Mai 25°/,, der 16.—20. Mai 27%/,, der 21.—25. Mai 5°/, ete. Diese Frosttage waren also nieht auf die drei gestrengen Herren beschränkt; in besonders strengen Frühlingsmonaten traten sogar in zehn Nächten (1837), acht Nächten (1838) und gar zwölf Nächten (1866) Frost auf; im Mittel hatte Magdeburg an 3—4 Mai- tagen Nachtfrost. Aus diesen Ermittelungen ergiebt sich, dass der Ruf der drei gestrengen Herren in der That kein unbegründeter ist. Dr. A. Kalberlah, Ver.-Sitz. 17. Mai 00.
Zoologie.
Die Ursache des Drehens der japanischen Tanz- mäuse. Eine von den Japanern seit längerer Zeit gezüchtete, meist grau und weiss gefleckte Rasse der Hausmaus, be- zeichnet man als Tanzmäuse, weil alle Individuen die Eigen- tümlichkeit haben, sich während der Vorwärtsbewegung in rasender Geschwindigkeit im Kreise herumzudrehen. Die Tiere haben also einen biologischen Arteharakter erworben, der ähnlich wie bei den Purzeltauben für das Einzelindivi- duum und damit für die Art schädlich ist. Solche Charaktere können sich nur bei Wirkung der künstlichen Zuchtwahl hervorbilden, in der freien Natur müssten derartige Varia- tionsriehtungen schon in ihren Anfängen ausgemerzt werden.
Neuere Untersuchungen haben nun auch ergeben, dass dieser Eigentümlichkeit ein pathologischer Zustand zu Grunde liest. Da man schon seit längerer Zeit weiss, dass 50%, der Leute, die Taumelbewegungen zeigen, Veränderungen an den halbkreisförmigen Kanälen des Ohres, den sog. Bogengängen, aufweisen, so lag es nahe, das Ohr und besonders die Bogen- gänge der japanischen Tanzmäuse einer eingehenden Unter- suchung zu unterziehen. B. Rawırz, der im Archiv für
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Anatomie und Physiologie (Physiol. Abteilung 1899) „Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse“ beschreibt, teilt nun mit, dass’ nur der obere Bogengang, der etwa in der Richt- ung der Längsachse des Körpers verläuft, normal genannt werden kann, die anderen beiden Kanäle sind rudimentär und weniger scharf als es sonst der Fall ist von einander getrennt. Auch der Utrieulus und Saceulus stehen durch eine weite Oeffnung mit einander in Verbindung und ebenso fehlt auch zwisehen diesen und der Schnecke die übliche Verengerung.
Die mangelhafte Ausbildung der Bogengänge erschwert den Tieren die Orientierung im Raum in hohem Masse, be- sonders sind sie nieht im Stande, geradeaus zu laufen. Durch die wirbelnden Drehbewegungen, die aus der genannten Un- fähigkeit resultieren, wird nach RAawırz’ Ansicht auch die Fähigkeit zu hören beeinflusst, indem die Endolymphe durch die weite Oeffnung der Skala Tympani lebhaft hinüber strömt, stark auf die Membran des Corrrsschen Organs drückt und dadurch die Schwingungsfähigkeit beeinträchtigt. Unter solehen Umständen kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn auch die Hörzellen und die zugehörigen Nervenzellen und Fasern starke Degeneration erkennen lassen.
Entsprechende Versuche haben dann auch ergeben, dass die japanischen Tanzmäuse völlig taub sind, ein Umstand, der vermutlich anderseits wieder die Ursache der fortwähren- den Unruhe der Tiere ist, die jeden Augenblick den Kopf vorwärts und in die Höhe strecken, um zu wittern.
Dr. Brandes, Ver.-Sitz. 1. März 00.
Die Begattung von Clepsine tessulata. Schon im Jahre 1844 hat kein geringerer als der jüngst verstorbene Frırz MÜLLER in seiner Dissertation, !) die Begattung von Olepsine tessulata, der grössten unserer heimischen Rüssel- egel, beschrieben. Er beobachtete eine mehrtägige Kopu- lation zweier Tiere, bei der auch eine Vorstülpung des
1) De hirudinibus eirca Berolinum hucusque observatis. Berlin 1844. 8. 34.
Kleinere Mitteilungen. 127
Penisrohres und eine Einführung in die Scheide des Partners festgestellt werden konnte. BrumPpT!) meint neuerdings, dass diese Schilderung nieht recht im Einklang mit dem Bau der Geschlechtsorgane stände. Nun ist es allerdings richtig, dass wir bei Ol. tessulata keinen Cirrus mit lang ausstülpbarem Penis finden, andererseits unterscheidet sich aber auch die genannte Spezies von allen übrigen Rüssel- egeln und von Nephelis dadurch, dass der männliche End- apparat nicht als sogenannte Spermatophorentasche ausge- bildet ist. Das unpaare Endrohr ist sehr lang, womit eine ebenfalls stark verlängerte Vagina in Korrelation steht. Es ist also sehr wohl eine — natürlich nur geringfügige — Ausstülpung des Penisrohres in die Scheide denkbar.
Ich habe nun Gelegenheit gehabt, die Kopulation von Ol. tessulata im Laufe dieses Jahres zu beobachten und kann die Angaben Frrrz MÜLLER’s nieht nur bestätigen, sondern auch in nicht unwesentliehen Punkten vervollständigen.
Ende April fand ich unter einem Steine des Passen- dorfer Gutsteiches zwei stattliche, über 10 em lange Exem- plare der genanten Art. Ich brachte sie in ein besonderes Gefäss und versuchte vergeblich sie zu füttern. Am 11. Mai fand ich die Tiere in Kopula. Mit den Saugnäpfen hatten sie sich an der Glaswand in einer Entfernung von etwa 5 bis 6 em vor Anker gelegt und pressten die Bauchseiten des Vorderkörpers aufeinander. Diese Kopula dauerte mit ge- ringen Unterbrechungen bis zum 25. Mai. Eines Morgens (21. Mai) fiel mir in dem Wasser ein kleiner weisslicher Körper auf, der sich unter dem Mikroskop als ein mit zahl- reichen, doppelt kontourierten Röhren durchsetzter Sekret- ballen entpuppte. Ich gab den Tieren frisches Wasser und fand am anderen Morgen, also im Verlaufe von 24 Stunden sechs soleher Sekretballen im Wasser vor. Am nächsten Morgen hatte ich das Glück, bei einem der Tiere einen solehen Sekretballen aus der weiblichen Geschlechtsöffnung heraushängen zu sehen. Ich entfernte ihn mit grösster Vor- sicht und konnte nun unter dem Mikroskop feststellen, dass
1) De l’accouplement chez les Hirudinses. Bull. Soc. zool. France Sg. 2%
128 Kleinere Mitteilungen.
an der Seite, die in der Vagina gesteckt hatte, zahlreiche Spermatozoen aus den schon erwähnten Röhren herausge- wandert waren und eine lebhafte Bewegung zeigten, während in den Röhren an der anderen Seite die zu eigentümlichen Ringen zusammengerollten Samenfäden ganz bewegungslos lagen.
Die Deutung ist nach meinen im vorigen Bande dieser Zeitschrift (S. 212 ff.) gemachten Mitteilungen über die Be- gattung von Nephelis nieht sonderlich schwer. Wir haben bei 01. tessulata einen Uebergang von der Begattung mittelst Kanülen zu der Begattung mittelst Penis. Die Kanäle werden in Form langer, mit Sperma gefüllter Röhren als - Ausguss der Vasa deferentia gebildet und in einem Sekrete verpackt der Vagina des Partners einverleibt. Die Ein- führung dieses Sekretballens ist infolge einer Verlängerung des männlichen und weiblichen Endrohres ermöglicht, aber noch nicht sehr gesichert. Damit steht die lange Dauer der Kopula und die reiehliche Produktion der Sekretballen in bester Uebereinstimmung: es gelingt eben den Tieren nur selten, den Sekretballen wirklich in die Vagina ein-
zuführen. Dr. G. Brandes, Ver.-Sitz. 14. Juni 00.
Litteratur- Besprechungen.
Klocekmann, F., Lehrbuch der Mineralogie. 2. Aufl. Stuttgart, Enke. 1900.
Die Anordnung des Stoffes ist dieselbe geblieben wie in der ersten Auflage (vgl. diese Zeitschrift 1892); dagegen hat der Verfasser manche Kapitel vollständig umgearbeitet; hier ist besonders die geometrische Krystallographie zu nennen. Referent wagt es über die ersten 40 Seiten, welche allgemeine Gesetze der geometrischen Krystallographie be- handeln, die Frage aufzuwerfen, ob es in einem Lehrbuche, welches „ja nur für solche Studierende berechnet ist, welche in der Mineralogie eine Hilfswissenschaft für ihre Studien auf dem Gebiete der Chemie, der Bergbau- und Hüttenkunde und sonstigen Technik erblieken“ (S. X), angebracht ist, diese allgemeinen Gesetze so breit zu erörtern. Bei den tetartoödrischen Krystallen des regulären Systems führt der Autor nur künstliche Salze an und sagt ausdrücklich, dass tetartoädrische Mineralien nicht bekannt seien, was den Thatsachen nicht entspricht. Auch bei den optischen Eigen- schaften der Krystalle ist versucht worden, die bekannten Erscheinungen zu erklären; ebenso ist bei der Beschreibung der Mineralien eine grössere Vollständigkeit der Eigen- schaften angestrebt worden. Bei der Aufzählung der Plagio- klase rechnet der Autor Albit von Ab — Ab; An,, Oligoklas von Ab, An, bis Ab, An,, Andesin Ab; Anz — Ab, An,, Labrador Ab; An, — Ab, An,, Rytoronit von Ab, An, — Ab, An, und Accorthit von Ab, Anz, — An. Nun wird von allen deutschen Mineralogen eine fortlaufende symmorphe
Reihe angenommen, der Autor schliesst durch seine Zahlen Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 9
130 Litteratur-Besprechungen.
eine ganze Menge Plagioklase aus, so die zwischen Ab, An, und Ab, An, liegenden, ebenso die zwischen Ab, An, und Ab, An, liegenden ete., eine in der That merkwürdige Auf- fassungsweise. Die Figuren reichen zur Erklärung des ge- gebenen aus, nur hätten wohl eine grössere Anzahl durch neu gezeichnete ersetzt werden können. Trotz dieser kleinen Ausstellungen kann das Buch der oben genannten Kategorie der Studierenden empfohlen werden. Halle a. S. Luedecke.
Günther, S., Handbuch der Geophysik. Zweite, gänz- lich umgearbeitete Auflage. 2 Bände. Stuttgart, F. Enke, 1897—1899.
In dem I. Bande des umfangreichen Werkes behandelt der Verfasser in der 1. Abteilung die kosmische Stellung der Erde, in der 2. die allgemeinen mathematischen und physikalischen Verhältnisse des Erdkörpers, in der 3. das Erdinnere und seine Reaktion gegen die Aussenwelt, in der 4. die magnetischen und elektrischen Erdkräfte.
Schon äusserlich ist durch verschiedenen Druck das Gerippe von dem erläuternden Texte abgehoben und am Sehlusse jedes Kapitels eine ausserordentlich ausgedehnte Zitatensammlung angefügt.
Der Berücksiehtigung der Litteratur hat der Verfasser ganz besondere Sorgfalt zugewendet, und soweit Referent bei genauerer Durehmusterung gefunden hat, ist in dem Werke überall die Litteratur bis in die neueste Zeit mit Geschiek benutzt worden, um dem Leser ein gutes Bild über den augenblieklichen Stand der mannigfaltigen Probleme in der geophysikalischen Wissenschaft zu geben.
Eine grössere Zahl von Abbildungen unterstützt die Darstellung in günstiger Weise.
Die Schwierigkeiten, die der Abfassung eines solchen Werkes, wie das vorliegende ist, sich entgegenstellen, be- ruhen hauptsächlich in der grossen Mannigfaltigkeit und Heterogenität der heranzuziehenden Hilfswissenschaften.
Der Leser gewinnt aber bald den Eindruck, dass der Verfasser dieser Schwierigkeiten in sehr geschiekter Weise Herr geworden ist.
nn
Litteratur-Besprechungen. 131
Es ist hier nicht wohl möglich, dem ganzen Umfange des zweibändigen Werkes gerecht zu werden; nur einzelne Kapitel von allgemeinem Interesse will der Referent heraus- greifen.
Im IL, I. und III. Kapitel werden die neueren An- sichten über die übrigen Glieder des Planetensystems ein- gehend behandelt. Besonders eingehende Darstellung hat die Theorie der Nordlichter gefunden, über deren Wesen die neueren Untersuchungen elektrischer Schwingungsvor- gänge mancherlei Aufschluss gebracht haben.
Im II. Bande ist in 11 Kapiteln die Physik der Atmo- sphäre behandelt, die folgenden 6 Kapitel beschäftigen sich mit der Physik der Meere, worauf 3 weitere Kapitel die Wechselbeziehungen zwischen Meer und Land darstellen.
Den Schluss des Werkes bilden Untersuchungen über den tektonischen Aufbau der Erdoberfläche und insbesondere über den Einfluss des Wassers auf die Gestalt der Kontinente.
Von besonderem Interesse dürfte für den alpinen Be- strebungen zugewandten Leser der Absehnit über das Süss- wasser im festen Zustande sein. In diesem findet der Leser eine ausführliche Darstellung der wissenschaftlichen Be- strebungen, die Naturgeschichte der Gletscher zu ergründen. In trefflicher Weise hat der Verfasser die vielen Hilfsbe- trachtungen, welche hier notwendig wurden, besonders aus dem Gebiete der Physik, durchgeführt, und dem Leser ein Bild zu geben gesucht, das sein Interesse im höchsten Masse wachruft.
Dem Problem der Ebbe und Flut ist in der VI. Ab- teilung das Kapitel IV gewidmet, welches uns ausführlich die Geschichte und den augenblicklichen Stand der An- schauungen über diese allgemein interessierenden Erschei- nungen behandelt. Mit Geschick streift der Verfasser die theoretische Behandlung des Problems und flieht in seine Darstellung eine grosse Menge interessanter Beobachtungs- daten über die Grösse der durch die Umrisse der Kontinente so mannigfach variierten Flutwelle.
Allgemeineres Interesse dürfte das IV. Kapitel der V. Ab- teilung besitzen, in welchem der Verfasser die heutigen
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132 Litteratur-Besprechungen.
Anschauungen über Luft- und Gewitter-Rlektrizität mit Be- nutzung der neuesten Litteratur in übersichtlicher Weise
entwickelt. Prof. Sehmidt.
Lehmann, Dr. F. W. Paul, Direktor des Schillergymnasiums in Stettin. Länder und Völkerkunde. Bd.I. Europa. Verlag von J. Neumann, Neudamm. 1899. Preis 7,50 Mk.
Der Verfasser will nach seinen Worten in der Vorrede eine Kulturgeographie bieten als Grundlage der Kultur- geschichte Europas. In fliessender Erzählung schildert er grossenteils aus eigener Anschauung Land und Leute unseres Erdteiles auf Grund der Naturverhältnisse und der Kultur- stufe und ihrer Wechselbeziehungen. Obwohl auch hin und wieder in dem Buche geologische Fragen behandelt worden sind, so ist dadurch die allgemeine Verständlichkeit der Darstellung nirgends gestört. Unterstützt wird der lebendige Text durch Karten und zahlreiche, meist recht gute Ab- bildungen von Landschaften, Städten, sowie bedeutenderen Bauwerken der Kunst und Industrie Auch die Trachten- bilder sind eine höchst angenehme Zugabe. Die Buntdrucke, die eher in einen Jugendfreund passen, verschwinden hoffent- lich in einer zweiten Auflage, die wir dem trefflicehen Buche wünschen. Wir empfehlen das Werk zur Anschaffung für Haus- und Schulbibliotheken, sowie als Geschenk oder Prämie für Schüler höherer Klassen.
Dr. Walther Schoenichen.
Pohl, Josef, Die Maus. Anregende Betrachtungen über den Einfluss der Körpergrösse auf Bau und Leben der Säugetiere. Für die Jugend. Verlag von Fournier und Haberler. Znaim 1897.
Die Mehrzahl der naturwissenschaftliehen Jugendschriften beschränkt sich entweder darauf, dem sammelnden Knaben trockene Bestimmungstabellen und Diagnosen in die Hand zu geben, oder durch die Schilderung interessanter bio- logischer Einzelheiten die Phantasie der Jugend zu kitzeln. Beide Methoden haben für die Verstandesbildung keine
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grosse Bedeutung. Die bildende Kraft der naturgeschicht- lichen Stoffe wird vielmehr erst dann vollwertig ausgenutzt, wenn jede Naturerscheinung als Ursache oder Folge einer anderen betrachtet, und somit der jugendliche Geist zu fort- währenden logischen Uebungen genötigt wird. Das letztere ist dem Verfasser des vorliegenden Büchleins im reichsten Masse gelungen; indem er die Maus von dem Gesichtspunkte ihrer Körpergrösse aus betrachtet, zeigt er, wie zahllose Charaktere und Organisationszüge der Säugetiere Funktionen der Körpergrösse sind. Dabei weicht der Verfasser nirgends von der Bahn populärer Darstellungsweise ab; zu wünschen wäre, dass bei einer Neuauflage auf diejenige Eleganz der Darstellung noch mehr Wert gelegt wird, die den Reiz einer Jugendschrift in so hohem Masse zu steigern geeignet ist. Jedenfalls können wir das Büchlein aufs wärmste em- pfehlen, namentlich auch für die Hand des Naturkunde- Lehrers, der aus ihm für seinen Unterricht manche An- regung empfangen wird. Dr. Walther Schoenichen.
Arbeiten aus der biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft am kaiserlichen Gesundheitsamte. Gemeinsamer Verlag von Paul Parey und Julius Springer in Berlin.
Unter obigem Titel erscheinen seit dem Anfang dieses Jahres in zwangloser Folge einzeln käufliche Hefte, die grössere Veröffentlichungen über die Resultate von Unter- suchungen und Beobachtungen auf allen Arbeitsgebieten der biologischen Abteilung enthalten. Das eben ausgegebene 2. Heft enthält folgende Abhandlungen:
1. Frank, Dr., Geh. Reg.-Rat, Prof., Beiträge zur Be- kämpfung des Unkrautes durch Metallsalze.
2. Hiltner, Dr., Reg.-Rat, Ueber die Ursachen, welche die Grösse, Zahl, Stellung und Wirkung der Wurzelknöllehen der Leguminosen bedingen.
3. Jacobi, Dr., Die Aufnahme von Steinen durch Vögel.
4. Rörig, Dr. Reg.-Rat, Ein neues Verfahren zur Be- kämpfung des Schwammspinners.
5. Kleine Mitteilungen:
134 Litteratur-Besprechungen.
a) Mitteilungen über das Clasterosporium Amyg- dalearum;; b) Beschädigungen des Wintergetreides durch die Getreide-Blumenfliege; e) Der Gürtelschorf, eine unter den Zuckerrüben neuerdings häufiger auftretende Krankheit. Das Heft enthält zu der ersten Arbeit eine vortrefflich ge- zeichnete farbige Tafel, zur zweiten Arbeit eine Tafel in Liehtdruek und noch 7 Figuren im Text. Der Inhalt der einzelnen Arbeiten ist kurz folgender: FRANK besprieht nach einer Zusammenfassung der bis jetzt vorliegenden Mitteilungen über die Vertilgung des Un- krautes durch Metallsalze, die Wirkung einer Eisenvitriol- lösung auf Unkräuter und Kulturpflanzen. Näher geprüft wurden Pflanzen aus der Familie der Cruciferen, der Pa- paveraceen, der Fumariaceen, der Polygonaceen, der Chene- podiaceen, der Caryophyllaceen, der Violaceen, der Euphor- biaceen, der Geraniaceen, der Umbelliferen, der Rosaceen, der Papilionaceen, der Labiaten, der Serophulariaceen, der Convolvulaceen, der Compositen, der Gramineen, der Equi- setaceen und von Kulturpflanzen der Hafer, die Gerste, der Sommerweizen und -roggen, der Rotklee, die Erbsen, die Wieken und die Rüben. In gleicher Weise wird sodann die Wirkung des Kupfervitriols auf obige Pflanzen besprochen. Ein weiterer Absehnitt behandelt die Bedingungen der Ver- siftbarkeit der Pflanzen durch aufgebrachte Metallsalz- lösungen. Viele Pflanzen haben Schutzmittel, durch die sie einer vollkommenen Benetzung und damit dem Tode ent- sehen, weil die Metallsalze nur lokal wirken. Solche Schutz- mittel sind die verborgene Lage des Vegetationspunktes am Stengel und der jungen Blätter (Gramineen, Polygonaceen, Equisetaceen), die geringe Flächenausdehnung der Blätter, die Richtung der Pflanzenteile, die Haarbekleidung der Pflanzenteile (Centaurea, Labiatae, Verbaseum, Chenopodia- ceae), die Beschaffenheit der Cutieula (Erbse, Getreideblätter). Sodann werden die Versuche mit pulverförmigen Eisen- mitteln mitgeteilt, die einzelnen Spritzen zur Verteilung der Vitriollösung besprochen und die in der Praxis verwertbaren Ergebnisse zusammengefasst.
- Litteratur-Besprechungen. 135
In dem Aufsatz über die Leguminosenknöllchen schildert HıLtner das Eindringen der Bakterien in die Wurzelhaare auf Grund seiner Untersuchungen an der Erle, um sich dann der Frage der Arteinheit der Leguminosen- knöllehenbakterien zuzuwenden. In Uebereinstimmung mit BEYERINCK und FRANK und im Gegensatze zu KIRCHNER, GONNERMANN und SCHNEIDER spricht er sich für die Art- einheit aus. Morphologisch sind sich die Bakterien der ver- schiedensten Leguminosen und selbst der Mimosaceen ausser- ordentlich ähnlich, dagegen verhalten sich die aus den Knöllehen verschiedener Leguminosen isolierten Bakterien biologisch und physiologisch sehr verschieden. Die Bakterien zeigen eine Anpassungsfähigkeit an eine bestimmte Pflanze. Die Bakterien aus den Knöllehen verschiedener Leguminosen sind Anpassungsformen ein und derselben, allerdings ausserordentlich polymorphen Art. Wird die An- passungsfähigkeit zugegeben, so muss die Zahl, Grösse und Wirkung der Knöllehen in demselben Boden bei derselben Leguminosenart verschieden sein nach dem Anpassungsgrade des Bakteriums zu der betreffenden Pfianze.e Der Erfolg einer Impfung mit Bakterien hängt nicht von der Menge der verwendeten Bakterien ab, sondern von ihrer Virulenz. Soll Nitragin eine Wirkung zeigen, so ist die Ausgangs- kultur aus Knöllchen von Pflanzen zu entnehmen, die schon mehrmals auf dem betreffenden Boden gebaut waren, dessen Bakterien schon mehrmals in den Knöllchen derselben Pflanze gelebt haben. Durch zeitweise Uebertragung der Reinkultur auf die lebende Pflanze ist die Virulenz zu steigern. Be- sitzen Pflanzen thätige Knöllehen, so ist durch Nitragin der Ertrag nur zu steigern, wenn Bakterien höherer Virulenz verwendet werden. Thätige Knöllchen verleihen der Pflanze Immunität gegen Bakterien von gleichem oder niedrigerem Virulenzgrade, als die in den Pflanzen thätigen Bakterien haben; nur Bakterien von höherer Virulenz können noch in die Wurzeln eindringen. Diese Immunitätslehre wird bewiesen an Versuchen mit Erle und Robinia. Gestützt wird sie durch die Stellungsverhältnisse der Knöllehen in den Wurzeln, da sie sich nur nahe der Oberfläche bilden. Der Sauerstoff bewirkt diese Stellung nieht, sondern durch
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die an den Wurzeln des Keimpflänzehens entstehenden Knöllchen werden die tiefer eindringenden Wurzeln immun. Die Ursachen, welehe die Bildung und Wirkung der Knöllehen beeinflussen, sind folgende. Die vorhandenen Bakterien verhindern die Bildung von neuen, weil die Ge- samtmasse der Knöllchen eine bestimmte Grenze nicht über- schreiten kann, ohne dass der Gleichgewiehtszustand gestört wird. Die Pflanze schützt sich gegen nicht genügend viru- lente Bakterien durch Ausscheidung von Abwehrstoffen. Diese Bakterien können erst eindringen, wenn die Pflanzen nach Stickstoff hungern, bleiben aber ohne Wirkung. Bei gut ernährten Pflanzen ist die Knöllehenbildung sehwächer; nur wirklich virulente Bakterien können in gut ernährte Pflanzen eindringen. Der Salpeter wirkt schädlich auf die Bakterien, am meisten auf sandigem Boden, der Ammoniak- stickstoff vermindert die Knöllchenbildung weniger, der organische Stickstoff gar nicht. Auch Kalk scheint manch- mal die Knöllchenbildung zu vermindern. Weiter sind die Witterungsverhältnisse von Einfluss. Die mit Bodenstick- stoff ernährten Pflanzen können noch bei Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen wachsen, welche bereits unter der Grenze liegen, innerhalb welcher die Knöllchen thätig sind.
Zum Schluss bespricht HıLtner noch die verschiedenen Formen der Knöllchen bei derselben Pflanze.
Die Aufnahme von Steinen durch Vögel. JAcoBI betrachtet zunächst die Art und Menge der verzehrten Ge- steine durch die in Frage kommenden Vögel und erörtert im zweiten physiologischen Teile die Fragen: Zu welchem Zwecke verzehren die Vögel Steine und welche Umstände beeinflussen die Aufnahme?
In dem letzten grösseren Aufsatz über ein neues Ver- fahren zur Bekämpfung des Schwammspinners be- sprieht RörIG zunächst die seither üblichen Verfahren auf ihre praktische Brauchbarkeit. Er empfiehlt sodann das Durchtränken der Schwämme mit Petroleum, dem zur Er- kennung der getränkten Schwämme etwas Alkannin zuge- setzt ist. Um sicher und einfach das Durchtränken auszu- führen, wird eine eigens zu diesem Zwecke gebaute Kanne empfohlen. Dr. H. Biedenkopf in Chemnitz.
Litteratur-Besprechungen. 187
Schultz, Carl, Die Ursachen der Wettervorgänge. Neuerungen und Ergänzungen zum Weiterbau der meteoro- logischen Theorien. In kurzer allgemeinverständlicher Fassung. 9 Bogen. Oktav. Geheftet 1 fl. 10 kr. = 2 Mk. A. Hartlebens Verlag, Wien. Die an neuen Gedanken reiche Arbeit vertritt den Standpunkt, dass alle heutigen Bestrebungen, die Wetter- vorgänge auf einzelne Ursachen zurückzuführen, verfehlt sind, da das Wetter die Resultante sämtlicher einwirkender Faktoren bildet. Diese sucht der Verfasser durch Unter- suchung der als möglich erscheinenden, die zur Ausmerzung einiger unter ihnen führt, festzustellen. Er betont, dass die ältere Theorie des Luftaustausches zwischen Aequator und Polen als Ursache der Winde neben der neueren, auf Luft- druckerteilung fussenden festzuhalten ist und die richtige Anschauung im Kombinieren beider besteht. Auf in- duktivem Wege, von bekannten Grundursachen auf deren Wirkungen schliessend, gelangt er zu Erweiter- ungen beider Theorien. Einerseits zu Schlüssen auf die stete Bewegung des an Volumen weit überwiegenden Teiles der Atmosphäre oberhalb der Wolkenregion nebst einem in ihm herrschenden Vertikalkreislauf und dessen Einflüssen, sowie auf den uns durch seine relativ hohe Temperatur gewährten Schutz gegen die kaum vom absoluten Nullpunkt abweichende Kälte des Weltraums und auf eine Erklärung der BrRÜückner’schen Klimaperioden aus den Schwankungen dieses Schutzes. Andererseits über die wahrscheinlichen Entstehungsweisen der Luftdrucksverschiedenheiten. Es wird die neue Bahn betreten, die Maxima sowie die Depressionen je nach ihrem Ursprung und ihren Tendenzen in bestimmte Klassen einzuteilen und deren besonders bei den Depressionen hiernach zu erwartende von einander abweichende Ein- flüsse auf Wind und Wetter zu untersuchen. Die Ursachen ihrer Ortsveränderung werden erörtert und im Gegensatze zu der herrschenden Ansicht, dass stets nur Fortpflanzung stattfinde, verschiedene Fortbewegungsweisen je nach den Klassen angenommen. Die Wechselwirkungen zwischen Wind und Luftdruckverteilung werden hervorgehoben. Zur Faup’schen Theorie bringt der Verfasser neben teils zu-
138 Litteratur-Besprechungen.
stimmenden, teils widersprechenden Betrachtungen eine wesentliche Hinzufügung, welche Aufschlüsse über eine der Depressionsklassen (2b) giebt, zugleich aber eine neue Er- klärung des Zodiakallichtes und auch der Perlmutter- wolken enthält. Bezüglich der Sonnenfleeken wird auf deren anscheinenden Zusammenhang mit der Elektrizitätsstrahlung der Sonne hingewiesen und die Möglichkeit merkbaren Ein- flusses dieser auf das Wetter zugegeben, sofern sie die Ge- witter besonders der Tropen und damit die vom Verfasser auf letztere zurückgeführte Depressionenklasse (2a) be- einflusst.
Fortschritte der Physik im Jahre 1898. II. Teil. Physik des Aethers. Redigiert von R. Börnstein. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1899.
Der vorliegende Band enthält die Referate der Arbeiten über Optik, Wärmelehre und Elekrizität. In dem Gebiete der Optik sind besonders die Besprechungen der Arbeiten über die Uranstrahlen 14 Kapitel beachtenswert. In dem Abschnitt über Elektrizitätslehre findet sich eine gute Zu- sammenstellung der im Jahre 1893 gelieferten Arbeiten über Röntgenstrahlen.
Die Litteratur-Nachweise über wichtige Arbeiten aus dem Gebiete der Elektrotechnik sowie die Referate über Akkumulatoren betreffende Arbeiten (Kapitel 29) und über Arbeiten aus dem Gebiete der messenden Wechselstrom- technik werden vielen Lesern willkommen sein.
Schmidt.
Garcke, August, Illustrierte Flora von Deutschland. Zum Gebrauche auf Exkursionen, in Schulen und zum Selbstunterrieht. Achtzehnte, neubearbeitete Auflage. Mit 760 Originalabbildungen. Verlag von Paul Parey, Berlin. 1898. 8.
Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wenn man einem Buche, das während eines Zeitraumes von fast 50 Jahren in mehr als 55000 Exemplaren verbreitet ist, ein langes Empfehlungssehreiben auszustellen für nötig befände. Es genügt hier hervorzuheben, dass die vorliegende Auflage
Litteratur-Besprechungen. 139
ihre Vorgängerinnen infolge der Beifügung zahlreicher guter Abbildungen von charakteristischen Formen an praktischer Brauchbarkeit noch übertrifft. Ausserdem hat eine grosse Anzahl neuer Pflanzenstandorte Aufnahme gefunden, während in der Bestimmung der Genera und Spezies vielfach Er- leichterungen eingeführt sind. Alle diese Bereicherungen und Verbesserungen werden sicherlich dazu beitragen, dem treffliehen Buche immer neue Freunde zu erwerben.
Dr. Walther Sehoenichen.
Kraus, Konrad, Grundriss der Naturlehre für Lehrer- und Lehrerinnnen-Bildungsanstalten. 1. Teil. Wirk- ungen der Molekularkräfte, Wärmeerscheinungen, magne- tische und elektrische Erscheinungen. Mit 139 Holzsehnitten. Wien, Verlag von Pichler’s Ww. & Sohn, 1899. 8. Preis in Leinwand gebunden 90 kr. II. Teil. Chemie. Mit 64 Holz- schnitten. Wien 1897. 8. Preis in Leinwand gebunden kr.
Von Lehrbüchern und Leitfaden für den naturkundlichen Sehulunterricht ist nach gerade eine erkleckliche Anzahl erschienen. Zum Erscheinen der oben genannten Büchlein lag also wohl nicht gerade ein dringendes Bedürfnis vor; nichts desto weniger erscheinen sie durchaus beachtenswert. Die Auswahl des Stoffes ist nicht ohne Geschick ausgeführt. Die Anordnung des gebotenen ist überall zweckentsprechend, sodass auch für den propädeutischen Unterricht in Physik und Chemie, wie er an den höheren Lehranstalten erteilt wird, der Lehrer reichliche Beratung in den vorliegenden Leitfäden finden kann. Die Darstellung ist klar und wohl gegliedert; die Abbildungen lassen nichts zu wünschen übrig. Wenn es schliesslich noch gestattet ist, einem Wunsche Aus- druck zu verleihen, so sei darauf hingewiesen, das die kon- ‚sequente Einführung der neuen Orthographie dem Buche vorteilhaft sein würde. Vielleicht empfiehlt es sich auch, bei den in den Anmerkungen angeführten griechischen und lateinischen Wörtern durch Accente eine falsche Betonung
unmöglich zu machen. Dr. Walther Schoenichen.
140 Litteratur-Besprechungen.
Zenker, Wilhelm, Lehrbuch der Photochromie. Neu herausgegeben von Schwalbe. Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1900.
Von dem Gedanken der Pietät geleitet, hat Professor SCHWALBE eine Neuherausgabe des fast der Vergessenheit anheim gefallenen Werkes von ZENKER besorgt.
Wir erfahren aus dem Lebenslauf, welcher dem Werke vorgedruckt ist, dass ZENKER harte, schwere Lebensschick- sale durehgemacht hat und durch Unglück aus glänzenden Lebensverhältnissen in den herben Kampf ums Dasein ge- schleudert, in kümmerlichster Weise sein Leben fristen musste.
Um so mehr müssen wir bewundern, wie er in diesem harten Kampfe doch stets der Wissenschaft treu blieb und die wenigen Stunden freier Zeit immer wieder ernster, geistiger Arbeit zuwandte.
Das Verzeichnis seiner Arbeiten zeugt von der Mannig- faltigkeit seiner Bestrebungen. Zunächst in den fünfziger Jahren mit zoologisehen Studien beschäftigt, wendet er sich in dem folgenden Jahrzehnt optischen Arbeiten zu, deren Resultate in dem vorliegenden Buche wiedergegeben sind.
Endlich finden wir auch noch eine Reihe meteoro- logischer Arbeiten angeführt, welche ZENKER auch in den Zeiten seiner Krankheit bis kurz vor seinem Tode weiter- führte.
Das vorliegende Werk giebt in trefflicher klarer Dar- stellung die Geschichte der Bestrebungen, farbige Photo- gramme zu erzeugen. In diese geschichtliche Darstellung hat der Verfasser in geschiekter Weise die experimentellen Untersuchungen und die theoretischen Ueberlegungen, welche sich ihnen anschliessen, verflochten.
Von besonderem Interesse ist dem Leser natürlich die S. 116 ff. gegebene eigene T'heorie des Verfassers, welche 1890 von Orro WIENER experimentell erwiesen wurde, dass nämlich die Farbenbilder BECQUEREL’s entstehen durch die Interferenz an Elementarspiegeln aus Silber, welehe durch die Einwirkung stehender Wellen hervorge- rufen werden.
Auf Grundlage dieser theoretischen Einsicht ist dann
Litteratur-Besprechungen. 141
später der grosse Fortschritt in der farbigen Photographie gemacht, wie er uns in den Bildern LırpmAann’s und den neuesten Aufnahmen von NEUHAUS’ entgegentritt. ZENKER’S Name ist also untrennbar mit der Photochromie verbunden.
Schmidt.
Das Tierleben der Erde von Wilhelm Haacke und Wilhelm Kuhnert. 3 Bände. Mit 620 Textillustrationen und 120 chromotypographischen Tafeln. In 40 Lieferungen zu je 1Mk. Berlin, Martin Oldenbourg, 1900.
Wir wollen nicht versäumen, schon jetzt auf dieses Werk hinzuweisen, da die zur Zeit in 3 Lieferungen vor- liegenden 9 Bogen und 10 Farbentafeln bereits zur Genüge erkennen lassen, dass wir es hier mit einem Prachtwerk erster Klasse zu thun haben. HAAckE will kein zweites „Brehm’s Tierleben“, sondern etwas völlig neues liefern, und er hat — nach der vorliegenden Probe zu urteilen — einen sehr guten Griff gethan. Haacke geleitet uns in die einzelnen Erdteile, die er grösstenteils aus eigener An- schauung kennt, als zoologischer Führer und beginnt mit Mitteleuropa, indem er uns nach dem modernen Prinzip der Zusammenfassung der belebten Natur in Lebensgemein- schaften den deutschen Wald zeigt mit allem, was in ihm lebt. Seine Darstellung ist überaus reizvoll und inhaltreich und Kunnerr's Illustrationen ebenso wie die typographische Ausstattung über jedes Lob erhaben. Im nächsten Hefte werden wir ausführlicher auf dieses Werk zurückkommen.
Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Hahn, R. Die Entwicklung der Leibnizischen Metaphysik und der Einfluss der Mathematik auf dieselbe bis zum Jahre 1686. Halle 1899. 4. 35 pg.
Lengauer, L., Geometrische Wahrscheinlichkeitsprobleme. Würzburg 1899. 8. 62 pg.
Reichesberg, N., Der berühmte Statistiker Adolf Quetelet. Sein Leben und Wirken. Neue Ausgabe. Bern (Zeitschr. Schweiz. Statist.) 1899. gr. 8. 142 pg. 2,00 Mk.
Wolff, H., Ueber die Anzahl der Zerlegungen einer ganzen Zahl in Summanden. Halle 1899. 4. 23 pg.
Dölp, H., Aufgaben zur Differential- und Integralrechnung nebst den Resultaten und den zur Lösung nöthigen theoretischen Erläuterungen. 8. Auflage, neu bearbeitet von E. Netto. Giessen 1900. gr.8. A und: 216 pg. Leinenband. 4,00 Mk.
Jung, H., Ueber die kleinste Kugel, die eine räumliche Figur ein- schliesst. Marburg 1899. 8. 26 pg.
Pernter, J.M., Ein Versuch, der richtigen Theorie des Regenbogens Eingang in die Mittelschulen zu verschaffen. 2. Auflage. Wien 1899. gr.8. 28 pg. mit 1 Tafel und 11 Holzschnitten. 0,80 Mk.
Physik und Chemie.
Erfindungen und Erfahrungen, Neueste, auf den Gebieten der praktischen Technik, Elektrotechnik, der Gewerbe, Industrie, Chemie, der Land- und Hauswirtschaft. Herausgegeben und redigiert von Th. Koller. Wien. gr. 8. mit Abbildungen. — Jahrgang 27: 1900 (13 Hefte). 7,50 Mk.
Edelmann, M., Der Galvanometer mit beweglicher Spule (d’Arsonval- Galvanometer). München 1899. . 8. 40 pg.
Faller, O., Eine neue Anschauung über die Reibung. Vorläufige Mit- teilung. München 1899. gr. 8. 16 pg. mit Holzschnitten. 0,40 Mk.
Feliei, R., Ueber die mathematische Theorie der elektrodynamischen Induktion. (1854.) Uebersetzt von R. Dessau. Herausgegeben von E. Wiedemann. Leipzig 1899. 8. 121 pg. Leinenband. 1,80 Mk.
Hillers, W., Ueber den Einfluss des Gasdruckes auf elektrische Ströme, die durch Röntgenstrahlen hervorgerufen werden. Jena 1899. 8. 42 pg- 1,80 Mk.
Neu erschienene Werke. 143
Leixl, O., Zur chemischen Charakteristik der Malagaweine. Ein Bei- trag zur Beurteilung der Süss- und Südweine. München 1898. 8.
38 Dg.
Lenecek, O., Der Torf und die moderne Torfindustrie. Brünn 1899. 8. 20 pg.
Monheim, J., Beiträge zur Kenntnis des Tannenhonigs. Erlangen 1899. 8. 42 ng.
Schwab,M.J., Untersuchungen über die Beschaffenheit der in Deutschen Städten fabrikmässig hergestellten Säuglingsmilch. Würzburg 1899. 8. 21 pg.
Bersch, W., Die moderne Chemie. Eine Schilderung der chemischen Grossindustrie. Wien 1900. gr.8. mit Tafeln und Abbildungen. — Lieferung 17—30: pg. 8 und 631—952. Jede Liefg. 0,50 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 960 pg. mit 34 Tafeln und 696 Abbildungen. 15,00 Mk. 1 in Leinenband 17,50 Mk.
Brühl, E., Kritische Studien über die Anwendung des Wasserstoff- superoxydes in der quantitativen Analyse. Wiesbaden 1900. 8. 34 pg. 0,80 Mk.
Geitel, M., Das Wassergas und seine Verwendung in der Technik. 3. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Berlin 1900. gr. 8. mit 74 Abbildungen. 7,00 Mk.
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Bersch, J., Lexikon der Metall-Technik. Enthaltend die Schilderung der Eigenschaften und der Verwertung aller gewerblich wichtigen Metalle, deren Legierungen und Verbindungen. Wien 1899. gr. 8. mit zahlreichen Abbildungen. — Lieferung 17—20: pg. 6 und 768 bis 864. Jede Liefg. 0,50 Mk. Das jetzt vollständige Werk, 870 pg. mit zahlreichen Abbildungen. 10,00 Mk.
Brauns, R., Betrachtungen über die Krystallisation des Schwefels aus seinem Schmelzfluss. (Stuttgart, N. Jahrb. Mineral.) 1899. gr. 8.
51 pg. mit 7 Tafeln. 4,00 Mk. Twrdy, K., Methodischer Lehrgang der Krystallographie. Wien 1899. gr. 8. 11 und 208 pg. mit 184 Holzschnitten. 2,50 Mk. Day, D.T., The production of Fluorspar in 1898 (in the United States). Washington 1899. 4. 5 pg. 0,80 Mk.
Hornung, W., Die Diluvial- und Alluvialablagerungen des Regnitz- thales nördlich Erlangen, nebst einigen Betrachtungen der oro- graphischen und hydrographischen Verhältnisse des Niederschlags- gebietes der Regnitz. Erlangen 1899. 8. 46 pg. mit 2 Karten.
Studer, G., Ueber Eis und Schnee. Die höchsten Gipfel der Schweiz und die Geschichte ihrer Besteigung. 2. Auflage, von A. Wäber und H. Dübil. Band III: Südalpen, Schluss; Ostalpen. Bern 1899. 8.
12 und 508 pg. Leinenband. 7,00 Mk. Das jetzt vollständige Werk, 3 Bände, 1896—99. 535, 537 und 520 pg. mit 1 Portrait, Leinenband. 21,00 Mk,
144 Neu erschienene Werke.
Botanik.
Bo en, F., Die Lärche. Ihr leichter und sicherer Anbau in Mittel- und Nord-Deutschland durch die erfolgreiche Bekämpfung des Lärchen- krebses. Hameln 1899. 8. 140 pg. mit 3 Tafeln. 2,00 Mk.
Wübbena, A., Untersuchungen über die Aenderung der Quell- und Keimfähigkeit harter Rot- und Weisskleesamen. Berechnung der Qualitätseoeffizienten aus der mittleren chemischen Zusammensetzung und den mittleren Marktpreisen landwirtschaftlich wichtiger Futter- mittel. Kiel 1899. 8. 87 pg. mit 3 Tafeln. — Zeitschrift für Biologie — siehe No. 370.
Zibale, Ueber die Bewegungserscheinungen im Pflanzenreiche. Nauen 1899. 4. 29 pg.
Cavara,F., Osservazioni eitologiche sulle „Entomophthoreae“. (Firenze, N. Giorn. botan. Ital.) 1899. in-8. gr. 56 pg. e. 2tavole. — Annales de l’Institut Pasteur — voir no. 81. — Annales de Mikrographie — no. 137.
Britzelmayr, M., Cladonien-Abbildungen. Teil II. Berlin 1900. 30 Tafeln in-4. 10,00 Mk.
Teil I. 1898. 30 Tafeln in-4. mit 34 pg. Text in-8. 10,00 Mk.
Zoologie.
Krüger, L., Insektenwanderungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und ihre wissenschaftliche Bedeutung. Herausgegeben vom Entomologischen Vereine zu Stettin. Stettin 1899. gr. 8. 8 u. 174 pg. 4,00 Mk.
Koeninck, A., Versuche und Beobachtungen an Fledermäusen. Mar- burg 1899. 8. 32 pg.
Schaap, P. C. D., De Glandulae genitales accessoriae van het Konijn voor en na Castratie en Resectie des Vasa deferentia. Utrecht 1899. gr. 8. 80 pg. m. 3 Tafeln. 3,00 Mk.
Boas, J. E. V., Einige Bemerkungen über die Metamorphose der Insecten. (Jena. Zool. Jahrb. 1899.) gr. 8. 18 pg. m. 3 Textfiguren u. 1 colorirten Tafel. 2,00 Mk.
Herbst, C., Ueber die Regeneration von antennähnlichen Organen an Stelle von Augen (bei Krebsen). Theil III u. IV: Weitere Versuche mit total exstirpirten Augen u. Versuche mit theilweise abgeschnittenen Augen. (Leipzig, Arch. Entwicklungsmech.) 1899. gr. 8. 78 pg. m. 3 Tafeln in-4. u. 1 Holzschnitt.
Theil I. (Leipzig, Arch. Entwicklungsmech.) 1896. 15 pg. m. 1 Tafel. 2 Mk. — Theil II. (Zürich, Festschr. Naturf. Ges.) 1896. 20 pg. m, 1 Tafel. 2 Mk.
Mrazek, A., Sporozoenstudien. Il: Glugea lophii Doflein. Prag (Sitzungsb. Böhm. Ges. Wiss.) 1899. gr. 8. 8 pg. m. 1 Tafel.
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Bd. XXI Die Prinzipien der Ethik, I/II . .
mg, Bund, | 3. u. 4. Heft. 19. Dezember 1900.
6565 FEB. 8 1997 Zeitschrift
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Naturwissenschaf en.
Ai ep
Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat"Prof. Dr. Gareke Geh.-Rat,Prof. Dr. E, Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf
herausgegeben
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Dr. G. Brandes
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Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften Preis des Bandes 12 Mark
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Inhalt.
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ven EB OBshldihAhyhandlungen.
Fahren herk$, |Dr. D., Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg... RE UN NEE VER
Ofenheim, Dr. Ernst von, Geber eine neue Donna Mit Tafel II und 4 an im Rext ®.
Schoenichen, Dr. Walther, Ueber Tier- und Menschrnse te Mit 10 Figuren im Mext 5
Schulze, Dr. Erwin, Catalogus mammalium euröpaeurum
Wiegers, Dr. Fritz, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. Mit Tafel IV . Ai
II. Kleinere Mitteilungen.
Chemie und Physik: Die Riechstoffe aus der Gruppe der Alkohole und Ester. 8.280. — Gleichzeitige Gewinnung von Stärke und Kleberteig. S.28. .
Mineralogie: Ueber Thüringer Meteoriten. ‘8. 288.
Botanik: Ein Vorschlag zur ‚gleichförmigen Benennung. der-
Pflanzenordnungen. $. 298. — Ueber Pflanzengallen,. S. 300.
Zoologie: Ein neuer viviparer Fisch. 8.301. — Ein Beitrag zur Schneckenfauna des nordwestlichen Thüringer Waldes. S. 302. — Das Vorkommen von Planaria alpina Zoralich vom Harz. 8. 303.
III. Litteratur - Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
Seite
Ueber eine neue Distomidengattung
von
Dr. Ernst von Ofenheim.
Mit Tafel III und 4 Figuren im Text.
Es sind vielfach Versuche gemacht worden eine Ein- teilung des Genus Distomum vorzunehmen, so z. B. schon‘ von DUJARDIN!) und CoBBoLD,?) ferner in neuerer Zeit von MoNnTIcELLI,?) SrtossicH®) und Looss.®) Dass die von DusarDın vorgeschlagene und von MoNTIcELLI in der ge- nannten Arbeit acceptierte und verbesserte Einteilung in neun Untergattungen unhaltbar ist, hat MonrickLuıs) selbst in einer späteren Arbeit in eingehender Weise begründet. Ebendort sehlägt MonrTickLuı vor, die Einteilung des Genus Distomum in Untergattungen ganz aufzugeben und die schon von CoBBoLD vorgeschlagene Auflösung dieser artenreichen Gattung in mehrere Genera, wenn auch in veränderter Form, anzunehmen.
») Dujardin, I.; Histoire naturelle des Helminthes. Paris 1845.
2) Cobbold, T. Sp.; Synopsis of Distomidae in Journ. Linn. Soc. London 1859.
®) Monticelli, Fr. Sav., Saggio di una morfologia dei Trematodi. Napoli 1888.
*) Stossich, M.; Appendice al mio lavoro: „I Distomi ete.“ Programma Ginn. comunale Trieste 1888.
5) Looss, A.; Weitere Beiträge zur Kenntniss der Trematoden — Fauna Egyptens. Zool. Jahrb. Abt. f. Syst. Bd. XIL. 1899.
6) Monticelli, Fr. Sav.; Studii sui Trematodi endoparassiti. III. Supplementheft d. Zool. Jahrb. Jena 1893.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 10
146 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [2]
Er will vier Gattungen aufstellen, nämlich: Podocotyle, Echinostomum, Crossodera und Distomum, deren Spezies er nach den Typen ihres organischen Baues in Gruppen zu- sammenzufassen gedenkt. Bei der Aufstellung der oben genannten vier Gattungen zieht MoNTICELLI nur die äusseren Charaktere in Betracht mit der Begründung: „Questi generi, secondo io propongo, sono fondati eselusivamente su di un solo ordine di caratteri, le caratteristiche esterne, come quelle, che prime si mostrano, e sono di piu facile appreza- mento di quelle interne! ... Diese mangelhafte Begründung, sowie der Umstand, dass einerseits Apoblema keinen Platz in dieser Einteilung findet, anderseits oft die dem inneren anatomischen Bau nach heterogensten Arten in ein und die- selbe Gattung kommen, indes andere infolge geringer äusserer Unterschiede, bei gleichem anatomischen Bau, verschiedenen Gattungen zugeschrieben werden, beweist zur Genüge die Hinfälligkeit dieser Einteilung. In allerneuester Zeit hat Looss die Einteilungsfrage wieder aufgegriffen und eingehend behandelt. Er verlangt darin strenge Innehaltung des Priori- tätsgesetzes, soweit dies möglich ist, indem er das Genus Distomum in unbestimmt viele Gattungen zerlegt und den- selben neue oder jene Namen giebt, unter welchen Individuen derselben zuerst so beschrieben wurden, dass sie gegenüber anderen Gattungen streng abgegrenzt sind.
In diesem Sinne, glaube ich, haben sich auch die von mir im folgenden eingehend charakterisierten beiden Formen als scharf zu trennende, und doch wiederum eng zusammen- gehörige Arten ergeben, für die ein neues Genus zu schaffen ist. Sie bilden somit wieder einen Beweis für die Richtigkeit des Looss’sehen Standpunktes, dass nämlich fortwährend Formen gefunden werden, welehe sich nicht in den Rahmen bereits bestehender Gattungen einfügen lassen und für welche somit am besten neue Gattungen aufgestellt werden.
Die eine der von mir behandelten Arten ist bereits von MonTIcELLI!) eingehend beschrieben worden, und ich werde daher die Beschreibung derselben nur in grossen Zügen wiedergeben und im besonderen nur auf jene Punkte hin-
!) Monticelli; Studii ete. S. 139—148.
[3] Ueber eine neue Distomidengattung. 147
weisen, in denen sich meine Beobachtungen mit den Angaben MonTicEruı’Ss nieht deeken. Ich werde schliesslich versuchen jene Merkmale zusammenzufassen, dureh welehe ich mich bereehtigt glaube, eine neue Gattung aufzustellen, sowie jene Arteharaktere zu kennzeichnen, durch welehe sich die beiden in dieser Gattung enthaltenen Spezies unter- scheiden.
Anaporrhutum‘) albidum Brandes in litt.
Während meiner Studienzeit in Halle vertraute mir Herr Privatdozent Dr. BrRAnDzs eine interessante Distomiden- form zur Untersuchung an, die von Herrn Prof. Dr. ScHAU- INSLAND, Direktor des Naturhistorischen Museums zu Bremen, auf einer Reise nach dem Paeifie in dem Jahre 1896/97 aus der Leibeshöhle und dem Pericardium von Aetobatis narinari gesammelt war. Diese Form zeigte schon bei oberflächlieher Untersuchung auffallende Beziehungen zu dem aus dem Herzbeutel von Haifischen bekannten Disto- mum richiardiu Lopez.
Dr. BRANDES war so liebenswürdig mir auch von dieser Form einige gut konservierte Exemplare zur Verfügung zu stellen. Das Material von A. albidum war teils in Formol, teils in Sublimat konserviert, das ganze Material lag jedoch in Alkohol, als ich es erhielt. Was den Erhaltungszustand anbelangt, so ist derselbe leider nicht gut genug für histo- logische Studien; wahrscheinlich ist daran aber weniger die Konservierungsmethode schuld, als vielmehr das Lebensalter der Tiere. Trotz der verschiedenen Grösse der Tiere scheinen sich doch alle ziemlich in dem gleichen Entwieklungsstadium befunden zu haben, obwohl man im allgemeinen sagen kann, dass die kleineren Exemplare etwas besser erhalten waren. Ich glaube daher, dass wir es hier mit Tieren zu thun haben, bei denen die männliche Geschlechtsperiode bereits vorüber war, da die Hoden oft nur noch spärlich, mitunter gar nieht mehr vorhanden sind, während der weibliche Geschlechtsapparat noch in voller Thätigkeit gewesen sein
1) « privativum und anogövros —= mit Abfluss versehen; «ve- r0o06vrog — ohne Abfluss.
10*
148 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [4]
muss, denn Uterus, Ootyp, Oviduet und Ovarium erscheinen stets mit Eiern oder Eizellen erfüllt. Dieser Befund er- innert von vornherein an die von WALTER!) für die sogenannte Lanzenspitzform von Monostomum proteus Brandes gemachten Angaben. Ich werde übrigens noch an anderer Stelle auf diesen Gegenstand zurückkommen.
Im ganzen waren es 15 Individuen von sehr verschiedener Grösse, die bei meinen Untersuchungen verwendet wurden; das grösste darunter befindliche war 31,0 mm lang und 12,0 mm breit, das kleinste 7,8 mm lang und 4,3 mm breit.
Aeusseres Aussehen.
Die allgemeine Körperform ist ein Oval, an dessen Vorderende der Bauchsaugnapf liegt und dem am vorderen Körperpol ein kleiner Zapfen aufgesetzt ist, wie wir ihn ähnlich bei Fasciola hepatica kennen. Dieser bildet einen vorspringenden Lappen von flach -konischer Form, in dessen vorderstem Winkel sich ventral der Mundsaugnapf befindet. In dorso-ventraler Richtung ist der Körper ausser- ordentlich stark abgeflacht, meistens aber in der Weise ge- krümmt, dass die Bauchseite leicht konkav, die Rücken- seite leicht konvex ist. Es haben sich aber auch vier Individuen vorgefunden, bei denen dieses Verhalten gerade umgekehrt war. Bei diesen letzteren war der Krümmungs- radius kleiner als bei jenen; ein derartiges Exemplar ist in Profilansieht auf Taf. III Fig. 2 dargestellt. Die Ver- schiedenheit der Krümmung der Körperfläche dürfte wohl auf Kontraktionszustände zurückzuführen sein. Der Mund- saugnapf ist, wie sehon oben bemerkt, am äussersten Vorder- rande des Körpers gelegen, und zwar nicht terminal, sondern ventral, seine stets kreisrunde Mündung habe ich weit offen gefunden. (Taf. III Fig. 4) Ziemlich stark hervorragend, ist derselbe bei den einzelnen Individuen von sehr ver- schiedener Grösse und zwar ist seine Grösse nicht proportional
1) Walter, E.; Untersuchungen iber den Bau der Trematoden. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 1892. Bd.56. 8. 189—236.
[5] Ueber eine neue Distomidengattung. 149
zur Grösse des Tieres; so beträgt der Durchmesser des Mundsaugnapfes von den äusseren Rändern gemessen bei dem grössten der Tiere 0,903 mm, bei dem kleinsten da- gegen 0,505 mm, also ist bei den kleineren Individuen der Saugnapf verhältnismässig sehr gross. Auch der Abstand des Bauchsaugnapfes vom Mundsaugnapf ist keineswegs konstant, auch nieht konstant im Verhältnis zur Grösse des Individuums. Der Bauchsaugnapf ist ungefähr von derselben Grösse wie der Mundsaugnapf und misst im Durchmesser bei dem oben genannten grössten und kleinsten Exemplare 1,124 mm resp. 0,408 mm. Der Bauchsaugnapf ragt ziemlich stark über die Körperoberfläche hervor und zwar stärker mit seinem kaudalen, als mit seinem oralen Rande. Durch diesen Umstand erscheint er ein wenig dem vorderen Körper- ende zugewendet. Zwischen beiden Saugnäpfen in der Medianlinie befinden sieh, ungefähr gleichweit von denselben entfernt, die Geschlechtsöffnungen. Diese liegen zwar sehr nahe an einander, münden aber jedenfalls getrennt, so dass man von einem männlichen und weiblichen Geschlechtsporus sprechen kann. Der weibliche Geschlechtsporus liegt etwas vor- und seitwärts vom männlichen. Trotzdem die Mündungs- stelle ein wenig erhaben ist und die beiden Geschlechts- öffnungen von einem gemeinsamen leicht erhabenen Wall umgeben sind, glaube ich doch nicht, dass man hier von einem Genitalnapf sprechen kann.
Der Exkretionsporus befindet sich am Grunde einer kleinen Einbuchtung des äussersten Körperendes. Die Ex- kretionsöffnung mündet zwar terminal, jedoch stark gegen die Bauchseite gedrängt. Die Körperoberfläche ist voll- ständig glatt und besitzt keinerlei Stacheln oder Schuppen.
Der Verdauungsapparat.
Der Mundsaugnapf, dessen dorsale Wandung fast doppelt so lang ist als die ventrale, (Tafel. III Fig. 4) zeigt deutliche Radial und Ringmuskulatur. Die Ringmuskeln liegen zum grösseren Teile an der inneren Fläche. Die Mundöffnung
150 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [6]
ist trichterförmig. Unmittelbar an den Mundsaugnapf schliesst sich der muskulöse Pharynx an, welcher birnförmig ist und sich mit seinem verjüngten Ende weit in den Mundsaugnapf vorschiebt. Es giebt somit keinen eigentlichen Boden des Saugnapfes, dieser stellt vielmehr ein Rohr dar, welches an seinem rückwärtigen Ende durch den a hingendien Zapfen des Pharynx begrenzt wird. Diese Anordnung des Pha- rynx ist eine Besonderheit, die ich bei keiner anderen mir bekannten Distomiden- Art gefunden habe und die auch in der einschlägigen Litteratur nicht erwähnt zu sein scheint. Das innere Lumen des Pharynx ist sehr eng und erweitert sich nur wenig in dem mittleren bauchigen Teile, um sich sofort wieder zu verengen. Der Oesophagus ist nur sehr kurz (Taf. II Fig. 4) und R ' scheint innen in Längsfalten ontourpause einer photogra- = a
phischen Aufnahme. Der Verdau- gelegt zu sein. Möglicher- ungsapparat durch Tusche kräftig weise gehört allerdings noch hervorgehoben. ein Teil der angrenzenden bsn. Bauchsaugnapf, i. Darm- Darmwand zum Oesophagus, msn. Mundsaugnapf, ph. Ale sich haider Knaknon aryıx, rs. Receptaculum seminis, z { 2 ash des Wurmes eine Strecke weit in das Darmlumen um-
sestülpt hat.
Looss!) stellt als Regel auf, dass bei allen Formen, bei denen ein deutlicher Pharynx vorhanden ist, sich auch ein sogenannter Vorhof findet. Wie wir sehen, macht jeden- falls die hier beschriebene Spezies eine Ausnahme von dieser Regel.
1) Die Distomen unserer Fische und Frösche. Bibl. Zool. Hft. 16, 8.138. Stuttgart 1894.
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Die Darmsehenkel haben schon in ihrem vordersten Teile ein geräumiges Lumen, dieses erweitert sich aber allmählich noch mehr und weist im ganzen Verlaufe der beiden hinteren Körperdrittel ungefähr die gleiche Weite auf, die mehr als 1 mm im Durchmesser beträgt. Die Darm- schenkel verlaufen, von geringen Windungen, welche offen- bar von Füllungs- und Kontraktionszustäinden abhängen, abgesehen, ziemlich parallel zum Körperrande. jedoch von diesem ungefähr ebenso weit entfernt wie von der Körper- mitte. Das Darmepithel war nieht gut zu erkennen, doch slaube ich bestimmt, dass ein solches vorhanden ist und wie bei allen Trematoden aus einer Lage von eylindrischen Zellen besteht. Unter diesem Epithel liegt eine nicht sehr starke Muskelschicht, von welcher ich jedoch nur die Ring- muskelfasern genauer zu unterscheiden vermochte. Der Darminhalt bildet eine kompakte Masse, welehe man in der ganzen Länge des Darmes vorfindet, welche jedoch das Darmlumen nieht vollständig ausfüllt, sondern stets in der Mitte desselben liest und einen fast vollkommen regel- mässigen Cylinder bildet. Looss!) hat an frischen Exem- plaren anderer Distomidengattungen die Beobachtung ge- macht, dass der Darminhalt oft durch einen leeren Raum von der Darmwandung getrennt zu sein scheine, dass man aber mit starken Vergrösserungen feststellen könne, dass der fragliche Raum mit einer verworrenen streifigen Masse er- füllt sei. Trotzdem meine Exemplare schon lange konserviert waren, fand ich jenen leeren Raum, konnte jedoch von einer streifigen oder faserigen Ausfüllung desselben nichts sehen. Der Darminhalt besteht, soweit es sich noch beurteilen liess, aus zerstörten Zellenelementen, unter denen geschrumpfte Blutkörperchen vorwiegend vertreten waren, ausser diesen lassen sich jedoch auch noch ziemlich gut erhaltene Blut- körperehen nachweisen. Wir sehen also, dass sich Ana- porrhutum albidum vom Blute seines Wirtes ernährt, eine Erscheinung, welche zuerst von RAILLIET?) für Distomum
1) Die Distomen etc. 8. 142. 2) Railliet; Une experience propre & &tablir le mode d’alimen- tation du Distoma hepatique. Bull, Soc. Zool. France, 1890. T. 15, 8. 88.
152 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [8]
hepaticum nachgewiesen und von MonTIcELLI auch bei D. richiardiü beobachtet wurde; die weitere Folgerung MonTIcELLTs, dass sich alle Distomen vom Blute ihres Wirtes ernähren, ist jedoch unrichtig, und die gegenteilige Behauptung findet sich auch bei Looss, welcher bei dem srössten Teil der Distomiden den Darminhalt des Wirtes oder sonstige Sekrete und Abfälle als Nahrung erkannt hat. Unter den Distomen der Frösche sind nur die beiden Lungen- distomen auf Blut angewiesen, während von den Fisehdistomen D. tereticolle nur bei Mangel anderer Nahrung Blut saugt.
Das Nervensystem.
Das Nervensystem ist leider der bei dem mir zur Ver- fügung stehenden Material am schlechtesten erhaltene Teil, und es gelang mir trotz eifrigster Nachforschung nur das Folgende mit Bestimmtheit festzustellen. Beiderseits des Pharynx liegen zwei stärkere Ganglienmassen, die durch eine Kommissur verbunden sind. Die Kommissur verläuft dorsal von jener Stelle, wo der Pharynx an den Oesophagus resp. an den Darm grenzt. Die Ganglienmassen hingegen liegen nicht genau lateral vom Pharynx sondern erscheinen gegen die Bauchseite gedrängt. Man sieht deutlich den Verlauf der Nervenfasern in der Kommissur und dazwischen- liegende Ganglienzellen, die ausschliesslich unipolar zu sein scheinen. Von jedem der Ganglien verlaufen kaudalwärts zwei Nervenäste, von denen der äussere der stärkere ist. Trotzdem ich den weiteren Verlauf der Nerven nicht zu verfolgen vermochte, so glaube ich doch aus der Richtung, die sie einschlagen, annehmen zu- können, dass die äusseren Nerven ihren Verlauf ausserhalb der Darmschenkel nehmen, indes die inneren innerhalb derselben bleiben. Auch oral- wärts entspringen zwei Nervenpaare, bei denen ich jedoch weder den Verlauf noch die Richtung zu sehen vermochte. An den Ursprungstellen der Nerven erscheinen die Ganglien- zellen besonders stark gehäuft, jedoch habe ich, wie ich glaube, auch in dem Muskelgewebe des Mundsaugnapfes,
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des Bauchsaugnapfes und des Pharynx eingestreute Ganglien- zellen und feine Nervenenden gefunden, wie solche auch auf Taf. III Fig. 4 wiedergegeben sind. Es ist möglich und so- gar recht wahrscheinlich, dass noch mehr Nerven aus den Ganglienknoten entspringen, nach dem mir vorliegenden Material vermag ich dies jedoch nieht zu entscheiden. Im allgemeinen scheint das Nervensystem des Anaporrhutum albidum demjenigen des D. richiardii sehr ähnlich zu sein, nur dass es entsprechend der viel geringeren Ausbildung des Muskelsystems bei weitem schwächer entwickelt ist als jenes.
Das Wassergefäss-System.
Das Exeretionsgefäss-System zeigt eine merkwürdige Abweiehung von dem bei Distomiden sonst üblichen Aus- sehen. Es mündet, wie schon oben bemerkt, am Grunde einer ventralen Einbuchtung am hinteren Rande des Körpers. Von hier zieht sich der Endkanal, welcher ziemlich eng be- sinnt, sich jedoch sehr rasch erweitert und sodann fast während seines ganzen Verlaufes das gleiche Lumen bei- behält, ungefähr in der Mittellinie des Körpers, aber der Dorsalseite stark genähert, nach vorne. Dieser Endkanal erstreckt sich bis zur Grenze des zweiten und dritten Körper- fünftels, wo sich meist eine kleine, blasenartige Erweiterung vorfindet, von welcher zwei senkrecht zur Längsachse des Tieres verlaufende Kanäle entspringen. (Fig. 2 bl.) Nicht bei allen meinen Exemplaren war diese Stelle erweitert, ein Umstand, der darauf schliessen lässt, dass diese Erweiterung die Folge verschiedener Füllungsgrade ist, indem vielleicht gerade an dieser Gabelung die Gefässwandung weicher und nachgiebiger ist, wiewohl man im histologischen Bau keinen Unterschied gegenüber den übrigen Teilen des Endkanals findet. Bei den Exemplaren mit erweiterter Blase bemerkte ich auch ausser den beiden schon erwähnten Seitenästen zwei, mitunter auch drei ganz kurze nach vorne ab- gehende, blind endigende Zweige (Fig. 2 und Tafel II Fig. 3). Die beiden Seitenäste verlaufen noch eine Strecke
154 Dr. ERNST voN OFENHEIM, [10]
weit dorsal, wenden sich dann ziemlich plötzlich ventral- wärts, um die Darmschenkel zu umfassen und sich sofort dem Rücken wieder zuzuwenden. Hier senden sie abermals zwei Aeste aus, welche rechtwinkelig von dem Seitenaste abbiegen. Der eine von diesen verläuft nach vorne, indem er sich, je weiter er nach vorne kommt, desto mehr dem äus- seren Rande des be- treffenden Darm- schenkels nähert und endlich diesen auch dorsal überschreitet, um in der Nähe des Bauchsaugnapfes über dem inneren Rand des Darmes blind zu enden. Diese Seitenäste ent- senden während ihres Verlaufes in ziemlich dw gleichen Abständen zwei, seltener drei, ihrerseits wieder
Contourpause einer photographischen diehotom verästelte Aufnahme. Das Wassergefässsystem durch Zweige gegen die Mitte Tusche stark hervorgehoben. des Tieres hin, die
a. Anastomosen, bl. blasenartige Er- dorsal vom Darm ver- weiterung, Dsn. Bauchsaugnapf, ep. Ex- Jaufen und denselben kretionsporus, ex. Hauptstamm des Wasser-- mitunter auch nach gefässsystems, msn. Mundsaugnapf, nex. Nebenstämme des Exkretionsgefässsystems.
FZLER---—--.
Fig. 2. Anaporrhutum albidum. 8><
innen überschreiten. (Taf. III Fig. 3). Die caudalwärts verlaufenden Seitenäste liegen wie die vorderen ziemlich parallel zum äusseren Körperrande, jedoch in einigem Abstande von ihm. Sie erstrecken sich bis kurz vor das Ende des Darmes, woselbst sie meist gabel- förmig in zwei kurze Aestehen auslaufen. Auch diese nach rückwärts verlaufenden Seitenstämme entsenden median- wärts zwei bis drei Zweige; bei einigen Individuen fand ich eine merkwürdige Anastomose der letzten dieser kleinen
[11] Ueber eine neue Distomidengattung. 155
Seitenzweige mit ihrem Stamme durch einen kurzen Kanal, wie dies an der Fig. 2 bei a und auch Taf. III Fig. 3 zu sehen ist. Da ich leider keine lebenden Tiere zur Ver- fügung hatte, kann ich über das Vorhandensein und über die Beschaffenheit von Wimperflammen nichts sagen, da diese durch die längere Konservierung in Alkohol stets zu Grunde zu gehen scheinen, resp. nicht mehr unterscheidbar sind. Die Einteilung des Wassergefässsystems, wie dieselbe von Loosst) vorgeschlagen wird, ist bei unserer Spezies schwer durchführbar. Ich konnte eine zellige Struktur der Wandung, wie sie zur Bestimmung des Bereiches der End- blase massgebend sein soll, selbst im äussersten Hinterende nieht sehen; dagegen fand ich sowohl im Hauptstamme (Taf. III Fig. 3, ex) als auch in den senkrecht von demselben entspringenden Seitenästen jene Längsfalten, die Looss als charakteristisch für die Sammelröhren angiebt, und die auf dem Querschnitte dem Lumen das Aussehen eines Sternes mit kurzen Spitzen verleihen. In den beiden seitlich nach vorne und hinten verlaufenden Gefässen sind solche Längsfalten nieht mehr zu sehen, und diese Teile des Ex- kretionssystems wären somit nach Looss als Kapillaren auf- zufassen, trotzdem auch von ihnen noch Seitenzweige ab- sehen. Wenn wir diese Nebenstämme des Exkretionssystems (Taf. II Fig. 3 nex) also als Kapillaren betrachten, so würden der Mittelstamm und die beiden von ihm ausgehenden Seiten- äste als Sammelröhren zu bezeichnen sein, indes eine End- blase ganz fehlen würde. Dieses letztere ist einigermassen unwahrscheinlich, und es wäre nicht unmöglich, dass bei lebendem Material ein Teil, den man als Endblase zu be- zeichnen hat, unterschieden werden kann.
Aber auch wenn man den histologischen Bau ganz un- berücksichtigt lässt, ist es nieht leieht, eine Entscheidung über die Ausdehnung der Endblase zu treffen, da wir der Form nach ein ganz abweichendes Wassergefässsystem vor uns haben. Man kann dasselbe jedoch vielleicht dadurch auf die recht häufig vorkommende Y-Form zurückführen, dass man annimmt, dass die beiden schräg nach vorn
2) Die Distomen ete. S, 156,
156 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [12]
verlaufenden Schenkel des Y senkrecht zur Längsachse an- gesetzt sind, wodurch wir zu unserer T-Form gelangen. Die Frage der Endblase ist dadurch natürlich noch nicht definitiv erledigt, da wir Formen mit Y-förmigen Wassergefässsystem haben, bei denen die Endblase nur bis zur Gabelungsstelle reicht, andere dagegen, wo sich dieselbe in die beiden daran schliessenden Hörner fortsetzt. Nach dem allgemeinen Ein- druck, den das Wassergefässsystem bei unserer Form macht, möchte ich den Mittelstamm mit seiner Erweiterung am vorderen Ende als Endblase, die von hier entspringenden Seitenäste samt den lateralen Längskanälen als Gefässe und erst die von diesen entspringenden Zweige als Kapillaren bezeichnen.
Der Geschlechtsapparat.
Der Hauptunterschied dieser Spezies von den übrigen Distomiden-Arten beruht im Bau des Genitalapparates, so- wohl in seinem männlichen, als auch in seinem weiblichen Teile. Vor allem fällt uns auf, dass die Hoden nicht nur zwischen den Darmschenkeln liegen, sondern zum grössten Teile ausserhalb derselben verteilt sind, was meines Wissens sonst nur bei den Gattungen Opisthotrema, Notocotyle und Ogmogaster, welehe als Monostomiden hier nicht in Betracht kommen, ausser bei diesen aber nur noch bei D. richiardiv Lopez der Fall ist. Aber auch von diesem unterscheidet sich die Anordnung der Hodenbläschen sowie hauptsächlich der Verlauf der Vasa deferentia in manchen Punkten.
Im weiblichen Geschlechtsapparat ist vor allem das Fehlen des LAurkr’schen-Kanals charakteristisch, ein Ver- halten, das, wie es scheint, nur bei Apoblema, Haemato- loechus und D. richiardii beobachtet wurde.
Männlicher Geschleehtsapparat.
Der männliche Geschlechtsporus liegt, wie ich schon bei der äusseren Beschreibung des Tieres bemerkt habe, auf
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halbem Wege zwischen Mund- und Bauchsaugnapf, un- mittelbar hinter der Darmgabelung. Er liegt lateral von der weibliehen Oeffnung (Vgl. Taf. III Fig. 5 und Fig. 6), mit dieser zusammen umgeben von einer geringen, wall- artigen Erhebung, die ich nieht für stark genug ausge- prägt halte, um sie als Genitalwall im gebräuchlichen Sinne des Wortes zu bezeichnen. Ich glaube, dass diese Umwallung nur darauf zurückzuführen ist, dass das Binde-
Contourpause einer phoötographischen Aufnahme. Der männliche Genitalapparat durch Tusche kräftig hervorgehoben.
avd. Anastomose der vasa deferentia, bsn. Bauchsaugnapf, mgo. männliche Genitalöffnung, msn. Mundsaugnapf, t. Hoden, vd. Vasa deferentia, vs. Vesicula seminalis.
gewebe um die beiden Genitalöffnungen etwas verstärkt ist. Der sich an die Mündung anschliessende ductus ejaculatorius verläuft ziemlich gerade und geht allmählich in eine mehrfach gewundene Samenblase über (vgl. Taf. III Fig. 6 vs), die ich stets mit grossen Mengen von Sperma erfüllt gefunden habe. Die ganze Samenblase, sowie auch ein grosser Teil des ductus ejaculatorius, wird von einem stark entwickelten Drüsenkomplex begrenzt (vgl. Taf. III Fig. 5 pr), welcher aus einzelligen Drüsen besteht, die
158 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [14]
einen stark färbbaren Kern enthalten. Es sind das jene Drüsen, welche bei anderen Arten von MONTICELLI, LEUCKART, Looss u. a. als Prostatadrüsen bezeiehnet wurden. Ein eigent- licher Cirrus fehlt vollständig. (Taf. III Fig. 5 und 6.) Gegen ihr proximales Ende hin verbreitert sich die Vesi- cula seminalis ein wenig und am Boden dieses Teiles treten die beiden vasa deferentia in sie ein. (Taf. III Fig. 6).
Diese Stelle liegt ungefähr oberhalb des vorderen Randes des Bauchsaugnapfes. Die beiden vasa deferentia nehmen nunmehr ihren Verlauf dorsal vom Bauehsaugnapf, indem sie gleichzeitig immer mehr und mehr divergieren. Eines!) dieser vasa deferentia verläuft streckenweise so dicht parallel zum Uterus (Fig. 3), dass ich mich erst durch das genaue Studium von Quersehnitten über den Verlauf zu orientieren und denselben auch auf Totalpräparaten aufzufinden ver- mochte. Die beiden Samenleiter divergieren leicht bis sie die grösste Entfernung von einander ungefähr auf halbem Wege zwischen Bauchsaugnapf und Receptaculum seminis erreichen, und konvergieren von da ab, bis sie sich hinter dem Receptaculum seminis in sehr eigentümlicher Weise vereinigen. Bei einigen Individuen scheinen sie sich gegen einander bis zur Berührung zu nähern um sofort nach ihrer Berührung im spitzen Winkel wieder auseinanderzulaufen; bei anderen hingegen macht es den Eindruck, als ob die beiden Gänge durch einen besonderen Kanal, eine Anastomose, (vgl. Fig. 3 und Taf. III Fig. 3 avd) mit einander verbunden seien, für dessen Selbständigkeit auch der geringere Durch- messer zu sprechen scheint. Bei allen von mir daraufhin untersuchten Individuen, (es sind deren mindestens ein Dutzend gewesen) konnte ich diese Brücke zwischen den vasa defe- rentia konstatieren, ein Umstand, der wohl den Einwand, dass hier ein pathologisches Verhalten vorliegen könnte, unerhoben lassen dürfte. Ein ähnliches Verhalten ist mir in der einschlägigen Litteratur nirgends aufgestossen. Von dieser Brücke aus wenden sich die Samenleiter fast recht-
1) Infolge der häufig vorkommenden Amphitypie, auf die ich noch später eingehender zurückkommen werde, kann ich hier eine nähere Bezeichnung, wie links und rechts nicht angeben.
[15] Ueber eine neue Distomidengattung. 159
winkelig zur Längsachse des Tieres lateralwärts und lösen sich noch ehe sie den inneren Rand der Darmschenkel er- reicht haben in die vasa deferentia auf, indem sie sich gleich- zeitig stark der Ventralseite nähern. Die einzelnen ver- ästelten Zweige, welche stets an erweiterten Stellen entspringen, sind nur sehr kurz und tragen an ihrem Ende Hodenbläschen, welche in der Weise befestigt zu sein scheinen, dass sie von den am Ende trichterförmig erweiterten Gängen umfasst werden. Die Hodenbläschen machen somit den Eindruck bloss Erweiterungen oder Ausbuchtungen der vasa deferentia zu sein, die mit Samenzellen erfüllt sind. Noch verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Kanal sieh mit- unter über das Hodenbläschen hinaus fortsetzt und ein zweites Hodenbläschen mit dem ersten und mit dem Haupt- stamm, dem vas deferens, verbindet. Die Gruppierung der Hodenbläschen könnte man am ehesten eine traubenförmige nennen, indem sich der Hauptstamm, nach dem derselbe mehrere Zweige ausgesendet hat, wieder eine Streeke weit unverästelt fortsetzt, um von neuem eine Gruppe von Aesten abzugeben und eine neue Hodentraube zu bilden. (Taf. III Fig.3 £) Man findet zwei, meist jedoch drei oder mehr soleher Gruppen auf jeder Seite, die zwar sehr unregelmässig verteilt und geformt sind, im allgemeinen jedoch derart ge- lagert sind, dass die erste zum grossen Teile noch innerhalb der Darmschenkel, die zweite ventral von denselben und sie nach aussen überschreitend, die dritte bereits ganz ausser- halb derselben liegt. Mitunter liegen auch je zwei Hoden- bläschen eng aneinander, in welchem Falle dann der von ihnen ausgehende Zweig des Samenleiters zwischen ihnen entspringt, sie liegen jedoch so eng aneinander, dass ich nieht sehen konnte, in welcher Weise dies geschieht. Die Grösse der einzelnen Hodenbläschen ist sehr verschieden und liegen grosse und kleine derart vermengt untereinander, dass man nicht entscheiden kann, in weleher Richtung die Jüngeren oder älteren zu finden sind. Von der Struktur der Bläschen vermag ich nur soviel zu sagen, dass man deutlich eine innere stärker und eine äussere schwächer gefärbte Zone unterscheiden kann, welche ziemlich scharf gegenein- ander abgegrenzt sind.
160 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [16]
Nähere Untersuchungen über den Spermagehalt und die Spermabildung konnte ich aus den an anderer Stelle an- gegebenen Gründen nicht anstellen (vgl. Seite 24).
Bemerkenswert ist eine Erscheinung, die ich mir in keinerlei Weise zu erklären vermag, nämlich die, dass manche Hodenbläschen dureh kleine Kanäle untereinander verbunden sind, trotzdem jedes einzelne der Bläschen seiner- seits auch mit dem Vas deferens in Verbindung steht. Bei den meisten der von mir untersuchten Individuen schien die männliche Geschlechtsperiode bereits vorüber zu sein, da die vasa deferentia, sowie deren Seitenäste und der ganze übrige männliche Geschlechtsapparat mit dunkel gefärbten, sehr feinen Körnehen von unregelmässiger Gestalt erfüllt waren, welche die Zersetzungsprodukte des Inhaltes der funktionsunfähig gewordenen männlichen Geschlechtsteile zu sein scheinen.
Der soeben beschriebene Bau des männlichen Genital- apparates würde uns nötigen unsere Form der Gattung Polyorchis anzugliedern, wenn wir die Diagnosen der von STossıcH !) vorgeschlagenen Untergattungen annehmen wollten. Hier würde sie in enge Gemeinschaft kommen mit D. cy- gnoides Zeder, D. formosum Sonsino, D. polyorchis Stossich, Syncoelium Looss und D. richiardü Lopez. Diese schon von MonTicELLı verworfene Auflösung der Gattung Distomum findet hierdurch, wie sich das des weiteren noch deutlicher ergeben wird, einen neuen Beweis ihrer Unhaltbarkeit.
Weiblicher Geschlechtsapparat.
Von dem weiblichen Geschleehtsporus, welcher, wie schon bemerkt wurde, etwas seitlich und vor dem männ- lichen liegt (Taf. III Fig. 5 wgo), setzt sich der Uterus fort, der sich in seinem Endteile ziemlich verengt. Ich möchte diesen Teil jedoch nicht eine Vagina nennen, um Ver- wechslungen mit dem LAaurer’schen Kanal, welcher leider von vielen Autoren mit diesem Namen belegt wurde, zu
') Stossich; Appendice al mio lavoro „I Distomi dei pesei marini e d’acqua dolce.“ Trieste 1888.
[17] Ueber eine neue Distomidengattung. 161
vermeiden, sondern möchte dem Vorschlage WaArp’s!) bei- stimmen, für diesen Endteil den Ausdruck Metraterm zu gebrauchen. Looss?) ist zwar mit dieser neueingeführten Bezeichnung nieht einverstanden, indem er entweder dieselbe gänzlich zu verwerfen für nötig erachtet, oder ihre konse- quente Durehführung bei allen jenen Tiergattungen verlangt, „bei denen die reifen weiblichen Geschlechtsprodukte dureh
--ulal
am men
Fig. 4. Anaporrhutum albidum. 16><
‚Contourpause einer photographischen Aufnahme. Der weibliche Genitalapparat durch Tusche kräftig hervorgehoben.
bsn. Baugsaugnapf, dst. Dotterstöcke, kst. Keimstock, msn. Mund- saugnapf, ph. Pharynx, rs. Receptaculum seminis, sd. Schalendrüse, utd. distaler Teil des Uterus, utp. mer Teil des Uterus, wgo. weibliche Genitalöffnung.
den Begattungskanal und die Begattungsöffnung nach aussen geführt werden.“ So unanfechtbar dieser Standpunkt im allgemeinen auch ist, so glaube ich, dass es doch nieht gut durchführbar wäre, „der Gerechtigkeit halber auch der Mehrzahl der übrigen weiblichen Tiere bis herauf zu den menschlichen Frauen den Besitz einer Vagina abzusprechen.“
1) Ward; On the Parasites of the Lake-Fish in: Proc. Amerie. mier. Soc. V.15, 1894.
2) Looss; Weitere Beiträge zur Trematoden-Fauna Egyptens n: Zool. Jahrb. XII. Bd. 1899. 8. 553.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900. 11
162 Dr. ERNST Von OFENHEIM, [18]
Warum sollte man aber nieht die Bezeichnung Metraterm speziell bei der Familie der Distomiden für dieses Organ einführen, bei welehem die Frage seiner physiologischen Bedeutung noch nieht abgeschlossen ist, da wir doch auch sonst bei vielen Tiergattungen gleiehen Funktionen dienende Organe mit verschiedener Bezeichnung belegen.
Auf die Funktionen dieses Metraterms, sowie auf die des LAaurer’schen Kanals werde ich übrigens bei der Zu- sammenfassung der Gattungseharaktere des Genus Ana- porrhutum noch des näheren eingehen, und versuchen, auf Grund der hier beschriebenen Formen die Unmöglichkeit, den Laurzr’schen Kanal als Vagina sowohl in physio- logischem als auch in morphologischem Sinne zu betrachten, darzuthun (8. Seite 37—40). |
Der Uterus verläuft nunmehr in ziemlich gerader Linie nach rückwärts und zwar stets etwas seitlich von der Medianlinie des Tieres bis ungefähr zur Höhe des Recepta- culum seminis. Von da an wendet er sich stärker seitlich und setzt sich in einer Wellenlinie bis gegen das Ende der Darmsehenkel fort; an dieser Stelle wendet er sich im spitzen Winkel nach vorne und steigt in einer, ein paar kleinere Sehlingen beschreibenden, im allgemeinen jedoch dem zurücklaufenden Teil des Uterus parallelen Linie nach dem Vorderteile an. In der Höhe des Receptaculum seminis wendet sich dieser proximale Teil des Uterus fast im rechten Winkel gegen dasselbe und geht an dessen dorsalem Rande innerhalb der Schalendrüse in das sogenannte Ootyp über (Taf. III Fig. 7 utp). Von hier aus gehen drei Kanäle ab, proximalwärts der kurze Ausführungsgang des Receptaculum seminis, das von gewaltiger Grösse ist, ventral der unpaare Dottergang und lateral der Oviduet. Dieser führt in das schwach gelappte, sehr kleine Ovarium, das dem Recepta- culum seminis kaudalwärts und dorsal angelagert ist. Die Dotterstöcke liegen in der Höhe des Receptaculum seminis und zwar zum grösseren Teile noch innerhalb der Darm- schenkel (vgl. Taf. III Fig. 7 dst); sie sind jedoch durch dieselben nieht scharf begrenzt, da ich mehrere Fälle ge- funden habe, in denen sie sich ventral von den Darm- schenkeln bis zum äusseren Rande derselben hin erstrecken.
[19] Ueber eine neue Distomidengattung. 103
Sie bestehen aus schwach dendritischen Aesten, die mehr- fach untereinander anastomisieren und sich dann beiderseits zu einem stärkeren, senkrecht zur Längsachse des Tieres verlaufenden Kanale vereinigen. Die Dotterstöcke sind im Verhältnis zur Grösse des Tieres, sowie zur Grösse und Zahl der Eier äusserst klein. Die beiden vorerwähnten paarigen Dottergänge vereinigen sich ventral- und kaudalwärts vom Receptaceulum seminis zu einem gemeinsamen Kanal, dem unpaaren Dottergang (Taf. III Fig. 7 gdg), welcher zusammen mit dem proximalen Teile des Uterus in den als Ootyp be- zeichneten Raum mündet. Diesen Teil der vereinigten Dottergänge bezeichnet MonTIcELLI bei D. richiardiü, wo die Verhältnisse ganz ähnlieh liegen, als Dotterreceptaeulum (rieettaeolo vitellino), eine Bezeichnung, die ich nicht an- wenden möchte, da dieser Teil in keiner Weise dem Begriffe eines Receptaeulums entspricht.
Mir wenigstens erscheint dieser Ausdruck nur für jene Organe berechtigt zu sein, welche, mehr oder weniger blasenartig erweitert, dazu dienen, von aussen eingeführte Sekrete oder Substanzen aufzunehmen und zu verwahren. Hier ist jedoch von dem allen nichts der Fall. Man kanı, abgesehen von einer Erweiterung des Kanallumens, die übrigens bei vielen anderen Formen und auch bei anderen Organen in ähnlicher Weise, ja in noch viel stärkerem Masse vorhanden ist, keine besondere Bildung konstatieren.
Das Receptaculum seminis bildet eine grosse dorso- ventral abgeplattete Blase, welehe unmittelbar der ventralen Leibeswand aufliegt und von dem Bauchsaugnapfe ungefähr eben so weit oder etwas weiter entfernt ist als dieser vom Mundsaugnapfe. Es ist meist in der Mittellinie des Körpers gelegen oder nur wenig von derselben abgerückt. Ich habe es immer und bei allen meinen Exemplaren sanz oder teil- weise gefüllt gefunden, niemals leer. In allen jenen Fällen, wo dasselbe nicht ganz angefüllt war, lag sein Inhalt halb- mondförmig in dem aboralen Teile zusammengedrängt im Umkreise der Stelle, wo sich der zarte Ausführungskanal befindet (vgl. Fig. 3 und Taf. III Fig. 3 rs), weleher eben- falls und zwar von der oralen Seite her in das schon viel- fach erwähnte Ootyp leitet.
lin
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Der Durchmesser des Receptaculums beträgt bis zu 1,25 mm, eine im Vergleich zu anderen Distomidenarten ganz auffallende Grösse, wie sie ähnlich nur bei D. richiardii Lopez und bei Haematoloechus Looss bisher gefunden wurde. Der Inhalt des Receptaeulums besteht zum grössten Teile aus Spermatozoen, ich habe jedoch in demselben zuweilen auch mehr oder minder deformierte Dotterzellen und Eier gesehen, deren Vorhandensein aus der Lage der Organe ganz erklärlich ist. Kaudalwärts schliesst sich unmittelbar an das Receptaculum seminis die schon erwähnte Schalen- drüse an, ein aus zahlreichen dunkelgefärbten, einzelligen Drüsen bestehender Komplex, welcher von allen Seiten jene als Ootyp bezeichnete Stelle umgiebt und seinerseits von bindegewebigen Fasern eingeschlossen wird (Taf. III Fig. 7 sd). Es treffen somit in derselben, wie übrigens bei den meisten Trematoden, zusammen: oralwärts der Ausführungs- gang des Receptaculum seminis, von der Bauchseite her der Uterus mit dem gemeinsamen Dottergang, von der Rücken- fläche und kaudalwärts der Eileiter (Oviduet). Trotz ge- nauester Untersuchung sowohl auf Totalpräparaten wie auf Transversal-, Sagittal- und Frontalschnitten konnte ich auch nicht die geringste Spur eines LAurer’schen Kanals ent- deeken, sodass ich glaube mit gutem Rechte behaupten zu können, dass ein soleher nicht vorhanden ist.
Die ovarialen Eier zeigen eine Eigentümlichkeit, die von MoNTICELLI!) schon von D. richiardü und .D. veliporum semeldet wurde, von BönmIe?) bei den Eiern der Rhabdo- eoelen, von PINTNEr>) bei denen des Calliobothrium corollatum und von LEyDI@) bei Hirudineen-Eiern beschrieben wurde. Sie enthalten nämlich neben dem grossen Kerne ein, zwei oder auch mehr Körperehen, welche MontIıcELLı mit dem
2) Monticelli, Sul nucleo vitellino delle uova dei Trematodi. Boll. Nat. Napoli 1892. Vol. IX.
2) Böhmig; Untersuchungen über rhabdocoele Turbellarien. Zeit- schrift f. wiss. Zool. 1891. Bd. 51. 8.320.
. 3) Pintner; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurmkörpers.
Arb. a. d. zoolog. Instit. zu Wien 1890, Bd. 9. 8.80. Fig. 180.
#) Leydig; Beiträge zur Kenntnis des tierischen Eies im unbe- fruchteten Zustande. Zool. Jahrb. Abt. f. Anatom. 1889. Bd. III. S. 297.
[21] Ueber eine neue Distomidengattung. 165
nicht sehr glücklich gewählten Namen „Dotterkerne“ (nucleo vitellino) bezeichnet. Ich halte diesen Namen deswegen für nicht geeignet, weil er leicht zu Verwechslungen mit dem Kern der Dotterzellen führen kann. Die an der, der Mündung des Ausführungsganges des Ovariums gegenüberliegenden Wand befindlichen Eier, welche auch die kleinsten des ÖOvariums sind, zeigen noch keine Spur dieses Einschlusses; je weiter dieselben gegen die Mitte des Ovariums, resp. gegen den Ausführungsgang gelagert sind, desto deutlicher und grösser erscheint jene Einlagerung in den Eiern (Taf. III Fig. 8). Man findet mitunter ein grosses, häufiger jedoch zwei oder vier kleinere Körperchen, welche sich neben dem scharf umschriebenen Kerne in der Eizelle befinden. Die Eier behalten diese Nebenkerne, wenn man sie als solche bezeichnen darf, auch auf ihrem weiteren Wege durch den Eileiter und dureh die Schalendrüse bis in den Uterus. Ich glaube sogar bei einzelnen Eiern diese Körperchen noch in den äussersten kaudalen Schlingen des Uterus gesehen zu haben, doch waren sie dort nieht mehr so deutlich, als an- fangs und schienen auch viel kleiner zu sein.
Ich werde auf diesen Punkt bei der Beschreibung der zweiten Form nochmals eingehender zurückkommen und mich an jener Stelle über die vermutliche physiologische Bedeutung dieser Nebenkerne äussern.
Die ovarialen Eier zeigen an der dem Ausführungs- sang gegenüberliegenden Wand eine Grösse von 1—2 u, an der Mündung des Oviducts dagegen einen Durchmesser von 20 u.
Im Uterus zeigen die Eier eine gelb-bräunliche Färbung, und zwar werden sie desto dunkler, je mehr sie sich der Geschlechtsöffnung nähern (Taf. III Fig. 3). Der Unterschied der Färbung der Eier im distalen und proximalen Teile des Uterus ist ein so grosser, dass man schon allein durch diese Färbungsverschiedenheit den auf- und absteigenden Ast leieht unterscheiden kann, ein Verhalten, das ja be- kanntlich in der Gruppe der Trematoden häufig zu be- obachten ist. Die Eier sind im allgemeinen von rundlicher Form, haben keinen siehtbaren Deckel und durchschnittlich einen Durchmesser von 0,034—0,04 mm,
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Im Anschlusse an die Beschreibung des weiblichen Geschleehtsapparates möchte ich noch einer Beobachtung Erwähnung thun, auf welche ich durch eine kürzlich er- schienene Arbeit von JAcosY!) aufmerksam wurde Es handelt sich nämlich um das Vorkommen eines „situs in- versus“ im weiblichen Geschlechtsapparat, eine Abnormität, welehe schon von KowALewskı?) bei Opisthorchis be- schrieben wurde. Eine Erwähnung derselben, ebenfalls unter Berufüng auf KowAtLEewskı macht Looss, indem er die von KowaALkwskı gewählte Bezeichnung „sexuelle Amphitypie“ beibehält. Es handelt sich hierbei um die Thatsache, dass bei einer ganzen Reihe von Trematoden (JAcogY allein erwähnt sie bei fünf Opisthorchis- und zwei Distomum-Arten) die Geschlechtsorgane bei dem einen In- dividuum links, bei dem anderen rechts gelegen sind, in der Weise, dass dadurch der ganze innere anatomische Bau der einen wie ein Spiegelbild desjenigen der anderen er- scheint.
Bei der hier beschriebenen neuen Spezies hatte ich nun Gelegenheit diese Beobachtung des öfteren zu machen, in- dem bei einigen von meinen Exemplaren der Uterus speziell in seinem der Mündung zulaufenden Teile links liegt, links an dem Receptaeulum seminis und infolgedessen auch an der Sehalendrüse und dem Ovarium vorbeizieht und seine erste Windung hinter diesen Organen mit einer Biegung nach rechts beginnt.
In diesem Falle liegt auch der weibliche Geschlechts- porus links von der Medianlinie. Diese Anordnung traf ich bei zehn von meinen Exemplaren an, und ich glaube, wenn man aus einer so geringen Zahl von Individuen einen Schluss ziehen darf, dass diese Anordnung bei unserer Spezies die häufigere ist. Bei den übrigen fünf Exemplaren liegt die weibliche Geschlechtsöffnung rechts von der Mecdianlinie, desgleichen verläuft der distale Teil des Uterus rechts an
1) Jacoby, Severin; Beiträge zur Kenntnis einiger Distomen. Arch. f. Naturg. 1890, S. 1—30.
2) Kowalewski, M.; Studya helmintologizne. Franz. Resume in: Sitzungsber. der math.-naturw. Sektion der Akademie der Wissensch. Krakau 1898.
[25] Ueber eine neue Distomidengattung. 167
dem Receptaculum seminis und dem Ovarium vorbei, während die erste Krümmung hinter denselben sich nach lmks wendet. Wie bei den erstgenannten Tieren das Ovarium etwas nach rechts hinter der Schalendrüse ver- schoben ist und der proximale Teil des Uterus von links in die Schalendrüse einbiegt, so liegt bei diesen das Ovarium links, seit- und rückwärts von der Schalendrüse, und der rücklaufende Teil des Uterus entspringt an der rechten Seite der Schalendrüse.
Ich habe schon in den einleitenden Bemerkungen darauf hingewiesen, dass ich fast bei allen meinen Exemplaren Veränderungen gefunden habe, welche hauptsächlieh darin bestehen, dass der histologische Bau der meisten Organe bis zur Unkenntlichkeit verschwommen und das Gewebe des Körperparenehyms äusserst weitmaschig ist. In diesen Fällen fand ich entweder gar keine Hoden vor oder nur auf einer Seite und immer waren sie in einem derartigen Zustande, dass man von ihrem Bau oder von einem Vor- handensein von Sperma nichts erkennen konnte.
Etwas ähnliches berichtet E. WALTER!) von Monosto- mum proteus Brandes aus dem Darm einer Schildkröte und kommt zu dem Schlusse, dass „die Tiere ihre Geschlechts- reife bereits hinter sich haben und die Ablage der Ge- schlechtsprodukte beendet ist“. Er deutet dieses Stadium also als ein postgenitales und ich muss sagen, dass ich dieser Ansicht vollkommen beipflichte.
Neuerdings hat Looss?) die von WALTER beschriebene Form in lebenden Exemplaren eingehend studieren können, und kommt hierbei zu wesentlich anderen Ansichten. Die ihm vorliegenden Exemplare waren sämtlich geschlechtsreif und er meint daher, WALTER habe es nicht mit senilen, sondern „mit jungen, aber nicht frisch, sondern in einem sehr vorgeschrittenen Stadium der Dekomposition konser- vierten Individuen“ zu thun gehabt, und hält sich für be- reehtigt auf Grund seiner Untersuchungen die Lanzen-
!) Walter, E.; Untersuchungen über den Bau der Trematoden in Z. f. wissensch. Zoolog. Bd. 56, 8. 196. 2) A. Looss; Weitere Beiträge etc. S. 769,
168 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [24]
spitzform als besondere Art, ja sogar als besondere Gattung aufzustellen. Ich bin der Ansicht, dass diese von Looss aufgestellte Behauptung nicht riehtig ist und begründe dies dadurch, dass:
1. die von WALTER untersuchte Schildkröte in Halle frisch geschlachtet wurde,
2. die Trematoden sofort in einer konzentrierten Sub- limatlösung mit Essigsäurezusatz konserviert wurden,
3. die Sehildkröte sich schon lange unterwegs befand, also eine Neuinfektion ausgeschlossen war,
4. endlich dadurch, dass junge Individuen sich gerade dureh diehteres Körperparenehym auszeichnen, wovon aber bier gerade das Gegenteil der Fall war.
Schon bei oberflächlicher Betrachtung fand ich in dem Verhalten der Gewebe eine grosse Aehnlichkeit unserer Form mit jener von WALTER beschriebenen Lanzenspitzform, die sich bei mikroskopischer Untersuchung auch bestätigte. Es ist aber bei unserer Form noch viel weniger ein der- artiger jugendlicher Entwieklungszustand anzunehmen, denn bei allen meinen Exemplaren habe ich schon Eier in grosser Menge und in allen Teilen des Uterus angetroffen, ferner war die Vesicula seminalis stark mit Sperma gefüllt, indes bei einigen Tieren das Receptaculum seminis nur noch teil- weise gefüllt erschien und es gerade die grössten Exemplare waren, bei denen diese Symptome am deutlichsten hervor- traten.
