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DENKWÜRDIGKEITEN AUS ALTÖSTERREICH V
(UNTER DER LEITUNG VON GUSTAV GUGITZ)
CAROLINE PICHLER, GEB. v. GREINER
DENKWÜRDIGKEITEN I
1
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Karoline von Greiner
Pastellbildnis von Gabriele Beyer (1786) — • Städtisches Museum, Wien
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Betreffs aller erstmalig mitgeteilten Stellen, der Originalbildnisse,
der Einleitung und der Anmerkungen alle Rechte vorbehalten.
834-P5 84
Seiner
lieben Frau und treuen Lebensgefährtin
ROSABLÜMML
in Liebe und Dankbarkeit
zugeeignet
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MiiiinniiiitniiiiiniiniiiniiiitiiitiiiiiniiiiiiiiiiMiiiiiniiiiifiiniiiiiiiiiMiMiiiiiinittitiiiitiiiiMiiiMiiiliiiiiiiiiiiiiMiiii
EINLEITUNG
Welcher Wiener, der die Namen Greiner und Pichler
hört, denkt nicht mit wehmutsvollem Gefühle, das
alles Vergangene einflößt, an das Wien der Großväter-
und Urgroßväterzeit! An jenes wallumgürtete Wien
mit seinen hochgiebeligen Häusern, seinen engen und
krummen Straßen, seinen lauschigen Plätzen und gon-
nigen Basteien. Die lebensfrohen Bewohner von dainals,
die Großstädter spieltenj obwohl das alte Wien, der
Mittelpunkt des heiligen römischen Reiches deutscher
Nation, doch nur eine kleine Stadt von heute war, sie
schlummern in den alten Friedhöfen vor den ehemaligen
Linien und was sie für ewig am Bilde ihrer Stadt hiel-
ten, das schwand und wurde zur lieben Überlieferung,
an die wir uns heute klammern. Die gute, alte Zeit,
wie. wir sie so gerne nennen, die uns anheimelt, weil sie
vergangen ist, die wir gerne miterlebt hätten, weil sie
bereits märchenhaftes an sich hat, sie ist unsere Zu-
fluchtsstätte, der wir in stillen, träumerischen Stunden
zueilen, an der wir uns erlaben, deren ragende Zeichen
wir aber in wollüstiger Grausamkeit zerstören. Denn
der nüchterne, nur manchmal sich in weichHcher Ge-
fühlsstimmung gefallende Großstädter kennt keine
Rücksicht der Vergangenheit gegenüber, wenn es sich
um gleißendes Gold, wenn es sich um den Verkehr,
dieses Schlagwort . der Gegenwart, handelt. Er, der
gern sein Urahne 'sein möchte, wenn er im wirbelnden,
VII
hastenden Treiben des Lebens eine kurze Ruhestunde
gefunden hat, die ihm den gequälten Schrei nach
„mehr Freude!", um die er sich selbst betrog, aus-
preßt, er brachte diese Urahnen mit lächelndem Ant-
litz und ruhigem Gewissen um ihre letzte Ruhestätte,
weil die Toten eben Verkehrshindernisse sind. Er riß
die alten, anheimelnden Gebäude, da sie im Wege
standen, nieder, er zerstörte die lauschigsten Plätz-
chen, er hat die Vorstädte mit ihren vielen Gärten
verschwinden gemacht, er hat die Dörfer vor den
Linien ihrer Eigenheiten entblößt, ihres grünen
Schmuckes und ihrer sonnigen Hügel und Weinreben
beraubt und hat ein kahles Steinmeer, die Großstadt,
geschaffen, die nach außen glänzend dasteht, im Innern
aber schweres Elend birgt i).
Wenn vom Traumland des alten Wien auch nur
weniges der Zerstörungswut des heutigen Geschlechtes
entgangen ist, so ragt doch vorderhand, vielleicht wird
es auch einmal Verkehrshindernis und muß dann
schwinden, das alte Wahrzeichen, der St. Stephans-
dom, stolz in die Lüfte hinaus und meldet von schweren
und freudigen Tagen der Stadt, die zu seinen Füßen
liegt. Wie viele Geschlechter sah er kommen und gehen,
zu seinen Füßen niedersinken und in der geweihten
Erde rings um ihn verschwinden. Alles um ihn änderte
sich, doch er blieb der alte, der in seiner erhabenen
Gotik stumm und kalt auf die Gleichgültigen, doch
beredt auf die Fühlenden niederblickt, die in ihm
Wiens Geschichte verkörpert sehen. Jede Zeit hat ihre
^) Vgl. dazu die äußerst lesenswerten Ausführungen von Jos.
Aug. Lux (, ,Wenn Du vom Kahlenberg . . ." Das künstlerische
Stadtbild Wiens, wie es war und wird. Wien 1907, S. 5 ff.)
über das gewesene Wien.
VIII
Größen und ihre Sehenswürdigkeiten. Auch Wien hat
deren viele gehabt, doch das Bleibende im Wandel der
Zeiten blieb der Dom des heiligen Stephan. Es gab
eine Zeit, noch liegt sie nicht allzuweit hinter uns, es
waren die drei ersten Jahrzehnte des neunzehnten
Jahrhunderts, da galten der Stephansturm und die
Dichterin Karoline Pichler als Hauptmerkwürdigkeiten
von Wien^). Beide mußte man gesehen haben, wollte
man von Wiener Eigenart und Wesen etwas wissen
und wenn sie auch nicht ebenbürtig waren, so waren
sie doch gleicherweise Anziehungspunkte für die
Fremden. Was man in Karoline Pichlers Heim ken=
nen lernen konnte, das war eben jene echte Wiener
Geselligkeit, die bei ihr in voller Blüte stand, an der
alle Gebildeten gleichermaßen teilnahmen, und die
heute mit ihren Trägern längst der Vergangenheit
angehört.
Das Wiener Gesellschaftsleben, dessen Schilderin
Karoline Pichler wurde und in dem sie selbst einen
eigenartigen Kreis bildete, hat aber keine so weit zu-
rückreichende Tradition aufzuweisen wie etwa das
der italienischen Renaissancehöfe oder das leichtlebige,
geistigen und leiblichen Genuß gewährende, Leben der
französischen Salons zur Zeit des Sonnenkönigs und
seiner Nachfolger 2). Wien hatte lange keine geselligen
Vereinigungen, wo sich Geist mit Anmut, Scherz mit
Ernst, Weisheit mit Genuß paarten, denn erst in die
Zeit der Regierung der Kaiserin Maria Theresia
^) P. D. Atterbom, Aufzeichnungen über berühmte deutsche
Männer und Frauen. Aus dem Schwedischen übersetzt von
Franz Maurer. Berlin 1867, S. 199.
2) Über diese Salons vgl. man die feinsinnigen Bemerkungen
von Valerian Tornius (Salons. Bilder gesellschaftlicher Kultur aus
fünf Jahrhunderten. Leipzig 1913).
IX
fallen die ersten Anfänge der Wiener Geselligkeit^).
Unter Kaiser Josef IL bildeten sich dann jene drei
Kreise desselben aus^), die lange Zeit hindurch, bis zur
Revolution des Jahres 1848 feststehend blieben, wenn
auch das Leben und Treiben in den Salons selbst
schließlich nur mehr ein schattenhaftes war. Der erste
Kreis, dessen Hauptzweck in der Förderung der Wissen-
schaften lag^), war im 18. Jahrhundert durch Ignaz
von Born und Nikolaus von Jacquin und deren
Gesellschaften, von denen auch Karoline Pichler
spricht (I, S. 149 f., 158), vertreten; der feinsinnige,
gleichen Zwecken dienende Kreis um den Botaniker
Ladislaus Endlicher gehört einer späteren Zeit an.
Im Gegensatz dazu stand jener, der den Frohsinn
pflegte^), sich im Humor aller Art nicht genug tun
konnte, und besonders jenen behaglichen und gemüt-
lichen Wiener Spießern zusagte, die etwa heute im
Rostbratelorden mittaten, morgen in der Ludlamshöhle
Castellis gerade nicht immer feine Witze anhörten,
und am dritten Tag nach alter Ritterart als Knappe
Williram oder Ritter Kunz im feierlichen Aufzug ein
Ritterkonventikel im Seebensteiner Schlosse abhielten.
Mitten zwischen Ernst und Scherz aber stand jener
Kreis, der die Geselligkeit selbst zum Hauptzwecke
hatte, dem „die Geselligkeit als Mittel zum anknüpfen
gegenseitiger Bekanntschaften, als Vereinigungspunkt
von Personen verschiedener Geistesrichtungen und
verschiedener Lebensweise" diente^). Hier fiel im
^) Vgl. M. A. Becker, Geselligkeit und Gesellschaft in Wien.
In dessen: Verstreute Blätter. Wien 1880, S. 36!.
2) Becker, a. a. O. S. 38.
3) Becker, a.a.O. S. 38, 41 f.
*) Becker, a. a. O. S. 39, 43!.
6) Becker, a. a. O. S. 39{.
X
Gegensatze zu den beiden anderen Kreisen der Haus-
frau die entscheidende Rolle zu. Von ihrem Geschick
und ihren geistigen Fähigkeiten hing es ab, ob dieser ,
Kreis lebensfähig war oder nicht, ob er anregend
wirkte und jene heitere Freude im Besucher auslöste,
die ein stetes Wiederkommen verbürgte. Charlotte ^
von Grein er war eine solche Frau, die, mit scharfem
Geiste, wenn auch nicht hübschen Zügen begabt, es
verstand, in ihrem Heim während der ausgehenden
siebziger, der achtziger und neunziger Jahre des
i8. Jahrhunderts jene behagliche Geselligkeit zu schaf-
fen, deren beherrschender Mittelpunkt sie war (H,
S. 440). Für Abwechslung war in ihrem Hause bei den
täglichen Abendgesellschaften (I, S. 168) genügend
gesorgt. Während sie selbst mit ihren Freunden eine
Art gelehrter Akademie wöchentlich abhielt (H,
S. 441), veranstaltete ihr Gatte, seiner Neigung gemäß,
größere Gesellschaftskonzerte, an denen die Tochter
des Hauses mitwirkte (I, S.481 f.). Als Sohn und Tochter
erwachsen waren, da gab es für die Freunde des Sohnes
gelehrte Kränzchen (I, S. 171 ff.) und für alle jungen
Leute Tableaux und Theatervorstellungen (I, S. 1 1 1 ff.,
150 ff.), bei denen man sich die Liebe ins Herz mimte.
Während die Frau des Hauses auf ihrem Ehrenplatz
am Sopha thronte und mit den älteren Damen und
Herren kritisch die Vorzüge und Fehler ihrer Bekann-
ten und Freunde durchging, wohl auch hie und da
ihre gelehrten Ansichten über die Entstehung und den
Urgrund aller Religionen zum besten gab und während
der Herr Hofrat einem Spielchen huldigte, da flirteten
die jungen Leute, aller Standesunterschiede vergessend, -
und aus ihren Herzen knospte die luftige Zukunft in
die Gegenwart hinein. Diese fröhHche, ungebundene
XI
Heiterkeit, dieses gegenseitige Vertrauen und der Auf-
klärungsdusel, der sich in den Unterhaltungen breit
machte, fand aber mit einem Male ein Ende, als die Jako-
binerfurcht aufkam und eine künstlich aufgebauschte
Jakobinerverschwörung 1794 ^^ Wien und den Pro-
vinzen aufgedeckt und mit drakonischer Strenge gegen
die vermeintlichen Vaterlandsverräter vorgegangen
vi^urde. Wie ein kalter Wasserstrahl wirkte das nunmehr
auftretende Polizeiregiment auf die Gesellschaften und
man zog sich scheu vor den Menschen zurück, waren
ja doch die grimmigsten Freimaurer und Aufklärer
vielfach Angeber und verbissene Rückschrittler ge-
worden. Die heitere Geselligkeit der josefinischen Zeit,
die Karoline Pichler auch im ersten Teile ihrer „Zeit-
bilder" anschaulich vor Augen führt, war der Furcht,
dem Parteigeist und dem Mißtrauen gewichen. Der
literarische Zirkel der jungen Männer im Hause Greiner
hörte auf (I, S. 184) und die jungen Leute fanden sich
nur mehr zu harmlosen Zusammenkünften und Garten-
festen im Hernalser Landhaus ein. Wenn so der Salon
Greiner, den früher jeder Fremde, der nach Wien
kam, gern besucht hatte, allmählich seine Bedeutung
verloren hatte, so war überhaupt sein Ende da, als
1798 der Hofrat Greiner das Zeitliche segnete.
Die notwendigen Einschränkungen, die nunmehr
eintreten mußten, zwangen die Familie Greiner-
Pichler — Karoline hatte ja unterdessen den Hafen der
Ehe erreicht — , sich in einen Vorort (Alservorstadt) zu
ziehen. So nahe auch heute diese Gegend der inneren
Stadt liegt, so leicht und bequem sie jetzt erreichbar
ist, so schwierig war es damals, über das unbeleuchtete
und ungepflasterte Glacis von der Stadt aus in die
Vorstadt zu kommen (vgl. I, S. 225). Selten verirrte
xn
sich daher ein Freund oder Bekannter in das Haus
Nr, 109 der Alservorstadt. Eine stille, trauliche Häus-
lichkeit war an die Stelle der Geselligkeit getreten und
man unterhielt sich, so gut es eben ging, mit Lektüre
oder Klavierspiel im engsten Familienkreis (I, S. 225).
Das änderte sich aber, nachdem Karoline Pichler 1800
mit ihren „Gleichnissen" an die Öffentlichkeit getreten
war, mit denen sie eine bekannte Dichterin wurde.
Man drängte sich, ihre Bekanntschaft zu machen, man
wollte in ihrer Gesellschaft sein und 1802 beginnt die
Geschichte des Pichlerschen Salons. Zwar war nach
wie vor Charlotte von Grein er der sogenannte Mittel-
punkt, denn noch immer verstand sie es, durch ihre
Geistesgaben und ihr Unterhaltungstalent große und
kleine Geister zu fesseln (I, S. 250 f.), aber ihr gewöhn-
licher Freundeskreis war ein sehr geistesarmer (H,
S. 44if.). Das geistige Haupt war aber jetzt Karoline
Pichler, wenn sie auch vor ihrer Mutter in Bescheiden-
heit zurücktrat. Ihr huldigte man und ihr galten all
die Besuche der Fremden, die jahraus und jahrein ihr
die schuldige Achtung zollten. War sie auch nur „La
Muse du Faubourg", wie sie Frau von Stael scherzend
nannte^), so war sie doch eine geistige Macht in Wien
geworden, mit der man zu rechnen hatte, und nicht
mit Unrecht nannte man sie Wiens Recamier^). War
ihr Kreis auch nicht so glänzend wie die gleichzeitigen
Zirkel der geistreichen Jüdinnen Fanny Arnstein und
Cäcilia Eskeles, wo sich der Hochadel und die Diplo-
maten ein Stelldichein gaben, wo berühmte Geistes
beiden und hervorragende Männer der Geschäftswelt
sich trafen, so waren ihre Gesellschaftsabende — jeden
1) P. D. Atterbom, a. a. O., S. 199.
2) B (Bolza .'') in : Illustrierte Zeitung. I. (Leipzig 1843), S. 171.
XHI
Mittwoch (I, S. 314, 318), später jeden Dienstag und
Donnerstag (II, S. 114, 470: 178) empfing sie, während
die Sonntage dem engsten Freundeskreis vorbehalten
waren (II, S. 39, 114) — der Vereinigungspunkt der
feinen bürgerlichen Kreise, des niederen Adels und der
literarischen und künstlerischen Größen, deren Unter-
haltung sich um Tagesereignisse und Gegenstände der
Literatur und Kunst drehte^). Wenn die Gesellschaften
der Eskeles und Arnstein im gewissen Sinne alle
Vorzüge und Nachteile des Emporkömmlingtums zeig-
ten, wie es Karoline Pichler im zweiten Teile ihrer
,, Zeitbilder" so trefflich schilderte, so verkörperte sie
mit ihrem Kreis, der die Gesellschaften der Piquots,
Hoppe u. a. durch die literarischen Interessen weit
überragte, die Traditionen des josefinischen Beamten-
tums und des seßhaften niederen Adels, der auch bei
Frau Flies und bei der Baronin v. Matt sich geltend
machte.
Bei ihr ging es stets gesittet und ruhig zu und gerne
sahen es aristokratische Eltern, daß ihre Söhne bei der
Pichler, welche die Jugend gerne um sich hatte (II,
S. 87, 463 f.) und wo man guten Ton und feine Sitte
lernen konnte (II, S. 87), verkehrten. Die aufstrebenden
Talente, wie Hormayr, Hammer- Purgstall, Col-
lin, Streckfuß, Schneller, Rothkirch- Panthen
u. a. vereinigten sich hier, übten sich in Deklamationen
(I, S. 261, 539), im Theaterspiel (I, S. 297, 565: 488f.),
das Regierungsrat Pichler leidenschaftlich liebte, hielten
Musikabende ab (I, S. 265, 283 f.; II, S. 114 u. ö.)
und waren glühende Patrioten, die den Fall ihres
Vaterlandes aufs tiefste bedauerten und den Empor-
1) Becker, a. a. O., S. 41; Alexandrine Baronne du Montet,
Souvenirs. Paris 1904, S. 79.
XIV
kömmling Napoleon mit der ganzen Glut ihrer feurigen
Seelen haßten ^). In diesem Kreise wurden die nationalen
Stoffe, die ermunternd und anfeuernd auf das gesunkene
Volksbewußtsein wirken sollten, gepflegt und hier
kamen der Staatsgedanke, der damals allen Öster-
reichern tief in den Knochen saß, und der glühende
Patriotismus wiederholt zum Ausbruche, besonders als
Körner in Wien weilte (I, S.405). Pichlers Salon war
damals, wie Eugen Guglia in seiner trefflichen Ab-
handlung „Gesellschaft und Literatur im alten Öster-
reich (1792 — 1825)" richtig bemerkte, eine „Muster-
schule für künftige Staatsbeamte" 2) und setzte damit
die Tradition des Greinerschen Kreises fort (I, S. 168).
Während aber der Salon ihrer Mutter im Zeichen der
Aufklärung stand, Haschka hier seine fanatischen An-
klagen gegen Papst und Mönchstum vorbringen konnte,
steht .Karoline Pichlers Salon bereits unter dem Ein-
fluß der Romantik. Wenn sie, als aus der klassischen
Schule hervorgegangen, auch sonst gegen die roman-
tischen Ideale und Lehrsätze sich auflehnte (I, S. 264,
300 ff.), so konnte sie sich doch dem Einflüsse der na-
tionalen und später der religiösen Wiedergeburt, wie
sie die Romantik lehrte, nicht entziehen. Österreichs
schwere Bedrängnis hatte im ersten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts das nationale Gefühl in ihr ausgelöst,
ihr Blick wandte sich von der sorgenvollen Gegenwart
der Vergangenheit zu und da die Not beten lehrt, so
hatte auch Karoline Pichler durch den Krieg und be-
sonders durch den Tod ihrer Mutter (18 15) ihren reli-
^) Über Pichlers Franzosenhaß vgl. man Denkwürdigkeiten I.
S. 278!, 348!., 611 Anm. 606.
2) Österreichische Rundschau. Hg. von Anton Edlinger, I,
(Wien 1883), S. 718.
XV
giösen Halt wiedergefunden (II, S. 6i ff.), der sie den
Blick nach oben wenden hieß. Das Jahr 1815 führte
sie endgültig (II, S. 83 f.) in den Kreis derer um Fried-
rich und Dorothea von Schlegel, welche die
Ideen des Redemptoristen Klemens Maria Hoff-
bauer, der ebenso wie Zacharias Werner das religiöse
Leben in Wien einer neuen Glanzzeit zuführen wollte^),
vertraten. Obwohl ein Feind des katholischen Ultra-
montanismus, fand Karoline Pichler hier in diesem
Kreise aber doch so viele gleichgestimmte Wesen,
welche Gedanken, die schon lange tief in ihrer Seele
schlummerten und die sie im „Agathokles" schriftstelle-
risch verwertet hatte, offen zum Ausdrucke brachten.
Ihre tief religiöse Natur konnte sich dem Banne dieses
Kreises nicht entziehen, daher man bei ihr von nun
ab nicht nur feine Sitten lernen, sondern auch der Re-
ligion zugeführt werden konnte (II, S. 464: 163).
Als die Befreiungskriege und die Not der Zeit vor-
über waren und Wien im Taumel des Kongresses stand,
wo Vergnügen auf Vergnügen folgte und ein neues
Sündenbabel sich auftat, da ging es auch in Karoline
Pichlers Salon lebhaft zu 2), doch alles bewegte sich
in ruhigen, gemessenen Bahnen. Während das ganze
gesellige Leben in den nächsten Jahren einen völligen
Umschwung durchmachte, eine Fülle und Mannig-
faltigkeit von Genüssen verlangt wurde, da alles der
Zerstreuungssucht huldigte, an allem rasch vorüber-
gleiten wollte, sich dabei aber herzlich langweilte, blieb
Karoline Pichler dem alten Grundsatze, daß die Ge-
^) Vgl. den interessanten Aufsatz von Eugen Guglia, Religiöses
Leben in Wien 1815 bis 1830. Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
München 1891, Nr. 128 f.
2) Denkwürdigkeiten II, S. Sgf., 46, 48!., 53!.
XVI
selligkeit Freude schaffen soll, getreu^). Bei ihr gab
es keinen Prunk, keine Vorträge von Künstlern, keine
starken Reize, sondern wie in alter Zeit 2) musikalische
und deklamatorische Genüsse, einfache Erfrischungen,
prunklose Nikolaus- und Weihnachtsbescherungen, vor
allem aber ging man bei ihren Abendgesellschaften,
alter Sitte gemäß, bereits um lo Uhr auseinander,
während die modernen Gesellschaften meist erst nach
1 1 Uhr ihren Abschluß fanden. So blieb es, trotz dem
Zuspruche vieler Fremder, bis zum Jahre 1824, wo
ihre Tochter, die lange Zeit der jugendliche Anzie-
hungspunkt der Gesellschaft war, Wien verließ und
nach Prag übersiedelte. Karoline Pichler empfing von
nun ab seltener und gab nur mehr kleine Gesellschaften
(II, S. 227), denn sie hatte bereits das Bedürfnis nach
Ruhe und Scheu vor neuen Bekanhtschaften^). Die
Blütezeit ihres Salons war vorüber, was jetzt folgte,
hielt keinen Vergleich mit dem früheren aus.
Das Salonleben im übrigen Wien hatte sich immer
mehr verflacht und war zum geistlosen Getändel
herabgesunken. Während früher die gemischten Gesell-
^) Vgl. ihren Aufsatz „Über die Art der geselligen Untefhal-
tungen" im Taschenbuch „Huldigung den Frauen" (I, [Leipzig
1823], S. i5off., bes. S. I52ff.) und eine Stelle in einem Brief
an Th. Huber vom 6. März 18 19 (K. Glossy, Grillp. Jb. HI,
S. 284).
2)SPichler, ebd. I, S. 157 ff. — Denkwürdigkeiten H, S. 85 f.
(i8i6)\92f. (1816), i3of. (1817), i3if. (1818).
^) Bri6^ an Therese Huber vom 6. Dezember 1825 (K. Glossy,
Grillp. Jb. ni, S. 336): „Je älter ich werde, desto mehr fühle ich
das Bedürfnis größerer Ruhe und Stille um mich — und suche
mich sachte von zu vielen Geschäften und Bekanntschaften zurück-
zuziehen. Gleichförmigkeit des Lebens, Vermeidung aller zu nahen
Berührungen, außer denen, die die Natur mir auferlegte, und
Stetigkeit der Verhältnisse, das sind die Hauptbedingungen meiner
Zufriedenheit."
II C.P.I XVII
Schäften, wo Männer von Geist mit gebildeten Frauen,
die ihre Handarbeiten während der Unterhaltung för-
derten, gerne und oft verkehrten, an der Tagesordnung
waren ^), zogen sich die Männer zu Ende der zwanziger
Jahre immer mehr zurück. Das Tabakrauchen, die Ängst-
lichkeit vor der Polizei und der aufkommende Luxus
nötigten sie dazu 2). Eine förmliche Umwälzung brachte
aber die Julirevolution nicht nur im täglichen, sondern
auch im geselligen Leben^). Die Gesellschaften, wie
sie Karoline Pichler im dritten Teil ihrer „Zeitbilder"
schilderte, waren nunmehr Durchgangsorte; auf der
einen Seite strömten die Gäste zu, auf der anderen
Seite verschwanden sie, ohne Abschied zu nehmen.
Geistloses Geplauder, konventionelle Redensarten bil-
deten ihren Inhalt ^) und es ist begreiflich, daß K. Pich-
ler, die an etwas anderes gewöhnt war, diese Gesell-
schaften floh (II, S. 308), ebenso begreiflich aber, daß
die jungen Literaten diese Art Geselligkeit, die ihnen
nichts bot, mieden und im literarischen Kaffeehaus^)
sich einen Mittelpunkt schufen. Wir begreifen aber auch,
daß Lenau und Bauernfeld an der althergebrachten
Geselligkeit, wie sie im Hause Pichler herrschte, keinen
Gefallen fanden und auf Nimmerwiedersehen ver-
schwanden (II, S. 311), denn sie waren jung und stür-
mend, Karoline Pichler aber alt und konservativ; für
jene ging der Stern ihres Ruhmes auf, während der
der Hausfrau niedersank. Zwei Welten, die sich nicht
1) Denkwürdigkeiten II, S. izyf., 308, 381.
2) Denkwürdigkeiten II, S. 606: 567 (Tabakrauchen). — Brief
an K. Streckfuß vom 26. Jänner 1828: K. Glossy, Wiener Commu-
nal-Kalender, XXXII, S. 414.
2) Denkwürdigkeiten II, S. 381 ff., 606: 566.
^) Neuners silbernes Kaffeehaus; vgl. darüber Jean Charles,
Wien und die Wiener. Stuttgart 1840, S. 78 ff.
XVIII
überbrücken ließen, standen einander gegenüber. Wenn
Karoline Pichler in ihrem konservativen Sinn die alte
Geselligkeitsform, wie sie noch immer bei ihr herrschte,
der ein Kreis gebildeter, wenn auch älterer Damen
„einen noch erhöhteren Reiz" gab^), lobend pries, so
hatten aber auch die Jungen, die unter sich sein und
von gebildeten älteren Damen nichts wissen wollten,
auch wenn damit ihre Sitten Schaden litten (II,
S. 309), von ihrem Standpunkte aus recht, wenn sie
der Welt verkündeten, daß die ästhetischen Gesell-
schaften für Wien nichts seien. Ihr Sprachrohr, Jean
Charles (Karl Johann Braun Ritter von Braunthal),
ein von sich selbst sehr eingenommener junger Mann,
der von Karoline Pichler meinte, daß sie im Roman
nicht ohne alles Verdienst sei^)^ rief einmal aus^):
„Selbst die edleren Vereine dieser Art passen für das
geistige Leben so wenig, daß _ man auch ihrer nicht
schonen soll: so belächelt denn der Wiener nicht minder
die ästhetischen Soireen bei Hammer, Pereira^) und
der Frau von Pichler, in denen sich doch Poeten von
bedeutenden Namen einfinden." Diese Art der Ge-
selligkeit war eben überlebt, versteinert, schuf keine
neuen Werte mehr; sie konnte künstlich nicht erhalten
werden und mußte mit dem Tode derer, die in ihrem
Banne aufgewachsen waren und auch aus Ruhebedürf-
nis sie festhielten, verschwinden, da der Nachwuchs
fehlte. Denn die wenigen jungen Literaten, wie L. A.
Frankl und Otto Prechtler, die in Pichlers Kreis
^) Nile. Fürst, Frankls Sonntags-Blätter II, (Wien 1843), S. 1077
(im Aufsatz: Literarische Soires [in Wien] und die Journalistik).
2) Wien und die Wiener, S. 97.
^) Wien und die Wiener S. 76.
*) Stand auf gleicher Höhe wie Pichlers Salon, vgl. Denkwürdig-
keiten II, S. 124.
II* XIX
ausharrten, waren mit ihren inneren Gesinnungen doch
im anderen Lager. Und so steht die letzte Stufe des
Greiner-Pichlerschen Salons, etwa die Zeit von 1830
bis 1843 umfassend, im Zeichen des Verfalls. Es waren
nur mehr kleine, intime Gesellschaftsabende, welche
Karoline Pichler veranstaltete^), die sie aber durch
ihre ungezwungene Heiterkeit und angeborene Fröh-
lichkeit 2) doch zu heiteren gestaltete. Kam ein bedeuten-
der Literat nach Wien, der sie besuchte^), obwohl mit
ihrem sinkenden Ruhme auch die Besuche von aus-
wärts immer geringer wurden, dann gab sie eine eigene
Soiree zu Ehren ihres berühmten Gastes, etwa in der
Art, wie uns L. A. Frankl eine solche anläßlich der
Anwesenheit des Dichters und Erzbischofs Ladislaus
Pyrker schilderte*), die in ihrer Verquickung von
Schrifttum und Strickstrumpf doch etwas altväterlich-
hausbacken anmutet. Von den Mitgliedern dieses
Kreises forderte die Zeit ihre Opfer, viele, darunter
ihr Lebensgefährte, starben und einsam wurde es in
den letzten Jahren um Karoline Pichler, die sich, der
Welt entfremdet, immer mehr in den trauten Familien-
kreis zurückzog, wo die Jugend um ihre Enkel herum
ihr des Lebens Winter verschönte (II, S. 607). Ein hal-
bes Jahr vor ihrem Tode gab sie, wenn auch mit schwe-
rem Herzen, ihre Wohnung im ersten Stock ihres
Hauses auf und übersiedelte in den zweiten (II, S. 609) ;
^) Frankl, Erinnerungen, Prag 1910, S. 105, iii.
2) Über Karoline Pichlers heiteres Naturell vgl. man Denk-
würdigkeiten I, S. 208, 483 Anm. 256a; II, S. loif.
3) 1840 war z. B. Hof rat Göttling mit einem Empfehlungs-
schreiben der Frau v. Wolzogen (Literarischer Nachlaß, ^ II,
S. 398 f.) zur Pichler gekommen, doch konnte sie ihm krankheits-
halber nicht viel Aufmerksamkeit schenken.
*) Erinnerungen, S. 104 ff.
XX
damit war das Ende ihres historischen Salons, dessen
Geschichte sich in ihren „Denkwürdigkeiten" spiegelte,
gekommen.
Jenes blaue Zimmer, in dem sie in ihren letzten
Jahren (1836), und so wird es wohl auch früher gewesen
sein, punkt sieben Uhr abends empfing, in das man über
eine schön geschwungene Treppe und durch ein ge-
räumiges großes Zimmer gelangte, war nicht mehr.
Hier saß sie früher, bescheiden gekleidet, auf einem
altvaterischen Kanapee und bewillkommte mit ge-
winnender Freundlichkeit ihre Gäste. Rings an den
Wänden hingen Erinnerungszeichen an frühere Zeiten,
so Fügers Kupferstiche zur Messiade in schwarzen
Rahmen, Körners höchst ähnliches Miniaturbild, das
erst jüngst wieder bekannt wurde (I, S. 621), das Ge-
mälde „Kaiser Maximilian I. seinen Sarg betrachtend"
und andere Bilder, welche Freunde des Hauses vor-
stellten. Ein Betschemel, der vor einer schönen Madonna
mit dem Kinde stand, wies auf erbauliche Stunden
hin und ein Körbchen mit einem Knäuel Zwirn am
Tische, wo auch der Teekessel der Gäste harrte, zeugte
für den Strickeifer der Hausfrau^). Der Salon war, wie
Anton Langer, ein Spielgenosse von Pichlers Enkeln^),
berichtet^), „eines jener dämmernden, heimlichen Ge-
mächer, die auf eine merkwürdige Weise moderne
Eleganz mit altertümlicher Bequemlichkeit vereinen.
In der Tat befanden sich hier einige Möbel, die, im
strengsten Sinne des Wortes, nicht bloß der Fa^on
^) Diese Schilderung nach L. A. Frankl (Erinnerungen, S. 106)
und Franziska v. Pelzeln (Österr. Kaiser-Jubiläums-Dichterbuch.
Wien 1899, S. 54).
^) Frankl, Erinnerungen, S. 108.
^) Ein Abend bei Karoline Pichler. Bäuerles Allgemeine Theater-
zeitung. Wien 1843, S- 749-
XXI
^
nach, Rococco waren, und um welche manche Mode-
dame die Besitzerin beneidet hätte". In einem an-
stoßenden, langen Gemach, das gegen den Hof zu lag,
hingen die Familienbilder ^).
In diesem blauen Zimmer hatten Karoline Pichler
und ihre literarischen Freunde vor und nach dem
gereichten Tee ihre dichterischen Erzeugnisse zum
Vortrag gebracht und hier kam oft die Schriftstellerin
Pichler mit der Hausfrau Pichler in Zwiespalt, wenn
etwa eine Vorlesung gar zu lange dauerte und das
künstlich gebaute, zur Erfrischung bestimmte Eis
unterdessen zu schmelzen drohte^). Im Leben und
Treiben dieses Zimmers erhielt sie sich bis in ihre
letzten Tage jene geistige Regsamkeit und Tätigkeit,
die ihr ein fester Schild gegen die Stürme des Ge-
schickes waren, ,, nicht bloß durch Ableitung und Zer-
streuung, sondern aktiv durch Innern Widerstand und
stete Regsamkeit"^). Hier konnte sie aber, wenn die
Gesellschaft nur aus dem engsten Familienkreis und
höchstens einem oder zwei Freunden bestand, auch
kindlich heiter werden, nachdem sie ihren Tee mit
Milch getrunken. Anton Langer berichtet uns von
einem solchen Abend, wo fröhliches Geplauder
herrschte, man sich nach Tische mit einem Zusammen-
legspiel bemühte, wobei Pichler Proben ihrer geistigen
Regsamkeit gab, und schließlich über ihre Aufforde-
rung ein ,,Tanzerl" gemacht wurde, zu dem Charlotte
von Pelz ein am Klavier aufspielte, während die siebzig-
jährige Dichterin selbst in taktmäßiger Grazie ein
^) Franziska v. Pelzeln, a. a. O., S. 54.
2) Vgl. den Bericht Wilhelm v. Chezys: Denkwürdigkeiten II,
S. 515, Anm. 295.
3) Brief an Karoline v. Wolzogen vom 18. April 1840: Wolzogen,
Literarischer Nachlaß, ^ II, S. 40c.
XXII
Menuett ä la Reine, in seligem Gedenken an ihre Ju-
gend, mit A. Langer tanzen wollte i).
Am Bilde von Karoline Pichlers geselligem Leben
würde aber etwas fehlen, wollte man nicht auch ihres
Gartens gedenken, den Grillparzer verherrlicht hat
{11, S. 115 f.). Vom gepflasterten Hof ihres Hauses aus
kam man durch ein hölzernes Staketentor in diesen,
in dem sich ein gemauertes, fünf Fenster langes
Pflanzenhaus und eine hölzerne Requisitenkammer be-
fanden^). Von dem Vorgänger, Professor Hu nczovsky
angelegt, wurde er 1800 zu einem „Garten voll Ge-
büsche, durch welche sich viele kleine, schmale Gänge
schlängelten", hergerichtet (I, S. 226). Zwei große Nuß-
bäume, 40 verschiedene Obstbäume, 7 Ficus carica L.,
44 Weinstöcke, 6 hohe Rosen, i große Linde, 26 Ro-
binien, 40 große Acer pseudoplatanus L., eine Menge
Gesträuche und Zierpflanzen, im ganzen 206 größere
Stücke, erfüllten ihn 2), darunter auch zwei große
Roßkastanien, in deren Schatten Karoline Pichler am
liebsten saß^). In einer Laube dieSes Gartens empfing
sie 1817 wiederholt Oehlenschläger (H, S. 470: 178).
Im Grünen traf sie 1811 Reinbeck (II, S. 586: 500)
und hier entstand manche ihrer Novellen und man-
cher Aufsatz so wie einst ein Großteil der „Gleich-
nisse" und viele Gedichte im Garten des Hernalser
Landhauses gedichtet wurden (I, S. 2i6f.). Sie war
immer viel im Garten, der aber nicht nur Zier-
sträuche und Obstbäume, sondern auch Küchenge-
wächse und ein köstliches Erdbeerbeet mit Ananaserd-
^) Bäuerles Allgemeine Theaterzeitung, 1843, S. 749 f-
^) Vgl. die Hausbeschreibung und Gartenschätzung (Protokoll)
vom 2. September 1843 i^ Pichlers Nachlaßakt (Archiv des Wiener
Landesgerichtes. Fasz. II, Nr. 238 ex 1843).
^) Franziska v. Pelzeln, a. a. O., S. 54.
XXIII
beeren barg^). Hier traf sie in ihren alten Tagen (nach
1839) eines Nachmittags Anton Langer, die Münche-
ner „Allgemeine Zeitung" lesend, da sie noch immer an
den politischen Ereignissen Europas regen Anteil nahm.
Sie erzählte ihm lebhaft und anschaulich^» Denis, H.
V. Collin, Z. Werner, Gluck, Mozart, Ha^n und Salieri,
von den Ereignissen des Jahres 1809 und von Erzherzog
Karl und als sie einen kleinen Spaziergang durch den
Garten unternahmen, da nannte sie ihm dessen Pflanzen
mit deutschen und lateinischen Namen und zitierte
betreffs ihres Küchengartens Stellen aus Horaz (lib.
Epod. Od. II). Unter der großen, weithinschattenden
Kastanie,' ihrem Lieblingsplätzchen, setzten sie sich
und plauderten über neuere .Literatur, wobei sich
Pichler gegen Lenau, dessen Weichheit und Wehmut
ihr mißfiel, aussprach, wohingegen ihr Grüiis mutige
und edle Männlichkeit, dessen „Mannesträne" sie
rezitierte, gefiel. Ein fröhliches Erdbeersuchen, an
dem auch Karoline v. Pelzein und deren Kinder teil-
nahmen, bildete den Abschluß dieser Szene im Garten 2),
der mit der Besitzerin alt, unmodern und einsam ge-
worden war. Er hatte seinerzeit Pichlers Glanzzeit
gesehen und sah jetzt ihre letzten Jahre, wo sie ver-
einsamt im Kreise der Familie, nur mehr von wenigen
Freunden besucht, lebte.
Aus diesem trauten Familienleben, aus diesem engen
Freundeskreis riß Karoline Pichler im Mai 1843 eine
schwere, wenn auch nicht unvermutet eingetretene
Krankheit, von der sie nicht mehr genesen sollte. Zwar
1) Brief an Grillparzer vom 19. Mai 18 19: A. Sauer, Grillparzers
Werke III, i, (Wien 1913), S. i88f.; A. Langer, a. a. O., 1843,
S. 749.
2) A, Langer, a. a. O., 1843, S. 749.
XXIV
blieb sie frisch am Geist, betrieb nach wie vor eifrig die
Lektüre und sprach am Krankenlager mit den sie be-
suchenden Freunden über Literatur und Wissenschaft
(II, S. 609), aber der Körper versagte seine Dienste
und am 9. Juli 1843, einem Sonntag, verließ ihre Seele
die gebrechliche Hülle (II, S. 608 f.). Sie war der Welt,
in deren neuer Gestaltung sie sich weder heimisch noch
zurechtfinden konnte^), ruhig entschlummert und zur
Ansehung des höchsten Wesens gelangt, dem sie die An-
dacht und Liebe ihrer letzten Jahre geweiht hatte.
Beinahe unbemerkt ging der Tod der einst vielgefei-
erten Schriftstellerin vorüber. Sie, die ehemals gewohnt
war, von vielen umringt und gepriesen zu werden, fuhr
einsam zu Grabe. Ihr Leichenbegängnis war still, nur
einige Freunde gaben ihr das letzte Geleite und am
Grabe standen wenige (II, S. 612 f.). Karoline Pichler
war schon, bevor sie ins ewige Leben einging, eine tote
Größe gewesen. Ihre Zeit war vorüber, die neue Gene-
ration war über sie hinweggeschritten und fühlte keiner-
lei Bedürfnis, sich mit ihr mehr zu beschäftigen. Daher
flössen auch die Nachrufe sehr spärlich und beschränk-
ten sich größtenteils darauf, zu zeigen, was Karoline
Pichler war, denn was sie ist und sein wird, darüber
brauchte man nichts mehr zu sagen. Meistens waren es
auch nur nahestehende Freunde, die ihrer in Liebe und
Treue gedachten. So vor allen andern Otto Prechtler,
der in den letzten Jahren zu den Besuchern ihres Salons
gehört hatte 2). Dieser setzte ihr ein schönes dichteri-
sches Denkmal in seinem, am 12. Juli 1843 verfaßten
^) Brief an Karoline von Wolzogen vom 18. April 1840: Wol-
zogen, Literarischer Nachlaß. ^ II, S. 400.
^) Franziska v. Pelzeln in: Österr. Kaiser- Jubiläums-Dichter-
buch. Wien 1899, S. 55.
XXV
\
Gedicht „Nai hruf an Karoline Pichler"^). Mit ihr, so
meint er, ging eine goldene Zeit vorüber, denn sie gab
Blumen in gesunden Liedern, da sie die Menschen nicht
krank machen wollte, denn sie brachte das Licht, um
anderer Pfad zu erhellen und gab ihr Bestes, aber nicht
im modischen Gewand; sie blieb trotz allem Ruhm ein
Weib und wenn auch die moderne Jugend sich über sie
erhaben dünke, so gelte doch von ihr:
Wert Deiner bessern Zeit warst Du, Verklärte!
Warst Deines Hauses Stolz und edle Zier!
Dein klarer Geist bleibt manchem noch Gefährte;
Dort oben ewig, — lange lebst Du hier!
So lang die Guten liebend sich erkennen:
Wird man auch Deinen teuren Namen nennen!
Kurz, aber mit trefflichen Worten meldete ein Un-
bekannter (Chiffre 33) ihren Tod 2), dabei von ihr sa-
gend: „Eine in allen Beziehungen ausgezeichnete Frau,
erfreute sie sich im Privatleben der ungeteiltesten Liebe
aller derer, welchen es vergönnt war, ihr persönlich
näher zu kommen und ihre hohe Herzensgüte, die sel-
tene, wahrhaft bewunderungswürdige Anspruchslosig-
keit ihres Charakters kennen zu lernen. Ihr Bild wird
unvergänglich leben in dem Herzen ihrer Freunde und
Deutschland wird das Andenken an eine seiner edelsten
Frauen zu ehren wissen." An die Schlußworte Precht-
lers klingen die Worte des Nekrologisten B. (Bolza?)
an^), der Pichler von dem Vorwurf, ein Blaustrumpf
gewesen zu sein, freiwäscht und ihr echte Dichtergabe
beimißt, daher sie nicht vergessen werden könne, denn
^) Bäuerles Allgemeine Theaterzeitung, 1843, S. 749.
2) Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode.
Wien 1843, S. no3f.
3) Illustrierte Zeitung, I, (Leipzig 1843), S- ^7° ^^ Bildnis (nach
Kriehuber-Benedetti in Pichler, S. W.^ L.).
XXVI
der Name Karoline Pichler wird, so hoffen wir wenig-
stens, noch so lange ehrenvoll forttönen, als der Sinn für
das wahrhaft Schöne und Edle noch nicht völlig erstor-
ben oder ausgeartet sein, als Undank und Frivolität
nicht jede und alle höhere Tendenz üppig überwuchert
haben und als der Kultus des echten Talentes noch eine
würdigere Geltung, denn die einer bloßen lächerlichen
Farce behaupten wird!" Ähnliches drückte auch der
Anonymus Y. in seinem Nachruft) mit den Worten aus :
„Ihr Geist weilt noch unter den Lebenden und wird
daselbst verbleiben, solange nicht die Empfänglichkeit
für das Schöne, Wahre und Gute stirbt"; dieser Be-
merkung ging aber eine andere voraus, die der Wahrheit
sehr nahe kam und besagte : ,,Die allgemeine Verehrung,
welche ihrem glänzenden Talente gezollt wurde, ist als
ein Denkmal zu betrachten, das jedes Grabesmonu-
ment lange überdauert." Im ,, wurde" dieser Ausfüh-
rungen ruht der Schwerpunkt, denn selbst ihre Freunde
fühlten, daß Karoline Pichler nur mehr historische Gel-
tung habe, wollten es aber nicht offen aussprechen, son-
dern ließen es zwischen den Zeilen durchschimmern.
Nur Heinrich Laube sagte es trocken heraus^), daß ihre
Zeit schon damals, als er sie 1833 in Baden traf, vorüber
war. Selbst L. A. Frankl, der einen schönen und war-
men, von inniger Teilnahme und vollem Verstehen ge-
tragenen Nachruf verfaßte^), wußte sie nur als Glück-
liche zu preisen, deren Leben einem abgeschlossenen
^) Bäuerles Allgemeine Theaterzeitung. 1843, Nr. 167, S. 747
(vom 14. Juli 1843) = Der Zuschauer. Hg. von J. S. Ebersberg.
1843, Beilage zu Nr. 88, S. 933 f.
^) Zeitung für die elegante Welt. Leipzig 1843, S- 73^-
^) Allgemeine Zeitung. Augsburg 1843, Nr. 218 vom 6. August
1843. Beilage S. i7oif. (ungezeichnet) = Frankls Sonntags-Blätter
II, [Wien 1843], S. 677ff. (erweitert).
XXVII
1
f
Kunstwerke glich, der es vergönnt war, „ein Leben wie
das eines natürlich und gesund entwickelten Stammes zu
führen und zu vollenden — soweit es eben dem Sterb-
lichen gestattet ist"^). Über die Wertung ihrer Werke
ließ sich Frankl nur kurz aus, über deren Fortleben
schwieg er, aber mit seherischem Blick sah er Karoline
Pichlers Bedeutung in ihren „Denkwürdigkeiten", die
ihm handschriftlich vorlagen-).
Von diesen „Denkwürdigkeiten" ging auch Hor-
mayr, der seiner langjährigen Freundin ebenfalls ein
ehrendes Denkmal setzte^), aus, um in weitschweifiger
Weise, vielfach streut er eigene Erinnerungen ein, zu
folgendem Schluß zu kommen*) : „Eine reine, prunklose
Sprache, innige Wärme für das Gute und Schöne, eine
, rechte Mitte' und ein aufgeklärter Geist, Kenntnis des
Menschenherzens und eine mehr als gewöhnliche Er-
findungsgabe sind ihr nicht abzusprechen. Sie mochte
in Wort, Schrift und Tat als eine würdige Vorgänge-
rin und Ratgeberin der weiblichen Jugend gelten
und insofern den Besten und Edelsten ihrer Zeit
anzureihen sein." Ihm war Pichlers Tod, mit der er
jahrelang in Verkehr gestanden (I, S. 5 39 ff.), nahege-
gangen, wie Briefe an Wolfgang Menzel^) und L. A.
Frankl*) beweisen, und doch hatte er sich das richtige
Urteil bewahrt, vielleicht gerade unter dem Einfluß der
,, Denkwürdigkeiten", wo auch er kritisch gesondert
1) Sonntags-Blätter II, S. 677.
2) Sonntags-Blätter II, S. 679.
3) Hormayrs Taschenbuch für vaterländische Geschichte
XXXIV, (1845), S. iioff.
4) Hormayrs Taschenbuch XXXIV, S. 143.
5) Vom 24. Oktober 1844: Briefe an Wolfgang Menzel. Hg.
von Heinrich Meisner und Erich Schmidt. Berlin 1908, S. 133.
*) Vom 24. Jänner 1846: L. A. Frankl, Erinnerungen S. loi.
XXVIII
wurde. Gar nichts Neues boten die, einem kritischen
Urteile weit aus dem Wege gehenden Ausführungen
von B. H a i n^) , die nach Pichlers kleiner Selbstbiographie
(II, S. 393 ff.), nach ihren „Denkwürdigkeiten" u. a. ge-
arbeitet sind.
Dies war alles, was man bei Karoline Pichlers Tode
zu sagen wußte. Wenig genug, wenn man die gesell-
schaftliche und dichterische Rolle betrachtet, die Pich-
let einst spielte. In der Folge wurde es aber noch stiller.
Manch einfaches, dem Absonderlichen abholdes Gemüt,
das mit der damaligen Moderne nicht einverstanden
war, wird wohl manchesmal Karoline Pichlers ver-
staubte Schriften aus dem Bücherschrank hervorgezogen
und sich daran erquickt haben, in seligem Gedenken an
jene Zeit, wo deren Schriften „als der schönste Schmuck
in jeder PrivatbibHothek" galten, wo es hieß, daß diese
Lektüre „geläutertes Gold, ein reiner Sternenlichter
Himmel, ein Blütenstrauß ohne Giftpflanze" sei 2). Für
viele war aber Karoline Pichler mit Realis (G. R. W.
Ritter vonCoeckelberghe-Dützele)^) eine Altwiener Ku-
riosität geworden, von der man sprach, deren 53 Bände
man anstaunte, die man aber zu schrecklich altvaterisch
und fade, breit und langweilig fand, um sie zu lesen.
FreiHch in den Literaturgeschichten^), die über diese
53 Bände doch nicht so hinweggleiten konnten, da las
man ihren Namen, mit einigen nichtssagenden Phrasen
^) Neuer Nekrolog der Deutschen, 1843. XXI, (Weimar 1845),
S. 640 ff.
2) Bäuerles Allgemeine Theaterzeitung, 1843, S. 747.
^) Curiositäten- und Memorabilien-Lexicon von Wien, II,
(Wien 1846), S. 250.
*) Josef Kehrein (Biographisch-literarisches Lexikon der katho-
lischen deutschen Dichter, Volks- und Jugendschriftsteller im
19. Jahrhundert. II, [Zürich 1871], S. izf.) weist auf eine große
Anzahl solcher Stellen hin. Meist sind sie belanglos.
XXIX
umgeben, noch hie und da und freute sich, daß sie nicht
ganz verschollen sei und daß Wien eine solche weibliche
Größe hervorgebracht habe. Von Zeit zu Zeit tauchte
sie auch in Memoiren auf; Eduard Vehse schrieb kurz,
flüchtig und falsch über sie und ihre Mutter i), und
die biographischen Sammelwerke führten sie, wie so
viele andere mehr oder minder bekannte historische
Größen mit. Vor allem behandelte sie Konstant von
Wurzbach ^) eingehender, bei dem man jedoch vergeb-
lich eine kritische Würdigung sucht; er begnügte sich
vielmehr damit, ihre Werke, im Anschlüsse an Schin-
del^) genau zu verzeichnen, Arbeiten zur Biographie
zusammenzustellen, einige Bildnisse anzuführen, ihre
Handschrift zu beleuchten, vom Grabmal zu sprechen
und einige Urteile der wichtigsten Literarhistoriker aus-
zuheben. Auch Jakob Minor in seiner knappen Würdi-
gung der deutschen Literatur in Wien und Nieder-
österreich beschränkte sich darauf, ihre einstige Popu-
larität und die Vielbändigkeit ihrer einzelnen Romane
festzustellen*), brachte aber dagegen bibliographisch
wichtiges Material bei ^) .Hingegen versuchte 1888 Anton
Schlossar in seiner, auf Grund der „Denkwürdig-
keiten" verfaßten^ Lebensskizze ^) die Bedeutung ihrer
Werke klarzulegen. Er findet sie, mit Ausnahme der No-
vellen, weitschweifig, doch enthalten sie viel ,, echte
^) Geschichte des östreichischen Hofs und Adels und der
östreichischen Diplomatie VIII, (Hamburg 1852), S. zgi.
2) Biographisches Lexikon des österr. Kaiserthumes XXII,
(Wien 1870), S. 242 ff.
3) Vgl. unten II, S. 617, Anm. 583.
*) Die österreichisch-ungarische Alonarchie in Wort und Bild.
Wien und Niederösterreich, I, (Wien 1886), S. I57f.
°) Zeitschrift für österreichische Gymnasien. Wien 1886, S. 578.
ß) Allgemeine Deutsche Biographie XXVI, (Leipzig 1888),
S. io6ff.
XXX
¥
Lebensweisheit, eine zu Herzen sprechende Frömmig-
keit, tiefes Sittengefühl und zarte Weiblichkeit" und
manche ihrer älteren Dichtungen, so meint er, sei
ein Kunstwerk von bleibendem Werte" i). ,
So war Karohne Pichlers fünfzigster Todestag (1893)
herangekommen. Wenn sonst eine Reihe geschäftiger
Federn solche Tage benützen, um rasch eine Lebens-
skizze zusammenzustellen und mit mehr oder minder
geistreichen, rtieist aber nichtssagenden Phrasen zu ver-
brämen, so sollte Karoline Pichler auch dieser Ehre
nur in geringem Maße teilhaftig werden. Zwei be-
scheidene Aufsätze gedachten anläßlich dieses Tages
ihrer Persönlichkeit und widmeten ihrem Wirken einige [
Worte. Es mag hervorhebenswert sein, daß A. J. Welt-
ner^) in einem dieser kleinen Artikel, worin er auch die
Grabinschriften von Andreas Eugen und Karoline Pich-
ler der Nachwelt überlieferte, zuerst den W^unsch nach
einem Ehrengrab für die Dichterin und ihren Mann
zum Ausdruck brachte. Der zweite Aufsatz^), dessen •
Verfassersich mit R. K.(= Richard von Kralik?) zeich-
nete, folgt in seinem Bericht völlig den „Denkwürdigkei-
ten" und wir fühlen uns an Ho rmayr (oben S. XXVIII)
erinnert, wenn das Schlußurteil besagt : „Wie verschie-
denartig auch die Urteile über ihre vielseitige literari-
sche Tätigkeit lauten mögen, eines ist gewiß, sie war
eine Dichterin, die an Tiefe des Gemütes, an klarem
verständnisvollem Erfassen und in der Schilderung der
ihr vorschwebenden Situationen und Charaktere den
Besten ihrer Zeit gleichkam." Ging ihr fünfzigster To-
^) Allgemeine Deutsche Biographie XXVI, S. 107.
^) Zu Karoline Pichlers fünfzigstem Todestag. IL Beilage zum
Wiener „Fremden-Blatt", Nr. 187 vom 9. Juli 1893.
^) Karoline Pichler (1769 — 1843). Wiener Tagblatt Nr. 186
vom 8. Juli 1893 (Feuilleton).
XXXI
destag in der Öffentlichkeit auch ziemlich spurlos vor-
über, so brachte das Jahr 1893 doch eine hochwichtige
wissenschaftliche Veröffentlichung, die Ausgabe ihrer
Briefe an Therese Huber durch K. Glossy ^), der nebst
einer trefflichen Einleitung eine Reihe sachkundiger An-
merkungen beigab. 1894 folgten vom gleichen Heraus-
geber Karoline Pichlers Briefe an K. Streckfuß in eben-
so sorgfältiger Ausgabe 2).
War somit die Grundlage für eine wissenschaftliche
Beschäftigung mit Karoline Pichler gegeben, so wollte
diese doch nicht recht einsetzen. Dafür erinnerte sich
aber ihre Vaterstadt Wien einer Ehrenschuld und wid-
mete ihr, nach der bereits früher eine Straße benannt
worden war ^), 1898 ein Ehrengrab im Wiener Zentral-
friedhof, in das sie 1901 überführt und über dem ein
prächtiges Monument errichtet wurde, zu dessen Kosten
weite Kreise beigetragen hatten (vgl. H, S. 6i4f.). Was
einst L. A. Frankl geplant hatte, in der Wiener Karls-
kirche ihre Büste aufstellen zulassen (II, S. 581), das hatte
sich zwar nicht erfüllt, aber ihr von Alois Düll nach
Kriehubers Bild geschaffenes Porträtmedaillon, das
mild und freundlich vom Grabstein auf den Beschauer
niederblickt und sie den Lebenden wieder näher bringt,
mag als ihr wohlverdientes Denkmal gelten. Daß sich
anläßlich dieser Vorfälle auch die Zeitungen mit der
Pichler beschäftigten, darf ebensowenig verwundern,
als daß einige rührige Feuilletonisten aus ihr Kapital
schlugen. Doch was einer davon, Herr Staberl jun.,
1) Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft III, (Wien 1893),
S. 269«.
2) Wiener Communal-Kalender und Städtisches Jahrbuch XXXII
(Wien 1894), S. 393 ff.
3) Pichlergasse im IX. Bezirk; vgl. Friedrich Umlauft, Namen-
buch der Straßen und Plätze von Wien. Wien 1905, S. 82.
XXXII
über sie zu sagen wußte i), ist äußerst nichtssagend. Bes-
ser sind zwei anläßlich ihrer Exhumierung von Rudolf
Holz er verfaßte Feuilletons 2), die wenigstens zeigen,
daß der Verfasser außer den „Denkwürdigkeiten" noch
Glossys Briefausgaben las; doch lauf fauch hier manches
Falsche unter und manche schillernde Phrase muß den
Mangel wirklicher Kenntnisse verdecken. Wenn ,es aber
heißt, daß KaroHne Pichler eine Weiblichkeit auszeich-
nete, „die heute Lächeln erregt", so muß dem unbe-
dingt widersprochen werden, denn ihre Weiblichkeit
darf nicht an den Auswüchsen unserer heutigen Frauen-
emanzipation gemessen werden. Eine wahrhaft emanzi-
pierte Frau wird auch heute noch Karoline Pichler ihre
Bewunderung nicht versagen können, die es verstand,
die Hausmutter mit der Schriftstellerin in harmoni-
schen Einklang zu bringen. Schon E. Guglia^) be-
merkte 1883, daß Karoline Pichler „eine der edelsten
Frauengestalten in der Geschichte unseres Vaterlandes"
sei, „über die geringschätzig abzuurteilen, äußerst un-
passend wäre". Pichlers freien Charakter und den Wert
der „Denkwürdigkeiten" erkannte Holzer richtig.
H. M. Truxa, der als nächster sich mit der Dichte-
rin beschäftigte*), beging einen anderen Fehler, als er,
um ein Schlagwort zu prägen, Karoline Pichler im
Sinne unserer heutigen katholischen Neuromantik ge-
radezu als katholische Dichterin hinstellen wollte. Ge-
^) Wienerinnen von Namen. Neue Freie Presse Nr. 13 002 vom
4. November 1900, S. 5f.
2) Wiener-Zeitung Nr. 205 vom 6. September 1901; Neue
Freie Presse Nr. 13 302 vom 6. September 1901, S. 5.
2) Österreichische Rundschau. Hg. von A. Edlinger. I. (Wien
1883), S, 718.
*) Illustrierter Universal -Unterhaltungs- Kalender für das Jahr
1905. II, 2, (Wien 1904), S. 39ff., besonders S. 40.
ni c. p. I
xxxni
■«. ,.
wiß war Karoline Pichler im Leben durch und durch
katholisch, fügte sich den Vorschriften und Satzungen
ihrer Religion gerne und willig, aber als Dichterin hat
sie mit Ausnahme des „Agathokles", den sie jedoch als
historischen Roman aufgefaßt wissen wollte, keinen
Stoff im Sinne der heutigen katholischen Dichter be-
handelt. Zudem wußte sie, da ihr Leserkreis den ver-
schiedensten Religionsbekenntnissen angehörte, konfes-
sionellen Fragen stets aus dem Wege zu gehen. Wenn
sie auch in den ,, Denkwürdigkeiten" gegen die Pro-
testanten, deren vielgerühmte Duldsamkeit und par-
teiisch gefärbte Geschichtschreibung auftrat ^), so war
sie andererseits vom katholischen Ultramontanismus und
von der Frömmelei der Romantik ebenfalls nicht er-
baut 2).
Unbeirrt durch all diese Schlagworte und Ereignisse
schritt die Forschung ruhig ihren Weg weiter und hellte
Karoline Pichlers Lebenspfad und geistiges Schaffen in
unermüdlicher Tätigkeit auf. Das Verhältniß des jungen
Grillparzer zur Dichterin, das sogar eine Zeitlang ein
nahes und dauerndes zu werden versprach, beleuchtete
auf Grund der „Denkwürdigkeiten" und unveröffent-
lichter Briefe Oskar Freiherr von Mitis^) in feiner
W^eise; doch schöpfte er den Stoff nicht völlig aus. Wert-
volle Einblicke in Karoline Pichlers poetisches Schaffen,
in das Werden ihrer Stoffe boten die von K. Glossy
herausgegebenen^) Briefe Hormayrs an sie, die gleich-
zeitig dessen Einfluß auf ihre Werke, der bereits aus den
^) Denkwürdigkeiten I, S. 8, 105, 426!.; II, S. 35 f., 37, 62, 430.
2) Denkwürdigkeiten I, S. 301 f.; II, S. 183.
3) Der junge Grillparzer bei Caroline Pichler. Neue Freie
Presse Nr. 13 302 vom 6. September 1901 (Feuilleton).
*) Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft XII, (Wien 1902),
S. 2i2ff., besonders S. 241 ff.
XXXIV
„Denkwürdigkeiten" ersichtlich war, klarlegten. Wie
sich der große Altmeister der deutschen Dichtung,
Goethe, zu ihr stellte, das zeigte im Rahmen eines
weitausgreifenden Werkes August Sauer i) und was ihr
Therese Hu her, ihre Genossin in Apoll und zweite
deutsche Musterfrau ihrer Zeit, mitzuteilen und anzu-
vertrauen hatte, das ging aus Hubers Briefen an die
Pichler, die L. Geiger^) in sauberer Ausgabe vorlegte,
hervor. In diese Zeit fällt auch ein, nach den „Denk-
würdigkeiten" gearbeiteter Aufsatz von Marie Bihain
(Irma Warmuth-Jansco)^), der einiges Neue enthält und
in Karoline Pichler, die an den Menschen und im Leben
nur das, was schön und liebenswert war, sah, den Typus
des guten, alten Wien erblickte.
Seither hat die Forschung eine Ruhepause eintreten
lassen. Die Bausteine liegen da \ind harren des zukünf-
tigen Bearbeiters. Doch vorher sind noch einige wichtige
Arbeiten zu erledigen, ohne die eine Biographie nicht
geschrieben werden kann, falls sie nicht den Mangel der
UnVollständigkeit und Ungenauigkeit an sich tragen
will. Vor allem fehlt eine eingehende Pichlerbibliogra-
phie. Was K. Goedeke'*) in dieser Hinsicht bietet, ist
unzulänghch und vielfach weniger, als Würz bach, Mi-
nor und Schindel brachten. Die Einleitung und die
Anmerkungen vorliegender Ausgabe dürften zur Ge-
nüge dartun, welche Fülle von zeitgenössischen Berich-
1) Goethe und Österreich II, (Weimar 1904), S. LVIIff., 252 ff.
2) Jahrbuch der Grillparzer- Gesellschaft XVII, (Wien 1907),
S. 190 ff.
^) Caroline Pichler. Nach ihren Memoiren. Österreichisches
Jahrbuch. Hg. von Helfert, XXX, (Wien 1906), S. I37ff., besonders
S. 159.
*) Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. ^ V,
S.484; 2 VI, S. 577.
"I* XXXV
ten usw. über die Pichler vorliegen, ebenso wird dies die
seit langer Zeit von G. Gugitz vorbereitete Bibliogra-
phie der josefinischen Zeit, deren auf die Pichler bezüg-
liche Zettel ich benutzen konnte, zeigen. Die zweite
Grundlage für eine Biographie wären Einzeluntersu-
chungen, die Pichlers Schauspiele, Romane, Novellen
usw. entwicklungsgeschichtlich betrachten, ihre Quellen
und ihre Abhängigkeit aufzeigen, sie zum zeitgenössi-
schen Schrifttum' in Beziehung setzen und auf diese Art
Karoline Pichlers eigentlich dichterisches Antlitz in kla-
rer, unzweideutiger Weise herausarbeiten würden.- An-
sätze dazu gibt es ja. Was sie für die österreichische Balla-
dendichtung bedeutet, das hat Rudolf J. Binder zwar
mehr angedeutet als ausgeführt^), aber es läßt dennoch
ihre Stellung im richtigen Lichte erscheinen. In welcher
Richtung sich ihre Romane bewegten, welche Vorfah-
ren und Nachfolger sie hatten und aus welchen Quellen
sie schöpften, das war der Stoff einer Wiener Disserta-
tion, die Fräulein Popini verfaßte, die aber ungedruckt
blieb. Was Karoline Picliler Ungarn verdankte, welche
Beziehungen sie zu diesem Lande hatte und was die
ungarischen Dichter ihr schulden, das wird eine Buda-
pester Dissertation zeigen, an der Franziska Bosänyi
arbeitet, welche bereits die neuen Ergebnisse und Auf-
schlüsse dieser Ausgabe verwerten konnte. Bevor solche
Untersuchungen aber vorliegen, müssen wir uns mit der
literarhistorischen Würdigung, die Karoline Pichler
durch Jakob Z ei dl er 2) erfuhr, begnügen, denn einzig
und allein diese hat bisher unserer Dichterin die rich-
■"■) Johann Nepomuk Vogl und die österreichische Ballade. Prag
1907, S. I3ff.
2) Nagl-Zeidler, Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte
II, S. 735 ff.
XXXVI
tige Stelle im österreichischen Schrifttum eingeräumt,
hat vor- und rückwärtsschauend die Einflüsse auf sie und
die Wirkungen, die von ihr ausstrahlten, klargelegt und
hat den Wert ihrer „Denkwürdigkeiten" gebührend her-
vorgehoben.
Eine dritte, für Karoline Pichlers Leben und Schaf-
fen hochwichtige Quelle sind ihre Briefe. In diesen gab-
sie sich in ihrer ganzen Natürlichkeit und ungezwunge-
nen Heiterkeit. Da si« darinnen keine gesellschaftlichen
und andere Rücksichten zu wahren brauchte, so ließ
sie in ihnen volle Aufrichtigkeit walten und brachte
manches vor, das sie sonst nie und nimmer geschrieben
hätte. Mit einem großen Bekannten- und Freundes-
kreis ausgestattet, als gepriesene Schriftstellerin mitten
im literarischen Getriebe stehend, war ihr Briefwechsel
ein umfangreicher und ausgebreiteter. Ein glücklicher
Zufall hat es gewollt, daß ihre Briefe nicht in alleWinde
zerstreut wurden, wie dies sonst meist der Fall ist, son-
dern sich nur in wenigen, aber sicheren Händen befin-
den. Gleich nach ihrem Tode hatten nämlicTi L. A.
Frankl, Ferd. Wolf und andere deren Wert erkannt
und beabsichtigt, sie als Ergänzung zu ihren „Denk-
würdigkeiten", aber ohne Gegenbriefe, denn diese wur-
den meist für die Pichlerbriefe an die Absender zurück-
gesandt, herauszugeben. Karoline von Pelzein, Pich-
lers Tochter, war, wobei sie auch einem Wunsche ihrer
Mutter nachkam, einverstanden und erließ noch imjuli
1843 folgendes „Höfliches Ersuchen" an die Öffentlich-
keit i):
„Die Gefertigte erlaubt sich an alle Jene, namentlich
schriftstellerische Persönlichkeiten, die mit ihrer Mut-
^) Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode.
Wien 1843, S. 1200.
xxxvn
i'
11-^
ter Caroline Pichler, geb. von Greiner, in Brief-
wechsel standen, die höfliche Bitte, ihr die Briefe, die
sie von der Hingeschiedenen besitzen, zur Einsicht be-
hufs der Abfassung einer Biographie und allfälligen Her-
ausgabe, bey strenger Ausscheidung aller persönlichen
Beziehungen, wie dieß die Verewigte ausdrücklich
wünschte, freundlich einsenden zu wollen, dagegen sie
die gewissenhafte Rückstellung der Briefe nebst ver-
bindlichstem Danke zusagt."
Der Aufruf war von Erfolg gekrönt. Viele Briefe lang-
ten ein und wurden von Ferdinand Wolf einer vorläu-
figen Sichtung auf ihre Brauchbarkeit hin unterworfen.
Das Auszuscheidende wurde von ihm mit roter Tinte
gekennzeichnet und viele Briefe tragen heute noch die
Spuren dieser seiner Redaktionstätigkeit. Die Arbeit
schritt rüstig vorwärts und 1844 machte Frankl auf die
bevorstehende Ausgabe der Briefe, die er „eine reiche
und interessante Sammlung" nannte, aufmerksam ^). Die
Veröffentlichung wurde aber dennoch fallen gelassen.
Wahrscheinlich waren die Erfahrungen, die man mit
den 1844 herausgekommenen „Denkwürdigkeiten" ge-
macht hatte, das Ausschlaggebende an diesem Entschluß.
Wenn schon diese, die mit größter Feinheit und Rück-
sichtnahme geschrieben sind, Anlaß zu Beschwerden
boten (unten S. LXVHIff.), um wieviel mehr wäre dies
erst bei den Briefen der Fall gewesen, deren Hauptwert ja
in den rein persönlichen Mitteilungen, die oft eine harte
Sprache führen und schonungslose Kritik üben, lag.
Hätte man das meiste davon gestrichen, dann wären die
Briefe wertlos geworden, hätten nichts von Pichlers
Geist an sich gehabt und hätten zu ihrer Charakteristik
nicht sonderlich viel beigetragen. Was bis jetzt an Brie-
1) Sonntags- Blätter III, (Wien 1844), S. 304.
xxxvni
fen von und an die Pichlef gedruckt wurde ^), bezeugt
deren Wichtigkeit nicht nur für das Leben der Dichte-
rin selbst, sondern auch für die Zeitgeschichte und ihre
Zeitgenossen, so daß eine Ausgabe aller Briefe, die nur
etwa das ganz Nebensächliche auszumerzen oder mit
wenigen Worten anzudeuten hätte, eine Notwendigkeit
für die österreichische Literaturgeschichte ist. Wenn
Frankl die Briefe, die er von der Pichler erhielt (II,
S. 608, Anm. 570), als ,,ein interessantes literarisches
Complement zu ihren Memoiren, die sich auf den letz-
ten Blättern mehr den Begebenheiten eines stillen Fa-
milienlebens widmen und selten mehr den Kreis der
Häuslichkeit der würdigen Matrone überschreiten", be-
zeichnete 2)^ so gilt dies von allen Briefen, denn vieles,
was Karoline Pichler in ihren „Denkwürdigkeiten" nur
andeuten konnte oder wollte, findet in den Briefen seine
Aufhellung und richtige Beleuchtung.
Da aber auch eine Briefausgabe nur in steter Bezie-
hung auf die „Denkwürdigkeiten", als der wichtigsten
Quelle für Pichlers Leben und Schaffen, hergestellt wer-
den kann, so erweist sich als wichtigste Unterlage für alle
Untersuchungen eine kritisch-erklärende Ausgabe dieser
Lebenserinnerungen, die bereits 1901 dringend von
Oskar Freiherrn von Mitis gefordert wurde ^). Deren
Notwendigkeit ergibt sich von selbst. Die Erstausgabe
(1844) hatte mit Rücksicht auf damals noch lebende
Zeitgenossen manches im Dunkel gelassen, sie bot nicht
eine Zeile Erläuterungen und doch hat gerade dieses
Werk, das beinahe einen Zeitraum von 70 Jahren um-
^) Vgl. das II. Register (Pichler) unter „Briefe".
2) Album. Zum Besten der durch die Überschwemmungen im
Frühjahre 1845 in Böhmen Verunglückten. Wien 1845, S. 77.
^) Neue freie Presse Nr, 13302 vom 6. September 1901, Feuille-
ton, Sp. 2.
XXXIX
II..
faßt, einen Kommentar, der die Zusammenhänge und
Beziehungen aufdeckt, der Angedeutetes ergänzt und
Fehler richtigstellt, äußerst notwendig, soll das Buch
seinen Zweck, ein Spiegel der Zustände und der
Menschen der theresianisch-josefinisch-franziszeischen
Zeit zu sein, voll und ganz erfüllen.
Als Karo' ine Pichler an die Abfassung ihrer „Denk-
würdigkeiten" ging, da hatte sie den Höhepunkt ihres
Lebens längst überschritten, um sie war es still und ein-
sam geworden, die Gesellschaften in fremden Häusern
mied sie (seit 1830; H, S. 308) und nur selten noch gab
es in ihrem Heim größere Empfänge. Von den alten
Freunden waren viele dorthin gegangen, von wannen
es keine Wiederkehr gibt, und da sie selbst für die Zu-
kunft nichts mehr zu erwarten hatte, so wendete sie den
Blick der glänzenden Vergangenheit zu. Die Dreißiger-
jahre hatten ihr nicht nur eine gewisse gesellschaftliche
Vernachlässigung gebracht, sondern auch ihr dichteri-
scher Ruhm war im Abnehmen begriffen, denn die jün-
gere Generation hatte andere Ideale und Ziele. Ihr
letzter Roman „Elisabeth von Guttenstein", 1834 ^^^'
standen und 1835 erschienen, fand zwar den Beifall der
Kritik, wurde aber vom Publikum kühl aufgenommen
(II, S. 312). Karoline Pichler, deren Geisteskraft und
Phantasie mit ihrer Schaffenslust nicht mehr Schritt
halten konnten (II, S. 606), fühlte daraus nur zu deut-
lich, daß ihre Zeit vorüber war und als praktische Frau
wurde es ihr nicht allzu schwer, den TJbergang in ein
anderes, ihren Fähigkeiten entsprechenderes Gebiet zu
finden. Wirkte sie früher durch ihre dichterischen Er-
zeugnisse belehrend und in sittlicher Hinsicht erziehe-
risch auf ihre Leser ein, so tat sie jetzt das gleiche durch
zahlreiche kleinere Aufsätze vermischten Inhalts, in de-
XL
nen sie ihre abgeklärte Lebensweisheit und ihre Erfah-
rungen verwertete. Den gleichen Zweck hatte sie auch
bei der Niederschrift ihrer „Denkwürdigkeiten", die sie
ursprünglich nicht für den Druck bestimmte (I, S. 4),
im Auge. Sie wollte hier die Summe ihrer Lebenserfah-
rungen niederlegen, damit sie ihren Nachkommen nütz-
lich würden, sie wollte sich selbst über ihren Lebens-
gang Rechenschaft geben und aufzeigen, welchen Ein-
wirkungen sie während ihres langen Lebens unterworfen
war und welche Kräfte wirksam waren, um das Endpro-
dukt „Karoline Pichler" zu ergeben (I, S. /\.i.).
Vielleicht hatte Pichler bereits 1832, als sie ihre„Hen-
riette von England" nach den französischen Memoiren-
werken der Madame Fran^oise Bertaud, dame de
Motteville und der Madame Marie Pioche de La-
vergne, Gräfin de la Fayette in idealisierender Weise
bearbeitet hatte ^), den Plan gefaßt, die Denkwürdig-
keiten ihres eigenen Lebens zu verfassen, vielleicht war
erst der Mißerfolg der „Elisabeth von Guttenstein" der
Anstoß dazu, Sicheres läßt sich darüber aber nicht sagen.
Gewiß ist jedoch, daß sie 1835 bereits mitten; in der
Arbeit war, im Dezember 1836 die Hälfte des zweiten
Buches hinter sich (vgl. I, S. 332) und 1837 diesen Teil
vollendet hatte, wie einige Anspielungen in den ersten
beiden Büchern der „Denkwürdigkeiten" deutlich er-
kennen lassen 2). Im September 1837 erlitt aber Karo-
line Pichler den schwersten Verlust ihres Lebens, ihr
Mann verließ sie auf immer. Die seelische Verstim- -
^) Henriette von England, Gemahlinn des Herzogs von Orleans.
Wien, 1832. Gedruckt und im Verlage bey Anton Pichler. Mit
einem Kupfer (Dav. Weiß sc.) = S. W. ^ XLVI. Über die Quellen
vgl. Vorrede S. VI. — Eine Anzeige: Blätter fü^ literarische^Unter-
haltung. 1832, II, S. 831.
^) Denkwürdigkeiten I, S. 231, 319, 332, 369, 377, 418.
XLI
mung, die dieses Ereignis im Gefolge hatte, die Schere-
reien, v/elche die Erledigung der Verlassenschaftsab-
handlung, die im August 1838 beendigt wurde (II,
S. 601), mit sich brachte, ließen vorläufig eine Fortset-
zung der Arbeit an den „Denkwürdigkeiten" nicht zu.
Erst zu Ende des Jahres 1838 wird Pichler an das dritte
Buch geschritten sein, das 1839 oder 1840 fertig vorlag.
Das Jahr 1841 sah sie an der Arbeit des vierten Buches
und im Herbst dieses Jahres war sie bereits bei den Er-
eignissen des Jahres 1832 angelangt (vgl. II, S. 287 mit
Anra. 460). Der Abschluß des ganzen Werkes dürfte
noch 1841 erfolgt sein. Daß Karoline Pichler unterdes-
sen das Niedergeschriebene fleißig durchsah, stilistische
und andere Verbesserungen, sowie Ergänzungen an-
brachte 1), das zeigt deutlich die Originalhandschrift der
„Denkwürdigkeiten" (vgl. unten S. LH f. bes. Anm. i)
Diese Arbeit, die nach den Tod ihres Mannes fiel, mag
F. Wolf im Auge haben (II, S. 389), der die „Denk-
würdigkeiten" zum Großteil erst nach 1837 entstehen
läßt. Pichler hat jedoch gegen ihren ursprünglichen
Plan (vgl. II, S.ii3[Pezold]und S. 565, Anm. 435) ihre
Aufzeichnungen nur bis zum Jahre 1837, ^^^ '^^^ Todes-
jahre ihres Gemahls und einem entscheidenden Wende-
punkt ihres Lebens, geführt, die späteren Jahre (1838 bis
1 842) dagegen ganz kurz gestreift, obwohl auch diese noch
einiges Bemerkenswerte für die „Denkwürdigkeiten" er-
geben hätten (vgl. II, S. 606 ff., Anm. 569). Aber für sie
war nach dem Hinscheiden ihres Mannes ihre Welt tot
(II, S. 370) und so sollten mit ihm und mit der Klage
über die neue Gestaltung der Dinge, in die sie sich nicht
mehr hineinfinden konnte, die Erinnerungen ausklingen.
1) Vgl. z. B. I, S. 429 (Angabe des Todes von Dr. Pohl, der August
1840 erfolgte).
XLII
Ursprünglich nur für sie und ihre FamiHe, gewisser-
maßen als Familienbuch und Rechenschaftsbericht über
ihr Leben niedergeschrieben, dachte Karoline Pichler in
Anbetracht der österreichischen Zensurverhältnisse, die
sie ja selbst bei ihrem vaterländischen Schauspiel „Fer-
dinand II." zur »Genüge kennen gelernt hatte, nicht
daran, die „Denkwürdigkeiten" dem Drucke zu über-
geben (I, S. 4). Im Laufe der Arbeit aber änderte sie
ihren ursprünglichen Entschluß und bereits im März
1840 fand sie es nötig, ihrem Testament vom Jahre 1827,
das später durch ein anderes ersetzt wurde, eine nach-
trägliche Verordnung betreffs ihrer „Denkwürdigkei-
ten", die auch 1842 aufrecht blieb, beizufügen. Diese
besagt^):
„Da ich wünschte, daß meine Memoiren erst nach
meinem Tode, so weit sie bis dahin geführt seyn wer-
den, erscheinen möchten, dann aber doch meiner Toch-
ter und ihren Kindern ein nicht unbedeutendes Hono-
rar eintragen könnten, so glaube ich, meine Tochter
sollte sich, wenn ich diese Unterhandlung nicht selbst
mehr anknüpfen kann, geradezu oder durch einen der
hiesigen Gelehrten, etwa H.Wolf 2) an den Baron Cot-
ta von Cottendorff^) in München oder Stuttgart,
den sie ja vor mehr als 20 Jahren als damahligen k.
Würtembergischen Stallmeister wohl gekannt — wen-
den und ihm das Manuscript, das, wie ich denke, wohl
3 — 4 mäßige Bände geben wird, um 2000 Thaler Kaiser-
geld oder 3000 fl. zu dem 20 X Fuß anbiethen. Nach
dem, was er antwortet, kann sie sich dann richten, und
^) Archiv des Wiener Landesgerichtes in Zivilsachen. Testa-
mente Nr. 388 ex 1843.
^) Ferdinand Wolf, der Herausgeber der „Denkwürdigkeiten";
vgl. über ihn II, S. 615, Anm. 575.
^) Johann Georg Freiherr v. Cotta, vgl. II, S. 623, Anm. 84.
XLIII
mit ihrem Cousin ^), wenn sie das vorzieht, unterhandeln.
Doch wird es stets gut seyn, wenn sie vorher einige Er-
kundigungen über den Preis, den man allenfalls ver-
langen könnte, einzieht. Vielleicht könnte sie auch bey
Brockhaus anfragen lassen."
Was Karoline Pichler letztwillig gewünscht, geschah
aber nicht. Ihre Tochter verhandelte nicht mit Cotta
betreffs der Herausgabe, denn das Cottasche Verlags-
archiv enthält nichts darüber^), sondern es übernahm
Karoline Pichlers Neffe Franz Pichler sogleich den
Verlag der „Denkwürdigkeiten" zu dem Honorar von
3000 Gulden CM^). Sie bildeten als Pichlers letztes
Werk gewissermaßen den Abschluß ihrer „Sämmtlichen
Werke", doch erschienen sie merkwürdigerweise nicht
in deren Reihe.
Mit der Herausgabe hatte man es eilig. Ferdinand
Wolf, der die erste Durchsicht der Handschrift be-
sorgte, beseitigte alles, was etwa bei der Zensurbehörde
Anstoß erregen konnte und bereits anfangs September
1843 legte Karoline Von Pelzeln als gesetzmäßige Er-
bin nach Karoline Pichler die vier Bücher der ,, Denk-
würdigkeiten" dem k. k. Zentral-Bücher-Revisionsamt
zur Begutachtung in der Handschrift vor. Da es aber ge-
setzliche Vorschrift war, daß jedes zur Zensurierung ge-
langende Werk in zwei Exemplaren abgeliefert werden
müsse, so bat Karoline v. Pelzeln unterm ii, Septem-
ber 1843 in einer Eingabe die Vorstehung des k. k.
Zentral-Bücher-Revisionsamtes, ihr die Vorlage des
zweiten Exemplares zu erlassen, da „das nochmalige
^) Franz I. Pichler, vgl. II, S. 521, Anm. 305.
2) Laut freundlicher Mitteilung der J. G. Cottaschen Buch-
handlung in Stuttgart.
8) Frankls Sonntags-Blätter II, S. 863.
XLIV
Abschreiben dieser aus vi e r starken Bänden bestehenden
Memoiren mit großem Zeitverluste und nicht unbedeu-
tendem Kostenaufwand verbunden wäre, welche Vor-
sichtsmaßregel bei den bekannten loyalen Gesin-
nungen und der rücksichtsvollen Discretion der
sei. Verfasserin überdieß wohl unnöthig sein dürfte" i).
Das Bücher-Revisionsamt leitete am 14. September 1843
die Sache zur Beschlußfassung an die k. k. oberste Poli-
zei- und Zensurhofstelle, welche am 17. September 1843
entschied, daß das Manuskript vorläufig in die Zensur
geleitet werden könne und dieses Exhibit mit dem Vo-
tum des Zensors zu reproduzieren sei^). Diesem Auf-
trage gemäß kam die Handschrift an den Zensor, Re-
gierungsrat Johann Ludwig Deinhardstein, der zu
Pichlers näheren Bekannten gehört, vielfach in ihrem
Hause verkehrt hatte und von ihr in früheren Jahren
auch gefördert worden war (vgl. H, S. 461 f., Anm.157).
Bereits am 23. September erfloß sein Gutachten. Es
Hegt jedoch nur der Zensurzettel vor, denn das Zensur-
protokoll selbst (vgl. unten S.LXXI), das die näheren An-
gaben enthielt, ist wohl mit den Zensurakten vernichtet
worden 2); jener lautet^):
Zensurzettel.
Die Memoiren der Fr. v. Pichler sind als Mittheilun-
gen der Erlebnisse und Ansichten einer achtbaren Frau
und Schriftstellerin zu berücksichtigen, demungeachtet
erscheinen nachfolgende Veränderungen und Weglas-
sungen durchaus nothwendig:
2. Band, S. 165, 166, 171, 216, (217), 224.
^) Archiv des k, k. Ministeriums des Innern in Wien, Polizei-
akten 8034/25 ex 1843.
2) Vgl. L. A. Frankl, Erinnerungen. Prag 1910, S. 185 f.
^) Arch. Minist, d. Innern, Polizeiakten 8034/25 ex 1843.
XLV
3. Band, S.6i, 77, 103, 104, 105, 113, 115, 116, 159,
161, (162), (163), (166).
4. Band, S. 75, 83, 103, (104).
admittitur om. del. c. c.
Deinhardstein.
Trotz dieses gewissenhaften Gutachtens hatte die Zen-
surhofstelle Bedenken, sofort die Druckerlaubnis zu er-
teilen und übergab die Handschrift einem zweiten Re-
ferenten, der, wie seiner Nachschrift am Deinhard-
stein sehen Zensurzettel zu entnehmen ist, noch einige
Stellen (I, S. 209; II, S. 224; III, S. 176; IV, S. 215)
beanstandete und auch sonst Bedenken wegen verschie-
dener politischer Äußerungen trug, so daß sich Graf Jo-
sef Sedlnitzky, als Präsident der Obersten Polizei- und
Zensurhofstelle entschloß, darüber die Wohlmeinung
der Staatskanzlei einzuholen. Am 12. Oktober 1843 über-
mittelte er dieser die Handschrift der ,, Denkwürdigkei-
ten" mit folgendem Begleitschreiben^):
„Der hierortige Censor, Regierungsrath Deinhard-
stein, hat, laut des beigebogenen Censurvotums^),
mehrere Stellen beanständet und theils zur gänzlichen
Weglassung, theils zur Abänderung bezeichnet. Unter
diesen und anderen bei der hierortigen Durchsicht des
Manuscriptes noch aufgefallenen Stellen befinden sich
mehrere, wie z. B.
Bd. II, S. 165, 166, 216, 217, 224 etc.
Bd. III, S. 61, 161, 162, 163, 166 etc.
Bd. IV, S. 103 etc.,
in welcher die Verfasserin theils ihre Ansichten über
manche politischen Fragen, welche während ihres Le-
1) Arch. Minist, d. Innern, Polizeiakten 8034/25 ex 1843.
2) s. oben S. XLV.
XLVI
bens entschieden wurden, theils Notizen und Urtheile
über verschiedene in pohtischer und diplomatischer Be-
ziehung bemerkenswerthe Personen, mit welchen sie in
nähere Berührung kam, darunter namentlich über den
jetzigen k. k. Gesandten in Griechenland, Anton Pro-
kesch Ritter von Osten niederlegt.
In dieser Beziehung dürften die gedachten ,, Memoi-
ren" vor ihrer definitiven Censurerledigung auch einer
politischen Würdigung unterzogen werden, und ich
nehme mir daher die Freyheit, Einer löbl. etc. zu die-
sem Behufe das gedachte Manuscript mit dem Ersuchen
mitzutheilen, mir über dessen Druckzulässigkeit vom
politischen Standpunkte aus Hochdero competente
Wohlmeinung gefälligst gewähren zu wollen."
Die Erledigung von selten der Staatskanzlei Heß nicht
lange auf sich warten, denn bereits am 25.' Oktober 1843
erging folgende Antwort ^) :
„Die Memoiren der rühmlich bekannten vaterländi-
schen Schriftstellerin Caroline Pichler, geb. v. Grei-
ner, welche ihre Tochter, die k. k. Appellationsraths-
witwe Caroline v. Pelzelnim Druck herauszugeben be-
absichtigt und wovon die löbliche k. k. Oberste Polizei-
und Censur-Hofstelle das Manuskript mit der schätz-
baren Note vom 12. dies, zur Meinungsäußerung über
die Druckzulässigkeit mehrerer darin in politischer Be-
ziehung auffälliger Stellen anher mitzutheilen beliebte,
hat die geheime Hof- und Staatskanzlei die Ehre, im
Anbuge mit folgenden Bemerkungen zurückzustellen:
I. Ohne dem zarten Mitgefühle, das die Verfasserin
dieser Memoiren für die Schicksale Polens und den Un-
tergang der Selbstständigkeit dieses Reiches an den Tag
^) Archiv des Ministeriums des Innern, Polizeiakten, 9512 ad
8034 ex 1843.
XLVII
legt, zu nahe treten zu wollen, hält man doch das im
I. Bande, S. 182 gestellte Prognostikon von Polens poli-
tischer Wiedergeburt nicht zulässig und ist daher der
Meinung, daß die Stelle, welche mit den Worten: ,,In
mir aber lebt der feste Glauben" anfängt und mit den
Worten „wird auch rechte Ruhe in Europa werden" zu
streichen wäre. Aus demselben Grunde trägt man auch
auf Weglassung der im 4. Bande, S. 103 und 104 roth
angestrichenen Stelle an^).
2. Seite 89 des i. Bandes kömmt ein Ausfall auf die
Censur vor, — ob und inwiefern derselbe anstößig be-
funden werden sollte, bleibt jedoch dem erleuchteten
Ermessen der löblichen Hof stelle anheimgestellt ^).
3. Im 2. Bande, S. 21 dürfte dort, wo es heißt, daß
Se. kais. Höh. der Erzherzog Carl das Commando der
Armee wieder übernommen habe, der Zusatz : „und den
nur die Cabalen und Ränke seiner Feinde davon ent-
fernen gemacht hatten" zu streichen sein^).
4. Den in eben diesem Bande, S. 165 und 166*), dann
^) Die angeführten Stellen (I, S. 1865 II, S. 271 ff.) mußten
tatsächlich wegbleiben (vgl. I, S. 512, Anm. 327a; II, S. 573,
Anm. 450).
2) Bezieht sich auf I, S. gif. In der Originalhandschrift (S. 85)
heißt die Stelle: „Der Geist durfte sich frei bewegen, [es durfte]
geschrieben, gedruckt werden, was nur im strengsten Sinn des
Wortes, nicht in dem, welchen ein Censor hineindeuteln
wollte, wider Religion und Staat war." Das Gesperrtgedruckte
ist die beanstandete Stelle.
3) Wäre der Nachsatz zu Absatz III auf S. 234 des Bandes I;
die Stelle lautet in der Originalhandschrift (S. 217) abweichend:
„ . . . worden, und den nur die Cabalen und Ränke seiner Feinde,
welche auch die des Vaterlandes waren, wenn sie gleich nicht unter
französischen Fahnen standen, vom Commando entfernen gemacht
hatten, dasselbe wieder "
*) Bezog sich auf den Bankozettelsturz; die Stelle steht jetzt
I, S. 380!., was Deinhardstein dafür einsetzte, daher der Erst-
druck bot, findet sich I, S. 618, Anm. 641.
XLVHI
2i6^) und 224 2) vom Censor vorgenommenen Abände-
rungen pflichtet man hierorts bei,
5. Im 3. Bande, S. 60 und 61 hat man diejenigen wei-
teren Modifikationen angedeutet, welche noch außer
den von dem Censor beantragten nothwendig schienen,
um eine Amtshandlung der Staatskanzlei nicht bloß zu
stellen und als die Wirkung einer ungünstig beurtheilten
Individualität erscheinen zu lassen. Freilich wäre es noch
besser, wenn die umständliche Erzählung des Faktums,
von dem hier die Rede ist, ganz unterbliebe und der
Umstand, daß die Aufführung des Stückes Ferdinand II.
auf der Hofbühne nicht gestattet wurde, nur in Kürze
und mit Weglassung aller verletzenden Details bezeich-
net werden wollte 3).
6. Die Verhältnisse des Anton Prokesch Ritter v.
Osten zur Familie Pichler, die in diesem Bande pag.
158 und folgende besprochen werden, sind zwar durch-
aus nicht politischer Natur, gleichwohl ist man der Mei-
nung, daß in Anbetracht des officiellen Characters, den
Prokesch bekleidet und aus Rücksichten der Schicklich-
keit und Schonung für ihn als einen noch lebenden Zeit-
genossen wenigstens dieHinweglassungder, Seite 163 mit
Rothstift bezeichneten Stelle verfügt werden dürfte*).
^) Dürfte folgende Stelle (Original S. 384; I, S. 424) gemeint
sein: „. . . Ungeniertheit mir zu demonstrieren, daß unser Erz-
herzog Karl ein gar unbedeutender Kriegsheld sei, denn natür-
licherweise war aller in . . . ."
^) Welche Stelle gemeint ist, läßt sich nicht bestimmen.
^) Die beantragte Fassung, die in die erste Ausgabe aufgenommen
werden mußte, findet sich II, S. 445, Anm. 107; der ursprüng-
hche Wortlaut in unserem Text II, S. 52 f.
*) Diese Stellen dürften mit II, S. 143 (Anm, 252) und 144
(Anm. 252a) identisch sein; vielleicht mußte auch die ursprüng-
liche Fassung (II, S. 493 f., Anm, 253) abgeändert werden, woraus
sich II, S, 143 ff. (Im folgenden Winter .... zu haben schien)
erklären würde.
IV c. p. I XLIX
7- Da es gewiß nicht in der Absicht der Verfasserin
der anhegenden Memoiren lag, das Mißlingen der im
J. 1821 in Italien ausgesprochenen (!) Revolution zu be-
dauern, so dürfte die Seite 166 des 3. Bandes angestri-
chene Stelle wohl nur einer kleinen Abänderung be-
dürfen, um nicht mißverstanden zu werden ^). Wien, den
25. October 1843.
Metternich.
ad acta und ist das Mpt. hiernach mit adm. om. del.
c. c. mut. mut. erlediget worden. Wien, 29. Oct. 1843.
Maltz2)."
Auf Grund dieser Entscheidung stellte der wirkliche
Hofkonzipist Josef Theophil Demel der Obersten Po-
lizei- und Zensurhofstelle am 29. Oktober 1843 unter
Berücksichtigung des Deinhardst einschen- Gutach-
tens und der Äußerung der Staatskanzlei das Verzeichnis
der nicht zulässigen Stellen nach den Seiten zusammen,
das am 30. Oktober 1843 an Karoline von Pelzeln
übermittelt wurde ^). Mit dem Drucke konnte begon-
nen werden.
Bevor aber die weiteren Geschicke des Buches in Be-
tracht gezogen werden, ist es nötig, über die Textüber-
lieferung ein Bild zu gewinnen und von den Hand-
schriften der „Denkwürdigkeiten" zu handeln. Es ist
schon seit längerer Zeit bekannt, daß die Originalnieder-
schrift sich im Besitze der Familie Pelzeln befand und
nach dem Tode der Franziska von Pelzeln durch Kauf
1) Bezieht sich auf II, S. 151 (Der Krieg . . . Militärs).
2) Karl Ludwig Maltz war k. k. wirklicher Regierungsrat der
Obersten Polizei- und Zensurhofstelle (Hof- und Staatsschematis-
mus. 1844, I, S. 263).
3) Archiv des Ministeriums des Innern, Polizeiakten, ad 9512
ex 1843.
an die Bibliothek der Stadt Wien kam. Daß diese Hand-
schrift mit der, welche der Zensurbehörde vorgelegt
wurde, nicht zusammenfällt, geht schon daraus hervor,
daß diese aus vier, mit besonderer Seitenzählung ver-
sehenen Bänden bestand (oben S. XLV), während jene
aus 355 Quartblättern, die in verschieden große Lagen
zusammengefügt sind, gebildet wird. Aber auch inhalt-
lich weisen beide Handschriften, von denen die zensu-
rierte zwar nicht mehr erhalten, aber durch die erste
Druckausgabe dargestellt wird, Verschiedenheiten auf.
Abgesehen von allen jenen Stellen, welche die Zensur
entfernte und von denen nicht alle mehr bestimmbar
sind, enthält die Handschrift der Wiener Stadtbibliothek
gegenüber dem Erstdruck viele Zusätze. Daß manche
davon nicht in diesen übergingen, sondern vom He-
rausgeber Ferdinand Wolf aus naheliegenden Grün-
den, wenn sie sich auf Lebende (Toni Adamberger-
Arneth, Franz Grillparzer, Nikolaus Lenau) be-
zogen, gestrichen wurden, ist begreiflich. Aber noch
immer bleibt eine erkleckliche Anzahl von Stellen, deren
Fehlen in der Druckausgabe unerklärlich wäre, wenn
man nicht annehmen würde, daß die Handschrift der
Stadtbibliothek zur Druckausgabe (Zensurhandschrift)
sich wie die erste zur zweiten Niederschrift verhalte.
Nach Vollendung des Werkes wird Karoline Pichler,
da die Drucklegung ja nunmehr bei ihr feststand (vgl.
ihr Testamentskodizill, oben S. XLHI), eben das ganze
Werk nochmals abgeschrieben und dabei verschiedene
Änderungen vorgenommen haben, die nicht nur stili-
stischer Art waren, sondern auch auf den Text Bezug
nahmen. Da es viel .zu weit führen würde, wenn hier
alle Verbesserungen aufgezählt würden, welche die
Druckausgabe (Zensurhandschrift) gegenüber der Hand-
IV* LI
Schrift der Wiener Stadtbibliothek, die sich durch die
am Rande beigefügten Jahreszahlen auszeichnet, auf-
weist, so genügt es, zur Verdeutlichung des Gesagten,
auf die Abweichungen der ersten zehn Seiten des i. und
2. Bandes unseres Neudruckes, der B (Erstdruck) folgt,
gegenüber der Handschrift hier hinzuweisen^).
1) Lesarten des Druckes (B) gegenüber der Handschrift (A).
Band I, S. 3 — 12.
S. 3, 8 erlaubt es sich A. — 12 sollen sie dazu A. — 13 anzu-
fachen A [anzuregen B. — 18 oder auch nur hervorragende A. —
27 wichtigen A [hochwichtigen B.
S. 4, 4 bis 5 2 fehlt B5 in A durchstrichen.
S. 6, 10 denen A [der B.
S. 7, 5 wo A [deren Chef B. — n k. k. fehlt A. — 12 in A [bei B. —
17 mühselig A [mühsam B. — 21 in A [nach B. — 33 nie A [kaum B.
S. 8, 9 den Oberlieutenant Hieronymus A durchstrichen^ in B
fehlend. — 22 — 24 war protestantisch geboren und die
Regiments ebenfalls diesem Glauben zugetan A. — 28 dieser Leute
A [ihrer Konfession B,
S. 9, 2 sie nun A [es auf B.
S. 10, 4 Geschicklichkeit A [Fähigkeit B. — 31 in seidnem A.
S. 12, 10 wo A [bei denen B. — 16 aufhielt A [aufgehalten hatte B.
— 27 Mann mehr schön A. — 30 Denkart eben so A.
Band II, S. 3—12.
S. 3, 6 mir es A. — 22 rechtfertigte auch durch . . . A.
S. 4j II Weißenthurn vielleicht durch . . • A.
S. 5, 13 doch A [war denn B. — i4f. nicht war A [halte ich es
nicht für schlecht B. — i7f. montierten A [erhöhten B.
S. 6, 21 denn wohl A [daher B. — 30 erhalten A [erhielt B.
S. 7, I Meinung, welche .... erwähnt A [Ansicht, welcher ....
erwähnte B. — 3f. Nur hätte es, wenn diese Rezensenten . . . A. —
4 mußte es dann fehlt A. — 5 auf A [in B. — 6 nicht A [kaum B. —
7 daß es in vier ... A. — u Rheinbündische A. — 22 en echec A
[in Schach B. — 26 f. abermal der Kurier mit . . . A. — 28 wurde.
• — Nun ging es Schlag auf Schlag {jehlt B). „Die . . , A.
S. 8, 3 denn auch ein A [der B. — 5 — 7 was er gesucht
hatte fehlt A. — 7 und auch A. — 13 hatte fehlt A; In dieser
Kantate, dem . . . A [diesem B. — 14 nur A [nun B. — 15 Vaterland
angemessen, für... A. — 17 eine A [der B; entsprechend
LH
Schon diese kurze Gegenüberstellung der Lesarten
von A und B zeigt deutlich, daß die Fassung B in stili-
stischer Hinsicht bedeutende Verbesserungen aufweist,
daß sie Fremdworte und Austriazismen ausmerzt, nicht
richtige Satzgebilde ändert usw. Diese Verbesserungen
können wir aber nicht auf Rechnung des Herausgebers
Ferdinand Wolf setzen, da es schon physisch unmög-
lich wäre, in der kurzen Zeit von 1^/2 Monaten, vom
Tode der Pichler (9. Juli 1843) 'bis zur Übergabe der
„Denkwürdigkeiten" an die Zensurbehörde (anfangs
September), diese Redaktionsarbeit vorzunehmen, über-
dies die „Denkwürdigkeiten", wie sie jetzt vorliegen, in
der Diktion und im Stile aus einem Gusse sind. Diese
Lesarten zwingen vielmehr ebenfalls zur Annahme einer
ersten und zweiten Niederschrift, die beide von Karo-
line Pichler selbst besorgt wurden. Dazu kommt noch,
und dies erhebt die bisherige Annahme zur Gewißheit,
jehlt A. — 21 Mund, das so begann A. — 30 unablässig bald eines,
bald das andere A [viel B. ■'
S. 9, 2 mir fehlt . . . stets als einen A. — 3 Gönner an meinen
Werken gezeigt . . . A. — 22 sichern A [gewissen B.
S. 10, 26 Fertigkeit und Leichtigkeit fehlt A. — 28 Arbeiten Fer-
tigkeit und Leichtigkeit gibt A.
S. II, I — 4 Diese Erfahrung, welche in einer Verrichtung unseres
geistigen Vermögens eine mechanische Regel entdeckt zu haben
glaubt, und andere ihr ähnliche mag von . . . A. — 8 vielleicht
ebensolchen Bewegungen zugeschrieben werden A. — 11 f. Sterb-
lichen einen gar guten Genius an der . . . A. — 13 in dem Laufe A
[auf dem Wege B. — 14 der uns .... begleitet A. — i5 seinen A
[dessen B. — 20 zu A [los B. — 22 von fehlt A. — 23 dieser Stadt
ein A [von Paris an B. — 23 f. Auch heute war großer Jubel über
diese Botschaft und jeder . . . . A. — 25 erhoben A [befriedigt B.
— 26 empfinden A [erfahren B. — 29 nahen A [wahren B.
S. 12, I dem Wüste A [den Wirren B . . . . Anarchie gerissen
mit . . . A. — 2 gerissen hatte fehlt A. — n welcher nötig schien A.
— 21 undnötiger Kraft A. — 22 wie A [als B. — 29 mögen A [möch-
ten B.
LHI
daß B eine Stelle enthält, die in A fehlt; der Heraus-
geber Wolf hat sie zwar verlesen („Moter" für „Mo-
ser": I, S. 157 mit Anm. 289 auf S. 493f.), aber ihr
Vorhandensein beweist, daß sie nur von der Pichler her-
rühren kann. Auf eine zweite Stelle, die in der Zensur-
handschrift gestanden haben könnte, in A aber fehlt,
soll kein besonderes Gewicht gelegt werden, da sie uns
nur von K. A. Schimmer überliefert ist (vgl. I, S.510).
Wenn sich somit B (Druck) als die endgültige Pich-
lersche Fassung ergab, so war damit für die vorliegende
Ausgabe der kritische Grundsatz gewonnen, daß diese,
was die Textgestaltung betrifft, dem Erstdrucke zu fol-
gen, somit auf die Lesarten von A (Handschrift der
Stadtbibliothek) keine Rücksicht zu nehmen hat. An-
ders war aber die Frage zu beurteilen, ob alle Zusätze
von A, die irgendwie von Wichtigkeit sind und auf die
Zeitgeschichte Bezug haben, aufzunehmen seien ? Daß
vor allem alle von der Zensur gestrichenen oder geän-
derten Stellen in den Text gehörten, war klar; ebenso
konnte kein Zweifel darüber herrschen, daß alles das,
was sich auf zur Zeit der Erstausgabe (1844) noch le-
bende Personen bezog und von F. Wolf gestrichen
wurde, aufzunehmen sei, da heute die damals notwen-
dige Zartheit nicht mehr am Platze wäre. Blieben also
nur mehr jene Stellen, die K. Pichler wohl in A nieder-
geschrieben, später durchstrichen oder erst in B aus-
gelassen hatte. Welche Gründe K. Pichler dazu führten,
dies zu tun, ist für die Beurteilung der Frage von deren
Wichtigkeit gleichgültig. Da viele dieser Stellen, von
einem Zeitgenossen herrührend, wenn sie vielleicht auch
nicht authentische Mitteilungen enthalten, als Aus-
druck der Zeitstimmung wertvoll sind, so mußten sie,
selbst auf die Gefahr hin, hier gegen die Absicht der
LIV
Verfasserin zu handeln, aufgenommen werden. Handelt
es sich bei den „Denkwürdigkeiten" ja nicht um ein
Drama oder einen Roman, die Zusätze vielleicht nicht
vertragen würden, sondern um ein Zeitgemälde und
Lebensbild, das inhaltlich gewiß vertieft werden kann.
Aus diesem Grunde wurde alles, was nur' irgendwie
wichtig erschien, mit in die Neuausgabe übernommen^).
Textlich hält sich diese somit genau an K. Pichlers
letzte Fassung (B), wobei aber, unseren heutigen Bedürf-
nissen entsprechend, die moderne Rechtschreibung
durchgeführt wurde; ältere Wortformen, wo nicht Pich-
let selbst schwankt, sind stets beibehalten, ebenso im
großen und ganzen ihre Interpunktion. InhaltHch aber
bietet der Neudruck mehr wie der Erstdruck, da er,
nebst den ursprünglich in B vorhandenen Zusätzen,
^) Hier ein Verzeichnis aller Stellen, die ein Mehr dem Erst-
druck gegenüber vorstellen: I, S. 437: 2(d.), 440:10 (f.), 445: 44
(d.), 451: 76 (d.), 454: 92 (d.), 470: 194 (d.), 475: 220 (d.), 486:
268 (e.), 487: 270 (d.), 488: 276 (d.): 278 (u.), 490: 284a (e.),
512: 327a (u.5 Z.), 515: 343 a (u.5 w.), 521: 364 (d.), 568: 501
(u.; w.), 602: 573 (u.), 618: 641 (u.; Z.), 619: 646 (u.). — II, S.
427: 52 (u.), 438: 102 (u.), 445: 107 (u.; Z.), 469: 177 (u.; W.),
476: 191a (u.): 193 (u.), 477: 194a (f.): 195 (u.), 479: 198a (u.;
W. ?), 485: 220a (u.): 223 (u.): 223 a (u.; W. ?): 224 (u.; W. ?),
486: 226 (u.; w.), 489: 236 (u.; W.?), 490: 240 (u.; W. ?), 491:
248 (u.; W.?), 492f.: 251 (u.): 252 (u.; Z.?): 252a (u.; Z.): 253
(e.; Z.), 499: 264 (u.): 265 (u.): 268 (u.), 519: 301 (u.; Z. ?), 558:
412 (u.), 561: 422 (u.; Z.), 573: 450 (u.; Z.), 583: 484 (u.), 584:
493 (u.), 587: 502 (u.;W.), 602: 560 (u.), 606: 568 (u.: w.). —
Diese Zusammenstellung zeigt, was Pichler in A (Originalhand-
schrift) bereits selbst durchstrich (d.), was die Zensur (Z.) oder
Wolf (W.) beseitigten, was falsche Angaben enthielt (f.), daher
später wegfiel, was in A in erweiterter Form (w.) gegenüber B
oder undurchstrichen (u.) sich fand ode^ bereits früher Gesagtes
wiederholte (w.), daher in B ausgelassen wurde. In einigen Fällen
(I, 455: 102; II, 476: 191a, 584: 493) zeigt A die Namen aus-
geschrieben, wo B eine Chiffre bietet oder eine solche (I, 488:
278; II, 438: 102), wo B den Namen ganz verhüllt.
LV
auch alle wichtigeren von A enthält. Dazu kommt der
Kommentar.
Erst die genaue Durchführung des letzteren, die
schrittweise Kontrolle jeder einzelnen Angabe der Pich-
1er erlaubte es, der Frage nach den Quellen der „Denk-
würdigkeiten" näher zu treten. Freilich, wenn man einige
ärgere Versehen, so die Angaben über das Gerambsche
Freikorps (I, S. 533, Anm. 393) und über die Stadtbe-
festigung von Wien (I, S. 519, Anm. 356) ins Auge faßt,
so möchte man annehmen, daß K. Pichler ihre „Denk-
würdigkeiten" durchaus aus dem Gedächtnisse nieder-
schrieb. Daß letzteres Quelle für alle jene Ereignisse war,
die ihre Vorfahren und besonders die früheren Geschicke
ihrer Eltern betreffen, muß ohne weiteres zugegeben wer-
den; ebenso dürfte K. Pichlers Jugendgeschichte, etwa
bis zum 20. Jahre aus der Erinnerung niedergeschrieben
sein. Daß sie aber später schriftliche Aufzeichnungen
oder ein Tagebuch führte, das mag nicht nur ihre Kor-
respondenz mit ihrer vertrauten Freundin Maria Josefa
von Ravenet zu Anfang der neunziger Jahre des 18.
Jahrhunderts, die sich hauptsächlich auf den alltäglichen
Ereignissen aufbaute, beweisen (I, S. 138), sondern das
zeigt auch die merkwürdige Übereinstimmung verschie-
dener Stellen der „Denkwürdigkeiten" mit ihren Brie-
fen. Es sei hier nur an die Schilderung A. W. Schlegels
und der Frau v. Stael hingewiesen^). Diese oft beinahe
wörtliche Übereinstimmung erklärt sich wohl nur dar-
aus, daß sie sich Auszüge der Briefe in ihr Tagebuch
eintrug. Wenn sich trotz alledem Unrichtigkeiten, die
meist nebensächlicher Art sind, in ihrem Werke nach-
weisen lassen, so mögen sie auf Rechnung des Gedächt-
^) Denkwürdigkeiten, I, S. 311, 314 und 580, 582: 525; 3i2f.
und 581!.: 523.
LVI
nisses kommen. Jeder, der selbst ein Tagebuch führt,
wird zugeben, wie schwer es ist, dieses regelrecht und
ohne Unterbrechung jahraus und jahrein fortzusetzen.
Lücken, die sich auf diese Art in Pichlers Journal er-
gaben, hat sie dann bei Abfassung ihres Werkes eben aus
der Erinnerung ergänzt, wobei manches Falsche unter-
lief, wofür ja auch ihre Zitate, die sie meist dem Ge-
dächtnisse entnahm, genug Belege bieten i). Daß von
Tagebüchern der Pichler nichts erhalten ist, spricht
nicht im geringsten gegen obige Annahme. Als sie ihre
„Denkwürdigkeiten" abgeschlossen hatte, da wird sie,
wie es ja viele andere in gleicher Lage taten, die Grund-
lagen dazu vernichtet haben, da die übrigbleibenden
familiären Nachrichten nur für sie wertvoll .gewesen
waren. Daß Karoline Pichler auch Zeitungsberichte
benützte, dafür sprechen zwei Stellen. Eine davon
(I, S. 307f.) zeigt wörtliche Anklänge an einen Bericht
der „Wiener-Zeitung" (vgl. I, S. 570, Anm. 507)j die an-
dere verwertet Ausführungen des Astronomen J. J.Lit-
trow aus einem seiner Aufsätze (vgl. II, S. 574, Anm.
456). Nicht minder hielt sie sich|.aö eigene Berichte, so
an die über Mariazell (I, S. 558, Anm. 447), über den
Kirchenbau zu Gran (II, S. 549, Anm. 388), über Pest
und Ofen (II, S. 553, Anm. 401) und über ihre Reise von
Kremsmünster nach Spital am Pyhrn (I, S.S-^iiß.). In
den letzten Jahren ihres Lebens, eben zu der Zeit, als sie
den „Denkwürdigkeiten" ihre Muße widmete, verfaßte
sie, durch die Ereignisse und die Freundschaft gedrängt,
^) Nicht richtig wiedergegebene Zitate: I, S. 441: 15, 442: 24,
455: loi, 459= 128, 477: 230, 512: 328, 544: 415, 566: 490a, 567:
495, 607: 593, 613: 615, 630: 674, 646: 724!., 647: 728, 649f.:
74of. — II, s. 479 = 199, 487: 228, 499: 266, 526: 322, 547: 381,
575= 4585 586: 497. — Schreibt Gedichte anderer nach Gedächtnis
auf: II, 98, 141.
LVII
eine größere Anzahl von Nachrufen auf ihr teure Freun-
de für verschiedene Zeitschriften i), die in vieler Hin-
sicht ausführlicher sind als die betreffenden Stellen ihrer
Memoiren. Auch diese Nachrufe hat sie, ebenso wie die
in früherer Zeit auf Köderl (1,8.613: 619), Theresevon
Ar tn er (II, S. 604.: 563), Luise Brach mann (II, S.505:
283) verfaßten, fleißig benützt. Dazu zog sie die vielen
Briefe, die sie im Laufe ihres langen Lebens von den
verschiedensten Persönlichkeiten erhielt, ebenfalls her-
an, da für ihre Zwecke manches daraus zu gewinnen
war, wie die Anführung einiger derselben in den „Denk-
würdigkeiten" beweist^). Daß viele persönliche An-
schauungen, Aussprüche u. dgl. bereits in vorher er-
schienenen Aufsätzen anzutreffen sind, darf nicht
wundernehmen, bewegt sich ja doch jeder Mensch und
Schriftsteller in einer bestimmten Gedankenrichtung,
der er nicht entrinnen kann.
Fester Grundsatz für Karoline Pichler, als sie ihre
„Denkwürdigkeiten" abfaßte, war, Aufrichtigkeit und
Wahrheit zu üben. Sie hielt es bei einer Selbstbiographie
für Pflicht, „ganz aufrichtig zu sein, insoweit es die
Klugheit, welche zwar nie eine Lüge, aber Stillschwei-
gen gebieten kann oder die Schonung erlaubt, welche
man noch lebenden Personen oder nahen Verwandten
Verstorbener schuldig ist" (I, S. 169 f.). Daß sie daher
mit dem Nebentitel von Goethes, als Kunstwerk ein-
zig dastehenden Selbstbiographie „Aus meinem Leben,
Dichtung und Wahrheit" (3 Bände, Tübingen 181 1 bis
^) Gabriele Baumberg, vgl. I, S. 492: 285. — Franz A. von
Kurländer, vgl. II, S. 592: 514. — Marianne v. Neumann, vgl.
II, S. 592: 514. — Dorothea v. Schlegel, vgl. II, S. 524: 311.
— Pauline v. Schmerling, vgl. II, S. 476: 191. — Marie Gräfin
Zay, vgl. II, S. 42if.: 36.
2) Vgl. Register II (Pichler) unter „Briefe".
LVIII
1814) nicht einverstanden war und diesen als eine Art
von Beleidigung für den Leser auffaßte (I, S. 170), ist
selbstverständlich. Siewollte janichtsanderes,,alsVv^ahr-
heit und nichts als Wahrheit" (II, S. 143) schreiben,
ein Zweck, der zwar auch Goethe vorschwebte, den er
aber auf anderem Wege als die Pichler, die nur nackte
Tatsachen bot, zu erreichen suchte. Goethehandelte es
sich bei der Wahrheit nur um das sogenannte ,, Grund-
wahre", das in seinem Leben etwas zu bedeuten hatte,
das ihm Richtung und Entwicklung gab, und um dieses
gehörig hervortreten zu lassen, scheute er nicht davor
zurück, Personen und Vorgänge bewußt zu erfinden^).
Anders ist es bei der Pichler. Sie wollte nicht nur das
Grundwahre, ihre dichterische und sonstige Entwick-
lung festhalten, sondern das Wahre mit allem Neben-
und Beiwerk, also auch die Mutter und Hausfrau zur
Darstellung bringen und Ereignisse der Umwelt be-
richten. Sie konnte daher nicht Goethes Beispiel
folgen.
Mit ihrer Polemik gegen diesen meinte sie es ehrlich,
sie wollte nicht etwa wie Ignaz F. Castelli unter dem
Schutze der beteuerten Wahrheit Lügen in Hülle und
Fülle auftischen^), sondern sie gab wirklich dieser die
Ehre. Selbst so unangenehme Ereignisse, wie den in
ihr Privatleben tief eingreifenden Konkurs ihres Mannes,
der ihr gewiß viele tränenreiche Nächte gebracht hatte,
verschwieg sie nicht, wenn sie dieses Ereignis auch
nur verschleiert andeutete (II, S. 172 mit Anm. 293).
Wahrheit gegen sich selbst und gegen andere, das
) Karl Alt, Studien zur Entstehungsgeschichte von Goethes
Dichtung und Wahrheit. München 1898, S. 80 ff.
^) Vgl- Josef Bindtner in seiner Neuausgabe von Castellis Me-
moiren, I. (München 1914), Einleitung, S. Vf.
LIX
war der Grundzug ihres Wesens, daher sie auch
Bettinas autobiographischen Briefroman „Goethes
Briefwechsel mit einem Kinde" (BerHn 1835), ^^^ ^^
den Traditionen von Goethes „Dichtung und Wahr-
heit" steht, in einem Aufsatze ablehnte (II, S. 603).
Die genaue Nachprüfung aller Angaben der Pichler
lieferte den Beweis, daß ihre Wahrheitsbeteuerungen
echt sind und auch in den „Denkwürdigkeiten" ihre
Wahrheitsliebe die Probe bestand. Was sie niederschrieb,
das konnte die ernste Kritik im großen und ganzen nur
bestätigen, wie es die dieser Ausgabe beigegebenen Er-
läuterungen auf Schritt und Tritt zeigen. Daß aber bei
einer solchen Arbeit, wie es die ,, Denkwürdigkeiten"
sind, die einen Zeitraum von 68 Jahren umfassen, die
vor- und rückwärts schauen und auch die Nebendinge
streifen, Fehler unterlaufen müssen, das wird nicht ver-
wundern. Kleinigkeiten wurden unrichtig eingereiht,
falsche Gedankenverbindungen unterliefen, aber, das sei
gleich vorweg betont, dies alles betrifft nur Nebendinge,
nicht Ereignisse, die in Pichlers Leben etwa eine Haupt-
rolle spielten.
Wenn man in Goethes „Wahrheit und Dichtung"
eine Reihe chronologischer Fehler findet, welche die Ent-
stehungszeit seiner Werke betreffen (Werthers Leiden,
Götz, Mahomet u. a.)^) und auf Gedächtnistäuschung
beruhen, so können wir dem in Pichlers „Denkwürdig-
keiten" nur einen Fall zur Seite stellen. Es ist die Rück-
versetzung ihrer Novelle „Der schwarze Fritz" ins Jahr
i8i6(II, S. 88), wobei es aberimmerhinmöglich wäre, daß
K. Pichler hier bewußt eine Verschiebung vornahm, um
Grillparzers Einfluß zu verdecken ( II, S. 465: 166).
^) Vgl. Heinrich Düntzer, Goethe- Jahrbuch I (Frankfurt a. M.
1880), S. i4off.; K. Alt, a. a. O., S. jgf.
LX
Eine Reihe von Verstößen können Karoline Pichler
überhaupt nicht zur Last gelegt werden. Vor allem ge-
hören hieher einige Unrichtigkeiten i) im Leben ihrer
Ahnen väter- und mütterlicherseits, ihres Vaters, ihrer
Mutter und ihres Bruders Frank Xaver, die sie im guten
Glauben an die Zuverlässigkeit! der Berichte ihrer Mut-
ter, archivalische Studien konnte und wollte sie ja nicht
betreiben, niedergeschrieben hat. Letzterer verdanken
auch einige falsche Angaben über die Kaiserin Maria
Theresia (I, S. 444: 38f,), über Mesmer (I, S. 448:
64) und über die Erzherzogin Isabella (I, S. 478: 238 f.)
ihre Entstehung, ebenso ist einiges Zweifelhafte aus dem
Leben der Kaiserin Maria Theresia (I, S.442: 26: 27;
456: iio) und des Kaisers Josef IL (I, S. 477: 228,478:
235) auf die Erzählungen der Mutter zurückzuführen.
Eine Reihe anderer Fehler erklärt sich daraus, daß Ka-
roline Pichler eben das, was man zu ihrer Zeit allgemein
glaubte, ohne weitere Prüfung niederschrieb; erst einer
späteren Zeit war es vorbehalten, die Unrichtigkeit die-
ser Dinge, die sich öfter auf Klatsch gründeten, nachzu-
weisen. Dies gilt von der Teilnahme des Kronprinzen
Josef am Preß burger Reichstag (1741; I, S.442: 25),
vom Zusammentreffen zwischen Kaiser Josef IL und
Kaiserin Katharina von Rußland (I, S. 471: 198) und
fünf weiteren Stellen 2),
Alle übrigen Irrtümer rühren von Karoline Pichler
selbst her. Von vornherein wird man als uneigent-
liche Fehler, da sie für den Gang der Erzählung voll-
ständig gleichgültig sind, die falsch wiedergegebenen
^) Denkwürdigkeiten, I, S. 437: 3, 439: 7, 440: 10: 12: 14, 442:
28, 456: 105. " ■ ■ • •
2) Denkwürdigkeiten, I, S. 509: 318, 583: 528, 609 f.: 600. —
II, S. 416: 17, 487: 227.
LXI
Zitate (obenS.LVII) ausschalten. Diesen schließen sich,
als in dieselbe Gruppe gehörig, einige nicht nachweis-
bare Stellen, deren Urheber sie aber anführte, an^). Nur
scheinbare Fehler liegen vor, wenn Pichler Personen, die
sie kennen lernte, Titel beilegte, die diesen später wirk-
Hch zukamen 2). Nicht sonderhch schwer wird man auch
drei unrichtig wiedergegebene Namen, die sie verhörte
und durch ähnlich klingende ersetzte 3), die dreimalige
Verwechslung von Buchverfassern ^) und die unrichtige
Ansetzung eines Gesetzes 5) beurteilen, während man
zwei weitere Stellen^) schon deshalb nicht in Anrech-
nung bringen wird, weil KaroHne Pichler in anderen
ihrer Werke die betreffenden Daten vollständig richtig
wiedergab, also nur Flüchtigkeitsfehler vorhegen.
Wenn sie aber hie und da Dinge aus dem Leben per-
sönlich Bekannter anführt, die nicht zutreffen, so ge-
hören diese einer Zeit an, wo sie nicht mit ihnen bei-
sammen, daher auf Gehörtes angewiesen war, das leicht
im Gedächtnis verschwimmen und Falsches ergeben
konnte'). Freilich hätte sie hier ebenso wde bei Ereig-
^) Denkwürdigkeiten, I, S. 485: 262. — II, S. 463: 162, 468:
173, 573: 453, 597: 532-
2) Denkwürdigkeiten, II, S. 490: 241 (Töpke), 552: 394
(Minarelli).
3) Denkwürdigkeiten, I, S. 473: 210 (Riepbe für Ripke). —
II. S. 434: 85, vgl. noch S. 623: 85 (Hohenlohe für HohenzoUern),
470: 179 (Gossen statt Koß).
*) Denkwürdigkeiten, I, S. 458: 120 (Mirabeau statt Holbach),
647: 727. — II, S. 497: 258 (Apel statt Kind).
5) Denkwürdigkeiten, I, S. 522: 370.
6) Denkwürdigkeiten, I, S. 508: 315. — IL S. 596: 526.
'') Denkwürdigkeiten, I, S. 522: 368 (Hunczovsky), 552: 435
(Schneller); 569: 502a (Werner); 580: 519 (Stael); 670: 285a
(Tod der Gräfin Kuef stein, der Lissl und Eberls). — II, S. 429:
62 (Gräfin Natalie Rothkirch); 434: 87 (Major Kronenthal);
483: 218 (Tod des Peter V. Piquot); 559: 416 (Schlegels Vorles-
ungen 1827); 572: 448 (Antoniewicz).
LXII
nissen, an denen sie nicht selbst Anteil hatte, sondern
die ihr nur berichtet wurden ^) oder von denen sie las,
gedruckte Hilfsmittel heranziehen können; sie unter-
ließ es sicherlich nur deshalb, weil sie von deren Richtig-
keit vollständig überzeugt war, obwohl nur Gedächtnis-
täuschungen vorlagen. Eine merkwürdige Irrung bietet
der Bericht über ein Gedicht von Collin (I, S. 584:
534), dessen Unrichtigkeit sie schon aus dem Inhalt
des Gedichtes selbst hätte ersehen können. Auf
schlechten Geschichtskenntnissen beruhen die Angaben
über den Hofdichter Apostolo Zeno (I, S. 441: 19) und
den letzten Hohenberger (II, S. 458: 144). Dies alles
sind jedoch leichte Fehler, da die Ereignisse, welche sie
betreffen, nicht im geringsten in Pichlers Leben ein-
griffen. Schwerer wiegt es, wenn sie den General Zoph
bereits 1797, wo sie gar nicht in Wien war, die Verteidi-
gung Wiens führen läßt (I, S. 519: 356), wenn sie die
Gerambsche Freischar ins Jahr 1800 verlegt und ein
Gerambsches Werk zu spät ansetzt (I, S. 533: 393,535:
397), Varnhagen von Ense 1809 später als in Wirklich-
keit getroffen haben will (I, S. 612: 609), Körners
Toni mit dessen Hedwig verwechselt (I, S. 624: 656),
für Goethe Mozarthandschriften gesammelt haben will
(I, S. 628), das Kriegsriianifest bereits am 17. August
181 3 in Wien veröffentlichen läßt (I, S. 642: 713 a),
im Bericht über die Erstaufführung ihres „Heinrich von
Hohenstauffen" den Prolog unrichtig einrückt (II,
^) Denkwürdigkeiten I, S. 519: 357 (Wiener Aufgebot 1797);
562: 468 (Kaisers Rückkehr 1806); 603 (Barchettis Tod); 604: 580
(Parlamentär Lagrange); 605: 584 (Einmarsch der Franzosen in
Wien 1809); 613: 613 (Kaisers Rückkehr 1809); 618: 642 (Tetten-
borns Ritt); 633: 679 (Überschwemmung in Lilienfeld). — II,
S. 465: 166 (Graseis Gefangennahme); 524: 314 (Hochzeit der
Gräfin Esterhazy).
LXIII
S.414' 4)5 die letzte Begegnung mit der Artner ins Jahr
1823 (statt 1827) verlegt (II, S. 423: 37), zwei Reisen
nach Buchen in eine zusammenfaßt (II, S. 465: i66a),
einen Brief Grillparzers aus Venedig statt aus Rom er-
halten haben will (II, S. 487: 232), über das Jahr der
Bekanntschaft mit Cramayel nicht im klaren ist (II,
S. 545: 375) und den Geburtstag ihrer Enkelin Marie
um einen Tag zu spät angibt (II, S. 568: 444). Bei
näherem Zusehen zeigt es sich aber, daß diese Versehen
ebenfalls nicht hoch zu bewerten sind, da sie, viel-
leicht nur die Geburt der Enkelin ausgenommen, auf
das Leben der Pichler keinerlei tieferen Einfluß hatten,
weder ihre geistige noch dichterische Persönlichkeit ver-
änderten, also nur unbedeutende Punkte ihrer langen
Lebensbahn darstellen. Bleibt nur noch eine Angabe.
Zweimal (I, S. 578: 515; II, S. 540: 365) hebt sie ganz
besonders hervor, daß sie nie eine Kritik schrieb; dies
hätte sie nicht sagen sollen, da sie doch eine solche und
zwar über Grillparzers Sappho verfaßte, die aber unge-
zeichnet erschien und daher von ihr mit obigen Worten
verleugnet werden konnte.
Pichler hat demnach in ihren „Denkwürdigkeiten"
der Wahrheit gehuldigt, hat nichts erfunden und hinzu-
gedichtet und nur in Kleinigkeiten Fehler gezeigt, die
aber der Menge des Gebotenen gegenüber nichts be-
deuten und nur die Unzulänglichkeit des Gedächtnisses
und alles Menschenwerkes beweisen. Sie steht mit ihrer
Wahrheitsliebe, wenn wir ihre bedeutenderen Vorgän-
gerinnen in Deutschland auf dem Gebiete der Memoi-
renliteratur in Betracht ziehen, im schroffen Gegensatz
zur Markgräfin Friederike Sophie Wilhelmine
von Bayreuth, deren Erinnerungen nicht glaubwür-
dig sind, keinen Wert als geschichtliche Quelle haben,
LXIV
vom Tratsch und der Erfindung leben und eine sehr
böse Sprache sprechen i). Würdig reiht sich aber die
Pichler an die zeitlich erste Schriftstellerin auf diesem
Gebiete, an Frau Helene Kot tanner an, die ihre wahr-
heitsgetreuen Erinnerungen an die Jahre 1439 und 1440,
die durch die Art der Auffassung und Darstellung eine
ungewöhnUche PersönHchkeit verraten, ebenfalls in deut-
scher Sprache niederschrieb 2). Aber auch an eine zweite
bedeutende deutsche Frau, an die Herzogin, spätere
Kurfürstin Sophie von Hannover erinnert man sich,
die, um sich von tiefem Herzeleid zu befreien, an der
Wende von 1680 auf 1681 ihre Erinnerungen, dem Zuge
der Zeit gemäß aber in französischer Sprache, nieder-
schrieb. Auch diese Frau, deren Darstellung Leben
zeigt, die sprudelnden Witz mit scharfer Beobachtungs-
gabe in sich vereint, ist nirgends geflissenthch, obwohl
sie zu den Sachen und Personen stets eine persönHche
Stellung einnimmt, von der Wahrheit abgewichen 3).
Eines aber unterscheidet sie von der Pichler, ihre böse
Zunge, die uns in manchem an die österreichische Grä-
fin Lulu Thürheim, die bedeutendste Nachfolgerin der
Pichler als Memoirenschreiberin, erinnert. Herzogin S o -
phie vernichtet damit ihre Gegn-er, schont ihre eigenen
Freunde nicht und läßt auch ihrer Mutter gegenüber
die schuldige Ehrerbietung vermissen*).
Der Gegensatz zur Herzogin Sophie ist KaroHne
Pichler. Nicht nur, daß sie'ihrer Mutter in den „Denk-
1) Franz Xaver v. Wegele, Vorträge und Abhandlungen. Leipzig
1898, S. zogf.
2) St. L. Endlicher, Aus den Denkwürdigkeiten der Helene
Kottannerin. Leipzig 1846, S. 6.
3) Adolf Köcher, Memoiren der Herzogin Sophie nachmals
Kurfürstin von Hannover. Leipzig 1879, S. 4, 6.
*) Adolf Köcher, Memoiren S. 11 f., 24.
