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JOHANNES SCHLAF
FRÜHLING
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LEIPZIG 1896
VERLAG KREISENDE RINGE
(MAX SPOHR)
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FRÜHLING
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— :5o^anne§ ©d^Iaf: „g^rü^Ung". SSerlag Äreifenbe
Sttnge. Seipjtg, 1896. — ^dö miü nid^t fagen, 3o^anne§ ©d^Iaf,
bisher nur befannt al§ Bannerträger be§ confequenten 9iaturali?=
ntu§, fei feinen alten ^a^nen untreu geroorben ; aber, unb bafür
bürgt mi^- fein neuefte§ fSud), er ift nid^t roic fo oiele feiner
einfügen UeberjeugungSgenoffen firengcr Dbferoanj in bcr ©arf=
gaffe bcr ©ro^ftobtpoefie ftedfen geblieben, fonbern ^at ä^nlid^ raie
fein bramatifc^er (JoUege Hauptmann glüdlid^ einen 2Iu§n)eg in
®otte§ freie '^flatux gefunben. „g^rü^Iing" l^at er mit SRed^t fein
S3ud^ überfd^rieben, roonnige g^rü|ling§Iüftc flutl^en burd^§ ®anje.
2)rau§cn im g^reicn l^at er'§ gebid^tet, ber Sänge nad^ auf bcm
SHüdfen liegenb unb mit l^albgefc^Ioffcnen Singen in ba§ tiefe,
blenbenbe ^lau l^ineinträumenb. Unb roer'ä genießen roiH, mu§
e§ aud^ roicber brausen im ^^reien Icfen: fo nur fommt man in
bie rid^tige Stimmung, um biefe unmittelbaren ©rgüffe eine§ über*
fprubeinben SJid^ter'^erjenS nad^erleben ju fönnen. 2Bie feber
roa^re 5Poet fd^aut unb empfinbet ©d^laf bie $J?atur al§ befeelte§,
perfönlid^eS SSefen, mit bem fein eigne§ ^d^ innig oerfd^miljt.
Gr umfaßt unb umarmt bie ganje Sßclt in feinen regellos ^in=
flut^enben SDtt^pramben, in benen ibt)llifd^e 35erfenfung in ben
Äel(^ bc§ tieinften S81ümlein§ roed^felt mit fd^iroungoDUem 5)3ans
tbei§ntu§ unb Tomantifd)bunEler S'iaturmgftif. ^s^ möd^te bem S3ud^
nid)t jum S3orrourf madien, ba§ ha unb bort nod) ber naturaliftifd^e
^ferbefu^ ^ertiorlugt, ba§ mani^e Silber forcitt unb ber ^uSbrucf
biSroeilen gar ju üerfdfiroommen unb abgeriffen ift — man fül^It
auf jeber ©eite, ba§ man e§ mit einer fraftüollen 2)id^terinbiDi=
bualität ju f^un f)at, unb menn nid^t SlßeS trügt, bebeutet ba§
neuefle SBetf be§ S3etfaffer§, ber mehrere ^al^re gefdimiegen ^at,
aud^ einen „^yrü^Iing" in feinem eigenen poetif^en ©cbaffen.
5B. ©döroeij^T.
JOHANNES SCHLAF
FRÜH LI NG
FP^
LEIPZIG 1896
VERLAG KREISENDE RINGE
(MAX SPOHR)
SEINEM LIEBEN FREUNDE
HANS HEILMANN
ZUGEEIGNET
Frühling
Draussen am Hinterdeich hab ich mein Dusel-
plätzchen.
Ein kleines Stündchen gehts durch die blüten-
durchwölkten Gärten, an Blumenbeeten, Gräben,
Wiesen und Feldern vorbei, und ich bin an Ort
und Stelle. •
Und dann lieg ich tief im Gras, in der hellen
Sonne, die Hände unterm Genick, und pfeife und
simuliere in den blauen Himmel und die milch- ,
weissen Frühlingswolken hinein. Blühender Weiss- /
dorn über mir. Der frische Wind drin und Bienen,
Hummeln, Fliegen und Schmetterlinge. In die
Länge und Breite dehnen sich vor mir die Wiesen
hell gegen dunkelgrüne Binsenstrecken hin zum Fluss
hinunter, wogen und gleissen mit smaragdenen Wellen.
Und in weiten Farben breitet sich roter Sauerampfer
dazwischen und lilaweisses Schaumkraut mit zierlichen
Dolden, gelbe Ranunkeln und Kuhblumen, und mit
I vwwfi/uau^.iHi. f-v-KX'H'iin /vapt^r- 4i^t'^ u*^^ yv/r^
lWtCfit4.K
8
feinem rauchigen Silberflimmer die tausend und
tausend Lichterchen der Butterblumen. I . :
Langsam, im Schritt weidend, tauchen Kühe
drüben auf dem andern Ufer aus dem frischgrünen,
lichtflinkernden Erlengehölz. Braune, schwarze und
gefleckte. Sie rupfen und brüllen. Und gemächlich
her bis gegen die blitzende stillgleitende Fläche.
Hoch aber aus dem weitgewölbten weisslichen Blau
die Lerchen, und Kibitze hinter mir auf den Wiesen-
breiten, Elstern und Raben. Kukuk, Staare und
Finken im Gehölz, und aus den tiefen grünen
Dämmerungen heraus die Nachtigall. '
Fern, weit vom Fluss herübergetragen, das
Tuten eines Dampfers und das Kreischen der Möven.
Hergetragen und verweht, aufjubelnd und
verebbend hundert und hundert Laute und Lieder;
und der herrliche, fröhliche Tumult der weiten
Farben: hell, verhauchend, nah und fern, gleissend
und sänftigend. '" I w^
Und die warme, helle Sonne. Die stille, stille
Sonne
I; Meiner Einsamkeit entgegen.
So lustig bin ich, so stillfröhlich, so zutäppisch
liebevoll wie ein Kind.
f j / (ß (f ' "j 19 ö" f ¥n
Mit jedem Pulsschlag, mit jedem Beben meines
Körpers, mit jeder Bewegnng liebkose ich die weit
und lustig gebreitete Welt. Und mich liebkosen
die Käfer, die Blumen und Bäume mit Summen
und Blüten und Laub, mit Farben und Düften und
hundert sanften Berührungen. Der leise Wind
durch Blätter und Gezweig liebkost mich, kühle
Schatten und helle, warme Lichter, blaue Fernen
und heitre Nähen, ziehende Wolken und Wellen.
Zwischen einem Getreidefeld und dem Erlen-
gebüsch eines Grabens schlendr' ich hin.
Hoch ragt eg_über mich hinauf, hinein in end-
los tiefe, klare Bläue. Lichtglänzendes Laub und
wogende, wellende Halme biegen sich zu mir her,
vor mir, hinter mir, zu beiden Seiten. Ganz, ganz
versunken bin ich in jungem, duftenden Grün; über
und über ist mein Kleid voll gelben Samenstaubes
und feinen Blütengeriesels,
Kühles, wogendes, anschmiegendes Schmeicheln.
Weite, weite jubelnde Bläue. Mückenspiel vor mir
her, und auf blinkendem Gekräusel stille, weisse
Blumen
Hier heg ich nun unter meinem Weissdorn,
spiele und wandle mich nach Herzenslust.
-- 10
Ich bin der alte Braak-Klaas. Bin über achtzig
Jahre alt. Weisshaarig, mit rosigem Gesicht und
hundert freundlichen Runzeln sitz ich vor meiner
Thür, Habe lange rote Strümpfe, schwarzbauschige
Kniehosen und eine hellblaue Weste an mit zwei
Reihen dicker Silberknöpfe. Starkknochig sind
meine Handgelenke, und lässig liegen meine braun-
runzligen Hände auf den Knien, breit, behaart,
mit dicken, knotigen Fingern und Adern. Ich sitze
vor meinem Haus und zwinkre unter weissen Brauen
in die sonnigen Apfelblüten hinein. . .
Hoch und langgestreckt mit goldiggrünen
iVIoosflecken hebt sich über mir das mächtige,
braunverwitterte Strohdach über der niedrigen
Backsteinwand mit ihren weissen Kirschblüten und
ihren Fensterchen breit in die blaue Klarheit. !
Die Vögel singen in meinem Garten und oben
im Nest um die Giebeldrachenköpfe herum klappert
der Storch bei der brütenden Storchmutter. Durch
die offene Halbthür, von der Diele, weht ein feines,
blaues Räuchlein vom Herd her in die warme,
sonnenzitternde Luft. Mächtige Eichenschränke
stehn da drin im kühlen Dunkel, zwei Jahrhunderte
alt, und massives, rauchverdunkeltes Gerät mit hell-
braunen, eingelegten Blumen und Vögeln, und rot-
bäckige Enkelkinder spielen auf dem glatten Estrich.
— 11 — ;,;- ■' :^V:r\-,m ■■'r — "
Drüben blinkert das Braak zwischen blühendem
Gebüsch durch. Ein Fischewer schwebt still vor-
über mit rotbraunem, weitgebauschten Segel, Ueber
blumenbunten Beeten flimmert die warme Luft und
der Flieder duftet, und überall arbeiten sie in den
Gärten.
Klug bin ich, schlau für zwölfe, mit meinen
blinzelnden, wasserblauen Aeugelchen, und meine
Gedanken sind geschwätzig und plaudern von meinen
achtzig Jahren, plaudern und nehmen Anteil, stillen,
spöttischen Anteil.
Mild bin ich, freundlich, zufrieden, klug und
hindämmernd müde
Und jetzt bin ich ein Kind.
In einem roten Leibchen sitze ich auf einem
Schubkarren, ganz eingewühlt in gelbe Blumen
unter weissen, tiefhängenden Blüten, kreische und
patsche mit dicken Aermchen. Und wieder still.
Staune und starre mit weiten klaren Augen in
tausend sonnige Wunder hinein. Erkenne wieder
und lerne zu. Und wie Staunen, Lust, Furcht und
Begier wunderlich aus mir herausstammeln, w^ächst
leise, leise in mir eine goldigfrische Welt; knospet
und treibt und will blühen. i-
>,
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— 12 —
Von tausendfarbigen Hoffnungen jauchzt, braust,
leuchtet und umduftet mich die weite Welt, und
die blau verhauchenden Fernen locken in unschuldiger,
reiner, frühlingsfrischer Pracht, locken so fern, so weit,
so wunderbar
Tiefer den Kopf ins Gras zurück.
Nun macht mich mein begehrender, ahnender
Sinn kleiner und immer kleiner, und nun bin ich
winzig, ganz ganz winzig klein.
Ich habe ein goldgrünes Röckchen auf einem
runden, festen, geschmeidigen Körperchen, tripple
mit sechs flinken Beinchen und habe zwei Aeugelchen
wie rote Rubinen, zwei scharfe, feine Aeugelchen.
Schlüpfe, schmiege, winde mich durch eine wunder-
liche, üppig verschlungene Endlosigkeit, wandere
und weile, und wandere wieder, emsig, rastlos. '
Von hier bis zum Fluss hinunter sind nun viele,
viele ]\ [eilen, und da unten ist ein Meer, ein unab-
sehbares, strahlendes Meer. . ,'■
Ich wandre und wandre, raste mit atemlosen
Staunen, und wandre wieder, schaue und staune.
Jetzt bin ich tief, tief unten in einem feuchten,
braunen Dunkel. Da ist ein millionenfältiges Gewirr
von P'ormen, Farben und Körpern. Da spreizt sich
.1
— 13 —
in dicken, dichten Ranken härenes Gekrissel, da
filzt es sich über- und durcheinander mit MiUiarden
von Spitzchen und Hälmchen, von Blättchen, Knösp-
chen und Blüten. Millionen mächtiger Stämme im
dichten Beieinander streben draus empor. Grosse,
rote Würmer schlingen sich zwischen ihnen hin,
und es kribbelt, und schlüpft und kriecht und
schmiegt sich, zirpt, singt, pfeift und raschelt in
einer Welt von Tönen, die noch nie mein vordem
ungefüges Menschenohr vernommen hat, von Formen
und Körpern, dunkel und bunt, wie sie nie mein
Menschenauge sehen konnte. Die seh ich alle mit
meinen feinen, roten Aeugelchen, und höre sie mit
einem scharfen, unendlich scharfen Gehör, und
nehme dasalles wahr mit zarten Sinnen.
Da glimmt Feuchte in feinen Perlchen, und
in ihnen lebt das durchsichtige Getümmel neuer
Welten in heimlicher Irispracht. Da dehnt es zarte
Körperwände und zieht sie zurück. Da rinnt es
zusammen, w^ächst und teilt sich. Da keimt es und
bildet sichs , verschlingt und wehrt sichs im unend-
lichen Wechsel, im ewigen Hin und Wieder.
