DIE KULTUR DER GEGENWART
heraUvSgbciebp:n von paul hinneberq
ZELLEN» UND GEWEBELEHRE
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MÖI^mOLÖDlE UND
ENTWiCkLUNtJSGESCHICHTE
L; BOTANISCHER TEIL
VERLAQ VON B.G. TEUBNEK IN LEIPZIG UND BKRLIN
MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY.
Received J^o^^^^er 13, 1935
Accession No. 45327
Given by pr, Jö seph C. Herrick
Dio^^ Chn.rch of St. Mary Mag
Place, New York Gl ty
*;j.*]*lo book oP Pamphlet is to be pemoved fpom ihe Uab-
OPatopy uaithout ttoe pepmission ot tbe Trustees.
dale
DIE KULTUR DER GEGENWART
IHRE ENTWICKLUNG UND IHRE ZIELE
HERAUSGEGEBEN VON PROF. PAUL HINNEBERG
In 4 Teilen. Lex.-8. Jeder Teil in inhaltlich vollständig in sich abgeschlossenen
und einzeln käuflichen Bänden (Abteilungen). Geheftet und in Leinwand ge-
bunden. In Halbfranz gebunden jeder Band M. 2. — mehr.
Die „Kultur der Gegenwart" soll eine systematisch aufgebaute, geschichtlicla be-
gründete Gesamtdarstellung unserer heutigen Kultur darbieten, indem sie die Fundamen-
talergebnisse der einzelnen Kulturgebiete nach ihrer Bedeutung für die gesamte Kultur der
Gegenwart und für deren Weiterentwicklung in großen Zügen zur Darstellung bringt. Das Werk
vereinigt eine Zahl erster Namen aus allen Gebieten derWissenschaft und Praxis
und bietet Darstellungen der einzelnen Gebiete jeweils aus der Feder des dazu Berufensten in
gemeinverständlicher, künstlerisch gewählter Sprache auf knappstem Räume.
Seine Majestät der Kaiser hat die Widmung des Werkes Allergnädigst anzunehmen geruht.
Prospekthefte werden den Interessenten unentgeltlich vom Verlag B. G. Teubner in Leipzig, Poststr. 3 , zugesandt.
I. Teil. Die geisteswissenschaftlichen Kulturgebiete, i. Hälfte. Religion
und Philosophie, Literatur, Musik und Kunst (mit vorangehender Einleitung
zu dem Gesamtwerk). [14 Bände.]
(* erscbi
*Die allgemeinen Grundlagen der Kultur der
Gegenwart. (I, 1.) 2. Aufl. [XIV u. 716 S.] 1912.
M. 18.—, M. 20.—
Die Aufgaben und Methoden der Geistes-
wissenschaften. (I, 2.)
♦Die Religionen des Orients und die altgerman.
Religion. (I, 3, i.) 2. Aufl. 1913. [U. d. Presse.]
ca. M. 7. — , M. 9. —
Die Religionen des klassisch. Altertums. (1,3,2.)
»Geschichte der christlichen Religion. MitEin-
leitg. : Die israelitisch-jüdische Religion, (1, 4, i.)
2. Aufl. [X u. 792 S.] 1909. M. 18.—, M. 20.—
♦Systematische christliche Religion. (1,4, 2.)
2., verb. Aufl. [VIII u. 279 S.] 1909. M. 6.60, M.8.—
♦Allgemeine Geschichte der Philosophie. (I, 5.)
2. Auflage. 1913. [U. d. Presse.] ca. M. 12.— , M. 14. —
•Systematische Philosophie. (I, 6.) 2. Auflage.
[X u. 435 S.] 1908. M. 10.—, M. 12.—
♦Die orientalischen Literaturen. (I, 7.) [IX u. 419 S.]
1906. M. ID.— , M. 12. —
enen.)
♦Die griechische und lateinische Literatur und
Sprache. (1,8.) 3. Auflage. [VIII u. 582 S.] 1912.
M. 12.—, M. 14. —
♦Die osteuropäischen Literaturen und die
slawischen Sprachen. (I, 9.) [VIII u. 396 S.]
1908. M. 10. — , M. 12. —
Die deutsche Literatur und Sprache. (I, 10.)
♦Die romanischen Literaturen und Sprachen.
Mit Einschluß des Keltischen. (I, 11, i.) [VIII u.
499 S.] 1908. M. 12.— , M. 14. —
Englische Literatur und Sprache, skandina-
vische Literatur und allgemeine Literatur-
wissenschaft. (I, II, 2.)
Die Musik. (I, 12.)
Die orientalische Kunst. Die europäische
Kunst des Altertums. (I, 13.)
Die europäische Kunst des Mittelalters und der
Neuzeit. Allgemeine Kunstwissenschaft. (1,14.)
II. Teil. Die geisteswissenschaftlichen Kulturgebiete. 2. Hälfte. Staat und
Gesellschaft, Recht und Wirtschaft. [10 Bände.]
(♦ erschienen.)
Völker-, Länder- und Staatenkunde. (IT, i.)
♦AUg. Verfassungs- u. Verwaltungsgeschichte.
(II, 2, I.) [VIII u. 375 S.] 19H. M. 10.—, M. 12.—
Staat und Gesellschaft des Orients von den An-
fängen bis zur Gegenwart. (II, 3.) Erscheint 1913.
♦Staat und Gesellschaft der Griechen u. Römer.
(II, 4, I.) [VI u. 280 S.] 1910. M. 8.—, M. 10.—
Staat und Gesellschaft Europas im Altertum
und Mittelalter. (II, 4, 2.)
♦Staat u. Gesellschaft d. neueren Zeit (b. z. Franz.
Revolution). (II, 5,1.) [VIU.349S.] 1908. M. 9.— , M.ii.-
Staat und Gesellschaft der neuesten Zeit (vom
Beginn der Französischen Revolution). (II, 5, 2.)
System der Staats- und Gesellschaftswissen-
schaften. (II, 6.)
Allgemeine Rechtsgeschichte mit Geschichte
der Rechtswissenschaft, ill, 7, i.) Erscheint 1913.
♦Systematische Rechtswissenschaft. (II, 8.)
2. Aufl. 1913. [U. d. Presse.] ca. M. 14. — , M. 16. —
Allgemeine Wirtschaftsgeschichte mit Ge-
schichte der Volkswirtschaftslehre. (II, 9.)
♦Allgemeine Volkswirtschaftslehre. (U, 10, i.)
2. Aufl. 1913. [U. d. Presse.] ca. M. 7. — , M. 9. —
Spezielle Volkswirtschaftslehre. (II, 10, 2.)
System der Staats- uad Gemeindewirtschafts-
lehre (Finanzwissenschaft). (II, 10, 3.)
III. Teil. Die mathematischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen
Kulturgebiete. [19 Bände.]
(* erschienen: I, i. 111,2. IV, 2; f unter der Presse: 1,2. III, i. III, 3. IV, i. IV, 4. VII, i.)
IV. Abt. Organische Naturwissenschaften.
Abteilungsleiter: R. von Wettstein.
tBand i. Allgemeine Biologie. Bandredakteure:
C. Chun und W. L. Johannsen. Bearbeitet von
E. Baur, P. Claußen, A. Fischel, E. Godlewski, W.
L. Johannsen, E. Laqueur, B. Lidforss, W. Ostwald,
0. Porsch, H. Przibrara, E. Radi, W. Roux, W. Schleip,
H. Spemann, O. zur Straßen, R. von Wettstein.
♦Band 2. Zellen- und Gewebelehre, Morphologie
u. Entwicklungsgeschichte, i. Botanischer Teil.
Bandredakteur: -j- E. Strasburger. Bearbeitet von W.
Benecke und f E. Strasburger. 2. Zoologischer Teil.
Bandredakteur: O. Hertwig. Bearb. von E. Gaupp, K.
Heider, O. Hertwig, R. von Hertwig, F. Keibel, H. Poll.
Band 3. Physiologie und Ökologie. Bandredak-
teure: M. Rubner und G. Haberlandt. Bearbeitet von
E. Baur, Fr. Czapek, H.von Guttenberg u. a.
+Band 4. Abstammungslehre, Systematik, Paläon-
tologie, Biogeographie. Bandredakteure: R. v.
Hertwig und R.v. Wettstein. Bearbeitet von O.Abel,
1. E. V. Boas, A. Brauer, A. Engler, K. Heider, R. v.
Hertwig, W. J. Jongmans, L. Plate, R. v. Wettstein.
V.Abt. Anthropologie einschl. naturwissen-
SChaftl. Ethnographie, (j Bd.) Bandredakteur:
G. Schwalbe. Bearb. von E. Fischer, R. F. Graebner,
M. Hoernes, Th. MoUison, A. Ploetz, G. Schwalbe.
VI. Abt. Die medizin. Wissenschaften.
Abteilungsleiter: Fr. von Müller.
Band i. Die Geschichte der modernen Medizin.
Bandredakteur: K. SudhofF. Bearb. von M. Neuburger,
K. Sudhoff u. a. Die Lehre von den Krankheiten.
Bandredakteur: F.Marchand. Mitarb. noch unbestimmt.
Band 2. Die medizinischen Spezialfacher. Band-
redakteure : W. His und Fr. von Müller. Mitarbeiter
noch unbestimmt.
Band 3. Beziehungen d. Medizin zum Volkswohl.
Bandredakteur: M.v. Gruber. Mitarb. noch unbestimmt.
*I. Abt. Die math. Wissenschaften, (i Band.)
Abteilungsleiter und Bandredakteur: F. Klein. Zu-
nächst bearbeitet von P. Stäckel, H. E. Timerding,
A. Voß, H. G. Zeuthen. i. Lieferung. [IV u. 95 S.j
Lex.-8. 1912. Geh. M. 3. —
II. Abt. Die Vorgeschichte der modernen
Naturwissenschaftenu.d. Medizin. (iBand.)
Bandredakteure : J. Ilberg und K. Sudhoff. Bearb. von
F.Boll, S.Günther, LL. Heiberg, M.Hoefler, J. Ilberg,
E.Seidel, H.Stadler, K. Sudhoff, E.Wiedemann u.a.
III. Abt. Anorgan. Naturwissenschaften.
Abteilungsleiter: E. Lecher.
•f-Band I. Physik. Bandredakteur: E. Warburg. Bearb-
von F. Auerbach, F. Braun, E. Dom, A. Einstein, J.
Elster, F.Exner, R. Gans, E.Gehrcke, H.Geitel, E.Gum-
lich, F. Hasenöhrl, F. Henning, L. Holborn, W. Jäger,
W. Kaufmann, E. Lecher, H. A. Lorentz, O. Lummer,
St. Meyer, M. Planck, O. Reichenheim, F. Richarz,
H.Rubens, E. v.Schweidler, H.Starke, W.Voigt, E.
Warburg, E.Wiechert, M.Wien, W.Wien, O.Wiener,
P. Zeeman.
*Band 2. Chemie. Bandredakteur: E. v. Meyer.
Allgemeine Kristallographie und Mineralogie.
Bandredakteur: Fr. Rinne. Bearbeitet von K. Engler,
H. Immendorf, f O. Kellner, A. Kossei, M. Le Blanc,
R.Luther, E.v. Meyer, W.Nernst, Fr. Rinne, O.Wal-
lach, O.N.Witt, L. VVöhler.
•j-Band 3. Astronomie. Baudredakteur:J. Hartmann.
Bearbeitet von L. Ambronn, F. BoU, A. v. Flotow,
F. K. Ginzel, K. Graff, J. Hartmann, J. v. Hepperger,
H. Kobold, E. Pringsheim, F. W. Ristenpart.
Band 4. Geonomie. Bandredakteure: fl.B. Messer-
schmitt und H. Benndorf. Mit einer Einleitung von
F. R. Helmert. Bearbeitet von H. Benndorf, f G.
H. Darwin, f H. Ebert, O. Eggert, S. Finsterwalder,
E. Kohlschütter u. a.
Band 5. Geologie (einschließlich Petrographie).
Bandredakteur : A. Rothpletz. Bearbeitet von A. Ber-
geat, E. V. Koken, J. Königsberger, A. Rothpletz.
Band 6. Physiogeographie. Bandredakteur: E.
Brückner, i. Hälfte: Allgemeine Physiogeographie.
Bearbeitet von E. Brückner, S. Finsterwalder, J. von
Hann, f O. Krümmel, A. Merz, E. Oberhummer u. a.
2. Hälfte : Spezielle Physiogeographie. Bearbeitet von
E. Brückner, W. M. Davis u. a.
Vn. Abt. Naturphilosophie u. Psychologie.
tBand I.Naturphilosophie. Bandredakteur: C.Stumpf.
Bearbeitet von E. Becher.
Band 2. Psychologie. Bandredakteur: C. Stumpf.
Bearbeitet von C. L. Morgan und C. Stumpf.
VIII. Abt. Organisation der Forschung u. des
Unterrichts. (l Band.) Bandredakteur: A.Gutzmer.
IV. Teil. Die technischen Kulturgebiete. [i8 Bände.]
Abteilungsleiter: W. von Dyck, O.
Band i. Vorgeschichte der Technik. Band-
redakteur und Bearbeiter: C. Matschoß.
Band 2. Verwertung der Katurkräfte zur Gewin-
nung mechanischer Energie. Bandredakteur: M.
Schröter. Bearbeitet von H. Bunte, R. Escher, K. v.
Linde, W. Lynen, R. Schüttler, M. Schröter.
Band 3. Umwandlung und Verteilung der Ener-
gie. Bandredakteur : M. Schröter. Bearbeitet von
W. V. Oechelhaeuser, A. Schwaiger u. a.
Band 4. Bergbau und Hüttenwesen. (Stoff-
gewinnung auf anorganischem Wege.) I.Teil. Berg-
bau. Bandredakteur: W. Bornhardt. Bearbeitet
von H. E. Böker, G. Franke, Fr. Herbst, M. Krah-
mann, M. Reuß, O. Stegemann, L.Tübben. — U. Teil.
Hüttenwesen. Bandredakteur und Mitarbeiter
noch unbestimmt.
Band 5. Land- und Forstwirtschaft. {Stoff-
gewinnung auf organischem Wege.) I.Teil. Land-
wirtschaft. Bandredakteur und Mitarbeiter noch
unbestimmt. — II. Teil. Forstwirtschaft. Band-
redakteure und Bearbeiter: R. Beck und H. Martin.
Band 6. Mechanische Technologie. (Stoffbear-
beitung auf maschinentechnischem Wege.) Band-
redakteure : E. Pfuhl und A. Wallichs. Bearbeitet
von P. V. Deuffer, Fr. Hülle, O. Johannsen, E. Pfuhl,
M. Rudeloff, A. Wallichs.
Band/. Chemische Technologie. (Stofftearbeitung
auf chemisch-technischem Wege.) Bandredakteur
und Mitarbeiter noch unbestimmt.
Kammerer. (* erschienen: Band 12.)
Band 8 und 9. Siedelungen. Bandredakteure :
W. Franz und C. Hocheder. Bearbeitet von H. E.
von Berlepsch -Valendas , W. Bertsch, K. Diestel,
]VL Dülfer, Th. Fischer, H. Grässel, C. Hocheder,
R. Rehlen, R. Schachner, H. v. Schmidt.
Band 10 und 11. Verkehrswesen. Bandredakteur:
O. Kammerer. Mitarbeiter noch unbestimmt.
♦Band 12. Technik des Kriegswesens. Band-
redakteur: M.Schwarte. Bearbeitet von K. Becker,
O. V. Eberhard, L. Glatzel, A. Kersting, O. Kretsch-
mer, O. Poppenberg, J. Schroeter, M. Schwarte,
W. Schwinning. Mit Abbildungen. [X, 886 S.] Lex.-8.
1913. Geh. J( 24. — , geb. Ji 26. —
Band 13. Die technischen Mittel des geistigen
Verkehrs. Bandredakteur: A. Miethe. Bearbeitet
von A. Miethe, E. Goldberg u. a.
Band 14. Die technischen Mittel der Beobach-
tung und Messung. Bandredaktaur: A. Miethe.
Mitarbeiter noch unbestimmt.
Band 15. Entwicklungslinien der Technik im
19. Jahrhundert. Bandredakteur: W. v. Dyck.
Mitarbeiter noch unbestimmt.
Band 16. Organisation der Forschung. Unterricht.
Bandredakteur: W. v. Dyck. Mitarb. noch unbestimmt.
Band 17. Die Stellung d. Technik zu den anderen
Kulturgebieten. I. Bandredakteur: W. v. Dyck.
Bearbeitet von Fr. Gottl von Ottlilienfeld u. a.
Band i8. Die Stellung der Technik zu den
anderen Kulturgebieten. II. Bandredakteur:
W. v.Dyck. Bearb. von H. Herkner, C. Hocheder u.a.
DIE
KULTUR DER GEGENWART
IHRE ENTWICKLUNG UND IHRE ZIELE
HERAUSGEGEBEN VON PAUL HINNEBERG
DRITTER TEIL
MATHEMATIK • NATURWISSENSCHAFTEN
MEDIZIN
VIERTE ABTEILUNG
ORGANISCHE NATURWISSENSCHAFTEN
UNTER LEITUNG VON R.v. WETTSTEIN
ZWEITER BAND
ZELLEN- UND GEWEBELEHRE
MORPHOLOGIE UND ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
UNTER REDAKTION VON tE. STRASBURGER UND O.HERTWIG
DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER • LEIPZIG • BERLIN .1913
ZELLEN- UND GEWEBELEHRE
MORPHOLOGIE UND
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
UNTER REDAKTION VON t E. STRASBURGER UND O. HERTWIG
BEARBEITET VON t E. STRASBURGER • W. BENECKE • R. HERTWIG
H. POLL • O. HERTWIG • K. HEIDER • F. KEIBEL • E. GAUPP
I: BOTANISCHER TEIL
UNTER REDAKTION VON t E. SJTRAS BURGER BEARBEITET
VON t E. STRASBURGER UND W. BENECKE
MIT 135 ABBILDUNGEN IINI TEXT
.-.<11
DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER • LEIPZIG • BERLIN • 1913
COPYRIGHT 1913 BY B.G.TEUBNER IN LEIPZIG
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN
VORWORT.
Als die Aufgabe an mich herantrat, das Programm für die Behandlung
der Biologie in der „Kultur der Gegenwart" zu entwerfen, ergab sich eine
Schwierigkeit. Einerseits hat die notwendige Arbeitsteilung und Speziali-
sierung zu einer so weitgehenden Selbständigkeit der beiden Zweige der
Biologie, der Botanik und Zoologie, geführt, daß eine einheitliche Darstellung
des Tatsachenmateriales unmöglich erschien. Anderseits haben die beiden
Schwesterwissenschaften gerade in neuester Zeit soviel übereinstimmende
Resultate geliefert, daß es als eine dankbare Aufgabe begrüßt werden mußte,
den Versuch zu unternehmen, dieses Gemeinsame zusammenfassend eine
allgemeine Schilderung des Lebens zu geben.
Das Programm, welches den vier Bänden der „Kultur der Gegenwart",
in denen die gesamte organische Naturwissenschaft ihre Bearbeitung findet,
zugrunde liegt, trachtet beiden Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Der
erste Band, welcher seinem Abschluß nahe ist, wird nach einer Darstellung
der Geschichte der modernen Biologie, nach der Besprechung* ihrer Methoden
und Arbeitsrichtungen in Kürze zu schildern versuchen, in welchen Erschei-
nungen das Leben sich überhaupt äußert und was wir über das Leben im
allgemeinen wissen; er wird in diesem Sinne einen kurzen Abriß der all-
gemeinen Biolog'ie bringen. In den drei übrigen Bänden wird die getrennte
Behandlung- der Pflanze und des Tieres mit ihren Lebenserscheinungen
stärker hervortreten. Dies gilt namentlich von dem nunmehr vorliegenden
II. Bande, dessen Aufgabe die Besprechung der Zellen- und Gewebelehre,
der Morphologie und Entwicklungslehre ist, so daß hier auch eine
äußerliche Trennung des Bandes in zwei Teilbände vorgenommen wurde.
Schon die verschiedene botanische und zoologische Terminologie ließ eine
solche Zweiteilung wünschenswert erscheinen, dazu kam noch der Umstand,
daß gerade in der morphologischen Gestaltung sich der Unterschied des
tierischen Lebens vom pflanzlichen Leben ausprägt.
An die morphologischen Darlegungen des IL Bandes wird sich die
Behandlung der Physiologie und Ökologie im III., die Besprechung der
Ergebnisse der Abstammungslehre, der Systematik, Biogeographie
und Paläontologie im IV. Bande anschließen. Insofern, als der IL Band
das morphologische Tatsachenmaterial darstellt, w^elches der Inhalt der
übrigen Bände verwertet, erscheint es motiviert, wenn im Erscheinen dieser
Band den übrigen vorauseilt.
VI Vorwort
In die Redaktion des IL Bandes haben sich die Herren E. Strasburger
in Bonn und O.Hertwig in Berlin geteilt. E. Strasburger übernahm den
botanischen Teil, für den er auch die Abfassung des Artikels über die
„Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre" selbst besorgte. Das Schicksal gönnte
ihm nicht, das Erscheinen des Bandes zu erleben. Zwei Tage nach der Ein-
sendung des Manuskriptes des von ihm übernommenen Abschnittes ereilte
ihn der Tod. So stellt der erwähnte Abschnitt die letzte Arbeit dieses her-
vorragenden Meisters der Botanik dar. Ein merkwürdiger Zufall fügte es,
daß gerade diese letzte Arbeit ihm Gelegenheit bot, seine Gesamtauffassung
über die pflanzliche Gestaltung zusammenhängend darzustellen, und es wird
auch für den Fachmann von besonderem Reize sein, zu sehen, wie eine un-
geheure Summe von Einzeleindrücken sich in dem Geiste eines Mannes wie
Strasburger zu einem Gesamtbilde vereinigte.
Nach dem Hinscheiden Strasburgers übernahm der Gefertigte die
Fortführung der Redaktion des botanischen Teiles.
Es obliegt ihm die angenehme Aufgabe, allen jenen zu danken, welche ihn
bei dieser Aufgabe unterstützten, den Herren Prof. Dr. W. Benecke und
Dr. Clemens Müller, Bonn, welche die Korrekturen des Strasburger-
schen Artikels übernahmen, und Herrn Privatdozenten Dr, E. Jan che n, der
die Ausarbeitung des Namen- und Sachregisters besorgte.
Die größten Verdienste um das Zustandekommen der ganzen, die orga-
nischen Naturwissenschaften behandelnden Abteilung erwarben sich die
wissenschaftlichen Mitarbeiter des Verlages, die Herren Dr. C. Thesing
und Dr. A. Günthart. Es ist mir ein Bedürfnis, ihrer sachlichen und un-
ermüdlichen Hilfe in dem Momente zu gedenken, in welchem der erste Band
dieser Abteilung der Öfl'entlichkeit übergeben wird.
. Wien, im Februar 1913.
R. V. WETTSTEIN.
,:y t Vi
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
PFLANZLICHE ZELLEN- UND GEWEBELEHRE 1-174
Von E. strasburger.
MORPHOLOGIE UND ENTWICKLUNG DER PFLANZEN 175-327
Von W. benecke.
REGISTER 328-338
Von E. janchen.
PFLANZLICHE ZELLEN- UND GEWEBELEHRE.
VON
Eduard Strasburger.
Den grünen Anflug, der eine feuchte Baumrinde deckt, die grünen Fäden, nie Grenzen
die im Wasser eines Teiches fluten, die Kräuter einer Wiese, die Bäume eines pAantenreichs
Waldes erkennt auch der Laie als Pflanzen an. Ist er sich dessen bewußt, was
ihn bewogen hat, diese untereinander so verschiedenen Wesen in derselben Be-
zeichnung zu vereinigen? Möglicherweise war es in allen diesen Fällen die grüne
Farbe, die seine Schlußfolgerung beeinflußte. Auch mag er mit dem Begriff
eines Tieres die Vorstellung freier Ortsveränderung verbinden, die er hier ver-
mißte. Aus dem gleichen Grunde sind ihm auch die Pilze Pflanzen, ungeachtet
das Grün auf sie nicht paßt. Dafür vermißt er auch bei ihnen Öffnungen zur
Aufnahme fester Nahrung, die ihm für das Tier bezeichnend erscheinen.
Alle üblichen Vorstellungen von Tier und Pflanze werden aber bei dem Un-
eingeweihten versagen, wenn er im Schatten eines Waldes, zwischen totem Laub
oder auf moderndem Holz, ein schleimiges Netzwerk, oft von auffälliger Fär-
bung, erblickt, das, wenn auch nur träge, seine Gestalt verändert und auf der
Unterlage fortkriecht, also unter allen Umständen ein lebendes Wesen sein muß.
Ein Sachkundiger könnte hier zu Hilfe kommen und die Aufklärung geben, daß
dieser zähflüssiger Körper einen bestimmten Entwicklungszustand der Schleim-
pilze oder Myxomyceten darstelle. Seine Fähigkeit, von Ort zu Ort zu wandern,
habe freilich auch manchen Forschern so imponiert, daß sie es vorzogen, diese
Organismen nicht weiter als Schleimpilze, sondern als Schleimtiere oder Myce-
tozoen zu bezeichnen. Heute reihe man sie, ihren sonstigen Beziehungen nach,
ganz allgemein dem Pflanzenreich an.
An den Grenzen der beiden organischen Reiche verwischen sich eben die
Unterschiede; dort liegen die gemeinsamen Ausgangspunkte des Lebens. Erst
nach und nach, im Laufe der fortschreitenden Entwicklung, welche die lebenden
Wesen durchgemacht haben, um von der einfacheren zur zusammengesetzteren
Organisation zu gelangen, und die seit Ernst Haeckel ihre Phylogenie heißt,
markierten sich immer stärker die Unterschiede und prägten sich jene Merk-
male aus, die man als tierische oder pflanzliche aufzufassen pflegt.
Ob wir aber den grünen Anflug einer feuchten Rinde, die grünen Fäden Der zeiiijre Bau.
eines Tümpels, oder zarte Schnitte durch höher organisierte Pflanzen bei hin-
reichend starker Vergrößerung untersuchen, stets treten uns bestimmte Ein-
heiten in ihrem Aufbau entgegen, die wir als Zellen bezeichnen.
Dieser Name: Zelle, Cellula, reicht auf das Jahr 1667 zurück, auf die erste
Betrachtung von Pflanzenteilen mit solchen Vergrößerungsgläsern, die eine,
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlebre etc. j
2 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
wenn auch noch so unvollkommene Unterscheidung innerer Strukturen in ihnen
zuließen. Was der englische Mikrograph Robert Hooke*, der Schöpfer dieses Na-
mens, damals in seinen Objekten zu sehen bekam, waren Hohlräume, die er
mit den Zellen der Bienenwaben verglich und daher wie jene als Zellen bezeich-
nete. Wir wissen heute, daß es nur die Wände von Zellen waren, die er sah.
Und es dauerte bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein, bevor er-
kannt wurde, daß die Substanz, an welche die Lebensvorgänge gebunden sind,
in solchen Hohlräumen bei den Pflanzen erst eingeschlossen ist. Diese Sub-
stanz entspricht ihrer Natur nach jener zähflüssigen Masse, mit der wir zuvor
bei den Schleimpilzen bekannt wurden. Sie trat uns dort als selbständiges Wesen
entgegen; in jeder höher organisierten Pflanze füllt sie jene Hohlräume aus, die
Robert Hooke Zellen nannte und ist dementsprechend in ebenso viele Elementar-
gebilde zerlegt, Sie macht in Wirklichkeit das Wesen der organischen Zelle aus,
sie ist es, mit der wir heute diesen Begriff verbinden.
Das Proto- Diese Substanz hat durch Hugo von Mohl*, zuerst bei Pflanzen, den Namen
pasma. p j-q ^q pl g^g j^ g^ erhalten, welcher Name dann auf das ganze organische Reich
ausgedehnt wurde, um überall die Trägerin des Lebens zu bezeichnen. Der
protoplasmatische Leib jeder Zelle heißt in Verbindung damit Protoplast.
Die Phyiogenie Die nackte Protoplasmamasse, die uns bei den Schleimpilzen entgegentrat,
nUche^n Rekhe stellt ciu Plasmodium dar. Es ist eine ,, Amöbe", wie solche an den Grenzen
der beiden organischen Reiche verbreitet sind. Bei den Schleimpilzen geht aus
dieser Amöbe, wenn sie einen bestimmten Entwicklungszustand erreicht hat,
ein Fruchtkörper hervor, der oft sehr zierlich gestaltet ist und je nach der
Bewegung. Spezies, die er vertritt, verschiedenen Bau zeigt. Das Plasmodium verändert,
wie andre Amöben, fortdauernd seine Gestalt. Hier wölbt es die Masse seines
Körpers vor, hier zieht es sie ein, und so führt es auch seine kriechenden Be-
wegungen auf der Unterlage aus. Solche Formänderung des Körpers und solche
Bewegungsart ist aber auf die untersten Abteilungen des organischen Reiches
beschränkt. Weiterhin wird der Körper, auch der noch einzelligen, nur einen
einzigen Protoplasten darstellenden Wesen, starrer und, um von der Stelle zu
kommen, bilden diese an ihrer Oberfläche feine protoplasmatische Fortsätze
aus, die als Geißeln oder Zilien das umgebende Wasser schlagen. Diese Be-
wegungsart hat sich für die als Schwärmsporen bekannten, ungeschlechtlichen
Fortpflanzungszellen der Algen und bestimmter Pilze im Pflanzenreich noch
längere Zeit erhalten, zudem blieb sie bei Tieren und bis in die höher organi-
sierten Abteilungen der Pflanzen hinein, das Lokomotionsmittel der männ-
lichen Geschlechtsprodukte, der Spermatozoen, während die weiblichen Ge-
schlechtsprodukte, die Eier, in beiden Reichen frühzeitig unbeweglich wurden.
Diese durch Geißeln vermittelteBewegung kann nur in einem flüssigen Medium
erfolgen, während andererseits zum Kriechen stets eine feste Unterlage er-
forderhch ist.
UmhüUung der I"^ Weiteren Verlauf der phylogenetischen Ausgestaltung umhüllten sich
Protoplasten mit ^^q einzelligen, nackten Protoplasten in einzelnen Entwicklungsreihen mit einer
einer Membran. o ? r o
von der Substanz ihres Körpers chemisch verschiedenen, starren Membran,
Begrift" der Zelle 3
und das war der Weg, der zur Ausbildung des Pflanzenreichs führte. Zunächst
versuchten es auch noch die so umhülltenProtoplasten, sich die freieBeweglichkeit
im umgebenden Wasser zu wahren, indem sie Geißeln durch feine Öffnungen
ihrer Haut nach außen vorstreckten. Manche Vertreter der als Pflanzen gelten-
den Diatomeen sparten zu gleichem Zweck enge Spalten in ihrer verkieselten
Zellhaut aus, durch welche ihr Protoplast als schmaler Saum die Oberfläche
erreichen konnte. Doch blieben solche Bewegungseinrichtungen beschränkt
auf die einzelligen Wesen, fanden allenfalls noch Anwendung auf Kolonien
nackter, von einer gemeinschaftlicher Membran umgebener Zellen, aus der diese
ihre Geißeln hervorstrecken. Das kann man sehen bei dem einst so bewunder-
ten ,, Kugeltierchen"*, Volvox globator, das grün gefärbt ist und tatsächlich zu
den Algen gehört und einst für einTier nur deshalb gehalten wurde, weil es sich frei
im Wasser umhertummelt. Es stellt eine dem bloßen Auge eben noch sichtbare,
sandkorngroße Kugel dar, an deren Wandung sich eine Schicht grüner Proto-
plasten befindet, die je zwei Geißeln nach außen entsenden. Im Innern ist diese
Kugel mit Wasser erfüllt. Wunderbar erschien sie einst den Forschern, weil sie
ihnen oft das Schauspiel ineinandergeschachtelter Generationen darbot. Dieses
Wesen pflanzt sich nämlich auf ungeschlechtlichem Wege dadurch fort, daß
einzelne seiner Protoplasten in Teilung eintreten und neuen Kugeln den Ur-
sprung geben, die sich von der Außenwandung loslösen, um ihre drehenden
Bewegungen im Hohlraum der Mutter auszuführen. In ihnen kann sich der
Vorgang wiederholen, so daß man dann drei Generationen dieses Wesens
vereinigt sieht. Die Töchter und Enkelinnen werden erst frei, wenn die
Wand ihrer Erzeugerinnen Risse erhält. — Mehrzellige Organismen mit
umhülltenProtoplasten können zunächst noch frei geblieben sein, um mit Hilfe
von Krümmungen, die ihr Körper ausführt, sich kriechend fortzubewegen,
oder sich auch nur noch passiv durch Wasserströmungen von einer Stelle zur
andern befördern zu lassen. Das geschieht im allgemeinen aber so lange nur,
wie sie aus völlig gleichwertigen Zehen bestehen. Ein derartiger Fall hegt bei
solchen unserer Süßwasseralgen vor, deren Fäden miteinander verfilzt frei
im Wasser schweben. — Alle pflanzlichen Wesen, die es soweit brachten,
daß ein Unterschied von Scheitel und Basis bei ihnen besteht, sitzen an
ihrer Basis fest, haben somit die ursprüngliche, freie Lebensweise, die einst Festsitzende
allen Wesen eigen war, aufgegeben, um die spezifisch pflanzliche anzunehmen.
So lange sie untergetaucht lebende Wasserpflanzen verblieben, befestigten
sie sich nur mit Haftorganen an einer erreichbaren Unterlage; als sie zum
Landleben übergingen, bildeten sie eine Wurzel aus, die in den Boden ein-
drang und ihre Lage dort fixierte. Doch was die Pflanzenwelt damit ein-
büßte, war nicht das Bewegungsvermögen an sich, vielmehr nur die MögHch-
keit, den Aufenthaltsort zu wechseln. Im Innern der umhüllten Protoplasten
dauert eine mehr oder weniger auffällige Bewegung fort, und auch der Pflan-
zenkörper als Ganzes führt Bewegungen aus, indem er wächst; er bewegt sich
auch, wenn seine schon ausgewachsenen Teile sich krümmen, um eine bestimmte,
ihnen zusagende Lage anzunehmen. Die Zellhäute, durch welche die freie
Lebensweise.
4 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Ortsveränderung in der Pflanzenwelt aufgehoben wurde, ermöglichten es ihr
andererseits durch mannigfache Krümmungen und Drehungen ihre Glieder
in erwünschte Lagen zu bringen und auch etwaigen Hindernissen, auf die sie
stießen, auszuweichen. Die Blätter der Robinie sieht man in unseren Gärten
sich jeden Abend zum ,, Schlaf" zusammenlegen und am folgenden Morgen
wieder ausbreiten. Ja, selbst die Fähigkeit, auf mechanische Reizung mit einer
Bewegung zu antworten, kommt den Pflanzen zu, denn ihre Ranken krümmen
sich bei Kontakt, die Staubblätter mancher Blüten verändern Gestalt und
Lage, wenn man sie berührt, und die Blätter der Mimosen senken sich dann ab-
wärts am Sproß. Daß die Bewegungsfähigkeit der festsitzenden Pflanzen
wenig auffiel, ja, daß sie in früheren Zeiten sogar in Abrede gestellt wurde und
unter den Unterscheidungsmerkmalen von Tier und Pflanze figurierte, hing
damit zusammen, daß sie für gewöhnlich zu langsam sich vollzieht, um direkt
sichtbar zu sein. Rasche Bewegung als Folge mechanischer Reizung, die sich bei
Tieren so allgemein einstellt, stellt bei Pflanzen nur eine seltene Ausnahme vor. —
Dem Nachteil, der für das Fortpflanzungsgeschäft der Gewächse daraus er-
wächst, daß sie ihren Aufenthaltsort nicht zu verlassen vermögen, um ihres-
gleichen aufzusuchen, daß sie ihre Früchte und Samen nicht selber durch die
Welt tragen können, wird durch die Art und Weise, wie sie Wind und Wasser
für diese Zwecke ausnutzen und die unbewußte Hilfe, die ihnen die Tierwelt da-
bei bringt, sehr wirksam abgeholfen. Zudem sind die Landpflanzen ihrer größten
Mehrzahl nach hermaphrodit, was eine Vereinigung ihrer Geschlechtsprodukte
ermöglicht, wenn die äußere Vermittlung versagt.
Ernährung. Dic an ihren Keimungsort gebannte Pflanze war nur existenzfähig, soweit
sie sich in solcher Lage ernähren konnte. Diese Eigenschaft mußte sie zuvor
schon erlangt haben. Sie gewann sie, indem ein Teil ihres Protoplasma sich in
einen Apparat verwandelte, der es vermochte, aus anorganischen Stoffen, die ihm
in Luft, Wasser und Erde zur Verfügung standen, organische Stoffe, wie Ei-
weißkörper und Kohlenhydrate, herzustellen. Die Kraft zu dieser Leistung
entnahm sie der Energie des Sonnenlichtes, und sie speicherte diese Energie
in den erzeugten, organischen Stoffen auf. Letztere dienen dann einerseits
zum Aufbau ihres Körpers, andererseits wird bei der Atmung aus ihnen die auf-
gespeicherte Energie wieder in Freiheit gesetzt, um die Betriebskräfte des
Lebens zu liefern.
Solche fortgeschrittene, an Arbeitsteilung im Protoplasten geknüpfte
Fähigkeiten wurden aber erst im Laufe der phylogenetischen Entwicklung er-
langt. Sie konnten nicht schon jenen Wesen eigen sein, die am Ursprung des
Lebens standen. Von dem Lebensbetrieb* solcher Wesen wären wir kaum in
der Lage, uns eine Vorstellung zu bilden, hätten nicht die Forschungen aus
letzter Zeit uns gelehrt, daß es auch heute noch Organismen niederster Art gibt,
die ihre Betriebsenergie nicht dem Sonnenlicht, sondern bestimmten, chemi-
schen Kraftquellen der anorganischen Welt entnehmen. Das vermögen gewisse
Ursprüngliche Bakterien, indem sie Ammoniak zu salpetriger Säure, oder salpetrige Säure zu
'^"weise"^^ Salpetersäure, oder Schwefelwasserstoff zu Schwefelsäure, oder Eisenoxydul zu
Kraftquellen der Pflanzenzelle e
Eisenoxyd, oder Methan zu Kohlensäure und Wasser, oder Wasserstoff zu Was-
ser oxydieren. Sie ,, verbrennen", um es allgemeinverständlich auszudrücken,
diese Substanzen und verwerten die dabei freiwerdende Energie, um mit ihrer
Hilfe ihren Lebensbetrieb zu unterhalten. Bei dem ,, Abbau" aller der von Or-
ganismenerzeugten, chemische Energie speichernden Verbindungen, wird genau
die gleiche Menge Energie frei, die zu ihrem,, Aufbau" verbraucht wurde. Ammo-
niak und salpetrige Säure, die bestimmten Bakterien als primäre Energie-
quellen dienen, entstehen, wenn auch nur in sehr geringer Menge, bei elektrischen
Entladungen in der Atmosphäre, entstammen bei solchem Ursprung also ganz
der unbelebten Natur. Diese ist aber zurzeit arm an solchen oxydierbaren Sub-
stanzen. Daher der Zuschuß an organischer Materie, den heute derartige Bak-
terien unserer Welt liefern, seiner Menge nach kaum mehr in Betracht kommt.
Das wird zur Jugendzeit unserer Erde sich anders verhalten haben, als die Atmo-
sphäre selbst reich an oxydierbaren Gasen gewesen sein muß. Unter solchen Be-
dingungen entwickelte sich aber das erste Leben auf unserem Erdball, und die ent-
stehenden Wesen schöpften zunächst aus dieser reichen Kraftquelle. Erst als
diese spärlicher zu fließen begann, kam die Ernährungsweise mit Verwertung der
Sonnenenergie auf. Sie wurde zum Monopol jener Wesen, in welchen die grünen Verwertung des
Assimilationsapparate zur Ausbildung gelangten. Diesen Wesen, mit bereits Sonnenlichtes,
ausgeprägt pflanzlichem Charakter, fiel nun die Aufgabe zu, aus Stoffen, die
ihnen die unbelebte Natur lieferte, und die an sich noch keinen Energievorrat
darstellten, organische Stoffe mit aufgespeicherter Sonnenenergie zu bilden.
Das war dann die Nahrung, aus der, so gut wie ausschließlich, die ganze lebende
Welt ihren Lebensbetrieb zu decken begann. Denn das Tier vermag nicht wie
die grüne Pflanze aus Kohlensäure und Wasser, mit Verwendung von Sonnen-
energie, organische Substanz zu bilden. Das Tier wurde in seiner Existenz
von jener der Pflanze ganz abhängig. Allein auch in der Pflanze selbst konnten
Nährstoffe mit Energievorrat nur in den grünen, d. h. mit Chlorophyllapparat
ausgestatteten, hinreichend starkem Lichte zugänglichen Protoplasten ent-
stehen. Ihre übrigen Protoplasten blieben, ganz so wie die Tierwelt, auf die
Arbeit der grünen angewiesen. — Übrigens geriet ihrerseits auch die grüne GrUne pflanzen
Pflanze in eine gewisse Abhängigkeit von solchen biochemischen Leistungen,
die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung zu einem besonderen Attribut
der Bakterientätigkeit wurden. Denn Bakterien sind es, welche die stickstoff-
haltigen Substanzen, die als Stoffwechselprodukte der Tiere und als tote, tie-
rische und pflanzliche Leiber in den Boden gelangen, dort in solche Verbin-
dungen überführen, aus denen die grüne Pflanze heute der Hauptsache nach
den zum Aufbau ihrer Lebenssubstanz nötigen Stickstoff schöpft, und be-
stimmte Bakterien sind es auch, w^elche den atmosphärischen Stickstoff zu binden
und so der grünen Pflanze nutzbar zu machen vermögen. So hat sich im Laufe
der Zeit das Ineinandergreifen der biochemischen Arbeit auf unserem Erdball
ausgestaltet.
Der Lichtbedarf der Pflanze beherrschte in den Hauptzügen die Art ihrer Gestaltung
Gestaltung. Immer wieder machte sich das Bestreben bei ihr geltend, den ""'^ Emahrungs-
o ö ) weise.
6 Eduard Straseurger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
größten Teil ihres Körpers in laubartige Flächen von geringer Dicke auszu-
breiten. So wurde sie von möglichst vielen Lichtstrahlen getroffen und konnte
sie entsprechend ausnutzen. Submers lebende Wasserpflanzen kamen dadurch
zugleich mit größeren Wassermassen in Berührung, aus denen sie ihre anorga-
nische Nahrung schöpften. Bei Landpflanzen übernahm die Wurzel die Auf-
gabe, anorganische Nährlösungen dem umgebenden Erdreich zu entziehen,
und auch sie schritt nun ihrerseits dazu, ihre Berührungsflächen mit dem Boden
durch reiche Verzweigung möglichst zu vergrößern. — Bei den Wesen, deren
Entwicklung die tierischen Bahnen einschlug, mußte hingegen die Ausbildung
aller den Ortswechsel erleichternden Apparate gefördert werden, damit sie in
den Besitz jener organischen Nahrung gelangen, die sie selbst sich nicht zu be-
reiten vermögen. Freilich gibt es auch Tiere, sowohl niederer als auch höherer
Festsitzende Organisation, die verschiedenen Abteilungen des Tierreichs angehören, welche zum
mindesten auf bestimmten Entwicklungszuständen eine ebensolche festsitzende
Lebensweise wie die Pflanzen führen. Sie ernähren sich aber wie die sonstigen
Tiere von der Substanz anderer Wesen, und da sie diesen nicht nachjagen kön-
nen, so müssen sie in anderer Weise sie erbeuten. Der Bewegung dienende, freie
Gliedmaßen sind bei ihnen unterdrückt, dafür verfügen sie über mannigfache
Fangapparate und die Fähigkeit, Wasserströme zu erzeugen, die ihnen die
Beute sichern. Solche Ernährungsweise ist aber nur im Wasser möglich, da-
her es festsitzende Tiere auf dem Lande nicht gibt. Wie lehrreich ist es, daß
bei festsitzenden Tieren, im Gegensatz zu freilebenden, sich, wie bei Pflanzen,
wieder Hermaphroditismus einzustellen pflegt !
Aufnahme fester Mcmbranlosc Wcseu mit amöboidem Körper vermögen außer flüssiger auch
'^Amcfbei^'^'^ fcstc Nahrung in ihren protoplasmatischen Leib aufzunehmen. Ein Plasmodium,
wie wir es bei den Myxomyceten fanden, umfließt allmählich Stärkekörner, die
man in seinen Weg streut und verdaut sie dann. Man kann unter dem Mikro-
skop feststellen, daß solche Stärkekörner im Innern des Plasmodiums langsam
gelöst werden und schließlich schwinden. Auch eine kieselschalige Diatomee
würde dieses Plasmodium nicht verschmähen, ihren Protoplasten verdauen, die
unverdauliche Schale aber dann ausstoßen. Solche Auswurfstoffe bezeichnen
auf einer Unterlage, über die ein Plasmodium hinwegkroch, den Weg, den es
verfolgt hat. — Nach ihrer Umhüllung mit allseitig abgeschlossenen Membranen
hört für pflanzliche Zellen die Möglichkeit auf, feste Körper von außen in ihre
Flüssige Nahrung Protoplasten aufzunehmen. Es können fortan nur noch solche Stoffe in ihren
Zelleib gelangen, denen die Membran den Durchgang nicht verwehrt. Es sind
das Stoffe ,,kristalloider" Natur, d. h. solche, welche mit dem Kristallisations-
vermögen auch die Fähigkeit verbinden, echte Lösungen zu bilden, sowie Gase,
die sich in dem Wasser lösen, das die Membranen durchtränkt, die somit auch
in gelöstem Zustand diese Membranen passieren. Im Gegensatze zu den
Kristalloiden vermögen Kolloide, d. h. Stoffe, die nicht kristallisieren, und die
keine echten Lösungen bilden, vielmehr nur in feiner Verteilung im Wasser
schweben, Membranen nicht zu durchqueren. Auf Lösungen von Gasen und
kristalloiden Stoffen bleibt die Pflanze somit bei der Aufnahme anorganischer
Die Nahrung der Pflanzen und Tiere 7
Nahrung aus der unbelebten Natur beschränkt. Es handelt sich dabei um all- Die anorgani-
gemein verbreitete Stoffe, durchaus aber nicht um solche, die am reichlichsten ^'^'^^"stlf^'^""^^'
auf unserem Erdballe vertreten sind. Denn nicht alle anorganischen Stoffe ver- "^^r pflanzen,
fügen über jene chemischen und physikalischen Eigenschaften, die zur Bildung
organischer Körper erforderlich sind. Der geeignetste unter diesen Stoffen, ein
Grundstoff, dessen Bestehen den Aufbau der organischen Welt tatsächlich er-
möglicht hat, ist der Kohlenstoff, den die Pflanze als Kohlensäure auf-
nimmt. Der Kohlenstoff bildet demgemäß das wichtigste, anorganische
Nahrungsmittel der Pflanze, die ihn aber erst dem sie umgebenden Wasser
oder der atmosphärischen Luft entnehmen muß, worin er nur in geringen
Bruchteilen von Prozenten vertreten ist. Unter den Stoffen, welche die
Membranen der Zellen passieren können, treffen die Protoplasten dann noch
eine weitere Auswahl, und nur solche Stoffe, denen auch sie, unter bestimmten
Voraussetzungen, den Eingang gewähren, machen in letzter Instanz ihre Nah-
rung aus.
Das Vermögen, auch feste Stoffe in das Innere des Körpers aufnehmen zu Die feste Nah-
können, blieb ein Attribut des Tierreichs. Doch änderten sich die Mittel und '^""^
Wege dieser Aufnahme im Laufe der phylogenetischen Entwicklung. Ein Ver-
schlingen des fremden Körpers durch Umfließen mit Leibessubstanz, wie es das
Plasmodium uns zeigte, ist nur bei amöboiden Wesen möglich. Auch einzellige,
nackte Wesen mit festerer, bestimmt geformter Oberfläche brauchen bereits vor-
gebildete Öffnungen, sollen feste Stoffe in ihr Protoplasma gelangen, bzw.
dieses wieder verlassen. Bei mehrzelligen Wesen werden besondere Hohlräume
zwischen den Protoplasten ausgebildet, in welche die feste Nahrung durch die
Mundöffnung gelangt, worauf nicht der aufgenommene, feste Körper selbst,
sondern die in ihm enthaltenen, in Lösung versetzten Nahrungsstoffe es sind,
die in das Innere der Protoplasten Eingang finden. Die Pflanze, die nur
gelösten Stoffen gestattet, in ihren Körper einzudringen und zugleich schon
eine Auswahl unter diesen Stoffen trifft, häuft auch unbrauchbare Reste
nicht in solcher Masse an, daß sie besondere Öffnungen nötig hätte,
um sie zu beseitigen. In der festen Nahrung, die das Tier ohne voraus-
gehende Sonderung ihrer Bestandteile in seinen Körper aufnimmt, gelangen in
diesen aber sehr viele nicht verdauliche Substanzen, die von den verdaulichen
getrennt und schließlich aus dem Körper entfernt werden müssen. So bilden
sich in den Körpern höher organisierter Tiere immer komplizierter werdende
Darmsysteme aus, um die Ausnutzung einer derartigen Nahrung zu ermög-
lichen. Die Aufnahme der Nahrungsstoffe in die lebendigen Zelleiber erfolgte
aber dabei grundsätzlich nicht anders als in pflanzliche Protoplasten, nämlich
ebenfalls in gelöster Form und mit Auswahl. Das Tier vermag weder Kohlen-
hydrate noch Eiweißkörper, diese beiden Grundsubstanzen der organischen Organische Nau-
Nahrung, aus Stoffen, welche die anorganische Welt liefert, zu erzeugen, es '^"°°
entnimmt sie der Pflanzenkost, oder in konzentrierterer Form der Fleisch-
nahrung, d. h. der Leibessubstanz anderer Tiere, die in letzter Instanz ihren
Körper der pflanzlichen Nahrung verdanken. — Wie die Tiere von der Arbeit
>
8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Krnährung nicht- grüner Pflanzen, leben auch solche pflanzliche Organismen, die nicht selber grün
grüner anzen. ggfg^j.^^ sind, SO die große Abteilung der Pilze, von dieser. Sie brauchen orga-
nische Nährstoffe, die sie in gelöster Form durch ihre Membranen in das
Innere der Protoplasten aufnehmen. Ihre Ernährung ist vom Lichte unabhängig,
wie denn beispielsweise künstliche Champignonkulturen stets im Dunkeln ge-
halten werden. Die flächenartigen Ausbreitungen für Lichtgenuß fallen bei
solchen Pflanzen demgemäß auch fort, hingegen macht sich bei ihnen Ober-
flächenvergrößerung nach Art von Wurzelverzweigung geltend, sofern als die
Ernährungsbedingungen das verlangen, d. h. der Nahrungserwerb dadurch
erleichtert wird. Vertreter der obersten Abteilungen des Pflanzenreichs, die
sich einer parasitischen Lebensweise anpaßten, büßten zu gleicher Zeit ihren
grünen Apparat und ihre Blattflächen ein und leben ähnlich wie die Tiere von
Ungewohnte Er- organlschcr Substanz. — Anderseits richteten sich gewisse niedere Tiere,
'^''dlTrlJrT'^ wie manche Infusorien und Schwämme, ja, selbst einige Strudelwürmer,
auf pflanzliche Lebensweise dadurch ein, daß sie sich mit grünen Pflanzenzellen
assoziierten. Statt kleine, grüne Algen einer bestimmten Art, die sie in
ihre Protoplasten aufgenommen haben, zu verdauen, lassen sie diese im
Lichte für sich arbeiten und entnehmen ihnen die erzeugten organischen
Stoffe. Dadurch werden sie einem mit grünem Apparat ausgestatteten
Pflanzenkörper physiologisch ähnlich. Manchen Infusorien kann bei solcher
Lebensweise die Mundöffnung zuwachsen, so daß sie dann nicht weiter vermögen,
feste Nahrung aufzunehmen. Eine ähnliche Folge, doch aus anderen Ursachen,
hatte bei den Bandwürmern {Cestoden), also Vertretern einer weit höheren Ab-
teilung des Tierreichs, das Leben im Darm anderer Tiere, aus deren Speisebrei
sie sich ernähren. Diesem entnehmen sie gelöste Nährstoffe mit den Protoplasten
ihrer Haut, in ebensolcher Weise, wie es die den Darm ihres Wirtes auskleiden-
den Zellen tun. Bei solcher Lebensweise haben die Bandwürmer Mundöffnung
und Darm ganz eingebüßt.
Leistungsfähig- Dic Zcllhäutc, mit denen sich die Protoplasten auf ihrer zum Pflanzenreich
durch ^'^Membr'a" führenden Bahn umhüllt hatten, mußten ihr Zusammenwirken in den immer
nen herabgesetzt, yigj^elliger wcrdcndcn Wesen erschweren. Dadurch blieben naturgemäß die
Gesamtleistungen des Pflanzenkörpers in allen durch ein unmittelbares Zu-
sammenwirken der Protoplasten geförderten Funktionen hinter jenen des Tier-
reichs zurück. Das betraf vor allem die Fortpflanzung der Reize, die im Ver-
gleich nur träge durch die trennenden Wände bei den Pflanzen sich vollziehen
konnte. Daher auch die Ausbildung von Sinneszentren zu einer bevorzugten
Eigenart der Tiere sich entwickelte. Das hat des weiteren eine mangelhafte
Zentralisation des Körpers, auch der höchst organisierten Pflanzen, im Ver-
gleich zu den Tieren, zur Folge gehabt. Ihre Individuahtät ist weniger aus-
geprägt, die einzelnen Teile des Körpers von einander unabhängiger, so daß
sie getrennt meist zu selbständiger Weiterentwicklung sich befähigt zeigen.
Körperwärme. Dic inucrc Temperatur des Pflanzenkörpers gleicht, wenn von nur geringen,
zudem schwankenden Abweichungen abgesehen wird, ganz der der Umgebung.
Nur bei gewissen, an eng begrenzte Entwicklungsvorgänge geknüpften An-
Unterschied von Tier und Pflanze g
lassen, wird bei bestimmten Pflanzen durch Steigerung des Atmungsvorgangs
die Innenwärme merklich über die Temperatur der angrenzenden Luft gestei-
gert. Ein ähnliches Verhalten gilt aber der Hauptsache nach auch für das Tier-
reich, denn nur die Vögel und Säugetiere haben es mit Hilfe der Atmung er-
reicht, eine höhere, dauernd regulierbare Körperwärme sich zu schaffen, die
sie, innerhalb bestimmter Grenzen, von der Temperatur der Umgebung un-
abhängig macht.
Zu einem auffälligen Unterschied zwischen ausgeprägten Tieren und Pflan- oatogenie der
zen wurde auch die Art ihrer ,, individuellen Entwicklung", d. h. ihre Onto- ^nJre.""
genie. Hoch organisierte Tiere schließen mit dem Reifezustand ihre in-
dividuelle Entwicklung im wesentlichen ab. Ihre embryonalen Anlagen sind
dann aufgebraucht worden, bis auf einen Rest, der bestimmt ist, weiterhin die
Geschlechtsprodukte zu liefern, und bis auf etwaige Zellmassen, die im em-
bryonalen Zustande verharren, um für den Ersatz verbrauchter, älterer Ge-
webe zu sorgen. Das gilt beispielsweise für die tieferen Lagen der ,, Matrix"
bei Fischen, Vögeln und Säugern, die bestimmt ist, ältere Teile der Epider-
mis, die dauernd abgestoßen werden, zu ersetzen, und in welchen daher fort-
gesetzte Zellvermehrung stattfindet. Auch bei solchen Tieren, von denen es
heißt, daß sie zeitlebens wachsen, wie manche Fische und Schildkröten, ist
die individuelle Entwicklung in Wirkhchkeit eine begrenzte, und nur die der
Fortpflanzung dienende, embryonale Substanz verharrt als solche in ihrem
Körper und liefert die Geschlechtsprodukte, die den ununterbrochenen Zu-
sammenhang zwischen den aufeinanderfolgenden Generationen der betreffen-
den Art erhalten. Im Gegensatz zu der abgeschlossenen Ontogenie des Tier-
reichs sehen wir schon in den untersten Abteilungen des Pflanzenreichs sich
eine Entwicklungsart ausbilden, die ihrem Wesen nach unbegrenzt ist. Die em-
bryonalen Anlagen, welche die Entwicklung des Individuums einleiten, fahren
als solche fort, die Zahl ihrer Zellen durch Teilung zu vermehren und geben
dauernd neue Zellen für den Aufbau des Körpers ab. So schließen die fertigen
Teile des Körpers mit embryonalen Vegetationspunkten ab, in welchen die Ent-
wicklung sich fortsetzt. Dort erfolgt auch die Sonderung in vegetative und
generative Anlagen, so oft als die Pflanze zur Bildung von Geschlechtspro-
dukten schreitet.
An die unbegrenzte, pflanzliche Entwicklungsart erinnert jene, die gewisse Tierische stock.
kolonienbildende Tiere aufweisen. Denn es gibt unter ihnen welche, die es zu Ver-
zweigungssystemen bringen, die den pflanzlichen auffällig ähnlich werden können.
Eine solche äußerliche Ähnlichkeit hat einer Klasse von Tieren, die im System
meist in der Nähe der Würmer untergebracht werden, den Namen , , Moostierchen
oder Bryozoen verschafft. Sie sitzen wie Pflanzen fest ihrer Unterlage an und
erheben sich von ihr in Gestalt kleiner Büsche oder Bäumchen. Bei den zu den
,, Pflanzentieren" oder Cölenteraten gehörenden Korallentieren entstehen, durch
dauernde Vermehrung der in gegenseitiger Verbindung bleibenden Einzeltiere,
individuenreiche Stöcke, deren mit kohlensauremKalk imprägnierte Skelette
die Bildung mächtiger Riffe veranlassen können. Doch handelt es sich
jo Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
im Gegensatze zu den Pflanzen bei diesen kolonienbildenden Tieren nicht um
die Weiterentwicklung an fortbestehenden, embryonalen Vegetationspunkten,
vielmehr um eine sich fort und fort wiederholende Vermehrung der in der Kolo-
nie vertretenen Einzeltiere durch Teilung oder Knospung. Falls die Vermehrung
durch Teilung vor sich gehen soll, nimmt das Muttertier gleichmäßig an Größe
zu, um hierauf in zwei Tochtertiere sich zu spalten; gilt es die Bildung einer
Knospe, so entsteht am Muttertier durch lokalisiertes Wachstum eine Aus-
stülpung, die sich zu einem Tochtertier gestaltet.
Aus dieser einleitenden Übersicht gewinnen wir ein Bild, wie es sich etwa
zurzeit von den Entwicklungswegen entwerfen läßt, die zur Ausbildung des
Tier- und Pflanzenreiches führten. Zugleich brachte es uns eine Charakteristik
jener lebenden Wesen, die wir hier als Pflanzen zusammenfassen wollen.
Gliederung der Dic Aufgabc, dic uns an dieser Stelle innerhalb der biologischen Abteilung
Aufgabe, ^g^ ,, Kultur der Gegenwart" zufällt, umfaßt nur einen bestimmten Abschnitt
der Botanik. Sie soll die Gestaltung des pflanzlichen Körpers behandeln, und
ist demgemäß seine Morphologie. Soweit sie den Bau und die Entwicklung der
einzelnen Zelle erforscht, nennt man sie Zellenlehre oder Zytologie, wenn sie
an die Zellenverbände sich wendet, Gewebelehre oder Histologie; an letzte
schließt dann weiter die Anatomie an, das Studium größerer Gewebekomplexe.
Dieser Behandlung des inneren Baues der Gewächse soll dann weiter die ihrer
äußeren Gestalt sich anschließen. Im Vordergrunde unserer Darstellung wer-
den, wie es die uns zugeteilte Aufgabe verlangt, die morphologischen Tatsachen
stehen. Doch wollen wir uns der Einsicht nicht verschließen, daß ein tieferes
Verständnis des inneren Baues und der äußeren Gestalt eines lebenden Wesens
nur zu gewinnen ist, wenn wir sie in Beziehung zu ihren Leistungen bringen.
Daher wir auch physiologische Erörterungen in unsere morphologischen Schil-
derungen einflechten wollen. Wir werden auch noch weiter gehen und, wo es
uns geboten scheint, versuchen, den gegebenen Tatbestand in Beziehung zu den
Bedingungen der Außenwelt zu bringen. Eine solche ,, ökologische" Betrach-
tungsweise, die es anstrebt, die morphologischen und physiologischen Befunde
als Anpassungserscheinungen begreiflich zu machen, ist, auch wo sie auf weni-
ger sicherem Boden sich bewegt, doch geeignet, das Interesse an dem Gegen-
stand noch zu heben.
Die pflanzUche Um gleich vollen Einblick in die Merkmale zu gewinnen, die für eine
ausgeprägt pflanzliche Zelle bezeichnend sind, müssen wir uns an ausgewach-
sene, grüne Körperteile höher organisierter Pflanzen wenden und die Zellen dort
im gegenseitigen Verband, innerhalb eines ,, Zellgewebes" betrachten.
Das ist nur bei entsprechend starker Vergrößerung an Schnitten möglich,
die wir durch den betreffenden Pflanzenteil ausgeführt haben, und die dünn ge-
nug sind, um dem Lichte den Durchgang zu gestatten. Solche Schnitte legen
wir auf eine Glastafel in einen Wassertropfen und bedecken sie mit einem dün-
nen Deckglas. Die Untersuchung nehmen wir mit einem Mikroskop, im durch-
fallenden Lichte, bei etwa 300 maliger Linearvergrößerung vor.
Zelle.
Der Bau der Pflanzenzelle
II
■m
Was uns zuerst im Bilde (Fig. i) auffällt, das dürften die Zellwände [in],
und innerhalb der Räume, die sie umgrenzen, grün gefärbte Körner (cl) sein. Den
Zellwänden liegt von innen eine dünne, lückenlose Schicht von Protoplasma {c)
an. Sie umschließt den mit wässerigem Zellsaft erfüllten Saftraum der Zelle (Z).
In dieser farblosen, mehr oder weniger feinkörnigen Protoplasmaschicht wer-
den wir ein annähernd kugeliges oder scheibenförmiges, ebenfalls farbloses Ge-
bilde erbhcken (w), das den ,,Kern" der Zelle darstellt. In seinem Innern tritt
uns ein kugeliges ,,Kernkörperchen" (nl), auch wohl mehrere solche Kernkör-
perchen, mit stärkerem Lichtglanz entgegen. In die Protoplasmaschicht sind
auch die grünen, ellipsoidischen Körner, die Chlorophyllkörner [cl), eingebettet.
In ihrem Innern lassen sie meist noch kleinere, körnige Einschlüsse erkennen.
Die Protoplasmaschicht kann in solchen Zellen so dünn
sein, daß es Schwierigkeit bereitet, sie an der Zellwand zu
unterscheiden. Man wendet alsdann die ,, Plasmolyse" an,
damit sie deutlicher sichtbar werde. Man setzt zu diesem
Zwecke dem Präparat eine an sich unschädliche Flüssigkeit
hinzu, die eine starke Anziehung auf Wasser ausübt, etwa
Glyzerin oder Salpeterlösung. Zu diesen wandert Wasser
aus dem Zellsaft über, so daß der Saftraum sich verkleinert
und eine Zusammenziehung des ganzen Protoplasten be-
wirkt. Dieser hebt sich von der Zellwand, der er dicht an-
geschmiegt war, ab und bietet sich nun frei der Beobach-
tung dar. So stellt man mit Sicherheit, und zwar in jeder
noch am Leben befindlichen Pflanzenzelle ausnahmslos,
fest, daß der Protoplast, auch wenn er auf eine ganz
dünne Protoplasmaschicht eingeschränkt war, einen in
sich völlig abgeschlossenen Schlauch darstellt und auch
dann noch einen Kern besitzt.
Das den Körper des Protoplasten bildende Proto-
plasma nennen wir Zellplasma oder Zytoplasma. Dieses
schließt, wie wir zuvor sahen (Fig. i), als besondere Ge-
bilde, den Kern und die Chlorophyllkörner ein. Alle lebenden Bestandteile
des Protoplasten fassen wir in dem Begriff des ,, Protoplasma" zusammen.
Dieser Begriff ist somit auch auf die Chlorophyllkörner auszudehnen, da sie
lebendige Gebilde darstellen, und als solche Träger des grünen Farbstoffes sind.
Der Protoplast wird an seiner Oberfläche von einer Plasmahaut, der sog. Hautschicht.
■ 1 xT • 1 1 1 u Vakuolenwände.
„Hautschicht" abgeschlossen, die zytoplasmatischer Natur ist und als leben-
diger Bestandteil zu ihm gehört. Dieser Hautschicht fallen wichtige Aufgaben
am Protoplasten zu. Denn sie bestimmt über die Stoffaufnahme in sein Inneres
und spielt, allem Anschein nach, eine bedeutende Rolle beim Reizempfang. Ge-
gen den großen Saftraum und sonstige etwa noch vorhandenen Saftbehälter ist
der Zelleib ebenfalls durch zytoplasmatische Häute abgegrenzt. Diese ,, Vaku-
olenwände" zeichnen sich durch besondere Widerstandsfähigkeit aus. Sie
können noch am Leben sein, wenn der übrige Protoplast durch schädliche Stoffe,
Fig. I. Schematische Darstel-
lung aneinander grenzender
Pflanzenzellen. Nur eine Zelle
\onständig. Bezeichnet mit (.-
der zytoplasraatischeWiindbe-
l.ng, mit /.' der Zellkern, mit ///
das Kernkörperchen, mhr/ die
Chlorophyllkörner, dieStärke-
einschlüsse führen, mit m die
Zellwand ' Membran), mit / der
Saftraum, mit / die Zwischea-
zellräume. Vergr. etwa 300.
Protoplasma.
12 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
die man auf ihn einwirken ließ, getötet wurde. Sie beherrschen den Stoffaus-
tausch zwischen den Safträumen und dem Zytoplasma; ihre Widerstands-
fähigkeit ermöglicht es, daß bestimmte Vakuolen unter Umständen solche
Stoffe abschließen, die giftig für die Protoplasten sind. Von den die Zellwände
bildenden Membranen unterscheiden sich die Hautschichten und Vakuolen-
wände der Protoplasten in ihren osmotischen Eigenschaften rein physikalisch
dadurch, daß sie ,, semipermeabel" sind.* Denn jene Membranen lassen Lösun-
gen kristalloider Körper passieren, sie verwehren nur den kolloiden Körpern, die
keine echten Lösungen bilden, vielmehr in der Flüssigkeit suspendiert sind, den
Durchgang. Die zytoplasmatischen Hautschichten und Vakuolenwände sind
hingegen auch für kristalloide Körper schwer oder gar nicht durchlässig, nur für
Wasser sind sie unbegrenzt wegsam. Doch diese ihre physikalische Eigenschaft
steht unter dem Einfluß von Lebensfunktionen. Diese vermögen ihr entgegen-
zuwirken und zu veranlassen, daß ein Austausch gelöster Stoffe zwischen den
Protoplasten nach Bedarf stattfindet, solche Stoffe auch, wenn nötig, in Va-
kuolen, Zwischenzellräume, oder selbst an die Oberfläche des Pflanzenkörpers
befördert werden. Durch die Semipermeabilität der Zytoplasmahäute, die
Eigenschaft somit, daß sie ohne das Eingreifen spezifischer Lebensvorgänge, fast
Turgor. ausschließlich dem Wasser den Durchgang gewähren, wird der ,,Turgor"
der lebenden Zellen bedingt. Es ist das der hydrostatische Druck, der in ihnen
herrscht, und der sehr hohe Werte erreicht. Verfügbares Wasser muß, den all-
gemeinen Gesetzen der Diffusion folgend, von dem Orte seiner höheren Konzen-
tration zu dem seiner geringeren sich bewegen, also von reinem Wasser, wo die
Wassermoleküle am zahlreichsten sind, zu einer Salzlösung etwa, die sie in
kleinerer Zahl enthält. Das ist die Ursache der Erscheinung, die als die Anziehung
einer solchen Salzlösung auf Wasser bezeichnet wird. Das ist auch die Ursache
der Anziehung, die der Zellsaft auf Wasser ausübt. Besonders sind es die in ihm
gelösten, kristalloiden Körper, denen hohe osmotische Leistungsfähigkeit zu-
kommt. Diese hält an, weil die semipermeablen, zytoplasmatischen Häute auch
den Kristalloiden den Durchgang nicht gewähren. Das Vorhandensein von fünf
Prozent Rohrzucker in einem gegebenen Zellsaft würde genügen, um innerhalb
des betreffenden Zelleibes osmotische Druckhöhen bis zu 3^2 Atmosphären zu
erzeugen. Der weiche, den Saftraum umhüllende, zytoplasmatische Belag wür-
de einem solchen Druck nicht standhalten. Doch dieser Belag findet ein Wider-
lager an der festen, äußeren Zellwandung, auf die der Druck sich überträgt. Die-
se wird elastisch gespannt und ihr Gegendruck verhindert schließlich eine wei-
tere Wasserzufuhr in den Saftraum, er bewirkt es, daß ebensoviel Wasser aus der
Zelle herausgepreßt wird, als durch osmotische Saugung in sie eintritt. — Legt
man pflanzliche Schnitte in Lösungen kristalloider Körper ein, die stärker sind
als die Lösungen in den Protoplasten, so wandert Wasser aus diesen zu jenen,
und es ziehen sich die Protoplasten zusammen, eine Erscheinung, die wir als
Plasmolyse bereits kennen gelernt haben. Die Stärke der Lösung, die nötig ist,
Plasmolyse um cinc Plashiolysc einzuleiten, klärt uns, falls diese Lösung den Protoplasten
sonst nicht schädigt, über die Druckverhältnisse auf, die innerhalb der Zellen
Der Turofor der Zelle
'o
herrschen. Wir stellen auf solche Weise fest, daß dieser Druck für gewöhnlich
nicht unter fünf Atmosphären beträgt.* Der in den Zellen herrschende Turgor
ist es, der vor allem die Steifheit grüner Pfianzenteile bedingt. Fehlt es solchen
Pflanzenteilen an dem nötigen Wasser, so welken sie. Das lehren uns besonders Das Weiken
häufig die in Töpfen kultivierten Pflanzen. Haben wir vergessen, sie zu be-
gießen, so lassen sie ihre Sprosse hängen. Baldige Versorgung mit neuem Wasser
kann ihnen ihren Turgor wiedergeben. Daß es die lebendigen Zytoplasmahäute
sind, unter deren Herrschaft der Turgor steht, zeigt der Umstand, daß ihr Tod
die Steifheit eines weichen Pflanzenteils sofort aufhebt. Eine rote Rübe, die wir
durch tiefe Kältegrade getötet haben, ist nach dem Auftauen schlaff und läßt
sich wie ein Schwamm auspressen. Die rote Färbung der vortretenden Flüssig-
keit lehrt uns zugleich, daß es auch die lebenden Zytoplasmahäute waren, wel-
che den roten Farbstoff in den Safträumen bannten, und daß, nachdem ihr Wi-
derstand gebrochen ist, die Zellwandungen ihm den Durchtritt nicht zu ver-
wehren vermögen.
Das mußte afles hier schon in die morphologische Aufgabe, die uns ob-
liegt, eingeschaltet werden, um uns einen Begriff von der Bedeutung und der
Leistungsfähigkeit jener lebendigen Substanz der Zelle zu geben, auf die wir in
unseren Schilderungen unausgesetzt werden zurückzukommen haben.
Also eine ganz dünne Lage dieser lebenden Substanz, die lückenlos einen
Saftraum umschließt, ermöglicht es, mitsamt ihrem Kern, daß sich alle Vor-
gänge des Lebens in einer pflanzlichen Zelle abspielen.
Auf einen so dünnen Wandbelag zeigt sich aber das Protoplasma einer le-
benden Zelle höher organisierter Gewächse erst dann eingeschränkt, wenn diese
Zelle ihre voHe Ausbildung erreicht hat. Wenden wir uns an die embryonalen
Zellen dieser Gewächse, so finden wir sie mit Protoplasma mehr oder weniger
vollständig angefüllt. So tritt uns als erste Zelle, mit der ihre Entwicklung be- Embryonale
ginnt, das Ei entgegen. Es klingt für den Uneingeweihten etwas eigen, wenn er
hört, daß auch eine solche Pflanze ihren Ursprung aus dem Ei nimmt. Tatsäch-
lich beginnt aber die Ontogenie aller Wesen, die eine bestimmte Höhe der phylo-
genetischen Entwicklung erreicht haben aus einer einzigen Zelle, der eine der-
artige Bezeichnung zukommt. Das Ei müssen wir bei einer hoch organisierten
Pflanze, etwa bei einer Lilie, im Innern des Fruchtknotens suchen, jenes Gebil-
des, das sich in der Mitte der Blüte erhebt. Dieser Fruchtknoten schheßt Sa-
menanlagen ein. Halbiert man eine Samenanlage der Länge nach, so weist sie
eine mittlere, dem bloßen Auge noch eben kenntliche Höhlung auf, in deren
oberen Ende sich erst bei stärkerer Vergrößerung das in Betracht kommende
Ei auffinden läßt. Es stellt einen rundlichen Protoplasten dar, der in seinem
zytoplasmatischen Körper einen, im Verhältnis zu dessen Gesamtmasse, groß
erscheinenden Kern und einen nur kleinen Saftraum birgt. Die Eier der Pflan-
zen sind, ebenso wie jene der Tiere, nackte Protoplasten, und sie scheiden, erst
nachdem ihre Befruchtung erfolgt ist, eine dünne Zellhaut aus. Das befruchtete
Ei beginnt dann zu wachsen, und sich zu teilen. Auf diese Weise geht aus ihm
eine Keimanlage hervor, die zunächst aus gleichförmig embryonalem Gewebe
H
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Punkte.
Wachstum
der embry
onalen Ge
webe.
besteht, an der sich aber alsbald bestimmte Gewebe von den embryonal
vegetations- bleibenden Vegetationspunkten zu sondern beginnen. Die Vegetationspunkte
behalten auch an der erstarkten Pflanze ihren embryonalen Charakter bei und
geben dauernd neue Zellen an ihren Körper ab, die sich entsprechend weiter
differenzieren und schließlich die ihnen zukommende Ausbildung erlangen (Fig. 2).
Das embryonale Gewebe der Pflanzen zeichnet sich durch seinen Proto-
plasmareichtum dauernd aus. Das lehrt der Anblick selbst solcher Schnitte, die
man den Sproßgipfeln eines ganz alten Baumes entnommen hat. Auch sie wei-
sen kleine, mit Protoplasma angefüllte Zellen auf. Solche embryonale Zellen
schließen stets lückenlos zusammen und weisen sehr dünne Zellwände auf.
In jedem der von dichtem, körnigem Zytoplasma gebildeten Zellkörper
(Fig. 3, I) liegt zentral der große, meist noch dichter
als dieses Zytoplasma erscheinende Zellkern {n) ein-
gebettet. Sein Durchmesser mag zwei Drittel des
Gesamtdurchmessers der Zelle betragen. In diesem
embryonalen Zustand ist, sofern man von den dün-
nen Zellhäuten (m) absieht, der pflanzliche Charak-
ter der Zellen noch wenig ausgeprägt; sie gleichen
in ihrem Verhalten annähernd den tierischen. Auch
wächst dieses embryonale, pflanzliche Gewebe als
solches, nicht anders als das tierische, d. h. durch
Neubildung von Protoplasma in den Zellen, was
eine Vergrößerung ihres Körpers und ihre darauf-
folgende Vermehrung durch Teilung bedingt. Ein
auf Protoplasmazunahme beruhendes, pflanzliches
Wachstum kann aber nicht ergiebiger als jenes
eines tierischen Körpers sein. Die auffällig rasche Größenzunahme, durch
Eigenart des welchc dic Pflauzcn vor den Tieren sich auszeichnen, und die es manchen Ge-
w^cWura^s" wachsen ermöglicht, ihre Sprosse in einem Tage um einen halben Meter und
selbst mehr zu verlängern, stellt eine spezifische Einrichtung bei Pflanzen dar,
die erst auf das embryonale Wachstum bei ihnen folgt.
Ihr Wesen ergibt sich uns aus dem Studium der Veränderungen, die eine
pflanzliche Zelle durchmacht, nachdem sie aus dem embryonalen Zustand her-
ausgetreten ist. Betrachten wir einen zarten, medianen Längsschnitt durch den
Sproßscheitel einer höher organisierten Pflanze, der für gewöhnlich Kegelform
besitzt und daher Vegetationskegel heißt (Fig. 2), so flnden wir sein oberes Ende
von embryonalem Gewebe eingenommen. Indem wir uns nun langsam von die-
sem oberen Ende entfernen, sehen wir die Zellen an Größe zunehmen. Das ge-
wasser schieht dann aber nicht mehr durch entsprechende Vermehrung ihres Proto-
plasmas, sondern durch Aufnahme von Wasser in blasenförmige, als Vakuolen
[v) bezeichnete Hohlräume, die jetzt im Zytoplasma auftreten (Fig. 3, II). Die
Zahl dieser Vakuolen vermehrt sich ; schließlich verschmelzen sie miteinander und
bilden den Saftraum (Fig. 3, III, z£;), um welchen das Protoplasma schließlich nur
noch eine Schicht von geringer Dicke bildet. Die Zelle mag währenddem wohl das
Fig. 2. Sproßscheitel einer phaneroga-
men Pflanze. Bei v Vegetationskegel,
/ Blattanlagen, ^ Achselknospenanlagen.
Vergr. 42.
als Wachstums-
material.
Embryonaler Zustand und Wachstum der Zelle
15
Vielfache ihres ursprünghchen Volumens erreicht haben. Das ist die Ursache
des raschen Pflanzenwachstums. Die Pflanze verwertet hierzu ein Material, das die
unbelebte Natur ihr in unbegrenzter Menge darbieten kann, das sie sich somit
nicht selber herzustellen braucht, das sie vielmehr, falls sie im Wasser lebt, mit
ihrer ganzen Oberfläche aus dem umgebenden Medium, falls sie das Land be-
wohnt, mit ihren Wurzeln aus dem Boden schöpft.
Auch bei Tieren spielt übrigens in den Phasen schnell-
sten Wachstums die Wasseraufnahme in das Proto-
plasma eine weit größere Rolle, als man früher glaub-
te.*) Bei der Froschlarve beträgt beispielsweise der
Prozentsatz des Wassers im Verhältnis zu dem Ge-
samtgewicht des Körpers, am Tage des Auskriechens
56 und nach 15 Tagen 96. Das Protoplasma ist dann
von entsprechend mehr Wasser, bzw. Zellsaft durch-
tränkt und hat in demselben Maße an Volumen ge-
wonnen. Die Ausbildung eines einzigen, zentralen
Saftraums und dessen besondere Verwertung beim
Wachstum, bleibt bei alledem eine spezifisch pflanz-
liche Einrichtung, die auch das Vorhandensein sol-
cher Zellhäute, wie sie den Pflanzen eigen sind, ver-
langt.*) Dieselben Kräfte, die wir als die Bewerk-
steller desTurgors in den pflanzlichen Zellen erkannt
haben, sind es auch, die über ihre ergiebige Größen-
zunahme bestimmen. Dort, wo es nur darauf an-
kommt, einem gegebenen Pflanzenteil durch Turgor
die nötige Festigkeit zu verleihen, wird ein stetiger
Gleichgewichtszustand zwischen der Wasseran-
ziehung durch den Zellsaft und der elastischen Span-
nung der Membran hergestellt. In wachsenden Zellen,
deren Membran eine Flächenzunahme erfährt, nimmt
naturgemäß deren Spannung ab, so daß der Zellsaft
neues Wasser an sich reißen kann. Er wird dabei ver-
dünnt und seine osmotischeLeistungsfähigkeit herab-
gesetzt. Die Membran müßte schließlich bei solchem ^ , ,. ,. ■ -„r ^
" Z\ toplasma hier nur noch einen Wand-
Vorgang ihre Spannung ganz einbüßen, wenn der beiag bildend. « Zeiikem, /// Kem-
, . ,., ...p^,, .,_, körperchen ; ir// Chondriosomen,r'Vaku-
Protoplast nicht für gleichzeitige Erhöhung des i ur- oien, rf.saftraum, rZytopiasma, ?«zeii.
gors in seinem Saftraum sorgen würde. Das tut er ^^=^"'' ^-i^"-i^-"^- vergr.etwa 300.
durch Erzeugung neuer, osmotisch wirksamer Stoffe. Das ist auch sonst notwen-
dig, weil die Dehnbarkeit der Membran sich allmähhch verändert: sie ist am
größten in der Jugend und nimmt mit dem Alter ab. Daher greift die lebendige Regulation durch
Substanz durch aktive Arbeit fortgesetzt in die physikalischen Vorgänge regu- " "^"'"'^ ''^"'''
lierend ein und wacht darüber, daß jene Spannung der Membran, die zudem zu
ihrem Wachstum notwendig ist, erhalten bleibe. Diese Spannung ist aber je
nach der Pflanzenart und den gegebenen Bedingungen verschieden. — Die ge-
Fig. 3. Scheraatische Darstellung von
Zellen, die dem Sproßscheitel einer hö-
her organisierten Pflanze entnommen
sind. I amVegetationspunkt, noch ganz
embryonal. II mit verschieden großen
Vakuolen im Zytoplasma. III mit nur
einem Saftraum, der aus der Verschmel-
zung der Vakuolen hervorging; das
i5 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
dehnte Membran müßte dauernd an Dicke einbüßen, wenn ihr nicht, vom Proto-
plasten aus, immer neue Membranschichten angelagert, bzw. solche Membran-
stoffe geliefert würden, die in schon vorhandene Membranschichten eindringen,
um sie zu vergrößern. Der ganze Vorgang schreitet bei den höher organisierten
Pflanzen derart fort, daß sowohl im Sproß wie in der Wurzel eine Erscheinung
zur Geltung kommt, die Julius Sachs als die große Periode des Wachstums be-
Große Periode zeichuct hat. Sic äußcrt sich in einer zunächst steigenden, dann sinkenden
des Wachstums. Schnelligkeit der Streckung, in dem Maße, als die Entfernung von dem Vege-
tationspunkte zunimmt, bis schließlich dieses Wachstum ganz aufhört. Man
kann feststellen, daß der großen Periode des Wachstums entsprechend, die
Atmungskurve zunächst steigt und dann fällt. Der vitale Verbrennungsvorgang
in den Zellen erfährt eben bei zunehmender Schnelligkeit des Wachstums eine
Zunahme, um bei dessen Abnahme zu sinken.
Mit wachsender Entfernung vom Vegetationspunkt haben sich an der
pflanzlichen Zelle, die dort in ihrem embryonalen Zustand so tierähnlich war,
durch fortschreitende Ausbildung des Saftraums und Förderung der Membran-
Die Ausprägung bildung, dic pflanzlichen Merkmale immer stärker ausgeprägt. Ist das Längen-
pflanzhcher -^^chgtuni Vollendet, so nimmt die Membrandicke meist noch merklich zu.
Manche Zellen verlegen ihre Aufgabe jetzt ganz in diesen Vorgang und brauchen
ihren lebendigen Zelleib dabei auf, um als Skeletteile der Pflanze zu fungieren.
Andere büßen schon während ihres Längenwachstums, oder bald danach, ihren
protoplasmatischen Zelleib ein, um die Wasserbahnen der höher organisierten
Pflanze zu bilden.
Chemische Natur Das Protoplasma wird nicht von einem einzigen chemischen Stoffe gebildet,
desProtoplasmas. ^jgjj-^-^g]^j. ^qj^ einer Vielheit solcher. Wieviel von dem, was uns als Protoplasma
entgegentritt, aus lebendiger Substanz besteht, d. h. organisiert und reiz-
empfänglich ist, aktiv in die Entwicklungsvorgänge eingreift und die Stoff-
wechselerscheinungen reguliert, wieviel nur plastisches Reservematerial dar-
stellt, läßt sich nicht entscheiden. Sicherlich spielen aber im lebenden Proto-
plasma die Eiweiß- oder Proteinstoffe die Hauptrolle. In die chemische Zu-
sammensetzung dieser Eiweißstoffe gehen außer Kohlenstoff, Wasserstoff und
Sauerstoff, auch Stickstoff in erheblicher Menge, etwa zu 15 bis 19 Prozent
und außerdem Schwefel, teilweise auch Phosphor ein. Es handelt sich um sehr
kompliziert gebaute Körper, um hochmolekulare Verbindungen im Sinne der
Chemie, die eben aus diesem Grunde geeignet waren, das Substrat des Lebens
zu bilden. Sie stellen auch die zusammengesetztesten chemischen Bestandteile
der lebenden Wesen dar und werden zumal dort angehäuft, wo die Lebens-
vorgänge sich besonders energisch abspielen. In ihrer Aufgabe unterstützt sie
Kolloidale ihre kolloidale Natur, d. h. die Eigenschaft mit ihren Lösungsmitteln nicht
igensc a ®°- ^Qg^j^ggj^ jj-^^ Wahren Sinne des Wortes, sondern nur Suspensionen sehr feiner
Teilchen zu bilden. Solche kolloidale Lösungen sind durch einen hohen Grad
von Veränderlichkeit ausgezeichnet und können oft durch äußerst geringe Ein-
flüsse zu einer Änderung ihres Zustandes veranlaßt werden, so wie es eben die
Chemische Natur des Protoplasmas I 7
mannigfachen Erscheinungen des Lebens verlangen. Zudem gehen Eiweiß-
stoffe unter sich und mit anderen Substanzen weitere Verbindungen von stei-
gender Komplikation ein. Unter diesen nehmen die wichtigste Stelle die Nu- ProteVnkörper
kleoproteide ein, die vornehmlich in den Zellkernen der organischen Wesen ihren
Sitz haben. Die gewohnten Reaktionen auf Protoplasma, die der Mikroskopiker Mikroskopische
anzuwenden pflegt, rühren von den Eiweißkörpern her. Es ist das die dunkel-
violette, bzw. rote Färbung mit Kupfersulfat und Kalilauge, sog. Biuretreaktion,
eine gelbe Färbung beim Erwärmen mit starker Salpetersäure, sog. Xantho-
proteinreaktion, eine violette Färbung mit a-Naphtol und konzentrierter
Schwefelsäure, sog. Furfurolreaktion, eine Braunfärbung durch Jodlösung, eine
ziegelrote Färbung bei Einwirkung von salpetersaurem Quecksilberoxydul,
dem sog. Millonschen Reagens, eine rosenrote Tönung mit Schwefelsäure, nach
vorausgehendem Zusatz von Zucker, bekannt als Raspailsche Reaktion. Diese
Erkennungsmittel erfüllen innerhalb des in Betracht kommenden Gebietes
meist ihren Zweck, sind aber nicht in allen Fällen maßgebend, da es auch
anderweitige Stoffe gibt, denen ähnliche Farbenreaktionen zukommen. An-
derseits geben oft gerade die wichtigsten Eiweißstoffe des lebenden
Organismus einzelne dieser Reaktionen nicht, so die Nukleoproteide nicht
die Biuret- und Millonsche Reaktion. Daher das Ergebnis solcher Reak-
tionen stets kritisch zu prüfen ist. Die Wichtigkeit dieser Nukleoproteide als Nukleoproteide.
der eigentlichen Bildungsstoffe des Protoplasma ergibt sich auch daraus,
daß sie in hungernden Organismen am längsten dem Abbau widerstehen. In
fast endloser Mannigfaltigkeit sind als weitere Bestandteile des Protoplasmas
bestimmte, sehr kompliziert gebaute, durch Äther und andre analoge Lösungs-
mittel ausziehbare, mit Eiweißstoffen verbundene Körper, die sog. Lipoide, und Lipoide,
als ihr wichtigster Vertreter das Cholesterin, nachgewiesen, außerdem die
höchst unbeständigen, äther- und alkohollöslichen, phosphorhaltigen, organi-
schen Verbindungen, die man als Phosphatide zusammenfaßt. Man möchte Phosphatide,
jetzt von chemischer Seite annehmen, daß jeder Organismus über eine besondere
Kernsubstanz verfügt, und daß jeder Zellenart eigenartige Phosphatide zu-
kommen. So dürfte wohl nach alledem auch der Laie eine Vorstellung davon
gewinnen, um was für komphzierte Probleme es sich bei der Erforschung der
Lebenssubstanz handelt*.
Den unermüdlichen Bemühungen von Emil Fischer ist es bereits gelungen, Synthese
der synthetischen Herstellung der Eiweißkörper im chemischen Laboratorium, '^"^ ^^'''ß«'^
d. h. deren künstliche Erzeugung aus ihren Elementen, recht nahe zu kommen.
Wie die Pflanze verfährt, um aus stickstoffhaltigen Nährstoffen Eiweißkörper
zu bilden, ist noch wenig aufgeklärt. Vom rein chemischen Standpunkte müßte
eine vorausgehende Reduktion der Nitrate des Bodens durch die Pflanze zu
Ammoniak und dessen Verwertung zur Synthese von Aminosäuren, sowie
deren weitere Verkettung, am wahrscheinlichsten erscheinen. Allein es nimmt
neuerdings die Zahl der Pflanzen dauernd zu, in welchen sich Zyanwasserstoff
nachweisen läßt und dort möglicherweise eine der Vorstufen der Eiweißsyn- Biausäure-
these darstellt.* Man könnte daraus folgern, daß vielleicht ganz allgemein in '"' Mtzin/'°
K.d.G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. -,
i8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
den sich selbständig ernährenden Pflanzen, als erste Stufe der Vereinigung von
Stickstoff und Kohlenstoff Zyanwasserstoff, d. h. die wegen ihrer Giftigkeit all-
bekannte Blausäure, entsteht, für gewöhnlich aber sofort weiter verarbeitet
wird und nur in gewissen Fällen sich nachweisbar anhäuft. Doch darüber müs-
sen weitere Untersuchungen erst entscheiden. Außer den durch die Pflanze von
außen aufgenommenen Stickstoffverbindungen treten in die Eiweißbildung die
von ihr erzeugten Kohlenhydrate ein, woraus sich erklärt, daß der bevorzugte
Entstehungsort der Eiweißkörper in der höher organisierten Pflanze die grünen
Blätter sind, also die hauptsächlichsten Laboratorien für Kohlenhydratdar-
stellung. Bei Vorhandensein von Kohlenhydraten kann die Eiweißbildung auch
im Dunkeln vor sich gehen, wird aber in bestimmten ihrer Phasen, wie die Ver-
suche von E. Godlewski besonders lehrten, durch das Licht gefördert.
Wie schon hervorgehoben wurde, befindet sich unter Führung von Emil
Fischer die Chemie bereits auf dem Wege zur Eiweißsynthese. Daß künstliches
Eiweiß, wenn es wirklich erreicht wird, dem natürlichen als Nahrungsmittel
Konkurrenz machen sollte, ist auch nach der Ansicht von Emil Fischer
nicht anzunehmen, da die Natur hier auch weiter zweifellos billiger produ-
zieren wird.
Durch höhere Temperaturen und bestimmte Chemikalien können wir am
Protoplasma jene irreversible, d. h. nicht mehr rückgängig zu machende Ver-
änderung veranlassen, die als Gerinnung bezeichnet wird. Chemikalien, von
Fixierung dcucn wir annehmen, daß sie diese Wirkung auf das Protoplasma ausüben, ohne
ro op asten, g^j^^ Struktur merklich zu verändern, spielen heute eine wichtige Rolle
in der mikroskopischen Technik. Wir verwenden sie, um die Protoplasten zu
fixieren, d. h. zu härten, und sie dann in diesem Zustande, ohne daß sie eine
weitere Veränderung erfahren, untersuchen zu können. Am längsten ist zu
diesem Zwecke möglichst starker Alkohol angewandt worden; doch stellt sich
neuerdings heraus, daß er bestimmte Strukturen des Zytoplasmas zerstört,
anderseits künstliche Gerinnsel in ihm veranlaßt, die dem Zustande im Leben
nicht entsprechen. Als wesentlich günstiger erwiesen sich in dieser Beziehung
0,5- bis I prozentige Lösungen von Chromsäure und Osmiumsäure, und mehr noch
deren Gemische, auch mit Zusatz, je nach Umständen ohne, von einigen Tropfen
Essigsäure. Sowohl Alkohol als auch verdünnte Säuren gehören zu denjenigen
Stoffen, denen die Plasmahaut den Durchgang nicht zu verwehren vermag. Sie
dringen daher rasch in den Protoplasten ein, was dessen Fixierung fördert.
Da Fixierungsmittel künsthche Gerinnungsbilder erzeugen können, die nicht
präexistierten, ist kritische Arbeit auf diesem Gebiete stets erforderlich. Als
besonders schwierig hat sich die Erforschung der Struktur des Zytoplasmas er-
wiesen, was mit dessen relativ flüssigem Zustande im Leben zusammenhängt. Viel
bestimmtere und bei Anwendung verschiedener Fixierungsmittel stets gut über-
einstimmende Bilder ergaben die Kerne, denen von Natur eine wesentlich
festere Konsistenz zukommt. So sind wir denn zurzeit über den Bau der Kerne
und die Veränderungen, die sie in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung
durchmachen, besser unterrichtet, als über die Struktur, die dem Zytoplasma
Mikroskopische Technik. Struktur des Zytoplasmas ig
vor seiner Fixierung schon zu eigen war. Da den Kernen die wichtigsten Auf-
gaben in den Protoplasten zufallen, der Einblick in ihren feineren Bau uns un-
geahnte Gebiete der Forschung erschlossen hat, so dürfen wir uns im Grunde
genommen darüber nicht beklagen, daß sie sich ihrer Erforschung williger füg-
ten, als das Zytoplasma,
Lebende Protoplasten gewähren nur wenig Einblicke in jene feineren Bau-
verhältnisse, welche das fixierte Objekt offenbart. Es hängt das mit der über-
einstimmenden Farblosigkeit und dem annähernd gleichen Lichtbrechungs-
vermögen aller der an ihrem Aufbau beteiligten Stoffe im lebenden Zustande
zusammen. Die Fixierung steigert bereits die optischen Unterschiede, sie würde
trotzdem die Aufgaben der Untersuchung nur in begrenzter Weise fördern,
kämen nicht als wichtiges Hilfsmittel die jetzt üblichen Färbungsverfahren hin-
zu. Wie auch sonst leblose Eiweißkörper, speichern die durch die Fixierung ge-
töteten Farbstoffe auf. Nicht alle tun es aber mit gleicher Begierde und halten Färbung
den Farbstoff mit gleicher Kraft fest. Man kann bestimmte Farbstoffe daher be-
nutzen, um das Präparat zu differenzieren, d. h. die einzelnen Teile gegen die
anderen deutlich vortreten zu lassen. Dazu kommt, daß das fixierte Objekt sich. Mikroskopische
ohne anderweitige Veränderung, mit solchen Stoffen imprägnieren läßt, die
sein Zerlegen in sehr dünne Lamellen ermöglichen. Man wählt zu diesem Zwecke
meist Paraffin, das man verflüssigt, und mit dem man hierauf das Objekt sich
langsam in der Wärme durchtränken läßt. Dann bringt man das Paraffin zum
Erstarren und zerlegt es mit Hilfe äußerst genau arbeitender Schneideappa-
rate, der Mikrotome, in Schnittserien, deren Dicke bis auf 0,001 mm zurück-
gehen kann. Wie entrückt erscheinen dann dem Forscher jene Zeiten, in wel-
chen er sich damit begnügen mußte, Schnitte von kaum unter o, i mm Stärke,
aus freier Hand, mit einem Rasiermesser ausgeführt zu haben ! Die mit dem
Mikrotom hergestellten Schnittbänder werden kunstgerecht auf Glastafeln be-
festigt, dann der Einwirkung von verschiedenen Farbstoffen ausgesetzt und
schließlich in Kanadabalsam unter Deckglas aufbewahrt.
Bei der Betrachtung jugendlicher, von Protoplasma noch ganz angefüllter struktur
Zellen lassen sich, unter besonders günstigen Beobachtungsbedingungen, schon
im lebenden Zytoplasma, überaus zarte Fäden, Stäbchen und Körner inner-
halb einer scheinbar homogenen Grundsubstanz unterscheiden. Jede nach-
teilige Einwirkung veranlaßt eine Vakuolisierung dieses Zytoplasmas. Ent-
sprechende Fixierungen und Färbungen lassen die Fäden und Körner im Zyto-
plasma deutlich hervortreten. Man hat diese Gebilde als ,,Chondriosomen" zu- chondriosomen.
sammengefaßt, und die eingehende Untersuchung ergab, daß tierische und
pflanzhche, embryonale Zellen in dem Besitz dieser Chondriosomen überein-
stimmen. Je nachdem sie sich als homogene Fäden, Körnerfäden oder getrennte
Körner darstellen, hat man sie als Chondriokonten, Chondriomiten und Mito-
chondrien unterschieden"'-' (Fig. 4). Zur Zeit der Kernteilung, wenn es sich
in erhöhter Tätigkeit befindet, zeigt sich das Zytoplasma zudem von noch
andern Fäden durchsetzt, die ihr besonderes Färbungsvermögen kenntlich zu
machen gestattet.
20
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Protoplasma- Viclfach fällt in den Zellen eines Präparates, das man sich aus einem in vol-
stromung. j^^ Lebcnstätigkeit befindlichen Pflanzenteil, etwa einem Laubblatt, herstellte,
eine deutliche Bewegung im Zytoplasma auf. Diese hätten wir auch in den
Plasmodien der Schleimpilze, die uns schon mehrfach beschäftigt haben,
nachweisen können. Die glashelle Grundsubstanz der Plasmodien ist zäher an
ihrer Oberfläche, dünnflüssiger im Innern. Dort führt sie körnige Einschlüsse
mannigfaltiger Art, darunter auch zahlreiche Kerne. Dieses dünnflüssigere
Zytoplasma ist in Strömung begriffen. Die Ströme eilen dem Rande des Plas-
modiums zu, etwa in Ausstülpungen, die dort gerade vorgestreckt werden, oder
sie sind gegen das Innere gerichtet, während der Rand sich zurückzieht. Im
allgemeinen wechseln diese beiden Richtungen der Strömung miteinander ab,
wobei jede allmählich anhebt, ein Maximum ihrer Schnelligkeit erreicht, sich
dann verlangsamt und schließlich aufhört, worauf die entgegengesetzte Be-
wegung einsetzt. Das Plasmodium zeigt also außer
der mit Gestaltsveränderung verbundenen, kriechen-
den Bewegung, die uns früher schon auffiel, auch
eine innere Strömung: ein so anziehendes Bild des
Lebens, daß es den Beobachter stets von neuem
fesselt! Es erschien von jeher sehr verlockend, dem
Mechanismus dieser Bewegungen nachzuforschen,
doch ihn aufzuklären, gelang nur in sehr beschränk-
tem Maße. Selbstverständlich folgt auch diese zäh-
flüssige Protoplasmamasse den physikalischen Ge-
setzen, welche die Materie beherrschen. Die Bewe-
gung eines Plasmodiums läßt sich äußerlich mit dem
Fig. 4. Vier der stengelspitze eines Füeßeneincs zähcu Flüssigkeitstropfcns auf nicht
K.eimlings von Asparagusorhcmahs eilt- " ^
nommene Zellen. /(Kern, r/ichondrio- benetzbarer Unterlage, für welches Oberflächen-
soraen. Nach G.LEwirsKY.Vergr. 1400 • -i-> i 1 1 • 1 11
Spannungen m Betracht kommen, vergleichen, doch
im Gegensatz zu leblosen Tropfen vermag das Protoplasma diese Spannungen
nach Bedarf zu beeinflussen. Es fügt sich den äußeren Einwirkungen auch
nicht passiv, wie eine tote Substanz, es verrichtet vielmehr als lebendiger Kör-
per auch innere Arbeit, mit Hilfe der Energie, die es sich durch Oxydation
organischer Nahrungsstoffe verschafft. Diese Kraft stellt es in den Dienst seiner
Lebensfunktionen. Wie denn auch die Strömungen in seinem Innern für eine
entsprechende Mischung und Verteilung der Nahrungsstoffe und deren Be-
förderung nach den Verbrauchsorten Sorge tragen, und die Ortsveränderung
Reizbarkeit, seiner ganzen Masse sich nach der wechselnden Anregung äußerer Reize richtet,
um es nach den Orten passendster Beleuchtung, förderlichster Ernährung und
geeignetstem Wassergehalt hinzuleiten. Zudem ändert noch das Plasmodium,
je nach dem Reifezustand, den es erreichte, seine ,, Stimmung" und sucht, um
zu fruktifizieren. Orte auf, die es zuvor gemieden hätte.
In der Protoplasmaströmung, die eine Zelle innerhalb ihrer geschlossenen
Wände aufweist, handelt es sich um dieselbe Erscheinung wie im Innern eines
Plasmodiums. Ist das Zytoplasma einer solchen Zelle auf einen den Saftraum
Strömungserscheinungen im Zytoplasma 2i
umhüllenden Belag beschränkt, so pflegt der Strom in breitem Bande ihrer
Wand zu folgen, dieselbe Richtung, zum mindesten während der Beobachtungs-
dauer, einhaltend. Man nennt das Rotation. Kern und auch Chlorophyllkörner,
wenn letztere vorhanden, werden durch den Strom mitgeführt. Anders bietet
sich das Bild dar, wenn außer dem zytoplasmatischen Wandbelag auch Zyto-
plasmastränge vorhanden sind, die den Saftraum durchsetzen. Dann sieht man
die Ströme ihre Richtung wechseln, sowohl an der Wandung als auch in den
Strängen. Sogar in einem dünnen Strange können gleichzeitig entgegengesetzte
Ströme verlaufen. Die inneren Stränge ändern Gestalt und Lage und verlagern
damit den Kern, der meist bei dieser Art der Protoplasmaverteilung sich zwi-
schen ihnen aufgehängt zeigt. Eine solche Protoplasmaströmung wird als Zir-
kulation bezeichnet. Was aber für uns große Wichtigkeit erlangt, ist die Kon-
statierung der Tatsache, daß in allen behäuteten Zellen, welche Protoplasma- verhalten
Strömung zeigen, die Hautschicht des Protoplasten sich an dieser Bewegung
nicht beteiligt. Dadurch wird die Ansicht, daß diese Hautschicht die Reiz-
empfängerin am Protoplasten sei, ganz wesentlich gestützt. Denn wenn alle
Teile des Protoplasten dauernd ihre Lage zu der Richtung der von außen auf sie
einwirkenden Kräfte verändern würden, so müßten deren Wirkungen sich
gegenseitig aufheben, und es könnte die Pflanze nicht in eine bestimmte, durch
sie bedingte Stellung gelangen. Die Hautschicht ist äußerst dünn, daher der
Nachweis, daß sie ruht, während das übrige Zytoplasma sich bewegt, nur mit
Hilfe der Plasmolyse sich führen läßt. Wendet man zu diesem Zwecke Lösungen
an, die dem Saftraum zwar Wasser entziehen, den Protoplasten aber nicht schä-
digen, so hält während seiner beginnenden Kontraktion die Strömung in ihm
noch an, und man stellt dann sicher fest, daß die Hautschicht sich an dieser Be-
wegung nicht beteiligt. Es gibt übrigens eine Gruppe grüner, algenähnlicher
Pflanzen, die unsere Gewässer bewohnen, die Armleuchtergewächse oder
Characeen, welche die Konstatierung dieser Tatsache auch ohne alle künstliche
Behandlung zulassen. Diese Pflanzen sind noch so wenigzellig und daher durch-
scheinend, daß man sie direkt unter dem Mikroskop beobachten kann. Im be-
sonderen ist dazu die Gattung Nitella geeignet, weil die langen Zellen, die ihre
Astquirle als Internodien trennen, unberindet sind. Diese Zellen weisen einen
besonders mächtigen Rotationsstrom des Protoplasmas auf, so auffällig, daß er
selbst den frühesten, mit schlechten Instrumenten ausgestatteten Mikrosko-
pikern nicht entgehen konnte. Der italienische Botaniker Bonaventura Corti
beschrieb ihn schon im Jahre 1772. Da mit dieser Entdeckung sich damals
noch nichts anfangen ließ, so hat man sie wieder vergessen; ihre Bedeutung ge-
wann sie erst, als das Wesen des Protoplasmas erkannt wurde. In diesen Inter-
nodialzellen liegt nun der lehrreiche Fall vor, daß die Chlorophyllkörner durch
den Strom nicht mit bew^egt werden; sie bilden eine ruhende Schicht außerhalb
des Stromes, und das ist nur möglich, weil sie dort eine Stütze an der ruhenden
Hautschicht finden.
So wie wir dies für die inneren Strömungen der Plasmodien schon geäußert Nutzeffekt
haben, wird auch die Protoplasmabewegung in den behäuteten Zehen der höher '"''j^!!!^!^^!,^^'"''"
2 2 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
organisierten Pflanzen zur Stoffmischung beitragen und den Stofftransport von
Zelle zu Zelle fördern. Man hat festgestellt, daß bei der Vallisnerie {Vallisneria
spiralis) und der Wasserpest {Helodea canadensis, Rieh.), zwei Wasserpflanzen,
die sich zu solchen Versuchen sehr eignen, der Transport bestimmter Salz-
lösungen mit Hilfe der Protoplasmaströmung sich drei bis viermal so rasch voll-
zieht, wie durch einfache Diffusion. Freilich steht für eben diese beiden Pflan-
zen andererseits auch fest, daß sie in unversehrten Geweben von einer Proto-
plasmaströmung kaum etwas erkennen lassen. Erst die Verwundung hat eine
solche Steigerung der Strömungsvorgänge zur Folge. Diese sind dann der sicht-
bare Ausdruck der erhöhten Tätigkeit, welche die Verwundung in den Proto-
plasten auslöste, und die sich auch in erhöhter Atmung äußert. Dadurch soll der
Heilungsprozeß gefördert werden. Schneidet man in lebenskräftige, pflanzliche
Gewebe hinein, so findet man meist, daß sich Zytoplasma und Kerne an den
Wänden sammeln, die der Wundfläche zugekehrt sind. In den Fäden der Spiro -
gyra, einer Süßwasseralge, deren Zellen man leicht in Teilung antrifft, sieht man
zarte, mit feinkörnigen Reservestoffen beladene Protoplasmaströme den Orten
zueilen, wo Baumaterialien zur Anlage neuer Zellwände erforderlich sind. Ein-
seitige Licht- und Schwerkraftreize können auch Umlagerungen in den Proto-
plasten veranlassen, die zu den Tätigkeiten, die dann eingeleitet werden sollen,
in Beziehung stehen. So reagiert denn der Protoplast überall in einer Eigenart,
die ihn als lebendigen Körper kennzeichnet, er reagiert in einer Weise, welche
die Erhaltung seines Lebens fördert. Im Laufe der phylogenetischen Entwick-
lung erworbene, erblich fixierte Eigenschaften sind es, welche das spezifische
Wesen seines Verhaltens bestimmen.
An den Plasmodien der Myxomyzeten, die uns so auffällige Einblicke in
die Bewegungsfähigkeit einer lebendigen Substanz gewährten, ruft Wasser-
verlust einen Zustand hervor, der äußerlich ganz dem Tode gleicht. Das Plas-
modium wird zunächst dickflüssiger und träger, beginnt dann sich zusammen-
zuballen und knollige Körper zu bilden, denen ihre gefurchte Oberfläche das
Aussehen kleiner, tierischer Gehirne verleiht. Schließlich wird die ganze Masse
wachsartig zäh und läßt sich mit dem Messer schneiden. Sie stellt einen Ruhe-
zustand der Plasmodien dar, den man als Sklerotium bezeichnet. In diesem Zu-
Latentes Leben. Stande führt das Plasmodium ein sogenanntes ,, latentes" Leben, das man auch
als Scheintod oder ,,Anabiose" bezeichnet hat. Das Sklerotium hat aufgehört zu
atmen, und man müßte es wirklich für tot halten, ließe es sich nicht durch Wasser-
zusatz zum Leben zurückerwecken. Da beginnt es nach einiger Zeit wieder Fort-
sätze vorzustrecken und kehrt zu dem früheren, beweglichenZustand zurück. Man
hat Sklerotien von Fuligo septica, jenem Schleimpilze, der die gelben Plasmodien
auf der Gerberlohe, die sogenannte ,, Lohblüte", bildet, monatelang trocken auf-
bewahrt, ohne daß sie ihre Lebensfähigkeit einbüßten. Unbegrenzt hält diese
Fähigkeit aber nicht an, und dann ist das Sklerotium wirkhch tot, ohne daß der
Unterschied gegen früher sich in irgend welcher sichtbaren Form geäußert hätte.
In Wirklichkeit stellen auch zahlreiche Flechten und Moose, die auf Felsen,
Mauern oder Dächern wachsen und dort zeitweise völlig austrocknen, um bei
Latentes Leben des Protoplasten. Der Zellkern 23
jeder Befeuchtung wieder aufzuleben, eine Art Sklerotien dar. Das gleiche
gilt im Prinzip von den Samen selbst der höchst organisierten Gewächse, die unter
Umständen sehr lange Ruhezeiten durchzumachen vermögen. An manchen
dieser Samen war, nachdem man sie künstlich ganz wasserfrei gemacht hatte,
weder irgend ein Verbrauch von Sauerstoff noch Kohlensäurebildung nach-
zuweisen, und doch blieben sie keimfähig. Das Aussetzen der Atmung, das
den Pflanzen, von welchen diese Samen stammten, den baldigen Tod gebracht
hätte, wurde also von den trockenen Protoplasten ihrer Samen ohne Nachteil
ertragen. Dünne Schnitte, die man sich aus einer trockenen Erbse herstellt,
zeigen unter dem Mikroskop den Inhalt aller Zellen wie erstarrt. In
einer gequollenen Erbse haben die Protoplasten ihr lebendiges Aussehen bald
wieder zurückerlangt. Das latente Leben vermag in manchen Samen sich
dezennienlang zu erhalten, eine Fabel hingegen ist es, daß man Weizenkörner
aus ägyptischen Mumiengräbern zur Keimung gebracht habe. Andererseits
gilt es als gesichert, daß Samenkörner derLotospflanze {Nelumbium speciosum),
die in wohlverschlossenen Kästchen im British Museum in London aufbewahrt
worden waren, nach mehr denn 150 Jahren zum Teil noch keimten. — Die
meisten Samen unserer Gewächse verlieren freilich ihre Keimfähigkeit nach
verhältnismäßig kurzer Zeit, es gibt darunter sogar solche, die das Austrocknen
überhaupt nicht vertragen.
Das strömende Zytoplasma stellt eine zähflüssige, kolloidale Masse dar, Konsistenz
die zu 75 % und mehr aus Wasser aufgebaut ist. Daß aber an die halbflüssige ^^ «■otop^smab
Beschaffenheit nicht das Wesen des Protoplasmas gebunden ist, das zeigen die
Fälle, wo dieses Protoplasma, in voller Ausübung seiner Lebensfunktionen, eine
andere Konsistenz zeigt. Im Aufbau der Kerne weist es schon eine viel größere
Dichte auf; um die Geißeln von Schwärmsporen oder Spermatozoiden zu bilden,
wird es fast zu einem festen Körper.
Im lebenden Kern {nucleus) der Zelle erkennt man wenig Struktur; nur die Der Bau des
Kernkörperchen (wM6-/g(7/j) treten als stärker lichtbrechende Kügelchen meist "^^ ^° *° ^^"^"^
deutlicher in ihm hervor. In embryonalen Zellen hat der Kern annähernd kuglige
Gestalt; in älteren, mit Saftraum versehenen Zellen flacht er sich meistens
scheibenförmig ab; in Zellen, die bedeutend in die Länge wachsen, folgt er auch
wohl der Streckung, nimmt unter Umständen selbst Spindelform an. In verein-
zelten Fällen ist er verzweigt. — • An fixierten und entsprechend gefärbten
Präparaten stellt man fest, daß solchen Kernen, die noch in voller Lebenstätigkeit
stehen und vermehrungsfähig sind, der Bau eines wabig- netzartigen Gerüstwerks
zukommt. Die Substanz, aus welcher die Fäden dieses Gerüstwerks bestehen,
nimmt Kernfarbstoffe nur wenig auf. Sie wird als ,,Linin" bezeichnet, im Gegen - Linin.
satz zu den stark färbbaren Körnchen, die ihr eingebettet sind, und die auf
Grund dieses Verhaltens den Namen ,, Chromatin" erhielten. Die Kernkörperchen Chromatia.
liegen innerhalb der Maschen des Gerüstwerks. Dieses als Ganzes nimmt einen
Hohlraum ein, der mit sogenanntem ,, Kernsaft" erfüllt und mit einer ,, Kern-
membran", die in Wirklichkeit eine Vakuolenwandung, umgeben ist. Mit dieser
schließt sich das angrenzende Zytoplasma gegen die Kernhöhle ab.
24
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Höher organisierte Pflanzen und Tiere stimmen darin überein, daß ihre
Protoplasten einkernig sind. Die phylogenetische Entwicklung führte in beiden
organischen Reichen schon frühzeitig zu diesem übereinstimmenden Ergebnis.
An den unteren Grenzen der beiden organischen Reiche sind hingegen
Vielkernigkeit, mehrkernige und sogar vielkernige Protoplasten nicht selten. Sie stellen bei
den Pilzen eine häufige Erscheinung dar und kommen auch bei den Algen
vielfach vor. Eine grüne Alge, die in unseren Gewässern weitverbreitet ist,
und deren buschig verzweigte, an irgend einer Unterlage festsitzende Fäden
durch den Strom hin und her bewegt werden, die Gattung Cladophora,
besitzt in jeder ihrer langen Zellen wohl an hundert Kerne, die gleichmäßig
in dem Zytoplasma verteilt sind. In einer anderen, sehr verbreiteten Süß-
wasseralge, deren Körper einen sattgrünen, gabelig verzweigten Schlauch
bildet, der Vaucheria, könnte man Tausende von Kernen zählen, ungeachtet
sie einzellig ist.
Chlorophyll- Nur die oberirdischen Teile einer höher organisierten Landpflanze, und an
dieser nur die außen gelegenen Gewebe, sind grün gefärbt. Das ist auch ganz
begreiflich, da die grünen Gewebe ihre Aufgabe nur im Licht erfüllen können,
und dieses eine bestimmte Intensität dazu besitzen muß. In allen höher orga-
nisierten Pflanzen ist der grüne Farbstoff an protoplasmatische Gebilde von
etwas abgeflachter Körnerform gebunden, während bei den niederen Algen
diese Gebilde auch andere Gestalten, wie beispielsweise die von Bändern, Ster-
nen oder Platten besitzen können. Holt man sich ein Glas voll grüner Algen-
fäden aus einem Teich und betrachtet sie unter dem Mikroskop, so wird man
solche besonders gestaltete Chlorophyllkörper sicherlich zu sehen bekommen.
Für die in unseren süßen Gewässern mit am häufigsten vorkommende Algen-
gattung Spirog^'ra ist die Ausbildung der Chlorophyllkörper in Form von
Bändern so bezeichnend, daß man diese Gattung unschwer daran erkennt.
Die grünen Bänder sind, je nach der Spezies von Spirogyra, die man vor
Augen hat, in Ein- oder Mehrzahl in jeder Zelle vertreten. Die Zellen folgen,
einen Faden bildend, in einfacher Reihe aufeinander. Ihre Chlorophyll-
bänder verlaufen schraubenförmig innerhalb des zytoplasmatischen Belags
der Seitenwände. — • Im weiteren Fortschritt der phylogenetischen Entwick-
lung haben die Pflanzen ihren Chlorophyllapparat endgültig in einzelne
Körner zerlegt. Das hat sich augenscheinlich am besten bewährt, weil es,
wie G. Senn zeigte, jedem Chlorophyllkorn gestattet, sich innerhalb seiner
Zelle mit einer gewissen Selbständigkeit auf das ihm am besten zusagende
Licht einzustellen.
Bei der grundlegenden Bedeutung, die der Arbeit zukommt, die von der
grünen Pflanzenzelle geleistet wird, konnte es nicht an Bemühungen fehlen, tie-
Farbstoflfe fcr in ihr Wesen einzudringen. Veröffentlichungen über den grünen Farbstoff,
^' körp°er.'' ^ " ^^^ ^^^ Chlorophyllkörper tingiert, füllen an sich schon Bände. Die Ausdeh-
nung, welche diese Untersuchungen gewannen, spricht beredt für die Schwierig-
keiten, mit denen sie zu kämpfen hatten. Die Chemie des Chlorophylls kann
noch nicht als abgeschlossen gelten, sie darf sich aber bereits sehr großer Erfolge
Chlorophyll 2 5
rühmen. Es handelt sich dabei um chemische Probleme, denen nur der Ein-
geweihte folgen kann. Die Ergebnisse der Untersuchung würden sich jetzt aber
dahin zusammenfassen lassen, daß die Chlorophylline hochmolekulare, kohlen-
stoff-, Sauerstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff- und magnesiumhaltige Verbindungen
darstellen, die mit einem Alkohol verestert sind und Pyrrholkerne enthalten.*
Für den Nichtchemiker will diese Definition nicht viel sagen, sie soll ihm nur
zeigen, um was für komplizierte Dinge es sich hierbei handelt. Es muß der
Pflanze Eisen dargeboten werden, damit sie Chlorophyll bilde, doch ist in
diesem Farbstoff Eisen selbst nicht vertreten. Für uns ist es wichtig, vor allem
hervorzuheben, daß die Chlorophyllkörper ihre grüne Färbung nicht einem
einzigen Farbstoff verdanken. Übergießt man grüne Pflanzenteile mit sehr
starkem, am besten absolutem Alkohol, so hat dieser alsbald eine schöne,
grüne Färbung angenommen. Die erhaltene Lösung ist smaragdgrün, wenn
man sie zwischen Lichtquelle und Auge hält, sie erscheint blutrot, wenn man
sie gegen eine dunkle Unterlage betrachtet. Dieses eigenartige, optische
Verhalten dankt die Chlorophyllösung einer Eigenschaft, welche die Physiker
als ,, Fluoreszenz" bezeichnen. Daß der alkoholische Auszug nicht einen ein- Fluoreszenz
heitlichen Farbstoff in Lösung führt, davon überzeugt man sich durch einen
sehr einfachen Versuch. Taucht man nämlich einen herabhängenden Fließ-
papierstreifen mit seinem unteren Ende in die grüne Lösung, so färbt er sich
dort alsbald grün, weiter hinauf aber gelb. Der grüne, alkoholische Auszug wird
als Rohchlorophyll bezeichnet. Auch mit Äther, Petroläther oder fetten Ölen
kann man sich solche Rohchlorophyllösungen herstellen. Es steht heute fest, daß
die Chlorophyllkörper eine Mehrzahl nächst verwandter, grüner Chlorophylline chiorophyUine,
in Mischung führen. Auch der gelbe Bestandteil des Chlorophyllkörpers ist nicht " ''°Ka°rotk!^^"''
einheitlich, man hat in ihm vielmehr Xanthophylle und Karotine (oder Karo-
tinoide, wie man sie jetzt nennen möchte) zu unterscheiden. Die Xanthophylle
sind reingelb, die Karotinoide orangerot wie das Karotin der Möhre, d. h. Ka-
rotte, nach der dieser Kohlenwasserstoff den Namen führt. Interessant ist die
chemische Verwandtschaft, die sich zwischen den Chlorophyllinen und dem
Hämatin, d.h. dem roten Blutfarbstoff hat nachweisen lassen, in dessen Aufbau,
im Gegensatz zum Chlorophyll, Eisen eingeht. Die physiologischen Aufgaben,
die dem Chlorophyll im Körper der Pflanzen und dem Hämatin im Körper
von Wirbeltieren zufallen, sind zudem durchaus verschieden. Man hat auch
die Frage aufgeworfen, ob die Tiere ihr, das Hämatin enthaltende, Hämoglobin
nicht aus den Zersetzungsprodukten des mit der Pflanzennahrung aufgenom-
menen Chlorophylls aufbauen.
Die grünen Pigmente sind es allein, denen eine Rolle bei der Arbeit zu- Die Roiie
fällt, welche die Chlorophyllkörper mit Hilfe des Sonnenlichtes in der Pflanze ""^pigmeiue!"^"
leisten; bei alledem beträgt ihre Menge in intensiv grün gefärbten Laubblättern
nur 0,5 bis i % von deren Trockensubstanz. Die gelben Pigmente sind an der
spezifischen Arbeit der Chlorophyllkörper nicht beteiligt. Wäre dem anders,
so müßten auch gelbe Blumenblätter, die zumeist dieselben Xanthophylle wie
die Laubblätter führen, zu den gleichen Leistungen wie sie befähigt sein, was
2 6 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
nicht zutrifft. Auch das Chlorophyll bedarf aber, um sich zu betätigen, der le-
bendigen, protoplasmatischen Unterlage des Chlorophyllkörpers. Man hielt es
bisher für das Wahrscheinlichste, anzunehmen, daß das Chlorophyll, dieser le-
bendigen Unterlage gegenüber, die Rolle eines Sensibilisators spielt, ähnlich
jener von Eosin oder anderen Anilinfarben in den orthochromatischen, photo-
graphischen Platten. Durch Zusatz dieser Farbstoffe macht man die ge-
bräuchlichen, bromsilberhaltigen, photographischen Platten für Lichtstrahlen
empfindlich, die sonst nicht auf sie wirken. So sollte auch das Verhältnis des
Chlorophylls zu seinem protoplasmatischen Träger sein. Die Fortschritte der
Chlorophyllchemie eröffnen jetzt aber auch andere Möglichkeiten, sich die
Rolle, die dem Chlorophyll in der lebendigen Unterlage zufällt, vorzustellen.
Seitdem der Magnesiumgehalt des Chlorophylls sichersteht, wird man nämlich
dahin geführt, Vergleiche zwischen ihm und gewissen metallorganischen
Magnesiumverbindungen, mit deren Hilfe sich leicht organische Synthesen
durchführen lassen, anzustellen. Solche Dienste könnte das magnesiumhaltige
Chlorophyllin im Chlorophyllkorn leisten. — Man hat sich vielfach bemüht,
Die die photochemische Synthese der Kohlenhydrate, also jenes Ergebnis, zu
Synthese°außer- wclchcm dic Lichtarbcit des Chlorophyllapparates in der lebendigenPflanze führt,
halb der Pflanze. j^j{- ^j^^ ohnc Hilfc von Chlorophyllösungcn, außerhalb des Pfianzenkörpers
zu erreichen.* So gelanges durch Verwendung stiller elektrischer Entladungen,
bei welchen ultraviolette Strahlen auftreten, als Energiequelle, Kohlensäure und
Wasser zu Formaldehyd zu vereinigen, und durch Polymerisation des Formal-
dehyds mittels Alkali Kohlenhydrate sich aufbauen zu lassen. Doch über die
Mittel, deren sich die Pflanze bei der Photosynthese bedient, vermögen wir noch
immer keine sicheren Angaben zu machen.
Die Chlorophyllkörner lassen bei sehr starker Vergrößerung meist einen
Bau der Chioro- porösen Bau erkennen, und dann stellte man auch fest, daß es ihre Poren sind,
p y orner. ^.^ ^^^ grüncn Inhalt führen. Zudem sieht man bei der großen Mehrzahl der
höher organisierten Pflanzen noch größere, farblose Einschlüsse in den Chloro-
phyllkörnern. Es sind das Stärkekörner, die uns schon früher in ihnen auffielen.
Die photochemi- Sic Stellen das erste geformte Produkt jener photochemischen Synthese dar,
^'^ d^er Pflanze. " bei wclcher der Chlorophyllapparat der Pflanzen, unter Verwendung der Ener-
gie der Sonnenstrahlen, aus Kohlensäure und Wasser, unter Abspaltung von
Sauerstoff, Kohlenhydrate produziert. Man hält es heute für das Wahrschein-
lichste, anzunehmen, daß bei diesem Vorgang Formaldehyd entsteht, der zu
Zucker polymerisiert wird. Formaldehyd ist freilich eine für lebende Wesen
sehr giftige Substanz, von der V. Gräfe aber neuerdings zeigen konnte, daß
sie von den grünen Pflanzenteilen, selbst in bedeutenderen Mengen, vertragen
wird. Entsteht mehr Zucker, als gleichzeitig abgeleitet werden kann, bzw. steigt
die Konzentration der Zuckerlösung in der ihn produzierenden Zelle über ein be-
stimmtes Maß hinaus, so wird ein Teil von ihm in Stärke verwandelt. Dazu
Bildung müssen mehrere Zuckermoleküle zusammentreten, um die hochmolekulare Stärke
zu bilden, was unter Wasseraustritt geschieht. Verschiedene monokotyle Ge-
wächse lassen es bei der Zuckerbildung bewenden; bei ihnen würden wir daher
Funktion der Farbstoflfkörper 27
keine Stärke in Chlorophyllkörnern vorfinden. Doch auch bei den Pflanzen, die
dort Stärke erzeugen, wird diese, wenn der Gehalt an Zucker in der Zelle sinkt, in
solchen wieder zurückverwandelt, was durch den Einfluß von Enzymen, unter
Wasseraufnahme, d. h. Hydrolyse, geschieht. Daher die Stärke zur Nachtzeit,
während welcher die Kohlensäureassimilation stillesteht, die Pflanze somit
neuen Zucker nicht hinzubildet, aus den Chlorophyllkörnern schwindet. Um
Stärke in den Chlorophyllkörnern anzutreffen, dürfen wir also unsere Beobach-
tung nicht zu früh am Morgen anstellen, müssen der Pflanze vielmehr Zeit für
Neuerzeugung von Stärke lassen. Wintergrüne Gewächse sind zur Winterzeit,
nach Lidforß, zuckerreich, doch stärkefrei. Sie erhöhen dadurch ihren Turgor,
wodurch die Gefahr des Verwelkens vermindert wird und ziehen daraus auch
den weiteren Vorteil, daß der Gefrierpunkt ihres Zellsaftes sinkt.
Die Trockensubstanz einer grünen Landpflanze besteht aus etwa 45% Koh-
lenstoff, 42% Sauerstoff, 6,5% Wasserstoff, 1,5% Stickstoff und 5% Aschen-
bestandteilen. Mehr als 90% ihrer Trockensubstanz hat der ChlorophyUapparat
dieser Pflanze aus der Kohlensäure der Luft und aus dem Wasser des Bodens
hergestellt. Durch die Ansammlung der in dem Chlorophyllapparat der grünen
Pflanze erzeugten Kohlenhydrate, wird eine entsprechende Ansammlung von
potentieller Energie in ihr bewirkt.
Mit der Behauptung, daß die Kohlenstoffassimilation bei unseren Land- Rotgefarbte
pflanzen an das Vorhandensein von Chlorophyfl gebunden sei, scheint es im ""^ ^ *°^^°'
Widerspruch zu stehen, daß es so viele Kräuter gibt, die wir zu Teppichbeeten
in unseren Gärten verwenden, so manche Sträucher und Bäume, die wir in unseren
Anlagen ziehen, deren Laub nicht grün, sondern rot ist. Dessenungeachtet gedei-
hen diese Pflanzen ersichtlich und nehmen an Größe zu, müssen somit in der
Lage sein, sich so wie andre Pflanzen, die grün sind, zu ernähren. In Wirklich-
keit rührt das daher, daß auch diese blutfarbigen Gewächse Chlorophyllkörner
in ihren Blättern führen, und daß ihre grüne Farbe nur durch den rot gefärbten
Zellsaft einer äußersten Gewebeschicht verdeckt ist. Das Grün des Chlorophyfls
kombiniert sich mit dem Rot des Zellsaftes zu jenem Rotbraun, das diesen
Pflanzen die Bezeichnung von Blutpflanzen verschaffte, wie uns das für ,, Blut-
buchen" besonders geläufig ist.
Doch wird man sich weiter an solche Gewächse des Meeres erinnern, deren Rot- und
gesamter Körper eine andere Farbe als Grün aufweist. Es handelt sich dabei "eeaigeL '^
um die mannigfaltig ausgestatteten Seealgen, Gewächse, die in der äußeren
Gliederung ihres Körpers zum Teil auffällig an hoch organisierte Landpflanzen
erinnern. Besonders an den Ufern des Mittelmeeres, das nur sehr schwache Ebbe
und Flut hat, dürfte es jedem Beobachter auffallen, daß die Vegetation der
flachen Stellen fast durchweg grün ist. Nach einem Sturme wird der Strand aber
auch von braunen und roten Algen bedeckt sein, die größerer Tiefe entstam-
men. Statt grüner Körner in ihrem Innern werden die Zellen solcher Algen un-
ter dem Mikroskop braun und rot gefärbte zeigen. Diese anders tingierten Kör-
ner verrichten in ihnen aber dieselbe Arbeit, wie anderswo die grünen. Sie dan-
ken aber auch tatsächlich ihre Färbung Pigmenten, die mit dem Chlorophyll
2 8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
nächstverwandt sind. Es ist noch nicht für alle in Betracht kommenden Fälle
entschieden, ob es sich um ein Gemisch von Chlorophyll mit anderen Farbstoffen
oder einen einheitlichen Farbstoff bei ihnen handelt, einen Farbstoff, der aber
leicht Chlorophyll abspaltet. Man braucht in der Tat rote Meeresalgen nur in
Süßwasser zu übertragen, damit dieses sich rot färbe, die Algen selbst aber grün
werden. Den schönen Farbstoff, der sich solchermaßen den roten Meeresalgen
Phykoerythriu. abgewiuucn läßt, hat man Phykoerythrin genannt. Er ist im durchfallenden
Lichte rosenrot und im auffallenden orangerot. Es kommt ihm somit, wie dem
Fluoreszenz. Chlorophyll, die sonst nicht eben häufige Eigenschaft der Fluoreszenz zu. x\uch
die Farbe der braunen Meeresalgen führen die einen auf einen einheitlichen
Phaeophyii. Farbstoff, das Phaeophyll, andere auf ein Gemisch grüner, rotbrauner und gelber
Farbstoffe zurück. Tötet man solche braune Algen mit siedendem Wasser, so
werden sie grün. — Wir sahen in den oberen Schichten des Meeres die grüne
Farbe bei den Algen vorherrschen und fanden das nicht eben auffällig, weil dort
ganz ähnliche Beleuchtungsverhältnisse wie auf dem festen Lande herrschen.
In dem Maße, als das weiße Tageslicht tiefer ins Wasser dringt, muß es dort eine
Änderung in seiner Zusammensetzung erfahren. Denn die Strahlen verschiede-
ner Wellenlängen, aus denen es zusammengesetzt ist, werden vom Wasser un-
gleich rasch verschluckt. Schon in geringen Tiefen fehlen jene Strahlen in der
Beleuchtung, die auf unser Auge den Eindruck von Rot machen. Dann schwin-
det Gelb, dann Grün; am tiefsten vermögen die blauen Strahlen vorzudringen.
Th, W. Engelmann* suchte nun zu begründen, daß die Abweichungen, welche
die Meeresalgen in ihren Färbungen von den Landpflanzen zeigen, bedingt seien
durch die Verhältnisse der Beleuchtung, unter denen sie leben. Um das Licht,
von dem sie erreicht werden, am besten für die Arbeit der Kohlenstoffassimi-
Kompieraentär- lation ausnutzcn zu können, müßte ihre eigene Färbung die Komplementärfarbe
" ""algen'^^^ zu jcucr der Umgebung sein. Dagegen hat man nun manchen Einwand geltend
gemacht, vor allem hervorgehoben, daß vielfach rote Meeresalgen auch in ge-
ringer Tiefe zwischen grünen anzutreffen sind. Die Anhänger der Engelmann-
schen Auffassung suchen aber diesen Einwand, so wie andere, dadurch zu ent-
kräften, daß sie geltend machen, die Zusammensetzung des umgebenden Lich-
tes sei die phylogenetische Veranlassung der gegebenen Algenfarbe gewesen,
was aber nicht ausschließe, daß eine so gefärbte Alge dann auch in einem ihr
weniger zusagenden Lichte zu existieren imstande sei. Den Nachteil, der ihr
dort aus ihrer Färbung erwachse, könnten andere günstige Bedingungen der
Umgebung mehr oder weniger ausgleichen. Ja, Ernst Stahl möchte die Engel-
Das Grün der manuschcn Deutungen auch auf die Landpfianzen ausdehnen. Deren grüne
^^it^plTun^^' Farbe sei auch als Anpassung an die auf unserem Erdball herrschenden Be-
leuchtungsverhältnisse aufzufassen, als Anpassung an das bei seinem Gang
durch die Atmosphäre und ihre Einschlüsse modifizierte Sonnenlicht. Die Laub-
blätter unserer Landpflanzen erscheinen uns grün, weil der größte Teil von
Rot, sodann Orange, Blau und Violett, durch den Farbstoff ihrer Chlorophyll-
körner verschluckt werden, die grünen Strahlen hingegen nicht. Die grünen
Strahlen sind aber jene, die in unserem Tageslicht am schwächsten vertreten
Phykoerythrin und Phaeophyll. Herbstfärbung des Laubes 20
sind. Im direkten Sonnenlicht, das die Landpflanzen trifft, herrschen die roten
und gelben Strahlen vor, im zerstreuten Tageslichte die blauen und violetten;
dagegen treten die von der Atmosphäre absorbierten ultraroten und die grünen
Strahlen merklich zurück. Noch weiter würde die Anpassung reichen, wenn
die Pflanze auch die grünen Strahlen verschlucken möchte und demgemäß
eine graue Farbe besäße. Doch dann wäre, wie Ernst Stahl des näheren
ausführte, ihr Körper, bei intensiver Bestrahlung, zu sehr der Gefahr der Ver-
sengung ausgesetzt. Im direkten Sonnenlichte verwertet tatsächlich ein grüner
Pflanzenteil nur einen Bruchteil der auffallenden Energie für die Arbeit der Koh-
lensäureassimilation, in bestimmten Fällen bloß etwa 0,5%.
Die schönen Laubfärbungen der Holzgewächse, die unserer Landschaft im Herbstfärbung
Spätherbst einen so hohen Reiz verleihen, rühren von Veränderungen her, die
sich in den Geweben der Blätter vollziehen, wenn sie am Ende ihrer Lebensauf-
gabe stehen. Ihre Chlorophyllkörner werden dann desorganisiert, und was an
ihren Abbauprodukten sowie sonstigen Bestandteilen der Protoplasten für den
fortlebenden Pflanzenkörper Wert hat, wird nach diesem abgeleitet. In den
schließlich nur noch mit vorwiegend wässerigem Inhalt erfüllten Zellräumen
sieht man einigeÖltröpfchen und Kristalle, außerdem gelbe, stark lichtbrechende
Kugeln. Das Laub erscheint dann gelb, in satten, oft schon aus weiter Ferne
leuchtenden Tönen. Andere Gewächse treten uns mit roten Herbstfärbungen
entgegen, dies vornehmlich dann, wenn der Zuckergehalt ihrer Blätter verhält-
nismäßig groß war. Der Saft in den Zellen nimmt unter solchen Umständen eine
rote Färbung an. Bei starker Insolation werden die Herbsttöne des Laubes be-
sonders kräftig. Wunderbar ist das Bild, das sich um jene Zeit im Hochgebirge
dem Wanderer offenbart. Das leuchtende Gelb, das brennende Rot und das rot-
schimmernde Braun des Laubes an den Sträuchern ersetzen ihm jetzt die feh-
lenden Blüten. — Nicht um eine Farbenänderung des abzuwerfenden Laubes
handelt es sich hingegen bei solchen Nadelhölzern, deren Blätter in unseren
Gärten im Winter sich bräunen. Im Frühjahr sieht man die nämlichen Blätter
wieder ergrünen. Ihr Chlorophyll hatte zeitweise, wohl um sich besser gegen
den Einfluß des Lichtes während der winterlichen Ruhezeit zu schützen, diese
Veränderung erfahren, um hierauf seine ursprüngliche Farbe wieder anzu-
nehmen. Anders das Braunwerden absterbender Laubblätter, das eine Zer-
setzungserscheinung ist, bei welcher braune, wasserlösliche Farbstoffe auftreten.
Die Chlorophyllkörper der grünen Pflanzen, sowie die ihnen entsprechen-
den, der Kohlenstoffassimilation ebenfalls dienenden, anders gefärbten Gebilde,
die uns bei Seealgen entgegentraten, stellen nur ein bestimmtes Endglied der
Entwicklung vor, welche die Chromatophoren der Pflanzen einschlagen kön-
nen. Unter dem Begriff Chromatophoren faßt man alle die als Chloro-, Chromo- curomatophoret
und Leukoplasten bezeichneten Formelemente pflanzlicher Zellen zusammen.
Ihren Ursprung finden diese Gebilde, nach den Ergebnissen der neuesten
Forschung, in jenen winzigen Anlagen, die wir bereits als Chondriosomen inner-
halb der embryonalen Zellen kennen gelernt haben.* Die hanteiförmigen Ge-
stalten, die sich unter ihnen einstellen (Fig. 4), sind Teilungszustände, die mit
30 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
einer Trennung der angeschwollenen Enden abgeschlossen werden. Aus diesen
Anlagen gehen in älteren, vom Licht betroffenen Zellen, sofern die sich an
der Arbeit der Kohlenstoffassimilation beteiligen sollen, die verschieden ausge-
chioropiasten. stalteten Chlorophyllkörper, d. h. die Chloroplasten, hervor. In Blumenblättern
und Früchten mit einer bestimmten, von der grünen abweichenden Färbung
chromopiasten. haben sich diese Anlagen zu Chromoplasten ausgebildet. Sie erscheinen gelb
oderorangeund verdanken diese Färbung ganz ähnlichen Pigmenten, wie es jene
sind, die den gelben Bestandteil der Chloroplasten ausmachen. Chlorophylline
erzeugen sie nicht. Sie bedürfen ihrer nicht für ihre Aufgabe, die nur darin
bestehen soll, die Sichtbarkeit der betreffenden Pflanzenteile zu erhöhen. Das
tun sie entweder für sich allein oder in Verbindung mit Farbstoffen, die der
Zellsaft in Lösung enthält. Diese Chromoplasten können Körnerform haben,
in ihrer Gestalt aber auch mehr oder weniger den Kristallen gleichen. Letzteres
geschieht dann, wenn ein Teil des Eiweißes, das an dem Aufbau ihres protoplas-
matischen Körpers beteiligt ist, oder des Farbstoffes, der sie tingiert, auskristal-
lisiert. Die Blütenfarben dienen zur Anlockung der Insekten, welche den Honig
in den Blüten sammeln und zugleich unbewußt deren Bestäubung vermitteln.
Gefärbte Früchte fallen Tieren schon aus der Ferne auf, werden von ihnen ver-
zehrt, und die Samen, soweit sie dabei unversehrt bleiben und den Körper des
Tieres unbeschädigt verlassen, verbreitet. Man hat festgestellt, daß Vögel die
Samen verzehrter Früchte nicht selten schon nach fünf Minuten wieder aus-
brechen, und daß solche Samen auch nicht mehr als eine halbe bis anderthalbe
Stunde in deren Darm verweilen. Für manche Samen ist nachgewiesen, daß diese
durch Passage des Darmkanals von Vögeln und Säugern an Keimfähigkeit ge-
winnen. Die Färbung der Früchte pflegt sich erst dann einzustellen, wenn ihre
Samen reifen, dann auch erst werden sie schmackhaft. Im Innern des Pflanzen-
körpers, dort wo das Licht sie nicht erreicht, Stärke aber als Reservestoff depo-
Leukopiasten. niert wcrdcu soll, bilden sich die Anlagen der Chromatophoren zu Leukoplasten
aus. Wie der Name es schon verrät, bleiben die Leukoplasten ungefärbt. Sie zeigen
kugelige, scheibenförmige oder elliptische Gestalten, werden in ihrem Aussehen
unter Umständen auch durch auskristallisierendes Eiweiß beeinflußt. Es fällt
ihnen in den Reservestoffbehältern die Aufgabe zu, aus der Zuckerlösung, die
ihnen zugeführt wird, Stärkekörner zu bilden. In ihrem Innern werden diese als
winzige Gebilde angelegt, die weiter wachsen und bei manchen Pflanzen so an-
sehnliche Größe erreichen, daß man sie als weiße Punkte mit dem bloßen Auge
schon unterscheiden kann. Den Nachweis ihrer Verwandtschaft mit den Chloro-
plasten vermögen selbst die Leukoplasten der ausgeprägtesten Reservestoff-
behälter unter Umständen noch zu erbringen. Eine Kartoffelknolle, die man
längere Zeit der Wirkung des Tageslichtes aussetzt, ergrünt an der beleuchteten
Seite. Man kann dann feststellen, daß es dort die Leukoplasten der peripheren
Zellschichten sind, die sich grün gefärbt haben, die zugleich auch porös wurden,
Vermehrung der in cincm Wortc, den Charakter von Chlorophyllkörnern annahmen.
körner°durch Dic Chlorophyllkörncr können auch nach ihrer Fertigstellung fortfahren,
Teilung. gj(,j^ durch Zweiteilung zu vermehren. Das Korn nimmt an Länge zu, schnürt
Chloro-, Chromo-, Leukoplasten. Vermehrung der Chromatophoren; Stärke 31
sich in der Mitte ein und wird schließlich in zwei gleich große Körner zerlegt.
In dem Laube immergrüner Gewächse, kann dieser Vorgang über mehrere
Vegetationsperioden sich erstrecken und die grüne Färbung der Blätter da-
durch verstärken.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß der Kohlenstoff wie vorbestimmt Die Mannig-
war, den Grundstoff des Lebens zu bilden. Denn er ist zu einer besonders großen ^KoUeTsto^s-'^
Zahl von Verbindungen befähigt. Diese stellen chemische Körper von außer- Verbindungen,
ordenthcher Mannigfaltigkeit dar, die zudem mehr oder weniger leicht inein-
ander übergehen. Das gibt der lebenden Pflanze die Möglichkeit, von einigen
wenigen Stoffen ausgehend, überaus zahlreiche Körper aufzubauen, die ent-
sprechend ihrer chemischen Verschiedenheit auch durch besondere physika-
lische Eigenschaften sich auszeichnen.
Dazu verwendet die Pflanze, und in weiterer Instanz auch das Tier, nur Organisciie und
die von der Pflanze erzeugten, daher als organische bezeichneten Kohlenstoff- Ko^meTstöffver-
verbindungen, welche, um es allgemeinverständlich auszudrücken, ,, verbrannt" bindungen.
werden können, also einen Energievorrat darstellen. Das ist bei den ,, anorga-
nischen" Kohlenstoffverbindungen nicht der Fall, womit ein physiologisch
grundsätzlicher Unterschied zwischen ihnen bedingt wird.
Wir sahen bei der Arbeit des Chlorophyllapparats der grünen Pflanzen im
Lichte Zucker entstehen und diesen Zucker sich dann innerhalb der Chloro-
phyllkörner als Stärke gewissermaßen niederschlagen. Es ist für die Pflanze stärke.
sicherHch das Vorteilhafteste, ein Assimilationsprodukt, das nicht unmittelbare
Verwendung findet, auch nicht rasch genug fortgeleitet werden kann, in einen
festen Zustand überzuführen. Denn in diesem Zustand beansprucht es den ge-
ringsten Raum, ist zugleich am indifferentesten. Die Zunahme des Zuckers in
der Zelle steigert den osmotischen Druck in ihr über das zulässige Maß. Durch
seine Überführung in Stärke wird dem abgeholfen. Daher etwa 80 Prozent aller
höher organisierten Pflanzen zu diesem Mittel greift und zur Zeit starker Assi-
milation Stärke in ihren Chlorophyllkörnern ablagert. Der Chlorophyllapparat
wird aber nicht dauernd durch diese Stärke belastet. Des Nachts findet sie Zeit,
mehr oder weniger vollständig aus den Chlorophyllkörnern auszuwandern, wo-
bei der aus ihr wiedererzeugte Zucker nach Orten des Verbrauchs oder Orten
der Aufbewahrung, den Reservestoffbehältern, den Weg einschlägt. Auf diesem
Wege wird er, sobald seine Zufuhr über die Abfuhr dominiert, mit Hilfe von
Chloro- oder Leukoplasten wieder in kleine Stärkekörner umgesetzt, die daher
oft als ,,transitorische" Stärke seine Leitungsbahnen bezeichnen.
Erst in den Reservestoffbehältern, soweit diese die ihnen zugeführte Zucker-
lösung in Form von Stärke speichern sollen, werden in Leukoplasten umfang-
reichere Stärkekörner erzeugt, die nach Größe, Form und innerem Bau oft cha-
rakteristische Merkmale darbieten. Jeder Schnitt, den wir durch eine Kartoffel-
knolle ausführen und bei hinreichender Vergrößerung untersuchen, zeigt uns
alles Gewebe vollgepfropft mit Stärke. Die Körner sind hier verhältnismäßig
groß (Fig. 5), denn ihre Länge beträgt bis 0,09 mm und kann bei bestimmten
Kartoffelsorten selbst auf das Doppelte steigen. Hätten wir Schnitte durch den
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Wurzelstock des Riesenblumenrohrs, Canna gigantea Desf.*, vor Augen, so wür-
den uns diese bis 0,175 mm große Stärkekörner vorführen, mit die allergrößten,
welche das Pflanzenreich aufzuweisen hat. Solche Körner lassen sich schon ein-
zeln mit dem bloßen Auge unterscheiden. Im allgemeinen begnügen sich die
Pflanzen aber, auch in ihren Reservestoffbehältern, mit Stärkekörnern von weit
bescheideneren Dimensionen, die bis auf 0,002 mm zurückgehen. Die Stärke-
körner pflegen mehr oder weniger deutliche Schichtung zu zeigen; es kann diese
Schichtung zentrisch oder exzentrisch sein. Unsere Weizen- und Roggen-
stärke ist zentrisch gebaut, d. h. der Bildungskern, um den sich die Schichten
während der Größenzunahme des Korns lagerten, liegt annähernd in der Mitte.
Diese Körner sind linsenförmig, ihr größter Durchmesser schwankt um 0,04 mm.
Stets sieht man viel kleinere, eckige Stärkekörner zwischen diesen größeren lie-
gen. Die Kartoffelstärke ist eiförmig,
meist deutlich und zwar stark exzen-
trisch geschichtet. Zwischen den ein-
fachen Körnern weist sie auch ein-
zelne zusammengesetzte Körner auf,
die aus zwei oder drei zu einer Ein-
^ heit verbundenen Körnern bestehen.
fiBm I^ ^^^ Erbse fänden wir ovale, deut-
lich zentrisch geschichtete Körner
Fig. 5. Stärkekörner aus der KartoffelknoUe. ^ ein einfaches, VOr, dicbis 0,005 mm lang Werdcn
j5 ein halbzusammengesetztes Stärkekorn. C und D ganz zu- i • i t-) • r ' TT'
sammengesetzteStärkek.iraer <• der Bildungskern des Stärke- UUd radiale RlSSC aUIWClSen. Hin
kornes. Vergr. 540. Hafcrkom würde uns in entsprechend
ausgeführten Schnitten ellipsoidische, bis 0,05 mm lange Stärkekörner zeigen,
jedes Korn aus 200 bis 300 Teilkörnern zusammengesetzt sein und leicht in
sie zerfallen. Diese Beispiele glaubte ich aufzählen zu müssen, um zu zeigen,
daß man verschiedene Stärkesorten unter dem Mikroskop unterscheiden
kann, was für die Nahrungsmittelforschung oft von großer Bedeutung ist.
Freilich kann die mikroskopische Untersuchung in bestimmten Fällen auch
versagen, so z. B. wenn es die sehr ähnliche Weizen- und Roggenstärke zu
unterscheiden gilt. Da muß man nach anderen Anknüpfungspunkten für die
Bestimmung suchen.
Um die Stärke aus den pflanzlichen Reservestoffbehältern zu befreien, ver-
reibt man das Gewebe mit Wasser und trennt die Stärke von der ,, Pulpe" durch
Sieben und Schlämmen. So gewinnt man die Kartoffelstärke des Handels,
während bei der Herstellung von Getreidemehl das die Stärke führende Ge-
webe mit zermahlen wird. In der Kartoffelknolle stellt die Stärke 25 Pro-
zent des Gesamtgewichts dar, beim Weizenkorn sogar 70 Prozent der Trocken-
substanz.
Man weiß, daß die Stärke zu durchscheinendem, gallertartigem Kleister
verquillt, wenn man sie im Wasser auf 60 bis 70^ C erhitzt. Mit Jodlösung be-
handelt wird sie blau, bei Überschuß von Jod fast schwarz. Doch gibt es auch
solche, ebenfalls als Stärke in den Pflanzen bezeichnete Körner, die durch Jod
Bau und Reaktionen der Stärkekörner 72
nicht blau, sondern weinrot gefärbt werden. So verhält sich unter anderen die
sogenannte Klebstärke, die bestimmten Sorten von Reis eigen ist und den
Japanern zur Kleisterbereitung dient.
Wir stellten fest, daß eine Mehrzahl von Traubenzuckermolekülen sich ver-
bindet, um das Stärkemolekül zu bilden. Wir haben es somit bei der Stärke
chemisch mit einem Polysaccharid zu tun. Bei der Rückverwandlung der Stärke
in Zucker ist als erstes Enzym die Diastase tätig. Sie stellt ein Gemenge von
zwei Enzymen, der Amylase und der Maltase dar. Die Amylase zerlegt die
Stärke durch Spaltung ihres Moleküls unter Wasseraufnahme, d. h. durch Hy-
drolyse, in Maltose, einen Malzzucker, dessen Moleküle, so lehrt uns die Chemie,
aus zwei Traubenzuckermolekülen bestehen. Die Maltase vergreift sich an
dem Malzzucker und spaltet ihn in Traubenzucker. An der Herstellung von
Stärkekörnern aus Zucker sind in derPflanze lebende, protoplasmatische Gebilde,
die Chromatophoren, beteiligt. Die Spaltung der Stärke durch die wirksamen
Enzyme läßt sich ebenso auch außerhalb des pflanzlichen Organismus durch-
führen. Bei ihrem Eingreifen handelt es sich um Wirkungen, die denen der so-
genannten ,, Katalysatoren" ähnlich sind, undderen Wesen darin besteht, daß sie
durch ihre Anwesenheit langsam verlaufende, chemische Prozesse beschleunigen.
Sie wirken schon in äußerst geringen Mengen ein, so daß ein Gewichtsteil Dia-
stase zwei Tausend Gewichtsteile Stärke zerlegen kann. — Viel Arbeit ist darauf
verwendet worden, festzustellen, ob die Stärkekörner, wie sie die Pflanzen uns
liefern, aus einem einheitlichen chemischen Stoff oder aus verschiedenen solchen,
nächstverwandten Stoffen sich aufbauen. Der Hauptbestandteil der gewöhn-
lichen Stärkekörner ist sicherlich die sogenannte Amylose, jenes Polysaccharid,
das uns schon bekannt ist. Untersuchungen aus letzter Zeit suchen es nun wahr-
scheinlich zu machen, daß die bisher angenommene Verschiedenheit unter den,
in den Aufbau eines jeden Stärkekorns eingehenden, Substanzen nur bedingt sei
durch eine verschiedene Einlagerung von Mineralstoffen in die Amylose.*
Stärkekörner, die mit Jod rote Färbungen annehmen, dürften dies ihrem Gehalt
an dextrinartigen Körpern verdanken.
Den Bau der Stärkekörner hat man mit dem der Sphärite verglichen, d. h.
von Kristallkugeln, die aus radial angeordneten, in Schichten gelagerten Kristall-
nadeln zusammengesetzt sind. Die lebendige Substanz der Leukoplasten, in
welcher dieser Kristallisationsvorgang sich vollzieht, läßt ihn aber nicht unbe-
einflußt, wie das ja der Umstand lehrt, daß die Ausgestaltung der Stärkekörner,
je nach ihrem Ursprung, spezifische Verschiedenheiten zeigt. Die Annahme, daß
ein Kristallisationsvorgang die Grundlage für die Stärkeform abgibt, wird da-
durch gestützt, daß auch ein der Stärke nächstverwandtes Polysaccharid, das
Inulin, das ihre Stelle in den Reservestoffbehältern der Kompositen, beispiels-
weise der Georginenknollen, einnimmt und dort in gelöstem Zustand gespeichert
wird, beim Auskristallisieren Sphärite bildet. Dieses Auskristallisieren wird
künstlich, etwa durch Einlegen inulinreicher Gewebe in 50prozentigen Alkohol
veranlaßt. Es vollzieht sich somit ohne das Eingreifen von Lebensvorgängen
und liefert demgemäß ausgeprägte Kristallkugeln.
K. d.G. III. TV, Bd 2 Zellenlehre etc. -j
34
Eduard Strasburger-. Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Kleber Wenn wir einen dünnen Querschnitt durch ein Weizenkorn (Fig. 6), einen
oder Aieuron. g(,jjj^j|.^^ ^gj. mindestens an einzelnen Stellen auch die Außenschale in sich faßt,
mit Jodlösung behandeln, so sehen wir, daß in einer Zellschicht, die dicht unter
dieser Schale liegt, die vorhandenen, kleinen Körnchen sich nicht blau, sondern
gelbbraun färben. Diese Körner stellen Kleber oder Aieuron dar. Erst auf die
Kleberschicht folgt im Weizenkorn nach innen das stärkeführende Gewebe.
Der Kleber oder Gluten ist ein Eiweißstoff, der demgemäß, so wie andere Ei-
weißstoffe, eine gelbbraune Färbung mit Jod annimmt. In diesem Falle zeigt
der Kleber die Gestalt kleiner Körnchen. Diese Körner gehen aus Vakuolen
des Zytoplasmas hervor, die sich mit Eiweißlösungen füllten, und deren Eiweiß
bei steigender Konzentration der Lösung, und infolge des durch das Austrocknen
der reifenden Frucht veranlaßten Wasserverlustes, schließlich in fester Form er-
starrte. Diese Kleberschicht, die in un-
Fig. 6. ÄußererTeil eines Querschnittes durch einAVeizen-
körn (Triticum vulgare). /> Fruchthülle, ^ Samenhaut. An
die Samenhaut grenzt das Endosperm. In diesem a/Aleuron-
körner, n Zellkern, am Stärkekörner. Vergr. 240.
serenGetreidekörnern das innere, stärke-
haltige Gewebe deckt, wird beim Mahlen
mitsamt der Schale als Kleie von ihm
getrennt. Am vollständigsten geschieht
das beim Verfahren, das jetzt allgemein
beim Mahlen der Weizenkörner befolgt
wird. Dadurch büßt das Mehl annähernd
vollständig die durch den Kleber ver-
tretenen Eiweißstoffe ein. Das bedeutete
aber bis jetzt insofern nicht einen Ver-
lust an Nährwert für das Mehl, als bei
dem üblichen, trockenen Vermählen der
Kleie die Aleuronzellen nicht zermalmt
werden, man das Aieuron aus ihnen
somit nicht befreit. Bleiben aber die
Aleuronkörner von den Membranen ihrer Zellen umschlossen, so kommt es
nicht zu ihrer Ausnutzung im Verdauungskanal des Menschen. Erst neuerdings
gelang es , durch nasse Kleievermahlung die Aleuronzellen zu öffnen. Die
so erhaltene, breiartige Masse wird getrocknet, dann für sich nochmals ver-
mählen und dem übrigen Mehle zugesetzt. Sie wird nunmehr verdaut so wie
das übrige Mehl. Das aus solchem Mehl hergestellte Brot ist aber dunkler. —
Eiweiß wird als Reservestoff im Samen oft deponiert. Chemisch handelt es
sich hierbei im allgemeinen um Eiweißstoffe, die als GlobuHne bezeichnet
werden, und die man außerdem als Legumin in den Erbsensamen, Konglutin
in Lupinensamen, Edestin in fetthaltigen Samen, u. dgl. m. unterscheidet.
Fettes Öl ist neben dem Aieuron in dem Gewebe trockener Samen aufgespei-
chert. In lehrreicher Form würde uns diese Erscheinung bei der Untersuchung
von Schnitten durch Rizinussamen entgegentreten (Fig. 7). Wir bekämen dort
verhältnismäßig große, ellipsoidische Aleuronkörner zu sehen, zudem in jedem
Eiweiß- dieser Körner einen Eiweißkristall und ein Kügelchen, das aus dem Magne-
kristaUoide. g.^^g^j^ ciuer gepaarten Phosphorsäure mit organischem Paarung besteht.
Kleber. Eiweißkristalloide
35
des Eiweißes.
ß^
Ein Teil des Eiweißes ist also in diesem Falle auskristallisiert zu recht inter-
essanten Gebilden, die Kristallform haben, dessenungeachtet quellbar sind
und nach Art sonstiger Eiweißkörper Farbstoffe aufspeichern. Man hat sie daher
von den echten Kristallen als Kristalloide unterschieden. In ihrer Gestalt ent-
sprechen sie aber durchaus echten Kristallen, die A. F. W. Schimper durch An-
wendung der in der Mineralogie üblichen Methoden bei Rizinus als ,, isotrope
Kristalloide regulär tetraedrisch-hemiedrischer Symmetrie" bestimmen konnte.