V C. P. I
LXV
Würdigkeiten", ähnlich wie der eitle Abt Guibert
vonNogent (f 1124) seiner Mutter in den seinen^),
ein literarisches Ehrendenkmal setzte und ihrer stets
mit Ehrerbietung gedachte, so war sie auch eijfie wohl-
wollende Natur, die überall nur das Gute hervorhob
und das Schlechte mit Absicht übersah. Da sie selbst
stets das Beste wollte, so übte sie auch anderen Personen
gegenüber im Leben und in ihren Erinnerungen
Nachsicht^). Im Verkehr selbst konnte freilich auch
sie manchmal boshaft sein, mit spitzem Zünglein Tratsch
und Klatsch verbreiten^) und über jene, die sich ge-
sellschaftlich oder sonst gegen sie ungezogen benahmen,
Gericht halten*); aber sobald sie etwas für die Öffent-
lichkeit bestimmte, trat ihr stark ausgeprägtes Verant-
wortlichkeitsgefühl in Tätigkeit, und ihre natürliche
Gutmütigkeit, die sie als echte Wienerin nicht ab-
streifen konnte, verbot ihr, verletzende Bemerkungen
niederzuschreiben. Es mag sein, daß ihre „Denk-
würdigkeiten" dadurch manchen Reiz einbüßten, daß
deren Natürlichkeit darunter litt, aber Karoline
Pichlers Charakter hat dabei sicherlich nur gewonnen.
Und so müssen wir neben der Wahrheitsliebe als zweite
charakteristische Eigenschaft der „Denkwürdigkeiten"
die Zartheit und freundliche Rücksichtnahme, mit der
verschiedene persönliche Verhältnisse von Bekannten
behandelt sind, gebührend hervorheben. Karoline Pich-
1) Vgl. Friedrich v. Bezold, Über die Anfänge der Selbstbio-
graphie und ihre Entwicklungim Mittelalter. Erlangen 1893, S. 15.
2) Denkwürdigkeiten, I, S. 32 f., 189, 220. Vgl. unten S. LXXIX
(Amalie v. Groß).
3) Vgl. ihre Ausstreuungen über Zedlitz: Denkwürdigkeiten,
II, S. 488: 232.
*) Vgl. ihre Äußerungen über Menzel zu Laube: Denkwürdig-
keiten, II, S. 566: 437; dagegen halte man die zurückhaltenden
Bemerkungen: II, S. 262.
LXVI
1er hat dabei aber nicht etwa der Wahrheit einen Zwang
angelegt, sondern läßt ihr auch hier vollständig ihr
Recht werden. Wenn sie aus zarter Schonung manchmal
die Namen von behandelten Persönlichkeiten ausließ, so
gab sie doch immerhin irgendein charakteristisches
Merkmal an, so daß es nicht allzu schwer wird, des Rät-
sels Lösung zu finden. Es sei hier nur an den Geliebten
ihrer Mutter, den Hofkonzipisten Ignaz v. Sauttermei-
ster, an den Grafen H. (Haugwitz), der zu ihr eine Nei-
gung hatte, an das Verhältnis Eberls mit einer Gräfin
(Kuef stein), an die Werbung Hammer-Purgstalls um ihre
Tochter u. a. erinnert^). Rücksichten ließ sie aber nur
gegen andere, nicht gegen sich selbst walten, denn ihre
eii;ene Entwicklung, ihre Empfindungen und Gefühle,
ihre Liebesverhältnisse u. a. legte sie mit rücksichtsloser
Offenheit klar. Hier gab es für sie keine Geheimniskrä-
merei und keine Vertuschung, wodurch sie sich vorteil-
haft von ihrer dichtenden Genossin, mit der sie ja auch
im persönlichen Verkehre stand, von Helmina v.Chezy
unterscheidet, die in ihren Denkwürdigkeiten, „Unver-
gessenes""betitelt, nur allzuhäufig ihre Lebensgeschicke
verschleierte^). Karoline Pichler hatte aber auch die Öf-
fentlichkeit nicht zu scheuen, sie handelte stets recht-
Hch und ihre Vorfahren hatten als Beamte und Offiziere
ein blankes Ehrenschild sich erworben und erhalten. Für
sie bestand daher nicht jene Nötigung, die z.B. Fried-
rich Anton von Schönholz zwang, sich und seine Fa-
milie in ein vermeintlich undurchdringliches Dunkel,
das aber der gewissenhaften Forschung von G. Gugitz
^) Vgl. die betreffenden Stellen im „Namensverzeichnis" der
„Denkwürdigkeiten" unter. Sauttermeister, Graf Haugwitz, Gräfin
Kuefstein und Hammer-Purgstall (II, S. 82 f.).
2) Vgl. L. Geiger, Grillparzer- Jahrbuch XVII, S. 288 und:
Aus Chamissos Frühzeit. Berlin 1905, S. 2ioff.
V* Lxvn
nicht standhalten konnte, zu hüllen und, um diesen
Zweck zu erreichen, die Fehler und Torheiten anderer
um so lebhafter herauszuarbeiten^).
Und doch, trotz aller Rücksichtnahme erregten Karo-
line Pichlers „Denkwürdigkeiten" im Kreise einer hoch-
adeligen FamilieAnstoß, hatte sie es doch gewagt, über das
Liebesverhältnis zwischen dem Grafen Ignaz Chorinsky
und ihrerjugendfreundin Sophie v.Mertens in wahrheits-
getreuer, dabei aber doch zarter Weise zu berichten (I,
S. 175, I77f., i87f.). Pichlers feinfühlige Schilderung
springt sofort in die Augen, wenn man ihr die Worte des
Freiherrn v. Kübeck, an deren Wahrheit ebenfalls nicht zu
zweifeln ist, entgegenhält (I, S.5o8f. :3I7). Diese Familie
beschwerte sich und da die ganze Beschwerde für unser
vormärzliches Österreich mit seiner Adelswirtschaft und
seinem offiziellen geistigen Tiefstand zu kennzeichnend
ist, so folge sie mit allen daraus entspringenden Recht-
fertigungen und Schreibereien hier im Wortlaute^):
Wien, am 22. April 1844.
Hochgeborener Graf!
In dem jüngst hier in der Pichlerischen Verlagshand-
lung erschienenem Werke, betitelt „Denkwürdigkeiten
aus meinem Leben von Caroline Pichler" habe ich mei-
nen im J. 1823 als Staatsminister verstorbenen Schwie-
gervater, Grafen Chorinsky, und meine bereits auch aus
dem Leben geschiedene Schwiegermutter in der darin
eingeflochtenen Erzählung jener Familienverhältnisse,
welche ihrer ehelichen Verbindung vorangingen, auf
^) Vgl. Gustav Gugitz in seiner Einleitung zu F. A. v. Schön-
holz, Traditionen zur Charakteristik Österreichs I, (München
1914), S. XVIf.
2) Archiv des k. k. Ministeriums des Innern in Wien, Polizei-
akten 3793 ex 1844.
LXVIII
eine Art genannt gefunden, die ihre noch lebenden Kin-
der^), so wie ihre noch einzig am Leben befindliche
Schwester^) um so schmerzlicher berühren mußte, als
die Darstellung selbst eine, jene Verhältnisse in das Klare
setzende Berichtigung bedarf, die nun für diese Ausgabe
nicht mehr erfolgen kann.
Muß ich mich auch bescheiden, daß Euere Exzellenz
dermal das Versehen des Zensors nicht mehr gut zu
machen vermögen, so glaube ich doch nichts desto we-
niger Ihre Aufmerksamkeit und Ihren wohlwollenden
Einfluß zu dem Ende in Anspruch nehmen zu dürfen,
damit für den Fall, als noch ähnliche Veröffentlichun-
gen in der Absicht lägen, Hochdieselben sich veranlaßt^
finden möchten, jenen Rücksichten der Schicklichkeit
für einen geachteten Namen Eingang und Geltung zu
verschaffen, welche dem Unternehmen der oben er-
wähnten Ausgabe fremd gewesen zu sein scheinen.
Ich habe die Ehre mit besonderer Hochachtung und
Verehrung zu verharren ^ t- n
Euerer Exzellenz
ergebenster Diener
Friedr. G. Wilczek^).
^) 1844 lebten von ihren Kindern noch: Karl Franz Graf
Chorinsky (1800 — 1853), 1844 Hofsekretär bei der allgemeinen
Hofkammer; Franziska Gräfin Chorinsky, verehelichte Gräfin
Wilczek (vgl. -Anm. 3); Ignaz Gustav Graf Chorinsky (1806
bis 1873), 1844 Regierungsrat und Kreishauptmann in Salzburg,
und Marie Henriette Leopoldine Gräfin CJiorinsky, verehelichte
Freiin von Pillersdorf (1807 bis November 1844). Vgl. Genealo-
gisches Taschenbuch der deutschen gräflichen Häuser, XVH,
(Gotha 1844), S. 117.
^) Klementine Marie von Mertens (1783 — 1865), die seit 1813
mit Johann Nepomuk Freiherrn von Aichen (1783 — 1858), Hofrate
des Obersten Gerichtshofes, vermählt war (Genealogisches Taschen-
buch der adeligen Häuser Österreichs H, [Wien 1907], S. 263: 12).
^) Friedrich Graf v. Wilczek, Frei- und Bannerherr von Hultschin
und Gutenland (1790 — 1861), Geheimer Rat und 1844 ^Präsident
LXIX ^ ^
Auf diese Eingabe hin, erließ der Präsident der Ober-
sten Zensurhofstelle Graf Sedlnitzky am 23. April
1844 ^^^ Dekret an den Vorsteher des k. k. Bücherrevi-
sionsamtes, den n.-ö. Regierungssekretär Heinrich H ö 1 z 1,
worin er ihm zunächst den Fall berichtete und beifügte :
„Auf eine ähnliche unzarte Weise ist in jener Druck-
schrift das Verhältnis der Familie des verstorbenen k. k.
FML. Grafen von Rothkirch zu jener der Verfasserin
besprochen worden^)." Er verlangte betreffs beider Fak-
ten eine Rechtfertigung von selten des Zensors, sovi^ie
ein Gutachten Hölzls, „was zur Klaglosstellung der Be-
schwerdeführer bei der etwa stattfindenden Wiederauf-
lage der gedachten Schrift zu verfügen sein dürfte".
Außerdem trug er auf, daß bereits jetzt das Erforderliche
vorgesehen werde, „damit jene Wiederauflage zuverlässig
nicht ohne hierortiger vorläufiger Bewilligung erfolge".
Da bis zum 19. Juni 1844 die Rechtfertigung nicht
einlangte, so verlangte sie Sedin itzky an diesem Tage
von Hölzl neuerdings, worauf am 21. Juni 1844 das vom
8. Juni stammende Gutachten Hölzls samt Deinhard-
steins Rechtfertigung einlangte-). Deinhardstein
führte folgendes aus:
„In Folge des mir zugekommenen hohen Auftrages
mich über den Grund der Zulassung einiger Stellen zu
des General-Rechnungs-Direktoriums, war seit 18 18 mit Franziska
Gräfin Chorinsky (1798 — 1863) vermählt (Gothaisches Genealo-
gisches Taschenbuch der gräflichen Häuser XVII, [Gotha 1844].
S. 640; LXXXV, [Gotha 1912], S. 1048).
^) Gemeint ist jedenfalls die Stelle, worin K. Pichler von ihrem
späteren Verhältnis zu den Rothkirchs spricht (Denkwürdigkeiten,
II, S. 162 f.), und in deren Harmlosigkeit wohl nur der allseitig
bekannte Unverstand des Grafen Sedlnitzky eine Ungehörigkeit
erblicken konnte.
2) Archiv des Ministeriums des Innern, Polizeiakten 6063 ad
3793 ex 1844.
LXX
äußern, welche, in den Pichlerischen Memoiren vorkom-
mend, die hochgräflichen Familien Chorinsky und Roth-
kirch betreffen, habe ich mich pflichtschuldig desselben
nachstehend zu entledigen.
„Ich habe, wie sich aus dem Censur-Zettel erzeigen
wird, bei Begutachtung der mir zur Censur zugeteilten,
obgedachten, vom k. k. Skriptor der Hofbibliothek und
pro. Censor Wolf zum Drucke besorgten Memoiren der
Frau Caroline Pichler mit gewohnter sorglicher Genau-
igkeit alles entfernt, was mir darin anstößig schien und
die Gründe davon angegeben. Jene Weglassungen und
Veränderungen sind meinem Censur-Protokolle gemäß
zahlreich.
„Bei der großen Masse meiner Censur- und sonstigen
Geschäfte ist es mir nicht mehr erinnerlich, was in den
Pichlerischen Memoiren über die vorgedachten gräf-
lichen Familien vorkam ; doch bin ich mir bewußt, nichts
darüber stehen gelassen zu haben, was ich nach den be-
stehenden Censurgesetzen hätte entfernen sollen oder
dürfen, ohne das Interesse des ohnedieß ziemlich matten
Werkes ganz zu vernichten.
„Irgend einen versteckten Angriff, der mir im Lesen
entgangen sein sollte, kann ich um so weniger voraus-
setzen als ich oft Gelegenheit hatte, aus dem Munde
der mir befreundet gewesenen Schriftstellerin Äußerun-
gen anerkennender Verehrung über die gedachten gräf-
lichen Familien zu vernehmen.
Wien, am 31. Mai 1844.
Deinhardstein."
Hölzl meinte, wenn diese Erklärung nicht genüge, so
stelle er das „Ersuchen um hochgefällige Bekanntgabe
der für jene Familien verletzenden Passagen der gedach-
LXXI
ten Memoiren, um sodann den Censor zu einer speciellen
und detaillierten Rechtfertigung über die Zulassung der-
selben auffordern zu können". Weiters teilte Hölzl mit,
daß die Verlagsbuchhandlung den Auftrag erhielt, bei
einer eventuellen Neuauflage das Werk nochmals zen-
surieren zu lassen, was übrigens nach den bestehenden
Vorschriften sowieso sein müßte, damit die Anstoß er-
regenden Stellen getilgt werden können.
Darauf erging unterm 30. Juni 1844 von Sedlnitzky
an Hölzl die Weisung, daß er die Eingabe zur Kenntnis
nehme, obwohl die Entschuldigung Deinhardsteins kei-
neswegs genügend sei. Gleichzeitig forderte er Hölzl auf,
dafür Sorge zu tragen, daß bei einer etwaigen Neuauf-
lage die beanständeten Stellen „sicher und unfehlbar"
weggelassen werden und fuhr fort: „Zugleich finde ich
mich durch den gegenwärtigen Anlaß zu der Bestim-
mung bewogen, daß in Manuskripten alle Stellen, wel-
che einzelne darin namhaft gemachte Familien betref-
fen, wenn diese Stellen nicht ohnehin so geartet sind,
daß sie wegen ihrer Anstößigkeit in Censurbeziehung
schon an und für sich gestrichen werden müssen, jeder-
zeit anher zu exhibieren sind." Damit war dieser für die
österreichische Zensur charakteristische Fall erledigt.
Aus einer Kleinigkeit, die im übrigen vollständig richtig
dargestellt war, wurde eine Staatsaffäre gemacht. We-
gen eines echten Aristokraten, der an seiner Braut ehr-
lich und anständig gehandelt hatte, wurde so viel Papier
verschrieben und so viel Geist in Bewegung gesetzt,weil'
sein Schwiegersohn nichtwollte, daß eine ehrliche Hand-
lung der Öffentlichkeit bekannt werde. Es ist nur schade,
daß man den himmlichen Behörden von selten Sedl-
nitzkys nicht die Weisung erteilte, die gutmütige
Fichler zur Abbitte zu verhalten.
Lxxn
Ein hervorstechendes Kennzeichen der „Denkwür-
digkeiten", das schon der Merkwürdigkeit halber nicht
übergangen werden soll, ist, daß die Pichler der Mu-
siker, mit denen sie vielfach verkehrte, wie Beethoven,
Haydn, Mozart, Schubert u. a., nur ganz kurz gedenkt,
worüber sich bereits A. W. Thayer aufhielt i). Diese
Nichtbeachtung der Tondichter hängt damit zusammen,
daß die musikahsche Begabung von der Pichler nur
als etwas Einseitiges betrachtet und daher die Musiker
von ihr nicht als gleichwertige Gesellschaftsmenschen
angesehen wurden (I, S. 282, 293 f.).
KaroHne Pichlers „Denkwürdigkeiten" sind, wie ja
schon früher (oben S. XL! f.) auseinandergesetzt wurde,
ein Alters werk. Man wollte an ihnen etwas „Großmutter-
haftes" finden^) und vergaß dabei ganz und gar, daß alle
älteren Leute bei ihren Erzählungen gern etwas breiter
werden, Reflexionen, aus ihrer reichen Lebenserfahrung
heraus, einstreuen, zu lehrhaften Auseinandersetzungen
neigen und hie und da, das Gedächtnis läßt sie ja viel-
fach im Stiche, Wiederholungen nicht vermeiden kön-
nen^). Was wir von dieser Art bei der Pichler finden, das
fällt uns ja auch in Goethes „Dichtung und Wahrheit",
ebenfalls einem Alterswerk, auf*). Dafür entschädigt uns
aber hier wie dort die klare, ruhige Sprache und die ab-
geklärte Form. Wenn man Goethes Doppeltitel seiner
Selbstbiographie dahin auslegen wollte^), daß dieDich-
1) Ludwig van Beethovens Leben. 2 n. (Leipzig 1910),
S. 131. • '
2) Nagl-Zeidler, a. a. O., S. 735.
3) Wiederholungen enthalten die „Den Würdigkeiten" nur
wenige, vgL II, S. 540: 364.3; 587: 501 (Lenau und Tieck).
*) K. Alt, a. a. O., S. 86.
5) Karl Kochendörffer, Preußische Jahrbücher LXVL (BerHn
1890), S. 542.
LXXIII
tung auf die Form, die Wahrheit auf den Inhalt hin-
ziele, daß also das Dichterische in ihr in der Darstellung,
dem harmonischen Aufbau und der feinen Gliederung
der Erzählung liege, so könnte man auch Pichlers „Denk-
würdigkeiten" mit dem Ausdrucke „Dichtung" belegen.
Denn nicht nur die Begebenheiten ihres Lebens, son-
dern auch die zahlreichen weltgeschichtlichen Ereignisse
ihrer Zeit, deren Zeuge sie vielfach war, hat sie mit
ihrem klaren und ordnenden Geist, nachdem sie die not-
wendige Fernstellung durch Zeit und Raum gewonnen
hatte (II, S. 119), in fesselnder Form zur Darstellung
gebracht, manch heiteren, belebenden Zug eingefloch-
ten und dies alles in klarer, ruhiger und wohlgesetzter
Sprache vorgetragen.
Daß ihre „Denkwürdigkeiten" in mehr als einem Zug
die Frau verraten, daß die Frauenart und das Mütter-
liche der Frau vielfach zum Durchbruche gelangen,wird
man ihr, wie auch Amalie v. Groß schon 1844 richtig
hervorhob (unten S.LXXVIII), nicht ernstlich verübeln
können. Denn wenn es dem Manne geziemt, von Waffen-
taten und großen Ereignissen, die sich außer dem Kreise
der engsten Familie zutrugen, zu erzählen, dann wird
man von der Frau verlangen müssen, daß sie in Ergän-
zung dazu von jenem engen Kreise, aus dem der Mann
hinausgewachsen ist, in dem sich aber nicht nur ihr
Glück, sondern vielfach auch seines abspielt, ebenfalls
berichte. Hätte Pichler dies nicht getan, dann würden
wir eben die Frau an ihr vermissen, würden sie als Schrift-
stellerin gewiß ebenso hochschätzen wie sonst, aber be-
dauern, daß sie um des bißchen Ruhmes wegen ihr Haus-
frauen- und Mutterglück preisgab. Daß Karoline Pich-
ler in ihren „Denkwürdigkeiten" auch in dieser Hinsicht
wahr blieb und sich ganz und gar als Frau gab, ist ihr
LXXIV
hoch anzurechnen und sollte sie vor jeder Verunglimp-
fung, die sie deswegen schon öfter erfuhr, schützen.
Frauenart ist nun einmal, den Kindern ein Maß über-
schwenglicher Liebe gepaart mit großer Entsagung ent-
gegenzubringen, die dem Manne vielfach fremd ist, und
da Karoline Pichler über ihr Geschlecht nicht hinaus-
konnte, übrigens auch nicht wollte i), so müssen wir uns
damit abfinden, daß sie im vierten Buche ihrer „Denk-
würdigkeiten" ein wenig viel von ihrer Tochter und den
Ereignissen, die sich in deren Familienkreis zutrugen,
berichtet. Dieses Buch ist überhaupt das schwächste,
denn es ist den ersten drei Büchern gegenüber ereignis-
arm. Pichlers Sonne hatte sich gegen Abend geneigt,
Österreich war nach den Befreiungskriegen, wo das Volk
in heller Begeisterung seine ganze Kraft eingesetzt hatte,
infolge der Karlsbader Beschlüsse in schmähliche Polizei-
fesseln geschlagen, die gesellschaftlichen Verhältnisse
hatten sich, eben unter dem Polizeidruck gründlich ge-
ändert, das gegenseitige Vertrauen war vielfach ge-
schwunden und jeder zog sich scheu vor der Öffentlich-
keit zurück. Was hätte da eine alte Frau über diese Zeit
sagen sollen ? Günstiges hätte sie über das Österreich der
zwanziger und dreißiger Jahre -nicht viel berichten kön-
nen. Das wollte sie aber auch nicht, denn ihr Patriotis-
mus und die Überlieferungen einer alten Beamtenfami-
lie, die sie hochhielt, verboten es ihr, über Österreichs
Verhältnisse mißbilligende Betrachtungen anzustellen
und so zog sie es eben vor, über das Harmlosere, das
Familiäre, Rechenschaft zu geben.
^) Schon im 12. und 13. Jahrhundert finden wir in den Selbst-
biographien (Visionen) der deutschen Mystikerinnen das starke
Hervortreten der mütterHcheu Gefühle in deren Christkindkult;
vgl. Bezold, a. a. O., S. 17.
LXXV
Die Anordnung der „Denkwürdigkeiten" ist eine chro-
nologische. Schrittweise können wir Pichlers Leben
gleichzeitig mit den Ereignissen, die in ihrer Umwelt
vorgehen, verfolgen. Alles entwickelt sich folgerichtig.
Abschweifungen oder Einstreuungen, wie etwa die Ab-
handlung über das Gebet (II, S. 343 ff.), treten selten
auf und der chronologische Gang der Handlung erleidet
hauptsächlich nur an zwei Stellen, wo sie über Grill-
parzer (II, S. ii4ff.) und Bauernfeld (II, S. 301 ff.) in
einem Zuge berichtet, Unterbrechungen. Karoline
Pichler hat eben auch hier im Formellen die Dichterin
nicht verleugnen können und die Meisterschaft der Dar-
stellung ähnlich wie Goethe bekundet, ein Vorzug, der
besonders dann ins Auge fällt, wenn man z.B.Castellis
Art dagegen hält. Aber auch gegen ihre bedeutendste
Nachfahrin, die Gräfin Lulu Thürheim befindet sich
Karoline Pichler durch ihre Art der Darstellung in Vor-
teil, denn sie bietet ein abgerundeteis Ganze, das auch
künstlerisch als solches wirkt, während dieThürheim,
die Verarbeitetes mit Tagebuchblättern bunt durchein-
andermengt, durch diese Darstellungsweise etwas Zer-
rissenes und Zerfahrenes an sich hat, das den künstleri-
schen Genuß stört, wenn auch die Unmittelbarkeit und
das Persönliche dadurch oft besser zum Ausdruck ge-
langen.
Im März oder anfangs April 1844 waren, wie aus der
Beschwerde des Grafen Friedrich Wilczek hervorgeht
(oben S. LXVIII), die „Denkwürdigkeiten aus meinem
Leben" der Karoline Pichler, gebornen von Greiner, in
vier Bänden bei ihrer Schwägerin Elisabeth Pichler
erschienen^). Sie machten zwar einiges Aufsehen in der
Wiener Gesellschaft, doch groß scheint ihre Wirkung
1) 4 Bände, 8", (IV), 243; (IV) 257; (IV) 179 und (IV) 254 Seiten.
LXXVI
nicht gewesen zu sein, sonst hätte sich die Kritik mit
ihnen wohl mehr befaßt. Außer einer ganz kurzen An-
zeige von L. A. FrankU) , der zur Illustrierung des Ge-
sagten auch den Abschnitt über die Kaiserin Maria
Theresia mit einigen Auslassungen abdruckte 2), erschien
in Wien nur noch eine Kritik, mit S. gezeichnet 3), die
der Feder des Schriftstellers Andreas Schumacher,
der bereits öfters Pichlersche Schriften besprochen hat-
te*), entstammen dürfte. Er nennt darin die „Denkwür-
digkeiten" ein „Vermächtnis, durch welches ein edler
Geist sein Angedenken in dem Herzen derer zu befesti-
gen beabsichtigt, denen er lieb war im Dasein", ahnt
also deren kulturgeschichtlichen und sonstigen Wert für
die Nachwelt nicht. Er erkennt in ihnen überall mit
Recht „die denkende Frau, die gemäßigte Beobachterin,
die loyale Untertanin, die treue Menschenfreundin, die
fromme Christin" und findet, daß „wo allenfalls die
Kühnheit der Anschauung, das Pikante der Darstellung
vermißt werden, dürfte gerade dies der Entschlafenen
zur Ehre anzurechnen sein, da sie ja eine Frau war, kein
cynischer Sansculott oder Zerrissener der Neuzeit".
Wenn diese beiden in Österreich erschienenen und
von Österreichern verfaßten Anzeigen ein tieferes Ein-
gehen in KaroHne Pichlers Absichten vermissen lassen,
ihr Wesen, wie es sich gerade in den „Denkwürdigkei-
ten" offenbarte, nicht erkannten, beziehungsweise nicht
zeichnen wollten und die Bedeutung dieser Erinnerun-
gen für die Nachwelt, obwohl sichFrankl deren völlig
bewußt war (oben S. XXVIII), nicht hervorhoben, so war
1) Frankls Sonntags-Blätter III, (Wien 1844), S. 304.
2) Vgl. Denkwürdigkeiten, II, S. 581: 478.
3) Wiener Zeltschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode.
Wien 1844, S. 1039^
*) Vgl. das Namensverzeichnis unter „Schumacher".
LXXVII'
es einer Frau überlassen, dies mit feinem Gefühle zu tun.
Die Schriftstellerin Amalie Freiin von Groß (1802 bis
1879) ^^ Weimar, welche drei Sammlungen interessan-
ter „Frauenbilder" (1840 — 1842) geschrieben hat, war
es, die in ihrer AnzeigiC der „Denkwürdigkeiten"^), die
sie ein „würdiges Monument" nennt ^), eine feine Cha-
rakteristik mit folgenden Worten^) lieferte: „Auch für
solche, welche nicht zu den Lesern der Pichlerschen
Werke gehören, sind die , Denkwürdigkeiten' interessant
als die wahre Geschichte eines edeln weiblichen Wesens,
welches als Tochter, Gattin, Mutter und Schriftstelle-
rin stets achtungswert dasteht, Geist und Gemüt gleich-
mäßig entwickelnd im Streben nach dem Höhern, nach
dem Wahren. Mit der klaren, ruhigen Weltanschauung
eines scharfen Verstandes, mit der Lebensauffassung ei-
nes warmen Herzens, mit dem durch eine tiefe Religiosi-
tät geleiteten und beschatteten Denken tritt Karoline
Pichler uns aus ihrer Zeit entgegen, als ein Kind der-
selben, dem das Verständnis der folgenden Zeiten nicht
abgeht. Vielleicht wird sie zuweilen zu breit über die
Begebnisse ihres Familien- und Herzenslebens, vielleicht
könnte man ihr den Vorwurf machen, daß die zahlrei-
chen Niederkünfte der Tochter, die Details über Gatten,
Geschwister, Freunde, die Begebenheiten des Hauses
zu viel Raum in dem vorliegenden Werke einnehmen.
Was die Frau mit dem Herzen erfaßt, liegt ihr näher als
die Interessen des Geistes und eben dieses Plaudern über
das Familienleben bekundet uns Karoline Pichler als
^) Blätter für literarische Unterhaltung. 1844, II, (Leipzig 1844),
S. 1150 — 1152, ii55f., unterzeichnet mit der Chiffre 12, die, nach
freundlicher Mitteilung des Verlages von F. A. Brockhaus in Leip-
zig, 1844 der Schriftstellerin Amalie v. Groß in Weimar zukam.
2) Blätter fi^r Hterarische Unterhaltung. 1844, S. 1156.
3) Blätter für literarische Unterhaltung. 1844, S. 1151.
LXXVHI
echtes weibliches Wesen, während ihre Werke sie uns als
geistreiche Schriftstellerin kennen lehrten . . . Wer nun
nicht als Psycholog die vorliegenden ,Denkwürdigkei-
ten' liest, wen das Leben und Entwickeln der Schrift-
stellerin nicht anzieht, wird an ihrem Erlebten ein reiches
Interesse finden." Besonders scheint es Amalie Freiin
von Groß hervorhebenswert, daß Karoline Pichler, die
mit so vielen geistreichen Menschen verkehrte, in ihren
Urteilen über diese nie indiskret, sondern „mild, aner-
kennend, eher bewundernd als das Gegenteil" ist. „Ka-
roline Pichler hatte nichts Verneinendes weder in ihrem
Wesen noch in ihren Werken und ihre ,Denkwürdig-
keiten' gleichen einem schönen Landsee, der Himmel
und Erde zugleich aufnimmt und wiederspiegelt." Was
Amalie Freiin von Groß schon als Zeitgenossin, wenn
auch öfter nur andeutungsweise als hervorstechende Ei-
genschaften der „Denkwürdigkeiten" erkannte, nämlich
die zarte Rücksichtnahme auf andere und das starke Her-
vortreten der Frau, das bestätigen die eingeheüden, wei-
ter oben stehenden Ausführungen.
Soweit die gedruckten Kritiken. An schriftlichen
Äußerungen sind nur die des Zensors Deinhardstein
(oben S. LXXI) bekannt, der die „Denkwürdigkeiten"
ein mattes Werk nannte, und die Hormayrs, der,
wohl ärgerlich über die ihn betreffenden Stellen, am
24. Januar 1846 an L. A. Frankl schrieb^): „Durch
den Druck so vieler Frau Basereien, die keine Seele
mehr interessieren, hat der Geistesschwung der lieben
Pichler um so weniger gewonnen, als ich hier (Bremen),
in Hamburg, in München, überall, von dem taumelnden
Pindusgang der Tochter hörte, ja sogar deii mich nicht
wenig ärgernden Mißverstand, schon die Mutter habe
^) L. A. Frankl, Erinnerungen. S. loi.
LXXIX
in ihren letzten Jahren der Flasche weidlich zuge-
sprochen? Auch an manche Leichdornen des seligen
Pichler sollte nicht ohne Not erinnert werden".
Das war alles, was man damals über die „Denkwürdig-
keiten" zu sagen hatte. Dafür wurden sie aber in der
Folge fleißig benützt. Besonders die neueren Darstel-
lungen, die sich mit der Zeit der Kaiserin Maria There-
sia und des Kaisers Josef II. beschäftigten, zogen sie im-
mer und immer wieder heran, oft auch ohne sie als
Quelle zu nennen. Es sei nur kurz auf Adam Wolf (I,
S. 442: 26f.), Franz Gräffer^), Otto Jahn^), Johann
Wendrinsky^) u. a. verwiesen. Andererseits muß man
aber wieder sagen, daß sie viel zu wenig benutzt wurden,
es sei nur an ihre Mitteilungen über Zacharias Werner
erinnert, die sowohl Felix Poppenberg als Jonas Frän-
kel entgingen (I, S. 566f. : 491 : 495), und an vieles an-
dere, das ungenützt blieb, weil sie eben kein Register
besaßen. Erst in dieser Ausgabe wurde, gemäß der Rich-
tung, welche die „Denkwürdigkeiten aus Alt-Österreich"
einschlagen, ein solches beigegeben und wird damit
hoffentlich der reiche Inhalt des Pichlerschen Buches
der Allgemeinheit dauernd erschlossen.
War überhaupt eine Neuausgabe dieses Werkes nötig ?
Die Beantwortung dieser Frage hängt innig mit der
Frage nach dem Werte der „Denkwürdigkeiten" für die
Gegenwart zusammen. Was bedeuten uns diese heute ?
Ganz abgesehen davon, daß sie uns den Entwicklungs-
gang einer in der österreichischen Literaturgeschichte
des Vormärzes nicht unbedeutenden Dichterin schil-
dern, sind sie uns, wie schon L. A. Frankl 1843 in rich-
^) Josephinische Curiosa, II, (Wien 1848), S. 372ff.; III, S.i3iff.
2) W. A. Mozart, IV, (Leipzig 1859), S. 817.
3) Kaiser Josef II. Wien 1880, S. 26f., 360!.
LXXX
tiger Vorahnung sagte i), ein „glänzender Beitrag" zur
Sitten- und Literaturgeschichte Österreichs. Sie sind
uns für viele Personen und Ereignisse der Zeit von
1769—1843 eine hochwichtige, oft einzige Quelle, um
so wertvoller, als sie lautere Wahrheit bieten. Ihr Stil
und ihr Inhalt stempeln sie geradez^ zum klassischen
Werk der österreichischen Denkwürdigkeitenliteratur.
Daher auch Franz Xaver Wegele, der eine sehr lesens-
werte Arbeit über die wichtigsten deutschen Memoiren-
werke schrieb 2), sie behandelte, meinend, daß er sie nicht
mit Stillschweigen übergehen könne, da sie über das litera-
rische und soziale Treiben der Stadt Wien zu ihrer Zeit
vieles bieten, „was wir uns gern gefallen lassen können" ^).
Ebenso widmete ihnen auch Schult e in seiner Artikel-
reihe „Denkwürdigkeiten zur deutschen Geschichte"
einen eigenen Abschnitt*). Für Wien haben Pichlers
Erinnerungen unstreitig den größten Wert und die
größte Bedeutung, sie sind ein Quellenwerk zu nen-
nen^), das jeder Österreicher lesen sollte«). Weder vor
ihr noch nach ihr wurde das Wiener gesellige Leben und
Treiben so frisch und farbenprächtig geschildert, denn
was der Wiener Arzt und Humanist Johann Tichtel
für die Jahre 1477 — 1495 in lateinischer Sprache bot,
zeigt nicht nur primitive Form, sondern höchst beschei-
1) Sonntags-Blätter, II, (Wien 1843), S. 679.
2) Die deutsche Memoirenliteratur. Deutsche Rundschau. Hg.
von Jul. Rodenberg. XL, (Berlin 1884), S. jzii. = Wegele, Vor-
träge und Abhandlungen. Leipzig 1898, S. I92ff.
s) Rundschau, XL, S. 94 = Vorträge, S. 216.
*) Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung In Berlin, 1888,
Nr. 38«., besonders Nr. 41 (H. H. Houben, Die Sonntagsbeilage
der Vossischen Zeitung. Berlin 1904, Sp. 46off., bes. 462).
5) Marie Bihain (Irma Warmuth-Jancsö), Österreichisches Jahr-
buch XXX, (Wien 1906), S. 146.
8) R. Holzer, Wiener-Zeitung. 1901, Nr. 205.
VI c. P. I
LXXXI
denen Inhalt^), was Ign. F. Castelli in geschwätziger
Plauderhaftigkeit vortrug, trägt nicht immer den Stem-
pel der Wahrheit und am allerwenigsten den der Künst-
lerschaft an sich, und was L. A. Frankl in seinen feuil-
letonistischen Plaudereien vorlegte, beruht zwar viel-
fach auf Quellenstudien, läßt aber ebenfalls oft die nö-
tige Kritik vermissen und setzt eigentlich zu einer Zeit
ein, wo der Glanzpunkt der Wiener Geselligkeit längst
vorüber, wo der Salon abgetan und das literarische Kaf-
feehaus seine Blütezeit erlebte.
Karoline Pichlers „Denkwürdigkeiten" haben uns
heute viel mehr zu sagen als ihren Zeitgenossen. Eine
erfahrene, lebenskluge und geistig nicht unbedeutende
Frau spricht aus ihnen, die auf ihrer langen Lebensbahn
mit aufmerksamem Blick und scharfem Auge sich und
die Umgebung scharf musterte und in klaren Bildern
das, was sie sah, wiederzugeben und vor unser geistiges
Auge hinzuzaubern verstand. Die „Denkwürdigkeiten"
sind das einzige Werk, das von den vielen Schriften der
einst vielgefeierten und vielgepriesenen Schriftstellerin
nicht der Vergessenheit anheimgefallen ist und auch
nicht konnte, da sein Inhalt in seiner lauteren Wahrheit
und frischen Klarheit unabhängig von jeder Zeitrich-
tung und jedem Zeitgeschmack ist und heute noch so
unmittelbar wirkt wie zur Zeit seines Entstehens. Je
mehr die Zeit über die Dichterin dahinschritt, desto
mehr haben die „Denkwürdigkeiten" als Zeugen einer
vergangenen Zeit, deren Mitlebende vom Schauplatze
des Lebens verschwanden, an Wert gewonnen. Doch
immer seltener wird das Buch und immer schwerer wird
es für die späteren Geschlechter all die Hindeutungen
\) Th. G. V. Karrajan In: Fontes rerum austriacarum, I. Abt.
I. (Wien 1855), S. i ff.
LXXXII
und Anspielungen zu verstehen, so daß es gewiß, eine
Notwendigkeit war, dieses für uns bedeutungsvolle Werk
einer Neuausgabe zuzuführen. Daß diese kein bloßer
Wiederabdruck oder eine Auswahl sein konnte, wie ihn
Joh. Eckardt^) und Max MelP) 1912 versuchten,
ist klar, da wir bei einem historischen Werk, und
ein solches sind doch die „Denkwürdigkeiten" der Pich-
1er, verlangen müssen, daß der Herausgeber es nach
allen Richtungen klarstelle'). Was die Zeitgenossen,
eben weil sie Mitlebende waren, ohne Erklärung ver-
standen, das muß für jdie Nachlebenden erläutert
werden. Auch hätte die Wahrheitsliebe der Pichler
ohne genaue Nachprüfung aller Ereignisse nicht festge-
stellt werden können und außerdem galt es, da die
„Denkwürdigkeiten" ja die wichtigste und erste Quelle
für Pichlers Leben und Dichten sind, durch die Erläu-
terungen die Grundlage für die Einzelforschung zu lie-
fern. Wenn heute vielfach der Ruf ertönt, man möge
des Dichters Wort ohne entstellenden Kommentar selbst
sprechen lassen, so mag die Richtigkeit dieser Anschau-
ung für ein dichterisches Werk bedingt zugegeben wer-
den, falls sie nicht der Deckmantel für Faulheit und be-
quemen Honorarerwerb ist, aber bei einem Werk, das
^) Bücherei des österreichischen Volksschriftenvereins, Bd. 6.
Brixen 1912. (Es liegt nur der erste Teil mit 128 Seiten vor.)
2) Österreichische Zeiten und Charaktere. Ausgewählte Bruch-
stücke aus österreichischen Selbstbiographien. Wien (1912), S.
XV f. und 169«.
^) Es ist dem Herausgeber gelungen, bis auf einen verschwindend
kleinen Teil alles klarzulegen. Trotz Mithilfe des französischen
Kriegsarchivs in Paris konnte aber über die französischen Offiziere
Derüe, Guy, Mercier und Trembly nichts gefunden werden, da
die Angaben der Pichler über sie zu unbestimmt sind. Ebenso war
es unmöglich, Näheres über die Frauen v. Bräunersdorf, van Nuys,
Freiin v. Ott und Westenholz, sowie über Prof. Kapp zu erlangen.
Nicht aufklärbar war auch II, S. 458: 143,
VI* Lxxxni
nur der Form nach Dichtung sein könnte, sonst aber
ein geschichtHches ist, fordert es schon die Rücksicht
auf den heutigen Leser, mit den Erläuterungen nicht zu
kargen. Die Furcht vor diesen ist eine unbegründete,
denn Anmerkungen und Zitate sind eine Notwendig-
keit für den Leser, wie bereits M. B er nay sin schlagen-
der Weise nachwies^), und höchstens unbequem für den
Herausgeber, von dem man aber verlangen kann, daß er
seinen Stoff gehörig verarbeite. Mögen Karoline Pichlers
„Denkwürdigkeiten" in ihrer neuen Form oeim großen
Lesekreis eine freundliche Aufnahme finden und dem
Gelehrten nützlich werden, auf welch beide die erklä-
renden Anmerkungen Rücksicht nehmen.
Es erübrigt nunmehr dem Herausgeber nur mehr die
angenehme Pflicht, allen jenen öffentlichen Anstalten
und Personen, welche diese Ausgabe durch ihre Unter-
stützung ermöglichten, seinen ergebensten Dank aus-
zusprechen. Vor allem gebührt dieser dem Stadtrat
der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien,
welcher über Vorschlag seines Referenten, des Herrn
Stadtrates Hans Arnold Schwer aus den Beständen
der Stadtbibliothek die erste Niederschrift der Pichler-
schen „Denkwürdigkeiten" sowie den umfangreichen
Briefwechsel der Pichler in entgegenkommendster Weise
zur Verfügung stellte, auch die Wiedergabe einer Reihe
bisher unveröffentlichter, in den Städtischen Samm-
lungen aufbewahrter Bildnisse gestattete. Ebenso ge-
bührt mein Dank, sei es für freundliche Auskünfte,
sei es für die Überlassung von Bildern, sei es für Be-
^) Zur neueren und neuesten Litteraturgeschichte, II, (Berlin
1899), S. 253 ff., besonders S. 322 ff.
LXXXIV
reitstellung von Aktenmaterial, Protokollen und Hand-
schriften, den Vorständen, beziehungsweise Beamten
der Stadtbibliothek und Städtischen Sammlungen, des
Stadtarchivs und des Totenbeschreibamtes der Stadt
Wien, der k. k. Familien - Fidei - Kommißbibliothek,
des k. u. k. Kriegs- Archivs, der k. k. Universitätsbiblio-
thek, des Archivs im k. k. Ministerium des Innern und
des Archivs des Landesgerichtes in Zivilsachen in Wien,
des kgl. Preußischen Geheimen Staatsarchivs, der Ge-
heimen Kriegskanzlei im • Kriegsministerium und der
kgl. Bibliothek in Berlin, der Szechenyischen Bibliothek
des Ungarischen National-Museums in Budapest, des
kgl. Sächsischen Hauptstaatsarchivs in Dresden, des
Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt am Main,
des Großherzoglich Badischen General-Landes-Archivs
in Karlsruhe, des Museums in Kaschau (Ungarn) und
des k. k. Blinden-Instituts in Linz, des „Bureau des Ar-
chives Administratives au Ministere de la Guerre" in
Paris, sowie den Kanzleileitungen des Franz Josef-Or-
dens, des österr. kais. Leopold-Ordens und des h. a.
Sternkreuz-Ordens in Wien und dem Sekretariate der
k. k. Akademie der bildenden Künste in Wien. Wie stets
bei meinen Arbeiten wurde ich auch diesmal von Seite
der hochwürdigen Geistlichkeit durch bereitwilligst er-
teilte Auskünfte, beziehungsweise durch Bereitstellung
der Matriken gefördert; ich habe zunächst dem fürst-
erzbischöflichen Konsistorium in Wien, weiters den
hochwürdigen Herren Stiftspfarrer P. Berthold Bayer,
O. S. B., in Wien (Schotten), Jentsch in Weißtropp
(Sachsen), Feldsuperior E. Kemeny in Temesvar, Pfar-
rer und geistlichen Rat Roman Kohlhofer, O. S. B.,
in Wien VH (St. Ulrich), Hofburgpfarrvikar Prof. Dr.
Josef Lehn er in Wien, Stadtpfarrer Dr. K. Maierhof
LXXXV
in Graz, P. Guardian Burchard Paar, O. F. M., in
Wien, Provinzial und Pfarrer P. Joh. Nep. Pix in Wien
(Alservorstadt), fürstbischöflichen Konsistorialarchivar
Matth. Schaffler in Graz, Ehrendomherr, Kur- und
Chormeister Josef Roll er (11914) inWien (St. Stephan),
geistlichen Rat und Pfarrer Johann St ob er in Wien-
Hernals (gest. 1913), Stadtpfarrer Alois Stradner in
Leoben (Steiermark) und dem erzbischöflichen Vikar
und Pfarrer Josef Svoboda in Prag- Kleinseite zu dan-
ken. Ergebensten Dank für Auskünfte, Bilder, Bücher-
darleihung und andere Förderung schulde ich den Da-
men Frau Sektionsrat Emilie Khayl (Baden bei Wien),
Fräulein stud. phil. Angela Neu mann (Wien-Buda-
pest) und Frau Anna Talkner (Wien), besonders aber
Frau Irma Warmuth-Jancso (Wien), die mir in be-
reitwilligster Weise ihre interessanten Pichlergegen-
stände zugänglich machte und mich auf einige Bilder im
Privatbesitz hinwies; weiters den Firmen F. A. Brock-
haus (Leipzig) und J. G. Cottasche Buchhand-
lung Nachfolger (Stuttgart), sowie den Herren Dr. Ri-
chird A b e 1 e s (Wien), Schriftsteller Dr. Josef B i n d t n er
(Wien), Stadtbibliothekar H. Brunner (Winterthur),
Dr. Albert Figdor (Wien), Universitätsarchivar und
Sektionsrat Dr.ArthurGoldmann (Wien), Schriftstel-
ler Gustav Gugitz (Wien), Hofrat Dr. Eugen Guglia
(Wien), Dr. August Hey mann (Wien), Professor Ad.
M. Hildebrandt (Berlin), Stadtarchivar F. Imbery
(St.Pölten inN.-Ö.), Zivilstandesbeamten Jakob Kirch-
hofer (Stein am Rhein, Kanton Schaffhausen), Dr.
Adolf Koczirz (Wien), k. u. k. Kustos Franz Friedrich
Kohl (Wien), Bibliothekar Prof. Dr. H. A. Lier (Dres-
den), Oberbibliothekar Dr. F. A. Mayer (Wien), Kam-
merherr Dr. Börries E. Freiherr v. Münchhausen
LXXXVI
(Hannover), Verlagsbuchhändler Franz P i c h 1 e r (Wien),
Redakteur und Landesexpeditor Friedrich Edlen von
Pilat (Wien), Max v. Portheim (Wien), Direktor des
städtischen Museums in Baden bei Wien Professor Dr.
Rainer v. Reinöhl, Kustos Kaspar Schwarz (Inns-
bruck), Redakteur Paul Taus ig (Baden bei Wien),
Professor Dr. Karl Weller (Stuttgart) und Josef
Wünsch (Wien).
Wien, am lo. Dezember 1913.
Dr. phil. Emil Karl Blümml
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiii
LXXXVII
ERSTES BUCH
1769 — 1798
IIIIIIIIMIIIIIIMI
iiiiiKHiiHuiniiiiiuiiiiiiriiii niiintiiiiiniiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiuniiiMniii iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Dem Ende einer langen Reise nahe, deren letz-
tes Ziel undurchdringliche Wolkenschleier noch
vor dem Blicke verbergen, steht der Wanderer atem-
holend still, überdenkt den weiten Raum, welchen er
schon zurückgelegt, den kleinen Rest, welcher noch
zu durchlaufen ist, erwartet diesen, er mag nun länger
oder kürzer sein, vertrauensvoll aus Gottes Hand, und
erlaubt sich, die einzelnen Punkte jener langen Bahn,
vom Anfange her, so getreu es sein Gedächtnis ge-
stattet, sich zurückzurufen. Manche Erinnerung wird
ihn beschämen, einige werden ihn erfreuen, alle aber
sollen dazu dienen, ihn zum Danke gegen die Vorsicht,
die ihn mit väterlicher Huld geleitet, anzuregen, und
dann den nächsten Lieben, welche er noch in Mitte
ihrer Bahn zurückläßt, ein Andenken an den voraus-
gegangenen Waller zu werden.
Erwarte ja niemand in diesen Blättern merkwürdige
Vorfälle, sonderbare Schicksale, oder hervorragende
Punkte der allgemeinen Geschichte des Vaterlandes
zu finden, an welche das Leben der einzelnen sich
oft kettet und, von jenen mächtigen Fittichen getragen,
der Erinnerung ferner Zeiten zueilt. Mein Leben war
höchst einfach, und Gellerts Vers:
— er ward geboren,
Er lebte, nahm ein Weib, und starb ^);
umschreibt im eigentlichsten Sinne den ganzen Kreis-
lauf meiner Schicksale'. Diese Armut an jedem hoch-
wichtigen Ereignisse, ani jeder bedeutenden äußeren
Bewegung ist mir nie lästig oder als eine Ungunst des
Schicksals vorgekommen, vielmehr habe ich von jeher
mein wahrstes Glück in der Stetigkeit und Gleich-
förmigkeit meiner Verhältnisse gefunden.
Darum auch können diese Blätter nicht leicht durch
den Druck bekannt gemacht werden, denn erstens
würde die Lesewelt, welche Unterhaltung und Auf-
regung sucht, von der Einfachheit der Erzählung er-
müdet werden, und zweitens ist es der eigentliche
Zweck dieser Schrift, wahr zu sein und meinen näch-
sten Geliebten zu zeigen, wie ich das geworden, was
ich war, durch welche Einwirkungen, Umgebungen,
Belehrungen, Irrtümer und Hindernisse mein Geist
und Gemüt die Richtung erhalten haben, die ihnen
jetzt eigen ist. Bei diesen Auseinandersetzungen
müssen Personen, Bücher, Zeitumstände und vor allem
Zeitgeister geschildert und deutlich gemacht werden,
von denen aufrichtig und nach gerechter Würdigung
zu reden, jetzt nicht mehr erlaubt ist. Ein Büchelchen,
das die Zeiten Kaiser Josefs II. und der Begriffe, welche
in jenem merkwürdigen Dezennium in Osterreich gang
und gäbe geworden sind, mit Wahrheit, wenn auch
nicht mit durchgängiger Billigung erwähnen und die
Wirkung schildern will, die jene Zeit auf ein junges,
lebhaftes Gemüt ausübte, dessen geistige Entwicklung
von IG bis 20 Jahren gerade in jene Periode fiel, ein
solches Buch darf keine Hoffnung nähren, wie harmlos
es übrigens sein möge, jetzt in Österreich gedruckt zu
werden. Auch ist mein Selbstbekenntnis zunächst nur
für meine Familie bestimmt. Sollten bis zu meinem
Tode die Umstände im Vaterlande sich ändern und
wieder einige Gedanken und Preßfreiheit bis dahin
in Österreich möghch sein, so steht es der Willkür
meiner hinterlassenen Lieben frei, welchen Gebrauch
sie von dieser Arbeit machen wollen, die ihnen gewid-
met ist^).
Noch eine Absicht habe ich mit dieser Wiederholung
meines Lebens. Sie soll mir, und wenn sie andere
lesen, auch diesen dienen, den Gang zu beobachten,
welchen die göttliche Gnade mit einem irrenden Ge-
schöpf genommen, um es durch unmerkliche und un-
zuberechnende Einwirkungen und Erleuchtungen all-
mählich von den Pfaden der Welt und des beginnenden
Unglaubens zum Heil zurückzuführen. Je mehr ich
diesen Fügungen nachsinne, je mehr erfüllen sie mich
mit-D.ank gegen Gott und mit Verwunderung, wie ein
schwacher Glaubensfunke sich inmitten einer ganz irre-
ligiösen Zeit und Umgebung in mir erhalten, nach
und nach an geringen und scheinbar zufälligen Ereig-
nissen verstärken, entzünden, und allmählich zü^inem
wohltätigen Lichte erweitern konnte, welches nicht
allein mein Inneres jetzt beglückend erleuchtet, son-
dern mit Gottes Hilfe auch den Rest meines Lebens-
weges erhellen und mir das dunkle Tal des Todes
minder furchtbar machen soll.
Wenn je eine Art von Ahnenstolz nicht bloß erlaubt,
sondern geziemend ist, so ist es der auf die Tugenden,
die Rechtlichkeit und nützlichen Leistungen seiner Vor-
eltern und Eltern, und in dieser Hinsicht wird man es
mir zugute halten, wenn ich am Eingange meines eigenen
Lebenslaufes etwas weitläufiger von meinen Eltern
spreche. Da es ohnehin die Bestimmung dieser Blät-
ter hauptsächlich ist, zu zeigen, wie ich durch Um-
gebung, Umstände und eigene Anlagen die Bildung er-
halten, die jetzt meinePersönlichkeit ausmacht, so stehen
hier wie überall die Eltern billig obenan; denn ihre
Denk- und ^Handlungsweise hat ja den ersten und blei-
bendsten Einfluß auf alles, was Kinder sind und werden.
Meines Vaters Eltern waren wohlhabende Personen
des Mittelstandes. Der Großvater^), der ein kräftiger,
kluger Mann gewesen sein muß, liebte die Kunst, und
verwendete den Überschuß seiner Einkünfte und seiner
Muße (er war Beamter des Stadtmagistrats) auf eine
Sammlung von gar nicht unbedeutenden Gemälden,
der er in seinem eigenen Hause ein geziemendes Lokal
baute und einrichtete, und die ich noch wohl gekannt
habe. Einige der besten Stücke wurden später in die
k. k. Bildergallerie verkauft, wo sie noch zu sehen sind**).
Dieser Großvater starb aber- in der Blüte seiner Jahre,
als mein Vater ein halberwachsener Knabe war, und
die Witwe ^), eine rasche, tätige Frau, erzog den Sohn
nun allein. Sie verstand Latein, und war überhaupt
für jene Zeit gebildet genug, so daß auch des Sohnes
vorzüglicher Geist sich unter ihrer Leitung glücklich
entfalten konnte. Die Liebhaberei des Großvaters war
in gewisser Hinsicht auf seinen Sohn übergegangen,
nur daß sie bei dem lebhaften Gefühle meines Vaters
sich noch reger und als ausübende Kunst entfaltete;
denn er zeichnete und malte fast ohne alle Anleitung
sehr artig. Zugleich erwachte der Geist der Poesie in
ihm, und die Musik ward seine Lieblingsunterhaltung.
So von allen schönen Künsten angezogen, mit ihren
damaligen Leistungen vertraut, zeichnete er sich eben-
falls in seinen Studien aus, und gern hätten die Patres
der Jesuiten, unter denen er, wie damals alle jungen
Leute, studierte, und welche ihre Zöglinge sehr wohl
zu würdigen verstanden, ihn beredet, in ihren Orden
zu treten. Dazu aber bezeigte mein Vater keine Lust,
das Leben lächelte ihm zu freundlich im Geleite der
Musen, und im Besitz eines unabhängigen, wenn auch
nicht großen Vermögens. Er studierte die Rechte,
und wurde bei der Böhmischen Höfstelle angestellt,
deren Chef, der damalige Oberstkanzler Graf Rudolf von
Chotek"), den eben so geschickten als sittlichen jungen
Mann, den heitern, gebildeten Gesellschafter bald aus-
zeichnete und mit vorzüglicher Achtung behandelte').
Von meiner Mutter Eltern weiß ich nur wenig.
Ihr Vater®) war aus dem Hannoveranischen gebürtig
und Oifizier im k. k. Regiment Wolfenbüttel. Wahr-
scheinhch war seine Frau bei der Geburt dieses Kindes
oder bald darnach gestorben. Meine Mutter hatte sie
nie gesehen und erinnerte sich auch keine andern
Geschwisters, Der Vater hatte das kleine, kaum fünf-
jährige Mädchen bei sich, zog mit ihm und dem Regi-
mente — mühsam genug, wie man denken kann —
auf ungarischen Dörfern umher, und kam zuletzt, da
das Regiment in Wien Garnisonsdienste tun sollte,
mit demselben nach Wien^). Hier erkrankte er schwer
und starb nach kurzer Zeit, das unmündige Kind unter
lauter fremden Menschen, fremden Glaubens (denn
mein Großvater war protestantisch), im fremden Lande
zurücklassend. „Du" armes Kind, was wird aus dir
werden!" waren seine letzten schmerzlichen Worte zu
der kleinen Charlotte (so hieß meine Mutter) gewesen,
die sich ihrem kindischen Gedächtnis unauslöschlich
eingeprägt hatten. Aber die Vatersorge und des Vaters
Gebet hatte seinen Weg zu Gottes Thron gefunden,
und der allgemeine Vater unser aller bewies sich auch
als solcher an der verlassenen Waise. Er bereitete ihr
auf wunderbare Weise ein Los, wie sie es bei Lebzeiten
ihrer Eltern kaum hätte hoffen dürfen.
7
Eine Kammerdienerin oder Kammerfrau der ver-
storbenen, hochseligen Kaiserin Maria Theresia —
Tochter Karls VI. — befand sich abends in einer Ge-
sellschaft zu Wien, in welcher auch einer oder einige
Offiziere des kürzlich eingerückten Infanterieregiments
waren. Zufälligerweise kam die Rede auf dasselbe, und
der eine Offizier sagte, daß sie bereits das Unglück
gehabt, einen aus ihrer Zahl — den Oberleutnant
Hieronymus ^") — zu verlieren, und daß er nichts als
ein fünfjähriges, ganz hilfloses Mädchen hinterlassen
habe, für das einstweilen seine Kameraden Sorge
tragen müßten.
Als die Kammerfrau abends ihre Gebieterin aus-
kleiden half, und die gütige Monarchin sich herab-
lassend nach den Tagesbegebenheiten ihrer Frauen er-
kundigte, erzählte jene das Gespräch mit dem Offizier
von Wolfenbüttel*). Die Kaiserin hörte aufmerksam
zu, ihr menschenfreundliches Herz wurde in Mitleid
für das verlassene Kind gerührt: Ich will das Mädchen
holen lassen, sagte sie, — sorgt dafür, daß sie mir ge-
bracht werde.
Meine Mutter war im protestantischen Glauben ge-
boren worden, dem auch die meisten Offiziere des
Regiments zugetan waren. Der Befehl der Kaiserin
ließ sie nichts anders erwarten, als daß das Kind, dessen
sie sich annehmen wollte, in der katholischen Religion
erzogen werden würde. Trotz der gerühmten Toleranz
ihrer Konfession suchten sie aus allen Kräften dies zu
verhindern, und verbargen das Mädchen mehrere Tage
lang vor den Nachsuchungen, welche die Leute der
*) Vielleicht machte der Umstand, daß dies Regiment den
Namen des Geschlechts der Kaiserin Elisabeth, der Mutter There-
sias trug, sie demselben geneigter.
8
Monarchin nach demselben anstellten. Endlich fand
man es auf, in einem Hause einer Vorstadt Wiens; es
wurde nach Hof gebracht, dort unter Aufsicht eines
alten, aber sehr würdigen Fräuleins von spanischer Her-
kunft, Isabellas Düplessis^^), in den wenigen Fer-
tigkeiten unterrichtet, die man dazumal von einem
Mädchen forderte, und mit noch einigen Fräulein zum
persönlichen Dienst bei der Kaiserin bestimmt.
Meiner Mutter ungewöhnlich lebhafter und durch-
dringender Geist fühlte bald die Schranken, welche
die Beschränktheit ihrer Umgebungen demselben an-
legte. Sie dürstete nach Kenntnissen, nach gründ-
Hchen Erklärungen der Dinge oder Begebenheiten, die
sie um sich sah, und sie benutzte die Besuche einiger
älterer, gebildeter Männer, welche in das Haus ihrer
Erzieherin kamen, um von ihnen Antwort auf die
Fragen zu erhalten, welche sich ihr während der Zeit
aufgedrängt, und die sie sich deshalb aufzuschreiben
pflegte. So strebte ihr Geist weit über ihre Lage, über
ihre Gefährtinnen hinaus, und bildete sich meist aus
sich selbst.
In diesem Alter war sie auch oft die Spielgefährtin
der kaiserlichen Prinzessinnen und lernte in diesem
ungezwungenen Beisammensein jene nahe und genau
kennen, welche einst die ersten Throne Europas ein-
zunehmen bestimmt waren ^^). Etwas später, da man
die ungewöhnlichen Fähigkeiten dieses Kindes beur-
teilen lernte, wurde sie zur künftigen Vorleserin der
Kaiserin bestimmt, und zu dem Ende der Obersthof-
meisterin Gräfin Fuchs ^^) (nach dem Brauch jener Zeit
Gräfin Füchsin genannt) übergeben, bei welcher sie
sich im Lesen von Druck- sowohl als Handschriften
üben mußte.
Als sie ihr dreizehntes Jahr erreicht^"*) hatte, fand
man sie geschickt und klug genug, um ihren nicht leich-
ten Dienst anzutreten, und schon dies bürgt für ihre
hohe Geisteskraft und Fähigkeit. Sie hatte in dieser
Stelle teils mit andern Fräulein ihres Ranges, welche
insgesamt den Titel kaiserlicher Kammerdienerinnen
trugen, die Toilette und persönliche Bedienung ihrer
Gebieterin zu besorgen, teils allein das Amt, der
Regentin vorzulesen. Diese Lektüre bestand aber
nicht in Romanen oder Unterhaltungsbüchern; es
waren Geschäftsschriften, Berichte, Depeschen, kurz
Staatsangelegenheiten, über welche die Monarchin
selbst entschied, und in denen sie mit unermüdlicher
Anstrengung täglich viele Stunden arbeitete, wobei
meine Mutter ihr vorlas und überhaupt oft Sekretärs-
dienste verrichtete.
Natürlich waren wichtige Geheimnisse in den Hän-
den des jungen Mädchens, aber ein frühreifer Geist,
bei dem vielleicht die einsame Stellung, ohne Bluts-
verwandte, ohne Freunde, auf einer Höhe, die von
vielen beneidet ward, noch die angeborne Urteils-
kraft vermehrte und den Beobachtungssinn schärfte,
dieser wahrhaft männliche Geist gab meiner Mutter
die Kraft, die Verschwiegenheit, die ganze würdige
Haltung, welche ihr Platz forderte, und welche ihr
das Vertrauen der Fürstin bis an deren Tod sicherte.
Maria Theresia führte ein äußerst tätiges und sehr
regelmäßiges Leben. Um fünf Uhr im Sommer, im
Winter wahrscheinlich später, stand sie täglich auf,
und eine Klingel rief ihren Zofen. Es war Etikette,
daß keine anders als frisiert, im seidenen Kleide (man
kannte damals unsere Perkais, englische Leinwand usw.
nicht), ja selbst im Reifrocke, der aber zum Negligee
10
nur von kleinem Umfang war und Hanserl genannt
wurde, vor der Fürstin erscheinen durfte. Dies machte
sehr frühes Aufstehen auch den Kammerdienerinnen,
wenigstens denen, welche für diesen Tag im Dienste
waren, notwendig. Die Toilette der Kaiserin war der
mühsamste, wie der unbelohnendste Teil des Dienstes,
den meine Mutter zu versehen hatte. Da sie ihn aber
mit ebensoviel Geschmack als Schnelle und Geschick-
hchkeit versah, so ward ihr die Pflicht, ihre Monar-
chin täglich zu frisieren, dahingegen die andern Fräu-
lein im Dienste abwechselten und manchen Tag ganz
frei hatten. Diese ganz freien Tage wurden auch meiner
Mutter nach ihrer Tour, nur daß das Frisieren am
Morgen und das Vorlesen auf die Nacht jeden Tag
ihr ausschließendes Geschäft blieb, in welchem keine
andere sie ablösen konnte, weil keine es so zu verrichten
verstand wie sie.
Dieses Frisieren und die Verfertigung des Kopf-
putzes war denn aber auch für meine Mutter eine nur
zu ergiebige Quelle von Verdruß und Kränkungen. Man
kennt das Wort, welches über Elisabeth von England
gesprochen wurde: ,, Selbst die größte Königin ist doch
eine Frau." Dieses Wort, obgleich Maria Theresia,
ihren moralischen Eigenschaften nach, als Frau weit
über Elisabeth stand, traf sie doch auch, und sie unter-
lag dem allgemeinen Los unsers Geschlechtes. Ihre
Gestalt, die aber wirklich von höchster Schönheit war,
und die Ausschmückung derselben durch vorteilhaften
Putz beschäftigte sie etwas mehr, als man gemeinhin
von einer Frau, die mit so vielem Geist, mit so viel
männlichem Starkmut so weite Länderstrecken zu be-
herrschen verstand, hätte vermuten sollen ^*^). Nur
muß man zur Steuer der Wahrheit hinzusetzen, daß
] I
diese Freude an ihrer Schönheit, und die Zeit, die sie
ihr widmete, nie ihren wichtigeren Pflichten Eintrag
tat; noch viel weniger aber Gefallsucht oder eine größere
Aufmerksamkeit für das andere Geschlecht zur Quelle
hatte. Maria Theresia stand in dieser Rücksicht flecken-
los vor ihrem Zeitalter, und, was noch weit mehr sagen
will, auch vor ihrer Umgebung, ihren dienenden
Frauen, im höchsten Glanz frommsittlicher Würde
und ehelicher Treue da. Wie ein Mädchen aus den
mittleren Ständen, bei denen mehr das Herz als eigen-
nützige Rücksichten die Wahl des Gatten bestimmt,
und man für sich und nicht für seine Väter liebt
(wie Haller sagt)^^), hatte sie den Gemahl gewählt,
den schönen, liebenswürdigen Jüngling, der mit
ihr erzogen worden oder sich doch während seiner
Jugend am Hofe ihres Vaters aufgehalten hatte. Weder
Landesmacht noch große Vorteile brachte ihr in
politischer Hinsicht die Ehe mit dem Prinzen Franz
von Lothringen, der später das Großherzogtum Tos-
kana erhielt^®). Aber er und sein Bruder Karl^^) lebten
am Hofe Kaiser Karls VL, und seine zwei Töchter,
Maria Theresia und Marianna ^^), neigten sich in Liebe
zu den beiden Brüdern. Theresia teilte den Thron
ihrer reichen Erbstaaten mit Franz von Lothringen,
und Mariannä brachte ihrem Gemahl das Gouverne-
ment der Niederlande. Nie hat Maria Theresia je
einen andern Mann schön oder anziehend gefunden,
und meine Mutter, eine Frau von so vielem Geiste,
daß ich keine in dieser Rücksicht mit ihr zu vergleichen
weiß, eine Frau, die in ihrer ganzen Denkart so weit
von blindem Enthusiasmus als Schmeichelei und
Schranzenwesen entfernt war, die die Fehler und
Schwächen ihrer Gebieterin wohl sah und sehen mußte,
12
weil sie dreizehn Jahre um sie lebte, hat in Rücksicht
weiblicher Würde und ehelicher Treue Marien There-
sien immer als das Vorbild ihres Geschlechtes ge-
priesen. . •'■
Ihre trübsten Stunden hatte meine Mutter also
bei der Toilette der Kaiserin oder bei der Verfertigung
ihres Putzes, denn dazumal wußte man nicht so viel
von Marchandes de mode, und die Fräulein, welche
die Monarchin bedienten, waren auch größtenteils
ihre Putzmacherinnen. Oft — sehr oft mußte eine
Haube vier- bis fünfmal anders gesteckt werden, bis
sie nach dem Geschmacke der Gebieterin war, und
wer diese Art von Arbeit zu beurteilen versteht, wird
wissen, daß ein „öfteres Auf- und Andersmachen der
Sache gar nicht förderlich ist, ja meistens die Schön-
heit der Stoffe und des Zubehörs ganz zerstört. Eben-
so ging es mit der Frisur. Auch an dieser zupfte,
rupfte, änderte die hohe Frau so viel und so lange, bis
sie verdorben war und neu gemacht werden mußte^
was denn bei der damaligen Art des Haarputzes ge-
meiniglich dahin führte, daß der ganze Bau zerstört,
die Haare ausgekämmt und nicht selten neu in Papil-
loten gewickelt und gekräuselt werden mußten. Daß
die Gebieterin dabei übellaunig wurde, daß die Zofen
das entgelten mußten, ist ebenso natürlich — und die
Erinnerung an alle die trüben Stunden, welche Putz
und Toilette ihr gemacht hatten, mag wohl schuld
gewesen sein, daß meine Mutter selbst in den Jahren,
wo sie noch wohl Freude daran hätte haben können,
sich vorteilhaft und ihrer sehr niedlichen Figur gemäß
anzuziehen, sich schon ganz matronenhaft, und, wie
ich mich aus den Bildern meiner Kindheit w^ohl ent-
sinne, beinahe altfränkisch kleidete. Auch auf mich
13
hatten jene Erinnerungen Einfluß, denn ich mußte
wie in allem, so besonders bei meiner Toilette sehr
hurtig zu sein lernen, und es wurde mir für die damalige
mühsame Art des Anzuges und der Frisur ungemein
wenig Zeit gegönnt, um beides an mir zu bewerkstelligen.
Eine viel minder verdrießliche, wenn gleich auch an-
strengende Art des Dienstes, war das Vorlesen der
Geschäftsschriften in den verschiedenen Sprachen,
welche in den weiten Provinzen der Erbstaaten geredet
wurden; deutsch, italienisch, französisch (in den
Niederlanden) und lateinisch (in Ungarn). Da Fran-
zösisch damals noch viel mehr als jetzt die Sprache der
höhern Stände, ja der gebildeten Welt überhaupt war,
so war sie denn auch an Maria Theresias Hof die
herrschende, zumal da ihr Gemahl, Kaiser Franz I.,
als geborner Lothringer kaum Deutsch verstand und
es nie sprach, auch seinetwegen viele Personen in den
Hofdiensten Lothringer oder Niederländer waren.
Meine Mutter hatte das Französische daher von ihrer
Kindheit an wie eine zweite Muttersprache, ja wie
ihre eigenthche gelernt und sprach und schrieb es mit
gleicher Fertigkeit. Auch das Italienische war ihr
geläufig. Damals wurde es überhaupt viel am Hofe
und in Wien gesprochen, und der Dichter des Hofes
war stets ein Itahener; früher unter Kaiser Leopold,
Apostolo Zeno^^)., später der hochberühmte Meta-
stasio^o), eigentlich Trapassi genannt, den ich noch per-
sönlich gekannt habe. Alle Schauspiele, welche dem Hofe
zu Ehren oder bei feierlichen Gelegenheiten gegeben
wurden, waren itahenische Opern, an deren Schlüsse
jedesmal in einer kleinen Strophe, welche den Namen
H
Licenza führte, ein Kompliment angebracht war, wel-
ches den Inhalt der Oper mit einer schmeicHelhaften An-
wendung auf die gegenwärtige Feierlichkeit verband 2^).
Diese beiden Sprachen waren meiner Mutter also
sehr geläufig, und sie redete sie wahrscheinlich zier-
licher und korrekter als ihre Muttersprache; denn da-
mals galt noch von den meisten Einwohnern Wiens
in den höheren Ständen, was ein Dichter von sich sagt :
Ich spreche Wälsch wie Dante,
Wie Cicero Lateinisch,
Wie Pope und Thomson Enghsch,
Wie Demosthenes Griechisch,
Wie Diderot Französisch
Und Deutsch — wie meine Amme.
Selbst die Kaiserin bediente sich des ganz gemeinen
österreichischen Jargons, und folgende zwei Anek-
doten, die ich oft aus dem Mund meiner seligen Mut-
ter hörte, werden dienen, jene Zeit zu charakterisieren,
von der ich spreche. Ein Fräulein aus Sachsen wurde
als Kammerdienerin bei der Kaiserin angestellt, und
meine Mutter, welche ihr damals schon mehrere Jahre
gedient hatte, bekam den Auftrag, die Neue, so hieß
jede Letzteingetretene unter den Fräulein, zum Dienst
abzurichten. " Das sächsische Fräulein nahm also in
zweifelhaften Fällen immer ihre Zuflucht zu meiner
Mutter, als ihrer Lehrerin. Eines Tages kam sie ganz
verlegen und ängstlich zu ihr, und bat sie, ihr zu sagen,
was sie zu tun habe. Ihre Majestät die Kaiserin habe
das Blabe Buich verlangt. — Meine Mutter mußte
lächeln, sie gab der Sächsin ein blaues Buch, in
welchem die Kaiserin eben zu lesen pflegte, mit dem
Bedeuten, es der Monarchin zu überreichen. , Lange
wollte die andere es nicht glauben, daß mit jener Be-
zeichnung ein blaues Buch gemeint sein sollte; —
indes meine Mutter beharrte darauf, Fräulein M**22)
übergab das Buch, und sieh! — es war das rechte.
Diese Anekdote erklärt hinreichend, warum in den
glänzenden Zirkeln Französisch oder Italienisch und
nie Deutsch gesprochen wurde.
Kurz vor der Geburt einer ihrer jüngsten Prin-
zessinnen stritt die hochselige Kaiserin mit einem Gra-
fen Dietrichstein ^^ scherzhaft darüber, ob das zu er-
wartende Kind ein Prinz oder eine Prinzessin sein würde.
Der Graf behauptete das erste, die Kaiserin das zweite.
Es wurde eine Wette eingegangen; — die Kaiserin
behielt recht, das Kind war eine Erzherzogin, und Graf
Dietrichstein mußte bezahlen. Da half er nun, im
Geschmacke jener Zeit, sich mit einer sehr artigen
Galanterie. Er ließ sein Bild in kniender Stellung
von Porzellan verfertigen, und diese Gestalt reicht
mit der einen Hand der Kaiserin ein Blatt, worauf
folgende Verse Metastasios standen:
Perdo, e ver, l'augusta figlia
A pagar m'ha condannato,
Ma s'e ver che a te somiglia,
Tutto il mondo ha guadagnato 2*).
Die ganze Idee, welche vermutlich von Metastasio
herrührte, ist ebenso zart als schmeichelhaft, und
macht seiner Erfindungskraft Ehre; dennoch kann man
nicht umhin, wenn man sich jenes Geschenk lebhaft
vergegenwärtigt, das porzellanene Figürchen, aller
Wahrscheinlichkeit nach, weil es Porträt war, mit
Staatskleid, Perücke und Degen, welches da kniend
ein beschriebenes Blatt überreicht, komisch zu finden.
Doch das Ganze zeigt den Geschmack und Ton jener
Zeit, wo die schöne deutsche Literatur sich kaum mit
ihren ersten Strahlen in Norddeutschland zu zeigen
16
anfing, bis zu uns aber noch nicht gedrungen war, und
alles, was las vind Sinn für Bildung hatte, bloß fran-
zösische oder italienische Literatur kannte.
Latein war die .vierte Sprache, welche in den Ge-
schäftspapieren, die meine Mutter ihrer Monarchin
vorlesen mußte, vorkam. Die Kaiserin verstand sie
vollkommen, redete sie vielleicht auch mit ihren un-
garischen Magnaten und rief ihnen in diesen Akzenten
jenen unvergeßlichen Tag zurück, an dem sie, von den
Mächten von halb Europa bekriegt und mit dem Ver-
lust aller ihrer, von eben jenen Mächten garantierten
Staaten bedroht, die schöne, junge, unglückliche Für-
stin, den könighchen Säughng auf dem Arm, auf dem
Reichstag ihrer treuen Ungarn erschien, sie zum Bei-
stand aufforderte, und solchen Enthusiasmus in ihnen
erregte, daß Greise und Helden begeistert und gerührt
die Säbel zogen, und einstimmig, alle für ihren König
Maria Theresia zu sterben, schwuren. Gar gern er-
innerte sich die große Frau jenes Tages, wo sie den
dreifachen Triumph: der verfolgten Tugend, des recht-
mäßigen Königtums und der Schönheit gefeiert hatte ^s).
Immer blieb sie der ungarischen Nation vorzüglich ge-
wogen, und jener Anstrengungen, die sie damals
machte, um ihr den Thron ihrer Väter zu erhalten,
dankbar eingedenk.
In dieser Sprache nun (im Latein) gab die Kaiserin
selbst meiner Mutter die notdürftigste Anleitung,
damit diese ihr verständlich vorlesen konnte. Vieles
begriff meine Mutter durch das verwandte Franzö-
sisch und Italienisch, das übrige erklärte ihr, soweit es
nötig war, ihre Gebieterin. So las sie denn derselben
viele Stunden und Stunden, besonders abends und
nach dem sehr mäßigen Nachtessen, welches die Kaise-
c. P. I.
17
rin in ihren Zimmern allein zu sich nahm, die Ge-
schäftspapiere ihrer verschiedenen Staaten vor. Diese
Lektüre dauerte fort, nachdem die Monarchin sich
schon entkleiden lassen und zu Bette gelegt hatte, und
selbst dann noch, bis der Schlaf sie überwältigte. Dann
erst bekam meine Mutter die Erlaubnis, sich zu ent-
fernen.
Wohl umgaben Glanz und Herrlichkeiten meine
Mutter in ihrer Jugend, aber ihr Dienst war, wie
man aus dem obigen sieht, nichts weniger als leicht,
und manche Angewöhnungen der Monarchin machten
ihn noch beschwerlicher. So z. B. konnte diese, als eine
große, starkgebaute Frau, gar keine Wärme vertragen,
wie sie denn überhaupt, trotz ihrer hohen Geburt und
des königlichen Glanzes, der schon ihre Wiege umgab,
in Rücksicht ihres Körpers nichts weniger als weichlich
oder in ihren Gelüsten fordernd w^ar. Geheizt durfte
bei ihr fast gar nicht werden, die Furcht vor Zugluft
kannte sie nicht, sie wußte nicht, was ein Rheumatis-
mus sei, und selbst im Winter stand oft ein Fenster
neben ihrem Schreibtisch offen, durch das der Wind
meiner Mutter den Schnee auf das Papier warf, aus
welchem sie vorlas. Eine Anekdote mag zum Belege
des hier Gesagten dienen. Die Kaiserin, welche wirk-
lich fromm und eine Christin im edelsten Sinne des
Wortes war, ging, solange es ihr körperliches Befinden
erlaubte, jährlich mit der Frohnleichnamsprozession.
An einem solchen Tage, als sie zu dem Ende von
S.chönbrunn nach der Stadt gefahren war, kam sie
gegen Mittag, furchtbar erhitzt und ermüdet von dem
heißen Juniustage, von der Schwere und Größe ihrer
Person und dem langen, meist der Sonne ausgesetzten
Gange durch die halbe Stadt, nach Schönbrunn zu-
i8
rück. Sie ließ sich sogleich ganz entkleiden — und
setzte sich dann in der Mitte eines Kabinetts nieder,
in welchem Fenster und Türen geöffnet werden
mußten, mit nichts als einem Mieder, Rock und Puder-
mantel bekleidet, trank Limonade, aß Erdbeeren in
Eis gekühlt und ließ sich von meiner Mutter die Haare
auskämmen, die so naß waren, daß meine IVJutter mehr
als einmal ihre Hände trocknen mußte. Das alles
schadete der kräftigen, noch immer blühenden Frau
nicht im geringsten, aber es machte auch, daß sie sehr
wenig Rücksicht auf Bedürfnisse oder Wünsche solcher
Art bei ihrer dienenden Umgebung nahm, und Ab-
härtung, Nichtachtung seiner selbst und Unempfind-
lichkeit gegen schädliche Einwirkungen, welche sie,
die kaiserliche Frau, besaß, bei dem dienenden Per-
sonale teils voraussetzte, teils forderte. Und so wie
sie, hart gegen sich selbst, jede körperliche Verweich-
lichung oder Schwächlichkeit haßte, war ihr auch jede
sittliche Schwäche und übergroße Weichheit zuwider.
Ihrer eigenen Kraft und so mancher Gelegenheit sich
bewußt, wo sie durch diese und durch ihren Mut sich
aus gefährlichen Lagen gerissen und schwere Leiden
mit Selbstverleugnung getragen hatte, forderte sie Ähn-
liches von ihren Umgebungen und mochte kein weiner-
liches Wesen und keine zu große Empfindlichkeit um
sich leiden.
So bildete sich im steten Umgang mit dieser wahr-
haft großen Frau, von ihrer Zufriedenheit oder ihrem
Tadel geleitet, von ihrem Beispiele ermutigt, meiner
Mutter von Natur kräftiger Geist und gesunder Kör-
per auf eine Weise aus, der sie noch in ihren hohen
Jahren zum Gegenstand der allgemeinen Achtung und
des Erstaunens für viele machte. Bei einem schlanken.
19
;
zierlichen Körperbau, von mittelmäßiger Größe, besaß
meine Mutter eine ungewöhnliche Fülle von Lebens-
kraft und Gesundheit, welche wohl das Erzeugnis
einer unverdorbenen Natur, einer abhärtenden Er-
ziehung und ihrer eigenen Behutsamkeit und strengen
Mäßigkeit war, so daß sie für den Einfluß der Witte-
rung, der Zugluft, veränderter oder unverdaulicher
Speise ganz und gar unempfindlich war, und bis in
ein sehr hohes Alter, ihre Sehkraft ausgenommen,
welche gegen das Ende ihres Lebens sehr schwach
wurde, alle ihre geistigen und körperlichen Fähig-'
keiten unvermindert erhielt.
Maria Theresia forderte viel von ihren Dienerinnen;
doch umgab sie sie dafür auch mit Glanz, Wohlstand
und Ansehen, wodurch die einzelnen sich nicht bloß
geehrt und nach Maßgabe ihrer Denkart auch beglückt
fühlten, sondern wodurch ihnen auch ein Begriff
ihrer eigenen Würde eingeflößt wurde, der vielleicht
besser als die strengsten Verhaltungsbefehle dazu
diente, sie vor fremder Zudringlichkeit und eigener
Vernachlässigung zu bewahren. Sie standen unter
einer Art von häuslicher, ja mütterlicher Aufsicht,
mußten es melden, wenn sie ausgehen wollten und be-
merken, wohin; dann wurde ihnen eine Hofequipage
zu diesem Behuf angespannt oder irgendeine an-
gesehene Frau, die aber dazu eigens bei der Monarchin
die Erlaubnis nachsuchen mußte, durfte das Fräu-
lein in ihrer eigenen Equipage abholen und mußte
sie auch wieder ebenso zurückführen. Auf andere
Art oder in einem Fiaker war durchaus den Kammer-
dienerinnen nicht erlaubt, auf den Straßen zu erschei-
/
20
nen. In früherer Zeit wurden sie sogar mit sechs
Pferden geführt, späterhin nur mit zweien. In Ge-
sellschaften gebührte ihnen der Rang einer Hofrätin,
und wenn keine solche gegenwärtig war, nahm das
Fräulein vom Hofe vor den übrigen verheirateten
Damen den Ehrenplatz auf dem Kanapee ein.
Ihren Tisch hatten sie vom Hofe, ihre Besolduii"gen
waren mäßig, aber die Freigebigkeit der Monarchin,
die vielen Teilungen ihrer Garderobe ersetzten ihnen
das reichlich, und sie fanden bei Ordnungsliebe und
Sparsamkeit stets die Mittel, sehr geschmackvoll und
glänzend angezogen zu sein und doch etwas zurück-
zulegen. An den Tagen, an welchen sie den Dienst
nicht hatten, war es ihnen auch vergönnt, auf ihren
Zimmern Bekannte, selbst Männer, nicht bloß vom
Hofe, sondern auch aus der Stadt, zu sehen, nur mußte
die Kaiserin davon benachrichtigt und dies Personen
von unbescholtenem Rufe sein.
Auf diese Art entspannen sich denn manche Be-
kanntschaften, und auch die mit meinem Vater. Es
war in der traurigen Zeit des Siebenjährigen Krieges,
als Schrecken, Angst und Siegesruhm so oft in Wien
und in der kaiserHchen Burg wechselten. Wohl er-
innere ich mich noch an ein paar Züge, welche meine
Mutter mir aus jener Zeit erzählt hat. Als König
Friedrich mit seinen glückhchen Waffen immer weiter
vorwärts drang, bereits in Mähren stand und 01m ütz
zu belagern anfing, da war am kaiserlichen Hofe eben
die Zeit gekommen, auf eines der Lustschlösser zu
ziehen. Es wurde also in den Kammern gepackt und
zur Landfahrt zugerüstet. Meine Mutter war an den
Koffern beschäftigt, um die Garderobe und täglichen
Bedürfnisse ihrer Gebieterin einzupacken. Eben vor-
21
her war die Schreckensnachricht von jener Belagerung
gekommen. Ohne zu klagen, ohne sich weiter zu
äußern, sagte die Monarchin, indem sie, durchs Zim-
mer gehend, die Reiseanstalten betrachtete, zu meiner
Mutter: „Nimm etwas mehr mit, vielleicht gehen wir
weiter" 2^).
Der Kurier von der Schlacht bei Hochkirch traf
am Theresiatage, den 15. Oktober, hier ein, abends
ziemlich spät, als schon die Prinzen und Prinzessinnen
des kaiserlichen Hofes sich nach der Cour und Assemblee
bei der Monarchin in ihre Zimmer zurückgezogen urid
angefangen hatten, sich auszukleiden. Die frohe Sieges-
botschaft wurde schnell von der Kaiserin in alle Kam-
mern ihrer Kinder gesendet und wunderlich geputzt, —
jene Erzherzogin mit den Edelsteinen im Haare, aber
im Nachtkleide, diese im Reifrocke und Galakleide mit
zerstörter Frisur; Prinzen halb in Uniform, halb im
Hausrocke, kamen sie eiligst wieder in den Zimmern
ihrer erlauchten Mutter zusammen, um ihr, nach
der Feier des Namenstages, noch zu der Feier des
Sieges Glück zu wünschen^').
Während dieser und ähnlicher abwechselnden
Szenen entspann sich das zärtliche Verhältnis meiner
Eltern. Mein Vater hatte unterdes die Stelle eines
Sekretärs bei der böhmisch-österreichischen Kanzlei
erlangt 2^, er durfte allerdings als Freier auftreten,
aber ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen, wollte ihm
noch immer nicht gelingen. Schon sehr oft war die
Hand meiner Mutter von glänzenden und auch von
minder bedeutenden Freiern gesucht worden. Außer
den persönlichen Annehmlichkeiten einer sehr zier-
22
liehen Gestalt, anmutiger Gebärden und eines aus-
gezeichneten Geistes, war auch die Aussicht auf be-
sondere Gunst und Unterstützung von Seite der
Monarchin, welche ihrer geschätzten Dienerin und
Vorleserin, und um ihretwillen auch dem künftigen
Gemahl nicht wohl fehlen konnte, ein Hauptreiz,
welche Freier lockte. Aber sie alle, welche bei der
Monarchin selbst, die in so vielem und würdigem Sinn
Mutterstelle bei ihren Untergebenen vertrat, ihr Ge-
such anbringen mußten, sahen sich bisher abgewiesen.
Bei den meisten, ja fast bei allen, war meiner Mutter
Herz gleichgültig geblieben. Nur einer, ein geborner
Ungar 29), dessen Porträt sie noch lange Jahre nachher
besaß, und dessen in Rousseaus Konfessionen^") als
eines höchst interessanten und hebenswürdigen jungen
Mannes erwähnt wird — hatte ihr Herz tiefer gerührt.
Nicht bloß der Wille der Monarchin, auch ungünstige
Verhältnisse in der Familie des jungen Ungars zer-
rissen das Bündnis. — Er starb bald darauf; meine
Mutter gedachte seiner nie ohne Rührung. Bei
meinem Vater, der ihre ganze Achtung und innige
Neigung erworben hatte, fürchtete sie ebenfalls, die
Einwilligung der Kaiserin nicht zu erhalten. Diese
hatte gegen jede Verbindung, welche meine Mutter
eingehen sollte, etwas einzuwenden. Freilich ist wohl
kein Bündnis, kein Verhältnis in der Welt jedem Wunsche
und jeder Forderung so ganz gemäß, daß sich nicht mit
mehr oder minderem Anschein etwas dagegen auf-
bringen ließe. Bei der Monarchin aber mag wohl
die Abneigung, sich von der so geschickten, so ver-
schwiegenen und verständigen Dienerin zu trennen,
deren Stelle nur schwer zu ersetzen gewesen sein
würde, jenen abschlägigen Antworten zu Grunde ge-
23
legen liaben. Meine Eltern mußten sich in Geduld
fassen.
Im Jahre 1765 reiste der Hof nach Innsbruck, um
die Vermählung des zweiten Prinzen, des nachmaligen
Kaisers Leopold II., mit einer spanischen Prinzes-
sin^^) zu feiern. Für meine Mutter war diese Reise
in ein gebirgiges Land eine ganz neue und sehr will-
kommene Begebenheit. Sie freute sich der ihr fremden,
wilden Natur, und manches romantische Plätzchen,
manche schöne Einsamkeit regte in ihrer, allmählich
des Hoflebens müden Seele, den Wunsch auf, an einer
solchen Stelle sich selbst und ihren geheimen Nei-
gungen leben zu können. — Der Kaiser Franz, ein
noch kräftiger, blühender Mann, fand für seine Wiß-
begierde und Liebe zur Altertumskunde viel inter-
essanten Stoff an so vielen geschichtlichen und archäo-
logischen Schätzen, welche Innsbruck, noch mehr aber
das Bergschloß Ambras enthielt, woselbst sich damals
noch die ganze merkwürdige Sammlung befand, welche
dem Erzherzoge Ferdinand, dem Gemahl der schönen
Welserin, ihr Entstehen verdankt und welche später,
als Tirol auf kurze Zeit einer fremden Macht geräumt
werden mußte (1805), hierher nach Wien transportiert
und seitdem im k. k. Belvedere aufgestellt wurde^^).
Vorzüglich erfreute das Münz- und Antikenkabinett
sich der Vorsorge und Aufmerksamkeit des Monarchen,
der einen sehr tüchtigen und der ganzen Welt rühm-
lich bekannten Gelehrten, Herrn Duval, zum Vor-
steher desselben ernannt hatte. Duval habe ich noch
gekannt und erinnere mich des langen, hagern, alten
Franzosen recht wohl, der meine Eltern öfters be-
suchte, von ihnen mit großer Achtung und Liebe be-
handelt wurde und gegen uns Kinder so freundlich
24
Charlotte von Greiner
Anonyme Bleistiftzeichnung nach einer Miniatur
Frau Irma Warmuth-Jancsö, Wien
war. Er war aber selbst im hohen Alter noch eine
kindliche Natur, und er, der arme Hirtenknabe, der
hinter seinen Schafen einhergehend und Bücher lesend,
die er sich von seinem sauer ersparten Lohn kaufte,
so von Kaiser Franzens Vater, dem Herzog von Lothrin-
gen, auf der Jagd gefunden, befragt und aufgenommen
uairde, den der Herzog dann studieren ließ, weil er
dessen ungemeine Fähigkeiten erkannte — behielt noch
bis ins späte Alter die ungetrübte Heiterkeit des Geistes,
die unerschöpfhche Gutmütigkeit seiner Kindheit und
Jugend bei 33). Meine Mutter Hebte er väterlich, nannte
sie seine „Bibi" und unterzeichnete seine Briefe an sie
immer mit dem, auf ein französisches Sprichwort (que
99 moutons et un Champagnard fönt loo betes) ge-
gründeten Ausdruck: le suplement des 99 moutons ^^).
— Er war aus 'der Champagne gebürtig.
Um diesem,'' seinem heben Duval, nun auch eine
Ausbeute von seiner Reise mitzubringen^und das Wie-
ner Münzkabinett zu bereichern, ließ skh Kaiser
Franz die Schätze des Innsbrucker zeig^, und be-
schloß, die Dubletten desselben mitzunehmen und da-
für von Wien zu senden, was dem Innsbrucker fehlte.
Aber damit war der damalige Direktor des Kabinettes
in Innsbruck 35) nicht zufrieden (seinen Namen zu
nennen, wäre unbescheiden, aber die Anekdoten sind
zu hübsch, um vergessen zu werden). — Mit nichten,
antwortete er dem Kaiser, ich habe die Münzen auf
meinem Inventar, ich muß dafür haften. Vergebens
suchte ihn der Kaiser auf den wissenschaftlichen Stand-
punkt zu stellen, von dem aus er einen solchen Tausch
zu betrachten hätte — der gute Direktor hielt sich
an sein Inventarium, bis endhch der Monarch, der
merkte, mit welchem Manne er es zu tun habe, ihm
25
vorschlug, die auszutauschenden Münzen zu wägen
und dem Innsbrucker Münzkabinette indes so viele
(neugeprägte) Dukaten dazulassen, als jene Gold-
gewicht hätten, bis sie durch die aus Wien zu senden-
den ausgelöst werden würden. Das beruhigte den
Direktor; er gab Goldgewicht für Goldgewicht und
war nun überzeugt, seine PfHcht gegen die ihm an-
vertrauten Schätze vollkommen erfüllt zu haben.
Eine zweite Antwort, die derselbe gelehrte Mann
meiner Mutter gab, dient zum Beleg jener ersten.
Im Antikenkabinett, welches die Fräulein der Kaiserin
auch zu besehen gekommen waren, fiel meiner Mutter
ein Stück auf, das ihr nicht echt, keine wirkliche Antike
zu sein schien. Sie äußerte diesen Zweifel gegen den
gelehrten Herrn Direktor. O, mein Fräulein! er-
widerte dieser, dies Stück ist gewiß antik — ich bin
nun schon vierzig Jahre in diesem Kabinett angestellt
und habe es bereits vorgefunden.
Das Beilager wurde gehalten, die Feierlichkeiten
waren vorüber, der Hof dachte an seine Rückreise
nach Wien, da ging am i8. August der Kaiser, von
seinem ältesten Sohne, dem Erzherzog Josef, damals
schon römischem König, abends aus seiner Loge im
Theater, um in seine Gemächer zurückzukehren. Auf
dem Gange hinter den Logen rührte ihn plötzhch ein
Schlagfluß. Er sank in die Arme seines Sohnes und
gab auf der Stelle seinen Geist auf. Dieser Sohn mußte
der Überbringer der schreckhchen Nachricht an seine
Mutter, an seinen Bruder sein, der einer Unpäßhch-
keit wegen sich in seinen Zimmern gehalten hatte-'").
Hier zeigte sich's, wie meine Mutter sagte, welche tiefe,
26
innige Liebe Maria Theresia für ihren Gemahl hatte.
Sie war ganz vernichtet, sie fand keine Tränen und
ein krampfhaftes, gewaltsames Schluchzen, welches die
ganze Nacht durch währte, erfüllte ihre Umgebung
mit der lebhaftesten Sorge für die Gesundheit und
das Leben der hohen Frau. Erst gegen Morgen, nach
einer Aderlaß, welche der Arzt verordnete, brach ihr
tiefer, großer Schmerz in erleichternde Tränen aus. —
Eine ihrer ersten Handlungen aber war, meiner Mutter
zu befehlen, daß sie ihr die Haare abschneide. — Von
diesem Augenblicke an, als ihr Gemahl sich ihrer, trotz
ihres reiferen Alters, noch immer großen Schönheit
nicht mehr erfreuen konnte, freute auch sie sich ihrer
Gestalt nicht mehr. Sie legte allen bunten Putz und
alles Geschmeide ab, teilte ihre Garderobe unter ihre
Frauen, ließ ihr Schlafzimmer mit grauer Seide aus-
schlagen, ihr einsames Lager mit grauen Vorhängen
umgeben und zeigte so auch in ihrem Äußern, daß das
Leben und die Welt für sie ihren Reiz verloren haben ^'O-
An jedem i8. des Augusts, dem Todestage ihres Gatten,
besuchte sie seine Grabstätte^^), schloß sich dann in ihr
Zimmer ein, beichtete, fastete und brachte den Tag in
schmerzlichen Erinnerunge;a und frommen Gebeten zu.
Rührend ist das GrabmVl, welches sie ihrem Gemahl
nach seinem Tode und sich selbst im voraus in der kaiser-
hchen Gruft bei den Kapuzinern errichten ließ, und wo
sie mit dem ersten und einzigen Gegenstand ihrer Liebe,
auf einer Art von Paradebette ruhend, vorgestellt ist^^).
Die Wahrheit solcher Gefühle, welche allein ihren Wert
ausmacht, zeigt sich am siegreichsten und überzeugend-
sten vor den nächsten und beständigen Umgebungen.
Sind diese von der Wirklichkeit und Tiefe des Schmerzes
überzeugt, so ist wohl kaum mehr daran zu zweifeln.
27
So steht Maria Theresia, welche als Regentin einen
der ersten Plätze in der Reihe der großen Monarchen
einnimmt, als Frau nicht miftder groß und erhaben
vor uns. Schön, wie wenige ihres Geschlechts, Erbin
großer Staaten, liebenswürdige Frau, mit tausend
Talenten, unter andern auch mit einer wunderlieb-
lichen Stimme begabt, die sie im Gesänge oft zur
Freude des Hofes hören ließ*") — und dem ersten und
einzigen Gegenstand ihrer jugendlichen Zärtlichkeit
treu bis in den Tod. — Es war mir auch eine sehr werte
und erfreuliche Erscheinung, diese Regentin von der
Feder einer weiblichen und liebevollen Hand, der
Mistreß Jameson^^) in ihrem Buche: The Female
Sovereigns, ganz nach ihrem wahren Wert erkannt und
geschildert zu sehen, so daß sich ihr Bild weit über
Katharina H. und sogar über Elisabeth von England
erhebt.
Diese Treue und Liebe wird noch herrlicher, wenn
man weiß, daß die erste bei weitem nicht in dem Maß
vergolten wurde, in welchem sie es verdient hätte.
Kaiser Franz hatte verschiedene Liebschaften, die man
teils kannte, teils nicht. — Seine Gemahlin wußte wohl
darum, sie zog die eine davon an ihren Spieltisch; —
sie litt dadurch, aber sie liebte den Wankelmütigen
nichtsdestoweniger mit gleicher Glut bis an seinen
Tod*2). Ein Wort, das sie einst zu meiner Mutter
sprach, mag wohl aus der tiefen, Innern Überzeugung
entstanden sein, daß ihres Gemahls Standpunkt und
Verhältnis zu ihr und seinen Staaten nicht das eigent-
lich rechte und vielleicht die Quelle manches Miß-
tones zwischen ihnen war. ,,Laß dich warnen," sagte
sie einst, ,,und heirate ja nie einen Mann, der nichts zu
tun hat"«).
28
War, es, daß die Haare der Monarchin den Manen
ihres Gemahls ^ und ihrem Schmerz^ zum Opfer ge-
fallen waren und ihre Toilette nicht mehr so viel Sorg-
falt erforderte; war es die eigene Vereinsamung, die
ihr Herz für das Traurige eines solchen Geschickes bei
andern empfindHcher machte — kurz, noch während
des Trauerjahres erhielt meine Mutter die Erlaubnis,
mit ihrer Hand zu schalten, und mein Vater erreichte
das Ziel seiner heißen und lange genährten Wünsche.
Als meine Mutter ihren Bräutigam der Monarchin
vorstellte, war diese erstaunt, in meinem Vater einen
zwar noch jungen (er zählte 35 Jahre, meine Mutter
26)**), aber sehr gesetzten, einfachen und wahrhaft
deutschen Mann zu finden. Ich glaubte immer,
äußerte sie hernach zu meiner Mutter, du würdest
dir so einen galanten Herrn, einen Chevalier aussuchen.
— Demnach gewann dieser einfache Mann späterhin
durch seine erkannte RechtHchkeit, seinen Diensteifer
und seine vorzüglichen Geistesgaben die ausgezeichnete
Huld seiner Monarchin, wovon diese Blätter unzweifel-
hafte Proben aufzeigen werden.
Die Heirat meiner Mutter war also beschlossen und
wurde mit aller, damals am Hofe übhchen Feierhch-
keit vollzogen. Die Verlöbnisse bestanden damals
noch; — jenes meiner Mutter wurde acht Tage vor
der Trauung gehalten. — Während dieser Zeit legte
sie die Trauer ab, welche sie mit dem ganzen Hof noch
um den verstorbenen Kaiser trug, und ging bunt. Am
Tage der Hochzeit *5) mußte sie sich in ihrem Braut-
staat vor der Kaiserin zeigen, welche zu dem eigenen,
nicht unbedeutenden Geschmeide, womit meine Mut-
ter geschmückt war, einige Geschenke fügte und ihr
dann noch eine Perlenschnur von unschätzbarem Werte
29
um den Hals band, die jedoch die Braut nach der
Feierlichkeit der Trauung wieder zurückgeben mußte,
da sie unter das Geschmeide der k. k. Schatzkammer
gehörte und nur bei solchen Gelegenheiten gebraucht
wurde. In der sogenannten Kammerkapelle wurde die
Zeremonie vollzogen, die Obersthofmeisterin der Kaise-
rin ^^) führte als Brautmutter die Braut an den Altar
und nahm während der Trauung in einem Betstuhl
Platz. Als der Geistliche an die Stelle kam, wo er die
Braut auffordert, das Ja auszusprechen, mußte diese
(so gebot es die Etikette), ehe sie antwortete, sich mit
einer Verneigung gegen die Obersthofmeisterin wenden,
Sit gleichsam um die Erlaubnis dazu ersuchen. — Die
Obersthofmeisterin erhob sich, drehte sich gegen das
Oratorium, in welchem sich die Monarchin befand,
und wiederholte die Verbeugung und die stumme An-
frage. Hierauf nickte die Kaiserin bejahend, die Oberst-
hofmeisterin überlieferte durch ein ebensolches Zeichen
die Einwilligung der, Mutterstelle vertretenden, hohen
Frau, die Braut verbeugte sich dankbar, wendete sich
dann gegen den Priester und sprach ihr Ja aus.
Nach der Trauung folgte meine Mutter ihrem Ge-
mahl in sein Haus, wo indes seine Mutter, bei welcher
er wohnte, alle Anstalten zur Mittagstafel und Be-
wirtung der Hochzeitsgäste getroffen hatte; ■ — und
dann ihrer Schnur die Führung des ganzen Haus-
wesens übergab.
Hier begann nun für meine Mutter eine ganz
neue Lebensweise, ja, sie fand sich eigentlich in
einer neuen Welt, nicht bloß durch den bedeutenden
Unterschied, den die Verheiratung in das Leben jedes
30
Mädchens bringt, sondern hauptsächlich dadurch, daß
sie sich plötzlich aus den glänzenden, geräuschvollen
Räumen eines der ersten Höfe Europas und aus der
unmittelbaren Nähe einer regierenden Monarchin in
die Stille und Dunkelheit einer wohlhabenden, aber
im Vergleich mit ihren frühern Gewohnheiten doch
sehr beschränkten Haushaltung versetzt sah. Dennoch
scheint dies so sehr mit den geheimen und lange ge-
nährten Wünschen ihres Herzens übereingestimmt zu
haben, daß ich sie nicht allein dieser Epoche nie mit
Trauer oder düsterer Erinnerung erwähnen hörte, wie
man sonst wohl später sich an trübverlebte Stunden
erinnert, sondern sie vielmehr mit Freude von dem
Zeitpunkte sprach, wo sie endlich einer glänzenden und
von vielen beneideten Sklaverei los ward und sich selbst
angehören durfte. Es scheint, habe ich oben gesagt,
denn ich war natürlicherweise keine Zeugin jener
ersten Jahre der Verheiratung meiner Eltern, indem
ich nicht einmal ihr erstes Kind war, und wie ich
in die Jahre trat, wo Kinder etwas bemerken und
beurteilen können, umgab meine Eltern schon wie-
der ein großer Glanz und eine Bemerktheit, welche
meiner Mutter, wenn sie unmittelbar auf ihre Ver-
mählung gefolgt wären, den Unterschied zwischen
ihrem Hof- und häuslichen Leben weniger hätten
fühlen lassen müssen.
Ich erblickte das Licht der Welt in einem Jahre mit
dem merkwürdigsten Manne unserer Zeit, mit Napo-
leon, und um drei Wochen später als er*'). Oft hatte
mir meine Mutter in frühern Jahren erzählt, daß da-
mals (1769) ein sehr heißer Sommer gewesen und ein
Komet am Himmel gestanden habe*^), den sie in den
warmen Sommernächten, wo ihr beschwerlicher Zu-
)
I
31/
stand (sie trug Zwillinge) ihr wenig zu schlafen er-
laubte, oft betrachtete. Späterhin erinnerte ich mich
dieses Umstandes, und daß dieser Komet, wenn man
ja zwischen der Erscheinung dieser himmlischen Kör-
per und unsern irdischen Angelegenheiten einen Zu-
sammenhang annehmen will, gar wohl auf die Geburt
jenes furchtbaren Helden gedeutet werden könne. —
Meine Mutter hatte, ganz gegen die damalige Sitte
der Frauen in ansehnlicheren Familien, beschlossen,
ihre Kinder selbst zu nähren und in jedem Sinne ihre
Mutterpflichten zu erfüllen. Den ältesten Sohn hatte
sie bereits gestillt und sich sehr wohl dabei befunden .^^
Jetzt, wo sie und jedermann glaubte, daß sie zwei
Kinder auf einmal haben wurde, hatte sie Lust und
fühlte sich stark genug, beide zu nähren. Sie kam
stets viel nach Hofe und sah oft ihre kaiserliche Ge-
bieterin, diese aber, die ihre ehemalige Dienerin noch
immer mit huldreicher Sorgfalt betrachtete, verbot
ihr ausdrücklich, mehr als ein Kind zugleich zu stillen,
und so überließ meine Mutter die Wahl, welche ihr
schwer gewesen sein würde, der Vorsicht, indem sie
beschloß, das Erstgeborne selbst zu tränken. Das war
nun zu meinem Glücke ich, und obwohl ich, wie man
mir später erzählte, so klein und schwach auf die Welt
kam, daß man, an meinem Leben verzweifelnd, mir
die Nottaufe gab, so gedieh ich doch an meiner Mutter
Brust zu einer solchen Fülle von Kraft und Gesundheit,
daß ich noch bis jetzt, bereits eine Siebzigerin, von
keiner eigentlichen Krankheit weiß und nie, selbst nicht
im Wochenbette, länger als 6 — 7 Tage hintereinander
im Bette bleiben mußte. Kein chirurgisches Instru-
ment, nicht einmal eine Lanzette zum Aderlassen, hat
meinen Leib berührt, und ich kann, kleine Unpäßlich-
32
J. E. Mansfeld sc. — k. k. FIdei-Commiß-Bibliothek, Wien
keiten und eine außerordentliche Reizbarkeit der Ner-
ven und der Organisation überhaupt ausgenommen,
welche sich in spätem Jahren offenbarte und mir große
Behutsamkeit und Mäßigkeit zur Pfhcht macht, sagen,
daß ich stets vollkommen gesund war.
Mein Zwilhngsbruder^^), ein starker, schöner Knabe,
bekam eine Amme und starb noch vor dem ersten
Jahre; denn die Amme wurde krank und verschwieg es.
Auch mein älterer Bruder °o) muß nicht lange nach
meinem Erscheinen im elterhchen Hause gestorben
sein, denn ich erinnere mich seiner durchaus nicht, ob-
wohl mein Bewußtsein in einzelnen Bildern bis an
mein drittes Lebensjahr reicht. Damals lebten jene
zwei Kinder nicht mehr, aber ein viertes, auch ein
Knabe, Franz Xav. mit Namen, wuchs neben mir em-
por. Ich wußte später, daß er um drei Jahre jünger sei
als ich, und ich erinnere mich wohl, ihn noch auf dem
Arm der Wärterin gesehen zu habendi). Zwei Szenen
aus jener frühen Zeit stehen auch noch einzeln vor mir
und haben sich wie dämmernde Punkte in einer dun-
keln Vergangenheit erhalten. Eines Morgens, es war
ein Sonnabend, saß ich in meiner Eltern Schlafzimmer
auf einem Schemelchen zu meiner Mutter Füßen, als
mein Vater eintrat und ihr seine Erhebung zur Hof-
ratsstelle ankündigte ^2). Gewiß war dies Ereignis
meinen Eltern sehr wichtig, und die Bewegungen,
welche es im Hause verursacht haben mag, werden die
L'rsache sein, warum eine Veränderung unserer Lage,
mit der ich damals, im 3. bis 4. Lebensjahre, gar keinen
Begriff verbinden konnte, so bleibenden Eindruck auf
mich gemacht hat. Das zweite Ereignis war verschie-
dener Art. — Ich stand im Zimmer meiner Großmut-
ter, welche das Haus bewohnte, das an das unsrige
33
stiei3, und deren Wohnung, weil beide Häuser ihr
eigentümlich gehörten, durch eine Kommunikations-
türe mit der unsrigen zusammenhing^^); — da trat der
Bediente mit erschrockener Miene in das Zimmer der
alten Frau (ich sehe sein Gesicht noch, er diente meinem
Vater noch viele Jahre darnach) und erzählte, daß er
eben von den ,,obern Jesuiten" käme: Da sieht es aus!
rief der alte Jakob, die Aufhebung ist da, die kaiser-
lichen Kommissarien sind eben gekommen^*). Diese
Nachricht war nun freilich für meine Großmutter, wie
für sehr viele Menschen in jener Zeit, ein Donner-
schlag; sie hatte einen Jesuiten zum Beichtvater, war
überhaupt eine sehr fromme Frau und nach den Begriffen
jenerZeit der Geistlichkeit sehr ergeben. Auch bei dieser
Begebenheit muß das Betragen der Umstehenden den
Eindruck auf mich gemacht haben, den eine Nachricht
an sich nicht hätte hervorbringen können, von deren
Wichtigkeit ich nichts verstand — und diese Szene wie
die vorhergehende meinem Gedächtnis eingeprägt haben.
Ich war ein sehr lebhaftes, munteres Kind — oft
wurde mir gesagt, daß ich besser zum Knaben ge-
taugt hätte, und ich erinnere mich mancher Ermah-
nungen, mancher beschämenden Auftritte, wo diese
unbesorgte Lebhaftigkeit mich zu Übereilungen hin-
gerissen oder zu einem Betragen getrieben hatte, das
für ein Mädchen viel zu wild und entschieden war.
Drei Jahre voraus und jene natürliche Unstetigkeit und
Heftigkeit gaben mir lange Zeit ein großes Über-
gewicht über den Jüngern und sanftem Bruder. Ich
, lernte leicht, faßte schnell, hatte ein vortreffliches Ge-
dächtnis, lauter Naturgaben, um die ich kein Verdienst
34
hatte — an welchen ich aber meinen Bruder übertraf,
der mit einem, wie es sich später wohl zeigte, viel rich-
tigerm Verstände eine etwas langsamere Fassungskraft
verband. Mir ward jene Leichtigkeit oft schädlich. —
Ich lernte höchst ungern. — Auf einem Stuhle sitzen,
acht geben und mit einerlei Gegenstand mich beschäf-
tigen, das alles waren mir unerträgliche Dinge. So
benützte ich jene Fassungskraft und mein gutes Ge-
dächtnis, nahm mein Spielzeug oder ein Märchenbuch
mit zur Lektion, hörte, während ich spielte oder las,
mit halbem Ohr auf das, was der Lehrer erklärte und
fertigte ihn, wenn er mir meine sehr ungehörige Spiel-
lust verweisen oder die Gerätschaften derselben weg-
nehmen wollte, damit ab, daß ich ihm genau wieder-
holte, was er soeben gesprochen und auf diese Art
meine Lektion doch zu wissen schien. — Freilich war
es nur ein Schein und kein rechtes Erkennen, ich hatte
es aber einmal dahin gebracht, beim Lernen spielen
zu dürfen und ließ mir dies Vorrecht nicht nehmen.
Noch erinnere ich mich eines Verses — des ersten, den
ich in meinem Leben gemacht, den meine Ungeduld
bei der Lehrstunde mir eingegeben. Die Stunde
war von 12 — i Uhr, und meine Sehnsucht und Auf-
merksamkeit viel mehr auf die Uhr als auf das Lernen
gerichtet. — In dieser Stimmung setzte ich mir fol-
gende Reime im Geiste zusammen:
Uhrchen, Ührchen, geh' geschwind.
Mach', daß bald der Sand verrinnt,
Laß den Sand verrinnen,
Laß Ein Uhr beginnen,
Ührchen, Ührchen, geh' geschwind.
Doch nicht bei jedem meiner Lehrer ging dies
mutwillige Spiel an. Ich hatte deren einige, welche
' 35
auch sonst noch in der Welt, besonders der hterari-
schen, ausgezeichnet waren, und ich freue mich jetzt,
nach mehr als einem halben Jahrhundert ungefähr,
von diesen Männern sprechen und ihnen meinen Dank
bezeigen zu können. Als ich mein sechstes Jahr erreicht
hatte, wurde ich, zum Unterricht in der Religion, der
Leitung des damaligen Katecheten an der Normal-
schule, Josef Gall*), übergeben, der späterhin Pfarrer,
dann Domherr, Oberaufseher der Schulen und end-
lich im Jahre 1788 Bischof in Linz wurde ^^). Noch jetzt
lebt das Andenken dieses, als Mensch, Priester, Pädagog
und Kirchenoberhaupt gleich würdigen Mannes, in
vielen Herzen, besonders der Oberösterreicher, welche
unter seinem Hirtenamte ihre Schulen ungemein ver-
bessert, die Pfarreien mit würdigen Männern besetzt
und im ganzen Lande, dessen einzelne Teile der wahr-
haft apostolische Bischof abwechselnd jährlich in den
Visitationen durchreiste, echte Gottesfurcht und Sitt-
lichkeit verbreitet sahen. Dieser vortreffliche Mann
war mein Lehrer in der Religion, zu w^elchem Unter-
richte er späterhin den in der Naturgeschichte und
Naturlehre fügte, zwei Zweige der Belehrung, die für
ein gottesfürchtiges wie für ein kindliches Gemüt sich
gar wohl und erbauend an den Religionsunterricht
schließen lassen, was denn Gall auch tat. Bei seinen
Lektionen war keine Rede von Spielerei, und doch war
er nichts weniger als streng, vielmehr heiter, gelassen
und überaus gütig gegen seine Untergebenen, denen
er bald mit Erzählung interessanter Geschichten oder
natürlicher Erscheinungen oder mit dem Geschenke
eines nützlichen Buches Freude zu machen und über-
•) Ein ziemlich naher Verwandter und Landsmann des Dr. Gall,
des Kranologen.
36
haupt ihre Liebe und Ehrfurcht in gleichem Grade
zu erwerben wußte.
Ein zweiter, ebenfalls nicht unberühmter Mann
war mein Klaviermeister Steffann^^)^ gjj^ Böhme
von Geburt, der ebenfalls in dieser Eigenschaft als
Klavierlehrer früher die kaiserlichen Prinzen und Prin-
zessinnen unterrichtet hatte. Steffann komponierte
mit Glück,' seine drei Sammlungen von deutschen
Liedern rnachten damals (vor 50 — 52 Jahren) Epoche
und brachen dem einfachen deutschen Gesänge so zu-
sagen eine neue Bahn. Steffann war ein humoristischer,
ganz eigener Mensch, der zu den Wunderlichkeiten,
welche bei Künstlern und besonders Musikern ge-
wöhnlich sind, noch einige besondere fügte. Aber er
verstand seine Kunst gründhch und hatte einen un-
erschöpfhchen Fond von guter Laune. So imponierte
er mir nicht durch sittliche Würde wie Gall, aber er
flößte mir Achtung ein und wußte durch Güte und
Ernst, durch Spaße und Verweise meine Aufmerksam-
keit zu fesseln. Mir fiel es nicht ein, zu spielen oder
etwas anderes zu sinnen, solange die Lektion dauerte,
und ich galt auch bald für eine seiner besten Schüle-
rinnen, obgleich Musik eigentlich meinem Geiste nicht
zusagte, der sich mehr in klaren Vorstellungen als in
unbestimmten Anregungen gefiel und dessen Anlagen
und Natur mich von jeher die Malerei der Musik hatten
vorziehen lassen.
Ich bekam auch Unterricht im Zeichnen, aber hier
ar die Wahl meines Lehrers nicht glücklich. Der
Mann war unstreitig sehr geschickt in seinem Fache,
welches Baukunst und Blumenzeichnung war, beides
aber, besonders das erste, sprach mich ganz und gar
nicht an. Dieses Handhaben des Zirkels und Lineals,
37
w
diese Unausweichbarkeit der Formen, diese Beschrän-
kung aller Phantasie und Willkür war meinem überaus
unsteten, lebhaften Wesen entgegen. Besser freuten
mich die Blumen ; hier war der Erfindung, der Freiheit
zu ändern, doch einiger Raum gegönnt; aber mich
hätte die Landschaftszeichnung am meisten angezogen,
und diese verstand mein Lehrer nicht, und die Anlei-
tung, welche er mir nach Büchern geben wollte, schlug
nicht an; denn sie war nicht lebendig und wahr.
Späterhin wurde es mir klar, warum dieser Unter-
richt und dieser Meister gewählt worden waren. —
Meine Eltern und einige verständige Freunde derselben,
denen meine zweckmäßige Ausbildung am Herzen lag,
fanden, daß mein allzu lebhafter und unsteter Geist,
sowie meine Phantasie, welche schon die Schwingen
zu regen begann, des Zaums und Gegengewichts einer
ernsten, zu gründlichem Denken und anhaltender Auf-
merksamkeit führenden Beschäftigung bedürfe. Jener
Lehrer war zugleich auch Professor der Mathematik.
Er sollte mich nebst dem Zeichnen nach seiner Art
auch Geometrie lehren ; — nicht damit ich einst Mathe-
matik verstehen und damit prunken könne, sondern da-
mit ich richtig denken, schließen und die schwärmende
Einbildungskraft zügeln lerne. Daß dieser Unterricht
nicht nach meinem Geschmacke war, wird man 'nach
dem Vorhergehenden wohl leicht ermessen; indessen
war er mir doch heilsam, und erleichterte mir später-
hin das Begreifen, sowie das Durchdringen und Ord-
nen manches schwerer verständhchen Buches oder
Vortrags.
Es wird hier pasjiend sein, etwas von den Freunden,
welche das Haus meiner Eltern besuchten, sowie von
der Innern Einrichtung dieses Hauses und seinen
38
äußeren Verhältnissen zu sagen, weil alles dies unmerk-
lichen, aber steten und daher bedeutenden Einfluß
auf die Bildung und Richtung meines Innern hatte.
Meines Vaters ausgezeichnete Geistesgaben, seine
strenge Redlichkeit, sein Eifer, sein unermüdeter
Fleiß hatten bald nach seiner Verheiratung die Auf-
merksamkeit der Monarchin auf den Gemahl ihrer Vor-
leserin, der zugleich einer der tüchtigsten Beamten
war, gelenkt. Sie erhob ihn zur Stelle eines Hofrates
und geheimen Referendars, schenkte ihm viel Ver-
trauen, sah ihn oft, ließ sich von ihm in Privataudienzen
wichtige Dinge vortragen und hörte seine Meinung,
seinen Rat, zuweilen auch, wenn es die Umstände ge-
boten, seinen Widerspruch mit Zutrauen und Geduld ^') .
Noch besitzen wir in unserer Familie einen Schatz von
einzelnen Blättern, auf welchen von meines Vaters
Hand Vorträge, Anfragen, Gutachten geschrieben
sind, wie er sie der Monarchin vorlegen mußte und auf
welche sie dann eigenhändig eine Antwort, Entschei-
dung, Entschließung usw. schrieb ^^). Sie stellen ein
Verhältnis des Staatsbeamten ,zu seiner Monarchin,
und zugleich des innigstergebenen Dieners und Freun-
des zu seiner huldreichen Fürstin dar, das ebenso
würdig als zart, ebenso rührend als erhebend ist und
wovon ich im Verlauf einige Proben geben werde,
welche gewiß dazu beitragen, den Charakter der großen
Maria Theresia in seinem schönsten Lichte zu zeigen.
Diese Gunst der Monarchin verbreitete einen be-
deutenden Glanz über unser Haus, welches durch die
(für jene Zeit) beträchtliche Besoldung"^) eines kaiser-
lichen Hofrates und das eigene Vermögen meines Vaters
auf einem sehr hübschen Fuß eingerichtet war. Da-
mals genossen die kaiserlichen Beamten, welche bei
39
Hofstcllcn dienten, noch der sehr wichtigen Wohltat
der freien oder Hof quartiere ''*'). So wie mein Vater
also Hofrat ward, konnte er auch Anspruch auf eine
freie Wohnung machen, da ihm ohnedies die in seinem
eigenen oder seiner Mutter Haus „im tiefen Graben"
zu klein geworden war. Es war wahrscheinlich 1775
oder 1776, daß wir die Wohnung, in der meine Ge-
schwister und ich geboren worden, gegen eine statt-
lichere und viel geräumigere im Hause zum großen
Christoph ^^) vertauschten, welches jetzt freilich ein
ganz anderes Ansehen hat als damals, wo es, nur
einen Stock hoch, mit eisernen Gittern vor allen Fen-
stern, einem hölzernen Kommunikationsgang im Hofe,
einer freien, unbedeckten Treppe usw. im Äußern und
Innern einer alten Schloßruine ähnlicher sah als einem
Wohnhause in Wien. Doch der Zimmer waren viel,
sie waren hoch, groß und stattlich, und damals hatte
man von vielen Bequemlichkeiten und Bedürfnissen,
die jetzt in jeder Wohnung gefordert werden, keinen
Begriff. Auch w-aren die Menschen stärker und ge-
sünder. Luftzug, kalte Gänge, die zu passieren waren,
Fenster oder Türen, die nicht allzu wohl schlössen,
hier und da eine feuchte Wand usw. wurden nicht ge-
achtet und, weil sie keinen schädlichen Einfluß hatten,
kaum bemerkt. Ich weiß, daß meine Eltern ganz zu-
frieden mit ihrer Wohnung waren. Die großen Zim-
mer, welche Sälen glichen, boten ihnen ein gewünsch-
tes Lokal für die Bildersammlung meines Großvaters
und für die zahlreichen Gesellschaften, welche sich
in unserm Hause zu versammeln anfingen. Hier wurde
ein Theater errichtet, W'orauf wir Kinder kleine fran-
zösische Stücke: Zeneide ou la fee und L'isle deserte^^),
nebst einer kleinen deutschen Idylle aufführten, welche
40
Josef Anton Steffann
Anonyme Silhouette — k. k. Fidel-Commiß-Bibliothek, Wien
A
Herr von Ratschky (wenn ich nicht irre) nach dem
Programm des niedlichen Noverreschen Ballettes:
. Blanc et rose geschrieben <^3). In allen diesen Stücken
wurden mir die muntern, mutwilligen Rollen zugeteilt;
— es war mir damals nicht möglich, tiefe oder warme
Empfindung zu zeigen, so wenig als später, als wir
dreizehn, vierzehn Jahre darauf ebenfalls diese Art ge-
selliger Unterhaltung versuchten.
Auch große Musiken wurden gegeben, und ob-
wohl ich ein ganz winziges Geschöpf von etwa 7 — 8
Jahren war, ließ mein Vater mich doch kleine Kon-
zerte, die mein Klaviermeister Steffann eigens für mich
komponierte, mit vollem Orchester produzieren. Na-
türlich wurde das Kind, die Tochter vom Hause, be-
klatscht, belobt, bewundert, und ich hielt mich bald
für eine bedeutende Künstlerin.
Um diese Zeit erregte eine Erscheinung, welche sich
auch später, und in unsern Tagen oft wiederholt hat,
das erstemal ungeheures Aufsehen in Wien. Es war
dies der Magnetismus oder eigenthch Mesmerismus;
denn Dr. Mesmer«^) war es, der, damals ein schöner,
kräftiger, junger Mann (die meisten Magnetiseure, die
ich kennen gelernt, vereinten diese Eigenschaften) seine
Kunst durch die Wiederherstellung des Augenlichts bei
dem blinden Fräulein von Paradis zeigen wollte. Fräu-
lein Therese von Paradis war damals ein Mädchen von
17— 18 Jahren, nicht hübsch, aber voll Geist, Herzens-
güte und Talent, besonders für Musik, was denn, mit
ihrem Unglück zusammengenommen, ihr eine sehr an-
ziehende Persönlichkeit gab, und ihr auch noch in späte-
ren Jahren die Achtung und Liebe aller derjenigen er-
warb, welche zu dem engeren Kreise ihrer Freunde ge-
hörten, und unter welche auch ich mich zählen durfte ^^).
-<9 ■ . .
\ Damals war ich ein Kind, und auf keine Weise
mrer Bemerkung wert; auch lernte ich sie erst später,
als jene Geschichten schon vorüber waren, persönlich
kennen ^^) ; aber ich erinnere mich wohl der überaus leb-
haften Debatten, welche jeden Abend im Zirkel meiner
Eltern, wo sich viele geistreiche, gelehrte Männer und
gebildete Frauen versammelten, über diesen Gegen-
stand gehalten wurden. Die Gesellschaft teilte sich in
Gläubige und Ungläubige. Zu den ersten gehörten
hauptsächlich die Landsleute Mesmers (Schwaben) und
jene Personen, welche, damals wie jetzt, ihrer Phanta-
sie gern viel Spielraum gönnten, und sich lieber von
dem Neuen und Ungewöhnlichen fortreißen ließen, als
es untersuchten und prüften. Zu den zweiten zählte
man viele gebildete Personen und einige Gelehrte und
Professoren, namentlich von Well^^) und Jacquin®^
(Vater; der Sohn, der später rühmlich in dessen Fuß-
stapfen trat, war damals ein Knabe, nur um ein paar
Jahre älter als ich), und meine Eltern. Vor allen erklärte
sich meine Mutter, deren scharfsichtiger Geist so wie
ihre Achtung vor der Wahrheit sie schon a priori je-
dem Unerklärlichen, Geheimnisvollen abgeneigt mach-
ten, stets laut dagegen, und wollte diese Heilung,
welche die andere Partei als schon entschieden annahm,
nicht eher als möglich zugeben, bis sie nicht selbst sich
überzeugt hätte, daß das Fräulein sehe. Sie fuhr also
mit einem Anhänger der glaubenden Partei selbst in
die Gartenwohnung, in welcher damals die Familie
Paradis lebte, und Mesmer, der ebenfalls daselbst
wohnte, noch verschiedene andere Kranke in der Kur
hatte®^). Mein Vater begab sich an einem andern Tage
dahin. Diese magnetische Behandlung des blinden
Fräulein war das allgemeine Stadtgespräch, und ganz
42
fremde Menschen suchten Zutritt in dem Hause,
um sich von dem Wunder zu überzeugen, daß eine
Person, welche seit ihrem zweiten oder dritten Lebens-
jahre, infolge der zweckwidrigen Behandlung eines
Hautübels, das Augenlicht verloren hatte, dies jetzt,
nach so vielen Jahren, durch magnetische Einwirkun-
gen wieder erhalten sollte haben. ABer weder mein
Vater noch meine Mutter kamen gläubiger von diesen
Besuchen zurück. — Beide konnten sich nicht über-
zeugen, daß Fräulein Paradis wirklich sehe, so manche
Probe, so manches Kunststückchen ihr Magnetiseur
und Freund sie auch machen ließ; und der Erfolg be-
stätigte meiner Eltern Wahrnehmungen '"). Nach eini-
gen WocÜen fielen sehr unangenehme Szenen zwischen
Mesmer und der Famihe Paradis vor'^), welche damit
endigten, daß der erste sie und bald auch Wien verließ,
um in Paris seine magnetischen Kureri fortzusetzen'^^)^
und noch viel mehr Aufsehen und Anhänger zu ma-
chen als in Wien ; die unglückKche Blinde aber in dem
Zustande blieb, in welchem sie vor der Kur gewesen.
Bald nach dieser Geschichte wurde ein Mann in
meiner Eltern Hause eingeführt, der bedeutenden
Einfluß auf die Ausbildung und Richtung meines Gei-
stes nahm — Herr L. L, Haschka'^), ein damals sehr
junger, und, so viel ich mich erinnere, liebenswürdiger
Mann, der nun seit ein paar Jahren bei der Aufhebung
des Jesuitenordens, dessen Mitghed er gewesen, wieder
in die Welt getreten, und den geisthchen Stand, da er
keine Profeß abgelegt, völlig verlassen hatte. Mit ihm
zogen, möchte ich sagen, die Musen in unser Haus,
und meines Vaters Liebe für die schönen Künste kam
jener Richtung, welche Haschka in sich trug, gern ent-
gegen. Meine Mutter Hebte zwar die Poesie durchaus
43
nicht, aber sie hörte doch gern gute Gedichte lesen, und
erfreute sich daran, wenn Haschka, und auch später an-
dere Musensöhne Wiens, die nach und nach mit uns
bekannt wurden, ihre Werke bei uns lasen. Haschka
bemerkte bald meine günstigen Geistesanlagen, er fing
an, sich mit mir abzugeben, er ließ mich Gellertsche
Fabeln auswendig lernen (Deklamieren war damals
nicht Mode), ich durfte zuhören, wenn neue bedeu-
tende Sachen gelesen wurden. Ich fing bereits damals
an, die Empfindungen, von denen ich mich entweder
wirkhch beseelt fühlte oder die ich nach Willkür in
mir hervorzurufen versuchte, zu Papier zu bringen,
und, freiHch ohne eigentlichen Begriff von Versen,
Rhythmus und Form, so eine Art von Rhapsodie zu
schreiben*). Ich weiß, daß das eine dieser Blätter mit
den Worten begann: „Die Tage sind dahin, an
denen ich mich freute", wie denn überhaupt eine
Art von elegischem Gefühl mich, trotz meiner sehr
glücklichen Lage und munteren Stimmung, in ein-
zelnen AugenbHcken zuweilen übermannte, und mich
eine vergangene, schönere Zeit, die meist nur in meiner
Einbildung existiert hatte, beklagen ließ. Vermuthch
war es die kindische Freiheit und Zwangslosigkeit mei-
ner ersten Jahre, welche im Vergleich mit den, nun be-
ginnenden ernsteren Beschäftigungen des Lernens,
Arbeitens und einer strengen Aufsicht, mir wie ein
goldenes Zeitalter erschien, und mir meine Gegenwart
in düsterem Lichte zeigte.
Im Herbst 1777 starb meine Großmutter, die lange
gekränkelt hatte, wie sie denn überhaupt eine traurige
Existenz hatte, und durch einen schlecht geheilten
*) Jene oben Seite 35 angeführten Verse wurden einige Jahre
später gemacht.
44
Beinbruch gelähmt, seit vielen Jahren ihr Leben
zwischen ihrem Bett und ihrem Kanapee teilte'*).
Sie besaß auch deshalb eine Hauskapelle, in welcher
Messe für sie gelesen werden durfte, und eine Kusine
meines Vaters, ein bejahrtes, unverheiratetes Fräu-
lein, lebte bei ihr und pflegte ihrer'^). Bei dieser Groß-
mutter und dieser Tante blühten uns Kindern sehr
schöne Stunden; denn hier durften wir uns manches
erlauben, was meine Eltern mit Fug und Recht
nicht duldeten, und hier erhielten wir auch allerlei
Näschereien, die eben zu Hause uns mit -eben so viel
Recht nicht gegeben wurden. Den Grund dieses Ver-
botes einzusehen, waren wir viel zu jung, ich sieben,
der Bruder vier Jahre alt, und wenn wir gleich zu
Hause uns nichts weniger als unzufrieden fühlten, be-
hagte uns doch jene größere Zwangslosigkeit, die Süßig-
keiten, das Spielzeug, welches wir geschenkt erhielten,
gar sehr. Diese Großmutter verstand auch Latein, die
Tante machte (in größter Stille, denn sie schämte sich
dessen) gar nicht schlechte Verse für jene Zeit, und
hatte ein paar Trauerspiele in ehrenfesten Alexandrinern
in ihrem geheimsten Schranke liegen, die in spätem
Jahren, als sie mit großem Vergnügen in ihrer Nichte
ein poetisches Talent wahrnahm, nur ich allein, und
unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu sehen bekam.