Und aus tiefstem braunen Dämmer streb ich
hinauf am Schaft eines Grases, das nun ein Baum
ist, ein mächtiger Baum, und strebe einem Schimmer
nach, einem Glanz en^tgegen.
14 —
Ich fühle, wie es unter mir dadrinnen sich dehnt
und mehrt, wie es rauscht von Säften und gährt
mit freudigem, sehnenden Wachstum. Und nun teilt
sich der Schaft in breite, langgespreizte Halme, und
sie wieder mischen sich in ein milliardenfältiges,
lichtgrünes Gewirr im ewigen Wechsel schwanken-
der Biegungen. Millionen mächtiger Diamanten an-
einander hingereiht in gleissender Pracht an den
Rändern langgestreckter Stengelblätter. Flinkem
und Leuchten silbriger Härchen, Lustiges Getier
dazwischen mit tausend Tönen und Farben, mit
Zirpen, Summen, Schrillen und Jauchzen, mif schwir-
render Flügelpracht.
Lichter wird es nun und lichter. In einem
sanften Biegen und Wiegen bin ich. Da seh ich
die unerhörte Schönheit riesiger, leuchtender Farben-
wunder gegen ein unendliches, laut, laut jubelndes
Blau. Mächtige, silberweisse Sterne schaukeln da
oben mit blitzenden Schwingungen auf schlanken,
rauchflaumigen Stielen. Ich sehe runden Silber-
rauch, der sich um weissgrüne Kelchknöpfe ballt.
Und blendend goldene grosse und kleine Sterne.
Sanftgewiegte, still strahlende, fröhlich blitzende
Wunder. Unzählige blaue, lilaweisse, rote, violette,
tausendfarbige Kelch- und Glockenpracht, gezackt,
beperlt, bewimpert, glatt, mit feinem Netzwerk bunter
i^:
15
Aederchen, im dicht und weit geregelten Beieinander
an schlanken und dicken runden Stengeln hinauf.
Buntes, süss verwirrendes Gekrissel von Grasdolden
und die tiefglühende, breitentfaltete Pracht des
roten Mohns.
Und höher, immer immer höher!
Auf dem goldenen Kelchknopf eines riesigen,
silberleuchtenden Sternes sitz ich, oben, hoch oben
auf dem höchsten Wipfel, und schaukle mit selig däm-
mernden Sinnen, betäubt von Duft, Licht und dem
weiten, unendlichenTEinklang holden Getöns. Bunte,
breitentfaltete Schwingenpracht gleisst über mir und
an mir hin, rastet, bebt, glänzt, leuchtet auf herr-
lichen Blütenwundern, surrt und tönt in berauschen-
den, taumelnden Tänzen hinein in die warme, lichte
Unendlichkeit. Jauchzende, kreischende, glockenklar
süsse, brüllende, wiehernde, zwitschernde, millionen-
stimmige Lust. :: .
Und süsse, warme Kraft in den Muskeln meiner
Schwingen und bebende, sehnende Lust in meinem
Leib. Und auf, hoch hoch hinauf in Wärme,
Lichtflut, Glanz und Farbe. Und von mir geht
ein Tönen aus, ein feines, wunderliclies Tönen ....
16
Jetzt hab ich einen Schilfhalm herausgezogen
und bin nun Wissbegier, ganz Wissbegier und er-
kenne. . ; :;l
Hier ist ein langes, faltendes, blaugrünes Blatt.
Und hier unter ihm ein zarteres mit einem helleren
Grün. Und Blatt schäl ich von Blatt und Hülle
von Hülle. So, und nun weiss ich eine grosse, stolze
Weisheit: Blatt schliesst sich um Blatt und Hülle
um Hülle in alle Unendlichkeit hinein.
Ach, ich muss lachen, lachen!
Ich sehe einen schnurrigen alten Herrn mit
einer mächtigen Brille auf einer langen, spitzen Nase.
Er sieht aus wie ein ururalter Chinesengreis. Sein
Kopf ist wie ein Totenschädel, über den sich eine
vergilbte, unendlich faltige Haut spannt. Er hat
einen breiten mokanten Mund mit einer hochmütigen,
ewig spöttisch-dummen Unterlippe und wasserblaue,
neunmalkluge Aeugelchen. Der kann die wunder-
schönsten Kunststücke aus lauter Normen, Regeln
und Regelchen, Gesetzen und Gesetzchen zusammen-
bauen. Ein so kluges Wirrwarr, dass einem die
Augen übergehen vor lauter lauter Staunen. Und
mit seinen alten Beinchen versteht er sich auf den
Eiertanz wie kein zweiter.
Ach — jetzt! hier! wie ungeheuer, ungeheuer
spasshaft der alte Würdetaper ist!
17
O, da unten zwischen feuchter, bröckelnder
Krume schlingt sich durch das schwarze Dunkel
ein blöder Wurm; und hier liegt ein zweibeiniges
Tier, das spintisiert und klebt mit seinem Wollen
und Entschliessen an allerlei Gedankenleim fest.
Weit, weit da hinten aber blauen ferne Berge. Und
dort, auf dem höchsten Gipfel, auf der höchsten
Wipfelspitze der höchsten Kiefer, da zwitschert und
zirpt eine kleine Meise, und w^enn sie will, so fliegt
sie weit, weit in die blaue Himmelsfreiheit hinein ....
Jetzt will ich. Und will ein Prophet sein,
ein Seher.
Die Blumen blühen, die Bäume rauschen, die
Wasser plätschern, die Vögel singen und der Himmel
blaut mir durch die w^eite, reifende Mittagsstille
Offenbarungen, und das endlose Beieinander und
Ineinander aller Wesen leuchtet mir eine Offenbarung.
'Ich stammle Verheissungen , die sich erfüllen:
>
jetzt, morgen, in hundert, in tausend oder in hundert-
tausend Jähren, hier, dort, irgendwo; die Wirklich-
keit sind und sich erfüllt haben, jetzt, gestern, vor
hundert, vor tausend oder hunderttausend Jahren,
hier, dort, irgendwo
Schlaf, Frühlingf. 2
— 18 —
Alles, alles ist eine einzige, grosse, fröhliche
Einheit und alles Lebendige eine einzige, grosse
Familie.
Der Andre? Die Andre? Ist es nicht immer
derselbe und ist es nicht immer dieselbe? Jeder für
Jeden, Alle für Alle, Alles für Alle und Alles?
Trug ist Leid und Hass, Trug ist Trennung
und Selbstqual, und Lüge ist die ewige Vernichtung,
ein neckisches Spiel zuhöchst, ein bunter Traum, der
einen, unendlichen Ruhe, die alles ist und in der
alles beschlossen ist . . .
Dort drüben, im fernen, weissen Sonnendunst,
breitet sich das Dorf. f v
Hinter breit gewipfelten, dunkelgrünen Linden
hervor verschimmert die Kirchturmhaube mit ihrem
hellblauen Schiefer spitz und gleissend in den
gleissenden Himmel. I>anggedehnt das rote Kirch-
dach, und die braunen Dächer lugen mit Giebelputz
und Storchnestern aus weissen Blüten wölken. < ..
.^■,: Eng, gedrückt, so zieht es sich lang durch
das weite Marschland hin.
'. AV^ärme, Summen und blendende Farben.
Schweigen. Lichtes, schwüles Schweigen.
Und der weite, weisse Dunst wogt und flirrt
— 19 —
durch die heissen Höhen bis tief über Wiesen, Felder
und flinkernde Wasser gegen mich her.
Ein Tönen hör ich und ein heimhches, tiefes
Summen.
Ferner, ferner Orgelton und Gesang der
Gemeinde. > o: »i ; /-
Wechselnd, wellend, auf und ab, hin und wieder,
im Bann eines feierlichen, getragenen Rhythmus.
Eine Sehnsucht hör ich in ihm, eine stille, nieder-
gezwängte Sehnsucht.
Das ist die Sehnsucht nach Gott, nach dir,
nach dir ...
Und ich bin traurig, traurig ...
■■Eingezwängt bin ich in zehn „Du sollst!"; in
hundert, in tausend „Du sollst!" . . .
;: ; Traurig bin ich, traurig, traurig ..... ■ v
Und aus dem weiten, schwülen Brüten kommt
ein Brüllen, ein langgedehntes, schmerzliches Brüllen.
Eine Kuh drüben bei den Erlen.
Bis an ihren weissen Bauch steht sie in dem
hohen, schimmernden Gras. Sie hat den breiten
Hals starr vorgereckt und wie geängstigt stieren
ihre grossen, dunklen Augen.
Ich bin zusammengefahren.
' 2*
20
Wie ein Sehnsuchtsschrei, irgendwoher, aus
einem niederen, zwängenden, dumpfen Leid. '
Und die weite Schwüle nimmt mich hin, um-
spinnt mich, umspinnt mich dicht mit einem trüben,
dumpfen Brüten, mit einem tiefen, tiefen Grauen.
Unsinn! j ; ;
Wie herrlich glüht hier die Nelke. Und die
gelbe Königskerze hier: wie aus Gold, aus lautrem
glänzenden Gold.
Wandern ! Wandern !
Neulich der Spaziergang. Da waren zwei Enten,
schnatterten zwei schneeweisse, prächtige Enten unten
im Thal im hellen Bergbach. Und ein Spitz mit
■ fröhlichem Gebell gegen mich her. Und über
Stackete unzählige Rosen in entfalteter Pracht.
Und wie schön das Dorf aus den wogenden, reifen-
den Getreidebreiten hervor. Schwalben an mir hin,
dicht an mir hin, als ich rastete, dass ich das feine
Wehen ihres Flügelschlags spürte.
Ich weiss, ich sang und schwatzte vor mich
hin, ich weiss nicht was. Aber in mir war eine
himmelweite Seligkeit und ein einziger, stiller
Friede " . /.I
Lachen, lachen, lachen kann ich wieder, jauchzen,
brüllen vor trotziger Lust am Leid, und mein heller
Lebenswille geht von mir aus mit einem tiefen,
im^-
■ — 21 —
befreienden Atem, und durch Laub und Gräser
geht ein heimliches, fröhliches, neckendes Flüstern,
weht kühl über meine Stirn und weiter über die
Breiten hin, und ich atme es ein, tief in mich hinein
wie einen süssen, geliebten Atemzug.
Lust am Leid, wilde, wild unbändige, frucht-
bare Lust am Leid, Aufatmen und helles, klares,
sonnenhelles Gestalten aus wilder Leidlust . . . . ,
Nun bin ich wieder bei Laune.
So! — Jetzt lieg ich auf dem Bauch, die Deich-
böschung hinauf, lege mein Skizzenbuch vor mich
hin und zeichne, was mir gerade in den Sinn kommt,
allerlei Karrikaturen.
Und nun beseh ich mir, was ich gezeichnet
habe, und blättre und sehe, was ich vor Tagen
zeichnete.
Da ist ein altes , nacktes , schwammiges Weib,
unsagbar hässlich, neulich mal im Anfall einer bösen
Laune hingekritzelt. Ich betrachte es mit lustig ge-
kniffenen Augen und summe allerlei Uebermut.
Die Sonne liegt grell auf dem Papier und lässt,
wenn ich etwas von der Seite drauf niedersehe, die
Konturen in leisen Irisfarben schillern. Ein Käferchen
knistert drüber weg, macht Halt, biegt seine Fühlerchen,
— 22
putzt sich den Hinterleib und trippelt weiter. Weisse,
gekrümmte Blütenblättchen treibt ein Lufthauch von
dem Weissdorn über mir herab. Sie liegen blendend
silberhell auf dem Papier wie auf mattem Goldgrund.
Der alte, gute, regenbogenschillernde Fettwanst.
Sachte, sachte, mit viel Sorgfalt bringe ich ihm
jetzt zwei zarte Elfenflügelchen an den Schulter-
wampen an. Die Sonnenstrahlen tuschen sie mit
Farben meinem Stifte nach.
Auch sie gut! — Alles, alles gut!
Und ich blättre weiter. ' l
Da ist ein Geck. Mit einem winzigen Hütchen,
weitem Jaquet und Sackhosen. I
Wie unbändig schön! j
Auch er bekommt die beiden Flügelchen.
Und hier ein Betrunkener. Sein Taumeln ist
ein Tanz, ein schöner Rhythmus. [
Hier ist ein Weib, das ich bei einer Hausthür
kauern sah. Zerlumpt, vergrämt, stumpf, schmutzig.
Die Arme!
Ein mächtiges Mitleid überkommt mich.
Aber ich lache und weiss, irgendwie w^irkt es
in die Ferne und tröstet sie und macht sie lachen.