Das Zytoplasma, in welches die Aleuronkörner bei Rizinus eingebettet sind, führt
reichliche Mengen von Öl, dem bekannten Rizinusöl, das sich, durch das Wasser,
in welchem wir unsere Schnitte untersuchten, aus diesen verdrängt, an den
Rändern in großen, stark lichtbrechenden Tropfen sammelt. — In saftigen
Reservestoffbehältern, sofern diese auch Eiweiß speichern, ist dieses im Zellsaft
gelöst. Dieses Eiweiß kann man auch in einer Kartoffelknolle nachweisen, wenn
man auf dünne, durch sie geführte Schnitte Alkohol einwirken läßt. Es bildet
sich dann ein feinkörniger Niederschlag in den Zellen, der aus diesem Eiweiß
und in naher Beziehung zu ihm stehenden Amiden besteht.
Wir wissen bereits, daß die Eiweißsynthese in den Pflanzen sich auch ohne MobiUsierung
Zutun des Lichtes vollzieht. Die zu dieser Synthese erforderliche Energie ge-
winnen die grünen Pflanzen ihren Kohlenhydraten
ab. Das Eiwxiß kann, als kolloider Körper, nicht die
Membranen der Zellen passieren. Die Landpflanzen,
ja schon gewisse Abteilungen massigerer Seealgen,
bilden für den direkten Transport von Eiweiß be-
stimmte Zellenzüge aus, die durch offene Poren mit-
einander kommunizieren. Wir werden uns später mit
ihnen beschäftigen. Um durch geschlossene Mem-
branen wandern zu können, muß das Eiweiß wieder
,, abgebaut" werden. Die Zerlegung seines Riesen-
moleküls in kleinere Moleküle geht auf hydrolytischem Wege vor sich, wie die
der hochmolekularen Stärke, wenn sie wandern soll. Sie erfolgt ebenfalls unter
dem Einfluß von Enzymen, und zwar ganz ähnlicher, proteolytischer Enzyme,
wie es auch jene sind, die in den Verdauungswegen des tierischen Körpers die
als Nahrung aufgenommenen Eiweißkörper zerlegen. In den grünen Pflanzen
treten unter den für die Wanderung bestimmten, aus fortgesetzten Spaltungen
hervorgegangenen Abbauprodukten des Eiweißes besonders auffällig die Amide
hervor, unter ihnen am häufigsten das Asparagin, d. h. das Amid der Amino-
bernsteinsäure. Doch scheinen in diesen Amiden nicht mehr die primären Abbau-
produkte des Eiweißes, sondern aus diesen durch neue Synthesen wieder herge-
stellte Körper vorzuliegen. Bei Sauerstoffabschluß findet nur die primäre Eiweiß-
hydrolyse statt, und es stellen sich als Produkte dieser, Tyrosin und Leuzin,
und nur ganz unbedeutende Mengen von Asparagin ein. Bei Luftzutritt hin-
gegen, somit wenn Sauerstoff zur Verfügung steht, geht aus diesen primären Pro-
dukten durch synthetische Reaktion Asparagin hervor. Das Asparagin führt den
Namen nach den Spargelsprossen, die man für kulinarische Zwecke vergeilen
Fig. 7. .»/Zelle aus dem Eudosperm
von Ricinus communis unter Wasser
beobachtet. B einzelne Aleuron-
körner unter Olivenöl. /• Eiweiß-
kristalle, g- Globoid. Vergr. 500.
^5 Eduard Strasburger-. Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
läßt, und aus denen man es zuerst gewann. In Spargelstücken, die man in Alkohol
einlegt, bilden sich Sphärokristalle von Asparagin, welche beweisen, daß hier
ein kristalloider, also für die Wanderung durch Membranen wohl geeigneter
Körper vorliegt. Man hat daher die Rolle des Asparagins für die Beförderung
von Eiweißkörpern mit jener des Zuckers bei dem Transport der Kohlenhydrate
verglichen.* Die an geeignete Orte beförderten Abbauprodukte der Eiweiß-
körperwerden dort zu deren Wiederaufbau verwendet. Fehlen die hierzu nötigen
Kohlenhydrate, so häuft sich das Asparagin an solchen Stellen an. So in den
vergeilten Spargelsprossen, die in der Dunkelheit erzogen werden, nicht ergrünen
und daher aus Mangel an Chlorophyll und Licht keine Kohlenhydrate bilden
können. — Untersucht man mikroskopisch auf Schnitten Rizinussamen während
der Keimung, so sieht man in dem Maße, als letztere fortschreitet, die Aleuron-
körner schwinden. Sie werden mit Hilfe von Enzymen abgebaut und der Re-
servestoff, den sie darstellen, wird in solcher Weise mobilisiert.
Abbau und Wie dlc Pflanze die Kohlenhydrate und die Eiweißstoffe mit Hilfe von
Synthese im tie- Enzvmen abbaut, um aus diesen Bausteinen erst wieder die Substanz ihres
rischen Körper. •'
Körpers aufzubauen, oder sie als Energiequellen zu benutzen, so tut dies auch
das Tier. Es herrscht in dieser Beziehung zwischen der Tätigkeit pflanzlicher
und tierischer Protoplasten die größte Übereinstimmung. Auch im tierischen
Körper geht eine Zerlegung der großen Moleküle der aufgenommenen Nahrungs-
stoffe durch Hydrolyse, ihrem Wiederaufbau durch Synthese voraus. Aus die-
sem Nachweis, der im besondern durch Emil Abderhalden geführt wurde, hat
sich ergeben, daß die synthetische Leistungsfähigkeit des tierischen Körpers
weit größer ist, als man noch bis vor kurzem angenommen hat. Es ist Emil
Abderhalden auch durch direkte Versuche gelungen, die komplizierten Ver-
bindungen der Nahrungsmittel durch ihre chemischen Bausteine zu ersetzen,
und da die Chemie diese bereits aus anorganischen Stoffen künstlich herzu-
stellen vermag, so ist damit auch eine künstliche Ernährung der Tiere mit
Umgehung der Pflanze theoretisch gelungen. Nur theoretisch, denn praktisch
wird auch weiterhin die Pflanze fortfahren, die Ernährerin des Tieres zu sein,
da ihre Arbeit in Schaffung der Kraftquellen durch Verwertung des Sonnen-
lichtes, so wie das schon für die künstliche Synthese der Eiweißkörper betont
wurde, die billigsten, und man darf wohl auch annehmen, die schmackhaftesten
Nahrungsmittel liefern wird.
Eingreifen der Wie übrigcus dic grüucu Pflanzen des Beistandes solcher Bakterien be-
Bakterien in den ^jürfcn, wclchc dlc Stickstoffvcrbindungen, die den Stoffwechselprodukten der
Kreislauf der ' o • o i
organischen Ticrc und dcn Leibern toter Tiere und Pflanzen entstammen, zu Salpetersäure
oxydieren, die der grünen Pflanze im Salpeter als Stickstoffquelle dient, so
vermögen die höher organisierten Tiere andererseits, allem Anschein nach nicht,
das in größter Menge von den grünen Pflanzen erzeugte Kohlenhydrat, die
Zellulose, zu verwerten, ohne Mithilfe der ihren Darm bewohnenden Bakterien.
Kalziumoxalat. Da wir das Ziel verfolgen, zunächst die geformten Einschlüsse pflanzlicher
Zellen kennen zu lernen, so wenden wir uns jetzt an den Oxalsäuren Kalk,
dessen Kristalle als eine äußerst häufige Erscheinung in pflanzlichen Geweben
Eiweißabbau und Synthese. Kalkoxalat 77
gelten müssen. Selbst solche Pflanzen, die als kalkfeindlich bekannt sind, die
dementsprechend kalkarme Standorte bevorzugen, nehmen erhebliche Mengen
gelöster Kalksalze aus dem Boden in ihren Körper auf. In diesem wird aber
meist der größte Teil des Kalkes durch Oxalsäure, welche die Protoplasten nach
Bedarf hierfür bilden, in der Form von sehr schwer löslichem Kalziumoxalat
gebunden. Man findet dieses dann im Innern der Zelle deponiert oder in deren
Membran eingelagert vor. Protoplasten, die als Behälter von Kalziumoxalat
fungieren, sterben meistens alsbald ab. Das Kalziumoxalat kann mit sehr zahl-
reichen und winzigen Kristallen seinen Behälter füllen und stellt dann den so-
genannten Kristallsand dar. Oder es hat sich zu einem einzigen, verhältnis-
mäßig großen Oktaeder, oder einer morgensternförmigen Kristalldruse, oder
endlich zu einem Bündel nadeiförmiger Kristalle geformt. Ganz
allgemein bleibt das Kalziumoxalat von einer weiteren Verwen-
dung im Pflanzenkörper ausgeschlossen, doch hat man, wenn auch
nur unter künstlichen Bedingungen, Erscheinungen beobachtet,
die seine Wiederauflösung in einer Zelle unter bestimmten Be-
dingungen nicht mehr als ganz unmöglich erscheinen lassen. Die
Auflösung erfolgte aber auch in dem erwähnten Falle nicht, um
das Kalziumoxalat wieder in den Stoffwechsel der Pflanze einzu-
führen, vielmehr nur, weil die Zellen künstlich zu einer bedeu-
tenden Erhöhung ihres osmotischen Druckes veranlaßt wurden.
Sie mögen dabei den Säuregehalt ihres Zellsaftes so gesteigert
haben, daß dieser das Kalziumoxalat löste. — Doch ein ganz be-
deutender, abgeleiteter Nutzeffekt, also ein ökologischer Vorteil,
erwächst den Pflanzen, die damit ausgestattet sind, aus den ,,Ra- Fig. 8. Eine mit Raphiden.
phiden", jenen zuvor erwähnten Kristallnadeln, die in Bündeln nem Raphiden-
innerhalb ihres Behälters liegen (Fig. 8). Wenn solche Raphiden ^Z^""^ r'!i"'^
° ^ ° ' ^ Zelle aus derRin-
einer Pflanzenart zukommen, hält jedes ihrer Individuen auch de von Dracaena
zäh daran fest, sie auszubilden. Man kann, wie es durch W. Benecke phidenbündei.
geschehen ist, die Ernährung einer Pflanze im Versuch durch Dar- vergr. 100.
reichung entsprechender Nährstoffe so regulieren, daß die Veranlassung zur Bil-
dung von Oxalsäure für sie wegfällt. Dann kommt es auch nicht zur Bildung von
Kalziumoxalat in ihren Geweben, ausgenommen die Raphiden, die auch unter
solchen Umständen fast vollzählig sich einstellen. Diese Raphiden schützen
aber in wirksamster Weise die Keimlinge und jüngeren Teile einer Pflanze gegen
Schnecken, die zu den gefährlichsten Feinden der Pflanzenwelt gehören. Diese
Tiere zerkleinern mit ihrer wie eine Raspel wirkenden Zunge das pflanzliche
Gewebe, um es zu verzehren, müssen aber an dieser Tätigkeit durch Raphiden,
wo solche vorhanden sind, rasch gehindert werden. Denn diese feinen Nadeln
bohren sich naturgemäß in die Zunge des Tieres ein. Unter Umständen kann
auch der Mensch die Wirkung solcher Raphiden an sich erproben, und zwar dann,
wenn er viel Weinbeeren verzehrt hat und deren Haut mit Zunge und Zähnen
ausquetschte. Dann stellt sich bei ihm nach einiger Zeit ein Brennen auf Zunge
und Gaumen ein, dessen Ursache er sich wohl meist nicht zu erklären weiß. Es
38
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
rührt von den in diese Teile eingedrungenen Kristallnadeln her. Gewisse Wein-
beersorten sind besonders reich an Raphiden und daher für Weintraubenkuren
nicht geeignet. Zum Unterschied von den meisten anderen, Kalziumoxalat-
kristalle führenden Zellen behalten die mit Raphiden ausgestatteten ihren le-
bendigen Zustand bei. Das aus zahlreichen, einander parallelen Nadeln von
gleicher Länge zusammengesetzte Raphidenbündel liegt im Protoplasten ein-
gebettet innerhalb einer mit Schleim erfüllten Vakuole.
Besonders eigenartig wird das Verhalten der die Raphiden führenden Zellen
bei manchen Arongewächsen (Araceen), so vornehmlich bei Pistia stratiotes,
einer in den Tropen weit verbreiteten, auf der Oberfläche des Wassers schwim-
menden Pflanze, die in unseren ,,Victoria"-Häusern häufig anzutreffen ist. In
Westindien wird diese Pflanze sehr treffend Wasserlattich genannt, da sie in
der Tat äußere Ähnlichkeit mit einem Salatkopf zeigt.
An Schnitten durch die Blätter dieser Pflanze fallen
bei mikroskopischer Betrachtung die Raphidenzellen
als spindelförmige Gebilde auf, deren mittlerer Teil
zwischen andern Zellen eingefügt ist, welche Luft-
höhlen umgeben, deren beide Enden aber frei in
diese Lufthöhlen hineinragen (Fig. 9, A). An ihren
beiden Enden sind die Raphidenzellen nur durch
eine sehr zarte Membran abgeschlossen. Wird eine
solche Zelle von einem Tier verletzt, so quillt der
ihre Raphiden umhüllende Schleim aus und drückt
die Raphiden, meist einzeln nacheinander, durch die
zarte Wand der Enden nach außen hervor (Fig. 9, B).
Dieses Abschießen der Nadeln erfolgt mit ansehn-
hcher Gewalt, kann also das angreifende Tier sehr
wohl verwunden. — Da man leicht geneigt sein kann,
ökologische Nutzeffekte sich zurechtzulegen, so erlangen sie im wesentlichen erst
dann wissenschaftlichen Wert, wenn sie durch Versuche gestützt sind. Dem-
entsprechend war Ernst Stahl bemüht, durch Verfütterung raphidenhaltiger,
sowie künstlich von ihren Raphiden befreiter, Pflanzenteile an Schnecken ihren
tatsächlichen Schutzwert nachzuweisen. Da aber auch der Ausfall solcher Ver-
suche durch sekundäre Ursachen beeinflußt werden kann, so bleiben sie viel-
fach nicht unangefochten. Das soflte auch Ernst Stahl erfahren. In der Haupt-
sache dürfte er aber Recht behalten.
Eine Aufzählung aller Stoffe, die in Tropfenform oder gelöst im pflanz-
lichen Zytoplasma oder Zellsaft vertreten sind, würde fast ins Unendliche an-
wachsen und hätte an dieser Stelle auch keinen Zweck. Also beschränke ich
mich auf die Heranziehung solcher Stoffe, welchen eine besondere Bedeutung
im Leben der Pflanze, in physiologischer oder ökologischer Beziehung, zu-
kommt.
Zucker. Welche wichtige Rolle den Zuckerarten hierbei zugefallen ist, wissen wir
bereits, ja es läßt sich dreist behaupten, daß sie das vornehmste organische
Fig. 9. In A intakter Raphideii-
schlauch im Blatt von Pistia stratio-
tes. In B offenes Ende eines Raphi-
denschlauches mit teilweise entleerten
Raphiden. Nach G. Haberlandt.
Vergr. etwa 150.
Bedeutung" der Raphiden. Zucker. Inulin. Organische Säuren ^g
Nahrungsmittel der lebenden Wesen sind. Sie stellen denjenigen Vorrat an
Spannkräften dar, aus dem diese der Hauptsache nach schöpfen, um ihren
Lebensunterhalt zu decken. Traubenzucker ist in den meisten pflanzhchen
Zellen, nur jene der Pilze ausgenommen, vertreten, auch Rohrzucker sehr ver-
breitet, Zucker als solcher aber weniger als die Stärke geeignet, in Reserve-
stoffbehältern aufbewahrt zu werden. Denn er nimmt in gelöster Form viel
mehr Raum als diese in Anspruch, entwickelt zudem in stärkerer Konzen-
tration zu hohe osmotische Druckkraft. Immerhin haben sich gewisse Pflanzen
darauf eingerichtet, Rohrzucker zu speichern, und aus ihnen schöpfen wir
unseren Vorrat an kristallinischem Zucker, so aus dem Zuckerrohr und der
Zuckerrübe. Wie groß die Zuckerrüben dabei werden, weiß jeder, und wenn
in besonders zuckerreichen unter diesen Rüben die Konzentration des Rohr-
zuckers im Zellsaft bis auf 20 Prozent steigt, so wird dadurch ein Druck erzeugt,
der weit über das gewohnte Maß hinausgeht und ganz besondere Anpassungen
verlangt. Von dem Traubenzucker, der ein Monosaccharid ist, unterscheidet
sich der Rohrzucker dadurch, daß er zwei Zuckermoleküle in einem Molekül
vereinigt: er gehört zu den Disacchariden. Er zerfällt in ein Molekül Trauben-
zucker und ein Molekül Fruchtzucker. Auch diese Spaltung vollzieht sich unter
dem Einflußeines Enzyms, des Invertins (Saccharase). Das entstandene Zucker-
gemisch wird als Invertzucker bezeichnet. — Schon wesentlich vorteilhafter muß
es erscheinen, wenn die Kompositen ihr Kohlenhydrat als Inulin in den Reserve-
stoffbehältern speichern. Zwar ist auch das Inulin dort im Zellsaft gelöst, inuiin.
allein in kolloidaler Form, so daß es durch die Membranen nicht geht und so-
mit ohne Schwierigkeit in der Zelle zurückgehalten werden kann. Andererseits
verlangt es, weil gelöst, große Reservestoffbehälter, wie man das an den Wurzel-
knollen der Georgine oder des Topinambur sieht. Die Konzentration der Lösung
kann bis auf 15 Prozent steigen, dann fällt der Zellsaft in den Schnitten auch
durch seine stärkere Lichtbrechung auf. Fügt man Alkohol hinzu, so schlägt
sich das Inulin in solchen Zellen in Gestalt eines feinen Pulvers nieder. Ersetzt
man den Alkohol durch Wasser und erwärmt ein wenig das Präparat, so löst
sich der Niederschlag wieder auf. Wir haben schon früher erfahren, daß man
das Inulin auch in Sphäriten aus inulinreichen Geweben auskristallisieren lassen
kann. Bei der Spaltung zerfällt das Inulin in lauter Fruchtzuckermoleküle,
und auch für diese Spaltung ist ein Enzym, die Inulase, notwendig.
Die Flüssigkeit, die den Saftraum der Zelle erfüllt, reagiert für gewöhnlich organische
sauer, weil sie organische Säuren, bzw. saure Salze dieser Säuren, in Lösung hält,
Apfel- , Wein-, Zitronensäure wiegen unter den Säuren vor. Sie stellen, wie oft nach-
weisbar ist, Produkte unvollständiger Oxydationen des Zuckers bei der Atmung
vor. So ist es bei den Fettpflanzen, den sogenannten Sukkulenten, die auf solche
Weise einen Verlust an Kohlensäure vermeiden. Darauf müssen sie aber be-
dacht sein, da ihre dem Leben an trockenen Standorten angepaßten, fleischigen
Gewebe und einen festen Abschluß bietenden Oberhäute den Gasaustausch
mit der Umgebung erschweren. Daher sie des Nachts die Verbrennung des
Zuckers nur bis zur Entstehung organischer Säuren oxydieren und den Vorgang
Säuren im Zell-
saft.
40
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
erst am Tage weiter bis zur Bildung von Kohlensäure fortsetzen, die, statt in die
umgebende Atmosphäre wie sonst zu entweichen, von dem Chlorophyllapparat
ergriffen und zu erneuter Synthese von Kohlenhydraten verwendet wird.
Doch auch in anderen Fällen dürfen die organischen Säuren im Zellsaft als
Produkte unvollständiger Oxydation des Zuckers gelten, wobei ihre Aufgabe
darin besteht, im Verein mit andern kristalloiden Stoffen, den Turgor der Zelle,
dessen hohe Bedeutung uns bereits bekannt ist, zu regulieren. — Rote und
blaue Farbstoffe, die in bestimmten Fällen auch dunkelrot, violett, dunkelblau
und selbst schwarzblau werden, färben den Zellsaft bunter Pflanzenteile. Man
Anthokyane. faßt sic als Authokyauc zusammen. Ihre chemische Natur ist wenig aufgeklärt.
Sie werden in letzter Zeit als Oxydationsprodukte eines farblosen Chromogens,
einer Verbindung, die durch Hydrolyse von Glykosiden entstehen soll, ange-
sehen. Ihre roten Färbungen deuten auf eine saure, die blauen auf eine alka-
lische Reaktion des Zellsaftes hin. Wie Hans Fitting neuerdings fand, zeigen
die in Wasser gelösten Rückstände der Alkohol- bzw. Wasserextrakte solcher
Blüten, wenn sie abwechselnd erwärmt und abgekühlt werden, meist reversible
Farbenänderung. Diese Erscheinung wurde von Hans Fitting an den Blüten
zweier Reiherschnabelarten [Erodium gruinum. und ciconium) auch in lebendem
Zustande beobachtet. Die bei kühler Witterung intensiv blauen Blüten werden
bei hinreichender Erwärmung weinrot bis rosa, um bei fallender Temperatur
zum Blau zurückzukehren. — Die auffällige Rotfärbung junger Triebe, die be-
sonders bei starkerBelichtung und trocknem Wetter sich einstellt, wird mit der
Anhäufung von Zucker in den Zellen, die unter solchen Bedingungen sich einstellt,
in Verbindung gebracht. Wir erwähnten früher, daß auch bei der herbstlichen
Rotfärbung der Laubb lätter der Zucker eine Rolle zu spielen scheint. Nach Ernst
Stahl soll die Absorption der Wärmestrahlen durch den roten Farbstoff bei tro-
pischen Gewächsen die Transpiration in erwünschter Weise fördern. Daß roter
Farbstoff in den Geweben ohne alle Beziehung zum Licht und sicherlich auch
ohne allen Nutzeffekt gebildet werden kann, lehrt augenscheinlich die rote Rübe,
die ihren Farbstoff im Erdboden erzeugt. Es gibt auch Fälle, wo ein gelber
Farbstoff im Zellsaft gelöst ist, so in den Blüten gelber Georginen; doch kommt
das im ganzen genommen selten vor, das Gelb der meisten Blüten wird vielmehr
durch entsprechend gefärbte Chromoplasten bedingt.
Gerbstoffe. Gcrbstoffe sind so verbreitet in den Pflanzen, zudem für den Menschen in
technischer Beziehung so wichtig, daß sie von jeher die Aufmerksamkeit auf
sich gezogen haben. Sie füllen im Zytoplasma kleinere oder größere Vakuolen
an, und diese fallen dann durch ihre starke Lichtbrechung auf. Sie stellen wohl
stets ein Endprodukt des Stoffwechsels dar, das keine Verwendung mehr findet.
Nutzlos sind sie dessenungeachtet für den Pflanzenkörper nicht, da sie ein
wirksames Schutzmittel gegen Atmosphärilien, Mikroben und auch höhere Tiere
bilden. Die dikotylen Holzgewächse imprägnieren die Zellwände ihres ,, Kern-
holzes" meist mit Gerbstoffen, bzw. Gerbstoff derivaten, und erhöhen dadurch
seine Widerstandsfähigkeit. Es ist antiseptisch geschützt gegen niedere Orga-
nismen und wird auch gemieden von Holzwürmern. Auch die Rinden der Bäume
Gerbstoffe, Glykoside. Alkaloide ai
ziehen meist aus dem gleichen Schutzmittel einen Vorteil, und wo der Gerbstoff
in solchen Mengen in einer Rinde angehäuft ist, wie etwa bei der Eiche, ver-
wenden wir sie zum Gerben tierischer Häute, die dadurch auch sehr resistent
gegen äußere Einflüsse werden.
Eine Bezeichnung wie Gerbstoff knüpft auch bei dem Uneingeweihten an Glykoside
bestimmte Vorstellungen an. Weniger dürfte das bei dem Namen Glykosid der
Fall sein. Der Chemiker gibt die Erklärung, daß es sich um Verbindungen von
Zucker mit organischen Resten verschiedener Art, wie Phenolen, Alkoholen
u.dgl. m. handelt. Sie bilden zweifellos keine chemische Gruppe von einheitlichem
Charakter und spielen auch physiologisch verschiedene Rollen. So können sie
Reservestoffe darstellen, von welchen der Zucker nach Bedarf wieder abgespal-
ten wird, oder auch keine weitere Verwendung im Stoffwechsel der Pflanze fin-
den. Dann dienen sie ihr aber des öfteren noch durch ihre Giftigkeit oder ihren
üblen Geschmack. Das Digitalin hält wirksam die Tiere von den Fingerhut-
arten ab, die scharfen Senföle von bestimmten Arten der Gattung Sinapis und
Brassica. Bei diesen liegt noch eine besondere ökologische Einrichtung vor.
Die durch ihren Schwefelgehalt ausgezeichneten Senföle sind nämlich in den be-
treffenden Pflanzen nicht als solche, sondern in Form verschiedener Glykoside,
wie Myronsäure, Sinaibin u. dgl. m. vertreten, aus denen erst unter Einwirkung
eines Enzyms, des Myrosins, das Senföl frei wird. Diese Glykoside und das En-
zym sind aber in verschiedenen Zellen der Pflanze eingeschlossen und wirken
daher aufeinander nicht ein. Es geschieht das erst, wenn durch Verwundung
diese Zellen geöffnet werden und ihr Inhalt sich vermischt. Ebenso sind es ver-
schiedene Gewebe, die in den Samen von Pfirsich, Aprikosen, bittern Mandeln
und vieler anderen Pomaceen und Prunaceen einerseits das Amygdalin, an-
dererseits das dieses Glykosid spaltende Enzym, das Emulsin, führen. Kommen
aber beide Stoffe beim Zermalmen solcher Samen in Berührung, so wird das
Glykosid in Blausäure (Zyan Wasserstoff säure), Bittermandelöl und Zucker
aufgespaltet. Die zu den furchtbarsten Giften gehörende Blausäure kann
dann in Wirkung treten.
So gibt es denn auch zahlreiche, giftige Alkaloide, mit deren Hilfe die Pflan- Aikaioide.
zen sich verteidigen. Ihre Namen sind uns zum Teil geläufig aus ärztlichen Ver-
ordnungen: so Strychnin, Veratrin, Atropin, Chinin, Morphin, Akonitin, Ko-
kain, und zu ihnen gehört auch das in der Tabakpflanze vertretene Nikotin.
Leo Errera machte schon vor längeren Zeiten darauf aufmerksam, daß es be-
sonders häufig die Früchte und Samen der giftigen Pflanzen sind, in welchen der
giftige Stoff sich häuft. Sie bedürfen ja aber auch des erhöhten Schutzes. An-
dererseits vermag auch das wirksamste Gift nicht alle Feinde von der Pflanze
abzuhalten. Es gibt unter denTieren ,, Spezialisten", wie Ernst Stahl sie nannte, speziaUsten
die sich dem Gift gewachsen zeigen. Kaninchen, Meerschweinchen, verschiedene
Vögel, vor allen die Amseln, sind verhältnismäßig immun gegen Atropin. Die
giftige Zypressenwolfsmilch {Euphorbia cyparissias) wird von den Wieder-
käuern, Nagern, Schnecken, Heuschrecken und den meisten anderen Tieren ge-
mieden, während die Raupe des Wolfsmilchschwärmers {Sphinx euphorbiae)
Antitoxine,
42 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
sich an ihr labt. Verschiedene Schnecken ernähren sich sowohl von Pilzen, die
für uns eßbar sind, als auch von solchen, mit denen wir uns vergiften würden.
Und so, wie in den Beziehungen zu den Giften, gibt es Spezialisten auch gegen-
über den von uns zuvor behandelten Raphiden. Für die Raupen der Schmetter-
lingsgattung Sphinx, Untergattung Deilephila, scheinen die Raphiden geradezu
einen notwendigen Bestandteil der Nahrung auszumachen.
Purinkörpef. Den Alkaloidcn wcrdeu auch die sog. Purinkörper angereiht, aus denen der
Mensch die von ihm am meisten begehrten Reizmittel, das Coffein bzw. Thein,
und das Theobromin schöpft. Er genießt sie im Kaffee, im Tee und in der Scho-
kolade. Es sind Körper sehr naher Verwandtschaft mit der Harnsäure, Pro-
dukte des Zerfalls protoplasmatischer Substanzen. Aus dem tierischen Körper
werden sie ausgeschieden, während sie im pflanzlichen, wie so viele andere
Endprodukte des Stoffwechsels, verbleiben, weil es nicht so leicht ist wie im
tierischen Körper, sie nach außen zu schaffen. Ein Schutz scheint aus ihrem
Vorhandensein für die Pflanze nicht zu erwachsen.
Toxine und Die Toxine sind außerordentlich starke Gifte, welche das Protoplasma ge-
wisser Organismen als Angriffsmittel gegen andere erzeugt, um sie zu töten.
Das Protoplasma der Bakterien ist im besonderen durch solche Fähigkeiten
ausgezeichnet. Das Protoplasma des angegriffenen Organismus setzt sich durch
Bildung von Gegengiften, Antitoxinen, zur Wehr.
Fette. In einer gewissen Beziehung ist es noch vorteilhafter für die Pflanze, Fette
in ihren Reservestoffbehältern aufzuspeichern, als wie Kohlenhydrate. Denn
die Fette sind sauerstoffärmer als die Kohlenhydrate, entwickeln daher beim
Verbrennen noch mehr Wärmeeinheiten (Kalorien) wie diese, stellen somit einen
noch größeren Energievorrat für sie dar. Daher fetthaltige Samen überaus
verbreitet bei den phanerogamen Pflanzen sind, und zwar enthalten diese Samen
fettes Öl. Ihr Gehalt an letzterem kann so groß sein, daß er bis 70 Prozent
des Trockengewichts der ganzen Samen beträgt. Das Ol wird in dem reifenden
Samen aus Kohlenhydraten, vornehmHch Glykose, erzeugt.* Es stellt in che-
mischer Beziehung eine Mischung von Glyceriden gesättigter und ungesättigter
Säuren dar. Letztere dominieren im reifen Samen, was von Vorteil ist, weil sie
bei der Keimung besonders viel Wärme liefern. Bei dieser Keimung treten
wieder die Kohlenhydrate, Zucker und Stärke auf, während das Ol schwindet.
Auch diese Umwandlungsprozesse stehen unter der Herrschaft eines Enzyms,
der Lipase. Ähnliche Vorgänge spielen sich in den Rinden vieler unserer Bäume
ab, wenn dort die Stärke schwindet und an ihrer Stelle Fett auftritt. Die Stärke,
mit der die Rinde unserer Bäume im Herbst sich angefüllt zeigt, nimmt dort bei
den weichholzigen Arten, wie Linde und Birke, bei sinkender Temperatur zu
Wintersanfang ab und wird durch Fett und Zucker ersetzt. Spätestens Mitte De-
zember ist i n unseren Breiten der ganze Vorgang vollzogen. Im Frühjahr beginnt
bei den nämlichen Bäumen die Stärke wieder zu erscheinen. Bei höheren Tem-
peraturen geht diese ihre Bildung so rasch vonstatten, daß man sie direkt in mikro-
skopischen Schnitten, die man durch geeignete Mittel eine Zeitlang am Leben
erhält, verfolgen kann. Die Pflanzen wandeln mit Leichtigkeit Kohlenhydrate
Fette, Ätherische Öle, Harze, Kautschuk 42
in Fette, und umgekehrt Fette in Kohlenhydrate, um. Solche Prozesse des
wiederholten Umbaus sind im Pflanzenreiche eine häufige Erscheinung, so
ja auch wenn innerhalb der Bahn des wandernden Zuckers vorübergehend die
schon früher erwähnte ,,transitorische" Stärke auftritt. Das sind Leistungen,
welche der lebende Protoplast spielend zu vollbringen scheint, an welchen
unsere Bemühungen in chemischen Laboratorien aber noch scheitern.
Ganz anderer chemischer Natur wie diese pflanzlichen Fette sind die von Ätherische öie
den höher organisierten Gewächsen produzierten, ätherischen Öle und Harze,
die unter denTerpenen ihrenPlatz finden. Man findet sie als stark lichtbrechende
Tröpfchen im Zellinhalt verteilt. Sie stellen wirksame Schutzmittel für die
Pflanzen dar. Den ätherischen Ölen kommt ein scharfer, brennender Ge-
schmack zu; zudem wirken sie oft als Gifte auf die Tiere ein. Neuerdings hat
ein ätherisches Öl, das von den Endzellen der Haare unserer Zimmerprimel, der
Primula sinensis und ohconica erzeugt wird, infolge der schädigenden Wirkung,
die es auf manche Menschen ausübt, die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Die-
ses ätherische Öl macht sich durch seinen besonderen Duft bemerkbar, für die
meisten Menschen ist es unschädlich. Wer aber eine Idiosynkrasie gegen dieses
flüchtige Öl hat, setzt sich durch Berührung der Pflanze einer Hautentzündung
aus; er kann sich zudem Anschwellungen im Gesicht, wenn er dieses der Pflanze
nähert, und auch schwer heilbare Augenentzündungen zuziehen. — • Anderseits
dienen die flüchtigen Öle in den Blüten unserer höchst organisierten Pflanzen zur
Anlockung der Insekten, die deren Duft schon aus weiter Ferne spüren. Solche In-
sekten suchen die Blüten nicht auf, um sie zu schädigen, sondern um den Nektar
oder Pollen in ihnen zu sammeln, wobei sie unbewußt deren Bestäubung ver-
mitteln. — Harze bieten den Pflanzen, die sie führen, den Vorteil, daß sie an
der Luft erstarren und so den raschen Abschluß einer entstandenen Wunde
bewirken können.
Der Wundverschluß soll auch durch die kautschukartigen Substanzen, die Kautschuk,
in den Milchsäften mannigfacher Pflanzen vertreten sind, gefördert werden,
doch gehen die Ansichten darüber noch auseinander. Sein milchiges Aussehen
verdankt der Milchsaft eben diesen kautschukartigen Stoffen, die in ihm in Ge-
stalt winziger, erst bei starker Vergrößerung sichtbarer Kügelchen suspendiert
sich zeigen. Man weiß jetzt, daß im Kautschuk ein ,, ungesättigter Kohlen-
wasserstoff" von hohem Molekulargewicht, zudem ein kolloidaler Körper vor-
liegt. Es sind ungeheure Werte, die heute der Kautschuk einschließlich der ihm
nächst verwandten Guttapercha und Balata repräsentiert, und das Gebiet seiner
Verwendung wächst noch in solchem Maße, daß die Anstrengungen begreiflich
erscheinen, die seit längerem schon gemacht werden, um ihn künstlich, d. h.
auf dem Wege chemischer Synthese, außerhalb des pflanzlichen Organismus,
herzustellen. Das ist nun F. Hofmann und auch C. Harries durch Polymeri-
sation des leichtflüssigen Kohlenwasserstoffes Isopren gelungen, ohne daß sich
zurzeit voraussagen ließe, ob dieses künstliche Produkt in Wettbewerb mit
dem natürlichen wird treten können. Als Kautschukpflanzen kommen die Fa-
milien der Euphorbiazeen, Urtikazeen, Apozynazeen vornehmlich in Betracht,
44 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Guttapercha und Balata werden von Sapotazeen geliefert. Da der Milchsaft in
diesen Pflanzen weitverzweigte, zusammenhängende Röhrensysteme füllt und
unter dem Druck von gespannten Membranen steht, so tritt er bei Verletzungen
aus der Wunde hervor. So kann er auch ein Schutzmittel durch die giftigen
Stoffe, vornehmlich Alkaloide, die er öfters führt, abgeben.
Glykogen. Auch Glykogen, ein Polysaccharid, das man früher für ein spezifisch tieri-
sches Staffwechselprodukt hielt, und das, weil in der Leber der Tiere besonders
reichlich vertreten, den Namen ,, Leberstärke" erhielt, konnte durch LeoErrera
in den unteren Abteilungen des Pflanzenreichs in reichlichen Mengen nachge-
wiesen werden. Es scheint für die Pilze eine ähnliche Bedeutung zu haben,
wie Stärke und Zucker für die höher stehenden Gewächse. Im tierischen Körper
wird es synthetisch aus Monosacchariden aufgebaut, in welche das kompli-
zierte Molekül der als Nahrung aufgenommenen, pflanzlichen Kohlenhydrate
zuvor zerlegt wurde.
Enzyme, Euzyme (Fermente)* haben wir schon oft zu nennen gehabt. Je mehr un-
ermeno. g^^^ Kcnntnissc f ortschrcitcn, um so bedeutender erscheint die Rolle, die wir
diesen Katalysatoren in den Lebensvorgängen zusprechen müssen. Würden
sie nicht in die mit diesen verknüpften chemischen Prozesse eingreifen, so wäre,
bei der in den Organismen herrschenden Temperatur, ihr Gang so langsam,
daß das Leben zum Stillstand kommen müßte. Die lebenden Wesen verfügen
über ein noch vor kurzem nicht geahntes Rüstzeug solcher Enzyme, welche
ihr Protoplasma nach Bedarf bilden, deren Menge es den Umständen gemäß
regulieren, deren Wirkungen es nötigenfalls durch ,,Antienzyme" aufheben
kann. Es werden nicht etwa verschiedene Umsetzungen durch dasselbe En-
zyn5 bewerkstelligt, vielmehr benutzt der Protoplast für einen jeden bioche-
mischen Vorgang ein besonderes Enzym. Die Enzyme sind, wie sich W. Palladin
ausdrückt, die wichtigsten Arbeiter im Dienste des Protoplasmas. Das haben
wir bereits für eiweißspaltende Enzyme, für Diastase, Invertin, Inulase,
Myrosin, Emulsin, Lipase erfahren. E. Buchner hat sogar ein Atmungsenzym,
die Zymase, aus der Hefe befreit, und W. Palladin sucht zu begründen, daß
auch die Atmung der höheren Pflanzen nur eine Summe fermentativer Vor-
gänge darstelle. Und so mehrt sich dauernd die Zahl der Lebensprozesse,
für die das Eingreifen der Enzyme festgestellt ist und eröffnet überaus frucht-
bare Ausblicke in die Zukunft. Von großer Tragweite ist die Tatsache, daß man
mit Enzymen, die man den lebenden Wesen abgewonnen hat, die Vorgänge,
die sie in deren Körpern einleiten, auch außerhalb derselben zu veranlassen
vermochte. So verwandelt die in den Pflanzen sehr verbreitete Diastase, wie
früher schon angegeben wurde, Stärkekleister in Zucker; man kann mit pro-
teolytischen Enzymen, die man den Organismen entzogen hat, Eiweißkörper
spalten; ja, es machte E. Buchner im Jahre 1897 die fundamentale Entdeckung,
daß sich mit Zymase eine Zuckerlösung in alkoholische Gärung versetzen läßt.
Bei entsprechender Behandlung vermag man eine Pflanze zu töten, ohne daß
ihre Enzyme unwirksam werden; oder man zerstört nach Wunsch auch diese,
so wenn man die Temperatur bis auf 100° erhöht. Solche tote Pflanzen, in
Enzyme 45
welchen die Enzyme nicht mehr wirksam sind, hat man vorgeschlagen als „ab-
gestorben", im Gegensatz zu ,, abgetöteten", bei denen sie noch wirken, zu be-
zeichnen.
Man neigt dazu, die allermeisten der in denlebendenWesen wirksamen En-
zyme für den Eiweißstoffen nahe verwandte Verbindungen zu halten, doch ist
bis jetzt keines von ihnen mit voller Sicherheit synthetisch dargestellt. Die Syn-
these mancherEnzyme könnte tief in unsere ökonomischenVerhältnisse eingreifen.
Die wichtigste Eigenschaft der Enzyme ist, daß sie bestimmte chemische Vor-
gänge beschleunigen. In chemischen Laboratorien sucht man diesen Effekt durch
erhöhte Temperaturen zu erreichen. Das kann die Pflanze nicht, da sie solche
Temperaturen nicht ertragen würde. So sind denn die Enzyme für sie von un-
schätzbarem Wert. Sie wirken in minimalen Mengen ein, ohne bei dieser Wirkung
sich selbst aufzubrauchen, und sie werden, ebenso wie das Wesen, in dem sie sich
betätigen, durch Erhitzung auf 75° C dauernd unwirksam gemacht, entsprechen
also ganz seinen Lebensbedingungen. — Durch bestimmte, theoretische Erwä-
gungen geleitet, hat sich J. Rosenthal* die Frage gestellt, ob nicht durch elek-
trische Schwingungen von geeigneterWellenlänge sich ähnliche Zerlegungen hoch-
komplizierter Stoffe, wie sie Enzyme bewirken, würden durchführen lassen.
Das Ergebnis der Versuche fiel positiv aus und eröffnet uns nunmehr neue Ein-
blicke in die physikalische Chemie dieser merkwürdigen Körper. Die verschie-
densten, hochkompliziert gebauten Stoffe, welche durch Enzyme hydrolytisch
spaltbar sind, werden in ganz entsprechender Weise durch die Einwirkung elek-
tromagnetischer Schwingungen zerlegt. Dabei zeigte es sich, daß für jeden Stoff
bestimmte Frequenzen dieser Schwingungen wirksam sind. Eine für Stärke
wirksame Frequenz liegt zwischen 440 und 480 Schwingungen in der Sekunde.
Ist die passende Frequenz getroffen, so wird der dicke Stärkekleister nach
J. Rosenthals Schilderung dünnflüssiger, die großen Klumpen zerfallen in
einen feinkörnigen Schlamm, dessen Körnchen sich senken und von einer fast
klaren Flüssigkeit abscheiden. Letztere wird anfangs bei Zusatz von Jod noch
rein blau, in späteren Stadien rosenrot, endlich bleibt sie ganz ungefärbt. Die
gewöhnlichen Zuckerproben fallen anfangs vollkommen negativ aus, dann tre-
ten sie andeutungsweise auf, später werden sie ganz deutlich. Dabei wird die-
selbe Reihenfolge in den auftretenden Zuckerarten eingehalten wie bei der
Enzymwirkung, zuerst Maltose, dann Traubenzucker.
Zum Gegenstand eindringlicher Untersuchungen, die besonders von Oxydasen.
R. Chodat ausgingen, wurden in letzter Zeit auch die oxydierenden Wirkungen
von Pfianzensäften, für die man bestimmte, als Oxydasen bezeichnete Stoffe
verantwortlich macht. Solche Oxydasen sollen Sauerstoff absorbieren, Sauer-
stoff auch auf andere Substanzen übertragen und so in den Chemismus der
lebenden Zelle eingreifen.
Die Stoffe, die der Protoplast zum Aufbau seiner Hüllen, also der pflanz- zeiihaut,
liehen Membranen verwendet, scheidet er an seiner Oberfläche aus. Nur äu-
ßerst dünne Wandungen sind es, von welchen embryonale Zellen umgeben
werden. Auch ausgewachsene Zellen pflegen ihre Membranen nicht stark zu
der Membran.
a() Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
verdicken, sofern sie an den Lebensvorgängen sich lebhaft beteiligen sollen.
Anders wenn sie bestimmt sind, ihre Tätigkeit stark einzuschränken oder ab-
zusterben, während ihren Wandungen eine dauernde, mechanische Aufgabe zu-
fallen soll. Dann fährt der Protoplast fort, Membranstoffe auszuscheiden und
verdickt die Zellwandung ganz bedeutend, unter Umständen fast bis zum
vollen Schwund des ursprünglichen Zellraumes. Eine stärker verdickte Zell-
wand pflegt Schichtung zu zeigen, was dadurch veranlaßt ist, daß der Proto-
plast die Lamellen, aus denen sie aufgebaut wurde, nacheinander ausschied,
Wachstum um sic dcn schon vorhandcncn hinzuzufügcn. Dieses Verfahren wird als Wachs-
tum durch Anlagerung, oder Apposition, bezeichnet, ein Wachstumsvorgang,
der es nicht ausschließt, daß neue Membranteilchen in schon vorhandene
Lamellen eindringen, um sie zu verdicken. Dann liegt Wachstum durch
Einlagerung, oder durch Intussuszeption vor. Auch- andere Stoffe als die ur-
sprünglichen können auf solche Weise in eine Zellwandung gelangen und ihre
früheren Eigenschaften verändern. Durch Anwendung von Mitteln, welche
eine Quellung der Zellwände veranlassen, etwa starker Säuren und Alkalien,
kann man ihre Schichtung deutlicher machen. Dann erinnert das erhaltene
Bild nicht selten an jenes, das uns die Stärkekörner in ihrer Schichtung dar-
boten. Öfters lassen stärker verdickte Zellwände, die man von der Fläche aus
betrachtet, auch eine schräge Streifung erkennen, wobei die Streifen aufeinan-
der folgender Schichten entgegengesetzt geneigt sein können, so daß sie ein-
ander, sofern man sie gleichzeitig sieht, im Bilde schneiden. Aus solchen Sonde-
rungen im Innern der Zellhäute lassen sich gewisse Schlüsse auf ihre innere Or-
ganisation ziehen, und diese Schlüsse werden unterstützt durch das Verhalten,
welches solche Zellhäute bei der Quellung zeigen. Da wird das Wasser nicht
gleichmäßig zwischen ihre Membranteilchen eingelagert, vielmehr in ungleicher
Menge, nach den verschiedenen Richtungen des Raumes. So kommt es, daß ein
Steigen oder ein Sinken des Wassergehalts in den Zellwänden unter Umständen
zu hygroskopischen Bewegungen führt.
In Zellen, die untereinander zu einem Gewebe verbunden sind, erscheint es
Wand- fast selbstverständlich, daß die Wandverdickung zentripetal fortschreitet. Denn
die Innenseite der Membran ist es ja, die in jeder Zelle im Kontakt mit dem
Protoplasten steht, der sie aufbaut. Die Vorgänge der Intussuszeption ermög-
lichen tatsächlich aber auch eine Verdickung der Wand an ihrer Außenseite.
Diese wird sich im besonderen an einzelligen Organismen, oder an den Außen-
wänden der vielzelligen, bzw. auch an der Außenseite ihrer inneren Zellen, wenn
diese frühzeitig aus dem gegenseitigen Verbände treten, einstellen können. In
allen solchen Fällen kann das Intussuszeptionswachstum zur Bildung äußerer
Höcker, Warzen oder sonstiger Erhebungen führen. Besonders regelmäßig und
reichlich werden diese an der Oberfläche von Sporen und Pollenkörnern ausge-
bildet, für deren Trennung die Mutterpflanze frühzeitig sorgt und sie dann mit
Membrananhängseln versieht, die ihre Verbreitung fördern sollen. Im besonde-
ren kommt das den durch Insekten beförderten Pollenkörnern zugute, die dann
um so besser an dem Tierkörper haften. Es gibt übrigens auch Sporen, die
verdickung
Wachstum und Aufbau der Zellmembranen a-j
kompliziert gebaute Membranen nicht mit Hilfe von Intussuszeptionswachstum,
sondern durch Auflagerung von außen erhalten. So verfahren beispielsweise die
Wasserfarne (Hydropterideen), um ihre Sporen entsprechend auszurüsten. Für
die Wandverdickung von außen sorgt da eine innere, protoplasmatische Zell-
schicht des Sporenbehälters, deren Protoplasten frei werden und zu einer Art
Plasmodium miteinander verschmelzen, das sich um die jungen Sporenanlagen
legt. Dieses Plasmodium umhüllt nun die Sporen mit Außenhäuten, die dem
Schutz und der Anheftung dienen, unter Umständen auch kunstvolle Schwimm-
apparate darstellen.
Unter den Stoffen, die der pflanzliche Protoplast zum Aufbau seiner Mem- Membranstoffe,
bran verwendet, ist die Zellulose am stärksten vertreten. Man nahm früher
an, daß die Zellulose ein ganz ausschließlich pflanzliches Erzeugnis dar-
stelle, bis es gelang, sie auch in verhältnismäßig hoch organisierten Tieren
nachzuweisen, und zwar im Mantel der Seescheiden (Aszidien). — Daß an den
Grenzen der beiden Reiche die Zellulose ebensowenig wie andere Merkmale zur
sicheren Unterscheidung von Tieren und Pflanzen dienen kann, ging aus unse-
ren früheren Erörterungen schon hervor. Auch die Zellulose ist ein Kohlen-
hydrat. Sie hat somit dieselbe empirische Formel Cg Hio O5 wie die Stärke und wie
andere Kohlenhydrate, mit denen wir uns zuvor befaßt haben, d.h. sie besteht
aus einer Verbindung von 6 Atomen Kohlenstoff mit 10 Atomen Wasserstoff
und 5 Atomen Sauerstoff. Eine solche empirische Formel gibt nur die quali-
tative und quantitative Zusammensetzung der betreffenden Verbindung an,
ohne über ihre rationelle Formel, d. h. ihre Konstitutionsformel etwas auszu-
sagen. Erst eine solche klärt uns über die Natur der Verbindung auf, d. h. über
die Gruppierungsweise der Elementaratome, wie sie die Chemie nach dem
derzeitigen Stand unseres Wissens annimmt. Seitdem in die Konstitution
der Kohlenstoffverbindungen ein tieferer Einblick gewonnen worden ist,
und man die Reihenfolge in der gegenseitigen Bindungsweise der das Alolekül
zusammensetzenden Atome, sowie die als Struktur gedachte Art ihrer Ver-
kettung im Molekül, erkannt zu haben meint, bedient man sich für sie auch
der Strukturformeln. Diese stellen somit dar, in welcher Anzahl und gegen-
seitigen Bindungsweise die Atome der gegebenen Elemente das Molekül der in
Betracht kommenden Verbindung zusammensetzen. Der Weg zu solchen For-
meln ist durch Emil Fischer auch für Kohlenhydrate angebahnt. Doch handelt es
sich dabei um so schwierige, chemische Probleme, daß wir auf sie hier nur hin-
weisen können. Für uns genüge es zu wissen, daß auch die Zellulose wie die
Stärke ein Polysaccharid ist, d. h. eine große Zahl von Zuckermolekülen, und
zwar Traubenzuckermolekülen, in ihrem Molekül vereinigt. Genau wie die
Stärke spaltet sich auch die Zellulose bei Behandlung mit Säuren in Trauben-
zucker auf. Entsprechend der Aufgabe, die sie im pflanzlichen Organismus zu
lösen hat, ist sie aber wesentlich widerstandsfähiger als die Stärke. Durch Jod-
lösungen wird sie braungelb gefärbt; nach Vorbehandlung mit Schwefelsäure,
Phosphorsäure oder Chlorzinkjod stellt sich aber blaue Jodreaktion ein. In
frisch bereitetem Kupferoxydammoniak löst sich die Zellulose auf. Man kann
^g Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
sich hiervon leicht überzeugen, indem man reine Baumwolle in ein solches Rea-
gens taucht. Aus dieser Lösung kristallisiert sie in dendritischen Gebilden oder
in Sphäriten aus.
Die Membranen älterer, den Körper der höher organisierten Gewächse auf-
bauenden Gewebe bestehen nicht aus reiner Zellulose, enthalten vielmehr auch
andere Membranstoffe. Unter diesen kommt eine besondere Bedeutung den
Pektinstoffen zu, über deren chemische Natur man nicht ganz im klaren ist, die
jedenfalls aber mit Pentosanen und Hemizellulosen, die man aus den pflanz-
lichen Membranen gewonnen hat, nahe zusammenhängen. Die Pentosane lassen
sich durch Hydrolyse in Pentosen, Zuckerarten mit fünf Kohlenstoffatomen im
Molekül, die Hemizellulosen, im Gegensatz zur Zellulose, nicht in Trauben-
zucker, sondern andere Zuckerarten, meist in Galaktose, Mannose oder in Ara-
binose spalten. Zudem ist die Spaltung der Hemizellulosen durch Säuren leich-
ter als jene der Zellulose zu bewerkstelligen. Für die Pektinstoffe gelten ge-
wisse Tinktionen, die man an mikroskopischen Schnitten vornimmt, für be-
zeichnend, so im besonderen die intensive Färbung mit Rutheniumrot. Die
Pektinstoffe sollen es sein, welche die gallertartigen Substanzen liefern, aus
denen wir für Herstellung unserer Fruchtgelees Nutzen ziehen. — In ältere
Zellhäute pflegen mineralische Bestandteile eingelagert zu werden, vor allem
Kalk- und Kieselverbindungen. An der Oberfläche mancher Pflanzen, so der
Schachtelhalme, enthalten die Zellwände so viel Kieselsäure, daß ihr vollstän-
diges Kieselskelett zurückbleibt, wenn man peripherische Schnitte glüht. Dar-
aus erklärt es sich, daß man Schachtelhalme zum Scheuern und Polieren be-
nutzen kann. Die Härte solcher verkieselter Zellhäute schützt sie vorzüglich
gegen Tierfraß und das Eindringen von Parasiten. — In allen Zellhäuten, die
Verbolzung. man als verholzt zu bezeichnen pflegt, sind besondere Stoffe vertreten, durch
welche die Zellulosereaktion mehr oder weniger vollständig verdeckt wird, und
die ihrerseits charakteristische Reaktionen bedingen, die als Holzstoffreak-
tionen gelten. Diese rühren vornehmlich von sog. aromatischen Verbindungen,
d. h. Benzolderivaten her, deren Sonderung auf bedeutende Schwierigkeiten
stößt und daher noch immer einander widersprechende Auffassungen zeitigt.
Man braucht, um sich hiervon zu überzeugen, nur einen Blick in jenen um-
fangreichen Abschnitt der von Friedrich Czapek verfaßten ,, Biochemie der
Pflanzen" zu werfen, der dem Zellhautgerüst der Pflanzen gewidmet ist. Fr.
Czapek hat einen aromatischen Aldehyd, den er Hadromal nennt, aus den ver-
holzten Zellwänden isoliert und führt auf diesen Stoff die Holzstoffreaktion
zurück. Dieser Stoff bildet nur wenige Prozente der in Betracht kommenden
Membranen, 50 bis 60 Prozent ihrer Masse besteht aus Zellulose, etwa 20 Pro-
zent aus pektinartigen Substanzen, und dazu kommen noch die Ligninsäuren,
die man ebenfalls für charakteristische Bestandteile der Verholzung ansieht,
und die durch ihre sauren Eigenschaften sich auszeichnen. Der Holzchemie
sind auch aus praktischen Gründen zahlreiche Mitarbeiter zugeführt worden,
wegen der vielseitigen Verwendung, die das Holz in der Technik findet. Zu dieser
gehört jetzt auch die Papierindustrie. Aus dem Material, welches das Holz
Verholzung, Kutinisierung, Verkorkung der Membran aq
zu diesem Zwecke liefert, muß aller Holzstoff entfernt werden, denn da-
von hängt die Güte des Papiers ab. Bei Anwesenheit von Holzstoff stellen
sich im Papier die Farbenreaktionen ein, die man auch sonst zur Feststellung der
Verholzung verwendet. Eine mit Salzsäure und hierauf mit o,5prozentiger, al-
koholischer Phlorogluzinlösung betupfte Stelle wird purpurrot gefärbt, mit
I prozentiger Lösung von schwefelsaurem Anilin nimmt sie intensiv gelbe Fär-
bung an. Ist gut gebleichte Holzzellulose zur Herstellung des Papiers benutzt
worden, so stellen sich diese Farbenreaktionen an ihm nicht ein. — Behandeln
wir Querschnitte aus verholzten Pflanzenteilen in ebensolcher Weise, so werden
wir die Holzstoffreaktion besonders an den ,, Mittellamellen" zwischen den Zel-
len und an der Hauptmasse der sich ihnen anschließenden Wandverdickung
hervortreten sehen. Eine innerste, dünne Verdickungsschicht dürfte sie hin-
gegen überhaupt nicht oder nur in schwachem Maße zeigen. Bei Einwirkung
von Chlorzinkjodlösung auf solche Schnitte färbt sich diese innerste Ver-
dickungsschicht öfters violett und zeigt so ihren Zellulosecharakter direkt an.
Die übrigen Verdickungsschichten nehmen gleichzeitig eine gelbbraune Tink-
tion an, so wie sie verholzten Membranen zukommt. Wenn sich, wie in dem hier
angenommenen Falle, die aufeinander folgenden Schichten einer verdickten
Zellwand deutlich gegeneinander abheben, so pflegt man die der Mittellamelle
anliegende, starke Verdickungsschicht als sekundäre, die auf sie folgende
schwache, innere als tertiäre zu bezeichnen. So trifft man die Verhältnisse ziem-
lich allgemein im Holz unserer Holzgewächse an. — Die Mittellamellen der Ge-
webe aller höher organisierten Gewächse zeichnen sich durch den Reichtum an
jenen Stoffen, die Mär als Pektinstoffe bezeichnet haben, aus. In unverholzten
Geweben erleichtert die verhältnismäßig größere Löslichkeit der Pektinstoffe die
stellenweise Trennung der Zellen voneinander in dem Maße, als es das Durch-
lüftungsbedürfnis verlangt. In manchen reifenden Früchten kann es auf diesem
Wege zu einer mehr oder weniger vollständigen Isolierung der Zellen kommen,
das Gewebe wird ,, mehlig". — Auch bei starker Verdickung und Verholzung
bleiben die pflanzlichen Membranen für Wasser durchlässig und quellbar. Auf
der großen Festigkeit und Elastizität, die solchen Zellwänden eigen ist, beruht
der große Nutzen, den wir aus dem Holze ziehen. An Biegsamkeit und Zähig-
keit kann die Holzfaser noch von den besonders stark verdickten, zumeist
schwächer verholzten Bastfasern überboten werden. Daher uns letztere für
die Herstellung von Geweben von unersetzlichem Wert sind. Was eine Land-
pflanze mit Hilfe ihrer verdickten Zellwände mechanisch zu leisten vermag, das
zeigt sie an, indem sie einen Roggenhalm 1500 mm hoch werden läßt, während
seine Dicke nur 5 mm beträgt. Dabei läßt sie diesem Roggenhalm die schwere
Last der Ähre tragen. Unsere menschlichen Bauten reichen an eine solche Lei-
stung bei weitem nicht heran.
Zellwände, die den Pflanzenkörper an seiner Oberfläche schützen sollen, Kutinisierung
oder bestimmte Zellen oder Gewebe in seinem Innern abzuschließen haben, wer- "'"^ verkorkung.
den mit Kutin imprägniert. — Im Korkgewebe, das den äußeren Schutz älterer
Pflanzenteile übernimmt, oder das eine Wunde decken soll, sind die Zellwand-
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. 4
50
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
schichten gleich bei ihrer Anlage suberinhaltig. — Kutin und Suberin stellen
chemisch sehr nahe verwandte Stoffe dar, an deren Bildung Fettsäuren beson-
ders sich beteiligen. Beide Stoffe sind besonders schwer durchlässig für Flüssig-
keiten, so, daß ihnen der Schutz gegen Verdunstung an der Oberfläche der
Pflanzenkörper übertragen wurde.
Hemizeiiuiosen Dic Hcmizellulosen, die uns bereits beschäftigt haben, kommen meist als
^^^ s^o^sr"^^ Mannane und Galaktane, im Gegensatz zu den anderen Membransubstanzen,
nicht allein für Festigungszwecke, sondern auch als Reservestoffe in Betracht.
Manche Pflanzen deponieren sie als Verdickungsschichten der Zellwände in
ihren Samen. So vor allem die Palmen. Wir bekommen sie zu sehen, wenn wir
beispielsweise dünne Schnitte aus einem Dattelkern untersuchen. Sie erscheinen
glänzend weiß. Daß sie zugleich sehr hart sind, merken wir beim Schneiden.
Letzteres trifft im besonderen für das ,, vegetabilische Elfenbein" zu, das Ge-
webe der Samenkerne der Elfenbeinpalmen, der Gattung Phytelephas. Man im-
portiert diese Kerne in bedeutender Menge aus Südamerika, um aus ihnen
Manschettenknöpfe und dergleichen zu drechseln. Bei der Keimung solcher
Samen werden ihre sekundären, aus Hemizellulose bestehenden Verdickungs-
schichten aufgelöst, so daß schließlich nur die primären Zellwände unverbraucht
zurückbleiben. Verdickungsschichten aus Hemizellulose für Reservezwecke
bilden auch manche unserer Bäume in ihren Holzfasern aus, so der in unseren
Gärten allgemein verbreitete ,, Goldregen" {Cytisus Laburnum L.), die Feldulme
{Ulmus campestris L.) oder der weiße Maulbeerbaum {Morus alba L.). Solche
Verdickungsschichten haben knorpelig-gallertartige Beschaffenheit. Sie wer-
den im Herbst in den Holzfasern gebildet, dann im Frühjahr wieder aufgelöst
und als Reservestoff verbraucht.
Chitin. Eine Überraschung, die fast noch größer war als jene des Nachweises von
Zellulose bei höher organisierten Tieren, brachte die Entdeckung des Chitins bei
Pilzen. Das Chitin, das man schon 1823 im Panzer der Gliederfüßler (Arthro-
poden) nachgewiesen hatte, galt als ausschließlich tierischer Membranstoff.
Jetzt steht es fest, daß ein ihm jedenfalls sehr ähnlicher Stoff den verbreitetsten
Bestandteil der Zellhaut der Pilze darstellt. In ihr ist es mit anderen noch
wenig bekannten Kohlenhydraten vereinigt. Es handelt sich beim Chitin um
einen stickstoffhaltigen, komplizierten Körper, dem ein ,,am Stickstoff azety-
liertes Polysaccharid" zugrunde liegt. Diesem schwierigen, chemischen Pro-
blem können wir hier nicht nachgehen und wollen nur hinzufügen, daß das
Chitin mit Jodjodkaliumlösung intensiv braunrot wird und mit Chlorzinkjod-
lösung sich violett färbt. Auf Grund dieses letzten Verhaltens hat man oft auf
Zellulose in den Objekten geschlossen.
Gasbewegung Aus dcn Vcrsuchcn von Wiesner und Molisch* hat sich ergeben, daß die
Membranen Gase sich durch Membranen nur auf dem Wege der Dialyse oder Osmose, wie
etwa auch durch eine feuchte Tierblase, bewegen, und zwar um so leichter,
je stärker diese von Wasser durchtränkt sind. Bei diesem Vorgange werden
die Gase in der Membran absorbiert oder gelöst. Am leichtesten bewegen sie
sich durch die Membranen untergetauchter Pflanzenteile. Unverkorkte und
Hemizellulose. Chitin. Gasbewegung durch Membranen. — Urzeugung e j
unverholzte Membranen lassen im trocknen Zustande keine Gase auf dem
Wege der Osmose durch, hingegen ist die Diffusion der Gase auch durch trockne
verholzte und verkorkte Membranen möglich, d. h. derjenige Durchgang, bei
welchem die Membran sich ganz indifferent, nicht anders etwa als eine poröse
Tonzelle verhält. So kommt es, daß verkorkte und kutinisierte Membranen
an| der Luft befindlicher Pflanzenorgane erfolgreich gegen Verdunstung
schützen, ohne den Gasaustausch völlig zu hindern. Bei dem Durchtritt von
Flüssigkeiten durch die Membranen einer Pflanze haben wir es nur mit osmo-
tischen Vorgängen zu tun. Wie wir schon früher erfahren haben, sind es
nur die Kristalloide, welche die Membranen durchdringen können, die Kolloide
vermögen es nicht.
Es tritt nunmehr die Aufgabe an uns heran, die Fortpflanzung der Proto- zeiibUdung.
plasten zu erörtern. Es wird sich zeigen, daß die Vorgänge, an welche die Ent-
stehung neuer Zellen geknüpft ist, in engster Beziehung stehen zu allen Fragen
der Befruchtung und Vererbung, das ganze Problem somit im Zusammenhang
behandelt werden muß.
Zunächst ist vorauszuschicken, daß die Zeiten vorüber sind, in welchen Das Problem
man einen Abschnitt der Zellenlehre mit der Schilderung solcher Fälle beginnen '^^'^ U"®"g"°°-
konnte, wo ,, Zellen ohne Einfluß einer schon vorhandenen Zelle" entstehen.
So stand das noch zu lesen in den ,, Grundzügen der Wissenschaftlichen Bo-
tanik" von M. J. Schieiden, einem Lehrbuch, das in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts veröffentlicht wurde, rasch mehrere Auflagen erlebte,
seinen Erfolg auch verdiente, da es tatsächlich einen großen Fortschritt in der
Entwicklung unserer wissenschaftlichen Botanik bedeutet. Damals war ,, Ur-
zeugung" oder ,, Generatio spontanea" eben ein Begriff, mit dem man noch ope-
rieren konnte, und demgemäß schilderte M. J. Schieiden, wie in gärungsfähi-
gen Flüssigkeiten ein Kügelchen stickstoffhaltiger Substanz entstehe, eine Höh-
lung erhalte, zu einer fertigen Zelle heranwachse, sich mit einer Haut aus Zell-
stoff schließlich überziehe, ohne daß man den Zeitpunkt der Entstehung dieses
ganzen Gebildes angeben könne. Heute wissen wir, daß, soweit wie das Gebiet
unserer Erfahrung reicht, lebendige Substanz nur von schon vorhandener ab-
stammt, eine unabhängige Neubildung neuer Wesen nicht stattfindet. Die Frage
nach der Urzeugung lebendiger Substanz ist zu einem Problem theoretischer Er-
örterung geworden. Die meisten Biologen dürften der Ansicht sein, daß die
lebendige Substanz auf einem gewissen Entwicklungszustand unseres Erdballs
auftrat, als mit fortschreitender Abkühlung seiner Oberfläche die Bedingungen
für ihre Entstehung sich einstellten, daß sie dann mit derselben Notwendigkeit
sich einstellte, wie zuvor andere chemische Verbindungen einfacherer Zusam-
mensetzung, daß die steigende Komplikation in der Wechselwirkung dieser ihr
vorausgegangenen Stoffe schließlich zu ihrer Bildung führen mußte. Die wieder-
kehrende Vorstellung von einem kosmischen Ursprung der lebendigen Substanz,
die von allem Anfang an von der leblosen verschieden, von Himmelskörper zu
Himmelskörper durch Meteore übertragen worden wäre , hat meines Wissens
4*
52
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Biologen kaum gefesselt. Ihre Annahme stößt für diese auf unüberwindliche
Schwierigkeiten. Um Bestand zu haben und entwicklungsfähig zu sein, d. h.
um den Ursprung der organischen Welt geben zu können, mußte die lebendige
Substanz von Anfang an die Eigenschaft besitzen, in ihrer Umgebung fort-
zubestehen, zu wachsen, d. h. fremde, von ihr aufgenommene Stoffe in Substanz
ihres Körpers zu verwandeln, sich fortzupflanzen, d. h. nach erfolgtem Wachs-
tum durch Teilung zu vervielfältigen, endlich neue Eigenschaft zu erwerben und
sie erblich auf die Nachkommen zu übertragen. Um zu leben, d. h. ihren
Lebensbetrieb zu erhalten und um zu wachsen, d. h. neue körpergleiche Sub-
stanz zu bilden, mußten sie aber imstande sein, Kraftquellen der Umgebung
für diese Arbeit dienstbar zu machen. Die Annahme, daß eine ursprüngliche,
lebendige Substanz auch sofort chlorophyllhaltig hätte sein müssen, ist hingegen,
wie wir bereits erfahren haben, heute nicht mehr nötig.
Geschichtliches In der Jctztzcit fehlen alle Anknüpfungen für eine weitere, spontane Neu-
e ung. j^j^^^j^g yQj-^ lebendiger Substanz. Wir haben nur noch mit der Entstehung le-
bender Wesen aus ihresgleichen zurechnen. Doch auch nachdem dies feststand,
schien noch die Vorstellung möglich, daß bei jeder Zellvermehrung der alte
Kern der Mutterzelle aufgelöst werde, und die Kerne für die Tochterkerne neu
entstehen. Das konnte auf botanischem Gebiete noch die Ansicht eines der
allerbedeutendsten Vertreter im vorigen Jahrhundert, Wilhelm Hofmeisters, bis
ans Ende der sechziger Jahre sein. Heute steht es für Botaniker, wie für Zoo-
logen fest, daß auch ein Zellkern nicht neu entstehen kann, daß er vielmehr
durch Teilung aus einem älteren hervorgeht, und daß ein gleiches für das Zyto-
plasma gilt.
Die Untersuchung der Protoplasten, die bis dahin an die lebendigen Ob-
jekte sich gehalten hatte, wandte sich in densiebziger Jahren dem fixierten und
tingierten Zellinhalt zu. Das ermöglichte erst die Entdeckungen, die so schwer-
wiegend für unsere Erkenntnis alles Fortbestehens des Lebens werden sollten.
Als der Verfasser dieser Zeilen sich im Jahre 1874 dem Zellstudium zu-
wandte, bestanden nur ganz vereinzelte und zusammenhangslose Angaben über
solche Kernbilder, wie sie ihm an fixierten Objekten zu Gesichte kamen, in
zoologischen und botanischen Werken. Die Literatur, über die er in seinem
1875 erschienenen Buche ,,Uber Zellbildung und Zellteilung" zu berichten
hatte, ließ sich für dasTierreich und Protistenreich auf 26 Seiten zusammenfassen.
Heute könnte sie zahlreiche Bände füllen.*
Es zeigten die neuen Untersuchungen vor allem, daß der Kern der Zelle,
wenn er sich teilt, in seinem Innern ganz eigenartige Sonderungen durchmacht,
und daß er es damit erreicht, daß seine Teilungsprodukte einander an Masse und
Beschaffenheit völlig gleichen.
Der Schwerpunkt der Vorgänge, die sich bei der Fortpflanzung aller höher
organisierten Wesen abspielen, liegt im Kern. An diesen müssen wir uns daher
zunächst wenden, und ich will es versuchen, in gemeinverständlicher Form die
entscheidenden Momente aus dem Gang der Erscheinungen herauszulösen, die
er bei seiner Teilung darbietet.
Kernteilung
53
Wir vergegenwärtigen uns zunächst den ruhenden Kern in den entspre- Kernteilung,
chend fixierten und tingierten Präparaten, als einen mehr oder weniger ku-
gehgen Körper von netzartigem Bau (Fig. lo, i). Wir sehen kleine mehr
oder weniger stark gefärbte ,,Chromatinkörnchen" in dem ungefärbt gebliebenen
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Fig. lo. Aufeioanderfolgende Stadien der typischen Kern- und Zellteilung aus dem embryonalen Gewebe einer höher
organisierten Pflanze. Etwas schematisiert. Als Vorlage dienten Längsschnitte mit Chrora-Osmium-Essigsäure fixierter
Wurzelspitzen von Najas marina, nach Färbung mit Eisenhämatoxylin. »j Kern, n/ Nucleolus, w Kernwandung,
r Zytoplasraa, c/i Chromosomen, /f Polkappen, J Spindel, i-/> Kernplatte, / Tochteranlage, 7j Verbindungsfäden, z Zell-
platte, m neue Scheidewand. Die Chondriosbmen sind bei solcher Fixierung und Färbung nicht sichtbar. In / der
Kern in Ruhe. In 2, 3 und 4 fortschreitende Trennung der Chromosomen und Sonderung ihrer Substanz in dichtere
und weniger dichte Abschnitte. In 6 die Längsspaltung der Chromosomen. In 7 und 8 die bereits gespaltenen
Chromosomen werden allmählich kürzer und dicker; an den Kernpolen Anlage der Polkappen. In 9 Auflösung der
Kernwandung, Bildung der Spindelfasern von den Polkappen aus und Einordnung der gespaltenen Chromosomen in
die äquatoriale Kernplatte. In 10 fertiggestellte Kernplatte. In 11 beginnende Trennung der Tochterchromosomen
in Richtung der Pole. In 12 die getrennten Tochterchromosomen in der Nähe der Spindelpole. In 13 bis 16 Bildung
der Tochterkerne; in 13 und /4 zugleich Anlage der Verbindungsfäden mit Zellplatte, in 15 und i6 Ausbildung der
neuen Scheidewand. Vergr. ca. looo
,,Linin"-gerüst verteilt und ein stark gefärbtes „Kernkörperchen," oder mehrere
solche, in dessen Maschen. Das Ganze wird von der zarten Kernwandung um-
schlossen. Das Gerüstwerk stellt sich als ein einheitliches Gebilde dar; doch
kommt es bei Pflanzen häufig vor, daß sich die stärker färbbare Substanz an be-
CA Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Stimmten Knotenpunkten vornehmlich angesammelt zeigt, daß diese Ansamm-
lungen annähernd gleichmäßig durch den Kernraum verteilt sind und eine kon-
stante Zahl aufweisen. — Soll nun ein ruhender Kern in den Teilungszustand
eintreten, so beginnt eine Sonderung in seinem Gerüstwerk sich zu vollziehen.
Es treten dichtere Stellen hervor, auf welche das übrige Gerüstwerk langsam ein-
gezogen wird (2, 3). Wo Knotenpunkte im Gerüstwerk zuvor schon sich mar-
kierten, bilden sie auch die Orte der nunmehrigen Sammlung. Während dieser
Zeit nimmt die Färbbarkeit der ganzen Kernmasse dauernd zu. Schließlich ist
das gesamte Gerüstwerk in regenwurmförmige Gebilde von bestimmter Länge
und Zahl, die sich stark färben lassen, umgewandelt (4, 5). Diese Gebilde hat
man wegen der Anziehung, die sie auf spezifische Kernfarbstoffe ausüben, ,, Chro-
mosomen" genannt. Die gefärbte Substanz ist in ihnen oft zu annähernd gleich
starken Körnern oder Scheibchen, die durch ungefärbte Zwischenräume ge-
trennt werden, in regelmäßiger Aufeinanderfolge angesammelt (4, 5). Die
wurmförmigen Chromosomen flachen sich nun bandartig ab, und es wird in ihnen
ein Spalt sichtbar (6), der sie in je zwei gleiche Längshälften zerlegt (7). In-
zwischen hat sich von außen an der Kernwandung Zytoplasma angesammelt
und ist dann nach zwei entgegengesetzten Seiten des Kerns, den Stellen, an
welchen die beiden Teilungspole entstehen sollen, gewandert(7, 8^). Dort sondert
sich dieses Zytoplasma in Fasern, die an einem gemeinsamen Punkt, dem,, Pol",
zusammentreffen {Sk). Hierauf verschwinden im Kerninnern die Kernkörper-
chen, die zwar zuvor schon an Substanz eingebüßt hatten, w^eil sie zur Ernäh-
rung der Chromosomen beitrugen, im übrigen aber noch fortbestanden. Zu-
gleich löst sich die Kernwandung auf, und die Zytoplasmastrahlen wachsen, ver-
mutlich die Substanz der geschwundenen Kernkörperchen hierzu verwendend,
von den Polen aus in die Kernhöhle hinein, um, von entgegengesetzten Seiten her,
einerseits auf die Chromosomen zu stoßen, andererseits einander zu begegnen
und von einem Pol zum andern reichende Fasern zu bilden (9). Es sind das
jedenfalls besonders aktive Bestandteile des Zytoplasmas, die in solche Faser-
bildung eintreten, Bestandteile, die von den Botanikern aus diesem Grunde viel-
fach mit dem Namen ,, Kinoplasma" belegt wurden, während das übrige Zyto-
plasma, das vorwiegend nur Ernährungszwecken zu dienen scheint, den Namen
,,Trophoplasma" erhielt. Das Kinoplasma läßt sich in solcher fadenförmigen Dif-
ferenzierung mit Hilfe bestimmter Tinktionsmittel anders als dasTrophoplasma
färben. Die Botaniker wenden mit Vorliebe zu diesem Zweck nacheinander
Safranin, Gentianaviolett und Orange an und erreichen so, daß dann in den
Teilungsbildern der Kerne die Chromosomen sich rot, das faserförmige Zyto-
plasma violett, das übrige Zytoplasma braungelb gefärbt zeigen. Das glaubte
ich hier einschalten zu müssen, damit man daraus ersehe, wie die modernen
Hilfsmittel der Forschung es selbst einem Anfänger ermöglichen, Dinge un-
mittelbar wahrzunehmen, die auch dem bedeutendsten Forscher vor 40 Jahren
verborgen bleiben mußten. Die auf die beiden Teilungspole zentrierten Fasern
stellen zusammen eine spindelförmige Figur dar (9, 10), die demgemäß die Be-
zeichnung,,Kernspinder' erhielt. In die Äquatorialebene dieser Spindel werden
Karyokinese 5 5
von den Spindelfasern die Chromosomen eingereiht, um die „Kernplatte" oder
„Äquatorialplatte" zu bilden (10). An die eine Längshälfte jedes Chromosoms
setzen die von dem einen Pol kommenden, an die andere die vom entgegen-
gesetzten ausgesandten Spindelfasern an. Mit diesem Zustand sind die vorbe-
reitenden Vorgänge der Kernteilung, die man,, Prophase" nennt, durchlaufen, und
die ,,Metaphase" ist erreicht. Diese hält länger als die anderen Stadien an; es
ist, als wenn eine bestimmte Zeit dazu erforderlich wäre, um die fortschreitende
Bewegung innerhalb des Teilungsvorgangs, welcher der Mutterkern bisher folgte,
in jene rückschreitende zu verwandeln, die zur Bildung der beiden Tochterkerne
führen soll. Diese Bewegungsrichtung wird mit der sich nunmehr einstellenden
,, Anaphase" eingeschlagen. Die Längshälften jedes Chromosoms trennen sich
voneinander (11) und bewegen sich in der Richtung der Pole (12). Man hat den
Eindruck, daß es die Spindelfasern, an denen die Chromosomen haften, sind,
die, sich zusammenziehend, die Tochterchromosomen nach ihrem Bestimmungs-
ort befördern. Dafür spricht der Umstand, daß die Befestigungsstellen der
Chromosomen polwärts voraneilen, was eine entsprechende Krümmung der
Chromosomen zur Folge hat (12). Daher man die Spindelfasern, an welchen
die Chromosomen befestigt sind, als ,, Zugfasern" bezeichnet hat. Den Gegen-
satz zu ihnen bilden die ,, Stützfasern", die von einem Pol zum andern reichen
und so gewissermaßen das Gerüst bilden, das die Teilungspole in ihrer gegen-
wärtigen Lage festhält. Sind die Tochterchromosomen an ihren Bestimmungs-
ort gelangt (12, 13), so beginnt die ,,Telophase" des Kernteilungsvorgangs, die
in rückläufigen, zum Gerüstwerk des Ruhezustandes hinleitenden Veränderungen
genau das wiederholt, was der Mutterkern an fortschreitenden Veränderungen
durchgemacht hat. Die Chromosomen rücken eng aneinander (13), und alsbald
grenzt sich das umgebende Zytoplasma gegen sie durch eine Kernwandung ab.
Nunmehr nehmen die jungen Tochterkerne an Größe zu, während sich ihre
Chromosomen vakuolisieren (14), dadurch wabig werden und untereinander zu
dem gemeinsamen Gerüstwerk des fertigen Kerns vereinigen (15, 16). In den
jungen Tochterkernanlagen bilden sich auch neue Kernkörperchen (15), um
schließlich ganz denselben Zustand wiederherzustellen, wie es der war, von dem
unsere Schilderung ausging (16).
So vollziehen sich, in fast völlig übereinstimmender Weise, die Vorgänge übereinstim-
der Kernteilung bei allen höher organisierten Pflanzen und Tieren. Der einzig 't^^^li^ngstlrginge
wirklich auffallende Unterschied, den die Tiere darbieten, besteht darin, daß '^f höheren
' / ... Pflanzen und
bei ihnen an den Polen der Kernspindeln geformte Gebilde individualisiert sind, Tieren,
die als Kraftzentren fungieren, als solche im Zelleib fortbestehen und zu Beginn
jeder neuen Kernteilung, eine Zweiteilung erfahren, um an die Stellen zu rücken,
welche zu den Polen der neuen Kernteilungsfigur werden sollen. Man bezeichnet
sie meistens als ,,Zentrosomen". Ihnen ähnliche Gebilde kommen auch in
den unteren Abteilungen des Pflanzenreichs vor. Weiter aufwärts konnte man sie
dort aber nicht nachweisen, so eifrig man auch bemüht war, sie aufzufinden.
Ein solcher Kernteilungsvorgang wie der geschilderte wird, weil er mit Direkte und
fadenförmigen Sonderungen des Kerninhaltes verbunden ist, als ,, mitotischer"'" "teiiunn/'"'
e5 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
oder als, ,Mitose"bezeichnet, noch häufiger als ,,Karyokinese" (vonKaryon, Kern
und Kinesis, Bewegung). Man spricht auch von „indirekter Kernteilung", wenn
man den Gegensatz zu ,, direkten" Teilungsvorgängen, mit denen wir uns noch
werden zu beschäftigen haben, und die auf einer einfachen Durchschneidung
des sich teilenden Gebildes beruhen, betonen will.
Deutung der Vergegenwärtigen wir uns alle die Erscheinungen, welche eine solche Karyo -
vorgängebeider j^-j^ggg darbietet, SO wirft sich uns vor allem die Frage auf, warum der Vorgang
indirekten Kern- ' o > o o
teUung. dermaßen verwickelt sei. Wir können uns dabei durch die Vorstellung leiten
lassen, daß er sich in einfacherer Weise vollziehen würde, läge nicht eine Not-
wendigkeit für diese Verwicklung vor. Bestünde der Kern aus einer gleich-
artigen Masse, so ginge sicherlich seine Halbierung ganz einfach in Form von
Durchschnürung vor sich. Das lehren uns andere lebendige Gebilde des Proto-
plasten, die sich so verhalten, ja sein zytoplasmatischer Zelleib selbst. Wenn
sich die Chromosomen für jede Karyokinese einzeln heraussondern, und jedes
von ihnen halbiert wird, um die Tochterkerne übereinstimmend auszugestalten,
so läßt sich daraus schließen, daß die Chromosomen untereinander verschieden
sind, sonst brauchten nicht jedem Tochterkern die sämtlichen Chromosomen
des Mutterkerns auf solchem Wege gesichert zu werden. Aber auch jedes ein-
zelne Chromosom muß aus aufeinander folgenden, ungleichwertigen Teilen auf-
gebaut sein, denn wäre das nicht der Fall, so vollzöge sich seine Teilung in ein-
facherer W^eise, der Quere nach. Folgen aber im Chromosom ungleichwertige
Abschnitte aufeinander, so vermag nur eine Längsspaltung sie alle den Tochter-
chromosomen zu sichern. Ein einfarbiges, seidenes Band von übereinstimmen-
der Breite und Dicke, das wir mit der Schere in zwei völlig gleiche Hälften zu
teilen hätten, würden wir genau in halber Länge durchschneiden. Um von einem
Band, das aus aufeinanderfolgenden Streifen verschiedener Stoffe zusammenge-
setzt wäre, zwei gleichwertige Hälften zu erhalten, müßten wir wie die Natur bei
der Chromosomenteilung verfahren, und es der Länge nach in zwei gleich breite
Hälften trennen. Es kompliziert die Natur sicherlich nicht in überflüssiger Weise
den Kernteilungsvorgang. Sie schlägt vielmehr den einzigen Weg bei ihm ein,
der zum Ziele führt. Und so darf es uns denn nicht wundernehmen, daß bei
Tieren wie bei Pflanzen dieser Vorgang uns in übereinstimmender Weise ent-
gegentritt.
Individualität Wo Kernteilungen rasch aufeinanderfolgen, läßt sich feststellen, daß aus
^, ^^^ denselben Abschnitten des Kerngerüstes, die in der Telophase aus den einzelnen
Chromosomen. o / i ^
Chromosomen hervorgingen, in der nächsten Prophase dieselben Chromosomen
sich wieder heraussondern. Das wird besonders auffällig in solchen Kernen,
deren Chromosomen eine verschiedene Größe besitzen. Bei jeder Prophase tau-
chen sie aus dem Kerngerüst mit den gleichen Größenunterschieden wieder auf.
Ist also das Gerüst eines ruhenden Kerns auch scheinbar gleichmäßig und zu-
sammenhängend, die Chromosomen, die es aufgebaut haben, dauern in ihm
fort, nur sind ihre Grenzen eben nicht zu erkennen. Doch lernten wir ja bereits
auch solche ruhende Kerne kennen, in deren Gerüst Substanzansammlungen
von bestimmter Zahl und Verteilung auf die Lage der einzelnen Chromo-
Karyokinetische Probleme. Zellteilung cy
somen in dem gemeinsamen Verbände hinweisen. Die Lehre von der Individu-
alität der Chromosomen*, die auf solche Beobachtungen sich stützt, nimmt
somit an, daß die Chromosomen durch alle aufeinanderfolgenden Kernteilungen
fortdauern, ungeachtet dessen, daß man sie in ruhenden Kernen nicht ge-
schieden sieht.
Die sorgfältigen Halbierungen, welche die Chromosomen bei der Kern-
teilung erfahren, mußten, bald nachdem sie bekannt wurden, auch den Gedan-
ken erwecken, daß den Kernen eine wichtige Rolle bei der Vererbung zufalle.
Denn diese Teilungsart erschien nur begreiflich bei der Annahme, daß sie allen
Kerngenerationen in einem gegebenen Organismus die volle Zahl der ihm zu-
kommenden und seine Eigenart bedingenden Erbanlagen zu sichern habe.
Da in beiden organischen Reichen Einkernigkeit der Protoplasten schon früh- Zeuteiiung.
zeitig zur Regel wurde, so folgte daraus auch die Notwendigkeit, die Kern- und
Zellteilungsvorgänge miteinander organisch zu verbinden. Auf solche Weise
waren den beiden neuen Zellen, die aus der Teilung der alten Zelle hervorgingen,
die ihnen notwendigen Kerne gesichert. Im Pflanzenreich mußte bei jedem Zell-
teiluagsvorgang noch dem besonderen Umstand Rechnung getragen werden,
daß eine feste Membran den Protoplasten umhüllt. Zwischen den neu entstande-
nen Tochterzellen galt es somit auch eine Scheidewand aus Zellhautstoff einzu-
schalten. Diese Aufgabe lösten die pflanzlichen Zellen mit Hilfe von ,,Phragmo-
plasten". Um diese zu bilden, dringt körnchenfreies Zytoplasma zwischen die
Stützfasern der Kernspindel (Fig. lO, 12), die als ,, Verbindungsfäden" zw^ischen
den beiden Tochterkernanlagen zurückblieben, ein und vermehrt ihre Zahl,
indem es neue Fasern bildet (13, 14). Diese stimmen mit den älteren Verbin-
dungsfäden in ihrem Verhalten überein, dürften somit auch aus jenem Zyto-
plasma bestehen, das wir als Kinoplasma bezeichnet haben. So kommt zwi-
schen den beiden Tochterkernanlagen der Phragmoplast als tonnenförmiger,
längsgestreifter Körper zustande; er erweitert sich an seinen Rändern und ge-
winnt dadurch linsenförmige Gestalt. In seiner Äquatorialebene schwellen die
Fasern knötchenförmig an und erzeugen in solcher Weise die sogenannte Zell-
platte (14). Die Knötchen dieser Zellplatte verschmelzen hierauf miteinander
zu einer zusammenhängenden, zytoplasmatischen Hautschicht (15). Innerhalb
dieser Hautschicht wird schließlich Membranstoff (16), und zwar, wie wir schon
wissen, Pektinstoff, ausgeschieden, in Form einer zarten, mittleren Lamelle, durch
deren Anlage eine Spaltung der ursprünglich einfachen Hautschicht in zwei
Hautschichten bedingt wird. Hat der Phragmoplast während seiner Ausbrei-
tung allseitig die Hautschicht der Mutterzelle erreicht, so setzt die neue Haut-
schicht, die in ihm entsteht, gleich im ganzen Umkreis an die alte an. Dann
kann auch die neue Zellhaut sich gleich als vollständige Scheidewand der Mutter-
zellhaut anfügen. Wenn der Phragmoplast nicht den ganzen Querschnitt der
Zelle ausfüllt, und das ist besonders in den mit einem Saftraum versehenen
Zehen, die sich noch teilen, der Fall, so führt er mitsamt den beiden Tochter-
kernen, an denen er haftet, seitliche Bewegungen aus, die ihn schließlich überall
in der Teilungsebene mit der Hautschicht der Mutterzelle in Berührung bringen.
58 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Von denjenigen Stellen, an welchen die Scheidewand bereits fertig ist, zieht der
Phragmoplast sich zurück und ergänzt sie an ihren noch freien Rändern. Die
Bildung der Scheidewand ist in solchen Fällen nicht eine simultane, sondern
eine sukzedane.
Kernteilung in Es gibt Haarzellcn bei den höheren Pflanzen, die im lebenden Zustande
sichtbar. einen annähernden Einblick in den Kernteilungsvorgang gestatten. Das war
erwünscht, weil sich bei ihnen nachprüfen ließ, ob man sich aus den fixierten
Zuständen eine richtige Vorstellung von der Aufeinanderfolge der Teilungs-
phasen gebildet habe.
Andere Vorgänge der Zellbildung, die uns in den Geweben der höher organi-
sierten Pflanzen begegnen könnten, lassen sich von den eben geschilderten ab-
leiten, sie würden uns somit nichts grundsätzlich Neues bieten. Doch auf einen,
Freie Kern- als ,,Vielzellbildung" bezeichneten, Vorgang möchte.ich eingehen, weil er ein his-
teilung und Viel- . .,-. ,. ..,,. ttt-
zeiibiidung. torisches Interesse darbietet und m auffälligster Weise wieder lehrt, welche Vor-
teile aus den neuen Untersuchungsmitteln uns erwachsen sind. Nehmen wir
etwa aus dem befruchteten, bereits merklich angeschwollenen Fruchtknoten der
aus Persien stammenden Kaiserkrone [Fritülaria imperialis), die im ersten
Frühjahr in unseren Gärten blüht, eine Samenanlage heraus und halbieren sie
der Länge nach, so erblicken wir in ihrem Innern einen schon dem bloßen Auge
sichtbaren Hohlraum. In diesem Hohlraum, der Embryosack heißt, hatte sich
zuvor die Befruchtung vollzogen. Auf diesem Entwicklungszustand würden
wir bereits in dessen oberem Ende eine junge, noch wenigzellige Keimanlage
vorfinden. Außerdem enthält aber dieser Hohlraum einen Schleim, der aus der
geöffneten Samenanlage herausfließt. In einem Wassertropfen, mikroskopisch
untersucht, würde uns dieser Schleim kleine Körner vorführen, die zum Teil wie
Kernkörperchen aussehen; wir bekämen in ihm auch freie Zellkerne zu sehen
und zudem in Bläschen eingeschlossene Kerne. M. J. Schieiden glaubte nun in
den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, hier die ganze Geschichte der
Kern- und Zellbildung vor Augen zu haben: Neu entstandene Kernkörperchen,
die eine Kernwandung erhalten und zu Kernen werden, und Kerne, um welche
der Zelleib sich abgrenzt. Tatsächlich lag ihm nur ein in Desorganisation be-
griffenes, kernhaltiges Protoplasma vor. Heute fixieren wir den Zellinhalt sol-
cher Samenanlagen, bevor wir sie schneiden, und stellen nun fest, daß in ihrer
auffallend großen Embryosackzelle ein protoplasmatischer Wandbelag sich be-
findet, der zahlreiche Kerne führt. Seine Vielkernigkeit ist dadurch bedingt,
daß der Teilung seines ersten Kerns eine Zellteilung nicht folgte, und daß auch
weiterhin die Kerne fortfuhren, sich durch Teilung zu vermehren, ohne daß es
zur Bildung von Scheidewänden zwischen ihnen kam. Der gehärtete, proto-
plasmatische Wandbelag läßt sich aus dem Embryosack befreien und erscheint
dann wie ein zartes Häutchen, in welchem die Kerne gleichmäßig verteilt sind.
Man läßt die Kerne durch entsprechende Färbung deutlicher hervortreten. Der
Zufall kann es fügen, daß man sie in Teilung antrifft. Die Teilungen pflegen an
dem einen Ende des Embryosackes zu beginnen und gegen das andere fort-
zuschreiten. Man hat daher alle Zustände der Teilung in solchen Fällen vor
Freie Kernteilung und Vielzellbildung
59
Augen. Das sind äußerst anziehende Bilder, zudem lehrreich, da sie über die
Aufeinanderfolge der Phasen keinen Zweifel lassen. Diese freien Kernteilungen
dauern im gemeinsamen, protoplasmatischen Wandbelage des Embryosackes
so lange fort, als dieser wächst. Erst wenn er seine volle Größe erreicht hat,
umgeben sich seine Kerne mit kinoplasmatischen Strahlungen, denen die
Rolle von Phragmoplasten zufällt, und die in ihrem Innern Scheidewände aus-
bilden, durch welche der protoplasmatische Wandbelag in entsprechend viel
Zellen zerlegt wird (Fig. ii). Daher wird dieser Vorgang als Vielzellbildung
bezeichnet. Es ist klar, daß er eine Art verkürzte Entwicklung darstellt,
die, statt in entsprechend vielen Zellteilungen fortzuschreiten, zunächst nur
mit freien Kernteilungen operiert und dann erst auf einmal die den Kernen ent-
sprechende Zahl von Zellen bildet. Bei den Palmen erreicht der Embryosack
oft eine ganz auffallende Größe, bevor er zur
Zellbildung an seiner Wandung schreitet. Man
braucht sich nur die Kokosnuß zu vergegen-
wärtigen, deren Embryosack auf diese Weise
ein Volumen von 500 und mehr Kubikzenti-
metern erlangt. Er stellt auf solchem Zustand
eine der allergrößten Zellen vor, deren das or-
ganische Reich sich rühmen kann. Dann finden
die Vielzellbildungen an seiner Wandung statt,
worauf die erzeugten Zellen durch fortgesetzte
Zweiteilungen jene weiße Gewebeschicht er- ^
zeugen, die uns zu Gesicht kommt, wenn wir
eine Kokosnuß öffnen. Wir haben dann vor
Augen die harte Schale, die wir zerbrachen,
und die als solche noch zur Fruchtwandung
gehört, die ihrer Innenseite anhaftenden, ge-
bräunten und abgestorbenen Reste der Samen-
schale sowie der Embryosackwandung, und
auf diese folgend das sogenannte Endosperm, eben jene weiße, etwa einen
Zentimeter starke Gewebeschicht, die mit Reservestoffen angefüllt ist. Man
findet in ihren Zellen Aleuron und Öltropfen vor, auch Kristallnadelbüschel
von auskristallisiertem Fett. Ist die Kokosnuß noch jung, so füllt ,, Kokos-
milch" ihre innere Höhlung aus. Diese Höhlung stellt den vom Gewebe nicht
angefüllten Rest des ursprünglichen Saftraums der Embryosackzelle dar. Ihr
Saft ist eine wässerige Emulsion von Fett und Eiweiß. — Embryosäcke, die
weniger groß werden, pflegen sich mit Endosperm ganz auszufüllen. In sol-
chen Pflanzenfamilien, welchen schmale, sich schlauchförmig während ihres
Wachstums streckende Embryosäcke zukommen, geht die Endospermbildung
nicht durch Vielzellbildung, sondern durch aufeinanderfolgende Zellteilungen
von statten. So lassen sich direkte Anknüpfungspunkte für die phylogene-
tische Ableitung des aus Vielzellbildung hervorgehenden Endosperms von dem
durch Zellteilung erzeugten gewinnen.
Fi^. II. Stück des protoplasraatischenWand-
belags aus dem Embryosack vou Reseda odo-
rata, bei beginnender Vielzellbildung. Der
Vorgang schreitet von unten nach oben fort.
Nach einem fixierten und tingierten Präparate.
Vergr. 220.
6o
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Direkte
Kernteilnng.
i
Außer der indirekten Kernteilung gibt es im Pflanzenreich auch eine direkte.
Es kommt ihr zwar nur eine begrenzte Verbreitung zu, doch theoretisch ist sie
sehr lehrreich, denn sie zeigt uns, daß ein Kern sehr wohl imstande ist, sich zu
teilen, ohne zuvor verschiedene Sonderungen durchzumachen. Er geht aber
eine direkte Teilung nur unter solchen Umständen ein, die seine genaue Zer-
legung in zwei völlig übereinstimmende Hälften nicht verlangen. In den Ge-
weben mancher Pflanzen sind in unregelmäßiger Durchschnürung begriffene
Kerne, sowie schon getrennte Produkte ihrer Durchschnürung, stets anzutreffen
(Fig. 12). Das Kerninnere hat bei diesem Vorgang das Aussehen des Ruhezu-
standes. Die erzeugten Teilkerne brauchen nicht in ihrer Größe übereinzustim-
men. Niemals ist ein solcher Teilungsvorgang mit einer Zellteilung verknüpft!
Die Nachkommen des einen Kerns verbleiben in demselben Protoplasten. Der
Teilungsvorgang ist aber mit einer Massenzunahme
der Kernsubstanz verbunden, und darauf kommt es
allem Anschein nach nur an. Daß dem wirklich so ist,
lehren uns in überzeugender Weise jene ,,Inter-
nodialzellen" der Charazeen, mit welchen wir uns
schon einmal mit Beziehung auf Protoplasmaströ-
mung befaßt haben. — Durch diese langen Inter-
nodialzellen werden bei den Charazeen die aufein-
anderfolgenden ,, Knoten" getrennt. Den letzteren
entspringen alle seitlichen Glieder der Pflanze, und
sie allein sind überhaupt befähigt, neuen Anlagen
den Ursprung zu geben. Im Gegensatz zu ihnen
stellen die Internodialzellen die bevorzugten Erzeu-
gungsstätten von Assimilaten dar; sie sind die Er-
nährer der Pflanze. Eine junge Zelle, diezurlnter-
nodialzelle werden soll, wächst auf das Mehrhundert-
fache in die Länge. Da ihr Protoplast bei solcher
Größenzunahme mit einem Kern nicht auskommen kann, so bildet er deren
Tausende. Weil aber die betreffende Zelle nie mehr an Gestaltungsvorgängen
teilnehmen, vielmehr nur Ernährungszwecken dienen soll, so vermehrt sie ihre
Kerne auf dem Wege direkter Durchschnürung. Die in dem ersten Kern, von
dem diese ,,Fragmentation" ausging, enthaltenen Erbeinheiten haben, so dür-
fen wir jedenfalls annehmen, währenddessen keine Vermehrung erfahren, sie
wurden auf die vielen sich trennenden Kerne verstreut. Andere Kernstoffe,
darunter stark färbbare, die in ihrem Verhalten an die Substanz der Kernkör-
perchen erinnern, haben hingegen entsprechend an Menge zugenommen. Hier-
aus möchten wir schließen, daß die Kerne nicht nur die Träger erblicher Eigen-
schaften sind, sondern daß ihnen auch eine ernährungsphysiologische Aufgabe
in den Protoplasten zukommt. Nur sofern ihren Teilungsprodukten alle Erb-
einheiten gesichert werden sollen, führen sie jene Sonderungen bei der Teilung
aus, die wir bei der Karyokinese kennen lernten. Ist es nur um nahrungsphysio-
logische Teilungen der Kernsubstanz zu tun, so genügen einfache Durchschnü-
Fig 12. Kerne älterer Zellen aus dem
Stengel von Tradescantia virginica, in
direkter Teilung. Vergr. 540.
Fragmentation. — Typische und allotypische Teilung
6i
rungen; sie gewährleisten augenscheinlich jedem Teilstück die Fähigkeiten, die
€s für diese Aufgaben braucht. Beziehungen der Kernsubstanz zu bestimmten
Vorgängen im Zelleib ergaben sich auch aus Versuchen, in denen es gelang, einer
aus einem Teilungsvorgang hervorgehenden Zelle, oder dem Teilstück einer
Zelle, künstlich den Kern vorzuenthalten. Solche kernlose Protoplasten sind
nicht imstande, Zellhautstoff zu bilden, ihr Chlorophyllapparat leidet bald, ihre
Widerstandsfähigkeit nimmt ab, sie vermögen zwar noch zu atmen und in be-
stimmten Fällen auch Stärke zu bilden, doch hält ihr Leben nicht lange an.
Die ernährungsphysiologische Tätigkeit des Kerns im Protoplasten läßt sich als
vegetative der generativen gegenüberstellen, die er als morphologisches Gebilde
bei den Gestaltungsvorgängen und der Fortpflanzung zu leisten hat. Auf vege-
tative Funktionen weist auch das Verhalten der Kerne in sezernierenden Zellen
hin. Sie müssen zu dem Prozeß der Ausscheidung in Beziehung stehen, sonst
würden im Pflanzenreich wie im Tierreich sezernierende Zellen nicht durch
besonders große Kerne ausgezeichnet sein.
B
Fig. 12. In A scbematisclie Darstellung der Äquationsteilung, in B der Reduktionsteilung;. In ^ ist zu sehen, daß
jedes längsgespaltene Chromosom für sich in die Kernplatte eingeschaltet wurde, und daß seine Längshälften sich
hierauf trennen, um an die beiden Pole der Spindel zu gelangen. Die Chromosomen sind in dem angenommenen
Falle ungleich groß, ihre Verschiedenheit durch die verschiedene Schattierung ausgedrückt. In j5 sieht man die
Chromosomen von A paarweise zu Gemini vereinigt. Die Längsspaltung zeigt nur das mittlere Paar, dessen Längs-
achse dem Beobachter zugekehrt ist; in den seitlichen Paaren liegt der Längsspalt in der Ebene der Figur. Dieselbe
Figur Ö zeigt auch das Auseinanderweichen der ganzen Chromosomen, die ihre Längshälften demselben Pol zuführen.
Die mit Längsspaltung der Chromosomen und ihrer Zuweisung an die Toch-
terkerne verbundene, indirekte Kernteilung (Fig. ii und 13 A) ist nicht die ein-
zige Art von Karyokinese, welche das organische Reich auf einer bestimmten
Höhe der phylogenetischen Entwicklung aufzuweisen hat. Es gibt noch eine
andere Karyokinese von tiefeingreifender Bedeutung, die man als ,, allotypische"
der typischen, die uns schon bekannt ist, gegenüberstellen muß (Fig. 13 B). Es
hat viel Mühe und Arbeit gekostet, diese beiden Arten der Kernteilung als prin-
zipiell verschieden zu erkennen und ihre Merkmale festzulegen. Und auch heute
noch bereitet die Deutung bestimmter Phasen der allotypischen Kernteilungen AUotypische
nicht geringe Schwierigkeiten und bewegt sich zum Teil in Gegensätzen.* Über ^emteUung.
den wichtigsten Unterschied, der beide Teilungsarten trennt, sind aber die
meisten Forscher jetzt einig, und das dürfte für den Zweck, den wir hier befolgen,
genügen.
In der allotypischen Kernteilung (Fig. 14) sind zwei aufeinanderfolgende
Teilungsschritte eng vereinigt: der „heterotypische" Teilungsschritt, der meist
jetzt kurzweg als ,, Reduktionsteilung" (i — 12) bezeichnet wird, und der
„homöotypische" Teilungsschritt (13 — 16).
62
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Redukrions
kernteilung.
Um gleich vorweg zu nehmen, worin der Schwerpunkt der Reduktions-
teilung liegt, so ist es, daß sie zur Halbierung der Chromosomenzahl führt.
Während somit das für die typische Kernteilung (Fig. 13 A) entscheidende Er-
eignis in einer Trennung der Längshälften von Chromosomen liegt, ist dieses
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Fig. 14. Allot3'pisclie Kernteilung. Reduktionsteilung i — //, homöotypische Kernteilung iL' — \6. Pollenmutterzellen
einer Lilie in Teilung, etwas scliematisiert. Nach Fixierung mit Chrom-Osmium-Essigsäure Eisenhämatoxyliufärbung. —
Die Chondriosomen nach solcher Fixierung und Färbung nicht sichtbar. / JMutterzeUe mit ruhendem Kern. 2 die
Sonderung der Chromosomen. 3 als Synapsis bezeichneter Zustand der Zusammenziehuug. 4 Doppelfäden in A"er-
schmelzung begriffen. '< der aus diespn Fäden entstandene, einen scheinbar einfachen Faden darstellende Knäuel.
6' wiedererfolgende Trennung der zuvor vereinigten Fäden. 7 der Knäuel in Segmentierung begriffen. 8 Diakinese.
.'' Multipolare Spindelanlage. 10 Mutterkernspindel mit der aus Doppelchromosomen gebildeten Kernplatte. 11 Re-
duktionsteilung; die auseinanderweichenden Chromosomen eine teilweise Trennung ihrer Längshälften zeigend.
12 Anlagen der Tochterkerne. 13 die Läugshälften der Chromosomen (Tochterchromosomen) werden zu Paaren ver-
bunden in die Kernspindeln eingereiht, li Tochterkernspindeln. 7.5 Auseinanderweichen der Tochterchromosomen.
ICi Anlagen dci Knkelkerne. Vergr. etwa 750.
für die Reduktionsteilung (Fig. 13 B) in der Zuweisung ganzer Chromosomen
an die Tochterkerne gegeben, so zwar, daß jeder Tochterkern die eine Hälfte
der Chromosomen des Mutterkerns erhält. Daher die Bezeichnung Reduktions-
teilung für diesen Vorgang.
Reduktionsteilung 63
Die volle Tragweite dieser Einrichtung wird uns erst klar werden, wenn
wir uns mit den Befruchtungsvorgängen befassen, denn mit ihnen stellte sich
die Notwendigkeit der Reduktionsteilung ein.
Kennzeichnend für die Reduktionsteilung (Fig. 14, l — 12) sind bereits ihre
Prophasen (i — 9). Da stellt sich alsbald ein Zustand ein, der das ganze Kern-
gerüst, mitsamt dem Kernkörperchen, stark einseitig zusammengezogen, inner-
halb der Kernhöhlung zeigt (3) . Man hat ihn , , Synapsis" genannt. Dann entwirrt
sich dieser Knäuel, indem Fadenschlingen aus ihm hervortreten (4), sich weiter-
hin bedeutend strecken und durcheinanderwinden. Stellenweise erkennt man
eine doppelte Zusammensetzung der Fäden (4) und eine Abwechslung stärker
und schwächer tingierbarer Stellen in ihrem Verlauf. Dann beginnen die Fäden
sich wieder zu verkürzen und zu verdicken, was zu einer entsprechenden Ent-
wirrung der Schlingen führt (5). Nun wird die doppelte Zusammensetzung der
Fäden überall deuthch (6). Zugleich befreien sich die Schlingen von ihrer ge-
meinsamen Einfügungsstelle, verkürzen sich immer stärker und stellen schließ-
lich gekrümmte Stäbchenpaare dar, in welchen die beiden Faarlinge sich völlig
gesondert und nur mehr oder weniger stark umeinandergewunden zeigen (7).
In jedem Paarling erkennt man einen Spalt; er hat eine Längsteilung vollzogen,
die aber nur angedeutet bleibt. Die verschiedenen Paare berühren sich nicht
gegenseitig und suchen daher eine Stütze an der Kernwandung, an der sie sich
annähernd gleichmäßig verteilen (8). Das ist das Stadium der, ,Diakinese". Jetzt
stellen sich Kinoplasmastrahlungen um den Kern ein, die anfangs meist auf
mehrere Pole hin gerichtet sind (9). Es schwindet das Kernkörperchen und die
Kernwandung, die Kinoplasmafasern dringen in den Kernraum vor und erfassen
mit ihren Enden die Stäbchenpaare. Alsbald haben sich die Kinoplasmafasern
auf zwei Pole zentriert, und es liegt eine Kernspindel vor, deren Kernplatte von
den Stäbchenpaaren gebildet ist (10). Diese Stäbchenpaare hat man ,, Gemini"
genannt. Sie orientieren ihre Hälften nach entgegengesetzten Polen und sind
dementsprechend an den Zugfasern der Spindel befestigt. Die Stützfasern
laufen auch hier von Pol zu Pol. Damit ist die Metaphase der Teilung erreicht.
Die Reduktionskernplatte besitzt meist ein charakteristisches Aussehen,
und wer auf karyokinetischem Gebiet arbeitet, vermag sie für gewöhnlich gleich
als solche zu erkennen. Die beiden Chromosomen in jedem Geminus pflegen
sich durch ihre Kürze und Dicke, den Chromosomen einer typischen Kernplatte
gegenüber, auszuzeichnen. Die beiden Paarlinge werden schon in den Meta-
phasen von den Spindelfasern mehr oder weniger stark auseinandergezogen (10),
wodurch sehr bezeichnende Bilder entstehen, in welchen die Gemini häufig die
Gestalt von Kreuzen aufweisen.
Nach einer Ruhepause stellt sich die Anaphase ein, und die getrennten
Chromosomen werden in Richtung der Pole befördert (il). Schon auf diesem
Wege lassen sie oft deutlich erkennen, daß sie aus je zwei Längshälften bestehen
(11). Also stellte die Längsspaltung, die in jedem der zu Paaren vereinigten
Chromosomen während der Prophasen dieser Teilung angedeutet wurde, wirklich
ihre Längshalbierung dar, die aber zunächst keine Verwendung finden sollte.
64
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
In den Prophasen der Reduktionsteilung fällt somit die sonst gewohnte Längs-
spaltung der Chromosomen nicht fort, doch sind beide Längshälften jedes Chro-
mosoms bestimmt, in denselben Tochterkern zu gelangen. Die Zugfasern sorgen
durch die Art, wie sie die Chromosomen erfassen, dafür, daß dem so geschieht.
Homöotypische Die beiden Tochterkerne bringen es nach ihrer Anlage meist kaum zu
einem vollen Ruhezustand. Sie treten vielmehr fast unmittelbar in die Pro-
phasen der nächsten Teilung ein. Diese Teilung nun, die an die Reduktions-
teilung anschließt, ist dadurch ausgezeichnet, daß in ihr keine neue Längsspal-
tung der Chromosomen vorgenommen wird, daß sie vielmehr dazu dient, die
im vorigen Teilungsschritt schon erzeugten Spaltungsprodukte voneinander zu
Teilung.
Fig. 15. Schematische Darstellung der allotypischeu Teilung in einer Sporenmutterzelle. In A, a und b, die Reduktions-
teilung, in A, r und (/ die honiöotypische Teilung. A, a und h zeigen, daß ganze, durch besondere Schattierung kenntlich
gemachte Chromosomen sich trennen, und daß deren Längshälften nach demselben Pol gelangen ; '\i\ A b spreizen diese
Längshälften äquatorialwärts. Ac zeigt, daß es die Tochterchromosomenpaare, die in .y, 0 und 1^ nach demselben Pol
gelangten, sind, die in die Kernplatte eingereiht werden und in Ad sich trennen, um die Enkelkerne zu versorgen. In B,
II und /' ist eine Sporenmutterzelle zu sehen, die ihre Vierteilung durch zwei aufeinander folgende Zellteilungen, d. h.
sukzedan, in B, c und d eine solche, die ihre Vierteilung auf einmal, d. h. simultan vollzog.
trennen. Man hat diesem Teilungsvorgang daher auch einen besonderen Namen
erteilt: er verläuft ,, homöotypisch". Die je einem Chromosom der Reduktions-
teilung entstammenden Schwesterchromosomen werden zusammen der sich nun
bildenden, homöotypischen Kernspindel eingefügt (13, 14) und in der dann fol-
genden Anaphase (15) getrennt, um in die Enkelkerne (16) zu gelangen. Tat-
sächlich sind es also Tochterchromosomen und nicht Enkelchromosomen des
Reduktionskerns, welche den Enkelkernen zufallen (Schema beider Teilungen
in Fig. 15).
Die in dem Reduktionskern vorbereitete Längsspaltung der Chromosomen,
die als solche somit schon den Tochterkernen überwiesen wird, zwingt diese sofort
zu nochmaliger Teilung. Daraus erklärt es sich, daß im ganzen organischen Reich
die Reduktionsteilung fast unmittelbar von einer zweiten Kernteilung gefolgt
wird, und daß im Ergebnis allgemein eine Vierzahl von Zellen vorliegt (Fig. 15).
Homöotypische Teilung. Befruchtung 65
Es war notwendig, hier in solche Einzelheiten einzugehen, weil ohne ihre
Kenntnis ein Einblick in das Wesen der Befruchtungsvorgänge nicht zu ge-
winnen ist.
Diese müssen jetzt aber in der Behandlung folgen, weil die Befruchtung* Befruchtung,
auch zu den zellbildenden Vorgängen gehört, wenn auch mit ihr als solcher zu-
nächst nicht eine Vermehrung, sondern eine Verminderung der Zellenzahl ver-
bunden ist. Denn der Befruchtungsvorgang geht von der Vereinigung zweier Zellen
zu einer einzigen Zelle aus. Steigen wir von den untersten Abteilungen des
Pflanzenreichs zu den höheren empor, so finden wir, daß dort, wo die Befruch-
tungsvorgänge uns in ihrer ursprünglichsten Art entgegentreten, sie auf der
Vereinigung von zwei Zellen beruhen, die einander völlig gleichen. Man stellt
fest, daß bei diesem Vorgang die Kerne der beiden Zellen zu einem einzigen
Kern sich vereinigen, und daß auch eine Verschmelzung der beiden zytoplas-
matischen Zelleiber vor sich geht. Wer über Erfahrungen verfügt, die größere
Beobachtungsgebiete umfassen, kommt zu der Überzeugung, daß geschlecht-
liche Sonderungen sich unendlich viele Male in der phylogenetischen Entwick-
lung der organischen Welt vollzogen haben. Sie stellten sich jedesmal ein, wenn
eine bestimmte Höhe der organischen Entwicklung erreicht war. Sie traten
stets in übereinstimmender Weise auf und verkörperten augenscheinlich phylo-
genetische Notwendigkeiten, die sich aus den Eigenschaften der lebendigen
Substanz ergaben, und die während ihres fortschreitenden Entwicklungsganges
daher auch dauernd wiederkehren mußten. Mit auffälliger Gleichförmigkeit
schritt dann auch stets von den Ausgangspunkten die weitere Sonderung der
Geschlechtsprodukte und die mit ihr verbundene Arbeitsteilung fort. Bei der
einen der beiden Geschlechtszellen erfuhr der zytoplasmatische Anteil eine
fortgesetzte Einschränkung, während der Kern unvermindert sich erhielt, bei
der andern verharrte der Kern ebenfalls in dem früheren Zustand, der zyto-
plasmatische Zelleib wurde aber nicht reduziert, er füllte sich vielmehr mit
Reservestoffen an und nahm dementsprechend an Größe zu. Nicht allein im
Tierreich, sondern auch im Pflanzenreich wurde die in ihrem Plasmaleib ver-
minderte Geschlechtszelle mit Wimpern ausgestattet und auf Bewegung ein-
gerichtet, während die andere, größer gewordene sie ruhend zu erwarten hatte.
So gingen aus den einander zunächst gleichenden ,, Gameten" einerseits ,,Sper-
matozoen", andererseits ,,Eier" hervor. Im Pflanzenreich kommen bewegliche
männliche Geschlechtszellen, also Spermatozoen, was der Laie kaum ahnt, noch
in den höchsten Abteilungen der Farnkräuter vor. Diese Spermatozoen wer-
den aus ihren Behältern entlassen und gelangen durch Vermittlung von Wasser
schwimmend zu den Eiern, den weiblichen Geschlechtszellen, die in ihren Be-
hältern eingeschlossen bleiben. Aus den weiblichen Behältern aus.geschiedene
Stoffe bestimmen durch chemische Reizwirkungen den Weg, den die Sperma-
tozoen einzuschlagen haben, um zu den Eiern zu gelangen. Bei den ,,offen-
blütigen" Gewächsen, den Phanerogamen, werden die männlichen Geschlechts-
produkte den Eiern mit Hilfe eines Schlauches zugeführt, den das Pollenkorn
im oberen Ende der Samenanlage (so bei den Gymnospermen) oder auf der
K. d. G. III. tv, Bd 2 Zellenlehre etc. c
66 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Narbe des Fruchtknotens (so bei den Angiospermen) treibt, und der bis zum Ei
abwärts wächst. Beweghche Spermatozoen entstehen im Pollenschlauch nur
noch bei den Cycadeen und dem merkwürdigen, japanischen Ginkgo-Baum
{Ginkgo biloba L.), einer Konifere, Pflanzen, die wir phylogenetisch für die ältesten
Phanerogamen halten müssen; bei allen anderen Phanerogamen führt der Pollen-
schlauch die männlichen Kerne in unveränderter Gestalt als ,, Spermakerne"
nach ihrem Bestimmungsort. Bei solchen Phanerogamen läßt sich nicht nach-
weisen, daß außer dem Spermakern auch das Zytoplasma an der Befruchtung
beteiligt sei.
Das veranlaßte mich im Jahre 1884 zu dem Ausspruch, daß die Kerne
allein die Träger der erblichen Eigenschaften seien.* Zu dem nämlichen Er-
gebnis gelangte Oskar Hertwig auf tierischem Gebiet in dem gleichen Jahre.*
Doch stehen dieser unserer Anschauung auch andere Auffassungen gegenüber
und verfügen heute noch über zahlreiche Anhänger.* Diese behaupten, daß
auch das Zytoplasma an der Befruchtung teilnehme und Träger der erblichen
Eigenschaften sei. Ich selbst bin geneigt, auch weiterhin im Zytoplasma nur
das Substrat zu erblicken, in welchem der Zellkern seine erblichen Funktionen
verrichtet. Es ist klar, daß er nur in dieser Mitte existieren und wirken kann,
so daß in diesem Sinne Kern und Zytoplasma organisch zusammengehören und
nicht voneinander zu trennen sind. Auch muß schlechterdings angenommen
werden, daß das Zytoplasma verschiedener Wesen nicht übereinstimmt, daß
also zu der spezifischen Wirkungsweise des Kerns auch ein bestimmtes Zyto-
plasma gehört. Dieses Zytoplasma wird aber auf der Höhe geschlechtlicher
Sonderung im Pflanzen- wie im Tierreich nur von der Mutter geliefert. Es kann
auch nicht, wie der Kern, aus untereinander verschiedenen, konkreten Erbein-
heiten zusammengesetzt sein, solchen Erbeinheiten wie jene des Kerns, die bei
jedem Teilungsschritt halbiert und in lückenloser Zahl auf die Nachkommen
übertragen werden müssen. Das Zytoplasma kann vielmehr seiner ganzen
Masse nach nur mit übereinstimmenden Eigenschaften ausgestattet sein. Das
zeigen die Vorgänge der Strömung in ihm an, bei welchen alle seine Teile fort-
dauernd ihre gegenseitige Lage verändern, in größtem Gegensatz zum Kern,
der sorgsam an der Anordnung seiner Teile festhält; das geht weiter aus der
Teilungsart des Zytoplasma hervor, die sich in ganz einfacher Weise vollzieht,
ohne alle jene Sonderungen, durch welche den Teilungsprodukten der Kerne
die volle Zahl der Speziesmerkmale durch alle Generationen gesichert wird.
Hätte das Zytoplasma eine ähnliche Rolle bei der Vererbung wie der Kern zu
spielen, so würde zweifellos seine Teilung in ebenso komplizierter Weise wie die
des Kerns sich vollziehen,
verdoppeiungder Kommt dic aus dcm Studium der Kernteilungsvorgänge erschlossene In-
zahiT^rlTBc- cüvidualität den Chromosomen tatsächlich zu, so muß jede Befruchtung ihre Zahl
frucbtung. verdoppeln. Das ist auch wirklich der Fall. Daher die Einschaltung der Re-
duktionsteilung in den Entwicklungsgang der Organismen notwendig wurde,
um die verdoppelte Chromosomenzahl wieder auf die einfache zurückzuführen.
Sonst brächte jeder Befruchtungsakt eine weitere Verdoppelung dieser Zahl,
Der Kern als Vererbungsträger. Haploid und Diploid
67
und sie müßte ins Unendliche steigen. Bald wäre kein Kern mehr imstande,
die wachsende Chromosomenzahl zu bewältigen. Es ist anzunehmen, daß die
durch einen Befruchtungsakt veranlaßte Verdoppelung der Chromosomenzahl
die Bedingungen für das Auftreten einer Reduktionsteilung schafft. Sonst hätte Befruchtung ver-
dieser Vorgang sich nicht stets im organischen Reich im Gefolge der geschlecht- ^° teLns. °"^
liehen Sonderung eingestellt. Zunächst schloß sich die Reduktionsteilung un-
vermittelt der Befruchtung an, d. h. der erste Teilungsschritt, den das Befruch-
tungsprodukt, die sogenannte Zygote, meist nach einer Ruhezeit ausführte,
war eine Reduktionsteilung. Im weiteren Verlauf der phylogenetischen Ent-
wicklung änderte sich dieses Verhalten.
Das Befruchtungsprodukt trat mit sei-
nem doppeltchromosomigen Kern in
einen selbständigen Entwicklungsgang
ein und bildete einen besonderenKörper,
ein zuvor nicht vorhandenes, doppelt-
chromosomiges Wesen aus. Erst nach
vollendeter Ausgestaltung schreitet die-
ses doppeltchromosomige Wesen zur An-
lage bestimmter Zellen, die man als,, Go-
notokonten" zusammenfassen kann,
Zellen, in welchen die Reduktionstei-
lung sich vollzieht. Zwischen die Be-
fruchtung und die Reduktionsteilung
wurde also ein neuer Entwicklungsab-
schnitt eingeschaltet, der uns lehrt, daß
die Bedingungen für den Vorgang der
Reduktionsteilung nicht unmittelbar
nach der Befruchtung sich einzustellen
brauchen, wenn diese sie auch fordert.
So kam im Pflanzenreich wie im Tierreich der ,, Generationswechsel" im Entwick- Generations-
lungsganggeschlechtlicherWesen zustande.* Es mußte eine einfachchromosomige
und eine doppeltchromosomige Generation durchlaufen werden, damit der ganze
Entwicklungskreis dieser Wesen abgeschlossen sei. — Die einfachchromosomige
oder ,, haploide" Generation ist die geschlechtliche; aus ihr geht die doppelt-
chromosomige oder ,,diploide" Generation hervor, welche die Gonotokonten
bildet. Im Pflanzen- wie im Tierreich gelangte die diploide Generation weiter-
hin zur Herrschaft. Die Pflanzen und Tiere, die uns umgeben, so auch wir
selbst, sind mit diploiden Kernen ausgestattet. Die haploide Generation erfuhr
eine Einschränkung in dem Maße, als die Ausbildung der diploiden Generation
Fortschritte machte. Schließlich wurde die haploide Generation ganz in die
diploide eingezogen, so daß sie aufhörte, ein selbständiges Wesen zu sein. —
Wenn man die Sporen eines Farnkrauts aussäet, so entwickeln sich aus ihnen G<-nerations-
unscheinbare Gebilde, die der Uneingeweihte kaum beachtet, und die als kleine, ,^^7 f
grüne Blättchen (Fig. 16 A) dem Boden angeschmiegt sind. Sie stellen die
F i g. 1 6. laA das haploide Prothallium eines Farnes mit den
männlichen Geschlechtsorganen, Antheridien an, die in
ihrem Innern Sperraatozoen erzeugen, und den weiblichen
Geschlechtsorganen, Archegonien, ar, die je ein Ei ein-
schließen. Der Befestigung des Prothalliums an der
Unterlage dienen die haarähnlichen Rhizoideu rA. Das
Prothallium kehrt seine Unterseite dem Beobachter zu.
So auch das Prothallium in ß, das aus einem befruchteten
Ei die junge, diploide Farnpflanze erzeugt hat. An letz-
terer : b das erste Blatt, w die erste Wurzel. Vergr. etwa 8.
Wechsel
amen.
68
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Ȁ-^.
Geue rations-
wcchsel bei
Phanerogamen.
Fig. 17. Mittlerer Längs-
schnitt des Fruchtknotens
aus der Blüte des windenden
Knöterichs (Folygonum con-
volvulus L.) nach erfolgter
Bestäubung. BeiA der Stiel
des Fruchtknotens,/« der
Stiel der Samenanlage, r/ta
die Chalaza, der Ort an dem
das dunkel gehaltene Gefäß-
bündel endet, Ji^/ der sog. Nu-
cellus der Samenanlage, der
in seinem Innern den Em-
bryosack e einschließt. In
diesem oben der aus drei
Zellen bestehende Eiapparat
ei, die unterste dieser Zellen
ist das Ei. Im unteren Ende
des Embryosacks die drei
Gegenfüßleriunen oderAnti-
poden ««, in dessen Mitte der
Embryosackkern f.<',der spä-
ter, wenn die Befruchtung er-
folgt ist, den Ausgangspunkt
der Endospermbildung bil-
den wird. Die Samenanlage
ist mit zwei Hüllen, den In-
tegumenten i'e und i'i ver-
sehen. Diese lassen oben
eine Öffnung, das Fenster-
chen oderdie Mikropyle frei,
durch welches ein PoUen-
schlauchbis zuraEi gelangen
soll. Auf der Narbo « des
Fruchtknotens die PoUen-
körner />, welche PoUeu-
schläuche /jsia den Griffel jir
treiben. Der Embryosack
gehört der haploiden, alles
andere der diploiden Gene-
ration an. Aus dem be-
Phancrogameu- feuchteten Ei würde wieder
Samen. ^-^^^ diploide Generation
hervorgehen, die reifende
Samenanlage den Samen
bilden. Vergr. 40.
haploide, geschlechtliche Generation des Farnkrauts vor,
die als solche noch ein selbständiges Dasein führt. Diese
Generation erzeugt Spermatozoen und Eier. Aus einem
befruchteten Ei geht die diploide Generation, das eigent-
liche Farnkraut (Fig. i6 B) hervor. Diese schreitet, nach-
dem sie den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht hat, an
der Unterseite ihrer Blätter zur Bildung von Gonotokonten,
hier ,,Sporenmutterzellen", deren Kern eine Reduktions-
teilung ausführt und die im Anschluß an diese vier Sporen
produzieren. Aus der keimenden Spore geht die haploide,
geschlechtliche Generation wieder hervor. Schon bei diesen
Farnen dominiert mächtig die diploide Generation über die
haploide, doch ist letztere noch nicht ihrer Selbständigkeit
beraubt. Sie büßt diese erst bei den Phanerogamen völlig
ein, wo die haploide Generation ganz in die diploide auf-
genommen wird (Fig. 17). Innerhalb der Samenanlagen, bei
der Entstehung der Embryosäcke und ihrer inneren Aus-
rüstung, spielt sich der ganze Lebenslauf der haploiden
Generation bei den Phanerogamen ab. Die Embryosack-
zelle {e) stellt eine Spore dar, die einem Reduktionsteilungs-
vorgang ihre Entstehung verdankt, aber nicht wie bei den
Farnen frei wird, vielmehr in der einen Bestandteil der
diploiden Generation bildenden Samenanlage, von der sie
erzeugt wurde, eingeschlossen bleibt. Im Innern dieser Em-
bryosackzelle werden alle Entwicklungsvorgänge, die von
der haploiden Generation noch übriggeblieben sind, bis zur
Fertigstellung des Eies durchlaufen. Anderseits sind auch
die Pollenkörner der Phanerogamen Sporen, die aus einem
Reduktionsteilungsvorgang hervorgehen, in ihrenBehältern,
den Staubfächern aber nicht verbleiben, vielmehr in dieser
oder jener Weise an ihren Bestimmungsort befördert wer-
den. Dort treiben sie den Pollenschlauch (/)j), der dem am
Orte seiner Entstehung verbliebenen Ei den männlichen
Kern, Spermakern zuführt, der die Befruchtung vollzieht.
Dort entwickelt sich jetzt aus dem befruchteten Ei auch
der Keim. Dieser Keim leitet somit die nächste diploide
Generation innerhalb derselben Samenanlage ein, die zuvor
die haploide Generation erzeugte. Die Samenanlage reift
hierauf langsam zum Samen, wird mit Reservestoffen aus-
gestattet, mit schützenden Hüllen versehen und schließlich
abgeworfen. Was man also einen Samen bei einer phanero-
gamen Pflanze nennt, besteht somit aus Geweben der Samen-
anlage, die der diploiden Muttergeneration entstammen, aus
Geweben der haploiden Generation, soweit solche innerhalb
Generationswechsel. Parthenogenesis 6ü
des Embryosackes noch erhalten sind, und aus den durch den Keim vertretenen,
diploiden Geweben der diploiden Tochtergeneration.
In den unteren Abteilungen des Pflanzenreichs hat es die ursprüngliche,
haploide Generation wiederholt zu mächtiger Ausbildung gebracht. So in ver-
schiedenen Abteilungen der meeresbewohnenden Algen. Unter den Landpflan- Generations-
zen bilden die Moose ein Beispiel für das Vorherrschen der haploiden Generation; """^^ooL "
denn das, was uns als Moospflänzchen bekannt ist und in der Abteilung der
Laubmoose eine ganz ähnliche Gliederung aufweist, wie sie hoch organisierten
Pflanzen eigen ist, führt nur einfachchromosomige Kerne. Doppeltchromosomig
ist nur das, was uns als ,,Sporogon" bei diesen Moosen entgegentritt, die Sporen- Generations-
kapsel mit ihrem Stiel. Im Tierreich wurde das diploide Produkt der Befruch- 'Tierreich?
tung in seiner Entwicklung sofort gefördert, so daß die ursprüngliche, haploide
Generation es kaum irgendwo zu höherer Ausgestaltung brachte. Schon ein-
zellige Tiere sind, wenn geschlechtlich differenziert, im allgemeinen diploid, und
die haploide Generation ist nur noch durch die Geschlechtsprodukte bei ihnen
vertreten.
Bei solchen niederen Gewächsen, die zwar schon geschlechtlich differenziert
sind, aber noch keine selbständige, diploide Generation ausbilden, bei welchen
vielmehr das Befruchtungsprodukt, d. h. die Zygote, sofort bei ihrer Keimung
die Reduktionsteilung ausführt, ist ,, jungfräuliche Zeugung", d. h. Partheno- Parthenogenesis.
genesis nicht eben selten. Unterbleibt die Befruchtung, so wächst einfach das
Geschlechtsprodukt, das wir als Gamete bezeichnet hatten, ohne Reduktions-
teilung zu dem haploiden Wesen aus. Wo aus der Zygote aber eine besondere
diploide Generation hervorgeht, deren Körper zwischen Befruchtung und Reduk-
tionsteilung eingeschaltet ist, da wird die Sache schwieriger. Da hilft sich der
Organismus unter Umständen durch vegetative Kernverschmelzung über die
ausgebliebene Befruchtung hinweg. Solches ist beispielsweise bei Farnen, und
zwar besonders bei Kulturformen einzelner ihrer Arten beobachtet worden. An
jenem kleinen, grünen, blättchenartigen Gebilde, das wir als die haploide Genera-
tion der Farne kennen lernten, werden in solchen Fällen die Geschlechtsorgane
mangelhaft oder gar nicht ausgebildet, dafür drängt sich an bestimmten Stellen
der Kern einer Zelle durch eine der in der Wand vorhandenen Poren in die
Nachbarzelle hinein und verschmilzt mit ihrem Kern. Die beiden haploiden
Kerne haben auf diese Weise einen diploiden Kern gebildet, und dieser beginnt
sich mitsamt seiner Zelle zu teilen und gibt der diploiden Farngeneration den
Ursprung. — Eine ganze Anzahl angiospermer, d. h. mit einem Fruchtknoten,
der die Samenanlagen umschließt, ausgestatteter Phanerogamen, so beispiels-
weise Vertreter der Gattung Alchimüla, die unsere Wiesen bewohnt und den
deutschen Namen Frauenmantel führt, haben sich so eingerichtet, daß sie die
Reduktionsteilung bei der Bildung der Embryosäcke ausschalteten und solcher-
maßen Eier mit unverminderter Chromosomenzahl erzeugen, die somit soviel
Chromosomen besitzen, wie wenn sie befruchtet wären und daher der Befruch-
tung für ihre Fortentwicklung zum Keim nicht bedürfen. Ein solches Ver-
halten, ebenso wie das bei den Farnen geschilderte, wird als ,, Geschlechtsverlust"
70 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Apogamie, odcr „Apogamic" bezeichnet. Solche Entwicklung aus einem diploiden Ei wird
von mancher Seite auch zu den Erscheinungen der Parthenogenesis gerechnet.
Das geschieht durch Forscher, die den Schwerpunkt darauf legen, daß es eben
doch ein Ei ist, von dem die Entwicklung ausgeht, und daß dieses nicht be-
fruchtet wurde. Echte Parthenogenesis würde aber in Wirklichkeit nur dann
vorliegen, wenn ein Ei mit reduzierter Chromosomenzahl ohne Befruchtung in
die Keimbildung einträte.
Aus der Verschmelzung von zwei haploiden Kernen zu einem diploiden
Kern bei der Befruchtung ergeben sich aber noch andere wichtige Gesichts-
punkte für die theoretische Beurteilung des letzteren. In einem solchen diploi-
den Kern, dem ,, Keimkern", ist nämlich die eine Hälfte der Chromosomen vä-
vätcriichor und terlichcn Ursprungs, d. h. sie stammt von dem Kern, den wir als Spermakern
Sprung der bezcichnet haben, die andere ist mütterlicher Herkunft, d. h. es hat sie der Ei-
chromosomen. j^gj.j^ geliefert. In beiden Geschlechtskernen waren sämtliche Merkmale der Art
vertreten, Vater und Mutter sind daher in gleichem Maße an den Eigenschaften
des Befruchtungsproduktes beteiligt. Sehen wir die Chromosomen in jedem der
beiden haploiden Geschlechtskerne aus Gründen, die wir früher entwickelt ha-
ben, als untereinander verschieden an, so wird der diploide Keimkern je zwei
Chromosomen gleicher Art, die wir als homolog betrachten müssen, besitzen.
Diese ihre Homologie markiert sich auch tatsächlich bei jedem Teilungsschritt
im Aussehen der Kernplatten. Da sind die einander entsprechenden Chromo-
Paarweise An- somen, in oft schr auffälliger Weise, zu Paaren angeordnet, d. h. je zwei Chromo-
Chromosomen in somen Hegen einander genähert und parallel. In der haploiden Generation zeigen
'^'^^°"^^"^°''°®°' die Chromosomen auf entsprechendenTeilungsstadien keine derartige Anordnung.
In besonders eindringlicher Weise führen die homologen Chromosomen diploider
Kerne ihre paarweise Gruppierung dem Beobachter in solchen Fällen vor, wo
Konstante erhebüchc Größenunterschiede zwischen den nicht homologen Chromosomen
schiede der bcstehcn. Jc zwei gleich große Chromosomen sind dann ausnahmslos in jedem
Chromosomen, pg^g^j. vertreten (Fig. i8). Solche Erscheinungen sind wohl geeignet, auch die
Vorstellung, daß die Chromosomen untereinander verschieden sind, in sehr ein-
leuchtender Weise zu stützen.
Ursprung Solche homologe Chromosomen sind es nun auch, die sich zu den Gemini
■ paaren, wenn der Zeitpunkt der Reduktionsteilung gekommen ist. Da erweisen
sich wieder Kerne, denen verschieden große Chromosomen zukommen, als be-
sonders lehrreich. In der Reduktionskernplatte bekommt man dann verschie-
den große Gemini zu sehen (Schema Fig. 13 B) und kann feststellen, daß jeder
Geminus aus zwei gleichgroßen Chromosomen zusammengesetzt ist.
Die Gemini wenden, wie wir früher schon festgestellt, den einen ihrer beiden
Komponenten dem einen, den andern dem andern Pol zu, doch nach welchem
der beiden Pole sein väterliches, nach welchem sein mütterliches Chromosom ge-
richtet ist, bleibt für jeden Geminus dem Zufall überlassen (Fig. 13 B). Den
beiden Tochterkernen, die mit halbierter Chromosomenzahl aus der Reduk-
tionsteilung hervorgehen, ist der volle Chromosomensatz gesichert, da sie von
jedem Geminus eines der beiden einander homologen Chromosomen erhalten;
rotno-
somen
im BefruchtuiiKs-
Die Chromosomen während der Karyokinese 7 1
doch wieviel Chromosomen in diesem vollen Satz väterlichen und wie viel Tr.-imung eiter-
1 • j r^ lieber Cbromo-
mütterlichen Ursprungs smd, unterliegt dem Wechsel. In der haploiden Gene- somen bei der
ration, die nunmehr entsteht, wird an diesem Zustand nichts geändert, da ihre ^tei"ung"^
Kernteilungen sich typisch, d. h. mit Längsspaltung der Chromosomen voll-
ziehen, den geschaffenen Zustand also festhalten. Dieser ist dementsprechend
auch in den Geschlechtsprodukten vertreten, die von der haploiden Generation
erzeugt werden. Alle die verschiedenen Kombinationen väterlicher und mütter- N.-ue Komw-
licher Chromosomen, welche die Reduktionsteilung schuf, finden sich also "jcherch^ ^"^
schließlich in den Geschlechtsprodukten wieder, die ihren Ursprung von ihnen
ableiten. Aus der Vereinigung verschiedener Geschlechtsprodukte im Be- Vorgang
fruchtungsakt müssen sich dann weiter die mannigfaltigsten Mischungen er-
geben. Man begreift es unter diesen Umständen wohl, daß Kinder die Eigenart
ihrer Vorfahren nicht übereinstimmend aufweisen.
Schon im Jahr 1865 war der Abt Gregor Mendel* in ^i^^\-S
Brunn bei seinen Versuchen über Pflanzenhybriden zu ^^ ■■'<'^ äMr^^':^---^... Die Merkmai-
spaltung.
dem Ergebnis gelangt, ,,daß die Hybriden verschieden-
artige Keim- und Pollenzellen bilden, und daß hierin der
Grund für die Verschiedenheit ihrer Nachkommen liegt".
Die Fortschritte der Zellenlehre gestatten es nunmehr,
dieses aus Züchtungsversuchen abstrahierte Ergebnis an '''
j. ,r .. j. . . -n 1 1 i.- ^ -1 u ^'S- 18. Junge Gewebe-
die Vorgange, die sich bei einer Reduktionsteilung ab- zeiie, dem Querschnitt einer
spielen, anzuknüpfen, und sie von ihnen abzuleiten. Sie elTa^f rntn^^^.t'tu
stärken zugleich die Annahme, daß der Kern der eigent- «»"^r Kempiatte in Poian-
sieht, die Chromosomen zu
liehe Träger der erblichen Eigenschaften sei. Die experi- Paaren angeordnet zeigend.
mentellen Studien über Vererbung, die seit 1900 eine ergr. i 00.
außerordentliche Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben, lehren uns,
daß die Spaltungen bestimmter Merkmalpaare sich bei der Keimzellbildung in
gegenseitiger Unabhängigkeit vollziehen. Die Zahl der unabhängigen Spal-
tungen ist bei manchen Hybriden, so im besondern bei den schon durch Gregor
Mendel studierten Hybriden von Erbsenrassen, so groß, daß die bei der Re-
duktionsteilung gebotene Zahl sich spaltender Gemini — bei den Erbsen sieben
— nicht ausreicht, um sie zu decken. Doch haben wir es bei Schilderung der
Prophasen der Reduktionsteilung wahrscheinlich zu machen gesucht, — was
freilich andere negieren — , daß eine Paarung der Chromosomen sich zur Zeit
der Synapsis schon vollzieht, in jenem Stadium, welches das Kerngerüst zum
Knäuel zusammengezogen zeigt. Die hierauf folgende Streckung der Paare
böte ihnen zu stofflichem Austausch Gelegenheit genug.
Es fiel wiederholt schon auf, daß Arten derselben Pflanzengattung sich in
der Zahl ihrer Chromosomen unterscheiden, und daß eine Art zweimal, bezie-
hungsweise auch viermal so viel Chromosomen führt als ihre nächste Ver-
wandte. Für manche solcher Fälle läßt sich heute bereits mit Bestimmtheit an-
nehmen, daß eine Vervielfältigung des Chromosomensatzes vorliegt. Diese Be- vcrvieifäitiguntj
stimmtheit rührt daher, daß in einer jener Kulturen von Oenotheren, gelbblüti- chromosomen-
gen ,, Nachtkerzen", wie wir sie von unserer Flora her kennen, und die Hugo ^''*^**
72
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
de Vries* auf Mutationen, d. h. sprungweise Änderungen hin studierte, eine neue
Form mit plötzlich verdoppelter Chromosomenzahl auftauchte. Diese neue
Form wurde von Hugo de Vries Oenothera gigas genannt, und zwar aus dem
Grunde, weil sie in allen ihren Teilen vergrößert ist. Sie führt 32 statt 16 Chro-
mosomen in ihren somatischen Kernen, die somit ihrem Ursprung nach
tetraploid wären. Die Zunahme der Chromosomenzahl in den Kernen hat
ihre entsprechende Vergrößerung veranlaßt, und diese wirkte weiter auf die
Zellgröße ein, ein Beleg dafür, daß zwischen Kernmasse und Zellmasse ein
bestimmtes Massenverhältnis besteht. Auch sonst, wenn von zwei nahe ver-
wandten Arten die eine mehr Chromosomen als die andere führt, ihre Chromo-
somen aber nicht kleiner sind, ist eine entsprechende Verschiedenheit der
Kerngrößen vorhanden.
Vegetative Kern- Nur als Wahrscheinlich läßt sich hinstellen, daß, wo eine Chromo-
'''*"^^'' "^ '""^*"''' somenverdoppelung sich plötzlich einstellt, sie veranlaßt wurde durch die
Verschmelzung zweier somatischer Kerne in der Keimanlage. Bei der ersten
Teilung des befruchteten Eies dürfte in solchen Fällen eine Zellteilung auf
die Kernteilung nicht gefolgt sein, was die erzeugten Schwesterkerne veran-
laßte, sich zu einem Kern zu vereinigen. Ähnliche Erscheinungen sind auch
sonst bekannt, sie können auch künstlich angeregt werden. So vermag man
in wachsenden Wurzelspitzen, die man in Chloralhydratlösungen taucht,
den Gang der Kern- und Zellteilungen aufzuhalten. Die Wurzeln ver-
tragen eine solche Behandlung, falls sie nicht zu lange dauert. Man wäscht
sie hierauf aus, läßt sie weiter wachsen und stellt dann fest, daß in Zellen,
in welchen die Kernteilung schon vollzogen war, und man nur die Teilung
des Zytoplasmas unterbrach, die erzeugten Schwesterkerne miteinander wieder
verschmelzen.
Chromatin und Schwerwicgcnde Gründe sprechen dafür, daß die Kerne die Träger erb-
licher Eigenschaften sind. Welche Bestandteile des Kerns mit dieser Aufgabe
aber besonders zu betrauen wären, ist zurzeit noch schwer zu entscheiden. Im
allgemeinen besteht die Neigung, das ,, Chromatin", also die stärkst tingier-
bare Substanz des Kerns, für diese Rolle in Anspruch zu nehmen. Doch das
geht in so allgemeiner Fassung nicht an. Denn die im Kern vorhandene Chro-
matinmenge schwankt je nach dem Entwicklungszustand, in dem sich der
Kern befindet. Sie nimmt zu in den Prophasen der Teilung, sie nimmt ab wäh-
rend der Telophasen. Im umgekehrten Verhältnis sinkt und steigt zu gleicher
Zeit die Menge der übrigen Bestandteile des Kerns, was die Vorstellung erweckt,
daß Stoffwandlungen im Kern die Ursache dieser Erscheinung sind. Bei höher
organisierten Pflanzen läßt sich zudem feststellen, daß der Spermakern weit
weniger Chromatin dem Eikern zuführt, als in diesem vorhanden ist (Fig. 19).
Die beiden Geschlechtskerne müssen aber doch gleiche Mengen von Erbsubstanz
der Keimanlage zuführen, da sie in ganz übereinstimmendem Verhältnis an den
spezifischen Merkmalen beteiligt sind, die auf die Nachkommen übertragen
werden. Die eigentlichen Erbeinheiten im Kern entziehen sich augenscheinlich
unserer Wahrnehmung. Wir haben allen Grund, sie für sehr klein zu halten, da
Chromatin und Erbsubstanz
73
die Gesamtmenge an Substanz, die ein Spermakern dem Eikern zuführt, an sich
schon bei den höher organisierten Pflanzen sehr gering ist. Bei unserer zwei-
häusigen Nessel {Urtica dioica L.) ergab mir die Messung der wurmförmigen
Spermakerne (Fig. 19 5 5p), nach ihrem Eindringen in den Embryosack, eine
durchschnitthcheLänge von drei Tausendstel Millimeter, bei einer Dicke vonsechs
Zehntausendstel Millimeter. Der annähernd kugelige Eikern (Fig. igBn) hatte
einen Durchmesser von sechs Tausendstel Millimeter aufzuweisen. Der Sperma-
sns
j^ ^
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nu
} W: "■■|^
sns
!>;i
^\. ^-
Fig. ig. Befruchtung der zweihäusigen Nessel (Urtica dioica L). In A der gauze Embryosack e und der seinen
Scheitel deckende Teil des sog. Knospenkerns oder Nucellus me der Samenanlage ; unten im Embryosack die Gegen-
füßlerinnen oder Antipoden ««. Vergr. 400. In B die obere Hälfte von W stärker vergrößert, et Ei, n Eikern, ns dessen
Nukleolus, sy Spermakern, sg- eine bereits desorganisierte Begleitzelle des Eies, Synergide, //i Pollenschlauch,
en Embrj'osackkern, ns dessen Nucleoli, zwei an Zahl, weil dieser Embryosackkera aus der Verschmelzung von zwei
Kernen hervorgeht; s/i" der zweite Spermakern des Pollenschlauches, der sich zum Embryosackkern bewegt, um
mit ihm zu verschmelzen. Dieses Verhalten ist den angiospermen Phanerogamen eigen, erst nach der Aufnahme des
Spermakerns tritt der Embryosackkern in Teilung ein, um das Endosperm zu liefern. In C die obere Hälfte des
Embryosacks nach vollzogener Befruchtung; im Keimkern A'K der Nukleolus des Eikerns ns und der des Sperma-
kerns uns zu sehen; im Endospermkern /n der große Nukleolus ns das Produkt der Verschmelzung der beiden
Kerne, die den Embryosackkern gebildet hatten, und sns der Nukleolus des in den Verband aufgenommenen
zweiten Spermakerns. Vergr. von ß und C 1600.
kern war gleichmäßig dicht, stark tingierbar; der Eikern führte ein großes,
sich ebenfalls stark färbendes Kernkörperchen {ns) , im übrigen nur geringe
Mengen tingierbaren Inhalts. Ein Drittel der Substanz des Spermakerns wird
nach seiner Vereinigung mit dem Eikern noch zur Bildung eines Kernkörper-
chens {sns) verwendet. Man kann danach ermessen, was für die Substanzmenge
74 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Übrigbleibt, welche alle Merkmale des männlichen Erzeugers auf den Nach-
kommen zu übertragen hat. Sie übersteigt nicht das Volumen eines der kleinen
Stäbchenbakterien.
Aus der Art und Weise, wie sich die Spaltungen der zu vererbenden Merk-
male bei den Hybriden vollziehen, muß man den Schluß ziehen, daß die Arbeits-
teilung innerhalb der Kerne, in Hinblick auf Vererbung, bei höher organisierten
Pflanzen und Tieren so weit gediehen ist, daß die haploiden Kerne jede Erb-
einheit nur einmal, die diploiden Kerne somit zweimal führen. Die Vervielfäl-
tigung des Chromosomensatzes hätte eine entsprechende Vermehrung der homo-
logen Erbeinheiten zufolge. Die homologen Erbeinheiten würden sich nur so-
weit voneinander unterscheiden, als es ihr Ursprung bedingt. Je übereinstim-
mender die Eltern, umso geringer auch die Unterschiede zwischen ihren homo-
logen Erbeinheiten. Bei bedeutenderer Verschiedenheit der Eltern, wie sie in
hybriden Befruchtungen vorliegt, wird manche Erbeinheit des einen Erzeugers
keinen Partner in dem andern finden.
Einfacherer Bau Solche Strukturen, wie sie der Protoplast der hoch organisierten Pflanzen
rotop asten. ^^^^^.^^^ könueu nicht von Anfang an bestanden haben. Sie sind vielmehr das
Ergebnis einer fortschreitenden, phylogenetischen Sonderung und Arbeits-
teilung. So kommt es, daß man bei der Untersuchung desZelleibes von Organis-
men, die zu den untersten Abteilungen des Pflanzenreichs gehören, auf unvoll-
kommenere Sonderungen stößt, welche die Deutung der Teile erschweren. So
werden bestimmte Körnchen, welche die üblichen Kernfarbstofle speichern,
jetzt meist für den Kernsubstanzen der höheren Pflanzen entsprechende Be-
Bakteriea und standtcüe in den Protoplasten der Bakterien und der sog. Spaltalgen (Zyano-
pa ta gon. p}^y2ggn) gehalten. Wo solche Bestandteile im Zelleib verstreut sind oder sich
nicht zu einem besonders abgeschlossenen Körper im Zytoplasma gesammelt
haben, spricht man von „diffusen" Kernen. Ebenso fällt es unter Umständen
schwer bei solchen niederen Organismen, wenn sie grün gefärbt sind, den ge-
färbten Teil des Protoplasten gegen den ungefärbten als besonderen Chroma-
tophor abzugrenzen: so vielfach bei den Spaltalgen. Zur Ergänzung des Bildes
wäre hinzuzufügen, daß genannte Bakterien und Spaltalgen zu den allerunter-
sten Abteilungen des Pflanzenreichs gehören. Zudem liegen in den Bakterien
die kleinsten Wesen vor, die uns zurzeit bekannt sind. Sie stellen der Haupt-
sache nach farblose Kügelchen, Stäbchen oder Schrauben vor, die uns erst durch
die stärksten Vergrößerungen offenbart werden. Die Spaltalgen erreichen schon
wesentlich größere Dimensionen und treten vornehmlich in Gestalt blaugrün ge-
färbter, zylindrischer oder perlschnurförmiger Zellreihen auf. — Die Schleim-
Ontogenie eines pilzc (Myxomyzetcn), in deren ,,Ontogenie", d. h. Entwicklungsgeschichte, jene
eimpi zos. Plasmodien gehören, die uns als nackte Protoplasmamasse schon beschäftigt
haben, besitzen gut abgegrenzte Kerne, und es sind bei ihnen auch paarige,
auf Befruchtung hinweisende Kernverschmelzungen nachgewiesen worden, mit
solchen darauf folgenden Kernteilungen, die wie Reduktionsteilungen aussehen.
Befruchtungsvorgänge können sich somit in sehr tiefstehenden Abteilungen des
Pflanzenreichs schon ausbilden, allem Anschein nach aber doch erst dann, wenn
Der Protoplast niederer Kryptogamen yc
bereits wohlabgegrenzte Kerne vorliegen. Den Bakterien und Spaltalgen gehen
geschlechtliche Vorgänge demgemäß ab.
In dem großen Algenreich, das die Gewässer unseres Erdballs belebt, das im
Meere sich in so mannigfaltigen Richtungen fortentwickelt hat und dort zu
so bedeutender Formvollendung gelangte, kam es auf einer höheren Stufe der
Gestaltung stets zur Ausbildung echter, aus embryonalen Zellen bestehender
Vegetationspunkte. Am Ausgangspunkt aller Entwicklungsreihen stehen aber
solche Arten, deren sämtliche Zellen sich noch annähernd gleich verhalten und
übereinstimmend die Merkmale älterer, pflanzlicher Zellen zeigen. Die Spiro-
gyra, jene grüne Süßwasseralge, mit der wir uns schon befaßt haben, um ihre Ontogenie einer
grünen Chlorophyllbänder zu betrachten, besteht aus lauter gleichwertigen, zu P^^°syra-
einem unverzweigten Faden aneinander gereihten Zellen. Jede Zelle weist einen
dünnen Wandbelag aus Zytoplasma auf, in welchem auch das grüne Chloro-
phyllband verläuft, und einen weiten, mit wässriger Flüssigkeit erfüllten Saft-
raum. Sie verhält sich also wie eine ältere Gewebezelle der höher organisierten
Gewächse. Ihr Zellkern liegt entweder im Wandbelag, oder er ist inmitten des
Saftraumes suspendiert an Zytoplasmafäden, die zum Wandbelag verlaufen,
um dort an Stellen zu endigen, wo in den grünen Chlorophyllbändern je ein
eiweißartiger, von kleinen Stärkekörnern umhüllter Körper, das sog. ,,Fyrenoid",
sich befindet. Diese Tatsache ist interessant, weil sie wieder auf bestimmte Bezie-
hungen des Kerns zu den Stoffwechselvorgängen in der Zelle hinweist, Bezie-
hungen, die uns schon mehrfach entgegentraten. In der Art, wie sich eine solche ZcuteUung
Spirogyrazelle teilt, weicht sie von einer mit Saftraum ausgestatteten Gewebe- *' ' p"'"^'"'*-
zelle der höher organisierten Gewächse einigermaßen ab. Die Erscheinungen,
die das lebende Objekt bei seiner Teilung darbietet, sind überaus lehrreich und
geeignet, die Eindrücke zu ergänzen, die wir bei dem Studium der Kern- und
Zellteilung an fixiertem Material gesammelt haben. Die Pflanze lebt im süßen
Wasser, ist nur eine Zelle dick, also durchscheinend, läßt sich somit unter ihr
zusagenden Verhältnissen ohne alle Präparation im Wassertropfen bei ent-
sprechender Vergrößerung beobachten. Ihr einziger Fehler besteht darin, daß
sie sich des Nachts teilt. Doch diesem Fehler ist abzuhelfen. Man kühlt des
Abends das Wasser, in welchem sich die Pflanze befindet, unter 5° C ab und er-
hält es kalt die Nacht über, indem man nur dafür sorgt, daß seine Temperatur
nicht bis auf 0" sinkt. Erwärmt man das Wasser am nächsten Morgen, so stellen
sich die Teilungen alsbald ein. Man hat für diese Untersuchung eine Spirogyra-
art mit zentral aufgehängtem Kern gewählt. Das erste, was man bemerkt, ist
eine Breitenzunahme dieses Kerns. An seinen beiden Endflächen hat sich zu-
gleich mehr Zytoplasma angesammelt. Die Körnchen, die dieses Zytoplasma
führt, bewegen sich hin und her, seine Grundmasse zeigt die Neigung, in Fäden,
die senkrecht gegen die Endflächen des Kerns gerichtet sind, sich zu sondern.
In den zytoplasmatischen Aufhängefäden wandern auch die Körnchen; sie strö-
men als Nahrung dem Zellkern zu. Eine halbe Stunde etwa nach Beginn des
Vorgangs hat die im Saftraum suspendierte Kernmasse wohl um das Vierfache
y5 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen und Gewebelehre
an Länge zugenommen. Sie erscheint jetzt als glasheller Zylinder. In diesem
ist das Kernkörperchen, das sich zunächst scharf inmitten des Kerns zeichnete,
nicht mehr zu unterscheiden. Die Körnchen, die an den beiden Endflächen des
Kerns angesammelt waren, haben währenddem abgenommen. Eine Zeit lang
herrscht dann Ruhe. Hierauf sieht man plötzlich die glashelle Substanz sich von
den beiden Polen des Zylinders aus gegen seine Äquatorialebene hin in Fäden
sondern. Zugleich läßt sich mehr oder weniger deutlich eine Verdichtung der
Substanz in der Äquatorialebene erkennen. Es ist das die Kernplatte, die etwas
stärker als die angrenzenden Spindelfasern das Licht bricht. Nähere Einblicke
in den Bau dieser Kernspindel würden uns erst entsprechend fixierte und ge-
färbte Präparate gewähren, dann auch zeigen, daß hier ähnliche Sonderungen
wie bei höher organisierten Pflanzen vorliegen. Auffällig könnte es uns vielleicht
nur scheinen, daß die Spindelfasern nach den Polen zu nicht konvergieren, son-
dern daß sie annähernd parallel verlaufen; doch das kommt unter Umständen
auch bei höheren Pflanzen vor. Der Fertigstellung der Kernplatte folgt eine
Ruhepause, entsprechend der, auf die wir auch aus der häufigen Wiederkehr be-
stimmter Bilder in fixiertenPräparaten höherer Pfianzenfrüher geschlossen hatten,
und die den Wendepunkt im Teilungsvorgang bedeutet. Sie hält hier eine Viertel-
stunde etwa an. Darauf sieht man die Kernplatte sich spalten und ihre Hälften
auseinanderweichen. Sie entfernen sich so rasch voneinander, daß ihre Bewegung
schon bei nicht allzustarker Vergrößerung verfolgt werden kann. Der Raum
zwischen den beiden Tochterkernplatten schimmert rötlich durch, innerhalb der
dichteren Zytoplasmamasse, die ihn umhüllt. Die Substanz, die den Raum füllt,
muß schwächer lichtbrechend sein. Der tonnenförmige Körper, in welchem
diese Vorgänge sich abspielen, streckt sich weiter in die Länge. Die rege Tätig-
keit, die in ihm herrscht, gibt sich in seinen Lageänderungen zu erkennen. Er
schwankt hin und her, neigt sich bald nach dieser bald nach jener Seite. An
seinen beiden Enden strahlt das Zytoplasma in Fortsätze aus, die zum proto-
plasmatischen Wandbelag verlaufen. Neue Fortsätze werden durch den Saft-
raum entsandt, die tastend den äußeren Belag erreichen. Die beiden Tochter-
kernanlagen stellen ihre auffällige Bewegung ein, worauf die zytoplasmatische
Mantelschicht, durch welche sie verbunden werden, sich in einzelne Stränge spal-
tet. So rasch spielt sich das alles ab, daß man vom Beginn des Auseinander-
weichens der beiden Kernplattenhälften bis zu diesem Augenblick kaum 7 Mi-
nuten gezählt haben dürfte. Die Tochterkernanlagen sehen wie homogene, das
Licht stärker als die Umgebung brechende Scheiben aus. Letztere schwellen nun
an, so daß sie einen elliptischen Umriß erhalten, worauf in ihrem Innern meh-
rere durch besondere Lichtbrechung ausgezeichnete Kernkörperchen auf-
tauchen. Schließlich vereinigen sich diese zu einem einzigen, großen Nukleolus.