Froh und freundhch wie helle Punkte glänzen mir
aus dem Dunkel tiefer Vergangenheit diese bei der
Großmutter und Tante verlebten Stunden entgegen.
Sie stehen jetzt noch nach viel mehr pls einem halben
Säkulum deutlich vor meinem Geiste, ich könnte auch
die Stelle jedes Stuhles, jedes Buches in dem einfachen
Zimmer bezeichnen, so wie -ich ein paar Sprüche wohl
behalten habe, die ich oft bei passender Gelegenheit,
45
wenn ich kindisch und täppisch nach allem langte, was
nicht für mich gehörte oder wenn ich nach etwas
fragte, was ich nicht verstand, von der Großmutter
hörte und deren einer meinem kindischen Verstände
lange wie ein unbegreifhches Rätsel erschien.. Lern
was, so kannst du was, stiehl was, so hast du was und
laß jedem das seine ''^). >
Diese gute, freundhche Großmutter war nun tot,
die Tante bezog unser Haus, und meine Eltern ver-
ließen nun auch die Wohnung beim großen Christoph,
und erhielten eine sehr schöne und äußerst geräumige
in einem Hause „am Graben", in welchem sich auch
eine Hauskapelle befand"). Hier, wo eineEnfilade von
vier bis fünf Zimmern bloß zum Empfange von Ge-
sellschaften bestimmt war, und noch viele andere Ge-
mächer zur Bewohnung der zahlreichen Hausgenossen
vorhanden waren, erweiterte sich unser häushches Le-
ben sehr. Meine Eltern boten jenem Herrn Haschka,
der von seinem ersten Eintritt ins Haus sich als eine
bedeutende und angenehme Erscheinung gezeigt hatte,
Quartier in ihrer Wohnung an; es wurde für meinen
Bruder ein Hofmeister und für mich ein Mädchen an-
genommen, das aus gutem Hause, aber arm und einige
Jahre älter als ich, mir zur Gespiehn und gewisser-
maßen zur Aufseherin bestellt war. Wir hatten viele
Domestiken, Equipage, Reitpferde, eine nach damah-
gen Begriffen elegante Wohnung, täghch abends zahl-
reiche Gesellschaft, sehr oft Gäste zu Mittag, und meist
ein paar Freunde zum Souper.
So gestaltete sich unser Leben glänzend und ange-
nehm. Vielleicht bestand aber die größte Annehm-
lichkeit desselben (wenigstens dünkt es mich jetzt so) in
dem Umstände, daß die höhere Geistesbildung mei-
46
ner Eltern, welche sie vor den meisten ihrer Standes-
genossen auszeichnete, ihnen den Umgang mit geist-
reichen, gebildeten und sogar gelehrten Personen
wünschenswert, ja zum Bedürfnisse gemacht hatte.
Mein Vater malte sehr hübsch in Pastell, er dichtete
artige Lieder, welche damals (vor 70 — 80 Jahren) mit
gefälliger Musikbegleitung allgemein bekannt und ge-
sungen wurden. Eins derselben erhielt eine besondere
Zelebrität, es fing also an:
Als in jüngstvergangnem Jahr
Leipzigs Ostermesse war,
Hatte in des Marktes Mitte
Amor eine Krämerhütte,
Und bot freundlich jedermann
Herzen zu verkaufen an; usw. ^ä^.
Überdies Hebte und trieb er Musik mit großem
Eifer, und fand bei vielen und wichtigen Geschäften
doch immer noch Zeit für die Erholungen, welche die
schönen Künste ihm boten. /
Meine Mutter, im Gegensatze von ihm oder um
den Kreis der Bildung, der sich in unserm Hause fand,
zu vervollständigen, hatte einen ausschließenden Hang
zu ernsten Wissenschaften. Sie verachtete, möchte
ich beinahe sagen, Dichtkunst und überhaupt schöne
Künste, sie hielt blutwenig von der Geschichte, die
ihr zu wenig ausgemachte und unzweifelhafte Wahrheit
bot. Sie strebte nur nach dieser, wollte nur diese fin-
den, hören und ihr folgen. Gewiß ein edles Streben,
nur leider! daß es dem Menschengeiste in seinen ir-
dischen Beschränkungen so ganz und gar nicht möglich
ist, außer der Mathematik sich irgend einer unbestritte-
nen Wahrheit zu versichern, und endlich doch alles
aufs Glauben und Dafürhalten hinausläuft! Dieser
Geistesrichtung gemäß, interessierte sich meine Mutter
47
für Naturgeschichte, Naturlehre, sogar Astronomie,
welche letztere Wissenschaft für sie großen Reiz hatte,
und endlich für Untersuchungen in einem Fache, das
gewiß wenig Männer, und vielleicht außer ihr noch
nie eine Frau beschäftigt hat. Sie strebte nämhch,
durch die Bekanntschaft mit den Religionen und
Mythen aller alten und neuen Völker, mit den Tradi-
tionen, den Geschichten der Vorwelt, den Mysterien,
Tempelgebräuchen usw. zur ursprünglichen und höch-
sten Erkenntnis in Rücksicht der Gottheit, unseres Ver-
hältnisses zu ihr, der Geologie und Kosmogonie zu ge-
langen. Zu diesem Behufe las und exzerpierte sie eine
Menge Bücher in allen Sprachen, und ich besitze noch
mehrere Blätter, auf welchen sie einige Andeutungen
der Resultate ihrer Forschungen aufgezeichnet hat.
Das männliche Geschlecht kam bei allen diesen Unter-
suchungen nicht zum besten weg, und meine Mutter
war sehr geneigt (wie ich später hörte, als ich imstande
war, solche Begriffe zu fassen, und ihr oft Bücher vor-
las, welche in diesem Sinne geschrieben waren, z. B.
Sur les droits des femmes, par Mme. de Wolstonecraft^^)
das System aufzustellen, daß die Frauen ursprüngHch
von der Natur und Vorsicht zur Herrschaft bestimmt
seien, und dieses Vorrecht durch eine Art von Usur-
pation des männlichen Geschlechtes, welches uns an
physischen Kräften übertrifft, verloren habe. Doch
das ist eine Abschweifung, welche eigentlich nicht hier-
her, sondern in die spätere Zeit meiner aufblühenden
Jugend gehört; aber sie floß zu natürlich aus dem Vor-
hergesagten, um ganz unterdrückt zu werden, und ich
werde mich nur später darauf berufen.
Ich kehre zu dem Punkte zurück, auf dem sich unser
Haus in den Jahren 1777, 78, 79 befand. Haschka,
- 48
Franz Josef von Ratschky
Stich von Friedrich John — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
der durch seinen lebendigen Geist, durch sein Dichter-
talent, durch seine RechtHchkeit und echte Freund-
schaft, wohl aber auch durch ein Betragen, das ich jetzt,
nach 50 Jahren darüber nachdenkend, fordernd und
um sich greifend nennen möchte, mit jedem Tage
mehr Ansehen uüd Gewicht in unserer FamiHe be-
kam, führte nach und nach die damaligen Schöngeister
von Wien bei uns ein. Alxinger^o), sein treuester
Freund, wurde bald eben dies für meine Eltern, und
war täghch bei uns; Leon (ebenfalls Dichter und spä-
ter Kustos der k. k. Bibhothek)«!) ward durch Haschka
als Hofmeister meines Bruders ins Haus gebracht.
Durch diese beiden lernten wir Ratschk782)^ Denis ^3)^
Mastalier^'i), Blumauer^s) usw. kennen, und durch
die Professoren Well (den Botaniker und Naturfor-
scher), Jacquin, Abbe EckheP6),Sonnenfels87),Sperges88),
Maffei^^) (lauter Namen, welche die Literargeschichte
Österreichs mit Achtung nennt) wurden auch die
ernstern Wissenschaften in unsern Kreis gezogen.
Mein Geist war lebhaft, meine Phantasie beweghch.
Die schönen Künste lebten und herrschten in unserm
Hause, Dichter umgaben uns beständig, Musiker,
Maler von einiger Bedeutung, welche nach Wien
kamen, heßen so wie Gelehrte anderer Art sich bei
meinen Eltern einführen, deren Haus vor vielen der
Hauptstadt sich auszeichnete. Alles, was von neuen
Dichterwerken im In- und Auslande erschien, wurde
sogleich bei uns bekannt, gelesen, besprochen. Herr v.
Leon, unser Hofmeister, damals ein junger Mann von
23 — 24 Jahren, fand Vergnügen an der lebhaften
Weise, womit mein Geist alles auffaßte, was Dichtung
hieß, so z. B, die Bürgerschen Romanzen, die ich
bald auswendig wußte. Wenn ich gut gelernt hatte,
49
las er mir zur Belohnung eine Szene aus Götz von
Berlichingen, ein Stück aus Werther, Woldemar^^)
oder einer andern Dichtung vor; und ich kannte diese
Bücher, wußte manches davon auswendig, ehe ich im-
stande war, ihren Wert auch nur im geringsten zu
fassen und zu beurteilen. Ob dies wohl klug gehandelt
war bei einem Kinde, dessen Phantasie ohnedies zu
lebhafte Sprünge machte, will ich dahingestellt sein
lassen; es diente aber, nebst den Einwirkungen, welche
von allen Seiten auf mich eindrangen, sehr dazu, den
Keim zur Dichtung, der in mir lag, zu erwecken. Ich
versuchte mit zehn Jahren, einige gereimte Zeilen zu-
sammen zu setzen (denn mit einem bessern Namen
verdienen so rohe Anfänge nicht genannt zu werden),
und so entstand mein erstes Liedchen, auf dessen erste
Zeilen ich mich noch besinne:
Wie lieblich ist der Morgen,
Wie schön ist's auf der Flur!
Es schwinden alle Sorgen,
Die Freude lächelt nur usw.
Daß dies nichts als Reminiszenzen aus der Unzahl
von gelesenen und gehörten Gedichten waren, die täg-
lich und stündlich in meinem Kopfe spukten, ist klar,
und wenn wir die ersten Versuche so mancher, beson-
ders der sogenannten „Naturdichter" betrachten, die
dehn auch auf gewisse Weise noch Kinder sind, wie ich
es war, so wird sich finden, daß ihr Dichterberuf, so
wie meiner damals, wohl in weiter nichts als einer
glückhchen Kombinationsgabe und gutem Gedächt-
nisse besteht. Indessen — mein Liedchen wurde ange-
hört, gelobt, bewundert und sogar in Musik gesetzt.
Was geschieht nicht von Seiten der Freunde und Be-
kannten für die Kinder eines verehrten und ansehn-
50
liehen Hauses ^°^) ! Das sollten sich manche gegenwärtig
halten, die, von den Lobsprüchen der Haus- und Tisch-
freunde irregeführt, so leicht dahin gebracht werden,
in den Äußerungen und Leistungen ihrer Sprößlinge
etwas Außerordentliches zu sehen.
So schwach diese Versuche waren, so dienten sie
doch, verbunden mit meinem lebhaften Geiste und mei-
nem unvergleichlichen Gedächtnisse, dazu, die Auf-
merksamkeit der Männer von Bildung und Wissen-
schaft, die das Haus meiner Eltern oft besuchten, vor
allen die unsers Hausgenossen Haschka auf mich zu
lenken. Er fand es der Mühe wert, sich mit dem Kinde,
das etwas zu werden versprach, abzugeben-; er bestimmte
täglich eine gewisse Zeit, wo ich auf sein Zimmer kom-
men mußte, und wo er mir, so wie meinem Bruder,
L nterricht in den Regeln der deutschen Sprache gab
— damals noch aus Gottscheds Grammatik ^^); denn
Adelung^^^) war noch nicht erschienen.
Hier aber stößt meine Erinnerung auf einen dunkeln
Fleck in der Entwicklung meines Selbsts, auf einen
häßlichen Zug des Übermutes und liebloser Eitelkeit.
Ich könnte ihn verschweigen, denn er ist zum Glücke
auf keine Weise mit in die weiteren Fortschritte mei-
ner Bildung verflochten; aber ich würde ujiwahr zu
sein, und diesen Bekenntnissen einen Teil ihres Wer-
tes für unbefangene Seelen, die auch aus Fehlern
anderer lernen können, zu entziehen glauben, wenn ich
den meinigen nicht gestände, da ich doch auch einiges
zu meiner Entschuldigung anführen kann.
Ich glaube schon einmal berührt zu haben, daß
mein Bruder, der um drei Jahre jünger war als ich,
von der Natur zwar, wie es sich später zeigte, einen
sehr scharfen, richtigen Verstand, aber kein so schnelles
4" 51
Auffassungsvermögen erhalten hatte, als ich. Auch
sein Gedächtnis war nicht so hervorstechend, und eine
gewisse Langsamkeit in geistigen und körperlichen Be-
wegungen, verbunden mit einer nicht ganz deutlichen
Aussprache, machten ihm das Lernen schwer und daher
oft unangenehm. Die Lehrer, die wir (das Zeichnen
und Klavierspielen ausgenommen) gemeinschaftlich
hatten, waren daher stets mit mir viel besser zufrieden,
obgleich sie, wenn sie sich die Mühe genommen hätten,
etwas tiefer zu untersuchen, manchesmal gefunden haben
würden, daß eben jene große Leichtigkeit der Auf-
fassung mein Erlernen oft oberflächlich und vergäng-
lich machte. Indessen, ich glänzte, ich ward vorgezo-
gen, als Beispiel aufgestellt, und — - ich übernahm mich,
was eine natürliche Folge davon war. Man wollte mei-
nes Bruders trägen Geist aufstacheln, ihn zur Nach-
eiferung reizen, und wenig fehlte, man hätte mein
Herz verdorben. Ich hielt mich für viel was Vorzüg-
licheres als meinen Bruder, ich erlaubte mir, ihn zu
bespötteln, zu necken, lächerlich zu machen, und diese
Bestrebungen eines eitlen, lebhaften Kindes wurden
leider nicht streng und strafend gerügt, wie ich mich
wohl erinnere.
Noch weiß ich nicht, wodurch ich so viel Gnade
vor Gott gefunden, daß er mich nicht tiefer fallen, und
mich sogar die fortgesetzte Liebe dieses, von mir nicht
immer schwesterlich behandelten Bruders nicht ver-
lieren ließ. Es ist wohl dies der größte Beweis von der
Trefflichkeit des schönen Herzens dieses teuern und
unvergeßlichen Bruders, daß keine Art Widerwille oder
Bitterkeit gegen die stets vorgezogene und über ihn er-
hobene Schwester, die noch dazu sich dieses Vorzugs
nur zu sehr bewußt war, sich in diesem Herzen fest-
52
setzte, und eine innige Geschwisterliebe uns bis an
seinen Tod verband.
Eine feste Stütze hatte dieser Bruder im Hause
an jener Tante, der Kusine meines Vaters, welche
seit dem Tode der Großmutter bei uns lebte, und auch
auf mich eine bleibende Einwirkung anderer — eigent-
Hch poetischerer Art übte. Gehebt ward ich nicht sehr
von ihr, wenigstens dazumal nicht; denn sie sah in
mir den Gegenstand, um dessentwillen ihr Liebling
Xaver zurückgesetzt wurde; aber sie war mir gut als
dem Kinde ihres teuern Verwandten, meines Vaters,
und da sie viel zu billig und gutmütig war, um unter
Geschwistern einen gehässigen Unterschied zu machen,
so genoß ich manche Freude mit, und erhielt manches
werte Geschenk von ihr, weil sie eben ihren Liebling,
meinen Bruder, damit erfreuen wollte. Aber diese
Vorhebe meiner Tante für den Knaben, den Eltern und
Lehrer mit großer Strenge, behandeln zu müssen glaub-
ten, und die daraus entspringenden Mißverhältnisse
veranlaßten öfters unangenehme Szenen im Innern un-
serer Familie.
Während sich die Dinge auf solche Art im häus-
. liehen Zusammensein gestalteten, ging das äußere, glän-
zende Leben seinen Gang fort. Jeden Abend war Ge-
sellschaft. Angesehene Beamte mit ihren Famihen,
KavaHere, einige Damen, Gelehrte und Künstler be-
suchten unser Haus. Mein Vater gab öfters große, glän-
zende Konzerte, zu welchen die schöne Welt sich
drängte und bei welchen ich — obgleich noch ein Kind
— mich auf dem Flügel (damals kannte man noch keine
Pianoforte) hören heß^^). _ Aber eben diese Auszeich-
nungen, die sichtbare Gunst der Monarchin, welche
mein Vater genoß, der glänzende Fuß, auf dem unser
bS
Haus eingerichtet war, die Menge der Besucher des-
selben, erregten Aufsehen, Mißgunst, Feinde. Von
vielen Seiten standen sie gegen meinen Vater auf; vieles
wurde versucht, um ihm die Gnade der Kaiserin zu rau-
ben; aber seine unerschütterliche Treue und Redlich-
keit bestanden alle diese Proben®^). Die Monarchin
verkannte den Wert seiner Dienste nie, und bis an ihren
Tod währte das Vertrauen und die, ich möchte sagen,
freundschaftliche Zuneigung, die sie ihm so wie meiner
Mutter schenkte, und für welche wir noch in jenen
Blättern, von denen ich oben sprach, rührende Beweise,
von ihrer Hand geschrieben, besitzen.
Meine Mutter besuchte den Hof oft. Ihre Stellung
in der Welt erlaubte ihr zwar nicht, in den Kreisen
des Adels und bei jenen Gelegenheiten zu erscheinen,
wann dieser sich um die Monarchin versammelte, und
nur einmal im Jahre, am Neujahrstage, war es damals
den Frauen der höheren Staatsdiener erlaubt, sich zum
Handkusse bei der Kaiserin einzufinden. Das unter-
ließ denn meine Mutter nie, und noch sehe ich das
Kleid vor mir, von schwerem, weißen Seidenstoff, mit
bunten und goldenen Blumen reich durchwirkt und
mit goldenem Besatz verschönert, das sie an solchen
Tagen trug. Aber sie fuhr oft in die Burg, nach Schön-
brunn oder Laxenburg, um in der Kammer, wie man
es nennt, der Monarchin aufzuwarten, und bei diesen
Besuchen nahm sie uns, ihre Kinder, öfters mit^^).
So sah ich denn den glänzenden Hof der regierenden
Frau, sie und viele ihrer schönen Kinder, die damaligen
Erzherzoge Max ^^) und Ferdinand ^^), die Erzherzogin-
nen Marianne ^^), Christine ^^), Elisabeth ^^) usw. oft.
Lebhaft steht die Gestalt der großen Frau vor mir, die,
trotz ihres vorgerückten Alters und ihrer durch die
54
Blattern damals ganz zerstörten Schönheit 1°"), eine
Majestät, mit Huld und Freundhchkeit verbunden, besaß,
welche unwiderstehlich anzog. Wie manches Mal redete
sie freundhch zu mir, Heß sich herab, mir Spielzeug zu
schenken und dessen Gebrauch zu zeigen. In Laxen-
burg und wohl auch in ihren andern Schlössern hatte
sie, da ihr das Treppensteigen sehr beschwerHch zu
werden anfing, sich eine Maschine machen lassen,
welche in einem Kanapee bestand, auf dem sitzend sie
mittelst eines leichten Mechanismus in das' obere
Stockwerk hinaufgehoben oder in das untere hinabge-
lassen werden konnte. Höchst wunderbar und unter-
haltend war es mir, wenn sie zuweilen sich mit meiner
Mutter auf eines jener Sophas setzte, mich zwischen
ihnen beiden stehen hieß, und ich mich nun wie durch
Geisterhände emporgehoben und in ein anderes Zim-
mer versetzt fand. Noch jetzt, nach mehr als 50 Jahren
erscheinen jene Bilder, die Gestalten jener fürstlichen
Personen, vor allen die Gestalt der huldvollen, großen
Kaiserin mir hell und deutHch. Ich wollte die Zim-
mer, in die ich damals oft geführt wurde, noch finden,
und den ganzen silbergrauen Aufputz ihres einsamen
Witwengemaches beschreiben. Hier saß sie einmal,
nach einer glänzenden Schhttenfahrt, w^elche meine
Mutter auch in den Zimmern der Kaiserin mit ange-
sehen hatte, Knötchen schürzend (ihre gewöhnliche
Handarbeit, welche dann zur Verzierung von Kirchen-
ornaten verwendet wurden), am Fenster, und ich be-
fand mich allein in der Stube bei ihr. Da rief sie fnich
und gab mir einen Auftrag an eine ihrer Kammer-
dienerinnen im vordersten Zimmer. Ich — ein Kind
von 8 — 9 Jahren, eilte dann geschäftig hinaus, sehr^ge-
ehrt durch den Auftrag, ghtschte aber auf dem Parkett
55
aus, und fiel im vordersten Zimmer der Länge nach
hin. Sogleich schickte die gütige Monarchin ihre Kam-
merfrau, um zu sehen, ob mir nichts widerfahren wäre,
ließ mich zu sich hineinführen, befragte mich selbst,
und da das ganze geschehene Unglück in einem zerr
brochenen Fächer bestand, den ich in der Hand ge-
habt hatte, schien sie sehr erfreut, und schenkte mir
einen andern, den ich noch als Andenken jenes kleinen
Vorfalls und der Huld Maria Theresias heilig verehre.
Allmählich aber kamen auch trübere Stunden und
mancherlei Verdrießlichkeiten, ja endlich manches Un-
glück. Unser Hausstand war durch die Tante, Herrn
Haschka, einen Hofmeister und meine Gesellschafterin
vermehrt. Wie wahr ist das, was in den — mir übri-
gens gar nicht zusagenden — Wahlverwandtschaften
Charlotte darüber sagt: wenn wir andere in unser
Haus, an unsern Tisch nehmen, unser Leben mit ihnen
gemeinschaftlich verbringen sollen! Mögen es noch so
gute Menschen sein — jene vier Personen waren ^es
sicher, vor allen die gute Tante — aber es sind andere
als wir, sie haben andere Ansichten, andere Gewohn-
heiten, andern Geschmack i°^). — Sollen sie dies alles
nicht uns zum Opfer bringen, und sich ganz verleug-
nen, so müssen wir von den unsrigen abhandeln lassen,
wir müssen, ihre Individualität erkennend, und wie
billig ehrend, die unsrige beschränken; ' — das tut
niemand gern und so bringt ein solches Zusammen-
leben selten allen Teilen Freude. Auch bei uns er-
zeugten sich einige Mißtöne, ich bemerkte wohl hier
und da etwas, aber ich war zu sehr Kind, um darauf zu
achten. Wichtiger war mir die Erscheinung eines
Schwesterchens, das nach dem ersten Winter, welchen
wir in jener Wohnung am Graben verlebten, das Licht
56
"»fiiC^^mfdm^t^
Silhouette von Hieronymus Löschenkohl
(Ostreichischer Nationaltaschen-Kalender für 1789. Wien. Bild Nr. 12)
Stadtbibliothek, Wien
der Welt erblickte. Es war ein bildschönes Kind, das
einer unsrer werten Hausfreunde zur Taufe hielt, und
das den Namen einer innigen Freundin und Ver-
wandten meiner Eltern, einer Frau von Häring^'^^),
welche sich Rosine nannte, erhielt i"^). Meine Mutter
nährte das Kind selbst, es gedieh trefflich, und es ward
beschlossen, daß es so wie mein Bruder im Frühling des
nächsten Jahres zu Hetzendorf im k. k. Lustschlosse
geimpft werden sollte. ^
Die Blatternimpfung war damals, in den Siebziger-
Jahren des vorigen Säkulums, so neu, so allgemein
anregend, aber im Anfange auch von vielen so gefürch-
tet und verdächtigt, wie dreißig Jahre später die
Vakzine.
Die Kaiserin, überzeugt von der Nützlichkeit dieser
Methode, suchte durch Befehl, Ermahnung und Bei-
spiel ihr überall Eingang zu verschaffen. Sie etabHerte
in einem ihrer Lustschlösser, zu Hetzendorf, in der
Nähe von Schönbrunn, eine solche Anstalt, in welcher
jeden Frühling mehrere Familien des Adels und ange-
sehenen Mittelstandes aufgenommen und sämtlich auf
kaiserliche Kosten bewirtet wurden, wenn sie sich ent-
schlossen, ihre Kinder daselbst von den kaiserlichen
Leibärzten impfen zu lassen. Man kann denken, wie
gern und häufig sich Eltern fanden, die um diese Ver-
günstigung nachsuchten, ihre Kinder vor dem gefähr-
lichsten Feind, den Blattern, a;uf eine so ehrenvolle
als angenehme Art zu sichern; denn, so wie ich in mei-
ner Kindheit oft vernahm, glich jener Jmpfsejour in
Hetzendorf einem fröhlichen Badeaufenthalt, wo meh-
rere, sonst sich fremde Familien in einem angenehmen
Lokal auf dem Lande versammelt, in wechselnden
Zerstreuungen und Unterhaltungen lebten. Beinahe
57
\
täglich fuhr die Monarchin von Schönbrunn hinüber,
um nach -dem Fortgang ihrer Anstalt zu sehen. Sie
veranstaltete kleine Feste für die Kinderchen, Lotte-
rien, Spiele usw., kurz, sie sorgte als allgemeine Mutter
auch für uWe^^^).
Den Winter nun vor dem Frühling, wo jene Impfung
meiner Jüngern Geschwister stattfinden sollte (ich selbst
hatte bereits an der Mutter Brust natürlich und glück-
lich geblättert) erkrankten diese plötzlich; — es zeigten
sich die Blattern, und zwar von der bösesten Art.
Mein Bruder, damals ein bildschönes Kind von vier
bis fünf Jahren ^^^), war lange in Lebensgefahr, er sah
kaum, durch Geschwulst v;nd Blasen entstellt, einem
Menschen gleich; und meine Mutter, die ihn mit der
größten Sorge pflegte, stand unnennbare Angst um ihn
aus. Das jüngere Schwesterchen aber starb ^''^), und als
der Knabe sich zu erholen anfing, lag jene im Sarge.
Dies war für meine Eltern eine sehr traurige Zeit. Die
gütige Kaiserin nahm auch hier warmen und tröstenden
Anteil an den Leiden meiner Eltern. Wir besitzen noch
unter jenen, schon erwähnten Blättern eines, worauf,
nachdem mein Vater ihr den Tod dieses Kindes gemel-
det, sie ihm folgendes schriftlich erwidert ^'^'^ :
„ich empfinde beeder Altern Schmertz, wie glücklich
,,ist die Kleine, hat ihre Carriere bald gemacht in un-
,, schuld. Von dem muß man sich occupiren, nicht
„von dem Verlurst; was haben wir mit unserm langen
,, Leben vor Nutz und Freud, was für Verantwor-
,,tung ? da ist zu zittern. Gott erhalte ihm seinen
„Kleinen."*)
Diese trübe Zeit verging denn auch. Meiner Eltern
Schmerz beruhigte sich allmählich. Bruder Xaver
*) In der Schreibvveise des Originals.
58
war vollkommen genesen, und obwohl seine hübschen
Züge zerstört waren, so daß, wer ihn früher gesehen,
ihn jetzt kaum mehr erkennen konnte, war seine Ge-
sundheit doch weiter nicht erschüttert. Er gedieh, so
wie ich, recht fröhlich ; Schwester Rosine war ein Engel
im Himmel. Unsere Lernstunden gingen wieder den
gewohnten Gang, und ebenso die Lebensweise meiner
Eltern. Der kleine Preußenkrieg — der Zwetschken-
rummel vom Volke genannt — der sich in dieser Zeit,
1778 — 79, erhob, hatte so wie auf das allgemeine, so
auch auf das innere Leben unserer Mitbürger keinen
sichtbaren Einfluß. Aber die Gesinnungen des Thron-
folgers, Kaiser Josefs, die in vielem von denen seiner
Mutter verschieden waren, schienen damals immer
deutlicher hervorgetreten zu sein, und manches Miß-
verständnis, manche Unzufriedenheit zwischen Mutter
und Sohn erregt zu haben. Es war eben die alte und
neue Zeit, die sich hier grell und stark von einander
trennten, und so wie sie einander nicht begreifen konn-
ten, konnte auch keine Vereinigung zwischen ihnen
stattfinden. Mein Vater' kannte dies alles sehr genau,
und in jenen Blättern liegt mancher Beleg dazu, wenn
die lebens- und arbeitsmüde, fromme Herrscherin selbst
davon spricht, daß sie das nicht mehr sei, was sie gewe-
sen, und daß ihr Wort, ihr Wille nicht mehr gelte wie
früher 108).
Noch ein Jahr verging auf diese Weise. Mein Geist
entwickelte sich allmählich, und so wie er sich selbst
und seine Umgebungen besser zu verstehen anfing,
übte Phantasie und Dichtkunst mehr Macht über den-
selben. Ich hatte hin und wieder einen Roman, ein
Schauspiel zu lesen bekommen. Ich schrieb nun selber
eins oder zwei, die jedes, ungefähr einen Bogen stark,
59
barer Unsinn waren, wie ich mich noch erinnere; aber
genug, ich fühlte den Drang, etwas zu dichten und meine
Gedanken zu Papier zu bringen. Haschka ließ mich
viele Gedichte auswendig lernen, mein Kopf war voll
Verse, Bilder, Reime; — und aus dieser aufgehäuften
Masse fremden Gutes entwickelte sich da und dort
etwas eigenes, so zum Beispiel ein Jahr später ein kleines
Gedicht auf die Wiedergenesung einer Gespielin, jenes
Mädchens, das meine Eltern mir zur Gesellschafterin
gegeben hatten, welches Gedicht die Herren Poeten,
die unser Haus besuchten, aus Rücksicht für meine
Eltern — denn das Zeug verdiente die Ehre nicht —
in einen Wiener Musenalmanach aufnahmen ^°^). Nun
war also mein Name schon gedruckt, obgleich ich kaum
zwölf Jahre zählte. Doch ich kehre zum Faden der
Erzählung zurück.
Im Herbste 1780 fing die Kaiserin an, viele Be-
schwerden von einem heftigen Husten zu fühlen. Die
Ärzte machten bedenkliche Mienen; — man glaubte
die reii3enden Fortschritte einer längstbegonnenen
Brustwassersucht zu erkennen, welche der Monarchin
schon seit vieler Zeit das Treppensteigen, Atemholen
usw. beschwerlich gemacht hatten. Die Stadt wurde
bestürzt, in allen Familien regten sich, je nachdem ihre
Stellung zum Hofe oder dem öffentlichen Leben war,
je nachdem sie mehr der milden, wohltätigen Wärme
des sinkenden Gestirnes oder dem feurigen Glänze des
aufsteigenden zugewendet waren, verschiedene, aber
lebhafte Besorgnisse, Hoffnungen, Erwartungen; aber
in unserm Hause und wohl noch in vielen der älteren
Diener Maria Theresias herrschte die tiefste Nieder-
geschlagenheit. Der Zustand der Kaiserin verschlim-
merte sich schnell; in wenigen Tagen wurde von höch-
60
ster Gefahr und bald darauf von Hoffnungslosigkeit
gesprochen. Ich erinnere mich noch dieser ängstlichen
Tage sehr wohl, sie lasteten selbst auf uns Kindern
durch den Reflex des Kummers unserer Eltern und
Freunde; denn wir konnten die Bedeutung der großen
Veränderung, welche dem Vaterlande bevorstand, und
ihre Folgen nicht einsehen. Während alles um sie her
trauerte, behielt nur sie ihre ruhige Fassung bei. Sie
hatte als Christin im höheren Sinne gelebt; sie war mit
der Idee ihres Todes vertraut, und jenseits erwartete
sie der unvergeßliche, geliebte Gemahl und mehrere
vorangegangene Kinder. Ihr Zustand erlaubte ihr
nicht, im Bette zu bleiben, so brachte sie die wenigen
Tage der sehr verschlimmerten Krankheit bis zu ihrem
Tode auf ihrem Kanapee sitzend, mit Kissen gestützt,
zu. Kaiser Josef verließ die verehrte Aiutter in die-
sen düstern Tagen fast nicht mehr, und zeigte ihr un-
geheuchelten Schmerz und kindliche Achtung. Man
erzählt, sie habe, völlig vertraut mit dem Gedanken,
in kurzem aus diesem Leben zu scheiden, und jede
wohlgemeinte Täuschung in dieser Ansicht von sich
abwehrend, sich zuerst als Christin mit Beobachtung
aller vorgeschriebenen Gebräuche zum Tode bereitet,
und sich dann vorgenommen, die Annäherung des
letzten Augenblicks mit ruhiger Fassung zu be-
obachten^^''); daher habe sie ihrem Leibarzt, B. v.
Störck^^^), in einer geheimen Unterredung befohlen,,
wenn er glaube, daß der Augenblick des Scheidens
eintreten werde, ihr dies durch ein, den übrigen An-
wesenden unmerkliches Zeichen zu erkennen zu geben.
Es wurde beliebt, daß B. v. Störck, der sich stets bei der
erhabenen Kranken befand, oft ihren Puls fühlte, und
die wenigen möglichen Erleichterungen und Hilfs-
6i
mittel verordnete, sie, wenn er jenen Zeitpunkt ein-
getreten glaubte, fragen sollte: ob sie vielleicht Limo-
nade befehle ? und daß die Kaiserin dann schon wissen
würde, was dies zu bedeuten habe. Ich kann die Echt-
heit dieser Anekdote nicht verbürgen, weil meine Mut-
ter natürlicherweise nicht mehr im unmittelbaren
Hofdienst um die Person der Monarchin war, und mein
Vater wohl täglich mehrere Male sich in der Kammer
der Kaiserin persönlich nach ihrem Befinden erkun-
digte, aber die vielgeliebte und hochverehrte Frau
in der kurzen Zeit ihres letzten Ubelbefindens, das nur
wenige Tage währte, nicht mehr sah. Indessen, wenn
jene Geschichte mit der Limonade av;ch nur eine Er-
findung war, so zeugt sie doch von der Ansicht und
Vorstellung, welche man sich im Publikum von der
Kraft und frommen Heiterkeit ihres Geistes machte.
Am 29. November 1780, zwischen 8 und 9 Uhr
abends, als eben einige treue Freunde meiner Eltern
bei ihnen versammelt waren und alles mit banger
Sehnsucht den Nachrichten entgegensah, die man heute
noch vom Hofe erwartete, trat — ich erinnere mich des-
sen sehr lebhaft — der Gemahl jener Verwandten, nach
deren Vornamen meine selige Schwester war getauft
worden, Regimentsrat von Häring^^^) (wie man da-
mals sagte), einer der genauesten Freunde unsers
Hauses, ins Besuchzimmer, und seine düstere Miene
zeigte schon, daß er nichts Gutes zu verkünden habe.
Jetzt ist wahrscheinlich die Kaiserin gestorben, sagte
Herr von Häring'^^^). Ich bin durch die Burg gegangen,
es ist ein Hin- und Herlaufen, eine Bestürzung unter
den Leuten, die auf nichts anderes schließen lassen.
So sehr meine Eltern auf diesen Schlag vorbereitet wa-
ren, so entstand doch die heftigste Erschütterung.
62
Mein Vater eilte nach Hofe; — es war nur zu wahr,
was unser Verwandter vermutet hatte; — Maria The-
resia war verschieden und eine neue Zeitrichtung trat
an die Stelle der bisher befolgten.
Ich stehe nun mit meinen Erinnerungen an einem
Abschnitte, den man mit Recht einen Wendepunkt in
der Geschichte, besonders in der Österreichs, nennen
kann, an dem Regierungsantritt Kaiser Josefs IL
Sprünge geschehen nicht, weder in der physischen
noch in der moralischen Welt, und jeder folgende Zu-
stand des Einzelwesens wie des Ganzen liegt lange
vorbereitet und eingehüllt im Vorhergehenden, so daß
er selten mit überraschender Neuheit plötzlich hervor-
tritt, sondern sich meistens nur nach und nach entfal-
tet und jene Veränderungen sichtbar erscheinen läßt,
welche gleichsam unsichtbar schon länger vorhanden
waren. So war es auch damals mit jener Periode der
Denk- und Preßfreiheit, Aufklärung, Neuerung und
Philosophie, deren Wurzeln weit zurück in vergange-
nen Dezennien zu suchen waren. Indes trat sie, ob-
^wohl lange vorbereitet, bei Gelegenheit des Regenten-
wechsels auffallender hervor, und schien von diesem
mehr abhängig, als wirklich der Fall war.
Wir in unserm Hausstande fühlten sogleich eine
Wirkung dieser Neuerungen. Kaiser Josef schaffte
die sogenannten Hofquartiere ab, nämlich die Woh-
nungen, welche die Hausbesitzer Wiens seit undenk-
lichen Zeiten den kaiserlichen Beamten hatten einräu-
men müssen und wofür sie nur einen sehr unbedeuten-
den Zins erhielten, weil man vermutlich in alter Zeit
glaubte, daß die Hauseigentümer, um des Vorteils
63
willen, das Hoflager beständig in ihrer Stadt zu be-
sitzen, für die Beamten ein Übriges tun können i^^^.
Meine Eltern suchten sich also eine Wohnung auf
eigene Kosten und fanden diese in einer sehr angeneh-
men Lage auf dem Neuenmarkt, wo wir sehr hohe,
große, freundliche Zimmer hatten, eine Wohnung, ganz
geeignet, um darin viele Leute zu empfangen, Feste zu
geben usw. ^^^a) — eine Lebensart, die sich in meiner
Eltern Hause ununterbrochen fortsetzte, obgleich der
Tod der allgeliebten Maria Theresia und die ganz ver-
änderte Stellung, in welcher die vor vielen begünstig-
ten Räte des Vorfahrs jederzeit zum Nachfolger zu
stehen pflegen, einen Umschwung der Dinge in dieser
Rücksicht für meinen Vater hätte können besorgen
lassen. Hier aber, glaube ich, galt seine und meiner
Mutter Persönlichkeit zu viel und diese erhielt das An-
sehen des Hauses, wenn schon keine besondere Gunst
des Monarchen dasselbe auszeichnete, so daß denn dies
nach wie vor der Sammelplatz bedeutender und zahl-
reicher Besuche war.
Eine der ersten fühlbaren Wirkungen des neuen Re-
gierungssystems war eine viel unbeschränktere Preß-
lizenz, und Josef H. suchte eine Art von Stolz darin,
selbst was über seine Person gesagt oder geschrieben
wurde, ungeahndet öffentlich erscheinen zu lassen.
Die unmittelbare Folge davon war eine Unzahl kleiner
oder größerer Broschüren, Pamphlets usw., welche nun
erschienen, und in welchen sich die Schriftsteller mit
und ohne Witz, mit oder ohne Grund über alte Ge-
bräuche und Mißbräuche aussprachen ^^^). Eine der
ersten, wo nicht ganz die erste, war eine Betrachtung
über die kostspieligen Leichenfeierlichkeiten ^^^), die
denn ganz in dem materiellen Geist jener Zeit, der so-
64
genannten Aufklärung, als töricht, als eine unnütze
Verschwendung, als eine aus der Gewinnsucht der
Geistlichen entstandene Spekulation dargestellt wur-
den. Vielen Anklang fanden solche Äußerungen in der
Erkaltung der meisten Gefühle so wie im Eigennutz
der Erben und Verwandten des Verstorbenen. Auch
ließ jenes Leichengepränge merklich nach. Man fand
es bürgerstolz, unaufgeklärt, altfränkisch, kostspiehge
Leichenzüge zu veranstalten, Gräber und Grüfte 'zu
ehren, zu schmücken; — und siehe da! sechzig Jahre
darnach liest man in jeder Zeitung von irgend einer
hochfeierUchen Bestattung eines oder des andern aus-
gezeichneten Mannes und sieht den Luxus, der in
unsern Tagen mit eigenen Grabstätten und Denk-
mälern auf den, gleichsam in Gärten verwandelten
Friedhöfen herrscht.
Weil nun eben alles besprochen werden durfte, war
auch des Sprechens kein Maß und kein Ziel. Jeder,
der die Feder führen konnte (das waren aber doch
vor fünfzig Jahren nicht so viele wie jetzt), ergriff sie
in" dieser Periode, um, wie ihn sein Herz oder sein
Witz oder vielleicht sein böser Wille trieb, irgend ein
tadelnswürdiges Vorurteil, einen , schädlichen Miß-
brauch zu. rügen oder wohl auch nur seine Geistesüber-
legenheit zu zeigen oder seiner Galle Luft zu machen.
Das auf diese Weise Besprochene ward nun von seiner
ehemaligen sichern Stellung oder Höhe hferabgerissen
und nicht selten schonungslos mit Füßen getreten.
Manchem geschah recht, manches Schädliche wurde
fortgeschafft, manches Hemmende beseitigt, aber auch
nur zu viel Gutes, Nützliches, ja Heiliges mit einge-
rissen. Von unbedeutenden Mißbräuchen und Lächer-
lichkeiten kam man auf das Wesentlichere. An allen
c. P. I
65
alten Einrichtungen, Vorrechten, Ordnungen, endUch
selbst am Glauben und den Dogmen der Religion wurde
gerüttelt. Predigerkritiken erschienen, welche, wie
jetzt die Theaterkritiken, die Leistungen der verschie-
denen Prediger an jedem Sonntag würdigten. Mancher
wahre Tadel wurde ausgesprochen, aber das Publikum
verlor die Achtung vor dem Manne, aus dessen Mund
es das Wort Gottes vernehmen sollte, und den es nun
öffentlich in die Schule nehmen und oft bitter oder
spöttisch tadeln hörte ^^^). Der tadelnde Witz, der sich
an allem üben durfte, verschonte auch die Person des
Monarchen nicht, dessen freisinnige Großmut ihm die-
sen Weg eröffnet hatte. — Alles, was Josef II. mit
hohem und humanem Sinne seinen Völkern Gutes er-
weisen wollte und wirklich erwies, wurde von allen Sei-
ten beleuchtet, jede Schwäche, jede möglich schlimme
Deutung aufgegriffen, und je bitterer die Satire war,
je willkommener war sie dem Publikum, das nur selten
untersuchte, ob denn der Tadel auch gegründet,
ob die Auffassung nicht einseitig, nicht von Gehässigkeit
eingegeben sei, sondern zufrieden war, wenn es mit-
schimpfen und mitlachen konnte. Ich will hier nur an
den Richter Schlendrian (eine ebenso witzige als
oberflächliche Satire auf das Gesetzbuch Kaiser Jo-
sefs ^^'') und die Monachologie^^^) erinnern, worin
Hof rat Born 11^), einer der glänzendsten Köpfe jener
Zeit, ein großer Naturkundiger und Mineralog, die
verschiedenen Mönchsorden mit Linneschen Bezeich-
nungen als Käfer und anderes Ungeziefer sehr witzig,
aber sehr unanständig darstellte.
Aus Frankreich kamen uns (wie denn aus Frankreich
von jeher viel Schädliches über die Welt gekommen
ist: stehende Heere, die wir Louis XI. verdanken;
66
das Papiergeld, die Revolution, die Modesucht usw.)
um diese Zeit auch eine Menge Bücher," welche den
Geist des Spottes, des Unglaubens, der Opposition
in jeder Rücksicht, der sich so mächtig in Österreich
zu regen anfing, nährten; wie le Systeme de la nature
von Mirabeau^^"), les Ruines von Volney^^^) und viele
andere. Unter dem Deckmantel der Philosophie, der
Wahrheitsliebe, der unparteiischen Forschung wurde
der Maßstab, die Sonde, das anatomische Messer an
alles Schöne, Edle, Heilige gelegt. Durch die fünf
Sinne allein sollten und konnten, nach den Ansichten
jener Weisen und Aufklärer, dem Menschen seine Vor-
stellungen von der äußern Welt kommen ; was sich also
nicht in den Bereich derselben ziehen, wessen Evidenz
oder Dasein sich. nicht dem nüchternen Verstände mit
beinahe geometrischer Genauigkeit erweisen ließ,
wurde bezweifelt oder bespöttelt oder ins Reich der
Träume verwiesen. Mit religiösen Zeremonien hatte
man angefangen, zur Religion selbst schritt man fort,
ihre Dogmen wurden untersucht, der Glaube als etwas
des denkenden Menschen Unwürdiges verworfen. So
kam es endlich dahin, daß man nicht bloß alle positiven,'
sondern alle natürlichen Religionen im allgemeinen
wegphilosophiert hatte. Da erschienen Bücher wie der
Horus^22^^ Bahrdts Bibel im Volkston ^2^), worin der
Autor versucht, die Wunder des neuen 'Testaments
auf natürliche Art zu erklären, nur geht es damit, lei-
der! wie mit der strengen. Beobachtung der „trois uni-
tes" in der altern französischen Tragödie, worin man
denn auch, um diesen Forderungen nachzukommen,
die größten Unwahrscheinlichkeiten gelten, und z. B.
ein verliebtes Rendezvous in einem Vorhof, eine Ver-
schwörung auf der Gasse vorgehen lassen muß. Ebenso
5* 6-]
setzt der Verfasser der Bibel im Volkston Verab-
redungen, Zusammentreffen von Umständen, Mißver-
.- Ständnisse, unbegreifliche Verblendungen oder Selbst-
täuschungen voraus, damit das wegraisonnierte Wun-
der auf die wunderbarste Weise natürlich hat geschehen
können. Er nimmt seine Zuflucht zu einem jungen
Ägyptier (Haram genannt, wenn mich mein Ge-
dächtnis nicht täuscht), der mit Christus und dessen
Verwandten Johannes dem Täufer im Bunde, vermit-
telst seiner aus Ägypten gebrachten Wissenschaften
(die ein bißchen an Freimaurerei erinnern) alle diese
sogenannten Wunder möglich oder sie den Leuten
glaubbar macht. Noch unzählige andere, teils philo-
sophische, teils poetische Erzeugnisse des jungen auf-
sprudelnden Geistes, in deutscher, französischer und
englischer Sprache, erschienen jetzt. Den weggespot-
teten Religionsgefühlen warf man bald alles nach, was
in der bürgerlichen Welt bisher geehrt und geachtet
worden war, wenn man sich dessen zureichenden
Grund nicht philosophisch vordemonstrieren konnte:
Vaterlandsliebe, Anhänglichkeit an seinen Fürsten,
Ehrfurcht vor dem Alter usw., dies alles wurde mit dem
Worte Vorurteil gebrandmarkt. Es wurde gezeigt, daß
die Scholle, auf der uns der Zufall das Licht der Welt
hatte erblicken lassen, durchaus kein Recht auf unsere
größere Liebe und Achtung habe als eine andere.
Patriotismus wurde als eine Engherzigkeit; Anhäng-
lichkeit an das angestammte Fürstenhaus als Schwäche
und Aberglauben; Achtung und Liebe für das Alte, weil
es eben alt und wohlbekannt ist, als lächerliches Vor-
urteil behandelt. Das ganze Mittelalter versank auf
diese Art hinter uns in einen Abgrund von Nacht und
Unscheinbarkeit, und wenn man sich erinnert, auf
68
welche Art Friedrich IL, der sogenannte Große, den
Fund des Liedes - der Nibelungen aufnahm, so darf
man sich nicht wundern, wenn in Österreich bei den
Aufhebungen der Klöster der Archive wenig oder gar
nicht geachtet, Altertümer an Manuskripten, Gerät-
schaften, Arbeiten, Malereien als Produkte bar-
barischer Zeit geringgeschätzt, um Spottpreise ver-
auktioniert oder wohl gar vertilgt wurden, nachdem
man höchstens von alten, vielleicht unschätzbaren
Dokumenten die goldenen Kapseln der Siegel abge-
schnitten, die Schriften verbrannt oder in die Papier-
stampfe gegeben, die Kapseln aber als Pagamentsilber
behandelt hatte i^^). Ich erinnere mich auch sehr wohl
eines Aufsatzes von Herrn von Kotzebue in einer Samm-
lung kleiner Schriften (wenn ich nicht irre, so hieß sie :
die jüngsten Kinder meiner Laune), worin die Ehr-
furcht für das Alter, die Unterordnung unter die Er-
fahrung desselben usw. als Begriffe dargestellt wurden,
welche für unsere Welt nicht mehr paßten und sich
nur traditionell aus einer Zeit herschrieben, in der noch
keine Schrift, viel weniger der Druck existiert hatte und
folglich die Alten, die einzige Quelle der Erfahrung,
gleichsam die lebendige Tradition, Geschichte und
Nachschlagebücher waren ^^^).
Doch so viele Schattenseiten man auch an jener Zeit
nachweisen kann, in welcher die ersten Erschütterun-
gen an dem Gebäude der bürgerlichen Ordnung und
Stetigkeit gemacht wurden, das uns nun bald überall,
infolge jener fortgesetzten Bemühungen, über den
Köpfen einzufallen droht, so war sie doch auch eine
Zeit frischen, schönen, regen Geisteslebens und viel-
leicht das goldene — nie wiederkehrende Zeitalter der
deutschen Literatur, zumal im ästhetischen Fache.
69
überall zuckten die Funken lebhafter Geistestätigkeit
auf, leuchteten hier mit mildem Lichte, das sich segens-
reich weiter und weiter verbreitete, blendeten dort wie
gewaltige Blitze, fuhren auch manchmal wie täuschende
Jrrwische hin und lockten den Nachfolgenden in
Sümpfe. Wird es wohl nötig sein, hier auf Klopstock,
Lessing, Goethe, Wieland, Schiller, Herder hinzuwei-
sen ? Wir in Österreich hatten unsern Denis, Sonnen-
fels ^^®), Jünger ^^''), Alxinger und viele andere, deren
Leistungen leider jetzt vom Zeitenstrom weggespült
sind, so wie man kaum mehr eines Geliert, Rabener,
Hagedorn gedenkt und nur jene größern Namen ste-
hen geblieben sind, die ich oben genannt. In allen
Zweigen des Wissens regte sich eine lobenswerte Tä-
tigkeit, man durfte frei denken und so dachte man
wohl, wie Haller singt ^^^). Auch in die geselligen
Kreise drang eine muntere Freudigkeit statt früherer
Steifheit und veralteter Formen. Das Theater, wel-
ches Kaiser Josef seines unmittelbaren Schutzes wür-
digte, trug sehr viel zu diesen geselligen Freuden bei.
Unsere Bühne ward unter der Leitung des Monarchen
im deutschen Schauspiel bald eine der ersten Deutsch-
lands, in der italienischen Oper vielleicht die erste
damals existierende, Jtalien nicht ausgenommen; denn
der Kaiser hatte auf seinen Reisen die Theater dieses
Landes kennen gelernt, die besten Sänger und Sän-
gerinnen selbst engagiert und von unserer Oper gingen
die seconde und terze donne nach Italien zurück,
um als erste überall aufzutreten ^^^). Schröder ^^°)
kam nach Wien, spielte zuerst Gastrollen und wurde
sodann samt seiner Frau engagiert. Brockm-ann^^^)
kam" nach Wien, Lange ^^^^ war in der Blüte seiner
Kraft, die beiden Jacquets, Katharina ^^^) und Anna
70
(nachmals Adamberger und Mutter der liebenswürdigen
Schauspielerin unserer Zeit^^^)), Madame Sacco^^s^
und viele andere machten die Leistungen unserer
Bühne höchst glänzend, und das Publikum nahm
auf eine Weise an dem Theater Teil, die von der
jetzigen ganz verschieden ist. Es suchte geistigen Ge-
nuß, nicht bloßen Zeitvertreib, es wollte sein Gefühl
anregen lassen, nicht bloß den Verstand im Tadeln
üben. Es kam mit frischer Empfänglichkeit ins Thea-
ter, faßte jede Schönheit des Dramas sowohl als der
Darstellung auf, verlangte nicht mit Übersättigung
nur nach schnellem Dahineilen der Handlung und
wurde durch eine tiefere psychologische Entfaltung der
Motive nicht gelangweilt. So gab es sich dem Ein-
druck hin, den Dichter und Schauspieler hervorzu-
bringen strebten und dies geistig bewegliche, für jede
Schönheit empfängliche Publikum (nicht bloß hier,
sondern in ganz Deutschland) erweckte in schöner, aber
sehr natürlicher Wechselwirkung die dramatischen Ge-
nies, die sich gern einer so lohnenden Arbeit unter-
zogen, sowohl als Dichter wie als Schauspieler. Aus
jener Periode stammen, nebst den obengenannten,
Ifflandi36), Fleck 137), Koch^^s)^ die Unzelmanni^^) und
viele andere, deren Namen mir nicht eben beifallen.
In jener Periode traten Iffland und Schröder als Schau-
spieler und Schauspieldichter, Kotzebue^*") und Jün-
ger als Schauspieldichter auf, deren Stücke noch jetzt
den Kern unserer Repertoire bilden und trotz des ganz
veränderten Geschmackes oft lieber gesehen werden
als die Erzeugnisse neuerer Zeit. So bewegte sich die
gesellige Welt, geistig angeregt, aufs lebhafteste und
genügendste in stetem Wechsel der Leistungen und
Empfängnisse, und mitten in diesem freudigen Trei-
71
ben der Geister wuchs ich empor und trat in die Peri-
ode, wo das Kind zur Jungfrau entblüht, das Herz zu
fühlen, der Geist mit klarem Bewußtsein um sich zu
blicken vermag.
Ich hörte und sah vieles, was von meinen früheren
Ideen sehr abstach. Ich war religiös erzogen, und alle
von der Kirche vorgeschriebenen Gebräuche waren
bis zu jener Zeit im Hause sowohl als auch von mir be-
obachtet worden. Allmählich aber drang die neue
Gesinnung auch bei uns ein. Gar manche der Freunde,
die unser Haus besuchten und übrigens achtungswerte
Menschen waren, dachten über die Religion sehr frei.
— Nicht allein, daß sie sich in ihrem Herzen von jeder
positiven Satzung losmachten und eigentliche Deisten,
oft nicht einmal dies, sondern Materialisten und Athe-
isten waren, gab es auch viele unter ihnen, die unbe-
sonnen genug waren, diese Gesinnung- ungescheut im
Gespräche laut werden zu lassen, sich von allen äußer-
lichen Beobachtungen der Religion, allen Vorschriften
der Kirche los zu machen und in philosophischer Ruhe
bequem dahin zu leben. Diese Gesinnungen, diese
Beispiele sah ich täglich vor mir, und obwohl sie mich
wohl zuweilen durch ihre Grellheit verletzten, so drang
doch einiges davon auch in meinen Geist ein, erregte
mir Zweifel, Unsicherheit und erkältete auf jeden Fall
mein Gefühl. —
Gottes Gnade war es, deren Walten über mir ich
recht sichtbar erkenne, wenn ich der Entwicklung
meines Geistes und den Einwirkungen, die er von Zeit
zu Zeit erhielt, nachsinne, daß Haschka, welcher, wie
schon gemeldet, bei uns wohnte und sich meiner geisti-
gen Ausbildung eifrig annahm, mir (vielleicht durch-
aus nur aus ästhetischen Rücksichten) die Noachide^^^),
72
Miltons verlornes Paradies ^*^), die Insel vom Gra-
fen Stolberg ^*^) u. dgl. zu lesen gab und, um mein
von Natur glückliches Gedächtnis durch Übung zu
stärken, zuerst alle Fabeln und Erzählungen von Gel-
iert, Hagedorn, Lichtwer^*^), dann aber auch die geist-
lichen Lieder des ersten sowohl als anderer Dichter
auswendig lernen ließ. In jenen geistlichen Epopöen
erschienen mir die Gottheit, die Engel wieder in dem
würdigen hohen Licht, worin ich sie im gesellschaft-
lichen Leben gar nicht oder höchst selten betrachtet
sah, und mein Herz ergriff eifrig diese durch die Phan-
tasie ihm dargebotenen Vorstellungen, welche mit dem
tiefsten Grunde meiner Seele so wohl zusammen-
stimmten. Ich behielt die schönsten von Gellerts
Liedern auswendig (ich weiß sie noch jetzt großenteils),
bediente mich seines Morgen- und Abendliedes ^*^) zu
meiner täglichen Andacht und hielt mir viele seiner
frommen Sprüche gegenwärtig, so z. B. das schöne
Lied: Du klagst und fühlest die Beschwerden des
Standes, worin du dürftig lebst ^^^), in welchem wirk-
lich ein Schatz von Erfahrung und Trost für jeden
liegt; so endlich aus einem andern die Stelle: Denk
an den Tod in frohen Tagen, kann deine Lust sein
Bild vertragen, so ist sie gut und unschuldsvoll ^*^).
Wohl sprang ich freudig und mutig auf keinem Ball
herum, ohne mir nicht mehr als einmal während des
Abends jenen Vers des frommen Mannes zurückzu-
rufen und die Reinheit meines Genusses an diesem
Prüfstein zu untersuchen. Gott sei Dank! ich fühlte
nie Schrecken oder Angst bei dem Gedanken an einen
möglichen nahen Tod.
Aus jenen Epopöen ging noch eine Vorstellung le-
bendig in meine Seele über — die der Engel und mei-
73
lies Schutzengels insbesondere. Meine Religionsbe-
griffe stimmten gar wohl damit überein, und so erkor
ich mir den Engel Ithuriel, der im Milton vorkommt,
wo er den Satan als Kröte am Ohr der Eva entdeckt
und ihn, mit seinem Speere berührend, zur Entdeckung
und Flucht zwingt i*^), zu meinem Schutzengel oder
vielmehr ich gab dem Geiste, dessen Schutz mich der
Schöpfer bei meiner Geburt übergeben, diesen Na-
men. Dann erkor ich mir einen der schönsten Fix-
sterne — (späterhin erfuhr ich, daß es die, fast im Ze-
nith stehende Lyra ist), in welchem ich mir Ithuriels
Residenz dachte. Um aber auch ein deutliches Bild
von ihm in meiner Phantasie zu bewahren, wählte ich
mir einen überaus schönen Engel in Jünglingsgestalt,
der auf einem Bilde in unserer Dorfkirche (zu Hernais,
wo meine Eltern jeden Sommer zubrachten) der hei-
ligen Barbara den Palmzweig aus den Wolken reicht.
So also sah mein Schutzgeist aus, wohnte in dem
schönen Stern, den ich in hellen Nächten über mir
funkeln sah, umschwebte mich, beobachtete mich und
war betrübt oder ungehalten, wenn ich Fehler beging.
Jeden Abend examinierte ich mich nach Gellerts
Selbstprüfung: Der Tag ist wieder hin^^^), gleich-
sam in Gegenwart meines Schutzengels und glaubte zu
fühlen, ob er freundlich oder strenge dabei aussah. --^
Zuweilen erschien er mir im Traum — unendlich
schön, von weit mehr als menschlicher Größe, eine
Krone von Rosen im hellbraunen Haar (jener auf dem
Altarblatt war ganz blond) und meine Seele versank in
Entzücken, Demut und Hingebung vor ihm; denn —
wie ich jetzt wohl einsehe — die erwachenden Gefühle
der Jungfrau mischten sich in die religiösen Vorstellun-
gen, und der künftige Geliebte verschmolz mit dem
74
schönen Schvitzgeist. Wie vielen Anteil aber auch diese
Täuschung an jener Verehrung meines Engels und an
mancher religiösen Erhebung gehabt haben mochte,
so erkenne ich doch, daß es sichtbare Waltung der Vor-
sehung war, die meinen, durch den Zeitgeist erschüt-
terten Glauben und das Bessere in mir auf solche Weise
bewahrte. Ich schrieb mir auch — in meinem drei-
zehnten oder vierzehnten Jahre — ein kleines Gebet-
buch zusammen, in welches ich viele der Gellertschen
Lieder eintrug und bediente mich dessen in der Kirche
und zu Hause.
:J;Kurz vor dieser Zeit hatte Haschka angefangen,
mich in der lateinischen Sprache zu unterrichten,
die ich mit vieler Lust ergriff und worin ich schnelle
Fortschritte machte. Herr von Leon, der früher meines
Bruders Mentor gewesen war, hatte unser Haus ver-
lassen und eine Anstellung an der k. k. Hofbibliothek
erhalten, die er auch bis zu seinem, erst vor einigen Jah-
ren erfolgten Tode behielt ^^°). An seine Stelle kam ein
anderer junger, aber sehr tüchtiger Mann, der später
ebenfalls ein kaiserliches Amt erhielt und bis an seinen
Tod ein treuer Freund unsers Hauses war. Dieser
setzte den Unterricht im Lateinischen bei mir fort,
indem ich die Lehrstunden meines Bruders besuchte,
da Herr Haschka infolge mancher kleinen Mißverständ-
nisse unser Haus verlassen hatte, obgleich er uns immer-
fort und fleißig besuchte.
Man hatte damals angefangen, Kinder und junge
Leute mehr an Luft und jede Witterung zu gewöhnen.
Es wurde also auch bei uns Sitte, daß ich, so oft es nur
möglich war, mit meinem Bruder in Begleitung des
Hofmeisters spazieren ging. Auf diesen Gängen, die
im Winter nur durch die Straßen der Stadt gescha-
. 75
hen, kamen wir denn sehr oft auf den Michaelsplatz,
wo damals Artaria^^^) die erste, sehr schöne Kunst-
handlung eröffnet hatte. Obwohl noch halbes Kind,
fand ich doch viel Vergnügen an Gemälden und Kupfer-
stichen, es war mir also sehr angenehm, wenn unser
Weg bei Artaria vorüberführte und ich Gelegenheit,
fand, die Bilder zu betrachten. Bald aber zog eines vor
allen meine Aufmerksamkeit an sich und machte einen
tiefen Eindruck auf mein Herz. — Es war dies das be-
rühmte Blatt (von Woollet, wenn ich nicht irre):
der Tod des Generals Wolf in der Schlacht bei Que-
f beck^^^^. Die edle Gestalt des jungen sterbenden Hel-
den, der erhabene Ausdruck seiner Züge, der im Ster-
ben noch die Siegesfreude und das God be thanked
bezeichnet, womit er die Nachricht empfängt, daß die
Feinde flohen, die Trauer der ihn umgebenden Ge-
fährten, die die Größe dieses Verlustes anschaulich
machte, alles dies ergriff mich tief und General Wolf,
der die Weltbühne zehn Jahre vor meiner Geburt
verlassen hatte, ward der geheime Gegenstand einer —
wahrlich schuldlosen Neigung und manches zärtlichen
Gedichtes, das ich seinem Andenken weihte. — Alle
Tage wußte ich es nun einzuleiten, daß wir bei Ar-
taria vorüberkamen und ich mein Ideal zu sehen be-
kam; in unserm Garten errichtete ich ihm in einem
schattigen verborgenen Winkelchen ein Denkmal,
einen kleinen Erdhügel, auf den ich ein Kreuz pflanzte
und ihn mit Blumen und Bändern schmückte, und so
erhielt sich diese Geisterliebe eine Weile in meiner
Phantasie.
Ich war stets gern im Sommer auf dem Lande,
das heißt, in dem Garten meiner Eltern auf dem be-
nachbarten Dorfe Hernais gewesen. Die freie Natur,
76
Bäume, Blumen, das Gebirg in der Ferne, schöne Son-
nenuntergänge und Mondnächte sprachen mein Ge-
fühl an und es war mir immer leid, wenn wir im Herbste
in die Stadt zurückkehrten. Ungefähr in dieser Zeit
des Erwachens meiner Empfindungen erschien Vos-
sens Luise, nämlich der Geburtstag, der Brautabend
und der Morgenbesuch, jedes einzeln in den damaligen
Hamburger Musenalmanachen ^^^).
Mir ging eine neue Welt in diesen Dichtungen auf.
Das war es, was tief und unverstanden in mir gelegen
hatte, dieses stille, ländliche Leben, diese genügende Be-
grenzung, dieser Frieden, dieses häusliche Glück! In
solchen Szenen konnte ich auch das meinige finden, und
ein Arnold Ludwig Walter*) schwebte mir in seinem
würdigen Ernst, seinem frommen Sinn, seiner prie-
sterlichen Hoheit als das Wünschenswerteste vor Au-
gen, was ein Mädchen erreichen konnte. Daß es
gerade ein Geistlicher war, erhöhte bei mir seinen
Wert. Ich hatte Sophiens Reisen von Memel nach
Sachsen gelesen und wieder gelesen; denn der Ro-
man hat sicher große Vorzüge und es ist schade,
daß er so vergessen ist^^^). Auch hier stand ein pastor-
licher Held, Herr Eduard Groß, vor allen übrigen
glänzend, kräftig und edel da. — Ja! eines solchen
Mannes, gerade eines Geistlichen Frau zu werden, in
ländlicher Stille mit ihm zu leben, die Heiligung zu
fühlen, die sein gottverwandter Sinn, sein frommer
Wandel um sich verbreitet, ihm anzuhängen, ihm freu-
dig zu gehorchen, mich kindlich von seiner Tugend und
Frömmigkeit leiten zu lassen, erschien mir als das
schönste Los, das ich erstreben konnte; und diese
Richtung, die damals meine Empfindungen nahmen
*) In Vossens Luise.
11
oder vielmehr wie sie sich aus meinem Innern entfal-
teten, blieb so ziemlich der Typus, der ihnen für immer
eingedrückt war.
Nun gab mir Haschka Unterricht in den schönen
Wissenschaften, vmd Batteux^^^) war unser Lehrbuch,
aus welchem ich Auszüge zu machen angehalten wurde,
so wie aus Erxlebens Physik^^®), in welcher mich
Haschka ebenfalls unterwies. Überhaupt mußte ich
viel schreiben, übersetzen, aus dem Lateinischen und
Französischen, und Auszüge aus den Lehrbüchern,
Exzerpte aus Gedichten machen. Ich halte dies für
eine sehr nützliche Übung für junge Leute, und glaube,
daß ich ihr vieles verdanke; denn ich gewöhnte mich,
den eigentlichen Sinn, den Kern jedes Vortrags aufzu-
suchen, zu fassen und deutlich darzustellen, was mir
später von vielfachem Nutzen war, und jene Exzerpte
oder Anthologien leiteten mich dahin, die Schönheiten
eines Werkes zu studieren, zu empfinden, und mir
gleichsam eigen zu machen.
Nachdem ich diesen Unterricht nach Batteux ziem-
lich gefaßt hatte, fing ich an, mich in Fabeln und Idyl-
len zu versuchen. Geßner^^'), Voß^^^), Virgil, eine
deutsche Übersetzung des Theokrit^^^) wurden mir in
die Hand gegeben, und ich schrieb eine Menge Zeugs
in Geßnerscher poetischer Prosa oder in Hexametern
nieder, das längst untergegangen ist, v/eil es kein besse-
res Schicksal verdiente, das aber doch dazu diente, mich
im Stil und Vortrag zu üben.
So erreichte ich mein fünfzehntes Jahr und mithin
eine bedeutendere Epoche meines Lebens. Meine El-
tern waren mit der Familie jener Frau von Häring, der
Patin meines verstorbenen Schwesterchens, nicht bloß
weitläufig verwandt, sondern seit langem durch Bande
78
herzlicher Freundschaft verbunden. Herr von Häring
hatte zwei Söhne und zwei Töchter, die alle um einige
oder auch viele Jahre älter waren als ich^^"), wie denn
die ältere Tochter nicht mehr als ein ganz junges Mäd-
chen einem Bankier „von Schwab" ^^^) die Hand gab,
als ich kaum zehn oder elf Jahre zählte. Der jüngere
Sohn, ein sehr hübscher Jüngling, ebenfalls um 8 — 9
Jahre älter als ich, hatte mir immer freundlich begegnet,
und sein meisterliches Violinspiel meine Aufmerksam-
keit auf ihn geheftet ^^^), ohne daß ich etwas weiteres
dabei dachte. Nun war er ein paair Jahre auf Reisen ge-
gangen, hatte Frankreich, England, einen großen Teil
von Deutschland gesehen, und wurde mit großen Hoff-
nungen von seiner hohen Ausbildung und moralischen
Vortrefflichkeit im Vaterhause und in dem ganzen
Freund- und Verwandtschaftskreise zurück erwartet.
Er kam an und einer seiner ersten Gänge war zu
den treuen Freunden seiner Eltern, zu uns. Ich
hatte wenig oder gar nicht an ihn gedacht; aber ich
wurde doch sehr frappiert, als er eines Abends, da eben
wie immer Gesellschaft bei uns war, eintrat. Seine
natürlich vorteilhafte Gestalt hatte sich noch ange-
nehmer ausgebildet. Er war von mehr als mittlerer
Größe, blond, mit blauen Augen, bedeutenden Zügen
und ernster würdiger Haltung, hatte durchaus nichts
Gecken- oder Stutzerhaftes, vielmehr etwas Gehaltnes,
das fast bis ans Strenge ging. Eine Nadel in meiner
Stickerei ging mir über dem Anschauen des hübschen
Jünglings verloren, und als ich sie am Boden suchen
wollte, kam er selbst — o welcher Zuwachs an Verwir-
rung! — mir zu helfen. Von dem Augenblicke an, war
meine Unbefangenheit dahin, und wenn ich mich
gleich recht wohl erinnere, daß von jenem ,, Blitz, der
79
In zwei Herzen zugleich einschlägt", von jenem
„Vorgefühl, daß jetzt das Schicksal unsers Lebens ent-
schieden sei"^^^), gar nichts in meiner Seele war, viel-
leicht schon darum nicht, weil jene Ideen, Geburten
einer spätem phantastischem Zeit, damals nicht Mode
waren, so weiß ich doch noch recht gut, daß ich glaubte,
Herr v. Häring könnte so ziemlich dem Ideal entspre-
chen, das ich mir von einem vollkommenen Manne ent-
worfen hatte.
Auch er schien von ähnlichen Gefühlen für mich
beseelt; sei es nun, daß ich ihm wirklich gefallen oder
daß die Betrachtung der mancherlei Vorteile, welche
eine Verbindung mit der Tochter des angesehenen und
vermöglichen Hofrates Greiner bringen konnte, ihm
selbst einleuchtete oder von seinen Verwandten, die
auch die unsrigen waren, angeraten wurde — genug,
er näherte sich mir auf entschiedene, nicht zu mißver-
stehende Weise, und mein jugendliches Herz war ganz
glücklich in diesem Gefühl einer ersten, tugendhaften,
und von beiden Familien gut geheißenen Liebe. Daß
Häring trotz seiner Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit
sich immer in einer gewissen ruhigen Haltung gegen
mich zu behaupten wußte, die von einem lebhaftem
Geiste manchmal zu Übereilungen hingerissen wurde;
daß er diese Übereilungen liebreich, aber offen tadelte;
daß er überhaupt hier und dort manches zu hofmeistern
an mir fand, irrte mich lange nicht. Mein Ideal war ja
ernst, besonnen, weise, viel etwas besseres als ich selbst,
und so nahm ich jede Zurechtweisung demütig und
willig hin. Noch ein zufälliger Umstand trat hinzu,
um dies untergeordnete Verhältnis auszubilden. Häring
besaß die Musik, in der auch ich mich nicht ohne Bei-
fall übte, in sehr hohem Grad. Er hatte vor seiner Reise
80
Silhouette von Illeronymus Löschenkohl
3streichischer Nationakaschen-Kalender für 1789. Wien. Eild Nr. XXXV)
Stadtbibliothek, Wien
die Violine meisterlich gespielt ^^2), und diese Fertig-
keit während jener Jahre in der Fremde noch ungleich
höher ausgebildet. So stand er in dieser Rücksicht als
vollendeter Virtuose vor mir, der den Dilettanten
kaum ahnen ließ. Er akkompagnierte mir nun bestän-
dig, er studierte die herrlichen Werke Mozarts und
Haydns mit mir ein; er hielt mich streng, ließ mir den
kleinsten Fehler in Takt oder Betonung nicht hingehn,
und meine Neigung für ihn, so wie mein hoher Begriff
von seiner Vortrefflichkeit machten mich zur gelehrigen
Schülerin und gaben diesen Musikübungen einen na-
menlosen Reiz. Sehr oft unterhielten wir uns, ein
bißchen kindisch, ich muß es zugeben, damit, irgend
einem gehaltvollen Tonstücke jener Meister einen .
Redesinn, eine dramatische Handlung oder Situation
unterzulegen, die wir dann durch dasselbe vollkommen
ausgedrückt zu hören vermeinten. Das war eine gar
zu angenehme Unterhaltung für mich, und daß unsere
Meinung sehr oft nicht zusammentraf, daß Häring in
demselben Tonstück, das mir ein Gewitter darzu-
stellen schien, eine Schlacht zu erkennen glaubte, oder,
wo ich eine Klage der Sehnsucht fand, einen verliebten
Vorwurf hörte usw. — schien mir natürlich; denn jene
Bedeutungen waren gar zu willkürlich, um sehr be-
zeichnend zu sein. Nur gefiel es mir nicht, daß seine
Auslegungen oft gar zu trocken und prosaisch klangen.
Auch in der englischen Sprache, die damals, vor
50 Jahren, Mode zu werden anfing, die Häring schon
früher mit Fleiß und Genauigkeit getrieben, und in
England, wo er mehr als ein Jahr lebte, zu großer Fer-
tigkeit gebracht hatte, wurde er mein Meister. Wir
lasen zusammen englische Gedichte, Romane usw. Er
gab mir ordentliche Pensa auf, die ich übersetzen
6 C. P. I
81
mußte, und deren Fehler er korrigierte; aber hier waren
meine Progressen denen in der Musik nicht gleich.
Das Studium einer Sprache hat stets etwas Trockenes,
Härings Methode wußte diese Trockenheit nicht zu mil-
dern, mich fing das an zu langweilen, und ich dachte
zuweilen, daß er die nicht häufigen Stunden, in wel-
chen wir ungestört beisammen sein konnten, mit etwas
Besserem als grammatikalischen Übungen ausfüllen
könnte. So blieb die englische Sprache bald beiseite
liegen, und erst lange Jahre darnach, als Walter Scotts
und Byrons Schriften die ganze lesende Welt in Deutsch-
land in Bewegung setzten, suchte ich mein fast ganz
vernachlässigtes Englisch hervor, und trieb es mit Eifer,
um jene Meisterwerke im Original genießen zu können.
Nach und nach suchte Häring statt der englischen
Lektionen eine andere Beschäftigung in unsere Stunden
des Beisammenseins einzuführen. Er brachte mir Bü-
cher, mitunter gute, und las sie mir vor. Hätte ich
sonst keine Gelegenheit gehabt, meinen Geist auszu-
bilden, so wäre diese Bemühung meines Freundes im-
mer dankenswert gewesen. So aber konnte sie in dieser
Richtung kein großes Verdienst ansprechen; denn im
Hause meiner Eltern und unter ihrer ebenso liebevollen
als sorgfältigen Leitung mangelte es mir weder an Ge-
legenheit, noch an Zeit und Aufmunterung, meinen
Geist mit den mannigfaltigsten Kenntnissen zu
schmücken. Außer den Dichtern: Denis, Leon,
Haschka, Alxinger, Blumauer usw., welches damals be-
rühmte Namen waren, besuchten auch Männer von
strengen Wissenschaften häufig unser Haus, wie ich
schon früher angeführt ^^^). Überdies reiste beinahe
kein fremder Gelehrter oder Künstler nach Wien, der
nicht Empfehlungsschreiben an Haschka oder unmittel-
82
\
bar an meine Eltern hatte, und sich von jenem vor-
stellen oder durch seine Briefe einführen ließ. So ka-
men der berühmte Reisende Georg Forster i^^), die Pro-
fessoren Meiners 1^^) und Spittler^^'), Becker i^^), Gök-
kingk^^^), der Schauspieler Schröder i^") aus Hamburg,
viele Musiker, Kompositoren, wie Paisiello^''^), Cima-
rosa^'^), zu uns; und daß die einheimischen Künst-
ler Mozart, Haydn, Salieri^'^), die Gebrüder Hickhel
(Kammermaler des Hofes) ^''*), Füger ^'^) und andere
nicht fehlten, versteht sich von selbst. Im Umgange
mit diesen Menschen, deren bloßes Gespräch schon
an sich selbst Unterricht für einen empfänglichen
Geist war, von manchem unter ihnen aber, wie von
Haschka, Leon, Alxinger, Maffei usw. wirklich in ver-
schiedenen Gegenständen des Wissens angeleitet, be-
durfte ich keiner Nachhilfe von Seite meines Freun-
des, ja, seine Bemühungen, allerlei Bücher mit mir zu
lesen, oder mich im Englischen zu unterrichten, schie-
nen mir in der Stellung, in welcher ich mich befand,
überflüssig und unpassend; denn meine Phantasie hatte
sich angenehmere Bilder von herzlichen Mitteilungen
und süßem Gekose entworfen, welches die Stunden un-
sers Beisammenseins hätte ausfüllen, und ihm kein
Verlangen nach einer trockenen Lehrstunde nähren
lassen sollen, die mir wie ein Lückenbüßer der Lang-
weile vorkam.
Allmählich drängten sich mir auch andere Bemer-
kungen auf. Nicht Häring allein, auch andere junge
Männer, die unser Haus besuchten, brachten mir ihre
Huldigungen; denn damals war es noch Sitte, daß die
Männer in Gesellschaft sich um die Frauen und Mäd-
chen bemühten, und jede, die einige äußere oder innere
Vorzüge besaß, einen kleinen Hof um sich sah, der.
6*
83
wenn auch ohne bestimmte Aussicht oder Hoffnung,
sich bestrebte, der verehrten Königin gefällig zu sein.
Diese nun fanden alles, was und wie ich es tat, gut
und liebenswürdig, während Häring stets etwas an mir
zu tadeln und zu hofmeistern hatte, das, wie eben der
erste Zauber verschwunden war, greller hervortrat, mir
manche Stunde des Beisammenseins verbitterte, manche
unangenehme Erörterung herbeiführte, und mich
in eben dem Maße gegen ihn kälter machte, in welchem
ich mich immer mehr von seiner Kälte überzeugt
glaubte. Dazu kam noch die Beobachtung, daß diese
Kälte meistens nur erschien, wenn wir allein waren;
vor den Leuten aber einem aufmerksamem, wärmern
Benehmen wich, das mir zugleich so eingerichtet vor-
kam, um die Welt an Sicherheit und Unveränderlich-
keit unsers Verhältnisses glauben zu machen.
Herr v. Alxinger, der warme und treue Freund un-
sers Hauses, hatte etwa um diese Zeit oder etwas früher
eine allerliebste poetische Epistel an mich gedichtet,
in der er mir sehr heilsame Lehren, besonders in
Rücksicht auf sein Geschlecht, gab, und worin es unter
andern heißt:
Von zwanzig Jünglingen, die sich
Wie Satelliten um Dich drehen,
Liebt auch vielleicht nicht Einer Dich.
Den blendet der Dukaten Schimmer,
Die Deiner warten, den reizt deines Vaters Rang,
Den lockt Dein Witz, den Deiner Saiten Klang,
Und Jener liebt in Dir nur bloß das Frauenzimmer"*).
(Dieser letzte Vers drückt dieselbe Idee aus, welche Grillparzer
40 Jahre darnach in die Worte hüllte:
— aber nicht, weil es die Rose,
Weil es — eine Blume ist)"^).
Ich merkte mir diese Stelle sehr wohl, so wenig
Schmeichelhaftes sie auch für meine Eitelkeit enthielt.
Sie drückte sich meinem Gedächtnisse ein; ich fing an,
Härings Betragen daran zu prüfen, und ob ich gleich
nicht entscheiden will, welche der dort aufgeführten
Bezeichnungen gerade auf ihn paßte, so trat doch die
Vermutung, daß ich nicht geliebt sei, wie ich es hätte
sein sollen, wie ich es wünschte, wie ich es, wenigstens
im Anfange selbst getan hatte, immer deutlicher her-
vor, und bildete sich durch jede Beobachtung, jeden
Zwist mit meinem Freunde, jede seiner Zurechtwei-
sungen bestimmter aus.
Noch eine Wahrnehmung gesellte sich dazu, die
vollends mein Gemüt von ihm wandte. Ich habe frü-
her schon erwähnt, daß mein religiöses Gefühl, trotz
des Zeitgeistes und des ganz entgegengesetzten Tones,
der um mich herrschte, sich ziemlich lebendig in mir
erhalten, und ich sehr gewünscht hatte, bei näherer
Bekanntschaft mit meinem Freund über jene Gegen-
stände, die mir so wichtig waren, zu sprechen, mich von
ihm belehren, mein Gemüt durch ihn erheben zu lassen.
Statt dessen machte ich nach und nach die höchst uner-
freuliche Entdeckung, daß auch Häring dem Zeitgeiste
wie fast alle jungen Leute huldigte, daß er beinahe
nichts glaubte, und die kirchlichen Gebräuche, gegen
welche meine Eltern stets Ehrfurcht beobachtet, und
mich dazu angehalten hatten, nicht bloß geringschätzte,
sondern verhöhnte. Er brachte meiner Mutter allerlei
Bücher, z. B. das Systeme de la nature, Les liaisons dan-
gereuses^"^), und las sie ihr vor — wo ich denn auch
dort und da ein Stückchen zu hören bekam. Das
tat mir alles im Anfa-nge sehr weh; ich versuchte es,
mit Häring darüber zu sprechen, ihm die Schädlichkeit
und Falschheit seiner Ansichten zu zeigen, aber ich kam
übel an. So wie der Spötter und Leugner bei jedem
85
Streite immer das leichtere Spiel hat, so ging es auch
hier. Ich war zu wenig in diesem Fache tief unterrich-
tet, und meine Religion zu sehr Sache des Gefühls,
des Glavibens, was sie wohl im Grunde überall sein
muß, um in dem Streit mit einem entschiedenen Wi-
dersacher auszulangen, der nun einmal alles Positive
der Religion verwarf, und vielleicht, ich erinnere mich
dessen nicht mehr genau, sogar an den Atheismus
streifte. Diese Erörterungen griffen schmerzlich in
mein Inneres ein. Sie wurzelten meine erste, mir einst
so werte und beglückende Liebe gänzlich aus, und er-
schütterten noch überdies meine Ruhe, indem, teils
aus Härings Ansichten, teils aus Büchern, teils aus den
Gesprächen, die ich häufig um mich führen hörte,
Zweifel und Unsicherheit in mein Herz drangen.
Drei Jahre hatte nun meine Verbindung mit die-
sem Manne gewährt; jch hatte mein achtzehntes Jahr
erreicht, und jeder Tag ließ es mich deutlicher erkennen,
daß wir zwei nicht für einander geschaffen waren; den-
noch schleppte die Sache sich noch eine Weile hin, da
Häring keine Lust und ich nicht Entschlossenheit ge-
nug hatte, um förmlich zu brechen. Eine Verkettung
von Umständen trat wohltätig ins Mittel. Härings
Aussichten, bald zu einer Stellung in dem Handelshause
seines Schwagers ,,von Schwab", in dem er angestellt
war, zu gelangen, welche ihm, wie wir seit langer Zeit
hofften, die Möglichkeit geben sollte, mir seine Hand
zu bieten, und einen kleinen, aber anständigen Haus-
halt zu beginnen, trübten sich plötzlich. Aus wider-
wärtigen und sehr gemeinen Streitigkeiten mit den
übrigen Interessenten ging nur allzu deutlich Härings
prekäre Stellung in ihrer Mitte hervor. Mein Vater
und noch ein Freund der gesamten Familie nahmen sich
86
endlich ernstlich der Sache an, jene Streitigkeiten wur-
den beigelegt, Häring behielt seine Anstellung; aber
dieser Vorfall hatte meinen Eltern die Überzeugung
gegeben, daß mein Schicksal als Härings Frau ganz von
den Launen und dem Eigensinne einer gewissen Person
abhängig sein würde, welche in jenem Streite eben die
Hauptrolle gespielt, und durch einen plötzlichen Um-
schwung der ganzen Verhältnisse gezeigt hatte, welche
Macht sie über dieselben besaß, und wie alles sich ihrem
Willen würde beugen müssen!
Diese Aussicht in die Zukunft machte meinen El-
tern für mein Glück bange, und da ihnen in unserm
gegenseitigen Betragen die Erkaltung unserer Neigung
längst bemerklich geworden war, so fing meine Mutter
an, ernsthaft über diese Angelegenheit mit mir zu spre-
chen. Sie gab mir zu bedenken, daß man bei einer Hei-
rat die innere Zufriedenheit oder wenigstens äußere
Vorteile beabsichtigen müsse. Sie machte mich darauf
aufmerksam, daß meines Freundes Zukunft in ökono-
mischer Hinsicht nichts weniger als gesichert sei, wie
die erst abgetane Geschichte bewiesen hatte, und sie
fragte mich dringend, ob ich denn Liebe genug für ihn
fühlte, und auch der seinigen gegen mich auf einem
solchen Grade sicher sei, um, falls wir künftig vielleicht
durch feindselige Einwirkungen, welche bei Härings
Lage nur zu wahrscheinlich waren, in beschränkte
Umstände geraten sollten, für die äußern Vorteile
durch inneres Glück entschädigt zu werden.
Da stand ich nun, und wußte nichts genügendes zu
antworten, ja ich mußte die Frage meiner Mutter,
die ich nur als zu gegründet erkannte, wenn ich auf-
richtig sein wollte, geradezu verneinen. Nein! Ich
fühlte diese Liebe, die für alles entschädigen konnte,
87
längst nicht mehr, und Häring hatte sie, wenn ich der
Sache recht nachsann, wohl nie gefühlt. —
Unsere Trennung wurde also beschlossen. Sie tat
mir weh, so klar ich auch überzeugt war, daß unsere
Verbindung keinem von beiden mehr Glück bringen
würde. Mein Herz hatte die alten Bande liebgewon-
nen, weil sie eben alt waren, und es kostete manchen
Kampf, bis endlich die Vernunft siegte, und ich mei-
nem Freunde schriftlich meinen Entschluß erklärte.
Eine Weile glaubte ich in manchen Augenblicken an
den Schmerz, den erzeigte;- — allmählich aber erkannte
ich, daß seine Ruhe und Behaglichkeit zu fest gegrün-
det waren, um durch meinen Verlust erschüttert zu
werden, und daß sein Bestreben eigentlich nur dahin
ging, vor der Welt noch stets als mein Liebhaber zu
gelten. Um dies zu erreichen, drängte er sich auffallen-
der als je an mich, und wie ich, geärgert durch dies ab-
sichtsvolle Benehmen, mir erlaubte, es ihm fühlen zu
lassen, entdeckte ich zu meinem großen Mißfallen und
Ärger, daß er mein nachlässiges, ja manchmal unartiges
Benehmen gegen ihn ganz geduldig hinnahm, sich,
wenn wir allein waren, alle Kälte, alle Bitterkeit von
mir gefallen ließ; aber in den Gesellschaften unserer
Bekannten und Verwandten, wo wir uns, trotz unseres
Bruches, zu sehen nicht vermeiden konnten, meinen
Liebhaber zu spielen fortfuhr.
Wie sehr mich dies Betragen empörte, wird man
leicht erachten, wenn man bedenkt, wie hoch meine
erste Meinung von Härings moralischem Wert, wie
schwärmerisch überhaupt meine Meinimg von der
Würde des Mannes war, der eine gebildete, feinfüh-
lende Frau wirklich beglücken könne; wenn man weiß,
daß ich ziemlich viele Romane gelesen, mir aus diesen
88
Ideale abgezogen, und endlich in der eigenen Phan-
tasie lebendige Farben und Wärme genug gefunden
hatte, um diese Bilder aufs Glänzendste auszumalen.
•Nun war auch jeder Kampf zu Ende, jede Rücksicht
beseitigt. Ich erklärte Häring mündlich, aber mit gro-
ßer Ruhe und Kälte, es sei alles zwischen uns geendet;
ich wolle aber, daß die Welt es auch erfahre. Ich bäte
ihn daher, sein Betragen darnach einzurichten, so wie
ich meinerseits mich auch demgemäß gegen ihn ver-
halten würde. So erhielt ich endlich meine völlige Frei-
heit, und daß wir beide nach wie vor uns in den Zirkeln
unserer Bekannten trafen, auch wohl zuweilen miteinan-
der musizierten, späterhin auch auf unserm Haustheater
miteinander spielten, ohne den geringsten Schmerz zu
fühlen, war wohl der triftigste Beweis von der vollkom-
menen Gleichgültigkeit und Kälte, die in uns beiden
herrschten. Es war wirklich ein seltsames Verhältnis !
Dies erste Band war nun gelöst oder vielmehr
es war, wie eine Gerätschaft, die sich abnützt, aus-
einander gefallen. Mein Herz war unbeschäftigt, meine
Phantasie hatte während der ganzen drei Jahre ge-
schlummert, gleich als ob die Prosa, welche das Gemüt
meines Freundes beherrschte, sich auch mir rnitgeteilt
und alle meine dichterischen Anlagen getötet oder ein-
geschläfert hätte. Sie fingen an, sich wieder zu regen,
ich dichtete Lieder, Idyllen, ich träumte mir eine
schöne Ideenwelt, und lebte in der wirklichen auch
ganz vergnügt, indem ich an allen Freuden und Un-
terhaltungen, die teils unser eigenes Haus, teils die
Häuser unserer Freunde oder öffentliche Feste mir dar-
boten, lebhaften Anteil nahm.
Aber in der Tiefe meines Herzens oder — viel-
Itichf meiner Phantasie lebte das Bedürfnis, einen aus-
8q
schließenden Gegenstand meiner Neigungen zu fin-
den, an welchen diese Phantasie mit ihren Bildern sich
heften konnte. Da brachte der ausbrechende Türken-
krieg einen jungen Mann, den ich früher kennen ge-
lernt, und dessen Erscheinung nicht spurlos an mir vor-
übergegangen war, obwohl ich damals, meines Ver-
hältnisses zu Häring wegen, keinen andern Gedanken
in mir aufkommen ließ, nach Wien und in meine Nähe.
Er war der Sohn eines hochgestellten Offiziers, eines
alten Bekannten meiner Eltern, noch vom Hofe der
Kaiserin her, und selbst schon Offizier ^^^). Ein paar
Jahre früher hatte dieser junge Mann auf dem Lande in
unserer Nachbarschaft bei Härings Eltern während der
Ferien gewohnt, und sich durch Feldmessen, geometri-
sche und mathematische Studien für seinen Beruf vor-
bereitet. Er war ein zierlicher Dichter, überhaupt sehr
gebildet, von zartem Wuchs, feinjer Gesichtsbildung,
und, was für mich stets anziehend war, mit einem sehr
wohlklingenden Sprachorgane begabt. In den Bäumen
jenes Gartens, in welchem er damals wohnte, standen
mancherlei Verse, die mir galten. Häring selbst hatte
sie mir gezeigt, und sich wohl auch ein bißchen über
den Dichter lustig gemacht. Bei mir waren diese Be-
merkungen nicht auf die Erde gefallen. Baron K., den
ich Fernando nennen will, war überhaupt der Aufmerk-
samkeit in vielem Betracht würdig, und wurde seitdem
auch von mir nicht ohne Interesse betrachtet. Wir
sahen uns zuweilen, wo er mich stets mit zarter Ehr-
furcht auszeichnete, und als er zum Regimente abging,
einen sehr bewegten Abschied von mir nahm. Während
dieser Abwesenheit löste sich mein Verhältnis zu Hä-
ring ganz auf, und als Fernando bei Eröffnung des ersten
türkischen Feldzuges wieder nach Wien kam, sah ich
90
ihn mit ganz andern Augen. "Indessen blieb vor der
Hand alles zwischen uns, wie es war, nur daß mein Herz
und meine Einbildungskraft an allen Bulletins, die
damals von den Diesseitigen und Jenseitigen (wie
man unpassender Weise in den schlechtgeschriebenen
Extrablättern Freund und Feind nannte) erschienen,
sehr lebhaften Anteil nahm, und ich mich stets
von dem Stande des Hauptquartiers, in welchem da-
mals Fernando bei dem, später durch verschiedene
Schicksale merkwürdigen Generalquartiermeister Ba-
ron von Mack^^°) als Adjutant stand, zu unter-
richten suchte.
Schon diese Anstellung, das Vertrauen, welches ihm
Baron Mack schenkte, und der Gebrauch, den er von
den Fähigkeiten des jungen Offiziers machte, bewiesen
sehr für Fernandos Geschicklichkeit und Wert, und er-
freuten mein Herz, das nun in Liedern und Dichtun-
gen freudig aufging, und mit dem bewegtesten Anteil
die Zeitungsnachrichten ergriff. Um diese Zeit er-
schien Goethes Egmont. Wie so lebhaft konnte ich mit
Clärchen sympathisieren, und das Liedchen, zu dem ich
mir selbst eine Melodie auf dem Klaviere ausgesonnen
hatte, singen:
Die Trommel gerühret,
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster bewaffnet
Dem Haufen befiehlt ! ^^i)
Das Leben in meiner Eltern Hause gestaltete sich um
diese Zeit sehr angenehm, wie denn überhaupt in ganz
Wien damals ein fröhlicher, für jedes Schöne empfäng-
licher, für jeden Genuß offener Sinn herrschte. Der
Geist durfte sich frei bewegen, es durfte geschrieben,
gedruckt werden, was nur nicht im strengsten Sinne
91
des Wortes, wider Religion und Staat war. Auf gute
Sitten ward nicht so sehr gesehen. Ziemlich freie
Theaterstücke und Romane waren erlaubt und kur-
sierten in der großen Welt. Kotzebue machte damals
ungeheures Aufsehen; — sein Menschenhaß und
Reue^^^), seine Indianer in England ^^3), seine Sonnen-
jungfrau i^^), meisterlich von dem damaligen Personale:
Madame Sacco, Adamberger (Mutter), Katharine Jac-
quet, Madame Nouseul^^^), den Herren Lange, Brock-
mann, Müller 1^^), Dauer 1^"), Schütz ^^®) usw. vorge-
stellt, waren eine geistige Angelegenheit des Publikums,
und nicht wie jetzt bloße Ausfüllung der Avantsoireen;
denn damals gab es dies Erzeugnis der Langweile und
Abstumpfung noch nicht, und selbst die höchsten
Klassen der Gesellschaft widmeten in der Regel bloß
den spätem Nachmittag und Abend bis etwa zehn
Uhr der Geselligkeit.
Alle jene obengenannten Stücke, sowie Gemmin-
gens deutscher Hausvater (nach Diderot) ^^^), der Ring
von Schröder ^^°), viele andere, die im Strom der
Vergessenheit versunken sind und eine Menge Romane
und Erzählungen (ich weise vor andern auf Meißners
Skizzen ^^^) hin) waren auf lauter unanständige Verhält-
nisse gegründet. Ohne Arg und Anstoß sah, bewun-
derte, las sie die Welt und jedes junge Mädchen. Ich
hatte alles dies mehr als einmal gelesen oder gesehen,
der Oberon^^^) war mir wohlbekannt, so wie Meißners
Alcibiades^^^). — • Keine Mutter trug ein Bedenken,
ihre Tochter mit solchen Werken bekannt zu machen,
und vor unsern Augen wandelten der lebenden Bei-
spiele genug herum, deren regellose Aufführung zu be-
kannt war, als daß irgend eine Mutter ihre Töchter
in Unwissenheit darüber hätte erhalten können.
92
Sehr viele, ja die meisten jungen, hübschen Frauen
unter dem ersten und zweiten Adel hatten verliebte
Verhältnisse mit andern Männern, oft mit solchen, die
ihren eigenen Frauen untreu, aber dabei wohl über-
zeugt waren, daß auch diese sich ihrerseits zu entschädi-
gen nicht versäumten. Bei vielen war es Sache des Her-
zens oder der Eitelkeit, der Mode, wenn man will, bei
manchen lag eine niedrigere Absicht zugrunde und
man nannte die Summen, für welche jene oder diese
ihre Treue, ihre Ehre, ihr Bewußtsein an irgend einen
reichen Wollüstling verkauft hatte. Bei manchen
Ehen war der eigene Mann verworfen genug um den
Handel selbst zu schließen, bei den meisten, wenn auch
dies Ärgste nicht geschah, schloß er freiwillig die Augen
vor dem Aufwand, der in seinem Hause herrschte und
den seine Einkünfte zu beschaffen, nicht imstande
waren, den er sich aber wohl gefallen ließ und mit-
genoß i^*).
In andern Ehen, wenn auch die Frauen ihre sittliche
Würde behaupteten und ein geregeltes Leben führten,
gingen die Männer ihren Abwegen außer dem Hause
nach und tyrannisierten im Hause Frau, Kinder und
Gesinde, Solche Männer wählten sich daher vorzugs-
weise gern sehr beschränkte Frauen, deren Einsicht und
Wissen sich nicht weiter als auf Küche und Haushalt
erstreckte und diese Ehemänner, die keinen Begriff
von haushoher Glück^lrgkeit un;d weibhcher Würde
hatten, vielmehr dies alles verachteten und verlachten,
wie sie Religion und Sitte verlachten, gehörten mei-
stens zum Orden der Freimaurer i^^).
Ein charakteristisches Merkmal jener Zeit unter
Kaiser Josef waren die Bewegungen, welche durch
die sogenannten geheimen Gesellscha;ften in der gesel-
93
ligen Welt hervorgebracht wurden. Der Orden der
Freimaurer trieb sein Wesen mit einer fast lächerhchen
Öffenthchkeit und Ostentation. Freimaurerheder wur-
den gedruckt, komponiert und allgemein gesungen.
Man trug Freimaurerzeichen als joujoux an den Uhren,
die Damen empfingen weiße Handschuhe von Lehr-
lingen und Gesellen, und mehrere Modeartikel, wie die
weißatlassenen Muffe mit dem blauumsäumten Über-
schlage, der den Maurerschurz vorstellte, hießen ä la
franc-magon. Viele Männer ließen sich aus Neugier
aufnehmen, traten dann, wenn der frere terrible nicht
gar zu arg mit ihnen umsprang, in den Orden, und ge-
nossen wenigstens die Freuden der Tafellogen. An-
dere hatten andere Absichten. Es war damals nicht un-
nützlich, zu dieser Bruderschaft zu gehören, welche in
allen Kollegien Mitglieder hatte, und überall den Vor-
steher, Präsidenten, Gouverneur in ihren Schoß zu
ziehen verstanden hatte. Da half denn ein Bruder dem
andern; und wie man von dem würdig geheimnisvollen
Orden der Pythagoräer erzählt, ging es hier auf unwür-
digere und minder geheime Weise. Die Bruderschaft
unterstützte sich überall; wer nicht dazu gehörte, fand
oft Hindernisse, und dies lockte viele. Wieder andere,
die ehrlicher oder beschränkter waren, suchten mit
gläubigem Sinn höhere Geheimnisse, und glaubten Auf-
schlüsse über geheime Wissenschaften, über den Stein
der Weisen, über Umgang mit Geistern in dem Orden
zu erhalten. Da gab es allerlei Arten und Abteilungen
der Maurerei — Rosenkreuzer, Templer, Schottische
Maurer usw., endlich sogar die Illuminaten, und es
ward damit in den letzten Jahren der Regierung
Kaiser Josefs großer Spektakel und wohl auch großer
Unfug getrieben. Indessen wäre es undankbar, nicht
94
auch das wenige Gute, das diesem an sich trüben Quell
entfloß, zu erwähnen. Wohltätig waren die Freimaurer
gewiß ^^^). In ihren Versammlungen wurden sehr oft
Kollekten für Arme oder Verunglückte gemacht; und
Prinz Leopold von Braunschweig, der bei einer Wasser-
not, als er den Bedrängten mit Lebensgefahr Hilfe
brachte, selbst den Tod fand, war ein glänzendes Bei-
spiel, mit dem der Orden sich sehr brüstete'-^®).
Diese einzelnen Züge, welche die Zeit bezeichnen,
wie sie damals war, werden dem Leser zeigen, daß, so
rege auch das geistige Leben war, so viele Fortschritte
die Bildung und Aufklärung damals machte, doch auch
manches anders und leicht besser hätte sein können
und wenn unsere jetzige Zeit nichts vor derselben vor-
aus hätte als eine größere Beobachtung des äußern An-
standes, so wäre dies schon dankenswert. Aber sie hat
unstreitig noch manchen andern Vorzug. Wer lange
genug gelebt hat, um Vergleichungen mit unpar-
teiischen Augen anstellen zu können, wird gestehen
müssen, daß das häusliche Leben, die ehelichen Ver-
hältnisse, die Kinderzucht, die Stellung der Kleinen
gegen die Eltern viel besser und zweckmäßiger, sowie
überhaupt der ganze gesellschaftliche Ton feiner und
geschliffener ist, und selbst aus den untern Ständen und
aus ihrem Umgange sich das allzu Rohe und Derbe ver-
loren hat. Wohl hat die viel weiter verbreitete Bil-
dung dies letztere bewirkt, und auch an den ersten Ver-
besserungen ist ihr Anteil nicht zu verkennen. Indessen
glaube ich doch, daß das Beispiel nicht bloß unseres,
sondern der meisten europäischen Höfe, wo das Mai-
tressenleben und die arge Zügellosigkeit des achtzehnten
Jahrhunderts verschwunden sind, viel zu der Beobach-
tung wenigstens des äußern Anstandes beigetragen hat.
95
In jener Zeit hatte denn auch die Gärung in den
poHtischen Ideen ihren höchsten Punkt erreicht. Die
Revolution brach in Paris aus. Ihre Vorboten hatten
sich schon früher in Lyon gezeigt, und eine achtbare
Famihe, deren Haupt, Baron Geramb, eigentlich aus
Ungarn stammte, und sich in Lyon, wo er geheiratet,
niedergelassen hatte, war schon seit langer Zeit, unter
dem Vorwand einer großen Reise, mit seiner Familie
aus Frankreich weggezogen, um sich nach Osterreich
zu retten, wo seine Kinder und Enkel noch jetzt ge-
achtet und in Ansehen leben; der älteste Sohn aber,
welcher der berühmte Trappistengeneral geworden,
sich in Rom aufhält ^^'').
Auch bei uns in Österreich machten sich diese gei-
stigen Erschütterungen und Umstaltungen fühlbar.
Vieles gärte und glimmte im Verborgenen, und Oppo-
sitionen, Reaktionen gegen das Bestehende, immer
stärkerer Tadel der Maßregeln und Anordnungen des
Monarchen sprachen sich überall laut aus. Während
dieser unruhigen Stimmung hatte der Türkenkrieg in
Ungarn mit sehr wechselndem Glücke fortgedauert.
Kaiser Josef hatte ihn, wie man damals erzählte, aus
einer Art von ritterlicher Galanterie gegen die geist-
volle Herrscherin im Norden angefangen, der er vorher
einen Besuch in ihrem Reiche abgestattet hatte, von
welchem uns die Memoiren des Fürsten von Ligne und
des Grafen von Segur d. Ä. interessante Notizen lie-
fern ^^^. Er liebte den Soldatenstand, er trug stets die
Uniform seines Regiments, und er wollte vielleicht in
diesem Kriege, in welchem er einen untergeordneten
Gegner und keinen Friedrich IL mit seinen Preußen
vor sich hatte, seine militärischen Kenntnisse zeigen
und auch diesen Lorbeer in seine Kronen flechten.
96
•^-.-^ , ^^
Karoline v. Greiner
Jugendbildnis — Quirin Mark, del et sc.
Dr. August Heymann, Wien
Aber der Erfolg entsprach keineswegs diesen stolzen
Erwartungen. Schlachten wurden verloren, die Ein-
schließung der festen Plätze mißlang, verderbliche
Rückzüge schwächten das Heer, von dem ohnedies ein
großer Teil, durch das ungesunde Klima erkrankt, in
den Spitälern zugrunde gegangen war. Kurz, der Feld-
zug von 1788 unter des Kaisers und Feldmarschalls
Lascy^^^) Führung war ein durchaus mißglückter.
Der Monarch kehrte im Winter nach Wien zurück und
brachte leider einen Keim des Übels mit sich, das
seinem Leben ein paar Jahre darauf, viel zu früh für
seine Staaten und seine Entwürfe, ein Ende machte.
Im Frühling 1789 ging Loudon^oo) ins Feld; — das
Glück, der Sieg folgten überall seinen Spuren, und nach
verschiedenen großen Vorteilen und ^ Eroberungen,
welche diesen Feldzug bezeichneten, krönten, ihn am
Schlüsse die Einnahme von Belgrad durch Loudoh^*^^)
und der Sieg bei Martinjestie unter Prinz Koburg^^^).
Fünfzig Jahre war Belgrad für Österreich verloren
gewesen, London hatte es wieder erobert, und der Tag,
an welchem der Kurier mit der Siegesnachricht ein-
ritt (12. Oktober 1789), wird allen Wienern, die Zeu-
gen dieses freudigen Ereignisses waren, unvergeßlich
bleiben 203).
Es war ein schöner, heiterer Herbstmorgen. Wien
hatte sich auf die Straßen, an die Fenster ergossen,
von denen man den ankommenden Siegesboten — Ge-
neral Klebeck, einen Verwandten des großen Türken-
besiegers — sehen konnte. Ich war wie natürlich auch
an einem unserer Fenster, w^elche in die Kärnthner-
straße, durch die er kommen mußte, gingen. Mein
Herz schlug hoch; — kriegerischer Ruhm und der
Glanz meines Vaterlandes hatten von jeher begeisternd
7 c. P. I ^-
auf mich gewirkt, jetzt vielleicht, gesellte sich noch eine
geheime Beziehung dazu, welche mir alles, was diesen
Krieg, diese Siege und die, welche Anteil daran hat-
ten, betraf, näher rückte. Nun erklang von weitem das
Geklatsche der Postillonpeitschen, das Schmettern
ihrer Hörner. — Er kommt! Er kommt! so tönte es in
mir und gestaltete sich unwillkürlich in mir zum Gesang:
Er kommt! er kommt! Wie jauchzt die trunkne Menge!
Ha! welch ein Tag, beglücktes Wien!
Der Siegesbote naht in jubelndem Gedränge,
In deine Mauern einzuziehn.
Der Hörner Ton, der Peitschen lautes Knallen
Verkündet seine Ankunft schon.
Die Scharen mehren sich, gedrängte Reihen wallen
Ihm vor und nach bis hin zum Thron.
Es lebe Loudon! tönt aus jedem Munde usw.***)
Die 24 oder 48 Postillone kamen nun näher, eine un-
geheure Menschenmasse wälzte sich vor, neben, hin-
ter ihnen daher durch die Straßen. Vivatgeschrei
durchschmetterte die Luft; eine Art Trunkenheit schien
sich der ganzen Einwohnerschaft bemächtigt zu haben.
Nun erschien der General; — da verdoppelte sich das
Jauchzen, das laute Rufen, und so im allgemeinen Ju-
bel, den ich, den Kurier von der Leipziger Schlacht
1813 kaum ausgenommen — denn das Volk war unter
Josef IL mehr gewohnt, seine Empfindungen auszu-
sprechen — nie wieder so gehört habe, gelangte der
General in die Burg.
Aber mit diesen paar schönen Stunden waren die
Glückseligkeit der Wiener und die Bezeugungen ihrer
Freude nicht vorüber, wie es wohl jetzt, in zahmeren
Zeiten der Fall ist und sein muß. Ich habe schon ge-
meldet, daß ein sehr schöner Tag war. Nach Tisch
flog alles da-, dorthinaus, die meisten in den Prater;
98
— auch wir machten es so. — Wie wir gegen den roten
Turm kamen, tönte uns neues Vivatrufen entgegen
und ein Menschenschwarm sperrte den Weg. — Was
war es ? — Ein Träger von der Hauptmaut, wenn
ich nicht irre, trug sehr zufälHger Weise den Na-
men London. Dieser Umstand identifizierte den Mann
in den Augen des Volkes auf gewisse Weise mit dem
Helden des Tages, und so wurde dann von tollen, be-
geisterten Kameraden und andern Leuten der dicke,
kupferige Mann, dem wohl von solcher Ehre nie ge-
träumt hatte, in seinem leinenen Arbeitskittel, das
Bündel Stricke auf der Achsel, wie im Triumph auf den
Schultern herumgetragen, mit Wein bewirtet, den er
sich tapfer schmecken ließ, und es wurden allerlei Possen
mit ihm getrieben.
Als es dunkelte, entbrannten plötzlich in allen
Fenstern der Stadt die Lichter und eine allgemeine,
freiwilhge, extemporierte Illumination bezeugte und
verherrlichte die Freude meiner 'guten Mitbürger.
Die ganze Welt wanderte auf den hellen Straßen in der
milden Luft des schönen Herbstabends und alles fühlte
sich von der Bedeutung des Tages gehoben und be-
geistert^os). Auch Klänge sollten dem schönen Abend
nicht fehlen. In rascher Entschließung hatten die Stu-
denten sich vereinigt (damals war es noch erlaubt,
solche Entschlüsse auf der Stelle zu fassen und sie, ohne
sich bei der Polizei anzufragen, auch auszuführen), eine
vollstimmige, schöne Instrumentalmusik zusammenge-
bracht und zogen nun, alle durch weiße Kokarden be-
zeichnet, mit Transparents und ihren Instrumenten
durch die Stadt. Eine Unzahl junger Männer aus den
höheren Ständen schloß sich an sie und qualifizierte
sich durch eine weiße Schleife, im Notfalle durch ein
99
Stückchen weißes Papier auf den Hut gesteckt, als einer
der ihrigen.'' So bewegte sich der lange Zug durch die
Straßen der Stadt und brachte seine Ständchen in sehr
wohl ausgeführten Symphonien vor dem Hause, in
welchem Loudons Gemahlin wohnte, vor dem Kriegsge-
bäude, der Universität und auf dem Burgplatz vor Kaiser
Josefs Fenstern und'überall wiederholte sich in lautem
Beifalls] auchzen der. Jubel dieses zwölften Oktobers^''^).
Nicht lange darnach folgten andere Kuriere mit den
Nachrichten von der Einnahme von Orsova, dem
Sieg bei Martin] estie usw. und so schloß dieser Feldzug
höchst glänzend 2'*^).
Meine poetische Laune war schon seit längerer Zeit,
seit nämlich das höchst prosaische Verhältnis mit Hä-
ring ein Ende genommen, wieder lebhaft erwacht. Ich
vollendete das Gedicht, das ich beim Einreiten des
Kuriers am Fenster begonnen; es fand Beifall. Freunde
des Feldmarschalls erbaten es sich, es wurde gedruckt,
ihm übersandt und bald darauf erschien einer seiner
Neffen bei uns (der nun auch längst tot ist), um mir im
Namen seines Oheims zu danken. Es freute mich sehr;
doch durch eine Eigenheit meines Wesens, die mich
nur so lange, als ich dichtete, lebhaften Anteil an mei-
nen Kompositionen nehmen, sie aber, wenn sie einmal
aus mir herausgetreten waren, ruhig und wie etwas
Fremdes betrachten ließ, machte auch diese Auszeich-
nung keinen sehr tiefen Eindruck auf mich, und die
Artigkeit des ]ungen London 2°^), der zufälligerweise
die damalige Uniform des Generalstabes wie Baron
K** trug, sprach mich beinahe lebhafter an, als der
literarische Ruhm, den ich geerntet hatte.
Wie überhaupt um mich herum reges geistiges
Leben war, so bewegte es sich auch in mir. Man hatte
100
mir lange nicht gestatten wollen, die Messiadc zu lesen,
weil ich sie nicht verstehen und folglich nicht genießen
würde, wie man sagte. In Klosterneuburg, dessen
Probst ein Verwandter meiner Eltern war 2°^), und den
wir öfters in seiner herrlich gelegenen Abtei besuchten,
trafen wir einst den Chef des Pontonierkorps, das dort
und in der Umgegend stationiert war. General
Riepbe^io) ^^j- gjj-^ geistvoller, liebenswürdiger Greis.
Er fand Gefallen an meiner Unterhaltung, und ich
schätzte mir es (nach den Begriffen jener Zeit, die
nun freilich anders sind) zur Ehre, von dem würdigen
Manne als ein junges Ding von 18 — 19 Jahren aus-
gezeichnet zu werden. Ausschließend unterhielt er
sich mit mir, fragte nach meinen Beschäftigungen,
meiner Lektüre und riet mir, die Messiade zu lesen,
indem er sich mit schöner religiöser Wärme über die
Erhabenheit dieses Werkes aussprach.
So wurde ich auf diese Dichtung hingeleitet. —
Ich las sie; mein Innerstes faßte begierig die himm-
lischen Strahlen auf, die aus ihr hervordrangen. Ich
hatte früher schon die Noachide, den Tasso^^^), selbst
den Ariost^^^) gelesen; denn, wie ich schon erwähnt,
man dachte damals in Rücksicht lockerer Schriften sehr
Hberal. Indessen hatte Ariost auf mich wenig Ein-
druck gemacht. Ich betrachtete ihn wie ein Feen-
märchen aus der Tausend und einen Nacht, und einzig
Zerbinos und Bellas Geschick und einige ähnliche
Szenen aus Ruggieros Schicksalen prägten sich mir tie-
fer ein. Viel inniger hatte mich Tasso angesprochen,
dessen Gerusalemme ich regelmäßig jedes Jahr las, und
dessen tiefergreifendste Stellen sich in meinem Ge-
dächtnisse noch jetzt erhalten haben. Auch die Iliade
und Odyssee 21^) war mir wohlbekannt, und auf die Ge-
ld
fahr hin, getadelt oder verspottet zu werden, bekenne
ich ganz offen, daß ich die letzte (die Odyssee) bei wei-
tem meinem Geschmacke zusagender fand, als die
Ilias. Das häusliche, idyllische Leben sprach mich an,
ich fand mich wohl zurecht in der Wohnung des
Odysseus, bei dem göttlichen Sauhirten Eumäos, und
mit Freude begrüßte ich stets einen unserer großen
Hofhunde, dem mein Vater den Namen Argos gegeben,
wie ihn jenes treue Tier des vielgereisten Helden trug.
Alles dies aber wich in meinem Gemüte vor der
Messiade in Schatten zurück. Hier fand ich meine re-
ligiösen Gefühle, meine Engel, selbst meinen Schutz-
engel Ithuriel wieder (leider als den Hüter eines nicht
ehrenvollen Schützlings, des Iskarioths)^^^). Unbe-
schreiblich erhoben fühlte ich mich durch dies Gedicht.
Klopstock ward der Gegenstand meiner innigsten Ver-
ehrung. Ich schrieb mir, wie ich das überhaupt ge-
wohnt war, eine Menge Stellen daraus ab, und be-
schloß nun, auch dies Werk alljährlich einmal ganz
durchzulesen, ein Vorsatz, den ich auch durch viele Jahre
hielt und meine Lieblingsstellen auswendig behielt, da-
von ich die meisten noch jetzt herzusagen imstande bin.
Bald nach der Messiade las ich auch den Ossian^^^),
und ergab mich mit süßem Hange dem düstern, aber
namenlosen Zauber, der für mich in diesen Dichtungen
wehte. Auch hieraus wurden Stellen abgeschrieben
und viele davon im treuen Gedächtnisse bewahrt. Es
war eine ganz neue Welt voll Wehmut, Erinnerung,
Nebel und unbestimmten Gestalten, die aber eben des-
wegen mein jugendliches Herz um so mächtiger anzog
und mich zu Liedern begeisterte, in denen Anklänge
aus jener düstern Region walteten und sich seltsam
mit andern Eindrücken, die ich damals auf ganz ent-
102
gegengesetzten Wegen erhielt, vermischten. In diese
Zeit, nämlich 1788, 1789, 1790 fiel die Erscheinung der
ersten Ritterromane jener Periode, von welchen die
Schlenkertschen^^^), so wie Veit Webers Sagen der
Vorzeit 217) ihrer Roheit und affektierten Schreibart
wegen nicht viel Eindruck auf mich machten, dahin-
gegen mich Herrmann von Unna, Walter von Mont-
barry, Elisabeth von Toggenburg, vor allen aber Alf
von Dülmen, mit einem Wort die'Naubertschen Ro-
mane ^i®) — von denen damals niemand in Deutsch-
land den Autor kannte oder nur mutmaßte — ganz
unbeschreiblich entzückten und in jene Zeiten ver-
setzten, die sie so lebhaft schilderten. Alles im Hause
gestaltete sich mir auf ritterlich altertümliche Art.
Ich betrachtete alles in diesem Sinne, ich lebte in
diesen Vorstellungen und war ganz glücklich, wenn
ich wieder ein Werk aus dieser Feder zum Lesen
erhielt. In meinem Kopfe wirbelten diese Bilder, diese
Szenen, diese Gefühle; ich dichtete einige Romanzen,
die ich jetzt im ganzen für herzlich schlecht erkennen
muß, deren Eingänge aber nicht ohne poetischen Wert,
und da sie nie gedruckt wurden, doch des Aufbewah-
rens in diesen Blättern nicht unwert sind.
Die eine war dem Walter von" Montbarry entnom-
men. — Ihr Inhalt war ein gefabeltes Abenteuer
Richard Löwenherz, das er in Wien, am Hofe Herzog
Leopolds sollte bestanden haben. Daß Österreich
und seine Herrscher ziemlich schlecht in jenem Ro-
mane und so auch in meinem Gedichte erscheinen, irrte
mich damals nicht und irrte auch niemand in meiner
Romanze. Eswar die Zeit der Verirrungen. Protestanten
hatten sich seit der Reformation der deutschen Litera-
tur bemächtigt, um den ■ katholischen Glauben und
103
den Staat herabzusetzen, der seit 300 Jahren dessen
mächtigster Schirm in Deutschland gewesen; eine Ten-
denz, welche durch die ganze deutsche Literatur und
wohl auch durch die Literatur anderer; Länder geht.
Wahrlich! wäre Österreich so in Nacht und Barbarei
versunken, wie sie uns gewöhnlich und mit Lust schil-
dern; hätten seine Herrscher, seine Staatsmänner und
Kriegshelden sich solche Schwächen, Fehler, Unge-
schicklichkeiten, Ungerechtigkeiten usw. zu schulden
kommen lassen, als nach den Angaben jener Schrift-
steller geschehen war, so hätte der österreichische
Staat längst in sich zusammenstürzen müssen. Daß
dies nicht geschehen ist, daß er nach so vielen Bedräng-
nissen, schweren Kriegen, blutigen Niederlagen und
beständigen Anfeindungen, obwohl aus heterogenen
Teilen bestehend, sich nicht allein erhalten hat, son-
dern gewichtiger und glänzender im Staatenvereine
von Europa dasteht als je, ist wohl die beste Wider-
legung jener parteiischen Schmähungen, deren allzu
lauter Ton sich erst seit 18 13 etwas gemildert und billi-
gern Ansichten Platz gemacht hat. Seit nämlich-das,
von allen im Kampf mit dem Riesen der Revolution
verlassene Österreich, das einsam, blutend, aber doch
herrlich nach der Schlacht von Aspern auf dem Wahl-
platze stehen geblieben war, von jenen Feinden selbst
um seinen Beitritt, Schirm und Hilfe ersucht ward und
sich aufs neue in seiner Kraft erhob, um Deutschland
zu retten. Ohne Österreich, was hätte Preußen aus-
richten wollen, dem seine lobhudelnden Schriftsteller
doch gern den Ruhm jener Befreiung allein zuschrei-
ben möchten ?
Damals also, um wieder auf jene Zeiten einzulenken,
von denen früher die Rede war, dachte niemand an
104
Österreichs Ruhm, an seine geschichtHche Würde, an
die Taten seiner Voreltern. Was hinter dem sechzehn-
ten Jahrhundert lag, wurde Barbarei genannt, unsere
Nationalgeschichte war uns fremd, wir lernten sie als
etAvas neues in der Jugend wie die französische oder
englische, und die meisten Geschichtsbücher, die man
der Jugend gab, waren ja von Protestanten oder pro-
testantisch aufgeklärten Katholiken geschrieben. So
gestaltete sich vor unserm Blicke Vaterland und Reli-
gion in diesem Sinn. Wir waren weder rechte Katho-
liken noch rechte Österreicher und in selbstgefälligem
Eigendünkel, der nur uns allein von dem allgemeinen
Tadel ausnahm, sehr bereit, über alles zu spotten, was
in unserm Vaterland geschah. Das war damals Geist
der Zeit, er hatte auch mich ergriffen, und so wählte ich
den Stoff zur Romanze aus dem Romane, der auf mich
einen tiefen Eindruck gemacht hatte und hielt mich an
die Fiktion desselben, vermöge welcher Blondel nach
Richards und Walters Tod sich mit Mathilden, der
Geliebten, der Gattin des ersten, auf eine Insel des
Mittelmeeres zurückzieht (wenn ich nicht irre, eine der
Hyeres) und dort ihrem und seinem Schmerze lebt.
Ein leises Lüftchen schwebt um mich,
Füllt mich mit süßer Trauer.
Der Harfe Saiten regen sich,
Es bebt das Gras der Flur, und mich
Ergreift ein heiiger Schauer.
)
Woher, o Lüftchen i Spieltest du
Um eines Freundes Hügel?
Wie — oder schwebet ungesehn
Ein Geist um mich, bist du sein Wehn,
Das Rauschen seiner Flügel.''
Bist du vergangner Zeiten Hauch,
Die längst vergessen liegen.''
105
wie um den Fels ein Windstoß irrt,
Die Wellen hebt, im Schilfe schwirrt.
Wenn längst die Stürme schwiegen?
All meine Freunde schlummern schon,
Zerrissen sind die Bande.
Auf meines Walters*) grünend Grab
Streun Palmen ihren Duft herab,
Fern im gelobten Lande.
Auch Richard schläft — der Name weckt
Die Seele Blondels wieder.
Ein halbverklungenes Gefühl
Wird laut — es bebt mein Saitenspiel
Und tönt vergeßne Lieder.
Bewohnerin des Eilands, komm,
Steig' von dem Felsenhange.
Mathilde, helle deinen BUck,
Die Toten ruft kein Schmerz zurück,
Komm, lausche dem Gesänge.
Man wird wohl erkennen, daß die Lesung von Os-
sians Gesängen vielen Einfluß auf die Art der Darstel-
lung hatte. Ebenso war der Anfang einer andern Ro-
manze den Ossianschen Gesängen nachgebildet, aber
die erste Anregung dazu kam mir im damaligen Garten
des Grafen Kobenzl auf dem Kahlenberge, der mir
überhaupt durch seinen einfachen, etwas düstern und
erhabenen Charakter ungemein gefiel, und den ich
allen übrigen bis dahin gesehenen Gärten, selbst dem
Dornbacher Park, vorzog ^^^). Es war noch überdies
an einem etwas trüben Herbsttag, als ich ihn zum
erstenmal besuchte. Das verschwiegene Waldtal mit
seinem durch die Wiese schlängelnden Bach, die maje-
stätische Grotte am Ende desselben, aus der sich der
Quell herausstürzte und sein eintöniges Rauschen
*) Walter von Montbarry.
io6
mit den trüben Schatten des Waldes und dem sch\^er-
mütigen Anblick der Landschaft vereinigte, machte
einen tiefen Eindruck auf meine Seele, welcher sich
dann in der Romanze aussprach, wovon ich den An-
fang hiehersetze:
Was schallet dort aus jener Felsenhöhle
Das rings umschloss'ne Tal entlang
Für ein beweglicher Gesang?
In Wehmut löst sich meine ganze Seele
Bei dieser Stimm' und dieser Laute Klang.
Wer bist du, Felsensohn, deß laute Klage
Den Widerhall in diesen Bergen weckt?
Jetzt, da der Mond noch halbversteckt
Sein Silberhorn nach einem trüben Tage
Aus den zerriss'nen Nebelwellen streckt.
Sei mir gegrüßt! O schöpf aus deiner Quelle
^ Mir eine Schale Wasser nur.
Durch Feld und Wald, durch Haid' und Flur
Verfolg ich seit des Morgens erster Helle
Auf diesen Höhn des flüchtgen Wildes Spur.
„Hier ist der Trank, und hier sind Brot und Früchte,"
Erwidert ihm der Eremit,
Wie er den muntern Jäger sieht,
Auf dessen Stirn und bräunlichem Gesichte
Der Jugend Mut, der Jagd Ermüdung glüht.
Der Eremit befragt den Jüngling um seine Her-
kunft, seinen Namen; er erwidert:
Ich heiße Wood. Am wasserreichen Clyde,
Dort, wo von Nebeln stets umschwebt,
Ein Berg sich in die Lüfte hebt,
Dort wohnt mein Vater, ich bin seine Freude,
Der einzge Sproß, in dem sein Stamm noch lebt.
Seit langer Zeit, seit meinen Kinderjahren,
Ruht meine Mutter schon im Grab,
Sie sank zu früh für mich hinab;
Ach, ihre ersten süßen Küsse waren
Die letzten, die sie ihrem Sohne gab.
107
^•^ Nun kommt sie nur zu meinen stillen Träumen,
Ein Schattenbild, gewebt aus Luft,
ij Ihr Kleid Ist wie des Hügels Duft.
So leise seufzt der Abendwind in Bäumen,
Als ihre Stimme tönt, wenn sie mir ruft.
Es' ergibt sich im Verlauf der Romanze, daß Wood
der Sohn der JugendgeHebten des Einsiedlers ist,
und dieser erzählt dann die Geschichte seiner unglück-
lichen Liebe. Wer hätte mir damals gesagt, daß 25 — 30
Jahre später aus jenen nebligen Gegenden Schottlands,
die meine Seele so mächtig ansprachen, eine Reihe von
Dichtungen hervorgehen würde (Walter Scotts Werke),
welche nicht allein mich, sondern ganz Europa ent-
zücken würden!
Ungefähr um diese Zeit bekam ich auch Herders
Schriften, seine zerstreuten Blätter, seine Ideen zur
Philosophie einer Geschichte der Menschheit in die
Hände und da von jeher Naturlehre und Geologie
einen wunderbaren, geheimnisvollen Reiz für mich
gehabt hatten, so faßte ich diese letzteren Schriften
sehr begierig auf. . .^^*').
Während der letzten hier geschilderten Jahre hatte
meines Bruders Geist, so wie sein Charakter und selbst
sein Äußeres sich sehr vorteilhaft und ganz anders, als
seine frühern Anlagen vermuten ließen, entwickelt.
Zwar hatten die Blattern seine kindische Schönheit
zerstört, aber seine Züge, der Ausdruck seines Gesichts
war bedeutend, ernst und doch von unendlicher Güte
zeugend, die denn auch wirklich in seinem Gemüte
herrschte, f Dabei war sein Wuchs hoch, tadellos, und
sein Anstand vortrefflich, so daß er zwar nicht zu den
schönen, aber zu den sehr interessanten Männern ge-
108
zählt werden konnte. Auch gefiel er den Mädchen,
meinen Gespielinnen sehr wohl, und manch kleiner
Liebeshandel, wie es denn die damalige Sitte und
Denkart mit sich brachte, knüpfte sich trotz seiner
Jugend an. So wenig meine Gesinnung und mein Be-
tragen gegen diesen treffhchen Jüngling in unserer Ju-
gend zu billigen gewesen war, so hing ich doch jetzt
mit desto wärmerer Liebe an ihm; ich kannte seinen
tiefen Wert, ich achtete ihn aufs innigste, ja ich ord-
nete oft und gern mein Urteil dem seinigen unter, das
sich stets höchst eigentümhch und richtig erwies, und
sagte ihm oft im Scherz, doch mit sehr ernstem Ge-
fühl, daß ich ihn lieber heiraten möchte als alle an-
deren jungen Männer, die mich umflatterten; aber du,
setzte ich dann hinzu, du würdest mich nicht nehmen,
denn mir fehlt, was dich an Mädchen am meisten reizt,
ein majestätisches Ansehen und würdiger Ernst des
Benehmens. Ich war nämhch stets sehr munter, nicht
immer besonnen, und vor allem, ich weiß nicht, ob es
mir zum Lob oder Tadel gereicht, nicht imstande,
mein Betragen gehörig abzumessen, und meinem leb-
haften Gefühl, dessen Ausdruck sich meist unwillkür-
Hch in meinen sehr bewegHchen BHcken und Zügen
malte, so zu gebieten, daß ich mir Herrschaft üJber an-
dere dadurch hätte erwerben können. Ich gab mich
und mußte mich geben, wie ich war, und wem ich so
mcht gefallen konnte, auf dessen Neigung mußte ich
verzichten, besonders da keine einnehmende oder
schöne Gestalt mir zu Hilfe kam.
Zu unsern geseUigen Freuden hatte sich eine neue
gefunden. Durch einen Jugendfreund und Schul-
kameraden meines Bruders, eirien Vetter jenes Baron
K***, der jetzt im Felde stand, hatte die Lust und der
Geschmack für kleine Hauskomödien sich bei uns ein-
gebürgert. Des jungen Menschen Eltern, altbe-
kannte und geschätzte Freunde der meinigen, die sich
vor ein paar Jahren in Wien niedergelassen hatten, da
sie früher in Ofen gelebt, erneuerten die freundschaft-
lichen Verhältnisse gern; eine Tochter, nur um ein
paar Jahre älter als ich, fand sich ebenfalls in dem Hause,
und so bildeten wir jungen Leute einen vierblättrigen
Klee, an welchem sich zwei und zwei Blätter stärker
einander zu neigen begannen. Meinen Bruder zog die
schlanke, ernste, hochgesinnte Therese, ein übrigens
sehr schätzbares Mädchen an, und ihr Bruder, den ich,
um ihn von seinem Vetter zu unterscheiden, Karl
nennen will, brachte mir seine Huldigungen dar 2^^).
Aber er vermochte mein Herz nicht zu rühren. Um
einige Jahre jünger als ich, noch Student, gutmütig,
aber eitel, voll Talente, aber ohne Fleiß und erworbene
Kenntnisse, war er von dem Bilde eines ernsten, wür-
digen Mannes, den ich von ganzer Seele achten, oder
eines geist- und kenntnisvollen, den ich bewundern
hätte können, viel zu entfernt, um mir anziehend zu
erscheinen. Auch trug die Erinnerung an seinen Vetter,
der bereits als Mann wirkend und tätig ins Leben ge-
treten war und seinen Platz mit Auszeichnung füllte,
ebenfalls bei, ihn bei mir in Schatten zu stellen. Aber
der junge Mensch war ein Tausendkünstler. — In
wenigen Tagen hatte er für den Geburtstag des Va-
ters ein kleines Theater gebaut und gemalt, ich wurde
gebeten, ein Schäferspiel oder so etwas zu schreiben,,
das sich für unser Personal, aus vier Personen bestehend,
paßte. Gesang sollte auch dabei sein. — Ich entwarf
1 10
einen winzigen Plan, wir legten bekannte Arien ein, be-
hielten den ursprünglichen Text bei, wenn er sich zur
Szene paßte, oder ich dichtete einen andern, wie das
Stück ihn erheischte. Am Ende war ein Schlußchor
mit dem Glückwunsch und der Anwendung ange-
bracht. So armselig das Ganze war, wenn man es ab-
solut als Schauspiel, Dichtung, Operette und Deko-
ration betrachtete, so machte es doch an Ort und Stelle
durch Überraschung und gute herzliche Meinung den
gehörigen Effekt, und wir erhielten alle großes Lob.