Ihr Abbild aber hier, das ist nun schön, so schön
wie die strahlendste Schönheit, die je gebildet wurde,
die je in Fleisch und Bein einhergewandelt ist. »
— 23 —
Und hier ist eine Dirne, gezeichnet wie sie mit
schwankendem , hüftenschaukelnden Gang, in Nacht
und Wetter, an flackernden Laternen vorbei, sich
an den dunklen Häusern entlang drückt. Sie wird
gescholten und missachtet. Aber einmal , als ich
bei ihr war oben in ihrer armen Spelunke, als ich
sie in hingegebener, mitleidiger Liebe küssen konnte,
da wurde ihr müdes stumpfes Herz lebendig und
blühte mir entgegen wie ein schöner Frühling. Und
in dieser Erinnerung nun ist sie mir so rein und
adlig wie die reinste Jungfrau, und blüht in Schön-
heit und Würde
O überall, überall seh ich heimlich eine schöne,
verjüngte P'riedenswelt. Und ein Nahen spür ich,
ein Nahen .....
Gesang, Fröhlichkeit, unbändiges, unsterbliches
Gelächter, Wein und goldenes Bechertönen, und
Liebe, Liebe, Liebe! ..... ; ..
Der Länge nach lieg ich auf dem Rücken und
lächele mit halbgeschlossenen Augen in das tiefe,
blendende Blau hinein.
Nah und fern hör ich eine Musik.
Durch das Gesumme der Bienen und Hummeln,
durch das Wispern der Gräser und Binsen, durch
— 24 —
das heimliche, verlorene Plätschern blinkenden Ge-
kräuseis, aus den tausend Stimmen der Vögel,
zwischen den rauschenden Büschen.
Sie lebt in dem Gebrüll der Kühe, in den
zierlichen Schwunglinien glänj;ender Pferdeleiber,
wie sie grasen; in dem Muskelspiel ihrer prächtigen
Formen, wie sie dort gemächlich schreiten, oder
schnell, mit mutwilligen Sprüngen hineilen durch
das hohe, blumenüberragte Gras. Sie flirrt und
flimmert und wellt in zierlichen Schwingungen^
•durch die blauen Lüfl;e, wogt und schwirrt und
schwingt wie feine Metallsaiten iq^ dem Spiel der
Insekten. ^ i
In unendlichen Farben, Formen, Tönen ein
einziges Lied, ein einziger, einender, mächtiger .
Rhythmus; ein gewaltiger Einklang.
Jauchzt, jubelt, flötet, klagt, braust.
Kommt aus lichtdämmernden, gleissendenWeiten,
wird off^enbat, süss, schaurig, freundlich in den Nähen,
verklingt in den Fernen. . |
Und ich: hingenommen in ihn, sein Wieder-
klang, ganz ganz sein Wiederklang für eine Minute
der Verlorenheit ^ '
Suchen, Haben und Verlieren, und wieder Suchen,
Halten und Verlieren. Immer wieder und wieder
und immer von neuem.
: - ■ ■ — 25 —
Das ist das Leben. Das ist alles Schicksal
und aus diesem einen werden alle Leiden und
Lieder.
Eine Musik hör ich, nah und fern. Einen ein-
zigen, millionenstimmigen Akkord: das ist das Lied
der Kraft, Das ist die Kraft.
Wer versteht es? Wer kann .es wiedertönen
lassen aus einer reinen, unverzagten Seele?
Ich will nichts als liegen und lauschen und
immer lauschen, und lauschen und stammeln wie
ein Kind , hingegeben in Ehrfurcht , in Lust und
Jubel, in Schreck, in Furcht und Grauen und njit
kindlichem Vertrauen wiederkehren und immer,
immer wiederkehren .....
* . , * ■
Ich sehe in den Kelch einer Winde, in den
flachen, süss duftenden Kelch einer Winde hinein.
Und wie ich ihn betrachte, blicke ich mit weiten,
wild erschauernden Augen in einen Abgrund der
Erkenntnis.
Es ist eine einzige, grosse unendliche Ruhe
und Einheit, die sich durch die unerm esslichen
— 26 —
Stufen des Lebendigen sucht und verliert, ewig
sucht und ewig verhert und doch sich ewig hat in
der Liebe und als Liebe. - j .
Leben! Urbeginn! '
Hinauf, hinauf mit sehnendem , allmächtigen
Drange in Milliarden von verschlungenen Lebens-
wellen, die ansteigen und verrinnen, und mit immer
neu verjüngter Inbrunst mächtiger und mächtiger
dem Licht entgegen, dem Licht . i
Es faltete sich auseinander in die Unendlichkeit
der Formen und Farben, in immer mächtiger,
sehnender kreisenden Schwingungen, durch die
Weltenalter und Zeitmillionen unbegreiflichen und
ungeahnten Klarheiten entgegen, im Auf und Nieder,
im Hin und Wider, im Werden und Vergehen .'. .
Es wurde zu gewaltigen, ungeheuren Körpern
und brüllte und jauchzte seine Inbrunst den Un-
bekannten zu, suchend suchend suchend, und streckte
sich, sich selbst zum Untergang und Leid, mit neuen,
immer neuen, immer sehnenderen Sinnen dem Un-
begreiflichen entgegen. Und es bebte hinein in
den dunklen Kreislauf der Kraft mit dem Worte
des Menschen, dem armen, zitternden, eben er-
wachenden < , i
Das Wort" aber, das erwachende, erstarkende
Wort zwang das Verstreute zusammen, dass es ge-
^ — 27 — /
■ " . ....... >..<^^ ^.
eint sich in die Mannigfaltigkeit unzähliger neuer
Ä Triebe und' Kräfte spalte.
Ich träume und träume, und tief, tief lausche
ich in mich hinein. Wie ein heimliches, staunendes . v
* Lauschen ist es in mir, wie ein stille treibendes, : '
keimendes, aufblühendes Werden hellerer Augen, '*
als die sich aus dem blöden Farbfieck jenes Urtiers
■* entwickelten.
Nur noch eine dünne, dünne Scheide zwischen
uns "und einer neu erweiterten Welt neuer Wunder.
^ Entgegen, entgegen der Klarheit hellerer Sinne
•Frühling! Frühling! Ewiger Frühling! Licht,
das sich entflammt, hinein, hinein in ewig weichendes
^ Dunkel!
Hier, hier, "in mir', dort, irgendwo krümmt es
sich in süsser, banger Werdequal in nun schlechter
* : Hülle neuen Wundern neuer Offenbarungen entgegen.
Sonne! Sonne! Sonne!
' Meine Blicke haften in dem weiten Blau, mit
Sehnsucht, mit Sehnsucht
Und nun - — nun bin ich ein goldlichtes Wesen.
Breites Silbergefieder spriesst aus meinen schimmern-
I den Schultern und heisses, goldenes Sonnenblut
vt*«^44y%4^y!^''iiH^li'h^ US4fihmt ■
28
braust durch meine Adern, und ich rausche empor,
empor, empor
Eine Musik fern und nah.
Und nun in mir ein Wort^ geboren aus Licht
und Getön; es bebt mir im Ohr wie ein tiefer^ voller
Glockenton, irgendwoher. Aus einer Nähe, aus
einer mystischen Nähe. !
Ich kann sie nicht sehen vor lauter Licht.
Nur meine Sehnsucht, meine Sehnsucht ist ihrer
teilhaftig.
Ein Wort
In mir ist ein Auge, und das sieht durch dieses
Wort eine Welt. j
Sie schwebt her zu mir mit webenden, gleitenden,
leuchtenden Formen, naht und vollendet sich, mehr
und mehr und immer mehr. [
■ ' ■ f r
Freiland! Freiland!
Lauter Jubel ist in mir; lauter, laut aulQauchzender
unbändiger Jubel! ' ,
Freiland! Freiland! |
Und nun wieder still, still, und ich lächle
und sehe. i
Durch einen grauen Dämmer muss ich und
durch alle Fährlichkeiten der sieben Berge, vorüber
— 29 —
an Drachen und Gewürm, an Riesen und Hunden
mit feurigen Augen, gross wie Wagenräder, und
über gefährliches Zaubergelände mit Fiebermoor und
grossen , schwülen Blumen , zwischen denen böse,
schöne Fabelwesen hausen und irre Lichter schweben,
bis ich zu einem Walde komme; da wird es still.
Da rauscht und leuchtet buntes Gefieder zwischen
dunklen, dichten Wipfeln, da huschen Sonnenstrahlen
in träumerischer, neckender Verlorenheit, da spriessen
heimlich wunderbare Blumen, und da wogen kost-
bare Düfte seltener Kräuter über helle Wiesen zu
mir her, und wie im Traum geh ich durch milde,
heimliche Märchenlichter.
Da klingen aus blauen, sonnenzitternden Dämme-
rungen glockenreine Melodien, und zierliches Getier
schlüpft durch Gras und Laub und blickt mich an
mit zutraulichen, Jclugen Augen.
Und wie ich so auf stillen Waldpfaden hin-
wandre durch streichelndes Laub und schmeichelnde
Lüfte, über blumige Wiesen, und mehr und mehr
der Lärm der Welt hinter mir erstirbt, da komme
ich zu einer hohen, hohen Mauer, die dehnt sich
weithin durch die finstren Schauer himmelanrauschen-
der Edeltannen. So weit ich blicken kann, klettert
dunkler Epheu hinauf und Teufelszwirn ballt sich
hernieder in graugrünen Dunstwolken, und dazwischen
u^müu lu^ zufi^Aim u»j^fiGm.Cmmf&Mlf'/^
— 30 —
weit, weithin entfacht mit freundlichen Lichtern un-
zähhge Blüten von Dornrosen. cft-yift^'^^^^^^'*
Aber da ich ein Sonntagskind und ein Berufener ^♦•>'^>**^^J*^
bin, weicht das Dickicht willig vor meinen Schritten, '»tW<W/.
und eine Pforte thut sich auf und sicher und mühe- ■*
los schreite ich durch das dicke, trotzige Mauerwerk.
- ■ ' i ' ■ - "
Dann bin ich in einer andren Welt. ' ,
Heller scheint hier die Sonne und heimlicher '
sind die Schatten, klarer die stillen Wasser und
fröhlicher das Geriesel lebendiger Bäche, grüner
die Wiesen und Hügel. jMächtiger gipfeln sich hier ^
die Wälder in die Wolken; mit heisseren Farben
imd Düften glühen die Blumen, üppiger und immer
üppiger spreizen Pflanzen und Kräuter seltsame ■'
Blätter, und in tieferen Farben brennen bei Auf-
und Niedergang die Himmelsbreiten. Grosse, schöne
Menschen haben sich hier zusammengefunden, ge-
schwisterlich, ein König jeder in Freiheit und in
der Seligkeit weltfernen Glückes. j
Kräftiger ist das Mark in ihren Knochen, und
freier strahlt ihr Blick der Welt entgegen, und wie , ,
der Blitz folgt dem Gedanken die That. Geeint
leben sie in Freiheit; nicht mit der zagen, feigen,
schielenden Neigung der Anderen, die sich ärmlich ;.
und ängstlich und selbst misstrauend zwischen Ge- . ." v
setzen und Normen hinfristet. .
^^äUJC
■ ■ ,' , — 31 — ■ . .--v;.',/-
In ewigen Sommertagen leben sie hin, in Festen,
himmelanjauchzenden, herrlichen Gleichnissen, wie das
Leben treibt und glüht, wie die Lebenssäfte mächtig
durch die Adern der Welt brausen und der blöde
Staub sich mit der tausendfältigen Pracht berückender
Gebilde in die blaugebreiteten Unendlichkeiten
faltet
Weite, lichte Nacht. Warme, blühende, duftende
Sommernacht mit der endlos gebreiteten Pracht der
Gestirne. .
Tausend Lieder irren unter dem hellen ]\Iond
aus Blütenwolken und Laubdämmerungen und
Still! Still!
^ Eine Alusik hör ich, nah und fern, in allen
Nähen und Weiten, einen einzigen millionenstimmigen
Akkord. Das ist das Lied der Kraft, Das ist
die Kraft. Das bist du, das bin ich, das ist alles,
alles, und die Kraft, die einzige, einige, eine. Und
aus ihrem Wandel und Wechsel tönt es mit neuer,
ungestümer Lebenslust, das alte, wildfreudige Zorn-
wort: Qa ira! Ca ira! . . . .
Und andre Weisen hör ich nun. Alte, uralte
Lieder. Und doch neu, immer wieder neu und
ewig neu.
/ly.-i
32
jfidl^^
m-*^'
\
Und alle das eine: Du, und das Lied von Dir.
Und so ist sein Text: i i
Die Sonne und alle Gestirne: dein Blick.
Strahlend, leuchtend, sehnend, helllachend, freund-
lich, klar, mild, schelmisch verhüllt. Und die Blumen:
der Duft deines Körpers. Die ganze, weite Erde:
das ist dein Leib. Und das goldige Lebenslicht
über den Breiten ist die Wärme deines Leibes,
und die milde Luft, weiches Moos und Gras sind
seine schmeichelnde, süsse Weichheit. Graswogen
und alle die vielen, vielen, unendlichen Bewegungen :
so gehst du, und so ist das Wogen und Wiegen
deiner Glieder. L'nd wie es singt und flötet und
zwitschert und jauchzt: das ist deine Stimme. '
Ueberall, überall bist du und nur du, und nichts
ist ohne dich und nichts ausser dir. Alles ist dein
Bild und dein Gleichnis. ■
Du bist das liebe Alädel , das mich neulich er-
freute. Du bist heute blond, morgen schwarz, über-
morgen braun, bist Mann und Weib, Kind und
Tier, alles, alles '
Wie könnt ich deiner jemals überdrüssig werden?
