ODONTOLOGISCHE STUDIEN I ZUR ONTOGENIE DES ELEFANTENGEBISSES VON PROF. DR. L. BOLK DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT AMSTERDAM Locked Cage QL 737 .P9 B65 1919 HSL ■ \<\V) West Virginia University Libraries 3 0802 101931999 0 ,D BOOKS 00* w CUlM* ODONTOLOO ISCHE STUDIEN III ZUR ONTOGENIE DES ELEFANTENGEBISSES VON PROF. DR. L. BOLK DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT AMSTERDAM MIT 22 FIGUREN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1919 Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Lyrasis Members and Sloan Foundation http://www.archive.org/details/zurontogeniedeseOObolk .Bekanntlich zeichnet sich das Gebiß der Elefanten durch zwei Eigentümlichkeiten aus: der horizontale Zahnwechsel und die Struktur der Molaren. Beide Eigentümlichkeiten stehen gewiß in ursächlichem Zusammenhang miteinander in dem Sinne, daß die gewaltige Ent- wicklung der Molaren die besondere Art des Zahnwechsels hervorruft Als Erscheinung erhebt sich daher die merkwürdige Struktur des Elefantenmolaren auf einen höheren Plan als die Weise des Zahn- wechsels, da für letztere die unmittelbar vorangehende Ursache als bekannt betrachtet werden darf. Gleiches gilt gewiß nicht für erst- genannte Eigentümlichkeit: die besondere Struktur der Molaren. Und die Frage nach der Erklärung dieser Struktur, d. h. nach der Entstehungsweise dieser Molaren und jener, mehr prinzipieller Art nach der Bedeutung dieser Zähne, sind dann auch von mehreren Autoren schon aufgeworfen worden, und, wie wohl kaum zu erwarten war, nicht immer einstimmig beantwortet. Am eingehendsten hat sich Rose mit dieser Frage beschäftigt1). Auf den Inhalt seiner dies- bezüglichen Abhandlung werde ich später eingehen, da in derselben ein wohl dokumentierter, scharf umschriebener Standpunkt über die Bedeutung der Elefantenmolaren eingenommen wird, deren Richtig- keit ich bei meiner Untersuchung zu kontrollieren imstande war. Der Autor nimmt in diesem Aufsatz, schärfer als je ein anderer, eine wohl argumentierte Stellung in der vielumstrittenen Frage nach der Be- deutung des Elefantenzahnes, welche aber mit dem von mir tat- sächlich Beobachteten nicht im Einklang steht. Im Verband mit der Rös eschen Theorie werde ich auch noch kurz eingehen auf die Vorstellung, die von mir früher von der Ent- stehungsweise und Bedeutung dieser Zähne gegeben ist2) und unter- suchen, ob die an zitierter Stelle gegebene Darstellung mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen ist. Die bisherigen Deutungen des Elefantenmolaren gingen von dem fertigen Zahn aus oder stützen sich, wie jene von Rose, auf den wachsenden Zahn. Über die ontogenetische Anlage dieser Bildungen war bis jetzt noch nichts bekannt. In der vorliegenden Untersuchung werden dann auch fürs erstemal ontogenetische Beobachtungen über die Anlage des Elefantengebisses mitgeteilt, welche einer lückenlosen Serie des Unterkiefers eines fetalen Elephas africanus entnommen worden sind. 1) G. Rose, Über den Zahnbau und Zahnwechsel von Elephas indicus. Morph. Arb., Bd. III. 2) Odontologische Studien I, S. 119 ff. Jena 1912. Bolk, Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 2 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Über diesen Fötus habe ich schon an anderer Stelle anatomische Mitteilungen gemacht1). In jener Abhandlung sind die Maßverhältnisse mitgeteilt, und weiter verschiedene Besonderheiten in dem anatomischen Bau des Objekts, welche ich durch Zergliederung desselben habe feststellen können. An dieser Stelle genügt die Bemerkung, daß die Stirnsteißlänge des Fötus in gerader Linie 20 cm betrug. Von diesem Objekt wurde eine Hälfte vom Unterkiefer und Oberkiefer in einer Schnittserie zerlegt, die Schnitte waren 25 ju dick. Vom Oberkiefer konnte nur der vordere Teil, die Anlage des Incisivus enthaltend, benutzt werden, der hintere Teil, die Anlage von drei Molaren enthaltend, war kaum zu werwerten, die schon weit vor- gedrungene Knochenentwicklung, die ansehnliche Größe des Objekts war für das Gelingen der Serie eine Beschwerde gewesen. Der Unter- kiefer dagegen lieferte eine ausgezeichnete Serie, welche eine gute Einsicht in die Anlage des Gebisses gestattete. Es waren drei Molaren zur Anlage gelangt, welche in Wachs rekonstruiert wurden. Überdies war die allererste Anlage des Email- organs des vierten Molaren zu beobachten, eine Tatsache, die, wie aus dem weiteren hervorgehen soll, von der allergrößten Bedeutung war für die Kenntnis der Wachstumserscheinungen der Zahnleiste und Entstehung des Schmelzorgans, welche beim Elefanten wesentlich von dem, was uns von anderen Säugern bekannt ist, verschieden ist. Es gehe eine Bemerkung voran bezüglich Bildungen, welche ich vergebens bei meiner Untersuchung gesucht habe. Obgleich ich aufs genaueste danach geforscht habe, konnte ich im Unterkiefer keine Spur von Anlage der Schneidezähne entdecken. Das darf etwas wundern, da der Verlust der unteren Incisivi in noch relativ junger Zeit stattgefunden haben muß. Es will natürlich nicht gesagt sein, daß diese Zähne in rudimentärer Form überhaupt nicht mehr zur Anlage kommen, die Behauptung darf nicht weiter gehen, als daß bei einem Fötus von 20 cm Länge die Anlage, falls dagewesen, schon spurlos verschwunden ist. Wie schon gesagt, waren drei Zähne zur Anlage gelangt, d. h. es fanden sich drei Zahnpapillen mit ihren Schmelzorganen, während an dem hinteren Ende der Zahnleiste das Schmelzorgan eines vierten Backzahns gerade in Anlage begriffen war. Da diese Anlage sofort eine prinzipielle Erscheinung in der Zahnanlage zur Schau bringt, und weiter eine Erklärung bringt von Erscheinungen in dem Vorkommen der vorangehenden Zahnanlagen, werde ich zu- nächst diese Anlagen besprechen. Die Entstehungsweise des Schmelzorgans der Säugetierzähne im allgemeinen, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Beim Elefanten nun kommt es nicht zur Anlage einer Schmelzknospe, in welche unter Verbreiterung die Zahnpapille eindringt. Verfolgt man den bezüglichen Abschnitt der Zahnleiste, dann hat sie auf Durchschnitt zunächst einen ziemlich geraden Verlauf. Nur das untere Ende ist haken- förmig abgebogen. Weiter nach hinten fängt nun das untere Ende der Zahnleiste an sich faltenförmig umzubiegen. Wie aus Fig. 1, 1) Anatomische Bemerkungen über einen Fötus von Elepbas africanus. 20 Textfig. Verhandl. d. Kon. Akad. v. Wetenschappen. Amsterdam, 2. Serie, Vol. XIX. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 3 worin einige Schnitte durch diese Sclnnelzorgananlage wiedergegeben sind, hervorgeht, entsteht diese Falte nicht infolge mechanischer Ein- knickung von Seiten des umgebenden Gewebes, sondern durch eine aktive Expansion der Leiste, denn die Totallänge der Leiste auf Durch- schnitt wird im Gebiet der Falte größer. Man muß sich daher denken, daß die untere Zone der Leiste Sitz einer ziemlich kräftigen Wucherungs- potenz ist, wodurch der untere Teil eine Falte zu bilden anfängt. Diese ist nicht lediglich die Äußerung von Raumersparnis, sondern hat eine, für den künftigen Zahn formbestimmende Bedeutung. Das geht aus dem weiteren Betragen der Leiste und aus einer später zu erörternden Tatsache hervor. Verfolgt man die Leiste weiter nach hinten, dann sieht man zu- nächst die Falte komplizierter werden, sie wird zu einer Doppelfalte, ja weiter nach hinten sogar über eine kurze Strecke zu einer drei- fachen Falte. Sodann wird die Falte wieder einfacher, und schließlich verschwindet sie und das meist hintere Ende der Leiste zeigt einen gestreckten Verlauf. Es erhebt sich nun die Frage, welche Bedeutung dieser Falten- bildung des hinteren Zahnleistenabschnitts zuerkannt werden muß. Die Antwort muß sehr bestimmt lauten, daß man darin die erste An- lage eines Zahnes zu erblicken hat, oder richtiger des Schmelzorgans desselben. Es muß aber sofort bemerkt werden, daß es hier nicht die Anlage eines ganzen Schmelzorgans etwa in der Weise wie bei den übrigen Säugern gilt, sondern nur den allervordersten Teil des- selben, ungefähr das Gebiet der vordersten Lamelle entsprechend. Nebst anderen Eigentümlichkeiten zeichnet sich das Schmelzorgan des Elefanten dadurch aus, daß es ein während der Entwicklung in antero- posteriörer Richtung wachsendes Gebilde ist. Bei sonstigen bis jetzt daraufhin untersuchten Zahnanlagen wird das Schmelzorgan sofort bei seiner Anlage in toto gebildet und während einer gleichmäßigen Ver- größerung — einem Wachstum durch Intussuszeption vergleichbar — kommt es zu einer Differenzierung des Organs im Verband mit der Ausbildung von Höckern auf die Zahnpapille. Allerdings besteht auch hier eine gewisse Reihenfolge in dem Auftreten der Höcker und be- sonders auch in der Auflagerung von Email seitens des Schmelzorgans auf die Spitze der verschiedenen Höcker. Diese Differenzen in den Entwicklungsstadien der Höcker sind immerhin aber sehr gering. Das Emailorgan des Elefanten und selbstverständlich auch die Höcker- oder Lamellenbildung seitens der Papille bietet dagegen ein ganz anderes Bild. Das Organ wächst allmählich nach hinten aus und es kann z. B. an einem Zahn schon auf den Höckern einer vorderen Lamelle zur Dentinablagerung gekommen sein, während die hinteren Lamellen des Zahnes noch gar nicht zur Entwicklung gekommen sind. Diese Bemerkung mußte schon an dieser Stelle eingeschaltet werden zur Motivierung der Richtigkeit der Behauptung, daß die beschriebenen Falten der Zahnleiste nur die Anlage des meist vorderen Teiles vom Schmelzorgan des vierten Zahnes darstellen. Wie ist nun die Faltung der Zahnleiste zu deuten V Wie gesagt ist sie als die erste Anlage des Schmelzorgans zu betrachten, wie bald näher begründet werden soll. Ist dem aber so, dann beträgt sich bei Elefas die erste Anlage des Schmelzorgans ganz anders als bei den übrigen bis jetzt daraufhin untersuchten Säugern. Denn wir Zur Ontogenie des Elefantengebisses. stehen hier vor der merkwürdigen Tatsache, daß das Relief des künf- tigen Zahns durch die Zahnleiste vorgebildet wird, noch ehe es zur Differenzierung eines eigentlichen Emailorgans gekommen ist und noch bevor die Zahnpapille sich gebildet hat. Es ist nicht schwer, in den Falten die Umrisse der Höcker zurückzufinden, welche später die erste Lamelle zusammensetzen werden. Das Essentielle der Erscheinung ist daher darin zu sehen, daß es in diesem jungen Entwicklungsstadium kein eigentliches räumlich gesondertes Schmelzorgan gibt, es ist die Zahnleiste selbst, welche die Anlage des Zahns einleitet. Man konnte somit in diesem Stadium besser von einem zahnbildenden Bezirk der Zahnleiste sprechen. Da nach hinten die Falten verschwinden und der letzte Abschnitt der Leiste wieder ge- 9§ streckt verläuft, ist jetzt schon zu schließen, 0j daß in diesem Bezirk der Entwicklungsgang ge im vorderen Teil weiter fortgeschritten ist || als im hinteren, ein erster Beweis, daß der jj>$ Elefantenzahn nicht in toto zur Anlage ge- ©* langt, sondern der vordere Teil differenziert J ' sich zuerst. *H Welche Beweise sind nun anzuführen, $ |* daß die beschriebene Faltenbildung der V§ Zahnleiste wirklich die erste Anlage eines ff Schmelzorgans entspricht? Bei der Be- §\ sprechung der weiter in der Entwicklung ee vorgerückten, mehr nach vorn liegenden JJ Zähne, werden wir an diesen Bildungen || ft®°t B.C.© ©eU>| Fig. 2. entnommene Beweise anführen, ein überzeugender Beweis ist aber schon der beschriebenen Anlage selbst zu entlehnen. Man betrachte dazu etwas genauer die Fig. Id. Dieser Schnitt geht durch den vorderen Teil des gefalteten Bezirks der Zahnleiste, es besteht nur eine einzige unkomplizierte Falte. Im Bereich derselben aber trägt die Zahnleiste nicht mehr ihren indifferenten Charakter, die beiden Blätter, welche sie sonst zusammensetzen, haben sich voneinander getrennt, und zwischen ihnen findet sich ein schon ziemlich dickes Lager von noch undifferenzierten Schmelzzellen. In Fig. 2 ist der be- zügliche Teil der Leiste stärker vergrößert dargestellt. Diese Differen- zierung der Zahnleiste streckte sich nur über sechs Schnitte von 25 ju Zur Ontogenie des Elefantengebisses. aus, war mithin räumlich noch sehr beschränkt. Sie bringt aber wohl den überzeugenden Beweis, daß man wirklich in der Faltung der Zahnleiste die erste Phase der Entstehung des Schmelzorgans zu er- blicken hat. Und wie schon gesagt, macht die Kenntnis dieser ersten Phase bestimmte Erscheinungen an den Schmelzorganen der vorangehenden Zähne und daher auch den besonderen Entwicklungsgang der Mahlzähne von Elephas verständlich. Die erste Phase in diesem Ent- wicklungsgang haben wir somit kennen gelernt als Faltenbildung der Zahnleiste. Daß diese erste Faltenbildung nicht dem ganzen Zahn entspricht, sondern nur den meist vorderen Teil desselben, ist aus dem Gesagten noch nicht abzuleiten, wird später näher gezeigt werden. Einen weiteren Einblick in den Entwicklungsgang gewähren die Fig. 3 und 4. "Die Fig. 3 stellt einen Schnitt durch den hinteren Teil der Papille und des Schmelzorgans vom dritten Mahl- zahn dar, und die Fig. 4 einen solchen r durch den hinteren Teil von Papille und Schmelzorgan des zweiten. Die Papille ist in dieser Figur nur teilweise dar- gestellt. Betrachtet man zunächst die Fig. 4, dann fällt sofort die eigentümliche Form des Schmelzorgans, das schon gänzlich von der Zahnleiste sich abgelöst hat und ein völlig selbstständiges Gebilde darstellt, auf. Der Mechanismus der Ablösung des Organs von der Zahnleiste wird später mehr Gegenstand besonderer Besprechung sein. Fig. 3. Fig. 5. Das in der Fig. 4 dargestellte Bild würde ohne Kenntnis der allerersten Anlage des Schmelzorgans, wie sie oben beschrieben ist, gewiß sehr unbegreiflich sein. Es besteht das Organ aus einer lingualen Hälfte, welche, die Papille überlagernd, eine Differenzierung in äußeres und inneres Schmelzepithel sowie von Pulpazellen leicht 6 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. erkennen läßt. Diese Hälfte setzt sich bukkal wärts in einen lamellen- artigen, stark gefalteten Fortsatz fort. Verfolgt man das Organ nach hinten, dann gleichen sich die Falten allmählich aus, die Pulpadiffe- renzierung in der lingualen Hälfte verschwindet und das Organ be- steht schließlich aus einem lamellenartigen Gebilde, das den hinteren Teil der Papille deckt, wie aus Fig. 5 ersichtlich. Wie sind nun die Fig. 4 und 5 zu interpretieren? Im Anschluß an Fig. 1 und 2 ist die Fig. 4 unschwer verständ- lich. Aus