Von da an erwachte die Lust und Freude an dieser
Art von geselliger Unterhaltung in meinem Bruder und
mir, und wir wußten bald unsere Eltern zu vermögen,
uns ein kleines Theater bauen zu lassen, das, geschickt
eingerichtet, sich leicht i.und in wenig Stunden abbre-
chen und wieder aufrichten ließ, um den großen Salon,
den mein Vater zu seinen Musiken, und wir selbst im
Fasching sehr gern zu den kleinen Picknickes brauch-
ten, die bei uns statthatten, immer zu gehöriger Zeit
in einen Tempel Thaliens, und aus diesem wieder in
seine ursprüngliche Gestalt umzuwandeln. Sobald un-
ser Vorsatz, Hauskomödien (eine damals sehr gewöhn-
liche Unterhaltung) bei uns zu geben, bekannt wurde,
fand und sammelte sich bald ein sehr ansehnliches und
in einigen Mitgliedern bedeutendes Personal um uns.
Ein Herr von Kirchstettern^^^) gab die Rollen, welche
man 8 — lo Jahre vorher von dem großen Schröder
hatte spielen sehen, mit einer für einen Dilettanten
bewundernswürdigen Kunst und Kraft. An einem
Herrn Eberl^^^), einem sehr artigen und gebildeten
Mann, besaß unsere Truppe einen ersten Liebhaber,
der dies schwere Fach auf, und auch wohl aiißer der
Bühne mit seltenem Glücke übernahm, und dem eine
III
auffallende Ähnlichkeit mit dem berühmten Schau-
spieler Lange, der eben dies Rollenfach auf dem Hof-
theater inne hatte, sehr zustatten kam. Wie Lange
schmächtig, blond, zierlich und voll Anstand, hatte er
auch die Ähnlichkeit mit ihm, daß seine im Grunde gar
nicht hübschen Züge auf dem Theater und mit der
Schminke beinahe schön erschienen. Überdies erbot
sich der vieljährige, treue Freund meiner Eltern, Herr
von Alxinger, mit Vergnügen zur Teilnahme an un-
serm Projekte, und übernahm, nebst einer Art von Di-
rektion, jene Rollen, die damals die Brockmannschen
von diesem Schauspieler genannt wurden, junge Ehe-
männer, launigte Charaktere, auch einige komische
oder Charakterrollen, und führte sie, wenn es nur keinen
Anstand oder tiefere Empfindung bedurfte, sehr gut
aus^^^). Mein Bruder übernahm das Fach der komischen
Bedienten, zweiten Liebhaber usw. Andere hübsche,
junge Mädchen fanden sich zu zärtlichen oder ernsten
Rollen, mein Fach war das der muntern jugendlichen
Charaktere, schnippischer oder koketter Mädchen,
wohl auch der Soubretten. Etwas Zärtliches oder
Rührendes brachte ich durchaus nicht aus meinem
Innern heraus; in jenen Rollen aber gefiel ich, und un-
sere ganze Truppe erwarb sich Beifall.
Ein Zyklus von geselligen Freuden bildete sich nun
in unserm vielbesuchten Hause. Wenn wir vom Lande
(einem hübschen Gartenhaus, das meine Eltern in der
Nähe besaßen) im Herbst nach der Stadt zogen, wurde
gleich das Theater aufgeschlagen und einige Stücke ge-
geben: Minna von Barnhelm, die falschen Vertraulich-
keiten, Maske für Maske, die unversehene Wette, der
seltene Freier, die Glücksritter nebst vielen andern ^^^).
Wie der Advent heran kam, mußte das Theater fort,
112
E. Henne sc. — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
\
und die wöchentlichen Quartetten begannen, bei wel-
chen ich jederzeit spielen mußte, und die von einer
sehr zahlreichen und glänzenden Gesellschaft besucht
wurden, nicht weil sie so vorzüglich waren, sondern
weil es Mode war, unser Haus zu besuchen. Dann folg-
ten im Fasching ebenso wöchentliche Picknicks, an de-
nen aber nur, eben des Raumes wegen, ein kleiner, ge-
wählter Kreis von bessern Bekannten Anteil nahm, und
an deren zwanglose und lebhafte Freuden sich jetzt
noch, nach viel mehr als dreißig Jahren, die wenigen
Teilnehmer, die diesen Zeitraum überlebt haben, mit
Vergnügen erinnern. Nach dem Fasching begannen
die Quartetten abermals, und nach Ostern wurde das
Theater aufgerichtet und die Komödien nahmen ihren
Gang, bis wir aufs Land zogen, und einen Sommer
spielten wir sogar in unserer Gartenwohnung, bis die
Hitze dem Spaße ein Ende machte.
Mein Geist und meine ganze Denkart hatten sich
unter dem Einflüsse eines zerstreuten, vielbewegten
Lebens und der allgemeinen Richtung des Zeitgeistes
diesem in manchen Stücken gemäß, in manchen zu-
wider ausgebildet. In meinem Innern hatte sich
ein tiefer Grund von Religiosität erhalten, der den
Einwirkungen freigeistischer oder sogenannter philo-
sophischer Schriften widerstrebte. Dennoch ver-
mochte mein Verstand nicht, den Behauptungen,
Schlüssen und Spöttereien jener Schriften ganz zu
widerstehen. Sie machten unwillkürlich Eindruck auf
meinen Geist, und wenn hier der Witz, mit dem irgend-
ein wirklicher Mißbrauch oder ein Aberglauben ver-
spottet wurde, mich unterhielt, indem er mich ärgerte,
8 CP. I „3
so war ich nicht immer, ja leider nur selten imstande,
das Sophistische, Seichte oder Falsche in dem gegen
die Lehren des Christentums und dessen eigentliche
Wesenheit gerichteten Angriffe ernsterer Bücher dieser
Art zu erkennen und dadurch ^unschädlich für meine
Überzeugung zu machen. Tief im Innersten erschüt-
terte und empörte mich Schillers „Resignation";
aber ich wußte ihr nichts entgegen zu setzen, als mein
Gefühl, daß dem nicht so sei, wie er behauptete 2^®);
Gar viele, und gewiß sehr gefährliche Bücher fielen in
meine Hände, welche ich früher schon genannt:
Bahrdts Bibel im Volkston, Horus, die Ruinen von
Volney, L'antiquite devoilee^^') usw. Wie mich
die Ideen gequält, welche aus diesen Schriften gleich
scharfen Pfeilen von allen Seiten in das innerste
HeiHgtum meiner Seele eindrangen, vermag ich nicht
zu beschreiben. Ein Streit meines Verstandes und
meines Gefühles begann, und manche wichtige Lehre
der Offenbarnng sank unter diesem Kampfgetümmel
nieder, und ich vermochte damals nicht, sie wieder
in mir zu beleben. Es war ein peinlicher Zustand,
dessen ganze Widrigkeit ich empfand, ohne die Macht
zu haben, ihn auf irgendeine Weise zu ändern. Zum
Freigeist war mein Inneres zu fromm, zu weich, und
alte Ideen behaupteten noch immer ihr Recht über
meine Seele; zum kindlichen Glauben hatte ich zu viel
gelesen, und ihn bald mit Ernst erschüttert, bald mit
Witz verspottet gesehen. Gott erbarme sich meiner.
Ein tiefer Schmerz mußte mich zu ihm zurückführen.
Die Taten des Feldzugs von 1789 waren glänzend ^
gewesen, sie verbreiteten einen hellen Schimmer über
114
die abnehmenden Lebenstage Kaiser Josefs, der
in der vollen Reife männlicher Kraft, noch nicht
CO Jahre alt, an einem unheilbaren Überseinem Ende
entgegenging. Gewaltig war der Umschwung, den
seine Denk- und Handlungsweise seinen Staaten und
mit ihnen der Gesinnung seiner Untertanen ge-
geben hatte. Ich habe oben, wo von dem Tode seiner
Mutter und Vorfahrerin die Rede gewesen, gesagt,
daß damals eine neue Zeit für Österreich begonnen
habe; und so war es auch, obgleich Kaiser Josef viel-
leicht nur, wie manche behaupten, mit eigener Hand
die Schranken öffnete, welche seine Untertanen von
jenen freisinnigen Begriffen, erhöhten Forderungen
und eigenmächtigerm Hervortreten noch trennten, zu
welchen sich in Frankreich das Volk selbst gewaltsam
Bahn gemacht hatte. Ja, ich habe es mehr als einmal
von Männern, welche dies genau zu wissen vorgaben
und es wohl auch wissen konnten, gehört, daß Kaiser
Josef bei seiner letzten Anwesenheit in Paris, kurz
vor dem Ausbruche der Revolution, sich selbst von
der Stimmnng des Volkes, von den Umtrieben der
Mißvergnügten und den Systemen nnd Entwürfen
der Schriftsteller unterrichtet und dadurch die Über-
zeugung gewonnen habe, der Neuerung sei nicht mehr
zu widerstehen und es sei besser, wenn die Reformen,
die nun einmal unumgänglich notwendig geworden,
vom Throne selbst ausgehen, als wenn das Volk sie
gewaltsam ertrotze. In dieser Überzeugung habe er
seine Schwester, die unglückliche Königin Antonie noch
treulich, aber leider vergeblich gewarnt, und dann bei
sich zu Hause mit großartigem Sinn selbst vorzubereiten
und zu verbessern sich bemüht, was er dem mächtig
herandrängenden Zeitgeiste gemäß erachtet ^^s^,
8*
115
Wie dem immer sei, der unglückliche, von dem
blendenden Wahnbild echter Freiheit geäffte Forster,
der in Paris als ein Opfer seines Enthusiasmus und
der folgenden bittern Enttäuschungen starb^^»), hat in
seiner Reise nach Niederland ein Wort über Kaiser
Josef gesagt, das mich mächtig ergriff und mir höchst
wahr scheint. — Er sagt nämlich: „Aus der Fackel
seines (Kaiser Josefs) Geistes ist ein Funke in Öster-
reich gefallen, der nie verlöschen wird''^^**). Glänzend,
feurig belebend w^ar dieser Funke allerdings; aber wie
alles Feuer tat er auch weh, wenn man ihm zu nahe kam,
und war ebenfalls von Rauch nicht ganz frei.
War es Vorgefühl der kurzen Laufbahn, die ihm
von der Vorsicht gestattet war? war es innerer stür-
mischer Antrieb, der sich durch den Widerstand, den
er überall fand, noch mehr erhitzte ? war es über-
wiegende Kraft des Verstandes, die das Gefühl oft zum
Schweigen brachte — genug, so menschenbeglückend
auch Kaiser Josefs Pläne und Vorbereitungen waren,
so wenig man in der Idee daran tadeln konnte, so
fielen sie doch in der Ausführung oft zu hastig, meist
zu hart und schonungslos aus, und es schien öfters, als
sollte alles Alte, Langbestandene, Langverehrte bloß
deswegen, weil es dies war, niedergerissen werden.
Wenn ich jetzt, nach 40 Jahren, auf jene Zeit zurück-
blicke, geht mir aus der Vergleichung mit dem, was
nun in Frankreich und auch in Deutschland geschieht,
erst recht das Verständnis jenes Strebens auf, das-
Kaiser Josef in mancher seiner Anordnungen zu be-
seelen schien. Das Alte sollte fort — gleichviel ob es
schädlich oder nützlich, dem Menschen gleichgültig
oder drückend oder wohl gar lieb war — genug, es
war alt, und taugte darum nicht mehr in die neue Welt,
116
die sich damals zu gestalten anfing. Aber in der Praxis
geht nur langsam, ruckweise und mit oft krebsgängigen
Schritten die Umwandlung vor, die der Gelehrte oder
Staatsmann in seinem Kopf schnell erzeugt, und wohl
kann man die Zeit in dieser Hinsicht jenen Pilgern des
Mittelalters vergleichen, die auf einer Wallfahrt stets
nach 2 bis 3 Schritten vorwärts einen zurück taten;
indes kamen sie doch, wiewohl langsam, weiter, und
jene Rückschritte hemmten nur, aber sie hinderten
die Reise nicht. So ist es auch mit der Ausbildung dieser
neuen Zeit und ihrer Gesinnung; aber man ist jetzt
klüger und überstürzt sich nicht wie damals.
Damals, vor 40 Jahren, war man noch nicht so weit
vorgeschritten. Es gab viele, die sich dieser Neue-
rungen, dieser Aufklärung, dieses Wegräumens alten
Schuttes von Vorurteilen, Kastenzwang usw. als glück-
licher Schritte zu einem sichern Heil erfreuten; weit
mehrere indes, die sie mißbilligten, weil entweder
ihr Vorteil darunter litt oder weil ihre in entgegen-
gesetzten Begriffen erzogenen Geister sich über diese
neuen Ansichten, als über Ketzereien, entsetzten.
Mitten zwischen diesen beiden Äußersten befand sich
aber eine bedeutende Anzahl von Personen, die viel-
leicht eben durch ihre gemäßigtere Meinung sich als
diejenigen bewiesen, die ohne Vorurteil oder Eigen-
nutz, ja vielleicht von Hoffnung eben so weit als von
Furcht entfernt, ein richtiges Urteil besaßen. Diese
ließen zwar dem edlen Willen des Monarchen alle Ge-
rechtigkeit widerfahren, sie billigten, ja sie erfreuten
sich der meisten seiner Anordnungen, welche die Er-
leichterung und sorgfältigere Bildung der untersten
Klassen, die Abstellung alter Mißbräuche, die Ein-
schränkung lästiger Vorrechte und Privilegien, end-
117
lieh die Gedankenfreiheit und allgemeine Duldung
zum Gegenstande hatten. Aber sie konnten die rasche
Hastigkeit, womit alles betrieben wurde, und die oft
jenseits des Zieles schoß, sowie den Mangel an Schonung
und Billigkeit bei Ausübung der strengsten Gerechtig-
keit nicht gutheißen. Ebensowenig waren diese ge-
mäßigten Beurteiler mit dem übereilten Aufklären der
untern Volksklassen und mit dem gewaltsamen Weg-
räumen so mancher Schranken und hindernden Be-
griffe zufrieden, welche in dem Gewissen des Volkes
dort ihre stille Macht gegründet hatten, wohin das
Gesetz zu reichen nicht imstande ist.
Ich war wohl im ganzen noch zu jung, um dies alles
nach meinen eigenen Ansichten zu beurteilen; aber
ich hörte verständige Menschen von verschiedenen
Parteien sprechen, und mein eigenes Gefühl fand sich
durch manche Neuerung, die an die Stelle eines alten,
liebgewordenen Gebrauchs, einer wohlbekannten Ge-
wohnheit getreten war, abgestoßen, sowie durch man-
ches Harte und Schonungslose in dem Verfahren des
Monarchen verletzt. Ich erinnere hier nur an den —
freilich nicht durchgesetzten — Befehl, die Leichen
künftig ohne Sarg, in Säcken zu begraben und mit
Kalk zu überschütten. Vielleicht konnte der kalte Ver-
stand hierin eine zweckmäßige Verordnung finden und
verteidigen; aber das Gefühl der ganzen Stadt war
empört, und die Sache mußte unterbleiben, weil
„meine Untertanen", wie Kaiser Josef bei Auf-
hebung dieses Befehls schrieb, „länger Äser bleiben
wollen!! 2^^)" Ebenso unbillig schien mir die strenge
Gerechtigkeit, welche, alles vor dem Gesetze nivel-
lierend, einen Grafen, einen Hofrat, einen angesehenen
Privatmann zu eben der Strafe des Gassenkehrens wie
ii8
den Taglöhner, den Hausknecht usw. verdamnate,
deren tägliches Geschäft jenes ohnedies war, und die
noch dazu von niemand vermißt, von niemand ge-
kannt, als den wenigen, ebenfalls der Welt verborgenen
nächsten Verwandten, ihre Schmach in ihrer Dunkel-
heit begruben und daher minder fühlten ^^2).
Was aber auch immer mit Recht und Unrecht an
dem Verfahren des Kaisers getadelt worden war, und
wie stark sich die Unzufriedenheit darüber fast über-
all in seinen Staaten zeigte, litt doch vielleicht nie-
mand von all den Tausenden, die über ihn klagten,
darunter so tief, so schmerzlich als er selbst. Gleich
als wollte das Schicksal ihn für dieses stolze Voraus-
nehmen strafen, mußte der Monarch mitten in einer
ruhmvollen Laufbahn, lange vor der natürlichen Todes-
zeit an einem langwierigen Siechtum dahinwelken,
und noch vor seinem Ende viele seiner kühnen Pläne
in sich zusammenstürzen sehen; viele seiner Verord-
nungen, durch die drohenden Umstände gezwungen,
selbst zurücknehmen. So trotzten die Ungarn, bei
denen er sich ebensowenig als in den übrigen Erb-
staaten hatte krönen oder huldigen, und deren Krone
er wie die böhmische und den Herzogshut von Öster-
reich aus den respektiven Orten, wo sie bisher als
HeiHgtümer waren bewahrt worden, nach Wien hatte
bringen lassen, ihm die ihrige noch bei seinem Leben
ab, und er mußte es zugeben, daß sie wie im Triumphe
von ihnen nach Ungarn zurückgeführt wurde ^^). Die
Niederlande waren in vollem Aufstande; die Steuer-
regulierung, die wohl eigentlich dem Untertan zu
emer großen Erleichterung gemeint und wohltätig ge-
wesen wäre, hatte den ganzen Adel gegen den Mo-
narchen aufgeregt; die Geistlichkeit, die sich seiner
119
nie und nirgends zu beloben, Ursache gehabt hatte,
suchte die Herzen des Volkes von ihm abzuwenden. —
Überall war Unzufriedenheit, Gärung, und zuletzt
mußte der unglückliche Fürst noch den schmerzlichen
Schlag in seinem Hause erleben, daß die Gemahlin
seines Neffen und Nachfolgers, unsers geliebten
Kaisers Franz, die liebenswürdige Elisabeth von Würt-
temberg, zwei Tage vor ihm an den Folgen einer
schweren Niederkunft starb ^^^). Sie war dem k. rus-
sischen Hause nahe verwandt, diese Rücksicht machte
diese Verbindung dem Kaiser besonders wert, der Erz-
herzog liebte seine junge Gemahlin, alles das zerstörte
der kalte Hauch des Todes, und Josef sah so noch,
bevor er die Augen schloß, die meisten seiner Pläne
zusammenbrechen und seine Hoffnungen vernichtet.
Die Erzherzogin war am i8. Februar 1790 um 6 Uhr
morgens verschieden; Kaiser Josef folgte ihr am 20.
darauf, und zwei fürstliche Leichen lagen zugleich im
kaiserlichen Palast auf den Paradebetten.
Es sei mir erlaubt, einige Züge, einzelne Striche
zu dem Bilde des großen Verewigten, das in seiner
vollen Herrlichkeit nun vor den Augen der Nachwelt
steht, hier einzuschalten, welche, wie mich dünkt,
manche Eigentümlichkeit seiner Sinnes- und Hand-
lungsart erklären, und die ich teils den Erzählungen
meiner Mutter, teils Mitteilungen von Personen danke,
die wohlunterrichtet sein konnten, weil ihre Geburt
und Stellung in der Welt sie dem Hofe nahe brachten.
Kaiser Josef war ein äußerst schönes, herrliches,
geistvolles Kind, mit ausgezeichneten Anlagen und
einer" sehr starken Willenskraft. Diese Willenskraft
120
wurde gefürchtet; man wollte sie bändigen, man wollte
dem eigensinnigen Knaben, wie man sich ausdrückte,
den Kopf brechen. Das wäre auf jeden Fall ein
mißliches Unternehmen gewesen, auch wenn Eltern
und Erzieher alle nötige Kraft, Einsicht und Mui3e
besessen hätten, um dies Experiment zu leiten. Aber
Maria Theresia war Regenti^ großer Staaten, und
konnte, so wichtig ihr ihre Mutterpflicht war, sich
dieser doch nicht widmen. Ihr Gemahl war von allen
Geschäften entfernt. Wohl wählte sie die Männer,
deren Leitung sie den Prinzen, den künftigen Erben
ihrer Krone übergeben wollte, mit Rücksicht und Sorg-
falt; dennoch fielen diese Wahlen unglücklich aus, und
der Prinz, mit seinem überwiegenden Geiste, mit
seinem vorstrebenden Genius, sah sich von Männern
umgeben, und, was schlimmer war, solchen untergeben,
die er weit und leicht übersah. Seine Ansichten, seine
Entschlüsse waren immer die bessern, klügern, passen-
deren gewesen, und er wurde gezwungen, sie fahren
zu lassen, um sich beschränkten, unstatthaften Mei-
nungen zu fügen, die ihm noch dazu mit einer kränken-
den Superiorität aufgedrungen wurden. Das wars, was
man hieß: ihm den Kopf brechen, und was vielleicht
den Keim jenes Starrsinns in ihm entwickelte und
mächtig nährte, der ihn später zu manchem falschen
Schritt verleitete ^^^). Kaiser Josef hatte mehrere
Brüder, wovon einige ihn überlebten. In früherer
Jugend stand ihm der Zweitgeborne, der Sohn des
Kaisers, während Josef nur der Sohn des Groß-
herzogs war, am nächsten. Dieser Erzherzog, Karl ge-
nannt, scheint in vieler Rücksicht in einer Art von
Opposition mit dem altern Bruder gestanden zu haben.
Schon der Vorzug der Purpurgeburt — so zufällig,
121
so unbedleutend er bei dem entschiedenen Rechte des
Erstgebornen sein mußte, war eine Art von Zankapfel
zwischen den Knaben, von denen der ältere das Über-
gewicht durch Verstand und Geisteskraft, sowie der
jüngere durch Gemüt und Liebenswürdigkeit be-
hauptete. Immer aber ist solch ein Antagonismus von
schädlichem Einfluß auf die Herzen der Geschwister,
und es war vielleicht ein Glück, daß ein frühzeitiger
Tod im beginnenden Jünglingsalter den gefährlichen
Nebenbuhler Karl hinraffte und so diesen Zwist
löste ^^^). Aber in Josefs Seele keimte nach und
nach etwas Bitteres, Scharfes, Schneidendes empor,
das einen verdunkelnden Schatten auf seine großen
Eigenschaften warf.
Das Unglück seiner beiden Ehen mochte ebenfalls
vieles dazu beigetragen haben. Man hatte die Prin-
zessin von Parma, Isabella, für ihn gewählt. Diese
Prinzessin hatte sich früher dem Kloster bestimmt, und
eine Anekdote, welche ich von ihr erzählen hörte, läßt
helle Blicke in die Tiefe ihres kräftigen und eigentüm-
lichen Gemütes werfen. Ihr war eine geliebte Person —
wenn ich nicht irre, ihre Mutter — gestorben. Ganz
in den tiefsten Schmerz aufgelöst, kniete sie am Sarge
und flehte zu Gott, sie bald mit der Vorangegangenen
zu vereinigen. Da war es ihr, als spräche jemand die
Zahl drei aus. Ihre hocherhobene Seele ergriff mit
Begierde diesen, wie sie glaubte, prophetischen Aus-
spruch, und in drei Tagen hoffte sie die Erfüllung
ihres sehnlichen Wunsches. — Aber es vergingen drei
Tage, drei Wochen, drei Monate, und der erwartete
Friedensbote, der die der Welt Überdrüssige abrufen
sollte, erschien nicht. Wohl aber erschienen bald dar-
auf die Boten des österreichischen Hofes, welche die
122
Hand der Prinzessin für den Erben so vieler Kronen,
für einen der schönsten, geistvollsten und versprechend-
sten Prinzen forderten. Nur ungern, nur aus Zwang
entsagte die Prinzessin ihrem Wunsche, ihr Leben in
Einsamkeit und Trauer hinzubringen und ward des
römischen Königs (denn das war Josef damals schon)
Frau. Er umfaßte die nicht schöne, aber höchst liebens-
würdige und anziehende Braut mit aller leidenschaft-
lichen Glut eines starken Gemütes. Er liebte sie hef-
tig, innig, zärtlich, und obwohl sie, diese Gefühle zu
erwidern, sich außerstand fühlte, so mußte sie doch,
von ihrem richtigen Verstand und einem geläuterten
Gefühle geleitet, sehr wohl verstanden haben, selbst
den Forderungen seines liebenden Herzens zu ent-
sprechen; denn solange sie lebte, glaubte er sich von
ihr geliebt.
Eine Prinzessin ^37) ward bald darauf zum neuen, be-
glückenden Bande zwischen den jungen Eheleuten;
doch dies Glück sollte nicht von Dauer sein. Ehe
drei Jahre nach jenem verhängnisvollen Ereignis am
Sarge der Verewigten dahingegangen waren, starb
Isabella von Parma an bösartigen Blattern im Arme
ihres verzweifelten Gemahls ^^s).
Während ihres kurzen Lebens an seiner Seite hatte
sich ihr Herz, vor allen andern, einer seiner Schwe-
stern, der wunderschönen Erzherzogin -Christina, nach-
maligen Gouvernantin der Niederlande, zugeneigt.
Mit dieser hatte die Verstorbene einen Freundschafts-
bund errichtet und häufige Briefe gewechselt, in wel-
chen sie ihr Herz und den wahren Stand ihrer Emp-
findungen treu darstellte. Als nun Christina ihren ge-
liebten Bruder so der Verzweiflung zum Raube sah,
sie, die doch wußte, daß er um ein Gut trauerte, was
123
er im Grunde nie besessen, um Isabellas Liebe —
glaubte sie sich aus Mitgefühl und Rechtlichkeit ver-
pflichtet, dem Getäuschten die Wahrheit zu eröffnen,
und so seinen allzuheftigen Schmerz zu mäßigen. —
Sie zeigte ihm die Briefe der Verstorbenen. — Es war
ein Mißgriff, ein unseliger Einfall! und er verfehlte
seine Wirkung nicht. Josef sah sein blutendes, hin-
gebendes Herz verschmäht " — getäuscht; seine hohe
Meinung von der Verstorbenen zernichtet 2^^). —
Wohl mögen seine Tränen um die Verlorne versiegt
sein; aber Erbitterung, Verachtung gegen das ganze
weibliche Geschlecht setzten sich in seiner Brust fest,
von denen sein besserer Sinn nur wenige ausnahm,
indes er die übrigen als bloße Puppen oder Gegen-
stände der Sinnlichkeit betrachtete. — Dennoch be-
suchte er in spätem Jahren gern einige ältere Damen,
eine Fürstin Liechtenstein, eine Kaunitz und andere,
und unterhielt sich gern mit ihnen, die verständige,
gebildete Matronen waren ^^°).
Seine zweite Vermählung war nicht geeignet, diese
Vorstellungen zu berichtigen. Schon vor der Be-
werbung hatte er sich schroff und kalt über die Not-
wendigkeit seiner Wiederverheiratung und die traurige
Wahl zwischen mehreren, gleich unliebenswürdigen
Kompetentinnen um seine Hand ausgesprochen, aus
welchen er doch seine künftige Lebensgefährtin wählen
müsse. Eine Prinzessin von Bayern traf dieses un-
glückliche Los. Von der Natur höchst stiefmütterlich
behandelt, ohne Anmut, ohne Takt, um den Charak-
ter ihres Gemahls aufzufassen und sich in ihn zu
schicken, dienten selbst ihre guten Eigenschaften, ihre
Sanftmut, Herzensgüte und Liebe zu ihm nur dazu,
ihn noch mehr von ihr zu entfernen. Beschämend war
124
i/^
^
die grelle Entfernung, in der er sich von ihr hielt, so
daß er unter anderm auf dem Balkon, der vor ihrem
gemeinsamen Appartement war, ein Separatim machen
ließ, damit sie ihm dort nicht begegnen könne, und er
lieber vor aller Welt Augen beim Fenster hinausstieg,
um nur nicht durch den gemeinschaftlichen Salon
gehen zu müssen, in welchem sich die Türe zum Bal-
kon befand. Auch dieses Band, welches ganz kinder-
los blieb, löste endUch der Tod, auch die unglückliche
Maria Josef a von Bayern befreite dieser unausbleib-
liche Freund aus ihrer schweren Lage und gab dem
ungeduldigen Gemahl seine Freiheit wieder. Aber die
Art, wie diese Prinzessin von ihm war behandelt worden,
hatte den alten Nationalunwillen zwischen Bayern und
Österreich nicht gemindert, und gar viele ihres Volkes
behaupteten noch lange nach ihrem Tode, sie sei nicht
gestorben, nur verstoßen, und lebe unbekannt in
einem Kloster in Bayern, wo sogar einige sie gesehen
haben wollten ^*^).
Für mich hatte eben jetzt auch eine neue Periode
meines Lebens begonnen. Baron K... war als
Hauptmann aus dem Türkenkriege in die Winter-
quartiere nach Wien gekommen und bei seinem
Oheim abgestiegen, von wo er sogleich zu uns eilte.
Therese, seine Kusine, hatte mich früher schon be-
nachrichtigt — und einen gewaltigen Sturm mit
dieser Neuigkeit in meiner Brust erregt. Das Wieder-
sehen war bewegt und zärtlich von beiden Seiten, und
wir sahen uns von nun an oft, sowohl bei seinem Oheim
als in unserm Hause. Doch kam es nicht zu einer
eigentlichen Erklärung, und der schönste Zeitpunkt in
125
der Liebe zweier jungen Herzen, der Zeitpunkt der
Erwartung, des Zweifels, der Hoffnung dauerte einige
Wochen. Schon fing man an, in den beiden FamiHen
von dieser Verbindung zu sprechen. Mein Vater hatte
nichts gegen die Persönlichkeit des jungen Mannes,
die in vieler Rücksicht achtungswert war, und der
schon jetzt mit kaum 23 bis 24 Jahren eine bedeutende
Stufe erstiegen hatte, aber desto mehr gegen seinen
Stand. Meine Eltern hatten sich nämlich mit Liebe
an mich und das, was ich ihnen im Hause leistete, ge-
wöhnt, meines Vaters Liebe zur Musik hatte ihm meine
Hilfe und Mitwirkung in diesem Fache sehr erwünscht
gemacht; meiner Mutter zunehmende Augenschwäche
und der größere Fuß, auf den unser Haus eingerichtet
war, machte ihr meine Hilfe und Tätigkeit in der
Führung der Wirtschaft notwendig. So kam es, daß
beide bei einer künftigen Verheiratung für mich haupt-
sächlich darauf sahen, mich, wo nicht ganz nebst
meinem Gemahl in demselben Hause, doch wenigstens
in der Nähe zu behalten. Ein Offizier aber hätte ihnen
die Tochter sogleich entführt, und darum sprach mein
Vater ernstlich mit mir, und meinte, wenn es dem
jungen Manne Ernst um mich wäre, würde er wohl
seinem Stande (der damals vor vierzig Jahren vor den
Augen des ruhigen Bürgers in ganz anderm und viel
ungünstigerm Lichte als jetzt erschien) gern ent-
sagen und eine friedliche Anstellung suchen, welche
ihm bei dem Ansehen und Einfluß seiner Familie und
durch meines Vaters Verwendung nicht fehlen würde.
Meine Mutter sagte gar nichts. — Sie wußte um
meine Neigung, sie hatte nichts dagegen, aber sie sah
wohl vielleicht schärfer und weiter als ich, welche
durch mein Herz irregeführt wurde, und als Papa, der
126
dann, wie die Männer überhaupt, in solchen Dingen
oberflächlicher beobachtete und urteilte. Allmählich
kam mir das Schweigen über unsere gegenseitige Stel-
lung, das Stehenbleiben auf dem Grade der Annähe-
rung, auf welchem wir uns seit Fernandos Anwesen-
heit seit beinahe drei Monaten noch immer befanden,
befremdend vor. — Doch da, wie gesagt, noch keine
Erklärung zwischen uns stattgehabt hatte, glaubte ich
kein Recht zu haben, ihn zur Rede zu stellen. Nun aber
hörte ich bald dort, bald da von frühern oder spätem
kleinen, zärtlichen Verhältnissen, die Fernando während
des Krieges in Ungarn (seinem Vaterland) gehabt
haben sollte; ja endlich sprach man davon, daß ihn
nicht allein die Pflicht an seinen Chef, den damals
schon sehr geachteten General Mack binde, sondern
daß der stete Umgang mit dessen schöner und liebens-
würdiger Gemahlin ^^^ vielen Anteil an dieser Anhäng-
lichkeit habe. Wirklich auch verließ Fernando das
Haus seines Oheims, und folgte seinem General auf
dessen Landhaus in Penzing. Zugleich wurden seine
Besuche bei uns immer seltener, sein Benehmen gegen
mich kälter. — Ich erkannte nur zu deutlich, daß dies
Herz, das trotz vieler andern edlen Eigenschaften
doch zu schwach gegen weiblichen Liebreiz war, keiner
wahren, dauernden Liebe fähig sei; — ich konnte mir
die traurige Wahrheit nicht verbergen, daß ich nicht
mehr ausschließend in Fernandos Herzen herrschte,
ja daß dieser Alleinbesitz wohl immer nur eine Selbst-
täuschung gewesen sein mochte.
Damals fühlte ich mich sehr unglücklich. Mein Herz
war in seinen zartesten Gefühlen verletzt. Ich hatte
gehofft, arglos vertraut, ich hatte des jungen Mannes
Herz nach dem meinigen beurteilt, ich hatte mich
127
rf5i
ohne Rückhalt meiner Neigung überlassen, die durch
die Vorzüge des Gegenstandes, durch die Empfindung,
die er mir zeigte, durch die Beistimmung der beiden
Familien gerechtfertigt war. — Ich glaubte, bald ein
Band für meine ganze Zukunft schließen zu können,
und ich mußte erkennen, daß ich nur das Spielwerk
einer flüchtigen Laune gewesen war, und nun rück-
sichtslos einer andern angenehmem Beschäftigung eben
dieser Laune aufgeopfert wurde.
Jetzt waren mir Tröstungen höherer Art notwen-
dig, als sie die Welt und die Menschen um mich mir
geben konnten. — Die religiösen Gefühle wollten ihr
altes Recht behaupten und mich mit meinen Schmer-
zen dahin leiten, wo allein wahrer Trost und Ruhe zu
finden ist, zu Gott, zu seiner Offenbarung, zur Aus-
sicht auf ein anderes, besseres Leben. Aber da erhoben
sich mit feindlicher Kälte alle jene Zweifel und Un-
sicherheiten, welche durch die Lesung von irreligiösen
Büchern und Anhörung solcher Gespräche sich nach
und nach wie verfinsternde Nebel in mein Gemüt
gelagert und mir den tröstlichen Ausblick in die Ewig-
keit verdunkelt hatten. Ich glaubte nicht mehr und
ich wußte doch nichts; — und diese Haltlosigkeit
meines Innern vervielfachte auf die bitterste Weise den
Schmerz, der dasselbe zerriß.
^-■. In dieser unsichern, peinlichen Stellung meines
Geistes griff ich nach allen, Beruhigungen, die ich
mir verschaffen konnte. Ich las Mendelssohns
Phädon^^^), Hallers Briefe über die Offenbarung^**)
und andere Werke ähnlicher Art. Wohl waren
sie alle geeignet, dem Herzen, das ohne dies
schon im allgemeinen glaubte oder von den Wahr-
heiten, die sie mit ihren Gründen zu unterstützen sich
128
Karoline und Franz Xaver von Greiner
(Jugendbildnisse, ca. 1785)
Unsigniertes Ölgemälde — Verlagsbuchhändler Franz Pichler, Wien
bemühten, zum Teil überzeugt war, diese in vollem
Lichte zu zeigen; aber ein irregemachtes, zweifelndes
Gemüt zu beschwichtigen, fand ich sie wenigstens
nicht imstande. Meine Unruhe, und somit mein
Schmerz, blieben dieselben. Da fielen mir Youngs
Nachtgedanken 2*^) in die Hände, und begierig ver-
senkte sich mein blutendes Herz in die Tiefen dieser
Schwermut. — Meine Empfindungen waren hier aus-
gesprochen — ,, durch die Hintertüre der Vergangen-
heit begegneten mir die Geister meiner abgeschie-
denen Freuden, ein zahlreicher Haufe" — mir
„flocht die Erinnerung die Stacheln entflohenen
Glückes in die Geisel ein, womit sie mich nun dop-
pelt schmerzhaft züchtigte"; ich erkannte, „daß der
Raupe dünnster Faden ein Schiffsseil ist, mit dem
Band verglichen, das den Menschen an seine
irdische Glückseligkeit bindet, und das jedes Lüft-
chen zerreißt"*) 2**). Von diesen so wahr, so energisch
ausgesprochenen Schmerzen erhob sich mein gedrück-
ter Geist zu den überirdischen Tröstungen, welche dem
Dichter die Religion beut und die beiden Nächte, ich
denke, es ist die siebente und achte, welche die Auf-
schrift führen: The Infidel reclaimed^*^^), vollendeten
auch meine Bekehrung. Was philosophische Speku-
lation und wohlgemeinte Abhandlungen nicht ver-
mochten, bewirkte die Poesie, die unmittelbar an das
t-iefverletzte Gefühl sprach und aus dessen eigenem
Grund die Wahrheiten entwickelte, denen der Ver-
stand seinen Beifall nicht versagen konnte. Nun ward
mir wieder leichter. Mit beruhigterem Gefühl blickte
ich auf mein getrübtes Leben; denn jenseits desselben
öffnete sich mir die Aussicht in die Ewigkeit, und es
) Stellen aus Youngs Nachtgedanken.
^ C-P-I 129
war die Vorsicht, der Wille eines höchst weisen, un-
endlich gütigen und allmächtigen Wesens, das mir diese
Wunden geschlagen und mein Glück zertrümmert hatte.
Es war doch zu meinem Besten, davon fühlte ich mich
überzeugt, und so gewann ich Ergebung und Ruhe.
Wohl schmerzte K**s Flattersinn und meine zer-
störten Hoffnungen mich tief; — wohl war meine be-
ängstigte Seele durch schwere Kämpfe gegangen, ehe
sie einige Ruhe fand; aber nebst dem Glauben kam
ihr der Stolz zu Hilfe. Unerträglich war mir der Ge-
danke, die Rolle der Verlassenen vor der_Welt zu
spielen und dem Wankelmütigen den Triumph zu
gönnen, daß sein Verlust mich kränken könne.
Damals dichtete ich verschiedene Lieder, die aber
niemand zu sehen bekommen durfte. — Das eine be-
gann also:
Wie still ist alles um mich her!
Es ruht die Nacht mit ihrem Schatten
Auf diesen farbenlosen Matten;
Kein Wild regt sich im Haine mehr,
Des Vogels Haupt ist unterm Flügel,
Von ferne rauscht der Felsenbach,
Und in den Eichen dieser Hügel
Seufzt ihm ein sterbend Lüftchen nach.
dann kam eine Anrufung an meinen Lieblingsstern, die.
Lyra, der früher von K** ebenfalls war besungen wor-
den, und dann schloß das Lied mit den Zeilen:
O lehre mich den Gram besiegen,
Und ihn, der dein und mein vergißt.
Nun auch um den Triumph betrügen,
Daß sein Verlust mir schmerzHch ist^'').
Ein anderes Lied enthielt folgende Strophen:
Jetzt, da die Nacht vom Winterhimmel sinket.
Kein Stern den trüben Nebelflor durchbUnket,
Eil' ich zu dir mit allen meinen Wunden,
O mein Klavier!
130
Du spottest nicht, kein Hohngelächter schrecket
Dies arme Herz, das dir sich gern entdecket,
Du lachst der Schwachheit nicht, die ich empfunden,
Drum klag' ich dir!
Hier fällt die Maske, die ich sonst getragen.
Hier darf ich weinen und mein Schicksal klagen.
Ach, in dem Zirkel, der mich sonst umrauschet.
Darf ich das nicht.
Dort wehrt mein Stolz dem Ausbruch heißer Zähren,
Dort darf kein Ohr den leisen Seufzer hören,
Dort, wo auf jeden Blick ein Spötter lauschet,
■ Lügt mein Gesicht, usw. 2**)
Die Empfindungen und Ansichten, welche aus diesen
Liedern sprachen, waren tief aus meinem Innersten
geschöpft. Vielleicht findet man sie weder poetisch noch
romantisch, wenigstens die Heldinnen von Romanen
und Theaterstücken werden gewöhnlich mit andern
Gefühlen geschildert. — In mir war es nun einmal so
und eine gewisse Elastizität meines Gemütes, wenn ich
also sagen darf, half mir stets, besonders nachdem das
Licht des Glaubens mir wieder heller zu scheinen an-
gefai^gen hatte, mich aus den Fluten, der über mich
ergangenen Leiden emporzuheben, sowie sie mich ab-
hielt, durch weichliches Klagen fremdes Mitleid zu
suchen und zu erregen. Von jeher fand ich es erbärm-
lich, die Didone abbandonata zu spielen, in Liedern
und Klagen der Welt zu vertrauen, daß ein Wankel-
mütiger mir eine andere vorgezogen hatte, und ebenso-
wenig konnte ich damals mit zwanzig Jahren, sowie jetzt
mit mehr als siebzig, in die Jeremiaden so vieler meiner
Schwestern, und unter diesen namentlich vieler Dich-
termnen, über die Gefühllosigkeit, den Leicht- und
■Flattersinn oder die Roheit des männlichen Geschlechts
einstimmen. Selbst meiner Mutter Ansichten von dem
9*
131
unbilligen Verhältnis, worin wir gegen die Männer
stehen, von den Anmaßungen, die sie sich im bürger-
lichen und häuslichen Leben über uns erlaubt haben
sollten, von den sogenannten Rechten des Weibes
fanden keinen Anklang in meiner Seele, soviel Gewalt
auch in jeder andern Hinsicht ihr sehr starker Geist
und ebenso starker Wille über mich ausübte. Ich konnte
die Männer weder hassen noch verachten und, noch
viel weniger beneiden. Ich fühlte mich überzeugt,
daß der notwendige Geschlechtscharakter und die
Einrichtungen in der physischen wie in der moralischen
und bürgerlichen Welt uns die untergeordnete Rolle
mit Recht angewiesen hatten; ich konnte es mir nicht
verhehlen, daß nicht allein in Künsten und Wissen-
schaften, sondern selbst in den ganz eigentümlich weib-
lichen Beschäftigungen wie Kochen, Schneidern,
Sticken die Männer, wenn sie sich darum annahmen,
doch immer die Leistungen unsers Geschlechts weit
hinter sich ließen. WiUig also räumte ihnen mein Herz
diese geistigen Vorzüge ein, aber eben so bestimmt er-
kannte ich auch, daß von Seite des Gefühls, des richtigen
Taktes, der Herrschaft über uns, ja selbst in einer ge-
wissen Art von Mut wir den Männern wo nicht voran,
doch völlig gleich stehen, und daß die Vorsicht, unend-
lich weise in allen ihren Veranstaltungen, auch hier
sich also bewiesen und die Eigenschaften, welche dem
Menschen in abstracto zukommen, auf solche Art
zwischen die beiden Geschlechter verteilt hat, welche
für das Wohl des Ganzen am zuträglichsten war. In
dieser Ansicht nun kam mir das Los unsers Geschlechts,
dem die erste mühsame Pflege und Bildung des jungen
Menschen anvertraut und in dessen Hand es gelegt ist,
guten, edlen Samen in die jungen Herzen zu streuen,
132
der im Mannesalter seine segensreichen Früchte tragen
soll, immer ehrwürdig und schön vor, und ich fand
(wie ich es späterhin in dem Roman „Frauenwürde" 2«)
deutlicher auseinander zu setzen mich bemüht habe),
daß der Himmel sehr gütig gerade dadurch für uns
gesorgt hatfe^ daß er uns unsere PfHchten so deutlich
vorgezeichrret und uns dadurch vor so vielen gefähr-
lichen Irrtumern und schmerzHcher Reue bewahrt hatte.
So wehrte ich denn meiner Zunge, meinen Mienen
und Blicken, daß sie nicht das schmerzliche Geheimnis
meiner Brust verrieten, und es gelang mir so wohl, daß
vielleicht nur ganz wenige meiner nächsten Bekannten
eine Ahnung davon hatten. Dies war auch um so mehr
zu hoffen, da Fernando sich nie lange in Wien auf-
gehalten hatte, unser Verhältnis ohnedies kein er-
klärtes war und wir uns vor der Welt stets mit der
nötigen Zurückhaltung betragen hatten. Die Sache
löste sich ganz leicht und unbemerkbar auf und ich
entging dem Gespötte und dem kränkenden Mitleid.
Aber mein Geist war ernster geworden. Manche
laute Freude, die mich früher vollgenügend angespro-
chen und mein ganzes Wesen erfüllt hatte, wie z. B.
der Tanz als Tanz, große Gesellschaften, wo eine Men-
schenflut durch die Säle auf- und abwogte, Prater-
fahrten an Frühlingssonntagen, besonders hinab bis
ins Lusthaus, wo zahllose Equipagen und eine wim-
melnde Menschenmenge im buntesten Putz alle Sinne
betäubend beschäftigten 2^°) ; — alles dies, was ich sonst
mit jugendlichem Mute gewünscht und genossen hatte,
fing an, seine Reize für mich zu verlieren, ja manches
beinahe mir lästig zu werden, vorzüglich die großen
Gesellschaften und überhaupt das Geschwirre und Ge-
treibe vieler, mitunter auch unbekannter Menschen.
133
Ich suchte die Einsamkeit öfter und lieber, ich fand
eine Art von Beruhigung und Beschwichtigung meiner
schmerzHchen Gefühle in derselben, welche mir keine
sogenannte Zerstreuung und Unterhaltung gewähren
konnte, und schon damals begann diese Richtung
meines Geistes sich zu entwickeln, vermöge welcher
ich jede Kränkung, jeden Schmerz, ja auch jede Sorge
und Angelegenheit am liebsten ganz für mich und mit
mir allein ausmachte, bekämpfte oder zur Ruhe sprach.
Mehrere ernste Bücher fingen an, mich tief anzu-
sprechen. Ich las Herders Ideen zur Philosophie der
Geschichte ^^^), mehrere lateinische Klassiker, den
Virgil, Lucan, Tacitus, Seneca, Horaz, TibuU, meist,
mit den beiden Freunden meiner Eltern, Alxinger und
Haschka, deren kenntnisreiche Erklärungen mir das
Verständnis dieser Schriften erleichterten und meinen
Geschmack leiteten; ja sogar einige Satiren des Juvenal
und Persius durfte ich unter Alxingers Anleitung und
nach strenger Auswahl lesen. Großen Eindruck machten
einige Stellen des Virgil, die ich jetzt noch auswendig
weiß, auf mein Gefühl — und häufige Tränen flössen
dem Tode desNisus undEuryalus, sowie dem des Turnus,
den ich, sowie beim Homer den Hektor, nun einmal als
den unschuldig Verfolgten und Beeinträchtigten in mein
Herz geschlossen und gegen den Äneas in Schutz ge-
nommen hatte. Vielleicht war der Umstand, daß ich
Blumauers Travestie früher als das Original gelesen,
viel schuld an meiner Abneigung gegen den frommen
Helden, aber ich konnte nicht umhin, diesen Mann,
der der begegnenden Nymphe in den Lybischen Wäl-
dern sich selbst als den „pius Aeneas fama super
aethera natus" ankündigt ^^2), bei jeder Gelegenheit
steif und fade zu finden und immer in ihm den Äneas
134
eanz von Butter zu sehen, wie ihn Blumauer auf
einer Torte darstellt*) ^ss).
Viel tiefer aber ergriffen mich des Tacitus und
Seneca-^chriften und die Gesinnungen, die in den-
selben; ausgedrückt sind. Vieles übersetzte ich mir
daraus, machte aus andern Auszüge und strebte, so-
viel ich konnte, in den Geist dieser beiden Schrift-
steller und besonders des Seneca einzudringen. Ich
hatte eine Jugendfreundin, ein Fräulein von Rave-
net^^*), die im Hause sehr werter Freunde meiner
Eltern erzogen wurde. Ihr leuchteten, als die würdig-
sten Beispiele weiblicher Tugend, die Gemahlin und
Schwiegermutter ihres Pflegevaters, des Regierungs-
rates von Heß, vor; zwei Frauen, deren Erinnerung
mir noch jetzt vorschwebt 2^^), und deren Charakter
ich in der Larissa meines Agathokles zu schildern mich
bestrebt habe. Josefinen, so hieß meine Freundin,
mit der mich eine große Ähnlichkeit der Geistesrich-
tung verband — denn auch sie erhielt eine mehr als
gewöhnliche Bildung und vielseitigen Unterricht —
teilte ich denn auch meine Liebe und Verehrung für
den Seneca mit. Sowie er fleißig an seinen Lucilius
schreibt, und jedem Briefe eine kleine Gabe, irgend-
eine Sentenz, einen Gedanken als eine Frucht seiner
Lektüre anderer Autoren beifügt, so schrieb auch ich
Josefinen oft aus einem Hause in das andere (denn
wir wohnten nahe)^^^) bogenlange Briefe über alle
kleinen Vorfälle, die sich mit mir ereigneten und fügte
dem Briefe einen Spruch des Seneca bei, von welchem
oft der ganze Brief nur eine Erläuterung war.
Ich stand damals, wie ich glaube, auf einem Wende-
punkte meines Lebens, wo das fröhliche Mädchen sich
) In Blumauers Äneis.
von der ernsten Jungfrau scheidet. Und wenn dies bei
mir vielleicht etwas später als bei andern, nämlich
erst im 20,, 21. Jahre geschah, so muß ich bemerken,
daß eine sehr gesunde körperliche Konstitution (ich
war eigentlich nie krank gewesen), ein leichtes Blut,
ein lebhafter und doch klarer Geist, eine unvertilg-
bare Anlage zur Frömmigkeit und eine im ganzen
glückliche äußere Lage mir von jeher viele Heiterkeit
und Lebensfreudigkeit erhalten hatten. So war ich
lange dem Frohsinn und der Empfänglichkeit für ge-
ringe Freuden nach ein glückliches Kind geblieben,
als ich schon mehr als halb zu den erwachsenen Mäd-
chen gehörte, so erhielt eben dieser Frohsinn sich auch
noch bei reiferen Jahren in mir und hat mich tief ins
Alter begleitet. Gott sei dafür gedankt !^^^^)
Dieser Frohsinn war aber jener ernsten Richtung
meines Geistes, die dieser jetzt zu nehmen anfing, nicht
im geringsten hinderlich, vielmehr fand er seine Rech-
nung auf gewisse Art noch besser dabei. Denn wenn
jene strengeren Ansichten derStoa^'), wenn die groß-
artige Denk- und Empfindungsart der römischen
Klassiker mich viele, bisher von mir und andern meines
Geschlechts geschätzte und gesuchte Dinge in ihrer
eigentlichen Nichtigkeit erkennen ließen, so lernte ich
durch eben diese Bücher auch, mich über vieles, was
andere betrübte, beruhigen. Mir erschien eine höhere
Weltordnung; ich konnte mich mit meinen Hoff-
nungen und Erwartungen jetzt leichter über die Be-
dingungen unsers irdischen Seins erheben. Die Ruhe,
mit der ich, selbst in früheren Jahren, an den Tod
gedacht hatte, begründete sich mehr und mehr, und
jene Ansichten, die späterhin Schiller in zwei Versen
so unübertrefflich schön und wahr ausgedrückt hat:
136
Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
Der Übel größtes aber ist die Schuld ^''^);
entwickelten sich, nicht so klar und erschöpfend, wie
dieser erhabene Dichter sie ausspricht, aber doch in
bestimmtem und unbestimmtem Anklängen in meiner
Seele. Sie ließen mich Glück und Unglück, Leben und
Tod, Gegenwart und Zukunft in ernsten, aber heitern
Beziehungen sehen, und benahmen selbst dem Tode
immer mehr seine Schrecken, denn er war ja, wie Seneca
sagt: „der Geburtstag der Ewigkeit" ^^.
Die Natur hatte von jeher lebhaft an mein Gemüt
gesprochen, jetzt fühlte ich mich immer mehr zu
ihr hingezogen; Herders Ideen, von denen ich zu-
vor gesprochen, Bonnets Betrachtungen über die
Natur ^^^); ein kleines Buch, das vielleicht wenige
kennen: La chaumiere indienne von Bernardin de
St. Pierre (aus dem Michel Beer seinen Paria ge-
schöpft) 2^°), öffneten mir gleichsam das geistige Auge,
um die Wunder der Natur zu erkennen und sie in ihren
geheimnisvollen Beziehungen auf uns und unser Ver-
halten zu betrachten. Damals faßte ich die erste Idee
zu den Gleichnissen ^^^). Wenn ich einsam, aber
recht seelenvergnügt durch den weitläufigen Garten
meiner Eltern wandelte, wenn ich an Gott dachte,
seine Gegenwart zu fühlen glaubte und dann meinen
Blick auf Blumen, Gräser, Bäume richtete, dann traten
allerlei seltsame und, wie es mir vorkam, geheimnisvolle
Beziehungen zwischen der körperHchen und sittlichen
Welt mir vor Augen, und der Gedanke, daß ähnliche
Gesetze in beiden regierten, ergriff mich mit großer
Gewalt. Ich versuchte es, ihn darzustellen, und so
entstanden die Gleichnisse, die ich damals, weit ent-
fernt, an die Bekanntmachung einer so unbedeutenden
137
Kleinigkeit zu denken, bloß meiner Freundin Josefine
zugedacht und in einer reinlichen Abschrift mit einer
D6dicace in Versen ihr übergeben hatte.
Es ist vielleicht hier der Ort, mich auch über meine
Ansichten von der Freundschaft auszusprechen. Sie
waren denen der Alten nachgebildet, und folglich
streng und vv^ürdig. Mir galt die Freundschaft als ein
Bund für das Leben und noch weiter hinaus, dessen
eigentlicher Zweck gegenseitige Vervollkommnung
war. Jener Ausspruch Ciceros (wenn ich nicht irre):
Omnia cum amico delibera, sed prius te ipso ^^2^,
schwebte mir vor. Jedes Verhehlen auch nur eines Ge-
dankens oder Gefühles schien mir Verrat. Wohl sollte
meine Freundin jedes kleine Begegnis, das ich erlebte,
erfahren; aber das Erzählen desselben war nicht, wie
ich es bei den meisten meiner Gespielinnen sah, der
einzige Zweck dieses Vertrauens; denn dazu hätte ja
wohl die Grube hingereicht, in welche jener geschwätzige
Barbier des Königs Midas sein Geheimnis hineinrief.
Nein, meine Freundin sollte mich ganz erkennen, be-
urteilen, ermahnen, tadeln, mit einem Worte, bessern
können, sowie ich das gleiche bei ihr zu tun bereit war.
Hierzu ist nun freilich eine große Ähnlichkeit der
Jahre, der Bildungs- und Lebensweise erforderlich
Es gehört aber auch, um solch ein Band in seiner ganzen
Würde und Schönheit aufrecht zu erhalten, dazu,
daß jene Bedingungen fortdauern. Ändern sich die
Beziehungen der beiden Personen zueinander merk-
lich, führen Schicksale, fremde Einwirkungen die eine
oder die andere einen ganz verschiedenen Lebensweg
und hält sie lange auf demselben, so daß dessen Ge-
wohnheiten und Einflüsse die früheren Eindrücke
verwischen, so kann wohl Neigung und Achtung noch
138
wie ehemals fortbestehen, aber die feineren Beziehun-
gen, der innere Anklang, der der Empfindung oder dem
Gedanken der verwandten Seele entgegenkommt, müs-
sen sich dann verlieren.
Etwa um diese Zeit wurden mir/ zwei Bücher zu
lesen erlaubt, von denen ich früher sehr viel gehört und
sie oft näher zu kennen gewünscht hatte. Doch meine
Mutter hatte es für zweckmäßig gehalten, solange sie
mein Herz für zu empfänglich und meinen Geist für
noch nicht reif genug hielt, mir dieselben (es waren der
Werther und Agathon) zu entziehen. Nun las ich
sie, und sowohl meine Mutter als ich selbst mußten
uns wundern, daß. der Eindruck, welchen diese Werke
auf mich machten, ganz dem erwarteten oder gefürch-
teten entgegengesetzt war.
Mich ließ der Werther ^63)^ als Roman, kalt, so leb-
haft mich die Schönheit der Darstellung, die psycho-
logische Wahrheit der Charaktere, die tiefe Kenntnis
des menschlichen Herzens, die Naturschilderungen usw.
anzogen. Meine Phantasie, deren Aufregung man
hauptsächlich gefürchtet hatte, blieb ruhig; — dieser
junge Mann (Werther) flößte mir kein Interesse ein;
denn ich konnte ihn nicht achten, höchstens Mitleid
mit dem verschrobenen Gemüte haben, dem es nur
immer nach dem Verwehrten lüstete, weil es verwehrt
war, und an dessen endhcher Verzweiflung und Selbst-
mord gekränkte Eitelkeit und zurückgewiesene An-
maßung in jener Gesellschaft des Präsidenten wohl
ebensoviel, wo nicht größern Teil hatte, als seine un-
glückliche Leidenschaft. Ich prüfte mich aufmerksam,
und ich glaubte damals, wenn ich durchaus zwischen
ihm und Albert hätte wählen müssen, ich mich doch
eher für den letztern entschieden haben würde, der mir
139
als Gefährte für ein ganzes Leben viel würdiger und
passender vorkam.
So ging beim Werther die gefürchtete Gefahr für
meine unruhige Einbildungskraft schadlos vorüber, und
was es immer gewesen sein mochte, das meine Mutter
abhielt, mir den Agathon^^*) früher in die Hand zu
geben — ob Besorgnis vor den zu lüsternen Schilde-
rungen oder den philosophischen Ansichten, die das
Buch enthielt — genug, auch diese Stacheln glitten
ab an mir. Zwar erregten der Charakter und die Schick-
sale Agathons meine lebhafteste Teilnahme, und ich
fühlte viel mehr für ihn und mit ihm als für Werther;
aber die Stelle, welche den tiefsten, unauslöschlichsten
Eindruck auf mich machte, einen Eindruck, der lange
in mir nachwirkte, war die Schilderung jener Periode
in Agathons Leben, als er und Psyche im heiligen Haine
zu Delphi miteinander erzogen wurden ^^^). Dies
stille, gleichsam im Heiligtume der Gottheit ver-
borgene Leben, das wie ein ruhiger Bach einförmig,
aber klar dahinfloß, und in dessen heller Tiefe sich der
Himmel und der Gott spiegelte, dem beide dies Leben
gewidmet glaubten, die reinen und doch so warmen
Gefühle, welche die jungen Herzen aneinanderzogen
und ihnen doch nichts von ihrer Unschuld und Fröm-
migkeit nahmen, rührten und bewegten mich aufs
tiefste. Das war ein irdisches Paradies, in dem ich
mich unendlich selig gefunden haben würde, wenn
es Gott gefallen hätte, mich in ein solches zu versetzen
und die Wunden, an denen mein Herz im stillen noch
immer blutete, vermehrten die wehmütige Sehnsucht,
welche jenen Zustand vor den Augen meines Geistes
mit himmlischem Lichte verklärte.
Ich war nicht bestimmt, ein solches Glück zu ge-
140
nießen! Zweimal hatte sich ein trügerischer Schimmer
desselben mir gezeigt, zweimal war er verschwunden;
hatte sich das erstemal in die erbärmlichste Prosa auf-
gelöst, war das zweitemal durch Flattersinn zerstört
worden.
Je schmerzlicher ich diese Ausschließung von jener
Seligkeit fühlte, die ich dem frommen Paar im heiligen
Hain so tief und lebhaft nachempfand, je leichter
und lebendiger entwickelte sich der Gedanke in mir,
das Glück der Liebe und häusHche Freuden seien nicht
das Los, welches mir die Vorsicht zugedacht und diese
Ansicht setzte sich durch verschiedene, zufällig zusam-
mentreffende Umstände immer fester in meinem Ge-
müte. Aber auch sie benahm mir meine innere Heiter-
keit nicht ; denn ich hatte mich, durch reHgiöse Trost-
gründe und durch Young und Seneca gestärkt, mit
ruhiger Wehmut in dies Geschick ergeben, und strebte
jetzt nur dahin, diese neue Ansicht mit meinen übrigen
Verhältnissen und meinen Aussichten für meine kom-
menden Jahre, wenn ich sie erreichen sollte, in Ein-
klang zu bringen.
Jene Schilderung von Agathons und Psyches Lebens-
weise in Wielands Werke; viele Stellen im Seneca,
welche Mäßigkeit, Beherrschung der Leidenschaften
und Begierden, Geringschätzung der rauschenden Welt-
freuden lehrten und uns dadurch den Weg zur wahren
geistigen Freiheit zeigten; Youngs Aussichten in jene
bessere Welt, welche die Rätsel der gegenwärtigen j-
lösen sollte — Nothing this world unriddles but the
next266) — endHch allerlei seltsame Ansichten,
Ahnungen, Ereignisse usw., welche ich aus Erzäh- *
lungen glaubhafter Menschen und aus manchen
Büchern, vorzügHch aus Moritz Magazin der Seelen-
141
erfahrungskunde^^') geschöpft, hatten mir Ideen
von einer schon auf Erden möglichen Annäherung
an die Geisterwelt gegeben. Es schien mir nicht
untunlich, daß der Mensch durch große Mäßigkeit in
allen sinnlichen Genüssen, durch große Stille und Ein-
fachheit der Lebensweise, durch strenge Herrschaft
über seine Leidenschaften und Regungen, durch steten
Rückblick auf Gott, in einem nützlich, aber nicht zu
sehr beschäftigten Leben, es schon auf Erden zu einer
hohen Stufe der Vollkommenheit, ja vielleicht dahin
bringen könnte, wenigstens auf einzelne Lichtmomente
seines Lebens, seinen Geist der Herrschaft des Körpers
zu entziehen und sich der Geisterwelt zu nähern oder
wenigstens hellere Blicke in dieselbe werfen zu dürfen.
Diese Vorstellungen beschäftigten mich sehr. Ich
sammelte mit Fleiß alles, was ich in klassischen und
andern Schriftstellern damit Übereinstimmendes fand.
Ich entwarf meinen künftigen Lebensplan, und nachdem
ich alles reiflich erwogen und geordnet hatte, brachte
ich einen Aufsatz zu Papier, den ich in Briefform an
Josefinen richtete, und der ungefähr folgende An-
sichten und Vorschläge enthielt. ^68)
Wir wollten beide unverheiratet bleiben, da ich
eine Ehe ohne Liebe für Entheiligung hielt und dieser
Leidenschaft, nach zweimaliger Täuschung, mein Herz
abgestorben glaubte. Die Lage meiner Freundin ver-
sprach damals auch ihr keine glänzenden Aussichten;
so wollten wir denn, wenn wir unsere Pflichten gegen
unsere Eltern, solange sie lebten, erfüllt haben würden,
mit dem nicht beträchtlichen, aber hinreichenden
Erbteil, welches ich hoffen konnte, uns eine kleine Be-
sitzung auf dem Lande kaufen und dort still beisam-
men leben. ^
142
Um aber auch andern nützlich zu werden, und das
Gute, welches wir beide für das Höchste hielten, sittliche
Ausbildung, nach unsern Kräften zu verbreiten, woll-
ten wir einige Mädchen aus der Nachbarschaft zu uns
nehmen und erziehen. Das sollte unser mäßiges Tage-
werk sein; außerdem aber wollten wir so viel mög-
lich abgezogen und beschaulich leben, wenig Um-
gang und Verkehr mit andern Menschen haben, und
selbst unsere Nahrungsweise sollte darauf hinzielen, das
Irdische an uns ja nicht ohne Not zu vermehren. Wir
woUten uns nämlich nur von Pflanzenspeisen nähren
(ich hatte damals eben die Rede des Pythagoras in den
Metamorphosen 2^^) gelesen), grobe Fleischnahrung,
Wein und alle Leckereien vermeiden und so dahin
streben, uns schon hienieden soviel als möglich zu ver-
geistigen, damit unsere Seelen, wenn der Tod sie einst
abriefe, keine so schwere Hülle abzustreifen und nur
lockere Bande zu zerbrechen hätten. Alle diese An-
sichten und Vorschläge waren mit Zitationen aus den
Schriftstellern, die meine beständige Lektüre aus-
machten, und aus denen ich jene Ideen auch ge-
schöpft, belegt.
Diese Arbeit machte ich während eines Sommers
auf dem Lande mit großer Liebe und ebenso großem
Fleiße und fühlte mich ungemein beruhigt, getröstet,
gestärkt, als ich sie vollendet und nun den Pfad für
mein künftiges, einsames, aber nicht zweckloses Dasein
mir fest vorgezeichnet zu haben glaubte. Was ist der
Mensch und seine Entwürfe!
Ich war, wie ich schon einmal in diesen Blättern
berührt, eigentlich nie krank gewesen, und ein kaltes
Wechselfieber mit einer Ergießung der GaUe, die mich
sehr verdroß, weil sie mich auf eine Weile sehr ent-
H3
stellte, waren bisher meine einzigen körperlichen Leiden
gewesen. Doch auch selbst während dieser kleinen An-
fälle, die sich durch zwei Sommer wiederholten, lag
ich nur selten und nur auf Stunden zu Bette, und meine
kräftige Natur überwand den bösen Keim gänzlich.
Daß mir nur eine seltsame Geneigtheit zu Er-
gießungen der Galle überblieb, die sich dann jedesmal,
wenn irgendeine andere Unpäßlichkeit oder noch
vielmehr ein Kummer, eine schwere Sorge mich drück-
ten, durch eine gelblichere Hautfarbe offenbarte, wo-
bei sich selbst im Weißen der Augen ein gelblicher
Schein zeigte, diese Geneigtheit währte lange bei mir
und bis in meine höheren Jahre hin 2'°).
In jener Epoche aber, wo ich den obenerwähnten
Aufsatz schrieb, war ich völlig gesund. Die Fieberan-
fälle hatten sich nicht mehr gezeigt, ich genoß eines
ungestörten Wohlseins und habe jene Krankheitszufälle
nur darum berührt, um mit mehr Bestimmtheit zu
zeigen, daß kein körperliches Übel damals Einfluß auf
meinen Seelenzustand hatte. Dennoch hatte sich mei-
ner eine Art von Todesahnung bemächtigt. Wir stan-
den damals am Anfange des Winters; — ich war, Gott
weiß warum, fest überzeugt, daß ich ihn nicht über-
leben und der nächste Frühling mein Grab begrünen
würde. Dies war mir so ausgemacht, daß ich einen
prächtigen MousseHn, den ich damals bei einer Freun-
din meiner Mutter, der Gräfin Truchseß Zeill^'^)
zum Geschenk erhalten hatte, die ihn mir von einer
Reise in die Schweiz mitgebracht, gar nicht machen
lassen wollte, damit ihn die Mutter gleich behalten
und für sich zurichten lassen könnte. Diese Gewißheit
meines nahen Todes beunruhigte mich aber nicht im
geringsten. Ich setzte sogar mit Vergnügen eine Art
144
Karoline von Greiner (?) ^)
Pastellbildnis von Gabriele Beyer (1786)
k. k. Akademie der bildenden Künste, Wien
) Karl von Lützow (Geschichte der k. k. Akademie der bildenden Künste,
Wien 1877, S. 74 f.) bestimmt dieses Bild, wohl mit Unrecht (vgl. Bild
Nr. i), mit ,, Karoline von Greiner".
Testament auf, worin ich, da ich kein Eigentum besaß,
meine Eltern bat, aus meinen kleinen Habseligkeiten
von Nippen, Geschmeide usw. meinen Freundinnen
Andenken bestimmen zu dürfen.
Literarisch oder eigentlich poetisch beschäftigte ich
mich damals nicht viel. Mein Gefühl war zu sehr ver-
letzt und meine Gedanken zu sehr teils mit jenen ern-
sten Vorstellungen, teils mit wirkHchen und prosaischen
Dingen erfüllt. Meine Mutter war, trotz ihres hoch-
gebildeten Geistes und dem glänzenden Fuße, auf
dem unser Haus eingerichtet war, ihrer Wirtschaft
bis ins kleinste Detail stets selbst vorgestanden, und
hatte mich schon früh ebenfalls dazu angehalten. Sie
wehrte mir nicht, meinen Geist zu bilden, ja sie hielt
mich, wie man sich durch die Lesung dieser Blätter
überzeugt haben wird, selbst dazu an. Aber — und
diese Ansicht werde ich ihr ewig, nebst so vielem andern
danken — aber jene Beschäftigungen durften erst an die
Reihe kommen, wenn jeder häuslichen Pflicht, jeder
nötigen Arbeit ein Genüge geschehen war. Sie sagte
mir oft: das Hauswesen in Ordnung zu halten, ist der
Frauen erste Pflicht ; diese muß streng und vollständig
erfüllt werden. Bleibt uns dann Zeit übrig, so dürfen
wir sie nach Gefallen auf erlaubte Dinge verwenden.
Die eine geht spazieren, die zweite macht künstliche
Arbeiten, eine dritte empfängt und gibt Besuche oder
liest Romane; — willst du in deinen freien Stunden
dich mit Poesie, mit Übersetzungen aus fremden Spra-
chen (was ich ^rn und häufig tat) beschäftigen, so ist
dir dies unvervvehrt; aber dem Hauswesen darf kein
Abbruch dadurch geschehen.
In eben diesem Sinne hielt sie mich zur Sparsam-
keit und zur Selbsttätigkeit an. Ich mußte lernen,
10 C. P. I i^. •
mich soviel wie möglich überall zu behelfen, mich
selbst zu bedienen und vorzüglich meinen ganzen Putz
selbst zu verfertigen.« Damals waren die Frisuren künst-
lich und zeitraubend; ich mußte mir, vom Wickeln
und Brennen der Haare an, bis zum Putz mit Blumen
und Federn alles dies selbst leisten, meine Hauben und
Hüte selbst stecken, und ich lernte es endlich so gut,
daß ich meinen Freundinnen hierin half, manches
Käppchen oder Häubchen für andere verfaßte, und
selbst meine Blumen zum Putz verfertigte. Bei diesen
Ansichten war ihr nun freilich die große Liebe meines
Vaters zur Musik und die Forderungen, die er deswegen
an mich stellte, oft ein Anstoß. Mit Klavierspielen,
Üben, Produzieren, Singen gingen viele Stunden des
Tages hin, und das billigte meine Mutter wohl nicht;
aber sie vermochte es nicht zu ändern, nur zu mäßigen.
Durch vieles Lesen, besonders beim Kerzenlicht und
in oft schlechtgeschriebenen Papieren, welches meine
Mutter während ihres Dienstes bei der seligen Kaiserin
täglich durch mehrere Stunden üben mußte, vielleicht
auch durch körperliche Disposition, fingen ihre Augen
eben zu jener Zeit an, sehr zu leiden. Lesen und Schrei-
ben kostete sie viele Anstrengung, ich wurde also all-
mählich von ihr auch in diesen Teil des Hauswesens ein-
geführt und mußte für sie alle Rechnungen, Schreibe-
reien, Quittungen, Briefe, Attestate, kurz alles, was in
einer Wirtschaft und bei Grundbesitz (meine Eltern
hatten mehrere Häuser in und vor der Stadt) ^'2) vor-
fällt, verfassen lernen. Überdies ließ sie sich viel von
mir vorlesen, da ihre Augenschwäche ihr diese, sonst so
werte Beschäftigung nur selten gestattete.
Man kann leicht erachten, daß meine Zeit unter
diesen Umständen sehr besetzt war. Meistens hatte ich
146
ein gutes Teil mehr Arbeit vor mir, als wozu der Tag
hinreichte, und meine poetischen Übungen wurden
ziemlich auf die Seite gedrängt. Dennoch lernte ich
nach und nach meine Stunden so haushälterisch ein-
teilen, die verschiedenen Geschäfte, die mir oblagen,
so ineinander passen, so manche, wo es sich tun ließ,
gleichzeitig verrichten, daß ich es dahin brachte, allem,
was meine Mutter im Haushalt, mein Vater für seine
Musikübungen, endlich unsere ganze Lebensweise an
geselliger Rücksicht, mit Putz und Empfang zahl-
reicher Besuche von mir forderte, zu leisten, und doch
noch hier und dort ein Stündchen für einsamen Ge-
nuß, der mir zum Bedürfnis geworden war, und" lite-
rarische Arbeiten zu finden. Diese genoß ich denn
auch mit doppelter Lust, und habe mich durch eigene
und fremde Erfahrung in meinem langen Leben über-
^ zeugt, daß Dichter und Künstler, die nichts als dieses
g waren und sein wollten, sich selten mit Glück in dieser
^ allzu unbestimmten Bahn hielten, und noch viel sel-
rtener ein großes Ziel erreichten. Daß aber jene unter
ihnen, die außer ihrer Kunst sich noch irgendeiner
andern, ernsten Beschäftigung ergeben hatten, diese
mit strengem Pflichtgefühl trieben, und die Muse mehr
wie eine Geliebte, als wie ihre Hausfrau betrachteten,
meist Größeres und Allgemeingültigeres leisteten. Gar
7n selten sind jene privilegierten Geister, die die Kunst
in allen ihren Tiefen zu erfassen und zu halten ver-
mögen, ohne auf Abwege dabei zu geraten. Selbst diese
Freiheit und Ungebundenheit von jedem bürgerlichen
Verhältnisse wird oft zur Verräterin an ihrer Kunst,
noch öfter an ihrem sittlichen Wert oder ihrem physi-
schen Wohl. Daher habe ich es stets für höchst gefähr-
hch gehalten, wenn ein junger Mensch den Vorsatz
10*
147
äußerte, sich keinen bürgerlichen Beruf zu erwählen,
sondern der Kunst zu widmen, wie sich diese Leute
auszudrücken pflegen. Im Grunde heiJ3t das gewöhn-
lich nichts anders, als einen Freibrief suchen, um gar
nichts zu tun. Hat aber einer den göttlichen Funken
wirklich in der Brust, spricht die Kunst oder Wissen-
schaft wirklich allmählich an sein Gemüt, so fürchte
man ja nicht, wie ich es oft von verblendeten Eltern
gehört, diesen Funken zu ersticken, indem man den Jüng-
ling zu ernsten Berufsstudien, die Tochter zu Häuslich-
keit, Fleiß und Wirtschaft anhält. Da erprobt sich erst
die Echtheit der Begeisterung und durch Zwang und
Hindernisse macht das wahre Talent sich Bahn, wie ich
es oft erlebt habe und namentliche Beispiele anführen
könnte. Carpani vergleicht in seinem Werke: Le Hay-
dine^'^, wo er von diesen höhern Anlagen spricht, die
der Mensch oft unbewußt in sich trägt, und die sich
auch unter den ungünstigsten Umständen Platz zu
machen wissen, diese mit einer schönen Statue, die noch
in dem unbearbeiteten Marmorblocke verschlossen liegt:
„Die Statue ist schon da, aber es bedarf gewöhnlich
der Arbeit des Meißels, um sie zutage zu fördern. Ist
sie aber rechter Art, so springt sie wohl selbst aus dem
Blocke hervor." Diesen Ansichten, die meine gute, ver-
ständige Mutter in mein noch jugendliches Gemüt
legte, meinem Gehorsam, sie zu befolgen und viel-
jähriger Übung danke ich es nun im Alter, daß ich bei
vieler Anlage zur Poesie, bei vieler Zeit, die ich der Be-
schäftigung damit widmete, so daß ich in dem langen
Räume meines Lebens die Zahl meiner Werke bis gegen
50 Bände brachte, doch meine häuslichen Pflichten,
wie ich zu Gott hoffe, nicht versäumt, meiner Mutter,
solange ich sie an meiner Seite hatte, treu beigestanden,
148
meines Mannes Leben erheitert, und meine Tochter
zu einer sehr braven Frau gebildet habe. Oft hörte
ich verwundernde Lobsprüche darüber, daß ich alles
dies so gut zu vereinigen gewußt hätte; ich kann aber
vor Gott bekennen, daß es mich weder Studien noch
Mühe gekostet, sondern daß alles aus früher Gewöh-
nung und den Lehren meiner Mutter ganz natürlich
entflossen ist.
Meine Todesahnungen, mit denen ich den Win-
ter begonnen hatte, wollten sich im Laufe dessel-
ben nicht bewähren, ja selbst meine Stimmung wurde
nach und nach wieder heiterer. Der Zyklus gesell-
schaftlicher Freuden, der sich jedes Jahr im Hause
meiner Eltern abrollte, hatte auch diesen Winter sein
Recht behauptet. Die theatralischen Vorstellungen be-
gannen, so wie wir vom Lande zurückgekehrt waren;
dann kamen die wöchentlichen Quartetten während des
Advents an die Reihe. Im Karneval lösten ebenso
wöchentliche Picknicks unter unserer näheren Be-
kanntschaft die Quartetten ab, die mit der Fastenzeit
wieder eintraten, und nach Ostern wurde das Theater
abermals aufgerichtet und fortgespielt, bis es Zeit war,
aufs Land zu ziehen. Noch eine Art von geselliger
Unterhaltung hatte sich seit einiger Zeit in unsern
Kreisen etabliert, die eigentlich im Hause eines nähern
Bekannten, des berühmten Hofrats von Born, begonnen
hatte, mit dessen jüngerer Tochter 2''*), einem liebens-
würdigen, sanften Mädchen, mich eine herzliche Zu-
neigung verband, und wo alle Sonnabende im ganzen
Winter sich größere Gesellschaften versammelten 2'^)^
die eigentlich in drei Abteilungen zerfielen. Den mit-
. H9
telsten Salon, das eigentliche Tafelzimmer, okkupierten
wir junge Leute und durften uns auch noch in die, zu
beiden Seiten anstoßenden Kabinette verbreiten. Neben
dem Kabinette linker Hand aber war der Salon der Hof-
rätin, in welchem die Väter und Mütter der im Tafel-
zimmer versammelten Jugend oder andere ältere Be-
kannte der Frau vom Hause sich mit Kartenspielen
unterhielten, während in dem Salon neben dem
Kabinette rechter Hand — dem Studierzimm.er des
ebenso geistreichen als gelehrten Herrn vom Hause,
sich Gelehrte, bedeutende Fremde oder ausgezeichnete
Geschäftsmänner höheren Ranges einfanden. Durch
den Saal, in dem wir unser, oft sehr lautes Wesen trieben,
gingen alle die Eingeweihten, die in eines der höheren
Gemächer zugelassen wurden; wir sahen sie durch-
passieren, wir knixten und verbeugten uns achtungs-
voll und waren wieder froh, wenn die kartenspielende
Dame oder der gelehrte Herr, der Herr Graf oder Präsi-
dent linker oder rechter Hand abdesitiert und in eines
der beiden Heiligtümer eingegangen war 2'^). — Hier
wurde ein Spiel eingeführt, das große Ähnlichkeit mit
den zehn bis zwanzig Jahre nachh r ebenso beliebten
als kostspieligen Tableaux hatte. Unsere Gesellschaft
teilte sich nämlich in zwei ziemlich gleiche Hälften,
und jede Partie stellte abwechselnd irgendeine Szene
aus einem bekannten Theaterstück, aus der Profan-
oder heiligen Geschichte oder der Mythologie panto-
mimisch dar. Die zur Verständigung nötigen Kostüme
und Requisiten wurden, so gut sich es tun ließ, aus den
nächsten Umgebungen herbeigeschafft; denn eine
Hauptsache war, daß die Zubereitungen nicht zu viel
Zeit hinwegnahmen und möglichst viele Geschichten
in einem Abend aufgeführt werden konnten. Wir
150
nannten es auch Geschichten spielen. Aus dem.Born-
schen Hause, welches bald darauf durch den Tod des
ausgezeichneten Mannes 2'^) und durch den zerrütteten
Zustand, in dem er sein Vermögen hinterließ, sich auf-
gelöst hatte, verpflanzte sich jenes Spiel in unser Haus.
Jeden Montag kam eine zahlreiche Gesellschaft junger
Leute bei uns zusammen. Ihre Eltern und auch andere
Personen fanden sich mit ihnen ein, und unterhielten
sich recht gut, indem sie unserm Spiele zusahen. Ver-
schiedene freundlich gesinnte Zuseher spendeten uns
allerlei Gerätschaften, Maskenanzüge, Waffen, Helme,
Lanzen, Mäntel usw., und es bildete sich eine hübsche
Theatergarderobe, in der sich denn die auftretenden
Personen ganz leidlich und kenntlich ausnahmen. Ein
großer Schritt zur Vervollkommnung dieser Spiele
wurde dadurch gemacht, daß die Geschichten nicht
mehr pantomimisch und sukzessive wie früher, sondern
auf einmal in einem glücklich oder unglücklich ge-
wählten Moment als Tableau dargestellt wurden, wo-
durch mancher Ungeschicklichkeit und manchem
lächerlichen Mißgriff der darstellenden Personen vor-
gebeugt wurde. Nach und nach wurde auch auf Grup-
pierung, Beleuchtung, Effekt geachtet, und diese Dar-
stellungen bekamen dadurch ein immer lebhafteres
Interesse für die Spielenden sowohl als für die Zuseher,
welche sich stets in größerer Menge einfanden. Be-
sonders erinnere ich mich einer sehr gelungenen Vor-
stellung: Julie im Sarge im verfinsterten Grabgewölbe,
die in dem Augenblicke erwacht, wo die Türe sich öff-
net, Männer mit Fackeln über Stufen herabsteigen und
sie und den toten Romeo finden. Auch wurde das
Theater, wenn es stand, zu diesen Darstellungen be-
nutzt. Der Sturz der Engel, den die jungen Männer
151
unserer Gesellschaft sehr gut vorstellten, die Stürmung
des Olymps durch die Titanen, das Gastmahl Belsazers,
Medea auf dem Drachenwagen usw. erhielten großen
Beifall, und mußten gewöhnlich am nächsten Montag
wiederholt werden. — Wo sind diese jungen Leute nun
alle, die damals munter und eifrig an dieser Unter-
haltung teilnahmen ? Kaum, daß außer mir vielleicht
noch vier bis fünf leben ; wie wenige von einem Kreise,
der gegen dreißig Personen umfaßte! Alle, alle voran-
gegangen, wohin wir wenigen übrigen bald folgen
werden.
Das sind ganz andere und ernstere Todesahnungen,
als jene Grillen — so mag ich sie wohl nach fast einem
halben Jahrhunderte nennen — welche damals durch
verliebte Schmerzen und eine düstere Geistesrichtung
in mir erzeugt worden waren. Dennoch kann ich mit
Wahrheit sagen, daß sie jetzt, wo sie eine große und
nahe Gewißheit für mich haben, mich ebensowenig
erschüttern, als jene mich damals verstörten oder um
den innern Frieden, der mein Jugendleben begleitete,
zu bringen imstande waren.
Sie trafen damals nicht allein nicht ein, sondern die
Elastizität meiner Empfindungen, möchte ich sagen,
half mir bald wieder aus der trüben Stimmung, in die
jene Liebesschmerzen mich versenkt hatten. Auch
heitere, sanfte, hoffnungnährende Gefühle begannen
wieder an mein Herz zu sprechen. Durch die vielen
Zerstreuungen, welche dem Kreis unserer Bekannten
in unserm Hause geboten wurden, und vorzüglich durch
das Haustheater, knüpften sich allerlei kleine Verbin-
dungen und Interessen zwischen den jungen Leuten um
mich herum an, und auch mein Gefühl ward hier oder
da, freilich nur leicht, wieder angeregt.
152
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Gabriele Baumberg
Gemälde von Heinrich Füger — Museum in Kaschau (Ungarn)
Ein junger, ziemlich wohlgebildeter Kavalier, Graf
H^'^), der im Bureau meines Vaters seit einiger Zeit
arbeitete, kam fast täglich in unser Haus. — Er zeigte
mir viele Aufmerksamkeit; — es ist sogar möglich, daß,
wäre er nicht der älteste Sohn eines hochadeligen
Hauses, und ich ihm ebenbürtig gewesen, er sich mir
bestimmter genähert haben würde. — Manche seiner
Reden, seiner Handlungen ließen es vermuten, und
ganz verfehlte dies Betragen mein Herz nicht. Graf H.,
dessen treffliches Gemüt und ernstes Pflichtgefühl
trotz seiner wenigen Geistesbildung mir Achtung ein-
flößten, und dessen herzliches Zutrauen zu mir — ; denn
ich war mit allen seinen Familienangelegenheiten, Lei-
den und Freuden, Hoffnungen und Entwürfen bekannt
— mich nicht ungerührt ließ, war mir, vielleicht eben
der Hindernisse wegen, die sich einer Verbindung
zwischen uns in den Weg gestellt haben würden, sehr
wert geworden. Lange darnach habe ich Graf H.s
Persönlichkeit in der kleinen Erzählung „Alt und
neuer Sinn 2'^", freilich verändert und verschönert,
dargestellt. Er war ebenso blond, so schlank, so recht-
lich, so herzensgut wie Blankenwerth, aber weder im
Anfang so plump und linkisch noch am Ende so inter-
essant wie jener. Aus dieser Periode stammt auch das
kleine Gedicht: „Der Eichbaum und die Weide, eine
Fabel" 2^°), das ich damals um keinen Preis veröffent-
licht haben würde, so wenig als die Klagen um einen
Treulosen 2^^), das aber bei seiner Erscheinung vierzig
oder fünfzig Jahre später einen Beifall fand, über den
ich selbst erstaunte.
Jener Herr Eberl^^^, der auf unsrer und mehreren
Privatbühnen die Lange'schen oder Liebhaberrollen
spielte, war ebenfalls eine ausgezeichnete Erscheinung
153
in unserem Kreise. Ein düsterer Sinn, ein scharfer Ver-
stand, eine melancholische Weltansicht zog die Auf-
merksamkeit seiner Umgebung, zumal die der Frauen,
auf ihn. Seine Verhältnisse (er bekleidete eine kleine
Stelle bei einer Rechnungsbehörde), sein Sinn, der nicht
ohne Ehrgeiz und Wunsch nach Auszeichnung war,
seine beschränkten Umstände und seine Kränklichkeit,
die (wie wir später erfuhren) ihn an jedem Aufstreben
hinderte, erklärten leicht jene melancholische Stim-
mung; aber sie machten ihn, verbunden mit dem fein-
sten Ton, mit Anstand und hoher Geistesbildung- zu
einer sehr bedeutenden Persönlichkeit in der geselligen
Welt. Wenn er in den Rollen des Schauspielers Lange
auf Privatbühnen auftrat, dem er auffallend im Wüchse,
Haltung und Bewegungen glich, flogen ihm viele Blicke
und auch manches Herz entgegen. Dieser, von vielen
gesuchte Mann fing nun an, mich sehr merklich aus-
zuzeichnen, und ich gestehe, daß ich nicht ganz gleich-
gültig gegen ihn blieb, besonders da uns oft das Los
traf, bei unsern Komödien die zärtlichen Rollen mit-
einander zu spielen.
Ich habe viele Jahre darnach das Gefährliche einer
solchen Lage, wenn der Mann, der uns nicht gleich-
gültig ist, seine Empfindungen unter der Maske einer
einstudierten Rolle uns ungescheuter gesteht, und wie
leicht sich da ein Mädchenherz täuschen und hin-
reißen läßt, in einer meiner Erzählungen: „Das gefähr-
liche Spiel" 2^^) dargestellt.
Sei es aber, daß Eberl, als gesetzter und vernünf-
tiger Mann, der bereits über die Jünglings jähre hinaus
war, die Schwierigkeiten, ja die Unmöglichkeit einer
ernsthaften Verbindung mit mir so gut als ich selbst
einsah ; sei es, daß ein anderes Verhältnis zu einem sehr
liebenswürdigen Mädchen, deren beschränkte Um-
stände ihnen :. auch keine Aussicht auf Vereinigung
boten, mehr war als bloße Freundschaft; kurz, wir
hielten uns stets in gehöriger Entfernung voneinander;
aber Fräulein L — 1 (so hieß dies Mädchen) 2^*) ward
mir sehr wert, und wir wurden einander herzlich
gut. Sie mochte den gefährlichen Mann wohl inniger
lieben als er sie, und der Verfolg zeigte es auch ziem-
hch klar 284a),
Hier scheint es mir der geeignete Platz, einer früheren
zärtlichen Verbindung dieses Mannes mit einem der
interessantesten Mädchen in Wien, dem Fräulein
Gabriele Baumberg ^^s)^ 2:u erwähnen, die vor etwa
anderthalb Jahren, ganz ignoriert von der Welt, in
Linz starb, und erst durch ihren Tod und ein Gedicht,
welches bei dieser Gelegenheit erschien, wieder ins An-
gedenken der Zeitgenossen zurückgerufen wurde, Sie
war ein liebenswürdiges Geschöpf, wohlgebildet, an-
mutig, mit einem schönen Talent für Poesie (damals'
ein viel selteneres Geschenk der Natur als jetzt) be-
gabt, aÄgenehm im Umgang und voll feinem Ge-
schmack für alles Zierliche, Wohlanständige. Als Eberl
sie liebte, traf ihn das Los, in seiner Anstellung nach
Brüssel, das damals noch österreichisch war, gehen zu
müssen. Jede Aussicht auf eine Verbindung mit der
einzigen Tochter einer geachteten und wohlhabenden
Familie mußte jetzt aufgegeben werden. Am Vor-
abend seiner Abreise schrieb er in Gabrielens Stamm-
buch unter das Bild eines Amors, der weinend sich
bemüht, eine Fackel auszulöschen: „pour l'eteindre
il n'a que des larmes." Die Unruhen, welche ein
paar Jahre darnach in Niederland ausbrachen, führten
Eberl mit andern kaiserlichen Beamten wieder nach
155
Wien 282) j aber jenes Verhältnis knüpfte sich nicht
wieder an.
Der Verfolg rechtfertigte, wie ich oben gesagt, meine
Ansicht vollkommen. Eberl wurde bald darauf bei
einer andern Privatbühne gebeten, die Liebhaberrolle
zu übernehmen. Er tat es abermals auf und außer der
Bühne. Eine verheiratete Dame wurde diesmal der
Gegenstand seiner Aufmerksamkeit, nachdem er schon
längere Zeit der der ihrigen gewesen war. Bald zog
sich dies Verhältnis noch fester. Eberl wurde der Haus-
genosse der Gräfin^ssa) und, was gewiß für den Wert
seiner Denkart bürgt, zugleich der wärmste Freund des
Grafen, ihres Gemahls. In diesem Hause stand er
eine bedeutende Krankheit aus, und während der-
selben besuchte ihn Ffäulein L . . , seine Freundin,
fleißig und pflegte seiner nach Möglichkeit. Dies alles
zusammengenommen stellt wirklich ein seltsames Ver-
hältnis und eine ungewöhnliche Richtung der Charak-
tere dar. Von diesen Personen starb das Mädchen, das
so treu, so aufopfernd geliebt hatte, zuerst, die Gräfin
folgte nicht lange darnach. In ein paar Jahren darauf,
als ich schon längere Zeit verheiratet war, starb auch
Eberl, und, wie es bei seinem Tode erst kund ward,
an einem unheilbaren Übel, das er bis dahin verheim-
licht, und das ihn wahrscheinlich bestimmt hatte,
nie sich in eine ernste oder gar eheliche Verbindung
einzulassen.
Ich bin etwas weitläufiger, als es gerade die Be-
ziehungen forderten, in denen ich mit diesen Personen
stand, für die Geschichte meines Lebens in diesen
kleinen Begebenheiten gewesen; aber sie dünkten und
dünken mich noch in psychologischer Hinsicht nicht
unmerkwürdig, und ich brachte nach so vielen Jahren
156
mit diesen wenigen Zeilen den Manen jener schätz-
baren Menschen gern noch den Tribut einer achtungs-
vollen Erinnerung.
Noch muß ich mir gestatten, an dieser Stelle, wo
so vieler Vorfälle gedacht wird, die sich damals er-
eigneten, und so vieler Personen, die uns zunächst um-
gaben, dieser letzteren, die später mehr oder minder
in meine Verhältnisse verflochten woirden, mit flüch-
tigen Worten ausführlicher zu erwähnen.
Härings Familie war mit der unsrigen verwandt,
darum dauerte das gegenseitig freundschaftliche Ver-
hältnis mit ihnen sowohl als dem Schwabschen Hause,
mit dessen Chef Härings Schwester seit langen Jahren
verheiratet war, trotz jenes Bruches zwischen unsern
jugendlichen Herzen fort. Ebenso alt und herzlich war
unsere Verbindung mit der Kurländerschen Familie,
die damals außer den Eltern aus zwei Töchtern und
drei Söhnen bestand, wovon die ersten mir ungefähr
an Alter glichen ^8). Später geschlossen," aber darum
nicht minder warm, war unsere Freundschaft zur
Familie von Mertens, des berühmten Arztes, aus der
aber nur eigentlich zwei Töchter, Sophie und Henriette
mir und meinem Bruder näher standen und sehr oft
bei uns waren, ja im Sommer oft mehrere Wochen bei
uns auf dem Lande zubrachten^sT). Dann waren mir
auch jenes Fräulein v. Born und eine ihrige Kusine
und ein Fräulein von Hackher^^^), v. Moter^ss)^ ein
Fräulein v. Ravenet, deren schon Erwähnung geschah,
die Kempelensche FamiHe^so) ^j^^ einige andere, recht
werte und liebe Gefährtinnen auf den heitern Pfaden
der Jugend. Ein Haus muß ich' noch erwähnen, mit
^S7
dem das meiner Eltern, schon wie ich noch ein Kind
war, in sehr freundschaftHchen Beziehungen stand.
Es war die FamiHe des berühmten Freiherrn v. Jacquin,
die schon damals vor 60 — 70 Jahren, ein helleuchten-
des Augenmerk für die wissenschaftliche Welt in und
außer Wien war, und die auch ihrer angenehm gesel-
ligen Verhältnisse wegen von vielen gesucht wurde.
Wenn die Gelehrten oder gelehrt sein Wollenden den
berühmten Vater und den ihm nachstrebenden Sohn
(den erst vor wenig Jahren verstorbenen Josef Frei-
herrn V. Jacquin ^^^) aufsuchten, so sammelte sich die
junge Welt um den jüngeren Sohn Gottfried ^^2), den
ein lebhafter, gebildeter Geist, ein ausgezeichnetes
Talent für Musik, mit einer angenehmen Stimme ver-
bunden, zum Mittelpunkt des heitern Kreises machte, >
und um seine Schwester Franziska, die jetzt noch'"
lebende Frau v. Lagusius^^^). Franziska spielte vor-
trefflich Klavier, sie war eine der besten Schülerinnen
Mozarts, der für sie das Trio mit der Klarinette ge-
schrieben hat ^^*), und sang noch überdies sehr hübsch.
Da wurden nun an den Mittwochabenden, die, seit
ich denken kann, in diesem Hause der Geselligkeit ge-
widmet waren, auch selbst im Winter, wann die Fa-
milie Jacquin, wie jetzt Professor Endlicher 2^^), im
Botanischen Garten wohnte, in den Zimmern des
Vaters gelehrte Gespräche geführt, und wir jungen
Leute plauderten, scherzten, machten Musik, spielten
kleine Spiele und unterhielten uns trefflich. Schöne
Zeit der heitern, sorglosen Jugend! Liebliche Bilder
längstentschwundener Freuden! Noch jetzt im Greisen-
alter beschwört euch mein Geist gern herauf aus dem
Dunkel der Vergangenheit und ergötzt sich an euch
und gedenkt gar manches scherzhaften Vorfalls, so
158
z. B. des Erstaunens, ja der Betroffenheit, mit der ich
als Kind von 9 — 10 Jahren einst auf meines Vaters
Tische ein dünnes Büchelchen fand, das unser ern-
sterer Spielgefährte, der ältere Jacquin, der damals
12 — 13 Jahre zählte, über irgendeinen naturhistori-
schen Gegenstand geschrieben hatte, und das gedruckt
wurde 2^^). Es kam mir wie eine Zauberei vof, und
ich konnte es kaum begreifen, wie man noch fast ein
Kind sein und ein Buch schreiben könne. Von nun an
betrachtete ich unsern Josef mit einer Art Ehrfurcht.
Viel lieber aber unterhielt ich mich mit seinen Jüngern
Geschwistern und ihrer gleichgestimmten Gesellschaft,
mit der ich denn allmählich, wie es diese Blätter zeigen,
aus dem Kindesalter in das jugendliche, beweglichere
und bedeutendere getreten war, in dem nun statt
heiterer Kinderspiele lebhaftere Empfindungen, ab-
wechselnde Hoffnungen und Schmerzen uns beschäf-
tigten.
< Es Ist Zeit, nunmehr nach Erzählung vieler kleinen
Begebenheiten den Faden der allgemeinen, an dem
sich ja das Leben der einzelnen auch mit abspinnt, auf-
zufassen, da jene Ereignisse doch nie ohne Einwirkung
auf deren Schicksal bleiben können.
Als Kaiser Josef gestorben war, hofften viele mit
Grund ungemein viel Gutes von seinem Nachfolger
und Bruder Leopold IL Es- war nicht bloß jenes un-
bestimmte Hoffen auf einen Wechsel, auf ein Anders-
werden so mancher Dinge, die im Laufe der Zeit
drückend geworden waren, es waren bestimmte und
gerechte Erwartungen von dem Herrscher, der sein
kleines Toskana zu einem der bestgeordneten, glück-
159
lichsten Staaten gemacht und den Namen des Weisen
mit Recht erworben hatte.
In unserm Hause sah man seiner Thronbesteigung
mit großer Freude und lebhaftem Anteil entgegen.
Mein Gemüt wurde durch alles, was ich über Kaiser
Josef hatte sprechen hören, was ich selbst gedacht
und gefühlt hatte, durch die Begriffe der Zeit endlich,
welche jeden Tadel der bestehenden Regierungen be-
günstigten, ebenfalls auf eine Weise angeregt, daß ich
mir von dem kommenden Herrscher unendlich viel
Gutes versprach, und da meine Seele sich bei vieler
Liberalität meiner politischen Gesinnungen (welche
ich fast mit allen jungen Leuten teilte) stets mit innerem
Widerwillen von den gar zu freien und nüchternen
religiösen sowohl als moralischen Grundsätzen ab-
gewendet hatte, die mit jenen meist Hand in Hand
gingen, so hoffte ich denn von Kaiser Leopolds Fami-
lientugenden, von seiner Achtung für häusliches Glück,
das er auf fast bürgerliche Weise in Florenz genossen
hatte, Wiederherstellung der alten guten Zeit, ver-
mehrte Sittlichkeit, Achtung für Religion usw., und
feierte seine Ankunft mit einem herzlich gemeinten Ge-
dichte, worin ich jene Ansichten aussprach 2^').
Doch die Zeit für eine solche Verbesserung war da-
mals noch nicht gekommen. Schwere Regentensorgen
empfingen den neuen Monarchen. Die Erbländer waren
in furchtbarer Aufregung, aus Frankreich drohte die
Revolution sich herüber nach Deutschland zu verbrei-
ten. So viel nahe Gefahren mochten den Kaiser er-
schreckt haben. Er eilte, den Türkenkrieg nach so
vielen glänzenden Siegen und gerechten Hoffnungen
durch einen, vielleicht übereilten Frieden zu schließen,
der Osterreich wenig oder gar keine Vorteile von dem
160
Josef Anton Gall
Monsorno ad vivum, C. Pfeiffer sc.
k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
ließ, was es durch Anstrengung und Tapferkeit erwor-
ben ^^^. Belgrad, Orsova usw. wurde abgetreten, der
greise Held London starb gleich darauf 2^^), und es ist
nicht unwahrscheinlich, daß der Gram über diesen
Friedensschluß, der nicht allein die Frucht aller seiner
frühern Kämpfe dahin gab, sondern ihn auch um die
neuen Lorbeern betrog, welche zu erkämpfen er bereits
den Feldzug wieder begonnen und sich ins Lager be-
geben hatte, seinen Tod herbeigeführt hatte. Genug,
der Friede ward geschlossen, Preußen erwies sich wie
früher immer aufs feindseligste gegen Österreich, und
Kaiser Leopold wandte nun seine Sorgen auf die Koali-
tion, welche denn auch zu Pillnitz zwischen den großen
Mächten Europas und den französischen emigrierten
Prinzen zustande kam 2''°). Ihr Zweck war, die Greuel
der Revolution zu hemmen, das Haus des Königs auf
dem Throne zu erhalten und die Fortschritte der
neuen Ideep auch in Deutschland soviel wie möglich
zu unterdr^ken. Eingeleitet waren diese Pläne; die
Ruhe iin Innern war ziemlich hergestellt, manches
Drückende, aber auch dort und da etwas Gutes auf-
gehoben oder verändert. Noch wußte man nicht recht,
wessen man sich zu dem neuen Herrscher zu versehen
habe, als auch ihn ein frühzeitiger und schneller Tod
plötzlich äbrief^"^), und der Staat, noch stets in un-
ruhiger Bewegung von innen und außen, in diesen be-
denklichen Zeitläuften von der Vorsicht in die Hände
eines dreiundzwanzigj ährigen Jünglings gelegt wurde.
Wohl glaubten viele, eben darum manches befürchten
und nicht viel hoffen zu können. In unserm Hause
herrschte ebenfalls Trauer über diesen Todfall in einer
so verhängnisvollen Epoche; aber mein Herz hatte
sich im stillen zu dem gleichalterigen Prinzen gewendet.
II c. p. I • 161
Ich sah in ihm das Bild der Hoffnung, und mein Gefühl
sprach sich in einem Gedichte aus, das ich zum Teil
bei der Leichenfeier des Kaisers Leopold an unsern
Fenstern dichtete, von wo man den Zug um die Kapu-
zinerkirche, in der sich die k.k. Gruft befindet, sehen
konnte.
Wir flehn zu Dir gleich frühverwaisten Kindern,
O tu an uns wie ältre Brüder tun!
Du kannst allein des Volkes Leiden mindern,
Du,
Du warst uns Bruder; — sei uns Vater nun!*''^)
Und Kaiser Franz wurde uns Vater, im schönsten,
besten Sinne des Wortes. Meine Hoffnung hatte mich
nicht getäuscht, meine poetische Vorhersagung war
wahr geworden, und mit großem Vergnügen erinnere
ich mich noch jetzt des lebhaften und frohen Eindrucks,
den dessen Silhouette auf Goldgrund auf einer Tabatiere
und mit der hübschen Aufschrift
O decus, o patriae per te florentis imago!
auf mich machte.
Im Sommer 1792 rückten nun die kombinierten
Armeen der Österreicher und Preußen (zum erstenmal
in friedlicher Vereinigung) ins Feld; an den Rhein
und über den Rhein ^''^). Den ungünstigen Erfolg dieses
Feldzugs kennt die Welt. Statt den König zu retten,
war sein Tod beschleunigt worden, und statt die Greuel
zu unterdrücken, die den Thronen den Umsturz droh-
ten, zogen sie sie gleichsam erst recht nach Deutsch-
land herüber, wo ohnedies schon längere Zeit vorher
Freimaurer und Illuminaten diesen Ideen vorgearbeitet
hatten: wie wenn sich jemand unvorsichtigerweise einer
Feuersbrunst naht und von den Flammen, die er löschen
wollte, ergriffen, diese im Fliehen mit sich fortträgt
162
und so das Feuer in die vorher noch ruhige Gegend
bringt. Gebe Gott, daß von dieser Erinnerung ge-
warnt, die Fürsten Europas den unheilschwangern
Vulkan in Frankreich am besten in sich selbst verglühen
und sich verzehren lassen!
Während der Krieg am Rheine begann und der un-
sehge Brand entzündet wurde, der noch fast ein
Vierteljahrhundert lang Deutschland verwüstete, hat-
ten meines Vaters Geschäfte und auch sein Wunsch,
Oberösterreich, das er zehn Jahre früher mit meiner
Mutter schon einmal besucht, wieder zu sehen, die
Veranlassung zu einer Reise in diese Provinz gegeben,
wo meinen Eltern viele werte Freunde lebten, vor
allen der Bischof Gall, eben jener würdige Priester, der
mich in meiner Kindheit unterrichtet und von seinem
eigenen großen Verdienst und einem glücklichen Zu- .
sammentreffen der Umstände gehoben, diesen be-
deutenden Platz erreicht hatte. Kaiser Josef fand
es seinem, dem Adel nicht sehr geneigten Systeme zu- •
sagend, würdige Geistliche bürgerlicher Herkunft zu
solchen hohen Stellen zu erheben, die bisher dem lang-
eingeführten Gebrauche gemäß nur Adeligen zuteil
und gleichsam ihr Eigentum, auf das sie Anspruch zu
haben meinten, geworden war. Mit Erstaunen, mit
Freude und auch wohl mit Mißbilligung, je nachdem .
die Parteien gesinnt waren, wurde die Besetzung meh-
rerer Bischofstühle, wie des von Linz, von Brunn usw.
durch Bürgerliche angesehen; aber wer Gall näher
kannte, mußte sich seiner Erhebung erfreuen, die in
religiöser und sittlicher Rücksicht ein Segen für das
Land ward.
163
Bischof Gall hatte meine Eltern eingeladen, ihn in
Linz und mit ihm seine schöne Besitzung Mondsee ^"^)
(welches jetzt dem Fürsten Wrede gehört, demselben,
der am Tage der Wagramer Schlacht unserer Armee
den schon errungenen Sieg entriß, indem er um elf Uhr
Vormittag mit seinen Bayern den bereits weichenden
Kolonnen der Franzosen zu Hilfe eilte !^°^) zu be-
suchen. Acht Tage ungefähr lebten wir in Linz im
bischöflichen Palast ein sehr angenehmes, aber etwas
geräuschvolles Leben, dann trennten wir uns von mei-
nem Vater, welcher in seinen Geschäften die Kreis-
ämter bereiste, während, wir, meine Mutter, mein
Bruder und ich, nach Mondsee gingen, woselbst er
uns in acht bis zehn Tagen abzuholen verhieß. Wun-
derschön war diese kleine Reise, auf der ich zum ersten-
mal in meinem Leben das Hochgebirg (denn eine Fahrt
nachMariazell, als ich sechs bis sieben Jahre zählte, hatte
mir keine bleibenden Eindrücke hinterlassen) und den
weit ausgegossenen Attersee erblickte. Durch tiefe Wal-,
düngen, auf ziemlich beschwerlichen Wegen, wo oft die
Tannenäste auf und in unsern Wagen schlugen, ge-
langten wir an Sägemühlen, Hammer- und Sensen-
schmieden mit ihren rauschenden Wassern und damp-
fenden Schornsteinen vorbei, am Abend eines meist
trüben und oft von mit Schnee gemischtem Regen ge-
kühlten Tage, plötzlich aus dem Walddunkel hervor in
ein weites Tal. Vor uns lag breit, klar und tiefgrün
ausgegossen der Spiegel des Mondsees, und ringsum
starrten uns himmelhohe Berg- und Felsenkuppen an,
die ihn in ihrem sichern Schoß halten und mit Schnee
bis an den Fuß bedeckt waren. So viel Schnee, solche
Kälte, und der erste Juni! Das kam mir wie ein
Märchen vor, und ich würde mich mehr an dieser,
164
mir, der Flächenbewohnerin, so seltsamen Abnormität
ergötzt haben, wenn der Gedanke, statt der ländlichen
Freuden, Spaziergänge, Wasserfahrten usw., denen ich
schon im voraus entgegengesehen hatte, mich durch
Schnee und Kälte auf einem einsamen Schloß im Ge-
birge durch mehrere Tage eingesperrt zu finden, nicht
ängstigend vor meinen Geist getreten wäre.
Am andern Tage war alles anders. Aller Schnee
von Höhe und Tal verschwunden, die Berge herrlich
mit ihren Wäldern und Felsen und dem spiegelnden
See im Frühlingssonnenstrahl, der zwar noch nicht
mild erwärmte, aber doch der freien Natur zu genießen
erlaubte. Was waren das für köstliche Tage in dieser
wild-schönen Gegend, im Umgange mit zwar an Jahren
von mir sehr verschiedenen, aber höchst gebildeten,
geistreichen Männern,J'dem Bischof und einigen seiner
Domherren, die uns begleitet hatten, und deren einer,
Vierthaler ^°^), der Bruder des damals schon berühmten
Professors der Geschichte in Salzburg war! Freund-
lich waren die Herren beflissen, uns die Zeit aufs an-
genehmste zu verkürzen. Wir machten. Spaziergänge
und Fahrten zu Land und auf dem See. Bei diesen
letzten war es unterhaltend und wunderbar, den
Effekt der Musik, des lauten Rufens oder wohl gar
einer abgeschossenen Pistole zu beobachten, wie die
vielen nähern und fernem Echos in den Gebirgen den
Schall bald vollkommener, bald unvollkommener zu-
rückgaben, und wenn das erste donnerähnliche Getöse
vorüber war, alles im' Schiffe still wurde, die Ruder-
knechte ihre Ruder in die Höhe 'hoben, daß ja kein
Laut die Stille unterbreche, und nun nach zwei oder
drei|Minuten der Donner des Echos sich noch einmal,
der Himmel weiß von welchem fernen Berge, hören ließ.
165
Auf dieser Reise kam ich auch in das, damals ganz
unberühmte Ischl, das aber in seiner heimhchen Lage
zwischen waldgrünen Bergen, von der lautbrausenden
Traun der Länge nach durchrauscht, deren Getose
mich oft des Nachts in Schlummer wiegte, mir so wohl
gefiel, mich so anheimelte, daß ix:h beinahe gewiß bin,
es würde mir jetzt, wo es von Badegästen, Fremden
und prächtigen Erscheinungen belebt, von Eleganz
und städtischen Bequemlichkeiten verherrlicht ist,
schlechter als damals vor ungefähr einem halben Jahr-
hundert gefallen. Überhaupt hat mir dies Ergießen
der Städte hinaus aufs Land, diese Sucht, an jedem
freundlichen oder romantischen Plätzchen die Kom-
forts eines Kaffee- oder Wirtshauses aufzuschlagen,
schon eine Menge hübscher Gegenden verleidet, und
wie oft sind mir Schillers Worte im Wallenstein ein-
gefallen: „Dies Geschlecht kann sich nicht anders
freuen als bei Tisch^**')." Freilich aß und trank man
damals auch; denn das ist Gebot der Natur; aber man
aß zu Hause, nachdem man sich vorher auf einem
Spaziergang erheitert und ermüdet hatte, oder bei
einem Freunde, den man auf dem Lande besuchte, und
so fand das Familien- und gesellige Leben seine Rech-
nung neben dem Genuß der Naturfreuden, dahin-
gegen der Genuß in den Wirtshäusern nur die ego-
istische Bequemlichkeit unserer Tage und die Ver-
geudung des Geldes begünstigt, in denen er auch seinen
Ursprung hat.
Von Ischl aus sahen und befuhren wir auch den
düstern Hallstätter See, an dessen Ende man umkehren
muß, weil keine Straße weiter führt, und zuletzt trug
unser schwebendes Schiffchen uns über den prächtigen
Traun- oder Gmundner See bis zu diesem Ort, der
; i66
sich, so an der Krümmung des Ufers hingebaut, wo seine
besten Häuser beisammen stehen, ganz stattlich aus-
nimmt. Übrigens enthalte ich mich jeder Beschreibung
dieser Gegenden; denn seit es Mode geworden ist, sie
zu besuchen, sind sie „in Wort und Tat, in Bild und
Schall" so oft gepriesen, geschildert, gemalt und von
allen Seiten dargestellt worden, daß noch eine Beschrei-
bung ganz überflüssig wäre. Das glaube ich aber be-
haupten zu können, daß ihre teils reizenden, teils er-
habenen Schönheiten von unserer kleinen Karawane
mit tief erem Gefühl aufgefaßt wurden, als es jetzt wohl
bei der Mehrzahl der Ischler Kurgäste der Fall sein
mag, welche nur Zerstreuung, Veränderung und das,
was Mode ist, aufsuchen.
Die Masern, eine eigentliche Kinderkrankheit, die
uns früher verschont hatte, ergriff jetzt plötzhch meinen
Bruder, der sie sich in einem Hause geholt, wo wir für
den Abend gebeten waren und wo ein krankes Kind,
dessen wahres Übel wir nicht kannten oder das man
uns verheimHchte, auf dem Sofa neben uns lag und
sie meinem Bruder mitteilte, der ihm zunächst saß.
Erst am achten Tage ergriff die Krankheit auch mich;
sie war, wie bei Xaver, sehr gutartig, dennoch fühlte
ich mich sehr übel, und besonders bei der Eruption,
indem ich zwar nirgends am Körper einen Schmerz,
aber in jedem Fleckchen der Haut ein unnennbares
Unbehagen fühlte. Nach 8 — lo Tagen war alles vor-
über, und wir kehrten beide in die gewohnte Lebens-
weise uiisers väterlichen Hauses zurück. Während
dieser Zeit hatten unsere jugendlichen Freunde und
Freundinnen uns ohne alle Scheu an unsern Betten
besucht, was uns höchst willkommen war. — Sei es
nun, daß die meisten diese Krankheit schon gehabt
167
hatten oder sich nicht davor fürchteten. Überhaupt
erinnere ich mich recht wohl, daß dazumal (etwa die
Kinderblattern ausgenommen, deren Verheerungen in-
dessen die Inokulation schon mächtig entgegengearbei-
tet hatte) diese Scheu vor möglicher Ansteckung nicht
so groß, so allgemein, so — ich möchte sagen, kindisch
war wie jetzt, da man, wenn es nur angeht, das Haus
nicht betritt, in welchem bei irgendeiner Partei eine
Kinderkrankheit : Scharlach, Masern usw. herrscht, oder
es kaum wagt, einen Bedienten nach Erkundigung
hinzusenden. Waren wir damals unbesonnener oder
weniger egoistisch ?
Ich komme nun zu einem wichtigen, wohl dem wich-
tigsten Abschnitt in meinem Leben, zu den kleinen
Ereignissen und Verkettungen scheinbarer Zufällig-
keiten, welche mich zu der Bekanntschaft mit meinem
Gemahl, und somit zu dem Ursprung meines Lebens-
glückes führten.
In dem Bureau meines Vaters arbeiteten nebst
meinem Bruder noch mehrere junge Männer, welche
alle von ausgezeichneten Fähigkeiten und sittlicher
Würde waren, wie denn, ich darf es mit Stolz sagen,
um meine Eltern sich von jeher stets ein Kreis vorzüg-
licher Menschen sammelte und unser Haus (der edle
Heinrich von Collin sagte uns das zwanzig Jahre nach-
her noch oft) das Augenmerk besserer junger Leute
war, die nach feinerer und höherer Bildung strebten.
Auch haben die ausgezeichneten Plätze im Staate, zu
welchen jene Männer späterhin meist gelangten, be-
wiesen, daß sie bedeutenden Wert hatten. Diese Her-
ren waren alle genaue Freunde meines Bruders und
besuchten beinahe täglich unsere Abendgesellschaften.
Einer aus ihnen ^•'^), der denn auch, seiner außerordent-
i68
liehen Geschicklichkeit sowie seiner Sittlichkeit wegen
meines Vaters Liebling war, zog bald, eben durch dasS
viele Güte, das mein Vater von ihm sprach, meine
Aufmerksamkeit auf sich. Aber eine groi3e Schüchtern-
heit, eine Ungewohntheit, sich in den Kreisen der
größern Welt zu bewegen, gaben ihm eine etwas ge-
zwungene Haltung, und dies schadete ihm, ich muß
es zu meiner Beschämung sagen, in meinen Augen im
Anfange unserer Bekanntschaft. Ich glaubte wohl das
Gute, das andere von ihm sagten, doch ich ließ es auf
sich beruhen, ohne ihn näher kennen lernen zu wollen.
Aber mein Vater suchte ihn selbst, immer mehr in unser
Haus zu ziehen. Er war bei allen unsern Bällen und
kleinen Unterhaltungen gebeten, und hat mir später '
gestanden, wie peinlich ihm dies war, da er nicht gern
unter vielen Menschen sich befand, und doch auch seines
Hofrats Einladungen nicht wohl ausschlagen konnte.
Allmählich nun, im often Zusammensein, fingen
seine vortrefflichen Eigenschaften an, Eindruck auf
mich zu machen, wozu wohl die Bemerkung beitragen
mochte, daß auch ich ihm nicht gleichgültig war, und
sein Gefühl, trotz seiner Schüchternheit oder vielleicht
eben dadurch, sich unwillkürlich zuweilen verriet.
Meine Eitelkeit war durch die Eroberung dieses vor-
züglichen, und trotz seiner Steifheit sehr hübschen
Mannes geschmeichelt, und obwohl nur mein Verstand
und noch nicht mein Herz für ihn sprach, so war ich
doch sehr zufrieden, wenn er oft kam und ich mich
seines gehaltvollen Umganges sowie der kleinen Sprüh-
funken seiner nur schlecht verhehlten Empfindung für
mich erfreute.
Ich halte es für Pflicht, bei einer Selbstbiographie
ganz aufrichtig zu sein, insoweit es die Klugheit, welche
169
zwar nie eine Lüge, aber Stillschweigen gebieten
kann oder die Schonung erlaubt, welche man noch
lebenden Personen oder nahen Verwandten Verstor-
bener schuldig ist. Daher dünkte mich der Titel von
Goethes Werke: Wahrheit und Dichtung aus meinem
Leben, eine Art von Beleidigung für den Leser, der
sich nun weder eine psychologische Beobachtung noch
eigentliche Belehrung versprechen kann, weil er bei
keiner Beschreibung, keiner Begebenheit oder Gefühls-
äußerung weiß, ob sie sich wirklich so in Goethes Geist
oder Leben zugetragen hat oder bloß von ihm zur an-
ziehenderen Unterhaltung seiner Leser erfunden wor-
den ist.
In dieser Ansicht habe ich mich bestrebt, in der
Schilderung meines, übrigens unbedeutenden Lebens-
laufes stets so vor dem Leser zu erscheinen, wie ich
mir selbst bei strenger Prüfung vorkam, und so bekenne
ich also, daß ich gegen den jungen Mann, von dem ich
eben gesprochen, mich durch kindische Eitelkeit im
Anfange unserer nähern Bekanntschaft manchmal ver-
sündigt und mich im stillen auf unerlaubte Weise daran
erfreut habe, ihn oft an einem Abend mehr als einmal
bald in stilles Entzücken, bald in Trauer zu versetzen,
je nachdem ich ihm gütig begegnete oder einen seiner
gefürchteten Nebenbuhler auszeichnete, deren er —
manche wahrlich oft mit Unrecht — in den übrigen
jungen Leuten zu sehen glaubte, die unser Haus be-
suchten.
Mein Bruder hatte um diese Zeit mit seinen Ge-
fährten im Bureau, mit Herrn Eberl und noch ein
paar jungen Männern den Plan zu einer Art von lite-
rarischem Verein entworfen, in welchem Aufsätze über
mancherlei Gegenstände geschrieben, diese gegenseitig
170
vorgelesen, beurteilt und auch bei Gelegenheit Reden
aus dem Stegreife gehalten werden sollten; denn die
französische Revolution, das Repräsentativsystem und
die öffentlichen Reden beschäftigten die Geister der
meisten und gerade der bessern jungen Leute.
Der Plan war sehr lobenswert, sowie der Zweck des-
selben: gegenseitige Ausbildung und Vervollkomm-
nung zu ihrer künftigen Laufbahn. Da nun bei keinem
der übrigen Mitglieder das Lokal und die Umstände
sich so dazu eigneten, den Platz für die Versammlungen
anzubieten als bei meinem Bruder, so wurde beschlös-
sen, die Zusammenkünfte jeden Sonnabend nach ge-
endigten Bureaugeschäften bei diesem zu halten. Meine
Mutter begünstigte gern einen Plan, der ihrem Sohn
Nutzen und Vergnügen versprach, aber es verstand sich
von selbst, daß die Herren nicht in unser Zimmer, son-
dern in das meines Bruders kamen und wir nicht dabei
erschienen.
Doch konnten wir uns die kleine Befriedigung un-
serer Neugier nicht versagen, uns von dem Bruder
manchmal die Aufsätze der Herren mitteilen zu lassen,
wenn er sie zur Beurteilung bei sich hatte (was von
jedem Mitglied mit jedem Aufsatz der andern geschah).
Die Gegenstände der Aufsätze waren teils philosophi-
scher, teils moralischer, teils politischer Art, und da
die Gesellschaft sich gegen drei Jahre erhielt und sie
sich regelmäßig jede Woche versammelte, wo dann
stets einmal die Aufsätze und das nächste Mal die Be-
urteilungen in Gegenwart aller Mitglieder vorgelesen
wurden, so kann man leicht ermessen, daß der Aus-
arbeitungen eine bedeutende Zahl und von den ver-
schiedensten Arten werden mußten. Die Gegenstände
wurden von den Mitgliedern nach der Reihe aufgegeben.
171 .
Meine Mutter und ich hatten also einige der Auf-
sätze gelesen und viel Vergnügen daran wie überhaupt
an der ganzen Anstalt gefunden. Allmählich stieg in
mir der Gedanke auf, mich ebenfalls auf dieser Bahn zu
versuchen, und ohne, wie es sich versteht, persönlich
zu erscheinen, ja auch ohne meinen Namen zu nennen,
über einige der Aufgaben, die meiner Fassungskraft so-
wie meinem Geschlecht zusagten, ebenfalls kleine Auf-
sätze zu schreiben. Diese übergab ich meinem Bruder,
der sie nebst den seinigen vorlas, wenn die jungen
Herren sich bei ihm versammelten, und ein paarmal
ließ sich sogar meine Mutter herbei, ungenannterweise
an dieser Geistesübung teilzunehmen. So erinnere ich
mich bestimmt, daß sie über die Todesstrafen mit-
schrieb, eine Wahl des Gegenstandes, die schon zeigt,
wie ernst und mäftnlich ihr Geist war und worin sie
gegen Beccaria^"^) sich für die Todesstrafe, aber aus
dem Grunde erklärte, weil sie lebenslänglichen Kerker
für etwas subjektiv viel Quälenderes und objektiv min-
der Abschreckendes hielt, wodurch also die Menge nicht
von Begehung ähnlicher Verbrechen abgehalten und
der Gesellschaft nur ein unnützes oder schädliches Glied
erhalten würde.
Die Gegenstände, welche ich mir zur Bearbeitung
wählte, waren die Aufgaben philosophischer oder mo-
raHscher Art, und da deren die größte Anzahl war, so
war ich eine sehr fleißige Teilnehmerin, und kann wohl
sagen, daß ich diesem Verein zu gemeinschaftlichen
Übungen der Denkkraft und den strengen, aber meist
gerechten Beurteilungen der übrigen Mitglieder einen
großen Teil meiner Fortschritte in der Leichtigkeit
verdanke, meine Gedanken über irgendeinen! Gegen-
stand zu sammeln, zu ordnen und soviel möglich
172 ■
logisch richtig und in angenehmer Schreibart vor-
zutragen.
Aber es sollte aus dieser Geistesübung, die nur unsere
■gegenseitige Ausbildung zum Zwecke zu haben schien,
ein anderer und für mich viel wichtigerer Vorteil,
der über das Glück meines Lebens entschied, hervor-
gehen. Unter den Mitarbeitern befand sich nämlich
jener junge Mann, der in meines Vaters Bureau ar-
beitete, längst von mir mit Auszeichnung war bemerkt
worden und mich zum Gegenstande einer stillen, ehr-
furchtsvollen, aber innigen und edlen Zuneigung er-
wählt hatte. Sonderbar genug fand es sich, daß, wenn
die sechs bis sieben Mitglieder jenes Vereins ihre
Meinungen über denselben Gegenstand meist sehr
verschieden, ja oft entgegengesetzt äußerten, Pichlers
(dies war der Name jenes jungen Mannes) Aufsätze mit
denen des Unbekannten (unter welcher Bezeichnung
ich schrieb) in Ansicht und Beurteilung meist voll-
kommen zusammen trafen. Daß vorher darüber
zwischen uns nicht gesprochen wurde, versteht sich
von selbst; denn ich sollte ja mein Inkognito be-
halten; es war also wirklich Übereinstimmung der
Seelen, die sich durch dieses. Mittel wahrhaft und
offen zeigte.
Wie sehr die Bemerkung dieses Zusammenklanges
uns beiden auffallen, und wie sehr sie den Anteil, den
wir bereits aneinander nahmen, erhöhen mußte, ist
leicht zu erachten. Pichler wurde mir immer werter,
. und ich fühlte wohl, wie sehr mit seiner vermehrten
Achtung für meinen Geist, auch seine Empfindung
für mich lebendiger wurde. So entwickelte, vermehrte
und stärkte sich unsere wechselseitige Neigung und
ward zuletzt zum unauflöslichen Seelenbande, das
173
unsere Gemüter auch nach mehr als 40 Jahren treu und
innig zusammenhielt.
Wohl habe ich viele Jahre darnach (1808) aus dem
Munde des geist- und gemütreichen Dichters F. Z. Wer-
ner, der, .als ^ er noch Protestant und weltlich war,
•während seiner ersten Anwesenheit in Wien unser
Haus sehr oft besuchte, eine Äußerung vernommen,
welche, wenn sie gegründet wäre, bewiese, daß die
Liebe, welche nur nach und nach aus Achtung und
Wohlwollen erwächst, nicht die rechte, echte Liebe sei.
„Diese muß", so drückte der schwärmerische Dichter
sich aus, ,,wie der Blitz auf einmal in zwei Herzen
schlagen, sie entzündend reinigen und ewig dauern."
Ich hörte das init an, erwiderte dann, daß ich auf diese
Weise freilich nie recht geliebt hätte; dachte aber
im stillen daran, wie bei Wernern selbst der Blitz,
der nur einmal fürs ganze Leben entzünden sollte,
zwei- oder dreimal eingeschlagen habe, und ließ den
Streit auf sich beruhen ^^°). Es nimmt sich eine Sache,
besonders ein Gefühl, in einem Romane oder Ge-
dichte ganz anders aus als in der wirklichen Welt.
Manches, was dort glänzt und strahlt, ist hier un-
brauchbar, wo nicht gar schädlich, und manches,
das sich in der Wirklichkeit unendlich beglückend und
segensvoll bewährt, würde in einem Gedichte wenig
oder gar keine Figur machen. So sehr ist Dichtung
und Wirklichkeit verschieden, und so gefährlich ist es,
die erste aus Romanen und Gedichten zur Führerin auf
der Lebensbahn zu wählen, was indessen sehr vielen
jungen Leuten begegnet, und vor Zeiten, wo man
sentimentaler dachte, noch viel mehreren begegnet ist.
Während diese Neigung in unser beider Herzen
wuchs und erstarkte, knüpften sich neben uns unter
174
den Freunden auch allerlei Bändchen und Bande an. —
Unter den jugendlichen Gefährtinnen, mit denen ich
am meisten zusammen kam, war mir wohl jenes Fräu-
lein Ravenet die nächste, weil sie mir noch am längsten
und genauesten bekannt, und meine eigentliche Ver-
traute war. Außer ihr aber schätzte und liebte ich
sehr die beiden Fräulein von Mertens, Sophie und
Henriette, und ein Fräulein Therese Hackher. Alle
drei sehr hübsch, schön darf man wohl sagen, viel
reizender als ich, aber alle drei so gut, verständig, ge-
bildet und liebevoll, daß eine herzliche Zuneigung und
gegenseitige Achtung uns verband. Mein Bruder,
dieser ausgezeichnete junge Mann, entschied sich für
Henrietten, deren ruhiges, anstandsvolles Betragen
ihm sehr zusagte. Sophie, die ältere Schwester, viel
lebhafter und geistvoller als jene, aber vielleicht min-
der besonnen und ruhig, wurde von einem der edelsten,
besten Menschen, dem jungen Grafen Chorinsky^^^),
einem innigen Freund Pichlers und meines Bruders,
und nicht dem unbedeutendsten in diesem seltenen
Kleeblatt guter Menschen und treuer Freunde, ge-
liebt; und Therese Hackher, eines der liebenswürdig-
sten und schönsten Mädchen Wiens, stand durch
mehrere Jahre in einem sehr treuen Verhältnis mit
einem vorzüglichen jungen Mann, meinem Jugend-
gespielen und vertrauten Freunde, dem Sohne ' des
Hofrats Dürfeld^^^). Diese drei Paare, sowie Pichler
und ich, waren nun oft und viel beisammen; wir kannten
uns alle genau, und liebten uns herzlich untereinander,
und ich mag wohl sagen, Dürf eld und Graf Chorinsky
waren ebenso sehr meine Freunde, als ihre Geliebten
meine Freundinnen. Es war ein schönes Leben da-
mals — das Jugendleben guter Menschen, wie Iffland
175
.1
i f
r
in der Elise Valberg so wahr sagt^^^); wir genossen es
mit Innigkeit, Treue und Mäßigung, und unsere
gegenseitige Vertraulichkeit war ein schönes Band mehr
in diesem Kreise.
Mein Bruder indessen löste sein Verhältnis zu Hen-
rietten bald oder vielmehr, sie tat es. Es war ein braves,
sittsames, aber heiteres und lebensfrohes Mädchen, von
sehr bedeutender Lieblichkeit der Gestalt; meines
Bruders Begriffe von weiblicher Würde waren hoch, ja
überspannt, darf ich wohl sagen, und seine Forderungen
an das Wesen, das er sic4i erwählt hatte, allzustrenge.
Henriette hatte sich in allen Schranken des Anstandes
und der Rücksicht auf den Geliebten gehalten; dennoch
fand mein Bruder stets etwas in ihrem Betragen gegen
andere Männer zu tadeln, und das reizte sie gegen ihn
auf. Zudem glaubte sie in der Art, wie er mir zuweilen,
wenn seine Strengheitsprinzipien lebhaft hervortraten,
begegnete — die mich aber minder verletzte, weil ich
den Bruder und seine gute Meinung genau kannte —
etwas zu finden, das ihr Besorgnisse für ihr zukünftiges
Glück an seiner Seite geben könnte, und so trennten
sich diese beiden Herzen, die vielleicht mit etwas mehr
Geduld und Nachsicht von beiden Seiten sich einander
beglückt haben würden.
Lange hatte der Verbindung zwischen der schönen
Therese Hackher und ihrem Freunde kein günstiger
Stern geleuchtet. Meine innige Teilnahme an ihrem
Schicksal sprach sich in einem kleinen Gedichte aus,
welches ich ihr zu ihrem Geburtstag dichtete ^i*).
Endlich ebnete später sich ihnen der Pfad, der sie zu
ihrem Glücke führen sollte, und im Mai 1795 sprach
der Priester den Segen über diesen Bund, den auch
wir alle mit unsern besten Wünschen begleiteten.
176
i
^y^ '^^'
Ignaz Karl Graf Chorinsky
C. Sales pinx., B. de Schrötter lith. — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
Auch dieses Ereignis feierte ich durch ein kleines Ge-
dicht ^^^), wie denn überhaupt meine Gedichte minder
freie Ergießungen eines poetischen Gefühls waren,
sondern meist irgend einer Veranlassung bedurften, die
den Funken in mir weckte, und das Gedicht ins Da-
sein rief.