Lnmer und immer wechselst du und erfreust mit
tausend wechselnden Gestalten mein liebes, ver-
änderliches Herz. I
Und du, du bist in Lust und Pein das drängende,
treibende, nimmerrastende Leben hier hinter dieser ;'-
jl dünnen Grenze meines Körpers, die nur ein necken- ; ;.
der, spielender Schein ist zwischen mir und dir.
Das sind die Lieder, die alten uralten, immer
^ neuen Lieder, das eine, einzige, das Lied von Dir ... " ^ ;
*
Mein Kopf liegt an deiner Brust.
LTnd du, goldig, licht, jung, beugst dich über
mich.
Mit deiner linden Hand träufelst du mir Helio-
trop auf die Stirn. Ich atme den süssen Duft und
deinen Atem, der süsser ist als er.
Mein Gesicht fühlt deinen Herzschlag, deinen
ruhigen, ruhigen Herzschlag.
Und Auge in Auge, tiefer immer, versinkender.
Leise, leise hernieder zu mir, und leise, leise
ich hinauf zu dir. Du lächelst, biegst den Kopf
hintüber, und deine Hände drücken sich schwach
gegen meine Brust mit schelmischem Drängen.
Und nun : Lippe an Lippe. Lange . ....
Zwischen halbgeschlossenen Lidern dunkelt dein
Blick. Und nichts ist als sein Glanz und eine
süsse Wärme von dir zu mir.
Frieden. Und aus ihm Kraft, Gedanken, Ent-
schlaf, Frühling-. 3
4/llfi^i^ä^^MMii'mk
34 —
hi<Mfi
■zio^'
Schlüsse, lichter, immer lichter, kühner und kühner,
und Erkenntnisse . . . ?^.
Ein Jubel ist in mir, ein ungeduldiger Jubel,
der hinauf will, hinauf, bis in den siebenten Himmel
hinauf!
Was ich hier träume und denke und dichte,
das ist nicht mein Verdienst und nicht meine Schuld.
Das ist das goldige, flammende Rund da oben, das
sind die Blumen, die mich umblühen, die Vögel, die
mich singend umschweben, Halme und Laub, die
mich umrauschen, die Menschen nah und fern, du.
Alles, alles ist dein Verdienst, und wie ich mit
dir eins bin, so ist es erst auch meins.
Sind wir denn getrennt: du und ich?
Nicht hier, nicht jetzt. Jetzt, hier sind wir ge-
eint in einem einzigen, weiten, stillen Frieden. Hier
sind wir Blume und Baum und Gras, heller Himmel
und goldiges Kornwogen, Farben und Vogellied, ;
hier blühst und singst und levichtest du in mir. und \
ich in dir. Hier bin ich frei
Wir beide, wir kennen Augenblicke, Stunden:
wunderliche Augenblicke! Wunderliche Stunden!
35
Was peinigen wir uns mit harten, höhnenden
Worten? Was quälst du mich? Was quäl ich
dich?
Lirum larum! Ich weiss jetzt eine grosse,
tröstende Weisheit!
Lust ist Qual und Qual ist Lust, und es giebt
und kann in alle Ewigkeit hinein nur eins geben:
Liebe^ Liebe, Liebe, dreimalheilige Liebe, wechselnd
in zwei Gegensätzen und doch einzig, einig und
allein Liebe, Liebe, Liebe .....
Wie sich deine Brauen über deinen Augen
wölben, ihr Schnitt, ihre Schwingungen, der feine,
weisse Bogen unter dem dunklen Apfel, dieser
Glanz in diesem Rund und diese schimmernden
Lichter in das Weiss hinein, diese Nasenflügel und
ihr feines Beben, die sanften, runden Linien dieses
Gesichtes mit dem milden Spiel von Rot und Weiss,
das Gleiten und Biegen dieser Körperformen: das
alles alles spricht von einem bestimmten Schicksal,
und dieses Schicksal ist eine lebendige Seele und
hat dieses Fleisch, diese Glieder und ihr Verhältnis
zu einander geschaffen. Dieses Schicksal aber, diese
Seele lieb ich, lieb ich in Mitleid, in Staunen, in
3*
36 —
versinkender, anbetender^ hingegebener Bewun-
derung . . . . .
Ich simuliere, wie ich dir den Hof mache.
Eine putzige Welt hat der liebe Gott um uns
hergerichtet mit artigem Getier und Menschenvolk,
zu unsrer Verlustierung sonderbarlichen Treibens
beflissen. '
Sie fischen und gärtnern, graben, pflügen und
bauen Beete und Felder, feilschen und beklatschen
sich, bekalkulieren Witterung und Ernte, essen,
trinken und schlafen, rechnen sich über heute und
morgen hin, schustern und schneidern, zimmern und
schmieden, zeugen sich fort und sterben, sind gesund
und krank, hassen und lieben sich, und alles ist
eine artige, lustige Komödie. ^
Und Wälder, Felder und Fluren, weitgedehntes
Land mit lautem und stillen, mit tausendbuntem
Getier: kriechend, hüpfend, springend, laufend,
flatternd und schwirrend, mit Blumen und Gräsern,
mit tausend bunten Farben und Bewegungen, mit
Leuchten, Glitzern und Flinkem ist um uns herge-
richtet, uns, uns zur Lust: von dieser Welt bau ich
dir träumerische, ausgelassene, viele, viele bunte
— 37 — " ,
Lieder in freien Weisen, wie sie mir so durch den
Kopf schiessen.
Alles, alles, ganz sollst du mich haben; denn
das alles war und ist mein liebes, gepeinigtes,
lauschendes und schaffendes Herz mit Lust und
Leid, Elend und Glück, Hass und Liebe; ein Spiel
nun alles, ein närrisches, lustiges Spiel, denn du,
du bist in der Welt und in mir beschlossen und
eine einzige Wonne, ein einziges, unerm essliches
Glück. Und mit diesem ist für alles gesorgt , jetzt
und immer und ewig .... .
* ■ ■■;* '- \ ?V ' - "
Heute Morgen schlenderten wir beide durch
die Felder, schaukelten unsere zusammengefügten
Hände, sahen uns in die Augen, lachten und waren
still, ganz still.
Da haben wir den Frühling gesehn. ■;
Mitten auf dem staubigen Feldweg patschelte
er uns entgegen in einem hellrosa Wölkchen.
Er war ein Mosjöh Dreikäsehoch, hatte einen
ratzekahl geschorenen, schlohweiss scliimmernden
Flachskopf und zwischen zwei rotbraunen Posaunen-
backen eine höchst naive Stuppsnase, aus der ein
paar perlenklare Talglichtlein sacht auf ein offen
Schnäuzchen herniederrannen. Ohne viel Gene trug
38
er ein blauverschlissen Kittelchen auf seinem nudel-
dicken Wurstleibchen, vorn hoch, hinten tief, aus
dem ein höchst schnuddliges Bein- und Armwerk
hervorpendelte.
Seine Hoheit sahen uns mit ein paar grossen,
tiefblauen Vergissmeinnichtaugen durch und durch
und brömselten so viel Unsinn vor sich hin , dass
uns ganz wirblicht wurde. I
Er liess sich von dir die Nase putzen, geruhte
von mir einen Nickel anzunehmen, und gesegneten
Herzens schlenderten wir weiter, weit, weit in die
sonnige Klarheit hin,-- aus der er gekommen war . . .
Anders aber sah ich ihn ein andermal.
Das war vor mancher Woche. '
Einsam sass ich in meinem einsamen Zimmer
mitten in der grossen, grossen Stadt.
Die Sterne flammen auf im tiefen Blau , hoch
oben über den Dächern, zwischen den milchweissen
jagenden AVindwolken, den Frühlingswolken und
die roten Abendlichter verglühen still an den langen,
langen, dunkelnden Mauern.
Draussen aus der Stille lösen sich Stimmen
und der Wind fängt an mit frischen Stössen das
: ;_ _ 39 —
Fenster zu streifen, und singt im Rauchfang sein
altes Lied.
Es wächst und wächst, und immer voller, immer
stärker das frische, fröhliche Brausen.
Wunderlich geht es vom Fenster zur Thür
durch das Zimmer mit einem feuchtwarmen Zug.
Und ich schnaufe den , Frühling ein , seinen
gesunden Odem, Und ich wittre einen Duft wie
von Rosenblättern,, getragen von den unsichtbaren
Fluten. Frisches, thaufeuchtes Wiesengras spür ich
und den Geruch frischgepflügter brauner Felder,
die im sonnigen, lerchenschmetternden Frühnebel
dampfen. Und ich höre die freudige Sprache der
werdenden Welt, der erwachenden, jungen Kreaturen.
•Meine Sinne fahren auf und hin, getragen von
dem Brausen, eins, ebbend und flutend mit seinem
herrlichen Rhythmus: jetzt aufhorchend, jetzt still
in traumhafter Versonnenheit und in neuer, immer
neuer Gewissheit auf, in die Höhe; und es packt
und durchschüttelt mich in freudetollen Phantasien
von der Zukunft.
Und nun bin ich draussen in der äussersten
Vorstadt.
Weit dehnt sich das Land hinaus im nächtigen,
witternden Zwielicht. Hier ein Netz von baumbe-
pflanzten Wegen, im flachen Land sich verlierend.
40
Bald werden sie Strassen sein, wie die da drin, und
die Häuser da und dort, vereinzelt und in Gruppen
über das Freie hin verstreut, werden zusammen-
wachsen zu Stadtvierteln bis hinaus zu den fernen
Vororten.
Weite Landstrassen ziehen sich hinaus, und
von allen Seiten, durcheinander, aneinander hin,
schnaubende, donnernde, rollende Züge, herein und
hinaus in das nächtige Land wie riesige, feurige
Raupen. i
Und nun zackt es sich weit hinter mir mit
Dachzinnen und Türmen und ragenden Schorn-
steinen und verrinnt breit, endlos in trüben roten
Dunst, und starrt müde mit seinen tausend und
abertausend Fenstern in das freie Land hinein.
i
Und der Sturm wächst und braust und knattert
und pfeift mit den hundert lustigen Stimmen seines
wilden Akkordes heran über die brachen schwarzen
Schollen, durch Gestrüpp und Geäst, und hinein
n die langen, lichtflackernden Strassenzeilen , und
all das Lebensblut da drin wallt auf in frischen
Gluten, und lebendiger regen sich Millionen Kräfte
gegen- und durcheinander.
Aus weitem fernen Süden strömen die durch-
glühten Lüfte her, seitwärts gebogen vom kreisenden
Umlauf der Erde, und in ihrem jubelnden Ge-
41
tose ist es lebendig von Millionen Stimmen und
Wunderen.
Ueber der unendlichen Oede der Wüste haben
sie geglüht, von reineren Sonnen und Monden
durchbebt, über ragenden Palmen und fernen,
fremden Gebreiten, über mächtigen jMeeren und
Strömen und Seen, über der wilden grünen Nacht
der Urwälder, durchhallt vom Gekreisch und Ge-
brüll fremdartiger Tiere, und durchglüht von unge-
ahnter, leuchtender Pracht, und ein üppig wucherndes
Leben haben sie gezeugt.
Und nun tragen sie's herüber mit ihren wild-
freudigen Strömen und wirbeln es zu uns her über
weite, bäumende Meere, über herrliche Breiten
wärmerer Sonnen, über ewig eisige Höhen, ihrer
winterlichen Starrheit trotzend, und wirbeln es her
mit den fröhlichen Scliaaren der Vögel und leben-
digen Keimen.
Und der Tumult der ewig lebendigen Kräfte
wogt herab aus den Höhen in unbegreiflichen
Schwingungen und bebt in uns hinein.
Sie zittern hinein in schwarze, ruhende Tiefen,
und es beginnt ein Hin und Wider und Ineinander,
und bebt und treibt dunkel unter süssem Zwange,
und aus Beben und Treiben und unerforschlichen
Mischungen der Elemente werden Keime, und die
— 42
^
schwarze, träumende Ruhe ringt sich dem Lichte
entgegen, dem Licht ..... i
So spürt ich damals den Frühling. 1
Sturmlieder brauste er hinein in die langen,
flackernden, öden Vorstadtstrassen, wilde, rüttelnde
Sturmlieder, und wenn ich recht hörte, hatten sie
einen sehr polizeiwidrigen Text
Bah! — Hier lieg ich und strecke mich, ein
Thunichtgut und Simulant schlimmster Sorte.
