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Full text of "Die Marquise von Arcis [microform] : Schauspiel in fünf Aufzügen nach Diderot"

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Chrl  Sternheim 

Die  MARQUISG 
VON  ARCIS 


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OF  THE 

UNIVERSITY 

or    ILLINOIS 

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Dieses  Buch  gehorf 

Otto  und  Clare  Griesbadi 


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University  of  Illinois  Library 


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L161— H41 


DIE  MARQUISE 
VON  ARCIS 


Schauspiel  in  fiinf  Aufzugen  nach  Diderot 


von 

Carl  Sternheim 


Leipzig 

Kurt  Wolff  Verlag 

1919 


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Das  Recht  der  Auffuhrung 

ist  zu  erwerben  durch  die 

Vereinigten  Buhnenvertriebe 

Drei  Masken-Georg  MuUer- 

Kurt  Wolff  Verlag 

Berlin  W  30 


Druck  von  Oscar  Brandstetter  in  Leipzig 


0^  REMOTE  STORAGE 

PERSONEN: 

DER  MARQUIS  VON  ARCIS 

DIE  MARQUISE  VON  POMMERAYE 

5  HORTENSE  DUQUENOY 

I  HENRIETTE  DUQUENOY 

^,  Lakeien,  Bedienung  des  Marquis  und  der  Marquise 

Paris  1750. 


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ERSTER  AUFZUG 


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Salon  bei  der  Marquise  von  Pommeraye. 

ERSTER  AUFTRITT 

EIN  LAKAI  (offnetFrau  von  Pommeraye  die  THr  and  sagt) : 
Noch  nicht,  Frau  Marquise  (exit). 

FRAU  VON  POMMERAYE  (allein.  Tntt  zumFenster): 
Um  sechs  Uhr  abends  immer  noch  nicht.  Von  Tag 
zu  Tag  kommt  er  spater.  Und  heut  ist  Gedenktag, 
sind  es  fiinf  Jahr  —  Seine  Ausrede  muB,  soil  sie 
wirken,  den  besonderen  Ton  haben,  ein  Fassungsloses, 
Treuherziges.    Er  wird  es  finden. 

Also  warte  ich  doch,  bis  mir  mein  Los  von  ihm 
diktiert  wird,  bis  mit  voUkommenem  Takt  er  die  Welt 
ahnen  laBt,  endlich  gab  er  wie  anderen  auch  Frau  von 
Pommeraye  den  Abschied? 

Nie.  Ehe  er  ein  Wort  sagt,  komme  ich  zuvor.  Ich 
mu6  es  mir  nicht  nochmals  schworen;  heute!    Jetzt! 

ZWEITER  AUFTRITT 

LAKAI: 
Der  Marquis  von  Arcis!   (exit) 

DER  MARQUIS  (tritt  oaf): 
Da  es  mir  immer  unmoglicher  wird,  der  besten  Freundin 
fur  unvergleichliche  Cute  zu  danken  —  nur  Blumen! 
(Er  gibt  sie  ihr.) 

MARQUISE: 
Oibt  es  heute  Besonderes? 

MARQUIS: 
Den  fiinften  Mai.   Unseren  Jahrestag. 

MARQUISE: 
Ich  vergaB. 


lO  ERSTER  AUFZUG 

MARQUIS: 

Ein  Umvveg  von  fast  einer  Stunde  war  notig,  solche 
Rosen  zu  finden. 

MARQUISE: 

Sie  sind  himmlisch.    Entschuldigen  Verspatung.     Was 
mac.ht  Gesundheit? 

MARQUIS: 
Tronchin  ist  zufrieden. 

MARQUISE: 
Sie  selbst? 

MARQUIS: 

Ich  weiB  nicht,  wie  sonst  der  Mann  von  vierzig  Jahren 
sich  befindet.    Ich  wiinschte   mich  vollstandiger. 

MARQUISE : 
Nach  solcher  Vergangenheit? 

MARQUIS: 

Nach   einer  ehemaHgen   Vergangenheit.      Fiinf    letzte 
Jahre  waren  das  Muster  der  Vernunft. 

MARQUISE: 

Wenigstens  hatte  Ausschweifung  ihren  Charakter  ge- 
andert. 

MARQUIS: 
So  schweiften  wir  gemeinsam  aus. 

MARQUISE: 
Plotzlich  mit  aller  Welt.   Ist  Ihnen  das  klar  geworden? 

MARQUIS: 
Nie  wie  in  letzter  Zeit.   Ein  drolliges  Leben  fiihren  wir 
besseren  Franzosen  seit  zehn  Jahren. 


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ERSTER  AUFZUG  1 1 

MARQUISE: 
Nennen  Sie   es   heut  so?    Wir  konnten   ihm   bisher 
keinen  Namen  erhaben  genug  finden. 

MARQUIS: 
Und  noch  wachst  sein  Ruhm;  steht  Voltaire  im  Glanz, 
hat  er  Crapule  noch  nicht  einmal  angesteckt. 

MARQUISE: 
Sie  sind  der  Freiheiten  iiberdriissig,  Marquis? 

MARQUIS: 
Erlaubter  Freiheiten  bin  ich  miide.  Himmlisch  fand 
ich  es,  ein  paar  biirgerliche  Liimmel  stellten  unsere 
Hemmungslosigkeiten  fest,  fand  es  reizend,  literarisch 
beglaubigt  zu  sein,  amiisant,  man  liiftete  dem  Pobel 
einen  Zipfel  des  Schleiers,  hinter  dem  wir  Leben  mach- 
ten.  —  Bedurften  vor  uns  selbst,  Mathilde,  wir  etwa 
formlicher  Erlaubnis  fiir  das,  was  wir  taten?  Hat  je 
der  Machtige .  gefragt,  ob  Wiinsche  er  sich  erfiillen 
darf?  Der  Abhangige  braucht  offentliches  Einver- 
standnis. 

Wir  waren  gottlos,  zuchtlos  vor  den  Philosophen 
und  wafen  ohne  sie  schon  in  alles  Geistige  vemarrt. 
Aber  wir  waren  es  fiir  uns,  und  Sie  und  ich  waren  es 
mit  Entschiedenheit  sogar  in  unserem  Kreis  allein.  Als 
Sie  vorzogen,  meine  Hand  auszuschlagen,  und  wir 
nur  die  Leidenschaften  vereinten,  war  es  da  nicht  das 
Gliick  des  AuBerordentlichen,  das  wir  fiir  uns  in  An- 
spruch  nahmen,  und  das  uns  reizte?  War  unsere  Hand- 
lung  und  Worte,  die  wir  von  ihr  hatten,  nicht  souve- 
ranes  und  hochstpersonliches  Bekenntnis?  Was  waren 
sie  heut? 


12  ERSTER  AUFZUG 

MARQUISE: 
In  der  Tat  lebt  die  Masse  schon  ohne  Umstande. 

MARQUIS: 
Tausend   alberne   Nachahmungen   bis    in   den   dritten 
Stand  hat  unser  Verhaltnis  gehabt. 

MARQUISE: 
Dadurch  allein  ware  es  nicht  lacherlich. 

MARQUIS: 
Hatte  es  nicht  sein  Unvergleichliches,  ware  es  dadurch 
lacherlich.  Durch  unsere  Mittel  waren  wir  imstand, 
Welt  herauszufordern.  Unser  Schritt  bewies  nicht  Auf- 
geklartheit,  sondern  Stolz  und  Unabhangigkeit  vom 
Gemeinsinn.  Im  Augenblick,  wo  mit  allgemeiner  Er- 
laubnis  jeder  Burger  ein  Bravo  ist,  miissen  wir,  Be- 
sonderheit  wiederzugewinnen,  der  Aufklarung  trotzen. 
Wir  sind  Paris,  Europas  Salon.  Und  ein  Salon 
braucht  Distinktion  vor  allem. 

MARQUISE: 
Sie  sind  Herrn  von  Holbachs  bester  Freund. 

MARQUIS: 

Der  gute  Holbach  langweilt  sich  mit  seiner  Qottloslg- 
keit. 

MARQUISE: 
Sie  sind  Herrn  Diderots  enthusiastischer  Bewunderer. 

MARQUIS: 
Diderot  wird  alt.    Er  verramscht  Gleichheit  und  Frei- 
heit,  und  es  wird  nicht  lange  dauem,  bietet  der  Pobel 
sie  auf  der  StraBe  feil.   Hinsichtlich  des  Preises  wird 
sie  dann  auf  dem  Hund  sein. 


ERSTER  AUFZUG  13 

MARQUISE: 
Sie  wollen  auch  Gefiihle  ganz  fiir  sich  selbst. 

MARQUIS: 
Was  ich  Hebe,  telle  ich  nicht  mit  anderen.   Auch  Frau 
von  Pommeraye  nicht. 

MARQUISE: 
Bin  ich  Subjekt  oder  Objekt  im  Satz? 

MARQUIS: 
Im  Ernst :  Die  Moglichkeit,  alles  mit  alien  zu  diirfen,  ist 
trostlos. 

MARQUISE: 
Und  wertlos.   Und  also  hatten  unsere  Beziehungen  in 
der  Vergangenheit  den  groBten  Reiz? 

MARQUIS: 
Was  sagen  Sie? 

MARQUISE: 
Ich  sage,  wir  waren  nicht  nur  ineinander  verliebt,  wir 
waren  vor  allem  stolz,  uns  auf  eigene  Art  zu  lieben. 
Es  war  die  anmaBende  Geste,  mit  der  wir  sie  jenseits 
aller  Burgerlichkeit  in  leere  Gefilde  setzten,  nicht  der 
kleinste  Teil  unserer  Leidenschaft.  Jetzt  lauft  Pobel 
auf  unseren  Parkwegen  und  zertritt  Beete. 

MARQUIS: 
Mathilde! 

MARQUISE: 
Geniigt  ein  Anzug,  den  mit  aller  Welt  Sie  tragen  kon- 
nen,  Ihrem  Stolz?  Besuchen  Sie  Orte,  die  um  ein  Oeld- 
stuck  man  betreten  kann?   Sie  sagten  selbst,  Sie  for- 
dem  Distinktion  vor  allem. 


14  ERSTER  AUFZUG 

MARQUIS : 

Darf  ich  am  fiinften  Jahrestag  unserer  Vereinigung, 
dem  Oemeinplatz  zu  entkommen,  Ihnen  von  neuem 
meine  Hand  bieten? 

MARQUISE: 
Um  auf  einem  groBeren  anzukommen,  den  wir  schon 
friiher  verschmahten,  und  der  Sie  jetzt  alsbald  vollig 
rasend  machte?  Ich  danke  auch  in  Ihrem  Interesse, 
Marquis.  Sie  sind  perfekt  erzogen,  Doch  ist  es  das 
nicht.  — 

MARQUIS: 
Nicht  das? 

MARQUISE: 
Mag  Sie  an  unserer  Verbindung  jetzt  besonders  be- 
kiimmern,  daiB  ihr  Glanz  der  Besonderheit  durch  Nach- 
ahmung  verloren  ist  —   mag  Ihre  Veranderung  auf 
auBeren  Ursachen  beruhen  — 

MARQUIS: 
In  der  Tat. 

MARQUISE: 
Mogen  Sie  innerlich  der  gleiche   sein,   mich   wie  zu 
Anfang  und  wie  bisher  lieben  — 

MARQUIS: 
Wirklich! 

MARQUISE: 
Ich  aber  —  oder  wollen  Sie  noch,  ich  schweige?    . 

MARQUIS: 
Reden  Sie,  Liebe,  frei  heraus.    Wollen  Sie  Geheim- 
nisse  vor  mir  haben?   War  es  nicht  das  erste,  daB  wir 


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ERSTER  AUFZUG.  15 

iibereinkamen,  unsere  Herzen,  unsere  Geister  sollten 
einander  sich  ohne  Riickhalt  aufschlieBen  ? 

MARQUISE: 
Finden  Sie  nicht,  meine  friihere  Munterkeit  ist  dahin? 

MARQUIS: 
Ach  —  vielleicht  ein  wenig. 

MARQUISE: 
Ich  verier  den  Appetit.    Esse  und  trinke  nur,  weil  ich 
'  muB.  J 

MARQUIS: 
Hm. 

MARQUISE: 
Schlafe  nicht.  Umgang  mit  Bekannten  ist  mir  peinlich. 
Ich  frage  mich,  sind  Sie  nicht  mehr  so  liebenswiirdig? 
Aber  doch! 

MARQUIS: 
Aber  doch. 

MARQUISE: 
Habe    ich    mich    iiber    Sie    zu    beschweren?    Nein. 
Ihnen  Verkehr,  der  mir  nicht  paBt,  vorzuwerfen  ?  Nein. 
Hat  Ihre  iZartlichkeit  fiir  mich  abgenommen? 

MARQUIS: 
Aber  nein ! 

MARQUISE: 
Nein.    Warum   also   ist   mein  Herz   nicht   mehr  das 
gleiche,  hat  Ihr  Herz  wenigstens  sich  nicht  geandert? 

MARQUIS: 
Sicher  nicht  mein.  Herz.    Alles,  was  ich  sagte,  betraf 
eine  gewisse  Miidigkeit  meines  Geistes.   DaB  ich,  wie 


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16  ERSTER  AUFZUO 

sagte  ich's,  uberdriissig  der  Leichtfertigkeit  und  schnel- 
len  Oberlegenheit,  die  auf  einmal  alle  Welt  mit  mir  zu 
teilen  scheint,  die  Dinge  von  neuer,  weniger  spiri- 
tueller  Seite  sah. 

MARQUISE: 
Gut.  Wechselten  Sie  also  den  Gegenstand  Ihrer  Nei- 
gung  nicht,  sondem  nur  die  Art  ihn  zu  lieben  — 

MARQUIS: 
Wie  Marquise? 

MARQUISE: 

Auf  Ihr  Erstaunen,  alles  Bitten,  das  Sie  mir  sagen 
konnen,  bin  ich  gefaBt.  Schonen  Sie  mich  auch  nicht. 
Lassen  Sie  Ihrem  Zorn  Lauf,  aber  lieber  Freund,  es 
ist  nur  allzuwahr  —  ich  bin  —  ist  es  nicht  Ungliick 
genug,  daB  es  dahin  kam,  soil  ich  mich  noch  der 
Schande  aussetzen,  falsch  gegen  Sie  zu  sein? 

Sie  sind,  der  Sie  waren.  Aber  Ihre  Freundin  hat 
sich  geandert.  Sie  schatzt  und  verehrt  Sie  hoher  als  je. 
Doch  verhehlt  eine  Frau,  die  gewohnt  ist,  wie  Sie  der 
Wahrheit  ins  Auge  zu  sehen,  sich  nicht  langer,  daB 
Liebe  in  ihrem  Herzen  nicht  mehr  wohni  (SiefdlU  in  einen 
Sessel,  bedecktdieAugenmitdem  Tuch,  und fahrtschneU fori) 

Schrecklich  ist  die  Enthullung!  Und  darum  nicht 
minder  wahr.  Wiiten  Sie,  brandmarken  Sie  mich  mit 
schlimmsten  Namen  —  aber  nennen  Sie  mich  nicht 
Heuchlerin.  Denn  den  Namen  verdiene  ich  nun  nicht 
mehr. 

MARQUIS  (wirft  sich  iht  zu  Fufien): 
Mathilde!    Herrliche,  gottliche  Frau!  wie  man  keine 
sonst    findet!     Ihre  Offenheit,    Hochherzigkeit    ruhrt 


ERSTER  AUFZUG 


17 


mich,  und  ich  mochte  vor  Scham  vergehen.  Wie  hebt 
der  Augenblick  Sie  fiber  mich  empor  und  wie  klein 
bin  ich  vor  Ihnen! 

Wohla^i!  Sie  gestanden  zuerst,  wahrend  ich  hinter 
Ausfliichten  mich  noch  verbarg.  Ich  war  der  wahr- 
haft  Schuldige,  und  erst  Ihre  Aufrichtigkeit  reiBt  mich 
zu  voller  Wahrheit  hin:  horen  Sie  denn:  Wort  fiiry 
Wort  ist  Ihres  Herzens  Geschichte  die  meine!  Was 
Sie  gestanden,  gestehe  nun  auch  ich.  Lege  Ihnen 
gleiches,  offenherziges  Bekenntnis  ab. 

MARQUISE  (nach  einer  Pause): 
Ist  das  wahr? 

MARQUIS: 
Vor  Oott!  (Er  hebt  den  Schwurfinger.)    Und   in  allem 
MiBgeschick  diirfen  wir  ims  Gliick  wilnschen,  daB  zu 
gleicher  Zeit  uns  die  vergangliche  Leidenschaft  verlieB. 

MARQUISE  (schluchzt  hinter  dem  Tach  auf). 

MARQUIS: 

Ist  das  nicht  Trost,  werni  Trost  es  geben  kann  ? 

MARQUISE  (fafit  skh  and  sagtj: 
Doch!   Denn  wie  ware  ich  zu  beklagen,  was  machte 
ich  durch,  liebte  ich  noch,  da  Ihre  Liebe  also  langst 
erloschen  ist. 

MARQUIS: 
Wirklich.  Oder  hatte  ich  zufallig  mein  Geheimnis  eher 
verraten.  Nie  sind  in  Ihrer  Aufrichtigkeit  Sie  mir  schon 
erschienen  wie  in  diesem  Augenblick,  imd  machtt'n 
Erfahrungen  mich  nicht  klug,  wiirde  ich  glauben,  Sie 
jetzt  mehr  als  je  zu  lieben  (er  nimmt  ihre  Hdnde  und  kSfit 
sie  stOrmisch). 

2 


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l8  ERSTER  AUFZUG 

MARQUISE   (wendet  sich  ab.    Nach  einem  Augenblick 

mit  neuem  Ton): 

Und  was  wird  aus  uns? 

MARQUIS:  ,      - 

Vor  allem:  Wie  nie  haben  Sie  aui  meine  hochste  Ach- 
tung  Anspruch,  und  ich  hoffe,  mein  Recht  auf  Ihre 
nicht  verloren  zu  haben.  Also  fahren  wir  fort,  uns 
zu  sehen,  inniger  Freundschaft  uns  hinzugeben.  So 
werden  wir  uns  all  das  Langweilige  ersparen,  das 
kommt,  hat  eine  Leidenschaft  ihr  Ende  erreicht,  und 
wir  bleiben  vor  der  Welt  ein  Paar,  das  auf  seine  Art 
von  neuem  ohne  Beispiel  ist. 

MARQUISE: 

Und  Ihre  Befiirchtung,  gewohnlich  zu  sein,  ist  auch 
dahin. 

MARQUIS: 

Durch  eine  Haltung,  deren  Nuancen  ich  vorausemp- 
finde,  werden  wir  nicht  nur  ein  Beispiel,  sondem  auch 
unnachahmlich  sein.  Wieder  werden  wir  ein  Vorbild 
bedeuten.  Neben  die  geistige  Freiheit  der  iibrigen  eta- 
blieren  wir  die  des  Herzens.  Ohne  Scheu  vor  Welt 
machen  Sie  mich  zum  Vertrauten  Ihrer  Erobenmgen, 
und  ich  erwidre  das  Vertrauen,  obwohl  ich  durch 
eigene  Unterlegenheit  und  weil  Sie  mich  zu  wahlerisch 
machten,  notwendig  hinter  Ihnen  zuriickstehen  muB. 
Das  wird  herrlich  sein  und  von  welcher  Oberlegen- 
heit!  Sie  unterstiitzen  mich  auf  Grund  meiner  beson- 
deren  Kenntnis  in  jeweiliger  Wahl,  und  ich  helfe 
Ihnen  in  kritischen  Fallen,  denn  niemand  weiB,  was 
nun  wieder  alles  geschehen   kann. 


.  ■■  -■  ;-     -■•;■. 


'  ERSTER  AUFZUG  19 

MARQUISE: 
Niemand.    Bei  Ihres  neu€n  Geschmacks  Richtung  be- 
sonders.  •- 

MARQUIS: 
Aber  wie,  wenn  dieser  sentimentale  Geschmack  bei 
kiinftigen  Vergleichen  dennoch  zu  Ihnen  zuriickzukehren 
sich  gezwungen  sieht,  iiberzeugt,  Frau  von  Pomme- 
ra^e  ist  auch  fiir  ihn  die  einzige  Frau,  die  ihn  voll- 
kommen  gliicklich  machen  kann?  Solche  Wiederkehr 
miiBte  den  menschlichen  Gipfel  bedeuten! 

MARQUISE: 
Und  wenn  in  diesem  festlichen  Augenblick  Sie  mich 
nicht  mehr  fanden?  Mein  Geschmack  tind  meine  Laune 
mich  dann  jemand  vorziehen  liefie,  der  mit  Ihnen  gewiB 
nicht  zu  vergleichen  ware? 

MARQUIS: 
Ich  wiirde  untrostlich  sein,  aber  ich  wiirde  gegen  ein 
Schicksal  nicht  murren,  dessen  Einsicht  und  Urteii  ich 
unter  mir  fande.     Mit  wirklicher  Uberlegenheit  mich 
vielleicht  trosten  konnen. 

MARQUISE: 
Sie  sind  mit  des   Hauses  Wahlspruch:    „Ohne  Ver- 
gleich"  wirklich  ein  Arcis. 

MARQUIS:      - 
Oberzeugt,  die  Marquise  mochte  mich  auch  jetzt  noch 
nicht  anders. 

MARQUISE: 
Die  nimmt  Besonderheit  fu^  sich  vielleicht  in  anderem 
Sinn  in  Anspruch. 