Während dieser Zeit hatte Graf Chorinsky viele
Mühe und Kummer um seine Liebe zu Sophien ge-
tragen. Sie war ihm nicht ebenbürtig, und so treff-
lich sie an Herz und Geist, so hübsch sie von Gestalt,
und so gut und liebevoll gegen den Sohn auch der alte
Graf^^^) gesinnt war, dennoch ließen sich, besonders
damals, die Stan,desvorurteile oder Ansichten nicht
leicht überwinden. Der Vater wollte seine Einwil-
ligung nicht geben, der Sohn das Mädchen nicht lassen.
Es war eben noch eine Liebe und Treue aus jener Zeit,
wo man im allgemeinen wärmerer Gefühle und eines
höhern Schwunges in den Lebensansichten fähig war.
Indessen hatte Chorinsky zum Schein sich dem Be-
fehle seines Vaters gefügt und Sophien entsagt, die
er mit seines Vaters EinwilHgung nie hätte besitzen
können. Wir bedauerten ihn alle recht herzlich, und
gaben uns Mühe, dem unglücklichenPaar unsere wärmste
Teilnahme zu beweisen. Im stillen aber währte, uns
allen, selbst Sophiens Mutter und Chorinskys besten
Freunden, meinem Bruder und Pichlern verborgen,
diese Verbindung fort. Die Zusammenkünfte wurden
mit Klugheit und Vorsicht eingeleitet. Ein gemein-
samer Freund, der gar zu gern Geistestätigkeiten
dieser Art übte, wurde ins Vertrauen gezogen. Er ver-
mittelte die geheimen Besuche, und erst lange darnach,
als eben dieser allzu tätige Vertraute wegen anderer
Verhältnisse Gefahr für sich selbst fürchtete, und seine
12 c. P. I
177
Mitwirkung aufgeben mußte, erfuhren wir -öligen
Freunde, nicht ohne Schrecken und inniger Mißbmi-
gung, den wahren Stand der Dinge, daß nämlich Graf
Chorinsky fest entschlossen sei, sich mit seiner Ge-
liebten auch heimlich, auch wider den Willen seines
Vaters, zu verbinden.
Zu tun, abzuwarten, zu hindern war nichts mehr;
das sahen seine Freunde klar ein. Man ließ also die
Sache ihren Weg gehen, nachdem man beiden noch
einmal allen Kummer und alle Mißverhältnisse, denen
sie sich unausbleiblich durch jenen Entschluß aus-
setzten, vorgestellt hatte ^^'').
Wir standen jetzt im Jahre 1794. Die französische
Revolution hatte indessen alle ihre Greuel entfaltet,
der König und die Königin waren ermordet, Ströme
von Blut in der Hauptstadt sowohl als den Provinzen
geflossen; viele bessere Herzen, die im Anfang warm
für die neuen Ideen geschlagen hatten, wandten sich
mit Abscheu ab, als statt der jugendlichen Göttin
der Freiheit ihnen eine bluttriefende Mänade ent-
gegen taumelte. Klopstock sandte dem Konvent das
Bürgerdiplom zurück, das er früher als eine ehrende
Anerkennung angenommen hatte); der edle Georg
Forster, den wir bei seiner Anwesenheit in Wien oft
in unserm Hause gesehen, und den meine Eltern sehr
liebgewonnen hatten, war vor Gram über seine ge-
täuschten Erwartungen in Paris gestorben ^^^). Der
Krieg, den die verbündeten Mächte gegen Frankreich
begonnen hatten, brachte mit den Heeren der Repu-
blik, die die Angreifenden zurückdrängten und ihnen
auf dem Fuße folgten, ihre Vorstellungen von Frei-
178
heit, Gleichheit, Menschenrechten usw. mit sich her-
über; der Schwindel ergriff die Geister jenseits wie
diesseits des Rheins und entzündete verwandte Ge-
müter auch in Österreich und Ungarn. Es waren ge-
heime Verbindungen geschlossen, Katechismen der
Freiheit unter den Mitgliedern verteilt, und noch
sonst allerlei bedenkliche Bewegungen versucht worden,
welche die Regierung aufmerksam machten. Plötzlich
brach das Geheimnis hervor. In einer Nacht wurden
sowohl hier in Wien als hier und dort auf dem Lande
viele Personen ergriffen, ihre Papiere in Beschlag ge-
nommen, sie selbst in strengere oder gelindere Haft
gebracht. Dasselbe geschah in Ungarn. Wie ein
Donnerschlag aus heiterm Himmel wirkte diese Nach-
richt auf die lebensfrohen Wiener, die plötzlich aus
ihrer Mitte eine bedeutende Zahl wohlbekannter
und mit vielen befreundeter Männer gerissen, diese
als Staatsverräter beinzichtigt, und einem sehr un-
gewissen, vielleicht schrecklichen Schicksal entgegen-
geführt sahen. Die Ergriffenen gehörten meist dem
gebildeten Mittelstande an, es waren Beamte, Kauf-
leute, Advokaten, Gelehrte — mit einem Worte, jenen
Kategorien, aus denen auch in Frankreich viele bedeu-
tende Männer der Revolution hervorgegangen waren.
Im ersten Schreck wurden noch gar viele als arretiert
genannt, die es nicht waren; denn die Bestürzung
war groß und allgemein. Eine Kommission aus Mit-
gliedern des Hofkriegsrates, der Polizeihofstelle und
der Justizkollegien wurde zusammengesetzt, um über
die Schuldigen zu erkennen, und nachdem die Unter-
suchung ziemlich lange gewährt hatte, wurden einige
zum Tode, andere zur Festung, wieder andere zu
längerer oder kürzerer Haft verdammt, einige ver-
179
wiesen. Einer oder ein paar hatten sich im Gefäng-
nisse selbst das Leben genommen. Worin ihr Ver-
brechen eigenthch bestanden, was sie bezweckt, wie-
viel ihnen davon schon gelungen, blieb stets mit dich-
tem Schleier bedeckt. Manche, die sehr ängstlich oder
entschiedene Widersacher aller neueren Ideen waren,
überzeugten sich bald von der Ungeheuern Strafbar-
keit dieser VerschWornen und ihren staatsgefährlichen
Plänen, während andere, echte Frondeurs, denen alles
mißfiel, was immer die Regierung tat, an gar keine
oder nur höchst geringe Vergehen glauben wollten
und der Meinung waren, man habe Schuldige finden
wollen, um Schrecken zu verbreiten, und die Demo-
kraten einzuschüchtern. Gemäßigte hielten dafür,
daß zwar allerdings eine geheime Verbindung, die in
Wechselwirkung mit der ungarischen unter Martino-
vich stand ^^^), existiert, und daß sie bedenkliche, wohl
auch staatsgefährliche Absichtentgehabt habe, daß es
notwendig, und der Gerechtigkeit, ja der bürger-
lichen Ordnung und Sicherheit gemäß war, diese nicht
zu dulden und streng zu bestrafen; daß man aber doch
mit zu großem Lärmen und unnötiger Strenge ver-
fahren sei, weil einige der Hauptentdecker und Mit-
glieder jener Kommission sich gern recht in die Augen
fallende Verdienste erwerben wollten, und daher dem
Monarchen die Sache im gefährlichsten und nachteilig-
sten Lichte zeigten. So dachten viele, und meine An-
sicht stimmte schon damals damit überein, weil ich
a priori unserm Kaiser Franz keine Unbilligkeit zu-
trauen konnte und die spätere Erfahrung, ja das eigene
Geständnis manches damals Verurteilten, und dann
nach der Strafzeit wieder Freigegebenen bestätigten
vollkommen diese Meinung ^2'^).
i8o
Von diesem Zeitpunkte an sprach sich der Partei-
geist recht laut und gehässig in Wien aus. Da fing
man an, die Benennung Jakobiner oft und vielmals zu
hören, und mit diesem Worte wurden nicht allein
jene bezeichnet, welche allerdings Grundsätze hegten^
gleich denen des französischen Konvents, sondern leider
ward sie von den übertrieben loyalen und orthodoxen
Gegnern jedem als Brandmal aufgedrückt, der nur
irgendeine freisinnige Idee äußerte; c'est le mot pour
perdre les honnetes gens, wie einer unserer Haus-
freunde sagte. Im Gegenteil wurde wieder von der
andern Partei jeder dn Aristokrat, ein Bigott, ein
Feind aller Aufklärung gescholten, der seine kirch-
lichen Vorschriften befolgte, seinem Herrscherhaus treu
ergeben war und öffentliche Ruhe und Sicherheit
wünschte ^2^). Dieser Geist der Parteiung verbreitete
sich bald über alles, ja auch über die heterogensten
Gegenstände. So kamen damals oder bald darnach Herr
und Madame Vigano^^^) nach Wien und führten eine
neue Art von pantomimischen Tanz, mit ganz neuer
Art sich zu kleiden, ein. Die römischen und andern
steifen Kostüms, die Reifröcke usw. usw. verschwanden
vom Theater; die Natur wurde aufs treueste nach-
geahmt; fleischfarbe Trikots umhüllten Arme und
Beine, die Tänzer und Tänzerinnen waren kaum be-
kleidet; ja in dem sogenannten rosenfarben Pas de deux
hatte Madame Vigano über dem Trikot, der ihren
ganzen Leib umgab, nichts an, als drei bis vier flat-
ternde Röckchen von Krepp, immer eins kürzer wie
das andere, und alle zusammen mit einem Gürtel von
dunkelbraunem Band um die Mitte des Leibes fest-
gebunden. Eigentlich also war dies Band das einzige
Kleidungsstück, das sie bedeckte, denn der Krepp
i8i
verhüllte nichts, im Tanze flogen auch oft noch diese
P.öckchen oder eigentlich Falbalas hoch empor und
ließen dem Publikum den ganzen Körper der Tänzerin
in fleischfarbem Trikot, der die Haut nachahmte, also
scheinbar ganz entblößt, sehen.
Mir kam das empörend frech vor; dennoch mußte
ich gestehen, daß die Bewegungen dieser Künstlerin
hinreißend anmutig, ihr Mienenspiel voll Ausdruck
(sie war noch überdies sehr hübsch), ihre Pantomime
meisterhaft waren. Die Sensation, welche diese Frau
und die Ballette, welche ihr Mann aufführte, hier
machten, war ungeheuer; sie waren aber auch zu-
gleich der Wendepunkt der alten und neuen Kunst so-
wie des alten und neuen Geschmackes. Scharf und ge-
hässig trennten auch hier sich die Parteien. Der Bal-
lettmeister Muzzarelli ^2') repräsentierte mit seiner Art
und Kunst die alte Zeit, die Viganos die neue, und ,
in diesem Sinn teilten sich die Anhänger dieser beiden
Führer, nur mit der einzigen Ausnahme, daß manche
ältere Herren, die sonst ihrer Geburt und Sinnesart
nach sehr wohl zu den Verteidigern des Alten gehörten, ■
Aristokraten im vollen damaligen Sinne des Wortes,
den Reizen der wollustatmenden Vigano doch nicht
völlig zu widerstehen vermochten und so gleichsam
eine Versöhnung zwischen dem Alten und Neuen zu
machen strebten.
Auch auf die Mode in der Frauenkleidung geschah
jetzt eine auffallende Einwirkung. — Unsere steifen,
faltenreichen Anzüge machten leichteren Formen
Platz, die langenTaillen mit den Schnabelspitzen vorn
und hinten verschwanden samt den Bouffants und
Siebröcken, welche schon nach und nach eine An-
näherung vorbereitet hatten. Der Gürtel des Kleides
182
wurde nicht mehr an den Hüften, sondern unter der
Brust gebunden; der Puder wurde allmählich ab-
geschafft, die Hackenschuhe abgelegt, die ganze Klei-
dung näherte sich mehr der Natur und eigentlich dem
griechischen Geschmacke, in welchem Sinne man in
den folgenden Jahren immer weiter und weiter schritt,
bis zu Knappheiten in der Kleidung, die kaum eine
Falte übrig ließen, so daß die genaueste Bezeichnung
der darunter befindlichen Körperform der eigentliche
Zweck und Ruhm dieser Mode zu sein schien. Dazu
gehörten denn die wirklich oder scheinbar unter Tri-
kots entblößten Arme, 'entblößte Schultern, geschnürte
Schuhe, die den Kothurn nachahmten, reiche Arm-
bänder, nicht bloß am Vorderarm wie sonst, sondern
über dem Ellenbogen; abgeschnittenes und in kurze
Locken gelegtes oder, wenn es lang blieb, in einen
Knoten am Hinterkopf geschlungenes Haar — kurz
ein, soviel es möglich war, griechisierendes Kostüm.
Die Männer stutzten ihre Haare ebenfalls, kein Zopf,
kein Haarbeutel, keine Seitenlocken wurden mehr ge-
sehen; der Puder verlor sich ebenfalls, und bei vielen
traten ungeheure Backenbärte hervor. Hierin aber ge-
nierten sich doch viele, und gerade die sittlichsten,
geregeltsten der jungen Männer; denn so ein Schweden-
kopf, wie man sie zuweilen nach den Porträten Karls XII.
nannte, und ein starker Backenbart galt bei Loyal-
gesinnten oft für das wahre Abzeichen eines Jakobiners
und mancher, der die Mode als Mode mitmachte und
vielleicht ganz rechtlich gesinnt war, mußte sich mit
diesem Namen brandmarken lassen, der nicht ohne
Übeln Einfluß auf die Gunst seiner Vorgesetzten und
somit auf sein Fortkommen in der Welt blieb 2^*).
Es ist natürlich, daß die jungen Männer unserer
183
Sozietät die Einwirkung dieser öffentlichen Ereignisse
ebenfalls fühlen mußten, und obwohl sie in Kleidung,
Äußerungen und Betragen sich alle in den Schranken
des Anstandes und der gebräuchlichen Formen hielten,
so beschlossen doch diejenigen, die zu der gewissen
Samstagsgesellschaft gehörten, diese nun aufzulösen,
um der Regierung und öffentlichen Meinung keinen An-
stoß zu geben; besonders da einer unter ihnen, Graf
Chorinsky, der Neffe jenes hohen Staatsbearn^en war,
der sich am tätigsten in der Verfolgung derA^erdäch-
tigen und Verschwornen bewiesen hatter^^). Die
meisten vertilgten also ihre Aufsätze ! sowie] die Be-
urteilungen, besonders jene, welche politische Gegen-
stände behandelten und worin freisinnige Meinungen
ohne Scheu, weil bloß vor Freunden, waren aus-
gesprochen worden. Man fürchtete damals nicht ohne
Grund sogar Haussuchungen, und diejenigen, welche
noch ihre Karriere in der Welt zu mächen hatten, durf-
ten keinen solchen Makel auf ihren Ruf laden.
So hatten denn die angenehmen Samstagsvereine
ein Ende; es tat mir ungemein leid; aber eine gute
Folge war mir doch davon geblieben. Pichler und
ich hatten uns einander nicht bloß genähert, sondern
wirklich vereinigt. Wir liebten uns herzlich und waren
ernstlich entschlossen, uns für das ganze Leben zu ver-
binden. Mitten unter poHtischen Gärungen und Dis-
sonanzen wuchs und erstarkte die Harmonie unserer
Seelen, und da meine Eltern, denen wir kein Geheim-
nis aus unserer Liebe machten, ihren Segen dazu
sprachen, so beseligte uns ein stiller Frieden, und wir
sahen mit Geduld, obwohl mit recht innigem Ver-
langen, einer glücklichen Wendung von Pichlers Ge-
schick entgegen, die ihm eine Beförderung verschaffen,
184
■^v^LUfja
und ihn dadurch in den Stand setzen sollte, mir seine
Hand anzubieten. Er selbst besaß kein Vermögen, aber
meine Eltern konnten und woUten uns gern unter-
stützen, und Pichlers Geschicklichkeit, Fleiß und Recht-
lichkeit waren so bei allen Behörden^ die zu der poli-'
tischen Branche gehörten, anerkannt, daß wohl an
seinem baldigen und glücklichen Fortkommen nicht zu
zweifeln war. ,
Der Krieg mit Frankreich ging seinen Gang mit
dem bekannten Erfolge fort. Im Jahre 1795
machte Preußen seinen Separatfrieden ^^^^ und ließ
Österreich allein den furchtbaren Kampf fortsetzen.
Dafür rückte es, unter dem Vorwande, die Gefahr
jakobinischer Gesinnungen zu beseitigen, welche ihm
von Polen aus drohte, mit Rußland vereint in dies
unglückliche Land ein, und es ward zum drittenmal
geteilt ^2'). Genau habe ich die Folge dieser, nach
meiner Ansicht höchst widerrechtlichen Eingriffe in
die Freiheit eines selbständigen Volkes nicht behalten.
Immer aber hat mir geschienen, diese Zerstückelung
und die Ungerechtigkeit, deren sich die Höfe dabei
schuldig machten, sei der Giftkeim gewesen, der in dem
europäischen Gemeinwesen, erst verborgen, dann
immer offener wie ein Krebsschaden um sich gegriffen
hat. Jene Gewaltschritte mögen wohl dem furcht-
baren Eroberer zum Vorbild wie zur Rechtfertigung
gedient haben, als er später, nachdem der Wille der
Vorsicht das Schicksal der Nationen in seine über-
mächtige Hand gelegt hatte, mit Ländern und Völ-
kern wie mit Spielmarken umging, die man heute
diesem, morgen jenem zuteilen kann, um eine Weile
185 ^
damit zu glänzen und sie bei dem nächsten Wechsel
der Herrscherlaune wieder zu verlieren. Seitdem hat
ein ungeheures Unglück dies bedauernswerte Land
ganz um jeden Schatten der Selbständigkeit und
Nationalität gebracht, den Kaiser Alexanders milde
Gesinnungen ihm noch gelassen. In mir aber lebt der
feste Glaube, daß es so nicht bleiben wird und kann,
und die Vorsicht solche schreiende Ungerechtigkeiten
nicht durch ihren Beistand sanktionieren kann. Polen
wird einst, — ob bald, ob später weiß nur der Lenker
unsrer Geschicke, und in der Weltgeschichte zählen
ja die Jahre nur wie Tage — also Polen wird und muß
sich wieder erheben, es muß wieder ein eignes, selb-
ständiges Reich werden, das die kultivierten Staaten
Europas als ein mächtiges Bollwerk gegen die Horden
des nordischen Riesenreiches schirmen, den Weltteil
vor einer zweiten Völkerwanderung und die Nationen
germanischen und keltischen Stammes vor einer Unter-
jochung durch Slaven bewahre, die das k, welches in
ihrem Namen ausgelassen ist, durch ihre Denkart
immer mit hineinbringen, drücken, wo sie können und
kriechen, wo sie müssen. Und nur dann, wenn Polen
hergestellt, die Nemesis gesühnt und Recht befriedigt
ist, wird auch rechte Ruhe in Europa wieder'"*). Immer
erfüllt es mich mit einer stolzen Beruhigung, daß
schon vor sechzig Jahren (it is 60 years since) bei der
ersten Teilung dieses unglücklichen Reiches, als Preußen
und Rußland ihren schlimmen Plan entwarfen, Öster-
reich, d. i. die Kaiserin Maria Theresia, diese wahr-
haft große und christlichgesinnte Monarchin, nicht
einwilligen wollte, wie ihr Billett an Fürst Kaunitz
beweist, welches uns Baron Hormayr im historischen
Taschenbuch bei Gelegenheit von Kaunitz Leben
186
mitteilt. „Ich fürchte, es werde ein übles Beispiel
geben", schrieb die weise Fürstin iri prophetischem
Geiste, und sie hatte richtig gesehen, wie der Erfolg
bewiesen. Nur gezwungen gab sie endlich nach und
schämte sich bitter dieser harten Notwendigkeit ^2*).
Damals also, mehr als 20 Jahre später, fiel bei der
dritten Teilung das sogenannte Westgahzien mit
Krakau an Österreich. Viele Beamte fanden dort An-
y
Stellungen, und Graf Chorinsky ward zum Kreishaupt-
mann in Kielge ernannt ^2®). Fast zu gleicher Zeit
gingen auch hier große Veränderungen vor. Graf
Saurau, Graf Chorinskys Oheim, wurde Regierungs-
präsident ^^°), mehrere ältere oder mißfällige Räte und
Sekretäre wurden jubiliert, und, wie denn das so oft
in der Welt geht, das Mißgeschick jener (an dem wir
übrigens auch nicht die entfernteste Schuld hatten)
wurde der Grund unseres Glückes,
Pichler erhielt die Stelle eines Regierungssekretärs ^^^)
und war durch den damit verbundenen höhern Rang
und Gehalt imstande, an unsere Verbindung zu denken,
da meine Eltern (um mich nicht aus ihrer Nähe zu
verlieren) uns eine sehr ausgiebige Unterstützung ver-
sprochen hatten. Es wurde also eine kleine, aber sehr
nette Wohnung, welche gerade an die meiner Eltern,
„auf der Mehlgrube", grenzte, und mit jener das ganze
Stockwerk ausmachte, für uns gemietet, die wir im
nächsten Herbst beziehen sollten. Unsere Vermählung
aber war auf den Frühling 1796 festgesetzt und sollte
in unserer Gartenwohnung zu Hernais gefeiert werden,
wo wir auch den Sommer über leben wollten.
Chorinsky nährte dieselben Hoffnungen und Pläne
wie Pichler. Auch er war entschlossen, das Mädchen,
das er liebte, Sophie Mertens, zu heiraten, da aber
187 ..
sein Vater diese Verbindung nicht zugeben wollte,
sollte die Trauung ganz in der Stille sein, acht Tage vor
der unsrigen, und so sahen denn wenigstens zwei Paare
der Jugendfreunde froh dem Ziele ihrer Wünsche ent-
gegen, wie vor zwei Jahren Dürfeid mit seiner Therese,
nur daß leider dies Band seitdem schon wieder zerrissen
worden war. Therese hatte ein überglückliches Jahr,
vom Mai 1794 ^^^ zum Juni 1795, mit dem trefflichen
Gatten gelebt; sie hatte Hoffnung, bald Mutter zu
werden. Wir sahen uns oft bei meinen Eltern im
Garten oder auch in Theresens Wohnung in der
Stadt '^^). Gegen den Zeitpunkt, wo jene Hoffnung
erfüllt werden sollte, bemerkten ich und viele, welche
die junge schöne Frau sahen und Anteil an ihr
nahmen, daß sich ihre Züge in etwas geändert hatten,
ohne daß man eben sagen konnte, sie sehe krank aus.
Erfahrene Matronen wollten daraus Besorgnisse schöp-
fen; aber Therese ward glücklich von einem schönen
und gesunden Mädchen entbunden, die noch jetzt als
Mutter von neun Kindern und Gattin des -Vizepräsi-
denten von Hauer ^3^) lebt. Indessen hatte man bei
der Taufe des Kindes oder nach derselben die schöne
Wöchnerin zierlich geputzt, eine Menge Besuche bei
ihr eintreten lassen, und diesem, freilich verkehrten
Verhalten ward es zugeschrieben, daß Therese plötz-
lich sehr krank wurde, ihr Übel von Stunde zu
Stunde, von Tag zu Tag stieg, und das blühende,
edle, liebenswürdige Weib, die glückliche Gattin und
Mutter noch vor dem Ende der neun Tage eine
Leiche war^^*).
Ich fühlte diesen Verlust sehr tief und schmerzlich,
nicht bloß um der Verblichenen selbst, sondern auch
um ihres untröstlichen Mannes, meines teuern Freun-
188
des willen, und ich sprach mein Gefühl in einem Ge-
dicht aus, das dieses traurige Ereignis besang und in
der Sammlung meiner Gedichte enthalten ist^^^).
Als mein Hochzeitstag heranrückte, den meine
Eltern auf den 25. des schönsten Monats, des Mai,
festgesetzt, wünschte ich, daß meine wertern Jugend-
freunde daran teilnehmen und mich an diesem Tage
umgeben sollten. Fräulein Ravenet bat ich, meine
Kranzjungfrau zu werden, ihr Pflegevater, der Regie-
rungsrat von Heß, wurde zu meinem einen Zeugen ^
oder Beistand erwählt, und "mein lieber Dürfeid, dem
ich es kaum zuzumuten wagte, ein Jahr nach seinem
unendlichen Verlust bei meiner Hochzeit gegenwärtig
zu sein, übernahm doch aus freundschaftlicher Güte
für mich die Stelle des zweiten. Pichlers Beistände
waren der damalige Hof rat von Sonnenfels, dessen
Name in Österreich in dankbarem Andenken lebt,
und ein junger Baron von Lederer^^^, der denn nun -
auch so gut wie die beiden älteren Beistände und
Dürfeid längst schon hinübergegangen ist und die
Brautleute dort erwartet, wo wir uns wahrscheinlich
in nicht langer Frist alle zusammenfinden werden.
Dieser 25. Mai 1796, ein Mittwoch, war von dem
herrlichsten Frühlingswetter begünstigt und in unserm
Hause vom frühen Morgen an ein geschäftiges Treiben
und Drängen, das mich in innerer und äußerer Un-
ruhe und Spannung erhielt. Gegen Abfend erschienen
die Hochzeitsgäste und unsere nächsten Freunde und
Bekannten ; denn wir beide, Pichler und ich, wünschten
kein rauschendes Fest, und es sollte doch eines werden!
Meines Mannes Bruder, der würdige Pfarrer^'),
189
traute uns, und mit tiefbewegter Seele kam ich von
der Trauung zurück ^^^), wo ich zwar nicht geweint,
aber desto mehr gezittert hatte, wie denn überhaupt
meine Tränen nicht bei jenen Anlässen fließen, die
sie sonst bei meinem Geschlechte hervorzurufen pflegen,
wohl aber bei Regungen und Äußerungen öffentlicher
Erhebung oder Freude. So haben sie später die Land-
wehrlieder meines Freundes CoUin^^^) und die An-
strengungen und Siege der Jahre 1813 — 14 reichlich
fheßen gemacht.
Wir waren also nach Hause gekommen, ein sehr
elegantes Gouter war eingenommen, und es fing an
zu dunkeln, da bemerkten einige von der Gesellschaft,
die zufälligerweise an ein Fenster, welches in den
Garten sah, getreten waren, daß es im Garten von
Menschen wimmle, und in der Entfernung der Schein
von Lichtern zu sehen sei. Meine Mutter lächelte bei
dieser Bemerkung ganz geheimnisvoll; aber sie schwieg,
denn sie allein wußte von der Überraschung, welche
liebe Freunde uns bereitet hatten, nämlich das Fräu-
lein von Paradis, deren unglücklicher Bhndheit und
ihres seltsamen Geschicks schon erwähnt worden ist^*").
Ihr Vater war ein vieljähriger Bekannter und Freund
des meinigen^*!), Fräulein Therese, obwohl viel älter
als ich, trug von jeher eine lebhafte Neigung zu mir, die
ich herzlich erwiderte, und die Musik, welche sie, mit
so vielem Glück als Freude, als den vorzüglichsten Trost
in ihrer Lage trieb, wurde zu einem neuen Band zwi-
schen uns. Wir hatten bereits kleine Komödien, auch
einige Oratorien und Opern, meistens ohne Theater
und Spiel miteinander aufführen geholfen; „Cora"
und „Amphion" von Naumann ^*2) und viele andere,
auch einige Kompositionen von Fräulein Paradis
190
,-iSl
selbst; doch fand ich, daß weder ihre noch die Kom-
positionen des Fräuleins von Martinez^*^) (die einzigen
Werke von weibhchen Kompositeurs, die mir bekannt
geworden) von großem Belange waren.
Es ist überhaupt eine seltsame Bemerkung und sie
möge hier stehn, weil sie eine Veranlassung gefunden
hat, daß es noch nie einer Frau gelungen ist, sich als
schaffende Musikerin auszuzeichnen. Es gibt glück-
liche Malerinnen und Dichterinnen und wenn gleich
nie eine Frau es in irgend einer Kunst oder Wissen-
schaft so weit wie die Männer gebracht hat, so haben
sie doch bedeutende Stufen erstiegen. In der Musik
nicht. Und dennoch sollte man glauben, daß diese
Kunst, welche die wenigsten Vorstudien erheischt
und viel eigentlicher Sache des Gemüts und der
Phantasie ist als die andern Künste, das rechte
Organ wäre, in dem sich der weibHche Geist aus-
sprechen könnte 3*'*).
Doch ich kehre zu Fräulein v. Paradis und meiner
Hochzeitsfeier zurück. Gleich nachdem jene Bewe-
gungen im Garten bemerkt worden waren, ertönte
Musik, die sich immer mehr näherte; es kam die Treppe,
herauf, und ein Zug ländlich gekleideter Gestalten
trat, einen Chor singend, den Instrumente begleiteten,
in den Vorsaal. — Alles eilte ihnen entgegenj^ und mit
lebhaftem Vergnügen erkannte ich in den Bauern und
Bäuerinnen des Zuges meine Schauspiel- und Opern-
gefährten aus dem Paradisschen Hause 2**). Ein Paar
nach dem andern trat nun vor Pichler und mich hin,
und überreichte uns in kleinen Körbchen niedliche
Spielsachen, die in verkleinertem Maßstabe eine ganze
Hauseinrichtung vorstellten, und sangen eine Strophe
des Chors, der also begann:
Wir kommen mit Gaben und Steuer,
Zu ehren die ehliche Feier,
Die heute das glücklichste Pärchen vereint;
Und scheinen gering auch die Gaben,
Die wir zum Geschenke hier haben,
So denkt nur, wir haben es redlich gemeint, usw.
Als alle vier Paare ihre Körbchen, jedes mit andern,
auf den Inhalt des Korbes bezüglichen Versen über-
geben hatten, wurden wir gebeten, dem Zuge in den
Garten zu folgen. Hier standen am Fuße der. Treppe
vier weißgekleidete Mädchen, die einen Baldachin von
Zweigen und Blumen hielten, unter den der Bräutigam
treten und sich von ihnen führen lassen mußte. Ebenso
erwarteten mich vier junge Herren mit ihrem grünen
Dache, und nun strömte die ganze zahlreiche Ge-
sellschaft uns nach durch die langen Alleen bis zu dem
Platze, wo eine Art von natürlichem Theater aus le-
bendigen Hecken und Spalieren gebildet, ein passen-
des Lokal für einen Altar des häuslichen Glückes bot,
an welchem Fräulein Therese v. Paradis als Priesterin
der Freundschaft stand, noch andere Mitspielende in
verschiedenen Attitüden umher gruppiert waren (das
Ganze von unzähligen Lampen geschmackvoll erleuch-
tet) und uns mit einem Chorgesange empfingen.
Es war ein schönes und rührendes Fest herzlicher
Freundschaft, das mich damals ungemein erfreute, die
Bande wechselseitiger Zuneigung zwischen uns und der
Paradisschen Familie fester zuzog, und wofür ich noch
jetzt, nach langen Jahren, den Manen der längstvor-
angegangenen Freunde einen Zoll dankbarer Erinne-
rung entrichte'**).
So ward unser Hochzeitfest, das nach unserer Mei-
nung still und geräuschlos hätte vorüber gehen sol-
len, doch unvermutet durch die Mitwirkung wohl-
192
Maria Theresia v. Paradis
Wachsbüste — k. k. Blinden-Institut, Linz
wollender Freunde glänzend gefeiert, und „so vieler
Geister wohlgemeintes Streben" konnte nicht anders
als Segen über diese Verbindung bringen, die sich
denn in dem langen Zeitraum, in Glück und Unglück
als eine der zufriedensten und vergnügtesten Ehen be-
währt hat.
Wir waren vermählt und lebten mit meinen Eltern
nicht bloß in einem Hause ^*''), sondern aßen auch mit
ihnen an einem Tische, und machten nur eine Haus-
haltung aus, obgleich wir junges Ehepaar ein ganz
separiertes Appartement, sowohl auf dem Lande in'mei-
ner Eltern Haus als in der Stadt, neben ihnen bewohn-
ten. Hier sei es mir erlaubt, eine Bemerkung und
Erfahrung einzuschalten, die ich an meinem eigenen
Schicksal gemacht, und dadurch angeregt, noch so oft
und vielmal bei andern zu machen, Gelegenheit gehabt
habe, daß ich sie wohl als untrügHch aussprechen darf.
Es taugt nicht, und stört das häusliche Glück beider
Teile, wenn Schwiegerkinder mit den Eltern auf eine
solche Art beisammen wohnen, daß sie nur einen Haus-
halt ausmachen. Wenn auch Grundsätze und Lebens-
verhältnisse der Kinder und Eltern sich ziemlich glei-
chen, so bringt schon der Unterschied der Jahre und die
daherrührende Verschiedenheit der Ansichten und des
Geschmacks einen notwendigen Zwiespalt hervor.
Überdies gibt es Eigenheiten, Angewöhnungen, Haus-
bräuche, die an sich völlig gleichgültig sind, aber der
Schwiegersohn, die Schwiegertochter bringt solche aus
dem väterlichen Hause mit, und findet hier ganz an-
dere. Über vieles setzt sich wohl ein wohlgeordnetes
Gemüt hinaus aus Liebe zu dem Gatten, aus Liebe zum
13 c. P. I
[
193
Frieden. Auch werden zwei junge Gemüter, sich selbst
überlassen, sich leichter ineinander finden und schicken.
Schroffer, kälter, starrer stehen die Ansichten der
Schwiegereltern, ihre Eigenheiten dem fremden Teil
gegenüber, und es kommt dann darauf an, ob die alten
Leute nachgeben und in ihren späten Jahren sich eine
Art ton Unterordnung gefallen lassen oder ob die
jungen Leute sich willenlos hingeben sollen ? Im.mer
muß ein Teil, die Alten oder Jungen, geopfert werden,
und wer das Leben kennt, wird hier nicht von Nach-
geben, Ausweichen usw. sprechen. Im engen Zu-
sammenleben treten solche Verschiedenheiten grell
und immerwährend hervor, und die jungen Leute
müssen sehr gut sein, und sich sehr lieben, wenn sich
nicht durch dies Zusammensein mit den Eltern des
einen Teils ein Keim der Unzufriedenheit erzeugt,, der
in der Folge bittere Früchte trägt. Und hier ist nur
von Verschiedenheit der Angewöhnungen, der Le-
bensweise die Rede. Wie aber, wenn heftige Leiden-
schaften, bedeutende Unarten, Zanksucht usw. bei
einem oder andern der Mitglieder eines so eng verbun-
denen, doppelten Haushalts hervortreten; wenn große
Verstimmungen entstehen und sich ärgerliche Auftritte,
empörende Zänkereien daraus entwickeln ? Bei uns
war dies. Gottlob! nie der Fall, und dennoch machte
uns dies Zusammenleben nicht glücklich. Es tötete
manche unserer jugendlichen Freuden im ersten Keim
und säte manchen bösen Samen, der spät bittere
Früchte trug.
Hier ist wohl der Ort, wo ich nach einer glücklichen
Ehe von mehr als vierzig Jahren meinem vortrefflichen
Gatten den innigsten Dank für die Güte, Nachsicht,
Liebe und Geduld sagen kann, mit welcher er sich durch
die ersten ganzen 19 Jahre unserer Ehe in ein solches
schwieriges Verhältnis gefügt, und mich nie mit einem
Worte oder auch nur mit einem Blicke hat fühlen las-
sen, wie viele Opfer es ihn gekostet, wie viele seiner'
und meiner besten Freuden auf diesem unerbittlichen
Altar des notwendigen Zus^nmenlebens mit den
Schwiegereltern geschlachtet wurden. Gott segne ihn
dort dafür; denn nie werde ich es ihm vergelten können.
Meine Lebensweise im Hause meiner Eltern erlitt
wenig Veränderung, nur schlief ich und kleidete
mich in einem andern Zimmer; denn so wie mein
Mann in sein Bureau ging, und selbst wenn er zu Hause
war, forderte meine Mutter alle die Dienstleistungen
und Pflichten von mir, die mir als Mädchen obgelegen
hatten. — Das war schon ein sehr schwerer Punkt für
uns beide; denn da wir mit den Eltern auch früh-
stücken, zu Mittag und Abend essen sollten, blieben
uns kaum einzelne Augenblicke, in welchen wir uns"
angehören durften. Mein Vater zeigte mehr Nach-
sicht und Achtung für mein neues Verhältnis, und ob^
gleich auch er nicht auf die Leistungen und Aushülfen
ganz verzichtete, welche er von mir zu erhalten ge-
wohnt war, so fühlte ich doch wohl, daß er mir mehrj
Freiheit ließ. Er erkannte als Mann die Rechte seines-
Schwiegersohnes an, wo hingegen meine Mutter bei ,
ihrer oben geschilderten Denkart gegen das männliche
Geschlecht von keinem Rechte desselben etwas wissen
wollte.
Wir fühlten wohl beide den Druck, der auf uns lag,
und fühlten ihn manchmal schmerzlich, mir aber half
die Gewohnheit des Gehorchens und mein heiterer
13*
195
Sinn über manche holprige Stelle meines Lebensweges
hinüber, und mein Mann liebte mich so sehr, daß er
auch nicht oder nur selten sich beklagte, und so ver-
ging der erste Sommer unserer Ehe ziemlich vergnügt.
Mit dem Herbste bezogen wir unsere neue kleine,
aber sehr angenehme Stadtwohnung, welche in dem-
selben Stockwerke wie die meiner Eltern gelegen, mit
der ihrigen eigentlich eine ausmachte, und zu der sie.
mir später noch ein daranstoßendes Zimmer der ihri-
gen einräumten. Voll Freuden, unser eigenes Nest-
chen für uns zu haben, bezogen wir es vielleicht zu
früh; denn die Öfen waren noch nicht alle gesetzt, und
die frisch geweißt und gemalten Wände feucht. In
einer der ersten Nächte wurde ich von einer heftigen
Kolik befallen, aber wenig bekannt mit Krankheiten
und meiner guten Natur vertrauend, wollte ich Aveder
meinen Mann noch unsere Magd im Schlafe stören,
und erst gegen Morgen, als ich es nicht mehr vor
Schmerzen aushalten konnte, weckte ich Pichler, der
sogleich um den Arzt schickte. Dieser, ein treuer
Freund unseres Hauses, der nachmalige k. k. Leib-
chirurgus v. Herbek^*'), ein als Arzt und Mensch gleich
schätzbarer Mann, erschien sogleich, erklärte meinen
Zustand für entzündlich und nicht ohne Gefahr.
Denselben Tag kam er noch dreimal, um nachzusehen,
man wendete mit Sorgfalt und Liebe alle verordneten
Mittel an, und nach einigen Tagen konnte ich bereits
das Bett verlassen. Doch zeigte sich von jener Zeit an
öfters eine große Reizbarkeit der Eingeweide, und ich
mußte mich vor Verkühlung sehr in Acht nehmen.
Im folgenden Karneval, dem ersten, den ich als
vermählte Frau zubrachte, und mich sehr wohl unter-
hielt, fing ich an, die ersten Anzeichen einer sehr er-
196
-'x^si^:t.jiiä
wünschten Veränderung zu bemerken, und die Hoff-
nung bestätigte sich immer mehr, daß ich wahrschein-
Hch bis zum Herbst das Glück Mutter zu sein genießen
würde. Von diesem Augenbhcke an beobachtete ich
mich sorgfältig, tanzte nicht mehr so viel, und befand
mich übrigens sehr wohl.
Öftere kleine Unbehaglichkeiten waren alles, was ich
in den ersten Monaten von diesem Zustand zu leiden
hatte, und meine gesunde, kräftige Natur bew^ährte
sich auch hierin. Desto ängstlicher wurde mir diese
Zeit durch politische Vorgänge und Schrecken. Die
französische Armee unter General Bonaparte rückte
aus Italien immer näher heran, eine Schlacht nach der
andern ging für uns verloren, und die Feinde standen
endlich im März bereits in der Ö;^eiermark. Ein allge-
meiner Schrecken bemächtigte sich der ganzen Haupt-
stadt. Die wilden Scharen der jungen Republik hatten
in Deutschland und Italien auf eine Art gehaust, daß
alles vor ihnen zitterte und an Flucht, Rettung und
möglichste Verteidigung dachte. Dazumal erfuhren die
Wiener zum- erstenmal die Schrecken, welche einer
Invasion vorausgehen, sie sollten jene noch einmal füh-.
len, bis endlich die Wirklichkeit ebenfalls zweimal im
Jahre 1805 und 1809 eintraf, und uns lehrte, was bei so
vielen großen Übeln der Fall ist, daß Erwartung, Angst
und aufgereizte Phantasie uns das wirkliche Unglück
ungebührend vergrößern, daß die Furcht etwas An-
steckendes hat, daß sie sehr oft die Vernunft ausschließt,
und daß die böse Wirklichkeit leichter zu ertragen ist,
als die grundlosen Schreckbilder, welche die Angst in
uns aufregt.
^ Was wurde damals im Frühlinge 1797 nicht alles er-
zälilt, gefürchtet und mit dem verkehrtesten Sinn ent-
197
werfen und ausgeführt! Alles wollte fliehen; alles nur
fort, nur fort aus der, von allen möglichen Schrecken
bedrohten Stadt!? Wie schlecht die Wege, wie schwer
die Pferde zu haben, wie elend die Unterkunft auf den
überfüllten Poststraßen nach Böhmen und Ungarn
sein mochten ; was den Geflüchteten an den, zum Auf-
enthalte erwählten Orten bevorstehen konnte, wenn
der Sieger seine Eroberungen verfolgen, sie vielleicht
auch von jenen Zufluchtsstätten vertreiben würde,
und sich dann ohne Geld, ohne Schutz, unter Fremden
befänden, — das alles wurde nicht bedacht. Man
wollte nur fort, und die unsinnigsten Erzählungen fan-
den Glauben, wenn sie zu der ruhelosen Angst stimm-
ten, die damals die Bevölkerung von Wien großenteils
ergriffen hatte. Wir haben in unserer Zeit bei der
ersten Annäherung der Cholera eine zweite Erfahrung
dieser Art gemacht, und auch sonst sehr vernünftige
Menschen kopflos, verderblich und oft lächerlich han-
deln gesehen, wenn es anders erlaubt wäre, über etwas,
was andere quält, zu lachen ^*^*).
Indessen muß man zur Entschuldigung der damals
Lebenden auch sagen, daß die Sachen um uns herum
ernst und drohend aussahen. Es wurden Anstalten zur
Verteidigung der Stadt gemacht, und im Anfange
davon gesprochen, die Linien zu verteidigen. Als aber
erfahrene Militärs aussprachen, daß, um diesen weiten
Umkreis zu beschirmen, eine Besatzung von 150000
Mann nötig sein würde, so gab man den Plan auf und
wollte sich auf die innere Stadt, die eigentliche Fe-
stung beschränken. Ein Aufgebot aller waffenfähigen
Mannschaft in der Stadt und den Vorstädten wurde
beschlossen, und diese dazu in verschiedene -Bezirke
eingeteilt. Die Jüngern Beamten der Landesregierung
198
wurden zur Organisation dieser Scharen verwendet,
und auch meinem Mann ein Bezirk, nämlich die Jäger-
zeile, angewiesene*^).. Während alles dies uns in steter
ängstlicher Bewegung aufregte, erhielt mein Vater
Befehl, sich mit den Zöglingen des k. k. Theresianums,
dessen Oberleitung ihm damals anvertraut war, von
Wien wegzubegeben, um die Söhne der angesehenen
Häuser, die sich in jener Anstalt befanden, nicht den Ge-
fahren eines feindlichen Überfalls preis zu geben e*^).
Erwünscht erschien meinen Eltern diese Gelegenheit,
um sich mit ihrer Familie dieser Reise anzuschließen,
und ich war zu gewohnt, meinen Eltern in allem unbe-
dingt zu gehorchen, als daß ich es gewagt hätte, zurück
zu bleiben und mich im Zustande der Schwangerschaft
den Schrecken und Gefahren auszusetzen, welche, wie
doch die Mehrzahl der Wiener befürchtete, uns bei der
Eroberung der Stadt durch die Truppen der damaligen
Republik drohten.
Es wurde also in einem Familienrate beschlossen, daß
ich mit meinen Eltern nach Dürnholz (einem Schlosse
an der mährischen Grenze, welches dem Theresianum
gehörte) reisen sollte, und m.ein Bruder vermochte
meine Eltern dahin, auch seine Geliebte und künftige
Braut, ein Fräulein v. Kurländer e^°), die Tochter einer
mit uns durch alte Freundschaftsbande verbundenen
Familie, mitzunehmen, um auch sie vor den möghchen
Gefahren, die. sich ereignen konnten, zu sichern. Frei-
lich mußte ich mich nun von meinem Manne trennen,
und das tat mir unendlich leid; aber ich glaubte in dem
ausgesprochenen Befehl meiner Mutter ein Gebot zu
sehen, wider welches keine Appellation stattfand;
und so trat ich denn mit recht schwerem Herzen diese
an sich freilich unbedeutende Reise an, die unter an-
199
/
dern Umständen allerlei Angenehmes und selbst Kö-
misches hätte haben können.
Auf bequem eingerichtete, lange Wagen, nach Art
der „Zeiselwagen", wurde eine ziemliche Anzahl jun-
ger Leute, wovon viele noch im Knabenalter standen,
aufgepackt; bei weitem nicht alle Zöglinge, denn die-
jenigen, für die ihre Eltern sorgen konnten und wollten,
wurden ihnen übergeben. Einige Patres Piaristen, (wel-
chen das Theresianum damals wie einst den Jesuiten
übergeben war) begleiteten sie. Dann folgten unsere
beiden Kutschen, mit unsern eigenen Pferden be-
spannt, und so bewegte sich der Zug ziemlich gemäch-
lich und langsam auf der Brünnerstraße fort und wir er-
reichten unser Ziel, das mit Postpferden kaum eine
Tagereise weit war, erst am folgenden Tag.
Ein altertümliches Schloß 2^^), einst ein Besitztum
des letzten Barons von Teuffenbach, der es zu einer
Stiftung bestimmt hatte, nahm uns auf. Wir bewohn-
ten ein paar hohe, große Stuben, deren weiße Wände
und wenige Möbel keine großen BequemHchkeiten ver-
sprachen. Die Zöglinge des Theresianums mit ihren
Hofmeistern waren auf einem andern Flügel einquar-
tiert und nur die zwei angesehensten der geisthchen
Herren aßen mit uns an demselben Tische. Es gestal-
tete sich ein, im Ganzen ziemlich angenehmes Leben,
obwohl die unbedeutende, flache Gegend, welche erst
kürzlich von der, hier in der Nähe fließenden Thaya war
überschwemmt worden, und auf Feldern und Wiesen
noch genug Spuren davon in Schlamm, Sumpf und
toten Fischen zeigte, verbunden mit der frühen Jahres-
zeit im Anfange des April wenig ländliche Freuden
bot. Aber die beiden Geistlichen waren gebildete,
welterfahrene Männer und meine Eltern sowohl als
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Vorstellung der Versammlung des allgemeinen Wiener Aufgebothes
auf dem Glacis am 17. April 1797
Kolorierter Stich von Josef Eder nach Joh. Adamek — Städtisches Museum, Wien
wir jungen Leute fanden in ihrer Unterhaltung, in Lek-
türe, Arbeit und einigen Spaziergangen Stoff genug,
unsere Zeit leidlich zu verbringen. Aber mein Herz war
nicht ruhig. Mir standen die Gedanken nach Wien zu
meinem Mahne, und je länger unser Aufenthalt in
Dürnholz dauerte, je unbestimmbarer seine Dauer
überhaupt und unsere ganze prekäre Lage war, je
schwerer wurde mir die Trennung von Pichler. Mich
überfielen düstere Einbildungen, die ich für sichere
Ahnungen hielt, daß ich hier in Dürnholz krank wer-
den und fern von meinem Manne sterben würde, ohne
den Trost, in seinen Armen mein Leben zu endigen und
ohne die Freude, mein Kind zu gebären. Vielleicht
war dieser körperliche Zustand, verbunden mit dem
natürlichen Weh der Trennung, die sehr begreifliche
Ursache meiner melancholischen Vorstellungen, die ich
indessen niemand, selbst nicht den Briefen an meinen
Mann anvertraute und nur mit gespannter Angst auf
jede Nachricht von Wien wartete, die uns über die Lage
der Dinge, das Vorrücken der Feinde und die An-
stalten, welche in Wien getroffen wurden, etwas Zu-
verlässiges berichten konnte.
Beinahe vierzehn oder noch mehr peinliche Tage
waren auf diese Art für mich langsam dahingeschli-
chen. Meines Mannes Briefe waren meine, einzige
Freude. Aus ihnen schöpfte ich den nächsten Trost,
daß es ihm wohl ging und er gesund war; aus ihnen
auch den entferntem, daß sich Friedensgerüchte in
Wien zu verbreiten anfingen, und General Bonaparte,
der mit seinen sieggewohnten Scharen bis Leoben ge-
drungen war, sich zu friedlichen Unterhandlungen ge-
neigt zeige und man hoffen dürfe, die Präliminarien
bald abgeschlossen zu sehen. Das war eine freudige
20I
Botschaft für alle; aber vielleicht unter unserer Ge-
sellschaft für niemand mehr als für mich; denn nie-
man von uns hatte etwas so Liebes in Wien zurückge-
lassen als ich.
Wirklich kam die Nachricht von diesem Abschluß
der Präliminarien bald mit Zuverlässigkeit, und ein Brief
meines, nun auch schon lange verstorbenen Schwagers
Schweiger ^^2), der damals Konsistorialkanzler des Bi-
schofs von Leoben war, meldete uns noch die genauem
Details und manchen interessanten Zug von dem ju-
gendlichen Helden, dessen Ruhmes-Morgenröte eben
über Europa zu leuchten begann, und der den Lorbeer,
welcher damals seine Schläfe schmückte, noch mit kei-
ner Ungerechtigkeit und Gewalttat befleckt hatte.
Überhaupt hatte er sich in Leoben und Goß (dem
eigentlichen Sitze des Bischofs) viele geneigte Herzen
erworben und ein rühmliches Andenken an seine Ge-
genwart hinterlassen, das noch lange zu seinen Gunsten
nachwirkte. Der Bischof (ein Graf von Engl 3^3) emp-
fing ihn bei seiner Ankunft ehrfurchts-, aber auch angst-
voll; Kränklichkeit und Alter hatten dem Greise nicht
erlaubt, sich, wie es andere getan, vor der Ankunft der
Franzosen zu entfernen. Bonaparte begrüßte ihn mit
Anstand und der freundlichen Bemerkung, daß er sich
sehr freue, ihn auf seinem Bischofssitze anzutreffen; er
sei wirklich der einzige seiner Kollegen, den er bis
jetzt zu Hause gefunden. Auch entsprach das nach-
folgende Betragen des jungen Helden ganz diesem
ersten Anfange; denn er benahm sich mit beinahe kind-
licher Schonung gegen den Greis, und ritt nie aus oder
kam nie nach Hause, ohne seinen Wirt ehrerbietig zu
begrüßen 354).
In einem Pavillon des Schlosses Goß, in der Nähe von
202
Leoben, der als ein neutraler Ort erklärt wurde, ver-
sammelten sich die Abgesandten unsers Kaisers und die 3
französischen Machthaber, die Präliminarien wurden
unterzeichnet, und die Tinte, welche dazu gebraucht
worden war, nach einer sonderbaren Etikette, sodann
auf den Boden geschüttet, wo man mir nach acht Jah-
ren, als ich dahin kam, noch das schwarze Mal zeigte 2^^.
Es war also, wenigstens für jetzt, Waffenruhe, Wien
hatte nichts von der Annäherung der Feinde zu fürch-
ten, welche sich bald darauf aus Steiermark zurück-
zogen, und wir durften mit den, meines Vaters Obhut
anvertrauten jungen Leuten wieder nach der Residenz
zurückkehren. Nun war ich wieder glücklich; wir
brachen auch bald auf, und mit Entzücken umarmte ich
meinen Mann, der uns, von unserm Eintreffen benach-
richtigt, schon jenseits der Donau in den Auen ent-
gegen kam. Freudig kehrten wir in unsere kleine, heim-
liche Wohnung zurück, aber eine neue Sorge begann
sogleich, denn Marie, die Braut meines Bruders, welche
uns nach Dürnholz begleitet hatte, befand sich schon
den Abend vor unserer Abreise unwohl, kam noch viel
kränker hier an und lag mehrere Wochen hindurch an
einem bedeutenden hitzigen Fieber darnieder.
Die militärischen Vorkehrungen, welche schon vor
unserer Abreise begonnen, waren während derselben
fortgesetzt worden, indem wirklich einige ausgezeich-
nete Militärs (unter andern General Mack) an die Mög-
lichkeit einer dauernden Verteidigung geglaubt hatten,
und ein gewisser General Zopf oder Zapf 2^^, der mit
dem Kommando in der Stadt beauftragt war, sich ge-
äußert hatte, er werde die Wiener schon lehren, Pferde- '
fleisch essen; die Stadt trug wirklich bei unserer Zurück-
kunft noch manche Spuren dieser Anstalten und sah
203
.-:"?-^|^?w!
etwas verändert aus. Aber bald verschwand dieser
fremdartige Schein, der denn auch, nach der Meinung
aller vernünftigen, vorurteilslosen Menschen, nur ein
Schein war, und keine Realität und Dauer haben konnte,
wenn es wirklich zu einer Belagerung oder nur zu
einer kurzen Verteidigung kam, wie es die Erfahrung im
Jahre 1809 bewies. Am 17. April vvoirde das ganze
Wiener Aufgebot, welches ziemlich zahlreich, und, wie
man allgemein bemerkte, von einem guten Geiste be-
seelt war, auf dem Glacis aufgestellt und feierlich ent-
lassen, wobei denn jede Abteilung von ihren Kommis-
sären mit einer kleinen Rede haranguiert wurde, und
auch Pichler eine recht hübsche an seine Truppe von
der Jägerzeile hielt ^^'').
So hatte denn unsere Angst und Not für diesmal ein
Ende, und ich fing sogleich eine Beschäftigung ganz
anderer Art an, nämlich die Vorbereitungen für den
Empfang des unbekannten, teuren Wesens, das ich er-
wartete, und das, meiner Rechnung zufolge, etwa in der
Hälfte des Oktober erscheinen sollte. Der Sommer v/ar
sehr trocken und sehr heiß, ich fühlte das durch meine
körperliche Lage doppelt, doch war ich im ganzen sehr
wohl und hatte eben keine großen Beschwerden zu er-
tragen. Dennoch betrachtete ich den Zeitpunkt, wel-
cher mir bevorstand, mit sehr ernsten Blicken, und ge-
wohnt, den Gedanken an den Tod mir oft zu ver-
gegenwärtigen, entwarf ich, wenige Wochen vor mei-
ner Entbindung, mein Testament.
Mit Ende des Septembers verließen wir unsere Gar-
tenwohnung, um die bevorstehende Katastrophe in der
Stadt abzuwarten, und diese erfolgte denn unter sehr
glücklichenf Umständen am 11. Oktober 1797 spät
gegen Mitternacht, nachdem ich schon die vorher-
204
gehende Nacht sehi^-unruhig zugebracht hatte. Denn
zu den körperhchen Vorempfindungen, welche mir den
Schlaf verkümmerten, gesellte sich auch noch eine mo-
ralische Angelegenheit, die mir die Ruhe nahm, und
das war, so seltsam dies klingen mag, das Schicksal des
Generals Lafayette^^^.
^Dieser Mann war von seinem ersten Auftreten in der .
Revolution von 1789 an, durch sein Benehmen in der
Nationalversammlung (wo er einer der ersten seine
Adelsvorrechte und den wohlerworbenen Ruhm seiner
Alinen willig auf dem Altar des Vaterlandes opferte),
auf dem Marsfelde, bei der Flucht des unglückHchen
Königs, kurz bei jeder Gelegenheit mir so groß und
edel erschienen, daß er meine ganze Bewunderung er-
worben hatte, und wahrHch, sein Lebenslauf und die
Weise, wie er nach vierzig Jahren wieder als Retter
und Schirmer des Vaterlands auftrat, hat meine An-
sichten vollkommen gerechtfertigt. Damals nun war
die Nachricht von seiner höchst unbilligen Gefangen-
nehmung und Einkerkerung in Olmütz entweder erst
in Wien oder wenigstens mir bekannt geworden. Ge-
nug, sie beschäftigte meine Einbildungskraft unauf-
hörlich, und Lafayette, seine Frau, die ihn begleitete
oder besuchte, und überhaupt seine Lage auf der un-
freundhchen Ffestung war in der Nacht vor meiner Nie-
derkunft das Bild meiner Träume und der Gegenstand
meiner wachen Gedanken.
Aber die Erscheinung eines gesunden, wohlgebildeten
Töchterchens, die Leiden und Freuden, die Unruhe
und Geschäfte, welche eine solche Epoche begleiten,
löschten wenigstens für den Augenblick Lafayettes An-
denken in meiner Phantasie aus, und ich war ganz glück-
lich und beruhigt im Besitz des lieben, kleinen Wesens,
205
das ich selbst zu stillen beschlossen hatte und es auch
sogleich ausführte. Die Kleine bekam den Namen ihrer
Mutter und Großmutter und hieß KaroHne wie wir^^*).
Mein Wochenbett war glücklich und wäre auch ver-
gnügt gewesen, wenn nicht ein häusliches Mißver-
ständnis den Frieden meiner Eltern, hierdurch die
Laune meiner Mutter und folglich die Heiterkeit unsers
Zusammenlebens gestört hätte. Ich habe schon erzählt,
daß mein Bruder seine Neigung einem Fräulein von Kur-
länder zugewendet hatte, ein Mädchen von unstreitig
vielen vorzüglichen Eigenschaften, deren Wuchs ma-
jestätisch, deren Anstand edel, ihre Gesichtszüge aber
nicht schön und ihr Betragen nicht gewinnend waren.
Unter uns Mädchen hatte sie keine eigentliche Freun-
din oder Vertraute gefunden. Es lag etwas Kaltes,
Stolzes in ihrem Benehmen, und so fein und artig ihr
Umgang war, fühlten wir uns doch nicht befriedigt in
ihrer Nähe. Meinem Bruder gefiel sie außerordentlich.
Ihr edler Anstand bezauberte ihn, ihre Kälte gegen die
übrigen verhieß ihm eine ausschließende Wärme für.
ihn, und je weniger sie sich den andern mitteilte, je
fester und unumschränkter hoffte er in ihrem Herzen
zu herrschen. Wir übrigen konnten seine Überzeugung
nicht teilen; wer aber von uns recht behalten hätte,
das hätte nur die Zeit entscheiden können, und hierzu
lebte die arme Marie nicht lange genug. Doch ich darf
meiner Erzählung nicht vorgreifen.
Auch meine beiden Eltern, obwohl sie keine bestimmte
Einwendung gegen das Mädchen machen konnten,
freuten sich dieser Schwiegertochter nicht sehr, und
auch hierin war ich glücklicher gewesen als mein Bru-
der; denn meine beiden Eltern, vorzüglich aber mein
Vater, waren ganz zufrieden, ja vergnügt durch meine
206
ü^
Ehe, Endlich aber erhielt mein Bruder doch die Ein-
willigung zu seiner Vermählung, und nun kam es darauf
an, in unserer Wohnung in der Stadt sowohl als auf
dem Lande eine Möglichkeit auszumitteln, damit wir
beide -junge Paare, ohne den Eltern eine neue Ausgabe
aufzubürden, in demselben Quartiere mit ihnen woh-
nen könnten; denn ohne eine großmütige Unterstü-
tzung von Seite meines Vaters hätten weder Pichler
und ich, noch mein Bruder mit Marien anständig le-
ben können. Hier nun traten große Schwierigkeiten
ein. Meine Mutter trug auf Einschränkungen an, die
meines Vaters Hang zu geselligen Freuden und einem
gewissen Glanz seines Hauses sehr zu beschränken droh-
ten. Er versagte seine Zustimmung, es gab unange-
nehme Auftritte und die Heiterkeit und Ruhe 'unseres
häuslichen Lebens war sehr dadurch gestört. Ich er-
trug das in meinem Wochenbette gar ungern, es ver-
bitterte mir meine Mutterfreuden, und so gab ich mir
alle erdenkliche Mühe, um hier eine Auskunft, welche
alle Parteien zufrieden stellen konnte, wenigstens für
den Aufenthalt auf unserm Landhause, zu ersinnen.
Ich überlegte, ich verglich, ich rechnete und fand end-
lich, daß mit einer ziemlich geringen Summe ein Teil
der Wirtschaftsgebäude, der überflüssig geworden war,
zu einer kleinen, aber niedlichen Wohnung für meinen
Bruder umgeschaffen werden könnte. Meine Eltern
und wir behielten unverändert die Zimmer, welche wir
jetzt in dem Landhause inne hatten, alles war in einem
Hause vereinigt, und da d6r Bau nicht kostspielig sein
konnte, alle Wünsche befriedigt. Diesen Vorschlag
trug ich denn meinen Eltern und dem Bruder vor,^ er
würde geprüft, genehmigt, und ich sah nach ungefähr
vierzehn recht trüben Tagen wieder heitere Gesichter
207 '
und gute Laune um mich — eine Lebensbedingung,
die mir von jeher Bedürfnis meines eigenen Glückes ge-
wesen und es fortwährend geblieben ist; mich aber da-
durch oft sehr abhängig von denen gemacht hat, deren
guten Willen ich mit Opfern zu erkaufen bereit war.
Auch in dieser Angelegenheit erprobte sich, was ich
seitdem so oft in meinem langen Leben durch Erfahrung
bestätigt gefunden habe : wie kurzsichtig unser Blick in
die Zukunft ist, wie oft wir uns ohne Not mit Sorgen
quälen, deren Abwendung dann gar nicht mehr statt
hat, und wie manchen Kummer marTsich ersparen
könnte, wenn man, nach den eigenen Worten des Hei-
lands, nicht immer für den kommenden Tag sorgen,
sondern jedem Tag seine eigene Sorge überlassen
wollte 380).
Der Bau in unserm Landhaus in Hernais war also
beschlossen und die streitenden Parteien befriedigt.
Ruhe und Heiterkeit kehrte in unsere Familie zurück,
mein Kind gedieh an meiner Brust, und ein paar Mo-
nate vergingen ganz angenehm. Der Fasching war
mittlerweile herangekommen; mein Mann, mein Bru-
der, seine Braut und meine übrigen Gespielinnen ge-
nossen seine Freuden, mich schloß meine Pflicht als
Amme von diesen Unterhaltungen aus, die ich nur mit
großen Einschränkungen hätte genießen können, und
ihnen daher lieber ganz entsagte. Aber noch im Laufe
des Karnevals fing mein guter Vater an, zu kränkeln.
Es war dem Anscheine nach nur sein gewöhnliches
Übel, Heiserkeit und Husten, aber es zeigte sich so hart-
näckig, es sanken die Kräfte des Leidenden so merklich
bei einer an sich unbedeutenden Krankheit, daß dies
alles uns sehr aufmerksam und besorgt machte, und der
Arzt, eben jener Dr. Herbek, ein Schüler des großen
208
1 Franz Sales von Greiner
Ölgemälde von Hubert Maurer — Städtisches Museum, Wien
)
StolP®^) und unser Hausfreund, jetzt beinahe täglich
erschien, um nach dem Papa zu sehen.
Die Hochzeit meines Bruders war auf den nächsten
Frühling festgesetzt, und im Hause der Eltern der
Braut, so wie in dem unsrigen, wurden bereits Vor-
anstalten getroffen. Aber meines Vaters Kränklich-
keit und zunehmende Schwäche breitete einen düstern
Schleier über diese herannahende Verbindung, und
wahrlich, das Schicksal dieser Ehe hielt der düstern
Stimmung Wort, in welcher sie bereitet und vollzogen
wurde!
Auf eine wunderbare, aber uns alle sehr beunru-
higende Weise fing meines Vaters Geschmack und Sin-
nesart an, sich in dieser Periode ganz zu verändern.
Was ihm früher und noch bis vor wenigen Wochen sehr
angenehm, ja sein liebster Wunsch, und sein Streben
war — nämlich stets viele Leute um sich zu sehen,
wurde ihm jetzt lästig, ohne daß er doch über ein be-
stimmtes körperliches Leiden zu klagen gehabt hätte, ja
ohne weder das Bette noch das Zimmer hüten zu
müssen. Er fuhr selbst noch oft aus, und wenn er auch
sein Bureau nicht mehr so fleißig besuchte, so zeigte
er sich doch bisweilen dort oder arbeitete zu Hause mit
seinem Personal und machte hier oder dort einen Be-
such. Ebenso fing der Kaffee, sonst sein Lieblings -
getränk, von dem er täglich eine, 'vielleicht für seine
Gesundheit zu große Portion zu $ich nahm, an, ihm
zu widern, und diese auffallende Ümstimmung Vv-ar es,
welche uns alle beunruhigte und, wie der Erfolg zeigte,
leider mit Recht. Denn wie allmählich der Frühling
herannahte, alles Leben in der Natur erwachte, alles
neu zu erstehen und Kraft zu gewinnen anfing, nahm
nur meines teuren Vaters Kraft und Leben täglich
H c. P. I
209
mehr und mehr ab, und doch war, wie schon gesagt,
keine eigentliche Krankheit bei ihm vorhanden,/,
welche ein so schnelles und gänzliches Hinwelken hättet
begreiflich machen können. Ja sein Geist war ganz-
heiter, und eine seiner liebsten Unterhaltungen war
es nun, wenn ich ihm vorlas; denn auch die Musik,
ehemals seine Lieblingsleidenschaft, war ihm gleich-
gültig geworden, und wenn es ihm auch nicht zuwider
war, wenn ich neben seinem Zimmer wie sonst spielte
oder sang, zog er es doch vor, lesen zu hören.
Gegen den Anfang des Maimonats erklärten die
Ärzte plötzlich, es wäre sehr heilsam, wenn mein Vater
sogleich aufs Land gebracht würde, und wir sollten
daher, sobald wir könnten, unsere Gartenwohnung be-
ziehen, wo die reinere Luft günstig auf den Kranken
wirken werde. So willkommen mir jeden Frühling der
Ruf tönte, daß wir aufs Land gehen würden — denn
ich war nie gern in der Stadt und kehrte jeden Herbst
mit Widerwillen dahin zurück — so schien mir, bei der
Unstetigkeit unseres Frühlingswetters , und der größe-
ren Luftigkeit einer Sommerwohnung, dieser Befehl
doch ein bißchen zu voreilig. Damals nämlich, wo die
Menschen minder empfindlich gegen Rheumatismus,
Luftzug oder gähe Abwechslungen der Temperatur
waren, fiel es niemand ein, so wie jetzt fast allgemein,
die Landhäuser wenigstens mit einigen Öfen und allen-
falls auch mit Doppelfenstern zu versehen, ebensowenig
als man in der Stadt oder den Vorstädten alle Trep-
pen, Vorhäuser oder Korridors mit Glasfenstern und
Türen zu verwahren und die Wohnungen so kompakt
zu machen, wie jetzt geschieht, bedacht war. Ein offe-
ner Gang, auf dem man im Winter durch den Schnee
hindurch mußte, eine Treppe, ein Vorzimmer, das dem
210
/ ^
kalten Luftstrom ausgesetzt war, fiel niemanden be-
schwerlich, und man bemerkte diese Unbequemlich-
keiten entweder gar nicht oder ertrug sie als etwas, was
nicht zu ändern war, mit Gleichmut.
In unserm ganzen, sehr geräumigen Landhause, in
dem man wohl über zwanzig Zimmer zählte, war nur
ein Ofen, und dieser mehr aus Vergeßlichkeit oder um
sich keine Ungelegenheit mit dem Abbrechen zu ma-
chen, als aus Bedürfnis stehen geblieben. Das Kabinett,
in dem mein Vater schrieb und in den letzteren Jahren
seines Lebens auch schlief, lag gegen Norden, genoß
zwar der schönsten Aussicht über Felder und Wein-
gärten bis zum Gebirg, war aber eben deswegen der
Kälte sehr ausgesetzt. Indessen ging es die ersten Tage
unseres Aufenthalts noch leidlich-. Mein Vater fühlte
sich etwas besser; hoffen konnte ich nicht, denn die
Abnahme der Kräfte war zu sichtbar und zu schreckend ;
aber es wurde doch möglich, an meines Bruders Ver^
mählung zu denken, welche auf den lo. Mai bestimmt
war. Welches traurige Fest!
Es wurde, wie natürlich, im Hause der Braut, aber
sowohl des Zustandes meines Vaters wegen, als auch
weil beide Verlobte keine Freude an rauschenden Ver-
gnügungen hatten, ganz in der Stille gefeiert. Ach!
noch jetzt, nach so langen, langen Jahren, schwebt mir
dieser Tag und das Bild meines Vaters, dessen gestick-
tes Galakleid und stattlicher Hochzeitsputz einen noch
schmerzlichem Gegensatz mit seinem kranken, hin-
fälligen Aussehen bot, vor Augen. Mit Anstrengung
brachten wir ihn in den Wagen, von da in die Kirche
und endhch ins Hochzeitshaus, wo wenige Freunde
nebst uns versammelt waren, und der Abend bei einem
zwar sehr glänzenden Gouter, aber in der Vorahnung
14==
211
dessen, was uns allen nahe drohte, trüb und still ver-
floß. Dieser trübe Hochzeitstag war gleichsam der
Vorbote eines noch trübern Schicksals dieser Ehe, und
zwei gute, sich liebende Menschen, die von diesem Tage
das Glück ihres Lebens mit gerechten Hoffnungen er-
warteten, sollten beide in wenigen Jahren — doch ich
will der Zukunft nicht vorgreifen.
Mein Bruder war nun nach seinem Wunsche ver-
mählt, er bezog das kleine, niedliche Quartier, . was
meine Eltern ihm nach meinem Vorschlag aus einem
Teil der Wirtschaftsgebäude hatten zurichten lassen^
und war hätten wohl alle vergnügt und still neben ein-
ander leben können, wenn nicht meines Vaters immer
mehr sinkende Gesundheit diese häusliche Zufrieden-
heit zerstört hätte. Bisher hatte er es vermocht, die
Treppe hinab in den Garten zu gehen, bald aber er-
laubten dies die schwindenden Kräfte nicht mehr, und
unglücklicherweise trat, wie ich es gefürchtet hatte,
eine jener gäben Witterungsveränderungen ein, die bei
uns wohl das ganze Jahr hindurch nicht selten, im
Frühling aber sehr gewöhnlich sind. Es kam anhalten-
des Regenwetter mit kalten Stürmen, wir wußten uns
nicht zu helfen, um des Vaters Kabinett und ihn selbst
hinlänglich mit Flaschen von heißem Wasser, Wach-
holderfeuer usw. zu erwärmen. Diese Schädliche Ein-
wirkung der äußern Kälte offenbarte sich nur zu bald.
Zwar hörte der Regen und mit ihm der Frost auf, die
Sonne schien wieder hell und warm, aber mein Vater
welkte sichtHcher dem Grabe zu, und am 2. Juni ver-
schied er sanft, fromm und liebend für uns alle besorgt,
wde er gelebt hatte ^^2)!
Illlllllllllllllll Illlll IIIIMIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII Illlllllllllllllllllllllllll
212
ZWEITES BUCH
1798— 1813
iiiiiiiiilMliliiftiiiiiiiiiiiiilifiitiiinimiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiifiiiiiiiMiiitfiuifiiiMiiiinifliiiMfiTiiHiiittfiiiiniiiii
Der Tod meines Vaters machte eine wichtige
Epoche in unserm häusHchen Zusammenleben.
Nicht bloß der zärtliche, treffliche Vater war uns allen
entzogen, sondern mit ihm hörten auch die bedeuten-
den Einkünfte auf, welche mit seiner Stelle^ als der
eines altern Hofrats, verbunden waren, und meine
Mutter, nebst uns beiden jungen Paaren, war nun auf
die aus unserm Stammvermögen entfallenden Ein-
künfte, und die noch sehr mäßigen Besoldungen mei-
nes Mannes und meines Bruders beschränkt.
Es wurden Einschränkungen nötig, besonders da
wir jungen Paare keine bedeutenden Einkünfte hatten,
und einer Vermehrung der Ausgaben entgegen sehen
mußten. Es wurde also überlegt, Rat gehalten. Eine
Wohnung in der Stadt, wie wir alle sie bisher ge-
wohnt waren und nicht gern entbehrt hätten, und ein
Sommeraufenthalt auf dem Lande, der uns allen seit
Jahren, zum Bedürfnis geworden, erforderten einen
Aufwand, der unsre damaligen Kräfte überstieg. Wir
beschlossen also — ein Vorsatz, der damals viel bedenk-
licher und schwerer zu fassen war, als es jetzt scheinen
möchte — nur eine Wohnung fürs ganze Jahr, aber
diese, um die AnnehmUchkeit eines Gartens zu ge-
nießen, in einer schönen, nahen Vorstadt zu suchen.
Unsere Bekannten und Freunde erstaunten über die-
sen Entschluß und die meisten mißbilligten ihn höch-
lich; denn damals standen die Vorstädte ungefähr in
dem Verhältnis zur Stadt, in welchem sich jetzt die
Dörfer befinden, wo nun auch nur wenige Familien
215
aus den angesehenen Ständen sich entschließen, Win-
ter und Sommer zu wohnen, und eine solche Wahl
immer Verwunderung und Tadel erregt.
Da wir alle wenig Ansprüche auf ein Leben in gro-
ßen und glänzenden Gesellschaften machten, und un-
ser Glück in zufriedner Häuslichkeit fanden, so ließen
wir die Leute sagen, was sie wollten, suchten fleißig
nach einem Hause, wie wir es in unsern damaligen Ver-
hältnissen brauchten, und fanden endhch dasjenige,
welches wir seit jener Zeit bis auf diesen Tag noch be-
wohnen.
Zur Ausführung dieses Planes gehörte denn auch,
daß das Landhaus, das wir besaßen, und in dem wir
zur Zeit des Verlustes unsers teuern Vaters und noch
den ganzen Sommer von 1798 lebten, verkauft wurde.
Es tat mir sehr weh, denn in diesem Landhause hatte
ich die Zeit meiner Kindheit und Jugend zugebracht,
und- in den Schattengängen des großen, schönen Gar-
tens waren die ersten Anregungen zur Poesie in meinem
Gemüt erwacht. Wie oft hatte ich im dichtesten Ge-
büsche an meinem Lieblingsplätzchen gesessen, wo
ein kleiner Quell über nette Steine hinabrieselte,
und dem Geflüster der Blätter über mir, dem Gesang
der Vögel, dem Gemurmel des Wassers horchend, mich
still und selig gefühlt. Von solchen Stunden sagte ich
später in einem ungedruckten Liede:
Ich war allein, doch einsam war ich nie;
Ich war bei Blumen, Büschen, Gras und Bächen,
Ich hörte sie in ihrer Sprache sprechen,
Und tief im Innersten verstand ich sie. -
Dort lagen Saiten, die bei jedem Ton
In der belebten Schöpfung mit erklangen,
Sie sind's, woraus mir reine Freuden sprangen,
Sie tauscht' ich nicht um eines Fürsten Thron. 3^^)
216
\
In diesem Garten waren meine Gleichnisse^^*) und
viele meiner frühern Gedichte entstanden, hier waren
mir sehr angenehme Stunden verflossen, und diese
Bäume hatten auch oft meine Tränen gesehen. Ich
schied ungern von diesen Erinnerungen meiner Kind-
heit und ersten Jugend, aber es mußte sein, das er-
kannte ich, und so faßte ich mich mit Ernst und gutem
Willen, und ergab mich in das Unausweichbare.
Das Landhaus wurde verkauft ^^^). Wir bewohnten
es, dem Kaufkontrakte gemäß, noch bis zum Winter,
und mit wehmütigem Gefühl genoß ich die zwei oder
drei letzten Monate, welche es mir daselbst zuzubrin-
gen vergönnt war. Kaum aber waren wir weggezogen,
so ging auch eine gewaltige Veränderung mit dem Gar-
ten vor. Der Strahl des reinsten Quellwassers, das —
durch eine, meinem seligen Vater von dem Magistrat
in Wien bewilligte Seitenleitung aus der großen
Wasserleitung, welche das frische Quellwasser in die
Röhrbrunnen der Vorstädte und der Stadt führt ^®^) —
in unserm Gartenbassin lustig in die Luft sprang, unser
Haus und oft die Nachbarschaft mit kösthchem Trink-
wasser und den Garten mit hinreichender Feuchtigkeit
versorgte, dieser Wasserstrahl wurde sogleich von dem
Magistrat zurückgenommen und das Bassin in unserm
ehemaligen Garten stand leer. Der Sinn der neuen
Besitzer war auch ein ganz anderer, die Anlagen wur-
den vernachlässigt, die Gebüsche verwilderten, die
kleinen Partien — eine Einsiedelei, ein Wasserfall, zier-
Hche Brücken usw. — verfielen, und oft mahnte mich
dieses Zurücksinken einer vormals HebHchen Schöpfung
in einen Zustand der Verwilderung durch den Tod
eines einzigen vorzügHchen Mannes an jene Episode in
Wielands Oberen, wie das kleine Paradies, das Titania
217
um des greisen Alphons willen in der Wüste hervor-
gezaubert hatte, nach seinem Tode sich wieder in eine
Wüste verwandelt^').
Der Winter verging uns in seinem Beginne bis nach
dem Karneval ziemlich angenehm. Meine Kleine ge-
dieh sichtlich, und es wurde beschlossen, sie nächsten
Frühling, den wir schon in unserm neuen Hause in der
Alservorstadt zuzubringen gedachten, dort einimpfen
zu lassen. Dies Haus, das kürzlich seinen Besitzer,
einen der berühmtesten Ärzte Wiens und einen guten
Bekannten von uns, durch den Tod verloren hatte, war
von ihm, der damals noch in der Blüte seiner Jahre
stand, aufs zierlichste eingerichtet worden. Hun-
czovsky^^^) (das war sein Name, der gewiß bei manchem
in Wien in lebhaftem und dankbarem Andenken sein
wird) war ein sehr gebildeter Mann, ein großer Kunst-
freund, und, was noch mehr sagen will, und was sein
Tod bewies, ein edler Menschenfreund. Die meisten
und schönsten Zimmer seines Hauses hatte er seinen
Sammlungen gewidmet. Da war eine ansehnliche Bib-
liothek, ein ganzes Zimmer voll Handzeichnungen, die
an den tiefblauen Wänden desselben in prächtigen Gold-
rahmen prangten, ein anderes mit den schönsten Kup-
ferstichen, in dem sich überdies eine zahlreiche Mine-
raliensammlung in IG — 12 höchst eleganten Glas-
schränken befand; endlich ein eigens dazu eingerich-
teter Saal mit Gemälden. Hier lebte der Besitzer mit
einer hübschen, jungen Frau, die er kürzlich geheiratet,
umgeben von seinen Kunstschätzen und in der nahen
Erwartung, bald Vater zu werden. Da entriß ihm zu-
erst der Wille Gottes die Frau, welche, wenn ich nicht
irre, bei der Geburt eines Knaben blieb ^^^). Kaum ein
oder anderthalb Jahre darauf hatte Hunczovsky einen
218
Kranken zu behandeln, der an einem sehr bösartigen
Gescliwüre litt. Es sollte geöffnet werden, Hunczovsky
war Arzt und ein sehr berühmter Wundarzt zugleich;
er schickte sich an, die Operation zu machen und voll-
endete sie auch glücklich; aber er verwundete sich da-
bei in der Hand, und zwar so, daß er blutete, und zwar
in dem Augenblicke, als die Lage seines Kranken ihm
nur die Wahl ließ, entweder die Wunde, die er diesem
gemacht hatte, fahren zu lassen, wodurch der Kranke
aufs Äußerste gefährdet worden wäre, oder zuzugeben,
daß die giftige Jauche seine eigene verwundete Hand
berühre und in sein Blut übergehe. Hunczovsky
wählte das letzte. — Er besorgte und verband seinen
Kranken, der wahrscheinlicherweise genaß. Er selbst
aber fühlte bald die Folgen seiner großmütigen Auf-
opferung. Seine Wunde verschlimmerte sich, die
Hand schwoll, endlich der Arm; — das Übel verbreitete
sich mit ungeheurer Schnelligkeit im ganzen Körper,
und er starb als ein Opfer seiner Menschenfreundlich-
keit. Friede sei seiner Asche!
Vielleicht wird manchem, der einst diese- Blätter
liest, diese kleine Anekdote unbedeutend, überflüssig
erscheinen. Ich habe sie mit Vorbedacht erwähnt,
weil ich erstlich gern das Andenken eines braven Man-
nes, den ich wohl kannte, feiern mochte; zweitens aber,
weil solche Beispiele von pflichtmäßiger Aufopferung
in unserer selbstischen Zeit immer seltener werden, und
daher nicht sorgsam genug bewahrt werden können.
Nach seinem Tode mußte, den Verordnungen Kai-
ser Josefs in Vormundschaftsdingen gemäß ^''°), alles,
was er besessen hatte, verkauft, zu Gelde gemacht, und
dies in öffentlichen Papieren für seinen Knaben hinter- •
legt werden, obwohl damals der Kredit jener Papiere
219
schon sehr gesunken war, und jedermann das Schäd-
liche dieser Maßregel einsah. Das Haus, freilich seiner
kostbaren Einrichtung beraubt, aber auch so noch im-
mer sehr elegant und bequem zugerichtet, nebst dem
Garten, kaufte meine Mutter, und wir gedachten es im
Frühling zu beziehen und angenehm zu bewohnen,
da auch die Eltern meiner Schwägerin sich eine Woh-
nung in demselben vorbehielten.
Aber schon nach dem Karneval fing meine Schwä-
gerin an, zu kränkeln. Wir hielten es für Folgen irgend
einer Erkühlung; denn es gestaltete sich wie ein Katar-
rhalfieber, und sie konnte nach wenigen Tagen das Bett
wieder verlassen. Doch war eine auffallende Mattigkeit
und völlige Entkräftung zurückgeblieben, die uns allen
und selbst dem Arzte nach einer so unbedeutenden
Krankheit beunruhigend vorkam. Er beschloß, ihr
China zur Stärkung zu geben; denn er glaubte, da sie
in ihrer ersten Jugend schnell in die Höhe geschossen,
und mit dreizehn Jahren bereits so groß und stark war
wie mit zwanzig, die Natur habe ihre Kräfte in der
Bildung der äußern Form erschöpft und das Innere zu
schwach gelassen. Bald aber zeigte sich die Folge oder
Ursache dieser auffallenden Schwäche auf eine für
meinen armen Bruder und uns alle sehr erschreckende
Weise. Ich wurde eines Morgens mit der Nachricht
geweckt, Marie (so hieß meine Schwägerin) habe in der
Nacht stark Blut gehustet und sei außerordentlich ent-
kräftet. Diese Nachricht oder vielmehr diese Er-
scheinung war gleichsam die Totenglocke von meines
Bruders häuslichem und überhaupt von dem Glücke
seines Lebens. Es war eine Lungensucht, und wenn
auch in den ersten Monaten zwischen jedem neuen An-
fall ein Zwischenraum täuschender Besserung eintrat,
220
.i'';5.,'l-5jVi.4ä
in dem die Kranke, und alle, die sie liebten, wieder
hofften, so mußte doch, wer hier klar und ungeblendet
beobachten konnte, den wahren und unheilbaren
Grund des Übels erkennen. ' j-
Indessen war uns das Haus in der Alservorstadt ein-
geräumt worden ^'^). Wir be2;ogen.es im Frühhng und
versprachen uns viel von der reinen Luft, von dem Le-
ben im Garten für unsere Kranke. Dieser Garten war
aber in einem Zustande völliger Verwilderung, ob-
gleich reich mit schönen exotischen Bäumen und
Sträuchern und mitunter auch edlem Obst besetzt.
Der vorige Besitzer hatte den Vorsatz gehabt, ihn auf
moderne Art geschmackvoll zuzurichten. Er hatte des-
wegen die alten, steifen Gänge kassiert, den Boden ge-
ebnet, die schönen Pflanzen hineingesetzt, aber ^ein
früher Tod hatte diese Schöpfung in ihrem Werden
aufgehalten, und wer einen Garten hat, weiß, was zwei
Jahre ohne alle Aufsicht und Pflege für eine Wildnis
daraus machen können. Vorderhand mußte alles so
bleiben, wie es war, der nächste Winter und Frühhng
war dazu bestimmt, alles dies in Ordnung zu bringen.
Sehr angenehm, heiter, luftig und anständig war
die Wohnung, und wir richteten uns mit Vergnügen
daselbst ein. Sobald es die Witterung erlaubte, sollte
auch mein kleines Mädchen geimpft werden. Eben um
diese Zeit fing die , seitdem so viel besprochene Vakzine
an, bekannt zu werden. Der dadurch berühmt ge-
wordene Doktor de Carro^'2^, der mit der Tochter eines
uns freundschaftlich verbundenen Hauses vermählt
war, schickte mir Jenners Werk über diesen Gegen-
stand^'^. Aber unser Hausarzt, Doktor Herbek, war
nicht der Meinung, von dieser, damals noch so wenig
konstatierten Entdeckung Gebrauch zu machen. Mein
221
Lottchen wurde mit Menschenblattern geimpft und
überstand die Krankheit leicht, indem sie, nach der
damals gewöhnlichen Behandlungsart, den ganzen Tag
in der freien Luft gehalten, selbst ihre Fieber in einem
mit Betten ausgelegten Wägelchen im Garten über-
stehen mußte, wobei nur die Vorsicht gebraucht wurde,
den Platz und also die umgebende Luft zu wechseln,
und so ging mit Gottes Hilfe diese wichtige Periode
glücklich vorüber. Weniger günstig wirkte der kühle,
regnichte Sommer vom Jahre 1799, wo sogar die
Trauben am Spalier in unserm neuen Besitztum nicht
recht reif wurden, auf meine arme Schwägerin. Die
Anfälle von Fieber mit Blutauswerfen und heftigen
Brustschmerzen traten in kürzeren Zwischenräumen
und mit größerer Stärke ein, und mit dem Blätterfall,
wie denn das so oft geschieht, war die Verschlimmerung
so groß geworden, daß sie das Bett nicht mehr ver-
lassen, und mein armer Bruder sich mit keiner Hoff-
nung mehr täuschen konnte.
Welche Tage tiefer Trauer und herzzerreißender
Schmerzen traten nun an dem Krankenbette d^, so
heiß von ihrem Manne und ihren Eltern geliebten Frau
ein, die mit jeder Woche dem Grabe sichtlicher zu-
welkte! Was wurde nicht versucht, um ihr Leben zu
erhalten! Welche Ärzte nicht gerufen, welche Heil-
mittel nicht angewendet! Es war vergebens. Am 12.
Dezember saß ich eines Nachmittags, wo eben der
letzte Schimmer des Tages in den trüben Winter-
nebeln erstarb, an ihrem Bette. Kurz vorher hatte sie
noch gesprochen, dann lag sie still, wie fast immer.
Mein Bruder brachte ihr einen Trank, der ihr einige
Labung zu geben pflegte. Er hielt ihr die Schale an
den Mund, sie nahm sie nicht; er redete sie an, sie ant-
222
..:lä
wertete nicht. Ich erschrak; denn die Wahrheit trat
auf einmal furchtbar vor meine Seele — ich kniete am
Bette nieder, ich sah ihr in die Augen — , sie schienen
mir gebrochen; die Wärterin wurde gen^fen — ein
Spiegel gebracht — ^in Hauch färbte ihn mehr; > — sie
war verschieden!
Mehr als dreißig Jahre sind seit dieser Szene über,
mich hingegangen, das Bild dieses Augenblicks und der
Schmerz meines Bruders steht noch so lebhaft vor mir,
als wären erst Monate darüber verflossen. Er stürzte
fort aus dem Zimmer, wie er die furchtbare Gewißheit
seines Verlustes erkannt hatte, und mir trug er auf, bei
der Toten zu bleiben und mit Bürsten, Wärmen und
allen andern Mitteln zu versuchen, das fliehende —
entflohene Leben festzuhalten. Daß es uns nicht ge-
lang, war vorzusehen. Ein paar Stunden darauf kam
er wieder, und sah aus dem Nebenzimmer auf die Leiche
hin, die noch eben in der Stellung, wie er sie verlassen
hatte, in warme Tücher eingeschlagen, im Bette lag.
Das ist mein Weib! schrie er nun mit einem Tone,
dessen zerreißender Wehlaut noch in meinen Ohren
klingt, und eilte aufs neue fort, einem Anblick zu ent-
fliehen, den er auszuhalten nicht vermochte.
Später kamen die armen Eltern. — Ich gehe über
alles das, über die Abreise meines Bruders, der am fol-
genden Tage Wien verHeß und mitten im Winter nach
Linz zu einem Jugendfreunde reiste, über die Beerdi-
gung und alle Anstalten und Vorkehrungen, die dieser
Todesfall nötig machte, und die mir aufgetragen wa-
ren, schnell hinweg. Es war eine traurige Zeit, ein sehr
trauriger Auftrag; aber ich schien immer bestimmt,
diese peinlichen Geschäfte zu übernehmen, denen sich
gern jedes andere entzog.
223
Nach sechs Wochen kam mein Bruder wieder. Die
Reise, die Neuheit, die Verschiedenheit der Gegen-
stände hatten günstig auf ihn gewirkt. Der Zufall
wollte es, fiaß gerade in diesem Winter die russische
Armee durch Oberösterreich zog, um sich nach der
Schweiz, wenn ich nicht irre, zu begeben. Die Kreis-
beamten hatten außerordentlich viel mit ihnen zu tun,
und dem Freunde meines Bruders, jetzt Gubernial-
rat Barchetti^'*), war es daher sehr erwünscht, in dem
Ankommenden einen ebenso tätigen als geschickten
und geschäftskundigen Gehilfen zu finden. Meines
Bruders Tätigkeit wurde sofort in Anspruch genom-
men, und mit Einquartierung, Etappen machen,
Marschrouten ausmitteln, Händel schlichten, Ordnung
halten, ward sein Geist von der steten Beschauung sei-
nes Schmerzes, der aller ver der bHchsten Verfassung
eines Unglücklichen, abgezogen und auf wirkliche, aber
ganz heterogene Gegenstände gelenkt, deren Beschaf-
fenheit keinen Aufschub, keine Zögerung, und daher
kein Versinken in Träumereien gestattete. Wohl er-
wachte der heftigste Schmerz wieder beim Anblick
und Eintritt in das Haus, wo er so glücklich mit ihr ge-
lebt, wo er sie so schmerzlich und so neuerlich verloren ;
aber er bezwang das wunde Herz als Mann und ernster
Denker, und nur in vertrauten Stunden mit mir allein
ergoß sich zuweilen sein Schmerz in Klagen und wohl
auch in Tränen.
Diese ganze Zeit vor und nach meiner Verheiratung,
da Krankheiten, Todesfälle und überhäufte häusliche
Angelegenheiten aller Art meinen Geist, mein Gefühl
und meine ganze Muße streng und gebieterisch in An-
spruch nahmen, dachte ich beinahe an keine Poesie, und
auch die Zeitumstände waren durch die Kriegsbege-
224
C. Caspar pinx. C. Kohl sc.
k. k. Fidei-Commiß-Bibliothekj Wien
benheiten und die daraus entspringenden teils ängsten-
den, teils drückenden Verhältnisse, der Poesie nichts
weniger als günstig. Meine Phantasie schwieg ganz,
und mein Geist lag im eigentlichen Sinne brach. Auch
war unser Leben ziemlich einsam geworden. Wir brach-
ten den Winter fast ohne allen Umgang zu; denn
wenn jetzt noch die meisten Bewohner der innern Stadt
den Weg in die Vorstädte scheuen, und das Glacis für
viele ein nicht zu überschreitender Ozean ist, dessen
Stürmen und Fährlichkeiten sie sich im Winter kaum
auszusetzen wagen, wenn nicht eine sehr lockende Un-
terhaltung sie dazu reizt und für die Beschwerhchkei-
ten einer solchen Fahrt entschädigt, so kann man sich
vorstellen, wie das vor mehr als vierzig Jahren war.
Wenn wir nicht nach der Stadt gingen, um einen
Abend im Theater oder bei Freunden zuzubringen,
saßen wir meistens ganz allein, und unsere Unterhal-
tung .bestand darin, daß Pichler, wenn er abends nach
Hause kam, uns vorlas, bis es Zeit zum Souper war,
während meine Mutter strickte und ich spann, nach-
dem ich meine Kleine schlafen geschickt hatte und mein
Bruder ausgegangen war. Dennoch hatte auch dies
sehr stille Leben, so auffallend es gegen das gesellige
Geräusch in meines Vaters Hause abstach, und viel-
leicht eben des Kontrastes wegen, einen großen Reiz
für mich. Pichler brachte uns die neuesten Erschei-
nungen im Fache der schönen Literatur, und wir ge-
nossen recht tief und innig die damals höchst beliebten
und bewunderten Romane von Lafontaines'^). Kam
dann manchmal ein unvermuteter Besuch aus der
Stadt, so vvoirde er mit großer Freude empfangen, nach
Neuigkeiten befragt, wenn es ein Freund war, mit
Pichler politisiert, und so verstrichen die stürmischen
15 c. P. I
225
Abende wie auf dem Lande still und behaglich, bis
endlich der Winter, in jenem Jahre etwas spät, dem
Frühlinge wich, und nun die Arbeiten im Garten, um
ihn neu anzulegen, beginnen konnten. Unter der Lei-
tung eines Bekannten, welcher das, von den Schwieger-
eltern meines Bruders im Winter nicht bewohnte
Quartier gemietet hatte, und der sich trefflich auf
Gartenkunst verstand, wurde die Wildnis geordnet, die
schönen Bäume und Sträucher an passende Plätze ge-
setzt, der schon erwachsenen so viel wie möglich ge-
schont und so nach dem Geschmacke jener Zeit ein
Garten voll Gebüsche, durch welche sich viele kleine,
schmale Gänge schlängelten, hergestellt. Damals fand
ihn jedermann schön, seitdem hat sich auch hierin,
wie in allem, die Welt und der Geschmack verändert,
und er mußte späterhin eben solchen Wechsel wie alle
Dinge erfahren.
Um diese Zeit ungefähr fand mein Mann, als er eines
Tages in meinen Schriften herumsuchte, das Manu-
skript meiner Gleichnisse ^^^, welche ich viele Jahre
früher bei verschiedenen Anlässen gedichtet, meiner
Jugendfreundin Josefine gewidmet, in einer reinlichen
Abschrift übergeben, und seitdem nicht viel mehr dar-
an gedacht hatte, außer daß ich gelegentlich, wie ein
Gegenstand solche Betrachtungen in mir erweckte,
wieder ein neues Gleichnis schrieb, und zu der Samm-
lung legte. Sie gefielen Pichlern, und zwar so sehr, daß
er mir den Vorschlag tat, sie der Welt durch den Druck
zu übergeben. Vor diesem Gedanken erschrak ich im
eigentlichsten Sinn; denn wenn gleich einzelne kleine
Gedichte von mir gelegentlich allein oder in Almana-
chen erschienen waren ^"), so hatte ich doch nie daran
gedacht, als Schriftstellerin mit einem eigenen Werke
226
aufzutreten. Vielmehr hatte ich solche Öffentlichkeit
immer gefürchtet, und warnend trat ein Wort eines un-
serer Freunde, eines sehr gelehrten Mannes, vor meine
Erinnerung, der, als ich ihn einst befragte, warum er
denn der Welt nichts von den gelehrten Schätzen, die
er gesammelt, mitteilen wollte, mir mit vieler Heftig-
keit sagte: „Mein Fräulein, das werde ich nie tun. Ein
Mann, der ein Buch herausgibt, ist wie ein Narr, der
die Hand zum Fenster hinausstreckt; jeder Vorüber-
gehende kann ihn darauf schlagen."
Jetzt, als mein Mann eine ähnliche Auffordejrung an
mich ergehen ließ, fiel mir der gelehrte Abbe Br.^'^)
und seine, wie mir schien, sehr treffende Bemerkung ein,
und ich vertraute meinem Manne meine Angst. Er
mißbilligte sie nicht ganz; aber er schlug mir vor, das
Manuskript, ehe wir jenen großen Schritt vor die
öffentliche Meinung täten, einigen vertrauten und
durch ihre Gelehrsamkeit sowohl als ihr Wohlwollen
gegen uns bewährten Freunden zu zeigen und ihr Ur-
teil zu vernehmen. So wurde es denn nacheinander
Herrn Haschka, der ohnedies so vielen Teil an meiner
Geistesbildung genommen, Herrn Otto Wieser, einem
Freund meines Mannes und Professor am Piaristen-
kollegium^'^), Herrn Hofrat von Sonnenfels, der sich
von jeher als einen väterlichen Freund Pichlers er-
wiesen, und dem Hofrat Denis, dessen Name schon
Autorität genug ist, zuni Durchlesen gegeben. Das
einstimmige Urteil dieser Herren fiel günstig und
ermunternd aus, und so erschienen denn, obgleich von
mir noch immer mit Angst und Sorge aus dem schützen-
den Schatten der Unbekanntheit entlassen, die Gleich-
nisse, und ich trat öffentlich vor der Welt als Schrift-
stellerin auf.
15*
227
Zu meiner großen Freude und noch größerem Er-
staunen fand das Büchelchen eine sehr günstige Auf-
nahme, und wurde von dem, damals mit Kotzebue gegen
die Schlegelsche Schule bewaffneten Merkel — Herrn
Garlieb MerkeP^"), der aber vielen Leuten gar nicht
lieb war — vermutlich, weil er meine Gleichnisse in
ihrer Einfachheit der neumodische^ Verkünstelung
und widernatürlichen Verdrehung der Schreibart ent-
gegensetzen wollte, sehr gütig angezeigt; so ungefähr,
wie Tacitus in seinen Sitten der Deutschen diesen
damals sehr rohen Völkern und ihren einfachen Tugen-
den wohl nur darum so warmes Lob spendet, um seinen
entarteten Mitbürgern einen strengen Spiegel vorzu-
halten. Genug, die Gleichnisse wurden sehr gut auf-
genommen, und dieser unverhoffte Erfolg, verbunden
mit der lebhaften Freude, welche mein geliebter Mann
— ganz im Gegensatze von dem Manne einer berühm-
ten Frau in Schillers Epistel ^^^) — an meinen Schöpfun-
gen empfand und zeigte, munterte mich auf, dem In-
nern Drang meines Gefühls, den ich stets empfand,
nachzugeben, und wieder auf eine neue Dichtung zu
sinnen. Ein Traum — denn zu manchen meiner Er-
zählungen hat ein lebhaftes Bild, eine Situation, ein
Charakter, von dem mir träumte, die erste Veranlas-
sung gegeben — erregte in mir den Gedanken, zu schil-
dern, wie in einem edlen weiblichen Gemüte die Treff-
lichkeit eines Mannes, ungeachtet eines widerlichen
Äußeren, einen tiefen Eindruck machen, und ihm
selbst unbewußt, ja wider dessen Willen, eine Leiden-
schaft erregen könnte. Wohl war eben damals Krates
und Hipparchia von Wieland erschienen ^^^; aber meine
Idee war eine ganz andere; jenes Bild war zu ruhig, zu
klassisch. — Ich sann, ich bildete, und es entstand eine
228
Erzählung — Olivier, die im ersten Entwurf romantisch,
ja eigentlich ein Märchen war^^^).
Um diese Zeit fing der politische Himmel über uns
sich wieder sehr zu trüben an. Die Schlacht von Ma-
rengo'®*) hatte die Angelegenheiten unsers Vaterlandes
sehr drohend verschlimmert, und zum zweitenmal in
vier Jahren mußten wir mit angsterfüllten Herzen der
Annäherung der französischen Armeen, entweder von
Italien oder von der Seite des damals noch bestehenden
deutschen Reiches entgegen sehen. Der Sommer und
Herbst vergingen in bangen Erwartungen, und zwei
Todesfälle in unserer Familie, welche schnell aufein-
ander folgten, vereinigten sich mit jenen Ereignissen,
um uns alle recht trüb zu stimmen, und die Verluste,
die wir vor kurzem erlitten, uns mit neuer Wehmut
fühlen zu lassen. Binnen vierzehn Tagen starben in
unserm Hause und fast in unsern Armen beide Eltern
meiner seligen Schwägerin, bei denen wohl der Schmerz
über den Verlust des treffhchen Blindes alten Übeln,
an welchen beide litten, bedeutenden Vorschub ge-
leistet, und sie der vorausgegangenen Tochter nach-
geführt hatte ^^^. Auf meines Bruders Gemüt wirkte
dies sehr schmerzlich ein; aber es diente auch dazu,
seine Tätigkeit zum Nutzen und Frommen der, nun im
Jünglingsalter stehenden und ganz verwaisten Brüder
seiner verstorbenen Frau aufzufordern, die außer ihm
keine oder wenigstens keine hinreichende Stütze hat-
ten; denn eine in Mähren an einen Arzt verheiratete
Schwester und ein Bruder, der als Hauptmann im
Felde stand, waren nicht zu rechnen ^^^. Mein Bruder
war schnell entschlossen, er nahm die beiden jungen
Leute zu sich, und sie gehörten fortan zu unserer Fa-
milie. Der ältere, Franz, der seitdem als Schriftsteller
229 , " '
und Verfasser vieler wohlgelungenen Übersetzungen
französischer Lustspiele sich in Deutschland einen Na-
men erworben, wurde bald hierauf bei den hiesigen Land-
rechten angestellt^'), den jungem, Karl^ss)^ brachte
mein Bruder durch die freundschaftlichen Verhältnisse,
in welchen unsere Familie seit vielen Jahren mit dem
Hause des Barons von Puthon^^^) gestanden hatte, als
Kommis in dies Comptoir, und beide junge Männer
zeichneten sich fortan als geschickte und in jeder
Beziehung würdige Menschen aus. Den altern aber
zog sein Hang zur großen Welt bald in die Stadt, der
jüngere blieb in unserm Hause, und war uns durch
zwanzig Jahre ein treuer Freund und lieber Haus-
genosse.
Im Herbst bezog eine sehr würdige Familie, die
Witwe eines ungarischen Hofrates, Frau von Wlas-
sics mit ihren Söhnen und einer, bereits an einen
Cousin, der sich ebenfalls Wlassics nannte, verheirateten
Stieftochter, die Wohnung im obern Stocke unsefs
Hauses ^^°), und ganz in unserer Nähe mietete sich ihre
Schwester^'^) ein, die an den( nachmals durch verschie-
dene seltsame Schicksale bekannt gewordenen Baron
von Geramb verheiratet war. Jetzt bildete sich für
uns ein recht angenehmes, geselliges Leben. So wie es
Abend wurde, kamen die beiden Frauen, welche bei
uns wohnten, mit ihrer Arbeit zu uns herab, etwas
später kehrten Herr von Wlassics und mein Mann
aus ihren Bureaus nach Hause, und nun lasen uns die
Herren, oder vielmehr meistens Pichler, die neuesten
Erscheinungen der damaligen Literatur vor, Lafon-
taines Romane, eine zu jener Zeit sehr geschätzte Lek-
türe, oder wenn etwas noch Höherstrahlendes, aus
Schillers oder Goethes Feder geflossen, vor ganz
2^0
:J
Deutschland neu erglänzte. Die Knaben der Witwe,
ihre Neffen, die Kinder ^^2) eben jenes Barons Geramb
und meine kleine Lotte spielten neben uns, und so ver-
gingen uns die Abende still und genußreich. Mein
Bruder und sein Mündel Karl (denn er war nach der
beiden Eltern Tode zum Vormund seiner Schwäger
ernannt worden), die selbst sehr gut und gern vor-
lasen, ianden aber ihre Rechnung zu wenig beim bloßen.
Zuhören, und so brachten diese ihre Abende meist in
der Stadt zu.
Recht angenehm wäre uns allen der Winter auf
diese Weise verflossen, hätten nicht unglückliche
Kriegsereignisse das ganze Land, und somit auch uns,
mit Furcht und Angst erfüllt. Die französischen Ar-
meen rückten nach den Siegen in Italien und am Rhein
immer näher heran, und man sprach, wie vor drei Jah-
ren, von der drohenden Gefahr einer Invasion. In
unserm stillen Abendkreise teilten wir uns unsere Be-
sorgnisse mit, und eine wahrscheinliche Trennung, die
unserm zufriedenen Beisammensein ein nahes Ende
machen soUte, stellte sich ganz dicht vor unsere Augen;
denn Frau von Wlassics dachte sehr ernstlich daran,
sich samt ihrer Schwester und ihren beiderseitigen Kin-
dern nach Ungarn zu flüchten, was denn auch im Laufe
des Winters noch geschah, und seitdem — es sind nun
beinahe vierzig Jahre — habe ich diese Hebenswürdige
Frau nicht mehr gesehen, und nur wenig und Unbe-
friedigendes, ja Schmerzliches von ihr vernommen. Sie
hatte ein neues Eheband in Ungarn geschlossen, das
unglücklich ausfiel und ihr Leben verbitterte.
Doch ich kehre zu meiner Erzählung zurück. Wäh-
rend wir noch alle beisammen, und alle voll Besorg-
nisse vor den Dingen, die da kommen konnten, waren,
231
trat Baron Geramb zum erstenmal aus der Unbekannt-
schaft seines bisherigen Privatlebens mit einem Pro-
jekte hervor, das Aufsehen genug erregte, um die Blicke
der Stadt auf ihn zu lenken. Er v/ollte nämlich ein
Freikorps errichten und es dem Kaiser in dieser be-
drängten Zeit zur Disposition stellen. Geramb wohnte,
wie ich oben gesagt, nicht weit von uns, der Zudrang
der Leute in seinem Hause, die Unruhe, welche dieses
Werbgeschäft in der Nachbarschaft verbreitete, das
Aus- und Einmarschieren der regellosen, meistens zer-
lumpten Truppe mit Musik, die durch die ganze Straße
schallte, das alles schien mir bei der wenigen Zuver-
sicht, die man in einem, auf solche Weise zusammen-
gerafften Haufen setzen konnte, das Unheimliche un-
serer Lage noch zu vermehren ^^^. Indessen hatte unsere
Armee sich anderGrenze von Oberösterreich aufgestellt;
die unglückliche Schlacht von Hohenlinden^^*), auf die
man die letzte Hoffnung der Rettung gesetzt hatte,
ging verloren, der Damm war durchstochen, welcher
die verheerenden Kriegsfluten von unserm Vaterlande
hätte abhalten sollen, und nun ergossen sich die feind-
lichen Scharen unaufgehalten über Salzburg, Passau
und Österreich ob der Enns.
Vor ihnen her retirierte unsere Armee und eilte
durch die, bald dem Feinde zu überlassenden Provinzen
bis gegen Wien. Dieses Ereignis bereitete auch mir
ein unverhofftes Wiedersehen einer Person, die mehrere
Jahre vorher einen zu tiefen Eindruck auf mein Ge-
müt gemacht hatte, als daß die Aufregung eingeschla-
fener Erinnerungen selbst jetzt, wo ich glücklich ver-
heiratet und über jene Ereignisse längst ein beruhigen-
der Schleier gezogen war, nicht dennoch eine vorüber-
gehende Erschütterung in meinem Innern hätte ver-
232 t
^^cM^ew^ innx
m
*y' %.^-etfAe jS'A
M
Ursachen sollen, und weil es so war, so stehe es hier, zur
Steuer der Wahrheit.
Fernando, der junge Offizier, dessen sich die Leser
wohl noch erinnern werden, war indes zum Major im
Generalstab vorgerückt, und befand sich, ohne daß ich
es ahnte — denn ich hatte in Jahren nichts mehr von
ihm gehört und geflissentlich nicht nach ihm gefragt
— bei dem retirierenden Armeekorps, dessen Rückzug
er unter vielen Beschwerden mitgemacht und leiten
geholfen hatte.
Eines Abends trat er plötzlich und völlig unerwartet
bei uns ein. Ich leugne es nicht, daß dies Wiedersehen
mich erschütterte, daß ich einige Minuten bedurfte,
um meine ruhige Fassung zu erhalten; aber es ging.
Das Bewußtsein meines jetzigen* Standpunktes' in einer
glücklichen Ehe und Fernandos feines Gefühl halfen
uns über diesen Moment hinweg. Ich empfing ihn als
einen werten alten Freund und er gab sich auch so. —
Er besuchte uns nun oft, erzählte uns, was er bei dieser
Retraite ausgestanden, erinnerte uns an manches ver-
gangene Ereignis, und wir besuchten ihn wieder im
Hause seines Oheims, des Hofrates, wo er sich aufhielt
und noch eine Weile an den Folgen der Winterkam-
pagne zu leiden hatte. Kurz, das Verhältnis ordnete
sich zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit. Alles
Leidenschaftliche hatte sich läuternd abgesondert und
nur gegenseitige Achtung und Wohlwollen waren zu-
rückgeblieb 3n. Nach dem bald erfolgten Waffenstill-
stand trat er als Obristleutnant aus dem Generalstab
in ein Husarenregiment, produzierte sich in seiner
prächtigen, reich mit Gold besetzten Uniform, und
schied endlich unter herzlichen Freundschaftsbezeu-
gungen und unsern wärmsten Wünschen von uns,
233
Bald darauf verheiratete er sich mit einem sehr jungen
polnischen Fräulein, und hat, so viel ich weiß, in einer
glücklichen Ehe mit ihr gelebt.
So hatte sich denn durch Zeit und veränderte Ver-
hältnisse ein Eindruck wie ein flüchtiger Schatten aus
meinem Gemüte verloren, der durch viele Jahre stark
genug gewesen war, um mir manche trübe und bittere
Stunde zu verursachen, und dessen ehemalige Gewalt
ich erst recht dadurch erkennen konnte, daß sich unter
ganz veränderten Umständen doch die letzten Spuren
desselben bei dem unvermuteten Wiedersehen in mei-
ner Seele regten. ^
Wichtigere und tiefer gehende Gedanken und Sor-
gen bemächtigten sich in dieser Zeit meiner wie aller
Menschen. Die französische Armee stand auf öster-
reichischem Boden und man zitterte in Wien vor den
Ereignissen, die kommen konnten. Viele dachten aber-
mals auf Flucht wie im Jahre 1797, und die Unge-
wißheit und Ratlosigkeit dieser Lage, in der niemand
mit Sicherheit einen Entschluß zu fassen wußte, und
wobei die Einbildungskraft freies Spiel hatte, alle mög-
lichen Gefahren und Unfälle von den noch sehr wilden
repubHkanischen Horden zu fürchten, waren unaus-
sprechlich peinigend.
In diesen drangvollen Umständen ertönte plötzlich
wie eine Stimme vom Himmel die Nachricht, daß der
Erzherzog Karl, der früher schon einmal als Retter
Germaniens*) von der ganzen Welt war erkannt und
verehrt worden, das Kommando wieder übernommen
und sich an die Spitze der Armee gestellt habe^^.
•) Viele werden sich noch der goldenen Kreuze mit der In-
schrift: „Dem Retter Germaniens" erinnern, die man damals trug
und die ihre Stiftung einer Fürstin von Fürstenberg verdankten.
Alles fing an zu hoffen; nicht auf Sieg und Glück,
das war nach der Lage der Dinge nicht möglich; aber
auf Rettung, und diese erfolgte denn auch durch unsers
teuern Helden Karl Vermittlung. Am 27. Dezember
kam er unvermutet in Wien an und brachte selbst die
Nachricht des abgeschlossenen Waffenstillstands^^).
Das Verderben war für diesmal nicht ganz abge-
wendet, aber aufgehalten, und bei der Vorstellung
der mannigfachen Übel, die uns so nahe drohen
konnten, schien schon diese Waffenruhe uns ein
wahres Heil.
Mit lautem Jubel empfing das Volk unsern Retter,
ein freudiger Taumel bemächtigte sich aller Gemüter,
und ihm folgte, wie man sich zu verständigen und zu
, besinnen anfing, die schöne Hoffnung auf den Frie-
den, der denn auch ein paar Monate später zu Lüne-
ville geschlossen wurde. ^
In Wien atmete alles neu auf. Mit der Hoffnung
kehrten Ruhe und Frohsinn wieder, unsere Abend-
unterhaltungen wurden wieder still und genußreich wie
zuvor. Baron Geramb ließ sein Freikorps auseinander
gehen, das ihm indessen den Titel und Rang eines kai-
serlichen Obersten verschafft hatte, und beschäftigte
sich jetzt wieder mit etwas neuem, nämhch ein Gedicht
über die Geschichte des Habsburgischeh Hauses von
irgend jemand verfassen und in alle europäischen Spra-
chen, die türkische nicht ausgenommen, übersetzen,
mit stattlichen Vignetten auszieren, und in einer
Prachtausgabe in FoHo erscheinen zu lassen. Auch
dieses Unternehmen erregte Aufsehen, und wahrschein-
lich war dies ein Hauptzweck des Unternehmers, der
bald nachher durch ein Duell, dessen Kampfplatz der
Ätna oder Vesuv sein sollte, in allen Zeitungen be-
235 .
kannt wurde, und seine unruhige Lebensbahn im
Kloster La Trappe endete^').
Erzherzog Karl, an dem das Volk mit großer Liebe
hing, war im Anfange des Jahres 1801 zum Chef der
ganzen Armee und zum Hofkriegspräsidenten er-
nannt worden. Bald darauf ergriff ihn sein ge-
wohntes Übel mit außerordentlicher Heftigkeit, er
wurde nach Wien und ins Batthyanische Haus in der
, Schenkenstraße gebracht, das von nun an den ganzen
Tag von Haufen Volkes umlagert war, welches Nach-
richten von dem Befinden des aUgeliebten Erzherzogs
zu haben wünschte. Man zitterte allgemein für sein Le-
ben, denn der Anfall war ungewöhnlich stark gewesen,
und tausend Gebete und Wünsche stiegen für ihn zum
Himmel. Endlich erhörte di-^ser unser einstimmiges
Flehen, die Krankheit wich und man durfte mit Zuver-
sicht auf Genesung hoffen '^^.
Auch ich gehörte unter die Zahl seiner wärmsten
Verehrerinnen, obgleich ich ihn nie anders als von wei-
tem gesehen, aber schon seit seiner joyeuse entree in
Brüssel, so viel Edles, Schönes und Großes von ihm ge-
hört und miterlebt hatte, daß in meiner Seele immer
ein Altar für diesen Fürsten stand und noch steht,
auf welchem eine nie verlöschende Flamme der Ver-
ehrung lodert, und mit allem, was ich Edles und Gro-
ßes von ihm vernahm, genährt wird. So war es natür-
lich, daß mein Gefühl der Freude über die Genesung
dieses Helden sich in einem Gedichte ^^^) aussprach, von
dem ich wünschte, daß es vor seine Augen kommen und
ihm zeigen sollte, wie sehr und wie aufrichtig er von dem
Volke geliebt 'werde, das ihm so viel zu verdanken hatte.
Graf Chorinsky, der Gemahl meiner Freundin,
befand sich damals gerade in Wien''"''), er hatte durch
236
einen Verwandten oder durch seine eigene Persönlich
keit, die so äußerst schätzbar war, leichten Zutritt zu
dem Erzherzog, ihn bat ich also, es einzuleiten, daß der
königliche Held das Gedicht bekomme, und in ihm den
Ausdruck nicht bloß nfemer, sondern der Verehrung
des ganzen Volkes lese, daß er aber ja nicht glaube, es
wäre auf ein Ehrengeschenk dabei abgesehen; denn da-
mals und später noch mehr wurde der Erzherzog mit
Dedikationen von Büchern und Lobgedichten, für die
alle ein barer Lohn erwartet wurde, völlig bestürmt,
bis er später dies förmlich verbat und verbot.
Wie ich gewünscht hatte, so ward es mir auch. Gi"af
Chorinsky hatte mit feinem Gefühl sich der Sache an-
genommen, und ich erhielt das, was mir das Liebste
war, ein Handbillett des allverehrten Helden, begleitet
von einem verbindlichen Briefe seines, damals viel ge-
nannten und von der ganzen Welt beachteten Hof-
oder Staatsrates Faßbender *"^).
Das Schreiben des Erzherzogs Karl ist schön an sich
und zu teuer für mich, um ihm nicht einen Platz in
diesen Blättern einzuräumen, die ja doch nur der Er-
zählung der an sich unbedeutenden Begegnisse meines
Lebens für sich, und in Verbindung mit den öffent-
lichen Ereignissen, so wie den Fortschritten auf meiner
schriftstellerischen Laufbahn gewidmet sind.
„Ich bin äußerst gerührt über die schöne und ge-
fällige Art, womit Sie mir Ihre Teilnahme an mei-
ner Genesung bezeugen, und freue mich, daß Wien
eine Dichterin besitzt, die reine Empfindung, leb-
hafte Darstellung und richtige Sprache in so voll-
kommenem Maße verbindet. Sehr willkommen
würde es mir sein, Ihnen etwas Angenehmes zu er-
weisen, so wie ich mit Vergnügen die gegenwärtige
237 .
Gelegenheit nicht unbenutzt lasse, Sie meiner auf-
richtigsten Ergebenheit und ganz vorzüglichen Wert-
schätzung zu versichern, womit ich stets verharre
Ihr aufrichtigst ergebener
23. März 1801. E. Carl."
Ich war ganz glücklich durch diese höchste Huld
und gnädige Anerkennung, und mir schien es, als hätte
ich nun eine Ursache, ja ein Recht mehr, mich der Ver-
ehrung und Bewunderung so vieler fürstlichen, kriege-
rischen und menschlichen Tugenden zu überlassen.
Diese Empfindung strömte auch über in eine Idylle:
die Geretteten*"^, in der ich die gesicherte Ruhe der
Bewohner des Landes unter der Enns, welche sie dem
Helden Karl zu danken hatten, im Vergleich mit den
Schrecken und Leiden schilderte, unter welchen die
vom Feinde besetzten Provinzen seufzten und jene
Ekloge Virgils nachzuahmen suchte, worin der Dichter
den Augustus preiset*"^, der sein (des Dichters) Vater-
land vor ähnlicher Verwüstung schützte.
Die Stelle:
O Meliboee, Deus nobis haec otia fecit. "
Namque erlt ille mihi semper Deus; ...
schien mir recht geeignet, um auf unsern Helden ange-
wendet zu werden, und ich freute mich, ihm wieder
öffentlich meine tiefe Verehrung bezeugen zu können.
Diese Idylle sandte ich dem Staatsrate von Faßben-
der, von dem ich, wie oben gesagt worden, bereits einen
Brief erhalten hatte, und er dankte mir wieder schrift-
lich im Namen seines Herrn.
Der Friede von Lüneville schloß indessen auf kurze
Zeit die Pforten des Janustempels für uns und einen
Teil von Europa, aber das Feuer glimmte unter der
Asche fort, und bei der immer wachsenden Macht
238
Frankreichs und dem Weitergreifen seines kriegslusti-
gen Oberhauptes, das zwar damals noch einen beschei-
deneren Titel trug, war wohl niemand, der ein bißchen
weiter zu sehen vermochte, imstande, sich über die
Gefahr, in der wir alle schwebten, und die prekären
Bedingungen unserer damaligen Ruhe zu täuschen.
Unser Leben ging indes still fort und im ganzen
ziemlich einsam; aber es knüpften sich nach und nach
gesellige Verhältnisse in unserer Nähe an, welche uns
viel Annehmliches versprachen. Die Familie des Hjof-
rats von Kempelen entschloß sich, wohl durch meines
Bruders Zureden vermocht, sich in der Alservorstadt
gegenüber von uns anzusiedeln*^). Zu den früher er-
wähnten Gliedern derselben gehörte nun die wunder-
schöne und sehr interessante Frau des Sohnes*"^). Da
seit langen Jahren, wie der Leser dieser Blätter sich er-
innern wird, eine genaue Freundschaft unsere beiden
Familien verband, so war uns diese Nachbarschaft etwas
sehr Erwünschtes, und wirklich begann auch von die-
sem Punkte an ein angenehmes geselliges Leben für
uns, indem unser Kreis sich nach und nach erweiterte
und durch bedeutende Mitglieder verschönte.
Zwar verloren wir die Familie Wlassics aus unserer.
Nähe, die Glieder derselben zerstreuten sich, wie das
zu gehen pflegt, da- und dorthin; aber durch die Nach-
barschaft des Kempelenschen Hauses ward unser Ver-
lust mehr als ersetzt. Diesen Winter von i8oi auf 1802
wurde auch ein noch sehr junger Mann bei uns durch
Herrn Haschka eingeführt, der eine, besonders in der
Folge zu merkwürdige Erscheinung war, um seiner
nicht hier zu erwähnen. Es war der Verfasser der
Tirolergeschichte, Baron von Hormavr^, ein Jüng-
ling von vielleicht. nicht mehr als zwanzig Jahren, vor
239
welchem aber schon ein bedeutender literarischer Ruf
vorausging, un^ dessen sehr vorteilhaftes Äußeres den
Eindruck angenehm verstärkte, w^elchen jener Ruf ver-
breitete. Damals kam er indessen nur selten zu uns,
und erst eine spätere Epoche brachte uns in nähere Be-
ziehungen.
Um diese Zeit ungefähr, da durch die Unfälle des
Krieges, durch ungünstige Witterung, die Preise der
Lebensmittel sehr gestiegen und viele Menschen in
Wien sowohl als anderswo mit Mangel zu kämpfen hatten,
bildete sich hier aus menschenfreundlichen Männern
ein Verein*®'), an dessen Spitze der verstorbene Fürst
Josef von Schwarzenberg*®®) stand, und dessen Ge-
schäft es ward, auf Mittel zu sinnen, um den untern
Klassen, die damals am meisten litten, zu Hilfe zu
0
kommen. Allerlei ward da erfunden und manches aus-
geführt, was wenigstens eine Zeitlang seiner Bestim-
mung entsprach. Unter diese Hilfsmittel gehörte denn
auch die Rumfordsche Suppe ^^), und einer unserer ge-
nauesten Freunde, Herr von Perger *^*'), dessen lebhafter
Geist sich leicht für alles neue interessierte und dessen
kräftiges Gemüt das Ergriffene mit ungewöhnlicher
Heftigkeit festhielt, war der eifrigste Beförderer dieses
neuen Planes. Ja, er Heß mit großer Uneigennützig-
keit seine eigene Küche zu diesem Behufe einrichten.
Da wurde nun täglich nach der Vorschrift eines Herrn
von Voght*^^) aus Hamburg, der auch in seiner Vater-
stadt ein Beförderer, ja ein Stifter solcher Anstalten
war, Rumfordsche Suppe nach den besten Rezepten
gekocht, und gegen sehr mäßige Preise von zwei bis
drei Kreuzern (Kupfergeld von geringer Valuta) unter
die Armen verteilt. M ehr er e*" junge Beamte von Per-
gers Bekanntschaft, unter ihnen auch mein Bruder,
240
» nahmen wechselweise das Geschäft über sich, bei dieser
Austeilung gegenwärtig zu sein und über dieselbe die
Aufsicht zu führen.
Perger, der uns sonst sehr fleißig, selbst in den
rauhesten Winterabenden, besuchte, ja bei stürmischem
oder schlechtem Wetter fast unser sicherer Gesell-
schafter war, kam nun äußerst selten, und ich schrieb
ihm deswegen eine komische Epistel in Knittelreimen,
welche also begann:
O du, der jetzt mit kräft'ger Brühe
Wiens Leckermäuler täglich speist,
Und weder Ungemach noch Mühe,
Noch Küchenruß und Arbeit scheu' st,
Wenn durch das Lob von tausend Zungen
Dich noch mein Wort erreichen kann,
So neig', o hochberühmter Mann,
Dein Ohr mir wenig Augenblicke,
Und kehre dann ans große Werk zurücke.
Sind denn die stillen Abendstunden,
So manche finstre Regennacht,
Wo doch dein Herz den Weg zu uns gefunden,
Dir ganz aus dem Gemüt verschwunden.''
usw. usw.*^2^
Kurz, ich beklagte mich über seine Vernachlässigung
auf eine lustige Weise. Perger las das Gedicht in einer
Sitzung des Wohltätigkeitsvereins, es erregte Lachen,
und ward, vermutHch durch den Fürsten von Schwar-
zenberg selbst, vor die Augen des Kaisers gebracht,
dem der heitere Scherz gefiel, wie denn überhaupt
alles Gemütliche Anklang in seiner ebenso erhabenen
als einfachen Seele fand.
Aber es schien mir, als verdiene diese Erfindung
der Rumfordschen Suppe, wenigstens für Länder und
16 c. P. I
241
orte, die mit weniger Fruchtbarkeit und Wohlleben als
unser Österreich gesegnet sind, eine ernsthaftere und
würdigere Anerkennung. Dies gab mii die Idee zu der
Idylle: Die Rumfordsche Suppe, die aber vielleicht
nicht halb so viel Aufmerksamkeit erregte als jene ko-
mische Epistel *^^.
Indessen, trotz aller aufrichtigen und edlen Bemü-
hungen jener Herren vom Wohltätigkeitsvereine, ge-
dieh das Suppekochen und Spenden in unserm geseg-
neten Wien, wo damals und noch lange nachher der
Bürgermeister selbst, sehr bedeutsam, Wohlleben*^*)
hieß, nicht recht. Den armem Klassen, so viel sie auch
sonst jammerten und schrien, behagte die Nahrung
eines bloß aus Erdäpfeln, Graupen und Erbsen gekoch-
ten Breies, der nur durch etwas geräuchertes Fleisch
eine Annäherung an eine Fleischspeise erhielt, nicht
lange. Sie holten keine BiUette auf eine oder mehrere
Portionen mehr ab, die man ihnen an Almosen statt
hatte austeilen lassen. Das Kochen der Suppe hörte
auf, und Rumford *i**) mit allen seinen gutgemeinten
Anstalten, seinen gespannten Betten, Brühen, Koch-
öfen usw., die gewiß für ärmere Gegenden wohltätig
gewesen wären, fand keine entsprechende Aufnahme in
dem Lande der Phäaken, wie uns die sehr mäßigen Nord-
deutschen nennen, die sich indes, wenn sie in Wien
sind, unsere Schnitzel und Rostbratel trefflich schmek-
ken lassen, auch ganze Abhandlungen darüber ihren
Reisebüchern einverleiben.
Schon damals also zeigte sich, was die neuere Zeit
noch viel öfter und auffallender ans Licht stellt, daß es,
trotz des Jammerns der niedrigen Klassen, und trotz
der menschenfreundlichen Klagen so vieler .wohl-
tätigen Seelen, welche jenen alles aufs Wort glauben
242
.ijiM
und von Mitgefühl für ihre Not durchdrungen sind,
daß diese Not in den allermeisten Fällen nur eine re-
lative, nicht absolute war. Wäre wirklich Not im all-
gemeinen vorhanden gewesen, wie in der Schweiz und
in Hamburg damals, so hätte die Suppe Abnehmer und
Liebhaber gefunden. Es gehe jemand an Sonntagen
oder Feiertagen ins Lerchenfeld, in den Wurstelprater,
nach Hietzing zum Domayer, nach Tivoli, ins Krapfen-
waldel usw.; kurz, wo möglich an einem Tage an alle
Erlustigungsorte der höheren und besonders der ge-
meinen Klassen, und er wird sie alle zum Erdrücken
voll finden, er wird diese gemeinern Klassen in An-
zügen sehen, die durchaus keine Not auch nur vermuten
lassen. Aber in den Briefen eines Verstorbenen"^
steht eine Stelle, welche, wie mich dünkt, ein helles
Licht auch auf unsere Bevölkerung und ihre Klagen
wirft. Der Verfasser nämlich redet auch von den Klagen
des englischen Volkes, von seiner Unzufriedenheit mit
den Maßregeln der Regierung, besonders von dem un-
gestümen Jammern der Fabriksarbeiter. Aber er setzt
uns sogleich auseinander, daß diese Klassen durch frü-
heren reicheren Erwerb sich an ein solches Wohlleben
gewöhnt haben, daß sie über Mangel und Not schreien,
wenn sie nicht täglich ein- bis zweimal Fleisch und Ku-
chen zum Tee haben können. So weit haben wir es
noch nicht gebracht; denn es ist bei uns nicht so viel
Geld in Umlauf wie in England, ich halte mich aber
für überzeugt, daß die zunehmende Teuerung ebenso
s5hr von dem steigenden Luxus der untern Klassen
als von den erhöhten Steuern, welche die Regierung
auferlegt, herrührt, und daß in den allermeisten FäUen,
wie oben gesagt, von keinem Mangel an eigentlichem
Lebensunterhalt, sondern nur an feinern Lebensgenüs-
16* 243
sen die Rede ist, an welche sich der gemeine Mann im-
mer mehr und mehr hat gewöhnen lernen. Viel hat bei
uns die Zeit der Bänkozettel zu dieser Steigerung der
Genüsse und somit der Bedürfnisse in den arbeitenden
Klassen beigetragen, indem diese im Verhältnis viel besser
daran waren als die kleinern, ja selbst die etwas höhern
Staatsbeamten. Ob nun dies ein Glück für die Nation
zu nennen ist, wie viele Statistiker und Nationalöko-
nomen behaupten, oder ob es zum sittlichen Verderben
führt, wage ich nicht zu entscheiden. Kluge und er-
fahrene Männer stehen auf beiden Seiten und ich denke,
daß noch
sub judice lis est.
Pichler war in diesem Jahre 1802 bei der sogenann-
ten Wohltätigkeitskommission *^^) unter der Leitung des
Grafen Mittrowsky*^') angestellt. Es sollte diese Kom-
mission der immer steigenden Teuerung der not-
wendigsten Bedürfnisse steuern so wie der obener-
wähnte Wohltätigkeitsverein; aber sie erreichten beide
ihren Zweck nur in sehr geringem Maße, weil, wie ich
glaube, in solchen Umständen, welche sich frei und
organisch aus der jedesmaligen Lage der Dinge ent-
wickeln, ebensowenig durch partielle Einwirkung ab-
zuhelfen, als gegen den Strom zu schwimmen ist. Die
Zeitverhältnisse, die langen und unglücklichen Kriege,
die Finanzverwirrungen, die Devaluation des Papier-
geldes aller Art, der steigende Luxus der untern Stände
und einige unfruchtbare Jahre hatten jene Not her-
beigeführt, und ihr zu wehren oder sie aufhören zu
machen, lag außer dem Bereich menschhcher Kräfte.
Teilweise wurde hier und dort nachgeholfen, so z. B.
244
■:i
dem immer fühlbareren Mangel an Brennholz für den
ungeheuren Bedarf der Hauptstadt teils durch vorsich-
tige Vorkehrungen hier auf dem Platze selbst, teils
durch Eröffnung neuer Zuflüsse aus den reichen Wal-
dungen von Unter-, Oberösterreich und Steiermark.
Zu diesen beiden Arten von Tätigkeit verwendete Graf
Mittrowsky meinen Mann. Er mußte im Bureau über
die Austeilung des Holzes an die Parteien wachen und
von Zeit zu Zeit Reisen in die Gebirge unternehmen,
um dort mit Zuziehung der Kreisbeamten, Wasser-
baukundigen, herrschaftlichen Beamten usw. für Fäl-
lung des Holzes in noch unbenutzten Waldungen, Her-
ausschaffung desselben durch Riesen, Wehren, Rechen
usw. und Verführung nach der Hauptstadt zu sorgen.