Sämtlicher Laster und Tugenden bin ich teil-
haftig. Ich habe mit Christus^ dem Herrn, die
Leidensnacht in Gethsemane durchlitten, und mit
Buddha das innerste Wesen der Welt erkannt.
Ich bin geschlechtlos, bin Mann und Weib. Schuld-
los bin ich und naiv wie das reinste Kind und er-
fahren wie der blasierteste Roue! Ich bin Kaiser
und Held und der niedrigste Sklave. Der gew^andteste,
gefährlichste und der blödeste, einfältigste Liebhaber,
bin und habe, was ich will. , i
Jetzt aber bin ich eine grosse, schöne Blume.
Bin Fühlen, ganz, ganz dämmerndes Fühlen. Ich
wurzele in einer süssen, feuchten Kühle, und dehne
mich sacht in ein laues, fächelndes Schweigen hinein,
spreize mich, ringend und nachgebend, mit hundert
f ^t /
ff,it^," .,
f0a
43
Formen in sanften, neckischen Widerstand hinein,
etwas Heissem, Lichtem sehnend entgegen. Zu
oberst leuchte ich vor Jubel, und meine Lust wird
eine köstliche Süsse. Es schwirrt zu mir her mit
bunten, durchsichtigen Flügeln, und ich erschaure
in den Wonnen einer leisen, leisen, sanften Be-
rührung
Traum bin ich, Traum, ganz Traum und süsses,
süsses Verdämmern, Schlummern, Entschlafen
Staunendes, erschrecktes Erwachen.
Lange Schatten und müde Lichter. Treiben
und wellen mit verglühendem Gekräusel über die
Wasser herüber und verblinken in stumpfes Blaugrau.
Goldig versinkende Glut über breitgedehntem,
schwarzen Baum gekrissel. ,
Hoch, hoch drüber aus zartem, zarten Grün
ein Sternchen.
Noch eins; noch eins. Viele.
Breite Schatten wogen vom Osten her über
die Welt mit den Geheimnissen heimlicher Laute
und Gestalten. ; -^
Drüben sinken die müden Gluten, sinken und
sinken
44 —
Kühle Schauer vom Wasser her durch leises
Geflüster, singendes Plätschern und Murmeln. 1
Langsam, langsam schiebt sich die Silhouette
eines Kahns durch silberspiegelnde Glätte, langsam,
langsam den Nebelfernen zu.
Tiefe, tiefe Einsamkeit, Friede, Grauen : meiner
Seele zu süss, viel, viel zu süss
Rote, warme Lichtlein glimmen fern in niedriger
Enge zwischen breit geballten, schwarzen Wipfeln.
L^nd unter weitentfachter, goldiger Pracht
wandre ich mit eiligen Füssen durch weisse Nebel
den Lichterchen zu, den ar^en, glimmenden, heim-
lichen Lichterchen.
Zu Dir, Madame! Zu Dir!
:aen
#
Zwielicht
An den himmelhohen Mauern nieder, durch
das Fenster, zwischen den Gardinen das erste
Morgenlicht.
Leise — grau — tot. :
Nur hoch oben das arme bischen Himmel
und die drei Sterne. •
Und ich liege und brüte und würge an meinem
blöden Leid.
~" Dich will ich! Dich! .... .
Und mein Wille und meine grosse Pein schreit
in mir: Dich will ich! Dich! Dich!
Nichts ist in der müden Welt als das Grauen
und der Zw^eifel. . *•
Und du und ich. Du und ich und unsre
Sehnsucht.
Und unsre Sehnsucht will neuen Anfang.
Unsre Sehnsucht, die nie sterben kann! Nie! — ■
Wo bist du?! Wie halt ich dich?!
— 46 — .
1
■ ■■ ■. ■ ■ -" ■ t
Ich schreie nach dir durch eine einsame, ein-
same Nacht! I
Meine Sehnsucht wird Angst und meine Angst
■wird Grimm!
I -
Gieb dich mir!! j
Du musst dich mir geben!! Musstü i
Wo bist du?! i
Ueberall, überall bist du und überall flirrt
meine Sehnsucht an dir hin. '
Älit hundert dummen Masken hast du mich
den Tag über geäfft.
Warum? '
Du warst die Kinder, die am Brunnen Ringel-
reihen spielten. Und wie sie sangen und jauchzten,
ganz junger, seliger, helläugiger Wahn, da, einen
Augenblick, hielt ich dich!
Aber hinter hundert thörichten Masken verlor
ich dich wieder.
Alt, runzlig, gebückt, niedergezwängt von
stummen Oualen wanktest du an mir vorüber,
verkrüppelt, hässlich, schmutzig. Du sahst mich
an mit schielendem, ausweichenden Blick, mit
feigem Hass. Stumpf, im Frohn von tausend
täglichen Hantierungen, in tausend Gestalten sah
1
47
ich dich keuchen und gegen deine Sehnsucht ringen.
Du schaltest, logst, stahlst, beschimpftest. Du ver-
leumdetest, betrogst, weintest, lachtest, sangst und
warst guter Dinge: und immer wolltest du dich um
deine Sehnsucht betrügen. Deine Stimme war grell
und roh, deine Geberden rauh und widerwärtig, rauh
deine Sprache. Und wieder sanft und mild und
weich, und schwoll in köstlicher Fülle von deiner
sehnenden Angst.
Hinter tausend dummen , thörichten Masken
wolltest du dich vor mir verbergen. '
Warum?
Meinen Augen bleibst du nicht verborgen.
Tief und scharf sehen sie in dich hinein und
sehen deine suchende, hastende Angst und deinen
Willen, der doch weiss, der ja doch weiss
Ach, warum sind wir so feig, du und ich?
Warum bin ich so feig?
Nächtig ist es überall und überall nur tausend
irrende, grausige Fragen.
Ach, ich kenne unsre Erlösung!
Denn ich sehe ein Licht, ein fernes Licht, und
höre einen Ton, von fern einen feinen, süssen Ton.
48
Irgendwo seh ich ein Licht, irgendwo hör ich
einen Ton und irgendwo grollt ein Wille.
. O, ich kenne unsre Erlösung! i
Hier glimmt das Licht! In mir! In dir!
Wenn wir wollen, hellt es alle Nächte und ge-
biert Millionen freudiger Farben und Formen.
Hier lebt der Ton! In mir! In dir!
Wenn wir wollen, so jauchzt er ungeahnte, nie
gehörte Melodien. i
Hier grollt der Wille! In mir! In dir! | ,
Und er ist die morgenfrische Kraft neuer, junger,
knospender Sinne. l
In uns drängt das unermessliche Glück einer
Offenbarung.
Wann soll es hervorbrechen? i
.. Wann lacht es unsre Feigheit zu Tode?
Weichst du mir aus? Weichst — du — mir
— aus?!! , 1 ,
V: Wohin? ■ i
Komm! Komm mit!
Weit, weit durch die Nacht! Hinauf zu den
Höhen!
-: Den Höhen! —
Ach, Hohn! Hohn!
•■ ■: — 49 — ;■ i ; :,■•;■;
Oben, hoch oben im weiten Zwielicht.
Hoch oben über den brausenden Wäldern, in
der einsamen, schaurigen Frühe.
Hoch über den weissen, toten Nebeln, zwischen
dem schwarzen, donnernden Grauen der Tiefen und
den kalten, blassen Weiten.
Durch die frühlichtwitternde Oede geht ein
Sausen, eintönig ein weites, weites Sausen dumpf
über Höhen und durch Schlünde. .
Mein Gehör spannt sich ihm nach in alle ...
Fernen hinein und meine Augen starren in weiter
Angst und doch mit mutiger, wollender, zorniger Lust.
Mitten hinein in diesen furchtbaren Einklang.
Das ist die „Harmonie der Sphären".
Die Harmonie!
Komm! ;
. * * ' ■■".■■■■
Dort oben die Himmel mit dem Wirrsal ihrer
Weltenringe.
Ich fühle das eisige, tiefschwarze Grausen der
endlosen Räume.
Ich sehe all die gelben Welten und höre den >
grässlichen Tumult ihres Umlaufs. Jahre, Jahrzehnte,
Jahrtausende und Jahrmillionen, in die Unendlich-
keiten hinein, das gleiche und ewiggleiche kalte,
blöde Sausen ihrer Bahnen.
Schlaf, Frühling. 4
Y^^m^^am^i
— 50 —
Feuer, Wasser und Elemente, werdender Welten-
stofF in den unerhörten Empörungen seiner zahl-
losen Bildung-en. Wogen als weltenweite Nebel,
dichten sich und lösen sich wieder und härten sich
zu Welten, zeugen, gebären und verschlingen sich
wieder, rasen ewig zwischen Werden und Untergang.
Wozu? I
Dieses Glitzerpünktchen zu erzeugen, das das
erste Licht hier auf dem gx*auen Gestein weckt?
Oder wozu?
Und hier, hier unten: immer der gleiche, tote
Wechsel von Tag und Nacht, mit demselben Tumult
tauber Farben, Formen und Töne? Und
Ach, alte Leier! |
Soll ich dich wieder und wieder und noch ein-
mal herunterleiern? 1
Dummes Rätsel! Dumme Zweifel! _
Wissen wir nicht unser Glück?
Wissen wir nicht?
^ % ' - ' I
■ -. * r ■ .-
O, ich denke, ich sitze da oben unter meinem
Buchenstamm und du bist bei mir. Und du bist
in mir eine gelassene Ruhe.
Und du, meine Ruhe, mein Frieden, du: leise,
leise machst du die taube Welt lebendig, und mit
innerlichstem Jubel seh ich, wie das Licht wird.
51
/
Hell, hell wird es in mir von dem lieben Getön
eines erwachten Vogelliedes.
Durch die grünen Gründe flötet es herauf und
jubelt in der Gewissheit des nahenden Tages.
Ich schlafe, schlafe nun mit weitoffenen Augen
und schlafend seh ich mit weitoffenen, lachenden
Augen die grosse Einheit, die alles ist, die wir sind,
du und ich
Hinauf seh ich in die Höhe, hinein in die Breite,
hinab in die Tiefe und sehe in mich hinein, wo das
dreifach gedehnte einig ist, jetzt einig in einer friede-
vollen Einheit.
Und aus Schatten und Lichtahnungen werden
Gedanken in mir und Lieder, laute, fröhliche, aus-
gelassene, stille, friedevolle Schlummerlieder.
Die sind nun meine Arme, meine weiten, riesen-
starken Arme. ;; -
Mit denen will ich dich jetzt umfassen, und
will dich an mein nun übermütiges, sonnenhelles
Herz pressen. Mit denen heb ich dich hinaus über
den tausendgestaltigen Zwiespalt unsrer Unrast,
trotzig hinaus, hoch, hoch hinauf in einen goldigen,
stillen Frieden, Dich ......
/
Wc
4*
52
Hier sitzen wir, du und ich, in Liebe eins, und
spielen, und geben dem Getümmel der Welten einen
Sinn, der uns genehm ist, und der untrüglichste,
fröhligste, ausgelassenste Wahrheit ist.
Aller Welten und allen Lebens Sinn ist er,
dieser kleine dumme Sinn, den unsre spielende
Liebeskraft ihm giebt, und mutig drängt er sich
gegen das grosse, schaurige Rätsel, und so muss
es uns Frieden lassen, dir und mir ' -
So aber lacht unser Uebermut und fabuliert:
Mit sehnenden und immer sehnenderen Bahnen
kreisen die Welten, jede um einen Ursprung uran-
fänglicher Seligkeit, und alle um einen, im ewigen
Spiel ewigen Suchens, Findens und Verlierens. i
Der blasse Mond, das stille, verlöschende Licht-
wölkchen dort über den westlichen Wäldern, kreist
um die mütterliche Erde in der Sehnsucht seiner
Elemente nach aufflammender Vereinigung, und sie
ist ihm unverweigerlich verbürgt nach unverbrüch-
lichen, mystischen Gesetzen. J^
. Und die Erde um das liebe, gleissende Rund
dort oben in der Sehnsucht ihrer Elemente nach
aufflammender Vereinigung, und sie ist ihr ver-
bürgt, unweigerlich, nach den gleichen mystischen
Gesetzen. '
Der sehnende Zwang der Elemente aber dichtet
— 53 — ,:-
sich in unergründlichen Mischungen, gestaltet sich
und wird lebendig und seines seligunseligen Ge-
schickes sich bewusst in den unzähligen Genera-
tionen ungezählter Lebewesen.
In Milliarden von Krystallen formt sich ihre
Sehnsucht und Seligkeit, in Kampf und Widerspiel,
verfeinert sich aus dem Nichtorganischen zur ersten
dumpfen Lebensregung des Urschleims, wird Pflanze
und Tier, wie die Zeitalter sich vollenden und das
selige Ziel sich nähert.