2* 


.   /^ 


20  ERSTER  AUFZUG 

MARQUIS: 

Sie  will  wie  ich,  stolz  auf  sich  sein.  Qleich,  wie  sie 
dazu  kommt.  Und  heut  haben  wir  beide  unser  Recht 
darauf. 

MARQUISE: 
Nach  Worten  nicht.    Machen  wir  Tat  daraus. 

MARQUIS: 
Zweifeln  Sie,  es  gelingt  uns? 

MARQUISE: 
Nein.    Doch  wird  es   schwerer  sein,  als   wir  ahnen. 
Fiir  mich  wenigstens. 

MARQUIS: 
Und  vol!  noch  Icostlicherer  Moglichkeiten. 

DRITTER  AUFTRITT 

LAKAI  (tritt  auf): 
Zwei  Damen,  die  angeben,  bestelit  zu  sein. 

MARQUISE: 
In  den  Gartensaal! 

LAKAI  (exU). 

MARQUIS: 
Empfangen  Sie  Unbekannte? 

MARQUISE: 
Ehemalige  Freundinnen  aus  meiner  Provinz,  die  durch 
Schicksal    in  Verlegenheit    kamen  und  in  Paris  Brot 
suchen. 

MARQUIS: 
Schwestern? 


"HffiiW^  '»     r 


ERSTER  AUFZUG  21 

MARQUISE: 


Mutter  und  Tochter. 

MARQUIS: 
Lernt  man  sie  kennen? 


Kaum. 
Lohnt  nicht? 

Vielleicht. 


MARQUISE: 
MARQUIS: 

MARQUISE: 


MARQUIS: 
Sie  machen  mich  neugierig. 

MARQUISE: 
Diese  Frauen  haben  auf  ein  einziges  Anspruch:    in 
grenzenlosem  Jammer  vor  Neugier  und  Zudringlich^ 
keit  geschiitzt  zu  sein. 

MARQUIS: 
Not  muB,  daB  man  ihr  beispringt,  gekannt  sein. 

MARQUISE: 
Dafur  geniigt  die  gute,  bemittelte  Freundin. 

MARQUIS: 
Wie  Sie  woUen.  ^ 

MARQUISE: 
Es  ist  fur  Ihre  allabendliche  Zerstreuung  Zeit.   Zum 
erstenmal  f iige  ich  den  aufrichtigen  Wunsch  bei :  mdge 
im  Sinn  Ihrer  neuen  Erwartung  sie  ersprieBlich  sein! 

MARQUIS: 
Wir  haben  uns  heut  griindlich  aufgeklart.  Aber  bleibt 


N    ^ 


22  ERSTER  AUFZUG 

in  den   Herzen   nichts    Elementares   zuriick,   das   uns 
iiber  diese  Aufklarung  hinaus  bewegt? 

MARQUISE: 
Nichts. 

MARQUIS: 
Auch   Sie   werden    es    vvie   ich   empfinden,   Mathilde. 

MARQUISE: 

Nein.     Und  bis  — ? 

MARQUIS: 
Morgen.   Wie  stets. 

MARQUISE: 
Bis  morgen,  mein  Freund. 

MARQUIS  (exit). 

VIERTER  AUFTRITT 

MARQUISE  (mit  einem  Schmerzensschrei  droht  zu  falletiy 

macht  ein  paar  hastige  Schritte  zur  Tiir,   wie  urn  ihn 

zuriickzurufen  und  sagt  mit  plotzlicher  Fassung): 

Nein!    Doch   Rache  urn  meines  Lebens  Preis! 

(Sie  schellt) 

LAKAI  (triU  auf). 

MARQUISE: 
Oing  der  Marquis?  ' 

LAKAI: 

Der  Wagen  des  Herrn  Marquis  ist  fort. 

-\ 

MARQUISE: 
Die  Damen! 

LAKAI  (exU). 


P^^^^mi!^^:  :^■■'''''''i■-■■■.:,r.^=':.i:^'':^    '^-^.r-fv'^ 


FUNFTER  AUFTRITT 

/vYza  and  Frdulein  Duquenoy  treten  auf. 

DUQUENOY: 
Frau  Marquise,  wir  gehorchten  dem  Befehl. 

HENRIETTE  (neunzehn  Jahr.    Blendende  Schonheit 
Mit  tiefem  Knix): 
Frau  Marquise. 

MARQUISE  (betrachtet  sie  lange  durch  ihr  face  a  main): 
WieheiBtdie  Kleine? 


DUQUENOY: 

MARQUISE: 

DUQUENOY: 

HENRIETTE: 


Henriette. 

Alt? 

Neunzehn. 

In  einem  Monat. 

MARQUISE: 
Sie  ist  gut  gemacht.   Wie  lange  sind  Sie  in  Paris? 

DUQUENOY: 
Ein  halbes  Jahr. 

MARQUISE: 
Sie  kamen  ohne  Groschen  an? 

DUQUENOY: 
Unser  ProzeB  urn   meines   Oatten,  des   Prasidenten, 
Erbe,  hatte  unsere  letzten  Erspamisse  verschlungen. 

MARQUISE: 
Und  Sie  lebten? 

DUQUENOY: 
Von  Almosen  hi€siger  Verwandten  anfangs.    Bis  die 
das  Bezahlen  satt  hatten. 


24  ERSTER  AUFZUO 

MARQUISE: 
Dann? 

DUQUENOY: 

Einer  unserer  Schwager  — 

MARQUISE: 
Name  tut  nichts  zur  Sache  —  woUte  Henriette/naher 
kermen  — 

DUQUENOY: 
Hatte  sich  gewohnt,  abends  mit  Freunden  bei  uns  ein 
Spielchen  zu  machen. 

MARQUISE: 
Man  war  in  Laune,  trank  und  war  zu  faul,  zu  seiner 
Frau  nach  Haus  zu  finden. 

DUQUENOY: 
Henriette  wurde  aufgefordert,  sich  zu  einer  Arie  zu 
begleiten. 

MARQUISE: 
Sie  singen,  Fraulein? 

HENRIETTE: 
Ich  singe,  gnadige  Frau. 

DUQUENOY: 
Sie  hat  eine  bezaubernde  Stimme. 

MARQUISE: 
Sie  war  gut  angezogen,   lieS  einen  hiibschen  Busen 
sehen.    Die  Mutter  drangte,  und  endlich  brachte  auf 
Zureden  das  Fraulein  das  Kindesopfer. 

DUQUENOY: 
Man  bedenke,  welche  Erniedrigungen  zuvor,  was  wir 
guterzogenen  Frauen  durchgemacht  batten! 


ERSTER  AUFZUG  2$ 

MARQUISE: 
ich  habe  keine  Vorurteile,  mische  mich  nicht  in  Privat- 
sachen.   Sie  fanden  cs  Ihren  Dingen  dienlich,  waren 
cs  Erziehung  schuldig. 

DUQUENOY: 
Das  Leben  ist  hart. 

MARQUISE: 
Zweifellos.   Die  junge  Dame  hat  aber  erste  Strapazen 
glanzend  und  ohne   EinbuBe  der  Erscheinung  iiber- 
standen. 

DUQUENOY: 
Gnadige  Frau  diirfen  nicht  glauben,  jedermann  —  und 
iibrigens  erst  seit  Wochen. 

MARQUISE: 
Immerhin  war  und  ist  sie  fiir  ihren  Preis  zu  haben. 

DUQUENOY: 
Schonen  Sie  meine  Tochter,  gnadige  Frau. 

HENRIETTE  (mit  leisem  Lachen): 
Wie  lacherlich,  Mama! 

MARQUISE: 
Henriette  hat  recht.   Nicht  uns  Beweise  gegenseitigen 
sublimen  Anstands  zu  geben,  bat  ich  Sie  her,  son- 
dern,  daB  Sie  mit  Unvoreingenommenheit  den  Auftrag 
begreifen,  den  ich  fiir  Sie  habe. 

HENRIETTE: 
Sehr  wahr.  Wir  nahmen  audi  wiridich  nicht  an,  gna- 
dige Frau  woUte  ziigellose  Mildtatigkeit  an  uns  aus- 
lassen,  sondem  stellten  noch  gerade  auf  der  Treppe 
fest,  wir  miiBten  eine  Zumutung  erwarten,  die  dem 


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•-  '-•■■Tir^Z^v^^^^<''WW^^^^ 


26  ERSTER  AUFZUG 

ungestiimen  Charakter  der  gnadigen  Frau  entspricht. 
Trotz  mannlicher  Beschiitzer  sind  wir  dazudauernd  in 
so  trostloser  geldlicher  Lage,  daB  Riicksicht  auf  unsere 
Empfindung  albem  ware. 

DUQUENOY: 
Henriette! 

MARQUISE: 
Sie  hat  recht.   Ihre  Worte  sind  niclit  madchenhaft  takt- 
voll,  doch   faktisch   richtig,   und   wir   sind   heut   auf- 
geklart  genug,  eine  Sache  sachlich  ru  selien  uhd  zu 
bereden. 

DUQUENOY: 

Ich  will  nur  verhindem,  gnadige  Frau  geben  sich  durch 
heuchlerische  Worte  meiner  Tochter  falschen  Envar- 
tungen  iiber  ihren  Charakter  hin.  W.ihr  ist,  trotz- 
dem  sie  der  Not  das  ungeheure  Opfer  brachte,  hat  sie 
nichtgelernt,  GeschmackanderFreiheitderSitten  zu  fin- 
den,  Trotzdem  unser  Leben,  Zukunft  uud  unseres  Pro- 
zesses  Ausgang  davon  abhangt,  blieb  sie  in  der  Fahig- 
keit,   der  Manner    Feuer   zu   entfachen,    unbewandert. 

HENRIETTE: 

Ja  —  um  meines  Lebens  langweiliges  Register  zu  be- 
schlieBen:  ich  schadete  allem  schon  Erreichten  da- 
mit,  daB  ich  reichen  Liebhabern  den  harmlosen  Verkehr 
mit  einem  jungen  frommen  Priester  vorzog,  mit  dem 
ich  mich  nur  darum  entzweite,  weil  seine  Fromrhig- 
keitsichalsnichtechterwies.  Doch  das  sind  vergangene 
Siinden;  und  mehr  als  je  bin  ich  bereit,  Vemunft  zu 
kennen. 


:  ERSTER  AUFZUG  27 

MARQUISE: 
Wir  brauchen  keine  Worte  mehr.    Hier  spricht  nicht 
ein  junges  Madchen   mit   zwei   Frauen,   drei   Frauen 
sprechen  miteinander. 

HENRI  ETTE: 
Ja. 

MARQUISE: 

Die  wissen,  was  der  Mann  bedeutet.    Horen  Sie  zu. 
Setzen  Sie  sich.    Sind  Sie  hier  bekannt? 

DUQUENOY: 
In  dem  besonderen  Kreis,  in  unserem  Quartier  leider 
nur  zu  sehr. 

MARQUISE: 
Und  trotzdem  mittellos? 

DUQUENOY: 
Voilig. 

MARQUISE: 
Nahme  ich  mir  vor,  Ihnen  beiden  zu  glanzendem  Schick- 
sal  zu  helfen,  waren  Sie  einverstanden  ? 

DUQUENOY: 
Aber  wie  —  von  Herzen! 

MARQUISE: 
Doch  kommt  es  darauf  an,  mir  zu  versprechen,  den 
Forderungen,  die  ich  an  Sie  habe,  auf  das  gewissen- 
hafteste  zu  entsprechen. 

HENRIETTE: 
Ich  kann  von  seiten  einer  Frau  keine  ausdenken,  die  zu 
erfiillen  barter  ware,  als  die  der  Manner. 


-•^'.•sriTi^?'-*^.*  t'-        '^i^^'^fw?^  \w,      '      '^'^■-••7f^''.^^'xX-'::''^4M^Wv^  ~W^m^'.""-'- 


HM. 


28  ERSTER  AUFZUG 

DUQUENOY: 
Wie  Ihre  Befehle  auch  sein  mogen,  Sie  durfcn  sich 
au!  uns  verlassen. 

MARQUISE: 
Und  Sie  wollen  zu  meinen  Diensten  sein,  wenn  ich  Sie 
verlange  ? 

DUQUENOY: 
Wir  erwarten  mit  Ungeduld  Ihren  Auftrag. 

MARQUISE: 
Kein  Zaudern,  Schwanken  —  niemals? 

DUQUENOY: 
Nie. 

MARQUISE:  • 

Das  ist  fiir  jetzt  genug.    Qeben  Sie  mir  die   Hand 
darauf. 

DUQUENOY  (reicht  die  Hand). 

MARQUISE: 
Henriette ! 

HENRIETTE: 
Ist  sie  nicht  zu  schlecht? 

MARQUISE: 
Zu  dem  nicht,  was  ich  vorhabe.  Qehen  Sie  nach  Haus. 
Vericaufen  Sie  Mobel,  was  Sie  besitzen;  auch  Ihre 
Kleider,  die  viel  zu  sehr  ins  Auge  fallen.  Von  heut 
an  betreten  Sie  keine  offentlichen  Wege,  keine  Oper, 
Theater,  Konzerte,  keine  Vortrage  itiehr.  Sie  nehmen 
Besuch  von  niemand  an. 

Ich  werde  sofort  in  einer  der  Vorstadte,  die  von 
Ihrem  jetzigen  Logis  am  weitesten  entfernt  ist,  in  ehr- 


•••  .  .<-_'  .^■"  -n._  j''r:'.,^_J-):c.^ki^&i[^::^,ii^Jh&sSLl:-,. 


ERSTER  AUFZUG  29 

samem  Burgeiliaus  Wohnung  fur  Sie  nehmen.  Einmal 
dort,  miissen  Sie  sofort  nach  Art  der  Betschwestera 
sich  schwarz  kleiden.  Der  Kleinen  wird  das  iibrigens 
brillant  stehen.  Denn  fiir  dergleichen  Personen  mussen 
Sie  in  Zukunft  gelten. 

HENRIETTE: 
Zu  Haus  sollen  wir  fromme  Biicher  liegen  haben  — 

MARQUISE: 
Zur  Kirche  mussen  Sie  an  Fest-  und  Werktagen  so 
oft  wie  moglich  gehen. 

HENRIETTE: 
Wir  konnen  wieder  Zutritt  ins  Sprechziramer  dieses 
Oder  jenes  Klosters  suchen. 

MARQUISE: 
Was  Nonnen  Gutes  von  Ihnen  sagen,  wird  fiir  unseren 
Plan  von  Nutzen  sein. 

DUQUENOY: 
Und  was  ist  dieser  Plan? 

MARQUISE: 
Sie  sind  nicht  neugierig,   Henriette? 

HENRIETTE: 
Nein,  gnadige  Frau. 

MARQUISE: 
Um  so  besser,  denn  der  Plan,  bringt  er  Ihnen  auch 
groBen  auBeren  Nutzen,  erfiillt  mir  innere  Wunsche. 
Machen  Sie  mit  dera  Pfarrer  und  den  Geistlichen  Ihres 
Sprengels  Bekanntschaft,  denn  wir  warden  einst  ihr 
Zeugnis  brauchen.    Aber  empfangen  Sie  aus  Prinzip 


.  .„Jb^■^_=sl>*.»e. -.,»:  V...  ,,, 


■,   '     —  '  ■■'-•-"-.'''■..  "   ■•.'■'.'.■  '.-'■''   :-~<^~:''' 

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-  ^  *^  ■     , 

30  ERSTER  AUFZUG  ,:   - 

keinen  von  ihnen.    Zweimal  im  Monat  gehen  Sie  zur 
Beichte  und  —  wie  nannten  Sie  sich  hier? 

DUQUENOY: 
Frau  und  Fraulein  von  Aisnon. 

MARQUISE: 
Sie  heiBen  mit  gutem  bretonischen  Namen  wieder  Du- 
quenoy,  weil  er  ehrlich  ist,  und  man  friiher  oder  spater 
iiber  ihn  Erkundigungen  in  unserer  Provinz  einziehen 
wird. 

DUQUENOY: 
Von  Zeit  zu  Zeit  soilten  wir  Almosen  austeilen. 

MARQUISE: 
Lassen  Sie  mich  dafiir  und  fiir  anderes  sorgen.  Sie 
selbst  aber  nehmen  keinerlei  Gaben  an,  unter  welchem 
Vorwand,  und  wie  hoch  sie  Ihnen  auch  angeboten 
werden.  Verstehen  Sie  gut:  In  welcher  Hohe  auch! 
Von  niemand!   Begreifen  Sie? 

DUQUENOY : 
Das   setzt   voraus   — 

MARQUISE: 
Das   werden  Sie   erfahren!    Nahen   Sie,   sticken   und 
stricken  Sie  und  geben  Sie  den  Nonnen  die  Arbeiten 
zum  Verkauf.    Leben  Sie  mafiig. 

HENRIETTE: 
Das  wird  uns   nichts   Neues   sein.  , 

MARQUISE: 
Nie  darf  Henriette  ohne  Sie,  Sie  nie  ohne  die  Tochter 
ausgehen.     Denn  wenn  in  unserem  Spiel  die  Tochter 


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ERSTER  AUFZUG 


31 


auch  der  Trumpf  ist,  darf  die  Mutter  unter  keinen 
Umstanden  ein  liederliches  Frauenzimmer  oder,  was 
daran  erinnert,  scheinen. 

HENRIETTE: 

Aus  meiner  Jugend  und  guten  Verhaltnissen,  die 
schlieBHch  noch  kein  Jahr  her  sind,  weiB  ich,  was 
sonst  noch  von  uns  verlangt  wird.  Wir  gehen  mit 
gesenkten  Augen  auf  der  StraBe,  sind  mehr  oder  we- 
niger  dem  Irdischen  entriickt  und  sehen  in  der  Kirche 
Gott. 

MARQUISE: 
Und  haben,  Henriette,  nicht  zu  viel  Geist. 

HENRIETiTE: 
Ich  weiB,   er  steht  Madchen  aus  gutem   Haus  nicht. 
Seien  Sie  unbesorgt ;  zu  dem  was  Sie  bisher  verlangen, 
brauche  ich  trotz  zweier  Monate  wiisten  Traum  nicht 
viel  Verstellung,  von  meinem  Erfolg  iiberzeugt  zu  sein. 

MARQUISE: 
Trotzdem  wird  nach  einem  Leben,  das  Sie  geschmeckt 
haben,  das  neue  streng  und  klosterlich  sein. 

D'UQUENOY: 
Frau  Marquise  werden  es  uns  lohnen. 

MARQUISE: 
In  der  Tat  verspreche  ich  glanzende  Belohnung. 

DUQUENOY: 
Die  man  des  naheren  fixiert? 

HENRIETTE: 
Uber  die  kein  Wort  mehr  notig  ist. 


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32  ERSTER  AUFZUG 

MARQUISE: 

Borgen  Sie  von  Ihrer  Tochter  hoheres  Leben,  Clemen- 
tine; so  hieBen  Sie  doch  in  der  Jugend,  als  wir  uns 
kannten. 

Ich  vergaB  zu  sagen,  es  ware  gut,  Sie  gewohnten 
sich  einen  frommen  Jargon  an  und  steigerten  in  be- 
sonderen  Augenblicken  sich  zu  wirklichkeitsfrenidem 
Mystizistnus.  Werden  Sie  oder,  was  sonst  Ihnen  be- 
liebt,  doch  so,  daB  durch  besonderen  Olauben  Sie 
sich  vor  Menge  auszeichnen.  Und  vor  allem  vergessen 
Sie  nicht,  iiber  alles,  was  Philosoph  und  Aufklarung 
heiBt,  bei  jeder  Gelegenheit  sich  wutend  zu  entriisten. 
Schreien  Sie  iiber  Voltaire  als  uber  den  ieibhaftigen 
Antichrist. 

HENRIETTE: 
Hatte  ich  noch  das  Recht  eigener  Meinung,  wurde  ich 
bekennen:  nichts  haBt  von  jeher  wirklich  raeine  Natur 
wie  diesen  Geist  und  seinesgleichen. 

DUQUENOY: 

Das  ist  wahr. 

MARQUISE: 
Um  so  besser.  Bei  Ihnen  werde  ich  sie  nicht  sehen, 
denn  wie  ware  ich  meinerseits  wiirdig,  mit  solch  ge- 
wissermaBen  heiligen  Personen  umzugehen.  Doch 
seien  Sie  unbesorgt,  Sie  sollen  mich  heimlich  oft  genug 
besuchen,  und  unter  sechs  Augen  woUen  wir  uns  fiir 
Ihre  sonstige  Diat  schadlos  halten. 

DUQUENOY. 
Nur  fiir  den  Fall,  ohne  unsere  Schuld  schlagt  der  Plan 
fehl  — 


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ERSTER  AUFZUG  33 

MARQUISE: 
Bin  ich  reich  genug,  ninen  ein  bei  weitem  besseres 
Los  zu  verschaffen  als  das,  das  Sie  mir  opfern.  Ge- 
lingt  er  aber,  wird  Ihre  Belohnung  unaussprechlich 
sein.  Und  die  Kosten  Ihrer  kleinen  Wirtschaft  natiirlich 
zu  meinen  Lasten. 

DUQUENOY: 
Von  dem  Plan  selbst  horen  wir  kein  Sterbenswort  ? 

MARQUISE: 
Vorlaufig  nicht.    Nur  blinde   Unterwerfung,   vollstan- 
diger  Gehorsam  meinen  Befehlen,  oder  ich  stehe  weder 
fiir  jetzt  noch  fiir  die  Zukunft. 