Dass man weder in den Vasa efferentia noch deferentia Sperma vorfand, ist kein Beweis dafür, dass man es mit jugendliehen, unentwiekelten Stadien zu thun hätte, wohl aber sprieht aufs entschiedenste die Füllung der Samenblase dagegen. Die Samenleitungswege sind voraussichtlich früher mit Sperma gefüllt gewesen und vielleicht waren in der Zeit der männlichen Geschlechtsreife auch die Hoden viel ansehnlicher. Wie ich schon bei der Beschreibung des männlichen Geschlechtsapparates zu erwähnen Gelegenheit fand, habe ich die männlichen Genitalwege mit einer Masse von dunkel gefärbten Körnchen angefüllt gefunden, über deren Struktur ich keine näheren Angaben zu machen in
[25] Ueber eine neue Distomidengattung. 169
der Lage bin. Ich halte diese Massen für zersetzte Sperma- reste. Ich glaube also, dass von einem „in Dekomposition befindliehen Jugendstadium“ hier keineswegs die Rede sein kann, sondern dass alle Anzeichen dafür zu sprechen scheinen, dass wir es mit senilen Individuen zu thun haben, deren männliche Geschlechtsreife vorüber ist.
Anaporrhutum richiardii Lopez.
Die zweite von mir untersuchte, zweifellos mit der vorhergehenden nahe verwandte Form stammt aus der Sammlung des Berliner Naturh. Museums und wurde mir von Herrn Privatdozent Dr. BRANDEs in neun Exemplaren, von denen zwei bereits als Totalpräparate montiert waren, zur Untersuchung überwiesen. Die Exemplare waren von Herrn Stabsarzt SANDER im Atlantischen Ozean in der Nähe von Kapstadt der Leibeshöhle einer Scylkum-Art ent- nommen,- mit Sublimat konserviert nnd in Alkohol aufbe- wahrt.
Die nähere Untersuchung ergab, dass die Form nicht neu ist, sondern identifiziert werden muss mit dem von MonrIıcELLI eingehend beschriebenen Distomum richiardü Lopez,!) einer Art, die in der Leibeshöhle mehrerer Selachier des Mittelmeeres (z. B. Acanthias vulgaris, Mustelus vulgaris, Myliobatis aquila) gefunden worden ist.
Aeusseres Aussehen.
Im folgenden gebe ich eine kurze Beschreibung dieser Art, wobei ich besonders eingehend diejenigen Punkte be- handeln werde, in denen ich die Beschreibung MonTIcELLr's zu berichtigen und zu ergänzen in der Lage bin.
Die allgemeine Körperform ist oval, verengt sich jedoch in der Höhe des Bauchsaugnapfes, sodass der vordere flach- konische Teil den Eindruck macht, als wäre er an dem vorderen Rande angewachsen (Taf. III Fig. 10 und 11).
!) Lopez,C.; Di un Distoma probabilmente nuovo, in Proc. Verb. Soe. Tose. Se. Nat. Adunanza 1 Luglio 1888, S. 137—138.
170 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [26]
An der vordersten Spitze dieses Teiles liegt subterminal der Mundsaugnapf. Er ähnelt in seiner äusseren Form dem von A. albidum, nur dass er kräftiger entwickelt ist. Meine Exemplare fühlen sich fast lederartig an, sind aber nicht glatt, sondern die Bauchseite des vorderen Körperteils ist bis über den Bauchsaugnapf hinaus mit kurzen, kräftigen Stacheln versehen. Ich glaube, dass ein Versehen MoNTIcELLYs vorliegt, wenn er sagt, dass die Körperoberfläche durch- gehends glatt und sehuppenfrei ist. Die Mundöffnung liegt in der Mitte des vorderen Saugnapfes, welcher ziemlich kräftig entwickelt ist und stark über die Körperwand vor- ragt. Der Bauchsaugnapf liegt, wie MonTicELLI behauptet, an der Grenze zwischen dem ersten und zweiten Drittel des Körpers, — nach meinen Beobachtungen jedoch trifft dies nicht immer zu, sondern der Bauchsaugnapf ist meist weiter nach vorne gelegen als MonTIcELLIı angiebt. Auch darin kann ich mit MonTicELLı nicht übereinstimmen, dass der Bauchsaugnapf bedeutend grösser und stärker vorragend sei als der Mundsaugnapf, da ich beide bei meinen Exem- plaren ziemlich gleich stark entwickelt und von ziemlich gleicher Grösse gefunden habe, wenn auch der Durchmesser des Bauchsaugnapfes im allgemeinen etwas grösser ist als der des Mundsaugnapfes. Auf halbem Wege zwischen Mund- und Bauchsaugnapf liegen die Geschleehtsöffnungen von einem kleinen Walle umgeben, von dem schon MonTI- CELLI sagt, dass man ihn nur mit vieler Mühe erkennen kann. Am Grunde einer kleinen Einbuchtung des rück- wärtigen Körperrandes liegt der Exkretionsporus.
Die von mir gesehenen Exemplare waren von sehr ver- schiedener Grösse, das grösste derselben (allerdings in kon- serviertem Zustande) war 19 mm lang und 13 mm breit, das kleinste hingegen 6 mm lang und 4,5 mm breit. Die meisten von mir untersuchten Exemplare waren an der Bauchseite stark konkav, indes die Rückenfläche konvex gewölbt war (vgl. Taf. III Fig. 9 und 10), und dies überall mit einer solehen Gleichmässigkeit und so stark, dass bei dem Ver- suche den Körper flach auszubreiten, der Rand stets einriss. Diese Erscheinung könnte uns fast verleiten, die Krümmung der Körperfläche für die natürliche Körperform des Tieres
[27] Ueber eine neue Distomidengattung. 171
zu halten. Monticeuuı jedoch ist nieht dieser Ansicht und dürfte darin zweifellos recht haben, da ihm ja bei seinen Untersuchungen lebende Exemplare zur Verfügung standen.
Der Verdauungsapparat.
Meine Beobachtungen stimmen hier mit denen von MonriceLtLı im allgemeinen überein. Auf den trichter- förmigen Mund folgt ein kräftiger nach vorne erweiterter Pharynx, welcher sich dem Mundsaugnapfe gleichsam an- presst, ihn jedoch nicht, wie MonrIicELLı behauptet, umfasst, (... ad abbraceiare la ventosa anteriore...) (Taf. III Fig. 11 ph). An sein hinteres Ende schliesst sich ein nicht sehr langer, enger Oesophagus an, welcher triehterförmig in die Darmgabelung tibergeht. Die beiden Darmschenkel, die anfangs schmal sind, erweitern sieh rasch und behalten während ihres ganzen Verlaufes ein ziemlich gleiches Lumen bei.
Sie verlaufen an beiden Seiten des Körpers in seichten Windungen, doeh mehr der Körpermitte als dem Rande ge- nähert, und enden unweit des Exkretionsporus am hinteren Körperende Die äussere muskulöse Schicht ist ziemlich kräftig entwickelt, das Epithel besteht aus länglichen Zellen, die an ihrer Basis breiter als an ihrer in das Darmlumen vorragenden Spitze sind, Bei allen meinen Individuen war der Darm stark gefüllt, die Füllungsmasse bestand un- zweifelhaft teils noch aus gut erhaltenen, teils aus bereits deformierten Blutkörperchen, sowie aus anderen bereits in Dekomposition begriffenen Zellelementen.
Das Nervensystem.
An der Grenze zwischen Pharynx und Oesophagus liegen seitlich gelagert zwei stark entwickelte und deutlich sichtbare Ganglienknoten, welche durch eine breite Kom- missur oberhalb des Schlundes verbunden sind. Das ganze
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Nervenzentrum scheint aus Nervenfasern zu bestehen, zwischen welchen die Ganglienzellen eingestreut liegen. An dem vorderen Rande der Ganglienknoten entspringen zwei Nerven, ein äusserer stärkerer und ein innerer schwächerer, die sich einerseits zum Mundsaugnapf, ander- seits zur Körperwand hinzuwenden scheinen, deren Verlauf ich an meinem Material jedoch nicht genau festzustellen vermochte.
Dorsalwärts von den Ganglienknoten verlaufen ebenfalls zwei Nerven, ein äusserer und ein innerer gegen das Körper- ende zu.
MonriceLLı glaubt, dass die beiden Nervenpaare am hinteren Ende des Körpers sich nochmals in der Weise ver- einigen, dass die Nerven der einen Seite mit den korre- spondierenden Nerven der anderen sich verbinden. Ich vermochte eine derartige Vereinigung nicht zu sehen, will damit aber nieht sagen, dass sie nicht besteht, möglicher- weise ist dieselbe nur an frischen Exemplaren zu erkennen.
Von den beiden Ganglienknoten sehe ich in Ueberein- stimmung mit MoNTICELLI noch je drei Nerven entspringen, ein lateraler, ein dorsaler und ein ventraler, der die Richtung gegen den Körperrand hin einzuschlagen scheint.
Den weiteren Verlauf dieser Nerven vermochte ich ebensowenig wie MoNTICELLI festzustellen. Ausser in den Nervenzentren habe ich auch im ganzen Verlaufe der ein- zelnen Nerven Ganglienzellen gefunden, ebenso zwischen den Muskelfasern des Pharynx und der beiden Saugnäpfe.
Das Wassergefäss-System.
Die Mündung des Exkretionsgefässsystems befindet sich in einer kleinen Einbuchtung des kaudalen Körperendes und zwar ziemlich stark nach der Bauchseite hin gedrängt. Der von hier beginnende Hauptstamm ist anfangs ziemlich eng, erweitert sich jedoch rasch und trichterförmig bis zum vorderen Ende des hinteren Körperdrittels (Taf. III Fig. 11
[29] Ueber eine neue Distomidengattung. 173
ex). An dieser Stelle gabelt sich der Hauptstamm in zwei schräg nach vorn und seitwärts verlaufende Seitenäste, welehe ungefähr in der Höhe des Pharynx blind endigen (Taf. III Fig. 11 nex). Dieselben entsenden seitlich mehrere kleinere Aeste nach aussen sowohl wie nach innen, jedoch war es mir nicht möglich an dem konservierten Material Wimperflammen oder Flimmertrichter zu sehen. Die Wandung der Kanäle besteht äusserlich aus einer dünnen Muskelschicht, innen hingegen in dem Hauptstamme aus jenem Epithel mit unregelmässig vorspringenden Zellen und deutlich sichtbaren Kernen, welches nach Looss für die „Endblase“ charakter- istisch ist. In den beiden Seitenästen verschwindet die Differenzierung der Zellen und es tritt an ihre Stelle eine Längsfaltung der Gefässwände, sodass also diese Teile als „Sammelkanäle“ oder „Gefässe“ zu betrachten sind. Die von diesen Gefässen entspringenden Seitenästehen, die je- doch nicht bei allen Exemplaren deutlich siehtbar sind, würden dann die „Kapillaren“ vorstellen.
Wir sehen also, dass das Wassergefässsystem von der allgemeinen Regel abweichende Merkmale nicht aufweist, sondern in seinem Endteile jene häufig vorkommende Y Gestalt besitzt.
Männlicher Geschlechtsapparat.
Anschliessend an den männlichen Geschlechtsporus liegt ein ziemlich enger ductus ejaculatorius, welcher sieh unge- fähr bis zum vorderen Rande des Bauchsaugnapfes fortsetzt, woselbst er sich in die beiden Vasa deferentia gabelt. Dorsal erweitert sich dieser ductus ejaculatorius zu einer geräumigen Blase, der Vesicula seminalis. Sowohl der Ausführungsgang, als auch die Samenblase sind mit dunkelgefärbten Drüsen umgeben, für welche die Bezeiehnrung Prostatadrüsen all- gemein üblich geworden ist.
Meine Beobachtungen stimmen hier mit denen MonrtIı- CELLIS nicht überein, indem MoNTICELLI von einem „Cirrus- beutel“ (tasca del pene) spricht, einem Gebilde, welches ich bei keinem meiner Exemplare zu sehen vermochte.
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Uebrigens hat bereits Looss !) darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „Cirrusbeutel“ häufig von Autoren in Fällen angewendet wird, wo ein solcher gar nieht vorhanden ist, und er führt gerade D. richiardii als ein solches Beispiel an, indem auch er das Vorhandensein eines Cirrusbeutels im engeren Sinne bei dieser Spezies leugnet.
MoNTICELLI spricht ferner von einem „äusseren Recep- taculum seminis“ (ricettacolo seminale esterno).
Ich glaube, dass er mit diesem Namen die Samenblase bezeichnet, ein Ausdruck, den ich jedoch abgesehen davon, dass er leicht zu Irrtümern führen kann, schon aus den an- lässlich seines „Dotter-Receptaeulums“ angeführten Gründen nieht gutheissen kann. Eine andere Deutung dieses Aus- druckes ist jedoch nicht gut zulässig, da sich kein anderes Organ an der von ihm bezeichneten Stelle im Bereiche des männlichen Geschlechtsapparates befindet. Er verlegt zwar dieses „äussere Receptaculum seminis“ seitwärts von der „tasca del pene“, indes ich diese Aussackung der vesicula seminalis dorsal vom ductus ejaculatorıus gefunden habe. Ich glaube aber nieht, dass diese Verschiedenheit in der Lage von Belang ist, da solehe Verschiebungen vielleicht eine Folge von Kontraktionszuständen sind oder vielleicht auch mit dem Alter der Tiere zusammenhängen.
Die beiden Vasa deferentia verlaufen nunmehr im Bogen ziemlich ventral längs der Darmschenkel hin und nehmen auf ihrem Wege die von den einzelnen Hodenbläschen kommenden Vasa efferentia, welehe ebenfalls ventral die Darmschenkel kreuzen, auf. (Taf. III Fig. 11).
Die Hoden sind in einer grossen Menge von einzelnen Bläschen links und rechts an den Seiten des Tieres ausser- halb der Darmschenkel angeordnet, und zwar so, dass sie den Raum zwischen dem Körperende und dem betreffenden Darmsehenkel fast vollständig ausfüllen, und zwar ungefähr von der Höhe des Bauchsaugnapfes an bis gegen das Ende der Darmschenkel hin. (Taf. III Fig. 11 2). Die Vasa efferentia, die sich in die beiden grossen Samenleiter er- giessen, werden ihrerseits von mehreren kleinen Kanälen
!) A, Looss; Weitere Beiträge ete. $. 551.
[31] Ueber eine neue Distomidengattung. 175
gebildet, welehe von jedem einzelnen der Hodenbläschen ihren Ursprung nehmen.
Weiblicher Gesehlechtsapparat.
Die weibliche Gesehlechtsöffnung liegt ein wenig seitlich von der männlichen mit dieser zusammen umgeben von einer kleinen Erhöhung der Körperbedeekung. Diese Umwallung ist jedoch bei meinen Tieren nicht sehr deutlich sichtbar und verdient kaum den Namen eines Genitalnapfes. MonrtI- CELLI nennt diese Umwallung ein „antro genitale“, dessen Rand verdiekt ist („margine ispessito“).
An den Geschleehtsporus schliesst sich unmittelbar der Uterus an, welcher in seinem Endteile verengt und von einigen wenigen Drüsen umgeben ist; er erweitert sich je- doch sehr rasch und verläuft, bereits in seinem oberen Teile einige kleine Windungen beschreibend, seitlich an dem Bauch- saugnapf vorbei, dehnt seine Schlingen jedoch unmittelbar hinter demselben so weit aus, dass dieselben den ganzen Raum zwischen den Darmsehenkeln bis zu deren Ende hin ausfüllen und nur den Platz für das Receptaculum seminis, das Ovarium und die Schalendrüse freilassen. Nach den vielfachen Windungen im hinteren Teile des Körpers geht der Uterus innerhalb der Scehalendrüse in das Ootyp über, welehes unmittelbar hinter dem Receptaculum seminis und vor dem Ovarium liegt. Seitlich, also fast unter einem Winkel von 90° setzt sich das Ootyp in den Ovidukt fort, welcher seinerseits zum Ovarium führt. An jener Stelle, wo der Eierstoek in den Eileiter übergeht, finden wir eine Verstärkung der Wandung durch Radialfasern, welche bei A. albidum fehlt. Schon Pınrner!) hat eine derartige Bildung bei Cestoden mehrfach beschrieben und recht zu- treffend einen „Schluekapparat“ genannt, welchem die Auf- sabe zufällt, die Eier aus dem Ovarium herauszupumpen.
MonTIcELLI hat diesen Muskelapparat auch bei mehreren anderen Trematoden beobachtet, übersetzt aber den Aus- druck Pıintner’s „Schluckapparat,, nicht sehr glücklich mit
») Pintner, Th.; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurmkörpers II. Einiges über die weiblichen Geschlechtsorgane etc. in Arb. Zoolog. Inst. Wien 1890, Bd. 9, 8. 74 ff.
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„sfintere ovarico*, was leicht zu der irrtümlichen Ansicht führen könnte, dass wir es hier mit einem Schliessmuskel zu thun haben, was thatsächlieh nicht der Fall ist.
Vogt!) und LoREnZ?) bezeichnen eine ganz ähnliche Bildung an der Basis des Ootyps als „Sehlucköffnung“, in- des dieselbe später von PAronA und PERUGIA?) „organo nastriforme“ genannt wurde.
Neuerdings hat H. B. Warp?!) in Anlehnung an „Ootyp“ für dieses Organ die Bezeiehnung „Oocapt“ vorgeschlagen, und ich meine, dieser Vorschlag wird sich allgemeiner Zu- stimmung erfreuen, da das Wort im Gegensatz zu „Schluck- apparat“ den Charakter eines internationalen Terminus tech- micus besitzt.
Das Ovarium liegt etwas seit- und rückwärts von der Schalendrüse und grenzt mit seinem vorderen Rande an diese (Taf. III Fig. 11 und 12 %st). Es ist viel stärker entwickelt als bei.A. albidum und deutlich zweifach, meistens jedoch dreifach gelappt. Die Dotterstöcke liegen ausserhalb der Darmsehenkel vor den Hoden in Form von bäumchen- artig verzweigten Röhren, die sich jederseits zu einem ge- meinsamen Gange vereinigen, welcher, den entsprechenden Darmschenkel ventral kreuzend, gegen die Körpermitte hin verläuft. Diese beiden Dottergänge treffen sich ventral und hinter der Scehalendrüse, von wo sie sich in einem gemein- samen Gange in das Ootyp ergiessen. (Taf. III Fig. 12 dg und gdg). MoNTIcELLı nennt diesen gemeinsamen Kanal, der nieht einmal wesentlich erweitert ist, ein „ricettacolo vitellino“, ein wohl nicht ganz zutreffender Ausdruck, wie ich sehon gelegentlich der Beschreibung von A. albidum des näheren erörtert habe.
1) Vogt, C.; Ueber die Fortpflanzungsorgane einiger ektopara- sitischer mariner Trematoden in: Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. 30 Suppl. 1878.
2) Lorenz, L.; Ueber Distoma robustum n. sp. aus dem afrika- nischen Elefanten in: Verh. Zool. Bot. Ges. Wien. Bd. 30 S. 583—586.
s) Parona, C. e Perugia, A., Res ligusticae XIV. Contribuzione per una monografia del genere Microcotyle, in: Ann. Mus. Civico. St. Nat. Genova. Vol. 10 8. 171.
s) H. B. Ward, Note on Cestode Nomenclature. American Naturalist, 1900, Vol. 34, p. 533.
[33] Ueber eine neue Distomidengattung. 177
Von vorne her mündet in das Ootyp der kurze und zarte Ausführungsgang des Receptaculum seminis, an dessen dorsaler Wand er seinen Ursprung nimmt. Das Receptaculum ist sehr gross und stark entwickelt, im Verhältnis noch grösser als bei A. albidum, und liegt ziemlich nahe und mitunter etwas seitwärts vom Bauchsaugnapfe, der dorsalen Wand stark genähert. Ich habe dasselbe auch hier stets sanz oder teilweise gefüllt gefunden; der Inhalt bestand vornehmlich aus Sperma, jedoch fanden sich auch Zellreste und Eier darin. Die Schalendrüse besteht aus zahlreichen einzelligen Drüsen, welehe die gewöhnlichen Färbmittel (Haematoxylin oder Borax-Carmin) stark aufnehmen. Inner- halb der Schalendrüse treffen also nach oben gesagtem vier Kanäle zusammen; der Uterus, der Oviduct, der gemeinsame Dottergang und der Ausführungsgang des MReceptaculum SEMAMIS.
Schon MonTIcELLı hat berichtet, dass diese Spezies keinen Laurer’schen Kanal besitzt, und ich habe dies bei allen meinen Exemplaren bestätigt gefunden. Weder mit dem Receptaculum seminis, noch mit dem Ootyp steht irgend ein Kanal oder auch nur der Ansatz eines Kanales in Ver- bindung, der als Laurer’scher Kanal gedeutet werden könnte.
In den ovarialen Eiern sieht man deutlich neben der Keimzelle ein, zwei oder auch mehrere stark färbbare Körperchen liegen, welche eine unregelmässige Gestalt haben und leicht von der Keimzelle zu unterscheiden sind. Schon bei der Beschreibung der ovarialen Eier des A. albidum habe ich ähnliehe Beobachtungen mitgeteilt, und darauf hingewiesen, dass dies jene Dotterkörperehen sind, die MonTIcELLı nicht sehr vorteilhaft mit dem Namen „nucleo vitellino“ bezeichnet hat. Um Verwechslungen zu vermeiden, werde ich mich für diese Gebilde des Namens „Dotter- körperehen“ bedienen.
Ich habe gefunden, dass jene Eier, welche an der der Mündung des Oviduktes gegenüberliegenden Wand ange- ordnet sind, die kleinsten sind und fast niemals ein solches Körperehen enthalten; je weiter die Eier gegen den Aus- führungsgang des Ovariums hinkommen, desto grösser werden
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 12
178 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [34]
sie, und desto deutlicher zeigen sie das Vorhandensein von Dotterkörperchen. Im allgemeinen glaube ich die Ent- wieklung dieser Dotterkörperehen folgendermassen schildern zu können: Zuerst erscheint innerhalb des Protoplasmas neben dem Kern ein kleines dunkel gefärbtes Pünktchen. Dieses winzige Körperehen wächst allmählich, es tritt ein zweites Körperchen auf und in der Mitte des Ovariums sieht man bereits zwei ziemlich grosse, leicht färbbare Körperchen in der Eizelle liegen.
Die in der dem ÖOvidukt benachbarten Partie des Ovariums, sowie die im Ovidukte selbst befindlichen Eier zeigen zumeist schon vier Körperchen, von denen ein jedes kleiner ist als eines der beiden Körperchen, die in den Eiern der mittleren Zone des Ovariums enthalten sind, sodass es kaum zweifelhaft erscheinen kann, dass diese Körperchen aus den beiden früheren durch Zerfall hervorgegangen sind. Der in Figur 8 der Tafel gezeichnete Querschnitt durch das Ovarium von A. albidum kann auch zur Veranschauliehung dieser Verhältnisse bei A. richiardiü dienen, da das Verhalten beider Arten in dieser Beziehung ganz das gleiche ist; für A. richiardii müssten nur Eier und Ovarium entsprechend grösser gezeichnet sein. Natürlich sind die einzelnen Gegenden, wo ein, zwei oder vier Dotterkörperehen in den Eiern ent- halten sind, nieht streng geschieden, aber jedenfalls stimmen meine Angaben mit denen MonTicELLr’s insofern nieht voll- ständig überein, als er behauptet, dass die am Rande ge- legenen Eier überhaupt die schwächste Entwicklung zeigen und die in der Mitte (uova della zona eentrale dell’ ovario) die am weitest vorgeschrittenen seien, indes ich ein stetiges Fortschreiten der Entwicklung von dem proximalen Rande des Ovariums zum distalen deutlich gesehen habe.
Die Dotterkörperchen sind auch noch, wie schon MoNTI- CELLI bemerkt hat, bei den uterinen Eiern zu sehen, jedoch scheint der Zerfall derselben noch weiter fortzuschreiten, indem sie stetig kleiner werden und an Zahl zunehmen, bis sie eine körnige Masse bilden, welche schliesslich verschwindet, indes die eigentlichen, spärlich vorhandenen Dotterzellen noch lange bestehen bleiben. Die Stellen, wo ich zuletzt in den einzelnen Eiern Dotterkörperchen oder deren Rudimente
[35] Ueber eine neue Distomidengattung. 179
gefunden habe, waren sehr verschieden gelegen, so dass ich nicht anzugeben vermag, an welcher Stelle dieselben ver- schwinden.
Was nun die physiologische Bedeutung dieser Dotter- körperehen anbelangt, so huldige ich darin der Ansicht MoNnTIcELLT’s, dass nämlich diese Gebilde in keinem Zu- sammenhang mit der Befruchtung stehen, sondern als pro- gressive Stoffwechselprodukte von der Eizelle aus dem auf- senommenen Nahrungsmaterial gebildet werden, um während der Entwicklung des Embryos als Reservestoffe zu dienen und zur Ernährung beizutragen. Diese Ansicht hat schon MonTIicELLı dadurch unterstützt, dass er auf die geringe Entwicklung der Dotterstöcke bei A. richiardii im Vergleich zu der Menge und Grösse der Eier hinwies, welche aller- dings den ganzen Uterus in allen seinen weiten und ver- wickelten Schlingen ausfüllen und im allgemeinen einen Durchmesser von 50 u zeigen, indes die ovarialen Eier durch- schnittlich einen Durchmesser von 15—25 u haben.
MonTICcELLI sagt ferner, dass er das Auftreten solcher Dotterkörperehen bei den meisten übrigen Trematoden nicht zu beobachten vermochte. Wie wir gesehen haben, finden sich diese Dotterkörperehen in ganz gleicher Weise bei A. albidum. Sie sind aber auch von Looss bei einigen Distomen der Fische und Frösche, vor allem aber bei Apoblema mollissimum Levinsen beobachtet worden, und auch Looss !) spricht seine Zustimmung zu der Ansieht aus, dass das Vor- kommen dieser Körperchen im Zusammenhang mit der geringen Entwicklung der Dotterstöcke, resp. mit der des einzigen Dotterstockes bei Apoblema stehe, indem er sagt... „et cela appuie l’opinion, suivant laquelle cette formation des cellules oeufs est en relation avee la petite taille des vi- tellogenes“ ... Da wir diese Dotterkörperehen nur bei Formen finden, bei denen die Dotterstöcke schwach ent- wickelt, dagegen aber die Eier ziemlich gross oder sehr zahlreich vorhanden sind, so scheint es keinem Zweifel zu
ı) Looss, A., Recherches sur la faune parasitaire de l’Egypte: in M&m. Inst. &gypte V. 3, 1896.
12*
180 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [36]
unterliegen, dass diese Einsehlüsse in den Eizellen als Nähr- material dienen und gleichsam den mangelnden Dotter er- setzen.
Charaktere der Gattung Anaporrhutum.
Aus dem bisher gesagten geht schon zweifellos die Zusammengehörigkeit der beiden Spezies A. albidum und A. richiardii: hervor, und ich will hier nur versuchen, ihre gemeinsamen Merkmale kurz zusammenzufassen und diejenigen derselben hervorzuheben, auf Grund deren mir die Aufstellung einer neuen Gattung berechtigt erscheint.
Beide Spezies sind Endoparasiten von Chondropterygiern und werden im Pericard oder in der Leibeshöhle meist nur in wenigen Exemplaren an ein und derselben Stelle gefunden. Im äusseren Aussehen sowie in der Grösse finden wir schon eine hervorragende Aehnlichkeit.
Der Verdauungsapparat zeigt in beiden Arten dieselbe charakteristische Form, indem der Mundsaugnapf sich in einen kräftigen muskulösen Pharynx fortsetzt, an den sich fast unmittelbar die Darmgabelung anschliesst. Die Darm- schenkel reichen bis ans Hinterende des Körpers, woselbst sie blind endigen. Der Darminhalt, sowie die Lage des Darmes zum Körperrande ist bei beiden gleich.
Bei beiden Arten liegt der Exkretionsporus an derselben Stelle, nämlich am kaudalen Körperrande und zwar ventral, indes der Verlauf der Kanäle vornehmlich dorsal ist.
Grosse Aehnlichkeiten finden wir auch im männlichen Geschleehtsapparat, dessen Porus bei beiden Arten ungefähr an derselben Stelle liest und getrennt von dem weiblichen, jedoch innerhalb einer gemeinsamen Umwallung mit diesem ausmündet. Ein Cirrus fehlt beiden Arten. Die Prostata- drüsen sind hier wie dort vorhanden. Ein weiterer Gattungs- charakter ist die Lage der männlichen Geschlechtsdrüsen, welche sieh, wenigstens zum grossen Teile, ausserhalb der Darmschenkel befinden und in zahlreiche Hodenbläschen aufgelöst sind.
Der weibliche Geschlechtsapparat zeigt in den beiden Spezies wohl Unterschiede, aber andererseits sind es gerade
[37] Ueber eine neue Distomidengattung. 181
Eigentümliehkeiten des Geschleehtsapparates, die den ge- meinsamen Gattungscharakter bilden. An den ungefähr in der Medianlinie ventral zwischen Mund- und Bauchsaugnapf liegenden weiblichen Genitalporus schliesst sich mit seinem verjüngten Teile der Uterus an, weleher sowohl vor als hinter dem Bauchsaugnapfe mehr oder weniger Schlingen bildet und ganz mit Eiern erfüllt ist. Seine Schlingen reichen so weit nach hinten wie die Darmschenkel, über- schreiten deren inneren Rand jedoch nirgends.
Die Dotterstöcke bestehen bei unserer Gattung aus zwei seitliehen, sehr schwach entwickelten, verästelten Drüsen- komplexen, deren einzelne Zweige mit einander mehrfach ana- stomisieren und teilweise ausserhalb der Darmschenkel liegen.
Das Ovarium liegt bei Anaporrhutum hinter dem Receptaculum seminis etwas seitlich von der Medianlinie des Körpers und ist mehr oder weniger gelappt. Es entsendet seinen Ausführungsgang, den Ovidukt nach vorne in die Sehalendrüse, von wo dieser seine Fortsetzung im proximalen Teile des Uterus findet. Die Form des Eierstockes ist aber selbst in ein und derselben Spezies oft eine sehr verschiedene, so dass ich glaube, dass dieser Punkt für die systematische Beurteilung ziemlich belanglos ist. Das Receptaculum seminis ist bei Anaporrhutum ganz enorm gross und zeigt eine Entwieklung und ein Lumen, wie sie wohl nur wenig andere Distomidengattungen aufzuweisen vermögen. Es ist fast kreisrund, dorsoventral ein wenig abgeplattet und scheint von einer mehr oder weniger elastischen Membran umgeben zu sein. Wie ich noch zu zeigen beabsichtige, bringe ich die Grösse des Receptaculum seminis in direkten Zusammen- hang mit dem Fehlen oder dem Vorhandensein eines LAurer’schen Kanals. In der That fehlt ein solcher der Gattung Anaporrhutum vollständig und ich erblicke darin gerade eines ihrer wichtigsten Gattungsmerkmale.
Dieser Genuscharakter, welcher auch der Gattung den Namen gegeben hat, wird aber noch von zwei anderen Gattungen geteilt. Es sind dies Apoblema LEvInsen !) und
2) Levinsen; Bidrag till Kundskab om Gronlands Trematodfauna; Oversigt over d. K, Dansk. Vidensk, Selsk. Forhdl. 1881. Nr.1.
182 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [38]
Hoaematoloechus Looss. Es thut das aber dem Werte dieses Merkmales keinen Eintrag, da ja, wie auch Looss in seiner letzten Arbeit betont, ein einzelnes Merkmal für die Be- stimmung einer Gattung nicht ausschlaggebend ist. Die beiden hier angeführten Genera, welche noch ausser Ana- porrhutum eines LAurERr’schen Kanals entbehren, sind aber von diesem so grundverschieden, dass sie wohl gar nicht in Betracht kommen.
Wenn wir aber diese Gattungen ins Auge fassen, bei denen ein LAurer’scher Kanal fehlt, so fällt uns auf, dass wir gerade bei ihnen ein ganz kolossal entwickeltes Recep- taculum seminis finden. Es hat mich dieser Umstand auf den Gedanken gebracht, die physiologische und morpho- logische Bedeutung des LAurer’schen Kanals mit dem Recep- taculum seminis in engsten Zusammenhang zu bringen.
Schon vor einem Jahrzehnt ist BRANDES!) auf das energischste gegen die von mancher Seite so z. B. von PInTNER?) verteidigte Auffassung des LAurer’schen Kanals als Vagina aufgetreten. Er betont dabei vor allem dass bisher niemals eine /mmissio penis in den LAURER’schen Kanal beobachtet worden sei, wohl aber das Einführen des Penis in die benachbarte Vagina desselben Tieres oder in das gleiche Organ eines anderen Individuums. Auch zeigt der Laurer’sche Kanal niemals irgendwelche Korrelationen mit dem Bau des vorstülpbaren Begattungsorgans, während an dem Endteile des Uterus, der als Vagina funktioniert, eine derartige Anpassung nicht selten ist. Ich erinnere hier nur an die von Looss neuerdings aufgestellten Gattungen Philophthalmus, Pygorchis, Haplometra, Prymmoprion und andere mehr.
Wenn sich PInTnEr 3) mit seiner Annahme darauf stützen will, dass man im LAurer’schen Kanal sehr häufig Sperma
!) Brandes, G.; Zur Frage des Begattungsaktes bei den endo- parasitischen Trematoden in: Centralbl. f. Bakteriologie und Parasiten- kunde. Bd.IX, 1891 Nr.: 8.
?) Pintner, Th.; Neue Beiträge zur Kenntnis des Bandwurm- körpers. (Arbeiten d. Zool. Instit. zu Wien. Bd. IX. Heft ]).
°) Pintner, Th.; Nochmals über den Begattungsakt der para-
sitischen Plathelminthen in: Centralbl. f. Bakteriol. und Parasitenk. BAER: 13912 Nr:522:
[39] Ueber eine neue Distomidengattung. 183
findet, — eine Beobachtung, die übrigens schon lange vor- her von SrIEpA!) gemacht worden ist, — so kann man natürlich erwidern, dass dieses auch aus den Uterusschlingen oder aus dem Receptaculum seminis stammen kann, dass somit diese Thatsache vielleicht mit grösserem Reehte als Beweis für die von BRANDESs vorgetragene Ansicht angeführt werden könnte.
Zur weiteren Unterstützung dieser Ansicht möchte ich da- rauf hinweisen, dass alle jene Formen, denen ein LAURER’scher Kanal fehlt, ein stark erweitertes Receptaculum seminis be- sitzen und dem die Thatsache gegenüberstellen, dass wir bei allen übrigen Formen einen LAurer’schen Kanal, bei vielen derselben jedoch nur ein sehr unscheinbares, oft aber auch gar kein Receptaculum seminis nachzuweisen vermögen, ich nenne hier nur beispielsweise Asymphylodora (Looss), Haplometra (Looss), Accacoelium (MoNTIcELLI), Otiotrema (SETTI), Halipegus (Looss), Heterolope (Looss), Dolichosomum (Looss), Urogonimus (MONTICELLI), Urotocus (Looss), Hapa- lotrema (Looss), Notocotyle (DIESING).
Bei-einzelnen Formen aber erscheint das Receptaculum seminis gar als eine Ausstülpung des LAurer’schen Kanals, wie z. B. bei Coenogonimus (Looss), Anchitrema (Looss) (identisch mit dem ehemaligen D. sanguineum Sonsino), 80- dass sich uns unwillkürlich der Gedanke aufdrängt, dass der LAurer’sche Kanal nichts anderes als ein Abflussrohr für das Receptaculum seminis oder besser gesagt, für die Samenmasse ist, da, wie wir gesehen haben, der LAURER’sche Kanal auch bei völligem Fehlen eines Receptaculum seminis vorhanden sein kann. —
Diese Annahme wird dadurch unterstützt, dass kein einziger Fall bekannt ist, in welchem gleichzeitig mit dem Mangel eines Receptaculums auch das Fehlen des LAurERr’schen Kanals beobachtet wird. Es wäre somit der LAurERr’sche Kanal allerdings ein Sicherheitsventil, jedoch nicht, wie SOMMER?)
1) Stieda, L.; Ueber den angeblichen inneren Zusammenhang der männlichen und weiblichen Organe bei den Trematoden in: Reicherts und Du Bois-Reymonds Archiv 1871.
2) Sommer, F.; Die Anatomie des Leberegels, Distomum hepa- tieum L.: in Zeitschr. f, wiss. Zool., Bd, 34. pag. 539—640,
184 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [40]
annahm, für die Produkte des eigenen Körpers, welche voraussichtlich nur nach Massgabe ihres Bedarfes erzeugt werden,!) sondern für das von einem fremden Individuum oder vielleicht sogar von mehreren von aussen einge- führte Sperma, welches vielleicht, wenn in zu grosser Menge vorhanden, in allen jenen Fällen wo nur ein kleines oder gar kein Receptaculum seminis vorhanden ist, die Ge- fahr einer Verstopfung der Leitungswege herbeiführen könnte, und dadurch, statt das Tier zu befruchten, gerade das Gegen- teil, nämlich seine Unfruchtbarkeit bewirken würde. Durch diese Hypothese findet auch die Beobachtung, dass der LAurer’sche Kanal oft mit Sperma gefüllt ist, ihre natürliche Erklärung.
Es leuchtet aber auch ein, dass bei allen jenen Gattungen, bei denen der LAaurer’sche Kanal fehlt, das Receptaculnm seminis sehr gross sein muss, um die Gefahr einer Ueber- füllung zu vermeiden, oder dass anderseits diese Vergrösserung des Receptaculum seminis vielleicht gerade erst durch die Ansammlung von Samenmasse, welche keinen Abfluss findet, eintritt; ein Verhalten, das an der hier aufgestellten Hypo- these nichts ändern würde.
Ob das Receptaculum nicht auch in morphologischem resp. in entwieklungsgeschichtlichem Zusammenhang mit dem LAurer’sehen Kanale steht, worauf die Thatsache hinzu- weisen scheint, dass es mitunter nur als Ausbuchtung des letzteren auftritt, wäre eine Frage, die zu lösen die Auf- gabe einer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung sein würde.
Als Charaktere für die neue Gattung Anaporrhutum können wir also nunmehr zusammenfassend aufstellen:
1. Abgeflachter ovaler Körper mit abgesetztem Vorder- ende,
2. Geschleehtsöffnungen dieht nebeneinander, in der Mitte zwischen Mund- und Bauchsaugnapf,
3. Oesophagus sehr kurz und unscheinbar,
1) Vergl. Brandes; Die Familie der Holostomiden. Zool. Jahr- bücher. Abt. f. Systematik ete. Bd. V, pag. 565.
[41] Ueber eine neue Distomidengattung. 185
4. Weite unverästelte Darmsehenkel bis ans Hinterende des Körpers reichend,
5. Cirrus ist nicht vorhanden,
6. Hoden in einzelnen Bläschen trauben- oder dolden- förmig angeordnet, liegen zum grossen Teile ausserhalb der Darmschenkel,
7. Receptaculum seminis sehr gross,
8. Gänzlicher Mangel eines LAurer’schen Kanals,
9. Auftreten von Dotterkörperchen in den ovarialen sowie in den uterinen Eiern.
Ich glaube, dass diese Merkmale hinreiehen werden, um ein klares Bild von der Gattung Anaporrhutum zu geben und sie von anderen Distomidengattungen abzugrenzen.
Unterschiede zwischen den beiden bisher bekannten Arten von Anaporrhutum.
In der äusseren Körpergestalt unterscheiden sich unsere beiden Arten insofern, als A. richiardiw im allgemeinen einen gedrungeneren Bau zeist, dieker ist und in seinem vorderen Teile an der ventralen Seite bis über den Bauchsaugnapf hinaus mit sehr kleinen, kurzen und dieken Stacheln be- setzt ist, welehe jedoch nur auf Schnitten gesehen werden können.
A. albidum ist länglicher, weicher d. h. muskelärmer und besitzt eine vollkommen glatte Körperoberfläche.
Der Pharynx, welcher sich bei der letztgenannten Form
birnförmig in den Mundsaugnapf vorschiebt, legt sich bei A. richiardii mehr kugelförmig an denselben an. . Das Wassergefässsystem ist bei A. albidum durch die wagerechte Stellung der vom Hauptstamme entspringenden Aeste mehr T-förmig und durch den Ansatz von Neben- stämmen, welche teils ausserhalb, teils dorsal von den Darmschenkeln verlaufen weiter ausgebreitet. A. richiarduü dagegen zeigt die häufig vorkommende Y-Form.
Die Vesicula seminalis zeigt insofern einen kleinen Unterschied, als dieselbe bei A. albidum aus mehreren spiralig
186 Dr. ERNST VON OFENHEIM, [42]
angeordneten Windungen besteht, indes sie bei A. richiardiü nach MoNTICELLI aus einer seitlichen, nach meinen eigenen Beobachtungen aus einer dorsalen Aussackung des ductus ejaculatorius besteht.
Bei diesem letzteren findet man auch nieht jene merk- würdige Anastomose der Vasa deferentia. Dagegen liegen hier die Hodenbläschen auch noch teilweise innerhalb der Darmschenkel, während dies bei A. richiardi niemals der Fall ist.
Entsprechend dem grösseren, durch tiefe Einschnitte gelappten Ovarium besitzt A. richiarduü einen stark ent- wickelten Uterus, weleher mit seinen Schlingen den ganzen Raum zwischen den Darmschenkeln völlig ausfüllt und nur das Receptaculum seminis, das Ovarium und die Schalen- drüse unbedeckt lässt. Das bedeutend kleinere Ovarium von A. albidum besteht aus mehr Lappen, die jedoch weniger scharf von einander getrennt sind. Der Uterus zeigt nur wenige, kleine Sehlingen im äussersten kaudalen Teile des Körpers, indes er sonst nur in einer sanften Wellenlinie verläuft.
Die Dotterstöcke liegen bei A. richiardu ganz ausser- halb der Darmschenkel, wogegen sie bei A. albidum kaum den äusseren Rand der Darmschenkel ventral überschreiten.
Wenn diese Unterschiede auch vollständig hinreichen, um eine deutliche Trennung der beiden Arten zu ermöglichen, so glaube ich doch nicht, dass man nach den bisherigen Er- gebnissen die Zusammengehörigkeit zu ein und derselben Gattung vorläufig anzweifeln kann. Immerhin ist es möglich, dass späterhin, wenn neue zu jeder der beiden Spezies passende Arten gefunden werden, jede derselben für sich wieder als neue Gattung aufgestellt wird.
N 4 WOHIN,
“ Tafel I.
Dr. E. v. Ofenheim, Ueber eine neue Distomidengattung.
Fig. 18. Anaporrhutum albidum.
Fig. 1. Aeussere Ansicht von der Bauchseite; nat. Gr.
Fig. 2. Profilansicht, nat. Gr.
Fig. 3. Innere Anatomie v. d. Bauchseite aus gesehen, ca, 4
Fig. 4. Sagittalschnitt durch Mundsaugnapf, Pharynx, Oeso-
Er phagus und den Beginn des Darmes. 50x
Fis.. 5. Medianschnitt durch weiblichen und männlichen Ge- schlechtsporus, duct. ejaculat. und Ves. semin. 110
Fig. 6. Dorsal-Ansicht des Endabschnittes des männl. und weibl. Genitalapparates; aus Sagittalschnitten rekonstr. ca. 70x
Fig. 7. Weibl. Geschlechtsapparat a. Querschnitten rekonstr. 50
Fig. 8. Sagittalschnitt durch Ovarium und Ovidukt. 190
Fig. 9—12. Anaporrhutum richiardü.
Fig. 9 und 10. Aeussere Ansicht von der Bauchseite, nat. Gr.
Fig. 11. Innere Anatomie, von der Bauchseite gesehen, ca. 6x
Fig. 12. Weibl. Geschlechtsapparat aus Querschnitten rekonstruiert (Dotterstöcke und Uterus abgeschnitten), ca. 25
avd: Anastomose der Vas. def. | nex: Nebenstämme des Fxkretions-
br: Befruchtungsraum (Ootyp). \ gefässsystems.
bsn: Bauchsaugnapf. 9: Mundöffnung.
de: duetus ejaculatorius. pe: Porus exeretorius.
dg: Dottergänge. | ph: Pharynx.
dst: Dotterstöcke. pr: Prostatadrüsen.
ec: Haupstamm d. Exkretionssyst. | rs: Receptaculum seminis.
i: Darmschenkel. sd: Schalendrüse.
gdg: Gemeinsamer Dottergang. ı t: Hoden.
go: Ort der Genitalöffnungen. ı utd: Distaler Teil des Uterus.
kg: Keimgang (Oviduct). | utd: Proximaler Teil des Uterus.
kst: Keimstock (Ovarium). vd: Vasa deferentia.
mgo: Männliche Genitalöffnung. | vs: Vesicula seminalis.
msn: Mundsaugnapf.
|
wgo: Weibliche Genitalöffinung.
Die in der Tafel wiedergegebenen Zeichnungen wurden von Dr. Etzold teils nach meinen Skizzen und Angaben, teils direkt von meinen Präparaten mit Hilfe des Zeiss’schen Zeichenapparates angefertigt.
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Tafel IV.
Wiegers, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4a.
Fig. 4b.
Gypszwilling mit einspringendem Winkel; Beginn der Bildung von Flächen der hinteren Orthodomenzone infolge der Aetzung.
Gypszwilling, bei welchem durch vorgeschrittene An- ätzung der einspringende Winkel dem Verschwinden nahe gebracht ist; die abstumpfenden Flächen sind stark entwickelt.
Gypszwilling mit schwach gewölbter Endigung; der einspringende Winkel ist verschwunden. Die Thon- einschlüsse auf den Flächen der negativen Hemi- pyramide sind sichtbar.
Gypszwilling mit zugespitzter Endigung; das Endglied der Reihe.
Derselbe vergrössert. Einschlüsse wie in Fig. 3.
Zeitschrift für Naturwissenschaften. 1900. Bd. 793. ERS IOVE
r BER? M ve RN Er ",
F, Wiegers phot. Lichtdruck von Gebr. Plettner, Halle a. S.
Catalogus mammalium europaeorum Seripsit
Erwin Schulze.
Praefatio.
Mammalium species europaeae hoe eatalogo secundum eam systematis formam enumerantur quae orta est e reeenti- oribus zoologorum nee non palaeontologorum studiis. De sin- gulis speeiebus synonyma praeeipua nuneupantur, loei litte- rarji prineipales indieantur, distributio geographiea exponitur.
De quorundam generum et specierum determinatione et nominibus deque una quadam speeie obsoleta et in hoc eatalogo praetermissa pauca sunt hie dieenda, ne specierum enumeratio dissertationibus subseribendis eoartetur.
1. Europaeum Bovem urum s. bonasum atque ameri- canum Bovem bisontem eiusdem et unius speciei esse varie- tates seu subspecies locorum et vietus diversitate effeetas, illam silvaticam, hane eampestrem, vel inde apparet quod Bovis uri atavus diluvianus, Bos priscus, quem constat in campis vietitavisse, americano Bovi bisonti similior est quam suae ipsius progeniei europaeae.
2. Couesianum genus. Huotomyis cum ab Hypudaeo parum diserepet, eonvenienter illi subiungitur tanquam sub- genus. (Ne Fiber quidem zibethicus, species americana, ita ut apte peculiari genere exeipiatur diversus est ab Hypudaeo, a quo non differt nisi notis adaptatieiis vietu aquatico effeetis, nee unquam fortasse seorsum in systemate eollocatus foret, nisi magnitudine in illo genere insolita ae singulari habitum. alienum praeberet.!)
1) Etiam Oldfield Thomas videtur Fibrum Hypudaeo s. Microto subiungendum esse censere, quum in generum glirium conspectu quem a. 1896 conscripsit generis Fibri mentionem non faciat.
188 ERWIN SCHULZE, [2]
3. Arvicola campestris, quae species ab J. H. Blasio a. 1853 in uno tantum specimine quod in territorio urbis Braunschweig inventum erat constituta est, in hoc catalogo omittitur, quia a nemine postea visa est et confirmata, eum Hypudaei species passim et gregatim vivere soleant. Exem- plar blasianum videtur aut hibrida fuisse Aypudaei agrestis et arvalis aut animal abnorme.
4. Genus Soricis ita est determinatum ut S. amphibium s. fodientem eomprehendat, e quo Wagler a. 1832 proprium genus Crossopodis constituit, quod Selys quidem a. 1839 repudiavit, plerigue autem recentiores auetores probaverunt et receperunt. A reliquis enim Soricis speciebus S. amphi- bius non generieca indole, sed (praeter dentium numerum, qui in his animalibus minoris est momenti) accommodatieiis tantum notis differt, ut bestia aquatiea.
5. Non est dubium quin Linnaeus generis Mustelae exemplaria seu species typieas M. ermineam et nivalem subintellexerit. Mustelae igitur nomen (id quod W. Lillje- borg a. 1874 in fauna mammalium scandinaviea notavit) adhibendum est ad species M. ermineae eongeneres, no- minaque generiea Putorü et Foetorii sunt reiieienda.
6. Diserimen quod inter hominem ae simias anthropo- morphas, Pithecum troglodytam et satyrum, intereedit eius- modi est ut ratio mere morphologiea hominem ab illis genere separari nee iubeat nee postulet et vix sinat. Accedit quod hominis diluviani dentes, in poro seu topho taubachiano reperti, Pitheci troglodytae dentibus etiam assimiliores sunt quam dentes hominis hodierni.!)
Seribebam Lipsiae 1900 mai. 1. E. Schulze.
1) Schötensack, O., Diluvial-Funde von Taubach (Weimar). Vh. Berl. @. Anthr. a. 1895. — Nehring, A., Über einen fossilen Menschenzahn aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar. Vh. Berl. G. Anthr. a. 1895, p. 338—340. — Nehring, A., Über einen diluvialen Kinderzahn von Pfedmost in Mähren unter Bezugnahme auf den schon früher beschriebenen Kinderzahn aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar. Vh. Berl. G. Anthr. a. 1895, p. 425—433. — Nehring, A., Über einen menschlichen Molar aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar. Vh. Berl. G. Anthr. a. 1895, p. 573—577. — Nehring, A., Über fossile Menschenzähne aus dem Diluvium von Taubach. Ntw. Wochenschr. ed. Potoni£., Berl., v. 10 (a. 1895), p. 371. 522,
[3] Catalogus mammalium europaeorum. 189
Vete
Balaenidae BALAENA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 105 g. 38).
1. mysticetus. (B. m. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 105 sp. 1). In mari glaeiali et in partibus maxime septen- trionalibus oceani atlantiei et paeifiei.
2. glacialis. (B. glacialis 1789 Bonnaterre eet., p. 3 [1898 True, P. U. S. Nat. Mus. p. 633]. BD. biscayensis 1860 Eschricht, OR. Ac. Par. v. 50 p. 924. BB. tarentina 1877 Capellini, Rend. Ac. Nap.) In oceano atlantico, mari mediterraneo.
Physalidae PHYSALUS
1. latirostris. (Physalus sibbaldii 1847 Gray, P. Z. S. Lond. p. 92. Balaenoptera gigas 1857 Reinhardt ap. Rink, Grönland, v. 1 pt. 2, app. p. 10. Sibbaldus borealis 1864 Gray, Ann. Mag. N.H. s.3 v.14 p. 352. Physalus latirostris 1864 Flower, P. Z. S. Lond. p. 414.) In maribus borealibus.
2. musculus. (Balaena boops 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 106 sp. 3. Balaenoptera musculus 1830 Com- panyo. Physalus musculus 1871 Malm, Sv. Vet. Ak. Handl. Stockh. 8.2 v.9 fase. 2 p. 40.) In oceano atlantieco N, mari mediterraneo.
3. laticeps. (Balaena rostrata Rudolphi, Abh. Ak. Berl. a.1820 p.27 t.1..4. Balaenoptera laticeps 1846 Gray, zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 20.) In mari- bus borealibus.
4. rostratus. (Balaena rostrata 1780 Fabrieius f. groenl., p. 40. Dbalaenoptera rostrata 1839 Kröyer, Nth. Tidsskr. Kjjöbenh. v. 2 p. 617.) In maribus borealibus, oceano atlantico N, mari mediterraneo.
5. boops. (Balaena boops 1780 Fabrieius f. groenl., p- 16 n. 22. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 291 n. 149. balaena longimana 1832 Rudolphi, Abh. Ak. Berl. a. 1829 p- 133 t. 12. Megaptera longimana 1846 Gray, zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 17. Megaptera boops 1862 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart. däggdj., fase, 2 p. 50 sp. 1.) In oceanis atlantico et paeifico N.
190 ERWIN SCHULZE, [4]
Delphines Delphinidae PHOCAENA (1817 G. Cuvier regne anim., v.1 p. 279).
Phocaena
1. commumis. (Delphinus phocaena 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 108 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p- 284 n. 145. Phocaena communis 1827 Lesson mamm., p- 413 n. 1078.) In maribus europaeis.
Orca (1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 33).
2. gladiator. (Delphinus orca 1804 La Cepede eet., p- 298. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 285 n. 146. Delphinus gladiator 1804 La Cepede eet., p. 302. Orca gladiator 1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 33. | 1866 Lilljeborg, Recent mem. on the cetacea, ed. by the Ray S., p. 232.) In oceano atlantico N, mari mediterraneo.
3. eschrichtü. (Orca eschrichtii 1866 Steenstrup, Recent mem. on the cetacea, ed. by the Ray S., p. 188.) In maribus septentrionalibus.
4. crassidens. (Phocaena crassidens 1846 Owen brit. foss. mamm., p. 516.) In oceano atlantico paeifico australi, mari mediterraneo.
Grampus (1828 Gray).
5. grisea. (Delphinus griseus 1812 Cuvier, Ann. Mus. H.N. Par. v.19 p.14 t.1. Phocaena grisea 1827 Lesson mamm., p. 415 n. 1085.) In oceano atlantico N.
6. rissoana. (Delphinus rissoanus 1820 Desmarest mamm., p. 519 n. 778. Phocaena rissoana 1827 Lesson mamm., p. 416 n. 1088.) In mari mediterraneo.
[5] Catalogus mammalium europaeorum. 191 GLOBICEPS (1883 Flower, P. Z. S. Lond. p. 471).
1. melas. (Delphinus melas 1809 Traill, Nicholson’s J. Nat. Phil. Lond. v. 22 p. 81 1.3. Delphinus globiceps 1812 Cuvier, Ann. Mus. H. N. Par. v.19 p. 14 t.1 f.2. Globiceps melas 1883 Flower, P. Z. S. Lond. p. 471. 509.) In oceano paeifico et atlantico, mari mediterraneo.
DELPHINUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.108 g.40).
Steno (1846 Gray zool. voy. erebus a. terror, mamm., p. 43).
1. frontatus. (Delphinus frontatus 1823 Cuvier oss. foss., ed. 2, v.5 p. 278 1.22 f.8.) In oceano pacifieco et indico, in mari rubro et mediterraneo.
Delphis
2. delphis. (Delphinus delphis 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 108 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 284 n. 144. Delphinus algeriensis 1860 Loche, Rev. Mag. Zool. p. 474 1.22 f.1.) In oceano atlantieo, mari mediterraneo.
3. mediterraneus. (Delphinus mediterraneus [? 1858 Loche cat. mamm. et ois. alg.]) In mari mediterraneo.
4. albirostris. (Lagenorynchus alberostris 1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 35 t. 10. 11. Delphinus albirostris 1861 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart. däggdj., fase. 1 p. 8 sp. 2.) In oceano atlantico.
5. rostratus. (Delphinus rostratus 1817 Cuvier regne anim., v.1 p. 278.) In oceano atlantico.
6. acutus. (Delphinus acutus 1829 Gray spieil. zool., v.1 p.2. Delphinus leucopleurus 1845 Rasch, Nyt Mag. Ntv. v.4 p. 97.) In maribus septentrionalibus.
Olymene (1846 Gray zool.voy. erebus a. terror, mamm., p.40).
7. tethyos. (Olymene euphrosyne 1846 Gray zool. voy. erebus a. terror, mamm., p. 40 t. 22. Delphinus tethyos 1858
192 ERWIN SCHULZE, [6]
Gervais, Bull. S. Agr. Herault v. 40 p. 150 t. 1. | 1853 Gervais, S. Philom., proe. verb., p. 23. | 1853 Gervais, /’Institut, v. 21 n. 1001 p. 85.) In oceano atlantico, mari mediterraneo.
Tursio (Nardo).
8. tursio. (Delphinus tursio 1780 Fabrieius f. groenl., p.49 0.31. Delphinus truncatus 1821 Montagu, Mem. Werner. N.H.S. v.3 p.75. Tursio truncatus Nardo.) In oceano atlantico, mari mediterraneo. i
9. parvimanus. (Tursiops parvimanus 1887 Lütken, Dansk. Vid. Selsk. Skr. v. 6 p. 391.) In mari mediterraneo.
DELPHINAPTERUS (1804 La Cepede eet., p. XLI. 243).
1. leucas. (Delphinus leucas 1776 Pallas reise d. d. russ. reich, v. 3 p. 85 t.4 f.1.2 [eran.]. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 273 n. 143 t. 31.32. Delphinapterus leucas 1861 Lilljeborg öfvers. skand. hvalart. däggdj., fase. 1 p. 28 sp. 1.) In maribus aretieis.
Monodontidae
MONODUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 105 g. 37).
1. monoceros. (Monodon monoceros 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.105 sp. 1. Ceratodon monodon 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 295 n. 151.) In oceano polari septentrionali.
Hyperoodontidae
HYPEROODUS (1804 La Cepede eet.. p. XLIV. 319).
1. rostratus. (Balaena rostrata 1744 Pontoppidan nat. hist. norw., p. 233. Hyperoodon borealis 1820 Nilssor skand. f., dägg. dj., p. 404. Hyperoodon rostratus 1846 Gray zool. voy. erebus a. terror 1839/1843, mamm., p. 26 t.3.) In maribus borealibus.
[7] Catalogus mammalium europaeorum. 193 ZIPHIUS (1823 G. Cuvier oss. foss., ed. 2, v. 5).
1. gervaisü. (Hyperoodon gervarsw 1851 Duvernoy, Ann. Se. Nat. Par., zool., 8.3 v.15 p. 49. Ziphius gervaisii 1867 Fischer, N. Arch. Mus. H. N. Par. v.3 p. 55. In oceano atlantico.
2. bidens. (Physeter bidens 1804 Sowerby brit. mise., p. 1. Delphinorynchus micropterus 1836 F. Cuvier eet., p. 114; 1.7; 1.8 £.1. Ziphius bidens 1874 Lilljeborg sver. och norg. ryggradsdj., 1. däggdj., p. 989 sp. 2.) In oceano atlantico.
3. epiodus. (Delphinus epiodon 1820 Desmarest mamm., p. 521 n. 786. Ziphius cavirostris 1823 Cuvier oss. foss., ed. 2, v.5 p. 350 t.27 £.3.) In mari mediterraneo.
Physeteridae
PHYSETER (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 107 8.39).
1. tursio. (Physeter tursio 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 107 sp. 4.) In oceano atlantico N, mari mediterraneo.
2. macrocephalus. (Physeter macrocephalus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 107 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso- as. v.1 p. 287 n. 147.) In oceano atlantico N, mari medi- terraneo.
Zeitschrift £. Naturwiss, Bd. 73, 1900. 13
194 ERWIN SCHULZE, [8]
Pecora
Moschidae Camelina CAMELUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 90 g. 27). 1. tophicus.
1. subsp. monotophus topho simpliei. (CO. dromas 1551 Gesner quadrup. vivip., p. 171. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1p.197 n.116. CO. dromedarius 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.90 sp.1. C. monotophus 1818 Walther, Ann. Wetterau. Ges. Ntk. v.4 p. 103 sp. 1.) Domestieus in Afriea N, Asia W, Peloponneso.
2. subsp. ditophus topho dupliei. (CO. bactrianus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 90 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 193 n. 115. CO. ditophus 1818 Walther, Ann. Wetterau. Ges. Ntk. v.4 p. 104 sp. 2.) In ecampis inter Chinam Indiam et Songariam; domestieus in Asia N, Crimea.
Cervina
CERVUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 92 g. 29).
Capreolus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v.5 p.313 sg. 7).
1. capreolus. (CO. capreolus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 94 sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 219 n. 121. CO. pygargus 1771 Pallas reise d. d. russ. reich, v.1 p- 453 n. 1.) In Europa usque ad 58° lat.; in Sibiria usque ad Lenam; in Armenia, Persia.
Elaphus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v.5 p. 307 38.4).
2. elaphus. (C. elaphus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.93 sp. 3. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 216 n. 120.) In Africa N; in Europa usque ad 65° Jat.; in Sibiria 8.
[9] Catalogus mammalium europaeorum. 195
Dama (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v. 5 p- 306 sg. 3).
3. dama. (C. dama 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 93 sp. 5.) In Africa N, Europa S, Asia minore.
Alces (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v. 5 p- 303 sg. 1). 4. alces. (0. alces 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 92 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 201 n. 118 t. 14.) In Sceandinavia Fennia Borussia E; in Rossia usque ad Caucasum et Baikal lacum; in America boreali.
Tarandus (1553 Gesner ie. quadrup., p. 62).
5. tarandus. (C. tarandus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.93 sp.4. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 106 n. 119.) In regione aretica Europae Asiae Americae; in Groenlandia, Spitsbergia.
Bovina
COLUS (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 393).
1. naso. (Capra tatarica 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.97 sp.11. Antilope saiga 1777 Pallas spieil. zool., fase. 12 p. 14 sp. 8; p. 21; t.1;t.3£.6..11. | 1811 Pallas z00gT. r0o880 -a8., v.1 p. 252 n.135. Antilope colus 1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v.5 p. 335 n. 829 sp. 22.) In campis Europae E et Sibiriae.
RUPICAPRA (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 321).
1. dorcas. (Tragus dorcas 1751 Klein quadrup., p. 17. Capra rupicapra 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 95 sp. 4. Antilope rupicapra 1767 Pallas spieil. zool., fase. 1 p- 7 sp. 2. | 1777 Pallas spieil. zool., fase. 12 p. 12 sp. 3. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 250 n. 132. Rupicapra dorcas 1897 Schulze mamm. eur., p.9 sp. 1.) In Pyrenaeis Alpibus Carpatis centralibus Caucaso.
13*
196 ERWIN SCHULZE, [10] CAPRA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 94 g. 30).
1. ibex. (Capra ibex 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 95 sp. 2. Ibex sibiricus 1776 Pallas spieil. zool., fase. 11 p. 52; 1.3; 1.5 f.A. _Aegoceros ibex 1811 Pallas zoogr. rosso- as, v.1 p. 224 n.122; t.15.) In Hispania S, Pyrenaeis, Alpibus, Caucaso, Sibiria.
2. hircus. (Capra hircus 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1p.94 n.1. Capra aegagrus 1788 Gmelin Linnaei syst. nat., ed. 13, v. 1 p. 193 sp. 1. Aegoceros aegagrus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 226 n.123; t.16.) In alpinis Caucasi Persiae Tauri Imai.
3. ammon. (Capra caucasica 1783 Pallas, Act. Ac. Petrop. a. 1779 pt. 2 p. 273 t#. 172. 17®. Aegoceros ammon 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 229 n. 125; t. 17. 18.) In summis Caucasi iugis.
OVIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 97 2. 31).
1. aries. (Ovis aries 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 97 sp.1. Capra musmon Bonaparte ie. f. ital., fol. 45. Ovis musmon 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. V. 29 n. 20.) In Hispania S, Sardinia, Corsica.
2. musimon. (Aegoceros musimon 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 230 n. 126; t. 19.) In rupestribus montosis ad orientem laeus Caspii in ditione Tureomanorum; in mon- tibus Cerauniis Persiae; in Cypro.
BOS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 98 g. 32).
Dbubalus (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 139).
1. bubalus. (B. b. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 99 sp. 5. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 247 n. 130.) In India et Sundaieis insulis; domestieus in Asia S Afriea Italia Dalmatia Hungaria Valachia Moldavia Bulgaria Tureia Graeeia Tauria Georgia Armenia Astrachan.
11] Catalogus mammalium europaeorum. 197
Bison (1553 Gesner ie. quadrup., p. 69).
2. bison. (Bos bison 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1 p- 99 sp.3. Urus 1811 Wilde ap. Pallas zoogr. rosso - as., v.1 p. 242..247.) In silva bialovicensi Lituaniae; in Cau- easo; in N.-Ameriea.
Taurus (1827 Hamilton Smith ap. Griffith anim. kingd., v.5 p. 375 88. 3).
3. taurus. (B. taurus 1766 Linn6 syst. nat., ed. 12, v.1 p. 98 sp. 1.) Domestieus in Europa, America, Australia.
Syidae
SUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 102 g. 35).
1. scrofa. (S8. scrofa 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 102 sp. 1. S. europaeus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 265 n. 139.) In Europa usque ad 55° lat., in Asia, Africa N.
Hippidae
EQUUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 100 g. 33).
1. caballus. (E. c. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 100 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 255 n. 136.) In eampis Europae E et Asiae mediae.
2. asinus. (E. asinus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 100 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 263 n. 138 t. 26. 27.) In eampis Tatariae magnae, Persiae, ad Aral lacum; domestieus in Europa.
198 ERWIN SCHULZE, [12]
Glires ') Sciuridae Seiurina SCIURUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 86 g. 25).
1. vulgaris, (8. vulgaris 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.86 sp. 1. $.varius 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p-. 183 n. 110.) In Europa, Asia N.
TAMIAS (1811 Iliger syst. mamm. et av., p. 83 g. 34).
1. virgatus. (Sciurus minor virgatus 1760 Gmelin, N. Comm. Ace. Petrop. v.5 p. 344 n.41.9£.1. Sciurus sibiricus 1769 Laxmann sibir. briefe, p. 69. Sciurus striatus 1778 Pallas glir., p. 378. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 187 n. 112. Tamias pallasii 1857 Baird mamm. north am,, p: 295.) In Uralo et Sibiria.
SPERMOPHILUS (1822 F. Cuvier, Mem. Mus. H. N. Par. v.9 p. 293).
1. citillus. (Mus ce. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 80 sp. 4. | 1770 Pallas, N. Comm. Ace. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt.1 p.549 n.1 f.21 £.1. | 1778 Pallas glir., p. 76 sp. 5; p- 119; 1.6. Spermophilus c. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur, p. XIl.43 n. 72.)- In Silesia Polonia Austria Hungaria Rossia S.
2. guttatus. (Mus citillus var. guttata 1770 Pallas, N. Comm. Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt.1 p. 566 ft. 21 £. 2. | 1778 Pallas glir., p. 123. 127; t.6B. Spermophilus guttatus 1827 Temminck monogr. de mammalogie, v.1 p. XXVII.) In Rossia S inter Tanain et Volgam et ultra Lenam.
!) 1897 Oldfield Thomas, On the genera of rodents: an attempt to bring up to date the current arrangement of the order. P.Z.S. Lond. 1896 p. 1012... 1028.
[13] Catalogus mammalium europaeorum. 199
3. rufescens. (S.r. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur, p. XII. 42 n.69.) In provineiis orenburgiea et kasa- niensi inter 50% et 569 lat.
4, fulvus. (Arctomys f. 1823 Lichtenstein ap. Evers- mann reise nach buchara, p. 119 n.3. Spermophilus f. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XII. 42 n. 68.) Ad Ural fl. et in campis kirgisieis inter 44% et 46° lat.
"5. mmugosaricus. (Arctomys m. 1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara, p. 119 n.5. Spermophilus m. 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XII. 42 n. 70.) Ad Ural fl. et in ecampis kirgisieis inter 46° et 49° lat.
6. musicus. (8. m. 1832 Menetries eatal. rais. d. obj. de zool., p. 21 n.18.) In alpinis Caucasi Georgiae Dagestan Elbri.
ARCTOMYS (1778 Pallas glir., p. 97).
1. alpinus. (Mus alpinus 1551 Gesner quadrup. vivip., p. 840. Mus marmota 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 81 sp. 7. | 1778 Pallas glir., p. 74 sp. 1. Marmota alpina 1779 Blumenbach handb. naturgesch., p. 80 sp. 1. Arctomys marmota 1792 Schreber säugt., v. 4 p. 722 sp. 1 1.207.) In alpinis Pyrenaeorum Alpium Carpatorum centralium.
2. bobac. (Mus arctomys 1778 Pallas glir., p.75 sp. 3; p- 111; £.5; 1.9 f£l..5. Arctomys bobac 1792 Schreber säugt., v.4 p. 738 sp. 3 1. 209. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.155 n. 72.) In eampis Galieiae Poloniae S Bucovinae Rossiae S Sibiriae S, usque ad 55° lat.
SCIUROPTERUS (1825 F. Cuvier dents des mammif., p. 161 n. 56).
1. volans. (Sciurus volatilis 1738 Du Vernoi, Comm. Ac. Petrop. v.5 p. 220. Sciurus volans 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.88 sp. 10. | 1773 Pallas glir., p. 355. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.190 n.114. Sciuropterus volans 1874 Lilljeborg sver. och norg. ryggradsdj., 1. däggdj., p. 401 sp. 1.) In Europa boreali et orientali, in Sibiria usque ad Lenam,
200 ERWIN SCHULZE, [14]
Castorina CASTOR (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 78 g. 23).
1. fiber. (C. f. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 78 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 142 n.63.) In Europa, Asia N, N.-Ameriea.
Sminthidae 1) Myoxina MYOXUS (1792 Schreber säugt., v. 4 p. 824 g. 29).
Elius (1900 Schulze, Zeitschr. Ntw. ed. Brandes, Stuttg., v. 73 p. 200).
1. glis. (Sciurus g. 1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1 p- 87 sp.8. Myoxus g. 1792 Schreber säugt., v.4 p. 825 sp. 1 t. 225. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 178 n. 104.) In Europa media et australi usque ad Caucasum.
2. dryas. (Mus nitedula 1778 Pallas glir., p. 88 sp. 32. Myoxus dryas 1792 Schreber säugt., v.4 p. 831 sp. 21.225 B. Myoxus mitedula 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 179 n. 105.) In Silesia superiore, Austria, (uns Rossia S usque ad Caucasum.
Muscardinus (1829 Kaup entw. eur. tierw., p. 139).
3. muscardinus. (Mus avellanarius 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.83 sp. 14. Myoxus muscardinus 1792 Schreber säugt., v.4 p. 835 sp. 4 t. 227.) In Anglia Gallia Germania Suecia S Galieia Bessarabia Volhynia Italia.
Elhomys (1843 Wagner, Abh. Ak. Münch. v. 3 p. 176).
4. nitela. (Mus quercinus 1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1p.84 sp. 15. Myoxus nitela 1792 Scehreber säugt., v. 4 p- 833 sp. 3 t. 226.) In Gallia Belgio Germania Hungaria Galieia Transsilvania Helvetia Italia Sicilia.
1) = Myomorpha.
[15] Catalogus mammalium europaeorum. 201
Murina MERIONES (1811 Illiger syst. mamm. et av., p. 82 g. 32).
Gerbillus (1804 Desmarest, N. Diet. H. N. v. 24 tabl. p. 22).
1. longipes. (Mus meridianus 1773 Pallas reise d. d. russ. reich, v. 2 p. 702 n. 4. Mus longipes 1778 Pallas glır., p. 88 sp. 30; p. 314; t.18B.) In regione laeus Caspii et in Asia centrali usque ad Mongoliam.
Idomeneus (1900 Schulze, Zeitschr. Ntw. ed. Brandes, Stuttg., v. 73 p. 201).
2. tamaricinus. (Mus t. 1773 Pallas reise d. d. russ. reich, v. 2 p. 702 n. 3. | 1778 Pallas glir., p. 88 sp. 31; p. 322; t.19. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.172 n.93. .Meriones i. 1820 Kuhl beitr. zool., p. 69. | 1823 Lichtenstein ap. Evers- mann reise nach buchara, p. 121 n. 11.) In regione lacus Caspii, in Turkestan, Palaestina.
Rhombomys (1843 Wagner säugt., v.3 p. 485).
3. opimus. (Meriones opimus 1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara, p. 122 n.13.) In regione laeuum Caspii et Aral, in Asia centrali.
MUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.79 g. 24).
1. minutus. (Mus minutus 1771 Pallas reise d. d. russ. reich, v. 1 p. 454 n. 4. | 1778 Pallas glir., p. 96 sp. 45; p. 345; t. 24B. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.169 n.S8. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 68 sp. 8. Mus soricınus 1804 Hermann obs. zool., v.1p.57. Mus pendulinus 1804 Hermann obs. zool., v. 1 p. 62. Mus parvulus 1804 Hermann obs. zool., v.1 p. 62. Mus campestris F. Cuvier et Geoffroy mamm. Mus messorius Shaw gen. zool., v.2 p. 62. Mus praiensis 1831 Ockskay, N. Act. Ace. Leop. v. 15 pt. 2 p. 243. Micromys agilis 1841 Dehne [in proprio libello, Hoflösnitz 8°). | 1855 Dehne, Alg. D. Nth. Ztg. Dresd. s. 2 v. 1 p. 237. | 1857 Dehne, Als. D. Nth. Ztg. Dresd. s.2 v.3 p. 35.) In Europa, Sibiria.
202 ERWIN SCHULZE, [16]
2. agrarius. (M.agrarius 1771 Pallas reise d.d. russ. reich, v. 1 p. 454 n. 3. | 1778 Pallas glir., p. 95 sp. 44; p. 341; t. 24 A. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 168 n. 87. | 1839 Selys et. de mierom., p. 67 sp. 7.) In Germania Rossia Sibiria W.
3. silvaticus. (M. sylvaticus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.84 sp. 17. | 1778 Pallas glir., p. 94 sp. 42. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.167 n.86. | 1834 Melchior dansk. og norg. patted., n. 36 t. 4. | 1839 Selys et. de mierom., p- 64 sp.6. _M. flavicollis 1834 Melehior dansk. og norg. patted., n. 35 t. 1 [1836 Nathusius, Arch. Ntg. a. 2 v. .1 p- 78 n. 35.) In Europa, Sibiria W.
4. meridionalis. (M. m. 1832 Costa f. del regno nap., t.1f.4..7.) In Italia S.
5. hebridensis. (M. h. 1895 Winton, Zoologist s. 3 v. 19 p- 369.) In Hebridibus externis.
6. wagmeri. (M. w. 1848 Eversmann, Bull. S. N. Mose. v.1p.191 t.1£.2.) In Rossia S trans Volgam, in Asia.
7. mmusculus. (M. musculus 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p.83 sp. 13. | 1778 Pallas glir., p. 95 sp. 48. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 166 n. 85. | 1839 Selys et. de mierom., p. 61 sp. 4.) In Europa, Sibiria W.
8. hortulanus. (M.hortulanus 1840 Nordmann ap. Demi- doff voy. d. la russie mer., v.3 p.45 sp. 4; mammif., t. 5. M. nordmanni 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. IX. 37 n.90.) Odessae.
9. rattus. (M.rattus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 83 sp. 12. | 1778 Pallas glir., p. 93 sp. 41. | 1811 Pallas zoogr. r0880-a8., v.1 p. 165 n. 84. | 1839 Selys &t. de mierom., p.58 sp.3. M. alexandrinus 1813 Audouin ap. Geofitoy, Deser. de l’Egypte, hist. nat., v.2 p. 733 1.5 f. 1. | 1839 Selys et. de mierom., p. 54 sp. 2.) In Asia S Africa N Europa.
10. decumanus. (M.d. 1778 Pallas glir., p. 91 sp. 40. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 164 n. 83. | 1839 Selys et. de mierom., p. 52 sp. 1.) In omnibus terrae partibus,
[117] Catalogus mammalium europaeorum. 203
CRICETUS (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 836).
1. accedula. (Mus migratorius 1773 Pallas reise d.d. russ. reich, v.2 p. 703 n.5. Mus accedula 1778 Pallas glir., p- 86 sp. 22; p. 257; 1.18 A. Cricetus accedula 1811 Pallas zoogr. r08Ss0-as., v.1 p. 162 n.78.) Ad Ural fl. et Volgam.
2. phaeus. (Mus phaeus 1778 Pallas glir., p. 86 sp. 23; p- 261; 1.15 A. Cricetus phaeus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.163 n.81.) In campis ad Volgam et eirca lacum Caspium usque ad Persiam.
3. arenarius. (Mus arenarius 1773 Pallas reise d. d. russ. reich, v.2 p. 704 n.7 t.B £.2.| 1778 Pallas glir., p. 86 sp. 24; p. 265; 1.16 A. COröcetus arenarius 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.162 n.79.) In sabulosis ad Volgam, ad Ural fl., ad Irtim, in chersoneso taurica.
4. migricams. (C. nigricans 1832 Brandt ap. Menetries eat. rais. d. obj. zool., p. 22. | 1836 Brandt, Bull. Ae. Petersb. v.1p.42. Ü.nigriculus 1893 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v. 1 p- 380 sp. 1.10 £.10.) In Caucasia N.
5. newtomi. (Cricetus newtoni 1898 Nehring, Zool. Anz. v.21 n.559 p. 329. | 1898 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v.1 p- 386 sp. 4 1.10 f.12..15. Mesocricetus newtomi 1898 Nehring, Zool. Anz. v. 21 n. 567 p. 494. | 1899 Nehring, Ntw. Wochensehr. Berl. v. 14 p. 1.) In Bulgaria E.
6. dbrandti. (C. brandti 13898 Nehring, Zool. Anz. v. 21 n.959 p. 331. | 1898 Nehring, Arch. Ntg. a. 64 v.1 p. 383 sp. 3 1.10 £.11.) In Transeaucasia.
7. frumentarius. (Mus cricetus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 82 sp. 9. | 1778 Pallas glir., p. 83 sp. 21. Oricetus frumentarius 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 161 n. 77.) In Germania, in Rossia usque ad Caucasum, in Sibiria usque ad Ob fl. et 60° lat.
HYPUDAEUS!) (1811 Illiger syst. mamm. et av., p. 87). Euotomys (1874 Coues, P. Ac. Philad. p. 186). 1. fulvus. (Mus glareolus 1792 Schreber säugt., v. 4
1) De Hypudaeo et Myode exposuit Gerrit Miller, NAm.F. n. 12, Washington 1896: Genera and subgenera of voles and lemmings.
204 ERWIN SCHULZE, [18]
p- 680 1.190 B. Arvicola fulvus 1828 Millet f. de maine et loire. Hypudaeus hercynicus 1831 Mehlis, Isis v. 24 col. 876 1.7 f. 8 [dent.]. | 1834 Zimmermann harzgebirge, v. 1 p. 222. | 1835 Schreber-Wagner säugt., t. 191 A. Arvicola riparius 1832 Yaırell, P. Z. S. Lond. p. 109. Hypudaeus glareolus 1834 Melchior dansk. og norg. patted., n. 42 t.3 [1836 Nathusius, Arch. Ntg. a.2 v.1 p.79 n.42]. | 1843 Wagner säugt., v.3 p. 582 sp. 8. | 1845 Schinz mamm., v.2 p. 241 sp. 14. Arvicola rufescens 1836 Selys ecampagnols d. env. de liege, p. 13 sp. 3. Arvicola rubidus 1839 Selys et. de mierom., p. 112 sp. 11 1.3 £.5. Arvicola glareolus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. VIII. 34 n. 40. | 1857 Blasius säuget. deutsehl., p. 333. 337 sp.1. Hypudaeus nageri 1845 Sehinz mamm., v.2 p. 237 sp. 4.) In silvis praesertim pieetis Europae.
2. rutilus. (Mus rutilus 1778 Pallas glir., p. 79 sp. 17; p. 246; t.14B. Hypudaeus rutilus 1827 Brants muiz., p. 70 n. 16. | 1845 Schinz mamm., v.2 p. 242 sp. 15.) In regione arctoa Europae et Asiae.
3. rufocanus. (H.r. 1847 Sundevall, Öfv. Vet. Ak. För- hal. Stockh. a. 3 [1846] p. 122.) In Seandinavia Fennia Uralo N Sibiria Kamtschatka.
Terricola (1867 Fatio campagnols du bassin du leman, p. 36).
4. subterraneus. (Arvicola subterraneus 1836 Selys cam- pagnols d. env. de liege, p. 10 t. 3. | 1839 Selys &t. de mierom., p- 102 sp. 7 1.3 £.2. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 335. 388 sp. 8. Hiypudacus subterraneus 1845 Schinz mamm., v.2 p.240 sp. 11.) In Gallia Belgio Germania.
5. savü. (Arvicola savii 1838 Selys, Rev. Zool. | 1839 Selys &t. de mierom., p.100 sp.6 t.3 £.1. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 336. 394 sp. 9. Hypudaeus savu 1843 Wagner säugt., v.3 p. 581 sp. 7. | 1845 Schinz mamm., v. 2 p. 241 sp. 13.) In Gallia S, Italia.
Campicola (1890 Sehulze, Schr. Ntw. V. Harz. Wernigerode v.5 p. 24 sg.1).
6. agrestis. (Mus agrestis 1761 Linne f, suec., ed. 2,
[19] Catalogus mammalium europaeorum. 205
p.11 n.30. Hypudaeus agrestis 1834 Melehior dansk. og norg. patted., n. 41. | 1843 Wagner säugt., v.3 p. 574 sp. 3.| 1845 Schinz mamm., v.2 p. 240 sp. 12. Arvicola agrestis 1841 Selys, Bull. Ae. Brux. v.8 pt.2 p. 234. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 334. 369 sp.5. Lemmus insularis 1845 Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 34) In Europa media et N.
7. arvalis. (Mus arvalis 1778 Pallas glir., p. 75 sp. 14. Microtus terrestris 1798 Schrank f. bo, v.1 p.72 n. 80. Hypudaeus arvalis 1827 Brants muiz., p. 82. Arvicola ar- valis 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p. 209 n. 534 sp. 2. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 105 sp. 8. | 1857 Blasius säuget. deutsehl., p. 335. 379 sp. 7. Arvicola fulvus 1839 Selys £t. de mierom., p. 99 sp. 5.) In Gallia Germania Italia N Istria Croatia Dalmatia N Tureia Rossia S Sibiria W.
8. ratticeps. (Arvicola ratticeps 1841 Keyserling et Blasius, M&m. Ace. Petersb. par div. sav., v.4 p. 319. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 334. 365 sp. 4. Hypudaeus ratti- ceps 1843 Wagner säugt., v.3 p.573 sp. 2. | 1845 Sehinz mamm., ‘v.2 p. 236 sp.2. Lemmus medius 1845 Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 34.) In Batavia Germania N Sueeia Lapponia Fennia Rossia N Sibiria.
9. alpinus. (Arvicola nivalis 1842 Martins, CR. Ac. Par. v.15 p. 805. | 1843 Martins, Ann. Se. Nat. s. 2, zool., v. 19 p- 87..100. | 1847 Martins, Ann. Se. Nat. s. 3, zool., v. 8 p- 193... 203. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 334. 359 sp. 3. Hypudaeus alpinus 1843 Wagner säugt., v.3 p. 576 sp. 4 1.191B. Hypudaeus nivicola 1845 Schinz mamm,, v. 2 p- 236 sp. 3.) In alpinis Pyrenaeorum, Alpium.
10. socialis. (Mus socialis 1773 Pallas reise d.d. russ. reich, v.2 p. 705 n.10. | 1778 Pallas glir., p. 77 sp. 13; p. 218; t. 13B; t. 17 £. 14.15. Hypudaeus socialis 1827 Brants muiz., p. 66 n. 14.) In Sibiria W, Rossia S, eirca la- eum Caspium, in Persia, Asia minore, Syria, Palaestina.
Arvicola (1801 La Cepede, Me&m. Inst. Par. v.3 p.489 g. 44).
11. amphibius. (Mus terrestris 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 82 sp. 10. Mus amphibius 1778 Pallas glir.,
206 ERWIN SCHULZE, [20]
p- 80 sp. 20. | 1799 Ljungh, N. Act. S. Se. Ups. v. 6 p.5..10.| 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 170 n.91. Microtus amphibius 1798 Schrank f. bo., v.1 p.72 n.31. Arvicola amphibius 1801 La Cepede, Mem. Inst. Par. v. 3 p. 489. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 88 sp. 1; t.1£.1.2;1.2£.1.2. Hypudaeus amphibius 1827 Brants muiz., p. 88. | 1845 Schinz mamm., v.2 p.235 sp.1.) In Europa media et N, Sibiria.
12. monticola. (Arvicola monticola 1838 Selys, Rev. Zool. p. 249. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 92 sp. 2; t.1 f.3; 1.2 £.3. HAypudaeus monticola 1845 Schinz mamm,, v.2 p. 238 sp. 6.) In Pyrenaeis.
13. destructor. (Arvicola destructor 1839 Savi, N. Giorn. Lett. Pisa n. 102. | 1839 Selys et. de mierom., p. 93 sp. 3; t.1 2.4.5; 1.2 f.4. Hypudaeus destructor 1845 Sehinz mamm., v.2 p. 238 sp. 7.) In Gallia Iberia Italia Dalmatia Hungaria Caucaso.
14. terrestris. (Arvicola terrestris 1839 Savi, N. Giorn. Lett. Pisa n. 102. | 1839 Selys et. de mierom., p. 97 sp. 4; t.1 £.6; 1.2 £.6. | 1840 Schinz eur. f., v.1 p.59. Hypu- daeus terrestris 1845 Schinz mamm., v.2 p.239 sp. 8.) In Helvetia.
MYODES (1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 154 g.5; p. 1728.19).
Lemmus (1795 Link zool. beitr., v.1 pt.2 p. 75 g. 8).
1. lemmus. (Mus lemmus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.80 sp.5. | 1778 Pallas glir, p. 77 sp. 10; p. 186; t.12 A. Myodes lemmus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p- 173 n. 94.) In regione aretoa Europae et Asiae.
2. migratorius. (Muris lemmi var. e Lapponia russiea: 1778 Pallas glir., p. 191. 201; t.12B. Hypudaeus migra- torius 1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara, p- 123 n.16. Lemmus obensis 1827 Brants muiz., p. 55 n.10. Myodes obensis 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p- VI. 32 n. 35.) In Rossia NE inde a mari albo, in Sibiria N, Kamtsehatka, America boreali.
[21] Catalogus mammalium europaeorum. 207
3. schisticolor. (M.s. 1844 Lilljeborg, Svensk. Ak. Handl. Stoekh. a. 1843 p. 65 t. 1. | 1845 Lilljeborg, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 33.) In Scandinavia, Fennia, in litore oceidentali maris ochotskieci.
Tylonyx (1897 Schulze mamm. eur., p. 11 g. 2).
4. torguatus. (Mus torquatus 1773 Pallas glir., p. 77 sp. 11; p. 206; t. 11 B. Myodes torquatus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 173 n. 95.) In regione aretica Europae 'Asiae Amerieae.
CHTHONURGUS (1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie mer., v.3 p. 37).
1. murinus. (Mus talpinus 1770 Pallas, N. Comm. Ace. Betrop. v. 14 |a. 1769] pt. 1 p:568 n.2 1.21 £.3. | 1778 Pallas glir.. p. 77 sp. 9; p. 176; t.11A. Spalax murinus 1811. Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 160 n. 76. Ellobius tal- pinus 1814 Fischer zoogn., v. 3 p.73 sp. 1. Chthonergus murinus 1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie mer., v.3 p. 37. Chthonoergus talpinus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. VII. 32 n. 32.) In Rossia et Sibiria W usque ad 59° lat.
Spalacina
SPALAX (1770 Güldenstädt, N. Comm. Ace. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 409).
1. micerophthalmus. (S. m. 1770 Güldenstädt, N. Comm. ‚Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 411 t. 8. 9. | 1897 Nehring, ‚SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 10 p. 164 sp. 1. | 1898 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n.1 p. 2.) In eampis prope Novo-Chopers- 'kaja ad Choper fl.; in praefeetura Ekaterinoslaw prope Bach- mut et Taganrog; ad Volgam inferiorem prope Sareptam.
2. giganteus. (S. g. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 10 p. 169 sp. 2.) In territorio urbis Petrowsk ad lacum Caspium W.
208 ERWIN SCHULZE, [22]
3. humgaricus. (S. typhlus 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n.10 p. 171 sp.3. $. hungaricus 1898 Nehring, Zool. Anz. v. 21 n.567 p.479.) In Hungaria, Rumaenia, Bulgaria E.
4. graecus. (8. 9. 1898 Nehring, Zool. Anz. v. 21 n. 555 p- 228.) In Graeeia (Attieca).
5. monticola. (S. m? 1898 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n.1 p.6.) In Bosnia, Hercegovina.
6. kirgisorum. ($. k. 1897 Nehring, SB. @. Ntf. Fr. Berl. n. 10 p. 176 sp. 5.) In eampo Caspio inter Volgam et Ural fl. inferiorem.
Sminthina
SMINTHUS (1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie mer. v.3 p. 49).
1. loriger. (Mus subtihis 1773 Pallas reise d. d. russ. reich, v.2 p.705 n.11. Mus betulinus 1778 Pallas glir., p. 90 sp. 35; p. 332; 1. 22 f.1. Mus vagus 1778 Pallas glir., p- 90 sp. 36; p. 327; t. 22 f. 2; 1.25 f.12.13. Mus hkneatus 1823 Lichtenstein ap. Eversmann reise nach buchara, p. 123 n. 20. Sminthus loriger 1840 Nordmann ap. Demidoff voy. d. la russie mer., v.3 p. 49; mammif., 1.3. Sminthus nord- mann 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. X. 38 n. 56. Sminthus vagus 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 302.) In Sueeia Fennia Rossia Hungaria Crimea Sibiria Bucharia.
DIPUS (1792 Schreber säugt., v. 4 p. 840 g. 30).
1. sagitta. (Mus s. 1773 Pallas reise d. d. russ. reich, v.2 p.706 n.12. | 1778 Pallas glir., p. 87 sp. 28; p. 306; t. 21. Dipus s. 1792 Schreber säugt., v. 4 p. 849 sp. 2 t. 229. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 181 n. 106.) Inter Vol- gam et Tanain; in campis meridionalibus ad Irtim; in Son- garia, Mongolia.
2. haltieus. (D. halticus 1811 Illiger, Abh. Ak. Berl. p- 17.19. D. telum 1823 Liehtenstein ap. Eversmann reise
[23] Catalogus mammalium europaeorum. 209
nach buchara, p. 120 n.7.) Ad Volgam inferiorem prope Sareptam; in campis kirgisieis ad Aral lacum; in litore orientali laeus Caspii.
SCIRTETES (1843 Wagner säugt., v.3 p. 283 g. 9).
1. iaculus. (Mus i. 1778 Pallas glir., p. 87 sp. 27; p. 275; t. 20. Seirtetes i. 1843 Wagner säugt., v.3 p. 285 sp. 3.) In campis inter Danubium et Tanain; in Crimea; in Tataria magna; usque ad 50° lat.
2. acontion. (Dipus a. 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 182 n. 108. Scirtetes a. 1843 Wagner säugt., v.3 p. 289 sp. 7. Alactagulus a. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 9 p- 154. | 1900 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n. 2 p. 63. 70.) Ad Volgam inferiorem prope Sareptam; in Sibiria W et campo kirgisico; in praefectura Ekaterinoslaw prope Bach- mut; in Crimea.
3. elater. (Dipus e. 1823 Lichtenstein, Abh. Ak. Berl. a. 1825 p. 155 sp. 13 1.9. Scirtetes e. 1843 Wagner säugt., v.3 pP. 290 sp. 8. Alactaga e. 1897 Nehring, SB. G. Ntf. Fr. Berl. n.9 p. 151. | 1900 Nehring, SB. G. Nif. Fr. Berl. n. 2 p- 67.70 n.2.) In campo kirgisieo; prope Baku; in campo muganico Transcaucasiae.
Hystrichidae
HYSTRIX (1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1 p. 76 g. 21).
1. cristata. (H. c. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 76 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 141 n. 61). In Hispania Italia Africa N Asia minore Tauria.
Lagidae
LAGOMYS (1793 G. Ouvier tabl. &l&m. hist. nat. anim., p. 132).
1. pusillus. (Lepus pusillus 1769 Pallas, N. Comm. Ae. Petrop. v. 13 [a. 1768] p. 531 t. 14. | 1778 Pallas glir., p. 31
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 14
210 ERWIN SCHULZE, [24]
t.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 151 n.70 #. 12. Lagomys pusillus 1820 Desmarest mamm., p. 353 n. 568.) In regione Volgae australi, in promontoriis meridionalibus Urali, in Sibiria S usque ad Ob fl.
LEPUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 77 g. 22).
1. timidus. (L. timidus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.77 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 148 n. 66.) In Europa W usque ad 58°, E usque ad 48° lat.
2. variabelis. (L. variabilis 1778 Pallas glir., p.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 145 n.65. L. borealis 1820 Nilsson illum. fig. skand. f., t. 19. | 1845 Nilsson, Öfy. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a.1 [1844] p. 133. L. canescens 1820 Nilsson illum. fig. skand. f., t.22. | 1845 Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a. 1 [1844] p. 133. L. hibernicus 1833 Yarrel, P. Z. S. Lond. p. 88.) In Hibernia Scotia Scandinavia Lapponia Rossia N Sibiria; in Pyrenaeis Alpibus Caucaso.
3. mediterrameus. (L. mediterraneus 1841 Wagner, Anz. Ak. Münch. v. 12 p. 439. | 1844 Wagner säugt., v.4 p. 77 sp. 2 1.233C.) In Hispania Gallia S Italia Corsica Sardinia Sieilia Dalmatia Graeeia.
4. cuniculus. (L. c. 1766 Linne syst. nat, ed. 12, v.1 p- 77 sp. 2.) In Europa S, Gallia, Germania.
[25] Catalogus mammalium europaeorum. 21.
Bestiae Myogalidae
SOREX (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 73 g. 19).
1. araneus. (S. vulgaris 1754 Linne, Mus. Ad. Frid. v.1 p- 10. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 126. 129 sp. 2. 8. araneus 1761 Linne f. suec., ed. 2, p. 9 n. 24. | 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 74 sp. 5. | 1811 Pallas zoogr. rosso- as., v.1 p. 131 n. 54. | 1834 Melchior dansk. og norg. patted., p- 69 n. 24. S$. tetragonurus 1780 Hermann ap. Zimmermann geogr. gesch. vierf. tiere, v. 2 p. 383 n. 312. | 1804 Hermann obs. zool., p.48. | 1839 Selys et. de mierom., p. 18 sp.1. S. fodiens 1793 Bechstein naturg. deutschl., v. 3 p. 746. S. eremita 1796 Bechstein abbild., cent. 2 p. 22. $. cunicu- larius 1801 Bechstein naturg. deutschl., ed. 2, v.1 p. 879. 8. concinnus 1832 Wagler, Isis v. 25 eol. 54. $. rhinolophus 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. S. melanodon 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54.) In Europa, Asia N et media.
2. pygmaeus. (9. minutus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.73 sp.2. S. pygmaeus 1769 Laxmann sibir. briefe, p- 72. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 134 n. 58 t. 10 f.4. | 1826 Gloger, N. Act. Ac. Leop. v.13 pt. 2 p. 279. | 1839 Selys &t. de micerom., p. 21 sp. 2. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 126. 133 sp. 3. $. pumilio 1832 Wagler, Isis v.25 col. 54. S. pumilus 1845 Nilsson, Öfv. Vet. Ak. Förhdl. Stockh. a.1 [1844] p. 33. 82.) In Europa Asia N Afriea N.
3. alpinus. (S.a. 1836 Schinz, Mitt. a. d. Geb. d. theor. Erdkunde, ed. Fröbel et Heer, Zürich, v.1 p. 114. | 1837 Schinz f. helv., wirbelt., [N. Denkschr. Schweiz. G. Ntw. v. 1] p- 13 sp. 3 t.1 £.1. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 22 sp. 3; - p- 160. | 1840 Schinz eur. f, v.1 p. 27. | 1841 Wagner säugt., v.2 2.59 sp. 4. |1855 v.5 p.543 sp.4.] | 1844 Schinz mamm., v.1 p. 267 sp. 6. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p- 126 sp. 1.) In subalpinis: in Pyrenaeis Alpibus Jura Hereynia Sudetis Carpatis.
14*
212 ERWIN SCHULZE, [26]
4. amphibius. (8. fodiens 1756 Pallas [imago aeri ine.]. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 24 sp. 4. $. daubentonü 1777 Erxleben syst. regn. anim., 1. mamm., p. 123 sp. 5. | 1789 Beehstein naturg. deutschl., v.1 p. 394 sp.2 1.9. 8. con- - strictus 1780 Hermann ap. Zimmermann geogr. gesch. vierf. tiere, v. 2 p. 383 n. 313. | 1804 Hermann obs. zool., v. 1 p. 47. $.carinatus 1780 Hermann ap. Zimmermann geogr. gesch. vierf. tiere, v.2 p.383 n. 314. | 1804 Hermann obs. zool., v.1 p.46. $. bicolor 1791 Shaw naturalist’s miscell- any, 1.55. 9. fluviatilis 1793 Bechstein naturg. deutschl., v.3 p. 746. 9. ciliatus 1806 Sowerby brit. mise., t. 49. | 1839 Selys &t. de mierom., p. 28 sp. 5. SS. canaliculatus 1806 Ljungh, Vet. Ak. Nya Handl. Stoekh. v. 27 p. 263 1.6B f.1..6. S. cauda medioeri subtetragona e pilis albis subtus carinata, eorpore nigriecante subtus albo-griseo, digitis eilia- tis: 1806 O. Swartz, Vet. Ak. Nya Handl. Stockh. v. 27 p. 269. S. hydrophilus 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 130 n. 53. Ö. lineatus 1811 Geoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v. 17 p. 181 sp. 6. S.remifer 1811 Geeoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v. 17 p- 182 sp. 7 t.2 £.1. S. amphibius 1826 Brehm, Ornis v. 2 p- 38. S. natans 1826 Brehm, Ornis v.2 p. 44. $. stagna- tilis 1826 Brehm, Ornis v.2 p. 47. S.rwalis 1830 Brehm, Isis v. 23 col. 1128. $. musculus 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. $. psilurus 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. S. ni- gripes 1834 Melchior dansk. og norg. patted., p. 68 n. 23.) In Europa, Sibiria W.
CROCIDURA (1832 Wagler, Isis v. 25 col. 275 2. 2).
1. etrusca. (Sorex etruscus 1822 P. Savi, N. Giorn. Lett. Pisa n.1 p.60 t.1. Crocidura etrusca 1839 Selys &t. de mierom., p. 32 sp. 1. COrocidura suaveolens 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 139. 147 sp. 3.) In regione mediterranea.
2. aranea. (Sorex araneus 1778 Schreber säugt., v.3 p- 573 sp. 5 1.160. | 1789 Bechstein naturg. deutschl., v.1 p. 389 sp.1. Sorex russulus 1780 Hermann ap. Zimmer- mann geogr. gesch. vierf. tiere, v.2 p. 382. Sorex gälden- städti 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 132 n.55 1.9 £.1.
[27] Catalogus mammalium europaeorum. 213
Sorex suaveolens 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.133 n.56 1.9 f.2. Sorex gmelini 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.154 n.57 1.10 £.3. Sorex fimbriatus 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 54. Crocidura moschata 1832 Wagler, Isis v.25 col. 275. Crocidura maior 1832 Wagler, Isis v. 25 eol. 1218. Orocidura rufa 1832 Wagler, Isis v. 25 eol. 1218. Orocidura poliogastra 1832 Wagler, Isis v. 25 col. 1218. Sorex pachyurus 1835 Küster, Isis v. 25 eol. 76. Orocidura aranea 1839 Selys &t. de mierom., p. 34 sp. 2. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 139. 144 sp. 2. Sorex chrysothorax 1855 Dehne, Alg. D. Nth. Ztg. Dresd. s.2 v.1 p. 241.) In Gallia Germania Hungaria Rossia Sibiria Italia Dalmatia Afriea N.