Die zwischen den beiden Tochterkernen ausgespannten Stränge wölben sich in-
zwischen immer stärker nach außen vor. Zum Unterschied von dem Zell-
teilungsvorgang bei höheren Pflanzen wird die Scheidewand, durch welche eine
Spirogyrazelle halbiert werden soll, nicht zwischen den beiden Tochterkernen
angelegt, sondern ihre Bildung schreitet von der Hautschicht der Mutterzelle
Kern und Zellteilung von Spirogyra
77
langsam nach innen fort. Etwa 45 Minuten nachdem der Zellkern die erste
Teilungsregung verriet, stellen sich in halber Länge der Zelle innerhalb
des protoplasmatischen Wandbelags die beginnenden Anzeichen der Zellteilung
ein. Der Wandbelag erscheint dort etwas dicker und körnchenreicher. Die
Körnchen werden ihm durch Ströme zugeführt, deren Bewegung sich ver-
folgen läßt. Seine ringförmige Anschwellung tritt bald deutlich vor. In Be-
rührung mit der Hautschicht stellt sich eine Querstreifung des Zytoplasma-
ringes ein, die an den faserigen Bau der Phragmoplasten höher organisierter
Pflanzen erinnert. Ähnlich wie in letzteren bilden die Zytoplasmastreifen, denen
auch hier wohl kinoplasmatische Natur zukommt, eine Hautschicht, die als
schmale Leiste sich der Mutterhautschicht anfügt. Dann spalten sich sowohl
Ansatzstelle wie Leiste durch Ausscheidung einer Zellhautstofflamelle, die bis
zur Mutterzellhaut reicht. Dieses Verfahren
wird fortgesetzt durch Ergänzung der Haut-
schichtleiste und der Scheidewand in dieser an
ihrer Innenkante. Der Ring aus Zytoplasma,
in welchem dieses sich abspielt, verengt sich
dementsprechend immer mehr. Er drückt gegen
die Chlorophyllbänder, die dadurch gegen das
Zellinnere vorgewölbt werden (Fig. 20 ch).
Schließlich durchbricht er sie, um des weiteren
auf die auseinanderspreizenden Stränge, welche
die jungen Tochterkerne verbinden, zu stoßen
und sie nach innen zu drängen. Die zusammen-
gedrängten Stränge sehen alsbald wie eine Sand-
uhr aus. SchheßHch begegnen sich die Innen-
ränder des Zytoplasmaringes und verschmelzen zu einer Zytoplasmascheibe.
Innerhalb dieser wird das noch fehlende Mittelstück der Querwand rasch
ergänzt. Der ganze Teilungsvorgang einer solchen Spirogyrazelle von den
ersten, sichtbaren Veränderungen am Zellkern an bis zur Fertigstellung der
Scheidewand nimmt etwa 4 Stunden in Anspruch. Ich habe ihn hier eingehend
geschildert, weil er mir besonders geeignet erscheint, unsere früheren, an
fixierten Protoplasten gewonnenen Eindrücke zu ergänzen, und er uns zudem
einen tieferen Einblick in das Leben eines solchen Mikrokosmos gewährt hat.
— Daß alle Zellen eines Spirogyrafadens gleichwertig sind, zeigt dieser Faden
durch die Fähigkeit an, unter Umständen in seine Zellen zu zerfallen. Die
Zellen trennen sich voneinander, und jede gibt durch fortgesetzte Teilungen
einem neuen Faden den Ursprung. Das ist die einzige Art ungeschlechtlicher
Vermehrung, über welche diese Alge verfügt. Zudem pflanzt sie sich auf ge-
schlechtlichem Wege fort und führt uns, wenn sie es tut, diesen Vorgang in
einer seiner einfachsten Formen vor die Augen. Zwei Fäden, die einander sehr Befruchtung der
ähnlich sind, dessenungeachtet als geschlechtlich verschieden gelten müssen,
nehmen annähernd parallele Lage an und treiben gegeneinander kurze, warzen-
förmige Ausstülpungen. Es sind aller Wahrscheinlichkeit nach Einflüsse che-
F i g. 20. Eine Spirogyrazelle in Teilung.
u einer der beiden Tochterkerne, w die
wachsende Scheidewand, c/t ein durch letz-
tere nach innen gedrängtes Chlorophyllband.
Vergr. 250.
Spirogyra.
78
Eduard Strasburger; Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
mischer Art, sog. chemotaktische Reize, welche diese Erscheinung veranlassen,
und zwar geht die stärkere Wirkung von dem Faden aus, der sich weiterhin als
der weibliche zu erkennen gibt. Die Ausstülpungen der beiden Fäden treffen
aufeinander und vereinigen sich. An den Vereinigungsstellen schwinden die
trennenden Wände, während in den beiden Zellen die Protoplasten sich von der
Zellwandung zurückziehen, abrunden, gegeneinander bewegen und schließlich
kopulieren (Fig. 21). Die Frotoplasten des einen Fadens fließen dabei in den an-
dern über, weshalb man diesen letzteren als weiblichen bezeichnet. Aus den
beiden Gameten, denn solche stellen diese beiden kopulierenden Protoplasten
dar, geht die Zygote hervor. Diese Zygote stellt einen ellipsoidischen Körper
dar, der mit Protoplasma dicht angefüllt ist, keinen Saftraum aufweist und an
seiner Oberfläche sich mit einer derben Zellwandung umgibt.
Sie macht einen längeren Ruhezustand durch, wobei ihr In-
halt sich verfärbt und bräunliche Töne annimmt. Es wird an-
gegeben, daß nur die vom weiblichen Protoplasten stammen-
den Chlorophyllbänder in der Zygote erhalten bleiben, um auf
die nächste Generation überzugehen, daß hingegen die vom
männlichen Protoplasten stammenden der baldigen Desorga-
nisation anheimfallen. Es wäre das einer der ersten Schritte,
um die zytoplasmatischeVorherrschaft des weiblichen Game-
ten zu begründen. Die in der Zygote vereinten beiden Kerne
kommen zur Vereinigung, wodurch ein diploider Keimkern
entsteht. Bei der Keimung wird die Wandung der Zygote ge-
sprengt, ihr Inhalt streckt sich fadenförmig, und ihr diploider
Kern führt eine Reduktionsteilung aus. Seine beiden Tochter-
kerne teilen sich noch einmal und schaffen die Vierzahl der
Kerne, wie sie uns von den Reduktionsteilungsvorgängen her
schon bekannt ist. Alle vier haploiden Enkelkerne befinden
sichin demselben Zellraum, da Zellteilungen ihre Vermehrung
nicht begleitet haben. Da nun dieser Zellraum nur einen ein-
zigen Kern brauchen kann, löst er drei Kerne auf und behält nur einen. Das be-
kräftigt unsere Ansicht, daß der Reduktionsteilungsvorgang als solcher die Bil-
dung von vier Kernen verlangt, sonst würde deren Bildung, da nur ein Kern hier
nötig ist, unterbleiben. Und ähnlichen Erscheinungen begegnet man auch sonst
häufig genug, sowohl im Pflanzenreich wie im Tierreich. — Georg Klebs* gelang
Parthenogenesis CS, Spirogyreu, dic in Kopulation begriffen waren, Parthenogenesis aufzuzwingen,
pirogyra. (jg^^jm-ch, daß er sie in öprozentige Zuckerlösung oder in i prozentige Nähr-
salzlösung überführte. Dann entstanden außer normalen Zygoten ,,Partheno-
sporen", und zwar aus Gameten, die ohne Kopulation sich mit einer derben Zell-
wandung umgaben. Auch diese Parthenosporen geben dann je einem Spiro-
gyrafaden den Ursprung. Es läßt sich annehmen, daß dies ohne vorausgehende
Reduktionsteilung erfolgt. — - Schon die erste Zelle eines Spirogyrafadens, die
aus einer Zygote oder Parthenospore sich entwickelt, bildet einen Saftraum aus
und erhält dadurch das Aussehen einer älteren Pflanzenzelle. Von einem embry-
Keimung bei
Spirogyra.
Fig. 21. Zwei Fäden voa
Spirogyra quinina in Ko-
pulation. In z je eine schon
fertige Zygote. Vergr. 250.
Befruchtung von Spirogyra. 15au der Cladophora
79
onalen Zustand könnte man somit bei einer solchen Pflanze nur in Beziehung
auf die mit Protoplasma ganz angefüllte Zygote oder Parthenospore sprechen.
Die Zellteilung der Spirogyren hat eine nicht geringe Rolle in der Geschichte
unserer Bestrebungen, einen Einblick in das Wesen der Zellteilungsvorgänge zu
gewinnen, gespielt. Da man hier am lebenden Objekt das allmähliche Vordringen
der Scheidewand von außen nach innen direkt ver-
folgen konnte, nahm man um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts an, daß dieses auch in allen anderen
Fällen so geschehen müsse. Es kam sogar zeitweise
die Vorstellung auf, es läge bei der Zellteilung eine
mechanische Durchschnürung des Zellinhalts durch
die in ihn hineinwachsende Zellhaut vor. Solche An-
schauungen konnten sich nicht mehr halten, als die
Erkenntnis durchbrach, daß im Protoplasma der
Schwerpunkt aller Lebensvorgänge liege.
Die Zellteilung schließt sich bei Spirogyra un-
mittelbar der Kernteilung an, was jeder der beiden
Tochterzellen einen Kern sichert. Doch ist die Ver-
knüpf ung beider Vorgänge nicht so innig wie bei den
höheren Gewächsen, deren Phragmoplast zwischen
die Tochterkernanlagen eingeschaltet und an ihnen
direkt befestigt wird. In Wirklichkeit verlaufen bei
Spirogyra Kern- und Zellteilung unabhängig vonein-
ander und treten in gegenseitigenVerband erst in dem
Augenblick, wo der an der Innenkante der vordrin-
genden Scheidewand befindliche Zytoplasmaring
mit den Zytoplasmasträngen in Berührung kommt,
die zwischen den beiden Tochterkernen ausgespannt
sind. Daher man durch Abkühlung sich teilender
Spirogyrazellen unter o^ sowie durch anästhesie-
rende Mittel wie Chloroform, Äther oder Chloralhy-
drat, die Trennung beider Vorgänge unschwer errei-
chen kann. Dann erhält die eine Tochterzelle oft beide
Kerne, die andere wird kernlos. In solchen kernlosen Zellen unterbleiben dann
verschiedene Lebensvorgänge und zeigen damit ihre Abhängigkeit vom Kern an.
Zeigt uns schon Spirogyra, daß Kern- und Zellteilung an sich selbstän-
dige Vorgänge sind, die nur für gemeinsame Aufgaben verknüpft werden, so
lehren uns dies noch auffälliger vielkernige Zellen. Aus solchen Zellen baut sich
die Algengattung Cladophora (Fig. 22) auf, eine Algengattung, der wir noch
häufiger als der Spirogyra im Süßwasser begegnen. Bei ihr handelt es sich nicht
um einen einfachen, unverzweigten Faden wie bei Spirogyra, sondern um einen
verzweigten Fadenbüschel. Dieser flutet auch nicht frei im Wasser, ist vielmehr
an einer Unterlage befestigt. Er läßt Scheitel und Basis unterscheiden und
weist auch Scheitelwachstum auf. Jeder Faden des Büschels schließt mit einer
Das alte Zell-
teilungsschema.
Beziehungen
von Kern- und
Zellteilung.
Fig. 22. Stück einer Cladophora
glomerata. Vergr. 48.
Teilung viel-
kerniger Zellen.
Ontogonie der
Cladophora.
8o
Eduard Str.\sburger : Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Ursprung der
Scheitelzellen.
Zellteilung
bei Cladophora.
Ungeschlecht-
liche und
geschlechtliche
Fortpflanzung
der Cladophora.
Zelle ab, die seiner Entwicklung vorsteht, daher „Schei-
telzelle" genannt werden kann. Sie ist es, die sich vor-
nehmlich, bei einzelnen Arten dieser Gattung sogar aus-
schließlich, teilt und „Gliederzellen" abgibt, die aus
ihrem apikalen Ende sich seitlich ausstülpen, um je einem
Seitenzweig den Ursprung zugeben. So weist auch die
ganze Verzweigungsart auf eine Polarität von Scheitel
und Basis hin. Im übrigen gleicht der Inhalt der Scheitel-
zelle dem der Gliederzellen, sie zeigt nicht embryonales
Gepräge, vielmehr den Charakter älterer Pflanzenzellen.
In den Zellen unserer Cladophoren (Fig. 23) findet man
einen ziemlich starken, zytoplasmatischen Wandbelag,
der zahlreiche, plattenförmige Chlorophyllkörper und
weiter nach innen eine Vielzahl von Zellkernen führt.
Der große Saftraum wird bei den meisten Arten von
Zytoplasmaplatten durchsetzt. Die Zellteilung spielt sich
wie bei Spirogyra ab und weist eine Scheidewand auf,
deren Bildung von außen nach innen fortschreitet. Das
sieht man am lebenden Objekt, und hat es schon vor
langer Zeit beobachtet. Wozu aber die modernen Fixie-
rungs- und Färbungsmittel gehörten, das war der Nach-
weis, daß sich die Kerne in dem zytoplasmatischen Wand-
belag karyokinetisch teilen, und zwar in voller Unab-
hängigkeit von der Zellteilung. Es leuchtet ein, daß bei
Vielkernigkeit den entstehenden Tochterzellen die nöti-
gen Kerne, die nach Bedarf weiter vermehrt werden kön-
nen, auch ohne Verknüpfung der Kern- und Zellteilungs-
vorgänge gesichert sind. — Die Cladophoren pflanzen sich,
wie die meisten grünen Algen, auf ungeschlechtlichem
Wege durch ,, Schwärmsporen" fort (Fig. 24). Um diese zu bilden, vermehren
sich die Kerne und die Chlorophyllkörper im zytoplasmatischen Wandbelag der
Zelle zunächst durch fortgesetzte Teilung, und dann spaltet sich
der Wandbelag gleichzeitig in entsprechend viele Abschnitte.
Diese runden sich gegeneinander ab und treten dann durch eine
scharf umschriebene, in der Zellwand entstandene Öffnung aus
ihrem Behälter heraus. Sie stellen birnförmig gestaltete, nackte
Protoplasten dar (Fig. 24, 2^Ä)\ an ihrem vorderen, zugespitzten
Ende sind sie je nach der Art, der sie angehören, mit vier (Fig. 25^!)
oder zwei (Fig. 24) langen Wimpern versehen; sie führen einen
Kern und einen Chlorophyllkörper, zudem unfern vom vorderen
Ende, als Verdickung der Hautschicht, einen rot gefärbten Strei-
pern;inetwahai- fen, dcn sog. Augcnflcck, untcr dem cin linsenförmiger, mit homo-
ber Länge, der • -i t
Zellkern; rechts gcncr Masse erfüllter Raum liegt, welcher die Vorstellung stärkt,
' '"vergr^^oo^'"''" ^aß CS sich in diesem Apparat um ein lichtempfindendes Organ
Fig- 23.
Eine Zelle von Cladophora
gloraerata, nach einem mit
l°/o Cbromsäure fixierten und
mit Karmin tingierten Präpa-
rate, n Kerne, ch Chromato-
phoren,/ Pyrenoide, a Stärke-
körnchen. Vergr. 540.
Fig. 24. Eine mit
1 % iger Osmium-
säure fixierte
Schwärmspore
von Cladophora
glomerata.Unter-
halb ihres vorde-
ren, zugespitzten
Endes zwejWim-
Schwärmsporen und Gameten
8t
handle. So treten uns hier an einer unzweifelhaften Pflanze im Dienste der un-
geschlechtlichen Vermehrung nackte, bewegliche, mit Augenfieck versehene
Protoplasten entgegen, die somit Eigenschaften in sich vereinigen, die einst als
charakteristische Merkmale des Tierreichs galten. Solche bewegliche Schwärm-
sporen kommen aber als Fortpfianzungsorgane fast allen grünen Algen zu.
Nach einiger Zeit des Schwärmens setzen sie sich zur Ruhe, indem sie mit ihrem
vorderen Ende an irgend einer Unterlage festhaften. Sie scheiden nunmehr
Membranstoff an ihrer Oberfläche aus, umgeben sich mit einer Zellhaut, neh-
men an Größe zu, bilden einen Saftraum aus und eignen sich so allmählich
die spezifisch pflanzlichen Merkmale an. Die Kerne vermehren sich in dem
Keimling, er führt Zellteilungen aus und ist bald zu einem neuen Cladophora-
faden herangewachsen. — Dieselben Cladophoren, die sich in solcher Weise
ungeschlechtlich vermehren, bilden auch beweg-
liche Gameten für den Befruchtungsvorgang aus.
Dann werden die Kern- und Chromatophorentei-
lungen im zytoplasmatischen Wandbelag der Zelle
länger fortgesetzt, und die sich einstellende Viel-
zellbildung liefert entsprechend kleinere Schwärmer
(Fig. 25 5). Bei solchen Arten, deren ungeschlecht-
liche Schwärmer mit vier Wimperft ausgestattet
sind (Fig. 2^A), kommen diesen geschlechtlichen
nur zwei (Fig. 25 5) Wimpern zu. Wenn Gameten
aus verschiedenen Zellen, die vielleicht auch ver-
schiedenen Individuen angehören müssen, im um-
gebenden Wasser einander begegnen, stürzen sie
aufeinander los, um sich paarweise zu vereinigen
(Fig. 255). Auch hier dürfte es eine chemotaktische
Anziehung sein, die sie zusammenführt. Sie treffen mit dem vorderen Ende auf-
einander, vereinigen sich dort, legen sich dann seitlich um, verschmelzen der
Länge nach und fahren eine Zeitlang fort, weiter zu schwärmen. Daß es sich
jetzt um eine schwärmende Zygote handelt, erkennt man daran, daß sie zwei
Augenflecke (Fig. 2 5 5, c) hat; auch besitzt sie vier Wimpern statt zweier.
Schließlich hört ihre Bewegung auf, sie rundet sich ab, scheidet eine Zellhaut
aus und tritt nach verhältnismäßig kurzer Ruhezeit in Keimung ein (Fig. 256").
Eine eigenartige Ausgestaltung hat die pflanzliche Zelle in der Familie der GUederung der
Schlauchalgen, der Siphonales, erlangt. Zu dieser Familie grüner Algen gehört
die auffällige Gattung Caulerpa (Fig. 26). Ihre europäische Art, Caulerpa proli-
fera, bildet im Mittelmeer in geringer Tiefe förmliche Wiesen. Der Uneinge-
weihte, der diese Pflanze zu sehen bekommt, mag denken, daß sie einer weit
höheren Abteilung des Pflanzenreichs angehört. Denn sie besitzt einen ge-
streckten, stengelartigen Körperteil [a), der auf dem Grunde des Meeres hin-
kriecht, nach oben flache, blattartige, grüne Gebilde (&), welche die Assimilations-
arbeit verrichten, und nach unten reichverzweigte, wurzelartige Fortsätze ir),
die der Befestigung dienen, entsendet. Dabei weisen diese Teile Dimensionen
K.d.G.m.iv,Bd2 ZeUenlehre etc 6
Fig. 1$. Schematisierte Abbildung einer
ungeschlechtlichen Schwärmspore in A,
des Kopulationsvorgangs in li a, b, c
und der Keimung einer Zygote C.
o Augenfleck, n Kerne. Gewählt ist eine
marine Cladophoraart mit Schwärmspo-
ren, die vier, und Gameten, die zwei
Wimpern besitzen. Vergr. etwa 400.
82
Eduard Strasdurger : Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
auf, wie sie bei höher organisierten Gewächsen übhch sind. Das AuffälHgste an
dieser Pflanze ist aber das, was erst die mikroskopische Untersuchung offenbart.
Sie zeigt, daß dieser ganze Organismus einzellig ist, und daß es sich bei aller
seiner Gliederung nur um die Ausstülpungen desselben Zellraumes handelt.
Die Membran an seinen Stengel- und blattartigen Gliedern erlangt bedeutende
Dicke, wie solche unter den gegebenen Verhältnissen erforderlich ist. Ihr ent-
springen Balken, die quer in den Zellraum hineinragen und aus demselben
Membranstoff wie die Außenwand bestehen. Durch längsverlaufende Balken
werden die quergerichteten verbunden. Der Außenwand schmiegt sich der von
seiner Hautschicht umgrenzte Protoplast an. Sein Zytoplasma bildet einen
Wandbelag, umhüllt die Balken und ist
auch zu freien Strängen ausgespannt, die
den mit wässeriger Flüssigkeit erfüllten
Saftraum durchsetzen. Überall sind zahl-
reiche Kerne im Zytoplasma vertreten ; zu
ihnen gesellen sich in den blattartigen Or-
ganen kleine Chlorophyllkörner. In den
freien Protoplasmasträngen ist eine leb-
hafte Strömung zu beobachten, die auch
ausieinem Organ des Körpers in das andere
sich fortsetzen kann. — Es liegt also in
diesem ganzen Organismus schlechter-
dings nur eine einzigeZellevor,ein einziger,
von einer kontinuierlichen Hautschicht
umgebener Protoplast. Seine Weiterent-
wicklung vollzieht sich an dem vorderen
Ende des stengelartigen Teiles. Dort be-
findet sich der Vegetationspunkt, der mit
Protoplasma besonders reichlich versehen ist. Er wächst weiter, während in
einiger Entfernung von seiner Spitze sich die Anlagen für die blattartigen und
die wurzelartigen Glieder vorstülpen. Was im Pflanzenreich sonst durch Zell-
vermehrung, Gewebebildung und die Verteilung verschiedener Tätigkeiten auf
bestimmte Zellen und Gewebe erreicht ward, kommt hier durch die Gliederung
eines einzigen Zellkörpers und die Übernahme der einzelnen Aufgaben durch
seine verschiedenen Abschnitte zustande. Diese haben auch die ihrer Funktion
entsprechende Gestalt aufzuweisen. Die assimilierenden Teile, für die es gilt
möglichst viel Lichtstrahlen aufzufangen, sind blattartig abgeflacht; die der Be-
festigung am Meeresgrunde dienenden Organe wurzelartig gestaltet und wie
Wurzeln verzweigt; der die Leitung der Assimilate nach den Verbrauchsorten
besorgende Teil: stengelartig und lang gestreckt. Je nach ihrer Funktion rea-
gieren diese verschiedenen Abschnitte desselben Protoplasten auch anders auf
die von außen wirkenden Reize. Der durch das Licht bestimmte ,, Phototropis-
mus", der unter dem Einfluß der Schwerkraft stehende,, Geotropismus" zwingen
den stengelartigen Teilen eine horizontale, den blattartigen eine emporgerichtete,
Fig. 26. Caulerpa prolifera. Die feinen Linien auf den
Thallusblättern bezeichnen die Plasmaströme, a Fort-
wachsende Spitze der Thallusacbse, bb junge Thallus-
lappen, r Rhizoide. '/i nat. Gr.
Caulerpa. Infusorien 83
den wurzelähnlichen eine abwärts strebende Richtung auf. — Die Caulerpa pro-
lifera vermehrt sich dadurch, daß ihre stengelartigen Teile sich an ihrer vorderen,
fortwachsenden Spitze reichlich verzweigen, an ihrem hinteren Ende aber langsam
absterben, die Zweige also mit der Zeit selbständig werden. Eine andere Art der
Fortpflanzung hat man bei den Caulerpen bisher nicht aufzufinden vermocht, wäh-
rend andere Siphonales sich ähnlich wie Cladophora verhalten. Esist, als hätte jene
GattungdieFähigkeit, Schwärmsporen und Gametenzu bilden, eingebüßt und sich
ausschließlich auf vegetative Vermehrung eingerichtet, was sehr eigenartig wäre.
Trotz seiner fortgeschrittenen, äußeren Gliederung und der weitreichenden Sonderungen im
Arbeitsteilung unter diesen Gliedern zeigt der Protoplast einer Caulerpa an lelugeTTLre"
allen Stellen seines Körpers einen übereinstimmenden, und zwar verhältnis-
mäßig einfachen, pflanzlichen Bau. Man begegnet an ihm weder besonderen
Strukturierungen der Hautschicht noch des Innenplasmas. Das pflegt im all-
gemeinen anders bei einzelligen Tieren zu sein, deren Protoplast es oft zu auf-
fälligen, mit bestimmten Leistungen zusammenhängenden Sonderungen brachte.
Bei den Wimperinfusorien, den Ciliaten, erreichen letztere einen solchen Grad Bau der wim-
der Komplikation, daß man diese Tiere lange Zeit nicht als einzellig wollte
gelten lassen. An der Oberfläche des Körpers befindet sich da zunächst die deut-
lich abgesetzte, festere ,,Pellikula" , die mit Wimpern bedeckt ist und
an einer Stelle des Körpers sich trichterförmig einstülpt, um eine Art Speiseröhre
herzustellen. Die durch diese Röhre eingeführte Nahrung wird in eine an ihrem
Grunde sich bildende Vakuole aufgenommen, die von der im Körperinnern
herrschenden Strömung erfaßt und herumgeführt wird. Die unverdaulichen
Reste stößt der Körper dann an einer bestimmten Stelle seiner Oberfläche, die
als ,, Zellenafter" bezeichnet wird, hinaus. Zu dem allem kommen noch kon-
traktile Vakuolen in konstanter Zahl und Lagerung hinzu, oft auch Kanäle, die
in sie münden und ihnen Stoffe zuführen, die dann nach außen gepreßt werden.
Daß ein Protoplast es nur bei nacktem Körper, freier Beweglichkeit und den
weit schwierigeren Bedingungen tierischer Ernährungsweise zu einem so zu-
sammengesetzten Bau bringen konnte, ist leicht einzusehen. Die Kernverhält-
nisse bei solchen Wimperinfusorien weichen von den gewohnten Befunden auch Zweierlei Kerne
insofern ab, als sie in ihrem Körper neben einem großen ,, Hauptkern" einen ^'^fuso'rTe^n."'"
kleinen ,, Nebenkern" führen. Es hat sich eine lehrreiche Scheidung der sonst in
demselben Kern vereinigten Substanzen bei diesen Wesen vollzogen, so zwar,
daß der mit Kernfarbstoffen sich intensiv tingierende Hauptkern, dem An-
schein nach, nur noch zu den somatischen Leistungen des Zelleibs in Beziehung
steht, der Nebenkern die generativen Vorgänge beherrscht, somit den Ge-
schlechtskern des Protoplasten darstellt. Bei jeder Teilung eines Wimperinfusors
verdoppelt sich der Nebenkern, mit Spindelbildung auf karyokinetischem
Wege, während der Hauptkern sich streckt, biskuitförmig gestaltet und schließ- Teilung derWim-
lich durchschnürt. Der Nebenkern benimmt sich also nicht anders als sonst der
Kern bei Zellteilungen, an welche Entwicklungsvorgänge geknüpft sind, während
der Hauptkern sich so verhält wie die Kerne jener pflanzlichen Zellen, die sich
nicht w^eiter teilen sollen, von ferneren Gestaltungsvorgängen ausgeschlossen
6*
teilung und Gene
rarionswechsel
84 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
bleiben, und denen es nur darauf ankommt, gewisse Bestandteile der Kernsub-
stanz für nahrungsphysiologische Zwecke zu vermehren. Wir erinnern uns im
besonderen an das, was uns die langen Internodialzellen der Charazeen in dieser
Befruchtung Beziehung lehrten. — Zur Einleitung des geschlechtlichen Vorgangs sehen wir
^'^fusori^n"" zwei Wimperinfusorien sich aneinander legen und durch eine Kopulations-
brücke vereinigen. In jedem der beiden Individuen gehen aus dem Nebenkern
vier Kerne hervor, was mit Bestimmtheit darauf hinweist, daß ein Reduktions-
teilungsvorgang sich vollzogen hat. Die Berechtigung dieser Schlußfolgerung
wird durch den weiteren Umstand bestärkt, daß von den vier Kernen nur einer
erhalten bleibt, drei zugrunde gehen. Der verbleibende Kern teilt sich dann
noch einmal, worauf jedes der beiden Individuen einen Kern durch die Kopu-
lationsbrücke in das anderelndividuum entsendet, einenKern aber zurückbehält.
Der eintretende Kern vereinigt sich mit dein zurückgebliebenen zu einem ein-
zigen Keimkern. Hierauf trennen sich die beiden Tiere voneinander. Ihr
Hauptkern zerfällt in Stücke und schwindet; ihr Keimkern teilt sich in zwei
Kerne, von denen der eine als Nebenkern, Geschlechtskern, verbleibt, der an-
Reduktions- dere zum neuen Hauptkern sich umbildet. Die zwei Kernteilungen, die zur Bil-
dung von vier Kernen in jedem der beiden im Geschlechtsakt vereinten In-
fusorien führen, müßten uns ganz unverständlich erscheinen, wüßten wir nicht,
daß jede Reduktionsteilung die Entstehung von vier Kernen bedingt. Aus dem-
selben Grunde sahen wir ja auch vier Kerne in der keimenden Zygote der Spiro-
gyra auftreten, ungeachtet der Keimling nur für einen Kern Verwendung hat.
Während bei Spirogyra die Reduktionsteilung auf die Befruchtung unmittelbar
folgte, geht sie ihr bei den Wimperinfusorien ebenso unmittelbar voraus, und
die neuentstandene Generation behält den dem Befruchtungsvorgang entstam-
menden Kern lebenslänglich bei. Die Infusorien sind eben nicht haploideWesen,
wie Spirogyren oder andere Fadenalgen, sondern diploide Geschöpfe. Ich habe
früher schon darauf hingewiesen, wie sehr die Entwicklungsvorgänge im Tier-
reich von Anfang an dazu neigten, das diploide Befruchtungsprodukt zu fördern.
Es dürfte das Vorhandensein jedes Chromosoms in Zweizahl innerhalb der di-
ploiden Kerne eine Zunahme der Leistungsfähigkeit bedingt haben, die bei der
raschen Steigerung der an die Lebensführung der Tiere gestellten Ansprüche eine
besondere Bedeutung für sie gewann und die Ausbildung einer diploiden Gene-
ration begünstigte. Diese mag dann rasch die Herrschaft über die haploide Ge-
neration gewonnen haben, die, da sie selbst noch auf einer niedrigen Stufe
der Ausgestaltung sich befand, leicht in die diploide Generation ganz auf-
genommen werden konnte. Von der haploiden Generation wäre somit bei den
Wimperinfusorien nur der Reduktionsteilungsvorgang und die darauffolgende
Teilung des einen der so erzeugten vier Kerne zurückgeblieben, so wie sie sich
beide im Körper der diploiden Generation vollziehen.
Auch dem Laien fällt auf, daß verhältnismäßig nahverwandte Pflanzen
sehr bedeutende Größenunterschiede zeigen können. Die durch ihren Bau so
auffälligen ,, Schmetterlingsblüten" der Papilionaceen sind ihm sowohl an den
Generationswechsel. Gewebebildung 85
krautartigen Erbsen, als auch an den strauchförmigen Ginstern und der zum
hohen Baum emporwachsenden Robinie begegnet. DievielenÜbereinstimmungen
zwischen winzigen Gräsern und riesigen Bambusen werden ihm vielleicht auch 2eiij,Töß«.
nicht entgangen sein, da diese Pflanzen diegemeinsamenMerkmaleder Gramineen
deutlich zur Schau tragen. Die mikroskopische Untersuchung der Gewebe solcher
Pflanzen lehrt trotzdem, daß sie aus annähernd gleich großen Zellen bestehen.
Nur die Zahl der Zellen ist entsprechend verschieden. Zwischen der Gesamt-
größe einer gegebenen Pflanzenart und der Größe ihrer Bausteine ist somit kein be-
stimmtes Verhältnis vorhanden. Auch unterscheiden sich Riesen und Zwerge der-
selben Pflanzenart nicht etwa durch die Größe ihrer Zellen, vielmehr nur durch
ihre Zellenzahl. So wird ein klein ausgefallenes Laubblatt an einer Pflanze nur
weniger Zellen wie ein bevorzugtes Nachbarblatt, nicht aber kleinere Zellen
besitzen. Anderseits wissen wir bereits, daß die Chromosomenzahl in den Kernen,
bei sonst gleicher Größe dieser Chromosomen, von Einfluß auf den Kernumfang
ist, und daß im besonderen eine Vermehrung der Chromosomensätze, wie das
Beispiel der Oenothera gigas uns lehrte, die Größenzunahme der Kerne und damit
auch ihrer Zellen zur Folge hat. Als mittlere Größe für annähernd isodiametri-
sche Zellen dünnwandiger Gewebe ist bei höher organisierten Pflanzen ein
Durchmesser von 0,01 bis 0,09 mm festgestellt worden. Daraus läßt sich somit
eine annähernde Vorstellung der Dimensionen gewinnen, die den Bausteinen
der uns umgebenden Pflanzenwelt zukommt. Diese Größe kann aber von Zellen,
die sich besonderen Aufgaben angepaßt haben, bedeutend überschritten wer-
den. Die Bastfasern mancher Nesselgewächse {Urticaceen) erreichen ausnahms-
weise bis 200 mm, und von den Milchröhren wissen wir bereits, daß sie bei ge-
wissen Wolfsmilcharten meterlang werden können.
Die Siphonales, dieselben Schlauchalgen, zu welchen die Caulerpen gehören, Gewebebildung
haben, den eingeschlagenen Weg weiter einhaltend, durch Verzweigung ihres x^j^amtn^nschiuß
einen Protoplasten auch sonst noch sehr eigenartige Pfianzenkörper hervorge-
bracht. Da fällt am Mittelmeer unter den Algen, die der Sturm an den Strand
geworfen hat, ein Gebilde auf, das ganz eine Opuntia in Miniatur ist. Abge
flachte, nierenförmige Glieder, die nur an einer schmalen Stelle zusammen
hängen, folgen aufeinander, in ganz ähnlicher Weise, wie das im großen die
flachen Stengelglieder der amerikanischen Opuntien tun, die sich so stark in
den wärmeren Mittelmeerländern verbreitet haben. Und ähnlich ist auch die
Verzweigung in beiden Fällen, die darauf beruht, daß zwei Glieder dem oberen
Rande des vorhergehenden Gliedes entspringen. Wird die Alge, die den Namen
Halimeda Tuna führt, mikroskopisch untersucht, so stellt sich heraus, daß sie
aus zahlreichen grünen Schläuchen aufgebaut ist, die sich in der Ebene des ab-
geflachten Gliedes reichlich verzweigen, ihre letzten Zweige aber senkrecht zu
dessen Oberfläche stellen, wo sie blasig anschwellend in festen seitlichen Ver-
band treten. Daher die Oberfläche eines solchen Gliedes fazettiert erscheint.
Durch das ganze innere Verzweigungssystem der Schläuche setzt sich derselbe
ungeteilte Protoplast fort, der somit durch Zusammenfügung seiner Ausstül-
86 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
pungen einen solchen komplizierten Aufbau zustande bringt. Andere Beispiele
würden zeigen, welche Mannigfaltigkeit der Gestaltung innerhalb dieses eigen-
artigen Aufbaues möglich war. Doch das kann an dieser Stelle nicht geschehen,
Nur möchte ich noch darauf hinweisen, daß auch jene bis kinderkopfgroßen,
sammetartig schimmernden, grünen, außen dichten, im Innern ganz locker ge-
bauten Kugeln, die das Mittelmeer manchmal an den Strand wirft, und die der
Uneingeweihte mit Erstaunen betrachtet, zu den Schlauchalgen gehören und
Codium bursa heißen. Ihre Oberfläche wird ebenfalls aus Schläuchen aufgebaut,
die senkrecht zur Oberfläche gerichtet und seitlich aneinander gefügt sind. Ganz
offen bleiben übrigens bei den Codiumarten die Wege nicht, die durch das ganze
Schlauchsystem führen, indem an den Verzweigungsstellen nachträglich oft
Wandverdickungen auftreten, die den Durchgang verengen oder auch ganz ab-
schließen. Um einen Zellteilungsvorgang handelt es sich dabei nicht, sondern
nur um örtliche Verstopfungen.
Wie bei solchen Schlauchalgen durch bestimmte Zusammenfügung derVer-
zweigungssysteme etwas zustande kommt, das an ein Gewebe der höher organi-
Gewebebiidung siertcn Pflanzcn erinnert, so kann in anderen Fällen Ähnliches auch durch eine
Verflechtung. Vcrflcchtung vou Zellfäden erreicht werden. Das zeigen uns im besonderen die
Pilze. Fadenförmige Schläuche, sogenannte Hyphen, sind es, aus denen ihr
vegetativer Körper besteht. Diese Hyphen sind ungegliedert oder gegliedert.
Die ungegliederten Hyphen stellen einen einzigen, farblosen, vielkernigen Proto-
plasten dar, die gegliederten einen solchen, der durch Querwände in eine Reihe
vielkerniger Protoplasten sich zerlegt hat. Der vegetative Pilzkörper, das soge-
nannte Myzel, besteht nun im einfachsten Falle aus getrennt verlaufenden Hy-
phen, in weniger einfachen Fällen aus Strängen, zu denen sich die Hyphen ver-
flochten haben. Solch eine Verflechtung pflegt in den äußeren Teilen des Stranges
dichter als in den inneren zu sein, und dann eine Art Rinde und Mark herzu-
stellen. Auch die größten Fruchtkörper der Pilze, so die Gebilde, die wir für ge-
wöhnlich als Schwämme bezeichnen, wie Fliegenschwamm, Feuerschwamm u.
dgl. m., sind nur Hyphen Verflechtungen. Unter Umständen werden solche Ver-
flechtungen so fest, der seitliche Zusammenhang der Hyphen so innig, daß man
wirklich an Querschnitten meinen könnte, das Gewebe einer höher organisierten
Pflanze vor Augen zu haben.
Gewebebiidung Doch die Leistungcu, die auf solchen Wegen im Pflanzenreich erzielt wur-
^'""^'den, blieben unvollkommen. Höhere Aufgaben vermochte erst die aus Zelltei-
lung hervorgegangene Gewebebildung* zu erfüllen, an welche eine vollkom-
menere Arbeitsteilung und fortschreitende Sonderung im Bau anknüpfen konn-
te. Durch das Gerüstwerk der Wandungen solcher Gewebe wurde zudem die
Festigung des ganzen Pflanzenkörpers sehr gefördert.
Zunehmender lu dem Maßc, als die Zellenzahl im Körper des Individuums wuchs, prägte
^Scheftei ^°" ^^^^ auch die Polarität stärker an ihm aus: ein Gegensatz von Scheitel und Basis,
und Basis. Die für das Pflanzenreich bezeichnende Art der Ontogenie, mit nicht abge-
schlossener Entwicklung, führte zur fortschreitenden Ausgestaltung der Vege-
tationspunkte und der Schutzeinrichtungen, die für sie dann nötig wurden.
Entstehung von Geweben; Scheitel und Basis
87
pragune
clrr Scheitelzelle.
Am Scheitel der Cladophora fanden wir bereits eine Scheitelzelle vor, doch ihr
Inhalt war nicht embryonaler, ihre Zellhaut nicht dünner, als die der auf sie
folgenden Gliederzellen. Bei Cladophora sahen wir auch die Gliederzellen noch
bei ihrem einfachsten Teilungsmodus verharren, d. h. nur quere Wände bilden.
Bei höher organisierten Algen stellen sich in ihnen auch Längswände ein, und
sie werden in ein Gewebe mit steigender Zellenzahl zerlegt, gegen welches die stärkere Aus
Scheitelzelle immer auffälliger vortritt. Im weiteren Verlauf der pflanzlichen
Entwicklung verändert die Scheitelzelle ihre Gestalt. Sie wird zweischneidig-
keilförmig, oder dreiseitig-pyramidal (Fig. 27), grenzt dann ,, Segmente" ab, die
abwechselnd nach rechts und links
oder die nach drei verschiedenen
Richtungen geneigt sind, und die
im letzten Falle in einer Spirale auf-
einander folgen. Solche Scheitel-
zellen sind zwischen ihre jüngsten
Segmente versenkt (Fig. 27). Ihre
Grundfläche wölbt sich konvex
nach außen vor. Ihr Inhalt, so wie
jener der sich noch lebhaft teilen-
den Segmente, hat embryonalen
Charakter aufzuweisen ; die Wände
aller dieser Zellen sind noch sehr
dünn und müssen geschützt wer-
den, was zunächst vielfach durch
Vertiefung des Vegetationspunk-
tes in älteres Gewebe, weiterhin
durch das Zusammenneigen seit-
licher Anlagen über ihm erreicht
wird. Bei den Landpflanzen tritt
an der diploiden Generation jetzt
auch eine Wurzel auf, die das Nähr-
wasser aus dem Boden schöpfen und den oberirdischen Sprossen ihre Entwicklung
in der freien Luft ermöglichen soll. Auch diese Wurzel wächst mit einem Vegeta-
tionspunkte (Fig. 28), der im Boden geschützt werden muß. Da sie nun nicht, wie
die oberirdischen Sprosse, über Blattanlagen verfügt, welche die embryonalen
Gewebe ihres Vegetationspunktes decken könnten, legt sie eine Wurzelhaube
(Fig.28 ^"■), die , ,Kalyptra", an. Bei den farnartigen Gewächsen, die als die ersten
zur Wurzelbildung schritten, weisen die Vegetationspunkte eine der zuvor schon Ursprung a.-r
geschilderten entsprechende, dreiseitig pyramidale Scheitelzelle auf (Fig. 28/). An ^^"'■^^'''''"'"'■
der Wurzelspitze bildet diese Scheitelzelle aber nicht allein durch geneigte Wände
seitliche Segmente, sondern auch durch Querwände Segmente nach außen (Fig.
28 k), welche letzteren durch ihre weiteren Teilungen die Wurzelhaube aufbauen.
In dem Maße, als diese Wurzelhaube an ihrer äußeren, den Boden berührenden
Oberfläche leidet, wird sie von innen aus ergänzt. ■ — ■ Der weitere Gang der phylo-
Fig. 27. Medianer Längsschnitt durch den Vegetationskegcl
von Equisetum arvense ; / die dreiseitig pyramidale Scheitelzelle.
/ die letzte Teilungswand dieser Scheitelzelle, .S'' das letzt-
gebildete Segment, i>" das vorletzt gebildete, durch die Wand
m geteilte Segment, f Ardage eines Blattwirtels, J ' die nächst-
ältere Blattwirtelanlage, /" die noch ältere, g eine für die
Anlage eines Seitensprosses bestimmte Zelle. Vergr. 240.
88
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Verlust genetischen Fortentwicklung bringt an Sproß und Wurzel den Verlust der Schei-
der scheiteUeiie (■gi2elle mit sich. Es greifen die Teilungen der Segmente gewissermaßen auf die
Scheitelzelle über, so daß sie in mehrere Zelle tagen zerlegt wird. Das Endergebnis
dieser Veränderungen ist, daß ein medianer Längsschnitt den Sproßscheitel aus
mehr oder weniger zahlreichen Schichten embryonaler Zellen aufgebaut zeigt, die
sich mantelförmig decken (Fig. 29). Bei vollkommenster Ausgestaltung zeigen
diese Zellschichten sehr regelmäßigen Bau und Verlauf. Sie stellen, wie Julius
Sachs zuerst erkannte, eine Schar konfokaler Parabeln dar. Auch geben sie
überall deutlich
eine rechtwink-
lige Schneidung
der Scheidewän-
de zu erkennen.
Einsolcher ,,Ve-
getationskegel"
nimmt zugleich
an Zellenzahl
und an Ausdeh-
nung zu. Er
pflegt sich merk-
lich vorzuwöl-
ben und wird
deshalb als Ve-
getationskegel
bezeichnet. — •
Biattaiüagen. \^^S>/ Plerom, en Endodermis, i mit Luft sich _ ^t-« .. . •
füllende Interzellularen, a Zellreihe, aus -welcher das zentrale Gefäß SUmpflgCU, VOU ZUm 1 Cll gll"
hervorgehen wird, rabgestoßene Zellen der Wurzelhaube. Vergr., 80. ^^^^^ Q^^QVi erfüllten Bodcn
wachsenden Gewächse durch starke Ausbildung solcher luftführenden Inter-
Aerencbym. zellularen aus, die mit der atmosphärischen Luft kommunizieren. Derartige
Gewebe haben den Namen ,,Aerenchym" erhalten. Es können aus Membran-
spaltung hervorgegangene Zwischenzellräume in einzelnen Fällen auch dazu be-
stimmt sein, Wasser zu führen oder auch Gummi, Schleim, Harz, ätherische Öle
oder dergleichen. Die Harzgänge der Nadelhölzer haben, beispielsweise, einen
solchen Ursprung. Meist sind aber Zwischenzellräume, die Wasser oder solche
Produkte nicht aber Luft führen, von anderer Entstehung, nämlich aus der
Zerreißung oder Auflösung bestimmter Zellkomplexe hervorgegangen. So, für
Interzellularen. Tüpfel. Plasmodesmen
91
Tüpfel.
Fig. 31. Stark verdickte Zellen aus
dem Marke eines älteren Stammstückes
von Clematis vitalba. m Mittellamellc,
i Interzellularraum, i Tüpfel. In der
einen Zelle ist die untere, getüpfelte
Wand IV zu sehen. Vergr. 300.
gewöhnlich, die Behälter von ätherischem Öl. Man unterscheidet die durch Schizogone und
Membranspaltung entstandenen Interzellularen, als ,,schizogene", von den durch zeUuiarea.
Zerreißung oder Auflösung von Zellen erzeugten, den ,,lysigenen".
Sobald die Verdickung der Zellwände in den
pflanzlichen Geweben ein bestimmtes Maß zu über-
schreiten beginnt, pflegt sie nicht mehr gleichmäßig
im ganzen Umfang der Zellen zu erfolgen. Einzelne
Stellen bleiben weiterhin von der Verdickung ausge-
schlossen und bilden so die ,, Tüpfel" (Fig. 31 t). Da
macht sich eine gegenseitige Beeinflussung benach-
barter Zellen dadurch bemerkbar, daß ihre Tüpfel
genau aufeinander treffen. So werden selbst bei star-
ker Verdickung der Wände die benachbarten Proto-
plasten an solchen Stellen nur durch eine verhältnis-
mäßig dünne Wandung, die sogenannte ,, Schließ-
haut" getrennt.
Immerhin würden die ein lebendiges, pflanzhches
Zellgewebe aufbauenden Protoplasten voneinander
ganz abgesondert sein, wenn nicht lebende Proto-
plasmafäden, durch die Zellwände hindurch, sie ver-
bänden (Fig. 32). Der Nachweis dieser Fäden bereitet große Schwierigkeiten,
woraus sich erklärt, daß die ersten Angaben über sie nicht weiter als auf das
Jahr 1879 zurückreichen. Man legt jetzt Schnitte, die man auf diese Plasma-
brücken oder ,, Plasmodesmen" untersuchen will,
unmittelbar nach ihrer Herstellung, in i prozentige
Osmiumsäure, dann in Jodjodkaliumlösung und
schließlich in 25 prozentige Schwefelsäure, in der man
die Zellwände quellen läßt. Denn diese Quellung ist ,j
notwendig, damit man die äußerst dünnen Fädchen
innerhalb der Wandung zu erkennen vermöge. Die
Schwefelsäure hatte man mit Jod und einem Pyok-
tanin genannten Farbstoff versetzt, um die Plasmo-
desmen zu färben und so ihre Sichtbarkeit zu er-
höhen. Ist das Verfahren gut eingeschlagen, so zeich-
nen sich die Plasmodesmen als intensiv blaue Striche
in der Zellwand. Man wird sie bei stärkerer Ver-
dickung der Wände auf die Schheßhaut der Tüpfel
beschränkt finden. Erst durch diese Plasmodesmen
wird ein pflanzlicher Körper zu einer lebendigen Ein-
heit erhoben und das Zusammenwirken seiner Teile
begreiflich. Die Plasmodesmen verbinden die Haut-
schichten der Protoplasten untereinander, sind auch, allem Anschein nach, von
derselben Natur wie sie. Da wir guten Grund hatten, die Hautschicht für die
bevorzugte Reizempfängerin amZelleib zu erklären, so dürften auch ihre Plasmo-
-^4
^w^
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ch
Plasmodesmen.
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im
Fig. 32. Eine Zelle aus der Rinde der
Mistel (Viscum albura) nach entspre-
chender Härtung und Färbung der
Protoplasten und Quellung der Wände
m. Die Schließhäute i- der Tüpfel von
Plasmodesmen durchsetzt, ch Chloro-
plasten, « Zellkern. In den Kanten,
zwischen den Zellen, Interzellularen.
Vergr. looo.
92
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Reiz- desmen für die Aufgaben der Reizleitung besonders geeignet sein. Daß sie trotz-
Fortpflanzung. ^^^ in ihren Leistungen den tierischen Nerven bedeutend nachstehen, darf bei
dem den Leitungszwecken speziell angepaßten Bau der letzteren nicht wunder-
nehmen. Für tierische Nerven ist eine Schnelligkeit der Reizfortpfianzung von
über 30 Meter in der Sekunde nachgewiesen. Sofern es sich hingegen noch sicher
um Reizfortpfianzung durch Plasmodesmen bei Pflanzen handelt, hat man kaum
Werte von mehr als 10 bis 20 Millimeter in der Sekunde gefunden, vielfach sogar
nur I bis 2 Millimeter für den Zeitraum von je 5 Minuten. Im Blattstiel der be-
kannten Sinnespflanze {Mimosa pudica), die auf mechanische Reize durch Be-
wegung reagiert, kann die Geschwindigkeit der Reizleitung bis 100 Millimeter in
der Sekunde betragen, doch soll es sich dabei nicht um eine Leitung durch die
lebendigen Plasmodesmen, sondern um eine rein mechanische Reizfortpflanzung
handeln, die auf einer Störung des hydrostatischen Gleichgewichts in langen,
schlauchartigen Zellen beruht. Tierische Reizleitung hat auch dort, wo sie
ohne Vermittlung des Nervensystems erfolgt, höhere Werte als die pflanzliche
Plasmodesmenleitung aufzuweisen, so nach W. Engelmann in der Herzmus-
kulatur 6,4 bis 177 Millimeter in der Sekunde.
Maß der Selb- Jede Zcllc stcllt einen Elementarorganismus dar. Durch die Plasmodesmen
standigkeit der werden diese Zellen im Pflanzenkörper zu der höheren Lebenseinheit vereinigt,
einzelnen ^ ° '
Gewebezeiien. in deren Diensten sie stehen. Von der Selbständigkeit jeder einzelnen Zelle
innerhalb ihres Gewebeverbandes, gelingt es in bestimmten Fällen, selbst bei
den höchst organisierten Pflanzen, sich experimentell zu überzeugen. So ver-
mochte G. Haberlandt durch vorsichtiges Zerzupfen kleiner Blattstückchen der
roten Taubnessel {Lamium purpureum L.) in Nährstofflösungen, zahlreiche
von den nur in lockerer Verbindung stehenden inneren Gewebezellen zu iso-
lieren. Diese mit Chlorophyllkörnern ausgestatteten Zellen waren auch in die-
sem Zustand imstande, die Kohlenstoffassimilation zu vollziehen und blieben
viele Tage, ja manche bis zu drei Wochen am Leben. Im allgemeinen läßt sich
aber sagen, daß, auf einer je niedrigeren Stufe phylogenetischer Entwicklung ein
vielzelliger Pflanzenkörper steht, um so mehr in ihm die Individualität seiner
Zellen zur Geltung kommt. Die gegenseitige Abhängigkeit der Zellen wächst
im Gesamtorganismus in dem Maße, als die Sonderung und Arbeitsteilung
in ihm fortschreitet.
Ausbildung der Pflanzlichc Gcwcbc, die der Assimilationsarbeit oder Reservestoffspeiche-
ziehung Vu"ihrtr^''J^g dienen sollen, pflegen mehr oder weniger isodiametrische Zellen auch im
Aufgabe. ausgewachsenen Zustande zu behalten, auch die Wände ihrer Zellen nur schwach
zu verdicken. Eine stärkere Verdickung der Wände unterbleibt im allgemeinen
auch in Zellen, die für Stoffbeförderung Verwendung finden, doch sind sie in
der Richtung der Leitungsbahn gestreckt. Zellen, denen mechanische Funktio-
nen zufallen sollen, werden nicht nur bedeutend gestreckt, sondern auch an den
Enden zugespitzt, ihre Wände gleichzeitig stark verdickt. Die Tüpfel in solchen
Wänden sind sehr eng, meist spaltenförmig. Ist solches der Fall, so pflegen die
Spalten schräg zur Längsachse der Zelle gestellt zu sein, mit übereinstimmendem
Neigungswinkel und sie kreuzen sich in den Wänden der angrenzenden Zellen.
Reizleitung. Gewebedifferenzierung
93
Ihre Neigung ist stärker oder schwächer, so daß sie mehr oder weniger steile
Schrägzeilen bilden, unter Umständen fast longitudinal, oder auch nahezu quer
verlaufen. Wie die Streifung innerhalb der Zellwände, gewährt auch die Orien-
tierung ihrer spaltenförmigen Tüpfel Einblick in innere Strukturen, deren Wir-
kungen sich bei der Quellung geltend machen. Bei steilem Tüpfelaufstieg ist
die Quellungsintensität bedeutender in der Querrichtung der Zellen; sind die
Tüpfel annähernd quer gestreckt, so ist die Quellungsintensität in der Längs-
richtung größer. Diese stark verdickten, für mechanische Aufgaben bestimmten
Zellen verbrauchen ihren Protoplasten während ihrer Ausbildung, so daß sie
im fertigen Zustande Luft, bisweilen auch abgestorbene Inhaltsreste führen.
Sie werden als Sklerenchymfasern zusammengefaßt. Zu ihnen gehören die Holz-
fasern, die bei manchen Pflanzenarten
über einen Millimeter Länge erreichen,
und die Bastfasern, die, durchschnitt-
lich noch länger, zwischen l und
2 Millimeter schwanken. Der feste Ver-
band solcher Faserzellen im Gewebe
wird dadurch erreicht, daß sie an ihren
Enden weiterwachsen, sich dort zu-
spitzen und zwischeneinander einkei-
len. — Auch solche Zellen, die der Was-
serleitung in denPflanzen dienen sollen,
werden bedeutend in ihrer Längsent-
wicklung gefördert und büßen ihren
lebendigen Zelleib ein, sobald ihre Aus-
gestaltung vollendet ist. Denn die
Wasserleitung auf Entfernung wird im Pflanzenkörper nur durch protoplasma-
freie Zellräume besorgt. An den Wänden solcher Zellen kommt eine beson-
dere Art von Tüpfeln, die als ,,Hoftüpfer* bezeichnet werden, zur Ausbildung Hoftüpfei.
(Fig. 33). Sie heißen so, weil sie an ihrem Grunde stark erweitert sind und
von benachbarten Zellen aus aufeinandertreffend, zwischen diesen innerhalb
der Wand, einen bikonvex- linsenförmigen Raum herstellen, der von einer
, .Schließhaut" halbiert wird (Fig. 33 B, C). Die Schließhaut solcher Tüpfel
hat eine mittlere, scheibenförmige Verdickung [t], den ,,Torus", aufzuweisen.
Im Umkreis des Torus ist sie sehr dehnbar, so daß sie in Richtung des einen
oder des anderen Zellraums sich vorwölben kann. Ihr Torus gelangt damit
an die entsprechende Mündungsstelle des Tüpfels {B) und verschließt sie.
Man darf annehmen, daß es sich in den Hoftüpfeln um eine Art Klappenventile
handelt, die in der einen oder anderen Richtung, je nach den Druckverhält-
nissen, die in den angrenzenden Wasserbahnen herrschen, angesogen werden,
um die eine Bahn gegen die andere abzuschließen. W^o ein wasserleitender Zell-
raum an eine lebendige Zelle grenzt, sind die Tüpfel nur an der Wasserbahnseite
mit einem Hof versehen, hingegen nicht innerhalb der lebenden Zelle. Der
Tüpfel ist dann ,,halbbehöft", auch seine Schließhaut ohne Torus. Ein solcher
Fig. ^i. Aus dem Holze der Kiefer (Pinus silvestris).
A Radialer Längsschnitt mit Hoftüpfel in Fläclienansicht.
ß Tangentialer Längsschnitt mit Hoftüpfei im Querschnitt,
t der Torus. C Querschnitt durch eine Tracheide, m Mittel-
lamelle, m* ein Zwickel in dieser, i das Grenzhäutchen.
Vergr. 540.
94
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Verdickungsart
der
AVasserbahnen.
mMUOQQQ®
i^öoci:
Haibbehöfte halbbehöf ter Tüpfel hat dann auch nicht als Klappen ventil zu fungieren, er
Tüpfel. ygj.j^i|-{-gi^ vielmehr den Eintritt von Wasser aus der Wasserbahn in die leben-
dige Zelle und, nach Bedarf, den Übergang von gelösten Nährstoffen aus der
lebendigen Zelle in die Wasserbahn, welche diese lebendige Zelle dort hinein-
preßt, damit sie mit dem Wasserstrom rasch nach den Verbrauchsorten ge-
langen. Um die Wasserbahnen für ihre Aufgabe entsprechend auszurüsten,
verdickt der Protoplast die Wandung der Zellen, aus denen sie hervorgehen,
ring-, schrauben- oder netzförmig. Die ring- und schraubenförmigen Verdickun-
gen werden in Wasserbahnen angebracht, die eine weitere Streckung erfahren
sollen, also in Pflanzenteilen sich befinden, die noch im Wachstum begriffen
sind. Durch die Einfügung solcher Verdickungsleisten in Zellen, die alsbald
ihren lebendigen
Zelleib einbüßen
sollen, wird für die
Aussteifung der
Wände auch nach
Schwund des Tur-
gors gesorgt und
verhindert, daß die
toten Zellräume
von den angrenzen-
den lebenden Zel-
len, oder durch die
Saugwirkung des
Fig. 34. Teile von Siebröhren des Kürbis (Cucurbita Pepo) in Alkohol gehärtet. A eine r^
Siebplatte von oben gesehen. B und C je zwei aufeinanderfolgende Siebröhrenglieder strOmeS in ihrem
im Längsschnitt. D die Inhaltraassen von zwei Siebröbrengliedem nach Schwefelsäure-
behandlung, i Geleitzellen, ?< Schleimstrang, /r zj'toplasmatischer Wandbelag, c Kallus- innem, ZUSam-
platte, c* kleines, seitenständiges Siebfeld mit Kallusplatte. Vergr. 540. TTlPnp-pdriirkt wer-
den. In Pflanzenteilen, deren Längenwachstum im Erlöschen ist, gesellen sich
netzförmige Verdickungen der Wasserbahnen zu den früheren. Ist das Längen-
wachstum ganz vollendet, so stellen sich Hoftüpfel ein. Sollen den Wasserbah-
nen noch besondere mechanische Aufgaben zufallen, so werden die Zellen, aus
denen sie hervorgehen, entsprechend verdickt und an den Enden stärker zuge-
schärft. Sie erhalten damit die Gestalt von Holzfasern, ohne zunächst aber ihr
für Wasserleitung erforderliches weites Lumen einzubüßen. Dieses nimmt aber
in dem Maße ab, als die Anforderungen an die Wasserleitung sinken und die
mechanische Inanspruchnahme wächst. — Der Wasserleitung dienende Zell-
räume, die nur einer Zelle ihren Ursprung verdanken, werden als ,,Tracheiden"
Tracheiden und bezeichnet. Sie unterscheiden sich durch ihren einzelligen Ursprung von den
,, Tracheen" oder ,, Gefäßen", die aus Zellverschmelzungen hervorgehen. Wo sol-
che Gefäße entstehen sollen, sieht man kurze, verhältnismäßig breite Zellen,
geradlinig angeordnet, in Reihen aufeinanderfolgen. In allen Zehen der Reihe
werden die Seitenwände entsprechend verdickt, während die Querwände frühzei-
tig zu quellen beginnen. Ist die Verdickung der Seitenwände vollendet, so werden
Tracheen.
Leitungsbahnen. Zellfusionen 05
die Querwände aufgelöst bis auf einen schmalen Rand, der in Form einer Ringleiste
erhalten bleibt. Geneigte Scheidewände in solchen Zellreihen pflegen nicht mit
einer einzigen, runden Öffnung, sondern mit einer Anzahl ovaler Öffnungen ver-
sehen zu werden, zwischen denen die stehengebliebenen Membranstreifen wie
die Sprossen einer Leiter aussehen. Die Protoplasten der einzelnen Gefäßglieder
werden gleichzeitig immer substanzärmer und schwinden schließlich vollständig.
Zu einer Verschmelzung der Protoplasten nach Auflösung der Querwände
kommt es nur bei den wenigsten Pflanzen. • — • In bestimmten Abständen unter-
bleibt bei jeder Gefäßbildung die Durchbrechung einer Scheidewand. Dadurch
ist bedingt, daß die Gefäßlänge nicht eine unbegrenzte wird. Sie beträgt bei Geiaßiängc.
unseren Holzgewächsen im Durchschnitt etwa lO cm, kann aber unter Umstän-
den auch mehrere Meter erreichen. Das ist im besondern bei gewissen Lianen
der Fall, jenen Schlinggewächsen tropischer Urwälder, deren dünne Stämme
von Baum zu Baum sich spannen. Schon bei unseren Eichen, deren Gefäße
auch sehr lang werden können, erreicht ihr Querdurchmesser eine solche Weite,
daß man sie mit dem bloßen Auge erkennen kann. Daher das poröse Aussehen
des Eichenholzes, das wir verwenden. Auch eine unserer einheimischen Lianen,
der Weinstock, zeigt uns seine Gefäße deutlich. Noch mehr ist dies aber bei den
tropischen Lianen der Fall, wo der Gefäßdurchmesser bis zu 0,6 mm aufsteigen
kann. Solche Gefässe können den Reisenden mit Wasser versorgen. Der Lia-
nenstamm muß aber zu diesem Zweck zweimal durchschnitten werden. Das
erste Durchschneiden liefert kein Wasser. Erst in dem Augenblick, wo der
Stamm nochmals an höherer Stelle durchschnitten wird, entquillt dem unteren
Querschnitt das Wasser. Das hängt mit der Wirkung des Luftdrucks zusammen,
der zunächst den Ausfluß des Wassers verhindert. Er läßt ihn nur aus Gefäßen
zu, die an beiden Enden geöffnet wurden, was erst nach dem zweiten Schnitt
sich einstellt. — Zwischen Zellen, die ihren lebenden Inhalt bald einbüßen sollen,
wie die oben genannten Sklerenchymf asern und Wasserbahnen, werden Zwischen-
zellräume meist gar nicht angelegt. Sie sind in solchen Geweben überflüssig und
würden deren Festigkeit nur herabsetzen.
Zu Verschmelzungen lebender Zellen ist die Pflanzenwelt, der Hauptsache Verschmelzung
nach, nur bei der Bildung der sogenannten,, Siebröhren" geschritten. Sie hat diese ^ ^° "
Siebröhren zugleich mit einer besonderen Art von Tüpfeln an ihren Querwänden,
bzw. auchanihren Seitenwänden, versehen, dieeinzeln als,, Siebtüpfel", in größere
Zahlvereinigtals,,Siebplatten" bezeichnet werden. Die Siebröhren entstehen, wie
die Gefäße, aus Reihen aufeinanderfolgender Zellen. Die Querwände zwischen
diesen Zellen weisen dicht aneinandergedrängte Tüpfel auf, deren Schließhäute
von Plasmodesmen durchsetzt sind. Dabei bleibt es aber nicht, es werden viel-
mehr im weiteren Verlauf der Entwicklung die Plasmodesmen von Schleim-
fäden durchbohrt. Farne und Nadelhölzer begnügen sich mit dieser ersten
Durchbohrung. Bei den angiospermen Phanerogamen verschmelzen hingegen
weiterhin alle Schleimfäden eines Tüpfels zu einem einzigen Schleimstrang
(Fig. 34 A u, B). Nach vollzogener Durchbrechung ihrer Schließhäute durch
Schleimfäden, und mehr noch durch Schleimstränge, erhalten die Siebtüpfel bzw.
96
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Siebplatten das Aussehen von Sieben (Fig. 34 A), was auch ihren Namen ver-
anlaßte. Fast einzig in seiner Art ist der Umstand, daß die aufeinanderfolgen-
den Glieder einer Siebröhre ihre Zellkerne einbüßen, ohne deshalb abzusterben.
Ihr Zytoplast verbleibt vielmehr am Leben und erfüllt weiter seine Funktion,
die für gewöhnlich freilich mit einer Vegetationsperiode abgeschlossen ist, sich
in bestimmten Fällen aber doch über die nächste noch erstrecken kann. Die
Hauptaufgabe der Siebröhren ist wohl sicher die, Eiweißlösungen auf weitere Ent-
fernungen zu leiten, was durch die offenen Poren der Querwände geschieht. Die
Wände der Siebröhren sind unverholzt und werden durch den Inhalt gespannt,
auf den sie einen dementsprechenden Druck ausüben. Wird einer Siebröhre
irgendwo durch angrenzende Zellen Inhalt entzogen, so sorgt der elastische Druck
der Wände für Nachschub. So kommt es auch, daß aus geöffneten Siebröhren der
Inhalt hervorquillt. Das fällt besonders auf, wenn man einen Kürbisstengel quer
durchschneidet; er überzieht sich mit reichlichem Eiweißschleim. Denn die
Kürbisgewächse {Cucurbitaceen) zeichnen sich durch besonders weite Siebröhren
aus. Diese Eigenschaft teilen sie mit vielen andern Schling- und Kletterpflan-
zen, bei denen die Weite der Siebröhren im Extrem bis zu 0,02 mm steigen kann.
Also nicht nur die weitesten Wasserbahnen, sondern auch die weitesten Ei-
weißbahnen kommen diesen Gewächsen zu. In Siebröhren, die außer Tätigkeit
treten, werden die Siebtüpfel und Siebplatten durch stark lichtbrechende ,,Kal-
lusplatten" abgeschlossen (Fig. 34 C, c). Die chemische Natur der ,, Kailose",
die sich mit Korallinsoda und Anilinblau glänzend färbt, ist nicht klargelegt.
In den Präparaten treten die Kallusplatten nach Behandlung mit den genannten
Farbstoffen leuchtend rot oder blau hervor. In Siebröhren, die in einer nächst-
folgenden Vegetationsperiode nochmals funktionieren sollen, schwinden die
Kallusbelege wieder. Die Siebröhren, die nicht mehr dienen sollen, büßen allen
Inhalt, mit Ausnahme der Kallusmassen, ein und werden von den benachbarten
Geweben gleichzeitig zerquetscht.
Milchröhren. Elnc gauz auffällige Länge erreichen in gewissen Familien höher organi-
sierter Gewächse die mit Milchsaft erfüllten Zellen. Bei den Wolfsmilchgewäch-
sen [Euphorhiaceen), und ähnlich verhält es sich auch bei anderen ,, Milch-
röhren" führenden Pflanzenfamilien, werden diejenigen Zellen, aus welchen
Milchröhren hervorgehen sollen, schon in der Keimpflanze hierzu bestimmt.
Sie nehmen mit der Pflanze an Größe zu, ohne sich zu teilen; wohl aber vermeh-
ren sie ihre Kerne durch fortgesetzte Karyokinese. Sie bilden seitliche Aus-
wüchse und verzweigen sich auf diese Weise. Ihre Zweige dringen in die seit-
lichen Glieder der Pflanze ein. Mit der Höhenzunahme des Pflanzenkörpers
werden auch sie länger und lassen sich schließlich in den baumartigen Euphor-
hiaceen über meterlange Strecken verfolgen. An Stellen, wo die Pflanze ein-
zelne Glieder abwirft, werden die Milchröhren durch Pfropfen aus geronnener
Substanz verstopft. Die dünnen, elastischen Wände der Milchröhren sind ge-
spannt und drücken auf den Milchsaft, der so nach den Orten, wo er verbraucht
wird oder ausfließt, gepreßt werden kann. Wären die Milchröhren durch Quer-
wände geteilt, so könnte das nicht geschehen. Andere milchende Pflanzen-
Milchsaftbahnen. Meristeme
97
familien, so die Mohngewächse, zu denen auch das durch seinen rötlichgelben
Milchsaft ausgezeichnete Schöllkraut [Chelidonium majus) gehört, sind zu aus-
gedehnten Milchsaftbahnen auf dem Wege von Zellverschmelzungen gelangt.
Sie bieten ein weiteres Beispiel für die bei Pflanzen so seltene, weil durch das
Vorhandensein von Zellwänden erschwerte Verschmelzung von lebenden
Protoplasten zu einer höheren Einheit. Die ,, Milchgefäße", denn so muß man Miichgefäfio.
sie nennen, da sie Zellverschmelzungen darstellen, gehen wo vorhanden aus
Zellreihen hervor, deren Querwände mehr oder weniger vollständig aufgelöst
werden. Diesen Zellreihen entspringen auch seitliche Zweige, die dort, wo sie
aufeinander treffen, durch entsprechenden Schwund der Wände verschmelzen.
So kommt das maschige, einheitliche Milchgefäßsystem bei den betreffenden
Pflanzen zustande. Sowohl in Milchröhren, als auch in Milchgefäßen stellt der
Zellsaft eine Emulsion vor, in welcher nicht nur Endprodukte des Stoffwechsels
als Exkrete, sondern auch Assimilationsprodukte vertreten sind. Zu den Assi-
milaten gehören vor allem Eiweißkörper und Zucker, bei den Wolfsmilcharten
auch geformte Stärke. Letztere zeigt dort vielfach schenkelknochenförmige Ge-
stalten. In dem Milchsaft des Feigenbaumes ist auch ein eiweißlösendes Enzym
vorhanden und in dem Milchsaft des Papiermaulbeerbaums {Broussonetia pa-
pyrifera L.) wurden neuerdings nicht weniger als drei Enzyme nachgewiesen,
ein das Fett verseifendes, ein die Stärke lösendes und ein die Eiweißkörper pep-
tonisierendes, also auffälligerweise ganz wie im Bauchspeichel, demPankreas-
saft der Tiere. Erwähnt wurden schon früher die verschiedenen in Milchsäften
gelösten Alkaloide, die in ihnen suspendierten Kautschuk-, Guttapercha-,
Harz- und Gummikörnchen, Fett- und Gerbstofftröpfchen. Der Gehalt der Milch-
saftbahnen an Assimilaten und Enzymen regt die Vorstellung an, sie müßten
auch als Leitungsbahnen für diese Stoffe dienen. Hierfür scheinen die Fälle zu
sprechen, in welchen eine starke Förderung der Milchröhren die schwache Aus-
bildung anderer Leitungsbahnen auszugleichen scheint. Geeinigt hat man sich
über diese Frage bisher aber nicht.
Vegetativen Verschmelzungen unter lebenden Protoplasten begegnet man zeu-
im Pflanzenreich wohl am häufigsten bei den Pilzen. Denn die Hyphen der '"^^^j'^^^""^^"
letzteren neigen dazuj bei gegenseitiger Begegnung durch Auflösung derWände
in offene Verbindung zu treten.
Das von uns bisher als embryonal bezeichnete Gewebe der Vegetations-
punkte führt auch den Namen ,, Meristem". Da aber das Meristem nicht allein Meristeme uud
auf die Vegetationspunkte beschränkt ist, hat man es dort noch besonders als "''"^"'ß*'''**»«
,,Urmeristem" unterschieden. Fertige Gewebe stellt man den Meristemen als
,, Dauergewebe" gegenüber. Zwischen den Dauergeweben fortbestehende Meri-
steme, die sich somit direkt von dem Urmeristem ableiten lassen, sind, ihrem
Ursprung gemäß, als ,, primäre Meristeme" zu bezeichnen. Außer ihnen gibt es
aber auch ,, Folgemeristeme". Letztere verdanken ihre Entstehung der Fähigkeit,
die lebende, pflanzliche Dauergewebe, die nicht durch spezielle Aufgaben zu
stark verändert wurden, besitzen, je nach Bedarf in den embryonalen Zustand
K.d.G.m.iv, Bd2 Zellenlehre etc. 7
g8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
zurückzukehren. Auf diese Begriffsbestimmungen mußte hier eingegangen
werden, da wir ihrer für später bedürfen. Die verschieden ausgestatteten Ge
webe, die wir zuvor schon in ihrem fertigen Zustand kennen gelernt haben, werden
i'arenchymc und in zwcl Gruppcu, die ,,Parenchyme" und die ,,Prosenchyme" geschieden. Die
Parenchyme bestehen der Hauptsache nach aus nicht stark verdickten, nach
allen Richtungen gleichmäßig ausgedehnten oder nur mäßig gestreckten Zel-
len, die ihren lebendigen Inhalt behalten, lufterfüllte Interzellularen zwischen
sich führen, der Assimilationsarbeit, Stoffspeicherung oder Stoffbeförderung
dienen, an ihren Enden nicht merklich zugespitzt und im allgemeinen unver-
holzt sind. Die Prosenchyme weisen gestreckte Zellen auf, mit zugeschärften
Enden und stark verdickten, meist verholzten Wänden; sie pflegen ihren le-
bendigen Inhalt einzubüßen, der Interzellularen meist vollständig zu entbehren,
und der Wasserleitung oder mechanischen Zwecken oder beiden Aufgaben
zugleich zu dienen. Übrigens gibt es keine scharfe Grenze zwischen diesen Ge-
webegruppen. Denn auch ein Gewebe aus Zellen, die gleiche Ausdehnung in
jeder Richtung zeigen, kann Aufgaben zugewiesen erhalten, die eine starke Ver-
dickung und Verholzung der Zellwände verlangen, welche von einem Rückgang
oder Schwund der Protoplasten begleitet wird. So zeigt sich beispielsweise die
Steinschale in der Pflaume aus annähernd isodiametrischen Zellen aufgebaut,
deren Wände fast bis zum Verschwinden des Lumens verdickt und verholzt
sind. Enge, sich nach außen zu verzweigende Tüpfelkanäle durchsetzen diese
Wände und treffen, von benachbarten Zellen kommend, aufeinander. Der Zell-
inhalt ist bis auf Reste geschwunden. Die Aneinanderfügung dieser Zellen in
der Steinschale ist zudem so, daß sie dadurch Gewölbekonstruktion erhält und
äußerst druckfest wird. • — ■ Die parenchymatische Natur ähnlich stark verdick-
ter und auch entsprechend getüpfelter Zellen wird noch auffälliger in den
steinieiien. , .Steinen", die viele Birnen innerhalb ihres saftigen Fruchtfleisches führen. Auf
entsprechend geführten Schnitten durch solche Birnen bemerkt man in ihrem
dünnwandigen, weitlumigen, saftigen Gewebe Gruppen dieser stark verdick-
ten, weit kleineren Zellen. Diese sind es, die man beim Essen solcher Birnen als
Steinchen empfindet. Sie mögen zur Erhöhung der mechanischen Festigkeit
des die Samen umgebenden Gewebes beitragen. Ein Gewebe, das an-
nähernd die Mitte zwischen Parenchymen und Prosenchymen hält, ist das
Kon<^nchym. Kollcnchym. Je nachdem seine Zellen kürzer oder länger sind, nähert
sich ihre Gestalt mehr jener des Parenchyms oder des Prosenchyms. Sie
können im letzten Fall bis 2 mm lang werden. Sie behalten aber stets ihren
lebendigen Inhalt und verdicken ihre Wände in ganz eigenartiger Weise. Sie
verstärken sie nämlich nicht gleichmäßig im ganzen Umkreis, vielmehr nur ganz
vorwiegend an den Zellkanten. So erhalten sie längsverlaufende Verdickungs-
leisten, die durch schwächer verdickte Wandstreifen getrennt sind. Dadurch
wird der Verband der Verdickungsleisten weniger starr und die Zufuhr von Nähr-
, Stoffen durch die dünneren Wandteile zum Protoplasten erleichtert. An Quer-
schnitten fallen die Verdickungsleisten durch hellen Glanz auf, der von ihrem
starken Lichtbrechungsvermögen herrührt. Die ganzen Wände sind unverholzt.
Gewebesysteme gg
Wegen seiner Leistungen im Pflanzenkörper darf dieses Gewebe ein ganz be-
sonderes Interesse für sich in Anspruch nehmen. Es stellt eine Art pflanzlichen
Knorpels, d. h. eines Skelettgewebes dar, das auf Wachstum eingerichtet ist. .
Seine absolute Festigkeit erreicht hohe Werte, sie steht jener der Bastfaser-
stränge nur wenig nach. Seine Elastizitätsgrenze liegt aber viel tiefer, so daß
jede stärkere Dehnung zu einer bleibenden Verlängerung führt. So ist es mög-
lich, daß dieses Gewebe als mechanische Stütze einem Pflanzenteil dienen kann,
ohne sein Längenwachstum zu hindern.
Alles Dauergewebe, dessen Ursprung sich direkt von dem Urmeristem des Unterscheidung
Vegetationspunktes ableiten läßt, wird ,, primäres Gewebe" genannt. Diese uud' seki^/ämi,
Bezeichnung dehnt man auch auf solche Gewebe aus, die vor beendigtem Gewebe.
Längenwachstum eines Pflanzenteils aus den primären Meristemen, d. h. aus
jenen ursprünglichen Geweben hervorgehen, die ihren meristematischen Cha-
rakter zwischen den Dauergeweben behielten. Alles Dauergewebe, das die
primären Meristeme erst nach vollendetem Längenwachstum eines gegebenen
Pflanzenteils erzeugen, sowie solches, das von nachträglich auftretenden Meri-
stemen, die wir als Folgemeristeme unterschieden haben, gebildet wird, heißt
, .sekundäres Gewebe".
Die Gewebesonderungen nehmen im Pflanzenreiche naturgemäß in dem Fortschreitende
Maße zu, als seine phylogenetische Entwicklung fortschreitet. Ihren Höhe- sonderun- im
punkt erreichte sie erst bei den Landpflanzen, und zwar innerhalb jener Ent- ^^^"'^«''"■e'che.
wicklungsreihe, die von den farnähnlichen Gewächsen aufwärts zu den Phanero-
gamen führte. Es war die diploide Generation bei diesen Pflanzen, der allmäh-
lich alle somatischen Funktionen zufielen. Das kommt zum Ausdruck in der
Vollkommenheit der äußeren Ghederung und des inneren Baues, zu der diese
Generation gelangte. Wir wollen den inneren Bau der Gewächse hier zunächst
in dieser seiner höchsten Vollendung betrachten und daraufhin erst unsere
Blicke auch den Wegen zuwenden, die das Pflanzenreich zurücklegte, um von
den einfachen Gewebebildungen aus solche Höhen der Entwicklung zu er-
reichen.
Auf höheren Stufen der Sonderung lassen sich die Gewebe der Pflanzen Geweiesysteme.
zu drei Gewebesystemen gruppieren: dem Hautgewebe, den Gefäßbündeln und
dem Grundgewebe.
Dicht unter dem Vegetationspunkt einer höher organisierten Pflanze be- Gewebe-
sonderung" unter
ginnt bereits die Sonderung in ungleichartige Gewebe, deren Zellen aber noch dem vegetations-
protoplasmareich sind, dünne Wände besitzen und sich lebhaft durch Teilung ''""'"
vermehren. Erst in größerer Entfernung vom Scheitel treten die besonderen
Merkmale der verschiedenen Gewebe und Gewebesysteme hervor und kenn-
zeichnen sich immer schärfer bis zum Augenblicke ihrer Fertigstellung. — Die
erste Sonderung, die sich unter dem Vegetationspunkt geltend macht, ist die
des Hautgewebes vom Binnengewebe. Dann wird ein Unterschied der Gefäß-
bündelanlagen und des Grundgewebes kenntlich. Zellenzüge, aus denen die
Gefäßbündel hervorgehen sollen, strecken ihre Elemente und bilden ,, Prokam-
biumstränge". Diese behalten am längsten ihren meristematischen Zustand,
100 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
und sofern aus ihnen sogenannte „offene Gefäßbündel" hervorgehen sollen,
verharrt ein Gewebestreifen in ihnen überhaupt in diesem Zustand.
Diese Fertigstellung der Gewebe schreitet an den Sprossen und auch Wur-
zeln der höher organisierten Gewächse im allgemeinen vom Scheitel gegen die
Basis fort. Doch gibt es auch Sprosse, besonders bei Monokotylen, die Zonen
intcrkaiares,,interkalaren" Wachstums behalten, bei welchen bestimmte, vornehmlich basale
ac stum. j^jbschnitte der Stengelglieder meristematisch bleiben, um Orte der Weiter-
entwicklung zu bilden. G. Haberlandt möchte den Vorteil solcher Einrichtun-
gen darin erblicken, daß die Pflanze ohne die Fertigstellung aller ihrer Gewebe
abzuwarten, das verfügbare Baumaterial verwenden kann, um frühzeitig ihre
Blütenregion auszugestalten. Ein besonderer Nutzeffekt erwächst den Gräsern,
so in auffälliger Weise unseren Getreidearten, aus den interkalaren Wachstum-
zonen an der Basis ihrer Stengelglieder. Auch der Laie wird gelegentlich die
Erfahrung gemacht haben, daß diese Stengelglieder dort ganz weich bleiben,
daß man sie infolgedessen bei Zug von oben leicht an diesen Stellen durch-
reißen und aus den Blattscheiden, in denen sie stecken, befreien kann. Ge-
lagertes Getreide verwertet nun diese interkalaren Wachstumszonen, um
sich gegebenenfalls emporzurichten. In einem Getreidehalm, der durch Wind
oder Regen zu Boden gedrückt wurde, regt die Schwerkraft an der abwärts
gerichteten Seite der interkalaren, meristematischen Zonen ein Wachstum
an, das zu knieförmigen Krümmungen des Halmes führt und seine Empor-
richtung veranlaßt.
Biatw^acbstum. Untcr dcu Laubblättern zeichnen sich jene der Farne dadurch aus, daß
sie an ihrer Spitze fortwachsen. Diese Spitzen sind schneckenförmig nach innen
eingerollt und so durch ältere Blatteile geschützt. Manche tropische Farne
weisen Blätter auf, die in solcher Weise fast unbegrenzt fortwachsen können,
und ihre Spitze in dem Maße, als ihre Entwicklung fortschreitet, entrollen. Bei
den Phanerogamen pflegt die Spitze der Blattanlagen rasch fertiggestellt zu
werden, und die Weiterentwicklung an der Blattbasis, in manchen Fällen in
mittlerer Blattlänge sich zu vollziehen , also durch interkalare Wachstums-
zonen. Karl Göbel erblickt in dieser raschen Fertigstellung der Blattspitzen
eine vorteilhafte Einrichtung zum Schutze der jüngsten Knospenteile. Be-
sonders auffällig ist das Voraneilen der Blattspitzen in ihrer Ausbildung bei
vielen tropischen Gewächsen, besonders Kletterpflanzen, an denen sie, nach
den Beobachtungen von M. Raciborski, sofort in die Arbeit der Kohlenstoff-
aneignung eintreten. Sehr deutlich ist eine interkalare Wachstumszone am
Grunde der schwertförmigen Blätter unserer einheimischen, sowie auch der
in unseren Gärten kultivierten M'^arten, deren Blätter im Frühjahr an ihrem
Grunde sich verlängernd, gewissermaßen aus dem Boden hinausgeschoben wer-
den. Auch hier überzeugt man sich leicht, indem man die Blätter an ihrem obe-
ren Ende erfaßt und an diesem zieht, wie wenig Widerstand die Blattbasis der
Durchreißung entgegensetzt.
Die äußerste Mantelschicht der embryonalen Zellen des Vegetationskegels
am Sproßscheitel hoch organisierter Pflanzen ist es, welche die ,, Oberhaut" oder
Spitzenwachstum und interkalares Wachstum. Epidermis lOi
„Epidermis" liefert, die als primäres Hautgewebe die fertigen Pfianzenteile be- Hautgewebe,
deckt. Diese Mantelschicht hat daher den Namen „Dermatogen" oder ,,Proto-
derm" erhalten (Fig. 29 d). Am Vegetationskegel der Wurzeln derselben Pflanzen,
die diese Sonderung am Sproßscheitel aufweisen, wird eine äußerste Zellschicht
als ,,Dermatogen", vielfach erst in einiger Entfernung vom Scheitel, von der
nächstinneren Zellage abgegrenzt (Fig. 30 d).
Der Oberhaut fällt vor allem die Aufgabe zu, die inneren Teile der Pflanze Oberhaut
zu schützen. Je nach der Umgebung, in der die Pflanze lebt, werden aber ver-
schiedene Ansprüche an diese ihre äußerste Zellschicht gestellt. An den ober-
irdischen Teilen der Landpflanzen soll die Oberhaut die Gefahr beseitigen, wel-
che zu starker Wasserverlust durch Verdunstung mit sich brächte; sie hat den
physikalischen und chemischen Angriffen der Atmosphärilien zu trotzen, so-
wie den Angriffen der niederen und nach Möglichkeit auch der höheren Orga-
nismen zu widerstehen. Einförmiger wird ihre
Aufgabe an den unterirdischen Teilen der Land-
pflanzen, leichter an Wasserpflanzen, wo der
Schutz gegen Verdunstung wegfällt, andererseits
freilich die Notwendigkeit sich einstellt, die
inneren Luftbehälter des Pflanzenkörpers dicht
gegen das umgebende Medium abzuschließen.
Die Epidermis ist in derAusgestaltung, die sie
an der diploiden Generation der Pflanzen von den
j.,., . , 1 1 r i- /-> •• 1 r ■• Ä F'g-3S- Flächenansicht der Epidermis auf
flllkOlden, d. h. tarnartigen Gewachsen aufwärts derBlattoberseitevonMercurialisperennls.
gewann, fast immer einschichtig. Ihre Zellen sind vergr. 300.
meist senkrecht zur Oberfläche abgeflacht und lückenlos untereinander verbun-
den. Eine häufige Erscheinung an ihnen ist ihre seitliche ,, Verzahnung" (Fig.35).
Sie gibt sich in dem welligen oder zackigen Umriß der Zellen entsprechender Ober-
häute zu erkennen, die man bei hinreichend starkerVergrößerung von ihrer Außen-
seite betrachtet. Das erklärt sich leicht aus dem Umstände, daß diese Gewebe-
schicht oft genug auf Zugfestigkeit in Anspruch genommen wird. Es geschieht
das unter dem Einfluß vonTurgorspannungen, die sich in den inneren Geweben
einstellen und die Epidermis dehnen möchten, so auch bei jeder Biegung, die ein
Pflanzenteil durch den Wind erfährt. An oberirdischen Pflanzenteilen, soweit sie
auf längere Lebensdauer eingerichtet sind, also an Stengelteilen, Laubblättern,
hingegen nicht an Blumenblättern, weisen die Außenwände der Oberhautzellen
eine stärkere Verdickung auf. Die Verdickung wird besonders bei solchen Verdickung
Pflanzen gefördert, die ihre Transpiration möglichst einschränken müssen. Das ^' '^'^''""^
sind nicht nur Pflanzen trockener Klimate, sondern auch die, welche im Hoch-
gebirge wachsen, wo die Luft verdünnt und die Besonnung sehr stark ist, ja,
unter Umständen selbst Pflanzen feuchter Standorte, so des Meeresstrandes, die
der starke Salzgehalt des Bodens nötigt, ihre Verdunstung einzuschränken, da-
mit nicht zu viel Salz mit dem Bodenwasser in ihren Körper gelange. Doch steht
eine solche Verdickung der Oberhautaußenwände nicht immer nur in Beziehung
zu der Verdunstung, sie wird vielmehr auch in Hinsicht auf mechanische Inan-
I02 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
spruchnahme erzeugt. Das gilt für die lederartigen Laubblätter vieler Tropen-
gewächse, bei denen es auf Herabsetzung der Transpirationsgröße gar nicht
ankommen kann. Wohl aber sollen sie dem heftigen Anprall der fast täghch
sich einstellenden Regengüsse widerstehen. Naturgemäß werden stets an die
mechanische Leistungsfähigkeit derjenigen Oberhautzellen, welche den Rand
von Blättern einnehmen, die höchsten Ansprüche gestellt. Um die Gefahr des
Einreißens der Blattspreite zu vermindern, müssen diese Oberhautzellen ganz
besonders starke Wände erhalten. An manchen Blättern werden bestimmten
Zellenzügen der Epidermis ausschließlich mechanische Funktionen zugewiesen,
und dadurch die Biegungsfestigkeit des ganzen Organs erhöht. Solche Zellen
sind langgestreckt, stark verdickt, von ausgeprägt prosenchymatischem Cha-
rakter. Lehrreich ist es, wenn, wie in den Blättern verschiedener Seggen [Cype-
raceen) namentlich Zypergras- {Cyperus-) Arten, in der Längsachse des Blattes
aufeinanderfolgende, junge Epidermiszellen in mehrere Stockwerke zerlegt
werden, und aus ihren dem Blattinnern zugekehrten Teilen ein Bündel von
Sklerenchymfasern hervorgeht, während die äußeren als Oberhautzellen sich
ausbilden. So kommt gewissermaßen ein Ausgleich der Bedürfnisse zustande, die
sich an diesen Stellen geltend machen.
Einer Verdickung der Außenwände der Oberhautzellen schließt sich in den
Kutinisierung. allermeisten Fällen eine mehr oder weniger starke Kutinisierung ihrer äußeren
Verdickungsschichten an. Die dem Zellinnern zugekehrten bleiben von diesem
Vorgang ausgeschlossen. Durch die Kutinisierung wird die Undurchlässigkeit
der Epidermisaußenwände für W^asser noch gesteigert. Auch ihre mechanische
Leistungsfähigkeit wird dadurch noch erhöht. Mag die Epidermis im übrigen
nur schwach oder stark verdickt, zum Teil kutinisiert oder gar nicht kutinisiert
sein, stets zeigt sie sich an ihrer Außenseite von einem dünnen, ununterbrochen
verlaufenden Häutchen überzogen, das besonders kutinreich ist, selbst kon-
zentrierten Mineralsäuren und auch der Fäulnis längere Zeit widersteht und
Kutikuia. ,,Kutikula" heißt. An sich vermag diese Kutikula, falls sie nicht besonders stark
entwickelt ist, dem Wasser nur in beschränktem Maße den Durchgang zu ver-
. wehren. Das beweisen die Wasserpflanzen, denen eine Kutikula auch zukommt,
welche trotzdem in kürzester Zeit welken und vertrocknen, wenn man sie aus
dem Wasser herausnimmt. Die Kutikula ist im allgemeinen wenig imbibitions-
fähig und bereitet daher der Transpiration und dem diosmotischen Gasdurch-
tritt erhebliche Schwierigkeiten. Doch richten sich die Bewohner besonders
feuchter Standorte auf beträchtliche kutikulare Transpiration ein. In dem
Maße, als sie imbibitionsfähig ist, läßt die Kutikula Kohlensäure und Sauerstoff
passieren und zwar die Kohlensäure leichter als den Sauerstoff. — An den Laub-
blättern tropischer Gewächse pflegt die Kutikula sich durch hohen Glanz auszu-
zeichnen, was die starkenGlanzhchter desLaubes bedingt, die jedemReisenden auf-
fallen. G. Haberlandt möchte darin ein Schutzmittel gegen zu intensive Insolation
erblicken, weil sie die Spiegelung eines Teiles der Sonnenstrahlen an der Blatt-
oberfläche bedingt. Diese wird weiter noch gesteigert durch die geneigten
Stellungen, welche viele Tropenblätter zur Lichtquelle annehmen. Häufig
Ausbau der Oberhaut. Inhalt ihrer Zellen 103
tragen auch ,, Wachsüberzüge" der Oberhaut zu der Herabsetzung der Tran- Wachsüberzu«.
Spirationsgröße bei. Solche Wachsüberzüge sind uns als leicht zu entfernender
,,Reif" an Pflaumen und Weinbeeren wohl bekannt. Es handelt sich um eine
Ausscheidung dieses Pflanzenwachses durch die Wände der Oberhautzellen nach
außen, wo es sich in Gestalt von Körnchen, Stäbchen oder Krusten sammelt.
Solche Wachsschichten können in manchen Fällen recht stark werden, so an den
Blätternder Wachspalme [Coperniciacerijera Marl.), von denen man sie abstreift
und als Carnaubawachs für Herstellung von Firnissen und Kerzen benutzt.
Wachsüberzüge verhindern die Benetzung mancher Pflanzenteile vollständig.
Ein anziehendes Schauspiel bietet es, Wasser den schildförmigen Blättern des
indischen Lotos [N elumbium speciosum) aufzuspritzen. Die Tropfen rollen wie
Quecksilberkugeln an der schräggehaltenen Blattfläche hinab. Es wird an-
gegeben, daß Wachsüberzüge an den Stengeln mancher Pflanzen in der Blüten-
region ein Schutzmittel gegen Ameisen bilden. Die durch Wachs schlüpfrig
gemachte Oberfläche soll sie am Aufstieg verhindern. So können sie nicht zum
Blütennektar gelangen, der den bei der Bestäubung tätigen Insekten vorbe-
halten bleiben muß. — Die Widerstandsfähigkeit der Außenwände einer Ober- Mineraiuciu-
haut nimmt noch zu und wird dann auch zum ergiebigen Schutzmittel gegen '" ^e''"'""^'^"-
Tierfraß, wenn größere Mengen von Kieselsäure oder von kohlensaurem Kalk
in ihre Verdickungsschichten eingelagert sind. Die verkieselte Epidermis der
Schachtelhalme [Equiseten] bringt es dadurch bis zur Härte des Flußspates,
Härte 4 der in der Mineralogie üblichen Mohrschen Härteskala; mit den Frucht-
körnern des Grases [Co2x lacryma Yobi L.) kann man sogar noch Opal ritzen, sie
erreichen die Härte 7 des Quarzes, Daher kommt es, daß diese Körner, die
wie schwachviolette Perlen aussehen und Kirschkerngröße erreichen, zu Rosen-
kränzen benutzt werden. Die Pflanze heißt in Brasilien Lagrimas da Nossa
Senhora, zu deutsch Marienträne oder Tränengras.
Der Protoplast der Epidermiszellen führt nur in bestimmten Fällen Chloro- ini'ait de. ui>ei-
phyllkörner, so bei den Farnkräutern. Im allgemeinen hat die Arbeitsteilung
unter den Geweben dahin geführt, daß die Epidermis von der Assimilations-
arbeit entbunden wurde. Der Protoplast umschließt einen Saftraum, der für
gewöhnlich farblose Flüssigkeit führt. Doch kann dieser Zellsaft unter Umstän-
den rot sein, wie an jenen blutfarbigen Abarten verschiedener Pflanzen oder
jenen roten Frühlingstrieben, mit denen wir uns schon einmal befaßt haben. Dem
Saftraum der Oberhautzellen kommt eine wichtige Bedeutung zu, da es sich
herausgestellt hat, daß zu den gewohnten Aufgaben der Epidermis von Land-
pflanzen auch die Wasserspeicherung gehört. Demgemäß sind die Seitenwände Oberhaut au
der Oberhautzellen dünn. Sie dürfen nicht starr sein, um das blasebalgähnliche '^^"^"^ '
Spiel zu ermöglichen, das der wechselnde Wassergehalt der Zellen verlangt.
Bei Wasserzunahme werden sie glatt emporgerichtet, bei sinkendem Wasser-
gehalt legen sie sich in Falten. Je höher die Epidermis ist, um so mehr Wasser
vermag sie zu speichern. Querschnitte durch Begonienblätter oder etwa auch
durch die Blätter der viel kultivierten Tradeskantien, führen dem Beobachter
Epidermen vor, die höher als das übrige Blattgewebe sind. Unter den Wüsten-
I04 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
pflanzen und sonstigen Pflanzen trockener Standorte gibt es solche, die einzelne
Oberhautzellen nach außen vorstülpen, um ihren Wasserraum zu vergrößern;
manche erzeugen sogar umfangreiche Wasserblasen auf diese Weise und be-
kommen ein Aussehen, als wären sie mit Eisperlen besetzt; so das öfters bei uns
kultivierte Eiskraut [Meseynhryanthemum crystallinum L.). — Zwischen den Ver-
schieimbiidung dickungsschichtcn der Oberhautzellen und ihrer Kutikula tritt in bestimmten
haut. "^^ Fällen eine schleimige und klebrige Substanz auf, welche die Kutikula abhebt
und schließlich sprengt. Das geschieht besonders oft an Knospenschuppen,
doch in vereinzelten Fällen auch an Stengeln, so am Stengel der Pechnelke
[Viscaria vulgaris Roehl.) und anderer Leimkräuter, {Süeneen), die damit
einen Klebring erhalten. Einen solchen Ring vermögen kleine Tiere nicht zu
überschreiten. Er schützt die höher gelegenen Blüten vor unbefugten Gästen,
ähnlich wie ein Pechring, den wir am Stamm unserer Obstbäume anbringen,
größere Tiere hindert, deren Früchte zu erreichen. — Andererseits können Ober-
Hydathoden. hautzellen, bzw. Oberhautzellgruppen, als aktive ,,Hydathoden" für Wasser-
ausscheidung eingerichtet werden. Solche Zellen fallen durch ihren besonderen
Inhalt, vor allem durch große Kerne auf. Einzelzellen, die einer solchen Auf-
gabe obliegen, zeichnen sich auch wohl durch komplizierten Bau aus, so vor-
nehmlich bei Pflanzen, die im feuchten Tropenklima leben. Auf Ausscheidung
süßschmeckender Stoffe sind die Oberhautzellen der meist am Blütengrunde
.Mektaricn. angebrachten ,,Nektarien" eingerichtet, und sie locken mit diesen Stoffen
Bestäuber an.
Vielfach fallen den Oberhautzellen trockner Früchte oder Samen, die den
Einflüssen der Außenwelt längere Zeit widerstehen sollen, außer mechanischen
Aufgaben auch noch besondere Leistungen zu, die in manchen Fällen in sehr
eigenartigen Bauverhältnissen sich äußern. Ein Extrem in dieser Richtung
dürften uns die Samenschalen von Weiderichgewächsen [Lythraceen) darbieten,
die ich hier schildern will, um an ihrem Beispiel zu zeigen, bis zu welchen kunst-
vollen Einrichtungen es eine pflanzliche Epidermis unter Umständen bringen
konnte. Bei der in botanischen Gärten meist kultivierten, nordamerikanischen
Cuphea viscosissima Jacq.*' wird in jeder Oberhautzelle der Samenschale, durch
Verdickung einer mittleren Partie der Außenwand an ihrer Innenseite, ein langer,
zylindrischer Auswuchs erzeugt, der bei weiterer Längenzunahme sich in Win-
ScUeimapparat. dungeu Icgt Und den Zellraum schließlich fast ganz ausfüllt. Bei Wasserzutritt
zu den Samen werden nach einiger Zeit die Stellen der Außenwände, denen die
Auswüchse ansitzen, deckelartig geöffnet und die Auswüchse stülpen sich haar-
ähnlich nach außen vor. Es handelt sich um ein wirkliches Umstülpen des Aus-
wuchses, wobei sein zuvoriger Inhalt nunmehr an seine Oberfläche als Schleim
gerät. Die spiraligen Einfaltungen, die der Auswuchs zeigt, so lange als er in
der Oberhautzelle eingeschlossen ist, werden an der gedehnten Wand des vor-
gestülpten Schlauches unkenntlich. Die Vorstülpung vollzieht sich sehr rasch,
und die vorgeschossenen Schläuche müssen daher allseitig zwischen die Boden-
teilchen eindringen und den Samen befestigen. Der Schleim hält das aufgenom-
mene Wasser energisch fest und sorgt so für anhaltende Feuchtigkeit um den
Exkrete der Oberhaut. Ozellen 105
Samen. Das mag ganz vorteilhaft sein; die Einrichtung, die zu diesem Ergebnis
führt, ist bei alledem recht verwickelt. Es sind eben in Einzelfällen Apparate
bei den Organismen zur Ausbildung gelangt, deren Komplikation nicht ganz
im Verhältnis zu ihrem Nutzen zu stehen scheint.
Seit einer Anzahl von Jahren sucht G. Haberlandt* zu begründen, daß an Oberhaut ais
solchen Laubblättern, welche die Oberseite ihrer Spreite dem Lichte zuwenden, '"" Apparat!""^
— und das tun fast allgemein die ,,dorsiventralen", d. h. mit einer auf äußere
Einflüsse verschieden reagierenden Rücken- und Bauchfläche versehenen Blät-
ter, — 'die Oberhaut der Oberseite auch ein Organ der Lichtperzcption sei. Mit
dieser Funktion bringt G. Haberlandt papillöse Vorwölbungen der Außenwände
der Oberhautzellen, die an den Blättern mancher Schattenpflanzen kegelförmig
werden können, in Verbindung. Sie wirken wie Sammellinsen und sollen das
Licht auf das tiefer gelegene, die Chlorophyllkörner führende Gewebe konzen-
trieren. Die Innenwand der Epidermiszelle wird bei diesem Strahlengang in
ihrer Mitte am stärksten beleuchtet. Bei entsprechender Versuchsanstellung
gelingt es, sich hiervon direkt unter dem Mikroskop zu überzeugen, auch auf
photographischem Wege die erzielte Wirkung festzuhalten. An Oberhäuten,
die an ihrer Außenfläche glatt sind, kann durch die Vorwölbung der Innenwand
gegen das Blattinnere eine ähnhche Strahlenbrechung erzielt werden. Auch
wirken in bestimmten Fällen vorgewölbte Außen- und Innenwände von Epi-
dermiszellen zusammen, um bikonvexe Linsen herzustellen. Noch andere
Pflanzen, wie Colocasia antiquortim Schott, Campanula persicifolia L., sind in
der Mitte der Außenwände ihrer Epidermiszellen mit linsenförmigen Ver-
dickungen aus oft besonders stark lichtbrechender Substanz versehen. Das
sind Tatsachen, welche sicherstehen, während über den Nutzeffekt der Einrich-
tung die Ansichten auseinandergehen. Nach G. Haberlandt handelt es sich um
lichtperzipierende Organe der Pflanze, die er den Sinnesorganen der Tiere zur
Seite stellt. Bei manchen Pflanzen, von denen hier nur die in Peru einheimische
Acanthacee Fittonia Verschaffeltii {Lam.) Coem. genannt werde, wölben sich
aus der Blattoberseite einzelne Epidermiszellen als große Kugeln vor und tragen
eine sehr kleine, bikonvexe Zelle an ihrem Scheitel. Sie zeichnen sich durch be-
sondere optische Leistungen aus. Auf den Blättern unseres Spitzahorns [Acer
platanoides L.) kommt Gruppen abweichend gebauter Oberhautzellen ein sol-
ches Verhalten zu. Bei entsprechendem Lichteinfall zeichnen sie sich vor den
benachbarten Oberhautzellen dadurch aus, daß die Mittelfelder ihrer Innen-
wände hell erleuchtet und von dunklen Randzonen umgeben erscheinen.
G. Haberlandt bezeichnet solche Gebilde als ,, Ozellen", indem er sie mit den
,, Richtungsaugen" mancher niederer Tiere vergleicht. Der optische Apparat
der Epidermen soll in allen Fällen dazu dienen, die Blattspreite über die für sie
günstigste Lichtlage zu orientieren und ihre Einstellung in diese zu veranlassen.
Das ist nun aber der Punkt, gegen den die Angriffe von anderer Seite
gerichtet werden. Der Gegensatz ist nicht ausgeglichen. Tatsächlich gelang
M. Nordhausen der Nachweis, daß Blätter, deren Oberhaut nach Ha-
berlandt einen optischen Orientierungsapparat darstellen sollte, die richtige
io6
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Kühltüpfcl
d.T Oberhaut.
Mehrschichtige
Ob rhaut
Trau1)enförmig<
Körper
der Urticales.
Lichtlage annahmen, nachdem man diesen Apparat an ihnen zerstört hatte.
Seine Leistungen für die Pflanze sind also noch unklar. Die optischen Erschei-
nungen, die G. Haberlandt an ihm konstatierte, stehen andererseits als solche
fest. Sich vorzustellen, daß ein so wirkender Apparat völlig nutzlos zur Ausbil-
dung gelangt sei, hält zunächst schwer. — Als besondere Reizempfänger werden
in der Epidermis gewisser Pflanzen ,, Fühltüpfel" ausgebildet.* Die Ranken der
Kürbisgewächse {Cucurbitaceen) haben sie aufzuweisen, und zwar gewöhnlich
nur an jener Seite, deren Berührung Krümmungsbewegungen auslöst. Dort
zeigt bei den meisten Arten jede Oberhautzelle in der Mitte ihrer Außenwand
einen solchen Tüpfel. Dieser erweitert sich trichterförmig gegen die Oberfläche
und ist von dieser nur durch eine dünne Mem-
bran abgeschlossen. Der Protoplast setzt sich in
dem Tüpfelraum fort und füllt ihn in der Regel
ganz aus. Es leuchtet ein, daß solche Tüpfel den
Reiz jeder Berührung besonders stark empfinden
würden.
Nur verhältnismäßig selten kommen bei den
hochentwickelten Pflanzen auch mehrschichtige
Epidermen vor. Sie entstehen dadurch, daß die
jüngeren Oberhautzellen sich entsprechend teilen.
Das geschieht beispielsweise an den Blättern des
Gummibaumes {Ficus elastica L.) (Fig. 2>^), der in
Ostindien zu bedeutender Höhe heranwächst, bei
uns in kleinen Exemplaren eine häufige Zierde
der Blumentische bildet. Seine großen, an ihrer
Oberseite stark glänzenden Blätter sind beider-
seits mit einer dreischichtigen Oberhaut versehen.
Die äußerste Schicht dieser Oberhaut ist klein-
zellig und dient vornehmlich nur noch einer me-
chanischen Aufgabe; die zweite und besonders die
dritte Schicht besitzt weit größere Zellen und fungiert als Wasserbehälter. Alle
drei Schichten sind chlorophyllfrei. Im mikroskopischen Bilde der Querschnitte
fallen innerhalb der innersten Epidermisschicht in einzelnen besonders stark
angeschwollenen Zellen traubenförmige Körper auf (Fig. 36c). Sie werden von
einem Stiel getragen, der der Außenwand entspringt. Es handelt sich um einen
aus aufeinanderfolgenden Membranschichten aufgebauten, mit Warzen besetz-
ten Membranauswuchs, der mit kohlensaurem Kalk stark inkrustiert ist und
einen Exkretbehälter für diesen Stoff darstellt. Solche ,,Zystohthen" sind in
der Pflanzenreihe der Urticales, zu der auch Ficus gehört, verbreitet und auch noch
in einigen anderen Familien anzutreffen. Den Blättern der die eßbaren Feigen
liefernden Ficus carica L. kommen die Zystolithen ebenfalls zu. Sie füllen auch
in ihnen vergrößerte Zellen der Epidermis aus, die aber bei dieser Ficusart nur
einschichtig ist. Es sind außerdem mehrschichtige Epidermen den Blättern
verschiedener Piperazeen und Begoniazeen eigen, und sie kommen auch an
Fig. 36. Querschnitt durch das Blatt voa
Ficus elastica. c Zystolith, eee drei-
schichtige Epidermis, /j Palisadenparen-
chyra, .y Schwamraparenchym.
Vergr. 240.
Mehrschichtige Epidermis. Wurzelhülle. Spaltöffnungen 107
Wurzeln vor. An gewissen Luftwurzeln erlangen sie sogar, so in den Familien der
Orchideen und zum Teil auch der Arazeen, eine ganz eigenartige, mit besonderen Wurzeiuüu.-
Aufgaben verbundene Ausgestaltung. Sie bilden dort das sog. ,,Velamen radi-
cuni" (Fig.59z;0, eine oft recht starke, pergamentartige Hülle, die weiß erscheint,
wenn sie Luft führt, hingegen grünlich, wenn sie mit Wasser gefüllt ist, weil
dann die tiefer gelegenen, chlorophyllhaltigen Gewebe der Wurzel durchschim-
mern. Auch diese ganze Hülle geht durch fortgesetzte Teilungen aus einer zu-
nächst einfachen Epidermisanlage hervor. Im fertigen Zustande weist sie
Zellräume auf, die mit schrauben- oder netzförmigen Wandverdickungen ver-
sehen sind und nur Luft oder Wasser führen. Ihren lebendigen Inhalt haben
alle Zellen dieser Hülle eingebüßt. Ihre Wände sind oft auch mit Löchern aus-
gestattet. Der Nutzen, den solche Wurzelhüllen den epiphytischen, d. h. auf
anderen Pflanzen oft in bedeutender Höhe über dem Boden in tropischen Wäl-
dern wachsenden Orchideen und Arazeen bringen, ist leicht einzusehen. Denn
das Velamen radicum saugt wie Fließpapier das Wasser auf und vermag es
infolgedessen gleich festzuhalten.
Die Oberhautzellen schließen, wie wir schon erfahren haben, seitlich
lückenlos untereinander zusammen. Dadurch werden solche Lücken in ihrem
Verbände vermieden, die unkontrollierbare Wasserverluste für die Pflanze zur
Folge hätten. Andererseits muß die Pflanze für Transpirationszwecke und Gas-
austausch mit der umgebenden Atmosphäre Öffnungen besitzen, die nach außen
münden, Öffnungen aber, deren Weite nach Bedarf geregelt werden kann. Über
eine solche Einrichtung verfügt sie in ihren Spaltöffnungsapparaten (Fig. 37).
Die ,, Spaltöffnungen" können nur den von Luft umgebenen Pflanzenteilen von Spaitöffuuuger,.
Nutzen sein und fehlen demgemäß jenen, die unterirdisch oder untergetaucht
leben. Auch an oberirdischen Gliedern des Pflanzenkörpers haben sie nur dort
einen Zweck, wo ein mit Zwischenzellräumen versehenes Gewebe an die Ober-
haut grenzt, also nicht an Stellen, wo ein interzellularraumfreies, mechani-
sches Gewebe dies tut. Entwicklungsgeschichtlich gehören die Spaltöffnungen
stets der Oberhaut an, auch da, wo sie im fertigen Zustande nicht in gleicher
Höhe mit ihr liegen. Sie verdanken ihre Entstehung der Teilung junger Ober-
hautzellen, im einfachsten Falle einem Teilungsschritt, durch welchen solche
Zellen in zwei ungleich große Schwesterzellen zerlegt werden. Aus der größeren
Zelle geht eine Oberhautzelle hervor, die andere bildet durch eine weitere Tei-
lung die Spaltöffnung, als deren Mutterzelle sie gelten kann. Vielfach folgen aber
noch mehrere Teilungen in der ursprünglichen Oberhautzelle aufeinander, bevor
es zur Anlage der Spaltöffnungsmutterzelle kommt. Jede Pflanzenart hält an
ihrem Teilungsmodus fest und liefert charakteristische Bilder bei diesem Vor-
gang. So können die aufeinander folgenden Scheidewände bogenförmig ge-
krümmt sein und sich derart schneiden, daß sie einen elliptischen oder drei-
eckigen Raum zwischen sich abgrenzen. Selbst ganz eigenartige, kreisförmige
Wandbildungen kommen bei Farnen vor, durch welche die junge Oberhautzelle
in eine mittlere, ovale Spaltöffnungsmutterzelle und eine sie wie ein Rahmen um-
fassende, ringförmige Oberhautzelle zerlegt wird. Interessant ist es gewiß, daß
io8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
auch solche histologische Eigenheiten bei jeder einzelnen Spezies erblich fixiert
sind, daß man zudem, bei hinreichender Ausdehnung der Untersuchungen alle
Mittelformen zwischen den Extremen bei den jetzt existierenden Pflanzenarteii
noch vorhanden findet und durch ihre Aneinanderreihung sich ein lückenloses
Bild von ihrem phylogenetischen Zustandekommen entwerfen kann.
Die Spaltöffnungsmutterzellen nehmen nach ihrer Anlage elliptische Ge-
stalt an und werden durch eine Längswand in zwei Tochterzellen zerlegt. Diese
verdicken hierauf den mittleren Teil dieser Längswand in ganz bestimmter
Weise, für gewöhnlich so, daß sie dieser oben und unten je eine Leiste ansetzen.
Hierauf spaltet sich diese Längswand an der so verdickten Stelle, und es entsteht
ein Zwischenzellraum, der von außen in das Innere der Pflanze führt (Fig. ^y).
Unter einer solchen Spaltöffnung, deren beide Zellen als ,, Schließzellen" bezeich-
net werden, treten die Zellen des inneren Gewebes auseinander, um einen durch
seine Größe sich auszeichnenden Inter-
zellularraum, den man ,, Atemhöhle"
(Fig. 38.ß) nennt, zu bilden. DieSchheß-
zellen der Spaltöffnung führen stets
Chlorophyllkörner, während die übri-
gen Oberhautzellen, wie wir schon wis-
sen, meist diese Gebilde nicht enthal-
ten. Die Schließzellen benötigen der
Chlorophyllkörner zur Ausübung ihrer
Funktion, die an Turgoränderungen
geknüpft ist. Sie assimilieren kräftig
Fig. j7. Epidermis mit Spaltöffnungen auf der Blatt- ■ T j U|^g J ZCiffCn dcn Erfok ihrer
Unterseite von Helleborus niger. Vergr. 120. HIl i^ICULC UHU /.ClgCU UCH i^liUlg IllICl
Tätigkeit deutlich durch die verhältnis-
mäßig großen Stärkekörner an, die sie in ihren Chlorophyllkörnern bilden.
Aus dieser Stärke gehen aber dann weiter die Stoffe hervor, die, kräftig das
Wasser anziehend, einen osmotischen Druck in den Schließzellen herzustellen
vermögen, der auf 5 bis lO Atmosphären steigen kann.
Der Bau der Schließzellen (Fig. 38), der es mit sich bringt, daß bei steigen-
dem Turgor die Zentralspalte sich erweitert, bei sinkendem Turgor sich schließt,
ist nicht bei allen Pflanzen der gleiche. Wir wollen uns hier darauf beschränken,
die häufigst vorkommende Einrichtung zu erörtern. Das wird genügen, um
uns den Einblick in diese Art von Mechanismen zu gewähren. Wir halten uns
somit an jenen Typus, wo die Verdickung der die beiden Schließzellen trennen-
den Wand zu beiden Seiten der Zentralspalte so angebracht ist, wie zuvor ge-
schildert wurde (Fig. 38^, 39). Steigt der Turgor in derartig gebauten Schließ-
zellen, so wirkt er dahin, sie zu vergrößern und ihre Wände zu strecken. Dieser
Streckung leisten aber die Verdickungsleisten an der Spalte größeren Wider-
stand als die unverdickten Wandstellen. Die der Spalte gegenüberliegenden
Seiten der Schließzellen werden stärker gedehnt, und das hat ihre Krümmung und
eine entsprechende Erweiterung der zwischen den beiden Schließzellen befind-
lichen Spalte zur Folge. Sinkt der Turgor, so nehmen die Schließzellen an Größe
Bau und Funktion der Spaltöffnungen
lOQ
ab, ihre Krümmung wird schwächer, die Spalte demgemäß verengt oder selbst
geschlossen. Der Umstand, daß in beiden Schließzellen ein Streifen Wand,
in halber Höhe an der Spalte zwischen den Verdickungsleisten, dünn blieb, hat
zur Folge, daß er vorgewölbt wird, wenn bei sinkendem Turgor die Schließ-
zellen an Größe abnehmen, und daß er damit zur Verengung der Spalte wirksam
beiträgt. Zarte Schnitte, die einen Spaltöffnungsapparat genau quer halbiert
haben (Fig. 38 ß, 39^1), zeigen, daß die verdickten Membranteile an der Spalt-
seite der Schließzellen oberhalb und unterhalb der Spalte mehr oder weniger
stark vorspringen, wobei sie über ihr oft schnabelartig geformt erscheinen. Ent-
sprechende Reagenzien lehren, daß sie stark kutinisiert sind. An den nämlichen
Querschnitten stellt man auch fest, daß die Schließzellen nicht starr zwischen
den verdickten Außenwänden der angrenzenden Oberhautzellen eingefügt sind,
sondern sich mit ihnen meist wie durch Scharniere seh sp 0
verbunden zeigen (Fig. 39 A, seh). Diese kommen
A
Fig. 38. Epidermis der Blattunterseite von Tradescantia virginica.
y'i von außen. />' im Querschnitt. Die Siialtöffnung zwischen Neben-
zellen, in ä unter ihr die A-temhöhle zu sehen. Vergr. 240.
Fig. 39. Scheraatische Darstellung
des Querschnittes einer mit Schar-
nieren sc/t versehenen Spaltöffnung
in -4; y9 eine Hälfte der entsprechen-
den Flächenansicht. ^ Schließzellen.
jr/ Spalt. Vergr. 375.
durch eine ganz plötzliche Verdünnung der Außenwände an diesen Anschluß-
stellen zustande. S. Schwendener hat sie als ,, Hautgelenke" bezeichnet. So
werden die Schließzellen in ihrer Beweglichkeit weniger gehindert. Den näm-
lichen Nutzeffekt hat in anderen Fällen die Ausbildung von ,, Nebenzellen"
am Spaltöffnungsapparat. Diese Nebenzellen sind angrenzende Oberhaut-
zellen von abweichendem Bau, die sich durch schwächere Verdickung ihrer
Außenwände, auch wohl durch geringere Höhe auszeichnen. Jene zuvor ge-
schilderten Teilungen der jungen Oberhautzellen, die der Bildung des Spalt-
öffnungsapparates vorausgehen, sorgen für diese seine Umgebung. In den
meisten Fällen ersetzen übrigens, wie W. Benecke zeigte, die Nebenzellen der
Spaltöffnungen nicht die Hautgelenke, sondern sie verhindern es, daß bei
Schrumpfungen der Blätter die Leistungen der Schließzellen durch Zug- und
Druckwirkungen zu sehr beeinträchtigt werden. Daher diese Einrichtung be-
sonders häufig bei den durch fleischige Ausbildung ihrer Blätter und Stengel-
teile ausgezeichneten ,, Fettpflanzen" [Sukkulenten) und anderen Bewohnern
trockener Landstriche [Xerophyten) gegeben ist.
Es trifft im allgemeinen zu, wenn man angibt, daß die Spaltweite zwischen
den Schließzellen sich nach dem jeweiligen Bedarf der Pflanze richtet. Doch
iio Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
fand Ernst Stahl, daß einer Reihe von Bäumen, die auf feuchtem Boden leben,
so besonders den Weidenarten, die Fähigkeit, die Transpirationsgröße zu regu-
lieren, abgeht. Sie vermögen nicht ihre Spaltöffnungen zu schließen. Daher ab-
geschnittene Weidenzweige so rasch eintrocknen. Pflanzen, deren Spaltöff-
nungen regulierbar sind, werden sie für gewöhnlich im Lichte öffnen, wodurch
die Abgabe von Wasserdampf aus dem Innern der Pflanze an die Atmosphäre,
die Zufuhrneuen Wassers und der darin gelösten Nährsalze an die assimilierenden
Gewebe gefördert wird. Im Dunkeln, wo die Assimilationsarbeit aufhört, pfle-
gen sich die Spalten hingegen zu schließen. Sie tun es aber auch im Lichte,
falls die gegebenen Bedingungen es verlangen. So stellt sich ihr teilweiser oder
gänzlicher Verschluß bei den meisten Pflanzen während des Welkens ein. Wo
das der Fall ist, hören solche Blätter auch auf, Stärke zu bilden. Doch gibt
es auch solche Pflanzen, wie Calla palustris, Caltha palustris, Hydrangea
hortensis, die beim Welken ihre Spaltöffnungen nicht verschließen, und diese
fahren dann fort, Stärke zu erzeugen. Die größten Spaltöffnungen, die man bis-
her beobachtet hat, besitzen die Gräser. So sind sie beim Weizen 0,079 mni lang
und 0,039 mm breit, ihre Zentralspalte weist dabei 0,038mm Länge bei 0,007mm
größter Breite auf. Die meisten Spaltöffnungen bleiben aber hinter dieser Größe
bedeutend zurück. Daß die Spaltöffnungen trotz ihrer Kleinheit so wirksam
den Gasaustausch vermitteln, erklärt sich aus physikalischen Ursachen. Denn
es ist in neuerer Zeit H. J. Brown und F. Escombe der wichtige Nachweis ge-
lungen, daß die Geschwindigkeit der Diffusion durch Öffnungen in einer dünnen
Scheidewand nicht der Fläche, sondern dem Radius der Öffnungen proportional
ist. Die Diffusion durch eine Summe feiner Öffnungen ist aus diesem Grunde
weitaus größer, als durch eine einzige Öffnung von entsprechender Gesamt-
weite. Beträgt zudem die Entfernung der kleinen Öffnungen etwa das Zehn-
fache ihres Durchmessers, so fällt die Diffusion fast ebenso stark aus, als wenn
überhaupt keine trennende Membran vorhanden wäre. So aber liegen an-
nähernd die Verhältnisse für die Verteilung der Spaltöffnungen in den Epider-
men, sofern es auf eine möglichst vollständige Ausnutzung dieser Apparate
ankommt. Die Pflanze hat in diesem Falle, wie in so vielen anderen ihrer Lei-
stungen, im Laufe der phylogenetischen Entwicklung ein physikalisches Prin-
zip mit Vorteil ausgenutzt, das wissenschaftlich aufzuklären erst der Neuzeit
vorbehalten blieb. — Die größte Zahl von Spaltöffnungen, die bis jetzt auf einem
Quadratmillimeter Blattfläche festgestellt worden ist, beträgt 716. Sie wurde
vor langer Zeit schon durch Franz Unger für Rübsen [Brassica rapa L.) an-
gegeben. Im allgemeinen bewegt sich diese Zahl zwischen 100 und 300, womit sie
jedenfalls die für den Gasaustausch der Pflanze erwünschte Leistungsfähigkeit
erreicht, auch in betreff der Kohlensäure, die, weil in geringer Menge in der Luft
vertreten, eine schwache Partiärpressung besitzt und daher nur schwer auf
anderem Wege dem Pflanzeninnern zugeführt werden kann. Ein Blatt des
in unseren Gärten häufigen Katalpenbaumes absorbiert in der Zeiteinheit etwa
zwei Drittel der Kohlensäure, die von einer gleich großen, freien Kalilaugen-
fläche aufgenommen wird. Fritz Neil hat berechnet, daß einem einzigen, mittel-
Größe, Zahl und L'inbildung von Spaltöffnungen iii
großen Kohlblatt etwa ll Millionen, einem solchen Sonnenblumenblatt {Helian-
thus annuus L.) 13 Millionen Spaltöffnungen zur Verfügung stehen. Bei den
dorsiventralen Laubblättern der Landpfianzen hat die Arbeitsteilung meist da-
hin geführt, daß nur noch die Unterseite der Spreite Spaltöffnungen führt.
Schwimmende Laubblätter von Wassergewächsen können naturgemäß nur an
ihrer der Luft zugekehrten Oberseite Spaltöffnungen gebrauchen. Manche sub-
merse Wasserpflanzen haben ihre Spaltöffnungen noch nicht ganz eingebüßt,
sie aber entsprechend der Umgebung verändert, man könnte sagen, unschädlich
gemacht. Da gibt es Fälle, wo die Spaltöffnung zunächst noch normal ausge-
bildet wird, aber ihre Spalte dauernd geschlossen bleibt, andre, wo diese Spalte
besondere Verschlußeinrichtungen erhalten hat, schließlich solche, wo die beiden
Schließzellen sich überhaupt nicht mehr voneinander vollständig an der Spalt-
seite trennen. So wird dieses Organ nach und nach reduziert.
Es liegt, so scheint es mir, nah, diejenigen Fälle, in welchen wir die Spalt-
öffnungen in gleicher Höhe mit den übrigen Epidermiszellen angebracht, zudem
in der vorteilhaftesten Entfernung voneinander verteilt finden, für die ur-
sprünglichsten zu halten. Der oberste Grad der Leistungsfähigkeit der Spalt-
öffnungen konnte aber in der Folge vielen Pflanzen gefährlich werden, wenn
ihnen unter veränderten Bedingungen das Wasser für so ergiebige Transpi-
ration nicht mehr zur Verfügung stand, oder die Bodensalze in zu konzentrierter
Lösung ihre transpirierenden Organe erreichten. Da erst bildeten sich ver-
schiedene sekundäre Einrichtungen aus, um die ursprüngliche Höhe der Lei-
stung herabzusetzen. Am häufigsten wurde das durch Versenken der Spalt-
öffnungen in die Epidermis erreicht. Die beiden Schließzellen kamen dann tiefer
als die umgebenden Epidermiszellen zu liegen, so daß nur ein Kanal zwischen
diesen zu ihrer Spalte hinabführte. So war ein ,, windstiller Hohlraum", eine
,, äußere Atemhöhle" über dem Spaltöffnungsapparat geschaffen. Unter Um-
ständen wurde ein ähnliches Ergebnis durch starke Förderung der oberen Ver-
dickungsleisten über der Spalte, die zusammenneigend einen windstillen Hohl-
raum dort herstellten, erreicht. Eine baumartige Wolfsmilchart der afrikani-
schen Dornbuschsteppe, die Euphorbia tiriicalliL., mit fingerdicken, besenartig
angeordneten Zweigen, sezernierte einen Wachsring um jede Spaltöffnung und
umgab sie auf solche Weise mit einer äußeren Atemhöhle. Die Aufgabe, die
Transpirationsgröße herabzusetzen, kann auch den unter der Spaltöffnung be-
findlichen, die Atemhöhle umgebenden Gewebezellen zufallen, und von diesen
sogar, bei längerer Trockenheit, eine völlige Verstopfung der inneren Mün-
dungsstelle der Spalte vollzogen werden. — Der in der mediterranen Region so
verbreitete Oleanderstrauch, welcher dort alljährlich eine längere Dürrezeit zu
überwinden hat , versenkt seine Spaltöffnungsapparate in mit Haaren ver-
hüllte Höhlungen, die sich an der Unterseite der Lamina befinden. Von den
Seitenwänden dieser Höhlungen ragen in ihr Inneres kegelförmige Erhebungen
hinein, die mit je einer Spaltöffnung abschließen. Unter Umständen gilt es
auch an feuchten, schattigen Standorten die Transpirationsgröße durch be-
sondere Einrichtungen zu steigern. Zu diesen rechne ich die Erhebung der
112 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Spaltöffnungen über die Epidermis, die beispielsweise bei Farnen öfters vor-
kommt.
Einen ganz auffälligen Funktionswechsel haben die Spaltöffnungen in
solchen Fällen erfahren, in welchen sie zum Zweck der Ausscheidung von tropf-
barflüssigem Wasser Verwendung fanden. Sie führen dann den Namen von
Wasserspalten.,, Wasserspalten" (Fig. 40). Sie unterscheiden sich von den dem Gasaustausch
dienenden Spaltöffnungen dadurch, daß ihre Schließzellen von Anfang an un-
beweglich sind oder ihre Beweglichkeit bald einbüßen. Demgemäß sind auch
die charakteristischen Verdickungsleisten an der Spalte bei ihnen entweder gar
nicht vorhanden oder doch nur schwach ausgebildet. Sie sterben auch bei ver-
schiedenen Pflanzen frühzeitig ab oder verschwinden gänzlich. Sie zeichnen
sich oft durch eine für solche Gebilde sehr auffällige Größe aus. Unsere Kapu-
zinerkresse, {Tropaeolu77i7najus L.), würde ein Bei-
spiel für Wasserspalten mit toten Schließzellen ab-
geben. Man findet bei ihr die Wasserspalten, meist
zu mehreren vereint, am Rande der schildförmigen
Spreite, an den Stellen, wo dieser Rand schwache
Einsenkungen zeigt. Ihre Spalten stehen weit offen .
Früh am Morgen haften dem Blattrande an den
Stellen, wo sie sich befinden, klare Wassertropfen
an, die dann bald verdunsten. Aus den enormen
Wasserspalten, die sich an den Blattspitzen ver-
schiedener, auch in unseren Gewächshäusern kulti-
Fig. 40. Wasserspalte vom Blattrande des . /->i • j/~>ij" t_£lj 1
Tropaeoium maj US, nebst angrenzenden Epi- vicrtcr Lolocasicn und Laladicn befinden, kann
dermis^euen. Vergr. aoo. ^^^ ^^^^^ günstigcn Bedingungen Wasscr ab-
tropfen sehen. So zählte Hans Molisch bei Colocasia antiquorum Schott bis zu 163
abfallende Tröpfchen in der Minute, und er sammelte von einem noch jungen Blatt
von Colocasia nymphaeijolia Kih. 48 bis 97 Kubikzentimeter ausgeschiedener
Flüssigkeit in einer Nacht. — An submersen Pflanzenteilen sind Wasserspalten
eine verbreitete Erscheinung. Sie sterben meist frühzeitig ab, werden auch
oft mitsamt dem angrenzenden Gewebe desorganisiert, so daß offene Grübchen
entstehen, durch welche Wasser und in ihm gelöste Stoffe hervorgepreßt wer-
den. Vorwiegend nehmen solche Grübchen als ,, Apikaiöffnungen" die Blatt-
spitzen ein.
Haare Einc außerordentliche Mannigfaltigkeit der Gestaltung und der Funktion
der Oberhaut. j^Qj^^j^^ jcncn Anhangsgcbildcn der Epidermis zu, die als ,, Haarbildungen" zu-
sammengefaßt werden. Ihre Bedeutung für die Pflanzen ergibt sich in ein-
leuchtender Weise aus dem Umstände, daß nur wenige Pflanzenfamilien existie-
ren, denen solche Gebilde ganz abgehen. Bei manchen Pflanzen sind sie aber
nur an jugendlichen Teilen auffällig, um später mehr oder weniger vollständig
zu schwinden. Sie decken beispielsweise junge Blätter, um sie gegen zu starke
Belichtung und Verdunstung zu schützen, vornehmlich an jener Seite, die bei
ihrer Entfaltung aus der Knospe zuerst zum Vorschein kommt. Die einfachste
Art der Haarbildung beruht auf einer kegelförmigen Vorwölbung der Oberhaut-
Papillen. Haarbildungen li^
Zellen, wodurch Papillen (Fig. 41) entstehen. Ernst Stahl hat auf den durch i^apuien.
Papillenform der einzelnen Oberhautzellen veranlaßten, eigentümlichen Sam-
metglanz der Blattoberseite vieler Tropenpflanzen hingewiesen. Diese Papillen sammetgianz
fördern die Benetzbarkeit der betreffenden Blattseite bei Regengüssen. Das^^pfl^J"^*"""
Wasser wird infolgedessen sofort über die Blattfläche verteilt und kann nur
eine sehr dünne Schicht auf ihr bilden, da der Überfluß fortdauernd abträufelt.
Solche Blätter werden demgemäß, wenn der Regen aufhört, sehr rasch trocken,
was die Transpiration aus ihrem Innern in erwünschter Weise begünstigt. Zu-
gleich sollen die Papillen dieser Blätter als Strahlenfänger fungieren, indem sie
ähnlich wie Sammellinsen wirken und das spärliche Licht, welches diese an
schattigen Stellen wachsenden Pflanzen erreicht, konzentrieren. Auch an Blu-
menblättern sind solche Papillen verbreitet und verleihen ihnen ein sammet-
artiges Aussehen. — In einer bestimmten Region der Wurzel, nicht fern von
ihrer Spitze, wachsen die Oberhautzellen zu schlauchförmigen Haaren, den
,, Wurzelhaaren" aus, die je nach der Pflanzenart 0,15 bis 0,8 mm lang wer- wurzeihaare.
den, zwischen die Erdteilchen eindringen, sich ihnen fest anschmiegen, durch
Verschleimung ihrer äußersten Wandschicht mit
ihnen verkleben und so dem Boden sogar die von
ihm besonders stark festgehaltenen Nährstoffe, wie
Kali- und Ammoniaksalze, Phosphate und Eisen
zu entreißen vermögen. Aus dem nämlichenGrunde
gelingt es den Wurzeln, einem Erdboden, der für Fig. 41. überbaut vom Biumenbiatte des
unserGefühl fast trocken erscheint, noch namhafte f"^^ffr''T'^'1^'t°'°.nH''eliel"
' lea mit laltenartigeii Leisten au den bei-
Mengen Wasser abzugewinnen. Infolge ihrer großen tenwänden und mit vorspringenden p.a-
... . Pillen. Vergr. 250.
Zartheit sind die Wurzelhaare nur kurzlebig, so
daß sie fortdauernd durch neue, die an den jüngeren Teilen der wachsenden
Wurzeln entstehen, ersetzt werden. Die Wurzeln solcher Pflanzen, die sapro-
phytisch leben, d. h. in humusreichem Boden von abgestorbenen, organischen
Substanzen sich ernähren, bilden hingegen keine Wurzelhaare. Sie haben sich
aber mit Pilzen vereinigt, deren Fäden als ,,Mykorrhiza" ihre Wurzeln um- Mykorrhiza.
spinnen und die Aufgabe der Wurzelhaare verrichten. Auch der Pilz findet in
diesem Verbände, dereinen Fall sog. Symbiose darstellt, seinen Vorteil: er erhält
als Gegenleistung bestimmte Stoffe von der Wurzel zuerteilt. — Die Protoplasten
der Haare, die an oberirdischen Sprossen als Lichtschirm wirken oder die Tran- Behaarung
spirationsgröße herabsetzen sollen, pflegen frühzeitig abzusterben. Solche Haare p^^^^^^^J^^^p'^j^J
sind im allgemeinen mehrzellig, dabei unverzweigt oder verzweigt. Die erste
Scheidewand, die in einem solchen Haar angelegt wird, pflegt das in der Epidermis
steckende Fußstück des Haares von seinem eigentlichen Körper zu trennen. In-
dem die Haare durcheinander wachsen und sich mannigfach verflechten,
stellen sie jene wolligen oder filzigen Haarkleider her, die den Pflanzen ein weißes,
oft mattes, doch unter Umständen auch seiden- oder silberglänzendes Aussehen
verleihen. An dorsiventralen Laubblättern wird eine solche Behaarung der Ober-
seite einen Schutz gegen zu viel Licht bedeuten, an der Unterseite die Verdun-
:stung mäßigen. Je nach den Standortsverhältnissen kann dieselbe Pflanzenart
K.d.G. Iir.iv, Bd2 Zellenlehre etc. 8
114
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Borsten.
Hrennhaare.
ein verschieden starkes Haarkleid besitzen. — Besonders schön geformte
Schuppenhaare weisen verschiedene Vertreter der Famihe der Ölweidengewächse
{Elaeagnaceen) auf, so der in unseren Gärten kultivierte Oleaster {Elaeagnus an-
gustijolia L.), oder jener Sanddorn {Hippophaes rhamnoides L.), der durch seine
orangeroten Beeren im Herbst an den Ufern der Ostsee so sehr auffällt. Die
Schoppenhaare. Schuppcnhaare dieser Pflanzen haben die Gestalt großer, flacher, der Unterlage
angeschmiegter, aus schmalen, radial zusammengefügten Zellen aufgebauter
Sterne. — Haare, die als Waffen Verwendung finden, treten in einfachster
Ausbildung als steife, kurze, einzellige Borsten, die an ihrem Ende
scharf zugespitzt sind und stark verdickte,oft verkalkte oder verkieselte
Wände besitzen, in die Erscheinung. Die vorspringenden Höcker und
Knötchen, mit denen diese Haare an ihrer Oberfläche besetzt sind, be-
wirken es, daß sie in den Weichteilen eines Tieres, sofern sie in diese
eingedrungen sind, festhaften. Ganz besonders ist das der Fall, wenn
sie mit Widerhaken versehen sind, was jeder erfahren hat, falls er eine
Opuntia berührte, deren Angelborsten ihm dann unvermeidlich in die
Haut drangen. — Auch die Wirkung der Brennesselhaare hat jeder schon
an sich erprobt. Es sind das steife, einzellige Haare, die so wie andere
Haare, welche die Pflanzen zu ihrer Verteidigung tragen, annähernd
senkrecht von ihrem Körper abstehen. Das Haar (Fig. 42) ist scharf zu-
gespitzt, an seinem Grunde blasig angeschwollen. Diese Anschwellung,
der ,, Bulbus" steckt in einem Becher, der sich als kleines, von Epider-
miszellen überzogenes Säulchen aus der Unterlage erhebt und so dazu
beiträgt, das Brennhaar vorzustrecken. Die Haarwände sind in den un-
teren Teilen verkalkt, im oberen verkieselt. Die Spitze läuft in
ein kleines, schief angefügtes Köpfchen aus. Dieses bricht bei
der leisesten Berührung ab, entsprechend seiner schrägen An-
satzstelle, an welcher die Haarwandung verdünnt ist. So endet
das Haar nunmehr in einer scharfen Spitze, ganz ähnlich wie
eine Einstichkanüle. Diese dringt in die Wunde ein, in welche
p. u h der giftige Inhalt des Haares entleert wird. Nach G.Haberlandt
rig. 42. Brennhaar von o o
Urtica dioica, nebst einem besteht dicscs Gift in cincr gelösten, eiweißartigen Substanz,
Stück Epidermis, auf _ , r^-r ■ ■>
diesem rechts eine kleine dlc sich dcn Enzymcu anschlicßt. Die Giftwirkung unserer
Borste. vergr.6o. Brcnncsselarten hat der Mensch bald überwunden, doch gibt
es tropische Vertreter derselben Gattung Urtica, die dem, der sie berührt hat,
langandauernde Schmerzen verursachen können, unter Umständen starrkrampf-
ähnliche Zustände und selbst den Tod herbeiführen. Auffallend ist gewiß, daß
ganz verschiedene, im System weit auseinanderstehende Pflanzenfamilien, welche
Brennhaare besitzen, in der Ausgestaltung dieser Organe dem nämlichen Weg
gefolgt sind. Denn derselbe auffäUige, zweckentsprechende Bau der Brennhaar-
spitze kehrt bei Urtikazeen, Loasazeen und Hydrophyllazeen wieder. Die An-
hänger der Vorstellung, daß die Entwicklung der Organismen durch zweckent-
sprechende Reaktionen auf äußere Einwirkungen beeinflußt worden sei, erblicken
in solchen Erscheinungen eine Stütze ihrer Auffassung. ■ — ■ An der Ausbildung des
Trichome und Emergenzen 1 1 c
Säulchens, das als Träger des Brennesselhaares fungiert, sahen wir bereits außer
der Epidermis auch das unter ihr befindliche Gewebe sich beteiligen. Derartige
nicht rein epidermale Auswüchse werden als,, Emergenzen" bezeichnet und den
eigentlichenHaaren oder ,,Trichomen", denen die Epidermis allein den Ursprung Auswüchse,
gibt, gegenübergestellt. Die ,, Stacheln" der Rose geben ein typisches Beispiel für ^'"^'■ee°""-
Emergenzen ab. Sie sind von gestreckten, verdickten Oberhautzellen bedeckt und
von subepidermalem Gewebe im Innern erfüllt. Die dem Stengel einer Rose
aufsitzenden Stacheln lassen sich durch entsprechend starken, seitlichen Druck,
den man gegen sie ausübt, glatt von dessen Oberfläche ablösen, weil eine Tren-
nungsschicht unter ihnen vorhanden ist, mit deren Hilfe sie von älteren Stengel-
teilen abgeworfen werden. Unter den Stacheln an den Blattstielen der Rose
fehlt diese Trennungsschicht; da fallen eben die Stacheln zusammen mit dem
ganzen Blatt von der Pflanze ab. Wir haben diese Waffen der Rose als Stacheln
bezeichnet und nicht als ,, Dornen", weil in der botanischen Terminologie unter
letzterem Namen nicht Hautgebilde, sondern ganze Glieder des Pflanzenkör-
pers, die zu Verteidigungszwecken umgestaltet sind, zusammengefaßt werden,
also metamorphosierte Sprosse, Blätter oder Nebenblätter. Der botanischen
Terminologie nach müßte somit das Sprichwort ,, Keine Rose ohne Stacheln"
lauten. Dornen lassen sich nicht so leicht wie Stacheln von der Oberfläche eines
Pflanzenteils entfernen, weil sie weiter in seinem Innern ihren Ursprung nehmen
und somit dort auch tiefer inseriert sind. Zudem erscheinen die Stacheln, als
Emergenzen, regellos über die Pflanzenoberfläche zerstreut, während Dornen
eine den Gliedern des Pflanzenkörpers, aus denen sie hervorgingen, entsprechend
regelmäßige Verteilung zeigen.
Wie die Haare und Emergenzen, die der Verteidigung dienen, müssen auch Kiettei-, Hatt-,
solche Haare und Emergenzen, die den Pflanzen beim Klettern helfen, oder und Auswücble.
Haftorgane, Flug- und Fühlapparate an ihnen darstellen, mehr oder weniger
stark von deren Körper abstehen. In bestimmten Fällen läßt sich beobachten,
daß Haare, die jugendlichen Pflanzenteilen angeschmiegt waren, um sie gegen
zu starke Belichtung oder Ausdunstung zu schützen, an älteren Pflanzenteilen
durch bestimmte Wachstumsvorgänge oder aus mechanischen Ursachen sich
aufrichten. Kletterhaare pflegen meistens so eingerichtet zu sein, daß sie das
Aufwärtswachsen der Pflanze, an der sie sich befinden, zwischen anderen Pflan-
zen, die ihr als Stütze dienen, nicht hindern, wohl aber das Hinabgleiten. So
kommt es, daß man das als ,, Kleber", auch wohl als ,, Teufelsdraht" bekannte,
lästige Unkraut, das kletternde Labkraut {Galium aparine L.) viel leichter aus
seiner Umgebung befreien kann, wenn man es aufwärts, als wenn man es ab-
wärts zieht. Seine stark verdickten, spitzen Haare sind eben alle sichelförmig
nach unten gekrümmt. Die schlingende Hopfenpflanze ist mit zweischenkligen
,, Ankerhaaren" ausgestattet, deren Schenkel in der Weise schräg gestellt sind,
daß sie das Abwärtsgleiten erschweren. Den einzelligen Kletterhaaren der
Loasazeen sitzen als Membranverdickungen wirksam ausgestattete, quirlig an-
geordnete Widerhaken auf. Auch die Stacheln unserer Rosen- und Brombeer-
arten dienen nicht allein als Waffen, sondern zudem als Kletterorgane und
8*
ii6
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Fallschirme
der Kompositen
fruchte
Baumwolleu-
haare.
zeigen demgemäß eine Abwärtskrümmung. Bei den „Hakenkletterern" der
Tropen sind es im allgemeinen nicht Stacheln, sondern Dornen, welche die ent-
sprechende Aufgabe in mannigfaltiger Ausbildung erfüllen. Die Mannigfaltigkeit
der Formen, die sich in der Ausbildung von widerhakenförmigen und krallen-
artigen Haftorganen äußert, wächst noch, wenn Früchte und Samen mit in Be-
tracht gezogen werden. So ausgerüstete Früchte und Samen haften an Tieren
fest, mit denen sie zufällig in Berührung kommen, und das fördert naturgemäß
ihre Verbreitung auf Entfernung. Aus eigner Erfahrung wissen wir, wie schwer
es oft ist, von solchen Gebilden unsere Kleider zu befreien, wenn sie an diesen sich
festsetzten. An Früchten können diese
Haftorgane ansehnliche Größe errei-
chen und dann nicht rein epiderma-
len Ursprungs sein, sondern Emergen-
zen darstellen. Das gilt von den anker-
förmigen Emergenzen, die den Früch-
ten der Cynoglossen, ,, Hundszungen",
aufsitzen und über einen halben Milli-
meter lang werden. — Von den Haaren,
die an Samen sich finden, haben für
den Menschen die größte Bedeutung
die Baumwollenhaare (Fig. 43) erlangt.
Sie entspringen den Oberhautzellen
der Samenschale von Gossypiumarten,
Pflanzen, die den Malvengewächsen an-
gehören. Diese Haare sind einzellig,
erreichen dessenungeachtet eine Länge
bis 6 cm. An reifen Samen führen sie
Luft, sind etwas abgeflacht und um
ihre Achse gedreht. Ihre Wand ist ziem-
lich dick, sehr fest, dabei unverholzt
und sehr biegsam, von einer zarten Ku-
tikula umgeben. Die walnußgroße Fruchtkapsel springt bei der Reife klappig
auf, und dann drängt sich die Wolle in Ballen aus ihr hervor. — Der Baum-
wollsamen ist von solchen Haaren allseitig umhüllt. An anderen Samen
bilden solche Haare Schöpfe oder Fallschirme. Bei den Kompositen sind es die
sich nicht öffnenden, nur je einen Samen bergenden ,, Schließfrüchte", die an
ihrem Scheitel einen fallschirmartigen Apparat tragen, der es bewirkt, daß eine
solche Frucht durch den Wind weithin verbreitet wird. Der Fallschirm der
Kompositenfrüchte geht fast stets aus dem zum ,,Pappus" umgestalteten
Blütenkelch hervor und baut sich aus vielzelligen Borsten auf, die mit wenig-
zelligen bis einzelligen Haaren besetzt sind. Wie ein solcher Flugapparat wirkt,
weiß man von seinen Kindesjahren her sich zu erinnern, als man sich be-
mühte, die sämtlichen Früchte aus einem Fruchtstand des Löwenzahns, der
auch Kuhblume heißt [Taraxaciim officinale Weher), auf einmal fortzublasen.
Fig. 43. Samenhaare der Baumwolle, Gossypium herbaceum.
A ein Stück der Samenhaut mit Haaren, 3 mal vergrößert.
ß, Ansatzstelle und unterer Teil, H^ mittlerer l'eil, ß^ oberer
Teil eines Haares, 300 mal vergrößert.
WoU-, Flug- und Köpfchenhaare
117
Der große Formenreichtum anTrichomen und Emergenzen, der uns bereits Sezemierende
, . . , . 1 /-• 1 •! j Ilaarc und
aufgefallen ist, wächst noch weiter, wenn wir uns zu den sezernierenden Gebilden Auswüchse,
dieser Art wenden. In den verschiedensten Pflanzenfamilien treten uns wasser-
ausscheidende Trichome als aktive Hydathoden, in Gestalt mehrzelliger Keu-
len-, Köpfchen- und Schuppenhaare entgegen. Ihre Zellen pflegen mit Inhalt
dicht angefüflt zu sein. Nach der Fußzelle hin, mit der sie in der Epidermis
stecken, konvergieren tiefer gelegene Gewebezellen oft in auffälliger Weise. Die
Kutikula ist an solchen Haaren sehr dünn, um dem Wasser den Durchgang
nicht zu erschweren, in manchen Fällen sogar siebartig durchlöchert. • — An
Knospenschuppen und jugendlichen Blattanlagen wird von ähnlichen Tricho-
men Schleim ausgesondert, der ein Schutzmittel gegen Austrocknung darstellt.
Entsprechende Schleime bilden an den Vegetationspunkten von Wasserpflanzen
ein Abwehrmittel gegen Tiere. — An solchen Landpflanzen, deren jugendliche
Teile von besonderen, fest anschließenden Blattscheiden umhüllt sind, erleich-
tert der Schleim das Herausgleiten der sich entfaltenden Anlagen aus diesen.
Die Menge des erzeugten Schleimes ist unter diesen Umständen oft recht be-
deutend, wie man sich davon im besondern an
sprossenden Knöterich- {Polygo7i um) oder Rha-
barber- {Rheum) Arten überzeugen kann. —
In Winterknospen pflegt der ausgeschiedene
Schleim besonders reich an Harzen und äthe-
rischen Ölen zu sein. Unter diesen an den freien
Oberflächen der Pflanzen von Haaren ausge-
schiedenen Stoffen sind oft Endprodukte des
Stoffwechsels vertreten, die ein wirksames
Schutzmittel gegen Tierfraß darstellen. Wir
haben schon bei Besprechung der ätherischen
Öle der giftigen Ausscheidung Erwähnung ge-
tan, die von den Drüsenhaaren mancher Pri-
meln geliefert wird. Diese Haare (Fig. 44) be-
stehen aus einem in der Epidermis steckenden,
einzelligen Fußstück, das sich in eine Reihe an Länge abnehmender Stiel-
zellen fortsetzt, die in einem einzelligen, runden Köpfchen endigen. Dieses
scheidet unter seiner Kutikula den gelben, stark lichtbrechenden, öligen Stoff
aus. Durch ihn wird die Kutikula zunächst stark gedehnt und schließlich ge-
sprengt. Ganz ebenso sind die Drüsenhaare gebaut, denen die Pelargonien
ihren charakteristischen Duft verdanken. In anderen Fällen sehen wir die
Köpfchen an den Drüsenhaaren mehrzellig oder vielzellig werden und ent-
sprechend auch die Zellenzahl in ihren Stielen zunehmen. Wo ,, Drüsenschup-
pen" vorliegen, hat sich das Köpfchen abgeflacht, dann auch nicht selten
schüsseiförmige Gestalt angenommen. Ein Beispiel für Drüsenschuppen, das
besonders häufig genannt wird, bilden die Hopfendrüsen (Fig. 45), welche das Hopfendrüseu
Lupulin liefern, jenen harzigen Stoff, der dem Bier seinen bitteren Geschmack
verleiht. Sie sitzen an den Deckblättern und Blütenhüllen der zapfenartigen,
Fig. 44. Drüsen-
haar vom Blattstiel
der Primula sinen-
sis, oben das^ekret.
(Nach DB Baky.)
Vergr. J42.
Fig. 45. Drüsenschuppen
von den weiblichenBlüten-
ständen des Hopfens (Ku-
mulus Lupulus) im senk-
rechten Durchschnitt.
A Vor Beginn der Sekret-
bildung. B Die Kutikula
durch das Sekret empor-
gehoben, das Sekret durch
Alkohol entfernt. (Nach
DK Bary.) Vergr. 142.
Prinielhaarc.
ii8
Eduard Strasbubger; Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
weiblichen Kätzchen, weshalb der Hopfen, da er getrenntgeschlechtlich ist,
nur in weiblichen Individuen angebaut wird. Jede einzelne Hopfendrüse gleicht
einer kleinen, kurzgestielten Schüssel. Sie ist nur eine Zellschicht stark. Die
Sekretion des Lupulins erfolgt an der konkaven Oberseite der Schüssel unter
der Kutikula und treibt diese stark blasig auf. Dem bloßen Auge erscheinen
diese Drüsen alsdann wie gelbliche, den sie tragenden Blattgebilden anhaf-
Drüsenschuppen teudc Körncr. Kunstvollcr noch sind die kreisförmigen Drüsenschuppen ge-
der Alpenrosen. ^^^^^ dic cinzcln in Grübcheu der Blattunterseite bei den Alpenrosen [Rhodo-
dendron ferrugineum L., R. hirsutumL., R.inter medium Tausch) stehen (Fig. 46).
Sie werden von je 60 bis 80 radial angeordneten Zellen gebildet und stellen eine
ß
c::)
Fig. 46. Drüsenschuppen von Rhododendron ferrugi-
neum L. /-V eine solche Schuppe von ihrer Außenseite.
Vergr. 125. /-t im senkrechten Durchschnitt. Die Zellen
der Schuppe sind mit protoplasmatischem Inhalt erfüllt.
Die hell gelassenen Räume zwischen ihnen stellen die
Interzellularen vor, die das Sekret führen. Vergr. 185.
Fi g. 47. Rand eines jungeu, in Funktion getretenen Blattes
von Pinguicula vulgaris L. im Querschnitt. Die drüsen-
artigen Randzellen sind dunkel gehalten. Weiter blattein-
wärts folgen papillfenartige Drüsenzellen, dann aus zwei
Zellen bestehende Drüseugebilde. Diesen schließen sich
Drüsen aus vierKöpfchenzellen an, dann ausgebildete Drüsen
mit acht Köpfchenzellen und schließlich die gestielten Drü-
sen mit sechzehn Köpfchenzellen. Darüber die Köpfcheu
in Flächenansicht. Vergr. etwa 100. Nach C. A. Fennek.
außen plane, innen konvexe Linse dar, die ein kurzer Stiel trägt. Die Zellen
dieser Drüse sondern zwischen sich in spaltenförmige Interzellularräume ein
Gemenge von Harz und ätherischem Öl aus. An jungen Blättern erscheinen die
Drüsen hellgelb, an älteren rostbraun. Ihr duftendes Sekret hatte den Alpen-
rosen einst den Namen Alpenbalsam verschafft. Bei Konrad Geßner heißen sie
Balsamum alpinum. Der Balsam schützt sie vor Weidevieh; freilich nicht vor
Ziegen, von denen es in C. Schroeters ,, Pflanzenleben der Alpen" heißt, daß sie
auch den giftigen Germer {Veratrum) und den bitteren Enzian nicht verschonen.
verdauungs- — Es gibt auch Vcrdauungsdrüscn. Sie kommen jenen Pflanzen zu, die als
drüsen. insektivorcu bekannt sind und sich einer gewissen Berühmtheit erfreuen, seit-
dem Charles Darwins Untersuchungen* die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf
sie lenkten. Zu den nicht eben zahlreichen Insektivoren unserer Flora gehört
Hnguicuia das Fcttkraut {Pinguicula vulgaris L.), das auf der Oberseite seiner eine grund-
ständige Rosette bildenden, länglich-elliptischen, fleischigen Blätter zweierlei
Drüsen trägt (Fig. 47). Die einen sind gestielt, die andern sitzend. Der Stiel der
ersteren stellt eine Zellreihe dar, die mit einem Köpfchen abschließt, das aus
sechzehn, radial angeordneten Zellen besteht. Diese Köpfchen scheiden ein
Drüsen
119
klebriges Sekret aus, an welchem kleine Insekten sich fangen. Den sitzenden
Drüsen kommt ein nur achtzelliges Köpfchen zu, auf dem man für gewöhnlich
kein Sekret antrifft. Den Rand der Blattoberseite nehmen Reihen von Ober-
hautzellen ein, die sich durch ebensolchen Zytoplasmareichtum und nicht
minder große Kerne wie die Köpfchenzellen der Drüsen auszeichnen und auch
Sekret liefern. Die sitzenden Drüsen sind es, denen die Aufgabe der Verdauung
zufällt. Sie beginnen erst zu sezernieren, wenn sie durch Berührung mit einem
Insektenkörper dazu gereizt werden. In ihrem Sekret befindet sich ein Ver-
dauungsenzym. Die schwache Einwärtskrümmung, die
ein Pinguikulablatt an sich schon zeigt, wird infolge
von Reizung bedeutend gesteigert. Auf solche Weise
kommen die gefangenen Insekten mit einer großen Zahl
von Drüsen in Berührung, außerdem wird verhindert,
daß der Regen sie abspült. Haben die gestielten Drüsen
ein Insekt gefangen, so nimmt die Ausscheidung des
Sekrets aus ihnen ganz bedeutend zu. In diesem Sekret
ersticken sie. Durch das Einrollen des Blattrandes kom-
men ihre Körper nun auch mit den sitzenden Drüsen in
Berührung, und damit beginnt der chemische Prozeß.
Das Sekret der sitzenden Drüsen enthält nicht nur ein
verdauendes Enzym, das seiner Wirkung nach mit dem
Pepsin unseres Magensaftes übereinstimmt, sondern
auch einen antiseptisch wirkenden Stoff; es reagiert zu-
, • 1 TT 1 1 j Fig. 48. Ein Blatt von Drosera ro-
dem, so wie es der Verdauungsvorgang verlangt, sauer, tundifoiia, links mit teils einge-
Die Absorption der verdauten Stoffe wird durch alle krümmten Tentakeln rechts mit
' .lusgebreiteten 1 entakeln, von oben
Drüsen besorgt. Schließlich bleiben von den gefangenen gesehen. Vergr. 4.
T 1 1-1 /^i • • 1 -TN T->i (Nach Ch. Darwin)
Insekten nur die leeren Chitinpanzer zurück. Das Blatt
entrollt sich nach getaner Arbeit, es kann dies aber nur zwei bis drei Mal
wiederholen, so daß für dauernden Ersatz älterer Blätter durch jüngere an
den Pflanzen gesorgt werden muß. Auf den Blättern, die am Fang beteiligt
waren, bilden die unverdauten Chitinpanzer kleine schwarze Flecke. — Zier-
licher als das Fettkraut ist, wie es sein Name schon andeutet, der rundblättrige
Sonnentau {Drosera rotundifolia L.), ein Pfiänzchen, dessen Anblick uns stets Drosera,
von neuem erfreut, wenn wir ihm auf unseren Mooren oder torfigen Wiesen be-
gegnen. Bei sonnigem Wetter glänzen an ihm stark lichtbrechende, an Stie-
len über seine Blattflächen emporgehobene Tröpfchen (Fig. 48) wie Edelsteine.
Auch sie sind bestimmt, dem Tierfang zu dienen, denn Drosera gehört wie Pin-
guicula zu unseren Insektivoren. Darauf wurde schon 1782 der Bremenser
Arzt A.W. Roth aufmerksam. Er stellte fest, daß, wenn ein kleines Tier auf die
Blattfläche dieses Pflänzchens gelangt, seine Bemühungen davonzulaufen durch
das in Fäden ausgezogene, klebrige Drüsensekret vereitelt werden; daß ferner
durch die Bewegung der Tiere die Haare gereizt werden und sich einkrümmen,
und daß schließlich eine Einkrümmung der ganzen Blattfläche, bei ganz klei-
nem Fang auch nur eines Teiles erfolgt. Es heißt dann bei A. W. Roth weiter:
I20
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
,,Es ist gewiß, daß wir nicht mit Gewißheit entscheiden können, was der
weise Schöpfer für Absichten gehabt habe, daß er diesen Pflanzen einen be-
stimmten Bau und reizbare Eigenschaften gab; indessen glaube ich doch, daß
man nicht mit Unrecht annehmen könnte, daß der Bau und die Eigenschaften
dieser Pflanzen dahin abzielen, um dadurch ihre Nahrung zur Erhaltung und
Fortpflanzung ihrer Arten zu erhalten. Wir können ja nicht entscheiden, ob
diese Pflanzen nicht vielleicht vor andern es besonders nach ihrem Bau bedür-
fen, tierische Stoffe zu ihrer Nahrung und Erhaltung zu haben." Die , .Ver-
dauungsdrüsen" der Drosera sind nicht einfache Haare, vielmehr Emergenzen.