Gehen  Sie,  ich  lasse  Ihnen  trotzdem  bis  morgen  friih 
Bedenkzeit.  Uberlegen  Sie  noch  einmal,  gehen  Sie 
instandig  mit  sich  zu  Rat.  Glauben  Sie,  so  volliger 
Zwang  iibersteigt  Ihre  Krafte,  sagen  Sie  es  frei. 

HENRIETTE: 
Wir  haben  nichts  zu  verlieren. 

DUQUENOY: 
Das  ist  iibertrieben  —  wir  haben  immerhin  — 

HENRIETTE: 
Ich  habe  nichts  zu  verHeren. 

DUQUENOY: 
So  lange  man  so  viel  besitzt,  wie  du,  hat  man  es  zu 
verlieren.  Im  ganzen  aber,  glaube  ich,  kann  ich  fiir 
uns  biirgen.  Soil  jedoch  der  Fall  liickenlos  zu  Ende 
gesprochen  werden,  soil  er  so  emst  behandelt  sein, 
wie  er  vielleicht  fiir  uns  alle  wird,  mochte  ich  nach 
dem  geschaftlichen  ein  menschliches  Wort  sagen. 

3 


34  ERSTER  AUFZUG 

MARQUISE : 
Sprechen  Sie. 

DUQUENOY: 
Es  handelt  sich  urn  einen  Mann.   Das  ist  ohne  weiteres 
unter  Frauen  klar.   Als  semetwegen  gnadige  Frau  den 
Plan  faBten  und  uns  riefen  — 

Unsere  Bereitwilligkeit,  unsere  Umstande  schicken 
sich  gewiB  vorziiglich  fiir  Sie,  ja,  was  mich  betrifft, 
behaupte  ich,  es  gibt  keine.  bessere  Vertreterin  der 
Mutterrolle,  doch  muB  ich  einwerfen  —  das  junge 
Madchen  stellt  wohl  nur  den  Koder  dar,  der  dienen 
soli,  daB  der  Betreffende  iiber  ihn  fort  schUeBIich  nach 
dera  Bisseji  hascht,  der  die  gnadige  Frau  selbst  ist? 

MARQUISE: 
Dieser  Einwurf  geht  iiber  Ihre  Rechte  hinaus. 

DUQUENOY: 

Ich  behaupte  kein  Recht,  Zu  unserem  gemeinsamem 
Besten  muB  ich  bemerken:  Unter  meiner  Tochter  un- 
scheinbarem  AuBeren  verbirgt  sich  ein  Charakter,  der 
imstand  ware,  den  Fall  von  seiten  des  Betreffenden  zu 
komplizieren. 

HENRIETTE: 

Wie  unzart,  Mama.  In  was  konnte  ich  mich  der  gna- 
digen  Frau  vergleichen?  Nun  gar  an  inneren  Vor- 
ziigen !  Du  bist  fiir  deine  Ruhe  besorgt.  Meine  Mutter 
iiberschatzt  mich  immer,  gab  meinen  Launen  zu  viel 
Gewicht.  Was  ihr  aber  noch  wichtiger  ist,  ist  ihrer 
ungestorten  Ruhe  QewiBheit.  Sie  hat  vor  Qemiits- 
aufstanden  kindliche  Angst. 


ERSTER  AUFZUG  35 

DUQUENOY: 

Ich  mochte  nichts,  als  alles  das  ware  ein  Scherz.  So 
leichtsinnig  frivol,  wie  er  mochte.  Ich  will  uicht,  was 
hier  beginnt,  konnte  durch  fahrlassige  Mischung  der 
Charaktere  Tragisches  briiigen. 

HENRIETTE: 
Uberlassen  wir  das  Fran  von  Pommerayes  Urteilskraft. 

MARQUISE: 

Ich  sagte:  ich  kaufe!  Kaufe  ohne  Vorbehalt.  Sie  aber 
sind  kauflich  —  oder  nicht. 

HENRIETTE: 
Wir  sind's.    Haben  es  genug  bewiesen,    Nehmen  Sie 
unser  endgiiltiges  Einverstandnis  auf  der  Stelle  und 
streichen  wir  die  Bedenkzeit  bis  morgen. 

MARQUISE  (zu  Frau  Daquenoy): 
WoUen  Sie? 

DUQUENOY: 
Ich  will, 

MARQUISE: 
Sie  tun  ab  heute,  wie  ich  befehle.  Das  ist  abgemacht 
(Sie  zeigt  Henriette  einen  Stick,  der  an  der  Wand  hdngt) 
Hier  von  Qreuze  die  Figurine;  die  einzige  Devote,  die 
er  in  seinem  prangenden  Fleischmarkt  gemalt  hat. 
Ganz  f romm  und  Irdischem  verloren,  und  doch  Flammen 
im  Augenhintergrund. 

DUQUENOY: 
Meine  Tochter  wird  das  in  der  VoUendung  machen. 

MARQUISE: 
Denn  Sie  sind  schon,   Henriette. 


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36  ERSTER  AUFZUG 

HENRIETTE: 
Ich  war  nicht   iibel. 

DUQUENOY: 
Sie  ist  schoner,  als  Sie  wissen,  gnadige  Frau. 

MARQUISE: 
Ich  ahne  viel  und  finde  sie  blendend. 

DUQUENOY: 
Und  trotzdem  ? 

MARQUISE: 
Darum. 

(Einen  Augenblick  Schweigen.) 

MARQUISE: 
Morgen  abend  ist  Ihre   Wohnung  bereit.    Leben  Sie 
jetzt  wohl  und  folgen  Sie    strikt    (zu  Frau  Daquenoy). 
Nehmen  Sie  dies  Geld. 

DUQUENOY  {kufit  ihr  die  Hand): 
Ich  weiB  nicht,  wie  ich  danken  soil. 

MARQUISE: 
Gewohnen  Sie  sich  solche  Manieren  ab. 

HENRIETTE: 
Ich  will  bis  ans  Ziel  meine  Pflicht  tun. 

SECHSTER  AUFTRITT 

LAKAI : 
Der  Marquis  von  Arcis! 

MARQUISE: 

Er  mochte  einen  Augenblick  — 


_       -.  >  '  *'■•  r         '  ■    .    .  -;'---     _     -■        ■ 

■'■■■"■"■.-.--"         "l    I  ■  ■    ■     » 

ERSTER  AUFZUG  37 

LAKAI  ^^;c//;. 

MARQUISE  (zu  den  Fmuen): 
Ohne  OruB  an  ihm  vorbei!   Schnell  fort! 

SIEBENTER  AUFTRITT 

MARQUIS  (triU  schnell  auf). 
MARQUISE  (fiihrt,  ohne  vorziistellen,  die  beiden  Frauen 

an  ihm  vorbei). 

MARQUIS  (macht  beim  Vorbeigehen  Henriettens  eine  Qe- 
bdrde  hochsten  Erstaunens). 

DUQUENOY  und  HENRIETTE  (exeunt). 

MARQUISE: 
Schon  wieder  hier? 

MARQUIS: 
Ich  lieB  meine  Dose  hier. 

MARQUISE: 

Nach  unsem  neuen  Abmachungen  heiBt's:  neugierig, 
liistern  war  ich  nach  diesen  Frauen. 

MARQUIS: 

Es  ist  ja  wahr.  Ich  muB  nicht  liigen :  wer  also  ist  das 
unwahrscheinliche  Geschopf? 

MARQUISE: 

Eine  Ungliickliche,  die  gerade  von  neuem  in  tiefe 
Trauer  gestiirzt  ist.  Die  einen  Rat  fiir  unbeschreib- 
liches  Elend  erbat  und  heut  noch  in  finstere  Ein- 
samkeit,  auf  die  sie  heiliges  Recht  hatj  zuriick  ver- 
schwindet. 


\Y'-   '•'    „  Vf3| 


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|.  Mathilde! 


38  ERSTER  AUFZUG 

MARQUIS : 


MARQUISE: 
Eine  Welt  von  Frauen  steht  Ihnen  von  heut  an  wieder 
frei:    Diese  scheidet  aus   menschlichen  Qrunden  aus. 

MARQUIS: 
Wie  Sie  wollen. 

MARQUISE: 

Unsere  Partie  Schach  noch? 

MARQUIS: 
Mit  Vergniigen, 

Vorhang 


^f:i?t'^C-\.,*'"-f^^\;^-^f     r    • 


ZWEITER  AUFZUO 


f ^5  v.'^?P'"'7^,^-">  v»?v7;^p»^i?^*   /-'■:;     '    ^sfj^^^- 


D^r  gleiche  Raum. 

ERSTER  AUFTRITT 

HENRIETTE: 

Meine  Mutter,  die  nicht  wohl  ist,  wird  trotzdem,  wie 
Frau  Marquise  befohlen,  um  vier  Uhr  mit  mir  im 
Qartnerhaus  auf  Ihren  Wink,  zu  kommen,  warten, 

MARQUISE: 

Sind  Sie  inzwischen  fahig,  Bericht  uber  das  Vorge- 
fallene  so  vollstandig  zu  geben,  wie  ich  ihn  von  Ihrer 
Mutter  erwartete? 

HENRIETTE: 
Ich  glaube. 

MARQUISE:  *" 

Was  geschah  nach  dieser  anscheinend  unvorhergesehe- 
nen  zweiten  Begegnung  im  Garten  des  Naturalien- 
kabinetts  ? 

HENRIETTE: 

Was  gnadige  Frau  voraussahen.  Der  Marquis  von 
Arcis  tat,  was  in  seiner  Macht  stand,  unsere  Um- 
stande  und  Wohnung  zu  erfahren.  Er  horte,  wir  tun 
nichts,  als  vom  Haus  zur  Kirche,  von  der  Kirche  nach 
Haus  gehen.  So  wagte  er  uicht,  was  er  sonst  getan 
hatte,  sich  vorzustellen.  Dafiir  trafen  wir  ihn  auf  all 
unseren  Gangen,  bei  denen  wir  den  Blick  zu  ihm  nicht 
aufhoben.  Trafen  ihn  schlieSlich  bei  jeder  Messe,  von 
denen  er  die  friiheste  nicht  versaumte. 

MARQUISE: 
Auf  ihn  der  Eindruck  ist  also  groB  ? 


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42  ZWEITER  AUFZUQ 

HENRIETTE: 
Meine  Mutter  ist  uberzeugt.  Sie  ahmt  des  Marquis  Seufzer 
nach  und  behauptet,  es  sei  ganz  und  gar  geschehen. 

MARQUISE: 
Ihre  eigene  Meinung? 

HENRIETTE: 
Es  wird  so  sein. 

MARQUISE: 
Sie  haben  hinreichend  Erfahrung,  zu  sagen,  es  ist  so 
und  ist  nicht   so. 

HENRIETTE: 
Ich  gab  mir  nicht  Miihe,  auch  noch  der  Manner  see- 
lischen   Zustand  zu   kennen   und   weiB   nicht,   ob  des 
Marquis  Gebarden  Natur  oder  das  Mittel  sind,  schnell 
ans  Ziel  zu  kommen. 

MARQUISE: 
Doch  sein  Ziel  ist  Ihnen  klar? 

HENRIETTE: 

Ich  glaube  nicht,  zweifeln  zu  diirfen. 

MARQUISE: 

Aber  miissen  tun,  als  zweifelten  Sie,  als  ahnten  Sie 
nicht  das  geringste.  Sie  sind  nicht  mehr  die  kleine 
Aisnon,  an  die  man  ohne  Umstande  in  dem  Sinn 
denken  durfte;  Sie  sind  Henriette  Duquenoy,  Kind 
aus  gutem  Haus,  zu  dem  Gefiihl  und  Gedanke  vor- 
geschriebene  Wege  geht.  Ich  hoffe,  Sie  empfinden 
wirklich  so,  weil  Sie  sonst  trotz  Beherrschung  unwill- 
kiirlich  zum  Ausdruck  brachten,  was  aus  dem  Spiel 
bleibt.  Ich  bedaure,  Sie  ihm  gegenuber  nicht  gesehen, 
Ihr  Benehmen  gepriift  zu  haben. 


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ZWEITER  AUFZUG  43 

HENRIETTE: 
Gnadige  Frau  durfen  trotzdem  beruhigt  sein. 

MARQUISE: 
Nicht  durch  Worte.   Man  kann  mit  niedergeschlagenen 
Augen  zuchtlos  scheinen. 

HENRIETTE  (mit  vollem  Blick): 
Mache  ich  den  Eindruck? 

MARQUISE: 
Jetzt  und  hier  nicht. 

HENRIETTE: 

Im  iibrigen  sind  gnadige  Frau  aus  des  Marquis  An- 
deutungen  zweifellos  unterrichtet. 

MARQUISE: 
Wie  gefallt  er  Ihnen? 

^  HENRIETTE: 

Ich  kann  Manner  nach  ihrer  Erscheinung  nicht  be- 
urteilen.  Zudem  ist  Beschaftigung  mit  des  Marquis 
Person  bis  jetzt  von  mir  nicht  verlangt  worden. 

MARQUISE: 
Er  bleibt  auch  nath  fliichtiger  Begegnung  keiner  Frau 
gleichgiiltig.  Es  bringt  Ihrer  Rolle  keinen  Vorteil,  mir 
Gefiihle  zu  verbergen,  und  eine  etwaige  Neigimg  Ihrer- 
seits  ist  durchaus  nicht  meinen  Planen  ungUnstig. 
Hiiten  Sie  sich  taktvoU  oder  iiberlegen  sein  zu  wollen 
Oder  irgendwie  mit  Uberlegung  m  meine  Absichten 
einzugreifen. 

HENRIETTE: 
Ich  bin  Werkzeug  und  versichere,  ich  verglich  den  Marquis 
in  meinem  Herzen  nicht.  Wollen  gnadige  Frau  aber  — 


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44  ZWEITER  AUFZUG 

MARQUISE: 
Sie  konnten  nicht,  wie  es  geschehen  soil,  mit  Macht  auf 
einen  Menschen  wirken,  folgt  angespannt  ihm  Hire 
Seele  nicht.  Sie  miissen,  sind  Sie  nicht  in  seinem 
Bild,  ihn  notwendig  enttauschen.  Ich  hielt  die  Wissen- 
schaft  fiir  selbstverstandlich  und  erwartete  aus  Ihrer 
galanten  Laufbahn  Instinkt  und   Erfahrung  genug  — 

HENRIETTE: 
Sie  war  kurz  — 

MARQUISE: 
Hingabe  an  Ihren  Zweck  bei  auBerlich  krasser  Zuriick- 
haltung,  mit  einem  Wort!    Ich  glaube,  es  wird  keiner 
weiteren  Aufmunterung  bediirfen,  denn  in  jeder  Hin- 
sicht  bedeutet  der  Marquis  ftir  Sie  ein  Ideal. 

HENRIETTE: 
Wie  gnadige  Frau  befehlen. 

MARQUISE: 
Weiter! 

HENRIETTE: 

Meine  Mutter  erfuhr,  der  Marquis  bemiihte  sich  ver- 
geblich,  den  Weg  zu  finden,  auf  dem  er,  ohne  unsere 
Ehre  anzutasten,  uns  Mittel  zukommen  lassen  konnte, 
die  uns  von  Almosen,  denen  wir  nach  seinen  Erkun- 
dungen  das  Leben  danken,  erlosen. 

MARQUISE: 
Was  unternahmen  Sie  dagegen? 

HENRIETTE: 

Ich  schrieb  den  Brief,  den  ich  zur  Priifung  mitbrachte. 
(Gibt  ihr  den  Brief.) 


A^iiiiHeitei 


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ZWEITER  AUFZUG  45 

MARQUISE  (liest): 
„Ich  weiB,  mein  Herr,  es  ist  in  unseren  Zeitlauften 
das  Recht  adligen  Reichtums  und  der  Macht,  ein  armes 
Madchen  biirgerlichen  Standes  um  so  nachdriicklicher 
zu  kranken,  je  mehr  Not  und  ihr  unverschuldetes  Un- 
gliick  fortschreitet.  Ich  begreife  auch,  daB  die  Gebarde 
madchenhaften  Aufstands  gegen  Ihre  Unziemlichkei- 
ten  und  Ihres  Herzens  mangelndes  Taktgefiihl  dadurch 
langst  an  Wirkung  eingebiiBt  hat,  daB  sie  von  im- 
redlichen  Gewissen  gefalscht  und  wie  verstohlene  Auf- 
forderung  benutzt  wurde. 

So  bleibt  mir  nur  der  Weg,  durch  die  einzige  Freun- 
din  aus  Ihren  Kreisen,  mit  Ihren  Begriffen  Sie  zu  iiber- 
zeugen,  Sie  setzen  durch  Ihr  Betragen  in  den  Augen 
der  Nachsten  und  aller  Welt  herab  die,  die  sich  zeichnet 

Henriette  Duquenoy." 

Schrieben  Sie  selbstandig  die  Zeilen? 

HENRIETTE: 
Ja. 

MARQUISE: 
Sie  sind  gut  und   loben   Ihre   Erzieher.     Durch  wen 
lernten  in  dem  Alter  Sie  sich  so  biindig  ausdriicken? 

HENRIETTE: 
Durch  jenen   Abbe   hauptsachlich,    von    dem    meine 
Mutter  die  Unzartheit  hatte,  zu  sprechen. 

MARQUISE: 
Sind  Sie  mit  diesem  Menschen  so  fertig,  wie  Sie  sag- 
ten?  Im  andern  Fall  wiirde  eine  solche  innerliche  Ab- 
lenkung  Ihre  anderweitige   Wirkung   beeintrachtigen. 


^i^MliMisiii..  *•/  rii^dM:^'^:- 


46  ZWEITER  AUFZUG 

HENRIETTE: 

Ich  bin  heute  wie  zuvor  von  niemand  im  wesentlichen 
beriJhrt. 

MARQUISE: 

Spielen  Sie  hier  nicht  die  Zimperliche.  Seien  Sie  ganz 
Weib  und  die  Leidenschaft,  die  ich  brauche,  und  ent- 
wickeln  Sie  sich,  wie  Ihre  Erscheinung  es  vorschreibt, 
taglich  mehr  zu  jener  maBlosen  Verfiihrung,  vor  der 
es  kein  Halt  gibt.  (Sie  sieht  sie  diirch  ihr  Glas  an.) 
Wird  das  Ganze  zugleich  geniigend  angeboten  und  ver- 
sagt,  mu6  Wirkung  elementar  sein. 

HENRIETTE  (verbirgt  ihr  Gesicht  in  beiden  Hdnden). 

MARQUISE: 

Reizend!  das  ist's!  Und  zum  SchluB  lassen  Sie  durch 
Ihre  Fingerritzen  eine  Ahnung  Ihres  Blicks  blitzen. 
Um  vier  Uhr  essen  Sie  mit  mir  und  dem  Marquis. 
Geht  es  schicklicherweise,  lasse  vor  dem  Anrichten 
ich  Sie  fiir  Minuten  mit  ihm  allein;  Minuten,  in  der 
in  jeder  Sekunde  Sie  eine  Schlacht  gewinnen,  Pro- 
vinzen  nehmen  miissen.  Machen  Sie  jene  Geste  wieder, 
reiBen  Sie  alien  Liebreiz  in  eine  Gebarde,  doch  so,  daB 
Sie  sich  noch  iiber  des  Briefes  Abwehr  von  ihm  zu- 
riickziehen.  Jedenfalls  miissen  Momente  geniigen,  eine 
Situation  zwischen  Ihnen  zu  schaffen,  die  kein  Zuriick 
mehr  zulaBt. 

Die  herabgelassene  Jalousie  hier  zeigt  den  Augen- 
blick,  wo  mit  der  Mutter  Sie  vom  Gartenhaus  her- 
iiberkommen.  Man  sieht,  sitzen  Sie,  von  der  Hufte  zum 
Knie,  Ihr  Strumpfband. 


wY---?iSar„~'v^'>., 


ZWEITER  AUFZUG  47 

HENRIETTE: 

Es  geschah  nicht  mit  Absicht. 

MARQUISE: 

Wahrscheinlich.  Aber  vermeiden  Sie  solche  Indezenz 
in  Zukunft.  Der  Marquis  sieht  scharf.  Im  iibrigen 
fragen  Sie,  ist  unser  Handel  fortgeschritten,  in  allem 
Weiblichen  mich  um  Rat.  Ich  gebe  Ihnen  unbedingt 
als  Ihre  Mutter  bessere  und  entscheidendere  Auskunft. 

HENRIETTE: 
Ich  weiB  es. 

MARQUISE: 
Warum  ? 

HENRIETTE: 

Weil  das  weiblichere  Weib  als  die  Marquise  von  Pom- 
meraye  nicht  lebt. 

MARQUISE: 
Was  meinen  Sie? 

HENRIETTE: 
Ohne  daB  ich  mit  Worten  es  sagen  konnte. 

MARQUISE: 
Gehen  Sie. 

HENRIETTE  (exit). 

MARQUISE  (schellt). 

HAUSHOFMEISTER  (tritt  auf), 

MARQUISE: 

Alles  bereit? 


48  ZWEITER  AUFZUG  [  :y,J- 

HAUSHOFMEISTER: 
Vier  Uhr.  Vier  Personen  zu  Tisch.  Der  Frau  Marquise 
sitzt  Fraulein  Duquenoy  gegeniiber,  der  das  Licht  der 
Fenster  zufallt. 

MARQUISE: 
Out. 

HAUSHOFMEISTER  (exit). 

MARQUISE  (trltt  ans  Fenster): 
Auch  ohne  Fenster  kam  ihr  so  reichlicher  Olanz  vom 
Himmel,  daB  er  bis  zur  Blindheit  biendet.  Auf  welchen 
Hiiften  die  Beine  gehen! 

