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Wilhelm von Humboldts
Gesammelte Schriften.
Wilhelm von Humboldts
Gesammelte Schriften.
Herausgegeben von der
Königlich Preussischen Akademie der
Wissenschaften.
Band VII.
Erste Abteilung
Werke VII.
Erste Hälfte.
Berlin
B. Behr's Verlag
1907.
H'^^'^c^
Wilhelm von Humboldts
Werke.
Herausgegeben von
Albert Leitzmann.
Siebenter Band.
Erste Hälfte.
Einleitung zum Kawiwerk.
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Berlin
B. Behr's Verlag
1907.
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt
Seite
I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Ein-
fluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts [i8jo — iSj^] i
Anhang. Alexander von Humboldts Vorwort zum Kawiwerk ^45
Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte des Aufsatzes ^50
I.
Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprach-
baues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung
des Menschengeschlechts.
Wohnplätze und Culturverhältnisse der Malayischen
Völkerstämme.
Die Völkerschaften des Mala}dschen Stammes*) befinden sich, i.
wenn man ihre Wohnsitze, ihre Verfassung, ihre Geschichte, vor
allem aber ihre Sprache betrachtet, in einem sonderbareren Zu-
sammenhange mit Stämmen verschiedenartiger Cultur, als leicht
irgend ein anderes Volk des Erdbodens. Sie bewohnen bloss
Inseln und Inselgruppen, aber in einer Ausdehnung und Entfernung
von einander, welche ein unverwerfliches Zeugniss ihrer frühen
Schiffahrtskunde abgiebt. Ihre continentale Niederlassung auf der
Halbinsel Malacca verdient hier kaum besonders erwähnt zu werden,
da sie eine spätere ist und sich aus Sumatra herschreibt, und noch
weniger kommt hier die noch jüngere an den Küsten des Chine-
sischen Meeres und des Meerbusens von Siam, in Champa,**) in
Handschriß von Schreiberhand (759 halbbeschriebene Folioseiten) mit eigen-
händigen Korrekturen Humboldts in der Königlichen Bibliothek in Berlin. Ebenda
ist eine Abschrift der ersten jj Paragraphen von Buschmanns Hand ßj4 halb-
beschriebene Folioseiten) erhalten. — Erster Druck: Wilhelm von Humboldt,
Über die Kawisprache auf der Insel Java i, I—CCCCXXX fi8j6). Die Ab-
handlung trägt dort die Überschrift ,yEinleitung".
*) Ich fasse unter diesem Namen mit der Bevölkerung von Malacca die Bewohner
aller Inseln des grossen südlichen Oceans zusammen , deren Sprachen mit der im
engeren Verstände Malayisch genannten auf Malacca zu einem und ebendemselben
Stamm gehören. Ueber die Aussprache des Namens s. I. Buch. S. 12. Anm. 2.
**) Der Name dieses Districts, der sehr verschieden geschrieben wird, findet sich
in obiger Schreibung in der Barmanischen Sprache. S. Judsons Lex. h. v.
W. V. Humboldt, Werke. VII. I
2 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Betrachtung. Ausserdem aber können wir nirgends, auch nicht
in dem frühesten Alterthume, mit irgend einiger Sicherheit Malayen
auf dem Festlande nachweisen. Wenn man nun von diesen
Stämmen diejenigen zusammennimmt, welche in engerem Ver-
stände Malayische zu heissen verdienen, da sie, nach untrüglicher
grammatischer Untersuchung, eng mit einander verwandte und
durch einander erklärbare Sprachen reden, so finden wir dieselben,
um nur diejenigen Punkte zu nennen, wo die Sprachforschung
hinreichend vorbereiteten Stoff antrifft, auf den Philippinen und
zwar dort in dem zur formenreichsten Entfaltung gediehenen und
eigenthümlichsten Zustande der Sprache, auf Java, Sumatra,
Malacca und Madagascar. Eine grosse Anzahl von unbestreitbaren
Wortverwandtschaften und schon die Namen einer bedeutenden
Anzahl von Inseln beweisen aber, dass auch die jenen Punkten
nahe gelegenen Eilande gleiche Bevölkerung haben, und dass der
engere Malayische Sprachkreis sich wohl über den ganzen Theil
des Süd-Asiatischen Oceans ausdehnt, welcher von den Philippinen
südwärts an den Westküsten von Neu-Guinea herunter und dann
westwärts um die Inselkette herum, die sich an die Ostspitze von
Java anschliesst, in den Gewässern von Java und Sumatra bis zur
Strasse von Malacca geht. Es ist nur zu bedauern, dass sich die
Sprachen der grossen Inseln Borneo und Celebes, von welchen
jedoch wahrscheinlich das eben Gesagte gleichfalls gilt, noch nicht
gehörig grammatisch beurtheilen lassen.
Oestlich von dem hier gezogenen engeren Malayischen Kreise,
von Neu-Seeland bis zur Oster-Insel, von da nordwärts bis zu den
Sandwich-Inseln und wieder westlich bis zu den Philippinen heran,
wohnt eine Inselbevölkerung, welche die unverkennbarsten Spuren
alter Stammverwandtschaft mit den Malayischen Stämmen an sich
trägt. Die Sprachen, von welchen wir die Neu-Seeländische, Tahi-
tische. Sandwichische und Tongische auch grammatisch genau
kennen, beweisen dieselbe durch eine grosse Zahl von gleichen
Wörtern und wesentliche Uebereinstimmungen im organischen
Baue. Gleiche Aehnlichkeit findet sich in Sitten und Gebräuchen,
besonders insofern sich die Malayischen rein und. unverändert
durch Indische Gewohnheiten erkennen lassen. Inwiefern die in
diesem Theil des Oceans nordwestlich wohnenden Stämme sich
mehr oder ganz zu den übrigen dieser Abtheilung oder zu den
Malayischen im engeren Verstände hinneigen oder ein verbinden-
des Mittelglied zwischen beiden bilden, lässt sich, nach den jetzt
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, i. o
vorhandenen Hülfsmitteln , noch nicht beunheilen, da auch die
über die Sprache der Marianen-Inseln angestellten Untersuchungen
noch nicht öffentlich bekannt gemacht sind. Alle diese Völker-
stämme nun besitzen solche gesellschaftlichen Einrichtungen, dass
man sie mit Unrecht von dem Kreise civilisirter Nationen gänz-
lich ausschliessen würde. Sie haben eine fest gegründete, und gar
nicht durchaus einfache, politische Verfassung, religiöse Satzungen
und Gebräuche, zum Theil sogar eine Art geistlichen Regiments,
zeigen Geschicklichkeit in mannigfaltigen Arbeiten, und sind kühne
und gewandte Seefahrer. Man findet bei ihnen , an mehreren
Orten, jetzt ihnen selbst unverständliche Bruchstücke einer heiligen
Sprache, und der Gebrauch, veraltete Ausdrücke bei gewissen
Gelegenheiten feierlich ins Leben zurückzurufen, zeugt nicht
bloss von Reichthum, Alter und Tiefe der Sprache, sondern
auch von Aufmerksamkeit auf die im Laufe der Zeit wechselnde
Bezeichnung der Gegenstände. Dabei aber duldeten sie, und
dulden zum Theil noch unter sich barbarische und mit mensch-
licher Gesittung nicht zu vereinigende Gebräuche, scheinen nie
zum Besitze der Schrift gelangt zu seyn, und entbehren daher
alle von dieser abhängige Bildung, ob es ihnen gleich nicht an
sinnreichen Sagen, eindringender Beredsamkeit und Dichtung in
bestimmt geschiedenen Tonweisen fehlt. Ihre Sprachen sind auf
keine Weise aus Verderbung und Umwandlung der Malayischen
des engeren Kreises entstanden, man kann viel eher glauben, in
ihnen einen formloseren und ursprüngHcheren Zustand dieser
wahrzunehmen.
Zugleich mit den hier genannten Völkerstämmen in den beiden
eben bezeichneten Abtheilungen des grossen südlichen Archipels
trifft man auf einigen Inseln desselben Menschen an, welche, dem
Anscheine nach, zu einer ganz anderen Race gerechnet werden
müssen. Sowohl die Malayen im engeren Verstände, als die mehr
östlichen Bewohner der Südsee gehören, ohne allen Zweifel, zu
derselben Menschenrace , und bilden , wenn man genauer in die
Unterscheidung der Farben eingeht, die mehr oder weniger licht-
braune in der allgemeinen weissen. Die Stämme, von denen jetzt
die Rede ist, nähern sich dagegen durch Schwärze der Haut, zum
Theil wollige Ivrausheit der Haare und ganz eigenthümliche Ge-
sichtszüge und Körpergestalt den Afrikanischen Negern, obgleich
sie, den glaubwürdigsten Zeugnissen nach, doch wieder wesentlich
und gänzlich von diesen verschieden sind, und durchaus nicht zu
j, I. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Einer Race mit ihnen gerechnet werden können.*) Sie werden
bei den Schriftstellern über diese Gegenden, zum Unterschiede von
den Afrikanischen Negern, bald Negritos, bald Austral-Neger ge-
nannt, und sind wenig zahlreich. Auf zugleich von Malayischen
Stämmen bewohnten Inseln, wie auf den Philippinen, halten sie
sich gewöhnlich in der Mitte der Eilande, auf schwer zugänglichen
Gebirgen auf, wohin sie von der zahlreicheren und hauptsächlichen
weissen Bevölkerung nach und nach zurückgedrängt scheinen. In
dieser Lage muss man sie aber sorgfältig von den Haraforas**)
oder Alfuris, Turajas***) in Celebes, unterscheiden, die sich in
Borneo, Celebes, den Molukken, Mindanao und einigen andren
Inseln finden. Diese scheinen gleichfalls von ihren Mitbewohnern
zurückgedrängt, gehören aber zu den lichtbraunen Stämmen, und
Marsden schreibt ihre Vertreibung von den Küsten sogar erst
Mahomedanischer Verfolgung zii. In Verwilderung kommen sie
der schwarzen Race nahe, und sind immer eine auf verschiedener
Culturstufe stehende Bevölkerung. Andere, zum Theil grosse
Inseln, wie Neu-Guinea, Neu-Britannien und Irland, und einige
der Hebriden, haben diese negerartigen Stämme allein inne, und
die Bewohner des grossen Continents von Neu-Holland und Van
Diemens Land, welche man bisher Gelegenheit gehabt hat kennen
zu lernen, gehören zu der gleichen Menschenrace. Obgleich aber
diese in ihren hier beschriebenen dreifachen Wohnplätzen allge-
meine Kennzeichen der Aehnlichkeit und Verwandtschaft an sich
trägt, so ist noch bei weitem nicht hinlänglich ergründet, inwie-
fern doch auch in ihr wesentliche Stammunterschiede statt finden
mögen? Namentlich sind ihre Sprachen noch durchaus nicht auf
eine Weise untersucht, welche eine gründliche Sprachforschung
befriedigen könnte. Zur Beurtheilung des organischen und
grammatischen Baues giebt es bloss von einem Stamm von Neu-
Süd-Wales durch den Missionar Threlkeld gesammelte Materialien.
Ueberall zeichnet sich diese Race durch grössere Wildheit und
Uncultur gegen die von hellerer Farbe aus, und die Verschieden-
*) Man vergleiche über die Nuancen der Farben Klaproth. Nouv. Journ. Asiat.
XII. 240.
**) Marsden's miscell. works. S. 47 — 50.
**♦) Dieser Name hat dergestalt Sanskritische Form und Klang, dass man sich nicht
enthalten kann, ihn für eine von gebildeten Malayen-Stämraen ungebildet gebliebenen
gegebene Benennung zu halten. Schon dieser Umstand dürfte wohl auf eine viel frühere
Scheidung dieser zwiefachen Bevölkerung hinweisen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I. c
heiten hierin beruhen wohl allein auf näherem oder entfernterem
Umgange mit Stämmen der letzteren. Die Bewohner von Neu-
Holland und Van Diemens Land scheinen auf der niedrigsten Stufe
der Cultur zu stehen, auf welcher man noch überhaupt die
Menschheit auf dem Erdboden angetroffen hat. Eine sonderbare
Erscheinung ist es, auch auf der Halbinsel Malacca die helle und
dunkle Race wieder neben einander anzutreffen. Denn die Semang,
welche einen Theil der Gebirge derselben bewohnen, sind, nach
ganz unven;\^erflichen Zeugnissen, ein wollhaariger Negrito-Stamm.
Da sich derselbe auf diesem einzigen Punkte des Asiatischen Fest-
landes findet,*) so ist er unstreitig auch, nur in früherer Zeit, da-
hin übergewandert. Auch von der helleren Race hat es, wie die
offenbar Malayischen orang benüa, Menschen des Landes, zu
beweisen scheinen,**) wohl mehr als Eine Einwanderung gegeben.
Beide Ereignisse beweisen daher nur, dass dieselben Länden^er-
hältnisse in verschiedenen Zeiten gleiche geschichtliche Begeben-
heiten hervorbringen, und haben insofern nichts Auffallendes in
sich. In Rücksicht auf den Culturzustand der verschiedenen
Menschenstämme dieses Inselmeeres aber wird die Erklärung durch
Ueberwanderung in diesem mislich. Für unternehmende Nationen
besitzt zwar das Meer eher eine leicht verbindende, als abschneidend
trennende Macht, und die Allgegenwart der thätigen, segelkundigen
Malayen lässt sich auf diese Weise durch Fahrten von Insel zu
Insel, bald willkühriich mit Hülfe, bald fortgerissen durch die Ge-
walt der regelmässigen Winde, erklären. Denn diese Regsamkeit,
Gewandtheit und Schiffahrtskunde sind nicht bloss Charakterzüge
der eigentlichen Malayen, sondern mehr oder weniger der ganzen
lichtbraunen Bevölkerung. Ich brauche hier nur an die Bugis auf
Celebes und an die Südsee-Insulaner zu erinnern. Wenn aber
dieselbe Erklärung von den Negritos und ihrer Verbreitung von
Neu-Holland bis zu den Philippinen und von Neu-Guinea bis zu
den Andamans-Inseln gelten soll, so müssen diese Stämme mehr,
als sich annehmen lässt, von einem civilisirteren Zustande herunter-
gekommen und verwildert seyn. Ihr heutiger begünstigt weit mehr
*) Klaproth hat gründlich und gelehrt die Unrichtigkeit der Behauptung bewiesen,
dass es auf dem, Tibet und die kleine Bucharei abscheidenden Gebirge Kuen lun unter
dem 3 f; sten Grade N. B. und auf den Bergen zwischen Anam und Kamboja schwarze
Völkerstämme gebe. Nouv. Joum. Asiat. XII. 232 — 243.
•*) Marsden's miscell. works. 75. Raffles on the Malayu nation in den Asiat,
res. XII. 108 — 110.
() I. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
die, auch an sich nicht unwahrscheinliche Hypothese, dass durch
Naturrevolutionen, von welchen noch uralte Sagen auf Java herum-
gehen, ein bevölkerter Continent in die Jetzige Inselmenge zer-
schlagen wurde. Wie Trümmer, konnten dann die Menschen, in-
soweit die menschliche Natur solche Umwälzungen zu überdauern
vermag, auf den zerstückelten Inselschollen zurückgeblieben seyn.
Diese beiden Erklärungsarten können vielleicht nur verbunden,
wenn auch die Zersplitterung durch Naturkräfte durch Jahrtausende
von der Verbindung durch menschliche Ueberwandrungen sollte
getrennt gewesen seyn, von der Verbreitung dieser beiden, uns
jetzt so verschieden erscheinenden Racen einigermassen Rechen-
schaft geben.
Tanna, eine der Hebriden, deren Name aber Malayischen Ur-
sprungs ist,*) Neu-Caledonien, Timor, Ende und einige andre
Inseln haben eine Bevölkerung, "welche die Forschung zweifelhaft
lässt, ob man in ihr mit Crawfurd**) eine dritte Race, oder mit
Marsden***) eine Vermischung der beiden andren erkennen soll.
Denn ihre Bewohner stehen in körperlicher Bildung, Krausheit
der Haare und Farbe der Haut in der Mitte zwischen der licht-
braunen und schwarzen Race. Wenn sich jedoch die analoge Be-
hauptung auch von ihren Sprachen bestätigt, so spricht schon
dieser Umstand entschieden für die Vermischung. Es bleibt über-
haupt noch eine wichtige, aber nach den bis jetzt vorhandenen
Nachrichten kaum befriedigend zu entscheidende Frage, inwieweit
ältere und tiefere Vermischungen der weissen und schwarzen
Race in diesen Gegenden statt gefunden haben mögen, und inwie-
lern daraus allmähliche Uebergänge in Sprache und selbst in Farbe
und Haarwuchs, dessen Krausheit übrigens an einigen Orten auch
Putzliebe künstlich zu Hülfe kommt, entstanden seyn können.f)
Um die negerartige Race richtig und in ihrer reinen Gestalt zu
*) tänah heisst in der eigentlich Malayischen Sprache Land, Erdboden, soll.
**) Foreign Quarterly Review. 1834.«;-. 28. Art. 6. S. 11.
***) Miscell. works. 62.
f) Herr Dr. Meinicke in Prenzlow, von dessen gründlicher Forschung und seit
mehreren Jahren diesem Theile der Völkerkunde gewidmeten Studien sich mit Recht
etwas Bedeutendes erwarten lässt, richtet seine Untersuchungen vorzugsweise auf den
Punkt, ob nicht vielleicht die Negrito-Race die einzige Grundlage der ganzen jetzigen
Inselbevölkerung, nur allmählich verändert durch Vermischung mit fremden Einwanderern
und durch hinzugekommene Cultur. ausmacht, so dass die Frage nach einem andren
Ursprung des Malayischen Völkerstammes von selbst in nichts zerfiele ?
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, i. n
beurrheilen, wird man immer von den Bewohnern des grossen
südlichen Festlandes ausgehen müssen, da zwischen diesen und
den braunen Stämmen keine unmittelbare Berührung denkbar, und
nach ihrem heutigen Zustande selbst die Art einer mittelbaren
schwer zu ersinnen ist. Desto auffallender bleibt es aber, dass
auch die Sprache dieser Stämme in einigen Wörtern, da wir über-
haupt nur eine geringe Anzahl derselben besitzen, sichtbare Aehn-
lichkeit mit Wörtern der Südsee-Inseln zeigt.
In diesen geographischen und mehr oder weniger nachbar-
lichen Verhältnissen haben nun einige Malayische Völkerschaften
Indische Cultur in so reicher Fülle in sich aufgenommen, dass
man vielleicht nirgends ein zweites Beispiel einer Nation findet,
die, ohne ihre Selbstständigkeit aufzugeben, in diesem Grade von
der Geistesbildung einer andren durchdrungen worden wäre. Die
Erscheinung im Ganzen ist an sich sehr begreiflich. Ein grosser
Theil des Archipels, und gerade ein durch Klima und Fruchtbar-
keit vorzugsweise anlockender, lag in geringer Entfernung von
dem grossen Festlande Indiens ; es konnte daher an Gelegenheiten
und Punkten der Berührung nicht fehlen. Wo aber eine solche
eintrat, musste die Uebermacht einer so uralten und in allen
Zweigen menschlicher Thätigkeit ausgebildeten Ci\'ilisation, als es
die Indische war, Nationen von reger und lebendiger Empfäng-
lichkeit nach sich reissen. Es war dies indess mehr eine mora-
lische, als eine politische Umwandlung. Wir erkennen sie an
ihren Folgen, an den Indischen Elementen, die sich in einem ge-
wissen Kreise der Malayischen Stämme der Wahrnehmung unab-
weisbar aufdrängen; wie aber diese Vermischung entstanden ist.?
darüber gehen unter den Malayen selbst, wie wir sehen werden,
nur ungewisse und dunkle Sagen. Hätten mächtige Völkerzüge
und grosse Eroberungen diesen Zustand bewirkt, so würden sich
deutlichere Spuren dieser politischen Ereignisse erhalten haben.
Geistige und sittliche Kräfte wirken, wie die Natur selbst, unbe-
merkt, und wachsen plötzlich aus einem Samen empor, der sich
der Beobachtung entzieht. Auch die ganze Art, wie der Hinduis-
mus in den Malayischen Stämmen Wurzel schlug, beweist, dass
er, als geistige Kraft, wieder geistig anregte, die Phantasie in Be-
wegung setzte und durch den Eindruck mächtig wurde, den er
auf die Bewunderung bildungsfähiger Völker hervorbrachte. In
Indien selbst, in dem, was wir von Indischer Geschichte und
Literatur wissen, finden wir, soviel mir bekannt ist, keine Erwäh-
i^ 1. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
nung des südöstlichen Archipels. Wenn auch vielleicht Lanka
südlicher angenommen wurde, als sich Ceylon erstreckt, so war
dies wohl nur dunkle und ungewisse Kunde oder bloss dichterische
Annahme. Vom Archipel selbst gieng daher, was auch sehr be-
greiflich ist, nichts aus, was auf das Festland hätte irgend be-
deutend einwirken können. Die mächtige Wirkung übte Indien,
und wahrscheinlich sogar durch Ansiedelungen, deren Absicht es
nicht war, das Stammland fernerhin als ihre Heimath zu betrachten
oder Verbindungen damit zu unterhalten. Die Ursachen hierzu
konnten mannigfaltig seyn. Inwiefern die Buddhistischen Ver-
folgungen darunter wirksam seyn mochten, werde ich in der Folge
erörtern.
Um aber die Vermischung Indischer und Malayischer Elemente
und den Einfluss Indiens auf den ganzen südöstlichen Archipel
gehörig zu würdigen, muss man die verschiedenen Arten seiner
Wirksamkeit unterscheiden und dabei schon darum von derjenigen
ausgehen, welche, wie früh sie auch begonnen haben mag, bis in
die späteste Zeit hin fortgesetzt worden ist, weil sie auch natür-
lich die deutlichsten und unverkennbarsten Spuren hinterlassen
hat. Hier übt nicht nur, wie bei aller Völkervermischung, die
geredete fremde Sprache, sondern zugleich die ganze, in und mit
ihr aufgeblühte geistige Bildung Einfluss aus. Ein solcher nun ist
unläugbar in dem Uebergange Indischer Sprache, Literatur, Mythe
und religiöser Philosophie nach Java sichtbar. Hiervon handelt,
nur in näherer Beziehung auf die Sprache, die ganze Folge dieser
Schrift, und ich kann mich daher hier mit der blossen Erwähnung
begnügen. Diese Art des Einflusses traf nur den eigentlich In-
dischen Archipel, den Malayischen Kreis im engeren Verstände,
vielleicht aber auch diesen nicht ganz, und gewiss nicht in gleichem
Masse. Der Brennpunkt desselben war so sehr Java, dass man
nicht mit Unrecht zweifelhaft bleiben kann, ob nicht der auf den
Ueberrest des Archipels grossentheils nur ein mittelbarer, von
dieser Insel ausgehender war. Ausser ihr finden wir nur noch
deutliche und vollständige Beweise literarischer Indischer Cultur
bei den eigentlichen Malayen und bei den Bugis auf Celebes.
Eine wahre Literatur kann, und zwar aus inneren Gründen der
Sprachbildung selbst, nur mit einer zugleich gegebenen und in
Gebrauch kommenden Schrift entstehen. Es macht daher ein
wichtiges Moment in den Culturverhältnissen des südöstlichen
Archipels aus, dass gerade der als Malayisch im engeren Ver-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I. ^j
Stande bezeichnete Inselkreis, zwar nicht durchgängig, aber aus-
schliesslich gegen die anderen Theile, alphabetische Schrift besitzt.
Es ist aber hierbei doch ein nicht zu übersehender Unterschied.
Die alphabetische Schrift in diesem Theile der Erde ist Indische.
Dies liegt in den natürlichen Culturverhältnissen dieser Gegenden,
und ist bei den meisten dieser Alphabete, wenn man etwa das
der Bugis ausnimmt, auch in der Aehnlichkeit der Züge sichtbar,
der inneren Einrichtung der Lautbezeichnung nicht zu erwähnen,
die allerdings, da sie auch später nur dem fremden Alphabet an-
gepasst seyn könnte, keinen entscheidenden Beweisgrund abgiebt.
Dennoch waltet die völlige Aehnlichkeit, bloss mit Anpassung an
das einfachere Lautsystem der einheimischen Sprache, nur in Java
und etwa in Sumatra ob. Die Tagalische und Bugis-Schrift weichen
so bedeutend ab, dass man sie für eine Stufe in der alphabetischen
Schrifterfindung ansehen kann. Auf Madagascar hat die Arabische
Schrift sich, so wie die Indische auf dem Mittelpunkt des Archipels,
Geltung verschafft. In welcher Zeit aber dies geschehen seyn mag?
ist unbekannt. Auch findet sich keine Spur einer durch sie ver-
drängten einheimischen. Der Gebrauch der Arabischen Schrift bei
den eigentlichen Malayen entscheidet, als offenbar spätere Ein-
führung, nichts in den Culturverhältnissen, von welchen hier die
Rede ist. Von dem Mangel aller Schrift auf den Inseln der Süd-
see und bei den negerartigen Stämmen habe ich schon weiter
oben (S. 3.) gesprochen. Die Spuren des Hinduismus, den wir
hier im Gesicht haben, sind von der Art, dass man sie überall
deutlich erkennen und sogleich als fremde Elemente unterscheiden
kann. Es ist hier keine wahre Verwebung, noch weniger eine
Verschmelzung, sondern nur eine mosaikartige Verbindung von
Fremdem und Einheimischem. Man kann, was Sitten und Ge-
bräuche betrifft, in dem Indischen Alterthume, die ausländischen
Wörter, die nicht einmal ganz von ihrer grammatischen Formung
entkleidet sind, in dem auf uns gekommenen Sanskrit deutlich
wiedererkennen; man kann sogar die Gesetze auffinden, welche
diese Verpflanzung fremder Sprachelemente auf den einheimischen
Boden geregelt haben. Es ist dies die Grundlage der vornehmen
und der Dichtersprache auf Java, und hängt ganz genau mit dem
Uebergange der Literatur und Religion zusammen. Bei weitem
nicht Alles dieser Art hat sich auch in der Volkssprache Geltung
verschafft, und ebenso wenig lässt sich behaupten, dass, wo diese
Indische Wörter besitzt, sie dieselben allein auf diesem Wege er-
10
I. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
halten habe. Es entstehen daher, wenn man die Gattungen des
verschiednen Indischen Einflusses weiter verfolgt, zwei tiefer
liegende, durch factische Umstände hervorgerufene, aber mit Be-
stimmtheit schwer zu beantwortende Fragen : ob nemlich die ganze
Civilisation des Archipels überhaupt Indischen Ursprunges ist ? und
ob auch aus einer Zeit her, die aller Literatur und der letzten und
feinsten Sprachentwicklung vorausgeht, Verbindungen zwischen dem
Sanskrit und den Malayischen Sprachen im weitesten Sinne be-
standen haben, die sich noch in gemeinschaftlichen Sprachelementen
nachweisen lassen?
Die erste dieser beiden Fragen wäre ich zu verneinen geneigt.
Es scheint mir ausgemacht, dass es eigentliche und ursprüngliche
Civilisation der braunen Race des Archipels gegeben habe. Sie
findet sich noch in dem östlichsten Theile, und ist nicht einmal
in Java unverkennbar untergegangen. Es Hesse sich zwar aller-
dings sagen, dass die Bevölkerung des Archipels allmählich von der
Mitte, auf welche Indien zunächst wirkte, ausgegangen se}^, und
sich von da gegen Osten verbreitet habe, so dass der bestimmt
Indische Charakter sich an den Endpunkten mehr vermischt habe.
Eine solche Annahme wird doch aber um so weniger durch be-
stimmte Aehnlichkeiten unterstützt, als gerade in demjenigen, was
sich gar nicht vorzugsweise als Indisch ankündigt, auffallende
Uebereinstimmungen der Sitten von Völkerschaften des mittleren
und östlicheren Archipels namhaft gemacht worden sind. Man
sieht auch durchaus nicht ein, warum man einem Völkerstamme,
wie der Malayische ist, eine aus ihm selbst hervorgebildete gesell-
schaftliche Civilisation absprechen sollte, der Gang der Bevölkerung
und allmählichen Gesittung möge übrigens diese oder jene Richtung
genommen haben? Selbst die Fähigkeit der zu ihm gehörenden
Völkerschaften, den ihnen zugebrachten Hinduismus in sich auf-
zunehmen, ist ein Beweis dafür, und noch mehr die Art, wie sie
dennoch das Einheimische damit verwebten und dem Indischen
fast nie seine ganze fremde Gestalt liessen. Beides hätte noth-
wendig anders seyn müssen, wenn die Indischen Ansiedlungen
diese Stämme als rohe, uncultivirte Wilde angetroffen hätten.
Wenn ich hier von Indiern rede, so meine ich natürlich nur den
Sanskrit redenden Stamm, nicht Bewohner des Indischen Festlandes
überhaupt. Inwiefern solche von jenem Stamme angetroffen und
vielleicht von ihm verjagt wurden, ist eine andere Frage, in die
ich hier nicht eingehe, wo es mir nur darauf ankommt, zu zeigen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, i. j j
von welchen verschiedenen Gulturverhältnissen die Malayischen
Stämme umgeben waren.
Die zweite, allein die Sprache angehende Frage muss, wie ich
glaube, allerdings bejaht werden. In dieser Hinsicht dehnen sich
die Gränzen des Indischen Einflusses weiter aus. Ohne noch des
Tagalischen zu erwähnen, welches eine ziemliche Anzahl von
Sanskritwörtern für ganz verschiedene Gattungen von Gegenständen
in sich fasst, finden sich auch in der Sprache von Madagascar und
in der der Südsee-Inseln , bis in das Pronomen hinein, zugleich
dem Sanskrit angehörende Laute und Wörter ; und auch die Stufen
der Lautveränderung, die als comparatives Kennzeichen des Alters
der Verwebung angesehen werden können, sind selbst in solchen
Sprachen des engeren Malayischen Kreises verschieden, in welchen,
wie im Javanischen, auch ein noch viel später ausgeübter Einfluss
Indischer Sprache und Literatur sichtbar ist. Wie nun dies zu
erklären, und welches gegenseitige Verhältniss den in dieser Hin-
sicht sich nähernden beiden grossen Sprachstämmen anzuweisen
ist? bleibt natürlich höchst zweifelhaft. Ich werde aber am Ende
dieser Schrift ausführlicher darauf zurückkommen, da mir hier
genügt, auf einen Einfluss des Sanskrits auf die Sprachen des
Malayischen Stammes aufmerksam gemacht zu haben, der sich von
dem der in sie verpflanzten Geistesbildung und Literatur wesent-
lich unterscheidet, und einer viel früheren Epoche und andren
Völkerverhältnissen anzugehören scheint. Ich werde alsdann auch
die Sprachen der negerartigen Racen berühren, muss aber hier im
voraus bemerken, dass, wenn sich in einigen derselben, z. B. in der
Papua-Sprache in Neu-Guinea, Aehnlichkeiten mit Sanskrit-Wörtern
finden sollten, dies noch keinesweges nur einmal unmittelbare Ver-
bindungen zwischen Indien und jenen Eilanden beweist, da solche
gemeinschaftliche \^"örter auch mittelbar durch Malayische Schiff-
fahrt dahin gebracht seyn können, so wie dies mit Arabischen
sichtlich der Fall gewesen ist. (S. i. Buch. S. 246. 251.)
Zwischen so contrastirende Verwandtschaften und Einflüsse
gleichsam eingedrängt, finden wir nun die Mala3dschen Völker-
schaften, wenn wir die hier versuchte Schilderung des Cultur-
zustandes des grossen Archipels übersehen. Auf denselben Inseln
und Inselgruppen, welche zum Theil noch jetzt in ihrem Schoosse
eine Bevölkerung tragen, die auf der niedrigsten Stufe der Mensch-
heit steht, oder wo eine solche doch im früheren Alterthume be-
standen hat, ist zugleich eine uralte und zu der glücklichsten
j2 1. Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Blüthe gediehene Bildung von Indien herüber einheimisch ge-
worden. Die Malayischen Stämme haben sich dieselbe zum Theil
in ihrer ganzen Fülle angeeignet. Dabei sind sie sichtbar Stamm-
verwandte der, gegen diese Bildung, als Wilde zu betrachtenden
Bewohner der Südsee -Inseln, und es ist noch zweifelhaft, ob
wenigstens ihre Sprache der negerartigen Race ganz fremd ist.
Sie haben sich in einer ihnen eigenthümlichen Gestalt und in
einer, in ihrer Vollendung, nur ihnen angehörenden Sprachform,
die sich in bestimmten Umrissen darstellen lässt, von jenen rohen
Stämmen abgesondert erhalten. Diejenige Bevölkerung des grossen
Archipels, die sich, nach den bis jetzt bekannten Angaben, auf
dem Asiatischen Continente nicht nachweisen lässt, befindet sich,
wenn wir den fremden Einfluss abrechnen, mehr oder weniger,
entweder in einem ganz rohen und wilden Zustande, oder auf
der Civilisationsstufe beginnender Gesellschaft. Dies ist vorzüglich
dann genau wahr, wenn wir bloss die negerartige Race und die
Südsee-Bewohner im Auge behalten, und die im engeren Ver-
stände Malayisch zu nennenden Stämme davon absondern, ob-
gleich kein ganz hinreichender Grund vorhanden ist, diesen, vor
allem Indischen Einfluss, einen sehr viel höheren Culturgrad zuzu-
schreiben. Wir treffen ja noch heute bei den Batta's auf Sumatra,
in deren Mythen und Religion sogar Indischer Einfluss unver-
kennbar ist, die barbarische Sitte an, bei gewissen Gelegenheiten
Menschenfleisch zu essen. Der grosse Archipel dehnt sich aber
unter der ganzen Länge Asiens hin, und überflügelt sie, westlich
und östlich von Afrika und Amerika eingeschlossen, zu beiden
Seiten. Seine Mitte befindet sich in einer, für die Schiffahrt immer
nur massigen Entfernung selbst von den äussersten Endpunkten
Asiatischen Festlands. Es haben daher auch die drei grossen
Brennpunkte der frühesten Geistesbildung des Menschengeschlechts :
China, Indien und die Sitze des Semitischen Sprachstamms in
verschiedenen Zeiten auf ihn eingewirkt. In verhältnissmässig
späterer hat er von allen Einfluss erfahren. Auf seine frühere
Gestaltung aber hat nur Indien wahrhaft tief eingewirkt, Arabien,
wenn man, was doch, der Zeitbestimmung nach, auch zweifelhaft
bleibt, Madagascar ausnimmt, gar nicht, und ebenso wenig be-
deutend, seiner frühen Ansiedlungen ungeachtet, China. Selbst
eine Verwandtschaft Chinesischer Sprache mit den Mundarten der
Südsee, auf welche ein gewisser Gebrauch partikelartiger Wörter
führen könnte, ist bis jetzt nicht gezeigt worden.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I. 2. lo
Eine solche Lage und ein solches Verhältniss der Völker und
Sprachen gegen einander bietet ethnographischen und linguistischen
Untersuchungen die wichtigsten, aber auch schwierigsten Probleme
dar. In die Erörterung dieser einzugehen, ist hier meine Absicht
nicht. Es kann dies nur, insofern sich etwas irgend Genügendes
darüber ausmachen lässt, der Gegenstand von Schlussbemerkungen
nach gehöriger Darlegung der Thatsachen seyn. Um aber diese
von dem Punkte zu beginnen, wo die geschichtlichen Data am
klarsten und gewissesten vorliegen, werde ich die Untersuchung
in den beiden ersten Büchern dieser Schrift bei der Epoche auf-
nehmen, wo der Indische EinÜuss am tiefsten und eingreifendsten
in die Malayische Bildung eingewirkt hat. Dieser Culminations-
punkt ist offenbar die Blüthe der Kawi-Sprache, als der innigsten
Verzweigung Indischer und einheimischer Bildung auf der Insel,
welche die frühesten und zahlreichsten Indischen Ansiedelungen
besass. Ich werde dabei immer vorzugsweise auf das einheimische
Element in dieser Sprach Verbindung hinsehn, dies aber aus er-
weitertem Gesichtspunkte in seiner ganzen Stammverknüpfung
betrachten, und seine Entwicklung bis zu dem Punkte verfolgen,
wo ich seinen Charakter in der Tagalischen Sprache in seiner
grössten und reinsten Entfaltung zu finden glaube. Im dritten
Buche werde ich mich, soweit es die vorhandenen Hülfsmittel er-
lauben, über den ganzen Archipel verbreiten, auf die so eben an-
gedeuteten Probleme zurückkommen, und so versuchen, ob dieser
Weg, verbunden mit dem bis dahin Erörterten, zu einer richtigeren
Beunheilung des Völker- und Sprachverhältnisses der ganzen Insel-
menge zu führen vermag?
Gegenstand dieser Einleitung.
Die gegenwärtige Einleitung glaube ich allgemeineren Be-
trachtungen widmen zu müssen, deren Entwicklung den Ueber-
gang zu den Thatsachen und historischen Untersuchungen ange-
messener vorbereiten wird. Die Venheilung des Menschengeschlechts
in Völker und Völkerstämme und die Verschiedenheit seiner
Sprachen und Mundarten hängen zwar unmittelbar mit einander
zusammen, stehen aber auch in Verbindung und unter Abhängig-
keit einer dritten, höheren Erscheinung, der Erzeugung mensch-
licher Geisteskraft in immer neuer und oft gesteigerter Gestaltung.
JA I. Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Sie finden darin ihre Würdigung, aber auch, soweit die Forschung
in sie einzudringen und ihren Zusammenhang zu fassen vermag,
ihre Erklärung. Diese in dem Laufe der Jahrtausende und in dem
Umfange des Erdkreises, dem Grade und der Art nach, verschieden-
artige Offenbarwerdung der menschUchen Geisteskraft ist das
höchste Ziel aller geistigen Bewegung, die letzte Idee, welche die
Weltgeschichte klar aus sich hervorgehen zu lassen streben muss.
Denn diese Erhöhung oder Erweiterung des inneren Daseyns ist
das Einzige, was der Einzelne, insofern er daran Theil nimmt, als
ein unzerstörbares Eigenthum ansehen kann, und in einer Nation
dasjenige, woraus sich unfehlbar wieder grosse Individualitäten
entwickeln. Das vergleichende Sprachstudium, die genaue Er-
gründung der Mannigfaltigkeit, in welcher zahllose Völker dieselbe
in sie, als Menschen, gelegte Aufgabe der Sprachbildung lösen,
verliert alles höhere Interesse, wenn sie sich nicht an den Punkt
anschliesst, in welchem die Sprache mit der Gestaltung der natio-
nellen Geisteskraft zusammenhängt. Aber auch die Einsicht in
das eigentliche Wesen einer Nation und in den inneren Zusammen-
hang einer einzelnen Sprache, so wie in das Verhältniss derselben
zu den Sprachforderungen überhaupt, hängt ganz und gar von
der Betrachtung der gesammten Geisteseigenthümlichkeit ab. Denn
nur durch diese, wie die Natur sie gegeben und die Lage darauf
eingewirkt hat, schliesst sich der Charakter der Nation zusammen,
auf dem allein, was sie an Thaten, Einrichtungen und Gedanken
hervorbringt, beruht und in dem ihre sich wieder auf die Indi-
viduen fortvererbende Kraft und Würde liegt. Die Sprache auf
der andren Seite ist das Organ des inneren Seyns, dies Seyn selbst,
wie es nach und nach zur inneren Erkenntniss und zur Aeusse-
rung gelangt. Sie schlägt daher alle feinste Fibern ihrer Wurzeln
in die nationeile Geisteskraft; und je angemessener diese auf sie
zurückwirkt, desto gesetzmässiger und reicher ist ihre Entwicklung.
Da sie in ihrer zusammenhängenden Verwebung nur eine Wirkung
des nationellen Sprachsinns ist, so lassen sich gerade die Fragen,
welche die Bildung der Sprachen in ihrem innersten Leben be-
treffen, und woraus zugleich ihre wichtigsten Verschiedenheiten
entspringen, gar nicht gründlich beantworten, wenn man nicht
bis zu diesem Standpunkte hinaufsteigt. Man kann allerdings dort
nicht Stoff für das, seiner Natur nach, nur historisch zu behandelnde
vergleichende Sprachstudium suchen, man kann aber nur da die
Einsicht in den ursprünglichen Zusammenhang der Thatsachen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 2. 3. x -
und die Durchschauung der Sprache, als eines innerlich zusammen-
hängenden Organismus, gewinnen, was alsdann wieder die richtige
Würdigung des Einzelnen befördert.
Die Betrachtung des Zusammenhanges der Sprachverschieden-
heit und Völker\^ertheilung mit der Erzeugung der menschlichen
Geisteskraft, als einer sich nach und nach in wechselnden Graden
und neuen Gestaltungen entwickelnden, insofern sich diese beiden
Erscheinungen gegenseitig aufzuhellen vermögen, ist dasjenige, was
mich in dieser Schrift beschäftigen wird.
Allgemeine Betrachtung des menschlichen
Entwicklungsganges.
. Die genauere Betrachtung des heutigen Zustandes der politi- 3.
sehen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung führt auf
eine lange, durch viele Jahrhunderte hinlaufende Kette einander
gegenseitig bedingender Ursachen und Wirkungen. Man wird
aber bei Verfolgung derselben bald gewahr, dass darin zwei ver-
schiedenartige Elemente obwalten, mit welchen die Untersuchung
nicht auf gleiche Weise glücklich ist. Denn indem man einen
Theil der fortschreitenden Ursachen und Wirkungen genügend
aus einander zu erklären vermag, so stösst man, wie dies jeder
Versuch einer Culturgeschichte des Menschengeschlechts beweist,
von Zeit zu Zeit gleichsam auf Knoten, welche der weiteren Lösung
widerstehen. Es liegt dies eben in jener geistigen Kraft, die sich
in ihrem Wiesen nicht ganz durchdringen und in ihrem Wirken
nicht vorher berechnen lässt. Sie tritt mit dem vor ihr und um
sie Gebildeten zusammen, behandelt und formt es aber nach der
in sie gelegten Eigenthümlichkeit. Von jedem grossen Individuum
einer Zeit aus könnte man die weltgeschichtliche Entwicklung be-
ginnen, auf welcher Grundlage es aufgetreten ist und wie die Arbeit
der vorausgegangenen Jahrhunderte diese nach und nach aufgebaut
hat. Allein die Art, wie dasselbe seine so bedingte und unterstützte
Thätigkeit zu demjenigen gemacht hat, was sein eigenthümliches
Gepräge bildet, lässt sich wohl nachweisen, und auch w^eniger dar-
stellen als empfinden, jedoch nicht wieder aus einem Anderen ab-
leiten. Es ist dies die natürliche und überall wiederkehrende Er-
scheinung des menschlichen Wirkens. Ursprünglich ist alles in
ihm innerlich, die Empfindung, die Begierde, der Gedanke, der
iß 1. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Entschluss, die Sprache und die That. x\ber wie das Innerliche
die Welt berühn, wirkt es für sich fort, und bestimmt durch die
ihm eigne Gestalt anderes, inneres oder äusseres Wirken. Es
bilden sich in der vorrückenden Zeit Sicherungsmittel des zuerst
flüchtig Gewirkten, und es geht immer weniger von der Arbeit
der verflossenen Jahrhunderte für die folgenden verloren. Dies
ist nun das Gebiet, worin die Forschung Stufe nach Stute ver-
folgen kann. Es ist aber immer zugleich von der Wirkung neuer
und nicht zu berechnender innerlicher Kräfte durchkreuzt, und
ohne eine richtige Absonderung und Erwägung dieses doppelten
Elementes, von welchem der Stoft des einen so mächtig werden
kann, dass er die Kraft des andren zu erdrücken Gefahr droht,
ist keine wahre Würdigung des Edelsten möglich, was die Ge-
schichte aller Zeiten aufzuweisen hat.
Je tiefer man in die Vorzelt hinabsteigt, desto mehr schmilzt
natürlich die Masse des von den auf einander folgenden Ge-
schlechtern fortgetragenen Stoffes. Man begegnet aber auch dann
einer andren, die Untersuchung gewissermassen auf ein neues
Feld versetzenden Erscheinung. Die sicheren, durch ihre äusseren
Lebenslagen bekannten Individuen stehen seltner und ungewisser
vor uns da; ihre Schicksale, ihre Namen selbst, schwanken, ja es
wird ungewiss, ob, was man ihnen zuschreibt, allein ihr Werk,
oder ihr Name nur der Vereinigungspunkt der Werke Mehrerer ist?
sie verlieren sich gleichsam in eine Glasse von Schattengestalten.
Dies ist der Fall in Griechenland mit Orpheus und Homer, in
Indien mit Manu, Wyäsa, W^älmiki, und mit andren gefeierten
Namen des Alterthums. Die bestimmte Individualität schwindet
aber noch mehr, wenn man noch weiter zurückschreitet. Eine so
abgerundete Sprache, wie die Homerische, muss schön lange in
den Wogen des Gesanges hin und her gegangen seyn, schon Zeit-
alter hindurch, von denen uns keine Kunde geblieben ist. Noch
deutlicher zeigt sich dies an der ursprünglichen Form der Sprachen
selbst. Die Sprache ist tief in die geistige Entwicklung der Mensch-
heit verschlungen, sie begleitet dieselbe auf jeder Stufe ihres localen
Vor- oder Rückschreitens, und der jedesmalige Culturzustand wird
auch in ihr erkennbar. Es giebt aber eine Epoche, in der wir
nur sie erblicken, wo sie nicht die geistige Entwicklung bloss
begleitet, sondern ganz ihre Stelle einnimmt. Die Sprache ent-
springt zwar aus einer Tiefe der Menschheit, welche überall ver-
bietet, sie als ein eigentliches Werk und als eine Schöpfung der
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 3.4. i -
Völker zu betrachten. Sie besitzt eine sich uns sichtbar offen-
barende, wenn auch in ihrem Wesen unerklärliche, Selbstthätigkeit,
und ist, von dieser Seite betrachtet, kein Erzeugniss der Thätigkeit,
sondern eine unwillkührliche Emanation des Geistes, nicht ein Werk
der Nationen, sondern eine ihnen durch ihr inneres Geschick zu-
gefallene Gabe. Sie bedienen sich ihrer, ohne zu wissen, wie sie
dieselbe gebildet haben. Demungeachtet müssen sich die Sprachen
doch immer mit und an den aufblühenden Völkerstämmen ent-
wickelt, aus ihrer Geisteseigenthümlichkeit, die ihnen manche Be-
schränkungen aufgedrückt hat, herausgesponnen haben. Es ist
kein leeres Wortspiel, wenn man die Sprache als in Selbstthätig-
keit nur aus sich entspringend und göttlich frei, die Sprachen aber
als gebunden und von den Nationen, welchen sie angehören, ab-
hängig darstellt. Denn sie sind dann in bestimmte Schranken ein-
getreten.*) Indem Rede und Gesang zuerst frei strömten, bildete
sich die Sprache nach dem Mass der Begeisterung und der Frei-
heit und Stärke der zusammenwirkenden Geisteskräfte. Dies konnte
aber nur von allen Individuen zugleich ausgehn, jeder Einzelne
musste darin von dem Andren getragen werden, da die Begeiste-
rung nur durch die Sicherheit, verstanden und empfunden zu seyn,
neuen Aufflug gewinnt. Es eröffnet sich daher hier, wenn auch
nur dunkel und schwach, ein Blick in eine Zeit, wo für uns die
Individuen sich in der Masse der Völker verlieren und wo die
Sprache selbst das Werk der intellectuellen schaffenden Kraft ist.
In jeder Ueberschauung der Weltgeschichte liegt ein, auch 4.
hier angedeutetes Fortschreiten. Es ist jedoch keinesweges meine
Absicht, ein System der Zwecke oder bis ins Unendliche gehenden
Vervollkommnung aufzustellen; ich befinde mich vielmehr im Gegen-
theil hier auf einem ganz verschiednen Wege. V^ölker und Indivi-
duen wuchern gleichsam, sich vegetativ, wie Pflanzen, über den Erd-
boden verbreitend, und geniessen ihr Daseyn in Glück und Thätig-
keit. Dies, mit jedem Einzelnen hinsterbende Leben geht ohne
Rücksicht auf Wirkungen für die folgenden Jahrhunderte ungestört
fort; die Bestimmung der Natur, dass alles, was athmet, seine
Bahn bis zum letzten Hauche vollende, der Zweck wohlthätig
ordnender Güte, dass jedes Geschöpf zum Genüsse seines Lebens
gelange, werden erreicht, und jede neue Generation durchläuft
denselben Kreis freudigen oder leidvollen Dase3^ns, gelingender
*) Man vergleiche weiter unten §. 9. 10. 35.
W. V. Humboldt, Werke. VII.
]3 !• über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
oder gehemmter Thätigkeit. Wo aber der Mensch auftritt, wirkt
er menschlich, verbindet sich gesellig, macht Einrichtungen, giebt
sich Gesetze ; und wo dies auf unvollkommnere Weise geschehen
ist, verpflanzen das an andren Orten besser Gelungene hinzu-
kommende Individuen oder Völkerhaufen dahin. So ist mit dem
Entstehen des Menschen auch der Keim der Gesittung gelegt und
wächst mit seinem sich fortentwickelnden Daseyn. Diese Ver-
menschlichung können wir in steigenden Fortschritten wahrnehmen,
ja es liegt theils in ihrer Natur selbst, theils in dem Umfange, zu
welchem sie schon gediehen ist, dass ihre weitere Vervollkomm-
nung kaum wesentlich gestört werden kann.
In den beiden hier ausgeführten Punkten liegt eine nicht zu
verkennende Planmässigkeit; sie wird auch in andren, wo sie uns
nicht auf diese Weise entgegentritt, vorhanden seyn. Sie darf aber
nicht vorausgesetzt werden, wenn nicht ihr Aufsuchen die Er-
gründung der Thatsachen irre führen soll. Dasjenige, wovon wir
hier eigentlich reden, lässt sich am wenigsten ihr untenverfen. Die
Erscheinung der geistigen Kraft des Menschen in ihrer verschieden-
artigen Gestaltung bindet sich nicht an Fortschritte der Zeit und
an Sammlung des Gegebenen. Ihr Ursprung ist ebenso wenig
zu erklären, als ihre Wirkung zu berechnen, und das Höchste in
dieser Gattung ist nicht gerade das Späteste in der Erscheinung.
Will man daher hier den Bildungen der schaffenden Natur nach-
spähen, so muss man ihr nicht Ideen unterschieben, sondern sie
nehmen, wie sie sich zeigt. In allen ihren Schöpfungen bringt sie
eine gewisse Zahl von Formen hervor, in welchen sich das aus-
spricht, was von jeder Gattung zur Wirklichkeit gediehen ist und
zur Vollendung ihrer Idee genügt. Man kann nicht fragen, warum
es nicht mehr oder andre Formen giebt? es sind nun einmal
nicht andre vorhanden, — würde die einzige naturgemässe Ant-
wort seyn. Man kann aber nach dieser Ansicht, was in der geistigen
und körperlichen Natur lebt, als die Wirkung einer zum Grunde
liegenden, sich nach uns unbekannten Bedingungen entwickelnden
Kraft ansehen. Wenn man nicht auf alle Entdeckung eines Zu-
sammenhanges der Erscheinungen im Menschengeschlecht Verzicht
leisten will, muss man doch auf irgend eine selbstständige und
ursprüngliche, nicht selbst wieder bedingt und vorübergehend er-
scheinende Ursach zurückkommen. Dadurch aber wird man am
natürlichsten auf ein inneres, sich in seiner Fülle frei entwickeln-
des Lebensprincip geführt, dessen einzelne Entfaltungen darum
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengesclilechts. 4. jq
nicht in sich unverknüpft sind, weil ihre äusseren Erscheinungen
isolirt dastehen. Diese Ansicht ist gänzlich von der der Zwecke
verschieden, da sie nicht nach einem gesteckten Ziele hin, sondern
von einer, als unergründlich anerkannten Ursach ausgeht. Sie
nun ist es, welche mir allein auf die verschiedenartige Gestaltung
der menschlichen Geisteskraft anwendbar scheint, da, wenn es
erlaubt ist so abzutheilen, durch die Kräfte der Natur und das
gleichsam mechanische Fortbilden der menschlichen Thätigkeit die
gewöhnlichen Forderungen der Menschheit befriedigend erfüllt
werden, aber das durch keine eigentlich genügende Herleitung
erklärbare Auftauchen grösserer Individualität in Einzelnen und in
Völkermassen dann wieder plötzlich und unvorhergesehen in jenen
sichtbarer durch Ursach und Wirkung bedingten Weg eingreift.
Dieselbe Ansicht ist nun natürlich gleich anwendbar auf die
Hauptwirksamkeiten der menschlichen Geisteskraft, namentlich,
wobei wir hier stehen bleiben w^ollen, auf die Sprache. Ihre Ver-
schiedenheit lässt sich als das Streben betrachten, mit welchem die
in den Menschen allgemein gelegte Kraft der Rede, begünstigt
oder gehemmt durch die den Völkern beiwohnende Geisteskraft,
mehr oder weniger glücklich hen^orbricht.
Denn wenn man die Sprachen genetisch, als eine auf einen
bestimmten Zweck gerichtete Geistesarbeit betrachtet, so fällt es
von selbst in die Augen, dass dieser Zweck in minderem oder
höherem Grade erreicht werden kann, ja es zeigen sich sogar die
verschiedenen Hauptpunkte, in welchen diese Ungleichheit der Er-
reichung des Zweckes bestehen wird. Das bessere Gelingen kann
nemlich in der Stärke und Fülle der auf die Sprache wirkenden
Geisteskraft überhaupt, dann aber auch in der besonderen Ange-
messenheit derselben zur Sprachbildung liegen, also z. B. in der
besonderen Klarheit und Anschaulichkeit der Vorstellungen, in der
Tiefe der Eindringung in das Wesen eines Begriffs, um aus dem-
selben gleich das am meisten bezeichnende Merkmal loszureissen,
in der Geschäftigkeit und der schaffenden Stärke der Phantasie,
in dem richtig empfundenen Gefallen an Harmonie und Rhythmus
der Töne, wohin also auch Leichtigkeit und Gewandtheit der Laut-
organe und Schärfe und Feinheit des Ohres gehören. Ferner aber
ist auch die Beschaffenheit des überkommenen Stoffs und der ge-
schichtlichen Mitte zu beachten, in welcher sich, zwischen einer
auf sie einwirkenden Vorzeit und den in ihr selbst ruhenden
Keimen fernerer Entwicklung, eine Nation in der Epoche einer
20 !• Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
bedeutenden Sprachumgestaltung befindet. Es giebt auch Dinge
in den Sprachen, die sich in der That nur nach dem auf sie ge-
richteten Streben, nicht gleich gut nach den Erfolgen dieses Strebens
beurtheilen lassen. Denn nicht immer gelingt es den Sprachen,
ein, auch noch so klar in ihnen angedeutetes Streben vollständig
durchzuführen. Hierhin gehört z. B. die ganze Frage über Flexion
und Agglutination, über w^elche sehr viel Misverständniss geherrscht
hat und noch fortwährend herrscht. Dass nun Nationen von
glückhcheren Gaben und unter günstigeren Umständen vorzüg-
lichere Sprachen, als andere, besitzen, liegt in der Natur der Sache
selbst. Wir werden aber auch auf die eben angeregte tiefer liegende
Ursach geführt. Die Hervorbringung der Sprache ist ein inneres
Bedürfniss der Menschheit, nicht bloss ein äusserliches zur Unter-
haltung gemeinschaftlichen Verkehrs, sondern ein in ihrer Natur
selbst liegendes, zur Entwicklung ihrer geistigen Kräfte und zur
Gewinnung einer Weltanschauung, zu welcher der Mensch nur
gelangen kann, indem er sein Denken an dem gemeinschaftlichen
Denken mit Anderen zur Klarheit und Bestimmtheit bringt, unent-
behrliches. Sieht man nun, wie man kaum umhin kann zu thun,
jede Sprache als einen Versuch, und wenn man die Reihe aller
Sprachen zusammennimmt, als einen Beitrag zur Ausfüllung dieses
Bedürfnisses an; so lässt sich wohl annehmen, dass die sprach-
bildende Kraft in der Menschheit nicht ruht, bis sie, sey es einzeln,
sey es im Ganzen, das hervorgebracht hat, was den zu machenden
Forderungen am meisten und am vollständigsten entspricht. Es
kann sich also, im Sinne dieser Voraussetzung, auch unter Sprachen
und Sprachstämmen, welche keinen geschichtlichen Zusammenhang
verrathen, ein stufenweis verschiednes Vorrücken des Princips
ihrer Bildung auffinden lassen. Wenn dies aber der Fall ist, so
muss dieser Zusammenhang äusserlich nicht verbundener Erschei-
nungen in einer allgemeinen inneren Ursach liegen, welche nur
die Entwicklung der wirkenden Kraft seyn kann. Die Sprache ist
eine der Seiten, von welchen aus die allgemeine menschliche
Geisteskraft in beständig thätige Wirksamkeit tritt. Anders aus-
gedrückt, erblickt man darin das Streben, der Idee der Sprach-
vollendung Daseyn in der Wirklichkeit zu gewinnen. Diesem
Streben nachzugehen und dasselbe darzustellen, ist das Geschäft
des Sprachforschers in seiner letzten, aber einfachsten Auflösung.*)
*) Man vergleiche meine Abhandlung über die Aufgabe des Geschichtschreibers
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 4. 2 1
Das Sprachstudium bedarf übrigens dieser, vielleicht zu hypo-
thetisch scheinenden Ansicht durchaus nicht als einer Grundlage.
Allein es kann und muss dieselbe als eine Anregung benutzen, zu
versuchen, ob sich in den Sprachen ein solches stufenweis fort-
schreitendes Annähern an die ^^ollendung ihrer Bildung entdecken
lässt. Es könnte nemlich eine Reihe von Sprachen einfacheren
und zusammengesetzteren Baues geben, welche, bei der Ver-
gleichung mit einander, in den Principien ihrer Bildung eine fort-
schreitende Annäherung an die Erreichung des gelungensten Sprach-
baues verriethen. Der Organismus dieser Sprachen müsste dann,
selbst bei verwickelten Formen, in Consequenz und Einfachheit
die Art ihres Strebens nach Sprachvollendung leichter erkennbar,
als es in andren der Fall ist, an sich tragen. Das Fortschreiten
auf diesem Wege würde sich in solchen Sprachen vorzüglich zuerst
in der Geschiedenheit und vollendeten Articulation ihrer Laute,
daher in der davon abhängigen Bildung der Sylben, der reinen
Sonderung derselben in ihre Elemente, und im Baue der ein-
fachsten Wörter finden; ferner in der Behandlung der Wörter,
als Lautganze, um dadurch wirkliche Worteinheit, entsprechend
der Begriffseinheit, zu erhalten ; endlich in der angemessnen
Scheidung desjenigen, was in der Sprache selbstständig und was
nur, als Form, am Selbstständigen erscheinen soll, w^ozu natürlich
ein Verfahren erfordert wird, das in der Sprache bloss an einander
Geheftete von dem symbolisch Verschmolznen zu unterscheiden.
Auch hierin gehe ich, aus den eben angegebenen Gründen, nicht
näher ein, sondern wünsche nur, dass man an den eben auf-
gestellten Gesichtspunkten diejenigen erkennen möge, welche mich
auch bei der gleich jetzt vorzunehmenden Bestimmung des Stand-
punktes des Kawi im Malayischen Sprachstamme geleitet haben.
In dieser Betrachtung der Sprachen sondre ich aber die Verände-
rungen, die sich in jeder, ihren Schicksalen nach, aus einander
entwickeln lassen, gänzlich von ihrer für uns ersten, ursprüng-
lichen Form ab. Der Kreis dieser Urformen scheint geschlossen
zu seyn, und in der Lage, in der wir die Entwicklung der mensch-
lichen Ivräfte jetzt finden, nicht wiederkehren zu können. Denn
so innerlich auch die Sprache durchaus ist, so hat sie dennoch
zugleich ein unabhängiges, äusseres, gegen den Menschen selbst
in den Abhandlungen der historisch-philologischen Classe der Berliner Akademie 1820
bis 1821. S. 322. 1)
V Vgl. Band 4, 56.
22 !• Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Gewalt ausübendes Daseyn. Die Entstehung solcher Urformen
würde daher eine Geschiedenheit der Völker voraussetzen, die sich
jetzt, und vorzüglich verbunden mit regerer Geisteskraft, nicht
mehr denken lässt, wenn auch nicht, was noch wahrscheinlicher
ist, dem Hervorbrechen neuer Sprachen überhaupt eine bestimmte
Epoche im Menschengeschlechte, wie im einzelnen Menschen, an-
gewiesen war. ^)
^) Einwirkung ausserordentlicher Geisteskraft.
Civilisation, Cultur und Bildung.
6. Die aus ihrer inneren Tiefe und Fülle in den Lauf der Welt-
begebenheiten eingreifende Geisteskraft ist das wahrhaft ^) schaffende
V Hier ist folgender mit dem Titel „Aufstellung drei vorläufiger Fragen^^
und der Paragraphenzahl 5 versehener Absatz gestrichen : „Ich habe hier, um den
Kreis von Ideen, nach welchen ich die Sprachen und die Völkervertheilung des
Menschengeschlechts beurtheilen zu müssen glaube, im Allgemeinen zu bezeichnen,
die geistige Entwicklung der Menschheit in ihren Anfängen und in ihrer heutigen
Gestalt berühren müssen. Was ich aber eigentlich hier näher auszuführen wünsche,
fordert bei weitem keine solche Ausdehnung. Es führt vielmehr, und zwar allein
vermittelst der Durchforschimg des Baues der Sprachen selbst, als des einzigen
noch geschichtlich bis dahin gebahnten Weges, nur auf den ganz engen Kreis,
wo die Sprachen als der wesentlichste Theil der geistigen Wirksamkeit der Völker
erscheinen, in die Anfangs-, eigentlicher die Vorperiode aller Literatur. Denn
nur in der in jeder Sprache zu entdeckenden ursprünglichsten Form kann ihr
Zusammenhang mit der Geisteskraft der Nation wahrhaft sichtbar werden. Ehe
ich aber, um. das so vorgesteckte Ziel so weit zu erreichen, als es meine Kräfte und
meine in der Richtung dieser Ideen über Sprachen, die von einem sehr contrastirenden
Cultur zustande zeugen, verbreiteten Studien gestatten, in die nähere Erörterung
des Sprachbaues selbst eingehe, bieten sich der Untersuchung folgende drei vor-
läufige Fragen dar:
1. in welchem Begriff und Umfange wird hier der Ausdruck mensch-
liche Geisteskraft genommen?
2. inwiefern kann diese geistige Kraft zugleich in Individuen imd Völker-
massen, und wie abgesondert in jedem von beiden wirksam seyn ?
j. inwiefern ist sie als oberstes Erklärung sprincip der Sprachen und
als Bestimmungsgrund der besonderen Form derselben anzusehen?"
Der vierte Satz hieß ursprünglich: „Denn in diesem Kreise liegen alle That-
sachen und Ideen, durch welche sich die Sprache überhaupt als ein Ausßuss der
menschlichen Geisteskraß, ihre verschiedenartige Form als in Verbindung mit der
Individualität dieser, mithin die Geisteskraft selbst als Grundlage der Sprach-
verschiedenheit, und die Vereinigung beider als Grundlage aller weiteren geistigen
Entwicklungen der Menschheit darstellen lässt."
^) Vor „Einwirkung" gestrichen :. „Beleuchtung der ersten Frage."
^) „Die — wahrhaft" verbessert aus: „Die Kraft, von welcher ich hier rede,
ist das waltende und".
und iliren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 4 — 6. o"?
Frincip in dem verborgenen und gleichsam gelieimnissvoUen Ent-
\vicklungsgange der Menschheit, von dem ich oben, im Gegen-
satz mit dem offenbaren, sichtbar durch Ursach und Wirkung ver-
ketteten gesprochen habe. Es ist die ausgezeichnete, den Begriff
menschlicher Intellectualität erweiternde Geisteseigenthümlichkeit,
welche unerwartet und in dem Tiefsten ihrer Erscheinung uner-
klärbar hervortritt. Sie unterscheidet sich besonders dadurch, dass
ihre Werke nicht bloss Grundlagen werden, auf die man fort-
bauen kann, sondern zugleich den wieder entzündenden Hauch in
sich tragen, der sie erzeugt. Sie pflanzen Leben fort, weil sie aus
vollem Leben her^orgehn. Denn die sie hervorbringende Kraft
wirkt mit der Spannung ihres ganzen Strebens und in ihrer vollen
Einheit, zugleich aber wahrhaft schöpferisch, ihr eignes Erzeugen
als ihr selbst unerklärliche Natur betrachtend; sie hat nicht bloss
zufällig Neues ergriffen oder bloss an bereits Bekanntes angeknüpft.
So entstand die Aeg}'ptische plastische Kunst, der es gelang, die
menschliche Gestalt aus dem organischen Mittelpunkt ihrer Ver-
hältnisse heraus aufzubauen, und die dadurch zuerst ihren Werken
das Gepräge ächter Kunst aufdrückte. In dieser Art tragen, bei
sonst naher Verwandtschaft, Indische Poesie und Philosophie und
das classische Alterthum einen verschiednen Charakter an sich,
und in dem letzteren wiederum Griechische und Römische Denk-
weise und Darstellung. Ebenso entsprang in späterer Zeit aus
der Romanischen Poesie und dem geistigen Leben, das sich mit
dem Untergange der Römischen Sprache plötzlich in dem nun
selbstständig gewordenen Europäischen Abendland entwickelte,
der hauptsächlichste Theil der modernen Bildung. Wo solche
Erscheinungen nicht auftraten, oder durch widrige Umstände er-
stickt wurden, da vermochte auch das Edelste, einmal in seinem
natürlichen Gange gehemmt, nicht wieder grosses Neues zu ge-
stalten, wie wir es an der Griechischen Sprache und so vielen
Ueberresten Griechischer Kunst in dem Jahrhunderte lang, ohne
seine Schuld, in Barbarei gehaltenen Griechenland sehen. Die
alte Form der Sprache wird dann zerstückt und mit Fremdem ver-
mischt, ihr wahrer Organismus zerfällt, und die gegen ihn an-
dringenden Kräfte vermögen nicht, ihn zum Beginnen einer neuen
Bahn umzuformen und ihm ein neu begeisterndes Lebensprincip
einzuhauchen. Zur Erklärung aller solcher Erscheinungen lassen
sich begünstigende und hemmende, vorbereitende und verzögernde
Umstände nachweisen. Der Mensch knüpft immer an Vorhandenes
2A. !• Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
an. Bei jeder Idee, deren Entdeckung oder Ausführung dem
menschlichen Bestreben einen neuen Schwung verleiht, lässt sich
durch scharfsinnige und sorgfältige Forschung zeigen, wie sie schon
früher und nach und nach wachsend in den Köpfen vorhanden
gewesen. Wenn aber der anfachende Odem des Genies in Einzelnen
oder Völkern fehlt, so schlägt das Helldunkel dieser glimmenden
Kohlen nie in leuchtende Flammen auf. Wie wenig auch die
Natur dieser schöpferischen Kräfte sie eigentlich zu durchschauen
gestattet, so bleibt doch soviel offenbar, dass in ihnen immer ein
Vermögen obwaltet, den gegebenen Stoff von innen heraus zu be-
herrschen, in Ideen zu verwandeln oder Ideen unterzuordnen. Schon
in seinen frühesten Zuständen geht der Mensch über den Augen-
blick der Gegenwart hinaus und bleibt nicht bei bloss sinnlichem
Genüsse. Bei den rohesten Völkerhorden finden sich Liebe zum
Putz, Tanz, Musik und Gesang, "dann aber auch Ahndungen über-
irdischer Zukunft, darauf gegründete Hoffnungen und Besorgnisse,
Ueberlieferungen und Mährchen, die gewöhnlich bis zur Entstehung
des Menschen und seines Wohnsitzes hinabsteigen. Je kräftiger
und heller die nach ihren Gesetzen und Anschauungsformen
selbstthätig wirkende Geisteskraft ihr Licht in diese Welt der Vorzeit
und Zukunft ausgiesst, mit welcher der Mensch sein augenblickliches
Daseyn umgiebt, desto reiner und mannigfaltiger zugleich gestaltet
sich die Masse. So entsteht die Wissenschaft und die Kunst, und
immer ist daher das Ziel des sich entwickelnden Fortschreitens
des Menschengeschlechts die Verschmelzung des aus dem Innern
selbstthätig Erzeugten mit dem von aussen Gegebenen, jedes in
seiner Reinheit und Vollständigkeit aufgefasst und in der Unter-
ordnung verbunden, welche das jedesmalige Bestreben, seiner Natur
nach, erheischt.
Wie wir aber hier die geistige Individualität als etwas Vor-
zügliches und Ausgezeichnetes dargestellt haben, so kann und so
muss man sogar dieselbe, auch wo sie die höchste Stufe erreicht
hat, doch zugleich wieder als eine Beschränkung der allgemeinen
Natur, eine Bahn, in w^elche der Einzelne eingezwängt ist, ansehen,
da jede Eigenthümlichkeit dies nur durch ein vorherrschendes und
daher ausschliessendes Princip zu seyn vermag. Aber gerade auch
durch die Einengung wird die Kraft erhöht und gespannt, und
die Ausschliessung kann dennoch dergestalt von einem Princip
der Totalität geleitet, werden, dass mehrere solche Eigenthümlich-
keiten sich wieder in ein Ganzes zusammenfügen. Hierauf beruht
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 6. 2C.
in ihren innersten Gründen jede höhere Menschenverbindung in
Freundschaft, Liebe oder grossartigem, dem Wohl des Vaterlandes
und der Menschheit gewidmeten Zusammenstreben. Ohne die
Betrachtung weiter zu verfolgen, wie gerade die Beschränkung der
Individualität dem Menschen den einzigen Weg eröffnet, der uner-
reichbaren Totalität immer näher zu kommen, genügt es mir hier,
nur darauf aufmerksam zu machen, dass die Kraft, die den
Menschen eigentlich zum Menschen macht, und also die schlichte
Definition seines Wesens ist, in ihrer Berührung mit der Welt,
in dem, wenn der Ausdruck erlaubt ist, vegetativen und sich auf
gegebener Bahn gewissermassen mechanisch fortentwickelnden
Leben des Menschengeschlechts, in einzelnen Erscheinungen sich
selbst und ihre vielfältigen Bestrebungen in neuen, ihren Begriff
erweiternden Gestalten offenbart. So war z. B. die Erfindung der
Algebra eine solche neue Gestaltung in der mathematischen Rich-
tung des menschlichen Geistes, und so lassen sich ähnliche Bei-
spiele in jeder Wissenschaft und Kunst nachweisen. In der Sprache
werden wir sie weiter unten ausführlicher aufsuchen.
Sie beschränken sich aber nicht bloss auf die Denk- und Dar-
stellungsweise, sondern finden sich auch ganz vorzüglich in der
Charakterbildung. Denn was aus dem Ganzen der menschlichen
Kraft herv^orgeht, darf nicht ruhen, ehe es nicht wieder in die ganze
zurückkehrt, und die Gesammtheit der inneren Erscheinung, Em-
pfindung und Gesinnung, verbunden mit der von ihr durchstrahlten
äusseren, muss wahrnehmen lassen, dass sie, vom Einflüsse jener
erweiterten einzelnen Bestrebungen durchdrungen, auch die ganze
menschliche Natur in erweiterter Gestalt offenbart. Gerade daraus
entspringt die allgemeinste und das Menschengeschlecht am wür-
digsten emporhebende Wirkung. Gerade die Sprache aber, der
Mittelpunkt, in welchem sich die verschiedensten Individualitäten
durch Mittheilung äusserer Bestrebungen und innerer Wahr-
nehmungen vereinigen, steht mit dem Charakter in der engsten
und regsten Wechselwirkung. Die kraftvollsten und die am leisesten
berührbaren, die eindringendsten und die am fruchtbarsten in sich
lebenden Gemüther giessen in sie ihre Stärke und Zartheit, ihre
Tiefe und Innerlichkeit, und sie schickt zur Fortbildung der gleichen
Stimmungen die verwandten Klänge aus ihrem Schoosse herauf.
Der Charakter, je mehr er sich veredelt und verfeinert, ebnet und
vereinigt die einzelnen Seiten des Gemüths und giebt ihnen, gleich
der bildenden Kunst, eine in ihrer Einheit zu fassende, aber den
2(5 I. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
jedesmaligen Umriss immer reiner aus dem Innern hervorbildende
Gestalt. Diese Gestaltung ist aber die Sprache durch die feine,
oft im Einzelnen unsichtbare, aber in ihr ganzes wundervolles
symbolisches Gewebe verflochtene Harmonie darzustellen und zu
befördern geeignet. Die Wirkungen der Charakterbildung sind
nur ungleich schwerer zu berechnen, als die der bloss intellectuellen
Fortschritte, da sie grossentheils auf den geheimnissvollen Ein-
flüssen beruhen, durch welche eine Generation mit der andren
zusammenhängt.
Es giebt also in dem Entwicklungsgange des Menschen-
geschlechts Fortschritte, die nur erreicht werden, weil eine unge-
wöhnliche Kraft unerwartet ihren Aufflug bis dahin nimmt, Fälle,
wo man an die Stelle gewöhnlicher Erklärung der hervor-
gebrachten Wirkung die Annahme einer ihr entsprechenden Kraft-
äusserung setzen muss. Alles geistige Vorrücken kann nur aus
innerer Kraftäusserung hervorgehen, und hat insofern immer einen
verborgenen und, weil er selbstthätig ist, unerklärlichen Grund.
Wenn aber diese innere Kraft plötzlich aus sich selbst hervor
so mächtig schafft, dass sie durch den bisherigen Gang gar nicht
dahin geführt werden konnte, so hört eben dadurch alle Möglich-
keit der Erklärung von selbst auf. Ich wünsche diese Sätze bis
zur Ueberzeugung deutlich gemacht zu haben, w^eil sie in der
Anwendung wichtig sind. Denn es folgt nun von selbst, dass,
wo sich gesteigerte Erscheinungen derselben Bestrebung wahr-
nehmen lassen, wenn es nicht die Thatsachen unabv/eislich ver-
langen, kein allmähliches Fortschreiten vorausgesetzt werden darf,
da jede bedeutende Steigerung vielmehr einer eigenthümlich schaf-
fenden Kraft angehört. Ein Beispiel kann der Bau der Chinesischen
und der Sanskrit-Sprache liefern. Eis Hesse sich wohl hier ein
allmählicher Fortgang von dem einen zum andren denken. Wenn
man aber das Wesen der Sprache überhaupt und dieser beiden
insbesondere wahrhaft fühlt, wenn man bis zu dem Punkte der
Verschmelzung des Gedanken mit dem Laute in beiden vordringt,
so entdeckt man in ihm das von innen heraus schaffende Princip
ihres verschiednen Organismus. Man wird alsdann, die Möglich-
keit allmählicher Entwicklung einer aus der andren aufgebend, jeder
ihren eignen Grund in dem Geiste der Volksstämme anweisen, und
nur in dem allgemeinen Triebe der Sprachentwicklung, also nur
ideal sie als Stufen gelungener Sprachbildung betrachten. Durch
die Verabsäumung der hier aufgestellten sorgfältigen Trennung
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 6. 7. 2'"
des zu berechnenden stufenartigen und des nicht vorauszusehenden
unmittelbar schöpferischen Fortschreitens der menschlichen Geistes-
kraft verbannt man ganz eigentlich aus der ^^'eltgeschichte die
Wirkungen des Genies, das sich ebensowohl in einzelnen Mo-
menten in Völkern, als in Individuen offenbart.
Man läuft aber auch Gefahr, die verschiednen Zustände der
menschlichen Gesellschaft unrichtig zu würdigen. So wird der
Civilisation und der Cultur oft zugeschrieben, was aus ihnen durch-
aus nicht hervorgehen kann, sondern durch eine Kraft gewirkt
wird, welcher sie selbst ihr Daseyn verdanken. ^)
In Absicht der Sprachen ist es eine ganz gewöhnliche Vor-
stellung, alle ihre Vorzüge und jede Erw^eiterung ihres Gebiets
ihnen beizumessen, gleichsam als käme es nur auf den Unterschied
gebildeter und ungebildeter Sprachen an. Zieht man die Geschichte
zu Rathe, so bestätigt sich eine solche Macht der Civilisation und
Cultur über die Sprache keinesweges. Java erhielt höhere Civili-
sation und Cultur offenbar von Indien aus, und beide in be-
deutendem Grade, aber darum änderte die einheimische Sprache
nicht ihre unvollkommnere und den Bedürfnissen des Denkens
weniger angemessne Form, sondern beraubte vielmehr das so un-
gleich edlere Sanskrit der seinigen, um es in die ihrige zu zwängen.
Auch Indien selbst, mochte es noch so früh und nicht durch fremde
Mittheilung civilisirt seyn, erhielt seine Sprache nicht dadurch,
sondern das tief aus dem ächtesten Sprachsinn geschöpfte Princip
derselben floss, wie jene Civilisation selbst, aus der genialischen
Geistesrichtung des Volks. Darum stehen auch Sprache und Civili-
sation durchaus nicht immer im gleichen Verhältniss zu einander.
Peru war, welchen Zweig seiner Einrichtungen unter den Incas
man betrachten mag, leicht das am meisten civilisirte Land in
Amerika; gewiss wird aber kein Sprachkenner der allgemeinen
Peruanischen Sprache, die man durch Kriege und Eroberungen
auszubreiten versuchte, ebenso den Vorzug vor den übrigen des
neuen Welttheils einräumen. Sie steht namentlich der Mexi-
canischen, meiner Ueberzeugung zufolge, bedeutend nach. Auch
V Nach „verdanken" gestrichen: „Der Sprache können sie zahlreiche neue
Ausdrücke, bestimmtere und mehr abgeschliffene Redefügungen zuführen. Was
aber tiefer in ihren Bau eingeht, wesentlicher zu ihrer Totalwirkung beiträgt,
kann sie nur von der Geisteseigenthümlichkeit der Nation oder einzelner Schrift-
steller empfangen."
o§ 1. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
angeblich rohe und ungebildete Sprachen können hervorstechende
Trefflichkeiten in ihrem Baue besitzen und besitzen dieselben
wirklich, und es wäre nicht unmöglich, dass sie darin höher ge-
bildete überträfen. Schon die Vergleichung der Barmanischen, in
welche das Pali unläugbar einen Theil Indischer Gultur verwebt
hat, mit der Delaware-Sprache, geschweige denn mit der Mexi-
canischen, dürfte das Urtheil über den Vorzug der letzteren kaum
zweifelhaft lassen.
Die Sache ist aber zu wichtig, um sie nicht näher und aus
ihren innren Gründen zu erörtern. Insofern Civilisation und
Cultur den Nationen ihnen vorher unbekannte Begriffe aus der
Fremde zuführen oder aus ihrem Innren entwickeln, ist jene An-
sicht auch von einer Seite unläugbar richtig. Das Bedürfniss eines
Begriffs und seine daraus entstehende Verdeutlichung muss immer
dem Worte, das bloss der Ausdruck seiner vollendeten Klarheit
ist, vorausgehn. Wenn man aber bei dieser Ansicht einseitig
stehen bleibt und die Unterschiede in den Vorzügen der Sprachen
allein auf diesem Wege zu entdecken glaubt, so verfällt man in
einen, der wahren Beurtheilung der Sprache verderblichen Irrthum.
Es ist schon an sich sehr mislich, den Kreis der Begriffe eines
Volks in einer bestimmten Epoche aus seinem W^örterbuche be-
urtheilen zu wollen. Ohne hier die offenbare UnZweckmässigkeit
zu rügen, dies nach den unvollständigen und zufälligen Wörter-
sammlungen zu versuchen, die wir von so vielen Ausser-Euro-
päischen Nationen besitzen, muss es schon von selbst in die Augen
fallen, dass eine grosse Zahl, besonders unsinnlicher Begriffe, auf
die sich jene Behauptungen vorzugsweise beziehen, durch uns un-
gewöhnliche und daher unbekannte Metaphern oder auch durch
Umschreibungen ausgedrückt seyn können. Es liegt aber, und
dies ist hier bei weitem entscheidender, auch sowohl in den Be-
griffen, als in der Sprache jedes, noch so ungebildeten Volkes eine,
dem Umfange der unbeschränkten menschlichen Bildungsfähigkeit
entsprechende Totalität, aus welcher sich alles Einzelne, was die
Menschheit umfasst, ohne fremde Beihülfe, schöpfen lässt; und
man kann der Sprache nicht fremd nennen, was die auf diesen
Punkt gerichtete Aufmerksamkeit unfehlbar in ihrem Schoosse an-
trifft. Einen factischen Beweis hiervon liefern solche Sprachen
uncultivirter Nationen, welche, wie z. B. die Philippinischen und
Amerikanischen, lange von Missionarien bearbeitet worden sind.
Auch sehr abstracte Begriffe findet man in ihnen, ohne die Hin-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 7. 2C)
Zukunft fremder Ausdrücke, bezeichnet. Es wäre allerdings inter-
essant, zu wissen, wie die Eingebornen diese Wörter verstehen.
Da sie aber aus Elementen ihrer Sprache gebildet sind, so müssen
sie nothwendig mit ihnen irgend einen analogen Sinn verbinden.
Worin jedoch jene eben erwähnte Ansicht hauptsächlich irre fühn,
ist, dass sie die Sprache viel zu sehr als ein räumliches, gleichsam
durch Eroberungen von aussen her zu erweiterndes Gebiet be-
trachtet und dadurch ihre wahre Natur in ihrer wesentlichsten
Eigenthümlichkeit verkennt. Es kommt nicht gerade darauf an,
wie viele Begriffe eine Sprache mit eignen Wörtern bezeichnet.
Dies findet sich von selbst, wenn sie sonst den wahren, ihr von
der Natur vorgezeichneten Weg verfolgt, und es ist nicht dies die
Seite, von welcher sie zuerst beurtheilt werden muss. Ihre eigent-
liche und wesentliche Wirksamkeit im Menschen geht auf seine
denkende und im Denken schöpferische Kraft selbst und ist in
viel tieferem Sinne immanent und constitutiv. Ob und inwiefern
sie die Deutlichkeit und richtige Anordnung der Begriffe befördert
oder ihr Schwierigkeiten in den Weg legt? den aus der Welt-
ansicht in die Sprache übergetragenen \^orstellungen die ihnen
beiwohnende sinnliche Anschaulichkeit erhält ? durch den Wohllaut
ihrer Töne harmonisch und besänftigend, und wieder energisch
und erhebend auf die Empfindung und die Gesinnung einwirkt?
darin und in vielen andren solchen Stimmungen der ganzen Denk-
weise und Sinnesart liegt dasjenige, was ihre wahren ^^orzüge
ausmacht und ihren Einfluss auf die Geistesentwicklung bestimmt.
Dies aber beruht auf der Gesammtheit ihrer ursprünglichen An-
lagen, auf ihrem organischen Bau, ihrer individuellen Form. Auch
hieran gehen die selbst erst spät eintretende Civilisation und Cultur
nicht fruchtlos vorüber. Durch den Gebrauch zum Ausdruck er-
weiterter und veredelter Ideen gewinnt die Deutlichkeit und die
Präcision der Sprache, die Anschaulichkeit läutert sich in einer
auf höhere Stufe gestiegenen Phantasie, und der Wohllaut gewinnt
vor dem Urtheile und den erhöhten Forderungen eines geübteren
Ohrs. Allein dies ganze Fortschreiten gesteigerter Sprachbildung
kann sich nur in den Gränzen fortbewegen, welche ihr die ur-
sprüngliche Sprachanlage vorschreibt. Eine Nation kann eine un-
vollkommnere Sprache zum Werkzeuge einer Ideenerzeugung
machen, zu welcher sie die ursprüngliche Anregung nicht gegeben
haben würde, sie kann aber die inneren Beschränkungen nicht
aufheben, die einmal tief in ihr gegründet sind. Insofern bleibt
oQ I. Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
auch die höchste Ausbildung unwirksam. Selbst was die Folgezeit
von aussen hinzufügt, eignet sich die ursprüngliche Sprache an und
modificirt es nach ihren Gesetzen.
Von dem Standpunkt der innren Geisteswürdigung aus kann
man auch Civilisation und Cultur nicht als den Gipfel ansehen, zu
welchem der menschliche Geist sich zu erheben vermag. Beide
sind in der neuesten Zeit bis auf den höchsten Punkt und zu der
grössten Allgemeinheit gediehen. Ob aber darum zugleich die
innere Erscheinung der menschlichen Natur, wie wir sie z. ß. in
einigen Epochen des Alterthums erblicken, auch gleich häufig und
mächtig oder gar in gesteigerten Graden zurückgekehrt ist? dürfte
man schon schwerlich mit gleicher Sicherheit behaupten wollen,
und noch weniger, ob dies gerade in den Nationen der Fall ge-
wesen ist, welchen die Verbreitung der Civilisation und einer ge-
wissen Cultur am meisten verdankt?
Die Civilisation ist die Vermenschlichung der Völker in ihren
äusseren Einrichtungen und Gebräuchen und der darauf Bezug
habenden innren Gesinnung. Die Cultur fügt dieser Veredlung
des gesellschaftlichen Zustandes Wissenschaft und Kunst hinzu.
Wenn wir aber in unsrer Sprache Bildung sagen, so meinen
wir damit etwas zugleich Höheres und mehr Innerliches, nemlich
die Sinnesart, die sich aus der Erkenntniss und dem Gefühle des
gesammten geistigen und sittlichen Strebens harmonisch auf die
Empfindung und den Charakter ergiesst.
Die Civilisation kann aus dem Inneren eines Volkes hervor-
gehen und zeugt alsdann von jener, nicht immer erklärbaren
Geisteserhebung. Wenn sie dagegen aus der Fremde in eine
Nation verpflanzt wird, verbreitet sie sich schneller, durchdringt
auch vielleicht mehr alle Verzweigungen des geselligen Zustandes,
wirkt aber auf Geist und Charakter nicht gleich energisch zurück.
Es ist ein schönes Vorrecht der neuesten Zeit, die Civilisation in
die entferntesten Theile der Erde zu tragen, dies Bemühen an jede
Unternehmung zu knüpfen und hierauf, auch fern von andren
Zwecken, Kraft und Mittel zu verwenden. Das hierin waltende
Princip allgemeiner Humanität ist ein Fortschritt, zu dem sich
erst unsre Zeit wahrhaft emporgeschwungen hat, und alle grossen
Erfindungen der letzten Jahrhunderte streben dahin zusammen, es
zur Wirklichkeit zu bringen. Die Colonien der Griechen und
Römer waren hierin weit weniger wirksam. Es lag dies allerdings
in der Entbehrung so vieler äusserer Mittel der Länderverknüpfung
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 7. o 1
und der Civilisirung selbst. Es fehlte ihnen aber auch das innre
Princip, aus dem allein diesem Streben das wahre Leben er-
wachsen kann. Sie besassen einen klaren und tief in ihre Em-
pfindung und Gesinnung verwebten Begriff hoher und edler mensch-
licher Individualität; aber der Gedanke, den Menschen bloss darum
zu achten, weil er Mensch ist, hatte nie Geltung in ihnen erhalten,
und noch viel weniger das Gefühl daraus entspringender Rechte
und Verpflichtungen. Dieser wichtige Theil allgemeiner Gesittung
war dem Gange ihrer zu nationeilen Entwicklung fremd geblieben.
Selbst in ihren Golonien vermischten sie sich wohl weniger mit
den Eingebornen, als sie dieselben nur aus ihren Gränzen zurück-
drängten; aber ihre Pflanzvölker selbst bildeten sich in den ver-
änderten Umgebungen verschieden aus, und so entstanden, wie
wir an Gross-Griechenland, Sicilien und Iberien sehen, in entfernten
Ländern neue N'ölkergestaltungen in Gharakter, politischer Ge-
sinnung und wissenschaftlicher Entwicklung. Ganz vorzugsweise ver-
standen es die Indier, die eigne Kraft der Völker, denen sie sich
beigesellten, anzufachen und fruchtbar zu machen. Der Indische
Archipel und gerade Java geben uns hien^on einen merkwürdigen
Beweis. Denn wir sehen da, indem wir auf Indisches stossen,
auch gewöhnlich, wie das Einheimische sich dessen bemächtigte
und darauf fortbaute. Zugleich mit ihren vollkommneren äusseren
Einrichtungen, ihrem grösseren Reichthum an Mitteln zu erhöhetem
Lebensgenuss, ihrer Kunst und Wissenschaft, trugen die Indischen
Ansiedler auch den lebendigen Hauch in die Fremde hinüber,
durch dessen beseelende Kraft sich bei ihnen selbst alles dies erst
gestaltet hatte. Alle einzelnen geselligen Bestrebungen waren bei
den Alten ^) noch nicht so geschieden, als bei uns; sie konnten,
was sie besassen, viel weniger ohne den Geist mittheilen, der es
geschaffen hatte. Weil sich dies jetzt bei uns durchaus anders ver-
hält, und eine in unsrer eignen Civilisation liegende Gewalt uns
immer bestimmter in dieser Richtung forttreibt, so bekommen
unter unserem Einfluss die \'ölker eine viel gleichförmigere Ge-
stalt, und die Ausbildung der originellen Volkseigenthümlichkeit
wird oft, auch da, wo sie vielleicht statt gefunden hätte, im Auf-
keimen erstickt.
V „den Alten" verbessert aus „ihnen selbst".
I. über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues
Zusammenwirken der Individuen und Nationen.
Wir haben in dem Ueberblick der geistigen Entwicklung des
Menschengeschlechts bis hierher dieselbe in ihrer Folge durch die
verschiednen Generationen hindurch betrachtet und darin vier sie
hauptsächlich bestimmende Momente bezeichnet : das ruhige Leben
der Völker nach den natürlichen Verhältnissen ihres Daseyns auf
dem Erdboden, ihre bald durch Absicht geleitete oder aus Leiden-
schaft und innerem Drange entspringende, bald ihnen gewaltsam
abgenöthigte Thätigkeit in Wanderungen, Kriegen u. s. f., die
Reihe geistiger Fortschritte, welche sich gegenseitig als Ursachen
und Wirkungen an einander ketten, endlich die geistigen Erschei-
nungen, die nur in der Kraft ihre Erklärung finden, die sich in
ihnen offenbart. Es bleibt uns jetzt die zweite Betrachtung, wie
jene Entwicklung in jeder einzelnen Generation bewirkt wird,
welche den Grund ihres jedesmaligen Fortschrittes enthält.
Die Wirksamkeit des Einzelnen ist immer eine abgebrochene,
aber, dem Anschein nach und bis auf einen gewissen Punkt auch
in Wahrheit, eine sich mit der des ganzen Geschlechts in derselben
Richtung bewegende, da sie, als bedingt und wieder bedingend,
in ungetrenntem Zusammenhange mit der vergangenen und nach-
folgenden Zeit steht. In andrer Rücksicht aber und ihrem tiefer
durchschauten Wiesen nach, ist die Richtung des E^inzelnen gegen
die des ganzen Geschlechts doch eine divergirende , so dass das
Gewebe der Weltgeschichte, insofern sie den innren Menschen
betrifft, aus diesen beiden, einander durchkreuzenden, aber zu-
gleich sich eng verkettenden Richtungen besteht. Die Divergenz
ist unmittelbar daran sichtbar, dass die Schicksale des Geschlechts,
unabhängig von dem Hinschwinden der Generationen, ungetrennt
fortgehen, wechselnd, aber, soviel wir es übersehen können, doch
im Ganzen in steigender Vollkommenheit, der Einzelne dagegen
nicht bloss und oft unerwartet mitten in seinem bedeutendsten
Wirken von allem Antheil an jenen Schicksalen ausscheidet, son-
dern auch darum, seinem inneren Bewusstseyn, seinen Ahndungen
und Leberzeugungen nach, doch nicht am Ende seiner Laufbahn
zu stehen glaubt. Er sieht also diese als von dem Gange jener
Schicksale abgesondert an, und es entsteht in ihm, auch schon im
Leben, ein Gegensatz der Selbstbildung und derjenigen Welt-
gestaltung, mit der jeder in seinem Kreise in die Wirklichkeit ein-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 8. o"?
greift. Dass dieser Gegensatz weder der Entwicklung des Ge-
schlechts noch der individuellen Bildung verderblich werde, ver-
bürgt die Einrichtung der menschlichen Natur. Die Selbstbildung
kann nur an der Weltgestaltung fortgehen, und über sein Leben
hinaus knüpfen den Menschen Bedürfnisse des Herzens und Bilder
der Phantasie, Familienbande, Streben nach Ruhm, freudige Aus-
sicht auf die Entwicklung gelegter Keime in folgenden Zeiten an
die Schicksale, die er verlässt. Es bildet sich aber durch jenen
Gegensatz, und liegt demselben sogar ursprünglich zum Grunde
eine Innerlichkeit des Gemüths, auf welcher die mäclitigsten und
heiligsten Gefühle beruhen. Sie wirkt um so eingreifender, als
der Mensch nicht bloss sich, sondern alle seines Geschlechts als
ebenso bestimmt zur einsamen, sich über das Leben hinaus er-
streckenden Selbstentwicklung betrachtet, und als dadurch alle
Bande, die Gemüth an Gemüth knüpfen, eine andre und höhere
Bedeutung gewinnen. Aus den verschiednen Graden, zu welchen
sich jene, das Ich, auch selbst in der Verknüpfung damit, doch
von der Wirklichkeit absondernde Innerlichkeit erhebt, und aus
ihrer mehr oder minder ausschliesslichen Herrschaft entspringen
für alle menschliche Entwicklung wichtige Nuancen. Indien gerade
giebt von der Reinheit, zu welcher sie sich zu läutern vermag,
aber auch von den schroffen Contrasten, in welche sie ausarten
kann, ein merkwürdiges Beispiel, und das Indische Alterthum
lässt sich hauptsächlich von diesem Standpunkte aus erklären. Auf
die Sprache übt diese Seelenstimmung einen besondren Einfluss.
Sie gestaltet sich anders in einen! Volke, das gern die einsamen
Wege abgezogenen Nachdenkens verfolgt, und in Nationen, die
des vermittelnden Verständnisses hauptsächlich zu äusserem Treiben
bedürfen. Das Symbolische wird ganz anders von den ersteren
erfasst, und ganze Theile des Sprachgebiets bleiben bei den letzteren
unangebaut. Denn die Sprache muss erst durch ein noch dunkles
und unentwickeltes Gefühl in die Kreise eingeführt werden, über
die sie ihr Licht ausgiessen soll. Wie sich dies hier abbrechende
Dase}^ der Einzelnen mit der fortgehenden Entwicklung des Ge-
schlechts vielleicht in einer uns unbekannten Region vereinigt?
bleibt ein undurchdringliches Geheimniss. Aber die Wirkung des
Gefühls dieser Undurchdringlichkeit ist vorzüglich ein wichtiges
Moment in der inneren individuellen Ausbildung, indem sie die
ehrfurchtsvolle Scheu vor etwas Unerkanntem weckt, das doch
nach dem Verschwinden alles Erkennbaren übrigbleibt. Sie ist
W. V. Humboldt, Werke. VII. 3
9A I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dem Eindruck der Nacht vergleichbar, in der auch nur das einzeln
zerstreute Funkeln uns unbekannter Körper an die Stelle alles ge-
wohnten Sichtbaren tritt.
Sehr bedeutend auch wirkt das Fortgehen der Schicksale des
Geschlechts und das Abbrechen der einzelnen Generationen durch
die verschiedne Geltung, welche dadurch für jede der letzteren
die Vorzeit bekommt. Die später eintretenden befinden sich gleich-
sam und vorzüglich durch die Vervollkommnung der die Kunde
der Vergangenheit aulbewahrenden Mittel vor eine Bühne gestellt,
auf welcher sich ein reicheres und heller erleuchtetes Drama ent-
faltet. Der fortreissende Strom der Begebenheiten versetzt auch,
scheinbar zufällig, Generationen in dunklere und in verhängniss-
schwerere, oder in hellere und leichter zu durchlebende Perioden.
Für die wirkliche, lebendige, individuelle Ansicht ist dieser Unter-
schied minder gross, als er in der geschichtlichen Betrachtung er-
scheint. Es fehlen viele Punkte der Vergleichung, man erlebt in
jedem Augenblick nur einen Theil der Entwicklung, greift mit
Genuss und Thätigkeit ein, und die Rechte der Gegenwart führen
über ihre Unebenheiten hinweg. Gleich den sich aus Nebel hervor-
ziehenden Wolken, nimmt ein Zeitalter erst aus der Ferne gesehen
eine rings begränzte Gestalt an. Allein in der Einwirkung, die
jedes auf das nachfolgende ausübt, wird diejenige deutlich, welche
es selbst von seiner Vorzeit erfahren hat. Unsre moderne Bildung
z. B. beruht grossentheils auf dem Gegensatz, in welchem uns
das classische Alterthum gegenübersteht. Es würde schwer und
betrübend zu sagen seyn, was von ihr zurückbleiben möchte, wenn
wir uns von Allem trennen sollten, was diesem Alterthum angehört.
Wenn wir den Zustand der Völker, die dasselbe ausmachten, in
allen ihren geschichtlichen Einzelheiten erforschen, so entsprechen
auch sie nicht eigentlich dem Bilde, das wir von ihnen in der
Seele tragen. Was auf uns die mächtige Wirkung ausübt , ist
unsre Auffassung, die von dem Mittelpunkt ihrer grössten und
reinsten Bestrebungen ausgeht, mehr den Geist, als die Wirk-
lichkeit ihrer Einrichtungen heraushebt, die contrastirenden Punkte
unbeachtet lässt und keine, nicht mit der von ihnen aufgenommenen
Idee übereinstimmende Forderung an sie macht. Zu einer solchen
Auffassung ihrer Eigenthümlichkeit führt aber keine Willkühr. Die
Alten berechtigen zu derselben; sie wäre von keinem andren
Zeitalter möglich. Das tiefe Gefühl ihres Wesens verleiht uns
selbst erst die Fähigkeit, uns zu ihr zu erheben. Weil bei ihnen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 8. o^
die Wirklichkeit immer mit glücklicher Leichtigkeit in die Idee
und die Phantasie übergieng und sie mit beiden auf dieselbe zurück-
wirkten, so versetzen wir sie mit Recht ausschliesslich in dies Ge-
biet. Denn dem , auf ihren Schriften , ihren Kunstwerken und
thatenreichen Bestrebungen ruhenden Geiste nach, beschreiben sie,
wenn auch die Wirklichkeit bei ihnen nicht überall dem entsprach,
den der Menschheit in ihren freiesten Entwicklungen angewiesenen
Kreis in vollendeter Reinheit, Totalität und Harmonie und hinter-
liessen auf diese Weise ein auf uns, wie erhöhte Menschennatur,
idealisch wirkendes Bild. Wie zwischen sonnigem und bewölktem
Himmel, liegt ihr Vorzug gegen uns nicht sowohl in den Gestalten
des Lebens selbst, als in dem wundervollen Licht, das sich bei
ihnen über sie ergoss. Den Griechen selbst, wenn man auch einen
noch so grossen Einfluss früherer Völker auf sie annimmt, fehlte
eine solche Erscheinung, die ihnen aus der Fremde herüber-
geleuchtet hätte, offenbar gänzlich. In sich selbst hatten sie etwas
Aehnliches in den Homerischen und den sich an diese anreihen-
den Gesängen. Wie sie uns als Natur und in den Gründen ihrer
Gestaltung unerklärbar erscheinen, uns Muster der Nacheiferung,
Quelle für eine grosse Menge von Geistesbereicherungen werden,
so war für sie jene dunkle und doch in so einzigen Vorbildern
ihnen entgegenstrahlende Zeit. Für die Römer wurden sie nicht
ebenso zu etwas Aehnlichem, als sie uns sind. Auf die Römer
wirkten sie nur als eine gleichzeitige, höher gebildete Nation, die
eine von früher Zeit her beginnende Literatur besitzt. Indien
geht für uns in zu dunkle Ferne hinauf, als dass wir über seine
Vorzeit zu urtheilen im Stande wären. Auf das Abendland wirkte
es, da sich eine solche Einwirkung nicht hätte so spurlos ver-
wischen lassen, in der ältesten Zeit wenigstens nicht durch die
eigenthümliche Form seiner Geisteswerke, sondern höchstens durch
einzelne herübergekommene Meinungen, Erfindungen und Sagen.
Wie wichtig aber dieser Unterschied des geistigen Einflusses der
Völker auf einander ist, habe ich in meiner Schrift über die Kawi-
Sprache (i. Buch. S. i. 2.) Gelegenheit gehabt näher zu berühren.
Ihr eignes Alterthum wird den Indiern in ähnlicher Gestalt, als
den Griechen das ihrige erschienen seyn. Sehr viel deutlicher
aber ist dies in China durch den Einfluss und den Gegensatz der
Werke des alten Styls und der darin enthaltenen philosophischen
Lehre.
Da die Sprachen oder wenigstens ihre Elemente (ein nicht
oß I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
unbeachtet zu lassender Unterschied) von einem Zeitalter dem
anderen überliefert werden und wir nur mit gänzlicher Ueber-
schreitung unsres Erfahrungsgebiets von neu beginnenden Sprachen
reden können, so greift das Verhältniss der Vergangenheit zu der
Gegenwart in das Tiefste ihrer Bildung ein. Der Unterschied, in
welche Lage ein Zeitalter durch den Platz gesetzt wird, den es in
der Reihe der uns bekannten einnimmt, wird aber auch bei schon
ganz geformten Sprachen unendlich mächtig, weil die Sprache
zugleich eine Auffassungsweise der gesammten Denk- und
Empfindungsart ist, und diese, sich einem Volke aus entfernter
Zeit her darstellend, nicht auf dasselbe einwirken kann, ohne auch
für dessen Sprache einflussreich zu werden. So würden unsre
heutigen Sprachen doch eine in mehreren Stücken andre Gestalt
angenommen haben, wenn, statt des classischen Alterthums, das
Indische so anhaltend und eindringlich auf uns eingewirkt hätte.
Der einzelne Mensch hängt immer mit einem Ganzen zu-
sammen, mit dem seiner Nation, des Stammes, zu welchem diese
gehört, und des gesammten Geschlechts. Sein Leben, von welcher
Seite man es betrachten mag, ist nothwendig an Geselligkeit ge-
knüpft, und die äussere untergeordnete und innre höhere An-
sicht führen auch hier, wie wir es in einem ähnlichen Falle weiter
oben gesehen haben, auf denselben Punkt hin. In dem gleich-
sam nur vegetativen Daseyn des Menschen auf dem Erdboden treibt
die Hülfsbedürftigkeit des Einzelnen zur Verbindung mit Anderen
und fordert zur Möglichkeit gemeinschaftlicher Unternehmungen
das Verständniss durch Sprache. Ebenso aber ist die geistige Aus-
bildung, auch in der einsamsten Abgeschlossenheit des Gemüths,
nur durch diese letztere möglich, und die Sprache verlangt, an
ein äusseres, sie verstehendes Wesen gerichtet zu werden.^) Der
articulirte Laut reisst sich ") aus der Brust los , um in einem
andren Individuum einen zum Ohre zurückkehrenden Anklang
zu wecken. Zugleich macht dadurch der Mensch die Entdeckung,
dass es Wesen gleicher innerer Bedürfnisse und daher fähig, der
V Nach „werden" gestrichen: „Ihr wesentlichster innerer Zweck ist die Ob-
jectivirung der dunklen und verwirj-t angeregten Vorstellungen in dem, einen be-
stimmten Begriff darstellenden Worte. Diese Objectivität ist aber erst vollendet,
wenn die Gewissheit, dass der Begriff und das Wort ebenso von einem andern,
gleich selbstthätigen Wesen aufgenommen worden sind, aus der Erwiedrung
hervorgeht."
^) Nach „sich" gestrichen: „daher nur".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 8. 9. nn
in seinen Empfindungen liegenden mannigfachen Sehnsucht zu
begegnen, um ihn her giebt. Denn das Ahnden einer Totalität
und das Streben danach ist unmittelbar mit dem Gefühle der
Individualität gegeben und verstärkt sich in demselben Grade, als
das letztere geschärft wird, da doch jeder Einzelne das Gesammt-
wesen des Menschen, nur auf einer einzelnen Entwicklungsbahn,
in sich trägt. Wir haben auch nicht einmal die entfernteste Ahn-
dung eines andren als eines individuellen Bewusstsej^ns. Aber
jenes Streben und der durch den Begriff der Menschheit selbst
in uns gelegte Keim unauslöschlicher Sehnsucht lassen die Ueber-
zeugung nicht untergehen, dass die geschiedne Individualität
überhaupt nur eine Erscheinung bedingten Daseyns geistiger
Wesen ist.
Der Zusammenhang des Einzelnen mit einem, die Kraft und
die Anregung verstärkenden Ganzen ist ein zu wichtiger Punkt
in der geistigen Oekonomie des Menschengeschlechts, wenn ich
mir diesen Ausdruck erlauben darf, als dass er nicht hier hätte
bestimmt angedeutet werden müssen. Die allemal zugleich Ab-
sonderung her\'-orrufende Verbindung der Nationen und Volks-
Stämme hängt allerdings zunächst von geschichtlichen Ereignissen,
grossentheils selbst von der Beschaffenheit ihrer Wohn- und
Wanderungsplätze ab. Wenn man aber auch, ohne dass ich diese
Ansicht geradezu rechtfertigen möchte, allen Einfluss innerer, auch
nur instinctartiger Uebereinstimmung oder Abstossung davon
trennen will , so kann und muss doch jede Nation , noch abge-
sondert von ihren äussren A^erhältnissen, als eine menschliche In-
dividualität, die eine innere eigenthümliche Geistesbahn verfolgt,
betrachtet werden. Je mehr man einsieht, dass die Wirksamkeit
der Einzelnen, auf welche Stufe sie auch ihr Genius gestellt haben
möchte, doch nur in dem Grade eingreifend und dauerhaft ist, in
welchem sie zugleich durch den in ihrer Nation liegenden Geist
emporgetragen werden, und diesem wiederum von ihrem Stand-
punkte aus neuen Schwung zu ertheilen vermögen, desto mehr
leuchtet die Nothwendigkeit ein, den Erklärungsgrund unserer heu-
tigen Bildungsstufe in diesen nationeilen geistigen Individualitäten zu
suchen. Die Geschichte bietet sie uns auch überall, wo sie uns
die Data zur Beurtheilung der innren Bildung der Völker über-
liefert, in bestimmten Umrissen dar. Civilisation und Cultur heben
die grellen Contraste der Völker allmählich auf, und noch mehr
gelingt das Streben nach allgemeinerer sittlicher Form der tiefer
og I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
eindringenden, edleren Bildung. Damit stimmen auch die Fort-
schritte der Wissenschaft und Kunst überein, die immer nach all-
gemeineren, von nationeilen Ansichten entfesselten Idealen hin-
streben. Wenn aber das Gleiche gesucht wird, kann es doch nur
in verschiednem Geiste errungen werden, und die Mannigfaltig-
keit, in welcher sich die menschliche Eigenthümlichkeit, ohne
fehlerhafte Einseitigkeit, auszusprechen vermag, geht ins Unend-
liche. Gerade von dieser Verschiedenheit hängt aber das GeHngen
des allgemein Erstrebten unbedingt ab. Denn dieses erfordert die
ganze, ungetrennte Einheit der, in ihrer Vollständigkeit nie zu er-
klärenden, aber notwendig in ihrer schärfsten Individualität wir-
kenden Kraft. Es kommt daher, um in den allgemeinen Bildungs-
gang fruchtbar und mächtig einzugreifen, in einer Nation nicht
allein auf das Gelingen in einzelnen wissenschaftlichen Bestrebungen,
sondern vorzüglich auf die gesammte Anspannung in demjenigen
an, was den Mittelpunkt des menschlichen Wesens ausmacht, sich
am klarsten und vollständigsten in der Philosophie, Dichtung und
Kunst ausspricht und sich von da aus über die ganze Vorstellungs-
weise und Sinnesart des Volkes ergiesst.
Vermöge des hier betrachteten Zusammenhangs des Einzelnen
mit der ihn umgebenden Masse gehört, jedoch nur mittelbar
und gewissermassen, jede bedeutende Geistesthätigkeit des ersteren
zugleich auch der letzteren an. Das Daseyn der Sprachen beweist
aber, dass es auch geistige Schöpfungen giebt, welche ganz und
gar nicht von Einem Individuum aus auf die übrigen übergehen,
sondern nur aus der gleichzeitigen Selbstthätigkeit Aller hervor-
brechen können. In den Sprachen also sind, da dieselben immer
eine nationeile Form haben, die Nationen, als solche, eigentlich
und unmittelbar schöpferisch.
Doch muss man sich wohl hüten, diese Ansicht ohne die ihr
gebührende Beschränkung aufzufassen. Da die Sprachen unzer-
trennlich mit der innersten Natur des Menschen verwachsen sind
und weit mehr selbstthätig aus ihr hervorbrechen, als willkührlich
von ihr erzeugt werden, so könnte man die intellectuelle Eigen-
thümlichkeit der Völker ebensowohl ihre Wirkung nennen. Die
Wahrheit ist, dass beide zugleich und in gegenseitiger Ueberein-
stimmung aus unerreichbarer Tiefe des Gemüths hervorgehen.
Aus der Erfahrung kennen wir eine solche Sprachschöpfung nicht,
es bietet sich uns auch nirgends eine Analogie zu ihrer Beurtheilung
dar. W^enn wir von ursprünglichen Sprachen reden, so sind sie
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 9. qq
dies nur für unsre Unkenntniss ihrer früheren Bestandtheile. Eine
zusammenhängende Kette von Sprachen hat sich Jahrtausende lang
fortgewälzt, ehe sie an den Punkt gekommen ist, den unsre
dürftige Kunde als den ältesten bezeichnet. Nicht bloss aber die
primitive Bildung der wahrhaft ursprünglichen Sprache, sondern
auch die secundären Bildungen späterer, die wir recht gut in ihre
Bestandtheile zu zerlegen verstehen, sind uns, gerade in dem
Punkte ihrer eigentlichen Erzeugung, unerklärbar. Alles Werden
in der Natur, vorzüglich aber das organische und lebendige ent-
zieht sich unsrer Beobachtung. Wie genau wir die vorbereitenden
Zustände erforschen mögen, so befindet sich zwischen dem letzten
und der Erscheinung immer die Kluft, welche das Etwas vom
Nichts trennt; und ebenso ist es bei dem Momente des Aufhörens.
Alles Begreifen des Menschen liegt nur in der Mitte von beiden.
In den Sprachen liefert uns eine Entstehungs-Epoche, aus ganz zu-
gänglichen Zeiten der Geschichte, ein auffallendes Beispiel. Man
kann einer vielfachen Reihe von Veränderungen nachgehen, welche
die Römische Sprache in ihrem Sinken und Untergang erfuhr,
man kann ihnen die Mischungen durch einwandernde Völker-
haufen hinzufügen : man erklärt sich darum nicht besser das Ent-
stehen des lebendigen Keims, der in verschiedenartiger Gestalt sich
wieder zum Organismus neu aufblühender Sprachen entfaltete. Ein
inneres, neu entstandenes Princip fügte, in jeder auf eigne Art,
den zerfallenden Bau wieder zusammen , und wir, die wir uns
immer nur auf dem Gebiete seiner Wirkungen befinden, werden
seiner Umänderungen nur an der Masse derselben gewahr. Es
mag daher scheinen, dass man diesen Punkt lieber ganz unberührt
Hesse. Dies ist aber unmöglich, wenn man den Entwicklungsgang
des menschlichen Geistes auch nur in den gröbsten Umrissen zeichnen
will, da die Bildung der Sprachen, auch der einzelnen in allen
Arten der Ableitung oder Zusammensetzung, eine denselben am
wesentlichsten bestimmende Thatsache ist, und sich in dieser das
Zusammenwirken der Individuen in einer sonst nicht vorkommen-
Gestalt zeigt. Indem man also bekennt, dass man an einer Gränze
steht, über welche weder die geschichtliche Forschung, noch der
freie Gedanke hinüberzuführen vermögen, muss man doch die
Thatsache und die unmittelbaren Folgerungen aus derselben getreu
aufzeichnen.
Die erste und natürlichste von diesen ist, dass jener Zusammen-
hang des Einzelnen mit seiner Nation gerade in dem Mittelpunkte
Ao I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ruht, von w^elchem aus die gesammte geistige Kraft alles Denken,
Empfinden und Wollen bestimmt. Denn die Sprache ist mit Allem
in ihr, dem Ganzen wie dem Einzelnen verwandt, nichts davon
ist oder bleibt ihr je fremd. Sie ist zugleich nicht bloss passiv,
Eindrücke empfangend,^) sondern folgt aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit möglicher intellectueller Richtungen Einer be-
stimmten und modificirt durch innre Selbstthätigkeit jede auf sie
geübte äussre Einwirkung. Sie kann aber gegen die Geistes-
eigenthümlichkeit gar nicht als etwas von ihr äusserlich Geschie-
denes angesehen werden und lässt sich daher, wenn es auch auf
den ersten Anblick anders erscheint, nicht eigentlich lehren, sondern
nur im Gemüthe wecken, man kann ihr nur den Faden hingeben,
an dem sie sich von selbst entwickelt. Indem die Sprachen nun
also in dem von allem Misverständniss befreiten Sinne des Worts *)
Schöpfungen der Nationen sind, bleiben sie doch Selbst
Schöpfungen der Individuen, indem sie sich nur in jedem Ein-
zelnen, in ihm aber nur so erzeugen können, dass jeder das Ver-
ständniss aller voraussetzt und alle dieser Erwartung genügen.
Mag man nun die Sprache als eine Weltanschauung oder als eine
Gedankenverknüpfung, da sie diese beiden Richtungen in sich ver-
einigt, betrachten, so beruht sie immer nothwendig auf der Ge-
sammtkraft des Menschen ; es lässt sich nichts von ihr ausschliessen,
da sie alles umfasst.
Diese Kraft nun ist in den Nationen, sowohl überhaupt, als in
verschiednen Epochen, dem Grade und der in der gleichen all-
gemeinen Richtung möglichen eigenen Bahn nach, individuell ver-
schieden. Die Verschiedenheit muss aber an dem Resultate, der
Sprache, sichtbar werden, und wird es natürlich vorzüglich durch
das Ueberge wicht der äussren Einwirkung oder der innren
Selbstthätigkeit. Es tritt daher auch hier der Fall ein, dass, wenn
man die Reihe der Sprachen vergleichend verfolgt, die Erklärung
des Baues der einen aus der andren mehr oder minder leichten
Fortgang gewinnt, allein auch Sprachen dastehen, die durch eine
wirkliche Kluft von den übrigen getrennt erscheinen. Wie Indi-
*) Man vergleiche oben S. l6. 17. unten §. 35.
V „mit allem — empfangend" verbessert aus „kein Werk des vollendet da-
stehenden menschlichen Vermögens, sie ist eine Nothwendigkeit iinsrer Intellec-
iualität, zugleich unwillkührlich, da sie nicht zurückgedrängt werden kann, aber
ein evidenter Act der Freiheit".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 9. 10. AI
viduen durch die Kraft ihrer Eigenthümlichkeit dem menschlichen
Geiste einen neuen Schwung in bis dahin unentdeckt gebliebener
Richtung ertheiien, so können dies Nationen der Sprachbildung.
Zwischen dem Sprachbaue aber und dem Gelingen aller andren
Arten intellectueller Thätigkeit besteht ein unläugbarer Zusammen-
hang. Er liegt vorzüglich, und wir betrachten ihn hier allein von
dieser Seite, in dem begeisternden Hauche, den die sprachbildende
Kraft der Sprache in dem Acte der Verwandlung der Welt in
Gedanken dergestalt einflösst, dass er sich durch alle Theile ihres
Gebietes harmonisch verbreitet. Wenn man es als möglich denken
kann, dass eine Sprache in einer Nation gerade auf die Weise ent-
steht, wie sich das Wort am sinnvollsten und anschaulichsten aus
der Weltansicht entwickelt, sie am reinsten wieder darstellt und
sich selbst so gestaltet, um in jede Fügung des Gedanken am
leichtesten und am körperlosesten einzugehen; so muss diese
Sprache, so lange sich nur irgend ihr Lebensprincip erhält, dieselbe
Kraft in derselben Richtung gleich gelingend in jedem Einzelnen
hervorrufen. Der Eintritt einer solchen oder auch nur einer ihr
nahe kommenden Sprache in die Weltgeschichte muss daher eine
wichtige Epoche in dem menschlichen Entwicklungsgange und
gerade in seinen höchsten und wundervollsten Erzeugungen be-
gründen. Gewisse Bahnen des Geistes und ein gewisser, ihn auf
denselben forttragender Schwung lassen sich nicht denken, ehe
solche Sprachen entstanden sind. Sie machen daher einen wahren
Wendepunkt in der inneren Geschichte des Menschengeschlechts
aus ; wenn man sie als den Gipfel der Sprachbildung ansehen
muss, so sind sie die Anfangsstufe seelenvoller und phantasie-
reicher Bildung, und es ist insofern ganz richtig zu behaupten,
dass das Werk der Nationen den Werken der Individuen voraus-
gehen müsse, obgleich gerade das hier Gesagte unumstösslich be-
weist, wie gleichzeitig in diesen Schöpfungen die Thätigkeit beider
in einander verschlungen ist.
Uebergang zur näheren Betrachtung der Sprache.
Wir sind jetzt bis zu dem Punkte gelangt, auf dem wir in lo.
der primitiven Bildung des Menschengeschlechts die Sprachen als
die erste nothwendige Stufe erkennen, von der aus die Nationen
erst jede höhere menschliche Richtung zu verfolgen im Stande
sind. Sie wachsen auf gleich bedingte Weise mit der Geisteskraft
A2 1. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
empor und bilden zugleich das belebend anregende Princip der-
selben. Beides aber geht nicht nach einander und abgesondert
vor sich, sondern ist durchaus und unzertrennlich dieselbe Hand-
lung des intellectuellen Vermögens. Indem ein Volk der Ent-
wicklung seiner Sprache, als des Werkzeuges jeder menschlichen
Thätigkeit in ihm, aus seinem Inneren Freiheit erschafft, sucht
und erreicht es zugleich die Sache selbst, also etwas Anderes und
Höheres; und indem es auf dem Wege dichterischer Schöpfung
und grübelnder Ahndung dahin gelangt, wirkt es zugleich wieder
auf die Sprache zurück. Wenn man die ersten, selbst rohen und
ungebildeten Versuche des intellectuellen Strebens mit dem Namen
der Literatur belegt, so geht die Sprache immer den gleichen
Gang mit ihr, und so sind beide unzertrennlich mit einander ver-
bunden.
Die Geisteseigenthümlichkeit und die Sprachgestaltung eines
Volkes stehen in solcher Innigkeit der Verschmelzung in einander,
dass, wenn die eine gegeben wäre, die andre müsste vollständig
aus ihr abgeleitet werden können. Denn die Intellectualität und
die Sprache gestatten und befördern nur einander gegenseitig zu-
sagende Formen. Die Sprache ist gleichsam die äusserliche Er-
scheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und
ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide nie identisch genug
denken. Wie sie in Wahrheit mit einander in einer und eben-
derselben, unserem Begreifen unzugänglichen Quelle zusammen-
kommen, bleibt uns unerklärlich verborgen. Ohne aber über die
Priorität der einen oder andren entscheiden zu wollen, müssen
wir als das reale Erklärungsprincip und als den wahren Be-
stimmungsgrund der Sprachverschiedenheit die geistige Kraft der
Nationen ansehen, weil sie allein lebendig selbstständig vor uns
steht, die Sprache dagegen nur an ihr haftet. Denn insofern sich
auch diese uns in schöpferischer Selbstständigkeit offenbart, verliert
sie sich über das Gebiet der Erscheinungen hinaus in ein ideales
Wesen. Wir haben es historisch nur immer mit dem wirklich
sprechenden Menschen zu thun, dürfen aber darum das wahre
Verhältniss nicht aus den Augen lassen. Wenn wir Intellectualität
und Sprache trennen, so existirt eine solche Scheidung in der
Wahrheit nicht. Wenn uns die Sprache mit Recht als etwas
Höheres erscheint, als dass sie für ein menschliches Werk, gleich
andren Geisteserzeugnissen, gelten könnte; so würde sich dies
anders verhalten, wenn uns die menschliche Geisteskraft nicht bloss
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. lo. ii. ao
in einzelnen Erscheinungen begegnete, sondern ihr Wesen selbst
uns in seiner unergründlichen Tiefe entgegenstrahlte und wir den
Zusammenhang der menschlichen Individualität einzusehen ver-
möchten, da auch die Sprache über die Geschiedenheit der Indi-
viduen hinausgeht. Für die praktische Anwendung besonders
wichtig ist es nur, bei keinem niedrigeren Erklärungsprincipe der
Sprachen stehen zu bleiben, sondern wirklich bis zu diesem höchsten
und letzten hinaufzusteigen und als den festen Punkt der ganzen
geistigen Gestaltung den Satz anzusehen, dass der Bau der Sprachen
im Menschengeschlechte darum und insofern verschieden ist, weil
und als es die Geisteseigenthümlichkeit der Nationen selbst ist.
Gehen wir aber, wie wir uns nicht entbrechen können zu
thun, in die Art dieser Verschiedenheit der einzelnen Gestaltung
des Sprachbaues ein, so können wir nicht mehr die Erforschung
der geistigen Eigenthümlichkeit , erst abgesondert für sich ange-
stellt, auf die Beschaffenheiten der Sprache anwenden wollen. In
den frühen Epochen, in welche uns die gegenwänigen Betrach-
tungen zurückversetzen, kennen wir die Nationen überhaupt nur
durch ihre Sprachen, wissen nicht einmal immer genau, welches
Volk wir uns, der Abstammung und "\"erknüpfung nach, bei jeder
Sprache zu denken haben. So ist das Zend wirklich für uns die
Sprache einer Nation, die wir nur auf dem Wege der Vermuthung
genauer bestimmen können. Unter allen Aeusserungen, an welchen
Geist und Charakter erkennbar sind, ist aber die Sprache auch
die allein geeignete, beide bis in ihre geheimsten Gänge und Falten
darzulegen. Wenn man also die Sprachen als einen Erklärungs-
grund der successiven geistigen Entwicklung betrachtet, so muss
man zwar dieselben als durch die intellectuelle Eigenthümlichkeit
entstanden ansehen, allein die Art dieser Eigenthümlichkeit bei
jeder einzelnen in ihrem Baue aufsuchen, so dass, wenn die hier
eingeleiteten Betrachtungen zu einiger \^ollständigkeit durchgeführt
werden sollen, es uns jetzt obliegt, in die Natur der Sprachen und
die Möglichkeit ihrer rückwirkenden ^^erschiedenheiten näher ein-
zugehen, um auf diese Weise das vergleichende Sprachstudium an
seinen letzten und höchsten Beziehungspunkt anzuknüpfen.
Form der Sprachen.
^)Es gehört aber allerdings eine eigne Richtung der Sprach- u.
forschung dazu, den im Obigen vorgezeichneten Weg mit Glück
V Vor „Es" ist folgender Absatz gestrichen: „Wenn wir hier die Erkennt-
AA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ZU verfolgen. Man muss die Sprache nicht sowohl wie ein todtes
Erzeugtes, sondern weit mehr wie eine Erzeugung ansehen, mehr
von demjenigen abstrahiren, was sie als Bezeichnung der Gegen-
stände und Vermittlung des Verständnisses wirkt, und dagegen
sorgfältiger auf ihren mit der innren Geistesthätigkeit eng ver-
webten Ursprung und ihren gegenseitigen Einfluss zurückgehen.
Die Fortschritte, welche das Sprachstudium den gelungenen
Bemühungen der letzten Jahrzehnde ^) verdankt , erleichtern die
Uebersicht desselben in der Totalität seines Umfangs.^) Man kann
nun dem Ziele näher rücken, die einzelnen Wege anzugeben, auf
welchen in den mannigfach abgetheilten, isolirten und verbundenen
Völkerhaufen des Menschengeschlechts das Geschäft der Sprach-
erzeugung zur Vollendung gedeiht. Hierin aber liegt gerade so-
wohl die Ursach der Verschiedenheit des menschlichen Sprach-
baues, als ihr Einfluss auf den Entwicklungsgang des Geistes, also
der ganze uns hier beschäftigende Gegenstand.
Gleich bei dem ersten Betreten dieses Forschungsweges stellt
sich uns jedoch eine wichtige Schwierigkeit in den Weg. Die
Sprache bietet uns eine Unendlichkeit von Einzelnheiten dar, in
Wörtern, Regeln, Analogieen und Ausnahmen aller Art, und wir
gerathen in nicht geringe Verlegenheit, wie wir diese Menge, die
tiiss der nationellen Geisteskraft ausserhalb der Sprache aufsuchen wollten, würden
wir nicht allein etwas unmögliches unternehmen, sondern auch vergebens diese
Kraft als das oberste Erklärung sprincip der Sprachen ansehen, so unumstösslich
gewiss auch diese Ansicht übrigens ist. In der frühen Epoche, in welche uns die
gegenwärtigen Betrachtungen zurückversetzen, kennen wir die Nationen überhaupt
nicht anders, als durch ihre Sprachen. Wie viele andre Angaben aber wir auch
über ihren intellectuellen Chat-akter besitzen möchten, so könnten uns. doch die hier
in Betrachtung kommenden Seiten desselben nur in ihren Wirkungen, dem Baue
der Sprache, offenbar werden. Es liegt auch kein irre führender Cirkel darin,.
diesen als das Werk der Geisteskraft des Volkes anzusehen und zugleich die
letztere erst aus ihm erkennen zu wollen. Denn da jene eigenthümliche Kraft
sich nur an der Leitung und Mithülfe der Sprache entwickelt, so kann diese kein
andres Gepräge, als das ihrige an sich tragen."