Man bezeichnet sie vielfach als ,, Fühler" oder,, Tentakeln". Sie stellen
ansehnliche Gebilde dar, die den Eindruck von Borsten mit einem
Flüssigkeitstropfen an der Spitze machen (Fig. 49). Sie erheben sich
von der Oberseite der runden Spreiten, die langgestielt zu einer grund-
ständigen Blattrosette vereinigt sind. Von der Mitte der Spreite nach
ihrem Rande hin nimmt die Höhe der Verdauungsdrüsen zu. Auch
schwellen sie alle an ihrem oberen Ende zu einem keulenförmigen
Köpfchen an. Die Anschwellung wird vornehmlich durch Teilungs-
vorgänge in der Oberhaut, die dort drei Zellschichten aufweist, ver-
anlaßt. Der Stil der Drüsen zeigt sich von einer Reihe wasserleitender,
schraubenförmig verdickter Tracheiden durchzogen. Innerhalb des
Köpfchens schwellen diese Tracheiden zu einer Tracheidengruppe
an. Die beiden äußeren Zellschichten der das Köpfchen deckenden
Epidermis führen intensiv roten Zellsaft, der dazu beiträgt, die Schön-
heit der Blätter noch weiter zu steigern. Von der äußersten Epider-
misschicht des Köpfchens wird die schleimig-klebrige, sauer reagie-
rende Flüssigkeit durch eine sehr durchlässige Kutikula nach
außen sezerniert. Sie wächst zu einem ziemlich großen Trop-
fen an, der selbst bei der größten Sonnenhitze nicht ver-
schwindet. Der Lichtglanz der Tropfen lockt kleine Insekten
an, die an diesem Tropfen kleben bleiben. Durch seine Ver-
suche, sich zu befreien, vermehrt jedes gefangene Insekt den
auf die Drüsen ausgeübten Reiz, wodurch die Sekretion noch
zunimmt. Der Reiz pflanzt sich vom Köpfchen zur Basis
der Drüsen fort. Die Drüsenstiele krümmen sich (Fig. 48) und lagern das Tier-
chen der Spreite auf, die ihrerseits konkav wird. In dem Sekret erstickt das
Tierchen und wird dann durch das eiweißlösende Enzym, das sich in dem
Sekret einfindet, verdaut. Die Drüsen resorbieren die entstandenen Produkte.
Wird auf die Verdauungsdrüsen ein Reiz nur mechanischer Art, etwa durch
Glassplitter oder Sandkörner, ausgeübt, so löst er zwar auch vorübergehend
erhöhte Schleimsekretion und Krümmungsvorgänge aus, vermag aber nicht
die Ausscheidung des Enzyms zu veranlassen. Für letzteren Vorgang ist ein
chemischer Reiz nötig, wie er von solchen Körpern ausgeht, die verdaut werden
können. Da das Wurzelsystem bei unseren einheimischen Droseraarten sehr
schwach entwickelt ist, und man sie in Mooren oft nur locker, mächtigen Torf-
Fig. 49, Digestionsdrüsen
\on Drosera rotundifolia.
Vergr. 60.
Beltsche Körper. Wasseraufnahme 1 2 1
moospolstern aufsitzen sieht, so begreift man wohl, daß ein Zuwachs an stickstoff-
haltiger Nahrung, den sie durch Tierfang sich verschaffen, ihnen von Nutzen
sein kann. Unter andern Verhältnissen gelingt es aber, Insektivoren auch ohne
tierische Nahrung zu gedeihlicher Entwicklung zu bringen. Da wundert man
sich wohl, daß bei so begrenztem Vorteil derartig komplizierte Einrichtungen
zustande kommen konnten. Man darf doch nicht annehmen, daß man es auch
in der Pflanzenwelt mit Feinschmeckern zu tun habe, die keine Anstrengungen
scheuten, um Leckerbissen zu erlangen. — Zu drüsenartigen Emergenzen, denen
eine ganz eigenartige Aufgabe zugefallen ist, gehören auch die sogenannten
,,Beltschen Körperchen", die bestimmten, zentralamerikanischen Arten der Gat- Beitsci.e
A • n II • • 1 /• • Körperchen.
tung Acacia, die zu den sogenannten Ameisenpflanzen zählen, eigen sind. Acacia
sphaerocephala Willd., ein kleiner Strauch mit großen, doppeltgefiederten Blät-
tern und köpfchenförmigen Blütenständen, weist solche Körperchen an den
Enden ihrer Blättchen als birnförmige, orange-gelbe Gebilde auf. Sie bestehen
aus zartwandigen Zellen, die mit Eiweißstoffen und fettem Öl erfüllt sind, und
werden, ähnlich wie die Verdauungsdrüsen von Drosera, von einem zarten Ge-
fäßbündel durchzogen. Eine bissige Ameisenart weidet diese nahrhaften Ge-
bilde ab, zudem stellt ihr die Pflanze auch noch besondere Wohnräume zur
Verfügung. Als solche dienen ihnen die großen, hohlen Dornen, die am Grunde
der Blätter stehen und metamorphosierte Nebenblätter darstellen. Die Ameisen
bohren sich eine Eingangsöffnung in der Nähe der Spitze dieser Dornen, um
deren Höhlungen zu beziehen. Siezahlen aber der Pflanze die ihnen erwiesene
Wohltat dadurch ab, daß sie schädliche Tiere von ihr fernhalten.
Es gibt des weiteren auch epidermale Bildungen an den Pflanzen, die nicht Wasseraufnahme
einer mit irgend welcher Ausscheidung verbundenen Aufgabe, vielmehr umge- Haare und Aus
kehrt der Absorption dienen. Daß die Wurzelhaare eine solche Leistung in voll- ^"'^i's«'.
endeter Weise vollziehen, wissen wir bereits, und sie erschien uns an Wurzeln
fast als selbstverständlich. Es überrascht uns vielleicht aber, ähnlichen Funk- vvasseraufnahme
tionen auch an Haaren zu begegnen, die sich auf oberirdischen Pflanzenteilen wurzeihaare,
befinden. In Wirklichkeit stellen sie aber an der Oberhaut eine durchaus nicht
isolierte Leistung dar. So nehmen die Moose alles Wasser, dessen sie bedürfen,
nur mit ihrer der Luft ausgesetzten Oberfläche auf. Sie trocknen bei Wasser- wasseraufuaiime
•1 T11- 1A 11-1 • mit der Oberhaut
mangel ganz aus und führen ein latentes Leben biszudem Augenbhck, w6nn ein
neuer Regen sie belebt. Und dasselbe leisten, freilich nur in begrenzter Zahl,
selbst noch manche Pflanzenarten, die zu der obersten Abteilung der farnähn-
lichen Gewächse, zu den Bärlappflanzen {Lycopodineen) gehören, so die mexika-
nische Selaginella lepidophylla Spring., die deshalb Auferstehungspflanze heißt,
und verschiedene terrestrische Arten von Brachsenkraut [Isoetes], die das Mit-
telmeergebiet bewohnen. Doch auch sonst sind welkende Pflanzen, soweit ihre
Epidermis nicht zu stark verdickt und kutinisiert ist, imstande, Wasser mit
ihrer Oberfläche aufzunehmen, vorausgesetzt freilich, daß ihre Kutikula durch
Wasser benetzbar ist. Eine geregelte Wasseraufnahme durch die oberirdischen
Teile höher organisierter Gewächse verlangt aber besondere Einrichtungen.
Spaltöffnungsapparate, die dem Gasaustausch dienen, werden hierzu niemals
122 Eduard Strasbltrcer : Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Wasseraufnahme verwendet, hingegen wohl Hydathoden, die unter solchen Umständen, statt
de"'^uudFußzluen Wasser auszuscheiden, dieses aufnehmen. Außerdem sind die lebendigen Fuß-
der Haare, zellcn dcr in ihrcu sonstigen Teilen abgestorbenen und als Lichtschirm fungie-
renden oder die Verdunstung herabsetzenden Haare oft befähigt, Wasser bei
Bedarf aufzusaugen. Auf Wasseraufnahme eingerichtete Haare von sehr ver-
schiedenem Bau kommen den Wüstenpflanzen zu, mit der Aufgabe, jeden Tau-
tropfen sofort aufzusaugen und ihn in das Innere der Pflanze zu leiten. Die voll-
Saugschuppen. kommenste Einrichtung dieser Art weisen aber die,, Saugschuppen" der epiphy-
tisch auf anderen Pflanzen lebenden Vertreter der Ananasgewächse [Bromelia-
ceen) auf. Die Mehrzahl dieser Pflanzen besitzt rosettenartige Laubsprosse, deren
steife Blätter unterwärts löffelartig erweitert sind und dort derartig zusammen-
schließen, daß eine wasserdichte Zisterne entsteht, in der sich Regenwasser
sammelt. In den Urwäldern des tropischen Amerika fand A. F.W. Schimper
oft ein ganzes Liter Flüssigkeit in solchen Behältern vor. Sie enthielten zudem
allerhand Detritus mineralischen, vegetabilischen und tierischen Ursprungs,
der, wie das üppige Aussehen der Pflanzen zeigte, eine kräftige Nahrungsquelle
für sie darstellte. Die Aufnahme des Wassers und der darin gelösten Stoffe er-
folgt durch die zuvor genannten, schildförmigen Schuppen, die namentlich an
dem verbreiterten, gewöhnlich unter Wasser befindlichen Grunde der Blätter
sitzen. Ist kein Wasser vorhanden, so führen die Schuppen Luft. Jeder Wasser-
tropfen wird von ihnen aber sofort eingesogen und durch die Tätigkeit plas-
mareicher Basalzellen dem Blattinnern zugeführt. Diese plasmareichen Zellen
bilden den Stiel des Schildes, der selbst aus abgestorbenen Zellen besteht. Die
Zellwände seiner Randzellen laufen in einen membranösen, radialgerippten
Saum aus. Eine Kutinisierung der Außenwände des Schildes unterbleibt, und
selbst die Kutikula, von der sie bedeckt sind, ist äußerst zart oder ganz aufge-
löst. Der Schild ändert bei der Benetzung seine Farbe von weißlich grau zu
grün, indem sich seine Zellen mit Wasser füllen. Im trockenen Zustande
schmiegt er sich der Blattfläche dicht an und deckt und schützt so die lebenden
Zellen seines Stieles vor Verdunstung. Man begreift es, daß bei dieser Art der
Ausstattung solche tropische Bromeliaceen ohne wasseraufnehmende Wurzeln
auskommen können. Sie sind nur durch Haftwurzeln, d. h. der Befestigung
dienende Wurzeln an ihre Unterlage fixiert. Das extremste Verhalten unter
diesen eigenartigen Gewächsen zeigt Tülandsia usneoides L. Dieser merkwür-
digste aller Epiphyten, wie ihn A. F. W. Schimper nennt, überzieht im tropi-
schen und subtropischen Amerika die Bäume mit silbergrauen, über meterlangen,
fadendünnen Sprossen, in ganz ähnlicher Weise, wie es bei uns die Bartflechte
{Usnea barhata Fr.) tut. Nur in der Jugend ist diese Tülandsia durch schwache
Wurzeln an der Baumrinde befestigt. Dann vertrocknen ihre Wurzeln, und sie
hängt frei in die Luft von den Zweigen hinab, die sie umwunden hat. Die Saug-
schuppen, mit denen sie bedeckt ist, ermöglichen ihr eine solche Lebensweise. Sie
wird besonders durch Vögel verbreitet, die sich ihrer gern zum Nestbau bedienen.
Zu den mannigfaltigen Leistungen, die für Trichome und epidermale Emer-
genzen im Pflanzenreich schon bekannt waren, gesellt sich der Nachweis, den
Saugschuppen. Fühlpapillen 123
besonders G. Haberlandt* neuerdings zu erbringen sucht, daß diese Gebilde
in bestimmten Fällen auch Organe des Empfangs für mechanische Reize sind.
Fühltüpfel waren uns bereits in der Oberhaut reizbarer Ranken entgegen-
getreten. Nunmehr handelt es sich um besondere, nach außen vorgestreckte Reiz-
empfänger, deren Bau mannigfache Verschiedenheiten zeigt. Im einfachsten
Falle sind es nur kleine, warzenförmige Vorstülpungen aus der Mitte der Ober- Fühipapiiien
hautzellen, ausgezeichnet dadurch, daß die Zellwand über ihnen sehr dünn ist.
So findet man sie an den Staubfäden des in Gärten oft kultivierten großblütigen
Portulaks {Portulaca grandijlora Hook), Staubfäden, die sich nach der gereizten
Seite hin krümmen, wenn man sie berührt. — Bei den ebenfalls reizbaren Staub-
blättern des Sauerdorns {Berberis vulgaris L.) wölben sich die Oberhautzellen
an ihren ganzen, freien Außenflächen kegelförmig als Papillen vor. Die Wand
der Papillen ist ziemlich dick; dafür sind diese Papillen im Umkreis an ihrer
Basis wie auf einem Scharnier befestigt. Es ist das eine verdünnte Stelle der
Wand, die an die Scharniere der Spaltöffnungsapparate erinnert. DaZyto-
plasma diese verdünnte Stelle der Wand ausfüllt, so wird es jeden auf die
Papille ausgeübten Druck sehr stark empfinden. Nur die Oberseite der flach
in der Blüte ausgebreiteten Staubblätter ist reizbar, und sie trägt auch allein
die Papillen. Von der Wirkung der Berührung kann sich jeder im Frühjahr
überzeugen, wenn eine Berberisart in seinem Garten oder sonstwo an einer
Hecke blüht. Tupft er die Oberseite eines Staubblattes in halber Länge etwas
an, so verkürzt dieses sich dort plötzlich und schlägt nach innen, so daß seine
Staubbeutel neben die Narbe des Fruchtknotens zu liegen kommen. Der Blü-
tenstaub wird dann aber nicht auf die Narbe des Fruchtknotens befördert.
Wohl aber gelangt er auf den Kopf oder den Rüssel eines die Blüte besuchenden
Insektes, das nach Nektar spähend die Bewegung eines Staubblattes auslöste.
Fliegt das Insekt nun zu einer andern Blüte der Berberitze, so berührt es dort
mit derselben Stelle seines Körpers, welche zuvor den Blütenstaub aufnahm,
die Narbe und vermittelt so die Fremdbestäubung. — Den ebenfalls reizbaren
Staubblättern der Cynareen, etwa der Wiesenflockenblume {Centaurea jacea L.)
oder der Kornblume [Centaurea cyanus L.), entspringen im mittleren Drittel
ihrer Höhe ansehnliche Haare, die aus zwei der Länge nach verbundenen Zellen
bestehen. Jedes Haar entstammt zwei in der Längsrichtung aufeinanderfolgenden
Oberhautzellen des Staubblattes, und die Längswand des Haares bildet auch die
Trennungswand der es tragenden Zellen. Die Protoplasten der Tragzellen setzen
sich somit direkt in die Haarzellen fort. Berührt man letztere, so pflanzt sich der
Reiz direkt auf die Unterlage fort, was eine Krümmungsbewegung des Staub-
blattes veranlaßt. Auch diese Bewegung steht im Dienste der Bestäubung und
wird durch Insekten bewirkt, die ihren Rüssel in die Blüten versenken, um
Nektar zu saugen. — Als vielzellige Gebilde, an deren Aufbau nicht die Epidermis
allein, sondern auch das tief erliegende Gewebe beteiligt ist, somit als Emergenzen,
treten uns die Fühlborsten entgegen, die auf den muschelförmigen Blättern der
Venus-Fliegenfalle [Dionaea muscipula L.) schon dem bloßen Auge durch ihre tühiborsten.
Größe Eindruck machen. Werden diese Borsten berührt, so klappt das Blatt
124
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Fig. 50-
in seiner Mittellinie plötzlich zusammen. Diese Bewegung dient dem Insekten-
fang; denn in Dionaea muscipula lernen wir ein weiteres Beispiel einer fleisch-
fressenden Pflanze kennen, die mit besonderen Einrichtungen zur Erlangung
ihrer Beute ausgestattet ist. Das hat uns diesen Bewohner moosiger Gründe
Nord- und Südkarolinas interessant gemacht und veranlaßt, daß er zu einer
verbreiteten Erscheinung in unseren Gewächshäusern wurde. Die Gattung
Dionaea zählt wie Drosera zu den Sonnentaugewächsen, wie denn Vertreter
dieser Familie sich auch sonst noch verschiedentlich auf Tierfang eingerichtet
haben. Das Zusammenklappen der wie die beiden Schalen einer Muschel ge-
stalteten Spreitenhälften eines Dionaeablattes, das man berührt hat, stellt eine
zu auffällige Erscheinung dar, als daß es lange unbemerkt hätte bleiben können.
So kommt es, daß die älteste Angabe über Insektivoren auf dieses Pflänzchen
sich bezieht. Sie findet sich in einem Briefe,
den John Ellis am 23. September 1769 aus
London an Linne schrieb. Er fügte eine Ab-
bildung nebst einigen getrocknetenBlättern
und Blumen bei und bemerkte dazu : ,,Die
Pflanze. . . gibt zu erkennen, daß die Natur
vielleicht einiges Absehen auf ihre Ernäh-
rung bei der Bildung ihrer Blätter gehabt
Ein Blatt der Venusfliegenfaiie (Dionaea muscipula). habcu möge. Der obere Teil derselben Stellt
Auf der inneren Blattfläche die empfindlichen Borsten, • t-it i t- • A i. "NT u
deren Berührung ein plötzliches Zusammenklappen der Cin WerkzeUg ZUITl 1^ aUgC CinCr Art Nah-
bciden Blatthälften bewirkt Der schraffierte Teil der fungSmittcl VOr, auf dcrCU MlttC dlC Lock-
Innenfläche dicht mit Verdauungsdrusen besetzt. ö >
(Nach Darwin.) 4fach. Vergr. spcisc f ür das unglückHche, zum Raube aus -
ersehene Insekt lieget. Viele kleine, rote Drüsen, die die oberen Flächen des Blattes
bedecken und einen vielleicht süßen Saft ausschwitzen, locken das Tierchen, an
demselben zu kosten; in dem Augenblicke, da dessen Füße diese zarten Teile be-
rühren, werden die zween Lappen des Blattes durch den Reiz in Bewegung gesetzt,
schlagen einwärts zusammen, fassen das Tierchen, legen die Stacheln am Rande
ineinander und drücken das Tierchen tot." — Auf der Oberseite jeder der beiden
Spreitenhälften des Dionaeablattes (Fig. 50) stehen drei der zuvor genannten
Fühlborsten. Sie stellen die reizbarsten Organe des Blattes dar, und ihre Be-
rührung ist es für gewöhnlich, die das Zusammenklappen der beiden Spreiten-
hälften bewirkt, wobei die spitzen Zähne, welche diese Spreitenhälften an
ihren Rändern tragen, zwischeneinander greifen. Die Pflanze ist auf den Fang
größerer Tiere eingerichtet. In unseren Gewächshäusern fallen ihr meist
Spinnen und Kellerasseln zum Opfer. Diese werden von den zusammen-
schließenden Spreithälften sofort festgehalten, während es kleineren Tieren
öfters gelingt, dann noch zu entweichen. Der Bau der Fühlborsten ist ein sol-
cher, daß sich vier Abschnitte an ihnen unterscheiden lassen. Der obere Ab-
schnitt hat spitzkegelförmige Gestalt, er wird von langgestreckten, mäßig ver-
dickten Zellen gebildet. Auf ihn folgt abwärts eine Gewebeschicht aus quer-
tafelförmigen Zellen mit mehr oder weniger verkorkten Wänden. An diese
Gewebeschicht schließt das eigentlich reizbare Gelenk an, dessen Zellen sich
Fühlborsten. — Gefäßbündel 125
durch reicheren zytoplasmatischen Inhalt und zentrale Kerne auszeichnen.
Der unterste Abschnitt der Fühlborste wird durch ein Postament aus isodia-
metrischen, inhaltsärmeren Zellen gebildet. Der obere Abschnitt der Fühlborste
wirkt als Hebelarm, er stellt den ,,Stimulator" dar, der die Wirkung der Be-
rührung auf das reizbare Gelenk der Fühlborste entsprechend verstärkt über-
trägt. Durch jede Berührung der Fühlborsten wird die Verschlußbewegung der
Spreite ausgelöst. Der Verschluß hält aber nur an, wenn ein verdaulicher Kör-
per zwischen den Spreitenhälften sich befindet. Einem solchen schmiegt sich
die Spreite genau an und vollzieht seine Verdauung mit Hilfe eines Sekrets, das
von Drüsen ausgeschieden wird, welche die Oberhaut trägt. Diese Drüsen bilden
für das bloße Auge rote Punkte auf der Blattfläche; in ihrem Bau nähern sie
sich den sitzenden Drüsen, die wir beim Fettkraut kennen lernten. Die Chemie
des Verdauungsvorgangs ist die nämliche wie bei andern Insektivoren. Nach
dem Fang eines größeren Tieres kann die Ausscheidung so stark werden, daß
das Sekret in Tropfen aus der Spreite herausfließt. Ein Blatt, das den Fang
vollführte, bleibt wochenlang geschlossen. Öffnet es sich endlich, so ist es zu-
nächst nicht reizbar. Es muß sich erst von der geleisteten Arbeit erholen, ver-
mag sie übrigens im besten Falle nur noch ein- oder zweimal auszuführen.
Wir sahen uns im Vorausgehenden veranlaßt, auf den mannigfaltigen Bau Mannigfaltigkeit
und die vielseitigen Funktionen pflanzlicher Oberhautgebilde näher einzugehen, ^^eistuns^n^ ""
Das sollte uns zeigen, zu wie hohen physiologischen Leistungen auch das pflanz-
liche Protoplasma emporzusteigen vermochte. Wären die lebenden, pflanzlichen
Protoplasten nicht durch leblose Wände voneinander getrennt und ihr Zusam-
menwirken sowie auch die Fortleitung von Reizen auf Entfernung dadurch
erschwert, so hätte die Pflanze in ihren Gesamtfunktionen nicht hinter dem
Tierreich zurückzubleiben gebraucht.
Eine aus dem südlichen Sibirien stammende Pflanze, die sich bei uns ein- Getäubündei.
gebürgert hat und nicht selten auf Gartenland zum lästigen Unkraut wird, das
kleinblättrige Springkraut [Impatiens parviflora DC), ist so durchscheinend
in allen ihren Teilen, daß ich sie gern als Demonstrationsobjekt für Gefäß-
bündelverlauf und Gefäßbündelverteilung benutze. Schon wenige Wochen nach
der Keimung ist dieses schlanke Gewächs annähernd ausgewachsen, und nach
einigen weiteren Wochen beginnt es zu blühen und zu fruchten, und dann wer-
den uns auch seine Früchte lehrreich, da sie bei der Berührung aufspringen
und ihre Samen fortschleudern. Für unsere Gefäßbündelvorführung reißen wir
noch junge Pflanzen aus dem Boden, durchschneiden sie quer, dicht über ihrer
Pfahlwurzel, und setzen sie in Wasser ein, das wir durch Zusatz von Eosin rot
färbten. Die Gefäßbündel, welche zuvor schon als longitudinal verlaufende
Streifen innerhalb des Stengelgewebes zu erkennen waren, treten alsbald als Farbstoffaufsties
rote Fäden noch deuthcher vor. Ihre Färbung steigt rasch zu den oberen Teilen
des Stengels empor, zugleich geht sie seitlich auf die Blätter über, so daß nach
einiger Zeit auch deren gesamtes Gefäßbündelnetz rot erscheint. So haben wir
ein Bild vor Augen, das uns über den Zusammenhang der Gefäßbündel im
I 26
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Ge-
schlossenes.
koUateralcs
Gefäßbünde!.
Pflanzenkörper belehrt und weiter beweist, daß die Wasserleitung zu den Auf-
gaben dieser Gefäßbündel gehört. Unter natürlichen Verhältnissen würde das
durch die Wurzel aus dem Boden aufgenommene Wasser durch deren Gefäß-
bündel den Gefäßbündeln des Stengels und von diesen den Gefäßbündeln der
Blätter übermittelt werden, um aus letzteren in die umgebenden Blattzellen zu
gelangen, und schließlich in Dampfform durch die Spaltöffnungen in die At-
mosphäre zu entweichen. Nur das Wasser als solches würde dort aber verdunsten,
die Salze des Bodens, die es
in Lösung führte, hingegen
in den Blättern verbleiben,
um in ihnen verarbeitet zu
werden.
Die Leitung des Wassers
ist nicht die einzige Aufgabe,
welcher die Gefäßbündel in
der Pflanze obliegen. Das er-
fährt man bald beim Stu-
ydium ihres Baues. Dieser ist
ziemlich kompliziert, so daß
es gilt, sich nach geeigneten
Objekten für die ersteOrien-
tierung umzusehen. Man
wählt als günstiges Beispiel
meist denStengel einerMais-
pflanze [Zea mays L.) aus
und untersucht ihn, bei ent-
sprechend starker Vergrö-
ßerung an Querschnitten.
Da erscheinen die quer-
durchschnittenen Gefäß-
bündel (Fig. 51) als ellipti-
sche Gewebeverbände von besonderem Bau in das weit größerzellige Grundgewebe
eingebettet. Es handelt sich beim Mais um eine monokotyle Pflanze, und diese Ge-
wächse sind fast allgemein durch eine ,, zerstreute" Gefäßbündelverteilung aus-
gezeichnet. Daher trifft man die Querschnitte der Gefäßbündel überall im Bilde
an. In jedem Gefäßbündelquerschnitt ist die dem Stengelinnern zugewandte
Hälfte in ihrem Bau von der nach außen gekehrten deutlich verschieden. Die
innere Hälfte ist es, welche der Wasserleitung dient, doch nicht mit allen ihren
Formelementen, vielmehr nur jenen, welche für diese Aufgabe eingerichtet sind,
mit den uns schon bekannten Tracheiden und Tracheen. Am meisten fallen die
zwei großen Tracheen, d. h. die Gefäße [m und m) auf, die wie zwei weite, runde
Öffnungen die Seiten des Gefäßbündels einnehmen. Engere Gefäße und Trache-
iden {sp) sind nach dem Innenrande zu in der Mediane des Gefäßbündels zu un-
terscheiden, meist auch eine Lücke (/), die den Querschnitt eines Kanals darstellt,
Fig. 51. Querschnitt durch ein Gefäßbündel aus dem Internodiura des
Stengels vonZea mays. a Ring einer Riugtracheide, sp Schraubentrachei'de,
ni und ?n' behöft getüpfelte Geiäße, v Siebröhre, J Gcleitzelle, cpr zer-
drückte Kribralprimanen , i Interzellulargang, vg^ Scheide. Vergr. 580.
Geschlossene und offene Gefaßbündel 12 7
der durch Zerstörung von Gewebe entstanden ist. In diesen Kanal ragen Schrau-
benbänder und Ringe (a) als Reste zerrissener Gefäßtracheiden hinein. Das
waren die ersten, engen Wasserbahnen, die das junge, noch in Streckung be-
findliche Gefäßbündel fertigstellte, und welche die wachsenden Pflanzenteile
versorgten, um späterhin neuen, weiteren Bahnen diese Aufgabe zu überlassen.
Die im Dienst der Wasserleitung stehende, dem Stengelinnern zugekehrte Hälfte
eines solchen Gefäßbündels wird als sein,, Gefäßteil" oder ,,Vasalteil" unterschie-
den. Außer den toten, nur noch Wasser führenden Leitungsbahnen, enthält der
Gefäßteil stets noch lebende Zellen, in denen oft Reservestoffe, im besondern
Stärke anzutreffen sind, und die man als Vasalparenchym bezeichnet, zudem
noch häufig prosenchymatisch gestreckte Zellen, mit dickeren Wänden, die zur
Festigung des Vasalteils beitragen. — Weiter nach außen in jedem Gefäßbündel,
in jener Hälfte, die es der Stengeloberfiäche zukehrt, tritt eine hellere Gewebe-
partie deutlich umschrieben hervor, in der weitere Zellräume mit engeren regel-
mäßig abwechseln. Die weiteren Zellräume (v) entsprechen ,, Siebröhren", und
nicht selten wird der Querschnitt eine terminale ,, Siebplatte" gestreift haben, die
dann ihre feine Punktierung erkennen läßt. Die engeren Zellen zwischen den
Siebröhren sind ihre ,, Geleitzellen" {s). Sie stellen Schwesterzellen der Sieb-
röhrenglieder dar, die durch Längsteilung gemeinsamer Mutterzellen zugleich
mit ihnen erzeugt wurden. Solche Geleitzellen sind nur den angiospermen
Pflanzen, also den Monokotylen und Dikotylen eigen. Sie fehlen den Gymno-
spermen und den farnähnlichen Gewächsen. In einem solchen Querschnitt, wie
wir ihn vor Augen haben, fallen die Geleitzellen durch die Menge ihres Inhalts
auf. Sie sind mit Zytoplasma angefüllt, zudem führen sie große Kerne, letztere
im Gegensatz zu den Siebröhren, die, wie wir früher schon erfahren haben, ihre
Kerne rasch einbüßen. Wir stellten damals bereits fest, daß die Siebröhren vor-
nehmhch Eiweiß leiten. Das dürfte die Hauptaufgabe des Gefäßbündelabschnitts
sein, der uns hier beschäftigt. Der Siebröhren entbehrt er nie, daher er auch als
,, Siebteil" oder ,,Kribralteil" bezeichnet wird. Auf Siebröhren und Geleitzellen
braucht er aber nicht beschränkt zu sein; in solcher Einschränkung zeigt er sich
nur bei den meisten Monokotyledonen sowie bei Vertretern der Reihe der Ranales,
zu denen die Seerosen [Nymphaeaceen] und Hahnenfußgewächse [Ranuncula-
ceen) gehören unter den Dikotyledonen; in sonstigen Fällen sind auch parenchy-
matische Zellen, also ,, Siebteil-" oder ,,Kribralparenchym" in ihm vertreten und
in bestimmten Fällen auch mechanische Formelemente. Solche Gefäßbündel, wie
sie der von uns untersuchte Mais und andere Monokotylen führen, heißen ,, kol-
laterale", weil Gefäßteil und Siebteil sich nur einseitig berühren. Mit solchen Ge-
fäßbündeln sind auch die Dikotylen und der größte Teil der Gymnospermen offeuc,
ausgestattet. Bei alledem besteht ein sehr wichtiger Unterschied in dem Ver- °fjfßbünde) '^
halten der Gefäßbündel dieser letzteren und jener der Monokotylen, ein Unter-
schied, den wir bereits einmal berührt haben. Wir stellten damals fest, daß jene
meristematischen Gefäßbündelanlagen in der Nähe der Vegetationspunkte, die
man als ,, Prokambiumstränge" bezeichnet, entweder vollständig in der Bildung
des Gefäßbündels aufgebraucht werden oder einen meristematischen Gewebe-
128
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Koiizoutrische
Goiäßliündcl,
Getrennte Gefäß-
und SJebstränge.
streifen behalten und damit auch die MögHchkeit weiterer Fortentwicklung. Die
Gefäßbündel der Monokotylen, so wie wir sie beim Mais kennen gelernt haben,
sind ohne solche Bildungsgewebe und heißen daher ,, geschlossen". In den Ge-
fäßbündeln der Dikotylen und Gymnospermen ist hingegen zwischen dem Ge-
fäßteil und dem Siebteil eine solche Gewebeschicht vorhanden (Fig. 52c), diese Ge-
fäßbündel heißen daher ,, offen". Bei der Untersuchung von Stengelquerschnitten
durch krautartige Dikotylen (Fig. 52) oder durch jüngste Sprosse von Nadel-
hölzern, die den Gymnosper-
men angehören, würden wir in
jedem Gefäßbündel seine bei-
den Hälften als Gefäßteil und
Siebteil wiedererkennen, so
verschieden uns auch ihre Zu-
sammensetzung nach den
ihnen zukommendenGeweben
im einzelnen erscheinen könn-
te. Den Gefäßteil fänden wir
stets nach innen, den Siebteil
nach außen orientiert. Im Ge-
gensatz zu den Monokotylen
hätten wir aber nicht über das
Gesamtbild zerstreute, son-
dern zu einem Kreise angeord-
nete Gefäßbündel vor Augen.
Wesentlich anders wie die
Querschnitte kollateraler Ge-
fäßbündel sehen jene aus, die
uns die meisten Farnkräuter
zeigen würden. Da hätten wir
es mit ,, konzentrisch" gebau-
ten Gefäßbündeln zu tun. Der
Gefäßteil, der sich durch die
weiten Lumina seiner gefäß-
artigen Tracheiden auszeichnet, ist vom Siebteil umgeben, in welchem die Siebröh-
ren mit ihren weißen, stärker dasLichtbrechendenWänden deutlich hervortreten.
Die Vereinigung des Gefäß- und Siebteils zu Gefäßbündelsträngen ist eine
ganz allgemeine Einrichtung, die sich ersichtlich bewährt hat. Tatsächlich
handelt es sich aber um verschiedene Leitungsbahnen, die aneinander gefügt
sind, wie das der Umstand lehrt, daß sie auch getrennt verlaufen können. In
Stengeln, die nach Orten führen, deren Eiweißbedarf besonders groß ist, vor
allem zu Blüten- und Fruchtständen, trifft man vielfach außer den kollateralen
Gefäßbündeln auch Stränge an, die nur aus Siebröhren und Geleitzellen be-
stehen. In allen Wurzeln sind Gefäß- und Siebteile voneinander getrennt und
laufen als selbständige Stränge nebeneinander fort.
Fig. 52. Querschnitt durch das Gefäßbündel eines Ausläufers von
Ranunculus repens. J SchraubentracheVden, »i behöft getüpfelte Ge-
fäße, c Kambium, v Siebröhren, vg Scheide. Vergr. i8o.
Konzentrische Leitbündel. — Grundgewebe
12g
ondigung.
In den Blättern kehren die Gefäßbündel ihren Gefäßteil der Oberseite, nia«-
ihren Siebteil der Unterseite zu. In dem Maße, als sie sich in der Blattspreite
verzweigen, werden sie dünner, und es vereinfacht sich ihr Bau. Die Zahl der Gefäßbundei-
Formelemente nimmt im Gefäßteil und im Siebteil ab, und zugleich sinkt ihr
Durchmesser. Schließlich setzen nur noch kurze, schraubenförmig verdickte
Tracheiden das Gefäßbündel fort, welches daraufhin blind endigt (Fig. 53).
Durch die reiche Gefäßbündelverzweigung ist für eine möglichst gleichmäßige
Verteilung des zugeführten Nährwassers in der Blattspreite gesorgt. Wo die
Gefäßbündel der Blätter unverzweigt bleiben, wie das in den Nadeln der Koni-
feren der Fall ist, begleiten eigenartige Säume aus Tracheiden flügelartig den
Gefäßteil und fördern die Wasserabgabe an das
angrenzende Gewebe. Wie eine reiche Ausgestal-
tung des Gefäßbündelnetzes im Laubblatt die
Wasserverteilung in ihm fördert, so begünstigt sie
auch die Aufnahme der Assimilationsprodukte,
die in ihm erzeugt wurden, und die es abwärts lei-
ten soll. Der Siebteil der letzten Gefäßbündelaus-
zweigungen in denLaubblättern der Angiospermen
läuft in protoplasmareiche Zellen aus, die sog.
,, Übergangszellen", welche an Stelle der Sieb-
röhren und Geleitzellen treten und, wie man an-
nimmt, die Eiweißstoffe sammeln, die den Sieb-
röhren zur Weiterbeförderung übermittelt werden
sollen. Die mangelnde Verzweigung der Gefäß-
bündel in ihren Nadeln korrigieren die Koniferen
hier wieder in der Weise, daß sie den Rand des
Siebteils mit einem Saum solcher Übergangszellen versehen.
Jenes Gewebe, das von der Oberhaut umschlossen und von den Gefäß- Grandgewebe.
bündeln durchsetzt ist, faßt man als ,, Grundgewebe" zusammen. Es ist klar, daß
es sich bei dieser Bezeichnung um einen negativen Begriff handelt, gewisser-
maßen um das, was nach Abzug des Hautgewebesystems und Gefäßbündel-
systems noch übrig bleibt. In die Zusammensetzung dieses Grundgewebe-
systems gehen bei hoch organisierten Pflanzen die mannigfaltigsten Gewebe-
und Zellarten ein, in einem Verhältnis, das meist deutliche Beziehungen zu den
Leistungen zeigt, welchen sie in diesen Pflanzen obliegen. Die Hauptaufgabe der
peripherisch gelegenen Grundgewebe oberirdischer Pflanzenteile wird vor allem
die Kohlenstoffassimilation und in den meisten Fällen auch die Festigung sein.
Demgemäß sieht man chlorophyllhaltige Parenchyme, Koflenchyme und Pros-
enchyme um die äußere Lage miteinander wetteifern. Inneres Grundgewebe,
das nicht mehr stark genug belichtet ist, um zu assimilieren, weist vornehmlich
chlorophyllfreie Parenchyme auf, die auf Speicherung und Weiterbeförderung
von Reservestoffen eingerichtet sind. An allen Orten im Grundgewebe wird
man zudem mit den mannigfaltigsten Nebenprodukten des Stoffwechsels an-
gefüllte Einzelzellen, Zellgruppen oder Zwischenzellräume antreffen. In den
K. d.G.IILlv,Bd2 ZeUenlehre etc. n
F'g- 53- Gefäßbündelendigung im Blatt
von Impatiens parviflora. Vergr. 200.
I30
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
unterirdischen Teilen von Landpflanzen und den untergetaucht lebenden Was-
serpflanzen, die weniger auf Biegungsfestigkeit denn auf Zug beansprucht wer-
den, wird man eine Verschiebung der mechanischen Gewebe gegen das Innere
des Körpers konstatieren können.
VerteUung Die Verteilung der ,, primären Gewebe" im Körper der höher organisierten
^^''^"^^P'^^'Püa.nzen bietet noch zu anderen Feststellungen Gelegenheit. Ein Querschnitt,
Stengel, den wir uns durch den Stengel einer dikotylen Pflanze herstellen (Fig. 54),
zeigt uns zu äußerst die Oberhaut {e), unter ihr das Gewebe der ,, primären
Rinde" (pr) und innerhalb dieser mehr oder weniger deutlich von ihr abgesetzt
den sog. ,, Zentralzylinder" (c). In diesem bilden die Gefäßbündel {cv) einen
Kreis (Fig. 61). Das nach innen von die-
sem Kreis gelegene mittlere Gewebe des
Zentralzylinders heißt das ,,Mark"' (Fig.
54m), das diesen Kreis umgebende Gewebe,
soweit als es noch zum Zentralzylinder ge-
hört, der ,,Perizyker' {pc). Die zwischen den
Gefäßbündeln verlaufenden Gewebestrei-
fen, welche das Mark mit dem Perizykel und
der primären Rinde verbinden, werden als
,, primäre Markstrahlen" {ms), bezeichnet.
Dieselbe Gewebeverteilung finden wir
in den jungen Sprossen eines Nadelholzes
wieder, vorausgesetzt daß das sekundäre
Wachstum sie nicht bereits unkenntlich
gemacht hat.
Auch der Querschnitt eines monoko-
tylen Stengels läßt unter der Oberhaut eine primäre Rinde erkennen, die den
Zentralzylinder umgibt. In letzterem sehen wir hingegen, so wie der Mais es
zeigte, sehr zahlreiche Gefäßbündel allerorts zerstreut (Fig. 55). Ein Mark
läßt sich da nicht abgrenzen, das Gewebe, das die Gefäßbündel trennt, schwer-
lich mit Markstrahlen vergleichen. Der Außenrand des Zentralzylinders kann,
da eine Grenze fehlt, nur theoretisch als Perizykel {pc) gelten.
Die auffällige Verschiedenheit in der Anordnung der Gefäßbündel, wie sie
typische Dikotylen und Gymnospermen einerseits, typische Monokotylen an-
Gefäßbündei- dcrerscits in ihren Stengeln zeigen, wird durch die Art des Verlaufs dieser Ge-
fäßbündel und ihre Zahl bedingt. Verfolgt man die Gefäßbündel in der Rich-
tung vom Blatte zum Stengel, so sieht man, daß sie bei Gymnospermen und
Dikotylen zu einem einzigen Gefäßbündel oder doch nur verhältnismäßig we-
nigen Gefäßbündeln vereinigt aus dem Blatt in den Stengel treten. Sie durch-
eilen dessen primäre Rinde, gelangen in seinen Zentralzylinder und ordnen sich
in den Kreis ein, den die schon vorhandenen, tieferstehenden Blättern ent-
stammenden Gefäßbündel dort bilden. Zwischen diesen laufen sie abwärts, um
sich früher oder später mit bestimmten unter ihnen zu vereinigen. Die Art, wie
dies geschieht, sowie der Weg, den jedes einzelne Gefäßbündel zurücklegt, und
F i g. 54. Teil eines Querschnittes durch einen jungen
Stamm von Aristolochia Sipho. e Epidermis, pr pri-
märe Rinde, si Stärkescheide, c Zentralzylinder,
pc Perizykel, in diesem Falle mit einem Ring von
Sklerenchymfasern, cv Ciefäßbündel, und zwar cv"
Vasalteil, cf' Kribralteil, c3 Kambiumring, /«Mark,
ms primärer Markstrahl. Vergr. 48.
verlauf.
Gefäßbündelverlauf
131
Blatt- und
stammeijjene
Gefäßbündel.
die seitlichen Krümmungen, die es ausführt, um neu eintretenden Gefäßbün-
dehi Platz zu machen, sind erblich festgelegt.
Die zerstreute Gefäßbündelverteilung, wie wir sie beim Mais fanden,
kommt dadurch zustande, daß sehr zahlreiche Gefäßbündel aus jedem Blatte
in den Stengel eintreten und verschieden tief in dessen Zentralzylinder vor-
dringen. Der Medianstrang jedes Blattes gelangt fast bis zur Mitte des Stengels,
die Seitenstränge weniger tief. Verfolgt man einen Strang in seinem weiteren
Verlauf, so sieht man ihn sich im Bogen abwärts biegen, allmähhch der Ober-
fläche des Zentralzylinders nähern und dort schließlich mit einem andern
Strang verschmelzen.
Der im Stengel befindliche Teil solcher je einem Blatte und dem Stengel Biattspur.
gemeinsam zukommenden Gefäßbündel wird als
,, Blattspur" bezeichnet.
Die konzentrisch gebauten Gefäßbündel,
wie wir sie bei den Farnkräutern kennen ge-
lernt haben, sind vielfach in deren Stämmen zu
einem hohlzylindrischen Gerüstwerk vereinigt,
dessen regelmäßig angeordnete Maschen den
Insertionsstellen der Blätter entsprechen. Diese
Gefäßbündel sind ,, stammeigen", sie gehen
nicht in die Blätter über. Die aus den Blättern
in den Stengel eintretenden ,, blatteigenen" Ge-
fäßbündel setzen vielmehr an diese stammeige-
nen längs der Maschenränder an.
Dem hohlzylindrischen Gerüstwerk, zu wel-
chem wir bei den jetzigen Farnkräutern die Ge-
fäßbündel meist vereinigt sehen, ging phylogene-
tisch ein axiler Gefäßbündelstrang voraus, dereinen mittleren Gefäßteil besaß,
den der Siebteil umhüllte. So finden wir ihn öfters bei versteinerten Farnen aus
früheren Erdperioden vor. Doch haben ihn auch noch Vertreter mancher rezenter
Farnfamilien aufzuweisen, so wie nicht selten Keimpflanzen solcher Farne, die im
ausgewachsenen Zustande kompliziertere Gefäßbündelverhältnisse aufweisen.
Die fortschreitende Phylogenie schuf bei den Farnen zunächst aus dem axilen
Gefäßbündelstrang mit zentralem Gefäßteil einen solchen mit parenchyma-
tischem Gewebe im Innern und spaltete hierauf den so entstandenen Ring in
eine Mehrzahl von Gefäßbündeln, und zwar meist erst nachdem er auch an
seiner Innenseite eine Siebteilbekleidung erhalten hatte. Solche Farnarten, die
ihre Ontogenie mit einem axilen Gefäßbündelstrang im Stengel beginnen, später
aber eine große Zahl von Gefäßbündeln dort aufweisen, zerklüften während
ihrer Erstarkung den axilen Strang in ähnhcher Weise, wie es in ihrer Phy-
logenie geschah.
Während bei den an das Landleben sich anpassenden Gewächsen der Was- Von Landpflan-
. . . r> 1 ^^" abstammende
serleitungsapparat eme steigende Gliederung und zunehmende innere bonderung Wasserpflanzen,
erfuhr, stellte sich stets wieder der umgekehrte Vorgang ein, wenn Landpflanzen
Fig- 55- Querschnitt durch ein Stengelglied
von Zea mais. /»/Primäre Rinde, cv Gefäß-
bündel, gc Grundgewebe des Zentralzylinders.
Vergr. 2.
Phylogenie
des
Gefäßbündel-
systf-ms.
13:
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
in das Wasser zurückwanderten. Dort war die gesteigerte Leistungsfähigkeit
der Wasserbahnen nicht mehr nötig, und die verminderte Beanspruchung hatte
deren entsprechende Rückbildung zur Folge. Die voneinander getrennt gewese-
nen Gefäßbündel verschmolzen dort schließlich wieder zu einem einzigen Strang.
Bei den Vertretern der Gattung Potamogeton, den Laichkräutern, die in so vie-
len Arten unsere Gewässer bewohnen, lassen sich lehrreiche Zwischenglieder
dieser fortschreitenden Verschmelzung zusammenstellen. Die Gattung Pota-
mogeton umfaßt einerseits schwimmende Arten mit breiten, eiförmigen, leder-
artigen Schwimmblättern und reichen Blütenähren, anderseits typisch sub-
merse Gewächse mit schmalem, grasartigem Laub, dünnen Stengeln und arm-
blütigen Infloreszenzen, außerdem alle Zwischenformen. Je mehr eine Art sich
den schmalblättrigen Formen nähert, um so weiter ist die Verschmelzung der
Gefäßbündel gediehen. Der Zentralzylinder aller Arten zeigt sich im Verhält-
nis zu den Landpfianzen stark verengt, während die primäre Rinde bedeutend
verbreitert ist. Das sind Erscheinungen, die wir schon früher inBeziehung zu den
mechanischen Anforderungen gebracht haben, die an Wasserpflanzen gestellt
werden: sie müssen zugfest und zugleich biegsam sein. Während aber bei den
schwimmenden Laichkrautarten die einzelnen Gefäßbündel noch als solche im
Zentralzylinder sich unterscheiden lassen, sind sie im Zentralzylinder extrem-
submerser Formen nicht mehr zu erkennen. Dieser stellt dann einen axilen Ge-
fäßbündelstrang dar, mit einem .inneren Gefäßteil, den ein gemeinsamer Sieb-
teil von außen umgibt. So führte ein rückläufiger, phylogenetischer Entwick-
lungsgang hier die fortgeschrittene Gewebesonderung wieder auf einfachere
Typen zurück, ganz ähnlich jenen, von welchen wir bei den Farnen ausgingen,
um zu höheren Typen zu gelangen.
Bei Wasserpflanzen, die den oberen Abteilungen des Pflanzenreichs ange-
hören, so beiden eben behandelten Laichkräutern und andern, pflegt die primäre
Endodermis. Rinde scharf gegen den Zentralzylinder abgesetzt zu sein. Ihre innerste Zell-
schicht zeichnet sich dann durch einen besonderen Bau aus und weist vielfach
die charakteristischen Merkmale einer ,,Endodermis" auf. Diese bestehen darin,
daß die Zellen übereinstimmend gestaltet sind, seitlich ohne Interzellularen zu-
sammenhängen, vor allem aber an ihren radialen Wänden einen durch Einlage-
rung eines bestimmten Stoffes chemisch veränderten Membranstreifen aufweisen.
In Querschnitten fallen die so veränderten Streifen als dunkle Stellen von flach
linsenförmiger Gestalt innerhalb der Wände auf. Sie bewirken einen sicheren
Abschluß des Zentralzylinders gegen die Luft der Interzellularen, die bis an die
Endodermis heranreichen. Zudem bedingen sie eine entsprechende Festigung
dieser Zellschicht, deren mechanische Aufgabe sich vielfach auch in stärkeren
Wandverdickungen kundgibt.
Es kommt vor, daß auch an oberirdischen Stengeln die innerste Rinden-
schicht den Bau einer Endodermis aufweist. So findet man es beispielsweise bei
einer ganzen Anzahl Arten der Gattung Ranunculus. In anderen, häufigeren
Stärkescheide. Fällen Stellt die innerste Rindenschicht eine ,, Stärkescheide" dar, d. h. sie fällt
durch ihren Stärkereichtum auf. Ihre Stärkekörner zeichnen sich durch große
Endodermis. — Slärkescheide. — Statolithen
133
Beweglichkeit aus, so daß sie ihren Platz in der Zelle je nach der Neigung des
Stengels wechseln. Sie sinken zur tiefsten Stelle der Zelle hinab, so daß man
sie im aufrechten Stengel an der normalerweise unteren, in dem wagerecht ge-
legten an der nunmehr dem Erdboden zugekehrten Wand angesammelt findet.
G. Haberlandt und B. Nemec lassen solche leicht beweglichen Stärkekörner die
Rolle von ,, Statolithen" spielen, d. h. sie sprechen ihnen dieselbe Bedeutung zu „statouthen"-
wie den Statolithen in den Gleichgewichtsorganen der Tiere, die durch ihre " " ^'
Lagenänderung das Tier über die Schwerkraftrichtung orientieren. Es soll der
Druck dieser leicht beweglichen Stärkekörner gegen die Hautschicht der Proto-
plasten von dieser als Reiz empfunden werden, dieser Reiz dann Wachstums-
vorgänge auslösen, durch welche der gegebene Pflanzenteil in die richtige Lage
zur Schwerkraftrichtung gelangt. Diese Statolithentheorie wird noch viel um-
stritten. Ihr Gebiet hat man übrigens nicht auf Stärkescheiden eingeschränkt,
vielmehr auf verschiedene andere Gewebe mit leicht beweglichen Stärkekörnern,
die zudem in ihren Zellen verharren, auch wenn die ganze Stärke der Nach-
barschaft aufgelöst wird, ausgedehnt und das Ergebnis der gesamten Unter-
suchungen dahin zusammengefaßt, daß Statolithenapparate bei Pflanzen an
Orten, die Schwerkraftreize perzipieren, nirgends fehlen.
In den meisten oberirdischen Stengeln ist die Grenze zwischen der primären
Rinde und dem Zentralzylinder gar nicht markiert. Die Parenchyme der primä-
ren Rinde gehen in jene des Zentralzylinders ohne Grenze über. Um den assi-
milierenden Parenchymen den bestbeleuchteten Platz in der Peripherie des
Stengels zu überlassen, ziehen sich die mechanischen Gewebe zum Teil oder Verteilung der
auch wohl vollständig hinter sie zurück, so vorteilhaft es im übrigen für ein '"^Ge'webe^"
Organ, das möglichste Biegungsfestigkeit anstreben muß, sein würde, auch seine '"' stengei.
mechanischen Gewebe ganz nach außen zu verlegen. Unter Umständen weichen
diese Gewebe bis in den Perizykel zurück, wo sie dann ganz für sich den Raum
beanspruchen dürfen und sich daher gern zum geschlossenen Zylinder vereini-
gen. Ihre Ausbildung, auch weiter einwärts noch im Zentralzylinder, wird zum
Schutz der Gefäßbündel, vornehmlich ihrer weicheren Siebteile, vollzogen. So
entstehen dort die Sklerenchymscheiden, welche die Gefäßbündel umhüllen. Zu
besonders starken Belagen schwellen sie an der Siebseite an. Wo das ganze Ge-
fäßbündel rings umscheidet ist, bleiben zu seinen beiden Seiten der Stelle ent-
sprechend an der Gefäßteil und Siebteil zusammenstoßen, ,, Durchlaßstreifen"
ausgespart. Dort sind die Sklerenchymfasern durch schwächer verdickte, un-
verholzte Parenchymzellen ersetzt, welche den Stoffverkehr zwischen den Ge-
fäßbündeln und dem Grundgewebe erleichtern. In monokotylen Stengeln mit
zerstreuten Gefäßbündeln, so bei dem uns schon bekannten Mais, kommen den
peripherischen Gefäßbündeln ganz auffallend starke Scheiden zu. Diese äuße-
ren Gefäßbündel müssen besonders geschützt werden; zugleich gelangen auf
diese Weise die mechanischen Gewebe möglichst nach der Oberfläche. — Die
Gefäßbündelscheiden sind Erzeugnisse des Grundgewebes im Zentralzylinder.
Dieses kann auch die einzelnen Gefäßbündel mit Endodermen oder Stärke-
scheiden umgeben. So bei solchen Arten der Gattung Ranunculns, die keine ge-
134
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
meinsame Endodermis besitzen. Endodermen und Stärkescheiden brauchen
somit nicht immer die innerste Rindengrenze zu markieren, sie sind nach Bedarf
auch aus anderen Geweben hervorgegangen.
Blattbau. Ein jeder wird bemerkt haben, daß zahlreiche Pflanzen eines Blumen-
tisches ihre Laubblätter zu dem durch das Fenster einfallenden Lichte in be-
stimmter Weise einstellen. Da Ober- und Unterseite der Laubblätter meist
deutlich unterscheidbar sind, so dürfte es dem Beobachter auch nicht ent-
gangen sein, daß es die Oberseite der so orientierten Laubblätter ist, die sich
dem Lichte zuwendet. Befinden sich großblättrige Begonien, deren Laub-
blätter auf Ober- und Unterseite verschieden gefärbt sind, auf dem Blumen-
tisch, so zeigt
sich an ihnen
dieses Verhal-
ten besonders
deutlich. Doch
auchimFreien
wird man ent-
sprechende
Erscheinun-
gen konstatie-
ren können.
Sie pflegen um
so stärker her-
vorzutreten,
Querschnitt durch das Blatt von Fagus silvatica.
St
Fig. 56. Querschnitt durch das Blatt von Fagus silvatica. ep Epidermis der Oberseite, e/>"
Epidermis der Unterseite, ej>"' längsgestreckte Epidermiszellen über einem Gefäßbündel, die der
Querschnitt durch das Blatt der Quere nach trifft, pl Palisadenparenchyra, s Sammelzellen, .tp
Schwammparenchym, k kristallführende Zelle, in ^t' eine Kristalldruse, .s/ Spaltöffnung. Vergr. 360.
je ausgeprägter die „Dorsiventralität", d. h. der Unterschied im Bau der Ober-
und Unterseite eines Blattes ist.*
Dorsivetitraies Wir wollcu zuuächst dcu Bau eines solchen ausgeprägt dorsiventralen
Laubblatt. Laubblattes betrachten und wählen dazu die Rotbuche [Fagus silvatica L.)
aus (Fig. 56). Wir entnehmen ihrer Laubkrone ein Blatt, das sich in nicht zu
vollem Sonnenlichte entwickelt hat, weil dieses unserem nächsten Zwecke am
besten entspricht. Sehr zahlreiche Querschnitte durch dieses Blatt zeigen uns an
der Oberseite zunächst eine flache, einschichtige, chlorophyllfreie, spaltöffnungs-
lose Oberhaut [ep). Unter ihr befindet sich eine Schicht chlorophyllreicher,
zylindrischer Zellen, die senkrecht zur Blattoberfläche gestreckt sind und seitlich
durch lufterfüllte Interzellularen mehr oder weniger vollständig getrennt werden.
Wegen der Gestalt und Anordnung ihrer Zellen hat man diese Schicht als ,, Pali-
sadengewebe" bezeichnet (p/). Auf sie folgt weiter abwärts das,, Schwammgewebe"
[sp), aus verschiedengestaltigen, weniger chlorophyllreichen, weite Lufträume
zwischen sich bildenden Zellen aufgebaut. An diese schließt die untere Ober-
haut [ep) an, die im Bau der oberen gleicht, aber von Spaltöffnungen [st) durch-
setzt ist. Das ganze Grundgewebe des Blattes zwischen den beiden Epidermen
wird als ,, Mesophyll" zusammengefaßt. Dieses Mesophyll wird von den Gefäß-
bündeln durchzogen, die in keinem Querschnitt fehlen, und die wir an ihrem
Bau des Blattes 135
Bau und der Englumigkeit ihrer Zellen erkennen. Jedes Gefäßbündel ist von
einer Grundgewebsscheide umgeben, die um starke Gefäßbündel mehrschichtig
ist und aus Sklerenchymfasern besteht, um die feinen Gefäßbündeläste aber nur
noch eine einfache Lage gestreckter, lückenlos verbundener Parenchymzellen auf-
weist. — Das chlorophyllreiche Palisadenparenchym stellt das ,, Assimilations-
gewebe" unseres Blattes dar, das Schwammparenchym sein ,, Durchlüftungs-
gewebe". Die Palisadenzellen sehen wir in Bündeln zusammenneigen, um ge-
meinsam an eine Schwammparenchymzelle anzusetzen. Diese Zelle {s) nimmt
die Assimilate aus den Palisadenzellen auf. Die Stoffabgabe kann nur an sie
erfolgen, da Luftlücken den seitlichen Verkehr der Palisadenzellen unterein-
ander mehr oder weniger vollständig verhindern. Die aufnehmende Schwamm-
parenchymzelle ist in ihrem oberen Teil trichterförmig erweitert, um mehreren
Palisadenzellen eine Ansatzstelle zu bieten. G. Haberlandt hat solche Zellen
,, Sammelzellen" genannt. Sie übermitteln die Assimilate weiter an andere
Schwammparenchymzellen, welche sie ihrerseits zu den Scheiden der feinen
Gefäßbündelzweige befördern und an diese abliefern. Mit entsprechenden Re-
agentien läßt sich unschwer nachweisen, daß dort Traubenzucker abwärts ge-
leitet wird. In dem Maße, als die Gefäßbündel des Blattes erstarken, überneh-
men ihre inneren Gewebe die Weiterleitung und führen die Assimilate schließlich
dem Stengel zu. — Während dem chlorophyllreichen, der Lichtquelle zugewand-
ten Palisadenparenchym der allergrößteTeil der assimilatorischen Arbeit imLaub-
blatt zufällt, hat das chlorophyllärmere, vom Licht abgewandte Schwammparen-
chym den nötigen Gasaustausch mit der Atmosphäre zu fördern und die Tran-
spiration nach Bedarf zu unterhalten, ist dementsprechend mit weiten Interzellu-
laren ausgestattet und der spaltöffnungführenden, unteren Oberhaut genähert.
Wir wählten ein nicht zu stark belichtetes Buchenblatt für die Unter- Einfluß der Be-
suchung aus, um den Gegensatz seiner beiden Seiten in der uns erwünschten ' BiaftbTu.
Weise ausgeprägt zu sehen. Ein dem vollen Sonnenlichte ausgesetztes Buchen-
blatt würde uns an seiner Oberseite zwei bis drei Schichten von Palisadenzellen
vorführen, ja vielleicht auch noch eine solche Schicht an seiner Unterseite zeigen.
Bei Schattenblättern der Buche ist die Palisadenschicht nicht nur einfach und
auf die Oberseite beschränkt, wie in dem von uns zuvor studierten Falle, sondern
auch noch wesentlich niedriger, als wir sie dort fanden. Damit hängt zusammen,
daß ein Sonnenblatt der Buche bis dreimal so dick wie ein Schattenblatt sein
kann. Rotbuchen, die in Strauchform das Unterholz eines schattigen Waldes
bilden, fallen jedem durch die Dünne ihrer Blätter auf. Dafür sind diese Blätter
besonders groß, um eine möglichst ausgedehnte Fläche dem stärksten diffusen
Lichte, das sie erreicht, darzubieten, zudem genau senkrecht auf dessen Ein-
fall orientiert. Es ist von nicht geringem wissenschaftlichen Interesse, solcher-
maßen zu konstatieren, daß die Entwicklungsbedingungen einen direkten Ein-
fluß auf die histologische Ausbildung des Assimilationsgewebes auszuüben
vermögen. Zu den ererbten Eigenschaften der lebenden Wesen gehört eben, daß
ihnen ein solcher Spielraum in der ontogenetischen Ausgestaltung ihrer spezi-
fischen Merkmale gewährt bleibt.
j^ö Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Nach dem, was wir von der Rotbuche gelernt haben, wird es uns nicht
mehr in Erstaunen versetzen, wenn wir erfahren, daß bei Alpenpflanzen, je
nach der Höhe des Standorts, das Palisadengewebe verschieden mächtig ent-
wickelt ist. Denn mit steigender Höhe nimmt im Gebirge die Lichtintensität
zu, und das hat eine Verstärkung des assimilatorischen Gewebes zur Folge.
Hau aufrecht- Auch wcrdcn wir es jctzt vcrständHch finden, daß bei Pflanzen, deren Laub-
^ *" '^biäuer. ^" "blätter so gestellt sind, daß sie annähernd gleichviel Licht von allen Seiten
empfangen, diese Blätter im ganzen Umkreis sich gleich oder annähernd gleich
gebaut zeigen. Sie führen Palisadengewebe dann vielfach an ihren beiden Seiten.
Wie Julius Wiesner gezeigt hat, kommt solchen Laubblättern eine ,,fixe Licht-
lage" vielfach überhaupt nicht zu. Das kann jedem die Betrachtung einer
unserer Kiefern lehren.
Bau umgekehrt- Andererseits erklärt es sich ungezwungen, daß gewisse Pflanzenarten, die
^*^ "'wäner.''" durch Drehung der Blattstiele oder des Blattgrundes die eigentliche Blattunter-
seite beständig nach oben kehren, meist nur an letzterer eine Palisadenschicht
ausbilden. Diese auffällige Erscheinung kommt verschiedenen Gräsern, z.B. dem
in unseren Gärten kultivierten Pampasgras {Gynerium argenteum. Nees), auch
Laucharten, so dem Bärenlauch {Allium ursinum L.) zu.
Die vollkommensten Leistungen bei der Einsteflung ihrer Laubblätter zum
Lichte haben im besonderen die Leguminosen, für welche die Robinie {Rohinia
pseudacacia) als Beispiel dienen kann, erlangt. Die Fiederblättchen ändern,
wie Julius Wiesner vor allem zeigte, ihre Lage je nach der Lichtstärke. Sie
richten sich parallel zu den Sonnenstrahlen auf, wenn diese eine hohe Inten-
sität erreicht haben, stellen sich andererseits auf diffuses Tageslicht senk-
recht ein.
Oberseite dors i- An den meistcu dorsiventralen Laubblättern fällt ohne weiteres auf, daß
wättTr^chkTr?' die Oberseite dunkler grün gefärbt ist, als die Unterseite. Eine anschauliche
phyiireicher. gj-klärung für dic Ursache dieser Erscheinung gewinnt man aus den durch G.
Haberlandt ausgeführten Zählungen von Chlorophyllkörnern in den verschiede-
nen Partien der Blätter. In einem Quadratmillimeter Blattfläche der Rizinus-
pflanze [Ricinus communis L.) fanden sich durchschnittlich im Palisadenge-
webe der Oberseite 403 200, im Schwammgewebe der Unterseite 92 000 Chloro-
phyllkörner vor, es gehörten somit 82 Prozent der Chlorophyllkörner der Ober-
seite, nur 18 Prozent der Unterseite an.
Biumeubiättcr. Buutc Blumenblätter, die an der Assimilationsarbeit der Pflanze nicht be-
teiligt sind, entbehren dementsprechend auch des Palisadengewebes. Ihr Meso-
phyll besteht aus lockerem Schwammparenchym, das in zarten Blüten nur
wenige Schichten bildet, ja im Extrem auf nur eine Zellage beschränkt ist und
so den Raum zwischen den beiden Oberhäuten ausfüllt.
Mesophyu und Man übcrzeugt sich unschwer an entsprechenden Flächenschnitten, die das
"° '^ • Mesophyll eines Laubblattes in sich fassen, daß die Gefäßbündel bis an ihre
äußersten Enden hin von Grundgewebsscheiden umgeben bleiben. Über dem
Ende jedes Bündelzweiges schließen die Scheidenzellen kappenförmig zusam-
men. Fälle, welche die Trachei'den eines Gefäßbündelendes frei endigend zwi-
Bau des Blattes 137
sehen gewöhnlichen Mesophyllzellen zeigen, gehören zu den Ausnahmen und
dienen ganz bestimmten Zwecken. Im allgemeinen ist also das Gefäßbündel-
system gegen die Interzellularen des Blattgewebes durch eine besondere Schicht
dieses Gewebes, deren Zellen lückenlos verbunden sind, abgeschlossen. Man
kann sich die Blätter der höher organisierten Pflanzen als Ausstülpungen ihrer
primären Rinde denken, durch welche die grünen, des Lichtes für ihre assimi-
latorische Arbeit bedürfenden Gewebe eine entsprechende Flächenausbreitung
erlangen. In diese Ausstülpungen dringen aus dem Zentralzylinder des Stengels
die Gefäßbündel ein, um das Leitungsgeschäft von und nach dem Stengel zu
besorgen.
Das mediane Gefäßbündel der Rotbuchenblätter, um zu diesen Blättern Mechanisches
zurückzukehren, und so auch die seitlichen Gefäßbündel erster Ordnung, die ^j^g Lj^^^^y^tj^
vom medianen Gefäßbündel direkt abzweigen, verlaufen in Gewebesträngen, die
als Rippen an der Blattunterseite vorspringen. Diese Blattrippen sind von ge-
streckten Epidermiszellen überdeckt, auf welche das uns bekannte, in den Zell-
ecken verdickte Kollenchym aufwärts folgt. Diesem schließen sich weiter nach
oben kurze, mit je einem Kristall von Kalziumoxalat versehene Zellen und dann
eine mehrschichtige Lage von Sklerenchymfasern, die allseitig das Gefäßbündel
umscheiden, an. Über dieser Scheide ist die Palisadenschicht durch einen Kollen-
chymstreifen ersetzt, der den Anschluß an die gestreckten Zellen der oberen
Epidermis bildet. Das mag uns eine Vorstellung davon geben, in welcher Weise
die Festigkeit eines Buchenblattes durch Ausbildung mechanischer Gewebe ge-
fördert wird.
Flächenartig ausgebreitete Laubblätter, die sich senkrecht zum einfallen-
den Lichte einstellen, müssen biegungsfest gebaut sein, um in dieser Lage zu
verharren. Die Turgorspannung der Parenchyme und die Festigkeit der mecha-
nischen Gewebe wirken in dieser Aufgabe zusammen. Die Oberseite solcher
Blätter wird hauptsächlich auf Zug, die Unterseite auf Druck beansprucht.
Zwischen beiden liegt eine neutrale Zone. Daher in dickeren Blättern Stränge
aus mechanischen Elementen der Ober- und Unterseite möglichst genähert er-
scheinen, und ihre Wirksamkeit an der Unterseite noch im besondern dadurch
gesteigert wird, daß sie in die vorspringenden Rippen, also möglichst tief, zu
liegen kommen.
Die zuvor als Ausnahme berührten Fälle, wo die Enden der Gefäßteile
ohne Scheidenabschluß in einem Blatte enden und ihre meist verkürzten und
etwas angeschwollenen Trachei'den frei in das Mesophyll entsenden, hängen mit
solchen Einrichtungen zusammen, bei denen es gilt, tropfbar flüssiges Wasser
zugleich mit den in ihm gelösten Stoffen aus der Pflanze hervorzupressen. Solche
freie Gefäßbündelendigungen würden uns daher bei entsprechender Unter-
suchungin Verbindung mit Wasserspalten und Apikalöflnungen entgegentreten.
In jene als,, Apikaiöffnungen" bezeichneten Grübchen der Blattspitzen von Was-
serpflanzen, die durch Zerfall von Wasserspalten zustande kamen, ragen zahl-
reiche Tracheidenenden pinselförmig hinein. Unter den Wasserspalten der
Landpflanzen pflegen freie Tracheiden bestimmter Gefäßbündelenden sich zwi-
1^8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
sehen eigens geformte Mesophyllzellen hineinzudrängen, die das Gefäßbündel-
ende in gleicher Richtung fortsetzen und sich durch Zartwandigkeit, geringere
Größe, Protoplasmareichtum, große Kerne und Chlorophyllmangel von dem
angrenzenden Blattgewebe unterscheiden. Diese Bildungen hat Anton de Bary
Epitherae Seinerzeit als „Epitheme" bezeichnet. Sie zeigen zwischen ihren Zellen Interzellu-
laren, die aber nicht mit Luft, sondern mit Wasser erfüllt sind. Durch diese
Interzellularen gelangt das aus den Gefäßbündeln hervorgepreßte Wasser zu
den Wasserspalten und durch diese nach außen. Die aktive Rolle des Epithems
unter den Wasserspalten besteht allem Anschein nach nur darin, daß es seine
Interzellularen dauernd mit Wasser angefüllt erhält und dadurch unter allen
Umständen für einen luftdichten Abschluß der Gefäßbündelenden sorgt. Im
übrigen ist ein solches Epithem ein Filtra-
tionsapparat und damit eine passive Hyda-
thode. Ein schönes Beispiel der Tätigkeit
, dieser Apparate bieten uns verschiedene
ep ^
g^. Steinbrecharten der Alpen, die an den Blatt-
rändern ihrer Rosetten sich in zierlicher
Weise weißpunktiert zeigen. Es handelt sich
dabei um kleine Krusten von kohlensaurem
Kalk, mit welchen entsprechende Grübchen
längs der Blattränder angefüllt werden. Die
Grübchen befinden sich über Epithemen, in
welche Gefäßbündelendigungen münden,
Fig. 57. Querschnitt durch eine Adventiv- ^ übcr Wasscrspaltcn. Das hcrvortretcnde
Wurzel von Alhum Cepa. ep Reste der Kpi- 1^
dermis, ^.r Exodermis, c primäre Rinde, e Endo- WaSSCr VCrduUStct Und läßt daS in ihm gC"
dermis, cc Zentralzvlinder. Vergr. 45.
löste Kalksalz zurück.
Bau der Wurzel. Dcr Qucrschnitt einer Wurzel (Fig. 57) ist als solcher leicht zu erkennen,
verlaufen doch, wie wir schon wissen, Gefäß- und Siebteile der Gefäßbündel ge-
trennt voneinander in ihrem Zentralzylinder. Die primäre Rinde [c) finden wir
in den Wurzeln sehr stark entwickelt. Der Durchmesser des Zentralzylinders
[cc) steht meist um das Vielfache jenem der primären Rinde nach. Wir haben
es eben mit einem Pfianzenteil zu tun, der in der ausgeprägtesten Weise durch
seinen Bau anzeigt, daß er zugfest sein soll. Er rückt alle seine zugfesten Ge-
webe gegen die Mitte zusammen. Die innerste Rindenschicht der Wurzel, die
Endodermis der an den Zcntralzylindcr grenzt, ist fast stets als typische Endodermis ausge-
""^' bildet (Fig. 58^), d. h. mit jenen stofflich veränderten Membranstreifen an
ihren radialen Wänden versehen, die uns in Stengeln, denen Endodermen zu-
kommen, bereits entgegentraten. Durch die chemisch unveränderten, tangentia-
len Wände der Endodermiszellen, gewissermaßen wie durch die Maschen eines
Netzes, kann das an der Wurzeloberfiäche aufgenommene Wasser, nachdem es
die primäre Rinde passiert hat, in den Zentralzylinder gelangen. Die ältere
Endodermis jenseits jener begrenzten Region der Wurzel, die aus dem um-
gebenden Boden das Nährwasser aufnimmt, schließt sich gegen dieses ab. Es
geschieht das durch Ausbildung einer inneren Korklamelle in den Endodermis-
Bau der Wurzel
139
Zellen und zwar zunächst in jenen, die vor den Siebteilen liegen, während die
Bahn nach den Gefäßteilen noch eine Zeitlang frei bleibt. Eine ähnliche Er-
scheinung ist in den Fällen zu beobachten, wo die Endodermis der Wurzel durch
starke Verdickungsschichten frühzeitig gefestigt wird. Da bleiben vorerst vor
den Gefäßteilen liegende Zellen, bzw. Zellreihen, in ihr von dieser Verdickung
ausgeschlossen, um oft recht auffällige ,, Durchlaßzellen" zu bilden. — Der von
der Endodermis
umhüllte Zentral-
zylinder beginnt
an seiner Außen-
seite mit einem
meist einschichti-
gen Perizykel (Fig.
58 p) aus dünn-
wandigen Zellen.
An diesen stoßen
die in größerer
oder geringerer
Anzahl vorhande-
nen, im Kreis an-
geordneten, mit-
einander abwech-
selnden Gefäß-
V r^) ^y~\ "'j I Fig. 58. Querschnitt durch eine Adventivwurzel von Allium Cepa. ii- -i-i- unterirdischer
immer Wurzeln zu sem. Unsere Stauden überwmtern ganz vorwiegend mit sprosse.
unterirdischen Sprossen, die dem Bodenleben besonders angepaßt sind und,
nicht ganz zutreffend, da sie doch nicht Wurzeln sind, als „Wurzelstöcke" oder
„Rhizome" bezeichnet werden. Die oberirdischen Teile der Stauden sterben zu
Ende der Vegetationszeit bei uns meist ab und werden durch neue ersetzt, die
im nächsten Frühjahr aus den Rhizomen dem Boden entsprießen. Da die Wur-
zeln durch die sehr bezeichnende Trennung der Gefäß- und Siebteile ausgezeich-
net sind, so gibt uns jeder Querschnitt eines dem Boden entnommenen Pflan-
zenteils, der, seiner Gestalt nach, ebenso einem Sproß wie einerWurzel angehören
könnte, durch den ihm zukommenden Gefäßbündelbau seine wahre Natur als
Rhizom oder Wurzel zu erkennen. Unter Umständen wird in einem Rhizom,
wie wir das früher schon erfahren haben, der Gefäßteil den Siebteil ganz um-
faßt haben, das Gefäßbündel somit ,,amphivasal" geworden sein, dessenunge- Ampiüvasaie
achtet aber deutlich die Verbindung seiner beiden Bestandteile in demselben Gefäßbundei.
Strang zeigen. Anderseits werden die veränderten, mechanischen Ansprüche, die
an einen solchen im Boden lebenden Sproß, im Gegensatz zu einem oberirdi-
schen, herantreten, nicht ohne Einfluß auf die Verteilung seiner Gewebe ge-
blieben sein. Denn ein Rhizom muß wie die Wurzel vor allem zugfest gebaut
sein. Je mehr ein solcher Anspruch an ihn sich steigert, um so deutlicher rücken
seine Gefäßbündel nach der Mitte zusammen, um dort nach Bedarf noch durch
Sklerenchymfasern verstärkt zu werden. Ähnlich wie eine Wurzel zeigt das
Rhizom dann auch die Neigung, seine innerste Rindenschicht zu einer typischen
Endodermis auszubilden.
Mit Ausnahme der Baumfarne, der Palmen und der Schraubenbäume [Pan- oickeuwachstum
danaceen) verdanken die höher organisierten Gewächse eine ansehnlichere g^^^^^^^^®^^°^J|^^
Stammdicke der Tätigkeit von Meristemen, die, nachdem das Längenwachstum
vollendet ist, in der Gewebebildung fortfahren oder in sie eintreten. Bei Baum-
farnen, Palmen und Schraubenbäumen erreicht der Stammvegetationskegel der
erstarkten Pflanze einen ganz ungewöhnlichen Durchmesser. So kommt es, daß
der Stamm an seinem Scheitel bereits mit einer mächtigen Knospe versehen ist,
einer Knospe, die beim Baumfarn im wesentlichen schon über den endgültigen
Durchmesser des Stammes entscheidet. Nicht so bei den Palmen, wie jeder be-
merkt haben muß, der etwa Gelegenheit hatte, deren Dickenzunahme in den
letzten Dezennien an der Riviera oder in Süditalien zu verfolgen. Die kaliforni-
sche Washingtonia füifera Wendl., meist als Pritchardia bezeichnet, hat dort an
vielen Orten gegen einen Meter Durchmesser erreicht. Sie hat das ohne Neubil-
dung von Geweben fertiggebracht, nur dadurch, daß sie die Lumina ihrer paren-
chymatischen und prosenchymatischen Grundgewebszellen im Zentralzylinder
fort und fort erweiterte. Zugleich verdickte sie eine immer größer werdende Zahl
dieser prosenchymatischen Zellen, die zunächst, ihrer Mehrzahl nach, im dünn-
M2
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Sekundäre
Gewebebild ung.
/" —
Das Kambiui;
wandigen Zustand die Gefäßbündel an ihrer Siebteilseite begleitet hatten, in
solcher Weise die mechanische Leistungsfähigkeit des Stammes auch dauernd
erhöhend. Man begreift, daß dieser Art des Dickenwachstums eine vorbe-
stimmte Grenze gesteckt ist und kennt nun auch den Grund, weshalb die Stäm-
me der Palme schließlich gleich stark in ihrer ganzen Länge erscheinen, nur
dünner oder dicker, je nach der Natur der
Spezies, der sie angehören, bei bestimmten
Arten sogar angeschwollen in mittlerer Höhe.
Ähnliche Verhältnisse bieten auch die eben-
falls zu den Monokotylen gehörenden Schrau-
benbäume oder Pandanaceen dar, Bewohner
der Tropen, die wir bei uns nur in Gewächs-
häusern zu sehen bekommen. In diesen fallen
sie durch ihre langen, schwertförmigen, in
Schraubenlinien gestellten Blätter auf und so
auch durch die Luftwurzeln, die ihnen als
Stelzen dienen.
Andere Monokotyle, sofern ihnen Dicken-
wachstum zukommt, besorgen dieses mit Hilfe
eines Meristems, durch Neubildung von Ge-
weben. Es ist klar, daß ein solches Dicken-
wachstum, im Gegensatz zu jenem der Palmen
und Schraubenbäume, in gewissem Sinne ein
unbeschränktes sein kann. Es braucht nicht
früher aufzuhören, als bis der Baum aus
irgendwelchem Grunde abstirbt. Die Zahl der
so in die Dicke wachsenden, monokotylen
Pflanzenarten ist in Wirklichkeit nur gering;
die Erscheinung bleibt auf baumartige Lilii-
floren beschränkt. Wie sie sich abspielt, kann
uns ein junger Drachenbaum, eine Art der
Gattung Dracaena oder Cordyline lehren (Fig.
60), Außerhalb der zerstreuten, geschlossenen
Gefäßbündel, die der Zentralzyhnder eines
jungen Stammes aufweist, in der anschließen-
den, primären Rinde, beginnen sich die parenchymatischen Grundgewebs-
zellen tangential zu teilen. Sie bilden zusammen einen Ring, der den Stamm
umkreist {c). Es handelt sich, wie wir sehen, um ein Folgemeristem. Sowohl
primäre wie sekundäre Meristeme, durch deren Tätigkeit der sekundäre Zu-
wachs besorgt wird, bezeichnen wir als ,, Kambien". Wir haben somit in einem
solchen jungen Stämmchen ein Folgemeristem vor Augen, das als Kambium
funktioniert. Dieses Kambium gibt durch fortgesetzte, tangentiale Teilungen
Zellen gegen das Stamminnere ab, die ihrem Ursprung gemäß in radialen Reihen
angeordnet sind. Die große Mehrzahl dieser Zellen gibt parenchymatischen
Fig. 60. Cordyline (Dracaena) rubra. Quer-
schnitt durch den Stamm. /Gefäßbündel, und
Dickenwachstum ^^^^'^ f Primäre, /' sekundäre, /" ein inner-
der Drachen- ^^■^ der primären Rinde befindliches Gefäß-
bäume bündel, 711 pareuchy malisches Grundgewebe,
■s Gefäßbündelscheide, i Tracheiden, c Kam-
biumring, er Rinde, in den äußeren Teilen pri-
mär, in den inneren sekundär, ph Phellogen,
/Kork, ^-Raphidenbündel. Vergr. 30.
Dickenwachstum der Palmen und Drachenbäume 143
Grundgeweben den Ursprung, eine weit kleinere Zahl teilt sich ergiebig, um
neue Gefäßbündel (/'') zu bilden. Die Zellen des Grundgewebes sowie die Form-
elemente des Gefäßteils der hinzugekommenen Gefäßbündel verdicken ihre
Wände stark und bilden zusammen ein festes Gewebe, das den Eindruck von
,,Holz" macht. Auf solche Weise werden die primären inneren, verhältnismäßig
lockerenGewebemassen von dem mechanisch weit leistungsfähigeren, sekundären
Zuwachs verstärkt. Die Gefäßbündel dieses sekundären Zuwachses (/') sind
ebenso wie die des primären Gewebes (/') geschlossen, zudem amphivasal, d. h.
so gebaut, daß der Gefäßteil den Siebteil allseitig umschließt. Bei der Gattung
Cordyline kommt auch den primären Gefäßbündeln dieser amphivasale Bau
bereits zu; bei Dracaena sind die primären Gefäßbündel kollateral und erst in
dem sekundären Zuwachs kommt der Siebteil inmitten des Gefäßteils zu liegen.
Der amphivasale Bau der Gefäßbündel gewährt aber den Stämmen der Drachen-
bäume dieselben Vorteile wie zahlreichen Wurzelstöcken (Rhizomen), in welchen
man ihn antrifft. Denn die Dracaenenstämme dienen, so wie Wurzelstöcke, als
Reservestoffbehälter. Der amphivasale Bau ihrer Gefäßbündel bringt die Was-
serbahnen in allseitige Berührung mit den die Reservestoffe speichernden
Grundgewebszellen. Diese können daher um so leichter ihre Inhaltsstoffe in die
Wasserbahnen hineinpressen, wenn es gilt, diese Stoffe möglichst rasch den in
Entfaltung befindlichen Knospen zuzuführen. Die Wasserbahnen des sekun-
dären Zuwachses bei den Dracaenen haben eine ganz ähnliche Ausbildung wie
die des Holzes der Koniferen erhalten. Sie gleichen den Tracheiden der Koni-
feren auffäUig in Gestalt, Wandstärke und Tüpfelung. Das ist wieder eine der
vielen Analogien der Entwicklung, wie sie so oft im Dienste der nämlichen Funk-
tion sich einstellten. — Auch nach der Rindenseite zu werden vom Kambium-
ring eines Dracaenenstammes neue Zellen in radialen Reihen abgegeben, doch
stellt sich deren Bildung erst später ein, bleibt spärlich und erfolgt überhaupt
nur in dem Maße, als nötig ist, um bei zunehmendem Stammumfang der Rinde
ihre ursprüngliche Dicke zu erhalten. — Um die Wurzeln eines in die Dicke Dickenwachstum
wachsenden Dracaenenstammes in die Möglichkeit zu versetzen, den sich stei- Drachenbäume,
gernden Leistungsansprüchen zu genügen, werden auch sie durch sekundären
Zuwachs verdickt und mit neuen Leitungsbahnen versehen. Ein Kambium-
ring stellt sich in ihnen innerhalb der an die Endodermis unmittelbar grenzen-
den Rinde ein und arbeitet dann nicht anders wie im Stamm. — Wie leistungs-
fähig dieses Dickenwachstum der Drachenbaumstämme ist, das lehrt am besten
das Verhalten des ,, echten" Drachenbaums oder Blutbaums [Dracaena draco
L.), der das blutrote Harz liefert, das als Drachenblut bekannt ist. Man trifft
mächtige Stämme von ihm noch auf Tenerife, der stärkste der Jetztzeit ist der
Drachenbaum von Icod de Los Vinos, der über 12 m Umfang dicht über dem
Boden mißt. So mächtig ist er trotzdem nicht, wie der einst berühmte Drachen- Der Drachen-
bäum von Orotava, den Alexander von Humboldt 1 799 auf Tenerife bewunderte, """^avl"
und der über 14^ m Umfang bei einer Höhe von gegen 20 m maß. Dieser
Baum wurde hohl in seinem Innern und seine 4 m weite Höhlung beschleunigte
wohl sein Ende. Er brach 1807 bei einem Sturm zusammen und im nächsten
144
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Das Dicken-
wachstum der
Nadelhölzer und
Dikotylen.
Jahr zerstörte Feuer den Stumpf. Dieser Baum war den Spaniern schon 1492
durch seine Größe aufgefallen und galt daher als sehr alt. Man schätzte ihn,
ohne bestimmte Anhaltspunkte zu haben, auf 6000 Jahre und hielt ihn auch
wohl für den ältesten Baum der Welt. Das Volk neigt stets dazu, das Alter auf-
fällig starker Bäume zu überschätzen, und so war es auch in diesem Fall. Ver-
gleichende Messungen in den letzten Dezennien haben ergeben, daß die Drachen-
bäume verhältnismäßig rasch wachsen, und daß man wohl das Alter jenes be-
rühmten Baumes auf ein Zehntel der ihm zugedachten Jahre reduzieren müßte.
Neuerdings hat man festgestellt, daß auch bei den durch Kambiumtätigkeit in
die Dicke wachsenden Monokotylen der periodische Wechsel von Trieb- und
Ruhezeit den Bau des Holzes beeinflußt und
sich in Zonenbildung äußert; also werden sich
in Zukunft vielleicht die Zonen zählen und
das Alter der Drachenbäume genau bestim-
men lassen.
Solche dem Jahreszuwachs entsprechende
Zonen sind in ausgeprägter Weise im Stamm
aller unserer Nadelhölzer und der allermeisten
dikotylen Holzgewächse gegeben. Der sekun-
däre Zuwachs wird bei ihnen freilich in ganz
anderer Weise als bei den baumartigen Lilii-
floren eingeleitet. Wir erinnern uns, daß die
Nadelhölzer und Dikotylen offene Gefäßbündel
(Fig. 52, 54) haben, d. h. solche, die einen pri-
mären Meristemstreifen zwischen Gefäßteil
und Siebteil behalten. Zudem wird uns noch
gegenwärtig sein, daß die Gefäßbündel dieser
Pflanzen im Stengel zu einem Kreise angeordnet sind und seitlich durch
Grundgewebestreifen getrennt werden, die wir als Markstrahlen bezeichnet
haben. Zwecks sekundären Wachstums versetzt sich der Meristemstreifen der
Gefäßbündel in erneuerte Tätigkeit (Fig. 62) und bildet, indem er sich tangen-
tial teilt, sowohl nach innen wie nach außen radiale Reihen von Gewebezellen.
Von den Rändern dieses Meristemstreifens, welcher der zuvorigen Definition ge-
Faszikuiares und iTiäß ciu Kambiumstreifcn geworden ist, breiten sich die Zellteilungsvorgänge
'"'icambium!'^" über eincn Gewebestreifen der angrenzenden Markstrahlen aus, überbrücken
diese und ergänzen so durch Einschaltung von Folgemeristemen der Interfasziku-
larkambien (Fig. 62 ic) zwischen die Faszikularkambien, d. h. die Kambien der
Gefäßbündel, diese zu einem geschlossenen Ringe (Fig. 61 fc, ifc). Dieser Ring er-
zeugt nunmehr innerhalb der Gefäßbündel nach innen neue Formelemente des
Gefäßteils, nach außen solche des Siebteils; innerhalb des Markstrahls bildet er
in beiden Richtungen neue Markstrahlzellen (Fig. 62). Alles Gewebe, das vom
Kambiumring nach innen abgegeben wird, faßt man als Holz, alles Gewebe, das
Holz und Bast, er nach außen bildet, als Bast, bzw. auch als sekundäre Rinde, zusammen (Fig.
63). Was den Gefäßteilen hinzugefügt wird, heißt im besondern noch Holz-
Fig. 61. Querschnitt durch einen 5 mm dicken
Zweig von Aristolochia Sipho. ?n Mark,/y Ge-
fäßbündel, und zwar vi Gefäßteil, cb Siebteil,
fc Faszikularkambium, ifc Interfaszikularkam-
bium, p Kribralparenchym an der Außenseite
des Siebteils, pc Perizykel, sk Sklerenchym-
ring, e Stärkescheide, c primäre Rinde, in
dieser ci KoUenchym. Vergr. 9.
Holz, Bast. Markstrahlen
145
stränge, was an die Siebteile anschließt, Baststränge. In dem Maße, als die
Breite der Holz- und Baststränge zunimmt, schaltet der Kambiumring neue
Markstrahlen ein (Fig. 63 ms). Diese haben nicht die Höhe der primären Mark-
strahlen, eine Höhe, die durch den Gefäßbündelverlauf bestimmt war und sich
über ganze Stengelglieder erstrecken konnte, sie stellen vielmehr nur verhält-
nismäßig niedrige, radial verlaufende Bänder dar, deren inneres Ende im Holz,
deren äußeresEn-
und die um so we-
niger tief in beide
hineinragen, je
später sie einge-
schaltet worden
sind. Man hat sie
,, sekundäre"
Markstrahlen ge-
nannt, richtiger
sollten sie ,, Holz-
Baststrahlen"
heißen, da sie
nicht bis zum
Mark reichen. —
In unseren Brei-
tenwird die Kam-
biumtätigkeit
periodisch durch
den Winter unter-
brochen. In ei-
nem milderen
Klima kann ein
regelmäßiger
Wechsel feuchter
und trockener
Zeiträume eine
ähnliche Wirkung
ausüben. Alljährlich beim Wiedererwachen der Vegetation, beginnt das Kam-
bium unserer gymnospermen und dikotylen Holzgewächse sich wieder zu regen,
um neue Wasserbahnen für das Laub der sich entfaltenden Sprosse zu schaffen.
Das junge Holz fügt sich dem älteren an; seine wasserleitenden Formelemente
zeichnen sich durch Weitlumigkeit aus. Sind die Transpirationsbedürfnisse des
neu entfalteten Laubes gedeckt, so bildet das Kambium weiterhin vorwiegend
englumigere, für mechanische Leistungen entsprechender ausgestattete Formele-
mente, um den steigenden, longitudinalen Druck, den die zunehmende Last der
Baumkrone auf den Stamm ausübt, den Anforderungen somit, die an reine
K. d.G. III.iv, Bd 2 Zelleiüelu-e etc. Iq
Sekundäre
Markstrahlen.
Fig. 62. Querschnitt durch einen Zweig von Aristolochia Sipho im ersten Jahre seiner
Entwicklung, ein Gefaßbündel nach begonnener Kambiumtätigkeit zeigend. / Vasalparen-
chym, an dem Innenrande des Vasalteils, v//i Vasalprimanen, »i' und m" behöft getüp-
felte Gefäße, zc Interfaszikularkambium, sich aus dem Faszikularkambium fortsetzend,
V Siebröhren, lic/> Kribralprimanen, pc Gewebe des Perizykels, s/c innerer Teil des Ringes
aus Sklerenchymfasern. Vergr. 130.
146
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Säulenfestigkeit gestellt werden, zu begegnen. Ist auch diesen Ansprüchen Ge-
nüge geleistet, so stellt das Kambium seine Tätigkeit nach der Holzseite ein und
fährt nur noch fort, neue Formelemente nach der Bastseite abzugeben. Letz-
teres kann unter Umständen bis spät in den Herbst hinein dauern, so lange wie
das Laub noch funktioniert, und die von ihm erzeugten Assimilate nach mehr
Bahnen für ihre Abwärtsleitung und Speicherung verlangen. Die Bildung neuer
Holzelemente hört hingegen in unseren Breiten in der zweiten Hälfte des August
etwa auf. Sie schließt ab mit einem Holz, in welchem englumige Formelemente
vorherrschen. Unvermittelt beginnt im
nächsten Frühjahr dann wieder die Bil-
jahresringe. ^^ ■ f4 j_ 1 -'"^ "'5==^'*'^?^- ^^ dung von weitlumigcrcm Holz. Dadurch
wird bewirkt, daß sich die Grenze zwi-
schen den aufeinanderfolgenden Jahres-
produktionen schon dem bloßen Auge zu
erkennen gibt. Das im Frühjahr erzeugte
weitlumigere Holz darf man als ,, Früh-
holz", das im Sommer gebildete, englu-
migere als ,, Spätholz" bezeichnen. Die
früher übhche Unterscheidung von
Frühlingsholz und Herbstholz läßt sich
hingegen nicht wohl beibehalten, da,
wie wir sahen, eben die Holzbildung bei
uns schon imSommer auf hört. Durch Ab-
zahlung der ,, Jahresringe" erfährt man
das Alter eines gymnospermen oder diko-
tylen Stammes, doch bilden die Stämme
nur solcher Gewächse Jahresringe, denen
eine entsprechende Periodizität in ihren
Entwicklungsvorgängen zukommt. Der
Zufall könnte es unter Umständen fü-
gen, daß wir aus dem Querschnitt eines
Stammstückes auf ein etwas zu hohes
Alter desselben schließen. Denn wenn
ein Baum bei uns im Frühjahr durch Frostschaden oder Raupenfraß sein Laub
einbüßt, treibt er die für die nächste Vegetationsperiode bestimmten Knospen
aus und belaubt sich von neuem. Durch diese Neubelaubung wird eine noch-
malige Bildung vonWasserbahnen, also eine Verdoppelung der Jahresringbildung
veranlaßt, die um so deutlicher hervortritt, je mehr Spätholz der ersten Wasser-
bahnanlage bereits folgte.
Aus der Abzahlung der Jahresringe an einem Stammstücke, das uns vor-
liegt, erfahren wir selbstverständlich nur das Alter, welches die betreffende
Stelle des Stammes erreicht hatte, nicht das Alter des ganzen Gewächses. Denn
es ist klar, daß die Zahl der Jahresringe in dem Maße abnimmt, als wir uns dem
Scheitel des Stammes bzw. seiner Äste nähern. Schheßlich gelangen wir ja auf
Fig. 63. Stück eines vierjährigen Stammteils der Kiefer
(Pinus silvestris) im Winter geschnitten. <; Querschnitts-,
/radiale Längsschnitts-, /tangentiale Längsschnittsansicht,
/ Frühholz, s Spätholz, w;Mark, /^ primäre Vasalteile, j, 2, j
und 4 die vier aufeinander folgenden Jahresringe des Holz-
körpers, z Jahresgrenze, ms Markstrahlen in der Quer-
schnittsansicht des Holzkörpers, ms' in der radialen Längs-
schnittsansicht des Holzkörpers, }/is'' innerhalb der Bast-
zone, i>is" in der tangentialen Längsschnittsansicht, c Kam-
biumring, f- Bastzone, /i Harzgänge, ir die außerhalb der
ersten Peridermlage befindliche, der primären Rinde ent-
sprechende Borke. Vergr. 6.
Jahresringe. Dickenwachstum der Wurzehi
147
solche Weise zu den Trieben des letzten Jahres, die entweder nur ihre primären
Gewebe aufweisen oder in der Bildung ihres ersten Jahresringes begriffen sind.
In Richtung der Vegetationspunkte keilen sich daher die Jahresringe nachein-
ander ihrem Alter entsprechend aus. Zu gleicher Zeit, wie der obere Rand eines
Holzringes im Innern des Stammes endet, hört der gleichalterige Bastring, so-
weit er sich noch am Stamm befindet, an dessen Oberfläche auf.
Den Wurzeln der mit Dickenwachstum
ausgestatteten Gymnospermen und Dikotylen
kommt dieselbe Art des Dickenwachstums wie
ihren Stämmen zu. Das Verhalten der primären
Gewebe im Zentralzylinder solcher Wurzeln
bringt es aber mit sich, daß bei ihnen der
Ausgangspunkt des Dickenzuwachses ein an-
derer sein muß. Die Gefäß- und Siebteile stehen,
wie wir wissen, getrennt voneinander im Kreise
angeordnet. Primäre Meristemstreifen, die als
Kambien in Tätigkeit treten könnten, sind
nicht vorhanden. Der ganze Wachstumsvor-
gang muß somit sekundär eingeleitet werden.
Es geschieht das, indem an der Innenseite jedes
Siebteiles sich als Folgemeristem ein Kam-
biumstreifen bildet (Fig. 64 A, c). Dieser um-
faßt sichelförmig den Siebteil. Die Ränder
der einzelnen Kambien erreichen sich alsbald
außerhalb der Gefäßstrahlen im Perizykel (Fig.
64 Ä). So ist ein voller Kambiumring da, der
innere Einbuchtungen vor den Siebteilen,
äußere Ausbuchtungen hinter den Gefäßstrah-
len zeigt. Im Anschluß an die Siebteile bildet
der Kambiumring Formelemente des Holzes
nach innen, des Bastes nach außen (Fig. 64 5,
g u. ^ ). Jenseits der Gefäßstrahlen erzeugt er
Markstrahlgewebe. Nach einiger Zeit der Tätig-
keit haben sich die Buchten am Kambiumring ausgeglichen (Fig. 64 B, c), und er
erscheint kreisförmig wie im Stamm. Stücke älterer Wurzeln müßten dem bloßen
Auge ein ganz ähnliches Bild wie Stammstücke darbieten. Die mikroskopische
Untersuchung würde aber Anknüpfungspunkte für eine Unterscheidung beider
abgeben. Denn man fände in der Mitte des Querschnitts einer Wurzel statt
des dem Stamme zukommenden Markes deren primäre Gewebe wieder. In den
meisten Fällen könnte auch die bedeutendere Weite der Holzelemente nicht un-
bemerkt bleiben, zudem vielfach auch die schwächere Markierung der Jahres-
ringe. In Richtung der Vegetationspunkte nimmt, wie selbstverständlich, auch
der Durchmesser der in die Dicke wachsenden Wurzeln ab; Holz- und Bast-
ringe keilen sich an ihr nacheinander ebenso wie an den Stämmen aus.
Dicken Wachstum
der Wurzeln von
Nadelhölzern
und Dikotylen.
Fig. 64. Scheraatische Darstellung des Dicken-
wachsturas einer dikotylen Wurzel. In A be-
deutet pr primäre Rinde, e Endoderrais. In A
und B sind i- Kambiumring, g' primärer Vasal-
strang, s' primärer Siebstrang,/) Perizykel. In
B bedeuten außerdem g" sekundär erzeugtes
Holz, s' sekundär erzeugten Bast, k Periderm.
10^
j^g Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Die Bahnen des Bcrücksichtigen wir alle diese Verhältnisse, so ergibt sich aus ihnen für uns
Nährwassers und gjj^ klares Bild der Bahn, welcher das aus dem Boden aufgenommene Wasser
der Assimilate. ' "
in einem gymnospermen oder dikotylen Holzgewächs folgt, um bis in die Blät-
ter zu gelangen, so auch des Weges, den die in den Blättern erzeugten Assi-
milate einschlagen, um im Stamm abwärts zu wandern und schließlich selbst
die äußersten Wurzelspitzen zu erreichen. Somit sind es die in jedem Jahr vom
Kambium aus neu erzeugten Bahnen, welche eine ununterbrochene Fortsetzung
einerseits der Gefäß- und Siebteile jüngster Wurzeln, anderseits der Gefäßbündel
der Blätter darstellen und beide miteinander auf direktem Wege verbinden.
Diesen Bahnen folgt der Hauptsache nach der aufsteigende und der absteigende
Strom.
So bringt es diese Einrichtung mit sich, daß der jüngste Jahresring des
Holzes sowie die letzterzeugte Schicht des Bastes am meisten für das Leitungs-
geschäft dieser Holzgewächse beansprucht werden. Altere Bastzonen treten
sehr bald außer Funktion; im Holze hingegen hält die Tätigkeit der Jahresringe
länger an, wobei es dann aber freilich auch bei ihnen nicht sowohl darauf an-
kommt, sich so wie zuvor in vollem Maße an dem ununterbrochenen Geschäft
der Wasserleitung zu beteiligen, als vielmehr zur Zeit erhöhter Anforderungen
im Frühjahr, wenn es gilt, auch die als ,, Blutungssaft" in die Wasserbahnen hin-
eingepreßten Wassermengen zu bewältigen, entsprechende Hilfe zu leisten. Die
Zahl der Jahresringe des Holzes, die an aller dieser Arbeit der Wasserleitung
beteiligt wird, bleibt bei alledem eine beschränkte. Ihren außer Tätigkeit ge-
setzten Wasserbahnen gegenüber verhalten sich zudem die verschiedenen Holz-
gewächse nicht in übereinstimmender Weise. Die einen lassen sie im wesent-
lichen so fortbestehen, wie sie zuvor waren, die andern richten sie entsprechend
für den untätigen Zustand ein. Zu den erstgenannten Holzgewächsen gehören
spünthöizer und ^ic SpHuthölzer, zu den letztgenannten die Kernhölzer. Die Rotbuche befindet
Kernhölzer, gj^^j^ uuter den Splinthölzcm und kann uns über deren Verhalten aufklären.
Untersucht man, von außen nach innen fortschreitend, die immer älter werden-
den Jahresringe ihres Holzes, so bemerkt man keine andere auffällige Verände-
rung als die, daß die Zahl der lebendigen Zellen in den Markstrahlen und dem
Holzparenchym langsam abnimmt. In einem 124 Jahre alten Stammstück der
Rotbuche, das ich untersuchte, waren noch im 80. Jahresring von außen ver-
einzelte, lebendige Zellen anzutreffen, weiter nach innen zeigten sie nur noch ge-
bräunten, abgestorbenen Inhalt. Im übrigen hatte das Holz sein früheres Aus-
sehen bewahrt und nur etwas röthche Färbung angenommen. Wie anders wäre
uns ein Kernholz bei entsprechender Untersuchung entgegengetreten! Seinen
meist schon an der dunkleren Färbung kenntlichen Kern hätten wir gegen den
helleren ,, Splint" scharf abgesetzt gefunden und zudem festgestellt, daß alle
seine Zellen tot sind. Die letzte Tätigkeit der noch lebenden Zellen in einem
Jahresringe, der in Kernholz übergeht, besteht darin, die Wasserbahnen abzu-
schließen, bzw. zu verstopfen, meistens auch die sämtlichen Zellwände mit be-
stimmten Stoffen zu imprägnieren. Das wird bei den Gymnospermen in anderer
Weise als bei den Dikotylen erreicht. Die Gymnospermen verkleben mit Harz
Splint- und Kernhölzer. Holz -Imprägnierung i^n
die Hoftüpfel ihrer Wasserbahnen; die Dikotylen verstopfen die Hohlräume
dieser Bahnen mit „Kerngummi", lassen außerdem die lebenden Zellen, welche
an die Wasserbahnen grenzen, durch die Tüpfel als sogenannte ,,Thyllen" in sie
hineinwachsen und sie mit Gewebe ausfüllen. Zur Imprägnierung der Zellwände
benutzen sie verschiedene Substanzen, vor allem aber Gerbstoffe, und es sind
die Oxydationsprodukte der letzteren, welche den Kernhölzern ihre dunkle
Farbe verleihen. So wird das Kernholz unserer Eiche braun, so das Ebenholz
[Diospyros] schwarz. Auch bestimmte Farbstoffe, welche die Chemiker der
Flavongruppe zuzählen, nehmen in ganz bestimmten Fällen an der Färbung des
Kernholzes teil. Diesem Umstände verdanken wir die technisch wichtigen
Farbhölzer. Zu ihnen gehört das Blauholz oder Campeche [H aematoxylon cam-
pechianum L.) mit rotem Kern, der das Hämatoxylin liefert, das rote Sandelholz
[Pterocarpus santalinus L. fil.), aus dessen dunkelrotem Kern das Santalin, das
Fernambukholz, Rotholz {Caesalpinia echinata Lam,), aus dessen rotem Kern
das Brasilin, endlich das Gelbholz {Chlorophora tinctoria Gaud.), aus dessen gel-
bem Kern das Morin gewonnen wird. Es braucht bei alledem ein Holz, das im
übrigen die Merkmale eines Kernholzes aufweist, nicht durchaus anders als der
Splint gefärbt zu sein. So verhält es sich bei den Weiden. Im allgemeinen läßt
sich behaupten, daß Kernhölzer, welche die Farbe des Splintes behalten haben,
gegen spätere Zersetzung schlecht geschützt sind. Es fehlt ihnen die hierzu
erforderliche, antiseptische Imprägnierung, wie sie durch Harze und Gerb-
stoffe verliehen wird. Daher sehen wir, daß Weiden im Alter so leicht hohl wer-
den. Je besser eine Pflanze ihr Kernholz imprägniert hat, um so wertvoller ist
dieses für uns. Ein solches Holz zeichnet sich für gewöhnlich auch durch be-
sondere Dichte, Härte und meist auch Festigkeit aus. Die Imprägnierung
schützt es vor den schädigenden Wirkungen der Atmosphärilien und den An-
griffen der niederen und auch höheren Organismen. Hölzer, die von Natur nicht
imprägniert sind, sucht dann wohl der Techniker für sich nutzbar zu machen, Künstliche HoU-
indem er sie mit antiseptisch wirksamen Stoffen, so mit Kupfersulfat, Chlorzink '^p''*^"'*"'""^-
und Teerölen, meist unter Anwendung eines starken Druckes, tränkt. Ein
Splintholz, wie die Rotbuche, läßt sich bei einem solchen Verfahren durch und
durch imprägnieren, weil seine Wasserbahnen offen sind, der eingepreßte Stoff
in sie gelangen und sich von ihnen aus auf das nächstangrenzende Gewebe ver-
breiten kann. Nicht so ein Kernholz. Soweit Splint an ihm vorhanden, wird
dieser selbstverständlich völlig imprägniert, hingegen nicht der Kern, da seine
Wasserbahnen verschlossen sind. Selbst bei Anwendung des stärksten Druckes,
den die Imprägnierungsanstalten anzuwenden vermögen, bleibt die Imprä-
gnierung des Kernholzes der Kiefer bei etwa 0,5 cm von der Oberfläche stehen
und dringt noch weniger tief in das Kernholz der Eiche ein. — Daß ein bewur-
zelter Baum mit seinem Kernholz die Transpirationsbedürfnisse seines Laubes
nicht zu decken vermag, das läßt sich durch einen einfachen Versuch feststellen.
Man braucht nur im Umkreis seines Stammes einen Sägeschnitt zu führen, der
bis auf das Kernholz reicht, damit das Laub alsbald welke. Würde man eine
Robinie [Rohinia pseud-acacia L.) unserer Gärten, die sogenannte Akazie, zu
I50
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
dem Versuche wählen, so brauchte der Ringschnitt nur einige Zentimeter tief
zu sein, weil der Splint dieses Baumes eine nur sehr geringe Mächtigkeit besitzt.
Da zudem das zarte Laub sehr rasch welkt, so würde die Folge des Einschnittes
sich in kürzester Zeit schon geltend machen.
Alter der Man kenut Bäume, die tatsächhch ein Alter von mehr als 4000 Jahren er-
' *""" """""^ reicht haben, bei denen man dieses Alter an den Jahresringen abgezählt hat.
Es sind das die Mammutbäume [Sequoia gigantea Endl.), deren Entdeckung
im Jahre 1850, in der Sierra Nevada Kahforniens, großes Aufsehen erregte.
An gefällten Stämmen hatten amerikanische Forscher annähernd 4000 Jahres-
ringe gezählt. Der deutsche Forstmann Heinrich Mayr berechnete auf Grund
vergleichender Untersuchungen für den stärksten Baum, den er maß, und der
in 4 m Höhe einen Durchmesser von 10,2 m hatte, ein Alter von 4250 Jahren.
Man stellt sich kaum die gewaltigen Holzmassen vor, die ein solcher Baum er-
zeugt hat. Ein Stamm in Fresnoly, den Heinrich Mayr genau ausmessen
konnte, dessen Höhe 102 m betrug, und der 2 m über dem Boden einen Durch-
messer von 7 m, 34 m über dem Boden von 3,7 m aufwies, stellte tatsächlich
dieselbe Holzmenge vor, wie sie von einem Hektar Wald unserer einheimischen
Fichten in achtzig bis neunzig Jahren produziert wird. Beim Anblick eines solchen
Baumriesen könnte man sich vorstellen, man habe ein Wesen vor sich, in wel-
chem auch fertiggestellte Gewebezellen seit so enormer Zeitdauer funktionieren,
Lebensdauer ciucr Zcltdaucr, gcgcu die das Leben selbst der langlebigsten Tiere kurz er-
webezeiien. schciuen müßtc. In Wirklichkeit liegt das Verhältnis aber anders. Auch die
Zellen eines Mammutbaums, die aus dem embryonalen Zustand getreten sind,
erreichen in Wirklichkeit nur ein Alter, das die Dauer des menschlichen Lebens
nicht überschreitet, kaum mehr denn 80 Jahre. Schreiten wir in den Jahres-
ringen des Stammes von außen nach innen fort, so gelangen wir bald aus dem
Splint in das Kernholz und haben damit die nur noch aus toten Formelementen
aufgebauten Stammteile erreicht. Ein 4000jähriger Mammutbaum stellt also
ein aus toten Formelementen, deren Alter bis auf 4000 Jahre zurückreicht, auf-
gebautes Skelett dar, das von einem Gewebemantel bedeckt ist, in welchem
Leben herrscht, in dem aber auch die langlebigsten Zellen kaum über 80 Jahre
hinaus funktionieren. Anders die embryonalen Gewebe der Vegetationspunkte,
jene Zellen, die dort in fortgesetzter Vermehrung begriffen sind. Diese teilen
Kontinuität der sich scit jcncr Zeit fort, in der durch einen Befruchtungsvorgang die diploide
embryonalen rr-n i-it-> itt
Substanz. Keimzelle erzeugt wurde, die dem Baum den Ursprung gab, also unter Um-
ständen seit mehr denn 4000 Jahren. Das Leben jeder embryonalen Zelle als
solcher war aber stets kurz, denn jeder Teilungsschritt schuf eine neue Zellgene-
ration, die der vorhergehenden ein Ende machte. Doch die lebende Substanz
setzte sich ununterbrochen durch alle diese embryonalen Zellgenerationen fort.
Findet die Weiterentwicklung eines solchen pflanzlichen Vegetationspunktes
schließlich doch ein Ende, so ist es nur, weil früher oder später ihr innere wie
äußere Ursachen, am häufigsten wohl die Erschwerung des Stoffaustausches
zwischen Wurzel und Gipfel, ein Ende bereiten. Von dem Wurzelstock mancher
Stauden, die horizontal im Boden weiterwachsen und sich an ihrer Unterseite
Lebensdauer der Pflanzenzellen. Kambium
151
bewurzeln, könnte man sich theoretisch eine endlose Fortentwicklung vor-
stellen. Die Länge des Weges, die ein solcher Wurzelstock im Boden zurücklegt,
wird dann schließlich auch die Höhe der mächtigsten Baumriesen übersteigen
müssen.
Das Kambium, dessen Tätigkeit unsere Holzgewächse mit sekundären Ge- Bau und xätig-
weben versorgt, wird von inhaltsreichen, zartwandigen Zellen gebildet, welche KambiunfzTiien.
die Gestalt rechteckiger Prismen haben, deren Enden abwechselnd nach rechts
und links zugeschärft sind. Innerhalb der sekundären Markstrahlen sind die
Kambiumzellen kürzer als zwischen
den Holz- und Baststrängen, weil,
wenn ein neuer Markstrahl einge-
schaltet wird, die Kambiumzellen der
entsprechenden Stelle quere bzw.
schräge Teilungen erfahren. Meist
kommt dem Kambiumring eine dau-
ernde ,, Initialschicht" zu, d. h. eine
Zellreihe, die als solche fortbesteht
und durch Teilung Schwesterzellen
nach innen oder außen abgibt. Diese
letzteren Zellen teilen sich einmal,
auch wohl einigemal, bevor sie zu
Gewebezellen des Holzstrangs oder
Baststrangs werden, sie gehen hin-
gegen ohne Teilung in den Bau der
Markstrahlen ein.
Über die Natur der sekundären
Gewebe, welche das Kambium liefert,
wollen wir uns an einem Beispiel, das
wir den Gymnospermen, und einem
solchen, das wir den Dikotylen ent-
nehmen, zu unterrichten suchen.
Fig. 65. Querschnitt aus dem Stamme der Kiefer (Pinus sil-
vestris), den äußeren Rand des Holzkörpers, das Kambium
und den angrenzenden Bast in sich fassend. J Spätholz, c Kam-
bium, V Siebröhren, p Bastparenchym, k kristallführende Bast-
parenchymzeUe, m außer Funktion gesetzte Siebröhren, 'm
Markstrahl. Vergr. 240.
Stammes.
Wir wählen unsere Kiefer [Pinus süvestris L.) für die Untersuchung aus, Bau des Kiefern-
und zwar ein nicht zu dünnes Stammstück, weil die Größe der Formelemente
im Stamm der Kiefer bis etwa zum 45. Jahre zunimmt, aus dieser uns aber Vor-
teile für das Studium der Einzelheiten erwachsen. Drei Schnittrichtungen (Fig.
63) sind notwendig, um eine körperliche Konstruktion des Gesehenen zu ermög-
lichen: ein Querschnitt [q), ein radialer Längsschnitt (/) und tangentiale Längs-
schnitte [t) in verschiedener Entfernung von der Oberfläche. Ein Querschnitt,
der Holz und Bast in sich faßt (Fig. 65), bringt uns sofort die Eigenart des
Koniferenholzes zur Erkenntnis. Wir sehen das Holz (Fig. 65 s, 66) aus radial
aufeinanderfolgenden, annähernd rechteckigen Formelementen nur einer Art
aufgebaut. Von Zeit zu Zeit setzt sich, nach Einschaltung einer radialen Wand,
eine solche Reihe in zwei Reihen nach außen fort (Fig. 66, a — aa). Störungen im
Verlauf der Reihen stellen sich dort ein, wo zwischen die dickwandigen Form-
152
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
elemente, aus denen sie bestehen, senkrechte, von einem Kranz dünnwandiger
Zellen umgebene Interzellulargänge eingeschaltet sind (Fig. 66 h). In den dick-
wandigen Formelementen, die in radialen Reihen angeordnet sind, haben wir
es mit Tracheiden zu tun, aus denen ein Nadelholz fast ausschließlich besteht.
Außer diesen Tracheiden hat die Kiefer nur jene Holzparenchymstränge in
ihrem Holzkörper aufzuweisen, welche die Interzellulargänge umhüllen. Der
Interzellulargang {h) ist mit Harz erfüllt, er bildet einen ,, Harzgang". Die ihn
umgebenden Parenchymzellen führen Stärke, die das Material für die Harz-
bildung liefert. Die Tracheiden, die das Kambium (Fig. 65 c) im Frühjahr bildet,
werden weitlumig (Fig. 66 /). Sie sind es, welche die meiste Arbeit bei der
Wasserleitung leisten. Allmählich
nimmt der radiale Durchmesser der
Tracheiden im Jahresringe ab,
während die Dicke ihrer Wand zu-
•' nimmt (Fig. 66 s). Schließlich wer-
den die Tracheiden des Spätholzes,
die ganz vorwiegend nur noch me-
chanischen Aufgaben obliegen, auf
ungefähr ein Drittel des radialen
Durchmessers der Frühholztrache-
iden reduziert, während ihre Wand
etwa anderthalbmal so dick, wie
die jener ist. Entsprechend zarte
Schnitte lassen die Hoftüpfel (Fig.
66 t) an den radialen Wänden der
Tracheiden erkennen. Sie fallen
durch ihre bedeutende, für Nadel-
hölzer charakteristische Größe auf,
beanspruchen den größten Teil der
Wandbreite und bilden nur eine
Reihe an ihr. Fänden wir sie in zwei bis drei Reihen angeordnet vor, so hätten
wir daraus zu schließen, daß das Holzstück, das uns zur Untersuchung vorliegt,
dem sekundären Zuwachs nicht des Kiefernstammes, sondern seiner Wurzel ent-
stammt. Daß Wurzelholz sich durch bedeutende Weite seiner Formelemente aus-
zeichnet, haben wir früher schon hervorgehoben. Nach dem Spätholz zu würden
wir an einem Stammholzpräparat die Hoftüpfel in den an Weite abnehmenden
Tracheiden sich auch entsprechend verengen sehen, zugleich feststellen, daß ihre
Zahl dauernd abnimmt. Zwischen den Tracheidenreihen verlaufen die weit enge-
ren, radial gestreckten Markstrahlzellen (Fig. 65 u. 66 m), die man früher oder
später im Innern des Holzkörpers blind endigen sieht. An der äußeren Grenze
des Holzkörpers gelangt man in das dünnwandige Kambium (Fig. 65 c). Zur Zeit
der Vegetationsruhe grenzen dessen Zellen unvermittelt an die stark verdickten
Tracheiden des Spätholzes (Fig. 65). Ist die Holzbildung im Gange, so hat man
alle Zustände der Wandverdickung und Hoftüpfelbildung vor Augen. — Die
Fig. 66. Partie eines Querschnittes durch das Kiefernholz an
einer Jahresgrenze. /' Frühholz, i Spätholz, i Hoftüpfel, aa eine
sich nach außen verdoppelnde TracheVdenreihe, h Harzgaug,
711 Markstrahlen. Vergr. 240.
Bau des Kiefernholzes
153
radiale Anordnung der Formelemente setzt sich aus dem Holz durch das Kam-
bium in den Bast fort (Fig. 65). Die Zellwände verdicken sich an der Bastseite
sehr rasch und bekommen dort ein mattweißes Aussehen. An den radialen
Wänden der weitlumigeren Formelemente, entsprechend den Stellen, an welchen
die Tracheiden ihre Hoftüpfel tragen, entwickeln sich Siebtüpfel. Denn die weite-
ren Formelemente (Fig. 65 v) des sekundären Zuwachses an der Bastseite sind
Siebröhren. Tangentiale Bänder von Bastparenchym (p), die meist nur einschich-
tig sind, wechseln mit vielschichtigen Siebröhrenlagen ab. Die Bastparenchym-
zellen führen Stärke [p), in einzelnen Zellen Kristalle [k). Geleitzellen gehen, wie
"•t VC s /
Fig. 67. Radialer Längsschnitt durch den Kiefernstamm, den Außenrand des Holzkörpers, das Kambium und den
anschließenden Bast, sowie einen Markstrahl in sich fassend, i- SpättracheVden. / Hoftüpfel, c Kambium, v Siebröhren,
vi Siebtüpfel, //n trachei'dale Markstrahlzellen, sm stärkeführende Markstrahlzellen im Holzkörper, iw' im Bastkörper,
em eiweißführende Markstrahlzellen. Vergr. 240.
wir schon wissen, den Siebröhren der Gymnospermen ab. Nur eine verhältnis-
mäßig enge Zone des Bastes ist mit funktionierenden Siebröhren versehen. Ein
wenig weiter nach außen und die Siebröhren sind entleert, außerdem zusammen-
gedrückt, ihre Wände gebräunt (Fig. 65 cv). Die zwischenliegenden Bänder der
stärkehaltigen Zellen bleiben aber noch längere Zeit am Leben und schwellen
nicht unbedeutend an. Dasselbe tun die stärkehaltigen Zellen der Markstrahlen
innerhalb des Bastes, im Gegensatz zu den nicht stärkehaltigen, welche obli-
terieren. — Der radiale Längsschnitt (Fig. 67) führt uns an den Frühholz-
tracheiden die Hoftüpfel in besonderer Schönheit vor. Man sieht sie jetzt in
Frontansicht, und da erscheinen sie als Doppelkreise, indem ihre enge Mün-
dungsstelle sich als zentraler kleiner Kreis, ihre Ansatzstelle an der primären
Wand als äußerer großer Kreis zeichnet. In den engen Spätholztracheiden (s)
wird die Mündungsstelle der Hoftüpfel [t] spaltenförmig und kommt schräg zu
stehen. Die Länge der Tracheiden nimmt vom Frühholz zum Spätholz zu. Die
154
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
-tm
-Sin
Markstrahlen präsentieren sich in ihrem ganzen Verlauf, und man sieht, daß sie
aus Längsreihen von solchen Zellen bestehen, die lebendigen Inhalt und Re-
servestoffe, so die leicht nachweisbare Stärke führen {sm), und von andern, die
leer sind und durch zackenförmig vorspringende Verdickungsleisten versteift
werden [tm). Zwischen den lebenden Zellen und den Tracheiden sind große,
einseitig behöfte Tüpfel angebracht. Durch die Schließhaut dieser Tüpfel pres-
sen im Frühjahr die Markstrahlzellen gelöste Reservestoffe in die Wasserbahnen
hinein, damit sie mit dem Wasserstrom als Blutungssaft möglichst rasch zu den
sich entfaltenden Sprossen gelangen. Die
inhaltsleeren Markstrahlzellen hängen
durch Hoftüpfel mit den Tracheiden und
untereinander zusammen, sie befördern
das Wasser in radialer Richtung. Sie stel-
len Reihen niedriger, besonders gestalteter
Tracheiden dar, die als Saum den Mark-
strahlen angefügt wurden. Auch können
sie zwei übereinanderstehende Markstrah-
len zu einem Markstrahl verbinden und
eine Mittelreihe in diesem bilden. Jenseits
des Kambiums {c), innerhalb des Bastes,
zeigen sich an den radialen Seitenwänden
der Siebröhren (v) die Siebtüpfel {vt) in
Frontansicht. An den geneigten Terminal -
wänden der Siebröhren sind diese Sieb-
tüpfel zu Siebplatten dicht aneinander ge-
drängt. Die stärkehaltigen Markstrahl-
zellen des Holzes setzen sich in den Bast
fort {sm'), und dort sieht man sie in den
weiter nach außen gelegenenPartien kuge-
lig anschwellen. Diejenigen Zellreihen,
die an den Holzmarkstrahlen tracheidal
waren, gehen im Bast in protoplasmareiche Züge von Zellen {em) über, die
longitudinal gestreckt und den Siebröhren angeschmiegt sind. Sie stellen Säume
von Bastparenchym am Markstrahl vor und zeigen ähnliche Beziehungen zu
den Siebröhren wie bei den angiospermen Pflanzen die Geleitzellen. Ihr enger
Zusammenhang mit den Siebröhren macht sich dadurch kenntlich, daß sie
gleichzeitig mit ihnen außer Funktion treten und zerquetscht werden. — An
tangentialen Längsschnitten durch den Holzkörper (Fig. 68) bieten uns die
halbierten Hoftüpfel [t] genau denselben Bau wie am Querschnitt. Das Inein-
andergreifen der zugeschärften Enden der Tracheiden, durch welches der feste
Verband dieser Formelemente gesichert wird, tritt, da er in tangentialer Rich-
tung erfolgt, erst in dieser Ansicht deutlich vor. Die Zuschärfung der Spätholz-
tracheiden ist weit stärker als jene der Frühholztracheiden; erstere keilen sich
daher weit tiefer zwischeneinander ein. Die durchschnittenen Markstrahlen
F i g. 68. Tangentialer Längsschnitt durch das Spät-
holz der Kiefer. ^ Hoftiipfel, //n tracheYdale, si/i stärke-
führende Markstrahlzellen, e/ einseitig behöfte Tüpfel,
i Interzellularen am Markstrahl. Vergr. 240.
Holz und Bast der Kiefer
155
sehen wie flache Linsen von wechselnder Höhe aus. Man kann feststellen, daß
ihre lebendigen Zellen [sm] an den Kanten von Interzellularen {i) begleitet
werden. Für die Durchlüftung der inneren Gewebe zu sorgen, allen lebendigen
Zellen des Holzkörpers den atmosphärischen Sauerstoff zuzuführen, den sie zur
Atmung, also zur Erhaltung des Lebens brauchen, ist nämlich auch eine Aufgabe,
die den Markstrahlen zufällt. Daher die lufterfüllten Interzellularen, wegen
ihres Luftgehaltes schwarz in den mikroskopischen Bildern erscheinend, sich
ohne Unterbrechung von der Oberfläche des Stammes durch Bast und Kam-
bium in das Holz verfolgen lassen. Die im Bast abwärts geleiteten, den Blättern
entstammenden Assimilate finden in den lebenden Zellen der Markstrahlen
ihren Weg zum Kambium und weiter zum Holz. Dort haben sie bei der Kiefer
nicht nur diese Assimilate zur Frühjahrszeit in die Wasserbahnen zu pressen,
sondern auch jene Parenchymstränge zu versorgen, welche die Harzgänge um-
geben. Im tangentialen Längsschnitt fal-
len in Abständen auch stärkere Mark-
strahlen auf, die je einen in derselben Rich-
tung wie sie, also radial verlaufenden Harz-
gang einschließen. Diese radialen Harz-
gänge stehen mit den longitudinalen der
Holzstränge in Verbindung. So erklärt
sich die Menge Harz, die an einem ver-
wundeten Kiefernstamm herausfließt, und
die man bestimmten Kiefernarten durch
entsprechend angebrachte Wunden zwecks
Terpentingewinnung abzapfen kann.
Ich hoffe, daß aus der gegebenen Schil-
derung sich ein gewisser Einblick in den
Bau eines Kiefernstammes und auch die
Art, wie derartige Untersuchungen durch-
geführt werden, ergibt. Die anatomischen Daten, die man dabei gewinnt,
können unter Umständen auch dem Zweck dienen, ein Stammstück zu be-
stimmen, dessen Ursprung man nicht kennt. Daß unser Stammstück einem
Nadelholz angehörte, war ohne weiteres klar; da es Harzgänge führte, so
konnte es beispielsweise nicht eine Edeltanne sein, da bei dieser Harzgänge
fehlen. Aus den tracheidalen Formelementen an den Markstrahlrändern ist auf
eine Kiefernart im Gegensatz zu Fichte oder Lärche zu schließen, da letzteren
solche Zellreihen an den Markstrahlen abgehen. Das Eibenholz würden wir
an tertiären Schraubenbändern innerhalb der Tracheiden erkennen.
Als Beispiel des sekundären Zuwachses bei einem dikotylen Holzgewächs Bau des Linden
wähle ich die Linde [Tüia ulmijolia L.). Ich will mich aber für diese kürzer
fassen und nur das hervorheben, was den Unterschied gegen das uns jetzt be-
kannte Nadelholz bedingt. Der Querschnitt durch den Stamm der Linde zeigt
uns nicht lauter gleichartige Formelemente im Holzkörper wie bei der Kiefer,
vielmehr solche von sehr verschiedener Gestalt und Weite, von abweichendem
Fig. 6g. Querschnitt durch einen im vierten Jalire
stehenden Zweig der rüsterblättrigen Linde (Tilia
uhnifolia). pr primäre Rinde, c Kambiumring, er •Mikroskopiscne
Bast, pm primäre Markstrablen, pm' äußeres, erwei- Unterscheidung
tertes Ende eines primären Markstrahls, siii sekun- "'^'' •Nadelhölzer,
därer Markstrahl, g Jaliresgrenze, m Mark.
Vergr. 6.
Stammes.
156
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Inhalt und von mannigfaltiger Tüpfelung. Demgemäß bekämen wir auch nicht
Anordnungen dieser Formelemente in radialen Reihen zu sehen, müßten viel-
mehr feststellen, daß die geradlinige Anordnung der Gewebezellen, wie sie auch
hier aus der Teilung der Kambiuminitialen sich ergibt, fast sofort verwischt
wird, weil jede Gewebezelle anders wächst und verschiedenen Raum bean-
sprucht. Als einzige Übereinstimmung mit dem Querschnitt des Kiefernstam-
mes könnte uns somit nur auffallen, daß auch hier weitlumigere Elemente im
Frühholz bei weitem vorherrschen (Fig. 6g u. 70). Dieser Umstand bedingt es,
daß sich auch in diesem Holz die Jahresringe deutlich markieren und schon
dem bloßen Auge sichtbar sind. Eine
eingehendere Untersuchung lehrt uns
weiter, daß im Lindenholz Gefäße, d. h.
Tracheen (Fig. yom), Tracheiden (t),
Holzfasern {l) und Holzparenchym-
zellen {p) vertreten sind. Es ist also im
Verhältnis zum Holz der Gymnosper-
men hier eine fortgeschrittene Arbeits-
teilung zu verzeichnen. In die Arbeit
der Wasserleitung, die bei der Kiefer
sowie andern Gymnospermen nur von
Tracheiden besorgt wird, teilen sich
hier die aus verschmolzenen Zellreihen
hervorgegangenen Gefäße und die
Tracheiden, die nur je einer Ursprungs-
zelle ihre Entstehung verdanken. Die
mechanische Festigung des Holzkör-
pers, die bei der Kiefer denselben Form-
elementen wie die Wasserleitung zu-
fiel, wird hier einem besonderen Form-
element, der ,, Holzfaser" übertragen, die besonders zahlreich zwischen die an-
dern Formelemente eingeschaltet ist. Zwar zeichnet sich die Holzfaser des be-
kanntlich recht weichen Lindenholzes nicht durch besonders starke Wandver-
dickung aus (Fig. you.yil), zeigt im übrigen aber die charakteristischen Merkmale
solcher Fasern. Denn sie ist langgestreckt, an beiden Enden zugespitzt (Fig. 71 Z)
und mit spärlichen, einfachen, d. h. unbehöften, spaltenförmigen, links aufstei-
genden Tüpfeln versehen. Diese Holzfasern führen Luft. Die Holzparenchym-
zellen erkennt man schon im Querschnitt (Fig. 70 p) an ihrem protoplasmatischen
Inhalt, meist auch an der Stärke, die sie führen. Sie bilden ununterbrochene Zellen-
züge (Fig. 7 1 p), die sich, wie auch sonst, stets den Wasserbahnen anschmiegen, mit
denen sie durch halbbehöfte Tüpfel kommunizieren; untereinander hängen sie
durch zahlreiche einfache Tüpfel zusammen. Jede Kambiumzelle teilt sich meist
zweimal der Quere nach, um Holzparenchymzellen zu erzeugen ; dementsprechend
sind dieHolzparenchymzellen in der Längsansicht kurz und zeigen sich rechteckig
oder an einem Ende zugespitzt, je nachdem sie aus den Endzellen oder den mitt-
Fig. 70. Teil eines Querschnittes durch das Holz von
Tilia ulmifoUa an einer Jahresgrenze. «/ weites Tüpfelgefäß,
2* Tracheiden, / Holzfaser, / Holzparenchym, ?• Markstrahl.
Vergr. 540.
Bau des Lindenstammes
157
leren Zellen der geteilten Kambiumzelle, die ja an ihren Enden zugeschärft war,
hervorgingen. — Die Tracheiden {t) sind schraubenförmig verdickt oder behöft
getüpfelt, den Gefäßen (w) kommt außer den Hoftüpfeln ein sehr zartes, tertiäres
Schraubenband zu. Mechanische Aufgaben können diesem dünnen Schrauben-
bande in den Gefäßen kaum obliegen, doch mag es für die Vorgänge desWasserauf -
stiegs in Betracht kommen und möghcherweise den Wasserstrom in Schrauben-
richtung längs der Wand auch dann ermöglichen, wenn eine Luftblase den Innen-
raum der Bahn versperrt. Denn es drängt sich beim Studium des so kunstvollen
/ i l r l ni p r
Fig. 71. Tangentialer Längsschnitt aus Fig. 72. Durchsclinitt durch den Bast der Linde (Tilia ulmifolia). w Sieb-
dem Holz von Tilia ulmifolia. m Tüpfel- röhren, bei v* eine Siebplatte getroffen , c Geleitzelle, p Bastparenchym,
gefäß, i" mit Schraubenbändern versehene ,1 kristallführende Zellen des Bastparench3'ms, /Bastfasern, r Markstrahl.
TracheVden, fi Holzparenchym, / Holz- Vergr. 540.
faser, r Markstrahlen. Vergr. 160.
Baues, den das Holz der Bäume zeigt, die Überzeugung auf, daß auch nicht die
geringste Struktur, das kleinste Tüpfelchen in ihm nutzlos sei. Alle Wasser-
bahnen stehen auch im Lindenholz, trotzdem sie in anders funktionierende Ge-
webe eingebettet sind, in direkter Verbindung. Im Spätholz fehlen Gefäße so
gut wie vollständig, es führt dieses als Wasserbahnen nur enge Tracheiden. —
Der Bast (Fig. 72) zeigt im Querschnitt eine Abwechslung dunkler und heller
Zonen. Die dunkler erscheinenden enthalten einen Streifen, der aus Siebröhren
(z;) und ihren Geleitzellen [c] besteht und ihm nach innen und außen sich an-
schließenden Streifen von Bastparenchym (p), das Stärke, bzw. auch große Ein-
zelkristalle von Kalziumoxalat (^), führt. Die Siebröhren [v] sind an ihrem
weiten Lumen kenntlich. Es begleitet sie an einer Ecke ihre durch Protoplasma-
reichtum ausgezeichnete Geleitzelle [c). Die hellen Zonen des Bastes bestehen
1^8 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
aus „Bastfasern" (/), deren Wände weiß im Bilde glänzen und so stark verdickt
sind, daß das Zellumen nur noch als sehr schwacher Punkt inmitten der Zelle
erscheint. Diese Bastfasern der Linde sind, wie Längsschnitte lehren, bis 2 mm
lang. Sie geben das bekannte Bindematerial der Gärtner, den ,, Lindenbast"
ab. Die Bezeichnung Bast rührt von ihnen her und wurde erst weiterhin auf
den ganzen sekundären Zuwachs der gymnospermen und dikotylen Stämme
übertragen. An radialen Längsschnitten treten die Siebplatten in den seitlich
geneigten Terminalwänden der Siebröhrenglieder bei der Linde besonders deut-
lich vor. In Siebröhren, die außer Tätigkeit stehen, sind sie mit stark licht-
brechenden Kallusmassen belegt; diese können aufgelöst werden, und die Sieb-
röhre tritt wieder in Tätigkeit. Länger als vier Jahre funktionieren aber die
Siebröhren einer Linde nicht; dann werden sie mitsamt ihren Geleitzellen ent-
leert und zerdrückt. — Die Markstrahlen (Fig. 70, 71 u. 72 r), die als radiale
Bänder durch Holz und Bast laufen, haben einschichtige Ränder, in ihrem
mittleren Teil werden sie hingegen oft mehrschichtig. Die Zellenzüge ihrer
Ränder sind höher, sie hängen durch einfache Tüpfel untereinander, durch halb-
behöfte mit den Wasserbahnen zusammen. An letztere geben sie ihre Reserve-
stoffe ab, so daß man sie oft sehr inhaltsarm antrifft. Die inneren Zellreihen der
Markstrahlen sind niedriger, in Richtung des Radius gestreckt, ohne Tüpfelver-
bindung mit den Wasserbahnen, doch durch einfache Tüpfel mit den höheren
Randzellen, untereinander und mit dem Holzparenchym der Stränge verbunden.
Sie dienen der Weiterbeförderung der Assimilate in radialer Bahn innerhalb des
Markstrahls, übermitteln sie an das Holzparenchym, mit dem sie ein zusammen-
hängendes Ganzes bilden, und zeigen sich mit Stärke vollgepfropft, auch in
Zeiten, wo diese in den höheren Markstrahlzeilreihen ganz fehlt. Also liegt eine
Arbeitsteilung in diesen Markstrahlen vor, ihre inneren Zellreihen dienen Lei-
tungszwecken, die des Randes einer Förderung der Beziehungen zu den Wasser-
bahnen. Im Bast hört diese Sonderung im Markstrahl auf, da haben eben alle
Markstrahlzellen nur die eine Aufgabe zu erfüllen, Reservestoffe von den Lei-
tungsbahnen des Bastes zu übernehmen, und sie radial zum Kambium und
weiter zu befördern. Auch die Markstrahlen der Linde werden auf ihrem ganzen
Wege von luftführenden Interzellularen begleitet.
Verschiedenheit Im Übrigen hcrrscht, innerhalb der möglichen Grenzen, im Aufbau des
der^DikotXn- Holzcs Und dcs Bastes der Dikotylen nicht geringe Mannigfaltigkeit, die vielfach
Stämme. (jjg Ermittlung einer Pflanzenart oder doch der Gattung, unter Umständen frei-
lich nur der Familie, nach dem Holzbau ermöghcht. Die Verschiedenheit der
in die Zusammensetzung des Holzes eingehenden Formelemente, ihre Vertei-
lung, im besondern die des Holzparenchyms, das in dem einen Falle die Was-
serbahnen ganz umhüllt, in dem andern sich in Bändern ihnen anschmiegt, die
Weite der Gefäße und anderes mehr bieten für eine Bestimmung die erwünsch-
ten Anknüpfungspunkte. — Verschieden ist der Ursprung der Formelemente,
denen die besonderen Aufgaben der Festigung im dikotylen Holze zugefallen
sind. Bei der Linde und vielen andern Holzgewächsen kann man aus der ein-
fachen Tüpfelung der Holzfasern und aus Mittelformen zwischen ihnen und dem
Unterschiede im Bau dikotyler Stämme 15g
Holzparenchym den Schluß ziehen, daß sie phylogenetisch von diesem abstam-
men; bei der Eiche, der Rotbuche verraten die mechanischen Formelemente
hingegen tracheidalen Ursprung, denn sie sind durch Obergänge mit denTrache-
iden verbunden und besitzen Tüpfel, die noch Reste eines Hofs verraten. Die
mechanischen Elemente werden somit bei der Eiche, der Buche und andern ver-
wandten Holzgewächsen durch sehr englumig gewordene, stark verdickte Faser-
tracheiden geliefert. — Manche Holzarten, wie Weiden, Pappeln, zahlreiche
Leguminosen haben aus ihren Wasserleitungsbahnen die Trachei'den ganz aus-
geschaltet und befördern das Wasser nur noch in Gefäßen. Bei den Magnolia-
ceen und Nächstverwandten gibt es anderseits einige wenige Gattungen, die
den für Dikotyle merkwürdigen Fall darbieten, daß ihr Holz, wie bei einer Koni-
fere, nur aus in Reihen angeordneten Trachei'den besteht. Es mag sich dabei
um Reliquien aus alter Zeit handeln. Selbstverständlich zeigen die verschiede-
nen Holzgewächse auch im Bau ihres Bastes nicht unwesentliche Differenzen.
Siebröhren dürfen im Bast ebensowenig wie die Wasserbahnen im Holze fehlen,
allein ihr Bau zeigt oft charakteristische Eigenheiten. Zu diesen kommen hinzu
die Unterschiede in der Verteilung der Bastparenchyme, dem Fehlen, dem Vor-
handensein und der Art der Ausbildung der mechanischen Bestandteile.
Der sekundäre Zuwachs, wie wir ihn im Stamme der Kiefer und der Linde Ungewohnter
kennen lernten, ist der allgemein verbreitete und wird daher als der ,, typische" itl^^LeZud
bezeichnet. Ihm werden die anders sich verhaltenden, seltenen Fälle als ,,atypi- Wurzeln,
sehe" gegenübergestellt. Zu ihnen gehören unter anderem jene, in welchen
die Tätigkeit des Kambiumringes nach einiger Zeit aufhört, und ein neuer Kam-
biumring als Folgemeristem außerhalb der Bastzone, meist im Perizykel des
Zentralzylinders oder einem von ihm abstammenden Gewebe auftaucht. Ein
solcher neuer Kambiumring bildet nach innen Holz, nach außen Bast, um auch
seinerseits nach einiger Zeit die Tätigkeit einzustellen und einem zweiten, außen
gelegenenKambiumring die weitere Arbeit zu überlassen. Ein so erzeugter Stamm
weist konzentrische Holz-Bastringe in seiner Zusammensetzung auf. So würden
wir den Stamm einer Cycas gebaut finden, jener Gymnosperme, die man oft in
unseren Gewächshäusern antrifft, und deren Blätter, bei Begräbnissen benutzt,
fälschlich als Palmenwedel gelten. Eine Anzahl dikotyler Pflanzenfamilien,
wie Chenopodiaceen, Amarantaceen, Phytolaccaceen, Loranthaceen u. a. weist
die nämhche Eigenart des Verhaltens auf. Am meisten fallen aber Besonder-
heiten des Baues bei den Lianen auf, jenen Schlingpflanzen der tropischen Ur-
wälder, an deren Stämme ungewohnte Aufgaben herantreten. Ihre Stämme
werden wie Taue auf Zugfestigkeit beansprucht, zugleich müssen sie in hohem
Maße biegungsfest sein. Diese Fähigkeiten erlangen sie vornehmlich durch Zer-
klüftung ihres Holzkörpers, indem dessen Parenchyme in Teilung eintreten und
so die kompakte Holzmasse in zahlreiche Stränge zerlegen. Bei manchen Bigno-
niaceen begnügt sich der Holzkörper mit vier Einschnitten, die dadurch ent-
stehen, daß an vier symmetrisch verteilten Stellen der Kambiumring aufhört,
Holz nach innen zu bilden und nur noch Bast an seiner Außenseite erzeugt. Da-
durch entstehen vier Bastkeile, die, ohne mit dem Holzkörper verbunden zu
j5o Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
sein, in diesen hineinschneiden. Beim Uneingeweihten erweckt es wohl einige
Verwunderung, wenn er auf dem Querschnitt durch eine solche Liane ein scharf
gezeichnetes, dunkles Kreuz zum Vorschein kommen sieht.
Maserbildung. Auf gauz anderen Ursachen wie der ungewohnte Bau der eben geschilderten
Stämme beruht die Maserbildung, die bei verschiedenen unserer Holzgewächse,
besonders bei Laubhölzern, sich als Abnormität einstellt. Ein gemasertes Holz
weist einen stark verbogenen und verschlungenen Verlauf seiner Formelemente
auf. Diese Erscheinung kann veranlaßt sein durch Wundreiz, Parasiten, den
Druck dicker werdender Seitenäste oder endlich auch durch eine aus unbe-
kannten Ursachen veränderte Kambiumtätigkeit. Damit ist unter Umständen
starke Holzwucherung verbunden, die zur Bildung von knollen- und beulen-
förmigen Auswüchsen an den Stämmen führt. Durch gedrängteAdventivknospen-
bildung, wie sie besonders nach Verwundung sich einstellt, wird grobe Mase-
rung erzeugt, feine Maserung geht vornehmhch aus der starken Anschwellung
von Markstrahlen hervor. In der Holzindustrie werden schöne Maserungen
überaus geschätzt. Gemaserte Platten des nordafrikanischen Nadelholzes Calli-
tris quadrivalvis, welches sich zudem durch seinen Wohlgeruch auszeichnet,
wurden schon zur Römerzeit mit ganz außerordentlichen Preisen erstanden. Auf
elfenbeinernen Säulen als Monopodien bildeten sie den Gegenstand der Pracht-
liebe römischer Großen.
Dickenzuwachs Die sekuudärc Tätigkeit primärer Meristemzonen der offenen Gefäßbündel
Ta'^bWättTn von Gymnospermen und Dikotylen ist nicht ganz ausschließlich auf die Stamm-
teile dieser Gewächse beschränkt. Sie kann sich auch in immergrünen Blättern
dort einstellen, sofern diesen eine längere Lebensdauer zukommt. Sie hält sich
aber stets in sehr bescheidenen Maßen und beschränkt sich darauf, etwas Holz
und Bast den auch weiterhin isoliert bleibenden Gefäßbündeln hinzuzufügen.
Das ist selbst bei denjenigen Blättern der Fall, die am längsten leben. Das sind
die Nadeln mancher Koniferen, die bis sieben Jahre am Stamme verharren. Die
Blätter ir^mergrüner Dikotylen halten meist nicht länger als zwei Vegetations-
perioden aus.
Verhalten der Es ist klar, daß dlc Einschaltung neuer Gewebe im Innern eines Pflanzen-
^"tä'h'rcn^Te?'' tcils dcsscu äußcre Gewebe, sofern sie nicht in gleichem Maße sich vergrößern,
sekundären Zu- j^^ Spaunung vcrsctzen und schließlich sprengen muß. Eine dauernde Vermeh-
Wachses r o i o ^
im stamminnern. rung dcr Zcllcn dcr primären, äußeren Gewebe durch Teilung findet nur bei ver-
hältnismäßig wenigen Pflanzen statt und spielt sich auch dann nur selten ganz
glatt ab. Bei verschiedenen Rosen, echten Akazien, sog. Stechpalmen, d. h.
Ilexarten, bestimmten Ahornarten folgt, eine größere oder geringere Anzahl
von Jahren, die primäre Rinde dem sekundären Zuwachs im Innern, wobei auch
die Oberhaut standhält und nur die rissig werdenden und zerbröckelnden Ver-
dickungsschichten ihrer Außenwände durch Hinzufügung immer neuer Ver-
dickungsschichten von innen aus ergänzt. Bei den Misteln [Viscum album L.),
jenen grünen Halbschmarotzern, die auf unseren Bäumen wachsen, sind auch
die ältesten Stammteile noch grün. Die primären Gewebe bleiben an deren Ober-
fläche erhalten, ohne daß freilich die Oberhaut unversehrt fortzubestehen ver-
Periderm
l6l
'i^-^K^^^^^^^hrf^---
col
mag. Zwar folgen die Epidermiszellen durch fortgesetzte Teilungen der Um-
fangzunahme der Oberfläche, und sie ersetzen ihre schadhaft gewordenen, äuße-
ren Verdickungsschichten durch neue, aber schließlich werden sie doch an ver-
schiedenen Stellen gesprengt und desorganisiert, und nächsttiefere, sich ent-
sprechend verdickende Rindenzellen treten an ihre Stelle. In der primären
Rinde und dem Perizykel gelingen die Ausbesserungen mit Hilfe von Zellteilung,
Zellwachstum und Zellwucherung meist besser, so daß diese Gewebe länger aus-
harren als die Oberhaut. Lehrreich ist es zu verfolgen, wie auch ein geschlosse-
ner Ring aus Sklerenchymfasern, wie ihn die großblättrige Osterluzei {Arislo-
lochia Sipho UHerit.), diese von uns oft kultivierte Schlingpflanze, in ihrem
Perizykel besitzt, zunächst re-
pariert wird. Im dritten Jahre
nach begonnener Kambiumtä-
tigkeit im Innern erfolgt unter
dem Druck der neu entstande-
nen Gewebe die Sprengung die-
ses Ringes. Die angrenzenden
Parenchyme wachsen in die
Lücken hinein, um sie zu füllen.
Sie verwandeln sich dort teil-
weise in Steinzellen, um dem
Sklerenchymring, so lange wie
noch möglich, seine mechanische
Leistungsfähigkeit zu wahren.
Man kann sich leicht vorstellen,
daß es kein geringer Druck ist,
den die inneren Gewebe des se-
kundären Zuwachses auf die primären, äußeren ausüben, um sie zu dehnen und
zu sprengen. G. Krabbe hat in bestimmten Fällen diesen Druck auf lo Atmo-
sphären berechnet. Der Turgordruck, der in Kambiumzellen herrscht, kann
25 Atmosphären betragen. Das sind Druckverhältnisse, die über die in un-
seren Dampfmaschinen herrschenden Spannungen wesentlich hinausgehen.
Meist stellt sich an der Oberfläche der in Dickenwachstum eingetretenen Peridermbudung.
Stammteile alsbald ,,Peridermbildung" ein (Fig. 60/, jz)- Das macht sich
schon äußerlich an ihrer Bräunung kenntlich. DiePeridermbildung wird durch Korkkambium,
die Anlage eines Korkkambiums oder ,,Phellogens" eingeleitet (Fig. 6oph, 73pg,
7Aph). Die Oberhaut selbst kann der Ort dieser Bildung sein (Fig. 73). Meist
wird die auf die Oberhaut folgende Rindenschicht dazu verwendet (Fig. 74).
In anderen Fällen tritt das Korkkambium auch tiefer auf, sogar im Perizykel.
Die Zellen, von denen die Peridermbudung ausgehen soll, teilen sich zweimal
tangential, so daß sie in eine innere, eine mittlere und eine äußere Zelle zerlegt
werden. Die mittlere Zelle funktioniert dann weiter als Korkkambiumzelle.
Ihre Teilungsprodukte verhalten sich wie die anderer Kambien, sie folgen in
radialen Reihen aufeinander. Im wesentlichen kommen die nach außen ab-
IC d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. j j
Fig. 73. Querschnitt der äußeren Teile eines einjährigen Zweiges
von Pirus communis im Herbst. Beginn der Peridermbudung.
/> Kork, pg PheUogen,/rf Phelloderm, rö/ KoUeuchym. Die Kork-
zeUen führen gebräunten, abgestorbenen Inhalt; sie zeigen verdickte
Außenwände. Vergr. 400.
102 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
gegebenen Zellen in Betracht, denn das sind Korkzellen; doch liefern die Kork-
kambien in vielen Fällen auch Zellen nach innen, und diese sind chlorophyll-
Korkrinde. haltig Und verstärken die Rinde (Fig. 73pd). Das Gewebe, das sie darstellen,
wird als ,, Korkrinde" oder ,,Fhelloderma" bezeichnet. Es leuchtet ein, daß nicht
umgekehrt das Korkkambium Kork nach innen und Korkrinde nach außen
bilden kann, da Korklamellen allen Stoffverkehr unterbrechen, alles Gewebe so-
mit, das nach außen von einer Korklamelle liegt, von der Nahrungszufuhr ab-
Korkzeiien. geschuittcn ist uud absterben muß. Auch in den fertigen Korkzellen selbst hört
bald das Leben auf, und sie füllen sich meist mit Luft. Die mehr oder weniger
starke Braunfärbung verdankt der Kork vornehmlich dem abgestorbenen In-
halt seiner Zellen. Stärker verdickte Korkzellen sind von solchem Inhalt meist
ganz angefüllt. Die Korkzellen zeigen im allgemeinen tafelförmige Gestalt.
Ihre Wände bleiben je nach den Korkarten dünn oder werden mehr oder weni-
Fiaschenkork. gcr Stark, viclfach einseitig verdickt. Im Kork der Korkeiche ( Quercus suber L.)
sind die Zonen, die jeder Flaschenkork uns zeigt, veranlaßt durch geringere
Weite der Zellen, mit welchen jede Jahresproduktion abschließt. Das sind hier
die innersten Zellagen, nicht die äußersten wie im Holzkörper, entsprechend der
umgekehrten Richtung, in der die Korkbildung fortschreitet. Wie unser
Flaschenkork gewonnen wird, das kann man in ausgedehntem Maßstab schon
im Maurengebirge in der Nähe von Hyeres sehen. Vereinzelten geschälten
Korkeichen begegnet man auch bei Cannes. Der erste Kork, den der Stamm
einer jungen Korkeiche an seiner Oberfläche erzeugt, ist rissig, spröde und daher
unbrauchbar. Er wird abgeschält und wandert in die Gärtnereien. Tiefer im
Stamm bildet sich nun ein neues Korkkambium, das den brauchbaren Kork
liefert. Diesen schält man durchschnittlich alle acht Jahre, worauf immer wie-
der neue Korkkambien weiter nach innen sich bilden. So fährt man fort, bis der
Baum etwa das 150. Jahr erreicht hat, wo dann die Qualität des Produktes be-
deutend gesunken ist. Man schält nie den ganzen Baum auf einmal, vielmehr
stets nur Stücke des Hauptstammes und der Äste. Das gibt einem geschälten
Baum das fremdartige Aussehen, das jedem auffällt. Im besonderen ist dies
der Fall, wenn eine Schälung erst kürzlich erfolgte, und die bloßgelegten Teile
rotbraun, im Sonnenschein fast blutrot erscheinen.
Borke. Holzgewächse, an denen das erste Korkkambium in dauernder Tätigkeit
bleibt, sind verhältnismäßig selten. Zu ihnen gehört die Rotbuche. Zudem legt
sie ihr Korkkambium in der ersten Zellschicht unter der Oberhaut an, so daß
nur diese von der Wasser- und Nahrungszufuhr abgeschnitten wird und abzu-
sterben braucht. Aus dem Korkkambium geht eine sehr feste und höchst dehn-
bare Korkhaut hervor, deren Zellen flach und mit braunem Inhalt erfüllt sind.
Diese Haut wird, während der Stamm an Dicke zunimmt, an ihrer Außenseite
unmerklich gesprengt und verwittert dort, unter Entfärbung ihres Zellinhalts.
Von innen aus ersetzt das Korkkambium dauernd diesen Verlust. Die Ober-
fläche des Stammes bleibt dabei glatt. Für gewöhnlich stellt ein erstes Kork-
kambium, das mehr oder weniger peripherisch am Stamm angelegt wurde,
seine Tätigkeit ein, und es tritt ein neues, tiefer im Stamm sich bildendes, an
Kork und Borke 163
seine Stelle. Dieses funktioniert eine Zeitlang und überläßt die weitere Arbeit
wiederum einem neuen. Das geht so weiter fort. Und immer tiefere Zellagen,
zunächst noch innerhalb der primären Gewebe, dann in den Parenchymen der
sekundären Rinde, gehen in die entsprechenden Teilungsvorgänge ein. Alles
Gewebe, das nach außen abgeschnitten wird, stirbt ab und bildet mitsamt der
Peridermlagen, von denen es durchsetzt ist, das, was man in der Bezeichnung
,, Borke" zusammenfaßt. Von Nährstoffen sind die Gewebe der Borken entleert
und führen nur Nebenprodukte des Stoffwechsels, die aber als solche vielfach
wirksame Schutzmittel gegen Tierfraß darstellen. Die Oberfläche älterer
Stämme kann je nach der Pflanzenart ein recht verschiedenes Aussehen dar-
bieten, entsprechend der Art und Weise, wie die Peridermbildung sich vollzieht.
Umfassen die Peridermlagen nur begrenzte Teile der Stammoberflächen, so
schneiden sie schuppenförmige Gewebestücke aus ihr heraus. Dabei setzen die
neuerzeugten Peridermlagen mit ihren Rändern an die älteren an. In solcher
Weise erzeugte Borke wird in Schuppenform abgeworfen und daher ,, Schuppen-
borke" genannt. So an den oberen Stammteilen der Kiefern und auffälliger noch
an nicht zu alten Platanen, weil an diesen die sich ablösenden Borkenschuppen
zunächst grüngelbliche Flecke an dem grauen Stamm hinterlassen, der wie ein
Pantherfell gezeichnet erscheint. Am Weinstock wie am Kirschbaum gibt es
,, Ringelborke", weil die Peridermlagen in geschlossenen Zylindern am Stamme
entstehen. Schwer sich abtrennende Borke, die am Stamm verharrt, wird wäh-
rend seiner Dickenzunahme nur rissig. Das ist das häufigste Bild, das sich uns
bei Betrachtung alter Stämme darbietet. So zeigen sich auch die unteren
Stammteile der Kiefern, so auch die Oberfläche alter Platanen. Bei solchen Abwerfen
Stämmen, welche ihre Borke abwerfen, geschieht das nicht in rein mechanischer
Weise, sondern durch Vermittlung besonderer, zu diesem Zwecke vorgebildeter
Trennungsschichten. EssinddasunverkorkteLamellen,dieden Korkdurchsetzen.
Sie können dünnwandig sein und werden in solchem Falle infolge hygroskopischer
Spannungen der Borke durchrissen, oder sie zeigen sich dickwandig und verholzt
undwiderstehendemZuge, während dieTrennung sich in angrenzenden, dünnwan-
digenKorklagen vollzieht. DiebraunroteFärbung, diebei Borken so verbreitet ist, Färbung der
rührt von ähnlichen Gerbstoffderivaten her, wie es jene sind, welche die Kern-
hölzer imprägnieren. Die antiseptischen Eigenschaften dieser Körper erhöhen in
nicht geringem Maße die Widerstandsfähigkeit der so stark exponierten Gewebe.
An Wurzeln, die mit Dickenwachstum ausgestattet sind, geht die Peri- Peridermbudung
dermbildung nicht von dem äußeren Gewebe der Rinde aus, vielmehr von der ""^ ^""ein.
Oberfläche des Zentralzylinders, vom Perizykel, den wir bereits als bevorzugten
Ort von Neubildung bei der Anlage von Seitenwurzeln kennen gelernt haben.
Die ganze primäre Rinde ist damit sofort dem Tode geweiht. Spätere Kork-
kambien, wo solche folgen, stellen sich dann wie im Stamme in den Paren-
chymen des sekundären Zuwachses ein.
Die Phanerogamen beschränken sich nicht darauf, ihren Stämmen und Korkschutz
in die Dicke wachsenden Wurzeln Korkschutz zu gewähren, sie überdecken ^"^ "^nf ^°^^""
mit diesem so widerstandsfähigen Gewebe auch die Schuppen ihrer Winter-
II*
von
Borke.
164
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
knospen, außerdem unterirdische Reservestoffbehälter, wie die Kartoffel-
knollen und so manche Früchte, beispielsweise die Äpfel, An derartigen
Pflanzenteilen stellt, wenn ihr Wachstum vollendet ist, das Korkkambium
seine Tätigkeit ein, wobei seine Zellen selber zu Kork werden.
Die Peridermlagen schließen den Pflanzenteil, den sie decken, gegen die
Atmosphäre ab. Für die Durchlüftung des Pflanzeninnern muß aber in ent-
sprechender Weise gesorgt werden. Das geschieht nun bei einer Anzahl von
Holzgewächsen, z. B. den Weinreben {Vitis) und Waldreben {Clematis), dem
ZwischenzeU- Geißblatt {Lonicera) und Pfeifenstrauch [Phüadelphus) u. a. auf einfachem
'^^fü^'^Dwch-"'^ Wege dadurch, daß sich die luftführenden Interzellularen der an die Periderm-
lüftungszwecke. ^ ^^ lagen stoßcn-
den Mark-
strahlen
durch diese
hindurch bis
zurOberfläche
des Stammes
fortsetzen.