3. leucodus. (Sorex leucodon 1780 Hermann ap. Zimmer- mann geogr. gesch. vierf. tiere, v.2 p. 382 n. 31l. Crocidura leucodon 1839 Selys &t. de mierom., p. 37 sp. 3. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 139. 140 sp. 1.) In Gallia Germania Hungaria Rossia S Italia Istria Dalmatia.
MYOGALE (1800 G. Cuvier lec. d’anat. comp.).
1. moschata. (Castor moschatus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 79 sp. 2. Sorex moschatus 1771 Pallas reise d.d. russ. reich, v.1 p. 156. | 1785 Pallas, Act. Ac. Petrop. a. 1781 pt. 2 p. 315..337 1.3.5. | 1811 Pallas zoogr. rosso- as., v.1 p. 128 n.52 1.3. Myogalea moschata 1829 Fischer mamm., p. 250 sp. 1.) Ad lacus in Ressia SE inter Volgam et Tanain, in Sibiria SW, in Turkestan, Bucharia.
2. pyrenaica. (M. p. 1811 Geoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v.17 p.193 t.4 £f.1..4.) In Pyrenaeis et Iberia N.
TALPA (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 73 g. 13).
1. scalops. (T. europaea 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.73 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 126 n. 51. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 109 sp. 1. T. scalops 1897 Schulze mamm, eur., p. 19 sp. 1.) In Europa Asia Japonia,
214 ERWIN SCHULZE, [28]
2. caeca. (T.c. 1822 P. Savi, N. Giorn. Lett. Pisa n. 2 p- 299. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 109. 115 sp. 2.) In Iberia Italia Dalmatia Graeeia.
Acanthionidae
ERINACEUS (1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 75 2.20).
1. echinus. (E. europaeus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.75 sp.1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 137 n. 59. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 153 sp.1. E. echinus 1897 Schulze mamm. eur., p. 19 sp. 1.) In Europa, Asia.
2. auritus. (E.a. 1770 Gmelin, N. Comm. Ac. Petrop. v.14 [a. 1769] pt.1 p.519 1.16. | 1770 Pallas, N. Comm. Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 573 n.3 1.21 f. 4. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 138 n. 60 t.11.) In Sibiria S, in regione laeus Caspiü, in Mesopotamia.
[29] Catalogus mammalium europaeorum. 215
Chiroptera
Nycteridae Vespertilionina MINYOPTERUS (1837 Bonaparte ie. f. ital., fase. 21).
1. schreibersü. (Vespertilio schreibersii 1819 Natterer ap. Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v.4 p. 185 sp.7. Minio- pterus ursiniü 13837 Bonaparte ie. f. ital., fol. 106. Minio- npterus schreibersii 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.323 sp. 1.) In Hispania Helvetia Austria in- teriore Banatu Italia Sieilia Africa Madagascar Asia S Japonia Philippinis insulis Archipelago malaico Australia.
VESPERTILIO (1775 Schreber säugt., v.1 p. 147). Brachyotus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v. 2 p. 174 sg. 1).
1. mystacinus. (V. m. 1819 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wet- terau. G. Ntk. v. 4 p. 202 sp. 14.) In Europa, Asia.
2. daubentonü. (V.d. 1819 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wet- terau. G. Ntk. v. 4 p. 195 sp. 11 t. 25 f. 2.) In Europa, Asia N.
3. dasycnemus. (V.d. 1825 Boie, Isis col. 1200.) In tem- peratis Europae et Asiae.
4. capaccimüi. (V. c. 1832 Bonaparte ie. f. ital., fol. 99.) In Italia Philippinis insulis Japonia.
Isotus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 177 Sg. 2). 9. nattereri. (V. n. 1818 Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v.4p.33 sp.3 t. 23.) In Europa media, Rossia.
6. cihatus. (V. emarginatus 1806 Geoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v.3 p. 198. V.cikatus 1853 Blasius, Arch. Ntg. a.19 v.1 p. 288) In Gallia Germania Italia,
216 ERWIN SCHULZE, [30]
Myotus (1842 Gray, Ann. Mag. N. H. Lond. v. 10 p. 257).
7. bechsteinü. (V.b. 1813 Leisler ap. Kuhl, Ann. Wetterau.
G. Ntk. v.4 p. 30 sp. 2 t. 22.) In Anglia S Suecia Germania Rossia 8.
8. murinus. (V. m. 1775 Sehreber säugt., v.1 p. 165 sp. 9 1.51.) In Europa usque ad Angliam S et Daniam, in Asia Africa N Abessinia.
VESPERUGO (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a. 5 v.1p.312 8.5). Hypsugo (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v. 2 p. 167 sg. 1). 1. maura. (V. m. 1853 Blasius, Anz. Ak. Münch. v. 37 n. 13 col. 107.) In Canariis insulis Alpibus China India Java.
Nannugo (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s. 2 v.2 p. 169 sg. 2). 2. abrama. (Vespertilio abramus 1839 Temminck mono- gr. mamm., v.2 p. 232 1.53 f£. 1.2. Vesperugo nathusiü 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 320 »p.11. Vesperugo abramus 1876 Dobson as. chiropt., p. 97.) In Europa media et australi, Asia, Archipelago malaico, Celebes, Nova Guinea, Australia N. 3. pipistrella. (Vespertilio p. 1775 Schreber säugt., v.1 t. 54 p. 167 sp. 12. Vesperugo p. 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 321 sp. 12.) In regione palaearctiea. 4. marginata. (Vespertilio kuhliı 1819 Natterer ap. Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v. 4 p. 199 sp. 13. Vespertilio margı- natus 1826 Cretzschmar ap. Rüppell atl. reise nördl. afr., zool., p. 74 1.29 f.a. Vesperugo kuhli 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v. 1 p. 319 sp. 9. Vesperugo margt- natus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. eur., p. XIV. 47 n. 83.) In Europa S Africa N Asia S.
Panugo (1856 Kolenati, Alg. D, Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 172 sg. 3).
[31] Catalogus mammalium europaeorum. 217
5. leisleri. (Vespertilio I. 1818 Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v.4 p. 46 sp. 6. Vesperugo !. 1839 Keyserling et Bla- sius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 318 sp. 8.) In Europa, Asia.
6. noctula. (Vespertilio n. 1775 Schreber säugt., v. 1 t. 52 p. 166 sp. 10. Vesperugo n. 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.317 sp. 7.) In Europa Africa Asia Japonia Ceylon Sumatra Java.
VESPERUS (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a. 5 van. als) Cateorus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Zig. s.2 v. 2 p. 162 sg. 1.) 1. serotinus. (Vespertilio s. 1775 Schreber säugt., v.1 t. 53 p. 167 sp. 11. Vesperugo s. 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 313 sp. 1. Vesperus s. 1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v.2 p.162 sp.1.) In Europa Africa Asia America N et centrali.
Meteorus (1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s. 2 v.2 p. 163 sg. 2).
2. borealis. (Vespertilio borealis 1838 Nilsson illum. fig. skand. f., fase. 19. Vesperugo nilssonü 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.315 sp. 3. Vesperus nilssonii 1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. s.2 v.2 p.163 sp. 2. Ve- sperugo borealis 1865 Holmgren skand. däggdj., p. 88.) In Scandinavia Hereynia Rossia Asia N.
3. discolor. (Vespertilio d. 1819 Natterer ap. Kuhl, Ann. Wetterau. G. Ntk. v.4 p. 187 sp. 8 t.25 f.1. Vesperugo d. 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 314 sp. 2. Vesperus d. 1856 Kolenati, Alg. D. Nth. Ztg. 8.2 v.2 p. 164 sp. 3.) In montanis Europae Sibiriae W Turkestan E.
PLECOTUS (1813 Geoffroy, Deser. de l’Egypte, hist. nat., v.2p.112 @.2). 1. auritus. (Vespertilio a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.47 sp. 5. Plecotus a. 1813 Geoffroy, Deser. de l’Egypte, hist. nat., v.2 p- 118 sp. 2; 1.2 £.3.) In Europa Afriea N Asia,
218 ERWIN SCHULZE, [32]
SYNOTUS (1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5
vul0pr 305 222). |
1. barbastellus. (Vespertilio b. 1775 Schreber säugt.,
v.1 t.55 p. 1638 sp. 13. Synotus b. 1839 Keyserling et
Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 305 sp. 1.) In Europa media et australi, Africa N, Arabia.
Noetilionina DYSOPES (1826 Cretzschmar ap. Rüppell atl. reise nördl. afr., zool., p. 69). 1. midas. (Dinops cestoniüi 1325 Savi, N. Giorn. Lett. Pisa p. 230. Dysopes midas 1842 Sundevall, Sv. Vet. Ak. Handl. Stockh. p. 207. Nyctinomus cestonü 1876 Dobson as. chiropt., p. 180.) In Madeira; in Helvetia Italia Sieilia Graecia; in Aegypto, Nubia; in Amoi, China.
Rhinolophidae
RHINOLOPHUS (1803 Geoffroy, N. Diet. H. N. v.19 p. 383).
1. euryale. (R. e. 1853 Blasius, Anz. Ak. Münch. v. 37 n. 13 eol. 109.) In Italia Istria Dalmatia Syria Africa N.
2. blasü. (R. clivosus 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p. 327 sp. 3. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 29.33 sp.3. R. blasii 1866 Peters MB. Ak. Berl. p. 17.) In Italia Sieilia Istria Dalmatia Afriea N Palaestina.
3. hippocrepis. (Noctilio hipposideros 1801 Bechstein ntg. deutschl., ed. 2, v. 1 p. 1194. Vespertilio hippocrepis 1804 Hermann obs. zool., p. 18. Rhinolophus bihastatus 1813 Geoffroy, Deser. de l’Egypte, hist. nat., v. 2 p.132 sp. 2. Rhinolophus hippocrepis 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.325 sp. 1.) In Europa media et australi, Africa NE, Asia minore.
4. wmihastatus. (Vespertilio ferrum egqwinum 1775 Schreber säugt., v.1 1.62 £.2 p. 174 sp. 20. Rhinolophus unihastatus 1813 Geoffroy, Deser. de ’Egypte, hist. nat., v. 2 p. 132 sp. 1. Rhinolophus ferrum eqwinum 1839 Keyserling et Blasius, Arch. Ntg. a.5 v.1 p.326 sp. 2.) In Europa media et australi, Afriea, Asia,
[33] Catalogus mammalium europaeorum. 219
Carnivora Cynidae CANIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 56 g. 12).
Lupus (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 716).
1. lIupus. (0.1.1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 58 sp. 2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.36 n. 10.) In Europa, Asia N et media.
2. aureus. (CO. a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59
sp. 7. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 39 n. 11 t. 3.) In Dalmatia Graeeia Caueaso Asia S Afriea N.
Vulpes (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 1081).
3. vulpes. (O. v. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59 sp. 4. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.45 n.14.) In Europa, AsiaN.
4. corsac. (C. c.1768 Linne syst. nat., ed. 12, v.3 p. 223. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.41 n.12 1.4.) Ad Vol- gam, ad lacum Caspium, per Asiam mediam usque ad Baikal laeum.
5. lagopus. (C. I. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 59 sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.51 n. 15 #.5.) In regione arctica.
URSUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 69 g. 16).
1. arctos. (U, a. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 69 sp. 1. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.64 n.17.) In Europa, Sibiria.
2. marinus. (U. m. 1776 Pallas reise d. d. russ. reich, v.3 p. 691 n. 1. | 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 1 t.1.|
1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.69 n.18.) In regione arctica,
220 ERWIN SCHULZE, [34]
Galeidae MELES (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 778. 1103).
1. taxus. (Ursus meles 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 2.70 sp.2. Meles taxus 1778 Schreber säugt., v.3 t. 142 p. 516 sp. 3. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 70 n. 19.) In Europa, Asia.
GULO (1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 25).
l. luscus. (Mustela gulo 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 67 sp. 5. | 1773 Hollsten, Vet. Ae. Handl. Stockh. v. 34 p- 230 1.7.8. Ursus luscus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.71 sp. 4. Meles gulo 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p.25 t.2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p.73 n. 20. Gulo sibiricus 1780 Pallas spieil. zool., fasc. 14 p. 35 t.2. Gulo borealis 1800 Retzius f. suee., v.1 p.25. Gulo luscus 1824 Sabine in Suppl. to the app. of Parry’s voy. for the dise. of a n.-w. pass. in the y. 1819/1820, cont. the zool. a. bot. not., app. 10 p. 184 n. 2.) In silvis borealibus Europae Asiae Americae.
MARTES (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 865).
1. zibellina. (Martes z. 1756 Brisson regn. anim., p. 248 n. 9. | 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p.124 n.351 sp. 3. Mustela z. 1766 Linne syst. nat., ed.12, v.1 p.68 sp. 9. | 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 54 1.3 f.2. | 1811 Pallas zoogr. 10880-a8., v.1 p.83 n.25 1.6.) In AsiaN ab Uralo usque ad Kamtschatkam.
2. silwestris. (M. syWestris 1551 Gesner quadrup. vivip., p- 867. M. vulgaris 1827 Griffith anim. kingd., v.5 p. 123 n.349 sp. 1.) In silvis Europae, Sibiriae W.
3. foina. (M. domestica 1551 Gesner quadrup. vivip., p- 865. M. foina 1827 Griffith anim. kingd., v. 5 p. 123 n. 350 sp. 2.) In Europa, Sibiria W,
[35] Catalogus mammalium europaeorum. 221
MUSTELA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 66 g. 15).
Gale (1841 Wagner säugt., v.2 p. 234).
1. gale. (M. nivalis 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 69 sp. 11. M.gale 1778 Pallas glir., p. 6 [nomen|. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 94 n. 32.) In Europa, Sibiria.
2. hibernica. (Putorius h. 1895 Thomas et Barret- Hamilton, Ann. Mag. N.H. s. 6 v. 15 p. 374. | 1895 Thomas et Barret-Hamilton, Zoologist s. 3 v.19 p. 125. | 1895 Thomas, Nat. Se. v.6 n.40 p. 377 t.4.) In Hibernia.
3. erminea. (M. e. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 68 sp. 10. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 90 n. 31.) In Europa, Asia.
4. boccamela. (M. b. 1801 Bechstein naturg. deutschl., ed. 2, v. 1 p. 819.) In Sardinia Sieilia Italia S Graeecia Caucaso Asia minore Persia Kurdistan.
Ietis (1897 Schulze mamm. eur., p. 25 g. 8).
8. putoria. (M. p. 1766 Linn syst. nat., ed. 12, v.1 p. 67 sp. 7. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 87 n. 28.) In Europa, Asia N et media.
6. sarmatica. (Mustela pedibus fissis, eapite et corpore subtus aterrimis, corpore supra brunneo luteoque vario, ore faseia frontali aurieulisque albis: 1770 Güldenstädt, N. Comm. Ac. Petrop. v. 14 [a. 1769] pt. 1 p. 455 t. 10. Mustela sarmatica 1771 Pallas reise d. d. russ. reich, v.1 p. 453 n. 2. | 1780 Pallas spieil. zool., fase. 14 p. 79 t.4 f.1. Foetorius sarmaticus 1840 Keyserling et Blasius wirbelt. europ., p. 68 n. 142. | 1857 Blasius säuget. deutschl., p. 221. 226 sp. 2.) In Rossia S a Tanai usque ad Danastrim.
7. Iutreola. (M. l. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 66 sp. 3.) In Europa N.
LUTRA (1551 Gesner quadrup. vivip., p. 775).
1. vulgaris. (Mustela lutra 1766 Linne syst.nat., ed. 12, . v.1p.66 sp. 2. Lutra vulgaris 1777 Erxleben syst. regni anim., mamm., p. 448 sp. 2. Lutra nudipes 1834 Melchior dansk. og norg. patted., n. 15.) In Europa, Sibiria.
222 ERWIN SCHULZE, [36]
Hyaenidae VIVERRA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v. 1 p. 63 g. 14).
1. genetta. (V. g. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p- 65 sp. 6.) In Gallia S Iberia Africa N.
Lyncidae FELIS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 60 g. 13).
Catus (1551 Gesner quadrup. vivip., pP. 353).
1. catus. (F. c. 1766 Linn& syst. nat., ed. 12, v.1 p. 62 sp. 6. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 25 n. 7.) In silvis Europae.
2. manul. (F. m. 1776 Pallas reise d. d. russ. reich, v.3 p. 692 n.2. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 20 n.5 t.1.) In promontoriis australibus Urali, in Asia media.
Lynx (1553 Gesner ie. quadrup., p. 32).
3. chaus. (F. chaus 1776 Güldenstädt, N. Comm. Ace. Petrop. v. 20 [a. 1775] p. 483 t. 14. F. catolynx 1811 Pallas zoogr. 10880-a8., v.1 p. 23 n.6 t.2.) Ad lacum Caspium, ad Terek fl. ad Aral lacum.
4. pardina. (F. p. 1827 Temminck monogr. de mam- malogie, v.1 p. 116.) In Iberia Sardinia Sieilia Tureia.
5. Iynx. (F. I. 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p. 62 sp. 7.. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1p.28n.7A.) In Alpibus Carpatis Seandinavia Rossia N Sibiria.
Phocidae PHOCA (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.55 g.11).
1. vitulina. (P. vitulina 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.56 sp. 3. P.canina 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v. 1 p. 114 n. 44.) Ad litora Europae N Groenlandiae Asiae N; in lacubus Baikal Oron Caspi Aral.
2. foetida. (P. foetida 1776 Müller zool. dan., p. 8. P. hispida 1791 Fabrieius, Skr. Nth. Selssk. Kjöbenh. v. 1
[37] Catalogus mammalium europaeorum. 223
fase. 2 p. 74. P. annellata 1820 Nilsson skand. f., dägg. dj. p- 365 n. 56.) In maribus septentrionalibus.
3. dorsata. (P. groenlandica 1776 Müller zool. dan., p- 8. | 1790 O. Fabrieius, Skr. Nth. S. Kjöbenh. v.1 fase. 1 p- 87..157. P. oceanica 1773 Lepechin, Act. Ace. Petrop. a. 1777 pt.1 p.259 t.6.7. P.dorsata 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 112 n. 41.) In regione aretiea.
4. barbata. (P. barbata 1776 Müller zool. dan., p. 8. P. leporina 1773 Lepechin, Act. Ac. Petrop. a. 1777 pt.1 p- 264 t.8.9. P.albigena 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p-. 109 n. 39.) In maribus aretieis.
HALICHOERUS (1820 Nilsson skand. f., dägg. dj., p. 376).
1. grypus. (Phoca g. 1791 Fabrieius, Skr. Nth. Selssk. Kjöbenh. v. 1 fase. 2 p. 167 1.13 f.4. Halichoerus g. 1837 Nilsson illum. fig. skand. £., v. 2 t. 34.) In maribus germanico et baltieo.
PELAGIUS (1826 F. Cuvier, Diet. Se. Nat. v. 39 p. 550.)
1. monachus. (Phoca m. 1779 Hermann, Beschäft. Berl. Ges. Ntf. Fr. v.4 p. 501; 1.12 £.1; t. 13. | 1811 Pallas zoogr. rosso-as., v.1 p. 113 n. 42. Pelagius m. 1826 Cuvier, Diet. Se. Nat. v. 39 p. 550.) In mari mediterraneo.
CYSTOPHORA (1820 Nilsson skand. f., dägg. dj., p. 382).
1. cristata. (Phoca c. 1777 Erxleben syst. regni anim., mamm., p. 590 sp. 7. Cystophora-c. 1840 Nilsson illum. fig. skand. f., fasc. 20.) In maribus septentrionalibus.
Triehechidae TRICHECHUS (1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.49 8.6).
1. rosmarus. (Trichechus rosmarus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1 p.49 sp.1. Rosmarus arcticus 1811 Pallas zoogr. r0sso-as., v.1 pP. 269 n. 141 t. 28.29.) In maribus aretieis.
224 ERWIN ScHuLze, Catalogus mammalium europaeorum. [38]
Simiae Pithecidae INUUS (1812 Geoffroy, Ann. Mus. H. N. Par. v. 19 p. 100).
1. ecaudatus. (Simia inuus 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.35 sp. 3. JInuus ecaudatus 1812 Geoffroy, Ann. Mus. H.N. Par. v.19 p.100 sp.1.) In rupibus prope Gibraltar, in Afriea N.
PITHECUS (1800 Latreille ap. Buffon hist. nat., ed. Sonninj, v. 35 p. 166).
|Species: satyrus, troglodytes, homo.|
Anthropus
1. homo. (Homo sapiens 1766 Linne syst. nat., ed. 12, v.1p.28 sp.1.) In omnibus terrae partibus.
Ueber Tier- und Menschenseele von
Dr. Walther Schoenichen.
Mit 10 Figuren im Text.
Unter den mannigfaltigen Bewegungen, die wir in der uns umgebenden Natur wahrnehmen, pflegen wir die Mehr- zahl derjenigen, die an Lebewesen stattfinden, auf eine psyehische Ursache zurückzuführen. Wir verfahren dabei lediglich- nach einem Analogieschlusse, indem wir ähnliche seelische Vorgänge, wie wir sie an uns beobachten, auch bei anderen Organismen vermuten. Allein wenn wir schon die psychologischen Motive unserer eigenen Mitmenschen nur zu oft ganz falsch beurteilen, so nimmt der Wahrheits- wert unserer Analogieschlüsse noch mehr ab, wenn wir die Seelenäusserungen der Tiere in den Bereich der Betrachtung ziehen. Giebt es doch in der Tierwelt eine Fülle von Sinnes- organen, deren Zweck zu kennen wir weit entfernt sind. Erinnert sei nur an die Ampullen der Haie und Rochen. Und dass in der That die Welt sich in den Sinnesorganen mancher Tiere ganz anders spiegeln muss als bei uns, hat LusBock durch seine schönen Experimente bewiesen, durch die er die Empfindlichkeit der Ameisen gegen ultraviolette Strahlen erhärtete.
Angesichts soleher Thatsachen kann es nicht Wunder nehmen, wenn das Verhältnis zwischen Menschen- und Tier- seele die widersprechendsten Beurteilungen gefunden hat. Aus der Fülle der von Philosophen und Naturforschern ge- äusserten Ansichten seien nur einige der landläufigsten hier
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 15
226 Dr. Wautunr SCHORNICHEN, [2]
angedeutet. CArTeEsıus hat die Tiere für Maschinen ge- halten und ihnen eine Seele überhaupt abgesprochen. Nicht viel besser ist es, wenn ein durch die Lebenskraft oder durch das „Unbewusste“ verursachter Trieb als einzige Quelle tierischer Seelenäusserungen der menschlichen Ver- nunft diametral gegenüber gestellt wird. Im Gegensatze zu derartigen Bestrebungen, die philosophischen oder auch religiösen Dogmen zuliebe die Kluft zwischen Mensch und Tier möglichst. zu erweitern suchen, bieten zahlreiche Autoren, besonders auch Naturforscher, in der Beurteilung der Tier- seele nur „Menschliches, allzu Menschliches.“ Namentlich sind es die wunderbaren Kunsttriebe der Insekten, die zu einer völligen Gleichstellung der Menschen- und Tierseele verführt haben. Vor allem sind es die populären Werke eines BREHM und eines BUECHNER, die sich im Rühmen der Tierintelligenz nicht genug thun können. Und die Wochen- und Monatsschriften sind voll von blumenreichen Lobpreisungen des tierischen „Geisteslebens“.
Die Tendenz derartiger Bestrebungen liegt klar auf der Hand: Der Descendenztheorie zuliebe soll das Tier so weit als irgend möglich vermenschlicht werden. So wird denn selbst sehr tief stehenden Tieren die Fähigkeit zweck- bewusst ihre Handlungen zu modifizieren zugeschrieben; in ihrem Gebahren sollen sich Mutterliebe, Mitleid und zahl- lose andere humane Affekte spiegeln. Allein derartige Auf- fassungen der Tierseele fussen gewöhnlich auf oberflächlicher Beobachtung oder auf phantasievoller Deutung der That- sachen. Man möchte dieser „vulgären“ Tierpsychologie gern eine Variante aus dem Faust entgegenhalten:
„Was ihr den Geist der Tiere heisst, Das ist im Grund der Herren eigner Geist.“
Wie schwer es ist, die Seelenäusserungen der Tiere immer mit dem richtigen Massstabe zu messen, zeige das Beispiel der Schüsselmuschel (Patella vulgata). Sie be- wohnt auf felsigem Meeresgrunde kleine, flache Aushöhlungen, die sie von Zeit zu Zeit verlässt, um auf Nahrungssuche auszugehen. Nach solehen Exkursionen kehrt sie stets in dieselbe Höhlung zurück. Romanzs glaubte auf Grund dieser
[3] Ueber Tier- und Menschenseele. 227
Beobachtungen der Sehüsselmuschel ein Ortsgedächtnis zu- schreiben zu müssen. BETHE!) aber konnte feststellen, dass die Muschel beim Kriechen eine Schleimspur auf dem Fels- boden zurücklässt, die ihr beim Heimwege gleichsam als Ariadnefaden dient und sie auf demselben Wege zur Höhlung zurückführt, auf dem sie diese verlassen hatte.
Wie aus dem Citat bezüglich der Schüsselmuschel zu ersehen ist, fehlt es nieht an Stimmen, die gegen die vulgäre Tierpsychologie im Sinne BuUECHNERr’s und BREHM’S energisch ankämpfen. Allein so wertvoll derartige Gegenbestrebungen sind, so darf nicht verkannt werden, dass sie in manchen Fällen doch weit über ihr Ziel hinausgeschossen haben. Namentlich gilt dies von den viel besprochenen Unter- suchungen BErHk’s, die, soweit sie sich auf die Ameisen be- ziehen, in dieser Zeitschrift (Bd. 71, pg. 238) bereits von berufenerer Feder referiert worden sind. BETHE kommt zu dem Resultat, die Ameisen seien reine Reflexmaschinen, denen jegliche psychischen Qualitäten abzusprechen sind.
Ebenso gering taxiert BETHE die psychischen Fähig- keiten der Bienen. Die Frage zunächst, ob die Bienen eines Stoekes einander kennen, glaubt er verneinend beant- worten zu müssen, und er erklärt sich die feindliche Reaktion, die Bienen den Angehörigen fremder Stöcke gegenüber zeigen, durch einen für jeden Stock spezifischen Neststoff. Dieser Neststoff kann unter besonderen Vorsiehtsmassregeln auch auf Individuen fremder Stöcke übergehen. Stellt man z. B. einen kleinen Käfig mit einer neuen Königin in einen fremden Stock, so ist sie schon nach wenigen Tagen „gewittert“ worden und wird von den Bienen des Stockes wie eine Freundin behandelt. Dass der Neststoff von den Bienen selber produziert wird, dass seine Verschiedenheit auf Keimes- variation beruht, und dass die verschiedene Reaktion auf Nestgenossen und Fremde ein angeborener Chemoreflex ist, leitet Berne aus folgenden Beobachtungen her. Die In- dividuen eines neu gegründeten Stockes behandelten An- gehörige des Mutterstockes zunächst wie Freunde. Nachdem aber aus den von der Königin des Tochterstockes abgelegten
1) Bethe, „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Quali- täten zuschreiben?“ Archiv für die gesamte Physiologie. Bd. 70. 1898.
15*
228 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [4]
Eiern zahlreiche junge Bienen sich entwiekelt hatten, wurde das Verhalten der beiden Stöcke gegen einander feindlich.
v. BUTTEL-REEPEN !) hat die BerHe’schen Versuche und Hypothesen einer strengen Kritik unterworfen. Er stellt zunächst fest, dass dasjenige, was BETHE allgemein mit „Neststoff“ bezeichnet, sich aus mancherlei Faktoren zu- sammensetzt. Die wichtigsten von diesen sind der Individual- geruch, der Familiengeruch, der Brut- und Futterbreigeruch, der Drohnengeruch, der Wachs- und Honiggeruch. Ferner stellt v. BurrteL-REEPEN fest, dass der Nestgeruch keines- wegs angeboren ist; vielmehr ist er völlig exogener Natur, so dass er äusserlich von den Bienen erworben werden kann. Wie wäre es sonst möglich, dass Bienen, die 30 und mehr verschiedenen Stöcken entnommen sind, sich mit Leichtigkeit zu einem neuen Stocke vereinigen lassen, ohne dass dabei ein Ausbruch von Feindseligkeiten stattfindet? Folgt schon aus diesem Experimente, dass die Reaktion der Bienen gegen Angehörige fremder Stöcke keineswegs in so gleichförmiger Weise erfolgt, wie man dies von einer „Reflex- maschine“ erwarten darf, so gilt dasselbe von einer Reihe von Beobachtungen, die dem Imker längst bekannt sind. So laufen hin und wieder weisellose Völker zum benach- barten Stocke über und finden hier eine durchaus freundliche Aufnahme. In Analogie hierzu lässt sich ein schwaches Volk meist gut zu einem starken versetzen, ohne dass eine Beisserei stattfindet. Ferner werden honigbeladene Bienen in fremden Stöcken häufig ganz freundlich aufgenommen. „Die betteln sich ein“ sagt der Imker, d.h. sie lassen den Hinterleib auf dem Flugbrette schleifen, strecken den Rüssel vor und teilen von ihrem Honigvorrate an die sie umringenden Feinde aus. Weiter kann durch Behandlung der Bienen mit geeigneten narkotischen Mitteln die Reaktion auf Fremde ganz ausgeschlossen werden; solehe Individuen lassen sich dann nach Belieben unter fremde Stöcke verteilen. Handelt es sich in allen diesen Fällen um eine Herabminderung der Reaktion gegen Nestfremde, so muss als Gegenstück erwähnt werden, dass nach Darreichung von Buchweizenhonig oder
ı) H. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen Reflexmaschinen? Biolog. Oentralbl. 1900. pg. 97.
[5] Ueber Tier- und Menschenseele. 229
Branntwein die Bienen sich untereinander viel leichter feind- selig begegnen. Junge Bienen haben wahrscheinlich noch einen ganz indifferenten Geruch, denn sie werden gewöhnlich auch in fremden Stöcken nicht feindlich behandelt: auch dies deutet darauf hin, dass der Nestgeruch nicht angeboren sein kann. Bei Drohnen endlich und Königinnen löst der Nestgeruch fremder Völker gar keine Reaktion aus: die ersteren vagabundieren ohne Gefahr von Stock zu Stock; die letzteren gehen nur gegen ihresgleichen feindlich vor. Diese Fülle von Verschiedenheiten in der Reaktion der Bienen auf den Nestgeruch beweist mit voller Deutlichkeit, dass hier von einem verknöcherten Chemoreflex nieht die Rede sein kann.
Des weiteren gelingt es v. BUTTEL-REEPEN, es äusserst wahrscheinlich zu machen, dass den Bienen ein Mitteilungs- vermögen zukommt. In erster Linie glaubt er dies aus dem urplötzlichen Ausbrechen der Weiselunruhe schliessen zu dürfen, namentlich in den Fällen, wo Geruchswirkungen völlig ausgeschlossen sind. Das Verständigungsmittel bilden hierbei offenbar Töne. Vor allem geht dies daraus hervor, dass der Schwarmton eines schwarmreifen Volkes häufig auf Völker, die noch nicht in dieses Reifestadium eingetreten sind, ansteekend wirkt. Auch die Königinnen scheinen sich ihre Eifersucht!) gegenseitig ausdrücken zu können: denn die frei gewordene Königin hat meist nichts eiligeres zu thun, als ihre noch in den Weiselwiegen eingeschlossenen Kolleginnen durch zorniges „Tühten“ zu begrüssen, worauf ihr mit einem ebenso zornigen „Quaken“ geantwortet wird.
Hören wir nun wieder BETHE, wie er sich die Sicherheit, mit der die Bienen aus weiter Entfernung zu ihrem Stocke zurückkehren, erklärt. Mit gutem Erfolg weist er zunächst nach, dass chemotaktischen Reizen hierbei keine erhebliche Rolle zufällt. Bekannt ist ja, dass Schmetterlingsmännchen eingefangene Weibchen aus einer Entfernung von mehreren Kilometern aufsuchen, angelocekt wahrscheinlich durch einen flüchtigen Stoff. Nur für kriechende Bienen sind chemo-
1) IJeh brauche wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, dass dieser anthropomorphistische Ausdruck hier nur im übertragenen Sinne gebraucht ist.
230 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [6]
tropische Reize von einiger Wichtigkeit. Wurde z. B. inner- halb eines Bienenhäuschens ein Stock an einen anderen Platz gestellt, so fiogen die heimkehrenden Bienen zum weitaus grössten Teile nach dem alten Flugloch zurück und krochen in dem hinter diesem befindlichen leeren Raume in Menge umher. Endlieh fand sich ein Individuum dicht an der Innenwand des Häuschens entlang krieehend in den Stock hinein. Bald folgten andere ihm nach, bis endlich eine Strasse nach dem Stocke entstand. Wenn es bei diesem Versuche in der That wahrscheinlich ist, dass chemische Spuren den Bienen als Wegweiser dienten, so konnte BETHE andererseits feststellen, dass die fliegenden Bienen nur in ganz geringem Masse durch chemotaktische Reize geleitet werden. Drehte er nämlich einen Stock aus der Ostriehtung nach der Südriehtung um 90° oder mehr, so folgte die vor dem Stocke stehende Bienenstrasse nur bis zu einer Drehung um 45° An diesem Punkte blieb sie stehen. Nur wenn die Drehung bis zu 180° fortgesetzt wurde, trat eine neue Aenderung in der Stellung der Bienenstrasse ein, und zwar ging sie wieder nach derjenigen Stelle zurück, die sie vor dem Einsetzen der Drehung inne hatte. Wahrscheinlich waren es die der Rückseite des Stockes in reichlicher Menge entströmenden Riechstoffe, die die Bienen wieder in die ursprüngliche Stellung zurückführten.
Dass ehemotropisehe Reize die Bienen auf ihrem Heim- wege nicht leiten, geht fernerhin wohl auch aus der That- sache hervor, dass diese Tiere gar nicht immer nach dem Stocke zurückfliegen, sondern nach derjenigen Stelle, wo sie ihren Ausflug angetreten haben. Wird z.B. ein Bienen- stock einige Meter seitwärts oder rückwärts verschoben, so sammeln sich die heimkehrenden Bienen stets in diechtem Schwarme vor der Stelle, an der vorher ihr Stock gestanden hatte; nur ganz wenige finden sieh zum Flugloch zurück. Aehnlich ist das Resultat, wenn Bienen in einer Schachtel an eine ihnen unbekannte Lokalität getragen und dort los- gelassen werden. Sie kehren alsdann stets zu dem Orte zurück, wo die Schachtel beim Ausfluge stand; oder sie versammeln sich, falls die Schachtel beim Oeffnen in die Luft gehalten wurde, an jenem Punkte in der Luft.
[7] Ueber Tier- und Menschenseele. 231
Es erhebt sich nunmehr die Frage, welche Kraft die Bienen stets nach der Ausgangsstation, d.h. in den meisten Fällen zum Stocke, zurückführt. Der Erdmagnetismus ist es, wie zu erwarten, nicht: denn BETHE klebte einzelnen Bienen kleine Magnete an; jedoch fanden die Tiere sich nach wie vor sicher nach Hause. Ebensowenig stichhaltig ist die Annahme, die Bienen registrierten alle Biegungen und Krümmungen ihres Weges durch das Luftmeer sorgfältigst und kehrten dann auf demselben Wege wieder nach Hause zurück; denn Individuen, die BETHE mehrere hundert Male auf einer Drehscheibe hatte rotieren lassen, flogen sogleich in gerader Linie zum Stocke zurück. Ferner ist BETBE der Ansicht, dass die Bienen auch nicht durch Gesiehtseindrücke bei ihrer Heimkehr geleitet werden. Das Beweismaterial, das er als Stütze seiner Hypothese anführt, ist freilich recht dürftig: Zunächst beobachtete Brrue, dass die Bienen auf einen grossen, ihre gewohnte Flugstrasse sperrenden Sehirm erst aus einer Entfernung von 1—1!/; m reagierten. In dieser Entfernung gaben sie nämlich ihrer Bahn erst die notwendige Riehtungsänderung. BETHE schliesst hieraus, dass der Gesichtssinn der Bienen ziemlich gering entwickelt ist. Sodann maskierte er den Stock und dessen Umgebung mit allerlei buntfarbigen Gegenständen bis fast zur Unkennt- liehkeit; trotzdem flogen die Bienen sieher auf das Flug- loch zu. Nur wenn zur Maskierung den Bienen unangenehme Färbungen, wie grelles Weiss und Rot verwendet waren, zeigten die Tiere einige Unruhe. Endlich wurden Bienen nach der ihrem Stocke benachbarten, ihnen aber nach Berur’s Meinung völlig unbekannten Stadt gebracht und dort frei gelassen; die Tiere nahmen dabei vielfach die Flugrichtung nach dem Stocke bereits zu einem Zeitpunkte, an dem sie noch zwischen den Häusern befindlich waren und einen Ueberblick über. die Stadt und ihre Umgebung noch nieht gewinnen konnten. Namentlich auf Grund dieser Versuche kommt BETHE zu der Annahme, dass die Bienen durch eine uns vorläufig gänzlich unbekannte Kraft, deren Wirkungszone sich etwa auf 3—4 km im Umkreise be- schränkt, zu ihrer Ausgangsstation zurückgeführt werden.
Die Kraft, die nach BETHE uns so vollkommen unbe-
232 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [8]
kannt ist. weiss v. BUTTEL-REEPEN sehr bestimmt zu nennen: sie besteht in dem Ortsgedächtnis der Bienen. Dass diese Tiere kein Ortsgedächtnis besitzen, hat BrruE nicht zu beweisen vermocht. So ist seine Annahme, den Bienen sei die Stadt, von der er seine Versuchstiere fliegen liess, un- bekannt gewesen, vollkommen haltlos; denn die Bienen be- suchen die Konditorläden und ähnliche süsse Lokale doch gewiss mit grosser Vorliebe. Aber selbst wenn man BETHE in diesem Punkte zustimmen wollte, so gestattet sein Ex- periment nimmermehr einen Schluss auf eine unbekannte Kraft. Stand doch das Institut, wonach die Bienen zurück- flogen, im Süden der Stadt, d. h. dort, wo die Sonne schien. Da nun die Bienen stets nach dem Lichte zufliegen, so mussten sie, selbst wenn die Stadt ihnen unbekannt war, wohl oder übel zum Institute zurückkehren. Als wenig zuverlässig hat sich die „unbekannte Kraft“ in einem anderen Experimente Beruer’s bewährt: Von den Bienen, die er aus einer Schachtel in grösserer Entfernung vom Stoeke frei liess, kehrten einige zum Stocke, andere zur Schachtel zurück. Wie soll man sich dieses Ausbleiben jeder Wirkung der unbekannten Kraft bei den letzteren Exemplaren erklären? BerHE bleibt hierauf die Antwort schuldig. Endlich sind auch die Maskierungsversuche gänz- lieh wertlos. Den Imkern ist es eine längst bekannte That- sache, dass die Bienen die einmal gewohnte Strasse ganz genau inne zu halten wissen; sie treffen daher, solange die Lage des Stockes unverändert ist, ganz genau das Flugloch, auch wenn der Stoek und dessen Umgebung noch so merk- würdig verändert werden.
Dass die Bienen in der That über ein Ortsgedächtnis verfügen, dafür führt v. BUTTEL-REEPEN auch positive Be- lege an. In erster Linie ist es wichtig, dass die Tiere, wenn sie ihren Stock das erste Mal verlassen, sich über dessen Umgebung genau orientieren: sie schweben auf und nieder immer den Kopf dem Stoeke zukehrend und umfliegen den Stock in kleineren oder grösseren Kreisen. Anderer- seits ist häufig beobachtet worden, dass Bienen an einen Ort, wo sie öfter Futter vorfanden, auch dann noch zurück- kehrten, wenn längst kein Futter mehr dort war. Soll
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man hier auch eine „unbekannte Kraft“ annehmen ? Gewiss nieht! Vielmehr werden die Bienen in diesen Fällen nur von ihrem Ortsgedächtnis geleitet. Natürlich reicht das Orts- gedächtnis nur so weit, wie die Bienen geflogen sind, d.h. 3—4 km weit. So erklärt es sich, dass junge Bienen, die noch keine weiten Exkursionen unternommen haben, sich viel schwerer heimwärts finden als ältere. Durch Betäuben, Abkühlen und Baden lässt sich das Ortsgedächtnis voll- kommen auslöschen. Doch finden derartig behandelte Bienen sich später wieder zurecht, sie lernen also. Auch die jungen Königinnen merken sich beim Hochzeitsfluge ihren Stock. Damit nun diesen wertvollen Tieren das Merken erleiehtert werde, machen die Imker in diesem Falle den Stock dureh ein belaubtes Reis in besonderem Masse kennt- lich. Den auffälligsten Beweis für das Ortsgedächtnis der Bienen liefert aber eine Beobachtung des Barons v. BERLEPSCH: Durch die Spurbienen, die bekanntlich vor dem Sehwärmen eines Volkes die Umgebung auskundschaften, wurde ein Sehwarm direkt nach einem 3/, Stunde entfernten hohlen Birnbaume geführt. Die Apparate, mittelst deren die Bienen ihre Ortskenntnis erlangen, ‘sind offenbar die wohl ent- wickelten Augen. So erklärt es sich, dass Tiere, die in der Dunkelheit in der Nähe des Stockes emporgeworfen werden, sich niemals zu diesem zurückfinden. Vielleicht erkennen die Bienen auch an der Art des Anfluges Freunde und Feinde, sodass also die feindliche oder freundliche Reaktion gegen andere Individuen nicht allein durch chemo- taktische, sondern auch dureh phototaktische Reize ausge- löst wird. Ja v. BurtEeL-REEPEN ist sogar der Ansicht, dass die Bienen heranziehende Gewitterwolken mit den Augen wahrnehmen. Sollte man hier nicht lieber an ein besonderes Witterungsvermögen denken?!)
Aus den interessanten Mitteilungen von v. BUTTEL- REErEN folgt mit Sieherheit zweierlei: erstens, dass die Bienen sicherlich über Wahrnehmung verfügen; zweitens, dass sie keine Reflexautomaten sind.
Zu ähnlichen Resultaten sind auch GEORGE W. und
1) Vgl. diese Zeitschrift, Bd. 70, pg. 139. „Bienen“-Meteorologie.
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ELIZABETH G. PECKHAM !) bei ihren Studien an den solitären Wespen gekommen. Ihre wertvollen Beobachtungen über die Gewohnheiten der Sandwespen (Ammophiliden), über die in Bd. 72 (pg. 113) bereits kurz referiert wurde, bieten zahlreiche Thatsachen, die von einem Vertreter der vul- gären Tierpsychologie als Zeiehen von Intelligenz betrachtet würden. Erstaunlich ist in erster Linie, wie weitgehende Verschiedenheit die einzelnen Individuen in fast allen ihren Handlungen bekunden.
Ammophila wrnaria legt bekanntlich zu Beginn des Sommers mit Hülfe der Kiefer und der Vorderbeine in festem Erdreiche Nester an, die. aus einer etwa zolllangen Röhre und einer daran sich anschliessenden Höhlung be- stehen. Die einzelnen Nester zeigen nun untereinander be- merkenswerte Verschiedenheiten in Bezug auf den Neigungs- winkel, den die Röhre gegen die Erdoberfläche bildet, in Bezug auf die Grösse und Gestalt der Höhlung und bezüglich des Winkels, unter dem Röhre und Höhlung zusammenstossen.
—a TI _- lan AR SE te Ya Yu] Yan. uk 2 & Yn)y
In Fig. 1 sind zwei extreme Formen dargestellt. Ist das Nest vollendet, so wird es mit einem Verschluss versehen. Auch bei dieser Arbeit treten weitgehende individuelle Ver- schiedenheiten zu Tage. Während einige Exemplare den Verschluss ganz oberflächlich und ungeschickt anlegen, so- dass nur ein Zufall die junge Brut vor dem Untergange bewahren kann, verfahren andere mit der grössten Sorgfalt. Gewöhnlich wird die Nestöffnung mit einem gut abge-
!) George W. Peckham and Elizabeth G.Peckham, On the instinets and habits of the solitary wasps. Madison 1898.
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messenen Erdklümpehen bedeckt, so dass sie nahezu unauf- findbar ist. Häufig aber haben die Tiere an ihrem Arrange- ment bald etwas auszusetzen. So wurde eine Sandwespe beobachtet, die kurz nach Vollendung des Nestes den ver- sehliessenden Erdklumpen wieder entfernte, um ein paar kleine Steinehen auszugraben und dann einen neuen Erd- klumpen herbeizuschleppen (Fig. 2). Jedoch auch dieser er-
schien ihr in der Kürze als nicht recht passend ; sie holte daher einen dritten herbei und legte neben ihn ein kleines Steinchen. Schliesslich gab sie noch einige kleine Erdbröckchen zu. Andere Individuen stampften manchmal aueh noch etwas Staub über die Erdklumpen; ja, in einigen wenigen Fällen wurde ein Verschluss gar nicht angelest. In der Mehrzahl der Fälle verschliesst aber Ammophila urnaria das Nest noch vor dessen Verproviantierung ähnlich wie A. argentata und A. sabulosa; nur A. holosericea lässt ihr Nest eine Zeit lang offen stehen. Dieses abweichende Verhalten der letzt- - genannten Spezies glaubt FABrE dadurch bedingt, dass von ihr 5—6 Nährtiere als Proviant eingetragen werden. Dass diese Erklärung wohl nicht ausreichend ist, lehrt das Beispiel
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der A. yarrowi, die ebenfalls stets mehrere Beutetiere ein- trägt und doch das Nest vor der Verproviantierung ver- schliesst.
Auch bei der Raupenjagd, auf die sich die Ammophi- liden nach Beendigung des Nestbaues begeben, zeigen die einzelnen Individuen allerlei Verschiedenheiten. Während die einen ganz bei der Sache sind und unermüdlich umher- fliegen, bis eine Raupe erlegt ist, lassen sich andere durch jede Ampferblüte von ihrer Jagd ablocken. Ist nach 1 bis 2 Tagen eine Raupe erlegt, so lässt sich die Wespe nach zahlreichen vergeblichen Versuchen, das Opfer zu besteigen,
endlich am Vorderende der Beute nieder, stellt sich mit ihren Beinen darüber, hebt sie mit den Mandibeln in die Höhe und krümmt den Hinterleib unter den Leib der Raupe, um ihr eine Anzahl von Stichen beizubringen (Fig. 3). Wie ver- schieden die Sandwespen bei dem Anstechen der erbeuteten Raupen verfahren, zeigt die nachstehende Tabelle. Die Stiche variieren nieht allein der Zahl nach, sondern sie werden auch bei den verschiedenen Opfertieren in ver- schiedene Körperteile gebohrt. Endlich ist auch die weitere Behandlung der Raupen, die zumeist in einem mehrfachen Einbeissen in die Nackengegend besteht, nicht immer die
[13] Ueber Tier- und Menschenseele. 237
gleiche. Die Brüche in unserer Tabelle zeigen an, dass der Einstich in den Zwischenraum zwischen zwei benach- barten Segmenten erfolgte.
N Zahl der Nummer 4 ane un 1 der angestochenen | Weitere Angriffe er Wespe Stiche Segmente Ammophila ee; urnaria 7 Ir ns 3 Nackenbeissen (nach Peckham’s) he—"®hıs a 7 a rt Nackenbeissen N 5 Nachdrückliches ” la Nackenbeissen Ammophila hirsuta 12 o—12lız — (nach Fabre) en %) 3, 2, 1, 4—9 Nackenbeissen
Die Beobachtungen der PECKHAM’s über das Anstechen der Raupen stehen in einem bemerkenswerten Gegensatze zu den Ansichten FABrE’s. Dieser französische Forscher hat nämlich behauptet, die Raupen würden durch die Stiche nur gelähmt, niemals aber getötet, denn im letzteren Falle wären sie als Futter für die Sandwespenlarve nieht mehr tauglich. Die beiden Amerikaner konnten hingegen fest- stellen, dass von 15 Raupen einige nur drei Tage, andere etwas länger lebten, noch andere endlich noch nach zwei Wochen Lebenszeichen von sieh gaben. Häufig ist von den zwei Raupen, mit denen Ammophila wurnaria jedes ihrer Nester verproviantiert, die zweite längst tot, ehe die erste völlig aufgefressen ist. Dabei geht die Wespenlarve keines-
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wegs zu Grunde, vielmehr bleibt nicht nur ihr Appetit ganz normal, sondern auch ihre Verpuppung verläuft ganz regel- mässig. In einem Falle bereitete der Biss der soeben aus- sekroehenen Larve der Raupe solche Schmerzen, dass sie sich mächtig zusammenkrümmte. Bei Berührung bewegte | sich diese Raupe so stark wie im un-
verletzten Zustande, ohne dass hierbei das Ei, das an die Seite des 6. oder 7. Körpersegmentes des Nährtieres ge- legt wird (Fig. 4), abgeschüttelt wurde. Fig. 4. ‘ Die zweite Raupe wird manchmal erst
am dritten Tage nach der ersten ins
‘Nest gebracht. (Fig. 5 zeigt eine Wespe, die eine Raupe auf dem Erdboden nach Hause schleppt.) Die junge Larve krieeht 2—3 Tage nach der Ablage des Eies aus, frisst
6—8 Tage undspinnt dann ihren blassgelben Kokon. Be- merkenswert ist noch, dass ein Riesenexemplar von A. urnaria nur eine einzige Raupe von kolossalen Dimensionen als Proviant in ihr Nest brachte, das von dem gewaltigen Beutetiere gänzlich ausgefüllt wurde. Die Larve, die aus dem an jene Raupe gelegten Ei auskroch, frass 14 Tage
[15] Ueber Tier- und Menschenseele. 239
lang, also beinahe doppelt so lange, als dies sonst bei den Ammophila-Larven Brauch ist.
Aehnliehe Variationen, wie sie bei dem oben geschilderten provisorischen Nestverschlusse zu Tage treten, zeigen sich auch bei dem definitiven Nestverschluss, der nach der Ver- proviantierung des Nestes und der Ablage des Eies vor- genommen wird. So legte eine Wespe nur ein paar Steinchen auf die Mündung des Nestes, schüttete noch ein wenig Staub darüber und glättete endlich die Oberfläche: in fünf Minuten war die ganze Arbeit gethan. Viel sorgfältiger verfuhr ein zweites Individuum. Unter lautem Gesumme legte es an den Rand der Nestöffnung feine, mit grosser Kraft zusammengepresste Erde und fegte allen Staub aus der Umgebung hinweg, um sich alsdann nach einem ge- eigneten Deekstücke umzuschauen. Zuerst wurde mit einem welken Blatte ein Versuch gemacht, dann mit einem grösseren Steine, der sich jedoch bald als viel zu schwer erwies. Hierauf wurde ein Erdklumpen herbeigeschleppt und endlich ein welkes Blatt über den Nesteingang gelegt. Noch sinn- reicher benahm sich ein drittes Exemplar: Von den Wänden der Röhre biss es alle losen Erdpartikelehen ab und liess sie auf den Boden des Nestes herniederfallen. Dann wurde von der Umgebung noch mehr Erde herzugetragen, bis die Röhre vollkommen aufgefüllt war. Nunmehr trug die Wespe noeh einige feine Schmutzkörner herbei und hämmerte sie mit einem zwischen die Mandibeln genommenen Steine wie mit einem Hammer fest.
In einigen Fällen wurden auch grobe Irrungen in den Handlungen der Sandwespen beobachtet: So hatte eine Ammophila urnaria soeben mit vieler Mühe eine Raupe in ihr Nest gesehleppt. Nach mehrmaligem, unruhigem Umher- laufen zog sie das Beutetier wieder heraus und legte ein Ei auf den Erdboden ab. Obwohl die Raupe von dem Be- obachter ins Nest zurückgebraeht wurde, kümmerte sieh die Wespe nieht mehr darum. In einem anderen Falle jagte ein Individuum derselben Spezies ruhig weiter nach Raupen, obwohl es soeben ein mit zwei Raupen versehenes Nest definitiv verschlossen hatte.
Aus alledem geht hervor, dass die Sandwespen beim
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Nestbau, beim Erjagen und Anstechen der Beutetiere und beim provisorischen wie definitiven Verschluss der Nester die mannigfachsten individuellen Verschiedenheiten zeigen.
Diese zahllosen Modifikationen, die nach den Beobach- tungen der beiden Prcknam’s in dem Handeln der Ammo- philiden zu Tage treten, lassen eine doppelte Erklärung zu. Entweder kann man in ihnen Beweise sehen für die Fähigkeit, entsprechend den mannigfach wechselnden Be- dingungen der Aussenwelt die Handlungen zwecekmässig zu modifizieren, oder man sieht in ihnen nichts als Variationen primärer, d. h. durch natürliche Zuchtwahl entstandener Instinkte. Wollte man der ersteren Meinung beipflichten, so müsste man den Sandwespen wohl oder übel eine sehr hohe psychische Begabung beilegen: es sei nur daran er- innert, dass Ammophila urnaria zur Glättung der Umgebung ihres Nestes in einem Falle einen Stein als Werkzeug be- nutzte. Geschähe dies auf Grund einer Ueberlegung, so stände die Psyche der Sandwespen hinter der der höchst organisierten Affen wohl kaum zurück. Aus diesem Grunde erscheint der erstere Erklärungsweg weniger brauchbar, so dass nur der andere, der zudem den Vorzug einer grösseren Ungezwungenheit bietet, übrig bleibt. Dass eine Variation der Instinkte unter den einzelnen Individuen stattfindet, muss ja vom Standpunkte der Descendenztheorie aus gerade- zu postuliert werden, und die grosse Mannigfaltigkeit der Variationen, wie sie sich bei den Instinkten der Ammo- philiden findet, eröffnet hier der natürlichen Zuchtwahl ein reiches Arbeitsfeld, auf dem die Instinkte zu immer höherer Vervollkommnung herangezüchtet werden können.
Die bislang wiedergegebenen Beobachtungen der PEcK- HAM’sS sind demnach für die von BETHE aufgestellte Theorie der Hymenopteren-Psyche noch nicht geradezu verhängnis- voll, obwohl auch aus ihnen schon hervorgeht, dass von einem blinden Automatismus bei den solitären Wespen nicht die Rede sein kann. Noch mehr gilt das letztere von den Beobachtungen und Experimenten der PEcKHAMm’s über den sogenannten Richtungssinn. Vielen Tieren und unter den Mensehen manchen Wilden und Jägern hat man die Fähigkeit zugeschrieben, den Rückweg nach einem bestimmten Ziel,
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etwa ihrem Wohnsitze, selbst aus grosser Entfernung und nach Umhersehweifen in den verschiedensten Richtungen vermöge eines besonderen, von jeglicher Erfahrung gänzlich unabhängigen Sinnes stets in der kürzesten geraden Linie zu nehmen. In der That ruft es die Bewunderung jedes Beobachters hervor, wenn z. B. eine Ammophila, ohne auch nur das leiseste Zögern oder die geringste Unsicherheit zu verraten, schon aus weiter Entfernung direkt auf ihr Nest zufliegt, nachdem sie zuvor stundenlang in der Kreuz und der Quer in der Umgebung herumgeflogen ist, um nach Raupen zu jagen. Der ganze Vorgang hat etwas so My- steriöses an sich, dass nur die Annahme eines besonderen Riehtungssinnes das Rätsel lösen zu können scheint.
Dass aber eine solche immerhin etwas prekäre Hypothese durchaus nicht unentbehrlich ist, ersieht man aus den Be- obaehtungen der PECKHAM’s an Ammophila urnaria. Wenn diese Spezies zum Nestbau schreitet, so pflegt sie zunächst längere Zeit nach einem geeigneten Bauplatze zu suchen. Ist endlich ein soleher aufgefunden, so fliegt sie während des Grabens 2—3 Mal auf, um nach kurzem Fluge zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Auch nach der Fertigstellung des Nestes kehrt sie, namentlich in der ersten Zeit, häufig nach dem Neste zurück und fährt hiermit solange fort, bis der Bau mit Proviant versehen und das Ei abgelegt ist. Dass nach so zahlreichen Inspektionsbesuchen die Wespe all- mählich eine ziemlich genaue Kenntnis der Umgebung ihres Nestplatzes erlangen kann, ist durchaus wahrscheinlich; da- durch wird die Beobachtung, dass Ammophila nach Er- beutung einer Raupe auf nahezu direktem Wege zum Brut- platze zurückkehrt, auch ohne die Annahme eines Richtungs- sinnes erklärlich. Ein ähnliches Studium der Lokalität wenden die Ammophiliden auch in den Fällen auf, wenn sie während des Rückweges zum Nistplatz ihr Beutetier für einige Augenblicke verlassen müssen. Noch klarer tritt das Bestreben, eine genaue Lokalkenntnis von der Umgebung des Nestes zu gewinnen, bei Sphex ichneumonea zu Tage. Aueh sie verfährt beim Aufsuchen des Nistplatzes ausser- ordentlich wählerisch; häufig legt sie sogar einige Röhren an, um sie schon nach kurzer Zeit unvollendet zu verlassen.
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 16
242 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [18]
Fig. 6.
Derartige unvollendete Nester umfliegt die Wespe niemals, während sie die fertigen, zur Auf- nahme des Eies und der Beutetiere bestimmten Nester mehrfach in Spiral- touren umsehwärmt. Die ersten Male (Fig. 6) sind diese Spiraltouren ziem- lich eng, späterhin (Fig. 7) erweitern sie sich all-
mählich.
In anderer Weise als Sphex ichmeumonea er- wirbt sich Astata bicolor ihre Lokalkenntnis. Sie fliegt von dem Neste zu- nächst nach einem nahe gelegenen Punkte, setzt sich dort einen Augen- blick nieder und kehrt dann entweder zum Neste zurück oder fliegt zu einem neuen Ruhepunkte. So fährt sie eine Zeit lang fort, um endlich mit einem raschen Ziekzack- flug ihre Studien zu be- enden. (Fig. 8) Aehnlich verfährt die verwandte Astataunicolor:doch läuft sie auf der Erde von einem Rubeplatz zum andern, ohne dabei das Nest wieder zu berühren, erst zum Schluss bedient auch sie sich ihrer Schwingen. Dass das Resultat solcher
[19] Ueber Tier- und Menschenseele. 243
Studien in der That in einem gewissen Ortsgedächtnis besteht, scheint uns aus den folgenden Beobachtungen hervorzugehen. Ein Nest von Astata unicolor wurde von den Beobachtern ausgegraben; die Wespe legte sogleich in einer Ent- fernung von etwa 10 em ein neues an. Nachdem dieses fertig gestellt war, flog das Tier für eine Viertelstunde fort. Nach der Rückkehr fand die Wespe nicht sogleich das richtige Nest wieder. Zu- nächst begab sie sich zum wa alten und begann einige Fig. 8.
Bauarbeiten daran vorzu-
nehmen; erst nach einiger Zeit fand sie den richtigen Platz wieder auf.
In Ziekzackflügen, die nur die eine Seite des Nestes halbkreisförmig umschliessen, gewinnt Cerceris deserta ihre Lokalkenntnis. Erst zum Schluss fliegt sie einige Male rings um das Nest herum (Fig. 9).
Nest?
Fig. 9. 16*
244 Dr. WALTHER SCHOENICHEN, [20]
Würden die Wespen wirklich von einem besonderen Riehtungssinn geleitet, so müsste dieser bis zu einem ge- wissen Grade unfehlbar sein. Wie wenig dies der Fall ist, beweist die Gattung Pompilus. Sie ist dadurch ausge- zeichnet, dass sie ihre Beutetiere bereits einfängt, bevor sie zum Nestbau schreitet. Der Platz, auf dem die Beute deponiert wurde, ist von dem Neste bei P. quinquenotatus 1—10 Fuss, bei P. fuscipennis höchstens 14 Zoll entfernt. Solange diese Wespen mit dem Graben beschäftigt sind, besuchen sie oftmals ihre Beute. Dabei haben sie oft die grösste Mühe, diese aufzufinden. Namentlich zeigte sich dies bei der Beobachtung eines P. fuscipennis, der soeben sein Nest beendet hatte und nun seine Beute aufsuchen wollte. Obwohl diese nur 3 Zoll vom Neste entfernt und leicht siehtbar war, machte die Wespe einen grossen Um- weg, ehe sie ihr Ziel erreichte; und als sie hierauf zu ihrem Neste zurückkehren wollte, verfehlte sie zunächst auch dieses. Aehnliches konnten die PECKHAM’s noch an 10 In- dividuen derselben Spezies konstatieren. In einem Falle suchte die Wespe 15 Minuten lang in wilder Hast nach ihrer Beute; dabei entfernte sie sich immer mehr und mehr von ihr, und sie hätte sie wohl überhaupt nicht gefunden, wenn ihr nicht der Beobachter mitleidig zu Hilfe gekommen wäre. Solehe Unsicherheit, wie sie Pompelus beim Auf- finden der Beute und des Nestes zeigt, beweist aufs deutlichste, dass ein unfehlbarer „Richtungssinn“ diesen Geschöpfen nicht zukommt.
Eine ähnliche Unsicherheit beim Wiederauffinden des Nestes zeigt das Genus Tachytes, das seine Nester mit jungen Grashüpfern verproviantiert. Fig. 10 zeigt den Umweg, auf dem eine dieser Wespen zu ihrem Neste zurückgelangte.
Dass solitär lebende Wespen sicherlich eine Kenntnis, eine Anschauung von ihrem Nestplatze besitzen, beweist das Benehmen von Aporus fasciatus. Diese Spezies erkannte ihr Nest nicht wieder, wenn das darüber gedeckte Blatt entfernt wurde, während sie es nach Wiederauflegen des Blattes sogleich wieder auffand. Inähnlicher Weise zeigten alle Angehörigen der Gattung Cerceris eine grosse Unruhe, wenn irgend ein neues Objekt in die Umgebung ihres Nestes ge-
[21] Ueber Tier- und Menschenseele. 245
lest wurde. Ammophila verliess sofort ihr Nest, nachdem einige tiefe Furchen in dem davorliegenden Staube einge- schrieben waren. Auch zeigte sie sich in hohem Masse be- unruhigt, wenn auf dem Platze, wo sie ihre Beute nieder- gelegt hatte, irgend eine Veränderung vorgenommen wurde. Selbst eine Aenderung in der Stellung der benachbarten Gräser und Blumen entging den Wespen nieht. Manche Arten, die erst jagen und dann graben, haben die Ge- wohnheit, ihre Beutetiere einstweilen auf einer Pflanze zu deponieren. Häufig kommt es dabei vor, dass diese Pflanzen
vom Winde erschüttert werden, sodass die erlegte Spinne oder Raupe auf die Erde herabfällt. Durch solehe Vor- kommnisse werden die Wespen nicht auf’s leiseste be- unruhigt; vielmehr fliegen sie, offenbar geleitet durch ihren Gesichtssinn, sofort der Stelle zu, auf der ihr Opfer liest. Wahrscheinlich sind solche Vorkommnisse den Wespen durch- aus nicht ungewohnt: denn wenn sie ihre Beutetiere auf den Pflanzen angreifen, werden diese oft genug zu Boden fallen, so dass die Angreifer gezwungen sind, ebenfalls auf den Erd- boden zu fliegen. Dieser Gewohnheit folgen die Wespen wahr- scheinlieh auch dann, wenn der Wind das schon erlegte Beutetier auf die Erde wirft; zu einer Beunruhigung liegt also bei solchen Fällen keinerlei Grund vor, vorausgesetzt
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dass in der Umgebung keine Veränderung vorgenommen wurde.
Mit vollem Rechte schliessen die PECKHAM’s aus diesen ihren Beobachtungen, dass die solitären Wespen die Fähigkeit zum Erwerb einer Ortskenntnis besitzen, und dass ihnen ein Ortsgedächtnis zugesprochen werden muss. Es stimmen also ihre Resultate sehr gut mit denen überein, die v. BUTTEL-REEPEN aus dem Studium der sozialen Bienen abgeleitet hat.
In gleicher Weise hat BETHE auch mit seiner Hypothese über die Psyche der Ameisen Schiffbruch gelitten. Hier ist es vor allem WasmAnn, jener gründlichste Kenner des Ameisenlebens, der ihm entgegentritt. WASMANN hebt zu- nächst !) hervor, dass BETHE den Begriff der Reflex- erscheinungen nicht enge genug gefasst hat. In der That ist es unrichtig, von Reflexerscheinungen überall dort zu sprechen, wo Handlungen auf Grund erblicher Gewohnheiten ausgeführt werden, von Intelligenz dagegen dort, wo auf Grund individueller Erfahrung in den erblichen Thätigkeiten eine Modifikation eintritt. Bei dieser Definition des Reflexes kann man die Seelensäusserungen der Tiere nur noch unter die Rubriken „Reflex“ und „Intelligenz“ verteilen, die grosse Rubrik des Instinktes ist einfach gestrichen. Ein solches Vorgehen ist aber durchaus ungerechtfertigt: denn die ein- fache sinnliche Empfindung und Wahrnehmung, die doch die Triebfeder der Instinkthandlungen bilden, und die das Tier befähigen, zu jeder Zeit das Nützliche aufzusuchen und die Gefahr zu fliehen, werden alsdann vollständig ignoriert.
Allein diese mehr formalen Ausstellungen sind nicht die einzigen, die sich bei der Lektüre der bekannten BETHE’sehen Arbeit aufdrängen; vielmehr stehen seine Behauptungen auch inhaltlich mehrfach in grellem Gegensatze zu den Beobach- tungsergebnissen anderer Forscher. So glaubt BEeTHE den Ameisen ein Mitteilungsvermögen gänzlich absprechen zu
ı) E. Wasmann, Instinkt und Intelligenz im Tierreich. 2. Aufl. Freiburg i. B. 1899. pag. 102. Vergleiche auch: E. Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. Biol. Centralbl. Bd. XVII, 1896. pag. 577.
[23] Ueber Tier- und Menschenseele. 247
müssen. Hören wir dagegen WAsmAnn!. Wenn eine Ab- teilung blutroter Raubameisen (Formica sanguinea) auf ein Nest der Formica rufa losmarschiert, so eilt die erste rufa, die den nahenden Feind bemerkt, ins Nest zurück, um hier den ihr begegnenden Kameradinnen durch erregte Fühler- schläge ihre eigene Erregung mitzuteilen. Sofort treffen dann die rufa eilige Vorkehrungen zur Flucht und zur Rettung der Brut. Aehnlich verhalten sich auch Lasius flavus und niger. Einen weiteren Beweis für die Existenz eines Mitteilungsvermögens bietet folgende Beobachtung. Eine rufa, die sich lange vergeblich abgemüht hatte, eine Lomechusa fortzutragen, eilte ins Nest und kehrte mit vier anderen rufa zurück. Mit vereinten Kräften gelang dann der Transport des geschätzten Gastes. Endlich ist es eine bereits von FoREL festgestellte Thatsache, dass von Formica sanguinea einzelne umherstreifende Individuen die Sklaven- nester aufspüren und die Resultate dieses Kundschafter- dienstes zu Hause melden, so dass zu geeigneter Zeit ein Raubzug ausgeführt werden kann. Solehe Beobachtungs- thatsachen, deren Zahl sich beliebig mehren liesse, beweisen auf’s klarste, dass den Ameisen ein Mitteilungsvermögen zu- gestanden werden muss.
Sodann führt Wasmann eine Reihe von Beobachtungen an, aus denen mit Sicherheit hervorgeht, dass den Ameisen eine weitgehende Plastizität des Instinktes zuzuschreiben ist, dass sie also nicht wohl als „Reflexmaschinen“ bezeichnet werden dürfen. So schwankt z. B. die Anzahl der Sklaven, die ein sangwinea-Nest birgt, zwischen weiten Grenzen. Im allgemeinen gilt zwar das Gesetz: „Je stärker die Herren- kolonie, desto weniger Sklaven“, und die Herren sind in
!) Die nachfolgenden Einwände gegen Bethe und die vulgäre Tierpsychologie sind dem Buche: „E.Wasmann, Vergleichende Studien über das Seelenleben der Ameisen und der höheren Tiere. Zweite vermehrte Aufl. Freiburg i. B. 1900%, das uns zur Recension vorliegt, entlehnt. Obwohl wir hin und wieder mit dem Verfasser nicht ganz übereinstimmen können, müssen wir doch sein treffliches Buch aufs wärmste empfehlen allen denen, die in der Tierpsychologie an Stelle der vielfach üblichen Phantastereien wissenschaftliche Thatsachen und wissenschaftliche Hypothesen hören wollen,
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den meisten Nestern 3—6 Mal zahlreicher als die Sklaven; allein es kommen auch Fälle vor, in denen die Zahl der Hilfsameisen die der Herren bei weitem übertrifft. Ein ferneres Beispiel für die Fähigkeit der Ameisen, ihr Handeln zu modifizieren, lieferte eine Beobachtungskolonie, die durch grosse Sterblichkeit stark dezimiert war. Sie erzog sich aus im September nachgelesten Eiern noch spät im Herbste zwei neue Königinnen: offenbar sollten diese Spätlinge durch fleissiges Eierlegen die Zahl der Nestbewohner wieder er- höhen. Auch die Thatsache, dass zwei benachbarte Nester, die sich zunächst aufs heftigste befehdeten, allmählich zu friedliehen Bundeskolonien werden, verbreitet über die BETHE’sche Hypothese ein äusserst unvorteilhaftes Licht. Am wunderbarsten aber offenbart sich die Plastizität des Ameiseninstinktes bei den Nestbauten. Bei einer und der- selben Art zeigen diese oft die denkbar grössten Verschieden- heiten. So legt Formica sanguinea, die vorzugsweise unter- irdische Erdnester baut, auch in morschen Kiefernstrünken oder Eichenstubben unter der Rinde oder im morschen Holze, ja sogar in Holzspalten lebender Bäume Wohnungen an. Dieselbe Variabilität, die bezüglich des Ortes der Nester herrscht, gilt auch für deren Anzahl. Unter 400 sangwinea- Kolonien fand WAsMANN nur wenige, die nur ein einziges Nest hatten. Meist waren dies schwache Völker, in einigen Fällen dagegen auch sehr starke. Die meisten Kolonien hatten mehrere Nester, und zwar schwankte deren Zahl von 2—8. Bei der Benutzung ihrer verschiedenen Nester ver- fahren die Ameisen oft ungemein zweckmässig: eine im Gebüsch unter Baumwurzeln tief und vor Kälte und Sonnen- glut geschützt angelegte Wohnstätte dient ihnen als Quartier im Winter und Hochsommer, während das Frühlingsnest meist frei am Rande eines Gebüsches gelegen ist. Wie die Temperatur, so zwingen auch die Feuchtigkeitsverhältnisse zu Modifikationen im Nestbau. Lasius niger, Tetramorium caespitum und Myrmica scabrinodis legten in Beobachtungs- gläsern, sobald die Feuchtigkeit im Neste zu hoch stieg, einen von zahllosen Oeffnungen durehbohrten Kuppelbau an, so dass bei der so vergrösserten Oberfläche der Ueberfluss von Wasser schneller der Verdunstung anheimfiel, Ferner
[25] Ueber Tier- und Menschenseele. 249
ist es WASMANN gelungen, eine Formica rufibarbis gleichsam zu zähmen. Das Tier lernte allmählich Honig von der Fingerspitze abzuholen, d. h. von einem Orte, dessen Geruch sonst die Kampfeswut der Ameise wachgerufen hätte. Einer gänzlichen Aenderung ihres Charakters fallen diejenigen Individuen von Formica fusca anheim, die in den Nestern der kriegstüchtigen sanguinea als Hülfsameisen thätig sind. Während diese Tiere sonst ziemlich feige sind, werden sie in der Gesellschaft der mutigen sangwinea zu wackeren Verteidigern des Nestes. Endlich kommt auch dem Brut- pflege-Instinkt der Ameisen eine hohe Plastizität zu. So wurde in königinnenlosen Beobachtungsnestern von Polyergus rufescens, Formica sangwinea und F. rufibarbis von den Arbeiterinnen, resp. bei Polyergus von den Sklaven, irgend eine besonders stattliche Arbeiterin reichlich gefüttert und so zu einer Ersatzkönigin umgewandelt, die parthenogenetisch Eier ablegen konnte. Einer eigenartigen, wohl pathologischen Abänderung des Instinktes verfallen sanguwinea-Kolonien, die seit längerer Zeit die Lomechusa-Zucht eifrig betrieben haben.. Diese Abänderung äussert sich einerseits in der Erziehung zahlreicher krüppelhafter Arbeiterinnen, sogen. Pseudogynen, andererseits in der Behandlung der Lomechusa- Larven. Während diese in normalen Kolonien bald nach der Verpuppung wieder aus der Erde hervorgezogen werden und dabei fast sämtlich zu Grunde gehen, werden sie in den veränderten Kolonien nach der Verpuppung in Ruhe gelassen, so dass derartige Nester zu wahren Lomechusa- Herden werden. Andererseits kann das Verhalten der Ameisen gegen ihre Gäste auch zum Nachteil der letzteren sich ändern. So wurde eine Anzahl von Individuen eines sanguinea- Nestes, die Dinarda Merkel zu töten gelernt hatten, auch zu eifrigen Verfolgern der sonst geduldeten Dinarda dentata. Feindlich wurde auch das Verhalten, wenn zu viele Dinarda ihnen ins Nest gesetzt wurden. In ähnlicher Weise ging auch Formica sangwinea feindlieh gegen die sonst so gern gesehene Lomechusa strumosa vor, als einmal 30 Stück dieses Käfers in ein Beobachtungsnest gesetzt wurden. 19 davon wurden vertrieben, die übrigen 11 dagegen mit der üblichen Sorgfalt gepflegt, Diese wenigen Beispiele mögen
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genügen für den Nachweis, dass sich in dem Leben der Ameisen sicherlich mehr als ein Reflexautomatismus offenbart. Dass aber trotz dieser vielfachen Modifikationen im Handeln der Ameisen von menschlicher Intelligenz wohl nicht die Rede sein kann, sei durch einige wenige Beispiele angedeutet. So hat die Amazone (Polyergus), die unter den Ameisen das glänzendste Kriegertalent besitzt, den Instinkt zur selbständigen Nahrurgsaufnahme vollkommen eingebüsst, und muss, obwohl sie die Fähigkeit besitzt, durch Lecken Nahrung aufzunehmen, elend verhungern, wenn sie nicht von ihren Sklaven gefüttert wird.) Ein deutlicherer Beweis für das Fehlen der Intelligenz kann in der That wohl kaum erbracht werden. Sodann beobachtete WAsmAnn mehrfach, dass eine Ameise die Erdklümpehen, die von einer Kameradin soeben zu einer Mauer aufgeschichtet waren, wieder loslöste, um sie anderwärts als Baumaterial zu verwerten. Endlich siebt er eine ungezwungene Erklärung für die viel be- sprochenen Beispiele vom Brückenbau. Das bekannteste hiervon ist das von LEUCKART erzählte. LEUCKART hatte, um von einem Baume die Ameisen fernzuhalten, dessen Stamm mit einem Ringe von Tabaksjauche bestrichen, ohne jedoch den gewünsehten Erfolg zu erzielen; denn die Tiere, die nach der Baumkrone strebten, trugen Erdpartikelehen herzu und bauten über die Jauche einen gangbaren Weg. Da indes die Ameisen stets übelriechende oder klebrige Gegenstände, die sich nieht forttragen lassen, mit Erde be- deeken, so wird auch dieser „Brückenbau“, weit entfernt als Beweis für die Ameisenintelligenz dienen zu können, auf das Niveau einer Instinkthandlung herabgedrückt. Wie in diesem Beispiele so ist es auch bei allen übrigen scheinbar eine menschliche Intelligenz der Ameisen beweisenden; sie alle lassen sich sehr wohl erklären durch die Annahme eines Instinktes; die Annahme einer menschenähnlichen In- telligenz wird damit für die Ameisen überflüssig.?)
1) Vergleiche C. Smalian, Altes und Neues aus dem Leben der Ameisen. Diese Zeitschrift Bd. 67, pg. 42.
2) Neuerdings hat. Bethe (Noch einmal über die psychischen Fähigkeiten der Ameisen; Archiv f. d. ges. Physiol. 1900) in dieser Controverse nochmals das Wort ergriffen. Zwar vermag er seine
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Mit dem Nachweise, dass die Ameisen der Intelligenz entbehren, begnügt sich jedoch Wasmann nicht. Vielmehr versucht er durch Vergleich einiger Lebensthätigkeiten der Ameisen mit den entsprechenden höherer Wirbeltiere den Satz zu erhärten, dass, falls eine Ameisenintelligenz nicht existiere, überhaupt von einer Tierintelligenz nieht die Rede sein könne. Und dieser Satz, der zwischen Tier- und Menschenseele eine unüberbrückbare Kluft aufreisst, wird für WaAsmAnn die Operationsbasis zu einem Angriffe auf die Descendenztheorie und ihre Voraussetzungen. Dass es einen Kampf ums Dasein giebt, wird allerdings zugestanden: Ja, Wasmann erbringt selbst ein treffliches Beispiel dafür, dass gerade unter den Angehörigen einer und derselben
Hypothese nicht mehr durch neue Versuche zu stützen, glaubt aber immer noch nicht an psychische Qualitäten der Ameisen. So denkt er sich das Mitteilungsvermögen der Ameisen ganz ähnlich wie die Ueber- tragung einer Infektionskrankheit. Dass solche Vergleiche jeglicher Beweiskraft entbehren, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Im übrigen schliesst sich Bethe an Beer und v. Uexküll an, die alle Begriffe_wie „Verstand, Gedächtnis, Instinkt u. s. w.“ als veraltetes Gerümpel über Bord werfen wollen. (Vergl. z.B. S.v. Uexküll, Ueber die Stellung der vergleichenden Physiologie zur Hypothese der Tier- . seele. Biol. Centralbl. Bd. 20.) Diese Forscher wollen die Tierpsycho- logie umwandeln in eine Nervenphysiologie, die sich damit begnügt, die zentripetalen und zentrifugalen Erscheinungen im Nervensystem zu erforschen. Das eigentlich Psychologische, das ja nur durch innere Selbstbeobachtung festgestellt werden kann, werde, soweit es die Tierseele betrifft, uns immer unbekannt bleiben, da wir uns nie in die Seele des Tieres versetzen und auf psychische Qualitäten der Tiere nur durch Analogieschlüsse schliessen können. Am besten sei es daher, von psychischen Qualitäten der Tiere überhaupt nicht zu sprechen. Sehen wir hier ganz davon ab, dass treffende Analogieschlüsse vielfach für die Wissenschaft von der grössten Bedeutung sind, so sei daran erinnert, dass wir uns auch nicht in die Seele unserer Mitmenschen versetzen können, und dass wir deren psychische Qualitäten ebenfalls nur auf Grund von Analogieschlüssen annehmen. Demnach kann Uexküll nur sich selbst Verstand, Gedächtnis u. s. w. zuschreiben, allen übrigen Menschen aber muss er diese psychischen Qualitäten absprechen. Dagegen möchte ich für meine Person protestieren; und ich halte es demzufolge noch für ganz berechtigt, dem Gebrauche von Ausdrücken, wie Instinkt, Erinnerung u. a., die Uexküll gern in einem Altertumsmuseum unterbringen möchte, noch immer nach Herzenslust zu fröhnen.
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Spezies der Kampf um die Existenz am heftigsten tobt, indem er auf die „Bruderkriege“ der Ameisen, die unter den Völkerschaften einer und derselben Ameisenart aus- gefochten werden, zu sprechen kommt. Dagegen glaubt WAsMANN nicht an den Effekt dieses Kampfes ums Dasein, an die natürliche Zuchtwahl. In der That bietet die Ameisenbiologie einen Fall, der den Bedingungen, die DARWIN selbst an seine Selektionstheorie knüpfte, zu widerstreiten scheint. Es betrifft dies die Zuneigung, die von den Ameisen den Lomechusa-Larven entgegengebracht wird. Da diese Pfleglinge durch Verzehren der Ameisen-Eier und -Larven den Stock ihrer Adoptiveltern in hohem Masse schädigen, so könnte man glauben, hier folgten die Ameisen einem Instinkte, der ihnen selbst zum Nachteile gereicht. So ver- einzelt ein derartiges Vorkommnis auch wäre, für das Selektionsprinzip wäre es von geradezu verhängnisvoller Bedeutung: sagt doch Darwın selbst, er werde seine Theorie als unzulänglich betrachten, sobald der Nachweis erbracht sei, dass irgend ein Geschöpf einen ihm selbst schädlichen Körperteil oder Instinkt besitze.
Sehen wir hier ganz davon ab, dass sozial lebende Tiere von der natürlichen Zuchtwahl in ganz anderer Weise beeinflusst werden als solitär lebende, so kann man in der Lomechusa-Frage wohl auch einen anderen Standpunkt ein- nehmen. ESCHERICH!) hebt mit vollem Rechte hervor, dass die echten Gäste der Ameisen meist mit excessiven Aus- bildungen der verschiedenen Hautdrüsen, mit eigenartigen Triehomen, mit seltsamer Fühlergestaltung, kurz mit einer ganzen Reihe von Charakteren versehen sind, die offenbar eine auf Täuschung der Pflegeeltern abzielende Maske bilden. Es sind also die Ameisen, von denen Paussus oder Lomechusa mit aller Freundlichkeit behandelt werden, gleichsam die Opfer arglistiger Hintergehungen. Es ist daher unrichtig zu sagen, die Ameisen hätten zur Pflege der Lomechusa- Larven einen instinktiven Trieb; vielmehr muss es heissen: die Lomechusa-Larven, die ja, wie WASMANN schreibt, den
1) C. Escherich, Zur Naturgeschichte von Paussus F'avieri. Verhandl. der k. k. zoolog.-botan. Gesellsch. in Wien, Jg. 1899. Heft 5.
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Ameisen einen ähnlichen, ja noch angenehmeren Eindruck machen wie Ameisenlarven, nutzen den ihren Adoptiveltern innewohnenden, unter normalen Umständen äusserst nützlichen Brutpflege-Instinkt zu ihrem Vorteile aus. Wie die Tröpfehen auf den Drüsenhaaren des Sonnentaublattes an den Honig- suche-Instinkt vieler Insekten appellieren und diese meuchlings ins Verderben locken, so täuschen die Lomechusa-Larven die Ameisen, indem sie deren stark entwickeltem Brutpflege- instinkt Anregung geben. Die Behauptung, die Pflege der Lomechusa von Seiten der Ameisen erschüttere das Selektions- prinzip, ist demnach wohl nicht gerechtfertigt.
Weiter lest WaAsmAann grossen Wert besonders auf den Vergleich der Seelenäusserungen der Affen mit denen der Ameisen. Ein derartiger Vergleich zwischen ganz verschieden organisierten Geschöpfen von gänzlich verschiedener Lebens- weise hat schon von vornherein etwas Missliches an sich. Ausserdem aber muss hervorgehoben werden, dass WASMANN für seine Behauptung: „Es giebt keine Ameisenintelligenz und folglich auch keine Affenintelligenz“ keineswegs einen senügenden Beweis erbracht hat. Wenn man auch unbedingt zugeben muss, dass die vier Punkte, in denen WAsSMANN seine Vergleiche der Ameisen und höheren Säugetiere anstellt, nämlich das Geselischaftsleben, die Kriege, die Baukunst und die Brutpflege bei den Ameisen vielleieht am höchsten im ganzen Tierreiche entwickelt sind, so folgt daraus noch nicht, dass die höheren Säuger auch in ihren übrigen Seelen- äusserungen hinter jenen Hymenopteren zurückstehen. Sind doch die genannten vier Lebensthätigkeiten sämtlich solehe, die der Natur der Sache nach hei sozial lebenden Ge- schöpfen hoch, bei solitär lebenden in viel geringerem Masse entwickelt sind, ohne dass darum den letzteren über- haupt geringere psychische Qualitäten zugeschrieben werden dürften. Was soll wohl ein Orang-Utan mit der Baukunst einer Ameise? Ist es doch eine bekannte Thatsache, dass‘ auch unter den nestbaukundigen Vögeln die stärkeren Spezies sich fast stets durch eine lüderliche Baumanier auszeichnen. Sie können sich solehe geringe Aceuratesse eben leisten: denn ihr starker Schnabel und die mächtigen Krallen werden . jeden nahenden Feind abfertigen. Wie kann man da erst
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bei dem riesenhaften Waldmenschen nach einer hochent- wickelten Baukunst suchen? Wie kann WasMmAnN ferner von den Affen verlangen, dass sie ebenso hohe Brutpflege- instinkte zeigen wie die Ameisen? Findet doch die Ent- wicklung der Säuger zum grössten Teile im Innern des Muttertieres statt. Es zeigt sich bei diesen Beispielen so recht drastisch, wie vorsichtig man zu Werke gehen muss, wenn man aus einem Vergleiche zwischen Tieren von ganz heterogener Lebensweise allgemeinere Schlüsse ziehen will. Die höher entwickelten Organismen kommen hier oft genug viel zu schlecht davon, indem gerade ihre höheren psychischen Qualitäten leieht unberücksichtigt bleiben. So sei z. B. hier auf eine von Romanks!) zitierte Beobachtung hingewiesen, für deren Einfügung bei Wasmann keine Gelegenheit sich bietet. . Ein gefangener Affe wurde von Krähen an jedem Morgen seines Futters beraubt. Eines Tages legte sich das Tier wie tot neben seinem Futterplatze nieder. Die Krähen kamen nach ihrer Gewohnheit herzu und liessen sich durch den bewegungslosen Affenkörper nieht weiter stören. Plötz- lich jedoch griff der Affe nach einem der kecken Mund- räuber, erfasste ihn und bestrafte ihn für seinen Diebstahl. Hier scheint doch der Affe nach einem überlegten Plane gehandelt zu haben, und es kann ihm eine gewisse Stufe menschlicher Intelligenz nicht wohl abgesprochen werden.
Wie man im übrigen sich das Vorkommen von Intelligenz bei Menschen und Tieren denkt, hängt ganz davon ab, wie man den Begriff „Intelligenz“ definiert. Wer zwischen Menschen- und Tierseele ein breites Intervall einrücken möchte, der versteht unter Intelligenz ganz einfach nur die- jenigen Seelenäusserungen, die für den Menschen spezifisch sind: dann freilich kann von Tierintelligenz keine Rede sein. Andererseits kann man auch eine Anzahl von niederen und höheren Stufen der Intelligenz unterscheiden und etwa Ortsgedächtnis, Erinnerung und ähnliches bereits als in- telligenzähnliche Seelenäusserungen betrachten: alsdann wird man auch von Tierintelligenz reden dürfen. Welcher Richtung
ı) Romanes, Die geistige Entwicklung im Tierreiche. Das Buch ist auch für das folgende mehrfach benutzt.
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man sich ansehliesst, das ist im Grunde Geschmackssache. Wer wie WAsMAnN seine theistische Weltanschauung in die Naturwissenschaft überträgt, wird sieh für die erstere entscheiden. Demzufolge sprieht Wasmann!) ganz folge- richtig von Intelligenz nur da, wo ein formelles Abstraktions- vermögen zu Tage tritt. Anhängern der Deseendenztheorie hingegen wird zumeist die letztere Anschauung sympathischer Sein.
Indessen auch wenn man sich auf Wasmanw’s Stand- punkt stellt, selbst dann ist nicht zu befürchten, dass von Seiten der vergleichenden Psychologie aus eine Bresche in die stolze Festung der Descendenztheorie, wie sie die ver- gleichende Anatomie, Embryologie und Palaeontologie er- richtet haben, gelegt werde. In diesem Sinne möge die folgende Darlegung über die Seelenäusserungen von Menschen und Tieren sprechen.
Vorausgeschiekt sei, dass auch zahlreichen Philosophen zunächst gewisse Berührungspunkte zwischen Menschen- und Tierseele aufgefallen sind. So schreibt ArısTOTELES Menschen wie Tieren die gleichen psychischen Grundfähigkeiten zu, wobei er die evidente Ueberlegenheit der Menschenseele durch das Vorhandensein des voüg zu erklären versucht. Seine Gedanken haben im Altertume besonders PoRPHYRIUS, LAcTAnTıUs, ARNOoBIUS und PHILo, in der Neuzeit unter vielen anderen PAsQuIER, RORARIUS, MONTAIGNE, ÜHARRON und vor allen LEısnıtz aufgenommen. Ja, bei LEIBNITZ ist die Idee von einer fortschreitenden, in der Menschenseele kulminierenden Entwicklung der Geisteskräfte mit voller Klarheit ausgesprochen.?)
Wenn es der Descendenzgedanke ist, der den Behaupt- ungen jener letztgenannten Psychologen mehr oder weniger deutlich als Voraussetzung vorgeschwebt hat, so ist es klar, dass in unserem Jahrhundert, in dem die Transmutations- theorie durch den Darwinismus ihre Begründung erhielt, die vergleichende Psychologie einen bedeutenden Aufschwung
)E.Wasmann, Instinkt u. Intelligenz im Tierreich. 2. Aufl. 1899. 2) Vignoli, Ueber das Fundamentalgesetz der Intelligenz im Tierreiche.
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nehmen musste. Und in der That haben schon allein die vergleichend neurologischen Studien der letzten Jahrzehnte insofern ein beachtenswertes Ergebnis gezeitigt, als sie ein kontinuierliches Anwachsen der zentralen Nervenorgane unter den Metazoen nachgewiesen haben. Hieraus folgt, wenn man den offenbaren Zusammenhang zwischen Seele und Nervensubstanz nicht wegleugnen will, dass eine analoge Zunahme auch für die Seelenäusserungen statt hat, ein Satz, der innerhalb der einzelnen Tierklassen durch die Be- obachtungen der tierischen Gewohnheiten vollkommen be- stätigt wird. Ganz gleichgültig ist es dabei, ob man die Ganglienzellen für die Gedankenfabrik hält, oder ob man in ihnen nur einen nutritiven Apparat für die Pri- mitivfibrillen, die die eigentlichen nervösen Organe re- präsentieren, sieht.!)
Und noch eine zweite naturwissenschaftliche Thatsache scheint für die vergleichende Psychologie von einiger Be- deutung zu sein; das ist der Nachweis, dass selbst die niedrigsten Tierformen, mit Einschluss der einzelligen Pro- tozoen, ganz die gleichen vitalen Grundfunktionen: Be- wegung, Empfindung und Beantwortung von Reizen, Er- nährung sowie Fortpflanzung vollziehen wie das höchste Wirbeltier, der Mensch, dass also im Prinzip zwischen dem Menschen und der niedrigsten Amoebe nicht ein qualitativer sondern nur ein quantitativer Unterschied besteht. Wenn man daher das Seelenleben auch als eine der animalen Lebensfunktionen ansieht, so ist die Behauptung, dass auch zwischen Tier- und Menschenseele nur ein gradueller Unter- schied vorhanden ist, a priori wohl nicht ganz unwahr- scheinlich.
Dieser Satz, der von zahlreichen Anhängern der De- scendenztheorie gut geheissen wird, ist mehrfach z. B. von STRÜMPELL?) missverstanden worden. Keineswegs soll damit gesagt sein, dass in der Amoebe etwa der Verstand des
1) Bethe, A., Die anatomischen Elemente des Nervensystems und ihre physiologische Bedeutung. Biol. Centralbl. Bd. 18.
2) Strümpell, Die Geisteskräfte des Menschen verglichen mit denen der Tiere. Leipzig 1878.
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Menschen als eine schlummernde Kraft bereits fertig aus- gebildet sei, sich aber nach aussen nur nicht bethätigen könne. Vielmehr soll unsere Behauptung von dem nur graduellen Unterschiede zwischen den Seelen der verschiedenen Tiere nur sagen, dass in der Psyche der niedrigsten Tiere bereits die Prinzipien zu allen den mannigfaltigen Seelenäusserungen der höheren Tiere embryonenhaft vorhanden sind.
Jenes Grundprinzip des Geistes liegt in dem Unter- scheidungsvermögen zwischen verschiedenen Reizen und in der Fähigkeit, Bewegungen hervorzubringen, die jenem Unterscheidungsvermögen angepasstsind. Dass diese Fähigkeit schon bei den niedrigsten Amoeben zu finden ist, zeist das Beispiel der Vampyrella spirogyra, die unter den Hunderten von Algenspezies unserer süssen Gewässer nur die ihr zusagende Spirogyra auswählt. Ja, selbst den Pflanzen kann man dieses psychische Grundprinzip nieht absprechen, wie vor allem einige der Insekten fressenden Pflanzen besonders deutlich zeigen. Ein Bewusstsein ist mit diesen niedersten seelischen Regungen freilich niebt ver- bunden, sie verharren auf der Stufe der Reflexe. Die Wissenschaft klassifiziert sie als Chemo-, Photo-, Geo- ete. -Tropismus.
Dass unter den Evolutionsprodukten dieses psycho- logischen Grundprinzipes die Empfindung, d.h. ein durch einen Reiz hervorgerufenes Gefühl, dem Gros der höheren Tiere zukommt, bedarf keiner weiteren Ausführung; und das gleiche gilt auch von der Wahrnehmung, natürlich mit der Einschränkung, dass die letztere nur bei Geschöpfen mit entwickelteren Sinnesorganen- möglich ist. Betont sei hierbei, dass die Wahrnehmungen zahlreicher Wirbeltiere offenbar viel feiner sind als die des Menschen. Man denke nur an das Auge der Raubvögel, an das Gehör der Katze ete.
Versteht man unter „Wahrnehmung“ nicht nur diejenigen psychologischen Akte, bei denen ein äusserer Gegenstand als soleher wahrzunehmen ist, sondern auch noch diejenigen Fälle, wo die einfachsten Eigenschaften eines Gegenstandes als denen eines früher wahrgenommenen ähnlich oder un- ähnlich erkannt werden, so ist die notwendige Voraussetzung dieser Art von Wahrnehmung die Existenz eines Gedächtnis-
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. af
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vermögens. Auch diese Fähigkeit, mit der das Vermögen, Vorstellungen zu assoziieren aufs engste zusammenhängt, ist im Tierreiche wohl entwickelt. Unser Referat über die neueren Studien an Ameisen, Bienen und Wespen enthält hierfür ein umfangreiches Belegmaterial. Bei Vögeln zeigt sich schon ein ziemlich bedeutendes Gedächtnisvermögen, wie die Thatsachen bezüglich der Reproduktion von Tönen, ja selbst Worten und Sätzen hinlänglich beweisen. Unter den Säugetieren finden wir eine besonders hohe Entwicklung der Erinnerung beim Pferde, beim Hunde, beim Elefanten und beim Affen.
Ob es im Tierreiche neben den zahlreichen ausschliesslich dureh Selektion entstandenen, sogenannten primären In- stinkten auch noch Instinkte giebt, die ursprünglich zweckbewusste, durch das Zurücktreten der Intelligenz mechanisch gewordene Handlungen vorstellen, die zur Wurzel „Wahrnehmung“ und „Gedächtnis“ haben, ist zweifel- haft. Gerade an derartigen sekundären Instinkten fehlt es aber der Menschenseele nicht. In der That finden wir an uns die verschiedenartigsten Instinkte. Eine ganze Reihe unserer Handlungen werden ganz mechanisch verübt, die doch, als sie erlernt wurden, unseren Willen mächtig in An- spruch nahmen. Es sei nur erinnert an das Gehen, Schreiben, Sehlittschuhlaufen, Tanzen und ähnliches. Und was an- dauernde Uebung hierbei zu leisten vermag, begreifen wir mit Staunen, wenn wir der Hand des Klaviervirtuosen oder des Schriftsetzers folgen. Auch an angeborenen primären In- stinkten ist die Menschenseele überreich. Auf solchen basiert z. B. unser ganzes sexuelles Leben und der Trieb zum Nahrungserwerb. Ja, vielfach beruhen gerade diejenigen Triebe, in denen sich die Gemütstiefe der menschlichen Seele am wunderbarsten offenbart, wie z. B. die Mutterliebe, fast ausschliesslich auf instinktiven Impulsen.
Nach alledem ist es nieht ganz unberechtigt, wenn der Mensch als „ein Bündel von Gewohnheiten“ bezeichnet worden ist. Jedenfalls steht die Vernunft keineswegs so im Vordergrunde des menschlichen Seelenlebens, wie man das gewöhnlich glaubt. Definieren wir die Vernunft als „Erkenntnis der Beziehungen zwischen angewandten Mitteln
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und zu erreichendem Endzweck“, so werden, wie bereits oben ausgeführt, alle die wunderbaren Fähigkeiten der sozialen Insekten, die so häufig als ein Zeichen von fast übermenschlicher Vernunft angestaunt werden, auf das Niveau der Instinkte herabgedrückt. Dagegen finden wir bei den höheren Tieren untrügliche Zeichen von Vernunft, welche sich in einer bewussten Vergleichung der Gegenstände, Eigenschaften oder Beziehungen äussert. Als Beleg für diese Behauptung sei hier von neuem auf den spontanen Schein- tod bei Füchsen und Affen hingewiesen, bei dem das Handeln nach einem vorher entworfenen Plane ganz evident ist. Die höchste Stufe der Vernunft, welche in jener Vergleichung der Gegenstände einen geistigen Prozess sieht, der dann selbst wieder einen Gegenstand unserer Erkenntnis bildet, wird von keinem Tiere erreicht, und dieses Gebiet, in welches die Fähigkeit der Abstraktion, der Reflexion und des selbstbewussten Denkens gehören, darf daher als ein Kriterium des normalen Menschengeistes angesehen werden.
Dazu gesellt sich noch ein zweites den Menschengeist hoch über die Tierseele erhebendes Moment; das ist die Fähigkeit „willkürliche Bilder hervorzubringen zu dem aus- drücklichen Zweck, neue ideale Kombinationen zu erhalten.“ Aber auch diese psychische Thätigkeit hat ebenso wie die Vernunft ihre Vorstufen in der Tierseele. So findet bei vielen Tieren eine Bildung von Ideen ganz unabhängig von einer äusseren Veranlassung statt. So wenigstens lässt sich das Träumen der Hunde, Pferde und Papageien allein er- klären; ebenso verhält es sich mit den Halluzinationen bei Hunden und Affen. Ferner haben viele domestizierte Tiere eine Idee von der Behaglichkeit ihrer Wohnplätze und Ställe. Den Pferden merkt man, wenn sie auf dem Heimwege sind, deutlich eine frohe Stimmung an, die offenbar durch den Gedanken an die ihrer harrenden Ruhe bewirkt wird.
Im Vorhergehenden sind die beiden Hauptpunkte ge- nannt, welche die gewaltige Praevalenz der Menschenseele vor der Tierseele auf logischem Gebiete verursachen. Noch grösser ist die Kluft zwischen Mensch und Tier auf ästhe- tischem Gebiete; doch muss auch hier beachtet werden, dass das Gefühl für Schönheit keineswegs dem Menschen
sl
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allein zuzuschreiben ist, sondern auch bei Tieren vorkommt. Wenn auch Darwın vielleicht den Scehönheitssinn bei den Tieren und seine Bedeutung für die geschlechtliehe Zucht- wahl etwas überschätzt hat, so bleibt doch die Thatsache bestehen, dass viele Vogelweibehen an der Farbenpracht des Gefieders oder an dem lieblichen Gesang ihrer Männchen ein gewisses Schönheitsgefühl empfinden. Das verfeinerte ästhetische Gefühl, wie es der Kulturmensch im allgemeinen besitzt, kommt übrigens garnicht allen Menschenrassen zu; finden wir doch bei Wilden und auch bei Bauern häufig einen ausserordentlich dürftigen Schönheitssinn.