^) „der letzten Jahrzehnde" verbessert aus „einiger trefflichen und für
dasselbe glücklich organisirten Köpfe, unter welchen Grimm und Bopp die erste
Stelle gebührt".
^) Nach „Umfangs" gestrichen: „Man hat nicht nur die Analogieen der
wichtigsten Sprachstämme in ihrem vollständigen Zusammenhange dargelegt,
sondern auch die Gründe der Erscheinungen bis in die Eigenthümlichkeiten und
Verwandtschaften der einzelnen Laute erforscht. Es ist nun möglich, dies in die
einfachen Formen der Sprachen zusammenzufassen, und".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. II. 12. ac
uns, der schon in sie gebrachten Anordnung ungeachtet, doch
noch als verwirrendes Chaos erscheint, mit der Einheit des Bildes
der menschlichen Geisteskraft in beurtheilende Vergleichung bringen
sollen. Wenn man sich auch im Besitze alles nöthigen lexicalischen
und grammatischen Details zweier wichtigen Sprachstämme, z. B.
des Sanskritischen und Semitischen, befindet ; so wird man dadurch
doch noch wenig in dem Bemühen gefördert, den Charakter eines
jeden von beiden in so einfache Umrisse zusammenzuziehen, dass
dadurch eine fruchtbare \"ergleichung derselben und die Bestimmung
der ihnen, nach ihrem ^^erhältniss zur Geisteskraft der Nationen,
gebührenden Stelle in dem allgemeinen Geschäfte der Sprach-
erzeugung möglich wird. Dies erfordert noch ein eignes Auf-
suchen der gemeinschaftlichen Quellen der einzelnen Eigenthüm-
lichkeiten, das Zusammenziehen der zerstreuten Züge in das Bild
eines organischen Ganzen. Erst dadurch gewinnt man eine Hand-
habe, an der man die Einzelnheiten festzuhalten vermag.^) Um
daher verschiedne Sprachen in Bezug auf ihren charakteristischen
Bau fruchtbar mit einander zu vergleichen, muss man der Form
einer jeden derselben sorgfältig nachforschen und sich auf diese
Weise vergewissern, aufweiche Art jede die hauptsächlichen Fragen
löst, welche aller Spracherzeugung als Aufgaben vorliegen. Da
aber dieser Ausdruck der Form in Sprachuntersuchungen in
mehrfacher Beziehung gebraucht wird, so glaube ich ausführlicher
entwickeln zu müssen, in welchem Sinne ich ihn hier genommen
wünsche. Dies erscheint um so nothwendiger, als wir hier nicht
von der Sprache überhaupt, sondern von den einzelnen ver-
schiedner Völkerschaften reden, und es daher auch darauf an-
kommt, abgränzend zu bestimmen, was unter einer einzelnen
Sprache, im Gegensatz auf der einen Seite des Sprachstammes,
auf der andren des Dialektes, und was unter Einer da zu ver-
stehen ist, wo die nemliche in ihrem Verlaufe wesentliche Ver-
änderungen erfährt.
Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas 12.
beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst
ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige,
mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass
V Nach „vermag" gestrichen: „und in der That lassen sich die Sprachen,
da sie aus dem Organismus der Seelenkräße hervorgehen, nach den Gesetzen
organischer Wesen behandeln."
aQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie
selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia).
Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn. Sie
ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den
articulirten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen.
Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Definition des
jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinne
kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als
die Sprache ansehen. Denn in dem zerstreuten Chaos von Wörtern
und Regeln, welches wir wohl eine Sprache zu nennen pflegen,
ist nur das durch jenes Sprechen hervorgebrachte Einzelne vor-
handen und dies niemals vollständig, auch erst einer neuen Arbeit
bedürftig, um daraus die Art des lebendigen Sprechens zu er-
kennen und ein wahres Bild der lebendigen Sprache zu geben.
Gerade das Höchste und Feinste lässt sich an jenen getrennten
Elementen nicht erkennen und kann nur (was um so mehr be-
weist, dass die eigentliche Sprache in dem Acte ihres wirklichen
Hervorbringens liegt) in der verbundenen Rede wahrgenommen
oder geahndet werden. Nur sie muss man sich überhaupt in
allen Untersuchungen, welche in die lebendige Wesenheit der
Sprache eindringen sollen, immer als das Wahre und Erste denken.
Das Zerschlagen in Wörter und Regeln ist nur ein todtes Mach-
werk wissenschaftlicher Zergliederung.
Die Sprachen als eine Arbeit des Geistes zu bezeichnen, ist
schon darum ein vollkommen richtiger und adäquater Ausdruck,
weil sich das Daseyn des Geistes überhaupt nur in Thätigkeit und
als solche denken lässt. ^) Die zu ihrem Studium unentbehrliche
V Nach „lässt" gestrichen: „Die Misdeutung muss man aber allerdings
vermeiden, sich darunter eine mit Bewusstseyn und auch im Einzelnen des Ver-
fahrens allmählich vorgehende Arbeit vorzustellen. Dies passt gerade durchaus
nicht auf die Sprache, und will man diese Seite ihrer imerklärlichen Selbstständig-
keit an ihr herausheben, so muss man sie nicht eine Arbeit oder Thätigkeit, sondern
eine, wenn man die augenblickliche Bildung beachtet, gleichsam umvillkührliche
Emanation des Geistes nennen. Sie ist nicht sowohl ein Werk der Nationen, als
eine ihnen durch ihr inneres Geschick zugefallene Gabe; sie besitzen sie, ohne zu
wissen, wie sie dieselbe gebildet haben. Die Sprache kann und muss sogar als
die äusserliche Erscheinung des Geistes der Völker angesehen werden, ihre Sprache
ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache; man kann sich beide nie identisch genug
denken. Die Sprache auf diese Weise und ausführlicher zu charakterisiren, sind
wir schon oben (S. 40.J veranlasst worden, wo wir den Antheil zu bestimmen ver-
suchten, den die Individuen und die Nationen an ihrem Entstehen nehmen."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 12. An
Zergliederung ihres Baues nöthigt uns sogar sie als ein Verfahren
2U betrachten, das durch bestimmte Mittel zu bestimmten Zwecken
vorschreitet, und sie insofern wirklich als Bildungen der Nationen
anzusehen. Der hierbei möglichen Misdeutung ist schon' oben*)
hinlänglich vorgebeugt worden, und so können jene Ausdrücke
der Wahrheit keinen Eintrag thun.
Ich habe schon im Obigen (S. 3g.) darauf aufmerksam ge-
macht, dass wir uns, w^enn ich mich so ausdrücken darf, mit
unsrem Sprachstudium durchaus in eine geschichtliche Mitte ver-
setzt befinden, und dass weder eine Nation noch eine Sprache
unter den uns bekannten ursprünglich genannt werden kann. Da
jede schon einen Stoff von früheren Geschlechtern aus uns unbe-
kannter Vorzeit empfangen hat, so ist die, nach der obigen Er-
klärung, den Gedankenausdruck hervorbringende geistige Thätig-
keit immer zugleich auf etwas schon Gegebenes gerichtet, nicht
rein erzeugend, sondern umgestaltend.
Diese Arbeit nun wirkt auf eine constante und gleichförmige
Weise. Denn es ist die gleiche, nur innerhalb gewisser, nicht
weiter Gränzen verschiedne geistige Kraft, welche dieselbe ausübt.
Sie hat zum Zweck das Verständniss. Es darf also Niemand auf
andre Weise zum Andren reden, als dieser, unter gleichen Um-
ständen, zu ihm gesprochen haben würde. Endlich ist der über-
kommene Stoff nicht bloss der nemliche, sondern auch, da er
selbst wieder einen gleichen Ursprung hat, ein mit der Geistes-
richtung durchaus nahe verwandter. Das in dieser Arbeit des
Geistes, den articulirten Laut zum Gedankenausdruck zu erheben,
liegende Beständige und Gleichförmige, so vollständig, als möglich,
in seinem Zusammenhange aufgefasst und systematisch dargestellt,
macht die Form der Sprache aus.
In dieser Definition erscheint dieselbe als ein durch die Wissen-
schaft gebildetes Abstractum. Es würde aber durchaus unrichtig
seyn, sie auch an sich bloss als ein solches daseynloses Gedanken-
wesen anzusehen. In der That ist sie vielmehr der durchaus in-
dividuelle Drang, vermittelst dessen eine Nation dem Gedanken
und der Empfindung Geltung in der Sprache verschafft. Nur weil
uns nie gegeben ist, diesen Drang in der ungetrennten Gesammt-
heit seines Strebens, sondern nur in seinen jedesmal einzelnen
Wirkungen zu sehen, so bleibt uns auch bloss übrig, die Gleich-
*) S. 16. 17. 40. 41 — 43. und weiter unten §. 35.
A^ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
artigkeit seines Wirkens in einen todten allgemeinen Begriff zu-
sammenzufassen. In sich ist jener Drang Eins und lebendig.
Die Schwierigkeit gerade der wichtigsten und feinsten Sprach-
untersuchungen liegt sehr häufig darin, dass etwas aus dem Ge-
sammteindruck der Sprache Fliessendes zwar durch das klarste
und überzeugendste Gefühl wahrgenommen wird, dennoch aber
die Versuche scheitern, es in genügender Vollständigkeit einzeln
darzulegen und in bestimmte Begriffe zu begränzen. Mit dieser
nun hat man auch hier zu kämpfen. Die charakteristische Form
der Sprachen hängt an jedem einzelnen ihrer kleinsten Elemente ;
jedes wird durch sie, wie unmerklich es im Einzelnen sey, auf
irgend eine Weise bestimmt. Dagegen ist es kaum möglich, Punkte
aufzufinden, von denen sich behaupten Messe, dass sie an ihnen,
einzeln genommen, entscheidend haftete. Wenn man daher irgend
eine gegebene Sprache durchgeht, so findet man Vieles, das man
sich, dem Wesen ihrer Form unbeschadet, auch wohl anders
denken könnte, und wird, um diese rein geschieden zu erblicken,
zu dem Gesammteindruck zurückgewiesen. Hier nun tritt sogleich
das Gegentheil ein. Die entschiedenste Individualität fällt klar in
die Augen, drängt sich unabweisbar dem Gefühl auf. Die Sprachen
können hierin noch am wenigsten unrichtig mit den menschlichen
Gesichtsbildungen verglichen werden. Die Individualität steht un-
abläugbar da, Aehnlichkeiten werden erkannt, aber kein Messen
und kein Beschreiben der Theile, im Einzelnen und in ihrem Zu-
sammenhange, vermag die Eigenthümlichkeit in einen Begriff zu-
sammenzufassen. Sie ruht auf dem Ganzen und in der wieder
individuellen Auffassung, daher auch gewiss jede Physiognomie
jedem anders erscheint. Da die Sprache, in welcher Gestalt man
sie aufnehmen möge, immer ein geistiger Aushauch eines nationell
individuellen Lebens ist, so muss beides auch bei ihr eintreffen.
Wie viel man in ihr heften und verkörpern, vereinzeln und zer-
ghedern möge, so bleibt immer etwas unerkannt in ihr übrig, und
gerade dies der Bearbeitung Entschlüpfende ist dasjenige, worin
sie Einheit und der Odem eines Lebendigen ist. Bei dieser Be-
schaffenheit der Sprachen kann daher die Darstellung der Form
irgend einer in dem hier angegebenen Sinne niemals ganz voll-
ständig, sondern immer nur bis auf einen gewissen, jedoch zur
Uebersicht des Ganzen genügenden Grad gelingen. Darum ist
aber dem Sprachforscher durch diesen Begriff nicht minder die
Bahn vorgezeichnet, in welcher er den Geheimnissen der Sprache
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 12. aq
nachspüren und ihr Wesen zu enthüllen suchen muss. Bei der
Vernachlässigung dieses Weges übersieht er unfehlbar eine Menge
von Punkten der Forschung, muss sehr vieles wirklich Erklärbares
unerklärt lassen und hält für isolirt dastehend, was durch leben-
digen Zusammenhang verknüpft ist.
Es ergiebt sich schon aus dem bisher Gesagten von selbst,
dass unter Form der Sprache hier durchaus nicht bloss die so-
genannte grammatische Form verstanden wird. Der Unterschied,
welchen wir zwischen Grammatik und Lexicon zu machen pflegen,
kann nur zum praktischen Gebrauche der Erlernung der Sprachen
dienen, allein der wahren Sprachforschung weder Gränze noch
Regel vorschreiben. Der Begriff der Form der Sprachen dehnt
sich weit über die Regeln der Redefügung und selbst über die
der Wortbildung hin aus, insofern man unter der letzteren die An-
wendung gewisser allgemeiner logischer Kategorieen des Wirkens,
des Gewirkten, der Substanz, der Eigenschaft u. s. w. auf die
Wurzeln und Grundwörter versteht. Er ist ganz eigentlich auf
die Bildung der Grundwörter selbst anwendbar und muss in der
That möglichst auf sie angewandt werden, wenn das Wesen der
Sprache wahrhaft erkennbar seyn soll.
Der Form steht freilich ein Stoif gegenüber; um aber den
Stoff der Sprachform zu finden, muss man über die Gränzen der
Sprache hinausgehen. Innerhalb derselben lässt sich etwas nur
beziehungsweise gegen etwas andres als Stoff betrachten, z. B.
die Grundwörter in Beziehung auf die Declination. In andren
Beziehungen aber wird, was hier Stoff ist, wieder als Form er-
kannt. Eine Sprache kann auch aus einer fremden Wörter ent-
lehnen und wirklich als Stoff" behandeln. Aber alsdann sind die-
selben dies wiederum in Beziehung auf sie. nicht an sich. Absolut
betrachtet, kann es innerhalb der Sprache keinen ungeformten Stoff
geben, da alles in ihr auf einen bestimmten Zweck, den Gedanken-
ausdruck, gerichtet ist, und diese Arbeit schon bei ihrem ersten
Element, dem articulirten Laute, beginnt, der ja eben durch Formung ^)
2um articulirten wird. Der wirkliche Stoff der Sprache ist auf der
einen Seite der Laut überhaupt, auf der andren die Gesammtheit der
sinnlichen Eindrücke und selbstthätigen Geistesbewegungen, welche
der Bildung des Begriffs mit Hülfe der Sprache vorausgehen.
Es versteht sich daher von selbst, dass die reelle Beschaffen-
V Nach „Formung" gestrichen: „(absichtliche Geistesrichtung)".
W. V. Humboldt, Werke. VII. 4
50
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
heit der Laute, um eine Vorstellung von der Form einer Sprache
zu erhalten, ganz vorzugsweise beachtet werden muss. Gleich
mit dem Alphabete beginnt die Erforschung der Form einer
Sprache, und durch alle Theile derselben hindurch wird dies als
ihre hauptsächlichste Grundlage behandelt. Ueberhaupt wird durch
den BegriiF der Form nichts Factisches und Individuelles aus-
geschlossen, sondern alles nur wirklich historisch zu Begründende,
so wie das Allerindividuellste, gerade in diesen Begriff befasst und
eingeschlossen. Sogar werden alle Einzelnheiten nur, wenn man
die hier bezeichnete Bahn verfolgt, mit Sicherheit in die Forschung
aulgenommen, da sie sonst leicht übersehen zu werden Gefahr
laufen. Dies führt freilich in eine mühvolle, oft ins Kleinliche
gehende Elementaruntersuchung; es sind aber auch lauter in sich
kleinliche Einzelnheiten, aufweichen der Totaleindruck der Sprachen
beruht, und nichts ist mit ihrem Studium so unverträglich, als
in ihnen bloss das Grosse, Geistige, Vorherrschende aufsuchen zu
wollen. Genaues Eingehen in jede grammatische Sübtilität und
Spalten der Wörter in ihre Elemente ist durchaus nothwendig,
um sich nicht in allen Urtheilen über sie Irrthümern auszusetzen.
Es versteht sich indess von selbst, dass in den Begriff der Form
der Sprachen keine Einzelnheit als isolirte Thatsache, sondern
immer nur insofern aufgenommen werden darf, als sich eine Methode
der Sprachbildung an ihr entdecken lässt. Man muss durch die
Darstellung der Form den specifischen Weg erkennen, welchen
die Sprache und mit ihr die Nation, der sie angehört, zum Ge-
dankenausdruck einschlägt. Man muss zu übersehen im Stande
seyn, wie sie sich zu andren Sprachen, sowohl in den bestimmten
ihr vorgezeichneten Zwecken, als in der Rückwirkung auf die
geistige Thätigkeit der Nation, verhält. Sie ist in ihrer Natur
selbst eine Auffassung der einzelnen, im Gegensatze zu ihr als
Stoff zu betrachtenden Sprachelemente in geistiger Einheit. Denn
in jeder Sprache liegt eine solche, und durch diese zusammen-
fassende Einheit macht eine Nation die ihr von ihren Vorfahren
überlieferte Sprache zu der ihrigen. Dieselbe Einheit muss sich
also in der Darstellung wiederfinden ; und nur wenn man von den
zerstreuten Elementen bis zu dieser Einheit hinaufsteigt, erhält
man wahrhaft einen Begriff von der Sprache selbst, da man, ohne
ein solches Verfahren, offenbar Gefahr läuft, nicht einmal jene
Elemente in ihrer wahren Eigenthümlichkeit und noch weniger
in ihrem realen Zusammenhange zu verstehen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I2. ti
Die Identität, um dies hier im Voraus zu bemerken, so wie die
Ven\'andtschaft der Sprachen muss auf der Identität und der Ver-
wandtschaft ihrer Formen beruhen, da die Wirkung nur der Ur-
sach gleich seyn kann. Die Form entscheidet daher allein, zu
welchen andren eine Sprache, als stammverwandte, gehört. Dies
findet sogleich eine Anwendung auf das Kawi, das, wie viele
Sanskritwörter es auch in sich aufnehmen möchte, darum nicht
aufhört, eine Malayische Sprache zu seyn. Die Formen mehrerer
Sprachen können in einer noch allgemeineren Form zusammen-
kommen, und die Formen aller thun dies in der That, insofern
man überall bloss von dem Allgemeinsten ausgeht: von den Ver-
hältnissen und Beziehungen der zur Bezeichnung der Begriffe und
zur Redefügung nothwendigen Vorstellungen, von der Gleichheit
der Lautorgane, deren Umfang und Natur nur eine bestimmte
Zahl articulirter Laute zulässt, von den Beziehungen endlich,
welche zwischen einzelnen Consonant- und Vocallauten und ge-
wissen sinnlichen Eindrücken obwalten, woraus dann Gleichheit
der Bezeichnung, ohne Stammverwandtschaft, entspringt. Denn
so wundervoll ist in der Sprache die Individualisirung innerhalb
der allgemeinen Uebereinstimmung, dass man ebenso richtig sagen
kann, dass das ganze Menschengeschlecht nur Eine Sprache, als
dass jeder Mensch eine besondere besitzt. Unter den durch nähere
Analogieen verbundenen Sprachähnlichkeiten aber zeichnet sich vor
allen die aus Stammverwandtschaft der Nationen entstehende aus.
Wie gross und von welcher Beschaffenheit eine solche Aehnlich-
keit seyn muss, um zur Annahme von Stammverwandtschaft da
zu berechtigen, wo nicht geschichtliche Thatsachen dieselbe ohne-
hin begründen, ist es hier nicht der Ort zu untersuchen. Wir be-
schäftigen uns hier nur mit der Anwendung des eben entwickelten
Begriffs der Sprachform auf stammverwandte Sprachen. Bei dieser
ergiebt sich nun natürlich aus dem Vorigen, dass die Form der
einzelnen stammverwandten Sprachen sich in der des ganzen
Stammes wiederfinden muss. Es kann in ihnen nichts enthalten
seyn, was nicht mit der allgemeinen Form in Einklang stände;
vielmehr wird man in der Regel in dieser jede ihrer Eigenthümlich-
keiten auf irgend eine Weise angedeutet finden. In jedem Stamme
wird es auch eine oder die andre Sprache geben, welche die ur-
sprüngliche Form reiner und vollständiger in sich enthält. Denn
es ist hier nur von aus einander entstandenen Sprachen die Rede,
wo also ein wirklich gegebener Stoff (dies W^ort immer, nach den
[12 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
obigen Erklärungen, beziehungsweise genommen) von einem Volke
zum andren in bestimmter Folge, die sich jedoch nur selten genau
nachweisen lässt, übergeht und umgestaltet wird. Die Umgestaltung
selbst aber kann bei der ähnlichen Vorstellungsweise und Ideen-
richtung der sie bewirkenden Geisteskraft, bei der Gleichheit der
Sprachorgane und der überkommenen Lautgewohnheiten, endlich
bei vielen zusammentreifenden historischen äusserlichen Einflüssen
immer nur eine nah verwandte bleiben.
Natur und Beschaffenheit der Sprache überhaupt.
Da der Unterschied der Sprachen auf ihrer Form beruht,
und diese mit den Geistesanlagen der Nationen und der sie
im Augenblicke der Erzeugung oder neuen Auflassung durch-
dringenden Kraft in der engsten Verbindung steht, so ist es
nunmehr nothwendig, diese Begriffe mehr im Einzelnen zu ent-
wickeln und wenigstens einige der Hauptrichtungen der Sprache
näher zu verfolgen. Ich wähle dazu die am meisten folgenreichen
aus, welche am deutlichsten zeigen, wie die innere Kraft auf die
Sprache ein- und diese auf sie zurückwirkt.
Zwei Principe treten bei dem Nachdenken über die Sprache
im Allgemeinen und der Zergliedrung der einzelnen, sich deutlich
von einander absondernd, an das Licht : die Lautform und der
von ihr zur Bezeichnung der Gegenstände und Verknüpfung der
Gedanken gemachte Gebrauch. Der letztere gründet sich auf die
Forderungen, welche das Denken an die Sprache bindet, woraus
die allgemeinen Gesetze dieser entspringen; und dieser Theil ist
daher in seiner ursprünglichen Richtung, bis auf die Eigenthümlich-
keit ihrer geistigen Naturanlagen oder nachherigen Entwicklungen,
in allen Menschen, als solchen, gleich. Dagegen ist die Lautform
das eigentlich constitutive und leitende Princip der ^) Verschieden-
heit der Sprachen, sowohl an sich, als in der befördernden oder
hemmenden Kraft, welche sie der ^) inneren Sprachtendenz gegen-
überstellt. Sie hängt natürlich, als ein in enger Beziehung auf die
innere Geisteskraft stehender Theil des ganzen menschlichen Organis-
mus, ebenfalls genau mit der Gesammtanlage der Nation zusammen ;
aber die Art und die Gründe dieser Verbindung sind in, kaum
y Nach „der" gestrichen: „Individualität und mithin der",
y Nach „der" gestrichen: „allgemeinen".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I2 — 14. c.'i
irgend eine Aufldärung erlaubendes Dunkel gehüllt. Aus diesen
beiden Principien nun, zusammengenommen mit der Innigkeit
ihrer gegenseitigen Durchdringung, geht die individuelle Form
jeder Sprache hervor, und sie machen die Punkte aus, welche die
Sprachzergliedrung zu erforschen und in ihrem Zusammenhange
darzustellen versuchen muss. Das Unerlasslichste hierbei ist, dass
dem Unternehmen eine richtige und würdige Ansicht der Sprache,
der Tiefe ihres Ursprungs und der Weite ihres Umfangs zum
Grunde gelegt werde; und bei der Aufsuchung dieser haben wir
daher hier noch zunächst zu verweilen.^)
Ich nehme hier das Verfahren der Sprache in seiner weitesten 14-
Ausdehnung, nicht bloss in der Beziehung derselben auf die Rede
und den A'orrath ihrer Wortelemente, als ihr unmittelbares Er-
zeugniss, sondern auch in ihrem ^"erhaltniss zu dem Denk- und
Empfindungsvermögen. Der ganze Weg kommt in Betrachtung,
auf dem sie, vom Geiste ausgehend, auf den Geist zurückwirkt.
Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken. Die in-
tellectuelle Thätigkeit, durchaus geistig, durchaus innerlich und
gewissermassen spurlos vorübergehend, wird durch den Laut in
der Rede äusserlich und wahrnehmbar für die Sinne. Sie und
die Sprache sind daher Eins und unzertrennlich von einander. Sie
ist aber auch in sich an die Xothwendigkeit geknüpft, eine Ver-
bindung mit dem Sprachlaute einzugehen; das Denken kann sonst
nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung nicht zum Begriff
werden. Die unzertrennliche Verbindung des Gedanken, der
Stimmwerkzeuge und des Gehörs zur Sprache liegt unabänderlich
in der ursprünglichen, nicht weiter zu erklärenden Einrichtung der
menschlichen Natur. Die Uebereinstimmung des Lautes mit dem
Gedanken fällt indess auch klar in die Augen. Wie der Gedanke,
einem Blitze oder Stosse vergleichbar, die ganze \'orstellungskraft
in Einen Punkt sammelt und alles Gleichzeitige ausschliesst, so
erschallt der Laut in abgerissener Schärfe und Einheit. Wie der
Gedanke das ganze Gemüth ergreift, so besitzt der Laut vorzugs-
weise eine eindringende, alle Nerven erschütternde Kraft. Dies
ihn von allen übrigen sinnlichen Eindrücken Unterscheidende be-
ruht sichtbar darauf, dass das Ohr (was bei den übrigen Sinnen
V Nach „verweilen" gestrichen: „Ehe ich aber diesen Weg weiter verfolge,
muss ich einige Worte über die Sprache überhaupt hinzufügen, über ihren ein-
fachsten Act und den Umfang ihrer Gesammtheit."
rA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
nicht immer oder anders der Fall ist) den Eindruck einer Be-
wegung, ja bei dem der Stimme entschallenden Laut einer wirk-
lichen Handlung empfängt, und diese Handlung hier aus dem Innern
eines lebenden Geschöpfs, im articulirten Laut eines denkenden,
im unarticulirten eines empfindenden, hervorgeht. Wie das Denken
in seinen menschlichsten Beziehungen eine Sehnsucht aus dem
Dunkel nach dem Licht, aus der Beschränkung nach der Unend-
lichkeit ist, so strömt der Laut aus der Tiefe der Brust nach
aussen und findet einen ihm wundervoll angemessenen, vermitteln-
den Stoff in der Luft, dem feinsten und am leichtesten bewegbaren
aller Elemente, dessen scheinbare Unkörperlichkeit dem Geiste
auch sinnlich entspricht. Die schneidende Schärfe des Sprachlauts
ist dem Verstände bei der Auffassung der Gegenstände unent-
behrlich. Sowohl die Dinge in der äusseren Natur, als die inner-
lich angeregte Thätigkeit dringen auf den Menschen mit einer
Menge von Merkmalen zugleich ein. Er aber strebt nach Ver-
gleichung, Trennung und Verbindung und in seinen höheren
Zwecken nach Bildung immer mehr umschliessender Einheit. Er
verlangt also auch, die Gegenstände in bestimmter Einheit auf-
zufassen, ^) und fordert die Einheit des Lautes, um ihre Stelle
zu vertreten. Hierbei verdrängt dieser aber keinen der andren"
Eindrücke, welche die Gegenstände auf den äusseren oder inneren
Sinn hervorzubringen fähig sind, sondern wird ihr Träger und
fügt in seiner individuellen, mit der des Gegenstandes und zwar
gerade nach der Art, wie ihn die individuelle Empfindungsweise
des Sprechenden auffasst , zusammenhängenden Beschaffenheit
einen neuen bezeichnenden Eindruck hinzu. Zugleich erlaubt die
Schärfe des Lauts eine unbestimmbare Menge sich doch vor der
Vorstellung genau absondernder und in der Verbindung nicht
vermischender Modificationen, was bei keiner anderen sinnlichen
Einwirkung in gleichem Grade der Fall ist. Da das intellectuelle
Streben nicht bloss den Verstand beschäftigt, sondern den ganzen
Menschen anregt, so wird auch dies vorzugsweise durch den Laut
der Stimme befördert. Denn sie geht, als lebendiger Klang, wie
das athmende Dase3^n selbst, aus der Brust hervor, begleitet, auch
ohne Sprache, Schmerz und Freude, Abscheu und Begierde, und
V Nach „aufzufassen" gestrichen : „Diese Auffassung gewährt keiner seiner
Sinne in dem Grade und der Vollkommenheit als das Ohr in der schneidenden
Schärfe des Lauts."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklimg des Menschengeschlechts. 14. -r
haucht also das Leben, aus dem sie hervorströmt, in den Sinn,
der sie aufnimmt, so wie auch die Sprache selbst immer zugleich
mit dem dargestellten Object die dadurch hervorgebrachte Em-
pfindung wiedergiebt und in immer v^iederholten Acten die Weit
mit dem Menschen oder, anders ausgedrückt, seine Selbstthätig-
keit mit seiner Empfänglichkeit in sich zusammenknüpft. Zum
Sprachlaut endlich passt die, den Thieren versagte aufrechte Stellung
des Menschen, der gleichsam durch ihn emporgerufen vv'ird. Denn
die Rede will nicht dumpf am Boden verhallen, sie verlangt, sich
frei von den Lippen zu dem, an den sie gerichtet ist, zu ergiessen,
von dem Ausdruck des Blickes und der Mienen, so vAe der Ge-
berde der Hände begleitet zu werden und sich so zugleich mit
Allem zu umgeben, w^as den Ixlenschen menschlich bezeichnet.
Nach dieser vorläufigen Betrachtung der Angemessenheit des
Lautes zu den Operationen des Geistes können wir nun genauer
in den Zusammenhang des Denkens mit der Sprache eingehen.
Subjective Thätigkeit bildet im Denken ein Object. Denn keine
Gattung der Vorstellungen kann als ein bloss empfangendes Be-
schauen eines schon vorhandenen Gegenstandes betrachtet werden.
Die Thätigkeit der Sinne muss sich mit der inneren Handlung des
Geistes synthetisch verbinden, und aus dieser Verbindung reisst
sich die Vorstellung los, wird, der subjectiven Kraft gegenüber,
zum Object und kehrt, als solches auf neue wahrgenommen, in
jene zurück. Hierzu aber ist die Sprache unentbehrlich. Denn
indem in ihr das geistige Streben sich Bahn durch die Lippen
bricht, kehrt das Erzeugniss desselben zum eignen Ohre zurück.
Die Vorstellung wird also in wirkliche Objectivität hinüberversetzt,
ohne darum der Subjectivität entzogen zu w^erden. Dies vermag
nur die Sprache: und ohne diese, wo Sprache mitwirkt, auch still-
schw^eigend immer vorgehende Versetzung in zum Subject zurück-
kehrende Objectivität ist die Bildung des Begriffs, mithin alles
wahre Denken unmöglich. Ohne daher irgend auf die Mittheilung
zwischen Menschen und ^lenschen zu sehn, ist das Sprechen
eine nothwendige Bedingung des Denkens des Einzelnen in ab-
geschlossener Einsamkeit. In der Erscheinung entwickelt sich
jedoch die Sprache nur gesellschaftlich, und der Mensch versteht
sich selbst nur, indem er die \>rstehbarkeit seiner Worte an
Andren versuchend geprüft hat.^) Denn die Objectivität wird ge-
V Nach „hat" gestrichen: „Dies liegt schon in dem allgemeinen Grunde,
rQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Steigert, wenn das selbstgebildete Wort aus fremdem Munde wieder-
tönt. Der Subjectivität aber wird nichts geraubt, da der Mensch
sich immer Eins mit dem Menschen fühlt; ja auch sie wird ver-
stärkt, da die in Sprache verwandelte Vorstellung nicht mehr aus-
schliessend Einem Subject angehört. Indem sie in andre über-
geht, schliesst sie sich an das dem ganzen menschlichen Geschlechte
Gemeinsame an, von dem jeder Einzelne eine, das Verlangen nach
Vervollständigung durch die andren in sich tragende Modiiication
besitzt. Je grösser und bewegter das gesellige Zusammenwirken
auf eine Sprache ist, desto mehr gewinnt sie unter übrigens
gleichen Umständen. Was die Sprache in dem einfachen Acte
der Gedankenerzeugung nothwendig macht, das wiederholt sich
auch unauthörlich im geistigen Leben des Menschen; die gesellige
Mittheilung durch Sprache gewährt ihm Ueberzeugung und An-
regung. Die Denkkraft bedarf etwas ihr Gleiches und doch von
ihr Geschiednes. Durch das Gleiche wird sie entzündet, durch
das von ihr Geschiedne erhält sie einen Prüfstein der Wesenheit
ihrer innren Erzeugungen. Obgleich der Erkenntnissgrund der
Wahrheit, des unbedingt Festen, für den Menschen nur in seinem
Inneren liegen kann, so ist das Anringen seines geistigen Strebens
an sie immer von Gefahren der Täuschung umgeben. Klar und
unmittelbar nur seine veränderliche Beschränktheit fühlend, muss
er sie sogar als etwas ausser ihm Liegendes ansehn; und eines
der mächtigsten Mittel, ihr nahe zu kommen, seinen Abstand von
ihr zu messen, ist die gesellige Mittheilung an Andre. Alles
Sprechen, von dem einfachsten an, ist ein Anknüpfen des einzeln
Empfundenen an die gemeinsame Natur der Menschheit.
Mit dem Verstehen verhält es sich nicht anders, l^s kann in
der Seele nichts, als durch eigne Thätigkeit vorhanden seyn, und
Verstehen und Sprechen sind nur verschiedenartige Wirkungen
der nemlichen Sprachkraft. Die gemeinsame Rede ist nie mit dem
Uebergeben eines Stoffes vergleichbar. In dem Verstehenden, wie
im Sprechenden, muss derselbe aus der eignen, innren Kraft
entwickelt werden; und was der erstere empfängt, ist nur die
harmonisch stimmende Anregung. Es ist daher dem Menschen
auch so natürlich, das eben Verstandene gleich wieder auszu-
dass kein menschliches Vermögen sich in ungeselliger Vereinzelung entwickelt,
worauf wir in der Folge zurückkommen werden. Es lässt sich aber auch aus
dem eben Gesagten erklären."
und ihren Einflui3 auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 14. cn
sprechen. Auf diese Weise liegt die Sprache in jedem Menschen
in ihrem ganzen Umfange, was aber nichts Andres bedeutet, als
dass jeder ein, durch eine bestimmt modificirte Kraft, anstossend
und beschränkend, geregeltes Streben besitzt, die ganze Sprache,
wie es äussere oder innere Veranlassung herbeiführt, nach und
nach aus sich hervorzubringen und hervorgebracht zu verstehen.
Das Verstehen könnte jedoch nicht, so wie wir es eben
gefunden haben, auf innerer Selbstthätigkeit beruhen, und das
gemeinschaftliche Sprechen müsste etwas Andres, als bloss gegen-
seitiges Wecken des Sprachvermögens des Hörenden seyn, wenn
nicht in der A^erschiedenheit der Einzelnen die, sich nur in ab-
gesonderte Individualitäten spaltende Einheit der menschlichen
Natur läge. Das Begreifen von Wörtern ist durchaus etwas Andres,
als das Verstehen unarticulirter Laute, und fasst weit mehr in sich,
als das blosse gegenseitige Hen'orrufen des Lauts und des an-
gedeuteten Gegenstandes. Das Wort kann allerdings auch als
untheilbares Ganzes genommen werden, wie man selbst in der
Schrift wohl den Sinn einer Wortgruppe erkennt, ohne noch ihrer
alphabetischen Zusammensetzung gewiss zu seyn, und es wäre mög-
lich, dass die Seele des Kindes in den ersten Anfängen des Verstehens
so verführe. So wie aber nicht bloss das thierische Empfindungs-
vermögen, sondern die menschliche Sprachkraft angeregt wird (und
es ist viel wahrscheinlicher, dass es auch im Kinde keinen Moment
giebt, wo dies, wenn auch noch so schwach, nicht der Fall wäre), so
wird auch das Wort, als articulirt, vernommen. Nun ist aber das-
jenige, was die Articulation dem blossen Hervorrufen seiner Be-
deutung (welches natürlich auch durch sie in höherer Vollkommen-
heit geschieht) hinzufügt, dass sie das Wort unmittelbar durch seine
Form als einen Theil eines unendlichen Ganzen, einer Sprache, dar-
stellt. Denn es ist durch sie, auch in einzelnen Wörtern, die Mög-
lichkeit gegeben, aus den Elementen dieser eine wirklich bis ins
Unbestimmte gehende Anzahl anderer Wörter nach bestimmenden
Gefühlen und Regeln zu bilden und dadurch unter allen Wörtern
eine \"erwandtschaft, entsprechend der Verwandschaft der Begriffe,
zu stiften. Die Seele würde aber von diesem künstlichen Mechanis-
mus gar keine Ahndung erhalten, die Articulation ebensowenig, als
der Blinde die Farbe begreifen, wenn ihr nicht eine Kraft bei-
wohnte, jene Möglichkeit zur Wirklichkeit zu bringen. Denn die
Sprache kann ja nicht als ein da liegender, in seinem Ganzen über-
sehbarer oder nach und nach mittheilbarer Stoff, sondern muss
rg I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
als ein sich ewig erzeugender angesehen werden, wo die Gesetze
der Erzeugung bestimmt sind, aber der Umfang und gewisser-
massen auch die Art des Erzeugnisses gänzlich unbestimmt bleiben.
Das Sprechenlernen der Kinder ist nicht ein Zumessen von Wörtern,
Niederlegen im Gedächtniss und Wiedernachlallen mit den Lippen,
sondern ein Wachsen des Sprachvermögens durch Alter und Uebung.
Das Gehörte thut mehr, als bloss sich mitzutheilen; es schickt
die Seele an, auch das noch nicht Gehörte leichter zu verstehen,
macht längst Gehörtes, aber damals halb oder gar nicht Ver-
standenes, indem die Gleichartigkeit mit dem eben Vernommenen
der seitdem schärfer gewordenen Kraft plötzlich einleuchtet, klar
und schärft den Drang und das Vermögen, aus dem Gehörten
immer mehr und schneller in das Gedächtniss hinüberzuziehen,
immer weniger davon als blossen Klang vorüberrauschen zu lassen.
Die Fortschritte beschleunigen sich daher auch nicht, v/ie etwa
beim Vocabellernen, in gleichmässigem, nur durch die verstärkte
Uebung des Gedächtnisses vv^achsendem Verhäitniss, sondern in
beständig sich selbst steigerndem Verhäitniss, da die Erhöhung
der Kraft und die Gewinnung des Stoffs sich gegenseitig ver-
stärken und erweitern. Dass bei den Kindern nicht ein mecha-
nisches Lernen der Sprache, sondern eine Entwicklung der Sprach-
kraft vorgeht, beweist auch, dass, da den hauptsächlichsten mensch-
lichen Kräften ein gewisser Zeitpunkt im Lebensalter zu ihrer
Entwicklung angewiesen ist, alle Kinder unter den verschieden-
artigsten Umständen ungefähr in demselben, nur innerhalb eines
kurzen Zeitraums schw^ankenden Alter sprechen und verstehen.
Wie aber könnte sich der Hörende bloss durch das Wachsen seiner
eignen, sich abgeschieden in ihm entwickelnden Kraft des Ge-
sprochenen bemeistern, wenn nicht in dem Sprechenden und
Hörenden dasselbe, nur individuell und zu gegenseitiger Ange-
messenheit getrennte Wesen wäre, so dass ein so feines, aber
gerade aus der tiefsten und eigentlichsten Natur desselben ge-
schöpftes Zeichen, wie der articulirte Laut ist, hinreicht, beide auf
übereinstimmende Weise vermittelnd anzuregen?
Man könnte gegen das hier Gesagte einwenden wollen, dass
Kinder jedes Volkes, ehe sie sprechen, unter jedes fremde versetzt,
ihr Sprachvermögen an dessen Sprache entwickeln. Diese unläug-
bare Thatsache, könnte man sagen, beweist deutlich, dass die
Sprache bloss ein Wiedergeben des Gehörten ist und, ohne Rück-
sicht auf Einheit oder Verschiedenheit des Wesens, allein vom
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. I4. cg
geselligen Umgänge abhängt. Man hat aber schwerlich in Fällen
dieser Art mit hinlänglicher Genauigkeit bemerken können, mit
welcher Schwierigkeit die Stammanlage hat überwunden werden
müssen, und wie sie doch vielleicht in den feinsten Nuancen un-
besiegt zurückgeblieben ist. Ohne indess auch hierauf zu achten,
erklärt sich jene Erscheinung hinlänglich daraus, dass der Mensch
überall Eins mit dem Menschen ist, und die Entwicklung des
Sprachvermögens daher mit Hülfe jedes gegebenen Individuum
vor sich gehen kann. Sie geschieht darum nicht minder aus dem
eignen Innern; nur weil sie immer zugleich der äusseren An-
regung bedarf, muss sie sich derjenigen analog erweisen, die sie
gerade erfährt, und kann es bei der Uebereinstimmung aller
menschlichen Sprachen. Die Gewalt der Abstammung über diese
liegt demungeachtet klar genug in ihrer \"ertheilung nach Nationen
vor Augen. Sie ist auch an sich leicht begreiflich, da die Ab-
stammung so vorherrschend mächtig auf die ganze Individualität
einwirkt, und mit dieser wieder die jedesmalige besondre Sprache
auf das innigste zusammenhängt. Träte nicht die Sprache durch
ihren Ursprung aus der Tiefe des menschlichen Wesens auch mit
der physischen Abstammung in wahre und eigentliche ^^erbindung,
warum würde sonst für den Gebildeten und Ungebildeten die
vaterländische eine so viel grössere Stärke und Innigkeit besitzen,
als eine fremde, dass sie das Ohr, nach langer Entbehrung, mit
einer Art plötzlichen Zaubers begrüsst und in der Ferne Sehn-
sucht erweckt? Es beruht dies sichtbar nicht auf dem Geistigen
in derselben, dem ausgedrückten Gedanken oder Gefühle, sondern
gerade auf dem Unerklärlichsten und Individuellsten, auf ihrem
Laute; es ist uns, als wenn wir mit dem heimischen einen Theil
unseres Selbst vernähmen.
Auch bei der Betrachtung des durch die Sprache Erzeugten
wird die Vorstellungsart, als bezeichne sie bloss die schon an sich
wahrgenommenen Gegenstände, nicht bestätigt. Man würde viel-
mehr niemals durch sie den tiefen und vollen Gehalt der Sprache
erschöpfen. Wie, ohne diese, kein Begriff möglich ist, so kann
es für die Seele auch kein Gegenstand se^^n, da ja selbst jeder
äussere nur vermittelst des Begriffes für sie vollendete Wesenheit
erhält. In die Bildung und in den Gebrauch der Sprache geht
aber nothwendig die ganze Art der subjectiven Wahrnehmung der
Gegenstände über. Denn das W^ort entsteht eben aus dieser
Wahrnehmung, ist nicht ein Abdruck des Gegenstandes an sich,
ßo !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
sondern des von diesem in der Seele erzeugten Bildes. Da aller
objectiven Wahrnehmung unvermeidlich Subjectivität beigemischt
ist, so kann man, schon unabhängig von der Sprache, jede mensch-
liche Individualität als einen eignen Standpunkt der Weltansicht
betrachten. Sie wird aber noch viel mehr dazu durch die Sprache,
da das Wort sich der Seele gegenüber auch wieder, wie wir weiter
unten sehen werden, mit einem Zusatz von Selbstbedeutung zum
Object macht und eine neue Eigenthümlichkeit hinzubringt. In
dieser, als der eines Sprachlauts, herrscht nothwendig in derselben
Sprache eine durchgehende Analogie ; und da auch auf die Sprache
in derselben Nation eine gleichartige Subjectivität einwirkt, so liegt
in jeder Sprache eine eigenthümliche Weltansicht. Wie der ein-
zelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt
die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äusserlich
auf ihn einwirkende Natur. Er umgiebt sich mit einer Welt von
Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und
zu bearbeiten. Diese Ausdrücke überschreiten auf keine Weise
das Mass der einfachen Wahrheit. Der Mensch lebt mit den
Gegenständen hauptsächlich, ja, da Empfinden und Handien in
ihm von seinen Vorstellungen abhängen, sogar ausschliesslich so,
wie die Sprache sie ihm zuführt. Durch denselben Act, vermöge
dessen er die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in die-
selbe ein, und jede zieht um das Volk, welchem sie angehört,
einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist,
als man zugleich in den Kreis einer andren hinübertritt. Die Er-
lernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines
neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn und ist es
in der That bis auf einen gewissen Grad, da jede Sprache das
ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstellungsweise eines Theils
der Menschheit enthält. Nur weil man in eine fremde Sprache
immer, mehr oder weniger, seine eigne Welt-, ja seine eigne
Sprachansicht hinüberträgt, so wird dieser Erfolg nicht rein und
vollständig empfunden.
Selbst die Anfänge der Sprache darf man sich nicht auf eine
so dürftige Anzahl von Wörtern beschränkt denken, als man wohl
zu thun pflegt, indem man ihre Entstehung, statt sie in dem ur-
sprünglichen Berufe zu freier, menschlicher Geselligkeit zu suchen,
vorzugsweise dem Bedürfniss gegenseitiger Hülfsleistung beimisst
und die Menschheit in einen eingebildeten Naturstand versetzt.
Beides gehört zu den irrigsten Ansichten, die man über die Sprache
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 14. 5l
fassen kann. Der Mensch ist nicht so bedürftig, und zur Hülfs-
leistung hätten unarticulirte Laute ausgereicht. Die Sprache ist
auch in ihren Anfängen durchaus menschlich und dehnt sich ab-
sichtslos auf alle Gegenstände zufälliger sinnlicher Wahrnehmung
und innerer Bearbeitung aus. Auch die Sprache der sogenannten
Wilden, die doch einem solchen Naturstande näher kommen
müssten, zeigen gerade eine überall über das Bedürfniss über-
schiessende Fülle und Mannigfaltigkeit von Ausdrücken. Die
Worte entquillen freiwillig, ohne Xoth und Absicht, der Brust,
und es mag wohl in keiner Einöde eine wandernde Horde gegeben
haben, die nicht schon ihre Lieder besessen hätte. Denn der Mensch,
als Thiergattung, ist ein singendes Geschöpf, aber Gedanken mit
den Tönen verbindend.
Die Sprache verpflanzt aber nicht bloss eine unbestimmbare
Menge stoflFartiger Elemente aus der Natur in die Seele, sie führt
ihr auch dasjenige zu, was uns als Form aus dem Ganzen ent-
gegenkommt. Die Natur entfaltet vor uns eine bunte und nach
allen sinnlichen Eindrücken hin gestaltenreiche Mannigfaltigkeit,
von lichtvoller Klarheit umstrahlt; unser Nachdenken entdeckt
in ihr eine unsrer Geistesform zusagende Gesetzmässigkeit; ab-
gesondert von dem körperlichen Daseyn der Dinge, hängt an ihren
Umrissen, wie ein nur für den Menschen bestimmter Zauber,
äussere Schönheit, in welcher die Gesetzmässigkeit mit dem sinn-
lichen Stoff' einen uns, indem wir von ihm ergriffen und hinge-
rissen werden, doch unerklärbar bleibenden Bund eingeht. Alles
dies linden wir in analogen iVnklängen in der Sprache wieder,
und sie vermag es darzustellen. Denn indem wir an ihrer Hand
in eine Welt von Lauten übergehen, verlassen wir nicht die uns
wirklich umgebende; mit der Gesetzmässigkeit der Natur ist die
ihres eignen Baues verwandt, und indem sie durch diesen den
Menschen in der Thätigkeit seiner höchsten und menschlichsten
Ivräfte anregt, bringt sie ihn auch überhaupt dem Verständniss
des formalen Eindrucks der Natur näher, da diese doch auch nur
als eine wenngleich unerklärliche Entwicklung geistiger Kräfte
betrachtet werden kann; durch die dem Laute in seinen Ver-
knüpfungen eigenthümliche rhythmische und musikalische Form
erhöht die Sprache, ihn in ein andres Gebiet versetzend, den Schön-
heitseindruck der Natur, wirkt aber, auch unabhängig von ihm, durch
den blossen Fall der Rede auf die Stimmung der Seele ein.
Von dem jedesmal Gesprochenen ist die Sprache, als die Masse
52 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
seiner Erzeugnisse, verschieden; und wir müssen, ehe wir diesen
Abschnitt verlassen, noch bei der näheren Betrachtung dieser Ver-
schiedenheit verweilen. Eine Sprache in ihrem ganzen Umfange
enthält alles durch sie in Laute Verwandelte. Wie aber der Stoff
des Denkens und die Unendlichkeit der Verbindungen desselben
niemals erschöpft werden, so kann dies ebensowenig mit der
Menge des zu Bezeichnenden und zu Verknüpfenden in der
Sprache der Fall seyn. Die Sprache besteht daher, neben den
schon geformten Elementen, ganz vorzüglich auch aus Methoden,
die Arbeit des Geistes, welcher sie die Bahn und die Form vor-
zeichnet, weiter fortzusetzen. Die einmal fest geformten Elemente
bilden zwar eine gewissermassen todte Masse, diese Masse trägt
aber den lebendigen Keim nie endender Bestimmbarkeit in sich.
Auf jedem einzelnen Punkt und, in jeder einzelnen Epoche er-
scheint daher die Sprache, gerade wie die Natur selbst, dem
Menschen, im Gegensatze mit allem ihm schon Bekannten und
von ihm Gedachten, als eine unerschöpfliche Fundgrube, in welcher
der Geist immer noch Unbekanntes entdecken und die Empfindung
noch nicht auf diese Weise Gefühltes wahrnehmen kann. In jeder
Behandlung der Sprache durch eine wahrhaft neue und grosse
Genialität zeigt sich diese Erscheinung in der Wirklichkeit; und
der Mensch bedarf es zur Begeisterung in seinem immer fort-
arbeitenden intellectuellen Streben und der fortschreitenden Ent-
faltung seines geistigen LebensstofFes , dass ihm, neben dem Ge-
biete des schon Errungenen, der Blick in eine unendliche, allmählich
weiter zu entwirrende Masse offen bleibe. Die Sprache enthält
aber zugleich nach zwei Richtungen hin eine dunkle, unenthüllte
Tiefe. Denn auch rückwärts fliesst sie aus unbekanntem Reich-
thum hervor, der sich nur bis auf eine gewisse Weite noch er-
kennen lässt, dann aber sich schliesst und nur das Gefühl seiner
Unergründlichkeit zurücklässt. Die Sprache hat diese anfangs-
und endlose Unendlichkeit für uns, denen nur eine kurze Ver-
gangenheit Licht zuwirft, mit dem ganzen Daseyn des Menschen-
geschlechts gemein. Man fühlt und ahndet aber in ihr deutlicher
und lebendiger, wie auch die ferne Vergangenheit sich noch an
das Gefühl der Gegenwart knüpft, da die Sprache durch die Em-
pfindungen der früheren Geschlechter durchgegangen ist und
ihren Anhauch bewahrt hat, diese Geschlechter aber uns in den-
selben Lauten der Muttersprache , die auch uns Ausdruck unsrer
Gefühle wird, nationell und familienartig verwandt sind.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 14. Qo
Dies theils Feste, theils Flüssige in der Sprache bringt ein
eignes Verhältniss zwischen ihr und dem redenden Geschlechte
hervor. Es erzeugt sich in ihr ein Vorrath von Wörtern und ein
System von Regeln, durch welche sie in der Folge der Jahr-
tausende zu einer selbstständigen Macht anwächst. Wir sind im
Vorigen darauf aufmerksam geworden, dass der in Sprache auf-
genommene Gedanke für die Seele zum Object wird und insofern
eine ihr fremde Wirkung auf sie ausübt. Wir haben aber das
Object vorzüglich als aus dem Subject entstanden, die Wirkung
als aus demjenigen, worauf sie zurückw^irkt, hervorgegangen be-
trachtet. Jetzt tritt die entgegengesetzte Ansicht ein, nach welcher
die Sprache wirklich ein fremdes Object, ihre Wirkung in der
That aus etwas andrem, als worauf sie wirkt, hervorgegangen ist.
Denn die Sprache muss nothwendig (S. 56. 57.) zweien angehören
und ist wahrhaft ein Eigenthum des ganzen Menschengeschlechts.
Da sie nun auch in der Schrift den schlummernden Gedanken
dem Geiste erweckbar erhält, so bildet sie sich ein eigenthüm-
liches Daseyn, das zwar immer nur in jedesmaligem Denken Gel-
tung erhalten kann, aber in seiner Totalität von diesem unab-
hängig ist. Die beiden hier angeregten, einander entgegengesetzten
Ansichten, dass die Sprache der Seele fremd und ihr angehörend,
von ihr unabhängig und abhängig ist, verbinden sich wirklich in
ihr und machen die Eigenthümlichkeit ihres Wesens aus. Es
muss dieser Widerstreit auch nicht so gelöst werden, dass sie zum
Theil fremd und unabhängig und zum Theil beides nicht sey.
Die Sprache ist gerade insofern objectiv einwirkend und selbst-
ständig, als sie subjectiv gewirkt und abhängig ist. Denn sie hat
nirgends, auch in der Schrift nicht, eine bleibende Stätte, ihr
gleichsam todter Theil muss immer im Denken aufs neue erzeugt
werden, lebendig in Rede oder Verständniss, und folglich ganz in
das Subject übergehen ; es liegt aber in dem Act dieser Erzeugung,
sie gerade ebenso zum Object zu machen: sie erfährt auf diesem
W^ege jedesmal die ganze Einwirkung des Individuum; aber diese
Einwirkung ist schon in sich durch das, was sie wirkt und ge-
wirkt hat, gebunden. Die wahre Lösung jenes Gegensatzes liegt
in der Einheit der menschlichen Natur. Was aus dem stammt,
was eigentlich mit mir Eins ist, darin gehen die Begriffe des Sub-
jects und Objects, der Abhängigkeit und Unabhängigkeit in ein-
ander über. Die Sprache gehört mir an, weil ich sie so hen/or-
bringe, als ich thue ; und da der Grund hiervon zugleich in dem
ßA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Sprechen und Gesprochenhaben aller Menschengeschlechter liegt,
soweit Sprachmittheilung ohne Unterbrechung unter ihnen ge-
wesen seyn mag, so ist es die Sprache selbst, von der ich dabei
Einschränkung erfahre. Allein was mich in ihr beschränkt und
bestimmt, ist in sie aus menschlicher, mit mir innerlich zusammen-
hängender Natur gekommen, und das Fremde in ihr ist daher
dies nur für meine augenblicklich individuelle, nicht meine ur-
sprünglich wahre Natur.
Wenn man bedenkt, wie auf die jedesmalige Generation in
einem Volke alles dasjenige bildend einwirkt, was die Sprache
desselben alle vorigen Jahrhunderte hindurch erfahren hat, und
wie damit nur die Kraft der einzelnen Generation in Berührung
tritt und diese nicht einmal rein, da das aufwachsende und ab-
tretende Geschlecht untermischt , neben einander leben, so wird
klar, wie gering eigentlich die Kraft des Einzelnen gegen die
Macht der Sprache ist. Nur durch die ungemeine Bildsamkeit
der letzteren, durch die Möglichkeit, ihre Formen, dem all-
gemeinen Verständniss unbeschadet, auf sehr verschiedene Weise
aufzunehmen, und durch die Gewalt, welche alles lebendig Geistige
über das todt Ueberlieferte ausübt, wird das Gleichgewicht wieder
einigermassen hergestellt. Doch ist es immer die Sprache, in
welcher jeder Einzelne am lebendigsten fühlt, dass er nichts als
ein Ausfluss des ganzen Menschengeschlechts ist. Weil indess
doch jeder einzeln und unaufhörlich auf sie zurückwirkt, bringt
demungeachtet jede Generation eine Veränderung in ihr hervor,
die sich nur oft der Beobachtung entzieht. Denn die Veränderung
liegt nicht immer in den Wörtern und Formen selbst, sondern
bisweilen nur in dem anders modificirten Gebrauche derselben;
und dies letztere ist, wo Schrift und Literatur mangeln, schwieriger
wahrzunehmen. Die Rückwirkung des Einzelnen auf die Sprache
wird einleuchtender, wenn man, was zur scharfen Begrenzung der
Begriffe nicht fehlen darf, bedenkt, dass die Individualität einer
Sprache (wie man das Wort gewöhnlich nimmt) auch nur ver-
gleichungsweise eine solche ist, dass aber die wahre Individualität
nur in dem jedesmal Sprechenden liegt. Erst im Individuum er-
hält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit. Keiner denkt bei dem
Wort gerade und genau das, was der andre, und die noch so
kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die
ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein
Nicht-Verstehen, alle Uebereinstimmung in Gedanken und Gefühlen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 14. 15. ßc
zugleich ein Auseinandergehen. In der Art, wie sich die Sprache
in jedem Individuum modificirt, offenbart sich, ihrer im \'origen
dargestellten Macht gegenüber, eine Gewalt des Menschen über
sie. Ihre Macht kann man (wenn man den Ausdruck auf geistige
Kraft anwenden will) als ein ph^'siologisches Wirken ansehen ; die
von ihm ausgehende Gewalt ist ein rein dynamisches. In dem
auf ihn ausgeübten Einfluss liegt die Gesetzmässigkeit der Sprache
und ihrer Formen, in der aus ihm kommenden Rückwirkung ein
Princip der Freiheit. Denn es kann im Menschen etwas aufsteigen,
dessen Grund kein Verstand in den vorhergehenden Zuständen
aufzufinden vermag; und man würde die Natur der Sprache ver-
kennen und gerade die geschichtliche Wahrheit ihrer Entstehung
und Umänderung verletzen, wenn man die Möglichkeit solcher
unerklärbaren Erscheinungen von ihr ausschliessen wollte. Ist
aber auch die Freiheit an sich unbestimmbar und unerklärlich, so
lassen sich doch vielleicht ihre Gränzen innerhalb eines gewissen
ihr allein gewährten Spielraums auffinden; und die Sprachunter-
suchung muss die Erscheinung der Freiheit erkennen und ehren,
aber auch gleich sorgfältig ihren Gränzen nachspüren.
Lautsystem der Sprachen. Natur des articulirten
Lautes.
Der Mensch nöthigt den articulirten Laut, die Grundlage und 15.
das Wesen alles Sprechens, seinen körperlichen Werkzeugen durch
den Drang seiner Seele ab, und das Thier würde das Nemliche
zu thun vermögen, wenn es von dem gleichen Drange beseelt
wäre. So ganz und ausschliesslich ist die Sprache schon in ihrem
ersten und unentbehrlichsten Elemente in der geistigen Natur
des Menschen gegründet, dass ihre Durchdringung hinreichend,
aber nothwendig ist, den thierischen Laut in articulirten zu ver-
wandeln. Denn die Absicht und die Fähigkeit zur Bedeutsamkeit,
und zwar nicht zu dieser überhaupt, sondern zu der bestimmten
durch Darstellung eines Gedachten, macht allein den articulirten
Laut aus, und es lässt sich nichts andres angeben, um seinen
Unterschied auf der einen Seite vom thierischen Geschrei, auf der
andren vom musikalischen Ton zu bezeichnen. Er kann nicht
seiner Beschaffenheit, sondern nur seiner Erzeugung nach be-
schrieben werden, und dies liegt nicht im Mangel unsrer Fähig-
W. V. Humboldt. Werke. VII. 5
ßß I, über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
keit, sondern charakterisirt ihn in seiner eigenthümlichen Natur,
da er eben nichts, als das absichtliche Verfahren der Seele, ihn
hervorzubringen, ist und nur so viel Körper enthält, als die äussere
Wahrnehmung nicht zu entbehren vermag.
Dieser Körper, der hörbare Laut, lässt sich sogar gewisser-
massen von ihm trennen und die Articulation dadurch noch reiner
herausheben. Dies sehen wir an den Taubstummen. Durch das
Ohr ist jeder Zugang zu ihnen verschlossen; sie lernen aber das
Gesprochene an der Bewegung der Sprachwerkzeuge des Reden-
den und an der Schrift, deren Wesen die Articulation schon ganz
ausmacht, verstehen ; sie sprechen selbst, indem man die Lage und
Bewegung ihrer Sprachwerkzeuge lenkt. Dies kann nur durch
das, auch ihnen beiwohnende Articulationsvermögen geschehen,
indem sie, durch den Zusammejihang ihres Denkens mit ihren
Sprachwerkzeugen, im Andren aus dem einen Gliede, der Be-
wegung seiner Sprachwerkzeuge, das andre, sein Denken, errathen
lernen. Der Ton, den wir hören, offenbart sich ihnen durch die
Lage und Bewegung der Organe und durch die hinzukommende
Schrift, sie vernehmen durch das Auge und das angestrengte Be-
mühen des Selbstsprechens seine Articulation ohne sein Geräusch.
Es geht also in ihnen eine merkwürdige Zerlegung des articulirten
Lautes vor. Sie verstehen, da sie alphabetisch lesen und
schreiben und selbst reden lernen, wirklich die Sprache, er-
kennen nicht bloss angeregte Vorstellungen an Zeichen oder Bildern.
Sie lernen reden, nicht bloss dadurch, dass sie Vernunft, wie andre
Menschen, sondern ganz eigenthch dadurch, dass sie auch Sprach-
fähigkeit besitzen, Uebereinstimmung ihres Denkens mit ihren
Sprachwerkzeugen, und Drang, beide zusammenwirken zu lassen,
das eine und das andere wesentlich gegründet in der menschlichen,
wenn auch von einer Seite verstümmelten Natur. Der Unterschied
zwischen ihnen und uns ist, dass ihre Sprachwerkzeuge nicht
durch das Beispiel eines fertigen articulirten Lautes zur Nach-
ahmung geweckt werden, sondern die Aeusserung ihrer Thätig-
keit auf einem naturwidrigen, künstlichen Umwege erlernen müssen.
Es erweist sich aber auch an ihnen, wie tief und enge die Schrift,
selbst wo die Vermittlung des Ohres fehlt, mit der Sprache zu-
sammenhängt.
Die Articulation beruht auf der Gewalt des Geistes über die
Sprachwerkzeuge, sie zu einer der Form seines Wirkens ent-
sprechenden Behandlung des Lautes zu nöthigen. Dasjenige, worin
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 15. ßn
sich diese Form und die Articulation, wie in einem verknüpfenden
Mittel, begegnen, ist, dass beide ihr Gebiet in Grundtheile zer-
legen, deren Zusammenfügung lauter solche Ganze bildet, welche
das Streben in sich tragen, Theile neuer Ganze zu werden. Das
Denken fordert ausserdem Zusammenfassung des Mannigfaltigen
in Einheit. Die nothwendigen Merkmale des articulirten Lautes
sind daher scharf zu vernehmende Einheit und eine Beschaffen-
heit, die sich mit andren und allen denkbaren articulirten Lauten
in ein bestimmtes Verhältniss zu stellen vermag. Die Geschieden-
heit des Lautes von allen ihn verunreinigenden Nebenklängen ist
zu seiner Deutlichkeit und der Möglichkeit zusammentönenden
Wohllauts unentbehrlich, fliesst aber auch unmittelbar aus der
Absicht, ihn zum Elemente der Rede zu machen. Er steht von
selbst rein da, w^enn diese wahrhaft energisch ist, sich von ver-
wirrtem und dunklem thierischen Geschrei losmacht und als Er-
zeugniss rein menschlichen Dranges und menschlicher Absicht
hervortritt. Die Einpassung in ein System, vermöge dessen jeder
articulirte Laut etwas an sich trägt, in Beziehung worauf andre
ihm zur Seite oder gegenüber stehen, wird durch die Art der Er-
zeugung bewirkt. Denn jeder einzelne Laut wird in Beziehung
auf die übrigen, mit ihm gemeinschaftlich zur freien Vollständig-
keit der Rede nothwendigen gebildet. Ohne dass sich angeben
Hesse, wie dies zugeht, brechen aus jedem Volke gerade die
articulirten Laute und in derjenigen Beziehung auf einander her-
vor, welche und wie sie das Sprachsystem desselben erfordert. Die
ersten Hauptunterschiede bildet die Verschiedenheit der Sprach-
werkzeuge und des räumlichen Ortes in jedem derselben, wo der
articulirte Laut hervorgebracht wird. Es gesellen sich dann zu
ihm Nebenbeschaffenheiten , die jedem, ohne Rücksicht auf die
Verschiedenheit der Organe, eigen seyn können, wie Hauch, Zischen,
Nasenton u. s. w. Von diesen droht jedoch der reinen Geschiedenheit
der Laute Gefahr, und es ist ein doppelt starker Beweis des Vor-
waltens richtigen Sprachsinns, wenn ein Alphabet diese Laute
dergestalt durch die Aussprache gezügelt enthält, dass sie vollständig
und doch dem feinsten Ohre unvermischt und rein hervortönen.
Diese Nebenbeschaffenheiten müssen alsdann mit der ihnen zum
Grunde liegenden Articulation in eine eigne Modification des
Hauptlautes zusammenschmelzen und auf jede andre, ungeregelte
Weise durchaus verbannt seyn.
Die consonantisch gebildeten articulirten Laute lassen sich
5*
gg I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
nicht anders, als von einem Klang gebenden Luftzuge begleitet
aussprechen. Dies Ausströmen der Luft giebt nach dem Orte,
wo es erzeugt wird, und nach der Oeffnung, durch die es strömt,
ebenso bestimmt verschiedne und gegen einander in festen Ver-
hältnissen stehende Laute, als die der Consonantenreihe. Durch
dies gleichzeitig zwiefache Lautverfahren wird die Sylbe gebildet.
In dieser aber liegen nicht, wie es, nach unsrer Art zu schreiben,
scheinen sollte, zwei oder mehrere Laute, sondern eigentlich nur
Ein auf eine bestimmte Weise herausgestossener. Die Theilung
der einfachen Sylbe in einen Consonanten und Vocal, insofern
man sich beide als selbstständig denken will, ist nur eine künst-
liche. In der Natur bestimmen sich Consonant und Vocal der-
gestalt gegenseitig, dass sie für das Ohr eine durchaus unzertrenn-
liche Einheit ausmachen- Soll daher auch die Schrift diese natür-
liche Beschaffenheit bezeichnen , so ist es richtiger , so wie es
mehrere Asiatische Alphabete thun, die Vocale gar nicht als eigne
Buchstaben, sondern bloss als Modificationen der Consonanten zu
behandeln. Genau genommen, können auch die Vocale nicht allein
ausgesprochen werden. Der sie bildende Luftstrom bedarf eines
ihn hörbar machenden Anstosses; und giebt diesen kein klar an
lautender Consonant, so ist dazu ein, auch noch so leiser Hauch
erforderlich, den einige Sprachen auch in der Schrift jedem An-
fangsvocal vorausgehen lassen. Dieser Hauch kann sich gradweise
bis zum wirklich gutturalen Consonanten verstärken, und die
Sprache kann die verschiednen Stufen dieser Verhärtung, als eigne
Buchstaben, bezeichnen. Der Vocal verlangt dieselbe reine Ge-
schiedenheit, als der Consonant, und die Sylbe muss diese doppelte
an sich tragen. Sie ist aber im V^ocalsystem, obgleich der A^oUen-
dung der Sprache nothwendiger, dennoch schwieriger zu bewahren.
Der Vocal verbindet sich nicht bloss mit einem ihm vorangehenden,
sondern ebensowohl mit einem ihm nachfolgenden Laute, der ein
reiner Consonant, aber auch ein blosser Hauch, wie das Sanskritische
Wisarga und in einigen Fällen das Arabische schliessende Elif
seyn kann. Gerade dort aber ist die Reinheit des Lautes, vor-
züglich wenn sich kein eigentlicher Consonant, sondern nur eine
Nebenbeschaffenheit der articulirten Laute an den Vocal anschliesst,
für das Ohr schwieriger, als beim Anlaute zu erreichen, so dass
die Schrift einiger Völker von dieser Seite her sehr mangelhaft
erscheint. Durch die zwei, sich immer gegenseitig bestimmenden,
aber doch sowohl durch das Ohr, als die Abstraction bestimmt
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 15. ßg
unterschiedenen Consonanten- und Vocalreihen entsteht nicht nur
eine neue Mannigfaltigkeit von Verhältnissen im Alphabete, sondern
auch ein Gegensatz dieser beiden Reihen gegen einander, von
welchem die Sprache vielfachen Gebrauch macht.
In der Summe der articulirten Laute lässt sich also bei jedem
Alphabete ein Zvv^iefaches unterscheiden, wodurch dasselbe mehr
oder weniger wohlthätig auf die Sprache einwirkt, nemlich der
absolute Reichthum desselben an Lauten und das relative Ver-
hältniss dieser Laute zu einander und zu der Vollständigkeit und
Gesetzmässigkeit eines vollendeten Lauts\^stems. Ein solches System
enthält nemlich, seinem Schema nach, als ebenso viele Classen der
Buchstaben, die Arten, wie die articulirten Laute sich in Verwandt-
schaft an einander reihen oder in Verschiedenheit einander gegen
überstellen, Gegensatz und Verwandtschaft von allen den Bezie-
hungen aus genommen, in welchen sie statt finden können. Bei
Zergliederung einer einzelnen Sprache fragt es sich nun zuerst,
ob die Verschiedenartigkeit ihrer Laute vollständig oder mangel-
haft die Punkte des Schemas besetzt, welche die \'erwandtschaft
oder der Gegensatz angeben, und ob daher der, oft nicht zu ver-
kennende Reichthum an Lauten nach einem dem Sprachsinne
des Volks in allen seinen Theilen zusagenden Bilde des ganzen
Lautsystems gleichmässig vertheilt ist oder Classen Mangel leiden,
indem andre Ueberfluss haben? Die wahre Gesetzmässigkeit, der
das Sanskrit in der That sehr nahe kommt, würde erfordern, dass
jeder nach dem Ort seiner Bildung verschiedenartige articulirte
Laut durch alle Classen, mithin durch alle Laut-Modificationen
durchgeführt se}', welche das Ohr in den Sprachen zu unterscheiden
pflegt. Bei diesem ganzen Theile der Sprachen kommt es, wie
man leicht sieht, vor allem auf eine glückliche Organisation des
Ohrs und der Sprachwerkzeuge an. Es ist aber auch keinesweges
gleichgültig, wie klangreich oder lautarm, gesprächig oder schweig-
sam ein Volk seinem Naturell und seiner Empfindungsweise nach
sey. Denn das Gefallen am articulirt hervorgebrachten Laute giebt
demselben Reichthum und Mannigfaltigkeit an Verknüpfungen.
Selbst dem unarticulirten Laute kann ein gewisses freies und da-
her edleres Gefallen an seiner Hervorbringung nicht immer ab-
gesprochen werden. Oft entpresst ihn zwar, wie bei widrigen
Empfindungen, die Noth; in andren Fällen liegt ihm Absicht zum
Grunde, indem er lockt, warnt oder zur Hülfe herbeiruft. Aber
er entströmt auch, ohne Noth und Absicht, dem frohen Gefühle
nQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
des Daseyns und nicht bloss der rohen Lust, sondern auch dem
zarteren Gefallen am kunstvolleren Schmettern der Töne. Dies
Letzte ist das Poetische, ein aufglimmender Funke in der thierischen
Dumpfheit. Diese verschiednen Arten der Laute sind unter die
mehr oder minder stummen und klangreichen Geschlechter der
Thiere sehr ungleich vertheilt, und verhältnissmässig wenigen ist
die höhere und freudigere Gattung geworden. Es wäre, auch für
die Sprache, belehrend, bleibt aber vielleicht immer unergründet,
woher diese Verschiedenheit stammt. Dass die Vögel allein Gesang
besitzen, Hesse sich vielleicht daraus erklären, dass sie freier, als
alle andre Thiere, in dem Elemente des Tons und in seinen
reineren Regionen leben, wenn nicht so viele Gattungen derselben,
gleich den auf der Erde wandelnden Thieren, an wenige einförmige
Laute gebunden wären.
In der Sprache entscheidet jedoch nicht gerade der Reichthum
an Lauten, es kommt vielmehr im Gegentheil auf keusche Be-
schränkung auf die der Rede nothwendigen Laute und auf das
richtige Gleichgewicht zwischen denselben an. Der Sprachsinn
muss daher noch etwas andres enthalten, was wir uns nicht im
Einzelnen zu erklären vermögen, ein instinctartiges Vorgefühl des
ganzen Systems, dessen die Sprache in dieser ihrer individuellen
Form bedürfen wird. Was sich eigentlich in der ganzen Sprach-
erzeugung wiederholt, tritt auch hier ein. Man kann die Sprache
mit einem ungeheuren Gewebe vergleichen, in dem jeder Theil
mit dem andren und alle mit dem Ganzen in mehr oder weniger
deutlich erkennbarem Zusammenhange stehen. Der Mensch berührt
im Sprechen, von welchen Beziehungen man ausgehen mag, immer
nur einen abgesonderten Theil dieses Gewebes, thut dies aber
instinctartig immer dergestalt, als wären ihm zugleich alle, mit
welchen jener einzelne nothwendig in Uebereinstimmung stehen
muss, im gleichen Augenblick gegenwärtig.
Lautsystem der Sprachen. Lautveränderungen.
i6. Die einzelnen Articulationen machen die Grundlage aller Laut-
verknüpfungen der Sprache aus. Die Gränzen, in welche diese
dadurch eingeschlossen werden, erhalten aber zugleich ihre noch
nähere Bestimmung durch die den meisten Sprachen eigenthümliche
Lautumformung, die auf besondren Gesetzen und Gewohnheiten
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 15. 16. -yj
beruht. Sie geht sowohl die Consonanten-, als Vocalreihe an, und
einige Sprachen unterscheiden sich noch dadurch, dass sie von
der einen oder andren dieser Reihen vorzugsweise oder zu ver-
schiednen Zwecken Gebrauch machen. Der wesentliche Nutzen
dieser Umformung besteht darin, dass, indem der absolute Sprach-
reichthum und die Laut-Mannigfaltigkeit dadurch vermehrt werden,
dennoch an dem umgeformten Element sein Urstamm erkannt
werden kann. Die Sprache wird dadurch in den Stand gesetzt,
sich in grösserer Freiheit zu bewegen, ohne dadurch den dem
Verständnisse und dem Aufsuchen der Verwandtschaft der Begriffe
nothwendigen Faden zu verlieren. Denn diese folgen der Ver-
änderung der Laute oder gehen ihr gesetzgebend voran, und die
Sprache gewinnt dadurch an lebendiger Anschaulichkeit. Mangelnde
Lautumformung setzt dem Wiedererkennen der bezeichneten Be-
griffe an den Lauten Hindernisse entgegen, eine Schwierigkeit, die
im Chinesischen noch fühlbarer seyn würde, w^enn nicht dort sehr
häufig, in Ableitung und Zusammensetzung, die Analogie der
Schrift an die Stelle der Laut-Analogie träte. Die Lautumformung
unterliegt aber einem zwiefachen, sich oft gegenseitig unter-
stützenden, allein auch in andren Fällen einander entgegen-
kämpfenden Gesetze. Das eine ist ein bloss organisches, aus den
Sprachwerkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von
der Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend und
daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend. Das
andre wird durch das geistige Princip der Sprache gegeben,
hindert die Organe, sich ihrer blossen Neigung oder Trägheit zu
überlassen, und hält sie bei Lautverbindungen fest, die ihnen an
sich nicht natürlich seyn würden. Bis auf einen gewissen Grad
stehen beide Gesetze in Harmonie mit einander. Das geistige
muss zur Beförderung leichter und fliessender Aussprache dem
andren, soviel es möglich ist, nachgebend huldigen, ja bisweilen,
um von einem Laute zum andren, wenn eine solche Verbindung
durch die Bezeichnung als nothwendig erachtet wird, zu gelangen,
andre, bloss organische Uebergänge ins Werk richten. In gewisser
Absicht aber stehen beide Gesetze einander so entgegen, dass,
wenn das geistige in der Kraft seiner Einwirkung nachlässt, das
organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen Körper
beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affinitäten die
Herrschaft erhalten. Das Zusammenwirken und der Widerstreit
dieser beiden Gesetze bringt sowohl in der uns ursprünglich
•^2 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
scheinenden Form der Sprachen, als in ihrem Verfolge mannig-
faltige Erscheinungen hervor, welche die genaue grammatische Zer-
gliederung entdeckt und aufzählt.
Die Lautumformung, von der wir hier reden, kommt haupt-
sächlich in zwei oder wenn man will, in drei Stadien der Sprach-
bildung vor: bei den Wurzeln, den daraus abgeleiteten Wörtern
und deren weiterer Ausbildung in die verschiednen allgemeinen,
in der Natur der Sprache liegenden Formen. Mit dem eigen-
thümlichen Systeme, welches jede Sprache hierin annimmt, muss
ihre Schilderung beginnen. Denn es ist gleichsam das Bett, in
welchem ihr Strom von Zeitalter zu Zeitalter fliesst; ihre allge-
meinen Richtungen werden dadurch bedingt und ihre individuellsten
Erscheinungen weiss eine beharrliche Zergliederung auf diese Grund-
lage zurückzuführen.
Lautsystem der Sprachen. Vertheilung der Laute
unter die Begriffe. •
17. . Unter Wörtern versteht man die Zeichen der einzelnen Be-
griffe. Die Sylbe bildet eine Einheit des Lautes; sie wird aber
erst zum Worte, wenn sie für sich Bedeutsamkeit erhält, wozu
oft eine Verbindung mehrerer gehört. Es kommt daher in dem
Worte allemal eine doppelte Einheit, des Lautes und des Begriffes,
zusammen. Dadurch werden die Wörter zu den wahren Elementen
der Rede, da die der Bedeutsamkeit ermangelnden Sylben nicht
eigentlich so genannt werden können. Wenn man sich die Sprache
als eine zweite, von dem Menschen nach den Eindrücken, die er
von der wahren empfängt, aus sich selbst heraus objectivirte Welt
vorstellt, so sind die Wörter die einzelnen Gegenstände darin,
denen daher der Charakter der Individualität, auch in der Form,
erhalten werden muss. Die Rede läuft zwar in ungetrennter
Stätigkeit fort, und der Sprechende, ehe auf die Sprache gerichtete
Reflexion hinzutritt, hat darin nur das Ganze des zu bezeichnen-
den Gedanken im Auge. Man kann sich unmöglich die Entstehung
der Sprache als von der Bezeichnung der Gegenstände durch
Wörter beginnend und von da zur Zusammenfügung übergehend
denken. In der Wirklichkeit wird die Rede nicht aus ihr voran-
gegangenen Wörtern zusammengesetzt, sondern die Wörter gehen
umgekehrt aus dem Ganzen der Rede hervor. Sie werden aber
auch schon ohne eigentliche Reflexion und selbst in dem rohesten
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. l6. 17. nn
und ungebildetsten Sprechen empfunden, da die Wortbildung ein
wesentliches Bedürfniss des Sprechens ist. Der Umfang des Worts
ist die Gränze, bis zu welcher die Sprache selbstthätig bildend ist.
Das einfache Wort ist die vollendete, ihr entknospende Blüthe. In
ihm gehört ihr das fertige Erzeugniss selbst an. Dem Satz und
der Rede bestimmt sie nur die regelnde Form und überlässt die
individuelle Gestaltung der Willkühr des Sprechenden. Die Wörter
erscheinen auch oft in der Rede selbst isolirt, allein ihre wahre
Herausiindung aus dem Continuum derselben gelingt nur der
Schärfe des schon mehr vollendeten Sprachsinnes ; und es ist dies
gerade ein Punkt, in welchem die \^orzüge und Mängel einzelner
Sprachen vorzüglich sichtbar werden.
Da die Wörter immer Begriffen gegenüberstehen, so ist es
natürlich, verwandte Begriffe mit verwandten Lauten zu bezeichnen.
Wenn man die Abstammung der Begriffe, mehr oder weniger
deutlich, im Geiste wahrnimmt, so muss ihr eine Abstammung
in den Lauten entsprechen, so dass ^Verwandtschaft der Begriffe
und Laute zusammentrifft. Die Lautverwandtschaft, die doch nicht
zu Einerleiheit des Lautes werden soll, kann nur daran sichtbar
sevn. dass ein Theil des Wortes einen, gewissen Regeln unter-
worfenen Wechsel erfährt, ein anderer Theil dagegen ganz un-
verändert oder nur in leicht erkennbarer Veränderung bestehen
bleibt. Diese festen Theile der Wörter und Wortformen nennt
man die wurzelhaften und w^enn sie abgesondert dargestellt
werden, die Wurzeln der Sprache selbst. Diese Wurzeln ^) er-
scheinen in ihrer nackten Gestalt in der zusammengefügten Rede
in einigen Sprachen selten, in anderen gar nicht. Sondert man
die Begriffe genau, so ist das letztere sogar immer der Fall. Denn
so wie sie in die Rede eintreten, nehmen sie auch in Gedanken
eine ihrer Verbindung entsprechende Kategorie an und enthalten
daher nicht mehr den nackten und formlosen Wurzelbegriflf. Auf
der andren Seite kann man sie aber auch nicht in allen Sprachen
ganz als eine Frucht der blossen Reflexion und als das letzte
Resultat der Wortzergliederung, also lediglich wie eine Arbeit der
Grammatiker ansehen.-) In Sprachen, welche bestimmte Ableitungs-
gesetze in grosser Mannigfaltigkeit von Lauten und Ausdrücken
V Nach „Wurzeln" gestrichen: „kann man nicht geradezu als einen Theil
der Sprache ausmachend ansehen. Denn sie".
'^) Nach „ansehen" gestrichen: „Die Sache selbst verhält sich wohl folgender-
gestalt."
i-jA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
besitzen, müssen die wurzelliaften Laute sich in der Phantasie und
dem Gedächtniss der Redenden leicht als die eigentlich ursprüng-
lich, aber, bei ihrer Wiederkehr in so vielen Abstufungen der Be
griffe, als die allgemein bezeichnenden herausheben. Prägen sie
sich als solche dem Geiste tief ein, so werden sie leicht auch in
die verbundene Rede unverändert eingeflochten werden und mit-
hin der Sprache auch in wahrer Wortform angehören. Sie können
aber auch schon in uralter Zeit in der Periode des Aufsteigens
zur Formung auf diese Weise gebräuchlich gewesen sej^n, so dass
sie wirklich den Ableitungen vorausgegangen und Bruchstücke
einer später erweiterten und umgeänderten Sprache wären. Auf
diese Weise lässt sich erklären, wie wir z. B. im Sanskrit, wenn
wir die uns bekannten Schriften zu Rathe ziehen, nur gewisse
Wurzeln gewöhnlich in die Rede -eingefügt finden. Denn in diesen
Dingen waltet natürlich in den Sprachen auch der Zufall mit ; und
wenn die Indischen Grammatiker sagen , dass jede ihrer angeb-
lichen Wurzeln so gebraucht werden könne, so ist dies wohl nicht
eine aus der Sprache entnommene Thatsache, sondern eher ein
ihr eigenmächtig gegebenes Gesetz. Sie scheinen überhaupt, auch
bei den Formen, nicht bloss die gebräuchlichen gesammelt, son-
dern jede Form durch alle Wurzeln durchgeführt zu haben; und
dies System der Verallgemeinerung ist auch in andren Theilen
der Sanskrit-Grammatik genau zu beachten. Die Aufzählung der
Wurzeln beschäftigte die Grammatiker vorzüglich, und die voll-
ständige Zusammenstellung derselben ist unstreitig ihr Werk.*) ^)
*) Hieraus erklärt sich nun auch, warum in der Form der Sanskrit- Wurzeln keine
Rücksicht auf die Wohllautsgesetze genommen wird. Die auf uns gekommenen Wurzel-
verzeichnisse tragen in Allem das Gepräge einer Arbeit der Grammatiker an sich, und
eine ganze Zahl von Wurzeln mag nur ihrer Abstraction ihr Daseyn verdanken.*) Pott's
treffliche Forschungen (Etymologische Forschungen. 1833.) haben schon sehr viel in
diesem Gebiete aufgeräumt, und man darf sich noch viel mehr von der Fortsetzung
derselben versprechen.
\} Nach „Werk" gestrichen: „Darum sind aber die Wurzeln nicht weniger
ein wirklicher Theil der Sprache selbst, und der Unterschied besteht nur darin,
ob eine Sprache sie bloss als wurzelhafte Laute oder wenigstens einzeln, auch als
in Wortform erscheinende Wurzeln besitzt. In grossen Sprachstämmen, wo die
Bildung der einzelnen Sprachen sehr verschiedenen Epochen angehören kann,
scheint es begreiflich, dass, wenn auch die Zerliederung in allen bis zu den
Wurzellauten hinaufsteigen kann, diese doch nicht in allen späteren in der Rede
selbst in nackter Gestalt hervorkommen, sondern in einigen in der That nur Ab-
stractionen der Sprachforschung sind."
y Nach „verdanken" gestrichen: „Wenn aber Bopp (Abh. der Akad. d.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 17. 18. nr
Es giebt aber auch Sprachen, die in dem hier angenommenen
Sinn wirklich keine Wurzeln haben, weil es ihnen an Ableitungs-
gesetzen und Lautumformung von einfacheren Lautverknüpfungen
aus fehlt. Alsdann fallen, wie im Chinesischen, Wurzeln und
Wörter zusammen, da sich die letzteren in keine Formen aus-
einander legen oder erweitern ; die Sprache besitzt bloss Wurzeln.
Von solchen Sprachen aus wäre es denkbar, dass andere, den
Wörtern jene Lautumformung hinzufügende entstanden wären, so
dass die nackten Wurzeln der letzteren den Wortvorrath einer
älteren, in ihnen aus der Rede ganz oder zum Theil verschwun-
denen Sprache ausmachten. Ich führe dies aber bloss als eine
Möglichkeit an; dass es sich wirklich mit irgend einer Sprache
also verhielte, könnte nur geschichtlich erwiesen werden.
Wir haben die Wörter hier, zum Einfachen hinaufgehend, von
den Wurzeln gesondert. Wir können sie aber auch, zum noch Ver-
wickelteren hinabsteigend, von den eigentlich grammatischen Formen
unterscheiden. Die Wörter müssen nemlich, um in die Rede ein-
gefugt zu werden, verschiedene Zustände andeuten, und die Be-
zeichnung dieser kann an ihnen selbst geschehen, so dass dadurch
eine dritte, in der Regel erweiterte Lautform entspringt, Ist die
hier angedeutete Trennung scharf und genau in einer Sprache, so
können die Wörter der Bezeichnung dieser Zustände nicht ent-
behren und also, insofern dieselben durch Lautverschiedenheit be
zeichnet sind, nicht unverändert in die Rede eintreten, sondern
höchstens als Theile andrer, diese Zeichen an sich tragender Wörter
darin erscheinen. Wo dies nun in einer Sprache der Fall ist,
nennt man diese Wörter Grundwörter; die Sprache besitzt alsdann
wirklich eine Lautform in dreifach sich erweiternden Stadien, und
dies ist der Zustand, in welchem sich ihr LautS3'^stem zu dem
grössten Umfange ausdehnt.
Die Vorzüge einer Sprache in Absicht ihres Lauts3'stems be- ü
ruhen aber, ausser der Feinheit der Sprachwerkzeuge und des
Ohrs und ausser der Neigung, dem Laute die grösste Mannig-
faltigkeit und die vollendetste Ausbildung zu geben, ganz besonders
noch auf der Beziehung desselben zur Bedeutsamkeit. Die äusseren,
zu allen Sinnen zugleich sprechenden Gegenstände und die innren
Wissensch. zu Berlin, hist. philolog. Classe. 1824. S. 12g. Anm. 2.) aus diesem
Grunde die Wurzeln überhaupt für grammatische Abstractionen erklärt, so kann
ich dieser Meinung nur unter den oben angegebenen Modißcationen beitreten."
-iß I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Bewegungen des Gemüths bloss durch Eindrücke auf das Ohr
darzustellen, ist eine im Einzelnen grossentheils unerklärbare
Operation. Dass Zusammenhang zwischen dem Laute und dessen
Bedeutung vorhanden ist, scheint gewiss ; die Beschaffenheit dieses
Zusammenhanges aber lässt sich selten vollständig angeben, oft
nur ahnden und noch viel öfter gar nicht errathen. Wenn man
bei den einfachen Wörtern stehen bleibt, da von den zusammen-
gesetzten hier nicht die Rede seyn kann, so sieht man einen drei-
fachen Grund, gewisse Laute mit gewissen Begriffen zu verbinden,
fühlt aber zugleich, dass damit, besonders in der Anwendung, bei
weitem nicht Alles erschöpft ist. Man kann hiernach eine drei-
fache Bezeichnung der Begriffe unterscheiden:
1. Die unmittelbar nachahmende, wo der Ton, welchen ein
tönender Gegenstand hervorbringt, in dem Worte so weit nach-
gebildet wird, als articulirte Laute unarticulirte wiederzugeben
im Stande sind. Diese Bezeichnung ist gleichsam eine malende;
so wie das Bild die Art darstellt, wie der Gegenstand dem Auge
erscheint, zeichnet die Sprache die, wie er vom Ohre vernommen
wird. Da die Nachahmung hier immer unarticulirte Töne triift,
so ist die Articulation mit dieser Bezeichnung gleichsam im Wider-
streite; und je nachdem sie ihre Natur zu wenig oder zu heftig
in diesem Zwiespalte geltend macht, bleibt entweder zu viel des
Unarticulirten übrig, oder es verwischt sich bis zur Unkennbarkeit.
Aus diesem Grunde ist diese Bezeichnung, wo sie irgend stark
hervortritt, nicht von einer gewissen Rohheit freizusprechen,
kommt bei einem reinen und kräftigen Sprachsinn wenig hervor
und veriiert sich nach und nach in der fortschreitenden Ausbildung
der Sprache.
2. Die nicht unmittelbar, sondern in einer dritten, dem Laute
und dem Gegenstande gemeinschaftlichen Beschaffenheit nach-
ahmende Bezeichnung. Man kann diese, obgleich der Begriff
des Symbols in der Sprache viel weiter geht, die symboUsche
nennen. Sie wählt für die zu bezeichnenden Gegenstände Läute
aus, welche theils an sich, theils in \'ergleichung mit andren für
das Ohr einen dem des Gegenstandes auf die Seele ähnlichen Ein-
druck hervorbringen, wie stehen, stätig, starr den Eindruck des
Festen, das Sanskritische li, schmelzen, auseinandergehen,
den des Zerfliessenden, nicht, nagen, Neid den des fein und
scharf Abschneidenden. Auf diese Weise erhalten ähnliche Eindrücke
hervorbringende Gegenstände Wörter mit vorherrschend gleichen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. l8. »y-
Lauten, wie wehen, Wind, Wolke, wirren, Wunsch, in
welchen allen die schwankende, unruhige, vor den Sinnen undeut-
lich durcheinandergehende Bewegung durch das aus dem, an sich
schon dumpfen und hohlen u verhärtete w ausgedrückt wird.
Diese Art der Bezeichnung, die auf einer gewissen Bedeutsamkeit
jedes einzelnen Buchstaben und ganzer Gattungen derselben be-
ruht, hat unstreitig auf die primitive Wortbezeichnung eine grosse,
vielleicht ausschliessliche Herrschaft ausgeübt. Ihre nothwendige
Folge musste eine gewisse Gleichheit der Bezeichnung durch alle
Sprachen des Menschengeschlechts hindurch seyn, da die Eindrücke
der Gegenstände überall mehr oder weniger in dasselbe Verhält-
niss zu denselben Lauten treten mussten. Vieles von dieser Art
lässt sich noch heute in den Sprachen erkennen und muss billiger-
weise abhalten, alle sich antreffende Gleichheit der Bedeutung und
Laute sogleich für Wirkung gemeinschaftlicher Abstammung zu
halten. Will man aber daraus, statt eines bloss die geschicht-
liche Herleitung beschränkenden oder die Entscheidung durch einen
nicht zurückzuweisenden Zweifel aufhaltenden, ein constitutives
Princip machen und diese Art der Bezeichnung als eine durch-
gängige an den Sprachen beweisen, so setzt man sich grossen Ge-
fahren aus und verfolgt einen in jeder Rücksicht schlüpfrigen
Pfad. Es ist, andrer Gründe nicht zu gedenken, schon viel zu
ungewiss, was in den Sprachen sowohl der ursprüngliche Laut,
als die ursprüngliche Bedeutung der Wörter gewesen ist; und
doch kommt hierauf Alles an. Sehr häufig tritt ein Buchstabe
nur durch organische oder gar zufällige Verwechslung an die
Stelle eines andren, wie n an die von /, d von r, und es ist jetzt
nicht immer sichtbar, wo dies der Fall gewesen ist. Da mithin
dasselbe Resultat verschiednen LTrsachen zugeschrieben werden
kann, so ist selbst grosse Willkührlichkeit von dieser Erklärungs-
art nicht auszuschliessen.
3. Die Bezeichnung durch Lautähnlichkeit nach der ^^erwandt-
schaft der zu bezeichnenden Begrifte.^) Wörter, deren Bedeutungen
einander nahe liegen, erhalten gleichfalls ähnliche Laute; es wird
aber nicht, wie bei der eben betrachteten Bezeichnungsart, auf
den in diesen Lauten selbst liegenden Charakter gesehen. Diese
Bezeichnungsweise setzt, um recht an den Tag zu komm.en, in
dem Lautsysteme Wortganze von einem gewissen Umfange vor-
V Nach „Begriff &'■ gestrichen: „wie Gischt und Geist".
nf^ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
aus oder kann wenigstens nur in einem solchen Systeme in
grösserer Ausdehnung angewendet werden. Sie ist aber die frucht-
barste von allen, und die am klarsten und deutlichsten den ganzen
Zusammenhang des intellectuell Erzeugten in einem ähnlichen Zu-
sammenhange der Sprache darstellt. Man kann diese Bezeichnung,
in welcher die Analogie der Begriffe und der Laute, jeder in
ihrem eignen Gebiete, dergestalt verfolgt wird, dass beide gleichen
Schritt halten müssen, die analogische nennen.
Lautsystem der Sprachen. Bezeichnung allgemeiner
Beziehungen.
19. In dem ganzen Bereiche des in der Sprache zu Bezeichnen-
den unterscheiden sich zwei Gattungen wesentlich von einander:
die einzelnen Gegenstände oder Begriffe und solche allgemeine
Beziehungen, die sich mit vielen der ersteren theils zur Bezeich-
nung neuer Gegenstände oder Begriffe, theils zur Verknüpfung
der Rede verbinden lassen. Die allgemeinen Beziehungen gehören
grösstentheils den Formen des Denkens selbst an und bilden, in-
dem sie sich aus einem ursprünglichen Princip ableiten lassen,
geschlossene Systeme. In diesen wird das Einzelne sowohl in
seinem Verhältniss zu einander, als zu der das Ganze zusammen-
fassenden Gedankenform durch intellectuelle Nothwendigkeit be-
stimmt. Tritt nun in einer Sprache ein ausgedehntes, Mannig-
faltigkeit erlaubendes Lautsystem hinzu, so können die Begriffe
dieser Gattung und die Laute in einer sich fortlaufend begleitenden
Analogie durchgeführt werden. Bei diesen Beziehungen sind von
den drei im Vorigen (S. 75.) aufgezählten Bezeichnungsarten vorzugs-
weise die S3^mbolische und analogische anwendbar und lassen sich
wirklich in mehreren Sprachen deutlich erkennen. Wenn z. B.
im Arabischen eine sehr gewöhnliche Art der Bildung der Collectiva
die Einschiebung eines gedehnten Vocals ist, so wird die zu-
sammengefasste Menge durch die Länge des Lautes symbolisch
dargestellt. Man kann dies aber schon als eine Verfeinerung durch
höher gebildeten Articulationssinn betrachten. Denn einige rohere
Sprachen deuten Aehnliches durch eine wahre Pause zwischen den
Sylben des Wortes oder auf eine Art an, die der Gebehrde nahe
kommt, so dass alsdann die Andeutung noch mehr körperlich
nachahmend wird.*) Von ähnlicher Art ist die unmittelbare Wieder-
*) Einige besonders merkwürdige Beispiele dieser Art finden sich in meiner Ab-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. l8. 19. nq
holung der gleichen Sylbe zu vielfacher Andeutung, namentlich
auch zu der der Mehrheit, so wie der vergangenen Zeit. Es ist
merkwürdig, im Sanskrit, zum Theil auch schon im Malayischen
Sprachstamme zu sehen, wie edle Sprachen die Sylbenverdopplung,
indem sie dieselbe in ihr Lautsystem verflechten, durch Wohl-
lautsgesetze verändern und ihr dadurch das rohere, symbolisch
nachahmende Sylbengeklingel nehmen. Sehr fein und sinnvoll
ist die Bezeichnung der intransitiven Verba im Arabischen durch
das schwächere, aber zugleich schneidend eindringende /, im Gegen-
satz des a der activen, und in einigen Sprachen des Mala3ischen
Stammes durch die Einschiebung des dumpfen, gewissermassen
mehr in dem Inneren verhaltenen Nasenlauts. Dem Nasenlaute
muss hier ein Vocal vorausgehen. Die Wahl dieses Vocals folgt
aber wieder der Analogie der Bezeichnung; dem m wird, die
w^enigen Fälle ausgenommen, wo durch eine vom Laute über die
Bedeutsamkeit geübte Gewalt dieser Vocal sich dem der folgenden
Sylbe assimilirt, das hohle, aus der Tiefe der Sprachwerkzeuge
kommende u vorausgeschickt, so dass die eingeschobene Sylbe
zmi die intransitive Charakteristik ausmacht.
Da sich aber die Sprachbildung hier in einem ganz in-
tellectuellen Gebiete befindet, so entwickelt sich hier auch auf
ganz vorzügliche Weise noch ein andres höheres Princip, nem-
lich der reine und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, gleichsam
nackte Articulationssinn. So wie das Streben, dem Laute Be-
deutung zu geben, die Natur des articulirten Lautes, dessen Wesen
ausschliesslich in dieser Absicht besteht, überhaupt schafft, so wirkt
dasselbe Streben hier auf eine bestimmte Bedeutung hin. Diese
Bestimmtheit ist um so grösser, als das Gebiet des zu Bezeichnen-
den, indem die Seele selbst es erzeugt, wenn es auch nicht immer
in seiner Totalität in die Klarheit des Bewusstseyns tritt, doch dem
Geiste wirksam vorschwebt. Die Sprachbildung kann also hier
reiner von dem Bestreben, das Aehnliche und Unähnliche der
Begriffe bis in die feinsten Grade durch Wahl und Abstufung
der Laute zu unterscheiden, geleitet werden. Je reiner und klarer
die intellectuelle Ansicht des zu bezeichnenden Gebietes ist, desto
mehr fühlt sie sich gedrungen, sich von diesem Principe leiten zu
handlung über das Entstehen der grammatischen Formen. Abhandlungen der Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. 1822. 1823. Historisch-philologische Classe. S. 413.^)
V Vgl. Band 4, 2g6.
gQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
lassen, und ihr vollendeter Sieg in diesem Theil ihres Geschäftes
ist die vollständige und sichtbare Herrschaft desselben. In der
Stärke und Reinheit dieses Articulationssinnes liegt daher, wenn
wir die Feinheit der Sprachorgane und des Ohres, so wie des
Gefühls für Wohllaut als den ersten ansehen, ein zweiter wichtiger
Vorzug der sprachbildenden Nationen. Es kommt hier Alles
darauf an, dass die Bedeutsamkeit den Laut wahrlich durchdringe,
und dass dem sprachempfänglichen Ohre, zugleich und ungetrennt,
in dem Laute nichts als seine Bedeutung und, von dieser aus-
gegangen, der Laut gerade und einzig für sie bestimmt erscheine.
Dies setzt natürlich eine grosse Schärfe der abgegränzten Bezie-
hungen, da wir vorzüglich von diesen hier reden, aber auch eine
gleiche in den Lauten voraus. Je bestimmter und körperloser
diese sind, desto schärfer setzen sie sich von einander ab. Durch
die Herrschaft des Articulationssinnes wird die Empfänghchkeit
sowohl, als die Selbstthätigkeit der sprachbildenden Kraft nicht
bloss gestärkt, sondern auch in dem allein richtigen Gleise er-
halten; und da diese, wie ich schon oben (S. 70.) bemerkt habe,
jedes Einzelne in der Sprache immer so behandelt, als wäre ihr
zugleich instinctartig das ganze Gewebe, zu dem das Einzelne
gehört, gegenwärtig, so ist auch in diesem Gebiete dieser Instinct
im Verhältniss der Stärke und Reinheit des Articulationssinnes
wirksam und fühlbar.
Lautsystem der Sprachen. Laut form der Sprachen.
Die Lautform ist der Ausdruck, welchen die . Sprache dem
Gedanken erschafft. Sie kann aber auch als ein Gehäuse betrachtet
werden, in welches sie sich gleichsam hineinbaut. Das Schaffen,
wenn es ein eigentliches und vollständiges seyn soll, könnte nur
von der ursprünglichen Spracherfindung, also von einem Zustande
gelten, den wir nicht kennen, sondern nur als nothwendige Hypo-
these voraussetzen. Die Anwendung schon vorhandener Lautform
auf die innren Zwecke der Sprache aber lässt sich in mittleren
Perioden der Sprachbildung als möglich denken. Ein Volk könnte,
durch innre Erleuchtung und Begünstigung äusserer Umstände,
der ihm überkommenen Sprache so sehr eine andre Form er-
theilen, dass sie dadurch zu einer ganz andren und neuen würde.
Dass dies bei Sprachen von gänzlich verschiedener Form möglich
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 19. 20. 3j;
sey, lässt sich mit Grunde bezweifeln.^) Dagegen ist es unläugbar,
dass Sprachen durch die klarere und bestimmtere Einsicht der
innern Sprachform geleitet werden, mannigfaltigere und schärfer
abgegränzte Nuancen zu bilden, und dazu nun ihre vorhandene
Lautform, erweiternd oder verfeinernd, gebrauchen. In Sprach-
stämmen lehrt alsdann die Vergleichung der verwandten einzelnen
Sprachen, welche den andren auf diese Weise vorgeschritten ist.
Mehrere solcher Fälle finden sich im Arabischen, wenn man es
mit dem Hebräischen vergleicht; und eine, meiner Schrift über
das Kawi vorbehaltene interessante Untersuchung wird es seyn,
ob und auf welche Weise man die Sprachen der Südsee-Inseln als
die Grundform ansehen kann, aus welcher sich die im engeren
Verstände Malayischen des Indischen Archipelagus und Madagascars
nur weiter entwickelt haben?
Die Erscheinung im Ganzen erklärt sich vollständig aus dem
natürlichen Verlauf der Spracherzeugung. Die Sprache ist, wie
es aus ihrer Natur selbst hervorgeht, der Seele in ihrer Totalität
gegenwärtig, d. h. jedes Einzelne in ihr verhält sich so, dass es
Andrem, noch nicht deutlich Gewordenem und einem durch die
Summe der Erscheinungen und die Gesetze des Geistes gegebenen
oder vielmehr zu schaffen möglichen Ganzen entspricht. Allein
die wirkliche Entwicklung geschieht allmählich, und das neu Hinzu-
tretende bildet sich analogisch nach dem schon Vorhandenen. Von
diesen Grundsätzen muss man nicht nur bei aller Spracherklärung
ausgehen, sondern sie springen auch so klar aus der geschicht-
lichen Zergliederung der Sprachen hervor, dass man es mit völliger
Sicherheit zu thun vermag. Das schon in der Lautform Gestaltete
reisst gewissermassen gewaltsam die neue Formung an sich und
erlaubt ihr nicht, einen wesentlich andren Weg einzuschlagen.
Die verschiednen Gattungen des Verbum in den Malayischen
Sprachen werden durch Sylben angedeutet, welche sich vorn an
das Grundwort anschliessen. Dieser Sylben hat es sichtbar nicht
immer so viele und fein unterschiedne gegeben, als man bei den
Tagalischen Grammatikern findet. Aber die nach und nach hinzu-
V Statt dieses Satzes hieß es ursprünglich: „Ich werde in der Folge zu der
Frage zurückkehren, ob eine solche Annahme an sich zulässig und durch That-
sachen unterstützt ist? ob es sich z. B. denken lässt, dass ein Volk aus einer Sprache,
welche, nach Art der Chinesischen, mit bloss einsylbigen Wörtern, weder durch
innere Veränderung noch äussere Zusammenfügung erweiterte Wortformen bildet,
■zu solchen aus sich selbst gelange?'^
W. V. Humboldt, Werke. VII. 6
§2 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
gekommenen behalten immer dieselbe Stellung unverändert bei.
Ebenso ist es in den Fällen, wo das Arabische von der älteren
Semitischen Sprache unbezeichnet gelassene Unterschiede zu be-
zeichnen sucht. Es entschliesst sich eher, für die Bildung einiger
Tempora Hülfsverba herbeizurufen, als dem Worte selbst eine
dem Geiste des Sprachstammes nicht gemässe Gestalt durch Sylben-
anfügung zu geben.
Es v^ird daher sehr erklärbar, dass die Lautform hauptsächlich
dasjenige ist, wodurch der Unterschied der Sprachen begründet
wird. Es liegt dies an sich in ihrer Natur, da der körperliche,
wirklich gestaltete Laut allein in Wahrheit die Sprache ausmacht,
der Laut auch eine w^eit grössere Mannigfaltigkeit der Unterschiede
erlaubt, als bei der inneren Sprachform, die nothwendig mehr
Gleichheit mit sich führt, statt linden kann. Ihr mächtigerer Ein-
fluss entsteht aber zum Theil auch aus dem, welchen sie auf die
innere Form selbst ausübt. Denn wenn man sich, v^ie man noth-
wendig muss und wie es weiter unten noch ausführlicher ent-
wickelt werden wird, die Bildung der Sprache immer als ein
Zusammenwirken des geistigen Strebens, den durch den innren
Sprachzweck geforderten Stoff zu bezeichnen, und des Hervor-
bringens des entsprechenden articulirten Lautes denkt, so muss
das schon wirklich gestaltete Körperliche und noch mehr das
Gesetz, auf welchem seine Mannigfaltigkeit beruht, nothwendig
leicht das Uebergewicht über die erst durch neue Gestaltung klar
zu werden versuchende Idee gewinnen.
Man muss die Sprachbildung überhaupt als eine Erzeugung
ansehen, in welcher die innere Idee, um sich zu manifestiren, eine
Schwierigkeit zu überwinden hat. Diese Schwierigkeit ist der Laut^
und die Ueberwindung gelingt nicht immer in gleichem Grade.
In solch einem Fall ist es oft leichter, in den Ideen nachzugeben
und denselben Laut oder dieselbe Lautform für eigentlich ver-
schiedne anzuwenden, wie wenn Sprachen Futurum und Con-
junctivus, wegen der in beiden liegenden Ungewissheit, auf gleiche
Weise gestalten (s. unten §. 21.). Allerdings ist alsdann immer
auch Schwäche der lauterzeugenden Ideen im Spiel, da der wahr-
haft kräftige Sprachsinn die Schwierigkeit allemal siegreich über-
windet. Aber die Lautform benutzt seine Schwäche und be-
meistert sich gleichsam der neuen Gestaltung. In allen Sprachen
finden sich Fälle, wo es klar wird, dass das innre Streben, in
welchem man doch, nach einer andren und richtigeren Ansicht^
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 20. go
die wahre Sprache aufsuchen muss, in der Annahme des Lautes
von seinem ursprüngHchen Wege mehr oder weniger abgebeugt
wird. Von denjenigen, wo die Sprachwerkzeuge einseitigenveise
ihre Natur geltend machen und die wahren Stammlaute, welche
die Bedeutung des Wortes tragen, verdrängen, ist schon oben
(S. 70. 71.) gesprochen worden. Es ist hier und da merkwürdig
zu sehen, wie der von innen heraus arbeitende Sprachsinn sich
dies oft lange gefallen lässt, dann aber in einem einzelnen Fall
plötzlich durchdringt und, ohne der Lautneigung nachzugeben,
sogar an einem einzelnen Vocal unverbrüchlich fest hält. In andren
Fällen wird eine neue von ihm geforderte Formung zwar ge-
schaffen, allein auch im nemlichen Augenblick von der Laut-
neigung, zwischen der und ihm gleichsam ein vermittelnder Ver-
trag entsteht, modificirt. Im Grossen aber üben wesentlich ver-
schiedne Lautformen einen entscheidenden Einfiuss auf die ganze
Erreichung der inneren Sprachzwecke aus. Im Chinesischen z. B.
konnte keine, die Verbindung der Rede leitende Wortbeugung
entstehen, da sich der, die Sylben starr auseinander haltende Laut-
bau, ihrer Umformung und Zusammenfügung widerstrebend, fest-
gesetzt hatte. Die ursprünglichen Ursachen dieser Hindernisse
können aber ganz entgegengesetzter Natur seyn. Im Chinesischen
scheint es mehr an der dem Volke mangelnden Neigung zu liegen,
dem Laute phantasiereiche Mannigfaltigkeit und die Harmonie be-
fördernde Abwechslung zu geben; und wo dies fehlt und der
Geist nicht die Möglichkeit sieht, die verschiedenen Beziehungen
des Denkens auch mit gehörig abgestuften Nuancen des Lauts zu
umkleiden, geht er in die feine Unterscheidung dieser Beziehungen
weniger ein. Denn die Neigung, eine Vielfachheit fein und scharf
abgegränzter Articulationen zu bilden, und das Streben des Ver-
standes, der Sprache so viele und bestimmt gesonderte Formen
zu schaffen, als sie deren bedarf, um den in seiner unendlichen
Mannigfaltigkeit flüchtigen Gedanken zu fesseln, wecken sich immer
gegenseitig. Ursprünglich, in den unsichtbaren Bewegungen des
Geistes, darf man sich, was den Laut angeht und was der innere
Sprachzweck erfordert, die bezeichnenden und die das zu Be-
zeichnende erzeugenden Kräfte auf keine Weise geschieden denken.
Beide vereint und umfasst das allgemeine Sprachvermögen. Wie
aber der Gedanke, als Wort, die Aussenwelt berührt, wie durch
die Ueberlieferung einer schon vorhandenen Sprache dem Menschen,
der sie doch in sich immer wieder selbstthätig erzeugen muss.
^Ä I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
die Gewalt eines schon geformten Stoffes entgegentritt, kann die
Scheidung entstehen, welche uns berechtigt und verpflichtet, die
Spracherzeugung von diesen zwei verschiedenen Seiten zu be-
trachten. In den Semitischen Sprachen dagegen ist vielleicht das
Zusammentreffen des organischen Unterscheidens einer reichen
Mannigfaltigkeit von Lauten und eines zum Theil durch die Art
dieser Laute motivirten feinen Articulationssinnes der Grund, dass
diese Sprachen weit mehr eine künstliche und sinnreiche Lautform
besitzen, als sie sogar nothwendige und hauptsächliche grammatische
Begriffe mit Klarheit und Bestimmtheit unterscheiden. Der Sprach-
sinn hat, indem er die eine Richtung nahm, die andere vernach-
lässigt. Da er dem wahren, naturgemässen Zweck der Sprache
nicht mit gehöriger Entschiedenheit nachstrebte, wandte er sich
zur Erreichung eines auf dem Wege liegenden Vorzugs, sinnvoll
und mannigfaltig bearbeiteter Lautform. Hierzu aber führte ihn
die natürliche Anlage derselben. Die Wurzelwörter, in der Regel
zweisylbig gebildet, erhielten Raum, ihre Laute innerlich umzu-
formen, und diese Formung forderte vorzugsweise Vocale. Da
nun diese offenbar feiner und körperloser, als die Consonanten
sind, so weckten und stimmten sie auch den inneren Articulations-
sinn zu grösserer Feinheit.*)
Lautsystem der Sprachen. Technik derselben.
Auf eine andre Weise lässt sich noch ein, den Charakter der
Sprachen bestimmendes Uebergewicht der Lautform, ganz eigent-
lich als solcher genommen, denken. Man kann den Inbegriff aller
Mittel, deren sich die Sprache zur Erreichung ihrer Zwecke be-
dient, ihre Technik nennen und diese Technik wieder in die
phonetische und intellectuelle eintheilen. Unter der ersteren ver-
stehe ich die Wort- und Formenbildung, insofern sie bloss den
Laut angeht oder durch ihn motivirt wird. Sie ist reicher, wenn
*) Den Einfluss der Zweisylbigkeit der Semitischen Wurzelwörter hat Ewald in
seiner Hebräischen Grammatik (S. 144. §. 93. S. 165. §. 95.) nicht nur ausdrücklich
bemerkt, sondern durch die ganze Sprachlehre in dem in ihr waltenden Geiste meister-
haft dargethan. Dass die Semitischen Sprachen dadurch, dass sie ihre Wortformen und
zum Theil ihre Wortbeugungen fast ausschliesslich durch Veränderungen im Schoosse
der Wörter selbst bilden, einen eignen Charakter erhalten, ist von Bopp ausführlich
entwickelt und auf die Eintheilung der Sprachen in Classen auf eine neue und scharf
sinnige Weise angewandt worden. (Vergleichende Grammatik. S. 107 — 113.)
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 20. g^
die einzelnen Formen einen weiteren und volltönenderen Umfang
besitzen, so wie wenn sie für denselben Begriff oder dieselbe Be-
ziehung sich bloss durch den Ausdruck unterscheidende Formen
angiebt. Die intellectuelle Technik begreift dagegen das in der
Sprache zu Bezeichnende und zu Unterscheidende. Zu ihr gehört
es also z. B., wenn eine Sprache Bezeichnung des Genus, des DuaHs,
der Tempora durch alle Möglichkeiten der Verbindung des Begriffes
der Zeit mit dem des Verlaufes der Handlung u. s. f. besitzt.
In dieser Ansicht erscheint die Sprache als ein Werkzeug zu
einem Zwecke. Da aber dies Werkzeug offenbar die rein geistigen,
so wie die edelsten sinnlichen Kräfte durch die, sich in ihm aus-
prägende Ideenordnung, Klarheit und Schärfe, so wie durch den
Wohllaut und Rhythmus anregt, so kann das organische Sprach-
gebäude, die Sprache an sich und gleichsam abgesehen von ihrem
Zwecke, die Begeisterung der Nationen an sich reissen und thut
dies in der That. Die Technik überwächst alsdann die Erforder-
nisse zur Erreichung des Zwecks; und es lässt sich ebensowohl
denken, dass Sprachen hierin über das Bedürfniss hinausgehen,
als dass sie hinter demselben zurückbleiben. Wenn man die Eng-
lische, Persische und eigentlich Malayische Sprache mit dem Sans-
krit und dem Tagalischen vergleicht, so nimmt man eine solche,
hier angedeutete Verschiedenheit des Umfangs und des Reich-
thums der Sprachtechnik wahr, bei welcher doch der unmittelbare
Sprachzweck, die Wiedergebung des Gedanken, nicht leidet, da
alle diese drei Sprachen ihn nicht nur überhaupt, sondern zum
Theil in beredter und dichterischer Mannigfaltigkeit erreichen. Auf
das Uebergewicht der Technik überhaupt und im Ganzen behalte
ich mir vor in der Folge zurückzukommen. Hier wollte ich nur
desjenigen erwähnen, das sich die phonetische über die intellec-
tuelle anmassen kann. Welches alsdann auch die Vorzüge des
Lauts3^stems seyn möchten, so beweist ein solches Misverhältniss
immer einen Mangel in der Stärke der sprachbildenden Kraft, da,
was in sich Eins und energisch ist, auch in seiner Wirkung die
in seiner Natur liegende Harmonie unverletzt bewahrt. Wo das
Mass nicht durchaus überschritten ist, lässt sich der Lautreichthum
in den Sprachen mit dem Colorit in der Malerei vergleichen. Der
Eindruck beider bringt eine ähnliche Empfindung hervor; und
auch der Gedanke wirkt anders zurück, wenn er, einem blossen
Umrisse gleich, in grösserer Nacktheit auftritt oder, wenn der
Ausdruck erlaubt ist, mehr durch die Sprache gefärbt erscheint.
35 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Innere Sprachform.
21. Alle Vorzüge noch so kunstvoller und tonreicher Lautformen,
auch verbunden mit dem regesten Articulationssinn, bleiben aber
unvermögend, dem Geiste v^ürdig zusagende Sprachen hervorzu-
bringen, wenn nicht die strahlende Klarheit der auf die Sprache
Bezug habenden Ideen sie mit ihrem Lichte und ihrer Wärme
durchdringt. Dieser ihr ganz innerer und rein intellectueller Theil
macht eigentlich die Sprache aus ; er ist der Gebrauch, zu welchem
die Spracherzeugung sich der Lautform bedient, und auf ihm be-
ruht es, dass die Sprache Allem Ausdruck zu verleihen vermag,
was ihr, bei fortrückender Ideenbildung, die grössten Köpfe der
spätesten Geschlechter anzuvertrauen streben. Diese ihre Be-
schaffenheit hängt von der Uebereinstimmung und dem Zu-
sammenwirken ab, in welchem die sich in ihr offenbarenden Ge-
setze unter einander und mit den Gesetzen des Anschauens,
Denkens und Fühlens überhaupt stehen. Das geistige Vermögen
hat aber sein Daseyn allein in seiner Thätigkeit, es ist das auf
einander folgende Aufflammen der Kraft in ihrer ganzen Totalität,
aber nach einer einzelnen Richtung hin bestimmt. Jene Gesetze
sind also nichts anders, als die Bahnen, in welchen sich die geistige
Thätigkeit in der Spracherzeugung bewegt, oder in einem andren
Gleichniss als die Formen, in welchen diese die Laute ausprägt.
Es giebt keine Kraft der Seele, welche hierbei nicht thätig wäre;
nichts in dem Inneren des Menschen ist so tief, so fein, so weit
umfassend, das nicht in die Sprache übergienge und in ihr erkenn-
bar wäre. Ihre intellectuellen Vorzüge beruhen daher ausschliess-
lich auf der wohlgeordneten, festen und klaren Geistes-Organisa-
tion der Völker in der Epoche ihrer Bildung oder Umgestaltung
und sind das Bild, ja der unmittelbare Abdruck derselben.
Es kann scheinen, als müssten alle Sprachen in ihrem intellec-
tuellen Verfahren einander gleich se3^n. Bei der Lautform ist eine
unendliche, nicht zu berechnende Mannigfaltigkeit begreiflich, da
das sinnlich und körperlich Individuelle aus so verschiedenen Ur-
sachen entspringt, dass sich die Möglichkeit seiner Abstufungen
nicht überschlagen lässt. Was aber, wie der intellectuelle Theil
der Sprache, allein auf geistiger Selbstthätigkeit beruht, scheint
auch bei der Gleichheit des Zwecks und der Mittel in allen
Menschen gleich seyn zu müssen ; und eine grössere Gleichförmig-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 21. ^n
keit bewahrt dieser Theil der Sprache allerdings. Aber auch in
ihm entspringt aus mehreren Ursachen eine bedeutende Ver-
schiedenheit. Einestheils wird sie durch die vielfachen Abstufungen
herv'orgebracht, in welchen, dem Grade nach, die spracherzeugende
Kraft, sowohl überhaupt, als in dem gegenseitigen Verhältniss der
in ihr hervortretenden Thätigkeiten, wirksam ist. Andrentheils
sind aber auch hier Kräfte geschäftig, deren Schöpfungen sich
nicht durch den Verstand und nach blossen Begriffen ausmessen
lassen. Phantasie und Gefühl bringen individuelle Gestaltungen
herv^or, in welchen wieder der individuelle Charakter der Nation
hervonritt und wo, wie bei allem Individuellen, die Mannigfaltig-
keit der Art, vv'ie sich das Nemliche in immer verschiedenen Be-
stimmungen darstellen kann, ins Unendliche geht.
Doch auch in dem bloss ideellen, von den Verknüpfungen des
Verstandes abhängenden Theile finden sich Verschiedenheiten, die
aber alsdann fast immer aus unrichtigen oder mangelhaften Com-
binationen herrühren. Um dies zu erkennen, darf man nur bei
den eigentlich grammatischen Gesetzen stehen bleiben. Die ver-
schiedenen Formen z, B., welche, dem Bedürfniss der Rede ge-
mäss, in dem Baue des Verbum abgesondert bezeichnet werden
müssen, sollten, da sie durch blosse Ableitung von Begriffen ge-
funden werden können, in allen Sprachen auf dieselbe Weise voll-
ständig aufgezählt und richtig geschieden seyn. Vergleicht man
aber hierin das Sanskrit mit dem Griechischen, so ist es auffallend,
dass in dem ersteren der Begriff des Modus nicht allein offenbar
unentwickelt geblieben, sondern auch in der Erzeugung der
Sprache selbst nicht wahrhaft gefühlt und nicht rein von dem des
Tempus unterschieden worden ist. Er ist daher nicht mit dem
der Zeit gehörig verknüpft und gar nicht vollständig durch den-
selben durchgeführt worden.*) Dasselbe findet bei dem Infinitivus
*) Bopp hat (Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. 1834. II. Band. S. 465.) zuerst
bemerkt, dass der gewöhnliche Gebrauch des Potentialis darin besteht, allgemein
kategorische Behauptungen, getrennt und unabhängig von jeder besondren Zeitbestim-
mung, auszudrücken. Die Richtigkeit dieser Bemerkung bestätigt sich durch eine Menge
von Beispielen, besonders in den moralischen Sentenzen des Hitöpadesa. Wenn man
aber genauer über den Grund dieser, auf den ersten Anblick auffallenden Anwendung
dieses Tempus nachdenkt, so findet man, dass dasselbe doch in ganz eigentlichem
Sinne in diesen Fällen als Conjunctivus gebraucht wird, nur dass die ganze Redensart
elliptisch erklärt werden muss. Anstatt zu sagen : der Weise handelt nie anders,
sagt man: der Weise würde so handeln, und versteht darunter die ausgelassenen
Worte : unter allen Bedingungen und zu jeder Zeit. Ich möchte daher den Potentialis
§3 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Statt, der noch ausserdem, mit gänzlicher Verkennung seiner Verbal-
natur, zu. dem Nomen herübergezogen worden ist. Bei aller, noch
so gerechten Vorliebe für das Sanskrit muss man gestehen, dass
es hierin hinter der jüngeren Sprache zurückbleibt. Die Natur
der Rede begünstigt indess Ungenauigkeiten dieser Art, indem sie
dieselben für die wesentliche Erreichung ihrer Zwecke unschädlich
zu machen versteht. Sie lässt eine Form die Stelle der anderen
vertreten,*) oder bequemt sich zu Umschreibungen, wo es ihr an
dem eigentlichen und kurzen Ausdruck gebricht. Darum bleiben
aber solche Fälle nicht weniger fehlerhafte Unvollkommenheiten
und zwar gerade in dem rein intellectuellen Theile der Sprache.
Ich habe schon oben (S. 82.) bemerkt, dass hiervon bisweilen die
Schuld auf die Lautform fallen kann, welche, einmal an gewisse
Bildungen gewöhnt, den Geist verleitet, auch neue Gattungen der
Bildung fordernde Begriffe in diesen ihren Bildungsgang zu ziehen.
Immer aber ist dies nicht der Fall. Was ich so eben von der
Behandlung des Modus und Infinitivs im Sanskrit gesagt habe,
dürfte man wohl auf keine Weise aus der Lautform erklären
können. Ich wenigstens vermag in dieser nichts der Art zu ent-
decken. Ihr Reichthum an Mitteln ist auch hinlänglich, um der
Bezeichnung genügenden Ausdruck zu leihen. Die Ursach ist
offenbar eine mehr innerliche. Der ideelle Bau des V^erbum, sein
innerer, vollständig in seine verschiednen Theile gesonderter
Organismus entfaltete sich nicht in hinreichender Klarheit vor
dem bildenden Geiste der Nation. Dieser Mangel ist jedoch um
so wunderbarer, als übrigens keine Sprache die wahrhafte Natur
wegen dieses Gebrauches keinen Nothwendigkeits-Modus nennen. Er scheint mir viel-
mehr hier der ganz reine und einfache, von allen materiellen Nebenbegriffen des Könnens,
Mögens, Sollens u. s. w. geschiedne Conjunctivus zu seyn. Das Eigenthümliche dieses
Gebrauchs liegt in der hinzugedachten Ellipse und nur insofern im sogenannten Poten-
tialis, als dieser gerade durch die Ellipse, vorzugsweise vor dem Indicativus, motivirt
wird. Denn es ist nicht zu läugnen, dass der Gebrauch des Conjunctivus, gleichsam
durch die Abschneidung aller andren Möglichkeiten, hier stärker wirkt, als der einfach
aussagende Indicativ. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil es nicht unwichtig ist, den
reinen und gewöhnlichen Sinn grammatischer Formen so weit beizubehalten und zu
schützen, als man nicht unvermeidlich zum Gegentheile gezwungen wird.
*) Von dieser Verwechslung einer grammatischen Form mit der andren habe ich
in meiner Abhandlung über das Entstehen der grammatischen Formen ausführlicher ge-
handelt. Abhandl. d. Akad. d. Wissensch. zu Berl. 1822. 1823. Hist.-philol. Classe.