Diese Reisen wurden noch durch mehrere Jahre fast
jeden Sommer wiederholt und boten uns später die er-
wünschtesten Gelegenheiten, die schönsten Gegenden
dieser Provinzen zu besuchen, uns an ihren malerischen
Ansichten, ihren geschichtlichen Merkwürdigkeiten
zu erfreuen und gaben mir die Veranlassung und Szene-
rie zu manchen meiner Romane und Erzählungen.
Aber noch bedeutender und angenehmer wirkten
diese Dienstverhältnisse auf Pichlers und somit auf
mein Leben ein. Es war damals die Kreishauptmanns-
stelle in Korneuburg nach dem Abgang des Baron von
Lederer erledigt *^^. Pichler bewarb sich mit mehreren
darum — er war nahe daran, sie zu erhalten, das hätte
ihn und mich sehr glücklich gemacht, denn wir liebten
das Land oder das stille Leben in einer kleinen Stadt,
wo wir einen Garten und ein bequemes Wohnhaus ge-
funden hätten. Hier aber erhob sich ein peinlicher
Widerstreit. Meine Mutter erklärte geradezu, sie
würde nicht mit uns ziehen und ihr Haus in Wien nur
245
■•''':■■'%
mit ihrem Tode verlassen. Ich aber zitterte vor dem
Gedanken, die hochbejahrte und fast ihres Augen-
Hchts beraubte Frau allein unter Dienstboten zu
lassen; denn das wußte ich im voraus, daß einen ihrer
Entschlüsse zu beugen oder zu ändern, ein fruchtloses
Unternehmen sein würde. Da half mir Gottes Fügung
durch Graf Mittrowskys Dazwischentreten. |Er erklärte
nämhch, daß er Pichler bei der Kommission nicht ent-
behren könne und verlangte daher und erhielt es auch,
daß er hier in Wien bei der Landesstelle, deren Chef
damals Graf Mittrowsky war, als Regierungsrat ange-
stellt wurde *^^). Nun hatte Gott geholfen. Pichler hatte
eine sehr ehrenvolle Stufe in verhältnismäßig sehr
kurzer Zeit — er war erst sechs Jahre Sekretär gewesen
und erst überhaupt seit 17 — 18 Jahren angestellt —
erstiegen; eine Schnelligkeit der Beförderung, die jetzt
wohl selten einem Bürgerlichen zuteil wird. — Der
Zwiespalt in unserm Hause war geschlichtet, wir blie-
ben hier und bei meiner Mutter, und so löste sich alles
in Freude und Beruhigung auf.
Mein Bruder hatte sein geliebtes Weib verloren,
aber er war ein blühender Mann von 28 — 29 Jahren,
der bereits einen nicht unbedeutenden Posten, als Hof-
konzipist*2°), bekleidete, und der einiges Vermögen be-
saß, welches durch das Gerücht wie gewöhnlich viel
größer ausgeschrien wurde. Es konnte daher nicht feh-
len, daß allerlei Pläne auf seine Hand gemacht wurden,
welche aber meist spurlos von seinem Hetzen abgHtten.
Nur ein Mädchen, die Tochter eines uns weitläufig
verwandten Hauses, gewann ihm durch große Herzens-
güte, noch mehr aber durch die sichtlichen Bemühun-
246
gen ihrer Familie, dieses Band zu knüpfen, und es vor
der Welt als ein schon geknüpftes erscheinen zu lassen,
einige Aufmerksamkeit ab. Sie liebte ihn gewiß sehr
und aufrichtig. — Sei es aber, daß das Bild seiner Ver-
lorenen, die durch ein imposantes und wirklich wür-
diges Äußere, bei einer kühlen und mehr verständigen
als liebevollen Gemütsart ganz das Widerspiel There-
sens*^^) (so hieß jenes Mädchen) gewesen war, ihm zu
lebhaft vorschwebte; sei es, daß eben jene zu auffallen-
den Bemühungen der Familie ihm widersagten : genug,
nachdem einige Monate zwischen Hoffen und Verzagen,
Annähern und Entfernen hingegangen waren, ent-
schloß sich mein Bruder, diese Verbindung, welche
ihm kein Glück, wie er es forderte, zu versprechen
schien, lieber mutig zu brechen, als sich in unbefrie-
digenden Verhältnissen eine Weile hinzuschleppen,
das Mädchen immer tiefer in eine, am Ende hoffnungs-
lose Leidenschaft sich verwickeln zu lassen, und nach
einem halben oder ganzen Jahre doch endUch zu dem
Resultate zu kommen, das jetzt scholl vor ihm lag,
nämlich, daß sie beide nicht für einander paßten.
Mir tat dieser Entschluß sehr weh. Ich war There-
sen herzhch gut und hatte gehofft, an ihr eine liebe-
volle, teilnehmende Verwandte zu erhalten. Auch sie
empfand diesen Riß schmerzlich, sie hatte meinen Bru-
der innig geliebt, wie er es auch in jeder Rücksicht ver-
diente; denn er war unstreitig einer der vorzügHchstqu
Männer, die ich je gekannt, aber in seiner Phantasie,
die nun einmal von dem Bilde seiner Verstorbenen er-
füllt und beherrscht wurde, war Anstand und hohe
Würde im Äußerlichen von dem Ideal eines vollkomme-
nen Frauenzimmers untrennbar, und diese besaß The-
rese, bei vielen andern guten Eigenschaften, nicht. Es
247
-.■■z~yK,^^
war ihr tröstend, daß wenigstens ich mich nicht von
ihr entfernte; wir bheben einander gut, aber ich mußte
es höchlich mißbilligen und widerraten, als sie ein hal-
bes Jahr darnach, vermutlich aus Depit amoureux, den
dringenden Wünschen ihrer spekulierenden Verwand-
ten nachgab und einen reichen, verständigen, aber un-
liebenswürdigen Mann*^^) heiratete, der um dreißig
Jahre älter als sie war. Als ich auf die erhaltene Nach-
richt zu ihr eilte, um, so weit es möghch wäre, ihr von
diesem Schritte abzuraten, fand ich sie mit jugendHch
mädchenhaftem Vergnügen beschäftigt, an ihre Aus-
steuer zu denken und sich der neuen Equipage zu er-
freuen, die ihr vorgeführt werden sollte. — Ich dachte:
the best repenting in a coach of six!
sagte ihr zwar redlich, was ich zu sagen nötig fand,
gab aber gleich jede Hoffnung auf, eine Verbindung zu
hindern, welche von der ganzen Familie heftig ge-
wünscht wurde, und die dennoch, wie ich es vorher-
gesehen, das arme Wesen in eine Kette von Schmer-
zen, Fehltritten und Unglück verwickelte.
Aber dieser Versuch, meinen Bruder zu einer zwei-
ten Heirat zu vermögen, so ungünstig er ausgefallen
war, blieb nicht der einzige. Indessen brachten uns
diese Pläne doch auch manches Angenehme, indem wir
dadurch mit mehreren Familien in nähere Beziehungen
kamen, und überhaupt unser geseUiger Kreis auch durch
andere Mitglieder, die gerade nicht in jener Absicht un-
sere Bekanntschaft suchten, auf recht genügende Art
vermehrt wurde.
Zu diesen muß ich vor allen die FamiHe eines Ma-
jors Baron v. Richler*^^ rechnen, die aus seiner Frau
und ihren beiden unverheirateten Schwestern bestand.
Der Major hatte während des Krieges in Heidelberg
248
Karoline Ungher-Sabatier
Lithographie von J. Kriehuber (1839) — ^- ^' Fidei-Commiß-Bibllothek, Wien
diese, damals noch sehr hübsche, lebhafte und gebildete
Frau geheiratet. Sie war ihm später nach Österreich
gefolgt, und nach dem Tode ihrer kränklichen Mutter
zogen auch die /kreiden Jüngern Schwestern der ver-
heirateten nach. Da sie in derselben Vorstadt wie wir
wohnten, lernten wir sie zu unserm großen Vergnügen
im Kempelenschen Hause kennen, wo mein Bruder sie
zuerst sah und uns auf sie aufmerksam machte. Auch
ein HerrUnger*^^, ein zierlicher Dichter und recht ge-
bildeter Mann, der in unserer Nachbarschaft lebte,
schloß sich unserm Kreis an. Seine Frau, eine geborne
Baronesse Karvinsky, war ihrer Entbindung nahe —
sie baten mich, ihr Kind zur Taufe zu halten, ich tat es
gern; es war ein Mädchen, sie erhielt meinen Namen,
und wurde die berühmte Sängerin Carolina Ungher***).
In dem Hause dieser Heidelbergerinnen machten
wir bald die Bekanntschaft noch anderer, sehr ausge-
zeichneter Personen vom Militärstande — und aus
allen diesen ganz gewöhnHch begonnenen Verbindun-
gen erwuchsen uns treue, lebenslängHche Freunde, die,
so lange sie auf der Erde oder wenigstens in unserer
Nähe weilten, verläßlich und unveränderlich an uns
hingen, und mit welchen, insofern sie noch leben, noch
jetzt warme Bande gegenseitiger Achtung uns verbin-
den. Nebst jenen drei Schwestern muß ich vor allen
den damaligen Hauptmann Baron v. Rothkirch, jetzt
Graf Rothkirch *^) und Feldmarschalleutnant, und das
Haus des Obersten Baron v. Engelhardt*^*) nennen. Seine
Frau, eine der vorzüglichsten ihres Geschlechts, deren
Schwester, und ihre beiden Brüder, alle vier höchst
ausgezeichnete Menschen, trugen sehr viel zur Annehm-
lichkeit unsers kleinen Kreises bei, und noch jetzt ver-
bindet Achtung und gegenseitige Wertschätzung uns
249 ,
mit den noch lebenden, aber entfernten Gliedern dieser
Familie, und macht uns ihr Wiedersehen, wenn es ein-
mal unvermutet stattfindet, zum frohen Feste. Ich
ergreife gern diese Gelegenheit, um allen diesen hoch-
geachteten Freunden, die einen großen Teil meines
Lebensweges mir verschönerten, noch jetzt nach mehr
als dreißig Jahren meinen Dank dafür abzustatten,
und überhaupt jener schönen, an so manchen geistigen
Genüssen reichen Periode ein kleines dankbares Denk-
mal zu errichten.
Unser Haus wurde bald der allgemeine Vereini-
gungspunkt dieses ganzen Kreises, da die andern Fa-
miHen teils durch die Beschaffenheit ihrer kleinern
Wohnungen, teils durch Kränkhchkeiten eines oder
des andern Mitgliedes, teils endlich durch eigenen Ge-
schmack sich nicht dazu geneigt fanden, jeden Abend
zu Hause zu bleiben und Gesellschaft bei sich zu emp-
fangen. Das war aber meine Mutter, sie, welche durch
lange Jahre gewohnt gewesen war, jeden Abend in
ihrem großen und ganz dazu geeigneten Appartement
zahlreiche Gesellschaft sich versammeln zu sehen, und
die es so ganz verstand, durch geist- und sinnvolle Un-
terhaltung, so wie durch Benutzung kleiner gesellschaft-
licher Talente in ihrer nächsten Umgebung, ihren
Abendzirkeln einen lebhaften Reiz zu geben. Ein paar
Jahre her war durch Umstände und hauptsächhch durch
unsere Umsiedlung in die Vorstadt diese Lebensweise
unterbrochen worden, jetzt bot sich die Möglichkeit
wieder dar, da wir Bekanntschaften in unserer Nähe
geschlossen hatten, und nun ward das Haus der Frau
von Greiner wieder der Mittelpunkt eines ziemlich
zahlreichen, gebildeten und freundschafthchen Kreises.'
Wir Jüngern Leute unterhielten uns mit gesellschaft-
250
liehen Spielen, mit Musik, welche manche in dem Kreise
verstanden, wie denn z. B, mein Bruder sehr hübsch
sang, die junge Kempelen und ich Klavier spielten, usw.
Wir arrangierten im Fasching Picknicks, wozu unsere
großen, hohen Zimmer passend waren, und machten im
Sommer gemeinschaftliche Spaziergänge und Land-
partien.
So ging das angenehme Leben ein Jahr oder zwei hin,
als mein guter Bruder plötzlich von rheumatischen
Schmerzen in der Seite befallen wurde, die er anfangs
wenig achtete und durch den Gebrauch der Badner
Bäder zu heilen hoffte. Aber trotz der vorübergehen-
den Linderung, welche ihm diese Kur verschaffte,
stellten sich die Schmerzen wieder ein, und Gott weiß,
weiche sonderbare Ansicht seines damaligen Arztes, des
berühmten Doktors Closet*^'), diesen veranlaßte, mei-
nem Bruder zu raten, alles warme Verhalten, welches
er bisher beobachtet, fahren zu lassen, sich mit kaltem
Wasser zu waschen usw. Mein Bruder befolgte den
Rat dieses sonst sehr erfahrenen Mannes, und nach
einer scheinbaren Besserung von wenigen Tagen stell-
ten sich die Schmerzen in der Hüfte heftiger als je ein.
Sie waren so stark, daß mein Bruder das Bett hüten
mußte, und wie ein Märtyrer Utt. Von diesem Augen-
bHcke an ging sein Übel mit Riesenschritten vorwärts.
In der vielleicht sehr wohlgegründeten Meinung, daß
Closets Ansicht unrichtig gewesen, berief er nun an-
dere Ärzte, und endHch, da aller Kunst hier an einem
unheilbar gewordenen Übel zu schänden wurde, einen
damals sehr jungen, aber seines Scharfblicks und seiner
seltenen Kenntnisse wegen schon sehr ausgezeichneten
Arzt, den Freiherrn v. Türkheim *2^). Er war der Arzt
einer unserer Freundinnen, die ihn meinem Bruder
251
empfahl, ein Mann von seltenem Genie, von unbesieg-
barer Liebe zu seiner Wissenschaft, der er sich, gegen
den Willen seiner Familie, mit beispielloser Anstren-
gung und Aufopferung gewidmet hatte; außer seiner
ärztlichen Laufbahn mit der Literatur und allen schö-
nen Künsten vertraut und über dies alles mit einem
Herzen begabt, das warmen Anteil an den Leidenden
zu nehmen, und denen, welche es einmal seiner Ach-
tung würdig gefunden, durchs ganze Leben unver-
änderlich treu zu bleiben fähig war. Türkheim über-
nahm, durch jene Freundin vermocht, meinen Bruder
als seinen Patienten. Er kam an, verordnete; es besserte
sich nichts; bald darauf erfuhr ich durch eine andere
gemeinschaftliche Bekannte, gegen die er sich offen
geäußert, daß er wenig oder gar keine Hoffnung hege,
meinen Bruder wiederherzustellen. Ich erschrak aufs
heftigste,' indessen schien mir die Sache so unglaublich,
daß eine Krankheit, die höchstens ein schmerzhaftes
chronisches Übel genannt werden kann, einem jungen
Mann von dreißig Jahren, in aller Blüte seiner Kraft
und bei sonst ungeschwächtem Körper tödlich werden
sollte, daß ich mir meine Angst selbst mit allen Ver-
nunftgründen ausredete, und die Äußerung des Arztes,
den ich damals nur wenig kannte, für jenen gewöhn-
lichen Kunstgriff hielt, den Fall für bedenklicher aus-
zugeben, als er wirklich war, um die Ehre der Kur zu
vergrößern.
Täglich versammelte sich nun, so lange der Gesund-
heitszustand meines Bruders noch leidlich war, weil
er es wünschte, und er in dem Umgang mit unserm ge-
bildeten Freundeskreise seine einzige, aber auch recht
tiefgefühlte Freude fand, dieser Kreis in seinem geräu-
migen Zimmer. Wir schwätzten, spielten Karte, an-
2;2
dere kleine Gesellschaftsspiele, die sich sitzend upd ru-
hig spielen ließen, lasen, kurz wir hätten diese Art von
geselligem Leben sehr genußreich nennen können,
wenn nicht die Leiden meines armen Bruders, welche
sich mit jeder Woche vermehrten, und einen immer er-
schreckenderen Charakter annahmen, mir vor allen,
aber auch den übrigen Freunden, welche warmen An-
teil an ihm nahmen, diesen Genuß verbittert hätten.
Bewundernswürdig war die Geduld, ja der Starkmut,
mit dem er selbst, dieser treffliche und von so vielen
Schmerzen gequälte Mann, diese Leiden ertrug.
Mitten in den heftigsten Qualen, wenn seine Gesichts-
züge den Schmerz, den er litt, aufs schrecklichste zeig-
ten, blieb sein Geist ruhig, und unmittelbar nach einem
solchen Sturm, dergleichen sich nur zu oft erneuerten,
kehrten seine Mienen zu ihrer vorigen Ruhe, sein Geist
zu derselben Fassung, ja Heiterkeit . zurück, die uns in
manchen Augenblicken vergessen machten, daß wir um
das Lager eines gefährlich kranken Freundes versammelt
waren.
Nie wird der 30. November im Jahre 1803 aus mei-
nem Gedächtnisse schwinden. Es war der Namenstag
meines Mannes, und der gute Bruder woUte ihn, so
gut er es vermochte, feiern. Aber gerade einen oder
zwei Tage zuvor trat eine große Verschlimmerung in
seinem Zustande ein. Ein Konsilium wurde für nötig
erachtet. Sein Ausspruch lautete erschreckend für
uns; nur der Kränke allein, obwohl völlig bekannt mit
dem Inhalte desselben, blieb ganz ruhig. Die Ärzte
hatten erklärt, das Übel habe sich aufs Rückenmark ge-
worfen. Mein Bruder sah dies als eine Krisis an, die
entweder zur Genesung oder zum Tode, und somit in
jedem Fall zum Ende seiner schweren Leiden führen
253 -
mußte, und zeigte sich gerade an diesem Tage in einer
Ruhe, ja in einer Heiterkeit des Geistes, die uns allen,
welche nach dem Ausspruche der Ärzte nur an einen
von diesen zwei Ausgängen — nämlich an den traurigen
glauben konnten, unendlich schmerzlich war, indem
wir in diesem heldenmütigen Betragen des Kranken
einen neuen Beweis seiner edlen Denkajt und seines
kräftigen Geistes erkannten. Mit frommer Erhebung
wünschte er meinem Manne zu seinem Festtage Glück,
ermahnte uns beide zu unseren gegenseitigen Pflichten,
und sprach von der baldigen Wiedervereinigung mit
seiner Marie, der er in dem Fall, daß er nicht genesen
sollte, mit Freuden entgegen sah.
So verging dieser Tag in schmerzlicher und doch er-
hebender Stimmung; aber ihm folgten bald traurigere.
Das Übel nahm zu, die Kräfte des Kranken schwanden
sichtlich. Seine Geduld, seine Geistesruhe blieben die-
selben, und selbst seine Heiterkeit zeigte sich manch-
mal, wenn an einem Tage, wo die Schmerzen nicht gar
zu heftig waren, die Freunde sich um sein Bett sammel-
ten, und lebhafte Gespräche oder ein gesellschaftliches
Spiel ihn zu zerstreuen fähig war. In den einsameren
Stunden war ich, so viel es meine häuslichen Verrich-
tungen zuließen, bei ihm, ich, las ihm vieles vor, unter
anderm auch Gibbons Geschichte vom Verfall des Rö-
mischen Reiches *2^). Allmählich aber sanken seine Kräfte
so sehr, daß er sich jenes Vergnügen, die Gesellschaft
bei sich zu sehen, versagen mußte, und nur einzelne
durften dann und wann ihn besuchen oder wir spielten
an seinem Bette ein Kartenspiel, und er dirigierte das
meinige, da ich ohnedies jedes solche Spiel sehr schlecht
spielte. Bald war er auch dieser armen Erholung nicht
mehr fähig, und die Lektüre blieb seine einzige Zer-
254
Streuung. Gibbon interessierte ihn' sehr, und mit einer
bewundernswürdigen Aufmerksamkeit und Geiste^-
ruhe ließ er sich von mir die d'Anvilleschen Landkarten
der alten Welt*^**) vor sein Bette bringen, suchte die vor-
kommenden Orte auf denselben, zeigte sie mir, und
ich mag wohl sagen, unterrichtete mich auf seinem
Todbette mit eben der Klarheit und Ruhe der Seele,
mit welcher er früher bei jede;r Gelegenheit gehandelt
hatte. /^
Mich empörte indessen die Art, wie Gibbon sich
über die christliche Religion in jenem, übrigens berühm-
ten Werke äußert, aufs Tiefste, und ich sammelte schon
damals die Ideen, Ansichten und Beweggründe für das
Christentum im Gegensatz des Polytheismus, die ich
später im Agathokles verarbeitete*^^).
Es vergingen zwei und endlich drei Monate auf die-
selbe stille und schmerzliche Art. Mit düsterer Ge-
wißheit sahen wir, wenn wir alles recht erwogen und die
Aussprüche der Ärzte bedachten, dem Augenblicke
entgegen, der dies achtungswürdige Leben endigen,
und einem Geiste, welcher inmitten schmerzlicher Lei-
den alle seine Würde und Kraft bewiesen hatte, die
Freiheit geben würde, sich zu seinem Schöpfer aufzu-
schwingen. Mein Bruder hatte auch mit der Ruhe und
Besonnenheit, als wenn es jemand andern beträfe, alle
Anordnungen für diesen Fall gemacht und mir über-
geben. Ich wußte seine Andenken an seine Freunde,
was ich jedem zu geben, zu senden hatte, die Anord-
nungen über sein Vermögen waren getroffen — ich
zwar zu seiner Erbin ernannt, aber er hatte die Jugend-
freunde, die er in beschränkten Verhältnissen wußte,
so großmütig bedacht, als es der Umfang seines Ver-
mögens erlaubte, und gewiß auch keines von seinen
255 ' ^ '
Dienstleuten vergessen, welches er einer Unterstützung
oder auch nur eines Andenkens wert hielt *^^) . Dennoch,
so nahe mir die Vorstellung seines Verlustes dadurch in
manchen Augenblicken gerückt wurde, war doch die
Hoffnung, diese unermüdliche Gefährtin des Sterb-
lichen, nie ganz in meinem Herzen zu vertilgen, und
wenn wieder, wie öfters geschah, ein paar bessere Tage
eintraten, die Schmerzen ausblieben und sein Geist
sich mit besonderer Heiterkeit erhob, ja dann erhoben
sich auch die Möglichkeiten, daß das Übel von der un-
verdorbenen Körperkraft des jungen Mannes dennoch
besiegt werden, und eine, wenn auch langsame Gene-
sung eintreten könne, wieder in meiner Seele, sie wur-
den zu Wahrscheinlichkeiten, und ich glaubte an das
Glück, den trefflichen Bruder zu behalten. Diese
hellere Aussicht schloß sich indes nach ein paar Tagen
wieder, wie die Schmerzen und übrigen bösen Sym-
ptome wieder eintraten, die Hoffnung wurde aufge-
geben, und dennoch abermals nach einiger Zeit ge-
faßt, um neuerdings verloren zu werden, bis endlich
mit dem Anfange des Märzmonates tägliche Fieber an-
fingen, und sogar mehr als ein Paroxismus in einem
Tage eintrat. Nun ging es mit furchtbarer Schnellig-
keit abwärts — sein Aussehen war auf eine Art verän-
dert, daß, wer ihn lange Zeit nicht gesehen, ihn nur
mit Mühe erkannt haben würde; mir aber schwebt dies
Bild mit allen seinen Schmerzen und den Empfindun-
gen, die es damals in mir erregt, mit allen Szenen, die
dabei vorfielen, nach viel mehr als dreißig Jahren noch
immer hell vor den Augen meines Geistes.
Am 17, März 1804, an einem Sonnabend, machte
endlich der letzte Tod, wie der römische Schrift-
steller sagt:
256
Heinrich Josef Edler von Collin
Jos. Lange pinx., Friedr. John sc. — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
V
Mors non ultima venit, quae rapit ultima mors est — *'^)
nach einem siebenmonatlichen Leiden und langem
Todeskampfe diesem edlen, nur mit Gutem beschäf-
tigten Leben ein Ende. Er fand die Ruhe, die er so
lange schmerzlich entbehrt, und auch ich dachte nun,
nach so manchen Anstrengungen, Sorgen und Kummer,
doch wenigstens einiger Stille zu genießen, in der die
aufgeregten Kräfte, die stürmisch bewegten Empfin-
dungen zur Ruhe gelangen sollten. Aber der lange ge-
tragene und verhaltene Kummer meiner Mutter, der
ihre Ansichten, sei es aus philosophischem Stolz oder
einer andern Regung, nicht erlaubt hatten, die Er-
leichterung einer Klage oder einer freuridschaftlichen
Teilnahme zu suchen, hatte nun, nachdem der letzte
Schlag gefallen war, auch sein Werk in ihr vollendet.
Am Tage, nachdem mein Bruder verschieden war, be-
fiel auch sie ein Unwohlsein, welches sogleich in seinen
ersten Symptomen viel Bedenkliches zeigte. Auch brach
wirklich eine Lungenentzündung aus, die ihr Leben in
Gefahr setzte, und mich nach einem erst so schmerz-
Hchen Verlust in neue Angst und Bekümmernis stürzte.
Baron Türkheim wurde gerufen; denn uns allen hatte
der Tod meines Bruders nicht allein das Vertrauen auf
ihn nicht benommen, sondern sein zweckmäßiges und
teilnehmendes Betragen während dieser langen Zeit
hatte unsere Achtung für ihn noch vermehrt. Er recht-
fertigte dies Zutrauen vollkommen, da er sogleich er-
klärte, obwohl ich es, der gewöhnlichen Erfahrung gemäß,
wünschte, daß der Kranken zur Ader gelassen werde,
dies sei eine Krankheit, welche durch langen Kummer
und Erschöpfung der Kraft erzeugt worden, und daher
durchaus nicht wie eine gewöhnliche Entzündung zu
behandeln. Trotz meiner Achtung für Türkheims
17 c. P. I
^S7
Wissenschaft im allgemeinen, vermochte ich doch meine
Angst nicht ganz zu beschwichtigen-; ich wollte ganz
beruhigt sein, und mit Türkheims Erlaubnis berief ich
den Doktor Closet, der schon früher für wichtigere Fälle
unsere Zuflucht gewesen war, und sein Ausspruch
bestätigte vollkommen das Urteil, welches Türkheim
mit seinem Scharfblick, der ihn vor so vielen Ärzten
auszeichnete, erkannt hatte. Er nannte die Krankheit
eine nervöse Lungenentzündung, und fand bei der vor-
liegenden Ursache derselben und den hohen Jahren der
Patientin eine Aderlaß nicht nur nicht anwendbar,
sondern schädlich.
Wirklich besserte sich meine Mutter zu meiner un-
beschreiblichen Freude bald wieder, die Heftigkeit der
Krankheit brach sich an der zweckmäßigen Behandlung
und ihrer trefflichen Konstitution, und nach drei Wo-
chen vermochte die mehr als sechzig] ährige Frau be-
reits, von uns unterstützt, in ihren Garten zu gehen,
wo denn der eben eintretende Frühling und die ver-
einte Bemühung aller unserer Freunde und Freundin-
nen, die sie fleißig besuchten, ihre Genesung, Erheite-
rung und Beruhigung nach und nach bewirkten.
Es war im Mai dieses Jahres 1804 ungefähr, als uns
durch einen unserer sehr gebildeten Freunde, einen
gewissen Herrn Köderl*^*), der ein sehr geist- und kennt-
nisreicher Mann war, und bei dem Revisionsamte ange-
stellt, sich in Berührung mit den meisten Literatoren
Wiens befand, der nachmalige Professor und Geschicht-
schreiber Schneller*^^) vorgestellt wurde. Damals war
Schneller ein junger Mann von einigen zwanzig Jahren,
hatte wohl noch nicht die Bedeutung und den Ruf,
258
A..'A>--x-,'-m
den ihm später seine Arbeiten wie seine Schicksale
erwarben, aber er war auf jeden Fall eine interessante
Erscheinung, und wurde bald einheimisch in unserm'
Kreise.
Etwa um diese Zeit oder vielleicht etwas früher trat
hier in Wien ein junger Dichter mit einem Trauer-
spiele auf, das bei der ersten Erscheinung im Publikum
die höchste Aufmerksamkeit erregte. Es war der Re-
gulus, und der Ruf dieses Stückes sowohl als der Name
seines Verfassers, des Herrn Heinrich von Collin*^^),
flog bald durch ganz Deutschland, erregte die schönsten
Erwartungen, und in unserm Hause den lebhaften
Wunsch, die Bekanntschaft desselben zu machen, da
es ja von frühen Zeiten her bei uns zur Hausordnung
gehörte, die ausgezeichneten Geister Wiens oder auch
des Auslandes, wenn sie sich hier befanden, um uns
zu versammeln. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht
umhin, die Bemerkung beizufügen, daß, so merkwürdig
solche Männer auch oft als Gelehrte oder Künstler in
der Welt durch ihre Werke erscheinen, nur sehr we-
nige sich im nähern Umgange auch als Menschen ach-
tungs- und liebenswürdig bewährten. Noch weniger
liebenswürdig aber, mit sehr seltenen Ausnahmen,
fand ich von jeher die weiblichen ausgezeichneten Gei-
ster, die f emmes superieures, wie Frau v. Stael sie nannte
und wich ihrer Annäherung immer gern aus, da sie mir
als Frauen im Umgange fast nie zusagten.
Bei unserm Collin hingegen traf zu unserer großen
Freude diese Bemerkung nicht eiif. Ein anspruchs-
loseres, einfacheres, herzlicheres Betragen laßt sich bei
einem so ausgezeichneten Talente kaum denken, und
mit dieser offenen Herzlichkeit verband sich ein gründ-
licher Verstand, eine ausgezeichnete Geschäftskenntnis
17*
259
(er war Beamter und damals Konzipist oder Sekretär
bei der Hofkammer) *^') und hohe klassische Bildung.
So warm und herzlich wir ihm entgegen kamen, ebenso
warm und herzlich wurde diese Empfindung von ihm
erwidert, und ich darf es mit stolzem Gefühle sagen,
der edle CoUin, der in so vieler Hinsicht über seine
Mitbürger hervorragte, war unser aller warmer, treuer
Freund geworden, der meine Mutter, meinen Mann
und mich herzlich achtete, und selbst meine Tochter,
damals ein Kind von 8 — 9 Jahren, mit gütiger Zunei-
gung und oft — denn er hatte nicht die Freude, Vater
zu sein — mit einer Art von liebevoller Wehmut be-
trachtete.
Haschka lebte damals noch, und CoUin, ebenso wie
der früher genannte Baron von Hormayr, schlössen
sich mit Achtung an den gelehrten und viel erfahrnen
alten Herrn, der seinerseits gern jedes junge Talent
aufmunterte und mit Rat und Tat zu unterstützen
liebte. Damals bildete sich gar ein schönes geistiges Le-
ben um uns. Collin, Hormayr, Haschka, Köderl,
Schneller und noch einige andere schriftstellernde Her-
ren besuchten fleißig unser Haus, in welchem sich je-
den Abend auch jene gebildeten Frauen mit ihren Fa-
milien einfanden, deren ich früher erwähnt. Gemein-
schaftliche Lektüre der besten, eben damals erscheinen-
den Stücke von Goethe, Schiller, Werner usw. mit aus-
geteilten Rollen, Musik, gesellschaftliche Spiele, im Fa-
sching auch wohl zuweilen ein Tänzchen, das bei uns
oder einer unserer Freundinnen statthatte, füllten
unsere Abende aufs angenehmste aus. Vor allem aber
war uns eine' Art geistiger Unterhaltung, die wir frei-
lich nur selten genossen, vielleicht mitunter schon des-
wegen, ungemein wert. Es waren die eben damals in
260
Schwung kommenden Deklamationen, das gesteigerte
und mit eigentlich theatralischer Betonung belebte
Hersagen schöner oder bedeutender Gedichte. CoUin
und Hormayr waren es, die uns diesen Genuß kennen
lehrten und verschafften, indem sie manchmal einen
Abend bestimmten, wo sich unser ganzer kleiner Zirkel
bei uns versammelte, und die beiden Herren nun ab-
wechselnd die vorzüglichsten Produkte unserer vater-
ländischen Schriftsteller mit meisterhaftem Ausdrucke'
vortrugen.
Es war ein wunderschöner Sommerabend im August
1804, als eines Abends Schneller einen jungen Dichter,
Herrn Karl Streckfuß **^), auf dessen Bekanntschaft uns
einige in Almanachen und Journalen erschienene, höchst
liebliche Gedichte begierig gemächt hatten, bei uns
einführte. Karl Streckfuß, jetzt preußischer Ober-
regierungsrat, Ordensritter, Lehrer und Freund des
Kronprinzen, Übersetzer des Ariost und Dante, war
damals ein schlanker, hochgewachsener Jüngling von
24 — 25 Jahren, mit blondem Ringelhaar und blauen
Augen, Hofmeister in einem Bankierhause hier in
Wien — eine für uns alle erwünschte, angenehme Er-
scheinung; aber in der Welt noch kaum durch einige
Klänge seiner Leier bekannt. Unserm Kreise wurde
er es bald, wurde es auf der Stelle möchte ich sagen;
denn er gehörte zu den wenigen Menschen (Körner war
ebenso), die uns beim ersten Blick wie befreundet an-
sprechen — jede Spur der Fremdheit abstreifen, und
uns das Bewußtsein geben, als sprächen wir mit einem
alten Bekannten. Vielleicht ist es auch so. — Wer
kennt die Geheimnisse der Geisterwelt und die Bedin-
261
gungen einer vielleicht frühem Existenz unserer Seele,
in welcher sie sich an andere Seelen anzuschließen Ge-
legenheit hatte ? Genug, Streckfuß ward sogleich einer
der Unsrigen. Unter dem Schatten unserer hohen Lin-
denbäume, durch die die Abendsonne schimmerte,
sagte er uns auf unsere Bitten einige seiner Gedichte,
namentlich die Harmonien *^^) her, und wirklich waren
diese Verse Harmonien — und harmonisch fühlten alle
Freundinnen und Freunde, die zugegen waren, sich dem
Sänger verbunden. Was der erste Abend verheißen
hatte, hielt die Folge. Streckfuß wußte durch seine an-
ziehende Persönlichkeit vne durch einen gebildeten Ver-
stand und ein würdiges, höchst rechtliches Betragen,
aller Achtung und Zuneigung zu erwerben, und er
wurde bald meiner Mutter so wert wie meinem kleinen
Mädchen, das mit kindlicher Wärme an ihm hing und
das er sein Bräutchen nannte.
Es ist natürlich, daß der stete Umgang mit Män-
nern vsde Collin, Hormayr, Schneller, Köderl, Streck-
fuß, Rothkirch und andern auf mein Gemüt erregend
und erhebend wirken mußte. Ich hatte früher be-
reits einige Idyllen geschrieben. Haschka, dem ich so
vieles verdanke, was meine literarische Ausbildung ver-
vollkommnete, und bei dem ich mir über meine Ar-
beiten gern Rats holte, hatte mir, mit sehr triftigen
Gründen, vorgeschlagen, den Stoff zu einigen Idyllen
aus der Bibel, das heißt, aus der Zeit der Patriarchen zu
^nehmen, deren Lebensweise den eigentlichen Forde-
rungen der Idylle, wie Haschka meinte, vollkommen
entspräche, indem sie ein ländliches und in seiner Aus-
bildung einfaches Leben mit Wohlstand und Sorglosig-
keit verbunden, darstelle, gleichweit von städtischer
Verfeinerung und bäurischer Roheit entfernt, und
262
durch religiöse Gesinnung und innigen Verkehr mit
Gott dem Gemälde einen eigenen anziehenden Cha-
rakter gebe. Mir leuchtete diese Behauptung sehr ein,
denn fromme Empfindungen und Schilderungen hatten
mir von jeher zugesagt. Ich hatte zufällig damals
Jahns biblische Archäologie**") bekommen; diese stu-
dierte ich, verschaffte mir eine Luthersche Bibel, der
kräftigen Diktion wegen, und wählte mir nun einige
Stücke, die mir zu solcher Bearbeitung am dienlichsten
schienen. Vor allem nahm ich mir vor, das Buch Ruth
auf diese Weise zu behandeln; dann sollten Stücke aus
Abrahams Leben kommen, und recht mit Lust über-
dachte und durchsann ich diese Gegenstände.
Eines Abends, als wir alle wie gewöhnlich beisam-
men waren, und Literatur und Poesie auch wie ge-
wöhnlich den Gegenstand unserer Gespräche ausmach-
ten, äußerte Streckfuß, daß er gesonnen sei, das Buch
Ruth als Idylle oder kleines erzählendes Gedicht zu be-
handeln. [Das klang mir sehr unangenehm; aber ich
schwieg, und vertraute nur meinem Manne, als wir
allein waren, meinen Verdruß, weil ich nun glaubte,
meinen Vorsatz aufgeben zu müssen, denselben Stoff
zu bearbeiten, wie ich mir früher vorgesetzt. Aber
Pichler war nicht dieser Meinung, er brachte diese An-
sicht eines andern Tages in unserm Kreise vor, und
Haschka, Schneller, ja Streckfuß selbst munterten mich
.auf, meinen früher gefaßten Plan nicht aufzugeben,
und die Ruth doch zu bearbeiten, wenngleich ein an-
derer Kämpfer sich in derselben Bahn einfinden sollte.
So Avard denn beschlossen, daß wir beide — Karl
Streckfuß und Karoline Pichler — um dieselbe Palme
laufen und unsern poetischen Wettstreit in herzlicher
Freundschaft beginnen sollten**^). Nun gab das recht
263
köstliche Abende alle Sonntage, wenn wir jedes, was
wir in dieser Woche gearbeitet hatten, vorlasen; es ver-
steht sich, daß der, der weiter gediehen war, und das
war gewöhnlich Streckfuß, nicht weiter las, als der an-
dere, meist ich, gekommen war. Seltsam und für den
kleinen Kreis, der an uns beiden lebhaften Anteil
nahm, anziehend waren dann die Beobachtungen, wie
derselbe Stoff unter zweierlei Bearbeitung etwas so
ganz Verschiedenes wurde, so daß die Ruth von Streck-
fuß in Wendung der Fabel, in Kolorit, Schilderung
der Charaktere, Haltung des Tons usw. sich ganz an-
ders gestaltete als die meinige. Fast möchte ich nach
der jetzigen Klassifikation der poetischen Produkte
sagen, Streckfuß's Ruth war romantisch, die meinige
klassisch. Auf ihn hatte die damals beginnende Zeit-
richtung als auf einen noch sehr jungen Mann mehr ge-
wirkt, so wie denn seine ganze Poesie damals mehr musi-
kalisch als rhetorisch war, und ihm die Sonette **2) ganz
vorzüglich gelangen. Auf mich, die ältere, hatte die
neue Gestalt der Dinge weniger Einfluß gehabt, und
durch eigentlich klassische Literatur gebildet, mit den
Werken römischer und griechischer Schriftsteller (den
erstem in der Ursprache) wohl bekannt, hatte mein Ge-
dicht mehr einen antiken Ton und einen Anklang ho-
merischer Art angenommen. Das sah ich wohl, daß auf
die Damen unseres Kreises die Streckfußsche Bearbei-
tung mehr Eindruck machte, wie ihnen denn überhaupt
die damals moderne Poesie zusagte, und einiges mochte
wohl des jungen, hübschen Dichters Persönlichkeit bei-
tragen. Doch gönnte ich dem Freunde gern diesen
Vorzug, und war — gewiß nicht mit Unrecht, über-
zeugt, wie es auch der Erfolg bewiesen hat, daß auch
meine Bearbeitung ihren Wert habe**^*).
264
_.^^^
fe
B
Julius Schneller
Unsignierte Lithographie — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek Wien
So verging der Winter höchst angenehm und auch
Tanz, Musik und andere gesellschaftliche Freuden ka-
men wieder an die Reihe, es war eine liebliche Zeit!
Im Frühling verließ uns Schneller, der eine Pro-
fessur in Linz erhielt; dafür aber hatte Streckfuß, der
seine Hofmeisterstelle aufgegeben, meine Mutter er-
sucht, ihm eine hübsche, aber von uns nicht gebrauchte
Stube, das Zimmer meines seligen Bruders, das wir
nicht benützten und selten und ungern betraten, zur
Miete zu überlassen. Meine Mutter wiUigte mit
Freuden ein. Sie hätte es ihm am liebsten unentgelt-
lich überlassen; aber dies nahm Streckfuß natürhch
nicht an, und so wurde er denn unser lieber Hausgenosse
und jeden Abend (den Tag über ging er seinen Ge-
schäften oder Arbeiten nach) nebst Karl Kurländer, der
auch bei uns wohnte, unser Gast bei dem mäßigen Sou-
per.
Nachträglich muß ich noch erzählen, was der Fa-
den der Geschichte im Sommer 1804 mich übersprin-
gen machte, daß ein Zufall, ich weiß nicht welcher,
mitunter aber waren es auch Streckfuß lebendige
Schflderungen schöner Gebirgsgegenden, die er uns
mündlich mitteilte, in Pichler und mir den Vorsatz
weckte, eine Gebirgsreise, und zwar nach Maria Zell zu
machen. Pichler hatte in amtlichen Geschäften schon
öfters die Gebirgsgegenden in Österreich ob und unter
der Enns durchstreift. Er kannte die Wege, die Ge-
genden, die Distanzen genau, und so wurde denn be-
schlossen, daß wir uns auf den Weg machen und Maria
Zell besuchen sollten, das, wie Pichler sagte, in einer
sehr mäßigen Entfernung von anderthalb Tagen, bei
trefflichen Straßen und bequemer Unterkunft, große
Schönheiten darbiete.
265 '
Nachdem wir uns hierzu entschlossen, nahm sich
mein Mann vor, noch einen Zweck mit dieser Reise zu
vereinigen und eine ihm sehr teure Schwester, die nur
eine Tagereise noch weiter als Maria Zell in Steiermark
lebte, zu besuchen. Auch dieser Vorschlag ward gern
angenommen; meine Mutter, obwohl damals schqp
hoch in Jahren, erklärte, uns gern begleiten zu wollet,
und so brachen wir denn an einem sehr schönen Au-
gusttage im Sommer 1804, nebst unserm damals sehr
kleinen Lottchen, auf, und fuhren über Mödling und
Heiligenkreuz die etwas unbequemere, aber nach Pich-
lers richtiger Ansicht viel schönere Wallfahrtsstraße
bis LiHenfeld*«).
Nur in meiner Kindheit, beinahe dreißig Jahre frü-
her, hatte ich mit meinen Eltern dieselbe Reise, aber
über St. Polten gemacht, und außer den Leuchtkäfer-
chen, welche auf dem Annaberg, den wir damals abends
erreichten, zu beiden Seiten der Straße in den Gebü-
schen schimmerten, so, daß es mich bedünkte, als sei der
gestirnte Himmel hier auf die Erde gesunken, hatte ich
von jener ersten Fahrt kaum eine Erinnerung behal-
ten***). Daher war mir jetzt alles neu und alles wunder-
schön, und auch die Leuchtwürmchen fanden sich
wieder ein und stickten das Ufer der Traisen, die uns
hier rauschend durch die nächtliche Dunkelheit ent-
gegenströmte, mit hellen grünlichen Funken. Wir
fuhren das Stift, das in großen dunkeln Massen in der
Nacht halb sichtbar dalag, vorüber und zu dem soge-
nannten Steg- Wirtshause, das eine Viertelstunde auf-
wärts vom Stift am ufer des Flusses lag. Freundliche
Menschen, reinliche Zimmer und Betten, eine ein-
fache aber schmackhafte Abendkost fanden wir hier,
und blieben, weil es uns hier so wohl gefiel, auch noch
266
-..ii
den folgenden Tag, gingen in der Gegend spazieren,
weideten uns an dem saftigen Grün der Wiesen und
Wälder, an den tausend Blumen, die hinter jedem
Zaun hervorguckten, und tranken abends im Schim-
mer der sinkenden Sonne im Garten des Wirtes, an
dem die Traisen hinabrauscht, einen deliziösen Kaffee
— lauter Genüsse, die ich in der Stadt entbehren mußte
und die ich allen Freuden des glänzendsten Balles oder
der recherchiertesten Mahlzeiten in den elegantesten
Zimmern vorzog. Mir war köstlich wohl zwischen die-
sen Bergen, an diesem hellen, wilden Waldwasser, un-
ter diesen einfachen Menschen und den Einwirkungen
der großen, freien Natur, die ich recht mit Lust in mein
Innerstes dringen ließ.
Am andern Morgen fuhren wir dem Laufe der Trai-
sen entgegen, tiefer in die immer höher steigenden
Berge hinein. Ein wunderschöner Weg, der bald an
den Seiten der Berge hoch über dem, unter Fichten
und Tannen dahinrauschenden Wasser führte, bald
sich durch enge, wilde Täler schlängelte, zwischen deren
himmelanstrebenden Felsenwänden nur für diesen
Weg und den Strom daneben Raum war; jetzt sich
durch eine schöne, grüne Gegend zog, wo die zurück-
weichenden Berge einen freundlichen Talgrund, mit
ländhchen Hütten besetzt, einschlössen, und danri wie-
der an rauchenden Essen und pochenden Hämmern
und weißbeschäumten Wehren vorbeiging, wo "das
Eisen, welches diese Berge enthalten, zu allerlei, dem Le-
ben unentbehrlichen Gerätschaften verarbeitet wird.
So gelangten wir nach dem freundlichen Türnitz, wo
den Wallfahrtern sogleich Frauen und Männer mit
großen Körben voll niedHch aus verschiedenem Holze
gedrechselter Kleinigkeiten, Heiligenbilder und Rosen-
267
kränze entgegenkommen. Während die Pferde ge-
tränkt werden, kauft man allerlei solcher Spielsachen,
Bilder usw. und dann geht es wieder weiter durch
eben solche Täler, bis dahin, wo der Annaberg mit sei-
nem ganzen mächtigen Umfang alles Weiterkommen,
ausgenommen über seinen Rücken, versperrt. — Be-
troffen blickten wir hinan — da zeigten sich, halb im
Tannenschatten versteckt, ein Kirchlein und ein paar
Häuser auf dem Gipfel des Berges, und dahin richtete
sich nun unser Weg, nachdem wir den Wagen ver-
lassen hatten, von dem man unsere Pferde ausgespannt
und andere, die schon zu diesem Behuf stets hier war-
ten, vorgelegt hatte. Nicht ohne Sorge dachte ich an
die Beschwerlichkeit, jetzt in der Mittagsstunde (es
war elf Uhr) den nicht unbedeutenden Berg hinanzu-
klimmen. Es ging viel besser, als ich gedacht. Bald nah-
men uns Waldesschatten auf, bald ruhten wir an einem
kühlen Quell, und jeder Blick zurück auf die besonnten
Saatfelder, in denen ein frisches Lüftchen wühlte, das
auch unsere erhitzten Wangen fächelte, jedes Ein-
atmen der reinen Bergluft bei kurzem Stillestehn er-
quickte uns so sehr, daß wir nach einer guten Stunde
zwar erhitzt, aber durchaus nicht ermüdet, gerade un-
ter dem heimisch klingenden Mittagsgeläute auf den
kleinen Platz vor der Kirche traten, wo der Brunnen
mit einem quellenden Wasser plätschert und ein ein-
faches, aber reinliches Wirtshaus uns und unsern Tie-
ren Erholung und Labung verhieß.
Seit jenem Male haben wir in den folgenden Jah-
ren diesen Weg noch öfters gemacht, und einmal kam
mir der Wunsch oder ; vielmehr meine Kleine bat
'V',
darum, mir ein Pferd mit jenem bequemen Sattel, der
wie ein kleines Bänkchen gestaltet, eigens für wall-
268
fahrtende Frauen bestimmt ist, zu mieten, und so den
Berg hinan zu reiten. Die Kleine hatte ich auf dem
Schöße, und Pichler, der nicht reiten wollte, folgte zu
Fuß. Da kamen einige junge, wohlgekleidete Männer
in bequemem Fußwandereranzug, ihre Röcke an Stök-
ken über den Schultern tragend, den Berg herab, uns
entgegen. Sie betrachteten uns und lachend riefen sie
mir zu: „Grüß dich Gott, Maria!" und wirklich
mochte der Anbhck einer jungen Frau mit einem Kinde
auf dem Schoß, auf einem Tief, das durch seine Hal-
tung dem Esel vielleicht mehr als einem Pferde glich,
und dem ein Mann, der Vater und Gatte, zu Fuße
folgte — wohl die Vorstellung einer Flucht nach Ägyp-
ten in den Wanderern erregt haben.
Einen hohen Berg hat man erstiegen, aber so wie
man zu dem Brunnen hintritt, erhebt sich vor dem er-
staunten Blick ein noch viel höherer Riese, der mäch-
tige Ötscher, der uns hier mit seiner seitwärts, wie an
einer Männernachtmütze, geneigten Spitze gegenüber
steht. Nun ist man recht in der Gebirgswelt darin, und
immer folgen schönere Naturszenen.
Wir überstiegen nun auch den Joachims- und Jo-
sefsberg; denn alle Bergspitzen tragen hier Namen
aus der heihgen Sippschaft, und der letzte ist der höchste
und schönste. Auf jedem Gipfel dieser Berge stehen
Kapellen, und überall knien betende Wallfahrter und
werden Heiligenbilder u. dgl. zum Verkauf ausgeboten.
Auf der Spitze des Josefsberges findet man seine
Kutsche und Pferde wieder, die Vorspann wird zurück-
gesandt, und nun geht es über noch zwei, aber minder
hohe Berge nach Maria Zell.
Durch Waldesschatten, an rascheii Bächen, in engen
Tälern, neben Eisenwerken führt auch dieser Teil des
269
/
Weges hin, bis sich plötzlich das weite Tal öffnet, in
welchem der Wallfahrtsort liegt.
Jetzt, nach dem großen Brande, der vor mehreren
Jahren den ganz^Ort in Asche legte **^), soll alles ganz
anders sein ; aber wie mich manche Reisende versichern,
zwar stattlicher und moderner, doch bei weitem nicht
mehr so heimlich und ansprechend als ehemals aus-
sehen. Ich bin seit i6, 17 Jahren ungefähr nicht mehr
dort gewesen, und schildere also bloß, wie ich es da-
mals gefunden und e'mpfunden.
Aus engen Wegen, die durch Waldesdunkel und
Felsen führen, kommt man heraus — und nun liegt ein
weites freundliches Tal vor uns, ringsumher von be-
grünten Bergen umschirmt, mit einzelnen Wohnungen
belebt, die hier und dort aus Büschen hervorschauen,
und im Hintergrunde glänzt uns auf der halben Höhe
des Berges die Wallfahrtskirche, das Ziel unserer Wan-
derung, im Abendschein, der an den Türmen spielt,
entgegen. Kann das nicht recht zum Bild der ganzen
Reise dienen ? Mühsam windet sich der Pilger, der Ab-
hilfe seiner geistigen oder körperlichen Schmerzen am
Gnadenorte sucht, durch die engen Wege und beschwer-
lichen Berge wie durch die Leiden, welche ihm Gott
auferlegte, hindurch. — Der letzte Teil der Reise ist
der beschwerlichste, so wie fortwährende Leiden dem
Ermüdeten immer drückender werden. Aber nun hat
er den Gnadenort erreicht, nun weichen die einengen-
den Wälder und Felsen zurück, nun ebnet sich der
Pfad, der vorher mühevoll über Berge führte, Heiter-
keit im weit offenen Talgrund und Ruhe im Gold-
schimmer des Abends empfängt ihn, und der helle
Schein glänzt von der Kirche her, woher er eben seinen
Trost oder seine Heilung zu hoffen hat.
270
Das waren die Empfindungen und Betrachtungen,
die sich in mir regten, während wir auf gutgebahnter
Straß ein den reinhchen, freundHchen Marktflecken
hineinfuhren, und an einem der vielen guten und mit-
unter stattlichen Wirtshäuser stille hielten. Während
dessen war die Sonne längst hinab hinter die hohen
Berge (es war in der ersten Hälfte des August, wo sie
nach 7 Uhr unterzugehen pflegt), die Dämmerung la-
gerte bereits über den fernem tiefern Tälern, nur die
Türme der hochgelegenen Kirche faßten noch die
letzten Strahlen, und als jetzt das Abendgeläute von
ihnen herab zu erklingen begann, um die ganze, nach
den Lasten des Tages in Stille und Frieden daliegende
Gegend zum Gebet aufzufordern, da drängte es auch
uns, in die stille, einsame Kirche einzutreten, die übri-
gens, meinem Geschmack nach, gar nichts Schönes uiid
Erhebendes in ihrem Äußern hat, und wo bloß der kleine
mittlere Turm und ein altes Schnitzwerk über der
ebenfalls alten, laubenähnlichen Pforte an jene längst-
verflossene Zeit erinnert, wo die beiden Fürsten Lud-
wig, König in Ungarn und Heinrich, Markgraf von
Mähren, deren Statuen am Eingang der Kirche stehen,
den Gnadenort entdeckten und begründeten**^). Desto
überraschender und ergreifender wirkte das Innere der
Kirche auf mich. Es war bereits dunkel in dem hohen
geräumigen Gewölbe — nur wenige Beter knieten hier
und da auf den Bänken oder lagen' ausgestreckt auf der
Erde. Aber tiefer darin, dort, wo mitten in der großen
Kirche die kleine Felsenkapelle und in ihr das Bildnis
der heiligen Jungfrau steht — dort strömte ein heller
Lichtglanz aus und wir folgten dem Schimmer, der uns
anzog und leitete. Er kam von diesem Bild oder eigent-
lich von dem ^ hellerleuchteten Altar, dessen Lichter
271
und Lampen sich in dem Glanz des Goldes und Sil-
bers, der ihn schmückte, noch verdoppelten, und um
die Kapelle her standen Engelgestalten aus Silber ge-
formt auf hohen Fußgestellen, deren jede eine Lampe
trug und ihr Licht mit den blendenderen in der Ka-
pelle vereinigten. So strömte also aller Glanz, alle
HerrHchkeit gleichsam von der Hochgebenedeiten aus,
und unwillkürlich ergriff ein erhebendes, andächtiges
Gefühl jedes Herz, das sich hier dem Heiligtum nahte.
Ich habe später die Empfindungen, welche auf
dieser ganzen Reise und in der Kirche selbst mein Herz
beschäftigten, in der Romanze : Maria Zell, welche der
Legende gemäß den Ursprung des Gotteshauses er-
zählt, beschrieben**').
Von Zell fuhren wir dann noch weiter in die Steier-
mark hinein, einen reizenden Weg durchs Mürz- und
Murtal bis Leoben, wo eine Schwester meines Mannes
mit ihrem Gatten, dem Konsistorialkanzler des Bis-
tums, und einer blühenden, recht liebenswürdigen
Tochter von 17 — 18 Jahren lebte. Aufs Liebevollste
empfangen, brachten wir ein paar Tage dort zu und
gewannen diese Nichte so lieb, daß wir beschlossen, die
Eltern zu bitten, sie uns für einige Zeit nach Wien zu
geben, was denn auch im nächsten Winter geschah, und
sehr zu der Annehmlichkeit unsers häuslichen und ge-
selligen Lebens beitrug.
Der Winter von 1804 auf 1805 war auf die oben ge-
schilderte Weise dahin gegangen. Im nächstfolgenden
Sommer führten wir, ebenfalls über Maria Zell, das
uns so sehr angezogen hatte, die gute Nichte, unsere liebe
Charlotte (denn in unserm Hause regierte dieser Name
vor allen, und nebst meiner Mutter, Nichte, Tochter,
hießen ich, Streckfuß und Kurländer, folglich alle Glie-
272
Maria Luigi Carlo Cherubini
Anonymer Stich (Friedrich John?) — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
X
der des Hauses, Pichler allein ausgenommen, nach
einem Namen) wieder zu ihren Eltern zurück, nachdem
sie beinahe ein Jahr mit uns gelebt hatte und uns allen
lieb geworden war. Nun sind nicht allein ihre beiden
Eltern, sondern auch sie bereits lange tot, und nur in
unsern Erinnerungen leben ihre Bilder noch.
Der Herbst von 1805 fing an, sich wieder ernst und
furchtbar zu gestalten. Der Krieg war aufs Neue aus-
gebrochen. Große Zurüstungen wurden gemacht,
aber, was man allgemein gehofft und gewünscht hatte,
geschah nicht. Dem Erzherzog Karl wurde das Kom-
mando nicht übergeben, sondern dem General Mack,
der freilich in frühern Feldzügen sich als einen ver-
dienstvollen Feldherrn bewiesen, dennoch aber in dem,
italienischen Kriege und bei der Annäherung der
Feinde im Jahre 1 797, wo er zur Verteidigung von Wien
gerate:; hatte, der Welt Ursache zu gerechtem Miß-
trauen, nicht sowohl in seine Kenntnisse oder seine
Bravour, als eigentlich in die Klarheit und Unbefangen-
heit seines Geistes, gegeben hatte. Denn seine heftigen
Nerven- und Kopfleiden erregten nicht ohne Grund
die Mutmaßung, daß seiner Ansicht oder seinem Ur-
teil nicht allemal unbedingt zu vertrauen sei, und der
Erfolg hat diese ängstHche Besorgnis nur zu sehr be-
stätigt **8).
Ein abscheuUches Herbstwetter, mit Kälte, Nebel
und unaufhörhchem Regen, der den ausmarschieren-
den Truppen unendlich beschwerHch fiel, war schon
das erste ungünstige Vorzeichen kommender Un-
glücksfälle. Des (damaligen) Kurfürsten von Bayern
Widerspruch, der unsern Truppen, dem Heere seines
Kaisers, den Durchzug durch sein Land weigerte, un-
ter dem Vorwand, daß sein Kurprinz (der jetzige
18 c. P. I
273
König) sich in der Macht der Franzosen, und folgl^^i,
wenn des Vaters Teilnahme an deif : FeindseHgk'eiten
ihnen mißfiele **'), in Gefahr befände, war def.fweite
Schlag, und mit ängstlich besorgtem Gemüte bHcktö
man einer Zukunft und der Entscheidung eines Feld-
zuges entgegen, welcher schon unter so ungünstigen
Umständen begann.
Napoleon hatte indessen schnell das Lager bei Bou-
logne aufgehoben, und seine Armee marschierte mit
Sturmeseile nach Deutschland. Es fand die Affäre bei
Ulm statt, Mack ergab sich mit der ganzen Armee *^°),
das Kavalleriekorps ausgenommen, mit welchem sich
der Erzherzog Ferdinand *^^) mitten durch die franzö-
sische Armee durchschlug, und nun war das Unglück
des Feldzugs und Österreichs entschieden. Die Reste
unserer Armee, die noch nicht ganz hinausgelangt
waren, zogen sich mit der größten Schnelligkeit zurück,
verfolgt von dem siegreichen, ungestüm nachsetzen-
den Feind; denn was unsere Armee getan hatte, um
Bayerns späterklärte Neutralität zu respektieren, taten
die Preußen nicht oder Napoleon achtete nicht darauf,
und so durchzog seine Armee das Anspachische Gebiet
und drang bis nach Österreich, bis Krems, wo der
wackere General Schmidt ihnen noch mit der letzten
Kraft tapfern Widerstand leistete und seinen Helden-
mut mit seinem Tode besiegelte*^*).
Mit Angst, mit bangem Zweifel und peinlicher Er-
wartung sah die Bevölkerung der Hauptstadt der An-
näherung der Feinde entgegen. Wieder wie 1797 wog-
ten die Gemüter im Sturme der Empfindungen auf
und ab. — Dableiben oder flüchten ? nach Böhmen
oder Ungarn ? auf wie lange ? mit welchen Mitteln ?
welche Vorkehrungen hier zu treffen ? Vergraben der
274
Habseligkeiten ? Absendung des Kostbarsten nach
Ungarn ? das waren die ängstlichen Fragen und Zwei-
fel, welche sich der meisten Geister mit unwidersteh-
licher Gewalt bemeistert hatten, und sie wie auf em-
pörten Wogen herum und oft gerade zum Wider-
sinnigsten trieben, das sie dann mit Hast ergriffen und
zu ihrem Schaden durchsetzten*^^).
Von Tag zu Tage, ja von Stunde zu Stunde liefen
beunruhigende Nachrichten ein, und im steten Hin-
und Herschwanken zwischen Gehen und Bleiben und
allen oft widersprechenden Maßregeln, die man zu
treffen dachte, vergingen einige höchst bange Tage.
Wir teilten indes diese große Unruhe nicht ganz, durch
Erfahrungen anderer, besonders sogenannter Reichs-
glieder, belehrt, und durch eigene Überlegung hatten
meine Mutter und wir bald die Überzeugung gewon-
nen, daß, selbst bei einer wirklichen Invasion des Fein-
des, da zu bleiben, wo unsere Häuser, unser ganzes Hab
und Gut gelegen ist, gewiß das Sicherste und Rätlichste
sei. Wir hatten also unsern Entschluß gefaßt und ließen
nun mit Ergebung in den Willen der Vorsicht über
uns kommen, was kommen sollte, fest überzeugt, wie
es denn auch der Erfolg bewies, daß jene, welche sich
von Wien entfernten, ohne durch ihre Dienst- oder an-
dere Verhältnisse dazu bestimmt zu sein, gewiß ein
schlimmeres Los erwählt hatten.
Es wurden also einige Vorräte angeschafft, mit Mö-
beln und Zimmern die nötige Einrichtung getroffen,
um die ungebetenen Gäste aufzunehmen und bewirten
zu können, und so vernahmen wir nach und nach mit
Bangigkeit, aber ohne eigentlichen Schrecken, wie das
gefürchtete Ungetüm des feindlichen Heeres sich uns
immer näher wälzte. An eine Verteidigung der Stadt
i8*
275
wurde damals nicht gedacht, und nur der Übergang
über die Donau sollte durch Abbrennen der Brücken
dem Feinde erschwert werden; dazu war, durch An-
häufung brennbaren Stoffes auf denselben, alle An-
stalt getroffen worden, und Fürst Auersperg war mit
Vollziehung dieser Maßregel beauftragt*^). Der Hof
und die Dikasterien hatten die Stadt bereits verlassen
und sich nach Ungarn begeben. Es lagen nur wenige
Truppen mehr in Wien, und diese wenigen waren mit
jeder Minute des Befehls zum Aufbruch gewärtig. Die
Familie Richler lebte seit einiger Zeit in der Kaserne
derAlservorstadt*^^, nicht weit von uns, wo der Major
das vierte Bataillon organisierte. Da aber, so wie dies
den Befehl zum Ausmarsch erhalten würde, die Frauen
keinen Augenblick länger in der Kaserne hätten bleiben
können, welche sogleich von den feindlichen Truppen
besetzt werden mußte, hatten diese sich eine Woh-
nung in der Nähe gemietet und nach und nach alle
Möbel, bis auf die allerunentbehrHchsten, dorthin brin-
gen lassen. Sie selbst aber wollten den Gemahl und
Schwager in diesem verhängnisvollen Momente nicht
verlassen, und wir übrigen wünschten denn auch die
Abende in dem gewohnten Kreise zuzubringen, und in
so kritischen Tagen, wo jedes sich nach Mitteilung und
Freundestrost sehnt, des Umgangs der werten Freunde
nicht zu entbehren. Da also Richler die Kaserne nicht
verließen, so brachten wir die Abende, auf Koffern und
Packkörben sitzend oder auf einigen Stühlen, die jede
Familie sich von ihren Bedienten nachtragen ließ, bei
ihnen zu, und gerade dies Zigeunerartige, Seltsame un-
seres Beisammenseins würzte die Abendunterhaltungen.
Damals auch trat Herr von Weingarten*^^), der sich
späterhin in unsern geselligen Kreisen und in der litera-
276
rischen Welt als ein zierlicher Dichter zeigte, mancher-
lei Aufmerksamkeit erregte, und vor ein paar Jahren
als Major in einem traurigen Zustande starb, als ein
Jüngling von 17 — 18 Jahren ins Mihtär, und zwar
in dem vierten Bataillon des Baron Richler ein, und
niemand von uns ahnte die Auszeichnungen, die ihm
einst von geistreichen Damen werden sollten.
Indessen waren die Feinde der Stadt ganz nahe ge-
kommen. Die Truppen erhielten Befehl, schleunig
auszumarschieren — der Augenblick der Trennung war
da — das Bataillon und alles, was sonst noch von Mili-
tär in Wien lag, eilte über die Brücken hinüber aufs
andere Ufer; dem anrückenden Kaiser der Franzosen
wurde eine Deputation des Magistrates und der Bür-
gerschaft entgegengeschickt (ich glaube bis Siegharts-
kirchen) und ihm die Schlüssel der Stadt und diese selbst
seinem Schutze übergeben*"). Am 14. November, dem
Vorabende des Schutzheiligen unsers Landes, rückten
— ein bitteres Zusammentreffen! -^ die Feinde in die
Stadt ei^ und eilten sogleich durch und um dieselbe
an den Strom.
Hier, glaubte man allgemein, würden sie durch
die Vernichtung der Brücken sich aufgehalten finden,
und dieses Hindernis, indem es ihren Zorn reizte,
könnte vielleicht stürmische Auftritte wenigstens in
jenen Teilen der Vorstädte veranlassen, welche der
Donau zunächst lagen. — Ach! es lief alles ganz und gar '
anders und sehr friedlich ab, denn die Brücke blieb
stehen! Ein Faktum, das man schwer begreifen kann,
das aber leider doch wahr war. Fürst Auersperg hatte
sich . unbegreiflicherweise vom General Murat (König
von Neapel) täuschen lassen, als wäre das Nichtabbren-
nen der Brücke in den Bedingungen der Übergabe der
\
Stadt mit eingeschlossen gewesen. Der Fürst nahm das
Wort des feindhchen Befehlshabers als unbezweifel-
bare Wahrheit an *^*) ; die französische Armee eilte mit
Sturm^bsschnelligkeit auf das andere Ufer, und alle
Familien, welche teure Angehörige unter den zuletzt
entfernten Truppen hatten, zitterten mit Recht für
diese, deren Gefangenschaft und vielleicht üble Be-
handlung sie bei der damaligen Sitte oder Unsitte der
noch halbrepublikanischen Armee fürchteten. Einige
Tage vergingen, während welcher die Feinde in Wien
einrückten, sich in der Stadt und den Vorstädten aus-
breiteten, und dann erst vernahm man, daß die zuletzt
ausgerückten österreichischen Truppen in Sicherheit
waren.
Es war Abend, der 15. November, eine heitere, kalte
Winternacht, als man uns, wie wir im kleinen Freundes-
kreise beisammen saßen, die erste französische Einquar-
tierung meldete. Alles stand für ihre Ankunft vorbe-
reitet, meine Mutter schickte mich hinab, sie an der
Tür zu empfangen. Unwillkürlich schüttelte mich ein
krampfhafter Schauer — es war nicht Furcht, denn was
hätte ich im menschenvollen Hause, wo sich viele
Männer befanden, von ihnen zu besorgen gehabt ? es
war die Vorstellung dieser schmerzlichen Lage, die
Demütigung meines Patriotismus, das gehässige Gefühl
gegen diese Übermütigen, die nun den Fuß auf unsern
Nacken setzen durften! Zwei Offiziere, Männer von
mittleren Jahren, deren einer Derüe, der andere Tr?m-
h\y hieß, jener Kapitän, dieser Major war, von ihren
Bedienten begleitet, welche vor der Türe die Pferde
hielten, standen vor mir. Ich begrüßte sie französisch
und bemerkte sogleich, wie der heimatliche Klang
günstig auf sie wirkte. Sie benahmen sich artig, der
278
Major sogar mit Feinheit, und so lief denn die erste
Bewillkommnung ziemlich gut ab. Beim Nachtessen
erschienen die Offiziere, ein nicht unangenehmes, recht
lebhaftes Gespräch entspann sich. Sie kamen unmittel-
bar von Boulogne nach Deutschland in Eilmärschen
und hatten kaum die nötige Wäsche und Fußbeklei-
dung, weil alles auf dem forzierten Marsche zugrunde
gegangen war. Derüe, ein Fünfziger, wahrscheinlich
von gemeiner Abkunft, war mit Leib und Seele Re-
publikaner. Der gebildetere Major schien heller zu
sehen. Jener nannte, als die Rede auf Napoleon kam,
ihn : notre premier magistrat. — ■ II a au moins de heiles
gages! erwiederte der Major.
So hatten wir denn das Schmerzliche erlebt ! Unsere
Residenzstadt, der Wohnort der Kaiser, der zweimal
den Angriffen der Türken widerstanden hatte, war in
die Macht eines fremden Volkes gefallen, und diese
Blauen, die Kinder einer Nation, gegen welche ich von
Kindheit an stets eine fast angeborene Abneigung emp-
funden hatte, waren nun unsere Sieger und Herren!
Als ich ein paar Tage darauf in die Stadt kam — wie
bitter war milr dieser Anblick! Zwar an .den Stadt-
toren stand kein französisches Militär, die Wachtposten
hier so wie überall waren dem Bürgerkorps, unserer
Nationalwache, übergeben; aber diese verhaßten Blauen
schwärmten überall herum, und — ich muß es beken-
nen, wenn man es an einer Frau auch tadelnswert
finden würde, der Wunsch des Kaisers Nero, daß sie
doch alle nur einen Hals haben und ich ihnen den ab-
schlagen könnte, stieg in mir auf. Ich haßte sie aufs
Bitterste. Man erzählte dann später, daß es sie sehr be-
fremdet und ihnen zugleich imponiert habe, zu sehen,
wie an dem Tage ihres Einmarsches, am 14., kein
279
--> ^iv^yvi^^-^
Kaufladen geschlossen, die Bürgerwachen überall auf
ihrem Posten waren und die Einwohnerschaft still und
gemessen, höchstens von Neugier sichtlich bewegt, dem
Durchmarsch des fremden Heeres wie einem Spektakel
zusah *5').
Unsere Einquartierten verließen uns nach einigen
Tagen um, au delä du Danube, das heißt, nach Mäh-
ren zu eilen; denn bei der wirklich unbegreiflichen U[n-'
bekanntschaft der damaligen Franzosen mit der Geogra-
phie fremder Länder hieß ihnen Korneuburg u'^d
Brunn, der Manhartsberg und das Riesengebirge bloß
au delä du Danube. Es kamen nun, andere Truppen,
und in unsere Vorstadt ein holländisches Regiment,
dessen Oberster, mit Namen Bruce **"), bei uns einquar-
tiert wurde. Nichts war auffallender als der Kontrast
der französischen und holländischen Gestalten, so wie
das Benehmen der Franzosen und Holländer selbst.
Jene leichten, schlanken, dunklen Männer, mit dunklen,
lebhaften Augen und sprechenden Zügen, wenn gleich
das, was diese ^ Züge aussprachen, nicht immer etwas
Gutes oder Vertrauenerweckendes war, hatten großen,
starken Figuren mit blonden Haaren Platz gemacht,
deren Ehrlichkeit und Phlegma, Wohlsein und Arg-
losigkeit aus den freundlichen Augen und den blühen-
den Gesichtern schaute. Wir waren wohl mit dem
Tausche zufrieden, und hatten an dem Obersten einen
bescheidenen, ruhigen Hausgenossen und einen höchst
gebildeten und artigen Gast bei Tische und in unserm
Abendkreise gewonnen. Von ihm erfuhren wir, daß
seine Famihe ein Zweig des ehemaligen schottischen
Königshauses war, der sich — per varios casus — in
Holland, zu Leyden, niedergelassen; daß aber fort-
während ein Zusammenhang zwischen ihnen und den
280
\
Girolamo Crescentini
Stich von Friedrich John — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
\
Bruces in Schottland erhalten und jede Geburt eines
Knaben dort gemeldet werden müsse. Wie oft sprach
der rechtliche, teilnehmende Mann über die Zeitum-
stände offen mit uns, und über den Druck, den er wil-
lenlos über ein fremdes Land bringen helfen müsse, in-
des daheim in Holland derselbe Druck auf ihm und den
Seinigen laste !
Gegen drei Wochen erfreuten wir uns seiner ange-
nehmen Gesellschaft, während seine Leute mit großer
Bonhomie und' FreundHchkeit unsern Dienstleuten
überall hilfreich an die Hand gingen. Endlich mußte
auch er uns verlassen, die Schlacht* von Austerlitz
wurde inzwischen geschlagen, das Schicksal des Krieges
und somit das unsers Vaterlandes war entschieden *^^) —
Tirol, das edle, treue Land, schnöde abgerissen und an
Bayern, zum Lohne der Abtrünnigkeit, womit das
Münchner Kabinett den Fürsten Schwarzenberg *'2),
der an dasselbe gesendet worden war, hingehalten, und
den Truppen unsers Kaisers, des damaligen Reichs-
oberhauptes,'den Durchzug verwehrt hatte, hingege-
ben.
Wohl erinnere i^h mich noch mit bitterm und weh-
mütigem Gefühl jener für Österreich und somit für
uns alle höchst traurigen Epoche. Es war an dem Tage,
als die Nachricht von jener Unglücksschlacht (bei
Austerlitz) in Wien bekannt wurde, daß ich zu einer
Freundin (eben jener Therese V. d. N., die einst mei-
nes Bruders Frau hätte werden sollen) gebeten war, um
mit zwei merkwürdigen Männern jener Zeit, mit dem
Tonsetzer Cherubini und dem lieblichen Sänger des
Romeo, Crescentini, bei ihr zu speisen. Die trübe
Nachricht, welche sich allmählich in der Stadt ver-
breitete, verbitterte uns zwar alles Vergnügen einer
281
geistreichen Unterhaltung, dennoch blieb mir die Er-
innerung an die Persönlichkeit und das Betragen dieser
beiden merkwürdigen Künstler lebhaft eingeprägt und
sehr wert. ^
Cherubini *^3) war ein junger Mann von etwa dreißig
Jahren. Ein feiner Wuchs von mittlerer Größe und
geistreiche Züge, welche den Italiener kenntlich mach-
ten, zeichneten sein Äußeres vorteilhaft aus. Im Ge-
spräche zeigte er Verstand und Bildung — mehr, wie
gewöhnlich Kompositoren besitzen. Er erzählte uns
viel von der Schreckenszeit in Frankreich, die er als sehr
junger Mensch mit erlebt, und in allem, was und
wie er es sagte, zeigte sich ein richtiger Verstand und
feines Gefühl, Aber viel mehr und tiefer fühlte ich
mich von Crescentinis ***) Wesen angesprochen. Auch
sein Äußeres war vorteilhaft; etwas größer und bedeu-
terid stärker als Cherubini, sprach sich in allem, was
und wie er es sagte, ein zartes Gefühl und ein tiefes
Gemüt aus, dem ein Anstrich von Melancholie,
welche über sein ganzes Wesen verbreitet war, noch
mehr Reiz erteilte. Mit warmer Teilnahme äußerte
er sich über das Unglück, welches Österreich bereits
getroffen hatte und uns noch bevorstand, und wenn
uns Cherubini nur als ein feinfühlender Mensch von
der feindlichen Partei schonend und billig gegenüber
stand, so schien Crescentini unsere Sache zu der seini-
gen gemacht zu haben, und mit uns tief und schmerz-
X" lieh zu fühlen. Das gewann ihm denn ganz meine
Dankbarkeit, und noch jetzt denke ich, nach dreißig
langen Jahren, mit Vergnügen jener beiden interessan-
ten Bekanntschaften.
Die Einquartierungen wechselten nun öfters in un-
serm Hause, in welches man, so wie überhaupt in die
282
benachbarten Häuser, gern die Rekonvaleszenten ver-
legte, welche in den Affären verwundet, im nahen
Spital geheilt, und nun zu besserer Pflege Bei den Ein-
wohnern einquartiert wurden — ein Verfah,ren, wel-
ches man auch im Jahre 1809 beobachtete. Nur einer
von diesen Blessierten, ein Stabsoffizier, Guy *'^) mit
Namen, zeichnete sich unter den übrigen durch ein
feineres Betragen aus, und wurde denn auch wie der
holländische Oberst in unsern Abendzirkeln einhei-
misch. Er war jung, wohlgebildet, artig; seine Verwun-
dung am Arme, die ihm fremde Gefälligkeit notwendig
machte, und ein etwas düsterer Sinn, gaben ihm in
den Augen unserer jungen Damen einen höheren Wert,
und besonders zeichnete ihn eine unter uns, die selbst
durch Schönheit und Geist vor allen strahlte, Frau von
Kempelen, beifällig aus, indes zu gleicher Zeit unser
Freund und Hausgenosse Streckfuß ebenfalls von ihr
angezogen wurde.
Ich besaß ein seltenes, aber sehr vorzügliches In-
strument, organisiertes Fortepiano genannt, das zu-
gleich Klavier und Positiv war, und das man auf jede
dieser Arten einzeln oder auch zusammen benützen
konnte, was denn einen sehr angenehmen Effekt
machte, wenn der melodische Hauch der Orgelpfeifen
sich mit den Saitenklängen des Fortepiano verband.
Frau von Kempelen, die Gemahlin des Sohns jener al-
ten Freunde unsers Hauses, welche schon lange in un-
serer Nähe lebten, spielte sehr schön Klavier; Streck-
fuß sang angenehm, noch einige MitgHeder unseres
Kreises und ich selbst waren musikalisch, es wurde also
abends die Zeit sehr oft mit Musik verkürzt; denn da-
mals waren die Forderungen an die Leistungen der
Dilettanten nicht so hoch gespannt als jetzt, und man
283
konnte sich mit Beifall unter seinen Freunden hören
lassen, wenn man auch nicht imstande war, eine Bra-
vourarie zu singen oder sich im Theater auf dem Forte-
piano zu produzieren. Unser Franzose liebte Musik,
er forderte uns oft auf, welche zu machen, und mancher
Faden mag sich damals aus den Augen der schönen Frau
und aus ihren Tönen um sein Herz geschlungen haben.
Doch der Friede wurde in Preßburg geschlossen *^^ —
die feindlichen Truppen bekamen Befehl, aufzubre-
chen — und eines Morgens war auf den Theater-
affichen (vielleicht nur aus Zufall) eben der Tag der
Erlösung! von Ziegler *^^) angekündigt, wo denn auch
die Last der feindlichen Besatzung von uns ge-
nommen ward.
Allmählich kehrte wieder alles in sein gewohntes
Geleise zurück. Im Jänner des Jahres 1806 kain der
Hof aus Ungarn zurück und der Kaiser hielt einen
feierlichen Einzug in die wieder gewonnene Stadt. Die
Bürgerkorps, alle diejenigen, welche sich während der
feindlichen Besitznahme als unsere natürlichen Be-
schützer erwiesen hatten, genossen auch der Ehre, den
Monarchen zu empfangen. Ihre zahlreichen Scharen
waren bis in die Leopoldstadt aufgestellt, und ein herz-
liches und lautes Jubelgeschrei verkündete und beglei-
tete den Einzug des Monarchen, dessen erster Weg
nach der St. Stephanskirche zum Tedeum war. Es war
ein schöner Tag — dieser Tag der feierlichen Rück-
kehr! *^^) — Meinem Gefühle nach wurde er von einem
ähnlichen, aber viel merkwürdigem, am 27. November
1809 weit übertroffen. Doch davon später. — Unser
Leben gestaltete sich, seit die Feinde entfernt waren.
284
äi^Ji^xMi
wieder auf seine gewohnte Weise, aber im Innern eini-
ger.; Gemüter waren bedeutende i Veränderungen vor-
gegangen, toie Neigung, w^elche Frau v. K. zuerst für
unsern liebenswürdigen Dichter gefühlt, hatte ant-
worteiid^ Flammen in seiner Brust entzündet. Zu
seinem und ihrem Glücke^ hatte diese Leidenschaft
seine klare Besonnenheit und den redlichen Ernst sei-
ner Gesinnung nicht überwältigen können. Er emp-
fand die Gefahr, die ihm und ihr drohte, er ehrte ihr /
häusliches Glück, ihren Ruf, und er beschloß, sich los-
zureißen, Wien zu verlassen und nach seiner Vater-
stadt Zeitz zurückzukehren. Wer den jungen Mann
so kannte wie ich und einige wenige in unserm Kreise,
wer wußte, wie angenehm er hier in der großen Stadt
in mannigfachen geselHgen und literarischen Bezie-
hungen, geliebt und geachtet von allen, die ihn kann-
ten, so recht nach seinem Sinn gelebt hatte, der konnte
die Größe des Opfers, das er dem anerkannt Rechten
brachte, ermessen. Freilich, nach der damals begin-
nenden und jetzt allgemein gewordenen Mode war es
nicht. Dann hätte er bleiben, die unüberwindliche
Leidenschaft hegen und pflegen, Szenen veranlassen,
die Ehe zerreißen- machen, und vielleicht am Ende
durch einen Selbst- oder Wechselmord das moderne
Trauerspiel beschließen sollen. Davon tat nun freihch
Streckfuß nichts ; — aber er handelte als rechtlicher
Mensch.
Uns übrigen tat sein Entschluß sehr wehe. Wir
hatten uns mit Liebe an ihn gewöhnt; wir hatten ge-
hofft, er sollte hier in Wien sich mit seinen bedeutenden
Talenten eine ehrenvolle Bahn eröffnen, wie er es
später in Dresden und BerHn wirkHch getan, und auf
diese Weise bei seinen hiesigen Ffeunden bleiben.
^
Aber keines von uns konnte ihm seinen Entschluß ver-
denken, wir mußten ihn darum nur höher achten, und
so sahen wir denn mit schmerzlichem Vorgefühl der
nahen Abreise des werten Freundes still gefaßt ent-
gegen.
Es war der ii. April 1806, ein Freitag. Ich weiß
es noch, als wäre es gestern gewesen, da saßen wir alle,
die Freundinnen, welche uns täghch besuchten, und
ich um meine Mutter her, neben deren Kanapee
Streckfuß seinen gewöhnlichen Platz einnahm, in stil-
ler, banger Erwartung des kommenden Augenblicks,
der uns, wie wir nicht mit Unrecht dachten, den Freund
für immer zu entziehen bestimmt war. Es schlug
7 Uhr — da sprang Streckfuß auf — umarmte uns
alle mit einzelnen Lauten von Lebewohl — und ver-
schwand. Erst acht Jahre darauf sahen wir ihn ganz
unvermutet im Kongreßwinter wieder**^).
In unserm Kreise war nun eine große Lücke gelassen.
Sie hat sich auf diese Art, in diesem Sinne nie mehr
ausgefüllt, wie denn kein Mensch, und wäre er auch
nicht so ausgezeichnet wie Streckfuß, je ganz durch
einen andern ersetzt wird. Dieser Rempla9ant kann
manche bessere, angenehmere Eigenschaften haben,
der Abgegangene ist er doch nicht. Hier fehlt etwas
— dort ist etwas zu viel. Das merkt man im Anfange
gleich und oft schmerzlich. Nach und nach gewöhnt
man sich an diese neue Persönlichkeit, und beruhigt
sich über das, was nicht mehr so ist wie das früher Da-
gewesene. Ist aber der Entrissene ein Ausgezeichneter,
sind uns seine trefflichen Eigenschaften im nähern
Umgange recht klar geworden, haben wir uns mit
Liebe an ihn gewöhnt, und sind wir versichert, daß
auch er uns liebevoll in sein Herz geschlossen, dann
286
'LM
handelt es sich beim Verluste nicht um die oder jene
einzelne Eigenschaft, die der Freund besaß und die wir
fortwährend vermissen, sondern die Lücke bleibt ganz
unausfüllbar, und nach dreißig Jahren lebt in dem
Entfernten wie in dem Zurückgebliebenen noch die-
selbe Überzeugung wie dieselbe Freundschaft fort.
Mein Mann hatte durch die Art seiner Geschäfte
öfters Veranlassung, kleine Reisen in den Gebirgen
von Unter-Österreich und Steiermark zu machen, wo
er die Wälder zu besehen, von Kreis- und Forstbeam-
teri begleitet, die Lokalitäten zum Fällen,, und zur
Transportation des Brennholzes für den Bedarf der
Hauptstadt und die nötigen Vorrichtungen und Vor-
kehrungen zu diesem Zwecke anzuordnen hatte. Auch
in diesem Sommer von 1806 fiel eine solche, etwas län-
gere Reise vor*'"), und diesmal nahm Pichler auch
mich, meine Mutter, die sich nicht gern von uns tren-
nen mochte, und für ihr Alter noch sehr rüstig war, und
unser kleines Töchterchen mit. Auch eine liebens-
würdige Freundin, Frau v. S — ^1*'^), die aus Ober-
Österreich gebürtig war, seit ihrer Verheiratung in
Wien gelebt hatte, und im vergangenen Winter Witwe
geworden war, wollte mit uns zu gleicher Zeit einen
Teil dieser Reise machen. Eine Unpäßlichkeit hinderte
unsere gleichzeitige Abreise, ich traf sie erst in Linz
wieder, und wir hielten uns, während Pichler seine
Exkursionen machte, bei dem Lehrer meiner Jugend,
jenem Bischof von Linz, den ich das erstemal 14 Jahre
früher mit meinen Eltern und meinem Bruder besucht
hatte, auf seinem Schlosse Gleink, unfern von Enns,
auf. Ein stiller, einsamer Aufenthalt, der uns ein ge-
287
wisses wehmütiges Gefühl gab. Bischof Gall war wohl
noch ganz derselbe treue Freund und gütig aufmerk-
same Wirt für uns, der er in jener Epoche gewesen;
aber seine Geistesheiterkeit und seine körperliche Ge- '
sundheit hatten durch die Zufälle, Schrecken und Be-
fürchtungen der langen Kriegsjahre, welche früher
seine Familie in Schwaben, und ihn nun selbst bei zwei
Invasionen in Oberösterreich getroffen hatten, so sehr .
gehtten, daß wir uns die traurige Überzeugung nicht
verhehlen konnten, der verehrte Freund wanke dem
Grabe zu, und wir sehen ihn — obwohl sein Alter noch
vieles hätte können hoffen lassen (er hatte die Fünfzig
kaum überschritten), diesmal zum letzten Male. Die-
sem Manne hatte und habe ich viel zu verdanken. Er
war mein Lehrer in der Religion und der nahe damit
verwandten Naturlehre; er pflanzte Keime in mein
Herz, die spät noch mir segensreiche Früchte der
Gottergebenheit und Zufriedenheit trugen. Dort —
wo er schon lange ist und ich ihm wohl bald nachfolgen
werde, wird ihn Gott dafür belohnt haben; denn er
hat nicht bloß an mir, sondern an vielen Gutes geübt,
und das Land segnet noch sein Andenken.
Auf jener Reise kamen wir auch nach Stift Flo-
rian, wo ich 14 Jahre früher ebenfalls gewesen war, '
als eben der Prälat Michael Ziegler *'2), der uns jetzt
1 806 wieder aufnahm, zu seiner Würde erhoben wurde.
Hier lernte ich auch den, nachmals durch seine histo-
rischen Forschungen so sehr ausgezeichneten Chor-
herrn Franz Kurz*'^ kennen, wie denn überhaupt in
diesem Stifte Männer von hoher Geistesbildung und
mannigfacher wissenschaftlicher Richtung lebten und
zum Teil noch leben, so daß es mich oft bedünkte, ich
befände mich nicht in einem Kloster, sondern in einer
288
.»^T'y?r*-*;^«^-H|
Franz Kurz
Leopold Schulz pinx., Friedrich Leybold lith.
k, k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
Akademie *'*), in der mehrere Gelehrte oder sonst ge-
bildete Männer sich in ihren Bestrebungen zu höhern
literarischen Zwecken vereinigt hätten. Auch für die
schönen Künste geschah manches — Dichtkunst und
Musik wurde hier getrieben, und die Stiftsbibliothek
hat vor andern ihresgleichen den Ruhfn einer muster-
haften Ordnung und eines steten Fortschreitens mit
der Zeit. Mit Herrn Kürz, dessen lebhafte, geistreiche
Unterhaltung mich sehr anzog, war ich indessen in
ewigem Streite, da seine klaren, aber wohl etwas nüch-
ternen Ansichten vom Mittelalter und der Poesie über-
haupt, den meinigen gerade entgegengesetzt waren.
Den würdigen Prälaten, einen ebenso gelehrten als
höchst verehrungswerten Mann, belustigte unsere
Opposition. Er veranlaßte daher fast bei jeder Mit-
tagstafel eine solche Erörterung unter uns, und ging
im Scherze so weit, zu fordern, ich sollte meinen Streit
nach allen Regeln der Dialektik, nach den Schluß-
formeln des Barbara celarent usw. führen. Das gab
denn allen vielen Spaß, und so verflossen in geistreicher
Unterhaltung, in musikalischen Genüssen (jeden Abend
nach dem Souper, das schon um 7 Uhr statt hatte, wurde
in unsern Zimmern Musik gemacht) und den einfachen
Freuden des Landlebens mir einige kösthche Tage.
Ich hatte damals eben angefangen, an meinem
Agathokles zu arbeiten. In Stift Florian erzählte man
mir, daß der Schutzpatron desselben, jener gehar-
nischte Heilige mit dem Wasserkruge, den er über ein
Haus in Flammen ausgießt, und sich so als ein Retter in
Feuersgefahr kund gibt, und den man in Österreich
besonders auf dem Lande vielfach abgebildet und ver-
ehrt findet — daß dieser Heilige ein römischer Zen-
turio gewesen, und hier bei der Verfolgung unter Kai-
19 c. P. I
289
ser Diokletian in den Fluten der Enns den Martertod
erlitten habe. Das gefiel mir, mein Plan zum Aga-
thokles war noch nicht ganz ausgearbeitet. Ich konnte
die vaterländische Legende recht wohl in denselben
verweben. Ich fragte also näher nach, und Herr Kurz
hatte die Güte, mir folgendes zu erzählen*'^): Flori-
anus stand bei einer der römischen Legionen, die ihre
Kastelle an den Ufern der Donau hatten, und war
wahrscheinlich in dem alten Laureacum — Lorch — ,
das sich von dem heutigen Asten bis Enns erstreckt
haben mag, stationiert. Seine Weigerung, den Götzen
zu opfern, hatte ihm den Tod in den Fluten der Enns
zugezogen. Eine fromme, christliche Witwe, Valeria
mit Namen, ließ den Körper aus dem Strom ziehen
und auf einen Wagen legen, der, von Ochsen gezogen,
die teuren Reste bis in diese waldigen Hügel, wo jetzt
das Stift liegt, zur christlichen Beerdigung bringen
sollte. Aber der Weg war weit, der Tag heiß, die mü-
den Tiere, nach Wasser lechzend, erlagen fast der Er-
schöpfung. Da entsprang plötzlich am Eingang der
Waldschlucht eine Quelle, die Ochsen wurden ge-
tränkt, und gelangten nun ohne weiteres Hindernis
bis an den bestimmten Ort. Hier wurde der christHche
Held durch Valeriens fromme Sorge, und später auch
sie begraben, und es erhob sich endhch ein bewohnter
Ort und ein Stift daselbst, das noch jetzt keinen an-
dern guten Brunnen, als den durch jenes Wunder ent-
standenen, unten im Markte besitzt; denn für das
Stift bringt eine künstHche und kostspieHge Wasser-
leitung den Bedarf aus einem eine Viertelstunde ent-
legenen Orte, Hohenbrunn genannt.
In den Katakomben des Klosters sind eine Menge
Gebeine kunstvoll aufgeschichtet, und die Sage läßt
290
glauben, daß es Gebeine der in dieser Christenverfol-
gung umgekommenen Märtyrer sind. Auch eine Sta-
tue der Valeria findet sich hier, und das Wunder des
plötzHch entspringenden Wassers, welches dem Heili-
gen zugeschriebn wird, mag wohl die Veranlassung zu
seiner Anrufung in Feuersgefahr gegeben haben; denn
sonst kommt, wenigstens so viel mir bekannt wurde,
nichts vom Feuerlöschen in dieser Erzählung vor.
Mit großem Vergnügen verfolgte ich nun den Vor-
satz, diese Legende in den Stoff des Agathokles zu ver-
weben, und zugleich eine kleine Neckerei gegen eben
den verehrten Mann, dem ich die Erzählung dankte,
auszuführen, und gleichsam ihm zum Trotze, der alle
Vermischung der Poesie und Geschichte als strenger
Wahrheitsfreund haßte, und der neueren Dichtkunst,
Ossian ausgenommen, überhaupt abhold war, den
Schutzheiligen seines Klosters und die fegend umher
als Episode in einen Roman zu verflechten*'^^.
Überhaupt war es oft, ja meistens etwas also Zu-
fälliges, welches mir die erste Anregung zu irgend einer
Ausübung meiner Innern Anlagen darbot; wie denn
z. B. der ganze Agathokles durch die Lesung Gibbons *''')
und meinen Unwillen über dessen Gesinnung gegen das
Christentum, die Gestaltung desselben aber durch ei-
nen sehr schönen engHschen Kupferstich, den Tod des
heiHgen Stephanus vorstellend, veranlaßt worden war.
Auf diesem Bilde, das in dem, damals 'von unserm be-
rühmten Schreyvogel errichteten Industriecomptoir*''^
zu sehen war, liegt der Märtyrer, ein JüngKng von der
edelsten Bildung, tot im Kreise einiger trauernden
Christen, die ihn umgeben, und die Schönheit dieser
Gestalt, die selige Verklärung, v/elche seine Züge zeig-
ten, und die ganze Idee, welche diesem Bilde zugrunde
19»
291
l
lag, bestimmten mich, den Helden meines Romans
einen christlichen Märtyrer sein zu lassen, der aus einem
erhabenen Begriff von der Würde und Gemeinnützig-
keit seiner Religion sich für dieselbe aufopfert, und alle
Güter des Lebens, selbst die, welche bessern Menschen
ewig teuer bleiben, für diese Idee hingibt.
Wenn mich irgend ein Gedanke auf diese Art er-
griffen hatte, ging es wunderbar in meinem Innern zu.
Ich war mir keines eigentlichen Nachsinnens, keines
Erfindens bewußt; ja ich möchte sagen, mein Denken,
mein ganzer Zustand war etwas Passives. Es war mir
stets, als läge das Ganze meines Planes oder künftigen
Werkes bereits fertig in meiner Seele. Da bedurfte es
denn nur des Wiedererkennens, des Deutlichmachens,
und ich kann das, was in meiner Seele vorging, mit nichts
passender als mit der Wiederherstellung eines alten
Bildes vergleichen. Dies ist auch schon ganz vorhanden,
und man hat nichts anders zu tun, als es durch zweck-
mäßige Mittel aufzufrischen, damit es erkennbar werde.
Wie zuerst die Hauptmotive anschaulich werden,
dann allmähhch die kleinern Formen deutlich hervor-
treten, nach und nach sick die Farben sichtbar zeigen,
bis endlich das ganze Bild in allen seinen Umrissen, in
Zeichnung, Kolorit usw. vor unsern Augen steht, so
enthüllte sich, ohne ein bewußtes ferneres Nachsinnen,
das Ganze wie von selbst allmählich in meiner Seele,
und es kam mir stets wie etwas Gegebenes, nie wie etwas
Erfundenes vor.
Dieser Prozeß, der in der Seele jedes Künstlers —
seine Idee mag nun „in Wort oder Tat, in Bild oder
Schall" ins Leben treten — in den Momenten der gei-
stigen Empfängnis vorgeht, hat für mich stets etwas
Geheimnisvolles, Rätselhaftes gehabt, das mir auf die
292
höhere Abkunft unserer Seele, auf ihren Zusammen-
hang mit der gesamten Geisterwelt zu deuten scheint.
■ Jene Menschen, denen die Natur Anlagen anderer Art
gegeben hat, können sich keine Vorstellung von dem
machen, was in der Seele eines Dichters vorgeht, ujid
es ist dem Ähnliches, was Fenelon in einer seiner Be-
trachtungen über das innerliche Leben einer frommen
Seele sagt, daß nämlich die Weltmenschen das, was in
derselben vorgeht, für einen Traum, einen Wahn hal-
ten werden*'^). Es gibt viel solcher Rätsel, und eines
derselben, vielleicht eines der wunderbarsten, ist
die Anlage zur Musik und Komposition. In einem Auf-
sätze, den ich für irgend einen Almanach vor mehreren
Jahren geschrieben, habe ich meine Ansichten darüber
, geäußert*^"). Ich erinnere mich des genauem Details
nicht, aber ich wiederhole im allgemeinen, was ich da-
mals darüber dachte, und was nachfolgende Erfahrun-
gen bestätigt haben. Es liegt etwas Wunderbares, Ge-
heimnisvolles in diesem Sinn für Harmonie, und noch
mehr in der Fähigkeit, selbst Harmonien und Melodien
zu schaffen. Sie findet sich oft bei Menschen, die außer
dieser Himmelsgabe wenig geistige Fähigkeiten oder
doch wenig Bildung besitzen. Sie selbst haben keine
deutliche Vorstellung weder von ihren Anlagen noch U
weniger von dem Prozesse, der in ihrem Innern vor- )
geht, wenn sie sich bestreben, die Schöpfungen, die
in ihnen gären, durch Töne deutlich zu machen oder
irgend ein fremdes poetisches Pito4ukt in diesen Tönen
auszusprechen. Mozart und Haydn, die ich wohl
kannte, waren Menschen, in deren persönlichem Um-
gange sich durchaus keine andere hervorragende Gei-
steskraft und beinahe keinerlei Art von Geistesbildung,
von wissenschaftlicher oder höherer Richtung zeigte.
293 •
Alltägliche Sinnesart, platte Scherze, und bei dem
ersten ein leichtsinniges Leben, war alles, wodurch sie-
sich im Umgange kundgaben, und welche Tiefen, welche
Welten von Phantasie, Harmonie, Melodie und Ge-
fühl lagen doch in dieser unscheinbaren Hülle verbor-
gen! Durch welche innere Offenbarungen kam ihnen
das Verständnis, wie sie es angreifen müßten, um
so gewaltige Effekte hervorzubringen,, und Gefühle,
Gedanken, Leidenschaften in Tönen auszudrücken,
daß jeder Zuhörer dasselbe mit ihnen zu fühlen ge-
zwungen^ und auch in ihm das Gemüt aufs tiefste
angesprochen wird?
Auch Schubert habe ich gekannt. — Auf ihn paßte,
was seine übrigen Fähigkeiten betrifft, genau dasselbe,
was ich von jenen beiden großen Genien sagte. Auch
er brachte das Schöne, das Ergreifende seiner Kom-
positionen fast unbewußt hervor, ja, ich darf mich hier
auf eine Anekdote berufen, die ich aus unsers be-
rühmten Sängers Vogl*^i) eigenem Munde habe. —
Das, was er vor vor einigen Wochen aus der Tiefe
seines Gefühls hervorgeströmt hatte, ein sehr schön
komponiertes Lied, kannte er nicht mehr, als es ihm
Vogl zeigte, und lobte den Satz, wie etwas aus einer
fremden Seele Entsprungenes, ganz aufrichtig *^^). So
bewußtlos, so unwillkürlich sind diese Hervorbringun-
gen, und man kann nicht umhin, hier an magnetische
Zustände und jene geheimnisvollen Fähigkeiten der
Psyche zu denken, die in ihr, wie die SchmetterHngs-
flügel in der Puppe verschlossen und zusammengewickelt
liegen, bis sie sie einst, wenn die Puppe zerbrochen wird,
entfalten darf. Hier in ihrem beengten Zustande ahnt
sie nur in einzelnen Augenblicken, in Wahrnehmun-
gen etwas davon, und diese Augenblicke sind es wohl,
294
..jijuä
yon denen Fenelon spricht, und die der Weltmensch
verlacht, weil er sie nicht kennt.
Nachdem ich dies vor einigen Tagen geschrieben,
geriet ich in Eckermanns Gesprächen mit Goethe auf
eine Äußerung*^ dieses großen Mannes, daß nämlich
„dem echten Dichter die Kenntnis der Welt angeboren
sei", daß er selbst seinen Götz geschrieben, ohne das,
was er schilderte, erlebt oder gesehen zu haben, und
daß er später über die Wahrheit dieser Darstellung er-
staunt sei, er müsse also diese Anschauungen durch
Antizipation besessen haben, ja er behauptete, daß,
„hätte er nicht die Welt durch Antizipation in sich
getragen, alle seine Erforschung und Erfahrung ein
totes, vergebHches Bemühen gewesen wäre". Sollte
man, indem, ein so mysteriöses Verfahren der Seele an-
gedeutet wird, nicht, lieber die Bezeichnungen aus der
gewöhnlichen Welt mit denen aus einer höhern ver-
tauschen dürfen, und, was Goethe klar und trocken —
aber wie mir scheint, nicht erschöpfend Antizipation
nennt, lieber mit Inspiration bezeichnen ? Inspiriert
sind diese Anschauungen, sie sind dem Dichter, ohne
daß er weiß woher oder wozu, zugekommen, und auf
ihrer Stärke, Deutlichkeit und ihrem Umfang beruht,
wie ich glaube, die größere oder gerin'gere Kraft des
Dichters. Im Grunde ist es wohl gleichgültig, ob man
nun, dies geheimnisvolle Wirken in der Seele des Dich-
ters zu bezeichnen, sich des Wortes Antizipation oder
Inspiration bediene; aber selbstzufrieden und vergnügt
war ich durch die Entdeckung, daß dieser große Mann
ähnliche Wahrnehmungen hatte und mit mir darin
übereinstimmt.
Noch muß ich, bei Gelegenheit des Sinnes für Mu-
sik und Komposition eine Bemerkung anführen, die ich
295
vor langer Zeit bereits gemaclit, und auch manchen
gebildeten Menschen mitgeteilt habe, ohne von ihnen
eine genügende Erklärung über eine, wie mir es scheint,
sonderbare Erscheinung zu erhalten, diese nämlich, daß
unter so vielen Frauenzimmern, die sich mit exekutiver
Musik auf dem Klavier, auf andern Instrumenten
oder im Gesang mit vielem Glück beschäftigten, unter
so vielen geistreichen Künstlerinnen, die sich in der
Malerei oder Dichtkunst auszeichneten, auch nicht
eine ist, die mit bedeutendem Erfolge etv/as in der mu-
sikaKschen Komposition geleistet hat. Nur zvv^ei habe
ich in meinem langen Leben und bei besonders in mei-
ner Jugend häufigen Berührungen mit der musikali-
schen Welt gekannt, die sich mit Komposition beschäf-
tigten, ein Fräulein von Martinez, Schülerin des berühm-
ten Metastasio, der bei ihren Eltern lebte und sich die
Ausbildung dieses, in vieler Hinsicht ausgezeichneten
Frauenzimmers zum angenehmen Geschäft machte;
und meine Freundin, das blinde Fräulein von Paradis.
Beide leisteten Artiges, aber es erhob sich nicht über
— ja kaum an das Mittelmäßige, w^ährend doch in
Malerei und Poesie Frauen, v^^enn auch nichts den Wer-
ken der ersten Meister in diesen Fächern zu Verglei-
chendes, doch vieles auch an sich und ohne Rücksicht
auf das Geschlecht Schätzbare hervorgebracht haben.
Sollte man aber nicht glauben, daß gerade dies Be-
wußtlose, bloß auf innern Regungen, auf Gefühl und
Phantasie Beruhende der Musik, dem weiblichen Cha-
rakter besser zusagte als die Leistungen im Gebiete der
Malerei und Dichtkunst, welche Vorkenntnisse, deut-
liche Begriffe, technische Fertigkeiten usw. voraus-
setzen ? Es muß doch nicht also sein, weil wir bis jetzt
wohl eine Sirani^^*), Rosalba*^^), Angelica Kaufmann *^^),
296
Lebrun^^') usw. — aber keine nur einigermaßen bedeu-
tende Tonsetzerin erlebt haben. Doch ich nehme den
Faden meiner Erzählung wieder auf.
Im nächsten Winter wurden unsere gewöhnlichen'
Abendunterhaltungen fortgesetzt, und es fiel üiis ein,
uns doch einmal wieder im Komödienspielen zu ver-
suchen. Zuerst wählten wir kleinere Stücke, Kotze-
buesche, ein- oder zweiaktige Lustspiele: Den Mann
von 40 Jahren, die Brandschatzung usw.'*^^. Endlich
schlug uns Hormayr vor, uns an ein bedeutendes Stück
zu wagen. Der Mann von Wort, von Iffland*^^) wurde
gewählt, und auf eine Weise besetzt und gespielt, wie
man es auf Haustheatern selten finden wird. Mein
Mann, der überhaupt seine Rollen stets mit vieler
Kraft und Würde und einem guten Anstände gab,
wobei ihm seine vorteilhafte Gestalt sehr zu statten
kam, gab den Archivar Lestang, die Titelrolle, vor-
trefflich; der Verfasser des Regulus, Collin — den
blödsinnigen Oheim; der Verfasser des österreichischen
Plutarchs, Hormayr, den Hofrat Wallner; Frau von
Kempelen, jene interessante und schöne Gemahlin
des Jugendfreundes von meinem seligen Bruder, welche
schon dem dichterischen Freunde Streckfuß so ge-
fährlich gewesen war, und in deren Nähe auch Hor-
mayr sich nicht gleichgültig erhalten konnte, hatte die
Rolle der Julie, der Pflegetochter des Hofrats; mir
ward die der Frau des Archivars zuteil, und auch die
übrigen Personen machten ihre Sachen gut. Wir hatten
beschlossen, das Stück zum Namenstage meiner Mutter
zu geben, der auch der meinige und der meines Töch-
terchens war, welche einen, von unserm alten Freund
297
Haschka gedichteten Prolog sprach, und so geschah es
auch. Wer das Stück kennt, wird sich erinnern, daß
jener blödsinnige Oheim seiner Nichte, der Frau des
Archivars, den Brillant schenken will, der aus einer,
durch sieben Jahre eingesperrten Kreuzspinne ent-
stehen soll und an dessen Existenz und Besitz er festig-
lich glaubt. Es ist dies eine wirklich rührende Szene,
denn der gute Alte will sich seines vermeinten un-
ermeßlichen Schatzes willig entäußern, um nur seine
Nichte zu vermögen, ihrem Manne die schuldige Treue
zu halten. Collin hatte, wie gesagt, die Rolle des
Oheims, die er trefflich durchführte. Ich, als Frau
seines Neffen, war mit ihm auf dem Theater, und er
zog nun das Schächtelchen mit der kostbaren Spinne
hervor, auf welches ich, wie es im Stücke angegeben
ist, das Jahr und den Tag, wann sie eingefangen worden
war, geschrieben hatte, um CoUin das Auswendig-
lernen dieser Worte zu ersparen. Man stelle sich meine
Verwunderung und Verlegenheit vor, als der unver-
geßliche, teure Freund nun statt des in dem Stücke
benannten Tages den vierten November nannte, und
mit einer höchst verbindHchen Wendung einen Glück-
wunsch für drei Karolinen, Großmutter, Mutter und
Enkelin sprach. Der Beifall war allgemein, und nie
werde ich diese kleine Szene, in welcher sich die Freund-
schaft des teuern Mannes für uns alle und seine wahr-
haft kindHche Verehrung für meine treffliche Mutter
so deutlich aussprach, vergessen.
Dieser Winter und der nächstfolgende Sommer ver-
gingen in gleich angenehmen Verhältnissen. Unter
verschiedenen Fremden, welche bei uns eingeführt
wurden, zeichnete sich bald, durch seinen Innern Ge-
halt sowohl als seinen warmen Anteil an uns, ein Baron
298
-rxiüüßJä
von Merian-Falkach*^") aus, der in der Staatskanzlei an-
gestellt und ein genauer Freund Hormayrs war, wel-
cher ihn auch bei uns einführte. Dieser Mann war
ganz klassische Literatur, scharfsinnig, gelehrt, wahr-
haft freundschafthch, aber auch höchst eigen, ja bis*
zum Paradoxen seltsam in seinen Ansichten, denen er .
übrigens im praktischen Leben nicht immer treu blieb.
So war es sein Lieblingsthema, daß eine Frau nichts
oder nicht vi^l lernen soll, weü ihre Liebenswürdigkeit,
ihre Kindlichkeit usw. darunter leiden würde; daß
eine Frau ganz willenlos dem Geliebten anhängen und
gleichsam nur durch seinen Geist denken, nur durch
und für ihn leben solle. Er haßte deswegen weibliche
Schriftstellerei, ging aber vorzugsweise gern mit meiner
Mutter, welche eine der geistreichsten und selbstän-
digsten Frauen war, die nur je vorgekommen und mit
mir, einer Schriftstellerin, um. Er gefiel sich über-
haupt sehr in unserm Kreise, ward bald einheimisch
darin und blieb mir durch viele Jahre ein verläßlicher,
treuer Freund, dessen Wärme eine langjährige Ab-
wesenheit (ich sah ihn, seit er uns i8io verheß, nie
wieder, und er starb erst vor einigen Jahren) nicht er-
kältet hatte, und die ein eifriger Briefwechsel, durch
immerwährende Streitigkeiten belebt, stets aufrecht .
erhielt. Ihn band seit vielen Jahren ein zärtliches Ver-
hältnis an eine Frau, von der er, stets den Ausdruck
Petrarcas; Che sola a me par donna*^"^), brauchte. Ich
kannte sie nicht, aber ihren Briefen nach zu urteilen,
womit sie mich auf Merians Veranlassung beehrte,
mußte sie wenigstens eine sehr verständige, gebildete
Person sein. Im Jahre 1809 kam sie endlich nach Wien,
und man denke sich unser aller Erstaunen! Diese Laura,
diese sola Donna war eine — nicht sehr hübsche, nicht
299
ganz junge Frau, von kleinem Wüchse, unendlicher
Beweglichkeit und Lebendigkeit, eine wirklich sehr ge-
bildete, aber auch so positive Frau, daß unser guter
Merian zu unser Aller Verwunderung und Leidwesen
ganz unter ihrem Pantoffel stand, und solange sie in
Wien war, es auch nicht einmal wagen durfte, ohne
sie bei uns zu erscheinen. So auffallend wie dies Bei-
spiel sind freilich nicht viele; dennoch ist mir die Er-
scheinung zum öftern vorgekommen, daß gerade jene
Männer, welche so viel von der Sanftmut, Unterord-
nung, Hingebung des Weibes sprechen, wenn sie ein-
mal wählen, ziemlich gehorsame Liebhaber und Ehe-
männer werden; ja, daß sie schon von vornherein nicht
leicht an einer Geschmack finden, welche nicht etwas
Herrisches an sich hat. Im Gegenteile aber sind es
gerade die Haus- oder Liebestyrannen und die sich
einer unumschränkten Herrschaft nicht bloß über die
Handlungen, sondern über die Gedanken und An-
sichten ihrer Geliebten oder Frauen bemächtigen,
welche vor der Ehe die schmiegsamsten, ehrerbietigsten
scheinen und stets die sanfte Oberherrschaft der
Frauen anzuerkennen bereit sein wollen. Ich könnte
mehrere anführen, aber Exempla sunt odiosa.
Schon seit einigen Jahren kannten wir in Wien die
Trauerspiele F. Z. Werners. Seine Söhne des Tales ^^^
hatten ungeheures Aufsehen erregt und alles, was sich
mit schöner Literatur beschäftigte, aufmerksam auf
den, wie es hieß, noch jungen Dichter gemacht.
Es war die Zeitepoche, in welcher auch die Schlegel,
Tieck u. a. aufgetreten waren, das sogenannte Roman-
tische sich zuerst und zwar mit großem Beifalle zeigte,
die poetische Poesie im Gegensatz der bisher geübten
und geschätzten aufgestellt, und viele Autoritäten,
300
die wir bisher verehrt hatten, durch: die neue Schule,
wie sie genannt wurde, von ihren Altären herabgestürzt
werden sollten. Gar viele glaubten auch diesem neuen
Evangelium; ungleich mehrere aber ließen sich in
ihrer biUigen Verehrung für Schiller, Herder, Wieland,
Klopstock usw. nicht irre machen. Es gab manche,
die sogar behaupteten: Die Gebrüder Schlegel hätten
gar zu gern eine große Rolle in der gelehrten Welt
gespielt, da sie aber fühlten, und — weil sie wirklich
treffliche Köpfe waren — auch deutlich einsahen, daß
sie auf produktivem Wege neben den schon bestehenden
Matadoren in der schönen Literatur doch nur einen
untergeordneten Platz einnehmen vmrden, hätten sie
sich auf die Kritik geworfen, und, indem sie das bisher
Verehrte von seinem Standpunkt herabzuziehen be-
müht waren, Raum für sich und ihre Anhänger zu ge-
winnen gesucht, wie das Vaudeville sagt:
Les arbustes sont des chenes,
Quand les chenes ne sont plus.
Nur einen unter den Lebenden ließen sie gelten,
Goethe, und indem sie ihn zu ihrem Koryphäus wählten
und ihn mit einer Ungeheuern Portion Weihrauch da-
zu gleichsam installierten, suchten sie sich durch seinen
Ruhm, sein Ansehen in Deutschland, seine Autorität
zu schützen, sie flüchteten unter den Schatten seiner
Flügel.
Zugleich mit diesen Bestrebungen, die neue Poesie
und Ansicht auf Kosten alles Alten geltend zu machen,
dämmerte auch ein gewisser hyperreHgiöser Sinn in den
neuen Erzeugnissen auf. Es war nicht eigentliche Fröm-
migkeit, Gottesfurcht, Hinblick aufs Ewige; es war ein
krampfhaft wundergläubiges Unterordnen unter ver-
altete Ansichten, das sich mit krasser Sinnlichkeit und
301
unlautern Trieben ganz nachbarlich vertrug. Unlängst
war die Lucinde, das berüchtigte Buch von Friedrich
von Schlegel erschienen, ihm v^^aren nicht so grelle, aber
höchst seltsame Geburten: Lacrymas und Alarcos, ge-
folgt *^^. Staunend betrachtete sie die Welt und wußte
nicht recht, ob sie sie bewundern oder belachen sollte.
Zum ersten bekannten sich die Anhänger der neuen
Schule; denn das Neue findet jederzeit geneigte Ge-
müter, die es gern in sich aufnehmen, um es nächstens
mit etwas noch Neuerem zu vertauschen. Die meisten,
welche von diesen Werken Notiz nahmen, mißbilligten
sie, und bedauerten einen reichbegabten Geist auf Irr-
wegen zu sehen.
Diese frömmelnde Tendenz griff immer mehr um
sich. Das zweite Stück Werners : Die Templer auf
Cypern*^^, trug schon in seiner ersten Form etwas
Mystisches, Rätselhaftes in sich, und jene Erzählung
oder Mythe von Phosphor Heß die Leser in Ungewiß-
heit, ob hier ein tiefgeheimer, wirklicher Sinn ver-
borgen liege oder der Verfasser der Welt nur ein schwer
zu lösendes Rätsel habe aufgeben wollen. Das dritte
Stück: Das Kreuz an der Ostsee*^*), in dem der heilige
Adalbert, der bereits den Martertod erHtten hat, als
Spielmann auftritt, auf dessen Haupt sich von Zeit
zu Zeit eine Feuerflamme sehen läßt, und die Braut-
nacht zwischen Warmio und Malgona sprechen noch
deuthcher den mystisch-asketischen und dabei lüster-
nen Sinn aus, der in so vielen Werken jener Zeit auf-
tauchte. Endlich erschien seine Weihe der Kraft *^^).
Daß der Protestantismus in seiner nüchternen Kälte
den Künsten verderblich sei, ging wohl deutlich daraus
hervor, und Werners Lieblingsthema, daß die Liebe
ein Blitzstrahl sein müsse, der zugleich in zwei Herzen
302
einschlägt und sie verzehrend reinigt, wurde sichtbar
durch Katharinas freudiges Erschrecken, als ein dicker
Augustiner vom Wagen steigt, und sie ihn als ihr Ur-
bild erkennt. Ich gestehe, daß mir ein dicker Augu-
stiner nicht eben sehr idealisch scheint, aber Fräulein
von Bora war von anderm Geschmacke. Auch dieses
Werk machte große Sensation und erregte viele wider^
sprechende Urteile. Nicht lange darnach verbreitete
sich die Nachricht, daß der Verfasser aller dieser ge-
nialischen Stücke nach Wien kommen solle, und vnr
hoffen dürfen, seine Bekanntschaft zu machen.
Der Tag, wo er kam und die Weise, vne er sich bei
uns einführte, war gewiß merkwürdig und mir daher
sehr lebhaft im Gedächtnisse geblieben. Es war ein
schöner Abend im Anfange des Sommers von 1807,
wenn ich nicht irre, und ich hatte einen kleinen Kreis ,
gebildeter Freundinnen und literarischer Freunde ge-
beten. Der Erwartete kam, von unserm Freunde CoUin
eingeführt — ein ziemHch junger, wohlgebildeter
Mann, damals Kammersekretär in Warschau oder Posen
und im ganzen eine nicht unangenehme Erscheinung*^^). ■
Auch er schien sich nicht übel in der Gesellschaft zu
gefallen, die ihn umgab, und in welcher sich einige
hübsche, junge Frauen befanden. Bald gingen wir zum
Gouter, bei welchem denn nebst Tee und Backwerk
nach der Jahreszeit auch Obst herumgeboten würde.
Werner protestierte höchlich gegen dies letztere und
versicherte uns laut — „die schönste Frau dürfte ihm,
wenn sie zuvor einen Apfel oder anderes Obst gegessen
hätte, keinen Kuß anbieten" — eine Äußerung, die uns
allen etwas sonderbar und befremdend klang; denn ob-
gleich Werner nicht eben häßlich war, hätte doch nur
allenfalls sein Dichterruhm, wie in der alten Gellert-
303 ,i "
sehen Erzählung *®'), eine Frau, und zumal eine schöne
Frau, bewegen können, ihm einen Kuß zu bieten.
Übrigens benahm er sich in den gewöhnhchen For-
men und außerdem, daß er ungeheuer viel und oft
Tabak schnupfte und mit einer eigentümlichen Be-
wegung des Daumens den Tabak stets zuletzt auf die
rechte Wange hinüberstrich, so,' daß es bald wie ein
Schnurrbart aussah, war nichts Außergewöhnliches an
ihm zu bemerken. Als sich die Gesellschaft hierauf im
Garten zerstreute, fand ich ihn. mit einer unserer Be-
kannten in ein eifriges Gespräch über die Liebe ver-
tieft. Ich trat hinzu, und bald wußte Werner mich so
hineinzuziehen, daß jene mich verließ und er nun mit
mir, auf und ab gehend, sein voriges Thema fortsetzte
und sich erklärte, daß er eigentlich den Beruf habe,
über Liebe zu sprechen, sie zu suchen, zu verbreiten
usw.. Reden, deren eigentlichen Sinn ich nicht ganz
verstand. Von der Liebe gerieten wir auf den Glauben,
auf Religion, auf sein letztes Werk: Die Weihe der
Kraft. Auch hier übersprach er viel, was ich nicht
recht fassen konnte, doch schien mir der Hauptsinn
dahin zu zielen, daß der Protestantismus die Künste
totgemacht habe, was er denn auch durch den Tod
jener Therese oder wie sie heißt, habe andeuten wollen.
Zuletzt fragte er mich geradezu: was ich von der
Transsubstantiation halte ? Diese Frage kam mir
höchst unerwartet. Ich wußte wirklich nicht, was ich
sagen sollte; denn es schien mir hier. gar nicht der Ort,
noch die Gelegenheit, um solche Dinge zu erörtern.
Ich antwortete also bloß: Ich sei KathoHkin, und folg-
lich könnte er denken, daß ich über diesen Punkt mich
nicht von dem Dafürhalten meiner Kirche entfernen
würde. Übrigens scheine mir der Gegenstand nicht
304
Therese Huber
Unsignierte Miniatur — Familie Greyerz Bern
Reproduktion: Stadtbibliothek Wien
geeignet, um in geselligen Kreisen abgehandelt zu
werden. Er ließ darauf das Gespräch fahren, aber er
kam oft zu uns, las uns manche seiner Arbeiten vor,
unter andern die sehr veränderte zweite Auflage seiner
Söhne des Tales *^^), in welchen ein Mädchen — Astra-
lis — eine mystische Person, vorkommt, und der ver-
storbene Marschall Endo, der in der ersten Auflage
so unübertrefflich schön als Pilger eingeführt wurde —
vielleicht die schönste und wirksamste Geistererschei-
nung, die mir in der neuen Literatur vorgekommen — r
nun als ein ziemlich materieller Geist auftritt, Brot
bricht, Astralis unterrichtet usw. Noch recht lebhaft
erinnere ich mich, daß meine Mutter ihn fragte : Lebt
denn der Marschall Eudo? weil dieser Geist sich gar
so körperlich benimmt, und Werner ihr antwortete :
Er lebt und er lebt nicht, wie man es nimmt. Dann
fragt Eudo die Astralis, ob sie gebetet habe ? und sie
antwortet: Ja! geglüht für Robert (ihren Geliebten).
Diese wenigen Züge bezeichnen, wie mich dünkt, die
ganze mystische, exaltierte, seltsame Richtung, welche
Werners Geist damals schon genommen, und welche
später solche Schöpfungen wie Kunigunde, Wanda,
Attila*^^) ins Leben rief, von denen meine Freundin
Therese Artner ^''°) später sagte: „Es ist zu bedauern,
daß ein solcher Geist sich also verirren konnte; aber er
wird zusehends mit jedem Stücke toller." Dennoch
waren selbst in diesen Geburten einer verirrten Ein-
bildungskraft große Schönheiten und offenbare Be-
weise von Genialität.
Diese Geistesrichtung erstreckte sich auch in sein
Leben, er glaubte das, was er schrieb, selbst, und war
ganz mit diesen Ideen erfüllt. Daher nahm auch meist
das Gespräch, wenii er an unserem Abendkreise teil-
20 c. P. I
305
nahm, wieder dieselbe sonderbare Richtung nach seinen
Lieblingsideen ^°^). ^
Späterhin zog sich Werner von unserm Kreise zu-
rück; er hielt sich viel zu Stoll^"^, dem jungen
und ebenfalls exaltierten Dichter, und zu andern ähn-
lichen Geistern. Endlich bekam ich einen Brief von
ihm^°2a^^ [j^ welchem er mit sehr herzlichen Worten von
mir, von meiner Familie und von seinem lieben, lieben,
lieben Wien Abschied nimmt. Er ging nach Italien,
nach Rom und kam erst nach mehreren Jahren als
Katholik und Priester von dorther zurück. Sein
zweites Auftreten unter uns, in den letztgenannten
Eigenschaften, erregte beinahe mehr Sensation als das
erste; aber wir sahen ihn sehr selten unter uns. Er
lebte bald in diesem, bald in jenem Kloster; bei den
Serviten, Liguorianern, Franziskanern und zuletzt bei
den Augustinern, wo er bis an seinen Tod verblieb.
Sein Wirken als Prediger werden wir später zu schildern
Gelegenheit haben.
Die Gestaltung der damaligen Zeit, in welcher das
Deutsche Reich zusammengestürzt war, Napoleon
durch den Rheinbund ins Herz aller deutschen Staaten,
ins Herz der ganzen Nation mit eisernen Händen griff,
das Schwankende, Unsichere aller politischen und somit
auch aller sozialen Verhältnisse, das stets kühnere und
gewaltsamere Ausbreiten der französischen Macht:
dies alles drängte die Geister aus der freudenlosen, zer-
rütteten Gegenwart in die feststehende Vergangenheit
zurück, an der wenigstens ein Eroberer und Unter-
drücker aller politischer wie aller literarischen Freiheit
nichts mehr ändern konnte, so gern er auch in den
römischen Klassikern die Stellen, welche die Sache der
Freiheit gegen Anmaßungen der Gewalt verteidigen,
306
weggewünscht hätte. Das Studium der Geschichte
fing an, bei der damaligen Generation ein lebhaftes
Interesse zu erregen. Viele Gelehrte verlegten sich
darauf, und man suchte Halt und Trost in der Be-
trachtung der Vergangenheit. Diese allgemeine Stim-
mung und der häufige Umgang mit Hormayr, Rid-
ler^*'^, Vierthaler 5<'*) regten auch in mir eine lebhafte
Teilnahme für die Geschichte im allgemeinen und be-
sonders für die meines Vaterlandes auf. Österreichs
Plutarch erschien danials und erregte lebhafte Teil-
nahme^®^). Mit Grund und überzeugenden Nach-
weisungen ward von Sachverständigen vieles an dem
Werke getadelt, tndes erreichte es den einen Zweck,
den sich der Verfasser vielleicht vorgesetzt hatte, es
weckte bei vielen wie bei mir den Sinn für vater-
ländische Geschichte und sprach Phantasie und Ge-
fühl an, weil es mit Wärme und dichterischer Auf-
fassung geschrieben war. Auch sonst noch suchte
Hormayr auf seine Freunde und durch sie aufs Publi-
kum nach dieser Richtung zu wirken. Er wußte die
beiden Collin für seine Absicht, Dichtung und Künste
mit vaterländischen Gegenständen zu beschäftigen, zu
gewinnen, er regte noch mehrere andere Geister an,
die sich um ihn willig sammelten; er suchte Künst-
lern denselben Sinn einzuflößen, und vieles geschah
damals und auch später für die österreichische Ge-
schichte, was den ersten Impuls durch Hormayr erhielt.
Dies Verdienst muß man ihm zugestehen, obgleich er
zwanzig Jahre später dieser Gesinnung in der Haupt-
sache ungetreu wurde^®^).
Im Herbste des Jahres 1807, in der Nacht des
Micha eHstages, erhob sich jejier denkwürdige Orkan,
der in Wien Häuser abdeckte, den Turm der Augu-
20^^
307
stinerkirche herabwarf — glücklicherweise ohne jemand
zu beschädigen — Fenster eindrückte und im Augarten
und in der Brigittenau die größten Bäume entwurzelte
und niederwarf, so daß der Garten und die Au am
folgenden Tage einem großen Verhaue glichen, durch
den man kaum durchkommen konnte^"'').
Mein Name fing damals an, durch die Gleichnisse,
Olivier^"^, Leonore^"*) usw. in Deutschland bekannt
zu werden. Ich erhielt Aufforderungen von Buch-
händlern, ihnen Beiträge zu Almanachen, Journalen
usw. zu liefern. Die beachtenswertesten Aufforde-
rungen der Art waren die von Fleischer in Leipzig für
die Minerva ^1°), eines der besten damals erscheinenden
Taschenbücher, und von Cotta in Stuttgart für den
Damenkalender ^^^) mitzuarbeiten. Der erste wies
sich durch seine Briefe an mich, durch sehr hübsche
Geschenke an Büchern, die er teils meiner Tochter,
teils mir selbst noch über das sehr bedeutende Honorar
verehrte, als ein wohlwollender Freund, und zeigte
sich auch im Umgang so, als er 1810 eine Weile in Wien
war und uns oft besuchte. Später scheinen häusliche
Mißverhältnisse und eine, Wie mich dünkte, etwas zu
jugendliche Neigung zu einem Schweizer-Landmäd-
chen, das er heiratete, ihn bewogen zu haben, Leipzig
und seine Geschäfte zu verlassen und sich in die
Schweiz zu begeben. Seitdem habe ich nichts mehr
gehört und dies aufrichtig bedauert; denn Fleischer
war mir sehr würdig und wohlwollend zugleich er-
schienen ^^2).
Cottas Aufforderungen brachten mich in 'ein noch
werteres Verhältnis; Madame Huber^^^, Heynes
Tochter und Witwe von zwei ausgezeichneten Gelehr-
ten: G. Forster und Huber, redigierte damals das
30R
Morgenblatt. Sie schrieb mir »bei Gelegenheit einer
Sendung für den Damenkalender. Von da entspann
sich zwischen uns ein fleißiger und nach und nach
so herzlicher, zusagender Briefwechsel, daß wir zwei
Matronen, die* sich nie gesehen hatten und auch nie
sahen, uns unsere häusHchen und innersten Angelegen-
heiten mitteilten, und dies währte bis an Therese
Hubers Tod im Jahre 1829^1*). So hat mir meine lite-
rarische Bekanntschaft manches sehr angenehme Ver.-
hältnis, manches Wohlwollen, und herzliche Teilnahme
von unbekannten Menschen, und nur äußerst selten
etwas Unangenehmes gebracht. Wohl aber hütete ich
mich stets aufs sorgfältigste, mich ja nie zu Redak-
tionen, Rezensionen usw. gebrauchen zu lassen, und
mit den gelehrten Herren in eine nähere Beziehung
zu kommen. Therese Huber, der ihre finanziellen
Verhältnisse vermutlich jene Redaktion aufgedrungen
haben mochten, hat dadurch, und namentlich mit
dem Verfasser der Schuld, Müllner, Verdruß genug
"gehabt"«).
Mit dem Herbste dieses Jahres begann eine lebhafte,
interessante Zeit. Unser geliebter Kaiser wollte sich
das drittemal mit Marie Luise von Este, seiner Cousine,
vermählen, und die Vorbereitungen, sowie, die Ver-
mählungsfeierlichkeiten dieser höchst anmutigen Prin-
zessin gaben Veranlassung zu allerlei Festen und rüh-
rigem Leben "1^. Auch traf die Ankunft der berühmten .
Frau von Stael, welche mit A. W. v. Schlegel aus
Weimar nach Wien kam, gerade auf diesen Herbst 5^').
Die Statue des Kaisers Josef, von Zauner in Erz
gegossen, war auch eben fertig und aufgestellt, wor-
den ^1^. Die Enthüllung derselben wurde eine Art
von Feier und Festlichkeit, welche das kindlich -.dank-
309
bare Gemüt des Neffen seinem großen Oheim zu
Ehren veranstaltet hatte.
Es war ein milder Herbsttag zu Ende Oktobers
oder Anfang Novembers. Auf dem Josefsplatze, wo
die kolossale Bildsäule unter ihren Umhüllungen wie
ein kleiner Berg dastand, waren in freier Luft Tribünen
errichtet, auf welchen man mittelst BiUetten Platz er-
hielt. Frau von Stael war ebenfalls zugegen, ich sah
oder kannte sie wenigstens damals nicht, und nebst
ihr eine große Menge elegant geputzter Damen und
Herren, die dem Schauspiel entgegen harrten. Um die
angesetzte Stunde (wenn ich nicht irre 12 Uhr mit-
tags) donnerte das erste Geschütz auf dem Walle der
Stadt, ihm folgten bald die andern ringsherum auf
den Basteien, denn — so wollte es des Monarchen
liebevolle Dankbarkeit — seines väterhchen Oheims
Bild sollte auf dieselbe feierliche Weise wie die per-
sönliche Ankunft eines regierenden Herrn bei seinen
Untertanen empfangen und begrüßt werden. Durch
eine geschickte Vorrichtung fielen plötzUch die Decken,
welche die Statue verhüllt hatten, das majestätische
Bild ward sichtbar, und fast in demselben Augenblick
zerriß auch, wahrscheinlich durch die Kanonenschüsse
zerteilt, die Nebeldecke, welche den Himmel umhüllt
hatte. Rein und blau lächelte er hernieder auf das
Bild des großen Josefs, der mitten im Kreise der
Seinen erschien, und die mildesten Sonnenstrahlen
spielten auf dem glänzenden Metall und auf den edlen
Zügen. Es war ein schöner, erhebender Augenblick,
in welchem der Himmel selbst an dem Dankbarkeits-
gefühle unsers Monarchen und an unser aller Freude
segnend Anteil nahm.