Noch weniger vorbereitet als das ästhetische Fühlen finden wir den Sinn für Moralim Tierreiche. Und unstreitig sind diejenigen Autoren in vollem Rechte, die diesen Sinn für Moral oder das Gewissen für eins der wichtigsten Unter- scheidungsmerkmale zwischen Menschen- und Tierseele halten. Ist doch dieser Sinn die edelste aller Seelenfähigkeiten des Menschen, der ihm gebietet, selbst sein Leben für seine Mit- menschen einzusetzen, und der ihn nur durch das Gefühl des Rechtes oder der Pflicht zwingt, sich einem idealen Ziele zu weihen, ohne auf seinen eigenen Vorteil Rücksicht zu nehmen. Spuren solehen moralischen Gefühls hat man mehrfach zu finden geglaubt bei Tieren, die mit einem starken geselligen Instinkte ausgestattet sind. Die Arbeits- teilung, die sich meist in derartigen Tiergesellschaften heraus- gebildet hat, führt häufig Einzelindividuen zu Handlungen, welche dem Vorteile des Einzelindividuums zwar wider- streiten, für die Gesellschaft aber von grossem Nutzen sind. Von moralischen Handlungen darf aber hier nicht gesprochen werden, denn das Tier weiss nicht, was gut und böse ist. Bei dem Menschen ist wahrscheinlich die Sprache, durch die ja ein ausserordentlich intimer Verkehr der zusammen- gehörenden Individuen ermöglicht wird, der Haupthebel bei der Ausbildung der Moralität gewesen.
Werfen wir noch einen Blick auf die Gemütsbewegungen der Tiere, so erschöpft das folgende Verzeichnis wohl alle im Tierreiche nachweisbaren Affekte. Es wurden beobachtet: Ueberrasehung, Furcht, geschlechtliche und elterliche Zu- neigung, soziale Gefühle, Kampflust, Fleiss, Neugierde, Eifer-
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sucht, Aerger, Spielerei, Neigung, Sympathie, Nacheiferung, Stolz, Empfindlichkeit, Schreck, Kummer, Hass, Grausamkeit, Wohlwollen, Rachsucht, Zorn, Scham, Reue, Verschlagenheit und Lustigkeit. Verglichen mit der grossen Anzahl mensch- licher Gemütsbewegungen zeigt dieses Verzeichnis allerdings recht beträchtliche Lücken, und es erweist sich auch auf diesem Gebiete die quantitative Ueberlegenheit des Menschen- geistes über die Tierseele.
Nach alledem darf wohl die folgende Behauptung als feststehend betrachtet werden: „Das Tier hat die gleiche räumliche und zum Teil auch zeitliche Anschauung der Aussenwelt, wie der Mensch; es hat, wie dieser, Gedächtnis und Erinnerung; an seine Sinnesempfindungen und Wahr- nehmungen schliessen sich ähnliche Gefühle und Begehrungen an wie beim Menschen und laufen zu gleichen Handlungen aus wie in diesem; die höchsten Tiere endlich unterscheiden und überlegen und äussern in ihren Handlungen einen, wenn auch niedrigen, so doch mit dem menschlichen Verstande gleichartigen Verstand.“ Die in diesen Sätzen zusammen- gestellten Punkte sind der Menschen- und Tierseele ge- meinsam, spezifisch dem Menschen eigen sind nur die höheren Stufen der Vernunft und der Ideenbildung, sowie der Sinn für Moral und ein feineres Gefühl für das Schöne.
Fassen wir das Resultat unserer Revue über die Seelen- äusserungen im Tierreiche zusammen, so ergiebt sich, dass bei den tiefststehenden Tieren die Seelenäusserungen in nur sehr dürftiger Weise entwickelt sind. Je höher wir in der Tierreihe aufwärts steigen, desto komplizierter werden die psychischen Erscheinungen. Zu den blossen Reflexen ge- sellen sich zahlreiche primäre Instinkte, bei höheren Formen begegnen wir neben diesen der Empfindung und Wahr- nehmung und dem Gedächtnis, bis uns endlich bei den höchst entwickelten Tieren Zeichen von verstandesmässiger Ueber- legung entgegentreten.
Trotz aller Uebereinstimmungen zwischen Tier- und Menschenseele muss aber dennoch zugegeben werden, dass durch die oben erwähnten Spezifiea der Mensch so hoch über die gesamte Tierreihe gehoben wird, dass der Gedanke nahe liegen konnte, seine Seelenäusserungen als etwas ganz
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Eigenartiges und jeglichen Analogons in der Tierseele Ent- behrendes anzusehen. Dass aber unsere Behauptung, die Menschenseele sei nur eine weiterentwickelte Tierseele, in der That riehtig ist, dafür besitzen wir in den Thatsachen der Ontogenesis der Menschenseele einen überaus wert- vollen Beweis.
Eine ausführliche Abhandlung über den Werdegang der Kindesseele verdanken wir Preyer.!) Von diesem Forscher ist festgestellt worden, dass in den ersten Wochen nach der Geburt die Sinnesempfindungen des Säuglings überaus un- deutlich sind. Das Auge vermag zuerst nur „hell“ und „dunkel“ zu unterscheiden; rasche Bewegungen werden erst vom zweiten Monat an wahrgenommen; eine genaue Trennung der Farben tritt erst im dritten Lebensjahre ein; und sehr lange dauert es, bis Durchsichtigkeit, Glanz, Schatten und die dritte Dimension des Raumes begriffen werden. Jedes Neugeborene ist taub, und erst nach einigen Tagen vermag es ein starkes Geräusch wahrzunehmen. Selbst die Be- rührungsempfindlichkeit ist in den ersten Lebensstunden ziemlich gering, und der Temperatursinn fehlt noch voll- kommen. Am besten ist noch der Geschmack bei der Ge- burt ausgebildet: Süsses wird von Bitterem, Sauerem und Salzigem sehr wohl unterschieden, eine Fähigkeit, die auch vielen neugeborenen Tieren zukommt. Der Geruchssinn ist einige Stunden nach der Geburt soweit entwickelt, dass er angenehme Gerüche von unangenehmen unterscheiden kann.
Man sieht also, dass die Menschenseele äusserst unvoll- kommen in die Welt tritt, und dass ihre Kräfte denen vieler neugeborenen Vögel und Säugetiere, die viel weiter ausge- bildete und viel korrekter arbeitende Sinnesorgane besitzen, erheblich nachstehen. Auch die Gefühle der Kinder sind anfänglich noch sehr wenig mannigfaltig, können aber bis- weilen sehr intensiv werden. Sie sind entweder Gefühle des Angenehmen oder des Unangenehmen. Die letzteren Ge- fühle finden ihren Ausdruck in starken, lauten Ausathmungen, Sehreien und in einem einfachen Mienenspiel, das lediglich in einer Gestaltsveränderung des Mundes besteht. Die Ge-
’) Preyer, Die Seele des Kindes.
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fühle sind längst ausgeprägt, bevor noch von Wollen, Ge- dächtnis oder gar von Urteilen sich das leiseste Merkmal gezeigt hat. „Durch die Wiederholung der Gefühle, welche entgegengesetzten Charakter haben, kommt das Gedächtnis und Abstraktionsvermögen, das Schliessen und Urteilen erst nach und nach zur Bethätigung. Der mächtigste Faktor für die beginnende Verstandes-Entwickelung ist das Er- staunen und die ihm verwandte Furcht. Aus dem Begehren alles dessen, was einmal Lustgefühle herbeigeführt hat, ent- wickelt sich allmählich der Wille des Kindes.“
In der ersten Zeit nach der Geburt unterscheidet sich demnach die menschliche Seele kaum von der selbst niedriger Tiere. Zum Ausdrucke kommt dies besonders in den vom Säugling ausgeführten Bewegungen, die fast ausschliesslich angeborene sind. Drei Arten soleher Bewegungen lassen sieh unterscheiden: impulsive, die aus Prozessen im nervösen Zentralorgane entspringen; reflektorische, die auf periphere Reize unbewusst erfolgen, und instinktive, die nach gewissen sensorischen, peripheren Erregungen eintreten. Ein vor- zügliches Beispiel für die letztere Art ist das Saugen. In diesem Stadium bleibt die Seele des Kindes hinter der zahl- reicher junger Tiere zurück, die, wie wir am eben ausge- krochenen Hühnchen sehen, viel entwiekeltere instinktive Bewegungen zeigen. „Gewollte Bewegungen können erst dann zu Stande kommen, wenn auch die Ursache einer Wahrnehmung erkannt wird, wodurch die letztere zur Vor- stellung aufrückt.“ Erst nach dem ersten Vierteljahre treffen wir solche gewollte Bewegungen beim Kinde. In ihnen sind gleichzeitig die ersten Anlagen des Verstandes gegeben, der sich, ohne vielleicht notwendig an das Vorhandensein von Sprache gebunden zu sein, in einem räumlichen und zeitlichen Ordnen der Sinnesempfindungen, in der Bildung von Begriffen und dem logischen Operieren mit letzteren bethätigt. Und hier ist die Kindesseele etwa auf der Ent- wicklungshöhe angelangt, die das höhere Tier aufweisen kann. Die Anthropogenie der Kindesseele wird erst dann vollkommen, wenn die Undeutlichkeit der alalischen Begriffe und ihre vielfach logisch unriehtige Verwendung durch die Erlernung der Sprache beseitigt werden.
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Diese Thatsachen beweisen zur Genüge, dass eine Ent- wicklung der anfänglich tierischen Kindesseele zur voll- kommenen Menschenseele möglich ist, und wir dürfen in ihnen für unsere Behauptung, die Menschenseele sei nur eine potenzierte Tierseele, ein weiteres Argument sehen.
Aber noch einen zweiten Schluss können wir aus dem obigen Thatsachenmateriale ziehen. Wenn, wie dies HAECKEL im biogenetischen Grundgesetze ausgedrückt hat, die Onto- genesis eine kurze Rekapitulation der Phylogenesis ist, so berechtigt uns die geringe Entwicklung des Seelenlebens beim Kinde zu der Behauptung, dass im Laufe der phylo- genetischen Entwicklung die Menschenseele in der That aus der Seele eines Tieres, sagen wir aus der eines aflen- ähnlichen Geschöpfes,!) sich herausentwiekelt hat genau in gleicher Weise, wie der menschliche Körper aus dem eines Tieres herausgewachsen ist. Für diese Behauptung bietet die folgende Darlegung noch einen weiteren Beweis.
Wie unser Körper rudimentäre, zwecklos gewordene Organe besitzt, die wir von unseren tierischen Vorfahren ererbt haben, so finden wir auch unter den psychischen Aeusserungen des Menschen gewisse Bewegungen, die ehe- mals zweckmässig und zweckbewusst ausgeführt wurden, jetzt aber meist, wenn auch nicht gerade zwecklos geworden, so doch nur noch Ueberbleibsel derartiger Willenshandlungen sind. Es sind dies die Ausdrucksbewegungen der Affekte. DAarwın?), der diesem Gegenstande ein umfang- reiches Werk gewidmet hat, weist nach, dass wir unter den zahlreichen Ausdrucksbewegungen unserer Affekte eine An- zahl mit Bestimmtheit von unseren tierischen Vorfahren ge- erbt haben. Hierher gehört das Lachen als Zeichen des Vergnügens oder des Genusses, welches bereits vielen Affen- arten eigen ist. Ebenso sind die Komplexe von Ausdrucks- bewegungen, die Furcht, Leiden, Wut, Zorn und Ekel zu begleiten pflegen, schon von unseren tierischen Voreltern erworben worden, so dass sich auch hierdurch die Tierseele als eine Vorstufe der Menschenseele offenbart.
1) Vergl. H. Klaatsch, Der kurze Kopf des Musculus biceps femoris. Berlin, Sitzungsberichte der Akademie. 1900. 8. 852. 2) Darwin, Ueber den Ausdruck der Gemütsbewegungen.
[41] Ueber Tier- und Menschenseele. 265
In derselben Weise wird die Menschenseele der Tier- seele nahe gebracht durch die Ergebnisse der Völker- psyehologie.!) Namentlich ist das Studium der Naturvölker in diesem Sinne fruchtbar gewesen. Als Hauptmotive treten bei Naturvölkern erfahrungsmässig nur drei auf: physisches Wohlbefinden, das sich nur auf grobe sinnliche Genüsse, wie Essen, Trinken, geschlechtlichen Genuss und faulen Müssig- gang richtet; geselliges Wohlbefinden, das die Unterwerfung der Familienmitglieder unter den Willen des Mannes und die Befriedigung von Ehrgeiz und Eitelkeit erstrebt, und endlich die Gewohnheit, die sich immer in gleicher Weise weiter vererbt und „physisches Elend wie moralische Rohheit und intellektuelle Stumpfheit verewigen zu wollen scheint.“
Es steht zu erwarten, dass bei solchen Trieben die Moralität der Naturvölker überaus unentwickelt sein muss. So finden wir denn auch, dass Kannibalismus, Kindermord und ähnliche Schändlichkeiten vielfach ganz ohne Gewissens- bisse verübt werden. Ja, die Thatsache, dass die Neger von Ost-Sudan Betrug, Diebstahl und Mord für eines Mannes würdige Thaten halten, scheint auf ein Fehlen jeglichen moralischen Gefühles hinzuweisen. Vor allem aber zeugt das Geschlechtsleben oft von einer unglaubliehen Rohheit. Ausschweifungen der Mädchen vor der Ehe gelten bei manchen Völkern für ehrenhaft; Paederastie, die als Folge der Poly- gamie ein häufiges Laster ist, erregt keinen Anstoss; und Schamhaftigkeit ist meist etwas ganz ungekanntes. Selbst Fallahweiber entblössen ohne Bedenken ihren ganzen Körper vor Männern, nur das Gesicht nicht. Uebrigens ist es keineswegs nötig bis zu Naturvölkern hinabzusteigen, um moralische Rohheit zu finden. Diese ist ja auch in der zivilisierten Welt noch reichlich verbreitet.
Wie der Morphologe bei der Vergleichung des mensch- lichen und tierischen Körpers die vergleichende Anatomie, die Embryologie und die Palaeontologie berücksiehtigen muss, so haben wir im Vorstehenden bei dem Vergleiche der Menschen- und Tierseele zunächst eine Uebersicht über die hauptsächlichsten Seelenäusserungen der gesamten Lebewelt
1) Vgl. Waitz, Anthropologie.
266 Dr. W. ScHoEnIcHen, Ueber Tier- und Menschenseele. [42]
gegeben, um darauf die Embryologie der Menschenseele und die Spuren ihrer phylogenetischen Entwieklung, wie sie uns im Ausdruck der Gemütsbewegungen und in der Völkerpsychologie überliefert sind, zu betrachten. Das Er- gebnis aller drei Untersuchungsmethoden deutet darauf hin, dass zwischen Menschen- und Tierseele ein qualitativer Unter- schied nicht bestehen kann; und wenn der Mensch durch seine Geisteskräfte alle übrigen Geschöpfe so eminent überragt, so ist dies ausschliesslich die Folge seiner weit entwickelten Verstandesgaben, seines feinen Schönheitssinnes und seiner Moralität. Aus welchen Ursachen diese drei Kriterien der Menschenseele zu so hoher Ausbildung gelangt sind, steht bisher nicht völlig fest. Soviel nur ist sicher, dass der Mensch hauptsächlich durch die Sprache und die Hand, dieses Werkzeug, das so überaus geeignet ist, „seine passenden Bewegungen von der notwendigen Verbindung mit Muskel- koordinationen zu emanzipieren“, seine bevorzugte Stellung den Tieren gegenüber errungen hat.
Es lässt sich vielleieht nieht leugnen, dass in unserer Be- trachtung manches Hypothetische mit untergelaufen ist. Das aber geht aus der obigen Darlegurig mit Sicherheit hervor, dass die Deseendenztheorie vor den Thatsachen der vergleichenden Psychologie noch längst nicht zu Kreuze zu kriechen nötig hat. Dass es Erscheinungen giebt, die entweder mit dem Descendenzgedanken nur schwer zu vereinigen sind, oder durch das Selektionsprinzip nicht genügend erklärt werden, weiss jeder, der diese Fragen auch nur einigermassen über- schaut. Trotz dieser Mängel aber bietet die Descendenz- theorie immer noch die beste Erklärung für die Thatsachen der Biologie.
Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps
von
Dr. Fritz Wiegers,
Assistenten am mineralogischen Institut der technischen Hochschule zu Karlsruhe,
Mit Tafel IV.
In den letzten 25 Jahren sind mehrere Arbeiten ver- öffentlicht worden, in denen die Resultate der künstlichen Erzeugung von Aetzfiguren an Gypskrystallen oder Spaltungs- stücken derselben beschrieben wurden. Es soll im folgenden zunächst eine kurze Uebersicht über diese Publikationen gegeben werden, weil im Hauptteil dieser Abhandlung mehr- fach Bezug darauf genommen ist.
BAUMHAUER!) erwärmte Spaltungsstücke von Gyps mit konzentrierter Kalilauge und erhielt dadurch auf © P grosse rhombhoidale Aetzfiguren, deren Seiten den Kanten des Prismas und der negativen Hemipyramide parallel laufen und auf & P oe „äusserst feine, dicht nebeneinanderliegende Furchen“, welehe der Kante e Px:xP& parallel gehen.
KLIEN?) setzte die Versuche BaumHAuEr’s an Krystallen aus dem mioeänen Thon von Sütel in Oldenburg fort: er nahm als Lösungsmittel Kalium- oder Natriumkarbonat und erhielt mit ihnen nicht nur dieselben Resultate, sondern er fand auch, dass bei längerer Einwirkung des Aetzmittels an der spitzen Ecke von — P und & P eine drusige Fläche.
1) H. Baumhauer, Ueber die Aetzfiguren des Apatits und des Gypses. Sitzungsberichte der k.k. Akademie der Wissenschaften zu München. Bd. V. 1875. p. 169.
2) P. Klien, Studien aus dem mineralog. Museum der Universität Kiel. Poggendorffs Annalen, Bd. VII. 1876. p. 611.
268 Dr. Frıtz WIEGERS, [2]
entstand, die dem hinteren Orthohemidoma P & entspricht. KLıen versuchte sodann die Bildung von Gypskrystallen künstlich nachzumachen, indem er sehr verdünnte Lösungen von Chlorbarium und Schwefelsäure unter dem Mikroskop auf einem Objektträger zusammen brachte. Es entstanden so kurzprismatische, nach & P & tafelförmige, auf den — P-Flächen parallel miteinander verwachsene Zwillinge, und zwar nicht die gewöhnliche Form derselben, sondern vollkommene . Durehkreuzungszwillinge (vergl. in der ange- führten Abhandlung Fig. 6 u. 7, Taf. VII). Dabei ist mehr- fach ein Verjüngen derselben nach dem Ende der c-Axe zu beobachten. Aus der Anordnung der Aetzhügel, die er irr- tümlich für Subindividuen hielt, zog Kiew den Schluss, dass die Hauptzonen des Oper mit den tektonischen Axen zusammenfallen.
Nun seheint das Interesse an den Aetzfiguren des Gypses für längere Zeit erloschen zu sein. Zwar er- schienen in den Jahren 1877 und 1835 zwei Arbeiten von Weiss!) und Brasıus?) über Aetzfiguren (W.) und Zer- setzungsfiguren (BL.), aber bei diesen Untersuchungen hatte die Forschung einen anderen Weg eingeschlagen, indem die Figuren auf troekenem Wege durch Erhitzen erhalten wurden, und dieser „Verwitterungsprozess“ ist doch im Grunde ein von dem Lösungsprozess recht verschiedener.
Erst im Jahre 1897 veröffentlichte ©. VioLA°) in Rom eine neue Arbeit über Aetzfiguren, die er durch Einwirkung einer verdünnten Lösung von Chlorbarium auf Gyps erhalten hatte. Bei den Versuchen Vıora’s ergab sich nun das neue Resultat, dass die Aetzfiguren auf dem Klinopinakoid nicht nur die bereits von BAUMHAUER und KLIen erhaltenen Um- risse zeigten, sondern in der einen Ecke von einer weiteren Fläche, die der Zone (101) —=P & angehört und, wie wir später sehen werden, einer positiven Pyramide oder einem
1) E. Weiss, Aetzfiguren bei Gyps. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. 29. 1877. p. 211. E 2) Blasius, Zersetzungsfiguren an Krystallen. Zeitschrift für Krystallographie. 1885. Bd. 10. p. 221. ») ©. Viola, Ueber Aetzfiguren am Gyps. Zeitschrift für Kry- stallographie. 1897. Bd. 28. p. 573.
[3] Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 269
positiven Orthohemidoma entspricht, begrenzt waren. Die- selbe Abstumpfung zeigten auch die Aetzhügel.
Das sind, kurz mitgeteilt, die Resultate, die durch künstliche Anätzung von Gypskrystallen erhalten worden sind. Es ist auffallend, dass bei der leichten Löslichkeit des Gypses dieselben Erscheinungen nicht häufiger an natürlich geätzten Krystallen beobachtet sind,!) da doch in der Natur dieselben Mittel, die im Laboratorium ange- wendet wurden, wie Wasser und Lösungen von Alkali- karbonaten genügend vorhanden sind.
Im folgenden sollen nun natürlich geätzte Krystalle beschrieben werden.
Im Jahre 1897 fand ich gelegentlich einer Exkursion in die Thongruben von Trotha bei Halle a. S. in einer der- selben eine Menge Gypskrystalle, die nebst zahlreichen Pyrit- und Markasitkonkretionen von den Arbeitern aus dem Thon herausgelesen und an einer Stelle angehäuft waren.
Der Thon gehört der Formation des Rotliegenden an.
Die aufgefundenen Krystalle sind in doppelter Hinsicht beaehtenswert: durch die Aetzungserscheinungen, die sie zeigen, und die dadurch verursachte Veränderung der Form und durch die Einschlüsse. Betraehten wir zunächst die erstere Erscheinung.
1. Die Aetzfiguren.
Die Gypskrystalle, die in der Grösse sehr variieren, sind teils einfache Krystalle, teils Zwillinge nach (101) — oo Po. Die ersteren sind tafelig ausgebildet nach (010) — © P oe und zeigen ausserdem die Flächen (110) = xP und (111) = —P; sie sind gestreckt nach der c-Axe, wasserhell, durchsichtig und meistens frei von Einschlüssen.
Alle Flächen zeigen Aetzungserscheinungen. Auf.dem Klinopinakoid sind Aetzhügel uud Aetzfiguren vorhanden. Die letzteren sind die bekannten kassettierten rhomboidalen Vertiefungen, wie sie BAUMHAUER zuerst beschrieb; häufig sind sie an einer Ecke gerundet, aber die Fläche, die diese
1) K.v. Kraatz beschrieb solche an Gyps von Kl. Schöppenstedt bei Braunschweig. Mitteilung aus dem Roemer-Museum, Hildesheim. 1896. Nr. 4.
270 Dr. Fritz WIEGERS, [#]
Rundung bewirkt, gehört nicht, wie die von VIoLA ge- fundene, der Zone des positiven, sondern des negativen Ortho- hemidomas an; liegt also nicht dem spitzen, sondern dem stumpfen Winkel des Klinopinakoids gegenüber. Sie tritt in der Regel auch nur in einer Ecke der Vertiefung auf, selten ist sie auch an der gegenüberliegenden ausgebildet und dann weniger vollkommen.
Bei einigen Krystallen fehlen auf &P & die Ver- tiefungen fast ganz und es treten die Aetzhügel desto mehr hervor. In der idealsten Form sind sie an einem Krystall ausgebildet: es sind nach der c-Axe lang gestreckte Er- höhungen, die die ganze Länge des Klinopinakoids ein- nehmen und oben und unten vorwiegend von einer zur Zone (101) —=P & gehörigen Fläche begrenzt werden, deren Kante mit der vertikalen einen Winkel von ca. 112° bildet. Die andere Begrenzungsfläche wechselt und ihre Kante mit oo P x läuft der Kombinationskante von e Px und —P zum Teil parallel, zum Teil bildet sie mit ihr einen schiefen Winkel. Einzelne Flächen scheinen der Basis zu entsprechen.
Diese Aetzhügel haben sich in der ganzen vertikalen Zone des Krystalles entwickelt; auf © P & überwiegt die dieser Fläche entsprechende Aetzfläche, die Hügel sind hier tafelförmig, auf den Prismenflächen, deren Kombinations- kanten mit dem Klinopinakoid verschwunden sind, treten sie als schmale langgestreckte prismatische Erhöhungen auf, und es erfolgt eine treppenförmige Abstufung von © P x zu © P. Dabei erfolgt nun eine weitere Korrosion der Krystalle, indem durch die ebenfalls stufenartig überein- ander liegenden, neu gebildeten Flächen der Zone Px zu- nächst die spitze Eeke der Krystalle verschwindet und bei länger andauernder Aetzung sich zwei oder mehrere, posi- tiven Pyramiden angehörende Flächen bilden, die, wie auch ihre Zwisehenkante, infolge der Entstehung gerundet sind und sich durch einen eigentümlichen fettartigen Glanz aus- zeichnen.
Durch die, in der Zone des negativen Orthohemidomas liegenden Aetzflächen sind in gleicher Weise an Stelle der Kanten zwischen — P und & P x ebenfalls zwei neue Prärosionsflächen hervorgebracht.
[5] - Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 271
Es ist damit auch für den Gyps die Thatsache nach- gewiesen, die schon Mons 1824 berichtete, dass durch Aetzung neue Flächen entstehen können.!)
Die Prismenflächen sind wie schon erwähnt, ausschliess- lich mit Aetzhügeln bedeckt.
Auf den negativen Pyramidenflächen sind die eben beschriebenen prächtigen Erscheinungen nicht wahrzunehmen. Die Flächen sehen entweder matt aus und sind mit winzigen, unregelmässig begrenzten, aber doch zur Symmetrieebene symmetrisch liegenden Vertiefungen bedeckt, oder sie sind mehr oder weniger stark zerfressen. Es besteht also, in Bezug auf das Verhalten der einzelnen Flächen gegen den Angriff von Lösungen ein wesentlicher Unterschied zwischen den Pyramidenflächen und denen der vertikalen Zone.
Neben den Krystallen fanden sich in der Grube auch Spaltungsflächen an einigen Stücken, die wohl beim Graben des Thones durch die Geräte der Arbeiter zer- schlagen waren. Auch diese waren mit Aetzungsfiguren bedeekt und wiesen einige Eigentümlichkeiten auf, die an den primären Krystallflächen nicht zu beobachten waren. Diese Spaltstücke sind grösser als die bisher beschriebenen einfachen Krystalle und weichen auch in der Form dadurch ab, dass sie nicht wie jene nach der c-Axe, sondern nach der a-Axe gestreckt sind. Bemerkenswert ist an ihnen, dass von den Seiten der Aetzfiguren aus sehr schmale, gerade Rinnen ausgehen, die immer feiner werdend und in eine zarte Spitze endigend, die Umrisse für spätere Aetzver- tiefungen bilden. Diejenigen, welche parallel den Prismen- kanten verlaufen, sind häufiger und länger als die, welche den Kanten der negativen Pyramide gleich gerichtet sind.
Ferner ist auf diesen Spaltflächen die Erscheinung wahrzunehmen, dass zwischen den beiden spitzen Ecken des Klinopinakoids eine Linie verläuft, die aus vielen kleinen, dieht aneinander gedrängten Aetzfiguren besteht.
Die Zwillingskrystalle zeigten ganz auffällige, durch die chemische Korrosion hervorgerufene Formveränderungen, deren Bildung teils schon in der primären Lagerstätte, im
1) Mohs, Grundriss der Mineralogie. II. Teil. 1824.
272 Dr. Frırz WiıEGers, [6]
Thon selbst begonnen haben mag, teils erst seit dem Heraus- holen aus demselben und dem Liegen an der Oberfläche vor sich gegangen ist. Dass bei dem Liegen zu Tage starke Aetzungen eingetreten sind — es war eine längere Regenzeit voraufgegangen — ist ja auch durch die zuletzt erwähnten, mit zahlreichen Vertiefungen bedeckten Spaltungsstücke er- wiesen.
Diese Zwillinge (nach © P &) erreichen die Länge von 10 em; sie sind stets nur an dem einen Ende der c-Axe frei ausgebildet, während sie an dem anderen ab- gebrochen sind. Es ist demnach entweder anzunehmen, dass sie vollkommene Durchkreuzungszwillinge bildeten, wie es die schon erwähnte Abbildung KLIENn’s zeigt, oder dass sie zu mehreren zu Gruppen zusammengewachsen waren. Es selang mir leider nicht, eine solehe Gruppe aufzufinden, und die bei der Ausgrabung des Thones ausgelesenen Stücke waren sämtlich zerbrochen, da ja erklärlicherweise eine der- artige Krystallgruppe von vielleicht 20—830 em Durchmesser “nur mit grosser Sorgfalt unversehrt gewonnen werden kann. Ist aber die Annahme richtig, so wäre dieses Vorkommen sehr interessant, da Krystallgruppen einfacher Individuen zwar häufig genug sind, solehe von Zwillingskrystallen aber bis dahin in der Natur unbekannt geblieben sein dürften.
Es treten hier nun dieselben Aetzungserscheinungen auf, wie an den einfachen Krystallen, nur noch in stärkerem Masse und darum auch mit grösserer Wirkung, die sich be- sonders in der Bildung der positiven Pyramidenflächen seltend macht und zu den auf Tafel IV abgebildeten selt- samen Deformationen geführt hat. Fig.1 (Taf. IV) stellt einen Zwillingskrystall dar, bei dem die Zwillingsform noch vollkommen erhalten und die Bildung der Zone Px erst im Anfangsstadium ist; in Fig. 2 (Taf. IV) ist sie bereits stärker vorgeschritten und der einspringende Winkel zwischen den negativen Pyramidenflächen ist dem Verschwinden nahe. In Fig. 3 ist er bereits völlig verschwunden, und wir haben als obere Begrenzung eine schwach gewölbte Fläche. Nun aber schreitet die Auflösung weiter und Fig. 4, die in b das Original etwas vergrössert darstellt, zeigt uns das Endglied der Reihe: aus dem Schwalbenschwanz ist ein finger-
[7] Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. 273
förmiger Zwillingskrystall geworden, der keine scharfen primären Kanten mehr aufweist, auf allen Flächen der Hauptzone mit Aetzfiguren und Aetzhügeln bedeckt ist und mit zunehmender Verjüngung nach oben in eine Spitze ausläuft.
2. Die Einschlüsse.
Die einfachen Krystalle sind meistens, wie schon er- wähnt, frei von Einschlüssen; nicht aber die Zwillings- krystalle.. Wie aus den Abbildungen auf Taf. IV ersichtlich ist, läuft in der Mitte, im Innern, in der Richtung der c-Axe ein Streifen von grünem Thon, von dem aus regelmässig in verschiedenen Abständen nach beiden Seiten Thonstreifen sich abzweigen, die auf den Flächen der negativen Pyramide liegen. Diese Streifen, die man mit den Jahresringen der Bäume vergleichen könnte, bedeuten sehr wahrscheinlich den jeweiligen Anfang einer neuen Periode des Weiter- wachsens nach voraufgegangenem Stillstand.
Der Thon ist reich an Schwefelkies, der sich bei Gegen- wart von Wasser zu Eisenvitriol oxydiert; es ist bekannt, dass letzteres seinerseits durch Einwirkung auf das in Lösung vorhandene Caleiumkarbonat zur Bildung von wasserhaltigem schwefelsauren Caleium, von Gyps, führt. Nun ist die Menge des im Thon vorhandenen Wassers unbedingt, da derselbe wenigstens in seinen oberen Schichten, die hier in Betracht kommen, über dem Grundwasser liest, von dem atmosphä- rischen Wasser abhängig, und es werden daher in trockenen Zeiten die chemischen Vorgänge gering sein oder ganz auf- hören, in nassen Zeiten dagegen stark zunehmen.
Ich glaube annehmen zu dürfen, dass sich die kleineren, einschlussfreien einfachen Krystalle, sowie die einschluss- freien Teile der Zwillingskrystalle in einer Zeit gleich- mässiger, geringer Feuchtigkeit und gleichmässiger Zufuhr von Gypslösung gebildet haben, dass dagegen nach längeren Regenzeiten plötzlich eine viel grössere Stoffzufuhr möglich und infolgedessen ein rascheres Wachstum bedingt wurde, wobei, da der Krystall an den Kanten schnell wuchs, auf den Flächen die Thonsubstanz eingeschlossen wurde, die
bei langsamem Wachsen bei Seite gedrängt wurde. Durch Zeitschrift f. Naturwiss. Bd, 73, 1900. 18
pP Aa F > = 274 Dr. F. Wırgers, Ueber Aetzungserscheinungen an Gyps. |8]
diese Einschlüsse zeigt sich aber auch, dass wir keinen ein- fachen, sondern einen zusammengesetzten Zwilling vor uns haben, der aus mehreren kurzprismatischen Einzelzwillingen besteht, und damit macht sich die Aehnlichkeit mit dem von KLırn abgebildeten Zwilling geltend, die noch durch die Thatsache erhöht wird, dass auch an den natürlichen Stücken stufenweise Verjüngung (Taf. IV Fig. 3 zeigt sie schwach) auftritt.
An Fig. 3 und 4 auf Taf. IV ist zu sehen, dass die nega- tive Pyramide nieht allein, sondern in Kombination mit einer anderen Fläche auftritt, die mit der Prismenkante einen Winkel von 80—81° mit dem Anlege-Goniometer gemessen ergab und demnach wohl der Basis entsprieht. Die Kom- binationskante ist nieht scharf, sondern stark gerundet, viel- leieht infolge des’ Vorhandenseins vizinaler Flächen.
Ausser dem Thon sind vereinzelt auch kleine Schwefel- kiesknollen von dem Gyps umschlossen.
Veber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg
Dr. J. Fahrenhorst.
Die nähere Umgebung von Magdeburg ist recht mineral- arın, und nur wenige Orte sind es überhaupt, die als Fund- stellen in Frage kommen. In erster Linie gehören hierher die Steinbrüche der Kulmgrauwacke, welche schöne Krystalle von Scehwefelkies, Kalkspath, Eisenglanz und anderes mehr geliefert haben und wohl noch heute liefern.
Eines der bemerkenswertesten Mineralvorkommen nun fand sieh vor einigen Jahren in der Grauwacke von Eben- dorf, ungefähr 5 km nordwestlich von Magdeburg, wo gut ausgebildete Krystalle von Braunspath vergesellschaftet mit Caleit, Baryt, Pyrit und Kupferkies Spalten der Grauwacke ausfüllten.
Da eine Beschreibung dieses Vorkommens nicht vorzu- liegen scheint, dasselbe aber immerhin ein lokales Interesse beanspruchen dürfte, so mögen die schon vor längerer Zeit von mir gemachten Funde hier etwas eingehender besprochen werden.
In unmittelbarer Nähe von Ebendorf befinden sich drei Steinbrüche: zwei rechts der Chaussee Neustadt-Neu- haldensleben am Anfange des Dorfes, und einer am Ende des Dorfes links derselben. In dem letzteren Bruche nun ist die Grauwacke von Spalten durchzogen, die auf beiden Seiten mit Dolomit ausgekleidet sind. Die Krystalle sitzen zum Teil direkt auf dem Gestein, meist aber sind sie von ihm durch eine dieke Schicht späthigen Dolomits getrennt.
18*
276 Dr. J. FAHRENHORST, [2]
Das schönste Vorkommen fand sich an der direkt unter dem Inspektorhause liegenden Wand des Bruches.
Die Krystalle zeigen nur das Grundrhomboäder, bei Spaltungsstücken wurde der Winkel zu 106° 10° gemessen (Mittel aus 6 Ablesungen). Die Kantenlänge beträgt in der Regel 0,5 bis 1 cm, steigt aber gelegentlich bis 1,5 em. Die Krystalle sind meist von frischem Aussehen, fast farblos, durchscheinend und von lebhaftem Glasglanz, zuweilen aber auch gelblich: und matt infolge beginnender Verwitterung. Völlig regelmässige Ausbildung ist nieht allzu häufig. Viel- mehr sind infolge paralleler Verwachsung mehrerer Indi- viduen die Kanten oft treppenartig eingekerbt, und die Flächen weisen Erhöhungen und Vertiefungen auf. Auch eine Krümmung der Flächen ist nicht selten zu beobachten, jedoch kommt der am Braunspath so häufige sattelförmige Habitus an den Krystallen dieses Bruches nicht vor.
Das Material zur Analyse wurde den frischesten Kry- stallen entnommen.
Beim Lösen des Pulvers in verdünnter Chlorwasserstoff- säure blieb stets eine geringe Menge Quarz zurück, der in den Krystallen eingeschlossen ist. Die Trennung des Eisens und Mangans von Caleium und Magnesium wurde durch zweimalige Fällung mit Schwefelammonium, die des Eisens von Mangan durch einmalige Fällung mit Natriumacetat bewirkt. Die Fällung des Caleiums wurde wiederholt, da bei Anwesenheit grösserer Mengen von Magnesium dieses leicht in den Niederschlag eingeht. Die Kohlensäure habe ich aus der Differenz bestimmt. Im übrigen wurden die sebräuchlichen Methoden angewandt.
Die mit 1,0012 gr ausgeführte Analyse ergab: 310; 0,16%
CaO 28,69 „ Fe0 14,01 „ Ms:0O 11,95 „ MnO 0,86 „
Die Zusammensetzung des Dolomits berechnet sich also nach Abzug der Kieselsäure zu:
[3] Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg. 277
CaCO, 51,2% FeC0, 22,60 „ MsC0O,;, 25,14 „ MnCO; 1A, 100,47 %o @a.00,:(Ms, Ee,.Mn) €0, — 12T. Fe:Mg —= 3:2.
Das spezifische Gewieht betrug 2,96 bei 21°.
Es liegt also demnach ein normaler Braunspath mit relativ hohem Gehalt an Ferrokarbonat vor.
Obwohl ich oft auch in den übrigen bei Ebendorf liegenden Steinbrüchen gesucht habe, gelang es mir nieht dort ein ähnliches Vorkommen anstehend zu finden. Dass aber der Braunspath nicht auf den einen Bruch beschränkt ist, beweist ein Fund, den ich in dem alten, rechts der Chaussee gelegenen und durch seine hohe baumbewachsene Halde kenntlichen Steinbruch machte. Im Schutt der Halde fanden sich nämlich einige Stücke mit kleinen bis zu 4 mm grossen perlmutterglänzenden Rhomboedern, welche sehr schön die am Braunspath so häufige sattelförmige Krümmung der Flächen aufweisen. Die Krystalle sitzen auf späthigem Dolomit und sind mit winzigen Krystallen von Schwefelkies übersät, der auch als Einschluss auftritt.
Infolgedessen bot die Gewinnung reinen Analysen- materials einige Schwierigkeiten, doch gelang es, mit Hilfe der Lupe solches zu erhalten.
Die mit 1,1208 gr ausgeführte Analyse ergab eine von dem Vorkommen des erst beschriebenen Bruches etwas ab- weichende Zusammensetzung.
SiO, 0,08%
Ca0O 3195 „ FeO 10,71 , MsO 10,553 „ MnO 237 „
Nach Abzug der Kieselsäure ergiebt sich als Zusammen- setzung:
278 Dr. J. FAHRENHORST, [4]
CaCO, 57149, FeC0, 1729 „ M&CO, 22,15 „ MnCO,; 3,86 „ 100,44 9),
Ca00;: (Mg, Fe, Mn) CO, — 4:3. Ke:Me’— 4:3,
Sieht man CaCO; : (Mg, Fe, Mn) CO, = 1:1 als das normale Verhältnis an, so ist hier ein immerhin nicht un- beträchtlicher Ueberschuss an CaCO, vorhanden. Nach NAUMANN kann man dies dadurch erklären, dass dem Braun- spath etwas Caleit beigemengt ist.
Wie schon erwähnt, finden sich mit dem Dolomit ver- gesellschaftet in Ebendorf noch Kalkspath, Schwerspath, Kupferkies und Eisenkies.
Der Caleit überkrustet in der Regel den Braunspath, doch finden sich andererseits auch auf ihm Dolomitkrystalle aufsitzend, so dass der Absatz wohl ein gleichzeitiger resp. in abwechselnden Perioden erfolgter ist. Der Kalkspath zeist nur die Form — 1/, R mit untergeordnetem und zum Teil fast ganz zurücktretendem x R. Die Farbe ist rein weiss bis hellgelb, die Grösse der Individuen beträgt bis zu 14mm. Ein eigentümliches Aussehen erhalten die Kry- stalle dadurch, dass sie keine glatten Flächen aufweisen, sondern aus unzähligen Subindividuen zusammengesetzt er- scheinen, die eine rauhe drusige Oberfläche bedingen. Es macht den Eindruck, als ob sie einer Aetzung unterworfen gewesen wären. So sind auch die Flächen des Prismas fast stets gerundet.
Der Schwerspath ist ein in Ebendorf nicht seltenes Mineral, war mir aber bisher nur in derben Massen bekannt, die hier und da die Grauwacke durchsetzen. Im Dolomit eingewachsen finden sich nun auch fast farblose Krystalle von beträchtlieher Grösse (bis zu 3 em). Da an den mir vorliegenden Stücken die Individuen rings von Dolomit um- schlossen und von Caleit überkrustet sind, die Ausbildung auch recht unvollkommen ist, habe ich die Krystallform nicht bestimmen können,
[5] Ueber ein Vorkommen von Dolomit bei Magdeburg. 279
Im Braunspath eingewachsen findet sich Kupferkies in kleinen Partien, der an einem Stück auch in grösseren Krystallen von 4 mm Länge auftritt. Eine Bestimmung der Form ist auch hier leider nieht möglich, da die Krystalle aus Subindividuen zusammengesetzt erscheinen, und die Flächen gewölbt, die Kanten gerundet sind. Man könnte auch hier wieder an eine Aetzung denken. Nur die von Caleit bedeekten Krystallflächen erscheinen nach Entfernung des ersteren glatt und frisch. Der Habitus wird dem An-
schein nach dureh die Formen u und 2 s 2 bestimmt.
Die bis zu 2 mm grossen, ausserordentlich scharf aus- gebildeten Krystalle des Pyrits zeigen Würfel und Oktaöder im Gleichgewicht. Auch Penetrationszwillinge nach einer Fläche des Oktaöders kommen vor. Diese Krystallform ist meines Wissens für Magdeburg neu, denn die bekannten Schwefelkieskrystalle von Gommern weisen nur die Formen
0)
00 0 und | 9
Der Pyrit sitzt ausnahmslos auf den Braunspathrhomboädern und zeigt meist lebhafte Anlauffarben.
| für sieh oder ın Kombination auf.
Kleinere Mitteilungen.
Physik und Chemie,
Die Riechstoffe aus der Gruppe der Alkohole und Ester. Wir haben im vorigen Hefte (S. 119) die wichtigsten Riechstoffe aus der Gruppe der Aldehyde aufgeführt und lassen heute diejenigen aus der Gruppe der Alkohole und Ester folgen.
Wir nennen zuerst diejenigen Substanzen in der ali- phatischen Reihe, welche als „Fruchtessenzen“ bezeichnet werden und ausgedehnte Anwendung finden in der Limonade-, Liqueur- und Konfiturenfabrikation. Es sind dies haupt- sächlich der als „Rumessenz“ bezeichnete Ameisensäure- äthylester, der unter dem Namen „Ananasäther“ ein Handels- produkt bildende Buttersäureäthylester und die Amylester der Essigsäure und Isovaleriansäure, welche als „Birnen- essenz“ und „Apfelessenz“ im Handel sind. Durch Mischen dieser Ester und Zusätze von Amylalkohol, Chloroform, Sal- petersäureäther, Aldehyd lässt sich auch das Aroma anderer Früchte wie der Erdbeeren, der Aprikosen täuschend nach- ahmen. Ob die Früchte thatsächlich jenen Estern, welche nach ihnen benannt sind, ihr Aroma verdanken, darüber ist niehts bekannt. Nur das Weinöl, auch Cognaköl oder Drusenöl genannt, welches man durch Destillation des Weines oder besser der Weinhefe erhält, ist Gegenstand wieder- holter Untersuehung gewesen. LieBIG hielt dies Oel für den Aethylester der Oenanthsäure; die durch Verseifung zu gewinnende Säure stellte sich indessen später als ein Gemenge verschiedener Fettsäuren, hauptsächlich Capryl- säure und Caprinsäure, heraus, welche im Cognaköl mit
- Kleinere Mitteilungen. 281
Aethyl- und Isoamylalkohol verbunden sind. Künstlich wird das Cognaköl dargestellt durch Veresterung der im Kokos- fett enthaltenen Säuren.
Auf dem Gebiete der künstlichen Fruchtessenzen ist übrigens ebenso wie auf dem Gesamtgebiete der Herstellung und Mischung von Riechstoffen eine ängstliche Geheimhal- tung üblich und manche Arbeit, welche wertvolle Beiträge zu unserer Kenntnis von Naturprodukten liefern würde, wird nieht veröffentlicht, um das Gefundene unter dem Schleier des Geheimnisses besser ausnutzen zu können. So soll auch das in hoher Sehätzung stehende Aroma der Himbeere Ein- geweihten bekannt sein, synthetisch hergestellt und in er- heblieher Menge nach Frankreich exportiert werden — zur Fabrikation von Bordeauxwein.
Von den ungesättigten Alkoholen hat das Rhodinol (Geraniol) viel Interesse gefunden, da es einen wesentlichen Bestandteil wichtiger ätherischer Oele, wie des Rosenöles und des Geraniumöles bildet. Auch das Zitronellöl besteht etwa zur Hälfte aus Rhodinol.!) Seine nicht ganz einfache Konstitution ist von F. TiEMAnN und SEMMLER?) festgestellt worden. Das Rhodinol gehört heutzutage zu den eingehend uutersuchten Verbindungen und lässt sich auch leieht iden- tifizieren, da wir jetzt gut krystallisierende Derivate des- selben kennen, wie seine Diphenylurethanverbindung,°) das Silbersalz des sauren Phtalsäureester,!) den Opiansäureester’) des Rhodinols. Indessen sind an diesen Alkohol, welcher 80 °%/, des Rosenöles ausmacht, als Riechstoff anfänglich Er- wartungen geknüpft worden, die sich nieht erfüllt haben. Reines Rhodinol ist ein ziemlich “fade riechendes, an der Luft sieh leicht veränderndes Oel; der süsse Honiggeruch des Rosenöles rührt von anderen Stoffen her, welche wir noch nicht kennen.
1) Darstellung des Handelsgeraniols daraus nach Schimmel & Co. D.R.P. Nr. 76435.
2) Berichte 28, 2132.
3) Journal für praktische Chemie (I), 53, 45; 56, 8. #) Journal für praktische Chemie, 56, 17.
5) Berichte 31, 358.
282 Kleinere Mitteilungen.
Wiehtiger als Geruchsstoff ist das Linalool, ein tertiärer, dem Rhodinol sehr ähnlich konstituierter Alkohol, welcher einen maiblumenartigen Geruch besitzt. Er spielt ebenso wie sein mit ausgesprochenem Bergamottgeruch ausgestatteter Essigsäureester, das Linalylacetat, eine bedeutsame Rolle in den ätherischen Oelen und in der Parfumerie. Linalool ist ein Hauptbestandteil des künstlichen Maiglöckehenextraktes oder „Extrait Muguet“ (neben Ylang-Ylang). In der Natur kommt es in, zwei verschiedenen optisch aktiven Formen vor, gewöhnlich zusammen mit Linalylacetat, wie im Berga- mottöl, im Lavendel- und im Orangenblütenöl.
: Unter den eyklischen Verbindungen dieser Gruppe findet sich in der Tabelle zuerst der Furfuralkohol aufgeführt. Derselbe bildet, wie ich feststellen konnte, einen erheblichen Bestandteil des ätherischen Kaffeeöles. Man erhält letzteres durch Destillation grösserer Mengen gebrannten Kaffees mit Wasserdampf und Ausschütteln des Destillates mit Aether. Fast 50°/, des so dargestellten, von organischer Säure be- freiten Oeles bestehen aus Furfuralkohol, dessen Geruch indessen nur schwach und für den allbekannten Kaffee- geruch nicht von wesentlicher Bedeutung ist; wohl aber kommt dieser Bestandteil für die physiologische Wirkung des Kaffees in Betracht.
Der Terpenreihe gehören von eyklischen Alkoholen an das Borneol, Terpineol, Menthol und Eucalyptol.
Borneol ist bekanntlich ein in der Natur weit ver- breiteter Kampfer, dessen Formel zwei Wasserstoffatome mehr aufweist als der gewöhnliche Laurineenkampfer. Er lässt sich thatsächlieh auch durch Reduktion des letzteren erhalten. Die beiden Kampferarten stehen zueinander in dem Verhältnis eines Alkohols zu einem Keton. — Die Ester des Borneols mit Essigsäure und Valeriansäure sind die Träger des Tannen- und Fichtennadelgeruches unserer Wälder.
Das Terpineol, welches sich künstlich aus Terpin- hydrat oder aus Pinen durch Einwirkung von Säuren her- stellen lässt, wird wegen seines angenehmen fliederartigen Geruches ebenfalls in der Parfumerie verwandt. Das flüssige Terpineol, welches wahrscheinlich aus mehreren Isomeren
- Kleinere Mitteilungen. 283 besteht, ist hierzu geeigneter als das einheitliche feste (Schmelzpunkt 35°), welches weniger fein und weniger in- tensiv riecht. Letzteres findet sich in der Natur in optisch inaktivem und aktivem Zustande.
Grössere praktische Bedeutung hat das Menthol, der bekannte Riechstoff des Pfefferminzöles. Die Pfefferminzöl erzeugenden Länder sind hauptsächlich Amerika (Staat New-York und Michigan), Japan und England (Mitcham- distrikte). Die nordamerikanische Produktion erreichte 1897 einen Höchstbetrag von 114000 kg, die japanische 1896 einen solehen von 135000 kg; das englische „Mitchamöl“, dessen Produktion schätzungsweise auf 9000 kg angegeben wird, gilt im Handel als die feinste Marke. Unter normalen Verhältnissen wird die jährliche Gesamtproduktion an Pfeffer- minzöl auf 175000 kg geschätzt im Werte von etwa 2!/, Mill. Mark. Ausser einer Anzahl anderer, weniger wesentlicher Bestandteile!) enthält das Pfefferminzöl 55 bis 900%), Menthol, zum grössten Teil im freien Zustande, zu einem kleineren im veresterten. Das Menthol findet infolge seiner desinfi- zierenden Eigenschaften arzneiliche Verwendung. Solche hat auch das Euealyptol oder Cineol, durch dessen energisch antiseptische Wirkung bei 0,5%, Gehalt bereits die Hefe- gährung sistiert wird. Infolge dieser Eigenschaft und wegen seines angenehm erfrischenden kampferartigen Geruches ist das Eucalyptol besonders beliebt als Zusatz zu Mundwassern und Zahnpulvern. Im chemischen Sinne gehört es genau genommen nicht zur Klasse der Alkohole, sondern zu den Aethern, sein Sauerstoff ist in ätherische Weise gebunden. — Das Eucalyptol findet sich zu etwa 60°/, in dem afrika- nischen Eucalyptusöl, welches aus den Blättern von Euca- Iyptus globulus in Algier destilliert wird; eine zweite Handelssorte ist das australische Eucalyptusöl, welches in Viktoria, in Südaustralien und in Queensland in grossen Mengen gewonnen wird. |
Als charakteristischen Riechstoff des Perubalsams hat H. Tuoms?) unlängst einen Alkohol aufgefunden, welchem
) Siehe Power und Kleber, Ueber die Bestandteile des ameri-
kanischen Pfefferminzöles. Arch. Pharm. 232, 639. 2) Arch. Pharm. 237, 271.
284 Kleinere Mitteilungen.
er die Benennung Peruviol und die Formel C,H,O erteilt. Sollte diese Formel sich bestätigen, so wäre die Vermutung nieht unbegründet, dass jener Alkohol vielleicht in einer näheren Beziehung zu dem Jonon stünde. Dass der Peru- balsam, nachdem ihm durch Behandlung mit Aetzalkali alle sauren Bestandteile entzogen sind, ausser Benzo&säurebenzyl- ester, Zimmtsäurebenzylester und etwas Vanillin noch einen verhältnismässig niedrig siedenden, riechenden Bestandteil enthält, welcher für das Perubalsamöl (sog. „Cinnamein“) charakteristisch ist, kann ich aus eigener Untersuchung be- stätigen. Die genannten Ester des Benzylalkohols sind in reinem Zustande fast geruchlos.. Auch reiner Benzyl- alkohol riecht nur schwach, während sein Acetat inten- siven Fruchtgeruch besitzt. Letztgenannter Ester bildet zu- sammen mit dem freien Benzylalkohol einen wesentlichen Bestandteil des Jasminblütenöles.
Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Geichzeitige Gewinnung von Stärke und Kleberteig. Die Gewinnung und Reirisung der Stärke beruht bekannt- lieh auf ihrem (1,5 und mehr betragenden) spezifischen Gewichte, vermöge dessen sie sich bei den von Alters her bis auf den heutigen Tag in den Stärkefabriken üblichen Schlamm- und Sedimentierverfahren aus der Stärkemilch
zuerst absetzt — daher auch der alte Name Satzmehl —, während die spezifisch leichteren Begleitsubstanzen — Ei- weiss, Cellulose ete. — später nachfolgend sich auf die
Stärke auflagern und so von dieser mechanisch getrennt werden können.
In derselben durch ihr verschiedenes spezifisches Ge- wieht bedingten Reihenfolge, aber weit rascher und voll- kommener, lagern sich die in der rohen Stärkemilch suspen- dierten Stoffe unter dem Einflusse der Zentrifugalkraft ab, wobei die Stärke, in sich wiederum in eine gross- und kleinkörnige Zone geschieden, die äusserste Randschicht bildet.
Gestützt auf diese der Rohstärke-Zentrifuge zu Grunde liegende Thatsache, machte bereits vor etwa 30 Jahren
. Kleinere Mitteilungen. 285
A. FescA!) den Vorschlag zu einer neuen Methode der Stärkefabrikation durch einfaches Zentrifugieren, wonach ein aus Weizenmehl und Wasser bereiteter dünner Brei mittelst der Rohstärkezentrifuge direkt in Rohstärke und Kleberbrei zerlegt wird. Erstere enthält noch ein wenig Kleie und Kleber und wird in der üblichen Weise weiter gereinigt; letzterer besteht aus der Hauptmenge des Klebers, der sog. Kleberstärke, einschliesslich aller übrigen, in die Rohstärke nicht übergegangenen Mehlbestandteile, und liefert nach Fesca (a. a. ©. S. 301) mit Mehl vermischt und getrocknet ein schönes gelbes Klebermehl oder ver- kleistert ein vortreffliches Viehfutter.
Die grossen wirtschaftlichen Vorzüge dieses Verfahrens, bei welchem nur ein kleiner in die Rohstärke übergehender Teil der physiologisch wertvollen Weizenbestandteile in Verlust gerät, gegenüber den alten Gährungsmethoden, sind offensichtlich, gleichwohl hat es eine irgend nennenswerte praktische Bedeutung nicht erlangt, sei es, dass die Trennung von Rohstärke und Kleberbrei nieht mit genügender Schärfe sich vollzog, sei es, dass der Kleberbrei seiner dünnflüssigen Beschaffenheit wegen oder aus anderen Gründen damals keine vorteilhafte Verwendung finden konnte.
Neuerdings ist nun der an sich gute FescA’sche Ge- danke wieder aufgenommen und technisch weiter durch- gearbeitet worden zu einem Verfahren,?) welches die Stärkefabrikation in: naturgemässe engste Beziehung zum Bäckereigewerbe bringt, derart, dass bei der Stärke- fabrikation aus Weizenmehl ein für die Bäckerei unmittel- bar verwertbarer Kleberteig erhalten oder umgekehrt bei dem Bäckereibetriebe als Nebenprodukt Stärke gewonnen werden kann.
Das in Rede stehende Krır’sche Verfahren ist nach der Patentbeschreibung folgendes: Man verrührt das Mehl
») L. von Wagner, Die Stärkefabrikation in Verbindung mit der Dextrin- und Traubenzuckerfabrikation. Braunschweig 1876. $. 293.
2) Verfahren zur Trennung der Stärke und des Klebers von Ge- treide und Leguminosen unter Gewinnung eines nährkräftigen Teiges für Bäckereizwecke u. dgl. von Julius Keilin Hallea.S. D.R.P. Nr. 102465.
286 Kleinere Mitteilungen.
in bekannter Weise mit Wasser, welches 0,2°/, Kaleium- oxydhydrat gelöst enthält, und bringt die Mischung in einen Kessel, in welchem sich ein Rühr- und Knetwerk befindet. Dieses besteht aus einem an einer vertikalen Welle be- festigten Systeme von miteinander verbundenen Schaufeln und Rührern und trägt oben einen tellerförmigen Ansatz, welcher das weitere Aufsteigen der Teigmasse verhindert. In diesem Kessel, dessen Rührwerk sich mit steigender Geschwindigkeit dreht, wird die Beschiekung (20—50 kg) innerhalb 30—45 Minuten durchgearbeitet und bildet dann eine salbenartige, diekflüssige Masse.
Diese wird nun durch einen am Boden angebrachten Hahn in eine Zentrifuge — Rohstärkezentrifuge — abge- lassen und geschleudert, wobei die Stärke sich vom Kleber- teige trennt, der im Innern der Trommel verbleibt, während die Stärke sich an den Wandungen im festen Zustande ab- lagert. An Stelle des Wassers kann zum Einteigen des Mehles, wenn die Art des Gebäckes dies zweckmässig er- scheinen lässt, auch Milch genommen werden, in welchem Falle der Nährwert des Kleberteiges noch durch die Nähr- stoffe der Milch erhöht wird.
Der geringe Zusatz von Kaleiumoxydhydrat ist für die Verwendung des Kleberteiges zu menschlichen Genuss- zwecken ganz unbedenklich, technisch aber insofern von Bedeutung, als er die Trennung des Klebers von der Stärke begünstigt.
Die Patentansprüche lauten: 1. Verfahren zur Gewinnung von Stärke und Kleber aus Cerealien und Leguminosen, gekennzeichnet durch einen Zusatz von Kaleiumoxydhydrat zu dem mit Wasser oder Milch in Breiform übergeführten Material, wonach das Gemisch bis zur teigartigen Kon- sistenz in einem Rührwerk bearbeitet und zentrifugiert wird. 2. Apparat zur Ausübung des unter 1. genannten Verfahrens, gekennzeichnet durch ein an einer vertikalen Welle ange- ordnetes Rührwerk und einen an dieser Welle angebrachten tellerförmigen Ansatz.
Die Vorteile dieses Verfahrens liegen in der schnellen, leiehten und vollständigen Ausscheidung der Stärke, in dem Erhalten sämtlicher, auch der leicht lösliehen Nährstoffe im
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Kleber, in seiner konsistenten Form, welche ihn als Zusatz zu menschlichen Nahrungsmitteln ohne weiteres geeignet macht und in der hierdurch bewirkten volkswirtschaftlich wichtigen Verwertung von bis jetzt verloren gehenden Stoffen.
Der Weizenstärkefabrikation ist von jeher, und gewiss nieht mit Unrecht, der Vorwurf gemacht worden, dass sie zu wenig Rücksicht auf den physiologisch wertvollsten Teil des Weizenkornes, das unter dem Sammelnamer „Kleber“ bekannte Gemenge verschiedener Eiweissstoffe, nimmt, indem sie sich darauf beschränkt, dieses Nebenprodukt, soweit es nicht überhaupt verloren geht, zu technischen Zwecken, sog. Scehusterpapp ete. oder als Viehfutter zu verwerten.
Bedenkt man andererseits, welche hochwichtige Rolle serade der Kleber bei der Herstellung von Teig- und Back- waren spielt, wie die Backfähigkeit des Mehles von seiner Menge und Beschaffenheit abhängt, und dass unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen dringendste Veranlassung vorhanden ist, mit den von der Natur ge- sebenen -bezw. landwirtschaftlich produzierten Nährstoffen möglichst ökonomisch umzugehen, so wird jeder Versuch, die Stärkefabrikation mit der Nahrungsmittelindustrie in engere Beziehung zu bringen, mit Interesse zu begrüssen sein.
Die Besichtigung einer von der Halleschen Firma F. A. HoLLmıe eingeriehteten provisorischen Anlage und die chemische Untersuchung der verwendeten Materialien und der erzielten Produkte ergab,!) dass das neue Verfahren die Erwartungen erfüllt, welche Fesca einst an seinen Vorschlag knüpfte, denn das Weizenmehl wird bei Ver- arbeitung nach Patent KrıL geradeauf geschieden in Roh- stärke und Kleberteig, welch letzterer unmittelbar verwert- bar ist und im getrockneten Zustande die Zusammensetzung eines der eiweissreichsten Leguminosenmehle besitzt, die bekanntlich vielfach zu allerlei Nährpräparaten verwendet werden. Der Verlust an Nährstoffen ist gering, der Ver- brauch an Wasser und dementsprechend die Abwässermenge
1) Ausführliche Angaben über diese Untersuchungen findet man in der Zeitschrift für angewandte Chemie. 1900. Heft 33.
288 Kleinere Mitteilungen.
im Vergleich zu den seitherigen Methoden der Stärkefabri- kation minimal.
Ein abschliessendes Urteil wird sich natürlich erst ab- geben lassen, wenn Betriebsergebnisse einer grösseren An- lage!) vorliegen werden, doch darf aus dem Betriebe der hiesigen kleinen provisorischen Einrichtung schon heute der Schluss gezogen werden, dass eine rationelle Verbindung zwischen Stärkefabrikation und Bäckereigewerbe thatsäch- lich praktisch ausführbar ist und das FescA -Keır’sche Zentrifugalverfahren mithin einen wesentlichen Fortschritt, nieht nur der Stärkefabrikation, sondern auch des Bäckerei- sewerbes, bedeutet.
In welches Verhältnis beide zu einander treten, hängt selbstverständlich von lokalen Verhältnissen ab. An Orten mit Weizenstärkeindustrie würde diese den als wertvolles Nebenprodukt gewonnenen Kleberteig an die einzelnen Bäckereien abgeben, wogegen in Städten mit grossen oder zahlreichen kleineren Bäckereibetrieben die in diesen neben- bei gewonnene Rohstärke in einer (gemeinschaftliehen) Stärke- raffinerie zu verarbeiten wäre.
Von einer zweckmässigen Verbindung zwischen Weizen- stärkefabrikation und Bäckereigewerbe würden nicht nur die Beteiligten, sondern auch die Allgemeinheit Nutzen
haben. Prof. Dr. Baumert, Ver.-Sitz., 28. Juli 00.
Mineralogie und Geologie.
Ueber Thüringer Meteoriten. Unter Meteoriten (eigentlich Erscheinungen in der Höhe) verstehen wir Stein- oder Metallmassen, welche aus dem Himmelsraume durch die Atmosphäre auf unsere Erdoberfläche niederfallen. Diese Erscheinungen sind den Kulturvölkern schon seit undenk- lichen Zeiten bekannt, und man findet sichere Aufzeich- nungen über solche Beobachtungen in verhältnismässig sehr frühen Zeiten sowohl bei den Völkern Asiens wie Europas;
!) Eine solche ist in Dresden bereits im Bau.
- Kleinere Mitteilungen. 289
so bei den Chinesen, welche seit 2600 Jahren die sorg- fältigsten Aufzeichnungen über Meteore mit genauen An- gaben der Zeit und der Nebenumstände führen, so bei den Römern, deren Nachrichten ebenso weit hinaufgehen und endlich bei den Griechen, welche über Steinfälle vor 3000 Jahren berichten. Es ist nicht wunderbar, dass diese Vor- gänge den Geist der Völker beschäftigten, und wir finden demgemäss, dass manche dieser vom Jenseits zu uns ge- kommenen Massen Gegenstand der göttlichen Verehrung wurden; so im Altertum das Ancile des Numa Pompilius in Rom, so der schwarze Meteorit der Kaaba in Mekka, der noch jetzt von den muhamedanischen Pilgern geküsst wird, so die interessanten Meteoriten, welche von den prä- kolumbischen Indianern der Vereinigten Staaten von Nord- amerika verehrt wurden; ja sogar in der Christenheit hat der Fall solcher Steine zur Anlage von Gotteshäusern Ver- anlassung gegeben. Manche Meteoriten treffen unsere Erde unter so flachem Winkel, dass sie abprallen und wieder gen Himmel auffliegen; so fiel im vorigen Jahrzehnt in China ein Meteorit in ein Reisfeld ein, um hier abprallend wieder segen den Himmel aufzusteigen und in weiter Ferne in das Meer zu fallen. Aehnlich ging es wahrscheinlich im Mittel- alter einem Meteor, welcher in der Stadt Halle die Höhe des Saalufers in der Nähe des botanischen Gartens traf und dort abprallend wieder zum Himmel flog und wahr- scheinlich weit draussen in der sumpfigen Saalebene nieder- fiel; der fromme Glaube machte daraus eine goldene Egge, welche als ein Zeichen der göttlichen Huld für unsere Gegend vom Himmel gefallen und wieder gegen denselben aufgestiegen sei; an der Stelle des Falles gründete ein be- kannter Kirchenfürst das später durch die reichen Reliquien- schätze ausgezeichnete Kloster zum „Neuen Werk“, welches bald das reichste von ganz Sachsen wurde.
Es sind aber auch vier sicher verbürgte Fälle von. Meteoriten in unserem engeren Vaterlande bekannt; von diesen sind die von Kl. Wenden, Politz und Meuselbach Steine und einer, der in Tabarz niedergegangen war, ein Eisen.
Man unterscheidet nämlich Meteore aus Mineralien, wie
Zeitschriit f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 19
290 Kleinere Mitteilungen.
wir sie in unseren Felsarten vorfinden, und solche aus regulärem Eisen.
1. Der jüngste dieser Thüringer Meteorsteine, die alle aus Olivin, Bronzit, Niekeleisen und anderen neben- sächlichen Gemengteilen bestehen und immer kleine Chon- drite führen, ist der von Meuselbach bei Schwarzburg in Thüringen. An einem nebeligen Gewittertage, dem 19. Mai 1897, Abends 7 Uhr 45 Minuten, wurde eine starke, einem Donner- oder, Kanonenschlage ähnliche Detonation mit dar- auffolgendem periodischen Rollen vernommen, was einige Minuten anhielt. Dicht beim Orte sauste der Stein ungefähr 4m vom Kopfe eines auf dem Felde befindlichen Mädehens nieder; er hatte auf dem Ackerfelde ein ca. 20 em tiefes Loch in schräger Riehtung gemacht; beim Herausnehmen soll er noch warm gewesen sein, doch war dies nach 15 Minuten nicht mehr der Fall; das Herabfallen erfolgte aus NNO unter ea. 40%. Einige Beobachter wollen einen grünlichen Lichtschein während des Falles und nach dem- selben einen Geruch nach schwefeliger Säure wahrgenommen haben. Die Hauptmasse des Steines befindet sich in Rudol- stadt, eine Platte davon in Wien, kleine Teile in Jena und Halle a. S.
Die äussere Form des Steines von Meuselbach stellt ein ziemlich regelmässiges vierseitiges Prisma von den Kantenlängen 10><8><6!/, em dar, sein Gewicht betrug ea. 870 gr. Auf zwei benachbarten Seiten finden sich Fingernagel ähnliche Eindrücke; eine 0,3 mm dicke, pech- schwarze, z. T. gekörnte Rinde umgiebt den Stein.
Die innere Beschaffenheit des Steines ist feinkörnig krystallinisch, die Farbe der Körner hellgrau mit einem Stich ins Grüne; porphyrartig, doch wenig hervorstechend heben sich daraus Kügelehen (Chondrite) heraus; letztere sind zahlreich und z. T. ebenso wie das übrige gefärbt, z. T. dunkelgrau und schwarz; sie erreichen selten eine Grösse von 2,5 mm. Von Erzen sind vorhanden Nickeleisen, Schwefeleisen und Chromeisenerz; der Stein gehört zu den geaderten, krystallinischen Kügelehenchondriten.
Die Untersuchung im Mikroskop lehrt, dass neben Olivin und Bronzit (beides bekanntlich Verbindungen der Kieselerde
_ Kleinere Mitteilungen, 291
mit Eisenoxydul und Bittererde), Niekeleisen, Schwefeleisen, Chromeisen, ein farbloses und ein bräunliches Glas und ein unbestimmbares regulär krystallisierendes Mineral vorhanden ist. Der Olivin von heller bis grünlicher Farbe zeigt öfter seine Spaltbarkeit nach der Quer- und Längsfläche, selten aber gut ausgebildete, von deutlichen ebenen Flächen um- schlossene Formen; sind letztere vorhanden, so werden sie von jenen für die sogenannten „orientalischen“ Chrysolithe so charakteristischen Flächen umgeben, wo die Querfläche alle anderen überwiest; neben der Gradendfläche, der Längs- fläche, den Prismen und beiderseitigen Domen (dachartige Flächen) kommen Pyramiden vor; doch sind solche Kıy- stalle in den weniger gut ausgebildeten Krystallmassen selten, vielmehr sind gewöhnlich die Massen nur durch die umgebenden anderen Krystalle begrenzt. Sowohl in den Chondren als in dem Glase finden sich die orientalisch aus- gebildeten Krystalle In denselben finden sich in rundlichen oder lappigen Partien ein bräunliches Glas und Chromeisen. Die optischen Eigenschaften deuten vielfach darauf hin, dass die Krystalle einem starken Druck ausgesetzt gewesen sind.
Der Bronzit ist öfters nur sehr schwer von dem Olivin zu unterscheiden; vielfach ist man hier auf die chemisch grössere Widerstandsfähigkeit in Salzsäure angewiesen; er ist in einzelnen Fällen faserig und dann besser vom Olivin unterscheidbar, auch seine in Querschnitten siehtbare Spalt- barkeit nach dem Prisma eharakterisiert ihn. Vortragender konnte sich auf chemischem Wege von der Anwesenheit des Bronzits neben Olivin in diesem Vorkommen überzeugen; er behandelte Teile des Meteoriten mit Salzsäure, filtrierte die Lösung von dem Rückstande ab und wiederholte diese Operation mit viel Säure an einer sehr kleinen Menge Sub- stanz drei Mal. Nach Entfernung der Kieselsäure, welche durch Zersetzung des Olivins entstanden war, mittelst einer konzentrierten Lösung von kohlensaurem Natron auf dem Wasserbade zeigte der Rückstand deutliche grünliche Kry- stallkörner von ziemlich hohen Brechungsexponenten (höher als 1,54) und niedriger Doppelbrechung; entsprechend letzterer waren die Interferenzfarben der kleinen Körner grau und gelb I. Ordnung.
. 19:
299 Kleinere Mitteilungen,
Das farblose isotrope Glas bildet gleichsam den Grund- teig, in welchem die übrigen Bestandteile eingebettet liegen; ebenso wie die Rosinen im Kuchen, liegen Bronzit, Olivin, Niekel-, Schwefel- und Chromeisen in diesem farblosen Glase; es ist offenbar die Mutterlauge, aus welcher sich die übrigen Gemengteile zuerst ausgeschieden haben. Doch tritt die Menge des Glases den übrigen Gemengteilen gegenüber sehr stark zurück. Das Glas ist eine Verbindung von Kieselerde mit Thonerde und Kalk. Das Chromeisen kommt in winzigen Körnchen und Kryställchen vor. — Neben diesen Bestandteilen findet sich ein gelbliches Mineral mit Spalt- barkeit nach dem Rhombendodekaäder. Das andere bräun- liehe bis grünlich-braune Glas kommt nur in Olivin und Bronzit vor. Auch dieses ist wie der Bronzit in kochender Salzsäure nicht löslich. Der Meteorit ist aus feuerflüssigem Guss entstanden; es schied sich zuerst aus demselben aus der Chromeisenstein, dann folgte Olivin und Bronzit, sodann das Nickeleisen und das Schwefeleisen, dann das reguläre unbekannte Material, und zuletzt erstarrte das farblose Glas.
Die Chondren sind Anhäufungen der in Rede stehenden Mineralien zu einem z. T. eckigen, z. T. kugeligen, runden Gebilde; sie sind sehr mannigfach gebaut; vielfach besteht das Kügelchen aus Krystallstengelehen, gebildet von Olivin oder Bronzit, welehe radial von der Mitte ausstrahlen und zwischen ihnen sind die Zwischenräume erfüllt mit weissem Glase; andere haben zwischen den genannten Krystallen dunkle Anhäufungen von Chromeisen und dunklem Olivin, noch andere bestehen aus einem einzigen Olivinkrystalle, welcher aber bei seiner schnellen Krystallisation Massen weissen Glases oder Bronzits eingeschlossen hat; noch andere zeigen einen Olivinkrystall in der Mitte, von dessen Ecken langgestrekte Ausläufer desselben Stoffes in gleicher An- ordnung ausstrahlen, und zwischen welchen Einschlüsse anderer Minerale und Glas sich angesiedelt haben. Die Beobachtungen Lınck’s an den Meteoriten von Meuselbach zeigen, dass von tuffartigen Bildungen, als welche TscHERMAK diese Meteorite auffasste, nicht die Rede sein kann, dass vielmehr weiter nichts vorliegt als eine Ausscheidung von Chondren und Krystallen aus Schmelzfluss; allerdings ist
‚Kleinere Mitteilungen. - 293
später der Meteorit einem Drucke ausgesetzt gewesen, wie die an verschiedenen Stellen stattgefundene Auflockerung zeigt.
2. Zu den Chondriten gehört auch der Meteorit von Klein Wenden (Kreis Nordhausen. Am 16. September 1843, nachmittags gegen 43/, Uhr, waren die Ehefrau des Holzhauers Kaspar Schulze geb. Köthen aus genanntem Orte und der Webergeselle Heinrich Schwarzburger ebendaher Augenzeugen des Falles des krystallinischen Chon- driten. Sie waren in der Nähe der Domäne Münchenlohra auf dem Felde thätig, der Himmel war ganz hell, auch eine Gewitterschwüle nicht bemerkbar. Plötzlich vernahmen sie einen ausserordentlich starken Knall in der Luft, welchem nach etwa 2 Sekunden ein Gesause und zuletzt ein Geprassel folgte. Die erschreekten Leute hatten bemerkt, dass dabei etwas zur Erde gefallen war. Anfangs wagten sie sich nieht heran. Nach einer Weile gingen sie näher zum Fallort und fanden einen 13 em tief in die Erde eingedrungenen schwarzen Stein, der noch so heiss war, dass, als die Schulze darauf spukte, der Speichel ohne Zischen sofort verdampfte. Nach einiger Zeit griffen sie den Stein an, fanden ihn aber noch so warm, dass sie erst nach längerem Warten den- selben aufzunehmen wagten. Durch den Landrat von ByLA kam der Stein in die Hände von Direktor FiscHER und Oberlehrer Dr. Kürzıng, welehe denselben als Meteor er- kannten.
Sein Gewicht betrug 31/, Kilogr. Gegenwärtig befindet sich die Hauptmasse im Berliner Mineralogischen Museum 2508 g, aber auch die Museen in Kalkutta, Cleveland, Dorpat, Göttingen, Greifswald, London und Stockholm besitzen Teile davon. Wie schon oben gesagt, gehört der Meteorit zu den krystallinischen Chondriten; auch er besteht mineralogisch aus Olivin, Bronzit, Niekeleisen und Chromeisen; in einer festen, krystallinischen, im Bruche schimmernden (nicht _ staubartig matten) Grundmasse liegen fest damit verwachsen harte, feinfaserige Kügelehen, welche beim Zerbrechen des Steines mit der Grundmasse gleichzeitig entzwei brechen. Die Rinde ist meist rauh und grob. Die Menge des ein- gesprengten Eisens ist nach G. Rose oft sehr beträchtlich,
294 Kleinere Mitteilungen.
die Chondren sind sparsam vorhanden, die Olivin-Krystalle klein und die Chromeisenkörner noch deutlich erkennbar; nach ©. F. RAMMELSBERG ist auch noch Labradorfeldspath vorhanden.
3. Am 13. Oktober 1819, Morgens gegen 7 Uhr, hörten viele Personen bei einem ziemlich starken Nebel und bei vollkommener Windstille in der Gegend von Politz, Köstritz, Langenberg und Gleina (Reuss-Gera) einen sehr starken Knall, den ein Kaufmann mit dem eines Vierundzwanzig- Pfünders verglich, dem schloss sich ein Sausen und Knistern, als wenn der Sturm im Eichenwald braust, an; zum Schluss hörten einige einen starken Schlag, wie wenn ein schwerer Körper auf den Erdboden aufschlägt. Karl Winter aus Köstritz ackerte mit einem Ochsen, hörte dasselbe, er glaubte das Getöse käme von Rubitz und ginge nach Roben, also von SW nach NO; sein Ochse stand beim Beginn des Ge- töses still.
Der Holzhauer Joh. Gottfr. Waldmann aus Kasehwitz hörte ebenfalls zur angegebenen Zeit im Borngrunde bei Gleina, etliche Kilometer westlich von Politz, bei stiller Luft und heiterem Himmel einen Knall und hinterdrein ein Brausen, als wenn das Wehr furchtbar rauscht: „Mir war, als wenn alle Klötze lebendig würden und den Berg her- unter gerollt kämen, und als wenn die Erde dabei erbebte. Der Knall gab ein Echo und das Getöse nachher dauerte ein halbes Vaterunser lang.“ Einige Zeit nachher hatte sich der Nebel verzogen, der Himmel war heiter geworden, und die Atmosphäre ganz ruhig geblieben. Der Knall ist in einem Umkreise von 8 Stunden gehört worden, so in Jena, Kamburg, auf allen Vogelherden bei Hummelshain u. s. w. Von Feuererseheinugen hat niemand etwas bemerkt. Nach Nachriehten, welche der Bergsehreiber Lindig auf dem Wege nach Gera einzog, war das Getöse am stärksten bei Gera gewesen; am heftigsten war es zwischen Auma und Eisenberg, namentlich bei Mittelpöllnitz, Grossebersdorf, Münchenebersdorf u. s. w., und es ist wahrscheinlich, dass die Explosion in dieser Gegend ihren Anfang genommen hat. Auch die Söhne des Dorfschulzen Bär von Politz und der Bauer Rothe hörten zur angegebenen Zeit auf dem
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Felde ein Getöse, welches anfangs einem Kanonendonner, später aber dem Lärm vieler fahrender Wagen ähnlich und mit einem Sausen verbunden war. Es endigte mit einem scharfen Pfeifen und einem dumpfen Schlage, woraus man schloss, dass irgend ein Körper niedergefallen sein müsse. Der Bauer Rothe bemerkte am nächsten Tage, dass auf seinem Acker die Erde aufgeworfen war; er ging näher hinzu und sah in einer Vertiefung einen schwarzen Körper liegen, den er für Fuchswitterung bielt. Ohne den Körper zu berühren, kehrte er nach Hause um, fragte den Jäger, und als ihm dieser die Frage verneinte, gingen sie beide auf den Acker um die Sache genauer zu untersuchen. Der Jäger fiel gleich darauf, dass es ein Meteorstein sei, hob ihn sorgfältig auf, bemerkte, dass er auf der unteren Seite nach Schwefel roch und, dass der Raum, den er bedeckte, mit gewissen Figuren aus feinen gelb gefärbten Sandkörnern bedeckt war, was auch Herr Dr. Schottin aus Köstritz be- stätigt. Das Loch fand Herr Kammerassessor Braun aus Gotha noch unverändert vor; es hatte 20 em Tiefe und 50 em Weite, die Erde war ringsum wallförmig aufgeworfen, ein Beweis, dass der Stein noch mehrere drehende Be- wegungen gemacht hatte. Nachdem der Stein mehrere Tage in den Händen des Bauern gewesen war, und mehrere Stücke abgeschlagen waren, nahm ihn die Regierung von Gera in Verwahrung; er wog, als er noch vollständig war, 3,2855 Kilogramm.
Seine Gestalt ist sphaeroidisch, hat mehrere flache und tiefe Eindrücke und gleicht überhaupt einem im Wasser serundeten, birnenförmigen Geschiebe; als er ganz war, war seine grösste Länge ca. 15 em; am starken Ende ist er ca. 12 em, am schwächsten 6—7 em diek. Nach dem Zer- schlagen wog das grösste Stück 2518 gr. Davon besitzen Berlin 713 gr, Pohl 422 gr, das Wiener Hofmuseum 404 gr und Gera 930 gr; auch in Pesth, Kalkutta, Dorpat, Frei- berg i. S., Gotha, London, Moskau und Tübingen sind Stücke vorhanden; kleine Partieen sind in Cleveland, Cambridge, Göttingen, Greifswald, Halle, Harward-Universität, Heidel- berg, Paris und Petersburg aufbewahrt. Die Rinde ist äusserlich graulich-schwarz, matt, etwas rauh und !/, Linie
296 Kleinere Mitteilungen.
diek. Das Innere hat eine lichte aschgraue Farbe, fein- erdigen Bruch wie manche Grauwacke, an einzelnen Stellen ist es splitterig; die Chondren von der Grösse einer Linse und auch kleiner als diese, sind fest mit der Hauptmasse verbunden und haben eine etwas dunklere Farbe; mit blossem Auge kaum, wohl aber mit dem Mikroskope er- kennbare Metallteile sind in der Masse verteilt. Der ganze Stein ist von zwei geraden, die ganze Masse durchquerenden, parallel verlaufenden Gängen durchsetzt, welche 2 em von ein- ander entfernt sind; kleinere Gangtrümmer durchsehwärmen die ganze Masse.
4. Im Gegensatz zu den vorstehenden Meteoriten be- steht der letzte in Thüringen beobachtete aus Eisen; die anderen Minerale treten hier ganz zurück. Diese Eisen- masse wurde am 18. Oktober 1854 bei Tabarz bei Gotha aufgefunden; nach einer anderen Nachricht, die jedoch wenig glaubhaft ist, soll der Fall beobachtet und das Eisen beim Funde noch heiss gewesen sein. Wie gross die Masse ursprünglich war, ist nieht mehr festzustellen, indess haben um 1863 noch ea. 135 gr in Göttingen und Wien existiert; da nun schon 1855 eine Analyse davon angefertigt war, so muss ursprünglich mehr davon vorhanden gewesen sein; auch über die ursprüngliche Form ist nichts bekannt ge- worden. Nur sprieht die Rinde von Eisenoxyd dafür, dass er längere Zeit in der Erde gelegen hat, der Fall der Masse also wahrscheinlich nieht beobachtet worden ist.
Der Tabarzer Meteorit ist ein sogenanntes octae- drisches Eisen, d.h. es besteht aus verschiedenen Arten von Nickeleisen, welehe parallel den Flächen des regulären Octaeders angeordnet sind. Zuerst ist wahrscheinlich das sogenannte Fülleisen (Plessit) auskrystallisiert in Oetaedern, dann legte sich darum in parallelen kartenblattdieken Sehiehten der Taenit oder das Bandeisen, welches wiederum von dem Balkeneisen (Kamazit) umschlossen wurde. Letzteres ist niekelärmer, der Taenit dagegen nickelreicher; diese Art der Bildung wiederholte sich öfter, sodass ein Krystall- stock aus diesen verschiedenen Eisen entstand. Wird nun ein derartiger Stein zersägt, ungefähr parallel den Octaeder- flächen und mit Salzsäure geätzt, so zeigt er die WIDMANN-
‚Kleinere Mitteilungen. 297
STÄTTEN’schen Figuren, welehe nach ihrem Entdecker benannt sind und aus dreieckigen ete. Figuren in der Eisenmasse bestehen. Sie entstehen deshalb, weil die nickelreicheren Legierungen der Einwirkung der Salzsäure einen grösseren Widerstand entgegensetzen als die nickelärmeren Partieen; auf diese Weise wird dann die oetaedrische Struktur sicht- bar. Man hat nun die Eisen nach der grösseren oder ge- ringeren Feinheit ihrer Lamellen in solche mit feinen, mit mittleren und groben Lamellen eingeteilt; unser Tabarzer Eisen zeigt nun grobe Lamellen, welche geschart, meist ziemlich unregelmässig begrenzt, sehr stark schraffiert und mit lebhaft orientiertem Schimmer versehen sind. Der Kamazit ist weitaus herrschend, aber Felder, Kämme und Plessit (Fülleisen) fehlen fast immer oder sind nur winzig entwickelt. Die Breite der Lamellen ist 1,5 —2 mm. Meteoriten fallen täglich nieht nur in Thüringen, sondern überall aus dem Weltenraume auf unsere Erde nieder, und es ist daher nieht wunderlich, dass dem Mineralogen solche Körper oft gebracht werden. Freilich sind es in einer grossen Anzahl der Fälle Täusch-Meteoriten, d.h. es sind nicht aus dem Weltenraume auf unsere Erde niedergefallene Steine, sondern Teile dieser selbst, welehe dem Beobachter nur von aussen zu kommen schienen. Der Mineralog kann dies sehr leieht konstatieren, da nur eine ganz bestimmte Klasse von Mineralien sich in den Meteoriten findet und diese wieder in ganz bestimmter Vereinigung; endlich sind auch das äussere Ansehen, die Rinde ete. ganz charakte- ristisch. So passiert es denn, dass Köpfe von Kaminen, Mörtel von Gesimsen, Gypse von Facaden, Schlacken von Hüttenprozessen, Schwefelkieskälber, Steine von Schmiede- essen und ähnliche mineralogisch sehr angenehme Steine dem Kenner als Meteorite vorgelegt werden. Zum Glück verhindert der ganz eigentümliche Bestand der Meteoriten eine Täuschung. Dureh den Fall derselben wird der Massenbestand unserer Erde jährlich immer mehr vermehrt, und es giebt Forscher, welehe behaupten, dass ganz mächtige Felsmassen, z. B. die Basalte des hohen Nordens in Grönland durch diese Fälle gebildet seien, Noch andere nehmen gar an,
298 Kleinere Mitteilungen.
dass unsere ganze Erde nur auf diesem Wege gebildet sei. Jedenfalls ist das Studium dieser Steine ein äusserst an- regendes, gewährt es doch einen Einblick in den Massen- bestand der Planeten, die unserer Erde so ferne sind. Auch hier hat das Studium gelehrt, dass dort keine anderen Elemente vorhanden sind. als jene, aus welehen unsere liebe Erde erbaut ist; auch hier bestätigt sieh die Einheit unseres Sonnensystems. |
Prof. Lüdecke, Ver.-Sitz., 3. Mai 00.1)
Botanik.
Ein Vorschlag zur gleichförmigen Benennung der Pflanzenordnungen. Die Benennung der Pflanzenfamilien ist in neuerer Zeit gleichförmig gemacht worden, indem die Namen von dem einer als Typus gewählten Gattung mit der Endung -aceae gebildet wurden (Fagaceae, Rosaceae, Violaceae). Die wenigen anders gebildeten Familiennamen, die sich bis jetzt erhalten haben (Gramineae, Cruciferae, Leguminosae, Umbelliferae, Labiatae, Compositae), sollten der Gleiehförmigkeit halber durch den übrigen entsprechend gebildete ersetzt werden (Poaceae, Brassicaceae, Lotaceae, Cieutaceae, Mentaceae, Asteraceae, Lactucaceae).
Bei der Benennung der den Familien übergeordneten Gruppen (Familienreihen, Ordnungen, Klassen) ist Gleich- förmigkeit nieht minder wünschenswert als bei der der Familien. Zweckmässigerweise werden die Namen nach dem Muster von „Bryophyta“ und „Pteridophyta“ gebildet.
Es folgt eine Aufzählung der in der deutschen Flora vertretenen Ordnungen der Embryophyten mit den zuge- hörigen Familien. In Klammern stehen die in EnGLER’s Syllabus der Pflanzenfamilien (2. Auflage, Berlin 1898) ge- brauchten Namen.
1) Betreffs der genaueren Angaben über die einschlägige Litteratur und die Ergebnisse der chemischen Analysen siehe: Lüdecke, Ueber Thüringer Meteoriten. Leopoldina, 1900, Nr, 7,
- Kleinere Mitteilungen. 299
BRYOPHYTA: Rieeiaceae. Marchantiaceae. Anthocerotaceae. Jungermanniaceae. Sphagnaceae. Andreaeaceae. Archidia- ceae. Bryaceae (Bryales).
PTERIDOPHYTA (Filieales): Ophioglossaceae. Pteridaceae (Eufilieineae). Marsiliaceae. Salviniaceae.
ARTHROPHYTA (Equisetales): Equisetaceae.
OSMOPHYTA (Lyeopodiales): Lycopodiaceae. Selaginella- ceae. Isoetaceae.
PEUCOPHYTA (Coniferae): Taxaceae. Pinaceae.
GNETOPHYTA (Gnetales): Epbedraceae (Ephedroideae).
Monocotylae
TYPHOPHYTA (Pandanales): Typhaceae. Sparganiaceae.
HELOPHYTA (Helobiae): Potamogetonaceae. Triglochina- ceae (Juncaginaceae). Alismaceae. Butomaceae. Hydrocha- ritaceae.
POEPHYTA (Glumiflorae): Poaceae (Gramineae). Cyperaceae.
AROPHYTA (Spathiflorae): Araceae. Lemnaceae.
CRINOPHYTA (Lilüflorae): Juneaceae. Liliaceae. Amarylli- daceae. Iridaceae.
ORCHEOPHYTA (Mierospermae): Orchidaceae.
Dicotylae
ITEOPHYTA (Salieales): Salicaceae.
MYRICOPHYTA (Myricales): Myricaceae.
DRYOPHYTA (Fagales): Betulaceae. Fagaceae. SYCOPHYTA (Urtieales): Ulmaceae. Moraceae. Urticaceae. SANTALOPHYTA (Santalales): Loranthaceae. Santalaceae. ASAROPHYTA (Aristolochiales): Aristolochiaceae. RHEOPHYTA (Polygonales): Polygonaceae.
BLITOPHYTA (Centrospermae): Betaceae (Chenopodiaceae). Amaranthaceae. Portulaeaceae. Alsinaceae. Silenaceae. LAUROPHYTA (Ranales): Nymphaeaceae. Ceratophyllaceae.
Ranunculaceae. Berberidaceae. CRAMBOPHYTA (Rhoeadales): Papaveraceae. Fumariaceae. Brassicaceae (Cruciferae). Resedaceae. DROSOPHYTA (Sarraceniales): Droseraceae. RHODOPHYTA (Rosales): Crassulaceae. Saxifragaceae. Riba- ceae. Rosaceae, Lotaceae (Leguminosae).
300 | Kleinere Mitteilungen.
LINOPHYTA (Geraniales): Geraniaceae. Oxalidaceae. Lina- ceae. Rutaceae. Polygalaceae. Euphorbiaceae. ? Callitri- chaceae.
RHOOPHYTA (Sapindales): Buxaceae. Empetraceae. Tlicaceae (Aquifoliaceae). Celastraceae. Aeseulaceae (Hippocastana- ceae). Balsaminaceae.
RHAMNOPHYTA (Rhamnales): Rhamnaceae. Vitaceae.
MALACHOPHYTA (Malvales): Tiliaceae. Malvaceae.
IOPHYTA (Parietales): Hypericaceae. Elatinaceae. Tamari- caceae. Cistaceae. Violaceae.
MYRTOPHYTA (Myrtiflorae): Thymelaeaceae. Elaeagnaceae. Lythraceae. Oenotheraceae. Halorrhagidaceae.
DAUCOPHYTA (Umbelliflorae): Araliaceae. Cieutaceae (Um- belliferae). Cornaceae.
LEDOPHYTA (Ericales): Pirolaceae. Ericaceae.
MYRSINOPHYTA (Primulales): Primulaceae. Plumbagina- ceae.
ORNOPHYTA (Contortae): Oleaceae. Gentianaceae. Apocy- naceae. Aselepiadaceae.
THYMOPHYTA (Tubiflorae): Convolvulaceae. Polemoniaceae. Boraginaceae. Verbenaceae. Mentaceae (Labiatae). Solana- ceae. Serofulariaceae. Orobanchaceae. Lentibulariaceae. Globulariaceae.
NEUROPHYTA (Plantaginales): Plantaginaceae.
IXOROPHYTA (Rubiales): Rubiaceae. Sambueaceae (Capri- foliaceae). Adoxaceae. Valerianaceae. Dipsacaceae.
SICYOPHYTA (Cueurbitineae): Cueurbitaceae.
SONCHOPHYTA (Campanulineae): Campanulaceae. Astera- ceae (Compositae tubuliflorae). Lactucaceae.
Dr. Erwin Sehulze.
Ueber Pflanzengallen. Da wir im letzten Hefte des vorigen Bandes die Resultate von Untersuchungen, die Dr. Küster über Pflanzengallen angestellt hat, mitgeteilt haben, so wollen wir nicht unterlassen, auf die Resultate einer kurz vorher erschienenen und von Küster auch be- rücksiehtigten Publikation Dr. Arper’s über denselben Gegen- stand hinzuweisen, zumal da der Autor teilweise ganz andere
- Kleinere Mitteilungen. 801
Gesichtspunkte in den Vordergrund stellt. Die Abhandlung ist unter dem Titel „Ueber Zoo- und Phyto-Morphosen“ (Sehriften der physikal. ökonom. Ges. zu Königsberg, Bd. 39, 1898) erschienen und schliesst etwa mit folgendem Resume:
Viele Gallenerzeuger sind im Stande, schon differen- ziertes Gewebe in eine ursprüngliche Form zurückzuver- wandeln, aus somatischem wieder embryonales zu bilden.
Die Möglichkeit, hoehdifferenzierte Morphosen zu bilden, ist am grössten am Vegetationspunkt und nimmt umso- mehr ab, je weiter sich die Anlagestelle der Morphose von demselben entfernt. Ob diese Möglichkeit aber aus- senutzt wird, hängt ganz von dem Reiz des Erzeugers der Morphose ab.
Morphosen, bei deren Anlagen die vorhandenen Stoffe nieht allseitig ausgenutzt werden, können unter Umständen auch an weniger jungem Gewebe entstehen, ohne dass da- durch eine Aenderung ihrer Gestalt bedingt wird.
Um aber den Vegetationspunkt in der geschlossenen Knospe bei der Eiablage genau zu treffen, sind besonders ausgebildete Fähigkeiten nötig, man kann also von gallen- tüchtigen Insekten sprechen.
Die Ursachen der Morphosen sind zweifellos chemischer Natur. Die Konstitution dieser Stoffe festzustellen, ist bis- her jedoch noch nicht gelungen, jedenfalls aber müssen sie den in der Pflanze vorhandenen Wuchsenzymen ähn- lich sein.
Zoologie,
Ein neuer viviparer Fisch. Aus Südamerika wird seit einiger Zeit eine kleine Karpfenart, Girardinus decem- maculatus, der Zehnfleekkärpfling, zu uns als Aquarienfisch gebracht, der nach P. Marrr’s Schilderung in „Natur und Haus“ ein höchst interessantes Tierchen ist, da das Weibchen im Laufe weniger Stunden 15—30 lebendige Junge zur Welt bringt.
Da bei dieser Art der Fortpflanzung der männliche Samen in das Innere der weiblichen Leitungswege einge-
302 Kleinere Mitteilungen.
führt werden muss, so kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn wir hören, dass das männliche Tier ein kräftig ent- wickeltes Begattungsorgan aufweist.
Dr. Brandes, Ver.-Sitz. 25. Jan. 00.
Ein Beitrag zur Schneckenfauna des nordwestlichen Thüringer Waldes. In der ersten Hälfte des Oktobers dieses Jahres untersuchte ich den Abhang eines feucht- schattigen Seitenthälchens des Ungeheuren Grundes bei Friedrichroda genauer auf die daselbst vorkommenden Schnecken, speziell die Gehäuseschnecken. Der Hang ist lieht mit Buchen und Fichten bestanden, dazwischen be- finden sich zahlreiche Strunke dieser Bäume, und der Boden ist teilweise mit Gras, teilweise mit Digitalks, Belladonna ete. bewachsen, teilweise auch lässt das Gesteinsgeröll (Rotliegen- des) Pflanzenwuchs nicht aufkommen. Mein Hauptaugenmerk richtete ich auf die Baumstümpfe und machte an ihnen auch ziemlich gute Beute, während an den Felsen nicht viel zu holen war. Auffallend war die Abhängigkeit der Schnecken von der Temperatur; obgleich die nötige Feuchtigkeit stets vorhanden war, waren doch an jedem Tage weiter in den Herbst hinein, je kühler die Temperatur wurde, weniger Ge- häuseschnecken zu finden; offenbar hatten sie sieh möglichst weit unter das Moos zurückgezogen. Den Nacktschnecken dagegen schien die Kälte gar nichts anzuhaben, sie krochen auch, als Schneefall eintrat, ebenso munter umher als früher.
Am häufigsten unter den Gehäuseschnecken waren Olau- silia lammiata Mont. (— bidens Drap.) und Cl. bidentata Ström. (— nigricans Pult.); etwas seltener, aber immer noch zahl- reich, Ol. plicatula Drap. Die sonst in der Buchenregion des Thüringer Waldes sehr verbeiteten Cl. cana Held und or- thostoma Menke konnte ich nicht finden, obgleich es wahr- scheinlich ist, dass sie auch hier vorkommen. Patula rotundata Müll. ist häufig, seltener P. ruderata Studer. Von den Hyalina-Arten fanden sich ausser Hyalina fulva Müller (— Conulus fulvus) auch Hyalina alliaria Miller, die echte Knoblauehschnecke, die aus dem Thüringer Walde erst in Jüngster Zeit durch meinen Vater bekannt geworden ist.
‚Kleinere Mitteilungen. 303
Der auffallende Knoblauehgeruch dieser Art, den sie nur, wenn sie gereizt wird, von sich giebt, scheint mir ein Ver- teidigungsmittel zu sein. Endlich fand sich noch ein schönes Exemplar von Vitrina elongata, dass Herr GoLDFuss mir zu bestimmen die Güte hatte. Das ziemlich seltene Tier war aus dem Ungeheueren Grunde bereits bekannt.
Unter den Nacktsehneeken fiel mir die zierliche, sonst ziemlich seltene Limax tenellus Nilsson auf.
Walter Gerbing.
Das Vorkommen von Planaria alpina nördlich vom Harz. Die muntere und zierliche Planaria alpina, die durch zwei tentakelartige, ausstreckbare Vorsprünge an den Seiten des oralen Körperendes ausgezeichnet ist und infolge dieser Eigentümlichkeit aus einiger Entfernung mit Polycelis cornuta verwechselt werden kann, habe ich im Laufe des verflossenen Sommers ausser im Thüringer Wald und im Harz, wo sie schon früher bekannt geworden ist, auch an zwei Punkten nördlich des Harzes in grosser Menge angetroffen.
Einer der nördlichen Ausläufer des Westharzes ist der Heber (nördlich von Gandersheim). An dessen Nordabhange liegt der Flecken Lamspringe, eine alte Mönchsniederlassung an der Quelle der Lamme, eines Seitenflüsschens der Innerste, die sich zwischen Hannover und Hildesheim in die Leine ergiesst.
Die Lamme entspringt im Innern des Klostergartens in mehreren Quellen, die teils offen, teils wie ein Brunnen gefasst und bedeckt sind. Sowohl in einen schmalen Ab- fluss des gedeckten Brunnens fand ich unter Steinen Exem- plare von Planaria alpina, als auch in einem geräumigen Quelltümpel, dessen Boden aus einem weichen Mulm bestand und vielfach mit moderndem Laub bedeckt war. Hier sah ich die behenden Tierchen zu Hunderten in lebhafter Be- wegung auf dem nachgiebigen Boden herumkriechen. Ob die Tiere eine Strecke weit flussabwärts vorkommen, habe ich nieht untersucht.