S. 404— 407. 1)
V Vgl. Band 4, 288.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 21. ^q
des Verbum, die reine Synthesis des Seyns mit dem Begriff, so
wahrhaft und so ganz eigentlich geflügelt darstellt, als das Sanskrit,
welches gar keinen anderen, als einen nie ruhenden, immer be-
stimmte einzelne Zustände andeutenden Ausdruck für dasselbe
kennt. Denn die Wurzelwörter können durchaus nicht als Verba,
nicht einmal ausschliesslich als Verbalbegriffe angesehen werden.
Die Ursach einer solchen mangelhaften Entwicklung oder un-
richtigen Auffassung eines Sprachbegriffs möge aber, gleichsam
äusseriich, in der Lautform oder inneriich in der ideellen Auf-
fassung gesucht werden müssen, so Hegt der Fehler immer in
mangelnder Kraft des erzeugenden Sprachvermögens. Eine mit
der erforderlichen Kraft geschleuderte Kugel lässt sich nicht durch
entgegenwirkende Hindernisse von ihrer Bahn abbringen, und
ein mit gehöriger Stärke ergriffener und bearbeiteter Ideenstoff
entwickelt sich in gleichförmiger Vollendung bis in seine feinsten
und nur durch die schärfste Absonderung zu trennenden Glieder.
Wie bei der Lautform als die beiden hauptsächlichsten zu
beachtenden Punkte die Bezeichnung der Begriffe und die Ge-
setze der Redefügung erschienen, ebenso ist es in dem inneren,
intellectuellen Theil der Sprache. Bei der Bezeichnung tritt auch
hier, wie dort, der Unterschied ein, ob der Ausdruck ganz
individueller Gegenstände gesucht wird oder Beziehungen dar-
gestellt werden sollen, welche, auf eine ganze Zahl einzelner an-
wendbar, diese gleichförmig in einen allgemeinen Begriff ver-
sammeln, so dass eigentlich drei Fälle zu unterscheiden sind.
Die Bezeichnung der Begriffe, unter welche die beiden ersteren
gehören, machte bei der Lautform die Wortbildung aus, welcher
hier die Begriffsbildung entspricht. Denn es muss innerlich jeder
Begriff an ihm selbst eigenen Merkmalen oder an Beziehungen
auf andere festgehalten werden, indem der Articulationssinn die
bezeichnenden Laute auffindet. Dies ist selbst bei äusseren, körper-
lichen, geradezu durch die Sinne wahrnehmbaren Gegenständen
der Fall. Auch bei ihnen ist das Wort nicht das Aequivalent des
den Sinnen vorschwebenden Gegenstandes, sondern der Auffassung
desselben durch die Spracherzeugung im bestimmten Augenblicke
der Worterfindung. Es ist dies eine vorzügliche Quelle der Viel-
fachheit von Ausdrücken für die nemlichen Gegenstände ; und wenn
z. B. im Sanskrit der Elephant bald der zweimal Trinkende, bald
der Zweizahnige, bald der mit einer Hand Versehene heisst, so
sind dadurch, wenn auch immer derselbe Gegenstand gemeint
QO Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ist, ebenso viele verschiedene Begriffe bezeichnet. Denn die
Sprache stellt niemals die Gegenstände, sondern immer die durch
den Geist in der Spracherzeugung selbstthätig von ihnen gebildeten
Begriffe dar; und von dieser Bildung, insofern sie als ganz inner-
lich, gleichsam dem Articulationssinne vorausgehend angesehen
werden muss, ist hier die Rede. Freilich gilt aber diese Scheidung
nur für die Sprachzergliederung und kann nicht als in der Natur
vorhanden betrachtet vv^erden.
Von einem anderen Gesichtspunkte aus stehen die beiden
letzten der drei oben unterschiedenen Fälle einander näher. Die
allgemeinen, an den einzelnen Gegenständen zu bezeichnenden
Beziehungen und die grammatischen Wortbeugungen beruhen
beide grösstentheils auf den allgemeinen Formen der Anschauung
und der logischen Anordnung' der Begriffe. Es liegt daher in
ihnen ein übersehbares S3^stem, mit welchem sich das aus jeder
besondren Sprache hervorgehende vergleichen lässt,. und es fallen
dabei wieder die beiden Punkte ins Auge : die Vollständigkeit und
richtige Absonderung des zu Bezeichnenden und die für jeden
solchen Begriff ideell gewählte Bezeichnung selbst. Denn es trifft
hier gerade das schon oben Ausgeführte ein. Da es hier aber
immer die Bezeichnung unsinnlicher Begriffe, ja oft blosser Ver-
hältnisse gilt, so muss der Begriff für die Sprache oft, wenn nicht
immer bildlich genommen werden; und hier zeigen sich nun die
eigentlichen Tiefen des Sprachsinnes in der Verbindung der die ganze
Sprache von Grund aus beherrschenden einfachsten Begriffe. Per-
son, mithin Pronomen, und Raumverhältnisse spielen hierin die
wichtigste Rolle und oft lässt es sich nachweisen, wie dieselben
auch auf einander bezogen und in einer noch einfacheren Wahr-
nehmung verknüpft sind. Es offenbart sich hier das, was die
Sprache, als solche, am eigenthümlichsten und gleichsam instinct-
artig im Geiste begründet. Der individuellen Verschiedenheit
dürfte hier am wenigsten Raum gelassen se3^n und der Unterschied
der Sprachen in diesem Punkte mehr bloss darauf beruhen, dass
in einigen theils ein fruchtbarerer Gebrauch davon gemacht, theils
die aus dieser Tiefe geschöpfte Bezeichnung klarer und dem Be-
wusstseyn zugänglicher angedeutet ist.
Tiefer in die sinnliche Anschauung, die Phantasie, das Ge-
fühl und, durch das Zusammenwirken von diesen, in den Charakter
überhaupt dringt die Bezeichnung der einzelnen inneren und
äusseren Gegenstände ein, da sich hier wahrhaft die Natur mit
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 21. qi
dem Menschen, der zum Theil wirklich materielle Stoff mit dem
formenden Geiste verbindet. In diesem Gebiete leuchtet daher
vorzugsweise die nationelle Eigenthümlichkeit hervor. Denn der
Mensch naht sich auffassend der äusseren Natur und entwickelt
selbstthätig seine inneren Empfindungen nach der Art, wie seine
geistigen Kräfte sich in verschiedenem Verhältniss gegen einander
abstufen, und dies prägt sich ebenso in der Spracherzeugung aus,
insofern sie innerlich die Begriffe dem Worte entgegenbildet. Die
grosse Gränzlinie ist auch hier, ob ein Volk in seine Sprache mehr
objective Realität oder mehr subjective Innerlichkeit legt. Ob-
gleich sich dies immer erst allmähhch in der fortschreitenden Bildung
deutlicher entwickelt, so liegt doch schon der Keim dazu in un-
verkennbarem Zusammenhange in der ersten Anlage und auch
die Lautform trägt das Gepräge davon. Denn je mehr Helle und
Klarheit der Sprachsinn in der Darstellung sinnlicher Gegenstände
und je reiner und körperloser umschriebene Bestimmtheit er bei
geistigen Begriffen fordert, desto schärfer, da in dem Innern der
Seele, was wir reflectirend sondern, ungetrennt Eins ist, zeigen
sich auch die articulirten Laute und desto volltönender reihen
sich die Sylben zu Wörtern an einander. Dieser Unterschied
mehr klarer und fester Objectivität und tiefer geschöpfter Sub-
jectivität springt bei sorgfältiger Vergleichung des Griechischen
mit dem Deutschen in die Augen. Man bemerkt aber diesen
Einfluss der nationeilen Eigenthümlichkeit in der Sprache auf eine
zwiefache Weise: an der Bildung der einzelnen Begriffe und an
dem verhältnissmässig verschiedenen Reichthum der Sprache an
Begriffen gewisser Gattung. In die einzelne Bezeichnung geht
sichtbar bald die Phantasie und das Gefühl, von sinnlicher An-
schauung geleitet, bald der fein sondernde Verstand, bald der
kühn verknüpfende Geist ein. Die gleiche Farbe, welche dadurch
die Ausdrücke für die mannigfaltigsten Gegenstände erhalten,
zeigt die der Naturauffassung der Nation. Nicht minder deutlich
ist das Uebergewicht der Ausdrücke, die einer einzelnen Geistes-
richtung angehören. Ein solches ist z. B. im Sanskrit an der
vorw^altenden Zahl religiös philosophischer Wörter sichtbar, in
der sich vielleicht keine andere Sprache mit ihr messen kann.
Man muss hierzu noch hinzufügen, dass diese Begriffe grössten-
theils in möglichster Nacktheit nur aus ihren einfachen Ur-
elementen gebildet sind, so dass der tief abstrahirende Sinn der
Nation auch daraus noch Idarer her^^orstrahlt. Die Sprache trägt
Q2 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dadurch dasselbe Gepräge an sich, das man in der ganzen Dichtung
und geistigen Thätiglieit des Indischen Alterthums, ja in der äusseren
Lebensweise und Sitte wiederfindet. Sprache, Literatur und Ver-
fassung bezeugen einstimmig, dass im Inneren die Richtung auf
die ersten Ursachen und das letzte Ziel des menschlichen Daseyns,
im Aeusseren der Stand, welcher sich dieser ausschliesslich wid-
mete, also Nachdenken und Aufstreben zur Gottheit und Priester-
thum die vorherrschenden, die Nationalität bezeichnenden Züge
waren. Eine Nebenfärbung in allen diesen drei Punkten war das
oft in Nichts auszugehen drohende, ja nach diesem Ziele wirklich
strebende Grübeln und der Wahn, die Gränzen der Menschheit
durch abenteuerliche Uebungen überschreiten zu können.
Es wäre jedoch eine einseitige Vorstellung, zu denken, dass
sich die nationelle Eigenthümlichkeit des Geistes und des Charakters
allein in der Begriffsbildung offenbarte ; sie übt einen gleich grossen
Einfluss auf die Redefügung aus und ist an ihr gleich erkennbar.
Es ist auch begreiflich, wie sich das in dem Innern heftiger oder
schwächer, flammender oder dunkler, lebendiger oder langsamer
lodernde Feuer in den Ausdruck des ganzen Gedanken und der
ausströmenden Reihe der Empfindungen vorzugsweise so ergiesst,
dass seine eigenthümliche Natur daraus unmittelbar hervorleuchtet.
Auch in diesem Punkte führt das Sanskrit und das Griechische
zu anziehenden und belehrenden Vergleichungen. Die Eigen-
thümlichkeiten in diesem Theile der Sprache prägen sich aber nur
zum kleinsten Theile in einzelnen Formen und in bestimmten
Gesetzen aus und die Sprachzergliederung findet daher hier ein
schwierigeres und mühevolleres Geschäft. Auf der anderen Seite
hängt die Art der syntaktischen Bildung ganzer Ideenreihen sehr
genau mit demjenigen zusammen, wovon wir weiter oben sprachen,
mit der Bildung der grammatischen Formen. Denn Armuth und
Unbestimmtheit der Formen verbietet, den Gedanken in zu weitem
Umfange der Rede schweifen zu lassen, und nöthigt zu einem
einfachen, sich an wenigen Ruhepunkten begnügenden Periodenbau.
Allein auch da, wo ein Reichthum fein gesonderter und scharf
bezeichneter grammatischer Formen vorhanden ist, muss doch,
wenn die Redefügung zur Vollendung gedeihen soll, noch ein
innerer, lebendiger Trieb nach längerer, sinnvoller verschlungner,
mehr begeisterter Satzbildung hinzukommen. ^) Dieser Trieb musste
V Statt „Denn — hinzukommen'^ hieß es ursprünglich: „Denn wenn diese
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 21.
93
in der Epoche, in welcher das Sanskrit die Form seiner uns be-
kannten Producte erhielt, minder energisch wirken, da er sich
sonst, wie es dem Genius der Griechischen Sprache gelang, auch
gewissermassen vorahnend die Möglichkeit dazu geschaffen hätte,
die sich uns jetzt wenigstens selten in seiner Redefügung durch
die That offenbart.
Vieles im Periodenbaue und der Redefügung lässt sich aber
nicht auf Gesetze zurückführen, sondern hängt von dem jedesmal
Redenden oder Schreibenden ab. Die Sprache hat dann das Ver-
dienst, der Mannigfaltigkeit der Wendungen Freiheit und Reich-
thum an Mitteln zu gewähren, wenn sie oft auch nur die Möglich-
keit darbietet, diese in jedem Augenblick selbst zu erschaffen. Ohne
die Sprache in ihren Lauten und noch weniger in ihren Formen
und Gesetzen zu verändern, führt die Zeit durch wachsende Ideen-
entwicklung, gesteigerte Denkkraft und tiefer eindringendes Em-
pfindungsvermögen oft in sie ein, was sie früher nicht besass. Es
wird alsdann in dasselbe Gehäuse ein anderer Sinn gelegt, unter
demselben Gepräge etwas Verschiedenes gegeben, nach den gleichen
Verknüpfungsgesetzen ein anders abgestufter Ideengang angedeutet.
Es ist dies eine beständige Frucht der Literatur eines Volkes, in
dieser aber vorzüglich der Dichtung und Philosophie. Der Aus-
bau der übrigen Wissenschaften liefert der Sprache mehr ein
einzelnes Material oder sondert und bestimmt fester das vor-
handene; Dichtung und Philosophie aber berühren in einem noch
ganz andren Sinne den innersten Menschen selbst und wirken
daher auch stärker und bildender auf die mit diesem innig ver-
wachsene Sprache. Auch der Vollendung in ihrem Fortgange
sind daher die Sprachen am meisten fähig, in welchen poetischer
und philosophischer Geist wenigstens in einer Epoche vorgewaltet
auch in der That aus den blossen Grundbegriffen z. B. des Verbum und Nomen
in Klarheit und Vollständigkeit sich zu entwickeln vermag, so scheint es doch,
als müsse, damit dies wirklich geschehe, auch der Trieb nach längerer, sinnvoller
verschlungener, mehr begeisterter Satzbildimg hinzukojjimen. Denn eijie sehr
einfache und sich an kurzen Ruhepunkten begnügeyide bedarf einer geringeren
Anzahl von Formen und nüancirter Verknüpfungsmittel. Man kann nun zwar
sagen, dass ein so beschränkter Periodenbau einer Sprache durch den Mangel
gewisser Formen imd Verknüpfungsmittel abgenöthigt wird, und also die Ursach
in das legen, was ich hier als die Wirkung geschildert habe. Indess würde der
Trieb nach weitem Umfange des Periodenbaues immer solche Schwierigkeiten zu
überwinden gewusst haben "
Q^ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
hat, und doppelt mehr, wenn dies Vorwalten aus eignem Triebe
entsprungen, nicht dem Fremden nachgeahmt ist. Bisweilen ist
auch in ganzen Stämmen, wie im Semitischen und Sanskritischen
der Dichtergeist so lebendig, dass der einer früheren Sprache des
Stammes in einer späteren gleichsam wieder neu ersteht. Ob der
Reichthum sinnlicher Anschauung auf diese Weise in den Sprachen
einer Zunahme fähig ist, möchte schwer zu entscheiden seyn.
Dass aber intellectuelle Begriffe und aus innerer Wahrnehmung
geschöpfte den sie bezeichnenden Lauten im fortschreitenden Ge-
brauche einen tieferen, seelenvolleren Gehalt mittheilen, zeigt die
Erfahrung an allen Sprachen, die sich Jahrhunderte hindurch fort-
gebildet haben. Geistvolle Schriftsteller geben den Wörtern diesen
gesteigerten Gehalt und eine regsam empfängliche Nation nimmt
ihn auf und pflanzt ihn fort. Dagegen nutzen sich Metaphern,
welche den jugendlichen Sinn der Vorzeit, wie die Sprachen selbst
die Spuren davon an sich tragen, wunderbar ergriffen zu haben
scheinen, im täglichen Gebrauch so ab, dass sie kaum noch em-
pfunden werden. In diesem gleichzeitigen Fortschritt und Rück-
gang üben die Sprachen den der fortschreitenden Entwicklung
angemessenen Einfluss aus, der ihnen in der grossen geistigen
Oekonomie des Menschengeschlechts angewiesen ist.
Verbindung des Lautes mit der inneren Sprachform.
Die Verbindung der Lautform mit den inneren Sprachgesetzen
bildet die Vollendung der Sprachen, und der höchste Punkt dieser
ihrer Vollendung beruhet darauf, dass diese Verbindung, immer
in gleichzeitigen Acten des spracherzeugenden Geistes vor sich
gehend, zur wahren und reinen Durchdringung werde. Von dem
ersten Elemente an ist die Erzeugung der Sprache ein synthetisches
Verfahren und zwar ein solches im ächtesten Verstände des Worts,
wo die Synthesis etwas schafft, das in keinem der verbundenen
Theile für sich liegt. Das Ziel wird daher nur erreicht, wenn
auch der ganze Bau der Lautform und der inneren Gestaltung
ebenso fest und gleichzeitig zusammenfliessen. Die daraus ent-
springende, wohlthätige Folge ist dann die völlige Angemessenheit
des einen Elements zu dem andren, so dass keins über das andere
gleichsam überschiesst. Es wird, wenn dieses Ziel erreicht ist,
weder die innere Sprachentwicklung einseitige Pfade verfolgen,
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 21.
y.-)
auf denen sie von der phonetischen Formenerzeugung verlassen
wird, noch wird der Laut in wuchernder Ueppigkeit über das
schöne Bedürfniss des Gedanken hinaus walten. Er wird dagegen
gerade durch die inneren, die Sprache in ihrer Erzeugung vor-
bereitenden Seelenregungen zu Euphonie und Rhythmus hingeleitet
werden, in beiden ein Gegengewicht gegen das blosse, klingelnde
Sylbengetön finden und durch sie einen neuen Pfad entdecken,
auf dem, wenn eigentlich der Gedanke dem Laute die Seele ein-
haucht, dieser ihm wieder aus seiner Natur ein begeisterndes
Princip zurückgiebt. Die feste Verbindung der beiden constitutiven
Haupttheile der Sprache äussert sich vorzüglich in dem sinnlichen
und phantasiereichen Leben, das ihr dadurch aufblüht, da hingegen
einseitige \^erstandesherrschaft, Trockenheit und Nüchternheit die
unfehlbaren Folgen sind, wenn sich die Sprache in einer Epoche
intellectueller erweitert und verfeinert, wo der Bildungstrieb der
Laute nicht mehr die erforderliche Stärke besitzt oder wo gleich
anfangs die Kräfte einseitig gewirkt haben. Im Einzelnen sieht
man dies an den Sprachen, in denen einige Tempora, wie im
Arabischen nur durch getrennte Hülfsverba gebildet werden, wo
also die Idee solcher Formen nicht mehr wirksam von dem Triebe
der Lautformung begleitet gewesen ist. Das Sanskrit hat in
einigen Zeitformen das Verbum seyn wirklich mit dem Verbal-
begrifif in Worteinheit verbunden.
Weder dies Beispiel aber noch auch andre ähnlicher Art, die
man leicht, besonders auch aus dem Gebiete der Wortbildung
aufzählen könnte, zeigen die volle Bedeutung des hier ausge-
sprochnen Erfordernisses. Nicht aus Einzelnheiten, sondern aus
der ganzen Beschaffenheit und Form der Sprache geht die voll-
endete Synthesis, von der hier die Rede ist, hervor. Sie ist das
Product der Kraft im Augenblicke der Spracherzeugung und be-
zeichnet genau den Grad ihrer Stärke. Wie eine stumpf ausge-
prägte Münze zwar alle Umrisse und Einzelnheiten der Form
wiedergiebt, aber des Glanzes ermangelt, der aus der Bestimmt-
heit und Schärfe hen^orspringt, ebenso ist es auch hier. Ueber-
haupt erinnert die Sprache oft, aber am meisten hier, in dem
tiefsten und unerklärbarsten Theile ihres Verfahrens, an die Kunst.
Auch der Bildner und Maler vermählt die Idee mit dem Stoff
und auch seinem Werke sieht man es an, ob diese Verbindung,
in Innigkeit der Durchdringung, dem wahren Genius in Freiheit
entstrahlt oder ob die abgesonderte Idee mühevoll und ängstlich
qQ I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
mit dem Meissel oder dem Pinsel gleichsam abgeschrieben ist.
Aber auch hier zeigt sich dies letztere mehr in der Schwäche des
Totaleindrucks, als in einzelnen Mängeln. Wie sich nun eigentlich
das geringere Gelingen der nothwendigen Synthesis der äusseren
und inneren Sprachform an einer Sprache offenbart, werde ich
zwar weiter unten an einigen einzelnen grammatischen Punkten
zu zeigen bemüht seyn; die Spuren eines solchen Mangels aber
bis in die äussersten Feinheiten des Sprachbaues zu verfolgen, ist
nicht allein schwierig, sondern bis auf einen gewissen Grad un-
möglich. Noch weniger kann es gelingen, denselben überall in
Worten darzustellen. Das Gefühl aber täuscht sich darüber nicht
und noch klarer und deutlicher äussert sich das Fehlerhafte in
den Wirkungen. Die wahre Synthesis entspringt aus der Be-
geisterung, welche nur die hohe und energische Kraft kennt. Bei
der unvollkommenen hat diese Begeisterung gefehlt, und ebenso
übt auch eine so entstandene Sprache eine minder begeisternde
Kraft in ihrem Gebrauch aus. Dies zeigt sich in ihrer Literatur,
die weniger zu den Gattungen hinneigt, welche einer solchen Be-
geisterung bedürfen, oder den schwächeren Grad derselben an der
Stirn trägt. Die geringere nationelle Geisteskraft, welcher die
Schuld dieses Mangels anheimfällt, bringt dann wieder eine solche
durch den Einfluss einer unvollkommneren Sprache in den nach-
folgenden Geschlechtern hervor oder vielmehr die Schwäche zeigt
sich durch das ganze Leben einer solchen Nation, bis durch irgend
einen Anstoss eine neue Geistesumformung derselben entsteht.^)
V Hier ist folgender mit der Paragraphenzahl 2j versehener Absatz ge-
strichen: „Ich habe im Vorigen das Verfahren, welches alleji Sprachen zum
Grunde liegen muss, in seinen allgemeinsten und einfachsten Richtungen zusammen-
zufassen versucht. Ich müsste nun jede einzelne darin berührte Seite weiter zer-
gliedern und zur Bildung aller Bestandtheile der Sprache herabsteigen. Dies
verlangt aber der Zweck dieser einleitenden Betrachtungen nicht. Dagegen fordert
er allerdings, um nicht zu sehr im Allgemeinen zu bleiben, die nähere Beleuch-
timg einiger Haupttendenzen der Sprachen, welche, wie grosse physiologische
Gesetze, durch sie durchgehen und ihren ganzen inneren Bau behetTSchen. Ich
hebe als solche viere heraus, die sich mir, bei sorgfältiger praktischer Prüfung
mehrerer Sprachen, als vorzugsweise wichtig und die Verschiedenheit des Sprach-
organismns char akter isirend, erwiesen haben. Es sind diese:
1. die Bildimg der Worteinheit,
2. das Streben nach Flection,
ß. die Gränzen, innerhalb welcher die Sprachen, deren Organismus ganz
auf Absonderung und Verschmelzung der ....
4. die Bezeichnung des Verbum, als Mittelpunkt des Satzes."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 22 — 24. q-t
Genauere Darlegung des Sprachverfahrens.
Der Zweck dieser Einleitung, die Sprachen in der Verschieden- 24.
artigkeit ihres Baues, als die nothwendige Grundlage der Fort-
bildung des menschlichen Geistes darzustellen und den wechsel-
seitigen Einfluss der einen auf die andre näher zu erörtern, hat mich
genöthigt, in die Natur der Sprache überhaupt einzugehen. Jenen
Standpunkt genau festhaltend, muss ich diesen Weg weiter ver-
folgen. Ich habe im Vorigen das Wesen der Sprache nur in
seinen allgemeinsten Grundzügen dargelegt und wenig mehr ge-
than, als ihre Definition ausführlicher zu entwickeln. Wenn man
ihr Wesen in der Laut- und Ideenform und der richtigen und
energischen Durchdringung beider sucht, so bleibt dabei eine zahl-
lose Menge die Anwendung verwirrender Einzelnheiten zu be-
stimmen übrig. Um daher, wie es hier meine Absicht ist, der
individuell historischen Sprachvergleichung durch vorbereitende
Betrachtungen den Weg zu bahnen, ist es zugleich nothwendig,
das Allgemeine mehr auseinanderzulegen und das dann hen'or-
tretende Besondere dennoch mehr in Einheit zusammenzuziehen.
Eine solche Mitte zu erreichen, bietet die Natur der Sprache selbst
die Hand. Da sie, in unmittelbarem Zusammenhange mit der
Geisteskraft, ein vollständig durchgeführter Organismus ist, so
lassen sich in ihr nicht bloss Theile unterscheiden, sondern auch
Gesetze des Verfahrens oder, da ich überall hier gern Ausdrücke
wähle, welche der historischen Forschung auch nicht einmal
scheinbar vorgreifen, vielmehr Richtungen und Bestrebungen des-
selben. Man kann diese, wenn man den Organismus der Körper
dagegen halten will, mit den physiologischen Gesetzen vergleichen,
deren wissenschaftliche Betrachtung sich auch wesentlich von der
zergliedernden Beschreibung der einzelnen Theile unterscheidet.
Es wird daher hier nicht einzeln nach einander, wie in unsren
Grammatiken, vom Lautsysteme, Nomen, Pronomen u. s. f., son-
dern von Eigenthümlichkeiten der Sprachen die Rede seyn, welche
durch alle jene einzelnen Theile, sie selbst näher bestimmend,
durchgehen. Dies Verfahren wird auch von einem andren Stand-
punkte aus hier zweckmässiger erscheinen. Wenn das oben an-
gedeutete Ziel erreicht werden soll, muss die Untersuchung hier
gerade vorzugsweise eine solche Verschiedenheit des Sprachbaues
im Auge behalten, welche sich nicht auf Einerleiheit eines Sprach-
W. V. Humboldt, Werke. VII. 7
q3 über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Stammes zurückführen lässt. Diese nun wird man vorzüglich da
suchen müssen, wo sich das Verfahren der Sprache am engsten
in ihren endlichen Bestrebungen zusammenknüpft.^) Dies führt
uns wieder, aber in andrer Beziehung zur Bezeichnung der Be-
griffe und zur Verknüpfung des Gedanken im Satze. Beide fliessen
aus dem Zwecke der inneren Vollendung des Gedanken und des
äusseren Verständnisses. Gewissermassen unabhängig hiervon
bildet sich in ihr zugleich ein künstlerisch schaffendes Princip aus,
das ganz eigentlich ihr selbst angehört. Denn die Begriffe werden
in ihr von Tönen getragen und der Zusammenklang aller geistigen
Kräfte verbindet sich also mit einem musikalischen Element, das,
in sie eintretend, seine Natur nicht aufgiebt, sondern nur modificirt.
Die künstlerische Schönheit der Sprache wird ihr daher nicht als
ein zufälliger Schmuck verliehen; sie ist, gerade im Gegentheil,
eine in sich nothwendige Folge ihres übrigen Wesens, ein un-
trüglicher Prüfstein ihrer inneren und allgemeinen Vollendung.
Denn die innere Arbeit des Geistes hat sich erst dann auf die
kühnste Höhe geschwungen, wenn das Schönheitsgefühl seine
Klarheit darüber ausgiesst.-)
Das Verfahren der Sprache ist aber nicht bloss ein solches,
wodurch eine einzelne Erscheinung zu Stande kommt; es muss
derselben zugleich die Möglichkeit eröffnen, eine unbestimmbare
^J Nach „ziisammenknüpß" gestrichen: „Diesen Punkt glücklich zu finden,
ist daher ein Haupterforderniss des Gelingens der gegenwärtigen Untersuchung.
Dies Gelingen wird aber am meisten gesichert, wenn man ganz einfach die End-
punkte näher beleuchtet, welche die Sprachen sowohl in der Erzeugung ihrer all-
gemeinen Eigenthümlichkeit , als in ihrer sich im täglichen Gebrauche immer
wiederholenden Thätigkeit zu erstreben bemüht sind. Sie lassen sich auf drei
zurückführen, welche der Sprache dadurch ein die Gegenstände bezeichnendes^
den Gedanken zum Satze verknüpfendes und künstlerisch schaffendes Verfahren
anweisen. Die beiden ersten fliessen aus dem Zwecke der inneren Vollendung
des Gedanken und des äusseren Verständnisses. Was in der Seele vorgeht, soll
Andren mittheilbar werden und in vollendeter Bestimmtheit zu ihr selbst zurück-
kehren. Das dritte Verfahren hingegen kann unabhängig von diesen ihren
äusseren Zwecken betrachtet werden und gehört ganz eigentlich ihr selbst an.
Denn sie hat in der jedesmaligen Rede eine selbstständige Gestalt und tritt in
dieser aus dem Redenden hervor. Sie macht ein Gewebe die Begriffe tragender
Töne aus und ist also, gleich jedem andren Kunstwerk, in höherem oder ge-
ringerem Grade auch der künstlerischen Wirkung fähig."
y Nach „ausgiesst" gestrichen: „und etwanige Hindernisse der organischen
und zufälligen, hierbei zur Mitwirkimg kommenden Bedingungen werden, so wie
die innere Kraft wahrhaft überwiegend ist, imjner besiegt."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 24. 25. qq
Menge solcher Erscheinungen und unter allen, ihr von dem Ge-
danken gestellten Bedingungen hen-orzubringen. Denn sie steht
ganz eigentlich einem unendlichen und wahrhaft gränzenlosen
Gebiete, dem Inbegriff alles Denkbaren gegenüber. Sie muss
daher von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen,
und vermag dies durch die Identität der Gedanken- und Sprache-
erzeugenden Kraft. Es liegt hierin aber auch nothwendig, dass
sie nach zwei Seiten hin ihre Wirkung zugleich ausübt, indem
diese zunächst aus sich heraus auf das Gesprochene geht, dann
aber auch zurück auf die sie erzeugenden Kräfte. Beide Wirkungen
modificiren sich in jeder einzelnen Sprache durch die in ihr be-
obachtete Methode und müssen daher bei der Darstellung und
Beurtheilung dieser zusammengenommen werden.
Wortverwandtschaft und Wortform.
Wir haben schon im Vorigen gesehen, dass die Worterfindung 25.
im Allgemeinen nur darin besteht, nach der in beiden Gebieten
aufgefassten Verwandtschaft analogen Begriffen analoge Laute zu
wählen und die letzteren in eine mehr oder weniger bestimmte
Form zu giessen. Es kommen also hier zwei Dinge, die Wort-
form und die Wortverwandtschaft in Betrachtung. Die letztere
ist, weiter zergliedert, eine dreifache, nemlich die der Laute, die
logische der Begriffe und die aus der Rückwirkung der Wörter
auf das Gemüth entstehende. Da die Verwandtschaft, insofern sie
logisch ist, auf Ideen beruht, so erinnert man sich hier zuerst an
denjenigen Theil des Wortvorraths, in welchem Wörter nach Be-
griffen allgemeiner Verhältnisse zu andren Wörtern, concrete zu
abstracten, einzelne Dinge andeutende zu coUectiven u. s. f. um-
gestempelt werden. Ich sondre ihn aber hier ab, da die charakte-
ristische Modification dieser Wörter sich ganz enge an diejenige
anschliesst, welche dasselbe Wort in den verschiednen Verhält-
nissen zur Rede annimmt. In diesen Fällen wird ein sich immer
gleich bleibender Theil der Bedeutung des Wortes mit einem andren,
wechselnden verbunden. Dasselbe findet aber auch sonst in der
Sprache statt. Sehr oft lässt sich in dem, in der Bezeichnung ver-
schiedenartiger Gegenstände gemeinschaftlichen Begriffe ein stamm-
hafter Grundtheil des Wortes erkennen, und das Verfahren der
Sprache kann diese Erkennung befördern oder erschweren, den
Stammbegriff und das A^erhältniss seiner Modificationen zu ihm
7*
IQQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
herausheben oder verdunkeln. Die Bezeichnung des Begriffs durch
den Laut ist eine Verknüpfung von Dingen, deren Natur sich v^ahr-
haft niemals vereinigen kann. Der Begriff vermag sich aber eben-
sowenig von dem Worte abzulösen, als der Mensch seine Gesichts-
züge ablegen kann. Das Wort ist seine individuelle Gestaltung
und er kann, wenn er diese verlassen will, sich selbst nur in
andren Worten wiederfinden. Dennoch muss die Seele immerfort
versuchen, sich von dem Gebiete der Sprache unabhängig zu machen,
da das Wort allerdings eine Schranke ihres inneren, immer mehr
enthaltenden Empfindens ist und oft gerade sehr eigenthümliche
Nuancen desselben durch seine im Laut mehr materielle, in der
Bedeutung zu allgemeine Natur zu ersticken droht. Sie muss das
Wort mehr wie einen Anhaltspunkt ihrer inneren Thätigkeit be-
handeln, als sich in seinen Granzen gefangen halten lassen. Was
sie aber auf diesem Wege schützt und erringt, fügt sie wieder
dem Worte hinzu, und so geht aus diesem ihrem fortwährenden
Streben und Gegenstreben, bei gehöriger Lebendigkeit der geistigen
Kräfte, eine immer grössere Verfeinerung der Sprache, eine wach-
sende Bereicherung derselben an seelenvollem Gehalte hervor, die
ihre Forderungen in eben dem Grade höher steigert, in dem sie
besser befriedigt werden. Die Wörter erhalten, wie man an allen
hoch gebildeten Sprachen sehen kann, in dem Grade, in welchem
Gedanke und Empfindung einen höheren Schwung nehmen, eine
mehr umfassende oder tiefer eingreifende Bedeutung.
Die Verbindung der verschiedenartigen Natur des Begriffs
und des Lautes fordert, auch ganz abgesehen vom körperlichen
Klange des letzteren und bloss vor der Vorstellung selbst, die
Vermittlung beider durch etwas Drittes, in dem sie zusammen-
treffen können. Dies Vermittelnde ist nun allemal sinnlicher Natur,
wie in Vernunft die Vorstellung des Nehmens, in Verstand die
des Stehens, in Blüthe die des Hervorquellens liegt; es gehört
der äusseren oder inneren Empfindung oder Thätigkeit an. Wenn
die Ableitung es richtig entdecken lässt, kann man, immer das
Concretere mehr davon absondernd, es entweder ganz oder neben
seiner individuellen Beschaffenheit auf Extension oder Intension
oder Veränderung in beiden zurückführen, so dass man in die
allgemeinen Sphären des Raumes und der Zeit und des Empfin-
dungsgrades gelangt. Wenn man nun auf diese Weise die Wörter
einer einzelnen Sprache durchforscht, so kann es, wenn auch mit
Ausnahme vieler einzelnen Punkte, gelingen, die Fäden ihres Zu-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 25. iqi
sammenhanges zu erkennen und das allgemeine Verfahren in ihr
individuaiisirt, wenigstens in seinen Hauptumrissen, zu zeichnen.
Man versucht alsdann, von den concreten Wörtern zu den gleich-
sam wurzelhaften Anschauungen und Empfindungen aufzusteigen,
durch welche jede Sprache, nach dem sie beseelenden Genius, in
ihren Wörtern den Laut mit dem Begriffe vermittelt. Diese Ver-
gleichung der Sprache mit dem ideellen Gebiete, als demjenigen,
dessen Bezeichnung sie ist, scheint jedoch umgekehrt zu fordern,
von den Begriffen aus zu den Wörtern herabzusteigen, da nur
die Begriffe, als die Urbilder, dasjenige enthalten können, was zur
Beurtheilung der Wortbezeichnung, ihrer Gattung und ihrer Voll-
ständigkeit nach, nothwendig ist. Das Verfolgen dieses Weges
wird aber durch ein inneres Hinderniss gehemmt, da die Begriffe,
so wie man sie mit einzelnen Wörtern stempelt, nicht mehr bloss
etwas Allgemeines, erst naher zu Individualisirendes darstellen
können. Versucht man aber, durch Aufstellung von Kategorieen
zum Zweck zu gelangen, so bleibt zv^dschen der engsten Kategorie
und dem durch das Wort individualisirten Begriff eine nie zu
überspringende Kluft. Inwiefern also eine Sprache die Zahl der
zu bezeichnenden Begriife erschöpft und in welcher Festigkeit
der Methode sie von den ursprünglichen Begritfen zu den abge-
leiteten besonderen herabsteigt, lässt sich im Einzelnen nie mit
einiger \^ollständigkeit darstellen, da der Weg der Begriffsver-
zweigung nicht durchführbar ist und der der Wörter wohl das
Geleistete, nicht aber das zu Fordernde zeigt.
Man kann den Wortvorrath einer Sprache auf keine Weise
als eine fertig daliegende Masse ansehen. Er ist, auch ohne aus-
schliesslich der beständigen Bildung neuer Wörter und Wortformen
zu gedenken, so lange die Sprache im Munde des Volks lebt, ein
fortgehendes Erzeugniss und Vvledererzeugniss des wortbildenden
Vermögens, zuerst in dem Stamme, dem die Sprache ihre Form
verdankt, dann in der kindischen Erlernung des Sprechens und
endlich im täglichen Gebrauche der Rede. Die unfehlbare Gegen-
wart des jedesmal nothwendigen W^ortes in dieser ist gewiss
nicht bloss Werk des Gedächtnisses. Kein menschliches Gedächt-
niss reichte dazu hin, wenn nicht die Seele instinctartig zugleich
den Schlüssel zur Bildung der Wörter selbst in sich trüge. Auch
eine fremde erlernt man nur dadurch, dass man sich nach und
nach, sey es auch nur durch Uebung, dieses Schlüssels zu ihr be-
meistert, nur vermöge der Einerleiheit der Sprachanlagen über-
J02 *• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
haupt und der besonderen zwischen einzelnen Vollmern bestehenden
Verwandtschaft derselben. Mit den todten Sprachen verhält es
sich nur um Weniges anders. Ihr Wortvorrath ist allerdings nach
unserer Seite hin ein geschlossenes Ganze, in dem nur glückliche
Forschung in ferner Tiefe liegende Entdeckungen zu machen im
Stande ist. Allein ihr Studium kann auch nur durch Aneignung
des ehemals in ihnen lebendig gewesenen Princips gelingen; sie
erfahren ganz eigentlich eine wirkliche augenblickliche Wieder-
belebung. Denn eine Sprache kann unter keiner Bedingung wie
eine abgestorbene Pflanze erforscht werden. Sprache und Leben
sind unzertrennliche Begriffe und die Erlernung ist in diesem
Gebiete immer nur Wiedererzeugung.
Von dem hier gefassten Standpunkte aus zeigt sich nun die
Einheit des Wortvorrathes jeder Sprache am deutlichsten. Er ist
ein Ganzes, weil Eine Kralt ihn erzeugt hat und diese Erzeugung
in unzertrennlicher Verkettung fortgeführt worden ist. Seine Ein-
heit beruht auf dem, durch die Verwandtschaft der Begriffe ge-
leiteten Zusammenhange der vermittelnden Anschauungen und der
Laute, Dieser Zusammenhang ist es daher, den wir hier zunächst
zu betrachten haben.
Die Indischen Grammatiker bauten ihr gewiss zu künstliches,
aber in seinem Ganzen von bewundrungswürdigem Scharfsinn
zeugendes S^^stem auf die Voraussetzung, dass sich der ihnen vor-
liegende Wortschatz ihrer Sprache ganz durch sich selbst erklären
lasse. Sie sahen dieselbe daher als eine ursprüngliche an und
schlössen auch alle Möglichkeit im ^^erlaufe der Zeit aufgenommener
fremder Wörter aus. Beides war unstreitig falsch. Denn aller
historischen oder aus der Sprache selbst aufzufindenden Gründe
nicht zu gedenken, ist es auf keine Weise wahrscheinlich, dass
sich irgend eine wahrhaft ursprüngliche Sprache in ihrer Urform
bis auf uns erhalten habe. Vielleicht hatten die Indischen Gram-
matiker bei ihrem Verfahren auch nur mehr den Zweck im Auge,
die Sprache zur Bequemlichkeit der Erlernung in systematische
Verbindung zu bringen, ohne sich gerade um die historische
Richtigkeit dieser Verbindung zu kümmern. Es mochte aber
auch den Indiern in diesem Punkte wie den meisten Nationen
bei dem Aufblühen ihrer Geistesbildung ergehen. Der Mensch
sucht immer die Verknüpfung, auch der äusseren Erscheinungen,
zuerst im Gebiete der Gedanken auf; die historische Kunst ist
immer die späteste und die reine Beobachtung, noch weit mehr
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 25. 103
aber der \'ersuch folgen erst in weiter Entfernung idealischen
oder phantastischen Systemen nach. Zuerst versucht der Mensch
die Natur von der Idee aus zu beherrschen. Dies zugestanden,
zeugt aber jene Voraussetzung der Erklärlichkeit des Sanskrits
durch sich allein von einem richtigen und tiefen Blick in die
Natur der Sprache überhaupt. Denn eine wahrhaft ursprüngliche
und von fremder Einmischung rein geschiedene müsste wirklich
einen solchen thatsächlich nachzuweisenden Zusammenhang ihres
gesammten Wortvorraths in sich bewahren. Es war überdies ein
schon durch seine Kühnheit Achtung verdienendes Unternehmen,
sich gerade mit dieser Beharrlichkeit in die Wortbildung, als den
tiefsten und geheimnissvollsten Theil aller Sprachen zu versenken.
Das Wesen des Lautzusammenhanges der Wörter beruht
darauf, dass eine massige Anzahl dem ganzen Wortvorrathe zum
Grunde liegender Wurzellaute durch Zusätze und Veränderungen
auf immer bestimmtere und mehr zusammengesetzte Begriffe an-
gewendet wird. Die Wiederkehr desselben Stammlauts oder doch
die Möglichkeit, ihn nach bestimmten Regeln zu erkennen, und
die Gesetzmässigkeit in der Bedeutsamkeit der moditicirenden Zu-
sätze oder innren Umänderungen bestimmen alsdann diejenige Er-
klärlichkeit der Sprache durch sich selbst, die man eine mecha-
nische oder technische nennen kann.
Es giebt aber einen, sich auch auf die Wurzelwörter be-
ziehenden, wichtigen, noch bisher sehr vernachlässigten Unter-
schied unter den Wörtern in Absicht auf ihre Erzeugung. Die
grosse Anzahl derselben ist gleichsam erzählender oder beschrei-
bender Natur, bezeichnet Bewegungen, Eigenschaften und Gegen-
stände an sich, ohne Beziehung auf eine anzunehmende oder ge-
fühlte Persönlichkeit ; bei andren hingegen macht gerade der Aus-
druck dieser oder die schlichte Beziehung auf dieselbe das aus-
schliessliche Wesen der Bedeutung aus. Ich glaube in einer
früheren Abhandlung*) richtig gezeigt zu haben, dass die Personen-
wörter die ursprünglichen in jeder Sprache seyn müssen und dass
es eine ganz unrichtige Vorstellung ist, das Pronomen als den
*) Ueber die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen
Sprachen, in den Abhandlungen der historisch-philologischen Classe der Berliner
Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1829. S. 1—6. Man vergleiche auch die
Abhandlung über den Dualis, ebendaselbst aus dem Jahre 1827. S. 182 — 185.^)
V Vgl. Band 6, J04. 26.
J04 '• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
spätesten Redetheil in der Sprache anzusehen. Eine eng gram-
matische Vorstellungsart der Vertretung des Nomen durch das
Pronomen hat hier die tiefer aus der Sprache geschöpfte An-
sicht verdrängt. Das Erste ist natürlich die Persönlichkeit des
Sprechenden selbst, der in beständiger unmittelbarer Berührung
mit der Natur steht und unmöglich unterlassen kann, auch in der
Sprache ihr den Ausdruck seines Ichs gegenüberzustellen. Im Ich
aber ist von selbst auch das Du gegeben, und durch einen neuen
Gegensatz entsteht die dritte Person, die sich aber, da nun der
Kreis der Fühlenden und Sprechenden verlassen wird, auch zur
todten Sache erweitert. Die Person, namentlich das Ich steht, wenn
man von jeder concreten Eigenschaft absieht, in der äusseren Be-
ziehung des Raumes und der inneren der Empfindung. Es schliessen
sich also an die Personenwörter Praepositionen und Interjectionen
an. Denn die ersten sind Beziehungen des Raumes oder der als
Ausdehnung betrachteten Zeit auf einen bestimmten, von ihrem
Begriff nicht zu trennenden Punkt, die letzteren sind blosse Aus-
brüche des Lebensgefühls. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die
wirklich einfachen Personenwörter ihren Ursprung selbst in einer
Raum- oder Empfindungsbeziehung haben.
Der hier gemachte Unterschied ist aber fein und muss genau
in seiner bestimmten Sonderung genommen werden. Denn auf
der einen Seite werden alle, die inneren Empfindungen bezeich-
nenden Wörter, wie die für die äusseren Gegenstände, beschrei-
bend und allgemein objectiv gebildet. Der obige Unterschied be-
ruht nur darauf, dass der wirkliche Empfindungsausbruch einer
bestimmten Individualität das Wesen der Bezeichnung ausmacht.
Auf der andren Seite kann es in den Sprachen Pronomina und
Praepositionen geben und giebt deren wirklich, die von ganz con-
creten Eigenschaftswörtern hergenommen sind. Die Person kann
durch etwas mit ihrem Begriff Verbundenes bezeichnet werden,
die Praeposition auf eine ähnliche Weise durch ein mit ihrem Be-
griff verwandtes Nomen, wie hinter durch Rücken, vor durch
Brust u. s. f. Wirklich so entstandene Wörter können durch die
Zeit so unkenntlich werden, dass die Entscheidung schwer fällt,
ob sie so abgeleitete oder ursprüngliche Wörter sind. Wenn hier-
über aber auch in einzelnen Fällen hin und her gestritten werden
kann, so bleibt darum nicht abzuläugnen, dass jede Sprache ur-
sprünglich solche dem unmittelbaren Gefühl der Persönlichkeit
entstammte Wörter gehabt haben muss. Bopp hat das wichtige
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 25. joR
Verdienst, diese zwiefache Gattung der Wurzelwöner zuerst unter-
schieden und die bisher unbeachtet gebliebene in die Wort- und
Formenbildung eingeführt zu haben. Wir werden aber gleich
weiter unten sehen, auf welche sinnvolle, auch von ihm zuerst
an den Sanskritformen entdeckte Weise die Sprache beide, jede
in einer verschiedenen Geltung, zu ihren Zwecken verbindet.
Die hier unterschiednen objectiven und subjectiven Wurzeln
der Sprache (wenn ich mich der Kürze wegen dieser, allerdings
bei weitem nicht erschöpfenden Bezeichnung derselben bedienen
darf) theilen indess nicht ganz die gleiche Natur mit einander
und können daher, genau genommen, auch nicht auf dieselbe
W^eise als Grundlaute betrachtet werden. Die objectiven tragen
das Ansehen der Entstehung durch Anal3^se an sich ; man hat die
Nebenlaute abgesondert, die Bedeutung, um alle darunter geord-
nete Wörter zu umfassen, zu schwankendem Umfange erweitert
und so Formen gebildet, die in dieser Gestalt nur uneigentlich
Wörter genannt werden können. Die subjectiven hat sichtbar
die Sprache selbst geprägt. Ihr Begriff erlaubt keine Weite, ist
vielmehr überall Ausdruck scharfer Individualität; er war dem
Sprechenden unentbehrlich und konnte bis zur Vollendung all-
mählicher Spracherweiterung gewissermassen ausreichen. Er deutet
daher, wie wir gleich in der Folge näher untersuchen werden, auf
einen primitiven Zustand der Sprachen hin, was, ohne bestimmte
historische Beweise, von den objectiven Wurzeln nur mit grosser
Behutsamkeit angenommen werden kann.
Mit dem Namen der Wurzeln können nur solche Grundlaute
belegt werden, welche sich unmittelbar, ohne Dazwischenkunft
anderer, schon für sich bedeutsamer Laute, dem zu bezeichnenden
Begriffe anschliessen. In diesem strengen Verstände des Worts
brauchen die Wurzeln nicht der wahrhaften Sprache anzugehören,
und in Sprachen, deren Form die Umkleidung der Wurzeln mit
Nebenlauten mit sich führt, kann dies sogar überhaupt kaum
oder doch nur unter bestimmten Bedingungen der Fall seyn.
Denn die wahre Sprache ist nur die in der Rede sich offen-
barende und die Spracherfindung lässt sich nicht auf demselben
Wege abwärts schreitend denken, den die Analyse aufwärts ver-
folgt. Wenn in einer solchen Sprache eine Wurzel als Wort er-
scheint, wie im Sanskrit j>7^öy/, Kampf, oder als Theil einer Zu-
sammensetzung, wie in dharmawtd, gerechtigkeitskundig, so
sind dies Ausnahmen, die ganz und gar nicht zu der Voraussetzung
jo6 '• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
eines Zustandes berechtigen, wo auch, gleichsam, wie im Chine-
sischen, die unbekleideten Wurzeln sich mit der Rede verbanden.
Es ist sogar viel wahrscheinlicher, dass, je mehr die Stammlaute
dem Ohre und dem Bewusstseyn der Sprechenden geläufig wurden,
solche einzelnen Fälle ihrer nackten Anwendung dadurch ein-
traten.^) Indem aber durch die Zergliederung auf die Stammlaute
zurückgegangen wird, fragt es sich, ob man überall bis zu dem
wirklich Einfachen gelangt ist? Im Sanskrit ist schon mit glück-
lichem Scharfsinn von Bopp und in einer schon oben erwähnten,
wichtigen Arbeit, die gewiss zur Grundlage weiterer Forschungen
dienen wird, von Pott gezeigt worden, dass mehrere angebliche
Wurzeln zusammengesetzt oder durch Reduplication abgeleitet
sind. Aber auch auf solche, die wirklich einfach scheinen, kann
der Zweifel ausgedehnt werden. Ich meine hier besonders die,
welche von dem Bau der einfachen oder doch den Vocal nur mit
solchen Consonantenlauten, die sich bis zu schwieriger Trennung
mit ihm verschmelzen, umkleidenden Sylben abweichen. Auch in
ihnen können unkenntlich gewordene und phonetisch durch Zu-
sammenziehung, Abwerfung von Vocalen oder sonst veränderte
Zusammensetzungen versteckt seyn. Ich sage dies nicht, um leere
Muthmassungen an die Stelle von Thatsachen zu setzen, wohl
aber, um der historischen Forschung nicht willkührlich das weitere
Vordringen in noch nicht gehörig durchschaute Sprachzustände
zu verschliessen, und weil die uns hier beschäftigende Frage des
Zusammenhanges der Sprachen mit dem Bildungsvermögen es
nothwendig macht, alle Wege aufzusuchen, welche die Entstehung
des Sprachbaues genommen haben kann.
Insofern sich die Wurzellaute durch ihre stätige Wiederkehr
in sehr abwechselnden Formen kenntlich machen, müssen sie in
dem Grade mehr zur Klarheit gelangen, in welchem eine Sprache
den Begriff des Verbum seiner Natur gemässer in sich ausgebildet
hat. Denn bei der Flüchtigkeit und Beweglichkeit dieses, gleich-
sam nie ruhenden Redetheils zeigt sich nothwendig dieselbe Wurzel-
sylbe mit immer wechselnden Nebenlauten. Die Indischen Gram-
matiker verfuhren daher nach einem ganz richtigen Gefühl ihrer
V Nach „eintraten" gestrichen : „Der Ausspruch der Indischen Grammatiker,
dass jede Wurzel als schliessendes Element eines Compositum erscheinen könne,
ist daher wohl gewiss eher eine spätere Erweiterung der Sprache, als ein aus
ihrem früheren, uns minder bekannten Zustande geschöpftes Gesetz."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 25. jQ-y
Sprache, indem sie alle Wurzeln als Verbalwurzeln behandelten
und jede bestimmten Conjugationen zuwiesen. Es liegt aber auch
in der Natur der Sprachentwicklung selbst, dass, sogar geschicht-
lich, die Bewegungs- und Beschatfenheitsbegriffe die zuerst be-
zeichneten seyn werden, da nur sie natürlich wieder gleich und
oft in dem nemlichen Acte die bezeichnenden der Gegenstände
seyn können, insofern diese einfache Wörter ausmachen. Bewegung
und Beschaffenheit stehen einander aber an sich nahe und ein
lebhafter Sprachsinn reisst die letztere noch häufiger zu der
ersteren hin. Dass die Indischen Grammatiker auch diese wesent-
liche Verschiedenheit der Bewegung und Beschaffenheit und der
selbstständige Sachen andeutenden Wörter empfanden, beweist
ihre Unterscheidung der Krit- und Unädi-Suffixe. Durch beide
werden Wörter unmittelbar von den Wurzellauten abgeleitet.
Die ersteren aber bilden nur solche, in welchen der Wurzelbegriö
selbst bloss mit allgemeinen , auf mehrere zugleich passenden
Modificationen versehen wird. Wirkliche Substanzen finden sich
bei ihnen seltener und nur insofern, als die Bezeichnung der-
selben von dieser bestimmten Art ist. Die Unädi-Suffixe be-
greifen gerade im Gegentheil nur Benennungen concreter Gegen-
stände und in den durch sie gebildeten Wörtern ist der dunkelste
Theil gerade das Suffix selbst, welches den allgemeineren, den
Wurzellaut modificirenden Begriff enthalten sollte. Es ist nicht
zu läugnen, dass ein grosser Theil dieser Bildungen erzwungen
und offenbar ungeschichtlich ist. Man erkennt zu deutlich ihre ab-
sichtliche Entstehung aus dem Princip, alle Wörter der Sprache,
ohne Ausnahme, auf die einmal angenommenen Wurzeln zurück-
zubringen. Unter diesen Benennungen concreter Gegenstände
können einestheils fremde in die Sprache aufgenommene, andren-
theils aber unkenntlich gewordene Zusammensetzungen liegen,
wie es von den letzteren in der That erkennbare bereits unter
den Unädi- Wörtern giebt. Es ist dies natürlich der dunkelste
Theil aller Sprachen und man hat daher mit Recht neuerlich
vorgezogen, aus einem grossen Theile der Unädi-Wörter eine
eigne Glasse dunkler und ungewisser Herleitung zu bilden.
Das Wesen des Lautzusammenhanges beruht auf der Kennt-
lichkeit der Stamms3'lbe, die von den Sprachen überhaupt nach
dem Grade der Richtigkeit ihres Organismus mit mehr oder
minder sorgfältiger Schonung behandelt wird. In denen eines
sehr vollkommenen Baues schliessen sich aber an den Stammlaut,
Io8 J- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
als den den Begriff individualisirenden, Nebenlaute, als allgemeine,
modificirende an. Wie nun in der Aussprache der Wörter in der
Regel jedes nur Einen Hauptaccent hat und die unbetonten Sylben
gegen die betonte sinken (s. unten §. 28.), so nehmen auch in den
einfachen, abgeleiteten Wörtern die Nebenlaute in richtig organi-
sirten Sprachen einen kleineren, obgleich sehr bedeutsamen Raum
ein. Sie sind gleichsam die scharfen und kurzen Merkzeichen für
den Verstand, wohin er den Begriff der mehr und deutlicher sinn-
lich ausgeführten Stammsylbe zu setzen hat. Dies Gesetz sinn-
licher Unterordnung, das auch mit dem rhythmischen Baue der
Wörter in Zusammenhang steht, scheint durch sehr rein organi-
sirte Sprachen auch formell, ohne dass dazu die Veranlassung von
den Wörtern selbst ausgeht, allgemein zu herrschen, und das Be-
streben der Indischen Grammatiker, alle Wörter ihrer Sprache'
danach zu behandeln, zeugt wenigstens von richtiger Einsicht in
den Geist ihrer Sprache. Da sich die Unädi Suffixa bei den
früheren Grammatikern nicht gefunden haben sollen, so scheint
man aber hierauf erst später gekommen zu seyn. In der That
zeigt sich in den meisten Sanskrit- Wörtern für concrete Gegen-
stände dieser Bau einer kurz abfallenden Endung neben einer
vorherrschenden Stammsylbe und dies lässt sich sehr füglich mit
dem oben über die Möglichkeit unkenntlich gewordener Zu-
sammensetzung Gesagten vereinen. Der gleiche Trieb hat, wie
auf die Ableitung, so auch auf die Zusammensetzung gewirkt
und gegen den individueller oder sonst bestimmt bezeichnenden
Theil den anderen im Begriff" und im Laute nach und nach fallen
lassen. Denn wenn wir in den Sprachen, ganz dicht neben ein-
ander, beinahe unglaublich scheinende Verwischungen und Ent-
stellungen der Laute durch die Zeit und wieder ein, Jahrhunderte
hindurch zu verfolgendes, beharrliches Halten an ganz einzelnen
und einfachen antreffen, so liegt dies wohl meistentheils an dem
durch irgend einen Grund motivirten Streben oder Aufgeben des
inneren Sprachsinnes. Die Zeit verlöscht nicht an sich, sondern
nur in dem Masse, als er vorher einen Laut absichtlich oder
gleichgültig fallen lässt.
Isolirung der W^örter. Flexion und Agglutination.
26. Ehe wir jetzt zu den wechselseitigen Beziehungen der Worte
in der zusammenhängenden Rede übergehen, muss ich eine Eigen-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 25. 26. iqQ
Schaft der Sprachen erwähnen, welche sich zugleich über diese
Beziehungen und über einen Theil der Wortbildung selbst ver-
breitet. Ich habe schon im Vorigen (S. 99. 108.) die Aehnlichkeit
des Falles erwähnt, wenn ein Wort durch die Hinzufügung eines
allgemeinen, auf eine ganze Classe von Wörtern anwendbaren Be-
griffs aus der Wurzel abgeleitet und wenn dasselbe auf diese
Weise, seiner Stellung in der Rede nach, bezeichnet wird. Die
hier wirksame oder hemmende Eigenschaft der Sprachen ist nemlich
die, welche man unter den Ausdrücken: Isolirung der Wörter,
Flexion und Agglutination zusammenzubegreifen pflegt. Sie ist
der Angelpunkt, um welchen sich die Vollkommenheit des Sprach-
organismus drehet, und wir müssen sie daher so betrachten, dass
wir nach einander untersuchen, aus welcher innren Forderung
sie in der Seele entspringt, wie sie sich in der Lautbehandlung
äussert und wie jene innren Forderungen durch diese Aeusserung
erfüllt werden oder unbefriedigt bleiben? immer der oben ge-
machten Eintheilung der in der Sprache zusammenwirkenden
Thätigkeiten folgend.
In allen hier zusammengefassten Fällen liegt in der inner-
lichen Bezeichnung der Wörter ein Doppeltes, dessen ganz ver-
schiedene Natur sorgfältig getrennt werden muss. Es gesellt sich
nemlich zu dem Acte der Bezeichnung des Begriffes selbst noch
eine eigne, ihn in eine bestimmte Kategorie des Denkens oder
Redens versetzende Arbeit des Geistes, und der volle Sinn des
Wortes geht zugleich aus jenem Begriffsausdruck und dieser modi-
ficirenden Andeutung hervor. Diese beiden Elemente aber liegen
in ganz verschiedenen Sphären. Die Bezeichnung des Begriffs
gehört dem immer mehr objectiven Verfahren des Sprachsinnes
an. Die Versetzung desselben in eine bestimmte Kategorie des
Denkens ist ein neuer Act des sprachlichen Selbstbewusstseyns,
durch welchen der einzelne Fall, das individuelle Wort, auf die
Gesammtheit der möglichen Fälle in der Sprache oder Rede be-
zogen wird. Erst durch diese, in möglichster Reinheit und Tiefe
vollendete und der Sprache selbst fest einverleibte Operation ver-
bindet sich in derselben, in der gehörigen Verschmelzung und
Unterordnung, ihre selbstständige, aus dem Denken entspringende
und ihre mehr den äusseren Eindrücken in reiner Empfänglichkeit
folgende Thätigkeit.
Es giebt daher natürlich Grade, in welchen die verschiedenen
Sprachen diesem Erfordernisse genügen, da in der innerlichen
l jo I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Sprachgestaltung keine dasselbe ganz unbeachtet zu lassen vermag.
Allein auch in denen, wo dasselbe bis zur äusserlichen Bezeich-
nung durchdringt, kommt es auf die Tiefe und Lebendigkeit an,
in welcher sie wirklich zu den ursprünglichen Kategorieen des
Denkens aufsteigen und denselben in ihrem Zusammenhange
Geltung verschaffen. Denn diese Kategorieen bilden wieder ein
zusammenhängendes Ganzes unter sich, dessen systematische Voll-
ständigkeit die Sprachen mehr oder weniger durchstrahlt. Die
Neigung der Classificirung der Begriffe, der Bestimmung der indi-
viduellen durch die Gattung, welcher sie angehören, kann aber
auch aus einem Bedürfniss der Unterscheidung und der Bezeich-
nung entstehen, indem man den Gattungsbegriff an den individuellen
anknüpft. Sie lässt daher an sich und nach diesem oder dem
reineren Ursprünge aus dem Bedürfniss des Geistes nach lichtvoller
logischer Ordnung verschiedene Stufen zu. Es giebt Sprachen,
welche den Benennungen der lebendigen Geschöpfe regelmässig
den Gattungsbegriff hinzufügen, und unter diesen solche, wo die
Bezeichnung dieses Gattungsbegriffs zum wirklichen, nur durch
Zergliederung erkennbaren Suffixe gew^orden ist. Diese Fälle hängen
zwar noch immer mit dem oben Gesagten zusammen, insofern
auch in ihnen ein doppeltes Princip, ein objectives der Bezeich-
nung und ein subjectives logischer Eintheilung, sichtbar wird.
Sie entfernen sich aber auf der andren Seite gänzlich dadurch
davon, dass hier nicht mehr Formen des Denkens und der Rede,
sondern nur verschiedene Classen wirklicher Gegenstände in die
Bezeichnung eingehen. So gebildete Wörter werden nun den-
jenigen ganz ähnlich, in welchen zwei Elemente einen zusammen-
gesetzten Begriff bilden. Was dagegen in der innerlichen Ge-
staltung dem Begriffe der Flexion entspricht, unterscheidet sich
gerade dadurch, dass gar nicht zwei Elemente, sondern nur Eines,
in eine bestimmte Kategorie versetztes das Doppelte ausmacht,
von dem wir bei der Bestimmung dieses Begriffs ausgiengen. Dass
dies Doppelte, wenn man es auseinanderlegt, nicht gleicher, sondern
verschiedner Natur ist und verschiednen Sphären angehört, bildet
gerade hier das charakteristische Merkmal. Nur dadurch können
rein organisirte Sprachen die tiefe und feste Verbindung der Selbst-
thätigkeit und Empfänglichkeit erreichen, aus der hernach in ihnen
eine Unendlichkeit von Gedankenverbindungen hervorgeht, welche
alle das Gepräge ächter, die Forderungen der Sprache überhaupt
rein und voll befriedigender Form an sich tragen. Dies schliesst
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 26. m
in der Wirklichkeit nicht aus, dass in den auf diese Weise ge-
bildeten W^örtern nicht auch bloss aus der Erfahrung geschöpfte
Unterschiede Platz finden könnten. Sie sind aber alsdann in
Sprachen, die einmal in diesem Theile ihres Baues von dem rich-
tigen geistigen Principe ausgehen, allgemeiner gefasst und schon
durch das ganze übrige Verfahren der Sprache auf eine höhere
Stufe gestellt. So würde z. B. der Begriff des Geschlechtsunter-
schiedes nicht haben ohne die wirkliche Beobachtung entstehen
können, wenn er sich gleich durch die allgemeinen Begriffe der
Selbstthätigkeit und Empfänglichkeit an die ursprünglichen Ver-
schiedenheiten denkbarer Kräfte gleichsam von selbst anreiht. Zu
dieser Höhe nun wird er in der That in Sprachen gesteigert, die
ihn ganz und vollständig in sich aufnehmen und ihn auch auf
ganz ähnliche Weise, als die aus den bloss logischen Verschieden-
heiten der Begriffe entstehenden Wörter bezeichnen. Man knüpft
nun nicht zwei Begriffe an einander, man versetzt bloss einen,
durch eine innere Beziehung des Geistes, in eine Classe, deren
Begriff" durch viele Naturwesen durchgeht, aber als Verschieden-
heit wechselseitig thätiger Kräfte auch unabhängig von einzelner
Beobachtung aufgefasst werden könnte.
Das lebhaft im Geiste Empfundene verschafft sich in den
sprachbildenden Perioden der Nationen auch allemal Geltung in
den entsprechenden Lauten. Wie daher zuerst innerlich das Ge-
fühl der Nothwendigkeit aufstieg, dem Worte, nach dem Bedürf-
niss der wechselnden Rede oder seiner dauernden Bedeutung,
seiner Einfachheit unbeschadet, einen zwiefachen Ausdruck bei-
zugeben, so entstand von innen hen-or Flexion in den Sprachen.
Wir aber können nur den entgegengesetzten Weg verfolgen, nur
von den Lauten und ihrer Zergliederung in den inneren Sinn ein-
dringen. Hier nun finden wir, wo diese Eigenschaft ausgebildet
ist, in der That ein Doppeltes, eine Bezeichnung des Begriffs und
eine Andeutung der Kategorie, in die er versetzt wird. Denn auf
diese Weise lässt sich vielleicht am bestimmtesten das zwiefache
Streben unterscheiden, den Begriff" zugleich zu stempeln und ihm
das Merkzeichen der Art beizugeben, in der er gerade gedacht
werden soll. Die Verschiedenheit dieser Absicht muss aber aus
der Behandlung der Laute selbst hervorspringen.
Das Wort lässt nur auf zwei Wegen eine L^mgestaltung
zu: durch innere Veränderung oder äusseren Zuv^achs. Beide
sind unmöglich, wo die Sprache alle Wörter starr in ihre
JJ2 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wurzelform, ohne Möglichkeit äusseren Zuwachses, einschliesst
und auch in ihrem Inneren keiner Veränderung Raum giebt.
Wo dagegen innere Veränderung möglich ist und sogar durch
den Wortbau befördert wird, ist die Unterscheidung der An-
deutung von der Bezeichnung, um diese Ausdrücke festzuhalten,
auf diesem Wege leicht und unfehlbar. Denn die in diesem Ver-
fahren liegende Absicht, dem Worte seine Identität zu erhalten
und dasselbe doch als verschieden gestaltet zu zeigen, wird am
besten durch die innere Umänderung erreicht. Ganz anders ver-
hält es sich mit dem äusseren Zuwachs. Er ist allemal Zusammen-
setzung im weiteren Sinne und es soll hier der Einfachheit des
Wortes kein Eintrag geschehen, es sollen nicht zwei Begriffe zu
einem dritten verknüpft. Einer soll in einer bestimmten Beziehung
gedacht werden. Es ist daher hier ein scheinbar künstlicheres Ver-
fahren erforderlich, das aber durch die Lebendigkeit der im Geiste
empfundenen Absicht von selbst in den Lauten hervortritt. Der
andeutende Theil des Wortes muss mit der in ihn zugleich ge-
legten Lautschärfe gegen das Uebergewicht des bezeichnenden auf
eine andre Linie, als dieser gestellt erscheinen; der ursprüngliche
bezeichnende Sinn des Zuwachses, wenn ihm ein solcher beige-
wohnt hat, muss in der Absicht, ihn nur andeutend zu benutzen,
untergehen, und der Zuwachs selbst muss, verbunden mit dem
Worte, nur als ein nothwendiger und abhängiger Theil desselben,
nicht als für sich der Selbstständigkeit fähig behandelt werden.
Geschieht dies, so entsteht, ausser der inneren Veränderung und
der Zusammensetzung, eine dritte Umgestaltung der Wörter
durch Anbildung und wir haben alsdann den wahren Begriff
eines Suffixes. Die fortgesetzte Wirksamkeit des Geistes auf den
Laut verwandelt dann von selbst die Zusammensetzung in An-
bildung. In beiden liegt ein entgegengesetztes Princip. Die Zu-
sammensetzung ist für die Erhaltung der mehrfachen Stammsylben
in ihren bedeutsamen Lauten besorgt, die Anbildung strebt, ihre
Bedeutung, wie dieselbe an sich ist, zu vernichten, und unter
dieser entgegenstreitenden Behandlung erreicht die Sprache hier
ihren zwiefachen Zweck, durch die Bewahrung und die Zer-
störung der Erkennbarkeit der Laute. Die Zusammensetzung
wird erst dunkel, wenn, wie wir im Vorigen sahen, die Sprache,
einem anderen Gefühle folgend, sie als Anbildung behandelt.^)
V Nach „behandelt" gestrichen : „Die Bedeutung der Zuwächse durch An-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 26. j j •>
Ich habe jedoch der Zusammensetzung hier mehr darum erwähnt,
weil die Anbildung hätte irrig mit ihr verwechselt werden können,
als weil sie wirklich mit ihr in Eine Classe gehörte. Dies ist
immer nur scheinbar der Fall, und auf keine Weise darf man
sich die Anbildung mechanisch, als absichtliche Verknüpfung des
an sich Abgesonderten und Ausglättung der Verbindungsspuren
durch Worteinheit denken. Das durch Anbildung flectirte Wort
ist ebenso Eins, als die verschiedenen Theile einer aufknospenden
Blume es sind, und was hier in der Sprache vorgeht, ist rein
organischer Natur. Das Pronomen möge noch so deutlich an der
Person des Verb um haften, so wurde in acht flectirenden Sprachen
es nicht an dasselbe geknüpft. Das Verbum wurde nicht abge-
sondert gedacht, sondern stand als individuelle Form vor der
Seele da, und ebenso gieng der Laut als Eins und untheilbar über
die Lippen. Durch die unerforschliche Selbstthätigkeit der Sprache
brechen die Suffixa aus der Wurzel hervor und dies geschieht so
lange und so weit, als das schöpferische Vermögen der Sprache
ausreicht. Erst wenn dies nicht mehr thätig ist, kann mechanische
Anfügung eintreten. Um die Wahrheit des wirklichen Vorgangs
nicht zu verletzen und die Sprache nicht zu einem blossen Ver-
standesverfahren niederzuziehen, muss man die hier zuletzt ge-
wählte Vorstellungsweise immer im Auge behalten. Man darf
sich aber nicht verhehlen, dass eben darum, weil sie auf das Un-
erklärliche hingeht, sie nichts erklärt, dass die Wahrheit nur in
der absoluten Einheit des zusammen Gedachten und im gleich-
zeitigen Entstehen und in der symbolischen Uebereinkunft der
inneren Vorstellung mit dem äusseren Laute liegt, dass sie aber
übrigens das nicht zu erhellende Dunkel unter bildlichem Ausdruck
verhüllt. Denn wenn auch die Laute der Wurzel oft das Suffix
modificiren, so thun sie dies nicht immer und nie lässt sich anders,
als bildlich sagen, dass das letztere aus dem Schoosse der Wurzel
hen^orbricht. Dies kann immer nur heissen, dass der Geist sie
untrennbar zusammen denkt und der Laut, diesem zusammen
Denken folgsam, sie auch vor dem Ohre in Eins giesst. Ich habe
daher die oben gewählte Darstellung vorgezogen und werde sie
auch in der Folge dieser Blätter beibehalten. Mit der Verwahrung
gegen alle Einmischung eines mechanischen Verfahrens kann sie
Jügung hüllt sich, je vollkomviener sie gelingt, desto mehr in schwer zu durch-
dringendes Dunkel."
W. V. Humboldt, Werke. VII. 8
IIA !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
nicht zu Misverständnissen Anlass geben. Für die Anwendung
auf die wirldichen Sprachen aber ist die Zerlegung in Anbildung
und Worteinheit passender, weil die Sprache technische Mittel
für beide besitzt, besonders aber, weil sich die Anbildung in ge-
wissen Gattungen von Sprachen nicht rein und absolut, sondern
nur dem Grade nach von der wahren Zusammensetzung abscheidet.
Der Ausdruck der Anbildung, der nur den durch Zuwachs acht
flectirenden Sprachen gebührt, sichert schon, verglichen mit dem
der Anfügung, die richtige Auffassung des organischen Vorgangs.
Da die Aechtheit der Anbildung sich vorzüglich in der Ver-
schmelzung des Suffixes mit dem Worte offenbart, so besitzen
die flectirenden Sprachen zugleich wirksame Mittel zur Bildung
der Worteinheit. Die beiden Bestrebungen, den Wörtern durch
feste Verknüpfung der Sylben , in ihrem Innren eine äusserlich
bestimmt trennende Form zu geben und Anbildung von Zu-
sammensetzung zu sondern, befördern gegenseitig einander. Dieser
Verbindung wegen habe ich hier nur von Suffixen, Zuwächsen
am Ende des Wortes, nicht von Affixen überhaupt geredet. Das
hier die Einheit des Wortes Bestimmende kann, im Laute und
in der Bedeutung, nur von der Stammsylbe, von dem bezeich-
nenden Theile des Wortes ausgehen und seine Wirksamkeit im
Laute hauptsächlich nur über das ihm Nachfolgende erstrecken.
Die vorn zuwachsenden Sylben verschmelzen immer in geringerem
Grade mit dem Worte, so wie auch in der Betonung und der
metrischen Behandlung die Gleichgültigkeit der Sylben vorzugs-
weise in den vorschlagenden liegt und der wahre Zwang des
Metrum erst mit der dasselbe eigentlich bestimmenden Tactsylbe
angeht. Diese Bemerkung scheint mir für die Beurtheilung der-
jenigen Sprachen besonders wichtig, die den Wörtern die ihnen
zuwachsenden Sylben in der Regel am Anfange anschliessen. Sie
verfahren mehr durch Zusammensetzung, als durch Anbildung
und das Gefühl wahrhaft gelungener Beugung bleibt ihnen fremd.
Das, alle Nuancen der Verbindung des zart andeutenden Sprach-
sinnes mit dem Laute so vollkommen wiedergebende Sanskrit
setzt andre Wohllautsregeln für die Anschliessung der suffigirten
Endungen und der praefigirten Praepositionen fest. Es behandelt
die letzteren wie die Elemente zusammengesetzter Wörter.
Das Suffix deutet die Beziehung an, in welcher das Wort
genommen werden soll; es ist also in diesem Sinne keinesweges
bedeutungslos. Dasselbe gilt von der inneren Umänderung der
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 26. uz.
Wörter, also von der Flexion überhaupt. Zwischen der inneren
Umänderung aber und dem Suffixe ist der wichtige Unterschied
der, dass der ersteren ursprünglich gar keine andere Bedeutung
zum Grunde gelegen haben kann, die zuwachsende Sylbe dagegen
wohl meistentheils eine solche gehabt hat. Die innere Umände-
rung ist daher allemal, wenn wir uns auch nicht immer in das
Gefühl davon versetzen können , symbolisch. In der Art der
Umänderung, dem Uebergange von einem helleren zu einem
dunkleren, einem schärferen zu einem gedehnteren Laute besteht
eine Analogie mit dem, was in beiden Fällen ausgedrückt werden
soll. Bei dem Suffixe waltet dieselbe Möglichkeit ob. Es kann
ebensowohl ursprünglich und ausschliesslich symbolisch seyn und
diese Eigenschaft kann alsdann bloss in den Lauten liegen. Es
ist aber keinesweges nothwendig, dass dies immer so sey, und es
ist eine unrichtige Verkennung der Freiheit und Vielfachheit der
Wege, welche die Sprache in ihren Bildungen nimmt, wenn man
nur solche zuwachsenden Svlben Beugungssylben nennen will,
denen durchaus niemals eine selbstständige Bedeutung beigewohnt
hat und die ihr Daseyn in den Sprachen überhaupt nur der auf
Flexion gerichteten Absicht verdanken. Wenn man sich Absicht
des Verstandes unmittelbar schaffend in den Sprachen denkt, so
ist dies, meiner innersten Ueberzeugung nach, überhaupt immer
eine irrige Vorstellungsweise. Insofern das erste Bewegende in
der Sprache allemal im Geiste gesucht werden muss, ist aller-
dings Alles in ihr und die Ausstossung des articulirten Lautes
selbst Absicht zu nennen. Der Weg aber, auf dem sie verfährt,
ist immer ein andrer und ihre Bildungen entspringen aus der
Wechselwirkung der äusseren Eindrücke und des inneren Gefühls,
bezogen auf den allgemeinen, Subjectivität mit Objecti\fität in der
Schöpfung einer idealen, aber weder ganz innerlichen noch ganz
äusserlichen Welt verbindenden Sprachzweck. Das nun an sich
nicht bloss Symbolische und bloss Andeutende, sondern wirklich
Bezeichnende verliert diese letztere Natur da, wo es das Bedürf-
niss der Sprache verlangt, durch die Behandlungsart im Ganzen.
Man braucht z. B. nur das selbstständige Pronomen mit dem in
den Personen des Verbum angebildeten zu vergleichen. Der
Sprachsinn unterscheidet richtig Pronomen und Person und denkt
sich unter der letzteren nicht die selbstständige Substanz, sondern
eine der Beziehungen, in welchen der Grundbegriff" des flectirten
Verbum nothwendig erscheinen muss. Er behandelt sie also
llß I. über die Verschiedenheit des measchlichen Sprachbaues
lediglich als einen Theil von diesem und gestattet der Zeit, sie
zu entstellen und abzuschleifen, sicher, dem durch sein ganzes
Verfahren befestigten Sinne solcher Andeutungen vertrauend, dass
die Entstellung der Laute dennoch die Erkennung der Andeutung
nicht verhindern wird. Die Entstellung mag nun wirklich statt
gefunden haben oder das angefügte Pronomen grösstentheils un-
verändert geblieben seyn, so ist der Fall und der Erfolg immer
der nemliche. Das Symbolische beruht hier nicht auf einer un-
mittelbaren Analogie der Laute, es geht aber aus der in sie auf
kunstvollere Weise gelegten Ansicht der Sprache hervor. Wenn
es unbezweifelt ist, dass nicht bloss im Sanskrit, sondern auch in
andren Sprachen die Anbildungssylben mehr oder weniger aus
dem Gebiete der oben erwähnten, sich unmittelbar auf den
Sprechenden beziehenden Wurzelstämme genommen sind, so ruht
das Symbolische darin selbst. Denn die durch die Anbildungs-
sylben angedeutete Beziehung auf die Kategorieen des Denkens
und Redens kann keinen bedeutsameren Ausdruck finden, als in
Lauten, die unmittelbar das Subject zum Ausgangs- oder End-
punkt ihrer Bedeutung haben. Hierzu kann sich hernach auch
die Analogie der Töne gesellen, wie Bopp so vortrefflich an der
Sanskritischen Nominativ- und Accusativ-Endung gezeigt hat. Im
Pronomen der dritten Person ist der helle j'-Laut dem Lebendigen,
der dunkle des m dem geschlechtslosen Neutrum offenbar sym-
bolisch beigegeben, und derselbe Buchstabenwechsel der Endungen
unterscheidet nun das in Handlung gestellte Subject, den Nominativ,
von dem Accusativ, dem Gegenstande der Wirkung.
Die ursprünglich selbstständige Bedeutsamkeit der Suffixe ist
daher kein nothwendiges Hinderniss der Reinheit ächter Flexion.
Mit solchen Beugungssylben gebildete Wörter erscheinen ebenso
bestimmt, als wo innere Umänderung statt findet, nur als einfache,
in verschiedne Formen gegossne Begriffe und erfüllen daher
genau den Zweck der Flexion. Allein diese Bedeutsamkeit fordert
allerdings grössere Stärke des inneren Flexionssinnes und ent-
schiednere Lautherrschaft des Geistes, die bei ihr die Ausartung
der grammatischen Bildung in Zusammensetzung zu überwinden
hat. Eine Sprache, die sich, wie das Sanskrit, hauptsächlich
solcher ursprünglich selbstständig bedeutsamen Beugungssylben
bedient, zeigt dadurch selbst das Vertrauen, das sie in die Macht
des sie belebenden Geistes setzt.
Das phonetische Vermögen und die sich daran knüpfenden
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 26. nn
Lautgewohnheiten der Nationen wirken aber auch in diesem Theile
der Sprache bedeutend mit. Die Geneigtheit, die Elemente der
Rede mit einander zu verbinden, Laute an Laute anzuknüpfen,
wo es ihre Natur erlaubt, einen in den andren zu verschmelzen
und überhaupt sie, ihrer Beschaftenheit gemäss, in der Berührung
zu verändern, erleichtert dem Flexionssinne sein Einheit be-
z\\^eckendes Geschäft, so wie das strengere Auseinanderhalten der
Töne einiger Sprachen seinem Gelingen entgegenwirkt. Befördert
nun das Lautvermögen das innerliche Erforderniss, so wird der
ursprüngliche Articulationssinn rege und es kommt auf diese
Weise das bedeutsame Spalten der Laute zu Stande, vermöge
dessen auch ein einzelner zum Träger eines formalen Verhält-
nisses werden kann, was hier gerade, mehr als in irgend einem
andren Theile der Sprache, entscheidend ist, da hier eine Geistes-
richtung angedeutet, nicht ein Begriff bezeichnet werden soll. Die
Schärfe des Articulationsvermögens und die Reinheit des Flexions-
sinnes stehen daher in einem sich wechselseitig verstärkenden Zu-
sammenhange.
Zwischen dem Mangel aller Andeutung der Kategorieen der
Wörter, wie er sich im Chinesischen zeigt, und der wahren Flexion
kann es kein mit reiner Organisation der Sprachen verträgliches
Drittes geben. Das einzige dazwischen Denkbare ist als Beugung
gebrauchte Zusammensetzung, also beabsichtigte, aber nicht zur
Vollkommenheit gediehene Flexion, mehr oder minder mechanische
Anfügung, nicht rein organische Anbildung. Dies, nicht immer
leicht zu erkennende Zwitterwesen hat man in neuerer Zeit
Agglutination genannt. Diese Art der Anknüpfung von bestim-
menden Nebenbegriffen entspringt auf der einen Seite allemal aus
Schwäche des innerlich organisirenden Sprachsinnes oder aus
Vernachlässigung der wahren Richtung desselben, deutet aber
auf der andren dennoch das Bestreben an, sowohl den Kategorieen
der Begriffe auch phonetische Geltung zu verschaffen, als dieselben
in diesem Verfahren nicht durchaus gleich mit der wirklichen
Bezeichnung der Begriffe zu behandeln. Indem also eine solche
Sprache nicht auf die grammatische Andeutung Verzicht leistet,
bringt sie dieselbe nicht rein zu Stande, sondern verfälscht sie in
ihrem Wesen selbst. Sie kann daher scheinbar und bis auf einen
gewissen Grad sogar wirklich eine Menge von grammatischen
Formen besitzen und doch nirgends den Ausdruck des wahren
Begriffs einer solchen Form v^^irklich erreichen. Sie kann übrigens
jjg I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
einzeln auch wirkliche Flexion durch innere Umänderung der
Wörter enthalten und die Zeit kann ihre ursprünglich wahren
Zusammensetzungen scheinbar in Flexionen verwandeln, so dass
es schwer wird, ja zum Theil unmöglich bleibt, jeden einzelnen
Fall richtig zu beurtheilen. Was aber wahrhaft über das Ganze
entscheidet, ist die Zusammenfassung aller zusammen gehörenden
Fälle. Aus der allgemeinen Behandlung dieser ergiebt sich als-
dann, in welchem Grade der Stärke oder Schwäche das flectirende
Bestreben des inneren Sinnes über den Bau der Laute Gewalt
ausübte. Hierin allein kann der Unterschied gesetzt werden.
Denn diese sogenannten agglutinirenden Sprachen unterscheiden
sich von den flectirenden nicht der Gattung nach, wie die alle
Andeutung durch Beugung zurückweisenden, sondern nur durch
den Grad, in welchem ihr dunkles Streben nach derselben Rich-
tung hin mehr oder weniger mislingt.
Wo Helle und Schärfe des Sprachsinns in der Bildungsperiode
den richtigen Weg eingeschlagen hat — und er ergreift mit
diesen Eigenschaften keinen falschen — ergiesst sich die innere
Klarheit und Bestimmtheit über den ganzen Sprachbau und die
hauptsächlichsten Aeusserungen seiner Wirksamkeit stehen in un-
getrenntem Zusammenhange mit einander. So haben wir die un-
auflösliche Verbindung des Flexionssinnes mit dem Streben nach
Worteinheit und dem, Laute bedeutsam spaltenden Articulations-
vermögen gesehen. Die Wirkung kann nicht dieselbe da seyn,
wo nur einzelne Funken der reinen Bestrebungen dem Geiste
entsprühen, und der Sprachsinn hat, worauf wir gleich in der
Folge kommen werden, alsdann gewöhnlich einen einzelnen, vom
richtigen ablenkenden, allein oft von gleich grossem Scharfsinne
und gleich feinem Gefühl zeugenden Weg ergriffen. Dies äussert
alsdann seine Wirkung auch oft auf den einzelnen Fall. So ist
in diesen Sprachen, die man nicht als flectirende zu bezeichnen
berechtigt ist, die innere Umgestaltung der Wörter, wo es eine
solche giebt, meistentheils von der Art, dass sie dem inneren an-
gedeuteten Verfahren gleichsam durch eine rohe Nachbildung des
Lautes folgt, den Plural und das Praeteritum z. B. durch materielles
Aufhalten der Stimme oder durch heftig aus der Kehle hervor-
gestossenen Hauch bezeichnet und gerade da, wo rein gebildete
Sprachen, wie die Semitischen, die grösste Schärfe des Articu-
lationssinnes durch symbolische Veränderung des Vocals, zwar
nicht gerade in den genannten, aber in andren grammatischen
und ihren Einflufl auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 26. 27. i ig
Umgestaltungen beweisen, das Gebiet der Articulation beinahe
verlassend, auf die Gränzen des Naturlauts zurückkehrt. Keine
Sprache ist, meiner Erfahrung nach, durchaus agglutinirend und
bei den einzelnen Fällen lässt sich oft nicht entscheiden, wie viel
oder wenig Antheil der Flexionssinn an dem scheinbaren Suffix
hat. In allen Sprachen, die in der That Neigung zur Laut-
verschmelzung äussern oder doch dieselbe nicht starr zurück-
weisen, ist einzeln Flexionsbestreben sichtbar. Ueber das Ganze
der Erscheinung aber kann nur nach dem Organismus des ge-
sammten Baues einer solchen Sprache ein sicheres Unheil gefällt
werden.
Nähere Betrachtung der Worteinheit. ^) Einver-
leibungssystem der Sprachen.
Wie jede aus der inneren Auffassung der Sprache entspringende 27.
Eigenthümlichkeit derselben in ihren ganzen Organismus ein-
greift, so ist dies besonders mit der Flexion der Fall. Sie steht
namentlich mit zwei verschiedenen und scheinbar entgegengesetzten,
allein in der That organisch zusammenwirkenden Stücken, mit
der Worteinheit und der angemessenen Trennung der Theile des
Satzes, durch welche seine Gliederung möglich wird, in der engsten
Verbindung. Ihr Zusammenhang mit der Worteinheit wird von
selbst begreiflich, da ihr Streben ganz eigentlich auf Bildung
einer Einheit, sich nicht bloss an einem Ganzen begnügend, hin-
ausgeht. Sie befördert aber auch die angemessene Gliederung
des Satzes und die Freiheit seiner Bildung, indem sie in ihrem
eigentlich grammatischen Verfahren die Wörter mit Merlvzeichen
versieht, welchen man das Wiedererkennen ihrer Beziehung zum
Ganzen des Satzes mit Sicherheit anvertrauen kann. Sie hebt
dadurch die Aengstlichkeit auf, ihn wie ein einzelnes Wort zu-
sammenzuhalten, und ermuthigt zu der Kühnheit, ihn in seine
Theile zu zerschlagen. Sie weckt aber, was noch weit wichtiger
ist, durch den in ihr liegenden Rückblick auf die Formen des
Denkens, insofern diese auf die Sprache bezogen werden, eine
richtigere und anschaulichere Einsicht in seine Zusammenfügungen.
Denn eigentlich entspringen alle drei hier genannten Eigenthüm-
V „Nähere — Worteinheii" verbessert aus „Gliederung des Satzes".
J20 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
lichkeiten der Sprache aus Einer Quelle, aus der lebendigen Auf-
fassung des Verhältnisses der Rede zur Sprache. Flexion, Wort-
einheit und angemessene Gliederung des Satzes sollten daher in
der Betrachtung der Sprache nie getrennt werden. Die Flexion
erscheint erst durch die Hinzufügung dieser andren Punkte in
ihrer wahren, wohlthätig einwirkenden Kraft.
Die Rede fordert, gehörig zu der Möglichkeit ihres gränzen-
losen, in keinem Augenblick messbaren Gebrauchs zugerichtete
Elemente, und diese Forderung wächst an intensivem und exten-
sivem Umfang, je höher die Stufe ist, auf welche sie sich stellt.
Denn in ihrer höchsten Erhebung wird sie zur Ideenerzeugung
und gesammten Gedankenentwicklung selbst. Ihre Richtung
geht aber allemal im Menschen, auch wo die wirkliche Entwick-
lung noch so viele Hemmungen -erfährt, auf diesen letzten Zweck
hin. Sie sucht daher immer die Zurichtung der Sprachelemente,
welche den lebendigsten Ausdruck der Formen des Denkens ent-
hält, und darum sagt ihr vorzugsweise die Flexion zu, deren Cha-
rakter es gerade ist, den Begriff immer zugleich nach seiner
äussren und nach der innren Beziehung zu betrachten, welche
das Fortschreiten des Denkens durch die Regelmässigkeit des ein-
geschlagenen Weges erleichtert. Mit diesen Elementen aber will
die Rede die zahllosen Combinationen des geflügelten Gedanken,
ohne in ihrer Unendlichkeit beschränkt zu werden, erreichen.
Dem Ausdrucke aller dieser Verknüpfungen liegt die Satzbildung
zum Grunde, und es ist jener freie Aufflug nur möglich, wenn
die Theile des einfachen Satzes nach aus seinem Wesen ge-
schöpfter Nothwendigkeit, nicht mit mehr oder weniger Willkühr
an einander gelassen oder getrennt sind.
Die Ideenentwicklung erfordert ein zwiefaches Verfahren, ein
Vorstellen der einzelnen Begriffe und eine Verknüpfung derselben
zum Gedanken. Beides tritt auch in der Rede hervor. Ein Be-
griff wird in zusammengehörende, ohne Zerstörung der Bedeutung
nicht trennbare Laute eingeschlossen und empfängt Kennzeichen
seiner Beziehung zur Construction des Satzes. Das so gebildete
Wort spricht die Zunge, indem sie es von andren, in dem Ge-
danken mit ihm verbundenen trennt, als ein Ganzes zusammen
aus, hebt aber dadurch nicht die gleichzeitige Verschlingung aller
Worte der Periode auf. Hierin zeigt sich die Worteinheit im
engsten Verstände, die Behandlung jedes Wortes als eines Indi-
viduums, welches, ohne seine Selbstständigkeit aufzugeben, mit
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. 121
andren in verschiedene Grade der Berührung treten kann. Wir
haben aber oben gesehen, dass sich auch innerhalb der Sphäre
desselben Begriffs, mithin desselben Wortes bisweilen ein ver-
bundenes Verschiedenes findet, und hieraus entspringt eine andre
Gattung der W^orteinheit , die man zum Unterschiede von der
obigen äusseren eine innere nennen kann. Je nachdem nun das
Verschiedene gleichartig ist und sich bloss zum zusammengesetzten
Ganzen verbindet oder ungleichanig (Bezeichnung und Andeutung)
den Begriff als mit bestimmtem Gepräge versehen darstellen muss,
hat die innere Vvorteinheit eine weitere und engere Bedeutung.^)
Die Worteinheit in der Sprache hat eine doppelte Quelle, in
dem innren, sich auf das Bedürfnis der Gedankenentwicklung
beziehenden Sprachsinn und in dem Laute. Da alles Denken in
Trennen und Verknüpfen besteht, so muss das Bedürfniss des
Sprachsinnes, alle verschiedenen Gattungen der Einheit der Be-
griffe symbolisch in der Rede darzustellen, von selbst wach
werden und nach Massgabe seiner Regsamkeit und geordneten
Gesetzmässigkeit in der Sprache ans Licht kommen. Auf der
andren Seite sucht der Laut seine verschiedenen, in Berührung
tretenden Modificationen in ein, der Aussprache und dem Ohre
zusagendes Verhältniss zu bringen. Oft gleicht er dadurch nur
Schwierigkeiten aus oder folgt organisch angenommenen Ge-
wohnheiten. Er geht aber auch Vv'eiter, bildet Rhythmus-Ab-
schnitte und behandelt diese als Ganze für das Ohr. Beide nun
aber, der innere Sprachsinn und der Laut, wirken, indem sich
der letztere an die Forderungen des ersteren anschliesst, zu-
sammen und die Behandlung der Lauteinheit wird dadurch zum
Symbole der gesuchten bestimmten Begriftseinheit. Diese, da-
durch in die Laute gelegt, ergiesst sich als geistiges Princip über
die Rede und die melodisch und rhythmisch künstlerisch be-
handelte Lautformung weckt, zurückwirkend, in der Seele eine
engere Verbindung der ordnenden Verstandeskräfte mit bildlich
schaffender Phantasie, woraus also die Verschlingung der sich
nach aussen und nach innen, nach dem Geist und nach der Natur
hin bewegenden Kräfte ein erhöhtes Leben und eine harmonische
Regsamkeit schöpft.
^J Nach „Bedeutimg" gestrichen: „Im praegnantesten Sinne wird sie ge-
nommen, wo der bezeichnende Begriff mit seiner inneren Auffassung in Ein
Gepräge verschmilzt."
J22 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Bezeichnungsmittel der Worteinheit. Pause.
Die Bezeichnungsmittel der Worteinheit in der Rede sind
Pause, Buchstabenveränderung und Accent.
Die Pause kann nur zur Andeutung der äusseren Einheit
dienen ; innerhalb des Wortes würde sie, gerade umgekehrt, seine
Einheit zerstören. In der Rede aber ist ein flüchtiges, nur dem
geübten Ohre merkbares Innehalten der Stimme am Ende der
Wörter, um die Elemente des Gedanken kenntlich zu machen,
natürlich. Indess steht mit dem Streben nach der Bezeichnung
der Einheit des Begriffs das gleich nothwendige nach der Ver-
schlingung des Satzes, die lautbar werdende Einheit des Begriffs
mit der Einheit des Gedanken' im Gegensatz, und Sprachen, in
welchen sich ein richtig und fein fühlender Sinn offenbart, machen
die doppelte Absicht kund und ebnen jenen Gegensatz, oft noch
indem sie ihn verstärken, wieder durch andre Mittel. Ich werde
die erläuternden Beispiele hier immer aus dem Sanskrit her-
nehmen,*) weil diese Sprache glücklicher und erschöpfender, als
irgend eine andere die Worteinheit behandelt und auch ein
Alphabet besitzt, das mehr, als die unsrigen die genaue Aus-
sprache vor dem Ohre auch dem Auge graphisch darzustellen
bemüht ist. Das Sanskrit nun gestattet nicht jedem Buchstaben,
ein Wort zu beschliessen, und erkennt also dadurch schon die
selbstständige Individualität des Wortes an, sanctionirt auch seine
Absonderung in der Rede dadurch, dass es die Veränderungen
in Berührung tretender Buchstaben bei den schliessenden und an-
*) Ich entlehne die einzelnen in dieser Schrift über den Sanskritischen Sprachbau
erwähnten Data, auch wo ich die Stellen nicht besonders anführe, aus Bopp's Grammatik
und gestehe gern, dass ich die klarere Einsicht in denselben allein diesem classischen
Werke verdanke, da keine der früheren Sprachlehren, wie verdienstvoll auch einige in
andrer Hinsicht sind, sie in gleichem Grade gewährt. Sowohl die Sanskrit-Grammatik
in ihren verschiednen Ausgaben, als die später erschienene vergleichende und die
einzelnen akademischen Abhandlungen, welche eine ebenso fruchtbare, als talentvolle
Vergleichung des Sanskrits mit den verwandten Sprachen enthalten, werden immer
wahre Muster tiefer und glücklicher Durchschauung, ja oft kühner Ahndung der Analogie
der grammatischen Formen bleiben, und das Sprachstudium verdankt ihnen schon jetzt
die bedeutendsten Fortschritte in einer zum Theil neu eröffneten Bahn. Schon im
Jahre 1816. legte Bopp in seinem Conjugationssystem der Indier den Grund zu den
Untersuchungen , die er später und immer in der nemlichen Richtung so glücklich
verfolgte.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. J2Q
fangenden anders, als in der Mitte der Wörter regelt. Zugleich
aber folgt in ihr mehr, als in einer andren Sprache ihres Stammes
der Verschlingung des Gedanken auch die Verschmelzung der
Laute, so dass, auf den ersten Anblick, die Worteinheit durch die
Gedankeneinheit zerstört zu werden scheint. Wenn sich der End-
und der Anfangsvocal in einen dritten verwandeln, so entsteht
dadurch unläugbar eine Lauteinheit beider Wörter. Wo Endcon-
sonanten sich vor Anfangsvocalen verändern, ist dies zwar wohl
darum nicht der Fall, weil der Anfangsvocal, immer von einem
gelinden Hauche begleitet, sich nicht in dem Verstände an den
Endconsonanten anschliesst, in welchem das Sanskrit den Con-
sonanten mit dem in derselben Sylbe auf ihn folgenden Vocal
als unlösbar Eins betrachtet. Indess stört diese Consonantenver-
änderung immer die Andeutung der Trennung der einzelnen
Wörter. Diese leise Störung kann aber dieselbe im Geiste des
Hörers nie wirklich aufheben, nicht einmal die Anerkennung der-
selben bedeutend schwächen. Denn einestheils finden gerade die
beiden Hauptgesetze der Veränderung zusammenstossender Wörter,
die Verschmelzung der Vocale und die Verwandlung dumpfer
Consonanten in tönende vor Vocalen, innerhalb desselben Wortes
nicht statt, andrentheils aber ist im Sanskrit die innere Wortein-
heit so klar und bestimmt geordnet, dass man in aller Lautver-
schlingung der Rede nie verkennen kann, dass es selbstständige
Lauteinheiten sind, die nur in unmittelbare Berührung mit ein-
ander treten. Wenn übrigens die Lautverschlingung der Rede
für die feine Empfindlichkeit des Ohres und für das lebendige
Dringen auf die symbolische Andeutung der Einheit des Gedanken
spricht, so ist es doch merkwürdig, dass auch andre Indische
Sprachen, namentlich die Telingische, welchen man keine, aus
ihnen selbst entsprungene, grosse Cultur zuschreiben kann, diese,
mit den innersten Lautgewohnheiten eines \^olks zusammen-
hängende und daher wohl nicht leicht bloss aus einer Sprache in
die andre übergehende Eigenthümlichkeit besitzen. An sich ist
das Verschlingen aller Laute der Rede in dem ungebildeten Zu-
stande der Sprache natürlicher, da das Wort erst aus der Rede
abgeschieden werden muss ; im Sanskrit aber ist diese Eigenthüm-
lichkeit zu einer inneren und äusseren Schönheit der Rede ge-
worden, die man darum nicht geringer schätzen darf, weil sie,
gleichsam als ein dem Gedanken nicht nothwendiger Luxus, ent-
behrt werden könnte. Es giebt offenbar eine, von dem einzelnen
J24 ^* über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Ausdruck verschiedene Rückwirkung der Sprache auf den Ge-
danken erzeugenden Geist selbst und für diese geht keiner ihrer,
auch einzeln entbehrlich scheinenden Vorzüge verloren.
Bezeichnungsmittel der Worteinheit. Buchstaben-
veränderung.
Die innere Worteinheit kann v^ahrhaft nur in Sprachen zum
Vorschein kommen, welche durch Umkleidung des Begriffs mit
seinen Nebenbestimmungen den Laut zur Mehrsylbigkeit er-
weitern und innerhalb dieser mannigfaltige Buchstabenverände-
rungen zulassen. Der auf die Schönheit des Lauts gerichtete
Sprachsinn behandelt alsdann diese innere Sphäre des Wortes
nach allgemeinen und besondren Gesetzen des Wohllauts und des
Zusammenklanges. Allein auch der Articulationssinn wirkt und
zwar hauptsächlich auf diese Bildungen mit, indem er bald Laute
zu verschiedener Bedeutsamkeit umändert, bald aber auch solche,
die auch selbstständige Geltung besitzen, dadurch, dass sie nun
bloss als Zeichen von Nebenbestimmungen gebraucht werden, in
sein Gebiet herüberzieht. Denn ihre ursprünglich sachliche Be-
deutung wird jetzt zu einer symbolischen, der Laut selbst wird
durch die Unterordnung unter einen Hauptbegriff oft bis zum
einfachen Elemente abgeschliffen und erhält daher, auch bei ver-
schiedenem Ursprünge, eine ähnliche Gestalt mit den durch den
Articulationssinn wirklich gebildeten, rein symbolischen. Je reger
und thätiger der Articulationssinn in der beständigen Verschmel-
zung des Begriffs mit dem Laute ist, desto schneller geht diese
Operation von statten.
Vermittelst dieser, hier zusammenwirkenden Ursachen ent-
springt nun ein, zugleich den Verstand und das ästhetische Ge-
fühl befriedigender Wortbau, in welchem eine genaue Zergliede-
rung, von dem Stammworte ausgehend, von jedem hinzugekom-
menen, ausgestossenen oder veränderten Buchstaben aus Gründen
der Bedeutsamkeit oder des Lauts Rechenschaft zu geben bemüht
seyn muss. Sie kann aber dies Ziel auch wirklich wenigstens in-
sofern erreichen, als sie jeder solcher Veränderung erklärende
Analogieen an die Seite zu stellen vermag. Der Umfang und die
Mannigfaltigkeit dieses Wortbaues ist in den Sprachen am grössten
und am befriedigendsten für den Verstand und das Ohr, welche
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. 12!;
den ursprünglichen Wortformen kein einförmig bestimmtes Ge-
präge aufdrücken und sich zur Andeutung der Nebenbestim-
mungen, vorzugsweise vor der inneren rein symbolischen Buch-
stabenveränderung, der Anbildung bedienen. Das, wenn man es
mit mechanischer Anfügung verwechselt, ursprünglich roher und
ungebildeter scheinende Mittel übt, durch die Stärke des Flexions-
sinns auf eine höhere Stufe gestellt, unläugbar hierin einen Vor-
zug vor dem in sich feineren und kunsrv'olleren aus. Es liegt
gewiss grossentheils in dem zweisylbigen Wurzelbaue und in der
Scheu vor Zusammensetzung, dass der ^^^ortbau in den Semitischen
Sprachen, ungeachtet des sich in ihm so bewundrungswürdig
mannigfaltig und sinnreich offenbarenden Flexions- und Articula-
tionssinnes, doch bei weitem nicht der Mannigfaltigkeit, dem Um-
fange und der Angemessenheit zu dem gesammten Zweck der
Sprache des Sanskritischen gleichkommt.
Das Sanskrit bezeichnet durch den Laut die verschiedenen
Grade der Einheit, zu deren Unterscheidung der innere Sprach-
sinn ein ßedürfniss fühlt. Es bedient sich dazu hauptsächlich einer
verschiedenartigen Behandlung der als verschiedene Begriffsele-
mente in demselben Wort zusammentretenden S^dben und ein-
zelnen Laute in den Buchstaben, in welchen sich dieselben be-
rühren. Ich habe schon oben angeführt, dass diese Behandlung
eine verschiedene bei getrennten Worten und in der Wortmitte
ist. Denselben Weg verfolgt die Sprache nun weiter, und wenn
man die Regeln für diese beiden Fälle als zwei grosse einander
entgegengesetzte Classen bildend ansieht, so deutet die Sprache,
von der mehr lockren zur festeren Verbindung hin, die Wort-
einheit in folgenden Abstufungen an:
bei zusammengesetzten Wörtern,
bei mit Praefixen verbundenen, meistentheils Verben,
bei solchen, die durch Suffixa (Taddhita-Suffixa) aus in
der Sprache vorhandenen Grundwörtern gebildet sind,
bei solchen (Kridanta- Wörtern), welche durch Suffixa aus
Wurzeln, also aus Wörtern, die eigentlich ausserhalb
der Sprache liegen, abgeleitet werden,
bei den grammatischen Declinations- und Conjugations-
formen.
Die beiden zuerst genannten Gattungen der Wörter folgen
im Ganzen den Anfügungsregeln getrennter Wörter, die drei
letzten denen der Wortmitte. Doch giebt es hierin, wie sich von
J26 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
selbst versteht, einzelne Ausnahmen, und der ganzen hier auf-
gestellten Abstufung liegt natürlich keine für jede Classe absolute
Verschiedenheit der Regeln, sondern nur ein, aber sehr ent-
schiedenes, grösseres oder geringeres Annähern an die beiden
Hauptclassen zum Grunde. In den Ausnahmen selbst aber ver-
räth sich oft wieder auf sinnvolle Weise die Absicht festerer Ver-
einigung. So übt bei getrennten Wörtern eigentlich, wenn man
Eine, nur scheinbare Ausnahme hinwegnimmt, der Endconsonant
eines vorhergehenden Worts niemals eine Veränderung des An-
fangsbuchstaben des nachfolgenden ; dagegen findet dies bei einigen
zusammengesetzten Wörtern und bei Praefixen auf eine Weise
statt, die bisweilen noch auf den zweiten Anfangsconsonanten
Einfluss hat, wie wenn aus ag7ii, Feuer, und stoma, Opfer, ver-
bunden agntshtöjna, Brandopfer, wird. Durch diese Entfernung
von den Anfügungsregeln getrennter Wörter deutet die Sprache
offenbar ihr Gefühl der Forderung der Worteinheit an. Dennoch
ist es nicht zu läugnen, dass die zusammengesetzten Wörter im
Sanskrit durch die übrige und allgemeinere Behandlung der sich
in ihnen berührenden End- und Anfangsbuchstaben und durch
den Mangel von Verbindungslauten, deren sich die Griechische
Sprache immer in diesem Falle bedient, den getrennten Wörtern
zu sehr gleichkommen. Die, uns freilich unbekannte Betonung
kann dies kaum aufgehoben haben. Wo das erste GHed der Zu-
sammensetzung seine grammatische Beugung beibehält, liegt die
Verbindung wirklich allein im Sprachgebrauch, der entweder diese
Wörter immer verknüpft oder sich des letzten Gliedes niemals
einzeln bedient. Allein auch der Mangel der Beugungen be-
zeichnet die Einheit dieser Wörter mehr nur vor dem Verstände,
ohne dass sie durch Verschmelzung der Laute vor dem Ohre
Gültigkeit erhält. Wo Grundform und Casusendung im Laute
zusammenfallen, lässt es die Sprache ohne ausdrückliche Bezeich-
nung, ob ein Wort für sich steht oder Element eines zusammen-
gesetzten ist. Ein langes Sanskritisches Compositum ist daher,
der ausdrücklichen grammatischen Andeutung nach, weniger ein
einzelnes Wort, als eine Reihe beugungslos an einander gestellter
Wörter, und es ist ein richtiges Gefühl der Griechischen Sprache,
ihr Compositum nie durch zu grosse Länge dahin ausarten zu
lassen. Allein auch das Sanskrit beweist wieder in andren Eigen-
thümlichkeiten , wie sinnvoll es bisweilen die Einheit dieser
Wörter anzudeuten versteht, so z. B., wenn es zwei oder mehrere
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. 127
Substantiva, welches Geschlechts sie seyn mögen, in Ein ge-
schlechtsloses zusammenfasst.
Unter den Classen von Wörtern, welche den Anfügungs-
gesetzen der Wortmitte folgen, stehen die Kridanta- Wörter und
die grammatisch flectirten einander am nächsten, und wenn es
zwischen denselben Spuren noch innigerer Verbindung giebt, so
liegen sie eher in dem Unterschiede der Casus- und Verbal-
endungen. Die Ivrit-Suffixa verhalten sich durchaus wie die
letzteren. Denn sie bearbeiten unmittelbar die Wurzel, die sie
erst eigentlich in die Sprache einführen, indess die Gasusendungen,
hierin den Taddhita-Suffixen gleich, sich an schon durch die
Sprache selbst gegebene Grundwörter anschliessen. Am festesten
ist die Innigkeit der Lautverschmelzung mit Recht in den Beu-
gungen des A^erbum, da sich der Verbalbegriff auch vor dem Ver-
stände am wenigsten von seinen Nebenbestimmungen trennen lässt.
Ich habe hier nur zu zeigen bezweckt, auf welche Weise die
Wohllautsgesetze bei sich berührenden Buchstaben, nach den
Graden der inneren Worteinheit, von einander abweichen. Man
muss sich aber wohl hüten, etwas eigentlich Absichtliches hierin
zu finden, so wie überhaupt das Wort Absicht, von Sprachen
gebraucht, mit Vorsicht verstanden werden muss. Insofern man
sich darunter gleichsam Verabredung oder auch nur vom Willen
ausgehendes Streben nach einem deutlich vorgestellten Ziele denkt,
ist, woran man nicht zu oft erinnern kann, Absicht den Sprachen
fremd. Sie äussert sich immer nur in einem ursprünglich in-
stinctartigen Gefühl. Ein solches Gefühl der Begriffseinheit nun
ist hier, meiner Ueberzeugung nach, allerdings in den Laut über-
gegangen, und eben weil es ein Gefühl ist, nicht überall in
gleichem Masse und gleicher Consequenz. Mehrere der einzelnen
Abweichungen der Anfügungsgesetze von einander entspringen
zwar phonetisch aus der Natur der Buchstaben selbst. Da nun
alle grammatisch geformten Wörter immer in derselben Verbin-
dung der Anfangs- und Endbuchstaben dieser Elemente vor-
kommen, bei getrennten und selbst bei zusammengesetzten Wörtern
aber dieselbe Berührung nur wechselnd und einzeln wiederkehrt,
so bildet sich bei den ersteren natürlich leicht eine eigne, alle
Elemente inniger verschmelzende Aussprache und man kann da-
her das Gefühl der Worteinheit in diesen Fällen als hieraus, mit-
hin auf dem umgekehrten Wege, als ich es oben gethan, ent-
standen ansehen. Indess bleibt doch der Einfluss jenes inneren
J28 ^- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Einheitsgefühls der primitive, da es aus ihm herausfliesst, dass
überhaupt die grammatischen Anfügungen dem Stammwort ein-
verleibt werden und nicht, wie in einigen Sprachen, abgesondert
stehen bleiben. Für die phonetische Wirkung ist es von wich-
tigem Einfluss, dass sowohl die Casusendungen als die Suffixa
nur mit gewissen Consonanten anfangen und daher nur eine be
stimmte Anzahl von Verbindungen eingehen können, die bei den
Gasusendungen am beschränktesten, bei den Krit-Suffixen und
Verbalendungen grösser ist, bei den Taddhita-Suffixen aber sich
noch mehr erweitert.
Ausser der Verschiedenheit der Anfügungsgesetze der sich in
der Wortmitte berührenden Consonanten giebt es in den Sprachen
noch eine andere, seine innere Einheit noch bestimmter bezeich-
nende Lautbehandlung des Wortes, nemlich diejenige, welche
seiner Gesammtbildung Einfluss auf die Veränderung der einzelnen
Buchstaben, namentlich der Vocale verstattet. Dies geschieht,
wenn die Anschliessung mehr oder weniger gewichtiger Sylben
auf die, schon im Wort vorhandenen Vocale Einfluss ausübt, wenn
ein beginnender Zuwachs des Wortes Verkürzungen oder Aus-
stossungen am Ende desselben hervorbringt, wenn anwachsende
Sylben ihren Vocal denen des Wortes oder diese sich ihnen assi-
miliren, oder wenn Einer Sylbe durch Lautverstärkung oder durch
Lautveränderung ein die übrigen des Wortes vor dem Ohre be-
herrschendes Uebergewicht gegeben wird. Jeder dieser Fälle
kann, wo er nicht rein phonetisch ist, als unmittelbar symbolisch
für die innere Worteinheit betrachtet werden. Im Sanskrit er-
scheint diese Lautbehandlung in mehrfacher Gestalt und immer
mit merkwürdiger Rücksicht auf die Klarheit der logischen und
die Schönheit der ästhetischen Form. Das Sanskrit assimilirt
daher nicht die Stammsylbe, deren Festigkeit erhalten werden
muss, den Endungen; es erlaubt sich aber wohl Erweiterungen
des Stammvocals , aus deren regelmässiger Wiederkehr in der
Sprache das Ohr den ursprünglichen leicht wiedererkennt. Es
ist dies eine von feinem Sprachsinn zeugende Bemerkung Bopp's,
die er sehr richtig so ausdrückt, dass die hier in Rede stehende
Veränderung des Stammvocals im Sanskrit nicht qualitativ, sondern
quantitativ ist.*) Die qualitative Assimilation entsteht aus Nach-
*) Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. 1827. S. 281. Bopp macht diese Be-
merkung nur bei Gelegenheit der unmittelbar anfügenden Abwandlungen. Das Gesetz
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. 12Q
lässigkeit der Aussprache oder aus Gefallen an gleichförmig
klingenden Sylben; in der quantitativen Umstellung des Zeit-
masses spricht sich ein höheres und feineres Wohllautsgefühl aus.
In jener wird der bedeutsame Stammvocal geradezu dem Laute
geopfert, in dieser bleibt er in der Erweiterung dem Ohre und
dem Verstände gleich gegenwärtig.
Einer Sylbe eines Worts in der Aussprache ein das ganze
Wort beherrschendes Uebergewicht zu geben, besitzt das Sanskrit
im Guna und Wriddhi zwei so kunstvoll ausgebildete und mit der
übrigen Lautverwandtschaft so eng verknüpfte Mittel, dass sie in
dieser Ausbildung und in diesem Zusammenhange ihm ausschliess-
lich eigenthümlich geblieben sind. Keine der Schwestersprachen
hat diese Lautveränderungen, ihrem Systeme und ihrem Geiste
nach, in sich aufgenommen; nur einzelne Bruchstücke sind als
fertige Resultate in einige übergegangen. Guna und Wriddhi
bilden bei a eine Verlängerung, aus / und u die Diphthongen e
und (9, ändern das Vocal-r in aj- und är um,*) und verstärken e
und 6 durch neue Diphthongisirung zu äi und äu. Wenn auf
das durch Guna und Wriddhi entstandene e und äi, 6 und äu
ein Vocal folgt, so lösen sich diese Diphthongen in ay und äy,
azü und äw auf. Hierdurch entsteht eine doppelte Reihe fünf-
facher Lautveränderungen, w^elche durch bestimmte Gesetze der
Sprache und durch ihre beständige Rückkehr im Gebrauche der-
selben dennoch immer zu dem gleichen Urlaute zurückführen.
Die Sprache erhält dadurch eine Mannigfaltigkeit wohltönender
Lautverknüpfungen, ohne dem Verständniss im mindesten Eintrag
zu thun. Im Guna und Wriddhi tritt jedesmal ein Laut an die
scheint mir aber allgemein durchgehend zu seyn. Selbst die scheinbarste Einwendung
dagegen , die Verwandlung des ?*-Vocals in ur in den gunalosen Beugungen des
Verbum kri [kurutas), lässt sich anders erklären.
*) Herr Dr. Lepsius erklärt auf eine die Analogie dieser Lautumstellungen sinn-
reich erweiternde Weise ar und är für Diphthongen des r-Vocals.') Man lese hierüber
seine, der Sprachforschung eine neue Bahn vorzeichnende, an scharfsinnigen Erörte-
rungen reichhaltige Schrift : Paläographie als Mittel für die Sprachforschung. S. 46 — 49,
§. 36 — 39. selbst nach.
V Nach „T-Vocals" gestricheil : „Unser Ohr kann sich freilich einen solchen
Diphthongen kautn vorstellen und der Unterschied der Schreibung von karmana
und karana Hesse sich wohl dadurch erklären, dass in dem eisten Worte das r
mit dem vorhergehenden Vocal zusammenschmilzt, bei dem letzteren aber in der
Aussprache den nachfolgenden anlautete."
VV. V. Humboldt, Werke. VII. 9
joQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Stelle eines andren. Doch darf man darum Guna und Wriddhi
nicht als einen blossen, sonst in vielen Sprachen gewöhnlichen
Vocalwechsel ansehen. Der wichtige Unterschied zwischen beiden
liegt darin, dass bei dem Vocalwechsel der Grund des an die Stelle
eines andren gesetzten Vocals immer, wenigstens zum Theil, dem
ursprünglichen der veränderten Sylbe fremd ist, bald in gramma-
tisch unterscheidendem Streben, bald im Assimilationsgesetz oder
in irgend einer andren Ursach gesucht werden muss, und dass
daher der neue Laut nach Verschiedenheit der Umstände wechseln
kann, da er bei Guna und Wriddhi immer gleichförmig aus dem
Urlaut der veränderten Sylbe selbst, ihr allein angehörend, ent-
springt. Wenn man daher den Guna-Laut wedmi und den, nach
der Boppschen Erklärung, durch Assimilation entstehenden tenima
mit einander vergleicht, so ist das hineingekommene e in der
ersteren Form aus dem i der veränderten, in der letzteren aus
dem der nachfolgenden Sylbe entstanden.
Guna und Wriddhi sind Verstärkungen des Grundlauts und
zwar nicht bloss gegen diesen, sondern auch gegen einander selbst,
gleichsam wie Comparativus und Superlativus, in gleichem quanti-
tativen Masse steigende Verstärkungen des einfachen Vocals. In
der Breite der Aussprache und dem Laute vor dem Ohre ist diese
Steigerung unverkennbar ; sie zeigt sich aber in einem schlagenden
Beispiel auch in der Bedeutung bei dem durch Anhängung von
ya gebildeten Participium des Passiv-Futurum. Denn der einfache
Begriff fordert dort nur Guna, der verstärkte, mit Nothwendigkeit
verknüpfte aber W^riddhi: stawya, ein Preiswürdiger, stäwya^
ein nothwendig und auf alle Weise zu Preisender.
Der Begriff der Verstärkung erschöpft aber nicht die besondre
Natur dieser Lautveränderungen. Zwar muss man hier das Wriddhi
von a ausnehmen, das aber auch nur gewissermassen in seiner gram-
matischen Anwendung, durchaus nicht seinem Laut nach in diese
Classe gehört. Bei allen übrigen Vocalen und Diphthongen liegt
das Charakteristische dieser Verstärkungen darin, dass durch sie
eine, vermittelst der Verbindung ungleichartiger Vocale oder Diph-
thongen hervorgebrachte Umbeugung des Lautes entsteht. Denn
allem Guna und Wriddhi liegt eine Verbindung von a mit den
übrigen Vocalen oder Diphthongen zum Grunde, man mag nun
annehmen, dass im Guna ein kurzes, im Wriddhi ein langes a
vor den einfachen Vocal oder dass immer ein kurzes a^ im Guna
vor den einfachen Vocal, im Wriddhi vor den schon durch Guna
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. iqj
verstärkten tritt.*) Die blosse Entstehung verlängerter Vocale
durch Verbindung gleichartiger wird, soviel mir bekannt ist, das
einzige a ausgenommen, auch von den Indischen Grammatikern
nicht zum Wriddhi gerechnet. Da nun in Guna und Wriddhi
immer ein sehr verschieden auf das Ohr einw^irkender Laut ent-
steht und seinen Grund ausschliesslich in dem Urlaut der Sylbe
selbst findet, so gehen die Guna- und Wriddhi-Laute auf eine, mit
Worten nicht zu beschreibende, aber dem Ohre deutlich vernehm-
bare Weise aus der inneren Tiefe der Sylbe selbst hervor. Wenn
daher Guna, das im Verbum so häufig die Stammsylbe verändert,
eine bestimmte Charakteristik gewisser grammatischer Formen
wäre, so würde man diese, auch der sinnlichen Erscheinung nach,
buchstäblich Entfaltungen aus dem Innren der Wurzel und in
praegnanterem Sinne, als in den Semitischen Sprachen, wo bloss
symbolischer Vocalwechsel vorgeht, nennen können.**) Es ist
dies aber durchaus nicht der Fall, da das Guna nur eine der
Nebengestaltungen ist, welche das Sanskrit den Verbalformen,
*) Bopp vertheidigt (Lateinische Sanskrit-Grammatik, r. 33.) die erstere dieser
Meinungen. Wenn es mir aber erlaubt ist, von diesem gründlichen Forscher abzu-
weichen, so möchte ich mich für die letztere erklären. Bei der Boppschen Annahme
lässt sich kaum noch der enge Zusammenhang des Guna und Wriddhi mit den all-
gemeinen Lautgesetzen der Sprache retten, da ungleiche einfache Vocale, ohne dass
es irgend auf ihre Länge oder Kürze ankommt, immer in die, allerdings schwächeren
Diphthongen des Guna übergehen. Da die Natur des Diphthongen auch wesentlich
nur in der Ungleichartigkeit der Töne liegt, so ist es begreiflich, dass Länge und Kürze
von dem neuen Laute, ohne zurückbleibenden Unterschied, verschlungen werden. Erst
wenn eine neue Ungleichartigkeit in das Spiel tritt, entsteht eine Verstärkung des Diph-
thongen. Ich glaube daher nicht, dass die Guna-Diphthongen ursprünglich gerade aus
kurzen Vocalen zusammenschmelzen. Dass sie gegen die Diphthongen des Wriddhi
bei ihrer Auflösung ein kurzes a annehmen (ciy, aw gegen äy, ätv), lässt sich auf
andere Weise erklären. Da der Unterschied der beiden Lauterweiterungen nicht am
Halbvocal kenntlich gemacht werden konnte, so musste er in die Quantität des Vocals
der neuen Sylbe fallen. Dasselbe gilt vom Vocal-r.
**) Dies hat vielleicht wesentlich beigetragen, Friedrich Schlegel zu seiner, aller-
dings nicht zu billigenden Theorie einer Eintheilung aller Sprachen (Sprache und
Weisheit der Indien S. 50.) zu führen. Es ist aber bemerkenswerth und, wie es niir
scheint, zu wenig anerkannt, dass dieser tiefe Denker und geistvolle Schriftsteller der
erste Deutsche war, der uns auf die merkwürdige Erscheinung des Sanskrits aufmerksam
machte, und dass er schon in einer Zeit bedeutende Fortschritte darin gethan hatte,
wo man von allen jetzigen zahlreichen Hülfsmitteln zur Erlernung der Sprache entblösst
war. Selbst Wilkins Grammatik erschien erst in demselben Jahre, als die angeführte
Schlegelsche Schrift.
9*
\Q2 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ausser ihren wahren Charakteristiken, nach bestimmten Gesetzen
beigiebt. Es ist, seiner Natur nach, eine rein phonetische und,
soweit wir seine Gründe einzusehen vermögen, auch allein aus
den Lauten erklärbare Erscheinung und nicht einzeln bedeutsam
oder symbolisch. Der einzige Fall in der Sprache, den man hier-
von ausnehmen muss, ist die Gunirung des Verdoppelungsvocals
in den Intensiwerben. Diese zeigt um so mehr den verstärkenden
Ausdruck an, welchen die Sprache, auf eine sonst ungewöhnliche
Weise, in diese Formen zu legen beabsichtigt, als die Verdoppe-
lung sonst den langen Vocal zu verkürzen pflegt und als das
Guna hier auch, wie sonst nicht, bei langen Mittelvocalen der
Wurzel statt findet.
Dagegen kann man es wohl in vielen Fällen als S^^mbol der
inneren Worteinheit ansehen, indem diese, sich stufenweis in der
Vocalsphäre bewegenden Lautveränderungen eine weniger materielle,
entschiednere und enger verbundene Wortverschmelzung hen^or-
bringen, als die Veränderungen sich berührender Consonanten.
Sie gleichen hierin gewissermassen dem Accent, indem die gleiche
Wirkung, das Uebergewicht einer vorherrschenden Sylbe, im Accent
durch die Tonhöhe, im Guna und Wriddhi durch die erweiterte
Lautumbeugung hervorgebracht wird. Wenn sie daher auch nur
in bestimmten Fällen die innere Worteinheit begleiten, so sind sie
doch immer einer der verschiedenen Ausdrücke, deren sich die,
bei weitem nicht immer dieselben Wege verfolgende Sprache zur
Andeutung derselben bedient. Es mag auch hierin liegen, dass
sie den sylbenreichen, langen Formen der zehnten Verbalclasse
und der mit dieser verwandten Causalverben ganz besonders eigen-
thümlich sind. Wenn sie sich freilich auf der andren Seite auch
bei ganz kurzen finden, so ist darum doch nicht zu läugnen, dass
sie bei den langen das abgebrochene Auseinanderfallen der Sylben
verhindern und die Stimme nöthigen, sie fest zusammenzuhalten.
Sehr bedeutsam scheint es auch in dieser Beziehung, dass das
Guna in den Wortgattungen der festesten Einheit, den Kridanta-
Wörtern und Verbalendungen herrschend ist und in ihnen ge-
wöhnlich die Wurzelsylbe trifft, dagegen nie auf der Stammsylbe
der Declinationsbeugungen oder der durch Taddhita-Suffixa ge-
bildeten Wörter vorkommt.