Fig. 1 haben wir gesehen, daß die erste Anlage des Schmelz- organes aus einem gefalteten Teil der Zahnleiste besteht, die Fig. 2 lehrt, daß bei dem weiteren Vorgang in dieser gefalteten Leiste Pulpa- differenzierung stattfindet. Diese Differenzierung fängt im vorderen Teil der Anlage an und schreitet weiter nach hinten fort, Die Fig. 4 zeigt uns nun, daß vom zweiten Mahlzahn die Pulpadifferenzierung noch nicht durch das ganze Organ zustande gekommen war. Im hinteren Teil des Organs findet sich noch eine Strecke, wo es leisten- förmig ist. Und achtet man genauer auf das Vorkommen dieses noch lamellösen Bezirks, dann treffen uns einige für die Kenntnis der Ent- wicklung des Elefantenzahns sehr wichtige Erscheinungen. In Fig. 5, welche durch die hinterste Strecke des Organs geht, ist dasselbe noch ganz lamellös, hier ist die Differenzierung von Pulpa- zellen noch nicht vorgedrungen. Daraus ist zu schließen, daß die meist hintere Zone des Schmelzorgans dieses Zahnes sich noch in undifferentem Zustande befindet, Diese Schlußfolgerung wird später ihre Bedeutung erlangen, wenn wir den Entwicklungszustand der Pa- pilla dentis haben kennen gelernt. Weiter lehrt die bezügliche Figur, daß die den hinteren Teil des Organs darstellende Leiste nur wenig gefaltet ist. Vergleicht man nun mit diesem Zustand den in Fig. 4 dar- gestellten, die einem mehr nach vorn gelegenen Schnitt entnommen ist, dann wird die Aufmerksamkeit auf zwei Tatsachen gelenkt; erstens, daß die Differenzierung der Pulpazellen auf die linguale Hälfte des Organs beschränkt ist, die bukkale Hälfte findet sich noch in dem leistenförmigen Stadium, und weiter, daß diese bukkale Hälfte stark gefaltet ist. Aus diesen Erscheinungen ist zu schließen, daß die Diffe- renzierung des Organs nicht gleichmäßig über dessen ganze Breite fortschreitet, sondern daß die linguale Hälfte bei dieser Differenzierung vorangeht. Und die Ursache davon ist der Tatsache zu entnehmen, daß der lamellöse Abschnitt in Fig. 4 so stark gefaltet ist, im Gegen- satz zu dem mehr einfachen Vorkommen im hintersten Abschnitt des Organs. Die auf der Hand liegende Schlußfolgerung ist diese, daß der bukkale Rand des Organs noch wächst und Falten bildet, wäh- rend an der lingualen Seite die Pulpadifferenzierung schon ange- fangen hat. Wir haben uns somit zu denken, daß im Schmelzorgan die Pulpa- differenzierung von vorn nach hinten fortschreitet, daß aber gleich- zeitig das Organ weiter nach hinten wächst, sich faltet und in dem gefalteten Teil die Pulpadifferenzierung von der lingualen nach der bukkalen Seite vor sich geht. Wir können uns das auch noch in anderer Weise vorstellen, wodurch mehr unmittelbares Licht auf den Werdegang des Elefantenmolaren geworfen wird, und zwar in folgender Weise: das Schmelzorgan zeigt ein Wachstum in zwei Richtungen, Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 7 von vorn nach hinten und von lingual nach bukkal. Der vordere Teil des Organs ist dem hinteren gegenüber als der ältere zu be- trachten, und der linguale Abschnitt dem bukkalen gegenüber eben- falls als der ältere. Sämtliche Entwicklungsphasen sind somit gleich- zeitig in einem Schmelzorgan des Elefanten anwesend, solange der Zahn nicht seine definitive Entwicklung und Form erreicht hat. Denn daß es sich beim zweiten Mahlzahn, auf den die Fig. 4 und 5 bezug haben, um ein noch sehr unvollständiges Gebilde handelt, wird später ausführlich gezeigt werden. Auf Grund der vorangehenden Tatsachen sind wir jetzt auch imstande, das Bild in Fig. 3 zu verstehen. Diese Figur gibt einen Schnitt durch den hinteren Teil der Anlage des dritten Zahnes wieder. Die ganze Zahnanlage, auch jene der Papille, ist hier zur Dar- stellung gebracht. Betrachten wir vorläufig nun das Schmelzorgan. Auch an demselben sieht man von der bukkalen Seite einen nach oben gerichteten, lamellösen Ausläufer ausgehen. Es ist unschwer einzusehen, daß auch dieses Organ aus einer gefalteten Lamelle ent- standen ist, und daß die Pulpadifferenzierung nur in einem Teil der Lamelle zustande gekommen ist, dadurch ist das reine Bild der Fal- tung schon etwas verschleiert. Es ist immerhin aber noch zu er- kennen. In der meist bukkalen Falte, welche nach oben gerichtet ist, hatte die Differenzierung noch nicht begonnen. Und ich bin der Meinung, daß der freie bukkale Rand der Falte eine Wachstumszone darstellt, durch deren Aktivität noch eine weitere nach unten ab- biegende Falte entstehen wird, so daß dann wieder die Form für eine dritte — die meist bukkale — sekundäre — Papille, auf der Grund- papille des Zahnes sich erhebend, vorgebildet wird. Denn man er- innere sich, daß — wie aus Fig. 1 ersichtlich — das Relief des Zahnes, das sind die Lamellen und deren zusammensetzende Digitellen oder Denticuli, durch die Zahnleiste oder nach Abtrennung derselben von der Zahnleiste, durch den membranösen Teil des Schmelzorgans vorgebildet wird. Die angeführten Figuren und deren Erklärungen haben somit schon über allen Zweifel ergeben, daß die Zahnanlage und Diffe- renzierung des Schmelzorgans des Elefanten in ganz anderer Weise vor sich geht, als bei den übrigen Säugern. Wir können erst später, nachdem uns noch weitere Eigentümlichkeiten bekannt geworden sind, eine Vergleichung zwischen beiden Arten von Zahnentwicklung an- stellen. Vorläufig werden wir noch mit der Betrachtung des Schmelz- organs weiter gehen, und es sei dazu zunächst auf eine weitere Be- sonderheit dieses Organs die Aufmerksamkeit gelenkt. Es ist von mir in der ersten meiner „Odontologische Studien" in einem besonderen an diesem Gebilde gewidmeten Hauptstück die Aufmerksamkeit auf eine Bildung gelenkt, welche im Schmelzorgan der Säuger vorkommt, und die ich als das Schmelzseptum bezeichnet habe 1). Später habe ich dann noch einmal die Entstehungsweise dieses Septum mehr eingehend beschrieben2). Anlaß zu dieser zweiten Veröffentlichung war die Deutung des bezüglichen, gleichzeitig mit- 1) Odontologische Studien I. Die Ontogenie der Primatenzähne. Jena 1913. Zweites Hauptstück: Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 2) Über die Entstehung des Schmelzseptums. Anat. Anz., Bd. XL. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. und unabhängig von mir durch Ähren s entdeckten und beschriebenen Gebildes, als Schmelz^/Vw?^. Ich versuchte in dieser zweiten Publi- kation meine Meinung, daß es sich hier um ein wirkliches Septum handelt und nicht um einen Strang, näher zu begründen und zu zeigen, daß der strangförmige Zustand, wenn er sich bei älteren Zahn- anlagen vortut sekundär sei. In Hinsicht auf die Bedeutung, welche ich dem Schmelzseptum schon in meiner ersten Mitteilung über das- selbe zuerkannte — als eine mit der Dimerie des Säugerzahns in Beziehung stehende Bildung — war ich äußerst gespannt darauf, ob und in welcher Weise ich das Septum auch beim Elefantenzahn an- treffen sollte. Und das um so mehr, da ich in der ersten meiner „Odontolo- gischen Studien", über die genetische und morphologische Bedeutung des Ele- fantenzahns An- sichten verfochten habe, die, wenn sie richtig sind, auch ein Betragen des Septums mit sich bringen mußte, das von jenem bei den gewöhnlichen Säu- gerzähnen gänzlich verschieden sein sollte. Freudig war ich nun überrascht, wenn ich konstatie- ren konnte, daß Vor- kommen und Be- tragen des Schmelz- septum beim Ele- fanten vollständig in Übereinstim- mung waren mit dem, was auf Grund meiner Auffassung über den morphologischen Wert dieses Zahns hin- sichtlich des Septums theoretisch zu schließen war. Indem ich die Bedeutung des Septums für die Auffassung der Morphologie des Ele- fantenzahns später näher ins Licht stellen werde, gebe ich zunächst eine Beschreibung der anatomischen Befunde. Zuvor sei daran erinnert, daß bei dem gewöhnlichen Säugerzahn das Schmelzorgan durch das Septum in zwei Hälften, eine bukkale und linguale, getrennt wird, entsprechend der Dimerie des Zahns. Das Septum ist hier somit grosso modo in eine sagittale Ebene gestellt. Beim Elefanten nun konstatierte ich die folgenden Tatsachen. Es gibt hier mehrere Septa. In jedem Tal zwischen zwei Lamellen Fig. 6. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 9 erstreckt sich ins Schmelzorgan ein Septum. Diese Septa dehnen sich von dem bukkalen zu dem lingualen Rand des Organs aus und sind daher in eine transversale Ebene gestellt. Ihre Richtung ist mithin gerade jener bei den Zähnen anderer Säuger, die eine sagittale ist, entgegengesetzt. Dieser Umstand brachte den Vorteil mit sich, daß bei Elephas leichter als bei den übrigen Säugern bewiesen werden kann, daß es sich wirklich um Septa handelt und nicht ein- fach um Stränge. Denn die Schnittrichtung der Serie war eine fron- tale. Und da die Ebene der Septa daher die nämliche als jene der Schnitte war, konnte der Charakter der ersteren als die das Schmelz- organ in seiner ganzen Breite durchsetzende Formationen, besser konstatiert werden. Davon kann man sich durch die Skizzen in Fig. 6 leicht überzeu- gen. Diese Figur stellt zwölf aufeinander fol- gende Schnitte durch das Schmelzorgan des zweiten Zahns dar. Dieser Zahn besitzt, wie später näher be- schrieben werden soll, in dem vorliegenden Stadium seiner Ent- wicklung schon fünf Lamellen, dazwischen vier tiefe Täler (vgl. Fig. 17). Die zwölf Schnitte in Fig. 6 sind nun aus der Gegend des ersten, oder meist vorderen Tales. Der Schnitt a geht noch gerade vor dem Sep- tum, in dem nächsten Schnitt wird es getrof- fen, und wenn man nun die darauffolgenden Schnitte verfolgt, dann Fig. 6. sieht man, wie es sich allmählich in bukkolingualer Richtung durch das ganze Organ ausbreitet. Wie gesagt, ich fand ein solches Septum jedesmal zwischen zwei Lamellen. Am zweiten Zahn waren, wie schon erwähnt, bereits fünf Lamellen zur Ausbildung gelangt, so daß es leicht ist, eine Vor- stellung sich zu bilden über die Lagerung der Septa in dem Schmelz- organ. In Fig. 7 habe ich versucht, solch ein Bild zu entwerfen. Es stellt diese Figur in schematisierter Weise einen Längsschnitt durch die Anlage des zweiten Molaren dar. Auf die Haupt- oder Grundpapille erheben sich, wie auf einem Sockel, fünf Lamellen. Das Ganze ist durch das Schmelzorgan gedeckt, worin man leicht die vier Septa unterscheiden kann. 10 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Beim ersten und dritten Zahn konnte ich die nämlichen Zustände konstatieren. Es genügt jedoch, wie ich meine, die Fig. 6, und ich brauche nicht von allen besondere Skizzen zu geben. Auf die Be- deutung dieser Erscheinungen komme ich später zurück. Das Studium des Emailorgans vom Elefanten hat somit einige höchst merkwürdige Tatsachen ans Licht gebracht, welche an sich schon genügen für die Überzeugung, daß in seiner Entwicklung der Elefanten- zahn eine ganz besondere Stellung einnimmt, Jedoch ist es nicht mög- lich eine vollständige und klare Vorstellung dieser Entwicklung uns zu bilden, so lange wir noch nicht die Erscheinungen am zweiten Komponenten der Anlage, die Zahnpapille, kennen gelernt haben. Ehe ich mich jedoch diesem Unterteil meiner Untersuchung zuwende, sei ein anderer Punkt bezüglich des Schmelzorgans, näher ins Auge gefaßt. Aus den Fig. 1 und 2 ist die allererste Anlage des Schmelz- organs zu ersehen. Es ist in diesem Stadium noch keine selbständige Bildung, sondern ein Teil der Zahnleiste. Bei den weiter nach vorn liegenden ersten drei Zähnen hat es sich jedoch von der Zahnleiste frei gemacht und ist ein in sich abgeschlossenes freies Organ ge- worden. In welcher Weise ist nun die Ablösung vor sich gegangen? Leider gestattete mein Ob- jekt nicht, über diesen Vorgang eine voll- ständige, auf Beob- achtung sich stüt- zende Darstellung zu bilden. Es ist hier Fig- 7. eine Lücke anwesend, da ich keine Schnitte fand, welche die Loslösung zu beobachten und zu verfolgen gestatteten. Es kamen aber einige Beziehungen zur Beobachtung, welche bei der Rekonstruktion des Vorganges wohl Hilfe zu leisten imstande sind, so daß wir uns ein ungefähres Bild davon entwerfen können. Vergebens forschte ich im vorderen Teil des Kiefers nach Rudi- menten der Zahnleiste und selbst, wenn der vordere Teil der Papille und des Schmelzorganes des ersten Zahnes schon angeschnitten waren, konnte ich noch keine Spur derselben auffinden, wie aus Fig. 9 er- sichtlich. Der in dieser Figur dargestellte Schnitt durchzieht den vordersten Teil der Anlage des ersten Zahnes. Es ist der ganze Unterkiefer sowie das Oberflächenepithel mit abgebildet, damit man einen Eindruck der Verhältnisse im ganzen Kiefer erlangt. Ich möchte nebenbei auf zwei Erscheinungen aufmerksam machen. Die erste ist die schon weit fortgeschrittene Entwicklung des Unterkiefers bei noch geringer Entfaltung der Zahnanlage. Wie wir später näher darüber ausführen werden, war es noch nicht einmal zur Ablagerung von Zahnbein auf die Papille gekommen. Das weist also auf ein immerhin noch ziemlich junges Entwicklungsstadium hin. Und dem gegenüber ist der Unterkiefer schon zu einem ziemlich mächtigen Gebilde ent- wickelt. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 11 Die zweite Besonderheit ist das Fehlen des Meckelschen Knorpels in dieser Gegend des Unterkiefers. Es beträgt sich dieser Knorpel beim Elefanten etwas merkwürdig, denn er tritt an der frontalen Serie durch den Kiefer vor die knöcherne Anlage des Dentale auf, wie aus Fig. 9 ersichtlich. Der Knorpel reicht somit in diesem Entwick- lungsstadium noch weiter nach vorn als das Dentale. Nachdem er nun über 240 Schnitte von 25 ju, also über eine Länge von 6 mm, zu verfolgen war, hörte er auf. um erst hinter der Anlage des ersten Zahnes wieder aufzutauchen. Diese Unterbrechung des Knorpelstabes hat eine Länge von ungefähr 11 mm. Ob das vordere selbständige Knorpelstück vom Meckelschen Knorpel abgetrennt ist, oder einer selbständigen Anlage entspricht, möchte ich unentschieden lassen. Es sei aber bemerkt, daß Verkalkung oder sonstige Zeichen von Dege- neration weder in dem vorderen Stück, noch im eigentlichen Knorpel- stab anwesend waren; in dem Hiat waren keine Reste von Knorpel auf- zufinden. Fig. 8. Fig. 9. Kehren wir nach diesem Exkurs zu unseren Ausgangspunkt, in welcher Weise das Schmelzorgan von der Zahnleiste sich ablöst, zurück. Wie aus Fig. 8 ersichtlich, war im vordersten Gebiet der Anlage des ersten Zahnes noch nichts von einer rudimentären Zahn- leiste zu sehen. Sie tritt erst weiter nach hinten auf, ungefähr im Niveau zwischen vorderem und mittlerem Drittel dieses Zahnes. Über ihre Lagerung bei ihrem ersten Auftreten orientiert die Fig. 10. Der bezügliche Schnitt durchquert das Foramen mentale. Es ist hier in kurzer Entfernung des Schmelzorgans die Zahnleiste als ein kurzer, ganz frei ins Bindegewebe liegender Epithelrest zu sehen. Wie aus dieser Figur und den noch folgenden ersichtlich, haben Schrumpfungen im Gebiete der Zahnanlage stattgefunden, welche aber für die Er- kenntnis der anatomischen Verhältnisse keine Beschwerde sind. Es konnte nun an keiner Stelle mehr, wie schon gesagt, eine Verbindung zwischen Zahnleiste und Schmelzorgan festgestellt werden. 