Der zweite Fundort liegt noch weiter nördlich. Als Vorberg des Ostharzes ist der Huy bei Halberstadt ziemlich
804 Kleinere Mitteilungen,
bekannt. Ein weiterer Vorposten nach Norden ist der Elm zwischen Braunschweig und Helmstedt. Dieser buchenbe- waldete Muschelkalkrücken hat oberhalb des Städtehens Königslutter eine sehr starke Quelle, die die Lutter bildet. Diese fliesst zur Schunter, einem Nebenflüsschen der Oker. Diese Quelle, Lutterspring genannt, ist seit alters her überbaut. Ihr Abfluss ist mehrere Meter breit und strömt sehr schnell über das Geröll von Kalksteinen dahin. Die Steine sind mit prächtigem Rasen einer Batrachospermum- Art dieht bedeckt und zwischen ihnen wachsen auch einzelne Büsche von Nasturtium. Ausser einigen Lymnaeen fand ich unter den Steinen nicht selten Planaria alpina. Im weiteren Verlauf der Lutter machte sie sehr bald der bekannten Planaria gonocephala Platz, nur in den obersten Seiten- bächen der Lutter konstatierte ich lediglich Pl. alpına. Also auch in diesen beiden Fällen bewohnt Planaria alpina wahrscheinlich nur die Quelle und die allerobersten Teile des Bachsystems, wie das von WALTER VoIGT für verschiedene Stellen nachgewiesen ist.!) Die äusseren Um- stände sind in den beiden soeben mitgeteilten Fundorten sehr verschieden. Das eine Mal finden sich die Würmer in einem Tümpel auf mulmigen, völlig steinlosen Boden, der mit moderndem Laub bedeckt ist, das andere Mal unter Steinen eines stark strömenden Abflusses. Warum Planaria gonocephala der kleinen Art an diesen Orten den Platz nicht streitig macht, während sie es sonst überall thut, ist immer noch zu eruieren. Dr. @. Brandes.
1) Vergl. Walter Voigt, Die Einwanderung der Planariaden in unsere Gebirgsbäche. Verhandlungen des naturhistorischen Vereins des Rheinlandes ete. (Bonn) 1896. Bd. 53, S. 103—148.
Litteratur-Besprechungen.
Münch, Dr. Peter, Lehrbuch der Physik, bearbeitet von Dr. H. Lüdtke. Freiburg im Br. Herder’sche Verlags- handlung 1900.
Die vorliegende elfte Auflage erscheint nach Massgabe der preussischen Lehrpläne von 1892 in zwei Teilen. Der erste enthält einen vorbereitenden Lehrgang nebst einem Anhange über die chemischen Erscheinnngen, der zweite einen ausführlichen Lehrgang nebst den Grundlehren der mathematischen Geographie. |
Gegen frühere Auflagen hat besonders die Wärmelehre und die Lehre von der Elektrizität grössere Aenderungen und Erweiterungen erfahren, indem ein allerdings kurz ge- haltener Abriss der mechanischen Wärmetheorie und ein besonderer Abschnitt über Meteorologie beigefügt ist. In der Elektrizität ist u.a. die Lehre vom Potential, von den Kraftlinien sowie das notwendigste über Kathoden- und Röntgenstrahlen und elektrische Wellen aufgenommen. Druck und Ausstattung sind sehr gut. Dr. A. Wagner.
Kleyers Encyklopädie. Lehrbuch der Integralrech- nung. Zweiter Teil: Anwendung der bestimmten Inte- srale auf Quadratur, Rektifikation, Komplanation und Kubatur, sowie auf Aufgaben aus der Mechanik und Technik, bearbeitet von Prof. Dr. August Haas. Stuttgart, Verlag von Julius Maier, 1900.
Das Werk enthält in 9 Absehnitten die Anwendung der
Lehre von den bestimmten Integralen auf die Geometrie. Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 20
306 Litteratur-Besprechungen.
Es beginnt mit der Quadratur ebener Kurven, behandelt dann die Rektifikation ebener und Raumkurven, ferner die Inhaltsbestimmung und Oberflächenbereehnung von Körpern, und giebt schliesslich die Anwendung von mehrfachen Inte- gralen. Die Behandlung geschieht nach dem Krever’schen Verfahren in Form von Fragen und Antworten. Daneben sind noch Erklärungen eingeflochten, in denen häufig histo- rische Bemerkungen Platz gefunden haben. Die Behandlung des Stoffes ist eine ausserordentlich klare und fassliche, sodass sich das Buch sehr wohl zum Selbststudium eignet. Der grösste Wert des Werkes liegt aber in der überraschend grossen Fülle von interessanten z. T. auch praktisch wichtigen Aufgaben, deren Lösungen teils vollständig durchgeführt, teils nur angedeutet sind. Unterstützt wird das Verständnis durch zahlreiche, sehr anschauliche Figuren. Die Ausstattung ist eine vorzügliche, sodass das Werk allen Interessenten angelegentlichst empfohlen werden kann. D. A. Wagner. Bleier, 0., Neue gasometrische Methoden und Appa- rate. Wien, Spielhagen und Schurich.
In klarer und sehr ausführlicher Form führt uns der Verfasser die auf verschiedenem Wege durchzuführenden Methoden der Bestimmung der Gasvolumina vor; seine Dar- stellung wird durch eine grosse Zahl guter Abbildungen trefflich unterstützt. Das Buch kann daher jedem, der mit gasanalytischen Arbeiten zu thun hat, empfohlen werden.
Die Verlagsbuchhandlung hat es sich angelegen sein lassen, das Werk gut auszustatten. Sehmidt.
Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas. Herausgegeben von Dr. C. Hennieke. III. Band: Lerchen, Stelzen, Waldsänger und Finkenvögel. Mit 48 Chromo- tafeln. Preis 16 Mark. Gera-Untermhaus. Verlag von Fr. Eugen Köhler. 1900.
Wieder ist ein umfangreicher Band des mehrfach warm empfohlenen Prachtwerkes fertig gestellt und erfreut uns durch seinen reichen Inhalt und seine vornehme Ausstattung.
Litteratur-Besprechungen. 307
Die Lerehen behandelt der bekannte Ornithologe HARTERT (am Rothschild’schen Museum in Tring) (S. 1—44), die Tafeln dazu sind von KEULEMANS und von KLEINSCHMIDT gezeichnet und zeigen in 14 Vertretern die 9 mitteleuropäischen Arten, dazu kommen noch die sehr getreuen Abbildungen von 39 Eier-Individuen, die Ar. REICHERT gemalt hat. Von besonderem Interesse für uns Hallenser ist die Beschreibung und Abbildung (im Text) des sog. Lerchenspiegels, mit dem hauptsächlich in unserer Gegend der Lerchenfang stark be- trieben worden sein soll.
Die Pieper, deren Revision Rup. BrLAsıus besorgte (S. 45— 96), lernen wir in 9 Arten kennen, von denen 16 verschiedene Individuen und 34 Eier durch NEcSEY resp. REICHERT zur Darstellung gekommen sind.
Die Gruppe der übrigen Stelzen — Bach- und Schaf- stelze — umfasst 9 Arten mit 8 Unterarten, die in 29 Indi- viduen und 37 Eiern von DE Mars und KLEINSCHMIDT ab- gebildet sind, während die textliche Revision (S. 97’ —145) von PRAZAK besorgt wurde.
Mit- Uebergehung der Waldsänger erwähne ich, dass die von PRAZAK, HARTERT und KLEInscHMIpr bearbeiteten Ammern ($. 149—219) 17 Arten zählen, von denen 39 Indi- viduen durch KEULEMANnsS und KLEINSCHMIDT und 52 Eier durch REICHERT zur Darstellung gebracht werden.
Den Beschluss machen 25 Finkenarten (8. 220— 381), die PRAzAK, HARTERT und DEICHLER bearbeitet haben und von denen nicht weniger als 66 verschiedene Individuen und 108 Eier abgebildet sind. Von besonderem Interesse sind die Ausführungen DEICHLERrR’s über den Birkenzeisig resp. seine geographischen Formen, von denen 5 Stück auf den Tafeln durch KLEinscHmipdr wiedergegeben sind.
Insgesamt finden sich also in dem vorliegenden Bande die Abbildungen von nicht weniger als 164 Vogelindividuen und 240 Eiern, eine Thatsache, die zur Genüge darthut, _ dass man bei der Bestimmung eines Balges oder eines Eies das Werk niemals vergeblich zu Rate ziehen wird. Wir können das Werk nur immer und immer wieder jedem Vogelliebhaber oder Jäger auf’s angelegentliehste empfehlen.
Dr. G. Brandes. 20*
308 Litteratur-Besprechungen.
Tümpel, Dr. R., Die Geradflügler Mitteleuropas. Mit 20 von W. Müller nach der Natur gemalten farbigen und 3 schwarzen Tafeln nebst zahlreichen Textabbildungen. Eisenach, M. Wilckens Verlag, 1901. Preis 15 Mark.
Das im Sommer 1898 begonnene und in Band 71 dieser Zeitschrift (S. 376) angekündigte faunistische Werk Tümper’s liegt nun in einem 308 Seiten starken Bande ab- geschlossen vor.
Wir haben schon zu wiederholten Malen darauf hin- Sewiesen, dass es bei uns in Deutschland in hohem Masse an einer gleichmässig durehgearbeiteten faunistischen Litte- ratur, die den Zweeken der Dilettanten und denen der Ge- lehrten in gleicher Weise zu dienen im Stande ist, fehlt, ganz im Gegensatz zu England, das eine grosse Anzahl derartiger (und noch dazu preiswürdiger) Werke besitzt. Um so mehr müssen wir jeden Versuch, hierin Abhilfe zu schaffen, mit Freude begrüssen, und wir haben dazu in der letzten Zeit mehrfach Veranlassung gehabt. Ich erinnere nur an die zweite wohlfeile Ausgabe von Naumann’ Vogel- werk, das auf der vorhergehenden Seite aus Anlass des Abschlusses von Band III wieder einmal gewürdigt werden konnte.
Tümper’s Werk verdient aber ganz besondere Aner- kennung deshalb, weil es eine bisher von den Dilettanten der Entomologie stark vernachlässigte Insektengruppe in erschöpfender Weise behandelt und dadurch zweifellos eine Menge Liebhaber diesem Gebiete gewinnen wird. Und das bedeutet auch für die Wissenschaft einen Gewinn, denn zur Beschaffung von Arbeits- und Beobachtungsmaterial können der Hände und Augen nicht leicht zu viel werden.
Der Titel des Buches kann insofern zu Missverständ- nissen Veranlassung geben, als man den Begriff „Gerad- flügler“ in neuerer Zeit meist ziemlich eng fasst, indem man nur die eigentlichen Orthopteren (Ohrwürmer, Schaben, Fang- heusehrecken, Gespensterheuschrecken, Feldheuschrecken, Laubheuschrecken und Grillen) darunter versteht. Das thut Tünmepeu aber nicht, sondern dehnt den Begriff „Geradflügler“ auf die Pseudoneuropteren (Amphibiotica und Corrodentia) und die Thysanopteren aus. Und dementsprechend sind in
Litteratur-Besprechungen. 309
dem Werke ausser den genannten Familien auch die Libellen, Ephemeriden, Perliden und deren Larven ausführlich be- handelt; ausserdem auch noch die Holzläuse (Psociden) und die Blasenfüsse (Physopoda).
Nachdem alles, was von der Lebensweise der Familien bekannt ist, vorausgeschickt wurde, setzt die ausführliehe Sehilderung der Körperform ein, die durch Abbildungen einzelner, für die Artunterscheidung wichtiger Körperteile und durch solehe gröberen oder feineren anatomischen Details illustriert ist. Es folgen Angaben über die besten Fang- und Präpariermethoden, die besonders darauf gerichtet sind, die Farben auch an den getrockneten Tieren zu er- halten. Sehr gut ausgearbeitete Schlüssel für die Fest- stellung der Unterfamilien, der Gattungen und der Arten sehen der systematischen Aufzählung und eingehenden Charakterisierung sämtlicher im mitteleuropäischen Faunen- gebiete vorkommenden Arten voraus. Sehr zahlreiche und vorzüglich ausgeführte Habitusbilder erlauben eine weit- sehende Vergleiehung des zu bestimmenden Objektes, so- dass wöhl selbst der Uneingeweihteste jedesmal zum Ziele kommen dürfte. Von Libellen sind 54 Arten (häufig im männlichen und weiblichen Geschlecht) und 12 Larven ab- sebildet, von Ephemeriden 10 Imagines und 6 Larven, von Perliden 12 erwachsene Tiere und 2 jugendliche. Ferner 5 Ohrwurmarten, 6 Schaben, 70 Heuschrecken, 9 Psociden und 6 Blasenfüsse. Sämtliche Abbildungen sind in den natürlichen Farben ausgeführt, die meisten in natürlicher Grösse, manche aber auch vergrössert. Nur einige Larven sind durch einfachere Abbildungen charakterisiert.
Man sieht, das Werk bietet sehr vieles, möge es auch sehr Vielen etwas bieten! Wenn derartige lobenswerte Unternehmungen sieh in Deutschland mehren sollen, müssen sich auch Käufer finden, denn nur bei reichem Absatz kann der Verleger so kostspielig herzustellende Bücher so preis-- wert liefern, wie es hier geschieht. Dr. @. Brandes.
Klein, Dr. Hermann J., Katechismus der Astronomie. Belehrungen über den gestirnten Himmel, die Erde und
810 Litteratur-Besprechungen.
den Kalender. Neunte, vielfach verbesserte Auflage. Mit 3 Tafeln und 143 Abbildungen. Leipzig, Verlag von J. J. Weber. Preis 3,50 Mark.
Der gestirnte Himmel, die Sonne und der Mond, die Kometen und die Sternschnuppen sind dem Menschen von frühester Jugend eine Quelle des Fragens und des Nach- denkens, und Jeder greift deshalb gern zu einem leicht- verständlich geschriebenen Büchlein, das ihm Auskunft giebt über alle die himmlischen Wunder. Und das Studium der Astronomie führt auch wieder zur Erde zurück, indem es zeigt, dass ohne diese Wissenschaft keine exakte Zeit- messung, keine Gradeinteilung, keine Schiffahrtskunde möglich ist.
Den grösseren Respekt flösst sie uns aber doch ein, durch die gewaltige Förderung unserer Erkenntnis. Wir wissen durch sie nicht nur, dass die entferntesten Gestirne aus der gleichen Materie wie unsere Erde bestehen, sondern dass sie auch denselben Gesetzen der Anziehung unterworfen sind. Die Astronomie berechnet die Geschichte der Welt in der Zukunft, so weit es sich um den Gang der grossen Weltkörper handelt, mit einer so oft erprobten Zuverlässig- keit, dass diese an Sicherheit grenzt.
Alles dies und noch vieles mehr, ist in dem 311 Seiten starken Bändehen der bekannten und geschätzten WEBER- schen illustrierten Kateehismen knapp und klar auseinander- gesetzt, von einem Gelehrten, der in Forscherkreisen wie bei Laien seit langem ein hohes Ansehen geniesst.
Fickert und Kohlmeyer, Tierkunde unter grundsätz- licher Betonung der Beziehungen zwischen Lebensverriehtungen, Körperbau und Aufent- haltsort der Tiere. 3. Aufl. Mit 570 Abbildungen und 1 farbigen Tafel. Leipzig 1900, Verlag von G. Freytag. Preis 4,80 Mark.
Die vorliegende Auflage bezeichnen die Verfasser — zum Vergleich steht mir allerdings nur die 1. Auflage zur Verfügung — mit Recht als „verbesserte“. Sie haben es sich in der That angelegen sein lassen, viele der zahlreichen
Litteratur-Besprechungen. s1l
Halbheiten ete. zu beseitigen, aber eine Arbeit, die vor strenger Kritik stand halten kann, ist das Buch noch bei weitem nicht. Als Vorteil anzuerkennen ist die Einfügung der Einzelbetrachtungen, die bisher den ersten Teil des Buches bildeten, in den Text und ferner die Anfügung eines Abrisses der Menschenkunde, in dem allerdings von dem biologischen Prinzip, das nach dem Titelblatte „grundsätz- lieh betont“ sein soll, herzlich wenig zu merken ist.
Da das Buch nicht nur wie bisher für Lehrerbildungs- anstalten, sondern auch für andere höhere Schulen bestimmt ist, haben die Verfasser, abgesehen von der Titeländerung, auch ethymologische Erklärungen der zoologischen Namen aufgenommen.
Die Abbildungen, die bisher wohl sämtlich aus älteren Werken des FreyrAs’schen Verlags (POKORNY, GRABER etc.) entnommen waren, sind durch zahlreiche neue vermehrt worden, von denen mehrere allerdings gänzlich misslungen sind. Es ist eben nicht leicht, wirklich gute „biologische“ Bilder zu schaffen. Wenn ich bemerke, dass das Buch bei einem Umfange von 420 Seiten 570 und dazu oft noch sehr grosse Abbildungen enthält, so kann man sich ein Bild davon machen, wie kurz der Text vielfach weggekommen ist.
Dr. G. Brandes.
Geist und Stoff, Erläuterungen des Verhältnisses zwischen Welt und Mensch nach dem Zeugnis der Organismen von Wilh. H. Preuss. 2. dureh Nachträge vermehrte Auflage. Oldenburg 1899, Schulzesche Hof- Buchhandlung (A. Schwartz). Brosch. 4,— Mark
Im Vorwort bittet der Autor den Leser um etwas
Geduld. Diese Tugend muss man allerdings in reichem Masse sein eigen nennen, wenn man sich durch die Fülle der originellsten Ansichten „zu den tiefsten Problemen“ _ hindureharbeiten will. Im übrigen betrachten wir es als ein schlechtes Zeugnis für das lesende deutsche Publikum, dass derartige Machwerke in zweiter Auflage erscheinen können.
312 Litteratur-Besprechungen.
Gerstung, F., Glaubensbekenntniseines Bienenvaters. Versuch einer Versöhnung der natürlichen und göttlichen Welt- und Lebensauffassung. Verlag von P. Waetzel. Freiburg i. B. u. Leipzig 1900. Preis 1 Mark.
An Brosehüren, die sich die Versöhnung zwischen Religion und Naturwissenschaften zum Ziele setzen, ist bereits eine Ueberfülle erschienen. Trotzdem kann man nieht sagen, dass einer dieser Versuche so recht geglückt wäre. Fast durchgehend sind die Friedensbedingungen so sewählt, dass die Naturwissenschaften auf ihre wertvollsten Theorien Verzicht leisten sollen. So auch in der vorliegenden Sehrift, in der die Deseendenztheorie und der Darwinismus vom Standpunkte der Teleologie aus wacker bekämpft werden. Freilich ist das Beweisverfahren, wodurch der Verfasser jenen naturwissenschaftlichen Hypothesen den Boden abzu- graben sucht, im allerhöchsten Masse einseitig. Das Leben und Treiben des Biens, das ja in der That dem Descendenz- theoretiker manch eine harte Nuss zu knacken giebt, ist es, worauf GERSTUNG ausschliesslich sich stützt. Es ist dies eine Methode, die auch von anderen theologischen Natur- forschern, so vor allem von Wasmann, beliebt wird, und der wir in unserem Artikel „Ueber Tier- und Menschenseele“ bereits entgegengetreten sind. Bleiben doch bei solch einem Beweisverfahren die so überaus wichtigen Forschungsresultate der Embryologie sowie die Lehre von den rudimentären Organen vollkommen unberücksichtigt; und gerade dies ist der Boden, worein die Descendenztheorie „die festen Wurzeln ihrer Kraft“ geschlagen hat. Ja, man kann dieses so be- liebt gewordene Beweisverfahren wohl nieht mit Unrecht als sophistisch bezeichnen; werden doch aus der Gesamt- masse der naturwissenschaftlichen Forschungsresultate nur diejenigen herausgezogen, die der zu beweisenden These günstig liegen. Seit wann ist das eine ehrliche Empirie ? Aus den genannten Gründen wird der Naturwissenschaftler vom Fach das Buch unbefriedigt bei Seite legen, um so mehr, als es nichts neues bietet und, wie die Vorrede be- merkt, auch nichts neues bieten will. Zudem laufen dem Verfasser, der ein trefflieher Bienenzüchter ist und manches Interessante vom Bien zu erzählen weiss, auch manche
Litteratur-Besprechungen. 313
sachlich bedenkliche Stellen unter. Geschrieben ist das Buch vornehmlich für soche, die an den Brüsten natur- wissenschaftlicher Weisheit noch nicht gesogen haben. Und wir wollen wünschen, dass in diesem Kreise das Buch weite Verbreitung und Erreichung seines Zieles finde; denn nichts kann dem Faehmanne unangenehmer sein, als wenn wissenschaftliche Hypothesen unverstanden unter Laien kursieren. Dr. Walther Sehoenichen.
Fischerei-Zeitung. Wochenschrift für die Interessen der gesamten deutschen Fischerei, Fischzueht und Teichwirtschaft, des Fischhandels, der Fisch - verwertung, Sportfischerei, Zierfischzucht und Aquarienkunde. Herausgegeben unter Mitwirkung her- vorragender Fachmänner der Theorie und Praxis von Regierungsrat Dr. Wilh. Dröscher-Schwerin i.M. Erscheint wöchentlich Dienstag. Abonnementspreis: vierteljährlich 2 Mark. Neudamm, J. Neumann, Verlagsbuchhandlung für Landwirtschaft, Fischerei, Gartenbau, Forst- und Jagd- wegen.
Von dieser erst neuerdings begründeten Zeitschrift liegt mir das 2. Quartal des 3. Jahrgangs (1900) vor. Die gut redigierte ausserordentlich vielseitige Zeitschrift ist jedem Fischerei-Interessenten wie jedem Liebhaber von Zierfischen auf’s angelegentlichste zu empfehlen. Auch der Morphologe und Physiologe wird bei regelmässiger Lektüre viele wert- volle Belehrung daraus schöpfen, denn die Rassenbildungen und der Stoffwechsel der einzelnen Fischarten bilden sehr häufig die Themata der wissenschaftlichen Abhandlungen.
Berichte über Fischerei-Versammlungen lokaler, provin- zialer, nationaler und internationaler Vereine oder Verbände finden sich regelmässig in den Nummern der Zeitung. Ferner statistische Erhebungen über Fischereierträge ganzer Länder oder einer enger begrenzten Gegend oder bei Berücksich- tigung dieser oder jener Fischart; weiter Vorschläge zur zweckmässigen Verwertung gelegentlicher Ueberproduktion;
314 Litteratur-Besprechungen.
monatliche Beriehte meteorologischer Natur über Nieder- schläge und Wasserstand mit ausführlicher Betonung der für Fischereizwecke in Betracht kommenden Gesichtspunkte; endlich findet man auch reichlieh Belehrung über fischerei- rechtliche Fragen und ähnliches. Die Ausstattung des in Lexikonformat erscheinenden Blattes ist zweekentsprechend, besonders zeichnen sich die zahlreichen Figuren durch gute Herstellung und sauberen Druck aus.
Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Cantor, M., Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. (3 Bände) Band II. 2. Autlage. Halbband 2: Von 1550—1608. Leipzig 1900. gr.8. pg. 12 und 481—943 mit 97 Holzschnitten. 12,— Mk.
Band 11. jetzt vollständig, 955 pg. mit 190 Holzschnitten. 26 Mk. — Band I (von den ältesten Zeiten bis 1200 n. Chr.) 2. Auflage 1894. 891 pg. mit 1 Tafel und 1/4 Holzschnitten. 22 Mk. — Band 111 (1668—1758). 1. Aufl. 1894—98. 907 pg. mit 145 Holzschnitten 24 Mk.
Formelsammlung zur Hilfe beim Selbstunterricht in Mathematik, Physik, Chemie und Astronomie. Hefti. 2. Auflage. Moskau 1899. 8. 247 pg. — Russisch. 3,50 Mk.
Mitteilungen der Hamburger Sternwarte. No. V: Schorr, R., Be- merkungen und Berichtigungen zu C. Rümker’s Hamburger Sternen- katalogen 1836.0 und 1850.0. Serie 2. Hamburg (Jahrb. wiss. Anst.) 19002, Rex} 8.737 pg: 2,— Mk.
Bilfinger, G., Die Zeitrechnung der alten Germanen. Stuttgart 1899. 4. 100 pg.
Kugler, F. X., Die Babylonische Mondreehnung. Zwei Systeme der Chaldäer über den Lauf des Mondes und der Sonne. Auf Grund mehrerer von J. N. Strassmaier kopierten Keilinschriften des Britischen Museums. Mit einem Anhang über Chaldäische Planetentafeln. Frei- burg 1900. Lex.8. 15 und 214 pg. mit 13 Tafeln und Holzschnitten.
Sr 24,— Mk.
Rudolph, H., Ueber die Ursache der Sonnenfleeken. Wien. (Denkschr. Akad.) 1900. gr.4. 20 pg. 1,40 Mk. Orff, K. v., Ueber die Hilfsmittel, Methoden und Resultate der inter- nationalen Erdmessung. München 1899. 4. 59 pg. 2,— Mk.
Physik und Chemie.
Klinkert, G., Die Bewegung elektromagnetisch erregter Saiten. Mar- burg 1898. 8. 26 pg. mit 2 Tafeln. 1,50 Mk. Krieg, M., Taschenbuch der Elektrizität. Nachschlagebuch und Rat- geber für technische Lehranstalten, Techniker ete. 5. Auflage. Leipzig 1899. 12. 8 und 350 pg. mit 295 Holzschnitten, Leinen- band. 4,00 Mk,
316 Neu erschienene Werke.
Mache, H., Ueber die Temperaturverhältnisse in der Flamme. Wien
(Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. Ss. 9 pg. mit 1 Holzschnitt. 0,30 Mk.
Charlier, C. V. L, Ueber achromatische Linsensysteme. Zweite Mit-
teilung. (Stockholm, Oefv. k. Vet.-Ak. Förh. 1899. 8. 12 pg. 0,80 Mk. Mitteilung I. 1895. 16 pg. 1,20 Mk
Thompson, S. P., Michael Faraday’s Leben und Wirken. Autorisierte Uebersetzung von A. Schütte und H. Danneel. Halle 1900. 8. Mit 1 Portrait und 22 Abbildungen. 8,00 Mk.
Krämer, J., Konstruktion und Berechnung für 20 verschiedene Typen der Dynamo-Gleichstrom -Maschinen. 2. Auflage. Leipzig 1899. Lex. 8 8 ‘und 101 pg. mit 25 Tafeln (9 in Farbendruck) und 49 Holzschnitten. 15,00 Mk.
Beermann, H., Kritische Studien über die neueren quatitativen Be- stimmungsmethoden der Borsäure, mit Einschluss der Turmalinanalyse. Erlangen 1898. 8. 37 pg. 1,50 Mk.
Bickel, H., Ueber den Kohlensäuregehalt in der Luft der Gährkeller von Brauereien und den Einfluss desselben auf den Gesundheits- zustand der hier beschäftigten Arbeiter. Würzburg 1598. 8. 19 pg.
Fffront, J., Die Diastasen und ihre Rolle in der Praxis. Deutsche Uebersetzung von M. Bücheler. (2 Bände). Band I: Die Enzyme der Kohlehydrate und die Oxydasen. Wien 1900. gr.8. 11 und 340 pg.
7,00 Mk.
Herrmann, R., Ueber das fette Oel des Quittensamens. Erlangen 1899. 8. 36 Pg.
Schultz, G., Die Chemie des Steinkohlentheers, mit besonderer Be- rücksichtigung der künstlichen organischen Farbstoffe. 3., vollständig umgearbeitete Auflage. (2 Bände.) Band I: Die Rohmaterialien. Braunschweig 1900. gr.8. 7 u. 308 pg. mit Holzschn. 10,00 Mk.
Zipser, J., Die textilen Rohmaterialien und ihre Verarbeitung zu Ge- spinnsten. (Materiallehre und Technologie der Spinnerei.) Theil II: Verarbeitung der textilen Rohstoffe zu Gespinnsten. 2 Hälfte: Ver- arbeitung der tierischen Rohstoffe. Wien 1900. gr. 8. 16 und 206 pg. mit 124 Abbildungen. 5,00 Mk.
Das jetzt vollständige Werk, 2 Teile, 1895—1900. 87 und 583 pg. mit 291 Abbildungen. 9,70 Mk.
Guarini- Foresio, E., Tölegraphie &leetrique sans fil. Transmission de l’Energie eleetrique par un fil et sans fil (par l’öther). 2 memoires. Liege 1899. $. 16 et 50 pg. 1,80 Mk.
Mitteilungen, Illustrierte Aöronautische. Fachzeitschrift für alle Inter- essen der Flugtechnik mit ihren Hilfswissenschaften, für aöronautische Industrie und Unternehmungen. Herausgegeben vom Münchener und Oberrheinischen Verein für Luftschifffahrt. Redigiert von Moennichs. Strassburg. gr. 4. Mit Tafeln und Abbildungen. — Jahrgang IV: 1900 (4 Hefte). 6,— Mk.
Bohlin, K., Ueber eine sonderbare am 2. Januar 1897 beobachtete Nordlichterscheinung. Stockholm (Bih. Vet.-Akad. Handl.) 1898. 8. 18 pg. mit 4 Tafeln. 2,50 Mk.
Neu erschienene Werke. 317
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Vukovie, A., Erdbeben und Magnetnadel. Beobachtungen und Studien über den Zusammenhang zwischen den Erdbeben und den Ab- lenkungen der Magnetnadel. Wien 1890. gr. 8. 42 pg. mit 3 gra-
phischen Darstellungen. 1,80 Mk. Grimmer, J., Fossile Säugetierreste aus der Save. Wien (Mitt. Bosn.) 1900. Lex. 8. 10 pg. mit 9 Abbildungen. 0,50 Mk.
Harmer, S.F., On a Speeimen of Cervus belgrandi Lart. (C. verti- cornis Dawk.) from the Forest-Bed of East Anglia. (London, Zool Soc. Trans., Dee. 1899.) roy. 4. 12 pg. with 1 plate. 5,00 Mk.
Kornhuber, A., Ueber das Geweih eines fossilen Hirsches in einem Leithakalk-Quader des Domes zu Presburg. (Presburg, Verhandl. Ver. Naturk.) 1899.) 8. 9 pg. mit ! Abbildung. 1,00 Mk.
Geologische Spezialkarte des Königreichs Sachsen, 1: 25000, bearbeitet unter Leitung von H. Credner. Blatt 76: Sektion Penig- Burgstedt von J. Lehmann. 2. Auflage, revidiert von E. Danzig. Leipzig 1900. 1 kolorierte Karte in Fol. Mit Erläuterung in gr. 8. (34 pg.) 3,— Mk.
Bisher erschien (1877—99): Blatt 4, 7, 8, 10-57, 59—75, 77-89, 93--104, 107—111, 194—131, 134—140, 149—148, 150—156 (Blatt 28, 45, 46, 60, 96, 137 u. 142 in 2. Aufl.). Blatt 111 und 112 mit Erläuterungen je 2 Mk., die übrigen mit Erläuterungen je
3Mk. — 3 Beilagen (Profile durch das Kohlenfeld von Zwickau, das Steinkohlen- revier von Lugau- Oelsnitz und das Steinkohlenbecken des Plauenschen Grundes). 15,50 Mk. — 2 Ergänzungshefte (Müller, Erzlagerstätten von Berggieshübel und Erz-
gänge des Annaberger Bergreviers) 6,80 Mk.
Katzer, F., Ueber die rote Farbe von Schichtgesteinen. (Stuttgart, Neues Jahrbuch für Mineralogie, 1899.) 8. 5 pg. 0,60 Mk. Voller, A., Das Grundwasser in Hamburg. Mit Berücksichtigung der Luftfeuchtigkeit, der Niederschlagsmengen und der Flusswasserstände, der Luft- und Wassertemperaturen, sowie der Bodenbeschaffenheit dargestellt. Hft. VII: Beobachtungen aus dem Jahre 1898. Hamburg (Jahrb. wiss. Anst.) 1900. gr.4. 6pg. Mit 5 Tafeln. 3,50 Mk. Heft I—VI (1888—97). 18933—98. 53pg. Mit 35 Tafeln und 1 Karte. 23,50 Mk. Gebhardt, R., Beiträge zur Kenntnis der Beziehungen zwischen Erz- gängen und faulen Ruschern des nordwestlichen Oberharzes. Rostock 1899. 4. 38pg. Mit 2 Tafeln.
Hoernes, R., Bericht über die Obersteierischen Beben des ersten Halbjahres 1899 (zumal über die Erschütterungen vom 1., 7. und 29. April). Wien (Sitzungsbericht der Akademie) 1900. gr. 8. 22 pg. Mit 2 Tafeln. 0,70 Mk.
Weber, C. A., Versuch eines Ueberblickes über die Vegetation der Diluvialzeit in den mittleren Regionen Europas. Berlin 1900. gr. 8. 31 pg. 1,— Mk.
Frech, F., Die Steinkohlenformation. Beschreibung und Abbildung der für dieselbe bezeichnendsten Versteinerungen. (Aus. Lethaea geognostica.) Stuttgart 1899. Lex. 8. 177 pg. Mit 5 Tabellen, 3 Karten, 9 Tafeln und 99 Abbildungen. Erhöhter Preis 24,— Mk.
318 Neu erschienene Werke.
Zoologie. Boulenger, G. A., Descriptions of two new blind Snakes. (London, Ann. and Magaz. Nat. Hist.) 1898. 8. 1 pg. 0,30 Mk. Mik, J., Eine neue Aulax-Galle. Ein hymenopterologischer Beitrag. (Wien, W. Ent. Ztg. 1899.) S. 3 pg. mit 1 Tafel. 1,00 Mk.
Van Breda de Haan, J., Levensgeschiedenis en bestrijding van het Tabaks-Aaltje (Heterodera radieicola) in Deli. Batavia (Mededeel. uit’s Lands Plantentuin, 35) 1899. kl. 4. 69 pg. mit 3 Tafeln.
4,00 Mk.
Bertz, F., Ueber die chemische Zusammensetzung der Zähne. Würz- burg 1898. 8. 36 pg. mit 1 Tafel.
Rawitz, B., Ueber Megaptera boops Fabr., nebst Bemerkungen zur Biologie der Norwegischen Mystacoceten. (Berlin, Arch. Natur- gesch.) 1900. gr.8. 34 pg. mit 1 Tafel.
Grobben, K., Einige Betrachtungen über die phylogenetische Ent- stehung der Drehung und der asymmetrischen Aufrollung bei den Gastropoden. (Wien, Arb. Zool. Inst.) 1899. gr. 8. 20 pg. mit 8 Abbildungen.
Comstock, J. H., and Needham, J. G., The Wings of Insects. A Series of Articles on the Structure and Development of the Wings of Inseets, with special reference to the Taxonomie Value of the Characters presented by the Wings. Ithaca N. Y. 1899. roy. 8. 124 pp. with 90 figures. 6,00 Mk.
Speiser, P., Ueber die Strebliden, Fledermausparasiten aus der Gruppe der pupiparen Dipteren. (Berlin, Arch. Naturgesch.) 1900. gr. 8. 40 pg. mit 2 Tafeln.
Foot, K., The Cocoons and Eggs of Allolobophora foetida. (Boston, Journ. Morphol) 1898. roy. 8. 26 pg. with 1 colored plate in-4. and 4 figures.
Huber, J. C., Bibliographie der Klinischen Entomologie (Hexapoden, Acarinen). Heft 3: Diptera (Musciden und Oestriden), Sarcophila, Sarcophaga, Calliphora, Anthomyia, Musca, Lucilia, Teichomyza, Compsomyia, Hypoderma, Dermatobia, Ochromyia. Jena 1899. 8.
25 pg. 1,50 Mk. Heft 1 u. 2. 24 u. 24 pp. 3 Mk
Rauber, A., Der Ueberschuss an Knabengeburten und seine bio- logische Bedeutung. Leipzig 1900. gr.8. 4 und 220 pg. Mit
16 Holzschnitten. 5,— Mk. Bergh, R.$., Das Schicksal isolierter Furchungszellen. Leipzig (Zool. C. Bl.) 1900. 8. 14 pg. 1,— Mk.
Rey, E., Die Eier der Vögel Mitteleuropas. (In 25 Lieferungen.) Gera 1900. gr. 8. Mit 125 Farbendrucktafeln (über 1200 Abbildungen). — Lieferung 2—4: pg. 25>—72. Mit 15 Tafeln. Jede Lieferung 2,— Mk.
Blätter für Aquarien- und Terrarien-Freunde. Herausgegeben von W. Jagodzinski. Magdeburg. 8. Mit vielen Abbildg. Jahrg. XI: 1900 (24 Nrn.). 5,— Mk
Neu erschienene Werke. 319
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. Ergänzungsheft I und II: Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern. Hamburg 1900. 4. M. 18 Taf. u. 44 Abbild. 21,— Mk.
Rawitz, B., Das Gehörorgan der japanischen Tanzmäuse. Leipzig
(Arch. Anat. Ges.) 1599. 8. 9pg. Mit 1 Tafel. 1,— Mk. Brick, C., Das amerikanische Obst und seine Parasiten. Hamburg (Jahrb. wiss. Anst.) 1900. Lex. 8. 34 pg. 1,50 Mk.
Löwit, M., Die Leukämie als Protozoeninfektion. Untersuchungen zur Aetiologie und Pathologie. Wiesbaden 1900. gr. 8. 8 und
2850 pg. Mit 10 Tafeln. 14,60 Mk. Leon, N., Du röle de la Zoologie a la Facult& de Medeeine. Lecon d’ouverture. Jassy 1900. 8. 15 pg. 0,80 Mk.
Heinemann, H.N., Experimentelle Untersuchungen am Menschen über den Einfluss der Muskelarbeit auf den Stoffverbrauch und die Be- deutung der einzelnen Nährstoffe als Quelle der Muskelkraft. München 1898. 8. 51 pg.
Immermann, F., Ueber Doppeleier beim Huhn. Basel 1900. 8. 42 pg. Mit 5 Figuren.
Medreezky, S., Die Farbenveränderungen der Singvögel im Freien und in der Gefangenschaft. (Budapest, Aquila 1899.) 4. 6 pg.
0,60 Mk.
Garten, $., Beiträge zur Physiologie des elektrischen Organes der Zitterrochen. Leipzig (Abhandl. Ges. Wiss.) 1899. Lex. 8. 116 pg. Mit 4 Tafeln. 5,— Mk.
Wasmann, E., Vergleichende Studien über das Seelenleben der Ameisen und der höheren Tiere. 2. vermehrte Auflage. Freiburg
190). 8. 7 und 152 pg. Mit 5 Abbildungen. 2,— Mk. Botanik. Schmidt, H. R., Ueber verschimmelte Tapeten. Erlangen 1899. 8. 31 pg.
Wolff, E., Ueber die Bedeutung der Verzweigungen für die Systematik der Bakterien. Würzburg 1898. 8. 19 pg.
Keissler, K.v., Ueber einen androgynen Fichtenzapfen. (Wien, Oest. bot. Zeitschr.) 1899. 8. 4 pg. mit 8 Abbildungen. 0,50 Mk.
Möbius, M., Der Japanische Lackbaum, Rhus vernieifera D.C. Frank- füurt a. M. (Abhandl. Senckenb. Naturf. Ges.) 1900. 4. 48 pg. mit 1 Tafel und 29 Abbildungen. 4,00 Mk.
Reinke, J., Ueber Caulerpa. Ein Beitrag zur Biologie der Meeres- Organismen. (Kiel, Wiss. Meeresuntersuch. Comm. Untersuch. D. Meere) 1899. gr. 4. 96 pg. mit 87 Abbildungen. 8,00 Mk.
Rodewald, H., und Kattein, A., Ueber die Herstellung von Stärke- lösungen und Rückbildung von Stärkekörnern aus den Lösungen. (Berlin, Sitz.-Ber. Ak. Wiss. 1899.) 4. 3 pg. 0,50 Mk.
Czapek, F., Zur Biologie der holzbewohnenden Pilze. (Berlin, Ber. D. Bot. Ges. 1899.) gr.8. 5 pg- 0,60 Mk.
320 Neu erschienene Werke.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Herausgegeben von R. Koch und C. Flügge. Band 33, Heft 1. Leipzig 1900. gr. 8. pg. 1—160. Mit 1 Karte, 1 kolor. Tafel u. 2 Holzschn. 6,— Mk.
Inhalt: Cozzolino, V., Ein neues Fadenbakterium, eine pseudo - aktinomyko- tische Erkrankung erzeugend (mit 1 Karte). — Hofimann, R., Ueber das Vorkommen und die Bedeutung des Koch-Weeks’schen Bazillus. — Klett, A., Zur Kenntnis der reduzierenden Eigenschaften der Bakterien etc,
Hassack, C., Wodurch unterscheiden sich die Textilfasern? Einige
Unterrichtsstunden im Mikroskopieren. Leipzig (Zeitschr. ges. Textil-
industrie) 1900. gr.$. 48 pg. Mit Abbildungen. 1,50 Mk. d’Aygalliers, P., L’Olivier et l’huile d’olive. Paris 1899. S. 350 pg. Avec 64 figures, cart. 3,60 Mk.
Garcke, A., Flora von Halle. Nachtrag von H. Fitting, A. Schulz und E. Wüst. Herausgegeben von E. Wüst. Teil I. Berlin (Verhandl. Bot. Ver. Brandenb.) 1900. gr.8. 48 pg.
Flora von Halle. 2 Teile. Halle u. Berlin 1848—56. 743 u. 276pg. 12,— Mk.
Fabricius, L., Ueber den Einfluss der Sonnenstrahlen auf die Rinde- bildung einiger Waldbäume. München 1899. 8. 39 pg.
Me Donnel, M.E., Ueber Milchsäurebakterien. Kiel 1899. 8. 58 pg. Mit 3 Tafeln.
Johannsen, W., Das Aetherverfahren beim Frühtreiben, mit be- sonderer Berücksichtigung der Fliedertreiberei. Jena 1900. gr. 8. 28 pg. Mit 4 Abbildungen. 0,80 Mk.
Beauverie, J., Etudes sur le polymorphisme des Champignons. In- fluence du milieu. Lyon (Ann. Univ.) 1900. gr. in-8. 267 pg. Av. 75 figures. 7,— Mk.
Hesdörffer, M., Köhler, E. und Rudel, R., Die schönsten Stauden für die Schnittpflanzen und die Gartenkultur. (12 Lief.) Berlin 190. Lex. Ss. 48 Farbendrucktafeln mit Text. — Lief. 1: 4 Tafeln mit Apg. Text. Jede Lieferung 0,90 Mk.
Frank, A.B., Aufforderung zum allgemeinen Kampf gegen die Fusi- cladium- oder sog. Schorfkrankheit des Kernobstes. Herausgegeben von der biologischen Abteilung für Land- und Forstwirtschaft am kaiserlichen Gesundheitsamte. Berlin 1900. gr.8. Apg. Mit 1 Ab- bildung. 0,10 Mk.
Hoyer, D. P., Beiträge zur Kenntnis der Essigbakterien. Berlin (Deutsche Essigindustrie) 1899. 8. 102 pg. Mit 6 Holzschnitten.
4,— Mk.
Verlag von E. Schweizerbart in Stuttgart.
Blütenbiologische Schemabilder.
Ein Beitrag zur Methodik des naturkundlichen Unterrichtes
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Dr. W. Schoenichen. Mit 12 Figuren im Text. Preis Mk. 0,40.
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Prof. Dr. &. Schwalbe,
Direktor des anatom. Instituts der Universität Strassburg.
Jährlich ein Band zu 3 Heften.
ur, Mathematik, Astronomie; Physik, Chemi Ar. Kur, Zoologie (inel. Palaeozoologie). 5380 eg
„94. Philosophie, Pädagogik. 1955 Nr. > ” » 9597. Botanik (Bibl. Ö. Boeckeler, J. Lange, I. 1. Forssci).
ER Phanerogamae, Florae. .3889 Nr. — 96. Pr ee i tica. ‚41872 Nr. — 97. Cryptogamae. 2277. Nr, ;
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Verlag von E. Schweizerbart in Stuttgart. SD
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Ba. I. Grundsätze einer synthetischen Aufrassung ‚der.
Dinge. 2. Auflage . . Sa MR Bd. 11-IH. Die Prinzipien der Biologie. Een RAR Mk - Bd. IV—V. Die Prinzipien der Psychologie. TIL. .. Mk: 27 Bd. VI—IX. Die Prinzipien der Soziologie. uIv. =. DE 96 ‚Bd. Eae "Die nen der Ethik. [H .. % k.
i ; Drich, von Ehrhardt Karras, Halle a. Sx
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Se 13 5 5.16 a : 97. Februar 1901.
Zeitschrift
: für
Naturwissenschaften
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"Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen, unter Mitwirkung von
Geh.-Rat Prof. Dr. von Fritsch, Geh. Rat Prof. Dr. Garcke - Geh.-Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr.. W. Zopf
herausgegeben
von
Dr. G. Brandes
Privatdozent der Zoologie an der Universität Halle
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ee Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften £ Preis des Bandes 12 Mark
Een | = Vereinsausgabe
2 a SECRR
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- E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung we (E. Naegele)
1901
Inhalt.
I. Original-Abhandlungen. FR
Erdmann,. Prof. Dr. H., C. Höpfner, 8. Februar 1857 bis.
BANNER "Dezember 1900. Biographische Notiz
GErkihen, ‘Walter, Die ee des en ‚Thüringer Waldes 8
Kersten, HM, Die idealistische Richlng in ‚der vahdemmen Ent- wieklungslehre %
Marshall, Prof. Dr. William, Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte. und zoölogische Wunder .. Son,
Seupin, Privatdozent Dr. H., Ueber. vulkanische Bomben aus ‚dem N Mit Tafel V
1I. Kleinere Mitteilungen.
Astronomie: Zur J ahrhundertwende, S. 41 FT. ‚Ueber Sonnen-
ukren. “8: 415, ° Chemie und Physik: Die Ricchstohe aus den a der Ketone, der Phenole und der Säuren. 8. 417. — Die
Boa der Ackererden und die Bestimmung des assimilierbaren Kalkes im Boden. S. 419. — Das Blaü
des Himmels und des Was:ers., 8.42X. — Die Wirkung
des Liclites bei tiefen Temperaturen. 8. 429..
Mineralogie und Geologie: Die ae des Brockens. :8. 43). — Neue Erdbebenschwärme im Noet lande. .- 8. 431.
Botanik: Zur Bivlogie des Schattenblattes. 5 4833.
Zoologie: Die Parthenogonie der Bienen. S. 438. — Zur Bio- logie des Maikäfers. $:439. — Das Summen der Dassel- fliegen. S. 443. — Die Beeinflussung des Vogelmagens durch die Art der Nahrung. 8.441. — Die Zähne der Elefanten. S. 443.
Ill. Litteralur - Besprechungen .
IV. Neu erschienene Werke .
Seite
367 398 321 369
399
467
Die idealistische Richtung in der modernen Entwicklungsiehre.
Mit besonderer Berücksichtigung der Theorien von 0. Hamann
und E. von Hartmann
von
H. Kersten.
Vier Dezennien sind verflossen, seit DARwINn zuerst seine neue und originelle Lehre verkündete. Der Kampf der Meinungen, der hierdurch entfacht wurde, dauert heute noch fort. Doch nicht mehr um die Entwicklungsidee als solehe, denn die ist längst in der Biologie zu allgemeiner Anerkennung gelangt. Heute dreht sich alles um das „Wie“ der Entwicklung. Dem Darwinismus, sei es in seiner ur- sprünglichen Form, sei es in der später von mehreren Forschern (ef. WEısmAnn und EIMER) modifizierten, ist je länger je mehr eine entschiedene Gegnerschaft erstanden, welehe nichts von einer rein mechanischen Erklärung der Entwicklung wissen will, sondern „das Ausschlaggebende“ bei jeder Entwicklung in „inneren im Organismus liegenden Ursachen“ sehen zu müssen glaubt. Man kann die von Darwın’s prinzipiellen Gegnern vertretene und seit etwa einem Jahrzehnt stärker hervorgetretene Richtung in der Entwicklungslehre kurz als die idealistische oder vielleicht treffender noch als die teleologisehe bezeichnen. Denn wenn auch die Anhänger dieser Richtung in ihren Erklärungs- versuchen vielfach auseinander gehen, so treffen sie sich doch darin, dass sie die ganze Entwicklung zuletzt auf teleologische Prinzipien zurückführen wollen. Es geschieht dies zum Teil mit Anlehnung an SCHOPENHAUER und an.
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 21
322 H. KERSTEN, [2]
von HARTMANN, und es fehlt nicht an Versuchen, gewisse Grundideen beider Philosophen zum Aufbau einer teleo- logischen Naturphilosophie zu verwerten. Teilweise laufen bei diesen teleologischen Tendenzen auch religiöse Motive mit unter.
Indem wir uns nun im folgenden eine kritische Be- trachtung der ganzen in Rede stehenden Riehtung zur Auf- gabe machen, wollen wir uns zunächst an einen typischen Vertreter derselben halten. Als einen solehen dürfen wir wohl O. Hamann, früher Professor der Zoologie in Göttingen, ansehen. Sein 1892 erschienenes Buch „Entwieklungslehre und Darwinismus“!) ist zwar nicht neuesten Datums, um- fasst aber schon alles Wesentliche, was hier in Betracht kommt, und behandelt besonders auch die prinzipiellen Fragen in einem gewissen systematischen Zusammenhange. Es erscheint daher auch gegenüber den vielen neueren Publikationen gleicher Tendenz ganz angebracht, auf jenes Buch zurückzugreifen und darauf hinzuweisen, dass dort in der Hauptsache so ziemlich alles schon gesagt ist, was seither zu Gunsten einer teleologischen Entwicklungslehre ins Feld geführt ward.
Seinen allgemeinen Standpunkt charakterisiert HAMANN selbst mit der Bemerkung, dass die moderne Entwicklungs- lehre stehe und falle „mit der Antwort auf die schwer- wiegende Frage nach der Stellung des Menschen im Kreise der Organismenwelt, nach seinem Ursprung und seiner Ent- wieklung.“ Den anthropozentrischen Standpunkt, den er hier schon verrät, kehrt er an anderen Stellen aufs sehärfste hervor. Für ihn ist der Mensch nieht etwa nur „eine äusser- liche Zugabe der Welt“, sondern „die Krone und das Ziel der Schöpfung“. „Die ganze organische Schöpfung und Entwieklung“, so erklärt er, „scheint darauf vorzubereiten, dass als Endglied, als Schlussstein, der Mensch erscheint“. Will man sich die Schöpfung als eine Entwieklung denken, so kann es nur eine solche sein, die von einer überall in
!) Jena bei Costenoble. Im Vorworte bemerkt Hamann, dass in seinem Buche „zum ersten Male“ ein Versuch gemacht werde, „die Prinzipien der Entwicklungslehre vorurteilsfrei unter neuen Gesichts- punkten darzustellen“.
[3] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 323
der Natur zu erkennenden „Zielstrebigkeit“ beherrscht wird. Durch Sprache, Vernunft und sittlieh-religiöse Anlagen nimmt der Mensch eine prinzipielle Sonderstellung unter den Orga- nismen ein, und er hat dementsprechend eine geistige Be- stimmung, wie sie sich in der weltgeschichtlichen Entwick- lung der Menschheit offenbart. Wenn es sich hiernach für die Entwicklungslehre nur darum handeln kann, die natür- liche Herkunft des Menschen mit seiner Sonderstellung und -bestimmung in Einklang zu bringen, so muss seine Herkunft frei gehalten werden von allem Tierischen. Eine tierische Abstammung des Menschen erscheint mit seinen Anlagen und seiner Bestimmung von vornherein unverträglich.
Man sieht, wie HAMmAnNns ganze Stellungnahme zur Entwicklungslehre von allgemeinen Erwägungen bedingt ist, die eigentlich ganz ausserhalb der biologischen Wissenschaft liegen. Doch sind dieselben für ihn in dem Grade mass- gebend, dass ihm die Annahme der ganzen Lehre davon abhängig erscheint, ob letztere mit eben diesen Erwägungen vereinbar ist oder nicht. Im Grunde handelt es sich bei Hamann -und der von ihm vertretenen Richtung überhaupt darum, dass sich die teleologische Weltanschauung mit dem modernen Entwieklungsgedanken abzufinden sucht. Die Idee der Entwicklung wird acceptiert, als eine Hypothese, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Entwicklung nicht mechanisch, oder wenigstens nicht rein mechanisch, sondern in erster Linie teleologisch erklärt wird. Und Hamann hält letzteres für thunlich und macht es sich zur Aufgabe, den rein mechanischen Erklärungsversuch der Darwinianer zurück- zuweisen und an seine Stelle einen teleologisch-mechanischen zu setzen. Was er sich des näheren hierunter denkt, das wird sich später zeigen.
I. Teil.
Zunächst unterscheidet sich Hamann sehon in der Auf- fassung des genetischen Zusammenhanges der Organismen nicht unwesentlich von DArwın und dessen Anhängern. In der Frage nach der Herkunft resp. erstmaligen Entstehung (Urzeugung) der lebenden Substanz schliesst er sich FECHNER’S
21*
(eb)
24 H. KERSTEN, [4]
Hypothese von einem ursprünglich „kosmoorganischen Zu- stand“ der Erde an.!)
Indem er dann weiter nur das Tierreich und dessen verwandtsehaftliche Beziehungen in Betracht zieht, nimmt er für die Metazoen (d.h. die Tierstämme mit Ausschluss der Protozoen) einen Ursprung aus einzelligen Wesen an, einfacher gebaut, als die heutigen „relativ hoch“ organi- sierten Protozoen. Die letzteren sind ihm höchstens Seiten- zweige jener einzelligen Urformen, nicht aber selbst Stamm- formen der Metazoen.
Bis hierher erscheint Hamann’s Ansicht mit derjenigen der Darwinianer noch ganz wohl vereinbar. Und auch darin zeigt sich Uebereinstimmung, dass Hamann gleichfalls die Weiterbildung von ursprünglich einzelligen Formen zu mehr- zelligen als eine notwendige Forderung der Theorie ansieht. Nur hält er es für unthunlich, über die Art dieser Weiter- entwicklung etwas Bestimmtes auszusagen, und speziell gegen Häcker’s „Gasträa-Theorie“ und dessen „biogenetisches Grundgesetz“, das er für eine reine Hypothese erklärt,2) verhält er sich durchaus ablehnend. Was dann aber den Ursprung der einzelnen Metazoen-Stämme oder -Typen be- trifft, so sieht er im Gegensatz zu den Darwinianern die Herleitung irgend eines Typus aus einem andern als aus- geschlossen an, indem er seinerseits für eine polyphyletische Entwicklung eintritt. Diese letztere denkt er sich so, dass mehrzellige Formen von zweischichtigem Bau, hervor- gegangen aus den besagten einzelligen Urformen, die Grund- formen für die verschiedenen Typen abgaben; so nämlich,
1) „Organisches und Unorganisches“, sagt Hamann, „denken wir uns hervorgegangen aus einem Zustand der Urmaterie, auf den weder der Begriff unserer heutigen organischen noch unorganischen Zustände vollkommen anwendbar ist“.
2) Ein „Gesetz“ ist dasselbe in der That nicht; als solches müsste es zum mindesten der Ausdruck sicher ausgemachter Thatsachen sein, von denen die einen mit den andern kausal verknüpft zu denken wären. Es handelt sich allerdings hier nur um eine Hypothese. Im übrigen macht Hamann auch seinerseits Rückschlüsse aus der Ontogenie auf die Phylogenie. Nur lässt er die Entwicklung da wie dort nicht „von einem Speziellen in ein anderes Spezielles“, sondern „aus dem All- gemeinen in das Spezielle“ gehen.
[5] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 325
dass jeder Typus für sich aus einer besonderen Gruppe dieser Grundformen hervorging und getrennt von den übrigen Typen seinen gesonderten Entwieklungsgang einschlug, einem ihm eigentümlichen Organisationsplane gemäss. Sämtliche Typen sollen unabhängig von- und nebeneinander schon in der archäolithischen Zeit ihre Auswirkung erfahren haben. Uebergänge lässt Hamann weder zwischen den verschiedenen Typen, noch auch zwischen den verschiedenen Klassen eines Typus gelten. Vielmehr sollen sich die allgemeinen Grund- formen eines jeden Typus in Gruppen spezieller Grundformen gesondert haben, aus denen dann die einzelnen Klassen ihren Ursprung nahmen. In analoger Art sollen weiter auch die verschiedenen Ordnungen innerhalb einer jeden Klasse getrennt von einander entstanden sein. „Nur innerhalb kleiner Abteilungen, innerhalb einer Ordnung, da war es in einzelnen Fällen möglich, Reihen zusammenzustellen, die man als aus einander entstanden, von einander abstammend, ansehen durfte.“
Was nun speziell den Menschen angeht, so stellt ihn HAMANN neben die verschiedenen Ordnungen der Säugetier- klasse in eine besondere Ordnung. Als „den direkten Vor- fahren des Menschengeschlechts“ hat man sich diejenige Grundform der Säugetierklasse zu denken, die keiner andern Säugetierordnung, wie etwa der der Affen, den Ursprung sebend „stetig zur Menschwerdung hinarbeitete“, also die in den übrigen Säugetierordnungen nicht weiter zur Ent- faltung gelangte Fähigkeit bewahrte, „dereinst die höchsten Geisteseigenschaften, Sprache, Religion und Moral auszu- bilden“. Indem Hamann auf diesem Wege zeigen will, dass und wie man sich die Vorfahrenkette des Menschen und diejenige der Tiere als bei aller Berührung doch streng von einander geschieden vorstellen kann, sucht er der anfangs ausgesprochenen Tendenz gemäss den Menschen vom Tierischen freizuhalten und ihm eine Ausnahmestellung zu wahren, eine Ausnahmestellung, wie sie ihm bekanntlich die Darwinianer nicht zugestehen.
Wir wollen auf diese Lehre Hamann’s von den Grund- formen hier nieht weiter eingehen. Es muss dahingestellt bleiben, ob und wieweit seine Annahmen bei fortschreitender
326 H. KERSTEN, [6]
Forsehung eine Stütze in den Thatsachen finden werden. Aber auch wenn eine polyphyletische Descendenzhypothese wie die Hamanw’sche mehr Wahrscheinlichkeit für sieh haben sollte als eine monophyletische, so bleibt es noch eine andere Frage, wie die Entwicklung als solche zu er- klären ist, und speziell, ob dieselbe etwa nur so zu erklären ist, wie HAMANN will.
11. Teil.
Wenn wir nun dieser Frage jetzt näher treten, so ist im voraus zu erwarten, dass sich Hamann in einen möglichst schroffen Gegensatz zu den Darwinianern stellen wird. Und dies zeigt sich in der That nieht nur bei seiner Kritik des Darwinismus, sondern auch bei der Aufstellung seines eigenen Erklärungsversuches. Was zuerst seine Kritik an- geht, so mögen von den zahlreichen gegen die Prinzipien der Selektionstheorie von ihm erhobenen Einwänden hier wenigstens die wichtigsten kurz besprochen werden.!)
A, 1.
Zunächst bestreitet er die Bedeutung der Variabilität?) als eines Faktors zur Bildung von bleibenden Varietäten und schliesslich von neuen Arten. Er meint, dass die an- geborenen kleinen individuellen Abweichungen, durch die sich die Organismen einer Generation von ihren Erzeugern und untereinander unterscheiden, „sich nicht als Regel ver- erben“; sie würden sich mithin auch nicht irgend regel- mässig von Generation zu Generation häufen und summieren können. An einer Stelle spricht er sich gegen die Vererb- barkeit der Variationen noch entschiedener so aus: „Pflanzen und Tiere variieren im Naturzustande, aber kein Fall ist bekannt, in dem sich diese neu aufgetretenen kleinsten Abweichungen im Laufe der Zeit auf die Nachkommen fortgepflanzt hätten. Immer schlugen die Nachkommen in
!) Die Kritik der geschlechtlichen Zuchtwahl mag hier als für unseren Zweck minder wichtig ganz bei Seite bleiben. 2) Soweit es sich nämlich um angeborene Variationen handelt.
[7] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 327
der nächsten Generation wieder in die alte Form zurück ... Erst sobald der Mensch bei einer Abänderung einer Tier- form züchtend eingreift, kann sie beibehalten werden. Aber veredelte Pflanzen fallen, sobald sie wieder sich selbst überlassen sind, in die alte Art zurück. Das Gleiche gilt von den Tieren.“
Wir möchten hier nun vor allem gegen jede Verall- gemeinerung der Art protestieren, dass die Varietäten im freien Naturzustande gleich in der nächsten Generation oder doch in einer der nächstfolgenden Generationen stets wieder in die alte Form zurückschlügen. Als ob dieselben überhaupt daraufhin in umfassender Weise und genau be- obachtet wären! Und als ob auch nur die Vorfrage erledigt wäre, was in jedem Falle eine Varietät sei! Das müsste man doch vor allen Dingen wissen, um sicher zu sein, dass nicht manche als „echte Art“ angesprochene Form, selbst wenn sie sich so fortpflanzt, „eine blosse Varietät“ ist, die dann eben ihre Abweichungen von der Stammform ganz regelrecht weiter vererbt. Es wäre also erst einmal er- forderlich; die Varietäten nicht bloss nach der Form- verwandtschaft mit den betr. Arten, denen sie angehängt werden, aufzustellen, sondern wirklich ihren genetischen Zusammenhang mit diesen Arten aufzuweisen. Danach käme die Frage, wieweit die so konstatierten Varietäten nur in einer Generation auftretende und wieder ver- schwindende und sich ebenso zeitweilig wiederholende, oder aber relativ beständige Formen repräsentieren, die sich als solche fortpflanzen. Und an sich ist jedenfalls nicht ein- zusehen, warum jene kleinen Variationen, die Darwin zur Erklärung der Artenbildung heranzieht, weniger durch Ver- erbung fixierbar sein sollen, als die grossen sprungweisen Abänderungen, welche, wie wir sehen werden, HAMAnN’s Erklärungsversuch annimmt. Denn die einen wie die andern entspringen derselben Eigenschaft der Variabilität und sind insofern, wie man sich im übrigen auch die Variabilität selbst erklären mag, gar nieht prinzipiell, sondern nur graduell verschieden. Doch davon später noch.
328 H. KERSTEN, [8]
A, 2,
Ganz besonders handelt es sich nun für Hamann darum, der darwinistischen Behauptung von der rein mechanischen Natur der Variabilität entgegenzutreten. Er meint, die individuellen Abweichungen, wie sie an den Organismen im Naturzustande thatsächlich auftreten, seien nicht „unbe- stimmte“ und „unbegrenzte“, durch den „Zufall“ entstandene, wie dies Darwins Theorie fordere, um die Möglichkeit für eine Erklärung der Varietäten- und Artenbildung ohne eine planmässige Entwieklung zu wahren. Vielmehr seien be- stimmte Riehtungen und Grenzen für die Variabilität vor- geschrieben. Kein Tier und keine Pflanze zeige z. B. in der Färbung alle möglichen Variationen, durch alle Farben des Spektrums, sondern nur eine gewisse begrenzte Zahl. „Das heisst aber“, so folgert er, „in dem Organismus liegende Kräfte, eine gesetzmässige innere spontane Variationstendenz schreiben die Riehtung vor und regeln die Abweichungen.“
Man muss nun wohl zugeben, dass die Erfahrung gegen eine sehrankenlose Variabilität spricht. Legen wir uns also einmal die Frage vor, wie man sich auf darwinistischem Standpunkt hiermit würde abfinden können. Wer im Orga- nismus einen blossen Mechanismus sieht und in jedem einzelnen Abänderungsprozess nur eine mechanische Reaktion des Organismus auf eine äussere Einwirkung, der kann sich eigentlich von vornherein sagen, dass bei aller Biegsamkeit und Flüssigkeit der organischen Formen die Variationen bestimmte Richtungen und Grenzen haben werden. Sind nämlich die bei der Zeugung zu Tage tretenden Variationen die Folge einer indirekten Anpassung, d.h. einer solchen, bei weleher sieh der umgestaltende Einfluss äusserer Um- stände nicht direkt, an dem davon betroffenen Organimus selbst, sondern indirekt, erst an seiner Nachkommenschaft bemerklich maecht,') so erscheinen diese Variationen in ihrem Auftreten genau geregelt einerseits durch die äusseren Lebensumstände, welehe auf den elterlichen Organismus und dessen Fortpflanzungsorgane einwirken, andrerseits durch die besondere Natur des elterlichen Organismus selbst. Da
ı) Vgl. hierzu besonders die betr. Ausführungen Häckels in seiner Nat. Schöpfungsgesch.
[9] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 329
jeder Organismus auf eine bestimmte Aktion von aussen her schliesslich doch nur so reagieren kann, wie dies durch die spezifische und individuelle Konstitution resp. Bewegung seiner Protoplasmamolekeln bedingt ist, so werden hiermit eben bestimmte Richtungen und Grenzen für die auftretenden Variationen gegeben sein. Es liesse sich also auch bei An- nahme einer rein mechanischen Natur der Variabilität sehr wohl begründen, dass die letztere keine unbestimmte und unbegrenzte ist. Ob jene Annahme richtig ist, das ist eine Frage für sich. Man darf aber nicht schon daraus, dass die Variationen nur gewisse und nicht „alle möglichen“ Riehtungen einschlagen, schliessen wollen, dass dieselben nieht aus „zufälligen“, soll heissen mechanischen, Ursachen entspringen können, sondern nur aus „planmässigen“, indem man die thatsächlich eingeschlagenen Richtungen als beab- siehtigte und bevorzugte deutet. Was heisst denn das: die Variationen schlagen nicht „alle möglichen“ Richtungen ein? Wenn man sich auch neben den thatsächlich auftretenden Riehtungen noch viele andere, die nicht auftreten, als möglich denken kann, so sind diese doch darum noch nicht in der Sache möglich. Sie können vielmehr gerade bei Voraussetzung rein mechanischer Ursachen im voraus aus- geschlossen sein, so dass es danach heissen müsste: die Variationen schlagen die der Natur der Sache nach einzig möglichen Richtungen ein. Man hat also nicht nötig, die Variationen deshalb, weil sie gerade nur in dieser oder jener Weise auftreten, so anzusehen, als seien sie von einem „zielstrebig wirkenden Prinzip“ eigens bestimmt und be- zweekt, um ihrerseits wieder weiteren Zwecken zu dienen. Und wie steht es vollends, wenn man im konkreten Falle fragen wollte, welches spezielle Ziel denn erstrebt werden soll? — Was bedeutet es denn z. B., wenn wir bei einer Scehmetterlingsart eine — wohlverstanden angeborene! — Abänderung in Farbe oder Zeichnung der Flügel, oder bei einer Pflanzenart eine solche in Form oder Stellung der Blätter, in Grösse oder Färbung der Blüten® in Zahl oder Gestalt der Staubfäden auftreten sehen? Hamann selbst giebt uns kein Beispiel, aus welchem zu ersehen wäre, in- wiefern sieh bei einer angeborenen Variation überhaupt
330 H. KERSTEN, [10]
nur von einem bestimmten Ziele oder Zwecke sprechen lässt. Denn wenn er uns als einen Fall von Variabilität, in dem ein Zweck deutlich erkennbar sein soll, die Tritonenlarven vorführt, welche durch äussere Umstände im Wasser zurück- gehalten ihre Kiemen beibehalten und geschlechtsreif werden, so handelt es sich hier nicht um eine angeborene Variation, sondern um eine später durch direkte Anpassung hervor- gerufene. Variationen der letzteren Art allein könnten über- haupt in Frage kommen, wollte man sich auf HAmAnns Standpunkt stellen und von erkennbaren bestimmten Zwecken sprechen. Denn bei diesen Variationen, welche an einem Organismus während seines selbständigen Lebens unmittelbar unter der Einwirkung äusserer Umstände ent- stehen, ergeben sich zu diesen äusseren Umständen bestimmte Beziehungen, die immerhin den Eindruck von Zweckbezieh- ungen machen können und so auch auf eine im Organismus liegende „Zielstrebigkeit“ hinzuweisen scheinen. Was es freilich mit dieser Zielstrebigkeit in Wahrheit auf sich hat, das werden wir später sehen.
A, 3.
Zunächst wollen wir noch eine andere sieh uns auf- drängende Frage zu beantworten suchen. Nämlich, ob die angeborenen Variationen, wenn sie sich, wie zugegeben, innerhalb bestimmter Riehtungen und Grenzen halten, dem Kampfe ums Dasein noch genügend Angriffspunkte für seine Wirksamkeit bieten können. Die Auslese, welche der Kampf ums Dasein bewirken soll, setzt voraus, dass sich unter den auftretenden Variationen solehe finden, die ihren Besitzern bei einer Aenderung der Lebensverhältnisse einen Vorteil vor den übrigen Artgenossen verschaffen. Schlagen nun aber die Variationen nur bestimmte Richtungen ein, wie oft wird dann, wenn irgend eine neue Lebensbedingung eintritt, auch eine gerade dazu passende Variation vorhanden sein, die den nötigen Nutzen gewährt? Jedenfalls findet ein zufälliges Zusammentreffen derart, wie es die Selektions- theorie fordert, bei einer bestimmt gerichteten Variabilität weit weniger häufig statt, als bei einer unbestimmten. “ Des- wegen braucht man aber die Selektionstheorie noch nicht
[11] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 331
sehlechtweg zu verwerfen. Denn es bleibt immerhin denkbar, dass sich auch unter den von einer bestimmt gerichteten Variabilität in beschränkter Zahl hervorgebrachten Variationen noeh genug solche finden, welche zufällig für irgendwie neu eintretende Lebensverhältnisse passen und so Gelegenheit erhalten, im Kampfe ums Dasein sich nützlich zu erweisen.
Ferner aber braucht gar nicht bestritten zu werden, dass die einmal nützlich gewordenen Variationen, auch wenn jede innerhalb ihrer Richtung nur bis zu einer bestimmten Grenze steigerungsfähig ist, durch die Auslese zu einer Um- und Neubildung der Arten beitragen können. Durch die Auslese — dieselbe im übrigen als ein im Sinne der Selektions- theorie thatsächlich wirkendes Prinzip vorausgesetzt, wovon später — werden die ursprünglich vielleicht recht gering- fügigen nützlichen Abänderungen in einer Reihe aufeinander folgender Generationen summiert. Die einzelnen vorteilhaften Abänderungen nämlich, deren Besitzer vor den anderen minder begünstigten Artgenossen vorzugsweise sich am Leben er- halten, zur Fortpflanzung kommen und ihre Vorteile weiter vererben werden, übertragen sich bei der Vererbung nicht bloss einfach so, wie sie zuerst waren, sondern sie treten von Generation zu Generation vermehrt und verstärkt auf (wie nämlich in Analogie zu der künstlichen Zuchtwahl für die natürliche angenommen wird). Hierdurch werden dann die betreffenden Individuen den neuen Lebensverhältnissen immer besser angepasst, gelangen immer mehr ins Ueber- gewicht und bleiben schliesslich allein existenzfähig. Es wird nun wohl eingewendet,!) dass durch diesen, doch nur bis zu einem gewissen Grade möglichen Steigerungsprozess allenfalls Varietäten entstehen könnten mit nicht eben grossen, wesentlich nur physiologischen Abweichungen, aber keine neuen Arten mit wirklich verändertem morphologischen Typus. Diesem Einwand brauchen wir jedoch so lange kein Gewicht beizumessen, als uns nicht die Grenze zwischen . Varietät und Art angegeben wird. Letzteres würde auf die
!) So von E. v. Hartmann, Wahrheit und Irrtum im Darwinismus. Berlin 1875. Wie derselbe den physiologischen Charakter der fr. Ab- weichungen betont, davon später noch.
3832 H. KERSTEN, [12]
Frage nach dem Speziesbegriff hinauslaufen, eine Frage, die auch von solchen für unbeantwortbar gehalten wird, die eben jenen Einwand erheben.
Bilden sich nun auf dem besagten Wege neue Arten heraus, so werden sich dieselben freilich von dem ursprüng- lichen Ausgangspunkte nicht weiter entfernen können als bis zu der Grenze, wo die Steigerungsfähigkeit ihrer nütz- lichen Variationen sich erschöpft. Ist bei erschöpfter Steigerungsfähigkeit die Anpassung an die neuen Lebens- verhältnisse keine genügende, so wird dies zum Schaden der betreffenden Art ausschlagen, und die Existenz derselben kann in Frage gestellt sein. Wo dagegen in einer bestimmten Richtung das Anpassungsgleichgewicht hergestellt ist, da kann sich wieder in einer anderen, von der ersteren unab- hängigen, eine Anpassung vollziehen, so dass dann die neue Art in mehrfacher Riehtung von der Stammform divergiert. Die Divergenz mag auf diese Weise immerhin einen sehr beträchtlichen Grad erreichen, ins Unbegrenzte aber wird sie allerdings nicht gehen. Im übrigen muss es natürlich in jedem Einzelfalle von der spezifischen Natur des Orga- nismus abhängen, wie weit seine Abänderungen sich steigern werden. — Alles in allem genommen also vermögen wir uns nicht zu überzeugen, dass die Variabilität, in Verbindung mit der Vererbung, als Prinzip zur Erklärung der Artent- stehung so völlig untauglich ist, wie das HamAnn behauptet.!) Ebensowenig können wir zugeben, dass auf dem oben be- sprochenen Wege ein bündiger Beweis für die Unmöglichkeit einer mechanistischen Auffassung der Variabilität zu er- bringen ist. Dagegen kann man dem, was HAMANN in einem besonderen Kapitel „über die Grenzen der mechanischen Erklärung“ ausführt, im ganzen beistimmen und kann die sich hier gegen die rein mechanische Natur der Variabilität und ebenso der Vererbung ergebenden Argumente als solche anerkennen. Denn allerdings ist von einer rein mechanischen Erklärung irgend einer Lebenserscheinung, von einer wirk- lichen „Zurückführung derselben auf eine Mechanik der
1) Immer, soweit es sich dabei um angeborene Variationen handelt.
[13] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 333
Atome“ bis jetzt nicht die Rede; und dass jeder Weg hierzu von vornherein abgeschnitten erscheint, diese Meinung teilen heute auch viele solehe Naturforscher, die gerade keine spiritualistischen und teleologischen Tendenzen verfolgen und die im übrigen aueh wohl die Lehre Darwins gelten lassen. Hiernach würde man also die Variabilität und ebenso die Vererbung als „unerklärbare Thatsache“ hinzu- nehmen haben. Freilich meinen wir im Gegensatz zu HAMANN, dass die genannten Lebensäusserungen gleich allen anderen nieht sowohl „elementare Eigenschaften“ der orga- nischen Substanz, als vielmehr ziemlich komplizierte Er- scheinungen sind, die als solche wissenschaftlich noch irgend- wie eine Analyse erfordern. Wie die Sache aber bis jetzt steht, so mag man immerhin die Lebensäusserungen in ihrer Totalität auf ein Etwas zurückführen, was ihnen allen irgend- wie zu Grunde liegt, nenne man es schlechthin „Leben“ oder „Aktivität“ oder „formbildendes Prinzip“ oder sonstwie. Schliesslich wird hiermit eben nur unser jetziger Wissensstand zum Ausdruck gebracht, wogegen an sich auch gewiss nichts zu sagen ist.
HAMANN weist noch besonders darauf hin, dass dieses „formbildende Prinzip“ nicht gleichbedeutend sei mit der alten „Lebenskraft“ (dem nisus formativus BLUMENBACH'). Der frühere Vitalismus sah in einer spezifischen Lebenskraft die ausschliessliche Ursache für alle Lebensvorgänge und gestand den materiellen Kräften keine eigentliche Beteiligung an denselben zu. Der heutige Vitalismus, der „Neo-Vitalismus“, lässt sein „formbildendes Prinzip“ mit den materiellen Kräften im Organismus zusammenwirken — ohne freilich über das „Wie“ etwas aussagen zu können —, sodass jede organische Bildung nach Hamann’s Worten die Resultante ist „aus der mechanischen Wirkung der physikalisch-chemischen Natur- gesetze und den die Bildungen hervorbringenden inneren Bildungsgesetzen, die wir als Leben schlechthin bezeichnen können.“
Es ist indessen auch dann, wenn das Leben als ein selbständiges resp. selbstthätiges Prinzip anerkannt wird, noch keineswegs gesagt, dass dasselbe in seinen „vitalen“ Aeusserungen (physiologische Funktionen, Anpassungsvor-
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sänge) zugleich nur als ein „planmässig“ und „zielstrebig“ wirkendes aufzufassen sei.!) Dies ist in keinem Falle der unmittelbare und unverfälschte Ausdruck der Erfahrung, sondern zunächst eine blosse Interpretation derselben, jeden- falls aber mehr, als sich naturwissenschaftlich erweisen lässt. Die weitere Erörterung hierüber versparen wir uns jedoch zweckmässiger Weise, bis wir zu HAMANnN’s eigenem Erklärungsversuch kommen.
B, 1.
Verfolgen wir jetzt erst Hamann’s Kritik der Selektions- theorie noch weiter. Das thatsächliche Stattfmden des Kampfes ums Dasein bestreitet er zwar nicht, um so mehr aber die umgestaltende Wirkung, die derselbe an den Orga- nismen hervorbringen soll. Allerdings, sagt er, kommt dem Kampfe ums Dasein eine enorme Bedeutung zu, aber nur insofern, als er die Degeneration der Arten verhindert und dieselbe in ihrer Reinheit erhält, indem er bloss die Stärksten, Gewandtesten, Gesündesten zur Fortpflanzung kommen lässt, die Schwachen und Kranken aber ausmerzt.
Nun ist gewiss richtig, dass der Kampf ums Dasein in dieser Weise auch auf eine Veredelung der Arten hin- wirkt, aber hierin erschöpft sich seine Bedeutung nicht. Gerade E. von HARTMANN, auf den sich Hamann mit Vor- liebe beruft als auf einen Vertreter der Lehre von einer „inneren planvoll gesetzmässigen Entwicklung“, macht schon gegen den Botaniker WıcanD geltend, dass die natürliche Zuchtwahl „ein richtiges und in der Natur thatsächlich im weitesten Umfange zur Wirksamkeit kommendes Prinzip“ sei. Nicht nur, dass der Kampf ums Dasein dazu dient, „die Spezies auf der Höhe des (gleichviel wie) erlangten Anpassungsgleichgewichtes zu erhalten“, sie vor „Depravation“ zu bewahren, er kann auch im Sinne einer „Umwandlung der Typen“ wirken, „wenn durch Aenderung der Lebens- bedingungen die Spezies aufhört, vollkommen zu sein und das Anpassungsgleichgewicht verliert.“ E. von HARTMANN
1) Die psychische Sphäre des bewussten Wollens kommt hierbei natürlich nicht in Frage.
[15] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 335
lässt auch die Auslese im Kampfe ums Dasein als einen mechanischen Faktor bestehen, und zwar als den einzigen rein mechanischen in der ganzen Zuchtwahl. Der letzteren selbst gesteht er allerdings keine selbständige, sondern nur eine „kooperative“ Bedeutung zu; er sieht in ihr nur „eine technische Beihilfe zu der Wirksamkeit des Prinzips der inneren planvoll-gesetzmässigen Entwicklung, als dessen Träger oder Subjekt ein metaphysischer Bildungs- oder Gestaltungstrieb angenommen werden muss.“ Ein inneres, teleologisch gerichtetes Entwicklungsgesetz soll die eigentliche morphologische Typenverwandlung auf dem Wege der „heterogenen Zeugung durch planvoll gesetzmässige Keim- metamorphose“ hervorbringen und in allen Fällen „die tiefere Grundlage der Erscheinungen“ bilden, während umgekehrt der Kampf ums Dasein, als züchtendes Prinzip im Sinne Darwins, nur eine sekundäre, mitwirkende und nachhelfende Rolle spielen soll, und zwar auf dem Boden einer „planvoll“ gerichteten Variabilität oder auch der heterogenen Zeugung. Freilich lässt selbst so v. Harrmann die Anwendbarkeit des Kampfes ums Dasein als eines Erklärungsprinzips nur mit vielen Einschränkungen gelten. Gehen wir noch etwas näher auf seine in jedem Falle sehr beachtenswerten Gedanken ein.!)
Vor allem soll sich die umgestaltende Wirkung des Kampfes ums Dasein nur auf physiologische, nicht aber auf die eigentlich morphologischen Charaktere erstrecken können. Diejenigen Abänderungen, so führt er aus, welche die Chancen im Kampfe ums Dasein verbessern, sind fast immer nur physiologischer Art (chemische oder anatomische Ver- änderungen, Vergrösserung eines ganzen Organismus oder einzelner Teile desselben, Veränderungen in dem periodischen Verhalten, z. B. in der Blütezeit), während gerade morpho- logisch wichtige, aber physiologisch indifferente Charaktere dem Kampfe ums Dasein gar keinen Angriffspunkt zu bieten vermögen. Berufen sich aber die Darwinianer auf gesetz-
1!) Ueberhaupt gehört v. Hartmann’s kritische Darstellung der organischen Entwicklungstheorie zu dem Besten, was in dieser Hinsicht geschrieben worden ist.
336 H. KERSTEN, [16]
mässige Korrelation, auf das sympathische Mitbedingtsein morphologischer Abänderungen durch physiologische, so bleiben sie nicht nur den Beweis für solehe Korrelation schuldig, sondern flüchten ausserdem zu einem „ihren ur- sprünglichen Tendenzen völlig entgegengesetzten Prinzip.“ Erfahrungsmässig sehen wir „nirgends eine den Speziestypus übersehreitende morphologische Umwandlung weder direkt durch Auslese nützlicher Abänderungen im Kampfe ums Dasein, noch indirekt durch korrelatives Mitgehen mit solchen Prozessen; die Natur vollzieht unter unseren Augen überall nur solehe Anpassungsprozesse, welche sich auf physiologische Variationen innerhalb des Rahmens der Spezies be- schränken.“
Demgegenüber möchten wir indes folgendes bemerken. Allerdings handelt es sich bei der Anpassung zunächst um physiologische Variationen. Was aber die allgemeine Be- ziehung zwischen der physiologischen Funktion eines Organes und diesem selbst betrifft, so ist jedenfalls so viel sicher, dass mit einer Abänderung der Funktion irgend eine materielle Veränderung der Organteile einhergeht, mag die- selbe bloss „die chemische Konstitution ihres Gewebes und Zelleninhaltes“ und den inneren anatomischen Bau betreffen, oder in einer Modifikation der „relativen Grössenverhältnisse und Gestalt“ schon äusserlich sichtbar hervortreten. Steht dies aber fest, so ist damit schon im Prinzip die Möglichkeit gegeben, der Wirkung der Auslese auch „den Speziestypus übersehreitende“ morphologische Umwandlungen zuzu- schreiben. Besonders bezieht sich dies auf die „morpho- logischen“ Varietäten, die v. HArrmAnNn (im Anschluss an WıcAnD) als eine besondere Klasse von Varietäten auf- führt. Denn was besagt es, wenn v. HARTMANN von diesen Varietäten behauptet, dass der Grad der Abweichungen vom Typus der Stammform kein so bedeutender sei, „um sogleich von einer Durchbreehung des Speziescharakters zu reden.“ Vergrössert sich z. B. bei einer Pflanze die Zahl oder Form einzelner Teile, so soll dies ohne Beeinträchtigung der wesentlichen Gestaltsverhältnisse geschehen. Was kann denn das aber heissen? Dieselben Formänderungen, die der eine Systematiker für unwesentlich ansieht, hält der andere für
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wesentlich genug, um das, was der erstere als blosse Varietät ausgab, für eine selbständige Art zu erklären. Diese That- sache, dass es an jeglicher Norm zur festen Abgrenzung der Spezies und Varietäten fehlt, wird auch von v. HARTMANN voll gewürdigt; er tritt für die „Flüssigkeit“ der Spezies ein und sieht den Unterschied zwischen Varietät und Spezies für „verschiebbar“ an. In welchem Sinne kann er da nun wieder von einem „Rahmen“ der Spezies sprechen? So wenig im allgemeinen eine Definition des Artbegriffs zu geben ist, so wenig herrscht im speziellen bei den einzelnen konkreten Arten Uebereinstimmung über alles, was in ihren „Rahmen“ gehört und was nicht.
B, 2.
Wir kommen nun zu den für die Systematik oft sehr wiehtigen morphologischen Verhältnissen, die (wie z. B. die Stellung der Blätter, das Vorhandensein von Nebenblättern, die Drei-, Vier- oder Fünfzahl der Blütenteile) von vorn- herein keine Beziehung zu physiologischen Funktionen er- kennen ünd keinerlei Nützlichkeit im Kampfe ums Dasein absehen lassen, danach also auch den letzteren gar keinen Angriffspunkt bieten können. Hamann spricht dem Kampfe ums Dasein sogar die Fähigkeit ab, „eine schon vorhandene Bildung, ein Organ in seiner Leistung zu verstärken.“ E. von HARTMANN gesteht demselben wenigstens eine abändernde Wirkung auf die physiologischen Charaktere zu. Wie wir glauben dargethan zu haben, wird sich diese abändernde Wirkung unmittelbar auch auf solehe morphologische Charak- tere erstrecken, die zu den physiologischen in bestimmter Beziehung stehen (die Teile eines Organes!). Allein, wie ist es mit jenen anderen morphologischen Verhältnissen, wo dies nicht der Fall ist? Dass zu einer Umgestaltung der- selben die natürliche Auslese an sich nicht ausreicht, hatte schon DArwın selbst erkannt, als er seine Hilfsprinzipien - heranzog, unter ihnen vor allem dasjenige der Korrelation des Wachstums und der sympathischen Veränderungen.“ Zwischen den Organen und ÖOrganteilen eines Organismus besteht, worauf schon CuvıEr hinwies, eine gesetzmässige Wechselbeziehung oder Korrelation. Dementsprechend lässt
Zeitschrift f. Naturwiss, Bd. 73, 1900, 32
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sich nun beobachten, wie mit der Abänderung dieser oder jener Körperteile eine solche anderer Teile verbunden ist, die mit den ersteren nicht einmal in direktem Zusammen- hang zu stehen brauchen. Eben diese Thatsache wird in ihrer Regelmässigkeit als „das Gesetz der Korrelation des Wachstums und der sympathischen Veränderungen“, oder von HÄckeL als „das Gesetz der wechselbezüglichen oder korrelativen Anpassung“ bezeichnet. Darwın benutzt nun dieses Gesetz als Hilfsprinzip und verbindet es mit seiner Selektionstheorie in der Weise, dass er, wie HAMANN sagt, „den ersten Anstoss bei der Korrelation ausgehen lässt von der natürlichen Auslese.“ Wird durch die letztere nur erst einmal eine nützliche Abänderung fixiert, so zieht diese dann von selbst andere, korrelative Aenderungen nach sich. Diese „Berufung auf gesetzmässige Korrelation“ muss nun gewiss" zulässig sein. Denn wenn sich auch die Anpassung unmittelbar nur auf physiologische Variationen bezieht, so geht doch, wie oben schon gesagt, mit der Aerderung einer physiologischen Funktion irgend eine materielle Veränderung des betreffenden Organes resp. seiner Teile einher. Mag nun diese Veränderung so klein sein wie sie will, sie wird nieht ganz ohne Rückwirkung auf den übrigen Organismus bleiben. Die Korrelation überhaupt ist bedingt durch die Einheit des ganzen Lebensprozesses, zufolgedessen zwischen allen Organen und Teilen des Organismus eine gewisse Solidarität besteht. Eine gegenseitige, schon durch die einheitlichen Ernährungsverhältnisse bestimmte Abhängigkeit findet statt, und eine materielle Veränderung an einem Punkte, die doch schliesslich immer auch eine Ernährungs- veränderung bedeutet, zieht an anderen Punkten Ernährungs- veränderungen nach sich, die dann wieder irgendwie materiell und morphologisch zum Ausdruck kommen.!) Es wird also allerdings ein Zusammenwirken der natürlichen Auslese und der Korrelation angenommen werden dürfen, durch welches auch rein morphologische Charaktere in den Transmutations-
!) Welches auch die letzten Ursachen der Korrelation sein mögen, jedenfalls sind doch Ernährungsveränderungen, molekulare Modifikationen, zum mindesten das Vehikel der korrelativen Abänderungen.
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prozess hineingezogen werden können. Bei jedem Anpassungs- vorgang überhaupt werden sich mit irgendwelcher physio- logischen Variation irgendwelche korrelative Abänderungen verbinden, mögen diese nun die feineren chemischen und anatomischen Verhältnisse oder die mehr äusserlich sicht- baren morphologischen Eigenschaften betreffen. Je mehr letzteres der Fall ist (bei den „morphologischen“ Varietäten), desto eher wird die betreffende „Varietät“ für eine „Art“ gelten können.
Dass der umgestaltenden Wirkung der Auslese an sich insofern eine Schranke gezogen ist, als die Variabilität keine unbestimmte und unbegrenzte ist, wurde bereits oben erörtert.
Zu beachten ist ferner auch, dass, wenn geringfügige Abweiehungen durch die Auslese summiert werden sollen, dieselben bei aller Geringfügigkeit doch gleich von vorn- herein einen wirkliehen Vorteil müssen gewähren können. Denn in den Fällen, wo minimale Variationen, um wirklich nützlich zu werden, erst bis zu einem bestimmten Grade gesteigert werden müssten, da fehlt eben schon die Hand- habe für den Kampf ums Dasein, um diese Steigerung her- beizuführen.
Eine weitere Voraussetzung bleibt es natürlich, dass die Abweichungen vererbbar sind, um befestigt und gehäuft zu werden. Es handelt sich hierbei selbstverständlich nicht darum, ob überhaupt Variationen durch Vererbung über- tragbar sind; die ganze künstliche Zuchtwahl beruht eben auf der Thatsache, dass dies in so und so viel Fällen möglich ist. Die Frage ist nur, ob dasselbe in der freien Natur stattfinden kann. Und da haben wir oben schon Hamann das Recht bestritten, diese Frage einfach zu ver- neinen. Betrachtet man aber auch die Vererbbarkeit der Variationen in der freien Natur als eine blosse Annahme, was haben dann hierin die Theorien von der „sprungweisen Entwieklung“ und von der „heterogenen Zeugung“ vor der Selektionstheorie voraus, wenn sie doch auch eine Vererb- barkeit neu entstandener Eigenschaften annehmen müssen, die ja alle nicht anders entstehen können, als durch die Variabilität, d.h. eben durch die Fähigkeit der Organismen, neue Eigenschaften entstehen zu lassen?
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Schliesslich erfordert noch folgender Einwand besondere Berücksichtigung. „Aus der Nützlichkeitstheorie allein“, sagt HAmAnn, „kann der Fortschritt in der Entwicklung der Lebewesen nicht erklärt werden“. Und v. HARTMANN hält es für ausgeschlossen, „dass die Auslese im Kampfe ums Dasein irgendwie mitwirkendes Moment bei der Steigerung der Höhe der Organisation sein könne“, da der Utilitätsbegriff nur auf die „Anpassungsvollkommenheit“, nieht aber auf die „Organisationsvollkommenheit“ passe. Indessen, worin besteht denn die Organisationsvollkommen- heit? Und wann heisst ein Organismus vollkommener als ein anderer? Im Grunde geht doch der Begriff der grösseren Vollkommenheit auf das Physiologische.
Eine Tierart z.B. wird uns vollkommener erscheinen als eine andere, wenn ihre Lebensäusserungen mannigfaltigere und vielseitigere sind, wenn ihre animalen Funktionen vor den vegetativen stärker hervortreten, kurz, wenn der ganze Lebensprozess ein erhöhter ist. Alles dieses sind physio- logische Modifikationen, die nun in den morphologischen Verhältnissen in bestimmter Weise zum Ausdruck kommen. Wenn wir dann von einem vollkommneren „Bau“ sprechen, so bezieht sich der Begriff der grösseren Vollkommenheit zuletzt auf die „Leistung“; der Bau an und für sich kann doch eigentlich nur ein einfacherer oder ein komplizirterer senannt werden. Und so kann auch bei den fossilen Organismen von einer „Stufenleiter der Vervollkommnung“ in den suceessiven Erdperioden streng genommen nur insofern die Rede sein, als man dabei an die Leistung denkt und vom Bau rückwärts auf die Leistung schliesst.
Je vollkommener nun die einzelnen Leistungen des Organismus sind, desto mehr prägt sich dies morphologisch allgemein darin aus, dass die Organe und deren Teile im Sinne einer grösseren Arbeitsteilung differenziert erscheinen. Nach der Selektionstheorie ist eine solehe Differenzierung im Laufe der phylogenetischen Entwicklung durch zufällig entstandene nützliche Variationen eingeleitet worden. Ur- sprünglich gleichartige Teile übernahmen verschiedene Funktionen, und das Auftreten neuer Funktionen konnte
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beim Eintreten bestimmter neuer Lebensverhältnisse gewisse Vorteile gewähren. Indem weiterhin die Verschiedenheit der Funktionen durch die Auslese sich steigerte und wieder auf die Form der Teile zurückwirkte, bestimmte sich nach dem Grade der physiologischen Arbeitsteilung der Grad der morphologischen Differenzierung und „des Fortschritts in der Organisation“. Da sich die Arbeitsteilung bei den ver- schiedenen Organismenarten in der Anpassung einer jeden an die betreffenden Existenzbedingungen vollzog, so war der ungleiche Grad der Vervollkommnung und die mannig- faltige Differenzierung in der Entwieklungsreihe der Or- ganismen wesentlich bedingt durch die zunehmende Mannig- ‚faltigkeit der Lebensverhältnisse, denen sich die einzelnen Organismengruppen im Kampfe ums Dasein anpassten, und durch den verschiedenen Grad der Schnelligkeit und Voll- ständigkeit, mit welchem diese Anpassung geschah. Bei den verschiedenen Arten bildete sich im Laufe ihrer historischen Entwicklung eine Vervollkommnung in verschiedenem Masse heraus, und die Divergenz des Charakters ihrer Stammformen nahm in ungleichem Masse zu. — In dieser Weise also würde nach der Selektionstheorie die physiologische Ver- vollkommnung und der Fortschritt in der Organisation zu erklären sein. Jedenfalls lässt sich geltend machen, dass die Vervollkommnung ganz wesentlich durch die Arbeits- teilung bedingt erscheint. Und da man zugeben wird, dass die letztere unter den Gesichtspunkt der Utilität fällt, so wird die natürliche Auslese, sofern sie an der Arbeitsteilung einen Angriffspunkt finden kann, auch in ihrer Wirkung für die „Steigerung der Höhe der Organisation“ theoretisch wenigstens in Betracht gezogen werden können.
Das Fazit unserer ganzen bisherigen Erörterung ist nun kurz folgendes. Die Selektionstheorie vermag allerdings die Entstehung der Arten nicht rein mechanisch zu erklären. Denn dazu müssten die Variabilität und die Vererbung als mechanische Prinzipien erweisbar sein, was vorläufig nicht der Fall ist. Deswegen kann aber im übrigen die Selektions- theorie immerhin anwendbar sein, um „den Speziestypus übersehreitende“ morphologische Umwandlungen teils „direkt durch Auslese nützlicher Abänderungen im Kampfe ums
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Dasein“, teils „indirekt durch korrelatives Mitgehen mit solehen Züchtungsprozessen“, sowie eine hiermit einher- gehende „Erhöhung und Steigerung der Organisationsstufe“ begreiflich zu machen.
Freilich kann der Selektionstheorie doch nur mit ge- wissen Einschränkungen eine Geltung zukommen.
Man wird sich also noch nach einem anderen Wege zu genügender Erklärung der Entwicklung umsehen müssen? Wohl, und es wird sieh auch, wenn wir jetzt zu dem Er- klärungsversuche von Hamann selbst kommen, noch ein Erklärungsprinzip zeigen, das wir, wie vorweg bemerkt sein mag, acceptieren dürfen, wenn wir auch den von HAMANN dazugefügten Begriff der „Zielstrebigkeit“ zurückweisen müssen.
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„Dureh unsere Lehre von der Entwieklung der Grund- formen“, so erklärt HAMANN, „werden wir in das Lager jener Forscher geführt, die eine Entwicklung aus inneren Ursachen und eine sprungweise oder heterogene Entwicklung annehmen.“ Es ist vor allem der Anatom v. KÖLLIKER, an dessen Namen sich die Lehre von einer Entwicklung aus inneren Ursachen knüpft.!) Seiner „Theorie von der hetero- genen Zeugung“ liegt der Gedanke zu Grunde, „dass unter dem Einflusse eines allgemeinen Entwicklungsgesetzes die Gesehöpfe aus von ihnen gezeugten Keimen andere ab- weichende hervorbringen“ (dass z. B. etwa aus dem be- fruchteten Ei eines Fisches ein Amphibium entsteht). Wie wir bereits sahen, wird diese Theorie auch ganz besonders von E. v. Hartmann verfochten. Die Entwieklung erfolgt also hiernach nieht allmählich, sondern „sprungweise“ (analog wie die Vorgänge beim Generationswechsel, beim Polymorphismus und Dimorphismus). Sprungweise wird sie sich aber auch noch unter Umständen dadurch vollziehen
1) Als weitere namhafte Forscher, die gleichfalls für eine Entwick- lung aus inneren Ursachen eintreten, kann man den Mediziner H. Baum- gärtner, den Zoologen v. Baer, die Botaniker A. Braun, Nägeli, Hoffmann, Askenasy nennen,
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können, dass ein freilebendes Jugendstadium eines Organismus bei seiner weiteren Ausbildung eine andere Richtung als die typische einschlägt (analog dem Vorgang bei der Meta- morphose), oder dass ein bereits ausgebildeter Organismus relativ rasch eine morphologische Umwandlung erfährt. Diese letzten beiden Möglichkeiten nun fasst HAMANN seinerseits ins Auge, während er die eigentliche heterogene Zeugung selbst nieht weiter in Betracht zieht. Er führt eine Anzahl von Beispielen an, in denen teils Jugendstadien (Larvenformen) von Tieren, teils erwachsene Tierformen beim plötzlichen Eintritt neuer Existenzbedingungen auch gleich in der ersten Generation plötzliche Aenderungen in ihrem Bau erlitten. Er kommt hiernach zu dem Resultat, „dass für eine sprung- weise Entwicklung direkte Beobachtungen sprechen“, und sucht nun diese Beobachtungen für die Erklärung der Art- entstehung zu verwerten. Für besonders bedeutsam in dieser Hinsicht hält er die Pädogonie, d. h. die Erscheinung, „dass ein noch frühzeitiges Entwieklungsstadium, eine Larve, oder überhaupt Jugendform, die Fähigkeit erlangt hat, plötzlich Geschlechtsprodukte hervorzubringen und sich fortzupflanzen.“ „In verschiedenen Tierstämmen“, so fährt er fort, „bei Pflanzentieren, Arthropoden, selbst bei Wirbeltieren sind Fälle beobachtet, wo die Jugendform geschlechtsreif wurde und sich fortpflanzte“* (Axolotl, Tritonenlarven). Er führt dann mehrere Einzelformen (Amphroxus) und ganze Gruppen von Tieren (Cyklostomen) an, die sich „nur als durch Pädogonie entstanden“ erklären lassen sollen. Uebrigens will er die jetzt zur Beobachtung kommende und die für frühere Erdperioden anzunehmende Pädogonie als Neo- und Paläo-Pädogonie unterschieden wissen. „Wir stellen uns dabei vor“, sagt er, „dass, wie heute die Neo-Pädogonie plötzlich eintritt, auch die Erscheinungen der Paläo-Pädogonie plötzlich entstanden sind. Durch Vererbung, wahrscheinlich durch die sich nach einmaliger Aenderung gleich bleibenden Existenzbedingungen wurde diese Eigenschaft der frühzeitigen Geschlechtsreife dauernd beibehalten und befestigt.“
Auch die Möglichkeit einer sprungweisen Entwicklung durch morphologische Veränderungen an bereits ausgebildeten Organismen sucht HAMmAnn empirisch darzuthun. Reicht
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man, so sagt er, einem Raubvogel statt Fleischnahrung an- dauernd nur Körnerfutter, so wird aus dem weichen Magen desselben ein lederartig harter Magen eines Körnerfressers. Sofort, mit einem Male ist diese durchgreifende Veränderung eingetreten. Diese eine Veränderung zieht dann, nach dem Gesetze der Korrelation, andere im Bau der übrigen Organe nach sich. „Alle diese Aenderungen vollziehen sich aber, da die eine ohne die andere nicht denkbar, nicht bestehen kann, plötzlich, sofort. Wir sind berechtigt, von einer sprungweise erfolgten Umbildung zu reden.“ In einem weiteren Beispiele führt er aus, wie bei luftatmenden Schnecken (Limnaea), die ihren dauernden Aufenthalt von der Oberfläche des Wassers in grössere Tiefen verlegt haben, das Atmungsorgan modifiziert ist, indem jetzt Wasser statt Luft zu demselben tritt und die Atmung auf diese Weise ermöglicht wird. „Es ist dies“, sagt er, „ein schönes Beispiel für die direkte Anpassung, die bereits in erster Generation Wirkungen hervorbringt.... Bleiben die Lebens- bedingungen für die Nachkommenschaft die gleichen, das heisst, siedelt auch diese sich in den grossen Tiefen an, so wird die direkte Anpassung in Wirksamkeit bleiben, und durch korrelative Abänderung wird es möglich sein, dass so eine neue Art entsteht. Es ist dies ein kürzerer Weg der Artentstehung, und zwar der einzige, für den wir That- sachen, empirische Belege beibringen können.“
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Die direkte Anpassung also und die Korrelation des Abänderns sind es, mit Hilfe deren Hamann die Entwicklung erklären will, beides an sich keine neuen Erklärungsprinzipien. Von der Korrelation des Abänderns als einem wichtigen und richtigen Darwinschen Hilfsprinzip war schon bei Be- sprechung der natürlichen Zuchtwahl die Rede, und die direkte Anpassung spielt gleichfalls eine Rolle bei DARwIn, wenn auch eine minder bedeutende Es kommen in dieser letzteren Hinsicht eigentlich zwei weitere Hilfsprinzipien Darwın’s in Betracht: dasjenige von der Einwirkung äusserer Umstände auf den Organismus, welches sich schon bei GEOFFROY ST. HILAIRE findet („monde ambiant“) und bei
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diesem das einzige Erklärungsprinzip seiner Descendenztheorie bildet, und dasjenige von dem Einfluss des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Organe, welches von LAMARcCK stammt. Darwın selbst unterscheidet zwar zwischen den Veränder- ungen, welche der Organismus unmittelbar durch anhaltende Einwirkung äusserer Existenzbedingungen, Nahrung, Klima, Umgebung u. s. w., erleidet, und solchen Veränderungen, welehe mittelbar durch Angewöhnung, Uebung, Gebrauch oder Niehtgebrauch der Organe zufolge instinktiver Thätigkeit oder bewusster Willensthätigkeit entstehen. HÄcker führt indess ganz folgerichtig aus, wie vom streng mechanistischen Standpunkt betrachtet dieser Unterschied verschwindet und beide Arten von Veränderungen unter den Begriff der direkten Anpassung fallen. Uebrigens sind auch auf HamAnn’schem Standpunkte diese beiden Arten von Veränderungen unter demselben einheitlichen Begriffe der direkten Anpassung zusammenzufassen, und so werden auch wir diesen Begriff im folgenden verstehen.