ZWEITER  AUFTRITT 

LAKAI: 
Der  Marquis  von  Arcis!  (exit) 

MARQUIS  (tritt  auf). 
Welch  unertragliche  Schwiile  im  Juli  und  die  Insekten ! 

MARQUISE: 
Sie  nimmt  Sie  mit,  Sie  sehen  schlecht  aus.   Oder  sind 
es  schlaflose  Nachte? 

MARQUIS: 
Auch  das! 

MARQUISE: 
Endlich  die  wiirdigeren  Ausschweifungen  ? 

MARQUIS: 
Die  niedrigsten  und  banalsten,  die  ich  fiir  immer  ge- 
storben   glaubte.    Das   Sinnlose. 


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ZWEITER  AUFZUG  49 

MARQUISE: 
Sie  fangen  von  vorn  an? 

MARQUIS: 
Ich  bin  zu  Ende. 

MARQUISE: 
Warum  also? 

MARQUIS: 
Gegengift. 

MARQUISE: 
Wollen  Sie  galant  behaupten,  Sie  miiBten,  ungliicklich 
iiber  meinen  Verlust,  sich  trosten? 

MARQUIS: 
Seit  Sie  zur  Wahriieit  das  Zeichen  gaben,  liige  ich  nicht 
mehr.    Im  iibrigen,   ohne  daB   ich  ein  Wort  sprach, 
wissen  Sie  seit  Wochen  alles. 

MARQUISE: 

Ich   sehe   nur,   Sie   sind   nicht  aufgeraumter  als   vor 
unserer  Aussprache. 

MARQUIS: 
Und  weiter  als  je  von  der  Moglichkeit,  sich  neu  zu 
fiihlen,  entfernt.  Telle  das  Los  der  durchschnittlichsten 
Nichtse. 

MARQUISE: 
Und  war  zu  hohen  Sternen  Ihr  Wille  so  steil. 

MARQUIS: 
Bis  vom  starkeren  er  gekreuzt  wurde. 

MARQUISE: 
Wirklich  das  Madchen? 


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50  ZWEITER  AUFZUG 

MARQUIS: 

Durch  Sie  mir  gezeigt. 

MARQUISE: 
Die  kleine  Provinzlerin  ist  das  Phanomen? 

MARQUIS : 
Sie  sind  Kennerin  und  durch  eigene  Schonheit  verwohnt 
genug,  zu  wissen:  das  ist  das  himmlischste  Oeschopf, 
das  man  sehen  kann.  Was  bedeutet  vor  dam  Engel 
das  blendendste  Kunstwerk,  fiir  das  wir  doch  fassungs- 
los  schwarmen.  Soil  es  nicht  plausibel  sein  fiir  diesen 
Ausbund  der  Natur,  frischer  Reize  und  madchenhafter 
Pracht  sich  zu  entziinden? 

MARQUISE: 
Doch.    Und  ich   wiinsche   Gliick. 

MARQUIS: 

Sie  ist  das  kapitalste  Stuck  Schopfung,  das  ich 
sah,  und  mein  Ehrgeiz  ist  ihr  wie  noch  nie 
verhaftet.  Entweder  tauge  ich,  sie  zu  gewin- 
nen,  oder  ich  tauge  noch  zu  nichts,  and  mein 
Leben  mit  Erfolgen,  mit  meiner  liebensvviirdigen  Freun- 
din  Neigung  zu  mir  vor  allem,  die  diesem  Madchen 
doch  sonst  in  alien  Eigenschaften  und  Instinkten  uber- 
legen  ist,  ist  nicht  mehr  zu  erklaren. 

MARQUISE: 
Vielleicht  hat  die  Kleine  zu  ihrer  Schonheit  auch  die 
iibrigen  Werte. 

MARQUIS: 

Und  ware  es  so,  was  ich  nicht  voraussetze,  miiBte 
Verlangen  nicht  zum   Himmel  wachsen?    Durch  nicht 


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2WEITER  AUFZUQ  51 

vorausgesehenen  Zufall  stehe  ich  plotzlich  vor  der 
Probe  aufs  Exempel  meines  Lebens.  Unterliegt  im 
Augenblick,  da  sie  hochste  Qenugtuung  will,  Eigen- 
liebe,  bin  ich  gerichtet  und  fiir  raich  selbst  abgetan. 
Das  hieBe  Sturz,  Alter,  Tod. 

In  diese  keusche  Form  gefangen,  fiihle  ich,  ich 
sprenge  sie  oder  — 

Wie  gliicklich  ware  ich,  Mathilde,  Sie  konnten  Ihrer- 
seits  mir  jetzt  gleiches  Schicksal  gestehen,  damit  ich 
wiifite,  Sie  begriffen  wieder,  wie  bis  ins  Blut  man  von 
einem  einzigen  Aufruhr  besessen  ist.  Der  junge  Herzog 
von  Vauguyon? 

MARQUISE: 
Ich  habe  ihm  mein  Haus  verboten  und  sehe  ihn  nicht 
mehr. 

MARQUIS: 

Warum? 

MARQUISE: 
Weil  er  wie  alle  Manner  mir  zuwider  war. 

MARQUIS: 
Soli  das  heiBen,  Sie  lieben  mich  trotzdem  noch  und 
rechnen  auch  im   letzten   auf  meine   Riickkehr? 

MARQUISE: 
Soil  ich  nicht? 

MARQUIS: 
Sie  wollen,  man  soil  Ihrem  Betragen  wahrend  der  Zeit 
meiner  Flatterhaftigkeit  keinen  Vorwurf  machen  kon- 
nen? 

4* 


U  OF  ILL  UB. 


-■S^^'^LtSzti^z'A^'r^.-fC^:!^--.).*  .jX^^^'l.  'yJi  "^y.-:. .  ''^.  ^^-^I^^ji.-vi  ^^iii-L'-'v^^fea^^-iscSfiS^'V  .-^J.^:. '  .">-.,    ■  ■  .  >  .■■'.V-^atkT'N^S^W.. 


52  ZWEITER  AUFZUQ 

MARQUISE: 
Sie  haben  von  meinem  Charakter  und  meiner  GroBmut 
hohe  Meinung. 

MARQUIS: 
Nach  dem,  was  Sie  bereits  getan  haben,  traue  ich  Ihnen 
jeden  Heroismus  zu. 

MARQUISE:  ^ 

Sie  haben  recht.  Aber  trotzdem  ich  fiir  den  Augenblick 
niemand  habe,  begieife  ich,   was  Sie  bewegt. 

MARQUIS: 
Sie  sind  so  klug.    Im  Grund  des  Herzens  zweifle  ich 
auch  Tiicht,  daB  ich  ans  Ziel  komme.  Denn  vor  keinem 
Aufwand  fiir  sie  schrecke  ich  zuriick. 

MARQUISE: 
Geld  wird  Ihnen  bei  dieser  Frau  nichts  niitzen. 

MARQUIS: 
Bei  der  Besitzlosen,  Bediirf tigen  ?  Wie  kommen  Sie 
darauf?  Das  ist  doch  wirklich  nicht  zu  fiirchten.  Nur 
die  Unwissenheit,  was  Geld  bedeutet,  konnte  sie  an- 
fangs  wie  Blinde  auf  Farbe  verzichten  lassen.  Und 
darum  miiBte  an  seinen  Gebrauch  man  sie  gewohnen, 

MARQUISE: 
Wie  wollen  Sie  das?    Nach  allem,  was  ich  hore,  ist 
der  Frauen  Leben,  fanatisch  frommer  Erziehung  ge- 
widmet,  ganz  bediirfnislos. 

MARQUIS: 
Richtig.  Ich  habe  gleiche,  zuverlassige  Nachricht.  Sie 
sind  Muster  der   Sitte,  religioser  Bescheidenheit,  no- 


ZWEITER  AUFZUG  53 

belster  Fiihrung  auf  Grund  giiter  Herkunft.  In  unserem 
gottverlassenen  Jahrhundert  Pyramiden  der  Frommig- 
keit. 

MARQUISE: 
Und  wie  wollen  Sie,  ohne  bedeutende  innere  Veran- 
lassung  die  vom  Gold  nicht  Vergifteten  zur  Selbst- 
vergiftung  brlngen? 

MARQUIS: 
Geld  selbst  ist  der  machtigste  Impuls.  Sie  miissen 
verschwenderische  Vergeudung  nur  erst  bei  anderen 
sehen.  Welchen  Effekt,  welch  zauberisches  Mehr  des 
Lebens  sie  bewirkt,  ihre  schaffende  Kraft,  und  welche 
Leere  und  Mangel,  entbehren  zu  miissen  bedeutet.  Sie, 
teuerste  Mathilde,  verfiigen  iiber  alle  Mittel,  die  Frauen 
langsara  aus  Bediirfnislosigkeit  zu  locken  und  sie  von 
Mai  zu  Mai  mehr  den  teuren  Begriff  des  Reichtums 
und  seine  Notwendigkeit  zu  lehren. 

MARQUISE: 
Setzen  Sie  noch  hinzu,  Sie  sind  bereit,  mir  kostspielige 
Auslagen  zu  ersetzen,  und  Sie  haben  zum  erstenmal 
Freundschaft  auf  harte  Probe  gestellt.  Aber  ich  muB 
personliches  Gekranktsein  gar  nicht  ins  Spiel  bringen, 
denn  Ich  bin  iiberzeugt,  jeder  Schritt  in  diesem  Sinn 
ist  vergeblich.  Ich  darf  Ihnen  nun  sagen,  was  ich  sonst 
verschwiegen  hatte,  alle  Anerbieten  meinerseits,  den 
Damen  mit  einem  Schlag  zu  besserer  Existenz  zu  hel- 
fen,  waren  umsonst,  weil  sie  ihr  neues  Los  nach  alien 
Seiten  nur  sich  selbst  verdanken  wollen.  Ein  weiterer 
Vorsclilag  ware  Grund  fiir  sie,  mich  nicht  mehr  sehen 
zu  wollen.  Wie  sie  mir  jetzt  schon  das  geringste  Auf- 


54  ZWEITER  AUFZUG 

treten  veriibcln,  dem  sie  nicht  gewachsen  sind.  Ohne 
Schminke  und  Juwelen  muB  ich  zu  FuB  zu  ihnen 
gehen. 

MARQUIS: 

Kein  Mensch  wird  mich  uberzeugen,  daB  nicht  auch 
bei  ihnen,  geschickt  gebraucht,  das  Mittel  verfangt,  vor 
dem  es  auf  der  ganzen  Welt  mit  Recht  keinen  Stolz 
gibt. 

MARQUISE: 

Aber  Sie  sind  langst  selbst  iiberzeugt.  Denn  was  sonst 
hatte  Sie  bewogen,  nicht  selbst  den  Damen  anzubieten, 
was  in  ahnlichen  Fallen  Sie  stets  ohne  Umstande  an- 
boten,  wenn  nicht  Furcht,  ein  fiir  allemal  die  Quelle 
zu  versiegeln,  nach  der  Sie  dursten.  Sie  haben,  Lieber, 
in  vergangenen  Wochen  ja  tausendmal  iiber  nichts 
anderes  gedacht,  als  wie  auf  unverdachtige  Weise  Sie 
Ihre  Borse  fiir  das  Madchen  leeren  konnten  und  haben 
trotzdem  nichts  Entscheidendes  gewagt.  Sie  muBten 
verschwenderische  Hitze  soweit  ducken,  daB  nicht 
die  Frauen  Ihren  Reichtum  teilten,  aber  Sie  sich  zu 
vielen  Malen  zu  ihrer  Armut  biickten.  Und  der  Erfolg 
all  dieser  ungewohnten  Anstrengungen  bis  heute  — 
ist  dieser  Brief  an  mich. 

MARQUIS: 
An  Sie  —  von  ihr? 

MARQUISE: 

Es  war  wahrhaftig  das  VerhangnisvoUste,  was  Sie 
unternehmen  konnten.  Denn  was  Sie  mindestens  mit 
jedem  anderen  in  dieses  Madchens  Seele  teilten,  ihr 


j;_.-;.;>i«5tS*l^* 


^'Ofj^/i'-'^^-        •^.   t  „'  «;•'•■,'    r^^     *^»,^    T^tirr--    r*^^''     i  w-       ■'       'i^-    .:--^^!^?if«*. ' 


ZWEltER  AUFZUG  55 

herzlich  gleichgiiltig  zu  sein,  haben  Sie  zu  Ihrem  Nach- 
teil  schon  verschoben. 

MARQUIS: 
Darf  ich  —  geben  Sie! 

MARQUISE  (gibt  ihm  den  Brief): 
Lesen  Sie! 

MARQUIS  (lUst): 
Aber  mein  Qott  —  das  ist  entsetzlich! 

MARQUISE: 

Nun  —  ? 

MARQUIS: 
Unziemlichkeiten  —  Herzens  mangelndes  Taktgefiihl 
—  in  den  Augen  aller  Welt  herabsetzen. 

MARQUISE: 
Und  in  den  eigenen! 

MARQUIS: 
Aber  ich  tat  im   Gegenteil  das   Unmogliche  — 

MARQUISE: 
Sie  haben  an  das,  Unmoghche  noch  keine  groBen  An- 
spriiche,  Sie  vermieden  BrutaUtat,  die  Sie  sonst  an 
Abenteuer  setzen,  und  glauben  schon,  weiB  Gott  was 
getan  zu  haben.  Sie  werden  noch  besser  Ihrer  Metho- 
den  Unmoglichkeit  einsehen. 

MARQUIS: 
Sie   bringen   mich    zur   Verzweiflung!    Was    denn   in 
der  Welt  soil  bei  dem  Madchen  Effekt  machen,  ver- 
fiihrt  sie  mein  Aussehen,  mein  Vermogen  nicht? 

MARQUISE  (zuckt  die  Achseln). 


;^!^irff] 


56  ZWEITER  AUFZUG 

MARQUIS: 
Reden  Sie,  Mathilde! 

MARQUISE: 

Biirgermadchen  sind  dumm.  Hoffen  nichts  zwischen 
Mann  und  Weib  als  ohne  Zutat  pure  Liebe,  von  der 
vor  unseren  aufgeklarten   Zeiten  Dichter  erzahlten. 

MARQUIS: 
Aber  ich  schwore,   ich   bin  auf  raeine  Weise  in   die 
Kleine  verliebt. 

MARQUISE: 

Ich  zweifle  nicht.  Doch  ist  bei  diesen  Oeschopfen  Liebe 
kein  Gesellschaftsspiel,  und  sie  kennen  nicht  die  ge- 
ringste  Riicksicht  auf  der  anderen  Begierden.  In  die- 
sem  Stand  wird  geradezu  beiderseitiges  Schicksal  ge- 
fordert.  Es  ist  von  ihm  die  gleiche  Arroganz,  die  er 
auch  im  PoHtischen  zu  zeigen  anfangt. 

MARQUIS: 
Aber  ist  es  nicht  Schicksal  genug  fiir  sie,  mich  wahr- 
haftig  in  Verlegenheit  gebracht  zu  haben  ? 

MARQUISE: 

Meinesgleichen  gegeniiber  ware  es  schon  das  Erstaun- 
liche.  Diese  Emporkommlinge  aber  woUen  heifihungrig 
mit  Haut  und  Haar  eine  Sache.  Warum  verliefien  Sie 
gewohnte  Bezirke  und  stieBen  romantisch  in  fremde 
Erdteile  vor? 

MARQUIS: 

Sie  iibertreiben.  Ich  erklare  Ihnen  rund,  morgen  mache 
ich  den  Damen  Besuch. 


ZWEITER  AUFZUG  57 

MARQUISE: 
Nur  zu!   Ihre  Equipage,  Ihre  Livree,  Ihr  eigener  An- 
zug,  mehr  wird  es   nicht  brauchen,  das  Quartier  in 
Alarm  zu  bringen  und  die  Frauen  ganz  ins  Ungliick 
zu  stiirzen,  bevor  Sie   Ihre  Antrage  noch  begannen. 

MARQUIS  (he/tig): 
Ich  habe  Mittel  und  Willen,  das  Ungliick  wieder  gut 
zu  machen.  Ich  mu6  an  mein  Ziel !  Ersparen  Sie  mir 
die  Verriicktheiten  nicht,  deren  ich  fahig  bin,  indem 
Sie  mir  den  plausibleren  Weg  zu  den  Damen  offnen, 
suche  ich  Sie  auf  und  sage  Ihnen  im  voraus:  Die  Tiir 
sprenge  ich,  wenn  sie  sie  schlieBen,  verschaffe  mir 
Zutritt,  koste  es,  was  es  wolle,  und  biirge  fiir  nichts, 
was  ich  tue.  Sie  wissen  nicht,  in  welchem  Zustand 
der  Erregung  ich  bin,  ich  setze  alien  personlichen 
Kredit  bei  Behorden  und  mein  Vermogen  ein  — ! 

MARQUISE  (nach  einem  A  ugenblick  mit  stockenderStimme) : 
Sie  haben  vielleicht  recht.  Ware  mir  je  solche  Leiden- 
schaft  auch  nur  fliichtig  gezeigt  worden,  wer  weiB, 
ob  ich  einen  einzigen  Tag  widerstanden  hatte.  Solchem 
Sturm  wdcht  vielleicht  auch  Henriette. 

MARQUIS: 
Henriette!   Sagen  Sie,  sind  Sie  nicht  auch  ron  dieses 
Qesichts  SiiBe  erschlagen? 

MARQUISE: 
Dieser  Hiiften  Oewalt. 

Out,  Marquis.  Ich  will  mich  der  Sache  zu  Ihrem 
Besten  annehmen;  und  um  endlich  wieder  ganz  wahr 
zu  sein :   ich   begann  bereits.    Nur  wollte  ich,  nicht 


58  ZWEITER  AUFZUG 

gar  zu  fliichtiger  Spielerei  die  Hand  zu  bieten,  vorher 
Ihres  Zustands  GewiBheit  haben.  Sie  wollen  ohne 
das  Madchen  nicht  mehr  sein? 

MARQUIS: 
Ich  wiinsche  mit  aller   Leidenschaft  Leibes  und  der 
Seele,  sie  zu  besitzen. 

^    MARQUISE: 
Und  glauben,  dann  ist  Verlangen  gestilit  ? 

MARQUIS: 
Ich  begreife  nur  Gegenwart.    WeiB  sonst  nichts  mehr. 

MARQUISE: 
Hiiten   Sie   sich,   Marquis! 

MARQUIS: 

Was  soli  ich  fiirchten? 

MARQUISE: 

Sich  selbst. 

MARQUIS: 
Ich  spielte  mir  nie  einen  Streich,  war  mir  stets  zuver- 
lassig  und  will  nichts  als  Qenugtuung  von  mir.   Sagen 
Sie  also,  was  taten  Sie  schon? 

MARQUISE  (qffnet  die  Tiir  ins  Nebenzimmer) : 
Was  sehen  Sie? 

MARQUIS: 

Wir  sind  zum   Essen  nicht  allein?  Mathilde? 

MARQUISE: 

Frau  und  Fraulein  Duquenoy  speisen  mit  Ihnen  bei  mir. 


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ZWEITER  AUFZUG  59 

MARQUIS  (wirft  sich  ihr  zu  Fufien  and  kafit  vielmals 

ihre  Hdnde): 
Herrliche  Freundin  —  Tausend  Dank! 

MARQUISE  (hat  uher  ihm  ein  Spiel  ihrer  verzweifeUen  Seele)  : 

Qehen  Sie  jetzt!  Gleich!  Bleiben  Sie  bei  offener  Tur 
einen  Augenblick  im  Speisezimmer.  Es  ist  die  Stunde, 
zu  der  sie  kommen  wollen. 

MARQUIS  (Ins  Nebenzimmer  exit). 

MARQUISE  (^eht  zum  Fenster,  an  dem  sie  die  Jalousie  hifit)  : 
Ungeheuer!  Wie  lange  meine  Qua!  dauem  muB,  weiB 
ich  nicht.   Deine  soli  bis  in  Ewigkeit  sich  fortsetzen. 

MARQUIS  (erscheint  wieder  in  der  TiirJ: 
Qeben  Sie  mir  inzwischen  den  Brief  als  Fetisch. 

MARQUISE: 

Von  seiner  Hoheit  und  Zuriickhaltung  lassen  Sie  sich 
wenigstens  fiir  die  Stunden  des  Beisammenseins  uber- 
waltigen. 

MARQUIS: 
Mindestens  will  ich  Lowe  im  Lammfell  sein  (exit). 


DRITTER  AUFTRITT 

DUQUENOY  und  HENRIETTE  (treten  aaf). 

MARQUISE  (macht  gegen  das  Nebenzimmer  ein  Zeichen, 
aus  dem  die  Frauen  des  Marquis  Anwesenheit  erkennen): 
Unendlich  freue  ich  mich,  dafi  Sie  meine  Besuche  zu 
erwidern  beginnen. 


•^v■-.5';^j:■^:  f]c^::^ 


^  ZWEITER  AUFZUG 

DUQUENOY: 

Vor  der  Wahl,  unhoflich,  wenn  wir  dauerad  nicht 
kommen,  und  unklug,  wenn  wir  kommen,  zu  sein,  sind 
wir  lieber  unklug-,  als  von  mangelnder  Hoflichkeit. 

MARQUISE: 
Wer    sollte    Ihnen     seltenen    Besuch    bei  'mir    nicht 
gonnen  ? 

DUQUENOY: 

Die,  von  denen  wir  abhangen,  und  die  mit  Recht 
auBerste  Zuriickhaltung  von  uns  fordern,  da  jeder 
Schritt  aus  unseren  Verhaltnissen  sie  zu  Aufwand  fiir 
uns  zwingt,  den  wir  uns  versagen  miissen,  bis  meiner 
Tochter  Stimme  und  Spiel  ihn  uns  erlaubt. 