12 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Die Anlage des Zahnes weiter nach hinten verfolgend, konstatiert man nun zunächst eine Verlängerung der Leiste und eine eigenartige Erscheinung am Schmelzorgan. Es fängt dasselbe nämlich an, eine große Menge Exkreszenzen zu bilden, die, vom äußeren Epithel Aus- gang nehmend, im umgebenden Bindegewebe vordringen. Über den Reichtum und Entwicklungsgrad dieser Epithelsprossen bekommt man aus Fig. 11 einen Eindruck. Wie aus dieser Figur weiter ersichtlich ist, hat die Zahnleiste bedeutend an Länge gewonnen. Die statt- gefundene Schrumpfung der Gewebe hat die sprossenartigen Exkres- zenzen zum Teil in der Schrumpfnngsspalte zwischen Schmelzorgan und umgebendem Bindegewebe gezogen. Sprossenförmige Ausläufer des Schmelzorgans kommen auch bei anderen Säugern vor und sind dort meistenteils Reste der Verbindung zwischen Schmelzorgan und Zahnleiste. Auch bei Elephas haben sie diese Bedeutung, wie aus den Fig. 12 und 13 ersichtlich. Der Schnitt in Fig. 12 geht ungefähr durch die Mitte der ersten Zahn- anlage, durch den Teil zwischen den ^V Fig. 10. Fig. 11. zwei schon zur Entwicklung gekommenen Lamellen, die Fig. 13 geht durch den vorderen Teil der hinteren Lamelle. In beiden Figuren sind vom Schmelzorgan ausgehende Epithelreste in reichlicher Ent- wicklung anwesend. Und daß es hier wirklich um Verbindungsreste mit der Zahnleiste handelt, geht aus Fig. 13 sehr deutlich hervor, denn in Wirklichkeit bilden die Epithelreste hier einen vom Schmelz- organ zur Zahnleiste verlaufenden Strom. Weiter nach hinten, also im hintersten Teil des Organs, hören die Epithelreste auf. Aus alledem geht nun mit Sicherheit hervor, daß das Schmelz- organ von der Zahnleiste abgelöst wird, aber über die Art, in der dieser Vorgang sich abspielt, unterrichten uns die Figuren nur sehr unvoll- ständig. Wir können somit nur versuchen, mit Hilfe der gegebenen Figuren diesen Vorgang in seinem ungefähren Verlauf zu rekonstruieren. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 13 Es sei zunächst noch einmal darauf hingewiesen, daß das Schmelz- organ von Elephas nicht wie jenes der übrigen Säuger als eine von der Zahnleiste gebildete Knospe entsteht, sondern daß es zuerst als ein gefalteter Abschnitt der Zahnleiste selbst auftritt; es ist ein Stück der Zahnleiste, wie aus den Fig. 1 und 2 ersichtlich. Das Schmelz- organ, das ist dieser gefaltete Bezirk der Zahnleiste, kann also nur selbständig werden, wenn Bindegewebe durch die Zahnleiste hin wuchert und dadurch jenes Stück vom übrigen Teil der Leiste trennt, Und wenn man besonders die Fig. 13 betrachtet, dann scheint dieselbe für diesen Modus wohl das Wort zu reden. Denn es geht der Strom von Epithelresten, der die Leiste mit dem Organ verbindet, vom un- teren Rande der Leiste aus. Denkt man sich diese Reste zu einer zusammenhängenden Masse wieder vereinigt, dann liegt das Schmelz- organ wieder in der Kontinuität der Zahnleiste. Es macht in der Tat diese Figur den Eindruck, als wäre ein nach oben gerichteter Teil der Zahnleiste vom umgebenden Bindegewebe durchwuchert. Fig. 12. Fig. 13. Eine nicht unwichtige Stütze findet diese Meinung durch eine weitere Erscheinung. An der Stelle nämlich, wo der Strom von Epithelresten das Schmelzorgan erreicht, ist das äußere Epithel noch nicht als eine zusammenhängende Decke entwickelt. Die Abgrenzung des Organs gegen die Umgebung ist hier noch nicht vollzogen und daß der Zusammenhang hier wirklich noch eine festere ist, geht ge- nügend daraus hervor, daß die Schrumpfung des Gewebes nicht im- stande war, die Verbindung des Organs mit seiner Umgebung hier zu lösen. Und das war auch noch in dem mehr nach vorn liegenden Schnitt, in Fig. 12, abgebildet, der Fall. Auch hier besteht noch ein gewisser Zusammenhang an der bezüglichen Stelle zwischen Schmelz- organ und umhüllendem Bindegewebe. In dem in Fig. 11 abgebildeten Schnitt, der zehn Schnitte vor jenem der Fig. 12 lag, ist der Zu- sammenhang lockerer geworden, das äußere Epithel bildet eine voll- ständige Abgrenzung; die vielen Exkreszenzen aber, welche zum Teil 14 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. infolge der Schrumpfung aus dem umgebenden Bindegewebe heraus- gezogen sind, weisen noch auf den Durchwucherungsprozeß hin. Es scheint somit die Sache ziemlich einfach. Doch ist auf Grund der in den Fig. 11, 12 und 13 wiedergegebenen Verhältnisse folgende Bemerkung zu machen. Man bekommt in den Fig. 11 und 12 nicht den Eindruck, als wären die Epithelreste Rudimente einer Verbindung zwischen dem Schmelzorgan und dem unteren Rande der Zahnleiste wie in Fig. 13. Diese Bemerkung hat gewiß Recht. Und als Er- klärung kann ich nur die Vermutung aussprechen, daß hier Verschie- bungen infolge ungleichen Wachstums diesen sekundären Zustand hervorgerufen haben. Soweit vorläufig über die Entstehung des Schmelzorgans bei Elephas. Ich komme später noch auf dasselbe zurück, nachdem wir die Anlage der Zahnpapille kennen gelernt haben. Es wird dann be- sonders noch über das Wachstum des Organs berichtet werden. Vis. 14. Ich habe nun versucht, in Fig. 14 mit Hilfe einiger Skizzen die Entstehung des Organs auf Grund von dem, was in dem Voran- gehenden beschrieben worden ist, bildlich darzustellen. In diesen Skizzen habe ich mir das hintere Ende der Zahnleiste, von der bukkalen Fläche gesehen, mit der hinteren Hälfte eines in der Anlage begriffenen Schmelzorgans gedacht. Und zum Vergleich mit dem homologen Vorgang bei den übrigen Säugern ist in Fig. 15 eine übereinstimmende Skizzenserie des nämlichen Vorgangs beim Menschen gegeben. Für das Verständnis der letzteren, besonders was die Schmelznische und die laterale Zahnleiste betrifft, muß ich auf die ausführlichen Aus- einandersetzungen verweisen, welche ich über die Entstehung und Bedeutung dieser Bildungen im ersten Teil meiner „Odontologischen Studien" gegeben habe. Ich werde mich also auf eine kurze Er- läuterung der Fig. 14 beschränken. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 15 In Fig. 14# hat Falte gelegt und eine in Fig. 14 b vollständig geworden, der Schmelzpulpa in die zuerst letztere sich nach hinten schärfer schnitt der Zahnleiste gegen den der untere Teil der Zahnleiste sich in eine zweite ist in Bildung begriffen. Letztere ist In Fig. 14<; ist die Differenzierung gebildete Falte begonnen. Indem abgrenzt, beginnt der gefaltete Ab- übrigen Teil derselben sich schärfer abzusetzen. In Fig. XAd ist durch ein Pfeilchen die Stelle bezeichnet, wo die Zahnleiste vom Bindegewebe durchwuchert wird, wodurch eine Trennung zwischen Leiste und Schmelzorgan zustande kommt. Im Organ selbst ist die Pulpadifferenzierung weiter fortgeschritten, und eine dritte Falte ist in Entstehung begriffen. In Fig. 14 e ist die Ablösung des Organs von der Zahnleiste vollständig geworden und das Organ hat angefangen selbständig nach hinten weiter zu wachsen. Indem dieser Vorgang in Fig. 14/ weiter fortgeschritten ist, das Organ nach hinten sich verlängert, ist die Pulpa- differenzierung jetzt auch in die zweitent- standene Falte vorge- drungen, während die dritte Falte noch un- vollständig ist und noch in lamellösem Zustand sich befindet. Aus den gegebe- nen Figuren geht, wie ich hoffe, deutlich und klar die Tatsache her- vor, welche schon früher auf Grund von Schnitt- bildern konstatiert wer- den konnte, daß das Schmelzorgan des Ele- fanten, nachdem es sich von der Zahnleiste eman- zipiert hat, ein noch in der Fläche sich ausbrei- tendes Organ ist und noch in zwei Richtungen wächst, erstens in die Länge, der hintere Rand ist ein Wachstumsrand, und zweitens in bukkaler Richtung, die dritte — meist bukkale Falte — ist noch nicht einmal vollständig, wenn in der ersten und zweiten die Pulpadifferenzierung schon ziem- lich weit fortgeschritten ist, Aus einer Vergleichung der Figuren ist weiter leicht ersichtlich, daß der bukkale Rand des Schmelzorgans der ursprünglich untere Rand der Zahnleiste ist. Das Auswachsen des Organs nach dieser Richtung hin ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein Breiterwerden der Zahnleiste. Wenden wir uns jetzt dem zweiten Komponenten der Zahnanlage, der Zahnpapille, zu. Von jedem der drei Zähne habe ich die Papille in Wachs rekonstruiert, was sich als notwendig erwies, um eine gute Vorstellung des Entwicklungsgrades der Zähne zu bekommen. Bei keinem der drei war es noch zur Ablagerung von Dentine gekommen. Fig. 15. 16 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Nach den Angaben Giebels besteht beim afrikanischen Ele- fanten der erste Zahn aus vier Platten, der zweite, dritte und vierte aus sieben, der fünfte aus acht oder neun, der sechste aus zehn bis zwölf. Weber (Die Säugetiere) gibt für den ersten Zahn nur drei Platten an, dagegen beschreibt Kinkelin1) in Übereinstimmung mit Giebel den Zahn als bestehend aus vier gut ausgeprägten Platten. Bekanntlich ist beim indischen Elefanten die Zahl der Platten an- sehnlicher, kann beim letzten Molaren bis 27 steigen. Die Kenntnis dieser Zahlen ist notwendig für die richtige Beurteilung der Anlagen beim Fötus. Fangen wir mit dem ersten Zahn an. In Fig. 16a ist eine Ansicht der Rekonstruktion dargestellt, wobei der Zahn von der medialen Seite gesehen ist, in Fig. 16b eine solche von der bukkalen Fläche. Vorderes und hinteres Ende des Zahnes sind durch die Buchstaben v und // angedeutet. Es sind am Zahn ein Körper und darauf sich erhebende Lamellen zu unterscheiden. Der Körper stellt die Grundpapille dar und darauf erheben sich die quergestellten Lamellenpapillen. Die in den Figuren eingetragene gestrichelte Linie gibt die Grenze der freien Oberfläche, also jene zwischen Krone und Wurzel, an. Fig. 16 a. Fig. 16 b. Es erheben sich auf der Grundpapille zwei Lamellenpapillen, zwischen welchen sich ein tiefes Tal befindet. Dieses Tal entspricht auch einer Einschnürung in der Grundpapille, welche dadurch in einen schmäleren vorderen und einen breiteren hinteren Teil geteilt wird. Die vordere Lamellenpapille ist mehr konisch, ihre Gipfel zeigt einige sekundäre Spitzen, welche die ersten Andeutungen von Digi- tellenpapillen darstellen. Die hintere Lamellenpapille ist mehr ab- geplattet und steht etwas schräg zur Längsachse der Grundpapille. Sie trägt mehr den Charakter einer künftigen transversal gestellten Lamelle und ihr oberer Rand zeigt deutlich die Anfänge von vier Digitellenpapillen. Am hinteren Drittel trägt die Grundpapille zwei stumpfe Höcker, welche wohl die erste Anlage einer dritten Lamellenpapille darstellen. Vergleicht man nun die Form dieses fötalen ersten Backenzahns mit jener eines völlig ausgewachsenen, dann wird es klar, daß zwischen 1) Über sehr junge Unterkiefer von Elephas primigenius und Elephas afri- canus. (Vortrag im Senkenberg-Gymnasium, 27. Juni 1886. Frankfurt 1886.) Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 17 beiden ansehnliche Unterschiede bestehen, welche auf den Entwicklungs- modus des Elefantenzahns ein helles Licht werfen. Wir werden hier und bei unserer weiteren Betrachtung ganz die Tatsache außer acht lassen, daß die Täler zwischen den Platten oder Lamellen noch nicht mit Zement ausgefüllt sind. Es ist in diesem Stadium noch nicht einmal zur Ablagerung von Dentine oder Schmelz gekommen, und wie aus der Struktur des fertigen Zahns hervorgeht, kann die Ausfüllung mit Zement erst stattfinden, nachdem der Schmelzbelag fertig ist. Über die Formbeziehung des fötalen zum ausgewachsenen Zahn, kann nun kaum Zweifel bestehen. Es handelt sich hier nicht um einen vollständigen Zahn mit sämtlichen Relief Verhältnissen in ver- kleinertem Maßstabe, sondern um einen unvollständigen Zahn. Es ist nur ein Teil des künftigen Zahns, und zwar die vordere Hälfte. Die ersten zwei Lamellen oder Platten sind angelegt, und als erste An- deutung der dritten Lamelle ragen auf die Grundpapille hinter der zweiten Lamelle die zwei stumpfen Höcker hervor. Für diesen hinteren Teil des Zahns wäre die Bezeichnung bunodont am besten angebracht, während der vordere Teil schon einen lophodonten Charakter besitzt. Von der vierten Lamelle ist noch nichts zu sehen. Wir haben hier daher mit einer Zahnform zu tun, die in dem Sinne unvollständig ist, daß bei schon gut ausgeprägter Differenzierung der vorderen Hafte die hintere noch nicht einmal besteht. Diese Tatsache wird beim zweiten und dritten Backzahn noch viel schärfer ausgeprägt, zutage treten, und ihre Konstatierung ermöglicht es, eine Auffassung über den Entstehungsmodus der Zahnpapille, d. h. wohl des Zahns als Ganzes, uns zu bilden. Denn wenn die dritte und vierte Platte bei schon gut ausgeprägter erster und zweiter La- melle noch nicht da ist, dann liegt die Schlußfolgerung auf der Hand, daß die Grundpapille sich während der Entwicklung nach hinten ver- längern muß. Es wächst somit die Zahnanlage nach hinten, während im vorderen, bereits bestehenden Teil der Anlage die Differenzierung vom Kronenrelief zustande kommt. Und achtet man auf die Relief- erscheinungen der meist hinteren Abschnitte der Anlage, dann be- kommt man den Eindruck: es gehe das Längenwachstum derart vor sich, daß an den schon bestehenden eine Platte — die dritte — zu- gefügt wird, und sodann die letzte oder vierte, wovon aber noch nichts zu sehen ist. Das Längenwachstum der Anlage würde somit durch sukzessive Apposition von Lamellen zustande kommen, eine Meinung, die durch die Verhältnisse bei den beiden Backenzahn- anlagen gestützt wird. Obenstehende Befunde der Anlage der Papille vom ersten Backen- zahn des Elefanten sind in Übereinstimmung mit den Erscheinungen, welche wir vorher bei dem Schmelzorgan kennen gelernt haben. Denn auch hier war es leicht nachzuweisen, daß das Organ während der Entwicklung sich in der Richtung nach