Das Wriddhi findet eine doppelte Anwendung. Auf der einen
Seite ist es, wie das Guna, rein phonetisch und steigert dasselbe
entweder nothwendig oder nach der Willkühr des Sprechenden;
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. j^g
auf der andren Seite ist es bedeutsam und rein symbolisch. In
der ersteren Gestalt trifft es vorzugsweise die Endvocale, so wie
auch die langen unter diesen, was sonst nicht geschieht, Guna
annehmen. Es entsteht dies daraus, dass die Erweiterung eines
Endvocals keine Beschränkung vor sich rindet. Es ist dasselbe
Princip, das im Javanischen im gleichen Falle das dem Consonanten
einverleibte a als dunkles o auslauten lässt. Die Bedeutsamkeit
des Wriddhi zeigt sich besonders bei den Taddhita-Suffixen und
scheint ihren ursprünglichen Sitz in den Geschlechtsbenennungen,
den Collectiv- und abstracten Substantiven zu haben. In allen
diesen Fällen erweitert sich der ursprünglich einfache concrete
Begriff. Dieselbe Erweiterung wird aber auch metaphorisch auf
andre Fälle, wenn auch nicht in gleicher Beständigkeit über-
getragen. Daher mag es kommen, dass die durch Taddhita-Sufrixe
gebildeten Adjectiva bald Wriddhi annehmen, bald den Vocal un-
verändert lassen. Denn das Adjectivum kann als concrete Be-
schaffenheit, aber auch als die ganze Menge von Dingen, an
welchen es erscheint, unter sich befassend angesehen werden.
Die Annahme oder der Mangel des Guna bildet im Verbum
in grammatisch genau bestimmten Fällen einen Gegensatz zwischen
gunirten und gunalosen Formen der Abwandlung. Bisweilen, aber
viel seltener wird ein gleicher Gegensatz durch den bald noth-
wendigen, bald willkührlichen Gebrauch des Wriddhi gegen Guna
hervorgebracht. Bopp hat zuerst diesen Gegensatz auf eine Weise,
die, wenn sie auch einige Fälle gewissermassen als Ausnahme
übersehen muss, doch gewiss im Ganzen vollkommen befriedigend
erscheint, aus der Wirkung der Lautschwere oder Lautleichtigkeit
der Endungen auf den Wurzelvocal erklärt. Die erstere verhindert
nemlich seine Erweiterung, welche die letztere hen-orzulocken
scheint, und das Eine und das Andere findet überall da statt, wo
sich die Endung unmittelbar an die Wurzel anschliesst oder auf
ihrem Wege dahin einen des Guna fähigen Vocal antrifft. Wo
aber der Einfluss der Beugungssylbe durch einen andren, da-
zwischentretenden Vocal oder einen Consonanten gehemmt wird,
mithin die Abhängigkeit des Wurzelvocals von ihr aufhört, lässt
sich der Gebrauch und Nichtgebrauch des Guna, obgleich er auch
da in bestimmten Fällen regelmässig eintritt, auf keine Weise aus
den Lauten erklären und dieser Unterschied der Wurzelsylbe sich
also überhaupt in der Sprache auf kein ganz allgemeines Gesetz
zurückführen. Die wahrhafte Erklärung der Anwendung und
jo^ I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Nichtanwendung des Guna überhaupt scheint mir nur aus der
Geschichte der Abwandlungsformen des Verbum geschöpft werden
zu können. Dies ist aber ein noch sehr dunkles Gebiet, in dem
wir nur fragmentarisch Einzelnes zu errathen vermögen. Viel-
leicht gab es ehemals, nach Verschiedenheit der Dialekte oder
Zeiten, zweierlei Gattungen der Abwandlung mit und ohne Guna,
aus deren Mischung die jetzige Gestaltung in der uns vorliegenden
Niedersetzung der Sprache entsprang. In der That scheinen auf
eine solche Vermuthung einige Classen der Wurzeln zu führen,
die sich zugleich und grösstentheils in der nemlichen Bedeutung
mit und ohne Guna abwandeln lassen oder ein durchgängiges
Guna annehmen, wo die übrige Analogie der Sprache den oben
erwähnten Gegensatz erfordern würde. Dies letztere geschieht
nur in einzelnen Ausnahmen; das erstere aber findet bei allen
Verben statt, die zugleich nach der ersten und sechsten Classe
conjugirt werden, so wie in denjenigen der ersten Classe, welche
ihr vielförmiges Praeteritum nach der sechsten Gestaltung, bis auf
das fehlende Guna ganz gleichförmig mit ihrem Augment-Praete-
ritum bilden. Diese ganze, dem Griechischen zweiten Aorist ent-
sprechende, sechste Gestaltung dürfte wohl nichts andres, als ein
wahres Augment-Praeteritum einer gunalosen Abwandlung seyn,
neben welcher eine mit Guna (unser jetziges Augment-Praeteritum
der Wurzeln der ersten Classe) bestanden hat. Denn es ist mir
sehr wahrscheinlich, dass es im wahren Sinne des Wortes im
Sanskrit nur zwei, nicht, wie wir jetzt zählen, drei Praeterita giebt,
so dass die Bildungen des angeblich dritten, nemlich des viel-
förmigen nur Nebenformen, aus anderen Epochen der Sprache
herstammend, sind.
Wenn man auf diese Weise eine ursprünglich zwiefache Con-
jugation mit und ohne Guna in der Sprache annimmt, so ent-
steht gewissermassen die Frage, ob da, wo die Gewichtigkeit der
Endungen einen Gegensatz hervorbringt, das Guna verdrängt
oder angenommen worden ist? und man muss sich unbedenklich
für das erstere erklären. Lautveränderungen, wie Guna und
Wriddhi, lassen sich nicht einer Sprache einimpfen, sie gehen,
nach Grimm's vom deutschen i\blaut gebrauchtem glücklichem
Ausdruck, ^) bis auf den Grund und Boden derselben und können
in ihrem Ursprünge sich aus den dunklen und breiten Diph-
V Vgl. Band 6, 4^2.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. joc
thongen, die wir auch in andren Sprachen antreffen, erklären
lassen. Das Wohllautsgefühl kann diese gemildert und zu einem
quantitativ bestimmten Verhältniss geregelt haben. Dieselbe Neigung
der Sprachwerkzeuge zur Vocalerweiterung kann aber auch in
einem glücklich organisirten Volksstamm unmittelbar in rh3'-th-
mischer Haltung hervorgebrochen seyn. Denn es ist nicht noth-
wendig und kaum einmal rathsam, sich jede Trefflichkeit einer
gebildeten Sprache als stufenartig und allmählich entstanden zu
denken.
Der Unterschied zwischen rohem Xaturlaut und geregeltem
Ton zeigt sich noch bei weitem deutlicher an einer andren, zur
inneren Wortausbildung wesentlich beitragenden Lautform, der
Reduplication. Die Wiederholung der Anfangssylbe eines Wortes
oder auch des ganzen W"'ortes selbst ist, bald in verstärkender
Bedeutsamkeit zu mannigfachem Ausdruck, bald als blosse Laut-
gewohnheit, den Sprachen vieler ungebildeten Völker eigen. In
anderen, wie in einigen des Malayischen Stammes, verräth sie
schon dadurch einen Einfluss des Lautgefühls, dass nicht immer
der Wurzelvocal, sondern gelegentlich ein verwandter wiederholt
wird. Im Sansloit aber wird die Reduplication so genau dem
jedesmaligen inneren Wortbau angemessen modificirt, dass man
fünf oder sechs verschiedene, durch die Sprache vertheilte Ge-
staltungen derselben zählen kann. Alle aber fliessen aus dem
doppelten Gesetz der Anpassung dieser Vorschlagssylbe an die
besondere Form des Wortes und aus dem der Beförderung der
inneren Worteinheit. Einige sind zugleich für bestimmte gram-
matische Formen bezeichnend. Die Anpassung ist bisweilen so
künstlich, dass die eigentlich dem Worte voranzugehen bestimmte
Sylbe dasselbe spaltet und sich zwischen seinen Anfangsvocal
und Endconsonanten stellt, was vielleicht darin seinen Grund hat,
dass dieselben Formen auch den Vorschlag des Augments ver-
langen und diese beiden Vorschlagssylben sich, als solche, an
vocalisch anlautenden Wurzeln nicht hätten auf unterscheidbare
Weise andeuten lassen. Die Griechische Sprache, in welcher
Augment und Reduplication wirklich in diesen Fällen im aiipnen-
tum temporale zusammenfliessen , hat zur Erreichung desselben
Zweckes ähnliche Formen entwickelt.*) Es ist dies ein merk-
*) In einer, von mir im Jahre 1828. im Französischen Institute gelesenen Abhand-
limg : über die Verwandtschaft des Griechischen Plusquamperfectum, der reduplicirenden
|o5 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
würdiges Beispiel, wie, bei regem und lebendigem Articulations-
sinn, die Lautformung sich eigne und wunderbar scheinende
Bahnen bricht, um den innerlich organisirenden Sprachsinn in
allen seinen verschiedenen Richtungen, jede kenntlich erhaltend,
zu begleiten.*)
Die Absicht, das Wort fest mit dem Vorschlage zu verbinden,
äussert sich im Sanskrit bei den consonantischen Wurzeln durch
die Kürze des Wiederholungsvocals , auch gegen einen langen
Wurzellaut, so dass der Vorschlag vom Worte übertönt werden
soll. Die einzigen zwei Ausnahmen von dieser Verkürzung in
der Sprache haben wieder ihren eigenthümlichen, den allgemeinen
überwiegenden Grund, bei den Intensiwerben die Andeutung
ihrer Verstärkung, bei dem vielförmigen Praeteritum der Causal-
verba das euphonisch geforderte Gleichgewicht zwischen dem
Wiederholungs- und Wurzelvocal. Bei vocalisch anlautenden
Wurzeln fällt da, wo sich die Reduplication durch Verlängerung
des Anfangsvocals ankündigt, das Uebergewicht des Lautes auf
die Anfangssylbe und befördert dadurch, wie wir es beim Guna
gesehen, die enge Verbindung der übrigen dicht an sie ange-
schlossenen Sylben. Die Reduplication ist in den meisten Fällen
ein wirkliches Kennzeichen bestimmter grammatischer Formen
oder doch eine, sie charakteristisch begleitende Lautmodification.
Nur in einem kleinen Theil der Verben (in denen der dritten
Classe) ist sie diesen an sich eigen. Aber auch hier, wie beim
Guna, wird man auf die Vermuthung geführt, dass sich in einer
früheren Zeit der Sprache Verba mit und ohne Reduplication ab-
wandeln Hessen, ohne dadurch weder in sich noch in ihrer Be-
deutung eine Veränderung zu erfahren. Denn das Augment-Prae-
teritum und das vielförmige einiger Verba der dritten Classe
unterscheiden sich bloss durch die Anwendung oder den Mangel
der Reduplication. Dies erscheint bei dieser Lautform noch
natürlicher, als bei dem Guna. Denn die Verstärkung der Aus-
Aoriste und der Attischen Perfecta mit einer Sanskritischen Tempusbildung, habe ich
die Uebereinstimmung und die Verschiedenheit beider Sprachen in diesen Formen aus-
führlich auseinandergesetzt und dieselbe aus ihren Gründen herzuleiten versucht.
V Nach „begleiten" gesU-ichen : „Die wundervolle Künstlichkeit dieser Formen
wird dadurch vollendet, dass das euphonische Gefühl nach einem rhythmischen
Gleichgewicht bald und nicht immer durchaus willkührlich jambisch aufsteigend,
bald sich [trochaeisch] senkend die Längen und Kürzen des Wiederholungs- und
Wurzelvocals in ihnen festsetzt."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. j nn
sage durch den Laut vermittelst der Wiederholung kann ursprüng-
lich nur die Wirkung der Lebendigkeit des individuellen Gefühls
seyn und daher, auch wenn sie allgemeiner und geregelter wird,
leicht 2u wechselndem Gebrauche Anlass geben.
Das, in seiner Andeutung der vergangenen Zeit der Redupli-
cation ven\'andte Augment wird gleichfalls auf eine, die Wortein-
heit befördernde Weise bei Wurzeln mit anlautenden \'ocalen
behandelt und zeigt darin einen merkwürdigen Gegensatz gegen
den, Verneinung andeutenden gleichlautenden ^'orschlag. Denn
da das x\lpha privativum sich bloss mit Einschiebung eines n vor
diese Wurzeln stellt, verschmilzt das Augment mit ihrem An-
fangsvocal und zeigt also schon dadurch die ihm, als Verbalform,
bestimmte grössere Innigkeit der Verbindung an. Es überspringt
aber in dieser A'erschmelzung das durch dieselbe entstehende
Guna und erweitert sich zu Wriddhi, wohl offenbar darum, weil
das Gefühl für die innere Worteinheit diesem das Wort zusam-
menhaltenden Anfangsvocal ein so grosses Uebergewicht. als mög-
lich, geben will. Zwar trifft man in einer andren Verbalform, im
reduplicirten Praeteritum in einigen Wurzeln auch die Einschiebung
des n an; der Fall steht aber ganz einzeln in der Sprache da und
die Anfügung ist mit einer A^erlängerung des Vorschlagsvocals
verbunden.
Ausser den hier kurz berührten besitzen tonreiche Sprachen
noch eine Reihe andrer Mittel, die alle das Gefühl des Bedürf-
nisses ausdrücken, dem Worte einen, innere Fülle und Wohllaut
vereinenden organischen Bau zu geben. Man kann im Sanskrit
hierher die Vocalverlängerung, den \'ocalwechsel, die Verwand-
lung des Vocals in einen Halbvocal, die Erweiterung desselben
zur Sj'lbe durch nachfolgenden Halbvocal und gewissermassen die
Einschiebung eines Nasenlautes rechnen, ohne der Veränderungen
zu gedenken, welche die allgemeinen Gesetze der Sprache in den,
sich in der Wortmitte berührenden Buchstaben her^-orbringen. In
allen diesen Fällen entspringt die letzte Bildung des Lautes zu-
gleich aus der Beschaffenheit der Wurzel und der Natur der
grammatischen Anfügungen. Zugleich äussern sich aber die
Selbstständigkeit und Festigkeit, die Verwandtschaft und der
Gegensatz und das Lautgewicht der einzelnen Buchstaben bald
in ursprünghcher Harmonie, bald in einem, immer von dem
organisirenden Sprachsinn schön geschlichteten Widerstreite. Noch
deutlicher verräth sich die auf die Bildung des Ganzen des Wortes
158 l- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
gerichtete Sorgfalt in dem Compensationsgeseize, nach welchem
in einem Theile des Worts vorgefallene Verstärkung oder
Schwächung, zur Herstellung des Gleichgewichts, eine entgegen-
gesetzte Veränderung in einem anderen Theile desselben nach
sich zieht. Hier, in dieser letzten Ausbildung, v^ird von der qua-
litativen Beschaffenheit der Buchstaben abgesehen. Der Sprach-
sinn hebt nur die körperlosere quantitative heraus und behandelt
das Wort, gleichsam metrisch, als eine rhythmische Reihe. Das
Sanskrit enthält hierin so merkwürdige Formen, als sich nicht
leicht in anderen Sprachen antreffen lassen. Das vielförmige Prae-
teritum der Gausalverba (die siebente Bildung bei Bopp), zugleich
versehen mit Augment und Reduplication, liefert hierzu ein in
jeder Rücksicht merkwürdiges Beispiel. Da in den Formen dieser
Gestaltung dieses Tempus auf 'das, immer kurze Augment bei
consonantisch anlautenden Wurzeln unmittelbar die Wieder-
holungs- und W^urzelsylbe auf einander folgen, so bemüht sich
die Sprache, den Vocalen dieser beiden ein bestimmtes metrisches
Verhältniss zu geben. Mit wenigen Ausnahmen, wo diese beiden
Sylben pyrrhichisch {ajagadam, wwv^w, von gad, reden) oder
spondaeisch {adadhrädavi, ^y__^_/, von dhräd, abfallen, welken)
klingen, steigen sie entv/eder jambisch {adudüsham, wv^_^, von diisJi,
sündigen, sich beflecken) auf oder senken sich, was die
Mehrheit der Fälle ausmacht, trochaeisch [achikalam, w_ww, von kal,
schleudern, schwingen) und lassen bei denselben Wurzeln
selten der Aussprache die Wahl zwischen diesem doppelten Vocalmass.
Untersucht man nun das, auf den ersten Anblick sehr verwickelte
quantitative Verhältniss dieser Formen, so findet man, dass die
Sprache dabei ein höchst einfaches Verfahren befolgt.' Sie wendet
nemlich, indem sie eine Veränderung mit der Wurzelsylbe vor-
nimmt, lediglich das Gesetz der Lautcompensation an. Denn sie
stellt, nach einer vorgenommenen Verkürzung der Wurzelsylbe,
bloss das Gleichgewicht durch Verlängerung der Wiederholungs-
sylbe wieder her, woraus die trochaeische Senkung entsteht, an
welcher die Sprache, wie es scheint, hier ein besonderes Wohl-
gefallen fand. Die Veränderung der Quantität der Wurzelsylbe
scheint das höhere, auf die Erhaltung der Stammsylben gerichtete
Gesetz zu verletzen. Genauere Nachforschung aber zeigt, dass
dies keinesweges der Fall ist. Denn diese Praeterita werden nicht
aus der primitiven, sondern aus der schon grammatisch ver-
änderten Causalwurzel gebildet. Die verkürzte Länge ist daher
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 27. 28. i oq
in der Regel nur der Causalwurzel eigen. Wo die Sprache in
diesen Bildungen auf eine primitiv stammhafte Länge oder gar
auf einen solchen Diphthongen stösst, giebt sie ihr Vorhaben auf,
lässt die Wurzelsylbe unverändert und verlängert nun auch nicht
die, der allgemeinen Regel nach, kurze Wiederholungssylbe. Aus
dieser, sich dem in diesen Formen eigentlich beabsichtigten Ver-
fahren entgegenstellenden Schwierigkeit entspringt der jambische
Aufschwung, der das natürliche, unveränderte Quantitäts-Verhält-
niss ist. Zugleich beachtet die Sprache die Fälle, wo die Länge
der Sylbe nicht aus der Natur des Vocals, sondern aus dessen
Stellung vor zwei auf einander folgenden Consonanten herfliesst.
Sie häuft nicht zwei Verlängerungsmittel und lässt also auch in
der trochaeischen Senkung den Wiederholungsvocal vor zwei An-
fangsconsonanten der Wurzel unverlängert. Bemerkenswerth ist
es, dass auch die eigentlich Malayische Sprache eine solche Sorg-
falt, die Einheit des Worts bei grammatischen Anfügungen zu
erhalten und dasselbe als ein euphonisches Lautganzes zu be-
handeln , durch Quantitäts-Versetzung der Wurzelsylben zeigt.
Die angeführten Sanskritischen Formen sind, ihrer Sylbenfüile
und ihres Wohllauts wegen, die deutlichsten Beispiele, was eine
Sprache aus einsylbigen Wurzeln zu entfalten vermag, wenn sie
mit einem reichen Alphabete ein festes und durch Feinheit des
Ohres den zartesten Anklängen der Buchstaben folgendes Laut-
system verbindet und Anbildung und innere Veränderung, wieder
nach bestimmten Regeln aus mannigfaltigen und fein unter-
schiedenen grammatischen Gründen, hinzutreten.*)
Bezeichnungsmittel der Worteinheit. Accent.
Eine andere, der Natur der Sache nach allen Sprachen ge-28.
meinschaftliche, in den todten aber uns nur da noch kenntliche
*) Was ich hier über diese Form des Praeteritum der Causalverba sage, habe ich
aus einer ausführlichen, schon vor Jahren über diese Tempusformen ausgearbeiteten
Abhandlung ausgezogen. Ich bin in derselben alle Wurzeln der Sprache, nach An-
leitung der zu solchen Arbeiten vortrefflichen Forsterschen Grammatik, durchgegangen,
habe die verschiedenen Bildungen auf ihre Gründe zurückzuführen gesucht imd auch
die einzelnen Ausnahmen angemerkt. Die Arbeit ist aber ungedruckt geblieben, weil
es mir schien, dass eine so specielle Ausführung sehr selten vorkommender Formen
nur sehr wenige Leser interessiren könnte.
j^O l- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Worteinheit, wo die Flüchtigkeit der Aussprache durch uns ver-
ständliche Zeichen festgehalten wird, liegt im Accent. Man kann
nemlich an der Sylbe dreierlei phonetische Eigenschaften unter-
scheiden: die eigenthümliche Geltung ihrer Laute, ihr Zeitmass
und ihre Betonung. Die beiden ersten werden durch ihre eigne
Natur bestimmt und machen gleichsam ihre körperliche Gestalt
aus; der Ton aber (unter welchem ich hier immer den Sprach-
ton, nicht die metrische Arsis verstehe) hängt von der Freiheit
des Redenden ab, ist eine ihr von ihm mitgetheilte Kraft und
gleicht einem ihr eingehauchten fremden Geist. Er schwebt, wie
ein noch seelenvolleres Princip, als die materielle Sprache selbst
ist, über der Rede und ist der unmittelbare Ausdruck der Geltung,
welche der Sprechende ihr und jedem ihrer Theile aufprägen
will. An sich ist jede Sylbe der Betonung fähig. Wenn aber
unter mehreren nur Eine den Ton wirklich erhält, wird dadurch
die Betonung der sie unmittelbar begleitenden, wenn der Sprechende
nicht auch unter diesen eine ausdrücklich vorlauten lässt, auf-
gehoben und diese Aufhebung bringt eine Verbindung der tonlos
werdenden mit der betonten und dadurch vorwaltenden und sie
beherrschenden hervor. Beide Erscheinungen, die Tonaufhebung
und die Sylbenverbindung bedingen einander und jede zieht un-
mittelbar und von selbst die andre nach sich. So entsteht der
Wortaccent und die durch ihn bewirkte Worteinheit. Kein selbst-
ständiges Wort lässt sich ohne einen Accent denken und jedes
Wort kann nicht mehr als Einen Hauptaccent haben. Es zerfiele
mit zweien in zwei Ganze und würde mithin zu zwei Wörtern.
Dagegen kann es allerdings in einem Worte Nebenaccente geben,
die entweder aus der rhythmischen Beschaffenheit 'des Wortes
oder aus Nüancirungen der Bedeutung entspringen.*)
*) Die sogenannten accentlosen Wörter der Griechischen Sprache scheinen mir
dieser Behauptung nicht zu widersprechen. Es würde mich aber zu weit von meinem
Hauptgegenstande abführen, wenn ich hier zu zeigen versuchte, wie sie meistentheils
sich, als dem Accent des nachfolgenden Wortes vorangehende Sylben, vorn an das-
selbe anschliessen, in den Wortstellungen aber, welche eine solche Erklärung nicht
zulassen (wie ovy. in Sophocles. Oedipiis Rex. v. 334 — 336. Ed. Brunckii), wohl in
der Aussprache eine schwache, nur nicht bezeichnete Betonung besassen. Dass jedes
Wort nur Einen Hauptaccent haben kann, sagen die Lateinischen Grammatiker aus-
drücklich. Cicero. Orat. 18. natura, quasi modularetur hominum orationem, in
omni verbo posuit acutam vocem nee una plus. Die Griechischen Grammatiker
behandeln die Betonung überhaupt mehr wie eine Beschaffenheit der Sylbe, als des
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 28. j^j
Die Betonung unterliegt mehr, als irgend ein anderer Theil
der Sprache dem doppelten Einfluss der Bedeutsamkeit der Rede
und der metrischen Beschaffenheit der Laute. Ursprünglich und
in ihrer wahren Gestalt geht sie unstreitig aus der ersteren her-
vor. Je mehr aber der Sinn einer Nation auch auf rhythmische
und musikalische Schönheit gerichtet ist, desto mehr Einfluss wird
auch diesem Erforderniss auf die Betonung verstattet. Es liegt
aber in dem Betonungstriebe, wenn der Ausdruck erlaubt ist,
weit mehr, als die auf das blosse ^^erständniss gehende Bedeut-
samkeit. Es drückt sich darin ganz vorzugsweise auch der Drang
aus, die intellectuelle Stärke des Gedanken und seiner Theile weit
über das Mass des blossen Bedürfnisses hinaus zu bezeichnen.
Dies ist in keiner andren Sprache so sichtbar, als in der Eng-
lischen, wo der Accent sehr häufig das Zeitmass und sogar die
eigenthümliche Geltung der Sylben verändernd mit sich fortreisst.
Nur mit dem höchsten Unrecht würde man dies einem Mangel
an Wohllautsgefühl zuschreiben. Es ist im Gegentheil nur die,
mit dem Charakter der Nation zusammenhängende intellectuelle
Energie, bald die rasche Gedanken-Entschlossenheit, bald die ernste
Feierlichkeit, welche das, durch den Sinn hervorgehobene Element
auch in der Aussprache über alle andren überwiegend zu be-
zeichnen strebt. Aus der Verbindung dieser Eigenthümlichkeit
mit den, oft in grosser Reinheit und Schärfe aufgefassten Wohl-
lautsgesetzen entspringt der in Absicht auf Betonung und Aus-
sprache wahrhaft wundervolle Englische Wortbau. Wäre das Be-
dürfniss starker und scharf nüancirter Betonung nicht so tief in
dem Englischen Charakter gegründet, so würde auch das Bedürf-
niss der öffentlichen Beredsamkeit nicht zur Erklärung der grossen
Aufmerksamkeit hinreichen, welche auf diesen Theil der Sprache
in England so sichtbar gewandt wird. Wenn alle andren Theile
der Sprache mehr mit den intellectuellen Eigenthümlichkeiten der
Nationen in Verbindung stehen, so hängt die Betonung zugleich
näher und auf innigere Weise mit dem Charakter zusammen.
Wortes. In ihnen ist mir keine Stelle bekannt, welche die Accent-Einheit des letzteren
als allgemeinen Canon ausspräche. Vielleicht Hessen sie sich durch die Fälle irre
machen, in welchen ein Wort wegen enklitischer Sylben zwei Accentzeichen erhält, wo
aber wohl das der Anlehnung zugehörende immer nur einen Nebenaccent bildete.
Dennoch fehlt es auch bei ihnen nicht an bestimmten Andeutungen jener nothwendigen
Einheit. So sagt Arcadius (tis^I röian'. Ed. Barkeri. p. 190.) von Aristophanes :
rof fisv o^i'f TÖi'ov sv uTtavTi ficoet y.nd'aocö rövov äTta; lufaivEodiu doy.iudaag.
IA2 ^- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Die Verknüpfung der Rede bietet auch Fälle dar, wo gewicht-
losere Wörter sich an gewichtigere durch die Betonung an-
schliessen, ohne doch mit ihnen in eines zu verschmelzen. Dies
ist der Zustand der Anlehnung, der Griechischen €yy.Xioig. Das
gewichtlosere Wort giebt alsdann seine Unabhängigkeit, nicht
aber seine Selbstständigkeit, als getrenntes Element der Rede, auf.
Es verliert seinen Accent und fällt in das Gebiet des Accents des
gewichtigeren Wortes. Erhält aber dies Gebiet durch diesen Zu-
wachs eine, den Gesetzen der Sprache zuwiderlaufende Ausdeh-
nung, so verwandelt das gewichtigere Wort, indem es zwei Ac-
cente annimmt, seine tonlose Endsylbe in eine scharfbetonte und
schliesst dadurch das gewichtlosere an sich an.*) Durch diese
Anschliessung soll aber die natürliche Wortabtheilung nicht ge-
stört werden ; dies beweist deutlich das Verfahren der enklitischen
Betonung in einigen besonderen Fällen. Wenn zwei enklitische
Wörter auf einander folgen, so fällt das letztere, seiner Betonung
nach, nicht, wie das erstere, in das Gebiet des gewichtigeren
Worts, sondern das erstere nimmt für das letztere die scharfe Be-
tonung auf sich auf. Das enklitische Wort wird also nicht über-
sprungen, sondern als ein selbstständiges Wort geehrt und
schliesst ein andres an sich an. Die besondre Eigenthümlich-
keit eines solchen enklitischen Wortes macht sogar, was das eben
Gesagte noch mehr bestätigt, ihren Einfluss auf die Art der Be-
tonung geltend. Denn da ein Circumflex sich nicht in einen
Acutus verwandeln kann, so wird, wenn von zwei auf einander
folgenden enklitischen Wörtern das erste circumfiectirt ist, das
ganze Anlehnungsverfahren unterbrochen und das zweite enkli-
tische Wort behält alsdann seine ursprüngliche Betonung.**) Ich
habe diese Einzelnheiten nur angeführt, um zu zeigen, wie sorg-
fältig Nationen, welche die Richtung ihres Geistes auf sehr hohe
und feine Ausbildung ihrer Sprache geführt hat, auch die ver-
schiedenen Grade der Worteinheit bis zu den Fällen herab an-
deuten, wo weder die Trennung noch die Verschmelzung voll-
ständig und entschieden ist.
*) Dies nennen die Griechischen Grammatiker den schlummernden Ton der
Sylbe erwecken. Sie bedienen sich auch des Ausdrucks des Zurückwerfens des Tones
[avaßißä^eiv rov tövov). Diese letztere Metapher ist aber weniger glücklich. Der
ganze Zusammenhang der Griechischen Accentlehre zeigt, dass das, was hier wirklich
vorgeht, das oben Beschriebene ist.
**) z. B. Ilias. I. V. 178. d'EÖs Ttov ool toy ^sScoxev.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 28.29 a. j^o
Einverleibungssystem der Sprachen. Gliederung
des Satzes.
Das grammatisch gebildete Wort, wie wir es bis hierher in29.»-
der Zusammenfügung seiner Elemente und in seiner Einheit, als
ein Ganzes betrachtet haben, ist bestimmt, wieder als Element
in den Satz einzutreten. Die Sprache muss also hier eine zweite,
höhere Einheit bilden, höher, nicht bloss weil sie von grösserem
Umfange ist, sondern auch weil sie, indem der Laut nur neben-
her auf sie einwirken kann, ausschliesslicher von der ordnenden
inneren Form des Sprachsinnes abhängt. Sprachen, die, wie das
Sanskrit, schon in die Einheit des Wortes seine Beziehungen zum
Satze verflechten, lassen den letzteren in die Theile zerfallen, in
welchen er sich, seiner Natur nach, vor dem Verstände darstellt;
sie bauen aus diesen Theilen seine Einheit gleichsam auf. Sprachen,
die, wie die Chinesische, jedes Stammwort veränderungslos starr
in sich einschliessen, thun zwar dasselbe und fast in noch stren-
gerem Verstände, da die Wörter ganz vereinzelt dastehen; sie
kommen aber bei dem Aufbau der Einheit des Satzes dem Ver-
stände nur durch lautlose Mittel, wie z. B. die Stellung ist, oder
durch eigne, wieder abgesonderte Wörter zu Hülfe. Es giebt
aber, wenn man jene beiden zusammennimmt, ein zweites, beiden
entgegengesetztes Mittel, das wir hier jedoch besser als ein drittes
betrachten , die Einheit des Satzes für das Verständniss festzu-
halten, nemlich ihn mit allen seinen nothwendigen Theilen nicht
wie ein aus Worten zusammengesetztes Ganzes, sondern wirklich
als ein einzelnes Wort zu behandeln.
Wenn man, wie es ursprünglich richtiger ist, da jede, noch
so unvollständige Aussage in der Absicht des Sprechenden wirk-
lich einen geschlossenen Gedanken ausmacht, vom Satze ausgeht,
so zerschlagen Sprachen, die sich dieses Mittels bedienen, die Ein-
heit des Satzes gar nicht, sondern streben vielmehr in ihrer Aus-
bildung, sie immer fester zusammenzuknüpfen. Sie verrücken
aber sichtbar die Gränzen der Worteinheit, indem sie dieselbe in
das Gebiet der Satzeinheit hinüberziehen. Die richtige Unter-
scheidung beider geht daher allein, da die Chinesische Methode
das Gefühl der Satzeinheit zu schwach in die Sprache überführt,
von den wahren Flexionssprachen aus, und die Sprachen beweisen
nur dann, dass die Flexion in ihrem wahren Geiste ihr ganzes
144
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wesen durchdrungen hat, wenn sie auf der einen Seite die Wort-
einheit bis zur Vollendung ausbilden, auf der andren aber zu-
gleich dieselbe in ihrem eigentlichen Gebiete festhalten, den Satz
in alle seine nothwendigen Theile trennen und erst aus ihnen
seine Einheit wieder aufbauen. Insofern gehören Flexion, Wort-
einheit und Gliederung des Satzes dergestalt enge zusammen, dass
eine unvollkommene Ausbildung des einen oder des andren dieser
Stücke immer sicher beweist, dass keines in seinem ganz reinen,
ungetrübten Sinn in der Sprachbildung vorgewaltet hat. Jenes
dreifache Verfahren nun, das sorgfältige grammatische Zurichten
des Wortes zur Satzverknüpfung, die ganz indirecte und grössten-
theils lautlose Andeutung derselben und das enge Zusammen-
halten des ganzes Satzes, soviel es immer möglich ist, in Einer
zusammen ausgesprochenen F^rm, erschöpft die Art, wie die
Sprachen den Satz aus Wörtern zusammenfügen. Von allen drei
Methoden finden sich in den meisten Sprachen einzelne, stärkere
oder schwächere Spuren. Wo aber eine derselben bestimmt vor-
waltet und zum Mittelpunkt des Organismus wird, da lenkt sie
auch den ganzen Bau, in strengerer oder loserer Consequenz, nach
sich hin. Als Beispiele des stärksten Vorwaltens jeder derselben
lassen sich das Sanskrit, die Chinesische und, wie ich gleich aus-
führen werde, die Mexicanische Sprache aufstellen.
Um die Verknüpfung des einfachen Satzes in Eine laut-
verbundene Form hervorzubringen, hebt die letztere*) das Verbum,
*) Ich erlaube mir hier eine Bemerkung über die Aussprache des Namens Mexico.
Wenn wir dem X in diesem Worte den bei uns üblichen Laut geben, so ist dies freilich
unrichtig. Wir würden uns aber noch weiter von der wahren einheimischen Aussprache
entfernen, wenn wir der Spanischen, in der neuesten, noch tadelnswürdigeren Schreibung
Mejico ganz unwiderruflich gewordenen durch den Gurgellaut ch folgten. Der ein-
heimischen Aussprache gemäss ist der dritte Buchstabe des Namens des Kriegsgottes
Mexitil und des davon herkommenden der Stadt Mexico ein starker Zischlaut, wenn
sich auch nicht genau angeben lässt, in welchem Grade derselbe sich unserm seh nähert.
Hierauf wurde ich zuerst dadurch geführt, dass Castilien auf Mexicanische Weise Caxtil,
und in der verwandten Cora-Sprache das Spanische pesar, wägen, pexuvi geschrieben
wird. Noch deutlicher fand ich diese Muthmassung bestätigt durch Gilij's Art, das im
Mexicanischen gebrauchte x Italienisch durch sc wiederzugeben. [Saggio di storia
Americana. III. 343-) Da ich denselben oder einen ähnlichen Zischlaut auch in
mehreren anderen Amerikanischen Sprachen von den Spanischen Sprachlehrern mit x
geschrieben fand, so erklärte ich mir diese Sonderbarkeit aus dem Mangel des sch-
Lauts in der Spanischen Sprache. Da die Spanischen Grammatiker in ihrem eignen
Alphabete keinen ihm entsprechenden fanden, so wählten sie zu seiner Bezeichnung
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29a. jaz
als den wahren Mittelpunkt desselben heraus, fügt, soviel es möglich
ist, die regierenden und regierten Theile des Satzes an dasselbe
an und giebt dieser Verknüpfung durch Lautformung das Ge-
1231 3 2
präge eines verbundenen Ganzen: ni-naca-qua, ich esse Fleisch.
Man könnte diese Verbindung des Substantivs mit dem \^erbum
als ein zusammengesetztes Verbum, gleich dem Griechischen
xQ€iücpayeit), ansehen; slie Sprache nimmt es aber offenbar anders.
Denn wenn aus irgend einem Grunde das Substantivum nicht
selbst einverleibt wird, so ersetzt sie es durch das Pronomen der
dritten Person, zum deutlichen Beweise, dass sie mit dem Verbum
und in ihm enthalten zugleich das Schema der Construction zu
12345 I 3 2 4 5
haben verlangt: ni-c-qua in nacatl, ich esse es, das Fleisch.
Der Satz soll, seiner Form nach, schon im Verbum abgeschlossen
erscheinen und wird nur nachher, gleichsam durch Apposition,
näher bestimmt. Das Verbum lässt sich gar nicht ohne diese
verv^ollständigenden Nebenbestimmungen nach Mexicanischer Vor-
stellungsweise denken. Wenn daher kein bestimmtes Object da-
steht, so verbindet die Sprache mit dem Verbum ein eignes, in
doppelter Form für Personen und Sachen gebrauchtes, unbe-
I 2 3 I 3 2 1234
stimmtes Pronomen: ni-tla-qiia, ich esse etwas, ni-ie-tla-inaca,
14.2 3
ich gebe jemandem etwas. Ihre Absicht, diese Zusammen-
fügungen als ein Ganzes erscheinen zu lassen, bekundet die Sprache
auf das deutlichste. Denn wenn ein solches, den Satz selbst oder
gleichsam sein Schema in sich fassendes Verbum in eine vergangene
Zeit gestellt wird und dadurch das Augment o erhält, so stellt
sich dieses an den Anfang der Zusammenfügung, was klar anzeigt,
dass jene Nebenbestimmungen dem Verbum immer und noth-
wendig angehören, das Augment aber ihm nur gelegentlich, als
das bei ihnen zweideutige und ihrer Sprache selbst fremde x. Späterhin fand ich die-
selbe Erklärung dieser Buchstabenverwechslung bei dem Exjesuiten Camano, der ge-
radezu den in der Chiquitischen Sprache (im Innren von Südamerika) mit x geschrie-
benen Laut mit dem Deutschen seh und dem Französischen ch vergleicht und den-
selben Grund für den Gebrauch des x angiebt. Diese Aeusserung findet sich in seiner
sehr systematischen und vollständigen handschriftlichen Chiquitischen Grammatik, die
ich der Güte des Etatsraths von Schlözer als ein Geschenk aus dem Nachlasse seines
Vaters verdanke. Um der einheimischen Aussprache nahe zu bleiben, müsste man also
die Hauptstadt Neuspaniens ungefähr wie die Italiäner aussprechen, genauer genommen
aber so, dass der Laut zwischen Messico und Meschico fiele.
W. V. Humboldt, Werke. VII. IG
lAß I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Vergangenheits-Andeutung hinzutritt. So ist von m'-nemt, ich lebe,
das als ein intransitives Verbum keine andren Pronomina mit sich
führen kann, das Perfectum o-ni-nen, ich habe gelebt, von maca,
geben, o-ni-c-te-maca-c, ich habe es jemandem gegeben. Noch
wichtiger aber ist es, dass die Sprache für die zur Einverleibung
gebrauchten Wörter sehr sorgfältig eine absolute und eine Ein-
verleibungsform unterscheidet, eine Vorsicht, ohne welche diese
ganze Methode mislich für das Verständniss werden würde und
die man daher als die Grundlage derselben anzusehen hat. Die
Nomina legen in der Einverleibung, ebenso wie in zusammen-
gesetzten Wörtern die Endungen ab, welche sie im absoluten
Zustande immer begleiten und sie als Nomina charakterisiren.
Fleisch, das wir im Vorigen einverleibt als 7taca fanden, heisst
absolut nacatl*) Von den einverleibten Pronominen wird keines
in gleicher Form abgesondert gebraucht. Die beiden unbestimmten
*) Der Endlaut dieses Worts, der durch seine häufige Wiederkehr gewissermassen
zum charakteristischen der Mexicanischen Sprache wird, findet sich bei den Spanischen
Sprachlehrern durchaus mit Ü geschrieben. Tapia Zenteno {Arte novissima de lenguo.
Mexicana. 1753. p- 2. 3.) nur bemerkt, dass die beiden Consonanten zwar im Anfange
und in der Mitte der Wörter wie im Spanischen ausgesprochen würden, dagegen am
Ende nur Einen, sehr schwer zu erlernenden Laut bildeten. Nachdem er diesen sehr un-
deutlich beschrieben hat, tadelt er ausdrücklich, wenn tlatlacolli, Sünde, und tlamantli,
Schicht, claclacolli und claniancli ausgesprochen würden. Da ich aber, durch die ge-
fällige Vermittlung meines Bruders, Herrn Alaman und Herrn Castorena, einen Mexi-
canischen Eingebornen, über diesen Punkt schriftlich befragte, erhielt ich zur Antwort,
dass die heutige Aussprache des tl allgemein und in allen Fällen die von cl ist. Der
Cora-Sprache fehlt das / und sie nimmt daher bei Mexicanischen Wörtern nur den
ersten Buchstaben des tl in sich auf. Aber auch die Spanischen Grammatiker dieser
Sprache setzen dann immer ein t (nie ein c), so dass tlatoani, Gouverneur, tatoani
lautet. Ich schrieb den Herren Alaman und Castorena noch einmal und stellte ihnen
die aus der Cora-Sprache hervorgehende Einwendung entgegen. Die Antwort blieb
aber dieselbe, als zuvor. An der heutigen Aussprache ist daher nicht zu zweifeln.
Man geräth nur in Verlegenheit, ob man annehmen soll, dass die Aussprache sich mit
der Zeit verändert hat, von t zn k übergegangen ist, oder ob die Ursach darin liegt,
dass der dem / vorhergehende Laut ein dunkler zwischen t und A' schwebender ist ?
Auch in der Aussprache von Eingebornen von Tahiti und den Sandwich-Inseln habe
ich selbst erprobt, dass diese Laute kaum von einander zu unterscheiden sind. Ich
halte den zuletzt angedeuteten Grund für den richtigen. Die Spanier, welche sich
zuerst ernsthaft mit der Sprache beschäftigten, mochten den dunklen Laut wie ein t
auffassen, und da sie ihn auf diese Weise in ihre Schreibung aufnahmen, so mag man
hierbei stehen geblieben seyn. Auch aus Tapia Zenteno's Aeusserung scheint eine ge-
wisse Unenlschiedenheit des Lauts hervorzugehen, die er nur nicht in ein nach Spani-
scher Weise deutliches cl ausarten lassen will.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29 a. j^n
kommen im absoluten Zustande gar nicht in der Sprache vor.
Die auf ein bestimmtes Object gehenden haben eine von ihrer
selbstständigen mehr oder weniger verschiedene Form. Die be-
schriebene Methode zeigt aber schon von selbst, dass die Einver-
leibungsform eine doppelte seyn müsse, eine für das regierende
und eine für das regierte Pronomen. Die selbstständigen persön-
lichen Pronomina können zwar den hier geschilderten Formen zu
besonderem Nachdruck vorgesetzt werden, die sich auf sie be-
ziehenden einverleibten bleiben aber darum nicht weg. Das in
einem eignen Worte ausgedrückte Subject des Satzes wird nicht
einverleibt; sein Vorhandenseyn zeigt sich aber an der Form da-
durch, dass in dieser allemal bei der dritten Person ein sie an-
deutendes regierendes Pronomen fehlt.
Wenn man die Verschiedenheit der Art überschlägt, in w^elcher
sich auch der einfache Satz dem Verstände darstellen kann, so
sieht man leicht ein, dass das strenge Einverleibungssystem nicht
durch alle verschiednen Fälle durchgeführt werden kann. Es
müssen daher oft Begriffe in einzelnen Wörtern aus der Form,
welche sie nicht alle umschliessen kann, herausgestellt werden.
Die Sprache verfolgt aber hierbei immer die einmal gewählte Bahn
und ersinnt, wo sie auf Schwierigkeiten stösst, neue künstliche
Abhelfungsmittel. Wenn also z. B. eine Sache in Beziehung auf
einen andren, für oder wider ihn geschehen soll und nun das
bestimmte regierte Pronomen, da es sich auf zwei Objecte be-
ziehen müsste, Undeutlichkeit erregen würde, so bildet sie, ver-
mittelst einer zuwachsenden Endung, eine eigne Gattung solcher
Verben und verfähn übrigens wie gewöhnlich. Das Schema des
Satzes liegt nun wieder vollständig in der verknüpften Form, die
Andeutung einer verrichteten Sache im regierten Pronomen, die
Nebenbeziehung auf einen andren in der Endung und sie kann
jetzt mit Sicherheit des Verständnisses diese beiden Objecte, ohne
sie mit Kennzeichen ihrer Beziehung auszustatten, ausserhalb nach-
folgen lassen: chihua, machen, chihui-lia, für oder wider
jemand machen, mit Veränderung des a in i nach dem Assi-
123 456 7.89,1 3 2
milationsgesetz, ni-c-chihui-Ua in no-pützin ce calli, ich mache es
456 789
für der mein Sohn ein Haus.
Die Mexicanische Einverleibungsmethode zeugt darin von
einem richtigen Gefühle der Bildung des Satzes, dass sie die
j^g I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Bezeichnung seiner Beziehungen gerade an das Verbum anknüpft,
also an den Punkt, in welchem sich derselbe zur Einheit zusammen-
schlingt. Sie unterscheidet sich dadurch wesentlich und vortheilhaft
von der Chinesischen Andeutungslosigkeit, in welcher das Verbum
nicht einmal sicher durch seine Stellung, sondern oft nur materiell
an seiner Bedeutung kenntlich ist. In den bei verwickeiteren Sätzen
ausserhalb des Verbum stehenden Theilen aber kommt sie der
letzteren wieder vollkommen gleich. Denn indem sie ihre ganze
Andeutungs-Geschäftigkeit auf das Verbum wirft, lässt sie das
Nomen durchaus beugungslos. Dem Sanskritischen Verfahren
nähert sie sich zwar insofern, als sie den, die Theile des Satzes
verknüpfenden Faden wirklich angiebt; übrigens aber steht sie
mit demselben in einem merkwürdigen Gegensatz. Das Sanskrit
bezeichnet auf ganz einfache und natürliche Weise jedes Wort
als constitutiven Theil des Satzes. Die Einverleibungsmethode
thut dies nicht, sondern lässt, wo sie nicht Alles in Eins zusammen-
schlagen kann, aus dem Mittelpunkte des Satzes Kennzeichen,
gleichsam wie Spitzen ausgehen, die Richtungen anzuzeigen, in
welchen die einzelnen Theile, ihrem Verhältniss zum Satze gemäss,
gesucht werden müssen. Des Suchens und Rathens wird man
nicht überhoben, vielmehr durch die bestimmte Art der Andeutung
in das entgegengesetzte System der Andeutungslosigkeit zurück-
geworfen. Wenn aber auch dies Verfahren auf diese Weise etwas
mit den beiden übrigen gemein hat, so würde man seine Natur
dennoch verkennen, wenn man es als eine Mischung von beiden
ansehen oder es so auffassen wollte, als hätte nur der innere
Sprachsinn nicht die Kraft besessen, das Andeutungssystem durch
alle Theile der Sprache durchzuführen. Es liegt vielmehr offenbar
in dieser Mexicanischen Satzbildung eine eigenthümliche Vor-
stellungsweise. Der Satz soll nicht construirt, nicht aus Theilen
allmählich aufgebaut, sondern als zur Einheit geprägte Form auf
Einmal hingegeben werden.
Wenn man es wagt, in die Uranfänge der Sprache hinab-
zusteigen, so verbindet zwar der Mensch gewiss immer mit jedem,
als Sprache ausgestossenen Laute innerlich einen vollständigen
Sinn, also einen geschlossenen Satz, stellt nicht bloss, seiner Ab-
sicht nach, ein vereinzeltes Wort hin, wenn auch seine Aussage
nach unserer Ansicht nur ein solches enthält. Darum aber kann
man sich das ursprüngliche Verhältniss des Satzes zum Worte
nicht so denken, als würde ein schon in sich vollständiger und
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29 a. mq
ausführlicher nur nachher durch Abstraction in Wörter zerlegt.
Denkt man sich, wie es doch das NatürUchste ist, die Sprach-
bildung successiv, so muss man ihr, wie allem Entstehen in der
Natur, ein Evolutionssystem unterlegen. Das sich im Laut äussernde
Gefühl enthält Alles im Keime, im Laute selbst aber ist nicht
Alles zugleich sichtbar. Nur wie das Gefühl sich klarer ent-
wickelt, die Articulation Freiheit und Bestimmtheit gewinnt und
das mit Glück versuchte gegenseitige Verständniss den A'luth er-
höht, werden die erst dunkel eingeschlossenen Theile nach und
nach heller und treten in einzelnen Lauten hervor. Mit diesem
Gange hat das Mexicanische Verfahren eine gewisse Aehnlichkeit.
Es stellt zuerst ein verbundenes Ganzes hin, das formal vollständig
und genügend ist ; es bezeichnet ausdrücklich das noch nicht indi-
viduell Bestimmte als ein unbestimmtes Etwas durch das Pronomen,
malt aber nachher dies unbestimmt Gebliebene einzeln aus.^) Es
folgt aus diesem Gange von selbst, dass, da den einverleibten
Wörtern die Endungen fehlen, welche sie im selbstständigen Zu-
stande besitzen, man sich dies in der Wirklichkeit der Sprach-
erfindung nicht als ein Abwerfen der Endungen zum Behuf der
Einverleibung, sondern als ein Hinzufügen im Zustande der Selbst-
ständigkeit denken muss. Man darf mich darum nicht so mis-
verstehen, als schiene mir deshalb der Mexicanische Sprachbau
jenen Uranfängen näher zu liegen. Die Anwendung von Zeit-
begriffen auf die Entwicklung einer so ganz im Gebiete der
nicht zu berechnenden ursprünglichen Seelenvermögen liegenden
menschlichen Eigenthümlichkeit, als die Sprache, hat immer etwas
sehr Misliches. Offenbar ist auch die Mexicanische Satzbildung
schon eine sehr kunstvoll und oft bearbeitete Zusammenfügung,
die von jenen Urbildungen nur den allgemeinen Typus beibehalten
hat, übrigens aber schon durch die regelmässige Absonderung der
verschiedenen Arten des Pronomen an eine Zeit erinnert, in
welcher eine klarere grammatische Vorstellungsweise herrscht.
Denn diese Zusammenfügungen am Verbum haben sich schon
harmonisch und in gleichem Grade, wie die Zusammenbildung
in eine Worteinheit und die Beugungen des Verbum selbst aus-
gebildet. Das Unterscheidende liegt nur darin, dass, was in den
V Nach „aus" gestrichen: „Wenn die nachgebrachten Theile des Satzes
sonst an sich unbezeichnet gelassen werden, so geschieht es, weil schon ihre un-
bestimmte Andeutung hinreichend bezeichnend scheint."
jrrv I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Uranfängen gleichsam die unentwickelt in sich schliessende Knospe
ausmacht, in der Mexicanischen Sprache als ein zusammengebildetes
Ganzes vollständig und unzertrennbar hingelegt wird, da die Chi-
nesische es ganz dem Hörer überlässt, die, kaum irgend durch
Laute angedeutete Zusammenfügung aufzusuchen, und die leben-
digere und kühnere Sanskritische sich gleich den Theil in seiner
Beziehung zum Ganzen, sie fest bezeichnend, vor Augen stellt.
Die Malayischen Sprachen folgen zwar nicht dem Einver-
leibungssysteme, haben aber darin mit demselben eine gewisse
Aehnlichkeit, dass sie die Richtungen, welche der Gang des Satzes
nimmt, durch sorgfältige Bezeichnung der intransitiven, transitiven
oder causalen Natur des Verbum angeben und dadurch den
Mangel an Beugungen für das Yerständniss des Satzes zu ersetzen
suchen. Einige von ihnen häufen Bestimmungen aller Art auf
diese Weise am Verbum, so dass sie sogar gewissermassen daran
ausdrücken, ob es im Singularis oder Pluralis steht. Es wird
daher auch durch Bezeichnung am Verbum der Wink gegeben,
wie man die anderen Theile des Satzes darauf beziehen soll.
Auch ist das Verbum bei ihnen nicht durchaus beugungslos. ^)
Der Mexicanischen kann man am Verbum, in welchem die Zeiten
durch einzelne Endbuchstaben und zum Theil offenbar symbolisch
bezeichnet werden, Flexionen und ein gewisses Streben nach Sans-
kritischer Worteinheit nicht absprechen.
Ein gleichsam geringerer Grad des Einverleibungsverfahrens
ist es, wenn Sprachen zwar dem Verbum nicht zumuthen, ganze
Nomina in den Schooss seiner Beugungen aufzunehmen, allein
doch an ihm nicht bloss das regierende Pronomen, sondern
auch das regierte ausdrücken. Auch hierin giebt es verschiedene
Nuancen, je nachdem diese Methode sich mehr oder weniger tief
in der Sprache festgesetzt hat und je nachdem diese Andeutung
auch da gefordert wird, wo der ausdrückliche Gegenstand der
Handlung selbstständig nachfolgt. Wo diese Beugungsart des
Verbum mit dem, in dasselbe verwebten, nach verschiedenen
Richtungen hin bedeutsamen Pronomen seine volle Ausbildung
erreicht hat, wie in einigen Nordamerikanischen Sprachen und in
der Vaskischen, da wuchert eine schwer zu übersehende Anzahl
V Dieser Satz hieß ursprünglich: „Da aber das Verbum selbst fast ganz
beugungslos ist, so stehen diese Sprachen dem Chinesischen Verfahren bei
weitem näher."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29a. j- j
von verbalen Beugungsformen auf. Mit bewundrungswürdiger
Sorgfalt aber ist die Analogie ihrer Bildung dergestalt festgehalten,
dass das Verständniss an einem leicht zu erkennenden Faden
durch dieselben hindurchläuft. Da in diesen Formen häufig die-
selbe Person des Pronomen in verschiedenen Beziehungen als
handelnd, als directer und indirecter Gegenstand der Handlung
wiederkehrt und diese Sprachen grösstentheils aller Declinations-
beugungen ermangeln, so muss es entweder dem Laut nach ver-
schiedene Pronominal-Affixa in ihnen geben oder auf irgend eine
andre Weise dem möglichen Misverständniss vorgebeugt werden.
Hierdurch entsteht nun oft ein höchst kunstvoller Bau des Ver-
bum. Als ein vorzügliches Beispiel eines solchen kann man die
Massachusetts-Sprache in Neu-England, einen Zweig des grossen
Delaware-Stamms anführen. Mit den gleichen Pronominal-Affixen,
zwischen denen sie nicht, wie die Mexicanische, einen Lautunter-
schied macht, bestimmt sie in ihrer verwickelten Conjugation alle
vorkommenden Beugungen. Sie bedient sich dazu hauptsächlich
des Mittels, in bestimmten Fällen die leidende Person zu praefi-
giren, so dass man, wenn man einmal die Regel eingesehen hat,
meistentheils gleich am Anfangsbuchstaben der Form die Gattung
erkennt, zu welcher sie gehört. Da aber auch dies Mittel nicht
vollkommen ausreicht, so verbindet sie damit andere, namentlich
einen Endungslaut, der, wenn die beiden ersten Personen die
leidenden sind, die dritte als wirkend bezeichnet. Dieser Umstand,
die verschiedene Bedeutung des Pronomen durch den Ort seiner
Stellung im Verbum anzudeuten, hat mir immer sehr merkwürdig
geschienen, indem er entweder eine bestimmte Vorstellungsweise
in dem Geiste des Volkes voraussetzt oder darauf hinführt, dass
das Ganze der Conjugation gleichsam dunkel dem Sprachsinne
vorgeschwebt habe und dieser nun w^llkührlich sich der Stellung
als Unterscheidungsmittels bediente. Mir ist jedoch das Erstere
bei weitem wahrscheinlicher. Zwar scheint es auf den ersten
Anblick in der That willkührlich , wenn die erste Person, als
regierte, da suffigirt wird, wo die zweite die handelnde ist, da-
gegen dem Verbum da vorangeht, wo die dritte als wirkend auf-
tritt, wenn man mithin immer du greifst mich und mich
greift er, nicht umgekehrt sagt. Indess mag doch ein Grund
darin liegen, dass die beiden ersten Personen einen höheren Grad
von Lebendigkeit vor der Phantasie des Volkes ausübten und
dass das Wesen dieser Formen, wie es nicht unnatürlich zu
jr2 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
denken ist, von der betroffenen, leidenden Person ausgieng. Unter
den beiden ersten scheint wieder die zweite das Uebergewicht zu
haben; denn die dritte wird, als leidende, nie praefigirt und die
zweite hat in demselben Zustand nie eine andre Stellung. Wo
aber die zweite, als wirkend mit der ersten, als leidenden zu-
sammenkommt, behauptet die zweite, indem die Sprache auf andre
Weise für die Vermeidung der Verwechslung sorgt, dennoch ihren
vorzüglicheren Platz. Auch spricht für diese Ansicht, dass in der
Sprache des Hauptzweiges des Delaware-Stammes, in der Lenni
Lenape-Sprache , die Stellung des Pronomen in diesen Formen
dieselbe ist. Auch die Mundart der unter uns durch den geist-
vollen Cooperschen Roman bekannt gewordenen Mohegans (eigent-
lich Muhhekaneew) scheint sich hiervon nicht zu entfernen. Immer
aber bleibt das Gewebe dieser Cönjugation so künstlich, dass man
sich des Gedanken nicht erwehren kann, dass auch hier, wie schon
weiter oben von der Sprache überhaupt bemerkt worden ist, die
Bildung jedes Theiles in Beziehung auf das dunkel gefühlte Ganze
gemacht worden sey. Die Grammatiken geben bloss Paradigmen
und enthalten keine Zergliederung des Baues. Ich habe mich aber
durch eine solche genaue, in weitläuftige Tabellen gebrachte aus
Eliot's*) Paradigmen vollständig von der in dem anscheinenden
Chaos herrschenden Regelmässigkeit überzeugt. Die Mangelhaftig-
keit der Hülfsmittel erlaubt der Zergliederung nicht immer, durch
alle Theile jeder Form durchzudringen, und besonders nicht, das,
was die Grammatiker nur als Wohllautsbuchstaben ansehen, von
allen charakteristischen zu scheiden. Durch den grössten Theil
der Beugungen aber führen die erkannten Regeln, und wo hier-
nach Fälle zweifelhaft bleiben, lässt sich die Bedeutung der Form
doch immer dadurch zeigen, dass sie aus bestimmt anzugebenden
Gründen keine andere seyn kann. Dennoch ist es kein glücklicher
Wurf, wenn die innere Organisation eines Volkes, verbunden mit
äusseren Umständen, den Sprachbau auf diese Bahn führt. Die
grammatischen Formen fügen sich für den Verstand und den Laut
in zu grosse und unbehülf liehe Massen zusammen. Die Freiheit der
Rede fühlt sich gebunden, indem sie sich, anstatt den in seinen
*) John Eliot's Massachusetts Grammar, herausgegeben von John Pickering.
Boston. 1822. Man vergleiche auch David Zeisberger's Delaware Grammar, übersetzt
von Du Ponceau. Philadelphia. 1827. und Jonath. Edwards observations on the language
of the Muhhekaneew Indians, herausgegeben von John Pickering. 1823.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29 a. j - o
Verknüpfungen wechselnden Gedanken aus einzelnen Elementen
zusammenzusetzen, grossentheils ein für allemal gestempelter Aus-
drücke bedienen muss, von welchen sie nicht einmal aller Theile
in jedem Augenblicke bedarf. Dabei ist die Verbindung innerhalb
dieser zusammengesetzten Formen doch zu locker und zu lose,
als dass ihre einzelnen Theile zu wahrer Worteinheit in einander
verschmelzen könnten.
So leidet die Verbindung bei nicht organisch richtig vorge-
nommener Trennung. Der hier erhobene Vorwurf trifft das ganze
Einverleibungsverfahren. Die Mexicanische Sprache macht zw^ar
dadurch die Worteinheit wieder stärker, dass sie weniger Be-
stimmungen durch Pronomina in die Verbalbeugungen verwebt,
niemals auf diese Weise zwei bestimmte regierte Gegenstände an-
deutet, sondern die Bezeichnung der indirecten Beziehung, wenn
zugleich eine directe da ist, in die Endung des Verbum selbst
legt; allein sie verknüpft immer auch, was besser unverbunden
wäre. In Sprachen, welche einen hohen Sinn für die Worteinheit
verrathen, ist zwar auch bisweilen die Andeutung des regierten
Pronomen an der Verbalform eingedrungen, wie z. B. im
Hebräischen diese regierten Pronomina suftigirt werden. Allein
die Sprache giebt hier selbst zu erkennen, welchen Unterschied
sie zwischen diesen Pronominen und denen der handelnden Per-
sonen, welche wesentlich zur Natur des Verbum selbst gehören,
macht. Denn indem sie diese letzteren in die allerengste Ver-
bindung mit dem Stamme setzt, hängt sie die ersteren locker an,
ja trennt sie bisweilen gänzlich vom Verbum und stellt sie für
sich hin.
Die Sprachen, welche auf diese Weise die Gränzen der Wort-
und Satzbildung in einander überführen, pflegen der Declination
zu ermangeln, entweder gar keine Casus zu haben oder, wie die
A^askische, den Xominativus nicht immer im Laut vom Accusa-
tivus zu unterscheiden. Man darf aber dies nicht als die Ursache
jener Einfügung des regierten Objects ansehen, als w^ollten sie
gleichsam der aus dem Declinationsmangel entstehenden Undeut-
lichkeit vorbeugen. Dieser Mangel ist vielmehr die Folge jenes
Verfahrens. Denn der Grund dieser ganzen Verwechslung dessen,
was dem Theile und was dem Ganzen des Satzes gebührt, liegt
darin, dass dem Geiste bei der Organisation der Sprache nicht
der richtige Begriff der einzelnen Redetheile vorgeschwebt hat.
Aus diesem würde unmittelbar selbst zugleich die Declination des
IZA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Nomen und die Beschränkung der Verbalformen auf ihre wesent-
lichen Bestimmungen hervorgesprungen seyn. Gerieth man aber
statt dessen zuerst auf den Weg, das bloss in der Construction
Zusammengehörende auch im Worte eng zusammenzuhalten, so
erschien natürlich die Ausbildung des Nomen minder nothwendig.
Sein Bild war in der Phantasie des Volkes nicht als Theil des
Satzes vorherrschend, sondern wurde bloss als erklärender Be-
griff nachgebracht. Das Sanskrit hat sich von dieser Verwebung
regierter Pronomina in das Verbum durchaus frei erhalten.
Ich habe bisher einer andren Verbindung des Pronomen in
Fällen, wo es natürlicher unverbunden steht, nemlich des Besitz-
pronomen mit dem Nomen nicht erwähnt, weil derselben zu-
gleich und sogar hauptsächlich etwas anderes, als das, wovon
wir hier reden, zum Grunde liegt. Die Mexicanische Sprache hat
eine eigen für das Besitzpronomen bestimmte Abkürzung und
das Pronomen umschlingt auf diese Weise in zwei abgesonderten
Formen die beiden Haupttheile der Sprache. Im Mexicanischen
und nicht bloss in dieser Sprache hat diese Verbindung zugleich
eine syntaktische Anwendung und gehört daher genau hierher.
Man bedient sich nemlich der Zusammenfügung des Pronomen
der dritten Person mit dem Nomen als einer Andeutung des
Genitiv- Verhältnisses, indem man das im Genitiv stehende Nomen
nachfolgen lässt, sein Haus der Gärtner statt das Haus des
Gärtners sagt. Man sieht, dass dies gerade dasselbe Verfahren,
als bei dem, ein nachgesetztes Substantiv regierenden A^erbum ist.
Die Verbindungen mit dem Besitzpronomen sind im Mexica-
nischen nicht bloss überhaupt viel häutiger, als die Hinzufügung
desselben unsrer Vorstellungsweise nothwendig erscheint, sondern
mit gewissen Begriffen, z. B. denen der Verwandtschaftsgrade und
der Glieder des menschlichen Körpers ist dies Pronomen gleich-
sam unablöslich verwachsen. Wo keine einzelne Person zu be-
stimmen ist, fügt man dem Verwandtschaftsgrade das unbestimmte
persönliche Pronomen, den Gliedmassen des Körpers das der ersten
Person des Plurals hinzu. Man sagt daher nicht leicht nantli, d i e
Mutter, sondern gewöhnlich te-nan, jemandes Mutter, und
ebensowenig maitl, die Hand, sondern to-ma, unsere Hand.
Auch in vielen andren Amerikanischen Sprachen geht das An-
knüpfen dieser Begriffe an das Besitzpronomen bis zur anschei-
nenden Unmöglichkeit der Trennung davon. Hier ist der Grund
nun wohl offenbar kein syntaktischer, sondern liegt vielmehr noch
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschleciits. 29a. j--
tiefer in der Vorstellungsweise des Volks. Wo der Geist noch
wenig an Abstraction gewöhnt ist, fasst er in Eins, was er oft an
einander anknüpft, und was der Gedanke schwer oder überall
nicht zu sondern vermag, das verbindet die Sprache, wo sie über-
haupt zu solchen ^^erknüpfungen hinneigt, in Ein Wort. Solche
Wörter erhalten nachher, als ein für allemal gestempelte Gepräge,
Umlauf und die Sprechenden denken nicht mehr daran, ihre
Elemente zu trennen. Die beständige Beziehung der Sache auf
die Person liegt überdies in der ursprünglicheren Ansicht des
Menschen und beschränkt sich erst bei steigender Cultur auf die
Fälle, in welchen sie wirklich nothwendig ist. In allen Sprachen,
welche stärkere Spuren jenes früheren Zustandes enthalten, spielt
daher das persönliche Pronomen eine wichtigere Rolle. In dieser
Ansicht bestätigen mich auch einige andere Erscheinungen. Im
Mexicanischen bemächtigen sich die Besitzpronomina dergestalt
des Wortes, dass die Endungen desselben gewöhnlich verändert
werden und diese Verknüpfungen durchaus eine ihnen eigne
Pluralendung haben. Eine solche Umgestaltung des ganzen
Wortes beweist sichtbar, dass es auch innerlich als ein neuer
individueller Begriff, nicht als eine bloss gelegentlich in der Rede
vorkommende Verknüpfung zweier verschiedener angesehen wird.
In der Hebräischen Sprache zeigt sich der Einfluss der verschie-
denen Festigkeit der Begritfsverknüpfung auf die Wortv^erknüpfung
in besonders bedeutsamen Nuancen. Am festesten und engsten
schliessen sich, wie schon oben bemerkt worden ist, an den Stamm
die Pronomina der handelnden Person des Verbum an, weil dieses
gar nicht ohne sie gedacht werden kann. Die dann folgende
festere Verbindung gehört dem Besitzpronom.en an und am
losesten tritt das Pronomen des Objects des Verbum zu dem
Stamme hinzu. Nach rein logischen Gründen sollte bei den
beiden letzten Fällen, wenn man überhaupt in ihnen einen Unter-
schied gestatten wollte, die grössere Festigkeit auf der Seite des
vom Verbum regienen Objects seyn. Denn offenbar wird dieses
nothwendiger vom transitiven Verbum, als das Besitzpronomen
im Allgemeinen vom Nomen gefordert. Dass die Sprache hier
den entgegengesetzten Weg wählt, kann kaum einen andren Grund,
ds den haben, dass dies Verhältniss in den Fällen, die es am
häufigsten mit sich führt, sich dem Volke in individueller Einheit
darstellte.
Wenn man zu dem Einverleibungssysteme, wie man streng
j rQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
genommen thun muss, alle die Fälle rechnet, wo dasjenige, was
einen eignen Satz bilden könnte, in eine Wortform zusammen-
gezogen wird, so finden sich Beispiele desselben auch in Sprachen,
die ihm übrigens fremd sind. Sie kommen aber alsdann gewöhn-
licher so vor, dass sie in zusammengesetzten Sätzen zur Vermei-
dung von Zwischensätzen gebraucht werden. Wie die Einver-
leibung im einfachen Satze mit der Beugungslosigkeit des Nomen
zusammenhängt, so ist dies hier entweder mit dem Mangel eines
Relativpronomen und gehöriger Conjunctionen oder mit der ge-
ringeren Gewohnheit der Fall, sich dieser Verbindungsmittel zu
bedienen. In den Semitischen Sprachen ist der Gebrauch des
s^aius co7istriictus auch in diesen Fällen weniger auffallend, da sie
überhaupt der Einverleibung nicht abgeneigt sind. Allein auch
im Sanskrit brauche ich hier nur an die in twä und ya ausgehenden
sogenannten beugungslosen Participia und selbst an die Composita
zu erinnern, die, wie die Bahuwrihi's, ganze Relativsätze in sich
schliessen. Die letzteren sind nur in geringerem Masse in die
Griechische Sprache übergegangen, welche überhaupt auch von
dieser Art der Einverleibung einen weniger häufigen Gebrauch
macht. Sie bedient sich mehr des Mittels verknüpfender Con-
junctionen. Sie vermehrt sogar lieber die Arbeit des Geistes
durch unverbunden gelassene Constructionen, als sie durch allzu
grosse Zusammenziehungen dem Periodenbau eine gewisse Un-
gelenkigkeit aufbürdet, von welcher, in Vergleichung mit ihr, das
Sanskrit nicht immer ganz frei zu sprechen ist. Es ist hier der
nemliche Fall, als da, wo die Sprachen überhaupt als Eins ge-
prägte Wortformen in Sätze auflösen. Nur braucht der Grund
zu diesem Verfahren nicht immer die Abstumpfung der Formen
bei geschwächter Bildungskraft der Sprachen zu seyn. Auch da,
wo sich eine solche nicht annehmen lässt, kann die Gewöhnung
an richtigere und kühnere Trennung der Begriffe auflösen, was,
zwar sinnlich und lebendig, allein dem Ausdruck der wechselnden
und geschmeidigen Gedankenverknüpfung weniger angemessen, in
Eins zusammengegossen war. Die Gränzbestimmung, was und
wie viel in Einer Form verbunden werden kann, erfordert einen
zarten und feinen grammatischen Sinn, wie er unter allen Nationen
wohl vorzugsweise den Griechen ursprünglich eigen war und sich
in ihrem, durchaus mit reichem und sorgfältigem Gebrauche der
Sprache verschlungenen Leben bis zur höchsten Verfeinerung
ausbildete.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29 a. b. j :: -'
Congruenz der Lautformen der Sprache mit den
grammatischen Forderungen.
Die grammatische Formung entspringt aus den Gesetzen des 29."-
Denkens durch Sprache und beruht auf der Congruenz der Laut-
formen mit denselben. Eine solche Congruenz muss auf irgend
eine Weise in Jeder Sprache vorhanden seyn; der Unterschied liegt
nur in den Graden und die Schuld mangelnder \'ollendung kann
das nicht gehörig deutliche Hen^orspringen jener Gesetze in der
Seele oder die nicht ausreichende Geschmeidigkeit des Laut-
systemes treffen. Der Mangel in dem einen Punkte wirkt aber
immer zugleich auf den andren zurück. Die Vollendung der
Sprache fordert, dass jedes Wort als ein bestimmter Redetheil
gestempelt sey und diejenigen Beschaffenheiten an sich trage,
welche die philosophische Zergliederung der Sprache an ihm er-
kennt. Sie setzt dadurch selbst Flexion voraus. Es fragt sich
nun also, auf welche Weise der einfachste Theil der vollendeten
Sprachbildung, die Ausprägung eines Wortes zum Redetheil durch
Flexion in dem Geiste eines Volkes vor sich gehend gedacht
werden kann? Reiiectirendes Bewusstseyn der Sprache lässt sich
bei ihrem Ursprünge nicht voraussetzen und würde auch keine
schöpferische Kraft für die Lautformung in sich tragen. Jeder
Vorzug, den eine Sprache in diesen wahrhaft vitalen Theilen ihres
Organismus besitzt, geht ursprünglich aus der lebendigen, sinn-
lichen Weltanschauung hervor. Weil aber die höchste und von
der Wahrheit am wenigsten abirrende Kraft aus der reinsten Zu-
sammenstimmung aller Geistesvermögen, deren idealischste Blüthe
die Sprache selbst ist, entspringt, so wirkt das aus der Welt-
anschauung Geschöpfte von selbst auf die Sprache zurück. So
ist es nun auch hier. Die Gegenstände der äusseren Anschauung,
so wie der innren Empfindung stellen sich in zwiefacher Be-
ziehung dar, in ihrer besondren qualitativen Beschaffenheit, welche
sie individuell unterscheidet, und in ihrem allgemeinen, sich für
die gehörig regsame Anschauung immer auch durch etwas in der
Erscheinung und dem Gefühl offenbarenden GattungsbegriflP; der
Flug eines Vogels z. B. als diese bestimmte Bewegung durch
Flügelkraft, zugleich aber als die unmittelbar vorübergehende und
nur an diesem Vorübergehen festzuhaltende Handlung, und auf
ähnliche Weise in allen andren Fällen. Eine aus der regsten und
jrg I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
harmonischsten Anstrengung der Kräfte hervorgehende Anschau-
ung erschöpft alles, sich in dem Angeschauten Darstellende und
vermischt nicht das Einzelne, sondern legt es in Klarheit aus ein-
ander. Aus dem Erkennen jener doppelten Beziehung der Gegen-
stände nun, dem Gefühle ihres richtigen Verhältnisses und der
Lebendigkeit des von jeder einzelnen hervorgebrachten Eindrucks
entspringt, wie von selbst, die Flexion, als der sprachliche Aus-
druck des Angeschauten und Gefühlten.
Es ist aber zugleich merkwürdig zu sehen, auf welchem ver-
schiedenen Wege die geistige Ansicht hier zur Satzbildung gelangt.
Sie geht nicht von seiner Idee aus, setzt ihn nicht mühevoll zu-
sammen, sondern gelangt zu ihm, ohne es noch zu ahnden, indem
sie nur dem scharf und vollständig aufgenommenen Eindruck des
Gegenstandes Gestaltung im Laute ertheilt. Indem dies jedesmal
richtig und nach demselben Gefühle geschieht, ordnet sich der
Gedanke aus den so gebildeten Wörtern zusammen. In ihrem
wahren, inneren Wesen ist die hier erwähnte geistige Verrichtung
ein unmittelbarer Ausfluss der Stärke und Reinheit des ursprüng-
lich im Menschen liegenden Sprachvermögens. Anschauung und
Gefühl sind nur gleichsam die Handhaben, an welchen sie in die
äussere Erscheinung herübergezogen wird, und dadurch ist es
begreiflich, dass in ihrem letzten Resultate so unendlich mehr
liegt, als diese, an sich betrachtet, darzubieten scheint. Die Ein-
verleibungsmethode befindet sich, streng genommen, in ihrem
Wesen selbst in wahrem Gegensatze mit der Flexion, indem diese
vom Einzelnen, sie aber vom Ganzen ausgeht. Nur theilweise
kann sie durch den siegreichen Einfluss des inneren Sprachsinnes
wieder zu ihr zurückkehren. Immer aber verräth sich in ihr, dass
durch seine geringere Stärke die Gegenstände sich nicht in gleicher
Klarheit und Sonderung der in ihnen das Gefühl einzeln be-
rührenden Punkte vor der Anschauung darlegen. Indem sie aber
dadurch auf ein anderes Verfahren geräth, erlangt sie durch das
lebendige Verfolgen dieser neuen Bahn wieder eine eigen-
thümliche Kraft und Frische der Gedankenverknüpfung. Die
Beziehung der Gegenstände auf ihre allgemeinsten Gattungs-
begriffe, welchen die Redetheile entsprechen, ist eine ideale
und ihr allgemeinster und reinster symbolischer Ausdruck wird
von der Persönlichkeit hergenommen, die sich zugleich, auch
sinnlich, als ihre natürlichste Bezeichnung darstellt. So knüpft
sich das weiter oben von der sinnvollen Verwebung der Pro-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 29 b. l^Q
nominalstämme in die grammatischen Formen Gesagte wieder
hier an.
Ist einmal Flexion in einer Sprache wahrhaft vorwaltend, so
folgt die fernere Ausspinnung des Flexionss3'stems nach vollendeter
grammatischer Ansicht von selbst und es ist schon oben ange-
deutet worden, wie die weitere Entwicklung sich bald neue Formen
schafft, bald sich in vorhandene, aber bis dahin nicht in verschie-
dener Bedeutsamkeit gebrauchte, auch bei Sprachen desselben
Stammes, hineinbaut. Ich darf hier nur an die Entstehung des
Griechischen Plusquamperfectum aus einer bloss verschiedenen
Form eines Sanskritischen Aoristes erinnern. Denn bei dem, nie
zu übergehenden Einfluss der Lautformung auf diesen Punkt darf
man nicht mit einander verwechseln, ob die letztere auf die Unter-
scheidung der mannigfaltigen grammatischen Begriffe beschränkend
einwirkt oder dieselben nur nicht vollständig in sich aufgenommen
hat. Es kann, auch bei der richtigsten Sprachansicht, in früherer
Periode der Sprache ein Uebergewicht der sinnlichen Formen-
schöpfung geben, in welchem einem und demselben grammatischen
Begriff eine Mannigfaltigkeit von Formen entspricht. Die Wörter
stellten sich in diesen früheren Perioden, wo der innerlich schöpfe-
rische Geist des Menschen ganz in die Sprache versenkt war, selbst
als Gegenstände dar, ergriffen die Einbildungskraft durch ihren
Klang und machten ihre besondere Natur in Vielförmigkeit vor-
herrschend geltend. Erst später und allmählich gewann die Be-
stimmtheit und die Allgemeinheit des grammatischen Begriffs
Ivraft und Gewicht, bemächtigte sich der Wörter und unterwarf
sie ihrer Gleichförmigkeit. Auch im Griechischen, besonders in
der Homerischen Sprache haben sich bedeutende Spuren jenes
früheren Zustandes erhalten. Im Ganzen aber zeigt sich gerade
in diesem Punkte der merkwürdige Unterschied zwischen dem
Griechischen und dem Sanskrit, dass das erstere die Formen ge-
nauer nach den grammatischen Begriffen umgränzt und ihre
Mannigfaltigkeit sorgfältiger benutzt, feinere Abstufungen der-
selben zu bezeichnen, w^ogegen das Sanskrit die technischen Be-
zeichnungsmittel mehr heraushebt, sie auf der einen Seite in
grösserem Reichthum anwendet, auf der andren aber dennoch
besser, einfacher und mit weniger zahlreichen Ausnahmen
festhält.
iQq I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Hauptunterschied der Sprachen nach der Reinheit
ihres Bildungsprincips.
Da die Sprache, wie ich bereits öfter im Obigen bemerkt
habe, immer nur ein ideales Daseyn in den Köpfen und Gemüthern
der Menschen, niemals, auch in Stein oder Erz gegraben, ein
materielles besitzt und auch die Kraft der nicht mehr gesprochenen,
insofern sie noch von uns empfunden werden kann, grossentheils von
der Stärke unsres eignen Wiederbelebungsgeistes abhängt, so kann
es in ihr ebensowenig, als in den unaufhörlich fortflammenden Ge-
danken der Menschen selbst einen Augenblick wahren Stillstandes
geben. Es ist ihre Natur, ein fortlaufender Entwicklungsgang
unter dem Einflüsse der jedesmaligen Geisteskraft der Redenden
zu seyn. In diesem Gange entstehen natürlich zwei bestimmt zu
unterscheidende Perioden, die eine, wo der lautschaffende Trieb
der Sprache noch im Wachsthum und in lebendiger Thätigkeit
ist, die andre, wo, nach vollendeter Gestaltung wenigstens der
äussren Sprachform, ein scheinbarer Stillstand eintritt und dann
eine sichtbare Abnahme jenes schöpferischen sinnlichen Triebes
folgt. Allein auch aus der Periode der Abnahme können neue
Lebensprincipe und neu gelingende Umgestaltungen der Sprache
hervorgehen, wie ich in der Folge näher berühren werde.
In dem Entwicklungsgange der Sprachen überhaupt wirken
zwei sich gegenseitig beschränkende Ursachen zusammen, das ur-
sprünglich die Richtung bestimmende Princip und der Einfluss
des schon hervorgebrachten Stoffes, dessen Gewalt immer in um-
gekehrtem Verhältniss mit der sich geltend machenden Kraft des
Princips steht. An dem Vorhandenseyn eines solchen Princips in
jeder Sprache kann nicht gezweifelt werden. So wie ein Volk
oder eine menschliche Denkkraft überhaupt Sprachelemente in
sich aufnimmt, muss sie dieselben, selbst unwillkührlich und ohne
zum deutlichen Bewusstseyn davon zu gelangen, in eine Einheit
verbinden, da ohne diese Operation weder ein Denken durch
Sprache im Individuum noch ein gegenseitiges Verständniss möglich
wäre. Eben dies müsste man annehmen, wenn man bis zu einem
ersten Hervorbringen einer Sprache aufsteigen könnte. Jene Einheit
aber kann nur die eines ausschliesslich vorwaltenden Princips seyn.
Nähert sich dies Princip dem allgemeinen sprachbildenden Principe
im Menschen so weit, als dies die nothwendige Individualisirung
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 30. ißi
■desselben erlaubt, und durchdringt es die Sprache in voller und
ungeschwächter Kraft, so wird diese alle Stadien ihres Entwick-
lungsganges dergestalt durchlaufen, dass an die Stelle einer schwin-
denden Kraft immer wieder eine neue, der sich fortschlingenden
Bahn angemessene eintritt. Denn es ist jeder intellectuellen Ent-
wicklung eigen, dass die Kraft eigentlich nicht abstirbt, sondern
nur in ihren Functionen wechselt oder eines ihrer Organe durch
ein anderes ersetzt. Mischt sich aber schon dem ersten Principe
etwas nicht in der Nothwendigkeit der Sprachform Gegründetes
bei oder durchdringt das Princip nicht wahrhaft den Laut oder
schliesst sich an einen nicht rein organischen Stoff zu noch
grösserer Abweichung anderes gleich Verbildetes an, so stellt sich
dem natürlichen Entwicklungsgange eine fremde Gewalt gegen-
über und die Sprache kann nicht, wie es sonst bei jeder richtigen
Entwicklung intellectueller Kräfte der Fall seyn muss, durch die
Verfolgung ihrer Bahn selbst neue Stärke gewinnen. Auch hier, wie
bei der Bezeichnung der mannigfaltigen Gedankenverknüpfungen,
bedarf die Sprache der Freiheit und man kann es als ein sicheres
Merkmal des reinsten und gelungensten Sprachbaues ansehen, wenn
in demselben die Formung der Wörter und der Fügungen keine
andren Beschränkungen erleidet, als nothwendig sind, mit der
Freiheit auch Gesetzmässigkeit zu verbinden, d. h. der Freiheit
durch Schranken ihr eignes Daseyn zu sichern. Mit dem richtigen
Entwicklungsgange der Sprache steht der des intellectuellen \er-
mögens überhaupt in natüriichem Einklänge. Denn da das Be-
dürfniss des Denkens die Sprache im Menschen weckt, so muss,
was rein aus ihrem Begriffe abfliesst, auch nothwendig das ge-
lingende Fortschreiten des Denkens befördern, ^^ersänke aber
auch eine mit solcher Sprache begabte Nation durch andere Ur-
sachen in Geistesträgheit und Schwäche, so würde sie sich immer
an ihrer Sprache selbst leichter aus diesem Zustande hervorarbeiten
können. Umgekehrt muss das intellectuelle Vermögen aus sich
selbst Hebel seines Aufschwunges finden, wenn ihm eine, von
jenem richtigen und natürlichen Entwicklungsgange abweichende
Sprache zur Seite steht. Es wird alsdann durch die aus ihm
selbst geschöpften Mittel auf die Sprache einwirken, nicht zwar
schaffend, da ihre Schöpfungen nur das Werk ihres eignen Lebens-
triebes seyn können, allein in sie hineinbauend, ihren Formen einen
Sinn leihend und eine Anwendung verstattend, den sie nicht hinein-
gelegt und zu der sie nicht geführt hatte.
W. V. Humboldt, Werke. VII. II
l52 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wir können nun in der zahllosen Mannigfaltigkeit der vor-
handenen und untergegangenen Sprachen einen Unterschied fest-
stellen, der für die fortschreitende Bildung des Menschengeschlechts
von entschiedner Wichtigkeit ist, nemlich den zwischen Sprachen,
die sich aus reinem Principe in gesetzmässiger Freiheit kräftig und
consequent entwickelt haben, und zwischen solchen, die sich dieses
Vorzuges nicht rühmen können. Die ersten sind die gelungenen
Früchte des in mannigfaltiger Bestrebung im Menschengeschlecht
wuchernden Sprachtriebes. Die letzten haben eine abweichende
Form, in welcher zwei Dinge zusammentreffen, Mangel an Stärke
des ursprünglich immer im Menschen rein liegenden Sprachsinnes
und eine einseitige, aus dem Umstände entspringende Verbildung,,
dass an eine nicht aus der Sprache nothwendig herfiiessende Laut-
form andere, durch sie an sich- gerissene angeschlossen werden^
Die obigen Untersuchungen geben einen Leitfaden an die
Hand, dies in den wirklichen Sprachen, wie sehr man auch an-
fangs in ihnen eine verwirrende Menge von Einzelnheiten zu sehen
glaubt, zu erforschen und in einfacher Gestalt darzustellen. Denn
wir haben gesucht zu zeigen, worauf es in den höchsten Principien
ankommt, und dadurch Punkte festzustellen, zu welchen sich die
Sprachzergliederung erheben kann. Wie auch diese Bahn noch
wird erhellt und geebnet werden können, so begreift man die
Möglichkeit, in jeder Sprache die Form aufzufinden, aus welcher
die Beschaffenheit ihres Baues fliesst, und sieht nun in dem eben
Entwickelten den Massstab ihrer Vorzüge und ihrer Mängel.
Wenn es mir gelungen ist, die Flexionsmethode in ihrer
ganzen Vollständigkeit zu schildern, wie sie allein dem Worte
vor dem Geiste und dem Ohre die wahre innere Festigkeit ver-
leiht und zugleich mit Sicherheit die Theile des Satzes, der noth-
wendigen Gedankenverschlingung gemäss , auseinander wirft , so
bleibt es unzweifelhaft, dass sie ausschliesslich das reine Princip
des Sprachbaues in sich bewahrt. Da sie jedes Element der Rede in
seiner zwiefachen Geltung, seiner objectiven Bedeutung und seiner
subjectiven Beziehung auf den Gedanken und die Sprache nimmt
und dies Doppelte in seinem verhältnissmässigen Gewichte durch
darnach zugerichtete Lautformen bezeichnet, so steigert sie das
ursprünglichste Wesen der Sprache, die Articulation und die
Symbolisirung, zu ihren höchsten Graden. Es kann daher nur
die Frage seyn, in welchen Sprachen diese Methode am conse-
quentesten, vollständigsten und freiesten bewahrt ist. Den Gipfel
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 30. iß*?
hierin mag keine wirkliche Sprache erreicht haben. Allein einen
Unterschied des Grades sahen war oben zwischen den Sanskri-
tischen und Semitischen Sprachen: in den letzteren die Flexion
in ihrer wahrsten und unverkennbarsten Gestalt und verbunden
mit der feinsten Symbolisirung, allein nicht durchgeführt durch
alle Theile der Sprache und beschränkt durch mehr oder minder
zufällige Gesetze, die zweisylbige Wortform, die ausschliesslich
zu Flexionsbezeichnung verwendeten Vocale, die Scheu vor Zu-
sammensetzung; in den ersteren die Flexion durch die Festigkeit
der Worteinheit von jedem Verdachte der Agglutination gerettet,
durch alle Theile der Sprache durchgeführt und in der höchsten
Freiheit in ihr waltend.
Verglichen mit dem einverleibenden und ohne wahre Wort-
einheit lose anfügenden Verfahren, erscheint die Flexionsmethode
als ein geniales, aus der wahren Intuition der Sprache hervor-
gehendes Princip. Denn indem solche Sprachen ängstlich bemüht
sind, das Einzelne zum Satz zu vereinigen oder den Satz gleich
auf einmal vereint darzustellen, stempelt sie unmittelbar den Theil
der jedesmaligen Gedankenfügung gemäss und kann, ihrer Natur
nach, in der Rede gar nicht sein Verhältniss zu dieser von ihm
trennen. Schwäche des sprachbildenden Triebes lässt bald, wie
im Chinesischen, die Flexionsmethode nicht in den Laut über-
gehen, bald, wie in den Sprachen, welche einzeln ein Einver-
leibungsverfahren befolgen, nicht frei und allein vorwalten. Die
Wirkung des reinen Princips kann aber auch zugleich durch ein-
seitige Verbildung gehemmt werden, wenn eine einzelne Bildungs-
form, wie z. B. im Malayischen die Bestimmung des Verbum
durch modificirende Praefixe bis zur Vernachlässigung aller andren
herrschend wird.
Wie verschieden aber auch die Abweichungen von dem reinen
Principe seyn mögen, so wird man jede Sprache doch immer dar-
nach charakterisiren können, inwiefern in ihr der Mangel von Be-
ziehungs-Bezeichnungen, das Streben, solche hinzuzufügen und zu
Beugungen zu erheben, und der Nothbehelf, als Wort zu stempeln,
was die Rede als Satz darstellen sollte, sichtbar ist. Aus der
Mischung dieser Principe wird das Wesen einer solchen Sprache
hervorgehen, allein in der Regel sich aus der Anwendung der-
selben eine noch individuellere Form entwickeln. Denn wo die
volle Energie der leitenden Kraft nicht das richtige Gleichgewicht
bewahrt, da erlangt leicht ein Theil der Sprache vor dem andren
j/^^ I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ungerechterweise eine unverhältnissmässige Ausbildung. Hieraus
und aus anderen Umständen können einzelne Trefflichkeiten auch
in Sprachen entstehen, in welchen man sonst nicht gerade den
Charakter erkennen kann, vorzüglich geeignete Organe des Denkens
2U seyn. Niemand kann läugnen, dass das Chinesische des alten
St3'ls dadurch, dass lauter gewichtige Begriffe unmittelbar an ein-
ander treten, eine ergreifende Würde mit sich führt und dadurch
eine einfache Grösse erhält, dass es gleichsam, mit Abwerfung
aller unnützen Nebenbeziehungen, nur zum reinen Gedanken ver-
mittelst der Sprache zu entfliehen scheint. Das eigentlich Malay-
ische wird wegen seiner Leichtigkeit und der grossen Einfachheit
seiner Fügungen nicht mit Unrecht gerühmt. Die Semitischen
Sprachen bewahren eine bewundernswürdige Kunst in der feinen
Unterscheidung der Bedeutsaml<:eit vieler Vocalabstufungen. Das
Vaskische besitzt im Wortbau und in der Redefügung eine be-
sondere, aus der Kürze und der Kühnheit des Ausdrucks hervor-
gehende Kraft. Die Delaware-Sprache und auch andre Amerika-
nische verbinden mit einem einzigen Wort eine Zahl von Be-
griffen, zu deren Ausdruck wir vieler bedürfen würden. Alle
diese Beispiele beweisen aber nur, dass der menschliche Geist, in
w-elche Bahn er sich auch einseitig wirft, immer etwas Grosses
und auf ihn befruchtend und begeisternd Zurückwirkendes hervor-
zubringen vermag. Ueber den Vorzug der Sprachen vor einander
entscheiden diese einzelnen Punkte nicht. Der wahre Vorzug einer
Sprache ist nur der, sich aus einem Princip und in einer Freiheit
zu entwickeln, die es ihr möglich machen, alle intellectuelle Ver-
mögen des Menschen in reger Thätigkeit zu erhalten, ihnen zum
genügenden Organ zu dienen und durch die sinnliche Fülle und
geistige Gesetzmässigkeit, welche sie bewahrt, ewig anregend auf
sie einzuwirken. In dieser formalen Beschaffenheit liegt Alles,
was sich wohlthätig für den Geist aus der Sprache entwickeln
lässt. Sie ist das Bett, in welchem er seine Wogen im sichren
Vertrauen fortbewegen kann, dass die Quellen, welche sie ihm
zuführt, niemals versiegen werden. Denn wirldich schwebt er
auf ihr, wie auf einer unergründlichen Tiefe, aus der er aber
immer mehr zu schöpfen vermag, je mehr ihm schon daraus zu-
geflossen ist. Diesen formalen Massstab also kann man allein an
die Sprachen anlegen, wenn man sie unter eine allgemeine Ver-
gleichung zu bringen versucht.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 30. 31. ißc
Charakter der Sprachen.
Mit dem grammatischen Baue, wie wir ihn bisher im Ganzen 31-
und Grossen betrachtet haben, und der äusserlichen Structur der
Sprache überhaupt ist jedoch ihr Wesen bei weitem nicht erschöpft
und ihr eigentHcher und wahrer Charakter beruht noch auf etwas
viel Feinerem, tiefer Verborgenem und der Zergliederung weniger
Zugänglichem. Immer aber bleibt jenes, vorzugsweise bis hierher
Betrachtete die nothwendige, sichernde Grundlage, in welcher das
Feinere und Edlere Wurzel fassen kann. Um dies deutlicher dar-
zustellen, ist es nothwendig, einen Augenblick wieder auf den all-
gemeinen Entwicklungsgang der Sprachen zurückzublicken. In der
Periode der Formenbildung sind die Nationen mehr mit der Sprache^
als mit dem Zw^ecke derselben, mit dem, w^as sie bezeichnen sollen,
beschäftigt. Sie ringen mit dem Gedankenausdruck und dieser
Drang, verbunden mit der begeisternden Anregung des Gelungenen,
bewirkt und erhält ihre schöpferische Kraft. Die Sprache entsteht,
wenn man sich ein Gleichniss erlauben darf, wie in der physischen
Natur ein Krystall an den andren anschiesst. Die Bildung geschieht
allmählich, aber nach einem Gesetz. Diese anfänglich stärker vor-
herrschende Richtung auf die Sprache, als auf die lebendige Er-
zeugung des Geistes liegt in der Natur der Sache; sie zeigt sich
aber auch an den Sprachen selbst, die, je ursprünglicher sie sind,,
desto reichere Formenfülle besitzen. Diese schiesst in einigen
sichtbar über das Bedürfniss des Gedanken über und mässigt
sich daher in den Umwandlungen, welche die Sprachen gleichen
Stammes unter dem Einfluss reiferer Geistesbildung erfahren.
Wenn diese Krystallisation geendigt ist, steht die Sprache gleich-
sam fertig da. Das Werkzeug ist vorhanden und es fällt nun
dem Geiste anheim, es zu gebrauchen und sich hineinzubauen.
Dies geschieht in der That und durch die verschiedene Weise,
wie er sich durch dasselbe ausspricht, empfängt die Sprache Farbe
und Charakter. \
Man würde indess sehr irren, wenn man, was ich hier mit
Absicht zur deutlichen Unterscheidung grell von einander gesondert
habe, auch in der Natur für so geschieden halten w^ollte. Auch
auf die wahre Structur der Sprache und den eigentlichen Formen-
bau hat die fortwährende Arbeit des Geistes in ihrem Gebrauche
einen bestimmten und fortlaufenden Einfluss; nur ist derselbe
ißß 1. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
feiner und entzieht sich bisweilen dem ersten Anblick. Auch
kann man keine Periode des Menschengeschlechtes oder eines
Volkes als ausschliesslich und absichtlich sprachentwickelnd an-
sehen. Die Sprache wird durch Sprechen gebildet und das
Sprechen ist Ausdruck des Gedanken oder der Empfindung. Die
Denk- und Sinnesart eines Volkes, durch welche, wie ich eben
sagte, seine Sprache Farbe und Charakter erhält, wirkt schon von
den ersten Anfängen auf dieselbe ein. Dagegen ist es gewiss,
dass, je weiter eine Sprache in ihrer grammatischen Structur vor-
gerückt ist, sich immer weniger Fälle ergeben, welche einer neuen
Entscheidung bedürfen. Das Ringen mit dem Gedankenausdruck
wird daher geringer, und je mehr sich der Geist nur des schon
Geschaffenen bedient, desto mehr erschlafft sein schöpferischer Trieb
und mit ihm auch seine schöpferische Kraft. Auf der andren
Seite wächst die Menge des in Lauten hervorgebrachten Stoffs
und diese nun auf den Geist zurückwirkende äussere Masse
macht ihre eigenthümlichen Gesetze geltend und hemmt die freie
und selbstständige Einwirkung der Intelligenz. In diesen zwei
Punkten liegt dasjenige, was in dem oben erwähnten Unterschiede
nicht der subjectiven Ansicht, sondern dem wirklichen Wesen der
Sache angehört. Man muss also, um die Verflechtung des Geistes
in die Sprache genauer zu verfolgen, dennoch den grammatischen
und lexicalischen Bau der letzteren gleichsam als den festen und
äusseren von dem inneren Charakter unterscheiden, der wie eine
Seele in ihr wohnt und die Wirkung hervorbringt, mit welcher
uns jede Sprache, so wie wir nur anfangen, ihrer mächtig zu
werden, eigenthümlich ergreift. Es ist damit auf keine Weise
gemeint, dass diese Wirkung dem äusseren Baue fremd sey. Das
individuelle Leben der Sprache erstreckt sich durch alle Fibern
derselben und durchdringt alle Elemente des Lautes. Es soll nur
darauf aufmerksam gemacht werden, dass jenes Reich der Formen
nicht das einzige Gebiet ist, das der Sprachforscher zu bearbeiten
hat, und dass er wenigstens nicht verkennen muss, dass es noch
etwas Höheres und Ursprünglicheres in der Sprache giebt, von
dem er, wo das Erkennen nicht mehr ausreicht, doch das Ahnden
in sich tragen muss. In Sprachen eines weit verbreiteten und
vielfach getheilten Stammes lässt sich das hier Gesagte mit ein-
fachen Beispielen belegen. Sanskrit, Griechisch und Lateinisch
haben eine nahe verwandte und in sehr vielen Stücken gleiche
Organisation der Wortbildung und der Redefügung. Jeder aber
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. i^T
fühlt die Verschiedenheit ihres individuellen Charakters, die nicht
bloss eine, in der Sprache sichtbar werdende des Charakters der
Nationen ist, sondern, tief in die Sprachen selbst eingewachsen,
den eigenthümlichen Bau jeder bestimmt. Ich werde daher bei
diesem Unterschiede zwischen dem Principe, aus welchem sich
nach dem Obigen die Structur der Sprache entwickelt, und dem
eigentlichen Charakter dieser hier noch venA'eilen und schmeichle
mir, sicher seyn zu können, dass dieser Unterschied weder als zu
schneidend angesehen noch auf der andren Seite als bloss sub-
jectiv verkannt werde.
Um den Charakter der Sprachen, insofern wir ihn dem Orga-
nismus entgegensetzen, genauer zu betrachten, müssen wir auf
den Zustand nach Vollendung ihres Baues sehen. Das freudige
Staunen über die Sprache selbst, als ein immer neues Erzeugniss
des Augenblicks mindert sich allmählich. Die Thätigkeit der Nation
geht von der Sprache mehr auf ihren Gebrauch über und diese
beginnt mit dem eigenthümlichen Volksgeiste eine Laufbahn, in
der keiner beider Theile sich von dem andren unabhängig nennen
kann, jeder aber sich der begeisternden Hülfe des andren erfreut.
Die Bewunderung und das Gefallen wenden sich nun zu Einzelnem,
glücklich Ausgedrücktem. Lieder, Gebetsformeln, Sprüche, Er-
zählungen erregen die Begierde, sie der Flüchtigkeit des vorüber-
eilenden Gesprächs zu entreissen, werden aufbewahrt, umgeändert
und nachgebildet. Sie werden die Grundlagen der Literatur und
diese Bildung des Geistes und der Sprache geht allmählich von
der Gesammtheit der Nation auf Individuen über und die Sprache
kommt in die Hände der Dichter und Lehrer des Volkes, welchen
sich dieses nach und nach gegenüberstellt. Dadurch gewinnt
die Sprache eine zwiefache Gestalt, aus welcher, so lange der
Gegensatz sein richtiges Verhältniss behält, für sie zwei sich gegen-
seitig ergänzende Quellen der Kraft und der Läuterung entspringen.
Neben diesen lebendig in ihren Werken die Sprache gestal-
tenden Bildnern stehen dann die eigentlichen Grammatiker auf
und legen die letzte Hand an die ^^ollendung des Organismus.
Es ist nicht ihr Geschäft, zu schaffen; durch sie kann in einer
Sprache, der es sonst daran fehlt, weder Flexion noch Ver-
schlingung der End- und Anfangslaute volksmässig werden. Aber
sie werfen aus, verallgemeinern, ebnen Ungleichheiten und füllen
übrig gebliebene Lücken. Von ihnen kann man mit Recht in
Flexionssprachen das Schema der Conjugationen und Declinationen
jgg I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
herleiten, indem sie erst die Totalität der darunter begriffenen
Fälle zusammengestellt vor das Auge bringen. In diesem Gebiete
werden sie, indem sie selbst aus dem unendlichen Schatze der
vor ihnen liegenden Sprache schöpfen, gesetzgebend. Da sie
eigentlich zuerst den Begriff solcher Schemata in das Bewusstse3'n
einführen, so können dadurch Formen, die alles eigentlich Be-
deutsame verloren haben, bloss durch die Stelle, die sie in dem
Schema einnehmen, wieder bedeutsam werden. Solche Bearbei-
tungen einer und derselben Sprache können in verschiedenen
Epochen auf einander folgen ; immer aber muss, wenn die Sprache
zugleich volksthümlich und gebildet bleiben soll, die Regelmässig-
keit ihrer Strömung von dem Volke zu den Schriftstellern und
Grammatikern und von diesen zurück zu dem Volke ununter-
brochen fortrollen.
So lange der Geist eines Volks in lebendiger Eigenthümlich-
keit in sich und auf seine Sprache fortwirkt, erhält diese Ver-
feinerungen und Bereicherungen, die wiederum einen anregenden
Einfluss auf den Geist ausüben. Es kann aber auch hier in der
Folge der Zeit eine Epoche eintreten, wo die Sprache gleichsam
den Geist überwächst und dieser in eigner Erschlaffung, nicht
mehr selbstschöpferisch, mit ihren aus wahrhaft sinnvollem Ge-
brauch hervorgegangenen Wendungen und Formen ein immer
mehr leeres Spiel treibt. Dies ist dann ein zweites Ermatten der
Sprache, wenn man das Absterben ihres äusseren Bildungstriebes
als das erste ansieht. Bei dem zweiten welkt die Blüthe des
Charakters, von diesem aber können Sprachen und Nationen
wieder durch den Genius einzelner grosser Männer geweckt und
emporgerissen werden.
Ihren Charakter entwickelt die Sprache vorzugsweise in den
Perioden ihrer Literatur und in der vorbereitend zu dieser hin-
führenden. Denn sie zieht sich alsdann mehr von den Alltäglich-
keiten des materiellen Lebens zurück und erhebt sich zu reiner
Gedankenentwicklung und freier Darstellung. Es scheint aber
wunderbar, dass die Sprachen ausser demjenigen, den ihnen ihr
äusserer Organismus giebt, sollten einen eigenthümlichen Charakter
besitzen können, da jede bestimmt ist, den verschiedensten Indivi-
dualitäten zum Werkzeug zu dienen. Denn ohne des Unterschiedes
der Geschlechter und des Alters zu gedenken, so umschliesst eine
Nation wohl alle Nuancen menschlicher Eigenthümlichkeit. Auch
diejenigen, die, von derselben Richtung ausgehend, das gleiche
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. i(5q
Geschäft treiben, unterscheiden sich in der Art es zu ergreifen
und auf sich zurückwirken zu lassen. Diese Verschiedenheit
wächst aber noch für die Sprache, da diese in die geheimsten
Falten des Geistes und des Gemüthes eingeht. Jeder nun braucht
dieselbe zum Ausdruck seiner besondersten Eigenthümlichkeit;
denn sie geht immer von dem Einzelnen aus und jeder bedient
sich ihrer zunächst nur für sich selbst. Dennoch genügt sie jedem
dazu, insofern überhaupt immer dürftig bleibende Worte dem
Drange des Ausdrucks der innersten Gefühle zusagen. Es lässt
sich auch nicht behaupten, dass die Sprache, als allgemeines Organ,
diese Unterschiede mit einander ausgleicht. Sie baut wohl Brücken
von einer Individualität zur andren und vermittelt das gegenseitige
Verständniss ; den Unterschied selbst aber vergrössert sie eher, da
sie durch die Verdeutlichung und Verfeinerung der Begriffe klarer
ins Bewusstseyn bringt, wie er seine Wurzeln in die ursprüngliche
Geistesanlage schlägt. Die Möglichkeit, so verschiedenen Indivi-
dualitäten zum Ausdruck zu dienen, scheint daher eher in ihr
selbst vollkommene Charakterlosigkeit vorauszusetzen, die sie
doch aber sich auf keine Weise zu Schulden kommen lässt. Sie
umfasst in der That die beiden entgegengesetzten Eigenschaften,
sich als Eine Sprache in derselben Nation in unendlich viele zu
theilen und als diese vielen gegen die Sprachen andrer Nationen
mit bestimmtem Charakter als Eine zu vereinigen. Wie ver-
schieden jeder dieselbe Muttersprache nimmt und gebraucht, findet
man, wenn es nicht schon das gewöhnliche Leben deutlich zeigte,
in der Vergleichung bedeutender Schriftsteller, deren jeder sich
seine eigne Sprache bildet. Die Verschiedenheit des Charakters
mehrerer Sprachen ergiebt sich aber beim ersten Anblick, wie
z. B. beim Sanskrit, dem Griechischen und Lateinischen aus ihrer
Vergleichung.
Untersucht man nun genauer, wie die Sprache diesen Gegen-
satz vereinigt, so liegt die Möglichkeit, den verschiedensten Indivi-
dualitäten zum Organe zu dienen, in dem tiefsten Wesen ihrer Natur.
Ihr Element, das Wort, bei dem wir der Vereinfachung wegen
stehen bleiben können, theilt nicht, wie eine Substanz, etwas schon
Hervorgebrachtes mit, enthält auch nicht einen schon geschlossenen
Begriff, sondern regt bloss an, diesen mit selbstständiger Kraft,
nur auf bestimmte Weise zu bilden. Die Menschen verstehen
einander nicht dadurch, dass sie sich Zeichen der Dinge wirklich
hingeben, auch nicht dadurch, dass sie sich gegenseitig bestimmen,
IHQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
genau und vollständig denselben Begriff hervorzubringen, sondern
dadurch, dass sie gegenseitig in einander dasselbe Glied der Kette
ihrer sinnlichen Vorstellungen und inneren Begrifl'serzeugungen
berühren, dieselbe Taste ihres geistigen Instruments anschlagen,
worauf alsdann in jedem entsprechende, nicht aber dieselben Be-
griffe hervorspringen. Nur in diesen Schranken und mit diesen
Divergenzen kommen sie auf dasselbe Wort zusammen. Bei der
Nennung des gewöhnlichsten Gegenstandes, z. B. eines Pferdes
meinen sie alle dasselbe Thier, jeder aber schiebt dem Worte
eine andere Vorstellung, sinnlicher oder rationeller, lebendiger, als
einer Sache oder näher den todten Zeichen u. s. f. unter. Daher
entstehen in der Periode der Sprachbildung in einigen Sprachen
die Menge der Ausdrücke für, denselben Gegenstand. Es sind
ebenso viele Eigenschaften, unter welchen er gedacht worden ist
und deren Ausdruck man an seine Stelle gesetzt hat. Wird nun
aber auf diese Weise das Glied der Kette, die Taste des Instru-
mentes berührt, so erzittert das Ganze, und was, als Begriff aus
der Seele hervorspringt, steht in Einklang mit allem, was das
einzelne Glied bis auf die weiteste Entfernung umgiebt. Die von
dem Worte in Verschiedenen geweckte Vorstellung trägt das Ge-
präge der Eigenthümlichkeit eines jeden, wird aber von allen mit
demselben Laute bezeichnet.
Die sich innerhalb derselben Nation befindenden Individualitäten
umschliesst aber die nationeile Gleichförmigkeit, die wiederum jede
einzelne Sinnesart von der ihr ähnlichen in einem andren Volke
unterscheidet. Aus dieser Gleichförmigkeit und aus der besonderen,
jeder Sprache eignen Anregung entspringt der Gharakter der letz-
teren. Jede Sprache empfängt eine bestimmte Eigenthümlichkeit
durch die der Nation und wirkt gleichförmig bestimmend auf
diese zurück. Der nationeile Charakter wird zwar durch Gemein-
schaft des Wohnplatzes und des Wirkens unterhalten, verstärkt,
ja bis zu einem gewissen Grad hervorgebracht; eigentlich aber
beruht er auf der Gleichheit der Naturanlage, die man gewöhnlich
aus Gemeinschaft der Abstammung erklärt. In dieser liegt auch
gewiss das undurchdringliche Geheimniss der tausendfältig ver-
schiedenen Verknüpfung des Körpers mit der geistigen Kraft,
welche das Wesen jeder menschlichen Individualität ausmacht.
Es kann nur die Frage seyn, ob es keine andere Erklärungsweise
der Gleichheit der Naturanlagen geben könne? und auf keinen
Fall darf man hier die Sprache ausschliessen. Denn in ihr ist die
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. j-ji
Verbindung des Lautes mit seiner Bedeutung etwas mit jener
Anlage gleich Unerforschliches. Man kann Begriffe spalten, Wörter
zergliedern, so weit man es vermag, und man tritt darum dem
Geheimniss nicht näher, wie eigentlich der Gedanke sich mit dem
Worte verbindet. In ihrer ursprünglichsten Beziehung auf das
Wesen der Individualität sind also der Grund aller Nationalität
und die Sprache einander unmittelbar gleich. Allein die letztere
wirkt augenscheinlicher und stärker darauf ein und der Begriff
einer Nation muss vorzugsweise auf sie gegründet werden. Da
die Entwicklung seiner menschlichen Natur im Menschen von der
der Sprache abhängt, so ist durch diese unmittelbar selbst der
Begriff der Nation als der eines auf bestimmte Weise sprach-
bildenden Menschenhaufens gegeben.
Die Sprache aber besitzt auch die Kraft, zu entfremden und
einzuverleiben, und theilt durch sich selbst den nationeilen Cha-
rakter, auch bei verschiedenartiger Abstammung, mit. Dies unter-
scheidet namentlich eine Familie und eine Nation. In der ersteren
ist unter den Gliedern factisch erkennbare Verv^^andtschaft ; auch
kann dieselbe Familie in zwei verschiedenen Nationen fortblühen.
Bei den Nationen kann es noch zweifelhaft scheinen und macht
bei w^eit verbreiteten Stämmen eine wichtige Betrachtung aus, ob
alle dieselben Sprachen Redenden einen gemeinschaftlichen Ursprung
haben oder ob diese ihre Gleichförmigkeit aus uranfänglicher Natur-
anlage, verbunden mit Verbreitung über einen gleichen Erdstrich,
unter dem Einfluss gleichförmig wirkender Ursachen entstanden
ist? Welche Bewandtniss es aber auch mit den, uns unerforsch-
lichen ersten Ursachen haben möge, so ist es gewiss, dass die
Entwicklung der Sprache die nationeilen Verschiedenheiten erst
in das hellere Gebiet des Geistes überführt. Sie werden durch
sie zum Bewusstseyn gebracht und erhalten von ihr Gegenstände,
in denen sie sich nothwendig ausprägen müssen, die der deut-
lichen Einsicht zugänglicher sind und an welchen zugleich die
Verschiedenheiten selbst feiner und bestimmter ausgesponnen er-
scheinen. Denn indem die Sprache den Menschen bis auf den
ihm erreichbaren Punkt intellectuahsirt, wird immer mehr der
dunklen Region der unentwickelten Empfindung entzogen. Da-
durch nun erhalten die Sprachen, welche die Werkzeuge dieser
Entwicklung sind, selbst einen so bestimmten Charakter, dass der
der Nation besser an ihnen, als an den Sitten, Gewohnheiten und
Thaten jener erkannt werden kann. Es. entspringt hieraus, wenn
172
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Völker, welchen eine Literatur mangelt und in deren Sprach-
gebrauch wir nicht tief genug eindringen, uns oft gleichförmiger
erscheinen, als sie sind. Wir erkennen nicht die sie unterschei-
denden Züge, weil nicht das Medium sie uns zuführt, das sie
uns sichtbar machen würde.
Wenn man den Charakter der Sprachen von ihrer äusseren
Form, unter welcher allein eine bestimmte Sprache gedacht werden
kann, absondert und beide einander gegenüberstellt, so besteht
er in der Art der Verbindung des Gedanken mit den Lauten.
Er ist, in diesem Sinne genommen, gleichsam der Geist, der sich
in der Sprache einheimisch macht und sie, wie einen aus ihm
herausgebildeten Körper beseelt. Er ist eine natürliche Folge der
fortgesetzten Einwirkung der geistigen Eigenthümlichkeit der Nation.
Indem diese die allgemeinen Bedeutungen der Wörter immer auf
dieselbe individuelle Weise aufnimmt und mit den gleichen Neben-
ideen und Empfindungen begleitet, nach denselben Richtungen hin
Ideenverbindungen eingeht und sich der Freiheit der Redefügungen
in demselben Verhältniss bedient, in welchem das Mass ihrer
intellectuellen Kühnheit zu der Fähigkeit ihres Verständnisses steht,
ertheilt sie der Sprache eine eigenthümliche Farbe und Schattirung,
welche diese fixirt und so in demselben Gleise zurückwirkt. Aus
jeder Sprache lässt sich daher auf den Nationalcharakter zurück-
schliessen.^) Auch die Sprachen roher und ungebildeter Völker
tragen diese Spuren in sich und lassen dadurch oft Blicke in
intellectuelle Eigenthümlichkeiten werfen, die man auf dieser Stufe
mangelnder Bildung nicht erwarten sollte. Die Sprachen der
Amerikanischen Eingebornen sind reich an Beispielen dieser
Gattung, an kühnen Metaphern, richtigen, aber unerwarteten Zu-
sammenstellungen von Begriffen, an Fällen, wo leblose Gegen-
stände durch eine sinnreiche Ansicht ihres auf die Phantasie
wirkenden Wesens in die Reihe der lebendigen versetzt werden,
u. s. f. Denn da diese Sprachen grammatisch nicht den Unter-
schied der Geschlechter, wohl aber und in sehr ausgedehntem
Umfange den lebloser und lebendiger Gegenstände beachten, so
geht ihre Ansicht hiervon aus der grammatischen Behandlung
hervor. Wenn sie die Gestirne mit dem Menschen und den
Thieren grammatisch in dieselbe Classe versetzen, so sehen sie
V Nach „zurückschliessen" gestrichen: „und es bedarf dazu nicht gerade
literarischer Werke, wie sie sich nur bei gebildeten Nationen finden.'^
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. ly^
offenbar die ersteren als sich durch eigne Kraft bewegende und
wahrscheinlich auch als die menschlichen Schicksale von oben
herab leitende, mit Persönlichkeit begabte Wesen an. In diesem
Sinn die Wörterbücher der Mundarten solcher Völker durch-
zugehen, gewährt ein eignes, auf die mannigfaltigsten Betrach-
tungen führendes Vergnügen, und wenn man zugleich bedenkt,
dass die ^^ersuche beharrlicher Zergliederung der Formen solcher
Sprachen, wie wir im Vorigen gesehen haben, die geistige Organi-
sation entdecken lassen, aus welcher ihr Bau entspringt, so ver-
schwindet alles Trockne und Nüchterne aus dem Sprachstudium.
In jedem seiner Theile führt es zu der inneren geistigen Gestal-
tung zurück, welche alle Menschenalter hindurch die Trägerin
der tiefsten Ansichten, der reichsten Gedankenfülle und der
edelsten Gefühle ist.
Bei den Völkern aber, bei denen wir nur in den einzelnen
Elementen ihrer Sprache die Kennzeichen ihrer Eigenthümlich-
keit auffinden können, lässt sich selten oder nie ein zusammen-
hängendes Bild von der letzteren entwerfen. Wenn dies überall
ein schwieriges Geschäft ist, so wird es nur da wahrhaft möglich,
wo Nationen in einer mehr oder weniger ausgedehnten Literatur
ihre Weltansicht niedergelegt und in zusammenhängender Rede
der Sprache eingeprägt haben. Denn die Rede enthält auch in
Absicht der Geltung ihrer einzelnen Elemente und in den Nuancen
ihrer Fügungen, die sich nicht gerade auf grammatische Regeln
zurückführen lassen, unendlich viel, was, wenn sie in die einzelnen
Elemente zerschlagen ist, nicht mehr an diesen erkennbar zu
haften vermag. Ein Wort hat meistentheils seine vollständige
Geltung erst durch die Verbindung, in der es erscheint. Diese
Gattung der Sprachforschung erfordert daher eine kritisch genaue
Bearbeitung der in einer Sprache vorhandenen schriftlichen Denk-
mäler und findet einen meisterhaft vorbereiteten Stoff in der philo-
logischen Behandlung der Griechischen und Lateinischen Schrift-
steller. Denn wenn auch immer bei dieser das Studium der
ganzen Sprache selbst der höchste Gesichtspunkt ist, so geht sie
dennoch zunächst von den in ihr übrigen Denkmälern aus, strebt,
dieselben in möglichster Reinheit und Treue herzustellen und zu
bewahren und sie zu zuverlässiger Kenntniss des Alterthums zu
benutzen. So enge auch die Zergliederung der Sprache, die Auf-
suchung ihres Zusammenhanges mit verwandten und die nur auf
diesem Wege erreichbare Erklärung ihres Baues mit der Be-
inA I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
arbeitung der Sprachdenkmäler verbunden bleiben muss, so sind
es doch sichtbar zwei verschiedene Richtungen des Sprachstudiums,
die verschiedene Talente erfordern und unmittelbar auch ver-
schiedene Resultate hervorbringen. Es wäre vielleicht nicht un-
richtig, auf diese Weise Linguistik und Philologie zu unter-
scheiden und ausschliesslich der letzteren die engere Bedeutung
zu geben, die man bisher damit zu verbinden pflegte, die man
aber in den letztverflossenen Jahren, besonders in Frankreich und
England auf jede Beschäftigung mit irgend einer Sprache ausge-
dehnt hat. Gewiss ist es wenigstens, dass die Sprachforschung,
von welcher hier die Rede ist, sich nur auf eine in dem hier
.aufgestellten Sinne wahrhaft philologische Behandlung der Sprach-
denkmäler stützen kann. Indem die grossen Männer, welche dies
Fach der Gelehrsamkeit in den- letzten Jahrhunderten verherrlicht
haben, mit gewissenhafter Treue und bis zu den kleinsten Modi-
ficationen des Lautes herab den Sprachgebrauch jedes Schrift-
stellers feststellen, zeigt sich die Sprache beständig unter dem
beherrschenden Einfluss geistiger Individualität und gewährt eine
Ansicht dieses Zusammenhanges, durch die es zugleich möglich
wird, die einzelnen Punkte aufzusuchen, an welchen er haftet. Man
lernt zugleich, was dem Zeitalter, der Localität und dem Individuum
angehört und wie die allgemeine Sprache alle diese Unterschiede
umfasst. Das Erkennen der Einzelnheiten aber ist immer von dem
Eindruck eines Ganzen begleitet, ohne dass die Erscheinung durch
Zergliederung etwas an ihrer Eigenthümlichkeit verliert.
Sichtbar wirkt auf die Sprache nicht bloss die ursprüngliche
Anlage der Nationaleigenthümlichkeit ein, sondern jede durch die
Zeit herbeigeführte Abänderung der inneren Richtung und jedes
äussere Ereigniss, welches die Seele und den Geistesschwung der
Nation hebt oder niederdrückt, vor allem aber der Impuls aus-
gezeichneter Köpfe.') Ewige Vermittlerin zwischen dem Geiste
und der Natur, bildet sie sich nach jeder Abstufung des ersteren
um, nur dass die Spuren davon immer feiner und schwieriger
im Einzelnen zu entdecken werden und die Thatsache sich nur
^) Nach „Köpfe" gestrichen: „Dennoch würde es irrig seyn, diese Ver-
änderungen nur als Veränderungen des Nationalcharakters anzusehen, welche
die Sprache, die ihnen gewissermassen nur den Körper leiht, wenig oder gar
nicht angehen. Die Sprache, wenn man in ihr auch nichts erkennen wollte, was
über die Bedeutung der Wörter und die grammatischen Regeln und Formen
hinausgeht, bleibt bei diesen Veränderungen keinesweges gleichgültig."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. i-yc
im Totaleindruck offenbart. Keine Nation könnte die Sprache
einer andren mit dem ihr selbst eignen Geiste beleben und
befruchten, ohne sie eben dadurch zu einer verschiedenen umzu-
bilden.^) Was aber schon weiter oben von aller Individualität
bemerkt worden ist, gilt auch hier. Darum, dass unter verschie-
denen jede, weil sie Eine bestimmte Bahn verfolgt, alle andren
ausschliesst, können dennoch mehrere in einem allgemeinen Ziele
zusammentreffen. Der Charakterunterschied der Sprachen braucht
daher nicht nothwendig in absoluten Vorzügen der einen vor der
andren zu bestehen. Die Einsicht in die Möglichkeit der Bildung
eines solchen Charakters erfordert aber noch eine genauere Betrach-
tung des Standpunktes, aus dem eine Nation ihre Sprache innerlich
behandeln muss, um ihr ein solches Gepräge aufzudrücken.
Wenn eine Sprache bloss und ausschliesslich zu den Alltags-
bedürfnissen des Lebens gebraucht würde, so gälten die Worte
bloss als Repräsentanten des auszudrückenden Entschlusses oder
Begehrens und es wäre von einer inneren, die Möglichkeit einer
Verschiedenheit zulassenden Auffassung gar nicht in ihr die Rede.
Die materielle Sache oder Handlung träte in der Vorstellung des
Sprechenden und Erwiedernden sogleich und unmittelbar an die
Stelle des Wortes. Eine solche wirkliche Sprache kann es nun
glücklicherweise unter immer doch denkenden und empfindenden
Menschen nicht geben. Es Hessen sich höchstens mit ihr die
Sprachmischungen vergleichen, welche der Verkehr unter Per-
sonen von ganz verschiedenen Nationen und Mundarten hitr und
dort, vorzüglich in Seehäfen, wie die lingiia franca an den Küsten
des Mittelmeeres, bildet. Ausserdem behaupten die individuelle
Ansicht und das Gefühl immer zugleich ihre Rechte. Ja es ist
sogar sehr wahrscheinlich, dass der erste Gebrauch der Sprache,.
wenn man bis zu demselben hinaufzusteigen vermöchte, ein blosser
Empfindungsausdruck gewesen sey. Ich habe mich schon weiter
oben (S. 60.) gegen die Erklärung des Ursprungs der Sprachen
aus der Hülflosigkeit des Einzelnen ausgesprochen.-) Nicht einmal
V ISiach „umzubilden" gestrichelt: „Ein Sanskritischer Homer oder ein
Griechischer Tacitus lassen sich ebensowenig denken, als Centauren und Tritonen
[in] diese Wirklichkeit herabsteigen können."
-) Dieser Satz hieß ursprünglich: „Den Ursprung der Sprachen aus-
schliesslich oder auch nur vorzugsweise dem aus der Hülflosigkeit des Einzelneit
entspringenden Bedürfniss zuzuschreiben hat mir immer eine sehr einseitige Vor-
stellung geschienen."
InQ 1. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
der Trieb der Geselligkeit entspringt unter den Geschöpfen aus
der Hülflosigkeit. Das stärkste Thier, der Elephant, ist zugleich
das geselligste. Ueberall in der Natur entwickelt sich Leben und
Thätigkeit aus innerer Freiheit, deren Urquell man vergeblich im
Gebiete der Erscheinungen sucht. In jeder Sprache aber, auch der
am höchsten gebildeten kommt einzeln der hier erwähnte Ge-
brauch derselben vor. Wer einen Baum zu fällen befiehlt, denkt
sich nichts, als den bezeichneten Stamm bei dem Worte; ganz
anders aber ist es, wenn dasselbe, auch ohne Beiwort und Zusatz,
in einer Naturschilderung oder einem Gedichte erscheint. Die
Verschiedenheit der auffassenden Stimmung giebt denselben Lauten
eine auf verschiedene Weise gesteigerte Geltung und es ist, als
wenn bei jedem Ausdruck etwas durch ihn nicht absolut Be-
stimmtes gleichsam überschwahkte.
Dieser Unterschied liegt sichtbar darin, ob die Sprache auf
ein inneres Ganzes des Gedankenzusammenhanges und der Em-
pfindung bezogen oder mit vereinzelter Seelenthätigkeit einseitig
zu einem abgeschlossnen Zwecke gebraucht wird. Von dieser
Seite wird sie ebensowohl durch bloss wissenschaftlichen Ge-
brauch, wenn dieser nicht unter dem leitenden Einlluss höherer
Ideen steht, als durch das Alltagsbedürfniss des Lebens, ja, da
sich diesem Empfindung und Leidenschaft beimischen, noch stärker
beschränkt. Weder in den Begriffen noch in der Sprache selbst
steht irgend etwas vereinzelt da. Die Verknüpfungen wachsen
aber den Begriffen nur dann wirklich zu, wenn das Gemüth in
innerer Einheit thätig ist, wenn die volle Subjectivität einer voll-
endeten Objectivität entgegenstrahlt. Dann wird keine Seite, von
welcher der Gegenstand einwirken kann, vernachlässigt und jede
dieser Einwirkungen lässt eine leise Spur in der Sprache zurück.