Dass nun die Veränderungen „plötzlich, sprung- weise“ sich vollziehen sollen, was Hamann so sehr betont, steht an sich noch in keinem Gegensatze zu der darwinistischen Auffassung von der direkten Anpassung. Wenn HAMANN von einer „sprungweisen“ Veränderung redet, so meint er damit natürlich auch keine momentane, sondern eine solche, die sich direkt an dem davon betroffenen Organismus in einer relativ kurzen Zeit vollzieht und sich nicht erst all- mählich an vielen aufeinanderfolgenden Generationen in langen Zeiträumen herausbildet, wie dies bei der natür- lichen Zuchtwahl stattfinden soll. „Sobald die äusseren Lebensbedingungen sich ändern“, sagt HAMANN, „tritt eine Aenderung im Körperbau der davon betroffenen Wesen ein. Insofern nun diese Aenderung in den Existenzbedingungen plötzlich sich einstellte, wird auch die Aenderung in der Organisation sich rasch vollzogen haben müssen. War aber die Aenderung über grössere Zeiträume ausgedehnt, so wird den Lebewesen Zeit geblieben sein, sich allmählich diesen neuen Bedingungen anzubequemen.“ Im ersteren Falle werden aber gleichfalls die neuen Existenzbedingungen eine gewisse Zeit hindurch einwirken müssen, um eine Aenderung
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in der Organisation herbeizuführen. Hierfür sprechen auch die von Hamann selbst beigebrachten einschlägigen Be- obachtungen.
Wir haben also in der direkten Anpassung dasselbe Erklärungsprinzip bei HAmAnN wie bei Darwın, so grund- verschieden beide über die hierbei in Frage kommenden Kräfte denken. Aber letzteres berührt eben nicht die direkte Anpassung an sich, das heisst dieselbe rein als thatsächlichen Vorgang genommen. Man hat sich seit Darwın noch oft und mit Erfolg bemüht, „empirische Be- lege“ für die direkte Anpassung als richtiges Erklärungs- prinzip beizubringen. Und wenn wir der Selektionstheorie zwar eine Geltung, aber nur eine bedingte zusprechen, so können wir gewiss die direkte Anpassung als ein Ergänzungs- prinzip zulassen. Ja, wir müssen gestehen, es scheint uns, dass, wenn aus irgendwelchen zwingenden Gründen die Selektionstheorie ganz aufgegeben werden müsste, dann in erster Linie die direkte Anpassung und die Korrelation des Abänderns als wichtigste resp. alleinige Erklärungsprinzipien in Betracht kämen, und jedenfalls eher als die ganz hypo- thetische „heterogene Zeugung durch planvoll gesetzmässige Keimmetamorphose.“
Nimmt man aber die direkte Anpassung!) neben der Selektion als Erklärungsprinzip an, so kann man sich vor- stellen, dass die Entwieklung bald den einen, bald den anderen Weg eingeschlagen hat je nach der Einwirkung der Aussenwelt und je nach der inneren Eigennatur der Organismen. Denn dass von diesen beiden Faktoren zu- sammen alle Entwieklung abhängt, dies halten wir aller- dings für einen durchaus richtigen Grundgedanken in der Selektionstheorie?) wie in der Lehre Hamannw’s. „Die lebende Substanz“, sagt HAMANN, „konnte sich nur entwiekeln und ihre Eigenschaft, zielstrebig sich zu äussern, entfalten unter dem Einfluss der äusseren Existenzbedingungen im weitesten Sinne, unter dem Einfluss des Lichtes, der Wärme, der Luft und des Wassers, der Nahrung u. s. w.“
ı) Dieselbe natürlich immer in Verbindung mit der Korrelation des Abänderns gedacht. ?2) Wie dies besonders bei Häckel hervortritt,
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Man kann auch zugeben, dass die Entwicklung nicht immer in gleicher Weise andauerte, sondern dass es Perioden eines gewissen Stillstandes gab, wie wir vielleicht jetzt gerade in einer solchen leben. Deswegen kann im übrigen die Entwicklung ebensowohl allmählich, durch Selektion, wie „sprungweise“ erfolgt sein.
Bei jeder Art der Entwicklung bleibt natürlich die Vererbbarkeit neu entstandener Eigenschaften eine not- wendige Voraussetzung, wie ja oben schon erörtert. HAMANN nimmt für Variationen, die durch direkte Anpassung ent- stehen, eine Vererbbarkeit stillschweigend an. Allerdings scheint ihm auch die Fixierung solcher Variationen wesentlich davon abzuhängen, dass die Existenzbedingungen, nachdem sie sich einmal geändert und bei einer Generation eine Variation hervorgerufen, nun für die folgenden Generationen die gleichen bleiben. Aber schliesslich wird hierdurch dem Organismus eben nur, je länger je mehr, eine Disposition zur Vererbung eingepflanzt, welche jene innere, wenn auch nur relative, Stabilität erzeugt, wie sie doch die Arten bei der Fortpflanzung aufweisen. Ein näheres Eingehen auf diesen Punkt vermisst man jedoch bei Hamann.
Man kann geneigt sein, der direkten Anpassung den grösseren Effekt und sogar die Hauptleistung bei dem Auf- bau des natürlichen Systems zuzuschreiben, so dass etwa durch die direkte Anpassung gewissermassen das Gerüst des Systems geschaffen worden wäre, durch die natürliche Zuchtwahl aber nur der weitere Ausbau im Detail. Um aber irgend zu entscheiden, wieweit dies wahrscheinlich ist, müssten wir mindestens erst einmal genauer wissen, wie die geologischen und klimatischen Verhältnisse in den ver- schiedenen Erdperioden sich änderten, ob viel oder wenig, ob rasch oder langsam. Denkbar ist übrigens noch, dass unter geeigneten Umständen auch die direkte Anpassung mit der natürlichen Zuehtwahl zusammenwirkte, dass, ebenso wie angeborene Abänderungen, auch nachträglich erworbene dem Kampfe ums Dasein einen Angriffspunkt zu bieten ver- mochten. Möglich erscheint dies vor allem für den Fall, dass die Lebensbedingungen sich nur allmählich änderten und die hiervon betroffenen Individuen einer Art sich nur
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zum Teil direkt anpassten oder sich vielleicht alle, aber in verschieden vollkommenem Grade anpassten. —
Wie bei der natürlichen Zuchtwahl, so fallen auch bei der direkten Anpassung die betreffenden Abänderungen unter den Gesichtspunkt des Nützlichen und Zweckmässigen. „Die Aenderungen“, so sagt Hamann selbst im Hinweis auf diese Uebereinstimmung, „sind in beiden Fällen für den Organismus zweckmässig“. Aber für Hamann ermöglicht sich die direkte Anpassung nur dadurch, „dass ein im Organismus liegendes Bestreben, ihn unter allen Umständen möglichst zu erhalten, in Kraft tritt“. Das Eingreifen dieser „zielstrebigen, wenn auch unbewusst wirkenden Thätigkeit“ soll die Existenz des plötzlich in neue Lebensverhältnisse versetzten und dadurch gefährdeten Organismus sichern. Damit kommen wir nun wieder auf die eigentliche Kardinal- frage in der ganzen Polemik Haımann’s gegen den Darwi- nismus zurück. Wir haben uns mit dieser Frage schon oben bei Bespreehung der Variabilität zu beschäftigen Ver- anlassung gehabt, müssen aber jetzt auf dieselbe noch näher eingehen.
„Bei der direkten Anpassung“, sagt Hamann, „wird die Zweekmässigkeit durch eine im Organismus liegende Thätig- keit, ein Bildungsgesetz, das mit dem Gesetz der korrelativen Abänderungen identisch ist, hervorgebracht.“ Hier erfahren wir nun Näheres über jenes innere Bildungs- oder Ent- wieklungsgesetz, welches die Rolle eines spiritus reetor bei der ganzen Entwieklung spielen soll. E. v. HARTMANN hatte schon das Korrelationsgesetz als organisches Entwicklungs- gesetz bezeichnet und als „das eigentliche (und zwar nicht mechanische) Universalprinzip der organischen Natur“, allein geeignet, als Erklärungsprinzip für die Entstehung der Arten und die aufsteigende Entwicklung des organischen Lebens zu dienen. In ähnlicher, obwohl minder präziser Weise spricht sich Hamann aus. Es wird uns möglich, sagt er, „die Umwandlung der einzelnen Gruppen innerhalb eines Typus aus einander“ zu verstehen, sobald wir uns der Korrelation, den sympathischen Veränderungen zuwenden. „Denn diese betreffen nieht nur die einzelnen Beziehungen der Organe untereinander, sondern vielmehr den ganzen
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Aufbau des Körpers, seine ganze Existenz. Haben wir uns einmal überzeugt, dass eine Veränderung im Körper nieht ohne weiteres vor sich gehen kann, dass sie vielmehr nur mit anderen auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitenden Um- änderungen im Bau Hand in Hand gehen muss, dann wird uns auch aus den Wechselbeziehungen, die zwischen Ge- staltung der einzelnen Körperteile zu einander und der Organe in ihrer Wirkungsweise bestehen, die fortschreitende Entwicklung im Tierreich und der Pflanzenwelt erklärlich.“ An anderer Stelle spricht er dann wieder allgemeiner von einem „Gesetz der harmonischen Entwicklung“ oder, wie er es auch nennt, „der harmonischen Vervollkommnung und der harmonischen Zweekmässigkeit.“ Fasst man überhaupt alles, was Hamann in dieser Hinsicht weitläufig erörtert, kurz zusammen, so lässt sich folgendes als seine Grundanschauung hinstellen. Der Organismus lebt und existiert durch ein spezifisches Prinzip, dessen Träger die lebende Substanz, das Protoplasma, ist. Dieses Prinzip tritt einerseits im Selbstbewusstsein, im Willen und bewussten Handeln zu Tage und entfaltet andrerseits, speziell als „formbildendes“ Prinzip, „eine auf das Künftige gerichtete, unbewusst!) ziel- strebige Thätigkeit“, indem es der Wirkung der physikalisch- chemischen Kräfte im Organismus bestimmte Richtungen giebt. Es äussert sich diese Thätigkeit in den vitalen Funktionen, in den Instinkten und insbesondere auch in der direkten Anpassung auf äussere Einwirkungen hin sowie in der Korrelation des Abänderns. Mit Bezug hierauf erklärt dann HAMANN: „Insofern wir aber die Korrelation und die Eigenschaft der lebenden Substanz, direkt das Zweckmässige hervorzubringen, als Aeusserungen einer und derselben Thätigkeit des Lebens auffassen, kann man von einem Gesetz der harmonischen Vervollkommnung und der harmonischen Zweckmässigkeit sprechen.“
Machen wir hier erst einmal Halt. Um an das letzte
!) An einer Stelle spricht Hamann seltsamerweise sogar von einer „zielbewussten, wenn auch unbewusst wirkenden Thätigkeit.“ Durch eine solche Verquickung der Begriffe „Zielstrebig“ resp. „Ziel- bewusst“ und „Unbewusst“ erscheint die ganze Idee der Zielstrebigkeit nur noch weniger klar und annehmbar.
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anzuknüpfen, so liesse sich analog wie oben von der natür- lichen Zuchtwahl auch von der direkten Anpassung zeigen, wie dieselbe durch nützliche Abänderungen eine physio- logische Vervollkommnung herbeizuführen vermag, die als „Fortschritt in der Organisation“ zum Ausdruck kommt. Immer geschieht dies nur unter Hinzutritt korrelativer Abänderungen. Ja, es lässt sich sagen, dass natürliche Zuchtwahl und direkte Anpassung die einzelnen Entwick- lungsprozesse nur einleiten, während die Korrelation des Abänderns den weiteren Verlauf dieser Prozesse dirigiert, so dass dieselbe allerdings in gewissem Sinne als ein die ganze Entwicklung regelnder Faktor erscheint. Weist denn nun aber die Zweekmässigkeit bei der direkten Anpassung und der Korrelation so unbestreitbar auf eine Zielstrebigkeit hin, wie Hamann will? Zweekmässig an sich bedeutet dabei nur so viel wie nützlich oder passend. !)
Man kann hier das von PFLÜGER?) für die physio- logischen Leistungen der Organe aufgestellte „teleologische Kausalgesetz* heranziehen und auf die direkte Anpassung übertragen. Nach diesem Gesetz ist die Ursache eines jeden Bedürfnisses der lebendigen Wesen zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses. Es würde also in dem oben angeführten Beispiele von den im Wasser zurückge- haltenen und geschlechtsreif gewordenen Tritonenlarven die Fortdauer des Wasserlebens das Bedürfnis nach Beibehaltung der Kiemen verursachen und zugleich den Organismus ver- anlassen, die Kiemen wirklich beizubehalten. Was hierbei teleologisch gedeutet werden könnte, wäre dies, dass der Organismus dem eingetretenen Bedürfnis gerade so genügt, dass die Larven existenzfähig bleiben. Darin, so sagt Hamann, dass die Kiemen solcher Tritonenlarven sich nieht normaler Weise zurückbildeten, trotzdem sich die Lungen bereits angelegt hatten und sogar zu geringer Thätigkeit
’) In diesem Sinne sprechen auch die Darwinianer von Zweck- mässigkeit.
2) Pflüger, Die teleologische Mechanik der lebendigen Natur. Bonn 1877. Hamann beruft sich auf denselben als einen derjenigen Physiologen, deren Ansichten sich den seinigen „in vielen Stücken nähern.“ i
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gelangt waren, giebt sich eine „bestimmt gerichtete Variation“, eine „zielbewusste* plötzliche Umbildung der Organisation kund, und zwar zur Sicherung der Existenz; andernfalls hätten die Tiere zu Grunde gehen müssen.
Sehen wir nun ab davon, dass vielleicht das ange- führte Beispiel gerade für eine mechanische Erklärung nicht ungünstig wäre. Aber die Zwecekmässigkeit der Arbeit der Organe ist, wie PFLÜGER sagt, keine absolute, sondern existiert nur unter bestimmten Voraussetzungen. Und ebenso findet eine die Existenz sichernde und darum zwecekmässig erscheinende direkte Anpassung nicht unter allen Umständen statt; ein Organismus kann auch einem neuen Lebensbe- dürfnis nicht genügen und darüber zu Grunde gehen, was gewiss auch nicht für eine absolute Zweckmässigkeit spricht. PFLÜGER fügt aber noch hinzu: „Gerade hierin — dass nämlich die Zweekmässigkeit nur unter bestimmten Voraus- setzungen existiert — offenbart sich der rein mechanische, jeder Willkür entzogene Charakter.“ Diese Bemerkung er- klärt wohl zur Genüge, was PFLÜGER unter „teleologischer Mechanik“ verstanden wissen will: eine Mechanik mit dem Scheine des Teleologischen; als sei hinter der Zweekmässigkeit als soleher noch eine besondere zweckthätige Ursache ver- borgen. — Und woher denn dieser Schein? Er ist eine sub- jektive Zuthat unsrerseits; wir kommen unten darauf zurück. Wenn sich aber auch überhaupt, was zu bestreiten, ein ob- jektiver Zweckbegriff aus den Thatsachen der äusseren Er- fahrung ergeben könnte, von einer die Existenz des Organismus unter allen Umständen sichernden Anpassung kann keine Rede sein, und man hat daher auch kein Recht, von einer in diesem Sinne thätigen Zielstrebigkeit zu sprechen. Sagt man aber im Hinweis auf die thatsächlich stattfindenden Fälle der Anpassung, im Organismus liege ein Bestreben, ihn unter den betreffenden Umständen mögliehst zu sichern, so übersieht man, dass alle Abänderungen des Organismus, wenn derselbe normaler Weise existieren resp. überhaupt existenzfähig bleiben soll, so wie so passend und zweckmässig sein müssen oder wenigstens nicht unzweck- mässig sein dürfen. Einer besonderen Zielstrebigkeit bedarf es hierzu nieht. Die zweckmässigen organischen Bildungen
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tragen eben den hinreichenden Grund ihres Daseins als solche in sich selbst, da unzweekmässige auf die Dauer gar nicht würden bestehen können.!) Die physiologisch in- differenten Bildungen aber, die eine grosse Rolle bei der Korrelation spielen, geben schon gar keine eigentliche Ver- anlassung zu einer teleologischen Deutung. Kurz, aus der direkten Anpassung folgt durchaus noch nicht eine Ziel- strebigkeit, und es ist nichts weniger als „unbestreitbar“, dass mit der Anerkennung des Gesetzes der korrelativen Abänderungen „ein teleologisches Moment“ eingeführt werde.
Sehen wir jetzt aber weiter, wie sich nun nach HAmAnn’s Auffassung das Korrelationsgesetz als „teleologisches“ Ent- wicklungsgesetz im Zusammenhang mit dem Naturganzen darstellt. Die ganze Entwieklung der organischen Welt ist durch zwei Faktoren zugleich bedingt: durch die Einwirkung der äusseren Existenzverhältnisse einerseits und durch die Selbstthätigkeit der lebenden Substanz andrerseits. Soll sich nun die Entwieklung so vollziehen, dass „kraft eines Entwieklungsplanes“ die Aktivität des Protoplasmas direkt zielstrebig darauf gerichtet ist, „sich den äusseren sich gerade darbietenden Lebensbedingungen anzubequemen oder anzu- passen“, so müssen natürlich auch diese letzteren selbst mit ihrer Einwirkung unter die Herrschaft jenes Entwicklungs- planes fallen. Mit anderen Worten, ein dem Naturganzen zu Grunde liegendes teleologisches Prinzip muss bei jedem einzelnen Schritte, den die Entwicklung dem Entwieklungs- plane gemäss thun soll, zuerst für den Eintritt der geeigneten Lebensbedingungen sorgen, auf die dann die lebende Sub- stanz nach dem ihr eigentümlichen ad hoc eingerichteten Korrelationsgesetze so zu reagieren hat, dass dem Plane Genüge geschieht. In diesem Sinne spricht denn HAMANN
ı) Was das erstmalige Auftreten der organischen Zweckmässigkeit betrifft, so konnten die allerersten Organismen selbstverständlich nur entstehen und bestehen, sofern ihre Lebenseigenschaften zu den äusseren Lebensbedingungen passten. Wie auch immer die Organismen zuerst entstehen mochten, da sie einmal entstanden und bestanden, mussten ihre vitalen Eigenschaften eo ipso passende sein. Mit anderen Worten, die organische Zweckmässigkeit in ihrem thatsächlichen Auftreten nnsste dieselbe sein, wenn sie mechanisch bedingt war, als wenn sie teleologisch bedingt war.
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von einer „zielstrebigen Gesetzlichkeit“ und einem harmo- nischen Zusammenwirken aller Naturkräfte. Er kommt dazu, „in allen Kräften oder Eigenschaften der lebenden wie toten Substanz eine Zielstrebigkeit zu erkennen, die auf einen gemeinschaftlichen Grund hinweist. So erklärt sich die Harmonie in den Vorgängen der lebenden und anorganischen Natur.“
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Wir befinden uns hiermit jedenfalls schon ausserhalb des Gebietes der eigentlichen Naturwissenschaft und auf dem Boden der Naturphilosophie. Philosophisch sucht nun auch HAMANN seine Ansichten tiefer zu begründen. Es ist unmöglich, sagt er, von der äusseren Erscheinungswelt aus- sehen und die Eigenschaften der lebenden Substanz mechanisch erklären zu wollen; unser Weg muss umge- kehrt von der Innenwelt, dem Bekannten, ausgehen, um das Unbekannte, die Aussenwelt zu erklären. „Wir kennen nur unser eigenes Selbst genau, und dieses muss der Aus- sangspunkt unserer Naturerklärung sein.“ „Unsterbliches Verdienst“ SCHOPENHAUER’S ist es, dass derselbe von der Selbstbeobachtung ausgehend die mechanische Erklärung der Lebenserseheinungen für immer zurückwies, während er alle Kräfte der Natur, der anorganischen wie der organischen, auf einen „aus dem Innern“ kommenden Begriff, „den Willen“, zurückführte, als auf „das uns einzige wirklich unmittelbar Bekannte.“ Und es bleibt kein anderer Weg übrig, „als von der Beobachtung unseres eigenen Ichs aus- gehend, die wirkenden Bedingungen in der Welt des Lebendigen als Willen, als Triebe aufzufassen, die zielstrebig wirken“, und auf die Verhältnisse der Welt um uns das zu übertragen, „was wir aus uns erkannt haben“.
Andrerseits sucht sich Hamann auch auf v. HARTMANN zu Stützen. Wir erkennen an, so erklärt er, dass die Natur- kräfte „notwendig und unabänderlich“ wirken müssen, aber wir erkennen auch im Gegensatz zu den Darwinisten an, dass die Folgen dieses Wirkens „zielstrebig“ sind. Zwecke oder Ziele schliessen die „absolute Notwendigkeit“ nicht
aus. „Ein Ziel kann nur dadurch zu stande kommen, dass Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 23
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es die Notwendigkeiten, das sind die Kräfte der Natur, benutzt, sich ihrer bedient.“ Hamann weiss sich in diesem Gedanken eins mit v. HARTMANN und weist zustimmend auf das hin, was letzterer des weiteren ausführt, dass die Teleologie den Mechanismus voraussetze und ohne diesen unmöglich sei, ganz ebenso wie umgekehrt der Mechanismus ohne die Teleologie unmöglich sei. Teleologie und Mecha- nismus in der Natur sollen sich genau so wie die Begriffe Zweek und ‚Mittel verhalten und reziprok sein. Indessen, dass beide im Grunde doch nur „herausgesetzte, gleichsam verselbständigte Momente eines logischen Prozesses“ sein und sich als die verschiedenen Seiten desselben einheitlichen Prinzips „der logischen Notwendigkeit“ darstellen sollen, wie v. HARTMANN will, entspricht dies noch der eigentlichen Tendenz Hamann’s? Wenn Hamann auch an gewisse Ideen SCHOPENHAUER’S und v. HArTMAnN’s anknüpft, so geht er doch im übrigen seinen eigenen Weg. Er acceptiert von beiden Philosophen so viel, als ihm zweckdienlich scheint, aber im letzten Grunde stimmt er mit keinem von beiden überein. Sein „Wissenstrieb“ ist auch philosophisch nicht zu befriedigen. „Unser Kausalitätsbedürfnis“, so erklärt er, „treibt uns weiter, nach der letzten Ursache der Welt zu forschen.“ Das Kausalitätsbedürfnis fällt für ihn aber in letzter Hinsicht mit dem „religiösen Bedürfnis“ zusammen. Und hierdurch ist eben seine ganze Stellungnahme zur Entwieklungslehre, worauf ja eingangs schon hingewiesen, und seine allgemeine Naturauffassung im voraus bedingt. Diese letztere gipfelt darin, dass die Naturkräfte die perma- nenten Willensäusserungen einer Einheit, einer höchsten Intelligenz, sind, und dass das Wirken dieser Kräfte nicht bloss ein gesetzmässiges, sondern zugleich ein zielstrebiges ist, darauf gerichtet, den schöpferischen Weltplan jener zwecksetzenden höchsten Einheit zu realisieren.
Aber welchen Wert auch religiöse Motive für die per- sönliche Ueberzeugung des Einzelnen haben mögen, eine objektiv wissenschaftliche Behandlung des Zweckproblems muss ihrer entraten. Wollte aber jemand rein wissen- sehaftlich etwa eine teleologische Naturphilosophie im Sinne Hamann’s konstruieren oder — worauf es schliesslich hin-
[35] Die idealist. Richtung in der modernen Entwieklungslehre. 355
auskäme — im Sinne der alten Teleologen rekonstruieren, so müssten wir dieses Unternehmen selbst dann, wenn der Zweckbegriff wirklich ein objektiv giltiger wäre, nach dem, was uns Kant gelehrt hat, im voraus verfehlt nennen. Der Zweckbesriff hat aber, wie das von dem Philosophen Könıs in der Beilage zur Allgem. Ztg. treffend ausgeführt worden ist,!) seinen Ursprung nicht in der äusseren, sondern in der inneren Erfahrung, und seine Uebertragung auf die Aussen- welt ist eine Hypothese Es geht in der That nicht an, den Zweekzusammenhang in der Natur als einen thatsächlich ge- sebenen hinstellen zu wollen, und es ist falsch, dem Zweck- begriff ebenso gut eine objektive Giltigkeit zuzuschreiben, wie dem Kausalbegriff. Finalität uud Kausalität sind nicht gleich notwendige und notwendig mit einander verbundene Begriffe, wie das v. HARTMANN will, und die erstere hat nieht einen gleich notwendigen Bezug auf die äussere Er- scheinungswelt wie die letztere. Wenn aber der Zweck- begriff kein objektiv giltiger ist, so kann auch eine teleo- logische Naturphilosophie schon rein im empirisch-realistischen Sinne von vornherein keinen Anspruch auf notwendige Geltung haben. Stellt man Behauptungen auf wie diese, dass aus blind wirkenden Kräften nie eine Gesetzmässigkeit ent- springen könne, dass die Gesetzlichkeit der Naturkräfte nur als eine zielstrebige zu begreifen sei, dass Zweckmässigkeit und Harmonie in der Natur nur auf einen Plan und eine Absicht zurückzuführen seien, so handelt es sich bei all diesen Behauptungen trotz ihrer apodiktischen Tonart in Wahrheit immer nur um ein Hineintragen des rein subjektiven Zweckbegriffs in den objektiven Thatbestand der äusseren Erfahrung. Sehr klar hat auch Lorze dargethan?) (auf die nähere Begründung hier einzugehen müssen wir uns leider versagen), dass es eine willkürliche Interpretation ist, von irgend einem Naturerzeugnis zu sagen, es sei nicht bloss das unvermeidliche Resultat der ihm vorangegangenen Zu-
1) Die heutige Naturwissenschaft und die Teleologie. Beilage Jahrgang 1900, Nr. 29 u. 30. „Man vergesse doch nicht“, sagt König, „dass von Zwecken nur gesprochen werden kann unter Voraussetzung eines Willens, der Zwecke setzt oder verfolgt.“
?) Vorles. über Religionsphilosophie.
356 H. KErsTEn, [36]
stände, sondern das Produkt einer Absicht, da alles, was die Absicht beiträgt zur Verwirklichung des Zweckes, in jedem Falle auch durch eine Verknüpfung absichtslos wirkender Kräfte ersetzt werden kann. Und wir müssen LoTzeE darin beistimmen, dass keine Thatsache, welche es auch sei, als Zweck gefasst werden müsse, dass vielmehr jede sich als blosse Wirkung fassen lasse. —
Hamann tadelt es an den Materialisten, dass sie mit dem Begriff der Bewegung, der „von der Beobachtung des Lebens“ — was richtiger heissen müsste: von der Beob- achtung der Körperwelt — hergenommen sei, nun das Leben selbst erklären wollen. Und schon hinsichtlich des physi- kalischen und chemischen Geschehens bekämpft er es als „falsche Logik“, dieses Geschehen, sobald es auf die „er- dachten, nur als Mittel zur Erklärung eingeführten Begriffe“ Kraft, Masse, Atom, Molekül zurückgeführt sei oder scheine, „als überhaupt erklärt anzunehmen“ und hinterdrein jene „schematischen Begriffe für thatsächlich existierend anzu- sehen.“ Indessen, was heisst es, dass jene Begriffe alle „von uns selbst erfunden, erdacht worden sind?“ Fragt man nach der Herkunft derselben, so kann die Antwort vom empirischen Standpunkt nur lauten: sie sind auf Grund unserer Erfahrung von der Aussenwelt gebildet. Sie sind demgemäss auch an der äusseren Erfahrung zu kontrollieren und nötigenfalls zu korrigieren, wenn die Erweiterung unserer empirischen Erkenntnis dies bedingt. Die Natur- wissenschaft hat es auf diese Weise mit gewissen physikalisch- chemischen Grundbegriffen zu thun, auf welche sie nun die Naturvorgänge zurückzuführen sucht. In dem Masse als letzteres gelingt, sind allerdings diese Vorgänge natur- wissenschaftlich „als überhaupt erklärt“ anzunehmen. Denn die Naturwissenschaft als solche hat doch jedenfalls ihre Aufgabe darin zu sehen, dass sie die Vorgänge in der Körperwelt auch auf körperliche Bedingungen und Ursachen (Kräfte), dergleichen eben durch jene physikalisch-ehemischen Grundbegriffe ausgedrückt werden, zurückführt. Dass sie dies bezüglich der Lebensvorgänge zu leisten zunächst keine Aussicht hat, ist schon oben hervorgehoben worden.
Es wird sich ferner auch jeder besonnene Forscher des
[37] Die idealist. Richtung in der modernen Entwicklungslehre. 357
hypothetischen Charakters soleher Begriffe wie Atom, Molekül, Liehtäther voll bewusst sein, und er wird dieselben höchstens für mit gewisser Wahrscheinlichkeit existierende „reale Grössen“ ausgeben. Handelt es sich aber auch bei solchen Begriffen um eine blosse Annahme, so ist doch die letztere keine willkürliche Fiktion, sondern sie beruht auf Schlüssen, zu denen wir uns auf Grund der Beobachtung für berechtigt halten dürfen.
Eine andere, rein erkenntnistheoretische Frage ist es zuletzt, ob es überhaupt Dinge an und für sich giebt, die so existieren wie wir sie uns vorstellen. Und da müssen wir unsrerseits uns zu der Lehre Kanr’s bekennen, dass wir es überall nur mit den Dingen als „Erscheinungen“ zu thun haben, die „nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können“, indem gewisse reine Denk- und Ansehauungsformen in uns als „Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt“ und damit als „Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“ gegeben sind und alle unsere Erkenntnis von den Gegenständen der Erfahrung der Form nach im voraus bestimmen.
Dieser Auffassung des Kritizismus trägt HAMANN eben- sowenig Rechnung, wie es der Materialismus thut. In der Sprache des Dogmatikers redet Hamann davon, dass das Wesen von Materie und Kraft uns ewig unbegreiflich bleibe (gleichwohl soll, wie er im Anschluss an SCHOPENHAUER behauptet, die Kraft auf „ein durchaus unmittelbar Er- kanntes“, den „Willen“, zurückzuführen sein). Materie und Kraft in ihrer empirischen Erscheinungsweise sind für ihn ebenso an sich bestehende Dinge, wie sie es für den Materialisten sind. Wenn dabei für den letzteren das ge- setzmässige Wirken aller einzelnen Naturkräfte ein streng mechanisch-kausales ist, so ist es für HAmAnN zwar auch ein notwendiges, aber zugleich ein in seinen Folgen ziel- strebiges. Der Mechanist kann dem Teleologen gegenüber seltend machen, dass wir die Naturgesetzlichkeit notwendig als eine kausale denken müssen, nicht aber ebenso auch als eine finale. Indessen folgt hieraus nichts zu Gunsten des Dogmatismus als solehen. Denn gerade in ihrer Notwendigkeit ist die Kausalität nichts in den Dingen an sich, sondern
358 H. Kersten, Die idealist. Richtung in der modernen Entw. [38]
etwas rein in unserem Verstande Bestehendes. „Der Ver- stand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur“, sagt KAnT, und wir würden keine Gesetzmässigkeit in derselben finden können, „hätten wir sie nieht ursprünglich hineingelegt.“
Die teleologische Naturbetrachtung beruht nach Kanr') auf der Vernunftidee der systematischen und zweckmässigen Natureinheit als einem zwar regulativen Prinzip, aber nieht als einem konstitutiven Prinzip transzendenter Er- kenntnis. Dieses bloss regulative oder heuristische Prinzip dient auch nicht zur Erklärung der Zweckmässigkeit — „Ordnurg und Zweckmässigkeit in der Natur“, sagt Kanr, „muss wiederum aus Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden“ —, sondern ist nur darauf gerichtet, not- wendige und grösstmögliche Natureinheit zu suchen „ver- mittelst der Idee der zweckmässigen Kausalität der obersten Weltursache, und als ob diese als höchste Intelligenz nach der weisesten Absieht die Ursache von allem sei.“ Es hat in der neueren Zeit nicht an Versuchen gefehlt, die Idee der obersten Weltursache eines jeden anthropomorphistischen Charakters möglichst zu entkleiden und sie in angeblich korrigierter, wie uns aber scheint mehr unbestimmt ge- wordener Form als Idee eines realen teleologischen Welt- prinzips auszugeben. Im Kanr’schen Sinne beurteilt kann es sich hierbei immer nur um eine Idee von bloss immanentem Gebrauch handeln, nicht um ein transzendentes Wissen.
Und so gewinnt vom Standpunkt des Kanr’schen Kritizismus aus betrachtet der ganze Widerstreit zwischen Teleologie und Mechanismus ein anderes Aussehen und er- fährt eine Lösung in dem Sinne, dass beide überhaupt nur eine auf die Dinge als „Erscheinungen“ beschränkte Geltung beanspruchen können, nicht aber eine auf die Dinge an sich gehende.
") Kritik der reinen Vernunft.
Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge')
von
Privatdozent Dr. H. Scupin, Halle a. S.
Mit Tafel V.
Alte vulkanische Bomben gehören in einzelnen Gegenden Deutschlands bekanntlich durehaus nicht zu den Seltenheiten. Einer geologisch älteren Zeit entstammen die von KAYSER?) und RINNE3) beschriebenen Diabasbomben. Aus jüngerer Zeit sind vulkanische Bomben schon seit lange aus ver- schiedenen deutschen Vulkangebieten bekannt und noch in den letzten Jahren hat Rınne?) derartige Vorkommnisse auch aus der Wesergegend behandelt. Gelegentlieh einer bereits vor mehreren Jahren begonnenen, mehrwöchigen Begehung der Mulde von Goldberg-Hermsdorf in Schlesien konnten derartige wohl ebenfalls als Bomben zu deutende Gebilde auch hier und zwar unter besonders günstigen Ver- hältnissen beobaehtet werden. Die weiteren Resultate dieser wegen anderer Arbeiten unterbroehenen und nur gelegent- lich während einiger Herbstwochen fortgesetzten Begehung
Dt) Vorgetragen in der Sitzung des Naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen zu Halle am 17. Juli 1900.
®) Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellschaft. Bd. 48. 1896. S. 217; sowie Quarterly Journal geolog. Soc. of London 53. 1897. 8.109. _
%) Ueber Diabasgesteine in mitteldevonischen Schiefern aus der Umgegend von Goslar am Harz. Neues Jahrbuch für Mineralogie. Bei- lage-Bd. X, Heft 2. S. 363.
*) Ueber norddeutsche Basalte aus dem Gebiete der Weser und den angrenzenden Gebieten der Werra und Fulda. Jahrb. der preuss. geolog. Landesanstalt für 1897. 8.3.
360 Dr. H. Scupın, [2]
werden an anderer Stelle ausführlicher dargelegt werden.!) Zwei in letzter Zeit gemachte photographische Aufnahmen, die hier zur Reproduktion gelangt sind, geben eine gute Vorstellung des Vorkommens.?)
Die Goldberg-Hermsdorfer Mulde bildet den östlichen bezw. südöstlichen Abschluss des grossen, aus mehreren kleineren Mulden bestehenden Gebietes, in dessen Mitte etwa Löwenberg liegt. Sie wird von Süden nach Norden von der Katzbach durchschnitten, deren Thal teilweise einer Verwerfungsspalte entspricht, und zwar sind die hier vor- handenen Dyas- und Buntsandsteinschichten auf der linken Katzbachseite, die auf der Roru (-Beyrıca)’schen Karte nach SW umzubiegen scheinen, in Wirklichkeit aber nach den jetzt vorhandenen Aufschlüssen das gleiche OSO—WNW Streichen wie auf der rechten Katzbachseite zeigen, gegen die Schichten der letzteren um einige hundert Meter nach Süden hin verworfen.?)
Ganz kurz mag hier die geologische Zusammensetzung der Mulde gestreift werden.
Die ältesten die äussere Umrandung der Mulde bilden- den Schichten werden von den sehr stark gefalteten Schiefern der sog. niederschlesischen Thonschieferformation gebildet, für deren oberen Teil durch Graptolithenfunde schon seit längerer Zeit ein obersilurisches Alter feststeht.) Von Eruptivgesteinen erlangen hier in erster Linie die zum Teil stark veränderten Diabase Wichtigkeit.
1) Eine kurze Notiz über das Vorkommen findet sich bereits in dem Bericht von Herrn Professor Frech über eine mit Breslauer Studierenden in Begleitung des Verfassers unternommene Exkursion, bei der auch der interessanteste der beobachteten hier in Frage kommenden Punkte aufgesucht wurde. Jahresberichte der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Jahrgang 1899 (1900). Natur- wissenschaftliche Sektion, $. 23.
2) Eine ältere, infolge der ungünstigen Beleuchtungsverhältnisse im Herbst wenig gelungene Aufnahme des Verf. liegt der Abbildung mit zu Grunde, die sich in dem in nächster Zeit erscheinenden geol. Führer durchs Riesengebirge von Gürich findet. (Nachträgl. Anmerkung. Der Führer ist inzwischen während der Fertigstellung der Bilder erschienen.)
3) Eine zweite Querverwerfung liegt etwa 1 km weiter westlich.
‘) Gürich, Beiträge zur Kenntnis der niederschlesischen Thon- schieferformation. Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges., XXXIV, 1882, 8. 693.
[3] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 961
Die nächst jüngeren transgradierend über den Schiefern liegenden Sedimente sind nur im südlichen bezw. östlichen Teile der Mulde vorhanden, fehlen dagegen, abgesehen von einer unbedeutenden Scholle, im Norden.
Die ältesten Schichten derselben werden durch das Rotliegende gebildet, dessen mittlere und obere Abteilung hier allein zur Entwicklung gekommen ist, während das tiefere Rotliegende fehlt. Der Zeit des mittleren Rotliegen- den gehören ausgezeichnete Deeken von Melaphyr sowie die Hauptmasse der im Gebiete auftretenden Quarzpor- phyre (Willenberge und das nördlich derselben liegende aus- sedehnte Porphyrgebiet) an, während einzelne Vorkommen der näheren oder weiteren Umgebung älter sein dürften.
Scheinbar gleiehförmig (Erosionsdiskordanz) liest über dem oberen Rotliegenden der Zechstein, von dem hier ebenfalls nur die mittlere und obere Stufe vorhanden ist. Unterer Zechstein mit Productus horridus findet sich da- gegen weiter westlich am Gröditzberge.!)
Ohne deutliche Grenze geht der Zechstein in den ziem- lich mächtigen Buntsandstein über, der weiter nach oben hin durch das Auftreten einer Septarienzone und im Hang- endsten durch eingelagerte Quarzite und Dolomite ausge- zeichnet ist.
Muschelkalk tritt nur in einer unbedeutenden Partie nördlich von Hermsdorf auf, an den übrigen Stellen liegen unmittelbar über dem Buntsandstein mächtige Quadermassen cenomanen Alters (Exogyra columba), die in ihrem unteren Teile eine wenig mächtige Einlagerung eines weissen, nach oben hin sandig werdenden, und schliesslich in einen feinen selblichen Sandstein übergehenden Pläners enthalten.
Der Nordflügel der Kreideschichten zeigt erheblich geringere Ausdehnung als der Südflügel und stösst un- mittelbar an die nördliche Schieferumrandung. Die Kreide ist hier mit den älteren mesozoischen und jungpaläozoischen Sehichten längs einer grossen Bruchlinie abgesunken, die
1) Der Auffindung eines vereinzelten Exemplars von Productus horridus gegenüber dem massenhaften Auftreten besonders des für die höheren Schichten charakteristischen Schizodus obscurus, kann kaum entscheidende Wichtigkeit zukommen.
362 Dr. H. Scurın, [4
einerseits bis Neudorf am Gröditzberg und vielleicht noch darüber hinaus, andererseits auch noch nach SO bis Hasel, im ganzen etwa 20 km weit zu verfolgen ist.
Turonablagerungen sind in der Roru’schen Karte erst weiter nach Westen hin eingetragen, fehlen dagegen in dem hier in Betracht kommenden Teile der Karte; indes glaube ich als solehe wenig mächtige, plänerartige, stellenweise auch ziemlich sandige Schichten deuten zu müssen, die im Hang- endsten der ganzen Schichtenfolge liegend, in und bei Hermsdorf an einigen Punkten aufgeschlossen sind und sich in einem schmalen Streifen nach WNW fortsetzen.!)
Ueber das ganze Gebiet verstreut sind zahlreiche Basalt- kuppen. Es handelt sich hier um die letzten Ausläufer der sich von der Eifel durch Westdeutschland, Nordböhmen und die Lausitz hinziehenden vulkanischen Zone. Die uns hier interessierenden, bei den basaltischen Eruptionen heraus- geschleuderten Bomben sind in feineres Auswurfsmaterial eingebettet und konnten bisher an drei Punkten beobachtet werden, von denen der hier photographisch wiedergegebene der interessanteste ist.
Rınn&?) hat in letzter Zeit einige analoge Vorkommen besprochen und dabei auch gleichzeitig der von BRANCco beschriebenen schwäbischen Vulkanembryonen gedacht, von denen sich die ersteren jedoch insofern unterscheiden sollen, als bei ihnen schon ursprünglich Spalten vorhanden waren, die erst durch die vulkanische Thätigkeit eine Erweiterung erfuhren, während die Schlote der schwäbischen Vulkan- embryonen nach Branco unabhängig von grösseren Spalten ausgeblasen wurden.
Bei dem einen der schlesischen Vorkommen konnte der Zusammenhang mit einer Verwerfungsspalte direkt beobachtet werden. Die Aufhäufungen des ausgeworfenen Materials, die hier jedoch nicht so sehön aufgeschlossen sind
1) Das Vorhandensein von Turon wurde übrigens auch schon von Williger vermutet, dessen Spezialuntersuchungen sich östlich jedoch nur bis Pilgramdorf erstreckten und der daher auch nichts von dem genannten schmalen Plänerstreifen erwähnt. Jahrbuch der preussischen geologischen Landesanstalt für 1881. S. 55.
?) Basalte aus dem Wesergebiete. S. 39.
[5] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 368
als bei dem weiter unten beschriebenen Profil, liegen in diesem Falle auf der oben erwähnten grossen Verwerfung, und zwar an einem nördlich Hermsdorf liegenden Punkte, an dem diese selbst direkt beobachtet werden kann. Der Punkt befindet sich unmittelbar südlich eines verlassenen Steinbruches, in dem früher Muschelkalk gebrochen wurde, am Südabhang der Hermsdorf nördlich begrenzenden Höhen, und war übrigens auch RorH nicht unbekannt, der hier das Auf- treten eines Basaltkonglomerates erwähnt. Der Muschelkalk des Steinbruches, der noch etwas weiter nach Osten ver- folgt werden kann, unterteuft im Steinbruch selbst mit west- nordwestlichem Streichen und ziemlich steilen Einfallen in überkippter Lagerung den nur in einer geringen Partie vor- handenen Buntsandstein. Während nun weiter nach NNO zu unmittelbar die silurischen Schiefer folgen, die hier noch am Rande des Steinbruches selbst beobachtet werden können, steht am gegenüberliegenden Rande desselben bereits ceno- maner Quadersandstein an. In die Verwerfungsspalte zwischen beiden ist die Buntsandstein-Muschelkalkscholle eingeklemmt.
Der zweite der zu erwähnenden Punkte liest an der neuen, an der Katzbach entlang führenden Chaussee Gold- berg-Schönau nördlich von Neukirch im Buntsandstein und zwar dicht an der Grenze desselben gegen das Cenoman. Das Vorkommen steht in Zusammenhang mit dem Basalte des Geiersberges, bietet indes weiter kein besonderes Interesse.
Am vollkommensten aufgeschlossen ist der dritte Punkt in der Nähe von Bahnhof Hermsdorf, dieht am Bahnkörper selbst. Derselbe liest südlich der die Bahn senkrecht kreuzenden — einem Seitenthal der Katzbach folgenden — Chaussee Hermsdorf- Seiffenau unmittelbar nördlich einer Stelle, wo die senkrecht abstürzenden Quadermassen von der Katzbach zurücktreten. Das Vorkommen liegt noch im Südflügel der Mulde, deren Nordflügel erst die jenseits der Chaussee auftretenden Quadermassen der Rabendocken an-- gehören. Das mit der Chaussee zusammenfallende Seiten- thal entspricht einer kleineren Verwerfungsspalte, längs deren die südlichen Quadermassen gegen die nördlichen ab- gesunken sind. Dagegen ist hier eine Verwerfung an der in Frage kommenden Stelle selbst nicht zu beobachten.
364 Dr. H. Scupin, [6]
Das Profil verläuft in etwa NNO—SSW-Richtung (siehe Taf. V). Von Nordosten beginnend beobachten wir zunächst den gut aufgeschlossenen, schwach nach NNO einfallenden Cenomanquader (C), der gegen eine Lettenkluft (Z) abbricht. Im unteren Teile des Profils ist die Grenze der Kreide durch einen von der Kluft ausgehenden Schuttkegel zugedeckt. Es folgen nun die eigentlichen tuffartigen, bombenführenden Auswurfsmassen (f), innerhalb deren ein Gang von kom- paktem Basalt (5) siehtbar wird. Die Hauptmasse des Auswurfsmaterials liegt südlich des Basaltganges (auf der reehten Seite der Abbildung, ?—t), während nach Norden zu nur eine schmale, teilweise noch von Schutt zugedeckte Partie von Auswurfsmaterial zu beobachten ist. Die Grenze zwischen dem kompakten Basalt und dem Tuff ist nicht besonders deutlich und tritt in Wirklichkeit nicht so gut hervor wie in der Abbildung, in welcher der Kontrast gegen- über dem letzteren durch Retouche der Tuffmassen etwas verschärft worden ist. Innerhalb des randlichen Teiles des kompakten Basaltes können noch gelegentlich Partien von Auswurfsmaterial, wie es dicht daneben ansteht, beobachtet werden. Das basaltische Magma ist offenbar seitlich in die Tuffmassen eingedrungen und hat dabei einzelne Fetzen los- gerissen. Mitunter lässt sich auch durch Losklopfen kleinerer Partien derartigen loseren Materials wieder kompakter Basalt freilegen. Der Basalt selbst, oberhalb dessen wieder lockere Tuffmassen zu bemerken sind, tritt im unteren Teile des Aufschlusses etwas aus der Wand heraus.
Da die Quadermassen südlich des beschriebenen Profils wie schon erwähnt, etwas zurückweichen, und einer breiten Alluvialebene Platz machen, so tritt auf dieser Seite die Abgrenzung der das Cenoman durchsetzenden mit vulka- nischen Produkten erfüllten Spalte im Bilde nicht zu Tage.
Wir haben hier einen Teil eines eigentlichen Herdes alter vulkanischer Thätigkeit vor uns. Ob ursprünglich schon eine Spalte bestanden hat, oder ob der Eruptionskanal erst ausgeblasen worden ist, wage ich nicht zu entscheiden; eine merkliche Verwerfung ist, wie gesagt, an dem Punkte selbst nieht zu beobachten. Andererseits legt das Auftreten der beiden erwähnten, in nächster Nähe befindlichen Brüche,
[7] Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge. 365
die in Hermsdorf zusammentreffen, die Vermutung nahe, dass in der abgesunkenen Scholle auch die der Verwerfung nächsten Teile nieht ganz unbeeinflusst geblieben sind und wenigstens kleinere Zerreissungen erfahren haben, wenn auch erst die Eruption die Spalten erweitert haben mag. In diesen häuften sieh dann die ausgeworfenen und wieder zurückgefallenen Bomben und Lapilli an, zwischen die sich schliesslich das basaltische Magma eindrängte. Das Vor- kommen scheint danach einige Aehnlichkeit mit dem durch Rınye vom Hüssenberg bei Eissen beschriebenen zu haben.
Die bei der Eruption ausserhalb der Spalte niederge- fallenen vulkanischen Produkte sind offenbar wieder durch Erosion beseitigt worden. Auch die anstehenden Tuffmassen selbst haben wohl eine grössere Ausdehnung nach Süden zu gehabt, wo sich, wie gesagt, eine etwas breitere, von Cenomanfelsen umgebene Alluvialebene vorlagert.
Die einzelnen Bomben besitzen kugelige, ellipsoidische oder brotlaibförmige Gestalt. Häufig sind auch Bomben von mehr eckigem Querschnitt mit abgerundeten Kanten. Die . Oberfläche ist bei den aus basaltischem Materiale bestehen- den Auswürflingen unregelmässig warzig, sehr oft lassen dieselben deutlich schalige Absonderung erkennen. Die Grösse schwankt sehr erheblich. Neben den zahlreichen Bomben von der Grösse eines kleinen Apfels oder einer Wallnuss finden sich andere hier im Bilde schon recht deutlich hervortretende Auswürflinge, die Kopfgrösse er- reichen. Bei einigen ist die Grösse noch erheblicher, der Durchmesser kann mitunter fast 1/, Meter betragen.
Die meisten Auswürflinge bestehen aus basaltischem Material, daneben finden sich jedoch auch solche sedimen- tären Ursprunges, die von dem in der Tiefe anstehenden Gestein losgerissen und mit emporgebracht wurden. Ins- besondere wurden beobachtet Blöcke von rotliegendem Kon- glomerat sowie solche, die offenbar dem obengenannten weiter - südlich aufgeschlossenen Cenomanpläner angehören. An dem nördlich Hermsdorf gelegenen Punkte wurden ausserdem noch Blöcke von Zechstein und Buntsandstein gefunden.
Sämtliche Bomben sind regellos verteilt, eine Anordnung nach der Grösse ist nicht vorhanden, sodass auch an eine
366 Dr. H. Scupın, Ueber vulkanische Bomben ete. [8]
Zusammenspülung durch Wasser nieht zu denken ist. Ein vereinzelter, ziemlich grosser Rollkiesel, der hier gefunden wurde, enthält natürlich nichts Beweisendes und entstammt offenbar den in der Tiefe anstehenden rotliegenden Kon- glomeraten. Auch ist die Entfernung bis zu dem zu Tage tretenden Rotliegenden, das, wie gesagt, auch in ganzen Blöcken beobachtet wurde, eine ziemlich beträchtliche, was namentlich in Hinsicht auf die nicht besonders grosse Festig- keit der Konglomerate bezw. die leichte Zerstörbarkeit bei weiterem Transport in Rechnung zu ziehen ist.
Andererseits beweisen die Blöcke sedimentären Ur- sprungs wieder, dass die mit ihnen zusammen vorkommen- den, die Hauptmasse des Materials bildenden Basaltknauern, wie man bei Betrachtung einzelner Stücke ausserhalb des Zusammenhanges auch vermuten könnte, nicht etwa Ab- sonderungserscheinungen darstellen.
Erwähnt werden mag noch eine besonders in Figur 2 gut zum Ausdruck kommende Erscheinung.
Man beobachtet in derselben breite, schräg nach rechts unten verlaufende, dunkle Streifen, die einer Reihe aus feinerem Tuffmaterial bestehender Zwischenlagen entsprechen und dem Ganzen eine Art geschichtetes Aussehen geben. Man hat hier wohl an Unterbreehungen in der vulkanischen Thätigkeit zu denken.
Noch in anderer Beziehung ist der eben beschriebene wie auch besonders der Aufschluss nördlich Hermsdorf von Interesse. Bei der älteren Auffassung, die das gänzliche Fehlen der permischen Schiehten im Nordflügel der Mulde nicht durch Verwerfung erklärte, bleibt nur die Annahme eines Auskeilens der Schichten gegen Norden hin übrig. Durch die heraufgebrachten Blöcke sedimentären Ursprungs ergiebt sich indes jedenfalls, dass sowohl an dem .hier genauer beschriebenen Punkte in der Nähe der Schiefer- kreidegrenze als auch an dieser (hier nur durch die Bunt- sandstein - Muschelkalk - Seholle unterbroehenen) Grenzlinie selbst mit abgesunkene permische Schichten in der Tiefe vorhanden sind.
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Tafel V.
Sceupin,
Ueber vulkanische Bomben aus dem Katzbachgebirge.
Fig. 1.
Fig. 2.
Aufschluss südlich von Hermsdorf an der Katzbach
(nach einer Aufnahme des Verfassers).
C: Cenomanguader;
L: oben eine Lettenkluft, darunter ein Schuttkegel (erstere zur Verschärfung des Kontrastes etwas dunkler retouchiert);
t (t—t): Basalttuff mit Bomben (in der Umgebung von B durch Retouche etwas aufgehellt).
B: kompakter Basalt;
Rechte Seite des Aufschlusses in grösserem Massstabe,
um die reichlich eingestreuten Bomben (helle Flecke) zur Anschauung zu bringen.
C. Höpfner 8. Februar 1857 bis 14. Dezember 1900
Biographische Notiz von
Professor Dr. H. Erdmann
C. HöPFnEr wurde in Friedriehslohra am Harz geboren, absolvierte das Gymnasium in Wernigerode und studierte in Berlin zuerst Medizin, wandte sich aber dann bald der Geologie, Physik und Chemie zu. Nach der Promotion trat er 1882 seine erste Forschungsreise nach Südwestafrika auf Veranlassung der Reiehsregierung an und fasste dort den Plan, das zur Extraktion der Erzlager erforderliche Chlor dureh elektrolytische Zerlegung von Kochsalz zu erzeugen, eine Idee, die, nach seiner Rückkehr 1883 zum Patent an- gemeldet, einen wesentlichen Anstoss zu der jetzt bereits nicht zum wenigsten in unserer Provinz Sachsen hochent- wiekelten Industrie der Chlorkaliumelektrolyse gegeben hat. Auf einer zweiten Expedition 1884 erwarb HöPrner in lang- wierigen Verhandlungen mit den afrikanischen Häuptlingen, an denen später auch Dr. NAcHTiGALL teilnahm, für die Reiehsregierung das grosse Gebiet, welches wir heute als unsere Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ bezeichnen.
Nach seiner Rückkehr führten HöPrnEr seine Arbeiten über elektrolytische Gewinnung des Kupfers direkt aus den Erzen (Höprner’s Chlorürverfahren) mit WERNER SIEMENS zusammen, bei dem er auf kurze Zeit als Leiter der elektro- lytischen Abteilung eintrat. Aus dieser Zeit stammt das Cyanidverfahren zur Auslaugung feinverteilten Goldes aus
370 Prof. Dr. WILLIAM MARSHALL, [2]
die Fettschieht die Eier konserviert, da sich solehe Eier viel länger zur Brut benützen lassen, als die Eier anderer Enten; so sahen wir junge Entchen mit der grössten Leichtigkeit aus solehen Eiern hervorgehen, welche bereits vor mehr als einem Monat gelegt waren. Auch bei ge- meinen Landenten von schwarzer Farbe haben wir dieselbe Beobachtung gemacht. Bei der Paarung gemeiner Landenten von weisser oder Stockentenfärbung mit einem Cayugaerpel waren die von den aus dieser Paarung hervorgegangenen weiblichen Kreuzungs- produkten zuerst gelegten Eier häufig von schwärz- licher Farbe, immer aber und ebenso auch die später gelegten Eier dunkler gefärbt als die der gemeinen Landenten. Auch bei Rouenenten kommen hin und wieder Eier von besonders dunkler Färbung vor, während dagegen die Eier der weissen Entenschläge alle überhaupt heller gefärbt sind als die der dunklen Entenschläge.“
Diese Mitteilung interessierte mich begreiflicher Weise und zwar ganz besonders die Stelle, die ich hier in der Wiedergabe habe gesperrt drucken lassen. Ich erinnerte mich zugleich, dass sich in meinen Kollektaneen noch weitere Notizen über schwarze Enteneier finden müssten, und trat daher der Sache näher.
Das Historische mag hier zunächst folgen, soweit ich es habe zusammenstellen können.
Die erste Mitteilung findet sich in einer englischen Zeitschrift.) In der Sitzung der Londoner zoologischen Gesellschaft vom 27. Mai 1851 teilte das Mitglied OswALD eine Zusehrift eines gewissen MAck von Haling - Cottage, Croydon, vom 24. Mai desselben Jahres mit folgenden Inhalts:
„Das hiermit übersandte Ei war von einer weissen Ente gelegt, die sich am Tage meist auf dem Gemeindeanger herumtrieb, aber nachts eingesperrt wurde. Der Erpel starb vor etwa einem Monat und seitdem legte die eine der beiden weissen Enten schwarze Eier, während die andere fortfuhr, weisse zu produzieren. Jene legte 10—12, machte dann eine Pause von einigen Tagen und fuhr dann fort
1) Proceed. zool. soc. of London. 1851. 8.192,
[3] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. Byal
‚schwarze zu legen. Die Enten wurden einmal des Tages mit Gerste gefüttert zu derselben Zeit wie das andere Ge- flügel. Dickınson zeigte einem zeitweilig angestellten Auf- siehtsbeamten der Brigton-Eisenbahn in Croydon eins der Eier, worauf der Mann bemerkte, er habe auch eine Ente, die Eier von der nämliehen Farbe lege, ja, eher noch schwärzere, und dass er zwei Bruten aus solchen Eiern grossgezogen habe.“
Vier Jahre darauf berichtet BALpAamus:!) er habe durch Frau Amtmann Krepp in Krüchern acht Eier von ein paar schwarzen Hausenten mit schwarzem Schnabel und schwarzen Füssen erhalten. Der Melanismus scheint sich von den Eltern auf die Eier übertragen zu haben. Das zuerst ge- legte sei einfarbig dunkel pulverschwarz, das zweite und dritte ebenso, kaum merklich heller, beim vierten sei die schwarze Färbung nur noch wie ein Puder über dem Grau- weiss der Grundfarbe, beim fünften, sechsten und siebenten konzentriert sich dieser hell pulverschwarze (!) Puder in viele kleine verwaschene Fleeke, um beim achten nur noch wie ein schwacher Schein über der gelbweissen Farbe zu liegen. Die Enten erhalten ganz dieselbe Nahrung wie die übrigen.
Wir begegnen übrigens hier bei BALDAMUS zum ersten Male der sehönen Wendung: von einem helleren und einem dunkleren Sehwarz, die in den Artikeln und Mitteilungen über melanotische Enteneier häufig wiederkehrt.
Die nächste einschlagende Notiz rührt von GLOGER?) her. Sie enthält nichts thatsächliches, sondern nur Be- trachtungen des geistreichen Ornithologen, die freilich, wie das immer bei ihm der Fall ist, in schlechtem Deutsch geschrieben, und, was oft bei ihm der Fall ist, von etwas konfusem Inhalte sind. „Die ganze Sache ist gewiss, be- merkt GLoGER mit Bezug auf den Oswaup-Mack’schen Fall, höchst eigentümlich, und zugleich, ihrem scheinbaren Grunde oder Zusammenhange nach, wirklich auch komisch. Zu- vörderst schon überhaupt melanitische Eier von einem so
ı) „Naumannia“, Jahrgang 1855. S. 412. 2) Cabanis, Journal für Ornithologie. A. Jahrg. 1856. S. 309 ff.
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vollständigen Albinotiere; dann schwarze bloss von dem einen, und nicht auch von dem eben so vollständig weissen anderen, trotz der sonst ebenfalls gleichen Umstände für beide; drittens auch bei jenem erst von dem Zeitpunkte an, wo ihnen das Männchen verloren gegangen war. Freilich wird (in jener OswAauLp-Mackr’schen Notiz nämlich) nichts darüber angegeben, ob und mit was für anders gefärbten Enterichen aus der Nachbarschaft die beiden Wittwen zu- sammengekommen sein konnten? Denn, wenn das Zusammen- treffen der Zeit für die wunderliche Umfärbung der Eier der einen mit dem Verluste des Männchens nur ein ganz zufälliges gewesen wäre: dann würde ein solches Entstehen des Melanismus an den Eiern des Albinoweibchens noch sonderbarer erscheinen müssen, als wenn ein sonstiger Um- sang desselben, wenn auch nieht gerade eine Begattung, mit einem dunkeln oder wirklich melanitischen Enteriche stattgefunden hätte.
„In letzterem Falle würde nämlich auf die wirkliche Begattung als solehe, am wenigsten angekommen sein. Es würde, wenn auch eben nicht sehr nahe, doch auch nieht fern liegen, einen bloss psychischen Eindruck zu vermuten und das Entstehen des Melanismus bei den Eiern für eine Wirkung des zufälligen, seiner Zeit „Versehens“ zu halten. Der Grund von ihm wäre mithin jener eigentümliche nieht physische Einfluss, von welchem nicht allein bei Frauen, sondern auch bei Tieren eine so bedeutende Anzahl sehr merkwürdiger Fälle bekannt sind, und welche bei unserem Kuckucke, ebenso wie bei mehreren seiner nächsten Ver- wandten, sogar als Regel und als weise, biologisch-organische Einriehtung der Natur hervortritt.“
Zum Schlusse fügt GLoGER noch hinzu: „Von der zweiten, dem Bahnaufseher gehörigen Ente, welehe gleich- falls schwarze Eier gelegt hat, ist leider nicht gesagt, von weleher Farbe sie selbst gewesen ist. Doch scheint auch sie eben keine Melanitin gewesen zu sein. Jedenfalls ist leicht anzunehmen, dass nicht sie allein diese Eigenschaft mehr oder weniger auf die Jungen übertragen könne, nicht so leicht aber, dass ein melanitisches Männchen das Ent- stehen schwarzer Eier bei einem nieht-melanitischen oder
[5] Geflügelziichter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 975
gar albinistisehen Weibehen auf gewöhnliche, physische Weise verursachen sollte. Hier könnte vielmehr gewiss nur ein „Versehen“ diese Wirkung hervorbringen.
Im Jahre 1862 veröffentlichte der deutsch - russische Naturforscher von NORDMANN eine „Notiz über den in Taurien beobachteten Melanismus der Hausenteneier“.!) Auf dem Steppengute Karasan in Taurien, das einem Herrn von STEVEN gehörte, legten mehrere dunkel gezeichnete Enten keine weissen, sondern mehr oder weniger schwarze und zwar gefleekte Eier. NOoRDMANN bekam ein solehes Ei zu Gesichte, als er sich bei Herrn von STEVEN zu Sudagh in der Krim besuehsweise aufhielt. Man liess einen Erpel und zwei Enten dieses Schlages von Karasan nach Sudagh kommen, damit von NORDMANN sie näher untersuchen und beobachten könnte. Die Tiere waren keine voll- kommenen Melanos oder Mohrenenten, sondern nur sehr dunkele Individuen mit allen Abzeichen der gewöhnlichen Enten nur mit mehr Glanz als diese. Auch ihre Schnäbel und Füsse waren nicht vollkommen schwarz, sondern dunkelbraun.
Das Ei, über das von NORDMANN verfügte, hatte eine düstere, dunkelsehwarzbraune, mit einem schwachen, violetten Anfluge versehene Grundfarbe. Nach den beiden Polen hin wurde dieselbe dunkler, pulverschwarz. Beinahe auf der ganzen Oberfläche befanden sich unregelmässig zerstreute, srössere und kleinere, rundliche, vollkommen schwarze Flecke. Sowohl die Grund- als die Zeichnungsfarbe waren nur auf der oberen Sehieht der Kalkschale aufgetragen und liessen sich zum Teil mit dem Messer leicht abschaben, aber keineswegs mit Hilfe von Wasser abwaschen. Die betreffenden Enten legten nur solche Eier und zwar in Menge. Sie er- hielten dasselbe Futter, wie die anderen Enten auch, und es war wenig wahrscheinlich, dass sie in der Steppe andere Nahrungsmittel als diese auffinden sollten.
Im Jahre 1866 nimmt BatLpamus noch einmal das Wort zu dieser Frage und zwar in dieser Zeitschrift.?2) Er er-
1) Bull. de la soe. imper. des Natural. de Moseou. T. 35. P. II
pg. 195. (Mit einer Tafel.) 2uBde270 8.2101,
374 Prof. Dr. Wırrıam MARSHALL, [6] wähnt nur, er besässe in seiner Sammlung zwei Gelege melanotischer Enteneier. Bei dem einen, wahrscheinlich dem nämlichen, das er von der Frau Amtmann Krepr in Krüchern erhalten hatte, war das erste Ei pulverschwarz und die folgenden wurden immer heller, bis das letzte die normale Färbung der gewöhnlichen Eier der Hausente zeigte. Das zweite Gelege, von dem er leider nicht sagt, ob es von derselben Ente herrühre, bestand aus 17—13 Eiern, von denen BaLpAamus die letzten nicht erhalten hatte, die aber, umgekehrt wie beim ersten immer dunkler wurden, je Jünger sie waren. Bei allen diesen Eiern schimmerte aber immer die Grundfarbe durch.
In seinem „Handbuch der Federviehzueht“ kommt BaLpAamus auf die Farbe der Enteneier nochmals zurück. „Die Färbung“, sagt er hier, „variiert von nahezu Reinweiss mit kaum merklicher Beimischung von Grün oder Gelb dureh Hellgrün bis zu einem schön gesättigten Olivengrün und einem ausgesprochenen Rahmgelb. Als Ausnahme kommt aber bei den Enteneiern eine eigentümliche Art von Melanismus vor, der sich übrigens nur bei den Eiern sehwarzer Enten, welche auch „schwarze Knochen“ haben sollen, gezeigt hat. In zwei unter meine Beobachtung ge- kommenen Fällen waren die zuerst gelegten Eier am dunkelsten gefärbt und hatten auf schmutzig grünweissem und hellbläulich grünem Grunde einen fast überall zusammen- hängenden pulverschwarzen Ueberzug unter der Oberhaut, bei jedem später gelegten Ei wurde die Färbung schwächer und bei den zuletzt gelegten erschien sie nur noch wie ein feiner, unter der Oberhaut abgelagerter schwarzbrauner Staub. Der Staub wie das dichter aufgelagerte Pigment haften übrigens nicht an der Kalkschicht, sondern an der Innenfläche der Oberhaut, nach deren vorsichtiger Ent- fernung jene in reinster blaugrünlichweisser Färbung er- scheint. Ich besitze von beiden Gelegen noch neun Stück in meiner Sammlung. Nach der Versicherung der beiden Damen, durch deren Güte ich die beiden Gelege erhielt, waren die Knochen der Enten „ganz schwarz“, waren aber nicht mehr aufzufinden, als ich um deren Zusendung bat. Ich möchte die Vermutung aussprechen, dass nur die
[7] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 979
Knochenhaut — analog der Schalenhaut der Eier — von dem Farbenpisment durehdrungen gewesen sei, nicht die ganze Knochenmasse. Meines Wissens sind solche Melanismen bei Eiern anderer Vogelarten nicht beobachtet worden.“
Auch Dr. L. Stöuker in St. Fiden teilt seine Erfahrung, die er über dunkele Enteneier gemacht hat, mit. Er führt folgendes aus:!)
„Im Frühjahr 1867 erhielt ich eine ganz schwarze Ente, angeblich als gefangene, sodass ich im ersten Augenblick glaubte, das Weibchen?) von Oidemia nigra zu besitzen, zumal sie ziemlich Form und Haltung derselben zeigte. Eine genauere Untersuchung lehrte, dass dies nieht der Fall sei, gab aber kein bestimmtes Resultat über die Spezies der Ente, die bis zu ihrem Ende inkognito blieb. Dass ihre schwarze Farbe Ausdruck der Melanose sei, bewiesen ihre schwärzlichen Eier. Gegen die Annahme einer schwarzen Anas boschas sprach ihre ganze Haltung, ihr Tauchertalent, ihre Stimme und ihre srossen Füsse. Ein mir befreundeter Ornithologe glaubte, dass sie schon ein Bastard, einer Anas boschas und einer Cairina moschata sei, was um so interessanter wäre, da von ihr Nachkommen- schaft erzielt wurde. Item, sie blieb ein rätselhaftes Vieh.
Ich gab die Ente einem Freunde, der auf einem Weiher noch Anas boschas domest. und ein paar Bisamenten hielt. Sie wurde bald der Liebling beider Enteriche, die ihr stark zusetzten. Ende März machte sie im Stalle ein Nest, begann zu legen und fuhr damit regelmässig fort, bis sie etwa 12—13 Eier gelegt hatte, von denen die ersteren ziemlich schwarz gefärbt waren. Die späteren wurden heller, doch keines so hell, wie die Eier anderer Enten.“
Zwei Jahre später begegnen wir in derselben Zeit- schrift3) folgender Bemerkung eines Herrn J. HocKER aus Gotha: „Vor Jahren hatte ich drei Enten, welche keines- wegs ganz schwarz, sondern schwarz und weiss gefleckt waren, alle mit weissem Ring um den Hals. Dazu hatte
!) In: Cabanis Journal für Ornithologie. Bd. 18. 1870. 8. 87. 2) Das bekanntlich braun ist; nur der Erpel ist sammtschwarz. W.M. s) Bd. 20. 1872, 8.232.
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ich einen Enterich, welcher dunkelfuchsig, rostgelb war. Die eine der Enten legte jedesmal zu Anfang der Legezeit ein ganz schwarzes Ei, das zweite und dritte war weniger schwarz, indem vielleicht das dritte und vierte nur mit einem pulverschwarzen Puder auf der gelbweissen (Grund-) Farbe bedeckt war. Die folgenden Eier hatten die gewöhn- liche Farbe der Enteneier.“
Das Jahr 1874 bringt uns zwei Notizen über dunkele Enteneier und zwar beide im „Zoologisehen Garten“.')
Die erste rührt von Dr. R. Mayer in Offenbach her. Ihr Inhalt besagt, soweit es uns hier interessiert, dass der Berichterstatter von einer dunkelgrünen (doch wohl schwarzen mit grünem Metallsechimmer? W.M.) Ente mit dunkelge- färbtem Schnabel und dunkelgefärbten Füssen mit schwarzen Schwimmhäuten zwei Eier erhalten habe. Sie waren etwas kleiner als normale Enteneier, und das eine war dunkler schwarz (da haben wir’s wieder! W. M.) als das andere gefärbt. Ausser der durchgehenden schwarzen Färbung zeigten sich stellenweise grössere und kleinere, intensiver gefärbte Flecken. Die später gelegten Eier waren schon mehr graulich und wurden zuletzt fast ganz weiss. Eine mikroskopische Unter- suchung zeigte unter 300 facher Vergrösserung viele schwarze Pigmentzellen und Körner. Da muss sich der Herr Doktor denn doch z. T. geirrt haben, — schwarze Pigmentzellen zeigten die Eierschalen ganz gewiss nicht!
Die zweite Mitteilung hat R. P&LıssIEr in Frankfurt a.M. zum Verfasser. Genannter Herr erhielt das melanotische Ei aus Hanau. Es war auf gleichmässig hellgrauem Grunde mit feinen dunkeln Fleeken gezeichnet, am spitzen Ende jedoch von der Mitte des Eies an bedeutend dunkler, etwa russgrau gefärbt und mit schwärzlichen Flecken dieht be- setzt. In einer Entfernung von 1,5 em vom spitzen Pole bildeten diese Flecken einen 1 em breiten Kranz, der sieh deutlich abhob. Das Ei hatte die Gestalt und die glatte Schale eines normalen Enteneies. Die Mutterente war etwa 10 Monate alt, von schwarzer Farbe mit grünlichem Rücken und weisser Brust. Schnabel und Füsse waren ebenfalls
') Bd. 15. Die erste auf S. 192, die zweite auf 8. 394,
[9] Gefliigelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 377
schwarz, letztere an den Schwimmhäuten schmutzig gelb gefleekt. Der Enterich war dunkelgrau mit grünem Hals und blauen Spiegeln auf den Flügeln.
Das vorher beschriebene Ei war das erste der Ente, die dann noch drei oder vier schwärzliche legte. Sie wurden jedoch immer heller, zeigten also die abnorme Färbung in abnehmender Stärke. Seitdem hat aber die betreffende Entenform nur normale Eier gelegt.
Wir erfahren ferner von unserem Gewährsmanne, dass Dr. BöÖTTGER in Frankfurt a. M., der bekannte Zoologe, dem wir unter anderen auch die treffliche Neubearbeitung des 7. Bandes von „Brehms Tierleben“ (3. Auflage) verdanken, ein anderes Entenei besitzt von gleichmässig dunkelbraun- roter Farbe, etwa wie eine noch nieht ganz reife Pflaume, von der man den blauen Duft (Wachsüberzug) abgewischt hat, also ähnlich wie das von Von NORDMANN beschriebene. Seine Schale ist grösstenteils etwas rauh, auch ist es wie das Pelissierische Entenei etwas kleiner als ein normales Entenei.
Was lernen wir nun aus allen diesen Angaben that- sächliches kennen ?
1. Gelegentlich legen Hausenten melanotische Eier.
2. Die legenden Enten sind häufig selbst melanotisch, wenigstens sehr dunkel, brauchen es aber nieht notwendiger Weise zu sein (Fall OswaLp-Mack).
3. Die ersten Eier, die eine derartig abnorm beanlagte Ente überhaupt lest, sind dunkler, werden dann heller und bleiben so in den ferneren Gelegen. Ich weiss freilich nicht, ob ich damit P&uiıssıer’s Wendung „und seitdem hat die Ente nur ganz normale Eier gelegt“ richtig verstehe, oder ob sie sich bloss auf ein einziges Gelege bezieht.
4. Die ersten Eier der einzelnen Gelege sind die dunkelsten, die folgenden werden immer heller. Das dürfte die Regel sein: BauLpamus (1. Fall), Dr. STÖLKER, HockEr, Dr. MAAR, PELIssIEr (für das 1. Gelege ?).
9. Das umgekehrte findet statt: das Gelege beginnt mit hellen Eiern und hört mit den dunkelsten auf. BALDAmUs (2. Fall. Ob hier nieht ein Irrtum vorliegt? Freilich gerade dieser Gewährsmann war ein soleher Kenner der Vogeleier,
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wie keiner vor ihm und nur sehr wenige nach ihm. Ich möchte indessen folgendes zu bedenken geben: erstens ist es von Haus aus wahrscheinlich, dass der typische Gang der Entwicklung der Färbung, wie er in der grossen Mehr- zahl der Fälle stattfindet, auch immer eingehalten wird; zweitens findet die Ablagerung der Farbe im unteren, wenn auch nicht im untersten Abschnitte des Eileiters statt, und es ist anzunehmen, dass gerade in Fällen exceptioneller Färbung das, erste Ei hier auf eine grössere Masse Farbstoff, der sich gewissermassen angehäuft hat, stossen wird, als die späteren; und drittens ist, wie mir Herr Dr. EuGEnE Rey, einer der ersten jetzt lebenden Eierkenner, mündlich mit- geteilt hat, beim Feldspatz (Passer montanus) immer das letzte Ei des Geleges das hellstee Auch beim Hausspatz kommt das vor, ist aber viel weniger strenge Regel.
6. Die schwarze Farbe lässt sich leicht abkratzen und abwaschen (MAAr und der Einsender der Notiz im Brief- kasten der „Geflügelbörse“ Nr. 40 vom Jahre 1898), — die Farbe lässt sich abkratzen, aber nieht abwaschen (von NORDMANN). Das ist ein merkwürdiger Widerspruch! Sollte sieh vielleicht bei frischgelegten, melanotischen Enteneiern die Farbe abwaschen lassen, bei alten, wie es das von voN NORDMANN untersuchte war, nieht? Allerdings wäre die Abwaschbarkeit des dunkeln Pigments eine unerhörte Sache, und würde darauf hindeuten, dass es sich bei dem Farbstoff der melanotischen Enteneier um ganz etwas anderes als bei dem der übrigen Vogeleier handele, was allerdings von vornherein nieht unwahrscheinlich ist.
SowErBY!) hat solehe Eier ehemisch untersucht und sefunden, dass gerade bei ihnen ein schwarzes, nicht lös- liches Pigment vorhanden ist. Der Sache muss noch ge- nauer nachgeforscht werden, und sind die Nachforschungen auf alte und frische Schalen der Eier, und namentlich auch auf die Innenseite des Eileiters der betreffenden Mutterenten auszudehnen.
lch will hier beiläufig noch erwähnen, dass auch bei einer anderen, mit den Enten allerdings gar nicht näher
1) Proceed, zool. Soc. London 1875. p. 351.
[11] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zoöl. Wunder. 379
verwandten Familie von Schwimmvögeln gelegentlich dunkel- schalige Eier neben hellschaligen vorkommen, das sind die Steissfüsse (Podicipidae, oder wie sie jetzt einmal wieder, wahrscheinlich der Verwirrung zuliebe heissen, Colymbidae!). Aber die Ursachen sind in beiden Fällen jedenfalls ganz verschiedene, wenn wir die des Melanismus der Eier der Hausenten auch noch gar nieht kennen. BECHSTEIN!) sagt von den Eiern des Haubensteissfusses, sie seien weiss, würden aber von den feinen Wasserkräutern schmutzig und gelblich grün gefleekt und lägen am Wasser angefeuchtet; auch die vom gehörnten Steissfuss wären von den um- liegenden faulenden Wasserpflanzen grün und braun be- schmutzt. NORDMANN deutet darauf hin,?2) dass der Hauben- steissfuss und seine Verwandten in einem Neste und bei einem Gelege sehr verschieden gefärbte Eier hätten. Die frischgelesten seien hellgrünlich oder hellbläulich mit einem weissen, unregelmässig verteilten Kalküberzug, während früher gelegte von dem „Schlamm, mit welchem sie die brütenden Vögel zu bedecken pflegen,“ den Schmutz an- nehmen und dunkelbraun marmoriert werden.
Nun, „Schlamm“ nehmen die Steissfüsse gerade nicht um ihn zu bedecken, sondern modernde, nasse Vegetabilien, wie sie sich an den Ufern der Binnengewässer gerade finden. Die Erscheinung wurde, wenn auch nieht erschöpfend, so doch noch am eingehendsten von Dr. Tu. KrÜGer auf Island beohbachtet.3) Er fand, dass auch die frischgelegten Eier vom Hornsteissfuss (Podiceps cornutus) wie die des Hauben- steissfuss’ beschaffen waren, und sie behielten, auch wenn sie stark bebrütet waren ihre weisse Farbe am oder man muss besser sagen „im“ kalten Wasser, denn sie liegen in ganz nassen, schwimmenden oder flottierenden Nestern, oder waren doch nur etwas schmutzig grau. In dem warmen Wasser der Kalfs tjörn bei Vogar waren sie durch den Einfluss der Wärme auf die verwesenden Pflanzenstoffe, mit denen sie zugedeckt waren, ganz schwarz gefärbt. Hier sind schon die frischgelegten, noch unbebrüteten, aber offenbar
1) 1.c. 8.543 und 558. a)nlaec- p.2197: >) Naumannia, 7. Jahrgang. 1857. 8.53. (1. Heft.)
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durch äusseren Einfluss, gelb oder dunkelbräunlich. Bei Reykjahlid fand KrüGEr im warmen Wasser ein Nest mit vier Eiern, die von den feinverzweigten Wasserpflanzen, auf und unter denen sie lagen, sehr zierlich über und über ge- adert waren. |
SCHLÜTER!) fand ein vorjähriges, aber wieder in Ge- brauch genommenes Nest des Haubensteissfusses unter anderen auf „Sturzeln“ und zwischen Geröhrig stehend, in dem die Unterlage Sehilfstengel bildeten und dessen Auspolsterung aus teilweise in Fäulnis übergegangenen Blättern derselben Pflanze bestand. Auch die drei Eier, die es enthielt, waren mit den gleichen vegetabilischen Resten bedeekt und sie variierten, je nachdem sie mehr oder weniger von den Stoffen eingehüllt waren, in das dunklere oder hellere. Auf der Oberfläche von ebendort und ebendann gesammelten Eiern des rothalsigen Steissfusses (Podiceps ruficollis) sah er ganz deutliche Abdrücke von Schilfblättern. Da der ehemalige, jetzt verschwundene salzige See unweit Eisleben, wo SCHLÜTER jene Nester fand, nicht, wie die isländischen Gewässer, an denen KRÜGER sammelte, von heissen Quellen gespeisst wurde, also kein tellurisch erwärmtes Wasser ent- hielt, so meint mein Gewährsmann, die auffallend hohe Temperatur, die damals (in dem ersten Viertel des Juni 1857) herrschte, dafür verantwortlich machen zu müssen.
Man ersieht aus den hier mitgeteilten Beobachtungen, dass die Ursache der dunkeln Färbung der Eier der Steiss- füsse ganz ausserhalb der Natur der Vögel liegt und leicht zu erklären ist. Mit der des gelegentlich auftretenden Melanismus der Eier der Hausenten ist das eine ganz andere Sache.
Die normale Farbe der Eier der Wild- oder Stockente, der Stammform unserer Hausente, ist nach BECHSTEIN ?) oliven- oder blassgrün, nach BREHM?) und MARTIN ®) aber srauweiss, und ersterer sagt, sie unterschieden sich in nichts
») Cabanis, Journal für Ornithologie. Jahrg. 5. 1857. S. 302.
2) ]. ce. 8. 1056.
3) „Tierleben“, Vögel, 3. Bd. 2. Aufl. S. 484, 3. Aufl. S. 637.
s) Illustrierte Naturgeschiehte der Tiere. 1. Band, 2. Abteilung, Vögel. 8.599,
[13] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 381 von denen der Hausente. Ich habe während meines 4 jährigen Aufenthaltes in Leyden sehr viel Eier von Wild- und noch mehr von den allgemein verbreiteten Hausenten gesehen — die Hauptdinge, die VoLTAIRE in Holland auffielen, waren ja canaux, canards, camarlles —, deren Eier dort zum Essen sehr beliebt sind, aber habe sie stets hellgrünlich, manch- mal etwas dunkler, manchmal etwas heller, die der Haus- ente wohl auch einmal weiss, aber niemals grauweiss ge- funden, — entweder waren BREHM und Marrın farbenblind, oder ich bin es! BaLpamus’ Angaben über die verschiedenen Farbennuancen der Eier der Hausenten haben wir weiter oben schon mitgeteilt. Von den Eiern der als wilder Vogel in Brasilien lebenden Bisam-, Moschus- oder türkische Ente .(Cairina moschata) sind nach BECHSTEIN!) walzenförmig, an beiden Polen gleich stumpf, glattschalig, weisslich oder srünlich, die der Trauerente (Oidemia nigra), deren Erpel tief sammetschwarz ist, sind glänzend weiss, frisch gelegt rosig überhaucht. Ueberhaupt sind die Eier aller enten- artigen Vögel, Siebschnäbler oder Lamellirostren, d. i. der Enten, Schwäne, Gänse und Flamingos, die ich trotz GADow immer noch hierher rechne, einfarbig und hell.
Mithin ist die gelegentlich auftretende schwarze Farbe bei den Eiern der Hausenten etwas, das nieht im Ent- ferntesten in der Natur ihrer Sippe begründet ist. Wie ist sie daher zu erklären ?
GLoGER thut das durch die, bei den gebildeten Aerzten und Zoologen jetzt wohl endgiltig zu den Akten gelegte Hypothese des Versehens, die vor fünfzig Jahren noch eine ziemliche Rolle bei den weniger tief wissenschaftlich unter- richteten Naturforschern spielte. GLoGER führt ja auch die sympathische Färbung der Eier des Kuekucks und seiner Wirtsvögel darauf zurück, und Kunz, ein eiersammelnder Dilettant, ist davon überzeugt, dass die Phantasie der Mutter den wesentlichsten Einfluss auf die Farbe des zu legenden Eies ausübe, indem sie durch die Färbung der umgebenden Natur, durch das Blau des Himmels, das Grün der Wiesen, die Pracht der Blumen u. 8. w. angeregt würde. Danach
DulNeZS2951%
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müssten die Feldlerehen himmelblaue, die Wiesenpieper gras- grüne, die Papageien, tropischen Tauben und Kolibris knall- buntgescheckte Eier legen!
Es ist richtig, es giebt bei einigen Hausvögeln einen allgemeinen, sozusagen konstitutionellen Melanismus, wie es einen allgemeinen Albinismus giebt, und auf jenen greift auch GLOGER!) und nach seinem Vorbilde BALDAMmUS (8. oben) zurück. Von den melanotischen Hausenten sagt ersterer:
„Hier erstreckt sich die Schwärze wahrscheinlich noch ebenso mit auf die Beinhaut aller Knochen, wie bei der als Mohrenhuhn bezeichneten Rasse von Haushühnern. Eine so entschiedene Neigung zum Erzeugen schwarzen Farb- stoffes in den Säften der inneren wie der äusseren serösen Häute könnte sich daher wohl mitunter bis dahin ausdehnen, dass sie, ähnlich diesen letzteren, auch noch den Ueberzug der kalkigen Eischalen mehr oder weniger mit färbte. In- des erinnere ich mich doch nicht davon gelesen zu haben, dass Mohrenhühner jemals auch schwarze Eier legten.
„Bei solehen Mohrenenten würde mithin einerseits der Melanismus offenbar noch merklich weiter vorgeschritten sein, als bei Mohrenhühnern: (ein Umstand, welcher sich wohl aus jenem grösseren Reichtum an Säften, durch welehen die meisten eigentlichen Wasservögel sich vor den Land- und namentlich vor den Hühnervögeln auszeichnen, würde erklären lassen).“
Was für GLoGER nur Wahrscheinlichkeit war, wird für BALDAmUs fast zur Gewissheit. Schade nur, dass bei mir wenigstens die Autorität jener beiden Damen, nach deren, vielleicht in sie hineingefragten, Aussage, die später nicht mehr aufzufindenden Entenknochen „ganz schwarz“ gewesen sein sollen, nicht recht verfängt. Ich habe ein paar Male schwarze Enten zu untersuchen Gelegenheit gehabt und niehts von schwarzen Knochen bei ihnen gefunden. Die Möglichkeit, dass melanotische Enten wohl einmal schwarze Knochen (richtiger schwarzes Periost) haben könnten, will ich damit durchaus nicht bestreiten. In der mir zugäng- lichen ornithologischen Litteratur, die ich doch einiger-
1) l.e. 8.313.
[15] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 389 massen zu kennen glaube, habe ich so wenig wie der be- lesene GLOGER etwas darüber gefunden.
Mehr als alle im vorhergehenden mitgeteilten Thatsachen interessierten mich die von GLOGER an einige derselben angeknüpften Betrachtungen, nach denen männliche Eigen- schaften, oder aus der Natur des Männchens resultierende Eigenschaften durch Vererbung auf das äussere des Pro- duktes des weiblichen Geschlechtsapparates, des Eies über- tragen werden sollten. In diesem Falle also die schwarze Färbung auf die Eischale. Auch von Narnusıus glaubt an die Möglichkeit derartiger Uebertragungen. So hat er einmal gesagt, die Schalen der Eier, die eine gewöhnliche, von einem Cochinchinahahn getretene Haushenne lege, ständen in der Färbung zwischen den gewöhnlichen weissen Eiern des Haushuhnes und den gelben der Eier des Cochinchina- huhnes in der Mitte. Diese Angabe hat sich nach allen von mir angestellten Nachforschungen und Umfragen als irrtüm- lich herausgestellt, wie ich es von vornherein nicht anders erwartete. Der Auffassung GLo@Er’s liegt derselbe für jeden, der den- Vorgang bei der Befruchtung eines tierischen Eies im allgemeinen und eines Vogeleies im besonderen kennt, und der über das Wesen der Vererbnng und Erblichkeit genügend unterrichtet ist, unerklärliche Gedanke zu Grunde.
Da ich nieht vermuten kann, dass das bei allen oder auch nur bei der Mehrzahl meiner Leser der Fall ist, möge eine kurze Auseinandersetzung der betreffenden Erschein- ungen hier folgen.
Nach der Begattung steigt im Eileiter (Legedarm) der Henne, der aus zahllosen, mikroskopisehen, mit Kopf, Mittel- stück und Schwanz versehenen und in einer aus verschiedenen Drüsen herrührenden Feuchtigkeit sich lebhaft bewegenden Samenfädehen (Samentierchen, Spermatozoön) bestehende Zeugungsstoff des Hahnes (Samen, Sperma) empor. Dass er das kann, hat seinen Grund darin, dass die auskleidende Haut des Eileiters mit sogenanntem Wimperepithel ausge- kleidet ist, d.h. mit einer Haut, deren Oberfläche dieht mit mikroskopischen Härchen (Flimmerhaar, Wimpern, Cilien) bedeckt ist. Diese Härchen führen schlagende Bewegungen in zentripetaler Richtung nach dem oberen Ende des Ei-
384 Prof. Dr. Wıuuıam MARSHALL, [16]
leiters aus und schaffen die Samenkörperchen, denen vielleicht ihre selbständige Bewegungsfähigkeit dabei noch zu gute kommen mag, an die Stelle, wo eventuell ein Ei zu erwarten ist. Das obere Ende des Eileiters ist aber löffelartig er- weitert und bildet den sogenannten Trichter.
In der Fortpflanzungszeit, die ja bei Haushühnern nicht oder doch viel weniger als bei unseren wilden Vögeln an eine bestimmte Jahreszeit gebunden ist, fangen am Eierstock gewisse mikroskopisch kleine Bläschen (Zellen, in diesem Falle Eizellen) an zu wachsen. In jener Zeit befindet sich der ganze Geschlechtsapparat eines fortpflanzungsfähigen, weiblichen Vogels in einem entzündlichen Zustande, d.h. ‚seine Blutgefässe sind erweitert und die Blutzufuhr in ihm ist eine gesteigerte und damit zugleich seine Ernährung. Das ist eine Notwendigkeit, denn sonst könnten eben jene Eizellen, deren Zahl übrigens für jedes Individuum eine bestimmte ist und die gleich vom Inslebentreten des jungen weiblichen Vogels an vorhanden sind, und sich nicht später neu bilden und ersetzen, nicht wachsen und besonders nicht so ungeheuer wachsen, denn ein jedes tierisches Ei, d.h. beim Vogel das Eigelb, der Dotter, ist eine Zelle.
Der allgemein entzündliche Zustand der Fortpflanzungs- organe erstreckt sich natürlich auch auf den Eileiter: seine Wandungen sind verdickt, er befindet sich in einer gewissen Turgeszenz, und namentlich ist sein Triehterabsehnitt er- weitert, geöffnet und legt sich derart an den Eierstock an, dass seine Eizellen, wenn sie ausgewachsen sind und vom Eierstock sich ablösen, in ihn hineinfallen müssen, wobei ihnen der Trichter noch durch eine Art saugender Beweg- ungen zu Hilfe kommen soll. Der Dotter (eine ausgewachsene Eizelle) hat aber, wie bei weitem die meisten tierischen Zellen, einen Kern, der eigentlich sogar sein wichtigster Teil ist, bei ihm aber nieht Kern, sondern „Keimbläschen“, oder gewöhnlich „Hahnentritt“ genannt wird.
Das Keimbläschen des reifen Eies zerfällt in zwei Teile, von denen der eine durch den Dotter hindurch an dessen Oberfläche tritt und somit aus dem Ei ausgestossen wird. Das ist das sogenannte „Riehtungskörperchen“ oder die „Polzelle“, über deren Bedeutung wir noch nichts Sicheres
[17] Geflügelzüchter, Tierärzte, Menschenärzte u. zool. Wunder. 389
wissen. In diesem Zustande trifft der Samen, dessen Lebens- fähigkeit übrigens mehrere Tage (bei manchen Tieren — Ameisen- und Bienenkönigin — monate-, ja jahrelang) anhält, im Triehter das Ei, und nun vollzieht sich die Be- fruchtung. Dabei dringt ein einziges aus der ungeheueren Schar der Samentierchen in den Dotter ein und erleidet Veränderungen: sein Schwanzteil löst sich auf und vermischt sich mit der allgemeinen Dottermasse, aber sein Mittelstück und sein Kopf ziehen sich zusammen und bilden eine Kugel, die jetzt auf das nach der Teilung des Keimbläschens von diesem im Ei zurückgebliebene Stück losrücken, um sich mit ihm zu vereinigen. Damit ist die Befruchtung vollzogen. Das befruchtete Ei (Dotter) rückt nun, indem es sich dabei langsam um seine Achse dreht, den Eileiter hinunter. In diesem befinden sich verschiedenartige Drüsen, bezw. wirkt seine Innenfläche im Sinne von Drüsen, deren Ab- scheidungsprodukte den herabwandernden Dotter umhüllen. Zuerst das Eiweiss, das durchaus nicht gleichartig ist, viel- mehr aus verschiedenen, sich von einander unterscheidenden Schiehten besteht, auf das Eiweiss eine doppelte Haut, deren beide Blätter ganz dicht aufeinander liegen und nur am oberen Pol zur Bildung der sog. „Luftkammer“ auseinander weichen. Diese Vorgänge spielen sich im mittleren Ab- schnitt des Eileiters, im sog. „Isthmus“ (Landenge) ab. In seinem unteren, erweiterten, thörichter Weise „Uterus“ (Ge- bärmutter) genannten, bildet sich endlich aus Absonderungen besonderer Drüsen (Uterin- oder Kalkdrüsen) die Kalkschale um das Ei, auf dieser entsteht die Schalenhaut, gelegentlich auch ein fettartiger Ueberzug, und endlich gelangen hier die Farben, wenn solehe vorhanden sind, auf die Schale. Aus dieser Schilderung ergiebt sich, dass die Be- fruchtung, d.h. die Beimischung des männlichen Zeugungs- stoffes zum weiblichen sich nur im Dotter vollzieht und sich nur in ihm vollziehen kann, und daraus ergiebt sich‘ weiter, dass väterliche, dem Samentierchen oder der Be- wegung der Moleküle, aus dem es besteht, innewohnende Eigenschaften, sich bloss hier dem Vermischungsprodukte dieses Samentierchens und des Keimbläschens, d. h. dem zukünftigen Nachkommen übertragen können, mit anderen Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 25
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Worten, hier und nur hier kann die Kraft der Vererbung einsetzen.
Das Eiweiss, die Eihaut, die Schale, die Schalenhaut und die Eifärbung sind samt und sonders Dinge, die mit der Befruchtung nicht das mindeste zu thun haben, es ist keine Spur der väterlichen Natur, um mich so auszudrücken, an und in ihnen, sie sind nichts als Produkte der mütter- lichen Natur des Weibehens. Jeder weiss, dass Vogel- weibehen häufig genug ohne Zuthun eines Männchens Eier legen, die sich in nichts von den gewöhnlichen Eiern ihrer Art unterscheiden, als darin, dass sie keine Beimischung männlichen Geschlechtsstoffes zum Keimbläschen enthalten, sich folglich nieht entwickeln können.
Mein verehrter Freund, Herr Dr. Rey, hat dasselbe Kanarienvogelweibehen das eine Mal mit einem Männchen der eigenen Art, das andere Mal mit einem Stieglitzhähnchen gepaart, die Eier waren jedes Mal durchaus von demselben echten Kanarienvogeitypus.
Aus allen diesen Gründen muss ich an der Möglichkeit der Uebertragung von Eigentümlichkeiten, die der väterlichen Sippe innewohnen, auf die Schale eines Vogeleies, durch- aus zweifeln. Etwas anderes ist es, ob nicht die weiblichen Nachkommen, .die aus einer Kreuzung eines Cayugaerpels und einer gewöhnlichen weissen Hausente hervorgehen, dunkelschalige Eier legen. Ich bin von vornherein aller- dings geneigt das zu glauben, und teile also die, wie es scheint auf unmittelbare Erfahrungen und Beobachtungen beruhende Ansicht des Dr. MAAR.
Die Hypothese von GLOGER und von VoN NATHUSIUS über die Uebertragbarkeit von Charakteren, die im Blute eines männlichen Hausvogels schlummern, auf das äussere der Geschlechtsprodukte eines weiblichen Individuums einer anderen Rasse ist interessant genug, um noch einen Augen- bliek dabei zu verweilen. Ich will selbst den Versuch wagen, eine Erklärung der möglichen, wenn auch recht zweifelhaften Ursachen zu geben, die etwa die Uebertragung von Eigenschaften des männlichen, beim Begattungsakte beteiligten Individuums auf seine weibliche Partnerin ver- mitteln könnten.
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Von den Millionen Samentierchen, die bei der Begattung der höheren Wirbeltiere von dem männlichen Organismus in den weiblichen übergehen, kommt für jedes Ei nur ein einziges zur Verwendung. Was geschieht mit den übrigen? Wäre es nicht denkbar, dass sie in minimalster Dosis in den weiblichen Stoffwechsel übergingen und die Disposition des weiblichen Organismus bis zu einem gewissen, auch erst in der Nachkommenschaft zur Geltung kommenden Grade umstimmten? Wenn aber ein einziges Samentierchen durch Aufgehen in den im Ei entstehenden Organismus im Stande ist, die väterlichen Eigenschaften auf ihn und auf Generationen seiner Nachkommen in oft sehr bedeutendem Umfange zu übertragen, warum soll nicht das in den weib- liehen Stoffwechsel möglicherweise aufgenommene Quantum männlichen Samens ähnlich wirken können? Eine wohl auf- zuwerfende Frage, vorausgesetzt, dass eine solche Aufnahme fester oder flüssiger Teilchen wirklich stattfindet, denn an die gasartiger, nach der alten Hypothese des spiritus semü- nalıs, wird heute so leicht niemand mehr glauben.