^ Doch das ist
nicht das ge-
wohnte Ver-
halten. Viel-
mehr werden
yoHü
'W"
pd Pl
Fig. 74. Querschnitt durch eine Lentizelle von Sambucus nigra. Epidermis, /Ä Phellogen des bei den mei-
Periderms, ^d Phelloderma, pl Verjüngungsschicht der Lentizelle, / Füllzellen. Vergr. qo.
sten Holzge-
wächsen, im besonderen den Dikotylen, zu Beginn der Peridermbildung sog.
Rindenporen. ,,Rindenporen" oder ,,Lentizellen" (Fig. 74) erzeugt. Entsteht das erste Periderm
in sehr peripherischer Lage, so treten die Rindenporen unter den Spaltöffnungen
der Oberhaut auf. Das die Atemhöhle umgebende Parenchym beginnt sich zu
teilen und erzeugt ein Kambium, das als ,, Verjüngungsschicht" (p^) bezeichnet
wird. Von ihm gehen Zellen nach außen ab, die man , .Füllzellen" [l) nennt,
während nach innen zu etwas Korkrinde {pd) entsteht. Die Füllzellen einer
solchen Rindenpore runden sich gegeneinander ab und bilden Interzellularen.
Sie durchbrechen alsbald die Epidermis und heben sie lippenförmig empor. Ist
ein zeitweihger Verschluß bei Rindenporen erwünscht, so wird ein Zwischen-
streifen festverbundener Zellen durch die Verjüngungsschicht erzeugt und so-
bald nötig wieder gesprengt. Die Verjüngungsschichten und das angrenzende
Korkkambium verbinden sich alsbald zu einem zusammenhängenden Ganzen.
Um Rindenporen in größerer Tiefe der Stämme anzulegen, werden einzelne
Stellen der Korkkambien als Verjüngungsschichten verwertet.
Allen farnartigen Gewächsen geht noch echte Korkbildung ab; sie ist ein
Vorrecht der Phanerogamen. Baumfarne, die einen ausdauernden Stamm
bilden, imprägnieren die Zellvvände seiner peripherischen Gewebe mit einem
braunen Stoff, durch den sie äußerst widerstandsfähig werden.
Rindenporen — Überwallung 165
Auch der Schutz, dessen die durch Verwundung freigelegten Stellen am wundverscbiuß.
Körper eines farnartigen Gewächses bedürfen, wird ihnen durch Imprägnierung
mit einem antiseptischen Stoff erteilt. Im einfachsten Falle schließen phanero-
game Landpfianzen gleichfalls eine kleine Wunde dadurch ab, daß sie das an-
grenzende Gewebe mit einem Schutzstoff durchtränken, unter Umständen des-
sen Wirkung noch durch Ausscheidung von Suberinlamellen in den einzelnen
Zellen verstärken. Im übrigen ist Kork das Vernarbungsgewebe der Phanero-
gamen, ein Kork, der als ,, Wundkork" bezeichnet wird. Unter jeder größeren
Wunde bildet sich ein Korkkambium, das in gewohnter Weise in Tätigkeit
tritt. Bei Holzgewächsen geht diesemVorgang für gewöhnlich die Bildungeines
, , Kallus" voraus. Es ist das eine Gewebewucherung, an der alle an die Wunde gren-
zenden, lebendigen Zellen sich beteiligen. Verkorken die Zellen dieses Kallus,
so genügt auch wohl, ohne weitere Korkbildung, der durch diesengewährteSchutz.
Wunden am Stamm gymnospermer und dikotyler Holzgewächse, die bis in den überwaiiung.
Holzkörper hineinreichen, werden ,, überwallt". Es wächst in solchen Fällen das
Kambium des Stammes an den Wundrändern wulstig hervor. Der Wulst
grenzt sich durch Kork nach außen ab, während in seinem Innern sich im An-
schluß an das Stammkambium eine Kambiumschicht sondert, die wie ersteres
nach innen Holz, nach außen Bast bildet. Die Überwallungswülste vergrößern
sich infolge dieses Wachstums; sie werden über die Wundfläche hinweggescho-
ben und decken sie allmählich. War die Wunde nicht allzugroß, so gehngt es den
Überwallungswülsten, sich schließlich mit ihren Rändern zu erreichen. Diese
verwachsen, und damit ist die Wunde äußerlich verheilt und kann mit der Zeit
ganz unkenntlich werden. Eine Verwachsung des neu erzeugten Holzes mit je-
nem, das die Verwundung bloßgelegt hatte, ist aber nicht möglich. Das alte
Holz liegt gebräunt und abgestorben unter dem neuen. Daher kann es gesche-
hen, daß beim Spalten eines gefällten Baumes, in den einst tiefe Zeichen ein-
geschnitten wurden, diese plötzlich zum Vorschein kommen. So besitzen wir
in unserer Sammlung ein Stammstück der Rotbuche, das in 15 cm Entfernung
von dem völlig normal erscheinenden äußeren Periderm, auf einer beim Klein-
machen des Holzes zufällig bloßgelegten, tangentialen Spaltungsfläche ein gro-
ßes, dunkelbraunes Kreuz zeigt. Durch Überwallung vom Kambiumring aus
werden auch Aststumpfe mehr oder weniger vollständig abgeschlossen, ein
Vorgang, der wohl jedem gelegentlich auffallen mußte. Das über den Wunden
erzeugte Holz ist in seinem Bau vom normalen zunächst verschieden und wird
daher als ,, Wundholz" unterschieden. Seine Zellen sind fast isodiametrisch und
nehmen erst allmählich gestreckte Formen an.
Die Wunden, die der Blattfall an unseren laubwerfenden Gewächsen imsiattfau.
Herbste verursacht, werden auch mit Kork abgeschlossen. Der Blattfall selbst
geht von parenchymatischen Trennungsschichten aus, die am Grunde des
Blattstiels angelegt wurden, und in welchen die Mittellamellen der Zellwände
verschleimen. Innerhalb der Zone, die für Anlage einer Trennungsschicht vor-
bestimmt ist, sind alle prosenchymatischen Gewebe von Anfang an sehr redu-
ziert und mit Ausnahme der trachealen Formelemente unverholzt. Vor dem
i66 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
Blattfall runden sich die Zellen der Trennungsschicht gegeneinander ab, ja, sie
stoßen sich unter Umständen ab, indem sie sich schlauchförmig strecken. Die
trachealen Formelemente werden dabei durchrissen. Der Schutz der Blatt-
narben wird im ersten Augenblick durch Verholzung und Verkorkung der frei-
gelegten Zellwände erreicht, worauf die Ausbildung der Korkschicht folgt. Die
freien Enden der Wasserbahnen in den durchrissenen Gefäßbündeln stopft die
Pflanze mit Schutzgummi und mit Thyllen zu, die Enden der Siebröhren wer-
den zusammengedrückt, worauf sie verholzen.
Regeneration. Die Leichtigkeit, mit der es pflanzlichen Geweben, die noch lebendigen
Inhalt führen und nicht für ganz extreme Leistungen umgestaltet wurden, ge-
lingt, in den embryonalen Zustand zurückzukehren, bedingt es, daß eine
direkte Ergänzung verloren gegangener Organteile, im Gegensatz zum Tier-
reich, nur ganz selten vorkommt. Aus einem Blattstiel, der seine Spreite ein-
büßt, wächst nicht eine neue Spreite hervor, die Blattspreite, die eine ihrer
Hälften verlor, wird diese nicht ergänzen. Wohl aber wird eine Pflanze, die
durch Raupenfraß ihrer Blätter beraubt wurde, sofort neue Blätter aus den vor-
handenen Vegetationspunkten bilden, und wo diese nicht genügen, aus Dauer-
gewebe neue Vegetationspunkte und aus ihnen die nötigen Sprosse er-
zeugen. Die Wechselwirkung der Teile, die auch im pflanzlichen Körper durch
die Plasmodesmen gewährleistet ist, wird es bedingen, daß es stets die not-
wendig gewordenen Teile sind, die dann entstehen. Da diese Art der Regene-
ration durch Bildung neuer Vegetationskegel vermittelt wird, läßt sie sich als
,, indirekte" bezeichnen. Diese Fähigkeit zu indirekter Ergänzung ist es, welche
es gestattet. Pflanzen aus Stecklingen, ja selbst einzelnen Gewebestücken zu
erziehen. Diese Fähigkeit reicht so weit, daß man beispielsweise aus einzelnen
Stücken eines Begonienblattes auf feuchtem Boden neue Pflanzen hervor-
wachsen sieht. Jede Oberhautzelle des Blattstücks ist befähigt, in Teilung ein-
zutreten und embryonales Gewebe zu erzeugen, das Vegetationspunkten des
Sprosses und der Wurzel den Ursprung gibt.
phyiogenie Die Höhc, welchc die Thallophyten in ihrer histologischen Sonderung er-
der Gewebe- reichen, bleibt weit hinter der Vollkommenheit zurück, bis zu der sie in ihrer
soaderung. '
äußeren Ghederung emporsteigen. Diese beiden Gestaltungsvorgänge sind un-
abhängig voneinander in der phylogenetischen Entwicklung fortgeschritten.
Schlauchalgen, ^as trat uns recht auffällig bei den Schlauchalgen [Siphoneen] entgegen, als
wir uns mit ihrem Bau beschäftigten. Hat es doch die Gattung Caiderpa unter
ihnen zu einer ähnlichen Ghederung gebracht, wie sie den kormophyten Pflan-
zen zukommt, während sie gleichzeitig einzellig bheb. Für weitgehende innere
Gewebe- Sondcrungcu fehlten bei solchen untergetaucht lebenden Pflanzen die nötigen
sonderung bei Bedingungen. Immerhin mußte auch bei ihnen, wenn sie vielzellig wurden
Meeresalgen. ö 23 i o
und der Umfang ihres Körpers zunahm, sich eine gewisse Arbeitsteilung unter
den Geweben einstellen. Sie äußert sich zunächst in der Weise, daß den ober-
flächhchen Zellschichten besonders die Aufgaben des äußeren Abschlusses, der
Entnahme gelöster Nährsalze aus dem umgebenden Wasser und der Kohlen-
Phylogenie der Gewebebildung l57
Stoffassimilation im Licht zufielen, die inneren Gewebe das Geschäft der Lei-
tung und Speicherung der Assimilate übernahmen. Demgemäß weisen die äuße-
ren Zellschichten mehr oder weniger isodiametrische Zellen auf und führen
Chromatophoren, die inneren entbehren dieser und sind in der Längsrichtung
gestreckt. Zur Ausbildung einer typischen Epidermis fehlt bei solchen Pflanzen
noch die Veranlassung, da sie im Wasser eines Schutzes gegen Austrocknung
nicht bedürfen. Soweit aber Meeresalgen bei der Ebbe an die Luft gelangen, wie
wir das an Nord- und Ostsee oft beim braunen Blasentang [Fucus) sehen,
sorgen Schleimüberzüge dafür, daß die Verdunstung an der Oberfläche nicht
zu groß sei. Für die mechanische Festigung des Thallus der in der Brandung
wachsenden Arten, die dem Anprall der Wellen zu widerstehen haben, mußte
durch besondere Verdickung der Wände in den äußeren Zellagen gesorgt werden.
Um die Festigkeit dieser Wände noch zu steigern, inkrustierte sie die Alge zu-
dem oftmals mit kohlensaurem Kalk. Der schon erwähnte Blasentang hat es
sogar zur Ausbildung besonderer mechanischer, durch die Dicke, große Dehn-
barkeit und Elastizität ihrer Wände ausgezeichneter Zellen gebracht. Den ver-
hältnismäßig höchsten Grad innerer Sonderung erlangten die ebenfalls zu den
Braunalgen zählenden Laminarien. Einige antarktische Vertreter dieser Gruppe
weisen riesenhafte Dimensionen auf. Die Macrocystis pyrifera pflegt in Tiefen
von 15 bis 25 m zu gedeihen. Aus dickerer Basis wächst ihre stammartige
Achse in Taustärke fort, nacheinander große, blattartige Thalluslappen erzeu-
gend, die mit Hilfe von Schwimmblasen sich an der Wasseroberfläche halten.
So kann diese Alge eine Länge bis zu 200 m erreichen. Die Laubmassen, die ge-
sellig wachsende Pflanzen dieser Art darstellen, sind so bedeutend, daß sie, mit
den Fluten auf und ab sich senkend, förmlich wie Wellenbrecher wirken. Man-
che Arten der Gattung Lessonia nehmen gar Baumhabitus in den Tiefen des
Meeres an und scheinen dort unterseeische Wälder zu bilden. Ihr ,, Stamm"
erreicht Schenkeldicke und wächst 3 bis 4 m empor; dort trägt er blattartige
Thalluslappen, die vielfach gespalten gleich gefiederten Palmenblättern zier-
lich überhängen. So ist es denn nicht erstaunlich, daß in den Wasserstraßen des
Feuerlandes die Macrocystis- und Lessonia- Ar tQn immer wieder die Be-
wunderung der Reisenden erweckt haben. Man begreift es wohl, daß bei diesen
Riesen des Meeres auch weitergehendere Gewebesonderungen im Thallus not-
wendig wurden, die freilich noch immer recht unvollkommen erscheinen müs-
sen, wenn man sie mit jenen der höher organisierten Landpflanzen vergleicht.
Das Gewebe ihrer stammartigen Achsen läßt eine ,, Rinde" und einen ,, Zentral-
körper" unterscheiden. Die erstere besteht aus fast isodiametrischen Zel-
len, der Zentralkörper baut sich aus langgestreckten Zellen auf. Der mittlere
Teil des Zentralkörpers ist locker und wird noch besonders als Mark unter-
schieden. Die Rinde führt zahlreiche Chromatophoren, zudem vermehrt sie ihre
äußerste Zellage dauernd durch tangentiale und radiale Teilungen. Die inner-
sten Lagen der Rinde gehen allmählich in den Zentralkörper über, dessen Mark
durch Verschleimung der Zellwände locker wird. In dem gelockerten Gewebe
wachsen schlauchartige Zweige aus den vorhandenen Zellen hervor und durch-
i68 Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
setzen den Schleim. Den Querwänden aller Markzellen kommt die Eigentümlich-
keit zu, daß sie siebplattenartig durchbrochen sind. Sie stehen wohl im Dienst
der Stoffleitung. Im besonderen muß das der Fall sein für die in der Peripherie
des Markes angebrachten, durch ihre größere Weite auffallenden Zellen, die in
geraden Zügen abwärts laufen, und die nach ihrem Bau direkt mit den Sieb-
röhren der kormophyten Pflanzen verglichen worden sind. Eine anhaltende
Vermehrung der äußersten Rindenschicht durch tangentiale und auch radiale
Teilungen führt schließlich zur Bildung jener dicken Thallusachsen, die wir eben
besprochen haben. Da diese Teilungstätigkeit Periodizität zeigt, zudem einige
Verschiedenheit in der Weite der zu verschiedenen Zeiten erzeugten Zellen be-
steht, so führt das zur Markierung der Zuwachszonen, die sich mit den Jahres-
ringen phanerogamer Holzgewächse vergleichen lassen. Bei bestimmten Lami-
narien hört in älteren Achsen die Teilungstätigkeit der äußersten Rindenschicht
auf, und eine mehr nach innen zu gelegene übernimmt ihre Aufgabe. Um das
Bild zu vervollständigen, sei schließlich noch hinzugefügt, daß den Laminarien
auch Schleimgänge zukommen, die als anastomosierende Kanäle die inneren
Rindenteile durchsetzen. Sie entstehen in der äußersten Teilungszone, später
wird diese weiter nach innen verlegt, so daß sie an ihre Außenseite zu liegen
kommen und nicht mehr tiefer in das Achsengewebe einrücken.
Gewebe- Die Püze waren bei ihrer saprophytischen, bzw. parasitischen Lebensweise
*°°')^^°^ ''^ nicht dazu angetan, weitgehende Sonderungen in ihren Geweben zu erfahren.
Die Hauptaufgabe des vegetativen Körpers blieb ja auch bei den höchstent-
wickelten Pilzformen die Nahrungsaufnahme. Nur das Auftreten vegetativer
Dauerzustände machte die Ausbildung besonderer, dem Schutz und der Festig-
keit dienender Strukturen bei ihnen notwendig. Derartige und andere An-
sprüche machten sich in erhöhtem Maße bei den großen Fruchtkörpern geltend,
die einzelne Abteilungen der Pilze erlangten, im besonderen dann, wenn solche
Fruchtkörper länger funktionieren sollten. Auch die massigsten Produkte des
Pilzkörpers sind aber auf die Verflechtung ihrer schlauchartigen Zellen, d. h.
,,Hyphen" zurückzuführen, und alle Sonderung kann somit nur eine mehr oder
weniger starke Verdickung der Wände dieser Hyphen, ihre engere oder lockerere
Verbindung, in bestimmten Fällen auch Verschiedenheit im Zellinhalt bedeuten.
Die seitliche Vereinigung der Hyphen wird unter Umständen so innig, daß sie,
wie wir früher schon erfuhren, auf Querschnitten den Eindruck eines paren-
chymatischen Gewebes hervorruft. Bei einigermaßen stärkerer Verdickung der
Zellwände in solchen , ,Pseudoparenchymen" kommt es im Extrem sogar zur Aus-
bildung von Tüpfeln, die von benachbarten Hyphen ausgehend aufeinander
treffen. In Fruchtkörpern verschiedener Feuerschwämme, denen recht lange
Lebensdauer zukommt, und die in sehr exponierter Lage an Baumstämmen den
Einwirkungen der Atmosphärilien zu trotzen haben, werden die peripherischen
Hyphen fast bis zum Schwinden ihres Lumens verdickt. Zugleich stellen sie
dicht gedrängt ihre Enden senkrecht zur Oberfläche des Fruchtkörpers ein, so
daß sie an ihm ein palisadenförmiges Hautgewebe zu bilden scheinen. So sorgen
Bei Flechten, auch am Körper der Flechten, deren Thallus ebenfalls nur das Produkt einer
Gewebe der Thallophyten und Moose
169
Hyphenverflechtung darstellt, die Hyphen durch sehr dichte Verfilzung und
überaus starke Verdickung für die Bildung schützender Rinden. Im Fruchtkör-
per zahlreicher Hut- und Bauchpilze führen bestimmte, besonders lange und
stark angeschwollene Hyphen einen stark lichtbrechenden, homogenen oder
trüben, in manchen Fällen gefärbten Inhalt und dienen augenscheinlich Lei-
tungszwecken.
Bei Moospflanzen {Bryophyten) schreitet die Gewebesonderung wesentlich
weiter als bei den Algen fort, was mit ihrem Landleben zusammenhängt. Die
äußere Ghederung des Körpers hingegen steht dem, was die Meeresalgen bei
höchster Ausgestaltung erreichen, entschieden nach. Die Bryophyten zeigen
auch von neuem, daf3 innere Gewebesonderung und äußere Gliederung durchaus
nicht übereinstimmend fortzuschreiten brauchen, denn gerade gewisse laub-
artige Lebermoose, so die bei uns sehr verbreitete Mar- A
chantia, brachten es in der Differenzierung ihrer Gewebe
weiter, als andere, die eine sproßähnhche Ausbildung er-
langten, so die ar-
tenreiche Gattung
Jungermannia.
Bei den Bryophy-
ten ist es noch die
ursprüngliche ha-
ploide,geschlecht-
liche Generation,
welche die Ober-
herrschaft behielt
und das vorstellt,
was wir ,, Moos" nennen. Für sie gelten die angeführten Gewebesonderungen. Die
Gattung Marchantia hat es dabei zur Abgrenzung einer äußeren Gewebeschicht
an der Oberseite ihres Thallus gebracht, die sehr wohl den Namen Oberhaut ver-
dient. Diese Oberhaut ist von Öffnungen durchsetzt (Fig. 75), die als ,, Atemöff-
nungen" bezeichnet werden, aber ganz anderen Ursprungs sind, wie die Spaltöff-
nungen der Kormophyten. Ihren Anfang nehmen sie von einem kleinen Interzel-
lularraum, der sich in der Mitte zwischen acht zumWürfel angeordneten Zellen bil-
det, die aus der Teilung einer peripherischen Thalluszelle hervorgingen. Dieser In-
terzellularraum erweitert sich zur , , Luftkammer ' '. Die vier über ihm befindlichen
Zellen werden durch Teilung in mehrere Stockwerke zerlegt, dann weichen sie in
der MitteUinie auseinander, um die nach außen mündende Atemöffnung zu bilden.
Sie stellen zusammen ein tonnenförmiges Gebilde um diese Atemöffnung dar (Fig.
75 B). In die große Luftkammer, die unter der Atemöffnung liegt, wachsen chloro-
phyllhaltige Zellfäden hinein und vollziehen dort fast die ganze Assimilations-
arbeit. Darunter liegt im Thallus ein chlorophyllarmes Gewebe, das der Speiche-
rung der Assimilate dient, zudem in der MittelHnie der gabelig sich verzweigenden
Thalluslappen sich zu Leitungszweigen streckt und deutliche Mittelrippen bil-
det. Außerdem kommen den Marchantiaceen noch mit Schleim erfüllte Zellen
Bei
Moospflanzen.
75. Oberflächenansiclit und Querschnitt des Thallus der Marchantia polymorpha.
In A eine Atemöffnung von oben, in B im Querschnitt. Vergr. 240.
I70
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
zu, die bei Fegatella conica Raddi zu Schleimgängen sich vereinigen, die als
Streifen im Gewebe der Mittelrippen verlaufen. Bei den Torfmoosen {Sphagna-
ceen) ist im Dienste der Wasserversorgung ein eigenartiger Kapillarapparat zur
Ausbildung gelangt (Fig. 76). Die Rinde ihrer Stämmchen [C, w) besteht aus drei
bis vier Schichten inhaltsfreier Zellen, deren Quer- und Längswände mit runden
Löchern versehen, zudem ring- und schraubenförmig verdickt sind, und die be-
gierig Wasser aufsaugen. In den Blättern dieser Pflänzchen [Ä] bilden lang-
gestreckte, chlorophyllhaltige Zellen [a) ein einschichtiges Netz, dessen Ma-
schen von je einer inhaltsleeren, kapillar wirksamen Zelle {w) eingenommen
werden, die ebensolche Löcher und dieselbe Wandverdickung wie die Rücken-
zellen besitzt. Die
Stämmchen mancher
der höchststehenden,
zu den Bryineen ge-
hörenden, Laubmoose
(Fig- 77) haben zur
Erlangung eines Was-
serleitungssystems
den nämlichen Weg
wie die Kormophyten
eingeschlagen, welche
letzteren dies aber
erst im Gegensatz zu
den Moosen, in der
folgenden diploiden
Generation taten. Sie
weisen ein sehr ein-
fach gebautes, zen-
trales,,Leitbünder' (Z) auf, besitzen auch in der einschichtigen Blattspreite einen
mehrschichtigen Mittelnerv, der ein Leitbündel enthält, in manchen Fällen auch
mechanische Formelemente, die langgestreckt und zugespitzt sind und Skleren-
chymfasern tatsächlich sehr gleichen. Die Leistungen der Wasserbahnen, deren
Bildung bei den Laubmoosen also schon versucht wird, bleiben dort bei alledem
sehr unvollkommen, wie das kaum anders bei Pflanzen, die noch keineWurzeln be-
sitzen und das Wasser mit ihrer ganzen Oberfläche aufnehmen, zu erwarten steht.
Daher sieht man bei manchen Laubmoosen, so den Mniumarten, die mit ein-
fachen Leitbündeln in den Blättern ausgestattet sind, diese blind in der Rinde
des Stämmchens enden, ohne dessen zentrales Leitbündel zu erreichen. Eine
auffällige Erscheinung ist es, daß an dem Sporogon verschiedener Laubmoose,
also an ihrer diploiden, ungeschlechtlichen Generation, deren Aufgabe ganz
darin liegt, der Sporenbildung zu dienen, an der oft etwas anschwellenden Basis
der grünen Sporenkapsel, dem ,, Kapselhals", Spaltöffnungen von derselben
Entwicklung und von dem nämlichen Bau auftreten, wie sie den Blättern der
diploiden Generation der Kormophyten zukommen. Das ist eine auffällige
Fi g. 76. A aus dem Blatt von Sphagnum cymbifolium. a chlorophyllhaltige Zellen,
IV wasserleitende Zellen mit Verdickungsleisten v und Löchern /, von der Fläche.
Vergr. 300. B Querschnitt durch das Blatt von Sphagnum fimbriatum, dieselben
Buchstaben wie in A. Vergr. 300. C Teil eines Querschnitts durch den Stengel
von Sphagnum cymbifolium, c Mitte, xk sklerenchymatische Rindenzellen, ?« wasser-
leitende Zellen mit Löchern und Verdickungsleisten, e Epidermis. Vergr. 120.
Ursprung der Kormophyten
171
Analogie, die den manchen andern ähnlichen Erscheinungen hinzuzufügen ist,
die uns schon begegnet sind.
Die Gewebesonderungen, die wir an der diploiden Generation der kormo-
phyten Pflanzen im Laufe dieser Darstellung kennen gelernt haben, lassen sich,
wie aus diesem phylogenetischen Überbhck hervorgeht, nicht von analogen
Entwicklungsanläufen bei den Thallophyten ableiten, sie stellen vielmehr eine
besondere Entwicklungsreihe fort-
schreitender Ausgestaltung dar. Moos-
ähnliche Gewächse mögen irgendwo
bei den Algen ihren Ursprung gefunden
haben, doch jedenfalls tief unten, so
daß ihnen schwerlich die von höher
organisierten Algen erreichten Gewebe-
sonderungen schon als Erbteil zufielen.
Sollten moosartige und farnartige Ge-
wächse einer gemeinsamen Quelle ent-
sprungen sein, wofür der überein-
stimmende Bau ihrer Geschlechtsor-
gane zu sprechen scheint, so müßte
diese Quelle bei uns unbekannten
Wesen gelegen haben, von welchen aus
die Weiterentwickelung in zwei völlig
verschiedenen Bahnen sich vollzog,
der einen, in welcher die haploide Ge-
neration begünstigt blieb, der anderen,
in der sie gegen die mächtig aufstre-
bende, diploide Generation zurück-
trat. Diese diploide Generation bestimmte schließlich den Charakter unserer
ganzen Landvegetation.
Ursprung der
Kormophyten.
Fig. 77. Querschnitt durch das Stämmchen von Muium
undulatum. / Leitbündel, c Rinde, e die äußerste Zell-
schicht der letzteren, /Blattflügel, r der Befestigung im
Boden dienende, haarförmige RhizoVdeu. Vergr. 90.
Bonn, Botanisches Institut der Universität, im Mai 1912.
Literatur und Anmerkungen.
Der in Betracht kommende Abschnitt der Botanik verfügt über eine so ausgedehnte
Literatur, daß ihre vollständige Aufzählung für sich allein Bände füllen würde. Doch eine solche
Vollständigkeit hätte an dieser Stelle weder Zweck noch Berechtigung. Vielmehr kann es hier
nur auf die Nennung von Werken ankommen, an die sich ein besonderes historisches Interesse
in der Entwicklung unserer Wissenschaft knüpft, und von Lehr- und Handbüchern, sowie
sonstigen zusammenfassenden Darstellungen, aus welchen weitere Literaturangaben sich schöpfen
lassen.
In einzelnen Fällen sind den Angaben im Text hier noch einige Ergänzungen oder Erläute-
rungen hinzugefügt worden.
Im Text sind die Stellen, auf die sich die Literaturangaben oder Anmerkungen beziehen,
mit einem * kenntlich gemacht.
S. 2. Robert Hooke stellte sich bei seinen hierbezüglichen Untersuchungen nicht die
Aufgabe, den inneren Bau der lebendigen Wesen zu erforschen, es kam ihm vielmehr darauf
an, zu schildern, was alles mit Hilfe seines von ihm selbst hergestellten Mikroskops zu sehen
sei. Der Titel seines Werkes lautet: Micrographia, or some physiological descriptions of
minute bodies made by magnifying glasses. With observations thereupon, London 1667.
S. 2. Der Name ,, Protoplasma" reicht auf das Jahr 1846 zurück. Den Vergleich des
pflanzhchen Protoplasmas mit dem tierischen, das unter dem Namen Sarkode bekannt war,
stellten zuerst Franz UnGER und Ferdinand Cohn an. Einheitlich begründete diese Über-
einstimmung dann vornehmlich Max Schultze 1863, in seinem Werke: Das Protoplasma.
S. 3. Das Kugeltierchen wurde durch den niederländischen Naturforscher Antonius
VON Leeuwenhoek am 30. August 1698 entdeckt und zuerst von ihm in einem Briefe an JO-
HANNES Sloane zu London am i. Januar 1700 geschildert.
S. 4. Einen lehrreichen Einbhck in die Stoffwechselvorgänge im organischen Reich
gewinnt man aus dem Buch von A. Nathansohn: Der Stoffwechsel der Pflanzen, 1910.
S. 12. Vergleiche hierzu die Pflanzenphysiologie von W.Pfeffer, II. Aufl. 1897 — 1904,
und die Vorlesungen über Pflanzenphysiologie von Ludwig JOST, II. Aufl. 1908.
S. 13. In den Zellen der Grasknoten sind mit Hilfe der Plasmolyse osmotische Druck-
höhen bis zu 40, in manchen Wüstenpflanzen, die sich das nötige Wasser nur mit größtem
Kraftaufwande zu verschaffen vermögen, bis zu 100 Atmosphären nachgewiesen worden. —
Bahnbrechend war auf diesem Gebiete die 1884 in den Jahrbüchern für wissenschaftliche
Botanik, Bd, XIV, veröffenthchte Arbeit von HUGO DE Vries : Eine Methode zur Analyse der
Turgorkraft.
S. 15. Das Nähere wäre zu vergleichen bei M. Weber in dem von M. NUSSBAUM,
G. Karsten und ihm bearbeiteten Lehrbuch der Biologie für Hochschulen, 1911, S. 331.
S. 17. Vergleiche hierzu die Pflanzenphysiologie von W. Palladin, deutsche Über-
setzung 191 1, und Emil Abderhalden, Synthese der Zellbausteine in Pflanze und Tier, 1912.
S. 17. Der Nachweis von Zyanwasserstoff in zahlreichen Pflanzen auf Java und Versuche,
die Bedeutung dieser Erscheinung aufzuklären, gehören zu den letzten Vei-öffentlichungen des
inzwischen verstorbenen Direktors des botanischen Gartens zu Buitenzorg, ]Melchior Treub.
Erschienen in den Bänden VI und VIII der Annales du Jardin Botanique de Buitenzorg,
1907 — 1909.
Literatur und Anmerkungen ly^
S. 19. Die Kenntnis der Chondriosomen verdanken wir für das Tierreich besonders
Fr. Meves, dann wurden sie von ihm auch an einzelnen Stellen im Pflanzenreich beobachtet.
Neuerdings suchte G. Lewitsky ihre allgemeine Verbreitung auch in embryonalen, pflanzlichen
Zellen zu erweisen und leitete die Chromatophoren von ihnen ab. Ber. der Deutsch. Bot. Gesell.
1910, S. 538, und 191 1, S. 685 u. 697. Das hatte zuvor in gewissem Sinne auch ANTONIO
Pensa, Anat. Anz., 1910, S.325, schon angenommen, und neuerdings wurde es durch A.GuiLLlER-
MOND, Comptes rendus, Bd. 153, 1911, und 154, 1912 weiter begründet.
S. 25. Es sind L. M.A.RCHLEVVSKI , M. Tswett und R. Willstätter, die sich die größten
Verdienste um die Chemie des Chlorophylls erworben haben.
S. 26. Walter Lob, Landw. Jahrb. Bd. 35, 1906, S. 541. Vergleiche auch Julius
Stocklasa und Wenzel Zdobnicky, Stzber. der Wiener Akademie, Bd. 119, Abt. II, 6, 1910,
S. 1123 und Biochemische Zeitschrift Bd. 30, igii, S. 433.
S. 28. Im besonderen wäre die Abhandlung von Th. N. Engelmann über Farbe und
Assimilation in der Botanischen Zeitung von 1883, S. i, hervorzuheben.
S. 32. Für den Uneingeweihten sei bemerkt, daß ein solcher Anhang hinter einem
Pflanzennamen, wie er hier auf Canna gigantea folgt, den verkürzten Namen des Autors, der
die Pflanze so benannte, angibt. Da es vorgekommen ist, daß verschiedene Pflanzen von
verschiedenen Autoren denselben Namen erhielten, so ist die Hinzufügung des Autornamens
notwendig.
S. 33. Nach Angaben von G. Malfitano und A. N. MOSCHKOFF: Sur la purification
de I'amidon, in den Berichten der Pariser Akademie, Bd. 151, 1910, S. 817.
S. 36. Es sei hier nochmals auf die anregenden Werke von A. Nathansohn, Palladin
und Abderhalden hingewiesen.
S. 42. Nach den letzten diesbezüglichen Veröffentlichungen von Sergius Iwanow, in
den Beiheften zum Bot. Zentralblatt, Bd. XXVIII, I. Abt. 1912, S. 159, den Jahrb. f. wiss.
Bot., Bd. I, 1912, S. 375, und den Ber. d. deutsch, bot. Gesellsch., 1911, S. 595.
S. 43. Die Literatur über Befruchtung ist enorm und kann hier nicht einmal gestreift
werden. Eine Übersicht würde man finden bei EmilGodlewski jun., Das Vererbungsproblem
im Lichte der Entwicklungsmechanik betrachtet, 1909.
S. 44. Die Bezeichnung Fermente kann nur noch gleichbedeutend mit Enzyme ver-
wendet werden, nachdem eine Unterscheidung von ,, geformten" Fermenten und ,,ungeformten"
Enzymen nicht mehr zulässig ist. Daher habe ich auch stets nur das Wort Enzyme benutzt.
S. 45. Vergleiche J. Rosenthal, Die Enzyme und ihre Wirkung, im Biologischen
Centralblatt von 1911, Bd. XXXI, S. 185 und 214.
S. 50. Wiesner und Molisch, Unters, über die Gasbewegung in der Pflanze, Stzber.
d. Wiener Akad., Bd. XCVIII, I. Abt. 1889.
S. 52. Es kann hier nicht der Anteil vorgeführt werden, der den einzelnen Forschern
auf pflanzlichem und tierischem Gebiete bei der Förderung der Kern- und Zellteilungsvorgänge
zufällt. Eine Übersicht der betreff"enden Literatur gibt mein Aufsatz: Die Ontogenie der
Zelle seit 1875, in Progressus rei botanicae, Bd. I, 1907, S. i.
S. 57. Für die Individualität der Chromosomen, ihre Verschiedenheit und die Ver-
schiedenheit ihrer Abschnitte, ist besonders Th. Boveri eingetreten und suchte sie durch Ver-
suche zu stützen.
S. 61. Eine eingehende Zusammenstellung aller diesbezüglichen Arbeiten findet man
bei Victor Gr]£goire in der Zeitschrift ,,La Cellule", den Bänden XXII und XXVI, von
1905 und 1910.
S. 66. E. Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den
Phanerogamen als Grundlage für eine Theorie der Zeugung, 1884.
S. 66. Oscar Hertwig, Das Problem der Befruchtung und die Isotropie des Eies
eine Theorie der Vererbung, 1884.
S. 67. Meine Ansichten über Ausbildung des Geschlechts und den Generationswechsel
habe ich zuletzt entwickelt in dem Aufsatz über geschlechtbestimmende Ursachen, Jahrb. f.
wiss. Bot, Bd. XLVIII, 19 10, S. 4300".
174
Eduard Strasburger: Pflanzliche Zellen- und Gewebelehre
S. 71. Gregor Mendel, Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandl. des naturwiss.
Vereins zu Brunn, Bd. IV, 1865. Wegen aller späteren Arbeiten auf diesem Gebiete verweise
ich auf W. JOHANNSEN, Elemente der exakten Erblichkeitslehre, 1909.
S. 72. Hugo de Vries, Die Mutationstheorie, Bd. I, 1901, S. 225. Bastarde von
Oenothera gigas, Ber. d. deutsch, bot. Gesellsch., 1908, S, 756,
S. 78. Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen, 1896, S. 246.
S. 86. Für Gewebe und alles an sie AnschHeßende sei ganz allgemein hingewiesen auf
G. Haberlandt, Pflanzenanatomie, IV. Aufl., 1909, und auf unser Lehrbuch der Botanik für
Hochschulen, XI. Aufl., 191 1. Dort sind alle nötigen Literaturangaben aufzufinden.
S. 104. C. Correns, Über die Epidermis der Samen von Cuphea viscosissima, Ber. d.
deutsch, bot. Gesellsch., 1892, S. 143,
S. 105. G. Haberlandt, Die Lichtsinnesorgane der Laubblätter, 1905; Zur Physiologie
der Lichtsinnesorgane der Laubblätter, Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XLVI, 1909, S. 377; M. NORD-
HAUSEN, Über die Perzeption der Lichtrichtung durch die Blattspreite, Zeitschr. f. Bot.,
2. Jahrgang, 1910, S. 465.
S. 106. Zuerst von W. Pfeffer beschrieben: Zur Kenntnis der Kontaktreize, Unters,
aus dem bot. Inst, zu Tübingen, Bd. I, 1885, S. 525,
S. 118. Charles Darwin, Insectivorous Plauts. Außerdem K. Goebel, Pflanzenbio-
logische Schilderungen, II, 1891, S. 181; C.A. Fenner, Beiträge zur Kenntnis der Anatomie,
Entwicklungsgeschichte und Biologie der Laubblätter und Drüsen einiger Insektivoren, Flora,
Bd. 93, 1904, S. 336.
S. 123. G. Haberlandt, Sinnesorgane im Pflanzenreich zur Perzeption mechanischer
Reize, II. Aufl., 1906.
S. 134. Über die Lichtlage der Laubblätter wären im besonderen die zahlreichen Ar-
beiten von J. V. Wiesner zu vergleichen. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Ergeb-
nisse enthalten die beiden zuletzt erschienenen Aufsätze: Weitere Studien über die Lichtlage
der Blätter in den Stzber. der Wiener Akad. math. naturwiss. Klasse, Bd. CXX, Abt. I, 191 1,
S. 119 und Über fixe und variable Lichtlage der Blätter, in den Berichten der deutschen
botanischen Gesellschaft von 1911, S. 304.
MORPHOLOGIE UND ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER PFLANZEN.
Von
W. Benecke.
I. ALLGEMEINER TEIL.
„Betrachten wir eine Pflanze, insofern sie ihre Lebenskraft äußert", — Umgrenzung-
so sagt Goethe in seiner „Metamorphose der Pflanze", — „so sehen wir ^"^ u&ae
dies auf doppelte Weise geschehen, zuerst durch das Wachstum, indem sie
Stengel und Blätter hervorbringt, und sodann durch die Fortpflanzung,
welche in dem Blüten- und Fruchtbau vollendet wird." Und in der Tat,
es ist allbekannt, daß wir bei Beobachtung der Pflanzengestalten, die uns
auf Erden vor Augen treten, in der Mehrzahl der Fälle unschwer zweierlei
Glieder an ihnen wahrnehmen können; die einen Glieder dienen dem Pflanzen-
individuum selbst, besorgen seine Ernährung, verleihen ihm Festigkeit,
stählen es im Kampf ums Dasein, das sind diejenigen, welche die Wissen-
schaft als die vegetativen Glieder, die Vegetationsorgane des Pflanzen-
körpers bezeichnet. Die andern, von jenen hervorgebracht und ihre Ent-
wicklung krönend, stehen im Dienste der Fortpflanzung, es sind die frukti-
fikativen Glieder, die Fruktifikationsorgane des Pflanzenkörpers. — Wenn
es nun unsere Aufg-abe ist, auf den folgenden Blättern die Lehre von der
Pflanzengestalt in großen Zügen zu behandeln, so müßten wir, um voll-
ständig zu sein, die vegetativen und die fruktifikativen Teile in gleicher
Weise berücksichtigen. Tatsächlich aber wollen wir den ersteren unser
Hauptaugenmerk zuwenden, denn wir können sie darstellen, ohne daß wir
uns allzusehr in Einzelheiten verlieren, während eine eingehende Behandlung
der letzteren leicht allzuweit von allgemeinen Fragen abführen und auf eine
Darstellung des ganzen Pflanzensystems mit seinen zahlreichen Klassen,
Reihen, Familien hinauslaufen müßte.
Freilich, eine scharfe Grenze zwischen vegetativen und fruktifikativen
Gliedern vermögen wir ebensowenig zu ziehen, als die Natur selbst es tut.
Bemerkt doch auch der Laie, daß es Übergangsformen zwischen beiden
gibt, und redet er doch von „vegetativer Fortpflanzung", wenn er sieht, daß
eine Erdbeerpflanze, statt sich durch Samen fortzupflanzen, Ausläufer treibt,
an deren Ende neue Pflänzchen entstehen, oder wenn er die Bildung von
Brutzwiebeln an einer Zwiebel zu beobachten Gelegenheit hat. Auch werden
wir selbst im Verlaufe unserer Darstellung noch hören, daß es oft nur von
176 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
zufälligen äußeren Bedingungen oder von experimentellen Eingriffen ab-
hängt, ob die jugendliche Anlage eines Organs endlich in den Dienst des
vegetativen Lebens oder der Fortpflanzung tritt. Somit werden wir denn,
wenngleich die Vegetationsorgane uns in erster Linie interessieren sollen,
doch auch die Fortpflanzungsorgane, allerdings nur ergänzungs weise, zu be-
handeln haben.
Wenn wir dann noch betonen, daß wir auf den folgenden Blättern im
wesentlichen nur diejenigen Pflanzengestalten besprechen, welche man mit
bloßem Auge erkennen kann, daß wir die mikroskopisch kleinen Pflänzchen
aber nur insoweit berücksichtigen, als es nötig ist, um die Gestalten der
höheren, größeren Gewächse von jenen ableiten zu können, und im übrigen
die genauere Betrachtung der mikroskopischen Pflanzenwelt der „Zellen- und
Gewebelehre" der Pflanzen überlassen, haben wir unser Thema umgrenzt.
Weitgehende Auch ein naturwisscnschaftlicher Laie, der sich nur behufs oberfläch-
^"Körp'^^ober-'"^ lieber Aneignung biologischer Kenntnisse der Beobachtung der lebenden
fläche bei den pormcn zuwcndct und die verschiedenen Gestalten der Pflanzenwelt be-
pflanzen.
trachtet, wird schon bald zu der Einsicht geführt werden, daß ein besonderes
Bauprinzip die meisten pflanzlichen Formen beherrscht: Das Prinzip mög-
lichst weitgehender Entwicklung der Körperoberfläche; und er wird auch ohne
weiteres einsehen, daß hier ein grundlegender Gegensatz zwischen der Aus-
gestaltung der Pflanzen und der Organisation der höheren Tiere mit ihren
massigen Gliedmaßen vorliegt. Und jenes Streben, — dieser Ausdruck ist
hier wie später natürlich nur bildlich gemeint, — nach möglichst vollkom-
mener Entwicklung' der Oberfläche gilt, wie sich weiter zeigt, für Pflanzen
von ganz verschiedener Entwicklungshöhe und für Pflanzen von denkbar
verschiedenen Standorten. Mag man, am Meeresstrand wandelnd, den
zierlichen, rotgefärbten Röhrentang (Polysiphonia)^ den schon etwas kräf-
tiger entwickelten, gleichfalls den Rotalgen zuzurechnenden Rippentang
(Delesseria) (Fig. i), mag man den weitaus derberen braunen Blasentang"
(Fucus vesiculosus) oder ein Exemplar des mächtigen Blattanges (Laminaria)
von den zur Ebbezeit trocken liegenden Felsen abpflücken und betrachten,
oder ist man gar in der glücklichen Lage, jene gewaltigen, aus braunen
Algen bestehenden Tangwälder der antarktischen Meere in Augenschein
nehmen zu können, das genannte Prinzip der Oberflächenentfaltung wird
einem nicht weniger deutlich entgegentreten, als bei der Betrachtung- einer
Flechte, die als dünnes, blatt- oder krustenförmiges Lager Steine und
Baumrinden überzieht oder als Sträuchlein am Boden wächst, oder bei der
Untersuchung eines Moospflänzchens des Waldbodens. Und was für alle
die eben genannten, im Pflanzensystem an niedriger Stelle stehenden Ge-
wächse gilt, triff"t nicht minder zu für höhere, komplizierter organisierte
' Pflanzen, für die Kräuter und Stauden, die Sträucher und Bäume unserer
Wiesen und Wälder. Mehr oder minder lange Streckung der Glieder,
reichliche Verzweigung, blattförmige Ausgestaltung bestimmter Teile wirken
allein oder miteinander vereint darauf hin, das besagte Ziel in mehr oder
Bauprinzipien des Pflanzenkörpers
177
minder vollkommener Weise zu erreichen. Und was wir soeben für die
unserem Auge ohne weiteres zugänglichen oberirdischen Teile der Pflanzen
sagten, hat auch Gültigkeit für die Wurzeln, zeigen doch auch sie das
Streben nach weitgehender Zerteilung ihres Körpers und Vergrößerung
der äußeren Oberfläche.
Allerdings, nicht ganz im selben Maß ist die mächtige Entwicklung
der Oberfläche im Vergleich zum Rauminhalt bei allen Teilen einer Pflanze
durchgeführt. Wir brauchen ja nur auf knollen- oder rübenförmige Organe
hinzuweisen, brauchen nur an die massigen Stämme der Kakteen oder die
fleischigen Blätter der Fettkräuter oder anderer Kinder heißer Gegenden
uns zu erinnern; es genügt der Anblick
eines gewaltigen Baumriesen, um zu
zeigen, daß hier jenes Prinzip nicht
für alle Teile, in erster Linie für die
Krone, weniger für den Stamm gilt. Und
wenn wir, um noch ein Beispiel aus einer
ganz anderen Gegend des Pflanzenreichs
zu wählen, an einen Hutpilz denken, so
könnten wir meinen, daß von einem
Streben nach Vergrößerung der äußeren
Körperoberfläche hier fast gar nichts zu
merken sei, wenn wir uns nicht darüber
belehren ließen, daß der massige Hut
nur der Fruchtkörper des Pilzes ist,
während das vegetative Leben sich in
einem äußerst fein verzweigten Faden-
system abspielt, welches im Erdboden
oder in dem vom Pilz befallenen Baum-
stamm dahinkriechend, das Prinzip der
Oberflächenvergrößerung in um so höherem Maße zur Schau trägt, als der
Hut es vermissen läßt. Tatsächlich wird man nur in einer verhältnismäßig
geringen Zahl von Fällen im strengen Gegensatz zu dem eben Ausgeführten
finden, daß der gesamte Körper einer Pflanze eine möglichst geringe Körper-
oberfläche bei gegebenem Rauminhalt aufweist, d. h. sich der Kug-elgestalt
annähert. Das gilt, um nochmals auf die Meeresalgen zurückzukommen,
beispielsweise von einigen grünen Algen, die der Besucher des Mittelmeers
kennen zu lernen Gelegenheit hat und die ihm in der Form mehr oder minder
rundlicher Polster oder ähnlicher Gebilde erscheinen.
Somit dürfen wir daran festhalten, daß jene Fälle, in welchen lediglich
massige Körperentwicklung- bei einer Pflanze oder ihren Teilen sich zeigt, zu
den Ausnahmen gehören ; es wird später noch eine unserer wichtigsten Aufgaben
sein, zu untersuchen, inwieweit wir solche Ausnahmen als Ausfluß einer eigen-
artigen Organisation hinnehmen müssen, inwieweit wir sie andererseits, als
durch besondere Standortsverhältnisse bedingt, unserm Verständnis näher
Fi<
Delesseria sanguinea, der Rippentang oder
Wasserampfer. 14 der nat. Gr. Nach Strasburger.
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc.
12
178 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Beziehungen bringen können. — Vor dieser Frage erhebt sich aber naturgemäß die andere,
KörTer'^e^stait o^) jene bei der Mehrzahl der Pflanzen sich uns aufdrängende mächtige Ober-
und Lebensweise flächenentwicklung in Beziehung gesetzt werden kann zu den Lebensbedürf-
der Pflanzen, nisscu der Pflanzen, und es gehört nur ein geringes Maß von naturwissen-
schaftHchen Kenntnissen dazu, um diese Frage mit ja beantworten zu können:
Die Bedeutung der grünen Pflanze für den Kreislauf der Stoffe in der Natur
besteht ja darin, daß sie aus anorganischen Stoffen, d. h. aus den Nährsalzen,
welche der Boden ihren Wurzeln darbietet, und aus der Kohlensäure (Kohlen-
dioxyd), welche die Atmosphäre ihren Blättern zuträgt, org-anische Stoffe
aufbauen, von welch letzteren alle anderen Wesen sich ernähren, und jene
anorganischen Nährstoffe pflegen in der Umgebung der Pflanze recht dünn ge-
sät zu sein. Je größer ihre Oberfläche ist, um so leichter wird sie offenbar in der
Lage sein, sich diese ihre Nährstoffe in genügender Menge einzuverleiben.
Denn anders als höhere Tiere besitzen die Pflanzen nicht nur eine einzige
Eingangspforte für die Nahrung, vielmehr sind ihre Blätter mit tausenden
solcher besetzt, und die ganze Oberfläche der gesamten Spitzen ihrer Saug-
wurzeln, die noch durch die Ausbildung von Wurzelhaaren eine mächtige
Vergrößerung erfährt, ist befähigt zur Resorption der Nährsalze des Boden-
wassers. Gleiches gilt auch für die untergetaucht lebenden Wasserpflanzen,
die vermittels ihrer gesamten Oberfläche Nährstoffe aus dem Wasser auf-
nehmen. — So ist denn der Sinn der Gestalt der höheren Pflanzen einmal
darin zu suchen, daß eine tunlichste Vergrößerung der Nährstoffe auf-
nehmenden Oberfläche angestrebt wird; wie jedermann weiß, kommt aber
noch ein weiterer wichtiger Punkt hinzu, die Blätter der Pflanzen bedürfen
des Lichtes zu ihrer Ernährung, sie müssen durchstrahlt werden, um,
ihrer Funktion nachkommend, die Energie des Lichtes umzusetzen in die
chemische Energie der organischen Stoffe, welche sie aus der Kohlensäure
bilden, und auch diesem Bedürfnis wird offenbar durch möglichst wenig
massige Entwicklung am besten Rechnung getragen. Und wenn wir sehen,
daß jener oben genannte Hutpilz an seinen oberirdischen Organen keinerlei
Streben nach möglichster Entwicklung der Oberfläche zeigt, so ist das damit
zu erklären, daß er, anders als grüne Pflanzen, das Licht nicht zur Ernährung
braucht; für ihn ist es nicht erforderlich, daß die Zellen seines Körper-
inneren durchleuchtet werden, ihm kommt es vielmehr nur auf Vergrößerung
der die Nährstoffe aufnehmenden Teile an, und wir hörten schon, daß diese
Aufnahme von den unter weitgehender Zerteilung im Boden dahinkriechenden
Pilzfäden besorgt wird. — So kommen wir denn zu dem Schlüsse, daß es das
Streben nach Vergrößerung der Nährstoffe resorbierenden Flächen einerseits,
das Streben nach günstigen Beleuchtungsbedingungen bei den auf das Licht
angewiesenen Pflanzen andererseits ist, welches uns die Ausgestaltung der
Pflanzen verständlich macht; ein Streben, das begreifhcherweise mit andern
Bedürfnissen, dem Bedürfnis nach Festigkeit, nach Schutz vor Verwelken
usw. vielfach in Widerstreit tritt und sich uns darum, je nach der Organisation
und dem Standort der Pflanze, mehr oder weniger rein und ungetrübt zeigt.
anzen
oder
Kormophyten ; vSproß und Wurzel lyn
Mit der eben kurz g-eschilderten Anpassung der Gestalt an die Nahrungs-
aufnahme erklärt sich auch eine weitere allbekannte Besonderheit, die den
meisten Pflanzen im Gegensatz zu den höheren Tieren eignet: Bei ihrer
enormen Oberfläche können sie ohne Schaden die Nährstoffe „an sich heran-
kommen" lassen, ein Aufsuchen derselben findet nur in beschränktem
Maße statt, insofern z, B., als die Wurzeln durch ihr fortschreitendes Längen-
wachstum den Boden nach Nährsalzen absuchen. Tiere andererseits, die auf
das Verschlingen fester Nahrungsbrocken angewiesen sind, müßten, abgesehen
von einigen Ausnahmen, verhungern, wenn sie wie die Pflanzen festgewurzelt
wären und ihrer Beute nicht nachstellen könnten.
Wir können hier solchen Gedankengängen, die uns zu weit in das Gebiet sproßpfi
der Ernährungslehre hinüberführen würden, nicht weiter folgen. Fragen wir Kormophyten
statt dessen, nachdem wir uns in ganz allgemeinen Zügen über die Gestaltung stengei, Biatt,
der Pflanzen in ihrer Gesamtheit unterrichtet haben, ob jene von uns fest-
gestellte Ähnlichkeit im Aufbau auch dann zu Recht bestehen bleibt, wenn
wir, etwas tiefer eindringend, den Bau der Pflanzen genauer analysieren und
zuerst einmal die Frage aufwerfen, ob wir die Glieder, die den Pflanzenleib
aufbauen, in verschiedene Kategorien einteilen können und ob sich diese
Kategorien bei allen Pflanzen, seien es einfacher, seien es komplizierter ge-
baute, wiederfinden können. Rufen wir uns also den Aufbau der Vertreter
der verschiedenen großen Klassen des Pflanzenreichs ins Gedächtnis zurück!
Jedermann weiß, daß man am Körper aller oder doch der meisten höheren
Gewächse als Glieder erstens den Stengel, zweitens die seitlich daran sitzen-
den Blätter und drittens die Wurzeln beobachten kann. Indem man Stengel
und Blätter unter der Bezeichnung Sproß (Kormus) zusammenfaßt, nennt
man die höheren Gewächse, denen die besagte Gliederung zu eigen ist, auch
die Sproßpflanzen oder die Kormophyten. Man wird vielleicht geneigt sein,
als vierte Kategorie von Gliedern neben Stengel, Blätter, Wurzeln noch
die Blüten zu stellen. Doch wird man sich darüber belehren lassen, daß die
Blüte nichts weiter ist als ein, meistens freilich stark gestauchtes, Stengel-
stück mit seitlich daran sitzenden Blättern besonderer Art, die von den grünen
Laubblättern sich gestaltlich stark unterscheiden, wie sie denn auch eine ganz
andere Aufgabe im Haushalt der Pflanzen zu erfüllen haben, als jene. Der
Laie redet ja schon von Kelchblättern und Kronblättern und wird darum
wohl auch damit einverstanden sein, daß man die anderen Glieder der Blüte,
also vor allen die Staubgefäße und den Stempel, gleichfalls als Blätter von
eigenartig abweichender Gestalt auffaßt und als Staubblätter bzw. als Frucht-
blätter bezeichnet.
Zu den Kormophyten würden wir nun zu rechnen haben zunächst alle
Blütenpflanzen, oder, wie wir auch sagen können, Samenpflanzen, sodann
die Farnkräuter, bei welchen man die genannten Glieder meistens ebenfalls
ohne Schwierigkeiten unterscheiden kann. Von einfacher gebauten Pflanzen
rechnen wir dann noch zu den Kormophyten viele Moose mit ihren Stämm-
chen und Blättern, die den Sproß bilden und ihren feinen Haarwürzelchen,
12 *
l8o W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
die wir mit den Wurzeln der Blütenpflanzen vergleichen können. Drängt sich
uns somit eine weitgehende Ähnlichkeit im Bau der verschiedenen Kormophy ten
auf, so werden wir, wie gleich hier betont sein mag, in vielleicht noch höherem
Maße gefesselt durch die weitgehenden Abwandlungen, die uns die genannten
drei Grundformen bei den verschiedenen Vertretern der Kormophyten zeigen.
So schon durch die oft so gewaltigen Größenunterschiede. Wenn man zu-
nächst ein Moos und irgend eine Blütenpflanze vergleicht, und dabei braucht
man nicht einmal ein besonders kleines Laubmoos einerseits und eine kali-
fornische Riesenzypresse andererseits ins Auge zu fassen, so wird man sich
vielleicht angesichts der Unterschiede in der Gestalt und Organisationshöhe
nicht mit Unrecht fragen, ob jene bei beiden sichtbare Gliederung in Stengel,
Blätter und Wurzeln nicht eine, sagen wir kurz „zufällige", Ähnlichkeit ist.
Aber auch, wenn wir uns innerhalb der Blütenpflanzen selbst umsehen, bei
welchen die Wiederkehr jener drei Grundformen doch sicher nicht zufällig
ist, sondern auf ein geheimes „Gesetz" deutet, das wir später kennen
lernen werden, nimmt uns die weitg^ehende Plastizität der Gestalten in
Anspruch. Man braucht nur das Stämmchen einer Vogelmiere mit
dem Stamm eines Mammutbaumes, diesen mächtigen Strebepfeiler mit dem
seilartig dünnen Stengel einer Liane, etwa einer Schlingpflanze des Tropen-
waldes und diesen hinwiederum mit der gestauchten Achse eines Löwenzahns
oder einer anderen sogenannten stengellosen Pflanze zu vergleichen, um sich
vor Augen zu führen, wie weitgehend die Natur die Grundform des Stengels
ummodeln kann. — Bei manchen Kormophyten können bestimmte Organ-
kategorien unterdrückt sein. Bei bestimmten Wasserpflanzen können die
Wurzeln fehlen, desgleichen bei gewissen Schmarotzerpflanzen diese oder
die Blätter. Auch bei Kakteen fehlen flächenförmig entwickelte Blätter,
weitere Beispiele dafür wären leicht zu finden. Trotz alledem aber ist es
meistens leicht zu sehen, daß ein einigendes Band den Körperbau der Kormo-
phyten umschlingt.
Lagerpflanzen In Gcgcusatz ZU dcu Kormophyteu treten die Thallophyten, welche
Thaiio^h ten ^^^^ ^^ Pflanzcnsystcm an jene nach unten anschließen. Hier vermissen wir
in den meisten Fällen eine so typische Gliederung des Körpers in Stengel,
Blätter und Wurzeln, wie sie uns bei den Kormophyten entgegentrat; statt
ihrer sehen wir vielfach eine lagerförmige Ausbildung des Körpers, einen
sogenannten Thallus, daher der eben genannte Name für diese niederen
Pflanzen.
Zu den Thallophyten werden gerechnet die im einzelnen so überaus
mannigfach ausgestalteten Pilze und Algen sowie die Flechten, deren ge-
nauere Betrachtung uns später noch obliegen wird.
Vergleichende Elucn bcsondcrcn Reiz gewährt es nun zu verfolgen, daß ungeachtet
Betrachtung des ^ Vcrschiedeuheit im Aufbau der Thallophyten und Kormophyten doch
Korperbaues der ■■■ -^ ^ -^
i^ormo- und eine stattliche Zahl der ersteren in ihrem Körperbau deutliche Anklänge an
den der Kormophyten zeigt; betrachten wir z.B. von Thallophyten abermals
die Meeresalgen, und sehen wir uns etwa den oben schon genannten Rippen-
Thallophyten
l8l
tang {Delesseria) an, so können wir bei ihm ohne Schwierigkeiten, nicht
anders wie bei einem Kormophyten, stengelartige im Querschnitt mehr oder
minder genau runde Teile wahrnehmen, an welchen flache, d. h. blattartige
Gebilde daran sitzen; ähnliches würden wir, nur in größeren Dimensionen
bei einem Blattang, Lammaria, wahrnehmen. Bei anderen Algen, etwa beim
Röhrentang oder bei den bekannten durch ihre
ebenmäßig'e Ausbildung uns auffallenden Arm-
leuchteralgen (Fig. 2), deren Wiesen wir im
süßen oder Brackwasser in einiger Entfernung
unter der Oberfläche zu beobachten so oft
Gelegenheit haben, fehlen zwar blattähnlich
verbreiterte Anhangsorgane der Stengel,
gleiches begegnet uns aber auch bei be-
stimmten, von der Norm abweichenden Kormo-
phyten, etwa dem Spargelkraut, bei welchem
flächenförmige Blätter bis fast zum Schwinden
reduziert sind. Andererseits fehlen umg-ekehrt
bei anderen Algen, so beim Blasentang,
walzenförmige Glieder, und der ganze Thallus
ist abgeflacht; aber auch dafür bieten uns die
Kormophyten Gegenstücke, z. B. im Feigen-
kaktus. Und auch wurzelähnliche Organe
fehlen bei Thallophyten nicht; sitzen doch die
genannten Tange mit wurzelartigen Klammer-
organen an Felsen so fest, daß man beim Ver-
such, sie loszureißen, meist eher die Pflanze
durchreißen wird, als daß es gelingt, sie von
ihrer Unterlage zu trennen. Echte Wurzeln,
das wollen wir hier indes gleich betonen, Fig. 2. Die Armleuchteralge Chara crimta.
,, 1-1 /-< ,1, ix^ 1,- • T Links Ende eines Sprosses in natürliclier
welche gleiche Gestalt und Funktion wie die Größe. Rechts ein Kurztrieb, 6 fach vergr.
Wurzeln der höheren Kormophyten haben, «^ Oogonien a Anthendienstände.
^ J ' Nach SCHENCK.
fehlen allerdings den Thallophyten, -^ haben
wir solche doch auch schon bei den einfachsten Kormophyten, den mit Steng'el
und Blättern ausgestatteten Moosen, vermißt.
So kann man denn, wie sich zeigt, unschwer Parallelen ziehen zwischen
dem Bau von größeren Algen und Kormophyten, wird aber vielleicht des
Glaubens leben, daß keine so weitgehenden Ähnlichkeiten aufzufinden sein
könnten zwischen anderen Thallophyten, nämlich den Pilzen mit ihrer so weit
abweichenden Organisation und Lebensführung und zwischen Kormophyten.
Diese Meinung trifft nun wohl insofern zu, als kein Pilz sich dazu aufschwingt,
seinen Körper in Wurzel, Stengel und Blätter zu gliedern, eine Gliederung,
die für ihn auch keine Bedeutung haben würde. Um so interessanter aber
ist es, konstatieren zu können, daß manche Blütenpflanzen, deren Ver-
l82 ^V. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
wandte kormophytisch g-ebaut sind, gestaltlich bis zu den Pilzen hinabsinken,
d. h. ihre Vegetationsorgane vollkommen thallusartig, und zwar in Form von
Strängen, ähnlich dem Körper von Pilzen ausbilden; das sind eigenartig'e, in
Holzgewächsen schmarotzende höhere Pflanzen, auf die uns der Schluß
unserer Betrachtungen wieder zurückführen wird, und deren vegetative Teile
den Körper ihrer Wirtspflanzen durchwuchern nicht anders als die Pilzfäden
eines Pilzes den von diesem befallenen Baumstamm.
„Sondergebilde" Aber noch weiter können wir die Vergleichung des Baues der Kormo-
^Th^uo^^und" phyten und Thallophyten treiben. Sehen wir uns die ersteren nochmals ge-
Kormophyten. naucr au, SO fällt uns auf, daß wir mit Anführung von Steng-el, Blatt und Wurzel
die Organe, die sie ausbilden, offenbar noch nicht erschöpfend benannt haben.
Wer sich einmal an einem Rosenstachel verletzt hat, kennt anderweitige
Teile der Kormophyten aus eigener Erfahrung, und wer versucht, eine
Schmarotzerpflanze, vielleicht die Flachsseide, vom Stengel ihres Wirts los-
zulösen, kann sich unschwer davon überzeugen, daß sie demselben mit Saug-
organen aufsitzt, die ebenfalls weder Wurzeln, noch Stengel, noch Blätter
sind, vielmehr Teile von besonderem Bau und besonderer Funktion. Man hat
solche Teile als Sondergebilde, Emergenzen oder Anhangsorgane den Sten-
geln, Blättern, Wurzeln gegenübergestellt. Zu ihnen kann man auch gewöhn-
liche Haare, Wollhaare, Brennhaare usw. rechnen, wenn man will. Be-
obachten wir nun aufmerksam den Körper von Meeresalgen oder anderen
Thallophyten, so können wir uns davon überzeugen, daß auch diesen Haare
oder ähnliche Sondergebilde nicht fehlen, sondern in den Dienst der ver-
schiedensten Funktionen treten und in ihrer Ausbildung ganz von den Außen-
bedingungen abhängen. Ebenso wie bei gewissen Kormophyten die Dichte
des Haarkleides, das sie tragen, von der Eigenart des Standortes abhängig-
ist, z. B. auf trockenen, heißen Standorten dichter sein kann, als bei derselben
Pflanze, die in feuchter Umgebung wächst, kann auch bei Meeresalgen der
Haarbesatz sehr verschieden stark ausgebildet sein^ und zwar zumal mit der
größeren oder geringeren Durchstrahlung des Wassers, in dem sie leben,
wechseln.
Es sei noch erwähnt, daß man solche „Sondergebilde" zumal auch in
der fruktifikativen Reg'ion der Pflanze in großer Menge und mannigfacher
Ausgestaltung antrifft, worauf wir später noch kurz zurückkommen.
Ähnlichkeit der So dürfen wir denn, wenn wir sämtliche Pflanzen in unsere Betrachtung
Pflanzengestalten j^j|- einbeziehen, zwar nicht das bekannte Wort wiederholen: „Alle Gestalten
bedingt durch '
Verwandtschaft sind ähulich", dürfcn aber mit vollem Recht statt alle, viele Pflanzengestalten
einer-, AhnUch- t-. • • t-» i i t^i h i • • i -rr i
keit in der Sagen. Bei naiver Betrachtung der Ihallophyten einerseits, der Kormophyten
^^llf^li^s^ andererseits gewinnt man den Eindruck, als ob die Natur an jenen zuerst einmal
ihre Gestaltungskraft erprobt hätte, um allmählich jenen Typus herauszufinden,
der dann bei den Kormophyten der herrschende geworden ist und ofl"enbar
den Bedürfnissen der Pflanzen am meisten Rechnung trägt. Näher kommen
wir aber der modernen wissenschaftlichen Anschauung, wenn wir als Fazit
unserer Betrachtungen, wie oben schon geschehen, sagen, daß die Ahnlich-
Sondergebilde. — Geschichtlicher Rückblick 183
keit im Bau vieler Pflanzen sich häufig mit der Ähnlichkeit ihrer Lebensführung
erklärt und ergänzend nun noch hinzufügen, daß in vielen anderen Fällen die
Ähnlichkeit im Aussehen auf wirklicher Verwandtschaft beruht. Wir werden
später noch hören, daß man zweifellos mit Recht annimmt, daß die unbekannten
Ahnen der Kormophyten ähnlich gebaut gewesen sein mögen, wie manche
heutigen Tages noch lebende Thallophyten, und daß man auch mit einem
gewissen Erfolg versucht hat, klarzustellen, wie sich aus dem Thallus allmählich
im Verlauf von Äonen jene feste bestimmte Gliederung des Körpers in Sproß
mit Blättern und Wurzel entwickelt haben mag, die den Kormophyten zu
kommt. — Wenn wir soeben die Frage aufgeworfen haben, inwieweit Ähnlich-
keiten der Gestalt auf Verwandtschaft oder, was ungefähr dasselbe sagt, auf
Vererbung beruhen, inwieweit sie andererseits durch die gleichen Lebens-
bedürfnisse herausgemodelt worden sind, so befinden wir uns in dem Grund-
problem der g-anzen Lehre von der Pflanzengestaltung schon mitten darin.
Um dies Problem in seinen allgemeinen Zügen befriedigend behandeln zu
können, wird es sich empfehlen, daß wir den Faden der Darstellung zunächst
fallen lassen, um einen kurzen geschichtlichen Abriß der Lehre von der
Pflanzengestalt zu geben. Das wird uns auch die erwünschte Gelegenheit
verschaffen, die Stellung dieser Lehre innerhalb der anderen Sonderwissen-
schaften der Botanik etwas genauer zu kennzeichnen.
Haben wir soeben g-esehen, daß die Naturwissenschaft von heute nicht Geschichtlicher
achtlos an der großen Ähnlichkeit im Bau der verschiedenen Pflanzengestalten Grundformen"
vorübergeht, so wird es uns auch nicht wundernehmen zu hören, daß '^'^'^ pflanzen-
. . , gestalten und
schon die frühere wissenschaftliche Betrachtung der Pflanzengestalt, deren ihreAbwandiung.
Resultaten jetzt vielfach nur noch g^eschichtliches Interesse innewohnt, zu
dem Ergebnis kam, es müsse ein „Grundplan" vorhanden sein, nach welchem
die Pflanzen gebaut seien; man postulierte, daß sie aus Grundformen be-
stünden', die ihren Leib aufbauen sollten, vielfach ohne sich klar darüber zu
werden oder zu äußern, was eigentlich „Grundform" bedeuten solle; durch
die mannigfachen Abwandlungen dieser Grundformen sollte der große Ge-
staltenreichtum, die Formenfülle zuweg"e kommen, welche die Pflanzenwelt
zur Schau trägt, und dem wissenschaftlichen Bedürfnis war vielfach damit
Genüge geleistet, daß es gelungen zu sein schien, verschiedene Formen, welche
die Natur zeigte, in Gedanken auf eine nur im menschlichen Gehirn vorhan-
dene Grundform zurückzuführen. Die ältere Geschichte von der Lehre der
Pflanzengestalten seit dem 1 6. Jahrhundert ist im Grunde genommen kaum etwas
anderes als die Geschichte des Suchens nach solchen Grundformen und ihren
Umwandlungen, des Forschens nach einem sogenannten „Architypus", und
das ist um so begreiflicher, als wir hören, daß sich die Wissenschaft von der
Gestaltungslehre der Pflanzen zuerst fast ausschließlich oder doch haupt-
sächlich den höheren Pflanzen, die wir oben als Kormophyten bezeichnet
haben, zugewendet hat; die mannigfaltiger gestalteten Thallophyten aber
mehr oder minder zur Seite schob, deren genauere Betrachtung ohne weiteres
iSa ^- ßENECKE: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
gezeigt haben würde, daß sich nicht alle Pflanzengestalten in ein Schema
einzwängen lassen. Versuchen wir nun zuerst einen Augenblick unsere Auf-
merksamkeit zu schenken jenen Bestrebungen aus früheren Zeiten, in welchen
die Forschung nur allzusehr dazu neigte, vorgefaßte Ideen in die Natur hinein-
zutragen, anstatt sich Ideen erst zu bilden aus der Natur. Fragen wir so-
dann, was sich von jenen Bestrebungen, die uns heutigen Tages vielfach sehr
seltsam anmuten, in den Besitzstand der heutigen Wissenschaft hinüber-
gerettet hat.
Cesaipino. Beginnen wir, ohne irgendwie den Anspruch auf Vollständigkeit in unseren
Maipighi. Lmne. ^.^g^j^^^j^^j^^j^g^ Ausführungen zu machen, mit dem bekannten italienischen
Botaniker, Physiologen und Arzt des i6. Jahrhunderts, Andrea Cesaipino
(151g — 1603), so tritt uns sofort schon das Bestreben nach Unterordnung
der Pflanzenglieder unter bestimmte Kategorien entgegen: er will Blumen-
kronblätter als Blätter bezeichnet wissen, ordnet also Laub- und Blütenblätter
dem Begriff des „Blattes" unter. Marcello Maipighi (1628 — 1694), einer
der Begründer der Histologie der Gewächse, auch als „Vater der Entwicklungs-
geschichte" bekannt, bezeichnet ebenfalls Kelch und Blumenkrone als aus
„Blättern" bestehend. Auch K. v. Linne vertrat die Anschauung-, daß Kelch,
Blumenkrone, Staubfaden, Stempel Blätter seien. „Das «Wesen» der Blüten
und der Blätter ist das gleiche." Er verglich die Blüten mit Laubknospen
und glaubte, veranlaßt durch die Beobachtung, daß ein Baum, der bei reich-
licher Nahrungszufuhr Zweige mit Laubblättern getrieben haben würde, bei
schmaler Kost blüht, daß „die Blüte nichts weiter sei, als das gleichzeitige
Erscheinen von Blättern, die eigentlich den Knospenbildungen von sechs
aufeinanderfolgenden Jahren angehören, derart, daß die Blätter der fürs
zweite Jahr der Pflanze zur Entwicklung bestimmten Knospen zu Deckblättern,
die Blätter des dritten Jahres zum Kelch, die des vierten zur Blumenkrone,
des fünften zu Staubfäden, des sechsten zum Stempel würden", eine Spekulation
ohne tatsächlichen Untergrund, die unter dem Namen derProlepsistheorie
nur noch in der Geschichte unserer Wissenschaft einen Namen hat.
K. F.woiff. Wir kommen zu den Anschauungen Kaspar Friedrich Wolffs, des
^E'^r'^nesiT'^ „Begründers der modernen Entwicklungslehre". Als solcher wird er mit
Recht bezeichnet, da er die Entstehung und Entwicklung der Organe an
der Stengelspitze, die er den „Vegetationspunkt" taufte, zuerst in prinzipiell
richtiger Weise dargestellt hat. Er entdeckte, daß an dem Veg-etationspunkt
wirkliche Neubildung von Teilen stattfindet, indem die Blätter und die Seiten-
zweige als seitliche Höcker, „propulsiones trunci", erst angelegt werden, um
dann auszuwachsen (vgl. Fig. 2 9 S. 8q). Das ist die Theorie, — richtig'er die Be-
obachtung der „Epigenesis" der Organe, welche ein Ende machte der so-
genannten „Evolutionstheorie", welche Maipighi und Cesaipino ver-
traten, und welche keine Neubildung von Organen annahm, sondern glaubte,
alle Teile seien im Keim von Anfang an vorhanden, und brauchten sich während
der Entwicklung des Individuums nur zu entfalten und nicht erst neu zu
entstehen. „Damit", so sagt Goebel treffend, „war eine der fundamentalsten
Unn6. Wolff. Goethe 185
Tatsachen in der Entwicklung der Pflanze klargelegt und der auf unvoll-
ständig^en Beobachtungen und angeblich philosophischen Betrachtungen be-
ruhenden Evolutionstheorie der Boden unter den Füßen weg-gezogen."
Wolff kam auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schluß, daß es
zwei Grundorgane seien, der Steng-el und die Blätter, welche, der mannig-
fachsten Ausbildung fähig-, die Pflanze zusammensetzen sollen, „In der Tat
bedarf es keines großen Scharfsinns, um besonders bei gewissen Pflanzen
zu erkennen, daß der Kelch, um es kurz zu sagen, nichts als eine Sammlung
mehrerer kleiner unvollkommener Blätter ist. Nicht weniger deutlich ist die
Fruchthülle aus mehreren Blättern zusammengesetzt . . , Daß aber auch die
Blumenkrone und die Staubgefäße nichts weiter als modifizierte Blätter
sind, wird aus einzelnen Beobachtungen wenigstens sehr wahrscheinlich,
man sieht nämlich nicht selten die Blätter des Kelchs in Blumenblätter und
umgekehrt diese in Kelchblätter übergehen. Auf ähnliche Weise sieht man
auch die Staubfäden häufig in Blumenblätter sich verwandeln und umgekehrt,
woraus sich ergibt, daß auch die Staubgefäße ihrem Wesen nach Blätter
sind, , . Mit einem Wort, in der ganzen Pflanze, deren Teile auf den ersten
Blick so sehr voneinander abweichen, sieht man, wenn man alles reiflich
erwägt, nichts als Blätter und Stengel, indem die Wurzel zu diesem gehört", —
so führt Wolff aus, und kommt zu dem Schluß, daß alle Teile der Pflanze,
der Stengel ausgenommen, auf die Form des Blattes zurückgeführt werden
können, und nichts als „Modifikationen" desselben sind. Auch darüber suchte
Wolff sich Rechenschaft zu geben, wodurch jene Modifikationen der Blätter
hervorgerufen werden und kam zu der Überzeugung-, daß es in einer all-
mählichen Abnahme der Vegetationskraft begründet sei, wenn ganz jugend-
liche Blätter, — wir nennen sie heute „Blattanlagen", nicht zu Laub-, sondern
zu Blütenblättern werden; er spricht von einer „vegetatio languescens^'; die
Vegetationskraft, sagt er, vermindere sich in dem Maße, als die Vegetation
länger fortgesetzt wird und verschwinde endlich ganz. Das Wesen all dieser
Abänderungen der Blätter soll also eine unvollkommenere Ausbildung sein.
Kaspar Friedrich Wolff wird von Goethe als sein trefflicher Vor-
arbeiter bezeichnet; so kommen wir denn jetzt zu des Dichters Metamorphose
der Pflanze und wollen einige Gedankengänge aus derselben wiedergeben,
soweit sie sich anschließen an die jetzt von uns behandelten Probleme. „Ein
jeder", so lesen wir bei Goethe, „der das Wachstum der Pflanzen nur einiger-
maßen beobachtet, wird leicht bemerken, daß gewisse äußere Teile derselben
sich manchmal verwandeln und in die Gestalt der nächstliegenden Teile bald
ganz, bald mehr oder weniger übergehen. Es mag nun die Pflanze sprossen,
blühen oder Früchte bringen, so sind es doch immer nur dieselben Organe,
welche in vielfältigen Bestimmungen und unter oft veränderten Gestalten
die Vorschrift der Natur erfüllen. Dasselbe Organ, welches am Stengel als
Blatt sich ausdehnt, und eine höchst mannigfaltige Gestalt angenommen hat,
zieht sich nun im Kelch zusammen, dehnt sich im Blütenblatt wieder aus,
zieht sich in den Geschlechtswerkzeugen wieder zusammen, um sich in der
Goethe.
l86 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Frucht zum letzten Mal wieder auszudehnen. So wie wir nun die verschieden
scheinenden Org^ane der sprossenden und blühenden Pflanze alle aus einem
einzigen, nämlich dem Blatt, welches sich gewöhnlich in jedem Knoten ent-
wickelt, zu erklären gesucht haben, so haben wir auch diejenigen Früchte,
welche ihre Samen fest in sich zu verschließen pflegen, aus der Blattgestalt
herzuleiten gewagt." So werden denn alle die verschiedenen Organe der
Pflanze auf „das Blatt" zurückgeführt, durch dessen Umgestaltung — „Meta-
morphose" — die verschiedenen Organe, seien es solche der vegetativen oder
solche der fruktifikativen Sphäre, wie sie in die Erscheinung treten, zu er-
klären sind. „Es versteht sich von selbst", so lesen wir weiter, „daß wir ein
allgemeines Wort haben müßten, wodurch wir dieses in so verschiedener
Weise metamorphosierte Organ bezeichnen und alle Erscheinungen seiner
Gestalt damit vergleichen könnten, vorläufig müssen wir uns damit begnügen,
daß wir uns gewöhnen, die Erscheinung vorwärts und rückwärts gegen-
einander zu halten, denn wir können ebensogut sagen, ein Staubwerkzeug
sei ein zusammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumenblatt sagen
können, es sei ein Staubgefäß im Zustand der Ausdehnung. Ebenso läßt sich
vom Stengel sagen, er sei ein ausgedehnter Blüten- und Fruchtstand, wie
wir von diesem prädiziert haben, er sei ein zusammengezogener Stengel."
Nehmen wir die Ausführungen Goethes wörtlich, so erwecken sie den
Anschein, als ob er unter dem Begriff der Metamorphose eine wirkliche
Umbildung im wahren Sinn des Wortes, ein Umkneten eines fertigen Organs
in ein anderes verstünde. In Wirklichkeit handelt es sich aber natürlich nur
um ein begriffliches Umkneten. Das „Blatt" ist ihm eine „begriffliche Ver-
allgemeinerung", wie Goebel ausführt, eine Idee, und er sagt, — um hier einen
Satz aus der Metamorphose der Pflanzen zu zitieren, der wohl in jeder Dar-
stellung der Goetheschen Metamorphosenlehre wiedergegeben wird: „daß
das, was der Idee nach gleich ist, in der Erfahrung entweder als gleich oder
als ähnlich, ja sogar als völlig ungleich und unähnlich erscheinen kann, darin
besteht eigentlich das bewegliche Leben der Natur."
Während Wolff bei seiner Diskussion der Modifikation der Grundform des
Blattes sich ganz als Naturforscher erweist, indem er darunter die Tatsache
begreift, daß ein jugendliches Organ sich, je nachdem die Vegetationskraft
schwächer oder stärker ist, zum Laubblatt oder Blütenblatt entwickelt, ist
Goethe mit seinem Begriff der Metamorphose vorwiegend Dichter; er verlegt
den Begriff der Metamorphose aus der Natur „in das Gebiet des Begriffes der
Idee". Der Vorgang der Entwicklung eines jugendlichen Organs in der
einen oder anderen Richtung lag Goethe, wie wir wiederum Goebel ent-
nehmen, schon darum nicht, weil er von der Betrachtung der fertigen Pflanze
ausgeht, sich um die Entwicklung nicht kümmert. Er erkennt zwar die ent-
wicklungsgeschichtliche Methode Wolffs als „vortrefflich" an, meint aber,
„der treftliche Mann habe nicht daran gedacht, daß es ein Unterschied sei
zwischen Sehen und Sehen, daß die Geistesaugen mit den Augen des Leibes
in stetem lebendigem Bund zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr ge-
Metamorphose. — Dififerenzierungstheorie Hansteins 187
rät, zu sehen und doch vorbeizusehen". — Auch in dem Punkt besteht ein
wesentlicher Unterschied zwischen WolfF und Goethe, als ersterer die
Blütenbildung, wie oben gesagt, als Folge einer Schwächung der Vegetation
ansieht, Goethe sich aber auf den entgegengesetzten Standpunkt stellt: „Die
regelmäßige Metamorphose von den ersten Samenblättern bis zur letzten
Ausbildung der Frucht ist eine fortschreitende , sie steigt gleichsam auf einer
geistigen Leiter zum Gipfel der Natur, der Fortpflanzung durch zwei Ge-
schlechter empor". Nach ihm beruht die Bildung der Blütenblätter auf einer
Verfeinerung der Säfte, Wolft aber, so meint er, habe nicht beachtet^ „daß
bei der besagten Metamorphose das Organ sich veredle, und schrieb daher
den Weg zur Vollendung widersinnig einer Verkümmerung zu".
Bei seiner Analyse der eben in aller Kürze skizzierten Metamorphosenlehre Begriff der
r> nin- • i r t i „Metamorphose"
Goethes kommt J. Sachs zu dem Schluß, daß sie vorwiegend an folgender bei Goethe
Unklarheit leide: Von Metamorphose redet Goethe einmal in solchen Fällen Vorgängern.
— die auch Wolff heranzieht — , in welchen bestimmte Organe einer Pflanze
im Vergleich zu den entsprechenden ihrer Eltern umgewandelt sind, dann
z.B. wenn eine Rose, deren Eltern einfache Blüten mit normalen Staubfäden
hatten, gefüllte Blüten mit zu Blütenblättern umgewandelten Staubfäden zur
Schau trägt. Einen ganz anderen schlechterdings nur bildlich zu verstehenden
Sinn hat der Begriff Metamorphose aber dann, wenn Goethe aus den ver-
schiedenen Erscheinungsformen der seitlichen Organe einer Pflanze denBeg'riff
Blatt abstrahiert und, statt von einer Metamorphose dieses Begriffes zu reden,
dessen einzelnen Erscheinungsformen eine Metamorphose unterschiebt, die
also in diesem Fall vollkommen unwirklich ist. — Insofern, so führt Sachs
aus, ist der Begriff der Umwandlung, wie er uns schon längst vor Goethes
Zeit bei Cesalpino und Linn6 entgegentritt, ein klarerer, welche Forscher,
die, wie wir oben hörten, der Evolutionstheorie huldigten, an die alte An-
schauung, daß das Mark die Seele der Pflanze sei, anknüpfend, ausführen,
daß durch Umbildung", d.h. reale Metamorphose der Marksubstanz, die Samen
hervorgingen, ebenso wie die Blätter, Blütenhülle usw. durch eine wirkliche
Umbildung der Rindensubstanz entstehen sollten.
Fragen wir nun zunächst, wie sich der rein idealistische Goethesche Begriff oifferenzierungs-
der Metamorphose weiter ausgestaltet hat, so kommen wir zur kurzen Be- ^tVins.'^wigrnds
sprechung der sogenannten Differenzierungstheorie, unter welcher Be- "•^•
Zeichnung K. Goebel, dem wir hier folgen, die Anschauungen mehrerer
verdienter Morphologen zusammenfaßt. J. v. Hanstein (1822 — 1880) ein
Vertreter dieser Theorie führt aus, daß alle Formen des Blatts, Nieder-,
Laub-, Hoch-, Blütenblätter, die am Stengel von unten nach oben aufeinander-
folgen, durch mannigfache Übergänge verbunden, daß alle somit von ur-
sprünglich übereinstimmender morphologischer Natur und als „Wandel-
formen eines und desselben organischen Typus" aufzufassen seien, eine
Wandlung, die aber, wie ausdrücklich betont wird, als ein mehr „theore^
tischer denn tatsächlicher" Vorgang aufzufassen sei. Und in ähnlicher Weise
sprechen sich Nachfolg^er des eben genannten Forschers aus: Staubblätter,
i88 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Laubblätter usw. sind „Phyllome" — das ist wiederum eine begriffliche Ab-
straktion — die wegen verschiedener Funktion auch gestaltlich sich unter-
scheiden; eine tatsächliche Metamorphose, etwa eines Laubblatts in ein
Staubblatt aber wird nicht angenommen. Von einer „reellen Metamorphose"
aber redet A. Wigand (1821 — 1886); auch dieser Forscher geht davon aus,
daß die ersten Anlagen der seitlichen Organe am Stengel gleich sind oder doch
ganz gleich aussehen; indem er verfolgt, wie diese ersten Anlagen sich in
verschiedener Weise zu den fertigen Organen differenzieren, spricht er von
tatsächlicher Umbildung ursprünglich gleicher Anlagen zu verschiedenen
End gestalten. Eine entwicklungsgeschichtliche Umwandlung eines blatt-
artigen Organs in ein anderes, also eine im strengsten Sinne „reelle Metamor-
phose", nimmt er aber ebensowenig an wie seine Vorgänger.
A. Braun. Einen Augenblick länger gilt es zu verweilen bei dem Forscher, der all-
., Verjüngung", gemein als Goethes Nachfolger genannt wird in der Behandlung der Frage,
welche und wieviele sich abwandelnde Grundorgane es seien, aus welchen
der Körper der höheren Pflanzen sich aufbaut, bei Alexander Braun
(1805 — 1877). Nach Sachs verdienen die morphologischen Bestrebungen
Brauns schon darum unsere Beachtung, „weil in ihnen die ungeklärten An-
schauungen Goethes zu ihren letzten Konsequenzen durchdringen: Er ver-
einte die Ergebnisse induktiver Forschung mit den Theoremen der idealisti-
schen Philosophie". Der Begriff der Verjüngung der Pflanzenorgane, ein Be-
griff, der in den Braunschen Werken eine hervorrag^ende Stellung einnimmt,
ist nach Sachs nichts weiter als ein sozusagen erweiterter Begriff der Metamor-
phose; er soll widerspiegeln das der Pflanze innewohnende Aufgeben bereits
erreichter Gestaltung, das Zurückgehen auf einen neuen Anfang, ein erneutes
Erfassen des typischen Urbildes, mit anderen Worten er stellt eine Um-
schreibung der rhythmischen Erscheinungen im Wachstum des Pflanzenkörpers
vor. — Nach Braun ist die sichere Unterscheidung von Stengel, Blatt und
Wurzel die „Grundfeste der Morphologie", auf eine dieser drei Grundformen
gilt es in allen Fällen, wenn irgend tunlich, die dem Beschauer entgegen-
tretenden Teile einer Pflanze zurückzuführen. Diese Bestrebungen sind, wie
wir schon oben gesehen haben, vielfach als zu schematisch und als undurch-
führbarbekämpft worden, ja Braun und seine Schule selbst hat dies anerkannt
durch Schafl'ung einer „Rumpelkammer" in welcher alle keiner der drei
genannten Kategorien zuzurechnenden Teile untergebracht und als Organe
„sui generis" bezeichnet werden. — Auch hat man gegen die Braunschen
Bestrebungen geltend gemacht, daß sie dem Bedürfnis nach Vereinfachung
noch nicht genügend entgegenkommen und drei statt noch weniger Grund-
formen des Pflanzenkörpers annehmen; hat hierin sogar einen Rückschritt gegen
ähnliche Bestrebungen der Zeiten vor Braun gesehen. Tatsächlich zeigt uns
auch die Betrachtung gleichsinniger Versuche, die der Folgezeit angehören,
daß man vielfach bestrebt ist, mit einer geringeren Zahl auszukommen. Ohne
Gaudicheau. Einzelheiten zu erwähnen und ohne Anspruch auf irgendwelche Vollständig-
„Phyton".^ ^^it zu machen, erwähnen wir von solchen Versuchen noch, daß Gaudicheau
Wigand. Braun 189
im Jahre 1841 den Begriff Phyton für „das" Grundorgan einführte und daß
ähnliche Bestrebungen folgten, wie man z. B. bei H.Potonie nachlesen mag.
Phyten sollen sich in steter Wiederholung verbinden und stockwerkartig die
Pflanzen aufbauen. Auf gleichgerichtete Bestrebungen der neueren und
neuesten Zeit kommen wir noch zurück.
Wir sind am Ende der kurzen geschichtlichen Skizze von dem Ringen Begriff der
um die Frage nach den pflanzlichen Grundformen und dem Begriff von der '^^^^'^"°^gP^°gg^'
Metamorphose, der, wie wir sahen, selbst so mannigfacher Metamorphose ^^^^^^"^^^^''".^
unterworfen war, und zweifeln nicht daran, daß gar mancher den Eindruck
hat, daß wir gänzlich veraltete für die moderne Naturwissenschaft nutzlose
Streitfragen haben wieder aufleben lassen. Und zweifellos hat es ja für die
heutige Naturwissenschaft keinen Zweck nach Grundformen zu suchen, die,
wie Goethe sagt, der Idee nach gleich, in der Erfahrung aber entweder als
gleich oder als ähnlich, ja sogar als völlig ungleich erscheinen können und
die Umwandlungen dieser Grundform als Nachbilder ewiger Ideen auf-
zufassen, und so statt Naturforschung platonische Ideenlehre zu treiben.
Hat man doch mit Recht darauf hingewiesen, daß, wenn man die Grundform,
etwa des Blattes, sucht und von jeglicher besonderen Ausbildungsweise ab-
sieht, nichts weiter übrigbleibt, als ein wesenloses Schemen, eben nur die
„Idee", und daß der Naturforscher, der am Stoff kleben muß, damit nichts
anfangen kann: die Idee entgleitet ihm und nichts bleibt übrig. — Und doch
hat es seinen besonderen Reiz, der Frage nachzuspüren, wie es zu erklären
ist, daß nicht nur in dichterischer Intuition sondern auch in der nüchternen
Gedankenwelt des Pflanzenmorphologen von heutzutage der Begriff der
pflanzlichen Grundformen und ihrer Metamorphose seinen Platz in Ehren
behauptet, gegen früher geklärt durch vorurteilsfreie Naturbetrachtung
sowie durch die siegreich durchgedrungene Erkenntnis von der Stammes-
verwandtschaft der Lebewesen.
Welch helles Licht das Vorwärtsdringen des deszendenztheoretischen Phylogenetische
Gedankens, die Anerkennung der Verwandtschaft der Lebewesen, auch ^ .^igj^j^^fp^^g"
auf die oben behandelten Fragen wirft, lehrt bereits folgende kurze Aus-
einandersetzung: Gelingt es uns, nachzuweisen, daß zwei verschiedene An-
hangsorgane ein und derselben Pflanze hervorgegangen sind aus Gliedern
ihrer Ahnen, die bei diesen gleich gebildet waren, so haben wir mit einem
Schlag eine, zwar in sehr langen Zeiträumen erfolgte, darum direkt nicht zu
beobachtende, aber doch eine wirkliche, tatsächliche Umbildung eines Or-
ganes in andere vor uns, eine Umbildung, der nicht der geringste meta-
physische Beigeschmack anhaftet. Und ganz dasselbe ist der Fall, wenn es
gelingt, zu beweisen, — in vielen Fällen wird man sich allerdings damit be-
gnügen, es wahrscheinlich zu machen — daß die Ahnen zweier Pflanzen,
deren eine heutigen Tages dickfleischige Blätter, deren andere dünne, zerteilte
Blätter aufweist, solche Blätter besessen haben, die in gestaltlicher Beziehung
zwischen denen ihrer Deszendenten etwa die Mitte hielten. In beiden Fällen
IQO ^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
zeigt das Laubblatt der Ahnen die „ Grundform *', die sich im Laufe langer
Zeiten in dieser oder jener Richtung metamorphosierthat und die wir ihrerseits
natürlich auch wieder auf frühere, noch weiter zurückliegende Grundformen
zurückzuführen bestrebt sein müssen. Grenzen setzt solchen Untersuchungen
der Grundformen und ihrer Umwandlung naturgemäß der mangelhafte Stand
der Kenntnisse der pflanzlichen Stammbäume, der Phylogenie der Gewächse;
und es leuchtet ohne weiteres ein, daß eine der wichtigsten Hilfswissenschaften
der Lehre von der Pflanzengestaltung die Paläophytologie ist.
Die Klärung des Begriffs „Grundform" und „Metamorphose" durch das
Studium der Ahnenreihen der heute lebenden Gewächse ist nun natürlich
nicht urplötzlich vom Himmel gefallen, deszendenztheoretische Gesichtspunkte
drangen vielmehr allmählich in die Lehre von der Pflanzeng-estalt ein, und
das ist nicht zum geringsten Teil auch das Verdienst solcher zum Teil oben
genannten Forscher, die oft geradezu qualvoll nach klarer Erkenntnis des
Metamorphosenbegriffs rangen und zu vollkommener Klarheit gleichwohl
nicht durchdringen konnten, da sie unter dem Bann des Dogmas von der
Konstanz der Arten standen. In der Geschichte der Botanik ist wohl das
Jahr 1 8 5 1 als Wendepunkt zu betrachten, in welchem durch die „vergleichenden
Untersuchungen" W. Hofmeisters die Verwandtschaft der großen Gruppen
des Pflanzenreichs, somit ihr stammesgeschichtlicher Zusammenhang erwiesen
^ wurde.
Als ein Botaniker, der besonders energisch zur Klärung des Metamor-
phosenbegriffs durch Hinweis auf die Stammesverwandtschaft beitrug, ist sodann
auch C. V, Naegeli zu bezeichnen. Wenn Naegeli — damit knüpfen wir noch-
mals an den oben wiedergegebenen Streit um die Grundorgane an — die An-
sicht vertritt, daß die heutigen Pflanzen lediglich aus einer einzigen Art von
solchen, nämlich aus aufeinanderfolgenden Achsen bestünden, so ist das eben
derart zu verstehen, daß der Körper ihrer Ahnen lediglich aus solchen Achsen
bestanden habe, aus denen im Laufe der Stammesgeschichte die Organe der
Pflanzen, wie sie sich den Augen der Jetztwelt präsentieren, entstanden seien. —
Gleiches gilt von der der Jetztzeit angehörigen Perikaulomtheorie Potonies,
die ebenfalls im scharfen Gegensatz zu den Anschauungen Brauns von der
Wesensverschiedenheit von Wurzel, Stengel, Blatt alle Teile der Pflanze
auf ein Grundorgan zurückführt, indem sie sich bestrebt, diese morphologischen
Anschauungen durch die Zeugen der pflanzlichen Entwicklungsgeschichte,
die fossilen Pflanzengestalten, soweit sie zugänglich sind, zu belegen.
Wir kommen auf die letztgenannte Theorie noch zurück.
Metamorphose Neben dcn phylogenetischen, auf die Entwicklungsgeschichte der Pflan-
zenwelt sich gründenden Metamorphosenbegriff tritt nun aber ein anderer,
mit ihm allerdings eng- verknüpfter, der sich auf das Studium der Entwicklungs-
geschichte nicht der Pflanzenwelt, sondern des Pflanzenindividuums
gründet; wir haben ihn als ontogenetisch bedingten zu bezeichnen und als
seinen energischsten Vertreter unter den heutigen Pflanzenmorphologen K. E.
Goebel zu nennen. Um ihn zu erläutern, erinnern wir daran, daß aus gleich
Metamorphose in der Phylogenie und Ontogenie lOI
gestalteten seitlichen Anlagen am Stengel im Lauf der Entwicklung des
Individuums verschiedene Endprodukte, Nieder-, Laub-, Hoch-, Blütenblätter
sich herausdifferenzieren; das war ja der wesentliche Inhalt der oben kurz
berührten „Differenzierungstheorie" Hansteins und anderer Morphologen.
Und zwar ist es nicht ausschließlich vom Entwicklungsstadium der Pflanze
abhängig, was sich herausdifferenziert, vielmehr kann man auch durch
künstliche Eingriffe der verschiedensten Art erreichen, daß jene Anlagen
sich zu anderen Gebilden entwickeln, als sie ohne künstliche Beeinflussung
geworden wären. Bekannt ist, daß unter Umständen auch Pilze die Rolle
des experimentierenden Forschers übernehmen können, insofern Pilzinfektion
z. B. bewirken kann, daß sich die Anlagen von Staubblättern in den Blüten
zu Blütenhüllblättern entwickeln. Aus diesen Erfahrungen heraus hat
man denn solche jugendliche Anlagen auch als „indifferente" bezeichnet,
nicht, um damit auszudrücken, daß sie sich zu allem und jedem entwickeln
können, sondern im Sinne von „noch nicht difl'erenziert", um eine, zumal
für den experimentierenden Morphologen bequeme Umschreibung für die
Tatsache zu haben, daß erst die während des weiteren Wachstums herr-
schenden Bedingungen darüber entscheiden, welche von den in der Anlage
vorhandenen Entwicklungs- und Dififerenzierung-smöglichkeiten (sog. „pro-
spektiven Potenzen") sich verwirklichen. Gegen den Ausdruck „indifferente"
Anlagen, „indifferente" Blattanlag^en hat nun Goebel Stellung genommen,
um zu dem Begriff einer ontogenetisch realisierten Metamorphose durchzu-
dringen, und zwar auf Grund folgender Erwägungen: Die Pflanze, sagt Goebel,
bildet keine Blätter, denn „Blatt" ist nichts in natura Vorkommendes, sondern
nur eine Abstraktion; sie bildet vielmehrLaubblätter, Niederblätter, Hochblätter,
Staubblätter und Fruchtblätter aus, also Blattarten, die man mit Rücksicht
auf ihre Funktion definieren kann. Wollte man versuchen, Laubblatt nicht
funktionell als Kohlensäure assimilierendes, Staubblatt nicht mit Rücksicht
auf seine Bedeutung für die Pflanze als Pollen bringendes Blatt zu definieren,
sondern rein formal, gestaltlich, so wäre Laubblatt, Staubblatt usw. natürlich
ebensowohl eine Abstraktion, wie „Blatt" schlechthin; denn kein Laubblatt
gleicht auf Erden dem anderen, kein Staubblatt dem anderen. — Die Pflanze
bildet also nach Goebel stets Blätter bestimmter Funktion, keine Blätter
schlechthin, und zwar entwickeln sich dieselben, wie unser Autor weiter
ausführt, nicht aus indifferenten Anlagen, sondern immer aus Laubblatt-
anlagen — wir müssen einschalten, daß unter den Begriff der Laubblätter
hier auch die Wedel der Wurm- oder Adlerfarne fallen, die sowohl der
Ernährung- als auch der Fortpflanzung dienen (sog. Trophosporophylle) —
und die reale, ontogenetisch zu beobachtende Metamorphose besteht eben
darin, daß sich, sei es im Lauf der normalen, sei es im Lauf der durch
experimentelle Eingriffe alterierten Entwicklung des Individuums nicht alle
Laubblattanlagen zu Laubblättern, sondern immer ein Teil derselben zu
anderen Blättern, seien es Knospenschuppen, Blütenblätter usw., ausbilden. —
Nun wäre man versucht zu glauben, daß in dieser Anschauung, die sich mit
102 W. Benecke : Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Bestimmtheit gegen die idealistischen, unwirklichen Anschauungen der Natur-
philosophie wendet, ebenfalls ein gut Teil Philosophie darin stecke, da sie ja
auch Anlagen, die endlich gar nicht zu Laubblättern werden, doch als „Laub-
blattanlagen" bezeichnet, also sich in Gegensatz zur Wirklichkeit stellt.
Doch begründet Goebel die Berechtigung seiner Anschauung durch
genaue Beobachtung des Entwicklungsganges der Anlagen bis zur defini-
tiven Ausbildung, kombiniert mit zweckentsprechenden Versuchen. Be-
trachtet man beispielsweise eine Anlage während ihrer Ausbildung zu
einer Knospenschuppe, so sieht man bei manchen Pflanzen, daß sie tat-
sächlich zuerst einen Anlauf nimmt, zu einem Laubblatt zu werden; die
grüne Spreite, von der man später an der Schuppe nichts oder kaum etwas
wahrnimmt, wird angelegt, ihre weitere Ausbildung^ aber unterdrückt und
nur der Blattgrund entwickelt sich weiter zur Schuppe. Hier ist also wirklich
zuerst ein jugendliches Laubblatt zu beobachten, eine Laubblattanlage, die
später zur Schuppe wird. Bei anderen Pflanzen wird das ganze, jugendliche
Laubblatt gehemmt in der Entwicklung und schuppenartig ausgebildet.
Durch geeignete Eingriffe kann man, wie Goebel zeigte, diese Umbildung
verhindern: Entblättert man einen Zweig, so kann man erreichen, daß die
Blattanlagen, die sonst zu Knospenschuppen geworden wären, nunmehr zu
grünen Laubblättern auswachsen.
Bei der Betrachtung der ontogenetischen Metamorphose, die wir soeben
an einem Beispiel geschildert haben, können wir nun aber, wie oben schon kurz
angedeutet, nicht von der phylogenetischen abstrahieren; im Gegenteil jene
wird nur durch diese verständlich; sie ist sozusagen eine verkappte phylo-
genetische Metamorphose: Die Entwicklung der Blattanlagen zu Knospen-
schuppen zeigt offenbar Sonderfälle jenes so heiß umstrittenen „biogenetischen
Grundgesetzes", welches besagt, daß in bestimmten Fällen die Entwicklung
eines Lebewesens oder eines Organs die stammesgeschichtliche Entwicklung^
desselben, freilich in verkürzter oder veränderter Weise wiederholt. Auf unser
oben angeführtes Beispiel angewendet: Die Betrachtung der Ontogenie der
Knospenschuppen deutet darauf hin, daß sie sich im Lauf der Stammes-
geschichte aus grünen Laubblättern entwickelt haben, daß sie „Hemmungs-
bildungen" solcher sind.
„Umdifferen- Nun gibt CS uoch ciuc audcrc Art der ontogenetischen Metamorphose,
auf die im Vorübergehen hingewiesen sei, — man bezeichnet sie als „Um-
diff"erenzierung"; dieser begegnen wir dann, wenn ein Organ angelegt und
ausgebildet wird und im Dienste der Pflanze funktioniert; alsdann sich
nachträglich umbildet, „umdifferenziert" wird und nunmehr anderes für die
Pflanze leistet. So werden wir später noch hören, daß die Keimblätter oft
zunächst als Saugorgane dienen, indem sie das Nährgewebe des Samens
aussaugen und die Stoffe aus demselben dem Keimling zuführen; dann bilden
sie sich um in grüne, die Kohlensäure assimilierende Laubblätter. Diese
Umbildung erfolgt während des normalen Entwicklungsganges. Eine andere
Umdifferenzierung künstlich zu bewirken, gelang H. Vöchting: indem er
zierung".
Experimentelle Morphologie ig3
Ausläufern einer bestimmten Sauerkleeart die Triebspitzen raubte, konnte
er erzielen, daß die allerdings noch nicht ganz fertig ausgebildeten Nieder-
blätter solcher Ausläufer nachträglich zu Reservestoffspeichern sich um-
bildeten. H. Winkler konnte erreichen, daß die Stiele ausgewachsener und
von der Mutterpflanze abgetrennter Blätter von Torenia, auf deren Spreite
sich ein Sproß mit Blättern, an deren Blattstielbasis aber sich ein Wurzel-
system regenerativ entwickelte, — Stiele also, welche künstlich in das
Achsensystem der Pflanze eingeschaltet worden waren, nachträglich Form
und Struktur von Stengeln annahmen. Auch beobachtete dieser Forscher
nachträgliche Umdifferenzierung von Blüten- in Laubblätter bei einem Chrysan-
themum.
Soviel über phylogenetische und ontogenetische Metamorphose. Es wird
wohl auffallen, daß bislang fast nur von Metamorphose von Blättern, nicht
aber von Stengeln oder Wurzeln die Rede war; das ist historisch bedingt,
denn die Umbildungen von Blattorganen treten deutlicher in die Erscheinung
als die Metamorphose von Stengeln oder Wurzeln; A.Braun, dessen Ver-
dienste wir oben kurz beleuchteten, war sogar der Meinung, daß die Wurzeln
überhaupt keine Metamorphose besäßen. Daß aber tatsächlich auch ganze
Sproßanlagen oder Wurzeln, ganz ebensogut wie die Blattorgane metamor-
phosieren, wird später noch mit zahlreichen Beispielen belegt werden.
Während, wie wir früher gesehen haben, die Pflanzenmorphologie zur ExpenmenteUe
Erkenntnis der phylogenetischen Metamorphose der Paläophytologie als '^sondtrdiszfpitn
wichtiger Hilfswissenschaft bedarf, ergibt sich aus dem eben Erörterten, daß ^^"^ oesamt-
"-" / o 1 morphologie.
zum Studium der ontogenetischen Metamorphose die experimentelle Beein-
flussung der Pflanzengestalt seitens des Forschers unerläßlich ist, daß also die
experimentelle Morphologie, wohl auch Entwicklungsphysiologie, Ent-
wicklungsmechanik genannt, ein besonders wichtiger Zweig der Gesamt-
morphologie ist. — Schildern wir in aller Kürze die Arbeit des experimen-
tellen Morphologen, um daran die Erläuterung einiger weiteren Begriffe zu
knüpfen, die in der Lehre von der Pflanzengestalt eine gToße Rolle spielen.
Besagter Forscher wird Pflanzen oder Teile von Pflanzen in verschiedene,
gut definierbare äußere Bedingungen bringen und beobachten, welche Ver-
änderungen sich als Folge davon im Bau und Entwicklung der Teile zeigen,
ob Metamorphosen eintreten; er wird ferner Pflanzen verwunden, verstüm-
meln, und untersuchen j wie die Pflanzen auf diese Schädigungen reagieren.
Einige Beispiele von künstlich hervorgerufener Metamorphose von Laub- Experimenteile
blättern und anderen Blättern sind oben schon genannt. Wir wollen ferner ^^""11^030^1
darauf hinweisen, daß Vöchting durch geeignete Versuchsanstellung — ^d" „•
Verdunkelung der basalen Partien der Kartoffelpflanze — erreichen
konnte, daß über dem Erdboden befindliche Knospen, also Sproßanlagen
insofern modifiziert werden, als sie nicht zu normalen mit grünen Laub-
blättern versehenen Laubsprossen, sondern zu knollentragenden Sprossen
werden. Derselbe Forscher konnte ferner auch am Licht Knollenbildung
erzwingen dann, wenn er dafür sorgte, daß die unterirdischen Teile seiner
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlelire etc. I^j
194 ^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Versuchspflanze keine Knospen führten und deshalb keine knollentragenden
Sprosse ausbilden konnten. Durch solche und analoge Versuche, die in sehr
großer Zahl vorliegen, kann man also einmal erreichen, daß der Ort, an
welchem der Pflanzenkörper bestimmte Teile ausbildet, verändert wird, und
kann daraus Rückschlüsse ziehen auf die Faktoren, welche den Ort unter
normalen Verhältnissen bedingen. Man kann aber ferner auch metamorphe
Gebilde künstlich erzielen, welche die Pflanze unter normalen Bedingungen
nicht zur Schau trägt. Denn jene soeben erwähnten, am Licht gebildeten
Kartoffelknollen unterscheiden sich von den normalen unterirdischen dadurch,
daß sie kleiner, verzweigt, grün sind, daß sie ferner Laubblätter statt
der Knospenschuppen bilden. Es sind also Mitteldinge zwischen normalen
grünen Laubsprossen und normalen Knollen, denen wir hier als Produkten
einer künstlich bewirkten, ontogenetischen Metamorphose begegnen.
Äußere Statt Weitere Beispiele zu bringen — wir könnten die Zahl schier ins
^Fortpflanzung!' ^"§'^"^^^s^^^ Steigern — , erwähnen wir nur noch kurz, daß ein Sonder-
gebiet dieser experimentellen Morphologie sich vornehmlich damit beschäftigt,
die fruktifikativeSphäre zu beeinflussen, d.h. Blüten- undFruchtbildung höherer
und niederer Pflanzen in Abhängigkeit von der Außenwelt zu studieren; zu-
mal die Arbeiten von G. Klebs sind hier zu nennen. Hatten sich schon
Goethe und Wolff die Frage vorgelegt, warum Pflanzen nach einem über
kürzere oder längere Zeit sich erstreckenden vegetativen Wachstum zum
Blühen und Fruchten schreiten und hatte ersterer in einer „Verfeinerung
der Säfte", letzterer in einer „Vegetatio languescens" die Ursache dafür zu
finden geglaubt, so lag hierin schon die richtige Erkenntnis, daß es „innere
Bedingungen", wie wir heute sagen würden, sind, deren Wechsel die Frukti-
fikation auslöst, und Klebs wies durch zahlreiche Versuche, deren Objekte
Pflanzen aus den verschiedensten Verwandtschaftskreisen waren, nach, daß
diese inneren Bedingungen durchaus im Bann der äußeren Lebenslage stehen,
daß der Forscher somit durch Veränderung der letzeren darüber entscheiden
kann, ob ein Gewächs vegetiert oder zur Fortpflanzung sich anschickt.
Durch richtige Wahl der Kulturbedingungen, gute Beleuchtung, Entzug von
Wasser und Nährsalzen, passende Temperatur gelingt es. Pflanzen zum Blühen
zu veranlassen, durch andere Bedingungen werden sie daran verhindert; Ge-
wächse, die im normalen Verlauf der Dinge im ersten Lebensjahr blühen,
fruchten und sterben, kann man durch geeignete Eingriffe, z. B. wiederholte
Stecklingsbildung- beliebig lange im vegetativen Zustand ausdauern lassen;
an dem Gundermann, dem Ehrenpreis, der Hauswurz und vielen anderen
Blutenpflanzen konnten solche und noch manche andere „willkürliche Ent-
wicklungsänderungen" ausgelöst werden ; in noch höherem Maße erwiesen sich
verschiedene Algen und Pilze „wie Wachs in den Händen des Forschers". —
Die Ergebnisse der experimentellen Morphologie, die übrigens zum Teil
schon in frühe Zeiten zurückreichen, zeigten somit, daß die äußeren Bedin-
gungen, deren Veränderung der Experimentator in der Hand hat, ihrerseits
auf den inneren Zustand der Zellen und Gewebe, auf die sogenannten inneren
Korrelation
195
\
Bedingungen einwirken und diese verändern, welche Veränderung endlich
jene Wachstums- und Gestaltungsmetamorphosen nach sich zieht, die der
Forscher als Resultat seiner Versuche beobachten kann. Besonders eindring- Korrelation der
lieh aber führen besagte Ergebnisse dem Forscher eine Erscheinung vor Kompensation.
Augen, die sich allerdings auch schon ohne Experiment aus der denkenden
Betrachtung der Natur ergibt, die Tatsache, daß die Teile einer Pflanze, wir
können auch sagen: die inneren Bedingungen, in steter Verbindung und
Wechselwirkung miteinander stehen, und daß Veränderungen eines Teils Ver-
änderungen eines anderen, räumlich oft weit entfernten bei ein und demselben
Individuum nach sich ziehen. Man sagt, die Teile einer Pflanze stehen mit-
einander in Korrelation. Übrigens schwankt die Definition von „Korrelation"
in der Geschichte der Wissenschaft. Ursprünglich versteht man darunter
lediglich das Nebeneinandervorkommen, das Verkoppeltsein mehrerer Merk-
male, ohne daß ein direkter Kausalnexus zwischen beiden bestehen müßte.
In der experimentellen Morphologie tritt aber an Stelle des „nebeneinander
vorkommend" mehr und mehr das: „durcheinander bedingt"; die Korre-
lation wird zur „physiologischen Wechselbeziehung", derart, daß direkte
künstliche Beeinflussung des einen Merkmals Veränderungen des anderen
nach sich zieht.
Infolge der als Korrelation bezeichneten Beziehungen kann also durch
Beeinflussung- eines Teils einer Pflanze ein anderer zu qualitativ veränderter
Tätigkeit angeregt, z. B. Fruktifikation an Stelle des vegetativen Wachstums
ausgelöst werden. Es kann aber auch durch Beeinflussung eines Pflanzen-
teils ein anderer bloß zur Hemmung, Unterdrückung' oder Förderung seiner
Gestaltungstätigkeit angeregt werden; dann spricht man statt von qualitativer
von quantitativer Korrelation oder auch von Kompensation.
Als Folge der Korrelation bezw. Kompensation haben wir beispielsweise
die oben angezogene Tatsache zu betrachten, daß unter bestimmten Bedin-
gungen die Verhinderung der Bildung unterirdischer Kartoffelknollen Luft-
knollenbildung nach sich zieht; gleichfalls als bedingt durch Korrelation, und
zwar zwischen vegetativem Wachstum und Blütenbildung- ist die Erscheinung
zu deuten, daß Förderung des vegetativen Wachstums die Blütenbildung
hemmen kann, und umgekehrt. Hierher wären u. a. auch zu rechnen die An-
schwellung des Blattgrunds und Vergrößerung der Blattflächen, die Vöchting
und Hansen durch Entfernung der Seitenknospen und Blütenknospen beim
Kohlrabi und der Sonnenrose erreichen konnten.
Solche Korrelationen sind wie alle anderen später der reinen Wissen-
schaft verfallenen Dinge längst geahnt und erkannt worden, ehe man sie mit
diesem Namen belegte. — Die Kartoffel wurde, wie wir bei Vöchting lesen
können, schon im Jahre 1765 von Gleditsch nach den Grundsätzen experi-
menteller Morphologie untersucht, was bei einer praktisch so bedeutsamen
Pflanze durchaus begreiflich erscheint, und T. A. Knight (1759—1838), ein
späterer trefflicher Bearbeiter des gleichen Themas, suchte nachzuweisen, daß
bei ihr eine Wechselbeziehung der Organbildung, also eine Korrelation vor-
13*
Iq6 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
liege, indem er glaubte, daß Unterdrückung der unterirdischen Knollen die
Pflanze zum Blühen anrege. Hier war also das Thema, welches jetzt unter
den Korrelationsbegriff fällt, schon formuliert, wenngleich die Meinung
Knigths irrig war und Vöchting erweisen konnte, daß bei der Kartoffel
nicht die besagte Korrelation besteht, wohl aber eine andere, die man auch
bei vielen anderen Gewächsen nachweisen kann, eine Beziehung nämlich
zwischen Wurzelsystem und Blütenbildung: Schädigung des ersteren be-
fördert die letztgenannte Tätigkeit.
Als Beispiele dafür, daß Korrelationen auch unter ganz normalen
Verhältnissen bestehen, daß experimentelle Eingriffe oder andere ungewohnte
Naturereignisse lediglich die Bedeutung haben, daß sie jene erst klar in
die Erscheinung treten lassen, seien noch folgende, öfter im gleichen
Zusammenhang genannten Vorkommnisse genannt. An Holzgewächsen
treiben nicht sämtliche Knospen aus; ein Teil bleibt unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen vielmehr in Ruhe. Daß das Folge einer Korrelation zwischen den
Knospen ist, zeigt die Erscheinung, daß die ruhenden dann in Tätigkeit treten,
wenn die ausgetriebenen durch Tiere oder durch Menschenhand entfernt
werden, oder wenn ungünstige Verhältnisse diejenigen Knospen, die ge-
wöhnlich treiben, daran hindern. Auch die uns schon bekannte Erscheinung,
daß infolge von gewaltsamer, rechtzeitiger Entblätterung eines Sprosses die
für das nächste Jahr bestimmten Achselknospen alsbald unter Bildung von
Laubblättern austreiben, ist Folge von Korrelation: Hier wird durch diesen
Eingriff eine Metamorphose der Laubblattanlagen, die im normalen Entwick-
lungsgang" eingetreten wäre und zur Bildung von Knospenschuppen g'eführt
haben würde, infolge der Korrelation der Teile untereinander verhindert. —
Insofern viele dieser Folgeerscheinungen der Korrelation als günstig" für die
Pflanze ausgelegt werden können — von den soeben beschriebenen ist das
ohne weiteres klar — , kann man dieselben auch mit W.Pfeffer als regulative
Erscheinungen, als Folgen einer „Selbstregulation" bezeichnen. Hier-
her gehört auch ein klassisches, von Goebel ausgeführtes Experiment: Neben
den Farnkräutern, welche, wie Adler-, Wurmfarn u. a. an allen Wedeln Sporen-
behälter tragen, gibt es andere, wie den Straußfarn, der zweierlei Wedel
besitzt, unfruchtbare, die nur der Ernährung dienen, sog. Trophophylle, und
fruchtbare, die Sporen hervorbringen, sog. Sporophylle, die beide aus gleichen
Anlagen sich entwickeln. Nahm Goebel nun solch einem Straußfarn seine
Trophophylle, so konnte er beobachten, daß sich infolgedessen Anlagen,
die sonst zu Sporophyllen geworden wären, zu jenen ausbildeten.
Ursachen Nuu gilt es aber für den experimentellen Morphologen, nicht bei den
nackten Beobachtungstatsachen stehen zu bleiben, er wird sich auch nicht
damit begnügen, die inneren Wechselbeziehungen mit dem Wort Korre-
lation zu umschreiben, erst recht wird er seinem Erkenntnisbedürfnis nicht
mit der Erfahrung Genüge getan haben, daß der Organismus sich in seinen
Reaktionen oft äußerst „zweckentsprechend" verhält, wie z. B. der eben
genannte Straußfarn, er muß vielmehr versuchen, diese Reaktionen auf ihre
der Gestaltung.
Ursachen der Gestaltung igy
beding-enden Ursachen zurückzuführen. — Versuchen wir nun einen ganz Der „Saft" aU
'^ . p . , organbildender
kurzen Überblick zu geben über einige der wichtigsten, darauf gerichteten Faktor.
Bestrebungen älterer und neuerer Zeit. In seiner „Physique des arbres" sagt
Duhamel (1758), daß der Saft, welcher zur Bildung der Wurzeln bestimmt
ist, die Neigung hat, nach unten zu strömen, während der für die Zweig-
bildung bestimmte nach oben steigt. Von Vöchting lernen wir, daß etwas
später auch der Schweizer Landvogt Engel, der Verfasser des Artikels
„Pomme de terre" in der Encyclopedie von Diderot und d'Alembert (1778),
den „Saft" als die „Grundursache aller Wachstumserscheinungen, als die
Quelle aller Gestaltung ansah. Seine Verteilung, seine Bewegung bestimmt
den Ort aller Organe; bei der Kartoffel bildet er hauptsächlich die oberen
Glieder, Zweige, Blüten, Früchte, weniger die Knollen. Später dagegen, wenn
die oberen Teile ausgebildet sind, strömt er mehr nach unten und befördert
das Wachstum der Knollen; wie aber, wenn er auf dieser Bahn gehemmt
wird? Dann bildet er Knollen über der Erde." Wie ersichtlich, wird hier Art
und Ort der Organe auf eine bedingende Ursache zurückzuführen gesucht —
Wie Engel, so nimmt auch der schon genannte Knight, wie wir wiederum
Vöchting entnehmen, einen Saft, „vegetable sap" an, der wie das tierische
Blut voraussichthch mit Teilchen erfüllt sei, die mit Leben begabt sind. Es
handelt sich also auch hier um einen Bildungssaft für die verschiedenen
Organe, und welcherlei Organe er bildet, Wurzeln, Stengel oder Blätter, das
soll nicht von seiner jeweiligen stofflichen Beschaffenheit abhängen, sondern
davon, ob derselbe Saft von unten nach oben oder umgekehrt sich bewegt.
Dem „Saft" begegnen wir auch später in der Literatur als dem formbildenden
Agens, es sei hier u. a. erwähnt, daß nach Goebel ein Forscher, dessen
Verdienste wir nachher noch würdigen müssen, P. de Candolle, die schon
mehrfach erwähnte Erscheinung, daß die Achselknospen der Blätter eines
Baumes in dem Jahr, in dem sie angelegt werden, nicht treiben, es sei denn,
daß die Tragblätter entfernt werden, in seiner physiologie vegetale, 1832,
darauf zurückführt, daß diese Tragblätter ihnen den „Saft" entziehen, eine
Anschauung, der sich die weitaus später (1889) geäußerte Wiesnersche an-
reihen läßt, daß es wesentlich das Wasser ist, das die transpirierenden Laub-
blätter ihren Achselknospen entziehen, so deren Entfaltung verhindernd.
Nun ist klar, daß Bezugnahme auf einen einzigen nicht weiter definierten
„Saft" nicht zur Erklärung der Gestaltungserscheinungen, daß andererseits
so einfache Erscheinungen wie Wasserentzug, „Wasserabsaugung", wenn-
gleich sie in manchen Fällen die bedingenden Ursachen irgendwelcher Korre-
lationserscheinungen sein mögen, doch nicht ausreichen können, um die
ungemein komplizierten Wechselwirkungen im Pflanzenorganismus zu er-
klären. So knüpfen wir denn die nun folgenden Betrachtungen um so lieber an
die von Sachs in seiner Arbeit: „Stoff und Form" der Pflanzenorgane ge- sachs.
äußerten Anschauungen an, als sie, obwohl auf den ersten Blick mystisch Orgaubiidend^
erscheinend und vielfach umstritten, doch in der Arbeit der neuesten ^^°^^-
Entwicklungsphysiologie wiederkehren, wenngleich unter anderen Namen.
IQ8 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Sachs vertritt die Anschauung, daß in den Laubblättern der Pflanzen nicht
nur die verschiedenen Stoffe, welche die übliche chemische Analyse in ihnen
nachweisen kann, gebildet werden, sondern auch Stoffe, die allerdings gänzlich
hypothetisch sind und von ihm als organbildende Stoffe benannt werden; so
entstehen wurzelbildende Stoffe, blütenbildende Stoffe usw. in den Blättern,
wandern aus dem Blatt aus und modellieren an den Stellen des Pflanzen-
körpers, an dem sie sich anhäufen, diejenigen Organe heraus, die wir an
diesen Stellen beobachten, indem sie dazu die dort vorhandenen Stoffe, wie
Eiweißkörper, Kohlehydrate, Salze usw., die natürlich allein keine derartigen
spezifischen, organbildenden Qualitäten besitzen, benutzen. Man kann, um sich
ein wenigstens leidlich brauchbares Bild vom Wesen dieser organbildenden
Stoffe zu machen, sich vielleicht vorstellen, sie stünden zu den Baustoffen der
Organe in ähnlichem Verhältnis, wie die dem Physiologen als Enzyme (Fermente)
bekannten Stoffe zu denjenigen chemischen Körpern, welche von den Enzymen
in der diesen eigenen spezifischen Weise umgestaltet werden. Wie das Enzym
Diastase Stärke in Zucker überführt, wie das als Lipase bezeichnete Ol spaltet
oder aus seinem Spaltungsprodukte aufbaut, so sollen die organbildenden
Stoffe die in der Pflanze gebildeten und aufgestapelten sogenannten plasti-
schen Stoffe zu Organen umbilden. — Sie sollen in der unverletzten Pflanze
tätig sein; wenn eine Pflanze unter bestimmten Bedingungen nicht blüht, so soll
das daran liegen, daß unter besagten Bedingung^en vom Laubblatt keine blüten-
bildenden Stoffe gebildet werden; zumal wird ihre Tätigkeit aber herangezogen
zur Erklärung der Vorgänge am verletzten Pflanzenkörper, zur Erklärung von
Regenerationserscheinungen: Schneidet man Sproßstücke ab, so beobachtet
man die bekannte Erscheinung, daß Wurzelanlagen sich hauptsächlich an dem
der Wurzel zugekehrten Pol des Sproßstückes entwickeln, Sproßanlagen aber
am andern Pol auftreten, eine Erscheinung, die man als Folgte der jeder
Pflanze und auch jedem abgetrennten Achsenteil, ja, wie Vöchting zeigte,
Polarität, auch jeder Zelle einer Pflanze zukommenden Polarität betrachtet. Sachs
versuchte diese Erscheinung damit zu erklären, daß in der unverletzten
Pflanze aus den Blättern wurzelbildende Stoffe dem Wurzelpol, sproßbildende
dem Sproßpol zuströmen, sich somit an einem abgeschnittenen Sproßstücke
an den Polen stauen und dort die besagten Organe als Ersatz ausbilden. In
den Laubblättern strömen normalerweise, wie eben gesagt, die organbildenden
Stoffe stets basalwärts; damit erklärt es sich auch, daß Neubildungen an ab-
getrennten Blättern meistens an deren Basis, bezw. der Basis ihrer Leitbahnen
sich bilden, wo die organbildenden Stoffe sich ansammeln.
Gegen die Annahme spezifischer, je nach dem Organ, das sie bilden
sollen, qualitativ verschiedener Stoffe hat man eingewendet, daß sie gänzlich
hypothetisch und unfaßbar seien, daß ihre Tätigkeit auch durch Bezug auf
Enzymwirkung nicht erklärt werde, da sie doch ganz unvergleichlich viel
komplizierter ist, und daß es somit vorzuziehen sei, nicht derartige Stoffe, sondern
das lebende Protoplasma selbst als den „deus ex machina" zu bezeichnen,
welcher je nach den wechselnden physikalischen Bedingungen, und je nach den
Polarität. Hormone
199
an den verschiedenen Orten des Pflanzenkörpers verschiedenen Reservestoffen
und deren wechselndem gegenseitigen Mengenverhältnis diese oder jene
Organe aufbaut. In der Tat konnte Klebs nachweisen, daß das gegen-
seitige Mengenverhältnis chemischer Stoffe in der blühbaren Pflanze ein
anderes ist als in der vegetativ wachsenden. Auch das sog. „Sachssche
Phänomen", daß Pflanzen, die an abgetrennten Blättern, z. B. der Begonien,
entstehen, früh blühen, wenn die abgetrennten Blätter jugendlich sind,
andernfalls aber längere Zeit vegetativ wachsen, wird damit erklärt, daß
den Blättern, welche das Regenerat mit Nahrung versorgen, Stoffe von
quantitativ verschiedener Zusammensetzung entströmen, je nachdem sie älter
oder jünger sind; ältere Blätter sind verhältnismäßig arm an organischen,
jüngere vergleichsweise arm an anorganischen Stoffen, und Überwiegen der
organischen, Mangel der anorganischen Nährstoffe soll das Protoplasma
zur Blütenbildung anregen.
Hier liegt also der Versuch vor, die Vöchtingsche These, daß in erster
Linie „der Ort" einer jugendlichen Anlage darüber entscheidet, wohin ihre
Entwickelung steuert, auf chemischem Boden zu erklären. — Auch Goebels
Annahme, daß im Sproß andere Baumaterialien von oben nach unten als
in umgekehrter Richtung wandern und daß auf ihrer Verschiedenheit die
differente Organbildung am basalen und apikalen Pol eines Stecklings be-
ruhe, steht offenbar den letztgenannten Erklärungsversuchen näher als der
Annahme von spezifischen organbildenden Stoffen.
Und doch ist zu betonen, daß die Wissenschaft, um sich von den durch
Korrelation bedingten Fern Wirkungen, von der gegenseitigen Beeinflussung
der Organe auch nur ein „Bild" zu machen, nicht auskam mit der Annahme
eines in den Zellen festgebannten, spezifisch wirkenden Protoplasmas, daß
sie vielmehr immer wieder zu Annahmen greifen mußte, die als ungeformte
Lehren der Sachsschen Hypothese von den organbildenden Stoffen aufgefaßt
werden können : Stoffe, die ihrer Natur nach nicht genauer bekannt sind, und von
denen man nicht etwa anzunehmen braucht, daß sie in den Laubblättern
gebildet würden, wandern, so nimmt man an, im Organismus und fungieren
als „chemische Sendboten", indem sie an den Zielen ihrer Wanderung ange-
langt, dort charakteristische Gestaltungen oder sonstige Vorgänge bewirken;
man hat sich vorzustellen, daß ihre Wirkung eine umfassendere sein muß, als
die der Sachsschen organbildenden Stoffe, indem nicht lediglich Entstehung
und Neubildung- von Organen an bestimmten Orten, sondern auch andere
auf der Wechselwirkung der Teile beruhende Entwicklungs Vorgänge durch
sie bedingt werden.
Solche Stoffe hat man nun im tierischen Körper bereits vor geraumer
Zeit nachgewiesen und mit dem Namen Hormone bezeichnet. Schon längst
sind in der Physiologie „Reizstoffe" bekannt, d. h. Stoffwechselprodukte,
welche keinen Nährwert enthalten, sondern an den Stellen ihrer Wirksamkeit
irgendwelche Stoffwechselprozesse oder mit Stoffwechselprozessen gepaarte
Vorgänge durch ihre Gegenwart auslösen, und als Hormone würden wir somit
„Chemische
Sendboten".
Hormone.
200 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
diejenigen Reizstoffe zu benennen haben, welche Entwicklungsvorgänge be-
sonderer Art bedingen und zwar auch an Orten, die weit entfernt sein können
von den Orten der Entstehung der Hormone. — Die Hormone bedingen
die „chemische Koordination der Funktionen des Körpers". Zu ihnen gehört
das in der Schilddrüse entstehende Jodothyrin, bestimmte Stoffe ferner, welche
die Sekretionstätigkeit der Bauchspeicheldrüse wecken. Häufig zitiert, — man
vergleiche z. B. die Darstellung von Palladin, wird sodann der Nachweis von
Stoffen, die in den Geschlechtsdrüsen der Tiere entstehen und, von dort
auswandernd, charakteristische Veränderungen in den anderen Teilen des
Organismus hervorrufen. Was die Chemie dieser Hormone anlangt, so genügt
es hervorzuheben, daß sie nachweislich keine Enzyme sind; vielmehr sind sie,
anders als diese, hitzebeständig. Der Ausdruck „Wuchsenzyme" für sie ist also
nicht passend, früher hoben wir ja schon hervor, daß auch der Vergleich der
blütenbildenden Stoffe mit Enzymen eben nur ein Vergleich sein soll.
Vielleicht spielen solche Hormone nun auch bei den Entwicklungsvor-
gängen in der Pflanze eine große Rolle. Zitieren wir ein Beispiel aus der
neuesten Literatur, welches die Frage nach pflanzlichen Hormonen anschneidet.
Durch die Bestäubung treten in den verschiedenen Blütenteilen, z. B. bei
Orchideen, eine Reihe verschiedener Entwicklungsvorgänge auf, Verkürzung
oder Verlängerung der Lebensdauer der Blütenhülle, „Verschwellung" der
Griffelsäule, Verlängerung der Lebensdauer des Fruchtknotens, Vergrünung
desselben usw.; und es gelang J. Fitting, eine Anzahl der fraglichen Er-
scheinungen nicht allein durch die lebenden, wachsenden Pollenschläuche,
sondern auch durch Belegen der Narbe mit einer chemischen Verbindung
hervorzurufen, die schon den ungekeimten Pollenmassen anhaftet und in
chemischer Hinsicht mit den Hormonen der Tiere gemein hat, daß sie kein
Enzym ist. Ob freilich diese Verbindung als „chemischer Sendbote" von
der Narbe ausgeht, oder irgend eine Reizleitung ganz anderer Art von der
Narbe zu den umzubildenden Blütenorganen bedingt, ist vollständig ungewiß,
— wie denn überhaupt die „Hormonenlehre" ihre Befähigung zur Erklärung
anderer Entwicklungsvorgänge bei Pflanzen erst wird zu erweisen haben.
Soviel geht jedenfalls aus unseren Ausführungen hervor, daß man neuer-
dings davon abgekommen ist, korrelative Wachstumserfolge als dynamisch
bedingt zu erklären, wie es z.B. Knight tat, der glaubte, daß ein und derselbe
Saft je nach der Richtung, in der er strömt, heterogene Erfolge bedingt,
oder rein mechanisch wie Naegeli, der die wechselseitige Beeinflussung der
Teile auf Übertragung von Schwingungen zurückführte, die sich von einem
zum anderen Organ fortpflanzten, daß man vielmehr an eine chemische Be-
einflussung der Teile eines Organismus glaubt, und diesem Glauben wird wohl
auch die Zukunft der entwicklungsphysiolog'ischen Forschung gehören. —
Allerdings wird die fortschreitende Untersuchung der Hormone, die genaueste
Erkenntnis ihrer chemischen Zusammensetzung, der Orte ihrer Entstehung, der
Wege, in denen sie wandern, der Bedingungen, unter denen sie wirken, niemals
zu einem vollen Einblick in die Frage führen können, wie nun diese toten
Homologie und Analogie 20I
Produkte der inneren Sekretion gestaltend wirken; die Frage der Beziehung
zwischen Stoif und Form wird auch dann ungeklärt bleiben, und die Forscher
werden entweder sich damit begnügen, weitere Beobachtungen anzustellen,
um die tatsächlichen Kenntnisse der Gestaltungsvorgänge und ihrer Bedin-
gungen zu fördern, oder aber durch Annahme eines „nisus formativus" oder
ähnlich benannter Kräfte, die sie in dem Protoplasma oder seinen Hormonen
wirksam werden lassen, die Gestaltungstätigkeit der lebenden Substanz dem
menschlichen Auffassungsvermögen näher zu bringen suchen und so jene
Bestrebungen fortsetzen, die, bereits aus dem Altertum überkommen, in der
Dominantenlehre J. Reinkes ihren neuesten Ausdruck gefunden haben.
Wir schließen hiermit diesen entwicklungsphysiologischen Exkurs und
nehmen den Faden unserer Darstellung da wieder auf, wo wir ihn vorhin
nach Besprechung des phylogenetischen und des ontogenetischen Metamor-
phosenbegriffs haben fallen lassen, um uns jetzt der Diskussion einig^er Be-
zeichnungen zuzuwenden, die in der Gestaltungslehre eine gewaltige Rolle
spielen, den Bezeichnungen homolog und analog. Was sind homologe, was
analoge Teile einer Pflanze?
Als homolog bezeichnet man diejenigen Pflanzenteile, welche man durch Homologie und
Untersuchung der stammesgeschichtlichen Entwicklung, oder auch durch phylogenetische
Untersuchung ihrer Ontogenie, insoweit diese iene Entwicklung wider- "°d Organi-
'-''-' •' '-' sationshomologie.
spiegelt, auf eine und dieselbe Grundform zurückführen kann, ganz gleichgültig
welche Form und Funktion die betreffenden Teile am heutigen Pflanzenkörper
haben. Homolog sind z. B. Laubblätter und Knospenschuppen eines und des-
selben Gewächses, da wir annehmen können, daß letztere sich aus Blättern
durch Metamorphose entwickelt haben, homolog sind auch die Laubblätter
zweier nahe verwandter Pflanzen, weil sie bei deren Vorfahren identisch
waren. Dies ist die sogenannte phylogenetische Homologie. Nun hat aber
Goebel darauf hingewiesen, daß neben diese phylogenetische noch eine andere
Homologie tritt und das Problem verwickelt, das wir jetzt besprechen: Wir
müssen annehmen, daß die Blätter der Pflanzen, also Anhangsgebilde von glei-
cher oder ähnlicher Ontogenese, „morphologisch gleiche" Gebilde, wie man
auch — etwas unklar — gesagt hat, während der Entwicklung der Pflanzenwelt
mehrfach unabhängig voneinander an verschiedenen Punkten des Stamm-
baumes entstanden sind. Sind nun die Blätter der verschiedenen Reihen, auch
soweit sie nicht auf dieselbe Urform zurückgehen, homolog? Offenbar nicht.
Da sie sich aber ontogenetisch auf gleiche oder ganz ähnliche Weise am Sproß-
scheitel entwickeln, schlägt Goebel vor, sie im Gegensatz zu stammesgeschicht-
lich homologen Organen als organisations-homolog zu bezeichnen. Übrigens
hat auch diese Organisationshomologie einen phylogenetischen Einschlag ; denn
wenn sich in den verschiedenen Reihen gleichartige Organe als seitliche An-
hangsgebilde aus dem Thallus herausdifferenziert haben, so ist das damit zu er-
klären, daß die Thalli dieser verschiedenen Reihen ihrerseits homolog waren
und darum gleiche Entwicklungsmöglichkeiten in sich trugen. Wir werden
202 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
später nochmals auf ähnliche Fragen zurückkommen müssen , wenn wir uns
darüber zu entscheiden haben, ob wir den beblätterten Sproß eines Mooses
und eines Farnkrautes homologisieren dürfen.
Es ist scharf zu betonen, daß unter keinen Umständen aus gleicher
Funktion auf Homologie geschlossen werden kann, homologe Organe können
der Pflanze in ihrem Haushalt dieselben Dienste leisten oder gänzlich ver-
schiedene. Im Gegensatz zu homologen redet man nun von analogen Teilen
der Pflanze in den Fällen, in welchen zweierlei Organe, obwohl sie phylo-
genetisch auf verschiedene Glieder zurückgeführt werden müssen und
darum auch ihre ontogenetische Entwickelung verschieden ist, doch dieselbe
Funktion besitzen. So kann es vorkommen, daß Wurzeln sich abflachen,
Konvergenz. Chlorophyll ausbilden und wie Blätter funktionieren. Solche Wurzeln sind
Blättern analog. Analoge Teile einer oder verschiedener Pflanzen sind also
nicht ähnlich infolge von gleicher Abstammung, sondern infolge von gleich-
gerichteter sogenannter konvergenter Anpassung. Diese Ähnlichkeit wird be-
zeichnet als: Konvergenzerscheinung.
Wir wollen nicht unterlassen, daraufhinzuweisen, daß die Frage nach der
Homologie und Analogie der Teile eigentlich nur dann einen Sinn hat, wenn
man sie für die Vertreter phylogenetisch einheitlicher, bestimmt umgrenzter
Gruppen aufwirft, deren Anfangsformen bereits eine gewisse Differenzierung
der Körpergestalt erreicht haben. Anderenfalls könnte man angesichts der
oben berührten Anschauung, derzufolge sich Achse, Blatt und Wurzel aus
ein und demselben Grundorgan, — Phyton, — herausdiff"erenziert haben,
auch jene drei Organe miteinander homologisieren, und so den ganzen
Unterschied zwischen homolog und analog verwischen,
p. de CandoUe. Id gcschichtlicher Beziehung können wir, wenn wir Sachs folgen, in dem
Genfer Botaniker Pyrame de CandoUe (1778 — 1841) einen der ersten Männer
der botanischen Wissenschaft sehen, welche einen Unterschied zwischen homo-
logen und analogen Teilen machten, freilich ohne diese Bezeichnungen zu
wählen. De CandoUe „gebührt das Verdienst, zuerst auf den Unterschied
der morphologischen und physiologischen Merkmale mit Nachdruck hin-
gewiesen, die Diskordanz zwischen morphologischer Verwandtschaft und
physiologischem Habitus deutUch hervorgehoben zu haben". Erführt mehrere
Gründe an, welche die Feststellung der morphologischen Natur eines Organs
(d. h. seine Homologisierung) erschweren, so die Erscheinung, welche er als
Abortus bezeichnet, worunter er das Fehlschlagen bestimmter Teile versteht,
ein Fehlschlagen, welches darin bestehen kann, daß ein Organ nur in seiner
ersten Anlage sichtbar ist, sodann aber verschwindet, oder darin, daß ein
Organ, welches bei Verwandten nachweisbar ist, überhaupt nicht mehr in Er-
scheinung tritt. Auch die Umbildung von bestimmten Organen z. B. von Blättern
in Ranken wird als Abortus bezeichnet. In de CandoUe haben wir,
wie Sachs treffend hervorhebt, wieder einen Mann vor Augen, der ein An-
hänger des Dogmas von der Konstanz der Arten war, aber durch seine Unter-
suchungen folgerichtig zu einem Deszendenztheoretiker hätte werden
Formale Morphologie und Organographie 203
müssen; denn die Annahme eines Abortus oder einer Umwandlung von
Organen hat doch bloß dann einen wirklichen Sinn, wenn man sie phylo-
genetisch auf solche, die nicht fehlschlagen oder metamorphosieren,
zurückleitet.
Wir sind jetzt darauf vorbereitet, rückblickend die Aufgaben der Ge- Formale Mor
staltungslehre der Pflanzen zu definieren. Sie wird zunächst durch ver- o^lu^rapht
g'leichende Betrachtung aller, lebender oder fossiler Pflanzen deren Ge-
stalt und Glieder ermitteln und beschreiben, sodann wird sie durch Be-
trachtung der Stammesgeschichte sowie der Entwickelungsgeschichte des
Individuums die Homolog^ien feststellen, den morphologischen Wert der
Glieder ermitteln.
Dies etwa ist die Aufgabe der Gestaltungslehre der Pflanzen im engeren
Sinn, der „rein formalen Morphologie", die somit, wie E. Strasburger sich
ausdrückt, „keine Organe, sondern nur Glieder einer Pflanze kennt", mit
anderen Worten, sich nicht um die Funktion der Teile kümmert. Wird
dieser letzte Ausspruch den unbefang^enen Leser auch etwas seltsam an-
muten, so hat er doch Berechtigung, denn eine kritiklose Rücksichtnahme
auf die Funktion könnte ganz offenbar der Morphologie, insofern sie Homo-
logien feststellen will, gefährlich werden und könnte zu schweren Irrtümern
führen.
In der Untersuchung der Pflanzenglieder und ihrer Homologien hat die
formale Morphologie Hervorragendes geleistet, ja sogar die „idealistische"
Morphologie, trotz ihrer vielen Auswüchse, denen wir verständnislos gegen-
überstehen, wenngleich sie wegen mangelnder genetischer Verknüpfung
der Pflanzen und Pflanzenglieder zu naturwissenschaftlicher Klarheit sich
nicht durchzuringen vermochte. — Doch wäre es falsch zu glauben, daß
diese formale Morphologie, die nur „Glieder" kennt, die gesamte Gestaltungs-
lehre umschließt, im Gegenteil, will diese zu einer lebenswahren Wissen-
schaft werden, so muß neben sie treten jene andere Hälfte der Gestaltungs-
lehre, die im Gegensatz zur formalen Morphologie als Organographie be-
zeichnet wird, die also die Teile der Pflanze als ihre funktionierenden
Organe ansieht und zu verstehen trachtet. Ohne zu verkennen, daß viele
Glieder der Pflanzen in ihrer Ausgestaltung nur historisch zu begreifen sind,
sucht die Organographie nach Möglichkeit zu erforschen, inwieweit die
Organe in ihrer Gestalt den jeweiligen Bedürfnissen angepaßt sind. Folge-
richtig faßt sie auch — davon war oben schon die Rede, als von dem ontogene-
tischen Metamorphosenbegriff, wie ihn besonders Goebel vertritt, die
Rede war — die Metamorphose funktionell auf: metamorphosierte Organe
sind solche, die in ihrer Funktion von denjenigen Organen abweichen, aus
denen sie sich im Laufe der Phylogenie entwickelt haben. Zumal für die
Gestaltungslehre, insoweit sie Organographie ist, ist die experimentelle
Morphologie eine besonders wichtige Hilfswissenschaft, indem sie durch
Abänderung der Lebensbedingungen nicht nur den Formwechsel an sich
studiert, sondern auch fragt, ob solcher Formwechsel von Bedeutung für die
204 ^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Pflanze ist, ob er funktionelle Abänderungen vorstellt. Wie ersichtlich, befaßt
sich die Organographie mit heißumstrittenen Problemen, die wir aber hier nur
andeuten können: Daß eine Entwicklung der Pflanzen vom einfacheren zum
komplizierteren stattgefunden hat, ist, wie wir wissen, heute Gemeingut aller
Biologen. Wie sie stattgefunden hat, ist aber trotz der staunenswerten Fort-
schritte, welche die experimentelle Vererbungslehre in dem letzten Jahrzehnt
aufzuweisen hat, noch in tiefstes Dunkel gehüllt. Wieweit können äußere
Einflüsse als Entwicklungsreize fungieren und Anpassungen bewirken, inwie-
weit können sich solche Anpassungen vererben? — Das alles sind offenbar
Fragen, deren Beantwortung zum großen Teil Sache der experimentellen
Organographie sein wird. Sie wird mit dazu berufen sein, das Dunkel zu lüften,
das die Rätsel der Entwicklung-, die Probleme der Artenbildung umhüllt.
Beziehungen Wir könncn hier diese Grundfragen der gesamten biologischen For-
tu^r^ys^ematlk schung uur flüchtig Und andeutungsweise streifen und wollen nun zum
der Gewächse. Schlussc unserer allgemeinen Ausführungen über die Gestaltungslehre der
Pflanzen teilweise Gesagtes in etwas anderer Form wiederholen, indem wir
die Beziehungen dieser botanischen Sonderdisziplin zu einer anderen, die
ebenfalls in ihren ganzen Anschauungen abhängt vom Stand des Problems
der Artenbildung, erörtern, nämlich zur Lehre von der systematischen An-
ordnung der Gewächse.
Der Systematiker hat zweierlei Aufgaben zu bewältigen: er muß zunächst
die Formen der Pflanzenwelt im einzelnen kennen lernen, er muß diese so-
dann in einer geeignet erscheinenden Weise anordnen. Soweit die erstere
Tätigkeit in Frage steht, ist die Systematik offensichtlich nichts weiter als
spezielle Morphologie. Die allgemeinen Gesetze , welche die Pflanzengestalt
beherrschen, sind abstrahiert aus der Fülle spezieller Gestaltungserschei-
nungen. Umgekehrt findet der Jünger der speziellen Botanik in den Lehr-
büchern dieser Disziplin zunächst die Grundtatsachen der allgemeinen
Morphologie auseinandergesetzt, ehe er veranlaßt wird, sich in das Meer
der Einzelerscheinungen hineinzustürzen. — Was die zweite Tätigkeit des
Systematikers, die Anordnung der Formen angeht, so erfolgt diese auf
Grund der Organisationshöhe, d.h. der Verwandtschaft, und so gilt es für
den Forscher zunächst festzustellen, welche Merkmale die Organisations-
Organisations- höhe bedingen, welches die „Organisationsmerkmale" sind, und dieselben zu
""^mtrkmaTe!^" trcnncu vou der anderen Gruppe von Merkmalen, welche wir als „Anpassungs-
merkmale" bezeichnen, die für die Beurteilung der Entwicklungshöhe von
minderer Bedeutung sind, daher bei der systematischen GUederung mög-
lichst auszuscheiden haben. Worin unterscheiden sich nun Organisations-
von Anpassungsmerkmalen? Folgen wir zur Beantwortung dieser Frage der
Führung R. v. Wettsteins,
Organisationsmerkmale sind solche, die wir in erster Linie nur auf
historischer Basis verstehen können, nicht aber auf Grund der Eigenart der
heutigen Standorte, während für die Anpassungsmerkmale gilt, daß sie den
Eigenarten der jeweiligen Lebensbedingungen Rechnung tragen. Es wäre
Organisations- und Anpassungsmerkmale 205
falsch, hieraus schheßen zu wollen, daß die Organisationsmerkmale keine
„Anpassungen" darstellen, im Gegenteil, in der großen Mehrzahl der Fälle
sind auch sie für die Pflanze vorteilhaft; nur sieht man nicht ein, warum die
Zweckmäßigkeit gerade auf die Art und Weise, die man beobachtet, und
nicht auf andere Art zustande kommt. Ein Beispiel macht das deutlicher:
Wenn eine Blüte eine größere Zahl, etwa zehn Staubblätter hat, so ist das
eine vorteilhafte Eigenschaft, g-leichgültig aber ist es in biologischer Beziehung,
ob diese zehn Staubblätter in einem oder in zwei dicht aufeinanderfolgenden
Kreisen stehen, derartige Unterschiede sind lediglich zu deuten als Folge der
verschiedenen Organisation, welche die Pflanzen geerbt haben. Ob also
Staubblätter in einem oder in zwei Kreisen stehen, ist ein Organisations-
merkmal, das der Systematiker verwerten kann, Anpassungsmerkmale
andererseits, die Wettstein uns vorführt, sind z. B. die' Großblütigkeit, der
schöne Duft, der Rosettenwuchs von Alpenblumen u. a. m.
Nicht immer ist es leicht, beiderlei Merkmale auseinanderzuhalten;
ist es doch oft Sache des subjektiven Befindens, was man als Anpassung
deuten soll, auch wird man zu verschiedenen Ergebnissen kommen, je
nachdem man größere oder kleinere systematische Gruppen betrachtet.
Zur Unterscheidung aber kann herangezogen werden die Beobachtung-
der Bedingungen, unter denen die beiden Merkmalsarten sich ändern. Or-
ganisationsmerkmale werden „zäh" festgehalten, eine willkürliche Änderung
derselben fällt schwer, ändern sie sich, so ist das gleichbedeutend mit der
Entstehung einer neuen Art — und die Frage der Artbildung und ihrer Ur-
sachen, wieweit Bastardierung, langsame oder sprungweise Veränderung
usw. dabei beteiligt sind, wollen wir aus guten Gründen hier gar nicht erst
anschneiden. Im Geg-ensatz dazu erweisen sich die Pflanzen mit Rücksicht
auf ihre jeweiligen Anpassungsmerkmale plastisch; durch Änderung der
Lebensbedingungen gelingt es, Anpassungsmerkmale zum Schwinden zu
bringen, neue Anpassungsmerkmale zu erzeugen. So wird denn oft die
Züchtung von Pflanzen unter bestimmten Bedingungen und die Beobachtung,
welche Merkmale sich ändern, welche aber nicht, mit dazu beitragen können,
zu entscheiden, ob der Systematiker gut daran tut, das betreffende Merkmal
für seine Zwecke zu verwerten. Mit anderen Worten: die experimentelle
Organographie kann zu einer bedeutenden Hilfswissenschaft des Systematikers
werden. Oft wird es von besonderem Wert sein, darauf zu achten, ob An-
passungsmerkmale, die man künstlich einer Pflanze aufgezwungen hat, bei
längerer Züchtung unter denselben Bedingungen^ welche diese neuen An-
passungsmerkmale ausgelöst haben, stabilisiert werden können; ob auf diese
Weise also Anpassungsmerkmale zu Organisationsmerkmalen werden, ob
künstlich durch Vererbung aufgezwungener Eigenschaften neue Arten ent-
stehen können.
Wir schließen hiermit die allgemeinen Betrachtungen über die pflanz-
liche Gestaltungslehre ab; wir haben ältere und neuere Anschauungen neben-
einander gestellt, um deutlich zu erkennen, wie Begriffe, die früher unklar
2o6 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
und verschwommen waren, allmählich fester und fester umrissen werden
konnten durch die Annahme verwandtschaftlicher Beziehungen der Gewächse
und durch die genaue Untersuchung ihrer Ontogenie. Wir haben uns be-
müht, einige Probleme, die augenblicklich im Vordergrund des Interesses
der Forscher stehen, etwas g'enauer zu behandeln; und endlich haben wir
versucht die Stellung der Lehre von der Pflanzengestalt zu den anderen
botanischen Einzeldisziplinen zu charakterisieren. Wir haben gesehen,
daß eine wichtige Hilfswissenschaft für sie die Paläophytologie ist, die
Entwicklungsphysiologie nicht minder, und wir haben endlich zu zeigen
versucht, welche Bedeutung die Organographie für den Systematiker hat.
Wenden wir uns nunmehr den einzelnen Pflanzengruppen zu, um in großen
Zügen kennen zu lernen, wie die Gestalten auf den verschiedenen Entwicklungs-
stufen des Pflanzenreiches aussehen. — Wir werden dabei noch einige all-
gemeine Probleme besprechen, wie Symmetrieverhältnisse, gegenseitige
Stellungsverhältnisse der Glieder usw., die genau genommen in den allge-
meinen Abschnitt gehören, die wir aber erst im folgenden bringen, da es
sich der größeren Anschaulichkeit wegen empfiehlt, sie gleich mit speziellen
Beispielen zu belegen.
IL SPEZIELLER TEIL.
Wir wollen zunächst versuchen, uns einen Überblick über die Formen-
fülle thallophytischer Gewächse zu verschaffen, und beginnen in üblicher
A-igen. Weise mit den Algen.
Zwar führen viele Vertreter der Algen an feuchten Standorten ein Land-
leben, die Mehrzahl aber ist, wie allbekannt, an das Leben unter Wasser an-
gepaßt; sie bevölkern das süße und das salzige Wasser, im letzteren er-
reichen sie ihre gewaltigste und formenreichste Entwicklung, finden wir doch
unter den Meeresalgen die längsten Gewächse, die es überhaupt auf Erden
gibt: Die Braunalge Macrocystis (Fig. 8. S. 2 1 9) kann bis 300 Meter lang werden,
während die höchsten Bäume eine Höhe von etwa 1 50 Meter erreichen. Neben
solchen Algenriesen aber finden wir auch ganz besonders kleine Formen und
zwar unter den niedrigsten einzelligen Algen, denn die neuere Forschung hat
in Bestätigung älterer Angaben nachgewiesen, daß die kleinsten Algen nicht
größer sind als kleine Bakterien, bei denen man gemeiniglich die kleinsten
Pflänzchen zu suchen pflegt.
Ein kurzer Hinweis auf die Ernährungs Verhältnisse der Algen, soweit
er zum Verständnis ihrer Körperform unerläßlich ist, erinnert uns zunächst
daran, daß die Algen wie die höher entwickelten Pflanzen von Kohlensäure
leben; sie sind zum Teil wie jene grün gefärbt, zum Teil auch rot oder braun,
so zumal viele Meeresalgen, auch blau, wie die aus mikroskopisch kleinen
blaugrünen Algen bestehenden Überzüge an schmutzigen Mauern oder ähn-
hchen Standorten zeigen. Jedenfalls führen sie alle einen Farbstoff, der es ihnen
ermöghcht, sich von Kohlensäure zu ernähren mit Hilfe der Energie der Licht-
Einzellige Algen 207
strahlen. So haben sie es denn mit höheren Pflanzen des weiteren gemeinsam,
daß sie des Lichts zum Leben bedürfen, wenn auch manche Formen der nörd-
lichen und südlichen Meere gezwungen sind, einen großen Teil des Jahres
ohne Licht zuzubringen. Weiter können wir auch bei ihnen ganz wie bei
den höheren Pflanzen Sonnen- und Schattenpflanzen, d. h. solche, die viel, und
solche, die wenig Licht beanspruchen, unterscheiden. Auch vermögen, wie
noch zu zeigen sein wird, die Algen ihre Körperform den Beleuchtungsbe-
dingungen ihrer Standorte in mannigfacher Weise anzupassen. — Abgesehen
davon, daß die verschiedene Körpergestalt der Algen vielfach ihre verschie-
denen Lebensbedürfnisse widerspiegelt, erregt die Untersuchung ihrer Morpho-
logie zumal auch aus dem Grund Interesse, weil wir uns vorstellen dürfen, daß
die höheren Pflanzen Ahnen besessen haben, die in manchen Eigenarten der
Gestalt den Algen ähnlich gewesen sein mögen, wie auch ihre Standorts-
bedingungen ähnliche waren. Wir dürfen manche Algenformen sozusagen als
Modelle der hypothetischen Ahnen höherer Pflanzen bezeichnen. — Darüber
später noch ein Wort, wir wenden uns nach diesen Vorbemerkungen unserer
eig"entlichen Aufgabe zu.
Die niedrigsten , einfachsten Algenformen können wir hier nicht ein- Einzeilige Mgen.
gehend besprechen, da die Behandlung dieser einzelligen Wesen Sache
der Zellenlehre ist. Nur soviel sei erwähnt, daß wir unter ihnen bald
kuglige, bald stäbchenförmig'e , bald komplizierter gebaute Formen antreffen;
letztere sind oft äußerst zierlich gebaut, gleichwohl ist häufig eine Anpassung
der Gestalt an die Lebensbedingungen nur insofern zu verzeichnen, als die
Kleinheit der Zelle die vollkommene Durchleuchtbarkeit gewährleistet. In
anderen Fällen aber finden wir auch die prächtigsten Anpassungen der
Körperform an die Standortsbedingungen; um ein Beispiel zu nennen, bei
den Kieselalgen. Diese leben teilweise am Grund der Gewässer, auf dem sie
dahinkriechen, und häufige ist dann die Zellform die eines kleinen Schiff"chens,
welches sich zwischen den mikroskopisch kleinen Steinchen und Sandkörnchen
des Grundes hindurchwindet. Andere Kieselalgen gehören dem sogenannten
Plankton an, schweben also im Wasser, sei es der Landseen, sei es der
Meere, und deren Zellen sind durch stachelförmige Anhänge und auf mannig-
fache andere Weise derart konstruiert, daß sie im ruhigen Wasser nur sehr
langsam in die lichtlose Tiefe hinabsinken. — Alle solche einzellige Algen
sind mit wenigen Ausnahmen dem bloßen Auge nur dann sichtbar, wenn sie
in großen Massen auftreten, Grunddiatomeen z. B. in Form brauner Belege,
die wir am Grund von Bächen finden; Planktondiatomeen können, falls sie
massenhaft auftreten, das Wasser förmlich mit einem braunen „Püree" erfüllen,
oder doch trüben; andere bilden Überzüge an der Wasseroberfläche, zu er-
innern ist ferner an jene grünen Krusten an Baumstämmen, die aus einzelligen
Algen bestehen; diesen wird flächenförmige Ausbildung, die mit Rücksicht
auf die Ausnutzung des Lichts vorteilhaft erscheinen muß, und die bei höheren
Formen Folge der eigenen, zweckentsprechenden Organisation ist, durch die
Form des Substrates aufgezwungen.