Und das Tier wurde im Kreislauf der Ent-
faltungen erlöst zur Klarheit über sich selbst hinaus
im Menschen. Und wie die Jahrtausende sich runden,
werden die Elemente im Menschen durch unzählige <
Zeugungen hindurch zu herrlichen Erlösern, mischten #1
und dichteten sie sich zu Confuzius und Zarathustra,
zu Buddha und Christus, und alle, alle verkünden
den einen Trost vom lachenden Ende, das^imsterb-
licher Anfang ist.
Und enger und sehnender treiben und ziehen
sich die Weltenbahnen gegen ihren Ursprung hin.
Neue Unruhe neuen Werdens und Erkennens.
Feiner mischen sich die Elemente, und der
letzten, hastenden Unrast des Erstarrenden entblühen
neue, wissendere Geschlechter.
Sinn und Trost letzter, wilder Leiden, gieriger
54 —
Genusswut, dumpfer, gellender Verzweiflung tod- und
friedereifer Geschlechter und Erkenntnisse ist ein
neuer Held und Heiland.
Und der wird schön sein und fein wie ein
hellenischer Gott, mit weiten Sonnenaugen. Sein
mächtiges Gehirn wird alle Weisheit Buddhas um-
spannen. Klug ist er und beweglich, ohne Falsch,
gut, mild, edel, sich selbst eine Lust, ganz freudige,
selbstsichre Kraft. Alle Weisheit wird in ihm zur
heitren, spielenden Thorheit eines Kindes geworden
sein. Und er wird der Kaiser sein, der Kaiser
einer goldigen, verjüngten Zeit ......
- Verstehst du mich? Dies grosse Lied und
diese grosse Geschichte? i
Unser kleines Lied und unsre kleine Geschichte
ist das. Die lachende, lustige Geschichte von zwei
Leuten, die sich lieb haben, von dir und mm^ Und
wir singen sie uns jetzt zu unsrem Spass so, und
wenn wir wollen, werden wir sie morgen mit einem
andern Text singen . j
Ich denke, ich liege nun an deiner Brust und
schlummre und bin einen süssen Tod gestorben. '
Mein Blut ist nun das morgenfreudige Tosen
deiner Wälder. Weitgedehnte, hohe, blaue Berge
f^ßmf
7,
iM^//U4^-
rn^ff^^
\_ - — 55 — ■-. ■ ■/.^:/^^
in hundertfacher, freundhch wellender Bildung, tiefe,
breite, grüne Thäler, blitzende Flüsse und trommelnde,
donnernde Wildwasser: das alles bin ich in dir.
Meine Gedanken sind sanfte, blinkende Thau-
tropfen, kleine liebe, rote Blumen und unermessliche
Himmelsfernen, die entflammen in goldblauem Glanz,
dunkle Wettertannen und zirpende, flötende Vogel-
lieder, jähes Gestein mit gleissenden Rissen, uingoldet
von den erwachten Lichtern der Frühe.
Mich, mich selbst seh ich mit trunkenen Augen.
Klar bin ich meiner selbst mir bewusst, und mystisch
verhüllt ahn ich mich mit erschauernder Sehnsucht
in meiner Unendlichkeit, in dir, als du ^ ,
Höher und höher hebt sich die Sonne über die
blauen Wälder und wärmt und lacht und wärmt
und zeugt.
Denn jetzt ist die urbestimmte jMischung der
Elemente da, die, gewärmt und befruchtet von dieser •-'
Sonnensphäre, den übermenschlichen Heiland zeugen ' '
und gebären.
Tiefes, tiefstes Geheimnis!
Und doch, wie meine Hand hier auf der grauen
Stammborke liegt, spür ich es mit verstehenden,
wissenden Schauern.
— 56 —
Und ich fühle, fühle, wie es unzählige Rinnen
und Röhrchen und Poren öffnet, in Sehnsucht, in
Sehnsucht der lieben Wärme entgegen, wie es giebt
und aufnimmt in wonnigen Spannungen und Ent-
ladungen.
i Und in mir hab ich jetzt den Trost einer uii.-_
- erhörten Selbstschätzung. I
Meine Poren saugen die himmlische Glut ein,
; und wie sie durch mein Blut schauert, weiht sie
; ■ jetzt mich, mich zu dem Helden, der da ist und
kommen soll.
Siegfried bin ich und schlage einen mächtigen
'^röttdiuU*vwUi.(h^^'^^'^ Lindwurm tot. I
VftO^rh '^"^'^^s* ^"oi" niir ' i^^ ^ii" krümmt und schlingt und
windet er sich mit tausend klammernden Schwänzen
und klaffenden Rachen, gebannt, gebannt von meinen
\ lachenden Blicken. '
, Und wie er sich auch feige windet mit unzähligen
schlauen Listen, mir beizukommen: mir bleiben sie
! nicht verborgen. j
Da oben das liebe Licht durchbebt mich mit
einem innerlichsten, frohen Gelächter: und dieses
Gelächter ist mein Schwert. Mit dem schlag ich
ihn tot, den alten müden, verzweifelten Lügner.
57
Schon blinzeln seine hundert Aeugelchen, und
immer müder werden seine KJreise und seine böse
Kraft dämmert hinüber in den seligen Frieden der
Einheit, der auch ihm bestimmt ist.
Mit tausend Klammern umpresst er das arme, i
junge Leben, und die nennen sich ehrbar Gesetze, ' - - . y, r
Institutionen , heilige Vermächtnisse , Staat , Kirche,, ^ (jt/vffüti^ '-'^ ,
Sitte, Ehre, Moral, Gott. i
Schlau trennt er die Natur, die ewig ungeteilte, |
in Geist und Fleisch. Sünde nennt er die Liebe^'
und Teufel das Weib.
Tausend schnörklige Phrasen pfaucht und dunstet
er mir ins Gesicht, bläst mir tausend verzwickte
Neunmalklugheiten ins Ohr und hakt nach mir mit /
seiner gefährlichsten Tatze, die Gewissen heisst und MLi^dM'^^
Pietät. .; . ^
Aber ich lache und lache nur, und vor meinem
Lachen vergeht er in einen dummen, blöden Dunst,
vor meinem unwissenden Lachen.
■ ■? ■" * .' - ' ' -- ■ * ■'" .. ".■ "-■'
^' ' '
Und ich sehe in ein fernes Thal.
Da lacht im weiten Sonnenglanz ein schönes
Wunderland.
Noch verhüllt, leise verhüllt.
Das ist das verlorene, wiedergewonnene Paradies.
— 58 —
Da gehen Hand in Hand Adam und Eva im
gütigen Sonnenlicht an breiten klaren Wassern über
smaragdene Wiesen.
Da gehen Hand in Hand, wir beide, du und
ich, im gütigen Sonnenlicht an breiten klaren Wassern
über smarafgdene Wiesen.
An den stillen Wassern gehen wir hin durch
den Garten. Und wir sehen alles Getier, das in
den Lüften lebt und im Wasser und auf der grünen
Erde, und nennen es mit neuen Namen. Und wir
sehen die Menschen, und über sie erlöst nennen
wir sie mit neuen Namen und haben an ihnen
unser staunendes Ergötzen. Wir sehen Bäume,
Sträucher, Kräuter und Blumen und nennen sie
mit neuen Namen. Und Lüfte, Winde, Wasser,
Sonne, Mond und Sterne nennen wir mit neuen
Namen. Denn alles, alles ist nun anders geworden
und neu, und du und ich wir sind zwei dumme
Kinder, die spielen und staunen, und gaffen und
lernen i
I
— 59 —
■■ Du?! ■'-:---^'--: - ■ ' - ;<■ ■■:
Hörst du mich durch alle deine Masken, deine
thörichten Masken?
Das ist das Lied unserer Sehnsucht und unserer
Ahnung.
Trüb noch, trübe und zag.
Aber ich weiss und will noch ein andres. Das
ist das letzte und höchste. Das kümmert sich nicht
um Himmel und Rätsel. Das ist das Lied von den
Nähen, das Lied von den enthüllten Nähen.
Wann wird seine Zeit gekommen sein ?
Wann werden wir wollen?
Leise, leise kommt der Tag und mit ihm die
Feigheit und die Angst und — der Zorn ! —
Das Lied
Unter den Sternen hin, hinter den dunklen
Bäumen, ziehen Leute und singen ein Lied. '
Ich lausche — mitleidig — schadenfroh — ver-
I
sonnen.
Denn in diesem Lied, in diesem schlichten Lied,
ist ein Gift und eine heimlich fressende Flamme
und die Schönheit einer fernen, fernen Heimat . . .
Das wissen sie nicht in ihrer dunklen Fröhlich-
keit; aber ich weiss es . . . I
Denn tief in mir zehrt dieses Gift und frisst
diese Plamme und will hervor und leuchten. Und
tief in mir ist ein Kreisen und Werden. — Wessen?
Ach Not, Not halbbewusster Fülle, endlos
süsse Not! j
Ich lausche und sitze und warte, ahne; und
meine Augen weiten sich einem köstlichen Gesicht
entgegen, das naht und naht, von fern, ganz
von fern . . .
"■ — 61' — : \
Denn noch gleitet um mich und in mir und
wechselt, unbändig und ungebändigt, ein ewiger,
trüber Wechsel des Einzigen. -t
Not, ewige Not! — Kommt das Ende? — Und
welches??
*
An den Sternen hin ziehen die weissen Wolken
und die Winde rauschen; raunen mit lieben, heim-
lichen Stimmen und kräuseln glitzerndes Laubwerk,
schaukeln schwankes Geäst, gleiten mit blinkenden
Schauern über die breiten Wasser. Und das Licht
durch Nebel und zarten Dunst, durch millionen-
fältigen Widerstand plumpen Stoffes, nieder durch
klare Höhen. — Das Licht — das Lied ...
Reimverbunden vier arme Verse und eine simple
Weise; ungefüge Stimmen in rauher, unbewusster
Andacht.
Aber es ist nichts in allen Nähen und Weiten,
nichts, nichts als dieses Lied und eine heimatliche
Welt, die nun offenbar wird, und alle die zahllosen
Seelen und eine einzige, unendliche Seele.
Nun sind die Höhen und Tiefen und Breiten
ein Spiel, und Minuten, Stunden, Tage, Jahre und
Jahrtausende ein schelmischer Trug.
62
Und nur die offenbaren Seelen und im zeitlosen
Selbstfrieden die eine, offenbare Seele. |
Ich sehe das bunte Spiel der vielen, das die
ewige Ruhe der einen ist. Und in mir leben die
Schauer der Wiedergeburt ewiger Religion und
ewiger Vereinigung.
Dieses zitternde Pappellaub, hoch, schlank,
dunkel in das weisse Licht hinein, dieser schimmernde
Birkenstamm, traulich geducktes Buschwerk, diese
gleitenden Wellen, diese Hand, die ich gespreizt
gegen das Licht halte, mit dem Geflecht ihrer Adern,
mit ihren wunderlichen Linien, mit Sehnen, Muskeln
und Knochen: alles, alles ist das ewige Spiel ihrer
Kraft und ihr neckisches Versteck, hinter dem sie
sich selbst sucht und jubelnd sich findet und immer,
immer wieder findet. ' ^
So müde bin ich, so ahnend müde. !
Will eine Schranke fallen? — Willst du mich
finden? Will ich mich finden? [
Und ein neues Spiel, und immer ein neues und
ein schöneres, lustigeres immer?
Fern das Lied — verklingend mit sehnendem
Jubel das Lied . . .
Das Lied
— 63 —
Und alles wieder still und rauschende Ruhe.
Ich fühle, wie jede Fiber in mir zuökt und sich
spannt.
Das Ende? Und welches?
Welches auch immer: keins und nie und
nimmer ein Ende. Eine Schranke, die fällt;, ein
Dunst, der verweht; ein jubelndes, lachendes Her-
vortauchen, — Wohin?
Weit, unendlich weit ist die Welt, und doch
immer und überall einzig du, ich
Was war ich, war ich diese wilde, rastlose
Lust und dieser unermessliche Jammer? — Was
war ich, war ich dieses hinfällige Gestell von
Knochen, Fleisch, Muskeln, Sehnen und Nerven
und nicht dieses ahnende Sehnen?
Wild ras ich durch meine Erdenzeiten, durch
Mord, Not, Blut, durch zahllose Gräuel, durch diese
und gegen diese meine fieberwache Endlichkeit.^^
Betrüge, lüge, morde, hasse; stürze mich in
zorniger Verzweiflung in den Wahnsinn tausend-
fältiger Wollust; rase in meiner Finsternis und
strecke mich gierig nach Erkenntnis durch meine
Räume und Zeiten; verschlinge und gebäre meine
tausend und abertausend schwankenden, entgleitenden
>
64
ewig wechselnden Täuschungen von sausenden
Welten und ewig unbefriedigten Erkenntnissen;
taumele durch die hastenden Zeitläufte meiner Vergäng-
lichkeiten ewng von Jubel zu Verzweiflung, von Ver-
zweiflung zu Jubel; bin blühende und welkende
Völker und Reiche; krieche hin in dumpfer Be-
friedigung und klammere mich an karge, blöde
Freuden; verschanze mich hinter Gesetzen, feige und
weise gegen mich selbst; betrüge mich selbst und
bin der Blödheit meiner engen Sinne ein zerfallender,
faulender Haufe Schmutz und ein kleines jämmer-
liches Ende.