Noch eins möchte ich diesen Erwägungen hinzufügen, das nichts erklären soll und nichts erklären kann, denn es ist selbst problematisch, und nur ein Narr kann proble- matisches durch problematisches erklären wollen. — Seit alters behaupten die Jäger, und sie behaupten bekanntlich viel, eine edle Hündin würde für die Zucht zeitlebens minderwertig, wenn sie beim ersten Male, so sie läufisch war, von einem schlechten Köter belegt worden sei und für alle späteren Würfe, wenn sie auch vom besten Vater ab- stammten, sei das Blut verdorben. Es wird auch erzählt — ob mit vielem Recht, bezweifle ich —, die von kauka- sischen Vätern mit solchen kaukasischen Müttern gezeugten Kinder, die sich früher mit Negern geschlechtlich vermischt hätten, zeigten immer, auch wenn eine spätere Vermischung ihrer Mütter mit schwarzen völlig ausgeschlossen sei, einen - gewissen, wenn auch geringen, nachwirkenden Einfluss des Negerblutes in ihrem Aeusseren und in ihrem Charakter.
In allen solehen Fällen würden wir es mit geheimnis- vollen Erscheinungen der Vererbung, mit „mystischen “ Konsequenzen von Darwın’s Pangenesis oder HAECKEL’S
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Perigenesis der Plastidule zu thun haben, die dem kalt- blütigen, objektiv urteilenden Naturforscher nur wenig im- ponieren. Was uns aber GLoGER in dieser Beziehung zu glauben zumutet und was er selbst glaubte, ist gar nichts gegen das, was einmal ein paar französische Tierärzte, GRUBY und DELAFONDE als positive, mit vieler Mühe, Not und Sorge, wie sie selber klagen, ausgeführte Beobachtungen aufzutischen wagen.!)
Ich würde die betreffende Stelle nicht ausgegraben haben, wenn sie nicht in einem Aufsatze von LEISERING?) und von da in das vortreffliche Büchlein von ZüRN, „Die tierischen Parasiten auf und in dem Körper unserer Haus- säugetiere“,?) übergegangen wäre, ohne Widerspruch zu finden.
Es handelt sich um die Gegenwart von Larven eines, im ausgebildeten Zustande in der rechten Herzkammer und rechten Herzvorkammer, sowie in der Lungenarterie des Haushundes lebenden Fadenwurmes (Filaria immitis) im Blute der infizierten Tiere.
Die beiden französischen Forscher fassen an der an- geführten Stelle die Resultate, zu denen sie gekommen sind bezw. gekommen sein wollen, in eine Anzahl von Thesen zusammen, von denen uns hier die 16., 17. und 18. inter- essieren. Sie lauten in der Uebersetzung:
„16. Ein wurmblütiger Hund zeugt mit einer nicht wurmblütigen Hündin Nachkommen, von denen die einen, die zur Rasse des Vaters gehören, wurmsüchtiges Blut haben, die anderen, zur mütterlichen Rasse gehörigen aber nicht.
17. Eine wurmblütige Hündin bringt, wenn sie von einem nicht wurmblütigen Hunde belegt wird, Nachkommen zur Welt, von denen die zur mütterlichen Rasse gehörigen wurmsüchtiges Blut haben, aber die zur väterlichen ge- hörigen nicht.
18. Die Nachkommen eines wurmblütigen Hundevaters und einer wurmblütigen Hundemutter haben unter allen
1) Compt. rend. T.34. 1852. 8.13. 2) Virchows Archiv. Bd.33. 1865. 8. 117. s) 2. Auflage. Weimar 1882. S. 244.
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Umständen, ob sie zur väterlichen oder mütterlichen Rasse gehören, wurmsüchtiges Blut.“
Ich muss gestehen, als ich das las, stand mir, wie man zu sagen pflest, sämtlicher Verstand still.
Erstens, und im voraus sei bemerkt, kann man doch bei Nachkommen zweier gekreuzter, verschiedener Hunde- rassen nicht wieder von Rassen sprechen, man kann allen- falls sagen, dass dieses Individuum der Bastarde mehr Aehnlichkeit mit der väterlichen Rasse, jenes mit der mütterlichen habe.
Die These 13 gebe ieh unbedingt zu mit der Ein- schränkung, dass der Vater gar nieht wurmblütig zu sein braucht: das zahlreiche Wurmlarven enthaltende Blut der Mutter tritt durch die Verzweigungen der Arterie der Nabel- schnur in die Föten über, und das genügt. Die Thesen 16 und 17 hingegen sind der horrendeste Unsinn, der mir in der Litteratur über Erblichkeit und Vererbung, die bekannt- lich nieht arm an Unsinn ist, bis jetzt aufstiess.!)
Wie denken sich erstens einmal die beiden Tierärzte die Möglichkeit, dass eine Hündin, deren Blut frei von den Filarienlarven war, die aber von einem wurmblütigen Hunde belegt wurde, diese Eigenschaft ihres Gatten auf die ge- meinsamen Nachkommen zu übertragen vermöchte? Man könnte sagen, dass gewisse Krankheiten, Syphilis, Tuber- kulose ete. erfahrungsgemäss doch auch von dem Vater auf die Kinder übergingen. Das weiss ich recht gut, aber das ist denn doch ein ander Ding, da handelt es sich um winzigste Teilchen der Materie, die sehr wohl in einem Spermatozoon enthalten sein können und sogar enthalten sein müssen — aber bei der Uebertragung der Blutwürmer kann es sich nur entweder um Eier oder um junge Larven handeln. Nun sind aber erstere 0,045 bis 0,050 mm, letztere
!) Brera (medizinisch - praktische Vorlesungen über die vornehm. Eingeweidewürmer u.s. w., deutsch von F. A. Weber, Leipzig 1803; ich kenne das Buch nicht, sondern zitiere nach Bremser, S. 31) hatte die prächtige Ansicht, die Wurmeier des Vaters könnten durch den Körper des Sohnes, indem sie keine schickliche Gelegenheit zur Ent- wicklung gefunden hatten, in den Körper des Enkels übergehen. Eine vorzügliche Form der latenten Vererbung!
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aber 0,20 bis 0,25 mm lang, wie ist da Platz für sie in einem Samentierchen eines Hundes?
Ist dieser Blödsinn schon gross genug, der ist es noch mehr, der da die Verschiedenheit der Verteilung auf die Nachkommen der „Rasse“ nach behauptet. Hier kann man des geschichtlichen Interesses wegen nur konstatieren, dass einmal eine solehe Behauptung aufgestellt wurde und noch heutigen Tages da und da schwarz auf weiss zu lesen ist! —
Aber nicht bloss Tierärzte, sondern auch Menschenärzte, und die erst recht, befinden sich häufig in einem bemerkens- werten Zustande zoologischer Unschuld. Frug doch einmal ein praktischer Arzt aus dem Altenburgischen bei meinem Freunde, Herrn RICHARD SCHMIDTLEIN, Sammlungsassistenten am hiesigen zoologischen Universitätsmuseum an: ob es denn wirklich wahr sei, dass aus den Mehlwürmern Käfer würden? Was der Examinator von den Examinanden in der natur- wissenschaftlichen Vorprüfung für Mediziner manchmal zu hören bekommt, könnte sehr belustigend sein, wenn es nicht gar zu betrübend wäre. Man könnte sich ja zum Troste sagen, das seien noch keine richtigen Aerzte, sondern wollten erst solehe werden. Sed fuge quaerere, was der Mediziner nach seinem Physikum zu seinem bischen zoologischen Wissen hinzulernt! Den Ballast hat er im Examen taliter qualiter abgeladen, er ist froh, dass er ihn auf seine Art losgeworden ist und schert sich in Zukunft den Teufel um die ganze Zoologie, es sei denn, dass er persönlich eine besondere Neigung und Liebhaberei für das Studium der Tierwelt habe.
Und wie mit der Zoologie, so geht es mit allen natur- wissenschaftlichen Fächern. Bedauerlich genug! Vordem war ein Medikus, ein Arzt, auch allerwege ein Physikus, ein Naturforscher, und wahrlich nicht zu seinem Schaden, — früher verstand er auch tüchtig Latein, gleichfalls ganz gewiss nicht zu seinem Schaden. Wird für die zukünftigen Mediziner das Studium der Naturwissenschaften noch mehr beschränkt und das der humaniora ganz aufgehoben — wo- für von berufener und unberufener Seite, von oben und von unten immer lebhafter agitiert wird —, nun, dann werden wir wie in Amerika allerdings bald praktische Darmfeger genug haben, denen aber die Berechtigung sich wissenschaftlich
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gebildete Männer, oder gar Gelehrte zu nennen, unbedingt abgesprochen werden muss. Jene auf naturwissenschaft- lichen Gebieten so wohl unterriehteten Aerzte, die vordem bewährte Zierden ihrer Wohnorte waren, von denen sich viele namentlich in der Botanik und Zoologie geachtete Namen gemacht haben, verschwinden mehr und mehr! Die Wissenschaft ist milehende Kuh, was darüber ist, das ist vom Uebel! —
Auf keinem Gebiete aber kam und kommt die Ignoranz vieler Aerzte in rebus zoologieis schöner zum Ausdruck als auf dem des Schmarotzertums, wo ihr Studium und das der Zoologie sich begegnen.
Es ist unglaublich, wie sich die Herren seit je von Patienten, besonders aber von Patientinnen, hysterischen und vielleicht aueh nur schalkhaften, die dabei mit raffinierter Schlauheit verfuhren, haben zum besten halten lassen. Die wunderbarsten Dinge gingen und gehen den Damen per os, anum et vulvam ab, Eidechsen, Schlangen, Menschenhaare, Raupen und andere Insektenlarven, Käfer, Fliegen, Spinnen, Kellerasseln, Regenwürmer und wer weiss was sonst alles noch. Die Nachtgeschirre werden zu Raritätenkabinetten ersten Ranges, in denen man alles, bis zur Liehtputzscheere finden kann, wie Vater BREMSER sagt.
Noch 1850 veröffentlichte der Göttinger Professor A. A. BERTHOLD eine ernsthaft gemeinte AbhandInng „Ueber den Aufenthalt lebender Amphibien im Menschen“!
Schon der alte gescheite LEEUWENHOEK, allerdings ein Naturforscher von Gottes Gnaden, machte sich über die Leichtgläubigkeit der Aerzte seiner Zeit (um 1684) in dieser Beziehung lustig, und der Engländer SPENCER ÜOBBOLD, ein ausgezeichneter Kenner der tierischen Schmarotzer, hält es für nötig, 180 Jahre später die Herren Medici in dem über die Wasserkälber oder Zwirnwürmer (Gordis) handeln- den Kapitel seines grossen Parasitenwerkes!) ausdrücklich vor dem Getäuschtwerden zu warnen: „Der praktische Arzt würde gut thun, sich mit dem Gordius aquaticus recht genau bekannt zu machen, denn es ist beim jungen Volk
) Cobbold, Spencer, „Entozoa“. London 1864. p. 412,
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kein ungewöhnliches Spässchen sich den Wurm zu ver- schaffen, um den Doktor ein wenig an der Nase zu führen. In dem mit dem Middlesex-Krankenhaus verbundenen Museum befindet sich ein Gordius, den sich ein Doctor medicinae, trotz seiner Bedeutung als Arzt, als einen echten Medina- wurm hatte aufhängen lassen. Er soll sogar 4 Guineen (80 Mark) dafür bezahlt haben. Ich erinnere mich vor etwa 20 Jahren von einem in der Privatpraxis des Herrn CRossE von Norwich vorgekommenen Falle gehört zu haben, in dem sich ein junges Frauenzimmer erdreistet hatte, diesen aus- gezeichneten Arzt dadurch anführen zu wollen, dass sie einen oder zwei Gordien in ihren Nachttopf praktizierte.“
Mit besonderer Vorliebe geben solehe Pseudopatienten oder -patientinnen Insekten und namentlich Fliegenmaden, die in der guten Jahreszeit unschwer zu beschaffen sind, von sich, und ich bin stets von vornherein äusserst miss- trauisch, wenn ich von einem solehen Vorkommnis höre.
LALLIER!) zählt 1897 ihm bekannte Fälle von Binnen- parasitismus von Fliegenlarven aus der Litteratur auf. Da- von betreffen Männer 56, Weiber 24 und Kinder unter vier- zehn Jahren 8 Fälle. Die Larven gehörten zu 34 Arten, die in 25 Fällen erbrochen, in 53 per anum und einmal durch Mund und After zugleich ausgeleert wurden. Bei 9 Fällen fehlten nähere Angaben.
Ein aus neuester Zeit datierender, geradezu klassischer Fall mag hier folgen, wie ich ihn in einem Aufsatze von SCHNEIDEMÜHL?) finde, der ihn der mir unzugänglichen „Wiener klinischen Rundschau“ (1896, wahrscheinlich auch nur einem Referate) entnommen hat: „Neuerdings hat HENSCHEN in Upsala „über Fliegenlarven im Darm als Ur- sache einer chronischen Enteritis pseudomembramacea“ be- richtet. HENnscHEN behandelte einen Patienten, welcher im Sommer 1889 trübes und lehmiges Wasser getrunken hatte, in welchem nach dem Trinken kleine Tiere bemerkt wurden. Patient litt seit jener Zeit an Diarrhoe und Verstopfung.
1) Lallier, Etude sur la myase du tube digestif chez ’homme. (Dissert. Paris med. Fakultät. Nr. 307. 1897.)
?) Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde, Band 22. I. Abteilung. 1897. 8. 753.
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Die Faeces waren von strangartigen, fusslangen Schleim- massen oder Membranen begleitet und enthielten zahlreiche Larven einer mit unserer Hausfliege verwandten Fliegenart. Nach eingeleiteter Behandlung trat zwar eine zeitweise Besserung ein, doch verschwanden erst März 1896 die Larven aus den Faeces und damit auch die Darmsymptome.“ Soweit mein Gewährsmann.
Ich bin überzeugt, dass Herrn HEnscHEN’s von Upsala medizinischen Kenntnisse seine zoologischen ganz unendlich übertreffen, aber er hätte doch gut gethan in diesem Falle, über den er ja nicht rein medizinisch berichtet, sondern auch zoologisch urteilt, wenn er einen Studenten der Zoologie um seinen wissenschaftlichen Rat gebeten hätte. In trübem und lehmigem Wasser mögen allerlei kleine Tiere leben, von Fliegenlarven allenfalls die jungen Larven von Bristalis tenax, die bekannten sog. Rattenschwänze, aber niemals die einer zu der Familie der Museiden, deren Typus unsere Hausfliege ist, gehörigen Art. Nun, HENnscHENn behauptet ja auch nieht geradezu, dass ein Zusammenhang zwischen jenem Trunk im Jahre 1839 und den fortwährenden Aus- leerungen von Fliegenlarven bis zum März 1896 stattge- funden habe, obwohl er ziemlich deutlieh durehblieken lässt, dass er es vermutet. Aber wohl behauptet er einen solchen Zusammenhang zwischen der Gegenwart der Fliegenlarven und der Darmerkrankung. Ich will entgegenkommend sein und einmal zugeben, dass sich wohl unter günstigen Um- ständen Museidenlarven aus zufällig aufgenommenen Eiern im menschlichen Magen entwickeln, oder dass zufällig auf- genommene junge Larven sich in ihnen ernähren und weiter wachsen und dass sie schliesslich mit dem Faeces nach aussen gelangen können. Nun haben aber die meisten, oder wohl alle unserer Museiden mehrere Generationen im Jahre. Sagen wir bloss zwei, dann hätten sich in dem Patienten HENSCHEN’s wenigstens zehn Madengenerationen entwickelt: in den Jahren 1839 und 1896 je eine, in den anderen je zwei. Es müsste sich also jener an und für sich schon sehr srosse Zufall, dass der Kranke Eier oder junge Larven einer der „Stubenfliege ähnlichen Fliegenart“ in sich auf- genommen habe, innerhalb 6 Jahren mit grösster Regel-
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mässigkeit 10 mal wiederholt haben. Denn dass die Ent- wicklung der Larven sich in dem lebenden menschlichen Körper bei der hier herrschenden hohen Temperatur teil- weise so eigenartig modifiziert und verzögert habe, dass von einer einmaligen Infektion 6 Jahre lang Larven er- scheinen konnten, wird doch wohl niemand mir zumuten zu glauben. Auch dass nur ein Teil der Maden jedesmal nach aussen befördert worden sei, ein anderer sich aber im Magen verpuppt und, die Imagines geliefert habe, die dann in dem- selben Magen herumgesurrt wären, sich begattet hätten und die Eltern einer neuen Madengeneration geworden wären, und das 10 mal hintereinander — das Jemanden zu erzählen, würde sich selbst MÜNCHHAUSEN geschämt haben.
Ein moderner, zoologisch gebildeter MÜNcHHAUSEN könnte sich vielleicht auf eine ausnahmsweise stattfindende Pädo- genesis berufen und sagen, „ja, jene Larven haben auf un- geschlechtlichem Wege Nachkommen hervorgebracht und so von Generation zu Generation.“
Ein tiefer Blick in die Natur, Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
Ist es nieht viel wahrscheinlicher, dass der Patient von HENSCHEN unter Verhältnissen lebte und wohnte, unter denen Stubenfliegen oder andere Museidenmütter ihre Eier bezw. junge Larven auf seinen Kot absetzen konnten? Die Ent- wicklung der Larven geht unglaublich rasch vor sieh: „ein Beobachter liess eine Schmeissfliege ihre Eier an einen Fisch legen. Am zweiten Tage nach dem Ausschlüpfen waren die Maden schon noch einmal so gross, aber immer noch klein genug, dass ihrer 23—30 zusammen kaum ein Gramm wogen, am dritten Tage wog jede für sich schon sieben Gramm, war also binnen 24 Stunden gegen 200 mal schwerer geworden.“ Das steht in Brenum’s Tierleben zu lesen.)
Ein paar sehr hübsche Fälle älteren Datums, die sich aber nicht auf Fliegenmaden beziehen, mögen noch folgen,
ı) Brehm’s Tierleben. 9. Band: Insekten von Taschenberg. 3. Auflage. 1892. S. 511.
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weil sie das Genie mancher praktischen Aerzte glänzend darthun.
Der erste rührt von einem gewissen ÜHICHESTER!) her. Dieser Hippokrates erzählt, im Monat Juni 1806 sei ein 14 jähriges Mädehen von Leibschmerzen und Kopfweh be- fallen worden, die 14 Tage anhielten. Während dieser Zeit erbrach sie ohne Anwendung von Breehmitteln 24 grosse Würmer (offenbar Ascaris lumbricoides). Die Sache scheint der jungen Dame gefallen zu haben, denn drei Wochen später fing sie eine grossartige Komödie an: sie brach Blut, konnte nichts essen, und wenn flüssige oder feste Nahrung nur mit der Schleimhaut ihres Schlundes in Berührung kam, fiel sie in Zuekungen und machte ein Geräusch, wie Croupkranke es machen. Da sie nicht reden konnte, deutete sie durch Zeichen an, dass ihr etwas in der Kehle sitze. Es wurde eine Sonde eingeführt, was ihr eine gelinde Erleichterung verschaffte, und CHICHESTER gab ihr 0,50 eg Calomel (die sie also trotz ihrer Zuekungen und ceroupartiger Anfälle nehmen konnte!) Darauf entleerte sie per anum einige hundert lebender Tiere von der Grösse eines Gerstenkornes. Das Gesicht derselben glich dem eines Schweines (!), an jeder Seite hatten sie drei braune, mit je drei Haaren besetzte Beine, andere Haare befanden sich entlang des Rüeckens und drei standen am hinteren Körperende (offenbar Larven einer Art von Dermestes), die Larven waren lebhaft und gefrässig. Man gab ihnen frische und gesalzene Nahrung, und sie frassen tüchtig.
Was die Kranke anging, so hörte das Erbrechen bei ihr nach 14 Tagen auf, sie fühlte sieh erleichtert, konnte die Augen wieder öffnen und verstehen, was man ihr sagte, aber selber drückte sie sich noch unzusammenhängend aus. Im Monat Fehruar gab sie wieder einige hundert Larven der gleichen Art, aber durch den Mund mittels Erbrechen von sich, die Schlundkrämpfe quälten sie noch acht Monate, _ während das Schluckvermögen wiederkehrte. Sie spuckte noch einige Zeit Blut und am 2. April 1811 war sie völlig hergestellt.
) Chichester, Edinb. med. and sur. Journ. Vol. VII. 1811. p. 328,
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Ueber einen anderen höchst wunderbaren (aller- dings!) Fall von Canthariasis (Schmarotzertum durch Käfer) beriehtet noch PickELs!) aus Cork im Jahre 1828, wo ein 23 Jahre altes Frauenzimmer während 13—14 Jahren fort- dauernd eine Unmasse Larven von Tenebrio molitor (Mehl- würmer) und Dlaps mortisaga (Totenkäfer; zusammen 1206), sowie fast buchstäblich Myriaden von Fliegenlarven ausge- brochen hatte, glaubt der Verfasser doch nicht als eine ganz unglaubwürdige „Räubergeschiehte“* verwerfen zu dürfen. Denn das Weibsbild hatte aus einfältigem Aberglauben die ganze Zeit Wasser getrunken, das mit Erde von Gräbern gemischt war, und wodurch sie sehr leicht die Eier dieser Insekten in Menge in den Magen bekommen konnte. Das Ausbrüten der Eier und die weitere Entwicklung der Larven im Magen wurde dadurch begünstigt, dass die Person, um die Magenschmerzen zu stillen, Kalk gefressen und Kalk- wasser getrunken hatte, wodurch die Säuren des Magen- saftes mehr oder weniger gesättigt (neutralisiert!) wurden und daher die Eier und Larven nicht angriffen, während die beständige Zufuhr von neuer Graberde den Larven Nahrung lieferte und den Ahgang der von Zeit zu Zeit ausgebrochenen ersetzte.“
Das ist viel Unsinn auf einmal!
Wie sich jemand durch den Genuss von Gräbererde mit Eiern von Mehlwurmkäfern (von denen von Totenkäfern und Fliegen will ich schweigen, da hier der Schein eines Scheines der Möglichkeit vorhanden ist!) infizieren kann, ist und bleibt ein grosses Rätsel und Wunder. Wunderbar ist es auch, wie der Magensaft, der so scharf war, dass er die Eier und Larven der bösen Gäste unbedingt hätte an- greifen müssen, nun durch den Genuss von Kalk gerade so neutralisiert wurde, dass sich diese Tiere wohl darin be- fanden und gediehen. Wie sich wohl die Mehlwürmer in dem doch immer mehr feuchten als trockenen Magenbrei eines hysterischen Weibsbildes befunden haben mögen? Wie haben sie denn geatmet? Wie mag sich das Frauen-
1) Transact. of the assoe. of fellows and Lic. of the Kings and Queens Coll. of Phys. in Ireland. Vol. V. Dublin 1828,
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zimmer über den gelehrten Dr. PıckELs in Cork amüsiert haben! —
Doch dem sei, wie ihm wolle! — Ceterum censeo: ein klein wenig zoologisches Wissen kann einem praktischen Arzte kaum schädlich sein! Er würde dann die ihm in seiner Praxis vorkommenden Erscheinungen aus dem Tier- leben genauer studieren, eingehender prüfen und objektiver beurteilen, bevor er über sie schrieb und sieh lächer- lieh machte. Er sollte sich wenigstens immer mit einem Fachmann in Verbindung setzen, ehe er einen litterarischen Abortus riskiert!
Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes nach den Aufzeichnungen seines Vaters R. Gerbing veröffentlicht von
Walter Gerbing
Um über die Veränderungen, welche im Laufe der Jahre in der Vogelwelt einer Gegend vor sich gegangen sind, richtig urteilen zu können, genügen die Erfahrungen eines einzelnen Beobachters selbstverständlich nicht, auch wenn sie seit vielen Jahren sorgfältig gesammelt wurden; fast ebensowenig reicht ein einziger Forscher aus, um den jetzigen Vogelbestand eines Gebietes festzustellen. Nur wenn zugleich Beobachtungen und Notizen zuverlässiger Vogel- kenner über die Avifauna derselben Gegend aus viel früherer Zeit vorliegen und mit den jetzigen verglichen werden können, wird man ein annähernd richtiges Bild davon er- halten können, welche Glieder unserer Vogelwelt ver- schwunden oder seltener geworden sind, welche andere sich vermehrt, oder auch, früher nicht vorhanden, nach und nach sich eingebürgert haben.
Was soeben im allgemeinen gesagt wurde, gilt auch für das in dieser Arbeit zu behandelnde Gebiet. Hier hat seit beinahe einem halben Jahrhundert mein Vater von Schnepfenthal aus sorgfältige und fortlaufende Beobach - tungen angestellt, auf denen die nachfolgenden Angaben vorzugsweise fussen. Zum Vergleiche mit diesen Beobacht- ungen sind leider nicht viele Notizen aus früherer Zeit vorhanden; am meisten bringen in dieser Beziehung zwei Männer, die gleichfalls in Schnepfenthal lebten, der vor-
[2] Die Charaktervögel des nordwestlichen Thüringer Waldes. 399
treffliche Vogelkenner Jos. MArtuÄus BECHSTEIN und der Naturforseher Prof. HARALD OTHMAR Lenz. Ersterer schrieb seine Naturgeschichte vor mehr als hundert Jahren (1792); auch letzterer bringt in seiner Naturgeschichte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wertvolle Angaben, aber wie es bei Büchern erklärlich ist, die für einen grösseren Leser- kreis berechnet sind, beziehen sich seine Angaben meist auf die allgemeine Verbreitung der betreffenden Vögel, und die Heimat ist weniger berücksiehtist. Immerhin lassen die Notizen beider Forscher interessante Schlüsse auf Zu- und Abnahme einiger Vogelarten zu und sind daher in den nach- folgenden Zeilen möglichst berücksichtigt worden, die ver- suchen wollen einen Bericht über den jetzigen Bestand der Vogelwelt des nordwestlichen Thüringens, insbesondere des Gebirgswaldes, zu geben.
Die grossen Raubvögel, welche früher ungemein häufig!) den Wald bevölkert haben müssen, sind, da sie der Jagd grossen Abbruch thaten, nach und nach ausgerottet worden, oder ihr Bestand ist bis auf wenige Exemplare zusammengeschmolzen. Zu den vollständig ausgerotteten, weil nur schädlichen Vögeln gehörten der Steinadler (Aguzla chrysaetos) und der Uhu (Bubo maximus Libb), die früher in Felsenhöhlen der Waldthäler bei Tabarz und Georgenthal ihre Horste hatten. Die Milane, welehe (nach Mosch und ZiLLER 1813) den Inselsbergstein bewohnen, und mit grossem Geschrei den Berg umkreisen, werden dort schon lange nicht mehr gesehen und sind im Gebirge nieht häufig, und recht selten sind auch die kühnen Wanderfalken (Falco peregrinus Tunst.) geworden, die erst seit einigen Jahren die früher regelmässig auf Felsen innegehabten Horstplätze nicht mehr
ı) Nach Akten, die sich im Archiv des Herzogl. Staatsministeriums zu Gotha befinden, wurden in den Jahren 1789 bis 1791 eingeliefert: im Amt Tenneberg 2217 Raubvögel, 4 Uhus, 27 Fischreiher, 2 Steinadler; im Amt Reinhardsbrunn 1787 Raubvögel, 163 Raben, 27 Fischreiher, 1 Steinadler; im Amt Georgenthal anno 1789 und 1791 1637 Raubvögel, 10 Raben, 2 Uhus, 41 Fischreiher, 2 Steinadler; in den Jahren 1759 und 1790 im Amte Schwarzwald 2444 Raubvögel, 11 Fischreiher. In den Jahren 1748 —50 wurden in sämtlichen gothaischen Aemtern 5163 Raubvögel, 5977 Raben, 88 Fischreiher, 10 „Fischgeier,“ 11 Steinadler, 34 Uhus erlegt.
400 WALTER GERBING, [3]
besuchen. Habicht (Astur palumbarius L.) und Sperber (Accipiter misus L.), im Volke meist „Geier“ genannt, sind noch nieht überall so vermindert, wie es wünschenswert wäre, und betreiben ihre Räubereien meist in den Vorbergen. Der häufigste Raubvogel des Waldes ist der Gemeine Bussard (Buteo vulgaris Bechst.), er wird mit Recht von den Jägern geschont, und man sieht daher noch öfter diesen Vogel seine schönen Spiralen über den Gipfeln der Waldbäume beschreiben. Der häufigste Nachtraubvogel ist der Wald- kauz (Syrnium aluco L.).
Für manche Vögel war das Verschwinden der grossen Raubvögel, ihrer Hauptfeinde, sehr vorteilhaft, und sie haben sich zum Teil in einer Weise vermehrt, dass sie nun selbst recht lästig und schädlich werden. Dies gilt besonders vom Eichelhäher (Garulus glandarius L.), welcher sich, da er jetzt recht häufig ist, durch sein unangenehmes Geschrei im Walde sehr bemerklich macht und als starker Nest- zerstörer der Vermehrung der Singvögel vielfach Abbruch thut. Scharen von Dohlen (Lycos monedula L.) haben sich seit einigen Jahren — seitdem der Wanderfalke nicht mehr in der Nähe wohnt — in den alten Buchen am Sehorn und auf dem Simmetsberge im Friedriehröder Reviere angesiedelt, nisten in den von den Schwarzspecehten gezimmerten Baum- höhlen und verdrängen mehr und mehr die auch daselbst Nisthöhlen findenden Hohltauben; ihre Nahrung finden sie auf den Fluren der nächsten am Fusse des Gebirges gelegenen Ortschaften. Auch der Bestand an Rabenkrähen (Corvus corone L.) hat sehr zugenommen, nicht zum Vorteil der kleinen nützlichen Sänger des Waldes. Dagegen gehört der Kolk- rabe (Corvus corax L.), der früher, nach den Ausweisen oben erwähnter Akten, häufig gewesen sein muss, seit etwa vierzig Jahren nicht mehr zu den Bewohnern des Gebietes. Von der Saatkrähe (Vorvus cornix) ist dem Verfasser nur eine Kolonie im Schlossparke von Günthersleben, einem Dorfe in der Nähe Gothas, bekannt; dieselbe nistet also gleichfalls nicht im eigentlichen Waldgebiete.
Während von den Raubvögeln manche Arten durch fort- gesetzte Verfolgungen von seiten des Menschen ausgerottet oder vertrieben wurden, sind eine Anzahl früher den Wald
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häufiger bewohnende Vögel deshalb recht selten geworden oder mehr und mehr im Verschwinden begriffen, weil ihnen durch die fortschreitende Forstkultur die nötigen Lebens- bedingungen entzogen wurden. Der alten Bäume werden es bei der jetzigen Umtriebszeit von siebzig bis achtzig Jahren immer weniger, kranke und hohle Stämme duldet die heu- tige Forstwirtschaft nicht mehr im Walde, und mit ihnen verschwanden die Wohn- und Schutzplätze vieler Höhlen- bewohner, besonders der Hohltauben und Spechtarten. Von letzterer Familie macht sich der Grünspeeht (Gecinus viri- dis L.) noch am häufigsten durch sein lautes, auflachendes Geschrei „glöäh-glöäh-Glöäh“ bemerklich, zumal da er es auch verstanden hat, sich eine neue Nahrungsquelle zu verschaffen, indem er, den Wald verlassend, die Chausseebäume absucht. Vom grossen Buntspecht (Picus major L.) findet man hier und da im Walde eine „Speehtsehmiede,“ durch zahlreiche zer- meisselte Fiehtenzapfen kenntlich; diese beiden Arten dürften die häufigsten sein. Der Grauspecht (Gecinus canus Gm.) ist recht selten, auch der schöne Schwarzspecht (Dryocopus martius L.), eine Zierde des Nadelhochwaldes, war bis vor wenigen Jahren nur in ganz wenigen Brutpaaren vorhanden. Seit kurzem aber hat er sich auffallend vermehrt und macht sich bei seinem weittönenden Rufe gegenwärtig unter allen Spechten am meisten bemerklich. Der Grund für diese auf- fallende Erscheinung liegt wohl darin, dass der Schwarzspecht, wie der Grünspecht, jetzt gelernt hat, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen: er deckt den durch das Ver- schwinden der alten Bäume entstandenen Nahrungsausfall dadurch, dass er jetzt auch die-Baumstücke absucht, die ihm eine reiche Ausbeute, vor allem an Bockkäfer- und Schnellkäferlarven liefern.
Von den Taubenarten findet, wie schon erwähnt; die Hohltaube (Columba oenas L.) nicht mehr wie früher die nötigen Bruthöhlen und ist daher seltener geworden als früher. Warum dagegen die früher (nach BEcHsTEIN) sehr häufige Turteltaube (Turtur auritus Rag.) jetzt fast verschwunden ist, lässt sich schwer sagen. Am häufigsten nistet noch im Gebirgswalde die Ringeltaube (Columba palumbus L.).
Zeitschrift £. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 26
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Von den Waldhühnern ist das Haselhuhn (Bonasia silvestris Brehm) vollständig verschwunden; das Birkhuhn (Tetrao tetrix L.) wird immer seltener. Dagegen scheint der Bestand an Auerhühnern (Tetrao urogallus L.) zuzunehmen; namentlich in den höchsten Regionen des Gebirges, längs des Rennstieges, wird dem Wanderer oft die Freude zu Teil, einen Trupp der stattlichen Hühner zu beobachten oder einen Hahn mit lautem Geräusch von einem Baume abstreichen zu sehen.
Die Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.) ist nur während des Herbstzuges häufiger im Gebirgswalde zu treffen; wäh- rend des Frühlingszuges, im März, findet sie dagegen den Boden des Gebirges noch so mit Schnee und Eis bedeckt, dass sie es vorzieht, ohne Aufenthalt weiter zu wandern.
Von den Vögeln, die sich sonst noch im Gebirgswalde häufiger finden, und von denen einige Arten charakteri- stische Erscheinungen gewisser landschaftlicher Partieen sind, möchten die folgenden hervorzuheben sein:
Die Hauptsängerin im Gebirgswalde, die „Waldnachtigall“, ist die Singdrossel (Turdus musicus L.). An ihrem Wohn- orte, in dessen Nähe Wiese und Wasser nicht fehlen dürfen, lässt sie, gewöhnlich auf der Spitze einer der höchsten Fichten sitzend, besonders in den Morgen- und Abendstunden ihren herrlichen lauten und abwechslungsreichen Gesang über die Wipfel der Bäume hin erschallen, und vermag hierdurch eine grössere Waldpartie auf das angenehmste zu beleben. Leider werden die Singdrosseln von Jahr zu Jahr immer seltener, woran vielleicht die zahlreichen Eichhörnchen, welehe viele Nester zerstören, die Schuld tragen mögen. Einen hübschen, dem der Singdrossel aber nicht gleich- kommenden Gesang hat auch unsere grösste einheimische Drossel, die Misteldrossel, auch Schnärre und Ziemer genannt (Turdus viscivorus L.); sie bevorzugt entschieden den Nadel- wald, ist einer unserer ersten Frühlingsboten, da sie schon von März ab sich hören lässt, aber häufig ist sie nicht, und die einzelnen Paare haben immer ein grösseres Revier inne. Die übrigen Drosselarten kommen als Bewohner des Waldes weniger in Betracht. Die Amsel (Merula vulgaris Leach.) ist auch in unserem Gebiete aus einem scheuen, versteckt
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lebenden Waldvogel ein dreister Park- und Gartenvogel ge- worden, der hier sichere Brutstätten und Sommer und Winter (nur die Männehen bleiben im Winter hier) günstige Ernährungsverhältnisse gefunden hat. Die Wacholderdrossel oder Krammetsvogel (Turdus pelaris L.), welche BECHSTEIN nur als Zug- und „Schneussvogel“ bekannt war, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte bekanntlich mehr und mehr im nordwestlichen Thüringen als Brutvogel eingebürgert und verbreitet. An ihren Brutkolonieen — eine solche befindet sich seit einer Reihe von Jahren in der „Harth“, einem Laubwäldehen bei Schnepfenthal — machen sich die Vögel nieht durch Gesang, wohl aber durch die häufig gehörten Loektöne sehr bemerklich.
Für die klaren Forellenbäche, welehe von der Höhe des Gebirges kommend schäumend und rauschend die Gebirgs- thäler durcheilen und dem offenen Lande zustreben, sind zwei Vogelarten eharakteristische Erscheinungen: Die gelbe Ge- birgsbachstelze (Motacilla sulphurea Bechst.) und der Wasser- star oder die Wasseramsel (Cinclus aquaticus L.). Beide sind durch ihre Nahrung an diese Orte gebunden, an denen sie auch ihre Nistplätze haben, und entfernen sich nieht gern von den Bachbezirken, die sie einmal zum Wohnplatz gewählt haben. Aufgescheucht fliegen sie beide immer allen Win- dungen des Baches folgend dahin, während aber die zier- lieh-schlanke, anmutige Bachstelze dies in schönen Bogen- linien thut, wobei sie gewöhnlich ihren feinen Lockton zit zitit hören lässt, fliegt der durch sein lockeres, dichtes Gefieder und durch sein kurzes Schwänzchen gedrungen erscheinende Wasserstar in gerader Linie dieht über dem Wasserspiegel hin. In den ersten Frühlingstagen hört man am häufigsten den leisen Gesang der Wasseramsel, aber auch im Winter verstummt derselbe nicht ganz. Wie sie im Sommer in und unter dem Wasser hinlaufend ihre Nahrung, meist Larven von Wasserinsekten, zu erbeuten versteht, so läuft sie im Winter zu diesem Zwecke unter dem Hohleise hin und findet hier auch Schutz, wenn sie in ihrem dann recht einsamen, von Schnee und Eis glitzernden Wohnbezirke gestört werden sollte. Wie die Gebirgsbachstelze keinem unserer Gebirgsbäche fehlt, so ist auch die Wasseramsel
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noch ziemlich verbreitet. Als im Herbste letzten Jahres einer der Teiche bei Reinhardsbrunn teilweise abgelassen worden war, hatten sich an diesem günstigen Platze wohl acht Wasseramseln zusammengefunden, und ihre verschiedenen Fangmethoden liessen sich gut beobachten. Während die einen am Wasserrande hinliefen und im Schlamm befindliche Nahrung aufstöberten, dazwischen auch ihren Gesang hören liessen oder sich neidisch jagten, wateten andere im Wasser umher, wieder andere schwammen nach der Mitte des Teiches zu, und zwar merkwürdigerweise derart, dass nur der Kopf aus dem Wasser hervorsah; der weisse Brustlatz erglänzte dabei wie Silber. Ich habe diese Art des Schwimmens vorher nie beobachtet.
Auch der Eisvogel (Alcedo ispida L.) kann ähnlich wie die Wasseramsel seinen Wohnort nur an klaren Gewässern haben; um aber seine Beute als Stosstaucher erlangen zu können, liebt er mehr die Teiche und tieferen Bäche. Er verschlingt manches Fischcehen, viel mehr als der so vielfach verkannte Wasserstaar. An kalten Wintertagen ist man ziemlich sicher, am Einfluss eines der Reinhardsbrunner Teiche, wo der Eisvogel ständiger Gast ist, den diekköpfigen Gesellen auf einem Zweige oder Pfahle sitzend auf Beute lauernd anzutreffen, im Sommer aber muss man schon die einsamsten Stellen an den genannten Gewässern aufsuchen, wenn man den durch die prachtvolle Färbung des Gefieders ausgezeichneten Vogel beobachten will.
Haben die Waldbäche hohe wurzelreiche Ufer, oder sind moosige Felspartieen in der Nähe, so darf man mit ziemlicher Sicherheit auch auf die Anwesenheit des kleinen kecken Zaunkönigs (Troglodytes parvulus L.) rechnen, welcher gern sein kugliges Moosnestchen hier erbaut und oft seinen lauten fröhliehen Gesang erschallen lässt.
Wie die Gebirgsbäche zwei, nur ihnen eigentümliche Vogelarten an sich fesseln, so werden die sonst recht öden Schläge und jüngeren Kulturen, besonders wenn auf ihnen einzelne hohe Samenbäume stehen, von zwei anderen, eben- so interessanten Arten bevorzugt, von der Dulllerche (Zullula arborea L.) und der Spitzlerche (oder Baumpieper) (Anthus arboreus Bechst.). Die Dulllerehe bewohnt mit Vorliebe
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die Buntsandsteinregion der Vorberge, der Baumpieper nicht allein diese, sondern er ist auch weit im Gebirge auf den Waldwiesen, Blössen und Liehtungen verbreitet. Die Dull- lerehe ist ein Liebling vieler Waldbewohner, und wenn man in den ersten Frühlingstagen nach langem harten Winter, oder in stiller warmer Sommernacht den aus den verschie- densten flötenden und lullenden Tönen zusammengesetzten Gesang des Vogels gehört hat, so begreift man diese Vor- liebe. Leider hat es den Anschein, als ob die Dulllerche immer seltener würde, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich wäre, während doch der Baumpieper, der dieselben Lebens- bedingungen hat, eher an Zahl zu- als abnimmt. Der Ge- sang des Baumpiepers ist ganz anders als derjenige der Dulllerche, er ist der „Kanarienvogel des Waldes“. Von den Vorbergen an bis in die höchsten Regionen des Gebirges (Kuppe des Inselsberges) verbreitet, vermag dieser Vogel durch seinen Gesang und durch die Flugkünste, die er dabei entwickelt, die obengenannten Orte ausserordentlich zu beleben.
Finden wir diese beiden Vögel vorzugsweise auf lichten Waldstellen, so werden wir dagegen zwei andere häufige Bewohner des Gebirgswaldes, das Rotkehlehen (Dandalus rubecula L.) und die Braunelle oder Isserling (Accentor modularis L.) im Fichtendickicht und an Waldrändern am häufigsten antreffen. An solchen Orten, bis auf den Kamm des Gebirges verbreitet, singt das Rotkehlchen eifrig schon früh vor Sonnenaufgang, und wenn Abends die Dämmerung herabgesunken ist, wenn Finken und Drosseln längst ver- stummt sind, ertönt noch vom diehten Fichtenbestand her sein lieblicher, an Schellengeklingel erinnernder Gesang. — Der Isserling wird wegen seiner bescheidenen Färbung, in welcher grau und braun vorherrschen, leicht übersehen, aber seine hübsche Sangesstrophe hört man oft. Beide Vögel treiben sich, um ihre Nahrung zu suchen, viel im _ niederen Gestrüpp umher, aber zum Singen wählen sie gern die Spitze eines Fichtenbäumehens, um sich, wenn sie sich beobachtet sehen, senkrecht in das schützende Dickicht hinabzustürzen.
Noch ein anderer Vogel, der Wald- oder Weidenlaub-
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vogel (Phyllopneuste rufa Lat.), welcher nebst den Gold- hähnchen zu den kleinsten Vertretern unserer Avifauna gehört, hält sich gern in den Fichtendiekungen auf und macht sich durch seinen mit grosser Ausdauer vorgetragenen, nur aus zwei Silben bestehenden Gesang sehr bemerklich. Meist in der letzten Hälfte des März erscheinend, fehlt er sicherlich nicht bei den an den Waldrändern blühenden Weiden, die von vielen Fliegen besucht werden. Dagegen ist eine andere Art, das schwirrende Laubvögelchen (Phyl- lopneuste sibilatrix Bechst.) eine charakteristische Erscheinung für den Buchenhochwald und erscheint mit dem Laubaus- bruche in demselben; es ist an seinem eigentümlichen sirrenden Gesange, nach dem es seinen Namen erhalten hat, leicht zu erkennen.
Aechte und ziemlich häufige Nadelholzbewohner, welche sieh besonders im Hochwald finden, sind zwei Meisenarten: die Harz- oder Tannenmeise (Parus ater L.) und die Hauben- meise (Parus ceristatus L.), erstere vorzugsweise im Fichten-, letztere im Kiefernhochwald zuhause. Sie bringen neben den Goldhähnchen (nur die eine Art, Regulus cristatus Koch, bleibt im Winter da) durch ihr munteres Treiben in den Aesten und Zweigen der Bäume, die sie unablässig nach Nahrung absuchen, und durch ihre öfter ausgestossenen Locktöne einiges Leben in den sonst recht stillen Winter- wald; zuweilen säubert auch eine Schar flinker Schwanz- meisen (Acredula caudata L.) die in der Buntsandsteinregion der Vorberge stehenden Lärchen von den schädlichen Larven der Lärehenminirmotte.
Der häufigste Vogel des Waldes ist der Buchfink (Frin- gilla coelebs L.); überall, in den Buchen- wie in den Fichten- beständen hört man den kräftigen schmetternden Schlag dieses Vogels. Er fehlt nicht an den einsamsten Stellen des Rennstieges, hat sich aber auch den günstigen Ver- hältnissen anzupassen verstanden, welche ihm die in den Sommerfrischen zahlreichen Gartenwirtschaften bieten. An diesen Orten kann man mit Sicherheit darauf rechnen, dass eine oder mehrere Finkenfamilien hier ihr Heim aufge- schlagen haben, deren Mitglieder im Sommer zutraulich zwischen den von den Sommergästen besetzten Tischen ihre
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Nahrung suchen und finden. Bekanntlich wurde der gute Schlag: dieses Vogels früher von den Bewohnern des Waldes mit am höchsten geschätzt, die Finkenliebhaberei stand namentlich in der Ruhl, in Tambach und Kleinschmalkalden in der höchsten Blüte. Noch heute giebt es einzelne Kenner, welehe die verschiedenen Schläge genau zu unterscheiden und mit besonderen Namen zu benennen wissen; aber die Zeiten sind vorbei, in welchen für einen guten „Doppel- schläger“ zwei Louisdor bezahlt wurden, obgleich dieselben auch heute noch ziemlich hoch im Preise stehen. Vogel- liebhaber giebt es noch viele, besonders in den Waldorten, wo für Fabriken gearbeitet wird, doch begnügen sie sich meist damit, einen Zeisig, Hänfling, Stieglitz, Liebig oder Kreuzsehnabel im kleinen Käfig zu halten, und auch diese Vögel tragen ja durch ihr munteres Wesen, durch ihr Zwitschern und Singen zur Unterhaltung der in der Stube arbeitenden Familie bei.
Von den Kreuzschnäbeln kommen zwei Arten, der Kiefern- und der Fiehtenkreuzschnabel, im Walde vor; eine dritte Art, der weissbindige Kreuzschnabel (Loxia bifasciata) ist ein seltener Wintergast und war z. B. im Winter 1893/94 ziemlich zahlreich vorhanden. Die erstgenannte Art, der Kiefern- kreuzschnabel (Loxia pityopsittacus Bechst.) scheint das ganze Jahr hindurch ein ständiger, wenn auch nicht häufiger Be- wohner unseres Kiefernhochwaldes zu sein, dagegen wechselt der Bestand der Fiehtenkreuzschnäbel (Loxia curvirostra L.) ausserordentlich; zigeunerhaft streifen die Vögel umher und bleiben da, wo sie für sich gut gedeekten Tisch finden. Fehlen die Fiehtenzapfen im Walde, so ist auch meist kein Kreuzschnabel zu sehen und zu hören, in guten Samenjahren dagegen ist auch sicher der Winterwald von ihnen belebt. Ueberall hört man den bekannten Lockruf kip, kip, an sonnigen Tagen auch den bescheidenen Gesang der Vögel, und von den schneebedeckten Zweigen heben sich besonders die roten Männchen wirkungsvoll ab. Zahlreich waren z.B. im Winter 1883/39 die Fichtenbestände bei Friedrichroda, Tabarz, Winterstein und am Heuberg von Kreuzschnäbeln bewohnt, welehe auch vielfach ihre Bruten glücklich auf- brachten, häufig waren sie auch im Sommer 1893, wie die
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vielen, schon Ende Juli und Anfang August unter den Bäumen liegenden, meist noch grünen und zum Teil von ihnen be- arbeiteten Zapfen bezeugten, dagegen fehlten im Winter 1895 —96 die Zapfen und mit ihnen die Liebhaber derselben. Im südöstlichen Teile des Thüringerwaldes wird der Kreuz- schnabel oft gegessen, und sein Eleisch soll durch die haupt- sächliche Nahrung des Vogels, die Fiehtensamen besonders gewürzig schmecken. In hiesiger Gegend fängt man den Kreuzschnabel zwar auch vielfach, aber nur, weil derselbe ein beliebter Stubenvogel ist. Hier und dort herrscht auch noch der Glaube, dass der Kreuzsehnabel Krankheiten von den Menschen ab- und an sich ziehen könne, und zwar sollen die Linksschnäbler die Frauen, die Rechtsschnäbler die Männer von ihren Gebrechen befreien.
Als ein Stubenvogel, der besonders zutraulich wird, ist auch der Dompfaff oder „Liebig“ (Pyrrhula europaea Vieill.) beliebt; er ist ein ständiger Bewohner des Waldes, wo man oft die Locktöne der geselligen Vögel hört. Obgleich sein natürlieher Gesang zwar recht gemütlich, aber keineswegs harmonisch klingt, lernt er bekanntlich, frühzeitig aus dem Neste genommen und in der Stube aufgezogen, ein oder mehrere Volkslieder recht hübsch pfeifen, wenn ihm die- selben von seinem Pfleger tagtäglich vorgepfiffen werden. Auch jetzt giebt es noch einzelne Waldbewohner, Leute, welehe einen grossen Teil ihrer Zeit in der Stube zubringen müssen, die sich dieser Beschäftigung hingeben, und wenn dieselbe auch viel Geduld und Zeit erfordert, verschafft sie ihnen mitunter eine hübsche Nebeneinnahme.
Das Bild von der Vogelwelt in unserem Gebirgswalde würde recht unvollständig bleiben, wenn darin der Baum- rutscher (Certhia familiaris L.) und die noch geschickter als die Spechte kletternde Speehtmeise (Sitta europaea L.) fehlten. Das trillernde Pfeifen der letzteren gehört ebenso wie das Klopfen der Spechte und wie der Ruf des Kuckucks zum Waldkonzerte. Doch ist der letztgenannte scheue Vogel immer nur in einzelnen Paaren in den Waldbeständen des Gebirges vertreten, und erscheint deshalb in den letzten Tagen des April oder in den ersten des Mai.
Von den angeführten Gliedern unserer Vogelwelt dürften
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wohl diejenigen, welehe ausschliesslich, aber vorzugsweise und in grösserer Zahl den Gebirgswald bewohnen, als Charaktervögel desselben anzusehen sein, andere dagegen, welche mehr einzeln hier vorkommen — und nicht sämtlich aufgezählt sind — haben ihren Verbreitungsbezirk in den abwechslungsreicheren Vorbergen oder im Vorlande des Gebirges. Alle Bewohner der Vorberge aufzuzählen, würde hier viel zu weit führen, und nur einer derselben sei hervor- gehoben, der Girlitz (Serinus hortulanus Koch), welcher dadurch interessant ist, dass er erst seit den letzten vier Jahren sein Wohn- und Brutgebiet bis an den Fuss des Gebirges ausgedehnt hat.
Auch der Staar (Sturnus vulgaris L.) liebt mehr die ge- misehten Laubwaldungen und Gärten, aber er hat die ihm angebotenen!) Staarenkästen überall, selbst in den hochge- legenen Gebirgsdörfern, die rings von geschlossenem Wald begrenzt werden, gern angenommen, da seine natürlichen Nisthöhlen seltener wurden. Er wohnt nun dort in zutrau- licher Nähe der Menschen, ist durch sein drolliges Wesen, sein Zwitschern und Pfeifen und durch seine nützliche Thätigkeit vielfach ein Liebling der Waldleute geworden, und ersetzt in dieser Beziehung die früher viel häufigeren Schwalben.?)
Die vielen in den Luftkurorten und Sommerfrischen entstandenen parkähnlichen Gärten mit allerlei schützendem Buschwerk werden meist bald als Wohn- und Nistplätze von einer Anzahl nützlicher und angenehmer Sänger an- genommen und sind vorteilhaft geworden für die Verbreitung dieser Vögel, und das Balkenwerk der Villen wird häufig vom Hausrotschwänzchen (Ruticilla tithys L.) als Nistplatz benutzt. Dieses Tierchen, von welchem BEcHSTEIN sagt, dass es Ende des vorigen Jahrhunderts noch selten war, ist jetzt überall verbreitet, bewohnt mit Vorliebe auch die
1) In Friedrichroda geschah dies zuerst durch Förster Bonde 1856, in Schnepfenthal und Umgegend durch H. O. Lenz.
2) Vielleicht ist die Abnahme der Schwalben in der immer mehr zunehmenden Sauberkeit der Orte, besonders der Sommerfrischen zu suchen, wodurch Fliegen, Mücken und Schnaken, die Hauptnahrung der Schwalben, mehr und mehr verschwunden sind.
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hochgelegenen Waldorte (Oberhof). und einzelne Häuser (Inselsberg), wo es schon vor Tagesanbruch seine hervorge- quetschten Sangesstrophen hören lässt, die es besonders aber bei Regenwetter unermüdlich vorträgt. Auch der Sperling ist jetzt in allen Waldorten vorhanden (1823 fehlten die Spatzen noch in Ruhla und Kleinschmalkalden), wenn er sich hier auch nicht so breit macht wie in den nahrhaften Dörfern der Ebene, wo seiner allzustarken Vermehrung schon oft Einhalt gethan werden musste.
Kleinere Mitteilungen.
Astronomie.
Zur Jahrhundertwende. „Mein Gott, ein neu Jahr- hundert, ich sehe nichts dabei; es weiss den Weg von selber und braucht kein Hilfsgescehrei.“ Trotzdem wir diese Worte KARL SPITTELER’s vollständig unterschreiben, möchten wir doch eine sachgemässe Erörterung über den Anfangstermin des neuen Jahrhunderts nicht unterlassen, da von den ver- schiedensten Seiten in ernsthafter Weise darüber debattiert wurde. Wir bringen deshalb die vortrefflichen Ausführungen unseres Mitgliedes, Prof. G. SCHUBRING,!) über diese Frage hier zum Abdruck.
Es kommt in erster Linie darauf an, festzustellen, welehen Sinn der Fragende mit dem Ausdrucke „neues Jahrhundert“ verbindet. Ein Jahrhundert, das heisst ein Zeitabschnitt von hundert Jahren, kann ja selbstverständlich zu jeder beliebigen Zeit, also auch am 1. Januar 1900 be- gonnen werden. Wenn aber mit dem „neuen Jahrhundert“ das 20. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung gemeint sein soll, so unterliegt es keinem Zweifel, dass das „neue Jahrhundert“ erst am 1. Januar 1901 beginnen kann. Das Jahr 1900 gehört noch zum 19. Jahrhundert, welches selbst- verständlich erst dann abgelaufen sein wird, wenn vom Anfange der christlichen Zeitrechnung an gerade 1900 Jahre verflossen sind. Den Anfang aber bildet wie bei jeder Zeitreehnung das Jahr 1 und nicht ein Jahr 0, welches es
!) Das neue Jahrhundert und der christliche Kalender. Beilage zum Jahresbericht 1899/1900 des königl. Realgymnasiums zu Erfurt.
412 Kleinere Mitteilungen.
in der Chronologie niemals und nirgends gegeben hat, weder im Altertum, noch in der neuen Zeit.
Der Begründer der christlichen Zeitrechnung war der Abt Dionysıus Exi@uus, ein Skythe, der um das Jahr 530 lebte und die Zeit der Mensehwerdung Christi, so gut er konnte, zu bestimmen suchte: er fand dafür das Jahr 754 der römischen Zeitrechnung (nach VArRo). Wahrscheinlich betrachtete er aber nicht den Tag der Geburt Christi, den die Kirche damals schon auf den 25. Dezember angesetzt hatte, sondern den Tag der Verkündigung Mariä, das heisst also den 25. März des genannten Jahres, als den Ausgangs- punkt (Epoche) seiner Zählung. Darauf kommt aber nichts an, jedenfalls galt dieses Jahr als das „erste Jahr Christi“, von ihm aus zählte man die Jahre weiter als das 2., 3., 4. Jahr ab incarnationee Man bediente sich also der Ordnungszahlen, nicht der Grundzahlen, wie ja nach der Meinung namhafter Psychologen die Ordnungszahlen dem schlichten Denken näher liegen als die sogenannten Grund- zahlen. Später gebrauchte man auch Ausdrücke wie: Im 325. Jahre des Heils oder der Gnade (yratiae) oder im 825. Jahre des Herrn (anno domini). Es entsprach dies genau der Art und Weise, wie die Alten die Jahre der Regierung eines Kaisers oder Königs zählten. Wenn näm- lich ein Regent in die Mitte oder gegen Ende eines Jahres zur Regierung gelangte, so pflegte man doch das ganze Jahr seiner Regierung zuzurechnen; mit dem Anfange des nächsten Kalenderjahres begann man dann das 2. Jahr seiner Regierung. Belege dafür findet man in dem Handbuch der Chronologie von IDELER, Bd. I, S. 118&—119.
Nachdem die Dionysische Aera grössere Verbreitung gefunden hatte, dehnte man sie auch auf die Zeit vor Christi Geburt aus: Das Jahr 753 der Stadt Rom wurde das erste Jahr vor Christo genannt; 752 also das 2. Jahr vor Christo ete. Ein Jahr Null anzunehmen, daran dachte niemand, der Begriff „Null“ lag damals den meisten Menschen ganz fern.
Der Ausdruck „Jahre nach Christi Geburt“ wurde erst sehr spät in Anwendung gebracht; er hat einige Verwirrung angerichtet, weil er zu der Meinung verführte, dass das
Kleinere Mitteilungen. 415 Jahr 1 nicht das erste Jahr sei, in dem Christus gelebt hat, also nicht das Geburtsjahr, sondern das erste Jahr nach seiner Geburt. Christus könne doch, so sagte man, nieht im ersten Jahre nach Christi Geburt geboren sein, und deshalb müsse man das sogenannte 1. Jahr nach Christi Geburt eigentlich als das 2. Jahr betrachten ete. Auf diese Weise kam man dazu, das Jahr 1899 als das 1900. an- zusehen.
Die Verwirrung wurde noch erhöht durch die Benutzung der Grundzahlen an Stelle der Ordnungszahlen: man meinte die Jahreszahlen könnten als Grundzahlen nur die abge- laufenen, nieht die laufenden Jahre zählen; man berief sich dabei auf die Uhr und die Stundenzählung. Um die Halt- losigkeit dieses Einwandes zu erkennen, braucht man aber nur an die Bezeiehnung von Monat und Monatstag durch Ziffern zu denken: der 2. 9. 1870 ist der 2. Tag des 9. Monats im 1870. Jahre der ehristlichen Zeitreehnung. Es ist also vollständige Uebereinstimmung in der Zählung der Jahre, Monate und Tage vorhanden; bei den Stunden wird aller- dings meistens in anderer Weise gezählt, denn nur selten sagt man „in der 6. Stunde“ (statt 5 Uhr 20 Minuten oder 5 Uhr 40 Minuten), doch ist auch diese Ausdrucksweise, z. B. hier in Erfurt, nicht ganz unbekannt. — Es giebt übrigens noch viele andere Fälle, in denen man Grund- und Ordnungszahlen in gleichem Sinne, genauer gesagt, in denen man die Grundzahlen statt der Ordnungszahlen ge- braucht: So sagt man z. B. meistens: auf Seite 12 statt auf der 12. Seite, ebenso sagt man: er wohnt Marktstrasse 6, oder auf Zimmer 9, oder er dient im Regiment 71; man bestellt sich auch aus der Bibliothek das Buch 3751 ete., obgleich in allen diesen Fällen die Ordnungszahl mehr am Platze wäre als die Grundzahl. Wie in allen diesen Fällen ist es auch bei der Zählung der Jahre ganz gleichgiltig, ob man Grund- oder Ordnungszahlen anwendet; jedenfalls ist es unzulässig, aus der Verwendung der Grundzahlen an Stelle der Ordnungszahlen irgend welche Schlüsse zu ziehen.
Weitere Veranlassung zu Verwirrungen in der Zählung der Jahre gab der Umstand, dass der von Julius Cäsar festgesetzte Jahresanfang (der 1. Januar) in der christlichen
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Kirehe nicht überall beibehalten, sondern das neue Jahr an einigen Orten am 25. März, an anderen zu Ostern oder zu Weihnachten angefangen wurde: Karl der Grosse wurde am 25. Dezember 800 gekrönt, dieser Tag galt jedoch als erster Tag des Jahres 801, daher wurde die Krönung mitunter auf Weihnachten 801 angesetzt. — Die Nachbarstädte Pisa und Florenz begannen beide das Jahr am 25. März, unter- schieden sich aber in der Zeitrechnung um ein Jahr. — Diese und ähnliche Unsicherheiten verschwanden erst im 18. Jahrhundert. — Dagegen besteht immer noch keine voll- kommene Sicherheit über das wahre Geburtsjahr und den wahren Geburtstag Christi; die Annahme des 25. Dezember (in Rom seit dem Jahre 354) beruht mehr auf dogmatischen als auf historischen Gründen.
Auf alle diese Dinge kommt aber bei der Beantwortung unserer Frage gar nichts an; die Hauptsache ist, dass die christliche Zeitrechnung wie jede andere mit dem Jahre 1 beginnt. Demnach ist das erste Jahrhundert mit dem Jahr 100 vollendet, und die Säkularjahre bilden jedesmal den Schluss der Jahrhunderte, denen sie den Namen gegeben haben.
Man braucht aber, wie schon im Eingang bemerkt, mit dem Worte „Jahrhundert“ nicht den streng chronologischen Begriff zu verbinden, denn jeder Zeitabsehnitt von hundert Jahren ist natürlich ein Jahrhundert. Z. B.: Die Stadt Erfurt kam am 22. August 1302 unter preussische Herrschaft, sie wird also im Jahre 1902 das erste Jahrhundert ihrer Zugehörigkeit zum preussischen Staate abschliessen und das zweite beginnen; da man von der Unterbrechung durch die französische Herrschaft jedenfalls absehen kann, wird man bei dieser Gelegenheit sicher eine entsprechende Jubelfeier veranstalten. — Solche Jubelfeste feiert man ja aller Orten zum Andenken an Schlachten und Siege, an Geburtstage bedeutender Männer, an die Gründung von Universitäten, Sehulen und anderen Anstalten, kurz an die verschieden- artigsten denkwürdigen Ereignisse. Warum sollte man nicht auch den hundertjährigen Gebrauch der beiden Ziffern 18 als Anfangsziffern der Jahreszahlen und ihren Ersatz durch 19 festlich begehen? Ein wichtiger Moment war das gewiss,
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nieht nur für Bureaubeamte und Geschäftsleute, die von diesem Zeitpunkte an neue Stempel und neue Formulare in Anwendung bringen mussten, sondern auch für jedermann, der Briefe schreibt, Tagebücher führt und dergleichen. In diesem Sinne hat also auch am 1. Januar 1900 ein neues Jahrhundert begonnen.
Ueber Sonnenuhren. In den Mitteilungen der Natur- forschenden Gesellschaft zu Bern (Nr. 1436—1450, S. 106 ff.) gab vor einiger Zeit J. H. Grar einen interessanten Bericht über Sonnenuhren, dem wir folgendes entnehmen. Das Berner Museum besitzt mehrere Taschen-Sonnenuhren,!) die nach zwei verschiedenen Prinzipien konstruiert sind.
Die einen bestehen:
1. aus dem sogenannten Stundenring mit der Einteilung in Stunden, einem Querstabe mit einer Spitze;
2. dem Quadranten mit einer Einteilung von 0—90°;
3. einem Kompass mit Einteilung von 0—180°; in der- selben ist die magnetische Deklination für damals = 19° angegeben.
4. Daran befindet sich noch ein Bogen mit einem Loch, in welehem ein kleines Loth aufgehängt werden kann, einesteils zum visieren, anderenteils zum kontrollieren der Stellung des Apparates. Der Verfertiger eines konstruierten Apparates, der Augsburger Kompassmacher JoH. GEORG Vo&LER giebt dazu folgende Gebrauchsanweisung: Erstlich hebet man den Stundenring in die Höhe, schliesst solchen vermittelst des Einschnittes an demselben, mit dem Quadranten aneinander, richtet dann den Ring auf den beliebigen Grad der Polus-Höhe nach dem Quadranten, sodann drehet man den Compass in der Sonnen-Schein so lang, bis Pfeil auf Pfeil stehet, oder die bewegliche Magnetnadel just auf den gestochenen Pfeil weiset, welehe unten auf der gestochenen Magnet-Blatte befindlich, so wird der Zeiger in den Ring, welcher vom 23. Mertz an bis zum 23. Sept. aufrecht von
1) Solche Taschenuhren nannte man ursprünglich „Kompass“, d.h. Mitgänger, eine Bezeichnung, die im Laufe der Zeit auf die mit der Sonnenuhr verbundene Magnetnadel überging.
416 Kleinere Mitteilungen.
dar an, oder im Winter unter sich muss gerichtet sein, die rechte Zeit und Stunde anzeigen. Der Perpendieul dienet, den Compass wasserrecht oder horizontal zu stellen; auch, so der Compass recht weisen soll, muss er nicht nahe dem Eisen gestellt werden.
Ein etwas abweichendes System stellt eine silberne Taschensonnenuhr dar. Es findet sich der übliche Kompass mit den 4 Hauptriehtungen und der Deklinationsabweichung, dazu der Stundenring mit Einteilung von 2.3...12.1...9 nebst Zeiger. Der Stundenring aber kann durch einen kleinen zweiten Zeiger, der sich über eine kreisförmige Einteilung bewegt, auf alle Polhöhen von 35°—65° gestellt werden, sodass die riehtige Stellung des Stundenringes auf die bequemste Art und Weise hervorgebracht werden kann. Auf der Rückseite sind die Polhöhen einer Reihe von deutschen, schweizerischen, französischen, spanischen und italienischen Städten angegeben.
Ein ganz anderes System zeigen kleine silberne Sonnen- uhren Pariser Herkunft. Wie bei den früheren Systemen ist ein Kompass mit einfacher Windrose vorhanden. Die bewegliche Nadel muss auf den Zeiger der Windrose ge- stellt werden. Auf der ebenen Oberfläche des Instrumentes finden wir eine vierfache Skala für die Hauptpolhöhen 40, 45, 50, 55. Dazu gehört ein umlegbarer Zeiger mit Spitze und den obigen Polhöhen entsprechender Einteilung von 40 — 60°.
Von Garten-Sonnenuhren beschreibt GRAF zwei Arten. Die sogenannten Kugel-Sonnenuhren sind irdene Kugeln, die in einem Durchmesser durchbohrt sind, sodass man sie auf einen Stab aufsteeken konnte, den man in den Garten stellte. Auf der Kugel sind zwei Hauptkreise an- gebracht.
1. Ein breiter Kreis, weleher durch die Ekliptikpolaxe seht, dessen Ebene mit der durch den Stab markierten Linie einen Winkel von ca. 23° bildet.
2. Senkrecht dazu ein breites Band, welches die Stundenmarkierung enthält und wo bei einer Kugel jede Stunde noch in halbe, bei einer zweiten Kugel in viertel eingeteilt ist.
Kleinere Mitteilungen. 417
Dazu gehört ein bewegliches mondsichelförmiges Blech, welches mit seinen Enden an der Ekliptikaxe befestigt und um dieselbe drehbar ist.
Beim Gebrauche wurde dieses Blech auf die Marke 12 Uhr gestellt und warf dann einen Schatten, der zuerst die Vormittagsstunden, hernach diejenigen des Nachmittags anzeigte. —
Eine sonderbare Art ist die Vereinigung einer ganzen Reihe von Sonnenuhren zu einer Kolonie. Auf der Vorder- seite eines entsprechend behauenen Sandsteinklotzes befinden sich acht, auf der Rückseite sieben, auf den Schmalseiten je drei verschiedene Sonnenuhren, die als gegenseitige Kon- trolle dienen konnten; es sind horizontale und vertikale Sonnenuhren.
Chemie und Physik.
Die Riechstoffe aus den Gruppen der Ketone, der Phenole und der Säuren. Von den Ketonen kommen als brauchbare Riechstoffe besonders die eyklischen Verbind- ungen der Terpenreihe in Betracht. Zu dieser gehört der gewöhnliche Kampher, dessen wahrscheinlichste, wenn auch vielumstrittene chemische Formel von J. BREDT!) auf- gestellt worden ist. Die Gewinnung des Laurineenkamphers durch Destillation von Wurzeln, Holz und Zweigen des Kampherbaumes (Cinamonum Camphora oder Laurus Cam- phora L.) mit Wasserdampf findet in Japan an Ort und Stelle statt; ausser Rohkampher wird bei dieser Destillation gleichzeitig Kampheröl gewonnen, das Rohmaterial für die Safroldarstellung.
Hervorzuheben ist sodann aus dieser Gruppe das Iron und Jonon, Riechstoffe, welche in den letzten Jahren ein ganz besonderes theoretisches und praktisches Interesse ge- wonnen haben. Iron bildet den von Tiemann und KRÜGER?) isolierten Riechstoff der Veilchenwurzel (Iris florentina),
1) Berichte 26, 3049. 2) Berichte 26, 2679; D. R. P. Nr. 72 840. Zeitschrift f, Naturwiss. Bd. 73, 1900. DI
418 Kleinere Mitteilungen.
während das Jonon eine dem Iron isomere, sehr ähnlich konstituierte Verbindung darstellt, deren Herstellung aus Citral und Aceton bekanntlich Tiemann gelungen und der Firma HAARMANN & REIMER in Holzminden geschützt ist.!) Aus Citral und Aceton bildet sich zunächst Pseudo-Jonon. Dieses ungesättigte Keton mit offener Kette geht dann unter dem Einfluss verdünnter Schwefelsäure in das eyklische, veilchenartig riechende Jonon über. Obwohl nicht identisch mit der noch unbekannten Verbindung, welche den Geruch der blühenden Veilehen veranlasst, hat dieser sehr charakte- ristische Riechstoff in der Parfümerie einen ausserordent- lichen Erfolg gehabt, der sich ebenbürtig an die Seite stellt der Aufklärung und künstlichen Darstellung des riechenden Prinzipes der Vanillenschote.
Von den Phenolen und Phenoläthern nenne ich das Guajaecol, den Träger des Juchtenparfüms im Birkentheeröl. Dann das Anethol, den Hauptbestandteil des Anisöles, welchem der Same von Pimpinella Anisum, der namentlich in Russland viel angebaute Anis,?2) seinen Geruch und Ge- schmack verdankt. Aus fast reinem Anethol (ea. 90 %,) besteht das in China und Tonkin aus den Ilhieium-Früchten gewonnene Sternanisöl (Badian). In reinem Zustande bildet das Anethol eine weisse, bei 21° schmelzende Krystallmasse. Zur Darstellung von Anisaldehyd dient es als hauptsäch- liehstes Ausgangsmaterial.
Das weniger zu Parfümeriezwecken als zu Desinfektions- zweeken verwandte Thymol findet sich vornehmlich im Thymianöl von T’hymus vulgaris, während das Eugenol dem Nelkenöle, dem ätherischen Oele der Gewürznelken, den gewürzigen Charakter verleiht. Die an der Luft ge- troekneten Blüten des Nelkenbaumes (Caryophyllus aroma- ticus L.) gehören zu den ältesten bekannten Gewürzen, und das aus ihnen schon im 15. Jahrhundert destillierte Nelkenöl nimmt dementsprechend einen wichtigen Platz unter den ätherischen Oelen ein als Geschmacks- und Geruchsstoft.
1) D. R.P. Nr. 73089, Nr. 75.062, Nr. 75120.
2) Die russische Ausfuhr an Anis beträgt durschnittlich 2"/, Mill. kg im Werte von rund 450000 Rubel.
Kleinere Mitteilungen. 419
Der Hauptträger dieser Eigenschaften, das Eugenol, hat in neuerer Zeit eine erhöhte Bedeutung dadurch gewonnen, dass es das beste, ja zur Zeit das einzige Ausgangsmaterial ist für Darstellung des künstlichen Vanillins. Der Preis der Zanzibarnelken ist von 310 Mk. pro 100 kg im Jahre 1876 auf 53 Mk. im Jahre 1897 gesunken. Diesem Verhältnis annähernd entsprechend ist auch das Nelkenöl, für welches 1876 noch 24 Mk. pro Kilogramm bezahlt wurden, im Preise gefallen.
Schliesslich sei noch des Safrols Erwähnung gethan als eines viel verwandten und billigen Seifenparfüms, welches in grossem Massstabe aus dem Kampheröl gewonnen wird.
Dem 8-Naphtolmethyläther, sog. Nerolin, kommt als Riechstoff nur eine sehr beschränkte Bedeutung zu.
Die Gruppe, welche Säuren und Säureanhydride umfasst, enthält nur einen wichtigeren Riechstoff: das Cumarin. Dieses Anhydrid der Cumarsäure oder 0-Oxy- zimmtsäure!) verleiht bekanntlich dem Waldmeister (As- perula odorata) sein Aroma; es findet sich auch in einer Anzahl anderer Pflanzen, z. B. im Steinklee (Trifokum me- Iklotus), in der Grasart Anthoxanthum odoratum (Ruchgras) und in verhältnismässig grösserer Menge, zu 1!/,°/,, in der Frucht von Dipterix odorata, der Tonceobohne (Tonkabohne). Die Toneobohnen dienten früher zur Darstellung des Cu- marins.?) Jetzt aber wird dieser Riechstoff allgemein syn- tetisch dargestellt, und zwar nach Perkın’s?) Methode aus Salieylaldehyd, Essigsäureanhydrid und Natriumacetat. Das Cumarin findet vielfache Anwendung zur Parfümierung von Tabak, ebenso in der Toiletteseifenfabrikation.
Dr. E. Erdmann, Halle a. S.
Die Kalkverbindungen der Ackererden und die Bestimmung des assimilierbaren Kalkes im Boden. In den landwirtschaftlichen Jahrbüchern von 1900, Heft VI,
ı) Fittig, Zeitschrift f. Chemie. N.F. 1868, 595. Ann. 153, 360.
2) Wöhler, Ann. 98, 66.
®) W.H. Perkin, Chem. Soc. J. 6, 53; Ann. 147, 230; Berichte 8, 1599.
27%
420 Kleinere Mitteilungen.
erschien eine grössere Abhandlung über eine Reihe von Untersuchungen auf dem Gebiete der Bodenkunde und Pflanzenernährung, deren Ergebnisse hier ganz kurz wieder- gegeben werden mögen.
Es wurden zunächst eingehende Untersuehungen über die verschiedenen Formen des Kalkes im Boden und über das Vorkommen derselben in den verschiedenen Korngrössen ausgeführt.
Die Resultate wurden zur Beantwortung von folgenden Gesichtspunkten herangezogen:
1. Giebt es Beziehungen zwischen abschlämm- baren Teilen und Kalkgehalt eines Bodens? Es er- gab sich aus den Untersuchungen, dass im allgemeinen der Kalkgehalt bei den einzelnen Böden erheblich schwankte, dass aber im Grossen und Ganzen die an abschlämmbaren Teilen reieheren Böden auch einen wesentlich höheren Kalk- sehalt aufwiesen.
Es enthielten die leiehten Böden (mit 2,3 — 12,20), abschl. Teilen) einen durehschnittlichen Kalkgehalt von 0,333 0/,, die schweren Böden einen solehen von 0,649 /,. In Bezug auf die Magnesia enhielten die leiehten Böden im Mittel 0,093 °/,, die schweren 0,588 /,.
2. Die Beziehungen zwischen Kohlensäurege- halt eines Bodens zum Kalkgehalt und zu den ab- schlämmbaren Teilen.
Von den 26 auf Kohlensäure untersuchten Proben ent- hielten 22 Erden einen Kohlensäuregehalt von:
im Minimum 0,0209, „ Maximum 0,076 „ „ Mittel 0,045 „
Nur 4 Erden zeigten einen höheren Kohlensäuregehalt von 0,168—0,350 /y.
Böden mit gleiehem Kohlensäuregehalt können sich ganz verschieden in Bezug auf ihren Kalkgehalt verhalten. Ergiebt die Analyse einen ansehnlichen Gehalt an Kohlen- säure, so darf man auf einen relativ hohen Kalkgehalt schliessen, ist aber der Kohlensäuregehalt ein niedriger, ist
‚Kleinere Mitteilungen. 421
man noch keineswegs berechtigt, einen geringen Kalkgehalt in dem betreffenden Boden anzunehmen.
Es waren vorhanden von 100 Teilen Gesamtkalk in Form von kohlensaurem Kalk:
Leichte Böden Schwere Böden
Minimum 3,6 Teile Maximum . . . 45,1 SRH Nittel aa 19,1
”
3. Die humussauren Verbindungen des Bodens. Die noch vielfach vertretene Ansicht, dass bei Abwesenheit von kohlensaurem Kalk im Boden, aber einem ansehnlichen Kalkgehalte es namentlich humussaure Verbindungen seien, in denen sich dann der Kalk vorfinde, gab zu eingehenden Untersuchungen hierüber Veranlassung. Doch es zeigte sich nun, dass von 26 Bodenarten ausser dem Moorboden nur 3 Böden vorkamen, in denen humussaure Verbindungen über- haupt nachzuweisen waren.
Dieselben waren aber stark durchsetzt mit braunkohlen- haltigem-Sande und müssen daher ausser Betracht gelassen werden.
Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass in normalen Böden nennenswerte Mengen humussaurer Verbindungen nieht vorkommen. Im Moorboden dagegen kann der grösste Teil des Kalkes im Form von humussaurem Kalk vor- handen sein.
4. Die Löslichkeit des Kalkes in verdünnter Salzsäure. Von 100 Teilen im Boden vorhandenem Kalk waren in 2°/,iger Salzsäure löslich:
Leichte Böden Schwere Böden Minimum . . . 889 66,6 Maximum . . . 923,0 90,2 Mittelay 3,.02..32.68:9 78,4
Hieraus ergiebt sich also, dass von 100 Teilen Gesamt- kalk dureh 2°/,ige Salzsäure bei den schweren Böden im Minimum fast um das doppelte mehr Kalk in Lösung ging, als bei den leichten, nämlich 66,6 gegen 38,5. Dagegen liegt das Maximum der von 100 Teilen Kalk durch 2 %/, ige
422 Kleinere Mitteilungen.
Salzsäure gelösten Mengen bei den leichten Böden nur um ein Geringes höher als bei den schweren.
Es besteht demnach zwischen Löslichkeit des Kalkes in verdünnten Säuren nnd abschlämmbaren Teilen kein Zu- sammenhang. |
Weitere Untersuchungen ergaben, dass die Ursachen für die verschiedene Löslichkeit des Kalkes in verdünnter Säure in der betreffenden Form zu suchen ist, in der der Kalk im Boden vorkommt.
5. Die Verteilung der verschiedenen Kalkformen auf verschiedene Korngrössen des Bodens.
Um über die Verteilung des Kalkes auf die verschie- denen Korngrössen Aufschluss zu erhalten, wurde Staub, Feinerde und Gesamtboden analysiert. Als Extraktions- mittel diente hierzu konzentrierte Salzsäure.
Von 100 Teilen Kalk waren nun vorhanden:
in den Korngrössen
> 0,2— 6 mm im Feinsand im Staub Minimum >... 2. — — 11,8 Maximum 202225628 69,6 91,3 Mittel or 21,6 54,3 Es enthielten: Leichte Böden Schwere Böden Min. Max. Mittel Min. Max. Mittel i. d. Korngrössen 092 6mm. len vo 228 „2. Mare ne ım Feinsand . . 09 696 27,1 — 3086 11,7 mu Staubr 2 02...0110977844, 7393 598 91,3 811
6. Die im Boden vorkommenden verschiedenen Kalkverbindungen. Hierüber ist folgendes zu berichten:
a) Der CO,-Gehalt der von uns untersuchten Böden ist sehr gering, so dass der Gehalt an kohlen- saurem Kalk nur teilweise einen kleinen Prozent- satz vom Gesamtkalkgehalte ausmacht.
b) Der Gehalt dieser Böden an Schwefelsäure bezw. schwefelsaurem Kalk ist im allgemeinen eben- falls nur verhältnismässig niedrig.
- Kleinere Mitteilungen. 423
ec) In Bezug auf die Phosphorsäure des Bodens haben wir leider keinen Anhalt, welehe Mengen an Kalk und wieviel an Eisen und Thonerde gebunden ist.
d) Die im Verhältnis zum Gesamtkalkgehalte in verdünnter Säure löslichen Kalkmengen standen in keiner Beziehung zum Kohlensäure-, Schwefel- säure und Phosphorsäuregehalt des Bodens.
e) In vielen Fällen waren in 20/,iger Salzsäure schon 90%/, der gesamten Kalkmenge des Bodens löslich.
Wenn nun einerseits in 2°%/,iger Salzsäure schon der grösste Teil des Kalkes löslich ist, und die im Boden er- mittelte Menge an Kohlensäure, Schwefelsäure und Phosphor- säure nur zum geringeren Teil ausreicht, den ganzen Kalk zu binden, andererseits die Anwesenheit von Aetzkalk im Boden nieht angenommen werden kann, so sind es un- zweifelhaft leicht zersetzbare Silikate, an die der Kalk gebunden sein muss.
Die Untersuchungen bestätigten dies in vollem Masse. Auch bei fast völligem Zurücktreten des kohlensauren Kalkes in den an abschlämmbaren Teilen reichen Böden ist viel- fach der grösste Teil des Kalkes in Form leichtzersetzbarer Silikate vorhanden.
Es ergab sich ferner aus den Untersuchungen die inter- essante Thatsache, dass wir mit der Zunahme der abschlämm- baren Teile eines Bodens keineswegs eine unwirksame Form des Kalkes im Boden annehmen dürfen.
Es schien nun ferner von Wichtigkeit, Kulturversuche mit sämtlichen in der Natur auftretenden, sowie mit den in Form künstlicher Düngemittel dem Boden einverleibten Kalk- verbindungen anzustellen und den vergleichenden Wert für die Ernährung der Pflanzen zu prüfen.
Von den angewandten Düngemitteln ergaben sämtliche, mit Ausnahme des Gipses, einen Mehrertrag gegenüber un-. sedüngt. Es wurde der Ernteertrag gegenüber ungedüngt herabgedrückt:
durch 2g Gips um 1,6%,
424 Kleinere Mitteilungen.
Eine Menge von 2 g Gips zeigte schon eine ungünstige Wirkung auf das Pflanzenwachstum. Bei noch höheren Gaben sank der Ertrag proportional der angewandten Menge.
Wodureh die zur Anwendung gekommene Menge yon Gips schädlich gewirkt hat, liess sich ohne weiteres keines- wegs aus den Versuchen ersehen. Die fortgesetzten Versuche hierüber sind noch nieht abgeschlossen, so dass wir uns einstweilen mit der Konstatierung der Thatsache begnügen müssen.
Die günstigste Wirkung zeigte der kohlensaure Kalk. Eine Ueberlegenheit des Aetzkalkes gegenüber dem kohlen- saurem Kalke war nicht zu konstatieren.
Die vielfach beobachtete bessere Wirkung des Aetz- kalkes gegenüber dem kohlensauren Kalk ist höchst wahr- scheinlich in der Hauptsache auf die feinere Verteilung desselben zurückzuführen.
Dennoch wird unstreitbar für viele Böden der Aetzkalk dem kohlensauren Kalke vorzuziehen sein wegen der Ver- besserung der mechanischen Beschaffenheit der betreffenden Böden.
Günstig hat nun entschieden die gebrannte bezw. kohlen- saure Magnesia auf die Entwicklung der Leguminosen gewirkt.
Während dort, wo kohlensaurer Kalk angewandt worden war, im Mittel 4,53 & Leguminosen geerntet wurden, erfolgte bei Anwendung von Dolomit eine Produktion von 9,90 8. Dieselbe Mehrproduktion trat auch ein, wenn die Hälfte gebrannter Kalk durch gebrannte Magnesia ersetzt wurde, nämlich 8,45 gegen 6,65 g.
Besonders günstig wirkte die kohlensaure Magnesia nach Versuchen der Versuchsstation Halle auf Wieken und Pferde- bohnen ein.
Es können diese Zahlen noch keineswegs dazu dienen, den Wert der kohlensauren Magnesia für die Pflanzen- ernährung endgiltig festzustellen, vielmehr sind hierzu noch weitere Versuche erforderlich. Namentlich in welcher Weise die kohlensaure Magnesia bei ausreichenden Mengen von kohlensaurem Kalk einen günstigen Einfluss auf das Pflanzen- wachstum ausübt, hat bis jetzt noch nieht ermittelt werden können,
Kleinere Mitteilungen. 425
Von den Phosphaten hat das Thomasmehl am günstigsten gewirkt.
Am niedrigsten in der Wirkung zeigte sich das wasser- lösliehe Monoealeiumphosphat. Der Grund hierfür liegt ent- schieden in der sauren Beschaffenheit dieses Düngemittels.
Die zur Anwendung gelangten Zeolithe, Apophyllit und Seoleeit zeigten ebenfalls eine vortreffliche Wirkung.
Die im Boden vorhandenen, leicht zersetzbaren Silikate werden möglicher Weise noch diese krystallinischen, wenn auch fein gepulverten Zeolithe in ihrer Wirkung überragen und sieh somit vielleicht den Karbonaten gleich stellen.
Die Ergebnisse von Vegetationsversuchen über die Wirkung der Kalkverbindungen verschiedener Bodenarten waren folgende.
1. Die in konzentrierter Salzsäure löslichen Kalkmengen des Gesamtbodens, der Feinerde und des Staubes, im Ver- hältnis zu den gewonnenen Erträgen bezw. zu den durch die Pflanzen dem Boden entzogenen Kalkmengen.
Der im Gesamtboden durch konzentrierte Salzsäure er- mittelte Kalkgehalt steht in keinem Zusammenhange mit den von Roggen bezw. Senf dem Boden entzogenen Kalk- mengen resp. Erträgen an lufttrockner Substanz.
2. Ueber den Zusammenhang zwischen den durch 2-, 5- und 10°/,ige Salzsäure ermittelten Kalkgehalt des Staubes verschiedener Ackererden und den diesen Böden durch die Pflanze entzogenen Kalkmengen bezw. den gewonnenen Er- trägen.
Die Untersuehungen zeigten, dass mit zunehmendem Kalkgehalte weder der gewonnene Ertrag, noch die dem Boden durch die Pflanzen entzogenen Kalkmengen in Ein- klang zu bringen sind.
3. Kann der Gehalt eines Bodens an Kohlensäure, bezw. kohlensaurem Kalk uns Aufschluss über die Kalkbedürftig- keit eines Bodens geben ’?
Es ist zunächst zu bemerken, dass nicht in allen Fällen der wirkliche Gehalt an Kohlensäure ermittelt wird, sondern in vielen Fällen ein höherer. Namentlich ist die von anderer Seite vorgeschlagene Methode zur Bestimmung der Karbonate durch Destillation mit Chlorammon gänzlich zu verwerfen.
426 Kleinere Mitteilungen.
Es giebt nun aber auch der wirkliche Gehalt eines Bodens an Kohlensäure nach unseren Untersuehungen über- haupt keinen Aufschluss über die für die Pflanzenernährung in Betracht kommende Kalkmenge. Daher ist die Methode der Kohlensäurebestimmung zur Ermittelung des assimilier- baren Kalkes im Boden nicht brauchbar.
Betreffs der Aufnahme der Magnesia ist zu erwähnen, dass ebenso wenig wie beim Kalk ein Zusammenhang zwischen dem Magnesiagehalt der Böden und den dureh die Pflanzen diesen Böden entzogenen Mengen besteht. Es ergab sich, dass der Magnesiagehalt eines Bodens lange nieht so hoch zu sein braucht, wie der Kalkgehalt desselben. So konnten bei verschiedenen mit 0,070 bezw. 0,088 /, im konzentrierter Salzsäure löslicher Magnesia dureh alleinige Kalkdüngung ohne gleichzeitige Anwendung von Magnesia Maximalerträge an Roggen gewonnen werden, während ein Kalkgehalt von 0,175 bezw. 0,167 °/, nur eine kaum mittlere Ernte produzieren konnte. Es schien uns daher nicht nötig, eine Methode zur Bestimmung der assimilierbaren Magnesia im Boden in Angriff zu nehmen.
Um so notwendiger zeigte sich aber die Inangriffnahme einer Methode zur Ermittelung des assimilierbaren Kalkes im Boden, denn die bisherigen Verfahren der Kalkbestimmung erwiesen sich als für viele Fälle nicht brauchbar.
Da wir hier auch von einer Beschreibung der zahl- reichen anderen Methoden, bei welchen keine Mineralsäuren zur Anwendung kamen, absehen müssen, so geben wir nun- mehr unsere in dieser Richtung gemachten Untersuchungen wieder.
Es hatten schon frühere Betrachtungen gezeigt, dass in vielen Böden der grösste Teil des Kalkes in Form leicht löslieher Silikate vorkommen kann. Vegetationsversuche hatten auch dies in ausreichendem Masse bestätigt.
Daher suchten wir nach einem Lösungsmittel, um die wirksamen Kalkmengen in Lösung zu bringen, ohne die schwer aufnehmbaren Formen erheblich anzugreifen. Das salz- und salpetersaure Ammon erwiesen sich nun als aus- gezeichnete Lösungsmittel.
Es mag hier erwähnt werden, dass schon 1887 dies
‚Kleinere Mitteilungen. 427
Verfahren von KELLNER vorgeschlagen worden ist, aber bald wieder in Vergessenheit geriet.
Anfänglich wurde der Boden längere Zeit mit der Ammonnitratlösung gekocht.
Das Kochen des Bodens mit Ammonnitratlösung erfordert nun aber auch ein sorgfältiges stetes Ueberwachen und ist mit verschiedenen Uebelständen verbunden. Verschieden weit eingedampfte Lösungen geben unter Umständen schlecht übereinstimmende Resultate.
Wir ersetzten nun das Kochen des Bodens mit Ammon- nitratlösung durch dreistündiges Digerieren bei 100° auf dem Wasserbade. Wir prüften nun zunächst, ob es nötig sei, wie beim salzsauren Extrakt, die Lösung zur Abscheidung der Kieselsäure und Oxydation der organischen Substanz einzu- dampfen, sowie eventuell vorhandene Mengen von Phosphor- säure abzuscheiden. Doch es zeigte sich, dass dies nicht erforderlich war.
Der alten Methode gegenüber hat nun diese zunächst eine bedeutende Vereinfachung voraus. Während es beim salzsauren Bodenextrakt notwendig war, durch Eindampfen Kieselsäure abzuscheiden und dann Phosphorsäure, sowie Eisen und Thonerde auszufällen, kann hier in der direkten Bodenlösung der Kalk gefällt werden, weil dieselbe kaum nachweisbare Spuren von Eisen und T'honerde enthält, sowie nicht bestimmbare Mengen von Phosphorsäure im Nieder- schlage sich vorfinden.
Es möge die Methode hier nochmals im Zusammenhange wiedergegeben werden.
25 & des durch ein 2 mm Sieb gehenden Bodens werden mit 100 cem 10°%/,iger Chlorammonlösung in Kochflaschen drei Stunden auf dem Wasserbade bei 100° digeriert. Nach er- folgter Abkühlung wird die Lösung in einem 250 cem fassenden Kolben übergespült, bis zur Marke aufgefüllt und filtriert. 25 cem des Filtrats = 2,5 g Substanz werden mit Wasser auf S0—90 eem verdünnt, mit Essig- oder Citronen- säure schwach angesäuert und in der Siedehitze mit oxal- saurem Ammon gefällt. Der Niederschlag wird nun genau so wie bei jeder Kalkbestimmung behandelt. Für Moorböden wird im Allgemeinen am zweckmässigsten eine Gesamt-
428 Kleinere Mitteilungen.
kalkbestimmung in dem veraschten Boden vorgenommen werden, obgleich wir auch nach obiger Methode gute Resultate erhielten. Für kalkreiehe Böden (Mergelböden), die mit Säure stark aufbrausen, ist ebenfalls nur die Gesamtkalk- bestimmung angebracht.
Der wesentliche Wert dieser Methode liegt nun natür- lich darin, dass der Kalkgehalt des Bodens, nach obiger Methode ermittelt, eine viel bessere Uebereinstimmung mit den Erträgen bezw. den dureh die Pflanzen dem Boden ent- nommenen Kalkmengen zeigt, wie die durch Salzsäure er- haltenen Zahlen.
Es muss hier auf die tabellarische Zusammenstellung der Originalarbeit natürlich verwiesen werden.
Wir untersuchten nun noch, ob die mechanische Be- schaffenheit der Erden in Bezug auf den zu verlangenden Kalkgehalt von Einfluss sei, nnd ob die teilweise vor- herrschende Ansicht, dass für leichte Böden ein geringerer Kalkgehalt notwendig ist, wie für schwere, sich aufrecht er- halten lässt. Die Untersuchungen zeigten jedoch, dass der nach obiger Methode ermittelte Kalkgehalt für leichte und schwere Böden als gleichwertig anzusehen ist. Der für alle Böden zu verlangende Kalkgehalt sollte nicht unter 0,20°/, betragen; im allgemeinen ist 0,25°/, als ein normaler Kalkgehalt an-
zusehen. Dr. Diedrich Meyer.
Das Blau des Himmels und des Wassers. In den letzten Jahren ist die Frage nach dem Zustandekommen der blauen Färbung des Himmels und mancher Gewässer von physikalischer Seite lebhaft diskutiert und auch wohl zu einem gewissen Abschluss gebracht worden. Vor allem war es Lord RAYLEIGH, der auf Grund theoretischer Be- trachtungen zu der Anschauung kam, dass die Blaufärbung des Wassers und der Luft nieht bloss eine Absorptions- erscheinung ist, sondern auch durch Reflexion des Lichtes an (im Verhältnis zur Wellenlänge) kleinen, im Wasser oder in der Luft schwebenden festen Teilchen verursacht ist. Die Luft enthält danach auch in den höheren Schichten ausser den Gaspartikelehen noch suspendierte, sehr kleine,
Kleinere Mitteilungen. 429
feste Teilchen, durch die das Lieht eine Schwächung er- leidet und derartig zerstreut wird, dass der Himmel im tiefen Blau erscheint.
Eine Stütze für diese Anschauung erbringt neuerdings PERNTER, der die Polarisation des Himmelliehtes und das von trüben Medien zerstreute Licht bei verschiedener Färbung untersuchte. Da die Polarisationsebene in allen Fällen die- selbe war, so dürfte beim Himmelslicht die gleiche Ursache wie beim zerstreuten Lichte trüber Medien vorhanden sein.
Auch Agese erklärt sich verschiedentlich für RAYLEIGR’s Anschauung und weist gegenüber der Annahme von SPRING, dass die Hauptursache der Blaufärbung in der selektiven Absorption liegt, darauf hin, dass das von den Planeten reflektierte Sonnenlicht niemals blau erscheint, dass der Mond bei seinen Verfinsterungen sogar rot aussieht, obwohl das Licht der Sonne dabei die Erdatmosphäre auf dem Wege zum Monde in ihrer grössten Ausdehnung und dann auf dem Wege zum Beobachter noch einmal passiert hat.
Die Wirkung des Lichtes bei tiefen Temperaturen. Die Frage nach dem Wesen des Vorganges bei der Ent- stehung des Bildes auf der photographischen Platte ist immer noch nicht entscheidend beantwortet. A. und L. LuMIERE glauben auf Grund des Verhaltens der belichteten Platten bei starker Abkühlung, die Entstehung des latenten Bildes auf einen chemischen Prozess zurückführen zu müssen. Sie beliehteten sehr empfindliche, in flüssiger Luft versenkte, Bromsilbergelatineplatten und fanden, dass die Liehtwirkung bei — 191° so stark abgeschwächt war, dass die Exposi- tionsdauer der Platten etwa 400 mal grösser sein muss als bei gewöhnlicher Temperatur, sofern die Liehtwirkung eben- so intensiv sein soll. Auch andere bei photomechanischen Prozessen benutzte Substanzen büssten ihre Liehtempfind- lichkeit um so mehr ein, je tiefer die Temperatur war, bei welcher die Belichtung stattfindet.
430 Kleinere Mitteilungen.
Mineralogie und Geologie.
Die Lakkolithennatur des Brockens. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, dass Prof. LüDEckeE den Broekengranit als Lakkolithen ansieht, d.h. als eine intru- sive feuerflüssige Masse zwischen Sedimentschiehten (vergl. Band 69, 1896, 8.95). Schon der Umstand, dass an den Rändern des Granitmassivs die Gesteinsmasse viel fein- körniger ist als in den mittleren Partieen, lässt sich nur so erklären, dass der Granit an den Rändern, wo er in Kontakt mit den anstehenden Gesteinen war, schneller erstarrte, während die zentralen Massen sich nur langsam abkühlten und dadurch den Krystallen zu kräftigerer Ausbildung Zeit liessen. Vor allem ist es aber die kontaktmetamorphische Zone der dem Granit auflagernden sedimentären Sehiechten, die dafür sprechen, dass der Granit nachträglich emporge- quollen ist und sich zwischen schon vorhandene Gesteins- schichten eingedrängt hat. So ist die bekannte Achtermanns- höhe ein Hütehen von (durch Kontakt) veränderter Grauwaecke und am Rehberg lagert eine 200 m starke Schicht von Grauwacke, die in einen festen Hornfels umgewandelt ist, über dem Granit, der in die darüber liegende Gesteinsmasse fingerförmige Fortsätze hineinschickt, ein Verhalten, das völlig unverständlich ist, wenn wir den Granit als ursprüng- liche Erstarrungskruste der Erde ansehen.
Jetzt ist es Prof. LüDEckE aber gelungen, einen neuen Beweis und zwar einen endgiltigen zu erbringen. In der Nähe von Ilsenburg fand er eine Stelle, an der auch das Liegende des Granits freigelegt war. Die Natur des an- grenzenden Gesteins musste natürlich für die Frage, ob der Granit Erstarrungskruste oder Intrusivgestein ist, von ent- scheidender Bedeutung sein. Es ergab sich nun aber genau derselbe durch Kontaktmetamorphose entstandene Hornfels als Unterlage, der 150 m höher der oberen Grenzschieht des Granits am Meinekenberge auflagert. Damit dürfte jeder Zweifel an der Lakkolithennatur des Brockengranits aus der Welt geschafft sein, und man wird sich wohl nun all- semein zu der Ansieht von Prof. LüpEckeE bekehren, der zufolge ein dreimaliger Erguss von Granit stattgefunden
Kleinere Mitteilungen. 431
hat. Der erste bildete die Hauptmasse des Brockens, der zweite die sogenannte gabbroide Facies des Brockens und der dritte die Ilsenburger Granitmassen.
Sitz. der Naturf. Ges., 19. Mai 00.
Neue Erdbebenschwärme im Vogtlande. Im Anschluss an den von uns im vorigen Hefte (S. 115—117) gebrachten Bericht über Erdbeben im Königreich Sachsen teilen wir heute nach einer soeben erschienenen Publikation HERMANN CREDNER’S!) die wichtigsten Daten einer neuen Erdbeben- periode derselben Gegenden mit.
Die 52tägige Sehütterperiode des Sommers 1900 setzt sich aus 2, durch eine makroseismische Unterbrechung von fast 7 Tagen getrennten Erdbebensehwärmen von sehr verschiedener Dauer zusammen.