Wenn in der Seele wahrhaft das Gefühl erwacht, dass die Sprache
nicht bloss ein Austauschungsmittel zu gegenseitigem Verständniss,
sondern eine wahre Welt ist, welche der Geist zwischen sich und
die Gegenstände durch die innere Arbeit seiner Kraft setzen muss,
so ist sie auf dem wahren Wege, immer mehr in ihr zu finden
und in sie zu legen.^)
y Statt dieses Absatzes stand iirspi'ünglich folgender: „Die Verschiedenheit
der auffassenden Stimmung giebt denselben Lauten verschiedene Geltung. Unter-
sucht man diese Fälle genauer, so zeigt sich, dass der wahre Unterschied darin
liegt, ob das Wort als das vollendete Zeichen des Begriffs oder nur als ein An-
stoss diesen Begriff hervorzubringen angesehen wird. Ich hatte schon oben darauf
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. inn
Wo ein solches Zusammenwirken der in bestimmte Laute ein-
geschlossenen Sprache und der ihrer Natur nach immer weiter
greifenden inneren Auffassung lebendig ist, da betrachtet der
Geist die Sprache, wie sie denn in der That in ewiger Schöpfung
b.egritfen ist, nicht als geschlossen, sondern strebt unaufhörlich,
Neues zuzuführen, um es, an sie geheftet, wieder auf sich zurück-
wirken zu lassen. Dies setzt aber ein Zwiefaches voraus, ein Ge-
fühl, dass es etwas giebt, das die Sprache nicht unmittelbar ent-
hält, sondern der Geist, von ihr angeregt, ergänzen muss, . und
den Trieb, wiederum alles, was die Seele empfindet, mit dem
Laut zu verknüpfen. Beides entquillt der lebendigen Ueberzeugung,
dass das Wesen des Menschen Ahndung eines Gebietes besitzt,
welches über die Sprache hinausgeht und das durch die Sprache
aufmerksam gemacht, dass bei jedem Ausdruck etwas nicht absolut Bestimmtes
gleichsam überschwankt. Es hängt also davon ab, ob in der Individualität des
Redenden das zarte Gefühl des nicht absolut in der allgemeinen Bezeichnung des
Ausdrucks Enthaltenen bis zu dem, Grade vorwaltend ist, dass es dasselbe in
Fällen, welche nicht ganz entschieden das Eine oder das Andre verlangen, ver-
letzt oder begünstigt. Es ist aber nicht bloss das Alltag sbedürfniss des Lebens,
das dahin führt, den Ausdruck als geschlossen zu betrachten. Auch dem. bloss
wissenschaftlichen Gebrauche kann es genügen, ja nothwendig seyn, das zu Be-
zeichnende so bestimmt in den Ausdruck zu fassen, dass durchaus nicht mehr
oder weniger bei demselben gedacht werden kann. Ueberall dagegen, wo eine
höhere Freiheit herrscht und es nicht auf etwas Aeusseres oder wenigstens nicht
allein ankoirnnt, wird die subjective Individualität angeregt und mischt sich zu-
gleich dem Gebrauch und dem Verständniss der Sprache bei. Das unbestimmt
Gelassene, innerlich zu Ergänzende beruht nemlich einerseits auf der nicht ganz
vollendeten Abgränzung des Begriffs durch das Wort, andrerseits aber auf der
durch beide geweckten Empfindung. Das Erstere muss allerdings richtig ver-
standen werden. Jedes richtig gebildete Wort muss allerdings den Begriff im
Ganzen genommen bestimmt und vollständig wecken. In seinen individuellen
Lauten, ihrer eignen Natur, ihrem Abstammungsverhältniss und ihrer ganzen
Verbindung mit der übrigen Sprache gemäss, kamt es dies aber Jiicht von allen
den Eindrücken aus, mit welchen der Gegenstand auf den Menschen eindringt.
Insofern es wirklich durch sich selbst, nicht bloss Cojivention ist, wenn gleich ver-
möge des Gebrauchs durch die schon Jahrhunderte hindurch daran geknüpft
gewesene Vorstellung und Empfindung, beschränkt es sich nothwendig auf eine
bestimmte Vorstellung des Gegenstandes. Dies geschieht hier von Seiten der
Laute. Von Seiten der inneren Auffassung aber kann in dem Gebrauche der
Sprache mehr oder weniger Lebendigkeit und Vielseitigkeit liegen und gleichsam
an den Faden des Ausdrucks die Vorstellung des Gegenstandes niit Einwirkungen
und Beschaffenheiten aus dem Gebiete der Anschauung herausgezogen werden,
welche das Wort bei grösserer Trägheit der Auffassimg der Seele nicht zuzu-
führen vermöchte."
W. V. Humboldt, Werke. VII. 12
2-^3 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
eigentlich beschränkt wird, dass aber wiederum sie das einzige
Mittel ist, dies Gebiet zu erforschen und zu befruchten, und dass
sie gerade durch technische und sinnliche Vollendung einen immer
grösseren Theil desselben in sich zu verwandeln vermag. Diese
Stimmung ist die Grundlage des Charakterausdrucks in den
Sprachen, und je lebendiger dieselbe in der doppelten Richtung,
nach der sinnlichen Form der Sprache und nach der Tiefe des
Gemüths hin wirkt, desto klarer und bestimmter stellt sich die
Eigenthümlichkeit in der Sprache dar. Sie gewinnt gleichsam an
Durchsichtigkeit und lässt in das Innere des Sprechenden schauen.
Dasjenige, was auf diese Weise durch die Sprache durch-
scheint, kann nicht etwas einzeln, objectiv und qualitativ An-
deutendes seyn. Denn jede Sprache würde alles andeuten können,
wenn das Volk, dem sie angehört, alle Stufen seiner Bildung durch-
liefe. Jede hat aber einen Theil, der entweder nur noch jetzt ver-
borgen ist oder, wenn sie früher untergeht, ewig verborgen bleibt.
Jede ist, wie der Mensch selbst, ein sich in der Zeit allmählich
entwickelndes Unendliches. Jenes Durchschimmernde ist daher
etwas alle Andeutungen subjectiv und eher quantitativ Modi-
ficirendes. Es erscheint darin nicht als Wirkung, sondern die
wirkende Kraft äussert sich unmittelbar als solche und eben
darum auf eine eigne, schwerer zu erkennende Weise, die Wir-
kungen gleichsam nur mit ihrem Hauche umschwebend. Der
Mensch stellt sich der Welt immer in Einheit gegenüber. Es ist
immer dieselbe Richtung, dasselbe Ziel, dasselbe Mass der Be-
wegung, in welchen er die Gegenstände erfasst und behandelt.
Auf dieser Einheit beruht seine Individualität. Es liegt aber in
dieser Einheit ein Zwiefaches, obgleich wieder einander Bestim-
mendes, nemlich die Beschaffenheit der wirkenden Kraft und die
ihrer Thätigkeit, wie sich in der Körperwelt der sich bewegende
Körper von dem Impulse unterscheidet, der die Heftigkeit,
Schnelligkeit und Dauer seiner Bewegung bestimmt. Das Erstere
haben wir im Sinn, wenn wir einer Nation mehr lebendige An-
schaulichkeit und schöpferische Einbildungskraft, mehr Neigung
zu abgezogenen Ideen oder eine bestimmtere praktische Richtung
zuschreiben, das Letztere, wenn wir eine vor der andren heftig,
veränderlich, schneller in ihrem Ideengange, beharrender in ihren
Empfindungen nennen. In Beidem unterscheiden wir also das
Seyn von dem Wirken und stellen das erstere, als unsichtbare
Ursach dem in die Erscheinung tretenden Denken, Empfinden
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. jnQ
und Handeln gegenüber. Wir meinen aber dann nicht dieses
oder jenes einzelne Seyn des Individuums, sondern das allgemeine,
das in jedem einzelnen bestimmend hervortritt. Jede erschöpfende
Charakterschilderung muss dies Seyn als Endpunkt ihrer Forschung
vor Augen haben.
Wenn man nun die gesammte innere und äussere Thätigkeit
des Menschen bis zu ihren einfachsten Endpunkten verfolgt, so
findet man diese in der Art, wie er die W^irklichkeit als Object,
das er aufnimmt, oder als Materie, die er gestaltet, mit sich ver-
knüpft oder auch unabhängig von ihr sich eigene W^ge bahnt.
Wie tief und auf welche Weise der Mensch in die Wirklichkeit
Wurzel schlägt, ist das ursprünglich charakteristische Merkmal
seiner Individualität. Die Arten jener Verknüpfung können zahllos
seyn, je nachdem sich die Wirklichkeit oder die Innerlichkeit, deren
keine die andre ganz zu entbehren vermag, von einander zu trennen
versuchen oder sich mit einander in verschiedenen Graden und
Richtungen verbinden.
Man darf aber nicht glauben, dass ein solcher Massstab bloss
bei schon intellectuell gebildeten Nationen anwendbar sey. In den
Aeusserungen der Freude eines Haufens von Wilden wird sich
unterscheiden lassen, wie weit sich dieselbe von der blossen Be-
friedigung der Begierde unterscheidet und ob sie, als ein wahrer
Götterfunke, aus dem inneren Gemüthe als wahrhaft menschliche
Empfindung, bestimmt, einmal in Gesang und Dichtung aufzu-
blühen, hervorbricht. Wenn aber auch, wie daran kein Zweifel
seyn kann, der Charakter der Nation sich an allem ihr wahrhaft
Eigenthümlichen offenbart, so leuchtet er vorzugsweise durch die
Sprache durch. Indem sie mit allen Aeusserungen des Gemüths
verschmilzt, bringt sie schon darum das immer sich gleich blei-
bende, individuelle Gepräge öfter zurück. Sie ist aber auch selbst
durch so zarte und innige Bande mit der Individualität verknüpft,
dass sie immer wieder eben solche an das Gemüth des Hörenden
heften muss, um vollständig verstanden zu werden. Die ganze Indivi-
dualität des Sprechenden wird daher von ihr in den Andren über-
getragen, nicht um seine eigne zu verdrängen, sondern um aus der
fremden und eignen einen neuen, fruchtbaren Gegensatz zu bilden.^)
V Nach „bilden" gestrichen: „wie alles in der Sprache zugleich Selbst-
ständigkeit und Wechselwirkung, iminer beruhend auf detn Gegensatz des Ich
und des Du der Anrede und der Erwiderung ist."
jgQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Das Gefühl des Unterschiedes zwischen dem Stoff, den die
Seele aufnimmt und erzeugt, und der in dieser doppelten Thätig-
keit treibenden und stimmenden Kraft, zwischen der Wirkung und
dem wirkenden Seyn, die richtige und verhältnissmässige Würdi-
gung beider und die gleichsam hellere Gegenwart des dem Grade
nach obenan stehenden vor dem Bewusstseyn liegt nicht gleich
stark in jeder nationellen Eigenthümlichkeit. Wenn man den
Grund des Unterschiedes hiervon tiefer untersucht, so findet man
ihn in der mehr oder minder empfundenen Nothwendigkeit des
Zusammenhanges aller Gedanken und Empfindungen des Indivi-
duums durch die ganze Zeit seines Daseyns und des gleichen in
der Natur geahndeten und geforderten. Was die Seele hervor-
bringen mag, so ist es nur Bruchstück, und je beweglicher und
lebendiger ihre Thätigkeit ist, desto mehr regt sich alles, in ver-
schiedenen Abstufungen mit dem Hervorgebrachten Verwandte.
Ueber das Einzelne schiesst also immer etwas, minder bestimmt
Auszudrückendes über oder vielmehr an das Einzelne hängt sich
die Forderung weiterer Darstellung und Entwicklung, als in ihm
unmittelbar liegt, und geht durch den Ausdruck in der Sprache
in den Andren über, der gleichsam eingeladen wird, in seiner Auf-
fassung das Fehlende harmonisch mit dem Gegebenen zu ergänzen.
Wo der Sinn hierfür lebendig ist, erscheint die Sprache mangel-
haft und dem vollen Ausdruck ungenügend, da im entgegen-
gesetzten Fall kaum die Ahndung entsteht, dass über das Ge-
gebene hinaus noch etwas fehlen könne. Zwischen diesen beiden
Extremen aber befindet sich eine zahllose Menge von Mittelstufen
und sie selbst gründen sich offenbar auf vorherrschende Richtung
nach dem Inneren des Gemüths und nach der äusseren Wirk-
lichkeit.
Die Griechen, die in diesem ganzen Gebiete das lehrreichste
Beispiel abgeben, verbanden in ihrer Dichtung überhaupt, be-
sonders aber in der lyrischen, mit den Worten Gesang, Instru-
mentalmusik, Tanz und Geberde. Dass sie dies aber nicht bloss
thaten, um den sinnlichen Eindruck zu vermehren und zu ver-
vielfachen, sieht man deutlich daraus, dass sie allen diesen ein-
zelnen Einwirkungen einen gleichförmigen Charakter beigaben.
Musik, Tanz und die Rede im Dialekte mussten sich einer und
ebenderselben ursprünglich nationellen Eigenthümlichkeit unter-
werfen. Dorisch, Aeolisch oder von einer andren Tonart und
andrem Dialekte seyn. Sie suchten also das Treibende und
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. i3j
Stimmende in der Seele auf, um die Gedanken des Liedes in
einer bestimmten Bahn zu ertialten und durch die, nicht als Idee
geltende Regung des Gemüthes in dieser Bahn zu beleben und
zu verstärken. Denn wie in der Dichtung und dem Gesänge die
Worte und ihr Gedankengehalt vorwalten und die begleitende
Stimmung und Anregung ihnen nur zur Seite steht, so verhält
es sich umgekehrt in der Musik. Das Gemüth wird nur zu Ge-
danken, Empfindungen und Handlungen angefeuert und begeistert.
Diese müssen in eigner Freiheit aus dem Schoosse dieser Be-
geisterung hen^orgehen und die Töne bestimmen sie nur insofern,
als in den Bahnen, in welche sie die Regung einleiten, sich nur
bestimmte entwickeln können. Das Gefühl des Treibenden und
Stimmenden im Gemüth ist aber nothwendig immer, wie es sich
hier bei den Griechen zeigt, ein Gefühl vorhandener oder ge-
forderter Individualität, da die Kraft, welche alle Seelenthätigkeit
umschliesst, nur eine bestimmte seyn und nur in einer solchen
Richtung wirken kann.
Wenn ich daher im Vorigen von etwas über den Ausdruck
Ueberschiessendem, ihm selbst Mangelnden sprach, so darf man
sich darunter durchaus nichts Unbestimmtes denken. Es ist viel-
mehr das Allerbestimmteste, weil es die letzten Züge der Indivi-
dualität vollendet, was das seiner Abhängigkeit vom Objecte und
der von ihm geforderten allgemeinen Gültigkeit wegen immer
minder individualisirende Wort vereinzelt nicht zu thun vermag.
Wenn daher auch dasselbe Gefühl eine mehr innerliche, sich nicht
auf die Wirklichkeit beschränkende Stimmung voraussetzt und
nur aus einer solchen entspringen kann, so führt es darum nicht
von der lebendigen Anschauung in abgezogenes Denken zurück.
Es weckt vielmehr, da es von der eignen Individualität ausgeht,
die Forderung der höchsten IndividuaUsirung des Objects, die nur
durch das Eindringen in alle Einzelnheiten der sinnlichen Auf-
fassung und durch die höchste AnschauHchkeit der Darstellung
erreichbar ist. Dies zeigen eben wieder die Griechen. Ihr Sinn
gieng vorzugsweise auf das, was die Dinge sind und wie sie er-
scheinen, nicht einseitig auf dasjenige hin, w^ofür sie im Gebrauche
der Wirklichkeit gelten. Ihre Richtung war daher ursprünglich
eine innere und intellectuelle. Dies beweist ihr ganzes Privat-
und öffentliches Leben, da Alles in demselben theils ethisch be-
handelt, theils mit Kunst begleitet und meistentheils gerade das
Ethische in die Kunst selbst verflochten wurde. So erinnert bei
jg2 l- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ihnen fast jede äussere Gestaltung, oft mit Gefährdung und selbst
wahrem Nachtheil der praktischen Tauglichkeit, an eine innere.
Eben darum nun giengen sie in allen geistigen Thätigkeiten auf
die Auffassung und Darstellung des Charakters aus, immer aber
mit dem Gefühle, dass nur das vollendete Eindringen in die An-
schauung ihn zu erkennen und zu zeichnen vermag und dass das
an sich nie völlig auszudrückende Ganze derselben nur aus einer,
vermittelst richtigen, gerade auf jene Einheit gerichteten Tacts
geordneten Verknüpfung der Einzelnheiten hervorspringen kann.
Dies macht besonders ihre frühere Dichtung, namentlich die
Homerische so durch und durch plastisch. Die Natur wird, wie
sie ist, die Handlung, selbst die kleinste, z. B. das Anlegen der
Rüstung, wie sie allmählich fortschreitet, vor die Augen gestellt
und aus der Schilderung geht immer der Charakter hervor, ohne
dass sie je zu einer blossen Herzählung des Geschehenen herab-
sinkt. Dies aber wird nicht sowohl durch eine Auswahl des Ge-
schilderten bewirkt, als dadurch, dass die gewaltige Kraft des vom
Gefühle der Individualität beseelten und nach Individualisirung
strebenden Sängers seine Dichtung durchströmt und sich dem
Hörer mittheilt. Vermöge dieser geistigen Eigenthümlichkeit
wurden die Griechen durch ihre Intellectualität in diese ganze
lebendige Mannigfaltigkeit der Sinnenwelt und von dieser, da sie
in ihr doch etwas, das nur der Idee angehören kann, suchten,
wieder zur Intellectualität zurückgedrängt. Denn ihr Ziel war
immer der Charakter, nicht bloss das Charakteristische, da das
Erahnden des ersteren gänzlich vom Haschen nach diesem ver-
schieden ist. Diese Richtung auf den wahren, individuellen
Charakter zog dann zugleich zu dem Idealischen hin; da das Zu-
sammenwirken der Individualitäten auf die höchste Stufe der Auf-
fassung, auf das Streben führt, das Individuelle als Beschränkung
zu vernichten und nur als leise Gränze bestimmter Gestaltung zu
erhalten. Daraus entsprang die Vollendung der Griechischen
Kunst, die Nachbildung der Natur aus dem Mittelpunkte des
lebendigen Organismus jedes Gegenstandes, gelingend durch das
den Künstler neben der vollständigsten Durchschauung der Wirk-
lichkeit beseelende Streben nach höchster Einheit des Ideals.
Es liegt aber auch in der historischen Entwicklung des
Griechischen Völkerstammes etwas, das die Griechen vorzugsweise
zur Ausbildung des Charakteristischen hinwies, nemlich die Ver-
theilung in einzelne, in Dialekt und Sinnesart verschiedne Stämme
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. !§•>
und die durch mannigfaltige Wanderungen und inwohnende Be-
wegHchkeit bewirkte geographische Mischung derselben. Alle um-
schloss das allgemeine Griechenthum und trug in jeden in allen
Aeusserungen seiner Thätigkeh, von der Verfassung des Staats
bis zur Tonart des Flötenspielers, zugleich sein eigenthümliches
Gepräge über. Geschichtlich gesellte sich nun hierzu der andre
begünstigende Umstand, dass keiner dieser Stämme den andren
unterdrückte, sondern alle in einer gewissen Gleichheit des Strebens
aufblühten, keiner der einzelnen Dialekte der Sprache zum blossen
Volksdialekte herabgesetzt oder zum höheren allgemeinen erhoben
wurde und dass dies gleiche Aufspriessen der Eigenthümlichkeit
gerade in der Periode der lebendigsten und kraftvollsten Bildung
der Sprache und der Nation am stärksten und entschiedensten
war. Hieraus bildete nun der Griechische Sinn, in Allem darauf
gerichtet, das Höchste aus dem bestimmt Individuellsten hervor-
gehen zu lassen, etwas, das sich bei keinem andren Volke in dem
Grade zeigt. Er behandelte nemlich diese ursprünglichen Volks-
eigenthümlichkeiten als Gattungen der Kunst und führte sie auf
diese Weise in die Architektur, Musik, Dichtung und in den
edleren Gebrauch der Sprache ein.*) Das bloss Volksmässige
wurde ihnen genommen, Laute und Formen wurden in den
Dialekten geläutert und dem Gefühle der Schönheit und des Zu-
sammenklanges unterworfen. So veredelt, erhoben sie sich zu
eignen Charakteren des Styls und der Dichtung, fähig, in ihren
*) Den engen Zusammenhang zwischen der Volksthümlichkeit der verschiedenen
Griechischen Stämme und ihrer Dichtung, Musik, Tanz- und Geberdenkunst und selbst
ihrer Architektur hat Böckh in den, seine Ausgabe des Pindar begleitenden Abhand-
lungen, in welchen dem Studium des Lesers ein reicher Schatz mannigfaltiger und
grossentheils bis dahin verborgener Gelehrsamkeit in methodisch fasslicher Anordnung
dargeboten wird, in klares und volles Licht gestellt. Denn er begnügt sich nicht, den
Charakter der Tonarten in allgemeinen Ausdiücken zu schildern, sondern geht in die
einzelnen metrischen und musikalischen Punkte ein, an welche ihre Verschiedenheit
sich anknüpft, was vor ihm niemals auf diese gründlich historische und genau wissen-
schaftliche Weise geschehen war. Es wäre ungemein zu wünschen, dass dieser, die aus-
gedehnteste Kenntniss der Sprache mit einer seltenen Durchschauung des Griechischen
Alterthums in allen seinen Theilen und nach allen Richtungen hin verbindende Philo-
loge recht bald seinen Entschluss ausführte, dem Einfluss des Charakters und der Sitten
der einzelnen Griechischen Stämme auf ihre Musik, Poesie imd Kunst eine eigne Schrift
zu widmen, um diesen wichtigen Gegenstand in seinem ganzen Umfange abzuhandeln.
Man sehe seine Aeusserungen über ein solches Vorhaben in seiner Ausgabe des Pindar.
Tom. I. de metris Pindari. p. 253. nt. 14., besonders aber p. 279.
j^A !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
sich ergänzenden Gegensätzen idealisch zusammenzustreben. Ich
brauche kaum zu bemerken, dass ich hier, was die Dialekte und
die Dichtung betrifft, nur von dem Gebrauch verschiedener Ton-
arten und Dialekte in der lyrischen und dem Unterschiede der
Chöre und des Dialogs in der tragischen Poesie rede, nicht von
den Fällen, wo in der Komödie verschiedene Dialekte den handelnden
Personen in den Mund gelegt werden. Diese Fälle haben mit
jenen durchaus nichts gemein und finden sich wohl mehr oder
weniger in den Literaturen aller Völker.
In den Römern, wie sich ihre Eigenthümlichkeit auch in ihrer
Sprache und Literatur darstellt, offenbart sich viel weniger das
Gefühl der Nothwendigkeit, die Aeusserungen des Gemüths zu-
gleich mit dem unmittelbaren Einfluss der treibenden und stimmen-
den Kraft auszustatten. Ihre Vollendung und Grösse entwickelt
sich auf einem andren, dem Gepräge, das sie ihren äusseren
Schicksalen aufdrückten, homogeneren Wege. Dagegen spricht
sich jenes Gefühl in der Deutschen Sinnesart vielleicht nicht
weniger stark, als bei den Griechen aus, nur dass, so wie diese
die äussere Anschauung, wir mehr die innere Empfindung zu in-
dividualisiren geneigt sind.
Ich habe das Gefühl, dass alles sich im Gemüthe Erzeugende,
als Ausfluss Einer Kraft, ein grosses Ganzes ausmacht und dass
das Einzelne, gleichsam von dem Hauche jener Kraft, Merkzeichen
seines Zusammenhanges mit diesem Ganzen an sich tragen muss,
bis hierher mehr in seinem Einflüsse auf die einzelnen Aeusserungen
betrachtet. Es übt aber auch eine nicht minder bedeutende Rück-
wirkung auf die Art aus, wie jene Kraft, als erste Ursach aller
Geisteserzeugungen, zum Bewusstseyn ihrer selbst gelangt.^) Das
Bild seiner ursprünglichen Kraft kann aber dem Menschen nur
als ein Streben in bestimmter Bahn erscheinen und eine solche
setzt ein Ziel voraus, welches kein anderes, als das menschliche
Ideal seyn kann. In diesem Spiegel erblicken wir die Selbst-
anschauung der Nationen. Der erste Beweis ihrer höheren In-
tellectualität und ihrer tiefer eingreifenden Innerlichkeit ist es nun,
wenn sie dies Ideal nicht in die Schranken der Tauglichkeit zu
V Nach „gelangt" gestrichen: „Sie sammelt sich in reiner Einheit ihrer
Eigenthümlichkeit und ihr Bild tritt klarer in den Kreis der Erscheinungen,
indem der Mensch aus der Stärke seiner eignen empfundenen Individualität
äusserlich zu individualisiren [und] dem Gefühl des eignen Charakters zu ge-
nügen strebt."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. i3c:
bestimmten Zwecken einschliessen, sondern, woraus innere Freiheit
und Allseitigkeit hen^orgeht, dasselbe als etwas, das seinen Zweck
nur in seiner eignen Vollendung suchen kann, als ein allmähliches
Aufblühen zu nie endender Entwicklung betrachten. Allein auch
diese erste Bedingung in gleicher Reinheit vorausgesetzt, entstehen
aus der Verschiedenheit der individuellen Richtung nach der sinn-
lichen Anschauung, der inneren Empfindung und dem abgezogenen
Denken verschiedene Erscheinungen.^) In jeder derselben strahlt
die den Menschen umgebende Welt, von einer andren Seite in
ihn aufgenommen, in verschiedener Form aus ihm zurück. In
der äusseren Natur, um einen solchen Zug hier herauszuheben,
bildet Alles eine stätige Reihe, gleichzeitig vor dem Auge, auf
einander folgend in der Entwicklung der Zustände aus einander.'^)
Ebenso sehr ist dies in der bildenden Kunst der Fall.^) Bei den
Griechen, denen es verliehen war, immer die vollste und zarteste
Bedeutung aus der sinnlichen, äusseren Anschauung zu ziehen,
ist vielleicht, was ihre geistige Thätigkeit betrifft, der am meisten
charakteristische Zug ihre Scheu vor allem Uebermässigen und
Uebertriebenen, die inwohnende Neigung, bei aller Regsamkeit
und Freiheit der Einbildungskraft, aller scheinbaren Ungebunden-
heit der Empfindung, aller Veränderlichkeit der Gemüthsstimmung,
aller Beweglichkeit, von Entschlüssen zu Entschlüssen überzugehen,
dennoch immer Alles, w^as sich in ihnen gestaltete, innerhalb der
Gränzen des Ebenmasses und des Zusammenklanges zu halten.
Sie besassen in höherem Grade, als irgend ein anderes Volk Tact
und Geschmack und der sich in allen ihren Werken offenbarende
zeichnet sich noch vorzugsweise dadurch aus, dass die Verletzung
der Zartheit des Gefühls niemals auf Kosten seiner Stärke oder
der Naturwahrheit vermieden wird.*) Die innere Empfindung er-
V Nach „Erscheinungen" gestrichen: „sowohl der Kraft als ihrer Aeusse-
rungen, und diese wirken dann im Einzelnen weiter und vorzüglich auf die Art
der Verknüpfung des wahrgenommenen Endlichen und des geahndeten und des
geforderten Unendlichen, da diese Verknüpfung in der Vorstellung der Indivi-
dualität als einer Annäherung zum Ideale nie fehlen kann."
^) Nach „einander" gestrichen : „Das Gefühl ihrer Unendlichkeit geht in uns
aus diesem ununterbrochenen Zusammenhange des Einzelnen über."
*j Nach „Fall" gestrichen: „wo das vollständige Aufnehmen der gestalteten
Züge zu der Empfindung der auf dem Ganzen beruhenden Schönheit und Er-
habenheit führt."
*■) Nach „wird" gestrichen: „Es würde schwer zu entscheiden seyn, ob die
vorherrschende Richtung auf die Anschauung und die Kunst dieser Sorgfalt des
jgg I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
laubt, auch ohne von der richtigen Bahn abzuweichen, stärkere
Gegensätze, schroffere Uebergänge, Spaltungen des Gemüths in
unheilbare Kluft. Alle diese Erscheinungen finden sich daher —
und dies beginnt schon bei den Römern — bei den Neueren.
Das Feld der Verschiedenheit geistiger Eigenthümlichkeit ist
von unmessbarer Ausdehnung und unergründlicher Tiefe. Der
Gang der gegenwärtigen Betrachtungen erlaubte mir aber nicht,
es ganz unberührt zu lassen. Dagegen kann es scheinen, dass
ich den Charakter der Nationen zu sehr in der inneren Stimmung
des Gemüths gesucht habe, da er sich vielmehr lebendig und an-
schaulich in der Wirklichkeit offenbart. Er äussert sich, wenn
man die Sprache und ihre Werke ausnimmt, in Physiognomie,
Körperbau, Tracht, Sitten, Lebensweise, Familien- und bürger-
lichen Einrichtungen und vor Allem in dem Gepräge, welches die
Völker eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ihren Werken und
Thaten aufdrücken. Dies lebendige Bild scheint in einen Schatten
verwandelt, wenn man die Gestaltung des Charakters in der Ge-
müthsstimmung sucht, welche diesen lebendigen Aeusserungen
2um Grunde liegt. Um aber den Einfluss desselben auf die Sprache
zu zeigen, schien es mir nicht möglich, dies Verfahren zu um-
gehen. Die Sprache lässt sich nicht unmittelbar mit jenen that-
sächlichen Aeusserungen überall in Verbindung bringen. Es muss
das Medium gefunden werden, in welchem beide einander be-
gegnen und, aus Einer Quelle entspringend, ihre verschiedenen
Wege einschlagen. Dies aber ist offenbar nur das Innerste des
Gemüths selbst.
32. Ebenso schwierig, als die Abgränzung der geistigen Indi-
vidualität, ist die Beantwortung der Frage, wie sie in den Sprachen
Wurzel schlägt? woran der Charakter der Sprachen in ihnen haftet?
an welchem ihrer Theile er erkennbar ist? Die geistige Eigenthüm-
lichkeit der Nationen wird, indem sie sich der Sprachen bedienen,
in allen Stadien des Lebens derselben sichtbar. Ihr Einfluss
modificirt die Sprachen verschiedener Stämme, mehrere desselben
Stammes, Mundarten einer einzelnen, ja endlich dieselbe, sich
äusserlich gleich bleibende Mundart nach Verschiedenheit der
Zeitalter und der Schriftsteller. Der Charakter der Sprache ver-
mischt sich dann mit dem des Styls, bleibt aber immer der Sprache
Massbewahrens oder die letztere der ersleren zum Grunde lag. In unzertrenn-
lichem Zusammenhange aber standen beide gewiss.^'
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 31. 32. jgy
eigenthümlich, da nur gewisse Arten des Styls jeder Sprache leicht
und natürlich sind. Macht man zwischen diesen hier aufgezählten
Fällen den Unterschied, ob auch die Laute in den Wörtern und
Beugungen verschieden sind, wie es sich in immer absteigenden
Graden von den Sprachen verschiedenen Stammes an bis zu den
Dialekten zeigt, oder ob der Einfluss, indem jene äussere Form
ganz oder doch wesentlich dieselbe bleibt, nur in dem Gebrauche
der Wörter und Fügungen liegt, so ist in dem letzteren Falle die
Einwirkung des Geistes, da die Sprache hier schon zu hoher
intellectueller Ausbildung gelangt seyn muss, sichtbarer, aber feiner,
in dem ersteren mächtiger, aber dunkler, da sich der Zusammen-
hang der Laute mit dem Gemüthe nur in wenigen Fällen be-
stimmt und scharf erkennen und schildern lässt. Doch kann,
selbst in Dialekten, kleine und im Ganzen die Sprache wenig ver-
ändernde Umbildung einzelner Vocale mit Recht auf die Gemüths-
beschaffenheit des Volkes bezogen werden, wie schon die Griechi-
schen Grammatiker von dem männlicheren Dorischen a gegen
das weichlichere Ionische ae (i]) bemerken.
In der Periode der ursprünglichen Sprachbildung, in welche
wir auf unsrem Standpunkte die nicht von einander abzuleitenden
Sprachen verschiedener Stämme setzen müssen, waltet das Streben,
-die Sprache nur erst wahrhaft, dem eignen Bewusstseyn anschau-
lich und dem Hörenden verständhch, aus dem Geiste heraus-
zubauen, gleichsam die Schöpfung ihrer Technik zu sehr vor, um
nicht den Einfluss der individuellen Geistesstimmung, die ruhiger
und klarer aus dem späteren Gebrauche hervorleuchtet, einiger
massen zu verdunkeln. Doch wirkt gerade dazu die ursprüngliche
Charakteranlage der Völker gewiss am mächtigsten und einfluss-
-reichsten mit. Dies sehen wir gleich an zwei Punkten, die, da
sie die gesammte intellectuelle Anlage charakterisiren, eine Menge
anderer zugleich bestimmen. Die verschiedenen, oben nach-
gewiesenen Wege, auf welchen die Sprachen die Verknüpfung
der Sätze bezwecken, machen den wichtigsten Theil ihrer Technik
aus. Gerade hierin nun enthüllt sich erstlich die Klarheit und
Bestimmtheit der logischen Anordnung, welche allein der Freiheit
des Gedankenflugs eine sichere Grundlage verleiht und zugleich
Gesetzmässigkeit und Ausdehnung der Intellectualität darthut, und
zweitens das mehr oder minder durchscheinende Bedürfniss nach
sinnlichem Reichthum und Zusammenklang, die Forderung des
Gemüths, was nur irgend innerlich wahrgenommen und empfunden
jgg I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
wird, auch äusserlich mit Laut zu umkleiden. Allein gewiss liegen
auch in dieser technischen Form der Sprachen noch Beweise
anderer und mehr specieller Geistes-Individualitäten der Nationen,
wenn sie gleich sich minder gewiss aus ihnen herleiten lassen.
Sollte nicht z. B. die feine Unterscheidung zahlreicher Vocal-
modificationen und Vocalstellungen und die sinnvolle Anwendung
derselben, verbunden mit der Beschränkung auf dies Verfahren
und der Abneigung gegen Zusammensetzung, ein Uebergewicht
scharfsinnig und spitzfindig sondernden Verstandes in den Völkern
Semitischen Stammes, besonders den Arabern, verrathen und be-
fördern ? Hiermit scheint zwar der Bilderreichthum der Arabischen
Sprache ^) in Contrast zu stehen. Wenn es aber nicht selbst eine
spitzfindige Sonderung der Begriffe ist, so möchte ich sagen, dass
jener Bilderreichthum in den 'einmal geformten Wörtern liegt,
dagegen die Sprache selbst, hierin mit dem Sanskrit und dem
Griechischen verglichen, einen viel geringeren Reichthum von
Mitteln enthält, immerfort Dichtung jeder Gattung aus sich her-
vorspriessen zu lassen. Gewiss wenigstens scheint es mir, dass
man einen Zustand der Sprache, in welchem sie, als treues Abbild
einer solchen Periode, viel dichterisch geformte Elemente enthält,
von demjenigen unterscheiden muss, wo ihrem Organismus selbst
in Lauten, Formen, freigelassenen Verknüpfungen und Rede-
fügungen unzerstörbare Keime ewig sprossender Dichtung ein-
gepflanzt sind. In dem ersteren erkaltet nach und nach die einmal
geprägte Form und ihr dichterischer Gehalt wird nicht mehr be-
geisternd empfunden. In dem letzteren kann die dichterische
Form der Sprache sich in immer neuer Frische nach der Geistes-
cultur des Zeitalters und dem Genie der Dichter selbsterzeugten
Stoff aneignen. Das bereits oben bei Gelegenheit des Flexions-
systems Bemerkte findet sich auch hier bestätigt. Der wahre
Vorzug einer Sprache besteht darin, den Geist durch die ganze
Folge seiner Entwicklungen zu gesetzmässiger Thätigkeit und
Ausbildung seiner einzelnen Vermögen zu stimmen oder, um es
von Seiten der geistigen Einwirkung auszudrücken, das Gepräge
einer solchen reinen, gesetzmässigen und lebendigen Energie an
sich zu tragen.
Allein auch da, wo das Formensystem mehrerer Sprachen im
Ganzen dasselbe ist, wie im Sanskrit, Griechischen, Römischen
V Nach „Sprache" gestrichen: „und die lebendige Phantasie des Volkes".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 32. j gg
und Deutschen, in welchen allen Flexion, zugleich durch Vocal-
wechsel und Anbildung, selten durch jenen, gewöhnlich durch
diese bewirkt, herrscht, können in der Anwendung dieses Systems
wichtige, durch die geistige Eigenthümlichkeit bewirkte Unter-
schiede liegen. Einer der wichtigsten ist das mehr oder minder
sichtbare ^^on^'alten richtiger und vollständiger grammatischer Be-
griffe und die Vertheilung der verschiedenen Lautformen unter
dieselben. Je nachdem dies in einem Volke bei der höheren Be-
arbeitung seiner Sprache herrschend wird, kehrt sich die Auf-
merksamkeit von der sinnlichen Lautfülle und Mannigfaltigkeit
der Formen auf die Bestimmtheit und die scharf abgegrenzte
Feinheit ihres Gebrauchs. Dies kann daher auch in derselben
Sprache in v^erschiedenen Zeiten gefunden werden. Eine solche
sorgfältige Beziehung der Formen auf die grammatischen Begritfe
zeigt die Griechische Sprache durchaus, und wenn man auch auf
den Unterschied zwischen einigen ihrer Dialekte Rücksicht nimmt,
so verräth sie zugleich eine Neigung, sich der zu üppigen Laut-
fülle der zu volltönenden Formen zu entledigen, sie zusammen-
zuziehen oder durch kürzere zu ersetzen. Das jugendliche Auf-
rauschen der Sprache in ihrer sinnlichen Erscheinung concentrirt
sich mehr auf ihre Angemessenheit zum inneren Gedankenausdruck.
Hierzu trägt die Zeit auf doppelte Weise bei, indem auf der einen
Seite der Geist sich im fortschreitenden Entwicklungsgange immer
mehr zu der inneren Thätigkeit hinneigt und indem auf der
andren auch die Sprache sich im Verlauf ihres Gebrauches da,
wo die geistige Eigenthümlichkeit nicht alle ursprünglich bedeut-
samen Laute unversehrt bewahrt, abschleift und vereinfacht. Auch
im Griechischen ist, gegen das Sanskrit gehalten, schon das
Letztere sichtbar, allein nicht in dem Grade, dass man hierin allein
einen genügenden Erklärungsgrund finden könnte. Wenn in dem
Griechischen Formengebrauch in der That, wie es mir scheint,
eine mehr gereifte intellectuelle Tendenz liegt, so entspringt sie
wahrhaft aus dem der Nation inwohnenden Sinne für schnelle,
feine und scharf gesonderte Gedankenentwicklung. Die Deutsche
höhere Bildung dagegen hat unsere Sprache schon auf einem
Punkte der Abschleifung und der Abstumpfung bedeutsamer Laute
gefunden, so dass bei uns geringere Hinneigung zu sinnlicher An-
schaulichkeit und grösseres Zurückziehen auf die Empfindung
allerdings auch darin ihren Grund gehabt haben kann. In der
Römischen Sprache ist sehr üppige Lautfülle und grosse Freiheit
IQQ I, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
der Phantasie über die Lautformung nie ausgegossen gewesen;
der männlichere, ernstere und viel mehr auf die Wirklichkeit und
auf den unmittelbar in ihr gültigen Theil des Intellectuellen ge-
richtete Sinn des Volkes gestattete wohl kein so üppiges und freies
Aufspriessen der Laute. Den Griechischen grammatischen Formen
kann man, als Folge der grossen Beweglichkeit Griechischer
Phantasie und der Zartheit des Schönheitssinnes, auch wohl, ohne
zu irren, vorzugsweise vor den übrigen des Stammes grössere
Leichtigkeit, Geschmeidigkeit und gefälligere Anmuth zuschreiben.
Auch das Mass, in welchem die Nationen von den technischen
Mitteln ihrer Sprachen Gebrauch machen, ist nach ihrer ver-
schiedenen Geisteseigenthümlichkeit verschieden. Ich erinnere hier
nur an die Bildung zusammengesetzter Wörter. Das Sanskrit
bedient sich derselben innerhalb der weitesten Gränzen, die sich
eine Sprache überhaupt leicht erlauben darf, die Griechen auf viel
beschränktere Weise und nach Verschiedenheit der Dialekte und
des Styls. In der Römischen Literatur findet sie sich vorzugs-
weise bei den ältesten Schriftstellern und wird von der fort-
schreitenden Cultur der Sprache mehr ausgeschlossen.
Erst bei genauerer Erwägung, aber dann klar und deutlich
findet man den Charakter der verschiedenen Weltauffassung der
Völker an der Geltung der Wörter haftend. Ich habe schon im
Vorigen (S. 170. 176.) ausgeführt, dass nicht leicht irgend ein
W^ort, es müsste denn augenblicklich bloss als materielles Zeichen
seines Begriffes gebraucht werden, von verschiedenen Individuen
auf dieselbe Weise in die Vorstellung aufgenommen wird. Man
kann daher geradezu behaupten, dass in jedem etwas nicht wieder
mit Worten zu Unterscheidendes liegt und dass die Wörter
mehrerer Sprachen, w^enn sie auch im Ganzen gleiche Begriffe
bezeichnen, doch niemals wahre Synonyma sind. Eine Definition
kann sie, genau und streng genommen, nicht umschliessen und
oft lässt sich nur gleichsam die Stelle andeuten, die sie in dem
Gebiete, zu dem sie gehören, einnehmen. Auf welche Weise dies
sogar bei Bezeichnungen körperlicher Gegenstände der Fall ist,
habe ich gleichfalls schon erwähnt.^) Das wahre Gebiet ver-
y Nach „erwähnt" gestrichen: „Es giebt aber auch Fälle, wo in weniger
feinetn Sinne die Sprachen selbst nicht einmal im Ganzen wirkliche Synonyma
aufstellen. So z. B. bei einigen Theilen des menschlichen Körpers, wo die
nationeile Ansicht nicht auf dieselbe Weise abgränzt und daher die Bedeutung
der Ausdrücke nicht völlig übereinstimmt."'
und ihren Einflui3 auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 32. jgx
schiedener Wortgeltung aber ist die Bezeichnung geistiger Begriffe.
Hier drückt selten ein Wort ohne sehr sichtbare Unterschiede
den gleichen mit dem Worte einer anderen Sprache aus. Wa
wir, wie bei den Sprachen roher und ungebildeter Völker, von
den feineren Nuancen ihrer Wörter keinen Begriff haben, scheint
uns wohl oft das Gegentheil statt zu finden. Allein die auf andere,,
hochgebildete Sprachen gerichtete Aufmerksamkeit verwahrt vor
solcher übereilten Ansicht und es Hesse sich eine fruchtbare Ver-
gleichung solcher Ausdrücke derselben Gattung, eine S5'^nonymik
mehrerer Sprachen, wie sie von einzelnen Sprachen vorhanden
sind, aufstellen. Bei Nationen von grosser Geistesregsamkeit bleibt
aber diese Geltung, wenn man sie bis in die feinsten Abstufungen
verfolgt, gleichsam in beständigem Flusse. Jede Zeit, jeder selbst-
ständige Schriftsteller fügt unwillkührlich hinzu oder ändert ab,
da er nicht vermeiden kann, seine Individualität an seine Sprache
zu heften, und diese ein anderes Bedürfniss des Ausdrucks ihr
entgegenträgt. Es wird in diesen Fällen lehrreich, eine doppelte
\^ergleichung der für den im Ganzen gleichen Begriff in mehreren
Sprachen gebräuchhchen Wörter und derjenigen derselben Sprache,
welche zu der gleichen Gattung gehören, vorzunehmen. In der
letzteren zeichnet sich die geistige Eigenthümlichkeit in ihrer
Gleichförmigkeit und Einheit; es ist immer dieselbe, die sich den
objectiven Begriffen beimischt. In der ersteren erkennt man, wie
derselbe Begriff, z. B. der der Seele von verschiedenen Seiten auf-
gefasst wird, und lernt dadurch gleichsam den Umfang mensch-
licher Vorstellungsw^eise auf geschichtlichem Wege kennen. Diese
kann durch einzelne Sprachen, ja durch einzelne Schriftsteller er-
w^eitert werden. In beiden Fällen entsteht das Resultat theils
durch die verschieden angespannte und zusammenwirkende Geistes-
thätigkeit, theils durch die mannigfaltigen Verknüpfungen, in
welche der Geist, in dem nichts jemals einzeln dasteht, die Be-
griffe bringt. Denn es ist hier von dem aus der Fülle des geistigen
Lebens hervorströmenden Ausdruck die Rede, nicht von der Ge-
staltung der Begriffe durch die Schule, welche sie auf ihre noth-
wendigen Kennzeichen beschränkt. Aus dieser systematisch genauen
Beschränkung und Feststellung der Begriffe und ihrer Zeichen
entsteht die wissenschaftliche Terminologie, die wir im Sanskrit
in allen Epochen des Philosophirens und in allen Gebieten des
Wissens ausgebildet finden, da der Indische Geist vorzugsweise
auf die Sonderung und Aufzählung der Begriffe hingieng. Die
,Q2 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
oben angedeutete doppelte Vergleichung bringt die bestimmte und
feine Sonderung des Subjectiven und Objectiven in die Klarheit
des Bewusstseyns und zeigt, wie beide immer wechselsweise auf
einander wirken und die Erhöhung und Veredlung der schaffenden
Kraft mit der harmonischen Zusammenwölbung der Erkenntniss
gleichen Schritt hält.
Von der hier entwickelten Ansicht sind irrige oder mangel-
hafte Auffassungen der Begriffe ausgeschlossen geblieben. Es
handelte sich hier nur von dem auf verschiedenen Bahnen
gemeinschaftlichen geregelten und energischen Streben nach dem
Ausdruck von Begriffen, von der Auffassung derselben in ihrer
Abspiegelung in der geistigen Individualität von unendlich vielen
Seiten. Es kommt aber natürlich bei der Aufsuchung der Geistes-
eigenthümlichkeiten in der Spräche vor Allem auch die richtige
Abtheilung der Begriffe in Betrachtung. Denn wenn z. B. zwei oft,
aber doch nicht nothwendig verbundene in einer Sprache in dem-
selben Worte zusammengefasst werden, so kann es an einem
reinen Ausdruck für jeden derselben allein fehlen. Ein Beispiel
findet man in einigen Sprachen an den Ausdrücken für Wollen,
Wünschen und Werden. Des Einflusses des Geistes auf die
Art der Bezeichnung der Begriffe nach Massgabe der Verwandt-
schaft der letzteren, welche Gleichheit der Laute herbeiführt, und
in Bezug auf die dabei gebrauchten Metaphern ist es kaum noth-
wendig hier noch besonders zu erwähnen.
Weit mehr aber, als bei den einzelnen W^örtern zeichnet sich
die intellectuelle Verschiedenheit der Nationen in den Fügungen
der Rede, in dem Umfange, welchen sie den Sätzen zu geben
vermag, und in der innerhalb dieser Gränzen zu erreichenden
Mannigfaltigkeit. Hierin liegt das wahre Bild des Ganges und der
Verkettung der Gedanken, an die sich die Rede nicht wahrhaft
anzuschliessen vermag, wenn nicht die Sprache den gehörigen
Reichthum und die begeisternde Freiheit der Fügungen besitzt.
Alles, was die Arbeit des Geistes in sich ihrer Form nach ist,
erscheint hier in der Sprache und wirkt ebenso wieder auf das
Innere zurück. Die Abstufungen sind hier unzählig und das
Einzelne, was die Wirkung hervorbringt, lässt sich nicht immer
genau und bestimmt in Worten darstellen. Aber der dadurch
hervorgebrachte verschiedene Gei$t schwebt, wie ein leiser Hauch,
über dem Ganzen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 32.33. iqo
Charakter der Sprachen. Poesie und Prosa.
Ich habe bis hierher einzelne Punkte des gegenseitigen Ein- 33-
flusses des Charakters der Nationen und der Sprachen berührt.
Es giebt aber zwei Erscheinungen in den letzteren, in welchen
nicht nur alle am entschiedensten zusammentreffen, sondern wo
sich auch dermassen der Einfluss des Ganzen offenbart, dass selbst
der Begriff des Einzelnen daraus verschwindet, die Poesie und die
Prosa. Man muss sie Erscheinungen der Sprache nennen, da
schon die ursprüngliche Anlage dieser vorzugsweise die Richtung
zu der einen oder andren oder, wo die Form wahrhaft grossartig
ist, zur gleichen Entwicklung beider in gesetzmässigem Verhältniss
siebt und auch wieder in ihrem Verlaufe darauf zurückwirkt.
In der That aber sind sie zuerst Entwicklungsbahnen der Intel-
lectualität selbst und müssen sich, wenn ihre Anlage nicht mangel-
haft ist und ihr Lauf keine Störungen erleidet, nothwendig aus
ihr entspinnen. Sie erfordern daher das sorgfältigste Studium
nicht nur in ihrem Verhältniss zu einander überhaupt, sondern
auch insbesondere in Beziehung auf die Zeit ihrer Entstehung.
Wenn man beide zugleich von der in ihnen am meisten con-
creten und idealen Seite betrachtet, so schlagen sie zu ähnlichem
Zweck verschiedene Pfade ein. Denn beide bewegen sich von der
Wirklichkeit aus zu einem ihr nicht angehörenden Etwas: die
Poesie fasst die Wirklichkeit in ihrer sinnlichen Erscheinung, wie
sie äusserlich und innerlich empfunden wird, auf, ist aber unbe-
kümmert um dasjenige, wodurch sie Wirklichkeit ist, stösst viel-
mehr diesen ihren Charakter absichtlich zurück. Die sinnliche
Erscheinung verknüpft sie sodann vor der Einbildungskraft und
führt durch sie zur Anschauung eines künstlerisch idealischen
Ganzen. Die Prosa sucht in der Wirklichkeit gerade die Wurzeln,
durch welche sie am Daseyn haftet, und die Fäden ihrer Ver-
bindungen mit demselben. Sie verknüpft alsdann auf intellectuellem
Wege Thatsache mit Thatsache und Begriffe mit Begriffen und
strebt nach einem objectiven Zusammenhang in einer Idee. Der
Unterschied beider ist hier so gezeichnet, wie er nach ihrem wahren
Wesen im Geiste sich ausspricht. Sieht man bloss auf die mög-
liche Erscheinung in der Sprache und auch in dieser nur auf eine,
in der Verbindung höchst mächtige, aber vereinzelt fast gleich-
gültige Seite derselben, so kann die innere prosaische Richtung
W. V. Humboldt, Werke. VII. 13
194
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
in gebundener und die poetische in freier Rede ausgeführt werden,
meistentheils aber nur auf Kosten beider, so dass das poetisch aus-
gedrückte Prosaische weder den Charalvter der Prosa noch den
der Poesie ganz an sich trägt und ebenso in Prosa gekleidete
Poesie. Der poetische Gehalt führt gewaltsam auch das poetische
Gewand herbei und es fehlt nicht an Beispielen, dass Dichter im
Gefühle dieser Gewalt das in Prosa Begonnene in Versen voll-
endet haben. Beiden gemeinschaftlich, um zu ihrem wahren Wesen
zurückzukehren, ist die Spannung und der Umfang der Seeien-
kräfte, welche die Verbindung der vollen Durchdringung der Wirk-
lichkeit mit dem Erreichen eines idealen Zusammenhanges unend-
licher Mannigfaltigkeit erfordert, und die Sammlung des Gemüthes
auf die consequente Verfolgung des bestimmten Pfades. Doch muss
diese wieder so aufgefasst werden, dass sie die Verfolgung des
entgegengesetzten im Geiste der Nation nicht ausschliesst, sondern
vielmehr befördert. Beide, die poetische und prosaische Stimmung
müssen sich zu dem Gemeinsamen ergänzen, den Menschen tief
in die Wirklichkeit Wurzel schlagen zu lassen, aber nur, damit
sein Wuchs sich desto fröhlicher über sie in ein freieres Element
erheben kann. Die Poesie eines Volkes hat nicht den höchsten
Gipfel erreicht, wenn sie nicht in ihrer Vielseitigkeit und in der
freien Geschmeidigkeit ihres Schwunges zugleich die Möglichkeit
einer entsprechenden Entwicklung in Prosa verkündet. Da der
menschhche Geist, in Kraft und Freiheit gedacht, zu der Gestaltung
von beiden gelangen muss, so erkennt man die eine an der andren,
wie man dem Bruchstück eines Bildwerks ansieht, ob es Theil
einer Gruppe gewesen ist.
Die Prosa kann aber auch bei blosser Darstellung des Wirk-
ichen und bei ganz äusserlichen Zwecken stehen bleiben, ge-
wissermassen nur Mittheilung von Sachen, nicht Anregung von
Ideen oder Empfindungen seyn. Dann weicht sie nicht von der
gewöhnlichen Rede ab und erreicht nicht die Höhe ihres eigent-
lichen Wesens. Sie ist dann nicht eine Entwicklungsbahn der
Intellectualität zu nennen und hat keine formale, sondern nur
materielle Beziehungen. Wo sie den höheren Weg verfolgt, be-
darf sie, um zum Ziele zu gelangen, auch tiefer in das Gemüth
eingreifender Mittel und erhebt sich dann zu derjenigen veredelten
Rede, von der allein gesprochen ■ werden kann, wenn man sie als
Gefährtin der Poesie auf der intellectuellen Laufbahn der Nationen
betrachtet. Sie verlangt alsdann das Umfassen ihres Gegenstandes
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. IOC.
mit allen vereinten Kräften des Gemüths, woraus zugleich eine
Behandlung entsteht , welche denselben als nach allen Seiten
Strahlen aussendend zeigt, auf die er Wirkung ausüben kann.
Der sondernde Verstand ist nicht allein thätig, die übrigen Kräfte
wirken mit und bilden die Auffassung, die man mit höherem
Ausdruck die geistvolle nennt. In dieser Einheit trägt der Geist
auch, ausser der Bearbeitung des Gegenstandes, das Gepräge seiner
eignen Stimmung in die Rede über. Die Sprache, durch den
Schwung des Gedanken gehoben, macht ihre Vorzüge geltend,
ordnet sie aber dem hier gesetzgebenden Zwecke unter. Die
sittliche Gefühlsstimmung theilt sich der Sprache mit und die
Seele leuchtet aus dem St34e hervor. Auf eine ihr ganz eigen-
thümliche Weise offenbart sich aber in der Prosa durch die
Unterordnung und Gegeneinanderstellung der Sätze die, der Ge-
dankenentwicklung entsprechende logische Eurhythmie, welche
der prosaischen Rede in der allgemeinen Erhebung durch ihren
besondren Zweck geboten wird. Wenn sich der Dichter dieser
zu sehr überlässt, so macht er die Poesie der rhetorischen Prosa
ähnlich. Indem nun alles hier einzeln Genannte in der geistvollen
Prosa zusammenwirkt, zeichnet sich in ihr die ganze lebendige
Entstehung des Gedanken, das Ringen des Geistes mit seinem
Gegenstande. Wo dieser es erlaubt, gestaltet sich der Gedanke
wie eine freie, unmittelbare Eingebung und ahmt auf dem Ge-
biete der Wahrheit die selbstständige Schönheit der Dichtung nach.
Aus allem diesen ergiebt sich, dass Poesie und Prosa durch
dieselben allgemeinen Forderungen bedingt sind. In beiden muss
ein von innen entstehender Schwung den Geist heben und tragen.
Der Mensch in seiner ganzen Eigenthümlichkeit muss sich mit
dem Gedanken nach der äusseren und inneren Welt hinbewegen
und, indem er Einzelnes erfasst, auch dem Einzelnen die Form
lassen, die es an das Ganze knüpft. In ihren Richtungen aber
und den Mitteln ihres Wirkens sind beide verschieden und können
eigentlich nie mit einander vermischt werden. In Rücksicht auf
die Sprache ist auch besonders zu beachten, dass die Poesie in
ihrem wahren Wesen von Musik unzertrennlich ist, die Prosa
dagegen sich ausschliesslich der Sprache anvertraut. Wie genau
die Poesie der Griechen mit Instrumentalmusik verbunden vv-ar,
ist bekannt und das Gleiche gilt von der lyrischen Poesie der
Hebräer. Auch von der Einwirkung der verschiedenen Tonarten
auf die Poesie ist oben gesprochen worden. Wie poetisch Ge-
is*
IQß I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
danke und Sprache seyn möge, fühlt man sich, wenn das musi-
kalische Element fehlt, nicht auf dem wahren Gebiete der Poesie.^)
Daher der natürliche Bund zwischen grossen Dichtern und Com-
ponisten, obgleich die Neigung der Musik, sich in unbeschränkter
Selbstständigkeit zu entwickeln, auch wohl die Poesie absichtlich
in Schatten stellt.
Genau genommen lässt sich nie sagen, dass die Prosa aus
der Poesie hervorgeht. Auch wo beide, wie in der Griechischen
Literatur, historisch*) in der That so erscheinen, kann dies doch
nur richtig so erklärt werden, dass die Prosa aus einem, durch
die ächteste und mannigfaltigste Poesie Jahrhunderte lang be-
arbeiteten Geiste und in einer auf diese Weise gebildeten Sprache
entsprang. Beides aber ist wesentlich verschieden. Der Keim zur
Griechischen Prosa lag, wie der zur Poesie, schon ursprünglich
im Griechischen Geiste, durch dessen Individualität auch beide,
ihrem Wesen unbeschadet, einander in ihrem eigenthümlichen
Gepräge entsprechen. Schon die Griechische Poesie zeigt den
weiten und freien Aufflug des Geistes, der das Bedürfniss der
Prosa hervorbringt. Beider Entwicklung war vollkommen natur-
gemäss aus gemeinschaftlichem Ursprung und einem beide zugleich
umfassenden intellectuellen Drange, der nur durch äussere Um-
stände hätte an der A^ollendung seiner Entwicklung verhindert
werden können. Noch weniger lässt sich die höhere Prosa als
durch eine, noch so sehr von dem bestimmten Zwecke der Rede
und feinem Geschmack geminderte Beimischung poetischer Ele-
mente entstehend erklären. Die Unterschiede beider in ihrem
Wesen üben ihre Wirkung natürlich auch in der Sprache aus
und die poetische und prosaische haben jede ihre Eigenthümlich-
keiten in der Wahl der Ausdrücke, der grammatischen Formen
und Fügungen. Viel weiter aber, als durch diese Einzelnheiten
werden sie durch den in ihrem tieferen Wesen gegründeten Ton
des Ganzen auseinandergehalten. Der Kreis des Poetischen ist.
*) Eine sehr geistvolle und von tiefer und gründlicher Lesung der Alten zeugende
Uebersicht des Ganges der Griechischen Literatur in Absicht auf Redefügung und Styl
giebt die Einleitung zu Bernhardy's wissenschaftlicher Syntax der Griechischen Sprache.^)
V Nach „Poesie" gestrichen: „Die Abwesenheit dieses Moments begründet
den Unterschied zwischen dein Metrum der Poesie und dem Numerus der Prosa,
der Musik nur im weitesten Sinne des Worts zukommt."
y Sie war Berlin 1&9 et'scliienen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. iq-y
wie unendlich und unerschöpflich auch in seinem Innren, doch
immer ein geschlossener, der nicht Alles in sich aufnimmt oder
dem Aufgenommenen nicht seine ursprüngliche Natur lässt; der
durch keine äussere Form gebundene Gedanke kann sich in freier
Entwicklung nach allen Seiten hin weiter bewegen, sowohl in der
Auffassung des Einzelnen, als in der Zusammenfügung der allge-
meinen Idee. Insofern liegt das Bedürfniss zur Ausbildung der
Prosa in dem Reichthum und der Freiheit der Intellectualität
und macht die Prosa gewissen Perioden der geistigen Bildung
eigenthümlich. Sie hat aber auch noch eine andere Seite, durch
welche sie reizt und sich dem Gemüthe einschmeichelt: ihre nahe
^^erwandtschaft mit den ^"erhältnissen des gewöhnlichen Lebens,
das durch ihre Veredlung in seiner Geistigkeit gesteigert werden
kann, ohne darum an Wahrheit und natürlicher Einfachheit zu
verlieren. Von dieser Seite her kann sogar die Poesie die prosa
ische Einkleidung wählen, um gleichsam die Empfindung in ihrer
ganzen R^nheit und Wahrheit darzustellen. Wie der Mensch
selbst der Sprache, als das Gemüth begränzend und seine reinen
Aeusserungen entstellend, abhold seyn und sich nach einem Em-
pfinden und Denken ohne ein solches Medium sehnen kann, ebenso
kann er sich durch Ablegung alles ihres Schmuckes, auch in der
höchsten poetischen Stimmung, zu der Einfachheit der Prosa
tiüchten. Die Poesie trägt ihrem Wesen nach immer auch eine
äussere Kunstform an sich. Es kann aber in der Seele eine
Neigung zur Natur im Gegensatz mit der Kunst, jedoch dergestalt
geben, dass dem Gefühl der Natur übrigens ihr ganzer idealer
Gehalt bewahrt wird, und dies scheint in der That den neuern
gebildeten Völkern eigen zu seyn. Gewiss w^enigstens — und
dies hängt zugleich mit der bei gleicher Tiefe weniger sinnlichen
Formung unsrer Sprache zusammen — liegt dies in unserer
Deutschen Sinnesart. Der Dichter kann alsdann absichtlich den
Verhältnissen des wirklichen Lebens nahe bleiben und, wenn die
Macht seines Genies dazu hinreicht, ein acht poetisches Werk in
prosaischer Einkleidung ausführen. Ich brauche hier nur an
Göthe's Werther zu erinnern, von dem jeder Leser fühlen wird,
wie nothwendig die äussere Form mit dem inneren Gehalte zu-
sammenhängt. Ich erwähne dies jedoch nur, um zu zeigen, wie
aus ganz verschiedenen Seelenstimmungen Stellungen der Poesie
und Prosa gegen einander und A^erknüpfungen ihres inneren und
äusseren Wesens entstehen können, welche alle auf den Charakter
jq3 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
der Sprache Einfluss haben, aber auch alle wieder, was uns noch
sichtbarer ist, ihre Rückwirkung erfahren.
Die Poesie und Prosa selbst erhalten aber auch jede für sich
eine eigenthümlichc Färbung. In der Griechischen Poesie herrschte,
in Gemässheit mit der allgemeinen intellectuellen Eigenthümlichkeit,
die äussere Kunstform vor allem Uebrigen vor. Dies entsprang
2ugleich aus ihrer engen und durchgängigen Verknüpfung mit
der Musik, allein auch vorzüglich aus dem feinen Tact, mit welchem
sie die inneren Wirkungen auf das Gemüth abzuwägen und aus-
zugleichen verstanden. So kleidete sich die alte Komödie in das
reichste und mannigfaltigste rhythmische Gewand. Je tiefer sie
oft in Schilderungen und Ausdrücken zum Gewöhnlichen und
sogar zum Gemeinen hinabstieg, desto mehr fühlte sie die Noth-
wendigkeit, durch die Gebundenheit der äusseren Form Haltung
und Schwung zu gewinnen. Die \^erbindung des hochpoetischen
Tones mit der durchaus praktischen, altväterlichen, auf Sitten-
einfachheit und Bürgertugend gerichteten Gediegenheit der gehalt-
vollen Parabasen ergreift nun, wie man lebhaft beim Lesen des
Aristophanes fühlt, das Gemüth in einem sich in seinem Tiefsten
wieder vereinigenden Gegensatze. Auch war den Griechen die
Einmischung der Prosa in die Poesie, wie wir sie bei den Indiern
und Shakespeare finden, schlechterdings fremd. Das empfundene
Bedürfniss, sich auf der Bühne dem Gespräch zu nähern, und das
richtige Gefühl, dass auch die ausführlichste Erzählung, einer
spielenden Person in den Mund gelegt, sich von dem epischen
Vortrage des Rhapsoden, an den sie übrigens immer lebhaft er-
innerte, unterscheiden musste, liess für diese Theile des Dramas
eigne Sylbenmasse entstehen, gleichsam Vermittler zwischen der
Kunstform der Poesie und der natürlichen Einfachheit der Prosa.
Auf diese selbst wirkte aber dieselbe allgemeine Stimmung ein
und gab auch ihr eine äusserlich kunstvollere Gestaltung. Die
nationelle Eigenthümlichkeit zeigt sich besonders in der kritischen
Ansicht und der Beurtheilung der grossen Prosaisten. Die Ursach
ihrer Treftlichkeit wird da, wo wir einen ganz andren Weg ein-
schlagen würden, vorzüglich in Feinheiten des Numerus, kunst-
vollen Redefiguren und in Aeusserlichkeiten des Periodenbaues
gesucht. Die Zusammenwirkung des Ganzen, die Anschauung
der inneren Gedankenentwicklung, von welcher der Styl nur ein
Abglanz ist, scheint uns bei Lesung solcher Schriften, wie z. B.
der in diese Materie einschlagenden Bücher des Dionysius von
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. iqq
Halikarnass gänzlich zu verschwinden. Es ist indess nicht zu
läugnen, dass, Einseitiglveiten und Spitzfindigkeiten dieser Art der
Kritik abgerechnet, die Schönheit jener grossen Muster mit auf
diesen Einzelnheiten beruht, und das genauere Studium dieser
Ansicht führt uns zugleich tiefer in die Eigenthümlichkeit des
Griechischen Geistes ein. Denn die Werke des Genies üben doch
ihre Wirkung nur durch die Art, wie sie von den Nationen auf-
gefasst werden, aus und gerade die Einwirkung auf die Sprachen,
mit der wir es hier zu thun haben, hängt vorzugsweise von dieser
Auffassung ab.^)
Die fortschreitende Bildung des Geistes führt zu einer Stufe,
wo er, gleichsam aufhörend zu ahnden und zu vermuthen, die
Erkenntniss zu begründen und ihren Inbegriff in Einheit zusammen-
zufügen strebt. Es ist dies die Epoche der Entstehung der Wissen-
schaft und der sich aus ihr entwickelnden Gelehrsamkeit und
dieser Moment kann nicht anders, als im höchsten Grade einfluss-
reich auf die Sprache seyn. Von der, sich in der Schule der
Wissenschaft bildenden Terminologie habe ich schon oben (S. 191.)
gesprochen. Des allgemeinen Einflusses aber dieser Epoche ist
es hier der Ort zu erwähnen, da die Wissenschaft in strengem
Verstände die prosaische Einkleidung fordert und eine poetische
ihr nur zufällig zu Theil w^erden kann. In diesem Gebiete nun
hat der Geist es ausschliesslich mit Objectivem zu thun, mit Sub-
jectivem nur insofern, als dies Noth wendigkeit enthält; er sucht
Wahrheit und Absonderung alles äusseren und inneren Scheins.
Die Sprache erhält also erst durch diese Bearbeitung die letzte
Schärfe in der Sonderung und Feststellung der Begriffe und die
reinste Abwägung der zu Einem Ziele zusammenstrebenden Sätze
und ihrer Theile. Da sich aber durch die wissenschaftliche Form
des Gebäudes der Erkenntniss und die Feststellung des ^'er-
hältnisses der letzteren zu dem erkennenden Vermögen dem Geiste
etwas ganz Neues aufthut, welches alles Einzelne an Erhabenheit
übertrifft, so w^rkt dies zugleich auf die Sprache ein, giebt ihr
einen Charakter höheren Ernstes und einer, die Begriffe zur höchsten
V Nach „ab" gestrichen: „Wie die Prosa das Medium des geselligen Ge-
sprächs in seiner natürlichen Einfachheit ist, so giebt es für sie auch ein anderes
ähnliches Gebiet, wo sie den Gedanken, statt ihre eigene Selbstständigkeit geltend
zu machen, nur begleiten und ihn so rein und klar, als möglich, darstellen muss,
nemiich das der Wissenschaft und der Gelehrsamkeit."
200 l- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Klarheit bringenden Stärke. Auf der andren Seite erheischt aber
ihr Gebrauch in diesem Gebiete Kälte und Nüchternheit und in
den Fügungen Vermeidung jeder kunstvolleren, der Leichtigkeit
des Verständnisses schädlichen und dem blossen Zwecke der Dar-
stellung des Objectes unangemessenen Verschlingung. Der wissen-
schafthche Ton der Prosa ist also ein ganz anderer, als der bisher
geschilderte. Die Sprache soll, ohne eigne Selbstständigkeit geltend
zu machen, sich nur dem Gedanken so eng, als möglich, an-
schliessen, ihn begleiten und darstellen. In dem uns übersehbaren
Gange des menschlichen Geistes kann mit Recht Aristoteles der
Gründer der Wissenschaft und des auf sie gerichteten Sinnes ge-
nannt werden. Obgleich das Streben darnach natürlich viel früher
entstand und die Fortschritte allmählich waren, so schloss es sich
doch erst mit ihm zur Vollendung des Begriffes zusammen. Als
wäre dieser plötzlich in bis dahin unbekannter Klarheit in ihm
hervorgebrochen, zeigt sich zwischen seinem Vortrage und der
Methodik seiner Untersuchungen und der seiner unmittel-
barsten Vorgänger eine entschiedene, nicht stufenweis zu ver-
mittelnde Kluft. Er forschte nach Thatsachen, sammelte die-
selben und strebte, sie zu allgemeinen Ideen hinzuleiten. Er
prüfte die vor ihm aufgebauten Systeme, zeigte ihre Unhaltbarkeit
und bemühte sich, dem seinigen eine auf tiefer Ergründung des
erkennenden Vermögens im Menschen ruhende Basis zu geben.
Zugleich brachte er alle Erkenntnisse, die sein riesenmässiger
Geist umfasste, in einen nach Begriffen geordneten Zusammen-
hang. Aus einem solchen, zugleich tief strebenden und weit-
umfassenden, gleich streng auf Materie und Form der Erkenntniss
gerichteten Verfahren, in welchem die Erforschung der Wahrheit
sich vorzüglich durch scharfe Absonderung alles verführerischen
Scheins auszeichnete, musste bei ihm eine Sprache entstehen, die
einen auffallenden Gegensatz mit der seines unmittelbaren Vor-
gängers und Zeitgenossen, des Plato, bildete. Man kann beide in
der That nicht in dieselbe Entwicklungsperiode stellen, muss die
Platonische Diction als den Gipfel einer nachher nicht wieder er-
standenen, die Aristotelische als eine neue Epoche beginnend an-
sehen. Hierin erblickt man aber auffallend die Wirkung der
eigenthümlichen Behandlungsart der philosophischen Erkenntniss.
Man irrte gewiss sehr, wenn man Aristoteles mehr von Anmuth
entblösste, schmucklose und unläugbar oft harte Sprache einer
natürlichen Nüchternheit und gleichsam Dürftigkeit seines Geistes
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. 20I
zuschreiben wollte. Musik und Dichtung hatten einen grossen
Theil seiner Studien beschäftigt. Ihre Wirkung war, wie man
schon an den wenigen von ihm übrigen Urtheilen in diesem Ge-
biete sieht, tief in ihn eingegangen und nur angeborne Neigung
konnte ihn zu diesem Zweige der Literatur geführt haben. Wir
besitzen noch einen Hymnus voll dichterischen Schwunges von
ihm, und wenn seine exoterischen Schriften, besonders die Dialogen
auf uns gekommen wären, so würden wir wahrscheinlich ein
ganz anderes Urtheil über den Umfang seines Styles fällen. Ein-
zelne Stellen seiner auf uns gekommenen Schriften, besonders der
Ethik zeigen, zu welcher Höhe er sich zu erheben vermochte.
Die wahrhaft tiefe und abgezogne Philosophie hat auch ihre eignen
Wege, zu einem Gipfel grosser Diction zu gelangen. Die Ge-
diegenheit und selbst die Abgeschlossenheit der Begriffe giebt, wo
die Lehre aus acht schöpferischem Geiste hervorgeht, auch der
Sprache eine mit der inneren Tiefe zusammenpassende Erhabenheit.
Eine Gestaltung des philosophischen Styls von ganz eigen-
thümlicher Schönheit findet sich auch bei uns in der Verfolgung
abgezogener Begriffe in Fichte's und Schelling's Schriften und,
wenn auch nur einzeln, aber dann wahrhaft ergreifend, in Kant.
Die Resultate factisch wissenschaftlicher Untersuchungen sind vor-
zugsweise nicht allein einer ausgearbeiteten und sich aus tiefer
und allgemeiner Ansicht des Ganzen der Natur von selbst hervor-
bildenden grossartigen Prosa fähig, sondern eine solche befördert
die wissenschaftliche Untersuchung selbst, indem sie den Geist
entzündet, der allein in ihr zu grossen Entdeckungen führen
kann. Wenn ich hier der in dies Gebiet einschlagenden Werke
meines Bruders erwähne, so glaube ich nur ein allgemeines, oft
ausgesprochenes Urtheil zu wiederholen.
Das Feld des Wissens kann sich von allen Punkten aus zum
Allgemeinen zusammenwölben und gerade diese Erhebung und
die genaueste und vollständigste Bearbeitung der thatsächlichen
Grundlagen hängen auf das innigste zusammen. Nur wo die
Gelehrsamkeit und das Streben nach ihrer Erweiterung nicht von
dem ächten Geiste durchdrungen sind, leidet auch die Sprache
und alsdann ist dies eine der Seiten, von welcher der Prosa, ebenso
wie vom Herabsinken des gebildeten, ideenreichen Gespräches zu
alltäglichem oder conventionellem, Verfall droht. Die Werke der
Sprache können nur gedeihen, so lange der, auf seine eigne sich
erweiternde Ausbildung und auf die Verknüpfung des Weltganzen
202 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
mit seinem Wesen gerichtete Schwung des Geistes sie mit sich
emporträgt. Dieser Schwung erscheint in unzähligen Abstufungen
und Gestalten, strebt aber immer zuletzt, auch v/o der Mensch
sich dessen nicht einzeln bewusst ist, seinem angeborenen Triebe
gemäss nach jener grossen Verknüpfung. Wo sich die intellectuelle
Eigenthümlichkeit der Nation nicht kräftig genug zu dieser Höhe
erhebt oder die Sprache im intellectuellen Sinken einer gebildeten
Nation von dem Geiste verlassen wird, dem sie allein ihre Kraft
und ihr blühendes Leben verdanken kann, entsteht nie eine gross-
artige Prosa oder zerfällt, wenn sich das Schaffen des Geistes zu
gelehrtem Sammeln verflacht.
Die Poesie kann nur einzelnen Momenten des Lebens und
einzelnen Stimmungen des Geistes angehören, die Prosa begleitet
den Menschen beständig und in allen Aeusserungen seiner geistigen
Thätigkeit. Sie schmiegt sich jedem Gedanken und jeder Empfindung
an, und wenn sie sich in einer Sprache durch Bestimmtheit, helle
Klarheit, geschmeidige Lebendigkeit, Wohllaut und Zusammen-
klang zu der Fähigkeit, sich von jedem Punkte aus zu dem freiesten
Streben zu erheben, aber zugleich zu dem feinen Tact ausgebildet
hat, wo und wie weit ihr diese Erhebung in jedem einzelnen
Falle zusteht, so verräth und befördert sie einen ebenso freien,
leichten, immer gleich behutsam fortstrebenden Gang des Geistes.
Es ist dies der höchste Gipfel, den die Sprache in der Ausbildung
ihres Charakters zu erreichen vermag und der daher, von den
ersten Keimen ihrer äusseren Form an, der breitesten und
sichersten Grundlagen bedarf.
Bei einer solchen Gestaltung der Prosa kann die Poesie nicht
zurückgeblieben seyn, da beide aus gemeinschaftlicher Quelle
fliessen. Sie kann aber einen hohen Grad der Trefflichkeit er-
reichen, ohne dass auch die Prosa zur gleichen Entwicklung in
der Sprache gelangt. Vollendet wird der Kreis dieser letzteren
immer nur durch beide zugleich. Die Griechische Literatur bietet
uns, wenn auch mit grossen und bedaurungswürdigen Lücken,
den Gang der Sprache in dieser Rücksicht vollständiger und reiner
dar, als er uns sonst irgendwo erscheint. Ohne erkennbaren Ein-
fluss fremder gestalteter Werke, wodurch der fremder Ideen nicht
ausgeschlossen Vv'ird, entwickelt sie sich von Homer bis zu den
Byzantinischen Schriftstellern durch alle Phasen ihres Laufes allein
aus sich selbst und aus den Umgestaltungen des nationeilen Geistes
durch innere und äussere geschichtliche Umwälzungen. Die Eigen-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. 20"%
thümlichkeit der Griechischen Volksstämme bestand in einer,
immer zugleich nach Freiheit und Obermacht, die aber auch
tneistentheils gern den Unterworfenen den Schein der ersteren
erhielt, ringenden volksthümlichen Beweglichkeit. Gleich den
Wellen des sie umgebenden, eingeschlossenen Meeres, brachte
diese innerhalb derselben massigen Gränzen unaufliörliche Ver-
änderungen, Wechsel der Wohnsitze, der Grösse und der Herr-
schaft herv'or und gab dem Geiste beständig neue Nahrung und
Antrieb, sich in jeder Art der Thätigkeit zu ergiessen. Wo die
Griechen, wie bei Anlegung von Pflanzstädten, in die Ferne
wirkten, herrschte der gleiche volksthümhche Geist. So lange
dieser Zustand währte, durchdrang dies innerliche nationelle Princip
die Sprache und ihre Werke. In dieser Periode fühlt man lebendig
den inneren fortschreitenden Zusammenhang aller Geistesproducte,
das lebendige Ineinandergreifen der Poesie und der Prosa und
aller Gattungen beider. Als aber seit Alexander Griechische Sprache
und Literatur durch Eroberung ausgebreitet wurden und später,
als besiegtem Volke angehörend, sich mit dem weltbeherrschenden
der Sieger verbanden, erhoben sich zwar noch ausgezeichnete
Köpfe und poetische Talente, aber das beseelende Princip war
erstorben und mit ihm das lebendige, aus der Fülle seiner eignen
Kraft entspringende Schaffen. Die Kunde eines grossen Theils
des Erdbodens wurde nun erst wahrhaft eröffnet, die wissen-
schaftliche Beobachtung und die systematische Bearbeitung des
gesammten Gebietes des Wissens war, in w^ahrhaft welthistorischer
Verbindung eines thaten- und eines ideenreichen ausserordentUchen
Mannes, durch Aristoteles Lehre und Vorbild dem Geiste klar ge-
worden. Die Welt der Objecte trat mit überwiegender Gewalt
dem subjectiven Schaffen gegenüber und noch mehr wurde dieses
durch die frühere Literatur niedergedrückt, welche, da ihr be-
seelendes Princip mit der Freiheit, aus der es quoll, verschwunden
war, auf einmal wie eine Macht erscheinen musste, mit der, wenn
auch vielfache Nachahmungen versucht wurden, doch kein wahrer
Wetteifer zu wagen war. Von dieser Epoche an beginnt also ein
allmähliches Sinken der Sprache und Literatur. Die wissenschaft-
hche Thätigkeit wandte sich aber nun auf die Bearbeitung beider,
wie sie aus dem reinsten Zustande ihrer ßlüthe übrig waren, so
dass zugleich ein grosser Theil der Werke aus den besten Epochen
und die Art, w^ie sich diese Werke in der absichtlich auf sie ge-
richteten Betrachtung späterer Generationen desselben, sich immer
204. ^' t^ber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
gleichen, aber durch äussere Schicksale herabgedrückten Volkes
abspiegelten, auf uns gekommen sind.
Vom Sanskrit lässt sich, unserer Kenntniss der Literatur des-
selben nach, nicht mit Sicherheit beurtheilen, bis auf welchen
Grad und Umfang auch die Prosa in ihm ausgebildet war. Die
Verhältnisse des bürgerlichen und geselligen Lebens boten aber in
Indien schwerlich die gleichen Veranlassungen zu dieser Aus-
bildung dar. Der Griechische Geist und Charakter gieng schon an
sich mehr, als vielleicht je bei einer Nation der Fall war, auf
solche Vereinigungen hin, in welchen das Gespräch, wenn nicht
der alleinige Zweck, doch die hauptsächlichste Würze war. Die
Verhandlungen vor Gericht und in der Volksversammlung forderten
Ueberzeugung wirkende und die Gemüther lenkende Beredsamkeit.
In diesen und ähnlichen Ursachen kann es liegen, wenn man
auch künftig unter den Ueberresten der Indischen Literatur nichts
entdeckt, w^as man im Style den Griechischen Geschichtschreibern,
Rednern und Philosophen an die Seite stellen könnte. Die reiche,
beugsame, mit allen Mitteln, durch welche die Rede Gediegenheit,
Würde und Anmuth erhält, ausgestattete Sprache bewahrt sichtbar
alle Keime dazu in sich und würde in der höheren prosaischen
Bearbeitung noch ganz andere Charakterseiten, als wir an ihr
jetzt kennen, entwickelt haben. Dies beweist schon der einfache,
anmuthvolle, auf bewundrungswürdige Weise zugleich durch ge-
treue und zierliche Schilderung und eine ganz eigenthümliche
Verstandesschärfe anziehende Ton der Erzählungen des Hitöpadesa.
Die Römische Prosa stand in einem ganz andren Verhältnisse
zur Poesie, als die Griechische.^) Hierauf wirkte bei den Römern
gleich stark ihre Nachahmung der Griechischen Muster und ihre
eigne, überall hervorleuchtende Originalität. Denn sie drückten
ihrer Sprache und ihrem Style sichtbar das Gepräge ihrer inneren
und äusseren politischen Entwicklung auf. Mit ihrer Literatur in
ganz andre Zeitverhältnisse versetzt, konnte bei ihnen keine ur-
sprünglich naturgemässe Entwicklung statt finden, wie wir sie bei
^J Nach „Griechische" gestrichen: „was aus den beiden Ursachen herstammt:
aus dem Umstände, dass die Römer in der Griechischen Literatur ein Muster
vor sich hatten, das unmöglich ohne Wirkung bleiben konnte, dann aber und ganz
vorzüglich aus ihrer eignen, überall hervorleuchtenden Originalität. Niemals ver-
gassen sie, dass sie Römer waren, und in dem ganzen Charakter ihrer Sprache
und ihres Styls zeigt sich, dass sie, auch wo sie dem Vorbilde folgten, doch
als Beherrscher nachahmten."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. OQ^
den Griechen vom Homerischen Zeitalter an und durch den
dauernden Einfluss jener frühesten Gesänge wahrnehmen. Die
grosse, originelle Römische Prosa entspringt unmittelbar aus dem
Gemüth und Charakter, dem männlichen Ernst, der Sittenstrenge
und der ausschliessenden Vaterlandsliebe, bald an sich, bald im
Contraste mit späterer Verderbniss. Sie hat viel weniger eine
bloss intellectuelle Farbe und muss aus allen diesen Gründen zu-
sammengenommen der naiven Anmuth einiger Griechischen
Schriftsteller entbehren, die bei den Römern nur in poetischer
Stimmung, da die Poesie das Gemüth in jeden Zustand zu ver-
setzen vermag, hervortritt. Ueberhaupt erscheinen fast in allen
^^ergleichungen, die sich zwischen Griechischen und Römischen
Schriftstellern anstellen lassen, die ersteren minder feierlich, ein-
facher und natürlicher. Hieraus entsteht ein mächtiger Unter-
schied zwischen der Prosa beider Nationen und es ist kaum
glaublich, dass ein Schriftsteller wie Tacitus von den Griechen
seiner Zeit wahrhaft empfunden worden sey. Eine solche Prosa
musste um so mehr auch anders auf die Sprache einwirken, als
beide den gleichen Impuls von derselben Nationaleigenthümlichkeit
empfiengen. Eine gleichsam unbeschränkte, sich jedem Gedanken
hingebende, jede Bahn des Geistes mit gleicher Leichtigkeit ver-
folgende und gerade in dieser Allseitigkeit und nichts zurück-
stossenden Beweglichkeit ihren wahren Charakter findende Ge-
schmeidigkeit konnte aus solcher Prosa nicht entspringen und
ebenso wenig eine solche erzeugen. Ein Blick in die Prosa der
neuern Nationen würde in noch verwickeitere Betrachtungen
führen, da die Neueren, wo sie nicht selbst original sind, nicht
vermeiden konnten, verschieden von den Römern und Griechen
angezogen zu werden, zugleich aber ganz neue Verhältnisse auch
eine bis dahin unbekannte Originalität in ihnen erzeugten. Ich be-
gnüge mich nur mit der Bemerkung, [dass] was die Verschiedenheit
des ^"erhältnisses [betrifft], in welches Prosa und Poesie sich gegen
einander stellen und dadurch auf den Geist zurückwirken, immer
nur eines in einer Nation und Sprache vorhanden seyn kann. In
einem Stamme von Sprachen aber lässt sich in den einzelnen
desselben diese Verschiedenheit in grösserem Umfange übersehen
und stellt sich dann den Fortschritten der Bildung im Laufe
der Jahrhunderte gemäss in organischer Entwicklungsfolge dar.
Die Grundlage bleibt immer die dem ganzen Stamme eigenthüm-
liche äussere Form, das gemeinsame Bestreben der überein-
2o6 '• tber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
kommenden intellectuellen Eigenthümlichkeiten. Die Verschieden-
heit bilden innerhalb dieses Gemeinsamen die Charaktere der ein-
zelnen Nationen und das Zeitalter, in welchem jede den Grad der
Geistigkeit erreicht, aus welchem Poesie und Prosa hervorblühen.
Hierzu wende ich mich daher jetzt.
Vorher aber muss ich noch eines andren, im Vorigen nicht
betrachteten Verhältnisses der Poesie zur Prosa gedenken, nemlich
der Beziehung beider auf die Schrift. Es ist seit den meister-
haften Wollischen Untersuchungen über die Entstehung der Home-
rischen Gedichte wohl allgemein anerkannt, dass die Poesie eines
Volkes noch lange nach der Erfindung der Schrift unaufgezeichnet
bleiben kann und dass beide Epochen durchaus nicht nothwendig
zusammenfallen. Bestimmt, die Gegenwart des Augenblicks zu
verherrlichen und zur Begehung festlicher Gelegenheiten mitzu-
wirken, war die Poesie in den frühesten Zeiten zu innig mit dem
Leben verknüpft, gieng zu freiwillig zugleich aus der Einbildungs-
kraft des Dichters und der Auffassung der Hörer hervor, als dass
ihr die Absichtlichkeit kalter Aufzeichnung nicht hätte fremd
bleiben sollen. Sie entströmte den Lippen des Dichters oder der
Sängerschule, welche seine Gedichte in sich aufgenommen hatte;
es war ein lebendiger, mit Gesang und Instrumentalmusik be-
gleiteter Vortrag. Die Worte machten von diesem nur einen
Theil aus und waren mit ihm unzertrennlich verbunden. Dieser
ganze Vortrag wurde der Folgezeit zugleich überliefert und es
konnte nicht in den Sinn kommen, das so fest Verschlungene ab-
sondern zu wollen. Nach der ganzen Weise, wie in dieser Periode
des geistigen Volkslebens die Poesie in demselben Wurzel schlug,
entstand gar nicht der Gedanke der Aufzeichnung. Diese setzte
erst die Reflexion voraus, die sich immer aus der, eine Zeit hin-
durch bloss natürlich geübten Kunst entwickelt, und eine grössere
Entfaltung der Verhältnisse des bürgerlichen Lebens, welche den
Sinn hervorruft, die Thätigkeiten zu sondern und ihre Erfolge
dauernd zusammenwirken zu lassen. Erst dann konnte die Ver-
bindung der Poesie mit dem Vortrag und dem augenblicklichen
Lebensgenuss loser werden. Die Nothwendigkeit der poetischen
Wortstellung und das Metrum machten es auch grossentheils über-
flüssig, der Ueberlieferung vermittelst des Gedächtnisses durch
Schrift zu Hülfe zu kommen.
Bei der Prosa verhielt sich dies alles ganz anders. Die Haupt-
schwierigkeit lässt sich zwar meiner Ueberzeugung nach hier
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. 207
nicht in der Unmöglichkeit suchen, längere ungebundene Rede
dem Gedächtniss anzuvertrauen. Es giebt gewiss bei den Völkern
auch bloss nationelle, durch mündliche Ueberlieferung aufbewahrte
Prosa, bei welcher die Einkleidung und der Ausdruck sicher nicht
zufällig sind. Wir finden in den Erzählungen von Nationen, welche
gar keine Schrift besitzen, einen Gebrauch der Sprache, eine Art
des St\'ls, welchen man es ansieht, dass sie gewiss nur mit kleinen
Veränderungen von Erzähler zu Erzähler übergegangen sind.
Auch die Kinder bedienen sich bei Wiederholung gehörter Er-
zählungen gewöhnlich gewissenhaft derselben Ausdrücke. Ich
brauche hier nur an die Erzählung von Tangaloa auf den Tonga-
Inseln zu erinnern.*) Unter den Vasken gehen noch heute solche
unaufgezeichnet bleibenden Mährchen herum, die, zum sichtbaren
Beweise, dass auch und ganz vorzüglich die äussere Form dabei
beachtet wird, nach der Versicherung der Eingebornen allen ihren
Reiz und ihre natürliche Grazie durch Uebertragung in das Spa-
nische verlieren. Das Volk ist ihnen dergestalt ergeben, dass sie
ihrem Inhalte nach in verschiedene Classen getheilt werden. Ich
hörte selbst ein solches, unserer Sage vom Hamelnschen Ratten-
fänger ganz ähnliches erzählen; andere stellen, nur auf verschie-
dene V\"eise verändert, M^'then des Hercules und ein ganz locales
von einer kleinen, dem Lande vorliegenden Insel**) die Geschichte
Hero's und Leander's, auf einen Mönch und seine Geliebte über-
tragen, dar. Allein die Aufzeichnung, zu vv^elcher der Gedanke
bei der frühesten Poesie gar nicht entsteht, liegt dennoch bei der
Prosa noth wendig und unmittelbar, auch ehe sie sich zur wahr-
haft kunstvollen erhebt, in dem ursprünglichen Zweck. Thatsachen
sollen erforscht oder dargestellt, Begriffe entwickelt und verknüpft,
also etwas Objectives ausgemittelt werden. Die Stimmung, welche
dies hervorzubringen strebt, ist eine nüchterne, auf Forschung ge-
richtete, Wahrheit von Schein sondernde, dem Verstände die
Leitung des Geschäfts übertragende. Sie stösst also zuerst das
Metrum zurück, nicht gerade wegen der Schwierigkeit seiner
Fesseln, sondern weil das Bedürfniss darnach in ihr nicht ge-
gründet seyn kann, ja vielmehr der Allseitigkeit des überall hin
*) Mariner. Th. II. S. 377.
**) Izaro in der Bucht von Bermeo.^)
V Nach „Bermeo" gestrichen: „Meine ungedruckte Reise durch Biscaya.
S. 1S6."
2o8 I* über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
forschenden und verknüpfenden Verstandes eine, die Sprache nach
einem bestimmten Gefühle einengende Form nicht zusagt. Auf-
zeichnung wird nun hierdurch und durch das ganze Unternehmen
wünschenswerth, ja selbst unentbehrlich. Das Erforschte und selbst
der Gang der Forschung muss in allen Einzelnheiten fest und
sicher dastehen. Der Zweck selbst ist möglichste Verewigung:
Geschichte soll das sonst im Laufe der Zeit Verfliegende erhalten,
Lehre zu weiterer Entwicklung ein Geschlecht an das andere
knüpfen. Die Prosa begründet und befestigt auch erst das nament-
liche Heraustreten Einzelner aus der Masse in Geisteserzeugnissen,
da die Forschung persönliche Erkundigungen, Besuche fremder
Länder und eigen gewählte Methoden der Verknüpfung mit sich
führt, die Wahrheit, besonders in Zeiten, wo andere Beweise
mangeln , eines Gewährsmannes bedarf und der Geschicht-
schreiber nicht, wie der Dichter, seine Beglaubigung vom Olymp
ableiten kann. Die sich in einer Nation entwickelnde Stimmung
zur Prosa muss daher die Erleichterung der Schriftmittel suchen
und kann durch die schon vorhandene angeregt werden.
In der Poesie entstehen durch den natürlichen Gang der
Bildung der Völker zwei, gerade durch die Entbehrung und den
Gebrauch der Schrift zu bezeichnende, verschiedene Gattungen,*)
eine gleichsam vorzugsweise natürliche, der Begeisterung ohne
Absicht und Bewusstseyn der Kunst entströmende und eine
spätere kunstvollere, doch darum nicht minder dem tiefsten und
ächtesten Dichtergeist angehörende. Bei der Prosa kann dies nicht
auf dieselbe Weise und noch weniger in denselben Perioden statt
finden. Allein in anderer Art ist dasselbe auch bei. ihr der Fall.
Wenn sich nemlich in einem für Prosa und Poesie glücklich
organisirten Volke Gelegenheiten ausbilden, wo das Leben frei
hervorströmender Beredsamkeit bedarf, so ist hier, nur auf andere
Weise, eine ähnliche Verknüpfung der Prosa mit dem Volksleben,
*) Unübertrefflich gesagt und mit eignem Dichtergefühl empfunden ist in der
Vorrede zu A. W. v. Schlegel's Rämäyana die Auseinandersetzung über die früheste
Poesie bei den Griechen und Indiern. Welcher Gewinn wäre es für die philosophische
imd ästhetische Würdigung beider Literaturen und für die Geschichte der Poesie, wenn
es diesem, vor allen andren mit den Gaben dazu ausgestatteten Schriftsteller gefiele,
die Literaturgeschichte der Indier zu schreiben oder doch einzelne Theile derselben,
namentlich die dramatische Poesie zu bearbeiten und einer ebenso glücklichen Kritik
zu unterwerfen, als das Theater anderer Nationen von seiner wahrhaft genialen Be-
handlung erfahren hat.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 33. 34. 20Q
als wir sie oben bei der Poesie gefunden haben. Sie stösst dann
auch, so lange sie ohne Bewusstseyn absichtlicher Kunst fortdauert,
die todte und kalte Aufzeichnung zurück. Dies war wohl gewiss
in den grossen Zeiten Athens zwischen dem Perserkriege und
dem Peloponnesischen und noch später der Fall. Redner wie
Themistokles, Perikles und Alcibiades entwickelten gewiss mäch-
tige Rednertalente; von den beiden letzteren wird dies ausdrück-
lich herausgehoben. Dennoch sind von ihnen keine Reden, da
die in den Geschichtschreibern natürlich nur diesen angehören,
auf uns gekommen und auch das Alterthum scheint keine ihnen
mit Sicherheit beigelegte Schriften besessen zu haben. Zu Alci-
biades Zeit gab es zw^ar schon aufgezeichnete und sogar von
Andren, als ihren Verfassern gehalten zu werden bestimmte Reden;
es lag aber doch in allen Verhältnissen des Staatslebens jener
Periode, dass diese Männer, welche wirklich Lenker des Staates
waren, keine Veranlassung fanden, ihre Reden, weder ehe sie
dieselben hielten, noch nachher niederzuschreiben. Dennoch be-
wahrt diese natürliche Beredsamkeit gewiss ebenso wie jene
Poesie nicht nur den Keim, sondern war in vielen Stücken das
unübertroffne ^"orbild der späteren kunstvolleren. Hier aber,
wo von dem Einflüsse beider Gattungen auf die Sprache die Rede
ist, konnte die nähere Erwägung dieses Verhältnisses nicht über-
gangen werden. Die späteren Redner empfiengen die Sprache aus
einer Zeit, wo schon in bildender und dichtender Kunst so Grosses
und Herrliches das Genie der Redner angeregt und den Geschmack
des Volkes gebildet hatte, in einer ganz andren Fülle und Fein-
heit, als deren sie sich früher zu rühmen vermöchte. Etwas sehr
Aehnliches musste das lebendige Gespräch in den Schulen der
Philosophen darbieten.
Kraft der Sprachen, sich glücklich aus einander zu
entwickeln.
Es ist bewundrungswürdig zu sehen, welche lange Reihe von 34.
Sprachen gleich glücklichen Baues und gleich anregender Wirkung
auf den Geist diejenige herv^orgebracht hat, die wir an die Spitze
des Sanskritischen Stammes stellen müssen, wenn wir einmal
überhaupt in jedem Stamme Eine Ur- oder Muttersprache voraus-
setzen. Um nur die uns am meisten nahe liegenden Momente
\V. V. Humboldt, Werke. VII. I4
2IO ^' Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
hier aufzuzählen, so finden wir zuerst das Zend und das Sanskrit
in enger Verwandtschaft, aber auch in merkwürdiger Verschieden-
heit, das eine und das andre von dem lebendigsten Principe der
Fruchtbarkeit und Gesetzmässigkeit in Wort- und Formenbildung
durchdrungen. Dann giengen aus diesem Stamm die beiden
Sprachen unsrer classischen Gelehrsamkeit hervor und, wenn
auch in späterer wissenschaftlicher Entwicklung, der ganze Ger-
manische Sprachzweig. Endlich, als die Römische Sprache durch
Verderbniss und Verstümmlung entartete, blühten, wie mit er-
neuerter Lebenskraft, aus derselben die Romanischen Sprachen
auf, welchen unsere heutige Bildung so unendlich viel verdankte
Jene Ursprache bewahrte also ein Lebensprincip in sich , an
welchem sich wenigstens drei Jahrtausende hindurch der Faden
der geistigen Entwicklung des Menschengeschlechts fortzuspinnen
vermochte und das selbst aus dem Verfallnen und Zersprengten
neue Sprachbildungen zu regeneriren Kraft besass.
Man hat wohl in der Völkergeschichte die Frage aufgeworfen,,
was aus den Weltbegebenheiten geworden seyn würde, wenn
Carthago Rom besiegt und das Europäische Abendland beherrscht
hätte. Man kann mit gleichem Rechte fragen: in welchem Zu-
stande sich unsre heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber,
wie sie es eine Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der
Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland ver-
breitet hätten? Weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden
Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die Römische
Weltherrschaft hervorbrachte, dem Römischen Geist und Charakter,,
nicht äusseren, mehr zufälligen Schicksalen verdanken wir den
mächtigen Einfluss dieser Weltherrschaft auf unsre bürgerlichen
Einrichtungen, Gesetze, Sprache und Cultur. Durch die Richtung
auf diese Bildung und durch innre Stammverwandtschaft wurden
wir wirklich für Griechischen Geist und Griechische Sprache-
empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den wissen-
schaftlichen Resultaten Griechischer Forschung hiengen. Sie würden,
auch auf der Grundlage desselben Alterthums, nicht das Gebäude
der Wissenschaft und Kunst aufzuführen vermocht haben, dessen
wir uns mit Recht rühmen.
Nimmt man nun dies als richtig an, so fragt sich, ob dieser
Vorzug der Völker Sanskritischen Stammes in ihren intellectuellen
Anlagen oder in ihrer Sprache oder in günstigeren geschichtlichen
Schicksalen zu suchen ist? Es springt in die Augen, dass man
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2 I I
keine dieser Ursachen als allein wirkend ansehen darf. Sprache
und intellectuelle Anlagen lassen sich in ihrer beständigen Wechsel-
wirkung nicht von einander trennen und auch die geschichtlichen
Schicksale möchten, wenn uns gleich der Zusammenhang bei
weitem nicht in allen Punkten durchschimmert, von dem innren
Wesen der \^ölker und Individuen so unabhänsiff nicht sevn.
Dennoch muss jener Vorzug sich an irgend etwas in der Sprache
erkennen lassen und wir haben daher hier noch, vom Beispiele
des Sanskritischen Sprachstammes ausgehend, die Frage zu unter-
suchen, w^oran es liegt, dass eine Sprache vor der andren ein
stärker und mannigfaltiger aus sich heraus erzeugendes Lebens-
princip besitzt? Die ürsach liegt, wie man hier deutlich sieht, in
zwei Punkten, darin, dass es ein Stamm von Sprachen, keine
einzelne ist, wovon wir hier reden, dann aber in der individuellen
Beschaffenheit des Sprachbaues selbst. Ich bleibe hier zunächst
bei der letzteren stehen, da ich auf die besondren Verhältnisse
der, einen Stamm bildenden Sprachen erst in der Folge zurück-
kommen kann.
Es ergiebt sich von selbst, dass die Sprache, deren Bau dem
Geiste am meisten zusagt und seine Thätigkeit am lebendigsten
anregt, auch die dauerndste Kraft besitzen muss, alle neue Ge-
staltungen aus sich hervorgehen zu lassen, welche der Lauf der
Zeit und die Schicksale der Völker herbeiführen. Eine solche auf
die ganze Sprachform verweisende Beant^'ortung der aufgeworfenen
Frage ist aber viel zu allgemein und giebt genau genommen
nur die Frage in andren Worten zurück. Wir bedürfen aber
hier einer auf specielle Punkte führenden und eine solche scheint
mir auch möglich. Die Sprache, im einzelnen Wort und in der
verbundenen Rede, ist ein Act, eine wahrhaft schöpferische Hand-
lung des Geistes, und dieser Act ist in jeder Sprache ein indivi-
dueller, in einer von allen Seiten bestimmten Weise verfahrend.
Begriff und Laut, auf eine ihrem wahren Wesen gemässe, nur an
der Thatsache selbst erkennbare Weise verbunden, werden als
Wort und als Rede hinausgestellt und dadurch zwischen der
Aussenwelt und dem Geiste etwas von beiden Unterschiedenes
geschaffen. A'on der Stärke und Gesetzmässigkeit dieses Actes
hängt die Vollendung der Sprache in allen ihren einzelnen Vor-
zügen, w'elchen Namen sie immer führen mögen, ab und auf ihr
beruht also auch das in ihr lebende, weiter erzeugende Princip.
Es ist aber nicht einmal nöthig, auch der Gesetzmässigkeit dieses
14*
212 '• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Actes zu erwähnen; denn diese liegt schon im Begriffe der Stärke.
Die volle Kraft entwickelt sich immer nur auf dem richtigen
Wege. Jeder unrichtige stösst auf eine die vollkommne Ent-
wicklung hemmende Schranke. Wenn also die Sanskritischen
Sprachen mindestens drei Jahrtausende hindurch Beweise ihrer
zeugenden Kraft gegeben haben, so ist dies lediglich eine Wirkung
der Stärke des spracherschaffenden Actes in den Völkern, welchen
sie angehörten.
Wir haben im Vorigen (§. 22.) ausführlich von der Zusammen-
fügung der inneren Gedankenform mit dem Laute gesprochen
und in ihr eine Synthesis erkannt, die, was nur durch einen wahr-
haft schöpferischen Act des Geistes möglich ist, aus den beiden
zu verbindenden Elementen ein drittes hervorbringt, in welchem
das einzelne Wesen beider verschwindet. Diese Synthesis ist es,
auf deren Stärke es hier ankommt. Der Völkerstamm wird in
der Spracherzeugung der Nationen den Sieg erringen, welcher
diese Synthesis mit der grössten Lebendigkeit und der un-
geschwächtesten Kraft vollbringt. In allen Nationen mit un-
vollkommneren Sprachen ist diese Synthesis von Natur schwach
oder wird durch irgend einen hinzutretenden Umstand gehemmt
und gelähmt. Allein auch diese Bestimmungen zeigen noch zu
sehr im Allgemeinen, was sich doch in den Sprachen selbst be-
stimmt und als Thatsache nachweisen lässt.
Act des selbstthätigen Setzens in den Sprachen.
Es giebt nemlich Punkte im grammatischen Baue der Sprachen,
in welchen jene Synthesis und die sie hervorbringende Kraft
gleichsam nackter und unmittelbarer ans Licht treten und mit
denen der ganze übrige Sprachbau dann auch nothwendig im
engsten Zusammenhange steht. Da die Synthesis, von welcher
hier die Rede ist, keine Beschaffenheit, nicht einmal eigentlich
eine Handlung, sondern ein wirkliches, immer augenblicklich vor-
übergehendes Handeln selbst ist, so kann es für sie kein besonderes
Zeichen an den Worten geben und das Bemühen, ein solches
Zeichen zu finden, würde schon an sich den Mangel der wahren
Stärke des Actes durch die Verkennung seiner Natur beurkunden.
Die wirkliche Gegenwart der Synthesis muss gleichsam immateriell
sich in der Sprache offenbaren, man muss inne werden, dass sie,
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. o I "l
gleich einem Blitze, dieselbe durchleuchtet und die zu verbindenden
Stoffe, wie eine Gluth aus unbekannten Regionen, in einander
verschmolzen hat. Dieser Punkt ist zu wichtig, um nicht eines
Beispiels zu bedürfen. Wenn in einer Sprache eine Wurzel
durch ein Suffix zum Substantivum gestempelt wird, so ist das
Suffix das materielle Zeichen der Beziehung des Begriffs auf die
Kategorie der Substanz. Der synthetische Act aber, durch welchen
unmittelbar beim Aussprechen des Wortes diese \"erset2ung im
Geiste w^irklich vor sich geht, hat in dem Worte selbst kein eignes
einzelnes Zeichen, sondern sein Daseyn offenbart sich durch die
Einheit und Abhängigkeit von einander, zu w^elcher Suffix und
Wurzel verschmolzen sind, also durch eine verschiedenartige, in-
directe, aber aus dem nemlichen Bestreben fliessende Bezeichnung.
Wie ich es hier in diesem einzelnen Falle gethan habe, kann
man diesen Act überhaupt den Act des selbstthätigen Setzens
durch Zusammenfassung (Synthesis) nennen. Er kehrt überall in
der Sprache zurück. Am deutlichsten und offenbarsten erkennt
man ihn in der Satzbildung, dann in den durch Flexion oder
Affixe abgeleiteten Wörtern, endlich überhaupt in allen Ver-
knüpfungen des Begriffs mit dem Laute. In jedem dieser Fälle
wird durch Verbindung etwas Neues geschaffen und wirklich als
etwas (ideal) für sich Bestehendes gesetzt. Der Geist schafft,
stellt sich aber das Geschaffene durch denselben Act gegenüber
und lässt es, als Object, auf sich zurückwirken. So entsteht aus
der sich im Menschen reflectirenden Welt zwischen ihm und ihr
die ihn mit ihr verknüpfende und sie durch ihn befruchtende
Sprache. Auf diese Weise wird es klar, w^ie von der Stärke dieses
Aaes das ganze, eine bestimmte Sprache durch alle Perioden hin-
durch beseelende Leben abhängt.
Wenn man nun aber zum Behuf der historischen und
praktischen Prüfung und Beunheilung der Sprachen, von der ich
mich in dieser Untersuchung niemals entferne, nachforscht, woran
die Stärke dieses Actes in ihrem Baue erkennbar ist, so zeigen
sich vorzüglich drei Punkte, an welchen er haftet und bei denen
man den Mangel seiner ursprünglichen Stärke durch ein Be-
mühen, denselben auf andrem Wege zu ersetzen, angedeutet
findet. Denn auch hier äussert sich, worauf wir schon im Vorigen
mehrmals zurückgekommen sind, dass das richtige Verlangen der
Sprache (also z. B. im Ghinesischen die Abgränzung der Rede-
theile) im Geiste immer vorhanden, allein nicht immer so durch-
214. ^' ^^^^ '^^^ Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
greifend lebendig ist, dass es sich auch wieder im Laute darstellen
sollte. Es entsteht alsdann im äusseren grammatischen Baue eine
durch den Geist zu ergänzende Lücke oder Ersetzung durch un-
adaequate Analoga. Auch hier also kommt es auf eine solche Auf-
findung des S3^nthetischen Actes im Sprachbaue an, die nicht bloss
seine Wirksamkeit im Geiste, sondern seinen wahren Uebergang
in die Lautformung nachweist. Jene drei Punkte sind nun das
Verbum, die Gonjunction und das Pronomen relativum und wir
müssen bei jedem derselben noch einige Augenblicke verweilen.
Act des selbstthätigen Setzens in den Sprachen.
Verbum.
Das Verbum (um zuerst von diesem allein zu sprechen) unter-
scheidet sich vom Nomen und den andren, möglicherweise im
einfachen Satze vorkommenden Redetheilen mit schneidender Be-
stimmtheit dadurch, dass ihm allein der Act des synthetischen
Setzens als grammatische Function beigegeben ist. Es ist ebenso,
als das declinirte Nomen, in der Verschmelzung seiner Elemente
mit dem Stammworte durch einen solchen Act entstanden, es hat
aber auch diese Form erhalten, um die Obliegenheit und das Ver-
mögen zu besitzen, diesen Act in Absicht des Satzes wieder selbst
auszuüben. Es liegt daher zwischen ihm und den übrigen Wörtern
des einfachen Satzes ein Unterschied, der diese mit ihm zur
gleichen Gattung zu zählen verbietet. Alle übrigen Wörter des
Satzes sind gleichsam todt daliegender, zu verbindender Stoif, das
Verbum allein ist der, Leben enthaltende und Leben' verbreitende
Mittelpunkt. Durch einen und ebendenselben synthetischen Act
knüpft es durch das Seyn das Praedicat mit dem Subjecte zu-
sammen, allein so, dass das Se3^n, welches mit einem energischen
Praedicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte selbst beigelegt,
also das bloss als verknüpfbar Gedachte zum Zustande oder Vor-
gange in der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloss den ein-
schlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der hernieder-
fährt; man bringt nicht bloss den Geist und das Unvergängliche
als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist ist unvergänglich.
Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, ver-
lässt durch das Verbum seine innre Wohnstätte und tritt in die
Wirklichkeit über.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 21^
Wenn nun hierin die unterscheidende Natur und die eigen-
thümliche Function des Verbum liegt, so muss die grammatische
Gestaltung desselben in jeder einzelnen Sprache kund geben, ob
und auf welche Weise sich gerade diese charakteristische Function
in der Sprache andeutet? Man pflegt wohl, um einen Begriff von
der Beschaffenheit und dem Unterschiede der Sprachen zu geben,
anzuführen, wie viel Tempora, Modi und Conjugationen das
Verbum in ihnen hat, die verschiednen Arten der Verba auf-
zuzählen u. s. f. Alle hier genannten Punkte haben ihre unbestreit-
bare Wichtigkeit. Allein über das wahre Wesen des Verbum,
insofern es der Nerv der ganzen Sprache ist, lassen sie ohne Be-
lehrung. Das, worauf es ankommt, ist, ob und wie sich am
Verbum einer Sprache seine synthetische Kraft, die Function,
vermöge welcher es Verbum ist,*) äussert, und diesen Punkt
lässt man nur zu häufig ganz unberührt. Man geht auf diese
Weise nicht tief genug und nicht bis zu den wahren innren Be-
strebungen der Sprachformung zurück, sondern bleibt bei den
Aeusserlichkeiten des Sprachbaues stehen, ohne zu bedenken, dass
diese erst dadurch Bedeutung erlangen, dass zugleich ihr Zu-
sammenhang mit jenen tiefer liegenden Richtungen dargethan wird.
Im Sanskrit beruht die Andeutung der zusammenfassenden
Kraft des Verbum allein auf der grammatischen Behandlung
dieses Redetheiles und lässt, da sie durchaus seiner Natur folgt,
schlechterdings nichts zu vermissen übrig. Wie das Verbum sich
in dem hier in Rede stehenden Punkte von allen übrigen Rede-
theilen des einfachen Satzes dem Wesen nach unterscheidet, so
hat es im Sanskrit durchaus nichts mit dem Nomen gemein,
sondern beide stehen vollkommen rein und geschieden da. Man
kann zwar aus dem geformten Nomen in gewissen Fällen ab-
geleitete Verba bilden. Dies ist aber weiter nichts, als dass das
Nomen, ohne Rücksicht auf diese seine besondere Natur, wie ein
Wurzelwort behandelt wird. Seine Endung, also gerade sein
grammatisch bezeichnender Theil erfährt dabei mehrfache
Aenderungen. Auch kommt gewöhnlich ausser der in der Ab-
wandlung liegenden Verbalbehandlung noch eine Sylbe oder ein
Buchstabe hinzu, welcher zu dem Begriffe des Nomen einen
*) Ich habe diese Frage in Absicht der uns grammatisch bekannten Amerikanischen
Sprachen in einer eignen, in einer der Classensitzungen der Berliner Akademie gelesenen
Abhandlung zu beantworten versucht.
2j5 I« über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
zweiten einer Handlung fügt. Dies ist in der Sylbe kämy von
käma. Verlangen, unmittelbar deutlich. Sollten aber auch die
übrigen Einschiebsel andrer Art, wie y, sy u. s. f., keine reale Be-
deutung besitzen, so drücken sie ihre Verbalbeziehungen dadurch
formal aus, dass sie bei den primitiven, aus wahren Wurzeln
entstehenden Verben gleichfalls , und wenn man in die Unter-
suchung der einzelnen Fälle eingeht, auf sehr analoge Weise Platz
finden. Dass Nomina ohne solchen Zusatz in Verba übergehen,
ist bei weitem der seltenste Fall. Ueberhaupt hat aber von dieser
ganzen Verwandlung der Nomina in Verba die ältere Sprache
nur sehr sparsamen Gebrauch gemacht.
Wie zweitens das Verbum in seiner hier betrachteten Function
niemals substanzartig ruht, sondern immer in einem einzelnen,
von allen Seiten bestimmten Handeln erscheint, so vergönnt ihm
auch die Sprache keine Ruhe. Sie bildet nicht, wie beim Nomen,,
erst eine Grundform, an welche sie die Beziehungen anhängt^
und selbst ihr Infinitiv ist nicht verbaler Natur, sondern ein deut-
lich, auch nicht aus einem Theile des Verbum, sondern aus der
Wurzel selbst abgeleitetes Nomen. Dies ist nun zwar ein Mangel
in der Sprache zu nennen, die in der That die ganz eigenthüm-
liche Natur des Infinitivs zu verkennen scheint. Es beweist aber
nur noch mehr, wie sorgfältig sie jeden Schein der Nominal-
beschaffenheit von dem Verbum zu entfernen bemüht ist. Das
Nomen ist eine Sache und kann, als solche, Beziehungen ein-
gehen und die Zeichen derselben annehmen. Das Verbum ist,
als augenblicklich verfliegende Handlung, nichts als ein Inbegriff
von Beziehungen und so stellt es die Sprache in der That dar.
Ich brauche hier kaum zu bemerken, dass es wohl niemandem
einfallen kann, die Classensylben der speciellen Tempora des
Sanskritischen Verbum als den Grundformen des Nomen ent-
sprechend anzusehen. Wenn man die Verba der vierten und
zehnten Classe ausnimmt, von welchen sogleich weiter unten die
Rede seyn wird, so bleiben nur Vocale mit oder ohne ein-
geschobene Nasenlaute übrig, also sichtbar nur phonetische Zu-
sätze zu der in die Verbalform übergehenden Wurzel.
Wie endlich drittens überhaupt in den Sprachen die innere
Gestaltung eines Redetheils sich ohne directes Lautzeichen durch
die symbolische Lauteinheit der grammatischen Form ankündigt,
so kann man mit Wahrheit behaupten, dass diese Einheit in den
Sanskritischen Verbalformen noch viel enger, als in den nominalen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 217
geschlossen ist. Ich habe schon im Vorigen darauf aufmerksam
gemacht, dass das Nomen in seiner Abwandlung niemals einen
Stammvocal, wie das Verbum so häufig, durch Gunirung steigert.
Die Sprache scheint hierin offenbar eine Absonderung des Stammes
von dem Suffix, die sie im Verbum gänzlich verlöscht, im Nomen
noch allenfalls dulden zu wollen. Mit Ausnahme der Pronominal-
Suffixa in den Personenendungen ist auch die Bedeutung der
nicht bloss phonetischen Elemente der Verbalbildungen viel
schwieriger zu entdecken, als dies wenigstens in einigen Punkten
der Nominalbildung der Fall ist. Wenn man als die Scheidewand
der von dem wahren Begriff der grammatischen Formen aus-
gehenden (flectirenden) und der unvollkommen zu ihnen hin-
strebenden (agglutinirenden) Sprachen den zwiefachen Grundsatz
aufstellt: aus der Form ein einzeln ganz unverständliches Zeichen
zu bilden oder zwei bedeutsame Begriffe nur eng aneinander zu
heften, so tragen in der ganzen Sanskritsprache die Verbalformen
den ersteren am deutlichsten an sich. Diesem Gange zufolge ist
die Bezeichnung jeder einzelnen Beziehung nicht dieselbe, sondern
nur analogisch gleichförmig und der einzelne Fall wird besonders,
nur mit Bewahrung der allgemeinen Analogie, nach den Lauten
der Bezeichnungsmittel und des Stammes behandelt. Daher haben
die einzelnen Bezeichnungsmittel verschiedene, nur immer auf be-
stimmte Fälle anzuwendende Eigenheiten, wie ich hieran schon
oben (S. 135 — 137.) bei Gelegenheit des Augments und der Re-
duplication erinnert habe. Wahrhaft bewundrungswürdig ist die
Einfachheit der Mittel, mit welchen die Sprache eine so ungemein
grosse Mannigfaltigkeit der Verbalformen hervorbringt. Die Unter-
scheidung derselben ist aber nur eben dadurch möglich, dass alle
Umänderungen der Laute, sie mögen bloss phonetisch oder be-
zeichnend seyn, auf verschiedenartige Weise verbunden w^erden
und nur die besondere unter diesen vielfachen Combinationen
den einzelnen Abwandlungsfall stempelt, der alsdann auch bloss
dadurch, dass er gerade diese Stelle im Conjugations-Schema ein-
nimmt, bezeichnend bleibt, selbst wenn die Zeit gerade seine be-
deutsamen Laute abgeschliffen hat. Personenendungen, die sym-
bolischen Bezeichnungen durch Augment und Reduplication, die,
wahrscheinlich bloss auf den Klang bezogenen Laute, deren Ein-
schiebung die Verbalclassen andeutet, sind die hauptsächlichen
Elemente, aus welchen die \^erbalformen zusammengesetzt werden.
Ausser denselben giebt es nur zwei Laute, i und s, welche da,
■21 8 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
WO sie nicht auch bloss phonetischen Ursprungs sind, als wirk-
liche Bezeichnungen von Gattungen, Zeiten und Modi des Verbum
gelten müssen. Da mir in diesen ein besonders feiner und sinn-
voller Gebrauch ursprünglich für sich bedeutsamer Wörter
grammatisch bezeichnet zu liegen scheint, so verweile ich bei
ihnen noch einen Augenblick länger.
Bopp hat zuerst mit grossem Scharfsinn und unbestreitbarer
Gewissheit das erste Futurum und eine der Formationen des viel-
förmigen Augment-Praeteritum als zusammengesetzt aus einem
Stammwort und dem Verbum fl'i-, seyn, nachgewiesen. Haughton
glaubt auf gleich sinnreiche Weise in dem ya der Passiva das
Verbum gehen, t oder jy«, zu entdecken. Auch da, wo sich s
oder sy zeigt, ohne dass die Gegenwart des Verbum as in seiner
eignen Abwandlung so sichtbar, als in den oben erwähnten Zeiten
ist, kann man diese Laute als von as herstammend betrachten
und es ist dies zum Theil auch von Bopp bereits geschehen. Er-
wägt man dies und nimmt man zugleich alle Fälle zusammen,
wo i oder von ihm abstammende Laute in den Verbalformen be-
deutsam zu seyn scheinen, so zeigt sich hier am Verbum etwas
Aehnliches, als wir oben am Nomen gefunden haben. W^ie dort
das Pronomen in verschiedener Gestalt Beugungsfälle bildet, so
thun dasselbe hier zwei Verba der allgemeinsten Bedeutung. So-
wohl dieser Bedeutung, als dem Laute nach verräth sich in dieser
Wahl die Absicht der Sprache, sich der Zusammensetzung nicht
zur wahren Verbindung zweier bestimmten Verbalbegriffe zu be-
dienen, wie wenn andere Sprachen die Verbalnatur durch den
Zusatz des Begriffes thun oder machen andeuten, sondern, auf
der eignen Bedeutung des zugesetzten Verbum nur leise fussend,
sich seines Lautes als blossen Andeutungsmittels zu bedienen, in
welche Kategorie des Verbum die einzelne in Rede stehende
Form gesetzt werden soll. Gehen Hess sich auf eine unbestimm-
bare Menge von Beziehungen des Begriffes anwenden. Die Be-
wegung zu einer Sache hin kann von Seiten ihrer Ursach als
willkührlich oder unwillkührlich , als ein thätiges Wollen oder
leidendes Werden, von Seiten der Wirkung als ein Hervorbringen,
Erreichen u. s. f. angesehen werden. Von phonetischer Seite aber
war der 2-Vocal gerade der schicklichste, um wesentlich als Suffix
zu dienen und diese Zwitterrolle zwischen Bedeutsamkeit und
Symbolisirung gerade so zu spielen, dass die erstere, wenn auch
der Laut von ihr ausgieng, dabei ganz in Schatten gestellt wurde.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 219
Denn er dient schon an sich im Verbum häufig als Zwischenlaut
und seine euphonischen Veränderungen in y und ay vermehren
die Mannigfaltigkeit der Laute in der Gestaltung der Formen;
a gewährte diesen Vortheil nicht und tc hat einen zu eigenthüm-
lichen schweren Laut, um so häufig zu immaterieller Symbolisirung
zu dienen. Vom s des Verbum seyn lässt sich nicht dasselbe,
aber doch auch Aehnliches sagen, da es auch zum Theil phonetisch
gebraucht wird und seinen Laut nach Massgabe des ihm voran-
gehenden Vocals verändert.*)
*) Wenn ich es hier versuche, der Behauptung Haughton's (Ausg. des Manu.
Th. I. S. 329.) eine grössere Ausdehnung zu geben, so schmeichle ich mir, dass dieser
treffliche Gelehrte dies vielleicht selbst gethan haben würde, wenn es ihm nicht an der
angeführten Stelle, wie es scheint, weniger um diese etymologische Muthmassung, als
um die logische Feststellung des Verbum neutrum und des Passivum zu thun gewesen
wäre. Denn man muss offenherzig gestehen, dass der Begriff des Gehens durchaus
nicht gerade mit dem des Passivum an sich, sondern erst dann einigermassen überein-
stimmt, wenn man dies mehr in Verbindung mit dem Begriff des Verbum neutrum als
ein Werden betrachtet. So erscheint es auch nach Haughton's Anführung im Hin-
dostanischen, wo es dem Seyn entgegensteht. Auch die neueren Sprachen, welchen es
an einem, den Uebergang zum Seyn direct und ohne Metapher ausdrückenden Worte,
wie es das Griechische yh-eoüat, das Lateinischeren und unser werden ist, fehlt,
nehmen zu dem bildlichen Ausdruck des Gehens ihre Zuflucht, nur dass sie es sinn-
voller, sich gleichsam an das Ziel des Ganges stellend, als ein Kommen auffassen:
diventare, divenir-e, devenir, to become. Im Sanskrit muss daher immer, auch bei
der Voraussetzung der Richtigkeit jener Etymologie, die Hauptkraft des Passivum in
der neutralen Conjugation |der des Atmanepadam) liegen und die Verbindung dieser
mit dem Gehen erst das Gehen auf sich selbst bezogen, als eine innerliche, nicht nach
aussen zu bewirkende Veränderung bezeichnen. Es ist in dieser Hinsicht nicht un-
merkwürdig und hätte von Haughton für seine Meinung angeführt werden können, dass
die Intensiva nur im Atmanepadam die Zwischensylbe ya annehmen, was eine besondere
Verwandtschaft des ya mit dieser Abwandlungsform verräth. Auf den ersten Anblick
ist es auffallend, dass sowohl im Passivum, als bei dem Intensivum das ya in den
generellen Zeiten, auf welche der Classenunterschied nicht wirkt, hinwegfällt. Es
scheint mir aber dies gerade ein neuer Beweis, dass das Passivum sich aus dem Verbum
neutrum der vierten Verbalclasse entwickelte und dass die Sprache, überwiegend dem
Gange der Formen folgend, die aus jener Classe entnommene Kennsylbe nicht über
sie hinausführen wollte. Das sy der Desiderativa, welches auch seine Bedeutung seyn
möge, haftet auch in jenen Zeiten an den Formen und erfährt nicht die Beschränkung
der Classen-Tempora, weil es nicht mit diesen zusammenhängt. Viel natürlicher, als
auf das Passivum passt der Begriff des Gehens auf die durch Anfügung eines y ge-
formten Denominativa, die ein Verlangen, Aneignen, Nachbilden einer Sache andeuten.