310
y
Die Anwesenheit der Frau von StaeP^^), was sie tat,
sagte, wie sie aussah, sich kleidete usw. war von nun
an das allgemeine Gespräch in den Salons. Man hatte
sich eine Menge von ihr zu erzählen, wovon vieles,
ja das meiste, ungünstig war. Wenn ihr einige nicht
verzeihen konnten, daß sie eine Femme superieure war
(und das war sie denn doch gewiß !), so beleidigte an^
dere ihr Umgang mit dem höchsten Adel, zu dem
eigentlich ihre Geburt sie nicht berechtigte; andere
fanden zu viel Anmaßung in ihrem Betragen, und
wieder andere hielten sich an die übelgewählte Toilette,
welche denn auch wirklich bei ihren vorgerückten
Jahren (sie war damals schon jenseits der Vierzig) und
einer unvorteilhaften Gestalt oft zu anspruchsvoll war,
und eine Meinung von ihrer Schönheit voraussetzte,
welche doch jeder Spiegel hätte Lügen strafen sollen.
Ich hatte sie damals noch nicht gesehen, aber ich hatte
kurz vorher einen kleinen Aufsatz ins Morgenblatt
einrücken lassen, in welchem ich, ohne der großen
Achtung Abbruch zu tun, die ihr außerordenthches
Talent mir wie jedem ihrer Leser einflößte, meine
Verwunderung darüber äußerte, daß sie sowohl in
der Corinne als in der Delphine ihre Helden so schwach,
inkonsequent und leicht beweglich geschildert habe,
indes ihr doch selbst ein wahrhaft weibhches Gefühl
an mehreren Stellen das Geständnis entlockt hat, daß
ein Weib sich nur in einer gewissen Unterordnung
unter den kräftigen Mann recht wohl und glücklich
fühlen könne ^^). Ich wußte nicht, ob sie diesen Auf-
satz kannte, aber ich scheute mich nicht, das, was ich
schriftlich geäußert, auch in ihrer Gegenwart zu be-
haupten. Ich hätte sie gern kennen gelernt, aber ich
glaubte es nicht schicklich, daß ich, die Einheimische,
311
N^
zuerst zu ihr ginge und mich gleichsam bei ihr ein-
führen Heße. Unsere gelehrten Freunde hatten dies
zwar getan — aber CoUin, Steigentesch^^^), Hormayr
waren Männer, und daher konnten sie, ohne sich etwas
zu vergeben, der fremden Dame ihre Aufwartung
machen. A. W. von Schlegel ^2^, der die berühmte
Frau auf ihrer Reise begleitete, hatte sich bei uns vor-
stellen lassen. Er kam öfter zu uns und schien ein sehr
eleganter Gelehrter, der im Gegensatz zu den meisten
seinesgleichen sich höchst fashionable kleidete, aber
auch im Gegensatze zu jenen mit seiner Toilette
selbst in Gesellschaft beschäftigt war, und wenn ihm,
wie es bei uns ein paarmal der Fall gewesen, andere
etwas von ihren Werken vorlasen (ich nicht, wie ich
denn überhaupt dies nur höchst selten und unter sehr
guten Freunden tat), während der ganzen Lesung am
Busenstreif, am coup de vent und den Schleifen seiner
Unterkleider zu zupfen und zu richten hatte. Man
hat mir, zwanzig Jahre nach jener Zeit, erzählt, daß
er diese ZierUchkeit und Sorgfalt für sein Äußeres auch
jetzt noch als Greis beibehalten habe. Damals war er
"ein Mann von mittleren Jahren und wirklich an-
genehmer Gestalt, dennoch hätte ich um seiner selbst
und seines verdienten literarischen Ruhmes willen ge-
wünscht, daß er diese Schwäche nicht an sich gehabt
hätte. Im Umgange war er sehr artig, sehr geistreich,
aber nicht ohne eine merkliche Beimischung von Selbst-
gefühl, die sich oft geltend machte, und mit allen
diesen Eigenschaften und einem angenehmen Äußern,
das durch einen vorteilhaften Anzug gehoben war,
der Liebling vieler geistvollen, gebildeten Frauen,
sowohl einheimischer als fremder, mit denen ich damals
umging. Man erzählte, und ich selbst hatte später
^12
Gelegenheit, es zu bemerken, daß er von Frau von
Stael nicht mit der Achtung und Auszeichnupg be-
handelt wurde, die sie wohl einem Manne seines
Talentes schuldig gewesen wäre. Es erschien öfters ein
befehlender Ton wie gegen einen Untergeordneten
in ihrem Betragen ihm gegenüber, und das erregte nun
bei jenen Damen seiner Verehrung das tiefste Mit-
leid. Man war aufgebracht über Frau von Stael,
man wollte in Schlegels ganzem Wesen einen Schatten
von Gedrücktheit, von Melancholie bemerken, den
man auf die Rechnung jener Behandlung schrieb, und •
der den interessanten Unglücklichen nur noch teurer
machte. Mir erschien die Sache anders, und ich er-
klärte mich dahin, daß Herrn v. Schlegel die Existenz
im glänzenden Hause der reichen und berühmten
Frau doch angenehm sein müsse, weil es einem Manne
von seinem Rufe, von seinen ausgezeichneten Gaben
nicht fehlen könne, auf jeder deutschen Universität
durch eine Professorstelle, durch Privatvorlesungen,'
literarische Arbeiten usw. sich eine zwar nicht so be-
queme, aber unabhängige Existenz zu verschaffen,
und daß also, weil er dies nicht tue, jenes Verhältnis
ihm nicht so gar drückend erscheinen könne. Damit
fand ich nun freilich vielen Widerspruch, es war aber
schon einmal meine Weise, die Poesie von der Wirk-
lichkeit stets scharf zu scheiden, jene in Büchern und
Kunstwerken hoch zu verehren, im gewöhnlichen
Leben aber die Dinge so klar als möglich zu betrachten
und so einfach als mögHch zu behandeln ^^^.
Ich hatte gegen A. W. von Schlegel mehrmals den
Wunsch geäußert, Frau von Stael persönhch kennen
zu lernen. Er forderte mich auf, zu ihr zu gehen. Das
wollte ich nicht, und so ging einige Zeit hin. — End-
313
lieh übernahm es eine gemeinschaftliche Bekannte, die
Sache vermittelnd einzuleiten. Frau von Nuys^^*), eine
geistreiche, artige Frau aus Bremen, welche unter uns
nur die schöne Großmama hieß, weil sie bereits ein^n
Enkel von ihrer Tochter hatte, und noch immer nicht
bloß beaux restes, sondern wirkliche Schönheit besaß,
übernahm es, Frau von Stael mit mir, mich mit der
hochberühmten Frau bekannt zu machen. Wir wurden
beide zu einem Tee bei ihr gebeten, und ich konnte,
da es gerade der Wochentag war, an welchem meine
Mutter selbst Gesellschaft zu empfangen pflegte, erst
spät abkommen. Als ich eintrat, war der Kreis schon
eine Weile versammelt, und ich sah neben einer meiner
Freundinnen, die eine große Künstlerin auf dem Kla-
vier war^^*^), am Fortepiano eine Frau sitzen, welche ich
nach allem, was ich bereits gehört — für die berühmte
Dichterin erkennen mußte. Ich werde den Eindruck
nicht vergessen, den mir ihre Gestalt machte. Sie war
eine ziemHch große, starke Frau, über alle Jugend hin-
aus, mit bedeutenden, aber nicht angenehmen Zügen,
deren Ausdruck — in dem vortretenden Mund und
Kinne, in der ganzen etwas mohrischen Bildung mir
eine überwiegende Sinnlichkeit zu verkünden schien, und
deren auffallender, ich möchte sagen gewagter Anzug
Ansprüche anzeigte, welchen sowohl die Jahre als die
ganze unanmutige Erscheinung nicht entsprachen^^).
Ich grüßte allseitig, aber flüchtig, wurde der Frau
von Stael ebenso flüchtig genannt, und ging ins Neben-
zimmer, weil kein Vorzimmer vorhanden war, wo man
die Überkleider ablegen konnte, um Schal und Über-
rock auszuziehen. Gleich darauf kam Frau von Stael
mir nach, trat vor einen Spiegel, der sich hier befand,
fing an, ihren Kopfputz zu ordnen und richtete aus
314
dem Spiegel die Rede über jenen Aufsatz im Morgen-
blatt an mich. Ich antwortete freimütig, aber beschei-
den; das Gespräch dauerte nicht lange, andere traten
dazwischen, die Unterhaltung wurde allgemein, und
Frau von Stael verließ die Gesellschaft bald in Be-
gleitung ihres Cavaliere servente, des Herrn von
Schlegel. Die Art, wie sie ihn fragte, ob ihre Leute
da wären? und ihm mit einer bloßen Kopfneigung an-
deutete, sich darnach umzusehen, mißfiel mir um sein-
und ihretwillen gleich sehr. Sie erregte bei den Ver-
ehrerinnen des anziehenden Unglücklichen aufs neue
inniges Bedauern, worein ich nun freilich nicht ein-
stimmen konnte; aber sie diente nicht dazu, den Ein-
druck zu mildern, den die ganze Persönlichkeit seiner
Prinzipalin auf mich gemacht hatte.
Bald darauf wurde ich von ihr zu Tische gebeten.
Der Kreis war klein und bestand nur aus unserm wür-
digen Freund Heinrich von Collin, dem Baron Stei-
gentesch, der Frau vom Hause, ihrem jüngeren Sohn ^2^),
einem bildschönen Knaben von etwa 12 Jahren, ihrer
noch etwas jüngeren und ebenfalls sehr hübschen Toch-
ter Albertine^^ (der verstorbenen Duchesse de
Broghe), aus Schlegel und mir. Hier aber, gleichsam
im häuslichen Kreise, wo keine Prätension, keine Ab-
sicht zu glänzen, keine Koketterie sie zu einem Betragen
verleitete, das sie nicht wohl kleidete, kam sie mir
ganz anders und viel liebenswürdiger vor. Vor allem
bestach mich der ungemein schöne, weiche Ton ihrer
Stimme, und diese Stimme trug so geistreiche Dinge
mit so gewähltem Ausdruck vor, daß ich wenigstens
ihr mit dem größten Vergnügen zuhörte, und nur
einen Stenographen ins Nebenzimmer wünschte, um
schnell zu Papier zu bringen und so der Vergessenheit
315 ,
zu entreißen^ was sie so bedeutend als schön sagte.
Nach Tische mußte Collin ihr etwas von seiner Arbeit
deklamieren* — sie überlas es vorher, denn sie las
und verstand das Deutsche wohl, nur sprach sie es
nicht geläufig. Sie hörte dem Dichter mit sichtbarem
Anteil zu, und faßte lebendig jede Schönheit auf. Dann
holte sie ein französisches Gedicht, das eine schweize-
rische Dame gedichtet und das wirklich voll tiefer
Empfindung war, und las es uns mit innigem und
lebendigem Ausdruck vor, indem sie mit liebens-
würdiger Wärme uns jede schöne Stelle bemerklich
machte. So wußte sie fremdes Verdienst freundlich
geltend zu machen, und erschien mir in diesem Ver-
fahren und in ihrer einfacheren Natürlichkeit weit
angenehmer als in der anmaßenden Rolle einer hoch-
berühmten Frau, der alles huldigen soll, in welcher ich
sie bei Frau von Nuys gesehen hatte.
Nun kam der Fasching und mit ihm eine glänzende
Reihe von Festen und Unterhaltungen, denn unser
Kaiser feierte seine Vermählung mit der anmutigen
Marie Luise von Este^^). Diese Prinzessin war von
ihrer Mutter früher, wie man sagte, zum Kloster be-
stimmt (welche Bestimmung ihre bald nachher sich
äußernde KränkHchkeit wohl zu rechtfertigen schien);
aber sie hatte eine so sorgfältige Erziehung genossen,
und fand in ihrem Geiste so viel Gewandtheit und
Kraft, daß sie sogleich bei ihrem ersten Auftreten am
Hofe sich mit ebensoviel Majestät als Anmut in die
neue Herrlichkeit und die Rolle einer hochgestellten
Monarchin zu finden wußte. Der Kaiser hatte sie aus
vvirklicher Liebe gewählt, er hatte gesagt: Seine erste
Frau, Elisabeth von Württemberg^^, habe ihm sein
Oheim gegeben; die zweite, Therese von Neapel^^"),
/i'iäS
sein Vater; diese dritte nehme er sich selbst, und er
schien auch, wenigstens im Anfangej sehr vergnügt.
Späterhin soll sie ihm zuviel Eleganz und zu sehr den
Ton der großen Welt angenommen und ihn daher
nicht so glücklich gemacht haben, als er es wünschte
und hoffte. Denn er Hebte ein hausväterhch bürger-
liches Leben und wußte, wie es sich im Kongreßwinter
zeigte, sehr wohl den Patriarchen seiner zahlreichen
Familie mit der Majestät und Würde eines der ersten
europäischen Monarchen zu vereinigen.
In jenem Fasching 1808 dauerten indessen, noch
die Flitterwochen dieser Ehe, und alles bestrebte sich,
der jungen, reizenden und liebenswürdigen Monarchin
zu huldigen. Auf einer glänzenden Freiredoute^^^),
in welcher alles in möglichster Pracht erschien, zeigte
sich auch ein überaus herrlicher Maskenzug, die Hul-
digung oder ich weiß nicht, welche Feierlichkeit eines
indostanischen Sultans vorstellend. Personen des
höchsten Adels bildeten den Zug, und alles strahlte von
Gold und Edelsteinen. Die verstorbene Fürstin Col-
loredo-Mansfeld^^^), eine sehr edle Gestalt, welche
die Rolle der Sultaninmutter hatte, war ganz mit
Diamanten bedeckt, ja, es schien, als wäre ihr das
Stützen auf eine ihrer Begleiterinnen nicht bloß des
Anstandes, sondern der Last von Diamanten wegen
notwendig, unter welcher sie kaum das Haup.t gerade
tragen konnte. Der Sultan selbst war, ich weiß nicht
warum, noch ein Kind und wurde von dem, damals
bildschönen und kaum zehn- oder zwölfjährigen Grafen
Arthur Woyna'*^^ vorgestellt, der auf einem Palankin
getragen, vor welchem die Mutter herging, in seiner
kindlichen Schönheit und asiatischen Herrscherpracht
den interessantesten Teil des Zuges bildete.
317
Dieser Maskenzug (aber ohne Larven) schritt lang-
sam, zum großen Vergnügen der versammelten Menge,
durch die Säle bis an den Platz, wo der Hof sich be-
fand, und hier überreichte der Sultan oder seine Mut-
ter der neuvermählten Kaiserin einen Strauß aus
Blumen, nach den Anfangsbuchstaben ihres Namens
gewunden und ein Gedicht unsers Heinrich CoUin
dazu^^*), das die Blumen auf eine ebenso sinnreiche als
schmeichelhafte Weise erklärte.
Diesem öffentlichen Feste folgten noch mehrere; es
war, wie gesagt, eine glänzende Zeit, und als sie zu
Ende war, dachte Frau von Stael, der man sich alle
Ehre zu erweisen und sie an allem Sehenswürdigen
Anteil nehmen zu lassen bemühte, auch daran, mir
einen Gegenbesuch — den ersten und letzten — am
Aschermittwoch^'*^) zumachen, und die Weise, wie sie
mich im Zirkel meiner gewöhnHchen Abendbesuche
fand,, sowie die Zeit und ganze Art ihrer Erscheinung
war darnach, um ihr und mir deutlich zu zeigen, wie
wenig Zusammenstimmendes sich zwischen uns fand.
Als die zahlreichen Damen, welche die gewöhnliche
Abendgesellschaft meiner Mutter ausmachten, ver-
nahmen, daß Frau von Stael an jenem Mittwoch abends
kommen würde, wollte jede sie sehen, wie man etwa
ein fremdes Tier ansieht ; denn nur wenige unter ihnen
waren gebildet genug, um sich in eine Konversation
mit dieser Frau einzulassen, und unter diesen, welchen
'es wohl nicht an Geisteskultur und Artigkeit mangelte,
war doch keine der französischen Sprache so mächtig,
um ein Gespräch mit Frau von Stael hinlänglich ge-
wandt zu führen.
Auch ich fühlte mich in diesem Punkte geniert, ob-
gleich ich mich ziemlich geläufig auszudrücken geübt
318
war; aber es ist ganz etwas anderes, eine Sprache zu
reden, in der man zu denken gewohnt ist, und sich eines
Idioms bedienen zu müssen, dessen Ausdrücke sich
nicht freiwillig und sogleich unserm Geiste darbieten.
Am schwersten ist es dann, sich über Gedanken, Mei-
nungen, literarische Gegenstände usw. auszusprechen,
besonders einem so brillanten Geiste wie Frau von
Stael gegenüber, welche, wie sie sich in ihren später
erschienenen Lettres sur l'Allemagne äußert, unsere
Konversation stets unbeholfen und zu langsam fand,
und die Ursache sogar in dem Genius unserer Sprache
sieht, weil wir stets das Zeitwort zuletzt setzen, und
es daher unmöglich sei, jemand nach- den ersten Worten,
zu unterbrechen 535). In dieser Hinsicht hat ihr Frau
von Fouque sehr richtig in einer kleinen Schrift ^^ß),
die bald nach jenem Buche sur l'Allemagne erschien,
geantwortet: daß Frau von Stael nie vergessen sollte,
wenn sie über den Mangel an lebhafter Konversation .
in Deutschland klagt, daß die Deutschen so artig waren, "
als sie sich unter uns befand, ihre Sprache milf ihr zu
sprechen, in welcher wir freilich ihr an Leichtigkeit
und Reichtum des Ausdrucks nicht gleichkommen
konnten; daß sie aber bei einem nochmaligen Besuche
die Gefälligkeit haben möchte, sich im Gespräch mit
uns unserer Sprache zu bedienen; dann würde man er-
kennen, auf wessen Seite der Vorteil sei.
Doch wieder auf jenen Aschermittwoch zu kommen,
an den ich nach fast 30 Jahren nicht ohne Verlegenheit
denken kann, so saßen denn unsere Damen, — unter
welchen sich leider viele befanden, von denen ich noch
nicht begreife, wie meine so geistvolle, hochgebildete
Mutter sie fast täglich um sich dulden konnte — in
dichtgedrängter Reihe um den Teetisch, jede mit
319 '
-■ <^ ■-'^i:1v^s^'^:
einem Strickstrumpf bewaffnet, jede fest entschlossen,
und viele wohl auch, wie ich oben sagte, bemüssigt,
eine stumme Rolle zu spielen. Es wurde sieben (die
damals gewöhnliche Versammlungsstunde), es wurde
halb 8 Uhr, die Erwartete erschien nicht. — Von Män-
nern, welche man Frau von Stael mit Ehren vorstellen
konnte, hatte ich nur Herrn von Hammer und unsern
Collin für diesen Abend bekommen, und dies waren,
nebst meiner Mutter, die vortrefflich französisch
sprach, die einzigen Personen, auf die ich zählen konnte,
um Frau von Stael zu unterhalten, wenn sie käme.
Dies geschah denn endlich um 8 oder nach 8 Uhr, wo
sie von der Gräfin Wrbna^^'), ganz nahe bei uns, auf
eine kurze Zeit zu mir herüber kam. Sie trat ein, und
aller Blicke wendeten sich nach ihr. Ein Kleid von
silbergrauem Atlas und ein Schal oder Tuch von schwar-
zen Spitzen darüber, war ein recht passender Anzug
für eine Frau von ihren Jahren, aber ein, auf orien-
talische Art gewundener Wulst von schwarzem Samt,
mit hochroten Grains d'Inde vielfach umschlungen,
gab ihr etwas Höchstauffallendes, Kühnes, und kleidete
sie, meiner Meinung nach, bei ihren starken, männ-
lichen Zügen und braunem Teint durchaus nicht.
Sie saß neben meiner Mutter auf dem Kanapee,
ich nahm meinen Platz an ihrer Seite, Schlegel, Ham-
mer und Collin näherten sich ebenfalls, die Frauen
rings um den Tisch hatten ehrerbietig gegrüßt und sich
jetzt wieder niedergesetzt, um — zu stricken, wie das
altenglische Lied sagt:
Phillis, ohne Sprach und Wort,
Saß und strickte ruhig fort.
Mich überfiel eine Art von Bangigkeit, so oft ich
auf diese schweigsame Gesellschaft sah, die die hoch-
320
, "t<f :,->.
Anne Louise Germaine baronne de Stael
A. Maurin (1833) pinx., de Villain lith.
k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
berühmte Frau lautlos umgab, sie nur dann und wann
mit neugierigen Blicken musternd, und mir dachte,
welche Vorstellung sich Frau von Stael wohl nach
diesem Abend von dem Kreis machen möchte, in. dem
ich lebte. Daß es nicht eigentlich meine, sondern
meiner Mutter Bekannte waren, konnte ich nicht
sagen und sie nicht erfahren, da ich, solange meine
Mutter lebte, in diesen wie in so manchen andern
Stücken mich gänzlich nach ihr richten mußte.
Indes unterhielten eben meine Mutter und die Her-
ren, welche zugegen waren, das Gespräch mit Frau
von Stael sehr lebhaft und angenehm; sie schien
wenigstens sich nicht zu ennuyieren, sie sprach äußerst
geistreich und sagte unter andern von Chateaubriand:
il est croyant par Imagination — eine, wie mich
dünkt, sehr passende Bezeichnung. Dann forderte sie '
mich auf, sie mein organisiertes Fortepiano hören zu
lassen. Ich spielte ihr etwas vor, das Instrument gefiel
ihr wohl, wie es denn auch wirklich, maiÄhe kleine
Gebrechen abgerechnet, vielen Genuß gewährte ^^'*). Sie
berührte es hierauf selbst, aber ich kann nicht sagen,
daß sie eigentHch gespielt hätte, und bald darauf ging
sie weg. Ich fühlte mich völlig erleichtert, als sie fort
und diese so heterogene Erscheinung aus dem Gesell-
schaftskreise, für den sie und der nicht für sie paßte,
verschwunden war. Nun war das Siegel von dem Mund
der Damen gelöst, und sie ahnten wohl nicht, wie sie
so nach ihrer Art diese Frau beurteilten, daß sie, zwei
Häuser weit von uns, bei der Gräfin von Wrbna,
zu der sie Wieder von uns ging, sie die Tricoteuses de
la tribune genannt hatte.
Die Visite war denn also abgetan und ich froh,
daß sie nicht wiederholt wurde. Indes blieb Frau von
21 c. p. I
32f
Stael sehr artig gegen mich, und lud mich durch ein
freundschaftliches Billett bald darauf zu einer theatra-
lischen Vorstellung ein, welche bei der Gräfin Zamoys-
ka ^^) statthaben, und wo Frau von Stael in einem, von
ihr selbst gedichteten kleinen Schauspiel Hagar, und
dann in einer kleinen Komödie: Le legs auftreten
sollte. Die Versammlung war sehr glänzend, es war
die Creme de la Societe, obwohl sie damals noch nicht
so genannt wurde; das Appartement, nach dem da-
maligen Geschmack auf griechische Art drapiert,
von den ebenfalls unlängst modegewordenen argan-
tischen Lampen erhellt, und eine Menge kleinerer
oder größerer Etablissements mitten im Salon, so daß
die Gesellschaft ohne allen eigentlichen Mittelpunkt
nach allen Richtungen, wie es gerade jedem beliebte,
saß, stand, ging, lehnte usw. Mir war dies damals et-
was Neues, denn in den Gesellschaften des Mittel-
standes herrschte noch die ältere Sitte; aber ich fand
das Neue wo nicht hübsch, doch bequem, und jetzt
ist es wohl schon überall verbreitet, wo man auf Eleganz
Anspruch macht.
Endlich begann die Vorstellung. Wir wurden in
einen andern Salon geführt, wo ein kleines Theater
aufgeschlagen war. Das erste Stück, Hagar^^^, war von
Frau von Stael selbst. Die Szene stellte die Wüste
vor. Frau von Stael, in sehr einfachem orientalisieren-
den Anzug, trat, ihre Tochter (die Herzogin von
Broglie, damals ein zehnjähriges Kind) als Ismael -an
der Hand, auf, und gab wirklich mit vieler Wahrheit
und Lebhaftigkeit die Rolle dieser leidenschaftlichen,
unglücklichen Mutter, wobei ihr ihre ausdrucksvolle
Physiognomie und ihre schöne Stimme sehr zu statten
kam. Mich und vermutlich alle meine gegenwärtigen
322
Landsleute befremdete wohl das sehr heftige, tragie-
rende Spiel der französischen Schule, aber nie werde
ich des Tones vergessen, der ihren bebenden Lippen
entfloh, als sie in ihrer ungestümen Heftigkeit den
Wasserkrug, in dem sich ihr letzter Vorrat und das
letzte Mittel, des verschmachtenden Kindes Leben zu
fristen, befand — umgestoßen hatte, und sie nun den
Inhalt desselben gleichsam mit dem Leben des Kindes
verrinnen sah. Es war kein Schrei, kein Ruf, aber es
war ein unartikulierter Naturlaut, der, tief aus der
Seele kommend, wieder in die Seele drang, und den
ich gern mit jenem, ebenfalls halblauten Schmerzenston
Crescentinis vergleichen möchte, wenn der Sargdeckel
abgehoben wurde, und er nun Juliens Gestalt als Leiche
vor sich erblickte.
Doch nun erschien der Engel — der jüngere Sohn
der Frau von Stael — ein Knabe von zwölf bis vier-
zehn Jahren, weiß gekleidet und mit himmelblauem
Krepp drapiert, wirklich einem Engel an Schön-
heit gleich, obwohl sein Spiel, wie das bei Knaben
in solchen Jahren gewöhnlich ist, ziemlich steif
und unbedeutend war, und das Stück eijdete froh
und trostvoll unter lebhaften Beifallsbezeugungen
der Menge. ' '
Hierauf folgte das französische Lustspiel Le legs^***).
Ein Testament verbindet einen jungen Kavalier, seine
Hand der Erbin eines großen Vermögens zu geben,
wenn er dessen teilhaftig werden will. Aber er liebt .
eine andere und zieht diese der. reichen Erbin vor. Ein
fataler Zufall wollte, daß das Frauenzimmer, eine
nicht ganz junge Person, wie man sagte, welche die
verschmähte Erbin hätte machen sollen, denselben Tag
krank wurde, und nun die Frau vom Hause, Gräfin
"* 323»
i.-
; Zamoyska selbst, eine junge und sehr hübsche Dame,
.. aus Gefälligkeit und 41m die Darstellung möglich zu
machen, die Rolle der Verschmähten übernahm. Frei-
lich las sie selbe nur aus der Schrift herab, aber sie stand
doch leibhaft in ihrer Jugend und Schönheit vor uns,
während Fürst Clary^*^), der den jungen Mann mit
ebensoviel Anstand als Lebhaftigkeit gab, ihr die Frau
von Stael, die jetzt in modernem Kostüm, weiß an-
gezogen und das Überkleid mit einem Ungeheuern
Bukett am Knie trassiert, nichts weniger als schön
aussah, vorziehen sollte. Es lag etwas gar zu Wider-
sprechendes und daher Störendes in dieser Rollen-
besetzung, die denn auch zu manchem Witzworte
über die, ohnedies nicht beliebte Schriftstellerin An-
laß gab, sowie man ihre Hagar, la justification d'Abra-
ham nannte.
Nicht lange darnach wurde bei Fürst Liechten-
stein^*^ auf seinem Haustheater im Palast in der
Herrengasse ein zweites Stück von Frau von Stael:
Genevieve de Brabant^*^) gegeben. Sie war Genovefa;
Fürst Clary Sigefroi, ihr Gemahl; Schlegel ein Eremit
des Ardennerwaldes; Albertine (ihre Tochter) hatte
die Rolle des Schmerzenreich (l'enfant de la douleur),
und ihr Sohn gab einen, von ihr hinzugedichteten
, älteren Sohn Genovefens und Siegfrieds, der seinen
Vater auf die Jagd begleitet. Von Golo und allen Be-
gebenheiten, die ihrer Verstoßung vorausgehen, wurde
nur gesprochen, und das Stück begann in ihrer Höhle,
in der sie schon sieben Jahre mit ihrem Knaben lebt.
Auch in diesem Stücke zeigte sie sich als eine sehr ge-
schickte Schauspielerin; aber ihre Gestalt nahm sich
durchaus unvorteilhaft in der Kleidung von Tierfellen,
mit herabhängenden Haaren, ohne allen Putz, aus,
324
ihr Spiel war zu heftig, und die Dichtung selbst nicht
sehr bedeutend.
In der nächstfolgenden Fastenzeit hielt uns A. W.
Schlegel im Janischen Saale Vorlesungen über, Drama-
turgie^**). Diese Kollegien, in den Vormittagsstunden
gehalten und von allen besucht, welche mit Recht
oder Unrecht Anspruch auf Geistesbildung oder Ele-
ganz machten, boten eine recht angenehme Versamm-
lung interessanter Personen dar. Frau von Stael er-
schien fleißig, man war sicher, viele Bekannte und aus-
gezeichnete Menschen zu treffen oder kennen zu
lernen; was Schlegel sagte oder las, hatte natürhcher-
weise viel Gehalt, wenn es gleich zuweilen Paradoxen
enthielt und sein Vortrag nicht gerade hinreißend war.
So bildeten diese Vorlesungen eine sehr angenehme
Unterhaltung und einen Vereinigungspunkt für die
schöne Welt auch nach dem Karneval.
Eine Freundin meiner Eltern, Frau von Flies ^*^),
Schwester des Barons von Eskeles^*^), war nach einer
langen Abwesenheit im Jahre 1802 oder 1803 wieder
nach Wien zurückgekommen. Sie war Witwe und be-
jahrt, aber ein reger Geist, eine Liebe zu höheren
geistigen Genüssen und eine unepdhche Gutmütig-
keit und FreundHchkeit machten ihr Haus, so klein
es war, zu einem angenehmen Sammelplatz für einen
beschränkten, aber gewählten Kreis gebildeter Men-
schen. Man versammelte sich an einem bestimmten
Wochentage und manche, die schon zu den Auserwähl-
ten gehörten, blieben nach der Soiree bei einem
mäßigen, aber niedlichen Souper. Mich hatte Frau
von Flies liebgewonnen, ich war die Tochter lang-
bewährter Freunde, sie hatte mich als halbgewach-
senes Mädchen verlassen und fand mich als Frau von
325
mittleren Jahren, als Schriftstellerin, die schon einigen
Namen erworben hatte, wieder; so war ich ihr wert,
und ich achtete sie als eine mütterliche Freundin.
Viele angenehme Stunden habe ich in ihrem Hause
verlebt, viele anziehende Bekanntschaften dort gemacht;
durch sie ward unsere FamiHe dem Arnsteinschen
Hause, mit dem schon meine Eltern wohlbekannt
waren, dem mich aber wie vielen andern die Ent-
fernung meiner Wohnung entfremdet hatte, wieder
genähert, und ich kam nun sehr oft in diese glänzenden
Häuser von Arnstein^*'), Pereira^*^) und Eskeles.^ Doch
am meisten fühlte ich mich verpfHchtet, Frau von
Flies für ihr Wohlwollen und ihren herzlichen Anteil
an mir zu danken.
Bei ihr sah ich denn auch A. W. von Schlegel, die
schöne Großmutter und viele bedeutende Fremde.
Schlegel las uns Übersetzungen aus Calderon und
andere Gedichte, teils von ihm selbst, teils von seinem
Bruder Friedrich vor^*^), dessen Ankunft in Wien man
fürs nächste Jahr erwartete, und auf welchen, sowie
auf den schon anwesenden Bruder, ihre Fehden mit
Kotzebue und Merkel^"), sowie ihre Vergötterung
Goethes und die neuen Theorien von Poesie höchst
aufmerksam gemacht hatten. Jene Abende bei Frau
von FHes waren mir sehr angenehm, und in solchen
lebhaften geselligen Verbindungen ging der Winter
von 1807 auf 1808 genußreich hin.
Im Frühjahr dieses Jahres erschien mein Agathokles,
an dem ich fast drei Jahre gearbeitet hatte, und er-
regte im Anfange wenig Teilnahme^^^). Auf mich
stürmte in derselben Periode manches häusliche
Leiden ein und wurde mir zum Prüfstein meiner inner-
lichen Kraft. Ich ertrug und ich kann sagen, ich über-
326
wand es. Waren doch meine Lieben, mein Mann,
mein Kind, meine Mutter mir geblieben. Ich war an
manchem Schönen, mancher jugendHchen Täuschung
ärmer, aber an Mut, Erfahrung und Geduld reicher
geworden.
Im nächsten Herbste traf also Friedrich von Schle-
gel^^^) mit seiner Frau, einer gebornen Mendelssohn,
in Wien ein. Alles war sehr gespannt auf dieses Paar;
denn nächst dem wohlverdienten literarischen Ruhm,
der Friedrich von Schlegel voranging und ihm schon
längst die Achtung der Gelehrtenwelt erworben hatte,
gesellte sich noch ein pikanterer Reiz dazu. Man freute
sich, den streitfertigen Gegner Merkels und Kotzebues,
den Mann, der als Gründer einer neuen poetischen
Schule so viele langverehrte Autoritäten von ihren
Altären stürzen wollte und in Vieler leicht beweglicher
Meinung auch gestürzt hatte — endlich auch den Ver-
fasser der vielberüchtigten Lucinde^^^) von Angesicht
zu Angesicht kennen zu lernen. Dieses Buch, sowie
das meiste, was ungefähr 5 — 6 Jahre früher aus der
Feder dieser beiden Brüder geflossen war, hatte
Deutschland in Erstaunen gesetzt; war aber doch von
den meisten zwar mit Anerkennung der großen Ge-
lehrsamkeit, im ganzen aber mit Mißbilligung auf-
genommen worden. Überdies erwartete man;in Frau
von Schlegel^^*) das Urbild der Lucinde zu erbhcken,
und so sah man ihrer beiderseitigen Erscheinung be-
gierig entgegen.
Hatte aber schon A. W. Schlegel durch sein zier-
liches, fashionables und fast übertrieben sorgfältiges
Äußeres die allgemeine Erwartung getäuscht, welche
auf einen tüchtigen Renommisten und rauhen, scharfen
Kritiker, dessen Sitten der Umgang mit den schönen
327
Künsten nicht gemildert hatte, vorbereitet war, so fand
sich bei seinem Bruder noch weniger von diesem, durch
die Phantasie entworfenen Bilde. Friedrich Schlegel
war ein Mann gegen Vierzig — mit einer ziemlich an-
genehmen Bildung, der aber in Wuchs, Gesicht und
Benehmen viel eher einem einfachen, redlichen Bür-
gersmann als einem schlag- und streitsüchtigen Ge-
lehrten glich ^^^). Noch auffallender war der Kontrast
zwischen dem Bilde, das wir uns hier von seiner Frau
entworfen, in der jedermann das Urbild der schönen,
lüsternen, freien Lucinde zu finden dachte, und dem
Eindrucke, den die wirkhche Erscheinung dieser Frau
machte. Es war eine, längst über alle Jugend und alle
Schönheit — wenn je eine dagewesen war — hinaus-
gerückte Gestalt, von mittlerem, etwas starkem Wüchse
mit geistreichen, aber beinahe männHchen Zügen,
wie denn manche, die ihren berühmten Vater gekannt,
behaupteten, sie sähe ihm ganz ähnlich. Dennoch war
in diesen nicht reizenden Formen ein solcher Aus-
druck von Geist und höherer Natur, in diesen wirk-
lich schönen schwarzen Augen so viel Leben, Feuer
und Güte, in dieser ganzen Persönlichkeit so viel echt
weibliche Würde, sittsamer und feiner Anstand, daß
es unmöglich war, auch nur einen Augenblick länger
an jenes schlüpfrige, unsaubere Bild zu denken, und
daß man sich mit mächtigen Banden der Achtung
und des Wohlwollens zu dieser merkwürdigen, geist-
vollen und doch so anspruchslosen, zu dieser viel-
besprochenen, vielgeprüften und doch so einfachen
Frau hingezogen fühlte. Wenigstens ging es mir so,
und die allgemeine Achtung, deren sie während eines
vieljährigen Aufenthaltes in Wien sowie später in
Frankfurt genoß, die warme Freundschaft, mit welcher
^28
alle, die sie näher kennen gelernt, an ihr hingen, be-
weist, daß diese meine Empfindung, welche mich nun
auch schon seit beinahe dreißig Jahren für diese Frau
belebt, keine individuelle Ansicht oder wohl gar Täu-
schung gewesen sei^^^).
Genug, die Schlegel waren nun in Wien. Bald er-
hielt Friedrich eine diplomatische Anstellung, die ihn
an Österreich band, und ihr Haus ward ein Vereini-
gungspunkt für höhergebildete Menschen, interessante
Fremde und Künstler. Sehr angenehm verflossen dann
die Abende in diesem^ Kreise,'"und gerade die Beschrän-
kung der Glücksumstände, welche der Familie keinen
Aufwand, keine oft lästige Eleganz und prätenziöse
Fashionablität erlaubte, gab diesen Zusammenkünften
einen eigentümlichen Reiz von hausväteirlichem Ton
und herzlichem Wohlwollen. Man fühlte, daß man
wirklich willkommen war, und daß das einfache, aber
schmackhafte Gouter uns mit aufrichtiger Wohl-
meinung geboten wurde. Ich war ungemein gern da,
und zähle jene Stunden, bei Frau von Schlegel zu-
gebracht, zu den angenehmsten meines Lebens ^^').
So verging das Jahr 1808 unter wechselnden, aber
bedeutenden Ereignissen, und das ungleich wichtigere
1809 brach an.
Schlegel hatte eine Zeitung begonnen. Es war der
Osterreichische Beobachter ^5^), der damals zuerst er-
schien, und so wie jetzt unter der Ägide und mithin
unter der Aufsicht der Staatskanzlei oder eigentlich
des Fürsten (damals Grafen) Metternich stand. Große
Bewegungen schienen sich vorzubereiten und auf noch
größere Ereignisse hinzudeuten. Napoleon dehnte in
Krieg und Frieden seine Macht immer weiter aus. Er
eroberte durch seine Armeen und seine überraschende
329
Taktik, die damals noch immer das Erstaunen und eben
deswegen auch den Ruin der feindlichen Armeen ver-
ursachte, große Länderstrecken. Was er erobert, be-
hielt er beim Friedensschlüsse und wußte nach dem
Frieden oder eigentlich während des Friedens unter
allerlei der nichtigsten Vorwände, womit er der Welt
gleichsam spottete, mehr Länder zu besetzen, zu be-
halten und als direkte und indirekte Staaten seinem,
bereits nach der Universalmonarchie strebenden Reiche
einzuverleiben, als ihm das Glück der Waffen verschafft
hatte. Die Freiheit der Presse war durch ihn vernich-
tet, ein ungeheures Lügensystem in den Zeitungen
eingeführt und in der Absicht, den englischen Handel
zu zerstören, ganz Europa mit der Kontinentalsperre
unter dem unerträglichsten Drucke gehalten. Alles
seufzte unter diesem Joche, die alten Throne wankten,
und mit Bangigkeit sahen Völker und einzelne dem Los
ihrer künftigen Tage entgegen, dessen Bestimmung
einzig und allein von dem Willen eines Mannes, dieses
Napoleon, abhängig war, den jetzt so viele mit un-
begreifHcher Vergessenheit alles einst Geschehenen als
einen Verfechter der Völkerfreiheit und liberaler Ideen
betrachten.
In ganz Deutschland, besonders nach dem Unglücke
Preußens ^^^), gärte und kochte Haß gegen diesen —
jetzt so gerühmten Freiheitshelden, und geheime Ver-
bindungen knüpften sich an, um wo möglich eine Reak-
tion hervorzubringen. Es mag nun wohl sein, daß
englisches Gold unter der Hand zvl diesem Zwecke
tätig gewesen war, so viel aber ist gewiß, und jeder
Zeitgenosse, der jene Epoche mit erlebt, wird es zu-
geben müssen, daß ganz Deutschland sowie Österreich
die Last jener Verhältnisse mit Schmerzen fühlte und
330
einer Möglichkeit, sie abzuschütteln, mit banger Sehn-
sucht entgegensah.
Ein schönerer Geist fing an, sich zu regen. Durch
Bücher, durch Dichtungen, durch die Richtung, welche
Kurist und Literatur auf vaterländische Gegenstände
nahmen, bekamen diese höheren Wert für jeden, als
sie vormals gehabt hatten. Die Idee des Vaterlandes,
die Nationalehre erwachte in den, durch lange Gewohn-
heit und bequemes Hinleben im behaglichen Friedens -
Stande der letzten Dezennien erschlafften Geistern, und
es ist nicht zu leugnen, daß auch die romantische Poesie,
indem sie eine bis dahin unbeachtete Vergangenheit aus
ihren Gräbern aufrief, und die alten Schätze deutscher
Dichtkunst uns vor Augen führte, diesen Geist erhöhte
und verstärkte. Man fing an, das alte Deutschland zu
lieben, man studierte seine Sitten, man erwärmte sich
an dem ritterlichen, frommen Sinne des Mittelalters
und gewann das Land und die Landsleute lieber, denen
man früher gern alles Ausländische vorgezogen hatte.
So war die allgemeine Stimmung, als Österreich
den Krieg an Frankreich erklärte. Unser Freund CoUin
dichtete für diesen Zweck seine Landwehrlieder, welche
mit Musik von Weigl am Ostersonntag vor einer ge-
drängten Versammlung von mehreren tausend Men-
schen im Redoutensaale gesungen wurden und in welche
das Publikum, wo es anging, mit voUer Seele und unter
allgemeinem Jubel einstimmte. Welch ein Tag war
das!^*°) Welche Stimmung unter meinen Mitbürgern,
und wie — — doch ich will mir nicht selbst vor-
greifen.
Die Regimenter fingen an, sich zu rühren. Die
sechs Landwehrbataillone von Wien wurden organi-
siert^*^). Viele angesehenere junge Leute nahmen
331
Pienste, darunter B. Steigentesch, und andere aus-
gezeichnete Offiziere schätzten es sich zur Ehre, sich
an die Spitze eines der Bataillone zu stellen; Graf
H070S (der Oberstjägermeister) ^^^ bewaffnete seine
Bergbewohner, die Untertanen seiner Güter, und
zog selbst als ihr Oberst mit ihnen aus, jedes Ungemach,
jede Entbehrung, jede Gefahr mit ihnen teilend. Sie
begleitete als Feldkaplan ein ausgezeichneter Geist-
licher, Baron Somerau-Beeckh^*^, ein Jugendbekannter
von mir, mit dem ich mehr als zwanzig Jahre früher
manchen Walzer getanzt hatte. Damals dachte wohl
niemand an eine solche Umstaltung seiner Laufbahn;
denn aus jenem fröhlichen Studentenleben trat So-
merau ins MiKtär, und es vergingen mehrere Jahre,
während welcher niemand — kaum seine Mutter und
Schwester — etwas von ihm wui3ten. Plötzlich, kurz
vor meiner Verheiratung, verbreitete sich das Gerücht,
Baron Somerau habe sich dem geistlichen Stande
gewidmet, und bald darauf kam er nach Wien, besuchte
uns freundlich, zeichnete sich sofort in seiner neu-
gewählten Laufbahn .als Seelsorger und Prediger aus,
war Kaplan in mehreren Pfarren nacheinander, zog
dann mit der Landwehr aus, der er als ehemaliger
Militär von großem Nutzen war; erwarb sich auch in
dieser Laufbahn Ehre und Achtung, wurde dann Dom-
herr in Olmütz, und ist jetzt (ich schreibe dies im
Dezember 1836) erwählter Fürst-Erzbischof von Ol-
mütz! Per tot discrimina rerum! Nicht ohne stilles
Vergnügen weilt mein Geist bei den Erinnerungen
an diesen Mann, dessen Laufbahn so sonderbar, dessen
Geist und Gemüt stets ausgezeichnet waren, dessen
endliche Erhebung auf den Fürstenstuhl für seinen
gediegenen Wert beweist, und ich denke gern an die
332
längstvergangene Zeit, zwischen die und jetzt sich
ein halbes Jahrhundert drängt, wo ich mit ihm jugend-
liche Freuden teilte oder zehn Jahre später, als er
schon Priester war, mich an seinem geistreichen Um-
gang ergötzte oder an seinen Predigten erbaute, die
wirklich sehr gut waren und ein zahlreiches Publikum
hatten.
Das berühmte Kürassierregiment ,^Hohenzollern (vor
200 Jahren Dampierre, später Großfürst Konstantin,
oder wie es jetzt heißen mag) marschierte durch Wien,
und wie es sich dies Vorrecht durch die Befreiung
Kaiser Ferdinands II. im Jahre 1619 verdient, zog es
durch die Stadt, durch die kaiserliche Burg, und schlug
sein Werbgezelt auf dem Burgplatze auf, wo sich so-
gleich zwei Fürsten Liechtenstein^'*) anwerben ließen.
Mich regte das alles ungemein auf, und ich dichtete
eine Romanze, deren Inhalt diese Rettung des Kaisers
und das von diesem Regimente erworbene Vorrecht
waren. Die Romanze^**) erschien, wenn ich nicht irre,
an dem Tage selbst, wo der Einmarsch statthatte, und
ich sah die ganze Zeremonie mit wahrhaft klopfendem
Herzen und unter frommen, aber zitternden Wünschen
für den glücklichen Ausgang aller dieser Bestrebungen
aus den Fenstern des k. k. Archivs an Hormayrs Seite
an, dfsr voll stolzer Hoffnungen war und sich anschickte,
als Generalintendant nach Tirol zu gehen und dort
den Landsturm gegen die Bayern und Franzosen zu
organisieren^"). Es war wohl nur Zufall, aber doch
ein böses Omen, daß er gerade am Karfreitag zu dieser
Mission von hier abging.
Die Würfel waren geworfen, die Regimenter mar-
schierten gegen den Feind. In unserm Kreise befanden
sich mehrere Familien von Offizieren; die Frauen, die
333
Verwandten sahen mit noch bangerem Gefühl als wir
übrigen dem Schicksale der kommenden Tage ent-
gegen; denn manche traurige Erfahrung von 1797,
1800, 1805, Preußens Schicksal in den Jahren 1806 bis
1807 hatten uns die frohe Zuversicht in das Glück der
österreichischen Waffen im Konflikt mit jenen bis
dahin unüberwindlichen Armeen sehr geschwächt.
Jedoch lebte noch manche freundliche Hoffnung in
uns, gestützt auf die Größe und Wirksamkeit der An-
stalten, auf den Ruhm des Erzherzogs Karl, der zum
GeneraHssimus ernannt war, und den neuen patrio-
tischen Geist, der die ganze Nation beseelte.
So vergingen einige Tage. Es waren, um den Schutz
des Himmels für unsere wirklich gerechte Sache an-
zuflehen, Bittgänge angeordnet, an denen der Hof
und die ganze Stadt teilnahmen^"). Ehe der Tag zu
diesen Prozessionen erschien, ereilten uns schon trübe,
unglückverkündende Botschaften. Der Unfall bei
Regensburg war eingetreten ^^^. Von einem Vorrücken
oder Angreifen keine Rede mehr. Die Armee des Erz-
herzogs zog sich nach Böhmen. Mit welchen Gefühlen
der Angst und inbrünstiger Andacht um Abwendung
der abermals drohenden Gefahr wurde diese Pro-
zession begangen! Mit welchen schmerzHchen Ge-
fühlen betrachtete ich den Dom von St. Stephan,
während die Prozessionen der Vorstädte laut betend
und den Herrn der Könige, der „ihre Herzen wie
Wasserbäche lenkt" ^'^), um Schutz und Segen für den
Monarchen, für das Vaterland, für jeden einzelnen
anrufend, in denselben einzogen! Ach, dieser Dom!
welche Schicksale hatte er nicht schon gesehen, was
hatte er nicht mit Österreich mitgemacht ! Ruhm und
Glanz, Not und Gefahr, Elementarstürme und Be-
334
lagerungen! Es kam mir in dem Augenblick das ehr-
würdige Gebäude mit seinen kolossalen Dimensionen,
mit seiner altertümlichen Pracht, mit seinen, durch
fünf Jahrhunderte dauernden Mauern wie ein Symbol,
wie ein Repräsentant von Österreich und von seinem
Kaiserhause vor. Waren es denn nicht einige der
ersten Herzoge aus diesem Hause, welche den, von den
Babenbergern gegründeten kleinen Bau nach einem
größern Plan erweitert und in der Pracht hergestellt
hatten, in der wir ihn noch sehen ? Gerade wie auch
das Haus Habsburg die anfangs kleine Macht der
Ostmark endlich zu der Größe von Bedeutenheit
und Gewalt gebracht hat, deren sich Österreich jetzt
erfreuen durfte.
Durch unsern werten Freund, Baron, jetzt Graf
Rothkirch, der als Major vom Generalstabe mit der
Armee fortgezogen war, bekam ich die erste ausführ-
hchere Nachricht von jenen Unglücksfällen. Sein Brief,
in sehr düsterm Ton geschrieben, war aus einem kleinen
Flecken an der böhmischen Grenze datiert. Er schickte
mir durch einen vertrauten Menschen einen Teil seiner
Barschaft, seine Karten und eine Kassette mit Papieren,
um es zu verwahren. Während aber jene Truppe sich
nach Böhmen gezogen hatte, war die feindliche Armee
uns schon ganz nahe gekommen. Der Hof, die Kanz-
leien gingen fort, die kaiserlichen Schätze, Gale-
rien usw. wurden eingepackt und entweder fortgesandt
oder an verläßlichen Orten verborgen"^). Zum vierten
Male hatten wir eine Invasion des Feindes mit allen
ihren Schrecken zu befürchten, zum zweiten Male
sollte sie wirklich über uns kommen, und um so furcht-
barer, da man nicht bloß wie anno 1797 daran dachte,
die Stadt zu verteidigen, sondern wirklich alles Ernstes
335
die Anstalten dazu getroffen, die Basteien mit Kanonen
besetzt, die Zugbrücken an den Stadttoren in Gang
gesetzt wurden, und die Vorstädte folglich dem Feinde
oder dem Pöbel preisgegeben werden soUten^'^). v
Das war keine freundliche Aussicht, zumal für uns,
die die Lerchenfelder Bevölkerung von der ersten
Hand zu erwarten hatten. Meine Mutter, damals
schon hochbetagt, überlegte, was zu tun sei. Viele
rieten uns, von hier wegzugehen und taten es selbst;
andere zogen, der persönlichen Sicherheit wegen vor,
sich lieber in die zu belagernde Stadt einschließen zu
lassen. Unter diesen war eine Familie, welche aus einer
hochbetagten Mutter^''^), zwei verheirateten, aber
von ihren Männern getrennten Töchtern und deren
Kindern bestand. Diese trieb die Angst vor Volks-
aufständen in^ie Stadt hinein, und es war auch wirk-
lich zu verwundern, wie man, da eine Belagerung be-
vorstand, so viel unnützes Volk in den Umkreis der
Stadt aufnehmen mochte. Doch die eine der Töchter,
eben jene schöne und geistreiche Frau von Kempelen,
welche mit unserm Freunde Streckfuß und dann noch
mit mehr andern zärtliche Verhältnisse gehabt hatte,
und die nun in unserm Hause einen neuen Magnet
an einem s^hr braven und interessanten Manne ge-
funden hatte ^'3), Frau von K. entschied sich, in der
Vorstadt zu bleiben, und wenn wir sie aufnehmen
wollten, die Tage der Gefahr mit uns und unsern Haus-
genossen zu teilen. Meine Mutter hatte schon früher,
teils aus eigener Ansicht, teils auf den Rat eines sehr
würdigen Freundes, des Waisenhausdirektors Vier-
thaler, sich entschlossen, in ihrem Hause zu bleiben.
Vierthaler hatte ihr nämlich gesagt: wo Gott sie hin-
gestellt habe, wo ihr liegendes Eigentum sei, das sie
336
Antonie von Kempelen
Unsignierte Miniatur — Dr. Albert Figdor, Wien
f
ohne großen Schaden nicht verlassen könne, dort sei
auch ihr Platz bei Gefahren; und so blieb sie denri!^
und wir fingen an, für die ersten Tage der Unruhe
und Verwirrung einige Vorräte an Mehl, Hülsen-
früchten, geräuchertem Fleisch, Schmalz usw. einzu-
schaffen und einstweilen auf dem Hausboden zu ver-
wahren. Komisch war es, bei aller Angst und Besorg-
nis, die uns drückten, das Benehmen mancher von
den alten Frauen, den Gesellschafterinnen meiner Mut-
ter, zu beobachten, und ich habe einige Züge aus jener
Zeit in dem Charakter der Frau v. Volkersdorf in
meinem Roman: Die Belagerung Wiens ^'^^), aufbewahrt,
wie sie von jeder Höckerin, jeder Magd sich Nach-
richten holten, an die sie fest wie an offizielle Berichte
glaubten; wie jedes ungewöhnliche Getöse sie in Angst
versetzte, weil sie es für Schüsse hielten, und als die
Feinde noch bei Linz standen, das Holzabladen in
einer nahen Straße für fernen Kanonendonner gehal-
ten wurde.
Zum Glück für mich waren aber auch klügere
Frauen in unserem Kreise, welche doch selbst, als Offi-
ziersfrauen, eher ein Recht gehabt hätten, ängstlich
zu" sein. Die Baronin Richler mit ihren beiden Schwe-
stern^'^), deren Mann an der Spitze eines Landwehr-
bataillons ausgezogen war, und die Baronin von
Engelhardt samt einer Schwester, die für den Mann,
den Sohn und den Bruder zu zittern hatten, welche
beim Regiment Deutschmeister standen^'*). Und
gerade diese waren die Ruhigsten, die Vernünftigsten,
an deren Haltung und Fassung ich mich oft aufrichtete.
Es war eine schöne Frühlingszeit im Anfange des Mais,
und unser stiller Garten in der Alservorstadt jeden
Abend und oft auch während des Tages der Sammel-
23 c. P. I
337
platz des kleinen Kreises der Freundinnen und einiger
hiergebliebener Freunde, welche die Nachrichten, die
jedes vernommen, ihre Mutmaßungen, düstern Be-
sorgnisse oder geringen Hoffnungen einander mit-
teilten.
Indessen rückten die Feinde immer näher heran,
und drangen endlich bis in die Vorstädte. Jetzt hörte
man wirklich ihre Schüsse ziemUch nahe; die Tore
der Stadt wurden gesperrt, unsere Bürgerregimenter
marschierten auf die WäUe und bedienten das Geschütz.
Wie in der letzten türkischen Belagerung geschah der
Angriff von Seite der ungarischen Garde und der k. k.
Stallungen gegen die Burgbastei und den kaiserlichen
Palast. Hier stand einer unserer Freunde, der Haupt-
mann beim zweiten Bürgerregiment, Barchetti, ein
schöner, junger Mann mit seiner Kompagnie. Eine
französische Kugel riß ihm den Schenkel weg, er wurde
in die Stadt hinabtransportiert, sein Bruder (der
jetzige Gubernialrat) geholt; er starb aber noch diese
Nacht — vielleicht nebst wenigen Unbekannten das
einzige Opfer von Bedeutung, welches diese Beschießung
gekostet hatte; denn er war ein hoffnungsvoller Mann
in der Blüte seiner Jahre und Vater von mehreren
Kindern"').
Am Abend wurde das Schießen von beiden Seiten
stärker. Lange bewahrten die Mauern der k. k. Stal-
lungen die Spuren mancher Kugeln, welche von der
befreundeten Stadt hinaus auf die Vorstädte flogen.
Mit dem Einbruch der Nacht schien die Beschießung
der Stadt ernstlich zu werden, und in dem Maße, wie
die Schüsse näher, dichter fielen, wuchsen natürHcher-
weise unsere Besorgnisse. Man berichtete uns, daß wir
vom Garten aus die Richtung und den Weg der Kugeln
338
UjA'^^
sehen könnten. — Wir eilten in das Zimmer, welches
in den Garten sieht, und das uns, freilich hinter Bäumen
und von andern nähern Gebäuden versteckt; dennoch
ziemlich richtig die Lage der Vorstädte, in denen die
Franzosen mit ihrem Geschütze standen, und die Gegend
der Stadt beurteilen ließ, wohin sie ihre Schüsse richte-
ten, und woher die der unserigen kamen. Mit bangem
Mute standen wir, Frau von K**, der jüngere Kur-
länder, ich und mein Mann, am Gartenfenster da,
und sahen von der rechten Seite herein (von der Gegend
des Spittelberges) die Haubitzen der Franzosen als
weißglänzende zitternde Schlangen in fast horizontaler
Bewegung gegen die Stadt hinfliegen — furchtbare
Vögel, die Graus und Flammen dahintrugen, wo sie
hintrafen, während aus der Stadt linksherüber in maje-
stätischem Bogen rotlodernde Bomben si^h erhoben
und sich auf die, vom Feinde besetzte Gegend herab-
senkten. Das Krachen, der Donner des eifrig spielen-
den Geschützes, das in solcher Nähe auch bald uns
selbst zu erreichen drohte, hatte schon an und für sich
etwas sehr Beängstigendes; noch beängstigender aber
war es für uns, als wir rechts hinüber, also in der be-
freundeten Stadt, eine Lohe um die andere auflodern
sahen und unsere Phantasie freien Spielraum hatte, sich
jeden oder jede unserer liebsten Freunde jetzt in
Feuers- oder Lebensgefahr zu denken! Es war eine
furchtbare Nacht — durch die Menschen dazu ge-
macht! während der Garten mit seinen Blumen und
Bäumen, vom hellen Monde beglänzt, im tiefsten
Frieden der Natur vor uns lag"^)!
Pichler ging mit einer Seelenruhe, die ich mir wohl
wünschen, aber nicht erlangen konnte, gegen zwölf Uhr
von uns weg, legte sich zu Bette und schlief richtig
32*
339
während des Kanonendonners, der bis gegen drei Uhr
morgens währte, ruhig ein. Wir übrigen brachten
diese Stunden wach und in großer Unruhe zu, und ich
stieg mehr als einmal zu meiner verehrten Nachbarin,
der Baronin von Engelhardt hinauf, um bei ihr, die
als sehr gescheite Frau, als Gemahlin eines Militärs,
und welche die Belagerung von Mainz mitgemacht
hatte, mir gänzlich Unerfahrenen zu Rat und Trost
sein konnte. Aber Trost gaben mir ihre Reden nicht,
vielmehr gingen aus denselben größere Besorgnisse
hervor; denn es wurde mir klar, daß die heutige Nacht
nur erst der Anfang bedrängterer Tage sein könne.
Endlich hörte der Kanonendonner auf, ich legte mich
zu Bette und schhef ein paar Stunden. Als ich nach
sechs Uhr in den Garten hinabging, und unserm alten
Gärtner, der in seiner Jugend Kanonier gewesen war,
von den Schrecken dieser Nacht sprechen wollte, sagte
der alte Soldat ganz ruhig : Gnädige Frau ! Das wird und
muß noch ganz anders kommen. Jetzt werden die
Franzosen die Dächer der nächsten Häuser am Glacis
abdecken und die Kanonen dort hinaufpflanzen, dann
wird das Schießen erst recht angehen. Des Mannes
Meinung traf zu genau mit dem zusammen, was meine
Freundin mir in der Nacht gesagt hatte, um mir nicht
die lebhafteste Angst einzuflößen.
Indessen — kein Schuß ließ sich mehr weder aus
der Stadt noch aus der Vorstadt vernehmen, und wie
wir uns auf der Gasse umsahen, bemerkten wir zu un-
serer Beruhigung, daß auf den Dächern des Universal-
spitales, Findelhauses usw. schwarze Sicherheitsfahnen
aufgesteckt "Waren, um diese frommen Anstalten vor
den feindlichen sowohl als freundlichen Kugeln zu
schirmen; denn das durften wir unsern Siegern wohl
340
■ \^
k,f
zutrauen, daß sie solche Häwser, welche der leidenden
oder der hilflosen Menschheit gewidmet waren, re-
spektieren würden. Und sie taten es auch bei jeder
Gelegenheit, sowie sie sich, als sie später die Stadt
schon besetzt hatten, bei Unordnungen willig und ge-
horsam von unserer Bürgergarde arretieren Heßen, und
so manchen „Staberl" als das Organ der öffentlichen
Ordnung und Sicherheit ehrten. Das sind eben die
zwar seltenen, aber erfreulichen Züge, an denen der
unparteiische Beobachter das langsame, aber sichere
Vorrücken der echten Sittigung wahrnehmen kann.
Gegen 8 Uhr überraschte uns, und wahrlich nicht
ganz angenehm, die unerwartete Nachricht, daß die
Stadt übergeben sei und die Franzosen sogleich Besitz
davon nehmen würden ^'^). So waren denn alle die An-
strengungen, so manches Leben, welches für die Idee
der Stadtverteidigung gefallen war, so viele Vorberei-
tungen und Entschlüsse vergeblich — und das ganze
eigentlich eine leere Ostentation gewesen! Da hätte
man nicht bedurft, die Einwohner zu schrecken, sie so
manchen Plackereien zu unterwerfen, so manches Haus
den Flammen zu überliefern, so vieler Menschen Ge-
sundheit und Leben, die in der Nacht des Bombarde-
ments gelitten, aufs Spiel zu setzen, wenn der Wider-
stand nicht länger als 24 Stunden dauern sollte. Wohl
hatte die Vorstellung einer längern Belagerung und
dessen, was die Vorstädte hätte betreffen können,
viel Furchtbares für uns; aber vieles, was nur im ersten
AugenbHck schreckte, war schon überwunden, vieles
hätte die Notwendigkeit ertragen gelehrt, zu vielem
war ja jeder Österreicher freudig entschlossen, wenn
es das Wohl des Vaterlandes galt, um den Feind auf- '
zuhalten und dem geliebten Erzherzog Karl die Mög-
341 .
lichkeit zu verschaffen, sich mit seiner Armee von der
Nordseite her der Donau zu nähern und vielleicht der
bedrängten Stadt glorreichen Entsatz zu bringen. Was
hätte man nicht gern dafür ausgestanden?
Das war nun alles vorbei ! Von dem Bombardement,
von dem Abdecken unserer Häuser und dem Aufführen
des Geschützes — waren wir befreit. Kein Bürgerblut
brauchte mehr vergossen zu werden; aber das Ganze,
so wohltätig und schonend es aussah, mißfiel doch den
meisten.
Die Verbindung mit der innern Stadt war nun er-
öffnet, die feindlichen Truppen zeigten sich hier und
dort und wurden nicht aufs beste empfangen, wie denn
einer ihrer Offiziere, und was die Sache schlimmer
machte, ein Parlamentär oder sonst Beauftragter auf
der Laimgrube vom Pöbel mißhandelt und schwer ver-
wundet wurde ; denn der Haß gegen die Franzosen war
ungemein groß unter dem Volke und früher geflissent-
lich genährt worden ^^°).
Nun rückten die feindlichen Scharen förmlich ein,
und die Einquartierungen nahmen ihren Anfang. Der
erste Besuch derselben im Jahre 1805 hatte uns mit
der Idee, dergleichen Gäste aufnehmen zu müssen, ver-
trauter, und ihr anständiges Betragen sie erträglicher
gemacht. Aber nun trat eine andere Bedrängnis ein.
Der Hof hatte sich samt allen Kanzleien, Schätzen,
Kassen usw. nach Ungarn begeben, und mit Öster-
reich, als einem vom Feinde besetzten Lande, sollte
aller Verkehr aufhören. Wir wurden also von Ungarn,
woher die Hauptstadt den größten Teil ihres Lebens-
unterhaltes bezogen hatte und noch bezieht, ab-
gesperrt. — Nun brach der Mangel an Brot, Fleisch
usw. sogleich aus. An den Bäckerladen standen die
342
Kunden oft halbe Nächte lang, um am Morgen, 50 wie
geöffnet wurde, wenn auch -selten ihren ganzen Be-
darf, doch wenigstens einen Teil davon zu erhalten,
und bei diesen drückenden Umständen hatte jede Haus-
haltung beinahe noch einige fremde und oft sehr
fordernde Gäste an ihren Einquartierten zu bewirten ^*i).
Noch schmerzlicher indes als diese leiblichen Ent-
behrungen drückte uns alle der Mangel an zuverläs-
sigen Nachrichten von dem öffentlichen Stande der
Dingej von dem, was unsere Armeen machten, wo
sie standen, wie es den beiden Erzherzogen Karl und
Johann erging, was wir für unser Geschick in diesen
so wichtigen. Verhältnissen zu hoffen oder zu fürchten
hatten ? Mit eifersüchtiger Strenge vnißten die Feinde,
die uns unter ihren eisernen Krallen hielten, jede Nach-
richt abzuhalten, und was unter der Hand einer dem
andern mitteilte, hatte keine Autorität und erwies
sich auch früher oder später als unwahr. Das \vußte
man, daß der Erzherzog Karl am jenseitigen Donau-
ufer lagerte, und Erzherzog Johann in Eilmärschen nach
der Schlacht von Caldiero^^^) über die steierschen Ge-
birge heranzog, um dem Feinde von hier entweder in
den Rücken zu fallen, oder den Umweg durch Ungarn
nehmend, sich mit seinem Bruder auf dem jenseitigen
Lande zu vereinigen.
So dauerte unsere bänghche Lage einige Tage fort,
während welchen unser einquartierter Offizier, ein
artiger, selbst ein schöner, übrigens aber unbedeuten-
der Mann, uns benachrichtigte, daß wir ihren Kaiser
in Schönbrunn bei einer Revue, die auf der Schmelz
(den weiten Feldern zwischen Schönbrunn und der
Lerchenfelder Linie) gehalten würde, sehr gut sehen
könnten ^^3).
343 .
Ich fuhr also mit meinem Schwager Kurländer
und Frau von K** nach Schönbrunn. Hier, sowie wir
uns durch die Allee dem Schlosse näherten, war alles
voll Menschen, Wagen und Pferden, herbeigezogen
wie wir durch die Neugier, den ausgezeichnetsten
Mann von ganz Europa zu sehen. Mir war schmerzlich
zumute, ich kann es nicht leugnen, denn mein Gemüt
ertrug nur mit Widerstreben das Gefühl des Fremd-
lingsjoches, und meine Erinnerungen führten mich
in die Zeiten meiner schönen Kindheit und Jugend
zurück, wo ich oft mit meinen Eltern hieher gekom-
men war und die edlen Gestalten der Glieder unsers
Herrscherhauses in diesem Schlosse, in diesen Gärten
gesehen hatte. Jetzt wimmelte es im Schloßhof und
vor demselben von den kaiserlich französischen Garden
in den geschmackvollsten, reichsten Kostümen — ob-
wohl etwas von den gewöhnlichen Formen unsers
MiHtärs abweichend — Husaren z. B. in Pantalons;
nie aber hatte ich auf einem verhältnismäßig kleinen
Raum so viele schöne Männergestalten gesehen, als
sich hier bei jedem Blicke zeigten, und es hatte das
Ansehen, als wäre die Wahl bei der Aufnahme in diese
Korps nach den Vorschriften eines Winckelmann oder
solcher Meister bestimmt worden.
Eine gute Weile mußten wir mit unserm Wagen
in der Allee halten und warten. — Endlich kam Be-
wegung in die überall verstreute Menge der Zuseher
sowohl als des französischen Militärs, und nun erschien
eine große Schar prächtig gekleideter Offiziere zu
Pferde, die aus dem Schloßhofe über die Brücke sich
der Allee näherten. Sie kamen uns nahe — Gold- und
Silberstickereien bedeckten die dunkeln Uniformen,
Federbüsche von allen Farben schwankten auf den
344
reichgallonierten Hüten, Mützen, Tschakkos usw. Es
war die französische Generalität, und in der Mitte der
glänzenden Schar — der kleine Mann in schlichter
grüner Uniform, mit dem dreieckigen kleinen Hütchen
auf dem Kopfe!! Er war es — ich sah ihn ziemlich
nahe, und kann mir seine Gestalt, seine Züge noch jetzt
vergegenwärtigen. Da ritt er, der fremde Eroberer —
der Usurpator, der Feind unserer Nation — aus dem-
selben Schlosse, über dieselbe Brücke, wo so oft die
verklärte Theresia, der Kaiser Josef, unser Kaiser
Franz herausgefahren oder geritten waren! Mein
Herz wandte sich mir in der Brust um bei diesem An-
blicke, mit diesen Erinnerungen vergesellschaftet, und
ich konnte mich in jener tief empörten Stimmung des
Wunsches nicht erwehren, daß doch auf irgendeinem
Baume dieser Allee ein Tiroler Scharfschütze ver-
borgen sitzen und einen Teilsschuß auf diesen mehr als
Geßler tun möchte.
Wieder vergingen einige schwergefühlte Tage auf
die vorige Weise, und ein trübes Ereignis in unserm
Hause diente nur dazu, den Eindruck, den unsere ganze
Lage auf die Gemüter übte, zu verstärken. Ich habe
schon öfters meiner verehrten Freundin und Haus-
genossin, der Baronin Engelhardt, erwähnt. Ihr Ge-
mahl war Oberst vom Regiment Deutschmeister. Bei
Ebelsberg an der Traun, wo ein heftiges Gefecht vor-
gefallen war, wurde er, wie es schien, nicht gefährhch
unter dem Knie verwundet. Er ließ sich nach Wien
zu seiner Frau bringen, obwohl er hierdurch, da die
Feinde sogleich einrückten, ihr Kriegsgefangener wurde.
Niemand glaubte hier an Gefahr für den Verwundeten,
er war vielmehr sehr heiter, und seine Frau nährte
schöne Hoffnungen einer frohen Zukunft. Da trat
345
plötzlich der Starrkrampf ein, und keine Rettung war
möglich! Seine Frau hatte ihn unendlich geliebt, ihr
Schmerz war grenzenlos, dennoch wußte sie ihn mit
einer Kraft zu beherrschen, die uns alle in Erstaunen
setzte und meine hohe Achtung für die Unglückliche
sehr vermehrte. Die Anwesenheit der Feinde, die bäng-
lichen äußern Verhältnisse machten es uns unmöglich,
dem Verstorbenen die Ehre eines, seinem Range an-
gemessenen Leichenzuges zu verschaffen, und er mußte
in der Stille begraben werden, was uns alle, besonders
in jenen betrübten Tagen, noch eine Vermehrung un-
serer Leiden schien ^^).
Indessen war Pfingsten herangekommen (die Fran-
zosen waren am Christi Himmelfahrtstage eingerückt).
Es war ein wunderschöner Frühlingssonntag (21. Mai),
als plötzlich ferner und doch lauter Kanonendonner
an unsre Ohren schlug — das Kanonieren dauerte
fort, wurde immer stärker, häufiger — es war eine
Schlacht — es war die unvergeßliche Schlacht von
Aspern ^®^), in der unser Erzherzog Karl zuerst den bisher
Unbesiegten zum Weichen zwang. Zwar wußten wir
von nichts mit Zuverlässigkeit und alles, was man sich
von Nachrichten zu verschaffen vermochte, bestand
in der Bespähung jener Donaugegend, woher die
Schüsse ertönten, nämlich bei der Insel Lobau, deren
Namen man bei dieser Gelegenheit erst kennen lernte,
von den Türmen der Stadt. Was uns aber noch mehr
als der ununterbrochene Donner der Kanonen von der
Wichtigkeit des Gefechtes, welches in unserer Nähe
vorging, und dessen Entscheidung so viel Einfluß auf
unser Schicksal haben konnte, überzeugte, waren die
ungeheure Anzahl blessierter Franzosen, welche in den
beiden Schlachttagen 21. und 22. Mai und noch mehrere
Tage nachher zu Fuß oder auf Wagen durch die St.-
Marxer-Linie und bei der Leopoldstadt herein kamen.
Sie alle aber verrieten wenig oder gar nichts von
dem, was jenseits der Brücken vorgegangen. Sei es, daß
strenge Gebote ihrer Vorgesetzten, sei es, daß eigene
Nationaleitelkeit sie an Bekanntmachung ihrer miß-
lichen Lage hinderte.
Den zweiten Tag dauerte die Schlacht fort bis
gegen Abend, wo endhch das Geschütz verstummte;
aber erst spät oder vielleicht (ich erinnere mich dessen
nicht mehr) am andern Tage verbreitete sich heimhch
und flüsternd das Gerücht von der Niederlage der
Feinde, von der gesprengten Brücke, von dem zahl-
reichen Korps der Franzosen, das auf der Lobau ab-
geschnitten stand, von der heimlichen und einsamen
Rückfahrt des mächtigen Heerführers in demselben
Kahne mit einem unserer kriegsgefangenen Generale
(Weber) ^^^) und nun erst wagte man, sich zu Hause und
unbelauscht von seiner Einquartierung, angenehmen
Hoffnungen und tröstlichen Erwartungen hinzugeben.
Es ward uns mehr als wahrscheinlich, daß der Erz-
herzog einen mehr als glänzenden Sieg über unsere
Unterdrücker erfochten hatte, und was im seinsollen-
den Spotte vom General Danube in den französischen
Blättern stand, bestätigte eben, statt sie zu entkräften,
unsere Vermutungen. Nun fingen wir an, auf nahe
gänzliche Befreiung zu hoffen, und das Betragen der
Feinde selbst half diese Hoffnungen vermehren. Ja
man hat später erzählt, daß General Andreossy^^^), der
Kommandant der Stadt (vorher hier Gesandter), schon
Befehl hatte, mit aller Mannschaft, die hier lag, die
Stadt zu räumen und den Rückweg nach Oberöster-
reich anzutreten.
347
Aber es verging ein Tag nach dem andern, und es
geschah nichts. Noch immer Hegt ein undurchdring-
Hches Dunkel über den wahren, aber geheimen Be-
weggründen, welche damals den Erzherzog abhielten,
seinen Sieg zu verfolgen, über die Donau zu setzen
und unsere Peiniger aus Wien zu verjagen. Ebenso
unaufgehellt sind auch die eigentHchen Ursachen des
spätem Unglückes bei Wagram, und was die Ver-
anlassung der nicht erfolgten Ankunft des Erzherzogs
Johann mit seiner Armee aus Steiermark war. Doch
hiervon an seinem Orte.
Wir hatten indes unaufhörlich französische Ein-
quartierung, die denn, wie das erstemal im Jahre 1805,
mit uns wenigstens zu Mittag an einem Tische aß. Im
ganzen durften wir uns nicht beschweren. Es waren
meist artige, bescheidene Leute und manche darunter,
wie z. B. ein sogenannter aide-major und Chirurg,
Mercier geheißen, sehr gebildete Leute, mit denen man
gan2; angenehm hätte umgehen können, wenn der Ge-
danke, in welchen Verhältnissen sie zu uns standen, mich
wenigstens nicht immer gewaltig von dem Franzosen,
dem Feinde abgestoßen hätte. Zu unserer großen Er-
leichterung wurde endlich die Sperre zwischen Ungarn
und Österreich aufgehoben 5^). Es kamen wieder un-
gehindert Lebensmittel nach Wien, die Not und das
Gedränge an den Bäckerladen hörte auf, und unsere
Lage war dadurch merklich gebessert. Übrigens gHch
unsere Alservorstadt einem großen Spital. Sowohl in
der Kaserne als im eigentlichen Zivil- und Militär-
spitale lag alles voll Blessierter, und wenn sie so weit ge-
nesen waren, daß sie auf sein konnten, schlichen oder
humpelten sie auf den Straßen umher und wurden bis
zu ihrer völligen Heilung in die Privathäuser verlegt.
348
So bekamen wir einen Halbkranken nach dem andern,
konnten uns aber mit Grund über keinen beschweren,
und die stark vermehrten Ausgaben, die Beschränkung
in wenige Zimmer ausgenommen, da wir z. B. einmal
17 Personen im Hause hatten, hatten wir im einzelnen
wenig Verdruß; nur litt wohl jeder, der Gefühl für
das aligemeine WohL hatte, durch die Vorstellung von
dem, was uns alle als Österreicher noch bedrohte.
So kam der Monat Juli und mit ihm die Schlacht
von Wagram ^*^) heran. Kanonendonner, obwohl ferner
als bei der ersten Schlacht, verkündete uns abermals
einen wichtigen Tag der Entscheidung. Aber diesmal
war es unsern Mitbürgern nicht mehr gegönnt, von
Kirchtürmen oder andern hohen Plätzen ferne Zeugen
des Kampfes zu sein. Die Franzosen hielten alle diese
Orte mit Wachsen besetzt, die niemand hinaufzusteigen
erlaubten und nur, wenn sich hier und da in einem
Privathause zufälligerweise ein solcher hochgelegener
Raum, ein Turm, ein Belvedere usw. befand, v/ar es
einigen Personen möglich, etwas zu beobachten. Aber
schon das Gehör belehrte uns, wie oben gesagt, daß
diesmal der Schauplatz des Gefechtes viel weiter ent-
legen sei. — Dennoch horchten wir mit banger Er-
wartung, ob der Schall des Geschützes sich nähere
oder entferne. Das ersj:e wäre uns ein günstiges Zeichen
vom Zurückweichen der Feinde und dem Vordringen
des Erzherzogs gewesen. Wirklich hörten wir mit un-
aussprechlicher Freude den Kanonendonner sich nähern.
Man fing an zu hoffen — da sandte Napoleon den
bayerischen Truppen, die denn wie alle abtrünnigen
Rheinbündler ihre Schwerter gegen ihre Landsleute
gezogen hatten und in der Gegend herumlagen, Be-
fehl, über die Donau hinüber, der französischen Armee,
^J ■
349
die der Erzherzog zum Weichen gebracht hatte, zu
Hilfe zu eilen. Gegen 1 1 Uhr marschierten die Bayern
unter demselben Fürst Wrede^'°), der nun eine so schöne
Besitzung in unserm guten Österreich inne hat, über
die Brücken hinaus, und nicht lange darnach entfernte
sich der Schall des Geschützes wieder. Mit trüber
Ahnung sahen wir, was geschehen würde — die ge-
hoffte Vereinigung des Erzherzogs Johann mit dem
Heere seines Bruders erfolgte nicht. — Auch über
diesem Faktum ruht jetzt noch, nach beinahe 30 Jahren,
ein undurchdringliches Dunkel^'^), aus welchem ver-
schiedene, je nachdem sie zur einen oder andern Partei
gehören, eine Schuld auf der Seite eines der beiden
hohen Brüder herausdeuteln wollen, das aber vielleicht
erst die Folgezeit, wenn ira et Studium aufgehört
haben, richtig enträtseln wird. Genug, die Schlacht
ging, trotz ungeheuren Anstrengungen von Seite un-
serer Armeen, verloren. Unzählige Blessierte wurden
wieder nach Wien und in die umliegenden Ortschaften
verlegt, von wannen sie, wenn sie ein bißchen her-
gestellt waren, wieder in die Privathäuser einquartiert
wurden. Auch wir verloren in dieser Schlacht einen
Verwandten. Der Hauptmann Kurländer, Schwager
meines verstorbenen Bruders, blieb in dieser Schlacht,
und es war uns bei diesem Verlust eine Art von Trost,
daß eine Kanonenkugel seinem Leben und seinen Lei-
den ein schnelles Ende gemacht hatte **2).
Nun gab es wieder halbgenesene Offiziere bei uns,
und überhaupt war die Stadt angefüllter als je. Alles
wimmelte von kranken und gesunden Franzosen, und
jetzt kam auch der unangenehme Nachtrab einer
Armee — eine zahllose Menge sogenannter Em-
ployes, welche weit schlimmere Gäste waren als die
350
eigentlichen Combattants, Unter diesen aber erwiesen
sich im ganzen — Ausnahmen gibt es überall — meiner
Erfahrung nach die Unteroffiziere, Sergents majors
u. dgl. großenteils als bescheidene, ordentliche Leute,
bei denen man noch den Vorteil hatte, daß man ihnen
das Essen auf ihre Zimmer schicken, und sie nicht ge-
rade an dem Familientisch haberj durfte. Sie waren
meistens Bürgerskinder, Söhne stiller, achtbarer Fa-
milien, und nicht selten diejenigen, welche ihre wil-
deren Offiziere zu beschwichtigen und Ruhe und Ord-
nung im Hause zu erhalten verstanden. Mit freund-
licher Empfindung erinnere ich mich eines Reiter-
unteroffiziers — Brigadier du logis war sein Titel —
eines hochgewachsenen Mannes von gesetzten Jahren
und würdigem Aussehen, der, als meine Mutter ihn
nebst seinen drei Gefährten nicht aufnehmen wollte,
weil das Haus schon überlegt war, sagte: Gardez nous
toujours Madame, nous sommes des bons enfants. Und
wirklich erwiesen sie sich als solche. Sie führten z. B.
morgens ihre Pferde, wenn sie zur Revue sollten, am
Zügel über den Hof und saßen erst vor dem Tore auf,
um uns durch das Getrappel auf dem Hofpflaster nicht
im Schlaf zu stören, und verhielten sich überhaupt
sehr anständig. Wer weiß, auf welchen Schlachtfeldern
sie nun begraben liegen? Ob sie von denen sind:
Und die im kalten Norden
Wohl unter Schnee und Eis,
Und die in Welschland liegen,
Wo ihnen die Erde so heiß.
(Nächtliche Heerschau.) »93)
Noch eines Einquartierten muß ich gedenken, der
uns merkwürdig war. Ein sehr junger Leutnant, Ray-
mond mit Namen, ein Zögling der polytechnischen
Schule, ein wahres Kind der Revolution. Mit einem
351
erstaunenswürdigen Wissen in den meisten Fächern
und einer umfassenden Belesenheit in den alten Klas-
sikern und in denen der neueren Zeit, verband er eine
Gleichgültigkeit gegen alle äußern Formen und eine
stoische Kälte gegen aUes, was ihn umgab. So bin ich
überzeugt, daß er beinahe nie wußte, was er aß, weil
er stets und über lauter interessante Dinge mit uns
stritt und den Disput, wenn wir ihm nur ausgehalten
hätten, bis zum Nachtessen fortgeführt haben würde.
Als meine damals zwölfjährige Tochter, mit der er
sonst jeden Mittag gegessen hatte, freilich ohne an
sie einmal ein Wort zu adressieren, an der Ruhr er-
krankte, welche damals der vielen Soldaten wegen
epidemisch war, fragte er nie nach dem Kinde, ja, ich
glaube, er hatte gar nicht bemerkt, daß sie durch viele
Tage nicht am Tisch erschienen war. Auch dieser
Mensch lebt wahrscheinHch nicht mehr; denn ihm
standen noch die Tage an der Beresina, bei Leipzig
und Hanau bevor. Friede seiner Asche! Vielleicht
hätte er ihn mit seiner Gemütsart auf Erden ohnedies
nicht gefunden.
Eines Tages muß ich an dieser Stelle erwähnen,
der in seiner Art merkwürdig ominös und höchst un-
angenehm war: Napoleons Geburtsfestes am 15. August,
an welchem allen Bewohnern Wiens geboten wurde,
in der Stadt und in den Vorstädten abends ihre Fenster
zu illuminieren. Eine befohlene Freudenbezeugung,
die sonst ge'wiß unterblieben wäre, und uns ahnen ließ,
daß gar manchmal die Zeitungen uns ein ähnliches
Fest als Ausdruck der allgemeinen Volksfreude be-
richtet haben mochten, das ähnlichen gebotenen Ur-
sprunges war. Schon am Tage zuvor ereignete sich
ein schreckender Zufall, herbeigeführt durch die Prä-
352
parativen zu dem sehr brillanten Feuerwerk, das den
folgenden Abend in den Donauinseln statthaben sollte,
und zwar durch den Leichtsinn der Franzosen, Auf der
Schöttenbastei, nicht weit von dem kaiserlichen Zeug-
hause, hatten sie eine Hütte errichtet, in welcher sie die
Zubehör zu dem Feuerwerk bereiteten, und, sowie uns
unsere einquartierten Offiziere selbst erzählten, mit
dem Pulver höchst unvorsichtig umgingen. Da ge-
schah nun am Vormittag des Vorabends eine heftige
Explosion, die Hütte sprang in die Luft, mehrere Ar-
beiter wurden getötet, und nicht ohne Grund fürchtete
man Gefahr für das Zeughaus, in dem viele gefüllte
Bomben lagen, und somit für die ganze Stadt^®*).
Ominös schien uns Wienern diese Vorbereitung zur
Feier des Geburtstages unsers Drängers, aber es war
uns befohlen, uns zu freuen, und so stellte denn jeder-
mann einige Kerzen vor die Fenster. In der Stadt
waren selbst einige Transparente mit — ich erinnere
mich nicht mehr — welchen Vorstellungen oder Sinn-
bildern zu schauen. Nur eines schien mir sehr merk-
würdig, das sich, wenn ich nicht irre, in einer von den,
in die Kärntner- oder Bischofsstraße ausmündenden
Gassen bei einem kleinen Krämer fand. Es war ein
mäßig großes Transparent mit folgenden Zeilen:
Zur
Weihe
An
Napoleons
GeburtS
FEST.
und hieß eigentHch, wenn man die großen, mit anderer
Farbe gezeichneten Buchstaben zusammen las:
ZWANGSFEST. — Ein köstlicher Einfall! Er ent-
hielt keine Schmähung über den Dränger, und drückte
.3 C.P.I 353
doch die Stimmung dieses Mannes, welche wohl die
allermeisten Bewohner Wiens mit ihm teilten, auf sehr
sinnreiche Weise aus^*^).
Eine Marter eigener Art begann nun für uns Öster-
reicher, die mit warmen Herzen an unserm Kaiser-
haus und Vaterland hingen, und das waren die suk-
zessiven Nachrichten und Erzählungen von den
Friedensartikeln, welche jetzt, da nach der unglück-
lichen Schlacht bei Wagram, Waffenstillstand geschlossen
worden, zwischen Champagny^^^) und dem damaligen
Grafen Metternich^^') abgehandelt wurden. Da uns alle
verläßlichen Nachrichten unmittelbar von unsern
Leuten fehlten, so mußten oder sollten wir alles glau-
ben, was die Franzosen aus eigener Ansicht oder
Rodomontade uns aufheften wollten. Dazu kam noch,
daß gar viele hier lebten, die es im Herzen mit den
Feinden hielten, und alles, was uns nachteilig klang,
als das Wahrscheinlichste begierig auffaßten und eifrig
verbreiteten. Daß Tirol, das edle, treue Land, nachdem
es durch unsäghche eigene Anstrengungen sich selbst
vom Joche der Feinde befreit hatte, doch wdeder an
Bayern, das sich so undeutsch in jeder Rücksicht gegen
Österreich bewiesen hatte, verloren werden sollte, war
schon ausgemacht und erregte den tiefsten, unwilHgsten
Schmerz bei allen echt österreichischen Herzen; aber
die Grenzlinie der abzutretenden Länder wurde im
Anfange, wenigstens durch das Gerücht, so nahe ge-
zogen, daß man hätte darüber verzweifeln können.
Allmählich erweiterte sich aber diese Schranke, ging
über die Steiermark hinaus und über Ungarn, und
schloß sich zuletzt an dem illyrischen Königreiche^^*).
Ich will auch glauben, daß dies nicht bloß Gerücht,
sondern wirklich der Gang der Unterhandlungen war,
354
und daß der Sieger im Beginne seine Forderungen nicht
hoch genug spannen zu können glaubte. Haben es
seine Leute doch mit allen ihrenForderungen also
gemacht, und wenn sie schrieben: Je vous invite (das
war der Ausdruck) de nous fournir 10,000 rations de
pain oder de foin usw., so waren sie zuletzt mit 4000
oder 3000 auch zufrieden. ■
So kam endHch der Herbst heran, und mit ihm
ein Anfang des geseUigen Lebens. Bei meiner treuen
mütterKchen Freundin Flies lernte ich zwei sehr aus-
gezeichnete Männer kennen, welche dem französischen
Kaiser nach Wien gefolgt waren, den berühmten Rei-
senden Denon und den Grafen Alexandre De la Borde.
Der erste war wahrscheinlich jetzt während der Unter-
handlungen berufen worden, um sich hier in Biblio-
theken und Kunstsammlungen umzusehen und zu
nehmen, was ihm und seinem Kaiser gefiel; der zweite.
De la Borde, war mit der Direktion der kaiserHchen
Domänen beauftragt, und der Tiergarten wurde da-
mals ziemlich von Bäumen entblößt, welche die Fran-
zosen fällen und verkaufen ließen.
Denon ^^^), ein ansehnlicher Mann von sechzig Jahren
ungefähr, dessen bedeutende Züge und halbkahler
Scheitel an die Darstellungen des Apostels Petrus er-
innerten, war im Umgange höchst angenehm und
ganz so, wie ein echter Gelehrter, der zugleich Welt
hat, sein sollte. Sein vieles Wissen, seine zahlreichen
Kenntnisse traten in der Gesellschaft nie unger^fen
hervor. Nur ihr Resultat, eine geistreiche Unterhal-
tung, und ein gebildetes, gründliches Urteil über jeden
vorkommenden Gegenstand gab sich im Gespräche
kund. Brachte man ihn aber gefHssentlich auf irgend-
eine Sache, eine Begebenheit, die in sein Fach ein-
23*
355
schlug, fragte man ihn geradezu um irgend etwas der
Art, dann gab er auch mit Redseligkeit Bescheid, und
wußte die Gesellschaft mit Anekdoten und einzelnen
Zügen seiner Erlebnisse geistreich und belehrend zu
unterhalten. Er ließ sich auch bei uns vorstellen,
zeichnete meine Mutter sehr aus und lieferte mir
durch seine Erzählungen Stoff zu ein paar Novellen,
um deren Bearbeitung er sich höchlich interessierte.
Meine Tochter, damals noch fast ein Kind, spielte
schon ziemlich artig Fortepiano, in welcher Kunst
ich sie selbst unterrichtet hatte. Es kam die Rede
darauf; Denon hätte gern das organisierte Piano, das
ich damals noch besaß, gehört; Lottchen wurde auf-
gefordert, zu spielen und machte es recht artig, wofür
ihr denn der galante Denon die Hand küßte. — Das
war dem Mädchen noch nie widerfahren, und es war
komisch anzusehen, wie Freude und Verwirrung,
Respekt vor dem übergelehrten Herrn, den sie als etwas
Außergewöhnliches betrachten gelernt hatte, und Ge-
fühl der eigenen Wichtigkeit, die ihr dieser Hand-
kuß zu geben schien, sich in dem lieblichen Gesichtchen
malten.
Wenn nun Denon durch Geist und Kenntnisse so-
wie durch sein von aller Pedanterie entferntes Betragen
einen vorteilhaften Eindruck auf die Gesellschaft
machte, so flößte De la Borde *°ö) ein Interesse ganz ver-
schiedener Art ein. Ohne Anspruch auf Schönheit zu
machen, waren Figur und Züge dieses Mannes, der
kaum sein vierzigstes Jahr erreicht haben mochte, sehr
angenehm. Vor allem hatte der ernste, beinahe düstere
Ausdruck seiner blauen Augen etwas Anziehendes, so-
wie überhaupt sein ganzes Wesen durch diesen Ernst und
eine gewisse ruhige Würde mehr etwas Deutsches als
356
Französisches verkündigte. Auch hatte er früher, wie
ich erfuhr, während der Revolution, in der sein Vater
und seine Brüder unter der Guillotine starben, eine
Weile in österreichischen Kriegsdiensten als Ritt-
meister unter Kinsky Chevauxlegers gestanden, und
während seines damahgen Aufenthaltes in Wien sich
viel auf der kaiserlichen Bibliothek aufgehalten, wo er
sich wissenschafthch beschäftigte und Deutsch er-
lernte, was er denn auch ziemHch geläufig sprach.
Ich habe De la Borde viel seltener gesehen als Denon,
und eben deswegen, sowie auch seines ernsten,' weniger
mitteilenden Sinnes wegei\ nicht soviel mit ihm als
mit jenem gesprochen, aber die Erinnerung an ihn
wird mir stets werter bleiben, weil in dem, was und
wie er sprach, z. B. iii seinen Äußerungen über Chateau-
briand ^®i), den er seinen Freund nannte und mit schö-
ner Wärme von ihm redete, sich mir ein viel tieferes Ge-
müt und ein ernsterer Geist zeigte, als bei dem zwar
liebenswürdigen, aber durchaus französischen Denon.
Später las ich den Roman der Frau von Fouque: „Das
Mädchen aus der Vendee"^"^^, und in diesem ist ein
Franzose Sombreuil (wenn ich nicht irre) geschildert,
von dem ich immer dachte, er müsse ausgesehen und
sich gezeigt haben wie Graf De la Borde.
Allmählich kam es nun zum Friedensschluß, und wie
ungünstig dieser für Österreich ausfiel, wie das teure
Tirol, die Lombardie, Venedig, Dalmatien, Kärnten
mit Krain, Salzburg usw. verloren gingen, weiß die
Welt ohnedies. — Es war eine schmerzliche Zeit für
jeden, dem sein Vaterland teuer war.
Der französische Kaiser hielt sich nun meistens in
Schönbrunn auf, wohin er abwechselnd das deutsche
Schauspiel und die Oper kommen ließ, um dort auf
357
dem kleinen Theater des Palastes zu spielen ^°^). Denon
hatte versprochen, uns einmal Billetten zu verschaffen,
und er hielt Wort. Mit Frau von Flies fuhr ich in
einem Postzug, mit vier Maultieren bespannt, nach
Schönbrunn. Die Equipage gehörte einem ihrer Be-
kannten, einem französischen General, und ich fand
zu meinem Erstaunen, daß diese vier sehr wohlgebil-
deten braunen Tiere mit uns so schnell davon Hefen,
als wären es engHsche Hengste gewesen, und also durch
nichts als die längeren Ohren an ihre Zwitterabkunft
erinnerten.
Im Theater, das sehr niedlich und wohlgebaut ist,
angekommen, fanden wir die Galerien mit lauter fran-
zösischer Generalität in strahlenden Uniformen be-
setzt, und Frau von Flies nannte mir einige ihrer Be-
kannten. Der Vorhang war noch zugezogen, man
wartete auf den Kaiser. Nachdem dies eine feine Weile
gedauert und mir Zeit gelassen hatte, einen verglei-
chenden Rückblick auf unsern väterlichen Monarchen
zu werfen,, der stets die Ordnung selbst war, pünkt-
lich die Stunden einhielt und nie das Publikum oder
die Behörden warten ließ, erschallte plötzlich gegen
8 Uhr ein gäher und lauter Trommelwirbel, der die
Ankunft des Kaisers verkündete, und ich konnte aber-
mals nicht umhin, dies unfreundliche Getöse mit dem
unheimlichen Gerolle zu vergleichen, womit bei uns
eine Feuersbrunst, folglich ein Unglück, angekündigt
zu werden pflegt. Ach, ein Unglück, und ein großes für
uns war ja die Anwesenheit dieses Mannes im Lust-
schloß unserer Monarchen!
Er kam und setzte sich, ein Komödienbuch in der
Hand, in der Loge nieder; hinter ihm standen seine
Adjutanten oder wer die Herren waren, einen darunter,
358
General Duroc **•*), nannte mir meine Freundin. Da war
er nun, der Erderschütterer, der Mensch, der an allen
Thronen Europas gerüttelt, manchen schon um-
gestürzt, manchen seiner besten Grundfesten be-
raubt hatte! Was konnte er noch tun wollen, er, dem,
wie es schien, nichts unmöglich war, und in dessen ab-
soluten Willen unser aller Geschick gegeben schien?
Das waren meine Gedanken, während ein Akt des Sar-
gines ^°^), und dann ein kleines Divertissement vor uns
■aufgeführt wurde, auf welches meine Seele viel weniger
-achtete, als auf den Furchtbaren da oben in der Loge
— den ein Schuß von geschickter Hand, so wie er
sorglos da saß, herabstürzen und somit allen seinen
. welterobernden Plänen und dem Elend, das er über
die Menschheit gebracht hatte und noch bringen
konnte, ein Ende hätte machen l^önnen. Jener Erfurter,
der bald darauf bei einer Revue in Schönbrunn er-
griffen wurde, mochte Ähnliches gedacht haben ^°^). —
Viele — viele Menschen in Deutschland dachten da-
mals ebenso, und jetzt — wo dies unheilbringende
Meteor schon lange vor seinem wirklichen Tode ein-
sam erloschen ist, jetzt sehen so viele einen Verfechter
der Freiheit, einen Helden der Humanität in ihm,
und scheinen alles vergessen zu haben, was sie selbst
oder ihre Eltern durch ihn gelitten. Wohl mag sein
tragisches Geschick viel zu dieser versöhnenden, mil-
dern Ansicht beigetragen haben. 'Auch bin ich weit
entfernt, das Mitgefühl zu tadeln, das jeden wohl-
gesinnten Menschen ergreifen muß, wenn er sich diesen
Mann, dem einst ganz Europa gehorchte, der
nutu tremefecit olympum,
dessen Willen durch 12 — 15 Jahre das Gesetz der
Welt war, als Gefangenen und als hartgehaltenen,
359
despotisch behandelten Gefangenen seiner erbittert-
sten Feinde dort auf dem einsamen Eiland, von Weib
und Kind getrennt, denkt. — Niemand hat wohl dies
sein Geschick und sein Ende mit echterm christlich
philosophischem Bhck erschaut und geschildert, als
Manzoni in seinem Cinque maggio^*"). — Ebensowenig
konnte oder kann ich in das Urteil derjenigen einstim-
men, welche in Napoleon einen grausamen Tyrannen,
einen fühllosen Krieger sahen. Jene Befehle de balayer
le pont (nämlich von den Donaubrücken die Verwun-
deten mit den Toten ins Wasser zu werfen), jene Ver-
giftung der Pestkranken in St. Jean d'Acre usw. müssen
— wenn sie je wahr waren — ihm gewiß nur durch
eine zwingende Notwendigkeit, die sein mihtärisches
Genie als solche erkannte, aufgedrungen worden sein.
Aber große, unbeschränkte Macht ist eine der gefähr-
lichsten Gaben für den Menschen, und die Klippe,
an der meist sein sittliches Gefühl scheitert. Wer
tun kann, was er will, tut selten, was er soll — pflegte
meine sehr verständige Mutter zu sagen. Das war
Napoleons Sünde, und er machte sich ihrer im vollen
Maße schuldig; obwohl manche mit dem geistreichen
Franzosen Villers glauben '°^), daß er noch mehr wegen
des Guten, was er hätte tun können und sollen, und
aus selbstsüchtigen Rücksichten zu tun unterHeß, an-
zuklagen sei.
Wie immer diese Beschuldigungen gestellt werden
mögen — so viel ist sicher, daß sein Übermut ihn leitete
und endlich verleitete, Rußland in seinem furchtbaren '
Klima aufzusuchen und bezwingen zu wollen. Da-
mals, wie ich ihn so im Theater in der Loge unserer
Kaiser sitzen sah, faßte wohl weder ich noch sonst
jemand die MögHchkeit, daß es dahin kommen sollte,
360
y LA-Aurt » j*«» t*i^ •
l, ^:
W-. :_- .ii-
"^t
K. A. Varnhagen v. Ense
Lithographie von Loeillot de Mars — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
und ich betrachtete ihn, solange ich dort war, immer
mit dem Gefühl innerlichen Hasses. Im ganzen war
auch seine Erscheinung nicht ansprechend. Zu klein
und zu stämmig, um für gutgewachsen zu gelten, hatte
seine Gestalt auch nichts Edles oder Imposantes. Seine
Züge — das was eigentlich die Physiognomie bildet,
Augen, Stirn, Nase und Mund — waren regelmäßig,
das Kinn besonders schön, ganz antik aufgebogen wie
an einem Antinouskopfe. Aber diese edlen Lineamente
verloren durch die breite Fleischmasse des allzuvollen
Gesichts, die sie umgab, und nicht einmal durch einen
Backen- oder andern Bart begrenzt wurde, den größten
Teil ihres Adels und ihrer Bedeutung. So bekam das
Ganze — Gesicht und Figur zusammen — nach meinem
Gefühle etwas Gemeines, und ich bedauerte, daß ich
die Idee der tiefen und düstern Züge auf dem Kupfer-
stiche, wie er in der Schlacht von Arcole die Fahne
ergreift, gegen dieses wohlgenährte PrälatenantHtz ver-
tauschen mußte.
Der Friede war abgeschlossen, die Feinde sollten
nun bald abziehen, und schon begann ein, obgleich noch
seltener Verkehr zwischen der Stadt und der noch
fernen Armee. 1
Eines Abends trat ich bei Frau von Flies ein. —
Welche Freude! Eine österreichische Offiziersschärpe
hing über die Lehne des Sofa, und ein kaiserlicher
Degen mit dem goldenen und schwarzen Portepee
lehnte daneben. Mir ging das Herz in wehmütiger
Freude auf. Wie lange hatte mein Auge diese, eben
durch die Entfernung so wertgewordenen Abzeichen
nicht gesehen! Ohne zu wissen, wem sie gehörte, drückte
ich, da ich mich allein im Zimmer befand, die vater-
ländische Schärpe an meine Lippen, und begrüßte so
361
im Geist das befreundete tapfere Heer in dem un-
bekannten Einzelwesen.
Ins Kabinett der Frau vom Hause getreten, erblickte
ich dieses bald in voUer Uniform und erfuhr, daß es
ein als Schriftsteller sowie überhaupt als geistreicher
Mann ausgezeichneter Preuße, Herr Varnhagen*"^)
war, der, wie so manche seiner Landsleute, öster-
reichische Dienste genommen und den gegenwärtigen
Feldzug mitgemacht hatte, wie denn auch ein Aufsatz
von ihm über die Vorfälle desselben erst neuerlich in
einem historischen Taschenbuche erschienen ist*^°).
Damals war er ein junger Mann, und noch nicht durch
seine eigenen und seiner nicht minder berühmten Frau
geistsprühende Schriften merkwürdig geworden; aber
schon damals war seine Unterhaltung sehr lebhaft und
geistvoll, und schon damals sprach sich sein eminentes
Talent, Charaktere zu schildern, freilich nur erst in
höchst charakteristisch aus Papier ausgeschnittenen
Figürchen aus. Denselben Abend waren auch De la
Borde und Denon zugegen, und die Stunden verflossen
angenehm im Kreise so hochgebildeter Personen.
Endlich verließen die fremden Truppen die Stadt und
das Land^^^), und nur wenige blieben in Wien, welche
durch irgendein noch zu berichtigendes Geschäft hier
aufgehalten wurden. Nun durften wir endHch der An-
kunft unsers Kaisers, des Hofes und der langabwesen-
den Freunde entgegensehen. Welches Wiedersehen
nach so vielen Leiden, nach so viel Unglück und Ver-
lust im Vaterlande! Und wie geschah es so ganz anders,
als wohl jedermann geglaubt hatte !
Es war am 27. November 1809 an einem trüben
Herbstabend, wie sie in dieser Jahreszeit zu sein pflegen,
als unser geliebter Kaiser, vermutlich um auf keine
362
Weise Aufsehen zu erregen, in der Husarenuniform sei-
nes Regimentes, wie man ihn hier nicht gewöhnhch zu
sehen pflegte, nur vom einzigen Grafen Wrbna^^^) be-
gleitet, in einer unscheinbaren und, wie man erzählte,
sogar bepackten Chaise zum Stubentor, etwa um vier
Uhr nachmittags, in die Stadt hereinfuhr. Aber sein
Volk erkannte auf der Stelle den geHebten Vater. Wie
ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die
Straßen. — Alles Uef zusammen, bald ward der Wagen
umringt, und unter lautem Vivatrufen und dem Freu-
denjubel des Volkes in die Burg begleitet. Ein Fran-
zose von den wenigen Zurückgebliebenen, der am
Stephansplatze auf einem Eckstein stehend, dieses
Schauspiel mit ansah, soll sich nicht haben enthalten
können auszurufen, indem er einem Bürger auf die
Achsel klopfte: Braves Volk!
In der Burg angelangt, wo sich schon eine zahllose
Menschenmenge zusammengefunden hatte, war das
Gedränge an und auf der Treppe so groß, daß sie ihren
geliebten Monarchen, wenn er es nur gestattet hätte,
auf den Schultern bis in seine Gemächer getragen hät-
ten. Binnen einer Stunde wußte man im ganzen Um- j
kreis der weiten Vorstädte die frohe Kunde, und so wie
es ganz dunkel ward, entbrannte — wie in allen Herzen
— so auch in allen Fenstern der Stadt und Vorstädte
eine — nicht gebotene, nicht vorbereitete, eine wahr-
haft aus Liebe und Treue improvisierte Illumination.
— Die Leute waren ganz freudetrunken — der Kaiser
war wieder da ! die Feinde abgezogen — das alte Öster-
reich konnte wieder ins Leben treten ! Schwärmer und
Raketen, Polier und Freudenschüsse knallten den gan-
zen Abend und die Nacht durch die dunkle Luft! Es-
war ein großer, ein herrlicher Tag — um so größer,
363 t
,.,_^
um so herrlicher, weil er nicht auf Sieg und Triumph
folgte, sondern im Unglück, nach Verlust und Schmer-
zen die alte Liebe und Treue nur desto glänzender
sich erwies ^^2).
Das unglückliche und doch für Österreich in so vie-
lem Sinne ehrenvolle Jahr 1809 war nun vorüber. Un-
sers geliebten Kaisers heldenmütiger Bruder hatte den
bisher Unbesiegten in einer groi3en Schlacht überwun-
den, und unser Österreich hatte, wie Körner in der
Schlacht von Aspern bald darauf sang:
Einen Tag und einen Mann'")!
Es hatte sich starkmütig und kräftig gegen den Feind,
in rührender Treue gegen sein Herrscherhaus, und mit-
ten in Bedrängnissen mildtätig und menschenfreund-
lich auch gegen leidende Feinde gezeigt; es hatte end-
lich den unerschöpflichen Reichtum seines von Gott
gesegneten Bodens durch die Menge von Lebensmitteln
bewiesen, welche trotz allem, den Sommer über not-
wendig gewordenem Verbrauche, bei so zahlreichen
Heeren, die in Österreich lagen, und bei der nicht zu
vermeidenden Verschwendung, welche dabei statt hatte,
jetzt, da die Feinde abgezogen waren, auf unsern Märk-
ten erschienen, gleich als wären gar keine ungebetenen
Gäste dagewesen. Aber aller dieser tröstlichen Betrach-
tungen ungeachtet, blutete es aus zu vielen Wunden,
als daß seine Bewohner sich nicht gebeugt, entmutigt
und von gerechter Furcht und Sorge für die nächste
Zukunft in Rücksicht des Allgemeinen, und somit auch
des einzelnen hätten erfüllt s^in sollen. Was war nicht
schon geschehen! Tirol — das nie zu verschmerzende
Tirol — die Lombardie und Venedig, Triest, das Lit-
364
torale und sogar auch Innerösterreich waren vom Staats-
körper abgerissen, und der übriggebliebene Teil mußte
bei jedem eroberungslustigen Einfall, der den Über-
mächtigen und Übermütigen anwandelte,,um seine di-
rekten und indirekten Staaten zu vermehren, gewärtig
sein, früher oder später in diesen Abgrund einer Uni-
versalmonarchie verschlungen und Gott weiß welchem
rheinbündischen Fürsten oder welchem Napoleoniden
als leichte Beute zugeworfen zu werden! Das waren un-
sere Aussichten, das waren wenigstens die Möglichkei-
ten, die — was wohl niemand mit Grund bestreiten
konnte — nächstens zu Wahrscheinlichkeiten und dann
auch zu Gewißheiten werden konnten. Das war das
Schicksal, welches der alten, durch 500 Jahre langsam
aus kleinem Anfange aufgekeimten und durch lauter
rechtlichen Erwerb, nicht durch blutige Eroberungen
zu solcher Größe und Macht emporgewachsenen Mon-
archie, wie sie unter Maria Theresia und Kaiser Josef
und bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts ge-
wesen, bevorstand.
Wie das alles in mein Herz eingriff, wie es mir alle
menschliche Größe und Hoheit, alles menschliche Glück
überhaupt als unstet, nichtig und durchaus ungenügend
darstellte, kann ich nicht mit Worten ganz erklären.
Es war ein tiefes, elegisches Gefühl, das sich nach und
nach m-einer bemeisterte, mich die Welt mit allen ihren
Hoffnungen, Freuden und Bestrebungen wie ein Schat-
tenspiel betrachten machte und an gar kein bleibendes
Glück mehr glauben ließ.
Dazu kam noch eine andere Bemerkung, welche
jenen Betrachtungen einen Tropfen Bitterkeit mehr
beimischte. Obgleich selbst nicht von altadeliger Ge-
burt, hatte doch diese Institution — die Idee des Adels,
365
für mich immer etwas sehr Poetisches und Würdiges
gehabt. Gerade weil eine altadelige Geburt etwas war,
was keine Industrie, kein merkantiHsches Bestreben,
' keine noch so hochsteigende Eitelkeit den Ringenden
% i^ geben konnte; weil sie — wie man gewöhnlich zu sagen
V ^ pflegt — vom Zufall, eigentHch aber von der Hand der
Vorsicht jenen geschenkt und diesen auf ewig verwei-
gert wurde, erschien sie mir wie die Gunst der Musen,
von der Tasso sagt:
— das, was die Natur allein verleiht,
Was jeglicher Bemühung, jedem Streben
Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold,
Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit
Erringen kann'^^).
Auch fand ich für die Nachkommen etwas Erheben-
des, Anregendes in der Betrachtung der Verdienste
ihrer Ahnen. Es schien mir begeisternd zum Guten, so
in einem Saale, in dem die FamiHengemälde dem Enkel
von den Wänden herab entgegenblickten, und er gleich-
sam vor den Augen seiner Väter wandelte, sich die Bei-
spiele würdiger Menschen, deren Blut auch in des
Enkels Adern waUt, zur Nacheiferung vorzustellen.
Und wenn von unsrer Marmorsäle Wänden
Die Ahnenbilder auf uns niederschaun.
Wie könnten wir ihr Angedenken schänden ?
Daß es dennoch oft geschieht, daß so viele Nach-
kommen größer oder wenigstens würdiger Väter un-
würdig und klein handeln, weiß ich wohl, auch daß nicht
alle die Herren in Harnischen und Allongeperücken,
welche hier und dort in solchen Galerien abgemalt
sind, ehrenwerte Männer und nachahmungswürdige
Beispiele gewesen; aber das ändert nichts an der all-
gemeinen Idee des Adels, und benimmt ihm nach mei-
nem Gefühl nichts von dem Poetischen, was er von je-
366
her für mich hatte. Es ging mir in der römischen Ge-
schichte ebenso, und sei es nun die Darstellungsart des
Livius, oder eine angeborne Weise zu empfinden — bei
mir hatten die Patrizier immer recht gegen die Plebejer.
Ich konnte jener Schwester einer Konsulsfrau ihren
bürgerlichen Hochmut nicht verzeihen, der im Grunde
kein besserer war als der Adelstolz ihrer Schwester, und
welcher die Veranlassung gab, daß künftig der eine Kon-
sul stets aus den Plebejern gewählt werden mußte ®i^).
Auch sah und sehe ich noch nicht ein, daß .das stets mehr
aufkommende demokratische Prinzip, welches allmählich
in Rom immer mächtiger wurde, dem Staate oder der
Stadt par excellence (Urbi) zu großem Nutzen gewesen
wäre. Es war eben der Gang der Vorsicht mit dem
Menschengeschlechte, es mußte so kommen, weil der
Zeitgeist sich allmählich mehr entfaltete : aber besser,
schöner wenigstens ist es, glaube ich, nicht dadurch ge-
worden.
Es war eben auch dieser Zeitgeist, der bei uns in
Osterreich durch die langen Kriege, durch die un-
geheure Menge des Papiergeldes, durch die Verluste,
welche viele höhergestellte Famihen an Gütern und
Einkünften erhtten, diese bewog, ja zwang, das Übrig-
bleibende zu veräußern, das dann in die Hände der In-
dustrie, des Handelsstandes, des Gewerbefleißes kam.
Besonders fiel mir dies in Oberösterreich, das ich vor
nicht langer Zeit besucht hatte, unangenehm auf.
Jenes stattHche Haus, das zur Zeit meiner ersten Reise
dahin mit meinen Eltern, irgendeiner hochangesehenen
Familie gehört hatte, war jetzt das Eigentum eines Ge-
werbsmannes geworden. Der Herr Fleischer oder Tisch-
lermeister bewohnte nun die prächtigen Gemächer, in
welchen früher Freiherrn oder Grafen gehaust hatten,
367
und etablierte einen gewiß nicht geringern Stolz als
diese.' Jenes gräfliche Schloß gehörte nun einem reichen
Kaufmanne, ein anderes war zu einer Fabrik eingerich-
tet. Aus den Treibhäusern waren die freilich nutzlosen,
aber lieblichen Orangenbäume und seltenen Pflanzen
verschwunden, und ihre Räume hatten Zuckersiede-
reien oder Spinnmaschinen aufgenommen. In den Gär-
ten, wo keine mannigfaltigen Blumen mehr das Auge
müßig ergötzten, lagen allenfalls die bedruckten Kat-
tunstücke zum Ausbleichen der Krappfarbe am Boden
hingebreitet usw. Alles hatte seinen Zweck, seinen
Nutzen, alles trug etwas ein. Aber — das Schöne war
hinweg aus diesem Leben!
Zu diesen trüben Betrachtungen, welche die am
Schönen und Edeln verarmte Gegenwart mir aufdrang,
gesellte sich auch noch manches andere Trübe. Werte
Freunde, welche sehr oft unser Haus besuchten, wie
Herrv. Kirchstättern'"), Vater vieler Kinder, die er in
dieser bedrängten Zeit nur kummervoll ernährte, übri-
gens ein gebildeter, rechtlicher Mann, den > eine lange
gegenseitige Achtung mit uns verband, starb um diese
Zeit, wohl mitunter aus Sorge und Gram. Bald darauf
erfuhren wir aus Ungarn, wohin er mit dem Kriegs-
archiv dem Hofe gefolgt war, den Tod des General
Gomez'*®), eines sehr würdigen und gelehrten Mannes,
der in Wien unser naher Nachbar gewesen war, dessen
Haus wir oft besuchten. Noch tiefer aber kränkte uns
alle der Verlust eines gar werten, vielseitig gebildeten
und unserm ganzen Kreise mit Liebe und Achtung zu-
gewendeten Mannes, eines gewissen Herrn Köderl'^"),
der in dem Bücherrevisionsamte angestellt, durch seine
rechtliche Gesinnung, durch seinen vielfach gebildeten
Geist, durch seine heitere Unbefangenheit, und selbst
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durch seine offizielle Stellung, die ihn au courant der
neuesten Literatur erhielt, uns ungemein wert ge-
worden war, und dessen frühzeitiger Tod, er hatte kaum
das dreißigste Jahr überschritten, in unserm ganzen
Kreise schmerzlich gefühlt wurde. Endlich noch er-
hielt Baron Merian, dessen ich schon öfters erwähnt,
eine diplomatische Anstellung am Dresdner Hofe und
kam daher nicht mehr nach Wien zurück. Ich vermißte
seinen so angenehmen als lehrreichen Umgang schwer,
und kurz — dies alles trug bei, meine trübe Stimmung
zu vermehren.
Dieser Abstand zwischen dem Einst und Jetzt, dies
Umsichgreifen und der Übermut der niedrigem Stände,
die wachsende Macht ihres eigentlichen Hebels, des
Geldes, fing in jeher Zeit zuerst an, recht bemerklich
zu werden, und hat sich seit diesen fünfundzwanzig
Jahren noch unendlich vermehrt. Für meine Art zu
denken und zu empfinden, hatte dies alles etwas sehr
Niederschlagendes, und diese Stimmung gab sich in
meinen damals entstehenden Schriften kund. In dieser
Stimmung entwarf ich den Plan zu den „Grafen von
Hohenberg"'20^^ wozu ich die Szenerie auf vielfältigen
Reisen in Ober- und Unterösterreich gesammelt hatte.
Pichler hatte nämlich in dieser Epoche fast jährlich eine
größere oder kleinere Geschäftsreise in die Gebirge und
Wälder unseres Vaterlandes zu machen ^^i)^ er nahm uns
alle, meine Mutter, mich und unser Töchterchen mit,
und wir genossen so sehr oft das heitere Landleben in
den schönsten Gegenden. So sah ich St. Florian, Krems-
münster, den Albensee, Scharnstein, Spital am Pyhrn,
Mariazeil, Lilienfeld, Hohenberg, Guttenstein usw.,
und die Bilder dieser Gegenden hatten sich meiner
Seele tief eingedrückt. Sie wurden nun der Schauplatz,
84 c. P. I
369
auf welchem sich die, von mir teils selbstgeschaffenen,
teils der vaterländischen Geschichte entnommenen Ge-
stalten sowohl in den Grafen von Hohenberg als in an-
dern meiner Novellen bewegten, und wozu eben diese
Geschichte den Hintergrund bildete. Eine unglücks-
volle Epoche hatte ich mit Fleiß gewählt, die Zeit, wo
die Kinder K. Albrecht des Ersten, vor allen die un-
garische Königin Agnes Blutrache wegen der Ermor-
dung ihres Vaters an vielen edlen Familien nahmen,
und diese düstere Färbung, sowie sie über jener Epoche
und jetzt auch in meiner Seele waltete, verbreitete sich
über das ganze Gedicht. Keine Neigung blieb ver-
schont, kein noch so zufriedenes Verhältnis ungestört.
Es hatte sich mir aus den Erfahrungen jener traurigen
Zeit der Glauben aufgedrungen, daß es hiernieden kein
wahres Glück gebe; daß unsere edelsten Freuden nur
Täuschungen saien und alles uns auf Jenseits hinweise.
Dieses Glaubensbekenntnis sprach sich am vollständig-
sten in dem Liede aus, welches Agnes singt ^^2):
Was weinst du Pilger dieser Erden,
Drückt dich des heißen Tages Last?
O blick' auf dich, auf deine Brüder,
Wer ist denn glücklich ? frag ich dich.
Und dennoch schwebt im Sonnenscheine
Ein reizend Bild vor unserm Blick.
In der Gestalt der schönsten Triebe
Schwebt es der heitern Jugend vor,
Es zeigt als Freundschaft sich, als Liebe,
Es lockt uns noch durch heiße Triebe,
Und zieht uns von der Erd' empor.
Wie mutig folgen wir den Winken,
Wie reich an innrer Seligkeit!
Wir sehn im Tau die Blume blinken,
Wir pflücken sie — die Blätter sinken
Zerstört vom Hauch der Wirklichkeit.
Verblichen ist die Glut der Farben,
Entflohn des Duftes zarter Geist —
O murre nicht — nicht zum Genießen
Sind wir in diese Welt gesandt. —
Dorthin, dorthin geht das Verlangen,
Dort wird uns unser Wünschen klar,
Dort sehn wir unsre Blumen prangen,
Dort wird kein Hoffen hintergangen,
Wo alles ewig ist und wahr.
In diesem Liede sprach sich mein damaliges innerstes
Gefühl aus, und es ist der rechte Schlüssel zu dem
ganzen Roman.
Ähnliche Ansichten, nur in einer etwas veränderten
Richtung, gaben mir die Idee zur Erzählung: Alt und
neuer Sinn^^s). Es war der grelle Kontrast zwischen
der treuherzigen, frommen, einfachen Vorzeit und der
rastlos strebenden, ungläubigen, nie gesättigten Gegen-
wart. Die wirklichen -Ereignisse, daß soTnanche unserer
Güterbesitzer bei dem Aufrufe der Landwehr ihre
Untertanen bewaffnet und sich an ihre Spitze gestellt
hatten, boten mir willkommene Verflechtungen. So
entstand jene Erzählung, in welcher Cäcilie die neue
Sinnesart gegenüber der alten Blankenwerths dar-
stellte und beide in dem Konflikt zugrunde gehen, wo
denn zuletzt Gewerbefleiß und Fabrikswesen sich das
Besitztum ritterlicher Vorgänger aneignen. Ohne es
zu ahnen, hatte ich mit dieser Novelle das Wohlwollen
und höhere Interesse einer verdienstvollen Dame, der
Gräfin C**y^^*), gewonnen. Ihr Gemahl, ein schöner,
jugendlicher und zufälligerweise wie Blanken werth blon-
der Mann, dessen Besitzungen tief im Gebirge lagen,
war ebenfalls in jenem verhängnisvollen Jahre 1809 zur
Landwehr gegangen, hatte sich sehr wacker gehalten,
und war bei Raab geblieben. Als ich ein paar Jahre
M*
371
darauf nach Lilienfeld und Mariazeil reiste, lernte ich
diese Frau kennen, welche in jener Erzählung eine Art
Verklärung ihres tapfern Gemahls gefunden hatte und
mir darum recht gut geworden war.
Auf diese und ähnliche Weise hatten mir meine Sjchrif-
ten manches wohlgeneigte Herz in der Nähe und Ferne
gewonnen, und was mich stets am meisten freute, es
war sehr oft nicht sowohl die Schriftstellerin als das
weibliche Gemüt, die Frau selbst, was man in meineii
Schriften achtete und mit Wohlwollen auffaßte. Das
war und ist ein schöner Gewinn, der mir durch Gottes
Gnade, nebst dem unsäglichen Vergnügen, welches mir
die Ausübung meines Talentes gewährte, noch darüber
zuteil ward^24a^.
Während ich noch, zwischen Wehmut über die Ver-
gangenheit und Sorge für die Zukunft befangen, an den
Grafen von Hohenberg arbeitete, und eine schwer-
mütige Freude darin fand, mich in die Leiden und
Schmerzen, Entsagungen und Enttäuschungen dieser
Geschöpfe meiner Einbildungskraft zu versenken, zu-
gleich die Bilder jener himmhsch schönen Gegenden
von Guttenstein, Scharnstein, Lilienfeld, dem Alben-
see usw. wieder lebhaft zurückzurufen und den Ein-
druck zu schildern, mit dem ihre halbwilden, halb-
düstern Reize mich selbst berührt hatten, als ich sie das
erstemal sah, erschütterte plötzlich eine ebenso folgen-
reiche als unerwartete Neuigkeit ganz Wien, ganz
Österreich, ja wohl ganz Europa. Napoleon ließ um die
Tochter unsers Kaisers werben. Marechal Berthier'*^)
war auf dem Wege nach Wien, und mit Erstaunen, mit
ängstlicher Freude und furchtsamer Hoffnung sah je-
dermann diesem Ereignisse und seinen möglichen Fol-
gen entgegen.
372
K
General Berthier kam an — die Werbung geschah
in aller Form. Feste folgten bei/Hofe auf Feste. Die
damalige Kaiserin Maria Ludovica wußte durch ihren
Geist, ihre Anmut und durch die^rgfältigsten Toilet-
ten den Marechal so zu bezaubern und zu stimmen^
daß er bei seiner Abreise soll gesagt haben: Es sei Z-eit,
daß er von Wien wegkomme *26). In der Augustiner-
kirche geschah die feierliche Trauung, wobei unser hoch-
verehrter Erzherzog Karl statt des entfernten Bräuti-
gams, die Hand der Braut, seiner Nichte, empfing*^'),
— Er, der Sieger von Aspern, der zuerst den Nieüber-
wundenen zum Weichen gezwoingen hatte, sollte nun
das Band besiegeln helfen, was jenen Gewaltigen an
das Erzhaus binden, und diesem entweder Frieden und
Glück oder noch ärgere Sklaverei bereiten konnte!!
Vergeblich würde ich es versuchen, die gemischten,
streitenden, ja peinlichen Empfindungen zu schildern,
welche mich ergriffen, als ich bei dem freien Ballfeste *2*),
das bei dieser Gelegenheit in den k. k. Redoutensälen
mit großer Pracht gegeben wurde, zuerst wieder in
diesen Saal trat, wo vor zehn, elf Monaten, vor dem
Ausbruch des unseligen Krieges, die Landwehrlieder
unsers Freundes Collin bei gedrängt vollem Hause
waren gesungen und in jeder österreichischen, jeder
deutschen Brust Haß und mutiger Widerstand gegen
Frankreichs Übermacht und Übermut war entflammt
worden. Jetzt war eben dieser Saal auf einer Seite mit
Fahnen und Drapperien in Österreichs Farben, auf der
andern Seite mit Trikolor verziert. Dieses Zeichen, das
Erfahrung, Nachdenken und jeder Blick um uns her uns
seit Jahren als das unglückbringendste für uns und die
ganze Welt hatte ansehen gelehrt ! Nun schwebten diese
Farben über unsern Häuptern, dicht neben den ver-
373
'%
ehrten vaterländischen, und wie lange ? — wie lange ? —
wird uns, so konnte man wohl, ohne eben allzu große
Furchtsamkeit, mit Recht denken, wie lange wird uns
der Allgewaltige wohl noch gestatten, diese Farben zu
verehren und als das Palladium des Volksglücks unter
dem Szepter unserer angestammten Fürsten zu behal-
ten ? Daß solche Betrachtungen nicht sehr geeignet
waren, um jene fröhliche Stimmung zu erzeugen, die
sich für einen Ball schickte, ist wohl natürlich. In-
dessen, sowie ich bereits über die Jahre hinaus war, in
denen man zu tanzen pflegt, so war auch überhaupt das
Tanzen auf der Redoute nicht mehr Sitte, und man
betrachtete ein solches Fest nur als eine große Reunion,
wo man in zierlich geschmückten und erleuchteten
Sälen während einer Tanzmusik, auf die übrigens nie-
mand oder nur wenige achteten, herumspazierte, seine
Bekannten sah, Anzüge betrachtete und musterte, Glos-
sen machte, und sich gut oder nicht gut unterhielt, je
nachdem es sich traf. Eine der besten Unterhaltungen
bot bei solchen Gelegenheiten die Erscheinung des
kaiserlichen Hofes mit seinem Gefolge von Kavalieren
und Damen. Diesmal führte unser geliebter Kaiser den
Zug an, an seinem Arme die jugendliche Braut des Hel-
den der Zeit ; ihnen folgte an Erzherzog Karls Arme die
Kaiserin Maria Ludovica; hinter diesen die übrigen
Prinzen des Hauses, den Patriarchen desselben, Herzog
Albrecht von Sachsen-Teschen'^»)^ mitten unter ihnen.
Auch diesmal war, wie ich es schon bei der ersten Ver-
mählung unsers Kaisers mit der Prinzessin Elisabeth
von Württemberg bemerkt hatte, die Braut, welche
doch an diesem Tage die größte Aufmerksamkeit er-
regen mußte, durchaus nicht die anziehendste Gestalt.
Damals verdunkelte die zwar nicht mehr jugendliche,
374
aber durch ihre edlen Formen und den geistvollen Aus- ,
druck derselben, sowie durch einen sehr wohlgewählten
Anzug, noch immer sehr schöne Erzherzogin Christina *^)
die blasse und viel unscheinbarere Braut. Bei dem
gegenwärtigen Fest übertraf die Kaiserin, obwohl nicht
regelmäßig schön und älter, kränklicher als die blühende
Braut, diese doch durch Anmut der Bewegungen, vor-
teilhaften Anzug und eine Majestät der Haltung, welchfe
bei dieser nicht großen Gestalt doppelt überraschend
war. Daß der mindere Glanz der Braut großenteils
von einer unvorteilhaften Art sich zu kleiden und ihrer
Schüchternheit herrührte, erwies sich später. Man er-
zählte allgemein, daß, wie sie in Braunau, wo das ihr
entgegengesandte französische Gefolge sie erwartet
hatte und sie von den französischen Zofen in einem
Nebengemach umgekleidet worden war, in dem von
Paris mitgebrachten Anzug und Schmuck wieder her-
austrat, sie als eine ganz andere Person erschien ^^^) . Wohl
mochte die innere Sicherheit, der Gedanke: nun die
erste und höchste Monarchin in Europa zu sein, viel
beitragen, die jugendliche Gestalt zu erheben und den
blühenden Kopf aufzurichten; daß aber an der Wahl
und Umsicht beim Anzug gar viel gelegen ist, wird
keine Frau bestreiten. Später — nach dem Zusam-
mensturz ihres so blendenden Glückes — sah ich diese
Prinzessin in Lilienfeld wieder und mußte gestehen,
daß sie in Haltung und Anstand ungemein gewon-
nen hatte.
Doch ich kehre zu dem Faden der Erzählung zu-
rück. Unser Vaterland war also mit Frankreich ver-
bündet — die Tochter unsers Kaisers saß an des mäch-
tigsten Monarchen, an Napoleons Seite, auf dem Thron
dieses Reiches, und nach den gewöhnlichen Berech-
375
nungen hätten wir uns nun Ruhe und ungestörten Ge-
nuß im Besitz dessen, was dem österreichischen Kaiser-
tume nach so vielen Losreißungen gebHeben, und aller-
dings eine bedeutende Macht zu nennen war, ver-
sprechen können. Aber war sich bei Napoleons rastlos-
strebendem Eroberungsgeist, bei dem militärischen Ge-
nie, das er besaß und welches ihm das Kriegführen und
Überwinden zu einfer LiebHngsbeschäftigung machen
mußte, und bei den Ungeheuern Mitteln, die ihm zu
Gebote standen, wohl Ruhe und bleibende Sicherheit
zu versprechen!
Unglückverkündend und im Rückblick auf das trau-
rige Geschick der Königin Antoinette höchst ominös
war der Brand des Tanzsaales bei dem Fest, das unser
Gesandter Fürst Karl von Schwarzenberg^^^) dem kaiser-
lichen Paare mit großer Pracht und ausgesuchtem Ge-
schmack gab. Schon bei Gelegenheit jener Hochzeits-
feierhchkeiten unter Ludwig XVL war ein ähnliches
Unglück entstanden, und diese Wiederholung desselben
Zufalls bei gleicher Veranlassung warf ahnungsvolle Be-
sorgnisse in manche Herzen. Sehr lebendig und schön
geschildert hat eben jener Herr Varnhagen, dessen wei-
ter oben Meldung geschehen, dieses Fest mit allen sei-
nen Schrecken und einzelnen erhebenden Momenten im
Raumerschen Taschenbuch *32^. Varnhagen war damals
Adjutant des Fürsten, daher ein glaubwürdiger Augen-
zeuge all dieser Auftritte. Nicht ohne erhebendes Ge-
fühl liest man in dieser Schilderung neben allen den
entsetzhchen Ereignissen die einzelnen Beweise von
Mut, Aufopferung, Pflichtgefühl — das Schicksal der
Fürstin von Schwarzenberg^^), die ein Opfer ihrer Mut-
terliebe ward, und das Betragen des Kaisers Napoleon
selbst, das sich ebenso besonnen und würdig, als voll
.376
Karoline Pichler
Anonymer Stich (Quirin Mark? oder Friedrich John?)
k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
Rücksicht auf seine eben angetraute Gemahlin aus-
sprach.