rückwärts verlängert. Nach der Besprechung, auch der beiden folgenden Zähne, kommen wir in der zusammenfassenden Übersicht über unsere Ergebnisse auf diesen Punkt zurück. Gehen wir jetzt zur Betrachtung des zweiten Molaren über, der, wie früher hervorgehoben, in ausgewachsenem Zustand aus sieben Platten besteht. In Fig. 17a ist die Rekonstruktion dieses Zahns von Bolk, Zur Ontogenie des Elefantengebisses. « 18 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. der lingualen Seite gesehen im Umriß dargestellt, in Fig. 17 b ist die bukkale Ansicht skizziert (v = vor, // = hinten). Auch an dieser Anlage ist eine gemeinschaftliche Grundpapille zu unterscheiden, auf der sich fünf Lamellenpapillen erheben, durch vier ziemlich breite Täler voneinander getrennt. Die Grundpapille ist ziemlich hoch. In ihrem vorderen Teil schon ziemlich dick, wird sie in der Richtung nach rückwärts regel- Fiff. 17 a. Fig. 17 b. mäßig dünner, so daß sie mit einem scharfen hinteren Rand ab- schließt. Diese Dickenabnahme geht am besten aus einer Vergleich ung der vorderen und hinteren Ansicht des Zahnes hervor. Dieselben sind in Fig. 18 zur Darstellung gebracht. Die Fig. 18a stellt die Vorderansicht der ersten oder meist vorderen Lamelle dar, die Fig. 18 b die Hinterfläche der letzten oder hintersten Lamelle. Der Unterschied in der Dicke der Zahnanlage geht aus einer Vergleichung beider Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 19 Skizzen deutlich hervor. In Fig. 19 schließlich ist ein Durchschnitt durch den Zahn abgebildet, welcher mit der tiefsten Stelle des zweiten Tales zusammenfällt. Man sieht dabei die zweite Lamelle von der Hinterfläche und den Durchschnitt der Grundpapille. Aus letzterer Figur sowie aus Fig. 18 ist ersichtlich, daß auch der Unterrand der Grundpapille ziemlich scharf ist. Die Grundpapille fängt vorn mit einem stark hervorragenden Höcker an (vgl. Fig. 18a und 17 a), der durch eine tief einschneidende Furche von der Basis der ersten Lamelle abgesetzt ist. Diese Furche setzt sich noch eine Strecke auf die bukkale Fläche der Anlage fort (Fig. 17 b). Die morphologische Bedeutung dieses Höckers ist mir nicht klar, es kann eine rudimentäre Lamelle sein. Die Lamellen sind, wie gesagt, fünf an der Zahl, sie nehmen von vorn nach hinten mit der Grundpapille an Breite ab und ge- stalten sich dabei immer einfacher. Am kompliziertesten ist die vor- derste Lamelle gestaltet, während an der fünften noch kaum eine sekundäre Reliefbildung wahrzu- nehmen ist. Die zweite Lamelle ist die höchste, die erste und dritte sind nur um ein Geringes niedriger, die vierte und fünfte dagegen erheblich weniger hoch. Die Höhedifferenz der Lamellen ist jedoch weniger markant als die Breitedifferenz. Es hat wenig Sinn, auf die Relieferscheinungen der einzelnen Lamellen im besonderen einzu- gehen, zumal von einer, einem bestimmten Regelmaß folgenden, allmählichen Komplizierung wenig zu sehen ist. Nur auf einen Grund- zug in den Relieferscheinungen wird unten mehr im besonderen die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Im allgemeinen zeigt die vordere Fläche der Lamellen ein mehr kompliertes Relief als die Hinterfläche. Erstere ist besonders schön bei der vordersten Lamelle durch Längsfurchen ausgezeichnet, welche in der Richtung des freien Oberrandes breiter werden. Der obere Rand der Lamellen ist infolge einer Anzahl sekundärer Spitzen sehr unregelmäßig. Diese Spitzen bilden offenbar die Grundlage für die späteren Digitellen oder Denticuli. Auch in dieser Hinsicht werden nach hinten die Lamellen immer einfacher, so daß der Oberrand der hintersten Lamelle noch keine einzige sekundäre Spitze trägt. Die Papillen der Digitellen sind mithin Bildungen, welche von der La- mellenpapille auswachsen und sekundär gebildet werden. Chronologisch erscheinen sie von den, die Elefantenmolaren zusammensetzenden Ele- menten am spätesten. Diese Tatsache ist nicht ohne Bedeutung, da dieselbe nicht im Einklang steht mit der Vorstellung, die durch Rose über die Entstehungsweise des Elefantenmolaren gegeben ist. 2* Fig. 18 b. 20 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Das unregelmäßige Relief der Lamellen, wie es so stark bei der am weitesten entwickelten vordersten Lamelle zur Äußerung kommt, hatte ich nicht erwartet. Denn die Lamellen des ausgewachsenen Zahnes sind gerade bei Elephas africanus sehr regelmäßig und haben auf Querschnitt den bekannten rautenförmigen Aspekt, An keiner der Lamellen des vorliegenden Zahnes war davon noch etwas zu sehen, und es war nicht die geringste Andeutung, in welcher Weise diese regelmäßige Form der Lamellen aus dem unregelmäßigen Relief des vorliegenden Entwicklungsstadiums hervorgehen wird. Wenn die Zu- gehörigkeit zur afrikanischen Spezies nicht allem Zweifel enthoben war, würde man geneigt sein, eine Vorstufe der Lamellen der Molaren von Elephas indicus vor sich zu haben. Zwischen den Lamellen finden sich die Täler. Hier war die Zahnanlage lediglich von der Grundpapille gebildet und die Boden- fläche der Täler stellt auch die obere Fläche der Grundpapille dar. Diese Boden verdienen eine ganz besondere Aufmerksamkeit, da sie über den Grundplan der Differenzierung des Zahnes in bukko-lingualer Richtung nicht un- wichtige Anweisungen uns verleihen. Ohne Ausnahme fallen die Bodenflächen der Täler in bukko-lingualer Richtung ab, so daß die Täler in bukkaler Ansicht des Zahnes (Fig. 17 b) weniger tief erscheinen, als in der lingualen Ansicht (Fig. 17 a). Die Bodenflächen fallen in genannter Richtung, aber nicht regel- mäßig, ab, sondern von jedem Tal zeigt der Boden deutlich drei Etagen. Das geht im all- gemeinen schon aus der Fig. 17 a hervor, welche im Detail am besten durch Fig. 19 verdeutlicht wird. Der in dieser Figur abgebildete Schnitt geht durch den Boden des zweiten Tales, gibt somit einen transversalen Schnitt durch die Grundpapille wieder. Die drei Etagen sind in diesem Schnitt leicht in der Form dreier Pa- pillen, welche sich auf der Grundpapille erheben, erkennbar. Von jedem Talboden war ein der- artiger Schnitt abzubilden, nur ist der Ent- wicklungsgrad und die Höhendifferenz der Pa- pillen nicht in jedem Tal die gleiche. Diese drei Papillen, welche auf dem Talboden als einfache Er- hebungen der Grundpapille sich vortun, sind die Äußerungen eines allgemeinen Bauplans des Zahnes in bukko-lingualer Richtung. Denn wie an mehreren Stellen in Fig. 17 a und besonders auch an Fig. 19 zu ersehen ist, sind die Furchen zwischen diesen Papillen auf den hinteren Flächen der Lamellen zu verfolgen. Doch ist der Zustand nicht so, daß nun auch jede Lamelle durch diese Furchen regelmäßig in drei Felder getrennt wird — der in Fig. 19 abgebildete Zustand war noch der meist regelmäßige — und daß jedem Feld eine Spitze der Lamelle entspricht. Es scheint mir für die morphologische Deutung der Molaren von nicht geringer Bedeutung, daß die Grundpapille in den Räumen Fig. 19. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 21 zwischen den Lamellen regelmäßig diese Dreizahl der Papillen zeigt. Denn das deutet auf eine Relieferscheinung im Grundplan des Zahnes hin, welche bei der starken Entfaltung der Lamellen oder Platten an diesen mehr oder weniger verwischt wird. Wenn wir jetzt noch einmal die Zahnanlage als Ganzes näher betrachten und mit der Form des ausgewachsenen Zahnes vergleichen, dann können wir auch hier zunächst die nämliche Tatsache feststellen wie bei dem ersten Zahn, daß diese Anlage in ihrer Ausbildung nicht dem fertigen Zahn in verkleinertem Maßstabe entspricht, sondern nur einem Teil desselben. Die Anlage ist noch nicht fertig, es fehlt noch ein hinterer Teil. Denn wie früher schon erwähnt, besitzt der aus- gewachsene zweite Molar von Elephas africanus sieben Platten oder Lamellen, während unser Objekt davon erst fünf aufwies. Es fehlen daher noch zwei Lamellen, und zwar die beiden letzten. Es ist von denselben noch keine Spur anwesend, der Hinterrand der fünften Lamelle setzt sich ganz allmählich in dem hinteren Rande der Grund- papille fort. Wir kommen somit auch hier zum Schluß, daß der Elefantenmolar nicht in seiner ganzen Länge sofort zur Anlage ge- Fig. 20a. Fig. 20 b. langt, sondern daß die Anlage sukzessive nach hinten auswächst; der vordere Teil differenziert sich zuerst, und allmählich verlängert sich der Zahnkeim. Man muß sich dabei denken, daß die Grundpapille auswächst und daß sukzessive auf derselben die Platten sich erheben. Ontogenetisch ist daher der ganze Zahn nicht gleich alt, der vordere Teil mit der vordersten Platte ist der älteste. Auch dieser Elefanten- molar wächst daher durch Apposition, der Hinterrand der Grundpapille stellt die Wachstumszone dar. Dieser Befund an der Zahnpapille steht in völliger Übereinstimmung mit dem, was wir bei den Schmelz- organen haben kennen gelernt. Das sukzessive Wachstum der Zahnpapille kommt nicht nur in dem Fehlen der beiden hintersten Lamellen zum Ausdruck, sondern auch in der ungleichen Breitenentwicklung und Differenzierung des Zahnkeimes. Während der vordere Teil der Grundpapille und die erste Lamelle schon ziemlich breit sind, ist der Hinterrand der Grund- papille sehr scharf und die hinterste Lamelle noch kaum plattenförmig. Der Zahnkeim des folgenden — dritten — Molaren ist noch sehr wenig entwickelt. In Fig. 20a ist das rekonstruierte Modell abgebildet von der lingualen Fläche gesehen, in Fig. 20 b von der bukkalen Seite. 22 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Auch an diesem Zahnkeim ist eine Grundpapille zu unter- scheiden, auf welcher sich die Lamellen erheben. Letztere sind in Dreizahl anwesend. Die Grundpapille ist relativ hoch, hat einen etwas stumpfen Vorderrand, und schließt hinten mit einem scharfen Rand ab. Sie ist sehr stark in bukko-lingualer Richtung abgeplattet, der vordere Teil ist aber schon merkbar dicker als der hintere. Auf dieser Grundpapille erheben sich, wie gesagt, drei Lamellen, die aber noch sehr niedrig sind und durch untiefe Täler voneinander getrennt werden. Die zweite und dritte Lamelle sind erst in der Form von einfachen konischen Erhebungen da. welche noch wenig scharf gegen die Grundplatte abgegrenzt sind; die erste Platte dagegen ist wirklich schon lamellös und wird an der lateralen Seite durch eine noch untiefe Furche schon ziemlich deutlich gegen die Grundplatte abgegrenzt, Die Ebene dieser Platte steht so schräg zur Längsachse der Grundpapille, daß sie fast sagittal gerichtet ist, eine Erscheinung, die später noch besonders gewürdigt werden soll. Die allgemeinen Bemerkungen, welche sich anläßlich dieser Zahn- anlage machen lassen, sind wohl völlig übereinstimmend mit jenen, zu welchen die beiden vorangehenden Zähne Anlaß gaben. Die Richtigkeit der dort gegebenen Vorstellung über die Entwicklung der Zahnanlage wird durch diese letzte Zahnanlage in erfreulicher Weise bewiesen. Auch dieser Zahnkeim stellt nur den vorderen Teil des künftigen ausgewachsenen Zahnes dar. Von den sieben Platten, welche diesen Zahn einmal aufbauen werden, sind erst die vordersten drei zur An- lage gelangt. Es fehlt daher die Anlage von noch vier Lamellen (beim ersten Zahne eine, beim zweiten Zahne zwei). Die weiteren Be- merkungen, wozu diese Zahnanlage Anlaß gibt, würden nur Wieder- holungen der beim ersten und zweiten gemachten sein. Ich be- schränke mich daher auf diese kurze Beschreibung. Die beschriebenen Tatsachen ermöglichen es, eine Darstellung zu geben von der Morphogenese der Elefantenmolaren, und auf Grund dieser Genese können wir uns eine Auffassung bilden über den mor- phologischen Wert dieser Zähne und ihre Bedeutung für die odonto- logischen Theorien. Fangen wir dazu an mit der Morphogenese des Zahnes. Über diesen Gegenstand hat sich Rose am ausführlichsten ge- äußert und wir werden uns zunächst mit der Darstellung dieses Autors zu beschäftigen haben und prüfen, ob seine Ansichten mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen sind. Für die Wertschätzung der Rose sehen Darlegungen muß darauf hingewiesen wrerden, daß dieser Autor seine Meinung auf Befunde gründet an Zähnen jugendlicher Individuen gewonnen, also an den Hartgebilden. Im großen und ganzen stimmen diese Befunde mit jenen überein, welche schon im Jahre 1799 durch Corse in sehr ausführlicher Weise mitgeteilt sind *). Die von mir gemachten Be- funde dagegen haben bezug auf die Zahnkeime, noch bevor es zur Ablagerung von Schmelz oder Dentine gekommen ist, Diese Differenz 1) J. Corse, Observations on the different Species of Asiatic Elephants and tbeir Mode of Dentition. Pbilos Transact. of tbe Royal Soc. 1799. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 23 in dem Charakter des untersuchten Materials ist die vornehmste Ur- sache der Meinungsverschiedenheiten zwischen Rose und mir über die Morphogenese des Elefantenmolaren. Fangen wir mit einer kurzen Zusammenfassung der Ansichten Roses an. Der Autor nimmt in dem diesbezüglichen Aufsatz zuerst Stellung zu der Frage, ob der so kompliziert gebaute Mahlzahn des Elefanten einem einzigen Reptilienzahn entspricht oder ob er durch Verwachsung mehrerer Elemente entstanden gedacht werden muß. Er bekennt sich zur letztgenannten Deutung. Nicht in dem Sinne, daß der Elefantenmolar aus einer Verschmelzung mehrerer Molare von weniger komplizierter Form entstanden sein sollte, wie es von mehreren Autoren behauptet war, sondern die an der Verwachsung beteiligten Elemente waren von dem morphologischen Wert einfacher kegel- förmiger Reptilienzähne. Jede Lamelle des indischen Elefanten (welche speziell der Untersuchung Roses zugrunde liegt) besteht im Ober- kiefer aus 5 — 6, im Unterkiefer aus 4—6 fingerförmigen Einzel- zähnen1). Diesen Digitationen, Digitellen oder Denticuli entsprechen nun nach Rose einzelne kegelförmige Zähne oder Krokodilzähne, die bald früher, bald später miteinander verschmelzen und eine Platte oder Lamelle bilden. Diese Lamellen oder Querjoche wachsen eine Zeitlang selbständig fort und beginnen dann in ihrem Wurzelende miteinander zu verwachsen. Auf der Spitze der einzelnen Lamellen beginnt, von vorn nach hinten und von oben nach unten fortschreitend, sich Zement aufzulagern. Dieses Gewebe füllt zuletzt alle Hohlräume zwischen den einzelnen Komponenten der Elefantenmolaren aus und lagert sich auch auf den Wurzeln ab. Zusammenfassend sagt schließ- lich der Autor (1. c. S. 187): „Wir sehen also, daß der Mahlzahn eines Elefanten ein doppelt zusammengesetztes Gebilde ist, indem zunächst mehrere Einzelzähne zu einer Zahnplatte und mehrere dieser Zahnplatten zu einem komplizierten Mahlzahn verwachsen." Nachdem Rose dann noch die Behauptung Rollestons zitiert hat, daß das Schmelzorgan eines Elefantenmolaren sich flächenartig im Kiefer- mesoderm ausbreitet und eine größere Anzahl von nebeneinander- liegenden Papillen umwächst, und daß für jede Lamelle eine Papille angelegt wird, präzisiert er seine eigene abweichende Meinung folgender- weise noch näher: „Es ist jedoch nach den bisherigen Ergebnissen der Entwicklungsgeschichte zweifellos, daß jeder Digitelle einer be- sonderen Papille entspricht; die erste Anlage eines Elefantenmolaren würde demnach eine gewisse Ähnlichkeit haben mit der Anlage der Zahnplatten von Siren, Plethodon usw." Aus dieser Zusammenfassung geht die Ansicht Roses über die Entstehung der Elefantenmolaren deutlich hervor. Der Autor denkt sich diese Entstehung folgender weise: Es werden Digitellenpapillen angelegt, diese verschmelzen zu den Plattenpapillen und diese wachsen an ihre Wurzelendem zusammen. Fragen wir nun, ob diese Darsellung von Rose mit den Ergeb- nissen meiner Untersuchung in Übereinstimmung zu bringen ist, dann 1) Diese Elemente des Elefantenmolaren sind zum ersten Male beschrieben von Patrick Blair in seiner 1713 erschienenen: „Osteographia Elephantina". Er nannte sie „Digitationes". 