Auch in den Causalverben kann derselbe Begriff vorgewaltet haben und es möchte
daher doch vielleicht nicht zu misbilligen seyn, sondern vielmehr für eine Erinnerung
der Abstammung gelten können, wenn die Indischen Grammatiker als die Kennsylbe
220 !• t'ber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wie in den Sprachen eine Entwicklung immer aus der andren,
so dass die frühere dadurch bestimmend wird, hervorgeht und
wie sich vorzüglich im Sanskrit der Faden dieser Entwicklungen
hauptsächlich an den Lautformen fortspinnen lässt, davon ist das
Passivum der Sanskrit-Grammatik ein auffallender Beweis. Nach
richtigen grammatischen Begriffen ist diese Verbalgattung immer
nur ein Correlatum des Activum und zwar eine eigentliche Um-
kehrung desselben. Indem aber dem Sinne nach der Wirkende
zum Leidenden und umgekehrt wird, soll der grammatischen
Form nach dennoch der Leidende das Subject des Verbum seyn
und der W^irkende von diesem regiert werden. Von dieser, einzig
richtigen Seite hat die grammatische Formenbildung das Passivum
im Sanskrit nicht aufgefasst, wie sich überhaupt, am deutlichsten
aber da verräth, wo der Infinitiv des Passivum ausgedrückt
werden soll. Zugleich aber bezeichnet das Passivum etwas mit
der Person Vorgehendes, sich auf sie mit Ausschliessung ihrer
Thätigkeit innerlich Beziehendes. Da nun die Sanskritsprache
unmittelbar darauf gekommen war, das Wirken nach aussen und
das Erfahren im Innren in der ganzen Abwandlung des Verbum
von einander zu trennen, so fasste sie der Form nach auch das
Passivum von dieser Seite auf. Dadurch entstand es wohl, dass
diejenige Verbalclasse, die vorzugsweise jene innere Abwandlungs-
art verfolgte, auch zur Kennsylbe des Passivum die Veranlassung
gab. Ist nun aber das Passivum in seinem richtigen Begriff,
gleichsam als die Vereinigung eines zwischen Bedeutung und
Form liegenden und unaufgehoben bleibenden Widerspruchs
schwierig, so ist es in der Zusammenschliessung mit der im
Subjecte selbst befangenen Handlung nicht adaequat aufzufassen
und kaum von Nebenbegriffen rein zu erhalten. In der ersteren
dieser Verba / und ay nur als die nothwendige phonetische Erweiterung davon an-
sehen. (Vergl. Bopp's Lat. Sanskrit-Gramm. S. 142. Anm. 233.) Die Vergleichung
der ganz gleichmässig gebildeten Denominativa macht dies sehr wahrscheinlich. In
den durch kätny aus Nominen gebildeten Verben scheint diese Zusatzsylbe eine Zu-
sammensetzung von käma, Begierde, und /, gehen, also selbst ein vollständiges
eignes Denominativverbum. Wenn es erlaubt ist, Muthmassungen weiter auszudehnen,
so Hesse sich das SV der Desiderativverba als ein Gehen in den Zustand erklären, was
zugleich auf die Etymologie des zweiten Futurum Anwendung fände. Was Bopp (über
das Conjugationssystem der Sanskritsprache. S. 29—33. Annais of oriental literature,
S. 45 — 50.) sehr scharfsinnig und richtig zuerst über die Verwandtschaft des Potentialis
und zweiten Futurum ausgeführt hat, kann sehr gut hiermit vereinigt werden. Den
Desiderativen scheinen die Denominativa mit der Kennsylbe sya und asya nachgebildet.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 221
Beziehung sieht man, wie einige Sprachen, z. B. die Malayischen
und unter diesen am sinnreichsten die Tagalische mühsam danach
streben, eine Art von Passivum hervorzubringen. In der letzteren
Beziehung wird es klar, dass der reine Begriff, den die spatere
Sanskritsprache, wie wir aus ihren Werken sehen, richtig auffasste,
in die frühere Sprachformung durchaus nicht übergieng. Denn
anstatt dem Passivum einen durch alle Tempora gleichförmig oder
analog durchgehenden Ausdruck zu geben, knüpft sie dasselbe an
die vierte Classe der ^^e^ba und lässt es ihre Kennsylbe an den
Gränzen derselben ablegen, indem sie sich in den nicht innerhalb
dieser Schranken befindlichen Formen an unvollkommener Be-
zeichnung begnügt.
Im Sanskrit also, um zu unsrem Hauptgegenstande zurück-
zukehren, hat das Gefühl der zusammenfassenden Kraft des Verbum
die Sprache vollständig durchdrungen. Es hat sich in derselben
nicht bloss einen entschiednen, sondern gerade den ihm allein zu-
sagenden Ausdruck, einen rein symbolischen geschaffen, ein Beweis
seiner Stärke und Lebendigkeit. Denn ich habe schon oft in
diesen Blättern bemerkt, dass, wo die Sprachform klar und
lebendig im Geiste dasteht, sie in die, sonst die äussere Sprach-
bildung leitende äussere Entwicklung eingreift, sich selbst geltend
macht und nicht zugiebt, dass im blossen Fortspinnen angefangner
Fäden statt der reinen Formen gleichsam Surrogate derselben
gebildet werden. Das Sanskrit giebt uns hier zugleich vom Ge-
lingen und Mislingen in diesem Punkt passende Beispiele. Die
Function des Verbum drückt es rein und entscheidend aus, in
der Bezeichnung des Passivum lässt es sich auf der ^^erfolgung
des äusseren Weges irre leiten.
Eine der natürlichsten und allgemeinsten Folgen der inneren
Verkennung oder vielmehr der nicht vollen Anerkennung der
Verbalfunction ist die Verdunkelung der Gränzen zwischen Nomen
und ^"erbum. Dasselbe Wort kann als beide Redetheile gebraucht
werden ; jedes Nomen lässt sich zum Verbum stempeln ; die Kenn-
2eichen des Verbum modificiren mehr seinen Begriff, als sie seine
Function charakterisiren ; die der Tempora und Modi begleiten
das Verbum in eigner Selbstständigkeit und die Verbindung des
Pronomen ist so lose, dass man gezwungen wird, zwischen dem-
selben und dem angeblichen Verbum, das eher eine Nominal-
form mit Verbalbedeutung ist, das Verbum seyn im Geist zu er-
gänzen. Hieraus entsteht natürlich, dass wahre Verbalbeziehungen
222 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ZU Nominalbeziehungen hingezogen werden und beide auf die
mannigfaltigste Weise in einander übergehen. Alles hier Gesagte
trifft vielleicht nirgends in so hohem Grade zusammen, als im
Malayischen Sprachstamm, der auf der einen Seite mit wenigen
Ausnahmen an Chinesischer Flexionslosigkeit leidet und auf der
andren nicht, wie die Chinesische Sprache, die grammatische
Formung mit verschmähender Resignation zurückstösst, sondern
dieselbe sucht, einseitig erreicht und in dieser Einseitigkeit wunder-
bar vervielfältigt. Von den Grammatikern als vollständige durch
ganze Conjugationen durchgeführte Bildungen lassen sich deutlich
als wahre Nominalformen nachweisen, und obgleich das Verbum
keiner Sprache fehlen kann, so wandelt dennoch den, welcher den
wahren Ausdruck dieses Redetheiles sucht, in den Malayischen
Sprachen gleichsam ein Gefühl seiner Abwesenheit an. Dies gilt
nicht bloss von der Sprache auf Malacca, deren Bau überhaupt
von noch grösserer Einfachheit, als der der übrigen ist, sondern
auch von der, in der Malayischen Weise sehr formenreichen Ta-
galischen. Merkwürdig ist es, dass im Javanischen durch die
blosse Veränderung des Anfangsbuchstaben in einen andren der-
selben Classe Nominal- und Verbalformen wechselweise in ein-
ander übergehen. Dies scheint auf den ersten Anblick eine wirklich
symbolische Bezeichnung; ich werde weiter unten (2. Buch.) zeigen,
dass diese Buchstabenveränderung nur die Folge der Abschleifung
eines Praefixes im Laufe der Zeit ist. Ich verbreite mich nur hier
nicht ausführlicher über diesen Gegenstand, da er im zweiten und
dritten Buche dieser Schrift ausführlich und an seiner eigentlichen
Stelle erörtert werden muss.
In den Sprachen, in welchen das Verbum gar keine oder
sehr unvollkommne Kennzeichen seiner wahren Function be-
sitzt, fällt es von selbst mehr oder weniger mit dem Attributivum,
also einem Nomen zusammen und das eigentliche Verbum, welches
das wirkliche Setzen des Gedachten andeutet, muss, als Verbum
seyn, zu dem Subject und diesem Attributivum geradezu ergänzt
werden. Eine solche Auslassung des Verbum da, wo einer Sache
bloss eine Eigenschaft beigelegt werden soll, ist auch den höchst-
gebildeten Sprachen nicht fremd. Namentlich trifft man sie häufig
im Sanskrit und Lateinischen, seltner im Griechischen an. Neben
einem vollkommen ausgebildeten Verbum hat sie mit der Charak-
terisirung des Verbum nichts zu schaffen, sondern ist bloss eine
Art der Satzbildung. Dagegen geben einige der Sprachen, welche
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 22^
in ihrem Bau den Verbalausdruck nur mit Mühe erringen, diesen
Constructionen eine besondere Form und ziehen dieselben da-
durch gewissermassen in den Bau des Verbum hinein. So kann
man im Mexicanischen ich liebe sowohl durch ni-tlazoila, als
durch ni-tlazotla-ni ausdrücken. Das Erstere ist die ^'^erbindung
des Verbalpronomen mit dem Stamme des Verbum, das Letztere
die gleiche mit dem Participium, insofern nemlich gewisse Mexi-
canische Verbaladjectiva, ob sie gleich nicht den Begriff des Ver-
laufs der Handlung (das Element, aus welchem erst vermittelst
der Verbindung mit den drei Stadien der Zeit das eigentliche
Tempus entsteht)*) enthalten, doch in der Rücksicht Participia
heissen können, als sie activer, passiver oder reflexiver Bedeutung
sind. Vetancurt macht in seiner Mexicanischen Grammatik**) die
zweite der obigen Mexicanischen Formen zu einem Gewohnheit
andeutenden Tempus. Dies ist zwar eine offenbar irrige Ansicht,
da eine solche Form im Verbum kein Tempus seyn könnte, sondern,
was nicht der Fall ist, durch die Tempora durchflectirt werden
müsste. Man sieht aber aus Vetancurt's genauerer Bestimmung
der Bedeutung des Ausdrucks, dass derselbe nichts andres, als die
Verbindung eines Pronomen und eines Nomen mit ausgelassenem
Verbum se3^n ist. Ich liebe hat den reinen Verbalausdruck;
ich bin ein Liebender (d. h. ich pflege zu lieben) ist
genau genommen keine Verbalform, sondern ein Satz. Die
Sprache aber stempelt diese Construction gewissermassen zum
Verbum, da sie in derselben nur den Gebrauch des Verbal-
pronomen erlaubt. Sie behandelt auch das Attributivum dadurch
wie ein V^erbum, dass sie demselben die von ihm regierten
Wörter beigiebt: ni-te-tla-namaca-ni, ich (bin) ein jemandem
*) Ich folge nemlich der, wie es mir scheint, mit Unrecht jetzt zu oft verlassenen
Theorie der Griechischen Grammatiker, nach welcher jedes Tempus aus der Verbindung
einer der drei Zeiten mit einem der drei Stadien des Verlaufs der Handlung besteht
und die Harris in seinem Hermes ') und Reitz in, leider zu wenig bekannten akade-
mischen Abhandlungen *) vortrefflich ins Licht gesetzt haben, Wolf aber durch die ge-
naue Bestimmung der drei Aoriste erweitert hat. Das Verbum ist das Zusammenfassen
eines energischen Attributivum (nicht eines bloss qualitativen) durch das Seyn. Im
energischen Attributivum liegen die Stadien der Handlung, im Seyn die der Zeit. Dies
hat Bernhardy meiner Ueberzeugung nach richtig begründet und erwiesen.
**) Arte de lengiia Mexicana. Mexico. 1673. S. 6.
^) ,, Hermes or a philosophical inquiry concerning language and universal grammar",
London i'jsi-
'^) „De temporibus et modis verbi graeci et latini", Leipzig l']66.
22A. ^- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
€twas Verkaufender, d. i. ich pflege zu verkaufen, bin
Kaufmann.
Die gleichfalls Neuspanien angehörende Mixteca-Sprache unter-
scheidet den Fall, wo das Attributivum, als schon dem Substan-
tivum anhängend, bezeichnet und wo es demselben erst durch
den Verbalausdruck beigelegt wird, durch die Stellung beider
Redetheile. Im ersteren muss das Attributivum auf das Substan-
tivum folgen, im letzteren demselben vorausgehen: na/ia quadza,
die böse Frau, quadza naha, die Frau ist böse.*)
Das Unvermögen, den Ausdruck des zusammenfassenden Seyns
unmittelbar in die Form des Verbum zu legen, welches in den
eben genannten Fällen diesen Ausdruck gänzlich fehlen lässt, kann
auch im Gegentheil dahin führen, ihn ganz materiell da eintreten
zu lassen, wo er auf diese Weise nicht stehen soll. Dies geschieht,
wenn zu einem wahrhaft attributiven Verbum (er geht, er fliegt)
das Seyn in einem wirklichen Hülfsverbum herbeigezogen wird
(er ist gehend, fliegend). Doch hilft dies Auskunftsmittel eigent-
lich der Verlegenheit des sprachbildenden Geistes nicht ab. Da
dies Hülfsverbum selbst die Form eines Verbum haben muss
und wieder nur die Verbindung des Seyns mit einem energischen
Attributiv seyn kann, so entsteht immer wieder die nemliche und
der Unterschied ist bloss der, dass, da dieselbe sonst bei jedem
Verbum zurückkehrt, sie hier nur in Einem festgehalten wird.
Auch zeigt das Gefühl der Nothwendigkeit eines solchen Hülfs-
verbum, dass der Sprachbildung, wenn sie auch nicht die Kraft
besessen hat, der wahren Function des Verbum einen richtigen
Ausdruck zu schaffen, dennoch der Begriff derselben gegenwärtig
gewesen ist. Es würde unnütz seyn, für eine in den Sprachen,
theils bei der ganzen Verbalbildung, theils bei der einzelner Ab-
wandlungen häufig vorkommende Sache Beispiele anführen zu
wollen. Dagegen verweile ich einige Augenblicke bei einem inter-
essanteren und seltneren Falle, nemlich bei dem, wo die Function
des Hülfsverbum (der Hinzufügung des Seyns) einem andren Rede-
theil, als dem Verbum selbst, nemlich dem Pronomen auf übrigens
ganz gleiche Weise zugetheilt ist.
In der Sprache der Yarura, einer Völkerschaft am Casanare
und unteren Orinoco, wird die ganze Conjugation auf die ein-
fachste Weise durch die Verbindung des Pronomen mit den
*) Arte Alixteca, compuesta por Fr. Antonio de los Rej'es.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 22 Ci
Partikeln der Tempora gebildet. Diese Verbindungen machen für
sich das Verbum seyn und einem Worte suffigirt die Abwand-
lungssylben desselben aus. Ein eigner Wurzellaut, der nicht zum
Pronomen oder zu den Tempus-Partikeln gehörte, fehlt dem Verbum
seyn gänzlich, und da das Praesens keine eigne Partikel hat, so
bestehen die Personen desselben bloss aus den Personen des Pro-
nomen selbst, die sich nur als Abkürzungen von dem selbst-
ständigen Pronomen unterscheiden.*) Die drei Personen des Singu-
lars des Verbum seyn heissen daher qiie, me, dt,**) und in buch-
stäblicher Uebersetzung bloss ich, du, er. Im Imperfectum wird
diesen Sylben rt vorgesetzt, ri-que, ich war, und verbunden mit
•einem Nomen, ui ri-di, Wasser war (vorhanden), als wahres
Verbum aber yz^rö;-/-?-^?", er ass. Hiernach also bedeutete qiie ich
b i n und diese Form des Pronomen drückte eigentlich die Function
des Verbum aus. Indess kann diese Verbindung des Pronomen
mit den Zeitpartikeln niemals allein für sich gebraucht werden,
sondern immer nur so , dass dadurch vermittelst eines andren
Wortes, das aber jeder Redetheil seyn kann, ein Satz gebildet
wird. Que, dt heissen niemals allein ich bin, er ist, wohl aber
ui dt es ist Wasser, jura-n-di mit euphonischem n er isst.
Genau untersucht ist daher die grammatische Form dieser Redens-
arten nicht das, wovon ich hier spreche, eine Einverleibung des
Begriffs des Seyns in das Pronomen, sondern der im Vorigen be-
sprochene Fall einer Auslassung und Ergänzung des Verbum
*) Zwischen dem selbstständigen Pronomen codde, ich, und der entsprechenden
Verbalcharakteristik que ist zwar der Unterschied scheinbar grösser. Das selbstständige
Pronomen aber lautet im Accusativ qua und aus der Vergleichung von codde mit dem
Demonstrativpronomen odde sieht man deutlich, dass der Wurzellaut der ersten Person
nur im /i-Laut besteht, codde aber eine zusammengesetzte Form ist.
**) Die Nachrichten von dieser Sprache hat uns der sorgsame Fleiss des würdigen
Hervas erhalten. Er hatte den lobenswürdigen Gedanken,' die aus Amerika und Spanien
vertriebnen Jesuiten, die sich in Italien niedergelassen hatten, zur Aufzeichnung ihrer
Erinnerungen der Sprachen der Amerikanischen Eingebornen, bei denen sie Missionare
gewesen waren, zu veranlassen. Ihre Mittheilungen sammelte er und arbeitete sie, wo
es nöthig war, um, so dass hieraus eine Reihe handschriftlicher Grammatiken von
Sprachen entstand, über die uns zum Theil alle sonstigen Nachrichten fehlen. Ich habe
diese Sammlung schon, als ich Gesandter in Rom war, für mich abschreiben, allein
diese Abschriften durch die gütige Mitwirkung des jetzigen Preussischen Gesandten in Rom,
Herrn Bansen, noch einmal mit der, seit Hervas Tode im Coüegio Rojnano nieder-
gelegten Urschrift genau vergleichen lassen. Die Mittheilungen über die Yarura-Sprache
rühren vom Ex-Jesuiten Forneri her.
W. V. Humboldt, Werke. VII. I5
220 ^- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
seyn bei der Zusammenstellung des Pronomen mit einem andren
Worte. Die obige Zeitpartikel ri ist übrigens nichts andres, als
ein Entfernung anzeigendes Wort. Ihr steht gegenüber die Par-
tikel re, welche als Charakteristik des Conjunctivs angegeben wird.
Dies re ist aber bloss die Praeposition i n , die in mehreren Ameri-
kanischen Sprachen eine ähnliche Anwendung findet. Sie bildet
ein Analogon eines Gerundiums: jura-re, im Essen, edendo\ und
dies Gerundium wird dann durch Vorsetzung des selbstständigen
Pronomen zum Conjunctiv oder Optativ gestempelt: wenn ich
oder dass ich ässe. Hier wird der Begriff des Seyns mit der
Charakteristik des Conjunctivs verbunden und es fallen daher die,
sonst unveränderlich mit ihm verknüpften Verbalsuffixa der Per-
sonen hinweg, indem das selbstständige Pronomen vorgesetzt wird.
Wirklich nimmt Forneri re, ri-re als Gerundia der Gegenwart und
der Vergangenheit in sein Paradigma des Verbum seyn auf und
übersetzt sie: wenn ich wäre, wenn ich gewesen wäre.
So wie hier die Sprache zwar eine eigne Form des Pronomen
bestimmt, mit welcher beständig und ausschliesslich der Begriff
des Seyns verbunden ist, allein der Fall, von dem wir hier reden,
dass nemlich dieser Begriff dem Pronomen selbst einverleibt sey,
doch nicht rein vorhanden war, ebenso ist es auch, nur wieder
auf verschiedene Weise, in der Huasteca-Sprache, die in einem
Theile von Neuspanien gesprochen wird. Auch in ihr verbinden
sich die Pronomina, jedoch nur die selbständigen, mit einer Zeit-
partikel und machen alsdann das Verbum seyn aus. Sie nähern
sich diesem in seinem wahren Begriffe um so mehr, als diese
Verbindungen, wie in der Yarura- Sprache nicht der .Fall war, auch
ganz allein stehen können: nänä-itz, ich war, iätä-üs, du
warst, u. s. w. Beim Verbum attributivum werden die Personen
durch andre Pronominalformen angedeutet, welche dem Besitz-
pronomen sehr nahe kommen. Allein der Ursprung der mit dem
Pronomen verbundenen Partikel ist zu unbekannt, als dass sich
entscheiden Hesse, ob nicht in derselben eine eigne Verbalwurzel
enthalten ist. Jetzt dient sie zwar allerdings in der Sprache zur
Charakteristik der Tempora der Vergangenheit, beim Imperfectum
beständig und ausschliesslich, bei den anderen Zeiten nach be-
sondren Regeln. Die Bergbewohner, bei welchen sich doch wohl
die älteste Sprache erhalten hat, sollen aber einen allgemeineren
Gebrauch von dieser Sylbe machen und sie auch dem Praesens,
und Futurum hinzufügen. Bisweilen wird sie auch einem Verbum
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 227
angehängt, um Heftigkeit der Handlung anzudeuten, und in diesem
Sinne, als Verstärkung (wie auch in so vielen Sprachen die Re-
duplication das Perfectum verstärkend begleitet), könnte sie wohl
nach und nach zur ausschliesslichen Charakteristik der Zeiten der
Vergangenheit geworden seyn.*)
In der Maya-Sprache, welche auf der Halbinsel Yucatan ge-
sprochen wird, findet sich dagegen der Fall, von dem wir hier
reden, rein und vollständig/*) Sie besitzt ein Pronomen, welches,
allein gebraucht, durch sich selbst das Verbum seyn ausmacht,
und beweist eine höchst merkwürdige Sorgfalt, die wahre Function
des Verbum immer durch ein eignes, besonders dazu bestimmtes
Element anzuzeigen. Das Pronomen ist nemlich zwiefach. Die
eine Gattung desselben führt den Begriff des Seyns mit sich, die
andre besitzt diese Eigenschaft nicht, verbindet sich aber auch
mit dem Verbum. Die erstere dieser Gattungen theilt sich in
zw^ei Unterarten, von welchen die eine die Bedeutung des Seyns
nur in Verbindung mit einem andren Worte hinzubringt, die
andre aber dieselbe unmittelbar in sich enthält. Diese letztere
Unterart bildet, da sie sich auch mit den Panikein der Tempora
verbindet (die der Sprache jedoch im Praesens und Perfectum
fehlen), vollkommen das Verbum seyn. In den beiden ersten
Personen des Singulars und Plurals lauten diese Pronomina Pedro
en, ich bin Peter, und so analogisch fort: cch, on, ex ; dagegen
ten, ich bin, tech, du bist, toon, wir sind, teex, i h r s e i d. Ein
selbstständiges Pronomen ausser den hier genannten drei Gattungen
giebt es nicht, sondern die zugleich als Verbum seyn dienende
{ten) wird dazu gebraucht. Die den Begriff des Seyns nicht mit
sich führende wird allemal affigirt und en hat durchaus keinen
andren, als den angeführten Gebrauch. Wo das ^'erbum die erste
Gattung des Pronomen entbehrt, verbindet es sich regelmässig
mit der zweiten. Alsdann aber findet sich in den Formen des-
selben ein Element {cah und ah, nach bestimmten Regeln ab-
*) Noticia de la lengua Huasteca que da Carlos de Tapia Zenteno. Mexico.
1767. S. 18.
**) Was ich von dieser Sprache kenne, ist aus Hervas handschriftlicher Grammatik
entnommen. Er hatte diese Grammatik theils aus schriftlichen Mittheilungen des Es- Jesuiten
Domingo Rodriguez, theils aus der gedruckten Grammatik des Franciscaner-Geistlichen
Gabriel de S. Buenaventura (Mexico. 1684.) geschöpft, welche er in der Bibliothek des
Collegio Romano fand. Ich habe mich vergebens bemüht, diese Grammatik in der
gedachten Bibliothek wiederzufinden. Sie scheint verloren gegangen zu seyn.
15*
228 l- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
wechselnd), welches bei der Zergliederung desselben, wenn man
alle das Verbum gewöhnlich begleitende Elemente (Personen, Zeit,
Modus u. s. f.) absondert, übrig bleibt. En, ten, cah und ah er-
scheinen daher in allen Verbalformen, jedoch immer so, dass eine
dieser Sylben die übrigen ausschliesst, woraus schon für sich her-
vorgeht, dass alle Ausdruck der Verbalfunction sind, so dass eine
nicht fehlen kann, dagegen jede den Gebrauch der andren über-
flüssig macht. Ihre Anwendung unterliegt nun bestimmten Regeln.
En wird bloss beim intransitiven Verbum und auch bei ihm nicht
im Praesens und Imperfectum, sondern nur in den übrigen Zeiten
gebraucht, ah mit demselben Unterschiede bei den transitiven
Verben, cah bei allen Verben ohne Unterschied, jedoch nur im
Praesens und Imperfectum. Ten findet sich bloss in einer an-
geblich anomalen Conjugation. Untersucht man diese genauer,
so führt sie die Bedeutung einer Gewohnheit oder eines bleibenden
Zustandes mit sich und die Form erhält, mit Wegwerfung von
cah und ah, Endungen, die zum Theil auch die sogenannten
Gerundia bilden. Es geht also hier eine Verwandlung einer
Verbalform in eine Nominalform vor sich und diese Nominalform
bedarf nun des wahren Verbum seyn, um wieder zum Verbum
zu werden. Insofern stimmen diese Formen gänzlich mit dem
oben erwähnten Mexicanischen Gewohnheits - Tempus überein.
Bemerken muss ich noch, dass in dieser Vorstellungsweise der
Begriff der transitiven Verba auf solche beschränkt wird, welche
wirklich einen Gegenstand ausser sich regieren. Unbestimmt ge-
brauchte, wahre Activa, lieben, tödten, so wie diejenigen,
welche, wie das Griechische ohoöof.i€a}, den regierten Gegenstand
in sich enthalten, werden als intransitiv behandelt.
Es wird schon dem Leser aufgefallen seyn, dass die beiden
Unterarten der ersten Pronominalgattung sich bloss durch ein
vorgesetztes / unterscheiden. Da sich dies / gerade in demjenigen
Pronomen findet, welches durch sich selbst Verbalbedeutung hat,
so ist die natürliche Vermuthung die, dass es den Wurzellaut
eines Verbum ausmacht, so dass genauer ausgedrückt nicht das
Pronomen in der Sprache als Verbum seyn, sondern umgekehrt
dies Verbum als Pronomen gebraucht würde. Die unzertrennliche
Verbindung der Existenz mit der Person bliebe alsdann dieselbe,
die Ansicht aber wäre dennoch verschieden. Dass ^e7z und die
übrigen von ihm abhängigen Formen wirklich auch als blosse
selbstständige Pronomina gebraucht werden, sieht man aus dem
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 22Q
Mayischen Vaterunser.*) In der That halte auch ich dies / für
einen Stammlaut, allein nicht eines Verbum, sondern des Pro-
nomen selbst. Hierfür spricht der für die dritte Person geltende
Ausdruck. Dieser ist nemlich gänzlich von den beiden ersten
verschieden und im Singular für beide das Verbum seyn aus-
drückende Gattungen lai-lo, im Plural für die nicht als Verbum
dienende Gattung ob, für die andre loob. Wäre nun / Wurzellaut
eines Verbum, so Hesse sich dies auf keine Weise erklären. Da
aber mehrere Sprachen eine Schwierigkeit finden, die dritte Person
in ihrem reinen Begriffe aufzufassen und vom Demonstrativ-
pronomen zu trennen, so kann es nicht auffallend erscheinen, dass
die beiden ersten Personen einen nur ihnen eigenthümlichen
Stammlaut haben. Wirklich wird in der Mayischen Sprache ein
angebliches Pronomen relativum lai aufgeführt und auch andre
Amerikanische Sprachen besitzen durch mehrere oder alle Personen
des Pronomen durchgehende Stammlaute. In der Sprache der
Maipuren findet sich die dritte Person, nur mit verschiedenem
Zusatz, in den beiden ersten wieder, gleichsam als hiessen, wenn
die dritte vielleicht ursprünglich Mensch bedeutete, die beiden
ersten der Ich-Mensch und der Du-Mensch. Bei den Achaguas
haben alle drei Personen des Pronomen die gleiche Ends3'lbe.
Beide diese Völkerschaften wohnen zwischen dem Rio Negro und
dem oberen Orinoco. Zwischen den beiden Hauptgattungen des
Mayischen Pronomen ist nur in einigen Personen eine Verwandt-
schaft der Laute, in andren herrscht dagegen grosse Verschieden-
heit. Das / findet sich in dem affigirten Pronomen nirgends.
Das ex und oh der zweiten und dritten Pluralperson des mit der
Bedeutung des Seyns verbundenen Pronomen ist gänzlich in die-
selben Personen des andren, diese Bedeutung nicht mit sich
führenden Pronomen übergegangen. Da aber diese Sylben hier
der zweiten und dritten Person des Singulars nur als Endungen
beigefügt sind, so erkennt man, dass sie, von jenem, vielleicht
älteren Pronomen entnommen, dem andren bloss als Pluralzeichen
dienen.
Cah und ah unterscheiden sich auch nur durch den hinzu-
gefügten Consonanten und dieser scheint mir ein wahrer Verbal-
wurzellaut, der, verbunden mit ah, ein Hülfsverbum seyn bildet.
*) Adelung's Mithridates. Th. III. Abth. 3. S. 20., wo nur Vater das Pronomen
nicht richtig erkannt und die Deutschen Wörter unrichtig auf die Mayischen vertheilt hat.
2O0 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wo call einem Verbum beständig einverleibt ist, führt es den Be-
griff der Heftiglveit mit sich und dadurch mag es gekommen
seyn, dass die Sprache sich dessen bedient hat, alle Handlungen,
da in jeder Kraft und Beweglichkeit liegt, zu bezeichnen. Mit
wahrhaft feinem Tact aber ist cah doch nur der Lebendigkeit der
währenden Handlung, also dem Praesens und Imperfectum auf-
behalten worden. Dass cah wirklich als ein Verbalstamm be-
handelt wird, beweist die Verschiedenheit der Stellung des affigirten
Pronomen in den Formen mit cah und mit ah. In den ersteren
steht dies Pronomen immer unmittelbar vor dem cah, in den
andren nicht vor dem ah., sondern vor dem attributiven Verbum.
Da es sich nun immer einem Stammwort, Nomen oder Verbum
praefigirt, so beweist dies deutlich, dass ah in diesen Formen keines
von beiden ist, dass es dagegen mit cah eine andere Bewandtniss
hat. So ist von canan, bewachen, die erste Person des Singu-
lars im Praesens canan-in-cah, dagegen dieselbe Person im Per-
fectum in-canan-t-ah. In ist Pron. i. sing., das dazwischen-
geschobene / ein euphonischer Laut. Ahi hat in der Sprache als
Praefix einen mehrfachen Gebrauch, indem es Charakteristik des
männlichen Geschlechtes, der Ortsbewohner, endlich der aus Activ-
verben gebildeten Nomina ist. Es mag daher aus einem Substan-
tivum zum Demonstrativpronomen und endlich zum Affixum ge-
worden seyn. Da es seinem Ursprünge nach weniger geeignet
ist, die heftige Beweglichkeit des Verbum anzuzeigen, so bleibt
es für die Bezeichnung der Tempora, welche der unmittelbaren
Erscheinung ferner liegen. Dieselben Tempora intransitiver Verba
verlangen noch mehr, um in das Verbum einzutreten, von dem
bloss ruhenden Begriff des Seyns und begnügen sich daher mit
demjenigen Pronomen, bei welchem dieser immer hinzugedacht
wird. So bezeichnet die Sprache verschiedene Grade der Lebendig-
keit der Erscheinungen und bildet daraus ihre Conjugationsformen
auf eine künstlichere Weise, als es selbst die hochgebildeten Sprachen
thun, allein nicht auf einem so einfachen, naturgemässen , die
Functionen der verschiedenen Redetheile richtig abgränzenden
Wege. Der Bau des Verbum ist daher immer fehlerhaft; es
leuchtet doch aber sichtbar das Gefühl der wahren Function des
Verbum und ein sogar ängstliches Bemühen, es nicht dafür an
einem Ausdruck fehlen zu lassen, daraus hervor.
Das affigirte Pronomen der zweiten Hauptgattung dient auch
als Besitzpronomen bei Substantiven. Es verräth ein völliges
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2'?I
Miskennen des Unterschiedes zwischen Nomen und Verbum, dem
letzteren ein Besitzpronomen zuzutheilen, unser Essen mit wir
essen zu verwechseln. Dies scheint mir jedoch in den Sprachen,
die sich dessen schuldig machen, mehr ein Mangel der gehörigen
Absonderung der verschiedenen Pronominalgattungen von einander.
Denn offenbar wird der Irrthum geringer, wenn der Begriff des
Besitzpronomen selbst nicht in seiner eigentlichen Schärfe auf-
gefasst wird, und dies scheint mir hier der Fall. Fast in allen
Amerikanischen Sprachen geht das Verständniss ihres Baues gleich-
sam vom Pronomen aus und dies schlingt sich in zwei grossen
Zweigen, als Besitzpronomen um das Nomen, als regierend oder
regiert um das Verbum und beide Redetheile bleiben meistentheils
immer mit ihm verbunden. Gewöhnlich besitzt die Sprache hier-
für auch verschiedene Pronominalformen. Wo dies aber nicht der
Fall ist, verbindet sich der Begriff der Person schwankend und
unbestimmt mit dem einen und dem andren Redetheil. Der
Unterschied beider Fälle wird wohl empfunden, aber nicht mit
der formalen Schärfe und Bestimmtheit, welche der Uebergang
in die Lautbezeichnung erfordert. Bisweilen deutet sich aber die
Empfindung des Unterschiedes doch auf andere Weise, als durch
die genaue Absonderung eines doppelten Pronomen an. In der
Sprache der Betoi, die auch um den (^asanare und unteren Orinoco
herum wohnen, hat das Pronomen, wenn es sich mit dem Verbum,
als regierend, verbindet, eine von der des Besitzpronomen beim
Nomen verschiedene Stellung. Das Besitzpronomen wird nemlich
vorn, das die Person des Verbum begleitende hinten angehängt;
die Verschiedenheit der Laute besteht nur in einer durch die An-
fügung hen'orgebrachten Abkürzung. So heisst rau tucic mein
Haus, aber himiasoi-rrü Mensch bin ich und ajoi-rrü ich bin.
Im letzteren Worte ist mir die Bedeutung der Wurzelsylbe un-
bekannt. Diese Suffigirung des Pronomen findet aber nur da
statt, wo dasselbe aoristisch ohne specielle Zeitbestimmung mit
einem andren Worte verbunden wird. Das Pronomen bildet als-
dann mit diesem Worte Einen Wortlaut und es entsteht wirklich
eine Verbalform. Denn der Accent geht in diesen Fällen von
dem verbundenen Worte auf das Pronomen über. Dies ist also
gleichsam ein symbolisches Zeichen der Beweglichkeit der Hand-
lung, wie auch im Englischen da, wo dasselbe zweisylbige Wort
als Nomen und als Verbum gebraucht werden kann, die Oxyto-
nirung die Verbalform andeutet. Im Chinesischen findet sich zwar
222 ^* Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
auch die Bezeichnung des Ueberganges vom Nomen zum Verbum
und umgekehrt durch den Accent, allein nicht in symbolischer
Beziehung auf die Natur des Verbum da derselbe Accent un-
verändert den doppelten Uebergang ausdrückt und nur andeutet,
dass das Wort zu dem seiner natürlichen Bedeutung und seinem
gewöhnUchen Gebrauche entgegengesetzten Redetheil wird.*)
Ich habe die obige Auseinandersetzung der Mayischen Gon-
jugation nicht durch die Erwähnung einer Ausnahme unterbrechen
mögen, die ich jedoch hier kurz nachholen will. Das Futurum
unterscheidet sich nemlich in seiner Bildung gänzlich von den
übrigen Tempora. Es verbindet zwar seine Kennsylben mit te7i,
führt aber niemals weder cah noch ah mit sich, besitzt eigne
Suffixa, entbehrt auch bei gewissen Veränderungen seiner Form
alle ; besonders steht es der Sylbe ah entgegen. Denn es schneidet
dieselbe auch da ab, wo diese Sylbe wirkliche Endung des Stamm-
verbum ist. Es würde hier zu weit führen, in die Untersuchung
einzugehen, ob diese Abweichungen aus der Natur der eigenthüm-
lichen Suffixa des Futurum oder aus andren Gründen entstehen.
Gegen das oben Gesagte kann aber diese Ausnahme nichts be-
weisen. Vielmehr bestätigt die Abneigung gegen die Partikel ah
die oben derselben beigelegte Bedeutung, da die Ungewissheit der
Zukunft nicht die Lebendigkeit eines Pronomen hervorruft und
mit der einer wirklich dagewesenen Erscheinung contrastirt.
Wo die Sprachen zwar den Weg einschlagen, die Function
des Verbum durch die engere Verknüpfung seiner immer wech-
selnden Modificationen mit der Wurzel symbolisch anzudeuten,
da ist es, wenn sie auch das Ziel nicht vollkommen erreichen,
ein günstiges Zeichen für ihr richtiges Gefühl derselben, wenn
sie die Enge dieser Verbindung vorzugsweise mit dem Pronomen
bezwecken. Sie nähern sich dann immer mehr der Verwandlung
des Pronomen in die Person und somit der wahren Verbalform,
in welcher die formale Andeutung der Personen (die durch die
blosse Vorausschickung des selbstständigen Pronomen nicht er-
reicht wird) der wesentlichste Punkt ist. Alle übrigen Modi-
ficationen des Verbum (die Modi abgerechnet, die mehr der
Satzbildung angehören) können auch den, mehr dem Nomen
gleichenden, erst durch die Verbalfunction in Bewegung zu
*) S. meine Schrift Lettre ä Monsieur Abel-Remiisat. S. 23.^)
V Vgl. Band 5, 26S.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2^*?
setzenden Theil des \^erbum charakterisiren. Hierin vorzüglich
liegt der Grund, dass in den Malayischen Sprachen, in gewisser
Aehnlichkeit mit dem Chinesischen, die Verbalnatur so wenig
sichtbar hen-orspringt. Die bestimmte Neigung der Amerika-
nischen, das Pronomen auf irgend eine Weise zu aftigiren, führt
dieselben hierin auf einen richtigeren Weg. Werden alle Modi-
iicationen des Verbum wirklich mit der Wurzelsylbe verknüpft,
so beruht die \'ollkommenheit der Verbalformen nur auf der
Enge der Verknüpfung, auf dem Umstände, ob sich die im
^"erbum liegende Kraft des Setzens energischer als flectirend
oder träger als agglutinirend erweist.
Act des selbstthätigen Setzens in der Sprache.
Conjunction.
Gleich stark, als das Verbum beruht in den Sprachen die
richtige und genügende Bildung von Conjunctionen auf der
Thätigkeit derselben Kraft des sprachbildenden Geistes, von der
wir hier reden. Denn die Conjunction, im eigentlichen Sinne des
Ausdrucks genommen, zeigt die Beziehungen zweier Sätze auf
einander an und es liegt daher ein doppeltes Zusammenfassen,
eine verwickeitere Synthesis in ihr. Jeder Satz muss als Eins
genommen, diese Einheiten müssen aber wieder in eine grössere
verknüpft und der vorhergehende Satz so lange schwebend vor
der Seele erhalten werden, bis der nachfolgende der ganzen Aus-
sage die vollendete Bestimmung giebt. Die Satzbildung erweitert
sich hier zur Periode und die Conjunctionen theilen sich in die
leichteren, die nur Sätze verbinden und trennen, und in die
schwierigeren, welche einen Satz von dem andren abhängig
machen. In diesen, gleichsam gerade fortlaufenden oder ver-
schlungenen Gang der Periode setzten schon Griechische Gram-
matiker das Kennzeichen des einfacheren und des sich kunstvoll
erhebenden Styls. Die bloss verbundenen Sätze laufen in unbe-
stimmter Folge nach einander hin und gestalten sich nicht zu
einem, Anfang und Ende auf einander beziehenden Ganzen, da
hingegen die wahrhaft zur Periode verknüpften sich, gleich den
Steinen eines Gewölbes, gegenseitig stützen und halten.*) Die
*) Demetrius de elocutione. §. II — 13.
254. I- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
weniger gebildeten Sprachen haben gewöhnlich Mangel an Con-
junctionen oder bedienen sich dazu nur mittelbar zu diesem Ge-
brauch passender, ihm nicht ausschliesslich gewidmeter Wörter
und lassen sehr oft die Sätze unverbunden auf einander folgen.
Auch die von einander abhängigen werden, soviel es irgend ge-
schehen kann, in gerade fortlaufende verwandelt und hiervon
tragen selbst ausgebildete Sprachen noch die Spuren an sich.
Wenn wir z. B. sagen: ich sehe, dass du fertig bist, so ist
das gewiss nichts andres, als ich sehe das: du bist fertig,
nur dass das richtige grammatische Gefühl in späterer Zeit die
Abhängigkeit des Folgesatzes symbolisch durch die Umstellung
des Verbum angedeutet hat.^)
Act des selbstthätigen Setzens in der Sprache.
Pronomen relativ um.
Am schwierigsten für die grammatische Auffassung ist das, in
dem Pronomen relativum vorgehende synthetische Setzen. Zwei
Sätze sollen dergestalt verbunden werden, dass der eine einen
blossen Beschaffenheitsausdruck eines Nomen des andren aus-
macht. Das Wort, durch welches dies geschieht, muss daher zu-
gleich Pronomen und Conjunction seyn, das Nomen durch Stell-
vertretung darstellen und einen Satz regieren. Sein Wesen geht
sogleich verloren, als man sich nicht die beiden in ihm verbundenen
Redetheile, einander modificirend, als untheilbar zusammendenkt.
Die Beziehung beider Sätze auf einander fordert endlich, dass das
Conjunctions- Pronomen (das Relativum) in dem ' Casus stehe,
^) Nach „hat" gestrichen: „Auch unser so, wodurch wir, was den Sprachen
des Alterthums nicht eigenthümlich ist, den Nachsatz andeuten, ist wohl nur ein
den Inhalt des Vordersatzes zusammenfassendes also. Im Alt-Französischen
wird bisweilen bei sehr langen Perioden das bejahende si auf ähnliche Weise ge-
braucht. Diefenbach (über die jetzigen romanischen Schrißsprachen. S. 41.J be-
merkt, dass die Rhätoromanische Sprache in Graubündten imsere Nachsatz-
Partikel in sich aufgenommen habe: scha, so. Die Häufigkeit des Gebrauchs,
auch bei ganz kurzen Sätzen, mag allerdings aus Umgang mit Deutschen ent-
standen seyn; das Wort selbst aber ist doch wohl das lat. si und sie. Es ist
übrigens merkwürdig , dass dies scha auch für wenn, als u. s.f gebraucht wird,
imd daher in der nemlichen Periode doppelt den Vordersatz und den Nachsatz
(wenn — so) regieren kann. Ein Beispiel davon s. in Conradis Gramm. S. ^g.
Unser also ist eigentlich aschia."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2*?^
welchen das ^^erbum des relativen Satzes erfordert, dennoch aber,
welches dieser Casus immer seyn möge, den Satz selbst, an dessen
Spitze stehend, regiere. Hier häufen sich offenbar die Schwierig-
keiten und der ein Pronomen relativum mit sich führende Satz
kann erst vermittelst des andren vollständig aufgefasst werden.
Ganz dem Begriffe dieses Pronomen entsprechen können nur die
Sprachen, in welchen das Nomen declinirbar ist. Allein auch von
diesem Erforderniss abgesehen wird es den meisten, weniger ge-
bildeten Sprachen unmöglich, einen wahren Ausdruck dieser Satz-
bezeichnung zu finden, das Relativpronomen fehlt ihnen wirklich ;
sie umgehen, so viel als möglich, den Gebrauch desselben, wo
dies aber durchaus nicht geschehen kann, bedienen sie sich mehr
oder weniger geschickt dessen Stelle vertretender Constructionen.
Eine solche, aber in der That sinnreiche ist in der Quichua-
Sprache, der allgemeinen Peruanischen, üblich. Die Folge der
Sätze wird umgekehrt, der relative geht, als selbstständige und
einfache Aussage voran, der Hauptsatz folgt ihm nach. Im
relativen aber wird das Wort, auf welches die Beziehung trifft,
weggelassen und eben dies Wort mit ihm vorausgeschicktem
Demonstrativpronomen an die Spitze des Hauptsatzes und in den
von dessen Verbum regierten Casus gestellt. Anstatt also zu
sagen: der Mensch, welcher auf Gottes Gnade vertraut, erlangt
dieselbe; dasjenige, was du jetzt glaubst, wirst du künftig im
Himmel offenbart sehen; ich werde den Weg gehen, welchen du
mich führst; sagt man: er vertraut auf Gottes Gnade, dieser
Mensch erlangt dieselbe; du glaubst jetzt, dieses wirst du künftig
im Himmel offenbart sehen; du führst mich, diesen Weg werde
ich gehen. In diesen Constructionen ist die wesentliche Bedeutung
der Relativsätze, dass nemlich ein Wort nur unter der im Relativ-
satze enthaltenen Bestimmung gedacht werden soll, nicht nur er-
halten, sondern auch gewissermassen symbolisch ausgedrückt.
Der Relativsatz, auf den sich die Aufmerksamkeit zuerst sammeln
soll, geht voraus und ebenso stellt sich das durch ihn bestimmte
Nomen an die Spitze des Hauptsatzes, wenn seine Construction
ihm auch sonst eine andere Stelle anweisen würde. Allein alle
grammatischen Schwierigkeiten der Fügung sind umgangen. Die
Abhängigkeit beider Sätze bleibt ohne Ausdruck; die künstliche
Methode, den Relativsatz immer durch das Pronomen regieren zu
lassen, wenn auch dasselbe eigentlich von seinem Verbum regiert
wird, fällt ganz hinweg. Es giebt überhaupt gar kein Relativ-
2o5 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
pronomen in diesen Fügungen. Es wird aber dem Nomen das
gewöhnliche und leicht zu fassende Demonstrativpronomen bei-
gegeben, so dass die Sprache sichtbar die Wechselbeziehung beider
Pronomina auf einander dunkel gefühlt, allein dieselbe von der
leichteren Seite aus angedeutet hat. Die Mexicanische Sprache
verfährt kürzer in diesem Punkt, aber nicht auf eine der wahren
Bedeutsamkeit des Relativsatzes so nahe kommende Weise. Sie
stellt vor den Relativsatz das Wort m, welches zugleich die Stelle
des Demonstrativpronomen und des Artikels vertritt, und knüpft
ihn in dieser Gestalt an den Hauptsatz.
Betrachtung der Flexioössprachen in ihrer Fort-
entwicklung.
Wenn ein Volksstamm in seiner Sprache die Kraft des syn-
thetischen Setzens bis zu dem Grade bewahrt, ihm in dem Baue
derselben einen genügenden und gerade den geeigneten Ausdruck
zu geben, so folgt daraus zunächst eine sich in allen Theilen
gleich bleibende glückliche Anordnung ihres Organismus. Wenn
das Verbum richtig construirt ist, so müssen es nach der Art,
wie dasselbe den Satz beherrscht, auch die übrigen Redetheile
seyn. Dieselbe, Gedanken und Ausdruck in ihr richtiges und
fruchtbringendstes Verhältniss setzende Kraft durchdringt sie in
allen ihren Theilen und es kann ihr in dem Leichteren nicht
mislingen, wenn sie die grössere Schwierigkeit der satzbildenden
Synthesis überwunden hat. Der wahre Ausdruck dieser letzteren
kann daher nur ächten Flexionssprachen und unter denselben
immer nur denen, die es in höherem Grade sind, eigen seyn.
Sachausdruck und Beziehung müssen in richtigem Verhältniss
stehenden Ausdruck finden, die Worteinheit muss unter dem
Einfluss des Rhythmus die höchste Festigkeit besitzen und der
Satz dagegen wieder die, seine Freiheit sichernde Trennung der
einzelnen Worte zeigen. Diesen ganzen glücklichen Organismus
bringt in der Sprache die Kraft der Synthesis, als eine noth-
wendige Folge hervor.
Im Innren der Seele aber führt sie das vollendete Ueber-
einstimmen des fortschreitenden Gedanken mit der ihn begleitenden
Sprache mit sich. Da Denken und Sprechen sich immer wechsels-
weise vollenden, so wirkt der richtige Gang in beiden auf eine,
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. o'Xl
ununterbrochene Fortschritte verbürgende Weise. Die Sprache,
insofern sie materiell ist und zugleich von äusseren Einwirkungen
abhängt, setzt, sich selbst überlassen, der auf sie wirkenden inneren
Form Schwierigkeiten in den Weg oder schleicht, ohne recht
vorwaltendes Eingreifen jener, in ihren Bildungen nach ihr eigen-
thümlichen Analogien fort. Wo sie aber, von innerer energischer
Kraft durchdrungen, sich durch diese getragen fühlt, erhebt sie
sich freudig und wirkt nun durch ihre materielle Selbstständigkeit
zurück. Gerade hier wird ihre bleibende und unabhängige Natur
wohlthätig, wenn sie, wie es bei glückHchem Organismus sichtbar
der Fall ist, immer neu auflveimenden Generationen zum be-
geisternden Werkzeuge dient. Das Gelingen geistiger Thätigkeit
in Wissenschaft und Dichtung beruht, ausser den inneren
"nationeilen Anlagen und der Beschaffenheit der Sprache, zugleich
auf mannigfaltigen äusseren, bald vorhandenen, bald fehlenden
Einflüssen. Da aber der Bau der Sprache unabhängig von solchen
sich forterhält, so bedarf es nur eines glücklichen Anstosses, um
das Volk, dem sie angehört, erkennen zu lassen, dass es in ihr
ein zu ganz andrem Gedankenschwunge geeignetes Werkzeug
besitzt. Die nationellen Anlagen erwachen und ihrem Zusammen-
wirken mit der Sprache erblüht eine neue Periode. Wenn man
die Geschichte der Völker vergleicht, so findet man dies zwar
seltner auf die Weise, dass eine Nation zwei verschiedne und
nicht mit einander zusammenhängende Blüthen ihrer Literatur
erlebte. Aber in andrer Beziehung kann man, wie es mir scheint,
nicht umhin, ein solches Aufblühen der Völker zu einer höheren
geistigen Thätigkeit aus einem Zustande abzuleiten, in welchem
sowohl in ihren geistigen Anlagen, als in ihrer Sprache selbst
die Keime der kräftigen Entwicklung schon gleichsam schlummernd
und praeformirt lagen. Möge man auch ganze Zeitalter von Sängern
vor Homer annehmen, so ist gewiss doch die Griechische Sprache
auch durch sie nur ausgebildet, nicht aber ursprünglich gebildet
worden. Ihr glücklicher Organismus, ihre ächte Flexionsnatur,
ihre synthetische Kraft, mit Einem Worte alles das, was die
Grundlage und den Nen^ ihres Baues ausmacht, war ihr gewiss
schon eine unbestimmbare Reihe von Jahrhunderten hindurch
eigen. Auf die entgegengesetzte Weise sehen wir auch Völker
im Besitze der edelsten Sprachen, ohne dass sich unsrer Kenntniss
nach jemals in denselben eine dem entsprechende Literatur ent-
wickelt hätte. Der Grund lag also hier in mangelndem Anstoss
2o8 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
oder hemmenden Umständen. Ich erinnere hier bloss an die, dem
Sanskritischen Stamm, zu dem sie gehört, viel glücklicher, als
andre ihrer Schwestern getreu gebliebene Litthauische Sprache.
Wenn ich die hemmenden und fördernden Einflüsse äussere und
zufällige oder besser historische nenne, so ist dieser Ausdruck
wegen der wirklichen Gewalt, welche ihre Gegenwart oder Ab-
wesenheit ausübt, vollkommen richtig. In der Sache selbst aber
kann die Wirkung doch nur von innen ausgehen. Es muss ein
Funke geweckt, ein Band, welches gleichsam die Federkraft der
Seele sich auszudehnen hindert, gelöst werden und dies kann
urplötzlich, ohne langsame Vorbildungen geschehen. Das wahre
und immer unbegreiflich bleibende Entstehen wird darum nicht
erklärbarer, dass man seinen ersten Moment weiter hinaufschiebt.
Der Einklang der Sprachbildung mit der gesammten Gedanken-
entwicklung, von dem wir im concreten Sprachbau den geeigneten
Ausdruck des synthetischen Setzens als ein glückliches Zeichen
betrachtet haben, führt zunächst auf diejenige geistige Thätigkeit,
welche allein aus dem Innren heraus schöpferisch ist. Wenn
wir den gelungenen Sprachbau bloss als rückwirkend betrachten
und augenblicklich vergessen, dass, was er dem Geiste ertheilt,
er erst selber von ihm empfieng, so gewährt er Kraft der In-
tellectualität, Klarheit der logischen Anordnung, Gefühl von etwas
Tieferem, als sich durch blosse Gedankenzergliederung erreichen
lässt, und Begierde, es zu ergründen, Ahndung einer Wechsel-
beziehung des Geistigen und Sinnlichen und endlich rhythmisch
melodische, auf allgemeine künstlerische Auffassung bezogene Be-
handlung der Töne oder befördert alles dies, wo es schon von
selbst vorhanden ist. Durch das Zusammenstreben der geistigen
Kräfte in der entsprechenden Richtung entsteht daher, so wie nur
ein irgend weckender Funke aufsprüht, eine Thätigkeit rein
geistiger Gedankenentwicklung und so ruft ein lebendig em-
pfundener, glücklicher Sprachbau durch seine eigne Natur Philo-
sophie und Dichtung hervor. Das Gedeihen beider lässt aber
wieder umgekehrt auf die Lebendigkeit jener Einwirkung der
Sprache zurückschliessen. Die sich fühlende Sprache bewegt sich
am liebsten da, wo sie sich herrschend zu seyn dünkt, und auch
die geistige Thätigkeit äussert ihre grösste Kraftanstrengung und
erreicht ihre höchste Befriedigung da, wo sie in intellectueller Be-
trachtung oder in selbstgeschaffener Bildung aus ihrer eignen
Fülle schöpft oder die Endfäden wissenschaftlicher Forschung zu-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2'?Q
sammenknüpft. In diesem Gebiete tritt aber auch am lebendigsten
die intellectuelle Individualität hervor. Indem also ein hoch-
vollendeter, aus glücklichen Anlagen entstandener und sie fort-
dauernd nährender und anregender Sprachbau das Lebensprincip
der Sprache sichert, veranlasst und befördert er zugleich die
Mannigfaltigkeit der Richtungen, die sich in der oben betrachteten
Verschiedenheit der Charaktere der Sprachen desselben Sprach-
stammes offenbart.
Wie lässt sich aber die hier ausgeführte Behauptung, dass
das fruchtbare Lebensprincip der Sprachen hauptsächlich auf ihrer
Flexionsnatur beruht, mit der Thatsache vereinigen, dass der
Reichthum an Flexionen immer im jugendlichsten Alter der
Sprachen am grössten ist, im Laufe der Zeit aber allmählich ab-
nimmt? Es erscheint wenigstens sonderbar, dass gerade das ein-
büssende Princip das erhaltende seyn soll. Das Abschleifen der
Flexionen ist eine unläugbare Thatsache. Der die Sprache
formende Sinn lässt sie aus verschiednen Ursachen und in ver-
schiednen Stadien bald gleichgültig wegfallen, bald macht er sich
absichtlich von ihnen los, und es ist sogar richtiger, die Er-
scheinung auf diese Weise auszudrücken, als die Schuld allein
und ausschliesslich der Zeit beizumessen. Schon in den Forma-
tionen der Declination und Conjugation, die gewiss mehrere
Niedersetzungen erfahren haben, werden sichtbar charakteristische
Laute immer sorgloser weggeworfen, je mehr sich der Begriff des
ganzen, jedem einzelnen Fall seine Stelle von selbst anweisenden
Schemas festsetzt. Man opfert kühner dem Wohllaute auf und
vermeidet die Häufung der Kennzeichen, wo die Form schon
durch eines gegen die Verwechslung mit andren gesichert ist.
Wenn mich meine Wahrnehmungen nicht trügen, so finden diese,
gewöhnlich der Zeit zugeschriebene Lautveränderungen weniger
in den angeblich roheren, als in den gebildeten Sprachen statt
und diese Erscheinung Hesse sich wohl sehr natürlich erklären.
Unter Allem, was auf die Sprache einwirkt, ist das Beweglichste
der menschliche Geist selbst und sie erfährt also auch die meisten
Umgestaltungen von seiner lebendigsten Thätigkeit. Gerade seinem
Fortschreiten aber entspricht es, in der steigenden Zuversicht auf
die Festigkeit seiner innren Ansicht zu sorgfältige Modificirung
der Laute für überflüssig zu erachten. Gerade aus diesem Princip
droht in einer sehr viel späteren Sprachperiode den Flexions-
sprachen eine weit tiefer in ihr Wesen eingreifende Umänderung.
2A0 ^' Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Je gereifter sich der Geist fühlt, desto kühner wirkt er in eignen
Verbindungen und desto zuversichtHcher wirft er die Brücken ab,
welche die Sprache dem Verständnisse baut. Zu dieser Stimmung
gesellt sich dann leicht Mangel an Gefühl des auf dem Schalle
ruhenden dichterischen Reizes. Die Dichtung selbst bahnt sich
dann mehr innerliche Wege, auf welchen sie jenes Vorzugs ge-
fahrloser zu entbehren vermag. Es ist also ein Uebergang von
mehr sinnlicher zu reinerer intellectueller Stimmung des Gemüths,
durch welche die Sprache hier umgestaltet wird. Doch sind die
ersten Ursachen nicht immer von der edleren Natur. Rauhere
Organe, weniger für die reine und feinere Lautabsonderung ge-
eignet, ein von Natur weniger empfindliches und musikalisch
nicht geübtes Ohr legen den Grund zu der Gleichgültigkeit gegen
das tönende Princip in der Sprache. Gleichergestalt kann die vor-
waltende praktische Richtung der Sprache Abkürzungen, Aus-
lassungen von Beziehungswörtern, Ellipsen aller Art aufdringen,
weil man, nur das Verständniss bezweckend, alles dazu nicht un-
mittelbar Nothwendige verschmäht.
Ueberhaupt muss die Beziehung des Volksgeistes auf die
Sprache durchaus eine andere seyn, so lange sich diese noch in
der Gährung ihrer ersten Formation befindet und wenn die schon
geformte nur zum Gebrauche des Lebens dient. So lange in
jener früheren Periode die Elemente auch ihrem Ursprünge nach
noch klar vor der Seele stehen und diese mit ihrer Zusammen-
fügung beschäftigt ist, hat sie Gefallen an dieser Bildung des
Werkzeugs ihrer Thätigkeit und lässt nichts fallen, was durch
irgend eine auszudrückende Nuance des Gefühls festgehalten wird.
In der Folge waltet mehr der Zweck des Verständnisses vor, die
Bedeutung der Elemente wird dunkler und die eingeübte Ge-
wohnheit des Gebrauchs macht sorglos über die Einzelnheiten
des Baues und die genaue Bewahrung der Laute. An die Stelle
der Freude der Phantasie an sinnreicher Vereinigung der Kenn-
zeichen mit volltönendem Sylbenfall tritt Bequemlichkeit des Ver-
standes und löst die Formen in Hülfsverba und Praepositionen auf.
Er erhebt dadurch zugleich den Zweck leichterer Deutlichkeit über
die übrigen Vorzüge der Sprache, da allerdings diese analytische
Methode die Anstrengung des Verständnisses vermindert, ja in
einzelnen Fällen die Bestimmtheit da vermehrt, wo die synthetische
dieselbe schwieriger erreicht. Bei dem Gebrauch dieser grammati-
schen Hülfswörter aber werden die Flexionen entbehrlicher und
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 24.I
verlieren allmählich ihr Gewicht in der Achtsamkeit des Sprach-
sinnes.
Welches nun immer die Ursache seyn mag, so ist es sicher,
dass auf diese Weise ächte Flexionssprachen ärmer an Formen
werden, häufig grammatische Wörter an die Stelle derselben
setzen und auf diese Art sich im Einzelnen denjenigen Sprachen
nähern können, die sich von ihrem Stamme durch ein ganz ver-
schiednes und unvollkommneres Princip unterscheiden. Unsre
heutige und die Englische Sprache enthalten hiervon häufige Bei-
spiele, die letztere bei weitem mehr, woran mir aber ihre Mischung
mit Romanischem Stoff keine Schuld zu tragen scheint, da diese
auf ihren grammatischen Bau wenig oder gar keinen Eintluss
ausübt. Dass aber hieraus eine Einwendung gegen den frucht-
baren Einfluss der Flexionsnatur auch auf die späteste Dauer der
Sprachen hin hergenommen werden könne, glaube ich dennoch
nicht. Gäbe es auch eine Sanskritische Sprache, die auf dem hier
beschriebenen Wege Chinesischem Entbehren der Beziehungs-
zeichen der Redetheile nahe gekommen wäre, so bliebe der Fall
dennoch immer gänzlich verschieden. Dem Chinesischen Bau liegt,
wie man ihn auch erklären möge, offenbar eine Unvollkommenheit
in der Sprachbildung, wahrscheinlich eine, dem Volke eigenthüm-
liche Gewohnheit der Isolirung der Laute, zusammentreffend mit
zu geringer Stärke des innren, ihre Verbindung und Vermittlung
erheischenden Sprachsinns, zum Grunde. In einer solchen Sans-
kritsprache dagegen hätte sich die ächteste Flexionsnatur mit allen
ihren wohlthätigen Einflüssen seit einer unbestimmbaren Reihe
von Generationen festgesetzt und dem Sprachsinn seine Gestalt
gegeben. In ihrem wahren Wesen wäre daher solche Sprache
immer Sanskritisch geblieben; ihr Unterschied läge nur in einzelnen
Erscheinungen, welche das Gepräge nicht austilgen könnten, das
die Flexionsnatur der ganzen übrigen Sprache aufgedrückt hätte.
Die Nation trüge ausserdem, da sie zu dem gleichen Stamme ge-
hörte, dieselben nationeilen Anlagen in sich, welchen der edlere
Sprachbau seinen Ursprung verdankte, und fasste mit demselben
Geiste und Sinne ihre Sprache auf, wenn auch diese in einzelnen
Theilen jenem Geiste äusserlich minder entsprechend wäre. Auch
würden immer, wie es namentlich in der Englischen Conjugation
der Fall ist, einzelne ächte Flexionen übrig geblieben seyn, die
den Geist an dem wahren Ursprünge und dem eigentlichen Wesen
der Sprache nicht irre werden Hessen. Ein auf diese Weise ent-
W. V. Humboldt, Werke. VII. 16
24.2 l- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Stehender geringerer Formerireichthum und einfacherer Bau macht
daher die Sprachen, wie wir eben an der Englischen und der
unsrigen sehen, keinesweges hoher Vorzüge unfähig, sondern er-
theilt ihnen nur einen verschiedenen Charakter. Ihre Dichtung
entbehrt zwar dadurch der vollständigen Kräftigkeit eines ihrer
hauptsächlichen Elemente. Wenn aber bei einer solchen Nation
die Poesie wirklich sänke oder doch in ihrer Fruchtbarkeit ab-
nähme, so entspränge dies gewiss ohne Schuld der Sprache aus
tieferen innren Ursachen.
Aus dem Lateinischen hervorgegangene Sprachen.
Dem festen, ja man kann wohl sagen unaustilgbaren Haften
des ächten Organismus an den Sprachen, welchen er einmal eigen-
thümlich geworden ist, verdanken auch die Lateinischen Töchter-
sprachen ihren reinen grammatischen Bau. Es scheint mir ein
hauptsächliches Erforderniss zur richtigen Beurtheilung der merk-
würdigen Erscheinung ihrer Entstehung, darauf Gewicht zu legen,
dass auf den Wiederaufbau der zertrümmerten Römischen Sprache,
wenn man allein das grammatisch Formale desselben ins Auge
fasst, kein fremder Stoff irgend wesentlich eingewirkt hat. Die
Ursprachen der Länder, in welchen die neuen Mundarten auf-
blühten, scheinen durchaus keinen Antheil daran gehabt zu haben.
Vom Vaskischen ist dies gewiss ; es gilt aber höchst wahrscheinlich
ebenso von den ursprünglich in Gallien herrschenden Sprachen.
Die fremden einwandernden Völkerschaften, grösstentheils von
Germanischem oder den Germanen verwandtem Stamme, haben
der Umbildung des Römischen eine grosse Anzahl von W^örtern
zugeführt ; allein in dem grammatischen Theile lassen sich schwer-
lich irgend bedeutende Spuren ihrer Mundarten auffinden. Die
Völker lassen sich nicht leicht die Form umgestalten, in welche
sie den Gedanken zu giessen gewohnt sind. Der Grund, aus
welchem die Grammatik der neuen Sprachen hervorgieng, war
daher wesentlich und hauptsächlich der der zertrümmerten selbst.
Aber die Zertrümmerung und den Verfall muss man ihren Ur-
sachen nach schon viel früher, als in der Periode, in welcher sie
offenbar wurden, aufsuchen. Die Römische Sprache wurde schon
während des Bestehens der Grösse des Reichs in den Provinzen
und nach Verschiedenheit derselben anders, als in Latium und
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 243
der Herrscherstadt gesprochen. Selbst in diesen ursprünghchen
Wohnsitzen der Nation mochte die Volkssprache Eigenthümlich-
keiten an sich tragen, die erst spat nach dem Sinken der ge-
bildeten allgemeiner zum Vorschein kamen. Es entstanden natür-
lich Abweichungen der Aussprache, Soloecismen in den Construc-
tionen, ja wahrscheinlich schon Erleichterungen der Formen durch
Hülfswörter da, wo die gebildete Sprache sie gar nicht oder nur
in ganz einzelnen Ausnahmen zuliess. Die Volkseigenthümlich-
keiten mussten überwiegend werden, als die letztere sich bei dem
Verfalle des Gemeinwesens nicht mehr durch Literatur und münd-
lichen öffentlichen Gebrauch auf ihrer Höhe getragen fühlte.*) Die
provincielle Entartung gieng immer weiter, je lockrer die Bande
wurden, welche die Provinzen mit dem Ganzen verknüpften.
Diesen doppelten Verfall steigerten endlich die fremden Ein-
wanderungen auf den höchsten Punkt. Es war nun nicht mehr
ein blosses Ausarten der herrschend gewesenen Sprache, sondern
ein Abwerfen und Zerschlagen ihrer wesentlichsten Formen, oft
ein wahres Misverstehen derselben, immer aber zugleich ein
Unterschieben neuer Erhaltungsmittel der Einheit der Rede, ge-
schöpft aus dem vorhandenen Vorrathe, allein oft widersinnig
verknüpft. Mitten in allen diesen Veränderungen blieb aber in
der untergehenden Sprache das wesentliche Princip ihres Baues,
die reine Unterscheidung des Sach- und Beziehungsbegriffs und
das Bedürfniss, beiden den ihnen eigenthümlichen Ausdruck zu
verschaffen, und im Volke das durch die Gewohnheit von Jahr-
hunderten tief eingedrungene Gefühl hiervon. An jedem Bruch-
stück der Sprache haftete dies Gepräge; es hätte sich nicht aus-
tilgen lassen, w^enn die Völker es auch verkannt hätten. Es lag
jedoch in diesen selbst, es aufzusuchen, zu enträthseln und zum
Wiederaufbau anzuwenden. In dieser, aus der allgemeinen Natur
des Sprachsinnes selbst entspringenden Gleichförmigkeit der neuen
Umbildung, verbunden mit der Einheit der in Absicht des Gram-
matischen unvermischt gebliebenen Muttersprache, muss man die
Erklärung der Erscheinung suchen, dass das Verfahren der Roma-
nischen Sprachen in ganz entfernten Länderstrichen sich so gleich
bleibt und oft durch ganz einzelne Uebereinstimmungen überrascht.
*) Man vergleiche hierüber, so wie bei diesem ganzen Abschnitt, Diefenbach's
höchst lesenswerthe Schrift über die jetzigen Romanischen Schriftsprachen.')
y Sie war Leipzig i8ßi erschienen.
16*
2AA. ^* Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Es sanken Formen, nicht aber die Form, die vielmehr ihren alten
Geist über die neuen Umgestaltungen ausgoss.
Denn wenn in diesen neueren Sprachen eine Praeposition einen
Casus ersetzt, so ist der Fall nicht dem gleich, wenn in einer nur
Partikeln anfügenden ein Wort den Casus andeutet. Mag auch
die ursprüngliche Sachbedeutung desselben verloren gegangen seyn,
so drückt es doch nicht rein eine Beziehung bloss als solche aus,
weil der ganzen Sprache diese Ausdrucksweise nicht eigenthümlich
ist, ihr Bau nicht aus der innren Sprachansicht, welche rein und
energisch auf scharfe Abgränzung der Redetheile dringt, herfloss
und der Geist der Nation ihre Bildungen nicht von diesem Stand-
punkte aus in sich aufnimmt. In der Römischen Sprache war dies
Letztere genau und vollkommen der Fall. Die Praepositionen
bildeten ein Ganzes solcher Beziehungen, jede forderte nach ihrer
Bedeutung einen ihr geeigneten Casus ; nur mit diesem zusammen
bezeichnete sie das Verhältniss. Diese schöne Uebereinstimmung
nahmen die ihrem Ursprünge nach entarteten Sprachen nicht in
sich auf. Allein das Gefühl davon, die Anerkennung der Praepo-
sition als eines eignen Redetheiles, ihre wahre Bedeutsamkeit
giengen nicht mit unter und dies ist keine bloss willkührliche
Annahme. Es ist auf nicht zu verkennende Weise in der Ge-
staltung der ganzen Sprache sichtbar, die eine Menge von Lücken
in den einzelnen Formen, aber im Ganzen Formalität an sich
trägt, ihrem Principe nach nicht weniger, als ihre Stammmutter
selbst Flexionssprache ist. Das Gleiche findet sich im Gebrauche
des Verbum. Wie mangelhaft seine Formen seyn mögen, so ist
seine synthetisch setzende Kraft dennoch dieselbe, da die Sprache
seine Scheidung vom Nomen einmal unauslöschbar in ihrem Ge-
präge trägt. Auch das in unzähligen Fällen, wo es die Mutter-
sprache nicht selbstständig ausdrückt, gebrauchte Pronomen ent-
spricht dem Gefühl nach dem wahren Begriff dieses Redetheils.
Wenn es in Sprachen, denen die Bezeichnung der Personen am
Verbum fehlt, sich als Sachbegriff vor das Verbum stellt, so ist
es in den Lateinischen Töchtersprachen seinem Begriffe nach
wirklich die nur abgelöste, anders gestellte Person. Denn die
Unzertrennlichkeit des Verbum und der Person liegt von der
Stammmutter her fest in der Sprache und beurkundet sich sogar
in der Tochter durch einzelne übrig gebliebene Endlaute. Ueber-
haupt kommt in dieser, wie in allen Flexionssprachen, die stell-
vertretende Function des Pronomen mehr an das Licht, und da
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 24^^
diese zur reinen Auffassung des Relativpronomen führt, so wird
die Sprache auch dadurch in den richtigen Gebrauch dieses letz-
teren eingeführt. Ueberall kehrt daher dieselbe Erscheinung zurück.
Die zertrümmerte Form ist in ganz verschiedner Weise wieder
aufgebaut, aber ihr Geist schwebt noch über der neuen Bildung
und beweist die schwer zerstörbare Dauer des Lebensprincips acht
grammatisch gebildeter Sprachstämme.
Bei aller Gleichförmigkeit der Behandlung des umgebildeten
Stoffes, welche die Lateinischen Töchtersprachen im Ganzen bei-
behalten, liegt doch einer jeden einzelnen ein besondres Princip
in der individuellen Auffassung zum Grunde. Die unzähligen
Einzelnheiten, welche der Gebrauch der Sprache nothwendig
macht, müssen, wie ich im Vorigen wiederholt angedeutet habe,
wo und wie immer gesprochen werden soll, in eine Einheit ver-
knüpft werden und diese kann, da die Sprache ihre Wurzeln in
alle Fibern des menschlichen Geistes einsenkt, nur eine individuelle
seyn. Dadurch allein, dass ein verändertes Einheitsprincip, eine
neue Auffassung von dem Geiste eines Volkes vorgenommen wird,
tritt eben eine neue Sprache in die Wirklichkeit, und wo eine
Nation auf ihre Sprache mächtig einwirkende Umwälzungen er-
fährt, muss sie die veränderten oder neuen Elemente durch neue
Formung zusammenfassen. Wir haben oben von dem Momente
im Leben der Nationen geredet, in welchem ihnen die Möglich-
keit klar wird, die Sprache, unabhängig von äusserem Gebrauche,
zum Aufbau eines Ganzen der Gedanken und der Gefühle hin-
zuwenden. Wenn auch das Entstehen einer Literatur, das wir
hier in seinem eigentlichen Wesen und vom Standpunkte seiner
letzten Vollendung aus bezeichnet haben, in der That nur all-
mählich und aus dunkel empfundenem Triebe hervorgeht, so ist
doch der Beginn immer ein eigenthümlicher Schwung, ein von
innen heraus entstehender Drang eines Zusammenwirkens der
Form der Sprache und der individuellen des Geistes, aus welchem
die ächte und reine Natur beider zurückstrahlt und der keinen
andren Zweck, als eben dies Zurückstrahlen hat. Die Entwick-
lungsart dieses Dranges wird die Ideenbahn, welche die Nation
bis zum Verfall ihrer Sprache durchläuft. Es ist dies gleichsam
eine zweite, höhere Verknüpfung der Sprache zur Einheit, und
wie diese sich zur Bildung der äusseren, technischen Form ver-
hält, ist oben bei Gelegenheit des Charakters der Sprachen näher
erörtert worden.
2Aß !• Über die Verschiedenheit des menscblichea Sprachbaues
Bei dem Uebergange der Römischen Sprache in die neueren,
aus ihr entstandenen ist diese zwiefache Behandlung der Sprache
sehr deutlich zu unterscheiden. Zwei der letzteren, die Rhäto-
und Dako-Ro manische, sind der wissenschaftlichen nicht theilhaft
geworden, ohne dass sich sagen lässt, dass ihre technische Form
hinter den übrigen zurückstände. Vielmehr hat gerade die Dako-
Romanische am meisten Flexionen der Muttersprache beibehalten
und nähert sich ausserdem in der Behandlung derselben der Ita-
lienischen. Der Fehler lag also hier nur an äusseren Umständen,
am Mangel von Ereignissen und Lagen, welche den Schwung ver-
anlassten, die Sprache zu höheren Zwecken zu gebrauchen.
Dasselbe war, wenn wir zu einem Falle ähnlicher Art über-
gehen, unstreitig die Ursach, dass sich aus dem Verfall des Griechi-
schen nicht eine durch neue Eigenthümlichkeit hervorstechende
Sprache erzeugte. Denn sonst ist die Bildung des Neugriechischen
in Vielem der der Romanischen Sprachen sehr ähnlich. Da diese
Umbildungen grossentheils im natürlichen Laufe der Sprache
liegen und beide Muttersprachen den gleichen grammatischen
Charakter an sich tragen, so ist diese Aehnlichkeit leicht erklärbar,
macht aber die Verschiedenheit im letzten Erfolge noch auf-
fallender, Griechenland, als Provinz eines sinkenden, oft Ver-
heerungen durch fremde Völkerzüge ausgesetzten Reiches, konnte
nicht die blühend sich emporschwingende Kraft gewinnen, welche
im Abendlande die Frische und Regsamkeit neu sich bildender
innerer und äusserer Verhältnisse erzeugte. Mit den neuen gesell-
schaftlichen Einrichtungen, dem gänzlichen Aufhören des Zu-
sammenhanges mit einem in sich zerfallenen Staatskörper und
verstärkt durch die Hinzukunft kräftiger und muthvoller Völker-
stämme, mussten die abendländischen Nationen in allen Thätig-
keiten des Geistes und des Charakters neue Bahnen betreten. Die
sich hieraus hervorbildende neue Gestaltung führte zugleich eine
Verbindung religiösen, kriegerischen und dichterischen Sinnes mit
sich, welche auf die Sprache den glücklichsten und entschiedensten
Einfluss ausübte. Es blühte diesen Nationen eine neue poetisch
schöpferische Jugend auf und ihr Zustand hierin wurde gewisser-
massen dem ähnlich, der sonst durch das Dunkel der Vorzeit von
uns getrennt ist.
So gewiss man aber auch diesem äusseren historischen Um-
schwünge das Aufblühen der neueren abendländischen Sprachen
und Literaturen zu einer Eigenthümlichkeit, in der sie mit der
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 047
Stammmutter zu wetteifern vermögen, zuschreiben muss, so wirl^te
doch, wie es mir scheint, ganz wesentlich noch eine andere, schon
weiter oben (S. 243.) im Vorbeigehn berührte Ursach mit, deren
Erwägung, da sie besonders die Sprache angeht, ganz eigentUch
in die Reihe dieser Betrachtungen gehört. Die Umänderung,
welche die Römische Sprache erlitt, war ohne allen Vergleich
tiefer eingreifend, gewaltiger und plötzlicher, als die, welche die
Griechische erfuhr. Sie glich einer wahren Zertrümmerung, da
die des Griechischen sich mehr in den Schranken bloss einzelner
Verstümmelungen und Formenauflösungen erhielt. Alan erkennt
an diesem Beispiele eine, auch durch andere in der Sprach-
geschichte bestätigte, doppelte Möglichkeit des Ueberganges einer
formenreichen Sprache in eine formlosere. In der einen zerfällt
der kunstvolle Bau und w^rd, nur weniger vollkommen, wieder-
geschaffen. In der anderen werden der sinkenden Sprache nur
einzelne, wieder vernarbende Wunden geschlagen; es entsteht
keine reine neue Schöpfung, die veraltete Sprache dauert, nur in
beklagenswerther Entstellung, fort. Da das Griechische Kaiser-
thum seiner Hinfälligkeit und Schwäche ungeachtet noch lange
bestand, so dauerte auch die alte Sprache länger fort und stand,
wie ein Schatz, aus dem sich immer schöpfen, ein Kanon, auf
den sich immer zurückkommen liess, noch lange da. Nichts be-
weist so überzeugend den Unterschied zwischen der Neugriechi-
schen und den Romanischen Sprachen in diesem Punkte, als der
Umstand, dass der Weg, auf welchem man die erstere in der
neuesten Zeit zu heben und zu läutern versucht hat, immer der
der möglichsten Annäherung an das Altgriechische gewesen ist.
Selbst einem Spanier oder Italiener konnte der Gedanke einer
solchen Möglichkeit nicht beikommen. Die Romanischen Nationen
sahen sich wirklich auf neue Bahnen hingeschleudert und das
Gefühl des unabweisHchen Bedürfnisses beseelte sie mit dem
Muthe, sie zu ebnen und in den ihrem individuellen Geiste an-
gemessenen Richtungen zum Ziele zu führen, da eine Rückkehr
unmöglich war. \"on einer andren Seite aus betrachtet, befindet
sich aber gerade durch diese Verschiedenheit die Neugriechische
Sprache in einer günstigeren Lage. Es besteht ein mächtiger
Unterschied zwischen den Sprachen, welche, wie verwandt auf-
keimende desselben Stammes, auf dem Wege innerer Entwicklung
aus einander fortspriessen, und zwischen solchen, die sich auf dem
Verfall und den Trümmern andrer, also durch die Einwirkung
2aR I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
äusserer Umstände erheben. . In den ersteren, durch gewaltsame
Revolutionen und bedeutende Mischungen mit fremden un-
getrübten lässt sich mehr oder weniger von jedem Ausdrucl^e,
Wort oder Form aus in eine unabsehbare Tiefe zurückgehen.
Denn sie bewahren grösstentheils die Gründe derselben in sich
und nur sie können sich rühmen, sich selbst zu genügen und
innerhalb ihrer Gränzen nachzuweisende Consequenz zu besitzen.
In dieser Lage befinden sich Töchtersprachen in dem Sinne, wie
es die Romanischen sind, offenbar nicht. Sie ruhen gänzlich auf
der einen Seite auf einer nicht mehr lebenden, auf der andren
auf fremden Sprachen. Alle Ausdrücke führen daher, wie man
ihrem Ursprünge nachgeht, meistentheils durch eine ganz kurze
Reihe vermittelnder Gestaltungen auf ein fremdes, dem Volke
unbekanntes Gebiet. Selbst in 'dem, wenig oder gar nicht mit
fremden Elementen vermischten grammatischen Theil lässt sich
die Consequenz der Bildung, auch insofern sie wirklich vorhanden
ist, immer nur mit Bezugnahme auf die fremde Muttersprache
darthun. Das tiefere Verständniss dieser Sprachen, ja selbst der
Eindruck, welchen in jeder Sprache der innere harmonische Zu-
sammenhang aller Elemente bewirkt, ist daher durch sie selbst
immer nur zur Hälfte möglich und bedarf zu seiner Vervoll-
ständigung eines, dem Volke, das sie spricht, unzugänglichen Stoffes.
In beiden Gattungen von Sprachen kann man genöthigt werden,
auf die frühere zurückzugehen. Man fühlt aber in der Art, wie
dies geschieht, den Unterschied genau, wenn man vergleicht, wie
die UnzulängHchkeit der eigenen Erklärung im Römischen auf
Sanskritischen Grund und Boden und im Französischen auf
Römischen führt. Offenbar mischt sich der Umgestaltung in dem
letzteren Falle mehr durch äussere Einwirkung entstandene Will-
kühr bei und selbst der natürliche, analogische Gang, der sich
allerdings auch hier wieder bildet, hängt an der Voraussetzung
jener äusseren Einwirkung. In dieser, hier von den Romanischen
Sprachen geschilderten Lage befindet sich nun das Neugriechische,
eben weil es nicht wirklich zu einer eigentlich neuen Sprache ge-
worden ist, gar nicht oder doch unendlich weniger. Von der
Mischung mit fremden Wörtern kann es sich im Verlaufe der
Zeit befreien, da dieselben mit gewiss wenig zahlreichen Aus-
nahmen nicht so tief, als in den Romanischen Sprachen, in sein
wahres Leben eingedrungen sind. Sein wirklicher Stamm aber,
das Altgriechische, kann auch dem Volke nicht als fremd er-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34. 2A.Q
scheinen. Wenn sich das \^olk auch nicht mehr in das Ganze
seines kunsn'ollen Baues hineinzudenken vermag, so muss es doch
die Elemente zum grössten Theil als auch seiner Sprache an-
gehörend erkennen.
In Absicht auf die Xatur der Sprache selbst ist der hier er-
wähnte Unterschied gewiss bemerkenswerth. Ob er auch auf den
Geist und den Charakter der Nation einen bedeutenden Einfluss
ausübt? kann eher zweifelhaft scheinen. Man kann mit Recht
dagegen einwenden, dass jede über den jedesmal gegenwärtigen
Zustand der Sprache hinausgehende Betrachtung dem Volke fremd
ist, dass daher die auf sich selbst ruhende Erklärbarkeit der rein
organisch in sich geschlossenen Sprachen für dasselbe unfruchtbar
bleibt und dass jede aus einer andren, auf welchem Wege es
immer sey, entstandene, aber schon Jahrhunderte hindurch fort-
gebildete Sprache eben dadurch eine vollkommen hinlängliche,
auf die Nation wirkende Consequenz gewinnt. Es lässt sich in
der That denken, dass es unter den früheren, uns als Mutter-
sprachen erscheinenden Sprachen auf ähnliche Art, als es die
Romanischen sind, entstandene geben könne, obgleich eine sorg-
fältige und genaue Zergliederung uns wohl bald ihre Unerklär-
barkeit aus ihrem eignen Gebiete verrathen dürfte. Uniäugbar
aber liegt in dem geheimen Dunkel der Seelenbildung und des
Forterbens geistiger Individualität ein unendlich mächtiger Zu-
sammenhang zwischen dem Tongewebe der Sprache und dem
Ganzen der Gedanken und Gefühle. Unmöglich kann es daher
gleichgültig seyn, ob in ununterbrochener Kette die Empfindung
und die Gesinnung sich an denselben Lauten hingeschlungen und
sie mit ihrem Gehalte und ihrer Wärme durchdrungen haben
oder ob diese auf sich selbst ruhende Reihe von Wirkungen und
Ursachen gewaltsame Störungen erfährt. Eine neue Consequenz
bildet sich auch hier allerdings und die Zeit hat in den Sprachen
mehr, als sonst im menschlichen Gemüthe eine Wunden heilende
Kraft. Man darf aber auch nicht vergessen, dass diese Consequenz
nur allmählich wieder entsteht und dass die, ehe sie zur Festigkeit
gelangt, lebenden Generationen auch schon, als Ursachen wirkend,
in die Reihe treten. Es erscheint daher durchaus nicht als
einflusslos auf die Tiefe der Geistigkeit, die Innigkeit der Em-
pfindung und die Kraft der Gesinnung, ob ein Volk eine ganz
auf sich selbst ruhende oder doch eine aus rein organischer Fort-
entwicklung hen^orgegangene Sprache redet oder nicht? Es sollte
2C,0 ^' Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
daher bei der Schilderung von Nationen, welche sich im letzteren
Falle befinden, nicht unerforscht bleiben, ob und inwiefern das
durch den Einfluss ihrer Sprache gleichsam gestörte Gleichgewicht
in ihnen auf andere Weise wiederhergestellt, ja ob und wie viel-
leicht aus der nicht abzuläugnenden Unvollkommenheit ein neuer
Vorzug gewonnen worden ist?
Rückblick auf den bisherigen Gang der Unter-
suchung.
35. Wir haben jetzt einen der Endpunkte erreicht, auf welche die
gegenwärtige Untersuchung zu führen bestimmt ist.
Die ganze hier von der Sprache gegebene Ansicht beruht, um
das bis hierher Erörterte, soweit es die Anknüpfung des Folgenden
erfordert, kurz ins Gedächtniss zurückzurufen, wesentlich darauf,
dass dieselbe zugleich die nothwendige Vollendung des Denkens
und die natürliche Entwicklung einer den Menschen als solchen
bezeichnenden Anlage ist. Diese Entwicklung ist aber nicht die
eines Instincts, der bloss physiologisch erklärt werden könnte.
Ohne ein Act des unmittelbaren Bewusstseyns, ja selbst der augen-
blicklichen Spontaneität und der Freiheit zu seyn, kann sie doch
nur einem mit Bewusstseyn und Freiheit begabten Wesen an-
gehören und geht in diesem aus der ihm selbst unergründlichen
Tiefe seiner Individualität und aus der Thätigkeit der in ihm
liegenden Kräfte hervor. Denn sie hängt durchaus von der
Energie und der Form ab, mit und in welcher der Mensch seiner
gesammten geistigen Individualität, ihm selbst unbewusst, den
treibenden Anstoss ertheilt.*) Durch diesen Zusammenhang mit
einer individuellen Wirklichkeit, so wie aus anderen, hinzukommen-
den Ursachen ist sie aber zugleich den, den Menschen in der
Welt umgebenden, sogar auf die Acte seiner Freiheit Einfluss
ausübenden Bedingungen unterworfen. In der Sprache nun, in-
sofern sie am Menschen wirklich erscheint, unterscheiden sich
zwei constitutive Principe: der innere Sprachsinn (unter welchem
ich nicht eine besondere Kraft, sondern das ganze geistige Ver-
mögen, bezogen auf die Bildung und den Gebrauch der Sprache,
also nur eine Richtung verstehe) und der Laut, insofern er von
der Beschaffenheit der Organe abhängt und auf schon LJeber-
*) S. oben S. 16. 17. 40. 42. 43.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 34- 35- 2:^1
kommenem beruht. Der innere Sprachsinn ist das die Sprache
von innen heraus beherrschende, überall den leitenden Impuls
gebende Princip. Der Laut würde an und für sich der passiven,
Form empfangenden Materie gleichen; allein vermöge der Durch-
dringung durch den Sprachsinn in articulirten umgewandelt
und dadurch 'in untrennbarer Einheit und immer gegenseitiger
Wechselwirkung zugleich eine intellectuelle und sinnliche Kraft
in sich fassend, wird er zu dem in beständig symbolisirender
Thätigkeit wahrhaft und scheinbar sogar selbstständig schaffen-
den Princip in der Sprache. Wie es überhaupt ein Gesetz der
Existenz des Menschen in der Welt ist, dass er nichts aus sich
hinauszusetzen vermag, das nicht augenblicklich zu einer auf ihn
zurückwirkenden und sein ferneres Schaifen bedingenden Masse
wird, so verändert auch der Laut wiederum die Ansicht und das
Verfahren des inneren Sprachsinnes. Jedes fernere Schaffen be-
wahrt also nicht die einfache Richtung der ursprünglichen Kraft,
sondern nimmt eine, aus dieser und der durch das früher Ge-
schaffene gegebenen zusammengesetzte an. Da die Naturanlage
zur Sprache eine allgemeine des Menschen ist und Alle den
Schlüssel zum Verständniss aller Sprachen in sich tragen müssen,
so folgt von selbst, dass die Form aller Sprachen sich im Wesent-
lichen gleich sevn und immer den allgemeinen Zweck erreichen
muss. Die Verschiedenheit kann nur in den Mitteln und nur
innerhalb der Gränzen liegen, welche die Erreichung des Zweckes
verstattet. Sie ist aber mannigfaltig in den Sprachen vorhanden
und nicht allein in den blossen Lauten, so dass dieselben Dinge
nur anders bezeichnet würden, sondern auch in dem Gebrauche,
welchen der Sprachsinn in Absicht der Form der Sprache von
den Lauten macht, ja in seiner eignen Ansicht dieser Form.
Durch ihn allein sollte zwar, so weit die Sprachen bloss formal
sind, nur Gleichförmigkeit in ihnen entstehen können. Denn er
muss in allen den richtigen und gesetzmässigen Bau verlangen,
der nur Einer und ebenderselbe seyn kann. In der Wirklichkeit
aber verhält es sich anders, theils wegen der Rückwirkung des
Lautes, theils wegen der Individualität des inneren Sinnes in der
Erscheinung-^ Es kommt nemlich auf die Energie der Kraft an.
V Dieser Satz hieß ursprünglich : „Aus seiner Beziehung auf den Laut ent-
springt aber nothwendig Verschiedenheit, theils und vorzugsweise durch den Laut,
theils aber auch in der That durch den innren Sprachsinn selbst.'^
2r2 ^- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
mit welcher er auf den Laut einwirkt und denselben in allen,
auch den feinsten Schattirungen zum lebendigen Ausdruck des
Gedanken macht. Diese Energie kann aber nicht überall gleich
seyn, nicht überall gleiche Intensität, Lebendigkeit und Gesetz-
mässigkeit offenbaren. Sie wird auch nicht immer durch gleiches
Hinneigen zur symbolischen Behandlung des Gedanken und durch
gleiches ästhetisches Gefallen an Lautreich thum und Einklang
unterstützt.^) Dennoch bleibt das Streben des inneren Sprach-
sinns immer auf Gleichheit in den Sprachen gerichtet und auch
abbeugende Formen sucht seine Herrschaft auf irgend eine Weise
zur richtigen Bahn zurückzuleiten. Dagegen ist der Laut wahr-
haft das die Verschiedenheit vermehrende Princip. Denn er hängt
von der Beschaffenheit der Organe ab, welche hauptsächlich das
Alphabet bildet, das, wie eine gehörig angestellte Zergliederung
beweist, die Grundlage jeder Sprache ist. Gerade der articulirte
hat ferner seine, ihm eigenthümlichen, theils auf Leichtigkeit,
theils auf Wohlklang der Aussprache gegründeten Gesetze und
Gewohnheiten, die zwar auch wieder Gleichförmigkeit mit sich
führen, allein in der besonderen Anwendung nothwendig Ver-
schiedenheiten bilden. Er muss sich endlich, da wir es nirgends
mit einer isolirt, rein von neuem anfangenden Sprache zu thun
haben, immer an Vorhergegangenes oder Fremdes anschliessen.
In diesem allem zusammengenommen liegen die Gründe der noth-
wendigen Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues. Die
Sprachen können nicht den nemlichen an sich tragen, weil die
Nationen, die sie reden, verschieden sind und eine durch ver-
schiedene Lagen bedingte Existenz haben.
In der Betrachtung der Sprache an sich muss sich eine Form
offenbaren, die unter allen denkbaren am meisten mit den Zwecken
der Sprache übereinstimmt, und man muss die Vorzüge und
Mängel der vorhandenen nach dem Grade beurtheilen können, in
welchem sie sich dieser einen Form nähern. Diesen Weg ver-
V Diese beiden Sätze hießen ursprünglich: „Diese Energie kann aber nicht
überall gleich seyn. Sie hängt auch wieder auf eine zwiefache Weise von der
geistigen Individualität der Sprechenden ab. Einmal von ihrer Stärke, Lebendig-
keit und Gesetzmässigkeit als Sprachsinn selbst, der nichts andres als das ganze
auf die Sprache bezogene geistige Vermögen ist, dann aber von den sich näher
auf die Sprache beziehenden Beschaffenheiten durch das Hinneigen zur sym-
bolischen Behandlung des Gedanken in dem Worte und durch das aesthetische
Gefallen an Lautreichthum und Einklang."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 35. 2^^
folgend, haben wir gefunden, dass diese Form nothwendig die-
jenige ist, welche dem allgemeinen Gange des menschlichen Geistes
am meisten zusagt, sein Wachsthum durch die am meisten ge-
regelte Thätigkeit befördert und das verhältnissmässige Zusammen-
stimmen aller seiner Richtungen nicht bloss erleichtert, sondern
durch zurückwirkenden Reiz lebendiger hervorruft. Die geistige
Thätigkeit hat aber nicht bloss den Zweck ihrer inneren Erhöhung.
Sie wird auf der Verfolgung dieser Bahn auch nothwendig zu
dem äusseren hingetrieben, ein wissenschaftliches Gebäude der
Weltauffassung aufzuführen und von diesem Standpunkte aus
wieder schaffend zu wirken. Auch dies haben wir in Betrachtung
gezogen und es hat sich unverkennbar gezeigt, dass diese Er-
weiterung des menschlichen Gesichtskreises am besten oder viel-
mehr allein an dem Leitfaden der vollkommensten Sprachform
gedeiht. Wir sind daher in diese genauer eingegangen und ich
habe versucht, die Beschaffenheit dieser Form in den Punkten
nachzuweisen, in welchen das Verfahren der Sprache sich zur
unmittelbaren Erreichung ihrer letzten Zwecke zusammenschliesst.
Die Frage, wie die Sprache es macht, um den Gedanken im ein-
fachen Satze und in der, viele Sätze in sich verflechtenden Periode
darzustellen, schien hier die einfachste Lösung der Aufgabe ihrer
Würdigung zugleich nach ihren inneren und äusseren Zwecken
hin darzubieten. Von diesem \^erfahren Hess sich aber zugleich
auf die nothwendige Beschaffenheit der einzelnen Elemente zurück-
gehn. Dass ein vorhandener Sprachstamm oder auch nur eine
einzelne Sprache eines solchen durchaus und in allen Punkten
mit der vollkommenen Sprachform übereinstimme, lässt sich nicht
erwarten und findet sich wenigstens nicht in dem Kreise unserer
Erfahrung. Die Sanskritischen Sprachen aber nähern sich dieser
Form am meisten und sind zugleich die, an welchen sich die
geistige Bildung des Menschengeschlechts in der längsten Reihe
der Fortschritte am glücklichsten entwickelt hat. Wir können
sie mithin als einen festen Vergleichungspunkt für alle übrigen
betrachten.
Von der rein gesetzmässigen Form abweichende
Sprachen.
Diese letzteren lassen sich nicht gleich einfach darstellen. Da
sie nach denselben Endpunkten, als die rein gesetzmässigen hin-
21.A. !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Streben, dies Ziel aber nicht in gleichem Grade oder nicht auf
richtigem Wege erreichen, so kann in ihrem Baue keine so klar
hervorleuchtende Consequenz herrschen. Wir haben oben zur
Erreichung der Satzbildung ausser der, aller grammatischen
Formen entrathenden Chinesischen Sprache drei mögliche Formen
der Sprachen aufgestellt, die flectirende, agglutinirende und die
einverleibende. Alle Sprachen tragen eine oder mehrere dieser
Formen in sich und es kommt zur Beurtheilung ihrer relativen
Vorzüge darauf an, wie sie jene abstracten Formen in ihre con-
crete aufgenommen haben oder vielmehr welches das Princip
dieser Annahme oder Mischung ist? Diese Unterscheidung der
abstracten möglichen Sprachformen von den concreten wirklich
vorhandenen wird, wie ich mir schmeichle, schon dazu beitragen,
den befremdenden Eindruck des Heraushebens einiger Sprachen,
als der allein berechtigten, welches die andren ebendadurch zu
unvollkommneren stempelt, zu vermindern. Denn dass unter den
abstracten die flectirende die allein richtige genannt werden kann,
dürfte nicht leicht bestritten werden. Das hierdurch über die
andren gefällte Urtheil trifft aber nicht in gleichem Masse auch
die concreten vorhandenen Sprachen, in welchen nicht ausschliess-
lich Eine jener Formen herrschend, dagegen immer ein sichtbares
Streben nach der richtigen lebendig ist. Dennoch bedarf dieser
Punkt noch einer genaueren rechtfertigenden Erörterung.
Wohl sehr allgemein dürfte bei denen, die sich im Besitz der
Kenntniss mehrerer Sprachen befinden, die Empfindung die seyn,
dass, insofern diese letzteren auf gleichem Grade der Cultur
stehen, jeder ihr eigenthümliche Vorzüge gebühi:en, ohne dass
einer der entschiedene Vorzug über die andren eingeräumt werden
könne. Hiermit nun steht die in den gegenwärtigen Betrachtungen
aufgestellte Ansicht in directem Gegensatze ; sie dürfte aber Vielen
um so zurückstossender erscheinen, als das Bemühen eben dieser
Betrachtungen vorzugsweise dahin geht, den engen und un-
trennbaren Zusammenhang zwischen den Sprachen und dem
geistigen Vermögen der Nationen zu beweisen. Dasselbe zurück-
weisende Urtheil über die Sprachen scheint daher auch die Völker
zu treffen. Hier bedarf es jedoch einer genaueren Unterscheidung.
Wir haben im Vorigen schon bemerkt, dass die Vorzüge der
Sprachen zwar allgemein von der Energie der geistigen Thätigkeit
abhängen, indess doch noch ganz besonders von der eigenthüm-
lichen Hinneigung dieser zur Ausbildung des Gedanken durch
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Mensciiengeschlechts. 35. 2C,C,
den Laut. Eine unvollkommnere Sprache beweist daher zunächst
nur den geringeren auf sie gerichteten Trieb der Nation, ohne
darum über andere intellectuelle Vorzüge derselben zu entscheiden.
Ueberall sind wir zuerst rein von dem Baue der Sprachen aus-
gegangen und zur Bildung eines Urtheils über ihn auch nur bei
ihm selbst stehen geblieben. Dass nun dieser Bau dem Grade
nach vorzüglicher in der einen, als in der andren sey, im Sanskrit
mehr, als im Chinesischen, im Griechischen mehr, als im Arabischen,
dürfte von unparteiischen Forschern schwerlich geläugnet werden.
Wie man es auch versuchen möchte, Vorzüge gegen Vorzüge ab-
zuwägen, so würde man doch immer gestehen müssen, dass ein
fruchtbareres Princip der Geistesentwicklung die einen, als die
anderen dieser Sprachen beseelt. Nun aber müsste man alle Be-
ziehungen des Geistes und der Sprache zu einander verkennen,
wenn man nicht die verschiedenartigen Folgerungen hieraus auf
die Rückwirkung dieser Sprachen und auf die Intellectualität der
Völker ausdehnen wollte, welche sie (so viel dies überhaupt inner-
halb des menschlichen Vermögens liegt) gebildet haben. Von
dieser Seite rechtfertigt sich daher die aufgestellte Ansicht voll-
kommen. Es lässt sich jedoch hiergegen noch der Einwand er-
heben, dass einzelne Vorzüge der Sprache auch einzelne in-
tellectuelle Seiten vorzugsweise auszubilden im Stande sind und
dass die geistigen Anlagen der Nationen selbst weit mehr nach
ihrer Mischung und Beschaffenheit verschieden sind, als sie nach
Graden abgemessen werden können. Beides ist unläugbar richtig.
Allein der wahre Vorzug der Sprachen muss doch in ihrer all-
seitig und harmonisch einwirkenden Kraft gesucht werden. Sie
sind Werkzeuge, deren die geistige Thätigkeit bedarf, Bahnen, in
welchen sie fortrollt. Sie sind daher nur dann wahrhaft wohl-
thätig, wenn sie dieselbe nach jeder Richtung hin erleichternd
und begeisternd begleiten, sie in den Mittelpunkt versetzen, aus
welchem sich jede ihrer einzelnen Gattungen harmonisch entfaltet.
Wenn man daher auch gern zugesteht, dass die Form der
Chinesischen Sprache mehr, als vielleicht irgend eine andere die
Kraft des reinen Gedanken herausstellt und die Seele, gerade
weil sie alle kleinen, störenden Verbindungslaute abschneidet, aus-
schliesslicher und gespannter auf denselben hinrichtet, wenn die
Lesung auch nur weniger Chinesischer Texte diese Ueberzeugung
bis zur Bewunderung steigert, so dürften doch auch die ent-
schiedensten Vertheidiger dieser Sprache schwerlich behaupten,
2 £,6 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dass sie die geistige Thätigkeit zu dem wahren Mittelpunivt hin-
lenkt, aus dem Dichtung und Philosophie, wissenschaftliche
Forschung und beredter Vortrag gleich willig emporblühen.
Von welcher Seite der Betrachtung ich daher ausgehen mag,
kann ich immer nicht umhin, den entschiedenen Gegensatz
zwischen den Sprachen rein gesetzmässiger und einer von jener
reinen Gesetzmässigkeit abweichenden Form deutlich und un-
verholen aufzustellen. Meiner innigsten Ueberzeugung nach wird
dadurch bloss eine unabläugbare Thatsache ausgedrückt. Die,
einzelne Vortheile gewährende Trefflichkeit auch jener abweichenden
Sprachen, die Künstlichkeit ihres technischen Baues wird nicht
verkannt noch geringgeschätzt, man spricht ihnen nur die Fähig-
keit ab, gleich geordnet, gleich allseitig und harmonisch durch
sich selbst auf den Geist einzuwirken. Ein Verdammungsurtheil
über irgend eine Sprache, auch der rohesten Wilden, zu fällen,
kann niemand entfernter se3^n, als ich. Ich würde ein solches
nicht bloss als die Menschheit in ihren eigenthümlichsten Anlagen
entwürdigend ansehen, sondern auch als unverträglich mit jeder,
durch Nachdenken und Erfahrung von der Sprache gegebenen
richtigen Ansicht. Denn jede Sprache bleibt immer ein Abbild
jener ursprünglichen Anlage zur Sprache überhaupt, und um zur
Erreichung der einfachsten Zwecke, zu welchen jede Sprache noth-
wendig gelangen muss, fähig zu seyn, wird immer ein so künst-
licher Bau erfordert, dass sein Studium nothwendig die Forschung
an sich zieht, ohne noch zu gedenken, dass jede Sprache ausser
ihrem schon entwickelten Theil eine unbestimmbare Fähigkeit
sowohl der eignen Biegsamkeit, als der Hineinbildung immer
reicherer und höherer Ideen besitzt. Bei allem hier Gesagten
habe ich die Nationen nur auf sich selbst beschränkt vorausgesetzt.
Sie ziehen aber auch fremde Bildung an sich und ihre geistige
Thätigkeit erhält dadurch einen Zuwachs, den sie nicht ihrer
Sprache verdanken, der dagegen dieser zu einer Erweiterung ihres
eigenthümlichen Umfanges dient. Denn jede Sprache besitzt die
Geschmeidigkeit, Alles in sich aufnehmen und Allem wieder Aus-
druck aus sich verleihen zu können. Sie kann dem Menschen
niemals und unter keiner Bedingung zur absoluten Schranke
werden. Der Unterschied ist nur, ob der Ausgangspunkt der
Krafterhöhung und Ideenerweiterung in ihr selbst liegt oder ihr
fremd ist, mit anderen Worten, ob sie dazu begeistert oder sich
nur gleichsam passiv und mitwirkend hingiebt?
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 35. 36. 21^7'
Wenn nun ein solcher Unterschied zwischen den Sprachen-
vorhanden ist, so fragt es sich, an welchen Zeichen er sich er-
kennen lässt? und es kann einseitig und der Fülle des Begriffs
unangemessen erscheinen, dass ich ihn gerade in der grammatischen
Methode der Satzbildung aufgesucht habe. Es ist darum keines-
weges meine Absicht gewesen, ihn darauf zu beschränken, da er
gewiss gleich lebendig in jedem Elemente und in jeder Fügung
enthalten ist. Ich bin aber vorsätzlich auf dasjenige zurück-
gegangen, was gleichsam die Grundvesten der Sprache ausmacht
und gleich von ganz entschiedener Wirkung auf die Entfaltung
der Begriffe ist. Ihre logische Anordnung, ihr klares Auseinander-
treten, die bestimmte Dariegung ihrer Verhältnisse zu einander
macht die unentbehrliche Grundlage aller, auch der höchsten
Aeusserungen der geistigen Thätigkeit aus, hängt aber, wie jedem
einleuchten muss, wesentlich von jenen verschiedenen Sprach-
methoden ab. Mit der richtigen geht auch das richtige Denken
leicht und natürlich von statten, bei den andren findet es
Schwierigkeiten zu überwinden oder erfreut sich wenigstens nicht
einer gleichen Hülfe der Sprache. Dieselbe Geistesstimmung, aus
welcher jene drei verschiedenen Verfahrungsarten entspringen, er-
streckt sich auch von selbst über die Formung aller übrigen
Sprachelemente und wird nur an der Satzbildung vorzugsweise
erkannt. Zugleich endlich eigneten sich gerade diese Eigen-
thümlichkeiten besonders, factisch an dem Sprachbau dargelegt zu
werden, ein Umstand, der bei einer Untersuchung vornehmlich
wichtig ist, die ganz eigentlich darauf hinausgeht, an dem That-
sächlichen, historisch Erkennbaren in den Sprachen die Form
aufzufinden, welche sie dem Geiste ertheilen oder in der sie sich
ihm innerlich darstellen.
Beschaffenheit und Ursprung des weniger voll-
kommenen Sprachbaues.
Die von der, durch die rein gesetzmässige Nothwendigkeit 36.
vorgezeichneten Bahn abweichenden Wege können von unendlicher
Mannigfaltigkeit seyn. Die in diesem Gebiete befangenen Sprachen
lassen sich daher nicht aus Principien erschöpfen und classificiren ;
man kann sie höchstens nach Aehnlichkeiten in den hauptsäch-
lichsten Theilen ihres Baues zusammenstellen. Wenn es aber
W. V. Humboldt, Werke. VII. 17
2£:S I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
richtig ist, dass der naturgemässe Bau auf der einen Seite von
fester Worteinheit, auf der andren von gehöriger Trennung der
den Satz bildenden Glieder abhängt, so müssen alle Sprachen, von
denen wir hier reden, entweder die Worteinheit oder die Freiheit
der Gedankenverbindung schmälern oder endlich diese beiden
Nachtheile in sich vereinigen. Hierin wird sich immer bei der
Vergleichung auch der verschiedenartigsten ein allgemeiner Mass-
stab ihres Verhältnisses zur Geistesentwicklung finden lassen. Mit
eigenthümlichen Schwierigkeiten verbunden ist die Aufsuchung
der Gründe solcher Abweichungen von der naturgemässen Bahn.
Dieser lässt sich auf dem Wege der Begriffe nachgehen, die Ab-
irrung aber beruht auf Individualitäten, die bei dem Dunkel, in
welches sich die frühere Geschichte jeder Sprache zurückzieht,,
nur vermuthet und erahndet werden können. Wo der unvoll-
kommene Organismus bloss darin liegt, dass der innere Sprach-
sinn sich nicht überall in dem Laute hat sinnlichen Ausdruck ver-
schaffen können und daher die Formen bildende Kraft dieses
letzteren vor Erreichung vollendeter Formalität ermattet ist, tritt
allerdings diese Schwierigkeit weniger ein, da der Grund der Un-
vollkommenheit alsdann in dieser Schwäche selbst liegt. Allein
auch solche Fälle stellen sich selten so einfach dar und es giebt
andere und gerade die merkwürdigsten, welche sich durchaus
nicht bloss auf diese Weise erklären lassen. Dennoch muss man
die Untersuchung unermüdlich bis zu diesem Punkte verfolgen,.
wenn man es nicht aufgeben will, den Sprachbau in seinen ersten
Gründen, gleichsam da, wo er in den Organen und dem Geiste
Wurzel schlägt, zu enthüllen. Es würde unmöglich seyn, in diese
Materie hier irgend erschöpfend einzugehen. Ich begnüge mich
daher, nur einige Augenblicke bei zwei Beispielen stehen zu bleiben,
und wähle zu dem ersten derselben die Semitischen Sprachen, vor-
züglich aber wieder unter diesen die Hebräische.
Dieser Sprachstamm gehört zwar offenbar zu den flectir^nden,
ja es ist schon oben bemerkt worden, dass die eigentlichste Flexion,,
im Gegensatz bedeutsamer Anfügung, gerade in ihm wahrhaft ein-
heimisch ist. Die Hebräische und Arabische Sprache beurkunden
auch die innere TreffUchkeit ihres Baues, die erstere durch Werke
des höchsten dichterischen Schwunges, die letztere noch durch eine
reiche, vielumfassende wissenschaftliche Literatur neben der poeti-
schen. Auch an sich, bloss technisch betrachtet, steht der Orga-
nismus dieser Sprachen an Strenge der Consequenz, kunstvoller
und ihren Einfiufl auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 2C,ü
Einfachheit und sinnreicher Anpassung des Lautes an den Ge-
danken nicht nur keinem andren nach, sondern übertrifft viel-
leicht hierin alle. Dennoch tragen diese Sprachen zwei Eigen-
thümlichkeiten an sich, welche nicht in den natürlichen Forde-
rungen, ja man kann mit Sicherheit hinzusetzen, kaum den Zu-
lassungen der Sprache überhaupt liegen. Sie verlangen nemlich,
wenigstens in ihrer jetzigen Gestaltung, durchaus drei Consonanten
in jedem Wortstamm und Consonant und Vocal enthalten nicht
zusammen die Bedeutung der Wörter, sondern Bedeutung und
Beziehung sind ausschliesslich, jene den Consonanten, diese den
Vocalen zugetheilt. Aus der ersteren dieser Eigenthümlichkeiten
entsteht ein Zwang für die Wonform, welchem man billig die
Freiheit andrer Sprachen, namentlich des Sanskritischen Stammes
vorzieht. Auch bei der zweiten jener Eigenthümlichkeiten finden
sich Nachtheile gegen die Flexion durch Anfügung gehörig unter-
geordneter Laute. Man muss also doch meiner Ueberzeugung
nach von diesen Seiten aus die Semitischen Sprachen zu den, von
der angemessensten Bahn der Geistesentwicklung abweichenden
rechnen. Wenn man aber nun versucht, den Gründen dieser
Erscheinung und ihrem Zusammenhange mit den nationellen
Sprachanlagen nachzuspüren, so dürfte man schwerlich zu einem
vollkommen befriedigenden Resultate gelangen. Es erscheint gleich
zuerst zweifelhaft, welche von jenen beiden Eigenthümlichkeiten
man als den Bestimmungsgrund der andren ansehen soll? Offen-
bar stehen beide in dem innigsten Zusammenhange. Der bei drei
Consonanten mögliche Syl benumfang lud gleichsam dazu ein, die
mannigfaltigen Beziehungen der Wörter durch Vocalwechsel an-
zudeuten, und wenn man die Vocale ausschliesslich hierzu be-
stimmen wollte, so konnte man den nothwendigen Reichthum an
Bedeutungen nur durch mehrere Consonanten in demselben Worte
erreichen.^) Die hier geschilderte Wechselwirkung aber ist mehr
V Nach „erreichen" gestrichen: „Legt man aber eine solche Consonanten-
fiigiing zum Grunde, so ist man in Verlegenheit zu erklären, theils wie ein Volk
gerade auf diese Form gerieth, theils warum es die Vocale von der Bedeutsam-
keit der Wörter aussciüoss. Ein solches Verfahren steht im geraden Wider-
spruche mit dem Principe der Sparsamkeit der meisten andren Nationen, die
nicht bloss von einsilbigen Wurzeln ausgehen, sondern grossentheils auch in
diese nur einen Consonanten aufnehmen. Denn auch im Sanskrit bleibt es noch
zweifelhaß, ob die mit wahren, sich nicht bloss phonetisch mit dem vorhergehenden
Vocal verbindenden Consoyianten nicht vielleicht schon Zusätze abgekürzter Sylben
sind, welche die Wurzel schon selbst zum zusammengesetzten Worte machen. In
17*
2^0 I- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
geeignet, den inneren Zusammenhang der Sprache in ihrer heutigen
Formung zu erläutern, als zum Entstehungsgrunde eines solchen
Baues zu dienen. Die Andeutung der grammatischen Beziehungen
durch die blossen Vocale lässt sich nicht füglich als erster Be-
stimmungsgrund annehmen, da überall in den Sprachen natürlich
die Bedeutung vorausgeht und daher schon die Ausschliessung
der Vocale von derselben erklärt v^erden müsste. Die Vocale
müssen zwar in einer zwiefachen Beziehung betrachtet werden.
Sie dienen zunächst nur als Laut, ohne welchen der Consonant
nicht ausgesprochen werden könnte; dann aber nach der Ver-
schiedenheit des Lautes, den sie in der Vocalreihe annehmen. In
der ersten Beziehung giebt es nicht Vocale, sondern nur Einen,
als zunächst stehenden, allgemeinen Vocallaut oder, wenn man
will, eigentlich noch gar keinen wahren Vocal, sondern einen un-
klaren, noch im Einzelnen unentwickelten Schwa-Laut. Etwas
Aehnliches findet sich bei den Consonanten in ihrer Verbindung
mit Vocalen. Auch der Vocal bedarf, um hörbar zu werden, des
consonantischen Hauches, und insofern dieser nur die zu dieser
Bestimmung erforderliche Beschaffenheit an sich trägt, ist er von
den in der Consonantenreihe sich durch verschiednen Klang
gegenüberstehenden Tönen verschieden.*) Hieraus folgt schon
den Semitischeyi Sprachen ist aber auch ein Theil der aus drei Consonanten be-
stehenden Stämme aus solchen entsprungen, welche nur zwei enthalten, und die
Untersuchung hat wohl noch nicht ganz ausgemacht, wie weit sich diese Um-
bildung erstreckt. Bei Stämmen mit zwei Consonanten aber konnte die aus-
schliessliche Bestimmung der Vocale zum Beziehungsausdruck keinen hinreichenden
Erklärungsgrimd finden. Soll aber auf der andren Seite diese Bestimmimg die
Consonantenfügung bewirkt haben, so tritt wieder der doppelte Umstand in den
Weg, dass inan nicht absieht, wie ein solches Gesetz, da die Anfänge der Sprachen
wohl noch allen solchen Ausdrucks ermangeln, schon die Vocale von der materiellen
Bedeutsamkeit, welche natürlich das erste in allen Sprachen ist, auszuschliessen
vermochte oder wie, wenn der Vocal ursprünglich bedeutsam war, [er] diese
Eigenschaft wieder verlieren konnte. Es scheint daher, da sich beide Erscheinungen
nicht genügend aus einander erklären lassen, nothwendig, einen tiefer liegenden,
beiden gemeinsamen Grund aufzusuchen, der natürlich nur in den Organen oder
dem inneren Sprachsiyin liegen kann. Hier verdient es mm zuerst Aufmerksam-
keit, dass die Hebräische Schrift auch in ihrer ältesten Gestalt vor Bezeichnung
der Vocale Consonanten enthält .... dem Schwa bewähren, so scheint es sonder-
bar, diese aus dem geraden Gegentheil einer fast absoluten Vocalverdunkelung
abzuleiten, und ich bin daher weit entfernt, auf diese Erklärungsart Gewicht
zu legen."
*) Diese Sätze hat Lepsius in seiner Palaeographie auf das klarste und befriedigendste
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 26 1
von selbst, dass sich die Vocale in dem Ausdruck der Begriffe
nur den Consonanten beigesellen und, wie schon von den tiefsten
Sprachforschern *) anerkannt worden ist, hauptsächlich zur näheren
Bestimmung des durch die Consonanten gestalteten Wortes dienen.
Es liegt auch in der phonetischen Natur der Vocale, dass sie etwas
Feineres, mehr Eindringendes und Innerliches, als die Consonanten
andeuten und gleichsam körperlicher und seelenvoller sind. Da-
durch passen sie mehr zur grammatischen Andeutung, wozu die
Leichtigkeit ihres Schalles und ihre Fähigkeit, sich anzuschliessen,
hinzutritt. Indess ist von diesem allen doch ihr ausschliesslich
grammatischer Gebrauch in den Semitischen Sprachen noch sehr
verschieden, steht, wie ich glaube, als eine einzige Erscheinung
in der Sprachgeschichte da und erfordert daher einen eignen Er-
klärungsgrund. Will man, um diesen zu finden, auf der andren
Seite von dem zweisylbigen Wurzelbau ausgehen, so stellt sich
diesem Versuche der Umstand entgegen, dass dieser Wurzelbau,
wenn auch für den uns bekannten Zustand dieser Sprachen der
constitutive, dennoch wahrscheinlich nicht der wirklich ursprüng-
liche war. Vielmehr lag ihm, wie ich weiter unten näher aus-
führen werde, wahrscheinlich in grösserem Umfange, als man es
jetzt anzunehmen pflegt, ein einsylbiger zum Grunde. Vielleicht
aber lässt sich die Eigenthümlichkeit, von der w^ir hier reden,
dennoch gerade hieraus und aus dem Uebergange zu den zwei-
sylbigen Formen herleiten. Diese einsylbigen Formen, auf die
wir durch die Vergleichung der zweisylbigen unter einander ge-
führt werden, hatten zwei Consonanten, welche einen Vocal
zwischen sich einschlössen. Vielleicht verlor der so eingeschlossene
und vom Consonantenklange übertönte Vocal die Fähigkeit gehörig
selbstständiger Entwicklung und nahm deshalb keinen Theil an
dargestellt und den Unterschied zwischen dem Anfangs-<3 und dem h in der Sanskrit-
schrift gezeigt. Ich hatte im Bugis und in einigen andren, verwandten Alphabeten er-
kannt, dass das Zeichen, das von allen Bearbeitungen der Sprachen, welchen diese
Alphabete angehören, ein Anfangs-a genannt wird, eigentlich gar kein Vocal ist,
sondern einen schwachen, dem Spiritus lenis der Griechen ähnlichen, consonantischen
Hauch andeutet. Alle von mir dort (Nouv. Journ. Asiat. IX. 489 — 494.) ') nachgewiesene
Erscheinungen lassen sich aber durch das von Lepsius über denselben Punkt im Sanskrit-
Alphabet Entwickelte besser und richtiger erklären.
*) Grimm drückt dies in seiner glücklich sinnvollen Sprache folgendergestalt
aus: die Consonanz gestaltet, der Vocal bestimmt imd beleuchtet das Wort. (Deutsche
Gramm. II. S. i.)
V Vgl. Band 6, 563.
'202 '• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dem Ausdrucke der Bedeutung. Die sich später offenbarende
Nothwendigkeit grammatischer Bezeichnung rief erst vielleicht
jene Entwicklung hervor und bewirkte dann, um den gramma-
tischen Flexionen einen grösseren Spielraum zu geben, die Hinzu-
fügung einer zweiten Sylbe. Immer aber muss doch irgend noch
ein anderer Grund vorhanden gewesen seyn, die Vocale nicht frei
auslauten zu lassen, und dieser ist wohl eher in der Beschaffen-
heit der Organe und in der Eigenthümlichkeit der Aussprache,
als in der inneren Sprachansicht zu suchen.
Gewisser, als das bis hierher Besprochene, scheint es mir da-
gegen und wichtiger zur Bestimmung des Verhältnisses der Semi-
tischen Sprachen zur Geistesentwicklung ist es, dass es dem inneren
Sprachsinn dennoch bei diesen Völkern an der nothwendigen
Schärfe und Klarheit der Unterscheidung der materiellen Be-
deutung und der Beziehungen der Wöner theils zu den allge-
meinen Formen des Sprechens und Denkens, theils zur Satz-
bildung mangelte, so dass dadurch selbst die Reinheit der Unter-
scheidung der Consonanten- und Vocalbestimmung zu leiden Ge-
fahr läuft. Zuerst muss ich hier auf die besondere Natur der-
jenigen Laute aufmerksam machen, die man in den Semitischen
Sprachen Wurzeln nennt, die sich aber wesentlich von den Wurzel-
lauten anderer Sprachen unterscheiden. Da die Vocale von der
materiellen Bedeutsamkeit ausgeschlossen sind, so müssen die
drei Consonanten der Wurzel streng genommen vocallos, d. h.
bloss von dem zu ihrer Herausstossung erforderlichen Laute be
gleitet seyn. In diesem Zustande aber fehlt ihnen die zum Er-
scheinen in der Rede nothwendige Lautform, da "auch die Semi-
tischen Sprachen nicht mehrere, unmittelbar auf einander folgende,
mit blossem Schwa verbundene Consonanten dulden. Mit hinzu-
gefügten Vocalen drücken sie diese oder jene bestimmte Beziehung
aus und hören auf, beziehungslose Wurzeln zu seyn. Wo daher
die Wurzeln wirklich in der Sprache erscheinen, sind sie schon
wahre Wortformen; in ihrer eigentlichen Wurzelgestalt mangelt
ihnen noch ein wichtiger Theil zur Vollendung ihrer Lautform
in der Rede. Hierdurch erhält selbst die Flexion in den Semi-
tischen Sprachen einen andren Sinn, als welchen dieser Begriff
in den übrigen Sprachen hat, wo die Wurzel, frei von aller Be-
ziehung, wirklich dem Ohre vernehmbar, wenigstens als Theil
eines Wortes in der Rede erscheint. Flectirte Wörter enthalten
in den Semitischen Sprachen nicht Umbeugungen ursprünglicher
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 26^
Töne, sondern Vervollständigungen zur wahren Lautform. Da
nun der ursprüngliche Wurzellaut nicht neben dem flectirten
dem Ohre im Zusammenhange der Rede vernehmbar werden
kann, so leidet dadurch die lebendige Unterscheidung des Be-
deutungs- und Beziehungsausdrucks. Allerdings wird zwar da-
durch selbst die Verbindung beider noch inniger und die An-
wendung der Laute nach Ewald's geistvoller und richtiger Be-
merkung passender, als in irgend einer andren Sprache, da den
leicht beweglichen Vocalen das mehr Geistige, den Consonanten
das mehr Materielle zugetheilt ist. Aber das Gefühl der noth-
wendigen Einheit des, zugleich Bedeutung und Beziehung in sich
fassenden Worts ist grösser und energischer, wenn die verschmol-
zenen Elemente in reiner Selbstständigkeit geschieden werden
können, und dies ist dem Zweck der Sprache, die ewig trennt
und verbindet, und der Natur des Denkens selbst angemessen.
Allein auch bei der Untersuchung der einzelnen Arten des Be-
ziehungs- und Bedeutungsausdrucks findet man die Sprache nicht
von einer gewissen Vermischung beider frei. Durch den Mangel
untrennbarer Praepositionen entgeht ihr eine ganze Classe von
Beziehungsbezeichnungen, die ein systematisches Ganzes bilden
und sich in einem vollständigen Schema darstellen lassen. In den
Semitischen Sprachen wird dieser Mangel zum Theil dadurch er-
setzt, dass für diese, durch Praepositionen modificirten Verbal-
begriffe eigne Wörter bestimmt sind. Dies kann aber keine
^'ollständigkeit gewähren und noch weniger vermag dieser schein-
bare Reichthum für den Nachtheil zu entschädigen, dass, da sich
nun der Gegensatz weniger fühlbar darstellt, auch die Totalität
nicht übersichtlich ins Auge fällt und die Redenden die Möglich-
keit einer leichten und sicheren Spracherweiterung durch einzelne,
bis dahin unversucht gebliebene Anwendungen verlieren.
Auch einen mir wichtig scheinenden Unterschied in der Be-
zeichnung verschiedener Arten von Beziehungen kann ich hier
nicht übergehen. Die Andeutung der Casus des Nomen, insofern
sie einen Ausdruck zulassen und nicht bloss durch die Stellung
unterschieden werden, geschieht durch Hinzufügung von Prae-
positionen, die der Personen des Verbum durch Hinzufügung
der Pronomina. Durch diese beiden Beziehungen wird die Be-
deutung der Wörter auf keinerlei Weise afficirt. Es sind Aus-
drücke reiner, allgemein anwendbarer Verhältnisse. Das gramma-
tische Mittel aber ist Anfügung und zwar solcher Buchstaben oder
^(^A I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Sylben, welche die Sprache als für sich bestehend anerkennt, die
sie auch nur bis auf einen gewissen Grad der Festigkeit mit den
Wörtern verbindet. Insofern auch Vocalwechsel dabei eintritt, ist
.er eine Folge jener Zuwächse, deren Anfügung nicht ohne Wirkung
-auf die Wortform in einer Sprache bleiben kann, welche so fest
^bestimmte Regeln für den Bau der Wörter besitzt. Die übrigen
Beziehungsausdrücke, sie mögen nun in reinem Vocalwechsel
oder zugleich in Hinzufügung consonantischer Laute, wie im
Hifil , Nifal u. s. f. , oder in Verdoppelung eines der Conso-
nanten des Wortes selbst, wie bei den mehrsten Steigerungs-
formen, bestehen, haben eine nähere Verwandtschaft mit der
materiellen Bedeutung des Worts, afficiren dieselbe mehr oder
weniger, ändern sie wohl auch gewissermassen ganz ab, wie
wenn aus dem Stamm gross gerade durch eine solche Form das
Verbum erziehen hervorgebracht wird. Ursprünglich und
hauptsächlich bezeichnen sie zwar wirkliche grammatische Be-
ziehungen, den Unterschied des Nomen und Verbum, die transi-
tiven oder intransitiven, reflexiven und causativen Verba u. s. w.