Was war ich, erkargte sich mein sehnendes
Ahnen nicht zwischen tauber Lust und taubem
Leid ein paar stille Friedensblumen und wäre nicht
der Preis und Sieg aller meiner Verzweiflung und
meines heissen, rasenden Ringens gegen mich selbst
das Wissen von meinem wohlverbürgten Frieden
und immer und immer wieder sein endlicher Besitz?
Gelassen seh ich jetzt das grausigste aller Rätsel
und beantworte seine dunkle Frage. In unendlichen
gelben Wüsten steh ich der uralten bösen Riesen-
fratze gegenüber und sehe lachend in ihre toten,
starren Augen. . . " j
65
Und hier ist all meine Nichtigkeit, mein Stolz
und meine hohe Würde.
Ich, ich selbst bin ihr grosses, starres Schweigen.
Ich selbst bin zutiefst in mir eine grosse, weite,
schweigende Ruhe, ein dunkel schlummerndes
Können und Wissen und doch eine ewig bewegte,
milliardenfältige Unrast. Dies beides und doch
das eine, einzige: eine grosse, weite, schweigende
Ruhe.
Meine Unrast aber und meine Verzweiflung
schreit tausend trübe Fragen in mich selbst hinein,
wieder und wieder, ihrer selbst gewiss zu werden
und ihres endlosen Wandels, und sich zu finden,
immer von neuem, in einer stillen, gefriedeten
Einheit.
Meine Unrast aber seid ihr. Meine Unrast bin
ich als das ewig und unendlich Vielfältige: als
Elemente, Sonnen, Pflanzen, Tiere, Menschen und ^_,^^ \ ^
alle Wesen und Seelen: dies alles und seine uner- ' " \.
messlich zahllosen Einzelheiten und ihre unermesslich
zahllosen Schicksale.
Das alles schreit in mich hinein, findet Antwort
und keine, findet ewig Antwort und als seligste
Antwort ewig schweigende Ruhe.
Denn aus dem dunklen Urgrund meiner Ruhe
und Nichtigkeit tönt ewig und ewig als Antwort
Schlaf, Frühling. 5
— 66 — i
auf die wilde Sehnsucht ewiger Frage ihr ewig gleicher
Wiederhall und nichts, nichts als ihr Wiederhall.
Denn dann, wenn je und je am wildesten die
alte Frage gellt und an dem uralten, mystischen
Geheimnis rüttelt, dann — Frage und Antwort zu-
gleich — tönt sie zurück aus den dunklen Welten-
fernen ewigen Lichtes und ewiger Gewissheit, und
Einer wird geboren, der ihr Mund ist: Einer, der ist
der ewig Wiedergeborene, der Stille, unter dem ewigen
Mysterium Duldende, in dem Endliches und Un-
endliches offenbar wird als das Eine, das ewig
liebend sich selbst umschliesst.
Wo aber in aller Welt je und je Er hineinge-
boren wird in die Endlichkeit, da erhebt sich ein
neuer Tag und eine neue Zuversicht. Da jubelt die
Freude, da lächelt der Friede und d^i rüstet sich
ein neuer, junger, todesmutiger Wille und hat eine
neue Bahn und ein neues Ziel endloser Bethätigung.
Das ist all meine Nichtiglceit , mein Stolz und
meine hohe Würde. Denn wenn ich ein Wort
vom Frieden weiss, so ist es nichts als Eures Un-
friedens Wiederhall und die irre Frage Eurer Ver-
67
zweiflung. Die tön ich zurück, zu meinem Teil,
in ewig stiller Gelassenheit; einer, der treu, schlicht,
hingegeben, hört, aufnimmt, zusammenfasst, und der
wiedergiebt: treu, schlicht, hingegeben.
Das ist mein schauriges und unsagbar seliges
Logs! Nichts, nichts bin ich, nichts und Alles.
Ihr seid ich, Ihr! Und ich bin Ihr! Du bist
ich, ich bin Du; und Du und einzig Du bist meine
ganze Würde und meine ganze Nichtigkeit. Das
ist die e^vige, lachende Erkenntnis und ewig die
Morgenröte eines neuen Tages ...
Zwischen mir aber und ihr dunkelt eine Nacht.
Schon bin ich hineingetaucht in ihr weites il^^A/>Jiii}A-^l^iMi
Grauen. In das Grauen zwischen Anfang und fi^AöiiAjri^ClA ^
Ende. ' Sie ist der heimliche Tod, der mich verzehrt. ^ ^ ; v^
Sie kommt mit den kühlen Schauern einer
schweren Müdigkeit. Sie ist die Feigheit, die bang ■'
und zaudernd am Ueberwundenen hängt. Liebe
und Hass, die mich verfolgen, und hundert Ge-
wohnheiten und tote Begriffe, die doch noch
leben wollen und hetzende Zweifel alter Begrenzt- ;^
heit. Und sie ist ein letzter, noch nicht ausge- ,: ^^
fochtener Kampf und das krasse Gesicht einer
alten Lüge, die ewig und ewig wieder mich, den 1
— 68 —
ewig Lebendigen, erschauern macht. Sie ist die
grausige Starre eines Kadavers und seine dumpfe,
gährende Fäulnis. Sie ist der wild verwirrte, trübe
Tumult neuer, geahnter Welten, meiner Feigheit zu
weit und zu herrlich, viel zu weit und viel zu
herrlich. i
Mein Tod ist diese Nacht, mein langes Sterben,
der dunkle, trübe Wandel zweier Tage, zweier
Tage ... '
In diese Nacht und in diesen Kampf tauch
ich hinein. Mit fröhlichem, wissenden Mute und
mit einer stolzen, kräftigen Seele. Die ist ein
Held geistiger Kämpfe, gewaltiger als alle Leibes-
gewaltigen der Vorzeit. [
* * . ■ ! . ■
. ' ■ I ■ ,
* - j -
Langer, langer Weg! Dunkler Kampf! — Und
sein Ziel? — Ach, Ohnmacht meines armen Wortes!
— sein Ziel ist ein ungeheures Meer des Schweig"ens!
Da werd ich endlich hineinschwinden, ich und
der Kreislauf aller Seelen und Sonnen und alle
Unrast. !
Ich und alle meine Unrast: Seelen und Sonnen:
ich bin dieses Schweigen, und einst werd ich
mich ganz als solches erfassen und in mir selbst
ruhen.
— 69 —
Das ist mein ewiges Ende und mein ewiger
Anfang
Wenn die Sterne strahlen, wenn die Lüfte
raunen und die letzten, stillen Farben spielen: jetzt . . .
Jetzt — o Qual der Qualen! — jetzt kenn ich
meinen langen Weg, und meiner Blindheit dämmert
rosig ein Ziel
Schönheit
Sonne! Sonne!
In mir treibt die köstliche Unruhe deiner Kraft!
In mir dein Lachen,
in mir ein heimliches Lachen!
Befreit lachen nun in mir alle ^Menschen.
lacht in mir die ganze Welt! 1
Ein einziges goldiges Friedensgelächter lacht
mein Herz in alle Fernen hinein !
Alle, alle kommen sie zu einem grossen ^lahl.
mit tausend bunten, wichtigen ^Meinungen: ,
Gute und Böse, \
i
Zweifler und P>omme. i
stolz und demütig'. , j
wissend und einfältig', ^ j
vornehm und gering. j
Ausschweifende, Diebe. Mörder — , i
— 71
A]]<\ :i]]'- komrnfrn sie -- "
mit fraj^f:nf]f;n sr:hn'',-rid<';n ängstlichen .\ug-en,
denn sie ghiub^-n,
dass sie hässlieh und sündhaft sf-ir-n.
Aber wie sie kommen,
in breiten Schaaren,
mit unzähligen dunklen Geheimnissen,
mit Gebresten,
Lastern. Schwächen, Einbildungen und
Lächerlichkeiten —
ein einziges
unauslöschliches Gelächter ist es,
das sie empfängt,
das sie vermehren. ^ : -
In diesem Gelächter aber ; ^
lebt der bitterste Grimm
und das furchtbarste Mitleid ... ,
Xun röten sich Gesichter
glätten sich Falten und Runzeln.
verschwinden Geschwüre, -•
ergänzen sich Glieder,
hellen sich trübe, blöde Ai:gen.
runden sich magre Leiber
und verjüP.ger. sich ungeschlachte.
i/lfiiiACf^lSiuMl - iU^^,
12
Und alle sind nun eine einzige
selige junge Göttergemeinde.
Jetzt!
In mir!
O Wunder! 1
Dummes, fröhliches, freches Frühlingswunder!
Am Graben
Hier, zwischen Schaumkraut und Vergissmein-
nicht wollen wir ruhen , im schönen , w^eichen Gras,
am Graben, wo die Kätzchen schaukeln.
Sieh, zwischen den gelben lilien, zwischen Kuh-
blumen und weissen Sternchen, im goldigen Ge-
zitter unser Bild.
Da: Deine Augen!
So lachend, so jung! So dunkel! . . .
Und dein Lachen, durch die weite, selige,
strahlende Stille dein helles Lachen.
Näher, und Wange an Wange.
Der Wind, leise, leise in den Binsen, und der
kühle Wasserduft herauf.
Wir träumen . . .
* ■ ■ ,- * ■
Sieh, hier lang am Ufer hin! Wie es aufquillt
vom braunen Grund in traubigen Gebilden.
74
Der jungen goldigen Wärme entgegen. i
Es will reifen, will sich gestalten. '
Sieh, in weicher rauchiger Masse der dunkle Kern.
Uranfang. Ruhe. Vollendung . . .
Nein! In der engen, runden, winzigen Wand,
millionenfältig Du und Ich, und immer Du und
Ich, unser Widerstreit und unsre Vereinigungen,
unser unendliches Spiel ... i
Windet, krümmt, stülpt sich, wogt im endlosen
Wechsel, in der süssen Qual ewigen Wandels; un-
geformt und dennoch in unbegreiflichen Gestaltungen,
viel zu wunderbar unserem plumpen Begreifen!
Zu wunderbar! Wir uns selbst! Du mir! Ich
dir! ...
*
Du siehst mich an.
. " . ■■ j
Sieh mich an! j
Banne mich mit deinen lieben, bösen Augen!
Nun halt ich dich, und Mund an Mund . . .
Die Welt um uns mit Nähen und Fernen und
ihren Millionen Formen ein Wirbel, ein dummer,
dummer Wirbel! ...
Nur hier ...
'■Alles! Nichts! Gott! ...
Im Haidekraut
■;".:;,.;,' I
Auf der Klippe
Hoch oben lieg ich,
im Haidekraut,
hoch über den dunklen Wäldern,
hoch «auf dem sonnenglüjienden Geklipp.
Ich denke, ich treibe auf einem lendendlosen Meer.
Das Spiel seiner Wogen ist das helle Himmelsblau,
das unaufhörliche Rauschen und Wühlen des freien
Bergwindes in den hohen Kronen,
Vogelgezwitscher und wehende Düfte,
Summen, Schrillen und Knistern der Käfer,
die hundert Geräusche der windbewegten Zweige,
blitzende Strahlen
und ruhende, gleitende Lichter, ■
wellende P'arben '
und das Blinkern und Donnern der Wildwasser —
— 76 —
und meine Gedanken,
meine dummen Gedanken . . .
Mit Strömen von Wärme und Licht rauscht
die Welt Lieder durch meine Pulse,
dunkle, grausige, süsse Lieder der Einheit.
Ueber die blauen Thäler hin,
in die weite, sonnige Welt hinein,
schwatzt dich meine Sehnsucht,
du liebes, unergründbares Rätsel;
neckt sich mit kindlichen Thorenworten
die uranfängliche Kraft,
ihr eigenes Rätsel
und ihres eigenen Rätsels Sinn ...
II
Haidekraut steck ich an meinen Hut
und wandre.
Was ist mein Ziel?
Der Ruf eines Vogels
glockenhell
aus einem tiefen,
fernen Grund . . .
Unter den tiefen dunklen Wolken
Unter den tiefen dunklen Wolken hin
hinein in den fröhlichen Vorfrühlingswind.
Die grauen Wellen --^'
schäumen über den Kies
und in den roten Weiden
zwitschert eine Lerche
ihr erstes, eiliges Liedchen:
Goldige Fluten!
Blauende Höhen!
Immer, immer mit dem Winde herüber
das eilige, helle Zwitschern.
Sonne, liebe Sonne!