Der erste und kürzere derselben hebt am 1. Juli an und erlischt am 11. Juli, — die Erschütterungen des zweiten Sehwarmes hingegen beginnen am 18. Juli und setzen sich mit zum -Teil längeren Intervallen bis zum 21. August fort.
Jeder dieser beiden Erdbebenschwärme vollzieht sich im allgemeinen wie folgt: Unterirdisches Donnern und Rollen leitet dieselben ein, dann erfolgen während mehrerer Tage zunächst einige wenige, später zahlreiehere, abwechselnd schwache und stärkere Stösse, sowie unterirdische Geräusche, bis sie in einem oder zwei Hauptstössen kulminieren. Nach diesen beginnt eine mehr oder weniger rasche, manchmal durch kürzeres Wiederaufflackern unterbrochene Abnahme der Erbebungen. Die Zeitzwischenräume zwischen letzteren werden grösser, tagelang tritt makroseismische Ruhe ein, bis sich nach einem letzten mit schwacher Erschütterung ver- bundenen unterirdischen Donnerrollen der Ruhestand wieder einstellt.
In beiden Erdbebensehwärmen kommt demnach ein auf- und abzuckendes Creseendo, ein Maximum und ein sprung-
1) Hermann Credner, Die vogtländischen Erdbebenschwärme während des Juli und des August 1900. Bericht der mathematischen physiologischen Klasse der Künigl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen- schaften zu Leipzig.
432 Kleinere Mitteilungen.
weises Deereseendo der seismischen Fibrationen zum Aus- drucke.
Zu der zeitlichen Länge dieser 2 Sehwärme steht die Dauer des pleistoseismischen Zustandes in geradem Ver- hältnisse. Die Erbebungen des ersten kürzeren Abschnittes gipfeln in einem einzigen Hauptstosse, — diejenigen des zweiten, dreimal so langen Schwarmes hingegen in 2 fast gleichstarken Hauptstössen, deren 31/, stündiges Intervall durch einen mittelstarken und 10 schwächere Stösse aus- gefüllt wird.
Die Einzelstösse dieser Schwärme gehen von zwei Heerden aus, die durch etwa 20 km Entfernung von einander getrennt sind. Das Epizentrum des wirksamsten derselben ist die Gegend Graslitz-Eibenberg-Untersachsenberg im Südosten des Vogtlandes, welehe bereits der Ausgangsort der Hauptstösse des sächsisch- böhmischen Erdbebens im Herbste 1897 war. Der zweite selbständige, wenn auch weniger energische Stosspunkt liegt in der äussersten Süd- spitze des Vogtlandes und zwar in dem Landstriche zwischen Brambach-Schönberg und Asch, welcher sich dureh zahl- reiche frühere Lokalbeben, sowie, und zwar namentlich am 17. November, durch seine Mitwirkung an dem grossen Erd- beben des Jahres 1897 bereits als ehronisches Sehüttergebiet bewährt hat. Vom Graslitz-Untersachsenberger Zentrum gehen die bei Weitem meisten und die stärksten Stösse aus, um sich von dort über das ganze Vogtland und angrenzende Areale auszubreiten, — die seismischen Wirkungen des Brambacher Heerdes hingegen sind weniger zahlreich und er- strecken sich auch nicht über das südlichste Vogtland hinaus.
Beide Erdbebenheerde pflegten bisher, abgesehen von dem grossen Erdbeben im Herbste 1897, unabhängig von einander in Thätigkeit zu treten, wie dies durch die be- trächtliche Zahl der in den letzten 20 Jahren beobachteten Brambacher Lokalbeben illustriert wird, während deren im übrigen Vogtlande und insbesondere bei Graslitz voll- kommene Ruhe herrschte. In der seismischen Periode des Sommers 1900 hingegen behauptet sich diese gegenseitige Unabhängigkeit nur so lange, als das Graslitz-Untersachsen- berger Zentrum Stösse geringerer Stärkegrade und somit
Kleinere Mitteilungen. 433
auch geringerer Ausbreitung erzeugt. In solchen Stadien der Sehütterperiode herrscht eine zeitliche Uebereinstimmung zwischen den Einzelstössen der beiden Epizentralgebiete nieht. Sobald jedoch die Graslitzer Stösse ihre grösste Energie und Schüttersphäre erlangen, ziehen sie auch das Brambacher Zentrum in Mitleidenschaft, indem sie augen- scheinlich die hier vorhandene seismische Disposition zur Auslösung bringen. In diesem Falle verfliessen also die beiderseitigen Sehüttergebiete zu einem, um sich später wieder zu trennen und separat zu halten.
Auf ähnliche Vorgänge scheint die Thatsache zurück- zuführen zu sein, dass sich im Verlaufe der Erdbeben- periode innerhalb der Schüttergebiete der Hauptstösse beide Schwärme nicht selten an ganz sporadischen, z. T. peripherisch gelegenen Punkten räumlich ganz unabhängig vom Epizentrum Stösse und unterirdische Geräusche bemerklich machen. Augenscheinlich genügte die im vogtländischen Schütterareale während der ganzen Erdbebenperiode herrschende seismische Unruhe, um an tektonisch prädisponierten Stellen des von einer Unzahl von Brüchen und Verwerfungen zerstückelten Vogtlandes unterirdische Lageveränderungen zu bewirken, welehe jene lokalen Erschütterungen erzeugten, die dann als „Relaisbeben“ aufzufassen sein würden.
Botanik.
Zur Biologie des Schattenblattes. In jenen brasi- lianischen (Rio Grande do Sul) Hochwäldern, die ein über- aus dichtes Untergehölz aufweisen und auf ebenem, horizon- talem Boden stehen, besitzt nach den Beobachtungen von ©. A. M. Lınpman !) die gesamte Sehattenflora einige eharakteristische Merkmale, die sich aus dem am Grunde des Urwaldes herrschenden Liehtmangel erklären lassen. Alle die Sträuche und Zwergbäume des Unterholzes, die
!) €. A. M. Lindman, Zur Morphologie und Biologie einiger Blätter und belaubter Sprosse. Bih. till K. Svenska Vet.-Akad. Handl. Bd. 25. Afd. II. Nr.4. Stockholm 1899. Mit 20 Bildern.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73. 1900. 28
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meist eine Höhe von 1—2 m nicht übersteigen und ge- wöhnlich einen sehr dünnen Stamm, schlanken Wuchs und feine, geschmeidige, abstehende Zweige besitzen, tragen ungeteilte, lanzettliche Blätter; seltener ist die Blatt- form elliptisch oder oval, sehr häufig dagegen keilförmig in der Art, dass die dem Stiel benachbarte Seite der Spreite stärker verschmälert ist. Nächst der Form ist die Riehtung der Blätter bei allen jenen Schattenpflanzen übereinstimmend: sie ist durchgehends vollkommen horizontal. Endlich ist noch der dunkelgrüne Farbenton für die Blätter der Schattenpflanzen charakteristisch.
Man geht wohl nicht fehl mit der Ansicht, dass diese Uebereinstimmungen in Form, Richtung und Farbe der Schattenpflanzen bedingt sind durch die Eigenheiten des Standortes. Die letzteren bestehen in einer nahezu unbe- weglichen Atmosphäre, in geringem Temperaturwechsel, in niemals lebhafter Transpiration und in der schwachen, nur auf eine gewisse Richtung beschränkten Beleuchtung. Während von diesen Bedingungen die drei erstgenannten wohl vornehmlich einen vorteilhaften Einfluss auf die Vege- tation ausüben, ist die letztgenannte, der Liehtmangel, dem Pflanzenwuchse sicherlich viel weniger günstig; es liegt daher nahe, gerade in dieser Bedingung die Ursachen für die so monotone Blattbildung der Schattenpflanzen zu suchen.
Aus der Dunkelheit des Standortes lässt sich zunächst die intensiv grüne Farbe des Schattenblattes erklären. Das Lieht ist eben für die Bodenbewohner des Urwaldes so kostbar, dass es gilt, möglichst wenig davon ungenutzt zu lassen. Deswegen sind die Blätter so überreich an Chloro- phyll, damit sie den Genuss des schwachen und kurz dauernden Tageslichtes sich verstärken können.
Ebensowenig stösst die Erklärung für die horizontale Riehtung der Schattenblätter auf erheblichere Schwierig- keiten. Es ist eine allbekannte Erscheinung, dass die Blätter, solange die Transpiration nieht zu erhebliche Dimensionen annimmt, ihre assimilierende Fläche möglichst dem Lichte zuwenden. Im Urwalde verhält es sich nun im allgemeinen so, dass das spärliche Tageslicht nur von
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oben her in vertikaler Riehtung zuströmt. Am besten wird dieses Lieht von den Sehattenblättern ausgenutzt werden, wenn sie ihre Spreite senkrecht zur Einfallsricehtung des Liehtes, d. h. horizontal, einstellen.
Weit schwieriger ist eine Erklärung für die eigenartige Form der Schattenblätter zu finden. Da es den Schatten- pflanzen darauf ankommt, möglichst viel Lieht sich zu- gänglich zu machen, so dürfte man erwarten, dass das Sehattenblatt durch eine mächtige, breite Spreite ausge- zeichnet sei. In der That tritt ein Bestreben nach Ver- breiterung der Blattfläche bei manchen Schattenpflanzen in überaus frappanter Weise zu Tage. Die Gramineen repräsen- tieren eine Pflanzenfamilie, die sowohl in unserer Heimat als auch in den südamerikanischen Campos durch die bekannten linealischen Blätter gekennzeichnet ist. Ganz anders verhalten sich die Gräser des brasilianischen Ur- waldes: hier giebt es keine Arten mit linealischen Blättern, sondern alle sind mit kürzeren und breiteren lanzettlichen bis eiförmigen Blättern versehen. Diese höchst merkwürdige Thatsache weist wohl darauf hin, dass ein Streben nach verbreiterter Blattspreite dem Schattenblatte innewohnt.
Dieses Prinzip der Verbreiterung der Blattfläche kommt nun aber in Konflikt mit einem anderen, höchst wiehtigen Momente. Da die Blätter der Schattenvegetation nicht in einer horizontalen Ebene sich befinden, sondern in einer Mehrzahl von solehen übereinander angeordnet sind, so würden die oberen Blattschichten, vorausgesetzt, dass das einzelne Blatt eine sehr umfangreiche Spreite besässe, die unteren vom Liehte vollkommen ausschliessen. Die oberen würden dann zwar ihr Assimilationsgeschäft in trefflicher Weise erledigen, die unteren dagegen würden auf das schwerste geschädigt werden. Soll dieser Uebelstand ver- mieden werden, so muss zwischen den beiden wider- streitenden Faktoren die richtige Mitte gehalten werden. „Medio tutissimus ibis“, das ist der Grundsatz, nach dem das Schattenblatt sich richten muss. Weder darf es zu schmal sein, noch zu breit. Diejenige Blattform aber, die diesen Bedingungen am besten sich anpasst, ist die Lan- zettform.
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Besondere Aufmerksamkeit verdient noch das am Grunde verschmälerte, keilförmige Blatt. Diejenigen Sträucher und Bäumehen, deren Zweige horizontal gerichtet sind und sich auch in der Horizontalebene verzweigen, benutzen am vorteilhaftesten die keilförmige Blattspreite, um die wage- rechte Ebene, in die alle Blattspreiten des Sprosses sich einfügen, mit einem kompletten und gut geschlossenen Mosaik auszufüllen. Durch die schmale Blattbasis wird es vermieden, dass ein Blatt das andere beschattet. Es ist auch bemerkenswert, dass selbst der ganze Spross durch seinen Gesamtumriss häufig die Keilform einigermassen wiederholt. Es folgt hieraus, dass eine grosse Menge Sprosse und Triebe an demselben Baume ihre Fläche frei exponieren kann, ohne einander zu verdecken zu brauchen.
Etwas ähnliches gilt auch bei denjenigen Blättern, die von einem vertikalen Triebe ausgehen. Auch in diesem Falle ist es klar, dass nur die am Grunde keilförmig ver- schmälerten Blätter geeignet sind, das vertikal einfallende Licht auch zu den niedriger sitzenden Blättern gelangen zu lassen. Namentlich wird dies notwendig werden, wenn die Internodien zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Blättern so klein werden, dass eine Blattrosette entsteht. In diesem Falle müssen alle Blattstellen, die dem Stengel benachbart sind, schmal sein; je weiter man sich aber von dem Stengel entfernt, um so grösser wird der den Blättern zur Aus- breitung zur Verfügung stehende Teil der Ebene, d.h. um so ansehnlicher darf die Breite der Blattfläche ausfallen. Ein vorzügliches Beispiel einer derartigen Einriehtung bildet aus unserer heimischen Flora der Siebenstern (Trientalis europaea), der in der Umgebung von Halle im Lindenbusch bei Nietleben häufig anzutreffen ist. An diesem Pflänzchen sind die Blätter an der Stengelspitze rosettenförmig ge- sammelt, und ihre Form ist bei den grösseren, im Schatten lebenden Exemplaren ausgeprägt keilförmig; die untersten Blätter, die sich an der Blattrosette nieht beteiligen, sind von reduzierter Grösse und haben eine weniger gedrängte Basis. Auf ähnliche Weise sind aufrechte Zweigspitzen von Vaceinium vitis idaea gebildet. Ein ferneres Beispiel liefern die ganz jungen Pflanzen der Eiche, Quercus robur. Wenn
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sie noch einfach und aufrecht 1—2 dem hoch sind, ist der Stamm bis an die Spitze nur mit kleinen Schuppen besetzt; in der Spitze selbst aber sitzen die Laubblätter, etwa fünf, dieht gesammelt und alle völlig wagerecht ausgebreitet. Auch die gipfelständigen Blattwirtel der Einbeere (Paris quadrifolia) sind hier zu erwähnen.
Im allgemeinen freilich treten die Charaktere der Sehattenpflanzen in unseren heimischen Waldungen längst nieht so deutlich hervor wie im tropischen Urwalde. Denn in denjenigen Wäldern Europas, die den tiefsten Schatten erzeugen, dem moosreichen Fichtenwalde des Nordens und dem reinen Buchenwalde Mitteleuropas, fehlt ein Unter- gsehölz oder Schattengebüsch nahezu gänzlich. Dagegen zeigt sich in den dunkleren Bezirken der Haine und Hain- thälehen eine Menge von Sträuchern und grossen Stauden, die infolge eines gemeinsamen sehr einfachen Blatttypus’ physiognomisch eine hervorragende Rolle zu spielen pflegen. Beispiele solcher Sehattengewächse mit ganz lanzettlichen Blättern sind in allen Florengebieten häufig. Von allgemein bekannten Arten verdienen erwähnt zu werden: Stellaria nemorum, Impatiens nolitangere, Epilobium hirsutum, Cam- pamula latifolia, Mercurialis perennis, Daphne mezereum, Evonymus europaea, Hieracıum prenanthordes, Vinca minor, Ligustrum vulgare, Lonicera niyra u.8. w. Dieselbe Blatt- form nehmen Prunus spinosa, Berberis, Rhamnus, Rosa und andere an, wenn sie vom trockenen, niedrigen Gestrüpp in das schattige Gebüsch des Haines übergegangen sind. Be- züglich der Blattform den erwähnten ziemlich ähnlich sind auch Myrica gali, Myrtilus uliginosa, viele Salix-Arten, Lysi- machia vulgaris u. 8. w., wenn sie gelegentlich innerhalb der Waldränder auftreten. Zu den Pflanzen schattiger Standorte gehören auch noch mehrere Monokotyledonen, deren Blätter gerade von sehr bedeutender Breite sind: Majanthemum, Paris, Allium ursinum, Convallaria, Milium effusum, Cypri- pedium, Epipactıs latifoha u. 8. w.
Dem vorstehenden Referate über Lınpman’s geistvolle Beobachtungen und Schlussfolgerungen sei noch die Be- merkung beigefügt, dass derartige biologische Betrachtungen zwar niemals zu mathematisch sicheren Gesetzen führen.
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Aber obgleich sie sich ausschliesslich auf dem Boden der Hypothese bewegen, sind sie doch im höchsten Masse an- regend.
Dr. W. Sehoenichen, Ver.-Sitz., 26. Nov. 00.
Zoologie.
Die Parthenogonie der Bienen. In den letzten Jahren konnte man in den meisten naturwissenschaftlichen Zeitsehriften allgemeineren Inhaltes Aufsätze finden, die darauf hinausliefen, DZIErzon’s und LEUCKArRT's Lehre von der Parthenogonie der Bienen als erschüttert darzustellen und eine neue Lehre an ihre Stelle zu setzen. Wir haben den von der gegnerischen Seite vorgelegten Beobachtungen keine Beweiskraft zusprechen können und haben es deshalb unterlassen, die betreffenden Beobachtungen und die daraus gezogenen Schlüsse wiederzugeben. Jetzt hat kein geringerer als Aus. Weısmann das Wort zu der Frage ergriffen und zwar in durchaus entscheidender Weise. Er hat einen seiner Sehüler veranlasst, mittels der Schnittmethode frisch abge- legte Bieneneier aus Drohnen- und aus Arbeiterzellen auf das Vorhandensein von Sperma im Zellprotoplasma zu unter- suchen. Wenn Dzıerzon und LEUCKART in den Eiern aus Drohnenzellen keine Spermafäden nachweisen konnten, so lässt sich dem nach unseren heutigen Kenntnissen entgegnen, dass das Spermatozoon schon resorbiert gewesen sein kann, da die Eier erst eine oder mehrere Stunden nach der Ab- lage zur Untersuchung gelangten. Es kam also darauf an, frisch abgelegte Eier in Schnitte zu zerlegen. Aber die Stadien können auch zu früh sein, indem der Spermafaden in noch unaufgequollenem Zustande oder im Zustande des Spermakernes ohne die bekannte Sonnenstrahlung nur sehr schwer auf Schnitten nachzuweisen ist; dies ist der Fall im Stadium der ersten Richtungsspindel. Das Stadium der zweiten Riehtungsspindel dagegen ist vorzüglich zum Nach- weis des Spermakernes geeignet, da gerade auf diesem Stadium beide Kerne eine deutliche Strahlung erkennen lassen.
EEE ZEUG
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Die Untersuchungen ergaben nun unter 29 im Stadium der ersten Richtungsspindel befindlichen Eiern aus Arbeiter- zellen 23 Fälle, in denen sich deutlich ein Spermakern nach- weisen liess, bei 94 aus Drohnenzellen stammenden Eiern desselben Stadiums konnte in keinem Falle irgend etwas Spermaartiges entdeckt werden.
Noch überzeugender fiel das Resultat bei den Eiern im Stadium der zweiten Richtungsspindel aus. Bei den 62 untersuchten Eiern aus Arbeiterzellen war stets eine deut- liehe Spermasonne nachzuweisen, während von 272 Eiern aus Drohnenzellen nur in einem Falle eine Spermasonne aufgefunden werden konnte. Dieser eine Fall ist natürlich als Anomalie aufzufassen.
Interessant ist es, dass der Lieferant der konservierten Eier der Begründer und Hauptverteidiger der neuen Lehre war. Herr Dicker in Darmstadt war es, der hauptsächlich durch Austauschen der Drohnen- und Arbeitereier das Ein- wandsmaterial gegen die Dzıierzon’sche Lehre lieferte, ihm ist es nun auch mit zu danken, dass dieser Angriff abge- schlagen wird. Es ist auch anzunehmen, dass die erwähnten Untersuchungen ihn selber überzeugt haben, denn als er einmal die Etiketten der Drohnen- und Arbeitereier ab- sichtlich vertauscht hatte, wurde er sehr bald interpelliert, ob nicht eine Vertauschung der Etiketten möglich sei, da bei dieser Sendung genau das umgekehrte von den bis- herigen Befunden sich ergebe.
Zur Biologie des Maikäfers. Es muss jedermann sonderbar erscheinen, dass gerade über die Biologie des allbekannten Maikäfers gelegentlich immer noch wider- spruchsvolle Angaben gemacht werden. Teilweise mag dies daher kommen, dass die beiden bei uns heimischen Maikäfer- arten als eine Art zusammengeworfen werden, teilweise auch daher, dass in den einzelnen Gegenden Europas die Ent- wicklung je nach der Durchschnittstemperatur verschieden schnell verläuft. Sicherlich ist aber auch der Mangel an eingehenden Untersuchungen über diesen verbreitesten und
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häufigsten aller land- und forstwirtschaftlichen Schädlinge Schuld an diesen unsicheren Angaben.
Heute wissen wir, dass ausser den bekannten Farben- varietäten des gewöhnlichen Maikäfers (Melolontha vulgaris) auch noch eine zweite Art, Melolontha hippocastani, der Rosskastanien-Maikäfer, bei uns vorkommt. Diese letztere Form ist kleiner und beweglicher und ausserdem dureh schwarze Beine ausgezeichnet; die Kinder pflegen sie als „Sehuster“ oder „Schornsteinfeger“ zu unterscheiden. Diese Art bedarf, wie es scheint, fünf Jahre zu ihrer Entwieklung; wenn sie also einmal in grösseren Mengen auftritt, so ist erst nach fünf Jahren eine neue Hochflut zu erwarten. Von dem in unseren Gegenden vierjährigen Entwieklungseyklus der gewöhnlicheren, plumperen Art rührt die mystisch klingende Angabe her, dass Schaltjahre und Maikäfer in Wechselbeziehung steben. Das ist natürlich in den einzelnen Gegenden sehr verschieden, so ist in Franken das auf das Sehaltjahr folgende Jahr ein Flusjahr und in Westfalen bringt erst das zweite Jahr nach dem Sehaltjahr die Mai- käfer-Hochflut. Und weiter südlich, in Südeuropa, erscheint der Käfer in dreijährigen Intervallen, während im kälteren Ostpreussen die Entwieklung fünf Jahre dauert.
In neuerer Zeit sind besonders in Dänemark durch BoAas und in Frankreich durch RaspaıL entwicklungsge- schichtliche Studien an Melolontha vulgaris gemacht worden, die die Lebensgeschichte der Art bis in alle Einzelheiten feststellen. Wir wollen an der Hand der RaspaıL’schen Mitteilungen die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen rekapitulieren.!)
Das Ei, das 5 mm in der Länge und 4 mm in der Breite misst, entwickelt sich bei günstiger Lage in 22 bis 25 Tagen zur Larve, unter ungünstigeren Bedingungen ver- längert sich dieser Zeitraum beträchtlich, indem die Ent- wicklung dann 32—38 Tage in Anspruch nimmt. Die Ende Mai oder Anfang Juni ausschlüpfende junge Larve zersprengt
') Vergl. X. Raspail, Contribution & l’histoire naturelle du Hanneton, moeurs et reproduction. Me&m. Soc. Zool. France, t. VI, p. 202. — Observations complömentaires sur la ponte et les moeurs du Hanneton. M&m. Soc. Zool. France, t. IX, p. 331.
Kleinere Mitteilungen. 441
die Eihülle in zwei gleiche Teile und misst bei ausge- streektem Körper 9 mm. Für gewöhnlich liegt sie zu einem Halbkreis zusammengekrümmt, ist aber auch im Stande, sich kriechend auf festem Untergrunde fortzubewegen. Mit fortschreitender Entwicklung verliert sich diese Fähig- keit, und das Tier rollt dann auf festem Erdboden unbehilf- lich von einer Seite auf die andere.
Bis zum Herbst nährt sich die Larve von jungen Wurzeln, die sie mitsamt der Erde frisst; sie erreicht so eine Länge von 21—25 mm. Jetzt zieht sich das Tier in ein Winterversteck zurück, indem es entsprechend der Stärke des Frostes mehr oder weniger in die Tiefe wandert.
Im Frühjahre macht sich die Larve von neuem an ihr Zerstörungswerk, wobei sie allmählich immer kräftigere Wurzeln wählen kann. Dies währt wieder bis zum Herbst, es folgt eine zweite Winterruhe, aus der der nun völlig ausgewachsene Engerling erwacht, um sich an die stärksten Wurzeln zu machen und so seine letzten Larvenvorräte zu sammeln. Durch dies Benagen der starken Wurzeln gehen oftmals Bäume, die schon im Vorjahre durch Zerstören vieler schwächerer Wurzeln zum kränkeln gebracht wurden, völlig zu Grunde.
In der zweiten Hälfte des Juli hält die Larve in ihrer Zerstörungsarbeit inne und baut sich 25—45 em tief unter der Erdoberfläche (in schwererem Boden nur 15—25 cm tief) eine Höhle, deren Wände sie mit einer klebrigen Flüssigkeit etwas festigt. In dieser Höhle geht die Ver- wandlung zur Nymphe (oder Puppe) vor sich und zwar wenige Tage, nachdem sich die Larve in die Höhle zurück- gezogen hat.
Auch die Metamorphose der Nymphe zur Imago ver- läuft ausserordentlich schnell: Ende August, also etwa nach einem Monate, findet man den Maikäfer befreit von der Nymphenhülle, die samt der Larvenhaut am Boden der Höhle liegt. Aber das fertige Insekt verlässt seinen Schlupf- winkel nicht allsobald, sondern bleibt in ihm noch acht Monate zurück, wahrscheinlich weil seine Geschlechtsdrüsen erst noch ausreifen müssen. Erst zu Beginn des Frühjahres — nur ausnahmsweise vor dem 20. April — wandert der
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Maikäfer an die Oberfläche, wo er immer erst einige Zeit von einem Häufchen Erde bedeckt liegen bleibt. Kommt ein Käfer vorzeitig durch irgend welchen Zufall an die Oberfläche, so gräbt er sich sofort wieder etwa bis zur gleichen Tiefe in die Erde ein.
Die Kopulation der Individuen geht vor sich, sobald sie aus ihren Verstecken hervor kommen, und wiederholt sich im Verlaufe ihrer Lebenszeit, die für gewöhnlich nur 40—50 Tage umfassen dürfte, etwa 9—10 mal. Das Weibehen legt sodann mit 8—16 tägigen Unterbrechungen der Regel nach dreimal Eier. Zu diesem Zwecke gräbt es sich bis zu 20 em tief in die Erde — nicht nur in lockere Acker- erde, sondern auch in festes Wald- oder Rasengelände — und legt hier eine Anzahl Eier ab, die in Haufen lagern ohne aber miteinander verklebt zu sein. Die Zahl der Eier ist wechselnd und allmählich abnehmend. Rasraız zählte gelegentlich bei der ersten Eiablage 40, bei der zweiten 28 und bei der dritten nur 11. Ein anderes Weibchen, das 62 Tage lebte, schritt sogar viermal zur Eiablage, brachte es aber auch nur auf 80 Eier.
Auch unabhängig von dem Geschäft der Eiablage graben sich die Maikäfer gelegentlich mit grossem Geschick in die Erde, sei es, dass sie bei ungünstiger Witterung darin Schutz suchen oder aus anderen unbekannten Gründen. So kommt es, dass gelegentlich alle Maikäfer verschwunden sind und dass wenige Tage darauf wieder alles von ihnen wimmelt.
Bei dem hier geschilderten Entwieklungsgange braucht also die freilebende Larve zu ihrer Ausreifung etwa zwei Jahre, während die Entwieklung der Larve im Ei und die Ausbildung des Imago in der Nymphe nur etwa einen Monat in Anspruch nimmt. Acht Monate dauert der Auf- enthalt des fertigen Insektes in der Erde, insgesamt währt die Entwieklung also bei der französischen Form drei Jahre. In unserem kälteren Klima braucht die Larve drei Jahre bis sie zur Verpuppung schreiten kann.
Wie enormen Schaden die Maikäfer nieht nur als Imagines, sondern besonders als Larven anzuriehten im Stande sind, ist genugsam bekannt, und es ist deshalb die Bevölkerung wieder darauf hinzuweisen, dass sie den Kampf
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gegen diesen Schädling niemals aufgeben darf. Die wirk- samste Art ist aber zweifellos das frühzeitig beginnende Sammeln der Imagines. Es sei daran erinnert, dass im Jahre 1868 in unserer Provinz auf Grund von Bemühungen seitens des landwirtschaftlichen Zentralvereins auf diese Weise nicht weniger als 150000 kg Maikäfer (das sind ca. 1500 Millionen) unschädlich gemacht wurden.
Das Summen der Dasselfliegen (Hypoderma bovis L.). Wir haben schon vor Jahren die Ergebnisse neuerer Unter- suchungen über die Entwicklung dieses Rinderparasiten mitgeteilt (vgl. Bd. 69, 1896, S. 235). Die damaligen Unter- suchungen liessen uns den skizzierten Entwieklungsgang nur vermuten, heute sind eine Reihe von Daten dazu erbracht (von HinkIcHsEen und RusEr-KLepPp), die ihn als feststehend bestätigen. Das Insekt, das seine Eier abzulegen im Begriff steht, nähert sich unter sehr eigentümlichem Summen dem Rinde, das durch dieses Geräusch in eine furchtbare Auf- resung kommt und auf dem Weidegelände wie besessen herumrast. Es ist dieses Verhalten der Rinder sehr sonder- bar, da die Fliegen ja nicht im geringsten stechen und dem Tiere, an dessen Haare sie ihre Eier einzeln befestigen, sicherlich überhaupt nicht wehe thun. Man könnte also meinen, dass das den Dasselfliegen eigentümliche Summen eine unzwecekmässige Einrichtung sei, da ja die Unruhe der Rinder den Insekten die Eiablage erschwert. Aber ich glaube, dass es im Gegenteil ein Charakter ist, der für die Erhaltung der Art durchaus notwendig is. Wenn die Rinder gar nicht aufmerksam würden auf die Insekten, so würden sie von der Eiablage voraussichtlich keine Notiz nehmen, also auch nur ganz zufällig durch Leeken der zur Eiablage gewählten Stelle die Eier in sich aufnehmen. Dadurch aber, dass die Dasselfliegen mit ihrem Summen die durch ihren Stich gefürchteten akuleaten Hymenopteren nachahmt, wird das Rind veranlasst, die Stelle, an der das Tier ein Ei abgelegt hat, zu belecken, das Ei kommt so in den Schlund, entwiekelt sich dort sehr schnell zur Larve, die sich nun in die Wandung einbohrt. Dies geschieht im
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Sommer vom Juli bis September, und die Larve verbleibt unter der Oesophagealschleimhaut bis zum Ausgange des Winters. Dann treten sie eine grosse Wanderung an, wobei sie gelegentlich auch in den Rückenmarkskanal kommen, in der Regel aber erst dieht unter der Körperhaut Halt machen. Hier werfen sie ihre bisher stigmenlose Haut ab und durchbohren sodann das Fell des Wirtstieres, um nun vermittels der Stigmen die zur Atmung nötige Luft aufzu- nehmen. Vom Mai bis Juli, und zwar stets in den Morgen- stunden, findet das Auswandern dieser Larven statt, die sich im Erdboden oder im Dünger verpuppen. Nach kaum einmonatiger Frist schlüpft die Imago aus und fliegt auf den Weiden umher, um nach geschehener Begattung ihre Eier wieder in der geschilderten Weise abzulegen.
Dr. G. Brandes.
Die Beeinflussung des Vogelmagens durch die Art der Nahrung. In der ersten Originalmitteilung dieses Heftes werden Hamann’s Ausführungen über die Anpassungsfähig- keit des Raubvogelmagens erwähnt (S. 344 und 345). Diese basieren zweifellos auf den Angaben SEMPER’s in „Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere“ (S. 83). Nun habe ich aber schon im Jahre 1896 nachgewiesen, dass SemrER’s Ausführungen der thatsächliehen Unterlage ent- behren.!) Wir kennen weder einen verbürgten Fall von Umwandlung eines Körnerfresser-Magens in einen „wahren Raubvogelmagen“ durch Fleischfütterung, noch auch um- gekehrt. Die von SEMPER angeführten Gewährsmänner be- haupten teilweise gerade das Gegenteil von dem, was er angiebt. Wenn wirklich einmal eine Möwe, die mit Körnern gefüttert wurde, durch eine starke Cutieula und sehr kräftige Muskelwände auffällt, so weiss man noch nicht, ob das Tier nieht von Anfang an nach dieser Richtung variierte und vielleicht nur deshalb der Körnerkost zusprach. Jeden- falls ist im Auge zu behalten, dass gerade der Möwen-
1) G. Brandes, Ueber den vermeintlichen Einfluss veränderter Ernährung auf die Struktur des Vogelmagens. Mit 7 Figuren. Bio- logisches Centralblatt, Bd. 16, S. 825—838.
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magen durchaus kein häutiger Sack ist, sondern — wie meine a. a. OÖ. gegebenen Abbildungen zeigen — ein paar kräftige Muskelbäuche besitzt, die bei den einzelnen In- dividuen stark variieren. Ich weise gelegentlich der Ab- handlung von H. Kersten auf diese Thatsache hin, weil es mir sehr wünschenswert erscheint, dass diese Legende von der direkten Anpassung des Vogelmagens, auf die viel- fach weitgehende Schlüsse gebaut werden, allmählich wieder aus der Wissenschaft verschwindet.
Die Zähne der Elefanten. In einem auf dem letzten Anthropologenkongress (Halle 1900) gehaltenen Vortrage habe ich unter anderen das Aussterben des Mammuths auf das wegen ungenügender peripherer Abnutzung erfolgte enorme Auswachsen der Schneidezähne zurückzuführen ver- sucht. Man mag darüber verschiedener Ansicht sein, ob dieses Auswachsen der Stosszähne zu riesigen Spiralen wirklich das Leben der Träger ernstlich gefährden konnte, das scheint mir dagegen festzustehen, dass die sonderbare Form der Mammuthzähne lediglich durch ungenügende Ab- nutzung der wurzellosen, also immer weiter wachsenden Zähne entstanden ist. Als Grund für den plötzliehen Nicht- gebrauch ergiebt sich zwanglos der Klimawechsel, bei dem die vorher subtropische Waldvegetation verschwand und einer spärlichen Zwergwaldung Platz machte. Wir setzen dabei allerdings voraus, dass die Stosszähne bei der Nahrungsauf- nahme im Walde stark benutzt werden, dass sie also nicht als Waffen, sondern als Handwerkzeug entstanden sind.
Diese Annahme, die vielen willkürlich erscheint, möchte ich im folgenden etwas näher begründen. Wir haben leider sehr wenige zuverlässige Angaben über die Lebensgewohn- heiten dieser Riesen und die wenigen finden sich sehr ver- steekt in grossen Reisewerken. Von dem ceylonesischen _ Elefanten teilt mir Frıtz Sarasın, der mit seinem Vetter PıuL Sarasın fünf Jahre die Insel Ceylon durchforscht hat, liebenswürdiger Weise mit, dass die dortigen Elefanten meist keine oder nur ganz kleine Stosszähne besitzen. Grosse Zähne kommen vor, sind aber sehr selten. Ein eingeborener
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Jäger erzählte ihnen einst von einem Elefanten mit grossen Zähnen, den er beobachtet habe, wie er seine Zähne immer- fort in den Boden bohrte, was er für eine Aeusserung von Zahnweh ansah. Die Nahrungsaufnahme geschieht im Diekicht und macht sich durch das Abbrechen von Aesten auf grosse Entfernung hin bemerklich; wie die Tiere die Aeste brechen, ob alle Individuen diese Arbeit verrichten oder nur eins oder wenige mit einigermassen entwickelten Zähnen war dabei nicht festzustellen.
Ueber die sumatranische Form des indischen Elefanten verdanke ich Herrn Hofrat Dr. med. HAGEn, der jahrzehnte- lang auf Sumatra gelebt hat, die Mitteilung, dass sie keine Blätter und Zweige fressen, sondern nur Gras und Kräuter und dass sie ferner niemals die einmal vorhandenen Pfade verlassen, um sich neue Wege im Urwald zu bahnen. Die stark bezahnten Individuen haben aber die Gewohnheit, während des Laufens ihre Stosszähne — abwechselnd bald links bald rechts — in den Boden zu stossen, womit sie dem Jäger Gelegenheit geben, sich über den Durchmesser der Zähne aufs genaueste zu orientieren.
Ueber den afrikanischen Elefanten finde ich bei STUHL- MANN!) eine entsprechende Angabe. Bei seiner Schilderung des Landes Mboga erwähnt er einen Tummelplatz, den sich Elefanten eingerichtet hatten. „An einem etwa 2 m hohen Bachufer war der ganze Boden von Elefanten zertrampelt, und überall zeigten sich Spuren, wo sie mit ihren Zähnen in die Uferwand hineingestossen und ihre Haut ge- scheuert hatten.“
Diesen Berichten zufolge kann es keinem Zweifel unter- liegen, dass die afrikanischen wie die indischen Elefanten die Gewohnheit haben, ihre Stosszähne, wenn sie eine an- sehnliche Grösse erlangt haben, in den Boden zu stossen. Hierdurch ist natürlich eine Abnutzung bedingt, aber es ist nieht wahrscheinlich, dass diese Art der Abnutzung die natürliche ist. Es liegt nahe, daran zu denken, dass die Tiere nur dann dazu greifen, wenn ihnen die Zähne un-
‘) Franz Stuhlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Berlin 1894. S. 328.
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bequem zu werden anfangen. Je weniger nun aber die Individuen ihre Zähne von Anfang an im täglichen normalen Gebrauche abnutzen, um so schneller werden die Zähne zu einer unbequemen Länge heranwachsen. Was die normale Abnutzung angeht, so kann diese bei veränderten Lebens- gewohnheiten leicht unterbleiben. Wenn die Elefanten der Insel Sumatra ihre von Alters her vorhandenen Pfade im Urwald nie verlassen und ausserdem nur Gras und Kräuter fressen, so brauchen sie ihre Stosszähne jedenfalls weniger als diejenigen, welehe sie als unnachgiebigen Widerstand beim Abbrechen der Zweige mittels des Rüssels benutzen, sei es, dass sie die Zweige wegen der als Nahrung dienenden Blätter brechen oder um sich einen Weg durch den Urwald zu bahnen.
Derartige Veränderungen in der Lebensweise können dureh mancherlei äusserliche Umstände veranlasst werden. Am einfachsten liest der Fall, wenn der Urwald ver- schwindet. So lebt z. B. der Elefant der ostafrikanischen Subregion in dem Akazienbusch und in der Savanne und rupft mittels des Rüssels bald Grasbüschel aus, bald plündert er die erreichbaren Zweige. Seine Zähne werden also wahr- scheinlich sehr selten in Anspruch genommen und würden sehr bald eine enorme Grösse erreichen, wenn er nicht auf irgend eine besondere Weise für distale Abnutzung sorgte. Dass diese Abnutzung nicht bei allen Individuen gleich schnell vor sich geht, beweisen am besten die oft auffallend verschieden langen Zähne bei etwa gleichaltrigen Tieren. Ein Tier mit verhältnismässig kurzen aber sehr gedrungenen Zähnen ist meistens älter als ein solches mit sehr langen aber auffallend schlanken. Gelegentlich finden sich stattliche Tiere, deren Zähne bis zum Erdboden her- unterreiehen, so berichtet z. B. v. HöHnEL!) von einem der- artigen Vorkommen bei drei Männchen, die er gleichzeitig zu Gesicht bekam.?) Er schätzte jeden der Zähne auf 100 kg und darüber.
2) Ludwig Ritter v. Höhnel, Zum Rudolfsee und Stephaniesee. Wien 1892. S. 568.
2) Solche Tiere, die ihre Zähne nicht genügend abwetzen, können sich dann nur dadurch helfen, dass sie die Zähne abbrechen. Der-
448 Kleinere Mitteilungen.
Dass derartige Monstra nicht als Waffen Verwendung finden können, ist eigentlich von vornherein anzunehmen. Es ist auch gar nicht einzusehen, wozu die Elefanten, deren dicke Haut, schweres Gewicht und kräftiger Rüssel pro- tektiv und aggressiv genügende Waffen sind, derartige Waffen ausgebildet haben sollten. Dass die Tiere, wenn sie gereizt sind, bei dem wilden Umsichschlagen gelegent- lich auch mit ihren Zähnen den Angreifer verletzen, kann uns natürlich nicht bestimmen, die Zähne als die normale Waffe der Tiere zu bezeichnen. Ich finde übrigens auch einen Bericht, in dem der Kampf zweier Elefanten be- schrieben wird. Der schon erwähnte Ostafrika-Reisende von HÖHNEL!) schildert eine interessante Szene aus dem Familienleben der Elefanten, die er längere Zeit beobachten konnte, folgendermassen:
„Die Weibehen frassen, säugten ab und zu ihre Jungen oder wehrten die beiden Männchen ab, wenn diese ihren Sprösslingen zu nahe kamen. Die beiden Bullen aber kämpften miteinander, wohl um den Preis der Herrschaft über die Elefantenschönen. Dabei kamen die Stosszähne gar nicht in Anwendung. Die Tiere näherten sich ein- ander, bis Stirn an Stirne lag, und versuchten sich gegen- seitig wegzudrängen, ohne es zu sonstigen Gewaltakten kommen zu lassen.“
Für die Ansicht, dass die Stosszähne nicht die Haupt- waffe der Elefanten sind, ist auch ferner der Umstand an- zuführen, dass die gefürchtesten, bösartigsten. Individuen die nur selten vorkommenden zahnlosen Männchen sind. Es scheint mir einleuchtend, dass ein Tier, welches die fortwährende Produktion von beträchtlichen Massen der Zahnsubstanz nieht nötig hat, weit kräftiger ist, als ein: solches mit gewaltigen Stosszähnen.
Sehliesslieh möchte ich auch noch auf die verschiedene Farbe der Elefantenzähne hinweisen. Die aus Ostafrika
artige Exemplare finden sich nicht selten. Auch von einem in der Gefangenschaft gehaltenen Tiere ist mir ein solcher Fall bekannt. Der indische Elefant (Anton) des zoologischen Gartens in Hamburg bekam enorm lange Zähne, die er schliesslich abbrach.
1) 2.2. 0. 8. 628.
Kleinere Mitteilungen. 449
stammenden Zähne sind weiss, die aus dem westafrika- nischen Urwalde aussen rot oder braun. Wenn wir nach der Ursache dieses Unterschiedes fragen, so müssen wir uns erinnern, dass wir eine Rotfärbung der Zähne auch bei anderen Tieren finden. So ist z. B. die Vorderseite der Sehneidezähne des Bibers stets rot, und das gleiche zeigen dieselben Zähne mancher anderen Nagetiere, ich nenne nur das auf Bäumen lebende Borstenschwein Nordamerikas, Erethizon dorsatus F. Cuv. und Cercolabes prehensilis Brd., den Cuandu Brasiliens, ein ebenso ausgesprochenes Baumtier. Es liegt sehr nahe, die Färbung dieser Zähne auf die Säfte der Baumrinden zurückzuführen, von denen sich die Tiere ernähren, zumal sich die Rotfärbung nur an der Seite findet, die allein in innige Berührung mit der abzunagenden Rinde gebracht wird. In ähnlicher Weise könnte die Rotfärbung der Elefanten-Stosszähne dadurch entstehen, dass sie durch fortwährende Berührung mit der Rinde der abzubrechenden Baumzweige oder durch Reiben an den Baumstämmen mit den Säften der Rinde in Berührung kommen. Pflanzliche Säfte sind es ja auch, die das Dunkelwerden der Zähne der Betelkauer verursachen. Dr. @. Brandes.
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 39
Litteratur-Besprechungen.
Goldfuss, O., Die Binnenmollusken Mittel-Deutsch- lands mit besonderer Berücksichtigung der Thüringer Lande, der Provinz Sachsen, des Harzes, Braunschweigs
und der angrenzenden Landesteile. Leipzig, Engelmann, 1900. VIIH und 3208. Preis Mk. 8,—.
Das von den Malakozoologen unseres Vereinsgebietes schon lange sehnlichst erwartete Buch liegt uns nunmehr vollendet vor. Wir können mit Genugthuung feststellen, dass wir in demselben für unser Vereinsgebiet eine Mollusken- fauna erhalten haben, wie sie nur wenige Gebiete von entsprechendem Umfange aufzuweisen haben.
Das Buch wendet sich wie viele Faunen und Floren nicht ausschliesslich an den Fachmann, sondern auch an den Laien bezw. Anfänger. Es will nicht nur die Malako- zoologen mit den reichen Ergebnissen der ausgedehnten biologischen, systematisch-zoographischen und faunistischen Untersuchungen des Verfassers bekannt machen; es will auch den Anfänger in die Kenntnis der heimischen Weiech- tiere einführen.
Das Buch gliedert sich in einen allgemeinen und in einen speziellen, systematischen Teil.
Der allgemeine Teil (S. 1—46) behandelt in 31 meist lose aneinandergereihten Absehnitten im Wesentlichen die biologischen Verhältnisse unserer Binnenmollusken und die Anlage der Einrichtung von Konchyliensammlungen sowie die Anfertigung von anatomischen Präparaten und Aehnliches. Wenden sich auch die Abschnitte des allgemeinen Teiles vorwiegend an den Anfänger, so enthalten sie doch auch
Litteratur-Besprechungen. 451
eine Fülle von Beobachtungen (z. B. über die Abhängigkeit des Gewichtes der Schneckengehäuse vom Kalkgehalte des Bodens, über die Verschleppung von Mollusken, u. s. w.), welche das volle Interesse des Fachmannes in Anspruch nehmen. Auch die schätzenswerten Winke für die zweck- mässige Einrichtung der Sammlungen, für das Einsammeln der Mollusken mit Hilfe verschiedener Geräte und Aehnliches dürften zum Teile über den Kreis der Anfänger hinaus Interesse erwecken.
Der Schwerpunkt des Buches liegt in seinem speziellen Teile (S. 47—509), in dem die Molluskenarten des Gebietes in systematischer Anordnung behandelt werden. Synonyma und umfangreichere Litteraturnachweise sind nur in be- sonderen Fällen, bei kritischen Formen u. s. w., mitgeteilt. Die auf Grund eigener Untersuchungen des Verfassers ent- worfenen Diagnosen zeichnen sich durch Klarheit und Schärfe aus. Sie berücksichtigen neben der Beschaffenheit der Ge- häuse bezw. der Schale auch die morphologischen und ana- tomischen Verhältnisse des Tieres selbst. Besondere Sorgfalt hat der Verfasser u. a. den Massangaben, die in manchen Büchern recht unzuverlässig sind, angedeihen lassen. Die Angaben über das Vorkommen der einzelnen Arten gliedern sich in Angaben über den „Aufenthalt“ und solche über die Verbreitung. Die Verbreitung der einzelnen Arten hat der Verfasser mit besonderer Ausführlichkeit behandelt, wo- für ihm besonders alle diejenigen, welche für tiergeographische Fragen Verständnis besitzen, sehr dankbar sein werden. Die Fundortsangaben sind teils aus der sehr zersireuten Litteratur zusammengetragen, teils vom Verfasser und seinen Freunden und Korrespondenten zusammengebraeht und im vorliegenden Buche zum ersten Male veröffentlieht. Bei jeder Angabe ist der Gewährsmann zitiert. Leider hat der Verfasser nicht — etwa durch die bei den Floristen üblichen Zeichen — bei den nicht von ihm selbst herrührenden Fundortsangaben angedeutet, ob ihm von den betreffenden Fundorten Belegexemplare vorgelegen haben oder ob er die Angaben durch Beobachtungen an Ort und Stelle bestätigen kann. Die ausserordentlich zahlreichen Fundortsangaben hat der Verfasser möglichst übersichtlich anzuordnen gesucht
29*
452 Litteratur-Besprechungen.
und zu diesem Behufe u.a. das ganze Gebiet in folgende Hauptteile zerlegt: Thüringen, Harzgebiet, Saale- und Elb- niederung, Muldeniederung, Eisterniederung, Braunschweig und angrenzende Landesteile. Form- und Farbenvarietäten sind so eingehend berücksiehtigt, wie man das selten findet; besonders sei hervorgehoben, dass auch die Verbreitung der Varietäten sorgfältig beachtet worden ist. Bei zahl- reichen der behandelten Arten sind eingehende Bemerkungen, Nomenklatur, morphologische und anatomische Verhältnisse, Lebensweise, Aufenthalt, Verbreitung u. s. w. betreffend, beigefügt, Bemerkungen, welche ein höchst schätzbares Material zur Beurteilung der Mollusken unseres Gebietes darstellen und namentlich für den Fachmann den Wert des Buches ausserordentlich erhöhen,!) nebenbei aber auch dem Anfänger die Trennung schwer von einander zu unter- scheidender Formen erleichtern werden.
Dass auch die kritischen Gruppen unserer Mollusken (die Naektschneeken, die Hyalinen zum Teile, die Vallonien, die Suceineen, die so vielgestaltigen Wassermollusken, u. 8. w.) eingehend und sorgfältig behandelt sind, braucht bei dem Rufe, dessen sich der Verfasser in malakozoologischen Kreisen erfreut, nicht besonders hervorgehoben zu werden.
Den Bedürfnissen des Anfängers hätte vielleicht durch Beigabe von Bestimmungstabellen etwas mehr Rechnung getragen werden können.
Ein lateinisches und ein deutsches Register (S. 310 bis 320) erleichtern die Benutzung des Buches.
Den gewaltigen Fortschritt in der Kenntnis der Mol- lusken unseres Vereinsgebietes und ibrer Lebensweise und Verbreitung, den das besprochene Buch bedeutet, auch nur in Kürze zu kennzeiehnen würde den für vorliegende Be- sprechung verfügbaren Raum zu sehr überschreiten. Referent muss sich daher damit begnügen, anzugeben, dass in dem
1) Referent möchte hier wenigstens auf die bemerkenswerten Er- örterungen über Hyalinia nitidula Drap., H. margaritacea A. Schmidt, Helix tenwilabris Al. Braun, H. declivis Sterki, H. faustina Zgl., H. obvia Hartm., H. intersecta Poir., H. rugosiuscula Mog. Tand, einige Unionen u. a. kurz hingewiesen haben.
Litteratur-Besprechungen. 453
Buche an Landmollusken in 30') Gattungen, 188 Arten und 151 Varietäten und an Wassermollusken in 19 Gattungen, 89 Arten und 80 Varietäten, also zusammen in 49 Gattungen, 207 Arten und 211 Varietäten aufgeführt werden, eine grosse Zahl von Formen, von denen ein nicht unbeträchtlicher Teil vom Verfasser selbst zuerst im Gebiete aufgefunden worden ist.
Referent wünscht dem Buche Verbreitung in den weitesten Kreisen ‚und ist überzeugt davon, dass dasselbe viel Anregung zur Beschäftigung mit unserer heimischen Molluskenfauna geben und dadurch der Malakozoologie neue Freunde und Mitarbeiter gewinnen wird.
Dr. Ewald Wüst.
Höfler, Dr. Alois und Maiss, Dr. Eduard, Naturlehre für die unteren Klassen der Mittelschulen. Dritte verbesserte Auflage mit 290 Holzsehnitten, drei farbigen Figuren, einer lithographierten Sterntafel und einem An- hange von 140 Denkaufgaben. Wien 1900. Karl Gerolds Sohn. Preis gebunden Mk. 2,60.
Das vorliegende Buch ist eins von denen, die es in Massen auf dem Büchermarkte giebt. Es ist ein echter Leitfaden, dermassen mit Kürze gewürzt, dass er das Studium der Naturlehre eher verleiden denn fördern wird. Dieser Umstand ist um so bedauerlicher, als es sich um ein Buch für Anfänger handelt. Hätten die Verfasser die Denk- aufgaben am Schlusse des Buches hergenommen, daraus ein belletristisch gehaltenes Naturlehre-Lesebuch hergestellt und am Schlusse jedes einzelnen Lesestückes das Naturgesetz gewonnen, dann wäre das Buch sicher eine Grossthat auf seinem Gebiete zu nennen. — Sonst bringt das Buch eben alles, was man nur wünschen kann, aber wie gesagt nur kurz und knapp. Die Abbildungen sind klar und einige in ihrer Art neu. Soviel aber ist sicher: Für den Anfänger enthält es viel zu viel. Haupt.
!) Die Grösse dieser Zahl ist zum Teile dadurch verursacht, dass der Verfasser Boettger’s Vorgange folgend die Gattung Pup«a in eine ganze Anzahl von Gattungen zerlegt hat,
454 Litteratur-Besprechungen.
Rössier, Dr. Richard, Die Raupen der Grossschmetter- linge Deutschlands. Eulen und Spanner mit Auswahl.
Eine Anleitung zum Bestimmen der Arten. Mit 2 Tafeln.
Leipzig 1900. B.G. Teubner. Preis gebunden Mk. 2,20.
Das Werkehen wird allen Naturfreunden und insbesondere den Lepidopterologen bei der oft mühseligen Bestimmung der Raupen, die trotz guter Abbildungen häufig resultatlos verläuft, gute Dienste leisten. Die Anordnung ist eine über- sichtliche, die Diagnosen sind einfach und durehsiehtig. Alle wissenschaftlichen Ausdrücke sind verdeutscht, sodass man nicht gerade Fachmann zu sein braucht, um sich mit Leichtigkeit zurecht zu finden. Bei der Genauigkeit der Beschreibungen kann das Buch auf farbige Abbildungen, deren Wert ja bei der Variabilität der Raupenfärbung oft ein illusorischer ist, vollkommen verzichten. Haupt.
Hallier, Prof. Dr. Ernst, Die Pestkrankheiten (In- fektionskrankheiten) der Kulturgewächse. Nach streng bakteriologischer Methode untersucht und in völliger Uebereinstimmung mit Robert Kochs Entdeekungen ge- schildert. Mit 7 Tafeln. 2. Auflage. Stuttgart, Verlag von Erwin Nägele. 1898. 8°. VII und 1448. Preis Mk. 8,—.
Nieht eine Darstellung der gesamten durch Pilze und Bakterien verursachten Infektionskrankheiten bringt diese Sehrift, wie man nach ihrem Titel vielleicht erwarten könnte, sondern nur eine Auswahl solcher, wie sie der Ver- fasser nach einer Methode der „strengen bakteriologischen Forsehung“ untersucht hat. Es sind ausschliesslich Perono- sporeen („Schimmelthaue“), die er in den Kreis seiner Be- trachtungen gezogen hat, weil sie besonders geeignet für das Studium der Infektionsvorgänge ihm erschienen: Cystopus Capsellae, Zoospora, Phytophthora, Plasmatophora, Perono- spora. HALLIER verbreitet sich unter anderem über den Kampf der Phytophthora mit dem Fusisporium Solani, über Kräuselkrankheit und Trockenfäule der Kartoffel und über die im Gefolge der Phytophthora auftretenden Schimmelpilze. Ueber die Infektionsbedingungen und Krankheitsverbreitung
Litteratur-Besprechungen. 455 enthält das Buch manches Interessante, wie es auch das Wesen des Parasitismus eingehend erörtert.
Auch der Frage: „Was ist die Hefe der Alkohol- gährung ?“ ist ein Abschnitt gewidmet, den man nur durch- zulesen braucht, um die ganz eigenartigen, den allgemein angenommenen, völlig widersprechenden Anschauungen des Verfassers kennen zu lernen. Die Ergebnisse der in den genannten, die zweite Abteilung der Schrift bildenden Ab- handlungen mitgeteilten Untersuchungen in Kürze zusammen- zufassen, ist nicht wohl möglich, vielmehr muss, wer sich mit denselben näher bekannt machen will, auf die Schrift selbst verwiesen werden. Ueberdies wird man den Angaben HALLIER’S etwas skeptisch gegenüberstehen müssen, bis eine Naehuntersuchung etwa an den gleichen Objekten und mit den nämliehen Methoden dieselben bestätigt haben wird. Lieber mögen dafür hier einige Bemerkungen über HALLIER’S Grundansehauungen und über die Untersuchungsmethoden, auf die er grossen Wert lest und die in der ersten Ab- teilung dargestellt sind, ihren Platz finden.
HALLIER sieht in den „Plastiden“ der niederen Pflanzen das Formelement der Zelle. Die winzigen Zellbildungen, welche man für gewöhnlich Bakterien zu nennen pflegt, sind ihm keine selbständigen Wesen, sondern Erzeugnisse des Plasmas verschiedener Pilzgruppen. Die Parasiten der Infek- tionskrankheiten sind solche Plasmaprodukte von Pilzen. Um also den Ursprung der Infektionskrankheiten aufzufinden, hat man bei jeder derselben zu untersuchen, welcher bestimmte Pilz aus seinem Plasma die Kontagionzellen (Bakterien, Mikrococeus ete.) erzeugt und auf welche Weise das ge- schieht. Er verwirft die Einteilung der Organismen nach der Ernährungsweise in Parasiten und Saprophyten und teilt dafür die ersteren in phagedärische und zymotische Parasiten. Er sprieht nieht von „Sporen“, sondern von „Knospen“ als Fortpflanzungsorganen der Pilze. Die Bedeutung der äusseren Bedingungen für den Entwieklungsgang wird mehrfach gestreift und auch der Einfluss derselben auf die Bildung der Plastiden hervorgehoben. HarLıer’s feuchte Kammer, sonstige Kulturapparate und die damit gewonnenen Er- fahrungen sind in einem besonderen Abschnitt zusammen-
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gestellt. Bei den Kulturapparaten kommt es ihm namentlich auf Erleichterung des Luftwechsels an. Seine feuchte Kammer ist ein Fläschehen von dünnem Glas mit walzigem, unten flachem Bauch und kurzem, oben matt abgeschliffenem Hals. Dieht unter dem Hals befinden sich einander gegenüber zwei wagerecht abstehende Glasröhrehen, die mit dem Innern des Fläschehens und mit der äusseren Luft in offener Ver- bindung stehen. Der Boden des Fläschehens wird mit destilliertem Wasser bedeckt und auf der Halsmündung das Deckglas mit dem die Aussaat enthaltenden Versuchs- tropfen aufgekittet. In diesem kleinen Apparat, der unter eine Glasglocke gestellt wird, kann man jahrelang die Ent- wiekelung eines Pilzes ete. verfolgen. Die Methode der Kultur ist im wesentlichen diejenige auf festem, durehsichtigen Nährboden, wie sie besonders von Koch für die bakterio- logische Untersuchung ausgebildet worden ist. Dr. G. Dittrich.
Höck, F., Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnis von der ursprünglichen Verbreitung der ange- bauten Nutzpflanzen. (Sonderabdruck aus der „Geo- graphischen Zeitschrift) Leipzig, Verlag von B. G. Teubner. 1900. Preis 1,60 Mk.
Die vorliegende kleine Arbeit enthält eine übersicht- liche Zusammenstellung unserer Kenntnisse von der Heimat der angebauten Pflanzen aller Zonen und Völker. Der auf dem Gebiete der Pflanzen-Geographie rühmlichst bekannte Verfasser fusst dabei auf der im Jahre 1832 erschienenen wiehtigen Arbeit A. DE CAnDorLe’s über den „Ursprung der Kulturpflanzen“ und hat mit einem wahren Bienenfleisse alle in späteren Arbeiten über diese Frage niedergelegten Daten gesammelt. Gleich den früher besprochenen Arbeiten des Verfassers kann auch die vorliegende allen Interessenten — also nicht nur den Geographen, für die sie in erster Linie bestimmt ist — nur warm empfohlen werden.
Dr. ©. Sehmeil.
Blochmann, Rich. Herm., Physik, gemeinfasslich dar- gestellt in drei Bänden. I. Mechanik und Akustik. Mit
Litteratur-Besprechungen. 457
87 Abbildungen. Verlag von Streeker & Schröder. Stutt- gart 1900.
Es liegt uns heute der erste Band eines litterarischen Sammelunternehmens vor, welches in den nächsten Jahren unter dem Gesamttitel „Naturwissenschaftlicher Hausschatz“ in dem oben bezeichneten Verlage erscheinen wird. Die Verleger stellen es sich in diesem Werke zur Aufgabe, das grosse Gehiet der Naturwissenschaften in einer vor allem dem grossen Kreis der Nichtfachleute verständlichen Art zur Darstellung zu bringen, denn sie gehen von der richtigen Erkenntnis aus, dass es in unserer Zeit des allgemeinen Fortsehrittes auf allen Gebieten nicht zum mindesten Pflicht jedes gebildeten Mannes sein muss, über das Gebiet orientiert zu sein, in dem er lebt, über die Natur. Die Physik, aus der uns täglich und stündlich so ungemein viele interessante Erseheinungen entgegentreten, eröffnet das Sammelwerk. Sie umfasst drei Bände, deren erster die Mechanik und Akustik, deren zweiter die Optik und Thermik, und deren dritter die Elektrizität behandein werden. Den uns vor- liegenden Band können wir sowohl inbezug auf Ausstattung als auch auf Inhalt als wohlgelungen bezeichnen, so dass das Werk eine gute Empfehlung verdient. Eine Angabe des Preises fehlt, aber der beabsichtigte Zweck lässt ver- muten, dass der Preis trotz der vornehmen Ausstattung billig angesetzt ist.
Kars, ©., Der einstige zweite Mond der Erde als Urheber aller irdischen Entwieklung. Ein Blatt vom Baume der Erkenntnis gepflückt und der denkenden Menschheit dargereicht. Berlin, Druck und Verlag von Max Schildberger, 1900. Preis Mk. 1,—. |
„Wesen und Inhalt dieser Schrift werden die Kritik des Lesers in jedem Falle herausfordern.“ So heisst es ungefähr in der Ankündigung des Verleger. Dem kann man un- möglich widersprechen.
Wenn jemand die Verteilung von Wasser und Land, die Entstehung der Gebirge, die Probleme der geographischen Verbreitung und sonst noch vielerlei einfach durch einen
4
458 Litteratur-Besprechungen.
auf die Erde gefallenen Mond erklären will, so wird niemand um ein kräftiges Wort, das eine Kritik enthält, verlegen sein.
„Die Erde hatte einst zwei Monde. Der innere hat sich allmählich der Erde genähert und sich schliesslich mit ihr vereinigt.“
„Der australische Kontinent ist der über die Erdrinde hervorragende Teil des herabgefallenen Mondes.“
Dieses geschah zur Interglaeialzeit, nachdem die Erde schon eine wechselvolle Jugendzeit durchkostet hatte. Ur- sprünglich wandte die Erde „wahrscheinlich“ immer die- selbe Seite der Sonne zu, dann trat allmählich eine lang- same Drehung ein (vielleicht erst nach 100000 Jahren eine Umdrehung), die immerfort zunahm. So entstanden die nach Tausenden von Jahren zählenden Tage und Nächte. Aus Finsternis und Eis erstand die Erde am Morgen eines solchen Tages zu neuem Leben, aber die Mittagsglut liess alles vertrocknen und verkohlen (Karbonzeit). Der Wechsel von tausendjährigen Perioden von Sonnenschein und Finsternis liess Faltungen und Risse entstehen u. s. w.
Der sich nähernde Mond bekam eine immer grössere Anziehungskraft, diese wirkte schliesslich nieht nur auf die Meere, sondern auf die gesammte Erdoberfläche und alles lebende auf ihr. Die Lagerung der Moleküle wurde ver- ändert, die festgewachsenen Lebewesen wurden frei beweg- lich, sie hüpften und erhoben sich teilweise sogar fliegend in die Luft.
In immer schnelleren Spiralen näherte sich der Mond und traf schliesslich wie ein Streifschuss den Kontinent Lemuria östlich von Madagaskar, drückte ihn in die Tiefe und kam dann selber als Australien zum Stillstand.
Das alles und noch vieles mehr ist in dem 61 Seiten haltenden Büchlein mit grösstem Ernste breit auseinander gesetzt.
Schwippel, Karl, Verbreitung der Pflanzen und Tiere. Naturfreunden gewidmet. Wien 1900. A. Pichler’s Wittwe und Sohn. Preis geheftet Mk. 2,—.
Litteratur-Besprechungen. 459
Das nur 105 Seiten umfassende Büchelehen ist eine durehaus originelle Leistung. Der Verfasser schildert zu- erst die Erdoberfläche: die Gesteine, welche die ursprüng- liche Erdrinde bildeten, dann die Neubildung der sedimen- tären Gesteinsschiehten, die Verwitterung und die daraus entstehenden verschiedenen Bodenarten (S. 1—8). Sodann besprieht er die Existenzbedingungen für Pflanzen und Tiere (S. 8—17): die verschiedenen Klimata und die Mannigfaltig- keit der Standorte, die Vegetationsformationen, Parasitismus und ähnliches. Im dritten Kapitel erhalten wir in kurzen prägnanten Zügen ein Bild von der „Verbreitung und all- mählichen Entwicklung organischen Lebens in der Ver- gangenheit mit Rücksicht auf die fortschreitende Entwick- lung der Erde“ (S. 17—34).
Den eigentlichen Kern des Buches bildet der zweite Teil, „die Verbreitung der Pflanzen und Tiere in der Gegenwart, geographische Verbreitung der Tiere und der Pflanzen (S. 834—83). Den Beschluss macht eine systematische Anz ordnung der Pflanzen und ebenso der Tiere.
Wie- schon gesagt ist die Art der Darstellung sehr knapp und durchaus originell, der Verfasser versteht es in hohem Masse die Organismenwelt in der natürlichen Reihen- folge (soweit wir das beurteilen können) vor unserem Auge entstehen zu lassen. Das Büchelchen wird zweifellos viele Freunde finden, leider ist die Korrektur nicht sehr gewissen- haft ausgeführt: so lese ich z. B. Nautilus, Pompitius; Ma- todon; Probocidia; Oirripodien und Thilobiten.
Günther, Prof. Siegmund, Alexander von Humboldt, Leopold von Buch. Geisteshelden, Biographieen, 39. Bd. Berlin 1900. Ernst Hofmann & Co.
In der bekannten Sammlung von Biographieen „Geistes- helden“ ist soeben der 39. Band erschienen. Professor _ SIEGMUND GÜNTHER (München), ein verdienter Gelehrter, bietet uns darin die Lebensbilder von ALEXANDER VON HUMBOLDT und LEOPOLD von Buch dar, Persönlichkeiten, die nach dem übereinstimmenden Urteil aller, welche sich mit der Geschichte der Naturwissenschaften im 19. Jahr-
460 Litteratur-Besprechungen.
hundert beschäftigen, untrennbar zusammengehören. Beide Männer waren nahezu gleich alt, beide erreichten ein sehr hohes Lebensalter; sie waren aus gleichen Lebensbeding- ungen hervorgegangen und in der gleichen Schule heran- gebildet; und auch in ihrem späteren Leben standen sie unausgesetzt in engsten Wechselbeziehungen. ALEXANDER von HumsoLpr wird als der grosse und kühne Reisende gezeichnet, der kaum mit Unrecht als zweiter Entdecker Süd- und Mittelamerikas gefeiert wird; als der Begründer einer die Gesetzmässigkeit durch das ganze Universum ver- folgenden „Weltphysik“; als der geniale Lehrer, dessen „Kosmos“-Vorträge den Deutschen zuerst von einer höheren, die Trockenheit der Schulgelehrsamkeit abstreifenden Dar- stellung der Wissenschaft Kunde gegeben. Er erscheint als ein Polyhistor im edelsten Sinne des Wortes, der den Blick der Zeitgenossen von der Einzelforschung auf die grossen, einigenden Gesichtspunkte lenkte. Und neben ihm steht LEoPoLD von Buch, der Vater der modernen Geologie, als der bewusste Vertreter der mühevollen Ergründung der durch die Natur selbt dem Menschen vorgelegten Probleme. Auch er ging ebensowenig ganz in dem von ihm meisterhaft beherrschten Detail auf, sondern war stets bemüht, sich von ihm zu verallgemeinernden Einsichten zu erheben. Es ist der Zweck des trefiflichen Buches darzuthun, wie beide Männer, die Dioskuren im Kampfe der exakten Naturforschung mit der in geistreichen Gedankenbildern schwelgenden Natur- philosophie, sieh gegenseitig vorzüglich ergänzt und vereint ihrem Volke die kaum erhoffte Möglichkeit verschafft haben, eine führende Rolle auf diesem Gebiete zu spielen. Obwohl der vornehm ausgestattete und mit den Bildnissen der beiden Forscher geschmückte Band 280 Seiten umfasst, ist der Preis auf Mk. 2,40 (gebunden Mk. 3,20) festgesetzt.
Sammlung Göschen. Nr. 123, Nutzpflanzen von Dr. J. Behrens. Mit 53 Figuren. G.J. Göschen’s Verlagshandlung in Leipzig. In elegantem Leinwandband Preis Mk. 0,80.
Dem Bedürfnis nach einer Darstellung der wichtigsten
Nutzpflanzen kommt das vorliegende Bändehen entgegen.
Litteratur-Besprechungen. 461
das nacheinander die Nahrungsmittel (Zueker und Stärke) liefernden Pflanzen, das Obst, die Genussmittel liefernden und die Gewürzpflanzen, die Oel- und Faserpflanzen, die Lieferanten von Kautschuk und Guttapercha, ätherischen Oelen und Harzen, von Farbstoff und Gerbematerialien be- handelt. In jeder dieser Kategorien wird die eine oder andere der wiehtigsten Nutzpflanzen als Typus ausführlich geschildert, wobei auch die Art des Vorkommens ihres Produktes, der Gewinnung und Bereitung desselben berück- siehtigt wird. Die weniger wichtigen Nutzpflanzen werden dann im Anschluss an diese Typen weniger ausführlich be- handelt. Weitergehende botanische und chemische Kennt- nisse setzt das Büchlein nicht voraus.
Sammlung Göschen. Nr. 124, Pflanzenbiologie von Prof. Dr. W. Migula. Mit 50 Figuren.
In diesem 131 Seiten umfassenden Büchlein erfahren wir alles nötige über geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung, Kreuzung und Selbstbefruchtung, die Ueber- tragung des Pollens, die Verbreitung der Pflanzen, über Sehutzeinriehtungen und Anpassungserscheinungen, Sapro- phyten und Parasiten, über die Symbiose, über insekten- fressende Pflanzen, und schliesslich über das Verhältnis zwischen Pflanzen und Ameisen. Die Abbildungen sind gut sewählt und die Darstellung sehr fliessend und angenehm zu lesen.
Eckstein, Prof. Dr. Karl, Der Kampf zwischen Mensch und Tier. Aus Natur- und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens. 18. Band. Leipzig, Verlag von B. G. Teubner. Geschmaekvoll gebd. Preis Mk. 1,15.
Der Kampf zwischen Mensch und Tier, den ECKSTEIN zum Gegenstand seines gemeinverständlichen Buches ge- wählt hat, ist kein körperlieher Kampf, sondern ein Kampf des menschlichen Geistes gegen uns schädliche Organismen, deren gutes Gedeihen immer einen Schaden für unsere
462 Litteratur-Besprechungen.
Person, unsere Haustiere, unsere Pflanzungen oder Vorräte bedeutet. Der Erfolg dieses Kampfes beruht in erster Linie auf stetig fortschreitender Erkenntnis: erst müssen wir den Feind kennen, der uns und unser Eigentum schädigt, dann müssen wir seinen Lebensgang bis in das kleinste Detail erforschen und nun erst können wir beginnen, uns vor ihm zu bewahren oder gegen ihn anzukämpfen.
Es wird kaum jemand geben, der das Büchlein, wenn er es zu Gesicht bekommt, nicht mit grösstem Interesse und mit wirklichem Nutzen durchlesen wird. Zum Beweise für diese Behauptung brauche ich nur die Kapitelübersehriften aufzuzählen: 1. Der Hirt und Jäger im Kampfe gegen Tiere. 2. Der Kampf der Landwirte gegen seine tierischen Feinde. 3. Der Kampf gegen die Zerstörer unserer Vorräte. 4. Der Kampf des Forstmannes gegen die tierischen Schädlinge seines Waldes 5. Der Kampf des Fischers und Fisch- züchters gegen ihre Feinde. 6. Der Kampf gegen Parasiten. 7. Der Mensch im Kampfe gegen giftige Tiere. 8. Was ist nötig, dass der Mensch als Sieger aus dem Kampfe hervor- sehe? 9. Welche Mittel der Verteidigung stehen dem Tiere zur Verfügung? 10. Welche Hilfe bietet die Natur dem Mensehen im Kampfe gegen die Tiere? 11. Unbeständigkeit des Sieges und Folgen des Kampfes. Dr. &. Brandes.
Bade, Dr. E., Der Schleierschwanz und Teleskop- schleiersehwanz, ihre Zucht und Pflege und die Be- urteilung ihres Wertes. Mit fünf Tafeln nach photo- graphischen Aufnahmen lebender Fische und 19 Abbildg. im Texte. Creutz’sche Verlagsbuchhandlung, Magdeburg. Preis Mk. 0,75. |
Den zahlreiehen Liebhabern obiger herrlichen, jetzt leicht und billig zu erhaltenden Goldfischabarten ist durch dieses Büchlein eine zuverlässige, stiehhaltige Anleitung über Pflege und Zueht desselben für einen billigen Preis gegeben worden; ausserdem ist aber auch hierin der erste
Versuch veröffentlicht worden, die Bewertung des Schleier-
schwanzes und Teleskopschleierschwanzes nach bestimmten
Punkten festzusetzen. Die Wertbeurteilung, die sonst stets
Litteratur-Besprechungen. 463 nur vagen Schätzungen unterlag und besonders den Preis- richtern auf Ausstellungen nach ihrem Geschmack überlassen blieb, ist in feststehenden Punkten zusammengefasst. Aller- dings erscheint auch der Verfasser, der als vormaliger lang- jähriger Redakteur der „Blätter für Aquarien- und Terrarienfreunde“ in Fühlung mit den namhaftesten Züchtern des In- und Auslandes gestanden hat, die ge- eignetste Persönlichkeit für einen solchen Bewertungsver- such. Wir können das Büchlein rückhaltslos empfehlen.
Geyer, Wilhelm, Katechismus für Aquarienliebhaber. Fragen und Antworten über Einrichtung, Besetzung und Pflege des Süss- und Seewasseraquariums, sowie über Krankheiten, Transport und Züchtung der Aquarienfische. Vierte, von seinem Sohne Hans Geyer besorgte Auflage. Mit dem Bildnis des Verfassers, einer Farbentafel, vier Schwarzdrucktafeln und 84 Textabbildungen. Creutz’sche Verlagsbuchhandlung, Magdeburg. Preis Mk. 1,30, gebd. Mk. 2,40.
Der Verfasser empfing infolge seines Verkehres mit Aquarienliebhabern im Laufe der Jahre eine sehr grosse Anzahl von Anfragen und Bitten um Raterteilung, deren meist umgehend erwartete Erledigung ihm nieht immer möglich war. Zudem gestattete die knapp bemessene Zeit selten die Gründlichkeit der Antworten, welehe das Inter- esse der Fragesteller beanspruchte. Aus diesen Umständen entschloss er sich denn, möglichst alle in Bezug auf Aquarien, deren Einrichtung, Besetzung und Pflege sich ergebenden Fragen selbst aufzustellen und solche zutreffend und auf Grund eigener Erfahrungen zu beantworten. Wenn man ermisst, dass von diesem Büchlein in kurzer Zeit vier starke Auflagen trotz des relativ nicht sehr umfangreichen Interessentenkreises notwendig geworden sind, so wird man den Wert der darin erteilten Ratschläge richtig zu würdigen vermögen. Die Ausstattung schliesst sich dem Inhalte voll an, sie ist gediegen und durchaus lem der Preis ein sehr bescheidener.
464 Litteratur-Besprechungen.
Jühling, Johannes, Die Tiere in der deutschen Volks- medizin alter und neuer Zeit. Mit einem Anhange von Segen ete. Nach den in der königlich öffentlichen Bibliothek zu Dresden vorhandenen gedruckten und un- gedruckten Quellen. Mit einem Geleitworte von Hofrat Dr. med. Höfler, Bad Tölz. Mittweida, Polytechnische Buchhandlung (R. Sehulze), 1900. Preis broschiert Mk. 6,—.
Das vorliegende umfangreiche Buch (355 Seiten) will nach der Angabe des Autors nichts weiter sein als ein Nachsehlagebuch für Forscher auf dem Gebiete der Volks- kunde in erster Linie, ebenso aber auch auf dem der Ge- sehiehte der Medizin und der Kulturgeschichte In dem Geleitworte führt Hofrat HöFLER aus, inwiefern derartige Zusammenstellungen von grösstem Werte sind. Hinter jedem Volksmittel (sei es hergenommen von irgend einem Tier oder bestehe es in schwerverständlichen Sprüchen) stecke ein Stück Kulturgeschiehte, nieht etwa ein vermeintlicher Unsinn des sogenannten Aberglaubens.. „Wer es enträtseln kann, liefert einen wertvollen Beitrag zur Kulturgeschichte der Menschheit.“ Jedenfalls ist es höchst interessant, zu sehen, welche Unmenge von Volksrezepten existieren, die Bestandteile der verschiedenartigsten Tiere (vom Affen herab bis zu den Insekten) oder Produkte von ihnen als Heilmittel für die mannigfaltigsten Krankheiten und Ge- brechen empfehlen.
Das Tierleben der Erde von Wilhelm Haacke und Wilhelm Kuhnert. 3 Bände. Mit 620 Textillustrationen und 120 ehromotypographischen Tafeln. Berlin, Martin Oldenbourg, 1900. In 40 Lieferungen zu je Mk. 1,—.
Von diesem bereits auf Seite 141 angekündigten Pracht- werke liegst uns die vierte und fünfte Lieferung vor. Wir nehmen gern Gelegenheit, unsere Leser auf die Schönheit der beigegebenen farbigen Tafeln hinzuweisen. Es finden sich auf ihnen von der Meisterhand Kunnerr's dargestellt: ein paar Hamster im Kornfelde, der Wüstenfuchs (Fenneh), die Wüstenspringmaus (Dipus), die Hornviper, die Siedler- Agame, der Pillenkäfer (Scarabaeus), ein Wisentstier und
Litteratur-Besprechungen. 465
ein Königstiger mit einer Kuhantilope. Der Text fährt fort in der Schilderung des Tierlebens der Wälder, Baum- pflanzungen und Gebüsche Europas, es wird das Kapitel über Vögel abgeschlossen und ausserdem die Reptilien und Amphibien, Käfer und Hautflügler behandelt. Auch die Textfiguren sind vorzüglich gezeichnet und reproduziert.
Auf den Inhalt können wir erst näher eingehen, wenn nach Beendigung des ersten Bandes ein einigermassen ab- seschlossenes Ganze vorliegt.
Wolterstorff, Dr. W., Ueber ausgestorbene Riesen- vögel. Mit 2 Abbildungen. Stuttgart, Verlag von Erwin Nägele, 1900. Preis Mk. 0,60.
Das Magdeburger Museum, dem der Autor obiger Schrift als Kustos vorsteht, hat das seltene Glück gehabt, gleich- zeitig zwei prächtige Skelette von Moas zu erhalten, deren Aufstellung WOLTERSTORFF Veranlassung gaben, in über- siehtlieher Form alles allgemein interessierende über die ausgestorbenen Vogelriesen Neu-Seelands, Madagaskars und Patagoniens zur Darstellung zu bringen.
Nach einer allgemeinen Einleitung über ausgestorbene Tiere überhaupt, wendet sich WOLTERSTORFF zu der Sehilderung Neu-Seelands, dessen Pflanzen- und Tierwelt er kurz charakterisiert, um sodann die interessante Ent- deekungsgeschichte der Moas wiederzugeben. Diese belehrt uns gleichzeitig über den Bau, die Befiederung, die Eier und die Embryonen der verschwundenen Riesenvögel. Be- sonders interessieren werden die Mitteilungen über die srosse Anzahl der auf dem verhältnismässig kleinen Neu- Seeland gefundenen Moa-Arten. Von einzelnen Forschern werden nicht weniger als 25 Arten unterschieden, deren Grösse zwischen 90 cm und 3'!/; m schwankt. Es werden sodann die Fragen erörtert: Wie lebten die Moas? In welchem Verhältnis stand der Mensch zu ihnen? Wann traten sie auf und wann sind sie aus der Reihe der Lebenden verschwunden ?
Daran schliessen sich Mitteilungen über den in histo- rischer Zeit noch lebend angetroffenen rallenartigen Vogel
Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 73, 1900. 30
466 Litteratur-Besprechungen.
„Notornis Manteli“, über den längst verschwundenen srossen Verwandten der Enten, Onemiornis und den riesigen früheren Raubvogel Neu-Seelands, Harpagornis. Der Autor möchte zur Erklärung dieses Aussterbens einer grossen An- zahl stattlicher Vögel in verhältnismässig junger Vergangen- heit die allmähliche Abnahme des Flächengehaltes von Neu-Seeland und die Unmöglichkeit in andere Gegenden bei Klimawechsel zu wandern, heranziehen.
In ein paar besonderen Kapiteln werden sodann die Parallelen gezogen, die uns die ausgestorbene Vogelwelt Madagaskars und Patagoniens bieten.
Wir können die Lektüre der kleinen Schrift, dem die photographischen Abbildungen der beiden im Magdeburger Museum aufgestellten Moa-Skelette (Dinornis robustus mut- masslich Dinornis maximus — giganteus Z und Pachyornis elephantopus Ow.) zur Zierde gereichen, unseren Lesern warm empfehlen. Dr. G. Brandes.
Neu erschienene Werke.
Mathematik und Astronomie.
Fuhrmann, A., Anwendungen der Infinitesimalrechnung in den Natur- wissenschaften, im Hochbau und in der Technik. Lehrbuch und Aufgabensammlung. (In 6 Teilen.) Teil I: Naturwissenschaftliche Anwendungen der Differentialrechnung. 2. Auflage. Berlin 1900. gr.8. 18 und 239 pg. mit 28 Holzschnitten. 6,— Mk.
Bisher erschien in 1. Auflage Teil II und III: Naturwissenschaftliche Anwend- ungen der Integralrechnung und bauwissenschaftliche Anwendungen der Difierential- rechnung. 1890—99. 279 und 364 pg. mit 135 Holzschnitten. 11,— Mk,
Scheffers, &., Anwendung der Differential- uud Integralreehnung auf Geometrie. 2 Bände. Leipzig 1900. gr. Ss. Mit zahlreichen Holz- schnitten. — Unter der Presse. — Preis ca. 16,— Mk.
Sobotka, J., Beitrag zur Perspektive des Kreises und anschliessend zur Konstruktion der Axen und Kreisschnitte für Flächen zweiten Grades. Wien (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 32 pg. mit 1 Tafel.
0,90 Mk.
Ristenpart, F., Verzeichnis von 329 Sternkatalogen. (Aus: Valentiner,
Handwörterbuch der Astronomie.) Breslau 1900. gr. 8. 40 pg. 2,— Nk.
Finsterwalder, S., Ueber die Konstruktion von Höhenkarten aus Ballonaufnahmen. München (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 16. pg. mit 1 Tafel und 3 Holzschnitten. 1,— Mk.
Meyer, M. W., Die Königin des Tages und ihr Reich. Astronomische Unterhaltungen über unser Planetensystem und das Leben auf anderen Erdsternen. 2. Auflage. Teschen 1900. 8. 4,50 Mk.
Helmert, F.R., Zur Bestimmung kleiner Flächenstücke des Gooids aus Lothabweichungen mit Rücksicht auf Lothkrümmung. Mitteilung. Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr.8. 19 pg. 1,— Mk.
Hübl, A.v., Die photogrammetrische Terrainaufnahme. Wien (Mitteil. milit.-geograph. Inst.) 1900. gr. 8. 68 pg. mit 5 Tafeln und Holz- schnitten. 1,20 Mk.
30*
468 Neu erschienene Werke.
Physik und Chemie.
Riedler, A, Kompressoren. Neuere Maschinen zur Verdichtung von Luft und Gas. München 1900. gr. 8. Mit 274 Abbild. 4,— Mk-
Giltay, E., Das Sehen, besonders mit Rücksicht auf den Gebrauch optischer ns — siehe No. 2327.
Goethe. — König, W., Goethe’s optische Studien. Frankfurt a. M. 1900. gr.8. 32 pg. 1,— Mk.
Danneberg, R., Ueber die festen Agregatzustände des Wassers, unter besonderer Berücksichtigung der Gletschertheorie. Leipzig 1899. 8. 55 PS-
Dörge, O., Eine Studie über Seifenblasen. (Elektrischer Kreisprozess.) Leipzig 1899. 8. 21 pg. mit 3 Holzschnitten. 1,— Mk.
Robel, E., Die Sirenen. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Akustik. (5 Teile) Teil IV: Die Analyse der Syrenenklänge. Berlin 1900. 4. 40 pg. mit 1 Tafel. 1,— Mk-
Teil I—III. 1891—95. 29, 34 und 32 pg. 3,20 Mk.
Acetylen in Wissenschaft und Industrie. Zentralorgan für die Ge- samtinteressen der Acetylen- und Carbidtechnik. Herausgegeben von M. Altschul und K. Scheel. Halle a.S. 4. Mit Abbildungen. — Jahr- gang Ill: 1900 (24 Nrn). 16,— Mk.
Assmann, R. und Berson, A., Wissenschaftliche Luftfahrten, aus- geführt vom Deutschen Verein zur Förderung der Luftschifffahrt in Berlin. Unter Mitwirkung von 0. Baschin, W. von Bezold, R. Börn- stein, H. Gross, V. Kremser, H. Stade und R. Süring. Drei Bände. Braunschweig 1900. gr. 4. 377, 706 und 312 pg. mit 59 Karten, 4 Tafeln, 6 farbigen Vollbildern und 349 Abbildungen. 100,— Mk.
Bezold, W.v., Theoretische Betrachtungen über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Luftfahrten des Deutschen Vereins zur Förderung der Luftschifffahrt in Berlin. (Aus: Assmann und Berson, Wissen- schaftliche Luftfahrten.) Braunschweig 1900. gr. 4. 31 pg. mit 17 Ab-
bildungen. 1,— Mk. Manning, G.L., Beitrag zur Kenntnis der Absorption des Lichtes. Berlin 1900. 8. 28 pg. mit 3 Holzschnitten. 1,20 Mk. Lessing, A., Ueber die Elastizität einiger Kupfer-Nickel-Legierungen. Berlin 1900. 8. 32 pg. mit 1 Holzschnitt. 1,20 Mk. Pacher, P., Die Kraft ist keine Eigenschaft des Stoffes. Wien 1900. gr.8. 8 und 34 pg. 1,— Mk.
Debes, E., Physikalisch - politische Schulwandkarte der Erde in Mer- cator’s Projektion. 2. Auflage. Leipzig 1900. 4 kolorierte Karten (8 Blätter), 1,60 : 2,50 m. Aufgezogen mit Stäben. 21,— Mk.
Beiträge zur Kenntnis der atmosphärischen Elektrizität. V: Mache, H., Beobachtungen in Indien und Ober-Aegypten. Wien (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr.8. 39 pg. mit 1 Tafel und 2 Holzschn. 1,— Mk.
I—IV. 1899. 124 pg. mit 3 Tafeln und 13 Holzsebnitten. 2,70 Mk.
Graetz, L., Das Licht und die Farben. Leipzig 1900. 8. 6 und
150 pg. mit 113 Abbildungen. 0,90 Mk.
Neu erschienene Werke. 469
Holborn, L. und Day, A., Ueber die Ausdehnung von Platin, Platiniridium, Palladium, Silber, Nickel, Eisen, Stahl und Constantan in hoher Temperatur. Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr. 8. 5 pg.
0,50 Mk. Mache, H., Ueber die Regenbildung. Wien (Sitzungsb. Akad.) 1900. gt.8. 6pg. 0,20 Mk.
Mülfarth, P., Ueber Adsorption von Gasen an Glaspulver. Bonn 1900. 8. 65 pg. mit 2 Holzschnitten.
Vodusek, M., Ebbe und Flut. Laibach 1900. 8. 12 pg.
Volta, A., Briefe über tierische Elektrizität (1792). Herausgegeben von A.J.v. Oettingen. Leipzig 1900. 8. 161 pg. Leinenband. 2,50 Mk.
Wiener, O., Die Erweiterung unserer Sinne. Leipzig 1900. gr. 8. 43 pg. 1,20 Mk.
Bericht über das chemisch-hygienische Untersuchungsamt der Stadt Stralsund (zugleich amtliche Nahrungsmittel-Untersuchungsstation für Kreis Grimmen) für die Zeit vom 1. April 1894 bis 31. März 1899. Von A. Schlicht. Stralsund 1900. gr.8. 3 und 89 pg. 2.— Mk.
Centralblatt für Bakteriologie. Abteilung II. Allgem., landwirtsch.- technol. Bakteriologie, Gährungsphysiologie und Pflanzenpathologie. Herausgegeben von O. Uhlworm und E.C. Hansen. Band VI. 1900.
(26 Nrn.) Jena. gr.8. Mit Tafeln. 20,— Mk. Jaubert, G. F., Matieres odorantes artifieielles. Paris 1900. 8. 190 pg. 2,20 Mk.
Van’t Hoff, J.H., Meyerhoffer, W., Donnan, F.G. u. A., Unter- suchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzab- lagerungen, insbesondere des Stassfurter Salzlagers. Mitteilung 16 und 17: Das Magnesiumkaliumsulfatfünfviertelhydrat und eine Be- ziehung in der Zusammensetzung der bei 25° an Chlornatrium Chlor- kalium gesättigten Lösungen, von N. Kassatkin und H. A. Wilson.
Berlin (Sitzungsb. Akad.) 1900. gr.8. 3 und 2 pg. 0,50 Mk.
Mitteil. 4—7, 9—11, 13—15. 1897—99. 114 pg. mit 2 Taf In und 7 Holzschnitten 7,— Mk. — Mitteil. 8 und 12 als Sonderdruck nicht erschienen.
Wilbrand, F., Ueber Ziel und Methode des chemischen Unterrichts. Ein Beitrag zur Methodik. 2. Auflage. Hildesheim 1900. gr. 8. 3 und 58 pg. 1,20 Mk.
Bonne, @., Die Wichtigkeit der Reinhaltung der Flüsse, erläutert an dem Beispiel der Unterelbe bei Hamburg-Altona. Leipzig 1900. 8.
1,— Mk. Degener, P., Das Kohlebrei-Verfahren (zur Reinigung der Abwässer). Leipzig 1900. 8. 0,50 Mk.
Lassar-Cohn, Die Chemie des täglichen Lebens. Gemeinverständliche Vorträge. 4. Auflage. Hamburg 1900. Ss. 8 und 320 pg. Mit 22 Abbildungen. Leinenband. 4,— Mk.
Lebbin, G., Verkehr mit Heilmitteln und Giften im Deutschen Reiche. Ein Kommentar zu den kaiserlichen Verordnungen über den Verkehr mit Arzneimitteln und dem Bundesratsbeschluss betreffend den Ver- kehr mit Giften. Berlin 1900. 8. 7,— Mk.
470 Neu erschienene Werke.
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Hosaeus, A. und Weidenhammer, R., Grundriss der landwirt- schaftlichen Mineralogie und Bodenkunde. Fünfte verbesserte Auf-
lage. Leipzig 1900. 8. 1,20 Mk. Reiser, F., Das Härten des Stahles in Theorie und Praxis. 3. Aufl. Leipzig 1900. gr.8. 8 und 128 pg. 3,— Mk.
Heilsberg, A., Ein Lehrplan für die Mineralogie im Obergymnasium. Wien 1900. 8. 26 pg.
Carol, J., La Nouvelle-Caledonie miniere et agrieole. Paris 1900. 8. 24 et 121 pg. 2,— Mk.
Frech, F., Ueber Ergiebigkeit und voraussichtliche Erschöpfung der Steinkohlenlager. (Aus: Lethaea palaeozoica.) Stuttgart 1900. gr. 8. 18 pg. 0,40 Mk.
Geschichte des Mansfeld’schen Kupferschieferbergbaues und Hütten- betriebes. Festschrift zur Feier des 700 jährigen Jubiläums. Eisleben 1900. gr.8. 4 und 98 pg. mit 2 graph. Darstellungen. 3,— Mk.
Tornquist, A, Das Vicentinische Triasgebirge. Eine geologische Monograpbie. Herausgegeben mit Unterstützung der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Stuttgart 1900. gr.8. 8 u. 195 pg. mit 2 Karten, 16 Tafeln und 10 Abbildungen. 12,— Mk.
Walther, J., Das Gesetz der Wüstenbildung in Gegenwart und Vor- zeit. Herausgegeben mit Unterstützung der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1900. Lex. 8. 14 u. 175 pg. mit 46 Lichtdruckbildern und 4 Autotypien. Gebunden. 12,— Mk.
Lorenz von Liburnau, L., Ueber einige Reste ausgestorbener Primaten von Madagaskar. Wien (Denkschr. Akad.) 1900. 4. 15 pg. mit 3 Tafeln und 6 Abbildungen. 4,60 Mk.
Martin, K., Die Einteilung der versteinerungsführenden Sedimente von Java. Leiden (Sammlung geolog. Reichsmuseums) 1900. gr. 8. 102 pg.
Roger, O., Wirbeltierreste aus dem Dinotheriensande (der Bayerisch- Schwäbischen Hochebene.) Teil III. Augsburg (Bericht Naturwiss. Ver.) 1900. 8. 18 pg. mit 1 Tafel. 3,— Mk.
Teil I und II. 1895. 46 und 14 pg. mit 3 Tafeln. 5,20 Mk.
— , Ueber Rhinoceros Goldfussi Kaup und die anderen gleichzeitigen Rhinocerosarten. Augsburg (Bericht Naturwiss. Vereines) 1900. 8. 52 pg. mit 2 Tafeln. 3,— Mk.
Nopesa, F., Dinosaurierreste aus Siebenbürgen (Schädel von Limno- saurus transsylvanieus nov. gen. et sp.). Wien (Denkschrift Akad.) 1899. gr.4. 37pg. Mit 6 Tafeln. 6,20 Mk.
Zoologie.
Gu6ricolas, R., De Hermaphroditisme chez ’Homme et les Animaux sup6rieurs. Lyon 1899. 8. 102 pg. Avec figures.
Neu erschienene Werke. 471
Heck, L., Lebende Bilder aus dem Reiche der Tiere. Augenblicks- aufnahmen nach dem lebenden Tierbestande des Berliner zoologischen Gartens. 192 Abbildungen mit erklärenden Unterschriften. Einseitig bedruckte Ausgabe. Berlin 1900. Quart, Fol. 200 pg.
Skytogenband 30,— Mk., in Maroquinband 50,— Mk.
ann, J., Taschenbuch für Vozdıemdls Eine Sehens der öimilesion in Mitteleuropa heimischen Vögel. (In 7 Lieferungen.) Stuttgart 1900. 8. 2 schwarze und 56 kolorierte Tafeln mit er- läuterndem Text. — Lieferung 1: 2 schwarze u. 8 kolorierte Tafeln mit Text (8 und 16 pg.). Jede Lieferung 0,70 Mk.
Danziger, F., Schädel und Auge. Eine Studie über die Beziehungen zwischen Anomalien des Schädelbaues und des Auges. Wiesbaden 1900. gr.8. 5 und 56pg. Mit 3 Tafeln. 2,80 Mk.
Fischel, A., Ueber die Regeneration der Linse. Wiesbaden (Anat. Hefte) 1900. gr.8. 255 pg. Mit 9 kolorierten Tafeln.
Causeries seientifiques de la Soeiet& Zoologique de France. Annde 1900. Nos. 3-5. Paris. gr. in-8. Aveec Aplanches et 75 figures.
8,80 Mk. No. 3: Vignon, P., Les Cils vibratiles. pg. 37—76 avee Sfigures. 2,40 Mk. — No.4: Guiart, J., Les Mollusques tectibranches, pg. 77—132 avec 4 planches et 55 figures. 4,— Mk. — No.5: Blanchard, R., Les Eceeidies et leur röle pathogene. pg. 133—172 avec 12 figures, 2,40 Mk. Nos. 1 et 2, 36 pg. aveo 2 planches et li figures. 4,50 Mk.
Wuthe, W., Ueber den Einfluss der Rübenmelasse und einige ihrer Präparate auf die Milchsekretion. Breslau 1900. 8. 88 pg.
Bastian, A., Die humanistischen Studien in ihrer Behandlungsweise nach komparativ-genetischer Methode auf naturwissenschaftlicher Unterlage. Prolegomena zu einer ethnischen Psychologie. Berlin 1900. 8. 192 pg. 3,— Mk.
Blasius, W., Die anthropologische Litteratur Braunschweigs und der Nachbargebiete mit Einschluss des ganzen Harzes. Braunschweig 1900. gr.8. 231 pg. 4,— Mk.
Montelius, O., Der Orient und Europa. Einfluss der orientalischen Kultur auf Europa bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. Herausgegeben von der königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm. Deutsche Uebersetzung von J. Mestorf. Heft 1. Berlin 1900. gr. 8. 186 pg. mit zahlreichen Abbildungen. 6,— Mk.
Rörig, A., Ueber Geweihentwicklung und Geweihbildung. Teil I und II: Die phylogenetischen Gesetze der Geweihentwicklung; die Geweihentwicklung in histologischer und histogenetischer Hinsicht. Leipzig (Arch. Entwicklungsmech.) 1900. gr. 8. 120 pg. mit 9 Tafeln (1 koloriert).
Schriever, O., Die Darmzotten der Haussäugetiere. Beitrag zu deren vergleichenden Anatomie, Histologie und Topographie. Giessen 1899. 8. 55 pg.
Collmann, B., Fünf Fälle von Balantidium coli im Darm des Menschen. Königsberg 190). 8. 29 pg. 1,50 Mk.
#72 Neu erschienene Werke.
Botanik.
Winter, @., Rehm, H., Fischer, A., u. A., Die Pilze Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz. Leipzig 1900. gr. 8. Mit zahlreichen Abbildungen. — Lieferung 69 und 70 (Abteilung VI: Fungi imper- fecti, bearbeitet von A. Allescher. Lieferung 11 und 12): pg. 641
bis 768. Jede Lieferung 2,40 Mk. Brunet, R., Les Maladies et Insectes de la Vigne. Paris 1960. 8. 228 pg. Avec 12 planches colorees et 33 figures. 4,— Mk.
Schulze, O., Untersuchungen über die Strahlenpilzformen des Tuber- kuloseerregers. Leipzig (Zeitschr. Hygiene) 1899. 8. 36 pg. Mit 1 kolorierten Tafel in-4. 2,— Mk..
Braun, K., Ueber Veränderungen im Gewebe entlaubter Stengel und Zweige. Erlangen 1899. 8.
Heintzel, K., Kontagiöse Pflanzenkrankheiten ohne Mikroben unter besonderer Berücksichtigung der Mosaikkrankheit der Tabaksblätter. Erlangen 1900. 8. 46 pg. mit 1 Tafel.
Hirschweh, H., Aldehydbildung in grünen Blättern bei verschiedener Belichtung. Erlangen 1900. 8. 44 pg.
Kronfeld, M., Studien über die Verbreitungsmittel der Pflanzen. Teil I: Windfrüchtler. Leipzig 1900. 8. 42 pg. mit 5 Abbildungen.
1,— Mk.
Paratore, E., Ricerche istologiche sui tubercoli radicali delle Legu- minose. Genova 1900. 8. 26 pg. c. 1 tavola.
Berg, E., Studien über den Dimorphismus von Ranunculus Ficaria. Erlangen 1900. 8. 47 pg.
Bensis, W., Recherches sur la Flore vulvaire et vaginale chez la femme enceinte. Paris 1900. gr. in-8. 103 pg.
Honcamp, F., Beiträge zur Athmung und Wärmeentwicklung der Schimmelpilze, mit Berücksichtigung der Pflanzenathmung im allge- meinen. Erlangen 1899. 8. 99 pg.
Lauterbach, C. und Schumann C., Flora der Deutschen Schutzge- biete in der Südsee. Berlin 1900. Lex. 8. Mit zahlreichen Tafeln und Abbildungen. — Unter der Presse. — Preis ca. 40,— Mk.
Druck von Ehrhardt Karras, Halle a. S.
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_ Verlag an Kewin Nägele. in Stuttgart.
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Bemerkungen über die Geologie von Australien und dem Cap der gu Hoffnung. Mit 1 Karte und 14 Holzschnitten. 1899. Bisher Mk. 4,
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