Die Aenderung der ursprünglichen Bedeutung, durch welche aus
den Stämmen abgeleitete Begriffe entstehen, ist eine natürliche
Folge dieser Formen selbst, ohne dass darin eine V^ermischung
des Beziehungs- und Bedeutungsausdrucks zu liegen braucht.
.Dies beweist auch die gleiche Erscheinung in den Sanskritischen
Sprachen. Allein ^) der ganze Unterschied jener zwei Classen (auf
.der einen Seite der Casus- und Pronominalaffixa, auf der andren
der inneren Verbalflexionen) und ihre verschiedne Bezeichnung
ist in sich selbst auffallend. Zwar liegt in demselben eine gewisse
Angemessenheit mit der Verschiedenheit der Fälle. Da, wo der
Begriff keine Aenderung erleidet, wird die Beziehung nur äusser-
lich, dagegen innerlich, am Stamme selbst, da bezeichnet, wo die
grammatische Form, sich bloss auf das einzelne Wort erstreckend,
die Bedeutung afficirt. Der Vocal erhält an derselben den feinen
ausmalenden, näher modificirenden Antheil, von dem weiter oben
die Rede war. In der That sind alle Fälle der zweiten Classe
von dieser Art und können, wenn wir beim Verbum stehen
V Nach „Allein^' gestrichen: „in den Semitischen dehnt sich diese formale
Bezeichnungsart nicht auf alle grammatischen Formen aus, da zum Beispiel die
■Adjectiva keine eigne besitzen, sondern ihr Begriff schon in den Stämmen selbst
.enthalten ist, und auch".
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 26k
bleiben, schon auf die blossen Participien angewendet werden,
ohne die actuale Verbalkraft selbst anzugehen. In der Barmani-
schen Sprache geschieht dies in der That und auch die Verbal-
vorschläge der Malayischen Sprachen beschreiben ungefähr den-
selben Kreis, als die Semitischen in dieser Bezeichnungsart. Denn
wirklich lassen sich alle Fälle derselben auf etwas den Begriff
selbst Abänderndes zurückführen. Dies gilt sogar von der An-
deutung der Tempora, insofern sie durch Beugung und nicht
syntaktisch geschieht. Denn auf jene Weise unterscheidet sie
bloss die Wirklichkeit und die noch nicht mit Sicherheit zu be-
stimmende Ungewissheit. Dagegen erscheint es sonderbar, dass
gerade diejenigen Beziehungen, die am meisten den unveränderten
Begriff nur in eine andere Beziehung stellen, wie die Casus, und
diejenigen, die am w^esentlichsten die Verbalnatur bilden, wie die
Personen, weniger formal bezeichnet werden, ja sich fast gegen
den Begriff der Flexion zur Agglutination hinneigen und dagegen
die den Begriff selbst modificirenden den am meisten formalen
Ausdruck annehmen. Der Gang des Sprachsinns der Nation
scheint hier nicht sowohl der gewesen zu seyn, Beziehung und
Bedeutung scharf von einander zu trennen, als vielmehr der, die
aus der ursprünglichen Bedeutung fliessenden Begriffe nach
systematischer Abtheilung grammatischer Form in den ver-
schiedenen Nuancen derselben, regelmässig geordnet, abzuleiten.
Man würde sonst nicht die gemeinsame Natur aller grammatischen
Beziehungen durch Behandlung in zwiefachem Ausdruck gewisser-
massen verwischt haben. Wenn dies Raisonnement richtig und
mit den Thatsachen übereinstimmend erscheint, so beweist dieser
Fall, wie ein Volk seine Sprache mit bewundrungswürdigem
Scharfsinn und gleich seltnem Gefühl der gegenseitigen Forderungen
des Begriffs und des Lautes behandeln und doch die Bahn ver-
fehlen kann, die in der Sprache überhaupt die naturgemässeste
ist. Die Abneigung der Semitischen Sprachen gegen Zusammen-
setzung ist aus ihrer ganzen, hier nach ihren Hauptzügen ge-
schilderten Form leicht erklärlich. Wenn auch die Schwierigkeit,
vielsylbigen Wörtern die einmal fest in die Sprache eingewachsene
Wortform zu geben, wie es die zusammengesetzten Eigennamen
beweisen, überwunden werden konnte, so mussten sie doch bei
der Gewöhnung des Volks an eine kürzere, einen streng ge-
gliederten und leicht übersehbaren inneren Bau erlaubende Wort-
form lieber vermieden werden. Es boten sich aber auch weniger
256 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Veranlassungen zu ihrer Bildung dar, da der Reichthum an
Stämmen sie entbehrlicher machte.
In der Delaware-Sprache in Nord-Amerika herrscht mehr, als
vielleicht in irgend einer andren die Gewohnheit, neue Wörter
durch Zusammensetzung zu bilden. Die Elemente dieser Com-
posita enthalten aber selten das ganze ursprüngliche Wort, sondern
es gehen von diesem nur Theile, ja selbst nur einzelne Laute in
die Zusammensetzung über. Aus einem von Du Ponceau*) ge-
gebenen Beispiel muss man sogar schliessen, dass es von dem
Redenden abhängt, solche Wörter oder vielmehr ganze zu Wörtern
gestempelte Phrasen gleichsam aus Bruchstücken einfacher Wörter
zusammenzufügen. Aus ki, du, wulit, gut, schön, niedlich,
wichgat, Pfote, und schis, einem als Endung im Sinne der Klein-
heit gebrauchten Worte, wird, als Anrede an eine kleine Katze,
k-uli'gaf-sdiis, deine niedliche kleine Pfote, gebildet. Auf
gleiche Weise gehen Redensarten in Verba über und werden als-
dann vollständig conjugirt. Nad-hol-ineen , von natcn, holen,
amoclwl, Boot, und dem schHessenden regierten Pronomen der
ersten Person des Plurals, heisst: hole uns mit dem Boote!
nemlich : über den Fluss. Man sieht schon aus diesen Beispielen,
dass die Veränderungen der diese Composita bildenden Wörter
sehr bedeutend sind. So wird aus 7üulä in dem obigen Beispiel
ult, in anderen Fällen, wo im Compositum kein Consonant vor-
ausgeht, 7vtd, allein auch mit vorausgehendem Consonanten ola. **)
Auch die Abkürzungen sind bisweilen sehr gewaltsam. Von
awesis, Thier, wird, um das Wort Pferd zu bilden, bloss die
Sylbe es in die Zusammensetzung aufgenommen. Zugleich gehen,
da die Bruchstücke der Wörter nun in Verbindung mit anderen
Lauten treten, Wohllautsveränderungen vor, welche dieselben
noch weniger kenntlich machen. Dem eben erwähnten Worte
für Pferd, nanayung-es, liegt ausser der Endung es nur nayundam,
eine Last auf dem Rücken tragen, zum Grunde. Das g
scheint eingeschoben und die Verstärkung durch die Verdopplung
der ersten Sylbe nur auf das Compositum angewandt. Ein blosses
Anfangs-;;? von machit, schlecht, oder von medhick, übel, giebt
*) Vorrede zu Zeisberger's Delaware-Grammatik. (Philadelphia. 1S27. 4. S. 2o.)
**) Transactions of the Historical and Literary Comrnittee of the American
Philosophical Society. Philadelphia. 18 19. Vol. i. S. 405. u. flgd.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 26"
dem Worte einen bösen und verächtlichen Sinn.*) Man hat da-
her diese Wortverstümmlungen verschiedentlich, als barbarische
Rohheit sehr han getadelt. Man müsste aber eine tiefere Kennt-
niss der Delaware-Sprache und der Verwandtschaft ihrer Wörter
besitzen, um zu entscheiden, ob wirklich in den abgekürzten
Wörtern die Stammsylben vernichtet oder nicht vielmehr gerade
erhalten werden. Dass dies letztere in einigen Fällen sich wirklich
so verhält, sieht man an einem merkwürdigen Beispiel. Lenape
bedeutet Mensch; leniii, welches mit dem vorigen Worte zu-
sammen (Lenni Lenape) den Namen des Hauptstammes der Dela-
waren ausmacht, hat die Bedeutung von etwas Ursprünglichem,
Unvermischtem, dem Lande von jeher Angehörigem und bedeutet
daher auch gemein, gewöhnlich. In diesem letzteren Sinne
dient der Ausdruck zur Bezeichnung alles Einheimischen, von dem
grossen und guten Geiste dem Lande Gegebenen, im Gegensatz
mit dem aus der Fremde erst durch die weissen Menschen Ge-
kommenen. Ape heisst aufrecht gehen.**) In Z^?««/^ sind also
ganz richtig die charakteristischen Kennzeichen des aufrecht
wandelnden Eingebornen enthalten. Dass hernach das Wort all-
gemein für Mensch gilt und, um zum Eigennamen zu werden,
noch einmal den Begriff des Ursprünglichen mit sich verbindet,
sind leicht erklärliche Erscheinungen. In pilape, Jüngling, ist
das Wort püsü, keusch, unschuldig, mit demjenigen Theil
von lenape zusammengesetzt, welcher die den Menschen charakteri-
sirende Eigenschaft bezeichnet. Da die in der Zusammensetzung
verbundenen Wörter grossentheils mehrsylbig und schon selbst
wieder zusammengesetzt sind, so kommt alles darauf an, welcher
ihrer Theile zum Element des neuen Compositum gebraucht
wird, worüber nur die aus einem vollständigen Wörterbuche zu
schöpfende genauere Kenntniss der Sprache Aufklärung geben
*) Zeisberger (a. a. O.) bemerkt, dass mannitto hiervon eine Ausnahme bilde,
da man darunter Gott selbst, den grossen und guten Geist, verstehe. Es ist aber sehr
gewöhnlich, die religiösen Ideen ungebildeter Völker von der Furcht vor bösen Geistern
ausgehen zu sehen. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes könnte daher doch sehr
leicht eine solche gewesen seyn. Ueber den Rest des Wortes finde ich bei dem Mangel
eines Delaware-Wörterbuchs keine Auskunft. Auffallend, obgleich vielleicht bloss zu-
fällig ist die Uebereinstimmung dieses Ueberrestes mit dem Tagalischen anito, Götzen-
bild, (s. meine Schrift über die Kawi-Sprache. I. Buch. S. 75.)
•*) So verstehe ich neralich Heckewelder. {Transaciions. I. 411.) Auf jeden Fall
ist ape bloss Endung für aufrecht gehende Wesen, wie chlim für vierfüssige Thiere.
258 ^' über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
könnte. Auch versteht es sich wohl von selbst, dass der Sprach-
gebrauch diese Abkürzungen in bestimmte Regeln eingeschlossen
haben wird. Dies sieht man schon daraus, dass das modificirte
Wort in den gegebenen Beispielen immer im Compositum, als
das letzte Element, den modificirenden nachsteht. Das Verfahren
dieser scheinbaren Verstümmlung der Wörter dürfte daher wohl
ein milderes Urtheil verdienen und nicht so zerstörend für die
Etymologie seyn, als es der oberflächliche Anblick befürchten lässt.
Es hängt genau mit der, oben schon als die Am.erikanischen
Sprachen auszeichnend angeführten Tendenz, das Pronomen in
abgekürzter oder noch mehr abweichender Gestalt mit dem Verbum
und dem Nomen zu verbinden, zusammen. ^) Das eben von der
Delawarischen Gesagte beweist -ein noch allgemeineres Streben
nach Verbindung mehrerer Begriffe in demselben Worte. Wenn
man mehrere der Sprachen mit einander vergleicht, welche die
grammatischen Beziehungen ohne Flexion durch Partikeln an-
deuten, so halten einige derselben, wie die Barmanische, die
meisten der Südsee-Inseln und selbst die Mandschuische und die
Mongolische, die Partikeln und die durch sie bestimmten Wörter
eher aus einander, da hingegen die Amerikanischen eine Neigung,
sie zu verknüpfen, verrathen. Die letztere fliesst natürlich schon
aus dem oben (§. 29.") geschilderten einverleibenden Verfahren.
Dieses habe ich im Vorigen als eine Beschränktheit der Satz-
bildung dargestellt und durch die Aengstlichkeit des Sprachsinns
erklärt, die den Satz ausmachenden Theile für das Verständniss
recht enge zusammenzufassen.
Dem hier betrachteten Verfahren der Delawarischen Wort-
bildung lässt sich aber zugleich noch eine andere Seite abgewinnen.
Es liegt in demselben sichtbar die Neigung, der Seele die im Ge-
danken verbundenen Begriffe, statt ihr dieselben einzeln zuzuzählen,
auf einmal und auch durch den Laut verbunden vorzulegen. Es
ist eine malerische Behandlung der Sprache, genau zusammen-
hängend mit der übrigen, aus allen ihren Bezeichnungen hervor-
bHckenden bildlichen Behandlung der Begriffe. Die Eichel heisst
lan^nach-quim, dieNuss derBlatt-Hand (von zvumpach, Blatt,
nach, Hand, und quim, die Nuss), weil die lebendige Ein-
V Nach „zusammen" gestrichen: „In der That sind diese Verbindungen
vorzugsweise in den Nord- Amerikanischen Sprachen, noch weit mehr in ihnen,
als in den mir sonst irgendwo bekannten ausgebildet."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menscliengeschlechts. 36. 26(>
bildungskraft des Volkes die eingeschnittenen Blätter der Eiche
mit einer Hand vergleicht. Auch hier bemerke man die doppelte
Befolgung des oben erwähnten Gesetzes in der Stellung der
Elemente, erst in dem letzten, dann in den beiden ersten, wo
wieder die Hand, gleichsam aus einem Blatte gebildet, diesem
letzteren Worte, nicht umgekehrt nachsteht. Es ist offenbar von
grosser Wichtigkeit, wie viel eine Sprache in Ein Wort einschliesst,
statt sich der Umschreibung durch mehrere zu bedienen. Auch
der gute Schriftsteller übt hierin sorgfältige Unterscheidung, wo
ihm die Sprache die Wahl frei lässt. Das richtige Gleichgewicht,
welches die Griechische Sprache hierin beobachtet, gehört gewiss
zu ihren grössten Schönheiten. Das in Einem Worte Verbundene
stellt sich auch der Seele mehr als Eins dar, da die Wörter in
der Sprache das sind, was die Individuen in der Wirklichkeit. Es
erregt lebendiger die Einbildungskraft, als was dieser einzeln zu-
gezählt wird. Daher ist das Einschliessen in Ein Wort mehr
Sache der Einbildungskraft, die Trennung mehr die des Ver-
standes. Beide können sich sogar hierin entgegenstehen und ver-
fahren wenigstens dabei nach ihren eignen Gesetzen, deren Ver-
schiedenheit sich hier in einem deutlichen Beispiel in der Sprache
verräth. Der Verstand fordert vom Worte, dass es den Begriff
vollständig und rein bestimmt herv'orrufe, aber auch zugleich in
ihm die logische Beziehung anzeige, in welcher es in der Sprache
und in der Rede erscheint. Diesen Verstandesforderungen genügt
die Delaware-Sprache nur auf ihre, den höheren Sprachsinn nicht
befriedigende Weise. Dagegen wird sie zum lebendigen Symbol
der, Bilder an einander reihenden Einbildungskraft und bewahrt
hierin eine sehr eigenthümliche Schönheit. Auch im Sanskrit
tragen die sogenannten undeclinirbaren Participien, die so oft zum
Ausdruck von Zwischensätzen dienen, zur lebendigen Darstellung
des Gedanken, dessen Theile sie mehr gleichzeitig vor die Seele
bringen, wesentlich bei. In ihnen vereinigt sich aber, da sie
grammatische Bezeichnung haben, die Strenge der Verstandes-
forderung mit dem freien Erguss der Einbildungskraft. Dies ist
ihre beifallswürdige Seite. Denn allerdings haben sie auch eine
entgegengesetzte, wenn sie durch Schwerfälligkeit der Freiheit der
Satzbildung Fesseln anlegen und ihre einverleibende Methode an
mangelnde Mannigfaltigkeit von Mitteln erinnert, dem Satze ge-
hörige Erweiterung zu geben.
Es scheint mir nicht unmerkwürdig, dass diese kühn bildliche
2no ^' Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Zusammenfügung der Wörter gerade einer Nord-Amerikanischen
Sprache angehört, ohne dass ich jedoch hieraus mit Sicherheit
Folgerungen auf den Charakter dieser Völker im Gegensatz mit
den südlichen ziehen möchte, da man hierzu mehr Data über
beide und ihre frühere Geschichte besitzen müsste. Gewiss aber
ist es, dass wir in den Reden und Verhandlungen dieser Nord-
Amerikanischen Stämme eine grössere Erhebung des Gemüths
und einen kühneren Flug der Einbildungskraft erkennen, als von
dem wir im südlichen Amerika Kunde haben. Natur, KJima und
das, den Völkern dieses Theils von Amerika mehr eigenthümliche
Jägerleben, das weite Streifzüge durch die einsamsten Wälder mit
sich bringt, mögen zugleich dazu beitragen. Wenn aber die That-
sache in sich richtig ist, so übten unstreitig die grossen despotischen
Regierungen, besonders die zugleich priesterlich die freie Ent-
wicklung der Individualität niederdrückende Peruanische einen
sehr verderblichen Einfluss aus, da jene Jägerstämme, wenigstens
soviel wir wissen, immer nur in freien Verbindungen lebten.
Auch seit der Eroberung durch die Europäer erfuhren beide
Theile ein verschiedenes, gerade in der Hinsicht, von welcher wir
hier reden, sehr wesentlich entscheidendes Schicksal. Die fremden
Anwohner in dem Nord -Amerikanischen Küstenstrich drängten
die Eingebornen zurück und beraubten sie wohl auch ungerechter
Weise ihres Eigenthums, unterwarfen sie aber nicht, indem auch ihre
Missionare, von dem freieren und milderen Geiste des Protestan-
tismus beseelt, einem drückenden mönchischen Regimente, wie es
die Spanier und Portugiesen systematisch einführten, [fremd warenj.
Ob übrigens in der reichen Einbildungskraft, von welcher
Sprachen, wie die Delawarische, das sichtbare Gepräge tragen,
auch ein Zeichen liegt, dass wir in ihnen eine jugendlichere Ge-
stalt der Sprache aufbewahrt finden? ist eine schwer zu be-
antwortende Frage, da man zu wenig abzusondern vermag, was
hierin der Zeit und was der Geistesrichtung der Nation angehört.
Ich bemerke in dieser Rücksicht hier nur, dass die Zusammen-
setzung von Wörtern, von welchen in unsren heutigen oft auch
nur einzelne Buchstaben übrig geblieben seyn mögen, sich leicht
auch in den schönsten und gebildetsten Sprachen finden mag, da
es in der Natur der Dinge liegt, vom Einfachen an aufzusteigen,
und im Verlaufe so vieler Jahrtausende, in welchen sich die
Sprache im Munde der Völker fortgepflanzt hat, die Bedeutungen
der Urlaute natürlich verloren gegangen sind.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 36. 37. 27 1
In dem entschiedensten Gegensatze befinden sich unter allen 37.
bekannten Sprachen die Chinesische und das Sanskrit, da die
erstere alle grammatische Form der Sprache in die Arbeit des
Geistes zurückweist, das letztere sie bis in die feinsten Schattirungen
dem Laute einzuverleiben strebt. Denn offenbar liegt in der
mangelnden und sichtbarlich vorleuchtenden Bezeichnung der
Unterschied beider Sprachen. Den Gebrauch einiger Partikeln
ausgenommen, deren sie, wie wir weiter unten sehen werden,
auch wieder bis auf einen hohen Grad zu entbehren versteht,
deutet die Chinesische alle Form der Grammatik im weitesten
Sinne durch Stellung, den einmal nur in einer gewissen Form
festgestellten Gebrauch der Wörter und den Zusammenhang des
Sinnes an, also bloss durch Mittel, deren Anwendung innere An-
strengung erheischt. Das Sanskrit dagegen legt in die Laute selbst
nicht bloss den Sinn der grammatischen Form, sondern auch ihre
geistigere Gestalt, ihr Verhältniss zur materiellen Bedeutung.
Hiernach sollte man auf den ersten Anblick die Chinesische
Sprache für die von der naturgemässen Forderung der Sprache
am meisten abweichende, für die unvollkommenste unter allen
halten. Diese Ansicht verschwindet aber vor der genaueren Be-
trachtung. Sie besitzt im Gegentheil einen hohen Grad der Treff-
lichkeit und übt eine, wenn gleich einseitige, doch mächtige Ein-
wirkung auf das geistige Vermögen aus. Man könnte zwar den
Grund hiervon in ihrer frühen wissenschaftlichen Bearbeitung und
reichen Literatur suchen. Offenbar hat aber vielmehr die Sprache
selbst, als Aufforderung und Hülfsmittel, zu diesen Fortschritten
der Bildung wesentlich mitgewirkt. Zuerst kann ihr die grosse
Consequenz ihres Baues nicht bestritten werden. Alle andren
flexionslosen Sprachen, wenn sie auch noch so grosses Streben
nach Flexion verrathen, bleiben, ohne ihr Ziel zu erreichen, auf
dem Wege dahin stehen. Die Chinesische führt, indem sie gänz-
lich diesen Weg verlässt, ihren Grundsatz bis zum Ende durch.
Dann trieb gerade die Natur der in ihr zum Verständniss alles
Formalen angewandten Mittel ohne Unterstützung bedeutsamer
Laute darauf hin, die verschiedenen formalen Verhältnisse strenger
zu beachten und systematisch zu ordnen. Endlich wird der
Unterschied zwischen materieller Bedeutung und formeller Be-
ziehung dem Geiste dadurch von selbst um so mehr klar, als die
Sprache, wie sie das Ohr vernimmt, bloss die materiell bedeut-
samen Laute enthält, der Ausdruck der formellen Beziehungen
„„2 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
aber an den Lauten nur wieder als Verhältniss in Stellung und
Unterordnung hängt. Durch diese fast durchgängige lautlose Be-
zeichnung der formellen Beziehungen unterscheidet sich die
Chinesische Sprache, soweit die allgemeine Uebereinkunft aller
Sprachen in Einer inneren Form Verschiedenheit zulässt, von allen
andren bekannten. Man erkennt dies am deutlichsten, wenn man
irgend einen ihrer Theile in die Form der letzteren zu zwängen
versucht, wie einer ihrer grössten Kenner, Abel-Remusat, eine
vollständige Chinesische DecHnation aufgestellt hat.*) Sehr be-
greiflicher Weise muss es in jeder Sprache ünterscheidungsmittel
der verschiedenen Beziehungen des Nomen geben. Diese aber
kann man bei weitem nicht immer darum als Casus im wahren
Sinne dieses Wortes betrachten.- Die Chinesische Sprache gewinnt
durchaus nicht bei einer solchen Ansicht. Ihr charakteristischer
Vorzug liegt im Gegentheil, wie auch Remusat an derselben Stelle
sehr treffend bemerkt, in ihrem, von den andren Sprachen ab-
weichenden Systeme, wenn sie gleich eben durch dasselbe auch
mannigfaltiger Vorzüge entbehrt und allerdings, als Sprache und
Werkzeug des Geistes, den Sanskritischen und Semitischen
Sprachen nachsteht. Der Mangel einer Lautbezeichnung der
formalen Beziehungen darf aber nicht in ihr allein genommen
werden. Man muss zugleich und sogar hauptsächlich die Rück-
wirkung ins Auge fassen, welche dieser Mangel nothwendig auf
den Geist ausübt, indem er ihn zwingt, diese Beziehungen auf
feinere Weise mit den Worten zu verbinden und doch nicht
eigentUch in sie zu legen, sondern wahrhaft in ihnen zu ent-
decken. Wie paradox es daher klingt, so halte ich es dennoch
für ausgemacht, dass im Chinesischen gerade die scheinbare Ab-
wesenheit aller Grammatik die Schärfe des Sinnes, den formalen
Zusammenhang der Rede zu erkennen, im Geiste der Nation er-
höht, da im Gegentheil die Sprachen mit versuchter, aber nicht
gelingender Bezeichnung der grammatischen Verhältnisse den
Geist vielmehr einschläfern und den grammatischen Sinn durch
Vermischung des materiell und formal Bedeutsamen eher ver-
dunkeln. ^)
*) Fundgruben des Orients. III. 283.
V Nach „verdunkeln'^ gestrichen: „Das Mandschuische, dessen Vergleichung
mit dem Chinesischen sich so natürlich darbietet, liefert hiervon ein einleuchtendes
Beispiel."
lind ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 27^
Dieser eigenthümliche Chinesische Bau rührt wohl unstreitig
von der Lauteigenthümlichlveit des Voll^es in den frühesten Zeiten
her, von der Sitte, die S3'lben stark in der Aussprache aus ein-
ander zu halten, und von einem Mangel an der Beweglichkeit,
mit welcher ein Ton auf den andren umändernd einwirkt. Denn
diese sinnliche Eigenthümlichkeit muss, wenn die geistige der
inneren Sprachform erklärt werden soll, zum Grunde gelegt
werden, da jede Sprache nur von der ungebildeten Volkssprache
ausgehen kann. Entstand nun durch den grübelnden und erfind-
samen Sinn der Nation, durch ihren scharfen und regen und vor
der Phantasie vorwaltenden Verstand eine philosophische und
wissenschaftliche Bearbeitung der Sprache, so konnte sie nur den
sich wirklich in dem älteren Style verrathenden Weg nehmen,
die Absonderung der Töne, wie sie im Munde des Volkes be-
stand, beibehalten, aber alles das feststellen und genau unter-
scheiden, was im höheren Gebrauch der Sprache, entblösst von
der, dem Verständniss zu Hülfe kommenden Betonung und Ge-
berde, zur lichtvollen Darstellung des Gedanken erfordert wurde.
Dass aber eine solche Bearbeitung schon sehr früh eintrat, ist ge-
schichtlich erw^iesen und zeigt sich auch in den unverkennbaren,
aber geringen Spuren bildlicher Darstellung in der Chinesischen
Schrift.
Es lässt sich wohl allgemein behaupten, dass, wenn der Geist
anfängt, sich zu wissenschaftlichem Denken zu erheben, und eine
solche Richtung in die Bearbeitung der Sprache kommt, über-
haupt Bilderschrift sich nicht lange erhalten kann. Bei den
Chinesen muss dies doppelt der Fall gewesen seyn. Auf eine
alphabetische Schrift v/ürden sie, wie alle andre Völker, durch
die Unterscheidung der Articulation des Lautes geführt worden
seyn. Es ist aber erklärlich, dass die Schrifterfindung bei ihnen
diesen Weg nicht verfolgte. Da die geredete Sprache die Töne
nie in einander verschlang, so war ihre einzelne Bezeichnung
minder erfordert. Wie das Ohr Monogramme des Lautes ver-
nahm, so wurden diesen Monogramme der Schrift nachgebildet.
Von der Bilderschrift abgehend, ohne sich der alphabetischen zu
nähern, bildete man ein kunstvolles, willkührlich erzeugtes S3^stem
von Zeichen, nicht ohne Zusammenhang der einzelnen unter ein-
ander, aber immer nur in einem idealen, niemals in einem
phonetischen. Denn da die Verstandesrichtung vor dem Gefallen
an Lautwechsel in der Nation und der Sprache vorherrschte,
VV. V. Humboldt, Werke. VII. iS
2'iA. *• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
SO wurden diese Zeichen mehr Andeutungen von Begriffen, als
von Lauten, nur dass jedem derselben doch immer ein bestimmtes
Wort entspricht, da der Begriff erst im Worte seine Vollendung
erhält.
Auf diese Weise bilden die Chinesische und die Sanskrit-
Sprache in dem ganzen uns bekannten Sprachgebiete zwei feste
Endpunkte, einander nicht an Angemessenheit zur Geistesentwick-
lung, allein allerdings an innerer Consequenz und vollendeter
Durchführung ihres Systems gleich. Die Semitischen Sprachen
lassen sich nicht als zwischen ihnen liegend ansehen. Sie ge-
hören ihrer entschiedenen Richtung zur Flexion nach in Eine
Classe mit den Sanskritischen. Dagegen kann man alle übrigen
Sprachen als in der Mitte jeher beiden Endpunkte befindlich be-
trachten, da alle sich entweder der Chinesischen Entblössung der
Wörter von ihren grammatischen Beziehungen oder der festen
Anschliessung der dieselben bezeichnenden Laute nähern müssen.
Selbst einverleibende Sprachen, wie die Mexicanische , sind in
diesem Falle, da die Einverleibung nicht alle Verhältnisse andeuten
kann und sie, wo diese nicht ausreicht, Partikeln gebrauchen
müssen, die angefügt werden oder getrennt bleiben können.
Weiter aber, als diese negativen Eigenschaften, nicht aller gram-
matischen Bezeichnung zu entbehren und keine Flexion zu be-
sitzen, haben diese mannigfaltig unter sich verschiedenen Sprachen
nichts mit einander gemein und können daher nur auf ganz un-
bestimmte Weise in Eine Classe geworfen werden.
Hiernach fragt es sich, ob es nicht in der Sprachbildung
(nicht in demselben Sprachstamm, aber überhaupt) stufenartige
Erhebungen zu immer vollkommnerer geben sollte? Man kann
diese Frage von der wirklichen Sprachentstehung thatsächlich so
nehmen, als habe es in verschiedenen Epochen des Menschen-
geschlechts nur successive Sprachbildungen verschiedener, einander
in ihrer Entstehung voraussetzender und bedingender Grade ge-
geben. Alsdann wäre das Chinesische die älteste, das Sanskrit
die jüngste Sprache. Denn die Zeit könnte uns Formen aus ver-
schiedenen Epochen aufbewahrt haben. Ich habe schon weiter
oben genügend ausgeführt und es macht dies einen Hauptpunkt
meiner Sprachansichten aus, dass die vollkommnere, die Frage
bloss aus Begriffen betrachtet, nicht auch die spätere zu seyn
braucht. Historisch lässt sich nichts darüber entscheiden; doch
werde ich in einem der folgenden Abschnitte dieser Betrachtungen
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 271;
bei Gelegenheit der factischen Entstehung und Vermischung der
Sprachen diesen Punkt noch genauer zu bestimmen suchen. Man
kann aber auch ohne Rücksicht auf dasjenige, was wirklich be-
standen hat, fragen, ob sich die in jener Mitte liegenden Sprachen
bloss ihrem Baue nach zu einander wie solche stufenartige Er-
hebungen verhalten oder ob ihre Verschiedenheit nicht erlaubt,
einen so einfachen Massstab an sie zu legen? Auf der einen
Seite scheint nun wirklich das Erstere der Fall. Wenn z. B. die
Barmanische Sprache für die meisten grammatischen Beziehungen
wirkliche Lautbezeichnungen in Partikeln besitzt, aber diese weder
unter einander noch mit den Hauptwörtern durch Lautverände-
rungen verschlingt, dagegen, wie ich gezeigt habe. Amerikanische
Sprachen abgekürzte Elemente verbinden und dem daraus ent-
stehenden Worte eine gewisse phonetische Einheit geben, so
scheint das letztere Verfahren der wirklichen Flexion näher zu
stehen. Sieht man aber wieder bei der Vergleichung des Bar-
manischen mit dem eigentlich Malayischen, dass jenes zwar viel
mehr Beziehungen bezeichnet, da wo dieses die Chinesische Be-
zeichnungslosigkeit beibehält, dagegen das Malayische die vor-
handenen Anfügungssylben in sorgfältiger Beachtung sowohl ihrer
eignen, als der Laute des Hauptworts behandelt, so wird man
verlegen, welcher beider Sprachen man den Vorzug ertheilen soll,
obgleich bei Beurtheilung auf andrem Wege derselbe unzweifel-
haft der Malayischen Sprache gebührt.
Man sieht also, dass es einseitig seyn würde, auf diese Weise
und nach solchen Kriterien Stufen der Sprachen zu bestimmen.
Es ist dies auch vollkommen begreiflich. Wenn die bisherigen
Betrachtungen mit Recht Eine Sprachform als die einzig gesetz-
mässige anerkannt haben, so beruht dieser Vorzug nur darauf,
dass durch ein glückliches Zusammentreffen eines reichen und
feinen Organes mit lebendiger Stärke des Sprachsinnes die ganze
Anlage, welche der Mensch physisch und geistig zur Sprache in
sich trägt, sich vollständig und unverfälscht im Laute entwickelt.^)
V Nach „entwickelt" gestrichen : „Dies setzt aber eine innere richtige und
energische Intuition des Verhältnisses der Sprachen zum Denken und ihrer
verschiedenen Theile zu einander voraus. Eine solche tnuss gleich einer be-
lebenden Flamme die Sprachbildung leuchtend durchdringen, wenn der voll-
kommen gesetzmässige Organismus entstehen soll. Ohne Weckung dieses aus dem
Innren heraus arbeitenden Princips bleibt er auf äusseren, mechanisch successiv
wirkenden Wegen unerreichbar. Da allen Menschen die gleiche Anlage zur
18*
2nß I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Ein unter so begünstigenden Umständen sich bildender Sprachbau
erscheint dann als aus einer richtigen und energischen Intuition
des Verhältnisses des Sprechens zum Denken und aller Theile
der Sprache zu einander hervorgesprungen. In der That ist der
wahrhaft gesetzmässige Sprachbau nur da möglich, wo eine solche,
gleich einer belebenden Flamme, die Bildung leuchtend durch-
dringt. Ohne ein von innen heraus arbeitendes Princip, auf
mechanisch allmählich einwirkenden Wegen bleibt er unerreichbar.
Treffen aber auch nicht überall so befördernde Umstände zu-
sammen, so haben doch alle Völker bei ihrer Sprachbildung nur
immer eine und dieselbe Tendenz. Alle wollen das Richtige,
Sprache vermöge der ihr Wesen chdrakterisirenden Intellectualiiät beiwohnt, so
muss jedoch die Intuition, wo sie ganz in Wirksamkeit tritt, überall dieselbe seyn
und kann sich nicht ursprünglich qualitativ unterscheiden. Kein Volk kann die
Forderungen der Sprache nur zur Hälfte oder zu irgend einem Theil erfüllen,
keine z. B. bloss die materielle Bedeutung bezeichnen, die formale ausschliesslich
hinzudenken wollen. Nur insofern jene Intuition nicht gehörig geweckt oder
ihre Wirksamkeit erschwert imd gehemmt wird, entstehen unvollkommene oder
falsche, sich von dem vollendeten Baue entfernende Sprachbildungen. Es ist
hier immer ein Kampf zwischen der inneren Kraft und dem äusseren Wider-
stände, wo der Sieg verloren geht, wenn das allgemeine geistige Vermögen
nicht die gehörige Lebendigkeit und Stärke besitzt. Die Sprachen, von
welchen wir hier reden, haben daher nicht eigentlich ein von dem der voll-
endeten verschiedenes Princip. Die Sprache kann ihrer innersten Natur nach
gar nicht anders als ein zusammenhängendes Gewebe von Analogieen ausmachen,
in welchem das fremde Element sich nur durch eigne Verknüpfung zu halten
vermag. Bei dieser Beschaffenheit und diesem Verhäliniss zum gesetzmässigen
Baue muss man auch beinah verzweifeln, die von demselben abweichenden Sprachen
in ein erschöpfendes System von Classen zu bringen, wenn nemlich durch eine
solche Abtheilung wirklich ihre innere Natur, ihr Entstehen aus dem Geiste und
ihr Rückwirken auf denselben charakterisirt werden soll. Ein Andres ist es, wenn
man der Eintheilung zu bestimmten Zwecken nur einzelne oder äussere Erschei-
nungen an ihnen zum Grunde legen soll. Ein vollständiges System ihres Zu-
sammenhanges und ihrer Verschiedenheit würde, ständen der Ausführimg des-
selben auch nicht die angegebenen inneren Gründe entgegen, wenigstens bei dem
jetzigen Zustande der Sprachkunde unmöglich seyn, da ihm eine Menge einzelner
noch gar nicht unternommener Untersuchungen vorangehen müssten. Denn die
richtige Einsicht in die Natur einer Sprache erfordert viel anhaltendere und
tiefere Forschungen, als bisher noch den meisten Sprachen gewidmet worden sind.
Dennoch ist es für eine allgemeine Uebersicht der hier vorkommenden Verhält-
nisse lehrreich, einige Blicke auf Sprachen zu werfen, welche in Hauptpunkten
ihres Baues allgemeine Aehnlichkeit oder Verschiedenheit verrathen, und ich ver-
weile daher noch bei der Betrachtung dieser Fälle, besonders in der Rücksicht
welche sich näher an die in dieser Einleitung ausgeführten Ideen anschliesst."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 277
Naturgemässe und daher Höchste. Dies bewirkt die sich an und
in ihnen entfaltende Sprache von selbst und ohne ihr Zuthun
und es ist nicht denkbar, dass eine Nation gleichsam absichtlich
2. B. nur die materielle Bedeutung bezeichnete, die grammatischen
Beziehungen aber der Lautbezeichnung entzöge. Da indess die
Sprache, die, um hier einen schon im Vorigen gebrauchten Aus-
druck zu wiederholen, der Mensch nicht sowohl bildet, als viel-
mehr in ihren, wie von selbst hen^orgehenden Entwicklungen
mit einer Art freudigen Erstaunens an sich entdeckt, durch die
Umstände, in welchen sie in die Erscheinung tritt, in ihrem
Schaffen bedingt wird, so erreicht sie nicht überall das gleiche
Ziel, sondern fühlt sich, nicht ausreichend, an einer, nicht in ihr
selbst liegenden Schranke. Die Nothwendigkeit aber, dem-
ungeachtet immer ihrem allgemeinen Zwecke zu genügen, treibt
sie, wie es auch seyn möge, von jener Schranke aus nach einer
hierzu tauglichen Gestaltung. So entsteht die concrete Form der
verschiedenen menschlichen Sprachen und enthält, insofern sie
vom gesetzmässigen Baue abweicht, daher immer zugleich einen
negativen, die Schranke des Schaffens bezeichnenden und einen
positiven, das unvollständig Erreichte dem allgemeinen Zweck zu-
führenden Theil. In dem negativen liesse sich nun wohl eine
stufenartige Erhebung nach dem Grade, in welchem die schöpfe-
rische Kraft der Sprache ausgereicht hätte, denken. Der positive
aber, in welchem der oft sehr kunstvolle individuelle Bau auch
der unvollkommneren Sprachen liegt, erlaubt bei weitem nicht
immer so einfache Bestimmungen. Indem hier mehr oder weniger
Uebereinstimmung und Entfernung vom gesetzmässigen Baue zu-
gleich vorhanden ist, muss man sich oft nur bei einem Abwägen
der Vorzüge und Mängel begnügen. Bei dieser, wenn der Aus-
druck erlaubt ist, anomalen Art der Spracherzeugung wird oft ein
einzelner Sprachtheil mit einer gewissen Vorliebe vor andren aus-
gebildet und es Hegt hierin häufig gerade der charakteristische
Zug einzelner Sprachen. Natürlich aber kann sich alsdann die
wahre Reinheit des richtigen Princips in keinem Theile aus-
sprechen. Denn dieses fordert gleichmässige Behandlung aller
und würde, könnte es einen Theil wahrhaft durchdringen, sich
von selbst auch über die anderen ergiessen. Mangel an wahrer
innerer Consequenz ist daher ein gemeinsamer Charakter aller
dieser Sprachen. Selbst die Chinesische kann eine solche doch
nicht vollkommen erreichen, da doch auch sie in einigen, aller-
2-78 ^' über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dings nicht zahlreichen Fällen dem Principe der Wortfolge mit
Partikeln zu Hülfe kommen muss.
Wenn den unvollkommneren Sprachen die wahre Einheit
eines, sie von innen aus gleichmässig durchstrahlenden Principes
mangelt, so liegt es doch in dem hier geschilderten Verfahren,
dass jede demungeachtet einen festen Zusammenhang und eine,
nicht zwar immer aus der Natur der Sprache überhaupt, aber
doch aus ihrer besonderen Individualität hervorgehende Einheit
besitzt. Ohne Einheit der Form wäre überhaupt keine Sprache
denkbar, und so wie die Menschen sprechen, fassen sie noth-
wendig ihr Sprechen in eine solche Einheit zusammen. Dies ge-
schieht bei jedem inneren und äusseren Zuwachs, welchen die
Sprache erhält. Denn ihrer innersten Natur nach macht sie ein
zusammenhängendes Gewebe von Analogieen aus, in dem sie das
fremde Element nur durch eigene Anknüpfung festhalten kann.
Die hier gemachten Betrachtungen zeigen zugleich, welche
Mannigfaltigkeit verschiedenen Baues die menschliche Sprach-
erzeugung in sich zu fassen vermag, und lassen zugleich an der
Möglichkeit einer erschöpfenden Classification derselben verzweifeln.
Eine solche ist wohl zu bestimmten Zwecken und, wenn man
einzelne Erscheinungen an ihnen zum Eintheilungsgrunde an-
nimmt, ausführbar, verwickelt dagegen in unauflösliche Schwierig-
keiten, wenn bei tiefer eindringendem Forschen die Eintheilung
auch in ihre wesentliche Beschaffenheit und ihren inneren Zu-
sammenhang mit der geistigen Individualität der Nationen ein-
gehen soll. Die Aufstellung eines nur irgend vollständigen Systems
ihres Zusammenhanges und ihrer Verschiedenheiten wäre, ständen
derselben auch nicht die so eben angegebenen allgemeinen
Schwierigkeiten im Wege, doch bei dem jetzigen Zustande der
Sprachkunde unmöglich. Eine nicht unbedeutende Anzahl noch
gar nicht unternommener Forschungen müsste einer solchen
Arbeit nothwendig vorausgehen. Denn die richtige Einsicht in
die Natur einer Sprache erfordert viel anhaltendere und tiefere
Untersuchungen, als bisher noch den meisten Sprachen gewidmet
worden sind.
Dennoch finden sich auch zwischen nicht stammverwandten
Sprachen und in Punkten, die am entschiedensten mit der Geistes-
richtung zusammenhängen, Unterschiede, durch welche mehrere
wirklich verschiedene Classen zu bilden scheinen. Ich habe weiter
oben (§. 34.) von der Wichtigkeit gesprochen, dem Verbum eine,
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 270
seine wahre Function formal charakterisirende Bezeichnung zu
geben. In dieser Eigenthümlichkeit nun unterscheiden sich
Sprachen, welche sonst dem Ganzen ihrer Bildung nach auf
gleicher Stufe zu stehen scheinen. Es ist natürlich, dass die
Partikel-Sprachen, wie man diejenigen nennen könnte, welche die
grammatischen Beziehungen zwar durch Sylben oder Wörter be-
zeichnen, allein diese gar nicht oder nur locker und verschiebbar
anfügen, keinen ursprünglichen Unterschied zwischen Nomen und
Verbum feststellen. Bezeichnen sie auch einige einzelne Gattungen
des ersteren, so geschieht dies nur in Beziehung auf bestimmte
Begriffe und in bestimmten Fällen, nicht im Sinne grammatischer
Absonderung durchgängig. Es ist daher in ihnen nicht selten,
dass jedes Wort ohne Unterschied zum Verbum gestempelt
werden, dagegen auch wohl jede Verbalflexion zugleich als Parti-
cipium gelten kann. Sprachen nun, die hierin einander gleich
sind, unterscheiden sich dennoch wieder dadurch, dass die einen
das Verbum mit gar keinem, seine eigenthümliche Function der
Satzverknüpfung charakterisirenden Ausdruck ausstatten, die
andren dies wenigstens durch die ihm in Abkürzungen oder
Umänderungen angefügten Pronomina thun, den schon im Obigen
öfters berührten Unterschied zwischen Pronomen und Verbalperson
festhaltend. Das erstere Verfahren beobachtet z. B. die Barmanische
Sprache, soweit ich sie genauer beurtheilen kann, auch die
Siamesische, die Mandschuische und Mongolische, insofern sie die
Pronomina nicht zu Affixen abkürzen, die Sprachen der Südsee-
Inseln und grossentheils auch die übrigen Malayischen des west-
lichen Archipelagus, das letztere die Mexicanische, die Delaware-
Sprache und andere Amerikanische. Indem die Mexicanische dem
Verbum das regierende und regierte Pronomen, bald in concreter,
bald in allgemeiner Bedeutung, beigiebt, drückt sie wirklich auf
eine geistigere Weise seine nur ihm angehörende Function durch
die Richtung auf die übrigen Haupttheile des Satzes aus. Bei
dem ersteren dieser beiden Verfahren können Subject und Praedicat
nur so verknüpft werden, dass man die Verbalkraft durch Hin-
zufügung des Verbum seyn andeutet. Meistentheils aber wird
dasselbe bloss hinzugedacht; was in Sprachen dieses Verfahrens
Verbum heisst, ist nur Participium oder Verbalnomen und kann,
wenn auch Genus des Verbum, Tempus und Modus daran aus-
gedrückt sind, vollkommen so gebraucht werden. Unter Modus
verstehen aber diese Sprachen nur die Fälle, wo die Begriffe des
280 '• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wünschens, Befürchtens, des Könnens, Müssens u. s. f. Anwendung
finden. Der reine Conjunctivus ist ihnen in der Regel fremd.
Das durch ihn ohne Hinzukommen eines materiellen Neben-
begriffs ausgedrückte ungewisse und abhängige Setzen kann in
Sprachen nicht angemessen bezeichnet werden, in welchen das
einfache actuale Setzen keinen formalen Ausdruck findet. Dieser
Theil des angeblichen Verbum ist alsdann mehr oder weniger
sorgfältig behandelt und zu Worteinheit verschmolzen. Der hier
geschilderte Unterschied ist aber genau derselbe, als wenn man
das Verbum in seine Umschreibung auflöst oder es in seiner
lebendigen Einheit gebraucht. Das erstere ist mehr ein logisch
geordnetes, das letztere ein sinnlich bildendes Verfahren und
man glaubt, wenn man sich in die Eigenthümlichkeit dieser
Sprachen versetzt , zu sehen , ' was in dem Geiste der Völker,
welchen nur das auflösende eigenthümlich ist, vorgehen muss.
Die andren, so wie die Sprachen gesetzmässiger Bildung bedienen
sich beider nach Verschiedenheit der Umstände. Die Sprache
kann ihrer Natur nach den sinnlich bildenden Ausdruck der
Verbalfunction nicht ohne grosse Nachtheile aufgeben. Auch wird
in der That, selbst bei den Sprachen, welche, wie man offenherzig
gestehen muss, an wirklicher Abwesenheit des wahren Verbum
leiden, der Nachtheil dadurch verringert, dass bei einem grossen
Theile von Verben die Verbalnatur in der Bedeutung selbst liegt
und daher der formale Mangel materiell ersetzt wird. Kommt
nun noch, wie im Chinesischen, hinzu, dass Wörter, welche beide
Functionen, des Nomen und des Verbum, übernehmen könnten,
durch den Gebrauch nur zu Einem gestempelt sind oder dass
sie ihre Geltung durch die Betonung anzeigen können, so hat sich
die Sprache auf einem andren Wege noch mehr wieder in ihre
Rechte eingesetzt.
Unter allen, mir genauer bekannten Sprachen mangelt keiner
so sehr die formale Bezeichnung der Verbalfunction, als der
Barmanischen. *) Carey bemerkt ausdrücklich in seiner Grammatik,
*) Der Name, den die Barmanen sich selbst geben, ist Mranmä. Das Wort wird
aber gewöhnlich Mrammä geschrieben und Byammä ausgesprochen. (Judson. li. v.)
Wenn es erlaubt ist, diesen Namen geradezu aus der Bedeutung seiner Elemente zu
erklären, so bezeichnet er einen kräftigen, starken Menschenschlag. Denn mran heisst
schnell und mä hart, wohl, gesund seyn. Von diesem einheimischen Worte
sind ohne Zweifel die verschiedenen für das Volk und das Land üblichen Schreibungen
entstanden, unter welchen Barma und Barmanen die richtige ist. Wenn Carey und
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 28 1
dass in der Barmanischen Sprache Verba kaum anders, als in
Participialformen gebraucht werden, indem, setzt er hinzu, dies
hinreichend sey, jeden durch ein Verbum auszudrückenden Begriff
anzudeuten. An einer andren Stelle spricht er dem Barmanischen
alle \^erba ganz und gar ab.*) Diese Eigenthümlichkeit wird aber
erst ganz verständiich, wenn man sie im Zusammenhange mit dem
übrigen Bau der Sprache betrachtet.
Die Barmanischen Stammwörter erfahren keine Veränderung
durch die Anfügung grammatischer Sylben. Die einzigen Buch-
stabenveränderungen in der Sprache sind die Verwandlung des
ersten aspirirten Buchstaben in einen unaspirirten , da wo ein
aspirirter verdoppelt vrird, und bei der \^erbindung von zwei ein-
sylbigen Stammwörtern zu Einem Worte oder der Wiederholung
des nemhchen der Uebergang des dumpfen Anfangsconsonanten
des zweiten in den unaspirirten tönenden. Auch im Tamulischen**)
werden k^ t (sowohl das linguale als dentale) und / in der ]^Iitte
der Wörter zu g, d und b. Der Unterschied ist nur, dass im
Tamulischen der Consonant dumpf bleibt, wenn er sich doppelt
in der Wortmitte befindet, da hingegen im Barmanischen die
Umwandlung auch dann statt findet, wenn das erste beider
Stammwörter mit einem Consonanten schliesst. Das Barmanische
erhält daher in jedem Falle die grössere Einheit des Wortes durch
die grössere Flüssigkeit des hinzutretenden Consonanten.***)
Judson Burma und Burmanen schreiben, so meinen sie denselben, dem Consonantea
inhaerirenden Laut und bezeichnen diesen nur auf eine falsche, jetzt allgemein auf-
gegebene Weise. Man vergleiche auch Berghaus. Asia. Gotha. 1832. I. Lieferung.
Nr. 8. Hinterindien. S. 77. und Leyden. {Asiat, res. X. 232.)
*) A Grammar of the Biirman language. Serampore. 1814. S. 79. §. i.
S. 181. Vorzüglich auch in der Vorrede S. 8. 9. Diese Grammatik hat Felix Carey,
den ältesten Sohn des William Carey, des Lehrers mehrerer Indischen Sprachen am
Collegium in Fort William, dem wir eine Reihe von Grammatiken Asiatischer Sprachen
verdanken, zum Verfasser. Felix Carey starb leider schon im Jahre 1822. (Jourtl.
Asiat, in. 59.) Sein Vater ist ihm im Jahre 1834. gefolgt.
**) Anderson's Grammatik in der Tafel des Alphabets.
***) In beiden Sprachen ändert sich wegen dieses Wechsels der Aussprache der
Buchstabe in der Schrift nicht, obgleich die Barmanische, was der Fall der Tamulischen
nicht ist, Zeichen für alle tönenden Buchstaben besitzt. Der Fall, dass die Aussprache
sich von der Schrift entfernt, ist im Barmanischen häufig. Ich habe über die haupt-
sächlichste dieser Abweichungen in den einsylbigen Stammwörtern, wo z. B. das ge-
schriebene kak in der Aussprache ket lautet, in meinem Briefe an Herrn Jacquet [Nouv.
Jourtl. Asiat. IX. 500.) ') über die Polynesischen Alphabete die Vermuthung gewagt, dass
V Vgl. Band 6, sGg.
232 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Der Barmanische Wortbau beruht (mit Ausnahme der Pro-
nomina und der grammatischen Partikeln) auf einsylbigen Stamm-
wörtern und aus denselben gebildeten Zusammensetzungen. Von
den Stammwörtern lassen sich zwei Classen unterscheiden. Die
einen deuten Handlungen und Eigenschaften an und beziehen sich
daher auf mehrere Gegenstände. Die andren sind Benennungen
einzelner Gegenstände, lebendige Geschöpfe oder leblose Dinge.
So liegt also hier Verbum, Adjectivum und Substantivum in der
Bedeutung der Stammwörter. Auch besteht der eben ange-
gebene Unterschied dieser Wörter nur in ihrer Bedeutung, nicht
in ihrer Form; e, kühl seyn, erkalten, kü, umgeben,
die Beibehaltung der von der Aussprache, verschiedenen Schrift einen etymologischen
Grund habe, und bin auch noch jetzt dieser Meinung. Die Sache scheint mir nemlich
die, dass die Aussprache nach und nach von der Schrift abgewichen ist, dass man aber,
um die ursprüngliche Gestalt des Wortes kenntlich zu erhalten, diesen Abweichungen
in der Schrift nicht gefolgt ist. Leyden scheint dieselbe Ansicht über diesen Punkt
gehabt zu haben, da er {Asiat, res. X. 237.) den Barmanen eine weichlichere, minder
articulirte und mit der gegenwärtigen Rechtschreibung der Sprache weniger überein-
kommende Aussprache, als den Rukheng, den Bewohnern von Aracan (bei Judson:
Rariü), zuschreibt. Es liegt aber auch in der Natur der Sache, dass es nicht füglich
anders damit seyn kann. Wäre in dem oben angeführten Beispiele nicht früher wirklich
kak gesprochen worden, so würde sich auch diese Endung nicht in der Schrift befinden.
Denn es ist ein gewisser und auch neuerlich von Herrn Lepsius in seiner an scharf-
sinnigen Bemerkungen und feinen Beobachtungen reichen Schrift über die Palaeographie
als Mittel für die Sprachforschung S. 6. 7. 89. genügend ausgeführter Grundsatz, dass
nichts in der Schrift dargestellt wird, was sich nicht in irgend einer Zeit in der Aus-
sprache gefunden hat. Nur die Umkehrung dieses Satzes halte ich für mehr als zweifel-
haft, da es nicht leicht zu widerlegende Beispiele giebt, dass die Schrift, wie auch sehr
begreiflich ist, nicht immer die ganze Aussprache darstellt. Dass .im Barmanischen
diese Lautveränderungen nur durch flüchtiger werdende Aussprache entstanden sind,
beweist Carey's ausdrückliche Bemerkung, dass die von der Schrift abweichenden
Endungen der einsylbigen Wörter durchaus nicht rein, sondern sehr dunkel und kaum
dem Ohre recht unterscheidbar ausgesprochen werden. Der palatale Nasallaut wird
sogar nicht ungewöhnlich in der Aussprache in diesen Fällen am Ende der Wörter
ganz weggelassen. Daher kommt es, dass die in mehreren grammatischen Beziehungen
gebrauchte geschriebene Sylbe thang in der Aussprache bei Carey bald theen (nemlich
so, dass ee für ein langes i gilt. Tabelle nach S. 20.), bald thee (S. 36. §. 105.), bei
Hough in seinem Englisch-Barmanischen Wörterbuche gewöhnlich the (S. 14.) lautet,
so dass die Verkürzung bald stärker, bald geringer zu seyn scheint. In einem andren
Punkte lässt sich historisch beweisen, dass die Schrift die Aussprache eines andren
Dialekts und vermuthlich eines älteren bewahrt. Das Verbum seyn wird hri geschrieben
und bei den Barmanen shi ausgesprochen. In Aracan dagegen lautet es hi und der
Volksstamm dieser Provinz wird für älter und früher civilisirt, als der der Barmanen
gehalten. (Leyden. Asiat, res. X. 222. 237.)
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 28"?
verbinden, helfen, viä, hart, stark, gesund se3'n, sind
nicht anders geformt, als le, der Wind, r^ (ausgesprochen jv<?*)),
das Wasser, lü^ der Mensch. Carey hat die Beschaffenheit
und Handlung andeutenden Stammwörter in ein besondres alpha-
betisches Verzeichniss gebracht, welches seiner Grammatik an-
gehängt ist, und hat sie ganz wie die Wurzeln des Sanskrit be-
handelt. Auf der einen Seite lassen sie sich in der That damit
vergleichen. Denn sie gehören in ihrer ursprünglichen Gestalt
keinem einzelnen Redetheile an und erscheinen auch in der Rede
nur mit den grammatischen Partikeln, welche ihnen ihre Be-
stimmung in derselben geben. Es wird auch eine grosse Zahl
von Wörtern von ihnen abgeleitet, was schon aus der Art der
durch sie bezeichneten Begriffe natürlich herfliesst. Allein genau
erwogen haben sie durchaus eine andere Xatur, als die Sanskriti-
schen Wurzeln, da die grammatische Behandlung der ^anzen
Sprache nur Stammwörter und grammatische Partikeln an einander
reiht und keine verschmolzenen Wortganze bildet, ebendarum
auch nicht blosse Ableitungssylben mit Stammlauten verbindet.
Auf diese Weise erscheinen die Stammwörter in der Rede nicht
als untrennbare Theile verbundener Wortformen, sondern wirklich
in ihrer ganzen unveränderten Gestalt und es bedarf keiner
künstlichen Abtrennung derselben aus grösseren, in sich ver-
schmolzenen Formen. Die Ableitung aus ihnen ist auch keine
wahre Ableitung, sondern blosse Zusammensetzung. Die Sub-
stantiva endlich haben zum grössten Theil nichts, was sie von
ihnen unterscheidet, und lassen sich meistens nicht von ihnen ab-
leiten. Im Sanskrit ist wenigstens, seltene Fälle ausgenommen,
*) Xemlich nach Hough ; das r wird bald wie r, bald wie y ausgesprochen und
CS scheint hierüber keine sichere Regel zu geben. Klaproth [Asia polyglotta. S. 369.)
schreibt das Wort ji nach Französischer Aussprache, giebt aber nicht an, woher er
seine Barmanischen Wörter genommen hat. Da die Aussprache oft von der Schreibung
abweicht, so schreibe ich die ßannanischen Wörter genau nach der letzteren, so dass
man nach der, im Anfange dieser Schrift gegebenen Erläuterung über die Umschreibung
des Barmanischen Alphabets jedes von mir angeführte Wort genau in die Barmanischen
Schriftzeichen zurückübertragen kann. In Parenthese gebe ich alsdann die Aussprache
da, wo sie abweicht und mir mit Sicherheit bekannt ist. Ein H. an dieser Stelle deutet
an, dass Hough die Aussprache so angiebt. Ob Klaproth in der Asia polyglotta der
Schrift oder der Aussprache folgt, ist nicht deutlich zu sehen. So schreibt er S. 375.
für Zunge la und für Hand lek. Das erstere Wort ist aber in der Schrift hlyä, in
der Aussprache shyä, das letztere in der Schrift lak, in der Aussprache let. Das bei
ihm für Zunge angegebene yna finde ich in meinen Wörterbüchern gar nicht.
284. ^- über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
die Form der Nomina von der Wurzelform verschieden, wenn es
auch mit Recht unstatthaft genannt werden mag, alle Nomina
durch Unädi-Suffixa von den Wurzeln abzuleiten. Die angeblichen
Barmanischen Wurzeln verhalten sich daher eigentlich wie die
Chinesischen Wörter, verrathen aber allerdings, mit dem übrigen
Baue der Sprache zusammengenommen, eine gewisse Annäherung
zu den Sanskritischen Wurzeln. Sehr häufig hat die angebliche
Wurzel ohne alle Veränderung auch daneben die Bedeutung eines
Substantivum, in welchem ihre eigenthümliche Verbalbedeutung
mehr oder weniger klar hervortritt. So heisst mai schwarz
seyn, drohen, schrecken und die Indigopflanze, ne
bleiben, fortwähren und die Sonne, paun zur Ver-
stärkung hinzufügen, daher verpfänden und die Lende,
Hinterkeule bei Thieren. Dass bloss die grammatische
Kategorie durch eine Ableitungssylbe aus der Wurzel verändert
und bezeichnet werde, finde ich nur in einem einzigen Falle;
wenigstens unterscheidet sich nur dieser dem Anblicke nach von
der sonst gewöhnlichen Zusammensetzung. Es werden nemlich
durch Praefigirung eines a aus Wurzeln Substantiva, nach Hough
(F<?^. S. 20.) auch Adjectiva gebildet: a-cliä, Speise, Nahrungs-
mittel, von cliä, essen; a-myak (amye^H.), A erger, von myak,
ärgerlich seyn, sich ärgern; a-pan: , ein abmattendes
Geschäft, \onpan:, mitMühe athmen; chang {chi)^ in eine
ununterbrocheneReihe stellen, und a-chang, Ordnung,
Methode. Dies vorschlagende a wird aber wieder abgeworfen,
wenn das Substantivum als eines der letzten Glieder in ein Com-
positum tritt. Diese Abwerfung findet aber auch, wie wir weiter
unten bei ama sehen werden, in Fällen statt, v/o das a gewiss
keine Ableitungssylbe aus einer Wurzel ist. Es giebt auch Sub-
stantiva, welche ohne Aenderung der Bedeutung diesen Vorschlag
bald haben, bald entbehren. So lautet das oben angeführte pauil,
Lende, auch bisweilen apaiifi. Man kann daher doch di£s a
keiner wahren Ableitungssylbe gleichstellen.
In Zusammensetzungen sind theils zvv^ei Beschaflfenheits- oder
Handlungswörter (Carey's Wurzeln), theils zwei Nomina, theils
endlich ein Nomen mit einer solchen Wurzel verbunden. Der
erste Fall wird oft an der Stelle eines Modus des Verbum,
z. B. des Optativs durch die Verbindung irgend eines Verbal-
begriifs mit wünschen angewandt. Es werden jedoch auch
zwei Wurzeln bloss zur Modificirung des Sinnes zusammengesetzt
und ihren EinfluS auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 28^^
und alsdann fügt die letzte demselben bisweilen kaum eine kleine
Nuance hinzu; ja die Ursach der Zusammensetzung lässt sich bis-
weilen aus dem Sinne der einzelnen Wurzeln nicht errathen. So
heissen pan, pan-krä: und pan-kzcä Erlaubniss fordern, bitten;
krä: {kyä:) heisst Nachricht empfangen und geben, dann aber
auch getrennt se}'n, kwä sich trennen, nach vorheriger
Verbindung geschieden werden. In andren Compositis
ist die Zusammensetzung erklärlicher: so heisst prach-lmiä: gegen
etwas sündigen, übertreten Mv^di pr ach {prich) allein: nach
etwas hinwerfen, lunä: irren, auf falschem Wege seyn,
daher auch für sich allein: sündigen. Es wird also hier durch
die Zusammensetzung eine ^>rstärkung des Begriffs erreicht.
Aehnliche Fälle finden sich häufiger und zeigen deutlich, dass die
Sprache die Eigenthümlichkeit besitzt, sehr oft neben einer ein-
fachen und daher einsylbigen Wurzel ein aus zweien zusammen-
gesetztes und also zweisylbiges Verbum ohne alle irgend wesent-
liche Veränderung der Bedeutung und so zu büden, dass die
hinzutretende Wurzel den Begriff der anderen entweder bloss auf
etwas verschiedene Weise wiedergiebt oder ihn auch ganz ein-
fach wiederholt oder endlich einen ganz allgemeinen Begriff hin-
zufügt.*) Ich werde auf diese, für den Sprachbau überhaupt
*) Carey's Grammatik hebt diese Art der Composita nicht heraus und erwähnt
derselben nicht besonders. Sie ergiebt sich aber von selbst, wenn man das Barmanische
Wörterbuch prüfend durchgeht. Auch scheint Judson auf diese Gattung der Zusammen-
setzung hinzudeuten, wenn er v. pan bemerkt, dass dies Wort nur in Zusammensetzungen
mit Wörtern ähnlicher Bedeutung gebraucht wird. Ich lasse, um die Thatsache genau
festzustellen, hier noch einige Beispiele solcher Wörter folgen :
chi: und chi-nan: , auf etwas reiten oder fahren, nan: (nen: H.) für
sich : auf etwas treten;
tup {tök. Nach Carey wird o wie im Englischen yoke, nach Hough wie im
Englischen go ausgesprochen) und tup-hva , k n i e e n , kwa für sich :
niedrig seyn;
nä tind nä-hkan {nä-gah) , horchen, aufmerken, hkan für sich :
nehmen, empfangen;
pan {peil H.) und pan-pan:, ermüdet, erschöpft seyn, pan: für sich das-
selbe. Den gleichen Sinn hat pan-hrä: ; hrä: [shä:) für sich heisst : zurück-
weichen, aber auch: in geringer Menge vorhanden seyn;
rang (j^i) , sich erinnern, auf etwas sammeln, beobachten,
über etwas nachdenken, rang-hchaun, dasselbe mit noch be-
stimmterer Bedeutung des Zielens auf etwas, des Heraushebens einer
Sache, hchaun für sich : tragen, halten, vollenden, rang-pe: das-
selbe als das Vorige, pe: für sich : geben;
286 '• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
wichtige Erscheinung weiter unten wieder zurückkommen. Einige
solcher Wurzeln werden, auch wenn sie erste Glieder eines Com-
positum sind, niemals einzeln gebraucht. Von dieser Art ist hm-^
das immer nur zusammen mit wap {wet) vorkommt, obgleich beide
Wurzeln die Bedeutung des Compositum, sich aus Verehrung
verneigen, an sich tragen. Man sagt auch umgekehrt wap-tun-^
allein in verstärktem Sinn : auf der Erde kriechen, vorVor-
nehmen liegen. Bisweilen dienen auch Wurzeln dergestalt zu
Zusammensetzungen, dass nur ein Theil ihrer Bedeutung in das
Compositum übergeht und nicht darauf geachtet wird, dass der
Ueberrest derselben mit dem andren Gliede der Zusammensetzung
in Widerspruch steht. So wird hcJmat, sehr weiss seyn, nach
Judson's ausdrücklicher Bemerkung auch als Verstärkung mit
Wörtern andrer Farben gebraucht. Wie mächtig die Zusammen-
setzung auf das einzelne Wort wirkt, sieht man endlich auch daraus,
dass Judson bei dem oben dagewesenen Worte hchaim bemerkt,
dass dasselbe bisweilen durch die Verbindung, in welcher es steht,
eine besondere Bedeutung {a specific meaning) erhält.
Wo Nomina mit Wurzeln verbunden sind, stehen die letzteren
gewöhnlich hinter den ersteren : lak-tat {let-tat H.), ein Künstler,
Verfertiger, von lak {let H.), die Hand, und tat, in etwas
geschicktseyn, etwasverstehen. Diese Zusammensetzungen
kommen alsdann mit den Sanskritischen überein, wo wie in
dharmawid eine W^urzel als letztes Glied an ein Nomen gefügt ist.
hrä (shä) suchen, nach etwas sehen, hrä-kran {shä-gyaii) dasselbe,
^rfln für sich : denken, überlegen, nachsehen, beabsichtigen;
kan und kan-kwak, hindern, verstopfen, vereiteln, kwak {kwet)
für sich: in einen Kreis einschliessen, Gränzen festsetzen;
chang (cht) und chang-kä: , zahlreich, in Ueberfluss vorhanden
seyn, kä: für sich : ausbreiten, erweitern, zerstreuen;
ram: {ran, der Vocal wie im Englischen jpan) und rani:-hcha, auf etwas
rathen, versuchen, forschen, hcha für sich: überlegen, zwei-
felhaft seyn. Tau heisst auch für sich und mit hcha verbunden
rathen, wird aber nicht allein gebraucht;
pa nnd pa-tha, einem bösen Geiste darbieten, opfern, tha für sich:
neu machen, herstellen, aber auch: mitbringen, darbieten.
Ich habe in den obigen Beispielen Sorge getragen, immer nur mit gleichem Accent
versehene Wörter mit einander zu vergleichen. Wenn aber vielleicht, worüber meine
Hülfsmittel schweigen, auch Wörter verschiedenen Accentes in etymologischer Verbindung
stehen können, so würden sich viel mehr Fälle dieser Zusammensetzung aufweisen, auch
bisweilen die Herleitung von Wurzeln machen lassen, deren Bedeutungen dem Com-
positum noch besser entsprechen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 28'"
Oft aber wird in diesen Zusammensetzungen auch bloss die Wurzel
im Sinne eines Adjectivum genommen und dann entsteht nur
insofern ein Compositum, als die Barmanische Sprache ein mit
seinem Substantivum verbundenes Adjectivum immer als ein
solches betrachtet: nivä:-kmm, Kuh gute (genau: gut seyn).
Ein Compositum dieser Art im eigentlicheren Sinne des Worts
ist lü-chu, Menschenmenge, von lü, AI e n s c h , und chu, sich
versammeln. Bei der Zusammensetzung der Nomina unter
einander finden sich Fälle, wo dasjenige, welches das letzte Glied
ausmacht, sich so von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernt,
dass es zu einem Suffix allgemeiner Bedeutung wird. So wird
ama, Weib, Mutter,*) mit Wegwerf ung des a zu ma abgekürzt
und fügt dann dem ersten Gliede des Compositum die Bedeutung
des Grossen, Vornehmsten, Hauptsächlichen hinzu: tak {tet)^ das
Ruder, aber tak-ma, das hauptsächliche Ruder, das
Steuerruder.
Zwischen dem Nomen und dem Verbum giebt es in der
Sprache keinen ursprünglichen Unterschied. Erst in der Rede
wird derselbe durch die an das Wort geknüpften Partikeln be-
stimmt; man kann aber nicht, wie im Sanskrit, das Nomen an
bestimmten Ableitungssylben erkennen und der Begriff einer
zwischen der Wurzel und dem flectirten Nomen stehenden Grund-
form fällt im Barmanischen gänzlich hinweg. Höchstens machen
hiervon die durch Praefigirung eines a gebildeten, weiter oben er-
wähnten Substantiva eine Ausnahme. Alle grammatische Bildung
von Substantiven und Adjectiven besteht in deutlicher Zusammen-
setzung, wo das letzte Glied dem Begritf des ersten einen all-
gemeineren hinzufügt, es sey nun, dass das erste eine Wurzel
oder ein Nomen ist. Im ersteren Fall entstehen aus den Wurzeln
Nomina, im letzteren werden mehrere Nomina unter Einen Be-
griff, gleichsam unter eine Classe zusammengestellt. Es fällt in
die Augen, dass das letzte Glied dieser Zusammensetzungen nicht
eigentlich ein Affixum genannt werden könne, obgleich es in der
Barmanischen Grammatik immer diesen Namen trägt. Das wahre
Affixum zeigt durch die Lautbehandlung in der Worteinheit an,
dass es den bedeutsamen Theil des Wortes, ohne ihm etwas
materielles hinzuzufügen, in eine bestimmte Kategorie versetzt.
*) So erklärt Judson (v. ma) das Wort ama. Bei diesem Worte selbst aber giebt
er nur die Bedeutung Weib, ältere Schwester oder Schwester überhaupt;
Mutter lautet bei ihm eigentlich anii.
2gQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wo, wie hier, eine solche Lautbehandlung fehlt, ist diese Ver-
setzung nicht symbolisch in den Laut übergegangen, sondern der
Sprechende muss sie aus der Bedeutung des angeblichen Affixes
oder aus dem angenommenen Sprachgebrauch erst hineinlegen.
Diesen Unterschied muss man bei Beurtheilung der ganzen Bar-
manischen Sprache wohl im Auge behalten. Sie drückt Alles
oder doch das Meiste von dem aus, was durch Flexion angedeutet
werden kann, überall aber fehlt ihr der wahre symbolische Aus-
druck, durch welchen die Form in die Sprache übergeht und
wieder aus ihr in die Seele zurückkehrt. Daher findet man in
Carey's Grammatik unter dem Titel der Bildung der Nomina die
verschiedensten Fälle neben einander gestellt, abgeleitete Nomina,
rein zusammengesetzte, Gerundia, Participia u. s. f., und kann
diese Zusammenstellung nicht einmal wahrhaft tadeln, da in allen
diesen Fällen Wörter durch ein angebliches Affixuni unter Einen
Begriff und, soviel die Sprache Worteinheit besitzt, auch in Ein
Wort zusammengefasst werden. Es ist auch nicht zu läugnen,
dass der beständig wiederkehrende Gebrauch dieser Zusammen-
setzungen im Geiste der Sprechenden die letzten Glieder derselben
den wahren Affixen näher bringt, besonders wenn, wie im Bar-
manischen wirklich bisweilen der Fall ist, die sogenannten Affixa
gar keine für sich anzugebende Bedeutung oder in ihrer Selbst-
ständigkeit eine solche haben, die sich in ihrer Affigirung gar
nicht oder nur sehr entfernt wiederfinden lässt. Beide Fälle,
von denen sich aber der letztere, da die Ideenverbindungen so
mannigfaltig seyn können, nicht immer mit völliger Bestimmtheit
beurtheilen lässt, kommen in der Sprache, wie man bei der Durch-
gehung des Wörterbuchs sieht, nicht selten vor, ob sie gleich auch
nicht die häufigeren sind. Diese Neigung zur Zusammensetzung
oder Affigirung beweist sich auch dadurch, dass, wie wir schon
oben sahen, eine bedeutende Anzahl der Wurzeln und Nomina
niemals ausser dem Zustande der Zusammensetzung selbstständig
gebraucht wird, ein Fall, der sich auch in andren Sprachen,
namentUch im Sanskrit wiederfindet. Ein vielfältig gebrauchtes
und allemal die Verwandlung einer Wurzel, mithin eines Verbum
in ein Nomen mit sich führendes Affix ist hkyaii:*) Es bringt
den abstracten Begriff" des Zustandes, welchen das Verbum ent-
*) Carey. S. 144. §. 8. schreibt hkran und giebt dem Worte keinen Accent. Ich
bin Judson's Schreibung gefolgt.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 280
hält, hervor, die als Sache gedachte Handlung: die, senden,
che-likyafi: {che-gyen:)^ Sendung. Als für sich stehendes Verbum
heisst hkyafi: bohren, durchstechen, durchdringen, wo-
zwischen und seinem Sinne als Affixum gar kein Zusammenhang
zu entdecken ist. Unstreitig liegen aber diesen heutigen concreten
Bedeutungen verloren gegangene allgemeine zum Grunde. Alle
übrigen, Nomina bildenden Aftixa sind, soviel ich sie übersehen
kann, mehr particulärer Natur.
Die Behandlung des Adjectivum ist allein aus der Zusammen-
setzung zu erklären und beweist recht augenscheinlich, wie die
Sprache immer dies Mittel bei der grammatischen Bildung vor
Augen hat. An und für sich kann das Adjectivum nichts, als die
Wurzel selbst seyn. Seine grammatische Beschaifenheit erlangt
es erst in der Zusammensetzung mit einem Substantivum oder
wenn es absolut hingestellt wird, wo es, wie die Nomina, ein
praefigirtes a annimmt. Bei der Verbindung mit einem Substan-
tivum kann es vor demselben vorausgehen oder ihm nachfolgen,
muss sich aber in dem ersteren Falle durch eine Verbindungs-
partikel {thang oder tJiau) demselben anschliessen. Den Grund
dieses Unterschiedes glaube ich in der Natur der Zusammen-
setzung zu finden. Bei dieser muss das letzte Glied allgemeinerer
Natur seyn und das erste in seinen grösseren Umfang aufnehmen
können. Bei der Verknüpfung eines Adjectivum mit einem Sub-
stantivum hat aber jenes den grösseren Umfang und bedarf daher
eines seiner Natur angemessenen Zusatzes, um sich an das Sub-
stantivum anzufügen. Jene ^^erbindungspartikeln, von denen ich
w^eiter unten ausführlicher reden werde, erfüllen diesen Zweck und
die Verbindung heisst nun nicht sowohl z.B. ein guter Mann,
als: ein gut sey ender oder ein Mann, der gut ist, nur
dass im Barmanischen diese Begriffe umgekehrt (gut, welcher,
Mann) auf einander folgen. Das angebliche Adjectivum wird auf
diese Weise ganz als ^^erbum behandelt; denn wenn auf der
einen Seite kaun:-t]iang-lü der gute Mensch heisst, so würden,
für sich stehend, die beiden ersten Elemente des Compositum
er ist gut heissen. Noch deutlicher erscheint dies dadurch,
dass man ganz auf dieselbe Weise einem Substantivum, statt
eines blossen Adjectivum, ein voUkomm.enes, sogar mit dem von
ihm regierten Worte versehenes Verbum vorausschicken kann ; d e r
in der Luft fliegende Vogel lautet in Barmanischer Wort-
folge: Luftraum in fliegen (Verbindungspartikel) Vogel. Bei
W. V. Humboldt, Werke. VII. 19
290
1. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dem nachstehenden Adjectivum kommt die Stellung der Begrifte
mit den Zusammensetzungen überein, wo eine als letztes Glied
stehende Wurzel, wie besitzen, wägen, würdig seyn, mit
andren Wörtern durch ihre Bedeutung modificirte Nomina bildet.
In der Verbindung der Rede werden die Beziehungen der
Wörter auf einander durch Partikeln angezeigt. Es ist daher be-
greiflich, dass diese beim Nomen und Verbum verschieden sind.
Indess ist dies nicht einmal immer der Fall und Nomen und
Verbum fallen dadurch noch mehr in eine und dieselbe Kategorie.
Die Verbindungspartikel tJiang ist zugleich das wahre Nominativ-
zeichen und bildet auch den Indicativ des Verbum. In diesen
beiden Functionen findet sie sich in der kurzen Redensart i c h
t h u e , nä-t]ia7ig pru-thang, dicht neben einander. Hier liegt off en^
bar dem Gebrauche des Wortes eine andere Ansicht, als die ge-
wöhnliche Bedeutung der grammatischen Formen zum Grunde
und wir werden diese weiter unten aufsuchen. Dieselbe Partikel
wird aber als Endung des Instrumentalis aufgeführt und steht auf
diese Weise in folgender Redensart: ki-tat-thang Jichank-thang-im,
das durch einen geschickten Mann gebaute Haus.
Das erste dieser beiden Wörter enthält das Compositum aus
Mann und geschickt, welchem darauf das angebliche Zeichen
des Instrumentalis folgt. Im zweiten findet sich die Wurzel
bauen, hier im Sinne von gebaut seyn, auf die im Vorigen
angegebene Weise als Adjectivum vermittelst der Verbindungs-
partikel thang dem Substantivum im {ieng H.), Haus, vorn an-
gefügt. Es wird mir nun sehr zweifelhaft, ob der Begrifft des
Instrumentalis wirklich ursprünglich in der Partikel thang liegt
oder ob erst später grammatische Ansicht ihn hineintrug, da ur-
sprünglich im ersten jener Worte bloss der Begriff" des geschickten
Mannes lag und es dem Hörer überlassen blieb, die Beziehung
hinzuzudenken, in welcher derselbe hier vor das zweite Wort
gestellt wurde. Auf ähnliche Art giebt man thang auch als
Genitivzeichen an. Wenn man die grosse Zahl von Partikeln,
welche angeblich als Casus die Beziehungen des Nomen aus-
drücken, zusammennimmt, so sieht man deutlich, dass Pali-
Grammatiker, welchen überhaupt die Barmanische Sprache ihre
wissenschaftHche Anordnung und Terminologie verdankt, bemüht
gewesen sind, sie unter die acht Casus des Sanskrit und ihrer
Sprache zu vertheilen und eine Declination zu bilden. Genau ge-
nommen ist aber eine solche der Sprache fremd, die bloss in
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 2Q]
Rücksicht auf die Bedeutung der Partil^eln, durchaus nicht auf
den Laut des Nomen die angeblichen Casusendungen gebraucht.
Jedem Casus werden mehrere zugetheilt, die aber wieder jede
eigne Nuancen des Beziehungsbegriffes ausdrücken. Einige bringt
Carey auch noch nach Aufstellung seiner Declination abgesondert
nach. Zu einigen dieser Casuszeichen gesellen sich auch, bald
vorn, bald hinten, andere, den Sinn der Beziehung genauer be-
stimmende. Uebrigens folgen dieselben allemal dem Nomen nach
und zwischen diesem und ihnen stehen, wenn sie vorhanden sind,
die Bezeichnung des Geschlechts und die des Plurals. Die letztere
dient, so wie alle Casuszeichen, auch bei dem Pronomen und es
giebt keine eigne Pronomina für wir, ihr, sie. Die Sprache
scheidet also Alles nach der Bedeutsamkeit, verbindet nichts durch
den Laut und stösst dadurch sichtbar das natüriiche und ursprüng-
liche Streben des inneren Sprachsinns, aus Genus, Numerus und
Casus vereinte Lautmodificationen des materiell bedeutsamen Wortes
zu machen, zurück. Die ursprüngliche Bedeutung der Casuszeichen
lässt sich indess nur bei wenigen nachweisen, selbst bei dem Plural-
zeichen to' {do H.) nur dann, wenn man mit Nichtbeachtung der
Accente es von /ö.-, vermehren, hinzufügen, abzuleiten unter-
nimmt. Die persönlichen Pronomina erscheinen immer nur in
selbstständiger Form und dienen niemals, abgekürzt oder ver-
ändert, als Affixe.
Das Verbum ist, wenn man das blosse Stammwort betrachtet,
allein durch seine materielle Bedeutung kenntlich. Das regierende
Pronomen steht allemal vor demselben und deutet schon dadurch
an, dass es nicht zur Form des Verbum gehört, indem es sich
gänzlich von den, immer auf das Stammwort folgenden Verbal-
partikeln absondert. Was die Sprache von Verbalformen besitzt,
beruht ausschliesslich auf den letzteren, welche den Plural, wenn
er vorhanden ist, den Modus und das Tempus angeben. Eine
solche Verbalform ist dieselbe für alle drei Personen und die
einfache Ansicht des ganzen Verbum oder vielmehr der Satz-
bildung ist daher die, dass das Stammwort mit seiner Verbalform
ein Participium ausmacht, welches sich mit dem, von ihm unab-
hängig stehenden Subject durch ein hinzugedachtes Verbum seyn
verbindet. Das letztere ist zwar auch in der Sprache ausdrücklich
vorhanden, wird aber, wie es scheint, zu dem gewöhnlichen VerbaJ-
ausdruck selten zu Hülfe genommen.
Kehren wir nun zu der Verbalform zurück, so hängt sich der
19*
2Q2 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Pluralausdruck unmittelbar an das Stammwort oder an den Theil
an, der mit diesem als ein und ebendasselbe Ganze angesehen wird.
Es ist aber merkwürdig und hierin liegt ein Erkennungsmittel
des Verbum, dass das Pluralzeichen der Conjugation gänzlich von
dem der Declination verschieden ist. Das niemals fehlende ein-
sylbige Pluralzeichen kra {kyd) nimmt gewöhnlich, obgleich nicht
immer, noch ein zweites, kim, verwandt m\x. akim, völlig, voll-
ständig,*) unmittelbar nach sich und die Sprache beweist auch
hierin ihre doppelte Eigenthümlichkeit , die grammatische Be-
ziehung durch Zusammensetzung zu bezeichnen und in dieser
den Ausdruck, auch wo Ein Wort schon hinreichen würde, noch
durch Hinzufügung eines andren zu verstärken. Doch tritt hier
der nicht unmerkwürdige Fall, ein, dass einem mit verloren ge-
gangener ursprünglicher Bedeutung zum Affixum gewordenen
Worte eines von bekannter Bedeutung beigegeben wird.
Die Modi beruhen, wie schon oben erwähnt worden ist,
grösstentheils auf der Verbindung von Wurzeln allgemeinerer Be-
deutung mit den concreten. Auf diese Weise sich bloss nach der
materiellen Bedeutsamkeit richtend, gehen sie ganz über den
logischen Umfang dieser Verbalform hinaus und ihre Zahl wird
gewissermassen unbestimmbar. Die Tempuszeichen folgen ihnen
bis auf wenige Ausnahmen in der Anfügung an das eigentliche
Verbum nach; das Pluralzeichen aber richtet sich nach der
Festigkeit, mit welcher die den Modus anzeigende Wurzel mit
der concreten als verbunden betrachtet wird, worüber eine doppelte
Ansicht in dem Sprachsinne des Volks zu herrschen scheint. In
einigen wenigen Fällen tritt dasselbe zwischen beide Wurzeln, in
den meisten aber folgt es der letzten. Es ist offenbar, dass die
den Modus anzeigenden Wurzeln im ersteren Fall mehr von einem
dunklen Gefühl der grammatischen Form begleitet sind, da hin-
gegen im letzteren beide Wurzeln in der Vereinigung ihrer Be-
deutungen gleichsam als ein und dasselbe Stammwort gelten.
Unter dem, was hier Modus durch Verbindung von Wurzeln ge-
nannt wird, kommen Formen ganz verschiedener grammatischer
Bedeutung vor, z. B. die Causalverba, welche durch Hinzufügung
der Wurzel schicken, auftragen, befehlen gebildet werden.
*) Hough schreibt a-kim:. Die Bedeutung dieses Worts kommt von der im
Verbum kim liegenden: zum Ende kommen, welche aber von Erschöpfung ge-
braucht wird.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 20"?
und Verba, deren Bedeutung andere Sprachen durch untrennbare
Praepositionen modiliciren.
Von Tempuspartikeln führt Carey fünf des Praesens, drei zu-
gleich des Praesens und Praeteritum und zwei ausschliesslich dem
letzteren angehörende, dann einige des Futurum auf. Er nennt
die damit gebildeten Verbalbeugungen Formen des Verbum, ohne
jedoch den Unterschied des Gebrauchs der die gleiche Zeit be-
zeichnenden anzugeben. Dass jedoch unter ihnen ein Unterschied
gemacht wird, zeigt sich durch seine gelegentliche Aeusserung,
dass zwei, von denen er gerade spricht, w^enig in der Bedeutung
von einander abweichen. Von the: merkt Judson an, dass es an-
zeigt, dass die Handlung noch im gegenwärtigen Augenblicke
nicht fortzudauern aufgehört hat. Ausser den so aufgeführten
kommen aber auch noch andere, namentlich eine für die ganz
vollendete Vergangenheit^) vor. Eigentlich gehören nun diese
Tempuszeichen insofern dem Indicativus an, als sie an und für
sich keinen anderen Modus andeuten; einige derselben dienen
aber auch in der That zur Bezeichnung des Imperativus, der je-
doch auch seine ganz eigenen Partikeln hat oder durch die nackte
Wurzel angedeutet wird. Judson nennt einige dieser Partikeln
bloss euphonische oder ausfüllende. Verfolgt man sie im Wörter-
buche, so sind die meisten zugleich, wenn auch in einer gar nicht
oder nur entfernt verwandten Bedeutung, wirkliche Wurzeln und
das Verfahren der Sprache ist also auch hier bedeutsame Zu-
sammensetzung. Diese Partikeln machen der Absicht der Sprache
nach offenbar Ein Wort mit der Wurzel aus und man muss die
ganze Form als ein Compositum ansehen. Durch Buchstaben-
veränderung aber ist diese Einheit nicht angedeutet, ausgenommen
darin, dass in den oben angegebenen Fällen die Aussprache die
dumpfen Buchstaben in ihre unaspirirten tönenden verwandelt.
Auch dies wird von Care}^ nicht ausdrücklich bemerkt; es scheint
aber aus der Allgemeinheit seiner Regel und der Schreibung bei
Hough zu folgen, der diese Umwandlung bei allen auf diese
Weise als Partikeln gebrauchten Wörtern anwendet und z. B. das
Zeichen vollendeter Vergangenheit pri: in der Angabe der Aus-
sprache byi: schreibt. Auch eine wirklich in der geschriebenen
\i 'Nach „ Vergangenheit" gestrichen : „und zwar durch diese mit jener ver-
bunden und alsdann entweder bloss unmittelbar hinter die Wurzel oder auch hinter
eines der andren übrigen Tempus-Kennzeichen gestellt".
2Q4. ^' über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Sprache vorkommende Zusammenziehung der Vocale zweier solcher
eins3dbigen Wörter finde ich in dem Futurum der Causalverba.
Das Causalzeichen che (die Wurzel befehlen) und die Partikel
aiv des Futurum v/erden zu cMm'*) Der gleiche Fall scheint mit
der zusammengesetzten Partikel des Futurum linv-mang statt zu
finden, wo nemlich die Partikel U mit aii' zu livv zusammen-
gezogen und dann eine andere Partikel des Futurum, maitg,
hinzugesetzt wird. Aehnliche Fälle mag zwar die Sprache noch
aufweisen, doch können sie, da man ihnen sonst nothwendig öfter
begegnen müsste, unmöglich häufig seyn. Die hier geschilderten
Verbalformen lassen sich wieder durch Anfügung von Casus-
zeichen decliniren, dergestalt, dass das Casuszeichen entweder un-
mittelbar an die Wurzel oder- an die sie begleitenden Partikeln
geheftet wird. Wenn dies zwar mit der Natur der Gerundien
und Participien anderer Sprachen übereinkommt, so w^erden wir
doch weiter unten sehen, dass die Barmanische auch noch in einer
ganz eigenthümlichen Art Verba und Verbalsätze als Nomina be-
handelt.
Von den hier erwähnten Partikeln der Modi und Tempora
muss man eine andere absondern, welche auf die Bildung der
Verbalformen den wesentlichsten Einüuss ausübt, aber auch dem
Nomen angehört und in der Grammatik der ganzen Sprache eine
wichtige Rolle spielt. Man erräth schon aus dem Vorigen, dass
ich hier das, als Nominativzeichen weiter oben erwähnte thang
meine. Auch Carey hat diesen Unterschied gefühlt. Denn ob er
gleich thano; als die erste der Praesensformen des Verbum bildend
aufführt, so behandelt er es doch unter dem Namen einer Ver-
bindungspartikel {connecttve increment) immer ganz abgesondert.
Thmig fügt dem Verbum nicht, wie die übrigen Partikeln, eine
Modification hinzu,**) ist vielmehr für seine Bedeutung unwesent-
lich ; es zeigt aber an, in welchem grammatischen Sinne das Wort,
dem es sich anschliesst, genommen werden soll, und begränzt,
wenn der Ausdruck erlaubt ist, seine gramm^atischen Formen.
Es gehört daher beim Verbum nicht zu den bedeutsamen, sondern
zu den, bei der Zusammenfügung der Elemente der Rede das
*) Carey. S. ii6. §. 112. Judsoa. v. chivv.
**j Dies sagt Carey ausdrücklich an mehreren Stellen seiner Grammatik. S. 96.
§. 34. S. HO. §. 92. 93. Inwiefern aber seine noch weiter gehende Behauptung, das
Wort besässe gar keine Bedeutung für sich, gegründet ist, werden wir gleich sehen.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 2Qt;
Verständniss leitenden Wörtern und kommt ganz mit dem Be-
griff der im Chinesischen hohl oder leer genannten Wörter über-
ein. Wo thmig das Verbum begleitet, stellt es sich entweder,
wenn keine andere Partikel vorhanden ist, unmittelbar hinten an
die Wurzel oder folgt den andren vorhandenen Partikeln nach.
In beiden Stellungen kann es durch Anheftung von Casuszeichen
flectirt w^erden. Es zeigt aich aber hier der merkwürdige Unter-
schied, dass bei der Declination des Nomen thang bloss das
Nominativzeichen ist und bei der Anfügung der übrigen Casus
nicht weiter erscheint, bei der des Participium (denn für ein
solches kann man doch hier nur das Verbum nehmen) hingegen
seine Stelle behält. Dies scheint zu beweisen, dass seine Be-
stimmung im letzteren Fall die ist, das Zusammengehören der
Partikeln mit der Wurzel, folglich die Begränzung der Participial-
form anzuzeigen. Seinen regelmässigen Gebrauch findet es nur
im Indicativus. Vom Subjunctivus ist es gänzlich ausgeschlossen,
ebenso vom Imperativus, und auch noch in einigen einzelnen
andren Fügungen fällt es hinweg. Nach Carey dient es, die
Participialformen mit einem folgenden Worte zu verbinden, was
insofern mit meiner Behauptung übereinkommt, dass es eine Ab-
gränzung jener Formen von der auf sie folgenden ausmacht.
Wenn man das hier Gesagte zusammennimmt und mit dem Ge-
brauche des Wortes beim Nomen verbindet, so fühlt man bald,
dass dasselbe nicht nach der Theorie der Redetheile erklärt werden
kann, sondern dass man, wie bei den Chinesischen Partikeln, zu
seiner ursprünglichen Bedeutung zurückgehen muss. In dieser
drückt es nun den Begriff: dieses, also aus und wird in der
That von Carey und Judson (welche nur diese Bedeutung nicht
mit dem Gebrauche des Worts als Partikel in Verbindung bringen)
ein Demonstrativpronomen und Adverbium genannt. In beiden
Functionen bildet es, als erstes Glied, mehrere Composita. Sogar
bei der Verbindung von Verbalwurzeln, wo eine von allgemeinerer
Bedeutung den Sinn der andren modificirt, führt Carey tkaiig in
einem seiner Adverbialbedeutung verwandten Sinne: entsprechen,
übereinkommen (also: ebenso seyn) an, hat es jedoch nicht in
sein Wurzelverzeichniss aufgenommen und giebt leider auch kein
Beispiel dieser Bedeutung.*) In demselben Sinne scheint es mir
*) S. 115. §. 110. Die andren zu vergleichenden Stellen sind S. 67. 74. §. 75.
S. 162. §. 4. S. 169. §. 24. S. 170. §. 25. S. 173.
2q6 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
nun als Leitungsmittel des Verständnisses gebraucht zu werden.
Indem der Redende einige Worte, die er genau zusammen-
genommen wissen will, oder die Substantiva und Verba besonders
heraushebt, lässt er auf sie: dies! also! folgen und wendet die
Aufmerksamkeit des Hörers auf das Gesagte, um es nun weiter
mit dem Folgenden zu verbinden oder auch, wenn thang das
letzte Wort des Satzes ist, die vollendete Rede zu beschliessen.
Auf diesen Fall passt Carey's Erklärung von thang, als einer, Vor-
hergehendes und Nachfolgendes mit einander verbindenden Partikel
nicht und daher mag seine Aeusserung kommen, dass die mit
thang verbundene Wurzel oder Verbalform die Kraft eines Ver-
bum hat, wenn sie sich am Schluss eines Satzes befindet.*) In
der Mitte der Rede ist die mit thang verbundene Verbalform nach
ihm ein Participium oder wenigstens eine Fügung, in der man
nur mit Mühe das wahre Verbum erkennt, am Schluss eines
Satzes aber ein wirklich flectirtes Verbum. Mir scheint dieser
Unterschied ungegründet. Auch am Schluss eines Satzes ist die
hier besprochene Form nur Participium oder genauer zu reden
nur eine nach Aehnlichkeit eines Participium modificirte. Die
eigentliche Verbalkraft muss in beiden Stellungen immer hinzu-
gedacht werden.
Dieselbe wirklich auszudrücken, besitzt jedoch die Sprache
noch ein anderes Mittel, über dessen wahre Beschaffenheit zwar
weder Carey noch Judson vollkommene Aufklärung gewähren,
das aber mit der Kraft eines hinzugefügten Hülfsverbum grosse
Aehnlichkeit hat. Wenn man nemlich einen Satz durch ein
wirklich flectirtes Verbum wahrhaft beschliessen und alle Ver-
bindung mit dem Folgenden aufheben will, so setzt man der
Wurzel oder der Verbalform eng [i H.) an der Stelle von thang
nach. Es wird hierdurch allem Misverständniss vorgebeugt, das
aus der verbindenden Natur von thaiig entspringen könnte, und
die Reihe an einander hängender Participien wirklich zum Schluss
gebracht; pru-eng heisst nun wirklich (ich u. s. w.) thue, nicht
mehr: ich bin ihMend, pru-pri:-mg ich habe gethan, nicht:
ich bin thuend gewesen. Die eigentliche Bedeutung dieses
Wörtchens giebt weder Carey noch Judson an. Der Letztere sagt
bloss, dass dasselbe mit hri {shi)^ seyn, gleichgeltend [equivalent)
sey. Dabei erscheint es aber sonderbar, dass es zur Gonjugation
*) S. 96. §. 34-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 207
dieses Verbum selbst gebraucht wird.*) Nach Carey und Hough
ist es auch Casuszeichen des Genitivs: lü-eng, des Menschen.
Judson hat diese Bedeutung nicht.**) Dieses Schlusszeichen wird
aber, wie Carey versichert, im Gespräch selten gebraucht und
auch in Schriften findet es sich hauptsächlich in Uebersetzungen
aus dem Pali, ein Unterschied, der sich aus der Neigung des
Barmanischen, die Sätze der Rede an einander zu hängen, und
dem regelmässigen Periodenbau einer Tochtersprache des Sanskrit
erklärt. Einen näheren Grund, warum gerade Uebersetzungen
aus dem Pali dies Hülfswort lieben, glaube ich auch noch darin
zu finden, dass die Pali-Sprache Participien mit dem Verbum
seyn zur Andeutung mehrerer Tempora verbindet und alsdann
immer das Hülfsverbum mit einiger Lautveränderung nachfolgen
lässt. ***) Die Barmanischen Uebersetzer konnten, sich genau an
die Worte haltend, ein Aequivalent dieses Hülfsverbum suchen
und dazu eng wählen. Deshalb ist aber dies Wort nicht weniger
ein acht Barmanisches, kein dem Pali abgeborgtes. Eine treue
Uebertragung der Hülfsform des Pali war schon darum un-
möglich, weil das Barmanische Verbum nicht die Bezeichnung
der Personen in sich aufnimmt. Eine Eigenheit der Sprache ist
es, dass dieses Schlusswort zwar hinter allen andren Verbalformen,
nicht aber hinter denen des Futurum gebraucht werden kann.
Die erwähnte Pali-Construction scheint sich vorzugsweise bei
Zeiten der Vergangenheit zu finden. Der Grund kann aber
schwerlich in der Natur der Partikeln des Futurum liegen, da
diese thang ohne Schwierigkeit zulassen. Carey, der eine lobens-
wäirdige Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung der Participial-
formen und des flectirten Verbum wendet, bemerkt, dass die
befehlende und fragende Form des Verbum die einzigen in der
Sprache sind, welche einigen Anschein dieses letzteren Redetheiles
haben, f) Diese scheinbare Ausnahme liegt aber auch nur darin,
dass die genannten Formen nicht mit Casuszeichen verbunden
w^erden können, mit welchen sich die ihnen eigenthümlichen
Partikeln nicht verbinden würden. Denn diese Partikeln schliessen
*) So im Evangelium Johannis. 21, 2. hri-kra-eng (shi-gya-i), sie sind oder
waren.
**) Carey. S. 79. §. I. S. 96. §. 37. S. 44. 46. Hough. S. 14. Judson. v. eng.
***) Burnouf und Lassen. Essai sw le Pali. S. 136. 137.
t) S. 109. §. 88.
2q3 I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
die Form und das verbindende thang steht bei den fragenden
Verben vor denselben, um sie selbst an die Tempuspartilveln an-
zuknüpfen.
Sehr ähnliche Beschaffenheit mit dem oben betrachteten thanz
hat die Verbindungspartikel thau. Da es mir aber hier nur darauf
ankommt, den Charakter der Sprache im Ganzen anzugeben, so
übergehe ich die einzelnen Punkte ihrer Uebereinstimmung und
Verschiedenheit. Es giebt noch andere Verbindungspartikeln, welche
gleichfalls, ohne dem Sinn etwas hinzuzufügen, an die Verbal-
form geheftet werden und alsdann thang und thau von ihrer
Stelle verdrängen. Einige von diesen werden aber auch bei andren
Gelegenheiten, als Bezeichnungen des Conjunctivus gebraucht
und nur der Zusammenhang der Rede verräth ihre jedesmahge
Bestimmung.
Die Folge der Theiie des Satzes ist so, dass zuerst das Subject,
dann das Object, zuletzt aber das Verbum steht: Gott die Erde
schuf, der König zu seinem General sprach, er mir gab. Die
Stelle des Verbum in dieser Construction ist offenbar nicht die
natürliche, da dieser Redetheil sich in der Folge der Ideen
zwischen Subject und Object stellt. Im Barmanischen aber erklärt
sie sich dadurch, dass das Verbum eigentlich nur ein Participium
ist, das erst später seinen Schlusssatz erwartet, und auch eine
Partikel in sich trägt, deren Bestimmung Verbindung mit etwas
Folgendem ist. Diese Verbalform nimmt nun, ohne als wirkliches
Verbum den Satz zu bilden, alles Vorhergehende in sich auf und
trägt es in das Nachfolgende über. Carey bemerkt, dass die
Sprache vermöge dieser Formen, soweit als es ihr gefällt, Sätze
in einander verweben kann, ohne zu einem Schlüsse zu gelangen,
und setzt hinzu, dass dies in allen rein Barmanischen Werken in
hohem Grade der Fall se}^ Je mehr nun der Schlussstein eines
ganzen, in an einander gehängten Sätzen fortlaufenden Raisonne-
ments hinausgerückt wird, desto sorgfältiger muss die Sprache seyn,
die einzelnen Sätze immer mit jedem untergeordneten Endwort ab-
zuschliessen. Dieser Form bleibt sie nun auch durchaus getreu
und lässt immer die Bestimmung dem zu Bestimmenden voraus-
gehen. Sie sagt daher nicht: der Fisch ist im Wasser, der Hirt
geht mit den Kühen, ich esse Reiss mit Butter gekocht, sondern :
im Wasser der Fisch ist, mit den Kühen der Hirt geht, ich mit
Reiss gekocht Butter esse. Auf diese Weise stellt sich an das
Ende jedes Zwischensatzes immer ein Wort, welches keine Be-
und ihren Einfiufi auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 2QQ
Stimmung mehr nach sich zu erwarten hat. Vielmehr geht regel-
mässig die weitere Bestimmung immer der engeren voraus. Dies
wird besonders deutlich in Uebersetzungen aus andren Sprachen.
Wenn es in der Englischen Bibel im Evangelium Johannis 21. 2.
heisst : and Nathanael of Cana in Galüee, so dreht die Barmanische
Uebersetzung den Satz um und sagt: Galiläa des Distrikts Cana
der Stadt Abkömmling Nathanael.
Ein anderes ^klittel, viele Sätze mit einander zu verknüpfen,
ist die Verwandlung derselben in Theile eines Compositum, wo
jeder einzelne Satz ein dem Substanti"vTim vorausgehendes Ad-
jecti"VTim bildet. In der Redensart: ich preise Gott, welcher alle
Dinge geschaffen hat, welcher frei von Sünde ist u. s. f., v/ird
jeder dieser, noch so zahlreichen Sätze durch das oben schon in
dieser Function betrachtete tJiau mit dem Substantivum, das aber
erst dem letzten von ihnen nachfolgt, verbunden. Diese einzelnen
Relativsätze gehen also voran und Vv'erden mit dem auf sie
folgenden Substantivum als ein zusammengesetztes Wort an-
gesehen; das Verbum (ich preise) beschliesst den Satz. Zur Er-
leichterung des Verständnisses sondert aber die Barmanische
Schrift jedes einzelne Element des langen Compositum durch ihr
Interpunctionszeichen ab. Die Regelmässigkeit dieser Stellung
macht es eigentlich leicht, dem Periodenbaue nachzugehen, wobei
man nur, in Sätzen der beschriebenen Art, vom Ende gegen den
Anfang vorschreiten muss. Nur beim Hören muss die Auf-
merksamkeit schwierig angespannt werden, ehe sie erfährt, wem
die endlos vorangeschickten Praedicate gelten sollen. A'ermuthlich
aber vermeidet die Umgangssprache so zahlreich an einander ge-
reihte Redensarten.
Es ist der Barmanischen Construction durchaus nicht eigen,
die einzelnen Theile der Perioden in gehöriger Absonderung der-
gestalt zu ordnen, dass der regierte Satz dem regierenden nach-
folgte. Sie sucht vielmehr immer den ersteren in den letzteren
aufzunehmen, wo er ihm dann natürlich vorausgehen miuss. Auf
diese Weise werden in ihr ganze Sätze wie einzelne Nomina be-
handelt. Um z. B. zu sagen: ich habe gehört, dass du deine
Bücher verkauft hast, dreht sie die Redensart um, iässt in der-
selben deine Bücher vorangehen, hierauf das Perfectum des
Verbum verkaufen folgen und fügt nun diesem das Accusativ-
zeichen bei, an das sich wieder zuletzt ich habe gehört schliesst.
Wenn es der hier versuchten Zergliederung gelungen ist, die
OQO !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Bahn richtig herauszufinden, auf welcher die Barmanische Sprache
den Gedanlven in der Rede zusammenzufassen strebt, so sieht
man, dass sie sich zwar auf der einen Seite von dem gänzlichen
Mangel grammatischer Formen entfernt, allein auf der andren
auch die Bildung derselben nicht erreicht. Sie befindet sich in-
sofern in der That in der Mitte zwischen beiden Gattungen des
Sprachbaues. Zu wahrhaft grammatischen Formen zu gelangen,
verhindert sie schon ihr ursprünglicher Wortbau, da sie zu den
einsylbigen Sprachen der zwischen China und Indien wohnenden
Volksstämme gehört. Zwar wirkt diese Eigenthümlichkeit der
Wortbildung nicht gerade dadurch auf den tieferen Bau dieser
Sprachen ein, dass jeder Begriff in einzelne eng verbundene Laute
eingeschlossen wird. Da aber in diesen Sprachen die Einsylbigkeit
nicht zufällig entsteht, sondern die Organe sie absichtlich und
vermöge ihrer individuellen Richtung festhalten, so ist mit ihr
das einzelne Herausstossen jeder Sylbe verbunden, was dann
natürlich durch die Unmöglichkeit, mit den materiell bedeutsamen
Wörtern BeziehungsbegrifFe anzeigende Suffixa zu verschmelzen,
in die innersten Tiefen des Sprachbaues eingreift. Die Indo-
chinesischen Nationen, sagt Leyden,*) haben eine Menge von
Pali-Wörtern in sich aufgenommen, si^ passen sie aber alle ihrer
eigenthümlichen Aussprache an, indem sie jede einzelne Sylbe als
ein besonderes Wort hervorstossen. Diese Eigenschaft also muss
man als die charakteristische Eigenthümlichkeit dieser Sprachen,
so wie der Chinesischen ansehen und bei den Untersuchungen
über ihren Bau fest im Auge behalten, wenn nicht sogar, da alle
Sprache vom Laute ausgeht, demselben zum Grunde legen. Mit
ihr ist eine zweite, andren Sprachen in viel geringerem Grade an-
gehörende verbunden, die Vermannigfaltigung und Vermehrung
des Wortreichthums durch die den Wörtern beigegebenen ver-
schiedenen Accente. Die Chinesischen sind bekannt; einige Indo-
chinesische Sprachen aber, namentlich die Siamesische und Anam-
Sprache besitzen eine so grosse Menge derselben, dass es unsrem
Ohre fast unmöglich ist, sie richtig zu unterscheiden. Die Rede
wird dadurch zu einer Art Gesang oder Recitativ und Low ver-
gleicht die Siamesischen vollkommen mit einer musikalischen Ton-
leiter.**) Diese Accente geben zugleich zu noch grösseren und
*) Asiat, res. X. 222.
**) A Grammar of the Thai or Siamese Langiiage. S. 12 — 19.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. oqi
zahlreicheren Dialektverschiedenheiten, als die wahren Buchstaben
Veranlassung und man versichert, dass in Anam jede irgend be-
deutende Ortschaft ihren eignen Dialekt hat und dass benachbarte,
um sich zu verständigen, bisweilen zu der geschriebenen Sprache
ihre Zuflucht nehmen müssen.*) Die Barmanische Sprache be-
sitzt zwei solcher Accente, den in der Barmanischen Schrift mit
zwei am Ende des Worts über einander stehenden Punkten be-
zeichneten langen und sanften und den durch einen unter das
Wort gesetzten Punkt angedeuteten kurzen und abgebrochnen.
Rechnet man hierzu die accentlose Aussprache, so lässt sich das-
selbe Wort mit mehr oder minder verschiedener Bedeutung in
dreifacher Gestalt in der Sprache auffinden: p6 , aufhalten,
aufschütten, überfüllen, ein langer ovaler Korb, /^z,
an einander heften oder binden, aufhängen, ein
Insect, Wurm, pö- , tragen, herbeibringen, lehren,
unterrichten, darbringen (wie einen Wunsch oder Segen),
in oder auf etwas geworfen werden; nä, ich, nä:, fünf,
ein Fisch. Nicht jedes Wort aber ist dieser verschiednen
Accentuation fähig. Einige Endvocale nehmen keinen beider
Accente, andere nur einen derselben an und immer können sie
nur sich an Wörter heften, die mit einem Vocal oder nasalen
Consonanten endigen. Dies letztere beweist deutlich, dass sie
Modificationen der Vocale sind und untrennbar mit ihnen zu-
sammenhängen. Wenn zwei Barmanische einsylbige Wörter als
ein Compositum zusammentreten, so verliert darum das erste
seinen Accent nicht, woraus sich wohl schliessen lässt, dass die
Aussprache auch in Zusammensetzungen die Sylben gleich be-
sonderen Wörtern aus einander hält. Man pflegt diese Accente
dem Bedürfniss der einsylbigen Sprachen zuzuschreiben, die An-
zahl der möglichen Lautverbindungen zu vermehren. Ein so ab-
sichtliches Verfahren ist aber kaum denkbar. Es scheint um-
gekehrt viel natürlicher, dass diese mannigfaltigen Modificationen
der Aussprache zuerst und ursprünglich in den Organen und den
Lautgewohnheiten der Völker lagen, dass, um sie deutlich aus-
tönen zu lassen, die Sylben einzeln und mit kleinen Pausen dem
Ohre zugezählt wurden und dass eben diese Gewohnheit nicht
zu der Bildung mehrsylbiger Wörter einlud.
Die einsylbigen Indo-Chinesischen Sprachen haben daher auch.
*) Asiat, res. X. 270.
O02 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ohne irgend eine historische Verwandtschaft unter ihnen voraus-
zusetzen, mehrere Eigenschaften durch ihre Natur selbst sowohl
mit einander, als mit dem Chinesischen gemein. Ich bleibe jedoch
hier nur bei der Barmanischen stehen, da mir von den übrigen
keine Hülfsmittel zu Gebote stehen, welche hinreichende Data zu
Untersuchungen, wie die gegenwärtigen sind, darböten.*) Von
der Barmanischen Sprache muss man zuerst zugestehen, dass sie
niemals den Laut der Stammwörter zum Ausdruck ihrer Be-
ziehungen modificirt und die grammatischen Kategorieen nicht
zur Grundlage ihrer Redefügung macht. Denn wir haben oben
gesehen, dass sie dieselben nicht ursprünglich an den Wörtern
unterscheidet, dasselbe Wort mehreren zutheilt, die Natur des
Verbum verkennt und sogar eine Partikel dergestalt zugleich
beim Verbum und beim Nomen gebraucht, dass nur die Be-
deutung des Worts und wo auch diese nicht ausreicht, der Zu-
sammenhang der Rede schliessen lässt, v/elche beider Kategorieen
gem^eint ist. Das Princip ihrer Redefügung ist, anzudeuten, welches
Wort in der Rede das andere bestimmt. Hierin kommt sie völlig
mit der Chinesischen überein.**) Sie hat, um nur dies anzuführen,
wie diese, unter ihren Partikeln eine nur zur Anordnung der
Construction bestimmte, zugleich und zu demselben Zwecke
trennende und verbindende; denn die Aehnlichkeit zwischen
thang und dem Chinesischen tchi in diesem Gebrauche in der
Construction ist zu auffallend, als dass sie verkannt werden
könnte.***) Dagegen weicht die Barmanische Sprache wieder sehr
bedeutend von der Chinesischen, sowohl in dem Sinne, in welchem
sie das Bestimmen nimmt, als in den Mitteln der Andeutung ab.
Das Bestimmen, von welchem hier die Rede ist, begreift nemlich
zwei Fälle unter sich, die es sehr wesentlich ist, sorgfältig von
einander zu unterscheiden: das Regiert-werden eines Wortes durch
*) Ueber die Siamesische Sprache giebt zwar Low höchst wichtige Aufschlüsse,
die noch ungleich belehrender werden, wenn man damit Burnouf's vortreffliche Be-
urtheilung seiner Schrift im Nouv. Journ. Asiat. IV. 2io. vergleicht. Allein über die
meisten Theile der Grammatik ist er zu kurz und begnügt sich zu sehr, statt der
Regeln bloss Beispiele zu geben, ohne diese einmal gehörig zu zergliedern. Ueber
die Anamitische Sprache habe ich bloss Leyden's schätzbare, aber für den jetzigen
Standpunkt der Sprachkunde wenig genügende Abhandlung [Asiat, res. X. 158.) vor mir.
**) Mein Brief an Abel-Remusat. S. 3t.')
***) /. c. S. 31— 34.1)
V Vgl. Band 5, 270.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. oqq
das andre und die Vervollständigung eines von gewissen Seiten
unbestimmt gebliebenen Begriffs. Das Wort muss qualitativ seinem
Umfang und seiner Beschalfenheit nach und relativ seiner Causa-
lität nach als von andren abhängig oder selbst andre leitend be-
gränzt werden.*) Die Chinesische Sprache unterscheidet in ihrer
Construction beide Fälle genau und wendet jeden da an, wo er
wahrhaft hingehört. Sie lässt das regierende Wort dem regierten
vorangehen, das Subject dem Verbum, dieses seinem directen
Objecte, dies letztere endlich seinem indirecten, wenn ein solches
vorhanden ist. Hier lässt sich nicht eigentlich sagen, dass das
vorangehende Wort die Vervollständigung des Begriffs enthalte;
vielmehr wird das Verbum sowohl durch das Subject, als durch
das Object, in deren Mitte es steht, in seinem Begriffe vervoll-
ständigt und ebenso das directe Object durch das indirecte. Auf
der andren Seite lässt sie das ven'ollständigende Wort immer dem
von der Seite des Begriffs desselben noch unbestimmten voraus-
gehen, das Adjectivum dem Substantivum, das Adverbium dem
Verbum, den Genitiv dem Nominativ, und beobachtet hierdurch
wieder gewissermassen ein dem im Vorigen entgegengesetztes Ver-
fahren. Denn gerade dies noch unbestimmte, hier nachstehende
Wort ist das regierende und müsste nach der Analogie des
vorigen Falles, als solches, vorausgehen. Die Chinesische Con-
struction beruht also auf zwei grossen, allgemeinen, aber in sich
verschiedenen Gesetzen und thut sichtbar wohl daran, die Be-
ziehung des Verbum auf sein Object durch eine besondere
Stellung entschieden herauszuheben, da das Verbum in einem
viel gewichtigeren Sinne, als jedes andere Wort im Satze, regierend
ist. Das erstere wendet sie auf die Hauptgliederung des Satzes»
das letztere auf seine Nebentheile an. Hätte sie dieses dem
ersteren nachgebildet, so dass sie Adjectivum, Adverbium und
*) In meinem Briefe an Abel-Remusat (S. 41. 42.)^) habe ich den Fall der Ver-
vollständigung als die Beschränkung eines Begriffs von weiterem Umfange auf einen
von kleinerem bezeichnet. Beide Ausdrücke laufen aber hier auf dasselbe hinaus.
Denn das Adjectivum vervollständigt den Begriff des Substantivum vmd wird in seinem
jedesmaligen Gebrauch von seiner weiten Bedeutung auf einen einzelnen Fall beschränkt.
Ebenso ist es mit dem Adverbium und Verbum. Weniger deutlich erscheint das Ver-
hältniss beim Genitiv. Doch auch hier werden die in dieser Relation gegen einander
stehenden Worte als von vielen bei ihnen möglichen Beziehungen auf Eine bestimmte
beschränkt betrachtet.
V Vgl. Band s, 277.
304
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Genitiv dem Substantivum , Verbum und Nominativ nachfolgen
Hesse, so würde zwar die, gerade aus dem hier entwiclvelten
Gegensatz entspringende Concinnität der Satzbildung dadurch
leiden, auch die Stellung des Adverbium nach dem ^^e^bum das-
selbe nicht deutlich vom Objecte zu unterscheiden erlauben; allein
der blossen Anordnung des Satzes selbst, der Uebereinstimmung
zwischen seinem Gange und dem inneren des Sprachsinnes ge-
schähe dadurch kein Eintrag. Das Wesentliche war, den Begriff:
des Regierens richtig festzustellen, und an ihm hält die Chine-
sische Construction mit den wenigen Ausnahmen fest, welche in
allen Sprachen mehr oder weniger Abweichungen von der ge-
wöhnlichen Regel der Wortstellung rechtfertigen. Die Barmanische
Sprache unterscheidet jene zwei Fälle so gut als gar nicht, bewahrt
eigentlich nur Ein Constructionsgesetz und vernachlässigt gerade
das wichtigere von beiden. Sie lässt bloss das Subject dem
Object und Verbum voran-, das letztere aber dem Objecte nach-
gehen. Durch diese Verkehrung macht sie es mehr als zweifel-
haft, ob sie im Voranschicken des Subjects den Zweck hat, es
wirklich als regierend darzustellen, und nicht vielmehr dasselbe als
eine Vervollständigung der nachfolgenden Satztheile ansieht. Das
regierte Object wird offenbar als eine vervollständigende Be-
stimmung des Verbum betrachtet, welches, als an sich selbst un-
bestimmt, auf die vollständige Aufzählung aller Bestimmungen
durch sein Subject und Object folgt und den Satz beschliesst.
Dass Subject und Object wieder, jedes für sich, die sie vervoll-
ständigenden Nebenbestimmungen vorn an sich anfügen, versteht
sich von selbst und ist aus den im Vorigen angeführten Bei-
spielen klar.
Dieser Unterschied der Barmanischen und Chinesischen Con-
struction entspringt sichtbar aus der im Chinesischen liegenden
richtigen Ansicht des Verbum und der mangelhaften der Bar-
manischen Sprache. Die Chinesische Construction verräth das
Gefühl der wahren und eigenthümlichen Function des Verbum.
Sie drückt dadurch, dass sie dasselbe in die Mitte des Satzes
zwischen Subject und Object stellt, aus, dass es ihn beherrscht
und die Seele der ganzen Redefügung ist. Auch von Laut-
modificationen an demselben entblösst, giesst sie durch die blosse
Stellung über den Satz das Leben' und die Bewegung aus, welche
vom Verbum ausgehen, und stellt das actuale Setzen des Sprach-
sinnes dar oder verräth wenigstens das innere Gefühl desselben.
■und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. oqz
Im Barmanischen verhält sich dies alles durchaus auf andere
Weise. Die Verbalformen schwanken zwischen flectirtem Verbum
und Participium, sind dem materiellen Sinne nach eigentlich das
letztere und können den formalen nicht erreichen, da die Sprache
für das Verbum selbst keine Form besitzt. Denn seine wesent-
liche Function findet nicht allein keinen Ausdruck in der Sprache,
sondern die eigenthümliche Bildung der angeblichen Verbalformen
und ihr sichtbarer Anklang an das Nomen beweisen, dass in den
Sprechenden selbst alles lebendige Durchdringen des Gefühls der
wahren Kraft des Verbum mangelt. Bedenkt man auf der andren
Seite, dass die Barmanische Sprache das Verbum^ so ungleich
mehr, als die Chinesische durch Partikeln charakterisirt und vom
Nomen unterscheidet, so erscheint es um so wunderbarer, dass
sie dasselbe dennoch aus seiner wahren Kategorie herausrückt.
Uniäugbar aber ist es nicht bloss so, sondern die Erscheinung
wird auch dadurch erklärlicher, dass die Sprache das Verbum
bloss nach Modificationen, die auch materiell genommen werden
können, bezeichnet, ohne nur eine Ahndung des in ihm lediglich
Formalen zu verrathen. Die Chinesische Sprache bedient sich
■dieser materiellen Andeutung selten, enthält sich derselben oft
gänzlich, erkennt aber in der richtigen Stellung der Wörter eine
unsichtbar an der Rede hängende Form an. Man könnte sagen,
dass, je weniger sie äussere Grammatik besitzt, desto mehr ihr
innere beiwohne. Wo grammatische Ansicht in ihr durchdringt,
ist es die logisch richtige. Diese trug ihre erste Anordnung in
sie hinein und sie musste sich durch den Gebrauch des so richtig
gestimmten Instrumentes im Geiste des Volks fortbilden. Man
kann gegen das so eben hier Vorgetragene einwenden, dass auch
die Flexionssprachen gar nicht ungewöhnlich das Verbum seinem
Objecte nachsetzen und dass die Barmanische die Casus des
Nomen durch eigne Partikeln, wie jene, kenntlich erhält. Da
aber die Sprache in vielen andren Punkten deutlich zeigt, dass
ihr keine klare Vorstellung der Redetheile zum Grunde liegt,
sondern dass sie in ihren Fügungen nur die Modificirung der
Wörter durch einander verfolgt, so ist sie in der That von jener,
das wahre Wesen der Satzbildung verkennenden Ansicht nicht
freizusprechen. Sie beweist dies auch durch die Unverbrüchlichkeit,
mit der sie ihr angebliches \^erbum immer an das Ende des Satzes
verweist. Dies springt um so deutlicher in die Augen, als auch
.aus dem zweiten, schon oben angegebnen Grunde dieser Stellung,
W. V. Humboldt, Werke. VII. 20
o
o5 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
an die Verbalform wieder einen neuen Satz anknüpfen zu. können,
klar wird, dass sie weder von der eigentlichen Natur des Perioden-
baues noch von der darin geschäftigen Kraft des Verbum durch-
drungen ist. Sie hat einen sichtbaren Mangel an Partikeln, die,
gleich unsren Conjunctionen, durch die Verschlingung der Sätze
den Perioden Leben und Mannigfaltigkeit ertheilen. Die Chine-
sische, welche auch hier das allgemeine Gesetz ihrer Wortstellung
beobachtet, indem sie, wie den Genitiv dem Nominativ, so den
näher bestimmenden und vervollständigenden Satz dem durch ihn
modificirten vorausgehen lässt, ist ihr hierin weit überlegen. In
der Barmanischen laufen die Sätze gleichsam in gerader Linie an
einander fort. Allein selbst so sind sie selten durch solche ver-
bindenden Conjunctionen an einander gereiht, welche, wie unser
und, jedem seine Selbstständigkeit erhalten. Sie verbinden sich
auf eine den materiellen Inhalt mehr in einander verwebende
Weise. Dies liegt schon in der, gewöhnlich am Ende jedes
solcher fortlaufenden Sätze gebrauchten Partikel thang, die, indem
sie das Vorhergehende zusammennimmt, es immer zugleich zum
Verständniss des zunächst Folgenden anwendet. Dass hieraus
eine gewisse Schwerfälligkeit, bei der ausserdem ermüdende
Gleichförmigkeit unvermeidlich scheint, entstehen muss, fällt in
die Augen.
In den Mitteln zur Andeutung der Wortfolge stimmen beide
Sprachen darin überein, dass sie sich zugleich der Stellung und
besonderer Partikeln bedienen. Die Barmanische bedürfte eigentlich
nicht so strenger Gesetze der ersteren, da eine grosse Anzahl, die
Beziehungen andeutender Partikeln das Verständniss hinreichend
sichert. Sie bewahrt aber zugleich noch gewissenhafter die einmal
übliche Stellung und ist nur in der Anordnung derselben in Einem
Punkte nicht gleich consequent, da sie das Adjectivum vor und
hinter das Substantivum zu setzen erlaubt. Indem aber die erstere
dieser Stellungen immer der Hinzukunft einer der zur Bestimmung
der Wortfolge nöthigen Partikeln bedarf, so sieht man hieraus,
dass die zweite als die eigentlich natürliche betrachtet wird, und
dies muss man wohl als eine Folge des Umstandes ansehen, dass
Adjectiv und Substantiv ein Compositum zusammen ausmachen,
in welchem man die, wenn das Adjectivum vorausgeht, ihm nie
beigegebene Casusbeugung auch nur als dem in seiner Bedeutung
durch das Adjectivum modificirten Substantivum angehörig be-
trachten muss. In ihren Compositis nun, sowohl der Nomina
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. oQ-y
als der Verba, lässt die Sprache gewöhnlich das ihr jedesmal als
Gattungsbegriff geltende Wort im ersten Gliede vorangehen und
das speciiicirende (insofern, als es auf mehrere Gattungen An-
wendung finden kann) allgemeinere im zweiten nachfolgen. So
bildet sie Modi der Verba, mit vorausgehendem Worte Fisch
eine grosse Anzahl von Fischnamen u. s. w. Wenn sie in andren
Fällen den entgegengesetzten Weg zu nehmen scheint, Wörter
von Handwerkern durch das allgemeine verfertigen, das als
zweites Glied hinter den Namen ihrer Werkzeuge steht, bildet,
bleibt man zweifelhaft, ob sie wirklich hierin einer andren
Methode oder nur einer andren Ansicht von dem, was ihr jedes-
mal als Gattungsbegriff gilt, folgt. Ebenso nun behandelt sie in
der Verbindung des nachfolgenden Adjectivum dieses als einen
Gattungsbegriff specificirend. Die Chinesische Sprache bleibt auch
hier ihrem allgemeinen Gesetze treu; das Wort, dem eine
speciellere Bestimmung zugehen soll, macht auch im Compositum
das letzte Glied aus. Wenn auf eine, an sich allerdings wenig
natürliche Weise das ^'erbum sehen zur Bildung oder vielmehr
an der Stelle des Passivum gebraucht wird, so geht es dem Haupt-
begritfe vorauf : sehen tödten, d.i. getödtet werden. Da so
viele Dinge gesehen werden können, so müsste eigentlich tödten
vorausgehen. Die umgekehrte Stellung zeigt aber, dass hier
sehen als eine Modification des folgenden Wortes, mithin als ein
Zustand des Tödtens gedacht werden soll, und dadurch wird in
der, auf den ersten Anblick befremdenden Redensart auf eine
sinnreich feine Weise das grammatische Verhältniss angedeutet.
Auf ähnliche Art werden Ackersmann, Bücherhaus u. s. f.
gebildet.
In Uebereinstimmung mit einander kommen die Barmanische
und Chinesische Sprache in der Redefügung der Wonstellung
durch Partikeln zu Hülfe. Beide gleichen einander auch darin,
dass sie einige dieser Partikeln dergestalt bloss zur Andeutung
der Construction bestimmen, dass dieselben der materiellen Be-
deutung nichts hinzufügen. Doch liegt gerade in diesen Partikeln
der Wendepunkt, in welchem die Barmanische Sprache den
Charakter der Chinesischen verlässt und einen eignen annimmt.