Du liebes altes schelmisches Auge
da oben
78
zwischen der dunklen i
jagenden, fruchtenden Feuchte! '
Morgen, morgen verbrausen die wilden Stürme!
Morgen, morgen hab ich dich!
Morgen jauchzt dein goldiges Gelächter über ;
die Welt ... '
Die Vehikel
Gieb mir, wo ich stehe!
Nun! Ich bin so ein Allerweltspapa , sitze
irgendwo im Mittelpunkte der Welt in einem alten,
guten , soliden Sorgenstuhl , von wo aus ich den
schönsten, geordnetsten Ueberblick habe.
Man meint, meine Augen seien ein wenig
schwach , mein Gehör ein wenig verschleiert. Das
sind so Besorgnisse und Klagen, was weiss ich!
jedenfalls Vorurteile.
Ich sitze ja hier vortrefflich; und alles hält sich
in bester Ordnung.
Wirklich! Es ist eine ewig'e, endlose Freude!
Da seh ich viele Millionen goldener runder
Wagen, die fahren in weiten jubelnden' Kreisen
einem gutverbürgten Ziele zu, fahren die weite,
weite Fahrt durch die Welt.
Das ist ein einziger, allerliebster Dummer-
jungen skrakehl, ein einziger süsser Spektakel!
80
Da kribbelt es in ewig geschäftiger Unrast,
und ich sehe lauter weite lachende Kinderaugen.
Und alles ist ein nimmerendendes Hallelujah!
Wie?! ; ' ■
Nun, wies auch damit sein mag: ich sehe,
was ich sehe! —
Millionen, Milliarden lustiger Vehikel meiner
Seligkeit, meiner Seligkeit! '
•.: -^^^s-ar?^!»- •
Andacht
Sommerabend!
Ich trete vor die Thür, vorm Schlafengehn
noch ein wenig Luft zu schöpfen.
Müde lass ich mich auf die Bank nieder, zufrieden.
Nach gethaner Arbeit ist gut ruhn.
Mit dämmerbraunen Felderbreiten dehnt sich
im Halbkreis weit das flache Land. Die milch-
weissen Nebel liegen auf den Wiesen, von den Ge-
treidefeldern weht die Kühle den köstlichen Roggen-
duft herüber, und aus der Ferne schnarren die
Rebhühner.
Weit über dem braunen Frieden der JBreiten
aber dämmert der Himmel mit allen Sternen. Breit
schimmert die Milchstrasse zwischendurch.
Ich lehne den Kopf in das Weingerank der
Mauer und meine Sinne versinken in dem unend-
lichen Geglitzer.
„Heilige Nacht! Wie ein Cherub strahlst du!", .
*■",'■.. * .■ ■ ■
Schlaf, Frühling. 0 .
82 —
y/ /, .4/ "-/ ihren zahllosen Welten.
t j/^ / ,5» Dämmern der Breiten,
Versunkenscin ! .1
■ Wer ermisst diese Tiefen? ' '
y Innen und aussen: kaum sind sie zu scheiden.
ffvJ\tijnL ^'^ ^^^^ ^^^ lichtgewülbte Weite da oben mit
Ich bin das tiefe, süsse
der Duft des Roggens und
T^^ .-'der tief braunen Erdschollen. Ich bin der Ruf der
Rebhühner, leises Laubrascheln und hundert feine
Geräusche; bin das Gekläff des Hofhundes vom
Gehöft drüben; bin der zarte Sternschimmer auf
seiner Scheunenmauer; bin die tiefen, schwarzen
Schatten. ,
Und in mir noch eine ^Sehnsucht? 1
Augen! Augen! — Fern, fern "vveite, grosse
Augen, tiefdunkle! 1
Immer, immer mit demselben uralten Rätsel!..
Der Tod
Ich sehe einen lieben Menschen sterben , mir
innig verbunden.
Mit einem Mal kommt mir das Bild hier in die
Dunkelstunde hinein.
Ich sehe ihn auf dem Sofa sitzen. Die Arme
hängen schlaff in den Schooss, die Beine hat er, von-
einandergespreizt, lang vor sich hingestreckt. Das
Gesicht ist fahl, und darinnen glühen die braunen
Augen. Mühsam wendet er den Kopf, aber sie
sehen nichts mehr. Sein Bart neigt sich auf die
Brust, allmählich verröchelt der Atem: er ist tot.
Und ich sehe ihn auf seiner Matratze liegen,
mit seinem stillen, weissen Gesicht, in seinem Leichen-
staat, schwarze Handschuhe an den Händen. Arme
und Beine von sich gestreckt, liegt er da wie ein
Hampelmann.
Mich überkommt ein Brüten.
Will mich etwas bange machen?
6*
— 84 — I
- . i
O, in mir ist eine trotzige Unwissenheit, und
die fabelt aus den Tiefen meiner Unruhe ein fröh-
liches, ausgelassenes Märchen! !
Tod! Was kümmerts mich, dass ich sterbe?
Mein Tod ist meine letzte Wonne.
Nie wieder leben? Nie wieder leiden! — Leiden:
Kämpfen!
Kampf! O Wonne, ewige Wonne! — In mir
ist ein Auge, das sieht alle meine Endlichkeiten und
meine immer erneute, fröhliche Wiederkehr! ,i
Ich bin ich, bin diese meine Endlichkeit, und
ich bin Ich, bin mein ewig UnbegrifFenes , das ist
über Räume und Zeiten und alle Meinungen meiner
Endlichkeiten. Mein Endliches ist nichts als eine
zitternde Flocke, die auf Seiner urewigen, zeitlos
gebärenden Flut schaukelt. i
Ewig Ich-Du! - t
Fühlst, fühlst du das?! I
Ewig tauch ich aus den Tiefen Meiner Einheit
als ein Endlicher und eine Endliche!
Du,, o du, fühlst, fühlst du das?! ...
Das dunkle Thor
Ich weiss ein dunkles Thor.
So klein oder so gross es ist,
kommt, ihr fröhlichen Kinder!
da stossen wir all unsre Freuden
und all unsre Leiden hinein,
in leidfroher Lust,
in lustbangem Leid,
die müden.
Irgendwo, irgendwie ist dahinter ein Jungbad.
Wenn sie wieder hervorkommen
die lieben gewaschenen Seelchen,
zu uns,
in die Sonne,
so giebt es eine neue Lust! . . .
Was es doch ist!
Dir geht es schlimm,
mir nicht besser!
O wärs am Ende! ...
Aber hier ist mein, dein Leid,
meine, deine Sehnsucht,
und hier ist ein drittes,
Notwendiges !
Was ist es?
Ist es ein Keimchen, das noch spriessen
muss? 1
Ist es ein Sonnenstäubchen, das noch wirbeln
muss? 1
Ist es eine Blume im Mai,
eine Flocke im Winter,
ein bunttaumelndes Blatt im Herbst,
ein Staubkörnlein am Sommerweg?
— .87 — ■ .
Was ist es?
Wenn es nicht wäre
wäre die Welt am Ziel !
Wenn es nicht w^äre,
läge die Welt in Trümmern !
Mein, dein AIuss und Zwang! —
Was ist es doch?
Zwischen Anfang und Ende
müssen wir ihm befohlen sein! . . .
Der Neugeburt eines Mückleins wohl,
das noch zum Licht will ...
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. /.•^■t
Glück
Goldene Träume träumt die Not und die laute
Thorhcit! ! •
In blauen Fernen erdämmern Welten der Vcr-
heissung, erdämmert das verkündete Reich des
Friedens ! .
Aber Millionen dunkler Stimmen kommen und
gehen, Stimmen der unbefriedigten Not und der
Gerechtigkeit, Klagen, dass nur der Traum des
Traumes Erfüllung! ...
Küsse mich!
Wir sehen uns an und lachen!
Unser sind tausend Traum Wirklichkeiten, und
mehr! Denn uns gehört ein gegenwärtiges kluges
Glück und fromme Stunden der Erfüllung, der
ewigen, einzigen! ... !
Mondlicht
Eine Phantasie
as ich schrei'
und wer es
be,
lie:
in
schreibe
ich von mir
W;
das
st, d
sich
selbst ,
er mag
_selbst.^
nach Belieben
Immer ist ich
denken
, er
lebe
es
ich und du und gar umfangreich! . . . . . .
Ich halte Dunkelstunde bei einer Cigarre,
Lange cremefarbene Gardinen mit feinen creme-
farbenen Spitzen vor einem breiten, hohen F'enster.
Und dazwischen, drüben über dem Dachfirst, steht
hell der grosse runde Vollmond und lugt silberblau
in meine Stube.
]\Iir wird so närrisch zu Mut und ich fange an
zu phantasieren.
Es ist wie eine religiöse Anwandlung.
Ich denke, ich bin der Eine, der Wandrer von
Anbeginn, liege hier still und höchst modern auf
meinem Ruhebett und schaffe mir ein Divertissement.
— 90 —
Ich habe eine gar ruhige, umfassende Laune;
viel, viel passt in sie hinein. Selbst crmess ich nicht
ihre dunkelsten Tiefen ! — • .
„Schwester du vom ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer . ,
O Mond! O Hell-Dunkel! O lichte Nacht!
Ich denke. Du bist es, eine Ferne, die hier
hineinschaut, und ich phantasiere mit dir fromm, das
alte Märchen von unserer Ewigkeit. i
f
Weisst du noch ? Weisst du auch ?
O weite Fahrt! O wogende w^echselnde Welt!
Du mein goldener Dämon! Mein Wille und
meine vSehnsucht! Wie mit einem Strahl aus deinem
fernen Auge, neckisch, sehnend, grüsst es mich,
dunkel ... [
Religion |
Leben, Verwesung! Blüte und Welke n^^
I Ich träumte es in zwei Träum enj^._
Es w^ar eine herrliche, grausige Fahrt durch
ein endloses Meer, durch .Milliarden geheimnisvoller
Gebilde mit unzähligen Landungen und Abschieden.
— 91 —
Und es war ein Heben und Sinken , hinauf in
Himmel blutwarmen, kraftfröhlichen, liebegewaltigen
Lebens, hinab in fade, schauerliche Verwesung; und
hinauf hinab, hinab hinauf! y
I Und das ist unser ewiger Wandel und unsere
Einigung! ...
* ■ . . ■ * - '; ■ ■
Lass! Komm! ' .
Hier!
Drüben auf dem Tisch im blauen Traumlicht
steht eine Amphora.
Wir machen uns Hellas zu eigen.
Säulenpracht und heiligheitre Tempelschöne. Im
holden Bann des Dreiklangs umspinnt uns unser
altes Lied mit goldklaren Melodien.
Der edle Faltenwurf langer, lichter Gewänder.
Die Spiele der Olympien, das schöne Gleichmaass
heller, athletischer Gliederpracht.
Aber dein Auge, immer und nur! Tief klar —
dunkel! ...
Und jetzt sind wir in Indien , in der alten, ur-
alten Heimat!
Eine fremde, wunderlich üppige Vegetation;
0{A
92
seltsam glühende Blumen mit wundersamen Düften.
Dunkelhäutige Menschen mit dunklen Weisheiten.
Die mystische Pracht und Gliederung der mächtigen
Tempel. In ihrem blauen Dämmer zwischen heim-
licher Farbenglut, funkelnden Steinen und Metallen
riesige, starre Götzenbilder, Spiele unsrer Träume
von uns selbst und unsrem ewigen Schicksal.
Cymbelklang und seltsame Tänze und Künste und
der Wahnsinn der Begnadeten. i
Aber nur immer ich und du und unser süsses,
tiefes Geheimnis! " j .
Immer mein, dein Fliehen und Finden!
Nun ist hier unser Rhodus und hier tanzen
wir! Hier! j
Da sind die hohen Häuser, und hier ist unsre
Stube und dieses gegenwärtige Leben!
Ist es nicht ein schönes Märchen, das Märchen
von Dir und mir?
Nachthimmel
Hoch in den Höhen,
weit über den nachtdunklen
raunenden Gärten
funkeln alle Gestirne.
Die Liebe,
die ewige Liebe
hat zu thun!
Hilft, .
hilft, dass die Welten stieben!
Und ich versinke^
staunend
in dem mystischen Grauen
eines unendlichen Trostes!
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Inhalt
Seite
1. Früliling
2. Zwielicht 45
3. Das Lied 60
4. Schönheit 70
5. Am Graben 73
6. Im Haidekraut 75
7. Unter den tiefen dunklen Wolken 77
8. Die Vehikel 79
9. Andacht 81
10. Der Tod . 83
11. Das dunkle Thor 85
12. Was es doch ist 86
13. Glück . 88
14. Mondücht 89
15. Nachthimmel 93
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Im Sommerwind. Gedichte .... „ 2 „ *
Der Schleifstein. Ein Lebensbild . . „ 3 „ *
Ninive. Roman ,, 3 „ *
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■ \Veitere Erscheinungen stellen bevor.
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