24 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. muß die Antwort ohne Vorbehalt verneinend lauten. Rose hat seine Untersuchung an wachsenden Zähnen jugendlicher Individuen angestellt, und in der Tat sind an einem skelettierten Schädel entnommenen Zähnen am Hinterrande noch freie Digitellen, und vor diesen noch nicht verwachsene Lamellen aufzufinden; aber diese Befunde können doch nur Ausschlag geben über die Weise, in der die Ablagerung von Hartgebilden und das Zusammenwachsen derselben vor sich geht. Auf- klärung über die Individualität der den Zahn zusammensetzenden Elemente ist nur durch das Studium von Schmelzorgan und mesen- chymatösen Zahnkeimen zu erhalten. In dieser Hinsicht nehme ich ganz deselben Standpunkt ein wie Leche, wenn er sagt1): Eine Hypo- these, welche den Bildungsmodus der harten Zahnsubstanzen zu- gunsten einer Entstehung der Säugetierzähne aus einer Verwachsung von kegelförmigen Reptilienzähnen zu verwerten sich bemüht, begeht einen Mißgriff. In der Darstellung Roses ist die Reihenfolge in der suk- zessiven Entstehung die folgende: Digitellen, Platten, Zahn, und der Autor denkt sich hierbei den Vorgang als eine reelle Konkreszenz. Meine Wahrnehmungen geben nun einen gerade entgegengesetzten Weg an; auf einer nach hinten sich allmählich verlängernden Grundpapille wachsen zuerst die Lamellen aus, und erst an dritter Stelle kommt es an letzteren zur Differenzierung von Digitellenpapillen. Von einer Ver- wachsung der mesenchymatösen Grundsubstanz des Zahnes ist daher gar keine Rede, nur bei den Hartgebilden kommt es zu einer wirk- lichen Konkreszenz. Übrigens ist. wie schon hervorgehoben wurde, Rose nicht der erste Autor, der hierauf hingewiesen hat. So sagte schon Corse (1. c. S. 214): „These strata (Lamellen) when first formed have no firm attachment to each other, but always appear separate and distinct when contained on their bony sockets within the jaw, after their membranes and soft parts. are destroyed." Eine solche sekundäre Verwachsung der harten Zahnsubstanzen ist für die Ele- fantenmolaren weiter nichts Typisches. Dieser Vorgang ist uns von allen bisher daraufhin untersuchten mehrhöckerigen Säugerzähnen, ja sogar auch von den menschlichen Incisiven bekannt. Die Darstellung, welche Rose von dem Werdengang des Ele- fantenmolaren gibt, muß daher als fehlerhaft zurückgewiesen werden, behält aber natürlich ihren Wert als ein an diesem Entwicklungsgang verknüpftes Phänomen. Wie schon vorher einmal erinnert wurde, ist auch von mir in früher erschienenen Publikationen eine Hypothese über die Bedeutung und den morphologischen Wert der Elefantenmolaren aufgestellt worden, und wir werden jetzt untersuchen, ob die entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen, welche oben mitgeteilt sind, mit dem Inhalt jener Hypo- these im Einklang stehen oder derselben widersprechen. Ich muß dazu notwendig mit einer kurzen Zusammenfassung meiner Ansichten über den Elefantenmolar, sowie der allgemeinen odontologischen Grund- gedanken anfangen, worauf diese Ansichten sich stützen. Besonders in meinen beiden vorhergehenden „Odontologische Studien" habe ich meine Ansichten über die großen odontologischen 1) Zur Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere. I. Teil: Ontogenie, S. 154. (Stuttgart 1895.) Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 25 Probleme begründet und ausgearbeitet, In einem weiteren besonderen Aufsatz ') habe ich dann meine theoretischen Ansichten noch einmal kurz in der Hauptlinie mitgeteilt, eine der behaupteten Beziehungen zwischen dem Gebiß niederer und höherer Vertebraten entsprechende Nomenklatur aufgestellt und versucht, das Zahnsystem der Beutler als Bindeglied zwischen jenen von Reptilien und Plazentaliern kennen zu lernen und die morphologische Bedeutung des Beutlergebisses ins Licht gestellt. Um die Struktur des Elefantenmolaren im Verband mit den von mir aufgestellten Theorien begreifen zu können, brauchen wir von denselben nur zwei Punkte hervorzuheben, und zwar die morpho- logische Bedeutung des gewöhnlichen Säugerzahnes und die genetische Beziehung dieser Zahnform zu dem Zahnwechselvorgang der Reptilien. Denn es sei hier sofort schon darauf hingewiesen, daß der Wechsel- vorgang der Reptilien in keiner Beziehung zu jenen der plazentalen Säuger steht, denn das sind zwei grundverschiedene Erscheinungen. Der Zahnwechselvorgang der Reptilien steht in genetischer Beziehung zu der Zahnform der Säuger. Und wir werden sehen, daß die Struktur der Elefantenmolaren eine willkommene Stütze für diese Behauptung bringt. Fangen wir mit der Betrachtung der allgemeinen Form des Säugerzahnes an. Das Endresultat meiner Untersuchung über die Grundform des Säugerzahnes läßt sich kurzhin in folgendem Satz zum Ausdruck bringen: Der Säugerzahn ist entstanden aus einer Ver- wachsung in bukko-lingualer Richtung zweier trikonodonten Reptilien- zähne. An jedem Zahn sind zwei Glieder zu unterscheiden, ein äußeres Glied, welches ich Protomer benannte und ein inneres als Deuteromer bezeichnetes. Auf Grund dieser prinzipiellen Deutung des Säugerzahnes legte ich meiner Theorie den Namen Dimertheorie bei. In dieser Hinsicht stelle ich mich daher auf die Seite der Anhänger der Kon- krescenzhypothese. Welche Bedeutung ich dann dem Begriff Kon- krescenz zuerkannte, habe ich ausführlich in meinem oben zitierten Aufsatz in der Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie aus- einandergesetzt. Werfen wir zum richtigen Verständnis dieser Dimerie des Säuger- zahnes einen kurzen Blick auf die Vorgänge im Reptiliengebiß. Bei dieser Tiergruppe werden die Zähne in zwei Reihen an- gelegt, das Gebiß ist „distichisch". Diese beiden Odontostichi sind als eine äußere oder Exostichos und eine innere oder Endostichos zu unterscheiden. Der Exostichos der Reptilien entspricht dem Milch- gebiß der Säuger, der Endostichos dem permanenten Gebiß. Es ist deutlich, daß für das Verständnis der Zahnformen von dieser Er- scheinung im Reptiliengebiß weiter Abstand genommen werden kann, es ist eine Erscheinung, welche mit einem anderen Gebißproblem — dem Zahnwechsel der Säuger — in Verband stellt. Wie ich nun in meinem oben zitierten Aufsatz näher auseinander- gesetzt habe, entsteht der Reptilienzahn aus einer von der Zahnleiste gebildeten Matrix, und von dieser Matrix werden in wechselnden Zeiträumen immer neue Zähne gebildet, jeder jüngere Zahn verdrängt den vorangehenden. Der Verdrängte und der Jüngere sind mithin 1) Die Beziehung zwischen Reptilien-, Beutler- und Plazentaliergebiß. Zeitschr. f. Morph, u. Anthrop., Bd. XX. 26 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. einander als zwei Generationen, von der nämlichen Bildnennasse ge- formt, verwandt. Alle Zähne, welche ans einer Matrix im Laufe des Lebens des Reptils entstehen, sind zusammen als eine „Zahnfamilie" aufzufassen, jeder folgende Zahn stellt ein jüngeres Glied der Familie dar. Niemals funktionieren zwei Glieder einer Familie gleichzeitig. Der Zahnwechsel trägt daher bei den Reptilien den Charakter einer Verdrängung eines älteren Gliedes der Familie durch ein jüngeres. Daher unterschied ich diese Art der Dentition als „merobolisch", im Gegensatz zu jener der plazentalen Säuger, bei denen der Zahnwechsel darin besteht, daß die exostichale Reihe der Zähne durch die endo- stichale ersetzt wird. Die Dentition trägt hier mithin den Charakter eines Reihen wechseis, daher ich dieselbe als „stichobolisch" unter- schied. Bei den Reptilien ist die Produktion von Zähnen durch eine Matrix zeitlich und räumlich gesondert, die Produkte haben einfache konische oder dreispitzige Gestalt, jedes Produkt hat eine Selbständig- keit und wird bald früher, bald später von einer folgenden Generation ersetzt. Die Produktivität der Matrix ist praktisch unbegrenzt, in Wirklichkeit bei den verschiedenen Genera sehr verschieden intensiv. Ich denke mir nun die Beziehung zwischen Säuger- und Reptilienzahn derart, daß bei den ersteren das Produktionsvermögen einer Zahn- matrix auf zwei Generationen verringert ist, eine ältere und eine jüngere, und daß diese beiden Produkte nicht räumlich gesondert sind, sondern im Zusammenhang miteinander entstehen. So ist mithin der Säugerzahn einer sehr gliederarmen Zahnfamilie der Reptilien gleich- zusetzen, das äußere Glied — das Protomer — entspricht der älteren, das innere Glied — das Deuteromer — der jüngeren Generation. Daher die Charakterisierung des Säugerzahnes als „dimer". Von einer wirklichen Konkreszenz, von einer Vereinigung ursprünglich getrennter Individuen ist daher keine Rede, die beiden Elemente werden von Anfang an miteinander in Zusammenhang angelegt. Aus Gründen, auf welche ich hier nicht näher einzugehen brauche, habe ich in meinen früheren Aufsätzen immer die Meinung ausge- sprochen, daß die beiden Elemente, welche in dem Säugerzahn auf- gegangen sind, dreispitzig waren, mit einer Hauptspitze und zwei Nebenspitzen ausgestattet. Der typische Säugerzahn in unkomplizierter zugleich aber vollständiger Form entwickelt, muß daher ein sechs- höckeriger sein. Entwickelt sich das Deuteromer wenig oder nicht, dann entstehen die sogenannten monokuspidaten Säugerzähne (Incisivi, Canini), welche aber wesentlich als trikonodont zu betrachten sind, in den meisten Fällen auch dieses Merkmal noch zur Schau tragen. Sie können jedoch auch wirklich monokuspidat werden durch Wegfall beider Nebenspitzen, ein immerhin ziemlich seltenes Ereignis. Kann somit einerseits das Deuteromer - - das Bildungsprodukt der zweiten Generation — in seiner Entwicklung rudimentär bleiben, ja sogar scheinbar vollständig fehlen, so daß nur die erste Generation zur Entwicklung gelangt, dann kann auch andererseits eine dritte Gene- ration bei dem Säugerzahn spurweise auftreten. Das bekannte Cara- b eil i sehe Höckerchen, das besonders bei den Oberkiefermolaren der Primaten ziemlich stark sich entwickeln kann, betrachte ich als die Manifestation einer dritten Generation. Davon habe ich in einem Zur Ontogenie des Elefantengebisseß. 27 besonderen Kapitel meiner „Odontologischen Studie II" (S. 85) und später noch einmal in einem besonderen Aufsatz gehandelt1). Die obenstehenden einleitenden Bemerkungen genügen nun, wie ich meine, um meine Auffassung über die morphologische Bedeutung der Elefantenmoiaren begreifen zu können. Ich kann dabei Ausgang nehmen von der soeben erhobenen Behauptung, daß das Carabellische Höckerchen einer Manifestation der dritten Zahngeneration der Reptilien entspricht, Daraus ersehen wir, daß die Aktivität der Zahnmatrix, die bei der Entstehung der Säuger aus ihren reptilienähnlichen Vor- fahren auf zwei Generationen beschränkt worden ist, ihre einst unter- drückte Potenz zur Entstehung einer dritten Generation reaktivieren kann. Die Tatsache hat mich schon bei der Bearbeitung meiner Odontologischen Studie I veranlaßt, die Frage zu stellen, ob diese Reaktivierung auch noch nicht einmal in bedeutenderem Maße sich äußern kann, so daß ein Zahn entstellt, der morphologisch nicht drei, sondern einer größeren Zahl von Generationen einer Zahnfamilie der Reptilien entspricht. Die Antwort auf diese Frage findet sich auf S. 119 meiner Odontologischen Studie I, und ich werde mir erlauben, etwas daraus hier zu zitieren, da an jener Stelle schon meine Auf- fassung über die morphologische Bedeutung der Molaren des Elefanten in knapper Form zum Ausdruck gebracht ist. Nach diesen Zitaten werden wir dann untersuchen, ob sich deren Inhalt mit den früher mitgeteilten Beobachtungen über die Entstehung der Elefantenmolaren deckt. Zur angeführten Stelle heißt es wie folgt: „Die Entstehung der Gestalt der Elefantenmolaren ist in der Literatur schon öfters disku- tiert worden. Aufs eingehendste ist dies von Rose geschehen, der die Molaren der Proboscidier als stark sprechenden Beweis der Ent- stehung von zusammengesetzten Zähnen durch Konkreszenz angeführt hat. Es ist sehr merkwürdig, daß die Plauptverteidiger der zwei Zahntheorien: Rose als Anhänger der Verwachsungstheorie und Os- born als jener der Differenzierungstheorie, wenn sie auf die Molaren des Elefanten zu sprechen kommen, auf Übereinstimmendes dieser Zähne mit jenen der Multituberkulaten hinweisen. So sagt Rose: Der fertige Molar ist, wenn wir von der ganz sekundären Zementablagerung absehen, ungefähr homolog einem Multituberkulatenzahn. Und Os- born sagt2) (1. c. S. 188): „The plates of teeths of Elephas owe their origine to upgrowths of the posterior basal cingulum", nach- dem er auf S. 115 die Entstehung von Multituberkulatenzähnen eben- falls durch Bildung von neuen Höckern aus dem Cingulum erklärt, um dann fortzufahren: „This law of successive cuspaddition from the posterior basal cingulum (on Multituberculates) is entiely analogous to that which occurs on complicated molares of Proboscides". Auch ich bin der Meinung, daß die Genese beider Zähne in übereinstim- mender Weise verlaufen muß, nur mit dem Unterschied, daß die Entstehungsweise bei den Multituberkulaten ein primitiver Zustand gewesen sein muß, welcher sich sofort an jenen der Reptilien anschloß. beim Elefanten dagegen ein sekundär erworbener, gleichsam ein neues 1) Das Carabellische Höckerchen. Schweiz. Vierteljahrschr. f. Zahn- heilkundo 1915, Bd. XXV. 2) Evolution of Mammalian Molar Teeth. New York 1907. 