MARQUISE: 
Sind  Sie  mit  Henriettes  Fortschritten  zufrieden? 

DUQUENOY: 

Nicht  ich  allein  finde,  sie  singt  wie  ein  Engel.  Leider 
werden  unsere  Einkiinfte  auch  durch  ihren  blen- 
dendsten  Erfolg  klein  bleiben,  da  sie  sich  auf  das  Auf- 
treten  in  Kirchen-  und  geistlichen  Konzerten  beschran- 
ken  muB. 

MARQUISE: 

Tut  es  Ihnen  nicht  leid,  Henriette,  den  Erfolg  auf  dem 
Theater  entbehren  zu  mussen? 

HENRIETTE: 
Warum,  gnadige  Frau? 


—  •'*'-",■  '  ^  ■  ^      '  , 

ZWEITER  AUFZUG  6i 

MARQUISE: 

Kleine  Unschuld. 

Mein  altester  Freund,  der  Marquis  von  Arcis,  den 
Sie  neulich  mit  mir  trafen,  iBt  mit  ims.  Er  wird  ent- 
ziickt  sein,  konnten  Ihnen  seine  Verbindungen  zu  unse- 
rem  hochwiirdigsten  Herrn  Kardinal  von  Nutzen  sein. 

DUQUENOY: 
Wir  mochten  uns  auf  keine  Weise  vordrangen. 

HENRIETTE: 
Wir  entbehren  in  unserem  Leben  nichts. 

MARQUISE: 
Da  ist  er  selbst. 

VIERTER  AUFTRITT 

MARQUIS    (triti  auf.    Begriifiung). 

MARQUISE: 
Fraulein  Duquenoy  hat  eine  schone  Stimme  iind  will 
in  Kirchenkonzerten  singen. 

MARQUIS: 
Der  Kardinal,  ganz  einfach. 

MARQUISE: 
Ich  dachte  gerade  daran. 

MARQUIS: 
Leidenschaftlicher   Liebhaber  der   Musik   brachte    ich 
manch    unvergeBliche    Auffiihrung    zustande,     und 
wiinsche  noch  immer  nichts  Besseres,  als  von  neuem 
gutem  Zweck  zu  dienen. 


■'-Kv      T15' ■■?r. 


62  ZWEITER  AUFZUG 

HENRIETTE: 

Sind  das  Worte? 

MARQUISE: 
Fraulein  Henriette  traut  nach  manchem  Vorgefallenen 
Ihnen  nicht  viel  zu. 

MARQUIS: 
Man  kann  der  durchaus  Fremden  gegeniiber  den  Ton 
verfehlen,  um  ihn,  des  menschlichen  Oegenubers  sicher, 
richtig  zu  treffen. 

MARQUISE: 
Hinter  Convenus  und  Titeln  hat  der  Marquis  von  Arcis 
menschlichen  Hintergrund. 

HENRIETTE: 
Jedoch!  — 

DUQUENOY: 
Henriette! 

MARQUIS: 
Der  Damen  Tugenden  wage  ich  die  meinen  nicht  zu 
vergleichen,  doch  habe  ich  das  Verlangen,  die  hochste 
einzusehen  und  mich  nach  ihr  zu  richten. 

DUQUENOY: 
Das  ist  viel. 

MARQUIS: 
Was  aber  des  Frauleins  Gesang  angeht,  behaupte  ich 
mich  als  Kenner,  und  daB  in  dem  Fall  mein  Urteil  gilt. 

DUQUENOY: 
Wagst  du,  Henriette,   vor  dem  Marquis  zu  singen? 

HENRIETTE: 

Nicht  gleich,  Mutter. 


/ 


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2WEITER  AUFZUG  63 

MARQUIS: 

Wie  sollte  sie  auch.  Erst  wenn  von  meinem  Musik- 
etnpfinden  sie  gute  Meinung  haben  wird,  sah,  ich 
schatze  nicht  nur  Rameau  — 

HENRIETTE: 
Den  ich  nicht  schatze.    Mit  seiner  Hilfe  meint  alle 
Welt  in  zwei  Tagen  Musiker  zu  sein  und  durch  ihn 
sind  wir  plotzlich  mit  schlechten  Musikmachern  iiber- 
schwemmt. 

DUQUENOY: 
Behaupte  solche  Dinge  nicht. 

HENRIETTE: 

Ich  darf  sie  getrost  behaupten. 

MARQUISE: 
Das  Urteil  ist  originell. 

MARQUIS: 

Mogen  seine  flinken  Nachahmer  Sie  tadeln,  in  ihm 
selbst  miissen  Sie  Genie  erkennen,  das  Lully  iiber- 
fliigelt.    Seine  fabelhaften  Symphonien  — 

HENRIETTE: 
Sind  im  Orchester  iiberladen.    Da  es  immer  im  Spiel 
ist,  der  Seele   nicht  Zeit  zur  Einkehr  und  zum   Be- 
greifen  laBt,  muB  es  letzte  Wirkung  verfehlen  und  an- 
spruchsvollere  Horer  enttauschen. 

MARQUIS: 
Aber  Sie  geben  zu,  Kontraste  entstehen  und  wirken  zu 
lassen,   kontrapunktische,    miissen   notwendig    Instru- 
mente  sich  tiirmen. 


A-'iiii^3^ik:'.L.  £v.  ■ 


64  ZWEITER  AUFZUQ 

HENRI  ETTE: 
GroBe  Kunst  wirkt  mit  Intervall  und  Harmonic. 

MARQUISE   (zur  Duqtienoy): 
Lassen  die  Kunstsachverstandigen  wir  weiter  streiten. 
Ich  zeige   Ihnen   an   Ihre  Mutter  das   Andenken,   das 
ich  verwahre. 

MARQUISE  und  DUQUENOY  (Ins  Nebenzimmer  exeunt). 

MARQUIS: 

Harmonic,  hat  gegen  Widerstand  sic  sich  nicht  erst  bc- 
hauptet,  iiberzeugt  nicht. 

HENRIETTE: 
K'ampf   mu6  auBcrlich   mcht   sichtbar   scin. 

MARQUIS: 
Er  erscheint,   innen  wiitend,  stets  auch  nach  auBen. 

HENRIETTE: 
Vielleicht  im  Leben.    In  der  Kunst  — 

MARQUIS: 
Auch. 

HENRIETTE: 
Erscheint  der  Sieg! 

MARQUIS: 
So  konnte  jeder  auftreten  und  vorgeben,  es  sci  hinter 
seiner  auBeren  Ruhe  schon  Schicksal  tiberwunden. 


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ZWEITER  AUFZUG 


65 


HENRIETTE: 
Vorgeben  ?  Vielleicht.  Doch  fehlte  um  ihn  Atmosphare. 
Kennen  Sie  den  Deutschen  Gluck?   Horen  Sie  fSle  spielt): 
Wo  ist  das  eigener  Qual  und  Enttauschung  arrogante 
Erzahlung?   Aber  groBen  Schicksals  Hauch. 

MARQUIS  (zu  ihr  gebeugt): 
MuB  ich,  weil  ich  Atmosphare  um  Sie  spiire,  glauben, 
Sie  batten  es? 

HENRIETTE   (dreht  ihm  das  Gesicht  zu  und  zum  In- 
strument zuriick  und  spielt). 

MARQUISE  und  DUQUENOY  (sind  im  Tilrrah^en  er- 
schienen  und  machen  sich  ein  sieghaftes  Zeichen). 


Vorhang. 


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DRITTER  AUFZUG 


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-  -w-v. 


ERSTER  AUFTRITT 

MARQUIS  (triU  auj). 

MARQUISE: 

Ich  lieB  Sie  rufen,  Ihnen  bittere  Vorwiirfe  zu  machen. 
Leidenschaft  macht  Sie  zum  schlechten  Menschen.  Sie 
miissen  bosartig  von  Natur  sein,  da,  was  andere  zu 
Taten  begeistert,  bei  Ihnen  niedrige  Absichten  erregt. 
Was  taten  Ihnen  die  armen  Frauen,  daB  Sie  ihr  Ungliick 
durch  Schande  vergroBern  wollen?  Weil  das  Madchen 
schon  ist  und  anstandig  bleiben  will,  werden  Sie  ihr 
Verfolger.  Wollen  Sie  Ursache  sein,  daB  sie  dem  schon- 
sten  Himmelsgeschenk  fluchen  miiBte?  Und  ich?  Wo- 
durch  verdiente  ich,  Mitschuldige  zu  werden?  Auf  Ihr 
Versprechen  des  Manns  von  Ehre  hin  brachte  ich  Sie 
zusammen. 

MARQUIS : 
Ich  begreife  nicht  —  , 

MARQUISE: 

Hier  ist  Ihr  schamloser  neuer  Brief,  der  allem  die 
Krone  aufsetzt,  den  Sie  Henriette  durch  jenen  Abbe 
zustecken  lieBen,  der,  unter  der  Larve  der  Frommigkeit 
durchschaut,  jetzt  Ihrer  Libertinage  dient.  Das  Mad- 
chen lieferte  ihn  ungelesen  der  Mutter  aus,  die  ihn, 
auBer  sich,  mir  weitergab.  Sie  machen  in  ihm  ohne 
Umschweif  riesige  Versprechungen  und  treiben  die 
Albernheit  so  weit,  Entfiihrung  vorzuschlagen.  Ich 
finde,  Ihr  Geist  hat  gelitten,  haben  Sie  die  Unwahr- 
scheinlichkeit  eines  Erfolgs  auf  solchem  Weg  immer 
noch  nicht  eingesehen. 


■    _-.f^;;:»   ^l,t- 


>  •syn^.s'c*?/!!^;* 


70  DRITTER  AUFZUG 

MARQUIS: 

Ich  gebe  zu,  ich  bin,  so  gut  wie  ohne  Hoffnung,  ohne 
Sinnen.  Aber  ich  beschuldige  Sie,  mich  ohne  jede 
weitere  Hilfe  gelassen  zu  haben. 

MARQUISE: 

Weil  ich  sah,  Sie  gingen  trotz  Ihres  Versprechens 
Schleichwege  hinter  meinem  Riicicen  weiter.  Wo  ist 
eigentlich  der  Durst  nach  Besonderheit  geblieben,  der 
es  notig  machte,  unser  banales  Band  zu  zerreiBen,  da 
im  neuen  Leben  Sie  nur  groBere  Gemeinplatze  auf- 
suchen?  Wo  bleibt  das  souverane  und  hochstperson- 
liche  Bekenntnis,  nach  dem  Sie  verschmachten,  tim  Sie 
nichts  als  das  torichte  Klischee  €iner  Verfuhrung  nach- 
ahmen? 

MARQUIS: 

Vom  Wunsch  zur  Tat  ist  ein  weiterer  Weg,  als  ich  an- 
nahm.  Zeit  war  zu  kurz,  uber  tausend  Vorbilder  aus 
dem  eigenen  Leben  schon  hiuiiberzusetzen.  Ich  schwore 
nur  wieder  von  neuem  und  feuriger,  ich  weiB  nichts 
mehr,  als  daB  ich,  um  welchen  Preis  auch,  das  Madchen 
besitzen  muB. 

MARQUISE: 

Doch  daB  bei  dem  Wort  „Preis"  von  der  Vorstellung 
des  Gelds  Sie  durchaus  nicht  absehen  wollen,  macht 
Ihre  Untemehmung  fruchtlos  und  vieux  jeu. 

MARQUIS: 

Sie  selbst  warnten  mich  oft,  menschlichere  Wege  in  mir 
zu  gehen,  und  auch  ich  fiihle,  jede  and^re  Mdglichkeit 


■'■■ki 


W^^^^r^^f'^f^'T^^^ ^rf^iTr *^  *  '''i'\^^,^T^''vi^    '^'7f^k^i'^l^,'-^''^'%"--f^^c!r/fZf^^ii^g^  -^i        > ^rt<-~iT" 


DRITTER  AUFZUQ  71 

mu6  erst  erledigt  sein,  ehe  ich  Schleusen  offne,  gegen 
die  mein  ganzes  Wesen  brandet. 

Soil  mir  als  Sieger  zuerst  das  Bedenken  kommen,  ob 
ich  nicht  billiger  ans  Ziel  hatte  gelangen  konnen  und 
mir  den  schlieBlichen  Erfolg  verkiimmem  ?  Begreifen 
Sie  doch,  daB  iiber  allem,  was  sich  in  mir  regt,  Skepsis 
von  fast  vierzig  Jahren  wuchert,  die  durch  groBe  Offen- 
barungen  erst  zerstreut  werden  muB,  daB  neue  Saat 
wachst, 

Alles  was  ich  anbot  und  was  abgelehnt  wurde,  kann 
mit  der  Absicht  verschmaht  worden  sein,  daB  ein  hohe- 
rer  Preis  zu  erzielen  ware. 

MARQUISE: 
Aber  Sie  geben  des  Madchens  makellose  Reinheit  zu. 

MARQUIS: 

Die  Mutter  kann  sie  leiten. 

MARQUISE: 
Von   der  unvergleichlichen   Bildung   Leibes    und   der 
Seele  Henriettes  schwarmten  Sie. 

MARQUIS: 

Die  Mutter  kann  der  Damon  sein,  dem  ein  Engel  er- 
liegt.  Merken  Sie  um  das  reine  Geschopf  nicht  irgend- 
wie  ein  Verhangnis?  Finsteres,  das  sich  nicht  verrat 
und  doch  ankiindigt?  Ein  damonisches,  das  mir  we- 
nigstens  zuzeiten   vollig  den  Atem  raubt? 


}    >-'-<■- -^-^ti-Ta^^'^^-iifi^Ti^^f^r^-af^-s..    -  '3 


72  DRITTER  AUFZUG 

MARQUISE: 

Mutter  und  Tochter  sind  gleichmaBig  weit  von  Ihren 
Spitzfindigkeiten  entfernt.  Logisch  aber  gibt  es  auf 
Ihrem  bisherigen  Weg  nur  noch  eine  Steigerung,  Ihr 
letztes  Bedenken  vor  Doppelziingigkeit  fort  zu  rauraen. 

MARQUIS:  ~   , 

Welches? 

MARQUISE: 
Das  ernsthafte  Angebot  geradewegs  an  die  Mutter,  so 
groB,  iiberraschend  und  so  uniibertrefflich  zu  richten,  • 
daB  eine  etwa  bestehende  Absicht  derselben,  es  noch 
hinaufzutreiben,  aussichtslos  und  iiberfliissig  wird. 

MARQUIS: 

Das  ist's.  Und  ich  stehe  davor,  es  zu  machen;  meine 
gestrige  Bitte,  Frau  Duquenoy  auf2nifordern,  mir  heute 
hier  die  entscheidende  Unterredung  zu  gewahren,  dient 
dem   Zweck. 

MARQUISE: 
Und  mit  der  Voraussetzung,  mich  vorher  von  dieses 
Schritts   Notwendigkeit  iiberzeugen   zu    konnen,    ver- 
mochte    ich   mich,    trotz   Ihres    aufgefangenen   Briefs 
ScheuBlichkeit,  die  Damen  aufzufordern  — 


Und? 

Sie  kommcn. 


MARQUIS: 
MARQUISE; 


MARQUIS: 
Wie  soil  ich  wieder  danken? 


^   \:'^;wT^?^pw^^'^  i^r^w  ^ 


MARQUISE: 

MARQUIS: 

IVIARQUISE: 


DRITTER  AUFZUG  73 

MARQUISE: 
Indcm  Sic  mir  Ihres  Angebots  Hohe  mindestens  an- 
deuten. 

MARQUIS: 
Raten  Sie? 

Eine  Million? 

Mehr. 

Marquis ! 

MARQUIS: 
Man  wird  an  meinem  Ernst  durchaus  nicht  mehr  zwei- 
feln  konnen,  und  Sie  nicht,  daB  ich  es  damit  bei  jeder 
Herzogin  durchsetzte. 

MARQUISE: 
Bestimmt. 

MARQUIS: 
Auch  bei  Henriette? 

MARQUISE: 
Ich  wage,  nichts  mehr  vorauszusagen.    Ihres  Opfers 
Hohe  bricht  viele  Hemmungen. 

MARQUIS  :• 
Es  war  der  verhangnisvolle  Fehler,  diese  Hiirde  leicht- 
hin  und  nicht  gleich  mit  Sporen  tief  in  den  Flanken 
nehmen  zu  woUen.  DieFrauen,  die  des  Falls  Tiefe  er- 
messen,  mussen  machtige  Mittel  bereitgestellt  sehen, 
Abgriinde  iiberfliegen  und  zu  bisheriger  Welt  sich 
distanzieren  zu  konnen. 


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74  DRITTER  AUFZUG 

MARQUISE: 

Sie  selbst  distanzieren  sich  —  wodurch? 

MARQUIS: 
DaB  ich  mit  Vierzig  kann,  was  ich  mit  Zwanzig,  nicht 
einmal  mit  DreiBig  zustande  gebracht  habe. 

MARQUISE: 
Diese  erste  Orobheit  mir  ins  Gesicht  beweist  min  Ihren 
Zustand  am  besten.   Wohlan:  tun  Sie's. 

MARQUIS: 
Verzeihung,  Mathilde ! 

MARQUISE: 
Aber  ich  sehe  doch,  Sie  sind  auBer  sich.  Was  ist  Ihnen 
an  meiner  Ungiiade  oder  Verzeihung  noch  gelegen. 

MARQUIS: 
Ich  habe  Ihnen  gegeniiber  nur  eine  Entschuldigung. 

MARQUISE: 
Henriette  ist  ein  Engel. 

MARQUIS : 
Und  Sie  waren  es,  die  ihn  mir  zeigte.   AUes,  was  ge- 
schieht,  ist  Ihr  Werk  — 

MARQUISE: 
Moge  es  mich  loben, 

MARQUIS: 

Noch  eine  Bitte :  lassen  Sie  mich  zuerst  mit  den  Damen 
allein. 

MARQUISE: 
Aber  — 


■  :   ■-•,?._,.. 


SWS' 


'^Prf^'^s^r^^^^.^*''^^^^^  -  "^ 


DRITTER  AUFZUG  75 

MARQUIS : 
Ich  konnte  selbst  vor  Ihnen  mich  nicht  ganz  offenbaren. 
Oewahren  Sie  mir  diese  Bitte  noch,  Mathilde. 

MARQUISE: 
Die  Frauen  mit  Ihrem  Ungestiim,  Ihrer  Unzurechnungs- 
fahigkeit  allein  — ?    Wer  weiB,  was  geschieht? 

MARQUIS: 
So  schnell  nichts  Endgiiltiges. 

MARQUISE: 
Nicht  lange  — 

MARQUIS: 
Minuten ! 

MARQUISE: 
Halte  ich's  fiir  an  der  Zeit,  trete  ich  sofort  ein. 

(Man  hort  ein  Glockenzeichen.) 

MARQUIS: 

So  daB  fiir  letzte  Entscheidung  Sie  mir  noch  zu  Hilfe 
kommen. 

MARQUISE: 
Dann  muB  ich  fort.   Es  war  ihr  Klingelzeichen.  Ich  bin 
nah!  (exit.) 

ZWEITER  AUFTRITT 

Frau  DUQUENOY  und  HENRIETTE  (treten  auf). 

DUQUENOY: 
Die  Marquise  von  Pommeraye? 


1*.-...., 


;.•  ■  •xj.v*nC|K5.,.:  -S'*,  .  , 


;6  DRITTER  AUFZUG 

MARQUIS: 
1st  in  Minuten  zuriick.  Ich  hoffe  Sie  bereit,  mit  mir 
vorlieb  zu  nehmen,  gnadige  Frau,  zumal  Ihre  Anwesen- 
heit,  bin  ich  unterrichtet,  diesmal  eher  mir  als  Frau  von 
Pommeraye  gilt.  J  a,  ich  hatte  die  Kiihnheit,  mich  an 
Ihre  Tochter  mit  Vorschlagen  zu  wenden,  die  Ihrer- 
seits  nur  einfach  Verachtung  wecken  konnten.  Aber 
es  gab  in  dem  Schreiben  doch  einen  Ton,  der  die  vier 
Menschen,  die  von  ihm  Kenntnis  erhielten,  aufhotchen 
lie6  und  irgendwie  bewegte.  Um  Ihrer  Tochter  Schick- 
sal  die  Sorge,  gnadige  Frau,  laBt  Sie  in  diese  Unter- 
redung  wilHgen,  BewuBtsein,  man  muB,  will  im  Sinn 
der  Vorsehung  man  ganz  bereit  sein,  unter  Umstanden  " 
auch  mit  einem  Narren  verhandeln.  DaB  ich  ein  Narr 
bin,  steht,  gnadige  Frau,  leider  auBer  Frage.  Spiiren 
Sie's  nicht  unbedingt,  ist  Frau  von  Pommeraye  Zeuge. 

Jean  Oaspard  Marquis  von  Arcis  und  von  Marigny, 
Paire  von  Frankreich,  Kammerer  des  Konigs  und  In- 
haber  eines  der  groBten  Vermogen  des  Landes  lebte  ich 
bis  vor  kurzem  in  Lebensformen,  die  den  Ihren  ent- 
gegengesetzt  und  feindlich  sind.  Wiinschte  nichts  Bes- 
seres  und  hatte  nicht  Veranlassung,  an  etwas  auBer 
mich  zu  denken.  Dies  ist  keines  Jiinglings,  sondem 
des  Manns  von  vierzig  Jahren  Bekenntnis. 