2o8 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Koioniebiidende Voti dieseii einzellig'en Algen gelangen wir zu den sogenannten Kolonie-
^^"' bildenden. Kolonien treten uns dann entgegen, wenn die Zellen sich nach
der Teilung nicht trennen, sondern zuP'äden, Platten, Paketen oder in anderer
Weise vereint bleiben, oder wenn sie durch Ausscheidung von Gallerte zu-
sammengehalten werden, ohne daß im übrigen eine verschiedenartige Aus-
gestaltung der einzelnen Zellen einer solchen Kolonie sich bemerklich machte.
Hierher gehören u. a. jene grünlichen, oft großen Gallertklumpen, die man
auf feuchten Wegen und Ackern beobachten kann, und die von blaugrünen
Algen gebildet werden, hierher auch jene gleichfalls den blaugrünen Algen
angehörigen Formen, welche die sogenannte Wasserblüte bilden, schaumig
gallertige Massen, die wir zu gewissen Jahreszeiten auf der Oberfläche
stehender Gewässer beobachten.
Ganz besonders bekannt sind aber diejenigen Algen, welche Kolonien
in Form von Algenfäden bilden, wozu viele unserer gemeinsten Süßwasser-
algen zu rechnen sind; die Fäden bilden entweder mehr oder minder glatte
Zöpfe, die im Wasser unter schraubigen Drehungen aufwärts wachsen, oder
wirr durcheinander geflochten, jene allbekannten „Watten", die man an
warmen hellen Tagen an der Oberfläche von Teichen und Tümpeln treiben
sieht, und die sich durch die bei der Assimilation ausgeschiedenen SauerstofF-
bläschen, die sich zwischen den Fäden fangen, an der Oberfläche halten.
Nicht selten wird durch seitliche Verwachsung der Fäden der Zusammenhalt
noch verstärkt, und so führen uns solche Watten denn hinüber zu jener Alge,
die vielleicht auch mancher Laie als das „Wassernetz" kennt, eine Form, bei
der die Zellen zu regelmäßigen hohlzylindrischen Netzen verwachsen sind. —
In allen diesen Fällen finden wir, wenngleich etwas primitiv, schon dasselbe
Bauprinzip, das uns auch bei höher organisierten Wassergewächsen aus
gleichen biologischen Gründen entgegentritt: Die große Oberfläche er-
möglicht eine allseitige Umspülung mit Wasser und den darin gelösten Nähr-
stoffen (Kohlensäure, Salzen), sie bedingt einen ziemlich erheblichen Reibungs-
widerstand und verhindert so das rasche Sinken, der lockere Bau der Watten
ermöglicht vollkommene Durchleuchtung. Fassen wir solche Watten an, so
empfinden wir, daß sie weich und schleimig sind, sie werden also, wenn der Wind
das Wasser kräuselt oder stark bewegt, weniger leicht geschädigt, als wenn sie
starr wären; außerdem dient der Schleim dazu, die Schwebefähigkeit zu erhöhen
und mag auch als Schutz gegen schädliche im Wasser gelöste Stoffe wirksam
sein, vielleicht auch gegen Austrocknung beim Sinken des Wasserstandes.
Es wird uns nicht wundern, zu hören, daß auch jene oben schon kurz
genannten Planktondiatomeen ganz besonders häufig zu solchen Kolonien
zusammentreten, zu Fäden, Zellketten usw., die gerade gestreckt oder mannig-
fach gewunden und gebogen sind und als leicht begreifliche Anpassung an
das Schwebeleben verständlich werden. — Auch Schleimbildung ist bei
solchen Formen aus gleichem Grund sehr häufig.
Immerhin sind all die genannten Formen, trotzdem wir einen Fortschritt
gegenüber einzelligen, mit denen sie übrigens durch viele Übergänge ver-
Algen als Kolonien und Zellenstaaten 20Q
bunden sind, nicht verkennen können, ein „Spielball der Wellen", und so
sehen wir denn bei denjenigen Algen einen weiteren Fortschritt verwirklicht,
welche nicht frei leben, sondern sich auf die eine oder andere Weise fest-
setzen, z. B. auf anderen Algen. Wir würden sie dann als Epiphyten zu
bezeichnen haben. Viele koloniebildende Algen leben epiphytisch, indem
sie Gallertstiele ausbilden, vermittels deren sie an anderen Algen haften.
Hier zeigen sich also die ersten Anfänge dessen, was wir einen polaren
Körperbau nennen, ein Gegensatz zwischen oben und unten, Spitze und Basis.
Immerhin konnte aber doch ein wirklicher Fortschritt in der Gestaltung zeiienstaaten
der Alg'en erst damit erzielt werden, daß die Koloniebildung aufgegeben ' ^° ^ ^^"'
wurde und an ihre Stelle die sogenannte Zellenstaatbildung trat: die Zellen,
die bei der Kolonie in den typischsten Fällen ganz g'leichartig sind, diffe-
renzieren sich nach Form und Funktion — Einzelheiten darüber bringt die
Zellenlehre — ; gleichzeitig tritt der polare Bau fast immer deutlich in die Er-
scheinung: Am basalen Pol bildet der Algenkörper wurzelähnliche Gebilde
aus, welche als Haftorgane fungieren, nicht aber gleichzeitig, wie das bei
den Wurzeln der höheren Pflanzen der Fall ist, auch zur Nahrungsaufnahme
dienen. Mit diesen Haftorganen, die bei großen Arten die Form einer Haft-
scheibe oder krallenähnliche Gestalt haben können, bei kleineren aber zart
ausgebildet sind als sogenannte Haarwurzeln oder Rhizoiden — wie wir sie
später bei Moosen und auch Farnen noch wieder antreffen werden — , sitzt
der Algenthallus an Felsen oder anderen Gegenständen, vielfach auch als
Epiphyt auf anderen Algen fest; nur in ganz vereinzelten Fällen kommt es
vor, daß Algen im Sande oder losem Grund am Boden der Gewässer wurzeln.
Auf die Wachstumsweise dieser Haftorgane im einzelnen einzugehen,
würde uns zu weit führen; um so wichtiger ist es, daß wir uns jetzt, da wir
uns dem übrigen Thallus zuwenden, zuerst über dessen Wachstumsweise
orientieren.
Die wesentlichste Tatsache, die wir beobachten, ist nun die, daß nicht Spitzenwachst
alle Teile des Thallus gleichmäßig wachsen, daß vielmehr das Wachstum ""tachstum
auf bestimmte Teile des Thallus beschränkt ist, während andere Teile aus-
gewachsen sind. Wir können somit Dauergewebe und wachsendes Gewebe
am Thallus unterscheiden. Ist der Thallus z. B. ein scheibenförmiges Ge-
bilde, so kann das Wachstum längs des Randes erfolgen. Stellt der
Thallus ein im Querschnitt rundes oder flaches Band vor, so ist der typische
Fall der, daß an der Spitze, am Scheitel, bzw. falls der Thallus verzweigt
ist, an den Spitzen das Wachstumsgewebe lokalisiert ist. Wir sagen dann,
indem wir eine, wie Goebel mit Recht sagt, merkwürdige, von K. F. Wolff
geschaffene Bezeichnung (vgl. oben), die dieser auf den Scheitel der Sprosse
höherer Pflanzen anwandte, auf die Algen übertragen, der „Vegetations-
punkt'« liegt an der Spitze. Es findet also Spitzenwachstum (Scheitelwachs-
tum) statt. Es kann aber auch vorkommen, daß die Wachstumsregion mehr
oder minder weit von den äußersten bzw. obersten Teilen des Thallus ent-
fernt liegt, derart, daß sie nicht nur nach unten, sondern auch nach oben
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. j^
um
2IO
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Geißelpflänzchen
als Übergangs-
forraen zwischen
Kolonien und
Zellstaaten.
Gabelige und
seitliche Ver-
zweigung des
Algenthallus.
an Dauergewebe angrenzt. Man redet dann von einer interkalaren Wachs-
tumszone; der Thallus besitzt Interkalarwachstum. Jeder Versuch, auf den
Bau der wachsenden Region des Algenthallus näher einzugehen, würde uns
unvermeidlich tief in die Zellenlehre führen; wir verzichten daher darauf
und wollen nur noch bemerken, daß wir dem Spitzen- wie dem Interkalar-
wachstum später auch bei den höheren Pflanzen wieder begegnen werden.
Wo nun auch die Wachstumszone liegen mag, von ihr geht der Zuwachs,
gehen die Neubildungen am Thallus aus, und typischerweise werden die
seitlichen Neubildungen derart angelegt, daß eine jüngere stets spitzenwärts
von der nächst älteren sich bildet. Die Anlage ist „akropetal", oder, wie man
auch sagt, die Ausgliederung erfolgt progressiv. Ausnahmen
von dieser Regel fehlen allerdings bei den Algen nicht. So-
dann ist zu betonen, daß das Dauergewebe keineswegs unter
allen Umständen seine Wachstumsfähigkeit eingebüßt hat, viel-
mehr zeigt sich, daß unter gewissen Umständen, bei Änderung
der Lebenslage, in bestimmten Entwicklungsstadien, bei Ver-
wundungen usw., auch Partien von Dauergewebe wieder in
wachstumsfähiges Gewebe übergehen und zu Neubildungen
Veranlassung geben können, die dann an Orten des Thallus
auftreten, die sonst längst ausgewachsen sind.
Somit ist für die Zellstaaten im Gegensatz zu den Zell-
kolonien, bei welch letzteren alle Zellen sich vermehren und
am Wachstum der Kolonie sich beteiligen, charakteristisch: Die
Lokalisierung des Wachstums auf bestimmte Zonen, die in
Gegensatz zum ausgewachsenen Dauergewebe treten. Freilich
sind keine scharfen Grenzen zwischen Zellstaaten und Kolonien
vorhanden, wie ein Hinweis auf die Flagellaten oder Geißelpflänzchen, der hier
zwischengeschaltet sei, uns zeigt. (Fig. 3.) Die Flagellaten gelten als Ahnen
der Algen, bzw. man nimmt an, daß diese Ahnen ähnlich gestaltet gewesen
sein mögen wie jene; es sind einzellige, mittels Geißeln sich bewegende
oder koloniebildende Wesen, von denen man die grünen und die braunen
Algen ableitet (während man die roten Algen mit Vorbehalt aus gewissen
Gruppen der grünen Algen sich entwickeln läßt). Unter den Flagellaten nun
gibt es eine Gattung (Hydriiriis), die zeitweilig in Form von verzweigten gal-
lertig'en Kolonien wächst; diese nehmen derart an Größe zu, daß lediglich
die an der Spitze der Zweige liegenden Zellen sich teilen. Hier liegen also
Übergänge zwischen Kolonien und Zellstaaten vor, Kolonien mit Spitzenwachs-
tum, die uns versinnbildlichen, durch welcherlei Formen hindurch sich die
Algen aus den Flagellaten herausgebildet haben mögen.
Der Thallus der Algen kann unverzweigt sein, z. B. ein langes, rundes
oder flaches, einfaches Band vorstellen; jedermann aber, der sich an dem oft
so zierlichen Wuchs vieler dieser Gewächse erfreut hat, weiß, daß diese
Eigentümlichkeit oft auf Verzweigung des Thallus zurückzuführen ist und
ihr müssen wir uns nun zuwenden, um so mehr als wir am Algenthallus
Fig. 3. Euglena
gracilis, ein Geißel-
pflänzchen. g: Gei-
ßel, n: Zellkern.
Vergr. 360.
Aus ScHENCK nach
Zum STEIN.
Verzweigungsweise des Algenthallus
211
bereits jene zwei Arten der Verzweigung kennen lernen, die uns auch in
allen anderen Pflanzengruppen wieder entgegentreten, die gabelige und die
seitliche Verzweigung.
Bei der gabeligen (dichotomen) Verzweigung teilt sich der Vegetations-
punkt in zwei gleiche Vegetationspunkte, die dann weiter wachsen, der Er-
folg ist also eine Gabelung des Thallus und indem sich dieser Vorgang mehr-
fach wiederholt, ergeben sich jene im Algenreich nicht selten vorkommenden
Fälle mehrfacher Gabelung des
Thallus, z. B. bei dem danach so
genannten Gabeltang und anderen
mehr. Hierbei bildet also das sich
teilende Gewebe keine neuen Vege-
tationspunkte, die Seitengliedern den
Ursprung geben, vielmehr löst es
sich selbst in zwei neue Teilungs-
gewebe auf. Im einfachsten Fall,
der z. B. beim eben genannten
Gabeltang meistens realisiert ist,
wachsen beide Gabeläste, die bei der
Teilung entstehen, gleich kräftig-
weiter; bei anderen Formen aber
kommt es vor, und der bekannte
Blasentang und Verwandte sind ein
gutes Beispiel dafür, daß ein Gabel-
ast kräftiger auswächst wie der
andere; der letztere wird vom
ersteren, wie man sich ausdrückt,
„übergipfelt". (Fig'. 4.)
Das Maß dieser Übergipfelung
kann ganz außerordentlich stark, d.
h. der zurückbleibende Gabelast
äußerst kümmerlich sein, und wenn
sich dann der geförderte Gabelast genau in die Fortsetzung des vorherigen
Thallusabschnitts stellt, resultiert ein Thallus, der ein gerades Band oder
einen geraden Strang vorstellt, an dem in regelmäßigen Abständen die
zurückgebliebenen Gabeläste als kleine seitliche Anhänge daran sitzen.
Man hat dann den Eindruck einer einzigen durchlaufenden Hauptachse, die
aber in Wirklichkeit aus aneinandergereihten Gliedern oder „Füßen" —
so bezeichnet man jeden Thallusabschnitt zwischen zwei Gabelungen
— besteht. Man nennt ihn ein Sympodium {Ttovg, der Fuß), und zwar
ein aus Dichotomie resultierendes Sympodium. — Die Dichotomie
dürfte als die phylogenetisch älteste Verzweigungs weise zu betrachten
sein. Die zweite Art der Verzweigung', die als höhere Form der Ver-
zweigung angesehen werden darf, ist die seitliche. Bei ihr werden seit-
F i g. 4. Links: Keim-
pflanze des Blasen-
tangs. Vergr. ca.
250. Rechts: Fucus Sympodium und
platycarpus. Habi- Monopodiura.
tusbild. ca. '/•! der
nat. Gr. Nach Thü-
RET U. OlTMANN'S.
14^
2 12 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanze
lieh unter dem Vegetationspunkt neue Vegetationspunkte angelegt, um
zu Seitenästen auszuwachsen. Hier geht also die Hauptachse nicht nur schein-
bar, sondern in Wirklichkeit von unten nach oben durch den ganzen ver-
zweigten Thallus durch. Gute Beispiele für solche seitliche Verzweigung
liefern unter den Algen u. a. die Armleuchtergewächse. (Fig. 2.) Wenn, wie bei
diesen die Hauptachse gefördert ist und deutlich als solche kenntlich bleibt,
die Seitenachsen aber zurückbleiben, so nennt man ein solches Produkt seitlicher
Verzweigung ein „Monopodium". Doch kann diese seitliche Verzweigung
auch in ganz anderer Ausbildung vorkommen. U. a. kann der Fall realisiert
sein, daß zwei Seitenäste sich gegenüberstehen, beide gleich stark aus-
wachsen und der Hauptast selbst sein Wachstum einstellt. Dann liegt offen-
sichtlich scheinbare Gabelung vor. Oder aber es wird ein Seitenzweig an-
gelegt und dieser überflügelt bald den Hauptsproß und stellt sich in seine
Fortsetzung. Geschieht das mehrfach hintereinander, so entsteht offenbar
wieder ein Sympodium, da der ganze Thallus nicht aus einer einzigen Haupt-
achse, sondern aus mehreren sich geradlinig aneinanderreihenden Gliedern
besteht, dieses Mal aber ein aus seitlicher Verzweigung resultierendes Sym-
podium. Es ist klar, daß in vielen Fällen nur sehr genaue entwicklungs-
geschichtliche Untersuchung am Vegetationspunkt darüber wird aufklären
können, ob gabelige oder seitliche Verzweigung vorliegt.
Radiär, Die Betrachtung des Algenthallus gibt uns sodann Gelegenheit, ein-
symmetrisch, i7 1 o • 11- T->n
dorsiventrai lache Symmetricverhaltnisse des Pflanzenkorpers zu erörtern und zu be-
je aute Algen, rennen, welche wir später ebenfalls bei höheren Pflanzen wieder vorfinden.
Stellen wir uns zuerst vor, wir hätten einen im Querschnitt runden, unver-
7 t^ 7
zweigten Algenthallus, und sehen wir ab von dem vielleicht recht unregel-
mäßig gestalteten Haftorgan desselben, so können wir off"enbar durch dessen
Längsachse beliebig viele, drei und mehr Ebenen legen, die ihn in zwei
spiegelbildlich gleiche Hälften teilen. Solch ein Gebilde nennen wir radiär
gebaut. Denken wir uns den Thallus blattartig abgeflacht, mit oder ohne
erhabenen Längsnerv, und wir würden in natura Gelegenheit haben, solche
Thalli zu beobachten, so haben wir nun einen Thallus vor uns, durch dessen
Längsachse nur noch zwei Symmetrieebenen gelegt werden können; solch
ein Thallus ist symmetrisch gebaut (auch als isolateral wird er bezeichnet).
Es könnte uns nun weiter der Fall entgegentreten, daß der Veg-etations-
punkt eines solchen Thallus eingerollt wäre, ein Vorkommnis, das uns nicht
wundert, weil hierdurch offenbar das wachsende Gewebe an dem Scheitel
einen wirksamen Schutz erfährt. Dieser Thallus, durch dessen Längsachse
wir nur noch eine einzige Symmetrieebene legen könnten, würde als dorsi-
ventrai bezeichnet werden müssen. Analoge Bezeichnung^en würden wir
anwenden, wenn wir verzweigte Algen vor uns hätten. Nehmen wir eine
dichotom verzweigte Form, deren Gabeläste alle in derselben Ebene liegen,
so haben wir eine symmetrische Form vor uns. Haben wir eine monopodial
verzweigte Alge, deren Seitenäste ungefähr gleichmäßig nach allen Seiten
ausstrahlen, so ist diese Alge radiär, liegen aber die Seitenäste alle in einer
Seitenachsen.
Symmetrieverhältnisse des Algenkörpers 2 I 3
Ebene, ist also die Verzweigung fiederig, so haben wir wieder eine symmetrisch
gebaute Alge vor uns; die Seefeder, Bryopsis (Fig. 5) ist ein bekanntes Beispiel
dafür. Nicht selten würden wir auch vollkommen asymmetrische Formen
antreffen, die überhaupt nicht in zwei gleiche Hälften zerlegt werden können.
Interessant ist es zu sehen, daß äußere Einflüsse auf die Gestaltung der
Algen und zwar insonderheit auch auf ihre Symmetrieverhältnisse mannig-
fachen Einfluß ausüben: Bei der Rotalgenfamilie der Ceramiaceen finden wir
einmal Arten, die stets aus „inneren Gründen" ihre Seitenzweige in eine Ebene
stellen. Bei der gleichfalls hierhergehörigen Gattung Antithamnion aber
stehen, bei allseitig gleicher Beleuchtung, die Seitenzweige, die hier ein-
ander opponiert, „gegenständig" am Stengel sitzen, derart, daß sie alternieren,
sie sind gekreuzt, man spricht von „dekussierter" Stellung (s. später). Be-
leuchtet man jedoch ^intitJiamnion einseitig, so werden die Seitenäste nun-
mehr derart angelegt, daß sie alle in die zum Lichteinfall senkrechte Ebene
zu stehen kommen. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß bestimmte
Algen, die auf anderen, normalerweise fiederig verzweigten Algen
schmarotzen, dadurch bewirken, daß die fiederige Verzweigung der Wirte in
eine solche, bei der die Seitenäste allseitig ausstrahlen, umgewandelt wird.
Verweilen wir noch einen Augenblick bei der Stellung der Seitenachsen, wirteiige
indem wir uns auf einige Fälle monopodialer Verzweigung beschränken, um "steUung^"def^
einige Bezeichnungen einstweilen anzuführen, die auch später bei der morpho-
logischen Betrachtung der höheren Pflanzen eine Rolle spielen: Die Seiten-
achsen können entweder zu mehreren auf gleicher Höhe am Tragsproß sitzen,
das ist unter anderen der Fall bei den schon genannten Armleuchteralgen,
bei welchen wir sechs- bis achtgliederige Wirtel von Seitenachsen in gleichen
Längsabständen an der Mutterachse erblicken. Hier spricht man also von
„wirteliger Stellung". Die Stellen der Mutterachse, an welchen die Seiten-
sprosse stehen, nennt man Knoten, die dazwischen liegenden Glieder die
Internodien, wiederum Bezeichnungen, die auch jedem Laien von höheren
Pflanzen her vertraut sind. Schaut man von oben auf einen Sproß mit seinen
wirteligen Seitensprossen, so fällt bei den Armleuchteralgen des weiteren auf,
daß jeder Seitensproß in den Zwischenraum zwischen zwei Seitensprossen
des nächst unteren Wirteis fällt, wir treffen somit hier, wie sonst so häufig,
„alternierende Wirtel" an. In anderen Fällen aber stehen die Seitensprosse
nicht wirtelig, sondern sie zeigen sog'enannte Schraubenstellung, nicht ganz
richtig auch spiralige Stellung genannt, z. B. bei bestimmten Rotalgen.
Verbinden wir in diesem Fall die Basen der Seitensprosse, so erhalten wir
eine den Tragsproß umlaufende Schraubenlinie. Projizieren wir zwei ein-
ander folgende Seitensprosse, indem wir von oben oder von unten auf den
Hauptsproß blicken, auf eine Ebene, so können wir offenbar den Winkel,
den beide miteinander einschließen, bestimmen. Beträgt derselbe Y^ des
Kreisumlaufs, so sagen wir, die Divergenz beträgt y^, in anderen Fällen
würden wir ^s» in noch anderen ^7 usw. finden. Ganz ähnliche Dinge werden
wir bei der Blattstellung höherer Gewächse zu beachten haben, und es nimmt
2 14 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
nicht wunder zu hören, daß ebenso wie bei diesen auch bei den Algen mit
regehnäßig schraubiger Stellung der Seitenachsen von Schwendener die
Frage aufgeworfen wurde, ob diese Stellung rein mechanisch, als Folge des
Kontakts ihrer Anlagen in der Nähe des Scheitels, erklärt werden könne,
oder ob sie auf innere Ursachen, ebenso wie so viele andere Organisations-
eigentümlichkeiten, zurückgeführt werden müsse, d. h. vorläufig jeglicher
Erklärung spotte.
Lang- und Kurz- Wir können uns nun nicht mehr allzuweit in die ungeheure Formen-
^'"'' mannigfaltigkeit höherer und niederer, größerer und kleinerer Algen ver-
tiefen, beschränken uns vielmehr auf die Diskussion einiger Punkte, die, wie
die soeben abgehandelten, den Anschluß an die Gestaltungslehre der Kormo-
phyten vermitteln. Schauen wir die Achsen einer reich verzweigten Alge
an, so fällt uns nicht selten auf, daß die einen lang aus wachsen, ja theore-
retisch gesprochen, unbegrenzt weiterwachsen können, die anderen aber,
ohne daß äußere Eingriffe daran schuld wären, ihr Längenwachstum bald
einstellen. Die ersteren nennen wir Langtriebe, die letzteren Kurztriebe.
Wir bemerken weiter, daß die Kurztriebe oft nicht nur kürzer, sondern auch
sonst weniger kräftig, z. B. am Querschnitt betrachtet, dünner sein können
als die Langtriebe, und die Form verzweigter Haare haben, sogenannter
Haartriebe; auch können sie von kürzerer Lebensdauer sein. Sodann zeigt
sich manchmal, daß Lang- und Kurztriebe außerordentlich regelmäßig mit-
einander abwechseln und beide immer scharf auseinandergehalten werden
können, in anderen Fällen aber ist das weniger der Fall, es zeigen sich die
mannigfachsten Übergänge, wie denn auch durch experimentelle Eingriffe
Kurz- in Langtriebe verwandelt werden können. Das interessiert uns, weil
wir ganz den gleichen Erscheinungen begegnen werden, wenn wir uns später
der Ausgestaltung der Krone unserer Bäume zuwenden werden. Die Lang-
triebe haben offenbar die Funktion, den ganzen Thallus zu vergrößern, die
Kurztriebe füllen mehr den Raum zwischen den Langtrieben aus; sie dienen
einmal der Assimilation der Kohlensäure, haben dann also etwa dieselbe
Funktion wie die Laubblätter, und da sie mit diesen auch das aus „inneren*'
Gründen begrenzte Wachstum gemeinsam haben, sind sie häufig direkt als
Blätter bezeichnet worden. Diese Bezeichnung wird besonders in den Fällen
einleuchten, in welchen sie blattartig abgeflacht erscheinen, was nicht selten
der Fall ist. Immerhin wird man vorziehen, derartige thallöse Sprosse mit
Assimiiatoren. Reinke als Assimilatoren zu bezeichnen, womit man ihnen ja die gleiche
Funktion, wie die Laubblätter sie haben, zuschreibt, ohne durch die Be-
zeichnung „Blatt" eine Homologie auszudrücken. Neben der Funktion der
Assimilation dienen bei den Algen Kurztriebe auch der Aufnahme von
Nährsalzen aus dem Wasser und diese Funktion tritt dann in den Vorder-
grund, wenn, wie das z. B. bei den oben genannten Haartrieben manchmal
der Fall sein kann, die Triebe farblos sind. Die Beobachtung hat erwiesen,
daß solche farblose Kurztriebe oft bei starker Beleuchtung besonders reich-
lich entwickelt werden, woraus man geschlossen hat, daß sie auch als Licht-
Lang- und Kurztriebe
215
schütz dienen. Diese Funktion könnte mit der anderen, der Aufnahme von
Nährsalzen vereint sein; denn begreif Ucherweise wird eine Alge, die gut be-
leuchtet wird und reichlich Kohlensäure assimiliert, auch reichlicher Nähr-
salzzufuhr bedürfen. Wie dem auch sei, wir haben wieder ein Beispiel, das
uns Algen als geeignete Objekte der Entwicklungsphysiologie nachweist.
Noch in einer anderen Hinsicht kann man die Kurztriebe mit Blättern
vergleichen. Greifen wir nochmals auf die Kurztriebe der Armleuchteralgen
zurück, so sehen wir, daß aus der Achsel je eines dieser Kurztriebe ein Lang-
trieb als Seitensproß sich entwickelt, ganz ebenso, wie die Seitenzweige
höherer Gewächse aus Blattachseln hervorgehen. Es
findet sich also bei den genannten Algen „axilläre Ver-
zweigung", wie der Terminus lautet. Doch gilt das
keineswegs allgemein bei Algen, vielmehr ist bei ihnen
diese Stellung der Seitenzweige als Ausnahme zu be-
trachten, während sie bei Blütenpflanzen die Regel ist.
So linden wir denn, wie einleitungsweise schon an-
gedeutet, als Folge ähnlicher Nahrungsaufnahme und
gleicher Anpassung an das Licht bei Algen vielfach trotz
ihrer ganz verschiedenen Organisation auffallende „An-
klänge" an die Gestalt höherer Pflanzen, vielleicht bei
kaum einer anderen Alge so auffallend, als bei der oft ge-
nannten Caulerpa, obwohl diese ganz besonders abweicht
von der Orofanisation höherer Pflanzen, insofern ihr
* . . „ . Fig. 5. Die Seefeder Bry-
Thallus eine einzige große, reich gegliederte Zelle ist, opsis abietina. Nat^Gr. Aus
,. ii'-i j AI jo Oltmanns nach Kützing.
Wie das ja auch bei vielen anderen Algen, der See-
feder usw., der Fall ist (vgl. Fig. 26 a. S. 82). Die Zelle der Caiilerpa zeigt
uns verzweigte, im Querschnitt runde Achsen, die über den Meeresgrund
dahinkriechen, ganz analog den Ausläufern höherer Pflanzen, welche nach
oben sich erhebende blattähnliche, flache Assimilatoren aussenden, während
sie nach unten mit wurzelähnlichen Ausgliederungen im Grund sich be-
festigen, Caulerpa ist also, wie die Erdbeere, um nur dies eine Beispiel
statt vieler zu nennen, eine „Pflanze mit Wander vermögen'' — im Gegensatz
zu der übergroßen Mehrzahl der anderen, nicht frei beweglichen Algen.
So finden wir denn Org^ane am Algenkörper, welche wir mit den Achsen,
Blättern und Wurzeln der Kormophyten vergleichen können. — Von Sonder-
organen, die wir bei Algen antreffen, seien kurz noch Haarbüschel und ähn-
liche Gebilde genannt, auch solche, die nicht mit den oben genannten Kurz-
trieben (Haartrieben) identisch sind, die aber vielfach offenbar dieselbe dort
geschilderte Funktion haben, unter anderen beim Blasentang-, und dann end-
lich jene bekannten Blasen bei der eben genannten Form und vielen anderen
Braunalg-en, die insofern von Bedeutung- sind, als sie bedingen, daß derXhallusim
Wasser aufrecht steht, und verhindern, daß die Algenzweige im Wasser „pinsel-
förmig zusammenfallen" ; in anderenFällen dienen sie auch als echte „Schwimm"-
organe, dies bei manchen Formen nur zur Zeit der Ebbe (vgl. weiter unten).
Gliederung des
Körpers bei
nicht cellulären
Algen.
2i6 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Algen Haben wir oben schon einige biologische Algentypen genannt, z. B.
"vL^mö^en"^ solchc mit Und ohne Wandervermögen, so wollen wir jetzt zur weiteren
Illustration des Gesagten noch in Kürze auf einige sonstige Anpassungs-
formen im Anschluß an die Darstellung in F. Oltmanns' Algenbuch hinweisen.
Baum- und Zunächst ist es klar, daß viele Algen, zumal solche mit monopodialer Ver-
^berAigen''" zwcigung, Seien es im übrigen zarte, grüne Formen des Süßwassers, seien
es schon kräftiger entwickelte Rotalgen oder derbe Braunalgen der See, häufig
nach demselben „Prinzip" gebaut sind, wie Bäume und Sträucher, Zumal
dann, wenn bestimmte Sproßgiieder als Assimilatoren abgeflacht sind, leuchtet
das ohne weiteres ein. Bestimmte Sargassmn^ivien unter den Braunalgen
stellen vielfach die typischsten Büsche vor, die man sich denken kann. In
anderen Fällen, wenn alle Glieder rund sind, wird man mehr an Spargel-
kraut oder analoge Gestaltungen unter den höheren Pflanzen erinnert. Baum-
form, d. h. deutliches Hervortreten der Hauptachse, kann unter Umständen die
Seefeder haben, die direkt einer kleinen Zypresse verglichen wird. (Fig. 5.)
In allen Fällen wird ganz wie bei jenen höheren Gewächsen erreicht, daß das
Licht möglichst vollkommen von den assimilierenden Teilen ausgenutzt wird;
durch Starrheit der Glieder, geringen Unterschied im spezifischen Gewicht
des Algenthallus und des Wassers, oder in noch vollkommener Weise durch
Blasenbildungen wird erreicht, daß die Äste nicht zusammenfallen. Als von
besonderen Organen vieler solcher Algen war schon die Rede von Haar-
büscheln und ihren Funktionen, sogenannten „Pinseln", die, wenn sie mächtig
entwickelt sind, die Funktion der Ernährung fast allein tragen; man redet
dann auch von Pinselalgen.
Peitschenformen Gauz anders Organisiert sind die sog. Peitschenformen, bei welchen der
bei Algen, j^chr odcr minder rundliche, nicht oder spärlich verzweigte Thallus in seiner
Form deutlich dem Wellenschlag angepaßt ist. Es sei an die sog. Meersaite,
den Riementang (Fig. 6) erinnert. Häufig eignet solchen Formen eine ganz
besonders schlüpfrige Oberfläche, eine weitere, leichtverständliche Anpassung
an bewegtes Wasser. Bei der weitgehenden Anpassung an solches nehmen
offensichtlich diese Formen den Nachteil in Kauf, daß ihre Gestalt anderen
Funktionen, wie der Ernährung nicht in sehr vollkommener Weise Rechnung
Biattaigen. trägt. — Von Blattalgen spricht man dann, wenn der Thallus eine mehr oder
weniger deutlich gestielte Blattfläche darstellt, also abgeflacht erscheint im
Interesse der Ausnutzung des Lichts. Hier finden wir mannigfache Einrich-
tungen, die bewirken, daß der Widerstand gegen Strömung und bewegtes
Wasser herabgesetzt wird. Entweder sind die ganzen Flächen sehr nach-
giebig, oder die beiden Längshälften sind längs des steifen Mittelnervs bieg-
sam, oder aber der Thallus ist gitterartig durchbrochen, — so kommen wir
zu jenem Bauprinzip der Gitteralgen, von dem oben schon die Rede war.
Flaggenalgen. Die bekannten Zuckertange (Laminarien) , soweit ihr Laub schmal und
gestreckt ist, vermitteln zwischen Peitschen- und Blattalgen. Als besondere
Formen der letzteren sind dann die sog. Flaggenalgen zu nennen, z.B. die oft
gewaltigen, im antarktischen Meer und anderen Orten vorkommenden, mit den
Anpassungsformen bei Algen
217
Laminarien verwandten Lessonien, deren schenkeldicke Stämme, „biegung"s-
fest gebaut, im Wasser aufrecht stehen und die ihre Flachsprosse bewegen
etwa wie Espenlaub im Wind" (Fig. 7).
Der sog. Bojentypus findet sich gleichfalls schön ausgebildet bei Ver-
wandten der Laminaria, z.B. bei Nereocystis. Hier haben wir zugfeste Stiele,
die in einer gToßen, auf der Oberfläche der See schwimmenden Blase endigen,
an welcher das Laub daransitzt. Hierher ist auch die berühmte Macrocystis
pyrifera (Fig. 8) zu rechnen: Ihre, in einer Tiefe von wenigen bis über 20 Metern
R s
Fig. 6. Der Riementang, Himanthalia lorea. Ji: Riemen. S : Keimscheiben. Aus Oltmanss nach Börgesen.
festsitzenden Sprosse wachsen bis zur Wasseroberfläche, an welcher sie
schwimmen, und sind einseitig mit Thalluslappen besetzt, die an der Basis
je eine Schwimmblase tragen. Diese gewaltige Meerespflanze ist in Fig. 8
stark verkleinert dargestellt.
Damit wäre die Formenmannigfaltigkeit der Algen keineswegs erschöpft.
Wir erinnern nur kurz an Krusten- oder Polsterformen, an sackförmig ge-
baute Algen. Ebenfalls nur mit wenigen Worten sei erwähnt, daß manche hoch
organisierte Algen von der festsitzenden Lebensweise ihrer Vorfahren wieder
abgekommen sind und wie Planktonalgen schweben, das gilt vor allem von
Sargassum bacciferuvi in der so bekannten Sargassosee. Auch sonst beob-
achtet man häufig in der See runde Büsche solcher Algenarten, die normaler-
weise festsitzen, frei im Wasser schweben, und bald diese, bald jene Ober-
fläche dem Licht zukehren, im wahrsten Sinne also ein Spielball der Strö-
mungen sind. Dem äußeren Anblick ist der polare Bau dieser Formen
vollständig entzogen. — Gleiches gilt auch für die Kalkalgen der „Litho-
thamnionbänke". Als Kalkalgen bezeichnet man solche, deren Zellwände
vollständig mit kohlensaurem Kalk inkrustiert sind, sie erlangen ihre reichste
Entwicklung in den Brandungszonen der tropischen Meere. Auf den ge-
2l8
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
A Igen.
nannten unterseeischen Bänken aber leben sie in ungeheuren Massen im
flachen, mäßig bewegten Wasser in Form von Kugeln, die dauernd langsam
umhergerollt werden und infolgedessen ebenfalls an allen Punkten ihrer
Oberfläche gleichmäßig wachsen.
Schmarotzende Eine zuletzt ZU erwähnende, eigentümliche Abänderung des Körperbaues
finden wir bei jenen Algen, die sich das Schmarotzertum angewöhnt haben.
Wir können hier in den typischsten Fällen beobachten, wie der Körper voll-
ständig in ein verzweigtes Fadensystem auf-
gelöst, den Körper des Wirts, z. B. eine andere
Alge durchwuchert; nur die Teile, welche die
Fortpflanzungsorgane tragen, ragen über die
Oberfläche des Wirts nach außen. Diese Er-
scheinung- hat aus zwei Gründen Interesse für
den Organographen. Einmal weil der Körper
solcher Schmarotzer ganz ähnlich gebaut ist,
wie der der Pilze, welche ja ebenfalls die
organischen Stoffe, deren sie bedürfen, von
auswärts beziehen, sodann aber ganz beson-
ders darum, weil wir dieselbe Konvergenz
zu den Gestalten des Pilzkörpers, die wir
eben für Algenschmarotzer schilderten, auch
bei manchen derjenig^en Blütenpflanzen wieder-
finden, die ihrerseits dem Parasitismus huldigen.
So sehen wir denn die schönsten Fälle analoger
Körpergestaltung, „funktionell bedingter Kon-
vergenz", in verschiedenen Teilen des Pflanzen-
reiches vor uns, die mit Homologie nichts zu
tun hat.
Werfen wir nun einen Blick auf die Ver-
mehrungs- und Fortpflanzungserschei-
nungen der eben besprochenen Pflanzen, so sehen wir, daß bei den Vor-
läufern der Algen, den Geißelpflänzchen, wie auch bei so vielen anderen
einzelligen Pflanzen, die Vermehrung identisch ist mit der vegetativen
Zellteilung. Besondere im Dienst der Erhaltung und Vermehrung stehende
Organe werden nur insofern gebildet, als die Zellen sich vor der Teilung häufig
mit einer Hülle umgeben, eine sog. Cyste bilden, aus der die Tochterzellen
nach vollendeter Teilung wieder ausschlüpfen; auch können beim Eintritt un-
günstiger Bedingung-en manche Geißelpflänzchen die inneren Teile ihresProto-
plasmas samt Zellkern und anderen wichtigen Organen mit einer dicken Mem-
bran umgeben, eine sog. Spore bilden, die später, wenn sich wieder bessere
Wachstumsbedingungen einstellen, wieder auskeimt. Bei g-anz vereinzelten
Flagellaten, sodann aber bei höher entwickelten einzelligen Algen, z. B. den
obengenannten Kieselalgen^ können wir auch geschlechtliche Fortpflanzung
beobachten; doch betrachten wir statt deren einige größere Formen, zunächst
Fortpflanzung
der Algen.
Fig. 7. Die Braunalge Lessonia fuscescens.
Habitusbild, stark verkleinert. Aus Olt-
MANNS nach Hooker und Harvev.
Fortpflanzung der Algen
2ig
aus der Gruppe der Grünalgen, an welchen wir uns über die wichtigsten der
einschlägigen Tatsachen auch mit bloßem Auge unterrichten können. Da ist nun
zunächst die oben genannte Schlauchalge Caulerpa ein bekanntes Beispiel da- Vegetative
für, daß selbst eine äußerlich hoch differenzierte Alge keine besonderen Fort- 'cluierpl
pflanzungsorg'ane ausbildet, wobei wir unter P^ortpflanzungsorganen solche
verstehen, welche sich von den im Dienst des vegetativen Lebens stehenden
Orofanen wesentlich unterscheiden in ihrer äußeren Gestalt. Vielmehr vermehrt
sich die genannte Form einfach derart, daß ihre verzweigten Ausläufer von hinten
her allmählich absterben, so daß die Zweige frei voneinander werden. Eine
weitere Vermehrung g'eht, wie wir schon wissen, derart vor sich, daß sich auf
den Assimilatorenunserer Alge flache Sprosse ausbilden, die sich von der Mutter-
pflanze ablösen und zu neuen vollständig'en Pflanzen auswachsen; hier wird also
die Vermehrung ermöglicht durch die Regenerationsfähigkeit einzelner Teile.
Fig 8. Macrocystis pyrifera
a: jugendlicher, b: älterer
Thallus. Vso der nat. Gr.
Aus ScHENCK nach Skotts-
BERG.
Wollen wir Fortpflanzungsorgane im
engeren Sinn und zwar solche geschlecht-
licher wie ungeschlechtlicher Art kennen
lernen, so wenden wir uns der Betrachtung der mit
CaulerPa verwandten Schlauchalge Vaucheria zu, deren schwärmsporen
„ . -r-. 1 -1 • -^TT b^i Vaucheria.
verzweigte Fäden auf feuchtem Boden oder im Wasser
anzutreffen sind. Züchten wir eine geeignete Art dieser
Gattung unter Wasser bei Lichtabschluß, so sehen wir
schon ohne optische Hilfsmittel, daß der Inhalt der
Fadenspitzen eine auffallend dunkelgrüne Färbung an-
nimmt, — das Mikroskop könnte uns zeigen, daß
dieser Inhalt von dem hellgrünen des übrigen Fadens durch eine Quer-
wand abgeschnitten worden ist, die sich in einiger Entfernung von der
Spitze durch den im übrigen nicht cellulär geghederten Faden ausspannt.
Nach einiger Zeit tritt der lebende Inhalt der Fadenspitze durch ein
Loch am Scheitel des Fadens aus und schwärmt als ovales mit bloßem Auge
wohl sichtbares Gebilde lebhaft umher, kommt dann zur Ruhe und wächst
zu einem neuen Vaucheriafaden aus, an dem sich dasselbe Spiel über kurz
oder lang wiederholen kann. Wir haben hier beobachtet die „Pflanze im Moment
der Tierwerdung", wie der Entdecker dieses Vorganges sagte, die Bildung einer
Schwärmspore, wie wir heute sagen,genauer einer ungeschlechtlichenSchwärm-
spore, denn wie wir sahen, ist sie imstande ohne befruchtet worden zu sein, zu
einem neuenFaden herauszuwachsen. Solche Schwärmspore ist ein nacktes Ge-
bilde, welches sich erst dann, wenn es zur Ruhe kommt, wieder mit Zellhaut um-
gibt; die Spitze des Fadens, innerhalb deren sich die Schwärmspore gebildet
hatte, wird als Sporangium bezeichnet. — Wollen wir nun auch geschlecht-
liche Fortpflanzung bei Vaucheria beobachten, so gilt es die Kultur recht Geschlechtliche
hell und bei verminderter Nährsalzzufuhr zu halten. Wir würden dann an den ^°y''^^'^°^g"if^^'
der GescHechts
Zellen.
2 20 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Fäden kleine eben mit bloßem Auge sichtbare seitliche Aussackungen sich
bilden sehen, und in der Nachbarschaft von jeder derselben ein kleines, horn-
förmig gekrümmtes Seitenzweiglein. Jene Aussackungen, das würde wieder-
um nur mikroskopische Betrachtung zeigen, grenzen sich von dem Faden durch
eine Wand ab und ihr Inhalt bildet eine runde, mit einem Zellkern versehene
Protoplasmamasse, die Eizelle oder weibliche Geschlechtszelle. Jene Aus-
sackung wird darnach als Oogonium benannt. In den hornförmigen Seiten-
zweigen wird ebenfalls die Spitze durch eine Querwand abgegrenzt und so
das sog. Antheridium gebildet, dessen Inhalt in eine sehr große Zahl äußerst
kleiner, beweglicher Zellen, der männlichen Geschlechtszellen oder Sperma-
tozoiden zerfällt. Diese treten aus, dringen durch eine Öffnung ins Oog-onium
ein und eines verschmilzt mit derEizelle, diese so befruchtend und ihr Entwick-
lungsfähigkeit verleihend. Freilich erfolgt hier die Entwicklung nicht sofort,
vielmehr umgibt sich das befruchtete Ei mit einer dicken Wand und wird
zur Oospore, um erst nach einiger Zeit zu einem neuen Faden auszuwachsen.
Dimorphismus So begcgiien wir denn schon bei Vaucheria jenem Dimorphismus der
Geschlechtszellen, der uns bei allen höher entwickelten Wesen entgegentritt:
die weiblichen werden in verhältnismäßig geringer Zahl ausgebildet, sind un-
beweglich und groß im Vergleich zu den weitaus kleineren, beweglichen und
in enormer Zahl produzierten männlichen Geschlechtszellen. Bei nahen Ver-
wandten der Vaucheria, z. B. jenen auch den Laien bekannten eigenartigen
Mittelmeeralgen, welche die Form kleiner Regenschirme haben (^^^/rt;/5z^/Är2«),
finden wir ein ursprünglicheres Verhalten: Die miteinander verschmelzenden
Geschlechtszellen sind ganz gleichgestaltete Schwärmer, ein Geschlechts -
dimorphismus fehlt noch. Bei der Seefeder, die ebenfalls zu den Verwandten
der jetzt in Rede stehenden Algen zählt, sind männliche und weibliche Ge-
schlechtszellen insofern verschieden, als die weiblichen etwas größer sind,
beweglich sind aber beide, und von diesem Verhalten führen unter immer
weiter fortschreitenderDifferenzierungderbeiderlei Geschlechtszellen mannig-
fache Übergänge bis zu der weitgehenden Verschiedengestaltigkeit, wie wir
sie bei Vaucheria trafen. Doch verlieren wir uns nicht zu weit in die Zellen-
lehre, sondern suchen wir nach weiteren, uns von den früheren Ausführungen
her bekannten Algen, deren äußerliche Betrachtung uns auf Fruktifikations-
Fortpflanzun- vorgängc hinwcist. Sehen wir uns zunächst Armleuchteralgen an, so finden
wir bei diesen die Geschlechtsorgane an den Kurztrieben sitzen, ein Verhalten,
das sich bei vielen anderen Algen und auch höheren Pflanzen wiederholt;
sitzen doch z. B. auch bei unseren Obstbäumen, Ulmen, Buchen usw. die
Blüten an Kurztrieben der Baumkrone. Bei bestimmten Arten würden wir
nun die Oogonien als grüne eiförmige Gebilde, sog. Eiknospen, an den Kno-
ten der Kurztriebe beobachten, und unterhalb derselben je ein rotes kugelförmi-
ges Gebilde, das sich bei genauerer Betrachtung als Antheridienstand entpup-
pen würde. (Fig. 2 a. S. 181.) Bei anderen Arten finden wir Antheridien und
OoQ-onien auf verschiedene Pflanzen verteilt. Diese würden dann im Gegensatz
zu den erstgenannten „einhäusigen" als „zweihäusige" Arten zu bezeichnen sein.
d er Armleu chter
algen
Fortpflanzung der Algen 2 21
Das befruchtete Ei wird auch hier zur Eispore; wenn diese später keimt,
so bildet sich in diesem Falle nicht alsbald die armleuchterähnliche Pflanze,
sondern zunächst ein einfacheres Gebilde, der sog. Vorkeim, der seinerseits
die fertie-e Pflanze träot. Wir haben hier einen Fall von sog. heteroblastischer Homo- und
* 1 1 1 • 1 T Heteroblastie.
Entwicklung vor uns, bei welcher im Gegensatz zur homoblastischen die
aufeinanderfolgenden Stadien der vegetativen Ontogenese einander nicht
gleichen, sondern die Jugendstadien sich von den späteren unterscheiden. — Auf
eigenartige Überwinterungsorgane der Armleuchtergewächse sei noch hin-
gewiesen, nämlich auf kleine, durch ihren Reichtum an Stärkemehl weiß aus-
schauende Knöllchen, die entweder durch Metamorphose von Rhizoiden oder
durch Umbildung von Stengelknoten entstehen und offensichtlich ein voll-
kommenes biologisches Analogen zu den Knollen der Kartoffelpflanze vor-
stellen.
Uno-eschlechthche Fortpflanzungszellen würden wir bei den Armleuchter- Fortpflanzung
'=' X o ^ . - . - bei Laminaria.
algen vermissen, dagegen würden wir solchen, aber kernen geschlechthchen
begegnen bei den Laminarien unter den Braunalgen. Hier findet man nicht
selten auf den blattartig flachen Thallusgliedern eigenartige, oft unregelmäßig
umgrenzte Flecken, sog. Sori, das sind Stände von Sporangien, innerhalb
deren ungeschlechtliche Schwärmsporen gebildet werden. Beim Blasentang
und Verwandten würden wir umgekehrt wieder keine ungeschlechtlichen Fortpflanzung
Schwärmsporen, vielmehr Eier und Spermatozoiden antreffen und auch leicht
die Stellen am Thallus beobachten können, wo sie gebildet werden. Es sind
das jene angeschwollenen Thallusenden, auf deren Oberfläche wir kleine Löcher
sehen, die ihrerseits in kleine, den Thallusenden eingesenkte Grübchen hinein-
führen, innerhalb welcher wir Antheridien und Oogonien finden. (Vgl. Fig. 4.)
Entweder sind beiderlei Geschlechtsorgane vereint in einem solchen Grübchen ;
dann haben diese Zwitternatur, oder wir haben weibliche und männliche Grüb-
chen zu unterscheiden. Diese können auch auf zwei verschiedene Individuen
verteilt sein, so beim Blasentang, bei welchem wir sonach Männchen und
Weibchen zu unterscheiden haben. Eier und Spermatozoiden werden bei diesen
Formen nach außen entleert und die Befruchtung findet außerhalb der Pflanze
statt, worauf sich die Eier in üblicher Weise mit Zellhaut umgeben und dann
zu einem jungen Keimpflänzchen auswacKsen.
Bei den Rotalgen endlich haben wir sowohl geschlechtliche wie un- Fortpflanzung
geschlechtliche Fortpflanzung. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fort-
pflanzungsorgane können auf ein und demselben Thallus vorkommen, bei
anderen Arten finden wir geschlechtliche und ungeschlechtliche Stöcke ge-
trennt, auch können weibliche und männliche Organe auf verschiedenen
Pflanzen vorkommen, diese also zweihäusig sein. Eigenartig ist es, daß
wir bei ihnen keinerlei bewegliche Fortpflanzungszellen finden, sowohl die
männlichen Geschlechtszellen, wie die ungeschlechtlichen Sporen sind ohne
eigenes Bewegungsvermögen. Im übrigen sind die Fortpflanzungserscheinun-
gen äußerst verwickelt und lediglich der genauen mikroskopischen Analyse
zugänglich. Erwähnt sei nur, daß sich das Ei im Bauchteile einer flaschen-
222 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
förmigen Zelle, des sog. Karpogons, bildet, deren Hals als „Empfängnis-
organ" dient, indem durch ihn der Inhalt der männlichen Geschlechtszellen
mit dem des Karpogons sich vereinigt, und daß man mit bloßem Auge nicht
selten die Fruchtkörper am Thallus der Rotalgen beobachten kann, die sich
nach der Befruchtung entwickeln. Vielfach sitzen sie als dunkelrote Knäuel
an den Thallusästen. Sie können auch warzenförmige Erhebungen auf dem
Thallus darstellen, so bei einer derjenigen Formen, deren Zellwände uns den
Generations- Agar liefern. — Wir haben bis jetzt bei Besprechung der Fortpflanzungs-
erscheinungen der Algen noch nicht der Erscheinung gedacht, die als Gene-
rationswechsel bezeichnet zu werden pflegt. Greifen wir auf Vaucheria
zurück, so haben wir gehört, daß bei dieser Alge die Bedingungen, welche
die Bildung ungeschlechtlicher Schwärmsporen auslösen, verschieden sind von
denjenigen, welche sie zur Bildung von Geschlechtsorganen veranlassen; man
kann durch geeignete Versuchanstellung erreichen, daß die Pflanze Schwärm-
sporen bildet, die Keimlinge dieser wieder Schwärmsporen erzeugen und so
fort, ohne daß während der ganzen Versuchsdauer geschlechtliche Fortpflan-
zung sich einstellte; von einem reg'elmäßigen Wechsel zwischen dieser und
ungeschlechtlicher Fortpflanzung ist somit nichts zu bemerken. Doch gibt
es außer solchen ungeschlechtlichen Sporen in vielen Fällen, z. B; bei den
Rotalgen andere, die dadurch gekennzeichnet sind, daß ihre Bildung mit der
Bildung von geschlechtlichen Zellen regelmäßig abwechselt; das ganze Leben
der Alge verläuft dann in zwei miteinander alternierenden Generationen, dem
sog.Sporophyten, welcher ungeschlechtliche Sporen bildet und dem sog.Game-
tophyten, welcher geschlechtliche Fortpflanzungsorgane trägt. Entweder sind
beide Generationen in vegetativer Hinsicht ganz gleichgestaltet und nur durch
ihre Fortpflanzungsorgane zu unterscheiden, oder aber beide Generationen sind
schon inihrer vegetativen Ausbildung deutlich verschieden. Auchkommtes vor,
daß der Sporophyt noch gar nicht als besondere Generation ausgebildet ist, dies
z.B. bei Vaucheria^ oder daß umgekehrt der Gametophyt zwar bei genauer Ana-
lyse des Verhaltens der Zellkerne noch nachweisbar, aber für den äußerlichen
Anblick vollkommen im Sporophyten verschwunden ist, so beim Blasentang-.
Wir haben diese flüchtig-en Bemerkungen über den Generationswechsel
nur deshalb schon hier gebracht, weil wir ihn später bei höheren Pflanzen in
einer Form wieder antreffen, in welcher er sich auch dem Laien ohne weiteres
demonstrieren läßt.
Algen Wir schließen diese Besprechung der Algenorganographie mit dem kurzen
als Objekte der Hinweis, daß diese Thallophyten noch in viel umfänglicherem Maße, als aus
expenraentellea ' r J <^ '
Morphologie, (jer Darstcllung hervorgehen könnte, der experimentellen Morphologie ge-
dient haben. Zunächst zur Untersuchung der Polarität. Als Polarität be-
zeichnen wir die Erscheinung, daß Spitze und Basis eines Thallus verschieden
gebaut sind und es ist oben gezeigt worden (S. igS), wie sie sich in der Re-
generationsweise abgetrennter Stücke von Kormophyten äußert. H. Miehe
hat nun an isolierten Zellen bestimmter, polar gebauter Algen gezeigt, daß auch
jede einzelne Zelle polaren Bau hat. Denn solch isolierte Zelle regeneriert
Generationswechsel und Lebenszyklus der Algen 223
einen Thallus, indem sie stets an ihrem basalen Pol Haarwurzeln bildet,
am apikalen aber zum Sproß auswächst. Experimente über die Entstehung
der Polarität haben des weiteren gezeigt, daß die noch nicht polarisierten
runden Keimzellen bestimmter Meeresalgen, die einseitig beleuchtet werden,
derart auswachsen, daß der heller bestrahlte Pol zum Sproßpol, der dunklere
zum Wurzelpol wird. Hier entsteht also die Polarität in Abhängigkeit von
äußeren Einflüssen, während das bei höheren Gewächsen nicht der Fall ist;
sie kann künstlich durch die Lichtrichtung induziert werden. Über sonstige
Beeinflussung der Gestalt durch die Lichtrichtung ist oben kurz einiges mit-
geteilt worden. Hier sei noch erwähnt, daß auch die Intensität des Lichtes
ein wesentlicher, gestaltender Faktor ist. Der Scheitel gewisser Rotalgen,
ferner der Seefeder wächst bei schwacher Beleuchtung zu Wurzelfäden
aus. Hier liegen also direkt bewirkbare Metamorphosen vor, wenn man bei
Thallophyten, wo noch keine so scharfe Scheidung zwischen den Teilen einer
Pflanze durchgeführt ist, diesen Ausdruck anwenden will.
Pflanzt man die Seefeder umgekehrt in den Sand des Meeresgrundes,
so beobachtet man infolgedessen, daß die nunmehr verdunkelte Sproßspitze
(und gleiches gilt von deren seitlichen Ausgliederungen, die bis dahin der
Assimilation dienten) zu Rhizoiden auswächst. Man hat hier von „Umkehrung
der Polarität" gesprochen. — Endlich sei erwähnt, daß auch Caukrpa häufig
zu entwicklungsmechanischen Versuchen gedient hat: Abgetrennte Blätter
regenerieren sowohl diejenigen Glieder, die wir oben den Wurzeln, als die-
jenigen, welche wir den Ausläufern der höheren Pflanzen verglichen, lediglich
an ihrer Basis, und wir erinnern uns hier der Tatsache, daß sich die Laubblätter
höherer Gewächse ganz ebenso verhalten, indem, wenn sie abgetrennt werden,
Neubildungen meistens an ihrer Basis auftreten. — Sodann ist Caulerpa auch
durch die Beleuchtungsrichtung in ihrer Gestalt beeinflußbar, die Ausläufer
bilden immer auf der heller beleuchteten Seite „Blätter", auf der dunkleren
„Wurzeln ".
Der Vollständigkeit halber sei noch gesagt, daß wir bei den AI- Lebenszyklus
gen wie auch sonst sowohl einjährige wie ausdauernde Arten finden; die
letzteren zeigen eine durch ungünstige Licht- oder Temperaturverhältnisse
bedingte Unterbrechung ihrer Vegetation, also eine Periodizität im Wachs-
tum. — Oft ist es einer Form nicht anzusehen, ob sie ausdauert oder nicht;
kleine Arten können ausdauern, manche Algenriesen sind einjährig. Bei den
Laminarien aber ist die Periodizität des Wachstums deutlich daran zu erkennen,
daß sie an der Grenze zwischen Stiel und Laub eine interkalare Wachstums-
zone haben, die sobald das alte ausg^edient hat, ein neues Blatt auf dem aus-
dauernden Stiel bildet, dieses hebt das alte Blatt empor, welches seinerseits
an der Spitze des zwischengeschalteten jungen noch eine Zeitlang- sichtbar
bleibt, so die Periodizität ad oculos demonstrierend. Auch an manchen anderen
Algen sind länger und kürzer lebende Teile des Thallus zu unterscheiden;
von der „Hinfälligkeit" mancher Kurztriebe war schon die Rede. Bei dem
Seeampfer ist von den blattartig verbreiterten Thallussprossen nur die Mittel-
der Algen.
2 24 ^^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
rippe ausdauernd, andere Formen sind bekannt, bei denen nur die basale
Haftscheibe perenniert.
Wir haben versucht, den Körperbau der Algen einigermaßen genau zu
schildern in der Absicht, uns dadurch vorzubereiten auf die Erörterung der
Probleme, welche uns bei der Morphologie der höchsten Pflanzen wieder
entgegentreten, da ja die „Gesetze der Gestaltung", welche die Formen dieser
beherrscht, bei jenen zwar noch nicht so scharf umrissen, aber doch schon
deutlich zu erkennen sind. Bei den übrigen Thallophyten aber müssen wir
uns weit kürzer fassen und nur einige prinzipiell wichtige Punkte hervorheben.
Pilze. Es sind das die Pilze im weitesten Sinn. Zuerst die Schleimpilze, deren
vegetative Zustände als nackte Protoplasmamassen von oft ansehnlichen Dimen-
sionen auf altem Laub oder Holz usw. dahinkriechen. Sodann die Bakterien,
zu deutsch Spaltpilze genannt, weil ihre umhäuteten Zellen sich durch
Spaltung in zwei gleiche Tochterzellen vermehren; dem bloßen Auge er-
schließen sie sich bloß dann, wenn sie in riesenhafter Individuenzahl vereinigt
Lösungen nahrhafter Stoffe trüben oder mit einer Kahmhaut überziehen, oder
beispielsweise Zuckerlösungen in Gallertklumpen verwandeln. Man betrachtet
sie vielfach als farblose Parallelgruppe der blaugrünen oder Spaltalgen, die
sich gleichfalls durch Zellspaltung vermehren. — Auch die höher entwickelten
Pilze, — es sind das einmal die Algenpilze, sodann die Fadenpilze, — werden
als farblose, des Chlorophylls oder analoger, die Kohlensäureassimilation
ermöglichender Färb Stoffe entbehrende „Parallelgruppe" der Algen bezeichnet.
- Diesen letzteren Ausdruck darf man nicht falsch verstehen; es handelt sich in
Wirklichkeit um mehrere Gruppen, die phylogenetisch von Algen oder algen-
ähnlichen Formen abgeleitet sind; bei der ersten Pilzgruppe, den sogenannten
Algenpilzen, ist das schon im Namen angedeutet, sie werden wohl als Ab-
kömmlinge jener Schlauchalgen betrachtet, zu welchen die oben mehrfach
besprochene Caulerpa gehört, da auch bei ihnen der Thallus eine einzige,
äußerlich oft reich gegliederte Zelle ist. Die höheren Pilze werden vielfach
mit Vorbehalt von den Rotalgen hergeleitet, wenigstens ein Teil derselben;
wir wollen diese sehr kontroversen Fragen hier nicht weiter verfolgen. Unter
allen Umständen zeig-en die Pilze aufs deutlichste, zu welch toter Morphologie
wir kämen, wenn wir versuchten, ihre Gestalt lediglich auf Grund der Gestalten
ihrer Vordem zu begreifen, denn der ganze äußere Körperbau wird nur dadurch
verständlich, daß die Pilze Wesen sind, welche von vorgebildeten organischen
Massen zehren und nicht wie Algen darauf angewiesen sind, mit blattartig
verbreiterten Flächen oder durch sonstige Gestaltungseigenarten das Licht
aufzufangen und auszunützen. Wir sehen darum die große Mehrzahl der Pilze
in Form eines fadenförmigen, verzweigten Thallus wachsen, dessen Zweige
mit Spitzenwachstum begabt sind, also in ähnlicher Ausbildung, wie wir
ihn bei einfacher organisierten Algen antrafen und mit dem sie auf weite
Strecken toten Moder oder lebendes Gewebe durchziehen und nach Nahrung
absuchen.
Pilze
225
Die Pilzfäden nennt man Hyphen, ihre Gesamtheit das Myzel des Pilzes. Piizhyphen,
So treffen wir denn auch hier wieder jenes „Wandervermögen" des vegetativen ' ^^^^^ '
Phallus, das uns bei einzelnen Algen schon auffiel, und durch welches die
Pilze neuen Boden und damit immer neue Nahrung' erobern, in beschränkterem
Maße allerdings, als sie es tun durch ihre Fortpflanzungszellen, die wir zu-
nächst nicht weiter beachten. Den Bakterien geht solch mit Spitzenwachstum
wanderndes Myzel ab, da diese einzellige Wesen sind; hier wird durch die
ungeheure Zahl von Individuen, die durch die mannigfachsten Agentien leicht
verbreitet werden, diesem Mangel entgegengearbeitet.
Das Myzel der Pilze nun im einzelnen zu schildern,
würde uns zu weit führen und auch kaum Gelegenheit zur
Diskussion prinzipieller Fragen geben. Es genügt wohl der
Hinweis, das solch ein Myzel oft sehr gleichmäßig aus-
gestaltet sein kann. Betrachten wir z. B. das des Pinsel-
schimmels mit einer recht starken Lupe, so können wir
ein unter monopodialer Verzweigung dahinkriechendes
Fadengewirr beobachten, und an diesem ausgewachsene
Teile und wachsende Spitzen der Zweige unterscheiden; im
übrigen sind die nahrungaufnehmenden Teile und die die
Ausbreitung des Myzels besorgenden entweder nicht gestalt-
lich differenziert oder aber als „Wanderhyphen" und
„Saughyphen" zu unterscheiden^ erstere den Lang-,
letztere den Kurztrieben anderer Gewächse einiger-
maßen vergleichbar. Reicher ausgestaltet ist das
Myzel anderer gemeiner Pilze, so einer Form, die zu
den Kopfschimmeln gehört und wie der Pinsel-
schimmel auch im menschlichen Haushalt oft
lästig fällt. Obwohl hier das ganze Myzel einzel-
Fig. 9. Der Kopfschimmel Rhizopus
nigricans , an einer senkrechten
Glaswand mittels seiner Ausläufer
lig ist, sehen wir doch an ihm zunächst Büschel von emporkiettemd Vergr. 8. Nach
"-" ' Wehmer.
Fäden, die den Pilz befestigen und aus dem Substrat
Nahrung aussaugen. Ganz anders sind die Teile des Myzels, die dessen Ver-
breitung besorgen, es sind das Ausläufer, die bogig über die Unterlage dahin-
wachsen, um sich in einiger Entfernung wieder in dieselbe mit büschelförmigen
Gliedern hineinzusenken (Fig. 9). Hier ist also Arbeitsteilung eingetreten. Wir
sehen unschwer eine Analogie zu Caulerpa, mit dem Unterschied, daß bei
dieser auch noch Assimilatoren in die Höhe ragen, während der Pilz, der
seine ganze Nahrung aus dem Substrat bezieht, nach oben bloß die Teile
des Myzels, welche Sporen bilden, sendet. — Besondere Anhangsglieder
des Myzels, die wir nur bei parasitischen Pilzen antreffen, sind die schon in
der Einleitung kurz genannten Saugorgane oder Haustorien, mittels deren Haustorien
Stoffe aus den Wirtszellen ausgesaugt werden. Eine genauere Beschreibung '^^' P'izen.
erübrigt sich um so mehr, als nur das Mikroskop ihren Bau erschließt. Wir
werden Haustorien, die größer und auffälliger sind, bei denjenigen Blüten-
pflanzen, die wie parasitische Pilze schmarotzen, wieder begegnen. Derbere
K. d. G. m.iv, Bd 2 Zellenlehre etc.
226
W. Benecke : Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Plektenchyra.
Einfluß der
Außenwelt auf
die Pilzgestalt.
Fortpflanzung
der Pilze.
Gewebemassen, flächenartig ausgebildete Körper u, ä. treffen wir im Reich
der Pilze einmal da an, wo es sich um die Bildung der Fortpflanzungsorgane
handelt; Hüte und ähnliche Gebilde sind, wie gleich noch zu zeigen sein wird,
Fruchtkörper der Pilze, deren Bau in Beziehung zu der Bildung und Aus-
streuung der Sporen steht. Sonst finden wir bei den Pilzen derbe Gewebe-
massen noch in jenen Fällen, in welchen ihr Körper dicke Stränge ausbildet,
die der Leitung des Wassers und der darin gelösten Nährstoffe, etwa beim
„Hausschwamm", dienen oder auch Dauerzustände sind, wie die „Rhizo-
morphen", die der Hallimasch unter der Rinde seiner Wirtsbäume bildet;
ferner dann, wenn es sich um andere Dauerorgane handelt, in
denenReservestoffe in kompendiöserWeise auf engem Raum auf-
gespeichert werden. Jedermann kennt diese Dauergebilde bei
dem Mutterkornpilz (Fig. lo). Sie werden Sklerotien, von
CKXripoc = hart, benannt. Sie entstehen, wie auch die Frucht-
körper der Pilze, derart, daßPilzhyphen mittels Spitzenwachstums
sich dicht durcheinanderflechten. Gewebe, die so entstehen, hat
man im Gegensatz zu dem Parenchymgewebe anderer Pflanzen
als Pseudoparenchym oder als Plektenchym bezeichnet.
Die Pilze dürfen wir als eine gestaltlich reduzierte Pflanzen-
gruppe bezeichnen. In biolog^ischer Hinsicht beobachten wir aller-
dings bei ihnen eine Erscheinung, die wir mit Rücksicht auf die
Entwicklung des gesamten Pflanzenreichs als fortschrittlich
gegenüber den Algen bezeichnen dürfen. Sie emanzipieren sich
mehr und mehr vom Leben unter Wasser und gewöhnen sich
terrestrisches Leben an. Die Fadenpilze sind dem letzteren
Big. 10. Koggen- ^
ähre mit Sklerotien Leben durchweg angepaßt, die Algenpilze teilweise ebenfalls.
des Mutterkornpil- n n n r • r^ t->'i
zes. 7, der nat. Gr. Den Eiufluß äußcrcr Faktoren auf die Gestaltung der Pilze
zu zeigen, würde sehr weit führen. Begreiflicherweise ist das
Licht nicht von der gleichen maßgebenden Bedeutung wie bei anderen
Pflanzen, sie zeigt sich aber z. B. darin, daß die Fruchtkörper in Dunkelheit
anomal ausgebildet werden, in anderen Fällen die Stiele der die Sporen
tragenden Gebilde überverlängert werden, also eine Erscheinung, die man
auch an verdunkelten Achsen höherer Pflanzen findet und dort als Etiolement
benennt. Bei den Pilzen ist das ökologisch in vielen Fällen so zu verstehen,
daß da, wo Licht ist, auch Luft ist, die Organe suchen das Licht, um an die
Luft zu gelangen, in welchem Medium die Sporen sich verbreiten: Ein Faktor,
Licht, bedingt die Anpassung, ein anderer, mit ihm vergesellschafteter, Luft^
ist es, an den die Anpassung stattfindet.
Wir wollen nun einen zusammenfassenden Überblick über einige der wich-
tigsten Fortpflanzungserscheinungen der Pilze, soweit sie uns bei oberfläch-
licher Betrachtung entgegentreten, zu geben suchen. Hatten wir die vegetati-
ven Formen der Bakterien dem Mikroskopiker überlassen müssen, so gilt das-
selbe auch von derenFortpflanzungserscheinungen, der Bildung der Bakterien-
sporen. Immerhin wollen wir darauf hinweisen, daß eine bakterienähnliche
Fortpflanzung der Pilze
227
Fig. 12. Geschlossene
und geöffnetes Sporen-
gehäuse des Schleimpilzes
Trichia varia. Vergr. 6.
Nach SCHENCK.
Fig. 13. Ausläufer-
treibender Kopf-
schimmel. Drei Spo-
rangien, eines davon
sich öffnend. Vergr.13.
Nach SCHENCK.
Fruktifikation
der Algenpilze.
Gruppe, die Schleimbakterien, deren vegetative Zellen einen dem bloßen
Auge wenig- auffallenden „Schwärm" bilden, eigenartige Fruchtkörper be- Fruchtkörper der
sitzen, die als gefärbte Cysten — Sporangien — auf Mist auftreten und dem bakterien.
unbewaffneten Aug^e sichtbar sind. Da diese Cysten bei bestimmten Formen
gestielt sein, der Stiel auch verzweigt sein kann, hat man hier in ganz an-
schaulicher Weise von Bakterienbäumen gesprochen. (Fig. ii.) Eine eigen- Fruchtkörper
artige Konvergenzerscheinung dürfen wir darin erblicken, daß diesen Ge-
bilden einigermaßen ähnlich sind die Sporangien bei den Schleimpilzen, die
man auf altem Laub und Holz gleichfalls in Form sitzender oder gestielter, ge-
färbter Cysten findet, und die sich in einer oft recht zierlichen Weise öffnen,
um die Sporen zu entlassen. (Fig. 12.) Der allbekannten „Lohblüte" gehen der-
artige Einzelsporangien ab, die Sporangien treten hier vielmehr zu großen
Fruchtkörpern zusammen. —
DenBakterien fehlt geschlecht-
liche Fortpflanzung soweit man
weiß, während bei den Schleim-
pilzen Geschlechtsprozesse und
Generationswechsel vorkom-
men. — Gehen wir nun über
zu den Alp"enpilzen, so finden
^ ^ ' _ _ Fig. II. Frucbtkör-
wir hier geschlechtliche wie per der Schieim-
, , 1 , 1 • 1 T^ j n bakterie Chondro-
ungeschlechtliche Jbortpiian- „,yces apicuiatus.
zung. Ungeschlechtliche Fort- , ^^s""- '°°- ,
ö ö Aus ScHENCK nach
pflanzungsorgane sind z. B. die thaxter.
Sporangien beim Weißen Rost, welche die .wohl auch jedem Laien be-
kannten weißlichen Auftreibungen an den von diesem Parasiten befallenen
Stengeln von Kreuzblütlern bedingen, ferner die Sporangienträger der
Erreger der Kartoffelkrankheit, die auf Kartoffelblättern einen schimm-
ligen Überzug bilden. Noch bekannter sind die etwa stecknadelkopfgroßen,
auf langen Stielen sitzenden Sporangien des Kopfschimmels und Ver-
wandter, die so gern auf Mist sich zeigen (Fig. 13); die Sporen werden aus den
Sporangien dadurch frei, daß ihre Wand zerfließt. Ein besonders eigenartiger
Geselle ist der gleichfalls auf Mist nicht selten auftretende Pilobolus, der seine
reifen Sporangien vom Stiel abschleudert, so die Sporenverbreitung fördernd.
Was geschlechtliche Fortpflanzung der Algenpilze angeht, so haben wir
Antheridien und Oogonien; so beim eben genannten weißen Rost und vielen
anderen hierher gehörigen parasitischen und saprophytischen Formen. Bei
den Kopfschimmeln und Verwandten zeigt sich eine eigenartige Form ge-
schlechtlicher Fortpflanzung, wir würden sie wohl am leichtesten beobachten
bei einer hierher gehörigen Form, die auf faulenden Hutpilzen im Herbst als
brauner filzartiger Überzug nicht selten ist: Zwei Hyphen des Myzels wachsen
einander entgegen, verschmelzen mit ihren Spitzen und als Produkt dieses
Geschlechtsaktes bildet sich eine an besagten zwei Hyphen aufgehängte sog.
„Brückenspore", die als schwarzes Gebilde sichtbar ist, bei bestimmten Arten
15'
2 28 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
auch mit zierlichen Anhängseln versehen sein kann. Dies war eine ganz kleine
Blütenlese aus den Fortpflanzungserscheinungen der Algenpilze. Kommen
wir zu den Fadenpilzen, und zwar zuerst den sog. Schlauchpilzen.
Frukrifikation Allbekannt sind die ungeschlechtlichen Fortpflanzungszellen beim Pinsel-
der
Schlauchpilze, schimmcl und Verwandten, die massenhaft erzeugt diesem Pilz die grüngraue
Färbung verleihen. Man nennt sie hier Conidien, weil sie anders als die
Sporen nicht in Gehäusen gebildet sondern als einzellige Gebilde äußerlich
am Myzel abgeschnürt werden. Auch Fruchtkörper, deren Bildung Folge
von geschlechtlichen Vorgängen ist, könnten wir bei dem genannten Pilz
beobachten, geeigneter für besagten Zweck aber wäre der Mehltau, dessen
schwarze mit Anhängseln versehene Fruchtkörper man in dem weißen Myzel
dieses Schmarotzers beobachten kann. Bei andern hierher gehörigen Formen
besitzen die Fruchtkörper Krugform und können auch zu vielen sehr
verschieden gestaltete als Stromata bezeichnete Gebilde zusammensetzen, die
sich keulenförmig vom Substrat erheben, oder kegel-
oder krustenförmig gestaltet sein und auf toten Ästen,
an alten Baumstümpfen im Wald usw. leicht beobachtet
werden können. Hierher gehört auch der Mutterkornpilz,
dessen oben schon erwähnte Sklerotien bei der Keimung
gestielte rundliche Fruchtkörper bilden, deren Sporen die
Fig.i4.SkIerotium desMutter- . , p, • n • /t— \ tt i • i ••
kornpiizes mit Schiauchfrüch- Getreidepflanzcn mnzieren. {t ig. 1 4.) Und wenn wir hören,
ten. Nach weitstein. ^^ß dicserPüz, während er denFruchtknoten seines Opfers
durchwuchert, noch eine andere Form von Fortpflanzungsorganen, nämlich
Conidien bildet, so wird es einleuchten, daß der Entwicklungsgang eines
solchen Pilzes sehr kompliziert sein kann und daß nur genaue Beobachtung
darüber entscheidet, welche Fortpflanzungsorgane in den Entwicklungsgang
eines und desselben Pilzes gehören. — Bekannt sind dann die Scheibenpilze,
deren oft stattliche, gefärbte, fleischige Fruchtkörper von Napfform uns auf
altem Holz, auf dem Waldboden usw. auffallen. Hierher gehört auch die
Morchel, deren Fruchtkörper gut bekannt ist, verwandt sind auch die Trüffeln
mit ihren vielbegehrten Früchten, die im Gegensatz zu den eben genannten
Fruchtkörpern unterirdisch wachsen.
Fruktifikation Als höchstc Gruppe folgt die der „Basidienpilze". Hier würden zuerst
Basidienpiize. kommcn dic als Schmarotzer gefürchteten Brand- und Rostpilze, bei welchen
ebenfalls die Fortpflanzungszellen besonders auffallen. Wer hätte noch nie
einen von den schwarzen Brandsporen erfüllten Fruchtknoten einer Getreide-
art, die von den gleichen Gebilden erfüllten Brandbeulen des Mais, oder die
verschieden geformten und gefärbten Sporenlager der Rostpilze auf den
Blättern ihrer Wirtspflanze gesehen! Auch hier haben wir bei ein und der-
selben Pilzart eine auffallende Mannigfaltigkeit der Sporen, die sich makro-
skopisch durch den Ort ihres Vorkommens, durch Form und Farbe der Sporen-
lager, durch die Zeit ihres Auftretens, auch durch die Wirtspflanze, auf der
sie sich bilden, unterscheiden lassen. Wir wollen hier einfügen, daß eben
solche Pilze besonders dazu angetan sein müssen, die oben bei den Algen
Fortpflanzung der Pilze — Flechten 2 20
flüchtig berührte Frage nach dem Generationswechsel aufzurollen. Doch
müssen wir uns auf die Bemerkung beschränken, daß ein solcher bei den
Pilzen ebenfalls nachgewiesen ist, und daß sein genaueres Studium erst ein
wirkliches Verständnis für den Entwicklungsgang der Pilze erschließt. —
Allbekannt sind die als Hüte bezeichneten Fruchtkörper des Champignons
Steinpilzes und Verwandter, die bei ersterem an den Lamellen, bei letzterem
in den Löchern der Unterseite die Sporen bilden, ferner die konsolförmigen
Fruchtkörper der Löcherpilze; auch sei erinnert an den fladenförmigen Frucht-
körper des Hausschwamms, der auf seiner Oberseite Sporen trägt, und noch
eine Unzahl mehr oder minder abweichender Formen wäre zu nennen. Am
auffallendsten aber sind die Fruchtkörper gestaltet bei den Bauchpilzen, bei
welchen eine zunächst geschlossene später in verschiedener oft sehr zierlicher
Weise sich öffnende Hülle das die Sporen erzeugende Gewebe umgibt;
hierher gehören u, a. die Boviste mit ihren rundlichen Fruchtkörpern.
Hexenei, Giftmorchel usw. erinnern uns ferner teilweise an die Form, teil-
weise auch an manchen Volksaberglauben, den diese eigenartigen Gestalten
im Gefolge hatten. Stets steht deren Ausbildung in irgendeiner Weise mit
der Reife und Verbreitung der Sporen im Zusammenhang. Einige dieser
Körper sind so zierlich gebaut und so auffallend gefärbt, daß man sie
mit dem Namen „Pilzblumen" zu belegen für gut befunden hat. —
Unser allerdings überaus summarischer Überblick über die Pilzgestalten Flechten,
hat uns darüber belehrt, daß hier blattähnliche Ausgliederungen, die als Assi-
milatoren dienen und die Lichtstrahlen behufs Assimilation der Kohlensäure
abfangen, infolge der den Pilzen eigenen Ernährungsweise fehlen. — Um so
beachtenswerter sind die Körpergestalten der Flechten, denen wir uns nun-
mehr zuwenden. Die Flechten sind bekanntlich Thallophyten, welche als
krustenförmige Überzüge auf Felsen oder Baumrinden, als zopfartige Ge-
bilde an Asten, als Sträuchlein, die am Boden wachsen, uns entgegentreten
und die gebildet sind durch eine Vergesellschaftung von Pilzen, und zwar
meistens Schlauchpilzen mit einzelligen Algen, in welchen die letzteren die
Rolle der Chlorophyllkörner höherer Pflanzen übernehmen, während der Pilz
etwa dieselben ernährungsphysiologischen Funktionen hat,wie die farblosen Ge-
webe und Organe jener und auch durch seine Hyphengeflechte, sog. Rhizinen,
für die Befestigung am Substrat sorgt. Jedenfalls ist die Flechte als Einheit be-
trachtet ein Gewächs, welches die Kohlensäure am Licht assimiliert wie Algen
oder höhere Pflanzen, und Hand in Hand mit dieser Ernährungsweise sehen
wir bei den Flechten Körpergestalten auftreten, die denen anderer die Kohlen-
säure assimilierender und ans Lichtleben angepaßter Gewächse durchaus
analog sind, den Pilzen aber abgehen. Man bezeichnet die Flechten in bio-
logischer Hinsicht als Symbiose zwischen Pilz und Algen, Reinke hat darauf
aufmerksam gemacht, daß sie auch in morphologischer Beziehung als be-
sondere Gruppen betrachtet werden müssen, nicht, wie es sonst geschieht,
als eine Gruppe der Pilze, und daß diese Gruppen ihre besondere stammes-
geschichtliche Entwicklung durchgemacht haben wie andere Gruppen des
230
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Pflanzenreiches auch. Er bezeichnet die Flechten als Konsortien von Algen
und Pilzen, um einen Namen zu schaffen, der die morphologische Einheit des
Flechtenkörpers zum Ausdruck bringen soll.
Folgen wir nun, um das Gesagte zu erläutern, den Ausführungen
Reinkes, so hören wir zunächst, daß die Flechten eine ganze Anzahl stammes-
geschichtlicher Reihen umfassen, welche
ihrerseits übrigens nicht einfach sind, sondern
sich mehrfach spalten, und von primitiven
Formen zu komplizierteren führen, wir dürfen
auch sagen vollkommeneren, da diese der Er-
nährungsweise besser angepaßt sind. Formen,
die alle erst von den Konsortien erworben
sind, weil es keinen Pilz gibt, der einen dem
Licht- und Luftleben angepaßten Thallus be-
säße". Es ist lehrreich zu sehen, wie z. B. in
einer Reihe zuerst ein warziger Thallus auf-
tritt, der sich bei höheren Formen korallen-
artig umbilden und bei noch höheren stark
differenzierte Sträucher mit Hauptästen und
Bildung zahlreicher dünnerer Seitenäste dar-
stellen kann. In anderen Fällen beobachten
wir als Anfangsglied einer Reihe einen
krustenförmigen Thallus, es schließen sich an
Formen, die einen reich verzweigten, dorsi-
ventralen Thallus aufweisen, der sich bei
weiteren röhrenförmig umlegt. Es schließen
sich an solche Formen, bei welchen die
Röhrenbildung wirklich vollzogen ist und der
Thallus in Form einer Röhre d. h. eines nun-
mehr radiären Gebildes, nur noch mit einer
Haftscheibe festsitzt. Noch kompliziertere
Formen entstehen dann, wenn sich außer dem
|/i eben in seiner progressiven Gestaltung ge-
* schilderten Thallus noch ein sekundärer Thallus
ausbildet, wenn ein sogenanntes Podetium hin-
zukommt, das entsteht indem der Fruchtstiel
nat.Gr. ^Podetium, « Schiauchfrucbt. des Pilzcs auch seincrscits Algen aufnimmt.
ÄSchiauchfrucht. stärker vergr. Nach reinke. g^j^j^ Podctium kauu dann auch, iudcm der
primäre Thallus schwindet, allein übrig bleiben, gleicht dann durch seine
vertikale Stellung im Raum einem Stengel höherer Pflanzen und an ihm
können sich als seitliche, dorsiventrale Ausgliederungen Gebilde entwickeln,
die in Form und Stellung etwa Blättern gleichen. (Fig. 15.) So sehen wir
denn hier wie die Flechtenpilze, weil ihre Konsorten ihnen andere Er-
nährungsweise ermöglichen, sich auch phylogenetisch anders als andere Pilze
A B
Fig. 15. Die Flechte Cladonia verticillaris in
Fortpflanzung der Flechten 2 3 1
und zwar selbständig in mehreren Reihen weiter entwickelt haben, zu Ge-
stalten, die denen höherer Pflanzen mehr oder minder analog sind.
Sehr beachtenswert ist, daß nicht nur in der Gestalt, sondern auch in
vielen physiologischen Reaktionen die Flechten anderen assimilierenden
Wesen gleichen: Von manchen blattartig gebauten Flechten hat man nach-
gewiesen, daß sie sich durch entsprechendes Wachstum ihres Thallus stets
senkrecht zum Lichteinfall einstellen.
Wenden wir uns in aller Kürze den Fortpflanzungserscheinungen der Fortpflanzung
Flechten zu: Nicht selten sehen wir am Flechtenthallus Gebilde, die uns ^''^ siechten.
ohne weiteres erinnern an Fruchtkörper wie wir sie bei Pilzen angetroffen
haben, z. B. schüsseiförmigen Fruchtkörpern, wie sie den früher erwähnten
Scheibenpilzen eignen. (Fig. 15, 16,) Tatsäch-
lich handelt es sich dabei auch um die Frucht- — --^^oJ-^^pff^S X )
körper des Pilzes, welcher in Symbiose mit -^^^''^ z^^V^/ Y
den Algen lebt, die letzteren haben meistens ^^^--^^WlV^W^j^^ /
daran keinen Anteil; keimen die Sporen die W^^}^^ ^^^^^^
jener Fruchtkörper gebildet hat aus so ent- -^^^^^^^^^^^^cS^ >?v^ ^'^
wächst ihnen lediglich das Pilzmyzel und ^^^^^^^^^Pa\ ' ^ '
dies muß sich erst die Alge aufsuchen um 'v ^^^^^^-J~
wieder zu einem Flechtenthallus zu werden. (i^^^k—L
Vegetativen Fortpflanzungsorganen aber, iMv^^-^^^^^
die beide Konsorten umfassen, begeg'nen '^^<^^^yl^ ^^^^
wir bei der sog. Soredienbildung der //\ v --^^^
Flechten. Bei dieser nimmt der Flechten- /p>^
thallus eine krÜmelig'e Beschaffenheit an, Fig. 16. Die Flechte Usneabarbata mit Frucht-
,. 1 /,, ,, in- T -1 körpern (ai). Nat. Gr. Nach Schenck.
die darauf beruht, daß im Innern sich
die Algen zu Gruppen sondern, die von Pilzhyphen umsponnen werden;
so entstehen in großer Zahl rundliche Gebilde im Flechteninnern, die
z. B. durch Sprengung der äußeren Thalluspartien ins Freie geraten, vom
Wind verbreitet werden und an geeigneten Stellen wieder zum Flechten-
thallus auswachsen. Werden Soredien an einem bestimmt umgrenzten Teil des
Flechtenthallus gebildet, so nennen wir diesen Teil ein Sorale. Auch kann
die Rinde der Flechten zu kleinen dicht nebeneinander stehenden Hervor-
sprossungen auswachsen, die im Innern Algen führen und sich loslösen; man
redet dann von Isidienbildung der Flechten.
Wir kommen nun zur Behandlung der Moose, Pflanzenformen, welche Moose,
man ableitet von den Algen, ohne daß Einigkeit erzielt wäre, von welchen
Algen. Von H. Schenck wird die Anschauung verfochten, daß Braunalgen
oder diesen ähnliche Formen ihre Vorfahren gewesen seien, während andere
versucht haben, sie von den Grünalgen herzuleiten. Wie dem auch sei, wir
können diese Frage schon um deswillen nicht eingehend behandeln, weil die
Diskussionen sich nur zum Teil auf die Ausbildung des Thallus, im übrigen
auf den Bau der Fortpflanzungsorgane, die wir hier nicht eingehend behandeln
232 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
können, stützen, und begnügen uns darum zu sagen, daß sie sich vielleicht recht
spät in mehr und mehr fortschreitender Anpassung an das Landleben aus algen-
ähnlichen Pflanzen entwickelt haben dürften; denn daß Moose zum allergrößten
Teil terrestrische Gewächse sind, wissen wir alle. Vielfach allerdings finden
wir unter ihnen solche, die feuchte Standorte den trockenen vorziehen, „hygro-
phytische" Gewächse. Daneben fehlen aber andere nicht, die auf trockenem
Boden mit anderen Wesen zu konkurrieren vermögen, also „Xerophyten",
wie der Botaniker solche nennt. Wasserpflanzen, die wir in Fortführung dieser
Terminologie als „Hydrophyten" bezeichnen müßten, treten, wie gesagt, bei
den Moosen zurück, es sind Arten, welche die terrestrische Lebensweise wieder
aufgegeben haben. — Für unsere Betrachtungen ist es natürlich von großem
Interesse zu verfolgen, wie sich die mehr oder minder große Feuchtigkeit des
Standorts auch im Bau unserer Formen widerspiegelt. Auch noch aus anderem
Grund sind eben die Moose für uns von besonderer Bedeutung, die eine etwas
genauere Behandlung rechtfertigt: Nachdem wir bislang Thallophyten
behandelt haben, treffen wir bei den Moosen zum ersten Mal solche Gestalten,
die wir als Kormophyten bezeichnen, bei welchen wir also eine typische
Ausgestaltung des Sprosses in Achse mit seitlichen Blättern finden, sodann
mannigfache Übergänge zwischen thallo- und kormophytischer Ausgestaltung.
Die Erörterung der Frage, ob der beblätterte Moossproß dem der Farne und
Blütenpflanzen nun wirklich homolog ist, versparen wir uns besser auf später,
wenn wir die Moose kennen gelernt haben. Hier bemerken wir noch, daß
typische Wurzeln den Moosen fehlen, statt ihrer finden wir sogenannte Haar-
wurzeln, Rhizoiden, die uns schon bei vielen Algen begegneten. Solche
genüg-en für die Bedürfnisse des Moospflänzchens, das meistens von geringen
Dimensionen ist, es erreicht nur bei bestimmten exotischen Moosen die Höhe
von etwa einem halben Meter.
Laub- und Die Moosc werden eingeteilt in Laubmoose und Lebermoose. Die erste-
ren sind typisch kormophy tisch gestaltet, die letzteren sehr viel formenflüssiger,
denn eben unter ihnen finden wir mehrfache Übergänge zwischen thallophyti-
schen und kormophytischen Gewächsen.
Wir beginnen mit der Besprechung der Lebermoose und schließen die der
Laubmoose an. So kommen wir nach dem eben Gesagten, von thallophyti-
schen Formen ausgehend, endlich zu kormophytischen, die der Gestalt nach
den Übergang zu den höheren Pflanzen vermitteln, und das ist für unsere Be-
trachtungsweise das beste. Doch wollen wir nicht unterlassen, ausdrücklich
darauf hinzuweisen, daß dieser Weg keineswegs derselbe sein muß, den die
Phylogenie der Moose zurückgelegt hat, im Gegenteil sprechen gewichtige
Gründe dafür, daß die Lebermoose der stärker abgeleitete Typus sind; be-
stimmte Formen derselben, die einen einfachen Thallus haben, können gleich-
wohl als die stammesgeschichtlich höchst stehenden betrachtet werden,
die von kormophytischen Formen abzuleiten sind. Wir kommen darauf zurück,
wenn wir nach Behandlung der Moosgestalten einen kurzen Blick auf
deren Fortpflanzung, den Generationswechsel werfen, betonen also vor-
Lebermoose.
Lebermoose
'■33
läufig, daß man sich hüten muß, aus dem bloßen Anblick der Vegetations-
organe, ohne Rücksicht auf den gesamten Entwicklungsgang die Stellung
einer Gruppe im phylogenetischen System zu beurteilen.
Betrachten wir zunächst die Lebermoose in ihrer Gesamtheit, so finden Lebermoose
wir, daß sie mit wenigen Ausnahmen dorsiventrale Pflanzen mit verschieden-
artig ausgebildeter Rücken- und Bauchseite sind, gleichgültig, ob sie thallos
gebaut sind oder Beblätterung zeigen. — Wenden wir uns zuerst den thal-
losen Formen zu, so stoßen wir auf die Gruppe, die mit der schon eingangs
genannten Marchantia verwandt ist. Das Leberkraut
bietet eines der schönsten Beispiele für einen dorsiven-
tralen Thallus. Dieser „kriecht" mittels Scheitelwachs-
tums als dichotom sich gabelndes Gebilde von i bis 2 cm
Breite auf dem Boden dahin. Innerlich, wie wir weiter
nicht beachten, recht kompliziert gebaut,zeigt er äußer-
lich eine Mittelrippe, sodann von Anhangsorganen zu-
nächst sogenannte Bauchschuppen, Ventralschuppen,
ferner Haarwurzeln, die gleichfalls der Bauchseite
entsprießen und den Thallus sowohl befestigen, als
auch ihm aus dem Boden Nährsalze und Wasser zu-
führen, während der Thallus selbst, der ja infolge
seiner Lage dem Licht seinen Rücken voll darbietet,
für die Assimilation der Kohlensäure sorgt.
Auch die Ventralschuppen haben ihre biologische
Bedeutung. Sie schützen den Veg-etationspunkt und
'-' "-^ ■"■ Flg. 17. Marchantia polymorpna,
stehen sodann im Dienste der Wasserökonomie, indem xhaiius von der Unterseite. „Der
, •IT-IT 1 -11 rii 11 Mittelrippe anliegend ein dichter
sie zwischen sich Wasser kapillar lesthalten, welches Rhizoidenstrang, mit diesem ver-
Ventralschuppeu.
Haarwurzeln.
dann dem Thallus zugute kommt (vgl. Fig. 17).
o;^ einigen sich die meist unter den
äußeren Schuppen entspringenden
können diese Doppelfunktion auch durch ihren Bau K.hizoidenstränge ; einzelne rm-
. zoiden entspringen auch frei auf
verraten, indem sie bestehen aus Spitzenanhängseln, dem xhaiius." vergr. 3. Nach
die den Scheitel des Thallus umhüllen und der eigent-
lichen Schuppe, welche Wasser festhält und auch die Rhizoiden, die sich
zwischen ihnen zu einem Docht verflechten können, gegen Austroknung
schützen. Man hat ermittelt, daß bei Formen, die auf besonders feuchte
Standorte beschränkt sind, dieses Schuppenkleid eine Rückbildung erfährt,
und daß die Ausbildung auch bei ein und derselben Art mit den Standorts-
bedingungen wechseln kann, lehrt ein Blick auf die Gattung Riccia.
Diese Gattung bildet gabelig geteilte Thalli von einfachem Bau, die
man aus dem komplizierteren von Marchantia und Verwandten wahrscheinlich
als durch Rückbildung hervorgegangen betrachten darf. Sehen wir uns die
auch bei uns einheimische Riccia natans an, so finden wir, daß deren Thallus
entweder auf dem Wasser schwimmt oder auf feuchtem Grunde lebt. Im
letzteren Fall finden wir die Ventralschuppen nur in Form kleiner Gebilde,
die den Vegetationspunkt schützen ; bei der Wasserform tun sie das zunächst
auch, doch wachsen sie hier sodann zu größeren Flächen heran, die Wasser
form.
234 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
und Nährsalze aufnehmen, aber auch Chlorophyll ausbilden können und so
der Assimilation dienen; Goebel sagt, daß man hier geradezu von Blättern
sprechen kann. Endlich sind sie wohl auch wie die Wurzeln der Wasser-
linsen dazu berufen, die Pflanze auf der Wasseroberfläche zu stabilisieren.
Es handelt sich, wie man sieht, um eine außerordentliche, wohl begreifliche
„Funktionsbereicherung-" eines Organs, eine funktionelle Metamorphose wäh-
rend der Ontogenese, die durch die direkte Bewirkung seitens der Außen-
bedingungen ausgelöst wird. Bei einer anderen Art {R.fluitans, Fig. 1 8), die
häufig submers lebt, somit mittels der ganzen Oberfläche Wasser und Nähr-
salze aufnimmt, dienen die Schuppen ausschließlich als Schutzorgane. Inter-
essant ist es, daß auch die Rhizoiden in direkter Abhängigkeit von den
Außenbedingungen stehen, und daß nicht selten nachgewiesen werden kann,
daß ihre Ausbildungs weise „von dem Bedürfnis der Pflanze diktiert wird".
Wendeltreppen- ^ ^ Um ZU zcigcn, ZU wclch eigenartigen Formen auch
die thallöse Gestaltung führen kann, weisen wir noch hin
auf die Gattung Riella, die wenigstens mancherseits in
die weitere Verwandtschaft der Marchantien gestellt
wird. Hier haben wir eine Achse oder Rippe, an
welcher einseitig ein Flügel daransitzt. Die Rippe kann
Fig^is Das Lebermoos Ric- |^g- bestimmten Arten am Boden kriechen und der Flügel
cia nuitans. Nat. (jr. Nach <-'
scHENCK. Steht dann nach oben. Bei aufrechten Arten aber umläuft
der Flügel die Rippe in oft regelmäßiger Schraube, und so stellen denn diese
hydrophytischen Lebermoose, die am Grund von stehendem Wasser wurzeln,
kleine „Wendeltreppen*' vor, die bis 20 cm hoch werden können. Wie
Goebel ausführt, ist die schraubige Drehung des Flügels biologisch begreif-
lich, indem so der Flügel aus der Profilstellung zum Licht, die er ohne sie am
aufrechten Pflänzchen einnehmen würde, in eine Lage gebracht wird, die sich
der „Flächenstellung'' assimilierender Organe wenigstens annähert. Übrigens
sitzen auch bei Riella, abgesehen vom Flügel, kleine Blättchen an der Achse.
Einfluß des Das Studium der eben berührten thallosen Lebermoose hat ganz be-
^wtch^tfnl-^ sonders wichtige entvvicklungsphysiologische Tatsachen aufgedeckt: Wie
richtung der ^\y die dorsivcntralc Ausbildung und den horizontalen Wuchs als eine Ein-
richtung eigener Art zur Ausnutzung des Lichtes auffassen dürfen, so können
wir auch ermitteln, daß nur bei zureichender Beleuchtung der Phallus in
normaler Weise ausgebildet wird. Lichtzutritt ist, wie man sich auch aus-
gedrückt hat, „formale Bedingung" für normalen Wuchs. Züchten wir nun
einen solchen Phallus, etwa von Marchantia, derart, daß wir von Zeit zu
Zeit die Richtung des auffallenden Lichtes ändern, so beobachten wir, daß
er damit ebenfalls seine Wachstumsrichtung ändert und stets senkrecht zur
jeweiligen Lichtrichtung wächst, er ist, um einen von Sachs in die Organ-
physiologie eingeführten Terminus zu nennen, „plagiotrop", denn so nennt
man Organe, die senkrecht zu einer, das Wachstum beeinflussenden, äußeren
Kraft wachsen. Dies gilt für mittlere Lichtintensitäten. Steigert sich diese
Intensität übers Maß, oder wird sie stark herabgesetzt, so hört derplagiotrope
Thallose Lebermoose
■öö
Wuchs auf und nähert sich dem „orthotropen'^: der Thallus stellt sich mehr
oder minder in die Richtung der Lichtstrahlen, im ersteren Falle, um in
Profilstellung zu den sengenden Strahlen der Sonne zu gelangen, im letzteren
Falle, um nach heller beleuchteten Orten hinzuwachsen. In voller Dunkel-
heit wächst der Thallus senkrecht aufwärts, stellt sich also in die Richtung
der Erdschwere ein, die ihn sonst nicht beeinflußt.
Das Licht entscheidet aber auch darüber, welche Seite zur Rücken- Induktion der
Seite, welche zur Bauchseite wird. Wir schicken voraus, daß der Thallus ver- durch 'dTs'^Licht.
schiedener Lebermoose die verschiedensten Einrichtungen zur vegetativen
Vermehrung aufweist. Er kann knollenförmige Brutkörper auf seiner Bauch-
seite entwickeln, Sprosse
können in den Boden ein-
dringen und unter An-
schwellung zu Reserve-
stoffbehältern werden, der
Rand selbst kann sich nach
abwärts biegen und solchen
Organen den Ursprung
geben. Marchantia aber
-b
^Und. nOCn eine andere Lrat- Fig. 19. Marchantia polymorpha. Links männliche Pflanze mit einem
fiTnn-\ Viilrlof ^nf" rl o-r OKoi- jugendlichen und einem ausgewachsenen Antheridienstand, rechts eine
tUngj DUaet aUI aer UOer- weibliche pflanze mit zwei jugendlichen und einem ausgewachsenen Arche-
seite kleine Becher aus Inder gonienstand. 3 Brutbecher mit Brutknospen. Nat. Gr. Nach Schenck.
sich kleine scheibenförmige Brutknospen bilden, die senkrecht stehen und zu-
nächst keinen Unterschied zwischen Rücken- und Bauchseite haben (Fig.i9,b).
Sät man dieselben aus auf Boden oder Wasser, so entwickeln sie sich und
bilden diejenige Seite, welche am hellsten beleuchtet ist, als Rückenseite
aus, nach der dunkleren hin senden sie ihre Rhizoiden aus. So hat es der
Experimentator in der Hand, zu entscheiden, was Rücken- und was Bauch-
seite wird; sind diese Seiten aber einmal festgelegt, ist einmal Dorsiven-
tralität durch die Beleuchtungsverhältnisse „induziert", so ist es weiterhin
unmöglich, dieselbe umzukehren durch Änderung der Beleuchtung, sie ist
nunmehr „inhärent" geworden, und weitere Untersuchungen, bei welchen
man den Thallus in kleine Stückchen hackte, die man sich regenerieren ließ,
haben gezeigt, daß diese Dorsiventralität auch jedem regenierenden kleinsten
Stückchen inhärent ist. — Dorsiventrale Ausbildung wird auch bei ande-
ren Pflanzen, den später zu erwähnenden Farnkrautprothallien, durch un-
gleiche Beleuchtung der beiden Seiten erzielt, hier aber hat man gefunden,
daß sie nicht inhärent wird, sondern nach Belieben wieder umgekehrt werden
kann. Wir sehen also, daß in dieser Beziehung die mannigfachsten Unter-
schiede bestehen.
Wir kommen nun zu jenen Lebermoosen, bei welchen wir thallose Übergänge zwi-
Formen und neben solchen auch typisch beblätterte, „foliose" Arten, so- ^"^^nd f^^osen^"
dann alle möglichen Übergänge zwischen beiden finden, den Jungermannia- Lebermoosen,
ceen, aus deren Formenreichtum wir nur einige Eigenheiten herausheben
i36
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Radiäre
Lebermoose.
wollen. Zunächst fällt uns auf, daß der Thallus nicht selten reich gegliedert
ist, indem bestimmte Teile desselben stengelartig aussehen, andere blatt-
artig verbreitert. Es kann axich vorkommen, daß ein und dasselbe Thallus-
glied an seiner Basis rundlichen Querschnitt hat, um sich dann umzubiegen
und an seinem Ende flächenförmig zu gestalten, und daß ungefähr an der
Knickungsstelle ein weiteres gleiches Glied sich ansetzt, so daß die ganze
Pflanze aus einer größeren Zahl derartig aneinandergereihter Teile besteht,
somit ein Sympodium darstellt (Fig. 20); sie ähnelt dann in ihrem Aufbau un-
gemein manchen ebenfalls sympodial gebauten höheren
Rhizompflanzen, von denen später noch die Rede sein
wird. — Diese eben geschilderten Formen ersetzen
also durch die Zwiegestaltigkeit der Thallusglieder den
Mangel, der darin liegt, daß dieser selbst nicht in
Stengel und Blätter gegliedert ist.
Bei den sich hier weiter anschließenden Formien
finden wir nun, daß sich aus dem Rand des Thallus
Blätter deutlicher und deutlicher herausdifferenzieren.
Zunächst sehen wir bei einigen Formen, wie der Thallus
kraus, lappig wird, bei weiteren grenzen sich dann
die Thalluslappen mehr und mehr voneinander ab,
nehmen regelmäßige Gestalt an, und so bilden sich
denn Formen heraus, bei welchen an der ursprüng-
lichen Mittelrippe des Thallus, die zum Stengel ge-
worden ist, rechts und links Blätter stehen, die am
Scheitel in regelmäßiger akropetaler Reihenfolge an-
gelegt werden. Sie entbehren des Mittelnervs und
stehen schräg am Stengel, so daß sie an dem kriechen-
den oder aufsteigenden Stamm chen unmittelbar die
richtige „Lichtlage" haben. Sie decken sich mit ihren
Rändern, was nach Goebel den Vorteil hat, daß sie
Wasser kapillar festhalten. Man kennt eine java-
nische Form, bei welcher diese Blätter bis i cm
Durchmesser erreichen, und auch noch durch Ausbildung einer Rücken-
schuppe weiter kompliziert sind, (Fig\ 21.)
Hier reihen sich nun weiter an die wenigen Lebermoose, die radiär ge-
baute Sprosse haben, an welchen die Blätter in drei Reihen stehen und zwar
quer, nicht schräg inseriert. Radiär sind solche Formen wenigstens dann,
wenn die Beleuchtung eine allseitig etwa g-leichmäßige ist, einseitige Be-
leuchtung kann bei ihnen auch dorsiventralen Habitus auslösen. Solche
radiären, gleichzeitig orthotropen Sprosse sind betreffs der Versorgung mit
Wasser und Bodensalzen etwas schlechter daran, als die plagiotropen, die
aufweite Strecken mittels Rhizoiden festgeheftet sind; so ist es denn begreif-
lich, daß die orthotropen Formen Rhizoiden, die vielleicht funktionell nicht
ausreichen würden, nicht ausbilden, sondern Sprosse wurzelähnlich aus-
Fig. 20. Das Lebermoos Hymeao-
phytum flabellatum, mit Sporogo-
nium und vierklappig aufge-
sprungener Kapsel. Dopp. nat. Gr.
Nach Goebel.
Foliose Lebermoose 237
gestalten und mit diesen sogenannten Wurzelsprossen ihre Nahrung aus dem
Boden ziehen. Auch diesen Fall erwähnen wir, weil wir auch bei höheren
Pflanzen, allerdings ohne daß wir dort immer die biologische Bedeutung er-
fassen könnten, den Fall verwirklicht finden, daß Wurzeln fehlen und durch
unterirdische Stengelteile ersetzt werden. Bei den fraglichen Moosen können
wir den Mangel an Rhizoiden als biologisch begreiflichen, morphologischen
Rückschritt bezeichnen.
Doch kehren wir zurück zu dorsiventralen Formen, so finden wir be-
sonders interessante Blattbildungen bei denjenigen Jungermanniaceen, deren
Blätter derart am Scheitel angelegt werden, daß jedes Blatt aus zwei
Lappen besteht. Sie besitzen dorsiventrale, mit Rhizoiden wurzelnde Sprosse,
die auf der Rückenseite zwei Blattreihen, „Flankenblätter", führen, während
oft an der Bauchseite sich eine dritte Reihe von Blättern, die kleiner und interkaiarwachs-
, . 1 , , • 1 • , T tum der Blätter.
anders gestaltet sind, zeigt, die soge-
nannten Amphigastrien. Betrachten wir
ein Rückenblatt während seiner Entwick-
lung, so können wir beobachten, daß
zunächst die zwei Lappen an der Spitze
des Blattes erscheinen und dann durch
basales Wachstum des Blattes „empor-
gehoben" werden. Wir haben also „. n^Tv, ^ ,. . . . „ ^.,
<-> tig. 21. Uas Lebermoos Treubia insigms. :Habitus-
infolge dieses basalen Wachstums der ^^^^> "^^^ eiaem Sporogonium. ca. 14 der nat. Gr.
Blätter hier eine „interkalare" Zone
(vgl. S. 209), vermittels deren die Blätter wachsen — im Gegensatz zum
Scheitelwachstum des Stämmchens. Was die Stellung der Blätter im Raum
angeht, so finden wir bei den mehr oder minder orthotropen Formen die
Blätter quer gestellt, bei den kriechenden aber, die sich gegenüber dem
Licht ebenso verhalten wie der Marchianthallus, drehen sich die Blätter
derart, daß sie ihre Fläche dem Licht zukehren; so wird ihr einer Lappen,
welcher nach der Spitze des Stammes schaut, zum Oberlappen, der andere zum
Unterlappen. Die Ränder der Blätter decken sich ; wenn der vordere Rand eines
Blattes den Rand des nächst höher inserierten Blattes deckt, spricht man von
oberschlächtiger, im entgegengesetzten Fall von unterschlächtiger Deckung.
Mit Goebel betrachten wir auch hier diese Deckung als zweckent- Umbildung von
sprechende Einrichtung zum Festhalten von Wasser zwischen den Blättern; ^,v^^lTr2cken.
da ist es denn von besonderem Interesse zu sehen, daß diese Einrichtung
bei vielen Formen mehr und mehr vervollständigt wird, indem sich an den
Flankenblättern richtige „Wassersäcke" bilden. Das kann dadurch geschehen,
daß sich Ober- und Unterlappen eines Blattes aneinanderlegen und so ein
taschenförmiges Gebilde entsteht, oder der Unterlappen allein bildet sich zu
einem Wassersack um (Fig. 22), der in den kompliziertesten Fällen sogar
mit einer deckelartigen Klappe verschließbar ist. Auch Bauchblätter können
zu Wassersäcken werden. Nicht nur Wasser sammelt sich in diesen Säcken
an, auch Tierchen können sich darin fangen und durch ihre Exkremente
2.s8
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Verschieden-
H^^^phyiie dieser Lebermoose zu sagen. Bei ein und derselben Pflanze kann es
Sprosse.
und, wenn sie absterben, auch durch ihre Leichen das Lebermoos „düngen";
es handelt sich dabei um epiphytische, auf anderen Gewächsen lebende
Moose, bei denen infolge ihrer Entfernung vom Boden solche Ernährungs-
weise wohl verständlich ist. — Bestimmte dieser Formen bilden bei Kultur
unter feuchten Bedingungen diese Wassersäcke nicht aus; man kann also diese
Bildungen als direkte Anpassungen infolge des Bedürfnisses erklären. Neben-
bei bemerkt kann man auch die Rhizoidenausbildung experimentellbeeinflussen
und durch starke Inanspruchnahme erreichen, daß sie in großer Zahl ausgebildet
werden und eine förmliche Haftscheibe, ähnlich wie bei Algen, bilden.
Auch sonst wäre noch allerlei Bemerkenswertes über die Organographie
vor-
kommen, daß die einen Blätter fast gänzlich zu Wasser-
säcken umgebildet sind, während andere noch große
assimilierende Flächen zeigen. Man kann hier von
„Heterophyllie" reden. Beachtenswert ist auch, daß es
Formen gibt, bei welchen die Zweige als Lang- und
Kurztriebe unterschieden werden können, und diese
Triebe können auch heterophyll sein, indem z. B. die
Kurztriebe Blätter tragen, die ganz zu Wassersäcken
geworden sind; die Assimilation ist dann im wesent-
lichen den Langtriebblättern vorbehalten.
Was die Verzweigung- angeht, so stehen die
Fig.22. FruUaniatamarisci, ein Seitcnzwcige zwar teilwcisc in direkter Beziehung
Lebermoos, bei -welchem der
Unterlappen der Rückenblätter
(r) als Wassersack (■ws) ausge- ^\q bei den anderen Lebermoosen.
bildet ist. a Amphigastrien
Seitenzweige ganz regellos, ohne Beziehung zu
den Blättern, entstehen. Ist es auch Sache des
Mikroskopikers, die Entstehung der Seitenzweige genau zu schildern, so
wollen wir doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß sie auch „endogen"
entstehen können, d. h. im Innern der Mutterachse, deren äußere Teile sie
Umbildung von durchbrcchen, um nach außen zu gelangen. Endlich ist noch darauf hinzu-
Reduküorder weiscu, daß manche Seitensproßanlagen nicht alsbald aus wachsen, sondern
Blätter. zunächst ruhend bleiben, ein Analogen zu den schlafenden Augen unserer
Hölzer, und erst später „nach Bedarf" sich entwickeln. Bestimmte Seiten-
sprosse können eigenartig umgebildet werden, als sogenannte Flagellen lang
auswachsen, aber nur reduzierte Blätter hervorbringen. Sie werden als Auf-
nahmeorgane für Wasser geschildert. Hierher gehören auch jene Sproßäste
bei einer Form, die, an der Bauchseite entspringend, senkrecht in den Boden
dringen, mit reduzierten Blättern und reichlichen Haarwurzeln versehen sind.
Sie können fast zehnmal so lang werden als die oberirdischen Teile und so
Wasser aus verhältnismäßig großer Tiefe holen. Sie ähneln Wurzeln höherer
Pflanzen in Gestalt und Funktion. Bei dieser Form ist auch eine „Metamorphose"
der Blätter zu beobachten, indem diese nicht der Assimilation, sondern nur
dem Schutz des Stammscheitels dienen; funktionell werden sie ersetzt durch
zu den Blättern, aber axilläre Verzweigung fehlt hier
Auch können
(Bauchblätter). Vergr. j^
Nach ScHENCK.
Metamorphose bei Lebermoosen — Laubmoose
239
die sogenannten „Paraphyllien", das sind grüne, einfache oder verzweigte
Haare, die am Stamm sitzen, also gewissermaßen vergleichbar sind mit jenen
„Pinseln", die bei manchen Algen als Assimilatoren dienen. Als weitere
Orofane wären endlich noch die bei vielen Lebermoosen vorkommenden
Schleimorgane, Papillen und ähnlichen Gebilde am Lebermooskörper zu
nennen, die dem Schutz der Vegetationspunkte dienstbar sind.
Die Laubmoose, denen wir uns nunmehr zuwenden, können wir in ge-
drängterer Darstellung- abhandeln, da sie „eintöniger" als die Lebermoose
gebaut sind. Erinnern wir vor
allem kurz daran, daß sie typi-
sche, mit Spitzenwachstum
begfabte Stämmchen mit seit-
lieh daran sitzenden, in regel-
mäßiger akropetaler Folge
sich entwickelnden Blättern
aufweisen. An Stelle von
Wurzeln treten Rhizoiden ,
welche im Gegensatz zu den
einfachen, welche die Leber-
moose aufweisen, verzweigt,
darum wohl auch als leistungs-
fähiger infolge ihrer weiter-
gehenden Differenzierung an-
zusprechen sind.
Lassen wir eine Moosspore
auskeimen, so entwickeln sich
aus ihr die Moospflänzchen, doch wird zwischen beide ein Gebilde eingeschoben,
das zwar auch bei den Lebermoosen vorhanden ist, z. B. als thalloses Gebilde,
an dem sich die Moospflanze entwickelt, aber bei den meisten Lebermoosen
so kümmerlich, daß wir es dort nicht besonders namhaft gemacht haben,
der Vorkeim oder das Protonema. Wie der Name sagt, ist das Protonema
der Laubmoose in den meisten Fällen ein Faden. Er kriecht unter Spitzen-
wachstum und Verzweigung auf dem Substrat dahin, in anderen Fällen ist
er auch ein Band oder eine Zellfiäche. Das sogenannte Leuchtmoos ist der
Vorkeim einer Laubmoosart An ihm bilden sich in großer Zahl Knospen,
deren jede die Anlag'e eines Moospflänzchens ist; während diese in den
typischen Fällen vieljährige oder perennierende Gebilde sind, geht der Vor-
keim meist früh zugrunde. Doch kann das Verhältnis auch umgekehrt, die
Moospflanze hinfällig, der Vorkeim aber ausdauernd und reich gegliedert sein
in rhizomartige Teile, Assimilatoren und Haftorgane. Man hat die Meinung
ausgesprochen, daß dies letztere, heutigen Tages seltenere Verhältnis das
ursprüngliche sei: das Protonema sei der eigentliche vegetative Körper des
Mooses, das beblätterte Stämmchen, an dem wir später noch die Geschlechts-
organe nachweisen werden, habe zuerst nur im Dienst der Fortpflanzung
Laubmoose.
F i g. 23. A Auskeimende Laubmoosspore ; e.xr äußere Sporenhaut.
ß Der Spore (s) entkeimtes Protonema mit Knospen (i>i) und Haar-
wurzeln Ir). Ziemlich stark vergrößert. Aus Schenck nach
MÜLLER -Thurgau. Vorkeim
(Protonema).
240
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Verzweigung
der Laubmoose
Laubmoosblatt.
gestanden, und habe sich erst im Lauf der Entwicklung vegetativ kräftiger
ausgestaltet. Auch hat man das Protonema als „Jugendform" der Moos-
pflanze bezeichnet und aus seiner Gestalt auf fädige Algen als Vorfahren der
Moose schließen wollen. Wie dem auch sei, die Protonemabildung oder, wie
wir auch sagen dürfen, die heteroblastische Ontogenie der Moose (vgl. S. 221)
hat offenbar die Bedeutung, daß durch sie der Rasenwuchs, der so vielen
Moosen eignet, begünstigt wird.
Wenden wir uns der Moospflanze selbst zu, so
sehen wir, daß der Stamm, wie üblich mit Spitzen-
wachstum begabt, mannigfach verzweigt ist. Die
Verzweigung ist auch hier keine axilläre, vielmehr
stehen die Seitenzweige unter je einem Blatt. Schlafende
Augen, d. h. vorgebildete Anlagen für Seitenäste, die
zunächst ruhen, finden sich hier gleichfalls. Bei rasen-
wüchsigen Moosen stellen sich die Seitenzweige alsbald
in die Richtung der Hauptachse und indem mit fort-
schreitendem Wachstum die basalen Partien jeder
Pflanze absterben, gehen aus einer Pflanze endlich
deren eine ganze Anzahl hervor. So sind diese rasen-
bildenden Moose Pflanzen mit Wandervermögen und
zwar „vertikalem Wandervermögen". Sehr häufig ist
ferner die Erscheinung, daß die Seitenzweige sich in
eine Ebene ordnen und so bilaterale, gefiederte
Sproßsysteme zuwege kommen, die vielfach gleichzeitig
plagiotrop sind. Auch Baumformen können Moose imi-
tieren. So kann ein Sproß zunächst ohne wesentliche
Verzweigung orthotrop wachsen, sich sodann umbiegen
und Seitenzweige bilden, die sich in einer horizontalen
Ebene ausbreiten. Im nächsten Jahr kann auf diesem Sproß an seiner Bieg-ungs-
stelle ein weiterer, ganz gleich gebildeter Sproß sich erheben und indem sich
das mehrfach wiederholt, erhalten wir kleine Modelle jener Etagenbäume,
wie wir sie in den Tropen in vollendeter Ausbildung antreffen (Fig. 24). In
anderen Fällen kann die Bäumchenform dadurch zustande kommen, daß ein
Hauptsproß orthotrop wächst und plagiotrope Seitensprosse bildet.
Erwähnt sei noch, daß Moosstämmchen und Zweige auch ihre Funktion,
die darin besteht, daß sie Blätter tragen sollen, erweitern und in den Dienst
der Wasserleitung treten können; so schlagen sich bei Torfmoosen Seiten-
zweige am Hauptstamm herab und sorgen für kapillaren Hub von Wasser.
Die Blätter der Laubmoose sind von der allbekannten Gestalt. Meist
findet sich im Gegensatz zu den Lebermoosblättern ein Mittelnerv. Oft kann
man den den Stamm umfassenden Teil als Scheide von der Blattfläche unter-
scheiden. Bei einer Gattung bestehen die Blätter wesentlich nur aus einem
Scheidenteil, welchem ein Flügel vertikal aufsitzt. Hier zeigt sich also ganz
dieselbe Blattgestalt, welche uns die Schwertlilie in ihren „reitenden" Blättern
Fig. 24. Das Laubmoos Hyloco-
mium splendens. „Etagenwuchs."
In jedem Jahre bildet sich ein
erst orthotroper, dann plagio-
troper, in einer Ebene verzweig-
ter Sproß aus. Nat. Gr.
Nach GoEBEL.
Laubmoosblatt
241
A.nisophyllie.
zeigt, gewiß eine schöne Konvergenzerscheinung. Die Blätter stehen ursprüng"-
lich in drei Reihen am Stengel; doch wird diese Stellung durch nachträgliche
Verschiebungen fast stets verändert. Wenige Moose haben Blattstellung nach
^2, deren Sprosse sind also infolge davon bilateral oder richtiger dorsiventral, da
die Blätter assymetrisch sind und auf einer Seite, der Rückenseite, den Stamm
weiter umgreifen als auf der anderen. Auch bei Moosen, deren Blätter ur-
sprünglich nach '/3 stehen, findet sich vielfach durch Verschiebung der Blätter
in eine Ebene Dorsiventralität. Dasselbe wird erreicht durch sogenannte
„Anisophyllie", indem die Blätter, die rechts
und links stehen, größer werden als die, welche
nach vorn und hinten fallen.
Einen sehr eigenartigen, gleichfalls durch
Anisophyllie bedingten Fall von dorsiventraler
Ausbildung" hat man bei einem Moos beschrieben:
hier stehen die Blätter in drei Längsreihen, die der
einen und zwar der Bauchseite sind klein, die der
beiden anderen aber groß und decken sich mit ihren
Rändern, kurz, das fragliche Moos ahmt nach allen
Regeln der Kunst eines jener oben geschilderten
Lebermoose nach, bei welchen ebenfalls zwei
Reihen Rücken- und eine Reihe Bauchblätter sich
uns zeigen, eine ganz merkwürdige Konvergenz-
erscheinung. Der Faktor, welcher die Dorsiven-
tralität bestimmt, ist das Licht, indem die stärker
beleuchtete Seite Oberseite wird. Durch Änderung
der Beleuchtungsrichtung kann man andere Flanken stand abgeschlossen hat. Unterhalb
^^. . - 1 • Ä T desselben sind drei vegetative, von
zur Uberseite machen, derartige Änderungen ge- Anfang an piagiotrope Seitensprosse
lingen bei den einen Formen leichter, bei den «"'^'^"«i«-" n^'- g^- ^ach gokbel.
anderen schwerer. Manchmal gelingt bloß eine völlige Umkehrung der
Dorsiventralität; in anderen Fällen kann auch eine bisherige Seitenflanke
zur Ober- oder Unterseite gemacht werden.
Auch sogenannte Heterophyllie findet sich bei Laubmoosen. So sind Heterophyme
die ersten Blätter jener oben genannten Art, deren Blätter wir mit Schwert-
lilienblättern verglichen, normal und abweichend von den Folgeblättern ge-
baut. In anderen Fällen findet sich ebenfalls die Erscheinung, daß die Blätter
unten und oben am Stengel anders ausgebildet sind als die gewöhnlichen
Laubblätter. Man spricht dann von Nieder-, bzw. Hochblättern.
Wie bei den Lebermoosen, dienen auch bei den Laubmoosen die Blätter Giashaare.
nicht lediglich der Assimilation, sondern sind in mannigfacher Weise aus-
gebildet und angeordnet, um Wasser zwischen sich festzuhalten und dann
durch die Stengeloberfläche dem Innern der Pflanze zuzuführen. Wasser-
säcke finden wir hier allerdings nicht. Die „Glashaare", in welche die Blätter
von Moosen an trockenen Standorten auslaufen, werden wohl als Wasser-
speicher aufgefaßt. Auch drehen sie sich beim Austrocknen schopfartig
Fig. 25. Das Laubmoos Mniumundula-
tum. „Orthotroper Sproß, der mit
einem rosettenförmigen Antheridien-
bei Laubmoosen.
K. d. G. IILiv, Bd 2 Zellenlehre etc.
16
242
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Generations-
wechsel
der Moose.
Gesctlechts-
organe der
Moose.
um den Vegetationspunkt und schützen denselben vor Austrocknung. Wachsen
die Moose an feuchten Orten, so gehen ihnen die Glashaare ab.
Ehe wir zu den Farnkräutern und höheren Pflanzen übergehen, müssen
wir nun hier eine kleine Einschaltung über Fortpflanzung und Generations-
wechsel der Moose machen. Es wird dem Leser nicht entgangen sein, daß
wir soeben die Organe der Moospflanzen nur unvollständig geschildert haben;
denn wer kennt nicht von fast jedem Spazierg-ang her die Mooskapseln, von
denen nicht die Rede gewesen ist? Welche Stelle nehmen diese Kapseln im
Entwicklungsgang der Moose ein?
Knüpfen wir an eine allbekannte Erscheinung bei den Laubmoosen au!
An der Spitze der Sprosse der Moospflanze beobachten wir häufig ein kleines
knospen- oder auch schüsseiförmiges Ge-
bilde (Fig. 25). Es beschließt bei den einen
Moosarten das Wachstum des Haupt-
sprosses, bei den andern sitzt es an der
Spitze kleiner Seitenzweige, während der
Hauptsproß ein unbegrenztes Längen-
wachstum hat. Diese Gebilde führen an
ihrem Grund die Geschlechtsorgane der
Moose, die den Sproßscheitel krönen
(Fig. 26). Wir treff"en einmal die männ-
Fig. 26. Längsschnitte durch die Sproßspitze eines ._ ^_ 111 • -u • \ ^
männlichen Laubmoospflänzchens mit Antheridien- llCheU GeSChlCChtSOrgane , Wie bCl AlgCn
stand (links) und eines weiblichen Laubmoos- ^ p-j AutheridieU genannt, hier
pflanzchens mit Archegonienstand (rechts). Vergr. O '
Aus GiESENHAGEN uach SACHS. eifömiige Gewebekörper, die im Innern
zahllose männliche Geschlechtszellen oder Spermatozoiden bilden,
welche bei der Reife aus der Antheridiumspitze austreten und in
Tau- oder Regentropfen umherschwärmen. Außer ihnen finden sich
weibliche Geschlechtsorgane, hier nicht Oogonien wie bei den Thallo-
phyten, sondern Archegonien genannt und mit diesem besonderen
Namen belegt wegen ihrer eigenartigen Gestalt. Es sind flaschenförmige
Gebilde, die in ihrem Bauchteil die Eizelle enthalten, während der Halsteil
bei der Befruchtung als Zugangsweg für die Spermatozoiden dient Diese
Archegonien sind zur Beurteilung der Verwandtschaftsverhältnisse der Moose
von großer Bedeutung: Nicht nur bei ihnen, sondern auch bei den Farnen
und den nacktsamigen Blütenpflanzen besitzen die weiblichen Geschlechts-
organe die Form von solchen Archegonien, weswegen man die genannten
Gewächse auch unter dem trefl"enden Namen: Archegoniaten zusammen-
faßt. Bei den Fruchtknotenpflanzen sind Archegonien nur noch in stark
reduziertem Zustand nachweisbar. — Kehren wir zu den Moosen zurück, so
finden wir nun Antheridien und Archegonien entweder nebeneinander in dem-
selben Stande vor, dann ist dieses ein zwittriges Gebilde, oder aber in ver-
schiedenen Ständen auf ein und derselben Pflanze, welche dann als einhäusig
zu bezeichnen ist, endlich gibt es auch zweihäusige Moose. Sind Antheridien-
und Archegonienstände getrennt, so sind sie nicht selten durch Unterschiede
Generationswechsel der Moose 24 S
in der äußeren Gestalt zu unterscheiden, die weiblichen können z. B. knospen-,
die männlichen becherförmig sein. Da die Blätter, welche die Geschlechts-
organe umhüllen, nicht selten von den gewöhnlichen Blättern abweichen —
bei dem bekannten Widerthonmoos sind die Hüllblätter der Antheridien
rot, um nur dies Beispiel zu nennen, zeigen solche Stände oft eine äußerliche
Ähnlichkeit mit Blüten und werden auch unrichtigerweise häufig geradezu
als Moosblüten bezeichnet — warum das unzulässig ist, wird aus späteren
Ausführungen erhellen. —
Ist nun die Eizelle durch eines der in den Hals eingedrungenen Sper- sporogon der
matozoiden befruchtet, so umhäutet sie sich in der üblichen Weise und wächst ^''"^™°°^^-
dann heran zu der bekannten g-estielten Mooskapsel. Ist diese fertig aus-
gebildet, so sehen wir auf ihrer Spitze ein kleines Mützchen sitzen, das ist
die Wandung des bei der Streckung- der Kapsel emporgehobenen Arche-
goniums. Nehmen wir die Mütze ab, so sehen wir oben auf der Kapsel einen
Deckel, mittels dessen sie sich, wenn sie reif ist, öffnet. Der Rand der ge-
öffneten Kapsel zeigt einen zierlichen Randbesatz aus Zähnen. Im Innern
der Kapsel erblicken wir dann, ohne ihren Bau weiter zu studieren, ein
braunes Pulver, das sind Sporen, also ungeschlechtliche Fortpflanzungszellen.
So verstehen wir, warum die Wissenschaft der gestielten Kapsel den Namen
„Sporogon des Mooses" gegeben hat. Die Sporen gelangen, wenn sie reif
sind, durch die Öffnung- ins Freie, wobei jene eben erwähnten Zähne Be-
wegungen ausführen, indem sie die Kapselmündung bald öffnen, bald schließen
und so für ein allmähliches Ausstreuen der Sporen sorgen. Beobachten wir
die Sporen weiter, so sehen wir, daß sie an günstigen Stellen wiederum aus-
keimen und einem Protonema den Ursprung geben, welches, wie wir oben
sahen, Moospflänzchen hervorbringt; diese tragen dann nach einiger Zeit
wieder Antheridien und Archegonienstände, womit der Entwicklungszyklus
geschlossen ist. Dieser verläuft also in zwei Generationen, einer g-eschlecht-
lichen, dem sog. Gametophyten, das ist das Moospflänzchen, welches die
Geschlechtsorgane trägt, und einer ungeschlechtlichen, dem Sporophyten,
Sporogonium, welches die Sporen produziert, und beide wechseln regel-
mäßig miteinander ab. Daß es sich um zwei „Generationen" handelt, wäre
allerdings noch einleuchtender, wenn der Sporophyt selbständig lebte und nicht
auf dem Gametophyten darauf säße, ähnlich wie die Mistel auf ihrem Wirt. —
In gleicher Weise verläuft der Generationswechsel auch bei andern GeneraHons-
Moosen. Betrachten wir noch zur Ergänzung ein Lebermoos, Marchantia. J/a^cLnul.
so sehen wir, wie dorsiventrale Zweige des Thallus von stielartiger Ausbildung
orthotrop in die Höhe wachsen, um an ihrer Spitze entweder Antheridien — oder
Archegonienstände zu bilden, je nachdem wir eine männliche oder weibliche
Pflanze dieses zweihäusigen Lebermooses vor uns haben (Fig. 19). Die Anthe-
ridiumstände stellen Scheiben vor, in deren Oberseite zahlreiche Antheridien
eingesenkt sind. Bringt man darauf einen Tropfen klares Wasser, so trübt er
sich sofort dadurch, daß massenhaft Spermatozoiden austreten und in dem
Wasser umherschwärmen; hier haben wir also einmal Gelegenheit, mit bloßem
16*
2 44 "^' Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Aug'e männliche Geschlechtszellen, allerdings nicht einzeln, sondern nur in
großer Zahl versammelt, zu beobachten. Die Archegonienstände enden mit
Schirmchen, und unten an den Strahlen der Schirme sitzen reihenweise die
Archegonien. Werden die Eier in diesen befruchtet, so wachsen sie zu Sporo-
gonien aus, das sind hier ovale, mäßig lang gestielte Kapseln, die sich bei
der Reife öffnen, um die Sporenmasse zu entlassen. Die Sporen keimen dann
wieder zu dem bekannten Marchantiathallus aus. Also haben wir auch hier
wieder die regelmäßige Abwechslung eines Gametophyten, das ist derThallus
samt seinen Ventralschuppen, Rhizoiden und Archegonium-, bzw. Antheridium-
ständen, mit einem Sporophyten, dem Sporogon. — Man vergleiche auch die
Sporogonien auf den Fig. 20, 21, 24.
Brutkörper Neben den soeben behandelten geschlechtlichen und ungeschlechtlichen
Fortpflanzungszellen, durch deren regelmäßige Alternanz der Generations-
wechsel zuwege kommt, bilden die Moose und zwar der Gametophyt noch
besondere ung-eschlechtliche Vermehrungsorgane, sog. Brutkörper von der
mannigfachsten Gestalt aus, die mit jenem Wechsel nichts zu tun haben,
lediglich eine Vermehrung des Gametophyten und eine Verlängerung von
dessen Vegetation zur Folge haben. Von den Brutknospen auf der Oberseite
des Marchantiathallus war schon die Rede. Bei kormophytisch g'egliederten
Lebermoosen kann z. B. der Blattrand Auswüchse zeigen, die zu thallusartigen
Scheiben heranwachsen, welche sich vom Blattrand loslösen, verbreitet
werden und an günstigen Orten neue, kormophytische Pflänzchen aus sich
heraussprossen lassen. Ebenso wie bei der Keimung- der Sporen dieser
Formen zuerst ein thallusartiger Vorkeim entsteht, an dem sich dann die
fertigen Pflanzen ausbilden, zeigt sich also auch bei der eben g-eschilder-
ten vegetativen Vermehrung eine heteroblastische Entwicklung. Goebel
führt aus, daß die Bildung- massenhafter Brutkörper zur Verbreitung-
über größere Areale, sodann zur Besiedelung der Blätter höherer
Pflanzen befähigt, d. h. zum epiphyllen Leben, das diesen Formen vielfach
eig-entümlich ist. Auch bei den Laubmoosen finden sich derartig'e Brut-
körper in mannigfachster Ausbildung, als sproßbürtige oder blattbürtige
Gebilde oder als Auswüchse des Protonemas oder der Rhizoiden. Auch in
Ständen, die z.B. den Antheridiumständen äußerlich durchaus gleichen können,
sieht man scheibenförmige Brutknospen an Stelle der Geschlechtsorg-ane sich
entwickeln. Auch zerbrechen Stämmchen und Blätter sehr leicht, die
Bruchstücke geben neuen Pflanzen den Ursprung. Im übrigen kann auf die
Regenerationsfähigkeit des Gametophyten und Sporophyten der Moose, an
welche sich außerordentlich wichtige theoretische Probleme knüpfen, nicht
eingegangen werden. — Solche außerhalb des Generationswechsels fallende
ungeschlechtliche Vermehrungsorgane sind uns nicht neu. Hatten wir doch
bei dem kurzen Ausblick auf den Algengenerationswechsel schon betont,
daß auch bei diesen ungeschlechtliche Fortpflanzungszellen außerhalb und
unabhängig- vom Generationswechsel vorkommen und z. B. die Vaucheria-
schwärmsporen als Beispiele dafür genannt — neben ungeschlechtlichen
Brutkörper bei Moosen
245
Generations-
wechsel der
Farnkräuter.
Sporen, die regelmäßig mit Geschlechtsorganen alternieren, wie die un-
geschlechtlichen Sporen (Tetrasporen) der Rotalgen.
Auch darin gleicht der Generationswechsel der Moose dem der Algen Anthoceros
(und anderer PjEianzen), daß das Verhältnis der Entwicklungshöhe der Vege-
tationsorgane beider Generationen keineswegs konstant zu sein braucht. Ist
zwar bei den Moosen der Gametophyt dem Sporophyten an Entwicklungs-
höhe durchweg überlegen, so haben wir doch eine Familie, bei welcher das
Verhältnis deutlich zugunsten des Sporophyten verschoben
ist, die Familie der Anthocerotaceen. Hier ist der Gametophyt
in Form eines äußerlich einfach gebauten Thallus entwickelt,
der Sporophyt aber insofern im Vergleich zu dem der anderen
Moose gefördert, als das Sporogon seine Sporen nicht alle
gleichzeitig reift, sondern eine längere Zeit
dauernde Weiterentwicklung an seinem Grunde
zeigt. Diese Förderung des Sporophyten
deutet schon die Richtung an, nach welcher
sich das Verhältnis des Sporophyten zum Game-
tophyten bei den höheren Pflanzen verschiebt:
Das wird sofort klar, sobald wir den Gene-
rationswechsel der Farnpflanzen kennen lernen,
den wir nunmehr, um den Zusammenhang
nicht zu unterbrechen, gleich im Anschluß an
den der Moose behandeln wollen; wir können
das tun, ehe wir Farnwurzel und Farnsproß
betrachtet haben, weil diese ja in ihren Grund-
zügen auch jedem Nichtbotaniker geläufig sind.
Wir nehmen den Wedel eines gewöhnlichen kraut 'scoiopendrtum
Farnkrautes (Fig. 27) zur Hand, um uns sofort ''"^s^"'^; f! ^^"'^'
\ ^ I I ' Zunge. A-uf der Ruck-
davon ZU Überzeugen, daß dieser auf seinerUnter- seite der Wedei die
11. 1 /^iMi •• •• strichförraigen Sori.
Seite kleme braune Gebilde tragt, die m rund- y« der nat. Gr. Nach
liehen oder strichförmigen Häufchen zusammen- schenck.
gelagert sind, entweder unbedeckt oder bei anderen Arten durch ein kleines
Häutchen geschützt oder auch bei wiederum anderen Arten unter dem über sie
umgerollten Wedelrand verborgen. Jene braunen Gebilde nun sind Sporangien,
die als gestielte Kapseln zu einem sog. Sorus vereint sind, in ihrem Innern,
führen sie ungeschlechtliche Fortpflanzungszellen, die Sporen, die durch
einen besonderen Öffnungsmechanismus der Sporangien, der uns hier nicht
weiter beschäftigen soll, aus den Sporangien frei werden. Es sind unbewegliche
einzellige Gebilde, die den gleichnamigen Zellen bei den Moosen vollständig
entsprechen. Analoges würden wir nun auch bei anders organisierten Farn-
pflanzen finden. Während aber in den eben genannten Fällen die ganzen
Wedel Sporangien tragen können, würden wir die Sporangien bei der Natter-
zunge, Mondraute (Fig. 28), beim Königsfarn u. a. auf besonderen Blatt-
abschnitten beobachten. Beim Straußfarn, das wissen wir von früher, sind
Fig. 28. Die Mond-
raute, Botrychium lu-
naria. Im oberen Teil
des Blattstiels ent-
springt der fertile, fie-
derig verzweigteBIatt-
abschnitt. Vergr. Yg
Nach Schenck.
246
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
die fertilen Wedel, welche Sporangien tragen, die Sporophylle, sogar von
den nicht Sporangientragenden, den sterilen Trophophyllen verschieden.
Gleiches gilt vom Schachtelhalm, bei welchem die schildförmigen Sporophylle,
die auf ihrer Unterseite eine ganze Zahl von Sporangien tragen, zu einem
zapfenförmigen Sporophyllstand vereint sind, ferner vom Bärlapp (Fig. 29),
bei welchem ebenfalls die Sporophylle zu ähren- oder zapfenförmigen Ge-
bilden vereint, den Sproß abschließen, Sporophylle, die bei der letztgenannten
Pflanze in ihrer Achsel nur je ein Sporangium tragen, aus dem wir die Sporen
in Form des bekannten Bärlappmehls gewinnen können.
Solche Sporophyllstände, das sei gleich hier betont, sind
die Vorstufen der Blüten höherer Gewächse und diesen
homolog. Wenn wie bei den Sporophyllständen des
Schachtelhalms sich unter den Sporophyllen ein Quirl be-
sonders geformter, auch von den Trophophyllen abweichend
gebauter, nicht sporangientragender Blätter zeigt, so ist
hierin schon die Andeutung einer Blütenhülle zu erblicken.
Wir sehen jetzt schon, warum wir die Antheridien und
Archegonienstände der Moose nicht als Blüten bezeichnen
dürfen, denn Blüten entsprechen den Sporophyllständen,
eher wäre es schon erlaubt, das Sporogon der Moose
mit der Blüte zu vergleichen und zu homologisieren. —
Doch wie dem auch sei, jedenfalls sehen wir, daß
bei allen Farnen die große Pflanze mit Wurzel,
Stamm und Blättern den Sporophyt darstellt und
dem Moossporogonium homolog ist. Wie sieht
nun der Gametophyt aus? Um ihn zu beobachten,
gehen wir ebenso vor, wie bei den Moosen und
säen Sporen, die wir den Sporangien entnehmen,
auf feuchten Torf oder ein anderes geeignetes
Fig. 2g. Der Bärlapp, Lycopodium
ciavatum. Pflanze mit zwei Sporophyii- Substrat aus. Dcr Laic möchto glaubcn, es
ständen. 'Adernat. Gr. Nach Schenck. , • ■< j o iiii •! t
werde sich aus der Spore alsbald wieder die
Farnpflanze entwickeln, dem ist aber nicht so, vielmehr gibt sie erst dem
Gametophyten, der bei den Farnpflanzen auch mit dem besonderen Namen
„Prothallium" belegt wird, und Antheridien und Archegonien trägt, den
Ursprung; erst aus der befruchteten Eizelle des Archegoniums des Gameto-
phyten, entwickelt sich wieder die Farnpflanze, der Sporophyt. Bei den
gewöhnlichen Farnen, z.B. dem Schildfarn, ist der derSpore entkeimende Game-
tophyt, ein kleines grünes herzförmiges Blättchen, das auf seiner, dem dunkeln
Untergrund zugewendeten Seite Rhizoiden, außerdem Antheridien und
Archegonien trägt. Bei den Schachtelhalmen sind die Gametophyten ver-
zweigte, grüne zweihäusige Gebilde, die einen Archegonien, die andern, welche
etwas verschieden gestaltet sind, Antheridien tragend. Bei der Natterzunge sind
es unterirdisch lebende, chlorophyllfreie, kleine Knollen, bei den Bärlapp-
gewächsen können sie ähnlich geformt sein, sind übrigens von verschiedener
Generationswechsel der Farne
247
Gestalt, teilweise halb oberirdisch und halb unterirdisch lebend. Wie sie
im einzelnen auch ausgestaltet sein mögen, stets findet Befruchtung der in
ihren Archegonien gebildeten Eizelle durch die beweglichen Spermatozoiden
statt und die befruchtete Eizelle, Keimzelle genannt, entwickelt sich zu einem
Keimling, der seine ersten Entwicklungsstadien an oder in dem Gametophyten,
von diesem ernährt, durchmacht, um sich dann aber bald von ihm zu eman-
zipieren und zu der staatlichen Farnpflanze heranzuwachsen, die endlich
wieder zur Bildung von Sporangien und Sporen schreitet. So verläuft denn
hier der Generationswechsel derart, daß der Laie meist nur den Sporophyten
kennt, während der Gametophyt sich meist seiner Aufmerksamkeit entzieht;
die enorme Förderung des Sporophyten im Vergleich zu dem der Moose ist
ganz unverkennbar. — Die eben behandelten Farnpflanzen sind sämtlich
„homospor", d.h. alle Sporen sind gleichgestaltet; die Fortpflanzungsverhält-
nisse bei den verschiedensporigen, heterosporen Farnen sollen später behandelt
werden. Hier sei nur noch folgendes gesagt: Schreiten wir noch höher im
Pflanzenreich, so beobachten wir, daß der Gametophyt mehr und mehr redu-
ziert wird, um schließlich für das Laienauge vollständig zu verschwinden und
schließlich ganz Beute des mikroskopierenden Botanikers zu werden, eine
Reduktion des an das Wasserleben angepaßten Gametophyten, die, wie
Wettstein ausgeführt hat, mit der immer weiter fortschreitenden Anpassung
der Pflanzen an terrestrisches Leben zu erklären ist.
Aus zweierlei Gründen ist dieser Ausblick auf den Generationswechsel
für uns unerläßlich: wir müssen einmal daraufhinweisen, daß wir in den ver-
schiedenen Gruppen desPflanzenreichs unsere organographischenDiskussionen
in erster Linie an diejenigen Gestaltungen anknüpfen, die der äußerlichen Be-
trachtungsweise am besten zugänglich sind, gleichgültig, ob sie der sporophy-
tischen oder der gametophytischen Generation angehören. Bei Fucus war es
der Sporophyt, an dem wir organographische Tatsachen, Verzweigungsweise,
flächenartige Verbreiterung der Achsen, Ausbildung besonderer Organe wie
Schwimmblasen usw. erörterten. Bei anderen Algen, deren beide Generationen
gleich ausschauen, ist es auch gleichgültig, welche Generation wir für unsere
Fragten heranziehen. Bei den Moosen, deren Gametophyt weiter ausgebildet ist
als der Sporophyt, haben wir unsere Probleme erörtert, indem wir wesentlich
den ersten vor Augen hatten; freilich, so müssen wir der Vollständigkeit
halber sagen, bietet auch der Sporophyt hier mancherlei Probleme für die
Organographie. — Ausgestaltungen, die durch die Funktion verständlich
werden, so das Emporheben der Sporenkapsel auf langen Stielen behufs
leichter Verbreitung der Sporen, fällt ja bei flüchtigster Betrachtung schon
auf. Bei den Farnen und Blütenpflanzen wird es umgekehrt der Sporophyt
sein, dem wir unsere hauptsächliche Aufmerksamkeit zuwenden werden; der
reduzierte Gametophyt wäre organographischer Behandlung, soweit sie darauf
verzichtet, einen Einblick ins Innere der Natur zu tun, lediglich bei bestimmten
Farnen zugänglich, würde allerdings auch hier gute Objekte zur weiteren
Illustration der von uns bereits aus der Betrachtung anderweitiger Pflanzen
248 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
abgeleiteten Regeln der Gestaltung bieten: Wenn er, wie schon kurz er-
wähnt, etwa beim Schildfarn ein kleines grünes, dem Substrat oberflächlich
angeschmiegtes Blättchen ist, so würde diese flächenartige Ausbildung damit
zu verstehen sein, daß er als kohlensäureassimilierendes Gebilde aufs Licht
angewiesen ist. Er ist dorsiventral und bildet stets auf der dem Licht ab-
gewandten Bauchseite Wurzelhaare und Geschlechtsorgane, erstere darum
an dieser Stelle, weil die dunkle Seite diejenige ist, auf welcher die Haar-
wurzeln das Substrat, in das sie eindringen, finden, letztere darum, weil sie
bei der Befruchtung auf Wasser angewiesen sind und dies ebenfalls auf der
Unterseite leichter antreffen werden. So ist der dorsiventrale Bau biologisch
jederzeit verständlich, wenn auch nicht erklärt, und wir begreifen auch, daß
die Dorsiventralität durch Licht induziert wird; sie ist, wie schon kurz er-
wähnt, hier auch durch Veränderung der Beleuchtungsrichtung jederzeit um-
kehrbar. Wenn wir andererseits hören, daß der Gametophyt bei anderen
Farnen wie bestimmten Bärlappgewächsen langlebig ist und unterirdisch
wächst, so wird es uns nicht wundern zu beobachten, daß er hier nicht flächen-
artig, sondern voluminös als kleine, rübenförmige Knolle ausgebildet ist.
Sind die Blätter ^un kommeu wir zum zweiten Grund, der den Morphologen zwingt,
der Moose, j^icht achtlos an der Erscheinung des Generationswechsels vorbeizup-ehen:
Farne und _ *=" ^
Blutenpflanzen es ist Hofmcistcrs große vielgerühmte Tat, zuerst den Generationswechsel
Gebilde? entdeckt und damit, schon ehe die Gesichtspunkte der Deszendenztheorie
durchgedrungen waren, im Jahre 1 85 1 die Verwandtschaft der großen Gruppen
des Pflanzenreichs klargelegt zu haben : Die verschiedenenEntwicklungsstadien
der verschiedenen Pflanzen entsprechen einander, die geschlechtliche Gene-
ration der einen Pflanze der gleichen einer anderen, die ungeschlechtliche
Generation einer Pflanze nicht minder der ungeschlechtlichen einer anderen,
die Generationen sind einander homolog. Diesen Ausdruck können wir auch
etwas konkreter fassen und sagen: die Organe, welche die Generationen auf-
bauen, sind einander homolog.
Nun haben wir gehört, daß die beblätterte Achse des Mooses und die der
höheren Pflanzen, Farne und Blütenpflanzen nicht derselben Generation ange-
hören. Dürfen wir sie gleichwohl als homolog bezeichnen, dürfen wir Achse
und Blatt beiMoosen und höheren Gewächsen als homologe Organe betrachten?
Offenbar nicht; man wird sagen müssen, daß trotz großer Ähnlichkeit Achse
und Blatt der Moose und höheren Pflanzen tatsächlich nicht homolog sind, son-
dern nur Konvergenzerscheinungen. Ein verdienter Morphologe, Bower
hat in Konsequenz der Erkenntnis, daß nicht das Moosstämmchen, sondern
der Sporophyt der Moose dem beblätterten Stamm der Farne und Blütenpflanzen
homolog ist, die Meinung ausgesprochen, daß der Stiel der Mooskapsel das-
jenige Gebilde sei, welches man der Achse der Farne und Blütenpflanzen
gleichzusetzen habe und daß die Blätter der letzteren Anhängsel seien, die
sekundär an der ursprünglich blattlosen Achse sich ausgebildet hätten.
Wir wollen hier diese Fragen nicht weiter verfolgen; nur noch darauf
hinweisen, daß auch für den, welcher die Homologie zwischen Moos- und
Farn- und Blütenpflanzen 240
Farn- bzw. Blütenpflanzenblättern ablehnt, die außerordentliche morpho-
logische Ähnlichkeit und die Übereinstimmung in der Ontogenie, die regel-
mäßige akropetale Anlage am Vegetationspunkt, die wir bei ihnen allen
finden, ihre „Organisationshomologie", wie wir mit Goebel sagten, sehr
auffallend bleiben muß und jedenfalls dazu führt, von „Blättern" sowohl bei
Moosen als auch bei höheren Pflanzen zu reden. Dies um so mehr, als man
sonst vielleicht gezwungen wäre, auch die Blätter innerhalb anderer Pflanzen-
gruppen mit verschiedenen Namen zu belegen, denn Wettstein vertritt die
Meinung, daß die Blätter der Farnpflanzen nicht alle miteinander homolog
seien, so das Blatt des Bärlapps nicht mit dem Wedel eines Adlerfarns oder
anderen Farnkrautes.
Wer aber nicht umhin kann, unter den Begriff „Blatt" schlechterdings
nur homologe Gebilde zu subsummieren, wird sich derart helfen müssen, daß
er bei Moosen und bei anderen Pflanzen, wo die Homologie mit den Blättern
der Blütenpflanzen nicht über allen Zweifel erhaben ist, von flächenförmig
verbreiterten Assimilatoren spricht und so diejenige Bezeichnung verwendet,
die sich bei Algen schon gut eingebürgert hat.
Wenn wir nun im folgenden die Morphologie sämtlicher den Moosen Fam-
nach oben im Pflanzenreich folgender Gewächse gemeinsam abhandeln, so ^ BiTten-""
hat das darin seinen Grund und eine g-ewisse Berechtigung, daß bei ihnen pflanzen.
die Gestaltungsvorgänge fester umrissenen Regeln folgen als bei den Thallo-
phyten und Moosen; haben wir doch bei ihnen den Sproß des Sporophyten
stets nach Kormophytenart in Achse und Blatt gesondert, wenn wir absehen
von gewissen reduzierten Formen, wie Parasiten und Saprophyten, bei denen
wir die Rückbildung des Körpers uns stets mit dem Lebenswandel erklären
können, und sind sie doch alle durch den Besitz echter Wurzeln — wieder
mit Ausnahme bestimmter biologisch angepaßter Formen — vor Moosen und
Thallophyten ausgezeichnet. Von der gametophytischen Generation müssen
wir im folgenden unter Hinweis auf die wenigen Bemerkungen, die wir oben
über sie gebracht haben, abstrahieren.
Es sind also zunächst die Farnpflanzen, um die es sich im folgenden Einteilung
handelt, diejenigen Gewächse, die früher allgemein als „ Gefäßkryptog'amen " Blütenpflanzen.
den Thallophyten und Moosen, den „Zeilkryptogamen" gegenübergestellt
wurden, so genannt, weil in ihrem anatomischen Aufbau Gefäßbündel auf-
treten und fürzureichende Leitung von Nährstoffen durch den im Vergleich mit
den Moosen oft mächtig entwickelten Körper sorgen. An die Farne schließen
sich dann an die Blütenpflanzen, Samenpflanzen oderPhanerogamen, die wir
gliedern in nacktsamige (Gymnospermen), wie Nadelhölzer und Verwandte,
und in bedecktsamige oder Fruchtknotenpflanzen (Angiospermen), welche
wir als die am höchsten organisierten Gewächse zu betrachten haben.
Die Farnpflanzen werden, wie wir oben hörten, wiederum in verschiedene
Gruppen eingeteilt, die Farnkräuter im engeren Sinn, die Bärlappgewächse,
die Schachtelhalme usw. Aus bestimmten Farnkräutern oder Ahnen gewisser
2^0 W, Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
heutiger Farnkräuter haben sich die Samenpflanzen, zunächst die einfachsten
Gymnospermen entwickelt; fossile Zwischenglieder zwischen beiden sind
gefunden, die Pteridospermen der Karbonzeit, deren Namen andeuten
soll, daß sie mit den Farnen die wedelähnlichen Trophosporophylle, mit den
Phanerogamen den Besitz von Samen gemeinsam haben. — Und aus Gymno-
spermen oder, vorsichtiger gesagt, aus einem gymnospermen „Typus" müssen
dann die Fruchtknotenpflanzen hervorgegangen sein. Der Weg ist aber
wegen des Mangels an fossilen Uberg"angsformen nicht klar, und wir be-
gnügen uns daher hier daran zu erinnern, daß die Angiospermen ihrerseits
zerlegt werden in die Dikotylen, genannt nach der Zweizahl der Keim-
blätter, und in die Monokotylen, die ein Keimblatt am Embryo zeigen.
Wir hätten hiermit die wichtigsten Gruppen genannt, deren Namen uns später
bei den organog'raphischen Betrachtungen wieder begegnen. Nun noch ein
Wort über den Anschluß der Farne und damit auch der Phanerogamen, nach
unten an die früher behandelten Gewächse.
Ableitung Die Farnkräuter zeigen beachtenswerte, gemeinsame Züge mit den
Blütenpflanzen Mooscu; glclchwohl schcitcrt der nahelieg-ende Versuch, Moose direkt als
Thiuo h^'ten Stammväter jener zu betrachten, zumal an der heterogenen Ausbildung der
Sporengeneration bei beiden. Vielmehr nimmt man an, daß Moose und
Farne aus einer gemeinsamen Wurzel sich nach verschiedenen Seiten ent-
wickelt haben mögen, ein kurzer Seitenast endet bei den Moosen, ein längerer
führt über die Farne zu den höchst organisierten Pflanzen. Wie nun die
gemeinsamen Ahnen von Moosen und Farnen ausgesehen haben mögen,
weiß man nicht, man wird aber annehmen, daß sie algenähnlich gewesen sind.
Die einen Forscher suchen sie, ohne genaue Angaben über Zwischenformen
zu machen, bei denjenigen Algen, welche uns schon die Scheidung- des Thallus
Perikauiom- in rundliclie Langtriebe und flächenförmig- verbreiterte Kurztriebe zeigen.
Paläophytologische Erwägungen haben aber zu folg'enden Anschauungen
geführt, die wir hier kurz andeuten, schon aus dem Grund, weil im übrigen die
Paläophytologie in unseren Ausführungen ohnehin zu kurz kommt. Potonie
stellt sich vor, daß die Ahnen der höheren Pflanzen sich ableiten von algen-
ähnlichen Formen, die einen gabelig verzweigten Thallus besaßen, daß sich
aus diesem Thallus durch jeweilige Überflügelung des einen Gabelastes
Formen ausgebildet haben mögen, die dem Blasentang gleichen oder ähneln,
daß derart aus gabeligen Formen solche mit monopodialem Habitus hervor-
gegangen seien; aus den überflügelten Gabelästen haben sich endlich die
Blätter, aus den geförderten aber die Achse entwickelt. So haben wir eine
Pflanze mit einem „Urstengel" und „Urblättern". Aus ihr entwickelt sich
dann ein Kormophyt mit Stengel und Blättern, indem die Blattbasen gemein-
sam am Stengel aufwachsen, so einen Mantel um denselben bildend, ein
sogenanntes Perikauiom. So hat schließlich der Stengel in der Mitte Achsen,
in der Peripherie aber Blattnatur.
Schon frühere Forscher hatten die Meinung vertreten, daß der sogenannte
Stengel nichts genetisch Einheitliches sei. Hofmeister, der „Stengel" und
Bau des Samens
:5i
„Blatt" als die beiden Grundformen, die den Kormophyten bauen, ansah,
glaubte, der Stengel bestehe aus dem eigentlichen Stengel und aus einer
Rinde, die gebildet sei aus den Blattbasen, die vom Blattansatz nach unten-
hin den Stengel umkleiden. Delpino sprach die Meinung aus, der Stengel
bestünde aus miteinander verschmolzenen Blattbasen. Die Anschauung
Potonies gründet sich aber, wie g^esagt, wesentlich auf paläophytologische
Tatsachen und hat auch seitens anderer Paläophytologen Anerkennung ge-
funden. Die Annahme des allmählichen Schwunds der gabeligen zugunsten der
monopodialen Verzweigungsweise, die dieser Anschauung- zugrunde liegt, wird
gestützt durch den Befund, daß bei Farnpflanzen tatsächlich im Lauf der
phylogenetischen Entwicklung- die Gabelverzweigung- mehr und mehr hinter
der seitlichen zurücktritt. Jenes Perikaulom, der Achsenmantel mit Blattnatur,
ist bei fossilen Formen nachweisbar, bei welchen die Blattbasen die Stengel
berinden, aber auch bei heute noch lebenden Formen wie bei Fichten sind
unmittelbar aneinander grenzende Kissen an der Basis der Nadeln, welche
den Stengel umrinden, nachweisbar. Ein Vorteil dieser Theorie wird darin
erblickt, daß sie keinen wesentlichen Gegensatz zwischen den Gliedern der
Kormophyten, zwischen Achse und Blatt konstruiert, sondern beide phylo-
genetisch auf dieselben Thallusglieder zurückführt. Auch die Wurzel be-
steht nach ihr nur aus besonderer Umgebung und Aufgaben angepaßten^
im übrigen aber den anderen wesensgleichen Thallusgliedern.