28 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Aufblühen einer Eigenschaft, welche seit einer ganzen Periode der Erdgeschichte in latentem Zustand geblieben war. Es sei, um diesen Verband zwischen beiden Formen klar zu legen, daran erinnert, daß ich den Multituberkulatenzahn als ein polymeres Gebilde auffasse, entstanden durch sukzessive Verschmelzung einer größeren Anzahl von Zahngenerationen, im Gegensatz zum dimeren Zahn der Pauci- tuberkulaten, worin nur zwei Generationen enthalten sind. Bei letzteren geht der Zahnleistenrand, wenn die zwei Generationen zur Anlage gelangt sind, in Latenz über, bildet noch als schwache Äußerung seiner unterdrückten Potenz das Cingulum. Bei den Multituberkulaten dagegen gelangen mehrere Generationen zur Anlage, aber da für ein daraus resultierendes Gebilde im Kieferrand kein Platz war, wenn es seine ursprünglich bukko-linguale Stellung behielt (denn an der lingualen Seite kam der Zuwachs der neuen Generationen zustande), drehte es sich um 90 ° mit dem ursprünglich lingualen Rand nach hinten und stellte sich so mit seiner Längsachse dem Kiefer- rand parallel. Es ist nun meine Meinung, daß bei den Proboscidiern der gleiche Zustand von neuem erworben worden ist durch eine schwerlich ausfindig zu machende Ursache. Der Zahnleistenrand, der bei den ältesten Formen dieser Gruppe ebenfalls nur zwei Zahn- generationen entstehen ließ — welche auch je wohl einem dreihöcke- rigen Einzelzahn entsprechen — die zu einem paucituberkulaten Zahn zusammengefügt waren, bekommt wieder die Fähigkeit, welche er bei den reptilienartigen Vorfahren besaß, um eine größere Zahl von Ge- nerationen entstehen zu lassen. Die latente Eigenschaft wird reakti- viert. Der primitiven topographischen Lagerung nach sollen die Zahn- generationen in bukko-lingualer Pachtung angeordnet sein, aber wie ehemals bei den Multituberkulaten, paßt sich auch bei Elephas das Gebilde der Gestalt des tragenden Kiefergerüstes an, und es findet eine Drehung statt, wobei die Proliferationsseite hinten zu liegen kommt. Der vordere Rand des Elefantenmolaren ist dann auch dem protomeren der übrigen Säuger gleich zu setzen. Ich homologisiere somit den Elefantenmolar mit einer ganzen Zahnfamilie der Reptilien, jede Lamelle stellt eine Generation, ein Glied dieser Familie dar." Diese Zitate genügen zur Kenntnis der Ansichten welche ich über den Werdegang und die morphologische Bedeutung der Elefanten- molaren hege. Und wir können jetzt untersuchen, ob diese Auf- fassungen in den früher geschilderten ontogenetischen Vorgängen eine Stütze finden. Da können wir uns sofort die Frage stellen: Wird die Richtigkeit dieser Hypothese durch die Ergebnisse der angestellten Untersuchung über allen Zweifel erhoben? Ohne Vorbehalt muß die Antwort auf diese Frage lauten: Nein. Stellen wir aber weiter die zweite, mehr reservierte Frage: Sprechen jene Ergebnisse zugunsten dieser Hypothese, dann muß die Antwort, ebenso ohne Vorbehalt, eine zustimmende sein. Ein unumstößlicher Beweis der Richtigkeit war aber auch nicht zu erwarten, da ein solcher nur gegeben werden kann, wenn die Ent- wicklung des Elefantenmolaren in ihrem Verlauf vollständig identisch mit der Entwicklung einer Zahnfamilie der Reptilien war. Daß solches der Fall sein sollte, war schon von vornherein zu bezweifeln, da die Entstehung der Zahnfamilie bei den Reptilien ein während des ganzen Lebens vom Individuum stattfindender Vorgang ist, die einzelnen Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 29 Glieder somit in ihrem Auftreten zeitlich und daher auch räumlich voneinander gesondert sind, beim Elefanten dagegen muß die Werde- geschichte sich in einer ziemlich kurzen Frist abspielen. Der lang- dauernde Vorgang bei den Reptilien ist bei den Elefanten auf einen sehr beschränkten Zeitraum zusammengedrängt. Und das muß natür- lich in den Einzelheiten Unterschiede mit sich bringen. Fragt man nun dagegen, ob in ihren allgemeinen Zügen der morphogenetische Vorgang des Elefantenmolaren mit der Entstehung einer Zahnfamilie der Reptilien gemeinschaftliche Charaktere besitzt, dann sind derer gewiß mehrere zu verzeichnen. Bevor ich dieselben aber ins Licht stelle, muß ich auf einen bestimmten Punkt in der oben gegebenen Darstellung etwas näher eingehen, und zwar auf die behauptete Drehung der genetischen Längsachse des Elefantenmolaren. Unter genetischer Längsachse des Zahnes verstehe ich jene Linie, welche die elementaren Komponenten des Zahnes miteinander verbindet, also die Linie, welche bei dem einfachen Säugerzahn vom Haupt- höcker des Protomer zum deuteromeren Haupthöcker gezogen gedacht werden kann. Diese Achse verbindet die mit zwei Generationen einer Zahnfamilie der Reptilien homologen Teile des Zahnes. Diese gene- tische Längsachse nun ist beim Elefanten dem Kieferrand parallel gestellt; die Zahnplatten, welche in meinem Sinne Glieder der Zahn- familie repräsentieren, sind hintereinander gestellt, während bei den ge- wöhnlichen Säugerzähnen diese genetische Längsachse in bukko-lingualer Richtung verläuft; die beiden Glieder sind als ein Außen- und Innen- glied zu unterscheiden. Daher meine Behauptung, daß der Elefanten- molar jenem der übrigen Säuger gegenüber um 90° gedreht sein muß. In dieser Behauptung liegt scheinbar eine Schwierigkeit, denn es muß diese Drehung während der jüngsten Phase der Stammes- entwicklung stattgefunden haben. Und wenn man nun die Vorfahren- reihe der heutigen Elefanten auf ein solches Geschehen untersucht, dann ist nichts von einer solchen Drehung der genetischen Längs- achse des Zahnes zu konstatieren. Ich gestatte, daß wir hier vor einem schwierigen Punkt in meiner Hypothese stehen. Dennoch glaube ich, daß das Fehlen des Nachweises einer solchen reellen Drehung meine Hypothesen nicht hinfällig macht. Wie muß man sich eine solche Drehung vorstellen? Zwei Vorstellungsweisen machen sich hier geltend: eine reelle Drehung im Laufe der Zeit des fertigen ausgewachsenen Zahnes und eine Umänderung der Wachstumsrichtung in der embryonalen Anlage. Die erste Vorstellungsweise ist sofort als unmöglich von der Hand zu weisen. Eine reelle, mechanische Drehung der Längsachse des fertigen Zahnes ist aus dem Grunde schon undenkbar, daß ein solcher Vorgang in funktioneller Hinsicht unmöglich war. Denn dann müssen Übergangsformen gedacht werden, bei denen die Zähne noch unvollständig gedreht, schräg im Kiefer implantiert gewesen waren. Und eine solche Stellung ist mit einer guten Funktion des Gebisses unvereinbar. Bleibt somit nur die zweite Vorstellungsweise: es handelte sich um eine Abänderung der Wachstums- richtung der embryonalen Anlage. Und die Möglichkeit dieses Vor- ganges will ich im allgemeinen an einem anderen, sehr ansprechendem Beispiel sofort erläutern. Ich erinnere dazu an die Richtung der zu gewaltigen Hauern entwickelten Eckzähne von Sus babyrusa. Daß bei den Vorfahren 30 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. dieses Schweines die Eckzähne des Oberkiefers eine normale, nach unten gerichtete Stellung im Kiefer einnahmen, darf wohl als außer Zweifel gelten. Bei Sus babyrusa dagegen sind die Hauer des Ober- kiefers emporgerichtet, durchwachsen die Weichteile und sind daher im Vergleich zu jenen der Vorfahren um 180° gedreht. Wie ist diese Drehung zustande gekommen? Auch hier ist jede Idee einer reellen mechanischen Drehung der Zähne, allmählich im Laufe der Zeit sich vollziehend, sofort von der Hand zu weisen. Auch hier ist nur an einer Abänderung in der Lagerung und mithin der Wachstums- richtung der Zahnanlage zu deuten. Besonderheiten dieses Vorganges sind theoretisch nicht unschwer zu konstruieren, wenn man darauf achtet, daß die oberen Hauer bei Sus babyrusa eigentlich nicht im Oberkiefer direkt implantiert sind, sondern neben diesem Knochen in einem besonderen Sockel, der mit der Seitenwand des Maxillare ver- wachsen ist. Ich gehe nicht auf diesen Punkt ein. Zweck dieser eingeschalteten Bemerkung war nur die Möglichkeit von Rotation der Zähne im allgemeinen an einem sehr ansprechenden Beispiel zu er- läutern, um darzutun, daß man sich solche Vorgänge als im embryo- logischen Entwicklungsstadium sich abspielend deuten muß. Kehren wir jetzt zum Elefantenmolaren zurück. Auch hier muß man sich den Prozeß deuten nicht als eine allmähliche Drehung ausgewachsener Formen, sondern als eine Ab- änderung der Wachstumsrichtung. Wie muß man sich diese Abänderung in ihr tatsächliches Ge- schehen vorstellen? Man konnte geneigt sein, zur Erklärung des- selben sich auf ein topographisches Verhältnis zu berufen, das bei den Reptilien zu beobachten ist. Wenn man ein Reptil mit regem Zahnwechsel, bei dem also gleichzeitig außer dem funktionierenden Zahn eine größere Zahl von Wechselzähnen, welche mit ersterem die Zahnfamilie bildet, vorhanden sind, in ihrer gegenseitigen Lagerung untersucht, dann konstatiert man leicht, daß die genetische Längs- achse einer solchen Zahnfamilie nicht senkrecht zur Längsachse des Kiefers gestellt ist, sondern mit derselben einen nach hinten offenen, mehr oder weniger scharfen Winkel bildet. Nur die vordersten Zahn- familien, deren Längsachse rein sagittal verläuft, sind senkrecht zum Kiefer orientiert. Es folgen die Glieder einer Zahnfamilie mithin in einer Linie, die von der reinen bukko-lingualen Richtung abweicht und Neigung hat, sich in eine mehr sagittale Richtung zu stellen. Wenn nun, wie ich meine, beim Elefanten die Zahnfamilie, nicht auf zwei Glieder sich beschränkend, wieder gliederreich wird, dann konnte auch dieses primitive Merkmal der genetischen Längsachse wieder in Erscheinung treten und die Platten — das sind die Glieder der Zahn- familie — wieder mehr oder weniger hintereinander geordnet auf- treten. Diesem Erklärungsversuch werde ich aber keinen allzu großen Wert beilegen. Ich neige mehr der Vorsellung zu, daß in der Zahnmatrix selbst, woraus der Elefantenmolar entstehen soll, die Verlängerung, statt in bukko-lingualer Richtung sich zu vollziehen, in eine mehr sagittale umgeändert wird. Der Wachstumsmodus dieses Molaren ist eine solche durch Apposition, eine Eigenschaft, die wir bald noch näher betonen werden, und im Licht unserer Hypothese über die morpho- logische Bedeutung dieses Molaren betrachten. Das Appositions- Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 31 Zentrum muß man sich anfänglich an der lingualen Seite der Zahn- anlage denken, und ich denke nun, daß diese Wachstumszone im Zahnkeim nach hinten verlegt wird. Man braucht sich einen solchen Vorgang nicht einmal als einen mechanischen zu denken, nicht als eine Rotation des Keimes, so daß die anfänglich linguale Seite nach hinten gedreht wird, sondern diese Unilagerung ist als eine rein potentielle zu denken. Für diese Deutung spricht eine Erscheinung, welche früher schon kurz hervorgehoben worden ist, an dieser Stelle aber erst ihre richtige Würdigung erfahren kann. Es betrifft eine am Zahnkeim des dritten Molaren vorkommende Eigentümlichkeit. Wie schon früher beschrieben worden ist, und in Fig. 20 bildlich zur Darstellung gebracht, erheben sich auf der Grund- papille dieses Zahnes schon drei Platten- oder Lamellenpapillen. Die vorderste ist am weitesten entwickelt, hat schon Lamellenform an- genommen, und trägt auf ihrem oberen freien Rande schon zwei Spitzen als erste Andeutung der Digitellenpapillen. Die zweite und dritte Plattenpapille sind noch niedrige Erhebungen von einfacher konischer Gestalt. Sehr bedeutungsvoll nun achte ich die Ebene, worin die erste Papille gestellt ist. Am besten kann man sich darüber orientieren, bei Ansicht von oben. Eine solche Ansicht ist in Fig. 21 in einfachen Um- rissen dargestellt. Durch zwei punktierte Linien ist die Längsachse der Anlage und die Ebene der vor- dersten Papille angegeben. Und was sieht man nun? Die erste Lamellenpapille, welche ich als den Protomor des gewöhnlichen Säugerzahnes homolog betrachte, ist nicht senkrecht zur Längsachse der Zahnanlage gestellt, wie am erwachsenen Zahn, sondern macht mit der- selben einen großen Winkel, und ist mehr sagittal als transversal gestellt. Am rekonstruierten Modell tritt diese Eigentümlichkeit noch deutlicher als in der Figur hervor. Diese sehr junge Anlage wirft auf die Art, in der die Veränderung der Wachstumsrichtung zustande kommt, ein helles Licht. Die vorderste Lamellen- papille des Zahnes beim Elefanten legt sich noch in einer der Kiefer- achse nahezu parallelen Richtung an, ganz wie es mit dem Protomer der gewöhnlichen Säugerzähne der Fall ist. Hierin kommt noch der primitive Anlagezustand zur Äußerung. Bei der Entstehung der zweiten Papille hat sich die Appositionszone von der lingualen Seite des Keimes nach hinten verschoben, und die zweite Lamellenpapille kommt nicht lingual sondern schon hinter der ersten Papille zur Ent- wicklung. Im Laufe der weiteren Entfaltung wird sich dann die erste Papille immer mehr transversal stellen, wie es tatsächlich beim schon mehr ausgebildeten zweiten Molar der Fall ist. Dadurch wird die genetische Längsachse von der transversalen in eine sagittale Rich- tung übergeführt, und kommt die Rotation des Zahns zustande. Man kann sich die Drehung der Elefantenmolaren etwa in der Weise wie die Drehung von Röhrenknochen vorstellen. Auch diese ist nicht als ein mechanischer Vorgang zu denken, wobei eine wirkliche Torsion stattfindet, sondern es ist eine Umlagerung der Wachstums- potenzen. 