Da  erscheint  ein  Madchen,  Ihre  Tochter,  auf  meines 
Lebens  Szene,  und  mit  einem  verlieB  mich  Sicherheit. 
Wie  groBe  Ereignisse  kiindete  sie  «ich  vor  ihrem  Er- 
scheinen  durch  Unruhe,  Sucht  meiner  Seele  nach  Ande- 
rung  des  gliickseligen  Zustands  an.  Vernunft,  gnadige 
Frau,  ich  beteure  es,  flucht  heute  noch  Ihrer  Ankunft. 
Aber  zugleich   versichern  mich  Ahnungen,  ich  imter- 


.J^_,^^.. 


DRITTER  AUFZUG  77 

liege  Erschiitterungen,  die  nicht  nur  mich,  sondern 
die  Zeit  andern.  Kurz:  ich  besitze  die  Menschlichkeit, 
Ihnen  ins  Gesicht  zu  sagen:  daB  ich  Ihre  Tochter 
maBlos  und  leidenschaftlich  begehre,  und  es  mir  nicht 
das  geringste  ausmacht,  mich  mit  diesem  unwider- 
ruflichen  Gestandnis  voilkommen  und  fiir  immer  in 
Ihre  Gewalt  zu  geben. 

DUQUENOY: 
Mein  Herr  —  ich  — ! 

MARQUIS: 

Lassen  Sie  mich  enden.  Dies  Gestandnis  freimiitig  hin- 
gestellt,  bleibt  mir,  meiner  Auffassung  von  Wahrhaftig- 
keit  zu  geniigen,  doch  noch  ebenso  freimiitig  zu  sagen : 
der  Gedanke,  auf  Grund  dieser  hoheren  Schickung  mit 
mir,  mich  nun  all  jenen  biirgerlichen  Ranken  und  Zwan- 
gen  ausliefern  zu  sollen,  zugleich  mit  des  Herzens 
Lauterung  meiner  Vemunft  Vergewaltigimg  ertragen 
zu  sollen,  emport  mich  nicht  nur,  sondern  ist  mir  un- 
ertraglich. 

Nie  und  nirgends,  vor  dem  Konig  und  dem  hochsten 
Herrscher  nicht,  habe  ich  ein  MaB  akzeptiert,  das  nicht 
auf  mich  geschnitten  war,  und  Sie  konnen,  wie  Sie  tnich 
jetzt  kennen,  von  mir  nicht  fordem,  daB,  das  Gluck 
des  Herzens  zu  vollenden,  ich  den  aufrechten  Charakter 
zertriimmere.  Es  handelt  sich  nicht  so  sehr  um  Stan- 
desfragen,  ich  habe  keiner  Herzogin  mich  vermahlt  — 

DUQUENOY: 
Mein  Herr  — 


***-»,*'  ■>!    -■■■ 

t  ,    .  ■•  -.r  ■■     ■" 

78  DRITTER  AUFZUG 

MARQUIS: 

Noch  ein  Wort,  das  menschlichste  und  unerhorteste : 
der  Wert  des  Gliicks  Ihrer  Tochter  ist  freilich  un- 
schatzbar.  Doch  will  es  mindestens  die  Versicherung 
der  Unverletzlichkeit  durch  Menschen  garantiert.  Ich 
stelle  zwischen  Ihre  Tochter  und  biirgerliche  Wider- 
sacher  meines  Vermogens  voile  Halfte.  In  Paris  und 
auf  dem  Land  werden  sie  in  fiirstlichen  Hausern  alien 
kleinlichen  Nachstellungen  entzogen  sein. 

Leib  und  Seele  wage  ich  an  den  Umschwung.  Und 
erscheint  das  nach  Ihrer  Auffassung  der  Schonheit  und 
den  Tugenden  des  Madchens  gegeniiber  belanglos, 
sind  fiinf  Millionen  Franken  nach  alien  Begriffen  giil- 
tiger  Beweis  dafiir,  daB  ich  dem  Ereignis  fest  und  ent- 
schlossen  ins  Auge  sehe.  Miromesnil  in  der  Auvergne, 
das  ich  als  Landsitz  anweise,  umfaBt  zweitausend  Hek- 
tar.  Keine  Mutter  der  Welt  darf  fiir  ihre  Tochter  sol- 
chen  Vorschlag  mit  ein  paar  Worten  als  Bagatelle  ab- 
wcisen. 

DUQUENOY  (wiU  sprecheH). 

HENRIETTE: 

Was  willst  du  so  schnell  erwidem,  Mutter,  das  als 
Antwort  Wert  wie  das  Gebot  haben  konnte?  Ein 
schnelles  Ja  —  und  das  Offert  war  zu  hoch,  wir  waren 
billiger  zu  haben  gewesen.  Ein  uberstiirztes  Nein,  und 
du  hast  von  der  Wirklichkeit  mehrerer  Millionen  nicht 
die  gehorige  Vorstellung,  und  der  Bescheid  muB  so- 
lange  als  endgiiltig  nicht  gelten,  bis  wir  den  wirklichen 
Wert  begriffen. 
Sie  haben  erreicht,  mein  Herr,  was  Sie  woUten  und 


DRITTER  AUFZUG  79 

albern  ware  es,  uns  anders  zu  geben,  als  wir  im  Augen- 
blick  sind:  bestiirzt.  Wie  auch  Sie  vollkommen  aus- 
druckten,  was  Sie  waren,  als  Sie  sprachen :  zudring- 
lich  und  sehr  personlich.  Wir  durften  Sie,  Herr  Mar- 
quis, wirklich  kennen  lernen.  Ein  Rest  Einbildung 
schwand,  und  der  Mann  stand  da. 

Fiir  mich  habe  ich  im  Augenblick  nur  gieiches  Be- 
diirfnis :  unsere  Antwort  darf  nicht  edles  oder  gemeines 
Vorbiid  nachahmen,  sondem  mu6  nur  sein,  was  wir 
sind.  Ich  und  meine  Mutter,  Denn  mit  der  brutalen 
Macht,  die  Zeitumstande  Ihnen  geben,  verlegten  Sie 
aus  dem  Salon  die  Handlung  in  die  offene  Tiir  des 
Schlafzimmers,  und  da  kann  rait  Worten  nicht  mehr, 
nur  noch  mit  Tat  ich  mich  ausdriicken. 

MARQUIS : 
Fraulein  — ! 

HENRIETTE: 
Qehen  Sie!  Warten  Sie  anderswo.   Da6  zu  dem,  was 
nottut,  wir  uns  hier  selbst  erst  wieder  empfinden  kon- 
nen,   Schnell ! 

MARQUIS  (mit  tiefsr  Vemeigung  schnell  exit). 

DUQUENOY  (wirft  sich  ihr  schluchzend  an  den  Hals): 
Henriette! 

HENRIETTE: 

Du  spielst  so  mit  Begeisterung  Romantik  und  Dame, 
da6  du  dich  vergiBt  und  um  stilvoll  zu  scheinen,  um 
ein  Haar  gegen  deine  Natur  verstoBen  hattest.  Sei 
froh,  daB  durch  meine  Ansprache  ich  Zeit  schaffte, 
zu  dir  selbst  zu  komraen.   Wir  haben  uns  ohne  Um- 


8o  DRITTER  AUFZUG 

stande  so  oft  fiir  eine  Bagatelle  gegeben,  daB  unsere 
Kraft  nicht  im  entfernten  reichen  kann,  solchem  Gebot 
auch  nur  einen  Augenblick  zu  widerstehen. 

DUQUENOY: 
Aber  die  Pommeraye  — ? 

HENRIETTE: 
Macht  des  Gebotenen  zehnter  Teil  uns  nicht  von  ihr 
frei?  Spiele  nicht  mit  Entschliissen,  die  dir  bei  weitem 
nicht  gegeben  sind  und  verheimliche  nicht,  was  du 
warst  und  bist:  entschlossen,  Empfindlichkeiten  keinen 
Augenblick  Rechnung  zu  tragen. 

DUQUENOY: 
Und  du? 

HENRIETTE: 
Fragst  du  mich,  seit  ich  so  im  Preis  gestiegen  bin? 

DUQUENOY: 
Der  Marquis  —  hat  trotzdem   Eindruck  auf  dich  ge- 
macht! 

HENRIETTE: 
Er  ist  ohne   Frage   ein  Mann,  Mutter.    Desto  besser. 

DUQUENOY: 
So  sage  ich  zu? 

HENRIETTE: 

Was  sonst?  Mit  all  den  falschen  Alliiren  solcher 
Frauenzimmer,  die  wir  sind. 

DUQUENOY  (umarmt  sie): 
Wie   soil   ich  dir   danken,   Kind! 


DRITTER  AUFTRITT 

MARQUISE  (trlU  auf): 
Der  Marquis?   Wie  steht  die  Sache? 

DUQUENOY: 
Wie  sie  nicht  besser  stehen  kann.  Flammende  Leiden- 
schaft,  hochste  Achtung  fiir  Henriette  gestand  der  Mar- 
quis und  bietet  fur  ihre  Zusage  sein  halbes  Vertno- 
gen  — 

MARQUISE: 
Sein  halbes  —  ? 

DUQUENOY: 
Und  SchloB  Miromesnil  —  Wie  sollen   wir    Ihnen 
danken? 

MARQUISE: 
Sie  sagten  nicht  zu? 

DUQUENOY: 
Noch  nicht,  doch  sind  entschlossen. 

MARQUISE: 

Was  fallt  Ihnen  ein,  ohne  mich  Entschlflsse  zu  fassen. 
Wie  konnen  Sie  einen  Augenblick  die  unverriickbare 
Orundlage  unserer  Vereinbarungen  vergessen  ?  Blin- 
der Oehorsam,  Unterwerfung  meinen   Befehlen. 

DUQUENOY: 
Wir  sahen  nicht  voraus,  welche  Entwicklung  der  Fall 
nehmen,  bis  wohin  der    Marquis    sich    entschlieBen 
wiirde. 

MARQUISE: 
Aber  ich  sah  voraus,  und  fiir  jede  Mdglichkeit  gait 
meine  Abmachung. 

6 


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82  DRITTER  AUFZUG 

DUQUENOY: 

Sie  konnen  nicht  wollen  — ! 

HENRIETTE  (lachtj. 

MARQUISE: 
Was  ich  will,  weiB  ich  bestimmt. 

DUQUENOY : 
Das  ist  ja  — ! 

HENRIETTE: 
Immerhin  —  von   tnir  nicht  zu   sprechen,  ist  meine 
Mutter  Ihnen  nicht  auf  Onade  und  Ungnade  ausge- 
liefert. 

MARQUISE: 
So  gut  wie  ausgeliefert.  Oder  wiirde  der  Marquis  sein 
Angebot  einen  Augenblick  aufrechterhalten,  wiiSte  er, 
mit  wem  er  zu  tun  hat?  Bate  ich  ihn,  sich  in  einem 
gewissen  Haus  zu  erkundigen,  wer  die  Frauen  sind, 
die  es  vor  vier  Monaten  verlieBen? 

DUQUENOY: 
Marquise!  (mit  AufschreL) 

MARQUISE: 
Bitte? 

DUQUENOY: 
Aber  Sie  entreiBen  uns  ein  fiirstliches  Vermogeiv! 

MARQUISE: 
Das  fiirstliche  Vermogen  in  Ihren  Handen  war  nicht 
meines  Entschlusses  Mittelpunkt. 

DUQUENOY: 

Das  wir  bereit  sind,  mit  Ihnen  zu  teilen? 


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DRITTER  AUFZUG  83 

MARQUISE  (and) 
HENRIETTE  (lachett  auf  ihre  Weise). 

DUQUENOY: 
Millionen  —  das  versetzt  Berge ! 

MARQUISE: 
Nicht  ein  Atom  in  mir. 

DUQUENOY  (auf  den  Knien  vor  ihr): 
Horen  Sle  mich,  gnadige  Frau,  ich  flehe  Sie  an,  so 
dicht  yorm  Ziel  uns  nicht  ins  Elend  zuruckzustoBen. 

HENRIETTE  (lacht). 

MARQUISE: 
Rufen  Sie  Ihre  Mutter  zur  Besinnung,  Henriette. 

HENRIETTE: 

Sie  ist  es  jetzt  ganz,  gnadige  Frau. 

Was  du  tust,  ist  zwecklos,  Mama.  Wir  sind  in  den 
Handen  der  Frau  Marquise,  und  es  licgt  nicht  in  ihrer 
Absicht. 

MARQUISE: 

Womit  ich  nicht  sage,  daB  ich  nicht  spater  einmal 
unter  Bedingungen  zustimmte. 

HENRIETTE  (mit  grofiem  Seufzer  erldst): 
Spater  — ! 

DUQUENOY: 
Nur  lassen  Sie  ihn  uns  nicht  bmsk  zuruckstoBen. 

MARQUISE: 
So  brusk  wie  moglich  jetzt.   KraB  muB  ihm  klar  ge- 
macht  werden,  daB  so  er  sich  nur  weiter  von  seinem 
Ziel  entfemt. 

6* 


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84  DRITTER  AUFZUG 

HENRIETTE: 
Aber  was  haben  Sie  wirklich  mit  uns  vor,  gnadige 
Frau  ? 

DUQUENOY: 
Von  allem  Anfang  an  wollte  ich  kein  tragisches  Schick- 
sal  fiir  Henriette! 

MARQUISE: 
Hat  sie  es  denn  oder  steht  es  in  Aussicht? 
Haben  Sie  Vertrauen  zu  mir.  Unsere  Sache  geht  gut, 
und  wir  sind,  harren  Sie  aus,  dicht  am  Ziel.  Nur  ein- 
mal  noch  lassen  Sie  ihn  ims  so  liart  und  bodenlos  wie 
moglich  zuriickstoBen.  Ich  will  ihm  Ihr  Nein  so  schnei- 
dig  vorsetzen,  wie  ich's  vermag. 

HENRIETTE: 
Aber  — 

MARQUISE: 
Fiihlen  Sie  personlich  — ? 

HENRIETTE: 

Nein.    Nichts. 

MARQUISE: 
Lassen  Sie  sich  nur  noch  einmal  gebr?iuchen.  Gehen 
Sie  jetzt.  Laufen  Sie  nach  Haus  und  verschwinden  Sie 
in  Minuten  aus  Paris!  Fort,  wohin  Sie  woUen,  und 
nicht  eher  hierher  zuriick,  bis  ich  das  Zeichen  gebe, 
daB  zu  meinem  grandiosen  SchluB  alles  bereit  ist. 

Dann,  hinterher,  soUen  Sie  auch  das  eigene  Schick- 
sal  in  Ruhe  entwirren. 

HENRIETTE  (nimmt  die  Mutter  bei  der  Hand): 
Fort!   fort!  (zieht  sie  zur  T&r)    Fort! 


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-""Wfpi^SWgfS****  "•-^-sT^*  _,  ,- V«''Sg^'^^-'V''^»'fj»"'*,¥'5^r-  h  t'ft     '    ^  *       s'-'^iJ'fsy.^. 


DRITTER  AUFZUG  85 

MARQUISE  (weist  sie  xur  T&r  des  Speisezimmers) : 
Da  hinaus! 

DUQUENOY: 
Und  wenn  alles  mifilange? 

MARQUISE  (glbt  ihr  eine  Brieftasche): 
Da  ich  nun  weiB,  was  Sie  aufgeben  —  Sie  wiirden 
nach  meinen  Kraften  entschadigt. 

HENRIETTE  (mU  Kraft):  Nur  fort!  ( Die beiden  exeunt) 

MARQUISE: 
Und  nun  zu  ihm!  (SU  schellt) 


VIERTER  AUFTRITT 

MARQUIS  (tritt  auf): 
Wosindsie? 

MARQUISE: 
Ohne  selbst  noch  nach  Haus  zu  gehen,  uber  alle  Berge 
fort. 

MARQUIS: 
Fort? 

MARQUISE: 
Ihre  Oeschichte  land  ein  dbles  Ende.  Ich  selbst  schuld- 
los,  wurde  beleidigt. 

Die  veriichtliche  Qeste  einer  todlich  gekranicten  Frau 
—  ich  kann  sie  nicht  wiedergeben. 

MARQUIS   (ist  in  einen  Stahl  gefallen). 


^'•'j5^Y\irj.*/3:=?t»T' 


86  DRITTER  AUFZUG 

MARQUISE: 
Und  nun,  da  alles  zu  Ende  ist,  horen  Sie  endlich  das 
herzliche  Wort  Ihrer  besten  Freundin  ohne  Widerrede 
wieder.   Danken  Sie  Gott  auf  den  Knien!    Denn,  kam 
es  anders,  waren  Sie  verloren. 

Machen  Sie  sich  auf.  Legen  Sie  Berge,  Lander, 
Meere  zwischen  sich  und  Frankreich!  Reisen  Sie 
gleich.  Verlieren  Sie  an  alles  andere  dasGedachtnisund 
finden  nur  sich  selbst  wieder. 

Auf!  An  Hochstpersonliches  ist  nicht  zu  denken. 
Suchen  Sie  nur  des  Marquis  von  Arcis  Schatten  irgend- 
wo  zu  bleiben  —  damit  Sie  hier  nicht  die  Beute  und 
dieser  kleinen  biirgerlichen  Duquenoy  Gatte  werden. 

MARQUIS  (mit  Aufschrei): 
Mathilde! 

MARQUISE    (fuhrt   ihn   zur   Tur):   Brechen   Sie   auf! 
(und  hinaus). 

Vorhang 


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VIERTER  AUFZUG 


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Zimmer  bei  Duqaenoys. 

ERSTER  AUFTRITT 

MARQUISE: 

Sie  wissen  nicht,  welch  tddliche  Angst  mir  Ihr  erster 
Laufer  machte.  Itn  letzten  Augenblick  drohte  durch 
die  phantastische  Laune  des  Madchens  alles  zu  miB- 
lingen !  Gottlob  kam  der  zweite  schnell  hinterher.  Aber 
ist  nun  alles  ein  fiir  allemal  in  Ordjiung? 

DUQUENOY: 
Sie  scheint  gefaBt  und   entschlossen. 

Ich  war  heute  morgen  nicht  weniger  angewurzelt. 
Wie  eine  Erscheinung  trat  sie  an  mein  Bett  und  sagt 
rait  einer  Stimme,  die  ich  nie  von  ihr  gehort:  „Es  ist 
unmoglich.  Ich  heirate  den  Marquis  nicht!''  Danach 
fiel  sie  wie  ein  Haufen  zusammen  und  blieb  auf  meine 
Reden  sprachlos. 

MARQUISE: 
Eine   Erschiitterung  der  Nerven,    Ausdenfugengehen 
durch  zu  groBe  Erregung.  Wie  soUte  auch  ein  Madchen 
vor  solcher  Erhohung  nicht  — 

DUQUENOY: 
Aber  ich  selbst  war,  als  ich  Ihre  Nachricht  empfing, 
aus  den  Wolken  gefalien. 

MARQUISE: 
Sie  eines  Pairs  von  Frankreich  Schwiegermutter!  Auch 
ich  blieb  in  den  ersten  Stunden  von  der  Komik  des 
Falles  stark  beruhrt,  obwohl  des  Marquis  Briefe  von 
seiner  Reise  mich  schon  seit  Wochen  ahnen  lieBen,. 
wohin  gegen  elementare  innere  Widerstande  sein  Ent- 


!j'-i"i^r  *^^  V" 


-7  ~;^*^Xf■lft*•.5Ta^J^W^^•'==^J^l 


y-*  ^* 


90 


VIERTER  AUFZUG 


schluB  ging.  Als  vorgestem  nacht  iich  schon  im  Halb- 
schlaf  liege,  plotzlich  Hundegebell,  Windlichter,  Hin- 
und  Herruf  —  ich  denke  nichts  anderes,  als  das  Haus 
brennt  oder  Einbrecher  und  Morder  —  weckt  mich 
hereinstiirzend  die  Kammerfrau,  aber  schon  dringt  an 
ihr  und  aller  Form  vorbei  der  Marquis  an  mein  Bett 
und  bricht  zu  meinen  FiiBen  in  Erschiitterungen  nieder, 
deren  ich  nach  meiner  Erfahrung  keijien  Mann,  am 
wenigstens  ihn  fiir  fahig  hielt.  Das  war  von  Silben 
ein  Orkan,  Tranenflut  auf  meine  Hande  und  das  Ge- 
stammel  haltlosen  Wahnsinns.  Sie  konnen  sich  den- 
ken,  wie  ich  ihn  zu  sich  selbst  rief,  immer  wieder  be- 
schwor,  keine  Torheit,  Selbstmord  an  seiner  Eigen- 
liebe  zu  begehen,  Sie  verstehen,  wie  als  Mitwisserin 
einer  graBlichen  Wahrheit  ich  vor  dem  zuriickschau- 
derte,  was  als  seinen  unwiderruflichen  Willen  er  mir 
mitteilte.  Er  war  wie  ein  Wildbach,  ein  Katarakt,  nicht 
aufzuhalten.  Tausendmal  habe  die  Versuchung  er  zu- 
riickgestoBen,  tausendundeinmal  sei  immer  unentrinn- 
barer  sie  wiedergekommen  und  vergewaltige  ihn  jetzt 
bis  ins  Blut:  er  heirate  Henriette! 