Doch lassen wir jetzt diese Frage, welche die Gestalten als Folge einer
geschichtlichen Entwicklung zu verstehen sucht, wenden wir uns den Formen
der heute lebenden Farne und Samenpflanzen zu, indem wir nach Möglich-
keit versuchen, Bau und Funktion miteinander in Beziehung- zu setzen. Es
wird sich für uns empfehlen, von Jugendstadien auszugehen, da wir an diesen
bereits die „Grundorgane" in mannigfachster Ausgestaltung vorfinden.
Wir nehmen den Samen eines Rici?iics, sodann einen Bohnensamen,
ziehen die Samenschale ab und untersuchen, was uns in der Hand bleibt.
Bei der Bohne würden wir finden, daß es sich um ein Gebilde handelt, das
wir ohne jede Schwierigkeit als kleines Pflänzchen mit seinen verschiedenen
Organen erkennen können. Das Gleiche gilt auch vom Rizinussamen mit
dem Unterschied, daß wir hier das Pflänzchen erst aus einem im Verhältnis zu ihm
selbst voluminösen Gewebe herauspräparieren müssen. So haben wir denn
zwei verschiedene, typische Fälle der Ausbildung des Samens bei zwei Samen-
pflanzen: bei der Bohne erfüllt das Pflänzchen oder, wie wir lieber sagen
wollen, der Keim, der Embryo, das Innere der Samenschale vollständig aus,
bei dem Rizinus ist er noch in ein besonderes Gewebe eing-eschlossen, und
zwar ist dieses das Nährgewebe, welches zur Ernährung des Keimlings dienen
soll. Parallel mit diesem Unterschied geht der folg-ende: Bei Betrachtung
des Keims fallen uns besonders zwei gegenständige Blätter auf, die so-
genannten Keimblätter oder Kotyledonen; diese sind beim Rizinus blattartig Keimknospe
dünn, während sie bei der Bohne dickfleischig erscheinen. Die Stoffe, die
bei nährgewebhaltigen Samen im Nährgewebe gestapelt sind, finden sich
Bau
des Samens.
Keimblatt.
Hypokotyl.
Würzelchen.
252 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
bei nährgewebfreien in den Keimblättern; diese sind also als Reservestoff-
speicher mit anderer Funktion betraut als grüne Laubblätter und dem ent-
sprechend auch in ihrer Form metamorphosiert. — Ehe wir weiter beobachten,
folgern wir aus den bisherigen Befunden, daß wir in unseren beiden Pflanzen
Vertreter der Dikotylen, zweikeimblättrige Pflanzen vor uns haben. Hätten wir
in ähnlicher Weise den Samen einer Tanne oder Fichte geöffnet, so würden
wir nicht zwei, sondern einen ganzen Wirtel von Keimblättern finden. Bei
den Monokotylen, Gräsern und Verwandten wäre nur ein Keimblatt im Samen
zu beobachten. Doch kehren wir zu unseren Dikotylen zurück. Außer den
Keimblättern beobachten wir leicht ein Achsenorgan, das sich von den Keim-
blättern nach unten erstreckt, das ist das sogenannte hypokotyle Glied, und
dieses setzt sich in das Würzelchen fort, welches den Keim nach unten be-
schließt. So hätten wir denn Achse, Blatt und Wurzel, die drei Grundorgane
schon ohne alle Schwierigkeit am Keim aufgefunden. Untersuchen wir nun
aber noch den Pol der Pflanze, der dem Wurzelpol entgegengesetzt ist. Zu
diesem Zweck klappen wir die Kotyledonen auseinander und finden zwischen
ihnen als Fortsetzung des hypokotylen Gliedes nach oben ein Knöspchen,
die sogenannte Plumula, d. h. das obere Ende der Achse, an der seitlich die
Kotyledonen daransitzen. Diese Spitze ist umhüllt von den Anlagen kleiner
Blättchen; bei der Bohne sind diese Blättchen schon recht weit differenziert,
wir erkennen ohne Schwierigkeit, daß es sich um zusammengefaltete Bohnen-
blättchen en miniature handelt, beim Rizinus sind es lediglich kleine seitliche
Höcker an der Achse, die wir mit bloßen Augen schwierig erkennen können.
Auch die zwischen ihnen liegende kuppenförmige Stammspitze würden wir
mit bloßem Auge nicht sehen können.
Verschiedene Bei den Monokotylcn, darauf müssen wir zum Verständnis der gleich
weisendes Kefms. nachhcr ZU besprechenden Keimungserscheinungen hinweisen, steht das eine
Keimblatt nicht seitlich, sondern endständig an der Achsenspitze, sein Grund
ist scheidenförmig, und in diese Scheide pflegt die Keimknospe, die hier also
seitenständig" ist, eingeschlossen zu sein. — Auf die mannigfachen Unter-
schiede, die der Keim bei verschiedenen anderen Pflanzen zeigt, kann nur
flüchtig hingewiesen werden. Die Kotyledonen sind nicht immer in der üb-
lichen Zahl vorhanden. Es gibt Dikotylen, bei denen ein Kotyledon größer ist,
als der andere, oder bei welchen nur ein solcher entwickelt ist, letzteres beim
Alpenveilchen (Cyclamen) u. a.; es gibt Gymnospermen, bei welchen wir nur
zwei Keimblätter finden, (Fig. 30.) Was die Gestalt des Keimes angeht, so
wird uns schon aufgefallen sein, daß er beim Rizinus gerade gestreckt, bei der
Bohne gekrümmt ist, in manchen Fällen ist er spiralförmig eingerollt (Fig. 30),
auch die Kotyledonen können die mannigfachste Ausbildung zeigen, flach
zusammengelegt, oder in der verschiedensten Weise g^efaltet sein. Sodann ist
zu erwähnen, daß nicht immer in ihnen die Reservestoff"e gespeichert sind, in
manchen Fällen dient z. B. das Hypokotyl diesem Zweck, u, a. bei gewissen
Monokotylen, so den Laichkräutern, deren Keim dann als großfüßig be-
zeichnet wird; es liegt hier also eine Metamorphose dieses Organs vor, das
Bau des Keimes; Keimung 2'^^
üblicherweise nur die Funktion hat, die Verbindung zwischen Würzelchen
und oberen Teilen des Embryo herzustellen, eine Metamorphose, die dasselbe
Glied, wie hier schon erwähnt sei, bei anderen Pflanzen schon gleich nach
der Keimung und auch noch im erwachsenen Zustand zeigt: beim eben ge-
nannten Alpenveilchen ist die jedermann bekannte Knolle das angeschwollene
Hypokotyl.
Es sind dann noch Fälle zu erwähnen, in welchen man eine Gliederung
des Keims im ruhenden Samen, wie wir sie eben schilderten, nicht beob-
achten kann, in welchen eine solche Gliederung, bei der sich die Grund-
formen herausdifferenzieren, vielmehr erst später bei der Keimung und Ent-
wicklung beobachtet wird. Vielleicht die bekanntesten Bei-
spiele bieten die Samen mancher parasitischer Samenpflanzen,
z. B. der Sommerwurzarten, wo der Keim nur ein kleiner un-
gegliederter Gewebekörper ist. Diese Samen keimen nur,
falls sie von außen durch einen chemischen Reiz seitens einer
Wirtswurzel getroffen werden, von der sie dann sofort auch
die nötige Nahrung beziehen können. Ahnliches gilt für Fig.30. zweiSamen-
, längsschnitte. Links
Orchideen, für den Fichtenspargel und andere Humus be- der samen des Le-
wohnende Pflanzen. Auch sind Fälle bekannt — so bei be- v!rgr.!"mit' gerad'^m
stimmten Monokotylen wie Binsen und Sauergräsern, — daß Keim. Rechts der sa-
'-' raen des Bilsenkrauts,
erst Andeutungen einer Gliederung" des Keims im Samen nach berg u.schjudt,
nachweisbar sind. — Einen besonders merkwürdigen Fall ^ kdimmtem' Keim.
werden wir später noch kennen lernen. , Samenschale
'^ schwarz,Nahrgewebe
Weiteres beobachten wir bei derKeimung: Meistens tritt gestrichelt, Keim Keimung
. weiß. Aus Karsten des Samens
die Wurzel zuerst aus dem Samen aus, um die Verankerung im
Boden zu bewerkstelligen, indem sie senkrecht nach unten wächst und Wurzel-
haare ausbildet; daraufkommen wir später noch zu sprechen. Hier sei nur er-
wähnt, daß man in manchen Fällen auch beobachtet, daß die Wurzel nicht
kräftig aus wächst; in solchen Fällen zeigt sich eine lehrreiche Korrelation
zwischen Wurzelwachstum und Wurzelhaarausbildung schon bald nach der
Keimung, indem sich am Wurzelhals — so nennt man die Stelle, wo das
Hypokotyl in die Wurzel übergeht — besonders kräftige und zahlreiche
Wurzelhaare bilden, welche die Funktion der Wurzel für die erste Zeit auf
sich nehmen. Zumal bei Wasser- und Sumpfpflanzen, so auch bei insekten-
fressenden Pflanzen wird dies Verhalten beschrieben.
Hat die Keimwurzel die Samenschale gesprengt und ist sie nach außen
g'elangt, so folgt ihr zunächst die Keimachse, sodann auch die Keimblätter,
falls diese nicht mehr oder minder von der Samenschale eingeschlossen
bleiben; der weitere Verlauf der Keimung ist dann ganz wesentlich von dem
Verhalten der Keimblätter, deren Ausgestaltung ja auch schon im ruhenden
Samen eine so große Rolle spielte, abhängig".
Setzen wir zuerst den Fall, wir beobachten die Keimung eines nähr- Keimung nähr-
gewebs freien Samens, am besten einer dikotylen Pflanze, im Erdboden, so ^^samer'*"^
ist offenbar der einfachste Fall der, daß die Keimblätter dauernd unterirdisch
2 54 ^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
bleiben; sie dienen dann lediglich als Reservestoffspeicher und entziehen sich
ebenso wie das Hypokotyl nebst der Wurzel unter natürlichen Bedingungen
Hypogäische dem AnbHck; man redet dann von „hypogäischer" Keimung; über den Boden
eimung. ^^^^^ ^^^ Epikotyl, wic wir das Stengelglied über dem Ansatz der Kotyledonen
nennen, und hebt so durch sein Wachstum die Keimknospe empor. Wir
finden, daß dies Epikotyl oft unterhalb der Keimknospe umgebogen ist, mit
der gebogenen Stelle voran den Boden durchbricht und so die zarten Teile
der Knospe, die Blättchen und die von ihnen eingeschlossene Stengelspitze
unbeschädigt nach sich zieht; auch können die Keimblattstiele, interkalar
wachsend, sich nach oben krümmen und so dem Epikotyl das erste Vor-
dringen im Boden nach oben erleichtern.
Die „hypogäische" Keimung" kommt z. B. vor bei der Schminkbohne,
Roßkastanie, Eiche, ist aber sonst bei Dikotylen selten; viel häufiger ist bei
Epigäische diesen die epigäische Keimung, bei welcher durch Streckung des Hypo-
kotyls die Keimblätter über den Boden gehoben werden. Wie bei der hypo-
gäischen Keimung des Epikotyl, zeigt sich dabei häufig das H5^pokotyl unter-
halb des Ansatzes der Kotyledonen umgebogen, so diese unbeschädigt aus
dem Boden ziehend; in anderen Fällen können aber auch hier wiederum die
umgebogenen Stiele der Kotyledonen selbst als „Sturmbock" dienen. Be-
obachtet man nun die epigäischen Kotyledonen weiter, so sieht man über
kurz oder lang einen Funktionswechsel bei ihnen eintreten: sie ergrünen und
assimilieren, und zwar kann dieser Funktionswechsel in mehr oder minder voll-
kommener Weise sich vollziehen. Bei der gewöhnlichen Bohne werden beispiels-
weise die Kotyledonen zwar grün, verändern sonst aber ihre Gestalt nicht
wesentlich und sterben bald unter Verschrumpfung ab; in anderen Fällen aber
können die Keimblätter,wenn sie ihre Rolle als Reservestoffspeicher ausgespielt
haben, auch gestaltlich derart weiter umgebildet werden, daß sie sich normalen
Laubblättern annähern und durch Assimilation der Kohlensäure wesentlich
zur Ernährung der Pflanze beitragen. Hier liegt also eine wirkliche gestalt-
liche und funktionelle ontogenetische Umwandlung eines Organs vor. Das
ist, um einige auch sonst sehr oft genannte Beispiele zu nennen, der Fall beim
Kürbis und bei den Kreuzblütlern. — Daß nahe verwandte und rücksichtlich
der Gestalt der Samen nicht sehr verschiedene Pflanzen gleichwohl sich da-
durch unterscheiden, daß sie entweder epi- oder hypogäisch keimen, zeigen
zwei schon genannte Pflanzen, die epigäische gemeine Bohne und die hypo-
g'äische Schminkbohne; im allgemeinen freilich sind hypogäische Samen
durch große, sehr nährstoffreiche Kotyledonen kenntlich. Äußere Einflüsse
können natürlich den Verlauf der Keimung beeinflussen. Gelangen bei flacher
Aussaat die Kotyledonen der Schminkbohne ans Licht, so können sie ergrünen
und in mäßigem Umfang die anderen Blätter durch Assimilation unterstützen.
Keimung Bei Dikotylcnsamen mit Nährgewebe würden wir finden, daß die Koty-
haitjger Samen. Icdoucn dazu dicncn, das Nährgewebe auszusaugen, und daß sie nach Aus-
übung dieser Funktion gleichfalls zu assimilierenden Blättern werden können.
Wollen wir aber die Keimung von Samen mit Nährgewebe genauer ver-
Hypo- und epigäische Keimung 255
folgen, so wenden wir uns am besten den Monokotylensamen zu, die in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle über ein solches verfügen. Auch hier tritt
uns besonders die biologische Bedeutung des Keimblattes an seinen während
der Keimung zu beobachtenden eigenartig-en Umgestaltungen entgegen.
Bei dem keimenden Zwiebelsamen sehen wir beispielsweise das faden-
förmige grüne Keimblatt sowohl mit Spitze als auch basalem Ende, also bogen-
förmig gekrümmt, im Boden stecken; mit seiner Spitze, die übrigens gestaltlich
nicht weiter umg-ewandelt wird, steckt es im Samen und saugt das Nährgewebe
aus, am basalen Ende geht es in jenen oben schon erwähnten Scheidenteil
über, der sich in Hypokotyl und Wurzel fortsetzt. Ist der Samen ausgesaugt,
so streckt sich das Keimblatt gerade, der Samen wird abge-
streift und die Spitze stirbt ab und vertrocknet, soweit sie als
Saugorgan fungierte. Der übrige Teil des Keimblattes dient
weiter der Assimilation, und aus einem Spalt am oberen Ende
seines Scheidenteils sehen wir die Plumula herauswachsen,
welcher jene Scheide bis dahin als schützende Hülle diente.
Während hier das Keimblatt an seiner Spitze und Basis andere
Funktionen zu erfüllen hat als in seinen assimilierenden mittleren
Partien, haben wir andere Fälle, in welchen es überhaupt nicht er-
grünt; auch hier dient die Spitze als Saugorgan, vergrößert sich Fig. 31. iceim-
aberimSamen während derKeimung- und wird so seinerFunktion meiina coeiestis.
auch gestaltlich besser angepaßt. Die Scheide dient wiederum zur ^'^^' ^^ ^us war-
O ö r^ MING - J OHANNSEN
UmhüllungderKnospe,und derzwischenScheidenteil und saugen- "^^h klebs.
der Spitze liegende Teil ist hier ein chlorophyllfreies weißliches „Verbindungs-
stück" zwischen Scheidenteil, Plumula, Hypokotyl und Wurzel einer-, Samen-
schale mit Nährgewebe andererseits; so bei der in Fig-. 31 abgebildeten Co/n-
inelüia. Endlich haben wir Fälle, wie den so oft bei der Kokospalme beschrie-
benen, in welchen das Keimblatt fast ganz im Samen darinstecken bleibt und,
während es bei der Keimung als Saugorgan fungiert, so stark heran-
wächst, daß es endlich den ganzen Samen als schwammiges Gewebe ausfüllt.
Halbieren wir ein Graskorn der Länge nach, so sehen wir am unteren craskom.
Ende den Embryo schräg dem Nährgewebe anliegen und zwar mittels eines als ^Koieo"tiit"
Scutellum (Schildchen) bezeichneten Organs, welches das Keimblatt ist, durch
dessen Vermittlung- das Nährgewebe entleert wird. An der Keimknospe des
Embryo würden wir zunächst zu beobachten haben ein scheidenförmiges
Blatt, welches wohl auch als Scheidenteil des Schildchens gedeutet wird.
Dies Blattgebilde, auch als Koleoptile benannt, hat einmal dieselbe Funktion,
die der Scheidenteil des Keimblattes bei anderen Monokotylen hat, es hüllt
die Keimknospe ein, sodann aber, und das ist der Grund, aus dem wir darauf
zu sprechen kommen, hat sich gezeigt, daß es ausschließlich oder im bevor-
zugten Maße den Schwerkraftsreiz und den Lichtreiz aufnimmt und die je-
weilige Richtung der Erdschwere oder der Lichtstrahlen einem basal von
ihm befindlichen Stengelglied, dem sog.Mesokotyl, übermittelt, das sich darauf-
hin so krümmt, daß die junge Pflanze in die für sie günstige Richtung im
2^6
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Viviparie.
Raum gelangt. Hier hätten wir also einen Fall, in dem wir ein Blatt als
Sinnesorgan der Pflanze bezeichnen könnten.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß bei den wenigen Mono-
kotylen, welche kein Endosperm besitzen, das Keimblatt zuerst als Reserve-
stoffspeicher dient, um sodann der Assimilation sich zu widmen. Daß ferner
bei den Gymnospermen die Samen Nährgewebe führen, daß die Keimblätter
hier meistens epigäisch sind und daß dann in vielen Fällen sehr schön zu be-
obachten ist, wie sie zuerst mit ihrer Spitze
das Nährgewebe aussaugen, um sich so-
dann von der leeren Samenschale zu be-
freien und als zierlicher assimilierender
Wirtel zu erscheinen, so bei den Kiefern
usw. Eigenartige Keimungserscheinung^en
bieten Gewächse, welche zu den den
Gymnospermen zuzuzählenden Gnetineen
gehören: hier treten die Kotyledonen aus
dem Samen aus und behufs Entleerung des
Nährgewebes wird vom Hypokotyl ein
besonderes Gewebe entwickelt, welches
jenes durchwuchert und aussaugt. Hier
haben wir ein schönes Beispiel für ein
„Organ sui generis" und brauchen uns
glücklicherweise heutigen Tags den Kopf nicht mehr
darüber zu zerbrechen, ob das ein Stamm-, Blatt- oder
Wurzelgebilde ist.
Was wir bis jetzt über die Keimungserscheinungen
gesagt haben, zeigt so viel, daß wir einmal in den ver-
schiedenen großen Abteilungen der Blütenpflanzen ver-
schiedene Typen haben, die also nötigenfalls auch als
systematische Merkmale verwertet werden können,
daß wir aber außerdem viele Keimungsbilder sehen,
die lediglich Anpassungsmerkmale zeigen, also bei
Pflanzen, die sehr nahe verwandt sind, ganz verschieden aussehen können.
Solche biologische Keimungstypen, die durch die Qualität des Standortes er-
klärlich sind, gibt es nun noch so zahlreich wie der Sand am Meer. Wir
können sie hier nicht im einzelnen verfolgen, wollen es uns aber doch nicht
versagen, noch mit wenigen Worten auf einen solchen Fall hinzuweisen, das
ist die sogenannte „Viviparie", die Erscheinung, daß Samen schon keimen,
während sie noch am Baume sitzen, eine Erscheinung, die man antrifft bei den
so häufig genannten Mangrovepflanzen tropischer Küstengebiete. Schildern
wir, G.Karsten folgend, nur einen besonders typischen Fall (Fig. 32): Das
Hypokotyl durchbricht die Samenschale, sodann die Wand der noch am Baume
hängenden Frucht und kann bis einen Meter Länge erreichen, während die
Hauptwurzel zurückgebildet ist; es wird sodann dadurch noch weiter heraus-
Fig. 32. Ein
Zweig der Man-
grovepflaaze Ce-
riops Roxburg-
hiana mit Früch-
ten und Keim-
lingen.
Nach Karsten.
^^
Viviparie. — Adventivbildungen 257
geschoben, daß die beiden Kotyledonen, die zu einem sogenannten Kotyledonar-
körper, der vorher als Saugorg^an diente, verwachsen sind, ebenfalls aus der
Frucht heraustreten; sie bilden dann eine Scheide, welche die Keimknospe
einschließt. Durch Windstöße wird der Keimling losg^elöst, fällt herab und
bohrt sich mit dem spitzen Ende des Hypokotyls in den Schlamm ein, um als-
bald auszukeimen.
Über der Keimung der Samen wollen wir aber nicht ganz vergessen, daß Entwicklung
zu den Pflanzen , für deren Organographie wir uns augenblicklich zu inter- ^^ p^oUia^uim!
essieren haben, auch Nichtsamenpflanzen, nämlich die Farne gehören, und
deshalb wenigstens ganz kurz darauf hinweisen, daß wir auch hier an den
ersten Stadien des Sporophyten eine ähnliche Gliederung beobachten können
wie bei Samenpflanzenkeimlingen. Suchen wir nach Gametophyten unserer
Farnkräuter, wie wir sie früher kurz geschildert haben und wie wir sie am
feuchten Waldesboden, noch bequemer aber in den Warmhäusern botanischer
Gärten antreffen werden, so sehen wir nicht selten an ihnen die Jugendstadien
eines Farnkrautes ansitzen. Wir würden an ihnen leicht unterscheiden können
die Wurzel, sodann, vielleicht allerdings nicht ganz leicht, den Stammscheite],
endlich aber wieder ohne Schwierigkeit ein Blatt, welches wie alle Farn-
wedel in der Jugend an der Spitze eingerollt ist. Mit einem besonderen
Organ, dem sogenannten Fuße — wiederum einem „Organ sui generis" — sitzt
das Farnpflänzchen in dem Gametophyten darin; durch diesen Fuß bezieht
es in der ersten Zeit Nahrung. Sehr bald aber wird es selbständig und
wächst sodann zu dem allbekannten Farnkraut heran.
Um nun zu zeigen, wie eigenartig manche Formen von ihren Verwandten Keimung von
abweichen, schließen wir die Besprechung dieser Keimungserscheinungen
mit einer ganz sonderbaren zu den Dikotylen gehörigen Pflanze, der Gattung
Streptocarpus, zu welcher am Kap einheimische, in unseren Gewächshäusern
nicht selten kultivierte Pflanzen gehören.
Bei Sfreptocarpns polyanthiis findet man, daß der Keim nur Hypokotyl
und Keimblätter hat, Wurzeln und Knospe fehlen. Bei der Keimung streckt
sich das Hypokotyl und bildet Haare, die zunächst die Wurzel ersetzen,
wie wir ähnliche Fälle ja oben schon geschildert haben; Laubblätter werden
fürderhin nicht entwickelt, vielmehr wächst der eine Kotyledon mächtig heran
zu dem einzig^en Assimilator der Pflanze, während der andere zugrunde geht.
Schon vorher brechen am oberen Ende des Hypokotyls sogenannte Adventiv-
wurzeln hervor, welche die Pflanze verankern und mit Nährsalzen ver-
sorgen, und schließhch wächst aus dem Blattstiel auch der Blütensproß heraus-
Der eben genannte Ausdruck „Adventivbildung" wird uns später noch be- Begriff der Ad-
schäftigen. Als Adventivwurzeln im weitesten Sinne können wir alle solche '«'"'»^■^i^'^'^^sen.
bezeichnen, die „an ungewohnten Orten" entstehen, d. h. nicht Keimwurzeln
oder deren Nebenwurzeln verschiedener Ordnung- sind. Adventivwurzeln im
engeren Sinn sind aber unter diesen nur solche, welche an scheinbar beliebigen
Stellen, oft infolge gewaltsamer äußerer Eingriffe, bei Stecklingen usw. sich
zeigen.
K. d. G. III. IV, Bd 2 ZeUenlehre etc. I7
258
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Verzweigung
der Wurzeln.
Anordnung der
Seitenwurzeln
in Orthostichen.
Endogene Ent-
stehung der
Seitenwurzeln.
Wir haben soeben einige Fälle spezieller Gestaltung erörtert, müssen
aber nunmehr, um nicht an Einzelheiten haften zu bleiben, unsere weiteren
Betrachtungen wieder auf etwas breitere Basis stellen. — Schauen wir einen
Keimling, dessen allmähliche Entwicklung wir soeben beobachtet haben, an,
so fällt uns sofort auf, daß er in der übergroßen Mehrzahl der Fälle verzweigt
ist; nur so kann erreicht werden, daß die assimilierenden Flächen das dem
Pflanzenindividuum zufallende Licht möglichst ausnutzen, nur so, daß die
Wurzel genügend Nährsalze aus dem Boden aufnimmt. Wir müssen darum
zunächst einmal g-anz allgemein fragen, welche Verzweigungsweise, die
dichotome oder die seitliche Verzweig'ung an den Achsen der Farne und
Samenpflanzen häufiger ist.
Betrachten wir zuerst die Wurzel etwa eines
Bohnenkeimlings, den wir einige Wochen im feuch-
ten Raum haben wachsen lassen, so fällt uns ohne
weiteres auf, daß deren Verzweigung" eine seitliche,
und zwar bei typischer Ausbildung des Wurzel-
systems, wie sie hier vorliegt, eine monopodiale ist :
Die Hauptwurzel wächst senkrecht nach unten und
sendet Nebenwurzeln unter einem bestimmten
Winkel schräg nach unten. Gabelige Verzweigung
der Hauptwurzel würden wir nur bei bestimmten
Farnpflanzen antreffen. Indem wir die Ausge-
staltung des Wurzelsystems im einzelnen zu
besprechen auf später uns vorbehalten, achten
wir bei unserer Bohne zunächst noch auf folgen-
des: Einmal würde uns auffallen, daß die Seiten wurzeln nicht in un-
mittelbarer Nähe der wachsenden Wurzelspitze auftreten, sondern erst in
einiger Entfernung von ihr, sodann daß sie akropetal gebildet werden, die
kürzesten Nebenwurzeln stehen der Spitze am nächsten, die längsten am
weitesten von ihr entfernt. Dies gilt wenigstens für noch nicht zu alte Pflan-
zen, es zeigt sich nämlich, daß an älteren Pflanzen Nebenwurzeln auch in
ganz unregelmäßig-er Weise, — adventiv, — zwischen schon vorhandene einge-
schoben werden, so daß die streng progressive Ausgiiederung- verwischt wird.
Ferner würde schon eine flüchtige Betrachtung uns zeigen, daß die
Neben wurzeln nicht selten in Längsreihen übereinander stehen, sie bilden
dann sogenannte Geradzeilen, „Orthostichen", und zwar bei den einzelnen
Pflanzenarten in g^anz verschiedener Zahl. Manchmal sind nur zwei Gerad-
zeilen zu beobachten, die Wurzel mit ihren Nebenwurzeln erster Ordnung
bildet dann ein .gefiedertes Zweigsystem, häufig sind mehr, drei, fünf oder
eine noch größere Zahl von Längsreihen zu beobachten.
Sehen wir nach, ob wir an der Oberfläche der Wurzeln irgendwelche
vorgebildete Stellen beobachten können, an denen die Seitenwurzeln sich
bilden, so werden wir zu einem negativen Ergebnis kommen; wohl aber
werden wir deutlich erkennen können, daß die Seitenvvurzeln stets aus dem
Fig. 23- Längsschnitt durch die
Bohnenwurzel. _/ Zentralzylinder,
r Rinde der Wurzel, « endogene
Seitenwurzeln mit Haube A. Aus
Warming nach PrANTL.
Monopodien und Sympodien
259
Monopodien.
^^^I
Innern ihrer Mutterachse hervorbrechen, also endogenen Ursprungs sind,
um den Ausdruck hier zu wiederholen, den wir bei Besprechung der Leber-
moose zuerst anwandten.
Wenden wir uns nun der Verzweigungsweise der oberirdischen Achsen Verzweigung
, . io 11-j* j- i_i' -^7 • Ti- der oberirdischen
ZU, SO sehen wir, daß auch bei diesen die gabelige Verzweigung, die bei Achsen.
Algen, Lebermoosen usw. noch so häufig war, im Schwinden begriffen ist. Sie
ist u, a. anzutreffen bei der Farnpflanze Seloginella (Fig. 34), bei welcher wir
gleichzeitig, ähnlich wie beim Blasentang, Sym- .,
podienbildung durch Übergipfelung eines Gabel-
astes durch den andern finden; die seitliche Ver-
zweigung tritt in den Vordergrund — in Überein-
stimmung mit den kurz angedeuteten Befunden bei
Fossilien. Diese kann sich oft in Form des schön-
sten regelmäßigsten Monopodiums zeigen; der
Tannenbaum ist ein oft genanntes Beispiel dafür;
in vielen anderen Fällen aber führt die seitliche
Verzweigung zu sehr unregelmäßigen Formen, be-
dingt durch ungleichmäßiges Wachstum der Seiten-
äste, ferner dadurch, daß durch diese die Mutter-
achse aus ihrer Wachstumsrichtung „herausge-
worfen" wird und so nicht mehr geradlinig
wächst usw. Sehr häufig führt auch die seitliche ^. c. „ .. ,
TT • C V U■^A • A A- ^'^•34- Sproßstuck von SelagineUa, Sympodien.
Verzweigung- zur Sympodienbildung", indem die etwas verkleinert, s, s', s", s"'Sym-
TT ^1-1 TTT 1 j. 1 ^ ^• Da. j c j. 2. a. Po^^i"™' entstanden aus Gabelungen
Hauptachse ihr Wachstum abschließt und tortgesetzt durch stärkere Entwicklung je eines
wird durch einen Seitenzweig, der, unmittelbar unter
der nicht mehr wachsenden Spitze der Hauptachse
entspringend, sich in dessen gerade Verlängerung
stellen kann. Nicht nur viele wagerechte Sprosse, Rhizome, Ausläufer u. a.
sind solche Sympodien, auch mehr oder minder orthotrop wachsende Aste
in Baumkronen stellen häufig Sympodien dar.
Vielfach kann nur genaue Untersuchung" der Verzweigungsverhältnisse,
zumal an den Vegetationspunkten, wo die jungen Seitenäste angelegt werden,
uns darüber belehren, ob wirklich seitliche Verzweigung vorliegt. In vielen
Fällen ist genaue Beobachtung der Ontogenie vonnöten. So wird man bei
Betrachtung der Sproßsysteme mancher Bäume, etwa einer Roßkastanie, die
Meinung aussprechen, diese seien gabelig verzweigt; gleiches gilt, um einmal
ein Beispiel einer ganz anders organisierten Pflanze hier heranzuziehen, von
der Mistel, und man könnte bei dieser letzteren sogar auf die Idee verfallen,
daß ihr Schmarotzertum es bedinge, daß eine rückschrittliche, bei ihren Ahnen
übliche Verzweigung bei ihr wieder zum Vorschein komme; dann würde
hier ein sogenannter Atavismus vorliegen. Doch zeigt die genaue Unter-
suchung, daß hier nur scheinbare Gabelung vorliegt: die Spitze der jeweiligen
Mutterachse ist nicht weiter gewachsen und statt ihrer haben zwei seitlich
und gegenständig unter ihr sitzende Seitenäste das Verzweigungssystem
Gabelastes, a, a', b, b' Gabeläste.
In der Gabelung a" s hat sich j
stärker entwickelt, und setzt darum
das Sympodium fort. Nach Wiesner.
ir
Axilläre
Verzweigung.
260 W. Benecke : Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
fortgesetzt. Bei der Roßkastanie ist solche scheinbare Gabelung dann zu be-
obachten, wenn die Mutterachsein einen Blütensproß, der nach der Samenreife
abfällt, endigt und damit ihr Wachstum abschließt, in anderen Fällen ist sie zu-
nächst nicht zu erklären und als Organisationseigenart hinzunehmen. Bei Wei-
den, Ulmen usw., deren Blüten nicht an den Enden von Hauptachsen stehen, son-
dern seitlich an Kurztrieben, sehen wir nichts von solcher „falscher" Dichotomie.
Exogene So schcn wir denn, daß in allen diesen Fällen der Vegetationspunkt
Seitenzweige, einer Hauptachse nicht in zwei neue aufgelöst wird und selbst damit ver-
schwindet, sondern daß er seitlich neue Vegetationspunkte ausgliedert.
Wenden wir uns nun der Frage nach der Stellung der Seitenachsen an der
Hauptachse zu und der Art und Weise ihrer Entstehung, so sei bezüglich
dieser letzteren gleich vorweggenommen, daß sie exogen entstehen, also
nicht wie die Wurzeln aus dem Innern der Mutterachse hervorbrechen.
Ferner fällt uns bald auf, daß, wiederum im Gegensatz zu den Wurzeln, die
Seitenäste nicht an scheinbar beliebigen Stellen angelegt werden, daß sie
vielmehr in den Achseln der Blätter stehen. Schon an sehr jungen Blatt-
anlagen in der Nähe der Vegetationspunkte — wir werden das noch ge-
nauer betrachten, wenn später von den Blättern die Rede sein wird —
sehen wir die Anlagen der Seitensprosse auftreten, während bei den Wurzeln,
wie wir uns erinnern, die Spitze der Hauptwurzel typischerweise auf eine
ziemlich weite Strecke hin frei von Nebenwurzeln bleibt.
Das Gesetz von der axillären Verzweigung wird freilich von Aus-
nahmen durchbrochen. Scheinbare Ausnahmen liegen dann vor, wenn sich
die Seitensprosse erst dann ausbilden, wenn ihr Tragblatt schon abgefallen
ist. Doch ist vor allem zu betonen, daß es bei den Farnpflanzen keine Gel-
tung- hat. Auch jene, bei den Samenpflanzen so häufigen Sprosse, die an
beliebigen Stellen des Pflanzenkörpers, oft infolge von Änderung der Lebens-
bedingungen entstehen, Sprosse, die wir den oben als Adventivbildungen
namhaft gemachten zurechnen müssen, sind nicht an Blattachseln gebunden,
es sind sogenannte extraaxilläre Sprosse; das gilt nicht nur von denjenigen
Adventivsprossen, welche aus oberirdischen Teilen hervorbrechen, sondern
ganz natürlich auch von Adventivsprossen an Wurzeln, denn diese haben
ja keine Blätter. Auch darf man besagtes Gesetz nicht etwa umkehren
wollen und sagen: Jede Blattachsel stützt einen Seitenzweig oder eine Seiten-
knospe, denn es gibt Pflanzen genug, bei denen nicht in jeder Achsel eines
Laubblattes Seitenzweige angelegt werden. Allgemein gilt das ja von den
Blättern der Blütenregion, auf die wir an dieser Stelle nicht weiter einzu-
gehen haben.
So viel ist aber sicher, daß die Seitenzweige der Samenpflanzen, ab-
gesehen von den Adventivbildungen, an die Blätter gekettet sind; wollen
wir also unser eben formuliertes Thema: Beschreibung der seitlichen Stellung
der Achsen, erledigen, so deckt sich das im wesentlichen mit der Frage
nach der Blattstellung der Samenpflanze; so müssen wir denn diese, die so-
genannte Lehre von der Phyllotaxis nun in ihren Grundzügen kennen lernen.
Blattstellung 26 1
Die erste Frage wird lauten, ob denn überhaupt die Blätter in streng Phyiiotaxis.
gesetzmäßiger, bei den verschiedenen Pflanzen verschiedener Weise angelegt
werden, ob sie nicht vielmehr ganz wahllos, je nach Bedarf bald hier bald
dort am Stengel, z. B. da, wo eben günstige Beleuchtungsverhältnisse herr-
schen, gebildet werden. Tatsächlich kann man ja bei Betrachtung mancher
beblätterten Pflanzengestalten den Eindruck haben, als ob diese in wahrhaft
künstlerischer Unregelmäßigkeit, wie Haberlandt sagt, angelegt wären,
derart, daß lediglich günstige Ausnutzung von Raum und Licht das die
Blattstellung beherrschende Gesetz sei, eine Unregelmäßigkeit im einzelnen,
durch die eben schließlich jenes harmonische Ganze gebildet wird, das wir
in einer Baumkrone, etwa in der einer Buche bewundern. Andererseits lehrt
aber doch schon in vielen Fällen der Anblick eines kleinen Sprosses mit
den seitlich daransitzenden Blättern selbst das ungeübte Auge, daß diese
regelmäßig angeordnet sind, und so zeigt sich denn, daß auch jene schein-
bare Regellosigkeit, von der wir eben sprachen, doch bestimmten Gesetz-
mäßigkeiten unterworfen ist, denen es nunmehr nachzuspüren gilt, daß jene
Regellosigkeit zurückzuführen ist auf nachträgliche Veränderung ursprüng-
lich streng gesetzmäßiger Gestalten. Vor allem sei hier betont, daß die
Blätter, wie sie auch sonst seitlich an der Achse daransitzen mögen, streng akro-
petal am Vegetationspunkt angelegt werden. Adventive Blätter gibt es nicht.
Nehmen wir nun einen jungen, bei möglichst allseitig gleicher Beleuchtung wechselständige
gerade emporgewachsenen Sproß zur Hand und betrachten ihn von der Seite, ständige Blätter.
so finden wir vielfach, wenn es sich um die Hauptsache einer Pflanze handelt,
daß die Internodien von unten nach oben zuerst an Länge zu, dann wieder
abnehmen, daß auch für tief unten angesetzte Seitenachsen dasselbe gilt,
während bei höher ansitzenden die Zunahme der Internodien von unten her
mehr und mehr zurücktritt und nur die schließliche Abnahme sich geltend macht.
Sodann sehen wir ohne Schwierigkeiten, daß wir wieder jene beiden Fälle
der Blattstellung zu unterscheiden haben, die uns schon bei der Betrachtung
der Stellungsverhältnisse seitlicher Glieder bei Algen auffielen: entweder
steht am Stamm auf derselben Höhe nur ein Blatt oder mehrere, zwei bis
viele Blätter. Wir haben somit Wechselständigkeit der Blätter von Quirl-
ständigkeit zu unterscheiden und wollen zuerst den bei höheren Pflanzen
häufigeren und wichtigeren Fall, die Wechselständigkeit, etwas genauer ins
Auge fassen.
Wichtig für die Lehre von der Blattstellung ist nun zunächst die Tat- Orthostichen.
Sache, die uns gleichfalls der Anblick eines aufrecht vor uns stehenden
Sprosses zeigt, daß die Blätter in Geradzeilen stehen, in „Orthostichen", wie
wir sie bei der Betrachtung verzweigter Wurzeln schon beobachtet haben.
Es können zwei, drei oder mehr Orthostichen vorhanden sein. Bei be-
stimmten kriechenden Achsen, z.B. solchen von Wasserfarnen, hat man auch
den Fall gefunden, der aber eine große Ausnahme darstellt, daß die Blätter
lediglich auf der Rückseite stehen, dort also eine einzige Orthostiche bilden.
Doch lassen wir diese Ausnahme beiseite; es gilt nunmehr einen Sproß von
202
W. Benecke : Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Grundspirale, —
Blattzyklus.
oben oder von unten her zu betrachten. Da fällt uns alsbald auf, daß der
Winkel, den zwei in longitudinaler Richtung aufeinanderfolgende Blätter
oder, was dasselbe sagt, die in ihren Achseln stehenden Seitenzweige bilden,
derselbe ist; sie divergieren gleichmäßig, woher der Ausdruck stammt: Die
Divergenz „Divcrgcnz" der an einem Sproß aufeinanderfolgenden Blätter ist die gleiche.
Was die Größe dieser Divergenz angeht, so können wir aus der oben
beobachteten Tatsache, daß die Blätter in Orthostichen stehen, nunmehr
ohne weiteres schließen, daß sie einen reellen Teil des Stengelumfangs be-
trägt und daß wir sie bequem als einen Bruchteil des Umfangs kennzeichnen
und ausdrücken können.
Um nun die Divergenz zu ermitteln, gehen wir ebenso vor, wie früher bei
der Betrachtung der Stellung der Seitengheder bei den Algen: wir nehmen
in Gedanken einen Bindfaden und ver-
binden mit ihm die Ansatzstellen der
aufeinanderfolgendenBlätter.DerBind-
faden beschreibt dann eine Schraube,
die sogenannte Grundspirale, die
wechselständige Blattstellung- wird da-
nach auch als Spiralstellung bezeichnet,
und wir würden weiter finden, daß der
Fig. 35. Blattstellung nach Vj, im Grund- und Aufriß Fadcn dann am gleichcu Sproß immer
schcmatisch dargestellt. Nach Nordhausen. . 1 • 1 o • i- r
im gleichen Sinn herumlauft, rechts -
oder linksläufig. Führen wir nun den Faden so weit, daß wir zum Ansatz
eines Blattes gelangen, welches genau über dem Blatt steht, von dem wir
ausgingen, mit anderen Worten zum nächstoberen Blatt derselben Gerad-
zeile, so haben wir einen sogenannten Zyklus von Blättern des Sprosses
verbunden. Solcher Zyklen können natürlich an ein und demselben Sproß
viele aufeinander folgen, in anderen Fällen wird die gesamte Beblätterung
eines Sprosses nur den Bruchteil eines Zyklus vorstellen. — Teilt man nun
die Zahl der Windung^en, welche ein in der geschilderten Weise geführter
Bindfaden um die Achse bildet, durch die Zahl der von ihm dabei berührten
Blätter, wobei man das erste Blatt mit o numeriert, so erhält man die
Divergenz. Läuft in einem gegebenen Fall der Faden fünfmal um die Achse
und berührt er dabei 13 Blätter, so ist die Divergenz sy^^, d.h. ein Blatt ist
von dem ihm folgenden um s/i^
des Kreisumfanges
der Achse entfernt.
Haiiptreilip.
Die Untersuchung hat nun gezeigt, daß sehr häufig' die Divergenz Y2 vor-
kommt, d. h. die Zahl der Geradzeilen ist zwei, so bei den Süßgräsern, bei
manchen unserer Laubbäume wie Linde, Buche. Bei den Sauerg-räsern
haben wir drei Orthostichen, die Divergenz ist ^3- Häufig ist sodann die
Divergenz -/^, wobei wir fünf Orthostichen am Stengel finden, dies u. a. bei
dem Eichensproß.
Ordnet man die Divergenzzahlen, die am häufig"sten in der Kormophy ten-
welt realisiert sind, in eine Reihe, so erhält man die sogenannte Haupt-
reihe Y2, 73) Vs» ^/sj V13 usw. Wie man sieht, ist jedes folgende Glied dieser
Divergenz 263
Hauptreihe aus den beiden vorhergehenden durch Addition von Nenner zu
Nenner und Zähler zu Zähler ohne weiteres abzuleiten. Seltener sind Reihen,
die beginnen mit Y3, Y4, oder ^j^, Yg und zwar, wie wir hören, um so seltener,
je kleiner der Anfangsbruch ist.
Die Grundspirale wird auch als genetische Spirale bezeichnet und Genetische
das hat auch seine Berechtigung in den Fällen, welche wir unserer Betrachtung ''"^^ ^'
zugrunde legten und bei welchen die Beobachtung des Vegetationspunktes
ergibt, daß die Blattanlagen in derselben Reihenfolge erscheinen, in welcher
am erwachsenen Stengel die Grundspirale sie aufeinanderfolgen läßt. Jede
neu erscheinende Blattanlage kommt am Vegetationspunkt von der nächst-
älteren um den Teil des Kreisumfang'es entfernt zum Vorschein, den die Diver-
genz am erwachsenen Stengel anzeigt. Bei der Streckung des Stengels werden
dann die am Vegetationspunkt dichtgedrängten Blätter nur in longitudinaler
Richtung auseinander geschoben. — Es sei dies kurz erwähnt, weil in anderen
Fällen, z. B. an gestauchten Achsen, die dicht mit Blättern besetzt sind und
die mit Vorliebe dazu dienen, die Spiralstellung ad oculos zu demonstrieren»
ebenfalls eine Grundspirale herausgerechnet werden kann, die aber die zeit-
liche Entstehungsfolge der Anlagen am Vegetationspunkt nicht widerspiegelt,
also keine genetische Spirale ist.
Die Spiralstellung der Blätter, die wir eben in ihren Grundzügen zu schimpers
schildern versucht haben, spielt in der Geschichte der Wissenschaft eine, Spiraitheone.
man wäre fast versucht zu sagen, unverdient große Rolle. Die berühmte
Blattstellungstheorie von K. F. Schimper und A.Braun, die in den dreißiger
Jahren das Licht der Welt erblickte, nahm an, daß, um die Worte von Sachs
zu gebrauchen, „alle Stellungsverhältnisse auf ein einziges Prinzip zurück-
zuführen" seien. Dies Prinzip liegt in der Annahme, daß das Wachstum am
Stengel in Gestalt einer Schraubenlinie emporsteigt, die Bildung von Blättern
sei eine örtliche Steigerung dieses spiraligen Wachstums. Ihr Grundfehler
liegt darin, daß „sie die Abstraktionen des Verstands mit dem objektiven
Wesen der Dinge verwechselt. Diese Verwechslung aber zeigt sich darin,
daß Schimper die vom Verstand bewirkte Verknüpfung der Blätter durch
eine Spirallinie für eine in der Pflanze selbst liegende Tendenz hält". Diese
vielbesprochene Theorie gehört ganz und gar der Geschichte an. Auf die
späteren Versuche, die sich in direkten Gegensatz zu der idealistischen
Schimperschen Auffassung stellten, die Versuche Schwendeners und seiner
Schüler, den Ort der Anlage von Blättern am Vegetationspunkt auf mecha-
nische (Druck-) Verhältnisse zurückzuführen, können wir nicht näher ein-
gehen.
Man wird sich damit begnügen müssen zu konstatieren, daß durch ihre Biologische
Anordnung die Blätter in vielen Fällen zu einer recht vollkommenen Aus- °p°h"viioür
nutzung von Raum und Licht befähigt werden. In diesem Sinne sucht auch
Wiesner das so häufige Vorkommen der Divergenzen, die der Hauptreihe
angehören, zu erklären, indem er darauf hinweist, daß „bei den durch diese
Reihe gegebenen Stellungsverhältnissen schon mit der kleinstmöglichen Zahl
264 ^- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
von Blättern eine annähernd gleiche Verteilung derselben und doch auch
ein Ausstrahlen der Blätter nach den verschiedensten Richtungen hin er-
möglicht wird". Und in der Tat, fassen wir jene Hauptreihe nochmals ins
Auge, so sehen wir, daß die beiden ersten Divergenzen ^2 und Y3 die Grenz-
werte darstellen und daß alle darauffolgenden zwischen diese beiden fallen,
abwechselnd dem einen oder dem anderen sich nähernd. Bei der Stellung
Y2 ist schon nach Ausbildung zweier gleicher Blätter erreicht, daß deren
Gewicht genau gleichmäßig verteilt ist, bei den anderen Divergenzen der
Hauptreihe fällt wenigstens jedes folgende Blatt auf die andere Seite des
Stengels als das vorhergehende, die Belastung wird nach Ausbildung zweier
Blätter jedenfalls eine einigermaßen allseitig- gleiche; diese Divergenzen stellen
sozusagen ein Kompromiß vor zwischen dem Prinzip, die Last ganz gleich-
mäßig' zu verteilen und dem anderen, die Blätter allseitig zu entwickeln und
so Licht und Raum vollkommen auszunutzen. — Divergierten die Blätter
statt dessen z. B. um Y^oo des Stengelumfanges, so wäre erst beim hundert-
sten Blatt gleichmäßige Belastung des Sprosses erzielt, von der stärkeren
Hebelwirkung höher gestellter Blätter ganz abgesehen. Biologisch ohne
weiteres verständlich ist die von Warming betonte Erscheinung, daß häufig
Pflanzen mit schmalen Blättern eine größere Zahl von Orthostichen zeigen
als solche mit breiten. Daß ferner die Blätter an Achsen mit kurzen Inter-
nodien, z. B. Rosettenblätter, vielfach eine größere Zahl von Geradzeilen
bilden, als die an Achsen mit gestreckten Internodien stehenden.
W'irteisteiiung. Wir haben nun noch ein kurzes Wort über die weniger häufige Quirl-
oder Wirtelstellung der Blätter zu sagen. Besonders oft sind die Wirtel
zweigliedrig, die Blätter dann gegenständig, daneben kommen mehrgliedrig-e
Wirtel vor, es sei an die Wasserpest erinnert mit ihren dreigliedrigen Blatt-
wirteln. Meistens, das haben wir auch bei den Algen schon ebenso gefunden,
alternieren die Wirtel. Wenn gegenständige Blätter alternieren, was ganz
besonders oft der Fall ist, so spricht man von dekussierter Blattstellung.
Was eben über die Blattstellung gesagt wurde, gilt für Laubblätter; es
sei nun kurz daran erinnert, daß quirlige und spiralige Blattstellung auch bei
den Blüten und Blütenständen zu beobachten und zu unterscheiden ist. Man
denke an den Kiefernzapfen mit seinen spiralig, an den Zypressenzapfen
mit seinen quirlig gestellten Fruchtblättern. Im übrigen zeigen sich in den
Blüten nicht selten eine sehr große Zahl von Gliedern im Quirl, auch finden
wir, daß sehr häufig die Zahl der Glieder in aufeinanderfolgenden W^irteln
in der Blüte stark wechselt; es sei an die Rosen erinnert mit ihren
fünfgliedrigen Blütenkronenwirteln und ihren vielgliedrigen Staubblatt-
wirteln.
Es sei endlich noch darauf hingewiesen, daß häufig, so bei sehr dichter
Stellung der Glieder, es nur bei genauerer Untersuchung zu ermitteln ist, ob
quirlige oder spiralige Stellung vorliegt. Der Laie hält den Tannenbaum
für eine Hauptachse mit quirlig angesetzten Seitenachsen, der Botaniker weiß,
daß diese in Wirklichkeit aber spiralig stehen, durch sehr kurze Internodien
Änderung der Blattstellung
265
Bedeutung der
Blattstellung.
Änderung der
Blattstellung.
getrennt. Auch können durch Zusammenschieben zweizähliger Wirtel schein
bar mehrzähhge entstehen.
Nun ist es bekannt, daß die Art und Weise der Blattstellung nicht nur systemaHsche
ökologische Bedeutung für die Pflanze hat, sondern auch für den Systematiker
wichtig ist, insofern sie als Organisationsmerkmal von Familien Verwertung bei
deren Charakterisierung finden kann. Beispiele dafür haben wir oben schon ge-
nannt, es sei auch noch zum Überfluß daran erinnert, daß z.B. die Lippenblütler
durch dekussierte Blattstellung ausgezeichnet sind. Um so wichtiger ist es
aber danach zu fragen, ob nicht die Blattstellung an ein und derselben Pflanze,
sei es, daß man verschiedene Glieder derselben Pflanze, Haupt- und Seiten-
sprosse vergleicht, sei es, daß man dieselben Glieder unter veränderten Be-
dingungenbeobachtet, wechseln kann. Für die Blütensprosse ist schon einiges
kurz gesagt; beschränken wir uns auf die vegetative Region. Da sehen w4r
alsbald, daß z.B. die Wasserpest unten an ihren Zweigen gegenständige, weiter
oben aber zu dreien quirlständige Blätter hat. Auch bei Spiralstellung kann die
Divergenz an einem und demselben Sproß wechseln, dafür ist die Eibe ein oft
g^enanntes Beispiel, bei der die Stellung der Nadeln von ^j^- in 3/g. Stellung
überg'ehen kann. Bei bestimmten Aloearten geht nach Goebel die ^2 Stellung
mit dem Alter in spiralige Stellung mit anderer Divergenz über. Bei vielen
Bäumen (Buche, Ulme usw.) stehen die Blätter an den Hauptachsen jugend-
licher Pflanzen mehrzeilig, nach Y3 oder '/g, an den Seitenachsen zweizeilig,
so daß die Krone eines älteren Exemplares nur zweizeilig beblätterte Zweige
hat; bei anderen (Kastanien usw.) ist zu beobachten, daß sie an den aufrechten
mehr-, an den wagrecht gerichteten zweizeilig" stehen; in diesem Fall kann man
begreiflicherweise auch experimentell die zweizeilige in die mehrzellige Blatt-
stellung überführen. Als Beispiel dafür, daß an einem Gewächs im Lauf der
Einzelentwicklung auch die wirtelige in die Spiralstellung übergehen kann, wird
der Fieberbaum, EucalyptuSy zitiert. Bestimmte Brennesselgewächse, auch Fett-
pflanzen, zeigen nach Goebel als Keimpflanzen dekussierte, später spiralige
Blattstellung. Noch näher liegt es daran zu erinnern, daß stets da, wo eine
Keimpflanze gegenständig'e oder wirtelige Keimblätter hat, später aber Spiral-
stellung aufweist, also ganz außerordentlich häufig, dieser Fall verwirklicht
ist. Besonderer Beachtung wert ist der Hinweis Goebels, daß vielleicht
allgemein „bei den Monokotylen die Blattanordnung sich ontogenetisch von
der ^2 Stellung", bei den dikotylen aber von der dekussierten wird ableiten
lassen". Durch asymetrisches Wachstum oder durch Torsion des Scheitels,
durch Auseinanderrücken ursprünglich miteinander gekoppelter Blätter, durch
Verkümmerung bestimmter Blätter könnte nach Goebel solche Veränderung
während der Ontogenese erfolgen.
Mit diesen Fällen wirklicher Änderung der Blattstellung" in der Ontogenese
darf man nicht verwechseln Fälle scheinbarer phyllotaktischer Änderung. Be-
obachten wir z. B. ein Gewächs mit dekussierter Blattstellung", das nicht von
oben beleuchtet ist, sondern ledig"lich Seitenlicht empfängt, so kann man
nicht selten beobachten, wie die beiden Blätter, die rechts und links stehen,
Scheinbare
Änderung der
Blattstellung.
2 66 ^V. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
ihren Blattstiel tordieren, um in die Flächenstellung- zu gelangen, wie ferner
das nach vorn fallende durch Krümmung des Blattstiels seine Spreite senkt,
das nach hinten fallende seine Spreite aber hebt. In solchem Fall wird man
auch bei flüchtiger Betrachtung erkennen, daß nicht die Blattstellung am
Vegetationspunkt geändert wird, sondern nachträgliche Wachstumserschei-
nungen an der Änderung der Stellung der Blätter im Raum schuld sind. In
anderen Fällen, so z. B. bei plagiotropen Sprossen des gleichfalls mit de-
kussierter ßlattstellung versehenen Hollunders und vieler anderer Pflanzen
findet eine entsprechende Drehung der Internodien statt, die bewirkt, daß
die Blätter endlich nicht mehr vierzeilig stehen, sondern zweizeilig an der
rechten und linken Flanke, und nunmehr durch Drehung der Blattstiele Flächen-
stellung zum Licht erreichen. Flüchtige Beobachtung könnte diese Drehung
der Stengelglieder übersehen und glauben machen, daß hier am Vegetations-
punkt Änderung der Blattstellung erfolgt sei.
So sehen wir denn soviel, daß die Pflanze auf die vielfältigste Weise
die ursprünglich einfache Anordnung ihrer Blätter verändern kann, sei es
durch wirkliche, sei es durch scheinbare Änderung der Blattstellung. Es
kommt hinzu, daß die Divergenzen nicht immer mathematisch genau zu ver-
stehen sind. Ulmenzweige, so sagt man, sind zweizeilig beblättert; genauere
Betrachtung lehrt aber, daß an den plagiotropen Trieben die Blätter aus der
streng zweizeiligen Anordnung an der rechten und linken Flanke stark nach
unten geschoben werden, so daß die Achselknospen ihrerseits aus der Blatt-
achsel nach oben gerückt erscheinen.
Berücksichtigen wir endlich, daß die Stellung der Seitenzweige, wenn-
gleich an die Blätter gebunden, doch eine viel unregelmäßigere ist als die
Blattstellung, indem keineswegs alle Knospen, die in den Blattachseln an-
gelegt sind, auswachsen, andere sich dafür um so kräftigter entwickeln, so
wird es uns ohne Schwierigkeit verständlich, und damit knüpfen wir an den
Punkt wieder an, mit dem wir die Blattstellungslehre eing"eleitet haben, daß
trotz der vielfach so einfachen Regeln der Phyllotaxis an den Gewächsen,
zumal den höchst entwickelten unter ihnen, den Hölzern, Stellungsverhältnisse
zustande kommen, die wir nicht leicht auf einfache Formeln bringen, sehr
häufig aber doch biologisch mit Rücksicht auf den Nutzen, den sie der
Pflanze bringen, zwar nicht erklären, aber doch uns verständlich machen
können.
Nachdem wir uns über Blattstellung und Verzweigungsweise der Achsen
höherer Pflanzen in großen Zügen unterrichtet haben, wollen wir uns nun-
mehr der Betrachtung von Entwicklung und Ausbildung ihrer Organe zu-
wenden, dabei zuerst die normale, gewöhnliche Ausgestaltung derselben unter-
suchen, dann uns fragen, inwieweit sie auch als Adventivbildungen auftreten,
um endlich gestaltliche Umbildungen, die mit Funktionsänderung verknüpft
sind, ins Auge zu fassen. Beginnen wir mit der Wurzel, um die Besprechung
des Stammes und des Blattes daran anzuschließen.
Wurzel
267
Schon in der bisherigen Darstellung war überaus häufig von „Wurzeln" Definition
die Rede, ehe wir ihrer genaueren Betrachtung uns zuwenden konnten; das '"' "
war auch angängig, weil jedermann über Gestalt und Funktion der Wurzel
in großen Zügen unterrichtet ist; fragen wir uns nun aber, was der Botaniker
von einem Organ „verlangt", damit er es als Wurzel bezeichnet.
Noch zur Zeit Linnes, d.h. in der zweiten Hälfte des 1 8. Jahrhunderts,
war der Begriff Wurzel ziemlich identisch mit dem Begriff „unterirdisches
Axenorgan", heutigen Tages aber nennt man nur solche unterirdischen
Teile Wurzeln, die keine Blätter tragen, andererseits beschränkt man die Be-
zeichnung-, wie allbekannt, nicht auf unterirdische Teile, da es ja auch Luft-
wurzeln gibt. Seitliche Ausgliederungen am Wurzelkörper sind also, wenn
wir von Wurzelhaaren absehen, nur in Form von Seiten wurzeln nachweisbar,
ferner ist daran zu erinnern, daß auch Seitensprosse, sogenannte Wurzel-
sprosse, Wurzelbrut, aus Wurzeln hervorbrechen können.
Charakteristisch für die Wurzel ist sodann der Besitz einer Wurzel- wurzeihaube.
haube, eines die Spitze bedeckenden, schützenden Organs, welches der ^^""^^^^"«•
Wurzel ermöglicht, ohne Schädigung ihres Vegetationspunktes im Boden vor-
zudringen, indem es dabei außen abgenutzt, von innen stets wiederum er-
setzt wird. Hinter der von der Haube bedeckten Wurzelspitze folgt die Zone
des lebhaftesten Längenwachstums der Wurzel, und an diese schließt sich nach
oben an eine Zone, welche durch Ausbildung" von Wurzelhaaren sich kenn-
zeichnet; mittels der streng akropetal sich bildenden Wurzelhaare wird die
Wurzel im Boden verankert, indem jene mit den Bodenteilchen fest verwachsen ;
die wurzelhaartragende Zone beteiligt sich selbst am Längenwachstum nicht
mehr, ermöglicht es vielmehr den spitzenwärts gelegenen Teilen, sich im
Boden durch Wachstum vorwärts zu schieben. Die Aufnahme von Nähr-
salzen aus dem Boden findet einmal durch die Wurzelhaare, sodann aber
durch die gesamte Oberfläche der Wurzelspitze statt. Noch weiter rückwärts
von der Wurzelhaarzone fungiert die Wurzeloberfläche nicht mehr als nah-
rungaufnehmendes Organ, die Wurzel dient dort vielmehr w-esentlich nur
noch zur Leitung der weiter spitzenwärts aufgenommenen Stoffe. Was für
eine Hauptwurzel eben geschildert wurde, gilt ebenso für den Bau der Seiten-
wurzeln, die ebenfalls ihre Haube und ihre wurzelhaartragende Zone besitzen.
Über die Ausbildung des Wurzelsystems einer Pflanze wäre sodann
noch zu sagen, daß diese ganz wesentlich von der Art und Weise und dem
Ausmaß der Verzweigung abhängt, worüber oben schon einiges mitgeteilt
ist. Während die Haupt wurzel senkrecht nach unten wächst, wachsen die pfahi- und
Seitenwurzeln erster Ordnung schräg- nach unten, die höherer Ordnung
zeigen keine Beziehung zum Erdradius, sondern wachsen derart, daß sie
den Boden möglichst vollständig ausnutzen. Im übrigen weiß jedermann,
daß die verschiedenen Pflanzen sich dadurch unterscheiden, daß die einen
kräftige Hauptwurzeln als sogenannte Pfahlwurzeln ausbilden, die tief in den
Boden hinab sich senken. Während hier die monopodiale Verzweigung des
Wurzelsystems sich lange Zeit deutlich bemerkbar macht, wachsen umgekehrt
Faserwurzeln.
268 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
bei anderen Pflanzen die Seitenwurzeln kräftiger aus, um mehr horizontal
unter dem Boden dahinzukriechen. Bäume mit tiefgehender Wurzel sind
die Eichen, solche mit flachen Wurzeln Pappeln, Kiefern usw. Sodann ist
es im höchsten Maße von der Bodenqualität abhängig, wie sich das Wurzel-
system entwickelt; in armem Boden wachsen die Wurzeln oft unter geringer
Ausgliederung von Seitenzweigen rasch senkrecht nach unten, in festem
Boden bleibt das Wurzelsystem kürzer, verzweigt sich statt dessen kräftiger,
und das gleiche ist auch bei Kultur der Pflanzen in nährstoffreichen, bzw.
-armen Lösungen zu beobachten. Die Länge des Wurzelsystems ist oft der
Mächtigkeit der oberirdischen Teile nicht anzusehen, ganz unscheinbare Pflänz-
chen unserer Flora können mehr als zwei Meter lange Wurzeln entwickeln,
„die sich", wieE.Hannig ausführt, „fast unverzweigt wie Schnüre von 2 — 4 mm
Durchmesser" nach unten ins Grundwasser erstrecken, so auch in Böden mit
trockenen Oberflächenschichten wohl g^edeihend. Auf die enorme Literatur
über Ausbildung der Wurzeln unter besonderen Standortsbedingungen, so
bei Wüstenpflanzen, die entweder mit tiefgehenden Wurzeln das Grund-
wasser suchen, oder mit oberflächlich kriechenden Wurzeln das Regenwasser
gleich nach dem Fall ausnutzen, sei hier nur hingewiesen. — Bei insekten-
fressenden Pflanzen, deren Wurzeln durch diese eigenartige Ernährungsweise
entlastet sind, findet man oft ein stark reduziertes Wurzelsystem.
Zogwurzeln, Nachträgliche Formveränderungen, die bei äußerlicher Betrachtung sich
zeigen, finden sich an den sogenannten Zugwurzeln, das sind Wurzeln, die
sich kontrahieren, wobei ihre Oberfläche sich in ringförmige Falten legen
kann. Solche Verkürzung zeigen Haupt- und Nebenwurzeln vieler unserer
Stauden; der Löwenzahn wird ganz besonders häufig als bequem zugängliches
Demonstrationsmaterial genannt; durch sie wird bewirkt, daß die grund-
ständigen Blattrosetten trotz des Wachstums der sie tragenden Stengelteile
vom Boden sich nicht entfernen, sondern jahraus, jahrein demselben fest
ang-elegt bleiben. Es sind auch Wurzelsysteme bekannt, an welchen nur einige
Glieder als Zugwurzel ausgebildet werden; — dann liegt also ein Fall von Dimor-
phismus der Wurzeln an einer Pflanze vor, der auch in anderen Fällen be-
schrieben wird. Auf Kontraktion der Wurzel sind nach Nordhausen auch
Spannungen zurückzuführen, welche die später noch zu behandelnden Luft-
wurzeln vielfach zeigen.
Anomal gestai- Es wären nun einige Abweichungen vom normalen Bau kurz zu erwähnen.
Zunächst kann die Wurzelhaube fehlen oder bald schwinden, immer infolge
besonderer Organisations- und Standortsbedingungen. Der amerikanische
Wasserfarn ^^-ö/Zia: besitzt, wie man in jeder Organographie lesen kann, auf
der Bauchseite seines Stengels zwei Reihen von Wurzeln, die übrigens in
ihrer Funktion dadurch unterstützt werden, daß die eine Hälfte jedes Blattes
wie eine Wurzel fungiert. Jene Wurzeln haben nun ein begrenztes Wachs-
tum; sobald dies erloschen ist, wird die Haube abgeworfen, und die an der
Spitze befindlichen Zellen wachsen zu Wurzelhaaren aus. Von Landpflanzen
wird oft die Roßkastanie als Pflanze genannt, deren Wurzeln als schlecht-
tete Wurzeln.
Zugwurzeln. Wurzellose Pflanzen
269
hin haubenlos bezeichnet werden; tatsächhch sind es aber nur bestimmte
im Wachstum gehemmte Seitenwurzeln, die keine Haube besitzen; es sind
das gleichzeitig solche Wurzeln, die mit Pilzen vergesellschaftet sind, eine
sogenannte Mykorrhiza bilden, eine Erscheinung, die zu den allerver-
breitesten im Pflanzenreich gehört, ohne daß man sich Rechenschaft über
ihre Bedeutung geben könnte. In anderen Fällen, in welchen gleichfalls die
Wurzelhaube fehlt, so bei der Wasserlinse, beim Froschbiß, ist sie ersetzt
durch ein anderes Organ, das sich nicht am Vegetationspunkt der Wurzel
bildet, sondern von der Tragachse der Wurzel abstammt, eine sogenannte
Wurzeltasche, die, ähnlich „wie ein Handschuhfinger", über die Wurzel-
spitze gezogen ist und gleiche Funktion wie die Haube hat. Sodann zeigen
Schmarotzer derartige Reduktionserscheinungen ihrer Wurzeln: der Klee-
seide fehlt die Haube an den Wurzeln der Keimlinge; später, sobald dieser
Parasit einen Wirt befallen hat, geht die Wurzel, die in den Jugendstadien
nur als „Wasserbehälter" diente, überhaupt zugrunde. Auch die Wurzelhaare
können fehlen; vielfach wiederum bei Wasserpflanzen oder Pflanzen feuchter
Standorte, so bei der Schwanenblume , dem Fieberklee, auch beim Crocus.
Man könnte versucht sein, das damit zu erklären, daß solche Pflanzen, sei es
infolge ihres Standortes, sei es infolge ihrer Org^anisation, die sie mit Wasser-
behältern versorgt — letzteres beim Crocus — keine Schwierigkeiten in der
Wasserversorgung haben, darum auf die durch die Haare bedingte Ober-
flächenvergrößerung und Erleichterung der Wasserzufuhr verzichten können,
doch reicht diese Erklärung- nicht aus, da umgekehrt viele Wasserpflanzen
besonders schöne und reichliche Wurzelhaare haben. An Mykorrhizawurzeln,
d. h. an den Wurzeln unserer Waldbäume, die in natura fast immer mit Pilzen
vergesellschaftet sind, fehlen Wurzelhaare gleichfalls und sind durch die
Pilzfäden ersetzt. Die Wasserpest, die Teichrose bildet nur dann Wurzel-
haare, wenn ihre Wurzeln aus dem Wasser nach unten in den Boden g'e-
langen, also in Kontakt mit festen Teilchen. Für bestimmte Seggenarten
wird ang-egeben, daß sie bei Züchtung in trockenem Boden die fraglichen
Org-ane bilden.
Von diesen Beispielen für Reduktion bestimmter Teile der Wurzeln wurzeUose
kommen wir nun ung'ezwungen zu solchen Pflanzen, welche überhaupt auf
die Ausbildung von Wurzeln verzichten. Bei solchen dienen stets andere
Teile, vor allem Stengelteile, aber auch Blätter dazu, um die Funktion
der Wurzeln zu übernehmen. Der Wasserfarn Salvinia besitzt dreigliedrige
Blattwirtel; zwei der Blätter jedes Wirteis schwimmen auf der Wasserober-
fläche, das dritte ist fein zerteilt und dient als Wurzel. Wolffia, eine zu den
Wasserlinsen g'ehörige Pflanze, also wie diese schon in ihrer Gestalt dem
Wasserleben aufs deutlichste angepaßt — gehören doch die Wasserlinsen zu
den eigenartigen „Kormophyten", welche statt Stengel und Blätter nur einen
thallusartigen Körper bilden, der sozusagen den Bau der Algen imitiert —
ist eine wurzellose Pflanze, sie nimmt Wasser und Nährsalze direkt mit ihrem
auf dem Wasser schwimmenden „Thallus" auf. Auch andere Wasserpflanzen
270
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Rhizoiden
statt Wurzeln.
i.Freilebende"
Wurzeln.
sind wurzellos, so die bekannte Schlauchpflanze Utricularia, auf die noch
zurückzukommen sein wird. Wieder andere Wasserpflanzen haben nur in der
Jugend Wurzeln, später aber fungieren ihre Blätter nicht nur als Assimi-
latoren, sondern gleichzeitig als nährsalzaufnehmende Organe.
An Landpflanzen sind ferner zu erwähnen bestimmte tropische Epiphyten,
die Bromeliacee Tillandsia usneoides, die, einer Bartflechte vergleichbar, am
Baum hängt, und bei welcher die Blätter die Funktion der fehlenden Wurzeln
übernehmen. Sodann aber bestimmte der sogenannten Saprophyten, chloro-
phyllfreier Pflanzen, die im Humus wohnen und zu jenen oben schon genannten
Mykorrhizenpflanzen gehören, ohne daß man über ihren Stoffwechsel mehr
aussagen könnte, als daß sie nicht Kohlensäure assimilieren, sondern von
organischen Stoffen leben, sei es als Parasiten auf den Pilzen, mit denen sie
vergesellschaftet sind, sei es von den toten
Bestandteilen, die sie aus dem Humus auf-
nehmen, oder die ihnen der Mykorrhizenpilz
irgendwie übermittelt; auch bei solchen
Saprophyten kann die Wurzel fehlen, ihre
unterirdischen Teile sind Rhizome, also um-
gewandelte Steng'elteile, die uns später noch
beschäftigen werden. Gleichfalls übernimmt
bei bestimmten Farnpflanzen das Rhizom die
Funktion der fehlenden Wurzel. Sodann wäre
noch zu erwähnen, daß gewisse Hymenophyl-
laceen, zart gebaute, zierliche Farnkräuter,
keine Wurzeln haben. Sind diese vielfach
schon durch ihr zartes Laub abweichend
von anderen Farnen gebaut und erinnern sie in dieser Beziehung an ein-
fachere Pflanzen, wie Moose, so ähneln sie solchen auch darin, daß sie statt
Wurzeln Rhizoiden ausbilden.
Auf den Schwund oder die Umbildung von Wurzeln bei Schmarotzern
kommen wir noch zu sprechen, nachdem von der Kleeseide oben schon die
Rede war.
Das entgegengesetzte Extrem zu diesen wurzellosen Pflanzen bilden solche,
bei welchen die Wurzel zur Erhaltung der Pflanze ganz besonders wichtig
ist. Wir können hier wiederum auf Saprophyten hinweisen, so den Fichten-
sparg-el unserer Wälder. Hier ist die Wurzel der ausdauernde Teil der Pflanze,
an dem sich jährlich die nach oben wachsenden Sprosse, als Wurzelsprosse
endogen bilden, um nach der Blüte abzusterben. Hier dienen also die Wurzeln,
sogenannte „freilebende Wurzeln" als Überwinterung^s- und außerdem auch
als Verbreitungsorgane der Pflanze, indem sie im Boden, wie es sonst Rhizome
tun, dahinwachsen, „wandern" (Fig. 3 6). Ähnliches gilt von Verwandten der ge-
nannten Pflanze. AndereihrerVerwandtenaber bilden biologisch gleich funktio-
nierende, echte Rhizome. Auf die merkwürdigenPodostemaceen,derenBehand-
lung sich hier anschließen könnte, kommen wir nachher noch zu sprechen.
Fig. 36. Wurzel des Fichtenspargels mit
5 verschieden alten Sprossen (a — e). Nat. Gr.
Aus Warming nach Kamienski.
Freilebende und adventive Wurzeln
271
Wir kommen jetzt zur Behandlung' der Adventivwurzeln. Indem wir
wegen der Definition auf die früheren Ausführungen zurückverweisen (S. 257),
erinnern wir nur noch daran, daß man als Adventivwurzeln vielfach schon die
außer der Reihe gebildeten Nebenwurzeln, die deren akropetale Reihenfolge
stören, bezeichnet (S. 258); hier aber wollen wir nur Beispiele für solche adven-
tive Wurzeln und deren etwa vorhandene Seiten wurzeln nennen,welcheanBlatt-
oder Stengelorganen zum Durchbruch kommen, seien es im übrigen ober- oder
unterirdische Organe. Ebenso wie die Seitenwurzeln werden auch die Adven-
tivwurzeln endogen angelegt, müssen also die äußeren Partien der Tragachsen
durchbrechen. Einigte Aus-
nahmen bestätigen diese Re-
gel, wir brauchen sie aber nicht
ausdrücklich anzuführen.
Aus Adventivwurzeln
wird zunächst das Wurzel-
system der Monokotylen ge-
Adventiv-
wurzeln.
bildet, z,
B. der Gräser, Pal-
men usw., bei welchen die
Fig- 37-
Unterer Teil einer Gerstenkeimpflanze mit Keim-
Adventivwurzelu. Nach Warming.
und
Eigentümlichkeit zu be-
obachten ist, daß die Keim-
wurzel über kurz oder lang
zu wachsen und zu funktio-
nieren aufhört, um durch
jene ersetzt zu werden (Fig.
37). Dies ist dann oft schon
ohne weiteres deutlich zu
erkennen, wenn eine Pflanze
nicht sehr tief im Boden sitzt
und die aus den basalen
Stengelknoten hervorbrechenden Wurzeln schon sichtbar sind, ohne daß man
die Pflanze ausgräbt. Was den Entstehungsort der Adventivwurzeln angeht,
so brechen sie mit Vorliebe aus den Stengelknoten hervor, entweder allseitig,
oder bei Pflanzen mit kriechendem oder aufsteigendem Stengel, an denen sie
besonders häufig in die Erscheinung treten, erdwärts. Entweder stehen sie
in Beziehung zur Insertion der Blätter, können z. B. aus der Blattachsel ent-
stehen oder unterhalb des Blattes; häufig alternieren sie auch mit den Blättern.
Doch gibt es Fälle, in welchen sie in keinerlei Beziehung zum Blattansatz
an beliebigen Stellen des Stengels hervortreten, das wären dann „adventive
Bildungen im engeren Sinn", wie wir oben schon gehört haben. Ganz außer-
ordentlich häufig sieht man an unterirdisch dahinkriechenden Achsen,
Rhizomen, sich Adventivwurzeln bilden. Hier trifft man sie auch nicht selten
in Form jener oben schon erwähnten Zugwurzeln ausgebildet. Die Rhizom-
pflanzen haben eine spezifisch verschiedene Tiefenlage, und wenn man sieht,
daß der auskeimende Samen unmittelbar unter der Bodenoberfläche liegt,
2 72 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
das Rhizom aber später in größerer Tiefe dahinkriecht, beim Spargel z. B.
schließlich in einer Tiefe von fast einem halben Meter, so muß es durch
bestimmte Wachstumsprozesse dahin gelangt sein. Einmal geschieht das nun
derart, daß die fortwachsende Rhizomspitze schräg nach unten wächst, so-
dann aber durch die Tätigkeit solcher Zugwurzeln. — Zu den Adventivwurzeln
müssen wir, um noch ein ganz besonders bekanntes Beispiel zu nennen
auch diejenigen rechnen, welche die aus einer Knolle erwachsende Kartoifel-
pfianze im Boden befestigen, indem an der Basis der Triebe, die sich aus
den Augen entwickeln, Adventivwurzeln entstehen. Ganz gleich verhält sich
eine Sauerkleeart, Oxalis crassicaulis , unter normalen Bedingungen, d. h.
wenn ihre Knollen unterirdisch keimen. Legt man aber die Knollen künstlich
so aus, daß nur ihr unterer Teil von Erde bedeckt ist, so treibt nachVöch-
ting die Knolle selbst nunmehr Adventivwurzeln an ihrem unterirdischen
Teil, während die oberirdischen Sprosse ohne Adventiv wurzeln sich entwickeln.
So haben wir hier wieder ein Beispiel dafür, daß der Experimentator künstlich
den „morphologischen Ort" von Organen bestimmen kann.
Luftwurzeln. Ganz besondcrs bekannt, daher an dieser Stelle nur kurz zu erwähnen
' sind diejenigen Adventivwurzeln, die in größerer Entfernung vom Erdboden
entspringend als Luftwurzeln bezeichnet werden. So die Haftwurzeln, die
am Efeustamm auf der dem Substrat zugewandten dunkeln Seite entsprossen.
Man kann sagen, daß bei solchen oder ähnlichen Haftwurzeln eine schon
der gewöhnlichen Bodenwurzel innewohnende Reizbarkeit, die Kontakt-
reizbarkeit, in gesteigertem Maße ausgebildet ist; besonders typische Haft-
wurzeln hat man wohl auch als Rankenwurzeln bezeichnet. Fast zu oft be-
schrieben sind ferner die Luftwurzeln der Tropenpflanzen, die mehr oder
minder vollständig zum epiphytischen Leben übergegangen sind und bei
denen wir häufig Dimorphismus, damit auch verschiedene Funktionen der
Wurzeln an ein und derselben Pflanze antreffen. Viele Aroideen, die am
Boden keimen, klettern mit Luftwurzeln an anderen Baumstämmen hinauf;
indem ihre Stämme dann unterwärts absterben, werden sie vermittels dieser
Haft wurzeln, die oft horizontal den Trag^ast umschling'en, festgehalten und
hängen dann an diesem, als ob „sie von Menschenhand mit Schnur" an-
gebunden wären. Sie senden dann Wurzeln senkrecht nach unten, die sich
im Erdreich verzweigen, diesem Nährstoffe entnehmend. Hier liegen der
Anlage nach gleiche Wurzeln vor, die sich je nach dem Ort, an dem sie
hervorbrechen, zu Haft- oder zu Nährwurzeln ausbilden können. Auch
künstliche Beeinflussung kann bewirken, daß die Entwicklung sich nach
dieser oder jener Funktion vollzieht. Manche Epiphyten der Tropen besitzen
nur Haftwurzeln, die Wasseraufnahme besorgen dann die Blätter, so be-
stimmte Bromeliaceen; ja die Wurzeln können ganz fehlen (vgl. S. 270 oben),
dann dienen die Blätter nicht nur zur Ernährung, sondern auch als Haftorgane.
Solche Luftwurzeln zeigen in ihrem Bau auch häufig, daß sie die Funktion
haben, tropfbar flüssiges Wasser aus der Atmosphäre aufzunehmen und der
Pflanze zuzuführen. Zu diesem Behufe sind sie entweder mit einem dichten
Luft-, Haft-, Stützwurzeln 273
Wurzelhaarfilz überzogen, oder aber sie besitzen ein sogenanntes Velamen,
eine äußere Gewebeschicht toter Zellen, die im trockenen Zustande mit Luft
erfüllt sind und die Wurzeln zu leuchtend weißen Gebilden machen, im
feuchten aber mit Wasser, Sehr anschaulich schildert Haberlandt „den
mächtigen lichten Wurzelkranz", den eine javanische epiphy tische Orchidee
an dem Stamm ihres Tragbaumes bildet, und der aus massenhaft weißen,
kammförmig verzweigten Wurzeln besteht, die mit ihren spitzen Enden Laub
und andere Pflanzenteile aufspießen, welche dann durch Regengüsse tiefer
in das Wurzelgeflecht hineingeschwemmt werden, wo sie allmählich zu Humus
werden, in welchen nun die Orchidee Wurzeln anderer Art, Nährwurzeln
hineinsendet. Da sie außerdem mit kräftigten Haftwurzeln an ihrem Trag-
stamm befestigt ist, erblicken wir hier Wurzeln dreierlei Art: Haftwurzeln,
humussammelnde und Nährwurzeln — alle aus identischen Anlagen hervor-
gegangen und zweifellos, sobald sie noch nicht allzuweit differenziert sind,
ineinander überführbar.
Bekannt sind die als Baumwürger bezeichneten Feigenbäume. Ihre stutzwurzebi.
Samen keimen an der Rinde des Baumes, der sie trägt und ihr später zum
Opfer fällt, der Keimling schickt Wurzeln senkrecht nach unten in den
Boden, die erstarken und so zu Stütz- oder Säulenwurzeln werden; aus
diesen wachsen Seitenwurzeln aus, desgleichen aus den Stengelteilen des
Epiphyten und umgeben den Tragbaum mit einer gegitterten Röhre, welche
jenen schließlich erdrosselt, der Würger steht nun allein auf jener Wurzel-
röhre und kann außerdem aus seiner Baumkrone weitere Säulenwurzeln nach
unten senden. Bekannt ist, daß ein einziges Exemplar des beng-alischen
Feigenbaums, des Banyans, das aus einem epiphytisch auskeimenden Samen
hervorgeht, mit seinen zahlreichen Säulenwurzeln endlich den Eindruck
eines ganzen Hains hervorrufen kann.
Sehr häufig in der neueren Zeit beschrieben worden sind endlich jene steizwurzein.
als Stelzwurzeln zu bezeichnenden Adventivwurzeln, die, dem Stamm ent-
springend, sich in steilem oder flachem Bogen, häufig verzweigt, dem Boden
zuwenden und so für den Baum oder Strauch, der sie bildet, ein stützendes
Gestell abgeben. Zumal die Hölzer der Mangroveforraation der tropischen
Küsten, die im Schlamm wurzeln müssen, sind oft mit solchen Wurzel-
gestellen versehen. In allen diesen Fällen kann die Stammbasis selbst ab-
sterben und die Luftwurzeln können dann deren Funktion, sowie die des
ursprünglichen Wurzelsystems ganz an sich reißen.
Die Betrachtung der Adventivwurzelbildung, der Adventivbildungen Einfluß äußerer
überhaupt offenbart uns so recht die große Plastizität der Pflanze, ihr Akkom- aufVüdungTon
modationsvermögen an die Außenwelt; denn von dieser hängt es oft ab, ob ''^^ar!'^!
Adventivwurzeln sich ausbilden oder nicht. Ein Stengelknoten bewurzelt
sich dann, wenn seine Umgebung feucht ist, sonst unterbleibt die Bewurze-
lung. Zumal auch nach Eingriffen von außen, nach Verwundungen bewirkt es
die Befähigung- zur Adventivbildung, daß aus einem Teil die ganze Pflanze
regeneriert wird: Wie allbekannt, läßt ein abgeschnittener Weidenzweig an
K. d. G. UI.IV, Bd 2 ZeUenlehre etc. l8
2 74 ^' Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
seinem basalen Ende Adventivwurzeln aus sonst ruhenden Anlagen sich aus-
bilden, am apikalen Pol wachsen die Knospen aus und die Pflanze ist wieder
hergestellt. Daß auch an abgeschnittenen Blättern sich Adventivwurzeln
bilden können, hat jeder Gärtner schon an abgetrennten Begonienblättern
gesehen. Wir haben das schon erwähnt (S. 193) und kommen noch wieder
darauf zurück.
Umgebudete BUckcn wir zurück, so können wir sagen, daß alle die eben behandelten
Wurzeln zwar mehr oder minder in ihrer Gestalt von der Gestalt der
Bodenwurzeln gewöhnlicher Durchschnittspfianzen abweichen. Doch haben
sie mit diesen die Funktion gemein. Denn wenn wir als Funktionen der ge-
wöhnlichen Wurzeln Festig^ung- und Nahrungsaufnahme bezeichnen, so können
wir sagen, daß diese Funktionen auch den eben abgehandelten Adventiv-
wurzeln zukommen; allerdings ist oft die eine Funktion so in den Vorder-
grund geschoben, daß die andere fast verschwindet, es sei an den Dimor-
phismus mancher Epiphytenwurzeln erinnert. Nun kommen wir zur Behand-
lung einiger anderer Wurzeltypen, die dadurch von den schon besprochenen
sich unterscheiden, daß sie Funktionen übernehmen, welche die anderen
überhaupt nicht besitzen oder doch höchstens andeutungsweise, nicht als
wesentlichste Funktion; wir wollen sie als umgebildete Wurzeln bezeichnen,
um damit anzudeuten, daß mit der veränderten Funktion sich auch die Ge-
stalt in oft sehr weitg'ehendem Maße an die neue Funktion angepaßt hat,
unter Abweichung von der normalen Wurzelgestalt. Übrigens sind die „um-
Speicher- gebildeten" Wurzeln teilweise adventiver Natur, teilweise nicht. Hierher
sind zunächst zu rechnen die Fälle, in denen die Hauptfunktion der Wurzel
die Speicherung von Reservestoffen ist. Andeutungsweise ist diese Funk-
tion schon bei sehr vielen Wurzeln vorhanden, in ziemlich ausgeprägtem
Maße dürfte sie z. B. den oben behandelten Säulenwurzeln zukommen, jeden-
falls ist anzunehmen, daß das bei solchen im selben Maß der Fall ist wie
bei Baumstämmen, die notorische Reservestoffspeicher sind. Als Haupt-
funktion ist sie aber bei den Wurzeln vorhanden, die jedermann als Rüben
kennt, die Zuckerrübe, die Georgine und viele andere wären hier zu nennen.
Dabei ist zu beachten, daß sehr häufig nicht nur die Wurzel, sondern auch
der basale Teil des Stengels sich an der Speicherbildung beteiligt. Zu
Reservespeichern gehören ferner auch die Knollen der Erd-Orchideen, welche
bestehen aus mehreren fest miteinander verwachsenen Wurzeln und einer
kleinen daraufsitzenden Knospe , also eigentlich ganze Pfiänzchen darstellen,
an deren Aufbau die Wurzel einen ungebührlich großen Anteil hat. Auch
dieKnöllchen des Scharbockkrautes und vieler anderer wären hier zu nennen.
Dornwurzeln. Weniger verbreitet, aber ebenso interessant ist die Erscheinung-, daß
Wurzeln zu schützenden Dornen umg^ebildet sind. Es sind das Adventiv-
wurzeln, welche z. B. bei Palmen höheren und tieferen Stammpartien ent-
springen können. G. Karsten erwähnt, daß bei einer Olpalme Oenocarpiis
iLÜlis der Stamm bis über Mannshöhe mit bodenwärts schauenden, 20 cm
langen Wurzeldornen, die ihrerseits wieder verdornte Seitenwurzeln tragen.
Umgebildete Wurzeln
75
besetzt sein kann. Eine andere Palmengattung hat ihren Namen Acanthorrhiza
von ihren Dornwurzeln. Auch die oben schon genannte Ameisenpflanze
Mynnecodia trägt an ihren Knollen verdornte Wurzeln. Unterirdische der-
artige Wurzeln kommen bei Vertretern der Yamspflanzenfamilie vor.
Berühmte Umwandlung-en der Wurzeln sind die Umbildungen zu Atem- Atemwurzein.
wurzeln oder Pneumatophoren, welche wir antreffen bei Pflanzen sumpfiger
Gegenden. Es sind Seitenwurzeln, welche entgegengesetzt der Richtung
der Schwerkraft in die Höhe wachsen und mit großen Luftgängen durch-
zogenes Rindengewebe aufweisen, durch welches den tieferen Teilen des
Wurzelsystems Luft zugeleitet werden kann. Wir finden sie unter anderen
bei der Sumpfzypresse Amerikas, ferner bei den Mangrovepflanzen. Sie
können mehrere Dezimeter
bis I m hoch über die Ober-
fläche des schlammigen
Grundes ragen, „wie lichte
Spargelsprosse erheben sie
sich über den schwarzen
Schlamm", so schildert sie c:za
Haberlandt bei dem Man- ^ü
grovebaum SonneraHa. Be-
sonders eigenartig ist auch
die Erscheinung, daß in an-
deren Fällen solche Atem-
wurzeln nicht ihrer ganzen
Länge nach senkrecht in die
Höhe streben, sondern zu- ^ „ , ,>. , . t, .
' i' 1 g- 38. Stuck einer blattartigen W urzel einer Fodostemonacee mit
nächst im Schlamm hori- endogenen Sprossen {iii — i), deren Blätter, mit Ausnahme der unter
- . . den Blüten {m und «) sitzenden, lineal sind. Nach Warming.
zontal dahmkriechen, dann
sich über die Schlammoberfläche erheben, um alsbald wieder unter knie-
förmiger Krümmung nach unten zu wachsen. Die Kniee fungieren als
Pneumatophoren; man spricht von Wurzelknien der Mangrovepflanzen. Ein
Schulbeispiel für eine Pflanze mit Atemwurzeln ist endlich eine amerika-
nische Sumpfstaude, die mit dem Weidenröschen nahe verwandte Jussieua.
Wir finden hier zweierlei Wurzeln an dem kriechenden Stamm, solche,
die im Schlamm wachsen und schwammige, welche an die Oberfläche des
Wassers reichen und den unteren Teilen Luft zuführen.
Viele jener oben genannten Luftwurzeln führen im Gegensatz zu den wurzein ais
gewöhnlichen Bodenwurzeln Chlorophyll, sie betreiben also die Kohlensäure- ^s«™^^^'*"^«"-
assimilation im Nebenamt. Viel besprochen wird aber die Erscheinung, die
wir an den indomalaiischen epiphytischen Orchideen Taeniophyllum und
Angraecurn, sowie einigen amerikanischen Arten antreffen, daß die Luft-
wurzeln abgeflacht sind und an die Stelle von Blättern treten, die Blätter
selbst sind nur schuppenförmig entwickelt. Daß jene flachen grünen Stränge
wirklich umgebildete Wurzeln sind, lehrt ihre genauere Betrachtung, u. a.
270 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
kann man sich leicht davon überzeugen, daß sie mittels Wurzelhaaren auf
der Rinde des Tragbaums festsitzen.
Auch bei der ganz besonders merkwürdigen Familie der Podostemonaceen,
die im tropischen Amerika, Afrika und Asien in fließenden Wässern vorkommt
und deren Gestalt diesen Standort durch mannigfaltige Anpassungserschei-
nungen v^iderspiegelt, kommen thallusähnlich verbreiterte, assimilierende
Wurzeln vor, mittels deren die Pflanzen ihrem Substrat aufsitzen. An diesen
thallusartigen Wurzeln entstehen die Sprosse, deren Blätter oft stark redu-
ziert erscheinen. — Andere ihrer Wurzeln sind zu Haftorganen, Hapteren,
metamorphosiert.
Wurzeln ^jg letzte Beispiclc für umgebildete Wurzeln treten uns die Wurzeln
der Parasiten.
der Parasiten entgegen, über die oben schon einige Angaben gemacht worden
sind. Betrachten wir kurz die Entwicklung der Mistel: Keimt deren Samen
auf dem Ast einer geeigneten Nährpflanze, so tritt das Hypokot}^ aus,
wendet sich, da es das Licht meidet, nach der Rinde des Tragastes hin und
bildet auf ihr eine Haftscheibe, von welcher aus die Keimwurzel bis zum Holz
des Wirts vordringt. Da, wo sie die Rinde durchsetzt, bildet sie Seitenwurzeln,
die sogenannten Rindensaugstränge, welche, in der Rinde fortwachsend,
Seitenwurzeln höherer Ordnung, die sogenannten Senker, bis aufs Holz des
Wirts treiben. Dadurch, daß der Holzkörper des Wirts in die Dicke wächst und
die Senker dies Dickenwachstum da, wo sie den Verdickungsring ihres
Wirts durchsetzen, mitmachen, gelangen die Spitzen der Senker ins Holz des
Wirts. Mikroskopische Betrachtung würde uns zeigen, daß die Wurzelspitze
sich pinselförmig auflöst; ferner daß der Wurzel der Mistel die Haube fehlt,
wie wir das oben schon für andere Schmarotzer gefunden haben. Es würde
viel zu weit führen, die außerordentlich mannigfachen Anschlußeinrichtungen
anderer Schmarotzer aus der gleichen Familie zu beschreiben, nur so viel sei
noch erwähnt, daß andere Angehörige der Mistelfamilie außen am Tragast
ihre Haftwurzeln dahinkriechen und von Zeit zu Zeit Haftscheiben bilden
lassen, von denen aus dann Senker zum Holz des Wirts vordringen.
Es sei dann noch in Kürze erwähnt, daß Wurzelparasiten, wie die bei
uns einheimischen chlorophyllführenden Augentrost- und Klappertopfarten
die chlorophyllfreie Schuppenwurz und andere, an ihren Wurzeln Haustorien
bilden, seitliche „Warzen", die sich wie „der Sattel um den Pferderücken"
um die Wurzel der Nährpflanze herumlegen können; von ihnen gehen dann
Saugfortsätze aus, die ins Innere der Wirtswurzel eindringen.
Wurzelträger. Wir wollcu unserc Betrachtung der Wurzeln mit dem Hinweis schließen,
daß wir auch auf Gebilde stoßen, die wir nicht mit Sicherheit als Wurzeln
auffassen können, aber auch keinem anderen Grundorgan zurechnen dürfen.
Von den Haustorien war eben schon als von solchen „Sondergebilden" die
Rede. Ein weiterer sehr bekannter Fall tritt uns bei den zu den Farnpflanzen
gehörigen Selaginellen entgegen. Hier entspringen die Wurzeln nicht dem
beblätterten Sproß, sondern besonderen Achsen, an deren Enden sie in Ein-
oder Mehrzahl endogen gebildet werden, den sogenannten Wurzelträgern,
Wurzeln der Parasiten — Sproß 277
zylindrischen, blattlosen Sprossen, die ihrerseits exogen an den Gabelungs-
stellen der beblätterten Sprosse entstehen. Es sind Mitteldinge zwischen
Wurzeln und Stengeln, welche uns in biologischer Hinsicht erinnern an jene
Lebermoossprosse, welche von den Stämmchen mancher Formen tief ins Erd-
reich gesandt werden und diesem vermittels der Rhizoiden, die an ihnen
sitzen, Wasser entnehmen.
Wir wenden uns nun dem beblätterten Sproß zu und behandeln zuerst sproß.
die gegenseitigen Beziehungen zwischen Achse und Blatt in Ergänzung ^^*'^^^'"™^^°°®"
dessen, was schon bei Gelegenheit der Blattstellung gesagt wurde, sodann
die Achsen selbst und endlich die Blätter in ihren verschiedenen Ausgestal-
tung-en. — Die beblätterten Achsen, deren Gestalt ja im allgemeinen als be-
kannt vorausg^esetzt werden kann, wachsen, wie auch die Wurzeln, an der
Spitze; das lebhafteste Längenwachstum findet aber auch bei ihnen nicht un-
mittelbar an der Spitze statt, sondern um eine größere oder geringere Strecke
von ihr entfernt. Die Wachstumszone pflegt bei ihnen länger zu sein als bei
Wurzeln, das Dauergewebe ist erst in weiterer Entfernung von der Spitze
anzutreffen. Das ist aus mechanischen Gründen sehr leicht erklärlich: Für
die Wurzel, die durch den Boden hindurchdringen muß, ist es vorteilhaft,
wenn ihre wachsende Spitze nur kurz ist und schon knapp hinter dieser die
Verankerung- durch die nicht mehr wachsenden Teile, deren Oberfläche dort
mit Wurzelhaaren besetzt ist, stattfindet. Bei Stengeln fällt diese Notwendig-
keit weg. Übrigens auch bei Luftwurzeln, die dementsprechend, wie wir
hier noch nachtragen können, ebenfalls eine längere wachsende Region auf-
weisen als Bodenwurzeln.
Neben dem Spitzenwachstum kann auch interkalares Wachstum bei be-
blätterten Achsen vorkommen; es ist allbekannt, daß in den Stengelknoten
vieler Pflanzen wachstumsfähiges Gewebe erhalten bleibt, welches Wachstums-
krümmungen ausführt, wenn die Stengel umgefallen sind und so ihre Spitzen
wieder nach oben richtet.
Was die Spitze der beblätterten Achse im Gegensatz zur Wurzelspitze Endknospe,
auszeichnet, ist nun der Mangel einer Haube. In biologischer Beziehung
wird dieser Mangel dadurch ausgeglichen, daß die dem Vegetationspunkt
nahen Blätter, deren Anlagen, wie wir wissen, in streng akropetaler Reihen-
folge als seitliche, meist dicht gedrängte Höcker an ihm erscheinen, eine
Knospe bilden: Sie neigen sich über dem Vegetationspunkt zusammen und
schützen ihn vor Unbilden. So kommt die Endknospe (Terminalknospe) am
Stengel zuwege. Diese Schutzfunktion tritt uns schon deutlich entgegen, wenn
solch eine Knospe aus jugendlichen, aber sonst nicht weiter veränderten Blättern
gebildet wird, viele Wasserpflanzen sind gute Beispiele dafür; schlechter-
dings nicht übersehen werden kann besagte Funktion aber in den Fällen, in
welchen Blätter mit Hinblick auf diese Schutzfunktion umgebildet sind, so
bei den Winterknospen der Hölzer, wo sie als Knospenschuppen erscheinen.
Auch an den Terminalknospen von im Boden dahinkriechenden, beblätterten
2 78 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Achsen ist die fragliche Funktion oft besonders deutlich, indem die Blätter
der Endknospe eine scharfe Spitze bilden, die sich durch den Boden bohrt;
häufig sehen wir hier allerdings auch ein anderes Mittel zum selben Zwecke
das wir auch schon am Keimling beobachteten, daß die Achse selbst unter-
halb des Vegetationspunktes gebogen ist und so der Schutz des Vegetations-
punktes erreicht wird. Eine solche Krümmung und damit eine dorsiventrale
Ausbildung' des Vegetationspunktes, beobachten wir übrigens auch in anderen
Fällen, z. B. bei Wasserpflanzen, ebenfalls zum Schutz des Vegetationspunktes,
aber nicht gegen mechanische Insulte.
Seitenknospen. Die erstc Anlage der Blätter amVegetationspunkt in Form dicht gedrängter,
streng akropetal erscheinender seitlicher Höcker würden wir allerdings mit
bloßem Auge nicht sehen können, wohl aber nach geeigneter Präparation mit
Hilfe einer Lupe oder eines Mikroskopes. Beobachten wir sie nun mit Hilfe
eines solchen etwas genauer, so sehen wir, daß in ihren Achseln in einiger Ent-
fernung vom Vegetationspunkt, d. h. nicht bei den allerjüngsten, sich wiede-
rum Höcker vorwölben — das sind die ersten Anlagen der Seitenzweige —
und wir sehen so, daß wir deren axilläre Stellung, die wir am erwachsenen
Stengel von Blütenpflanzen — für die Farne trifft sie nicht zu — ohne weiteres
mit bloßem Auge wahrnehmen, schon oben in der wachsenden Region
feststellen können. Indem diese Anlagen von Seitenzweigen ihrerseits wiede-
rum Blattanlagen ausbilden ganz gleich denen am Vegetationspunkt des
Hauptsprosses, werden auch sie zu Knospen, die wir als Seitenknospen be-
zeichnen; diese wachsen sodann über kurz oder lang zum Seitenzweig, zur
beblätterten Seitenachse aus, wenn sie nicht als schlafende Augen ruhen bleiben.
Das Blatt, in dessen Achsel die Knospe steht, bezeichnen wir als dessen
Trag- oder Deckblatt. In bestimmten Fällen kann es schwach entwickelt
sein oder auch ganz fehlen. Auch kann die Seitenknospe über ihrem Trag-
blatt aus der Achse entspringen. Sodann ist der Fall bekannt, daß zuerst die
Seitenachse angelegt wird und das Tragblatt an seiner Basis angelegt wird.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß in manchen Fällen
auch mehr als eine Achselknospe in einer Blattachsel stehen kann, sie stehen
dann übereinander oder nebeneinander. Umgekehrt kennt man zahlreiche
Beispiele dafür, daß Blattachseln keine Seitenknospe stützen. Das gilt für
viele Nadeln der Koniferen, und diese sind darum gegen Verstümmelungen
empfindlicher als viele andere Bäume, weil nicht so viele ruhende Knospen
vorhanden sind, die durch Austreiben den Schaden wieder gut machen
können. Betrachtet man einen Sproß der Wasserpest, so sieht man, daß
nur in einer Blattachsel jedes achten Wirteis eine Seitenknospe steht.
Auf die eigenartige Erscheinung, daß Seitensprosse, die ursprünglich
axillär standen, durch Wachstumsvorgänge an dem Hauptsproß empor-
oder am Tragblatt hinaufgeschoben werden und so aus ihrer ursprüngUchen
Stellung in der Achsel herausgelangen, sei nur kurz hingewiesen.
Der eben geschilderte Fall, in welchem sich seitlich unter dem Vege-
tationspunkte des Hauptsprosses in den Blattachseln Vegetationspunkte von
Knospen. Adventivsprosse 2 7Q
Seitenachsen herausgliedern, gilt offenbar nur für den Fall „seitlicher Ver-
zweigung" einer beblätterten Achse, dieser ist aber, wie wir schon wissen,
der bei höheren Pflanzen weitaus wichtigste, weil stark überwiegende.
Sollten wir den Vegetationspunkt einer gabelig sich verzweigenden Achse
vor uns haben, so würde es sich zeigen, daß hier die Verzweigung, d. h.
Teilung des Vegetationspunktes ohne bestimmte Beziehung zu den Blatt-
anlagen erfolgt. Axilläre Verzweigung ist also an seitlichen Verzweigungs-
modus gebunden.
Doch kehren wir zum Sproß zurück! Wir wissen, daß die Wissenschaft
von heutzutage alle Achsenorgane höherer Pflanzen, soweit sie Blätter
tragen, als Stengelorgane oder Stammorgane den Wurzeln gegenüberstellt,
gleichgültig, ob sie unterirdisch oder oberirdisch wachsen, und wie sie sonst
ausgestaltet sein mögen, während früher die unterirdischen Teile der Pflanze
unter dem Begriff der Radix, Wurzel, zusammengeworfen wurden, welche
Benennung noch heute in den Bezeichnungen der Mediziner und Apotheker
vielfach nachklingt. Freilich können die Blätter in manchen Fällen un-
scheinbar, klein und hinfällig sein. So z. B. bei der Kartoffelknolle, die ein
Stengelorg'an ist: Hier verschwinden die kleinen Blattschuppen bald und
die Augen, d. h. die Seitenknospen scheinen bei oberflächlicher Betrachtung
des Tragblattes zu ermangeln.
An einen wichtigen Punkt, den wir früher schon berührt haben, sei hier Adventivsprosse,
nochmals kurz erinnert, daß im Gegensatz zu den seitlichen Auszweigungen
der Wurzeln die Seitenglieder der Stengel exogen entstehen; dieses gilt
von den Blattanlagen sowie von deren Achselsprossen. Es gilt aber nicht
immer für diejenigen Ausgliederungen, die wir als Adventivsprosse zu be-
zeichnen haben, diese entstehen fast immer endogen. Die bekanntesten
Fälle von Adventivsproßbildungen an Stämmen sind die sog'enannten Stock-
ausschläge an Baumstümpfen. Hier bildet sich aus dem bloßgelegten Ver-
dickungsring des Stammes ein sogenanntes Überwallungsgewebe, ein Kallus,
und dieser bildet dann Kallusknospen, die zu Sprossen auswachsen. Kaiius.
Aber auch an Blättern sieht man nicht selten Adventivsprosse auftreten,
hier pflegen sie exogen zu entstehen. Adventivsprosse treten unter vielen
anderen auch an Sonnentaublättern auf. Vielleicht das bekannteste Beispiel
ist das Vorkommen von Adventivsprossen auf Blättern bestimmter Farne
{Asplenium vivipanim); an Blättern gewisser Fettpflanzen steht in jeder
Einkerbung des Blattrandes ein Adventivsproß. Hier lösen sich diese Sprosse
von der Mutterpflanze los, es liegen also in den beiden letztgenannten Fällen
Beispiele von vegetativer Vermehrung vor. Sehr bekannt ist auch „reparative"
Adventivsproßbildung auf Blättern: legt man abgeschnittene Begonienblätter
— dasselbe gilt für die Blätter einiger anderer Pflanzen — auf feuchten
Sand, so bildet erst die Schnittstelle ein undifferenziertes Gewebe, einen
Kallus, aus einer Epidermiszelle desselben bildet sich dann der Adventiv-
sproß. Auch ohne Vermittlung eines Kallus kann aus einer Oberhaut-
zelle solch eines Blattes eine neue Pflanze hervorgehen; die genauere Be-
2 8o W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
trachtung dieser Dinge würde uns aber zu weit in die Zellenlehre hineinführen;
was wir gesagt haben, genügt jedenfalls zum Nachweis der exogenen Entstehung.
Wurzelsprosse. Wir kommen nun auf die Bildung von Adventivsprossen an Wurzeln
zurück, sog"enannten Wurzelsprossen, die wir oben bei Alonotropi ^ sodann
bei den Podostemonaceen schon erwähnt haben. Im Anschluß an die Dar-
stellung bei Warming können wir solche Wurzelsprosse, die übrigens recht
häufig sind, einteilen in sogenannte additionelle und reparative; erstere er-
scheinen normalerweise, letztere nur nach Beschädigung der Wurzel. Die
additionellen kommen bei vielen Holzgewächsen und krautigen Pflanzen vor,
dienen zur Vermehrung und Erhaltung; wenn die Wurzeln flach dahinkriechen,
wird den Pflanzen durch ihre Bildung auch ein gewisses horizontales Ver-
breitungsvermög-en, ein Wandervermögen zugeeignet. Sehr hübsch kann
man in vielen Fällen sehen, daß sie reihenförmig über den Erdboden treten,
so die Wachstumsrichtung der Wurzel, der sie entsprossen, dem Auge ver-
ratend. Sie entstehen meistens endogen. Ganz besonders interessant ist es
aber, daß sie in einigen wenigen Fällen direkt aus dem Vegetationspunkt
der Wurzel unter der Wurzelhaube sich bilden. Hier liegt also eine wirkliche
Umwandlung einer Wurzel in einen Stamm vor. Die Nestwurz ist das am
häufigsten genannte Beispiel für diese eigenartige Tatsache; man beobachtet
sie auch bei bestimmten Farnen. Sonst finden wir im allgemeinen, daß die
Wurzelsprosse erst in ziemlicher Entfernung von der Wurzelspitze angelegt
werden, doch rücken sie in anderen Fällen bis dicht an den Vegetationspunkt
heran. — Reparative Wurzelsprosse sind, wie schon der Name sagt, solche,
die an Schnitt- oder Wundflächen auftreten und für Wiederherstellung der
Pflanze sorgen.
Radiäre und Fragen wir nun, worauf die so große Vielgestaltigkeit beruht, die wir an
dorsiventraie ^jgj^ Sprosscn Verschiedener Pflanzen oder auch an dem Sproßsystem ein
Sprosse. ■*■
und derselben Pflanze beobachten, indem wir zunächst von der Gestalt der
Blätter, die dafür natürlich ganz besonders verantwortlich zu machen ist,
absehen, so beruht sie, wie wir aus früheren Ausführungen und auch aus
dem direkten Anblick der Natur ohne weiteres sehen können, abgesehen
von der Querschnittsform und der sonstig^en Ausbildung- der Achse selbst,
wesentlich auf der seitlichen Stellung der Blätter; ist und bleibt diese all-
seitig, so haben wir radiäre, stehen die Blätter zweizeilig, bilateral sym-
metrische Sprosse, sind die Blätter auf der einen Flanke zusammengeschoben,
so sind die Sprosse dorsiventral, und gleiches ist auch dann der Fall, wenn
die zwei- oder allseitig angelegten Blätter infolge der einseitigen Angriff's-
richtung äußerer Faktoren ihre ursprüngliche Stellung verändern. Beispiele
für radiäre, allseitig beblätterte Sprosse zu nennen erübrigt sich hier, viele
orthotrope Stengel, z.B. von Kräutern, die senkrecht von oben beleuchtet
werden, bieten gute Beispiele. Als Beispiel für dorsiventrale Sprosse sei
auf viele horizontal im oder am Boden kriechende Sprosse hingewiesen, so
viele Wurzelstöcke. Das Rhizom des als Engelsüß bekannten Farns , bei
welchem die Blätter in zwei Zickzackreihen auf der oberen Seite stehen, der
Lang- und Kurztriebe 28 1
kriechende Sproß des Wasserfarns Alarsilia, den wir oben schon nannten,
sind Beispiele für Sprosse, bei welchen schon durch die ursprüngliche
Blattstellung Dorsiventralität zustande kommt. Ursprünglich radiäre, dann
dorsiventrale Sprosse, die häufig genannt werden, sind die plagiotropen
Triebe der Edeltanne. Die Nadeln werden hier gleichmäßig allseitig an-
gelegt, später sind sie aber wie mittels eines Kammes derart „gescheitelt",
daß sie rechts und links am Sproß stehen und außerdem durch Drehung
ihrer Basis die Oberseite nach dem Licht wenden. Die Dorsiventralität
solcher Sprosse kann dadurch, daß man die Zweige herumdreht und in der
inversen Lage festhält, umgekehrt werden.
Hier wird also die Dorsiventralität durch äußere Faktoren „induziert".
Das gilt aber nicht für die zweizeihg beblätterten, dorsiventralen Zweige einer
Buche oder eines anderen gleich gebauten Laubbaumes, wie wir oben schon
kurz erwähnt haben; hier ist die Richtung der Dorsiventralität durch die Stel-
ung der Achse zur Mutterachse bestimmt, die nach dieser hin gerichtete Flanke
der Seitenachsen wird zur Rückenseite (Oberseite). Solche Bäume zeigen
übrigens auch in trefflicher Weise, daß ganze Systeme, die aus lauter dorsi-
ventralen Sprossen aufgebaut sind, wie die Kronen dieser Bäume, schließ-
lich doch eine einigermaßen radiäre Gestalt zur Schau tragen, eben infolge
des steten Wechsels der Symmetrieebene an aufeinanderfolgenden Sprossen.
Nicht minder wichtig für den Habitus eines Sprosses als die Frage, nach Lang- und
wievielen und nach welchen Richtungen die Blätter ausstrahlen, ist die andere """^'^ "'
nach der Länge der Internodien, also dem vertikalen Abstand der Blätter.
Es war oben schon die Rede davon, daß an ein und demselben Sproß dieser
Abstand von unten nach oben bei Haupt- und Seitenachsen in gesetzmäßiger
Weise wechseln kann. Hier sei noch an die Rosettenpflanzen erinnert, bei
welchen wegen der Kürze ihrer basalen Internodien die Achse für das Laien-
auge streckenweise ganz verschwinden kann, deren Aussehen dann noch
anfallender wird, wenn alle Internodien, auch diejenigen, welche die Blüte
tragen, gestaucht sind, so daß auch die Blüte am Boden entspringt; man
spricht dann von stengellosen Pflanzen. Sehr häufig treffen wir sodann den
Fall, daß Sprosse an ein und derselben Pflanze sich dadurch unterscheiden,
daß die einen mehr oder minder lange, die anderen mehr oder weniger kurze
Internodien haben; die ersteren nennt man Lang-, die anderen Kurztriebe
und diese Namen erinnern uns daran, daß wir ganz denselben Unterschied
zwischen den Sprossen einer Pflanze auch bei den Algen und Moosen schon
antrafen und diese Analogie wird dadurch noch größer, daß, wie dort, so
auch bei den höchsten Pflanzen die Kurztriebe oft andere Blätter als die
Langtriebe tragen, daß sie oft hinfällig sind, daß sie ferner hier wie dort
bestimmten Funktionen angepaßt sein können, z. B. in den Dienst der Fort-
pflanzung treten.
Betrachten wir nun einige beachtenswerte Sonderfälle: Es gibt Pflanzen,
deren vegetativerKörper lediglich ausLangtrieben aufgebaut ist, sie sind sozu-
sagen das andere Extrem der eben genannten „stengellosen" Gewächse. Dazu
282 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
gehört u. a. dieTanne, ferner auch Laubbäume, wie etwa dieWalnuß, oder andere.
Bei solchen Laubbäumen steht oft in Korrelation mit dem Mangel an Kurz-
trieben die gewaltige Größe der Blätter, die, meistens zerteilt, die verhältnis-
mäßig großen Räume zwischen den langgestreckten Achsen ausfüllen. ■ —
Ein Baum, der andererseits immer wieder als Beispiel dafür genannt wird,
daß Kurz- und Langtriebe vorhanden und beide scharf voneinander unter-
scheidbar sind, ist die Kiefer, Bei unserer Kiefer tragen die Langtriebe
überhaupt keine Nadeln, sondern nur Schuppen, in deren Achseln die Kurz-
triebe sitzen; diese haben, abgesehen von Schuppenblättern, nur je zwei
Nadeln aufzuweisen. Sind diese Nadeln angelegt, so steht das Wachstum
des Kurztriebes still, er fällt nach einigen Jahren ab. Die Sumpfzypresse,
die wir oben schon wegen ihrer Atemwurzeln genannt haben, trägt Kurz-
triebe, an denen rechts und links je eineKeihe vonNadeln sitzen und die infolge-
dessen etwa aussehen wie ein gefiedertes Blatt; diese Kurztriebe werden am
Ende jeder Vegetationsperiode abg^eworfen. Lärche und Zeder haben vielnade-
lige Kurztriebe, welche mehrjährig- sind. Auch bei vielen unserer Laubbäume
kann man Lang- undKurztriebe unterscheiden, wenngleich sie häufig ineinander
übergehen können. Die Buche besitzt neben ihren Langtrieben Kurztriebe,
welche jährlich nur eine geringe Zahl von Blättern bringen, außerdem die
Blüten. Die Kurztriebe der Ulmen tragen keine Blätter, sondern nur Blüten.
Der Sinn davon, daß die Kronen der Laubbäume so oft aus Kurz- und
Langtrieben bestehen, ist darin zu suchen, daß auf diese Weise am leichtesten
der Raum der Krone mit assimilierenden Flächen ausgefüllt werden kann,
indem die an den verschiedenen Achsen stehenden Blätter sich zu einem
sogenannten Blattmosaik zusammenfügen; so wird ebenso wie bei jenen
anderen Bäumen, die durch Ausbildung großer zerteilter Blätter den ihnen
zur Verfügung stehenden Raum zwischen den Langtrieben möglichst aus-
nutzen, erreicht, daß große Flächen dem Licht dargeboten werden, die aber
nicht starr sind, sondern dadurch, daß sie aus vielen Blättern zusammeng^ebaut
sind, dem Wind, Hagel oder Regengüssen trotzen können.
Ob ein Trieb sich zum Lang-- oder Kurztrieb ausbildet, hängt vielfach
von äußeren Faktoren ab. Wenn der Lichtzutritt ins Innere einer Baumkrone
aus irgendwelchen Gründen erleichtert wird, so kann das bedingen, daß
Knospen zu Langtrieben werden, die andernfalls gar nicht oder zu Kurz-
trieben ausgewachsen wären. Auch Beschneidung, Entfernung von Lang-
trieben usw. kann ähnliche Erfolge haben und es ist interessant zu konstatieren,
daß derartige Überführungen nicht nur bei solchen Bäumen gelingen, die
auch in natura sehr häufig Übergänge zwischen beiden Triebformen zeigen,
sondern daß auch bei der Kiefer die experimentelle Überführung von Kurz-
triebanlagen in Langtriebe möglich ist.
Wachstums- Daßi zur Bcurtcilung eines Sprosses auch die Kenntnis seiner Wachstums-
richtung richtung gehört, leuchtet ein. Die Erscheinung, daß Hauptsprosse senkrecht
Sprosse, nach oben wachsen, die Seitensprosse aber schräg", ist eine mit Rücksicht
auf die Durchleuchtung- des Gewächses durchaus begreifliche Erscheinung.
Wachstumsrichtung der Sprosse
283
Ebenfalls als Anpassung an die Lichtrichtung- ist das Kriechen vieler Haupt-
sprosse begreiflich; es sei das Pfennigkraut genannt. Verschiedene Pflan-
zen unterscheiden sich auch durch das Maß der Neigung ihrer Seitenäste.
Es ist bekannt, daß von dieser, vom sogenannten „Ablaufwinkel" der Äste
der Habitus eines Baumes sehr abhängig ist. Es sei nur an Pyramiden-
bäume erinnert. Als einen Baum, der durch großen Ablaufwinkel im Gegen-
satz zu den Pyramidenbäumen ausgezeichnet ist, nennt Warming die Vogel-
beere. Bei ersteren strebt alles zum Licht auf die Gefahr hin, daß den inneren
Asten durch den allzusehr besenartigen Wuchs Licht entzogen wird, eine
Gefahr, der übrigens durch die Erscheinung der Exotrophie, d. h. befördertes
Auswachsen der nach außen von der jeweiligen Mutterachse gelegenen
Sproßanlagen entgegengearbeitet wird. Letztere sind durch sparrigen Wuchs
ausgezeichnet, häufig- wird
man bei ihnen beobachten,
daß an den plagiotropen
Asten mit Vorliebe die
flankenständigen Achsel-
knospen gefördert wer-
den und so Zweigsysteme
entstehen, die das volle
Oberlicht ausnutzen. Oft
ist nachweisbar, daß die
Richtung- verschiedener Fig. 39. vertikaler Wurzelstock der Primel und horizontaler Wurzelstock
Achsen eines Systems des Salomonssiegels. Aus WAKMING nach WossiDLO.
miteinander in Korrelation steht. Fällt die Spitze einer Tanne dem Blitz
zum Opfer, so wird der Hauptast durch einen nunmehr orthotrop, statt wie
bisher plagiotrop wachsenden Seitenast ersetzt, eine Erscheinung, die man
im Gebirge z. B. auch an Lärchen gut beobachten kann, während bei der
Araukarie die Wachstumsrichtung den Seitenzweigen „inhärent" ist und bleibt.
Wenn oberirdische Sprosse durch die verschiedene Wachstumsrichtung- wachstums-
charakterisiert werden, so gilt das nicht minder für unterirdische, so die Achtung
' ^ •" unterirdischer
Rhizome (Fig. 39). Solche stehen entweder senkrecht oder wagrecht oder auch Sprosse.
schräg, je nach der Staude, die vorliegt. Senkrechte Rhizome, so die der Primel,
um nur ein Beispiel zu nennen, pflegen Kurztriebe zu sein, wagrechte können
entweder ebenfalls Kurztriebe sein oder auch Langtriebe, im letzteren Fall
nähern sie sich den unterirdischen Ausläufern, auf die später noch zurück-
zukommen sein wird. Rhizome sterben von hinten her ab, und wenn sie sich
verzweigen, werden durch dies Absterben die Zweige isoliert, die Pflanze
vermehrt sich auf veg-etativem Weg-. Dabei zeigen die Pflanzen ein freilich
meist beschränktes Wandervermögen; solche mit vertikalem Rhizom ein
vertikales Wandervermögen, sie bilden Rasen, die sich auf ihren eigenen
Trümmern langsam in die Höhe heben, — bei den rasenbildenden Moosen
trafen wir ganz ähnliche Verhältnisse an. Rhizompflanzen mit horizontalem
Wander vermögen, d. h. wagrechtem, sich verzweigendem und hinten ab-
podiale Sprosse.
284 W- Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Sterbendem Rhizom leben, wie Warming treffend herv^orhebt, infolge dieser
ihrer Organisation, wenn auch nicht rasenförmig, so doch „gesellig". Daß
jedem Rhizom seine Wachstumsrichtung unter bestimmten Bedingungen in-
härent ist, kann man durch den Versuch nachweisen, ein normalerweise
horizontales Rhizom vertikal mit der Spitze nach oben oder unten in den
Boden zu stecken. Es wird sich an seiner wachsenden Spitze so lange krümmen,
bis diese die normale Richtung wieder eingenommen hat. Pflanzt man ein
Rhizom, dem eine spezifische Tiefenlage zukommt, höher oder tiefer in den
Boden, so wird es ebenfalls so lange schräg nach unten oder nach oben
wachsen, bis es wieder in richtiger Tiefe ist, für welche es also einen förm-
lichen „Instinkt" hat, ohne daß es gelungen wäre, bis jetzt diejenigen äußeren
Faktoren zu ermitteln, welche dem Org"an seine Tiefenlage anzeigen. Daß
auch kontraktile Wurzeln dabei helfen können, ein solches Rhizom tiefer in
den Boden hinabzuziehen, haben wir früher gehört.
Mono- und sym- Nun bestellen in der Mehrzahl der Fälle die Rhizome aus vielen anein-
andergesetzten Sproßgliedern, und wenn wir eben die Richtung der Rhizome
diskutiert haben, so müssen wir nun noch ein Wort über die Wachstums-
richtung ihrer einzelnen Glieder sagen. Da ist nun der Fall besonders häu-
fig, daß jedes Glied zuerst horizontal wächst, dann aber senkrecht nach oben,
daß es also während des Wachstums aus inneren Gründen „umgestimmt"
wird, um am Licht grüne Blätter oder Blüten oder beides zu bilden. Unter
der Oberfläche wird es dann fortgesetzt durch einen Seitensproß, der sich
in die gerade Verlängerung seines unterirdischen Teiles stellt, eine Strecke
horizontal wächst, um sich dann wieder aufzubiegen. Dann ist, wie ersichtlich,
das Rhizom ein Sympodium. Solch ein Rhizom pflegt an den wagrechten
Teilen Schuppenblätter, an den senkrecht wachsenden grüne Blätter zu
tragen. Der Salomonssiegel, bei welcher Staude die Stellen, wo die jähr-
lich absterbenden oberirdischen Teile der Sprosse abgegliedert werden, in
Form einer siegelähnlichen Narbe an dem sympodialen Rhizom deutlich
bleiben, führt daher diesen Namen (Fig. 39). Seltener kommt es vor, daß ein
einziger seiner ganzen Länge nach wagrechter Sproß das Rhizom bildet und
grüne Blätter, außerdem Seitenzweig"e mit Blüten nach oben sendet. In diesem
Fall ist das Rhizom ein Monopodium. — Wenn wir Sprosse, die unterirdisch
leben, als geophil, solche, die oberirdisch leben oder nach dem Licht wachsen
als photophil bezeichnen, so können wir bei einem sympodialen Rhizom
offenbar sagen, daß seine Glieder zuerst geo-, dann photophil sind, während
das monopodiale dauernd geophil, seine Seitensprosse aber photophil sind.
Wenngleich nun die Rhizome beliebte Schulbeispiele zur Erörterung
des Unterschieds zwischen monopodial und sympodial gebauten Achsen sind,
so kann doch die gleiche Fragestellung natürlich auch auf oberirdische Sprosse,
z. B. die Zweige der Laubbäume angewendet werden, und da wird es den
Laien wundern, zu hören, daß die scheinbar aus einem Monopodium be-
stehenden Langtriebe bei Weiden, Ulmen und vielen anderen Bäumen tat-
sächlich Sympodien sind, indem das jeweilige Ende des Jahrestriebes abstirbt
Umgebildete Achsen
285
pflanzen.
und der Trieb fortgesetzt wird durch eine weit obenstehende Seitenknospe
{Fig. 40).
Da von Wachstumsrichtung die Rede war, sei an dieser Stelle noch Scbiing-
darauf hing^e wiesen, daß manche Sprosse nicht die erforderliche Festigkeit
haben, um die von ihnen angestrebte senkrechte Richtung beizubehalten.
Soweit sie dies dadurch erreichen, daß ihr Sproß sich an Stützen emporwindet
oder emporschlingt, nennt man sie bekanntlich Schlingpflanzen. Die Stengel-
spitze beschreibt Schraubenlinien in der Luft und kann auf diese Weise andere
senkrechte oder schwach geneigte Zweige umschlingen,
auf diese Weise in die Höhe gelangen, und so die
Blätter und Blüten ans Licht bringen. Die nähere
Analyse dieses Vorganges ist Sache der Reizphysio-
logie. Es sei noch erwähnt, daß Schlingpflanzen häufig
eine dimorphe Ausbildung ihrer Sprosse zeigen, indem
sie vermittels Langtrieben winden und an nicht win-
denden Kurztrieben ihre Blüten entwickeln. — Die
Schlingpflanzen, wie Bohnen, Hopfen u. v. a., sind das
erste Beispiel für „Lianen", das wir ang^etroffen haben,
weitere werden später folgen.
Fig. 40. Ein zu sympodialer
Weiterentwicklung vorbereite-
tes, Mitte Juli gesammeltes
Sproßende der Ulme. Der ver-
kümmerte Endtrieb, von dem
nur das basale Stück am Stamm
zurückbleibt, ist nach rechts
abgebogen. { Achselknospe des
Wir kommen nun zu den umgebildeten Achsen.
Wenn wir die normale Funktion von Achsen darin er-
blicken, daß sie die Blätter, die Ernährungsorg'ane des
Pflanzenkörpers tragen sollen, so würden wir als „um-
g-ebildet" solche Achsen bezeichnen, bei welchen andere
Funktionen in den Vordergrund treten, ohne daß die
ursprüngliche nun ganz ausgeschaltet zu sein brauchte.
Schon normale Achsen dienen oft zur Speicherung
von Reservestoffen, so vor allem die Stämme der Bäume. ,,.,,, ^, , , ^ a-
' abgebildeten riiattes, welche die
Auch in Rhizomen haben wir schon Stengelgebilde steiie der Endknospe einnimmt,
. und in der nächsten Vegetations-
kennen gelernt, welche der Reservestoffspeicherung periode den sproß fortetzen
1 1 T^ 1 i.' • TTi_ • j. A wird. Nach Wiesner.
neben anderen runktionen, wie Überwinterung-, Aus-
breitung der Pflanze, dienen; Sprosse aber, bei welchen die Speicherung
der Reservestoffe der eigentliche Lebenszweck ist, sind die Knollen, also
dick angeschwollene, meistens unterirdische Stengelgebilde. Sie entstehen
häufig aus der Hauptachse z. B. durch Anschwellung des Hypokotyls, so
beim Alpenveilchen {Cyclamen), beim Rettich, beim Kohlrabi.
Hierher sind auch zu rechnen die Knollen der schon früher erwähnten
Myrmecodia, die einen halben Meter lang werden können, ferner die des
gleichfalls in Java beheimateten und gleichfalls epiphytischen Hydnophytum,
welche aus den Hypokotylen hervorgegangen, einmal als Wasserspeicher
dienen, sodann aber, da sie mit Hohlräumen durchsetzt sind, das Wasser
auch von außen auffangen. Endlich beherbergen sie Ameisen, deren Kot
die Pflanzen, die nicht wie viele andere Epiphyten Humus sammeln, düngt. —
Umgebildete
Achsen.
Knollen.
2 86 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Als Wasserspeicher fungieren Stengelknollen auch bei anderen Epiphyten,
so bei Orchideen, wie man in allen unseren Gewächshäusern sehen kann,
ferner bei Xerophyten, unter denen sich Formen finden, deren Knollen lange
Zeiten hindurch ohne Wasserzufuhr alljährlich austreiben können. Bei der
Kartoffel werden sie, wie allbekannt, am Ende von unterirdischen Ausläufern
g-ebildet.
Knollen können zwar mehrjährig sein, so die des Alpenveilchens, in
der Mehrzahl der Fälle aber leben sie nicht einmal ein Jahr, indem sie zu
Ende der einen Vegetationsperiode gebildet, zu Beginn der nächsten schon
ausgesaugt werden. Für Ersatz wird dann je nach der Organisation der Pflan-
zen auf die verschiedenste Weise gesorgt. Beim Safran schwillt der Seiten-
trieb in der Achsel des obersten Laubblattes der Pflanze zur jungen Knolle
an; da dieser Trieb nahe an der Knollenspitze steht, sitzt die junge Knolle
auf der alten ausgesogenen darauf. Bei der Herbstzeitlose steht die neue
Knolle neben der alten, das beruht darauf, daß sie in diesem Fall gebildet
wird durch Anschwellung einer Seitenknospe, die seitlich am Grund der
alten Knolle sitzt. Manche Knollen bestehen nur aus einem angeschwollenen
Internodium, so von den schon erwähnten die des Alpenveilchens, der
Mynnecodia, des Rettichs. Andere sind „mehrgliedrig", d. h. aus mehreren
Stengelgiiedern hervorgehend, darum nicht nur an ihrer Basis oder Spitze
sondern auch an den Längsseiten mit Schuppenblättern, wie die Kartoffel,
oder Blattnarben, wie der Kohlrabi, besetzt; der Kohlrabi ist gleichzeitig ein
Beispiel für eine oberirdische, epigäische Knolle, deren normale Ausbildung,
wie Vöchting nachwies, an Lichtzutritt gebunden ist.
Sukkulente Dlc wasserspeichemdcn Knollen, welche wir eben erwähnt haben, führen
Stämme. ^^^ ^^^ ganz Unmittelbar über zu den umgewandelten Achsen, wie wir sie
bei den Xerophyten, Pflanzen heißer Gegenden, mit fleischigen Stämmen,
bei den sogenannten Stammsukkulenten finden. Wir brauchen an die all-
bekannten Kakteen und Wolfsmilchgewächse, die hierher gehören, nur kurz
zu erinnern. Der Querschnitt dieser sukkulenten Stämme ist sehr verschieden,
rund, polygonal, oder die fraghchen Gebilde sind abgeflacht wie bei vielen
Opuntien; das ist eine Annäherung an die Form der Blätter, die darum
wohl verständlich ist, weil bei solchen Gewächsen die Blätter reduziert sind
oder ganz fehlen und der Stamm, der dementsprechend ja auch wegen des
Chlorophyllgehalts seiner peripheren Gewebeschichten grün dem Auge er-
scheint, die Assimilation der Kohlensäure allein übernehmen muß. Solche
flache Stämme sind phylogenetisch zweifellos von walzenförmigen herzuleiten;
Opuntien schlagen im Dunkeln zur Jugendform zurück, indem sie walzenförmige
Sprosse bilden. Phyllocadus hat in der Jugend vierkantige, späterhin zwei-
Fhyiiokiadien. kantige Sprosse. Aber auch bei anderen Pflanzen als Stammsukkulenten
kommt es vor, daß die Blätter ganz fehlen und durch assimilierende Sprosse
ersetzt werden, so beim Spargel, bei welchem gebüschelte, am Querschnitt
runde Kurztriebe diese Funktion erfüllen. Solche Kurztriebe können bei
anderen Pflanzen auch vollkommen abgeflacht sein und aussehen wie Blätter;
Phyllokladien. Sproßranker
287
die Tatsache, daß sie ihrerseits an ihrer Fläche oder Kante Blättchen tragen,
in deren Achseln die Blütensprosse stehen, verrät aber, daß es flache Stengel
mit begrenztem Wachstum sind. Man nennt sie Phyllokladien. Phyllokladien
können mit Blättern und anderen Kurztrieben die Eigenschaft teilen, daß sie
kurzlebig sind und abgeworfen werden (Fig. 41).
Im Anschluß hieran ist daran zu erinnern, daß jeder Stengel, soweit er
grün ist, neben seiner Hauptfunktion a.uch assimiliert, und daß man in manchen
Fällen beobachten kann, daß Pflanzen mit Blättern, die klein sind, sei es aus
Gründen ihrer Organisation, sei
es in Anpassung an heißes Klima,
in welchem große Blattflächen
versengt werden, als Ersatz
dafür die Stengel lang, besen-
artig, auswachsen lassen, um so
die assimilierende Fläche zu ver-
größern, so der „Besenstrauch".
Vielfach sind Sprosse in
Ranken oder andere Kletter-
organe umgebildet; man nennt
Pflanzen mit solchen Organen
auch „Sproßranker". Mit H.
Schenck können wir die soge-
nannten „Zweigranker" als die
stammesgeschichtlich jüngsten
Sproßranker betrachten. Hier
schlingen sich infolge ihrer Kon-
taktreizbarkeit Seitenzweige, die
noch mehr oder minder voll-
ständig beblättert sind, also nach
unserer Definition noch nicht völlig umgebildet, da sie eben die typische
Funktion der Sprosse, Blätter zu entwickeln, noch nicht aufgegeben haben,
sondern offenbar erst auf dem Wege dazu sind, um Stützen. Diese Seiten-
zweig'e können ihrerseits wieder verzweigt sein; wir finden sie an tropischen
Holzgewächsen. Viel genannt sind dann die „Hakenkletterer", wiederum tro-
pische Lianen mit blattlosen Seitenästen, die sich um Stützen krümmen, und
sich sodann durch kräftiges Dickenwachstum in derbe Haken umwandeln.
Vielfach sind es reizbar gewordene Blütenstandsstiele, die auch noch Blüten-
stände tragen können, so bei der bekannten Arzneipflanze Uncaria Gambir. —
„Uhrfederranken" nennt man spiralig in einer Ebene eingerollte, blattlose
Ranken, die ebenfalls umgebildete Blütenstandsstiele sind. Die „Sproßfaden-
ranken" treffen wir z. B. bei der Passionsblume, bei welcher es sich um blatt-
lose, unverzweigte, achselständig"e Seitenzweige handelt, die mit Berührungs-
reizbarkeit ausgestattet sind. Beim Wein sind sie verzweigt; die Rankenäste
stehen in den Achseln kleiner Schuppenblätter, wodurch die Sproßnatur ohne
Fig. 41. Sproßende von Phyllantlius speciosus in -/s der nat.
Gr. / Phyllokladien, n ihre Tragblätter, b Blüten. Aus Wiesnek.
nach Schneevogt.
Sproßrankei.
2 88 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
weiteres bewiesen wird. Hier stehen sie den Blättern gegenüber an den-
selben Stellen, an denen bei anderen Blättern Blütenstände stehen. Bekannt
ist die Tatsache, daß beim wilden Wein u. a. die Ranken nicht schlingen,
sondern Haftballen bilden, die sich an dicken Stützen, an Mauern, Felsen usw.
festhaften können.
Sproßdornen. Während Ranken die Pflanzen im Kampf ums Licht unterstützen, dienen
die in Dornen umgebildeten Zweige — die „Sproßdornen" — im Kampf
gegen die Tierwelt. Sproßdornen haben also im wesentlichen dieselbe bio-
logische Bedeutung wie die „Sondergebilde", die jedermann als Stacheln
bei der Rose, Brombeere usw. kennt. Sproßdornen trägt die Schlehe, der
Weißdorn, Rotdorn, Kreuzdorn, Sanddorn und viele andere mehr. Beim
Kreuzdorn stellt der jeweilige Hauptsproß sein Wachstum ein und läßt seine
Spitze verdornen, bei der Schlehe ist es ein Seitensproß, dessen Blattachsel-
ständigkeit schon auf die Sproßnatur hinweist. Verzweigt sind die Dornen
z. B. bei der in unseren Gärten häufig gezogenen Christusakazie. Dornen
sind meistens der Assimilation nicht dienstbar und um diesen Ausfall an
beblätterten Zweigen zu decken, sehen wir, daß bestimmte bedornte Pflanzen
an den Dornen Seitenknospen zu blatttragenden Zweigen auswachsen lassen,
so die Schlehe. Sodann kommt es vor, daß in derselben Blattachsel, in der
die zum Dorn auswachsende Seitenknospe steht, noch eine andere Knospe an-
gelegt ist, die zu einem beblätterten Zweig wird. Hier liegt also ein Fall vor,
in welchem wir den biolooischen Nutzen des Vorkommens solcher früher schon
erwähnter „Beiknospen" ohne weiteres einsehen. — Das Maß der Verdor-
nung ist vielfach von den Standortsbedingungen abhängig; sie kann bei
Kultur in feuchter Luft ausbleiben. Auch kann man durch experimentelle
Eingriffe erzielen, daß Anlagen, die normalerweise verdornte Kurztriebe wer-
den, zu beblätterten Langtrieben auswachsen. — Sehr beachtenswert ist es,
daß der Kreuzdorn u. a. im Jugendstadium keine Dornen hat. Auch das zeigt
an, daß die Verdornung eine sekundär erworbene Eigenschaft ist. Interessant
sind die Vertreter der amerikanischen, mit dem Kreuzdorn verwandten Gat-
tung Colleäa; hier fallen die Blätter früh ab und die Assimilation muß dann
ganz von dem verdomten Sproßsystem übernommen werden. Bei einigen
Arten sind die Dornen rund, bei anderen etwas abgeflacht. Bei Colletia crit-
ciata sind sie aber stark abgeplattet, als Phyllokladien entwickelt; hier sind
also die Sprosse gleichzeitig nach zwei verschiedenen Richtungen hin um-
gebildet.
Ausläufer. ^Is Ictztcr Typus umgebildeter Sprosse seien noch die Ausläufer ge-
nannt, bei welchen der Sproß die Funktion übernommen hat, für das Wander-
vermögen, gleichzeitig auch für die vegetative Vermehrung zu sorgen,
Funktionen, die wir ja schon, wenngleich vielfach nur andeutungsweise, bei
vielen Rhizomen antrafen. Es gibt unterirdische Ausläufer z. B. beim Moschus-
oder Hexenkraut, bei der Kartoffel, beim Körnersteinbrech, beim Sumpf-
ziest — die drei letztgenannten Pflanzen bieten gleichzeitig Beispiele dafür,
daß Ausläufer Speicherknollen hervorbringen können — ; oberirdische Aus-
Sproßdornen. Ausläufer 289
läufer besitzen die Erdbeeren, die Fingerkräuter usw. Je länger ihre Inter-
nodien sind, um so gTÖßer ist das Wandervermögen der Pflanze. Im übrigen
können solche Ausläufer sowohl monopodial als auch sympodial gebaut sein,
im ersteren Falle bilden sie Seitenknospen, die sich adventiv bewurzeln und
zu neuen Pflänzchen heranwachsen, im letzteren Falle stellt sich die End-
knospe des Ausläufers selbst aufrecht und bewurzelt sich und der Aus-
läufer wird durch einen wagrecht weiterwachsenden Seitensproß fortgesetzt.
Die Ausläufer gehören zu denjenigen Organen der höheren Pflanzen, bei
deren Verwendung als Versuchsobjekten die Wachstums- und Entwicklungs-
physiologie besonders schöne Ergebnisse gewonnen hat. Unterirdische Aus-
läufer, z. B. die eben genannten des Hexen- oder Moschuskrautes wachsen,
trotzdem sie am Querschnitt runde, radiäre Gebilde sind, nicht orthotrop,
sondern stets senkrecht zur Schwerkraftsrichtung, wenn sie im Dunkeln sich
befinden, gleichgültig welche Flanke nach oben gekehrt wird; werden sie
aber beleuchtet, so wachsen sie orthotrop und zwar senkrecht nach unten
in der Richtung der Schwerkraft und gelangen so wieder in ihr natürliches
Medium, wie zuerst Stahl für das Moschuskraut nachwies. Die Wachstums-
richtung- ist aber nicht nur von Außenbedingungen abhängig, sondern auch
vom Entwicklungsstadium: Der Stengel der Keimpflanze der eben genannten
Form wächst zunächst orthotrop nach oben, krümmt sich dann, um wie eine
Wurzel senkrecht nach unten zu wachsen und schließlich im Boden horizontal
zu wachsen. Auch kann man Ausläufer durch Beleuchtung veranlassen,
zu senkrecht wachsenden Sprossen, die statt der diesen Ausläufern eigenen
Schuppenblätter grüne Laubblätter tragen, sich umzubilden, die bei Ver-
dunkelung wieder plagiotrope Ausläufer werden. Aber nicht nur durch Wechsel
der äußeren Bedingungen kann die Gestalt von Ausläufern und ihren seit-
lichen Organen, sowie ihre Wachstumsrichtung abgeändert werden, auch
als Folge von Korrelation können derartige Umbildungen erscheinen: unter-
irdische Ausläufer an den beiden oben genannten Pflanzen werden dann zu
oberirdischen Laubsprossen, wenn die Pflanze ihrer Laubsprosse beraubt wird.
Zu erinnern ist sodann auch hier an die früher erwähnten Versuche von
Voechting, die die Frage beantworten, unter welchen Bedingungen An_
lagen von Seitensprossen der Kartoffel in Laubsprosse auswachsen, unter
welchen sie zu Ausläufern bzw. zu Knollen werden. Diese flüchtigen Hin-
weise müssen an dieser Stelle genügen.
Wir haben versucht, durch die obig^en Ausführungen uns ein Bild zu
machen von der Ausgestaltung des Sprosses, soweit er im Dienst des vege-
tativen Lebens steht. Den Sproß der Blütenpflanzen als Träger der Fort-
pflanzungsorgane werden wir später noch kennen lernen.
Wenn wir nunmehr zu dem dritten „Grundorgan", zu dem „Blatt" über- m^t^ _
gehen, so wollen wir uns zuerst der verschiedenen an einem gewöhnlichen <^''r""d, stiel,
Laubblatt sichtbaren Teile, ihrer Ausgestaltung und ihrer Funktionen erinnern,
dann einen Blick auf die Entwicklung der Blätter am Vegetationspunkt
werfen, um endlich umgebildete Blattformen ins Auge zu fassen.
K. d. G. Ill.iv, Bd 2 Zellenlehre etc. jg
2QO W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Am Laubblatt unterscheiden wir den^^Blattgrund, den Blattstiel und die
Blattspreite.
Blattgrund. Was zucrst den Blattgrund anlangt, so ist das der Teil, mittels dessen
das Blatt am Stengel ansitzt. In vielen Fällen bietet dieser Blattgrund ge-
staltlich keine Besonderheiten dar, in anderen Fällen kann er eigenartig aus-
gestaltet sein und bestimmte P^unktionen übernehmen. So kennt jedermann
den zu sogenannten Blattpolstern (Blattkissen) umgestalteteten Blattgrund
bei der Bohne, der Sinnpflanze und tausend anderen Pflanzen, bei welchen
er ein wichtiges Bewegungsorgan vorstellt, das durch seine Gestaltsver-
änderungen bewirkt, daß die Blätter dieser Pflanzen dem diffusen Tageslicht ihre
Fläche voll darbieten, daß sie sich bei zu starker Besonnung so stellen, daß
das Licht nur ihre Kante trifft, daß sie nachts schlafen, d. h. sich nach oben
oder unten zusammenlegten; daß die der Sinnpflanze und anderer auch auf
Stoßreize hin zusammenklappen.
Biattscheide. Bekannt ist sodann die Ausbildung des Blattgrundes als Scheide, die
bei Gräsern und vielen anderen Monokotylen jedermann schon aufgefallen
ist. Aus umeinandergelegten Blattscheiden, nicht aus Stengelorganen be-
steht das, was der Laie bei den Vertretern der Gattung Afiisa, jener bei uns
so häufig als Blattpflanzen kultivierten Gewächse, denen wir die Bananen
verdanken, als Stamm, der kundige Botaniker aber als Scheinstamm bezeichnet,
— so übernehmen hier also die mächtig entwickelten Scheiden die Funktion
von Stengelorganen. Bei den Gräsern dient die Scheide in erster Linie als
Schutz für die von ihr umhüllten Halmpartien; damit nicht zwischen Halm
und Scheide Wasser, von der Blattspreite herabfließend sich ansammeln und
zu Fäulnisprozessen hier Veranlassung geben kann, ist an der Grenze zwischen
Liguia. Scheide und Spreite ein kleines aufrechtes Häutchen, die sogenannte Ligula
angebracht. Auch bei Dikotylen sehen wir die Scheide manchmal kräftig
entwickelt, so bei Doldengewächsen, bei denen sie einen aufgeblasenen Sack
bilden kann, in dem sich, anders als bei den Gräsern, Regenwasser ansammelt,
so daß man bei diesen sowie auch bei anderen Pflanzen, z. B. der Karde,
bei welcher der Blattgrund eines Blattes mit dem ihm gegenständigen zu einem
Trichter verwachsen ist, die Ansicht ausgesprochen hat, daß dies Wasser
und etwaige in ihm gelösten Teilchen wie Kot von Tierchen der Pflanze
zugute kommen könnte, eine Ansicht, die sicher zutrifft für jene oft be-
schriebenen tropischen Epiphyten, deren Blätter in analoger Weise mit ihren
verbreiterten Ansatzstellen sich zu einem Trichter zusammenschließen. In
diesem Fall liegt also eine erwiesene Funktionsbereicherung des Blattgrundes
vor. Sehr häufig ist der Blattgrund zu sogenannten Nebenblättern rechts und
links vom Stiel ausgewachsen; diese unterstützen, falls sie am erwachsenen
Blatt einigermaßen kräftig ausgebildet sind, die Blätter in ihrer Assimilations-
tätigkeit, ja wir sehen sie in einigen Fällen die Assimilationsarbeit fast aus-
schließlich leisten. In anderen Fällen dienen die Nebenblätter, die sich früh-
zeitig ausbilden, als Schutzorgan für die noch nicht entwickelte Spreite, die
im jugendUch zarten Zustand hauptsächlich des Schutzes gegen Austrocknung
Blattgrund. Blattstiel 291
bedarf. Bei den Feigenbäumen hat wohl jedermann die zu „Tuten" umge-
bildeten Nebenblätter schon gesehen.
Wir kommen zum Blattstiel und erinnern uns zunächst daran, daß Buttstiei.
er oft fehlen kann. Dann sitzt die Spreite direkt dem Stengel an, oft mit
breitem Grund, oder „stengelumfassend" oder vom Stengel „durchwachsen",
oder „herablaufend"; auch „verwachsen" können die Spreiten gegenständiger
Blätter sein, Bezeichnungen, die fast jeder ohne weiteres versteht und aus
seiner Jugendzeit, da er Herbarien anlegte, noch kennt. In den Fällen aber, in
welchen der Stiel ausgebildet ist, dient er als wichtiges Org^an, um die Spreite
nicht nur am Stengel zu befestigen, sondern auch, in die richtige Lage
zu bringen, dadurch daß er länger oder kürzer gestreckt ist, daß er sich
krümmt oder dreht. Bei Blattrosetten kann man nicht selten hübsch be-
obachten, wie die Stiele der unteren Blätter länger sind als die der oberen und
dadurch ihre Spreiten aus dem Schatten dieser „herausschieben". So bei den
auf dem Wasserspiegel schwimmenden Rosetten der Wassernuß. Auch die
Behandlung der von uns schon g-enannten Anisophyllie gibt uns Gelegen-
heit, auf die Bedeutung der Blattstiellänge hinzuweisen. Definieren wir die
Anisophyllie zunächst etwas genauer: so haben wir die Erscheinung bezeichnet,
daß Blätter, die am Stengel auf gleicher oder annähernd gleicher Höhe
stehen, verschieden groß ausgebildet sind. Sie ist entweder für alle Sprosse
einer Pflanze kennzeichnend, so für viele Arten der schon gelegentlich ander-
weitiger organographischer Betrachtungen genannte Selaginella, an deren
Stengel wir zwei Reihen kleinerer Ober- und größerer Unterblätter finden
(Fig. 34), — meist sind aus Beleuchtungsgründen die nach unten stehenden
Blätter anisophyller Sprosse größer als die nach oben fallenden. Von lateraler
Anisophyllie spricht man dann, wenn nur die plagiotropen Aste sie zeigen, die
am besten bekannten Beispiele dafür sind Bäume mit dekussierter Blattstellung.
Hier, übrigens auchbei Gewächsen mit spiraligerBlattstellung ist zubeobachten,
daß die nach unten stehenden Blätter in jeder Hinsicht größer sind und — darauf
eben wollten wir in diesem Zusammenhang hinweisen — auch die Blattstiele
länger. So sehen wir hierin eine Anpassung an Beleuchtungsverhältnisse;
bedingt wird sie aber bei den genannten Bäumen durch die Schwerkraft, und
zwar schon während die Blätter noch in der Knospe eingeschlossen sind.
Dreht man eine Knospe eines solchen Baumes um 180 Grad, so wird, wie
Nordhausen fand, erst in der nächsten darauffolgenden Vegetationsperiode
die volle Umkehrung der Anisophyllie erreicht werden; sie ist zwar schon an
den jugendlichen Blattanlagen ausgeprägt, aber nicht inhärent geworden.
Doch kehren wir zum Blattstiel zurück, so sehen wir in manchen Fällen, daß
seine Anheftung an die Spreite für das Blatt von großer biologischer Be-
deutung sein kann; allbekannt sind die schildförmigen Blätter; wenn wir diese
Ausbildung, bei welcher also der Stiel nicht am Rand, sondern unter der Fläche
der Spreite ansitzt, in manchen Fällen vorläufig als Organisationseigenart hin-
nehmen müssen, können wir doch in anderen Fällen, so bei Schwimmblättern
diese Ausbildung als vorteilhaft verstehen. In einigen Fällen ist beiSchwimm-
19*
292
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
BUttsHei als pflanzen der Stiel dieser Lebensweise derart angepaßt, daß er aus lockerem Ge-
c Wimmorgan ^^^^ besteht Und aufgcblascn ist, so als Schwimmorgan fungiert. Bei bestimm-
oder
Wasserspeicher. ^^^ Epiphyten des tropischen Regen walds dient er als Wasserspeicher. Endlich
PhyUodium. ist noch ZU erwähnen die Ausbildung des Stiels als „Phyllodium". Das am
häufigsten dafür genannte Beispiel bieten viele, nämlich die sog. „phyllo-
dinen" Akazien (Fig. 42). Die Keimpflanzen dieser oft genannten Gewächse
haben doppeltgefiederte ,,bipinnate" Blätter an Stielen, die auf dem Querschnitt
annähernd rundlich sind, die erwachsenen Pflanzen zeigen aber Blätter,
die größtenteils nur aus Stielen, die in vertikaler Richtung abgeflacht sind,
bestehen; dazwischen findet man alle
möglichen Übergangsformen mit
mehr oder minder verkümmerten
Blattspreiten. Die eigenartige Um-
bildung, die in der Phyllodienbildung
gipfelt, ist eine Akkomodation an
heiße Standorte, in denen die Unter-
drückung zarter Blattgebilde und
gleichzeitig senkrechte Stellung der
Assimilatoren biologisch wenigstens
beg-reiflich ist. Zweifellos stammen
O
die phyllodinen Akazien von bipin-
naten ab, und so dürfen wir sagen,
daß die Ontogenie der ersteren ihre
Phylogenie wiederholt. NachL.Diels
ist dieser Schluß allerdings nicht all-
gemein gültig; denn es können auch
umgekehrt phyllodine Akazien wieder
zu Stammeltern von bipinnaten wer-
den, dann nämlich, wenn erstere, viel-
leicht durch klimatische Bedingungen veranlaßt, schon blühreif werden, ehe
sie Phyllodien ausbilden, und wenn diese Erscheinung bei ihren Deszendenten
erblich fixiert wird. — Daß nicht selten auch bei Pflanzen unserer Heimat
der Blattstiel assimilatorische Funktion in beträchtlichem Umfang über-
nehmen kann, lehrt uns der Anblick geflügelter Blattstiele.
Auch in anderer Hinsicht kann ein wohl entwickelter, langer Blattstiel
von Nutzen sein: Er bildet einen „langen Hebelarm", vermittels dessen die
Blätter leichter den Windstößen, Regengüssen und Hagelschauern ausweichen
können, um gleich nachher stets wieder in die richtige Lage zurückzuschnellen.
Oft beschrieben ist die eigenartige, seitliche Abflachung der Espenlaubstiele,
welche bewirkt, daß die Blattflächen im Winde „zittern"; so wird die Tran-
spiration gesteigert und damit die Zufuhr von Nährsalzen aus dem Boden erhöht.
Blattspreite. Wenden wir uns nun der Blattspreite zu, so können wir in die große
Formenmannigfaltigkeit, die sich uns hier bietet, ganz unmöglich tief ein-
tauchen mit unserer Darstellung. Zuerst sei daran erinnert, daß in der über-
Fig. 42. Keimpflanze einer pbyllodinen Akazie. Die Primär-
blätter j — 4 sind entwickelt wie bei anderen Acacia-Arten,
5 — 6 Übergänge zur Phyllodienbildung. y — 9 Phyllodien.
n Nektarien. Nach Strasbukger.
Phyllodium. Nervatur 293
großen Mehrzahl der Fälle die Spreite — wie ja auch der Stiel — ein dorsi-
ventrales Gebilde ist. In den Fällen, in welchen im Gegensatz zur Regel
Ober- und Unterseite der Blätter gleich oder fast gleich gestaltet sind, redet
man von isolateralen Blättern. Ganz selten sind Blätter radiär wie die
vieler Binsen. Im allgemeinen können wir an der Spreite die Nerven
und das grüne Blattgewebe unterscheiden; die ersteren dienen der
Festigung der Spreite und sind Leitungsbahnen für die Stoffe, die von
der Pflanze her ins Blatt strömen, sodann für diejenigen, welche im grünen,
durchleuchteten Blattgewebe gebildet, wieder der Pflanze zugute kommen,
und häufig, aber keineswegs immer können wir die Ausgestaltung des Blattes
im Zusammenhang mit seiner eben kurz geschilderten Aufgabe im Haushalt
der Pflanze verständlich machen.
Auf die verschiedenen Formen der Blattspreite, die Ausgestaltung des
Randes und andere Dinge, die beim „Pflanzenbestimmen" eine so große
Rolle spielen, hier einzugehen, würde für uns bedeutungslos sein; auch auf
die Tatsache, daß es einfache und geteilte, „verzweigte" Blattspreiten gibt,
sei hier nur kurz hingewiesen. Betreffs der Nervatur wollen wir lediglich soviel Nervatur.
bemerken, daß nach Potoni^, der sich auf die Entwicklung der Pflanzenwelt
stützt, die primitivste Form der Aderung-, die wir heute noch bei Farnen und
auch der Gymnosperme Ginkgo antreffen, die „Fächeraderung" ist : vom Blattstiel
her treten in die Spreite lauter gleich starke Adern ein, um sich unter wieder-
holter Gabelung und fächerartiger Auseinanderbieg'ung nach dem Rande zu
erstrecken. Es schließt sich an die „Flußsystemaderung", bei welcher wir
Hauptnerven mit seitlichen Nerven verschiedener Ordnung haben, ohne daß
aber seitliche Anastomosen zwischen ihnen zu beobachten wären. Höher
steht dann die sogenannte „Maschenaderung", endlich die Doppelmaschen-
aderung, bei welchen durch seitliche Verbindungen eine möglichst voll-
kommene „Berieselungs"- und „Entrieselungsanlage'' geschaffen und außer-
dem auch der mechanische Zweck der Nervatur, die Spreite auszuspannen,
recht vollkommen erreicht wird. Auf weitere biologisch verständliche Be-
sonderheiten, starke Ausbildung der Nervenverbindungen längs des Randes,
um das Einreißen zu verhüten usw., sei nur hingewiesen; ferner darauf,
daß große Blätter, wie das der Banane, umgekehrt derart gebaut sind, daß
die Spreite zwischen den Fiedernerven erster Ordnung durch Wind oder
Regen leicht zerrissen werden kann, ohne daß das Blatt wesentlichen Schaden
nimmt; so erreicht die Pflanze dasselbe, was andere Pflanzen durch Aus-
bildung verzweigter Spreiten erzielen. Bei Palmen findet das Zerreißen
der ursprünglich einheitlichen Blattfläche während der Entwicklung des
Blattes aus inneren Gründen statt.
Im übrigen wird die Gestalt der Blattspreite beherrscht von dem Prinzip Bauprinzipien
möglichster Oberflächenvergrößerung, das aber nicht übertrieben wird, da ^^ '"^^'*^
es sonst zu Schädigungen der Pflanze führen könnte. Dies Prinzip ist, wie
wir schon am Eingang unserer Betrachtungen gehört haben, deshalb so wichtig,
weil nur bei großen Oberflächen die Kohlensäure für die Assimilation in ge-
294 ^' ^ENECKE: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
nügender Menge dem Blattgewebe zugeführt werden kann. Bei Pflanzen
feuchter, nicht zu stark besonnter Standorte kann es ungetrübt in die Er-
scheinung treten, damit das Blatt genügend Licht auffangen kann, damit es
ferner genügend Wasser verdunstet und der dadurch unterhaltene Tran-
spirationsstrom die Pflanze mit zureichenden Mengen von Nährsalzen ver-
sorgt. An heißen, trockenen Standorten aber tritt, wie allbekannt, das Prinzip
in Konkurrenz mit dem anderen, durch mehr massige Entwicklung der Spreite
eine allzu große, schädliche Wasserabgabe zu verhindern. Abgesehen von
der Gestalt ist auch die Stellung der Spreite im Raum von Bedeutung: an
feuchten, schattigen Orten kehrt die Spreite ihre volle Fläche dem Lichte zu,
an sehr trockenen aber können wir häufig- Kantenstellung beobachten; so
wird zu starke Erwärmung verhindert. Beleuchten wir das nun etwas näher
und beginnen wir mit der Abhängigkeit der Blattgestalt und Blattrichtung
vom Licht.