32 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. Durch obenstellende Auseinandersetzung hoffe ich die Beden- kungen, welche gegen meine Hypothese der Drehung der Elefanten- zähne zu erheben waren, beseitigt zu haben. Das Resultat dieser Umänderung der Wachstumsrichtung im Zahnkeim von der transversalen in die sagittale Richtung ist, daß das Protomer, welches bei dem gewöhnlichen Säugerzahn eine bukkale Lagerung einnimmt, beim Elefantenzahn mit dem Vorderrand des Zahnes zusammenfällt, dahinter folgt das Deuteromer als Vergegen- wärtiger des zweiten Gliedes der Zahnfamilie, dahinter das Tri- tomer usw. Welche weiteren Belege sind nun für diese Umänderung der Wachstumsrichtung anzuführen? Als zumeist auf den Vordergrund sich drängender Beweis muß hervorgehoben werden, der tatsächliche Nachweis, daß der Elefantenmolar nicht aus einem in toto angelegten Keim sich differenziert, sondern einem Keim seine Entstehung ver- dankt, der durch sukzessives Wachstum an seinem Hinterpole sich verlängert. Dieser Beweis wird sowohl durch das Schmelzorgan als durch die mesenchymatöse Zahnpapille geliefert. Für die Zahnpapille ist der Nachweis am leichtesten zu bringen. Wir haben konstatieren können, daß von den drei zur Anlage gelangten Zähnen nur ein vorderer Teil erst zur Enwicklung und Differenzierung gekommen war, beim ersten Zahn fehlt noch jede Andeutung der hintersten Lamellenpapille, beim zweiten Zahn sind die zwei meist hinteren noch nicht anwesend, und am dritten Molaren fehlt noch die Mehrzahl der Papillen, es sind nur die vordersten drei zur Entwicklung ge- kommen. Und weiter sehen wir, daß die schon vorhandenen Papillen komplizierter gebaut sind, je näher sie dem Vorderrande gelagert sind. Während somit am Hinterpol des Keimes immer neuer Zusatz, das ist Verlängerung, stattfindet, differenziert sich das schon Be- stehende mehr in die Breite. Der Wachstums- und Differenzierungsmodus des mesenckyma- tösen Zahnkeims ist somit ein sehr bestimmter; es besteht kein Zweifel darüber, daß die genetische Längsachse einen sagittalen Verlauf hat und daß ein sukzessives Hinzutreten von immer neuen Plattenlamellen am Hinterpol des Zahnes zustande kommt. Es muß dabei jedoch wohl scharf betont werden, daß diese Lamellen — und noch weniger die Digitellen — keine individuellen Anlagen haben, welche sekundär verschmelzen. Es ist die von Anfang an einheitliche Grundpapille, die sich verlängert, und auf dieser erheben sich die Plattenpapillen, welche schließlich die Digitellenpapillen treiben. Die Grundpapille sichert somit das Einheitliche der Anlage des ganzen Zahnes. Diese Einheitlichkeit ist aber jedenfalls nur eine ontogenetische, man darf daraus nicht schließen, daß auch phylogenetisch das Gebilde als eine Einheit gedeutet werden muß. Es ist hier an der Stelle, die Darstellung Roses über die Ent- stehung des Elefantenmolars kurz kritisch zu prüfen. Wie früher ausführlich dargetan ist, denkt sich dieser Autor die Entstehungsweise derart, daß zuerst die Digitellen entstehen, welche Unterteile der ge- nannte Autor als die primitiven Elemente des Zahns betrachtet. Es sollten diese gruppenweise zusammenwachsend eine Lamelle bilden Diese Darstellung nun ist entschieden unrichtig. Die Digitellen ent- stehen nicht gesondert und wachsen nicht sekundär zusammen. Sie Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 33 erscheinen gerade im Gegenteil von den Komponenten des Zahns zu- letzt. Es wurde diese Darstellung von Kose wohl dadurch beein- flußt, daß dieser Autor die Digitellen mit den einfachen Kegelzähnen der Reptilien identifizierte. Nun habe ich in der Odontologischen Studie I darauf hingewiesen, daß die allgemein verbreitete Meinung, es lägen dem Sängerzahn einfache konische Reptilienzähne zugrunde, eine nicht stichhaltige ist. Zwar ist diese Form die möglichst ein- fachste und kommt bei den Reptilien, besonders bei den Krokodillen, in reiner Form vor. Es muß aber auch hier noch einmal betont werden, daß jene Zahnform auch bei den Reptilien nur sehr be- schränkt auftritt, und ich habe den Nachweis liefern können, daß sie bei den Krokodillen gewiß eine sekundäre Form darstellt. Die zuerst angelegten Zähnchen bei den Krokodillen sind nicht kegelförmig, son- dern Plattenzähnchen. Die Kegeliorm ist sekundär erworben im An- schluß an die Verlängerung der Kiefer und Ausbildung derselben zu Greiforganen. Die Grundform des Reptilienzahns ist eine trikonodonte mit einer Hauptspitze und zwei Nebenspitzen. Und diese Trikonodontie hat sich von den Reptilien auf die Säugetiere vererbt. Sogar am Elefantenzahn ist dieses primitive Merkmal noch auf- zudecken. Ich hatte vermutet, es auch an der Anlageform der La- mellen wiederzufinden, da ich jede Lamelle mit einem Zahn des Rep- tiliengebisses identifiziere. Diese Vermutung hat sich nicht bewahr- heitet, Die Spitzenbildung der Lamellen ist nicht so regelmäßig, daß der trikonodonte Charakter in überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht wird. Die sekundären Abänderungen verwischen das Regel- maß. Sehr deutlich dagegen kommt das primitive Merkmal an der Grundpapille zum Ausdruck. Es ist bei der Beschreibung des zweiten Zahns sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß zwischen den La- mellen, also in den Loden der interlamellösen Täler, die Grundpapille immer deutlich drei Papillen trägt, eine mittlere, bukkale und linguale, welche sich noch eine Strecke weit auf der Lamelle verfolgen lassen (vgl. Fig. 19). Diese Lagerung der drei Papillen auf der Grundpapille ist wieder in Übereinstimmung mit der umgeänderten Wachstumsrichtung des Zahns. Bei dem gewöhnlichen Säugerzahn, der die ursprüngliche Trikonodontie der beiden zusammenhängenden Teile (Protomer und Deuteromer) noch unschwer erkennen läßt, sind die drei Spitzen als eine vordere, mittlere und hintere gestellt, die Ebene steht senkrecht zur genetischen Längsachse des Zahns. Das ist nun auch der Fall beim Elefantenzahn, wenn man nur darauf achtet, daß hier die gene- tische Längsachse in eine sagittale Richtung verläuft. Die Digitellen sind daher nicht als die genetischen Primärelemente des Elefantenzahns zu betrachten, es sind sekundäre Bildungen, welche vielleicht ursprünglich wohl ihren Ausgang genommen haben aus den drei Papillen, welche als Äußerung der ursprünglichen Trikonodontie sich noch in den interlamellösen Tälern kennbar machen, aber bei der starken Entwicklung der Lamellen haben sie sich verdoppelt, sind ge- spalten und im allgemeinen vervielfältigt. Die Rose sehe Meinung, daß sie die Primärelemente des Zahns darstellen und jede für sich einen Kegelzahn des Reptiliengebisses repräsentieren würde, ist übrigens schon aus dem Grunde anzuzweifeln, weil sie bei den Zähnen des Elephas primigenius und Elephas indicus so überaus viel zahlreicher Bolk, Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 34 Zur Ontogenie des ElefantengebisseB. sind. Beim Elephas africanus ist jede Platte nur arm an Digitellen, wovon man sich leicht an einem noch nicht ausgewachsenen Zahn dieses Tieres, mit am Hinterpol noch nicht in Funktion gewesenen Lamellen überzeugen kann. Beim indischen Elefanten dagegen ent- sprechen jeder Lamelle eine viel größere Zahl von Digitellen. Es sind die Digitellen zu betrachten als Einrichtungen gleicher Art, wie die Krenulierungen, welche man z. B. in so überaus entwickelter Weise bei den Incisivi von Galeopithecus antrifft. Als die wahren genetischen Primärelemente der Elefantenmolaren sind nur die Lamellen oder Platten zu betrachten. Jede derselben ist einem Reptilienzahn gleich zu setzen, jede derselben stellt ein Glied der Zahnfamilie dar. Auch die Anatomie des Schmelzorgans verhält sich dieser Deu- tung gegenüber als überaus günstig. Zwei Merkmale sind es, welche an diesem Organ besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Erstens die Tatsache, daß das Schmelzorgan eine hintere Wachstums- zone hat, und zweitens die Zahl und Richtung der Schmelzsepten in dasselbe. Der hintere Rand des Schmelzorgans ist der Wachstumsrand. Im Gegensatz zu dem Organ des gewöhnlichen Säugerzahnes, das in toto angelegt wird und durch intussuszeptionelles Wachstum sich gleichmäßig vergrößert, verlängert sich das Organ beim Elefanten an seinem Hinterrande durch appositionelles Wachstum. Und auch darin kommt die Drehung der genetischen Längsachse des Zahnes zur Geltung. Ein Schnitt durch den hintersten Abschnitt des Organs läßt nur eine Doppelmembrane sehen, aus innerem und äußerem Epithel zusammengesetzt. Mehr nach vorn taucht die Schmelzpulpa zwischen beiden auf, die zu einer mächtigen Masse sich entwickelt, je weiter man in der Zahnanlage nach vorn rückt. Größere Bedeutung kommt inzwischen dem zweiten Merkmal zu; jedem interlamellären Teil entsprechend, ist ein Schmelzseptum entwickelt. Dieser Befund ist überaus wichtig nicht nur als spezielle Eigentümlichkeit für das Schmelzorgan des Elefantenmolaren, sondern für die Bedeutung dieser Bildung im allgemeinen. In einem besonderen Hauptstück der Odontologischen Studie I habe ich zuerst eine ausführliche Beschreibung dieser Bildung im Schmelzorgan der Säugetiere gegeben und ihre Entstehungsweise ge- schildert. Ich konnte nachweisen, daß die Pulpadifferenzierung nicht an einer einzigen Stelle des Organs einsetzt, sondern an zwei, welche topo- graphisch sich als eine bukkale und linguale verhielten. Indem von beiden Stellen aus die Pulpadifferenzierung weiter schreitet und in- zwischen das Organ sich vergrößert, bleibt während einer längeren Zeit zwischen beiden eine Schicht von Zellen in mehr indifferentem Zustand bestehen. Diese Schicht ist das Schmelzseptum. Später löst es sich auf oder es bleibt von demselben ein strangartiges Gebilde bestehen, das schräg, durch das Septum ziehend, inneres und äußeres Epithel miteinander verbindet. Nicht bei allen Säugern aber ist das Septum in gleicher Deutlichkeit entwickelt. So konnte ich jüngst fest- stellen, daß beim Pferde von einem Septum kaum etwas aufzufinden war. Das sind aber Eigentümlichkeiten, welche leicht daraus erklärt werden, daß das Septum ein historisches Dokument in der phylo- genetischen Entwicklungsgeschichte des Zahnes darstellt und keine Rolle spielt in dem ontogenetischen Werdegang des Zahnes. Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 35 Zur Erklärung des Auftretens vom Septum, habe ich an an- geführter Stelle darauf hingewiesen, daß es entsteht, weil im Schmelz- organ die Pulpadifferenzierung an zwei Stellen anfängt. Dieser Tat- sache kommt die prinzipielle Bedeutung zu, und diese Tatsache ist ist es, welche ich als Beweis anführte, daß das Schmelzorgan der Säugetiere ein Doppelorgan ist. Die zwei Differenzierungszentren im Organ entsprechen je einem der beiden zusammensetzenden Teile des Säugerzahnes, das bukkale Zentrum gehört zum Protomer, das linguale zum Deuteromer. Der Nachweis, daß das Organ ein zwei- faches Gebilde ist, bildet eine der entwicklungsgeschichtlichen Stützen meiner Diniertheorie. Aus diesem doppelten Zentrum läßt sich schließen, daß zwei Organe zusammengetreten sind, und das Septum ist als die ursprüngliche Trennungswand zwischen beiden aufzufassen. In der Tat nehmen die das Septum zusammensetzenden Zellen noch den Charakter von Epithelzellen, vom gleichen Aussehen als jene des äußeren Epithels, an und gehen ganz gleichmäßig in die letztgenannte Schicht über. Besonders bei Beutlern sind derartige Bilder bisweilen sehr schön anwesend. Wie verhalten sich nun diesen allgemeinen Deutungen gegenüber die Befunde am Elefantenmolar. Mit jedem interlamellären Teil des Zahnkeimes korrespondiert ein Septum. Dies heißt mit anderen Worten, daß in dem Schmelzorgan von Elephas mehrere Zentren von Pulpa- differenzierung auftreten, und zwar, das jeder Platte und Lamelle ein Zentrum entspricht. Die Konsequenz hiervon ist, daß eine Platte oder Lamelle dieses Zahns identisch sein muß in ihrer genetischen Bedeutung mit einem der beiden den gewöhnlichen Säugerzahn zu- sammensetzenden Teile. Wenn letzterer daher als dimer bezeichnet wird, muß der Zahn des Elefanten als ein polymeres Gebilde be- zeichnet werden. Es ist daher der Mahlzahn der Proboscidier in toto nicht einem gewöhnlichen Säugerzahn homolog, nur die zwei vordersten Platten entsprechen einem solchen Zahn, die übrigen sind neuer Zuwachs. Daß die Richtung in der die Septa im Organ bei Elephas gestellt ist, ein willkommener Beleg für die Behauptung sei, daß der Ele- fantenzahn mit seiner genetischen Längsachse eine longitudinale Stellung im Kiefer einnimmt und nicht wie bei den übrigen Säugern eine transversale, wurde früher schon ausführlich besprochen. Wir können jetzt schließlich die Frage stellen, ob die gemachten ontogenetischen Befunde für die früher von uns aufgestellte Hypo- these über die morphologische Bedeutung und die Entstehungsweise der Elephantenmolaren spreche. Die Antwort auf diese Frage hat nicht ausschließlich Bedeutung für jene Hypothese, sondern nicht wreniger für den Gesamtkomplex meiner Theorien über das Säuger- gebiß. Denn jene Hypothese steht mit diesen Theorien in innigstem Konnex, sie ist gewissermaßen eine Konsequenz derselben und stellt nur die Anwendung der in jenen Theorien niedergelegten Prinzipien auf einen besonderen Fall dar. Sind daher die ontogenetischen Befunde im Einklang mit jener Hypothese, dann erlangt dadurch der ganze Komplex meiner Zahntheorien eine Stütze. Ordnen wir nun die ontogenetischen Tatsachen in bezug auf die jene Hypothese aufbauenden Behauptungen, dann sind zwei Gruppen zu unterscheiden: erstens, solche Beobachtungen, welche eine jener 3* 36 Zur Ontogenie des Elefantengelüsses. Behauptungen tatsächlich beweisen, und solche, welche zugunsten anderer Behauptungen das Wort reden. Es ist eine dritte Gruppe denkbar, nämlich solche, die mit dem Inhalt meiner Hypothese in AViderspruch sind. Es muß diesen gegenüber sofort konstatiert werden, daß keine einzelne Tatsache anzuführen ist, welche meine Hypothese als unrichtig kennzeichnet. Es ist ein Element meiner Hypothese, dessen Richtigkeit durch die ontogenetische Beobachtung tatsächlich festgestellt wird, und zwar die Drehung des Elefantenmolaren, so daß der Yorderrand dieses Zahnes mit dem bukkalen Rand der gewöhnlichen Sängerzähne homo- log ist und die genetische Längsachse, statt wie bei diesen in trans- versaler Richtung gestellt zu sein, einen sagittalen Verlauf hat. Diese Behauptung achte ich in der Tat als völlig bewiesen und zwar durch den Nachweis, daß der mesenehymatöse Keim des Zahnes sukzessive in seinem Hinterrande durch Apposition wächst; daß das Schmelz- organ ebenfalls sich nach hinten verlängert, und daß die Septa im Schmelzorgan transversal gestellt sind und von vorn nach hinten auf- einander folgen. Auch der Richtung der Ebene der ersten Lamelle des dritten Zahnes, kommt eine große Bedeutung in dieser Beziehung zu. Besonderen Wert lege ich dabei auf den letztgenannten Umstand, daß die transversale Richtung der Septa bei Elephas ein Gegensatz zu der sagittalen bei dem gewöhnlichen Säugerzahn sei. Denn dieser Unterschied besagt unzweideutig, daß die Richtungen, in der die Komponenten des Zahnes aufeinander folgen, oder einander angelagert sind, bei Elephas um 90° im Vergleich mit jener bei den übrigen Säugern gedreht sein muß. Die Tatsache, daß die Umdrehung der genetischen Längsachse des Elefantenmolaren nicht mehr anzuzweifeln ist, spricht selbst- verständlich nun auch zugunsten des übrigen Inhalts meiner Hypothese. Denn diese behauptete Drehung war die notwendige Folge von dem in jener Hypothese versteckten Grundsatz: es sei der Elefantenmolar einer gliederreichen Zahnfamilie der Reptilien homolog zu stellen, jede Lamelle entspricht einer Generation dieser Familie, das heißt einem Reptilienzahn. Statt der Dimerie des gewöhnlichen Säuger- zahnes, also einer zweigliedrigen Zahnfamilie, ist bei Elephas eine Polymerie aufgetreten. Die Ausbildung dieser Polymerie erheischte nun aber eine Richtungsänderung der genetischen Längsachse. Sind nun aber noch weitere Beweise anzuführen für die Richtigkeit dieser Ansicht über die morphologische und ontogenetische Bedeutung des Zahns? Ich möchte dazu zwei Tatsachen anführen und zwar das appositionelle und sukzessive Wachstum des Zahns und die Mehrzahl der Septa, jedem Septum einem interlamellären Raum entsprechend. Das appositionelle Wachstum am Hinterpole des Zahns ist ein Phenomen das seiner Natur nach gewiß große Übereinstimmung mit der Entstehung einer Zahnfamilie der Reptilien besitzt. Dieser Vor- gang verläuft kurz in folgender Weise. Die Matrix, deren Aktivität eine Zahnfamilie ihre Entstehung verdankt, bildet ein Emailorgan. In sehr vielen Fällen ist dasselbe sehr arm an Pulpazellen, so daß es bisweilen sogar in der Glockenform nur noch aus äußerem und innerem Epithel besteht. Die Zahnform wird daher nicht selten schon von dem noch rein zweiblättrigen Organ vorgebildet. Dieses erste Schmelzorgan schiebt sich in der Richtung des Mundhöhlenepithels Zur Ontogenie des Elefantengebisses. 