Meine  grausige  Lage  denken  Sie  sich!  Alles,  was 
ich  gegen  den  Plan  vorbrachte,  besiegte  er  leicht  mit 
des  Madchens  augenscheinlicher  Einzigkeit.  Meine  ge- 
wundenen  Widerstande  reizten  ihn  schlieBlich  zu  hellem 
Zorn  gegen  mich,  und  er  ware  auf  und  davon  und 
zu  Ihnen  gestiirzt,  hatte  ich  nicht  gezwungen  schlieB- 
lich alle  Vermittlung  iibernommen.  Er  hatte  ohne  mich 
unsere  Stadtviertel  in  Aufruhr  versetzt,  hatte  ich  ihn 
bis  auf  die  Beschaffung  des  Pfarrers  ftir  heute  abend 
nicht  aller  Vorbereitungen  entlastet. 


i*Sfii 


VIERTER  AUFZUG  9 1 

DUQUENOY: 
Und  es  war  kein  Aufschub  zu  bekommen? 

MARQUISE: 

Als  ahnte  er  ein  Schicksal,  das  ihm  im  letzten  Augen- 
blick  Henriette  entrisse,  iiberstiirzt  wie  ein  Jiinglmg 
er  meine  Ratschlage.  Ware  es  nach  ihm  gegangen,  die 
Trauung  ware  durch  Ihren  kleinen  Abbe  schon  gestern 
abend  vollzogen. 

DUQUENOY: 
Aber  Henriette  — 

MARQUISE: 

Wie  aus  hoherer  GewiBheit  ist  er  ihrer  selbst  ganz 
sicher.  Fragte  nicht  nach  ihrer  Zustimmung  und  will 
sie  nicht  eher  als  am  Altar  wiedersehen.  Dabei  ist 
seit  seiner  Riickkehr  keine  Stunde  vergangen,  daB  er 
nicht  bei  mir  voriibergestiirmt  und  mich  nach  ihrem 
Zustand,  alien  VorbereitungKi,  wie  ein  Kind  befragt 
hatte,  das  seine  Bescherung  erwartet. 

DUQUENOY: 
Auch  uns  iiberlaufen  seine  Boten,  Kommissionare,  Zu- 
trager  und  Lieferanten  seit  vierundzwanzig  Stunden. 
Alles,  was  in  den  schonsten  Schaufenstem  von  Paris 
lag  —  (sie  offnet  eine  Tiir  ins  Nebenzimmer)  sehen 
Sie  nur,  die  ganze  Stube  voU  Pracht,  Geschenken, 
Kram,  und  die  zum  Teil,  bin  ich  uberzeugt,  Henriette 
nicht  dienen  kSnnen,  well  es  ihr  nicht  steht  und  paBt. 
ErstaunUch  das  Feuer  in  einem  Mann  von  vierzig 
Jahren. 


92  VIERTER  AUFZUG 

MARQUISE: 
Das  Henrictte  ihrer  Vorgangerin  stichlt. 

DUQUENOY: 
Das  die   aus  ihm   hatte   schlagen   sollen. 

MARQUISE: 
Trotz  Ihres   festlichen   Kleids,  trotz  Blumen,  die  ich 
hier  sehe,  fehlt  der  Hauch,  der  in  einem   hochzeit- 
lichen  Hause  wehen  soil. 

DUQUENOY: 
Auch  auf  mir  Jastet  Furcht,  was  wiirde,  kame  spater 
durch  ungliicklichen  Zufall  an  den  Tag  — 

MARQUISE: 
Sie  sind  doch,  meine  Gute,  gedeckt.   Selbst  des  Mar- 
quis verstoBene  rechtmaBige  Gattin  hatte  fiir  sich  und 
ihre  Mutter  reichlich  zu  leben. 

DUQUENOY: 
Trotzdem  ist  da  ein  Abgrund,  vor  dem  ich  schaudere, 
und  der  selbst  mich  in  Minuten  wunschen  laBt  — 

MARQUISE : 
QewiB  ein  Abgrund,  in  den  aber  —  gesetzt  den  Fall  — 
ein  einziger  fallt! 

DUQUENOY: 
Der  aber  dann  —  ? 

MARQUISE: 
Ware  heute  Offenbarung  fur  ihn  weniger  furchtbar? 
Da  er  in  Henriette  den  Engel,  den  ersten  auf    Erden 
sieht.   Aber  fiir  Sie,  Clementine,  ware  jetzt  seine  Er- 
kenntnis  tausendfach  Katastrophe. 


;.,,,>,<;■. 


i::,S'Ji^S 


VIERTER  AUFZUO  93 

DUQUENOY: 
Wahrhaftig! 

MARQUISE: 
Wir  alle  gingen  viel  zu  weit,  als  daB  wir  uns  noch 
ruhren  konnten. 

DUQUENOY: 
Und  schlieBlich  kennt  auBer  uns  dreien  niemand  zu- 
gleich  die  Wahrheit  und  den  Marquis. 

MARQUISE: 
Von  denen  Sie  keine  Ursache  haben,  sie  zu  auBern. 

DUQUENOY: 
Nein.   Und  Henriette  — ? 

Nur  —  liebte  sie  einst  ihren   Mann... 

MARQUISE: 
Dann  weniger  als  je. 

DUQUENOY: 
Wie  ich  sie  besser  kenne,  ware  dann  wirklich  Gefahr. 
Doch  wiirde  sie  den  Augenblick  des  Qestandnisses  so 
gefahrlos  finden  wie  nur  eine  Frau,  die  liebt,  es  kann. 

MARQUISE: 
So  braucht  auch  die  Moglichkeit  Sie  nicht  zu  kura- 
mern. 

DUQUENOY: 
Bleibt  — 
Ihr  eigenes  Ziel  bei  alledem  ? 


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94  ^       VIERTER  AUFZUG 

MARQUISE: 

Aber  sahen  Sie  nicht,  wie  ich  mit  allem,  was  vielleicht 
ich   vorhatte,    durch    des    Marquis   Aufruhr    fiber    den     - 
Haufen  gerannt  wurde,  wie  mit  dem,  was  Natur  aus- 
einem  Mann  unternimmt,  meine  Plane  und  Hoffnungen 
vernichtet  sind?  Ich  langst  wie  Sie  ein  Opfer  wurde? 

DUQUENOY: 

Ich  kann  es  nicht  wissen.    Doch  ware  es  moglich. 

MARQUISE: 

Also  sehen  Sie  endiich  nicht  mehr  den  wunden,  son- 
dern  tausend  glanzende  Punkte  Ihrer  Gegenwart  und 
Zukunft.  Wer  hatte  —  im  kiihnsten  Traum  —  das 
alles  vor  kurzem  gedacht?  Wer,  daB  das  Angebot  des 
halben  Reichtums  noch  die  himmlischere  Spitze  haben 
konnte? 

DUQUENOY: 

Kommt  nichts  dazwischen  —  bis  zura  Tod  danken  wir 
zu  Ihren  FuBen. 

MARQUISE: 

In  ein  paar  Stunden  ist  Henriette  Marquise  von  Arcis. 
Und  statt  nur  das  zu  denken,  dies  einzig  Wesentliche 
zu  treiben,  trodeln  wir  —  lassen  die  Braut  versaumen    " 
—  wo  ist  sie?    Wie  weit  ist's  mit  ihr? 

DUQUENOY  (qffnet  im  tfintergrund  die  breite  Tar). 


'-.•...  -i/ 


ZWEITER  AUFTRITT 

HENRIETTE  (sitzt  haWangezogen  vor  einem  mit  brennen- 
den  Lichtern  bestellten  Toilettetisch). 

DUQUENOY  (auf  sie  zu): 

Immer  noch  nicht  fertig,  und  wir  sollen  im  Augen- 
blick  fort! 

MARQUISE: 
Es  ist  hohe  Zeit,  Kind. 

DUQUENOY: 
Was  hast  du  die  Stunde  ohne  mich  getan  ? 

HENRIETTE  (reicht  ihr  wortbs  elnen  Brief). 

DUQUENOY: 
Wieder  ein  Brief? 

MARQUISE: 
Reut  ihn  sein  Antrag? 

DUQUENOY: 
'Wir  haben  vor  dem  Gesetz  schon  Rechte ! 

MARQUISE  (za  Duquenoy): 
Lesen  Siedoch!  (zu  MenrietteJ:  Heden  Sie  doch! 

DUQUENOY: 
Ich  bin  nicht  irastand  —  mir  tanzt  — 

MARQUISE  (nimmt  ihr  den  Brief):   Geben  Sie   her! 

(durchfUegt  ihn.) 
Aber  nein  —  Ergusse  —  es  bleibt  dabei,  noch  immer 
das  gleiche. 


96  VIERTER  AUFZUG 

HENRIETTE: 
Nicht  das  gleiche,  gnadige  Frau.  Der  Mann,  den  ich 
dreimal  fliichtig  im  Leben  sah,  der  mir  in  ein  paar 
formlichen  Zeilen  seine  Hand  bot,  war  ein  Fremder, 
der,  seiner  Macht  bewuBt,  sich  eine  Laune  erfullte,  und 
ich  war  auf  Ihre  Veranlassung  nichts  als  dieser  Laune 
zufalliger  Oegenstand.  Diese  Zeilen,  bei  Nacht  ge- 
schrieben,  wenden  sich  nicht  mehr  an  den  namenlosen 
Korper,  den  ein  Mann  begehrt,  aber  ein  Herz  fragt 
piotzlich  meines  um  Antwort,  die  ich  nicht  geben  will 
und  darf.  Zu  dem  Brautigam  von  heute  friih  muBten 
Beziehungen  von  mir  aus  nicht  bestehen,  ich  war, 
nicht  wirklich  bemerkt,  selbst  nicht  vetpflichtet  Jetzt 
aber  — 

MARQUISE: 
Nichts  als  eine  Form.    Der  Marquis  ist  blendend  er- 
zogen.   Es  scheint  ihm  peinlich,  am  Hochzeitstag  die 
Braut  ohne  verliebten  Geschwatzes  ubliche  Oirlanden 
zu  lassen. 

HENRIETTE: 
Ich  will  seit  einer  Stunde  mir  dasselbe  einreden.  Doch 
ist  es  uber  meine  Kraft.  Ober  meine  Vernunft  hinaus 
scheint  mir  das  alles  immer  wieder  so  menschlich  und 
ohne  Vorbehalt  empfunden,  so  fur  ein  Wesen  bedeu- 
tungsvoll,  daB  mich  Schrecken  faBt  — 

MARQUISE: 

Vollkommen  begreife  ich  die  Eitelkeit,  die  siiBen  Worte 
wahr  haben  zu  wollen.  Aber  ich  beruhige  Sie  aus 
des  Mannes  jahrelanger  Kenntnis :  Sie  sind  ihm  gelJiuHg 
und  haufig,  haben  nichts  Besonderes  zu  bedeuten. 


■■iiVa^Si^it'ffS-j 


VIERTER  AUFZUQ  97 

DUQUENOY  (die  den  Brief  gelesen  hat): 
Aber  doch  —  der  Brief  ist  seltsam  — 

HENRIETTE: 
Nicht  wahr,  Mutter?  Eine  Last  hangt  auf  mir,  und  ich 
Jiihle  die  Glieder  nicht. 

DUQUENOY: 
So  schwarmt  nur  ein  Knabe,  der  alle  Hoffnungf  noch 
frisch  aufs  Leben  hat. 

MARQUISE: 
Henriettens  kindhafter  Jugend  gegeniiber  will  stilvoll 
der  Marquis  nicht  alter  sein. 

HENRIETTE  (die  sich  erhoben  hat,greijt  der  Mutter  Arm): 
Mutter! 

DUQUENOY: 
Gnadige   Frau   —  ist   das   nicht   das    von    mir    Ge- 
f  urchtete  ? 

MARQUISE: 
Wer  eigentlich  —  Sie,  die  ihn  ein  paarmal  sahen  — 
Oder  ich,  die  ihn  bis  in  seine  Spitzfindigkeiten  kennt, 
hat  hier  Urteil? 

DUQUENOY: 
Des  Herzens? 

MARQUISE: 
Wer  hat  es  auBer  mir?  Ein  Mann,  der  sich  so  ver- 
gaBe,  sich  so  vor  sich  selbst  ausloschte,  ware  mir 
nicht  nur  nichts  mehr  wert,  sondem  verachtlich  und 
so  gleichgiiltig,  daB  ich  an  seinem  Schicksal  nicht  den 
geringsten  Anteil  nahme  und  Sie  und  ihn  einfach  stehen 

7 


98  VIERTER  AUFZUG 

lieBe.  Lohnt  es  uberhaupt,  auf  die  albernen  Einwande 
Ihrer  geschmeichelten  Eitelkeit  einzugehen? 

Und  Sie  selbst?  Was  gewinnen  Sie  dabei?  Wir 
spielen  ein  emstes  Stiick  und  ich  will  nicht  zum  SchluB 
Komodie. 

DUQUENOY: 
Es  ist  nicht  —  wir  fiirchten  uns  —  sie  furchtet.  — 

MARQUISE: 
Seine  Rache?  Kommt  einst  an  den  Tag,  was  wahr  ist 

—  fiir  Sie  sprange  nichts  als  komfortable  Verbannung 
heraus. 

HENRI  ETTE: 
Keine   Rache,  nicht  Strafe   fiirchte   ich  —  mein  Oe- 
wissen. 

MARQUISE  (lacht  auf). 

HENRI  ETTE: 
Mein  Gewissen,  und  ich  erklare:  Lassen  Sie  mich  fort 

—  ich  darf  —  ich  kann  nicht  mehr!  "^ 

(FdlU  ihrer  Mutter  in  die  Arme.) 

DUQUENOY: 
Henriette ! 

MARQUISE: 
Nichts  als  Liigen  auch  von  Ihrer  Seite! 

HENRIETTE  (wendet  sich  zu  ihr): 
Keine  Liige,  o  Gott!    Ich  will  nicht! 

MARQUISE: 
Ah! 


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VIERTER  AUFZUG  99 

DUQUENOY: 
Marquise  ? 

MARQUISE: 

Nicht  Ihr  Gewissen  fiirchten  Sie  —  uberhaupt  nichts 
fiir  sich  selbst  —  aber  seine  Schmach! 

HENRIETTE  (stojSt  einen  kleinen  Schrei  aus). 

MARQUISE: 
Und  dann  —  lieben  Sie,  Henriette. 

HENRIETTE  (verbirgt  ihr  Gesicht  in  Handen). 

DUQUENOY  (schlUpt  sie  in  die  Arme): 
Mein  Kind! 

MARQUISE: 
Dann  aber  ist  das  alles  hier  die  allerschimpflichste 
Komodie.  Dann  geben  Sie  eher  das  Leben,  als,  was 
Sie  in  Handen  halten,  bin.  Dann  konnte  ich  Sie  auf 
Knien  um  ihn  bitten,  und  Sie  wichen  nicht.  Dann 
kommt  ja,  Kind,  vor  aller  Qual  und  Reue,  alien  Be- 
denken  weit  voraus,  die  gottliche  Probe  auf  Ihr  Leben, 
nach  der  das  Blut  pocht,  ohne  die  es  nicht  sterben  will. 
Und  ginge  ich  weiter  —  risse  Sie  mit  diesen  beiden 
Handen  von  dem  angebeteten  Mann,  verriete  ich  gleich, 
jetzt,  hier,  ihm  Ihre  Schmach  —  Sie  stiirzten  ihm  iiber 
tausend,  tausendmal  tiefere  Abgriinde  nach  als  den, 
der  im  schlimmsten  Fall  Sie  auf  dem  anderen  Weg 
erwartet. 

Leugnen  Sie  doch! 

HENRIETTE  (schluchzt  am  Halse  der  Mutter). 


"- vv;  .y  ,irCT»(T^|:^||p^s:3^^ 


lOO  VIERTER  AUFZUG 

MARQUISE: 
Das  leugnen  Sie  nicht.  Denn  das  wird  von  uns  drei 
Weibern  zu  richtig  verstanden.  Und  indem  wir  nun 
die  Frage,  wie  weit  seine  Gefuhle  im  Spiel  sind,  bei- 
seite  lassen,  begreifen  Sie,  daB  noch  in  keinem  Augen- 
blick  Sie  so  voUkommen  in  meiner  Gewalt,  aus  tausend 
Angsten  so  zu  meiner  Verfiigung  waren,  wie  jetzt, 
Und  hatte  ich  kein  Geld,  meine  Dinge  zu  treiben,  von 
Natur  bin  ich  jetzt  starker  als  Sie,  weil  auf  Geniisse,  die 
sich  zU  erfiillen,  Sie  in  jedem  Blutstropfen  zittem,  ich 
schon  verzichten  lemte  und  mich  nichts  mehr  be- 
sitzt  — 

DUQUENOY: 

Als  Ihre  Rache.  Armes  Kind  —  ihr  bist  du  nicht  ge- 
wachsen. 

HENRIETTE: 
Ich  bin  verloren! 

MARQUISE: 

Warum  ?  Nicht  wieder  Tragik  am  falschen  Ort.  Knopf 
ihr  die  Schuh.  LaB  mich  das  Kleid  zumachen.  Und 
nun  zum  Ende :  Du  hast  im  Gegenteil  fiir  den  Augen- 
bhck,  was  du  begehrst;  deine  gefiihlvolle  Mutter  hat 
es  und  der  zartlich  Liebende.  Und  hatte  ich's  auch, 
warum  woUt  Ihr's  mir,  die  ich  an  allem  Gelingen  schuld 
bin,  allein  nicht  gonnen?    Noch  eine  Mouche  hierher. 

(Sie  setzt  sie  ihr.) 
Und  das  Lockchen  hinters  Ohr  zuriick. 

Ihr  versiindigt  Euch,  furchtsame  Provinziale,    Uber 
Sentimentales  siegt  trotzdem  das  Lebendige,  und  aus 


VIERTER  AUFZUG  lOI 

Elend  steigt  Ihr  zu  fiirstlichem  Glanz.  Aber  an  Euren 
Himmein  ist  auch  nicht  die  kleinste  Wolke  sichtbar. 

Doch  Zeit  ist  es,  hohe  Zeit.  Mit  tausend  und  einer 
Nacht,  Glorie  und  Oriflamme,  wartet  der  ungestiime 
Brautigam. 

(Vor   der   Eingangsglasiur    werden    der  Marquise  von 

Pommeraye  und  des  Marquis  von  Arcis  Lakaien  sichtbar. 

Der  Haushofmeister  der  Marquise  off  net  die  THr,  im  Neben-^ 

eingang  werden  Mdgde  sichtbar.) 

Neige  dich,  Kleine  —  reizend  hist  du  —  und  emp- 
fange  mit  meinem  KuB  auf  deine  Stira  in  des  kunf- 
tigen  Gatten  Namen  die  Krone  der  Marquisen  von 
Arcis ! 

(Sie  heftet  ihr  das  Diadem  ins  Hoar;  die  Frauen  schreiten 

zur  Tar.) 

Vorhang 


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fOnfter  aufzuo 


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'^^?r5«^»^S%lRfS^^'^  i/'  C.^- 


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Lange  Galerie,   mit  Treppe  im  Hintergrund  links,  beim 
Marquis  von  Arcis.     Hamische,  ROstungen,  Standarten 
and  Ahnenbilder  an  den  Wdnden  zwischen  hohen,  go- 
I  tischen  'Fenstem. 

ERSTER  AUFTRITT 

DUQUENOY  (im  Schlafkleid  tritt  von  links  aufj  indent 
sie  erst  die   Tar  vorsichtig  offnet,  dann  herausschlapft 

auf  die  Treppe  zugeht  and  hinaufspaht) : 
Wer  war  an  meiner  Tur?    Welch  ^Wetter! 

HENRIETTE  (erscheint  aaf  dem  Treppenabsatz). 

DUQUENOY: 
Ehi  warst  an    meiner  Tur? 

HENRIETTE: 
Oft.   Ehi  schliefest  fest. 

DUQUENOY: 
Was  willst  du  nachts?    Ich  spurte  deine  Unruhe. 

HENRIETTE: 
Er  schlafend,  ahnt  nichts. 

DUQUENOY: 
Willst  du  in  Zukunft  jede  Nacht  dein  Haus  durchirren 
und  uns  schrecken? 

HENRIETTE: 
Ich  will  nichts.    Mir  wird  getan. 

DUQUENOY: 
VerhangnisvoIIen  Zwangen  hast  du  von  Anfang  an  zu 
widerstehen.  Nicht  fur  dich  allein. 


;*-'•  v■;^w■*^•.^|p'*^5^'■ 


Io6  FUNFTER  AUFZUG 

HENRIETTE: 
Ich  widerstand,  opferte.  Erlaltete  in  Rauschen  vor  Ver- 
zweiflung,  Blitze  zerschmetterten  mich  im  Gluckszenit, 
und  ich  hielt  stand,  solange  Nachf  mich  deckte.  Ich 
fiirchte  Friihe  und  seinen  Blick,  wenn  er  im  Hellen 
nach  mir  greift.  Mein   Herz  geht  unter. 

DUQUENOY: 
Das  ist  Wahnsinn!    Du   willst   zur  Feindin   werden. 
Zwing  dein   Denken  und  traue   den   Lenden.    Pritfe 
nicht,  ob  du  gut  und  schlecht  —  ob  du  schon  bist. 

HENRIETTE: 
Ich  bin  nicht  AnstoB,  nur  Kelch,   in  den  sein   Korn 
fallt,  und  fiihle,  ich  beschmutze  es  wie  Kirchhof. 

DUQUENOY: 
Wie  sprichst  du? 

HENRIETTE:. 
Wahrheit,  Mutter. 

DUQUENOY: 
Du  bist  toll. 

HENRIETTE: 
Von  meinen  Wundem  und  von  meiner  Himmelfahrt. 
Jetzt  erst  bewege  ich   mich  aus  mir  und  stoBe  auf 
mich  zu. 