Die Sorgfalt, die Beziehung, in der ein Wort mit dem andren zu-
sammengedacht werden soll, durch vermittelnde Begriffe zu be-
zeichnen, vermehrt die Zahl dieser Partikeln und bringt in ihnen
eine gewisse, wenn auch allerdings nicht ganz systematische Voll-
oQ§ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Ständigkeit hervor. Die Sprache zeigt aber auch ein Bestreben,
diese Partikeln in grössere Nähe mit dem Stammworte, als mit
den übrigen Wörtern des Satzes zu bringen. Wahre Worteinheit
kann allerdings bei der sylbentrennenden Aussprache und nach
dem ganzen Geiste der Sprache nicht statt finden. Wir haben
aber doch gesehen, dass in einigen Fällen die Einwirkung eines
Wortes eine Consonantenveränderung in dem unmittelbar daran
gehängten hervorbringt, und bei den Verbalformen schliessen die
endenden Partikeln thang und eng die Verbalpartikeln mit dem
Stammwort in ein Ganzes zusammen. In einem einzelnen Falle
entsteht sogar eine Zusammenziehung zweier Sylben in Eine, was
schon in Chinesischer Schrift nur phonetisch, also fremdartig dar-
gestellt werden könnte. Ein Gefühl der wahren Natur der Suffixa
liegt auch darin, dass selbst diejenigen unter diesen Partikeln,
welche als bestimmende Adjectiva angesehen werden könnten, wie
die Pluralzeichen, nie dem Stammworte vorausgehen, sondern
immer nachfolgen. Im Chinesischen ist nach Verschiedenheit der
Pluralpartikeln bald die eine, bald die andre Stellung üblich.
In dem Grade, in welchem sich die Barmanische Sprache von
dem Chinesischen Baue entfernt, nähert sie sich dem Sanskritischen.
Es würde aber überflüssig seyn, noch im speciellen zu schildern,
welche wahre Kluft sie wieder von diesem trennt. Der Unter-
schied liegt hierbei nicht bloss in der mehr oder weniger engen
Anschliessung der Partikeln an das Hauptwort. Er geht ganz
besonders aus der Vergleichung derselben mit den Suffixen der
Indischen Sprache hervor. Jene sind ebenso bedeutsame Wörter,
als alle andren der Sprache, wenn auch die Bedeutung allerdings
meistentheils schon in der Erinnerung des Volkes erloschen ist.
Diese sind grösstentheils subjective Laute, geeignet zu auch nur
inneren Beziehungen. Ueberhaupt kann man die Barmanische
Sprache, wenn sie auch in der Mitte zwischen den beiden andren
zu stehen scheint, doch niemals als einen Uebergangspunkt von
der einen zur andren ansehen. Das Leben jeder Sprache beruht
auf der inneren Anschauung des Volkes von der Art, den Ge-
danken in Laute zu hüllen. Diese aber ist in den drei hier ver-
glichenen Sprachstämmen durchaus eine verschiedene. Wenn
auch die Zahl der Partikeln und die Häufigkeit ihres Gebrauchs
eine stufenweis gesteigerte Annäherung zur grammatischen An-
deutung vom alten Styl des Chinesischen durch den neueren hin-
durch bis zum Barmanischen verräth, so ist doch die letztere dieser
und ihren Einfiuß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. oqq
Sprachen von der ersteren gänzlich durch ihre Grundanschauung,
die auch im neueren Styl der Chinesischen wesentlich dieselbe
bleibt, verschieden. Die Chinesische stützt sich allein auf die
Wortstellung und auf das Gepräge der grammatischen Form im
Inneren des Geistes. Die Barmanische beruht in ihrer Redefügung
nicht auf der Wortstellung, obgleich sie mit noch grösserer Festig-
keit an der ihrer Vorstellungsweise gemässen hängt. Sie vermittelt
die Begriffe durch neue hinzugefügte und wird hierauf selbst
durch die ihr eigne, ohne dies Hülfsmittel der Zweideutigkeit aus-
gesetzte Stellung nothwendig geführt. Da die vermittelnden Be-
griffe Ausdrücke der grammatischen Formen seyn müssen, so
stellen sich allerdings auch die letzteren in der Sprache heraus.
Die Anschauung derselben ist aber nicht gleich klar und bestimmt,
als im Chinesischen und im Sanskrit; nicht wie im ersteren, weil
sie eben jene Stütze vermittelnder Begriffe besitzt, welche die
Nothwendigkeit der wahren Concentration des Sprachsinnes ver-
mindert; nicht wie im Sanskrit, weil sie nicht die Laute der
Sprache beherrscht, nicht bis zur Bildung wirklicher Worteinheit
und ächter Formen durchdringt. Auf der andren Seite kann man
das Barmanische auch nicht zu den agglutinirenden Sprachen
rechnen, da es in der Aussprache die Sylben im Gegentheil ge-
flissentlich aus einander hält. Es ist reiner und consequenter in
seinem Systeme, als jene Sprachen, wenn es sich auch eben da-
durch noch mehr von aller Flexion entfernt, die doch in den
agglutinirenden Sprachen auch nicht aus den eigentlichen Quellen
fliesst, sondern nur eine zufällige Erscheinung ist.
Das Sanskrit oder von ihm herstammende Dialekte haben
sich mehr oder weniger den Sprachen aller Indien umgebenden
Völker beigesellt und es ist anziehend, zu sehen, wie sich durch
diese, mehr vom Geiste der Religion und der Wissenschaft, als
von politischen und Lebensverhältnissen ausgehenden Verbindungen
die verschiedenen Sprachen gegen einander stellen. In Hinter-
Indien ist nun das Pali, also eine um viele Lautunterscheidungen
der Formen gekommene Flexionssprache zu Sprachen hinzu-
getreten, die in wesentlichen Punkten mit der Chinesischen über-
einstimmen, gerade also da und dahin, wo der Gegensatz reicher
grammatischer Andeutung mit fast gänzlichem Mangel derselben
am grössten ist. Ich kann nicht der Ansicht beistimmen, dass die
Barmanische Sprache in ihrer ächten Gestalt, und soweit sie der
Nation selbst angehört, irgend wesentlich durch das Pali anders
310
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
gemodelt worden ist. Die mehrsylbigen Wörter sind in ihr aus
dem eigenthümlichen Hange zur Zusammensetzung entstanden,
ohne des Vorbildes des Pali bedurft zu haben, und ebenso gehört
ihr allein der sich den Formen nähernde Partikelgebrauch an.
Die Pali-Kundigen haben die Sprache nur mit ihrem grammati-
schen Gewände äusserlich umkleidet. Dies sieht man an der
Vielfachheit der Casuszeichen und an den Classen der zusammen-
gesetzten Wörter. Was sie hier den Sanskritischen Karmadhäraya
gleichstellen, ist gänzlich davon verschieden, da das Barmanische
vorausgehende Adjectivum immer einer anknüpfenden Partikel
bedarf. An das Verbum scheinen sie, nach Carey's Grammatik
zu urtheilen, ihre Terminologie nicht einmal anzulegen gewagt
zu haben. Dennoch ist nicht ,die Möglichkeit zu läugnen, dass
durch fortgesetztes Studium des Pali der Styl und insofern auch
der Charakter der Sprache zur Annäherung an das Pali verändert
seyn kann und immer mehr verändert werden könnte. Die wahr-
haft körperliche, auf den Lauten beruhende Form der Sprachen
gestattet eine solche Einwirkung nur innerhalb sehr gemessener
Gränzen. Dagegen ist einer solchen die innere Anschauung der
Form sehr zugänglich und die grammatischen Ansichten, ja
selbst die Stärke und Lebendigkeit des Sprachsinnes werden
durch die Vertraulichkeit mit vollkommneren Sprachen berichtigt
und erhöht. Dies wirkt alsdann auf die Sprache insoweit zurück,
als sie dem Gebrauche Herrschaft über sich verstattet. Im Bar-
manischen nun würde diese Rückwirkung vorzugsweise stark
seyn, da Haupttheile des Baues desselben sich schon dem Sans-
kritischen nähern und ihnen nur vorzüglich fehlt, in dem
rechten Sinne genommen zu werden, zu dem die Sprache an sich
nicht zu führen vermag, da sie nicht aus diesem Sinne entstanden
ist. Hierin nun käme ihr die fremde Ansicht zu Hülfe. Man
dürfte zu diesem Behufe nur allmählich die gehäuften Partikeln
mit Wegwerfung mehrerer bestimmten grammatischen Formen
aneignen, in der Construction häufiger das vorhandene Hülfs-
verbum gebrauchen u. s. w. Allein bei dem sorgfältigsten Be-
mühen dieser Art wird es nie gelingen, zu verwischen, dass der
Sprache doch eine ganz verschiedne Form eigenthümlich ist,
und die Erzeugnisse eines solchen Verfahrens würden immer Un-
Barmanisch klingen, da, um nur diesen einen Punkt heraus-
zuheben, die mehreren für eine und dieselbe Form vorhandnen
Partikeln nicht gleichgültig, sondern nach feinen, im Sprach-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 37. 38. 911
gebrauch liegenden Nuancen Anwendung finden. Immer also
würde man erkennen, dass der Sprache etwas ihr Fremdartiges
eingeimpft worden sey.
Historische Verw^andtschaft scheint nach allen Zeugnissen
zwischen dem Barmanischen und Chinesischen nicht vorhanden
zu seyn. Beide Sprachen sollen nur wenige Wörter mit einander
gemein haben. Dennoch weiss ich nicht, ob dieser Punkt nicht
einer mehr sorgfältigen Prüfung bedürfte. Auffallend ist die
grosse Lautahnlichkeit einiger, gerade aus der Classe der gram-
matischen genommener Wörter. Ich setze diese für tiefere Kenner
beider Sprachen hier her. Die Barmanischen Pluralzeichen der
Nomina und Verba lauten tö' und kra (gesprochen kya) und toü
und kiäi sind Chinesische Pluralzeichen im alten und neuen Styl ;
ihang (gesprochen thi H.) entspricht, wie wir schon oben gesehen,
dem ti des neueren und dem tchi des älteren St^ds; hri (ge-
sprochen shi) ist das Verbum seyn und ebenso im Chinesischen
bei Remusat cht. Morrison und Hough schreiben beide Wörter
nach Englischer Weise ganz gleichförmig she. Das Chinesische
Wort ist allerdings zugleich ein Pronomen und eine Bejahungs-
partikel, so dass seine Verbalbedeutung wohl nur daher ent-
nommen ist. Dieser Ursprung würde aber der Verwandtschaft
beider Wörter keinen Eintrag thun. Endlich lautet der in beiden
Sprachen bei der Angabe gezählter Gegenstände gebrauchte all-
gemeine, hierin unsrem Worte Stück ähnliche Gattungsausdruck
im Barmanischen hku und im Chinesischen ko.*) Ist die Zahl
dieser Wörter auch gering, so gehören sie gerade zu den am
meisten die Verwandtschaft beider Sprachen verrathenden Theilen
des Baues derselben und auch die Verschiedenheiten zwischen
der Chinesischen und Barmanischen Grammatik sind, wenn auch
gross und tief in den Sprachbau eingreifend, doch nicht von der
Art, dass sie, wie z. B. zwischen dem Barmanischen und Tagali-
schen, Ven;vandtschaft unmöglich machen sollten.
Ganz nahe an die so eben angestellten Untersuchungen schliesstsS
sich die Frage an: ob der Unterschied zwischen ein- und mehr-
sylbigen Sprachen ein absoluter oder nur ein dem Grade nach
relativer ist und ob diese Form der Wörter wesentlich den
Charakter der Sprachen bildet oder die Einsylbigkeit nur ein
*) S. meine Schrift über die Kawi-Sprache. I. Buch. S. 253. Anm. 3.
OJ2 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Uebergangszustand ist, aus welchem sich die mehrsylbigen Sprachen
nach und nach herausgebildet haben?
In früheren Zeiten der Sprachkunde erklärte man die Chinesi-
sche und mehrere südöstliche Asiatische Sprachen geradehin für
einsylbig. Späterhin wurde man hierüber zweifelhaft und Abel-
Remusat bestritt diese Behauptung ausdrücklich vom Chinesischen.*)
Diese Ansicht schien aber doch zu sehr gegen die vor Augen
liegende Thatsache zu streiten und man kann wohl mit Grunde
behaupten, dass man jetzt und nicht mit Unrecht zur früheren
Annahme zurückgekehrt ist. Dem ganzen Streite liegen indess
mehrere Misverständnisse zum Grunde und es bedarf daher zu-
erst einer gehörigen Bestimmung desjenigen, was man einsylbige
Wortform nennt, und des Sinnes, in welchem man ein- und mehr-
sylbige Sprachen unterscheidet.' Alle von Remusat angeführten
Beispiele der Mehrsylbigkeit des Chinesischen laufen auf Zu-
sammensetzungen hinaus und es kann wohl kein Zweifel seyn,
dass Zusammensetzung ganz etwas andres, als ursprüngliche
Mehrsylbigkeit ist. In der Zusammensetzung entsteht auch der
durchaus als einfach betrachtete Begriff doch aus zwei oder
mehreren, mit einander verbundenen. Das sich hieraus ergebende
Wort ist also nie ein einfaches und eine Sprache hört darum
nicht auf, eine einsylbige zu seyn, weil sie zusammengesetzte
Wörter besitzt. Es kommt offenbar auf solche einfache an, in
welchen sich keine, den Begriff bildenden Elementarbegriffe unter-
scheiden lassen, sondern wo die Laute zweier oder mehrerer, an
sich bedeutungsloser Sylben das Begriffszeichen ausmachen. Selbst
wenn man Wörter findet, bei welchen dies scheinbar der Fall ist,
erfordert es immer genauere Untersuchung, ob nicht doch jede
einzelne Sylbe ursprünglich eine, nur in ihr verloren gegangene
eigenthümliche Bedeutung besass. Ein richtiges Beispiel gegen
die Einsylbigkeit einer Sprache müsste den Beweis in sich tragen,
dass alle Laute des Wortes nur gemeinschaftlich und zusammen,
nicht abgesondert für sich bedeutsam sind. Dies hat Abel-
Remusat allerdings nicht klar genug vor Augen gehabt und
darum in der That die originelle Gestaltung des Chinesischen in
der oben angeführten Abhandlung verkannt.**) Von einer andren
*) Fundgruben des Orients. III. S. 279.
**) Herr Ampere {de la Chine et des travaux de M. Abel-Remusat, in der
Revue des deux mondes. T. 8. 1832. p. 373 — 405.) hat dies richtig gefühlt. Er
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 0.12
Seite her aber gründete sich Remusat's Meinung doch auf etwas
Wahres und richtig Gesehenes. Er blieb nemlich bei der Ein-
theilung der Sprachen in ein- und mehrsylbige stehen und es
entgieng seinem Scharfblicke nicht, dass diese, wie sie gewöhnlich
verstanden wird, allerdings nicht genau zu nehmen ist. Ich habe
schon im Vorigen bemerkt, dass eine solche Eintheilung nicht
auf der blossen Thatsache des Vorherrschens ein- und mehr-
sylbiger Wörter beruhen kann, sondern dass ihr etwas viel
Wesentlicheres zum Grunde liegt, nemlich der doppelte Umstand
des Alangels der Affixa und die Eigenthümlichkeit der Aussprache,
auch da, wo der Geist die Begriffe verbindet, dennoch die Sylben-
laute getrennt zu erhalten. Die Ursache des Mangels der Affixa
liegt tiefer und wirklich im Geiste. Denn wenn dieser lebendig
das Abhängigkeitsverhältniss des Affixum zum Hauptbegriff
empfindet, so kann die Zunge unmöglich dem ersteren gleiche
Lautgeltung in einem eigenen Worte geben. Verschmelzung
zweier verschiedener Elemente zur Einheit des Wortes ist eine
nothwendige und unmittelbare Folge jener Empfindung. Remusat
scheint mir daher nur darin gefehlt zu haben, dass er, anstatt die
erinnert aber zugleich daran, dass jene Abhandlung in die ersten Jahre der Chinesischen
Studien Abel-Remusat's fällt, bemerkt jedoch dabei, dass er auch später diese Ansicht
nie ganz verliess. In der That neigte sich Remusat wohl zu sehr dahin, den Chine-
sischen Sprachbau für weniger abweichend von dem andrer Sprachen zu halten, als er
wirklich ist. Hierauf mochten ihn zuerst die abentheuerlichen Ideen geführt haben, die
zu der Zeit des Beginnens seiner Studien noch vom Chinesischen und von der Schwie-
rigkeit, dasselbe zu erlernen, herrschend waren. Er fühlte aber auch nicht genug, dass
der Maugel gewisser feinerer grammatischer Bezeichnungen zwar wohl im Einzelnen bis-
weilen für den Sinn überhaupt, nie aber für die bestimmtere Nüancirung der Gedanken
im Ganzen unschädlich ist. Sonst aber hat er sichtbar zuerst das wahre Wesen des
Chinesischen dargestellt und man lernt erst jetzt den grossen Werth seiner Grammatik
wahrhaft kennen, da die in ihrer Art auch sehr schätzungswürdige des Vaters Premare
{Notitia linguae Sinicae auctore Paire Premare. Malaccae. 1831.) im Druck erschienen
ist. Die Vergleichung beider Arbeiten zeigt unverkennbar, welchen grossen Dienst die
Remusatsche dem Studium geleistet hat. Ueberall strahlt dem Leser aus ihr die Eigen-
thümlichkeit der behandelten Sprache in leichter Anordnung und lichtvoller Klarheit
entgegen. Die seines Vorgängers bietet ein unendlich schätzbares Material dar vmd
fasst gewiss alle Eigenheiten der Sprache einzeln in sich ; allein vom Ganzen schwebte
ihrem Verfasser schwerlich ein gleich deutliches Bild vor und wenigstens gelang es ihm
nicht, seinen Lesern ein solches mitzutheilen. Tiefere Kenner der Sprache mögen auch
manche Lücken in Remusat's Grammatik ausgefüllt wünschen ; aber das grosse Ver-
dienst, sich zuerst wahrhaft in den Mittelpunkt der richtigen Ansicht der Sprache ver-
setzt und ausserdem das Studium derselben allgemein zugänglich gemacht und dadurch
erst eigentlich begründet zu haben, wird dem trefflichen Manne dauernd bleiben.
oj^ I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Einsylbigkeit des Chinesischen anzugreifen, nicht vielmehr zu
zeigen versuchte, dass auch die übrigen Sprachen von einsylbigem
Wurzelbau ausgehen und nur, theils auf dem ihnen eigenthüm-
lichen Wege der Affigirung, theils auf dem, auch dem Chinesi-
schen nicht fremden der Zusammensetzung, zur Mehrsylbigkeit
gelangen, dies Ziel aber, da ihnen nicht, wie im Chinesischen, die
oben genannten Hindernisse im Wege standen, wirklich erreichen.
Diese Bahn nun will ich hier einschlagen und an dem Faden
thatsächlicher Untersuchung einiger hier vorzüglich in Betrachtung
zu ziehender Sprachen verfolgen.
So schwer und zum Theil unmöglich es auch ist, die Wörter
bis zu ihrem wahren Ursprünge zurückzuführen, so leitet uns
doch sorgfältig angestellte Zergliederung in den meisten Sprachen
auf einsylbige Stämme hin und die einzelnen Fälle des Gegen-
theils können nicht als Beweise auch ursprünglich mehrsylbiger
gelten, da die Ursach der Erscheinung mit viel grösserer Wahr-
scheinlichkeit in nicht weit genug fortgesetzter Zergliederung ge-
sucht werden kann. Man geht aber auch, wenn man die Frage
bloss aus Ideen betrachtet, wohl nicht zu weit, indem man all-
gemein annimmt, dass ursprünglich jeder Begriff nur durch Eine
Sylbe bezeichnet wurde. Der Begriff in der Spracherfindung ist
der Eindruck, welchen das Object, ein äusseres oder inneres, auf
den Menschen macht, und der durch die Lebendigkeit dieses Ein-
drucks der Brust entlockte Laut ist das Wort. Auf diesem Wege
können nicht leicht zwei Laute Einem Eindruck entsprechen.
Wenn wirklich zwei Laute, unmittelbar auf einander folgend, ent-
ständen, so bewiesen sie zwei von demselben Object ausgehende
Eindrücke und bildeten Zusammensetzung schon in der Geburt
des Wortes, ohne dass dadurch der Grundsatz der Einsylbigkeit
beeinträchtigt würde. Dies ist in der That bei der in allen
Sprachen, vorzugsweise aber in den ungebildeteren sich findenden
Verdoppelung der Fall. Jeder der wiederholten Laute spricht das
ganze Object aus; durch die Wiederholung aber tritt dem Aus-
drucke eine Nuance mehr hinzu, entweder blosse Verstärkung, als
Zeichen der höheren Lebendigkeit des erfahrnen Eindrucks, oder
Anzeigen des sich wiederholenden Objects, weshalb die Verdoppe-
lung vorzügHch bei Adjectiven statt findet, da bei der Eigenschaft
das besonders auffällt, dass sie nicht als einzelner Körper, sondern
gleichsam als Fläche überall in demselben Räume erscheint.
Wirklich gehört in mehreren Sprachen, von denen ich hier nur
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. o 1 1:
die der Südsee-Inseln anführen will, die Verdoppelung vorzugs-
weise, ja fast ausschliesslich den Adjectiven und den aus ihnen
gebildeten, also ursprünglich adjectivisch empfundenen Substan-
tiven an. Denkt man sich freilich die ursprüngliche Sprach-
bezeichnung als ein absichtliches Vertheilen der Laute unter die
Gegenstände, so erscheint allerdings die Sache bei v^^eitem anders.
Die Sorgfalt, verschiedenen Begriifen nicht ganz gleiche Zeichen
zu geben, könnte dann die wahrscheinlichste Ursach seyn, dass
man einer Sylbe, durchaus unabhängig von einer neuen Bedeut-
samkeit, eine zweite und dritte hinzugefügt hätte. Allein diese
Vorstellungsart, bei der man gänzlich vergisst, dass die Sprache
kein todtes Uhrwerk, sondern eine lebendige Schöpfung aus sich
selbst ist und dass die ersten sprechenden Menschen bei weitem
sinnlicher erregbar waren als wir, abgestumpft durch Cultur und
auf fremder Erfahrung beruhende Kenntniss, ist offenbar eine
falsche. Alle Sprachen enthalten wohl Wörter, die durch ganz
verschiedene Bedeutung bei ganz gleichem Laute Zweideutigkeit
zu erregen im Stande sind. Dass dies aber selten ist und in der
Regel jedem Begriff ein anders nüancirter Laut entspricht, ent-
stand gewiss nicht aus absichtlicher Vergleichung der schon vor-
handenen Wörter, welche dem Sprechenden nicht einmal gegen-
wärtig seyn konnten, sondern daraus, dass sowohl der Eindruck
des Objects, als der durch ihn hervorgelockte Laut immer indi-
viduell war und keine Individualität vollständig mit der andren
übereinkommt.^) Von einer andren Seite aus wurde allerdings
der Wortvorrath auch durch Erweiterung der einzelnen vorhandnen
Bezeichnungen vermehrt. Wie der Mensch mehr Gegenstände
und die einzelnen genauer kennen lernte, bot sich ihm bei vielen
besondere Verschiedenheit bei allgemeiner Aehnlichkeit dar und
^) Nach „übereinkommt" gestrichen : „Die Individualität des Lautes aber war,
einzelne Fälle späterer genauerer Lautunterscheidung abgerechyiet, in älteren
Epochen der Sprache grösser, als in den nachfolgenden. In den Sprachen der
Südsee-Inseln soll oft die gleiche Vocalverbindung, z. B. oe mehr als zehn ver-
schiedene Aussprachen, immer verbunden mit andrer Bedeutsamkeit haben und
ähnliches haben wir oben bei den Accenten der Indo-Chinesischen Sprache gesehen.
Diese grössere Lautindividualität verminderte natürlich die Schrift, die in ihren
Anfängen dem Laut genau zu folgen entweder vernachlässigte oder die Mittel
nicht besass, so dunklen und so vielfachen zu bezeichnen. Die allgemeinere Ver-
breitung der Schrift wirkte aber auf die Aussprache zurück, und indem diese
wieder nach jener geregelt imd gemodelt wurde, büsste sie von ihrem Reichthum
an Tönen ein."
Qiß I, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
dieser neue Eindruck bewirkte natürlich einen neuen Laut, der,
an den vorigen geknüpft, zum mehrsylbigen Worte wurde. Aber
auch hier sind verbundene Begriffe mit verbundenen Lauten als
Bezeichnungen eines und ebendesselben Objects. Aufs höchste
könnte man, was die ursprüngliche Bezeichnung anbetrifft, es für
möglich halten, dass die Stimme bloss aus sinnlichem Gefallen
am Rauschen der Töne ganz bedeutungslose hinzugefügt hätte
oder dass bloss auslautende Hauche bei mehr geregelter Aus-
sprache zu wahren Sylben geworden wären. Dass Laute in der
That ohne alle Bedeutsamkeit sich in Sprachen bloss sinnlich er-
halten, möchte ich nicht in Abrede stellen; allein dies ist nur
darum der Fall, weil ihre Bedeutsamkeit verloren gegangen ist.
Ursprünglich stösst die Brust keinen articulirten Laut aus, den
nicht eine Empfindung geweckt hat.
Im Verlaufe der Zeit verhält es sich überhaupt auch anders
mit der Mehrsylbigkeit. Man kann sie, als Thatsache in den
ausgebildeten Sprachen nicht ableugnen, man bestreitet sie nur
bei den Wurzeln und ausserhalb dieses Kreises beruht sie durch
ihren, im Ganzen anzunehmenden und sehr häufig im Einzelnen
nachzuweisenden Ursprung auf Zusammensetzung und verliert
dadurch ihre eigenthümliche Natur. Denn nicht bloss weil uns
die Bedeutung der einzelnen Wortelemente fehlt, erscheinen sie
uns als bedeutungslose, sondern es liegt der Erscheinung auch oft
etwas Positives zum Grunde. Die Sprache verbindet zuerst ein-
ander wirklich modificirende Begriffe. Dann knüpft sie an einen
Hauptbegriff einen andren, nur metaphorisch oder nur mit einem
Theile seiner Bedeutung geltenden, wie wenn die Chinesische,
um bei Verwandtschaften den Unterschied des Aelteren oder
Jüngeren anzudeuten, das Wort Sohn in zusammengesetzten
Verwandtschaftsnamen da braucht, wo weder die directe Ab-
stammung noch das Geschlecht, sondern einzig das Nachstehen
im Alter passt. Waren nun einige solche Begriffe wegen der,
durch ihre grössere Allgemeinheit gegebenen Möglichkeit dazu
häufig Wortelemente zur Specificirung von Begriffen geworden,
so gewöhnt sich die Sprache auch wohl, sie da anzuwenden, wo
ihre Beziehung nur eine ganz entfernte, kaum nachzuspürende
ist oder wo man frei gestehen muss, dass gar keine wirkliche
Beziehung vorliegt und daher die Bedeutsamkeit in der That in
Nichts aufgeht. Diese Erscheinung, dass die Sprache, einer all-
gemeinen Analogie folgend, Laute von Fällen, wo sie wahrhaft
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 91-7
hingehören, auf andere, denen sie fremd sind, anwendet, findet sich
auch in anderen Theilen ihres \^erfahrens. So ist nicht zu läugnen,
dass in mehreren Flexionen der Sanskrit-Declination Pronominal-
stämme verborgen sind, dass aber in einigen dieser Fälle sich wirklich
kein Grund auffinden lässt, warum gerade dieser und kein anderer
Stamm diesem oder jenem Casus beigegeben ist, ja nicht einmal
sagen, wie überhaupt ein Pronominalstamm den Ausdruck dieses
bestimmten Casusverhältnisses ausmachen kann. Es mag aller-
dings auch in denjenigen solcher Fälle, die uns die schlagendsten
zu seyn scheinen, noch ganz individuelle, fein aufgefasste Ver-
bindungen zwischen dem Begriffe und dem Laute geben. Diese
sind aber alsdann so von allgemeiner Nothwendigkeit entblösst
und so sehr, wenn auch nicht zufällig, doch nur historisch er-
kennbar, dass für uns selbst ihr Daseyn verloren geht. Der
Einverleibung fremder mehrsylbiger Wörter aus einer Sprache in
die andere ervv^ähne ich hier mit Absicht nicht, da, wenn die hier
aufgestellte Behauptung ihre Richtigkeit hat, die Mehrsylbigkeit
solcher Wörter niemals ursprünglich ist und die Bedeutungs-
losigkeit ihrer einzelnen Elemente für die Sprache, welcher sie
zuwachsen, bloss eine relative bleibt.
Es giebt aber in den nicht einsylbigen Sprachen, nur aller-
dings in sehr verschiedenem Grade auch ein, aus zusammen-
treffenden inneren und äusseren Ursachen entspringendes Streben
nach reiner Mehrsylbigkeit ohne Rücksicht auf den noch be-
kannten oder in Dunkel verschwundenen Ursprung derselben aus
Zusammensetzung. Die Sprache verlangt alsdann Lautumfang als
Ausdruck einfacher Begriffe und lässt in diesen die in ihnen ver-
bundenen Elementarbegriffe aufgehen. Auf diesem zwiefachen
Wege entsteht dann die Bezeichnung Eines Begriffs durch mehrere
Sylben. Denn wie die Chinesische Sprache der Mehrsylbigkeit
widerstrebt und wie ihre, sichtbar aus diesem Widerstreben her-
vorgegangene Schrift sie in demselben bestätigt, so haben andere
Sprachen die entgegengesetzte Neigung. Durch Gefallen an Wohl-
laut und durch Streben nach rhythmischen ^^erhältnissen gehen
sie auf Bildung grösserer W^ortganzen hin und unterscheiden
weiter, ein inneres Gefühl hinzunehmend, die blosse, lediglich
durch die Rede entstehende Zusammensetzung von derjenigen,
die mit dem Ausdruck eines einfachen Begriffs durch mehrere
Sylben, deren einzelne Bedeutung nicht mehr bekannt ist oder
nicht mehr beachtet wird, verwechselt werden kann. Wie aber
^l8 I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Alles in der Sprache immer innig verbünden ist, so ruht auch
dies, zuerst bloss sinnlich scheinende Streben auf einer breiteren
und festeren Basis. Denn die Richtung des Geistes, den Be-
griff und seine Beziehungen in die Einheit desselben Wortes
zu verknüpfen, wirkt offenbar dazu mit, die Sprache mag nun,
als wahrhaft flectirende dies Ziel wirklich erreichen oder, als
agglutinirende auf halbem Wege stehen bleiben. Die schöpferische
Kraft, mit welcher die Sprache selbst, um mich eines figürlichen
Ausdrucks zu bedienen, aus der Wurzel alles das hervortreibt,
was zur inneren und äusseren Bildung der Wortform gehört, ist
hier das ursprünglich Wirkende. Je weiter sich diese Schöpfung
erstreckt, desto grösser, je früher sie ermattet, desto geringer ist
der Grad jenes Strebens. In dem aus demselben entspringenden
Lautumfang des W^ortes bestimmt aber die vollendete Abrundung
dieses Strebens nach Wohllautsgesetzen die nothwendige Gränze.
Gerade die in der Verschmelzung der Sylben zur Einheit minder
glücklichen Sprachen reihen eine grössere Anzahl derselben un-
rhythmisch an einander, da das vollendete Einheitsstreben wenigere
harmonisch zusammenschliesst. So eng und genau mit einander
übereinstimmend ist auch hier das innere und äussere Gelingen.
Durch die Begriffe selbst aber wird in vielen Fällen ein Bemühen
veranlasst, einige bloss in der Absicht zu verknüpfen, einem ein-
fachen ein angemessenes Zeichen zu geben, und ohne gerade die
Erinnerung an die einzelnen verknüpften erhalten zu wollen.
Hieraus entsteht alsdann natürlich um so mehr wahre Mehrsylbig-
keit, als der so zusammengesetzte Begriff bloss seine Einfachheit
geltend macht.
Unter den Fällen, von welchen wir hier reden, zeichnen sich
hauptsächlich zwei verschiedene Classen aus. Bei der einen soll
der durch einen Laut schon gegebne Begriff durch Anknüpfung
eines zweiten nur bestimmter festgestellt oder mehr erläutert,
also im Ganzen Ungewissheit und Undeutlichkeit vermieden
werden. Auf diese Weise verbinden Sprachen oft ganz gleich-
bedeutende oder doch durch sehr kleine Nuancen verschiedene
Begrifle mit einander, auch allgemeine, speciellen angefügt und
zu solchen allgemeinen oft erst aus speciellen durch diesen Ge-
brauch gestempelt, wie im Chinesischen der Begriff des Schiagens
fast in den des Machens überhaupt in diesen Zusammensetzungen
übergeht. In die andere Classe gehören die Fälle, wo wirklich
aus zwei verschiedenen Begriffen ein dritter gebildet wird, wie
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. oig
2. B. die Sonne das Auge des Tages, die Milch das Wasser der
Brust u. s. f. heisst. Der ersten Classe von Verbindungen liegt
ein Mistrauen in die Deutlichkeit des gebrauchten Ausdrucks oder
eine lebhafte Hast nach Vermehrung derselben zum Grunde. Sie
dürfte in sehr ausgebildeten Sprachen selten gefunden werden,
ist aber in einigen, die sich ihrem Baue nach einer gewissen
Unbestimmtheit bewusst sind, sehr häufig. In den Fällen der
zweiten Classe sind die beiden zu verbindenden Begriffe die un-
mittelbare Schilderung des empfangenen Eindrucks, also in ihrer
speciellen Bedeutung das eigentliche Wort. An und für sich
würden sie zwei bilden. Da sie aber doch nur Eine Sache be-
zeichnen, so dringt der Verstand auf ihre engste Verbindung in
der Sprachform, und wie seine Macht über die Sprache wächst
und die ursprüngliche Auffassung in dieser untergeht, so verlieren
die sinnreichsten und lieblichsten Metaphern dieser Art ihren
rückwirkenden Einfluss und entschwinden, wie deutlich sie auch
noch nachzuweisen seyn mögen, der Beachtung der Redenden.
Beide Classen finden sich auch in den einsylbigen Sprachen, nur
dass in ihnen das innere Bedürfniss nach der Verbindung der
Begriffe nicht das Hangen an der Trennung der Sylben zu über-
winden vermag.
Auf diese Weise, glaube ich, muss in den Sprachen die Er-
scheinung der Ein- und Mehrsylbigkeit aufgefasst und beurtheilt
werden. Ich will jetzt versuchen, dies allgemeine Raisonnement,
das ich nicht habe durch Aufzählung von Thatsachen unterbrechen
mögen, mit einigen Beispielen zu belegen.
Schon der neuere Styl des Chinesischen besitzt eine nicht
unbedeutende Anzahl von Wörtern, die dergestalt aus zwei
Elementen zusammengesetzt sind, dass ihre Zusammensetzung nur
die Bildung eines dritten, einfachen Begriffes zum Zweck hat.
Bei einigen derselben ist es sogar offenbar, dass die Hinzufügung
des einen Elements, ohne dem Sinne etwas beizugeben, nur von
wirklich bedeutsamen Fällen aus zur Gewohnheit geworden ist.
Die Erweiterung der Begriffe und der Sprachen muss darauf
leiten, neue Gegenstände durch Vergleichung mit andren, schon
bekannten zu bezeichnen und das Verfahren des Geistes bei der
Bildung ihrer Begriffe in die Sprachen überzuführen. Diese
Methode muss allmählich an die Stelle der früheren treten, den
Eindruck durch die in den articulirten Tönen liegende Analogie
symbolisirend wiederzugeben. Aber auch die spätere Methode
320
I. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
tritt bei Völkern von grosser Lebendiglceit der Einbildungskraft
und Schärfe der sinnlichen Auffassung in ein sehr hohes Alter
zurück und daher besitzen vorzugsweise die am meisten noch
vom Jugendalter ihrer Bildung zeugenden Sprachen eine grosse
Anzahl solcher malerisch die Natur der Gegenstände darlegenden
Wörter. Im Neu-Chinesischen zeigt sich aber hierin sogar eine,
erst späterer Cultur angehörende Verbildung. Mehr spielend
witzige, als wahrhaft dichterische Umschreibungen der Gegen-
stände, in welchen diese oft gleich Räthseln verhüllt liegen, bilden
häufig solche aus zwei Elementen bestehende Wörter.*) Eine
andere Classe dieser letzteren erscheint auf den ersten Anblick
sehr wunderbar, nemlich die, wo zwei einander entgegengesetzte
Begriffe durch ihre Vereinigung, den allgemeinen, beide unter sich
befassenden Begriff ausdrücken, wie wenn die jüngeren und
älteren Brüder, die hohen und niedrigen Berge für die Brüder
und die Berge überhaupt gesagt wird. Die in solchen Fällen
in dem bestimmten Artikel liegende Universalität wird hier an-
schaulicher durch die entgegengesetzten Extreme auf eine keine
Ausnahme erlaubende Weise angedeutet. EigentHch ist auch diese
Wortgattung mehr eine rednerische Figur, als eine Bildungs-
methode der Sprachen. In einer Sprache aber, wo der, sonst
bloss grammatische Ausdruck so häufig materiell in den Inhalt
der Rede gelegt werden muss, wird sie nicht mit Unrecht den
letzteren beigezählt. Einzeln finden sich übrigens solche Zu-
sammensetzungen in allen Sprachen; im Sanskrit erinnern sie an
das in philosophischen Gedichten häufig vorkommende sthäwara-
jangamam. Im Chinesischen aber kommt noch der Urnstand hinzu,
dass die Sprache in einigen dieser Fälle für den einfach all-
gemeinen Begriff gar kein Wort besitzt und sich also nothwendig
dieser Umschreibungen bedienen muss. Die Bedingung des
Alters z. B. lässt sich von dem Worte Bruder nicht abtrennen,
und man kann nur ältere und jüngere Brüder, nicht Brüder
allgemein sagen. Dies mag noch aus dem Zustande früher
Uncultur herstammen. Die Begierde, den Gegenstand anschau-
lich mit seinen Eigenschaften im Worte darzustellen, und der
Mangel an Abstraction lassen den allgemeinen, mehrere Ver-
*) St. Julien zu Paris hat zuerst auf diese Terminologie des poetischen Styls, wie
man sie nennen könnte, die ein eignes, weitläuftiges Studium erfordert und ohne ein
solches zu den grössten Misverständnissen führt, aufmerksam gemacht.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 92 1
schiedenheiten unter sich befassenden Ausdruck vernachlässigen;
die individuelle sinnliche Auffassung greift der allgemeinen des
Verstandes vor. Auch in den Amerikanischen Sprachen ist diese
Erscheinung häufig. Von einer ganz entgegengesetzten Seite aus
und gerade durch ein künstlich gesuchtes Verstandesverfahren
hebt sich diese Art der Wortzusammenfügung im Chinesischen
auch dadurch mehr hervor, dass die symmetrische Anordnung
der in bestimmten Verhältnissen gegen einander stehenden Be-
griffe als ein Vorzug und eine Zierlichkeit des St}4s betrachtet
wird, worauf auch die Natur der, jeden Begriff in Ein Zeichen
einschliessenden Schrift Einfluss hat. Man sucht also solche Be-
griffe absichtlich in die Rede zu verflechten und die Chinesische
Rhetorik hat sich ein eignes Geschäft daraus gemacht, da kein
Verhältniss so bestimmt, als das des reinen Gegensatzes ist, die
contrastirenden Begriffe in der Sprache aufzuzählen.') Der ältere
Chinesische St}4 macht keinen Gebrauch von zusammengesetzten
Wörtern, es sey nun, dass man in früheren Zeiten, wie bei einigen
Classen derselben sehr begreiflich ist, noch nicht auf dies Ver-
fahren gekommen war oder dass dieser strengere Styl, welcher
überhaupt der Anstrengung des Verstandes durch die Sprache zu
Hülfe zu kommen gewissermassen verschmähte, dasselbe aus
seinem Ivreise ausschloss. ^)
*) Ein solches, aber gegen die bis dahin in Europa bekannt gewesenen sehr an-
sehnlich vermehrtes Verzeichniss hat Klaproth in den Supplementen zu Basile's grossem
Wörterbuche gegeben. Es zeichnet sich auch vor dem in Premare's Grammatik befind-
lichen durch höchst schätzbare, über die Chinesischen philosophischen Systeme Licht
verbreitende Bemerkungen aus.
V Nach „ausschloss" gestrichen: „Unläugbar liegt dennoch aber, so weit es
die geistige Verknüpfimg betrifft, dasselbe Verfahren einer sich schon im alten
Style findenden Eigenthümlichkeit zum Grunde. Ich meine hier die Sitte, bei der
Verbindung von Zahlen mit Dingen allemal den Gattungsbegriff, zu welchem
diese gehören, hinzuzufügen, von der ich gleich weiter unten ausführlicher reden
werde. Auch hier wird der concrete Begriff durch einen zu ihm hinzugefügten
allgemeineren specißcirt und gleichsam erläutert. Diese hinzugefügten Begriffe,
die ich Numeralzeichen nennen will, sind oft wunderbar vertheilt, erlauben doch
aber meistentheils , sie auf die einfache sinnliche Erscheinung zurückzuführen,
und können daher ein sehr hohes Alter besitzen. Theou, Haupt, gehört zu den
schon im alten Styl gebräuchlichen Numeralzeichen. Im neueren Styl wird es
auch ohne Zahlen Wörtern von runder Gestalt nachgesetzt und bildet mit ihnen,
indem sein eigenthümlicher Sinn gänzlich verschwindet, zweisylbige Composita,
wie z. B. Sonne, gleichsam Form gerundet. Es wäre interessant zu wissen,
ob auch im alten Style Fälle des Gebrauchs von Numeralzeichen ohne Zahl vor-
W. V. Humboldt, Werke. VII. 21
022 !• Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Die Barmanische Sprache kann ich hier übergehen, da icli
schon oben bei der allgemeinen Schilderung ihres Baues gezeigt
habe, wie sie durch Aneinanderheftung gleichbedeutender oder
modificirender Stämme aus einsylbigen mehrs3dbige bildet, ^)
In den Malayischen Sprachen bleibt nach Ablösung der Afiixa
sehr häufig, ja man kann wohl sagen meistentheils ein zwei-
sylbiger, in grammatischer Beziehung auf die Redefügung nicht
weiter theilbarer Stamm übrig. Auch da, wo derselbe einsylbig
ist, wird er häufig, im Tagalischen sogar gewöhnlich verdoppelt.
Man findet daher öfter des zweisylbigen Baues dieser Sprachen
erwähnt. Eine Zerghederung dieser Wortstämme ist indess bis
jetzt, soviel ich weiss, nirgends vorgenommen worden. Ich habe
sie versucht, und wenn ich auch noch nicht dahin gelangt bin,
vollkommene Rechenschaft über die Natur der Elemente aller
dieser Wörter zu geben, so habe ich mich dennoch überzeugt,
dass in sehr vielen Fällen jede der beiden vereinigten Sylben als
ein einsylbiger Stamm in der Sprache nachgewiesen werden kann
und dass die Ursache der Verbindung begreiflich wird. W^enn
dies nun bei unsren unvollständigen Hülfsmitteln und unsrer
mangelhaften Kenntniss der Fall ist, so lässt sich wohl auf eine
grössere Ausdehnung dieses Princips und auf die ursprüngliche
Einsylbigkeit auch dieser Sprachen schliessen. Mehr Schwierigkeit
erregen zwar die Wörter, welche, wie z. B. die Tagalischen lisa
und lisay von der W^urzel lis (s. unten), in blosse Vocallaute aus-
gehen; doch auch diese werden vermuthlich bei künftiger Unter-
suchung erklärlich werden. So viel ist schon jetzt offenbar, dass
man der Mehrzahl der Fälle nach die letzten Sylben der Malay-
ischen zweisylbigen Stämme nicht als an bedeutsame Wörter ge-
fügte Suffixa betrachten darf, sondern dass sich in ihnen wirkliche
Wurzeln, ganz den die erste Sylbe bildenden gleich, erkennen
lassen. Denn sie finden sich auch theils als erste Sylben jener
kommen ? Der allgemeinen Analogie nach zu schliessen tnuss man die Frage ver-
neinen. Eine materielle Wortverbindung, auch nur eine solche, als das Chinesische
überhaupt erlaubt, tritt übrigens bei den Numeralzeichen, da sie vom concreten
Worte durch die Zahl getrennt seyn könnte, nicht ein." Zu „gerundet"' gehört
die Anmerkung: „Dass das Numeralzeichen theoü eigentlich vom Rindvieh ge-
braucht wird, kann die Identität des Lautes und Schriftzeichens in beiden Stylen
nicht zweifelhaft machen."
V Nach „bildet" gestrichen: „In Absicht der Numeralzeichen werde ich
jedoch noch einmal auf sie zurückkommen müssen."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 90 "2
Composita, theils ganz abgesondert in der Sprache. Die ein-
sylbigen Stämme muss man aber meistentheils in ihren Verdopp-
lungen aufsuchen.
Aus dieser Beschaffenheit der, auf den ersten Anblick einfach
scheinenden und doch auf Einsylbigkeit zurückführenden zwei-
sylbigen Wörter geht eine Richtung der Sprache auf Mehrsylbig-
keit herv'or, die, wie man aus der Häufigkeit der Verdopplung sieht,
zum Theil auch phonetisch, nicht bloss intellectuell ist. Die zu-
sammentretenden S3dben werden aber auch mehr, als im Barma-
nischen wirklich zu Einem Worte, indem sie der Accent mit ein-
ander verbindet. Im Barmanischen trägt jedes einsylbige Wort
den seinigen an sich und bringt ihn in das Compositum. Dass
das ganze, nun entstehende Wort einen, seine S34ben zusammen-
haltenden besässe, wird nicht nur nicht gesagt, sondern ist bei
der Aussprache mit hörbarer Sylbentrennung unmöglich. Im
Tagalischen hat das mehrsylbige Wort allemal einen, die vorletzte
Svlbe heraushebenden oder fallen lassenden Accent. Buchstaben-
veränderung ist jedoch mit der Zusammensetzung nicht verbunden.
Ich habe meine hierher gehörenden Forschungen vorzüglich
bei der Tagalischen und Xeu-Seeländischen Sprache angestellt.
Die erstere zeigt meinem Urtheile nach den Malavischen Sprach-
bau in seinem grössten Umfange und seiner reinen Consequenz.
Die Südsee-Sprachen war es wichtig in die Untersuchung einzu-
schliessen, weil ihr Bau noch uranfänglicher zu seyn oder wenig-
stens noch mehr solche Elemente zu enthalten scheint. Ich habe
mich bei den hier folgenden, aus dem Tagalischen entlehnten
Beispielen fast ausschliesslich an diejenigen Fälle gehalten, wo der
einsylbige Stamm, wenigstens noch in der Verdopplung, auch als
solcher der Sprache angehört. Weit grösser ist natürlich die Zahl
solcher zweisylbigen Wörter, deren einsylbige Stämme bloss in
Zusammensetzungen erscheinen, aber in diesen an ihrer immer
gleichen Bedeutung kennbar sind. Diese Fälle sind aber nicht so
beweisend, indem gewöhnlich alsdann auch Wörter vorkommen,
in welchen diese Gleichheit weniger oder gar nicht vorhanden zu
seyn scheint, obgleich solche scheinbare Ausnahmen sehr leicht
nur daher entstehen können, dass man eine entfernter liegende
Ideenverknüpfung nicht erräth. Dass ich immer auf die Nach-
weisung beider Sylben gegangen bin, versteht sich von selbst, da
das entgegengesetzte Verfahren die Natur dieser Wortbildungen
nur zweifelhaft andeuten könnte. Auch auf Wörter, welche ihren
22^ I- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
ursprünglichen Stamm nicht in der nemlichen, sondern in einer
andren Sprache haben, wie es im Tagalischen mit einigen aus
dem Sanskrit oder auch mit aus den Südsee-Sprachen über-
gegangenen Wörtern der Fall ist, muss natürlich Bedacht ge-
nommen werden.
Beispiele aus der Tagalischen Sprache:
bag-sac, etwas mit Gewalt auf die Erde werfen oder
gegen etwas andrängen; bag-bag , auf den Strand ge-
rathen, ein Saatfeld aufbrechen (also von gewaltsamem
Stossen oder Werfen gebraucht); sac-sac, etwas fest einlegen,
eindrängen, hineinstopfen, in etwas werfen {apretar
emhutiendo algo, atestar, hincar). lab-sac, etwas in den Koth,
Abtritt werfen, vom eben angeführten Wort und lab-lab,
Sumpf, Kothhaufen, Abtritt. Von diesem W^ort und dem
gleich weiter unten vorkommenden as-as ist zusammengesetzt
lab-as , semen suis ipsius manibus elicere. Wahrscheinlich gehört
auch hierher sac-al, jemandem den Nacken, die Hand oder
den Fuss drücken, obgleich die Bedeutung des zweiten Ele-
ments al-al, die Zähne mit einem Steinchen abfeilen,
wenig hierher passt, und ebenso sac-ybr, Heuschrecken fangen,
wo ich aber das zweite Element nicht zu erklären weiss. Dagegen
kann man sacst, Zeuge, bezeugen, nicht hierher rechnen, da
das Wort wohl unbezweifelt das Sanskritische säkshin ist und, als
ein gerichtliches mit Indischer Cultur in die Sprache gekommen
seyn kann. Dasselbe Wort findet sich auch in der gleichen Be-
deutung in der eigentlich Malayischen Sprache.
bac-as, Fussstapfen, Spur von Menschen und Thieren,
übrig bleibendes Zeichen eines körperlichen Ein-
drucks von Thränen, Schlägen u. s. w. ; bac-bac, die
Rinde abnehmen oder verlieren; äs-as, sich abreiben,
von Kleidern und andren Dingen gebraucht.
bac-las, Wunde, und zwar solche, die vom Kratzen her-
kommt; das eben angeführte bac-bac und las-las, Blätter oder
Dachziegel abnehmen, auch vom Zerstören der Zweige und
Dächer durch den Wind gebraucht. Das Wort heisst auch bac-lis
von Its-lis, jäten. Gras ausreissen (s. unten).
dsr<il, eingeführter Gebrauch, angenommene Ge-
wohnheit, von dem oben angeführten ds-as und al-al, also von
der Verbindung der Begriffe des Abnutzens und des Abfeilens.
it-U, einsaugen, und im-tm, versch Hessen, vom Munde
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 02c
gebraucht. Aus diesen beiden ist vermuthlich it-\m, schwarz
(Malayisch etam)^ entstanden, da diese Farbe sehr gut mit etwas
Eingesogenem und Verschlossnem zu vergleichen ist.
tac-lis, wetzen, schärfen, und zwar ein Messer mit dem
andren; tac bedeutet die Entleerung des Leibes, die Ver-
richtung der Nothdurft, das verdoppelte tac-tac einen
grossen Spaten, eine Haue {azadon)^ und zum Verbum ge-
macht, mit diesem Werkzeuge arbeiten, aushöhlen. Hieraus
wird klar, dass dieser letzte Begriff eigentlich die Grundbedeutung
auch der einfachen Wurzel ist. Us-lis wird noch weiter unten
vorkommen, vereinigt aber die Begriffe des Zerstörens und des
Kleinen, Kleinmachens in sich. Beides passt sehr gut auf das
abreibende Wetzen.
lis-fis mit dem Praefix /«;, das Korn zur Saat reinigen,
stammt vom oft erwähnten lis-lis und von pis-pis, abkehren,
abfegen, besonders von den Brotkrumen mit einer Bürste ge-
braucht.
Id-bay, ein Bündel Seide, Zwirn oder Baumwolle
{madeja\ und davon, als Verbum, haspeln; Id-la, Teppiche
weben; hay-hay, gehen, und zwar an der Küste des Meeres
hin, also in einer bestimmten Richtung, was zu der Bewegung
des Haspeins gut passt.
tü-lis, Spitze, zuspitzen, namentlich von grossen hölzernen
Nägeln {estacas) gebraucht und im Javanischen und Malayischen
auf den Begriff des Schreibens angewandt.*) lis-lis, schlechte,
unnütze Gewächse zerstören, ausreissen,ist schon oben
da gewesen. Der Begriff ist eigentlich kleinmachen und daher
passend auf das Abschaben, um eine Spitze hervorzubringen;
lisa sind die kleinen Nisse der Läuse und aus dem Be-
griff des Kleinen, des Staubes kommt auch die Anwendung des
*) Siehe meinen Brief an Herrn Jacquet. Nouv. Journ. Asiat. IX. 496.^) Das
Tahitische Wort für schreiben ist papat (Apostelgeschichte. 15, 20.) und auf den Sand-
wich-Inseln ^a/op^/fl. (Marcus. 10,4.) Im Neu-Seeländischen heisst tui: schreiben,
nähen, bezeichnen. Jacquet hat, wie ich aus brieflichen Mittheilungen weiss, den
glücklichen Gedanken gefasst, dass bei diesen Völkern die Begriffe des Schreibens und
Tattuirens in enger Verbindung stehen. Dies bestätigt die Neu-Seeländische Sprache.
Denn statt tuitlga , Handlung des Schreibens, sagt man auch tiwinga und
tiwana ist der Theil der durch Tattuiren eingeätzten Zeichen, welcher sich vom Auge
nach der Seite des Kopfes hin erstreckt.
V Vgl. Band 6, 566.
Q26 '• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Wortes auf das Ausfegen, Auskehren, wie in ua-lis, dem allge-
meinen Worte für diese Arbeit. Das erste Element von tü4is
finde ich weder einfach noch verdoppelt im Tagalischen, dagegen
wohl in den Südsee-Sprachen, in dem Tongischen tu (bei Mariner
too geschrieben), schneiden, sich erheben, aufrecht
stehen; im Neu-Seeländischen hat es diese letztere Bedeutung
neben der von schlagen.
tö-bo, hervorkommen, spriessen, von Pflanzen {nacer\
bo-bo, etwas ausleeren; tö-to hat im Tagalischen bloss meta-
phorische Bedeutungen: Freundschaft knüpfen, einträch-
tig seyn, seine Absicht im Reden oder Handeln er-
reichen. Aber im Neu-Seeländischen ist to Leben, Belebung
und davon fofo Flut. Im Tongischen hat tubu (Mariner: tooboo)
dieselbe Bedeutung des Spriessens, als das Tagalische töbo, be-
deutet aber auch aufspringen, bu findet sich im Tongischen
als bubula, schwellen; hc heisst: schneiden, trennen und
stehen. Dem Tongischen tubu entspricht das Neu-Seeländische
tupu, sowohl in der Bedeutung, als der Ableitung. Denn tu ist
stehen, aufstehen und in fu liegt der Begriff eines durch
Schwellen rund gewordenen Körpers, da es eine schwangere Frau
bedeutet. Die Bedeutungen: Cylinder, Flinte, Röhre, welche
Lee zuerst setzt, sind nur abgeleitete. Dass in pu auch schon
der Begriff des Aufbrechens durch Anschwellung Hegt, beweist
das Compositum pu-ao, Tagesanbruch.
Beispiele aus der Neu-Seeländischen Sprache:
De los Santos Tagalisches Wörterbuch ist, wie die meisten,
besonders älteren Missionarien-Arbeiten dieser Art, bloss zur An-
leitung, in der Sprache zu schreiben und zu predigen, bestimmt.
Es giebt daher von den Wörtern immer die concretesten Bedeu-
tungen, zu welchen sie durch den Sprachgebrauch gelangt sind,
und geht selten auf die ursprünglichen, allgemeinen zurück. Auch
ganz einfache, in der That zu den Wurzeln der Sprache gehörende
Laute tragen also sehr häufig Bedeutungen bestimmter Gegenstände
an sich, so pay-pay die von Schulterblatt, Fächer, Sonnen-
schirm, in welchen allen der Begriff des Ausdehnens liegt.
Dies sieht man aus sam-pay, Wäsche oder Zeug an der Luft
auf ein Seil, eine Stange u. s. w. aufhängen [tender]^
cd-pay , mit den Armen in Ermanglung der Ruder
rudern, beim Rufen mit den Händen winken, und
andren Zusammensetzungen. In dem vom Professor Lee in Cam-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 021
bridge nach den schon an Ort und Stelle aufgesetzten Materialien
Thomas Kendall's mit Zuziehung zweier Eingebornen sehr ein-
sichtsvoll zusammengetragenen Neu -Seeländischen Wörterbuche
ist es durchaus anders. Die einfachsten Laute haben höchst all-
gemeine Bedeutungen von Bewegung, Raum u. s. f., Wie. man
sich aus der Vergleichung der Artikel der Vocallaute überzeugen
kann.*) Man geräth dadurch bisweilen über die specielle An-
wendung in Verlegenheit und ist auch wohl versucht, zu be-
zweifeln, ob diese Begriffsweite in der That in der geredeten
Sprache liegt oder nicht vielleicht erst hinzugeschlossen ist.
Indess hat Lee dieselbe doch gewiss aus den Angaben der Ein-
gebornen geschöpft und es ist nicht zu läugnen, dass man in
der Herleitung der Neu-Seeländischen Wörter bedeutend dadurch
gefördert wird.
ora, Gesundheit, Zunahme, Herstellung derselben;
0, Bewegung und auch ganz besonders: Erfrischung; ra,
Stärke, Gesundheit, dann auch: die Sonne; ka-ha, 'Stärke ^
eine aufsteigende Flamme, brennen, Belebung als
der Act derselben und als kräftige Wirksamkeit; ha, das Aus-
athmen.
mara , ein der Sonnen wärme ausgesetzter Platz,
dann eine dem Redenden gegenüberstehende Person,
wohl vom Leuchten des Antlitzes, daher als Anrede gebraucht;
via, klar, wie weisse Farbe; ra das eben erwähnte Wort für
Sonne; marama ist das Licht und der ]M o n d.
pono , wahr, Wahrheit, po, Nacht, die Region der
Finsterniss, noa, frei, ungebunden. Wenn diese Ableitung
wirklich richtig ist, so ist die Zusammensetzung der Begriffe merk-
würdig sinnvoll.
mutu , das Ende, endigen, mu , als Partikel gebraucht,
das Letzte, zuletzt, hc, stehen.
Tongische Sprache:
facht, brechen, ausrenken; fa, fähig, etwas zu seyn
oder zu thun; cht, klein, das Neu-Seeländische tfü
loto bedeutet die Mitte, den Mittelpunkt, das inner-
lich Eingeschlossene, unstreitig davon metaphorisch Gemüth,
*) So beginnt z. B. der Artikel über a folgendergestalt : A, signifies universal
existence, animation, action, power, light, possession cet., also the present existence,
animation, power, light cet. of a being or thing.
028 !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Gesinnung, Temperament, Gedanke, Meinung. Das Wort
ist dasselbe mit dem Neu-Seeländischen roto, das jedoch nur die
körperliche, nicht die figürliche Bedeutung hat, also nur das
Innere und, als Praeposition in heisst. Ich glaube beide Wörter
richtig aus beiden Sprachen ableiten zu können. Das erste Element
scheint mir das Neu-Seeländische roro, Gehirn. Das einfache
ro wird in Lee's Wörterbuch bloss durch das vieldeutige matter,
Materie, übersetzt, das man aber wohl hier als Eiter, Materie
eines Geschwüres nehmen muss und das vielleicht allgemeiner
jeden eingeschlossnen klebrigten Stoff bedeutet. Von dem zweiten
Element, to , ist, als Neu-Seeländischem Worte schon bei föbo
gesprochen worden und ich bemerke nur noch hier, dass es
auch von Schwangerschaft, also von dem innerlich, lebendig Ein-
geschlossenen gebraucht wird. ^ Im Tongischen ist es mir bis
jetzt nur als Name eines Baumes bekannt, dessen Beeren ein
klebrigtes Fleisch haben, welches man zum Zusammenkleben ver-
schiedener Dinge braucht. Es liegt also auch in dieser Bedeutung
der Begriff, sich an etwas anderes anzuhängen. Im Tongischen
liegt aber der Ausdruck für Gehirn nur zum Theil in diesem
Wörterkreis. Das Gehirn heisst nemlich uto (Mariner: ooto).
Das letzte Glied des Wortes halte ich für das so eben betrachtete
to, da die Klebrigkeit sehr gut auf die Masse des Gehirnes passt.
Die erste Sylbe ist nicht weniger ausdrucksvoll zur Beschreibung
des Gehirns, da u ein Bündel {a hmdle)^ Paket ist. Dieses
Wort glaube ich auch in dem Tagalischen ötac und dem Malay-
ischen ütak wiederzufinden, deren Wurzeln ich also nicht in
diesen Sprachen selbst suche. Das End--^ kann sehr leicht, wie
in andren Malayischen Wörtern, nicht wurzelhaft seyn. Beide
Wörter bedeuten zugleich, offenbar von der Gleichheit der Materie,
Mark und Gehirn und werden daher oft oder sogar gewöhnlich
durch Hinzufügung von Kopf oder Knochen unterschieden. Im
Madecassischen lautet dasselbe Wort bei Flacourt oteche als Mark
und als Gehirn otechendoha, Mark des Kopfes, indem er das
Wort loha, Kopf, nach einer ganz gewöhnlichen Buchstaben-
vertauschung doha schreibt und dasselbe durch einen Nasenlaut
mit dem andren Worte verknüpft. Ein anders lautender Ausdruck
für Gehirn ist bei Challan tso ondola und auf ähnliche Weise
für Mark tsoc, tsoco. Ob ondola nothwendig zu tso gehören soll,
ist schwer zu entscheiden. Vermuthlich ist aber nur das Unter-
scheidungszeichen weggelassen; denn im Madecassisch - Französi-
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 020
sehen Theile findet sich das, mir übrigens bis jetzt unerklärliche
ondola allein für Gehirn. In dem handschriftlichen von Jacquet
herausgegebenen Wortverzeichniss heisst Gehirn tsokou loha und
Jacquet bemerkt dabei, dass er kein entsprechendes Wort in den
andren Dialekten findet.*) Ich halte aber tsokou und die Varianten
bei Challan bloss für eine Entstellung des Malayischen ütak durch
Wegu^erfung des Anfangsvocals und zischende Aussprache des t
und folglich gleichbedeutend mit Flacourt's oteche, das noch mehr
an das Tagalische ötac erinnert. Chapelier's handschriftliches
Wörterbuch, welches ich der Güte des Herrn Lesson verdanke,
hat für Gehirn tsoiidoa, worin wieder das endende doa, Kopf,
für loa steht. Sehr bedaure ich, das Wort nicht in der Gestalt
zu kennen, wie es nach den Englischen Missionaren heut zu Tage
lautet. Allein das Gehirn kommt in der Bibel nur in zwei Stellen
des Buchs der Richter in der Lateinischen Vulgata vor und die
Englische Bibel, nach welcher die Missionare übersetzen, hat dafür
Schädel.
Die Zweisylbigkeit der Semitischen Stämme (um hier die ge-
ringe Zahl der weniger oder mehr Sylben enthaltenden zu über-
gehen) ist von durchaus anderer Art, als die bis hierher betrach-
tete, da sie untrennbarer in den lexikalischen und grammatischen
Bau verwachsen ist. Sie bildet einen wesentlichen Theil des
Charakters dieser Sprachen und kann, so oft von dem Ursprünge,
dem Bildungsgange und dem Einfiuss derselben die Rede ist, nicht
ausser Betrachtung gelassen werden. Dennoch kann man es als
ausgemacht annehmen, dass auch dieses mehrsylbige System sich
auf ein ursprünglich einsylbiges, noch in der jetzigen Sprache an
deutlichen Spuren erkennbares gründet. Dies ist von mehreren
Bearbeitern der Semitischen Sprachen, namentlich von Michaelis,
allein auch schon vor ihm anerkannt und von Gesenius und
Ewald näher entwickelt und beschränkt worden.**) Es giebt, sagt
Gesenius, ganze Reihen von Stammverben, welche nur die zwei
ersten Stammconsonanten gemein, zum dritten aber ganz ver-
schiedene haben und doch in der Bedeutung, wenigstens im
*) 'Nouv. Journ. Asiat. XI. S. 108. nr. 13. und S. 126. nr. 13.
**) Gesenius hebräisches Handwörterbuch. I. S. 132. II. Vorrede. S. XIV. des-
selben Geschichte der hebräischen Sprache und Schrift. S. 125. ganz vorzüglich aber
in dessen ausführlichem Lehrgebäude der hebräischen Sprache. S. 183. u. flgd. Ewald's
kritische Grammatik der hebräischen Sprache. S. 166. 167.
q«}o I- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
Hauptbegriffe übereinstimmen. Er nennt es nur übertrieben,
wenn der, im Anfange des vorigen Jahrhunderts in Breslau ver-
storbene Caspar Neumann alle zweisylbigen Wurzeln auf ein-
sylbige zurückführen wollte. In den hier genannten Fällen liegen
also den heutigen zweisylbigen Stammwörtern einsylbige, aus zwei,
einen Vocal einschliessenden Consonanten bestehende Wurzeln
zum Grunde, welchen in einer späteren Niedersetzung der Sprache
durch einen zweiten Vocal ein dritter Consonant angehängt worden
ist. Klaproth hat dies gleichfalls erkannt und in einer eignen Ab-
handlung eine Anzahl solcher, von Gesenius angedeuteter Reihen
aufgestellt.*) Er zeigt darin zugleich auf merkwürdige und scharf-
sinnige Weise, wie die, von ihrem dritten Consonanten befreiten,
einsylbigen Wurzeln sehr häufig in Laut und Bedeutung ganz
oder grösstentheils mit Sanskritischen übereinkommen. Ewald be-
merkt, dass eine solche, mit Vorsicht angestellte Vergleichung der
Stämme zu manchen neuen Resultaten führen würde, setzt aber
hinzu, dass man sich durch solche Et3^mologie über das Zeitalter
der eigentlich Semitischen Sprache und Form erhebt. In dem
Letzteren stimme ich ihm durchaus bei, da gerade meiner Ueber-
zeugung nach mit jeder wesentlich neuen Form, welche die Mund-
art auch des nemlichen Volksstammes im Laufe der Zeit gewinnt,
in der That eine neue Sprache angeht.
Bei der Frage über den Umfang dieses Ursprungs zweisylbiger
Wurzeln aus einsylbigen müsste zuerst factisch genau festgestellt
werden, wie weit wirklich hierin die etymologische Zergliederung
zu gehen vermag. Blieben nun, wie wohl kaum zu bezweifeln
ist, nicht zurückzuführende Fälle übrig, so könnte allerdings die
Schuld hiervon doch am Mangel der Glieder liegen, welche die
Reihen vollständig zeigen würden. Allein auch aus allgemeinen
Gründen scheint es mir sogar nothwendig, anzunehmen, dass dem
Systeme der Ausdehnung aller Wurzeln zu zwei Sylben nicht ein
durchaus einsylbiges, sondern eine Mischung ein- und zweisylbiger
Wortstämme unmittelbar vorausgegangen sey. Man darf sich die
Veränderungen in den Sprachen nie so gewaltsam und am wenig-
*) Observations sur les racines des langues Semitiques. Diese Abhandlung
macht eine Zugabe zu Merian's unmittelbar nach seinem Tode (er starb am 25. April
1828.) erschienenen Principes de l'etude comparative des langues aus. Durch einen
unglücklichen Zufall ist die Meriansche Schrift bald nach ihrem Erscheinen aus dem
Buchhandel verschwunden. Daher ist auch die Klaprothsche Abhandlung in weniger
Leser Hände gekommen und erforderte einen neuen Abdruck.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 00 y
sten so theoretisch denken, dass ein neuer Bildungsgrundsatz, für
■den es bisher an Beispielen fehlte, dem Volke (denn das heisst
doch der Sprache) aufgedrängt werden könnte. Es müssen schon
Fälle und in ziemlicher Anzahl vorhanden seyn, wenn gewisse
Lautbeschaffenheiten durch grammatische Gesetzgebung, die über-
haupt gewiss im Ausmerzen vorhandener Formen mächtiger, als
in der Einführung neuer ist, allgemein gemacht werden sollen.
Bloss des allgemeinen Satzes wegen, dass eine Wurzel immer ein-
sylbig seyn muss, möchte ich auf keine Weise auch ursprünglich
zweisvlbige läugnen. Ich habe mich hierüber im Vorigen deutlich
erklärt. Wenn ich hiernach aber selbst die Zweisylbigkeit auf
Zusammensetzung zurückführe, so dass zwei Sylben auch die
vereinte Darstellung zweier Eindrücke sind, so kann die Zusammen-
setzung schon im Geiste desjenigen liegen, der das Wort zum
erstenmal ausspricht. Dies ist hier um so mehr möghch, als von
einem mit Flexionssinn begabten Volksstamme die Rede ist. Ja
es kommt bei den Semitischen Sprachen noch ein zweiter wich-
tiger Umstand hinzu. Versetzt uns auch die Vernichtung des
Gesetzes der Zweis5dbigkeit in eine über den jetzigen Sprachbau
hinausgehende Zeit, so bleiben in dieser doch zwei andere charak-
teristische Kennzeichen übrig, dass nemlich die Wurzelsylbe, auf
welche die Zergliederung der heutigen Stämme führt, immer eine
durch einen Gonsonanten geschlossene war und dass man den
Yocal als gleichgültig für die Begrilfsbedeutsamkeit ansah. Denn
hätten die Mittelvocale wirklich Begriffsbedeutsamkeit besessen, so
wäre es unmöglich gewesen, ihnen diese wiederum zu entreissen.
Ueber das Verhältniss der Vocale zu den Gonsonanten in jenen
einsylbigen Wurzeln habe ich mich schon oben*) geäussert.^)
Auf der andren Seite könnte aber auch schon die frühere Sprach-
bildung auf den Ausdruck einer doppelten Empfindung in zwei
verknüpften Sylben geleitet worden se3^n. Der Flexionssinn lässt
das Wort als ein Ganzes ansehen, das Verschiedenes in sich be-
greift, und der Hang, die grammatische Andeutung in den Schooss
des Wortes selbst zu legen, musste dahin bringen, ihm mehr Um-
fang zu verleihen. Mit den hier entwickehen Gründen, die mir
keinesweges gezwungen erscheinen, Hesse sich sogar die Ansicht
*) Man vergleiche überhaupt mit dieser Stelle S. 258 — 262. dieser Einleitung.
V Dieser Satz hieß ursprünglich: „Wir wissen nun zwar nichts über die
Grammatik im Zustande der Einsilbigkeit. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass
0 02 ^- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
auch ursprünglich grössentheils zweisylbiger Wurzeln vertheidigen.
Die gleichförmige Bedeutung der ersten Sylbe von mehreren be-
wiese nur die Gleichheit des Haupteindrucks verschiedener Gegen-
stände. Mir aber kommt es natürlicher vor, das Daseyn einsylbiger
Wurzeln anzunehmen, aber darum nicht, auch schon neben ihnen,
zweisylbige auszuschliessen. Zu bedauern ist es, dass die mir be-
kannten Untersuchungen sich nicht auf die Erforschung der Be-
deutung des, zwei gleichen vorausgehenden Consonanten hinzu-
gefügten dritten einlassen. Erst diese, freilich gewiss höchst
schwierige Arbeit würde vollkommnes Licht über diese Materie
verbreiten. Betrachtet man aber auch alle zweisylbige Semitische
Wortstämme als zusammengesetzte, so sieht man doch auf den
ersten Anblick, dass diese Zusammensetzung von ganz anderer
Art, als die in den hier durchgegangenen Sprachen ist. In diesen
macht jedes Glied der Zusammensetzung ein eignes Wort aus.
Wenn auch, wenigstens im Barmanischen und Malayischen, die
Fälle sogar häufig sind, dass Wörter gar nicht mehr für sich allein,
sondern bloss in solchen Zusammensetzungen erscheinen, so ist
dies doch nur eine Folge des Sprachgebrauchs. An sich wider-
spricht in ihnen nichts ihrer Selbstständigkeit; sie sind sogar
gewiss früher eigne Wörter gewesen und nur darum als solche
ausser Gewohnheit gekommen, weil ihre Bedeutung vorzüglich
passend war, Modificationen in Zusammensetzungen zu bezeichnen.
Die den Semitischen Wortstämmen auf diese Weise hinzugefügte
zweite Sylbe könnte aber nicht allein und für sich bestehen, da
sie bei vorausgehendem Vocal und nachfolgendem Consonanten
gar nicht die legitime Form der Nomina und Verba an sich
trägt. ^) Man sieht hieraus deutlich, dass dieser Bildung zwei-
sylbiger Wortstämme ein ganz anderes Verfahren im Geiste des
Volkes zum Grunde liegt, als im Chinesischen und in den dem-
auch in ihr schon die grammatische Andeutung den Vocalen oblag, allein gerade
darum unvollständig war, weil sie sich in dem Räume einer Sylbe zu beengt
fühlen musste. So konnte auf der einen Seite es den Grammatikern leicht werden,
den schon einzeln vorhandenen zweisilbigen Bau weiter in der Sprache aus-
zudehnen."
V Dieser Satz hieß ursprünglich: „In der Hinzufügung der zweiten Sylbe
der Semitischen Wortstämme kann aber diese niemals für sich bestanden haben,
da sie eine Lautform ausmacht, in welcher, Interjectionen und Pronomina aus-
genommen, niemals Wörter in der Sprache erscheinen. Sie müssen nemlich aus
einem Consonanten mit vorausgehendem Vocale bestehen, da der Semitische Bau
auch bei einsylbigen Stämmen zwei den Vocal umgebende Consonanten fordert."
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. oo"?
selben in diesem. Theile seines Baues ähnlichen Sprachen. Es
werden nicht zwei Wörter zusammengesetzt, sondern mit unver-
kennbarer Hinsicht auf Worteinheit Eines erweiternd gebildet.
Auch in diesem Punkte bewährt der Semitische Sprachstamm
seine edlere, den Forderungen des Sprachsinnes mehr entsprechende,
die Fonschritte des Denkens sicherer und freier befördernde Form.
Die wenigen mehrsylbigen Wurzeln der Sanskritsprache lassen
sich auf einsylbige zurückführen und alle übrigen Wörter der
Sprache entstehen nach der Theorie der Indischen Grammatiker
aus diesen. Die Sanskritsprache kennt daher hiernach keine andere
Mehrsylbigkeit, als die durch grammatische Anheftung oder offen-
bare Zusammensetzung hervorgebrachte. Es ist aber schon oben
(S. 107.) erwähnt worden, dass die Grammatiker hierin vielleicht
zu weit gehen, so dass unter den nicht auf natürliche Weise aus
den Wurzeln abzuleitenden Wörtern ungewissen Ursprungs auch
zweisylbige sind, deren Entstehung insofern zweifelhaft bleibt, als
weder Ableitung noch Zusammensetzung an ihnen sichtbar ist.
Wahrscheinlich aber tragen sie doch die letztere an sich, nur dass
sich nicht allein die ursprüngliche Bedeutung der einzelnen Ele-
mente im Gedächtniss des Volks verloren, sondern auch ihr Laut
nach und nach eine, sie blossen Suffixen ähnlich machende Ab-
schleifung erfahren hat. Zu Beidem musste selbst nach und nach
der von den Grammatikern aufgestellte Grundsatz durchgängiger
Ableitung führen.
In einigen ist aber die Zusammensetzung wirklich erkennbar.
So hat schon Bopp sarad, Herbst, Regen Jahreszeit, als ein
Compositum aus sara, Wasser, und da, gebend, und andere
Unädi-Wörter als ähnliche Zusammensetzungen angesehen.*) Die
Bedeutung der in ein Unädi-Wort übergegangenen Wörter mag
auch in der Anwendung, wenn einmal diese Form eingeführt war,
so verändert worden seyn, dass die ursprüngliche darin nicht mehr
zu erkennen ist. Der allgemein in der Sprache herrschende Geist
der Bildung durch Affixa mochte zur gleichen Behandlung dieser
Formen hinleiten. In einigen Fällen tragen Unädi-Sufßxa durch-
aus die Gestalt auch in der Sprache selbstständig vorhandener
Substantiva an sich. Von dieser Art sind anda und a7iga. Sub-
stantiva würden sich nun zwar den Gesetzen der Sprache nach
nicht als Endglieder eines Compositum mit einer Wurzel ver-
Lehrgebäude der Sanskrita-Sprache. r. 646. S. 296.
noA 1. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
einigen lassen und insofern' bleibt die Natur dieser Bildung immer
räthselhaft. Allein bei genauer Durchgehung aller einzelnen Fälle
müsste sich die Sache doch wohl vollkommen erledigen. Da, wo
das Wort weder der angegebenen noch einer andren Wurzel
nach natürlicher Herleitung beigelegt werden kann, löst sich die
Schwierigkeit von selbst, da alsdann keine Wurzel in dem Worte
vorhanden ist. In andren Fällen kann man annehmen, dass die
Wurzel erst durch das Krit-Suffix a in ein Nomen verwandelt ist.
Endlich aber scheint es unter den Unädi-Suffixen mehrere zu geben,
welche man mit grösserem Rechte den Krit-Suffixen beizählen
würde. In der That ist der Unterschied beider Gattungen schwer
zu bestimmen und ich wüsste keinen andren, als den, in der ein-
zelnen Anwendung gewiss oft schwankend bleibenden anzugeben,
dass die Krit-Suffixa durch einen sich in ihnen deutUch aus-
sprechenden allgemeinen Begriff auf ganze Gattungen von Wörtern
anwendbar sind, dagegen die Unädi-Suffixa nur einzelne Wörter,
und ohne dass sich diese Bildung aus Begriffen erklären Hesse,
erzeugen. Im Grunde gesagt sind die Unädi-Wörter nichts andres,
als solche, die man, da sie nicht die Anwendung der gewöhnlichen
Suffixa der Sprache erlaubten, auf anomale Weise auf Wurzeln
zurückzuführen versuchte. Ueberall, wo diese Zurückführung
natürlich von statten geht und die Häufigkeit des erscheinenden
Suffixes dazu veranlasst, scheint mir kaum ein Grund vorhanden
zu seyn, sie nicht den Krit-Suffixen beizufügen. Daher hat auch
Bopp in seiner Lateinischen Grammatik, so wie in der abgekürzten
Deutschen, die Methode befolgt, die üblichsten und sich am meisten
als Suffixa bev/ährenden Unädi-Suffixa in alphabetischer Ordnung,
vermischt mit den Krit-Suffixen, aufzustellen.
anda, Ei, selbst ein Unädi-Wort aus der Wurzel an, athmen,
und dem Suffix da ist wohl wenigstens ursprünglich ein und das-
selbe Wort mit dem gleichlautenden Unädi-Suffix gewesen. Der
aus dem Begriff des Eies hergenommene der Ernährung oder der
runden Gestalt passt mehr oder weniger da, wo nicht an das Ei
selbst zu denken ist, auf die mit diesem Suffix gebildeten Wörter.
In zuaranda, in der Bedeutung eines offenen Laubenganges {open
portico)^ liegt derselbe Begriff vielleicht in einem Theile der
Gestaltung oder Verzierung dieser Gebäude. Am deutlichsten
zeigen sich die durch die beiden Elemente des Worts gegebenen
Begriffe des Runden und des Bedeckens in der Bedeutung einer
in einem Gesichtsausschlage {pimples in the face) bestehenden
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 90
.5:)D
Hautkrankheit, welche es gleichfalls hat. In die andren Bedeu-
tungen der Menge und des oben bedeckten, zu den Seiten
offenen Laubenganges sind sie theils einzeln, theils vereint über-
gegangen.*) Das Unädi-Suftix anda verbindet sich nach den mir
bekannten Beispielen bloss mit Wurzeln, deren Endlaut das
Vocal-r ist, und nimmt alsdann immer Guna an. Man könnte
also die erste Sylbe {imr) für ein aus der Wurzel gebildetes
Nomen ansehen. Dass nun das End-a; von diesem nicht mit dem
Anfangs-«: von anda in ein langes ä übergeht, widerspricht aller-
dings dieser Erklärung. Es erscheint jedoch natürlich, da man
diese Formation, wenn dies auch ursprünglich wahr gewesen
seyn mag, doch in der späteren Sprache nicht als Zusammen-
setzung, sondern als Ableitung behandelte, und immer lässt sich
schwer annehmen, dass die gleichlautenden W' örter E i und dies
Unädi-Suftix völHg verschiedne seyn sollten, weit eher begreifen,
wie aus dem Substantivum nach und nach in Bedeutung und
grammatischer Behandlung ein Suffix gemacht worden sey.
Von dem Unädi-Suffix anga liesse sich ungefähr dasselbe, als
von anda sagen, ja vielleicht noch mit grösserem Rechte, da das
Substantivum anga, als Körper, Gehen, Bewegen u. s. f.
eine noch weitere, sich zur Bildung eines Suffixes mehr eignende
Bedeutung hat. Ein solches Suffix könnte nicht unrichtig mit
unsrem Deutschen t h u m , h e i t u. s. f. verglichen werden. Bopp
hat indess auf eine so scharfsinnige und so trefflich auf alle mir
*) Man vergleiche Carey's Sanskrit-Gramm. S. 613. nr. 168. Wilkins Sanskrit-
Gramm. S. 487. nr. 863. A. W. v. Schlegel nennt (Berl. Kalender für 1831. S. 65.)
waranda einen Portugiesischen Namen für die in Indien üblichen offenen Vorhallen,
welchen die Engländer in ihre Sprache aufgenommen. Auch Marsden giebt in seinem
Wörterbuche dem gleichbedeutenden Malayischen Worte barändah einen Portugiesischen
Ursprung. Sollte dies aber wohl richtig seyn? Nicht abzuläugnen ist, dass waranda
ein achtes Sanskritwort ist. Es kommt schon im Amara Kosha (Cap. 6. Abtheil. 2.
S. 381.) vor. Das Wort hat mehrere Bedeutungen und der Zweifel könnte also dar-
über obwalten, ob die eines Säulenganges acht Sanskritisch sey. Wilson und Cole-
brooke, Letzterer in den Noten zum Amara Kosha, haben sie dafür gehalten. Auch
wäre der Fall zu sonderbar, dass ein so langes Wort in verschiedener Bedeutung mit
völliger Gleichheit der Laute in Portugal und Indien üblich gewesen seyn sollte. Das
Wort scheint mir daher aus Indien nach Portugal gekommen und in die Sprache über-
gegangen zu seyn. Im Hindostanischen lautet es nach Gilchrist {Hindoostanee philo-
logy. Vol. I. V. Balcony. Gallery. Portico.) burandu und buramudu. Die Eng-
länder können allerdings die Benennung dieser Gebäude von den Portugiesen entlehnt
haben. Doch nennt Johnson's Wörterbuch [Ed. Todd.) dasselbe a word adopted
from the East.
ooß !• über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
bekannte Wörter dieser Art anwendbare Weise dies Suffixum
indem er die erste Sylbe zur Accusativendung des Haupt-
wortes macht und die letzte von gd ableitet, zerstört, dass ich
nicht im Widerspruche mit ihm auf dessen Wiederherstellung
bestehen möchte. Dennoch findet sich anga, auf ähnliche Weise,
als der gewöhnlichen Vorstellungsart nach im Sanskrit gebraucht,
in der Kawi-Sprache und auch in einigen heutigen Mala3äschen
Sprachen so auffallend, dass ich die Erwähnung hier nicht um-
gehen zu können glaube. Im Brata Yuddha, dem Kawi-Gedichte,
von welchem die Folge dieser Schrift ausführlich handeln wird,
kommen Sanskrit-Substantiva der ersten Declination mit der hinzu-
gegebenen Endung anga und aiigana vor: neben sura (i. a,),
Held [süra), auch suranga (97. ^a.), neben rana (82. d.), Kampf
{rana)^ auch ra^ianga (83. d.), ranangana (86. b.). Auf die Be-
deutung scheinen diese Zusätze gar keinen Einfluss zu haben, da
die handschriftliche Paraphrase sowohl die einfachen, als ver-
längerten Wörter durch dasselbe heutige Javanische Wort erklärt.
Die Kawi-Sprache soll zwar, als eine dichterische sich sowohl
Abkürzungen, als Hinzufügungen völlig bedeutungsloser Sylben
erlauben. Die Uebereinstimmung dieser Zusätze mit den Sanskrit-
Substantiven anga und angana, welches letztere auch eine sehr
allgemeine Bedeutung hat, ist aber zu auffallend, als dass man
nicht genöthigt würde, in einer Sprache, die ganz eigentlich aus
dem Sanskrit zu schöpfen bestimmt war, hierbei an dieselben zu
denken. Diese Substantiva und das mit ihnen gleichlautende
Unädi-Suffix konnten solche, dem Sylbenklange willkommene
Endungen hervorbringen. In der heutigen gewöhnlichen Javani-
schen Sprache wüsste ich sie nicht aufzuweisen. Dagegen findet
sich in ihr, nur mit kleiner Veränderung, als Substantivum und
in der Neu-Seeländischen und Tongischen ganz unverändert und
zugleich als Substantivum und als Endung anga auf eine Weise,
welche wohl die Vermuthung geben kann, dass auch hier an
einen Sanskritischen Ursprung zu denken sey. Javanisch ist
hangge: die Art und Weise, wie etwas geschieht, und
der Umstand, dass dies Wort der vornehmen Sprache angehört,
weist von selbst bei seiner Ableitung auf Indien hin. Im Tongi-
schen ist anga: Stimmung des Gemüths, Gewohnheit,
Gebrauch, der Platz, wo etwas vorgeht; im Neu-See-
ländischen hat das Wort, wie man aus den Zusammensetzungen
sieht, auch diese letzte Bedeutung, allein hauptsächlich die des
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschleciits. 38. oo-y
Machens, besonders des gemeinschaftlichen Arbeitens. Diese Be-
deutungen kommen allerdings nur mit der allgemeinen des Be-
wegens in dem Sanskritwort überein; doch hat auch dieses die
Bedeutung von Seele und Gemüth. Die wahre Aehnlichkeit scheint
mir aber in der Weite des Begriffs zu liegen, der dann auf ver-
schiedene Weise aufgefasst werden konnte. Im Neu-Seeländischen
ist der Gebrauch von anga als letztem Gliede einer Zusammen-
setzung so häufig, dass es dadurch fast zur grammatischen Endung
abst racter Substantiva wird : udi, sich herumdrehen, herum-
wälzen, auch vom Jahre gebraucht, udinga, eine Umwäl-
zung; ro7igo, hören, roizgonga, die Handlung oder Zeit
des Hörens; tono, befehlen, tononga, Befehl; tao , ein
langerSpeer, taonga,m\x demSpeer erworbenes Eigen-
thum; toa, ein herzhafter, kühner Mann, toanga, das
Erzwingen, Ueberwältigen; tui, nähen, bezeichnen,
schreiben, tuinga, das Schreiben, die Tafel, auf die
man schreibt; tu, stehen, iunga, der Platz, wo man
steht, der Ankerplatz eines Schiffes; tot, im Wasser
tauchen, toinga, das Eintauchen; tupii, ein Sprössling,
herv orspriessen, tiipunga, die Voreltern, der Platz, an
dem irgend etwas gewachsen ist; ngaki, das Feld be-
bauen, ngakinga, ein Meierhof. Nach diesen Beispielen könnte
man glauben, dass nga und nicht anga die Endung wäre. Das
Anfangs-« ist aber bloss des vorhergehenden Vocals wegen ab-
geworfen. Denn man sagt auch nach Lee's ausdrücklicher Be-
merkung statt udinga udi anga und die Tongische Sprache lässt
das a auch nach Vocalen bestehen, wie die Wörter maanga, ein
Bissen, von ma , kauen, taanga , das Niederhauen von
Bäumen, aber auch (vermuthlich figürlich vom schlagenden Ton
des Taktes): Gesang, Vers, Dichtung, von /«, schlagen (in Laut
und Bedeutung übereinstimmend mit dem Chinesischen Worte),
und nofoanga, Wohnung, von 7iofo, wohnen, beweisen. In-
wiefern das Madecassische marighe, machen, mit diesen Wörtern
zusammenhängt, erfordert zwar noch eigne Untersuchung. Doch
dürfte diese wohl auf Verwandtschaft führen, da das Anfangs-w
in diesem, selbst als Auxiliare und Praefix gebrauchten Worte sehr
leicht ein davon abzulösendes Verbalpraefix seyn kann. Froberville *)
*) Er ist der Verfasser der von Jacquet {Nouv. Jourtl. Asiat. XI. 102. Anmerk.)
erwähnten Sammlungen über die Madecassische Sprache, welche sich jetzt in London
in den Händen des Bruders des verstorbenen Gouverneurs Farquhar befinden.
VV. V, Humboldt, Werke. VU. 22 ,
oog I, über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
leitet magne, wie er schreibt, von maha aigne oder von maha angani
ab und führt mehrere Lautveränderungen dieses Wortes an. Da
unter diesen Formen auch manganou ist, so gehört wohl auch das
Javanische mangun, bauen, bewirken, hierher.*)
Wenn man also die Frage aufwirft, ob es nach Ablösung
aller Affixe im Sanskrit zwei- oder mehrs3''lbige einfache Wörter
giebt? so muss man sie, da allerdings solche Wörter vorkommen,
in welchen das letzte Glied nicht mit Sicherheit als ein, einer
Wurzel angehängtes Suffix angesehen werden kann, nothwendig
bejahen. Indess ist die Einfachheit dieser Wörter gewiss nur
scheinbar. Sie sind unstreitig Composita, in welchen sich die
Bedeutung des einen Elementes verloren hat.
Abgesehen von der sichtbaren Mehrsylbigkeit fragt es sich,
ob nicht im Sanskrit eine andere, verdeckte vorhanden ist? Es
kann nemlich zweifelhaft scheinen, ob die mit doppelten Conso-
nanten beginnenden, besonders aber die in Consonanten aus-
lautenden Wurzeln, die ersteren durch Zusammenziehung, die
letzteren durch Abwerfung des Endvocals, nicht von ursprünglich
zweisylbigen zu einsylbigen geworden sind. Ich habe in einer
früheren Schrift*') bei Gelegenheit der Barmanischen Sprache
diesen Gedanken geäussert. Der einfache Sylbenbau mit aus-
lautendem Vocal, dem mehrere Sprachen des östlichen Asiens
noch grossentheils treu geblieben sind, scheint in der That der
natürlichste und so könnten leicht die uns jetzt eins34big schei-
nenden Wurzeln eigentlich zweisylbige einer früheren, der uns
jetzt bekannten zum Grunde liegenden Sprache oder eines primi-
tiveren Zustandes der nemlichen seyn. Der auslautende End-
consonant wäre alsdann der Anfangsconsonant einer neuen Sylbe
oder eines neuen Wortes. Denn dies letzte Glied der heutigen
Wurzeln wäre dann nach dem verschiedenen Genius der Sprachen
entweder eine bestimmtere Ausbildung des Hauptbegriifes durch
eine nähere Modification oder eine wirkliche Zusammensetzung
von zwei selbstständigen Wörtern. In der Barmanischen Sprache
z. B. erhöbe sich also eine sichtbare Zusammensetzung auf dem
Grunde einer jetzt nicht mehr erkannten. Am nächsten führten
*) Gericke's Wörterbuch. In Crawfurd's handschriftlichem wird es durch io Cldjust^
to put right übersetzt.
**) Nouv. Journ. Asiat. IX. 500—506.')
V Vgl. Band 6, 56g.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. 2'>Q
hierauf die mit dazwischen Hegendem einfachen Vocale mit dem
gleichen Consonanten an- und auslautenden Wurzeln. Im Sanskrit
haben diese, wenn man etwa dad ausnimmt, mit welchem es
überhaupt leicht eine verschiedene Bewandtniss haben kann, eine
zum Ausdruck durch Reduplication passende Bedeutung, indem
sie, wie kak, j'aj, sas heftige Bewegung, wie lal Wunsch, Be-
gierde oder wie sas, schlafen, einen sich gleichmässig ver-
längernden Zustand bezeichnen. Die den Ton des Lachens
nachahmenden kakk, khakkh, ghaggh kann man sich ursprünglich
kaum anders, als mit Wiederholung der vollen Sylbe denken.
Ob man aber durch Zergliederung auf diesem Wege viel weiter
kommen könnte, möchte ich bezweifeln und sehr leicht kann
ein solcher auslautender Consonant auch wirklich ursprünglich
bloss auslautend gewesen seyn. Selbst im Chinesischen, das keine
wahrhaften Consonanten, als auslautend, in der Mandarinen- und
Büchersprache kennt, fügen die Provinzial-Dialekte den vocalisch
endenden Wörtern sehr häufig solche hinzu.
In anderer Beziehung und wahrscheinlich auch in andrem
Sinne ist ganz neuerlich die Zweisylbigkeit aller consonantisch
auslautenden Sanskritwurzeln von Lepsius*) behauptet worden.
Die Xothwendigkeit hiervon wird in dem in dieser Schrift auf-
gestellten consequenten und scharfsinnigen Systeme daraus abge-
leitet, dass im Sanskrit überhaupt nur Sylbenabtheilung herrscht
und die untheilbare Sylbe in der Weiterbildung der Wurzel nicht
einen einzelnen Buchstaben, sondern nur wieder eine untheilbare
Sylbe aus sich erzeugen kann. Der Verfasser dringt nemlich auf
die Nothwendigkeit, die Flexionslaute nur als organische Entwick-
lungen der Wurzel, nicht aber als gleichsam willkührliche Ein-
schiebungen oder Anfügungen von Buchstaben anzusehen, und
die Frage läuft also darauf hinaus, ob man z. B. in bodhämi das
ä als den Endvocal von budha oder als einen der Wurzel budh
nur in der Conjugation äusserlich hinzutretenden Vocal betrachten
soll? Für den von uns hier behandelten Gegenstand kommt es
vorzugsweise auf die Bedeutung des scheinbaren oder wirklichen
Endconsonanten an. Da aber der Verfasser sich in diesem ersten
Theile seiner Schrift nur über den Vocalismus verbreitet, so äussert
er sich in ihr auch gar noch nicht über diesen Punkt. Ich be-
*) Palaeographie. S. 61—74. §• 47 — 52. S. 91 — 93. nr. 25 — 30. und besonders
S. 83. Anm. I.
oAQ I. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
merke daher nur, dass, wenn man sich auch nicht des, doch nur
bildlich scheinenden Ausdrucks einer eignen Weiterbildung der
Wurzel bedient, sondern von Anfügung und Einschiebung spricht,
darum bei richtiger Ansicht doch alle und jede Willkühr ausge-
schlossen bleibt, indem auch die Anfügung oder Einschiebung
immer nur organischen Gesetzen gemäss und vermöge derselben
geschieht.
Wir haben schon im Vorigen gesehen, dass in Sprachen bis-
weilen dem concreten Begriffe sein generischer hinzugefügt wird,
und da dies einer der hauptsächlichsten Wege ist, auf welchen
in einsylbigen Sprachen zweisylbige Wörter entstehen können, so
muss ich hier noch einmal darauf zurückkommen. Bei Natur-
gegenständen, die, wie Pflanzen,^ Thiere u. s. w. sehr sichtbar
in abgesonderte Classen fallen, finden sich hiervon in allen
Sprachen häufige Beispiele. In einigen aber treffen wir diese
Verbindung zweier Begriffe auf eine uns fremde Weise an und
dies ist es, wovon ich hier zu reden beabsichtige. Es ist nemlich
nicht immer gerade der wirkliche Gattungsbegriff des concreten
Gegenstandes, sondern der Ausdruck einer denselben in irgend
einer allgemeinen Aehnlichkeit unter sich begreifenden Sache,
wie wenn der Begriff einer ausgedehnten Länge mit den Wörtern :
Messer, Schwerdt, Lanze, Brot, Zeile, Strick u. s. f. verbunden
wird, so dass die verschiedenartigsten Gegenstände, bloss insofern
sie irgend eine Eigenschaft mit einander gemein haben, in die-
selben Classen gesetzt werden. Wenn also diese Wortverbin-
dungen auf der einen Seite für einen Sinn logischer Anordnung
zeugen, so spricht aus ihnen noch häufiger die Geschäftigkeit
lebendiger Einbildungskraft; so, wenn im Barmanischen die Hand
zum generischen Begriff aller Arten von Werkzeugen, des Feuer-
gewehrs so gut, als des Meisseis dient. Im Ganzen besteht diese
Art des Ausdrucks in einem, bald das Verständniss erleichternden,
bald die Anschaulichkeit vermehrenden Ausmalen der Gegenstände.
In einzelnen Fällen aber mag ihr eine wirkliche Nothwendigkeit
der Verdeutlichung zum Grunde liegen, wenn sie auch uns nicht
mehr fühlbar ist. Wir stehen überall den Grundbedeutungen der
Wörter fern. Was in allen Sprachen Luft, Feuer, Wasser, Mensch
u. s. f. heisst, ist für uns bis auf wenige Ausnahmen bloss ein
conventioneller Schall. Was diesen begründete, die Uransicht der
Völker von den Gegenständen nach ihren, das Wortzeichen be-
stimmenden Eigenschaften bleibt uns fremd. Gerade hierin aber
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. ^41
kann die Nothwendigkeit einer Verdeutlichung durch Hinzufügung
eines generischen Begriffes liegen. Gesetzt z. B. das Chinesische
ii, Sonne und Tag, habe ursprünglich das Erwärmende, Er-
leuchtende bedeutet, so war es nothwendig, ihm tseoü, als Wort
für ein materielles, kugelförmiges Object hinzuzufügen, um be-
greiflich zu machen, dass man nicht die in der Luft verbreitete
Wärme oder Helligkeit, sondern den wärmenden und erleuchtenden
Himmelskörper meint. Aus ähnlicher Ursach konnte dann der
Tag mit Hinzufügung von tseü durch eine andere Metapher der
Sohn der Wärme und des Lichts genannt werden. Sehr merk-
würdig ist es, dass die eben genannten Ausdrücke nur dem neuern,
nicht dem alten Chinesischen Style angehören, da die in ihnen
nach dieser Erklärungsart enthaltene Vorstellungsweise eher die
ursprünglichere scheint. Dies begünstigt die Meinung, dass diese
in der Absicht gebildet worden sind, Misverständnissen, die aus
dem Gebrauche desselben Wortes für mehrere Begriffe oder für
mehrere Schriftzeichen entstehen konnten, vorzubeugen. Sollte
aber die Sprache noch, gerade in späterer Zeit, auf diese Weise
metaphorisch nachbildend se3'^n und sollte sie nicht vielmehr zur
Erreichung eines blossen Verstandeszweckes auch ähnliche Mittel
angewandt und daher den Tag anders, als durch einen Verwandt-
schaftsbegriff unterschieden haben ?
Ich kann hierbei einen Zweifel nicht unterdrücken, den ich
schon sehr oft bei Vergleichung des alten und neuen Styls gehegt
habe. Wir kennen den alten bloss aus Schriften und grossen-
theils nur aus philosophischen. Von der geredeten Sprache jener
Zeit wissen wir nichts. Sollte nun nicht Manches, ja vielleicht
Vieles, was wir jetzt dem neuern Styl zuschreiben, schon im alten,
als geredete Sprache im Schwange gewesen seyn ? Eine Thatsache
scheint hierfür wirklich zu sprechen. Der ältere Styl des koii win
enthält, wenn man die Zusammenfügungen mehrerer abrechnet,
eine massige Anzahl von Partikeln, der neuere, kouän hod, eine
viel grössere, besonders solcher, welche grammatische Verhältnisse
näher bestimmen. Gleichsam als einen dritten, sich von beiden
wesentlich unterscheidenden muss man den historischen, wen
tcha7ig, ansehen und dieser macht von den Partikeln einen sehr
sparsamen Gebrauch, ja enthält sich derselben fast gänzlich.
Dennoch beginnt der historische Styl zwar später, als der ältere,
aber doch schon etwa zweihundert Jahre vor unsrer Zeitrechnung.
Nach dem gewöhnlichen Bildungsgange der Sprachen ist diese
QA2 I- Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
verschiedenartige Behandlung eines, im Chinesischen doppelt wich-
tigen Redetheils, wie die Partikeln sind, unerklärbar. Nimmt man
hingegen an, dass die drei Style nur drei Bearbeitungen derselben
geredeten Sprache zu verschiedenen Zwecken sind, so wird die-
selbe begreiflich. Die grössere Häufigkeit der Partikeln gehörte
natürlich der geredeten Sprache an, welche immer begierig ist,
sich durch neue Zusätze verständlicher zu machen, und in dieser
Hinsicht auch das wirklich unnütz Scheinende nicht zurückstösst.
Der ältere Styl, schon durch die von ihm behandelte Materie An-
strengung voraussetzend, schmälerte den Gebrauch der Partikeln
in Absicht der Verdeutlichung, fand aber in ihnen ein treffliches
Mittel, durch Unterscheidung der Begriffe und Sätze dem Vortrage
eine, der inneren logischen Anordnung der Gedanken entsprechende,
symmetrische Stellung des Ausdrucks zu geben. Der historische
hat denselben Grund, die Häufigkeit der Partikeln zu verwerfen,
als jener, nicht aber den nemlichen Beruf, sie doch wieder zu
anderem Zwecke in seinen Kreis zu ziehen. Er schrieb für ernste
Leser, aber in einfacherer Erzählung über leicht verständliche
Gegenstände. Von diesem Unterschiede mag es herstammen,
dass historische Schriften sich sogar des Gebrauchs der gewöhn-
lichen Schlusspartikel (ye) bei Uebergängen von einer Materie zur
andren überheben. Der neuere Styl des Theaters, der Romane
und der leichteren Dichtungsarten musste, da er die Gesellschaft
und ihre Verhältnisse selbst darstellte und redend einführte, auch
das ganze Gewand ihrer Sprache und daher ihren ganzen Partikel-
vorrath annehmen.*)
Ich kehre nach dieser Abschweifung zu den vermittelst Hinzu-
setzung eines generischen Ausdrucks entstehenden, scheinbar zwei-
sylbigen Wörtern in einsylbigen Sprachen zurück. Sie können, inso-
fern man darunter Ausdrücke für einfache Begriffe versteht, an deren
Bezeichnung die einzelnen Sylben nicht als solche, sondern nur
*) Ich freue mich, hier hinzufügen zu können, dass Herr Professor Klaproth,
welchem ich die in dem Obigen enthaltenen Data verdanke, dem von mir geäusserten
Zweifel über das Verhältniss der verschiedenen Chinesischen Style beistimmt. Nach
seiner ausgebreiteten Belesenheit im Chinesischen, namentlich in historischen Schriften,
rauss er einen reichen Schatz von Bemerkungen über die Sprache gesammelt haben,
von dem hoffentlich ein grosser Theil in das neue Chinesische Wörterbuch überfliessen
wird, dessen Herausgabe er beabsichtigt. Sehr wünschenswürdig wäre aber alsdann
die Zusammenstellung auch seiner allgemeinen Bemerkungen über den Chinesischen
Sprachbau in einer besonderen Einleitung.
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. 38. qao
verbunden Theil haben, auf zwiefachem Wege entstehen, nemlich
relativ für das spätere Verständniss oder wirklich absolut an und
für sich. Der Ursprung des generischen Ausdrucks kann aus dem
Gedächtniss der Nation entschwinden und der Ausdruck selbst
dadurch zum bedeutungslosen Zusatz werden. Dann ruht der
Begriff des ganzen Wortes zwar wirkUch auf beiden Sylben des-
selben; es ist aber nur relativ für uns, dass er sich nicht mehr
aus den Bedeutungen der einzelnen zusammensetzen lässt. Der
Zusatz selbst aber kann auch bei bekannter Bedeutung und
Häufigkeit der Anwendung durch gleichsam gedankenlosen Ge-
brauch zu Gegenständen hinzutreten, mit welchen er in gar keiner
Beziehung steht, so dass er in der Verbindung wieder bedeutungs-
los wird. Dann liegt der Begriff des ganzen Wortes w^irklich in
der Vereinigung beider Sylben, es ist aber eine absolute Eigenschaft
desselben, dass die Bedeutung nicht aus der Vereinigung des Sinnes
der einzelnen hervorgeht. Dass beide Arten dieser Zweisylbigkeit
leicht durch den Uebergang der Wörter von einer Sprache in eine
andere entstehen können, ergiebt sich von selbst. Eine besondere
Gattung solcher theils noch erklärlicher, theils unerklärlicher Zu-
sammenfügungen legt der Sprachgebrauch einiger Sprachen der
Rede als nothwendig auf, wenn Zahlen mit concreten Gegenständen
verbunden werden. Vier Sprachen sind mir bekannt, in welchen
dies Gesetz in merkwürdiger Ausdehnung gilt: die Chinesische,
Barmanische, Siamesische und Alexicanische. Gewäss giebt es aber
deren mehrere und einzelne Beispiele finden sich wohl in allen,
namentlich auch in der unsrigen. Es vereinigen sich, wie es mir
scheint, zwei Ursachen in diesem Gebrauche : einmal die allgemeine
Hinzufügung eines generischen Begriffs, von der ich eben ge-
sprochen habe, dann aber auch die besondre Natur gewisser,
unter eine Zahl gebrachter Gegenstände, wo, wenn man nicht ein
wirkliches Mass angiebt, die zu zählenden Individuen erst künst-
lich geschaffen w^erden müssen, wie wenn man vier Köpfe
Kohl zu ein Bund Heu u. s. f. sagt oder wo man durch die
allgemeine Zahl die Verschiedenheiten der gezählten Gegenstände
gleichsam vertilgen will, wie in dem Ausdruck: vier Häupter
Rinder Kühe und Stiere einbegriffen sind. Von den vier ge-
nannten Sprachen hat nun keine diesen Gebrauch so weit, als die
Barmanische ausgedehnt. Ausser einer grossen Zahl für bestimmte
Classen wirklich festgesetzter Ausdrücke kann noch der Redende
immer jedes Wort der Sprache, welches eine, mehrere Gegenstände
oA/t 1. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues usw. 38.
unter sich befassende Aehnlichkeit andeutet, zu diesem Zwecke
gebrauchen und endlich giebt es noch ein allgemeines, auf alle
Gegenstände Jeglicher Art anwendbares Wort {/?hi). Das Com-
positum wird übrigens so gebildet, dass, von der Grösse der Zahl
abhängende Unterschiede abgerechnet, das concrete Wort das An-
fangs-, die Zahl das Mittel- und der generische Ausdruck das End-
glied ausmacht. Wenn der concrete Gegenstand auf irgend eine
Weise dem Hörenden bekannt seyn muss, wird der generische
allein gebraucht. Bei dieser Ausdehnung müssen solche Composita,
da schon der blosse Gebrauch der Einheit, als unbestimmten
Artikels sie hervorruft, besonders im Gespräche sehr häufig vor-
kommen.*) Indem mehrere der generischen Begriffe durch Wörter
ausgedrückt werden, bei welchen ^ man gar keine Beziehung auf
die concreten Gegenstände errathen kann oder die auch wohl
ausser diesem Gebrauche ganz bedeutungslos geworden sind, so
werden diese Zahlwörter in den Grammatiken auch wohl Partikeln
genannt. Ursprünglich aber sind sie allemal Substantiva.
Aus dem hier Entwickelten ergiebt sich für die Andeutung
grammatischer Verhältnisse durch besondere Laute, so wie fyr
den Sylbenumfang der Wörter, dass, wenn man die Chinesische
und Sanskritsprache als die äussersten Punkte betrachtet, in den
dazwischen liegenden Sprachen, sowohl den die Sylben aus ein-
ander haltenden, als den nach ihrer Verbindung unvollkommen
strebenden, ein stufenweis wachsendes Hinneigen zu sichtbarer
grammatischer Andeutung und zu freierem S3dbenumfange obwaltet.
Ohne nun hieraus Folgerungen über ein solches geschichtliches Fort-
schreiten zu ziehen, begnüge ich mich, hier dies Verhältniss im
Ganzen angezeigt und einzelne Arten desselben dargelegt zu haben.
*) Man vergleiche über diese ganze Materie Burnouf. Noiiv. Journ. Asiat. IV. 221,
Low's Siamesische Gramm. S. 21. 66 — 70. Carey's Barmanische Gramm. S. 120 — 141.
§. 10 — 56. Remusat's Chinesische Gramm. S. 50, nr. 113 — 115. S. 116. nr. 309.310.
Asiat, res. X. 245. Wenn Remusat diese Zahlwörter bei dem alten Style abhandelt,
so hat er sie wohl nur aus andren Gründen dahin gezogen. Denn eigentlich gehören
sie dem neueren an.
Anhang.
Alexander von Humboldts Vorwort zum Kawiwerk.
Ich erfülle eine ernste und traurige Pflicht. Indem aus dem
literarischen Nachlasse meines Bruders kaum ein Jahr nach seinem
Hinscheiden dieses Werk der Oeftentlichkeit übergeben wird, habe
ich einige Worte über die Einrichtung und Abtheilung desselben
zu sagen. Es würde bei der individuellen Richtung meiner Studien
eine leichtsinnige Zuversicht verrathen, wenn ich hier mehr, als
die äussere Form berührte und es wagte, dem Verewigten auf
der von ihm durchlaufenen Bahn in das unermessene Reich der
Sprache zu folgen.
Die Arbeit erscheint zwar in einer in sich abgeschlossenen
Gestalt, doch würde sie gewiss in einzelnen Theilen von der
eignen Hand des Verfassers noch manche Umwandlung und
grössere Vollendung erfahren haben. Der Einleitung, welche den
Einfluss der Sprache auf die geistige Entwicklung der Menschheit
darstellt, waren manche Zusätze vorbehalten, die in belebenden Ge-
sprächen angedeutet, aber nicht niedergeschrieben wurden. Nur
der Druck des ganzen ersten Buches ist von meinem Bruder
selbst besorgt worden; die genaueste Durchsicht des Manuscripts
aber und die Herausgabe des ganzen Werkes in seiner gegen-
wärtigen Gestalt verdanken wir dem Fleisse und der wissenschaft-
lichen Bildung eines jungen Gelehrten, der viele Jahre lang einem
ehrenvollen Vertrauen durch die treueste Anhänglichkeit entsprochen
Erster Druck: Wilhelm von Humboldt, Über die Kawisprache auf der
Insel Java i, III—X (1836).
qaQ Alexander von Humboldts Vorwort
hat. Herr Dr. Buschmann, Gustos bei der Königlichen Bibliothek,
dem Verewigten durch einen ihm theuren Freund, Professor Bopp,
empfohlen, war durch die Mannigfaltigkeit seiner Kenntnisse und
seinen Eifer für die Sprachen des südöstlichen Asiens besonders
geeignet, eine solche Hülfe darzubieten.
Das zweite Buch, mit welchem der folgende Theil beginnen
wird, stellt den grammatischen Bau der Kawisprache, aus dem
Heldengedichte Brata Yuddha entwickelt, in fortwährender Ver-
gleichung mit allen übrigen bekannten Malayischen und Südsee-
Sprachen dar. In dem dritten Buche ist der Charakter jedes
dieser Idiome einzeln bestimmt, besonders der des Madecassischen,
Tagalischen, Tongischen, Tahitischen und Neu-Seeländischen. Die
Völkerverhältnisse jener grossen Inselwelt und ihre gemeinsamen,
durch so vielartige Analogien verkündigten Ausstrahlungen führen
merkwürdigerweise, aber nur in wenigen Einzelheiten den Forscher
auf den festgegründeten Boden des Sanskrit zurück. Da mein
Bruder kurz vor seinem Tode neue und wichtige Mittheilungen
von Herrn Crawfurd in London empfing, so hat er Nachträge zu
einigen, die Sprache betreffenden Stellen des ersten Buches den
folgenden Büchern einverleibt.
Unter den auswärtigen Gelehrten, deren Mittheilungen dieses
Werk besonders bereichert haben, verdient den ersten Rang der
talentvolle Verfasser der History of the Indiajt Archipelago und der
Embassy to the Court of Ava, Herr John Grawfurd, welcher aus
dem grossen Schatze seiner Sammlung von Schriften in Malayischen
Sprachen drei handschriftliche Javanische Wörterbücher und eine
handschriftliche Javanische Grammatik, wie auch eine Abschrift
des oben erwähnten Kawi-Gedichtes dem Verewigten zu freiestem
Gebrauche überlassen hatte. Bei der Unzulänglichkeit aller öffent-
lichen Hülfsmittel wäre es ohne jene Mittheilung unmöglich ge-
wesen, sich der Javanischen und Kawi-Sprache in ihren Eigen-
thümlichkeiten ganz zu bemeistern. Herr Crawfurd, dessen per-
sönlichen Umganges ich mich am frühesten in Paris zu erfreuen
gehabt habe, wird den Ausdruck der Dankbarkeit beider Brüder
gewiss mit demselben Wohlwollen aufnehmen, mit dem er so
wichtige, ganz durch eigenen Fleiss gesammelte Materialien zu
erfolgreicher Benutzung dargeboten hat.
In allem, was die Philosophie der Sprachkunde oder den
Organismus der Sanskritsprache insbesondere betrifft, hat sich
mein Bruder immerfort bis zu seinem Tode vertrauungsvoll mit
zum Kawiwerk.
347
einem Manne berathen, welcher durch die Bande einer lang-
bewährten Freundschaft und gegenseitigen Achtung mit ihm ver-
bunden war und durch seinen Scharfsinn und seine unermüdete
Thätigkeit einen stets wachsenden Einfluss auf die Richtung des
vergleichenden, allgemeinen Sprachstudiums ausübt. Herr Professor
Bopp empfing von dem Verewigten jeden vollendeten Bogen des
ersten Buches mit Aufforderung zu strenger Kritik. Dem geistig
belebenden Einflüsse eines solchen Freundes gebührt hier eine
öftentHche, dankbare Anerkennung.
Wenn es dem, dessen ^^erlust wir betrauern, vergönnt war,
durch die Macht seiner Intelligenz und die nicht geringere Macht
seines Willens, durch Begünstigung äusserer Verhältnisse und
durch Studien, welche der häufige Wechsel des Aufenthalts und
sein öffentliches Leben nicht zu unterbrechen vermochten, tiefer
in den Bau einer grösseren Menge von Sprachen einzudringen,
als wohl noch je von einem Geiste umfasst worden sind, so
dürfen wir uns doppelt freuen, die letzten, ich darf wohl hinzu-
setzen, die höchsten Resultate dieser, das ganze Sprachgebiet be-
rührenden Forschungen in der Einleitung dieses Werkes ent-
wickelt zu finden. Ich müsste fast den ganzen Kreis der wissen-
schaftlichen Verbindungen meines Bruders durchlaufen, die er auf
seinen Reisen in Deutschland, England, Frankreich, Italien und
Spanien angeknüpft hatte, wenn ich die einzelnen Personen nennen
sollte , die ihm in jenen allgemeinen Untersuchungen und bei
Gründung der grossen linguistischen Sammlung nützlich gewesen
sind, welche nach seinem letzten Willen der Königlichen Bibliothek
einverleibt wurde. Geistreichen und sprachgelehrten Männern,
mit denen der Verewigte durch Briefe in literarischem Verkehre
stand, Aug. Wilh. von Schlegel, Gottfr. Hermann, dem ihn die
Uebersetzung des Aeschyleischen Agamemnon (mitten unter den
Stürmen des Krieges) genähert hatte, Silvestre de Sacy, Gesenius,
Burnouf, Thiersch, Lassen, Du Ponceau in Philadelphia, John
Pickering in Salem, Rosen in London, P. von Bohlen in Königs-
berg, Stenzler in Breslau, Pott in Halle, Lepsius in Rom, Neu-
mann in München, Kosegarten, dem Aegyptischen Reisenden
G. Parthey, Champollion, Abel-Remusat, Klaproth und Friedrich
Ed. Schulz, welcher in einem ruhmvollen Unternehmen den Tod
im Orient fand, sind viele seiner allgemeinen Ansichten, wie sie
sich ihm allmählich darboten, zur Prüfung vorgelegt worden. Was
mein Bruder dem tiefen Kenner des gesammten classischen Alter-
348
Alexander von Humboldts Vorwort
thums, unserem Freunde August Böckh und besonders dessen
glücklichen Forschungen über allgemeine Metrik und den viel-
artigen Einfluss Hellenischer Stammverschiedenheit schuldig war,
davon zeugen die nachfolgenden Blätter.
Auf den engeren Cyclus der Sprachen mich beschränkend,
welche in dem Werke selbst einzeln zergliedert sind, erwähne ich
dankbar für das Javanische den Baron van der Capellen, ehe-
maligen General-Gouverneur der Holländischen Besitzungen in
Indien, den Grafen von Minto, von welchem mein Bruder den
Abguss der grossen, durch Raffles berühmt gewordenen Javani-
schen Inschrift erhielt, den sprachkundigen Roorda van Eysinga
und Herrn Gericke zu Batavia; für das Malayische den belehrenden
Briefwechsel mit Sir Alexander Johnston, Dr. William Marsden
und dem kenntnissvollen Herrn Jacquet zu Paris; für das Made-
cassische und die Sprachen der Südsee-Inseln Herrn Freeman,
Missionar zu Tananarivo auf Madagascar, Professor Meyen in Berlin,
den Dr. Meinicke zu Prenzlow, Lesson in Paris und Adalbert
von Chamisso, der mit verjüngtem Eifer die Sprache der Sandwich-
Inseln erforscht, welche er selbst früher zu besuchen das Glück
gehabt hat.
Wie in dem Werke, das wir jetzt mittheilen, die Sprachen
der Asiatischen Inselwelt behandelt worden sind, so hat der Ver-
ewigte nach gleichen Ansichten und im Einzelnen noch ausführlicher
die Amerikanischen Sprachen bearbeitet, deren Studium ihn
viele Jahre lang auf das ernsteste beschäftigte. Ein grosser Theil
dieser Vorarbeiten ist zur Herausgabe geeignet und ich hoffe,
dass Herr Buschmann, der selbst in einem wenig bekaijnten Theile
Neuspaniens gelebt hat und mit dem mein Bruder die Absicht
hatte gemeinschaftlich eine Reihe von Schriften über die Sprachen
dieses Welttheils herauszugeben, bald Müsse finden werde, mit
Hülfe der bereits angesammelten Materialien jenen vielumfassenden
Plan auszuführen. Was in dem vorliegenden Südasiatischen Werke
auf die Amerikanische Sprachfülle hindeutet, erregt den lebhaf-
testen Wunsch, so wichtige Hülfsmittel zur Kenntniss der Idiome
des Neuen Continents von den Freunden einer allgemeinen philo-
sophischen Linguistik benutzt zu sehen. Dem Plane des Hin-
geschiedenen gemäss wird ein Mexicanisch-Lateinisches Wörter-
buch sammt einer Grammatik das neue Unternehmen beginnen.
Ich kann der, durch die Huld des Monarchen in neuerer Zeit
so bereicherten Königlichen Bibliothek, in welcher die eben erwähnten
zum Kawiwerk.
349
Manuscripte zu öffentlichem Gebrauch niedergelegt sind, nicht ge-
denken, ohne nicht zugleich, wie aus einer Vermächtniss-Schuld,
dem als Sprach- und Geschichtsforscher gleich hochgeachteten
Oberbibliothekar, Herrn Geheimen Regierungsrath Wilken, den
innigsten Dank für die zuvorkommende Güte zu zollen, mit der
er alles dargeboten hat, was der Ausarbeitung und Herausgabe
dieses Sprachwerkes förderlich seyn konnte. Die leichte und stete
Benutzung einer öffentlichen Sammlung wurde durch die geringe
Entfernung des freundlichen Landsitzes begünstigt, wo der Ver-
ewigte, einsam^ in der Nähe eines Grabes, von dem Hauche alter
Kunst umweht, seinen ernsten Studien, grossen Erinnerungen an
eine vielbewegte Zeit und einer Familie lebte, an der er bis zur
Todesstunde mit weichem, liebendem Herzen hing.
„Es ist," nach dem Ausspruch eines der Edelsten unseres Zeit-
alters,*) „ein gewöhnliches Vorurtheil, den Werth des Menschen
nach dem Stoffe zu schätzen, mit dem er sich beschäftigt, nicht
nach der Art, wie er ihn bearbeite t." Wo aber der Stoff gleich-
sam die Form beherrscht und herv^orruft, wo Anmuth der Sprache
sich aus dem Gedanken, wie aus des Geistes zartester Blüthe ent-
faltet, da wird die Trennung, welche jenes Vorunheil bezeichnet,
leicht gehoben. Wenn nicht alle meine Hoffnungen mich täuschen,
so muss das vorliegende Werk, indem es den Ideenkreis so mächtig
erweitert und in dem Organism.us der Sprache gleichsam das
geistige Geschick der Völker deuten lehrt, den Leser mit einem
aufrichtenden, die Menschheit ehrenden Glauben durchdringen.
Es muss die Ueberzeugung darbieten, dass eine gewisse Grösse
in der Behandlung eines Gegenstandes nicht aus intellectuellen
Anlagen allein, sondern vorzugsweise aus der Grösse des Charakters,
aus einem freien, von der Gegenwart nie beschränkten Sinne und
den unergründeten Tiefen der Gefühle entspringt.
Berlin, im März 1836.
Alexander v. Humboldt.
*) Schiller in den philosophischen Briefen. (Werke. XL 336.) ^)
V Vgl. Sämmtliche Schriften 4, ^8.
Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte
des Aufsatzes.
/. über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues
und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschen-
geschlechts (vgl. Haym, Wilhelm von Humboldt S. 44j; Benfey, Geschichte
der Sprachwissenschafl und orientalischen Philologie in Deutschland S. S34;
Pott, Wilhelm von Humboldt und die Sprachwissenschaft S. CCCCII; Steinthal,
Die sprachphilosophischen Werke Wilhelms von Humboldt S. i4s; Delbrück,
Einleitung in das Studium der indogermanischen Sprachen * S. 41).
Schon Band 6, jj4 ist der letzten Phase der sprachwissenschaftlichen Arbeiten
Humboldts gedacht worden, in der seit etwa 182-] der malaiische Sprachstamm in
den Mittelpunkt seiner Betrachtungen trat: an ihn sollten sich nun die allgemeineren
sprachphilosophischen Erörterungen anschließen. In dem großen Werk über die
Kawisprache, das als solches wie die übrigen streng fachwissenschaftlichen Arbeiten
von unsrer Ausgabe ausgeschlossen bleibt, ist dieser Plan ausgeführt: das Werk
selbst gab die erste vergleichende Grammatik der malaiisch-polynesischen Idiome
und schuf damit eine sichere Grundlage der Erkenntnis, auf der die Folgezeit
weitergebaut hat; in der Einleitung liegt ims Humboldts letzte Gestaltung seiner
sprachphilosophischen Ideen vor. Seit dem Sommer 1830 finden wir den durch
den Tod der Gattin Vereinsamten ununterbrochen bis an sein Lebensende mit
diesen Arbeiten beschäßigt; auch die Leiden und Unbequemlichkeiten eines rasch
hereinbrechenden Alters vermochten die unglaubliche Arbeitskraft nicht wesentlich
zu vermindern (Humboldt an Welcher, 2g. Januar i8jo; an Stein, 2^. Mai i8jo;
an Schlegel, 6. Juni 1830 und 24. Oktober i8j2; an Bopp, 1832— i8js; an Picke-
ring, 20. Juli 1834 i vgl. auch Briefe von Alexander von Humboldt an Bunsen
S. ig). Einzelne Abschnitte, auch aus der Einleitung, sind in den Klassensitzungen
der Akademie vorgetragen worden, worauf einige redaktionelle Bleistiftnotizen
in den Manuskripten, für den mündlichen Vortrag bestimmt, hindeuten. Nur das
erste Buch des eigentlichen Kawiwerks konnte der Verfasser noch selbst im Druck
überwachen, der während der Jahre i8jj und i8j4 stattfand (vgl. Briefe von
Alexander von Humboldt an Varnhagen S. ij). Am zweiten und dritten Buch
imd an der allgemeinen Einleitung hat er uytablässig gefeilt, bis der Tod den
Rastlosen abberief. Weiteres gibt die als Anhang oben beigefügte Vorrede des
Bruders (vgl. über sie auch Briefe von Alexander von Humboldt an Varn-
Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte des Aufsatzes, i. qj^I
hagen S. joj. Im Anschluß an die Gedächtnisrede auf den Verewigten hat Böckh
in der Leibnizsitzung der Akademie am g. Juli 18^5 das glänzende Kapitel über
Poesie und Prosa verlesen. Erst vier Jahre nach Humboldts Tode lag das ge-
samte Werk in drei starken Quartbänden gedruckt vor.
Der Lobeshymnus auf Buschmanns editorische Tätigkeit an Humboldts
Manuskripten, den Alexander in seiner Vorrede anstimmt, muß, wie schon
Band 5, 477 gezeigt worden ist, stark abgetönt werden. Die dort gerügten
Willkürlichkeiten finden sich auch hier und es schien mir angebracht, hier radikal
auf Humboldts Wortlaut und originale Einrichtung seiner Arbeit zurückzugehen,
wobei sich zugleich die Verbesserung manches Lese- oder Hörfehlers ergab.
Auch die von Buschmann neu eingeführten Paragraphenzahlen sind durch die
älteren humboldtschen ersetzt, ebenso der so störende viele Sperrdruck und der
Überfluß an Interpunktionen beseitigt, die beide mit Humboldts Praxis in direktem
Widerspruch stehen imd der Arbeit ein ganz fremdartiges Gepräge aufdrücken.
Jena, 28. Juli igoj.
Albert Leitzmann.
Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
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