37 empor, und an der Stelle, wo das erste Organ zur Anlage gelangte, kommt es nun bald zur Entstehung eines zweiten, die Matrix bildet das zweite Glied der Familie. Dieses wird in gleicher Weise durch das dritte, vierte usw. gefolgt. Man muß sich somit denken, daß die Stelle der Zahnleiste wo ein Zahnmatrix sich findet, eine Proliferations- stelle der Zahnleiste ist. Hier findet ein fortwährendes Entstehen von Epithelzellen statt, die in der Bildung eines Schmelzorgans auf- gehen. Diese Schmelzorgane sind jedoch voneinander unabhängig, jedes bildet ein in sich abgeschlossenes Ganze, und nur durch den Bezirk der Zahnleiste zwischen zwei von einer Matrix gebildeten Or- ganen hängen dieselben miteinander zusammen. Mit Hilfe von Fig. 22 a kann man sich von diesem Vorgang leicht eine Vorstellung bilden. In einfachster Weise ist darin die Zahnleiste eines Reptils im Querschnitt dargestellt mit der Anlage von drei durch eine Matrix gebildeten Zahnanlage. Also drei Glieder einer Zahnfamilie. Jede Zahnanlage hat eine eigene selbständige Papille. In Fig. 22b ist nun ein wachsender Zahnkeim von Elephas im Längs- schnitt dargestellt. Diese Figur entspricht der Anlage, wie ich dieselbe tatsächlich beim zweiten Molaren traf. Eine Verbindung mit der Zahn- leiste besteht nicht mehr, aber ich erinnere daran, daß, wie früher aus- führlich nachgewiesen ist, das Schmelzorgan von Elephas tatsächlich Fig. 22 a. Fig. 'JIM.. einen losgelösten Abschnitt der Zahnleiste darstellt. Die Papille und das Schmelzorgan sind in Fig. 22 b der Länge nach durchschnitten dargestellt. Die beiden Skizzen in Fig. 22 stimmen somit darin über- ein, daß beide Schnitte in der Ebene der genetischen Längsachse ge- dacht sind. Das erleichtert die Vergleichung sehr. Denn es wird dadurch möglich, sofort die homologen Hauptpunkte in beiden Figuren festzustellen. Das vornehmste derselben ist der Proliferationspunkt. Es findet sich derselbe in der auf das Reptiliengebiß bezug habenden Figur am unteren Ende der Zahnleiste, in der auf den Elefantenzahn sich beziehenden am hinteren Ende des Schmelzorgans. Der älteste Teil der Zahnanlage, das ist die zuerst angelegte Lamelle, ist beim Elefantenzahn am vorderen Ende der Anlage zu ersehen, beim Rep- tiliengebiß ist es der zuerst angelegte, dem Mundhöhlenepithel am nächsten gelagerte Zahn. Wenn man diese beiden Punkte ins Auge faßt, dann tritt sofort eine große Übereinstimmung zutage zwischen einer Zahnfamilie der Reptilien, wie in Fig. 22a skizziert, und die Anlage des Elefantenmolaren in Fig. 22 b. Man denke sich dazu das Stück der Zahnleiste mit der Anlage der drei Zähne in Fig. 22 a von dem übrigen Teil der Zahnleiste abgetrennt und die drei Anlagen einander möglichst dicht genähert und man bekommt ein Bild, identisch mit jenem in Fig. 22b. Die drei Papillen in Fig. 22a fließen dann 38 Zur Ontogenie des Elefantengebisses. mit ihren basalen Teilen miteinander zusammen und stellen dann die Grundpapille des mesenchymatösen Zahnkeimes von Elephas dar, die drei Schmelzorgane in Fig. 22 a sind einander unmittelbar angeschmiegt, bilden ein einheitliches Organ wie in Fig. 22b, aber als letzte Spur ihrer ursprünglichen Individualität entspricht noch jeder Lamelle ein separates Pulpadifferenzierungszentrum, und kommt es zur Ausbildung der interlamellären Septa im Schmelzorgan. Kurzhin darf man somit sagen, die Fig. 22 b ist durch Konzentrierung aus der Fig. 22 a hervor- gegangen. Die Ergebnisse der obenstehenden Vergleichung sprechen nun gewiß zugunsten meiner Hypothese, daß der Elefantenmolar einer Zahnfamilie der Reptilien entspricht. Jede Lamelle jenes Zahnes ist einem Gliede dieser Familie, d. h. einem Reptilienzahn, homolog. Diese Beziehung zwischen Elefantenmolar und Zahnfamilie der Reptilien trägt nun gewiß viel dazu bei, eine Verschiedenheit in der Struktur der Molaren der beiden noch heute lebenden Arten von Proboscidier zu begreifen, nämlich die Differenz in der Lamellen- zahl beim indischen und beim afrikanischen Elefanten. Bekanntlich kann beim Elephas inaximus, ebenso wie bei E. primigemus die Plattenzahl bis über 20 steigen. Wenn man nun mit mir der Ansicht ist, daß der Elefantenmolar infolge der Reaktivierung der Potenz in der Zahnmatrix entsteht, um statt zwei Zahngenerationen fortzu- bringen wieder wie bei den Reptilien mehrere entstehen zu lassen, dann darf uns die hohe Zahl der Platten bei den beiden genannnten Elefanten nicht mehr wundern. Ant. Kämpfe, Buchdruckerei, Jena. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Odontologische Studien. Von Prof. Dr. I*. Kolk. Direktor des anatomischen Instituts der Universität Amsterdam. Die Ontogenie'der Primatenzähne. X"."«" 5ä'S"**L'S5 74 Abbildungen im Text. (VII, 122 S. gr. 9°.) 1913. Preis: 5 Mark. Inhalt: 1. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. — 2. Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. — 3. Die Nebenleiste (rudimentäre Zahn- drüsenleiste). — 4. Über die Beziehung des Säugerzahnes und Säugergebisse6 zum Zahn und Gebiß der Reptilien. Naturwissenschaf ten, Heft 36, vom 5. September 1913: . . . Jedenfalls ist das Bolksche Buch mit Freuden zu begrüßen. Gerade die Stammesgeschichte des Gebisses bietet eine solche Fülle weittragender Probleme, daß jeder Versuch, Licht in das Dunkel zu bringen, unseres größten Interesses gewiß sein darf. Adloff, Greifswald. Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Nr. 34, vom 23. August 1914: Prof. Bolk befaßt sich seit mehreren Jahren mit Studien über die Ontogenie des Primatengebisses Die einzelnen Abschnitte behandeln die laterale Schmel/.leiste und die Schmelznische, das Schmelzseptum und den Schmelznabel, die Beziehungen des Säugerzahnes und Säugergebisses zum Zahn und Gebiß der Reptilien. Im Schlußabschnitt werden auch die auf die Entwicklung des Gebisses bezüglichen Theorien anderer Forscher kritisch betrachtet. Bolks Schrift ist deshalb wichtig, weil s e in Versuch einer Lösung des Gebißproblems von den geläufigen Ansichten stark abweicht und dabei ein logisches Ergebnis aus wahrgenommenen Tatsachen ist. Hans Fehlinger. Archiv für Zahnheilkunde, XIV. Jahrg., Nr. 7 (Juli 1911): Inwieweit die Bolkschen Theorien sich bewahrheiten werden, muß die Zukunft zeigen. Die Ansichten und Begründungen des schätzenswerten Verfassers haben viel Be- stechendes und Überzeugendes, besonders in bezug auf die Dimertheorie. Aber das ganze Gebiet der Odontologie weist leider noch immer eine ziemliche Zahl von offenen, noch strittigen Fragen auf, die immer noch ohne positives Resultat diskutiert werden. Jeden- falls haben die Bolkschen Untersuchungen viel Licht in dieses Dunkel gebracht und man darf den vom Verfasser versprochenen weiteren „Odontologischen Studien" mit Spannung und großem Interesse entgegensehen. P. de Terra. Die Morphogeni'e der Primatenzähne. fM'EÄÄSU'S:? Dimertheorie. Mit 61 Abbildungen im Text und 3 Tafeln. (VIII, 181 S. gr. 8°.) 1914. Preis: 7 Mark. Inhalt: Allgemeiner Teil: Die Entwicklung der einzelnen Zalm- forinen. 1. Die Differenzierung der Oberkieferzähne. 2. Die Differenzierung der Unterkieferzähne. 3. Über das Wesen der Zahnkonkreszenz. — Spezieller Teil: Das Primatengebiß als Ganzes. 1. Allgemeine Bemerkungen. 2. Das Unter- kiefergebiß der Primaten. 3. Das Oberkiefergebiß der Primaten. Die zweite der Odontologischen Studien Bolks schließt sich eng an die erste an. Während letztere von der Ontogenese des Säugetierzahncs und der Beziehung zwischen dem Gebiß der Reptilien handelte, beschäftigt sich diese auf Grund eingehend ver- gleichend-anatomischer Untersuchungen mit der historischen Entwicklung der Primaten- Zahnformen nach den morphologischen Befunden, so daß erst nach Kenntnisnahme des Inhalts beider Studien eine fruchtbare kritische Beurteilung der überraschenden neuen Er- gebnisse des Verfassers und ihrer logischen Konsequenzen möglich ist. Tho Elnnhon+'c UooH Studies in the Comparative Anatomy of the Organs I !ie Ciepndni 5 nedU. of the Head of the TIKiiau Elephant and other Mammals. By J. E. V. Boas und Simon Patilli. Published at the cost of the Carlsberg-Fund, Copenhagen. First Part: The Facial Muscles and the Proboscis. With 1 7 plates in colours. (Page XVI und 1—80. gr. Fol. [55,5x38,7]). 1908. Preis: in Mappe 100 Mark. Verlag von Gustav Fischer in Jena. August Weismann Sein Leben und sein Werk Von Ernst Gaupp f weil. o. ö. Professor der Anatomie und Direktor des Königl. anatomischen Instituts der Universität Breslau. (VIII, 297 S. gr. 8°.) 1917. Preis: 9 Mark, geb. 12 Mark. Ernst Gaupp, der als Prosektor am vergleichend-anatomischen Institut Jahre lang in Freiburg Gelegenheit hatte, Weismanns Lehre vom Meister selber zu hören, der dann in glänzender anatomischer Laufbahn über Königsberg nach Breslau kam und für Berlin bestimmt war — als ihn ein jäher Tod mitten aus dem Schaffen riß — der Anatom Gaupp hat hier eine glänzende Darstellung der biologischen Probleme und Theorien gegeben, die Weismanns Leben ausfüllten. Es ist keine einfache Wiedergabe, e3 ist eine Durcharbeitung und Durchdringung der ganzen Weismannschen Gedankenwelt, ein Nach- schaffen und Nachgestalten, wie sie nur einem auch in eigener Forschung produktiven und neu- schaffenden Geist möglich ist. So wird hier das Wesentliche der Keimplasmatheorien mit der Germinalselektionslehre in vorzüglicher Weise herausgearbeitet, man lernt verstehen, wie Weismann zu seiner — ob dauernden oder später verworfenen, jedenfalls aber außergewöhnlich geistreichen und wundervoll durchdachten Lehre kam. Man folgt mit hohem Genuß dem Entwicklungsgang dieses Geistes und dieser natur- wissenschaftlichen Theorien. Das Buch wird jeden Biologen, auch wenn er Weismann kennt, interessieren müssen, denn so kennt ihn keiner, daß ihn nicht diese Darlegung der Zusammenhänge als neu fesselte. Den Jüngern der Biologie aber, den Studierenden der Medizin und Naturwissenschaft wird hier ein aus- gezeichnetes Buch zur Einführung in diese schwierigen theoretischen Fragen vorgelegt. Ein Überblick über die Abschnitte, in die der Stoff geteilt ist, mag hier folgen: 1. „Das Leben. Der Mensch", eine Lebensbeschreibung Weismanns. 2. „Die Spezialarbeiter" (Hier werden die chemischen, histologischen, embryologischen, allgemein-biologischen Einzelarbeiten Weismanns ge- schildert, von den Daphnoidenstudien und Hydromedusenstudien gingen seine theoretischen Erörterungen ans.) 3. „Erste Stellungnahme zur Darwinschen Theorie. Dauer des Lebens, Herkunft des Todot*." 4. „Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage der Weismannschen Vererbungslehre. Die Ver- erbung erworbener Eigenschaften." 5. „Befruchtung und Keimzellenreifung". 15. „Weiterer Ausbau der Keimplasmatheorie: die Determinanten theorie". 7. „Personalselektion: natürliche und geschlecht- liche Zuchtwahl." 8. „Herkunft erblicher individueller Variationen. Germinalselektion." (Die Ab- schnitte :S— 8 umschreiben den gesamten Inhalt der Weismannschen Lehre samt ihren Beziehungen zu den anderen Deszendenz- und Vererbungslehren.) Ein Schlußabschnitt gibt noch einmal eine Gesamtwürdigung, ein Verzeichnis der Schriften Weismanns und Hinweise auf die wichtigste Literatur. Die Umschau 1910, Nr. 11: Trotz seines Augenleidens war Weismann schriftstellerisch außerordentlich frucht bar. Gaupp zählt mehr als 90 Veröffentlichungen auf. Sich in sie einzulesen ist nicht immer ganz leicht. Weismann hat seine Anschauungen über die Deszendenzlehre in großen Zügen zwar stets beibehalten, im einzelnen aber im Lauf der Jahre manchmal recht wesentlich abgeändert. Dabei wechselte er öfters für die gleichen Begriffe den Ausdruck oder gab dem gleichen Ausdruck einen anderen begrifflichen Inhalt. Nun sind aber die Ausführungen Weismanns, des konsequenten Vertreters des Neodarwinismus, von derart überragender Bedeutung, daß es außerotdentlich erwünscht war, sie leichter zugänglich zu machen. Ernst Gaupp, der leider zu früh verstorbene Breslauer Anatom, hat dies unternommen und damit zugleich dem 1914 dahingegangenen Freiburger Biologen und sich selbst ein unvergängliches Denkmal geschaffen. Wunderbar klar disponiert liegt hier in historischem Werdegang Weismanns Werk vor uns bis Schaffung des Begriffes der Germinalselektion und der abschließenden 3. Auflage der „Vorträge über Deszendenztheorie". Neben dem Forscher Weismann kommt dabei der Mensch nicht zu kurz. Das Werk wird als Einführung in die Deszendenzlehre, den Dar- winismus und insbesondere den Neodarwinismus unvergänglich sein. Dr. Loeser.