Blattspreite und Bei bestimmten Pflanzen hat man den Eindruck, daß weder Gestalt noch
bedingunge^n. Stellung dcr Blätter in wesentlichem Maße von den Beleuchtungsverhältnissen
abhinge; so kann man bei Gräsern, Segg^en, Binsen usw., sofern sie an hellen
Stellen wachsen, ja wohl sagen, die steile Stellung ihrer Blätter sei eine An-
passung an die Beleuchtungsbedingungen, doch hat man nicht den Eindruck
einer Anpassung, sondern höchstens den eines Angepaßtseins, die Stellung der
Blätter, möchte man fast sagen, ist „von selbst" die richtige, d.h. sie ist Folge
der Organisation. Gleiches gilt, wenn Pflanzen mit reitenden Blättern, wie
Schwertlilien, bei welchen also die Spreite senkrecht statt wagrecht an den
Blattgrund angeheftet ist, an sonnigen Plätzen stehen. Das Gegenstück solcher
Blätter sind die Rosettenblätter, die, dem Boden flach aufliegend, das volle
Oberlicht ausnutzen. Diese Ausnutzung ist in vielen Fällen um so schöner
zu beobachten, als Rosettenblätter häufig um so breiter sind, je kleiner die
Zahl der Geradzeilen, in denen sie stehen. (Vg'l. ob. Phyllotaxis ) In Gegen-
satz zu den eben berührten treten solche Gewächse, welche durch nachträg-
liche Stellungsveränderungen günstige Lichtlage erzielen; die berühmtesten
sind die viel besprochenen, vorhin schon genannten Kompaßpflanzen mit
ihren vertikal sich stellenden Spreiten, die nur der Früh- oder Spätsonne
ihre Flächen darbieten. Derartige Blätter sind im höchsten Grad photo-
Photometrische mctrisch, wie Wlcsncr solche nennt, die eine bestimmte „Lichtlage'' einnehmen
aphotometrische im Gegcnsatz zu den aphotometrischen. Als vollkommen aphotometrisch
Blatter. wcrdcn u. a. die Kiefernadeln bezeichnet.
Unter den photometrischen Blättern unterscheiden wir mit Wiesner pan-
photometrische, welche sich derart einstellen, daß sie nicht nur diffuses Licht,
sondern auch Sonnenlicht mit ihrer Fläche abfangen, und die euphotome-
trischen, die ihre Fläche so stellen, daß sie möglichst viel diffuses Licht emp-
fängt; wir erwähnen das hier, um daraufhinzuweisen, daß man eben bei den
letzteren, die besonders im Waldesschatten oder anderen, ähnlichen Orten vor-
kommen, ganz besonders schön manche Eig'enarten der Gestalt mit der Tat-
sache sich erklären kann, daß Flächen geschaffen werden, die möglichst viel
Blattspreite 295
Licht auffangen und ausnützen sollen. Assymetrische Ausgestaltung der Blatt-
fläche, eigenartige, gegenseitige Stellung der Teile eines zerteilten Blattes,
kombiniert mit den früher besprochenen Wachstumserscheinungen, Drehungen
von Blattstielen und Internodien, Anisophyllie usw. bedingt, daß eine große
assimilierende Fläche geschaffen wird, ein Blattmosaik, wie wir es früher
nannten, das von Wind und Wetter nicht erst in Scherben geschlagen werden
kann, weil es selbst schon aus vielen Teilstückchen besteht. Zu erinnern ist
an dieser Stelle daran, daß die Lichtlag^e vielfach erst in einem gewissen Ent-
wicklungsstadium eingenommen wird. So werden die Blätter der Tropenbäume
zunächst, wie man sich im Anschluß anTreub recht bezeichnend auszudrücken
pflegt, „ausgeschüttet", d. h. sie hängen zunächst noch, wenn sie ihre definitive
Größe schon erreicht haben, schlaff" an schlaffen Stielen herab, erst nach einiger
Zeit findet die Ausbildung- des Chlorophyllapparates statt, und dann nehmen
sie ihre Lichtlage ein, indem Stiel und Spreite ihre Festigungseinrichtungen
ausbilden. — Bei den panphotometrischen Blättern, welche auch das direkte
Sonnenlicht nicht scheuen, finden wir nicht in gleich ausgeprägtem Maße diese
Ausbreitung der Spreite in möglichst ebener Fläche. In Gegensatz zu diesen
Blättern mit sogenannter fixer Lichtlage treten die oben schon erwähnten,
welche mit Hilfe von Gelenken sich jeweils in die ihnen zusagende Licht-
lage bring^en.
Daß auch die Ausbildung der Blattoberfläche den Lichtgenuß der Blätter Blattoberfläche,
reguliert, zeigt die bekannte Erscheinung, daß Blätter sonniger Standorte
vielfach durch ihre glänzende Oberfläche viel von dem auf sie aufstrahlenden
Licht zurückwerfen — es sei an die „Glanzlichter" der Blätter in den Tropen
erinnert — , Schattenpflanzen umgekehrt häufig mit matter, „sammetartiger",
viel Licht absorbierender Oberfläche ausg^erüstet sind. Auch sei auf die Be-
haarung, die besonders bei Pflanzen sonniger Orte mächtig entwickelt sein
kann, hing'e wiesen. Vergleicht man Sonnen- und Schattenblätter ein und Sonnen- umi
derselben Pflanze, so zeigt sich ganz im allgemeinen, daß die ersteren derber
gebaut, von größerer Dicke sind als die letzteren.
Werfen wir nun einen kurzen vergleichenden Blick auf Blattgestalten
trockener und feuchter Standorte, auf sogenannte xerophile und hygro-
phile Blätter, so ist es ohne weiteres klar, daß sich der Begriff xerophiles XeropWie
Blatt häufig mit dem Begriff Sonnenblatt, der Name hygrophiles Blatt
mit Schattenblatt decken wird. So sehen wir denn auch beim hygrophilen
Blatt mächtige Flächenentwicklung, dünnen Querschnitt, beim Blatt der Xero-
phyten umgekehrt Reduktion der Oberfläche verbunden mit anderen zweck-
entsprechenden Einrichtungen. Diese xerophilen Blätter sind entweder Or-
ganisationsmerkmale, so bei den Nadelhölzern, oder aber nachträg^lich er-
worbene Anpassungen an trockene Standorte, so bei denjenigen Mono- oder
Dikotylen mit solcher Blattform, bei deren Vorfahren wir Blätter mit größerer
Flächenentwicklung anzunehmen haben. Daß solche xerophile Blätter von
anderen mit größerer Flächenentwicklung abzuleiten sind, kann auch daraus
entnommen werden, daß letztere häufig an der Jugendform von Xerophyten
2Q6 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
noch auftreten. Falls dies der Fall ist, kann man durch Kultur im feuchten
Raum erzielen, daß auch an den älteren Pflanzen nicht xerophil ausgebildete
Blätter wieder auftreten. Von besonderen gestaltlichen Anpassungen dürfen
RoUbiätter. wir bei den xerophilen Blättern auf die nicht seltene Umrollung des Blatt-
randes hinweisen, auch auf die Tatsache, daß wir wirkliche Rollblätter kennen,
die bei feuchter Witterung flach sind, bei trockener aber eingerollt.
Hygrophiie Als Anpassungserschcinungen hygrophiler Blätter sei auf die so häufig
Tr^feiritze ©fwähnte „Träufelspitze" hingewiesen, welche bedingt, daß das Regenwasser
schnell abläuft und die Spreite trocken gelegt wird. Zumal im feuchten Tropen-
wald findet man diese lang ausgezogene Spitze des Blattes häufig, die dann
in ihrer Funktion durch die schon erwähnte, sammetartige Ausgestaltung der
Oberfläche unterstützt wird. Ombrophil können wir mit Wiesner solche Blätter
des Regenwaldes nennen im Gegensatz zu den ombrophoben, denen solch
feuchtes Klima nicht zusagt, weil ihnen die eben genannten Einrichtungen
abgehen. Mit der Wasserökonomie steht sodann die Ausbildung des Blatt-
randes im Zusammenhang, da auf dessen Zähnen häufig Wasserdrüsen, Hy-
dathoden, stehen, durch die Wasser ausgepreßt wird. Bestimmte Ausgestal-
tungen des Blattrandes hat man übrigens auch als Schutzmittel gegen Tier-
fraß zu deuten versucht.
Hydrophile Hlcr schüeßcn sich dann die „hydrophilen" Blätter an, die Blätter von
TauAbiätt'er Wasscrpflanzcn. Am charakteristischsten dem Medium Wasser angepaßt sind
begreiflicherweise die Tauchblätter, die ganz submers wachsen. Solche zeigen
vielfach eine sehr große Oberfläche infolge von weitgehender Zerteilung der
Fläche, sogenannte Kiemenblätter, in anderen Fällen sind es bandförmige,
lange Gestalten oder auch sehr dünne Flächen, die in ihrer äußeren Form
mit Salatblättern verglichen werden. Die Ausbildung kann als nützlich be-
trachtet werden, indem solche Blätter aus dem Wasser Kohlensäure und andere
Nährstoffe in großer Menge aufnehmen können.
Gitterblätter. Bcsoudcrs iutcressant sind die Tauchblätter ausgestaltet, nämlich als
sogenannte Gitterblätter, bei verschiedenen Arten der mit unseren Laich-
kräutern entfernt verwandten Gattung Aponogetony z. B. der danach so ge-
nannten Art A.fenestralis, bei welcher die ganze Blattfläche ein feines Gitter-
werk vorstellt. Vielleicht liegt hier ein biologisches Analogon vor zu jenen
früher genannten Algen, Agarum und anderen Formen, deren flächenförmiger
Thallus durchlöchert ist.
Heterophyiiie Bci Wasserpflauzcn können die eben erwähnten, stark zerteilten sub-
mersen Blätter vereint vorkommen mit Schwimmblättern oder Luftblättern,
manchmal auch mit Schwimm- und Luftblättern zusammen (Fig. 43); auch gibt
es andere Wassergewächse, bei welchen nur Schwimm- und Luftblätter sich
zeigen. Jedenfalls haben wir hier die schönsten, mannigfachsten Beispiele
für Heterophyiiie. Man kann mit Goebel die zuerst erscheinenden submersen
Blätter auch als Jugendblätter den Folgeblättern entgegenstellen und sagen,
daß sie Hemmungsbildungen sind im Vergleich mit den anderen Blättern,
bei Wasser
pflanzen.
Wasserblätter. Heterophyllie
297
insofern als ihre Anlagen durch das Wasser verhindert werden, sich in der
Weise, wie sie es bei Luftzutritt getan haben würden, weiter zu entwickeln,
und zwar Hemmungsbildungen, bei denen sich gieichzeitig' in der Ausbildung
der zerteilten Spreite ein Fortschritt in anderer Richtung-, und zwar ein für
die Pflanze nützlicher zeigt.
Jugendformen, von denen wir eben ein Beispiel vor uns hatten, sind wir jugendbiätter.
ja früher schon begegnet: Ein Sproß kann sich an einer jugendlichen Pflanze
durch andere Blattstellung, durch andere Querschnittsform von dem Sproß
der erwachsenen Pflanze unterscheiden; bei den phyllodinen Akazien ist es
wie auch bei den soeben behandelten Wasser-
pflanzen die Heterophyllie, welche den Unterschied
der Jug-endform gegenüber der Gestalt der älteren
Pflanze ausmacht. Doch brauchen wir eigentlich
nicht so weit zu suchen, um Beispiele für diese
Erscheinung zu finden: jeder Keimling ist infolge
der eigenartigen Gestalt der Keimblätter ebenfalls
heterophyll; aber auch wenn wir von Keimblättern
absehen, können wir feststellen, daß die auf die
Keimblätter folgenden Blätter, die sogenannten '>' @
Primärblätter anders und zwar einfacher aussehen
als die Folgeblätter; sie können sogar auf kleine
Schuppen reduziert sein. Nordhausen zeigte ganz
neuerdings, daß an Laubhölzern die unteren Laub-
blätter jedes Sprosses „selbst bei heller Beleuch-
tung mehr oder minder den Stempel des Schatten-
blattes tragen" im Vergleich mit den höher stehenden
Laubblättern. Bei solchen Pflanzen, die im erwachsenen Stadium durch
Reduktion der Blätter ausgezeichnet sind, bei denen z. B. die Blätter
verdornen und der Stengel die Assimilation übernimmt, oder in analogen
Fällen, kann es vorkommen, daß auf die Keimblätter und die eigentlichen
Primärblätter zuerst noch Blätter folgen, welche normal entwickelt sind, imd
auf diese erst die zu Dornen reduzierten. Wenn man hier die normal entwickel-
ten Blätter mit zu den Jugendblättern zählen will, sind sie vollkommener ent-
wickelt als die der älteren Achsen, in Wirklichkeit sind sie aber eben die
„eigentlichen" Blätter und die der erwachsenen Pflanze rückgebildet.
Einen besonders interessanten Fall von Heterophyllie zeigt der Efeu. Die HeterophyUie
kletterndenSprosse haben drei- oderfünflappige Blätter; die an diesen stehenden,
nicht kletternden Blütensprosse aber elliptische, nicht gelappte. Betrachtet
man Keimpflanzen, so sieht man, daß deren Primärblätter nicht gelappt und
elliptisch sind wie die am Blütensproß. Diese Blattform ist also die phylo-
genetisch ältere, die gelappte aber nachträglich mit der kletternden Lebens-
weise erworben. Auch bei Nadelhölzern kann man aus der Ontogenie ein Heterophyllie be
Stück Phylogenie ablesen: Die Jugendformen der mit Schuppenblättern aus- ^""^FJ^fertT"'
gestatteten Lebensbäume haben Nadeln, d. h. die Blattform, die ihren Aszen- J"gendformen.
Fig. 43. Ein Zweig des Seerosen-
gewächses Cabomba. b Luft- bzw.
Schwimmblätter, b'- Tauchblätter.
Aus Wiesner nach Baillon.
2g8 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
denten zu eigen war. Für den Gartenliebhaber wie für den theoretischen
Morpholog-en gleich interessant ist die Erscheinung, daß Stecklinge der
Jugendform dieser Lebensbäume, welche noch Nadelblätter haben, diese
dauernd beibehalten, man kann die Jugendform „fixieren". Für Stecklinge
von Blütensprossen des Efeus gilt dasselbe; sie wachsen zu Efeubäumen
heran. — Alle diese Beispiele für Heterophyllie sind offenbar Sonderfälle
jener heteroblastischen Entwicklung, welche wir früher u. a. bei den Arm-
leuchteralgen, beim Moosgametophyten, unter den Blütenpflanzen bei den
phyllodinen Akazien schon kennen gelernt haben. Da die verschiedenen
Altersstadien solcher Pflanzen durch verschiedene Gestaltung ausgezeichnet
sind, schlägt L. Diels vor, diese Heteroblastien unter dem Begriff der „Heli-
komorphie" (fiXiKia, Alter) zusammenzufassen.
^^ Die ganze Ontogenie, die Gestaltung
0 '""/ £ ,v C*^^ ihrer einzelnen Phasen und ihre Aufein-
/\^/^^^— 3 \ -^^ anderfolge ist aber wandelbar unter dem
l( /l ^W-. /'^'^ v4\ Einfluß derLebensbedingungen und wir
ß |- l§ ■■' .4 |._ . -M haben oben bei Besprechung der phyl-
(^ --^ %. .iL:r^,..^m lodinen Akazien schon gehört, daß nicht
-'i B alle Phasen der Heterophyllie durch-
Fig 44- Blattentwicklung bei der Feldulme. .^: .< Scheitel laufen Werden müsseu, vielmehr die Aus-
des Stammes, 0 jüngste Blattanlage la Form emes noch '
ungegliederten Höckers. Die Anlage des nächstälteren bildung dcr Folgcblätter Unter UmStäU-
Blattes gegliedert in Blattgrund {g) und Oberblatt (o).
B Die Anlage des älteren Blattes schräg von außen ge- den Unterbleiben kann, dann z. B., wcnu
sehen. Vergr. 58. Nach Strasbukgek. ^^^^^ ^j^ JugeudformCU blühreif sind.
Beachtenswert ist der durch Goebel geführte Nachweis, daß die Jugend-
blätter bestimmter Pflanzen bei schwacher Beleuchtung, die zur Ausbildung
der späteren Blätter nicht ausreicht, sich entwickeln können und daß man
durch schwache Beleuchtung der erwachsenen Pflanze diese dazu veranlassen
kann, wiederum Jugendblätter zu bilden. So sieht man, daß die Reihenfolge:
Jugendblätter, Folgeblätter, keine der Pflanze unbedingt inhärente ist, son-
dern die Blattausbildung unter dem Bann der äußeren Bedingungen steht.
In ganz gleicher Weise kann man übrigens auch bei heterophyllen Wasser-
pflanzen die Blattanlagen, je nachdem man sie in Luft oder in Wasser heran-
wachsen läßt, zu Luft- oder Wasserblättern werden lassen.
HeterophyiHe Auf einige bcsoudcrs beachtenswerte Fälle von Heterophyllie, bei
^^^arne'^'''^'^ Epiphytcu dcs tropischen Regenwaldes, sei schließlich hingewiesen: Be-
stimmte Farne bilden, mit ihren Sprossen am Stamme eines Stützbaumes em-
porkletternd, abwechselnd Blätter aus, die als Assimilatoren (und auch zur
Bildung der Sporen) dienen, und andere, sogenannte Nischenblätter, hinter
denen sich Humus ansammelt. Bei anderen Formen werden statt der Nischen-
blätter fest an dem Stützbaum anliegende „Mantelblätter" gebildet, die, sich
dicht übereinander legend, vermodern und so selbst zu Humus werden.
Entwicklung Nachdcm wir uns über die Teile des Blattes, Grund, Stiel, Spreite in
^^' großen Zügen unterrichtet haben, wollen wir einen kurzen Blick auf die Ent-
Blattentwicklung
299
■f
/'-&.*..
Interkalarwachs-
tum der Blätter.
Wicklung des Blattes werfen (Fig.44u.45.) Soviel wissen wir schon, daß Blätter
am Vegetationspunkt in streng akropetaler Reihenfolge als Höcker angelegt
werden. Diese Höcker, wir folgen einer von Warming gegebenen Dar-
stellung, wachsen nun zuerst gleichmäßig oder aber an ihrer Spitze in bevor-
zugter Weise, hierauf zeigt sich eine Teilung der Anlage in zwei Teile, den
Blattgrund und das sogenannte Oberblatt. Nun wächst zuerst der Blattgrund
am kräftigsten weiter, hierauf findet die Ausmodellie-
rung der Spreite statt, in einer übrigens sehr verschieden-
artigen Weise. Wie Fig. 45 zeigt, werden bei gefiederten
Blättern die Abschnitte der Spreite in akropetaler Folge
angelegt. Meist „eilt" die Blattspitze in ihrer Entwicklung
der Spreite „voraus"; ganz besonders auffallend bei tro-
pischen Lianen, bei denen man
mit Raciborski von einer „Vor-
läuferspitze" spricht. — Die Aus-
bildung des Stiels erfolgt zu-
letzt, es bleibt also zwischen
Grund und junger Spreite eine
interkalare Wachstumszone er-
halten ; dies ist ein Merkmal in
der Entwicklung, worin sich
die Blätter von den nicht inter-
kalar, sondern durch Spitzen-
wachstum sich verlängernden
Achsenorganen unterscheiden. Da nun der Blattstiel selbst da, wo er mächtig-
entwickelt ist, nicht unbegrenzt in die Länge wächst, besitzen die Blätter,
wie allbekannt, ein begrenztes Wachstum, wiederum im Gegensatz zu den
Achsenorganen, die ein theoretisch unbegrenztes Wachstum besitzen. Frei-
lich, Übergänge sind auch hier vorhanden, erinnern wir uns doch, daß auch
Achsen, vorwiegend Kurztriebe, „aus inneren Gründen" auf einer gewissen
Entwicklungsstufe stehen bleiben.
Auch in der Lebensdauer erinnern Blätter vielfach an Kurztriebe; wie Lebensdauer
. . . . .. , , -r 1 1 r- f "1 der Blätter
diese haben sie eine meist nur ziemlich kurze Lebensdauer; tur die gewohn-
lichen Blätter ist es unnötig, darauf noch besonders hinzuweisen, aber auch
die sogenannten immergrünen Blätter dauern im allgemeinen nicht so lange
aus als die Achsen, die sie tragen; die Fichtennadeln, die etwas über zehn
Jahre alt werden können, sind wohl die am längsten lebenden immergrünen
Blattorgane. Warming weist darauf hin, daß eine Pflanze, deren Blätter ebenso
alt werden als die Pflanze selbst, die eigenartige südwestafrikanische Wüsten-
pflanze Welwitschia mirabilis ist. Hier trägt der aus dem Hypokotyl hervor-
gehende, rübenartig geformte Stamm an seinem oberen Rand nur zwei gegen-
ständige Blätter, die mittels einer basalen Wachstumszone dauernd in die Länge
wachsen, während die Blattspitzen allmählich absterben. Bei dem oben (S. 257)
erwähnten Streptocarpus wird das Blatt gleichfalls so alt, wie die ganze Pflanze.
Fig. 45. Fenchel. A Sproßspitze mit den drei jüngsten Blättern.
/"' noch ungeteilt, durch die Scheide von /' hindurch sichtbar. In
/■- ist die Trennung von Blattgrund und Oberblatt erfolgt. In y ■' wer-
den die Seitenteile akropetal angelegt. B Das sechst-jüngste Blatt :
Scheide etwa ebensogroß als die Spreite. Die Abschnitte der Spreite
entstehen akropetal. a ist jünger als fi, [i jünger als y. Aus
Warming nach Oersted.
300 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Blätter Einen sehr eigenartigen Ausnahmefall von der Regel, daß die Blätter
'^Ichs'tura" interkalar wachsen, bilden, abgesehen von vereinzelten Samenpflanzen-
blättern, die Farnwedel, bei welchen die spiralig eingerollte Spitze wächst.
Die seitlichen Ausgliederungen werden streng akropetal angelegt. Das
Spitzenwachstum kann mehrere Jahre dauern, die Wedel können bei be-
stimmten Formen außerordentlich lang werden; auch können ganz wie bei
Achsen Perioden des Wachstums und solche der Ruhe miteinander ab-
wechseln. Es deutet das daraufhin, daß die Farne ein phylogenetisch alter
Typus sind, bei welchem der Unterschied zwischen Blatt und Achse noch
nicht so durchgreifend ist wie bei den Samenpflanzen; es zeigt also, daß der
Unterschied zwischen Blatt und Achse sich erst allmählich herausgebildet
hat, und daß es falsch ist, von einer vollkommenen Wesensverschiedenheit
beider zu sprechen, zwischen denen es keine Übergänge geben könne.
Farnwedel £5 Sei in diescm Zusammenhange auf die ganz eigentümliche Tatsache
hingewiesen, daß bei bestimmten Farnen der Vegetationspunkt der Wedel
direkt in den eines Sprosses übergehen kann. Es handelt sich um Farnblätter,
die sich ausläuferartig umgestalten und an der Spitze ein junges Farn-
pflänzchen bilden. — Indem sich an einem Wedel dieses letzteren der gleiche
Vorgang wiederholt, können lange, sympodial gebaute Ausläufer entstehen.
Umgebildete Wir haben nun noch einige Worte über umgebildete Blätter zu sagen
Blatter. ^^^ kommcn zuerst zu denjenigen Blattgebilden, welche ganz oder teilweise
in Ranken umgebildet sind. Pflanzen, die solche tragen, würden wir als
Blattranker. Blattrankcr den oben abgehandelten Sproßrankern gegenüberzustellen haben.
Zunächst haben wir hinzuweisen auf Formen, bei welchen die Blätter, obwohl
gestaltlich kaum verändert, zum Ranken befähigt sind. Hierher gehören als
häufig genannte Arten die Vertreter der als Erdrauch bekannten Gattung,
bei der einige Arten mit ihrer durch Berührung reizbaren Blattspreite,
andere — in etwas vollkommenerer Weise — mit ihren Blattstielen, welche die
gleiche Reizbarkeit besitzen. Stützen umschlingen. Ein Blattstielranker ist
ferner die Waldrebe, Clematis. Auch gibt es Blattspitzenranker, so einige
Liliengewächse (Fig. 46), deren lang ausgezogene Blattspitze auf der Unterseite,
ferner die mit den Binsen verwandte tropische Gattung Flagellaria, deren Blatt-
spitzen auf der Oberseite für Berührungsreize empfänglich sind. Die wichtigsten
Blattranker sind aber Blattfadenranker. Hier ist zunächst die Gattung Smilax
(Sassaparill) zu nennen, welche an ihren Blattstielen zwei fadenförmige Aus-
wüchse zeigt, die als Ranken fungieren. Diese sind eine Crux der Morpho-
logen gewesen, da sie keiner Kategorie von Grundorganen zugerechnet
werden können; wir haben wieder einen Fall des Vorkommens von Sonder-
gebilden, Emergenzen oder wie man sie sonst nennen will. Bei den rankenden
Schmetterlingsblütlern werden in den meisten Fällen die endständigen und
die oberen seitenständigen Fiederblättchen in Ranken verwandelt, die unteren
Fiederblättchen sind Assimilatoren. Doch ist auch eine Form bekannt, bei
welcher alle Blattfiedern Ranken vorstellen und die Assimilation den Neben-
blättern übertragen ist. Bei noch anderen Familien sind es im wesentlichen
Umgebildete Blätter 30 1
die Stiele von Fiederblättern, deren Spreite nicht ausgebildet ist, welche ranken.
Sehr bemerkenswert ist es, daß von F. Czapek ein Fall beschrieben wird, in
welchem die Spreite nur dann, wenn der Stiel keine Gelegenheit gehabt hat, eine
Stütze zu fassen, als Assimilator ausgebildet wird. — Während in allen den
eben berührten Fällen die Fadenranken Teile zusammengesetzter Blätter sind,
die außerdem auch noch assimilierende Blattflächen ausbilden, treffen wir
bei den Kürbisgewächsen neben den der Assimilation dienenden Blättern
solche, welche ausschließliche Rankenfunktion übernommen haben. Die ge-
naue Besprechung ihrer Morphologie würde zu weit führen.
Während wir alle Pflanzen, welche entweder mit ihren Achsen schlingen Lianen und
oder irgendwelche Organe zu reizbaren Ranken umbilden, als Lianen be-
zeichnen, können wir mit Warming
von Halblianen dann reden, wenn
durch nicht reizbare, sparrig ab-
stehende Blätter und Seitenzweige
oder durch Ausbildung von Sta-
cheln, Haaren oder dergleichen
Sondergebilden Pflanzen in den
Stand gesetzt werden, sich zwi-
Fig. 46. Sproßspitze des Liliengewächses Gloriosa superba.
sehen ihresgleichen festzuhalten, Laubblattspitzeu in Ranken umgebildet Verkleinert.
1 j 1 •MT-j.j. 1 j- • -1 Nach Wiesner.
also durch Mittel, die wir viel-
fach nebenbei auch bei echten Lianen antreffen, so beim Hopfen. Das
bekannteste Beispiel für solche Formen in unseren Wäldern ist viel-
leicht das danach so benannte Klebkraut in den Tropenwäldern bilden
sie gefürchtete Dickichte. Zu den beachtenswertesten unter diesen Halb-
lianen zählen bestimmte tropische Kletterpalmen, bei denen die Mittel-
rippe der gefiederten Blätter zu langen biegsamen „Flagellen" ausge-
wachsen ist, an welchen in rückwärts gerichtete Dornen verwandelte Fiedern,
sodann auch Stacheln sitzen, und welche für Mensch und Tier, die sich in
die von solchen gebildeten Dickichte wagen, sehr gefährlich werden
können.
Solche Kletterpalmen und ähnliche Gewächse führen uns über zu den- Biattdomen.
jenigen Pflanzen, welche ihre Blätter verdornen lassen und auf diese Weise
gegenüber den Angriffen von Tieren geschützt sind. Vielleicht das am
häufigsten genannte Beispiel dafür ist der Sauerdorn, an dessen Langtrieben
die Blätter in einfache oder zusammengesetzte Dornen verwandelt werden,
in deren Achseln Kurztriebe mit normalen Blättern stehen. Übergangsformen
zwischen Blättern und Dornen fehlen übrigens an den Langtrieben nicht und
lassen auch ohne genauere Betrachtung- leicht die Natur der Dornen erkennen
(Fig. 47). Während hier das gesamte Blatt verdornt, sind es bei den Robinien
und Verwandten die Nebenblätter, welche zwei rechts und links von dem Blatt-
kissen der Blattspindel stehende, diese schützende Dorne bilden. Bei mexi-
kanischen Akazien sind solche Dornen hohl und von Ameisen bewohnt, sie
spielen darum in den Diskussionen über „Ameisenpflanzen" eine Rolle.
302
W. Benecke : Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Bei den Traganth liefernden Schmetterlingsblütlern sind es die Blatt-
spindeln, welche nach dem Abfallen der Fiederblättchen als Dornen erhalten
bleiben und die basalen Teile der Pflanze, da wo die Assimilatoren längst
verschwunden sind, mit einem dichten Mantel verzweigter Wehrorgane um-
geben: eine Konvergenzerscheinung zu jenen Palmen, deren Wurzeldornen
oben erwähnt wurden. — Allbekannt ist es von dem Anblick der Kakteen
her, daß Gewächse, welche wir den Stammsukkulenten zurechnen, nicht selten
verdornte Blätter tragen. Auch finden wir, daß in manchen Fällen in deren
Achseln Dornbüschel stehen, d. h. umgebildete Blätter an gestauchten Achsel-
sprossen. Oben war schon die Rede davon, daß die Jugendstadien von Pflan-
zen mit derart umgebildeten Blättern nicht selten noch die normalen, flächen-
förmig ausge-
bildeten Blätter
tragen; auch
durch Kultur un-
ter geeigneten
Bedingungen
kann man Rück-
schlag zu der
Blattform der
erzwin-
Fig. 47. Berberitze. .4 Keimpflanze. B — E Stücke eines Sprosses mit Dornen.
Aus Wakming nach de Candolle.
Blätter
als Tierfallen
Ahnen
gen.
Ganz besonders auffallend und darum häufig von berufener und unbe-
rufener Seite beschrieben sind diejenigen Blattumwandlungen, welche zur Bil-
dung von Tierfallen führen. Bei der Kannenpflanze wird der Blattgrund als
Assimilator, der Stiel als Ranke und die Spreite als Kanne mit ihren ver-
schiedenen Einrichtungen zum Anlocken, Fangen, Ersäufen und Verdauen
von Tierchen ausgebildet. Bei der Gattung Utricularia^ welche auch bei
uns einheimische Vertreter hat, werden kleine, mit Klappen verschlossene
Blasen ausgebildet, in welche Wassertierchen eindringen, um zugrunde zu
gehen. Auf die mannigfachen anderen Ausbildungsweisen der Insektivoren-
blätter, auf die Klappfallen, in welche sich die Blätter der Venusfliegenfalle
umgewandelt zeigen, auf die Blätter des Sonnentaus mit ihren Emergenzen,
Tentakel, dcu sogcnanntcn Tentakeln, auf die gleichfalls mit Tentakeln besetzten
Blätter der in Spanien, Portugal und Marokko heimischen Gattung
Drosophyllum, welche mit den Farnwedeln die Eigenschaft teilen, ein
ausgesprochenes Spitzenwachstum zu besitzen, kann hier nur hingewiesen
werden. Doch darf wohl erwähnt werden, daß eine der eben genannten
Pflanzen für den Morphologen noch aus einem anderen Grunde von
ganz besonderem Interesse ist. Betrachten wir die im Wasser flutenden
Sprosse der Utricularia vulgaris^ so sehen wir, daß sie dorsiventral sind:
die Spitze ist spiralig eingerollt, auf beiden Flanken stehen fiederig
geteilte Gebilde, die man für zerteilte Blätter, ähnlich den Tauchblättern
anderer Wasserpflanzen, halten würde und vielfach auch hält, und an denen
Blätter als Fallen und Stoffspeicher ^03
jene tierfangenden Blasen sitzen. Auf der Oberseite entstehen die Knospen,
welche zu Blütensprossen oder Ausläufern auswachsen. Dies ganze Gebilde,
welches man bei unbefang^ener Betrachtung für einen flutenden, zweizeilig
beblätterten Sproß halten würde, ist aber nach Goebel einem freilebenden
Blatt homolog, nur sind wegen des Spitzenwachstums dieses Gebildes, wegen
der Erscheinung, daß Blüten und Ausläufer an ihm g-ebildet werden, die Eigen-
schaften, die sonst Blättern eignen, hier so weitgehend verwischt, daß man
diese Gebilde, wie sie heute aussehen, weder in die Kategorie der Sprosse,
noch in die der Blätter einzwängen kann.
Fahren wir in der Besprechung- der Umbildungen von Blättern fort, so Blätter ab
g-elangen wir zu den Fällen, in welchen die Blätter zu Reservestoffspeichern Speicher.
werden; die assimilatorische Funktion kann dabei erhalten bleiben oder ver-
loren g'ehen. Das erstere ist der Fall bei den Blattsukkulenten, welche in
erster Linie als Wasserspeicher dienen, und für welche wir in den
Blättern der Fetthennen, Eiskräuter, Hauswurzarten, Agaven und Aloe-
arten und vielen anderen mehr Beispiele haben, Blätter, die in der Mehr-
zahl der Fälle ung'estielt oder kurzgestielt, auch häufig in Rosetten angeordnet
sind, indem die Internodien solcher Pflanzen gestaucht zu sein pflegen.
Ihre assimilatorische Funktion eingebüßt haben diejenig"en, zu Reserve- Zwiebeipflauzen.
stoffspeichern umgebildeten Blätter oder Blattbasen, welche als Zwiebel-
schuppen Wasser und andere Stoffe speichern und an einer gestauchten
Achse, dem sogenannten Zwiebelkuchen, inseriert, mit diesem vereint jenes,
einer großen Knospe verg^leichbare Gebilde aufbauen, das man allgemein
als Zwiebel kennt. Zwiebelpflanzen kommen ganz ebenso wie Knollenpflanzen
vorwiegend in Wüsten und Steppen oder ähnlichen Gegenden vor, in welchen
sie nur eine kurze Zeit des Jahres wachsen können und darum darauf an-
gewiesen sind, möglichst bald, nachdem die Jahreszeit es ihnen erlaubt, zu
treiben, zur Blüte zu kommen. — Zwiebeln können sehr verschieden aussehen
und ausgebildet sein. Wir haben die sogenannten tunikaten Zwiebeln, bei
welchen die Schuppen den g-anzen Sproß umfassen; bei den Schuppenzwiebeln
umfassen sie nur einen Teil des Sprosses. Der Zwiebelkuchen läuft entweder
direkt in den Blütenstand aus, dann wird die nächstjährige Zwiebel von einer
Seitenknospe, die in der Achsel einer Zwiebelschale sitzt, gebildet; oder
aber das Wachstum der Hauptachse der Zwiebel ist unbegrenzt, dann stehen
die Blütenstände nicht endständig- am Kuchen, sondern ihrerseits in der
Achsel einer Zwiebelschale. Wir können sodann einjährige Zwiebeln unter-
scheiden, bei welchen in einer Vegetationsperiode alle Zwiebelschalen ent-
leert werden, von mehrjährigen, bei welchen dies Los nur die jeweilig- äußersten
trifft. Es sei noch daran erinnert, daß eine Zwiebel auch Vermehrungszwiebeln
oder Brutzwiebeln in der Achsel ihrer Zwiebelschuppen bilden kann, sodann
daran, daß solche Brutzvviebeln auch oberirdisch in den Laubblattachseln
mancher Pflanzen erscheinen können. Während bei den Zwiebeln die Haupt-
masse der Reservestoffe in den Schuppen gespeichert wird, der Kuchen
wesentlich Tragfunktion hat, gilt, wie wir früher hörten, das Umgekehrte
304
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
schuppen
für die Sproßknollen; doch wollen wir noch daraufhinweisen, daß es mannig-
fache Übergangsgebilde zwischen diesen Organkategorien gibt.
Knospen- Endlich ist hinzuweisen auf diejenigen Blattgebilde, welche zu Knospen-
schuppen ausgebildet bei unseren Hölzern vorkommen und deren Funktion
darin besteht, daß sie die in ihnen eingeschlossenen, jugendlichen Blätter
schützen. Entfernt man die Schuppen, so sieht man jene in ihnen derart
ruhen, daß sie wenig Platz einnehmen, aber doch so weit schon ausgebildet,
daß sie sich zur g"egebenen Zeit
möglichst schnell zu entfalten ver-
mögen. Man unterscheidet zwischen
der Knospenlage der Laubblätter,
welche besagt, wie jede einzelne
Spreite in der Knospe liegt, ob sie
gefaltet, gerollt usw. ist, und zwischen
der Knospendeckung, welche aus-
drückt, wie die Blätter innerhalb der
Knospenschuppen gegenseitig an-
geordnet sind; wir können auf diese
Dinge nicht weiter eingehen. Solche
Knospenschuppen haben wir schon
früher als Hemmungsbildungen er-
kannt im Vergleich mit Laubblättern,
aus denen sie jedenfalls phylogene-
tisch hervorgegangen sind: Man
nimmt an, daß ursprünglich alle
Pflanzen offene Knospen, wie heute
von Hölzern z. B. noch der Schnee-
ball, ferner krautige Gewächse sie
zeigen, besessen haben, daß die Bil-
dung von Knospenschuppen also eine
Fig. 48. Spitz- Ahorn. -^ Laubblatt (verki.). G Blattgrund, sekundärc Anpassung ist. Die Knos-
.S" Blattstiel, L Blattspreite. B Knospenschuppe. C Junge , 1 j. j
Knospenschuppe, vergr. L Später verkümmernde Spreiten- pCnSChuppeU CntSprCChen CntWCdcr
anläge. D Laubblattanlage, vergr. und schematisiert. ^^^ ganZCU Laubblatt, Odcr abcr sle
Nach GoEBEL. ö '
bestehen nur aus dem BlattgTund und
die in der Ontogenese noch sichtbare Spreite verkümmert (Fig. 48). Durch
experimentelle Eingriffe, so hörten wir früher, kann man bewirken, daß An-
lagen, die ohne sie zu Knospenschuppen geworden wären, zu Laubblättern
aus wachsen. Lehrreich ist es auch, daß bei solchen Schuppen, die dem
Blattgrund entsprechen, oft sehr hübsche Übergangsformen beim Austreiben
der Knospen in die Erscheinung treten, indem der Blattgrund mehr und
mehr reduziert wird, die Spreite sich im selben Maß kräftiger ausbildet.
Nackte Knospen. Um nochmals auf nackte Knospen zurückzukommen, so können wir
nospen. g^j^j^g -^^ ganz bcsonders mächtiger Ausbildung im Herbst an den Enden der
Sprosse submerser Wasserpflanzen als grüne, kugelige oder mehr keulige
Rückgebildete Blätter 305
Gebilde beobachten. Das sind die sogenannten Hibernakeln oder Winter-
knospen, die Überwinterungsorgane der genannten Pflanzen, welche man
auch jederzeit künstlich durch Übertragen dieser Gewächse in ungünstige
Bedingungen hervorrufen kann.
Werfen wir endlich noch einen Blick auf Pflanzen, denen die Blätter fast Rückbildung
. der Blätter.
vollständig oder auch ganz und g"ar verloren gegangen sind, so haben wir
früher schon Stammsukkulente als Beispiele dafür erwähnt. Desgleichen
unterirdische Rhizome oder Ausläufer, an denen die Blätter zu funktions-
losen Schuppen zurückgebildet sind. Ebenso auffallend aber ist die Reduktion
oder der Schwund von Blättern bei den parasitischen Blütenpflanzen, für
welche die Kleeseide ein altbekanntes Beispiel abgibt mit ihren zu kleinen, für
die Pflanze bedeutungslosen Schuppen umgebildeten Blättern. Diese Reduk-
tion treffen wir begreiflicherweise nur bei den sog\ Ganzparasiten, nicht aber
bei Halbparasiten wie Mistel oder Klappertopf, die ihren Wirten im wesent-
lichen nur Nährsalze entnehmen und die Blätter zur Assimilation der Kohlen-
säure und Bildung organischer Nährstoffe noch nötig haben. Wenn die Blätter
unserer Mistel derb und fleischig sind, so hängt das nicht mit dem Parasitis-
mus, sondern damit zusammen, daß die Mistel wintergTÜn ist und ihre Blätter
den Unbilden der Witterung trotzen müssen.
Die auffallendste Rückbildung nicht nur der Blätter, sondern des ganzen
Körpers, soweit er vegetativen Funktionen dient, finden wir dann aber bei
jenen so häufig genannten parasitischen Blütenpflanzen wärmerer Gegenden^
die in den extremsten Fällen, bei den Rafflesiaceen, ihren ganzen vegetativen
Körper auflösen in Zellfäden, die an Pilzmyzelien erinnern. Diese Fäden durch-
wuchern den Körper der vom Parasiten befallenen Wirtspflanze, und die
Bildung von Gewebekörpern, wie sie bei den anderen Blütenpflanzen üblich
ist, findet nur da statt, wo der Parasit sich anschickt, Blütensprosse zu bilden.
In manchen Fällen ist von dem Parasiten äußerlich nichts zu sehen als die
Blüte, und die Erscheinung- derselben wird dadurch nur um so auffallender,
daß wir bei ihnen in der (jaXXxxng Ra/ßesia die größten Blüten antreffen, die es
gibt. — In der den Pilzen analogen Ausgestaltung des Körpers liegt eine der auf-
fallendsten Konverg'enzerscheinungen, bedingt durch gleichartige Nahrungs-
aufnahme, vor, welche wir im ganzen Pflanzenreich kennen. Der Anblick des
vegetativen Körpers bietet beinahe keine Anhaltspunkte zur Entscheidung
der Frage, welche systematische Stellung dem Parasiten zukommt; lediglich
aus dem Studium der Blüten und Früchte kann diese erschlossen werden.
Wollen wir nun zum Schluß nochmals einen Blick auf die Gesamtheit
der Blätter höherer Pflanzen werfen und auf ihre sukzessive Stellung an der ^'^"^^[''..ff"^''
° Hochblätter.
Achse achten, so können wir bei den Blütenpflanzen die am weitesten unten
stehenden Blätter, soweit sie in ihrer Gestalt von den eigentlichen Laubblättern
abweichen, als „Niederblätter" bezeichnen; hierher wären also zu rechnen die
Keimblätter, die diesen folgenden Primärblätter, bei Zwiebelpflanzen die
Zwiebelschuppen, auch die Knospenschuppen der Holzgewächse, insofern
diese zuunterstandenjahrestriebenstehn. Aufdiese folgen dann die Laubblätter
K. d. G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. 20
3o6 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
und nach oben von den Laubblättern werden Blätter entwickelt, welche wir
bislang noch nicht erwähnt haben; man faßt sie als „Hochblätter" zusammen;
es sind Blätter, die in der Blütenregion der Pflanze stehend meist Hemmungs-
bildungen der Laubblätter darstellen, d.h. kleiner, mit einfacherer Spreite aus-
gestattet sind als jene. Auf diese endlich folgen die Blätter, welche die
Blüte selbst zusammensetzen, die Blütenhüllblätter, Staub- und Fruchtblätter.
So führt uns denn die vergleichende Betrachtung der Blätter ganz von selbst
in die Blütenregion und damit vor unsere letzte Aufgabe: Beschreibung des
Blütensprosses.
sporophyUstände Ehe wlr uns aber den Blüten der am höchsten organisierten Gewächse,
und het^osporcr der Phanerogamen, zuwenden, müssen wir noch untersuchen, durch welche
Farnpflanzeu. übergangsformcn sie verbunden sind mit jenen Organen, die wir als Vorläufer
echter Blüten bei bestimmten Farnpflanzen, den Schachtelhalmen und dem Bär-
lapp, kennen gelernt haben (Fig\ 29 a.S. 246). Wir erinnern uns, daß wir dort
jene ährenförmigen Sprosse mit begrenztem Wachstum antrafen, deren Blätter
in den Dienst der Fortpflanzung treten, indem sie Sporangien tragen und
darum im Gegensatz zu den Laubblättern oderTrophophyllen als Sporenblätter
oder Sporophylle bezeichnet werden. Solchen Sporophyllständen, wie
wir sie nennen, fehlt aber noch etwas am Charakter echter Blüten, denn
diese sind durch den Besitz von geschlechtlich differenzierten Blättern aus-
gezeichnet, von Staubblättern (Staubgefäßen), welche Pollen bilden, und von
Fruchtblättern, welche Samen tragen. Eine solche Differenzierung der Sporen-
blätter vermissen wir noch beim Bärlapp, tritt bei dieser Pflanze Geschlecht-
lichkeit doch erst an dem Produkt der Spore, dem Prothallium (Gametophyten)
mit seinen Archeg"onien und Antheridien zutage. Wenden wir uns nun aber
einigen weiteren Farnformen zu, die wir bislang noch nicht mit Rücksicht
auf ihre Fortpflanzung betrachtet, sondern erst zur Diskussion einiger Eigen-
heiten ihrer vegetativen Gestaltung herangezogen haben, den Wasserfarnen
und Selaginellen, so finden wir bei diesen nicht einerlei Sporen, Sporangien
und Sporophylle, sondern zweierlei Sporen; größere, die in geringer Zahl
ausgebildet werden, die sog. Makrosporen, und kleinere, die in großer Zahl
in ihren Sporangien entstehen, die Mikrosporen, und somit auch zweierlei
Sporangien und vielfach auch zweierlei Sporophylle, die Makro- und die
Mikrosporangien bzw. -Sporophylle.
Diese Farnkräuter sind „heterospor". Bei dem Wasserfarn Marsilia
sitzen Makro- und Mikrosporangien in einer hier nicht näher zu schildernden
Weise in sogenannten Sporokarpien eingeschlossen, am Grund der Blätter,
deren nicht sporenbildender Teil einem vierblättrigen Kleeblatt ähnlich ist.
Bei Salvinia sitzen sie am Grund der Wasserblätter, die also einmal als Wurzeln
funktionieren, sodann als Träger der Fortpflanzungsorgane (Fig. 49, links).
Auch bei dem Brachsenkraut, Isoeies, treffen wir Makro- und Mikrosporangien
und zwar hier innen am Grund der Blätter; etwas genauer wollen wir uns
die fraglichen Gebilde bei Selaginella betrachten. Bei diesen in ihrer Tracht
I
Sporophyllstand und Blüte ^07
dem Bärlapp ähnlichen Farnpflanzen {Fig. 3 4 a. S. 2 5q) finden wir in einem Sporo-
phyllstande oben Mikrosporophylle mit je einem Mikrosporangium über der
Achsel der Sporophylle, unten aber Makrosporophylle mit je einem Makro-
sporangium. Die Geschlechtlichkeit, welche sich beim Bärlapp, wie eben Biüte
gesagt, erst an dem der Spore entkeimten Prothallium zeigt, tritt hier also ^«'' s^^'^si"«^'*'
schon an der Spore, somit auch an den Sporangien und Sporophyllständen
in die Erscheinung, sie „greift", wie wir auch sagen dürfen, „vom Gam^to-
phyten auf den Sporophyten über", und hiermit haben wir denn bei Se/a-
ginella eine typische, zwittrige Blüte. Denn setzen wir statt Mikrosporophylle:
Staubgefäße, statt Makrosporophylle: Fruchtblätter, so unterscheidet sich
die Selaginellenblüte von der Blüte der meisten Phanerogamen im wesent-
lichen nur durch den Mangel einer Blütenhülle,
deren Ausbildung wir ja aber auch bei vielen
dieser Gewächse vermissen.
Wenden wir uns noch mit wenigen Worten Iffflfl' "^^^^^^^fe Oametophyt
den Gametophyten (Prothallien) der Selagi- ««/ii ^^^^^^«=.1 — der Seiagineiia.
nellen zu, so sehen wir, daß sie stark reduziert
sind und im Sporophyten mehr oder minder ver-
borgen sich entwickeln: sie bleiben dauernd
von den Sporen eingeschlossen. Die in sfroßer ^. r^ -„r r c- , ■ ■
■"• "^ '=' ±1 1 g. 4Q. Der Wassertarn balvinia natans,
Zahl in jedemMikrOSporangium gebildetenMikrO- ^on der Seite und von oben. Verkleinert.
, . _^ 1 IT Aus ScHENCK nach Bischoff.
Sporen lassen kern Prothalhum austreten, ent-
lassen vielmehr nur die Zellen, aus denen sich die Spermatozoiden bilden.
Die in der Vierzahl in jedem Makrosporangium gebildeten Sporen offenen
sich, wenn sie die Makrosporangien verlassen haben und am Erdboden liegen,
an ihrem Scheitel; es wird dann das in ihnen sitzende Prothallium mit Archego-
nien sichtbar und diese werden durch die heranschwärmenden Spermatozoiden
befruchtet. Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich dann wieder der
Sporophyt, die Selaginelle mit ihren Stengeln und Blättern, Wurzeln und
Wurzelträgern, um endlich Sporophyllstände zu bilden. — Besonders be-
achtenswert ist es, daß bei gewissen Selaginellen die Archeg"onien nicht,
wie eben geschildert, erst dann befruchtet werden, wenn die Makrosporen
aus ihren Sporangien freige worden sind, daß vielmehr die Befruchtung er- Ableitung der
folgt, wenn jene noch in den Sporangien auf der Mutterpflanze sitzen, also ^brnt^voTder
an demselben Ort, an welchem sie auch bei den Blütenpflanzen stattfindet. SeiagineUabiüte.
Nun ist es uns ein leichtes, den Anschluß an die Blütenpflanzen zu finden:
Nannten wir die Mikrosporophylle bereits Staubblätter, so bezeichnen wir
die Mikrosporangien als Pollensäcke, die Mikrosporen als Pollenkörner.
Die Makrosporophylle bezeichneten wir als Fruchtblätter, die Makro-
sporangien nennen wir Kerne der Samenanlage, und die Makrospore, die bei
den Blütenpflanzen nur in Einzahl in jedem Makrosporangium ausgebildet
werden, den Embryosack. Darin, daß dieser mit dem Makrosporangium inner-
lich verwächst und zu einem äußerlich einheitlichen Gebilde, der Samen-
anlag'e, d. h. dem späteren Samen wird, liegt ein wesentliches Charakteristi-
3o8
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Blütensproß der
Gymnospermen.
Cycas.
kum der Blütenpflanzen, die wir danach auch treffend als Samenpflanzen
bezeichnen. Die Samenanlagen besitzen ein oder zwei Hüllen, Integumente,
die an einem Pol eine kleine Öffnung, das Fensterchen, die Mikropyle frei
lassen (Fig. 54 a. S. 3 1 6). Im Innern der Makrospore (des Embryosacks) wird nun
in einer, je höher wir im Pflanzenreiche steigen, um so unvollkommeneren
Weise der Gametophyt, das Prothallium ausgebildet und an diesem mehr oder
minder reduzierte Archegonien. Die Eizelle wird befruchtet, so zur Keimzelle
und wächst dann zum Embryo heran, der dann in der zum Samen herangereiften
Samenanlage von der Mutterpflanze frei wird; nach längerer oder kürzerer
Ruhezeit keimt der Samen und der Embryo wächst zur neuen Pflanze heran.
— Den Befruchtungsakt wollen wir nachher bei
den beiden großen Abteilungen der Blüten-
pflanzen, den nacktsamigen und den bedeckt-
sämigen gesondert darstellen. —
Betrachten wir nun zuerst die Blüten der
nacktsamigen oder gymnospermen Pflanzen an
zwei willkürlich gewählten Beispielen. An dem
sogenannten Palmfarn, Cycas^ den wir als erstes
wählen, fällt uns zunächst auf, daß er wie fast
alle anderen Gymnospermen eingeschlechtige
Blüten hat, die hier außerdem zweihäusige
Verteilung zeigen, anders als bei Selaginella,
wo wir zwittrige Sporophyllstände antrafen
— wie denn überhaupt die Gymnospermen-
blüten nicht etwa direkt auf die von Sela-
ginella oder andere heute noch lebenden
heterosporen Farnen zurückzuführen sind, vielmehr auf Blüten anderer hetero-
sporer Farnformen, die ähnlich gewesen sein mögen denen der heute nur
fossil bekannten, oben (S. 2 50) schon dem Namen nach erwähnten Pteridospermen.
Die männlichen Blüten der Cycas sind nun zapfenähnliche Sporophyllstände,
jedes Mikrosporophyll (Fig. 50, links) trägt auf der Unterseite zahlreiche Pollen-
säcke, aus denen der Wind den Pollen, wenn er reif ist, verweht. Was die
Fruchtblätter von Cycas ang^eht, so sind sie gefiedert wie die Trophophylle,
aber kleiner als diese, nicht grün, sondern braun behaart und erweisen sich
als Makrosporophylle dadurch, daß sie frei am Rand eine Anzahl Makro-
sporangien oder Samenanlagen tragen (Fig. 50, rechts). Eine Eigenart der
weiblichen Cycaspflanzen besteht nun darin, daß ihr Stamm mit der Bildung-
der Makrosporophylle sein Wachstum nicht abschließt, vielmehr, wenn er
eine Anzahl Sporophylle gebildet hat, wieder zur Ausbildung von grünen
Blättern schreitet und daß dieser Wechsel von Tropho- und Sporophyllen
sich wiederholt, solange die Pflanze lebt. Man kann sagen, die weibliche
Blüte wird immer wieder „durchwachsen", kann aber auch der weiblichen
Cycaspflanze eine eigentliche Blüte absprechen. Hierin liegt ein Anklang' an
ihre Vorfahren, die ebengenannten Pteridospermen, da bei diesen ebenfalls
Fi g. 50. Links: Mikrosporophyll von Cycas
circiualis aus Karsten nach Richard. Rechts :
Makrosporophyll von Cycas revoluta aus
Karsten nach Sachs. (Verkleinert.)
Blütensproß der Gymnospermen
309
keine Sporophyllstände zu beobachten sind, die Sporophylle sich vielmehr in
ihrer Gestalt von den anderen Wedeln kaum unterscheiden. — Andere Cyca-
deen besitzen eine echte weibliche Blüte.
Es gelangen nun bei Cycas die Pollenkörner durch den Wind, wie bei Befruchtung
bei Cvccts
fast allen anderen Gymnospermen, auf die Spitze der Samenanlage, wo sich
die Mikropyle findet, von da in die sog. Pollenkammer, eine mit Flüssigkeit
gefüllte kleine Höhlung in der Spitze des Nucellus, hier verankern sich die
Pollenkörner durch Schläuche, die sie ins Gewebe der Samenanlage treiben,
schließlich werden in der Nähe der Archegonien die Spermatozoiden aus den
Schläuchen gemeinsam mit einem Flüssigkeitstropfen
entlassen und in diesen schwärmen jene bis zum Hals
der Archeg-onien; die Befruchtung und dadurch be-
dingte Entwicklung der Eizelle eines Archegoniums
zum Embryo, und die Ausbildung der Samenanlage
zum Samen ist der Enderfolg. So sehen wir denn
bei Cycas und den anderen Cycadeen bewegliche
Spermatozoiden, die durch Vermittlung einer wäss-
rigen Flüssigkeit zum Archegonium hin schwärmen,
ebenso wie bei den Altvordern dieser Pflanzen, bei
welchen aber nicht selbst ausgeschiedene Flüssig-
keit, sondern Regen- oder Tautropfen das Medium
sind, durch welches die männlichen Geschlechts-
zellen ihren Weg zum Archegonium finden.
Auch bei unseren Nadelhölzern, um uns diesen Fig- 51- Tanne, Abies pectinata. Bmten
^ . t;^ .. T ~ , . Männliche Blüte (links oben, ''/^ der der Koniferen.
Gymnospermen m Kurze zuzuwenden, hnden wir, nat. Gr., weiblicher Zapfen (rechts,
daß die Blüten eingeschlechtig, aber hier einhäusig TaI^X 7^^''^^^t^7Xr^^^^^
verteilt sind (Fig. 51). Die männlichen Blüten sind, Gr.), die eine von außen, die andere
von innen ; auf letzterer die beiden
Z.B. bei der Tanne, kleine zapfenförmige Sporophyll- geflügelten Samen sichtbar. Aus
,••1 j o i-iit-* • 'nii Karsten nach Berg und Schmidt.
Stande, deren Sporophylle hier nur je zwei Pollen-
säcke an ihrer Unterseite führen. Unschwer sieht man unterhalb des Sporo-
phyllstands eine Anzahl steriler Schuppenblätter, die eine einfache Blüten-
hülle vorstellen. Die weiblichen Blüten stehen hier zu Blütenständen, den
jugendlichen Tannenzapfen vereinigt. Jede Zapfenschuppe stellt eine weib-
liche Blüte vor, die auf ihrer Oberseite zwischen den Schuppen je zwei Samen-
anlagen trägt. An deren nach unten schauender Spitze findet sich die Mikro-
pyle, in ihrem Innern der Nucellus^ in dem sich innerhalb des Embryosacks
das Prothallium mit seinen Archegonien entwickelt. Auf die Mikropyle
gelang"en die Pollenkörner durch den Wind und keimen aus. Doch leisten
hier die Pollenschläuche mehr als bei Cycas, insofern sie die männlichen Ge-
schlechtskerne bis unmittelbar zur Eizelle hinbefördern. Frei in Flüssig'keits-
tropfen bewegliche Geschlechtszellen, Spermatozoiden, wie wir sie noch
bei Cycadeen trafen und auch bei einigen anderen primitiven Gymnospermen,
so der allbekannten Ginkgo biloba treffen würden, fehlen den Tannen und
ihren näheren Verwandten, und kommen von nun an auf den höheren Stufen
3IO W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
des Pflanzenreichs überhaupt nicht mehr vor. Hiermit sind bei diesen die
letzten Anklänge an das Wasserleben ihrer Ahnen verschwunden.
Wenn nach der Befruchtung die Samenanlagen zu den Samen heran-
gewachsen sind, so sehen wir deren Wand mit Flügeln versehen, die der
Verbreitung der Samen durch den Wind förderhch sind. Aber nicht nur die
Samenanlagen, auch andere Teile der Blüte werden nach der Befruchtung
in mannigfacher Weise verändert, wie uns vor allem die Verholzung des
Tannenzapfens zeigt, Veränderungen, die in irgendwelcher Weise mit der
Reifung und Verbreitung der Samen in Beziehung stehen und die uns später
bei der Fruchtbildung der Fruchtknotenpflanzen wieder begegnen werden.
Offnen wir einen reifen Tannensamen, so sehen wir in seiner Schale, die aus
den Integumenten der Samenanlage hervorgegangen ist, den Keimling mit
seinem schon früher besprochenen Quirl von Keimblättern eingebettet in das
Nährgewebe, das ihn bei der Keimung des Samens ernähren soll und das
in diesem Fall nichts weiter ist als das Prothallium, der Gametophyt des
Tannenbaums.
Um den wesentlichsten Punkt, den uns die Betrachtung der Cycadeen
und der Nadelhölzer gelehrt hat, nochmals zu betonen, so ist es der, daß die
Fruchtblätter oder Makrosporophylle hier nicht zu einem Fruchtknoten um
die Samenanlagen zusammenschließen, sondern diese frei auf jenen sitzen,
bei Cycas ganz offen, bei den Nadelhölzern zwar durch die Zapfenschuppen
einigermaßen geschützt aber doch insofern „nackt", als die Pollenkörner
zwischen den Schuppen direkt bis auf die Spitze der Samenanlage gelangen
können. '
Blütensproß der Wir kommen jetzt zur Behandlung des Blütensprosses der Angiospermen
oder Fruchtknotenpflanzen, und da wir hier an Allbekanntes anknüpfen können,
wollen wir ihn nicht an einigen wenigen Beispielen schildern, sondern einen
allgemeinen Überblick über seinen Aufbau unter Verweisung auf zahlreiche
Einzelbeispiele zu geben suchen.
Die Angiospermenblüte besteht aus einem Sproß mit begrenztem Wachs-
tum, an dessen Ende, durch meistens sehr kurze Internodien getrennt, die
Blütenblätter seitlich daran sitzen. Es sind das einmal die Staub- und Frucht-
blätter, sodann die Blätter, welche die Blütenhülle, das Perianth, bilden. Das
Ende der Blütenachse heißt der Blütenboden.
Nicht alle die genannten Blätter kommen jeder Blüte zu. So kann das
Perianth fehlen, die Blüte nackt sein; ein Beispiel bietet die Pfeflferblüte, die
Blüte vieler Wolfsmilchgewächse u. a. m. Nackte Blüten sind entweder Zeugen
einer primitiven Stellung der Pflanze unter den Angiospermen, in anderen
Fällen sind sie stammesgeschichtlich von Blüten mit Hülle abzuleiten. Ersteres
trifft wahrscheinlich zu für die nackte Blüte der Wolfsmilcharten, letzteres u. a.
für die nackte Blüte bestimmter angiospermer Schmarotzer.
Die Mehrzahl der Angiospermenblüten ist zwittrige, doch ist auch Ein-
geschlechtigkeit weit verbreitet und die Blüten sind dann entweder einhäusig,
wie bei der Birke, oder zweihäusig", wie bei der Weide.
Blütensproß der Angiospermen 3 1 1
Man nimmt an, daß die Zwitterblüte phylogenetisch stets auf eine ein-
geschlechtige Blüte zurückzuführen ist, andererseits können aber eingeschlech-
tige Blüten auch in rückschreitender Entwicklung aus Zwitterblüten hervor-
gegangen sein. Letzteres, um nur eines der in unendlicher Zahl sich bieten-
den Beispiele zu nennen, ist der Fall bei den eingeschlechtigen Blüten, die
wir in den Blütenständen vieler Korbblütler antreffen.
Was die Stellung der Blütenblätter angeht, so finden wir dieselben Fälle steUungs-
wie bei der Stellung- der Laubblätter: Sie stehen entweder quirlig oder ßi'iitenbiätte'n
schraubig. Manchmal stehen sie innerhalb einer Blüte teilweise quirlig, teil-
weise schraubig. Quirlstellung kann man z. B. sehr hübsch an den Staub-
und Fruchtblättern derRosengewächse studieren, Schraubenstellungu.a. an den
Fruchtblättern der Hahnenfußarten. Gehen wir auf Blüten mit Wirtelstellung,
welche die wichtigere ist, ein, so haben wir auf die Zahl der Wirtel zu achten
und finden, daß diese bei verschiedenen Blüten stark schwankt. Sehr häufig
sind fünf Wirtel zu finden, die Blüte heißt dann pentazyklisch; zwei Wirtel
bilden in diesem Fall das Perianth, in zwei weiteren stehen die Staubblätter,
den fünften Wirtel bilden die Fruchtblätter. Wechselnd ist auch die Zahl der
Glieder eines Wirteis. Bei einer Tulpe wird man sich leicht von der Drei-
zahl, Trimerie, überzeugen, bei Dikotylen findet sich nicht selten die Fünfzahl,
Pentamerie. Die Zahl der Glieder in den verschiedenen Wirtein einer Blüte
kann verschieden oder gleich sein; gleich ist sie u. a. bei der Primel, wo alle
Wirtel aus fünf Gliedern bestehen, verschieden bei Lippenblütlern, bei welchen
wir Kelch und Krone aus fünf, den Staubblattwirtel meist aus vier und den
Fruchtblattwirtel nur aus zwei Gliedern aufgebaut finden.
Betrachten wir eine Blüte als Ganzes, so sehen wir, daß sie entweder
radiär (aktinomorph) gebaut-ist, z. B. die Rose, oder aber bilateral symmetrisch
oder, wie man meistens sagt, zygomorph, wie die Salbeiblüte, unter Umständen
können Blüten auch ganz asymmetrisch sein, ein oft genanntes Beispiel dafür
ist die Baldrianblüte. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle können die
Symmetrieverhältnisse als Anpassungen an den Insektenbesuch gedeutet
werden.
Wenden wir uns nun den einzelnen Teilen der Blüte zu, und zwar zuerst Penanth der
dem Perianth, so sind dessen Blätter entweder alle gleich ausgebildet, man "^'biute'!'"'^"
nennt dann das Perianth ein Perigon, oder aber es ist in Kelch und Krone
gesondert. Das Perigon kann einen oder zwei Wirtel bilden, kann ferner
entweder unscheinbar, kelchartig oder auffallend, kronartig erscheinen,
ersteres bei den Binsen, letzteres bei den Tulpen. Im letzteren Fall haben
Farbe oder Form Bedeutung für den Insektenbesuch; die Orchideenblüte führt
ein gesporntes Perigonblatt, das Nektar abscheidet und in seinem Innern auf-
bewahrt.
Der Kelch dient in erster Linie als Schutzorgan für die Knospe und
kann sehr bald abfallen, dies z. B. beim Mohn, in anderen Fällen bleibt
er lange erhalten und kann dann während der Blüte mit als Schauapparat
dienen, um Insekten anzulocken, dies z. B. auch in solchen Fällen, in denen
312 W. Benf.CKE: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
die Krone fehlt, oder unscheinbar ist; nicht selten sammelt sich in ihm der
Nektar an; er kann auch länger als die Krone erhalten bleiben und dann
unter Funktionswechsel in irgendwelche Beziehung zur Verbreitung der
Samen oder Früchte treten: Bei der Judenkirsche macht er als häutig auf-
geblasener gelber Sack die rote Beere noch auffallender. Er kann aber auch
stark rückgebildet sein, ohne dadurch stets funktionslos zu werden. Jedermann
kennt den als Haarkranz ausgebildeten Kelch des Löwenzahns, des Baldrians,
wo er als Flugapparat oder als Fallschirm für die Früchte dient. In anderen
Fällen kann er ganz fehlen.
Auf die außerordentlich mannigfaltige Ausbildung der Blumenkrone
können wir hier nur hinweisen. Die Blumenkronblätter sind, wie übrigens
auch die Kelch- oder Perigonblätter, bald frei, bald miteinander verwachsen.
Im letzteren Fall bilden sie eine mehr oder minder lange Röhre, welche oben
den Saum trägt, — man denke etwa an eine Stechapfelblüte; im letzteren
Fall haben sie, wie eine Nelke uns zeigt, einen Nagel als basalen Teil, der
nach oben zur Platte sich verbreitert. Da, wo Nagel und Platte zusammenstoßen,
finden sich gelegentlich, wie wiederum viele Nelkengewächse zeigen, Anhäng-
sel, die in ihrer Gesamtheit eine sogenannte Nebenkrone bilden können. Die
Krone ist als Schauapparat wirksam, sodann kann sie auch als Schutzorgan für
die Geschlechtsorgane dienen, etwa den Pollen gegen Regen schützen; be-
stimmte Ausgestaltungen derselben dienen dazu, den Anflug der die Blüte be-
suchenden Insekten zu erleichtern, den Rüssel derselben derart zum Honig
zu leiten, daß er in einer für die Fremdbestäubung bedeutungsvollen Weise
zuerst mit der Narbe, sodann mit den Staubbeuteln in Berührung kommt.
Auch steht die Krone im Dienst der Beschaffung von Nektar, wie jene an
der Basis der Blumenkronblätter der Hahnenfußarten vorkommenden Drüsen
uns zeigten; sodann können Kronblätter, ganz in der Funktion der Honig-
bereitung aufgehend, Nektarien werden, so z. B. die sog. Pferdchen in der
Blüte des Sturmhuts, dessen kronähnliche blaue Blütenhülle den Kelch dar-
stellt. Gespornte Blumenkronblätter, wie sie der Veilchenblüte eigen, dienen
gleichfalls der Aufbewahrung des Nektars. Meist fällt die Krone bald nach
der Bestäubung von selbst ab, durch mannigfache Außenbedingungen sowie
durch künstliche Eingriffe kann der Zeitpunkt dieses Abfalls verschoben
werden. Beim Klee u. a. fällt die Krone nicht ab, sondern bleibt noch an
der Frucht in vertrocknetem Zustand erhalten.
Blüten ohne Krone heißen apetal, oder, wenn sie abgeleitet werden von
Blüten mit Krone, apopetal. In letzterem Fall kann, wie wir schon hörten,
ein bunter Kelch als Ersatz für die Krone dienen und heißt dann petaloid
ausg-ebildet.
Audroeceum der Di© Gesamtheit der Staubblätter (Mikrosporophylle) einer Blüte, die
Angiospermen- gntwedcr auf dem Blütenboden aufsitzen oder aber der Krone ein Stück weit
blute. . .
angewachsen sein können, heißt das Androeceum. Es kann aus emem bis
sehr vielen Staubblättern bestehen, ersteres bei der Wolfsmilch, letzteres bei
den Rosen. Jedes Staubblatt, das typisch ausgebildet ist, besteht aus dem
Perianth. Androeceum
H3
Staubfaden, Filament, und dem Staubbeutel oder der Anthere. Meistens
besteht jeder Beutel aus zwei Antherenhälften, Theken, und in jeder Theka
finden sich zwei Pollensäcke (Mikrosporangien). Abweichungen sind sehr
häufig; so ist oft nur die eine Beutelhälfte vorhanden, phylogenetisch pflegt
solch ein Staubblatt der Hälfte eines normalen zu entsprechen, aus diesem,
wie man sagt, durch Spaltung hervorgegangen zu sein. Umgekehrt kommen
auch häufig- Verwachsungen der Staubblätter zu sogenannten Brüderschaften
vor, unter Umständen zu einer einzig-en Brüderschaft in einer Blüte. Es können
auch die Staubfäden unten mehr oder minder hoch miteinander verwachsen
sein, dabei kann oben Spaltung eintreten, so daß die Beutel nur eine Theka
haben, so bei den Malven. Sodann können die Staubfäden frei, die Beutel
zu einer Röhre, innerhalb deren der Griffel liegt, verklebt sein, dies bei
Glockenblumen oder Korbblütlern. Beim Ricinus begegnen wir zierlich ver-
zweigten Staubfäden. In anderen Blüten fehlen die Staubfäden und die An-
theren sitzen. Auf die oft auffallende Farbe der Antheren sei nur nebenher
hingewiesen. Nicht immer sind alle Staubblätter einer Blüte gleich groß. Die
verschiedene Länge der Staubfäden bei Lippenblütlern oder Kreuzblütlern
muß schon jeder Sextaner lernen.
Blüten ohne Staubblätter heißen weibliche Blüten und wir wissen schon,
daß solche Eingeschlechtigkeit ein ursprüngliches Verhalten oder aber Folge
einer Reduktion des Androeceums sein kann. Nicht selten sind im letzteren
Fall die Staubgefäße noch als Rudimente vorhanden und heißen dann Stami-
nodien. Ein altberühmtes Beispiel liefert die Familie der Skrofelkräuter,
innerhalb deren man Reihen konstruieren kann, welche führen von Blüten,
welche'ein vollständiges Androeceum besitzen, zu solchen mit stark reduziertem.
In anderen Fällen ist ein Funktionswechsel eingetreten. In den Cassiablüten
stehen neben normalen Staubblättern solche mit „Futterantheren"; oder die
Staubblätter sorgen für die Versorgung der Blüte mit Nektar. Solche Funk-
tion kann neben der eigentlichen vorhanden sein; so sieht man an Lorbeer-
staubfäden mit normalen Antheren Honigdrüsen daransitzen, zwei Staubblätter
des Veilchens führen schwanzförmige Anhängsel, welche Honig ausscheiden
und in den Sporn der Blumenkrone hineinragen. — Petaloide Ausbildung
der Staubblätter ist häufig, so in gefüllten Blüten, wie bei den Centifolien.
Sodann in den Blüten der Ingwergewächse, deren Farbenpracht zum großen
Teil auf kronähnlicher Ausbildung der Mehrzahl der Staubblätter ihrer
Blüte beruht, und in vielen anderen Fällen.
Die Art und Weise der Anheftung der Beutel an dem Faden ist recht
verschieden. Bei Windblütlern sind sie aus leicht ersichtlichen Gründen be-
weglich angeheftet, so daß sie im Wind schaukeln. Ist der Pollen reif, so
öffnen sich die Antherenhälften in verschiedener Weise; oft durch einen
entweder an der inneren oder äußeren Seite entstehenden Längsriß. In
anderen Fällen durch Poren, die man z. B. bei der Kartoffelblüte gut sehen
kann, oder beim Lorbeer, wo auch die über den Löchern angehefteten Deckel,
durch deren Zurückklappen die Öffnung erfolgt, sichtbar sind. Den Pollen
314 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
selbst zu untersuchen ist Sache des Mikroskopikers. Die Pollenkörner (Mikro-
sporen) stellen entweder ein Pulver dar, oder sie bleiben zu „Massen" mit-
einander vereinigt. Bei Windblütlern sind sie trocken und zerstäuben leicht,
Insektenblütler sorgen durch rauhe Oberfläche oder durch klebrige Be-
schaffenheit dafür, daß der Pollen am Insektenleib haften bleibt. Bei den
wenigen Blütenpflanzen, die im Gegensatz zu allen andern Phanerogamen
unter Wasser blühen und bei denen auch die Befruchtung unter Wasser statt-
findet, ist der Pollen wurmförmig gestaltet, so beim Seegras.
Gynaeceum der Haben dio Staubblätter die Funktion, den Pollen zu bilden, so ist es
' "^bwt"™*'" Aufgabe der Fruchtblätter (Makrosporophylle, auch Karpelle genannt) oder
des Gynaeceums einer Blüte, die Samenanlagen oder Makrosporangien zu
erzeugen und mit einer schützenden Hülle, dem Fruchtknoten, zu umgeben.
Sitzt in einer Blüte nur ein Fruchtblatt, wie bei den Schmetterlingsblütlern,
so führt die Blüte auch nur einen Fruchtknoten. Bildet die Blüte mehrere
Fruchtblätter, so treten diese entweder gleichfalls zu einem einzigen Frucht-
knoten zusammen, oder jedes Fruchtblatt bildet für sich einen Fruchtknoten,
deren dann mehrere in einer Blüte sitzen. Letzteres kann man bei Hahnen-
fußgewächsen, Rosen u. a. m. leicht beobachten. Der oder die Fruchtknoten
werden von einem meistens fadenförmigen Griff'el gekrönt, Fruchtknoten und
Griffel werden zusammen als Stempel (Pistill) bezeichnet. In bestimmten Fällen
kann der Griffel der Basis des Fruchtknotens entspringen (Fig.5 2B). Auch können
auf einem Fruchtknoten, falls er aus mehreren Fruchtblättern gebildet ist,
mehrere Griffel sitzen. Jeder Griffel trägt die Narbe, die in außerordentlich
verschiedener Weise ausgebildet ist, um den Pollen aufzufangen und fest-
zuhalten. Beim Rhabarber sieht man drei „köpf förmige" Narben, hier, wie
bei anderen Insektenblütlern, klebrig. Bei Windblütlern wie den Gräsern
erscheinen die langen, dem Auffang^en der Pollenkörner dienenden Narben-
papillen deutlich schon dem bloßen Auge, und die Narben werden je nach
der Stellung- der Papillen als „federförmig", „sprengwedelförmig" usw. be-
zeichnet. Bei den Schwertlilien sind die Narben petaloid und erhöhen da-
durch die Pracht der Blüten. Häufig fallen sie durch intensive Färbung auf;
man erinnere sich der roten Narben der Haselnuß. Fehlt der Griffel, so
heißt die Narbe sitzend.
Anhangsweise sei erwähnt, daß der Stempel, abgesehen von seiner
Hauptfunktion, die Samenanlagen zu tragen und zu schützen und Bestäubung's-
apparate auszubilden, noch nebenher in anderer Weise in den Dienst der
Fortpflanzung treten kann. In der Hyazinthenblüte ist er das Nektar ab-
scheidende Organ.
steUung des Ehe wir uns den Fruchtknoten von innen betrachten, müssen wir nach
in"der Bwle^ Seiner Stellung in der Blüte frag-en, und sehen alsbald, daß diese abhängig ist
von der Ausbildung des Blütenbodens (Fig. 52). Ist dieser kuppenförmig, so
krönt der Fruchtknoten, oder falls deren mehrere vorhanden sind, die Frucht-
knoten seinen Scheitel. Man spricht dann von oberständigen Fruchtknoten,
oder unterständigen Blüten. Ist der Blütenboden becherförmig ausgehöhlt,
Gynaeceum
315
Fig. 52. A Längsschnitt durch die Blüte des Sumpffingerkrautes ; oberständige
Fruchtknoten. i5 Längsschnitt durch die Blüte des Alpenfrauenmantels; mittel-
ständiger Fruchtknoten. C Längsschnitt durch die Blüte des Apfelbaums;
unterständiger Fruchtkuoten. Alle Fig. etwas vergr.
Aus Karsten nach Focke.
und steht er frei am Grund des Bechers, so heißt er mittelständig, die Blüte
umständig-. In der Pflaumenblüte, beim Frauenmantel (Fig.5 2 B) sieht man einen
mittelständigen Fruchtknoten. Die Rosen geben ein bekanntes Beispiel für
mehrere mittelständige Fruchtknoten in einer Blüte. Ist endlich der Blüten-
boden becherförmig und der Fruchtknoten derart in den Becher eingesenkt,
daß er allseitig" mit ihm verwachsen ist, so heißt er unterständig", die Blüte
selbst oberständig. Die Apfel- oder Birnenblüte hat einen unterständigen
Fruchtknoten. Zu beachten ist noch, daß der Blütenboden im übrigen in
sehr verschiedenartiger Weise ausgebildet sein kann, oft bildet er außerhalb
oder innerhalb des Androeceums einen Ringwall, der Nektar absondert, einen
sogenannten Diskus, den man etwa in der Rhabarberblüte sehen kann, oder
er trägt kleine rund-
liche Nektarien, am
Grund der Staubblätter
in verschiedenartigster
Weise angeordnet,
dies bei den Kreuz-
blütlern.
Schneiden wir nun
einen aus einem Frucht-
blatt bestehenden
Fruchtknoten, etwa den
einer Bohne, quer durch, so sehen wir, daß er einfächerig ist. Die Naht,
welche von den verwachsenen Rändern des Fruchtblattes gebildet wird,
nennt man die Bauchnaht des Fruchtknotens, der Mittelnerv bildet die
sogenannte Rückennaht. Handelt es sich um einen aus mehreren Frucht-
blättern gebildeten Fruchtknoten, so kann dieser gleichfalls einfächerig sein ; das
könnten wir an einer Orchidee, an einem Enzian beobachten. Mehrfächerig
wird aber der Fruchtknoten dann, wenn die Fruchtblätter mit ihren Rändern
eingeschlagen sind, derart, daß sie im Zentrum des Fruchtknotens miteinander
verwachsen, wie bei der Tulpe, bei den Nachtschattengewächsen u. a. m. Sind
die Ränder der Fruchtblätter nicht ganz bis zur Mitte eingeschlagen, so wird
der Fruchtknoten gekammert, das ist beim Mohn der Fall. Im Innern des
Fruchtknotens zeigen sich die Samenanlagen, und zwar in Ein- oder Mehrzahl,
oft in sehr großer Zahl in jedem Fruchtknoten, Die Stellen, denen sie an-
geheftet sind, werden als die Placenten bezeichnet. Meist sind diese
an den Rändern der Fruchtblätter gelegen, die Placentation ist „margi-
nal", dann sitzen die Samenanlagen bei einfächerigem Fruchtknoten innen
an dessen Wand, sie sind „wandständig", bei Mehrfächerigkeit des Frucht-
knotens aber in dessen Mitte, die Samenanlagen sind „zentralwinkel-
ständig". — In selteneren Fällen sitzen die Samenanlagen auf der Fläche
der Fruchtblätter, „laminal", und dann immer wandständig, so bei dem
eben genannten Mohnfruchtknoten oder beim Veilchen, oder aber sie sitzen
unabhängig von den Fruchtblättern am Grund des Fruchtknotens, die
Ein- und
mehrfächerige
Fruchtknoten.
3i6
W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Bau der
Samenanlage.
Ontogenie der
Angiospermen
blute.
Fig- 53- Frucbtknotenquerschnitte. Von
links oben nacb rechts unten: A einblätt-
riger, einfärheriger Fruchtknoten mit parie-
taler, marginaler Placentation, B eben-
solcher mit parietaler, laminaler Placenta
Placentation heißt dann „axil" oder „zentral"; so bei der Nelke, der Primel
(vgl. Fig. 53).
Sehen wir uns die Samenanlagen selbst an
(Fig. 54), so erscheinen sie uns als kleine, etwa
eiförmige Gebilde, danach früher als Ovula be-
zeichnet, welche mit einem Stielchen, dem so-
genannten Nabelstrang, an der Placenta befestigt
sind. Sie sind entweder aufrecht oder hängend,
oder aber wagrecht und die Art ihrer Orien-
tierung im Raum ist oft ein charakteristisches
Familienmerkmal. Die Längsachse der Samen-
anlage fällt entweder in die gerade Verlänge-
tion, c ebensolcher mit zentraler (axiier) rung dcsSticls, odcr aber die Samenanlage
Placentation, D dreiblättriger, einfächeri-
ger Fruchtknoten mit zentraler Placenta- ist an dicscm herumgeschlagcn uud längs einer
'S:£:^^S^^£^:^S^^- Seitenkante mit ihm verwachsen, oder aber die
tation,i^ ebensolcher mit laminaler piacen- Samenanlage selbst ist gckrümmt. Wir reden
tation, G dreiblättriger, einfächeriger
Fruchtknoten mit parietaler, marginaler danacli von geraden, umgcwcndetcn odcr ge-
Placentation, Ä^ ebensolcher mit parietaler, i- j_c< 1 o-i-, • 1
laminaler Placentation. Nach wettstein. krummten Samenanlagen. Sie besitzen em oder
zwei Hüllen, Integumente, die auch hier an
einem Pol, wie bei den Gymnospermen, ein
kleines Loch, die Mikropyle, offen lassen, und
welches auf die Spitze des Kerns der Samen-
anlage des sogenannten Nucellus oder Makro-
sporangiums führt. Bei gerader Samenanlage
ist die Mikropyle der Ansatzstelle des Stielchens
opponiert, bei umgewendeter liegt sie hart
neben dieser Ansatzstelle, bei gekrümmter ihr
Fig. 54. Gerade (orthotrope\ gekrümmte _ ...
(campylotrope) und umgewendete (ana- gcUailcrC.
trope, Samenanlage von außen darunter die j^^ Inncmdes Kems dcr Samenanlage treffen
l^angsscnnitte. Aut den letzteren sieht o
man den Embryosack in dem Nucellus; wlr dann cinc Makrospore, den Embryosack ; auf
dieser ist umgeben von zwei Integumenten. a 1 -i 1 1 • 1 •
Die Mikropyle ist in der ersten Fig. nach dessen Ausbildung gchcn Wir hier nicht ein und
oben, in den zwei anderen nach unten i.,„„„i "„1 „„ ri*"r> 1 jd
beschranken uns auf die Bemerkung, daß an
seinem der Mikrop5ie zugewandten Pol die Ei-
zelle der Befruchtung' harrt.
Will man die Stellungsverhältnisse der
Blütenteile in übersichtlicher Weise zur An-
schauung bring-en, so entwirft man Grundrisse,
sog. Diagramme der Blüte. Es sei auf Fig. 55
verwiesen.
Werfen wir nun einen ganz flüchtigen Blick
auf die Ontogenie der Angiospermenblüte,
so sehen wir Bilder (Fig. 56), die uns erinnern
an die Ontogenie des veg'etativen Sprosses:
In der Mitte des sich entwickelnden Blüten-
gerichtet, die Samenanlagen sind also
„aufrecht'' gezeichnet. Stark vergr.
Aus Wettstein nach Baillon.
1^'g- 55- Zwei Blütendiagramme. Links
das Diagramm einer pentazyklischen,
trimeren Blüte eines monokotylen Gewäch-
ses. Rechts das Diagramm der tetrazy-
klischen, pentameren Blüte des Veilchens
Die erstere Blüte ist aktinomorph, die
letztere zygomorph. Nach Karsten.
Ontogenie und Phylogenie der Blüte
317
Sprosses zeigt sich uns der Sproßscheitel, mehr oder minder abgeflacht und
um denselben herum erheben sich als dicht gedrängte, und in üblicher Weise
in akropetaler Folge entstehende Höcker, die jugendUchen Blütenblattanlagen.
Zuerst erscheinen also die Kelchblätter, zuletzt die Fruchtblätter. Mannig-
fache Ausnahmen sind zu beobachten, so kann die akropetale Entstehungs-
folge gestört werden, dies bei zygomorphen Blüten und auch in anderen Fällen.
Mit der uns bekannten Begrenztheit des Wachstums des Blütensprosses ist
es zu erklären, daß nach Anlage der Fruchtblätter der Vegetationsscheitel
nicht weiterwächst, sondern in Gemeinschaft mit den Fruchtblättern den
Fruchtknoten herausmodelliert. Auf irgendwelche Einzelheiten einzugehen
ist hier nicht der Ort.
Blicken wir zurück auf die Angiospermenblüte, soweit sie bis jetzt be- Phyiogeuie der
sprochen ist, so sehen wir, daß sie sich von der Gymnospermenblüte, ab- biüte.
Fig. 56. Entwicklungsstadien der Blüte einer Johanniskrautart. Vergr. Aus Wettstein nacli Payer.
gesehen vom Besitz des Fruchtknotens, wesentlich in zwei Punkten unter-
scheidet: einmal durch die reichere Ausbildung der Blütenhülle, die als Folge
der Erwerbung der Insektenblütigkeit leicht verständlich ist, sodann durch
die häufig- zu beobachtende Zwittrigkeit. Aus letzterer Tatsache erwächst
offenbar eine Schwierigkeit für den Versuch, die Angiospermen- von der
Gymnospermenblüte phylogenetisch abzuleiten.
Wettstein sucht diese Schwierigkeit zu überwinden mit der Annahme,
daß die als Vorstufe der angiospermen Zwitterblüte zu betrachtende ein-
geschlechtige Angiospermenblüte abzuleiten sei von einem eingeschlechtigen
Blütenstand, der allmählich den Charakter einer Einzelblüte angenommen
habe, und daß dann die Zwitterblüte entstanden sei aus einem blütenähnlich
gewordenen weiblichen Blütenstand mit einem Kranz ebensolcher männlicher
Blütenstände, die um jenen herumstehen. Gibt es doch heutigen Tages,
so bei der Wolfsmilch, noch Blütenstände, die bestehen aus einer zentralen
weiblichen, und mehreren im Kreis um dieselbe angeordneten männlichen
Blüten und die dem Unbefangenen ganz den Eindruck von Einzelblüten
machen. Nach dieser Anschauung soll das ursprüngliche Perianth jener zu
einer Blüte herabgesunkenen männlichen Blütenstände, in deren Mitte der
weibliche hinein verlegt wurde, zum Kelch der Angiospermenblüte geworden
sein, während die Blumenkrone aus umgebildeten Staubblättern hervor-
gegangen sein soll; sehen wir doch auch sonst, daß Blumenblätter um-
gewandelte Staubblätter sind, so bei den oben schon genannten Centifolien.
Während die eben skizzierte Hypothese auch derart umschrieben werden
kann, daß man sagt, sie betrachte die heutige Angiospermenblüte nicht als
ursprünglich einachsiges, sondern als ursprünglich vielachsiges Gebilde,
3i8 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
halten andere Forscher dieselbe für einen ab origine einachsigen Sproß. Auf
das Für und Wider können wir hier nicht eingehen. Wohl aber erinnern
uns diese Diskussionen daran, daß auch die Angiospermenblüte von heute,
ebenso, wie wir es schon bei den Gymnospermen, so beim Tannenzapfen
fanden, vielfach zuBlütenständen oder Infloreszenzen zusammentreten welchen
wir nun ein paar Worte widmen wollen.
Trattbige und Wir haben zweierlei Arten von Blütenständen zu unterscheiden, je nachdem
BiütenstänTe. ^^® Hauptachsc dcs Blütenstands theoretisch unbegrenzt weiter wächst oder
mit einer Blüte ihr Wachstum abschließt. Liegt der erstere Fall vor, so
nennen wir den Blütenstand traubig (racemös), im zweiten Fall aber trug-
doldig (cymös).
Bei dem Prototyp der erstgenannten Blütenstände, der Traube, haben
wir eine gestreckte, durchlaufende Hauptachse, an welcher seitlich, mehr
oder minder langgestreckt, die mit Blüten endenden Seitenachsen daransitzen.
Die Seitenachsen erscheinen in akropetaler Folge, dementsprechend ist auch
die Aufblühfolge akropetal, oder, wie man auch sagt, zentripetal. Die Be-
rechtigung letzterer Bezeichnungsweise leuchtet zumal dann ein, wenn die
Traube nicht allzulang gestreckt, sondern mehr schirmförmig gestaltet ist.
Als Beispiele für die Traube mag der Blütenstand des Sturmhuts oder der
Aloe dienen.
Sind die Blüten nicht gestielt, sondern sitzend, so wird aus der Traube
die Ähre, die wir bei unseren Orchideen finden. Die Ähre wird Kätzchen
genannt, wenn nach der Blüte nicht die Einzelblüten, sondern der Blüten-
stand als Ganzes abfällt, wie bei den Weiden. Zum Kolben wird die Ähre,
wenn die Hauptachse sich verdickt und fleischig wird, wie wir es beim Arons-
stab bewundern. Stauchen sich nicht die Seitenachsen, sondern die Haupt-
achse einer Traube, so erhalten wir die Dolde, die wir von der Strentze her
kennen. Stauchen sich aber Haupt- und Seitenachsen der Traube, so wird
aus ihr das Köpfchen, etwa einer Karde oder der Sonnenblume.
Die trugdoldigen (cymösen) Blütenstände, bei welchen also die jeweiligen
Hauptachsen des Standes mit einer Blüte abschließen, unterscheidet man nach
der Zahl der Seitenachsen gleicher Ordnung*. BeimDichasium, welches man
u. a. bei den Nelkeng-ewächsen antrifft, sind zwei Seitenachsen vorhanden, die
an ihrer Mutterachse gegenständig stehen, im typischen Fall beide gleichstark
entwickelt. Oft zeigt sich die eine vor der anderen gefördert, und verschwindet
diese ganz, so resultiert das Monochasium. Fallen sämtliche Achsen des
Monochasiums in eine Ebene, was der Fall ist, wenn sie median zu ihrer
jeweiligen Mutterachse stehen, so erhalten wir die Sichel, falls die Seiten-
achsen bei seitlicher Ansicht immer auf dieselbe Seite ihrer Abstammungs-
achse fallen — manche Binsen bieten Beispiele dafür — , oder wir erhalten
den sogenannten Fächel, wenn die Seitenachsen bei seitlicher Betrachtung der
Inflorescenz abwechselnd rechts und links von der Hauptachse stehen. Schöne
Fächel zeigen uns die Schwertlilien. Stehen aber die Seitenachsen nicht alle
in einer Ebene, fallen vielmehr die Seitenachsen quer zu ihrer jeweiligen
Blütenstände
319
Mutterachse, d. h, stehen sie transversal, so erhält man die Schraubel, wenn
sie immer auf dieselbe Seite, den Wickel, wenn sie abwechselnd auf ver-
schiedene Seiten der Abstammungsachse fallen. Schraubeiförmige Blüten-
stände hat das Johanniskraut, wickeiförmige der Sonnentau. BeidemPleiocha-
sium stehen mehr als zwei Seitenachsen in einem Wirtel an der Abstammungs-
achse, die Blütenstände der Wolfsmilcharten sind dafür oft genannte Beispiele.
Sehr häufig" treffen wir Kombinationen von Blütenständen. Die Rispe
des Weinstocks ist eine Doppeltraube. Die Mehrzahl der Doldengewächse
ist durch den Besitz von Doppeldolden ausgezeichnet. Zusammengesetzte
Ähren haben die Ährengräser, wie Weizen, Roggen oder Lolch. Bei dem
Wollkraut finden wir traubige Blütenstände,
welche seitlich Dichasien tragen, also eine
Kombination von traubigem und trugdoldi-
gem Blütenstand. Die „Scheinquirle" der
Lippenblütler bestehen aus zwei gegenstän-
digen Blüten, an deren Stielen je zwei gegen-
ständige Wickel sitzen.
Die Blütenstände, deren wichtigste Typen
wir, ohne Vollständigkeit anzustreben, hier
aufgeführt haben, geben uns Gelegenheit,
noch ein Wort über die Hochblätter zu
sagen; mit diesem Namen, so wissen wir
1 i_ 1 j. T i j_' -r->i"^i Fig. i;?- Blüte der Glockenblume, a Deckblatt
schon, belegt man die vegetativen Blatter der abUüdeten. ^ der nächsthöheren Blüte,
innerhalb der Blütenregion, die meistens -^ vorbuuter. y, demat. Gr. Nach Karsten.
im Vergleich mit den anderen Laubblättern Hemmungsbildung'en darstellen.
Die Hochblätter, in deren Achseln Blüten oder Inflorescenzen stehen, nennt
man deren Deckblätter oder Tragblätter. An den Blütenstielen selbst sitzen
die Vorblätter, die ihrerseits wieder Deckblätter von Blüten höherer Ordnung
werden können. Die Monokotylen zeigen meist ein Vorblatt, das median nach
der Mutterachse zu gestellt ist, die Dikotylen, zwei rechts und links stehende
Vorblätter (Fig. 57). Häufig fehlen Hochblätter und haben auch vielfach für
die Pflanze offenbar keine weitere Bedeutung; es sind Relikte aus jener Zeit,
in welcher vegetative und fruktifikative Region noch nicht scharf geschieden
war und rückgebildet im gleichen Maß, als die obere Region der Pflanze
mehr und mehr in den ausschließlichen Dienst der Fortpflanzung trat. In
vielen anderen Fällen aber handelt es sich um metamorphe Blätter, die für die
Pflanze von Bedeutung sind. Jedermann kennt das als Spatha bezeichnete
Deckblatt des Araceenkolbens, das nicht nur als Schutz für den jugendlichen
Blütenstand dient, sondern vielfach auch durch seine bunte Färbung Insekten
anlockt. Lebhaft gefärbte Hochblätter trifft man außerdem noch bei Wolfs-
milchgewächsen, in den Blütenständen der Ingwerpflanzen usw. an.
Die Betrachtung der Blütenstände erinnert uns ferner daran, daß sich
in einem Stand oft Blüten vereint finden, die nicht die gleiche Ausbildung
zeigen. Oft sind die geschlechtlichen Verhältnisse der Blüten einer In-
Deck-
und Vorblätter.
Verschiedene
Ausbildung der
Blüten einer
Pflanze.
320 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
florescenz verschieden; im unteren Teil können zwittrige, im oberen männ-
liche Blüten stehen, wie beim Germer. Beim Ricinus finden wir unten
männliche, durch ihre zierlichen verzweigten gelben Staubfäden gekenn-
zeichnet, im oberen weibliche, die durch die leuchtend rote Farbe ihrer
Narben auffallen. In den Köpfchen der Calendula sind die randständigen
Blüten weiblich, die Scheibenblüten zwittrig. In noch anderen Fällen dienen
die randständigen lediglich als Schauapparat und sind ungeschlechtlich, das
kann man leicht an der Kornblume beobachten. Ein berühmtes Beispiel für
Verschiedenblütigkeit innerhalb eines Blütenstandes ist eine Kleeart, deren
Blütenstand sich nach der Blüte in den Boden krümmt und in diesem durch
die zuletzt am Vegetationspunkt gebildeten, mit ankerartigen Kelchzipfeln
ausgerüsteten sterilen Blüten befestigt wird.
Chasraogamie Auf wcltcre biologlsche Besonderheiten der Blüten können wir hier
und Kleisto- . , . ,
gamie. nicht emgchen, wollen aber noch darauf hmweisen, daß neben Blüten, die
sich in normaler Weise öffnen, sogenannten „chasmogamen" Blüten, auch
„kleistogame" Blüten vorkommen, die dauernd geschlossen bleiben, aber
durch Selbstbestäubung Samen ansetzen. Das wohlriechende Veilchen, der
Sauerklee sind bekannte Beispiele für Gewächse, welche im Frühjahr chas-
mogame, später aber kleistogame Blätter entwickeln. Andere Pflanzen bringen
lediglich kleistogame Blüten und der steng^elumfassende Bienensaug' ist ein
Beispiel für eine Art, welche neben Rassen mit normalen Blüten auch
solche mit kleistogamen produziert. In bestimmten Fällen gelingt es dem
Experimentator, durch schlechte Beleuchtung und Ernährung oder durch
ungünstige Temperatur Kleistogamie willkürlich auszulösen.
Befruchtung bei Die B cf ru chtung der angiospermen Blüte findet derart statt, daß Pollen-
den Angio-
Spermen. kömer auf die eine oder die andere Weise auf die Narbe gelangen, um dort
zu keimen und den Pollenschlauch durch den Griffelkanal oder das Griffel-
leitgewebe in den Fruchtknoten hinabzutreiben. Hier wächst er, entweder
stets an das Fruchtblattgewebe sich anschließend, oder auch streckenweise
frei durch die Fruchtknotenhöhlung nach den Samenanlagen, und dringt ent-
weder durch die Mikropyle oder durch andere Stellen ins Innere, gelangt
endlich in den Embryosack und es erfolgt die Befruchtung der Eizelle, die
dadurch zur Weiterentwicklung- angeregt wird. Ebenfalls unter der anregenden
Wirkung der Befruchtung-, wie hier nicht weiter auseinandergesetzt werden
kann, entsteht im Embryosack ein Nährgewebe, das entweder im reifen Samen
noch sichtbar ist und dann bei der Keimung des Samens verbraucht wird,
oder aber schon während der Samenreife von dem wachsenden Keim auf-
gezehrt wird. Aber nicht nur die Samenanlagen werden dergestalt infolge
der Befruchtung zu reifen Samen, vielmehr erfahren auch die Fruchtblätter,
ja häufig auch andere Teile der Blüte Veränderungen, während die Blüte
zur Frucht wird, und diesen Veränderungen gilt es nun noch nachzuspüren.
Fragen wir zuerst: Was bezeichnen wir als Frucht der Angiospermen?
Früchte und ]\/[jt Arthur Mcver nennen wir Frucht „das Gebilde, welches zur
Fruchtstände der . , . .
Angiospermen. Zeit der Sameureifc aus einem Stempel hervorgegangen ist", unter Um-
Frucht
321
bildung der Fruchtknotenwand in die Fruchtwand (Perikarp). Der Griffel
kann abfallen oder an der Frucht erhalten bleiben und Teile des Peri-
anths oder auch der Blütenstiel können sich zu „Fruchtanhängseln" um-
bilden. Nach obiger Definition geht aus einer Blüte, die nur einen Frucht-
knoten besitzt, auch nur eine Frucht hervor, die allerdings unter Umständen
später in mehrere Teilfrüchte zerfallen kann, so die Malvenfrüchte; besitzt
eine Blüte aber mehrere Fruchtknoten, so bilden diese später einen ein-
achsigen Fruchtstand, beispielsweise der Hahnenfuß. Als „Fruchtstands-
anhängsel" kann der Blütenboden mit dem Fruchtstand vereint bleiben.
Nennen wir nun einige besonders wichtige Fruchtformen unter Ver-
weisung- auf allgemein bekannte Beispiele:
Öffnet sich die Fruchtwand bei der Reife, um in dieser oder jener Weise Kapsein.
die Samen zu entlassen, so heißt die Frucht eine Kapsel. Die Kapselfrucht Beeren,
einer Tulpe, des Stechapfels und viele andere zeigen uns, daß den Kapseln Steinfrüchte.
meistens trockene Perikarpien eigen. Offnen sich die Kapseln durch Längs-
spalten, so heißen wir sie Klappenkapseln. Hierzu gehören u. a. die Hülsen
der Leguminosen, die aus einem Fruchtblatt gebildet sind, welche sich an
der Rücken- und Bauchnaht öffnen; Hülsen sind also zweiklappige Kapseln.
Auch die Schoten g"ehören hierher, das sind die Früchte der Kreuzblütler; diese
bestehen aus zwei bei der Reife sich längs der Bauchnähte trennenden Frucht-
blättern, zwischen denen sich während der Fruchtreife eine Scheidewand ausge-
spannt hatte, die auch nach Öffnung der Schote stehen bleibt und die Samen
an ihren Rändern trägt. Einklappige, nur längs der Bauchnaht aufspringende
Früchte, wie wir sie im Fruchtstand der Sumpfdotterblume, des Eisenhuts usw-
finden, heißen Balgkapseln. Deckelkapseln oder Büchsen werfen einen Deckel
ab, so die Frucht des Gauchheils oder des Bilsenkrautes. Porenkapseln öffnen
sich durch Löcher und wirken wie Streubüchsen, so die Mohnkapsel. Ein be-
kanntes Beispiel für Kapseln mit fleischigem Perikarp bieten die Springfrüchte
des nach ihnen so benannten Springkrautes (Impatiens), bei welchen in der
Fruchtwand vorhandene Spannungen durch Berühren plötzlich ausgelöst wer-
den, die Fruchtklappen sich elastisch aufrollen und die Samen wegschleudern.
In Gegensatz zu den Kapseln treten die Schließfrüchte, die sich nicht
•öffnen, wie ihr Name besagt. Eine Nuß ist eine hartschalige Schließfrucht,
die einen Samen enthält. Dieser kann mit der Fruchtwand vollkommen ver-
wachsen sein, so bei den Grasnüssen, den sogenannten Karyopsen. Auch
die Achaene der Körbchenblütler ist eine Nußfrucht, doch ist hier der Samen
mit der Fruchtwand nicht verwachsen.
Ist die Fruchtwand einer Schließfrucht derart gebaut, daß sie außen
•eine Hüllschicht hat, auf welche eine fleischige Schicht folgt, während die
innersten Schichten hart sind, so haben wir eine Steinfrucht vor uns. Die
Pflaume ist eine Steinfrucht mit einem Stein, desgleichen die Walnuß, andere
Steinfrüchte, so die des Faulbaums, haben mehrere Steine. Eine Beere end- '
lieh liegt dann vor, wenn die Fruchtwand, abgesehen von der äußeren Hüll-
schicht, durch und durch fleischig ist, wie etwa die Tollkirsche.
K. d. G. III. IV, Bd 2 ZeUenlehre etc. 21
32 2 W. Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Betrachten wir nun noch einige Fruchtstände, so bietet sich uns beispiels-
weise die Himbeere dar. Hier ist der Fruchtstand gebildet aus vielen kleinen
Steinfrüchten, Die Erdbeere ist ein Fruchtstand, der besteht aus einer Un-
zahl kleiner trockener Nüßchen, die auf dem fleischig gewordenen Blüten-
boden sitzen. In Gegensatz zu diesen aus einer einzigen Blüte hervor-
gegangenen, darum einachsigen Fruchtständen treten mehrachsige, die aus
Blütenständen hervorgegangen sind, so die Maulbeere, die Feige, die Brot-
frucht, Fruchtstände, an deren Bildung sich nicht nur die Blütenachse, son-
dern wesentlich auch die Blütenstandsachse beteiligt; diese ist bei der Brot-
frucht oder Maulbeere gewölbt, bei der Feige krugförmig eingesenkt.
Bei den Schließfrüchten sind am Perikarp die mannigfachsten, der Verbrei-
tung dienenden Einrichtungen zu beobachten. So das eßbare Fleisch der Beeren
und Steinfrüchte, welche außerdem häufig durch leuchtende Farben die Tiere,
die ihnen nachstellen, anlocken, ferner Widerhaken bei den Achaenen der
Klette oder den Nußfrüchten des Klebkrautes, Flügelbildungen bei der Esche,
Ausbildung von Geweben der Fruchtwand, die Schwimmfähigkeit bedingen,
wie bei der Kokosnuß oder anderen Pflanzen der Seestrandflora, von Frucht-
anhängseln, wie Kelchen, die als Flugorgane oder Fallschirme ausgebildet
sind, ganz zu schweigen. Liegen aber Kapselfrüchte vor, so sind es die
Samen selbst, die mit derartigen Verbreitungseinrichtungen versehen sind.
Samen der Betrachten wir nun die Samen, so fällt uns zu äußerst die aus den Inte-
ngiosperraen g^j^gj^j-g^j hcrvorgegangcnc Samenschale auf, die übrig-ens ganz außer-
ordentlich mannigfach ausgebildet sein kann, bald glatt, bald rauh, bald
bei Benetzung quellend und so die Samen bei der Keimung am Substrat
befestigend, oft auch in bunten Farben leuchtend, und häufig mit Flughaaren
Grannen oder anderen Verbreitungsorganen versehen.
Die Stelle, an welcher der Samen mittels des Stiels an der Placenta
festsaß, ist meistens noch als sogenannter Samennabel sichtbar. Eine Linie,
welche längs einer Kante des Samens verläuft, falls der Samen aus einer
umgewendeten Anlage hervorgegangen ist, wird als Samennaht bezeichnet,
längs derselben war die Samenanlage mit dem Stiel verwachsen Auch die
Mikropyle ist häufig noch sichtbar, unmittelbar neben dem Nabel, wenn die
Samenanlage umgewendet war, bei geraden Samenanlagen an dem dem Nabel
entgegengesetzten Pol. Bei der Bohne liegt sie, wie bei anderen gekrümm-
ten Samen, in einiger Entfernung vom Nabel, sie sieht aus, wie ein feines,
mit einer Nadel in die Samenschale gestochenes Loch, und dient hier als
Organ für die Luftzufuhr unmittelbar vor und während der Keimung. An
der Mikropyle tritt später bei der Keimung das Würzelchen aus, entweder
wird dabei die Samenschale zerrissen, oder aber in der Schale ist an dieser
Stelle ein sogenannter Samendeckel präformiert, der vom Würzelchen heraus-
geschoben wird. Beim Rizinussamen sieht man in der Nähe der Mikropyle
eine kleine, fleischige Wucherung, die sogenannte Caruncula, welche beim
Ablösen des Samens von der Placenta wirksam war und später bei der
Keimung wohl auch dem Würzelchen Schutz gewährt Besonders auffallend
Endo- und
Perisperni.
Samen ^23
sind solche Samen, welche außer der Samenschale noch als äußere Hülle
einen sogenannten Samenmantel besitzen. Wohl das bekannteste Beispiel
sind die Samen der Muskatnuß mit ihrem leuchtend roten, zerschlitzten Samen-
mantel, der den Tieren, welche den Früchten dieses Baumes nachstellen, in
die Augen sticht. — Oft sind Samen, wie jedermann weiß, recht stattliche
Gebilde, in anderen Fällen aber sind sie fabelhaft klein, das letztere z. B. bei
parasitischen Pflanzen, wie der Sommerwurz, deren Samen nur an der Wurzel
einer Wirtspflanze keimen und darum keine Reservestoffe benötigen, oder
bei den Orchideen, die ebenfalls von mitgegebenen Reservestoffen unab-
hängig sind, weil sie nur bei Gegenwart von Pilzen, mit denen sie in er-
nährungsphysiologische Gemeinschaft treten, auszukeimen vermögen.
Offnen wir nun endlich einen Samen, so haben wir das ^/^ ^ s^^^ Nährgewebe
Bild wieder vor uns, welches wir oben (S. 253) schon be-
schrieben haben. In Ergänzung zu dem dort Ausgeführten
wollen wir jetzt, nachdem wir den Bau der Samenanlage
inzwischen kennen gelernt haben, nur das Eine noch hinzu- pj^ ^g gamen v^Myn
fügen: Wir sollten erwarten, daß wir innerhalb der Samen- ^''"^^ fragrans mit Samen-
mantel, rechts, von Myri-
schale ein aus dem Kern der Samenanlage, dem Nucellus, sticaargentea, ohneSamen-
1 /-^ 1 , rr "1 T^ , •• 1 1 • 1 mantel, links. Am letzteren
hervorgegangenes Gewebe antrenen wurden, latsachhch die Samonnaht deutlich
aber wird während der Samenreife der Nucellus, bei der sichtbar Va der nat Gr.
' Aus Karsten nach
Mehrzahl der Pflanzen, mehr oder minder bis auf wenig wakbukg.
kenntliche Reste zerdrückt und spielt im reifen Samen keine Rolle mehr. Nur
bei einer gewissen Anzahl von Fällen ist er im reifen Samen noch erhalten
und dient dann als Nährgewebe, welches man als Perisperm bezeichnet, im
Gegensatz zu dem als Endosperm benannten, aus dem Embryosack hervor-
gegangenen Nährgewebe. In der Pfefferfrucht oder in den Kardamomen-
samen würden wir ein solches Perisperm neben dem Endosperm antreffen. —
Daß ein Endosperm im übrigen im reifen Samen entweder erhalten sein kann
wie beim Rizinus, oder auch verschwunden ist, wie bei der Bohne, indem
die Reservestoffe in den Keim übergegangen sind, wissen wir schon. Auch der
Bau und die Lage des Keimes im Samen ist oben schon geschildert worden,
und so hätten wir denn hiermit das Ende unserer Darstellung der Organo.
graphie der höheren Pflanzen wieder an den Anfang angeknüpft.
Nachdem wir nun die Gesamtheit der Blätter, seien es Laub- oder Blüten- Ein-, zwei-, mehr-
blätter, kennen gelernt haben, wollen wir noch die Achsen einer kormophy- ^'^'^^'^^ ^^^"^®"'
lischen Pflanze mit Rücksicht auf die daransitzenden Blätter betrachten.
Wir sehen, daß bei einigen Pflanzen alle Blätter von den Keimblättern bis
hinauf zu den Blütenblättern an einer Achse sitzen können; es ist, damit die
Pflanze ihren ganzen Entwicklungsgang zu Ende führen kann, nur die Aus-
bildung einer einzigen Achse erforderlich; solche Pflanzen heißen ein-
achsige, als Beispiel diene die Tulpe, der Mohn, die schwarze Nieswurz.
Während hier die Hauptachse ihr Wachstum mit der Blüte abschließt, be-
sitzen die zweiachsigen Pflanzen eine Hauptachse, die theoretisch unbegrenzt
21*
324 ^^' Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
weiter wächst, Nieder-, Laub- und allenfalls Hochblätter trägt, während die
Blütenbildung den Achsen zweiter Ordnung vorbehalten ist. Zweiachsige
Pflanzen sind das Hirtentäschel, die Primeln. Dreiachs ig sind solche Pflanzen,
bei welchen die Achsen zweiter Ordnung Hochblätter tragen und erst die
der dritten Ordnung die Blüten; das Maiglöckchen, der große Wegerich sind
Beispiele für solche. Vierachsig ist u. a. die Bohne. Diese Aufeinanderfolge
von verschiedenen, durch die Art der Blätter, die sie tragen, unterscheidbaren
Achsen bezeichnet man als „Sproßfolge"; durch die Bezeichnung wird ausge-
drückt, wieviel Achsensorten normalerweise am Sproß einer Pflanze vorhanden
sein müssen, damit sie zum Blühen gelangt und ihren Lebenszyklus vollendet.
Diejenigen Achsen, welche an einem Pflanzenkörper zu den bei typischer
Ausbildung notwendigen noch hinzutreten, und von denen ganz wesentlich der
Habitus eines Individuums abhängt, bezeichnet man als „unwesentliche" oder
Bereicherungssprosse. Ob und in welcher Menge sie auftreten, hängt ganz
von den Lebensbedingungen ab; auf fettem Boden werden mehr, auf magerem
weniger oder gar keine gebildet. Die Zahl der wesentlichen Achsen ist
dagegen in den meisten Fällen ein Organisationsmerkmal, das auch der
Systematiker vielfach benutzt; doch soll nicht der falschen Meinung Vorschub
geleistet werden, als ob nicht die Zahl auch der „wesentlichen" Achsen einer
Pflanze unter extremen Bedingungen oder im physiologischen Versuch ein
veränderliches Merkmal sein könnte.
Lebensdauer Vcrschaffcn wlr uns nun noch eine übersichtliche Einteilung der Farn-
der Farne und ^JJ(J Blütcnpflanzen , indem wir die Konsistenz ihrer Achsen und die damit
Blutenpflanzen. ^
im innigen Zusammenhang- stehende Lebensdauer und Lebensführung in Ab-
hängigkeit vom Wechsel der Jahreszeiten oder, allgemeiner gesagt, der
äußeren Lebensbedingungen zugrunde legen.
Wie jeder Laie, unterscheidet auch die Wissenschaft zunächst Kräuter
und Holzgewächse.
Mono- und Die KräutcT kann man weiter danach einteilen, ob sie nur einmal blühen
''"pfl^nzen!'^^ Und fruchtcn um dann abzusterben, oder ob sie mehrmals blühen und fruchten.
Die ersteren nennt man hapaxanthische oder monokarpische, die letzteren
polykarpische Kräuter.
Einjährige Zu dcu monokarpischcn gehören zuerst die einjährigen annuellen oder
monozyklischen Kräuter, welche im selben Jahr, in dem sie den Samen
entkeimen, auch blühen und Samen tragen. Sie sind häufig charakte-
risiert durch gestreckte Internodien und meistens verzweigte Achsen; wir
können an ihnen Achsen dritter oder sogar vierter Ordnung beobachten.
Die Streckung der Internodien ist biologisch u. a. dadurch verständlich, daß
der Samen, das einzig^e Verbreitungs- und Fortpflanzungsmittel der Annuellen,
nicht unmittelbar am Boden reifen soll, was für die Verbreitung durch den Wind
und andere Faktoren von Bedeutung ist. — Es ist kaum nötig hinzuzufügen, daß
die Knospen der Annuellen keine Knospenschuppen haben, sondern nackt sind.
Die Wurzel zeigt, wenn es sich um ein dikotyles Gewächs handelt, die bei
diesen übliche Bildung einer Pfahlwurzel, Monokotyle sind mit Faserwurzeln
Pflanzen.
Lebenszyklus der Blütenpflanzen
325
im Boden befestigt. — Zu den Annuellen gehören neben vielen andern unter den
Dikotylen Flachs und Hanf usw., unter den Monokotylen z. B. Hafer und Gerste.
An die einjährigen schließen sich an die sogenannten überwinternd ein-
jährigen Pflanzen. Hier keimt der Samen im Herbst, die Wurzeln nebst Blättern
überwintern und die Blütezeit fällt ins Frühjahr, Hierher gehört unter anderen
das Pflänzchen, welches den charakteristischen Namen Hungerblümchen führt.
Die dritte Gruppe monokarpischer Kräuter sind die zweijährigen
dizyklischen. Sie bilden oft, wenigstens wenn es sich um Dikotyle handelt, im
ersten Jahr an oberirdischen Teilen nur einen Stengel mit gestauchten Inter-
nodien und Rosettenblättern aus, der mit offener Knospe überwintert; im
zweiten Jahr werden die mit gestreckten Internodien ausgerüsteten Blüten-
sprosse gebildet. Nach der Samenreife stirbt auch bei ihnen alles ab bis auf
die Samen. Hierher gehören Winterroggen undWinterweizen, ferner der Finger-
hut, die Zuckerrübe u. a. m. Die zweijährigen Gewächse sind, wie wir bei War-
ming lesen können, Kinder eines rauhen Klimas und fehlen in wärmeren Re-
gionen. Übrigens können sie in warmen Jahren auch zu einjährigen werden.
An die zweijährigen schließen sich an die pleiozyklischen Kräuter,
welche erst nach mehr als zwei Jahren zur Blüte gelangen, um dann mit
Ausnahme der Samen ganz abzusterben; hierher gehören unter anderen
manche Doldengewächse, z.B. solche der asiatischen Steppen. Dizyklische
Gewächse können infolge Ungunst der Witterung im zweiten Jahr zu pleio-
zyklischen werden, umgekehrt kommt es unter günstigen Witterungsverhält-
nissen vor, daß pleiozyklische schon im zweiten Jahr blühen.
Es folgen die polykarpischen Kräuter; hier haben wir Stauden mit
Rhizom, Knollen- oder Zwiebelgewächse, bei welchen im Gegensatz zu den
obengenannten monokarpischen nicht nur der Samen überwintert, sondern
auch das Rhizom bzw. andere entsprechende Teile. In der großen Mehrzahl
der Fälle sind es geophile Pflanzen, welche unterirdisch ausdauernde Teile
besitzen, von denen einjährige, photophile Sprosse, die meist unter dem
Boden angelegt werden, sich erheben.
Vor den Kräutern sind die Holzgewächse dadurch ausgezeichnet, daß
die oberirdischen, photophilen Sprosse verholzen, auf solche Weise leistungs-
fähiger werden, was Tragkraft und Stoffleitung angeht und auch — in unseren
Breiten — den Unbilden der winterlichen Witterung besser trotzen können.
Teilweise sind die Holzgewächse monokarpisch; es gibt Palmen, die gleich nach
der oft erst im späten Alter des Baumes erfolgenden Blüte absterben, ohne daß
andere Teile als die Samen lebend bleiben; die große Mehrzahl der Holz-
gewächse blüht und fruchtet aber mehrfach. Unter den Holzgewächsen
unterscheidet man Bäume und Sträucher; auf deren Unterscheidungsmerkmale
hinzuweisen ist wohl überflüssig. Nur das sei betont, weil darüber manchmal
falsche Ansichten herrschen, daß es kleine Bäume wie den Seidelbast und
andererseits auch große Sträucher wie die Hasel gibt.
Kennzeichnend für die Holzgewächse ist es, daß sie regelmäßig nur die
Blätter unter Bildung von Narben abwerfen, während bei Kräutern der
überwinternde
einjährige
Pflanzen.
Zweijährige
Pflanzen.
il ehrjährige
Pflanzen.
Ausdauernde
Kräuter.
Bäume
und Sträucher.
326 W, Benecke: Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Pflanzen
Stengel und die an ihn angehefteten Blätter vielfach gemeinsam zugrunde
gehn. Die „Reinigung" der Baumkronen durch Abwurf von Kurztrieben,
auf welche wir oben hingewiesen haben, darf dabei allerdings nicht ver-
gessen werden.
Bei den Bäumen treffen wir zuerst den „Palmentypus": Der mit ge-
stauchten Internodien versehene Stamm einer Palme, Sagopalme usw. wächst,
ohne sich zu verdicken, in die Länge, dementsprechend vergrößert sich auch
die aus den bekannten großen Blättern bestehende Krone nicht jahraus, jahr-
ein, vielmehr sterben unten stets etwa ebensoviele Blätter ab, als oben neue
hinzukommen. Die Endknospe des Stammes ist nackt — Im Gegensatz dazu
wachsen Laub- und Nadelbaumstämme in die Dicke und die Krone nimmt
jahrelang an Mächtigkeit zu, bis endlich ein stationärer Zustand erreicht ist.
Die Internodien ihrer Keimpflanzen sind gestreckt. Der Zuwachs der Krone
findet derart statt, daß jährlich nur ein „Schub" unverzweigter Jahrestriebe
gebildet wird, abgesehen von den Fällen, in welchen ein zweiter Trieb um
Johanni erfolgt oder in welchen ein Baum derart wächst, daß blattlose Lang-
triebe und daransitzende beblätterte Kurztriebe gebildet werden, wofür wir
früher Beispiele kennen gelernt haben (Kiefer usw.). Geophile Sprosse treten
bei den Holzgewächsen an Bedeutung zurück hinter den photophilen. Der
monokotyle Baum ist mit Adventiv wurzeln im Boden befestigt, bei den
anderen Bäumen sind Adventivwurzeln seltener.
Die eben gegebene Übersicht über den Lebenszyklus der Pflanzen, be>
deren Aufstellung wir im wesentlichen Warming folgten, bezieht sich in erster
Linie auf die Pflanzen, welche die Winterszeit zur Ruhe zwingt oder ver-
anlaßt, nach Beendigung der Vegetation bis auf die Samen oder unter-
irdischen Teile abzusterben. — Bezüglich der tropischen Pflanzenwelt sei
mit Haberlandt hier nur das eine bemerkt, daß im indomalaiischen Archipel
die Zahl der Holzgewächse im Vergleich zu den krautigen weit größer ist
als bei uns; die Gunst des dortigen Klimas ermöglicht es, kann man sagen,
den Pflanzengestalten, zu tunlichst vollkommenen, d. h. leistungsfähigen
Formen, wie sie in den Holzgewächsen uns entgegentreten, sich auszuwachsen,
während bei uns nur solche Hölzer, die sich in weitgehender Weise gegen
die Schäden der winterlichen Abkühlung und der schwierigen Wasser-
versorgung aus dem kalten Boden schützen, durch Ausbildung derber Blätter,
falls diese Wintergrün sind, durch Blattfall, und durch Knospenschuppen-
bildung, wenn sie zarte Laubblätter haben, es möglich machen, sich im Winter
ungestraft weit in die klare, kalte Luft zu erheben.
Stamm- Man Wäre versucht, zu glauben, daß man die gesamten Vertreter der
GewäcTse. kormophytischen Pflanzenwelt in Kräuter einerseits, Hölzer andererseits ein-
teilen könne, Warming macht aber treflTend darauf aufmerksam, daß es noch
eine dritte Kategorie von Gewächsen gibt, das sind die Stammsukkulenten,
denen wir in unserer Darstellung mehrfach begegnet sind. Darin, daß ihre
saftigen Sprosse nicht verholzen, schließen sie sich an die Kräuter an, darin
aber, daß sie derb und ausdauernd sind, nähern sie sich den Holzgewächsen.
Literatur.
Das Hauptwerk über die pflanzliche Gestaltungslehre ist das Buch von K. E. GOEBEL,
Organographie der Pflanzen, Jena, 1898 bis 1901. Wie der Titel besagt, berücksichtigt es be-
sonders die Beziehungen zwischen Bau und Funktion der Teile. Eine formale Morphologie
bietet das ältere Werk von F. Fax, Allgemeine Morphologie der Pflanzen, Stuttgart 1890. —
Zu nennen sind ferner: J. Velenovsky, Vergleichende Morphologie der Pflanzen, Prag 1905
bis 1910, sodann F. O. BowER, Origin of Land Flora, London 1908. — H. POTON16 behandelt
die Grundlinien der Morphologie im Lichte der Palaeontologie, Jena 191 2.
Es ist sodann hinzuweisen auf die Darstellungen der Morphologie und Entwicklungs-
geschichte in den bekannten Lehrbüchern der allgemeinen Botanik: Es seien genannt: StraS-
BURGER, JOST, SCHENCK, KARSTEN, Lehrbuch der Botanik, i i.Aufl. Jena 191 1. Die Morphologie
ist von Ed. Strasburger bearbeitet. Die systematischen Teile des Buches, die aus der Feder
von H. SCHENCK und G. Karsten stammen, geben einen guten Überblick über die heutigen
Anschauungen von der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Pflanzenreichs. — J.v.Wiesner,
Organographie der Pflanzen, 2. Bd. der Elemente der wissenschaftlichen Botanik, Wien 1890.
— E.Warming und W. Johannsen, Lehrbuch der allgemeinen Botanik, deutsche Übersetzung,
BerUn 1909; auf die treffliche, lebensvolle Darstellung der Organographie in diesem Buch,
der wir viele Beispiele für die obige Darstellung entnommen haben, sei besonders aufmerk-
sam gemacht. — Arthur Meyer, Wissenschaftliche Drogenkunde, Berlin 1891—92. — Auch
die systematischen Handbücher der Botanik bringen eine Fülle morphologischen Materials.
Es seien genannt A. EnGLER und K. Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien, Leipzig 1889 fF.
A. Engler, Das Pflanzenreich, Leipzig i90off"., sowie R. v. Wettstein, Handbuch der syste-
matischen Botanik, 2. Aufl. Leipzig und Wien 191 1.
Die in unsere Darstellung eingeflochtenen geschichtlichen Daten wurden entnommen
dem Werk von J. v. Sachs, Geschichte der Botanik, München 1875, der Darstellung von
K. Goebel, Entwicklungsgeschichte der Pflanzenorgane, in Schenks Handbuch der Botanik,
Bd. 3, Breslau 1884, der Abhandlung H. Voechtings: Zu T. A, Knights Versuchen über
Knollenbildung, Bot. Ztg. 1895, endlich dem oben genannten Werk H. POTONl^s.
Über entwicklungsphysiologische Fragen vergleiche man die Darstellung in W. Pfeffers
Handbuch der Pflanzenphysiologie, Bd. 2, Leipzig 1904 Kap. 6 bis 9, in L. JoSTs Vorlesungen
über Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., Jena 1908, 2. Teil, Formwechsel, sowie in W. Palladins,
Pflanzenphysiologie, Berhn 191 1, Kap. 6. Außerdem seien noch folgende Werke genannt:
H. Voechting, Über Organbildung im Pflanzenreich, Bonn 1874 und 1884, sowie desselben
Autors Untersuchungen zur Anatomie und Pathologie des Pflanzenkörpers, Tübingen 1908.
G. Klebs, Die Bedingungen der Fortpflanzung bei Algen und Pilzen, Jena 1896, desselben For-
schers Willkürliche Entwicklungsänderungen, Jena 1903, und Künstliche Metamorphosen,
Halle 1906; K. Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie, Leipzig und Berlin
1908; J. Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie, 2. Aufl., Berhn 191 1.
Morphologisch -biologische Darstellungen, zum guten Teil der Tropenwelt entnommen,
finden sich bei A. F. W. Schlmper, Botanische Mitteilungen aus den Tropen, Jena 1888 bis
1891, bei K. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen, Marburg 1889 bis 1891, bei G.Haber-
LANDT, Eine botanische Tropenreise, 2, Aufl., Leipzig 19 10, und bei G. Karsten im Lehrbuch
der Biologie für Hochschulen, Leipzig 191 1. Die obige Behandlung der Algenbiologie gründet
sich auf F. Oltmanns, Morphologie und Biologie der Algen, 2. Bd., Jena 1905.
Es ist sodann noch hinzuweisen auf die organographischen Beiträge zu dem Hand-
lexikon der Naturwissenschaften, Jena 191 1 ff". Für die obige Darstellung wurden verwertet die
Artikel von F. Oltmanns über Moose , von H. Schenck über Lianen und von R. v. Wett-
stein über die Blüte. — Schließlich sei aufmerksam gemacht auf die knappe und klare Dar-
stellung, welche M. Nordhausen in seinem Werkchen über die Morphologie und Organo-
graphie der Pflanzen, Leipzig 191 1, gibt.
NAMEN- UND SACHREGISTER.
Pflanzennamen wurden in das Register nur in jenen Fällen aufgenommen, wenn an der betreffenden Stelle die
Pflanze ausführlicher besprochen oder etwas besonders Charakteristisches hervorgehoben wurde.
Abies 309
Ableitung der Phanerogamenblüte 307
Acacia 121, 292
Acajithorhiza 274
Acer 105, 304
Acetabularia 220
Adventivsprosse 279
Adventivwurzeln 257, 271
Ähre 318
Änderung der Blattstellung 265
Äquationsteilung 61
Äquatorialplatte 54
Aerenchym 90
Ätherische Öle 43
Ahorn 105, 304
Akazie 121, 292
Akropetale Aufblühfolge 318
Aktinomorphe Blüte 311
Aleuron 34
Algen 206
Alkaloide 41
Allium 136, 138, 139
Allotypische Kernteilung 61
Alpenfrauenmantel 315
Alpenrose 118
Alter der Bäume 150
Ameisenpflanzen 121
Amide 35
Amöbe der Schleimpilze 2
Amphigastrien 237
Amphivasale Gefäßbündel 141
Amygdalin 41
Amylase 33
Amylose 33
Anabiose 22
Analoge Teile 201
Analogie 201
Anaphase 55
Androeceum 312
Angiospermen 249, 310
Angiospermenblüte 310
Angiospermenblüte, Ontogenie derselben 316
Angiospermenblüte, Phylogenie derselben 317
Angraecuvi 275
Anisophyllie 291
Anorganische Nahrungsstofife der Pflanzen 7
Anpassungsmerkinale 204
Ankerhaare 115
Annuelle 324
Anthere 313
Antherenhälfte 3 1 3
Antheridien 242
Antheridienstände 242
Anthoceros 245
Anthokyane 40
Antitoxine 42
Apetale Blüten 312
Apfelbaum 315
Apfelsäure 39
Aphotometrische Blätter 294
Apicalöffnungen (der Blattspitzen) 1 1 2
Apogamie 70
Aponogeton 296
Apopetale Blüten 312
Arabinose 48
Archegoniaten 242
Archegonien 242
Archegonienstände 242
Architypus 183
Aristolochia 130, 144, 145, 161
Armleuchteralgen 220
Assimilate, Bahnen derselben 148
Assimilationsgewebe 135
Assimilatoren 214
Asparagin 35
Asplenmni 279
Asymmetrische Blüte 311
Atemhöhle 108
Atemwurzeln 275
Aufnahme fester Nahrung durch Amöben 6
Aufnahme flüssiger Nahrung durch Pflanzen 6
Ausdauernde Kräuter 325
Ausläufer 288
Axile Placentation 316
Axilläre Verzweigung 260
Namen- und Sachregister
329
Bärenlauch 136
Bärlapp 246
Bäume 325
Bahnen des Nährwassers und der Assimilate 148
Bakterien, Protoplast derselben 74
Balata 44
Basidienpilze 228
Bast 144
Bastfasern 93
Bauchschuppen 233
Bau der Chlorophyllkörner 26
Bau der Wurzel 138
Bau des ruhenden Kernes 23
Baumwollhaare 116
Bedecktsamige Pflanzen 249
Beere 321
Befruchtung 65
Befruchtung der Angiospermen 320
Beltsche Körperchen 121
Berberis 123
Berberitze 302
Bereicherungssprosse 324
Bewegung der Plasmodien 2
Beziehungen von Kern- und Zellteilung 79
Bilateralsymmetrische Blüte 311
Biuretreaktion 17
Blätter, dorsiventrale 105
Blätter mit Spitzenwachstum 300
Blatt 289
Blattalgen 216
Blattanlagen 88
Blattbau 134
Blatt der Laubmoose 240
Blattdornen 301
Blatteigene Gefäßbündel 131
Blattfall 165
Blattgrund 290
Blattkissen 290
Blattoberfläche 295
Blattpolster 290
Blattranken 300
Blattrippen 137
Blattscheide 290
Blattspreite 292
Blattspur 131
Blattstellung 261
Blattstiel 291
Blattsukkulenten 303
Blattwachstum 100
Blattzyklus 262
Blauholz 149
Blausäurenachweis in den Pflanzen 17
Blüte 307
Blüte der Angiospermen 310
Blüte der Angiospermen, Ontogenie derselben
316
Blüte der Angiospermen, Phylogenie derselben
317
Blüte der Phanerogamen, Ableitung derselben
Blütenblätter 311 [307
Blütenboden 310. 314
Blütenhülle 310
Blütenpflanzen 249
Blütensproß der Angiospermen 310
Blütenstände 318
Blumenblätter 136
Blumenkrone 312
Blutbaum 143
Blutbuche 27
Borke 162
Borsten 114
Botrychium 245
Brennhaare 114
Bromeliaceen 122
Broiissonetia 97
Brückenspore 227
Brutknospen 235
Brutkörper bei Moosen 244
Bryopsis 215
c.
Caboinba 297
Caesalpinia 149
Callitris 160
Campanula 105
Campeche 149
Canna 32
Caruncula 322
Caulerpa 81 , 215
Centaurea 123
Ceriops 256
Chara 18 1
Chasmogamie 320
Chelidonium 97
Chemische Natur des Protoplasmas 16
Chitin 50
Chlorophora 149
Chlorophylline 25
Chlorophyllkörner 11, 26
Chlorophyllkörper 24
Chlorophyllpigmente, Rolle derselben 25
Chloroplasten 29
Cholesterin 17
Chondriosomen 15, 19
Chondromyces 227
Chromatin 23
Chromatinkörnchen 53
Chromatophoren 29
Chromoplasten 29
Chromosomen 54, 70
Chromosomen, Individualität derselben 56
Cladonia 230
Cladophora 24, 79
Clematis 9-1, 300
Codium 86
Coffein 42
Cöix 103
330
Namen- und Sachregister
C olle Ha 288
Co locus la 105, 112
Commelina 255
Copernicia 103
Cordyline 142
Cucurbita 94
Cuphea 104
C)'<^<3:-S' I59i 308
Cyclame7i 285
Cymöse Blütenstände 318
Cyste 227
Cytisus 50
D.
Dauergewebe 97
Deckblatt 278, 319
Deckelkapsel 321
Delesseria 177
Dendrobium 140
Dermatogen loi
Diagramm 316
Diakinese 63
Diastase 44
Dichasium 318
Dickenwachstum 141
Dicotylen 250
Differenzierungstheorie 187
Digitalin 41
Diofiaea 123
Diospyros 149
Diploide Generation 67
Direkte Kernteilung 56
Divergenz 262
Dolde 318
Dorne 115
Dornwurzeln 274
Dorsiventrale Blätter 105, 293
Dorsiventrale Sprosse 2S0
Dorsiventralität 134, 281
Dracaena 142, 143
Drachenbaum 143
Drosera 119
Drosophyllum 302
Drüsenhaare 117
Drüsenschuppen 117
Durchlaßstreifen 133
Durchlaßzellen 139
Durchlüftungsgewebe 135
E.
Ebenholz 149
Efeu 297
Ei 13, 65
Einachsige Pflanzen 323
Einjährige Pflanzen 324
Einzellige Algen 207
Eiskraut 104
Eiweißkristalloide 34
Eiweißsynthese 17
Elaeagnaceen 114
Elodea {Helodea) 22
Embryonale Zellen 13
Embryosack 308, 316
Emergenzen 115
Emulsin 41 , 44
Endknospe 277
Endodermis 132, 138
Endosperm 323
Entstehung der Seitenwurzeln 258
Entwicklung des Blattes 298
Entwicklung, individuelle 9
Enzyme 44
Epidermis 10 1
Epigäische Keimung 254
Epigenesis 184
Epitheme 138
Equisetum 87, 103
Erbsubstanz 72
Ernährung der Bakterien 4
Ernährung der grünen Pflanze 4
Ernährung nicht grüner Pflanzen 8
Eugle7ta 210
Euphorbia 41
Euphorbiaceen 96
Euphotometrische Blätter 294
Evolutionstheorie 184
Exodermis 140
Experimentelle Morphologie 193
Extraaxilläre Verzweigung 260
Exotrophie 283
F.
Fächel 318
Fächeraderung 293
Färbung der Protoplasten 19
Fagus 134
Farbstoffe der Chlorophyllkörper 24
Farnpflanzen 249
Faserwurzeln 267
Faszikularkambium 144
Fegatella 170
Feigen 106
Feldulme 50
Fenchel 299
Fermente 44
Fernambukholz 149
Fette 42
Fettkraut 118
Fichtenspargel 270
Ficus 106
Filament 313
Fingerkraut 315
Fittonia 105
Fixe Lichtlage 136
Fixierung der Protoplasten 18
Flagellaria 300
Flagellen 301
Namen und Sachregister
331
Flaggenalgen 216
Flechten 229
Flockenblume 123
Fluoreszenz des Chlorophylls 25
Fluoreszenz des Phycoerythrins 28
Flußsystemaderung 293
Folgeblätter 297
Folgemeristem 97
Foliose Lebermoose 235
Formaldehyd 26
Formale Morphologie 203
Fortpflanzung der Algen 218
Fortpflanzung der Pilze 226
Frauenmantel 315
Freie Kernteilung 58
Freilebende Wurzeln 270
Fritillaria 58
Froschbiß 89
Frucht 320
Fruchtanhängsel 321
Fruchtblätter 310, 314
Fruchtknoten 314
Fruchtknotenpflanzen 249, 310
Fruchtstandanhängsel 321
Fruchtwand 321
Frühholz 146
Fruktifikationsorgane 175
Frullania 238
Fucus 211, 221
Fühlborsten 124
Fühlpapillen 123
Fühltüpfel 106
Füllzellen 164
Fuligo 22
Furfurolreaktion 17
Fuß 257
G.
Galaktose 48
Galiujn 115
Gameten 65
Gametophyt 243
Gasbewegung durch Membranen 50
Gefäßbündel 99, 125
Gefäßbündelverlauf 130
Gefäße 94
Gefäßteil 127
Gegenständige Blätter 261
Gelbholz 149
Geleitzellen 127
Gemini 63, 70
Generationswechsel 67, 222
Generationswechsel der Farne 67, 245
Generationswechsel der Moose 69, 242
Generationswechsel der Phanerogamen 68
Generatio spontanea 51
Genetische Spirale 263
Geotropismus 82
Gerbstoffe 40
Gerinnung des Protoplasma 18
Gerste 90
Geschlechtsverlust 69
Geschlossene Gefäßbündel 126
Gestaltung, Ursachen derselben 196
Gewebebildung durch Zellteilung 86
Gewebe, mechanisches, des Laubblattes I37
Gewebe, primäres 99
Gewebe, sekundäres 99
Gewebesonderung 99
Ginkgo 66, 293, 309
Gitterblätter 296
Glashaare 241
Gloriosa 301
Glykogen 44
Glykoside 41
Goldregen 50
Gonotokonten 67
Gossypiu7n 116
Griffel 314
Große Periode des Wachstums 16
Grün der Landpflanzen 28
Grundform 183
Grundgewebe 99, 129
Grundplan 183
Grundspirale 262
Gummibaum 106
Guttapercha 44
Gymnospermen 249
Gynaeceum 314
Gynerium 136
H.
Haare der Oberhaut 112
Hadromal 48
Hämatin 25
Haematoxylon 149
Haftwurzeln 272
Hakenkletterer 116, 287
Halblianen 301
Halimeda 85
Hapaxanthische Kräuter 324
Haploide Generation 67
Harze 43
Hauptkern 83
Haustorien 225, 276
Hautgelenke 109
Hautgewebe 99
Hautschicht 11, 21
Helikomorphie 298
Helleborus 108
Helodea 22
Hemizellulosen 48, 50
Herbstfärbung 29
Heteroblastie 221, 298
Heterophyllie 238, 296, 297
Heterospore Farnpflanzen 247
Heterotypische Teilung 61
Hwianthalia 21"]
33-
Namen- und Sachregister
Hippophaes 1 1 4
Hippiiris 89
Hirschzunge 245
Hochblätter 305, 319
Hoftüpfel 93
Holz 144
Holzfasern 93
Holzstofifreaktionen 48
Homoblastie 221
Homöotypische Teilung 61, 64
Homologe Teile 201
Homologie 201
Homospore Farnpflanzen 247
Hopfen 117
Hordeuni 90
Hormone 199
Humid US 117
Hydathoden 104
Hydnophytmn 285
Hydrocharis 89
Hydrophile Blätter 296
Hydrurus 210
Hygrophile Blätter 296
Hylocomiuni 240
Hy77tenophytum 236
Hyphen 225
Hypogäische Keimung 254
Hypokotyl 140, 251
Impatiens 125, 129
Indirekte Kernteilung 55
Individualität der Chromosomen 50
Individuelle Entwicklung 9
Initialschicht 151
Integumente 316
Interfaszikularkambium 144
Interkalares Wachstum 100
Interzellularen 90
Intussuszeption 46
Inulase 44
InuUn 39
Invertin 39, 44
Invertzucker 39
Iso'etes 306
Isolaterales Blatt 293
Jahresringe 146
Johanniskraut 317
Jugendblätter 297
Jungermanniaceen 235
Jungfräuliche Zeugung C9
Jussieua 275
K.
Kätzchen 318
Kaiserkrone 58
Kalkalgen 217
Kalk, oxalsaurer 36
Kallus 279
Kallusplatten 96
Kalyptra 87
Kalyptrogen 89
Kalziumoxalat 36
Kambium 142
Kambiumzellen 1 5 1
Kapseln 321
Kapuzinerkresse 112
Karotine 25
Karotinoide 25
Karpelle 314
Karyokinese 55
Katalysatoren 33
Kautschuk 43
Keimblatt 251
Keimkern 70
Keimknospe 251
Keimung des Samens 253
Kelch 311
Kern 11, 23
Kernhölzer 148
Kernkörperchen 11, 23, 53
Kernmembran 23
Kernplatte 54
Kernsaft 23
Kernspindel 54
Kernteilung 52
Kernteilung, Beziehungen'^zur Zellteilung 79
Kernverschmelzung, vegetative 72
Kiefer 93, 146, 151, 154
Kieselskelett 48
Kinoplasma 54
Klappenkapsel 321
Kleber 34
Kleistogamie 320
Kletterhaare 115
Knöterich 68
Knollen 285
Knospenschuppen 304
Köpfchen 318
Körperwärme 8
Kolben 318
Koleoptile 255
Kollaterale Gefäßbündel 127
KoUenchym 98
Kolloidale Eigenschaften 16
Kolonienbildende Algen 208
Kompensation 195
Komplementärfärbung der Seealgen 28
Konsistenz des Protoplasmas 23
Konvergenz 202
Konzentrische Gefäßbündel 128
Kopfschimmel 227
Kormophyten 179
Kormus 179
Korkeiche 162
Korkrinde 162
Namen- und Sachregister
333
Korkzellen 162
Korrelation 195
Kräuter 3:4
Kribralteil 127
Kristalloide 35
Kürbis 94
Kugeltierchen 3
Kuhblume 116
Kurztriebe 281
Kurztriebe der Algen 214
Kutikula 102
Kutinisierung 49, 102
L.
Labkraut 115
Lagerpflanzen 180
Laminale Placentation 315
Laminaria 181, 217, 221
Langtriebe 281
Langtriebe bei Algen 214
Latentes Leben 22
Laubblätter 305
Laubblatt, mechanisches Gewebe desselben
Laubmoose 232, 239 [137
Laubmoosblatt 240
Lauch 136
Leben, latentes 22
Lebensdauer 1 50
Lebensdauer der Blätter 299
Lebensdauer der Farne und Blütenpflanzen
Lebermoose 232, 233 [324
Lentizellen 164
Lessonia 218
Leukoplasten 29
Lianen 301
Lichtlage, fixe 136
Lichtperzeptionsapparat 105
Ligula 290
Linde 155
Linin 23
Lipase 44
Lipoide 17
Lithothamnionbänke 217
Löwenzahn 116
Lohblüte 22, 227
Lotos (Lotospflanze) 23, 103
Luftwurzeln 139, 272
Lycopodium 246
Lysigene Interzellularen 91
M.
Macrocystis 167, 206, 219
Makrosporangien 306
Makrosporen 306
Maltase 33
Maltose 33
Malzzucker 33
Mannose 48
Mantelblätter 298
Marckantia 169, 233, 235
Marginale Placentation 315
Mark 130
Markstrahlen 145
Markstrahlen, primäre 130
Marsilia 281, 306
Maschenaderung 293
Maserbildung 160
Maulbeerbaum 50
Mechanisches Gewebe des Laubblattes 137
Mehrachsige Pflanzen 323
Mehrjährige Pflanzen 325
Membran 2, 45
Membranen, Gasbewegung durch dieselben 50
Membranstoffe 47
Membran, Wachstum derselben 46
Meratrialis loi
Meristem 97
Merkmalspaltung 71
Mesembryanthemum. 104
Mesokotyl 255
Mesophyll 134
Metamorphose 187
Metaphase 55
Mikropyle 308, 316
Mikroskopische Technik iq
Mikrosporangien 306
Mikrosporen 306
Milchgefäße 97
Milchröhren 96
Millonsches Reagens 17
Mimosa 92
Mistel 91, 160
Mitose 55
Mittellamelle 49
Mittelständiger Fruchtknoten 315
Mnium 171, 241
Mondraute 245
Monochasium 318
Monokarpische Kräuter 324
Monokotylen 250
Monopodiale Sprosse 284
Monopodium 211, 259
Monotropa 280
Moose 231
Morphologie, experimentelle 193
Morphologie, formale 203
Moftcs 50
Mutterkornpilz 226, 228
Mykorrhiza 113, 269
Myristica 323
Myrfnecodia 275, 285
My ronsäure 41
Myrosin 44
Myxomyzeten 74
Myzel 225
334
Namen- und Sachregister
N.
Nabelstrang 316
Nachtkerze 71
Nacktsamige Pflanzen 249
Nährgewebe 254, 323
Nährwasser, Bahnen desselben 148
Nagel 312
Nahrung , Aufnahme fester N. durch Amöben 6
Nahrung, Aufnahme flüssiger N. durch Pflan-
zen 6
Nahrungsstoffe der Pflanzen, anorganische 7
Narbe 314
Nebenblätter 290
Nebenkern 83
Nebenkrone 312
Nebenzellen 109
Nektarien 104, 312
Nelumbium. 23, 103
Nereocystis 217
Nervatur 293
Nessel 73
Niederblätter 305
Nischenblätter 298
Nucleolus 23
Nucleus 23
Nukleoproteide 17
Nuß 321
Oberhaut 100
Oberhaut, Wasseraufnahme durch dieselbe
Oberlappen 237 [121
Oberständiger Fruchtknoten 314
Öle, ätherische 43
Ölweidengewächse 114
Oenocarpus 274
Oe?iothera 71
Offene Gefäßbündel 127
Ombrophile Blätter 296
Ombrophobe Blätter 296
Ontogenie der Angiospermenblüte 316
Ontogenie der Pflanzen und Tiere 9
Oogonium 220
Oospore 220
Ophioglosswn 139
Opuntia 114
Organbildende Stoffe 197
Organisationsmerkmale 204
Organische Säuren im Zellsaft 39
Organographie 203
Orthostichen 258, 261
Osterluzei 161
Ovulum 316
Oxalis 272
Oxalsaurer Kalk 36
Oxydasen 45
P.
Palisadengewebe 134
Pampasgras 136
Pandanaceen 141
Panphotometrische Blätter 294
Papiermaulbeerbaum 97
Papillen 1 13
Pappus 116
Parenchym 98
Parthenogenese (Parthenogenesis) 69, 78
Parthenospore 78
Pechnelke 104
Peitschenformen bei Algen 216
Pektinstoffe 48
Pellikula 83
Pentamerie 3 1 1
Pentazyklische Blüte 311
Pentosane 48
Perianth 310, 311
Peridermbildung 161
Perigon 311
Perikarp 321
Perikaulomtheorie 250
Periode, große (des Wachstums) 16
Perisperm 323
Perizykel 130
Petaloider Kelch 312
Pfahlwurzeln 267
Pflanzliche Zelle 10
Phaeophyll 28
Phanerogamen 249
Phanerogamenblüte , Ableitung derselben
Phelloderma 162 [307
Phellogen 161
Phosphatide 17
Photochemische Synthese 26
Photometrische Blätter 294
Phototropismus 82
Phragmoplasten 57
Phycoerythrin 28
Phyllanthus 287
Phyllocactus 286
Phyllodium 292
Phyllokladium 286
Phyllotaxis 260
Phylogenie der Angiospermenblüte 317
Phytelephas 50
Phyton 188
Pilobolus 227
Pilze 224
Pinguicula 1 1 8
Pinus 93, 146, 151
Pirus 161
Pistill 314
Pistia 38
Placenta 315
Placentation 315
Plankton 207
Plasmodesmen 91
Namen- und Sachregister
o5ö
Plasmodium 2
Plasmolyse ii, 12
Platte 312
Pleiochasium 319
Podetium 230
Podostemonaceen 276
Pol 54
Polarität 198
Pollenkammer 309
Pollensäcke 30S, 313
Polygotmm 68
Polykarpische Kräuter 324
Polysaccharid 33
Portulaca 123
Portulak i 23
Primäre Markstrahlen 130
Primäre Rinde 130
Primäres Gewebe 99
Primel 283
Primula 43, 117
Prophase 55
Prosenchym 98
Prothallium 246
Protoderm loi
Protonema 239
Protoplasma 2, 11
Protoplasma, Reaktionen auf dasselbe 17
Protoplasmaströmung 20
Protoplast 2
Protoplast der Bakterien 74
Pteridospermen 250
Pteris 88
Pterocarpus 149
Purinkörper 42
Pyrenoid 75
Quercus 162
Q.
R.
Racemöse Blütenstände 318
Radiäre Blüte 311
Radiäre Lebermoose 236
Radiäres Blatt 293
Radiäre Sprosse 280
Radikula 140
Rafflesia 305
Ranunculus 128
Raphiden 37
Raspailsche Reaktion 17
Reaktion auf Protoplasma 17
Reduktionskernteilung 61
Reduktionsteilung 61
Regeneration 166
Reizbarkeit des Protoplasmas 20
Reizfortpflanzung 92
Reparative Wurzelsprosse 280
Rhizinen 229
Rhizoiden 270
Rhizom 14 t
Rhizomorpha 226
Rhizopus 225
Rhoaodendron 118
Riccia 233, 234
Ricinus 136
Riella 234
Riementang 2r7
Rindenporen 164
Rinde, primäre 130
Rispe 319
Rizinuspflanze 136
Rohchlorophyll 25
Rohrzucker 39
Rollblätter 296
Rotalgen 221
Rotholz 149
Rückbildung der Blätter 305
s.
Saccharase 39
Säuren, organische, im Zellsaft 39
Saftraum 14
Salomonssiegel 283
Salvinia 269, 306, 307
Safnbucus 164
Samen 251, 322
Samenanlage 307, 316
Samenmantel 323
Samennabel 322
Samennaht 322
Samenpflanzen 249, 308
Sammelzellen 135
Sanddorn 114
Sandelholz 149
Sargassuni 216, 217
Sauerdorn 123
Saughyphen 225
Saugschuppen 122
Schachtelhalm 103
Schattenblätter 295
Scheinquirl 319
Scheinstamm 290
Scheitelzelle 80, 87
Schizogene Interzellularen 91
Schlauchpflanze 270
Schlauchpilze 228
Schleimapparat 104
Schleimpilze 74
Schließhaut 91
Schließzellen 108
Schlingpflanzen 285
Schmarotzende Algen 218
Schöllkraut 97
33^
Namen- und Sachregister
Schraubenbäume 141
Schuppenhaare 114
Schwärmsporen 80, 219
Schwammgewebe 134
Scolopendrlum 245
Scutellum 255
Seitenknospen 378
Seiten wurzeln 89, 140
Seitenwurzeln, Entstehung derselben 25 J
Segmente 87
Sekundäres Gewebe 99
Selaginella 121, 259, 291, 306
Selbstregulation 196
Sichel 318
Siebplatten 95
Siebröhren 95
Siebteil 127
Siebtüpfel 95
Sinaibin 41
Sinnespflanze 92
Siphonales 85
Skier enchymfasern 93
Sklerotium 226
Sjnilax 300
Sondergebilde 182
Sonnenblätter 295
Sonnenlicht , Verwertung desselben 5
Sonnentau 119
Somteratia 275
Soredienbildung 231
Spätholz 146
Spaltalgen 74
Spaltöffnungen 107
Spaltung der Merkmale 71
Spatha 319
Speicherwurzeln 274
Sperinakerne 66
Spermatozoen 65
Sphagnaceen 170
Spiraltheorie 263
Spirogyra 75
Spitzahorn 105, 304
Spitzenwachstum 209
Spitzenwachstum bei Blättern 300
Splinthölzer 148
Sporangium 227, 245
Sporogon der Laubmoose 243
Sporokarpien 306
Sporophylle 246
Sporophyllstände 246, 306
Sporophyt 243
Springfrucht 321
Springkraut 125
Sproß 179, 259, 277
Sproßdornen 288
Sproßpflanzen 179
Sproßranker 287
Sproßscheitel 14
Stacheln 115
Stärke 26, 31
Stärkekörner 32
Stärkescheide 132
Staminodien 313
Stammeigene Gefäßbiindel 131
Stammesverwandtschaft der Lebewesen 189
Stammsukkulenten 286, 325
Statolithen 133
Staubbeutel 313
Staubblätter 310, 312
Staubfaden 313
Stauden 325
Steinfrucht 321
Steinzellen 98
Stelzwurzeln 273
Stempel 314
Stiefmütterchen 113
Stimulator 125
Stoffe, organbildende 197
Sträucher 325
Streptocarpus 257, 299
Strömung des Protoplasmas 20
Struktur des Zytoplasmas 19
Stützfasern 55
Stützwurzeln 273
Sukkulente Blätter 303
Sukkulente Stämme 286
Sumpffingerkraut 315
Symbiose zwischen Pilz und Algen 229
Symmetrische Blüte 311
Sympodiale Sprosse 284
Sympodium 211, 259
Synapsis 63
Synthese des Eiweißes 17
Synthese, photochemische 26
T.
Taeniophylluni 275
Tanne 309
Taraxaciiin 116
Tauchblätter 296
Technik, mikroskopische iq
Telophase 55
Tentakeln 120
Terminalknospe 277
Thallophyten 180
Thallose Lebermoose 235
Thein 42
Theka 313
Theobromin 42
Thyllen 149
Tierfallen 302
Tilia 155
Tillandsia 122, 270
Torfmoose 170
Tor US 93
Toxine 42
Tracheen 94
Namen- und Sachregister
337
Tracheiden 94
Tradescantia 60, 109
Tragblatt 278, 319
Transitorische Stärke 31
Traube 318
Traubenzucker 33, 39
Traubige Blütenstände 318
Träufelspitze 296
Trennungsschicht 165
Treubia 237
Trichia iz'j
Trichome 115
Trimerie 311
Trockensubstanz einer Pflanze 27
Tropaeolu7n 112
Trophophylle 246
Trophoplasma 54
Trugdoldige Blütenstände 318
Tüpfel 91
Turgor 12
u.
Übergangszellen 129
Überwallung 165
Überwinternd einjährige Pflanzen 325
Uhrfederranker 287
Ulme (Ulmus) 50, 285
Umdifterenzierung 192
Uncaria 287
Unterlappen 237
Unterständiger Fruchtknoten 315
Urmeristem 97
Ursachen der Gestaltung 196
Urtica 73, 114
Urzeugung 51
Utricularia 270, 302
Usnea 231
Vakuolenwände 11
Vallisnerie (Vallisneria) 22
Vasalteil 127
Vaucheria 219
Vegctationskegel 14, 88
Vegetationsorgane 175
Vegetationspunkt 14
Vegetative Kemverschmelzung 72
Velamen (radicum) 107, 273
Ventralschuppen 233
Venus - Fliegenfalle 123
Verbindungsfäden 57
Verbindungsstück 255
Verdauungsdrüsen 118
Verdickungsschichten 49
Verholzung 48
Verjüngung i88
Verjüngungsschicht 164
Verkorkung 49
K. d.G. III. IV, Bd 2 Zellenlehre etc.
Verschmelzungen lebender Zellen 95
Verzweigung der Wurzeln 258
Verzweigung des Algenthallus 210
Vielkernigkeit 24
Vielzellbildung 58
Viola 113
Viscaria 104
Vis cum 91, 106
Viviparie 256
Volvox 3
Vorblatt 319
Vorkeim 239
W.
Wachspalme 103
Wachstum 14
Wachstum der Membran 46
Wachstum, interkalares 100
Wachstumsrichtung der Sprosse 282
Wachsüberzug 102
Wanderhyphen 225
Wandständige Placentation 315
Wandverdickung 46
Wasseraufnahme durch Oberhaut 121
Wasseraufnahme durch Wurzelhaare 121
Wasserpest 22
Wassersäcke 237
Wasserspalten 112
Wechselständige Blätter 261
Weibhche Blüten 313
Welwitschia 299
Welken 13
Weinsäure 39
Wiesenflockenblume 123
Wimperinfusorien 83
Winterknospen 304
Wirtelstellung 264
Wolffia 269
Wolfsmilch 41
Wolismilchgewächse 96
Würzelchen 251
Wundverschluß 165
Wurzel 257, 267
Wurzel, Bau derselben 138
Wurzelhaare 113, 267
Wurzelhaare, Wasseraufnahme durch dieselben
Wurzelhaube 87, 267 [121
Wurzelhülle 107
Wurzellose Pflanzen 269
Wurzelsprosse 280
Wurzelstock 141
Wurzeltasche 89, 269
Wurzelträger 276
X.
Xanthophylle 25
Xanthoproteinreaktion 17
Xerophile Blätter 295
338
Namen- und Sachregister
Zea 126, 131
Zellbildung 51
Zelle I, 10
Zellenstaaten bildende Algen 209
Zellgröße 85
Zellhaut 45
Zellplasma 11
Zellsaft 15
Zellteilung 57
Zellteilung, Beziehungen zur Kernteilung 79
Zellulose 47
Zellulosereaktion 48
Zellverschmelzungen 94, 97
Zellwand 1 1
Zentrale Placentation 316
Zentralwinkelständige Placentation 315
Zentralzylinder 130
Zentripetale Aufblühfolge 318
Zentrosomen 55
Zeugung, jungfräuliche 69
Zitronensäure 39
Zucker 38
Zugwurzeln 268
Zweiachsige Pflanzen 323
Zweigranker 287
Zweijährige Pflanzen 325
Zwiebelkuchen 303
Zwiebelpflanzen 303
Zwiebelschale 303
Zwischenzellräume 90
Zyanophyceen 74
Zygomorphe Blüte 3 1 1
Zygote 69
Zymase 44
Zypressenwolfsmilch 41
Zystolithen 106
Zytoplasma 1 1
Zytoplasmahäute 12
Druck von B. G. Teubner in Dresden.
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