DUQUENOY: 
EXi  verdirbst  uns. 

HENRIETTE: 
IchmuB  zu  mir  und  meiner  Wahrheit,  nach  der  er  sich 
wund  stoBt  und  tastet.   MuB  aus  Liige  fliichten. 


FUNFTER  AUFZUG  107 

DUQUENOY: 

Ein  Tag  wird  kommen,  an  dem  fiber  alle  Gefahr  hin- 
aus  er  dir  gehort.  Ihn  warte  mit  Vernunft  ab. 

HENRIETTE: 

Ob  ich  vor  Schmerz  dann  noch  lebe?  Du  hast  mich 
fiber  Manner  belogen.  Sie  sind  nur  finster,  verdunkein 
wir  sie,  aber  glanzen,  sind  sie  fiber  uns. 

DUQUENOY: 

Wach  auf!  Ehi  traumst  im  Halbschlaf.  Gefahr  ist  sei- 
ches Schwarmen.  Ich  befehle  dir,  komm  zur  Vernunft. 
Geh  zurfick  zu  ihm.  Schnell!  Deine  Mutter  ist  alt, 
kampfmfide.  Sorge  auch  fur  sie!  Vielleicht  ist  er  wach. 
Lauf,  lauf!  Du  bist  schoner  als  Bagatellen,  die  dich 
in  der  Nacht  angstigen.  Gerade  bei  Tag  wirst  du 
fiber  Gespenster  lachen. 

Kehr  nicht  vor  der  letzten  Hecke  um,  laB  ihn  sich 
erst  noch  mehr  in  dich  verstricken;  leg  dich  ganz  fest 
um  seinen  Nacken  und  wirf  deinen  Schatten  fiber  ihn. 

Spiel  in  Gedanken  nicht  mit  dem,  was  noch  schoner 
ware  und  sei  ihm  nicht  zu  frfih  deutUch.  Bist  du  erst 
Dichts  als  rauschende  Muschel,  ist's  ihm  genuBreicher, 
als  jetzt  schon  ein  klarer,  und  sei's  der  echteste  Ton. 
Mannem  geht  in  der  Liebe  kein  Exempel  auf. 

(Sie  hat  sie  bis  zur  Treppe  zurOckgebracht) 

HENRIETTE: 
Horst  du? 

DUQUENOY: 
Nichts. 


y     ■^-:  ^.  ?*v^-^'^i:y-. 


1 08  FUNFTER  AUFZUG 

HENRIETTE: 
Nur  solange  er  keinen  Schimmer  der  Wahrheit  weiB, 
kann  ich  zu  mir  selbst  noch  auferstehen. 

DUQUENOY  (die  sle  die  Stufen  hinaufdrdngt): 
Liebt  er  dich  so,  wie  es  scheint,  ist  der  Augenblidc 
zu  sprechen  naher,  als  wir  glauben. 

HENRIETTE: 
Er  ist  da.  Noch  da.  Bald  aber  ist  es  zu  spat. 

DUQUENOY: 
Warum? 

HENRIETTE: 
Horst  du  nichts? 

DUQUENOY: 
Das  Wetter.  Lauf !  Sicher  ist  er  wach,  vermiBt  dich  — 

HENRIETTE: 
MuB  ich  ihn  wieder  besudein? 

DUQUENOY: 
Schweig!  Ich  dulde  das  nicht  mehr.  Ich  war's,  die 
anfangs  warnte.  Ich  woUte  ohne  GewiBheit  und  Vor- 
aussicht  den  Handel  nicht.  Doch  ich  wurde  gedrangt, 
zum  Einverstandnis  gestoBen.  Du  zuerst  schlugst  ein, 
Einen  Lebensrest  hangte  ich  mit  fiinfzig  Jahren  an  dein 
Schicksal.   Jetzt  haltst  du  aus. 

HENRIETTE: 
Eh  wir's  erwarten,  sind  wir  entdeckt  und  schrecklich 
vernichtet. 

DUQUENOY: 
Ehirch  wen? 


FUNFTER  AUFZUG  1 09 

HENRIETTE: 
Durch  sie,  Mutter. 

DUQUENOY: 
Geh  ins  Bett.    Traum  nicht  Unsinn. 

HENRIETTE: 

Wo  blieb  noch  ihr  Lohn?  Die  so  oft  verkiindete  Fan- 
fare? Wann  kommt  Triumph,  Donner  und  Blitz,  mit 
dem  sie  zuschlagt?  Komm!  Fort  vor  Morgen,  wenn 
ich  nicht  sprechen  darf.  Wir  finden  ein  Loch,  zu  ver- 
schwinden. 

DUQUENOY: 
Henriette ! 

HENRIETTE: 

GroBerer  Tod  ist's  doch,  wir  stoBen  uns  selbst  zu 
Scherben,  als  sie  wirft  uns  zum  Kehricht. 

DUQUENOY: 
So  komm  schnell! 

HENRIETTE: 
Nur  Mantel.   Fort! 

DUQUENOY: 
Wie  spat? 

HENRIETTE: 
Fast  sieben.    Schnell! 
(Sie  verschwinden  in  Duquenoys  Tdr,  die  aufbleibt.) 


ZWEITER  AUFTRITT 

Die  MARQUISE  (erscheint  vor  der  grofien  Glastur  des 
Hintergmnds  in  schwarzem  Mantel,  tritt  ein  and  bleibt 

im  Hintergrund). 

DUQUENOY   und    HENRIETTE   (treten  in  schwarzen 

Manteln    auf.     Jetzt  treffen    die   drei  Frauen    in   der 

BUhnenmiite  zusammen). 

HENRIETTE  (mit  Aufschrei): 
Zu  spat! 

MARQUISE: 
Wohin? 

DUQUENOY: 
In  unserm  Haus  fragen  wir:  woher? 

MARQUISE: 
Und  auch:  warum? 

HENRIETTE  (will  an  der  Marquise  vorbei). 

MARQUISE: 
Zu  spat! 


DRITTER  AUFTRITT 

MARQUIS  (erscheint  auf  dent  Treppenabsatz,ruftsuchend): 
Henriette  ? 

HENRIETTE  (will  mit  Gewalt  an  der  Marquise  vorbei 

die  sie  halt). 

MARQUISE: 
Halt,  Taubchen!  ff 

MARQUIS: 
Wer  spricht? 


FONF  TER  AUFZUG  III 

MARQUISE: 
Hauspolizei ! 

HENRIETTE   (sturzt  mit  so  darchdringendem,  langem 

Schrei  zu  Boden,   dafi  Kammermddchen    aus   der  Tur 

unter  dem  Treppenabsatz  zu  ihr  starzen). 

DUQUENOY  (jagt  in  eiliger  Flacht  zur  grofien  Glas- 

tiir  hinaus). 

MARQUIS  (mit  dem  Ruf): 
Henriette ! 

(Nach  unten  zu  ihr  und  zu  den  Madchen.) 
Zu  Bett!    Die  Marquise.    Schnell! 

MADCHEN    (tragen   Henriette   in   die   Tur  unter  den 

Treppenabsatz). 

MARQUISE  (macht,  als  der  Marquis,  Henrietten  folgend^ 
an  ihr  vorbei  will,  eine  ihn  haltende  Geste). 

MARQUIS: 

Was  ist,  Marquise  — ? 

MARQUISE: 
So  friih  am  lendemain? 

MARQUIS: 
Bedeutetder  Auftritt  —  ?! 

MARQUISE: 
Eines  Weibes  Staatsstreich.  Kurz:  ich  habe  eine  eilige 
Mitteilung  an  Sie,  Marquis:  die  Marquise  von  Arcis, 
zukiinftige  Mutter  Ihrer  Kinder,  die  Dame,  die  uns 
krank  verlieB,  war  auf  dem  Sprung,  mit  ihrer  Mutter 
zu  entfliehen. 


^  '/V  ».       . 


112  FUNFTER  AUFZUO 

MARQUIS: 
Was  heiBtdas?  Traumen  Sie? 

MARQUISE: 
Am  wenigsten  jetzt.    Sie  ahnen  jiicht  — ? 

MARQUIS: 
Reden  Sie! 

MARQUISE: 
Was    sie    trieb,    ins    barmherzige     Dunkel    zu    ver- 
schwinden  — ? 

MARQUIS  (packt  sie  beim  Handgelenk) : 
Reden  Sie! 

MARQUISE: 
Des  Gewissens  Furien.    Sie  und  die  famose  Alte. 

(Mit  grofiem  Blick  ihm  ins  Qesicht.) 
Denn  als  die  Marquise  von  Pommeraye,  die  alien  Be- 
gierden  eines  beispiellos  lasterhaften  Zeitalters  Ihrel- 
wegen  standgehalten,  von  purstem  Blut  und  lauterster 
Ehre,  Ihnen  eines  Tages  zur  Matresse  zu  schlecht 
war,  Sie  sich  die  Gattin  suchten,  um  in  hoheren  Ge- 
filden  zu  wandeln,  Ihre  Besonderheit  den  weiblichen 
Widerhall  woUte  und  land,  tauchte  Ihr  Fleisch  in  einer 
Dime  Eimer. 

MARQUIS  (schreit  aaf). 

MARQUISE: 
Henriette   Ehiquenoy,  unter  dem   Namen   Aisnon,   ein 
feiles  Pariser  Weib,  betrieb  geraume  Zeit,  bis  sie  Sie 
kannte,  ihr  Gewerbe  in  der  Liller  StraBe  14.     Nach- 
zuf  ragen ! 


FONFTER  AUFZUG  1 1 3 

MARQUIS  (schlagt  das  Tuch  der  Standarte,  bei  der  er 

steht,  liber  sich). 

MARQUISE  (mit  einem  Lachen): 

Gemein  war  meine  Rache;  doch  groB  und  vollstandig 
im  Sinn  meines  mir  von  Vorfahren  vererbten  Bluts. 
EHe  GewiBheit  hilft  mir,  einen  Rest  Zuneigung  zu  Ihnen 
noch  erwiirgen  (exit). 

MARQUIS  (entsturzt  seinem  Versteck,  eilt  durch  die 
grofie  Tdr  ihr,  sichtbar  bleibend,  nach,  taumelt  an  den 
Scheiben  bis  in  die  THroffnung  zurOck,  lacht  und  weint, 
dortfialt  suchend,  in  krampfhaften  ErschUttemngen.  StUrzt 
ploizlich   zu   einem  Waffenschautisch,  greifi  ein  PisioU 

das  er  ladt): 
Mich  —  sie  erst?    Grab,  Nacht,  Schwarzes  urn  mich! 
Verschwinde  Arcis. 

Erst  Schlimmeres :   Tod  der  Infamen! 

Bleib  gegipfelt,  Zeit,  tiirm  dich  noch,  bis  ich  am 
Ziel  bin  imd  mein  Herz  mit  ihrem  Leib  zerschlug. 
(Er  Iduft  gegen  die  THr,  weicht  aber  mit  den  Worten  wieder 

in  den  Vordergrund  der  Szene): 
Meine  Fliigel  brachen,  wie  eine  Amsel  fiel  ich  tot  auf 
den  Kirchhof.  Ehe  ich  ausholte,  stieB  sie  zu.   Erde,  die 
sie  verwischte,  verschiittete   auch   mich,  und  — 

(Mit  neuem  Entschlufi): 
Ich  muB! 


8 


"-  L  •-.•»'• 


VIERTER  AUFTRITT 

HENRIETTE  (steht  in  der  Tur.    Als  der  Marquis  gegen 
sie  die  Waffe  hebt,  breitet  sie  die  Arme  aus). 

MARQUIS  (lafit  die  Waffe  sinken,  hebt  sie  von  neuem 
and  wieder  sinkt  sie  herab). 

HENRIETTE  (die  ihm  fern  in  der  Diagonale  der  BUhne 
entgegensteht,  fdllt  in  beideKni^'  Einen  Augenblick  Stille): 
Herr,  warum  totest  du  mich  nicht,  reiBt  mich  mit 
Haaren  an  mein  Grab?  Ich  bliebe  still,  und  mein 
Blut  rinnt  hin  (auf  den  Kfiien  ndhert  sie  sich  einen  Schritt). 
Qualen  Sie  meine  Scham  vorher  und  besehen  des  Ge- 
wissens  Bluten,  ehe  ich  sterben  soil?  O,  machen  Sie 
dem  Reisch  ein  Ende,  das  sich  sehnt;  Seele  floh 
langst  nach  alien  Seiten. 

(Sie  kriecht  ndher.) 
Ein   Ende ! 

(Umschlingt  seine  Knie  mit  Hdnden.) 

MARQUIS  (stqpt  mit  dem  Fufi  nach  ihr): 
Fort! 

HENRIETTE  (stUrzt  mit  leisem  Schrei  voUig  zu  Boden). 

MARQUIS  (sieht  auf  die  Leblose  und  Iduft  plotzlich  von 
ihr  zur  Treppe  einige  Stufen  hinauf  dort  sagt  er): 

Aber  log  sie  denn?  Fragte  ich  sie  auch  nur  —  kam 
sie  zu  Wort?  Und  bat  ihr  Blick  nicht  immer  flehent- 
lich  —  ? 

(Erkehrt  am  und  ndhert  sich  ihr  bis  auf  ein  poor  Schritt.) 
Im  Schraubstock  der  aus  Rache  Verriickten  war  sie 
Werkzeug,  wie  ich,  auch  ohne  zu  wollen,  die  gehassige 
Wollust  einer  anderen  so  vollig  befriedigte,  daB  sie 


.J  :-:.- 


FUNFTER  AUFZUG  US 

von  hier  wie  eine  Triumph  wieherade  Stute  aufbrechen 
konnte. 

Und  noch  befriedige?  In  ihren  Ziigeln  weiterrase. 
Zwangslaufig  zu  ihrem  hoheren  Ergotzen  korrekt  den 
einen  morde  und  die  andere? 

Und  dazu  Arcis? 
(Er  wirft  die  Waffe  fort,   kniet  zu  der  Liegenden  hin, 

umfafit  sie  und  bettet  sie  auf  ein  Sofa.) 
Vierzig  Jahre  fiir  einen  fremden  Willen  gelebt? 

HENRIETTE  (schlagt  die  Augen  auf  und  bricht  in  Tranen 
auSy  denen  er  wortlos  zusiehtj. 

Es  scheint  —  o  Gott  — 

(Sie  weint.) 
Ihr  Abscheu  und  Entsetzen  hat  sich  besanftigt,  daB 
S^e  meinen  Anblick  ertragen. 

(Sie  weint.) 
Aber  nun  genug!  Fliehen  Sie,  ehe  von  neuem  Ver- 
zweiflung  hochkommt,  die  mich  in  Ihnen  ausloscht 
und  mir  nicht  Zeit  lafit,  zu  beweisen,  daB  ich  schuldig 
bin,  doch  nur  Todes  und  keiner  Verachtung.  Noch 
bin  ich  nicht  wiirdig,  daB  Sie  mir  nah  sind,  und  ich 
beschwore  Sie,  ubereilen  Sie  keine  Verzeihung.  Aber 
lassen  Sie  mir  Hoffnung,  Sie  wollen  mir  einst  vergeben. 

(Sie  weint.) 
Entfernen  Sie  sich  weit  von  mir,  geben  Sie  genau  auf 
meinen  "Wandel  acht  und  richten  Sie  erst,  wenn  Sie  mich 
kennen.  Ubergliicklich  will  ich  sein,  sind  Sie  mir  zu- 
weilen  gutig  und  lassen  mich  als  Ihre  letzte  Magd 
rufen.  Weisen  Sie  mir  des  Hauses  letzten  Winkel  als 
Wohnung  an,  sperren  Sie  mich  mit  elendester  Nah- 


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1 1 6  FONFTER  aufzug 

rung  dort  ein.  Konnte  ich  Namen  und  Titel,  den  man 
mich  zu  erschleichen  zwang,  abreiBen  und  dann  ster- 
ben,  es  soUte  augenblicklich  geschehen.  Schwachheit, 
Verfiihrung,  Drohungen  und  Gewalt,  ein  zu  geringes 
Selbstgefiihl,  haben  mich  zu  schandlicher  Tat  verleitet. 
Doch  glauben  Sie  nicht,  daB  ich  schlecht  bin.  Ich  bin 
es  nicht.  Wage  ich  doch,  die  Augen  noch  jetzt  zu 
Ihnen  aufzuschlagen  und  mit  Ihnen  zu  sprechen.  Ach, 
konnten  Sie  in  meinem  Herzen  lesen,  sehen,  wie  fremd 
mir  Sitten  und  Zicle  meinesgleichen  sind.  Verfuhrung 
hat  mein  Leben  befleckt,  nicht  meine  Seele  vergiftet. 
Noch  bin  ich  aus  meiner  Natur  der  Ehre,  die  Sie  mir 
antaten,  nicht  unwiirdig.  Hatte  es  bis  zuletzt  in  meiner 
Macht  gestanden,  Sie  unter  vier  Augen  zu  sprechen, 
ich  glaube,  ich  hatte  den  Mut  gefunden,  Sie  vor  dem 
Betrug  zu  warnen. 

MARQUIS  (ist  aufgestanden  und  hat  sich  von  ihr  ab- 

gewandi). 

HENRIETTE  (steht  auf): 
Aber  was  Sie  auch  iiber  mich  beschlossen  haben,  ich 
unterwerfe  mich  wilUg.  Lassen  Sie  mich  auf  die  StraBe 
werfen.  Verbannen  Sie  mich  an  die  Grenzen  der  Welt, 
in  ein  Kloster,  ins  Zuchthaus,  damit  Sie  mich  nicht 
mehr  zu  Gesicht  bekommen.  Ich  gehe,  Aber  Ihr  Gliick, 
Ihre  Ehre  ist  nicht  verloren,  denn  mit  meines  Herzens 
Bewilligung  diirfen  Sie  mich  mit  beispiellosen  Martem 
strafen  und  mit  meiner  nicht  zu  steigemden  Qual  der 
Welt  das  Schauspiel  einer  Rache  geben,  die  die  der 
Marquise  von  Pommeraye  armselig  scheinen  laBt. 
(Sie  ist  an  ihm  niedergesunken.) 


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FONFTER  AUFZUG  n/ 

MARQUIS  fnach  einem  Augenblick  tiefster  Stille): 
Stehen  Sie  auf.  Fremder  Wille  ist  endlich  aus  unserem 
Schicksal  getilgt.   Ich  aber  aus  eigenem  vermag  doch 
nichts,  als  Ihnen  zu  vergeben. 

Ich  habe  ja  auch,  ohne  wie  Sie  dazu  gezwungen 
gewesen  zu  sein,  unaufhorlich  und  mit  Ausdauer  tnein 
Leben  befleckt,  und  bekenne,  dafi  doch  erst  von  alien 
Frauen  auf  Erden  Sie  mir  stark  genug  das  Bediirfnis 
brachten,  neue  Lebensformen  anzunehmen,  die  bis  vor 
kurzem  mir  lacherlich  schienen  und  die  mich  jetzt  ganz 
gliicklich  machen. 

Und  dieses  Gliick  hat  auch  unter  der  Entdeckung 
nicht  gewankt,  Sie  sind  der  Engel  nicht,  den  ich  meinte, 
sondem  nur  eine  Frau  und  ein  Mensch,  der  wie  ich 
nicht  hochmiitig  ist  und  viel  auf  Erden  noch  zu  ler- 
hen  hat. 

--^x  Und  bin  in  ihn  —  und  das  ist  groBe  Schande,  die 
die  Ihre  wettmacht,  nicht  weniger  verliebt.  Stehen  Sie 
auf,  Gemahlin,  stehen  Sie  auf,  Frau  Marquise.  Sie 
sind,  wo  Sie  sind,  an  Ihrem  naturlichsten  Ort. 

HENRIET.TE  (die  sich  erhoben  hat,  ist  ihm  an  den  Hals 
geflogen.     Dann  will  sie  niederknien). 

MARQUIS  (verhindert  sie): 
Das  ist  nun  ganz  verkehrt,  nachdem  ich  gerade  aus 
innerer  Not  mich  vor  dir  beugte  und  bereit  bin,  es 
tausendmal  wieder  zu  tun. 

Nein,  neues  Leben  nun  und  uiisere  wirkliche  Hal- 
tung!  Ich  fange  zu  ahnen  an,  die  gute  Pommeraye, 
statt  sich  zu  rachen,  erwies  mir  meines  Lebens  groBten 
Dienst.   Gerade  bricht  der  neue  Tag  an!   Kleide  dich 


,.-    -    ^  ,    _     ■-.V^'Tfyj^jp^'^-i^^^R^^^^^^^^? 


ii8  FUNFTER  AUFZUG 

an,  liebe  Frau.  Man  wird  indessen  unsere  Koffer 
packen.  Wir  wollen  ein  wenig  aufs  Land  gehen  und 
da  und  anderswo  —  weiBt  du  denn,  wie  groB  und 
mannigfach  die  Welt  ist  — !  bleiben,  bis  wir  Menschen 
brauchen ! 

HENRIETTE  (liegt  ihm  wieder  in  Armen). 

MARQUIS: 

Und  ohne  anderen  etwas  nachzutragen,  fern  iiberhaupt 
von  Planen  und  Ideen  der  Welt  mit  sich  und  uns, 
wollen  wir  sehen,  was  an  uns  ist  und  was  wirklich 
bedeutet  — 

HENRIETTE   (ihre  Arme    um    seinen   Hals  sieht  ihn 

prufend  an): 
Jean  Gaspard  — 

MARQUIS^ 
Und   Henriette   von   Arcis! 


Ende. 


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