Der folgende Sommer verging wie mancher frühere
für mich in stillem Genuß häuslicher Zufriedenheit,
im Umgang mit werten Freunden und kleinen Reisen
in die schönen Gebirgsgegenden. So waren wir noch
im Anfange des Oktobers zum zweitenmal in Gutten-
stein, und ich sah mit Vergnügen die Plätze wieder,
die ich schon ein paar Jahre früher besucht und wo
ich einen großen Schrecken bei dem Muckendorfer
Wasserfall erlebt hatte. Dieser Auftritt, bei welchem
nur Gottes sichtbar einwirkende Gnade mich vor dem
furchtbaren Jammer, Gemahl und Kind in einem
AugenbHcke zu verlieren, bewahrt hatte, ist mir von
jeher zu entsetzlich, zu ergreifend gewesen, als daß
ich auch jetzt noch, nach mehr als dreißig Jahren im-
stande wäre, ihn in diesen Blättern zu schildern. Er-
zählen konnte ich ihn nur mit der größten Erschütte-
rung des Gemütes, tat es daher fast nie, und nur meine
innige Freundin, die mir nun auch schon lange ins
bessere Leben vorangegangen ist, Fräulein Therese von
Artner, hat in einer schönen Roma^ize, welche ihr die
Liebe für mich eingegeben, diesen entsetzlichen Vor-
fall geschildert'^*).
Man hat — wenn es erlaubt ist, so Kleines, wie
meine Erlebnisse, mit den Ereignissen in dem Leben
eines der glänzendsten Monarchen in Vergleich zu stel-
len — man hat öfters schon die Rettungsgeschichte un-
sers Kaisers Max L auf der Martinswand für ein Mär-
chen, eine poetische Sage usw. erklären wollen, weil
sie sich unter den Abenteuern des Kaisers, welche er
selbst im Teuerdank erzählt, und in welchem seine
bösen Gesellen, der Neidthart Fürwittig und Unfalo
377
ihn in allerlei Gefahren bringen, nicht vorfindet. Dies
ist wahr; aber ist es wohl erlaubt, aus der Nichtberüh-
rung dieses Abenteuers auf das Nichtvorhandensein
desselben notwendig zu schließen? Kann nicht ein
Schauer, der den höchst gemütsreichen letzten Ritter
bei der Erinnerung an jene Gefahr ergriff, die Ursache
dieses Verschweigens sein ? Kann nicht — ich glaube,
Baron Hormayr hat Ähnliches irgendwo geäußert'^) —
eine Art heiliger Scheu ihn abgehalten haben, dies ge-
heimnisvolle Begegnis profanen, vielleicht ungläubigen
Ohren mitzuteilen; es möge nun jenes rettende Wesen
ein wirklicher, von Gott gesendeter Engel — denn die
Erhaltung dieses Fürsten war allerdings dignus vindice
nodus — oder ein auf wunderbare Weise auftretender
Bergknappe gewesen sein. Wie gesagt, ich glaube in
meiner Scheu vor dem Erzählen jenes Vorfalls am
Muckendorfer Wasserfall eine natürliche Erklärung von
Kaiser Maxens Schweigen über den so ungleich wich-
tigern und verhängnisvollem Vorfall an der Martins-
wand zu erkennen.
Aber unsere Zeit ist so über alle Maßen skeptisch
und nüchtern, hat so ausschließend nur für das Reelle,
Handgreifliche, Nutzbare Sinn, daß alles, was sich
nicht in diese Kategorien bringen läßt, für sie nicht
allein keinen Wert hat, ja, daß es von ihr gar nicht
mehr erfaßt werden kann. In dieser Tendenz zum Rea-
len übt sich nun auch die historische Kritik mit scho-
nungsloser Schärfe, verdächtigt ÜberHeferungen, an
deren erhebendem, menschhch schönem Inhalt seit
Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden ^e Welt mit
Liebe und Glauben hing, z. B. in den ersten Büchern
der römischen Geschichte, oder zieht den trojanischen
Krieg — wie ich aus einer Rezension in den „Blättern
378 "
für Literar. Unterhaltung, Dezember 1836""' gesehen ^^^)
— von seiner glanzvollen Höhe, auf der er der Welt ge-
leuchtet, herunter, und sucht ihn zu einer unbedeuten-
den, halb wahren, halb erlogenen Expedition einer oder
einiger kleinen griechischen Völkerschaften zu machen.
Ebenso, nur weit verderblicher und darum verabscheu--
ungswürdiger mag auch das, jetzt in vielen kritischen
Blättern besprochene Leben Jesu von Strauß sein^^'). Ich
habe es so wenig als Uscholds trojanischen Krieg^^) oder
Herrn von Niebuhrs römische Geschichte ^^^) gelesen»
Aber ich habe in meiner Jugend das Buch des berühm-
ten oder berüchtigten Dr. Bahrdt : Die Bibel im Volks-^
ton, wohl gekannt, welches sich mit vielem Scharfsinn
und großer Anstrengung Mühe gibt, alles Wunderbare,
Göttliche aus der Person und den Taten Jesu Christi
hinweg zu deuteln und alles ganz natürlich zu erklären»
Zu welchen abenteuerlichen, teils lächerlichen, teils
ganz unstatthaften Voraussetzungen und Erfindungen
Bahrdt deshalb seine Zuflucht nehmen mußte, leuch-
tet wohl jedem unbefangenen und christlich gesinn-
ten Menschen ein; aber das Buch machte gewaltig
viel Aufsehen. Mir schien es aber schon damals, daß
jene sogenannten Erklärungen und Vernatürlichungen
der Wunder etwas noch viel Wunderbareres als die
wirklichen Mirakel, nämlich ein ganz unwahrschein-
liches Zusammentreffen der seltsamsten Umstände,,
eine unbegreifliche Betörung und Befangenheit der
Zuseher, und endlich einen Grad von Geistesgewandt-
heit, Schlauheit und Bildung voraussetzen, der sich
bei einfachen Fischern und Leuten aus den niedrig-
sten Ständen gar nicht denken läßt. Es ist — so dünkt
es mich — mit diesem Wegerklären des Wunderbaren
wie mit der Beobachtung der drei dramatischen Ein-
379
heiten auf der Bühne, wo denn auch, um ja dem Zu-
seher keine Versetzung seiner Gedanken an einen an-
dern Ort, oder keinen Glauben an eine längere vergan-
gene Zeit zuzumuten, man ihm aufbürdet, zu glauben,
daß z. B. eine Verschwörung auf öffentlicher Straße
-entsponnen werde, der Vater sich über die innersten
Angelegenheiten seiner Familie in einem Vorsaale aus-
sprechen oder die totale Sinnesänderung eines ver-
kehrten Menschen binnen 24 Stunden stattfinden
Jcönne«^o). ^
So ging denn das Jahr 18 10 zu Ende, und das, in so
vieler Hinsicht merkwürdige von 181 1 brach an.
Schon im März ward es durch zwei folgenschwere,
obgleich unter sich sehr verschiedne Ereignisse be-
zeichnet, die Geburt des damaligen Königs von Rom,
bei uns später der Herzog von Reichstadt genannt, und
<iie unselige Skala, die zwar mit einem Gewaltstreich
vielen Verlegenheiten der Staaten abhalf, auch das
Los der Beamten und aller vom Staate Salerierten be-
deutend verbesserte, aber auch manche rechtliche Fa-
milie zum Teil oder gänzlich um ihr Vermögen brachte.
Auch das unsrige litt bedeutenden Verlust, sowohl da-
mals als späterhin, da selbst Kapitalien, die lange vor
jeder Entwertung- der Bankozettel in den Jahren 1797
oder 1798 angelegt worden waren, uns zwanzig Jahre
später in Einlösscheinen zurückgezahlt wurden, wo-
gegen dann keine Protestation geholfen hätte, weil das
Patent ausgesprochen hatte: Einlösscheine sind Kon-
ventionsmünze^*!).
Doch über das alles ist damals genug geklagt, räson-
niert, gebeten, versucht worden, die Ansprüche blie-
380
ben stehen — das Geld war verloren und nun haben
einige zwanzig Jahre jene Wunden vernarbt oder die
verletzten Herzen ruhen längst im kühlen Grab^")^
Bei Hofe und überall war bedeutende Freude über
die Geburt jenes Prinzen, und Baron Tettenborn, der
im forcierten Kurierritt diese frohe Nachricht in 8 oder
9 Tagen von Paris nach Wien brachte, war mit seiner
Neuigkeit und dem Erstaunen über seine kühne Reise
durch mehrere Tage der Gegenstand aller Gespräche ^*2^,
Der heiße Sommer kam nun und brachte mir allerlei
Angenehmes und Unangenehmes, ja Schmerzliches,
Die innig von mir verehrte Frau von Schlegel hatte
sich für den Sommer eine Gartenwohnung in unserer
Nachbarschaft genommen; wir sahen uns oft, und unsere
Kinder, Philipp Veit^^), damals ein hübscher Junge
von etwa i6 — 17 Jahren, und meine Tochter, unge^
fähr 13 oder 14 Jahre alt, trieben sich im Garten spie-
lend und scherzend umher. Welche Veränderung
bis jetzt! Veit ist ein berühmter Maler geworden und
ist Vater von sechs Kindern — meine Tochter ist
Witwe und Mutter von fünf Kindern, von denen ihr
Gott drei ließ, welche unser Alter verschönern. —
Unsere Freundinnen, Baronin Richler und ihre
Schwestern, brachten den Sommer in Döbling zu. Die
jüngste, Nanette, hatte schon lange gekränkelt — als-
Folge einer schwächlichen Konstitution und mancher
geheimen Kränkung, welche ihr die Untreue eines
Mannes verursacht, der um mehrere Jahre jünger als
sie, ^ie im Anfang mit jugendlicher Leidenschaft um-'
faßt, und endlich um einer jüngeren und sehr schönen,
genauen Freundin Nan^ettens willen verlassen hatte***),
— Es war eben auch eine Sapphogeschichte, wie sie
iiur zu gewöhnlich vorfallen; wo die Verirrung einef
381
jugendlichen Phantasie mit der Zeit der natürlichen
Wirkung der Jugend und Wohlgestalt weichen muß.
Noch während Nanette mit ziemlich schnellen Schrit-
ten dem Grabe zueilte, entriß ganz unvermutet eine
heftige plötzliche Krankheit uns einen andern bewährten
und unvergeßHchen Freund, Heinrich von Collin**^),
der seit seinem ersten Auftreten in der Hterarischen
Welt in dieser sowohl als in seinen amthchen Beziehun-
gen eine glänzende Karriere gemacht hatte, Hofrat
und Leopoldördensritter geworden war. Der amtliche
Fleiß, die Geistesanstrengung, welche durch doppelte
Richtung — als Dichter und Geschäftsmann — seine
Kräfte in zu großen Anspruch nahm, hatten seine Na-
tur erschüttert, und einer gefährlichen Krankheit,
einem Nervenfieber, das ihn im JuH dieses Jahres be-
fiel, nur zu leichtes Spiel gemacht. Es war ein heißer
Sommernachmittag, als er von Schlegel — die damals
unweit von uns in einem Garten wohnten *^^) — zu uns
herüber kam und sich Wasser in einem gewissen gläser-
nen Kruge, den er wohl kannte und öfters bei uns
daraus zu trinken pflegte, ausbat. Ich goß es ihm mit
Himbeersaft ab, er ruhte eine Weile bei uns, erfrischte
sich mit dem Tranke, klagte aber sehr über Unbehag-
lichkeit und Mattigkeit. Es war das letzte Mal, daß wir
ihn sahen. In einigen Tagen ergriff ihn die Krankheit
mit voller Macht, und am 29., wenn ich nicht irre, trat
<lie gute Schlegel mit sehr ernster Miene Nachmittag
in mein Zimmer, und bereitete mich schonend und
vorsichtig auf die schmerzliche Nachricht seines Todes
vor. So hatte ich, wie alle, das Vaterland den treff-
lichen Mann, den ausgezeichneten Dichter, den tüch-
tigen Staatsbeamten, den teilnehmenden, treuen, recht-
lichen Freund verloren ! Er wurde allgemein bedauert ;
382
die Lücke, welche er in unserm Kreise gelassen, ist
nicht mehr ausgefüllt worden, wie denn überhaupt
nie ein Mensch durch einen andern, der an seine Stelle
tritt, im rechten Sinne ersetzt werden kann.
Bald nach CoUins Tode endete denn auch Nanette
Porta, und hinterließ ihre beiden altern Schwestern in
tiefer Trauer und uns alle in Wehmut um sie. Es war
ein ausgezeichnetes Mädchen, voll Geist und Leb-
haftigkeit, und ihr Verlust in unserm geseUigen Kreise
sehr empfunden.
Indessen ging die Welt draußen , um uns her ihren
vielbewegten, stürmischen Gang fort; denn an ihrer
Spitze stand der gewaltigste und unruhigste Geist die-
ses Jahrhunderts, Napoleon, der alles mit der Macht
seines Genies und Ehrgeizes aufregte und durchein-
ander trieb. Mit Recht sah man tägHch neuen Gewit-
tern und Stürmen entgegen, die zwar noch nicht an
unserm Horizonte aufgestiegen waren, auf die aber
jeder, der die Zeit kannte und nur etwas Voraussicht
hatte, sich mit der größten Wahrscheinlichkeit vor-
bereiten durfte, und vor welchen — so glaubten auch
die Vernünftigsten — uns selbst weder die Vermählung
mit der Tochter der Cäsaren noch die Geburt des En-
kels unsers Monarchen schützen würde, wenn es dem
gewaltigen Geiste gefiele, Österreich zu einem seiner
direkten oder indirekten Staaten zu machen. In einem
Sinne hatten diese Propheten richtig geraten; daß es ge-
rade der entgegengesetzte war, ließ damals in Öster-
reich, ja in Europa sich kein Mensch träumen, vielleicht
selbst Talleyrand**') nicht, der den Marsch nach Ruß-
land im folgenden Jahre : Le commencenjent de la fin
genannt haben soll.
383
i
In diesem Sommer, der uns so manchen Verlust ge-
bracht und in Rücksicht der unausstehlichen Hitze so
manche Freude verdorben hatte, fehlte es doch an
kleinen Unterhaltungen nicht. Ich hatte Gelegenheit,
interessante Fremde kennen zu lernen — Wilhelm v.
Humboldt mit seiner Frau ^*^), einer höchst geistreichen
Dame, die ich bei Schlegel kennen lernte, die sich aber,
weiß Gott warum ? gegen mich äußerst schroff benahm,
und, so wie auch ihr Mann, in dem übrigens sehr klei-
nen Kreise desselben Abends, unter höchstens 8 — lo
Personen, mich auf eine auffallende Art ignorieren zu
wollen das Ansehen hatte. Nie habe ich erfahren, wo-
her diese übersehende, ja ganz unfreundliche Behand-
lung kam, da ich sonst (ich darf das sagen, ohne daß
man es mir als Ruhmredigkeit auslege) gewohnt war,
wenigstens, wenn man mich Jiicht kannte, mit der ge-
gen Unbekannte gewöhnlichen Höflichkeit, und wenn
ich genannt wurde, mit Auszeichnung behandelt zu
werden. Diesmal war es anders, und vergebens habe
ich nachgesonnen, was wohl die Ursache davon habe
sein können, da ich Herrn und Frau von Humboldt
jenen Abend zum erstenmal in meinem Leben gesehen
hatte.
Zur selben Zeit wohnte auch eine Freundin der
Frau von Schlegel, eine Madame Herz**^) aus Berlin,
auf einige Zeit bei ihr, eine sehr majestätische, und
hätte man sie durch ein Verkleinerungsglas betrachten
können, wirklich schöne, dabei geistvolle, freundliche,
gebildete Frau, mit der ich manche vergnügte Stunde
zugebracht. Durch sie erfuhren wir eine sehr komische
Anekdote von dem berühmten Romandichter Lafon-
taine, der auch dazumal im Sommer 1811 nach Wien
gekommen war, den wir aber, Schlegel und ich, nicht
384
kennen lernten, weil er sich bei keinem von uns auffüh-
ren ließ. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, sich im
sogenannten Wurstelprater bei den Schenken, Schau-
keln, Pulcinellen usw. herumzutreiben, das Volk in sei-
ner Fröhlichkeit dort zu betrachten, und vielleicht
manche psychologische Bemerkung zu machen. In die
feinen Gesellschaften ging er nicht, in keinem von allen
mir bekannten Häusern hatte er Zutritt gesucht. Aber
ein paar Damen, welche seine Romane mit großer Er-
hebung und Rührung (wie mehr oder minder wohl wir
alle vor 30 — ^40 Jahren) gelesen hatten, und nach ihrem
Ton und ihrer Tendenz in dem Autor einen zarten, fei-
nen, vielleicht zierHchen, gewiß aber sehr anziehenden
Gesellschafter zu finden glaubten, ließen ihn zum Tee
bitten, und freuten sich schon sehr auf den genußrei-
chen Abend mit dem Verfasser so rührender, zärtlicher
Dichtungen. Es war ein heißer Tag in Mitte des heißen
Sommers — es wurde 7, halb 8, 8 Uhr — eine für jene
Zeit viel zu späte Stunde, um zum Tee zu erscheinen.
— Lafontaine ließ sich noch immer erwarten. Endlich
um halb 9 Uhr trat ein mittelgroßer, sehr korpulenter,
sehr abgeschwitzter Herr ein, es war der erwartete Dich-
ter, der sich in einemfort den Schweiß abtrocknete,
über die Hitze klagte, sich statt des Tees und der Kon-
fitüren — ein Glas Bier ausbat, und mit großer Lust
statt von zarten und erhabenen Dingen, wie wohl er-
wartet worden war, von dem Vergnügen sprach, das
ihm der obengenannte Wurstelprater geboten. Wie
waren die Damen von ihrer ätherischen Höhe herab-
gestürzt!
Bald darauf erschien, nicht hier auf Erden, aber am
nordwestlichen Himmel, ein schimmernder und merk-
würdiger Fremdling, der große Komet von 181 1^^") —
25 c. p. I 385
und eine übermäßige Hitze ging seiner Erscheinung be-
vor, begleitete sie und dauerte mit verhältnismäßiger
Abstufung bis gegen den November. Viele Brunnen
versiegten, die Ernte war mittelmäßig, der Wein aber
trefflich. Mir war die Hitze peinlich, übrigens aber der
Anblick des fremdartigen und schönen Gestirns, das
seinen lichthellen Schweif über einen bedeutenden Teil
des Abendhimmels erstreckte, und das ich aus meinem
Fenster oft mit Vergnügen betrachtete, anziehend und
angenehm zugleich. Nicht alle Menschen teilten dies
Vergnügen mit mir. Es gab ihrer, und sehr geistreiche,
welchen der Anblick des Sternes Unglück weissagend
erschien, und die sich daher vor ihm fürchteten. Zu
streiten ist über solche Ansichten nicht, denn Gründe
finden hier keinen Eingang. — Hätte aber jener Him-
melskörper wirklich ein allgemeines Unglück bedeuten
sollen, so waren wenigstens wir Deutsche es nicht ; denn
die Schrecken des bald darauf unternommenen Feld-
zugs von 1812 trafen uns nur in wenigen einzelnen,
welche sich eben unter der französischen Armee be-
fanden, und vielmehr wurde das Unglück jener Cam-
pagne der Grund und die Wurzel, aus welchen sich die
Befreiung unseres Vaterlandes im Jahre 18 13 ent-
wickelt e.
Im Anfang dieses Winters erhielt ich von unserm
Freunde Merian in Dresden, mit dem ich fleißig korre-
spondierte, einen Brief, welcher mir die baldige An-
kunft eines jungen und sehr bedeutenden, sehr hoff-
nungsvollen Dichters, Herrn Theodor Körners *^^), ver-
hieß, und "mich mit vielem Lobe auf diese neue Er-
scheinung aufmerksam machte. Körner sollte sich
386
y
mittelst eines andern Briefes von ihm bei mir einfüh-
ren; aber er kam nicht. — Ich hörte von andern Leu-
ten, daß er hier und sehr viel mit Schauspielern sei, wie
denn auch einige kleine Stücke von ihm: Die Braut, der
grüne Domino ^^^) usw. aufgeführt wurden. Ich hatte
ihn noch nicht gesehen, so sehr ich es wünschte, und nur
in einer der Vorlesungen über die neuere Geschichte,
welche Friedrich Schlegel damals im Saale beim „rö-
mischen Kaiser" hielt ®^^), zeigte mir ihn Frau von Weis-
senthurn^^*) von weitem. Es war eine hohe, schlanke,
kräftige Jünglingsgestalt, nicht eben mit schönen, aber
sehr bedeutenden Zügen, lebhaften blauen Augen bei
ganz dunklem Haar und in einem etwas vernachlässigten
Anzug. Nicht lange darauf erzählte man sich, daß er ein
zärtliches Verhältnis mit einer unserer damaligen ersten
Schauspielerinnen, MUe. Adamb erger ®^^) habe, welche
mit einer schönen Gestalt, einem liebenswürdigen heitern •
Umgang und einem großen theatraHschen Talent, eine
so strenge Sittlichkeit, eine so höchst vorsichtige Auf-
führung verband, daß man sie allgemein eben so sehr
bewunderte als hochachtete; ja, die jungen Herren,
welche sich ihr, als einer Schauspielerin, ohne große
Umsicht nähern zu dürfen glaubten, wurden auf eine
Art von ihrer Tante, bei der sie mit ihren Geschwistern
lebte, empfangen, daß man ihr den Titel: le dragon de
vertu gab.
Dieses Mädchen nun, das in so vieler Rücksicht glän-
zend vor den Bewohnern Wiens dastand, liebte der junge
Mann, der ebenfalls eine leuchtende Erscheinung in
seiner Art, nun zum erstenmal so bedeutend im Pu-
blikum auftrat. Hedwig ^^^) wurde gegeben — Toni
(Fräulein Adamberger) gab diese Hauptrolle, und man
konnte wohl erkennen, daß die Liebe des Dichters die-
25'
387
sen Charakter mit einer Verklärung von Kraft, weib-
licher Würde, Geist und Edelmut umgeben hatte, die
eigentlich das Werk seiner Leidenschaft und Phantasie
war; dennoch aber mit dem Charakter Antoniens —
wie er damals vor der Welt erschien — viele ähnliche
Grundzüge hatte.
Das Stück, etwas grell und ans Schauderhafte strei-
fend — welcher Geschmack schon zu jener Zeit sich
hier und dort in Dichterwerken wie die Schuld, der
vierundzwanzigste Februar^") usw. zu zeigen anfing —
fand sehr viel Beifall, und Antonie erntete für ihr Spiel
wohl eben so viel Lob, als ihr Dichter für sein Werk.
Alles dies hatte mich denn ebenso gespannt auf die
persönliche Bekanntschaft des jungen Mannes, als wirk-
lich ungehalten auf seine Vernachlässigung meiner ge-
macht. So ließ ich ihm denn einmal durch Kurländer,
der als Theaterdichter in mannigfachen Berührungen
mit Körner stand, sagen : Wenn er mich nicht besuchen
wolle — so müßte ich es mir gefallen lassen; aber ich
bäte ihn nur, mir durch Kurländer den Brief meines
Freundes Merian zu schicken, den ich nicht missen
wollte. Das wirkte endlich — und an einem regneri-
schen Frühlingsnachmittag, wo ich mit meiner Tochter
und noch einem jungen Mädchen *^^), das ich damals als
ein Mittelding zwischen Gesellschafterin und Kammer-
jungfer ins Haus genommen hatte, beisammen saß, mel-
dete man mir Herrn Körner. Die Mädchen, welche ei-
nem Gelehrten nicht gern begegneten, flohen ins an-
dere Zimmer, und ließen mich allein den Besuch eines
Mannes annehmen, von dessen Dichtergeist ich wohl
eine günstige Vorstellung, dafür aber eine geringere von
seiner Lebensart überhaupt oder wenigstens von seiner
Achtung für mich hatte. Dennoch kam es ganz anders,
388
und nur selten in meinem langen Leben hatte die erste
Stunde des Beisammenseins mit einem vorher ganz 'Un-
bekannten so schnell alles Fremde von beiden Seiten
abgestreift, eine sehr gemütliche Annäherung bewirkt
wie zwischen Körner und mir, ungeachtet des großen
Unterschiedes im Alter. Er blieb lange, er erzählte mir
eine Menge aus seinem Leben, seinen häuslichen Ver-
hältnissen; er brachte komische Anekdoten vor, ich
mußte herzlich lachen, Körner lachte mit, und die
Mädchen im Nebenzimmer verwunderten sich über den
seltsamen Besuch, bei dem es so viel zu lachen gab.-
Von nun an war er heimisch bei uns geworden. Er
kam oft, er blieb lange bei den kleinen Mädchen in der
Alservorstadt, wie er Lotte und Theresen nannte, und
sagte später einmal zu einer gemeinschaftlichen Be-
kannten, daß auch er bei seinem ersten Besuche gleich
so viel Wohlwollen und Vertrauen zu mir empfunden
habe, daß er mir alle seine Geheimnisse gesagt haben
würde, wenn ich darnach gefragt hätte. Ja, es war eine
verwandte Seele, die diesen jungen Mann belebte, und
die auch später mich seiner Familie, die im nächsten
Sommer nach Wien kam, und sie mir schnell und blei-
bend befreundete'^^).
Körner las nun jedesmal seine neuen Schöpfungen^
vor, und mit großem Erstaunen konnte ich die Leich-
tigkeit und Sicherheit seiner Arbeiten an dem, von Kor-
rekturen reinen Konzepte bemerken, wo oft auf einer
ganzen! Folioseite kaum ein Gedanke zurückgenommen
oder ein paar Verse gestrichen vy^aren. So floß es ihm
aus der reichen Seele, und so strömte es aufs Papier, ob-
wohl ich nicht zweifle, daß, hätte er länger gelebt, er
manches damals Geschriebene geändert, verbessert —
vielleicht manches vertilgt haben würde.
389
Lebhaft erinnere ich mich der Lesung der Rosa-
munde ^®°). Er hatte zu Mittag bei uns gegessen, und
las uns nach Tische das Trauerspiel vor, das voll höchst
effektreicher Szenen war, und den nicht ganz züchtigen
Gegenstand mit einer Zartheit und Rücksicht für seine
Geliebte, welcher die Titelrolle bestimmt war, behan-
delte, wie sie nur in einem reinen Jünglingsherzen woh-
nen konnte. Auch bei diesem Stücke waren oft auf einer
Seite kaum drei oder vier Korrekturen — und sowohl
meine Mutter als ich ganz erhoben und entzückt von
dem Werke. Am andern Tage schrieb ich ihm mütter-
lich dankend für die Freude, welche mir gestern nicht
bloß sein Dichtertalent, sondern der Bhck in sein schö-
nes Gemüt gegeben. Ein allerliebstes Sonett, in dem
er mich, wohl etwas zu hoch, als eine Priesterin im Tem-
pel des Ruhmes gestellt hatte, erhielt ich dafür ^*^);
bewahrte es — es war das einzige Blatt von seiner Hand
— als kostbares Andenken, und habe es dennoch nicht
mehr! Verloren im eigentlichen Sinn kann ich es nicht
haben; denn es hatte seinen angewiesenen Platz bei
ähnlichen Gedichten und Briefen an mich; aber wahr-
scheinlich wurde es mir abgeborgt unter irgend einem
Vorwande, und nicht mehr zurückgegeben oder aus der
Sammlung entwendet.
Zriny ^^^) las er bei Frau v. Weissenthurn, mit der ich
damals häufiger als jetzt umging, da unsere Töchter*^)
sich herzlich gut waren und dutzten. Meine Mutter
war ebenfalls gegenwärtig, und wir alle, auch die Mäd-
chen hörten mit dem größten Interesse zu ; als er an die
Szene kam, wo Juranitsch seine Helene ohne weiteres
ersticht, schrie meine Mutter auf, und sie sowohl als
Frau V. Weissenthurn wollten ihn bereden, die Szene
zu ändern, weil dieser kaltblütige Mord gar zu gräßlich,
390
zu unnatürlich sei, sagte meine Mutter. Unnatürlich ?
erwiderte Körner mit seiner Naivität. — Es hat mir
ebfen so in der Hand gelegen. Wir mußten alle über
diese Antwort lachen; er aber ließ die Szene stehen, und
bei der ersten Aufführung, bei der ich zugegen war, be-
stätigte sich die Richtigkeit der Empfindung meiner
Mutter, denn die Zuschauer waren ebenso empört wie
sie durch diesen Auftritt; ein allgemeines Zischen be-
urkundete das allgemeine Mißfallen, und hätte, ohne
den höchst effektvollen fünften Akt, besonders bei der
ungebührhchen Länge des Stückes, diesem beinahe den
Untergang gebracht ^^*).
Mit seiner Liebe zu Toni nahm auch Körners Tätigkeit
für das Theater zu. Fürst Lobkowitz*^^), der damalige
Direktor des Theaters, der Körnern schätzte und Toni
sehr wohl wollte, bestimmte ihm mit der Zeit die Stelle
eines Theatersekretärs, und eröffnete ihm somit die
Aussicht, sich dann vermählen und in Wien etablieren
zu können. Man sprach davon, daß seine Eltern den
nächsten Sommer ebenfalls nach Wien kommen sollten,
um diese Stadt und die Geliebte ihres Sohnes kennen zu
lernen, und so dauerte ein lebhaft bewegtes Leben in
literarischen, geselligen und politischen Verhältnissen
— so angenehm und so ungestört als es die damahgen
Zeitereignisse gestatteten, noch eine Weile fort.
Körners Eltern ^^^), Fräulein Stock^*'), die Schwester
seiner Mutter, und Emma^*^), seine Schwester, kamen
diesen Sommer von 1812 nach Wien. Er führte sie so-
gleich zu uns, und nun sahen wir diese würdige Familie
sehr oft. Mancher Abend an den Tagen, wo wir ohnedies
Besuch erwarteten, der oft sehr zahlreich ausfiel, ging
aufs angenehmste hin, wenn die jungen Leute entweder
tanzten oder Körners verehrter Vater am Klavier den
Gesang seiner beiden vortrefflich unterrichteten Kin-
der und meine Tochter begleitete. Das waren sehr
schöne Stunden ! — Wo sind die Menschen hin, welche
sie mir so genußreich verfheßen machten? Wie viele
leben noch? Solche wehmütige Betrachtungen mi-
schen sich nur zu oft in die Erinnerungen an jene Zeit.
Bald sollte ich auch damals einen empfindlichen Ver-
lust dieser Art haben. Frau v. Flies, die mir mit einer
Art von mütterHchem Wohlwollen zugetan war, er-
krankte mit sehr bedenklichen Zufällen, welche auf
eine Brustentzündung oder so etwas schheßen ließen.
Ich besuchte sie den dritten oder vierten Tag, und fand
sie zwar sehr angegriffen und leidend (sie klagte haupt-
sächHch über Mangel an Atem), doch hegte sie selbst
keine Vorstellung von Gefahr. Sie hatte sich vielmehr
für denselben Abend eine Spielpartie bestellt, und re-
dete mit mir über eine projektierte Fahrt nach Hietzing
zu ihrer Schwägerin Baronin Eskeles, welche nächsten
Sonntag hätte statthaben sollen, und wo wir mit Kör-
ner zusammen gebeten waren. Voll guter Hoffnung für
ihre Besserung, verließ ich sie um ein Uhr mittags —
um drei Uhr machte ein Schlagfluß ihrem Leben ein
Ende, und in ihr verlor ich — was jedermann gewiß als
einen bedeutenden Verlust anerkennen wird — eine
teilnehmende, verständige und warme Freundin. Friede
sei mit ihrer Asche!
Wenige Wochen nach ihrem Tode kam ein Brief
Goethes an die Verstorbene an^'^), der eigentlich mich
betraf, und den ihre Schwägerin, die nun auch verstor-
bene Baronin Eskeles^'"), mir mit vieler Güte zusandte.
Früher schon hatte ich durch die Vermittlung eben dieser
Freundin, der Frau v. FHes, einen Brief von dem Hoch-
bewünderten erhalten, der direkt an mich lautete*'^).
392
Toni Adamberger als Emilie Galotti'
Photographie nach einem anonymen- Gemälde — Städtisches Museum, Wien
Er sammelte nämlich Handschriften, gab Frau v. Flies,
mit der er fast jährlich in Karlsbad zusammentraf, den
Auftrag, ihm deren in Wien zu verschaffen, und sie, die
gern jedermann verpfHchtete, und in ihrer isoKerten
Stellung als kinderlose Witwe hierin einen \Lebens-
zweck fand, nahm denn Goethes Auftrag willig an, gab
auch mir die weitere Weisung, mich um Autographen
bedeutender Menschen in Wien umzusehen, und als
ich einige, namentlich von Mozart und Haydn, erhal-
ten hatte, riet sie mir, sie Herrn v. Goethe mit einem
Briefe selbst zu übersenden. Dies geschah denn alles
wie meine mütterliche Freundin in ihrer Hebevollen
Geschäftigkeit angeordnet hatte, und ich erhielt durch
sie Goethes sehr höfliche, aber diplomatisch steife, um-
sichtige Antwort, in der er sich, wie es schien, vorge-
setzt hatte, ja nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig
zu sagen, und die mich darum sehr wenig freute.
Ganz anders war der zweite — jener Brief an meine
bereits verstorbene Freundin. Hier hatte er sich gehen
lassen, und war eben dadurch recht liebenswürdig er-
schienen. Der ganze Brief betraf meinen Agathokles. —
Er hatte ihn gelesen, das Buch hatte ihm gefallen, aber
— sehr begreiflicherweise hatte ihn Calpurnia viel
mehr als Larissa angesprochen, so daß er sich versucht
fühlte, den Roman so umzuarbeiten, daß jene, nicht
Agathokles die Hauptperson sein sollte — und, schrieb
er, die Pichler kann es mir als Verdienst anrechnen, daß
mir ihr Buch so wohl gefiel, obwohl die Grundsätze,
welche darin triumphierend auftreten, nicht die meini-
gen sind, und meiner heidnischen Sippschaft im Kaiser
Hadrian übel mitgespielt wird. Kurz, der Brief freute
mich sehr, denn er sprach ein unaufgefordertes, unpar-
teiisches Lob über ein Buch aus, das denn auch nun all-
393
mählich bekannt zu werden, und sich in Deutschland
und Frankreich, in dem es Frau v. Montolieu durch
ihre Übersetzung einführte^'^), Bahn zu machen
anfing ^'^^).
Viel Ehre und Auszeichnung hat mir dies Werk er-
worben, mehr noch, als jedes folgende einzelne, es war
gleichsam die Ehrenpforte, durch welche die übrigen in
die Welt einzogen. Aber mehr als alle diese Auszeichnung
und Aufmerksamkeit hat mich jederzeit die gute Mei-
nung, das Zutrauen, das Wohlwollen so vieler, mir ganz
unbekannter, in entfernten Ländern lebender Menschen
erfreut, die durch den Agathokles und meine andern
Schriften, hauptsächlich aber durch jenen bewogen —
sich entweder brieflich oder auf Reisen persönlich an
mich gewendet, und öfters mich um Rat, Empfehlun-
gen, Trost oder Beruhigung angesprochen haben. Wie
manches edle Herz wurde mir auf diese Weise zuge-
wendet, wie manches Gute gewirkt oder Nützliche ver-
breitet ! Das alles erkenne ich nun freilich mit dank-
barer Demut als ein Geschenk und gnädige Fügung
Gottes, welche nicht allein jene Gabe der Dichtkunst
in meine Seele gelegt, sondern auch mein Geschick
durch edle Eltern und würdige Freunde so geleitet hat,
daß dies Talent sich aufs Rechte und Gute gelenkt, und
mir so jene Freuden erworben hat, aber ich muß mit
Tassos Sanvitale sagen ^'*):
Am Ende bist du's doch, und hast es doch —
es kam mir doch vielfältig zu Guten und ebnete und
verschönte meinen Lebensweg.
In der Mitte des Sommers hatte Pichler abermals
eine Reise in die Gebirge hinter Lilienfeld bis Maria-
Zeil usw. zu machen. Er ging allein, denn meiner Mut-
ter Jahre erlaubten ihr nicht mehr, so wie früher ge-
394
schehen, wo sie mit uns in Steiermark und Oberöster-
reich gewesen war, uns durch mehrere Wochen zu be-
gleiten, und ich durfte auch nicht daran denken, sie auf
so lange Zeit zu verlassen; aber fünf, sechs oder acht
Tage, konnte ich mich doch entfernen, da ich damals
jenes junge Mädchen, ein Fräulein Kirchstettern, nach
dem Tode ihres Vaters ins Haus genommen hatte,
welche meiner Mutter Gesellschaft leisten, ihr vorlesen,
und im Hause an die Hand gehen konnte. So wurde
denn verabredet, daß ich Pichler in St. Polten abholen,
und mit ihm einen, mir noch ganz neuen Weg über
Waidhofen, Gaming und Lunz nach Maria-Zeil machen
und von dort über Lilienfeld nach Hause kehren sollte.
Ein sehr werter, nun auch schon vorausgegangener
Freund, der Regierungsrat Ridler, ein M^nn, der als
Gelehrter und Mensch mir gleich schätzbar, und ein
Liebhaber von Berggegenden war, entschloß sich, uns
zu begleiten, und die kleine Tour mit uns zu machen,
da er die Lunzerseen noch nicht gesehen hatte. Schon
ehe wir abreisten, schrieb mir mein Mann aus Lilien-
feld sehr viel von einem Geistlichen daselbst, dem da-
maligen Prior P. Ladislaus^'^^), den wir mehrere Jahre
früher als BibHothekar dort getroffen, und schon damals
eine Geistesbildung, wie sie in den Klöstern nicht sehr
gewöhnlich ist, in ihm erkannt hatten. Dieser Mann,
der jetzt, wie gesagt. Prior, und bei der bevorstehenden
Prälatenwahl nahe daran war, diese Würdfe zu erlangen,
hatte sich meinem Manne als ein sehr wertvoller Dich-
ter gezeigt, und Pichler mir einige seiner Gedichte in
Briefen mitgeteilt. Ihn näher kennen zu lernen, war
mir daher eine angenehme Aussicht, und so trafen wir
denn, Ridler, meine Tochter und ich mit Pichler, der
von ein paar Kreisbeamten begleitet war, an einem
395
schönen Sommerabend in St. Polten zusammen, und
freuten uns herzlich des Wiedersehens nach einer Tren-
nung von mehreren Wochen. ■" ,
Sogleich den andern Tag traten wir unsern fernem
Weg an, aber das Wetter begünstigte uns nicht. Regen-
ströme stürzten nieder, und nur immer durch wenige
heitere Stunden konnten wir uns des AnbHcks der
wunderschönen Gebirgsketten erfreuen. So kamen wir
nach Gaming, eine jetzt zerstörte Kartause in einem
eng umschlossenen stillen, melanchohschen Tale, eine
Stiftung Albrecht des Lahmen oder Weisen von Öster-
reich, aus dem vierzehnten Jahrhundert; gegründet,
wie man sagt, infolge eines Gelübdes, welches Albrecht
für die Befreiung seines unglücklichen Bruders Frie-
drich aus der Haft zu Trausnitz gemacht hatte ^'^).
Das Porträt Albrechts war hier zu sehen — eine edle Ge-
stalt mit sehr angenehmen Zügen, da aber das Gemälde
offenbar einer spätem Zeit angehört, so läßt sich über
die Treue nichts sagen, als daß Albrecht der Weise, der
als Fürst und Mensch die Achtung seine/ Zeitgenossen
besaß, wohl so ausgesehen haben konnte, und die Habs-
burgische Familienähnlichkeit auch zu bemerken war. In
dieser Hinsicht war es mir auffallend, als 1809, während
der Anwesenheit der Franzosen, Professor Fischer^'')
(der damals noch lebende berühmte Bildhauer) auf Be-
fehl des Kronprinzen von Bay^ern (jetzt König Lud-
wig) die Büste eben jenes unglücklichen Friedrich des
Schönen nach noch vorhandenen Denkmälern arbei-
ten mußte, daß diese Züge besonders um den Mund
herum, einige AhnHchkeit mit denen unsers hochver-
ehrten Erzherzogs Karl trugen.
Unter Regenströmen fuhren wir von Gaming nach
Lunz. Auf dem Wege, noch voll von den Bildern und
396
Empfindungen, welche Gaming und die Geschichte r
der beiden edlen Brüder in mir erregt hatte, dichtete .
ich die Romanze: Gaming, welche jene Geschichte -
besingt und so beginnt :
Der Regen strömt, die Wälder brausen,
Die Nebel hängen tief ins Tal — «'8)
Ein einsamer Wanderer kommt in diesem Unwetter
in das stille Gaming — er ist unglückHch — er findet
hier Frieden, und vernimmt' von einem der Kloster-
brüder, der das Gelübde des Schweigens zuweilen bre-
chen darf, die Geschichte Albrechts und Friedrichs. :
Über Lunz, den Zellerrain und noch manche andere
sehr hohe Berge setzten wir, teils im Wagen, teils zu
Fuße, wie es die Witterung erlaubte, unsern Weg fort,,
und gelangten endHch nach Neuhaus, das ganz auf der
Spitze eines Berges liegt, zu Fuße dritthalb Stunden
abwärts steigend nach Maria-Zeil, das mir auch dies
wie alle übrigen Male, so oft ich es betreten, wie ein
Hafen der Ruhe und stillen Freude in Gott erschien.
Am zweiten Tage kamen wir nach Lilienfeld, das ich
nun schon mehrere Jahre nicht gesehen hatte, und wo
eine gewaltige Überschwemmung das schöne Tal in-
dessen verheert, die blühenden Wiesen mit Schutt be-
deckt, und eine ebenso zerstörende Feuersbrunst daa
Gebäude großenteils in Asche gelegt hatte '''*) ; das Dor-
mitorium, dieses schöne Überbleibsel des Mittelalters,
war vernichtet, und somit die meisten Urbilder aus die-.
ser Gegend, welche mir bei der Dichtung der Hohen-
berge vorgeschwebt, verändert oder ganz zerstört wor-
den.
Der Herr Prior, eben jener Dichter, und ein paar
andere Geistliche, deren ich mich aus früheren Be-
suchen erinnerte, empfingen uns gastfreundlich. Die
397
Unglücksfälle, welche das Stift indessen getroffen, und
die nahe bevorstehende Prälatenwahl waren die Gegen-
stände unserer lebhaften Gespräche, und mir schien
immer, wenn ich P. Ladislaus betrachtete, als sähe ich
schon die goldene Kette mit einem Kreuze an seiner
Gestalt, welche durch einen feinen Anstand und ein
sehr gebildetes Benehmen sich gar wohl dazu qualifi-
zierte.
Was wdr damals dachten, geschah auch bald^^*^) —
und noch denselben Herbst besuchte uns der neue Herr
Prälat, der seitdem noch ganz andere Stufen geistHcher
Würden erstiegen hat, in Wien, und von dieser Zeit an
besuchten auch wir ihn öfters in seinem Stifte, dessen
romantische Lage sehr einladend ist, und wo wir von
ihm immer mit der größten GastfreundHchkeit auf-
genommen wurden.
Pichler hatte stets warmen Anteil an allen meinen
literarischen Arbeiten genommen, sie immer zuerst ge-
lesen, wie ich sie am Morgen niedergeschrieben und oft
selbst noch nicht überschaut hatte. Nun hatte er schon
seit längerer Zeit den Wunsch geäußert, daß ich mich
einmal im Dramatischen versuchen und etwas für das
Theater schreiben sollte. Ich tat es nicht gern. Meine
ganze Geistesrichtung war nicht für das Lebhafte, An-
schauliche, welches eine wichtige Handlung mit allen
ihren Motiven und Folgen in schneller Entwicklung
vor Augen stellt. Ich liebte es vielmehr, langsam und
wohlberechnet die Fortschritte der Empfindungen, die"
unmerklichen Übergänge in den menschlichen Gemü-
tern mit beobachtendem Auge zu verfolgen und darzu-
stellen, wozu sich denn der Roman, vorzüglich der in
Briefen, ganz besonders eignet. Doch wollte ich Pich-
lers Wunsch nicht abweisen, und so fing ich denn an,
398
mich nach einem Stoff zu einer Tragödie (denn daß ich
kein Lustspiel schreiben konnte, war ich überzeugt) in -
der Geschichte umzusehen. Unsers verewigten Freun-
des Collin Beispiel leuchtete mir hell vor, die ganze
Richtung meiner Bildung, die eigentlich das war, was
man jetzt im Gegensatze mit dem Romantischen klas-
sisch nennt, stimmte dazu. — Tacitus war stets ein mir "
sehr zusagender Autor gewesen, und Germanicus' Cha-
rakter und Schicksal vor vielen Helden des Altertums
würdig, edel und hochtragisch erschienen ^^^). Über-
dies lag in diesem Geschick und Charakter noch eine
nahe und geheime Beziehung, welche mich diesen Helden
vor vielen andern zu wählen bestimmte. Ich fand näm-
lich in der miHtärischen Größe desselben, in seiner
menschHchen Würde, und in manchen amtlichen und
vom bösen Willen anderer herrührenden Verfolgungen
viel Ähnlichkeit mit unserm, von mir stets so innig ge-
achteten Erzherzog Karl. Dies machte mir den Nef-
fen des Tiberius noch teurer — und mein Stoff war ge-
wählt.
Nun sah ich mich noch in der römischen Geschichte
etwas genauer nach der Epoche um, in welche ich meine
Handlung verlegen woUte, und so trat denn allmählich
aus dem Dunkel meiner Seele der fertige Plan zu dem
Stücke hervor, und die Liebesgeschichte, welche ich
hineinverweben zu müssen glaubte, schien mir damals
anziehend, passend, und ein glücklicher Gedanke. Viele
Ausdrücke im Tacitus weisen darauf hin, daß Agrippi-
nens Charakter ernst, würdig, aber nicht angenehm ge-
wesen sein mußte. Leidenschaftliche Heftigkeit und
unweibliche Schärfe mögen sie oft über die zarten
Schranken gerissen haben, die Sitte und Pflicht der
Frau vorschreiben. Ihr Gemahl selbst warnt sie noch
399
auf dem Todbette davor, und empfiehlt ihr, ihr Rache-
gefühl zu bemeistern. Dieser achtungs-, aber nicht lie-
benswürdigen Frau mußte nun — so entwarf ich, wie
ich jetzt wohl einsehe mit zu modernem Sinn, den Plan
— Germanicus nur aus Familienrücksichten die Hand
gereicht, doch auf jeden Fall eine zufriedene und von
der Welt geachtete Ehe mit ihr geführt haben. Seine
schönern Jugendempfindungen waren seiner ersten
Liebe, eben jener Plancina zugewendet, die er in Asien
nach langer, ganz hoffnungsloser Trennung als die un-
glückliche Gattin seines bittersten Feindes, des Pro-
konsul Calpurnius Piso wiederfindet. Plancina hat eben-
falls den Jugendgeliebten nicht vergessen, und da ihr
die Rachepläne ihres Gemahls bekannt werden, wagt sie
es, als Sklave verkleidet, den Feldherrn zu warnen. Er
erkennt sie — ihre Herzen öffnen sich gegeneinander;
aber die Pflicht gebeut, sie sind getrennt und bleiben
es, bis der Tod durch Gift, den Calpurnius dem Ger-
manicus bereitet, und ihm Plancina aus Eifersucht oder
Rache voraussendet, sie vereinigt. Das zu Moderne,
und daher der Würde der Tragödie nicht Entsprechende
leuchtete mir später wohl ein, aber es stand nicht mehr
zu ändern; denn das hätte ein gänzhches Umarbeiten
des Planes erfordert, und da ich wohl berechnen konnte,
daß das Stück auch dann kein großes Glück machen
würde, so ließ ich es, wie es war.
Das Stück wurde ohne meinen Namen aufgeführt.
Es mißfiel eben nicht, aber es erlebte — was vorauszu-
sehen war — nur wenige Vorstellungen ^^^) . Ich verstand
das Theater, und das, was man theatralischen Effekt
nennt, zu wenig, und ich glaube, daß überhaupt die
heroische Tragödie etwas ist, dessen glückliche Bearbei-
tung über den Horizont weiblicher Kräfte geht.
400
Indessen mein hauptsächlichster Zweck, Pichlers
Wunsch zu erfüllen, und ihm Freude zu machen, war
erreicht. Er war zufrieden auch mit dem wenigen
Sukzeß, den dieser erste Versuch seines Weibes er-
langt, und feuerte mich an, ferner auf dieser Bahn
fortzuschreiten.
Es war dies im Winter von 12 auf 13 geschehen. In
dieser Zeit, die überhaupt sehr angenehm war, kam icli
auch oft in das Haus des Fürsten von Lobkowitz, der sich,
so wie seine vortreffliche Gattin ^^3) (sie beide sind auch
längst dahingegangen) lebhaft für meine Arbeiten inter-
essierte, und bei dessen Abendgesellschaften, theatraH-
schen Vorstellungen oder Konzerten ich mich sehr oft
mitten unter dem höchsten Adel, ja in Gegenwart eines
oder des andern unserer kaiserlichen Prinzen fand. Nie
aber, ich müßte unwahr sein, wenn ich es anders T)e-
haupten wollte, wurde ich durch irgend eine Unart oder
Zurückweisung von Seite der Damen an den Unter-
schied unsers Standes in der Gesellschaft erinnert. Sei
es nun, daß meine Stellung als Schriftstellerin, die mich
gleichsam mit Künstlern in eine Reihe zu ordnen schien,
oder ein bescheidenes, zurückhaltendes Betragen von
meiner Seite, welches stets danach eingerichtet war,
diesen Damen zu zeigen, daß ich mich ebensowenig als
ihresgleichen betrachtete, als ich fern davon war, mir
ihre Artigkeiten als Gnaden anzurechnen — mir diese
recht angenehme Stellung zu der haute volee ver-
schaffte, genug, ich hatte sie, und die Erinnerung an die
genußreichen Abende, die ich in diesem Hause zu-
brachte, und wo ich auch den seHgen Erzherzog Ru-
dolf684) mit seltener Fertigkeit Beethovensche Ton-
stücke auf dem Fortepiano vortragen hörte, wird mir
stets wert bleiben.
26 c. P. I
401
Es war eine lebhaft bewegte Zeit damals — eine Zeit,
in der die Geister großer Begebenheiten ihnen schon
ahnungsvoll in Deutschland vorangingen, und dadurch
eine Stimmung erzeugten, welche auch auf die Litera-
tur großen Einfluß hatte. Im Jahre i8n war unser Hof
in Dresden mit Napoleon zusammengekommen und
der Feldzug gegen Rußland verabredet worden, wozu
unser Kaiser ein Hilfskorps unter dem Kommando des
Fürsten von Schwarzenberg*^^) zu geben versprochen
hatte. Im Jahre 1 8 1 2 fand dieser Feldzug statt, und seine
Geschichte, der Brand von Moskau, der Untergang des
französischen Heeres, und das Non plus ultra, welches
die göttliche Vorsicht auf Rußlands Eisfeldern dem
kühnen Eroberer setzte, sind noch lebhaft in jeder-
manns Gedächtnisse. Wohl erinnere ich mich der sehr
verschiedenen Sensation noch, welche die Nachricht
jenes Brandes in Wien erregte. Mir brachte sie eines
Morgens meine, in diesem wie in vielen andern Dingen
gleichgesinnte Freundin, Frau von Schlegel, und ich
fühlte mich so wie sie begeistert, erhoben von diesem zwar
grausamen, aber heldenmütigen und notwendigen Ent-
schlüsse Rostoptschins**^). — Wir gaben uns die Hände,
wir dachten an Sagunt, Numantia, Saragossa — und
freuten uns, in unsern .Tagen noch solche wahre, antike
Größe zu erleben. Andere, z. B. meine Mutter, unser
Freund Hof rat Büel'^'), ein sonst durchaus deutschge-
sinnter Mann, schauderten darob, und nannten diesen
Brand eine gräßliche, barbarische Tat. Ebenso ver-
schieden fielen auch die Urteile der Menge aus;
aber wir, die gleich vom Anfange dafür gestimmt
hatten, erlebten die Genugtuung, daß der Erfolg
die Zweckmäßigkeit dieses Mittels vollkommen ge-
rechtfertigt hat.
402
In der Literatur, auf welche der Zeitgeist jedesmal
einen unausweichlichen Einfluß übt, hatten der Frem-
dendruck, die Unsicherheit aller Lebensstellungen, die
stets erneuerten Stürme, denen auch der ruhigste, un-
befangenste Bürger nicht zu entgehen imstande war,
eine Ansicht des Lebens hervorgerufen, welche dem
Fatalismus sehr ähnelte, und mir nach meinem Dafür-
halten, obwohl der erste Impuls dazu von dem christ-
hchen, ja katholischen Z. Werner in seinem vierund-
zwanzigsten Februar ausgegangen war, sehr unchrist-
lich schien. Dies waren die sogenannten Schicksalsdich-
tungen : Die Schuld, jener viemndzwanzigste, und der
neunundzwanzigste Februar u. a. ^^^), und diese Rich-
tung verbreitete, wie jede Mode, sich schnell und weit.
Es erschienen Novellen, Theaterstücke, Gedichte, alle
in diese trüben Schleier gehüUt, wo der — oft willenlos,
oft im Sturm der Leidenschaft ausgesprochene Fluch
des Schwergereizten — oft eine Familiensage, ein un-
schuldiges Werkzeug, an welches sich Unglück knüpfte,
hinreichte, um das Lebensglück guter harmloser Men-
schen zu zerstören, und wo also die Vorsehung, dieser
Ansicht nach, zur Vollstreckerin des Willens und Aus-
spruchs der Rache, des Hasses, oft der Dummheit ge-
macht wurde. Wie gänzlich dies der christlichen Moral
zuwiderläuft, leuchtet wohl jedem ein, der es unpar-
teiisch betrachtet; damals aber fanden, durch die Mode-
tendenz hingerissen, auch die Besten und Frömmsten
keinen Anstoß daran. Was mich betrifft, so yerfehlte
wohl die Aufführung der Schuld ihres gewaltigen dra-
matischen oder eigentHch theatrahschen Eindrucks auf
mich nicht. Ich war sehr ergriffen, besonders von der
Szene, wo Hugo und Elvire sich über Carlos Tod, ihre
früher schon genährte Leidenschaft mit geheimen
403
/
Schauern besprechen, das Theater sich allmählich ver-
dunkelt, und nun plötzlich, von dem Lichte, das der
Knabe vorträgt, hell beleuchtet, ihnen das Bild des Ver-
ratenen, Ermordeten in der Gestalt und den Zügen '
seines Vaters entgegentritt®^^). Im Traume der folgen-
den Nacht quälten mich Erinnerungen an die Schreckens-
szenen, die ich angesehen, dennoch erkannte ich das
höchst Unmoralische, ja Antichristliche dieses Stückes,
und mußte dem Urteil eines sehr verständigen alten
Herrn, des Grafen von Chotek®^") beipflichten, der
mir beim Herausgehen sagte, es sei ein gottloses Stück.
Körners reine, gesunde Seele wurde von dem Hauche
der Modetheorie nur leicht gestreift. In seinen Stücken
ist wenig Spur davon, wenn nicht vielleicht ein kleines,
nicht eben sehr glückHches Trauerspiel in einem Akte:
Die Sühne ®^^), zu dieser Gattung zu rechnen ist. Ihn
bewahrte Schillers — des Freundes seiner Eltern — Ge-
nius, und es ist klar zu erkennen, wie groi3en Einfluß die-
ser überhaupt auf des jungen Mannes Geist hatte.
Unter solchen Beschäftigungen, Ansichten, Lektüren
und mitunter sehr trüben Aussichten in die nächste Zu-
kunft für das Allgemeine ging das Jahr 1812 zu Ende,
und mit dem folgenden traten wir und ganz Europa in
eine Periode des Umschwungs, der Veränderung, der
Umstaltung darf man wohl sagen, von der noch ein
Jahr vorher wohl niemand etwas geahnt, und selbst als
die ersten Zeichen der kommenden Dinge sich sehen
ließen, noch niemand das Ende vorhersehen oder sich
versprechen konnte, das wirklich erfolgte.
Die französische Armee w^r durch den Winter auf
russischen Eisfeldern, durch die Affären an der Bere-
404,
sina, durch den Brand von Moskau so gut wie vernichr^
tet, und so wie die letzten Reste dieser Unglücklichen
durch die preußischen und deutschen Lande ihrer Hei-
mat zuzogen, schien es, als richtete, dicht hinter ihnen,
der deutsche Geist, der deutsche Mut, die Hoffnung
besserer Tage sich empor. Man sprach von den Rü-
stungen der Preußen. Hier und da ließen sich Stim-
men hören, die einen frischen kriegerischen Klang hat-
ten, und bei dem Worte empor denkt man gleichsam
unwillkürlich an Rückerts geharnischte Sonette, wo-
runter eines die Etymologie des Wortes Empörung
eben von Empor, vom Aufrichten unterm Druck, vom
Erheben des Geistes aus der Schmach ebenso wahr als
sinnig herleitet ^^2). Auch Körner ließ seine Saiten er-
klingen, und eines Abends wurde, trotz der Anwesenheit
des, übrigens sehr liebenswürdigen und uns allen werten
Freiherrn von der Malsburg^^^) — damals bei derwest-
fähschen Gesandtschaft angestellt — Körners JägerKed <
nach Schubarts Melodie : Auf, auf, ihr Brüder und seid
stark! beinah im Chorus bei uns gesungen ®^^). Solchen
Anklang, solchen tiefempfindenden Widerhall fanden
die Worte des Liedes.
Bald darauf war es entschieden, daß Preußen die
Waffen gegen Frankreich ergreifen, sich, wie es Napo-
leon nannte, empören würde, und Mut und Todesver-
achtung, Vaterlandsgefühl und bange Sorge, Hoffnung
und Furc]it regte sich in allen Teilen Deutschlands,
und so auch bei uns. Was unser Hof beschließen würde,
war unbekannt. War doch die Kaisertochter mit dem
allgemein Gefürchteten, Gehaßten, aber Allmächtigen
vermählt, und ein Kind — ein Sohn hatte dies Band
fester gezogen und heiHger geknüpft. Dies Band, das -^
Napoleon, der Wahrheit zur Steuer muß es gesagt wer-
405
den, selbst sehr zart und treu hielt, seiner Gemahlin
mit Liebe und Achtung begegnete, und als bei ihrea*
schweren Entbindung die Ärzte einige Augenblicke
zweifelhaft waren, ob sie Mutter oder Kind retten
sollten — schnell entschied, daß man die Mutter er-
halten solle, obwohl ihm unendlich viel an der Geburt
eines Kindes, das eigentlich seine neue Dynastie grün-
den und besiegeln sollte, gelegen sein mußte •'*•).
Immer lebhafter ward die Bewegung um uns her. In
jungen Leuten regte sich kriegerischer Sinn, und Kör-
ner war einer der ersten, welcher sich erklärte, preußi-
sche Dienste nehmen zu wollen. Dieser rasche Ent-
schluß befremdete in vieler Hinsicht das Publikum, dem
der junge Mann durch sein schönes Talent und beson-
ders durch dessen Anwendung auf die Bühne schon
gleichsam angehörte. Noch war, trotz des drückenden
Gefühles der Unterjochung und des glühenden Fran-
zosenhasses, der fast in jedem Herzen lebte, und trotz
des lebhaften Wunsches vieler Bessern, das schmähliche
Joch auch mit großen Aufopferungen abzuschütteln,
die Zuversicht auf einen glücklichen Erfolg dieses Ver-
suches nur gering. Es war mehr ein begeisterndes Ehr-
und Nationalgefühl, als eine klare Vorstellung von dem
möglichen Gang der Dinge, was die meisten aufregte.
Überdies waren Körners Eltern in Dresden angesiedelt,
und der Vater stand im Dienste des Königs von Sach-
sen, der sich fest an die französische Partei angeschlos-
sen hatte. Des Sohnes Schritt konnte und mußte also
den Vater kompromittieren. Dazu kam noch das allbe-
kannte Verhältnis Körners zu Fräulein Adamberger,
welches seinen Entschluß, die Waffen in einer Zeit zu
ergreifen, wo ihm das Glück der Liebe und Häuslich-
keit an der Seite eines ausgezeichneten Mädchens
406
winkte, sehr überraschend machte, da Körner hier sehr
geachtet war, und bei den trüben Aussichten, der in
jeder Hinsicht so achtungswerte Jüngling doch allen
viel zu gut für Kanonenfutter dünkte. Dies war näm-
lich der Gesichtspunkt, aus dem damals die meisten sei-
nen Entschluß und den wahrscheinlichen Erfolg des
Unternehmens der Preußen betrachteten.
Allmählich änderte sich diese Stimmung. Die Furcht^
die Verzagtheit, erzeugt durch ein Unglück vieler Jahre
und durch die niederschlagenden Erfahrungen, wie
übel uns Österreichern in den Jahren 1805 und 1809, so
wie Preußen 1806 der Versuch bekommen war, sich der
Riesenmacht Napoleons entgegenzusetzen — fing nach
und nach an, sich aus den allzu gedrückten Gemütern
zu verlieren. Sicher war nach den Ereignissen des Win-
ters 181 2 die französische Armee nicht mehr das, was
sie vor dieser Epoche gewesen. Und hatten wir Öster-
reicher nicht die erhebende Erfahrung gemacht, daß
jene Armee in ihrer ganzen frühern Stärke und Macht
im Angesicht unserer Vaterstadt 1809 durch den Erz-
herzog Karl war geschlagen und in eine Lage versetzt
worden, welche, wenn die Umstände — oder andere uns
verborgene Triebfedern nicht entgegengewirkt, und
die Verfolgung dieses glänzenden Sieges gehindert hät-
ten, den furchtbaren Feind vielleicht von seiner, bis da-
hin glänzenden Siegesbahn schon damals zurückge-
drängt haben würde ? Diese Erfahrung hatten wir für
unsere beginnenden Hoffnungen, und so manches hi-
storische Beispiel, wo ernster Entschluß und verzwei-
felter Mut Unglaubliches bewirkt, und kleine Haufen
zu Siegern über große Heere gemacht hatten, konnte
jeder sich selbst ins Gedächtnis rufen. Sie wurden uns
aber auch in Gedichten und andern Schriften in Er-
407
i (•
innerung gebracht, und trugen das Ihrige bei, um die
Hoffnung auf glücklichen Ausgang zu erheben, oder im
schlimmem Fall den mutigen Entschluß zum letzten
entscheidenden Kampf zu stählen *^^).
Von verschiedenen Seiten kamen nun insgeheim oder
mehr öffentlich Nachrichten von Bewegungen, die sich
an mehreren Punkten zu gestalten anfingen, ähnlich den
ersten Tropfen des schmelzenden Eises nach der
starren, stummen Winternacht, wenn der erste noch
schwache Strahl der Sonne es berührt, und das leise Ge-
räusch, das die fallenden machen, auch der erste Le-
benslaut der bis dahin toten, erstarrten Natur scheint.
Man flüsterte sich von Tirol, von einigen deutschen
Fürsten zu, und die Hoffnung regte die jungen Flügel
stärker.
In den geselligen Kreisen waren diese Hoffnungen
sehr oft der Gegenstand der Gespräche und die Dich-
tungen unserer vorzüglichen Geister — Schillers, Col-
lins, Raupachs ^"') — dessen Name dazumal genannt zu
werden begann — deren ganzer Geist ernst, würdig und
dahin gerichtet war, den Kampf der Freiheit mit der
Naturnotwendigkeit zu begünstigen, machten sehr oft,
von einem oder mehreren, nach den RoUen verteilt,
vorgelesen, ein Hauptvergnügen unserer Abendunter-
haltungen aus. Längst schon hatten wir in unserm
Hause Goethes, Schillers und anderer Stücke auf diese
Weise mit großem Genüsse vorgetragen. Jetzt — im
März 1813 — war es beschlossen worden, bei der Baro-
nin von Matt ^^^), einer sehr gebildeten, sogar gelehrten
Dame, welche sich mit Astronomie beschäftigte und
eine Sternwarte in ihrem Hause hatte errichten lassen,
die Braut von Messina vorzulesen. Bei dieser Frau
hatte sich wöchentHch einmal derselbe Kreis von ge-
408
Josef Freiherr von Hormayr
Stich von Thomas Benedetti — k. k. Fidei-Commiß-Bibliothek, Wien
c^
meinschaftlichen Freunden, worunter sich sehr gebil-
dete Frauen und mehrere ausgezeichnete Gelehrte, wie
Hamnier, Schlegel, Adam MüUer**^) usw. befanden, ver-
sammelt, der früher im Hause meiner verstorbenen
Freundin Flies zusammenkam. Baron Hormayr und ein
Herr Rupprecht'^""), der selbst ein artiger Dichter war,
hatten die Rollen der beiden Söhne übernommen; eine
sehr hübsche Frau, der man ein sehr lebhaftes Interesse
für den einen dieser Herren zuschrieb, soUte die Bea-
trice, und ich die Rolle der Mutter lesen. Ich war
in jener Zeitepoche sehr oft unwohl und litt häufig an
aufgereizten Nerven, an Migräne, Krämpfen usw., eine
sehr begreifliche Folge der Zeitenstürme, die seit un-
gefähr zehn, zwölf Jahren über uns alle ergangen waren,
und vielleicht auch meiner Beschäftigung mit Poesie.
Eben an dem Montag, wo jene Vorlesung statthaben
soUte, es war der 7. März, und wenn ich nicht irre, der
Geburtstag von Hormayrs älterer Tochter, der sehr ver-
dienstvollen jetzigen Baronin v. Kreß'°^), überfiel
mich eine so heftige Migräne, daß ich unmöglich außer
dem Bette bleiben, Toilette machen und vorlesen hätte
können. Sehr unzufrieden, die verabredete Unterhal-
tung stören zu müssen, blieb mir dennoch nichts übrig
als zur Baronin Matt zu senden und mich entschuldigen
zu lassen. Weder ich noch sonst jemand von uns allen
hatte auch nur von fern eine Ahnung von der Kata-
strophe, welche, auch wenn ich gesund geblieben und
bei Matt gewesen wäre, unsere projektierte Lesung auf
eine schreckhafte Art zu nichte gemacht haben würde.
Es war noch früh am andern Morgen, als man mir,
die an nichts so Schreckendes, und überhaupt für den
gegenwärtigen Augenblick an nichts Arges dachte,
einen — Sekretär, oder was der Mann eigentlich war,
409
■■^iKflö^^
des Grafen von Szecheny'"*) meldete, dieses ausgezeich-
neten Mannes, in dessen Hause ich eben mit Hormayr,
der (wenn ich nicht irre) den Grafen bei mir eingeführt
hatte, oft zusammen getroffen und genußreiche Stun-
den im Kreise höchst würdiger und gebildeter Men-
schen, wie es die ganze Sz^chenysche Familie war, ge-
nossen hatte.
Dieser Beamte des Grafen trat ein, und erkundigte
sich mit verlegener, bestürzter Miene, ob ich den vori-.
gen Abend bei der Baronin von Matt gewesen, und
welche Auskunft ich dem Grafen über die beunruhi-
gende Nachricht geben könne, daß gestern Abend Ba-
ron Hormayr in seiner Wohnung arretiert und von
Wien weggeführt worden sei?
Ich war aufs höchste erstaunt und sogleich bestürzt.
Hormayr gehörte zu den nähern Freunden unsers Hau-
ses; ihm verdankte ich manche genußreiche Unterhal-
tung, manche belehrende Nach Weisung in der Geschichte
meines Vaterlandes, in welche ich durch ihn eigentlich
eingeführt worden war, so wie in die Geschichte über-
haupt, und manche bedeutende Gefälligkeit, die er
mir und den meinigen, denen er allen wert war, erwie-
sen hatte'"^). Noch gestern Abend sollte ich mit dem
verehrten Freund eine gemeinschaftliche Lesung unter-
nehmen; wie wenig dachte ich, wie wenig mag wohl er
selbst an die Möglichkeit gedacht haben, daß unser Pro-
jekt auf diese Art gestört werden sollte! Bevor er sich
zur Lesung einfinden wollte, beging er mit einigen
Freunden zu Hause den Geburtstag seines Kindes, und
hier ereilte ihn sein Schicksal! Ich war unaussprech-
lich von diesem Ereignis ergriffen, dessen mögliche Fol-
gen mir schauderhaft in jenem ersten Augenblicke des
Schreckens vorschwebten.
410
Da ich gänzlich unwissend über alles war, konnte ich
auch dem Grafen Sz^cheny nichts antworten lassen,
was das verworrene Dunkel dieser Gefangennehmung
erklärt hätte; bald darauf vernahm ich, daß ein dump-
fes Gerücht von dem, was in jenem Augenblicke mit
Baron von Hormayr geschehen war, sich schon gestern
bei der Baronin von Matt verbreitet hatte, daß alle
bestürzt waren, vorzügUch aber der damals als Diplo-
mat und Gelehrter, als eifriger Freund des deutschen
Vaterlandes bekannte und gerühmte Freiherr von Ga-
gern'***). Dieser ausgezeichnete Mann war ein Freund
Hormayrs und mit ihm von einerlei Gesinnung, einerlei
Streben, den niedergedrückten Geist seiner Landsleute
aufzurütteln und sie zu mutigen Entschlüssen zu be-
geistern. Zu diesem Behufe hatte er damals die Natio-
nalgeschichte der Deutschen zu schreiben begonnen,
wovon der erste Band, mit typographischer Eleganz
ausgestattet, in Quarto zu Wien noch im Jahre 1813
herauskam. Sie war in ernstem, edlem Geist, aber in
einem Stile geschrieben, der fast zu sehr an Tacitus und
Johannes Müller'®^) erinnerte. Baron Gagern besuchte
auch unser Haus, wie denn damals die in der Literatur
ausgezeichneten Männer häufig und gern die Gesell-
schaften besuchten, wo gebildete Personen verschiede-
ner Stände, Geschlechter und Lebensbedingungen sich
zu heiterm Gespräch oder Lektüre oder andern geselli-
gen Vergnügungen zusammenfanden. So war es von
meiner Kindheit an in meiner Eltern und später iA
meinem Hause gewesen, so waren die Abende bei
Frau von Flies und Baronin Matt, bei Bäfonin
Pereira, bei den treffHchen Piquot'***) und bei andern;
für mich eine Quelle stiller, aber tiefempfundener
geistiger Genüsse. Das ist nun jetzt anders geworden;
aber ich glaube nicht, daß das gesellige Leben da-
durch gewonnen hat.
An jenem verhängnisvollen Abend wollten nun die
bei Baronin Matt Gegenwärtigen eine unverkennbare
Betroffenheit an Baron Gagern bemerkt haben, und
durchaus nicht unwahrscheinlich ist es wohl, daß er
entweder im Ganzen für die Erfüllung seiner patrioti-
schen Wünsche viel von Hormayrs Tätigkeit erwartet
hatte, die nun, wie durch einen BHtzstrahl, plötzlich
gelähmt war, oder daß er vielleicht nicht ganz fremd in
den Plänen und Unternehmungen war, welche seinem
Freunde diese erschütternde Katastrophe zuzogen.
Vergebens bemühte man sich, zu erraten, von wel-
cher Art diese Unternehmung gewesen oder welche
Verräterhand sie mitten im Entstehen schon vereitelt.
Vage Gerüchte und Mutmaßungen wiesen auf Unter-
handlungen mit den Tirolern hin, die im Jahre 1809,
nachdem ihre Tapferkeit allein sie von der Knecht-
schaft der Franzosen befreit hatte, dennoch im Frie-
densschluß abermals abgetreten werden mußten. Man
erzählte sich, daß mehrere dieser seiner unglücklichen
Landsleute Umgang und Verkehr mit Hormayr ge-
pflogen, daß neuerdings Entwürfe zur Abschüttelung
des fremden Joches gemacht worden, und daß Hor-
mayr hier im stillen tätig gewesen sein sollte. Andere
erzählten Unglaublicheres, das an Rittermärchen
grenzte, und das mir und vielen allzu romantisch, ge-
wagt und — daß ich es frei sage — zu unrecht und tö-
richt schien, um vernünftige und sogar sehr hochge-
stellte Männer, die die Lage der Dinge und die Men-
schen kennen mußten, solcher chimärischen Pläne fähig
zu halten '07).
Wie dem immer gewesen sein mag, Hormayr ward
412
gefangen von hier weggeführt, niemand wußte warum ?
und wohin ? bis es nach einiger Zeit bekannt wurde,
daß man ihn nach Munkäcs gebracht, und seine
Freunde waren voll Trauer um ihn besorgt, ohne etwas
für ihn tun zu können.
. Indessen hatte der Gang der allgemeinen Ereignisse
manche ausgezeichnete Menschen nach Wien geführt,
mit welchen ich in nähere oder fernere Berührungen
kam. Mein Zusammentreffen mit Alexander von Hum-
boldt'°^) bei Schlegel, wo ich schon dessen Bruder und
Schwägerin längere Zeit vorher getroffen, hätte mir
wohl den bedeutendsten Genuß gewährt, wenn es et-
was mehr als ein bloßes von Gesicht Kennenlernen ge-
wesen wäre. Aber er teilte — und noch weiß ich durch-
aus nicht warum ? — die Nichtachtung, ich möchte
sagen Geringschätzung gegen mich, welche mir seine
Verwandten bewiesen blatten, so daß, da der Kreis, in
dem wir uns bei Schlegel befanden, sehr wenig zahl-
reich war, ich bald ohne alle Ansprache, wie verloren,
da gesessen hätte, indes Herr und Frau vom Hause mit
ihren ausgezeichneten Gästen beschäftigt waren, wenn
nicht ein sehr schönes und interessantes Mädchen, Fräu-
lein Nina, die Nichte des Hofrats von Hartl, nach-
malige Frau von Overbeck'"^), sich meiner angenom-
men, und ein Gespräch mit mir angeknüpft hätte. Eine
zweite, gegen mich viel freundlicher gesinnte Erschei-
nung war der damalige österreichische Hauptmann,
jetzt, wie ich glaube, General Baron von Pfuel'^") in
. preußischen Diensten. Ihn hatte, so wie Varnhagen und
andere, der Zeitensturm nach dem Unglück seines Vater-
landes in den Jahren 1806 — 1807 nach Österreich ge-
führt, das ja auf dem Festlande, Spanien vielleicht aus-
genommen, allein noch in Waffen gegen den allge-
413
meinen Unterdrücker stand. Baron Pfuel war der erste
Errichter oder Einrichter der, nachher durch ihre Nütz-
lichkeit so bewährten Schwimmschulen hier und in
Prag. Bei nicht angenehmen, fast häßlichen Gesichts-
zügen machte ihn eine schöne Figur und ungemeiner
Anstand, eine Klarheit des Geistes, die ganz aufs Prak-
tische zu gehen schien, und dennoch das Übersinnliche,
das Unbegreifliche mit großer Gewalt erfaßte, sowie
ausgebreitete Kenntnisse und der feinste Ton im Um-
gang zu einer höchst bedeutenden Persönlichkeit. Bei
Frau von Flies und auch in unserm Hause sah und
sprach ich ihn oft, und eine homogene Art über die all-
gemeinen Ereignisse zu denken und zu empfinden,
machte ihn uns allen wert.
Ein anderer ausgezeichneter Mann war Adam von
Müller, später österreichischer Konsul in Leipzig und
zuletzt Hofrat in der Staatskanzlei. Er war mit seiner
sehr angenehmen Frau'^^) und zwei damals kleinen Mäd-
chen nach Wien gekommen, um, wie es schien und sich
auch bewährte, hier Dienste zu suchen. Er schrieb po-
litische Aufsätze für ein Journal, welches Schlegel
damals herausgab, und hielt in den Seitenzimmern
der Redoute Vorlesungen über „die schönen Rede-
künste« "2).
Bei diesen Vorlesungen zeigte er sich wahrlich als ei-
nen Redekünstler. Sein Vortrag war gewählt, stets zier-
lich, zuweilen kräftig, ja ergreifend. So z. B. als er jene
berühmte Parlamentssitzung schilderte, in der Fox und
Burke, die sonst Freunde gewesen waren, um ihrer ver-
schiedenen, ja entgegengesetzten politischen Ansichten
willen, sich öffentlich und auf immerdar trennten. Mit
Vergnügen und Erschütterung hörte man diese Schilde-
rung, indes will ich nicht behaupten, daß jene nicht
414
recht hatten, welche Müllern einige Koketterie im
Vortrage vorwarfen. Sichtlich war er viel mehr als
Friedrich von Schlegel bei seinen Vorlesungen bemüht,
sie angenehm zu machen. Er las mit gemäßigter, nicht
ganz von Manier freier Stimme, zusammenhängend. In
geregeltem Flusse aus seinem Manuskripte, . das voll-
kommen vor der Lesung geordnet zu sein schien. Schle-
gel hingegen, obwohl sein Vortrag lebendig und natür-
licher als der Müllers war, mußte oft in seinen Blättern
den Zusammenhang nachsuchen, die Einschiebsel nach-
holen, manchen Satz wiederholen. Das war nun freilich
etwas störend, und dies wußte Müller zu vermeiden.
Doch war manches, worin ich mit Müller durchaus
nicht übereinstimmen konnte. Auch er nannte Schiller
— nach der Weise der neuen Schule — einen rhetori-
schen Dichter oder vielmehr eigentlich gar keinen Dich-
ter, sondern bloß einen Rhetor. Er erzählte uns in einer
Gesellschaft die Geschichte des gräßlichen Kleistschen
Wechselmordes '^^) auf eine Art, welche mir genugsam
zu zeigen schien, daß ihm das Verbrecherische, Verkehrte,
ja Widersinnige einer solchen Handlung vor dem soge-
nannten Grandiosen der Gesinnung, welche sich über
alle bisher gewohnten und anerkannten Schranken hin-
auszusetzen wagt, verschwand. —
Überhaupt schien sich, seitdem diese neue oder ro-
mantische Schule ihre Lehren verbreitet, so manche
früher verehrte Autorität in der Uterarischen Welt vom
Altare gestoßen, so manches früher allgemein anerkannte
Verdienst zu bezweifeln und zu benagen angefangen
hatte, dieser Geist der Neuerung, dies Herabziehen
alles früher Verehrten, dieser Kampf gegen so viele kon-
ventionelle Schranken — auch auf die gesellige Welt
und die sittlichen Begriffe zu erstrecken. Man schalt
415
Kotzebue und Lafontaine als unsittlich, weil sie das
Laster oder die Sinnlichkeit in täuschender Hülle und
unter versöhnenden Formen in ihren Werken einführ-
ten, und man hatte hierin recht; obgleich man mit
diesem allerdings gerechten Tadel das ijbrige Verdienst
dieser beiden Literaturen nicht ganz niederschlagen
konnte, wie man wohl gewollt ; denn Kotzebues Stücke
erhalten sich nach 40 — 50 Jahren noch auf unsern Büh-
nen, ebenso viele von Iffland, über dessen spießbürger-
liche Charaktere, über dessen beschränkte, allzu haus-
backene Ansichten man sich ebenfalls ^u lachen und zu
spotten erlaubte. Was wollte denn die neue Schule
nun eigentlich, da ihr der eine zu locker, der andere zu
beschränkt war ? Das glaube ich, wußte niemand, selbst
die Koryphäen derselben nicht. Sie rissen nur ein, ohne
aufzubauen, sie brachten nur eine Verwirrung der Be-
griffe hervor, und nannten Worte oder Darstellungen
oder auch wohl Handlungen sittlich, schön, erhaben,
welche gegen alle bisher bekannten Vorschriften der
Sittlichkeit und Würde stritten. EheHche Treue, Ge-
horsam gegen Eltern, Fügen in häusliche Verhältnisse,
Achtung für eingeführte Sitte usw. wurden als been-
gende Schranken, die einen starken und unabhängigen
Geist nicht abhalten dürfen, dargestellt, und das Hin-
wegsetzen darüber war eben jenes Grandiose, wie das
damals in Mode gekommene Wort hieß, womit man je-
den Verstoß gegen hergebrachte Formen, jedes Auf-
lehnen gegen Pflicht, ja, jede Übertretung derselben be-
schönigen zu können glaubte. So verwirrten sich die
Begriffe von Recht und Unrecht, von Erlaubt und Ver-
boten, ja von Wahrheit und Lüge, und es lassen sich
vielleicht in den Grundsätzen und Beispielen, welche
diese Schule in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts
416
aufzustellen begann, die Keime und ersten Wurzeln der
widrigen und verderblichen Geistesrichtungen nach-
weisen, die in der literarischen und geselligen Welt zu
Extravaganzen, Zerrüttung der Familien, Untergang
schöner Talente, ja oft zum Selbstmorde führten. .
Damals fielen diese Ungewöhnlichkeiten wohl auch
auf, aber wichtigere, aufs Allgemeine — von dem doch
das Einzelne stets abhängt — gerichtete Sorgen ließen
jene kleinen Ereignisse aus unsern Blicken verschwin-
den. Preußen erhob sich mächtig und laut, und es blieb
kein Zweifel mehr, daß es das Joch zerbrechen woUe,
unter dem Frankreich es gefangen hielt. Auf Rußlands
tätige Mitwirkung war seit den Ereignissen von 1812
und dem Brandt von Moskau zu zählen; was die deut-
schen Rheinbundfürsten tun würden oder eigentlich,
was sie tun durften, war ungewiß. In vielen edlen Her-
zen, wie z. B. in dem des damaligen Kronprinzen, jetzi-
gen Königs von Bayern, regte sich die deutsche Ge-
sinnung, der Wunsch, das fremde Joch abzuschütteln,
mit Macht ; aber keiner wollte oder durfte einzeln her-
vortreten. So richteten sich vieler Augen sehnsüchtig
und gespannt auf Österreich, welches durch enge Ver-
wandtschaftsbande an Napoleon gebunden, und von
den deutschen Fürsten mehr als einmal im Stich ge-
lassen, allein zu bluten und zu weichen gezwungen wor-
den war. Aber nichts verlautete von seinen Gesinnun-
gen, und trüb und ängsthch standen wir, mitten in der
frisch aufblühenden Natur des Frühlings von 18 13, un-
ruhig in die so nahe und so dichtverhangene Zukunft
blickend'i3*).
Preußen hatte den Krieg offen erklärt. Die Feind-
seligkeiten begannen; die Schlachten von Lützen und
Bautzen'^!*) waren vorüber. Mit welcher Spannung hatte
87 c. P. I
417
man diese Nachricht erwartet, und wie wenig war sie
geeignet, unsere Hoffnungen aufzurichten. O, ich er-
innere mich noch wohl eines wunderschönen Abends,
wo wir im Garten mit einer sehr werten Freundin Hen-
riette Ephraim'^^) und der liebenswürdigen Marianne
Saaling'^*) unter Blüten und Blumen beisammen saßen,
die trüben Ereignisse der Gegenwart, die noch düsterere
^"ukunf t mit schwerem Herzen erwägend, und wie gerade
das unaufgehaltene Entwickeln der Natur in ihren fest-
gezeichneten Kreisen, während in der moraHschen Welt
solche Stürme tobten, mir so schmerzlich erschien:
diese frommen Blüten, diese stillen Lenzesfreuden,
welche uns Segen und Fülle verhießen, gegenüber gezo-
genen Schwertern, angeschlagenen Feuergewehren und
erbittertem Haß!
Um diese Zeit führte sich der berühmte Bruder einer
später noch viel berühmtem Schwester, Herr Clemens
von Brentano'"), mittelst eines Briefes von Tieck, wenn
ich mich recht entsinne, bei mir ein. Tieck'^^) war im
Jahre 1808 oder 1809 mit seiner Schwester öfter bei uns
gewesen, und ich darf wohl nicht erst sagen, daß diese Be-
kanntschaft für mich sehr großen Wert hatte und noch
hat, und daß ich stolz darauf bin, daß Tieck meiner noch
öfter freundlich gedacht, und mir die Bekanntschaft
bedeutender Personen, wie z. B. noch viel später des
edlen, unvergeßlichen Carl Maria von Weber ver-
schaffte. Damals, wie ich ihn sah, war Tieck ein hüb-
scher, schlank, obwohl nicht hochgewachsener Mann
von etwa 30 oder 32 Jahren, an dessen gefälliges Äußere
mich ebenfalls im Äußerlichen der Dichter Nikolaus
Lenau, den ich erst vor kurzem kennen gelernt, lebhaft
erinnert hat. Seine Schwester war als Frau viel weniger
hübsch, aber sie war eine Dichterin, eine geniale Frau,
418
die ihrem Gemahl Bernhardi'^^), wie man sagte, davon
gegangen war, und mit einem Herrn von Knorring'^o)^
den sie später auch heiratete, herumreiste. Das war so
damals die Art, wie geistreiche Frauen die Lehren der
romantischen Schule aufs Leben anwandten.
Doch ich kehre zum Faden der Geschichte im Jahre
1813 und Herrn von Brentano zurück. Auch er gehörte
dieser neuen Geistesrichtung an, und obwohl seine sehr
markierte Originalität, sein poetisches Talent und seine
geistreiche Unterhaltung mir manche angenehme Stun-
den machte, so fand ich doch auch vieles so heterogen
in unserer beiderseitigen Denkart, daß ich ihn oft mit
Erstaunen sprechen hörte, und ebenso oft ganz und
gar nicht begriff, was er meinte und sagte. Dies Nicht-
begreifen der Reden und Schriften anderer, oft sehr ge-
lehrter oder sinnreicher Männer, begegnete mir da-
mals schon zuweilen, seitdem aber immer öfter. Ich
habe mich schriftlich darüber ausgesprochen'^^), und
erlaube mir nun die Frage zu wiederholen, ob denn nur
an mir — die auch früher ernste Bücher gelesen und
verstanden hatte — oder nicht vielmehr an der Vortrags-
weise dieser Schriftsteller die Schuld davon liege? —
Brentano las uns in drei Abenden sein großes dra-
matisches Gedicht : Die Gründung von Prag'^a)^ das bei
vielen einzelnen Schönheiten sehr barokke, sehr grelle
Auftritte und Redensarten und manches mir eben auch
Unverständliche hatte; wie ich denn über eine mystische
Person, ein Mädchen, Trinitas, wenn ich mich recht er-
innere, genannt, nicht recht ins Klare und zu dem ei-
gentlichen Verständnis des Dichters gelangen konnte.
Indessen verbreitete sich die lange und ängstlich er-
27*
419
sehnte Nachricht: Österreich sei den andern gegen
Frankreich oder vielmehr gegen Napoleon verbündeten
Mächten beigetreten. Unser edler Kaiser hatte sein
Vatergefühl das zweitemal bezwungen, wie es bei der
Vermählung seiner Tochter zum erstenmal geschah,
und ihrem Gemahl und dem Lande, dem sie nun ange-
hörte, den Krieg erklärt. — Am 17. August wurde der
Waffenstillstand aufgekündigt und die Furie des Krie-
ges entfesselt.
Schon früher hatten Dichter und andere Schriftstel-
ler, gedrängt von der traurigen Lage des gemeinsamen
Vaterlands, sich erhoben und glühende Wünsche aus-
gesprochen, daß die Deutschen sich ermannen, den al-
ten Zwiespalt vergessen, sich vereinigen und mit ge-
samten Kräften das fremde Joch abschütteln möchten.
So hatte der kräftige Rückert seine „geharnischten So-
nette" gedichtet '^^). So rief der edle Schenken dorf den
Deutschen zu, sich unter ihrem ehemaligen Haupte zu
sammeln, in dem schönen Gedichte:
Deutscher Kaiser! deutscher Kaiser!
Komm zu rächen, komm zu retten,
Löse deines Volkes Ketten,
Nimm den Kranz, dir zugedacht! usw.'^)
Beinahe noch schöner und in ganz prophetischem
Geiste gesungen war sein anderes Gedicht: Die Preu-
ßen an der kaiserlichen Grenze.
Wir grüßen dich n^t Waffentänzen,
Wir neigen uns an deinen Grenzen,
Du klangreich Böhmer land!
O Herr! im Schmuck der grünen Reiser,
Wir rufen: Heil und Sieg dem Kaiser!
Der deinen Sinn erkannt.
Der Geister Zorn versank in Aschen,
Des Rächers Hand hat abgewaschen,
Was widers Recht geschehn.
420
Nicht mehr nun trennt uns Süd und Norden, ' "
Ein Lied, ein Herz, ein Gott, ein Orden!
Ein Deutschland stark und schön.
Und dann in der fünften so wie in der letzten Strophe
die genau erfüllte prophetische Vorempfindung :
Wo halten wir die Siegesfeier?
Wo wir die Lese halten heuer,
Dort, bei des Rheines Kraft. — '^s)
Im Herbst kamen die verbündeten Heere an den Rhein,
und später nach Frankreich und der Schweiz, ans Ufer
der Rhone.
Wir sprengen Kette kühn auf Kette,
Und hängen an des Rhodans Bette
Den deutschen Eichenkranz.
Pünktlich erfüllte sich diese Voraussicht und bestätigte
in mir den Gedanken oder das Gefühl, das manche
Sprachen auch durch das Wort bezeichnen, daß im ech-
ten Dichter etwas Prophetisches lebe; so nennt ihn der
Römer: Vates.
Ich hatte einen schätzbaren Freund, den schon er-
wähnten Baron von Merian, der in früherer Zeit auch
Hormayrs Freund gewesen, und von diesem bei uns ein-
geführt worden war. Seit i8io hatte er Wien verlassen,
und war in Dresden bei der kaiserlichen Gesandtschaft
angestellt. Wir wechselten fleißig Briefe, und Merian,
der ebenfalls Deutschland und seine Freiheit mit war-
mem Herzen umfaßt hatte, und dem es sehr leid tat,
daß Österreich im Jahre 1812 ein Hilfskorps zu der
französischen Armee gestellt hatte, verließ die kaiser-
lichen Dienste und nahm eine russische Anstellung an,
weil er, wie er mir schrieb, von Scythen und Gelonen
das hoffte, was ihm die Deutschen nicht tun zu woUen
r
421
schienen. Jetzt war auch er zufrieden gestellt, und da
der Kurierwechsel in jener Periode sehr lebhaft zwi-
schen Wien und Dresden war, hatte ich sehr oft, ja in
manchen Perioden täghch einen Brief von Merian;
aber auch manchmal was für wunderliche ! Eines Mor-
gens z. B. weckte man uns zeitig, und überreichte uns
ein ziemlich konsiderables Paket, das ein russischer Ku-
rier gebracht hatte. Pichler, den natürlicherweise jede
Nachricht aus Dresden in jenem Zeitpunkte inter-
essierte, erbrach schnell den Brief. — Was enthielt er?
Einen kurzen, ziemlich gleichgültigen Brief und einen
sorgfältig zusammengelegten Bogen Löschpapier, auf
dem von Merlans Hand das Wort „Ballast" geschrieben
stand. Merian hatte, wie er später schrieb, nicht Zeit
gehabt, mir ausführlich zu schreiben; wollte doch ein
Lebenszeichen, und dem Kurier nicht ein bloßes Billet
mitgeben ; so verfiel er auf jenen wunderlichen Gedanken
des Ballasts, der aber im ganzen nicht wunderlicher war,
als mancher andere, den er in seinen Briefen, und wohl
auch in seinem Leben ausgeführt. Wie oft bekam ich,
eben auf dem Kurierwege, dicke Pakete, die denn kaum
in einigen Zeilen Nachricht von dem fernen Freunde,
hingegen große Auszüge oder Notaten aus Büchern ent-
hielten, wie sie Merian eben damals las. Bei allen diesen
Sonderbarkeiten waren mir seine Briefe oder Blätter
stets eine erwünschte Erscheinung, und mit warmem
Andenken ruf ich dem Langedahingegangenen einen
herzlichen Scheidegruß in jene Welt nach, in welcher
wir uns bald begegnen werden.
Es war im August 1813, schon gegen das Ende des
Monats, und ich hatte mit einer Pünktlichkeit, die ich
mancher Offiziersfrau an meiner Stelle gewünscht hätte,
beinahe täglich einen Brief von Merian aus Dresden er-
422
halten. Nicht als ob diese Nachrichten von dem fernen
Freund mir nicht erwünscht gewesen wären, aber weil
ich sie doch mit sehr großer Ruhe erwartete, und wenn
sie einmal ausblieben, ohne lebhafte Unruhe vermissen
konnte. Auch war bis gegen Ende des Monats noch
nichts Entscheidendes vorgegangen, und nur von klei-
nern Gefechten Nachricht gekommen, bei deren einem
schon etwas früher Körner verwundet worden war, und
sein so frommergebenes, so heldenkräftiges Sonett :
Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben —
gedichtet hatte; worauf er sich zu seiner Heilung nach
Karlsbad begab, wo damals sich seine Eltern aufhiel-
ten'2®); dann aber wieder zu seinem Korps stieß, um mit
dem Schwerte zu streiten, wie er es früher mit der Leier
gegen den allgemeinen Feind getan. Eines Tages gingen
wir eben zu Tische, und ich fand, wie es damals fast je-
den Tag der Fall war, einen Brief von Merian auf mei-
nem Teller. Es war ein kurzer Zettel — wie gewöhn-
lich. Ohne weitere Aufschrift oder Einleitung enthielt
er ein Gedicht auf Körners Tod, von Apel'^') ^- und
unten bei Körners Namen die Note : Geblieben in einem
Gefecht bei Gadebusch im Mecklenburgschen den 26.
August 1813.
Das war die Weise, wie der sonderbare und nur zu
originelle Mann einer Frau, die er gewiß achtete und
der er wohl wollte^, den Tod eines Jünglings verkündete,
den er selbst vor anderthalb Jahren mit warmer Emp-
fehlung an sie gewiesen, und die sich seitdem in ihren
Briefen so oft und mit so herzlicher Teilnahme über
den talentvollen, edlen Theodor ausgesprochen hatte.
Ich war aufs Äußerste betroffen, doch hatte ich die Ge-
walt über mich, meiner Mutter und meinem Manne,
denen der Verstorbene ebenfalls sehr wert gewesen, und
423
die mich nach dem Inhalt von Merians Briefe befragten,
weil diese Nachrichten unter uns Gemeingut waren, die
trostlose Botschaft zu verschweigen, um ihnen nicht das
Mittagsmahl zu verderben, wie es mir verdorben war.
Übrigens glaube ich, daß ich ziemlich die erste in Wien
war, die diesen großen Verlust erfuhr — aber auch auf
welch unpassende Weise!
Bald verbreitete sich die Kunde durch die ganze
Stadt, und das bedeutende Opfer, das in Theodors Per-
son, auf welchen ganz Deutschland mit Achtung blickte,
der guten Sache ohne Nutz und Förderung bis dahin
gefallen war, diente nicht dazu, unsere Hoffnungen zu
beleben oder unsern Mut zu erhöhen'^'a).
Brentano führte in diesen Tagen oder etwas früher,
bald nach der Kriegserklärung, ein paar fremde Damen
aus Breslau, wenn ich nicht irre, bei mir ein. Es war von
dem beginnenden Kriege, von unsern Aussichten, An-
strengungen usw. die Rede. Mit jener liebenswürdigen
Naivität, mit welcher West- und Norddeutsche (diese
ganz vorzüglich) sich berechtigt glaubten, Österreich
nicht allein tief unter sich zu sehen, sondern es uns bei
jeder Gelegenheit ins Gesicht zu sagen, rief Brentano
in seiner Lebhaftigkeit aus: Mein Gott! wie können
sich die Wiener Hoffnung machen, Napoleon zu schla-
gen, da sie so viel Wohlgefallen an . . . (ich weiß nicht
mehr, welchen mittelmäßigen Schauspieler er hier
nannte) finden! Dann begannen die Damen mit der-
selben Ungeniertheit mir ihre Ansichten zu demonstrie-
ren; denn natürHch war aller in Deutschland vorhan-
dene Verstand das Erbteil der Preußen und Norddeut-
schen, und für uns arme Österreicher und Katholiken
nichts übrig geblieben. Derlei Verbindlichkeiten er-
laubten sich die Fremden sehr oft, uns ins Gesicht zu
424
Clemens Brentano
Anonymer Stich — k. k. Fidel-Commiß-Bibliothek, Wien
sagen; aber wir berechtigten sie auch dazu durch den
gar zu großen Mangel an allem Nationalgefühl, den wir
leider mit allen 'Deutschen teilen, aber sie in diesem
Stücke noch übertreffen. Wäre ich so unzart gewesen
wie diese Personen, so hätte ich niit Fug und Recht
diese Preußinnen an den totalen Sturz ihrer Monarchie
im Jahre 1806 erinnern können, und wie doch Öster-
reich noch viel respektabler im Jahre 1809 aus dem
Kampfe geschieden war. Aber das hätte mir unwürdig
geschienen, und so ließ ich sie reden. Vielleicht aber
hätte ich es rügen sollen, und vielleicht wäre mancher
solche Übermut der Fremden gegen uns unterblieben,
wenn wir ihnen die Zähne gezeigt hätten, so wie Bürger
singt'28):
Viel Klagen hör ich stets erheben
Vom Hochmut, den der Große übt.
Der Großen Hochmut wird sich geben.
Wenn unsre Kriecherei sich gibt.
Indessen hatten doch Preußen und Rußland dem'
Beitritt Österreichs zu ihrem Bunde mit Verlangen ent-
gegengesehen, und nur davon sich Heil und das Gelin-
gen ihrer Pläne versprochen. Mein Herz jauchzte auf
über diesen Beitritt, und wie immer auch die Schicksale
sich gestalten sollten, es schien mir ehrenvoller, mit dem
ganzen deutschen Vaterland zu Grund zu gehen, als
allein ruhig stehen zu bleiben, wenn die übrigen kämpf-
ten, bluteten — eine Rolle, die Preußen früher beim
Basler Traktat, wenn ich nicht irre, und im Jahre 1805
nicht verschmäht hatte, zu spielen. Es war ihnen 1806
schrecklich heimgekommen und darum nichts mehr,
davon ! Schenkendorf sprach es ja aus : Nicht mehr nun
trennt uns Süd und Norden'*^). — Damals galten -wir
425
yS^T^
auch für Deutsche, eine Benennung, die man uns früher,
und auch jetzt wieder in so mancher Beziehung vom
Norden und Westen aus nicht immer zugestehen will.
Österreich erhob also den Schild — und wahrlich, es
schien mir in diesem Kampfe, in dem zwar jede der
drei Mächte mit allen ihren Waffen im Felde erschien,
als ob Preußen das Schwert, Rußland die ferntreffende
Lanze und Österreich der Schild war, der sich vor die
übrigen noch unversehrten Gaue Deutschlands stellte,
um die Schrecken des Krieges von ihnen abzuhalten.
Alle diese Hoffnungen, Befürchtungen, Erwartungen
und Zweifel hatten mein Innerstes lebhaft erregt, und
allerlei Entwürfe, das, was mich bewegte, in poetischer
Gestaltung auszusprechen, stiegen und sanken wechsel-
weise in mir auf und nieder. Meines Mannes Wunsch
entschied endlich für ein dramatisches Gedicht, und
ich erinnere mich nicht mehr bestimmt, welche Veran-
lassung mich auf einen Punkt der deutschen Geschichte
führte, wo ein (zwar deutscher Kaiser, aber von undeut-
scher Geburt) nämlich Friedrich IL, der wohl oft das
Glück Deutschlands seinen italienischen Bestrebungen
unterordnete, eben (nach der Meinung einiger Ge-
schichtsschreiber) mit seinem Sohne Heinrich in Kampf
geriet, weil dieser sich seines Vaters Plänen, Italien zu
unterjochen, und sich dazu der Kräfte Deutschlands
zu bedienen, entgegensetzte. Es gibt viele Geschichts-
schreiber, die diese Begebenheit anders berichten, und
bei denen Heinrichs, des römischen Königs Unrecht ge-
gen seinen Vater deutlicher hervortritt. Nur muß man
nicht vergessen, daß, da seit der Reformation bis ganz
nahe an unsere Zeit die Geschichtsschreibung meist in
den Händen der Protestanten war, schon der unglück-
liche und mit so viel Kraft geführte Kampf gegen die
426
Macht des Papstes, Friedrich IL in den Augen dieser
Historiker einen Glanz verlieh, der vor dem unpar^
teiischen Richterstuhl der Wahrheit vielleicht nicht
ganz anerkannt werden dürfte, indem dieses Monarchen
Charakter italienische Schlauheit, Härte, Irreligiosität
und Nichtachtung der öffentlichen Meinung (wie seine
sarazenische Leibwache in jener Zeit des kindlichsten
Glaubens bewies), eine Mischung von Elementen zeigt,
die ihn, nach meiner Meinung, tief unter seinen edleren
und echten deutschen Ahn Barbarossa stellen.
. War diese meine Ansicht ein Irrtum, so war es doch
ein unfreiwilliger, entstanden — wie jede Ansicht
pflegt — aus den angebornen Neigungen, aus den Ein-
drücken meiner Erziehung und der Einwirkung der
Zeitumstände. Genug, ich entwarf den Plan zu mei-
nem „Heinrich vonHohenstauffen"'^"), in dessen Ver-
schlingungen ich passenden Raum für vieles, was da-
mals mich und Tausende mit jnir bewegte, zu finden
dachte. Es war Deutschland, welches von einem kräf-
tigen, aber nicht wohlgesinnten Fürsten und Kriegs-
helden seinen anderweitigen Plänen für Größe und
Ehre aufgeopfert werden soll; es waren deutsche Für-
sten, die, uneins unter sich, nur ihren eigenen Vorteil,
nicht den des gesamten Vaterlandes im Auge hatten; es
war endlich Österreich, welches in der Person seines
letzten (Babenbergischen) Herzogs Friedrich und dessen
Schwester Margaretha, Gemahlin des unglücklichen
Kaisersohnes Heinrich, vermittelnd und schützend in
der gewaltigen Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn
auftritt.
Jetzt sehe ich die großen Fehler, die auch dieses Stück
an sich hat, vollkommen ein, und bin durch eigene Er-
fahrung von dem oft gehörten Satze überzeugt worden,
427
daß Frauenzimmer sich nicht auf den Kothurn wagen
sollen. Schon damals hatte ich eine warnende Ahnung
davon gehabt, und ich kann nichts zu meiner Recht-
fertigung sagen, als daß es meines Mannes deutlich aus-
gesprochener Wunsch und seine herzliche Freude an
diesen meinen Arbeiten war, was mich bestimmte,
mich zuweilen auf dieser gefährlichen Bahn zu ver-
suchen.
Unter schweren Sorgen für das Gelingen des großen
Kampfes um die allgemeine Freiheit des deutschen
Vaterlandes, und wie oft unter Tränen arbeitete ich an
diesem Heinrich von Hohenstaufen, und das lebendige
Gefühl dieser Sorge sprach sich in den vielen Anspie-
lungen auf die damaUgen Zeitumstände aus, wozu der
Stoff Veranlassung bot und welche dies Stück, als es
späterhin aufgeführt wurde, für ein Gelegenheitsstück,
das eigens zu der Feier des i8. Oktobers gedichtet wor-
den sei, halten machten. Dem war aber nicht so. Ich
arbeitete fast den ganzen Sommer daran, und Gott sah
meine und Millionen anderer Sorgen und Tränen an.
Er erhörte die brünstigen Bitten, und so konnte ich, als
das Stück aufgeführt wurde, wohl mit innigem Dank-
gefühl sagen: Die mit Tränen säen, werden mit Froh-
locken ernten '^^).
Begeisterung für die Sache des Vaterlandes hatte alle
Stände, alle Alter in allen Teilen Deutschlands ergriffen.
Freiwillig eilten Jünglinge aus jenen Reihen der Staats-
bürger, die nie zum Kriegsdienste verpflichtet gewesen
wären, zu den Waffen. Beamte verließen ihre Bureaus,
um Teil an dem Kampfe zu nehmen, und vor vielen
dünkte mich der Entschluß junger Ärzte lobenswert,
sich dem Dienste der Kranken und Verwundeten in den
Feldspitälern zu weihen. Unser Haus besuchten da-
428
mals zwei solche junge Männer, wovon der eine Dr. Ed^
Pohl, aus Sachsen gebürtig, seine Studien hier vollendete,
und erst kürzlich als geschätzter Arzt und verehrter Fa-
milienvater hier gestorben ist'^^). Der andere war ein
junger Lief- oder Esthländer, Gust. Ad. Fichtner'^^)
genannt, der sich durch seltene Bildung und durch
feines Betragen vorteilhaft auszeichnete, dessen Her-
kunft und übrige Lebensverhältnisse aber in ein ge-
heimnisvolles Dunkel gehüllt waren. Wir nannten
ihn auch unter uns im Scherze: das Kind der Ostsee.
Diese beiden Jünglinge nun entschlossen sich, zur Ar-
mee nach Böhmen abzugehen, und Dienst in den Feld-
spitälern zu nehmen. Fichtner hatte, ebenso wie Kör-
ner es in seinen Gedichten getan, in den Gesprächen
mit uns seine Todesahnung ausgesprochen. Er hatte
mich beim Abschiede gebeten, wenn er — wie er nicht
zweifelte — sterben würde, seine kleine Büchersamm-
lung als Andenken anzunehmen. Ich teilte, wie natür-
lich, diese seine düstere Ahnung nicht, und so nahm ich,
als er, der lebensvolle, blühende Mann, nebst Dr. Pohl
gerade an den denkwürdigen Tagen 3es 25. und 26.
August (an welchen nämlich unter unaufhörlichen Re-
gengüssen, die auch in Wien herrschten, die Linien bei
Dresden gestürmt wurden, der unglückliche Moreau
seinen unpatriotischen Entschluß mit dem Leben büßte,
die Schlacht an der Katzbach geschlagen worden,
und der teure Körner bei Gadebusch gefallen war'^*)
sich von uns beurlaubte — mit herzlichen Segenswün-
schen für beider Wohl und mit der festen Hoffnung, sie
beide wieder in Wien zu sehen, von ihnen Abschied.
Kurz darnach kamen alle jene Nachrichten an, und ich
beeilte mich, Pohl und Fichtner von dem traurigen Ver-
lust des ausgezeichneten Dichters und werten Freundes
429
von beiden auf eine schonende Art zu unterrichten, ehe
sie denselben durch Zeitungen erfuhren. Ach! noch
reut mich, daß ich es getan; denn diese Nachricht war
es, die vielleicht den letzten Ausschlag bei dem frühen
Tode des guten Fichtners gab, so wie eben ein letzter
Tropfen das zu volle Glas überfließen macht. Mein
Brief war an Dr. Pohl gerichtet, mit dem ich in nähern
freundschaftlichen Verhältnissen als mit Fichtner stand.
Indessen teilten sich die jungen Leute gern die Nach-
richten mit, die ihnen aus Wien und dem gewohnten
Kreise, in dem sie heimisch gewesen waren, zukamen.
Damals standen beide bei einem kaiserlichen Spital in
Böhmen, und wenn wir den Mut der Kämpfer ehren,
welche im Schlachtgewühl ihr Leben aufs Spiel setzen,
wo der Lärm des Kampfes, der Donner des Geschützes,
die Menge der Mitstreiter und Zeugen, die Töne der
Kriegsmusik, endlich die Begeisterung der Sympathie
das Gemüt erweitert, und dem Tode seine meisten
Schrecken nimmt : so muß auf der andern Seite die Auf-
opferung eines Arztes, der im Spital vielleicht einem
ebenso gewissen Tode, nur einsam, unbeachtet, unter
entmutigenden Umständen, und bloß von dem Ge-
danken seines nützlichen Wirkens für andere gestärkt,
entgegengeht, nicht minder gepriesen werden. Es hat
ein junger Arzt und Dichter, Dr. Friedländer'^^), den
ich später kennen gelernt, über diese Aufopferung der
Ärzte in den Feldspitälern, welchem Dienst auch er sich
in dieser denkwürdigen Epoche weihte, ein schönes Ge-
dicht verfaßt : Die Asklepiaden des Heeres, welches mit
sehr poetischer Empfindung die Stellung dieser stillen,
unbeachteten Helden schildert, und ich bedaure nur,
dies Gedicht nicht bei der Hand zu haben, um einige
seiner schönen Stellen hier mitteilen zu können.
430
Fichtner war schon unwohl gewesen, er war aber
noch außer dem Bette, als mein Brief mit der Nachricht
von Körners Tode ankam, Pohl, an den er gerichtet
war, las ihn ihm vor; diese Nachricht ergriff den ohne-
dies Kranken heftig; ein starkes Fieber trat ein, er
mußte sich niederlegen, und — er stand nicht wieder
auf. Seine Ahnung hatte ihn ebensowenig als Körnern
getäuscht, und es ist mir stets seltsam und wehmütig
aufgefallen, daß des einen Tod auf gewisse Weise den des
andern nach sich gezogen hat.
Indessen waren der August und die ersten Tage des
Septembers vergangen. Ängstlich wurde auf jede
Nachricht von der Armee gewartet, die nicht, wie man
glaubte, dem Befehl des Erzherzogs Karl, sondern dem
des Fürsten Schwarzenberg untergeordnet war, und
der nun, samt den vereinigten Scharen der Preußen,
Russen und sogar der Schweden, der Armee Napoleons
gegenüberstand, so daß man täglich einer entscheiden-
den Schlacht mit der höchsten Spannung entgegensah.
Mit welcher freudigen Überraschung erfüllte uns in
Wien nun eines Tages die Siegesnachricht von der
Schlacht bei Kulm, welche Fürst Paar brachte, und
mit welchem Jubel umringte das Volk seinen Wagen,
auf dem er die erbeuteten Fahnen führte''^). Nach so
viel Angst, nach so viel vereitelten Hoffnungen, nach so
viel düstern Vorzeichen nun endlich ein Sieg, und wel-
cher! der ganz Böhmen vor dem Einbruch der Armee
des Vandamme'^') rettete, und wo Ostermann '^^) mit
den vereinigten russischen und österreichischen Trup-
pen, wie ein Cherub mit dem Flammenschwerte, sich
vor das bedrängte Vaterland gestellt hatte !
Jetzt, nach mehr als 25 Jahren erinnere ich mich -der
Zeitfolge der Begebenheiten nicht ganz genau ^ nur
431
das weiß ich, daß die frohen Nachrichten von der
Schlacht an der Katzbach, von der bei Kulm, beiDenne-
witz'^^) usw. sich bald folgten und die gesunkenen Ge-
müter mächtig aufrichteten, indem jeder Teil der
verbündeten Nationen sich mit eben der herzlichen
Empfindung der Siege ihrer Alliierten, sowie der eigenen
freute, und wirklich Schenkendorfs Worte:
Ein Lied, ein Herz, ein Gott, ein Orden,
Ein Deutschland hoch und frei!'*")
und Körners:
Denn Brüder sind wir allzumal!'*^)
wenigstens bei uns in Wien, in den warmen, arglosen
Herzen meiner Landsleute in schöne Erfüllung gingen.
So kam denn unter abwechselnden, aber meist freu-
digen, erhebenden Nachrichten von den verbündeten
Armeen, die alle nur eine gute und gerechte Sache ver-
teidigten, der Oktober heran. Napoleon stand noch
immer bei Leipzig und sah, wie es schien, ruhig den
Kreis, den die verbündeten Heere um ihn herzogen,
immer enger werden, und ganz Deutschland blickte
mit unruhiger Erwartung dem Ausgang oder wenig-
stens einer entscheidenden Krisis des großen Kampfes
entgegen. —
Endlich brach der Morgen des i8. Oktobers an, die-
ser für alle Zeiten merkwürdige Tag, an dem Deutsch-
land seinfe lange und schmählich getragenen Ketten zer-
brach, die so viele von uns wund gedrückt, so viele er-
drückt hatten: Gott hatte uns den Sieg gegeben!
Wenige Tage daraiif erscholl die frohe Nachricht in
Wien. Graf Neipperg brachte sie, und sein Einzug mit
dieser alle beglückenden Botschaft war ein Freudenfest
für Wien'*2). Einen Zug der Größe und erhabenen
Vergessens seiner selbst über dem Wohl des Vaterlandes
432
von unserem angebeteten Erzherzog Karl, den man
sich damals erzählte, will ich hier wiederholen. Als der
Kurier des Feldmarschalls Fürsten Schwarzenberg vor
dem Palast des Erzherzogs vorbeiritt, eilte der Fürst in
seiner edlen Freude über die Rettung des Vaterlandes,
alle persönliche Rücksicht vergessend, die Treppe herab,
um den Siegesboten zu begrüßen, und sich näheres von
ihm berichten zu lassen'*^).
•■luiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiituiHiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiu
38 C. P. I
433
ANMERKUNGEN
iiiiiiiiiiHiiii»ii**>""**>""'"""*""""""""""""'""""""*"'"""'*""""'""'i""*""*"*< iiiiiiiiiiitiiniitfitir
1) Strophe V 3, 4 des Gedichtes „Der Greis" (s. Kürschners
Deutsche National- Litteratur. XLIII, S. 43). — Eine ähnliche Stelle
in einem Brief der Pichler an Karl Streckfuß vom 20, August 1806
(K. Glossy in: Wiener Communal-Kalender und Städtisches
Jahrbuch. XXXII. [Wien 1894], S. 400).
2) Dieser Absatz fehlt dem Druck; in der Handschrift ist er
durchstrichen,
3) Franz Josef Greiner war Rechnungsrat der Ministerial-Banco-
Deputation, also nicht Beamter des Stadtmagistrats, und diente
dem Staate durch 36 Jahre. Er erwarb sich besondere Verdienste
um die Einrichtung des Salzgefällwesens in Oberösterreich und
besaß ein Haus „im tiefen Graben" (vgl. Alfred Arneth, Sitzungs-
berichte der philos.-histor. Klasse der kais. Akademie der Wissen-
schaften in Wien, XXX. [1859], S. 3iif-)- Am 28. Jänner 1743
starb er dort im Alter von 54 Jahren an der Hektik (Totenproto-
kolle der Stadt Wien im Stadtarchiv. Bd. 77, Fol. 531b).
*) Von diesen Gemälden wurden durch den Kupferstecher und
Kunsthändler Christian von Mechel (1737 — 1818) im Auftrage
Kaiser Josefs II. acht Stücke weit unter ihrem Werte angekauft,
worüber Maria Theresia sehr verstimmt war (man vgl. über den
Bilderankauf Arneth, a. a. O. XXX, S. 325 ff., 374f., Nr. 67 — 69 und
Geschichte Maria Theresias, IX, S. 282 f.). Über die Bilder selbst
stellt Theodor von Frimmel (Geschichte der Wiener Gemälde-
sammlungen, I [Leipzig 1899], S. 23z und S72f.) einige Vermu-
tungen auf.
^) Sie hieß Katharina Greiner, war eine geborene Schwärzl und
wohnte bis zu ihrem, am 9. November 1777 um 1/28 Uhr abends
durch kalten Brand im 80. Lebensjahre erfolgten Tod im Greiner-
schen Hause im tiefen Graben (Nr. 319. — Totenprotokolle der
Stadt Wien im Stadtarchiv, Bd. 105, Buchstabe C, G, K., Fol. io8a).
Bis zum Jahre 1775 wohnte ihr Sohn -Franz mit Frau und Kindern
mi Nebenhause (s. oben S. 40); später kamen letztere wiederholt
zur Großmutter (vgl. oben S. 45).
®) Graf Rudolf Chotdk (1707 — 1771) war, nachdem er ver-
schiedene wichtige Ämter bekleidet hatte, seit 1765 oberster
Kanzler der vereinigten böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und
genoß als solcher das besondere Vertrauen Maria Theresias (vgl.
über ihn Adam Wolf, Graf Rudolf Chotek, k. k. österreichischer
Staats- und Conferenz-Minister. Wien 1852. S. 4f.; Jak. A. F.
437
Hyrtl, Die fürstlichen, gräflichen und freiherrlichen Familien des
österreichischen Kaiserstaates. II [Wien 1852], S. 48; Adam Wolf,
Aus dem Hofleben Maria Theresias, ^ [Wien 1859], S. 64ff.). Er
war Greiner sehr gewogen und empfahl ihn noch am Totenbett
der Kaiserin zur besonderen Gnadenbezeigung, was die Verleihung
des Ritterstandes zur Folge hatte (Arneth, a. a. O. XXX, S. 313)*
*) Franz Sales von Greiner wurde am 2. Februar 1730 (nicht
1732) als Sohn des Franz Josef und der Katharina Greiner geboren.
Er studierte zunächst bei den Jesuiten; hierauf hörte er an der Uni-
versität Rechtswissenschaft. 1752 trat er als Volontär ins Direktorium
in publicis et cameraUbus ein, wurde 1761 Konzipist beimk. Hof-
kriegsrat in conunissariaticis, rückte 1766 zum Hofkriegssekretär
vor und kam 1768 oder 1769 zur böhmischen und österreichischen
Hofkanzlei in gleicher Eigenschaft. Zuerst im Referat für Tirol
und Vorderösterreich verwendet, wurde er bald Protokollführer
bei den Sitzungen, die in kirchlichen Angelegenheiten gehalten
wurden. Hier wurde der oberste Kanzler, Graf Rudolf Chotek,
auf ihn aufmerksam, der ihm mit Zustimmung der Kaiserin die
Durchführung der geheimen Präsidialgeschäfte zuwies. Noch vor
seinem Tode empfahl ihn Chotek der Kaiserin aufs wärmste.
Greiner wurde am i. August 1771 in den Ritterstand erhoben.
Am 31. März 1773 erfolgte seine Ernennung zvun wirklichen Hof-
rat und geheimen Referenten der Hofkanzlei unter Überspringung
aller Vordermänner (vgl. Anm. 52). Dies verdankte er seinen
großen Fähigkeiten, sowie dem Umstände, daß er seit 1766 (April,
vgl. Anm. 45) mit einer Lieblingskammerdienerin der Kaiserin,
mit Charlotte Hieronymus, verehelicht war und so der Kaiserin
persönlich nahe trat, die seine vortrefflichen Eigenschaften kennen
und schätzen lernte. Er stand mit der Kaiserin, die ihm ihr volles
Vertrauen schenkte und seinen Rat wiederholt einholte (vgl. Anm.
57),in vertrauter Korrespondenz (vgl. Aima. 58). Er hatte das Referat
für Niederösterreich und erwarb sich um die Lebensmittelver-
sorgung Wiens große Verdienste, ergriff energische Teuerungsmaß-
regeln, regte die Einführung der Tranksteuer in Niederösterreich
an, die er auch durchsetzte, und trat energisch für die Aufhebung
der Frone in Böhmen ein. Als Mitglied der k. k. Studienhof-
kommission hatte er Einfluß auf das niedere und höhere Studien-
wesen in Österreich. Seit 1783 war er auch Rat bei der k. k. Aka-
demie der bildenden Künste (Hof- und Staatsschematismus. 1784,
S. i). Er hatte manche Anfeindungen zu erdulden, doch erwiesen
sich alle Verdächtigungen als unbegründet (vgl. Anm. 93). Nach
dem Tode der Kaiserin Maria Theresia war seine Vertrauens-
stellung zu Ende. Er verbUeb jedoch in Amt und Würden, denn
er wußte sich rasch in die neuen Verhältnisse hineinzufinden. Erst
438
Kaiser Franz II. erinnerte sich seiner vieljährigen, treuen und
hingebungsvollen Dienste wieder, verlieh ihm unterm 15. März
1797 das Ritterkreuz des St. Stephansordens und ernannte ihn zum
Referenten bei der k. k. Bücherzensur (Hof- und Staatsschematis-
müs, 1798, S. 10). Ein Jahr darauf starb Greiner (am 2. Juni 1798).
Schriftstellerisch betätigte er sich 1771 durch die Übertragung
einer französischen Gelegenheitsschrift des Le Vayer de Boutigni
(De Tautorite du roi, touchant Tage necessaire ä la profession
solemnelle des Religieux); auch Gedichte kennen wir von ihm (vgl.
Anm. 78). Aus dem Jahre 1794 (24. September) ist ein gedrucktes
Mandat Kaiser Franz II., ein Verbot des Handels nach Frankreich,
erhalten (Wien, Universitätsbibliothek, II 330429), das Greiner
verfaßte und mit zeichnete. — Karoline Pichler ist über den
Lebensgang ihres Vaters öfter nicht richtig unterrichtet. Erst
Arneth (Sitzungsberichte, XXX, S. 3i2ff. und Maria Theresia,
IX, S. io4f. Qesuitenkommission], 240 ff. [Reform der Gymnasien],
249ff. [Bringt Felbigers Sache zum Sieg], 376f. [Robott], 391 f.
[Fürsorge für Wien] und X, S. 9ff. [Tranksteuer]) und Wurz-
bach (Biogr. Lexikon, V, S. 326 f.) haben das meiste klargestellt.
Über seine Tätigkeit als Mitglied der Studienhofkommission,
welche J. G. Megerle von Mühlfeld (Memorabilien des österreichi-
schen Kaiserstaates, I. [Wien 1825], S. 287) rühmend hervorhebt,
bietet Karl Freiherr von Hock (Der österreichische Staatsrath
1760 — 1848, Wien 1879, S. 455) einiges. Über Greiner als Frei-
maurer vgl. man Anm. 195, über seinen Tod oben S. 208 ff.
— Greiner war (s. sein Bild) ein dicker Herr mit einem nicht
besonders einnehmenden Äußern, unter dessen ungeheurem Bauch
mehr Phlegma steckte als Damen angenehm ist, wie ein Zeit-,
genösse meint (vgl. G. Gugitz, Jahrbuch der Grillparzer-GeseU-
schaft. XVII. S. 54)5 gleichzeitig verband Greiner damit eine
derbe Ausdrucksweise, — manche seiner proverbes lebten noch in
den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Volke (Hör-
mayis Taschenbuch. XXXIV. [1845], S. 114) — sodaß es mit
seiner höher hinausstrebenden Gattin manche Meinungsdifferenz
gab, woran auch der Hausgenosse L. L. Haschka nicht ganz
schuldlos war (vgl. Anm. 73).
^) Friedrich Hieronymus war 1729 Wachtmeister-Leutnant,
1735 Fähnrich, 1743 Leutnant beim k. k. Regiment Wolfenbüttel,
jetzt k. und k. Infanterieregiment Nr. 29 (Gideon Freiherr von
London), und starb am 3. Mai 1744 in Wien im Trautmannsdorff-
schen Haus in der Herrengasse, 50 Jahre alt, an Lungenbrand
(Rudolf von Hödl, Geschichte des k. und k. Infanterieregiments
Nr. 29. Temesvar 1906. S. 608; Totenprotokolle der Stadt Wien
im Wiener Stadtarchiv. Bd. 78, Fol. 431b).
439
*) Das Regiment Wolfenbüttel lag In den Jahren 1740 — 1744,
soweit es nicht 1742 — 44 am bayrisch-österreichischen Erbfolge-
krieg teilnahm, in den ungarischen Städten Kaschau, Leutschau,
Eperies und Munkacs, sowie in verschiedenen Orten des Säroser
Komitats in Garnison. Im April 1744 kamen die in Ungarn zurück-
gebliebenen 2 Bataillone samt der Grenadierkompagnie nach Wien
(Hödl, S. 74 und 78). In einem dieser ungarischen Orte erblickte
daher Charlotte Hieronymus, später Frau von Grelner, 1740 das
Licht der Welt. Die Mutter soll in Ödenburg gestorben sein (vgl.
Hormayr, Taschenbuch für die vaterländische Geschichte, XXXIV
[Berlin 1845], S. iii).
") In der Handschrift durchstrichen. Hieronymus war nur
Leutnant gewesen (vgl. Anm. 8).
") Diese kommt in den Hof Schematismen jener Zeit nicht vor;
sie dürfte aber mit Elisabeth du Plessy (auch Blessy) identisch
sein, die Kammerdienerin bei Kaiserin Maria Theresia war, 1776
starb und ein eigenhändiges Testament vom 9. April 1761 mit
einem Kodizill vom 17. April 1771 (publiziert am 10. Februar
1776; Obersthofmarschallische Testamente 1776 Nr. 4 und Oberst-
hofmarschallische Abhandlungen 1776, Nr. 3 im Archiv des Wiener
Landesgerichtes) hinterließ. Vgl. auch Hormayr, Taschenbuch,
XXXIV, S. Ulf.
^^) Diese Angabe ist ungenau, denn von den kaiserlichen Prin-
zessinnen kommen nur Erzherzogin Maria Christine (1742 — 1798),
die nachmalige Gemahlin des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen,
und Maria Amalie, Herzogin von Parma (1746 — 1804), als Spiel-
genossinnen in Betracht. Alle übrigen Erzherzoginnen, besonders
Maria Carolina (1752 — 1814), später Königin von Sizilien, und Maria
Antoinette (1755 — 1793), die spätere Gattin Ludwigs XVI. von
Frankreich, waren zu jener Zeit (vor 1753) zu jung oder noch un-
geboren.
^') Karoline, verwitwete Reichsgräfin von Fuchs, geb. Gräfin
von Mollart (1675 — 1754), war Aja und Erzieherin, später Oberst-
hofmeisterin der Kaiserin Maria Theresia und dieser so lieb und
wert, daß sie nach ihrem Ableben (27. April 1754) über Befehl
der Kaiserin in der Kapuzinergruft, der Begräbnisstätte des öster-
reichischen Erzhauses, beigesetzt wurde (vgl. Cölestin Wolfsgruber,
Die Kaisergruft bei den Kapuzinern in Wien, Wien 1887, S. 2 10 ff.,
Nr. 47; Wurzbach, Biogr. Lexikon, IV, S. 39if.).
") Dies war also im Jahre 1753. Die „Staats- und Standes-
kalender" von I754ff. führen Charlotte Hieronymus nicht unter den
Kammerdienerinnen der Kaiserin an, erst von 1763 (S. 422) ab
ist sie als solche verzeichnet und trat daher diese Stelle 1762 an.
Vorleserin mag sie bereits früher gewesen sein. Dieser Dienst
mußte kniend versehen werden (Hormayr, Taschenbuch, XXXIV,
S. 112). Über das Amt einer Vorleserin vgl. man Wolf, Hof-
leben, S. 83.
i*a) Über Maria Theresias Toilette bietet Wolf, Hof leben,
S. 183 f. einige nähere Angaben.
.15) Richtiger: Man hebet vor sich selbst und nicht vor seine
Väter (Albrecht vonHaUer, Die Alpen, 1732: Kürschners Deutsche
National-Litteratur, XLI, 2, S. 20, Vers 120).
18) Prinz Franz von Lothringen, der spätere deutsche Kaiser -
Franz I., war am 8. Dezember 1708 geboren, und kam Ende De-
zember 1723 nach Wien, wo er alle durch sein freundliches, liebes
Benehmen bezauberte (vgl. Arneth, Maria Theresias erste Regie-
rungsjahre, I [Wien 1863], S. 9 ff.); er gewann die Liebe der Erz-
herzogin Maria Theresia, mit der er sich am 12. Februar 1736
vermählte. Seit 9. Juli 1737 war er Großherzog von Toskana, trat
aber die Regierung erst im Januar 1739 an.
1') Karl Alexander, Prinz von Lothringen und Bar (1712 — 1780),
österreichischer Feldherr, war seit 1744 mit Maria Anna, der
Schwester Maria Theresias, vermählt. Vier Jahre nach dem Tode
seiner Frau wurde er 1748 Gouverneur der Niederlande.
18) Erzherzogin Maria Anna (1718 — 1744), seit Januar 1744 mit
dem Herzog Karl von Lothringen vereheücht, wurde 1744 General-
gouvemantin der Niederlande und starb im Dezember 1744 zu
Brüssel an den Folgen des Kindsbettes.
1^) Apostolo Zeno (1668 — 1750) aus Venedig war von 171 5 bis
1729 Hofpoet in Wien, und erfreute sich der besonderen Gunst
des Kaisers Karl VL Karohne Pichler irrt, wenn sie ihn zum Hof-
poeten Kaiser Leopolds I. (t 1705) macht.
^) Pietro Bonaventura Metastasio (1698 — 1782), ein gebürtiger
Römer, wurde 1729 als Hofpoet in Wien der Nachfolger Zenos.
Er stand sowohl bei Kaiser Karl VI. als auch bei Maria Theresia
in großer Gunst. Er starb in Wien und Hegt in der Michaeler-
kirche begraben. — KaroHne fichler bearbeitete später eines seiner
Gedichte (Der Abschied: SämmtUche Werke, 2XVL S. 41 ff.).
^) Über die Licenza vgl. man Otto Jahn, W. A. Mozart, I
(Leipzig 1856), S. 228.
^) Diese Kammerdienerin hieß KaroUne Mercler; sie versah
ihren Dienst von 1762 — 1776 (Staats- und Standeskalender, Wien
1763, S. 422; Hof- und Staatsschematismus, 1776, S. 364).
^) Nach Metastäsios Bericht (Opere scelte, V [Milano 1820],
P- 345) spielte sich dieser Vorfall 1755 vor der Geburt der Erz-
herzogin Maria Antoinette ab. Der Wettende war Graf Hans Karl
Dietrichstein (1728 — 1808), der spätere Oberststallmeister Josefs
IL (vgl. über ihn Wolf, Hofleben, S. 1 54, 296 und Fürstin Eleonore
441
Liechtenstein. Wien 1875. S. 276 f. ; Matth. Feyfar, Die erlauchten
Herren auf Nikolsburg. Wien 1879. S. 3C34ff.),
^) Metastasios Fassung (a. a. O. V, 345) weicht etwas ab : Zeile i
Jo perdei, l'augusta figlia; 2 mihaj 3 a voi . . .
*^) Am II. September 1741 trat Maria Theresia in Preßburg,
aber ohne den Kronprinzen Josef, der in Wien verblieben war,
vor die Ungarn, klagte ihnen ihr Leid und veranlaßte dadurch das
allgemeine Aufgebot (Alfred von Arneth, JMaria Theresias erste
Regierungsjahre, I [Wien 1863], S. 298 ff. ifl|d 405 Anm. 18).
2*) Die Belagerung von Ohnütz begann am 5. Mai 1758, zu einer
Zeit, wo Maria Theresia mit ihrem Hofstaat nach Laxenburg zu
übersiedeln pflegte. Der Kriegsgefahr wegen riet man der Kaiserin,
sie möge nach Graz reisen, doch sie blieb fest und wollte Wien erst
verlassen, bis die Preußen vor den Toren Wiens stünden (vgl.
Arneth, Geschichte Maria Theresias, V [Wien 1875], S. 361;
Wolf, Hofleben, S. 181). Der von Karoline Pichler mitgeteilte
Ausspruch, den, ihr folgend, auch Wolf (S. 120) bringt, kann Maria
Theresia nur in der ersten Erregung entschlüpft sein. Tatsächlich
ging man 1758 nicht nach Laxfenburg (Wolf, S. 181).
^) Der Überbringer der Siegesnachricht von der gewonnenen
Schlacht bei Hochkirch (14. Oktober 1758) war des Feldherrn
Daun Flügeladjutant, Major von Rothschütz. Das „Wienerische
Diarium" (1758, Nr. 83, danach Arneth, Maria Theresia, V, S. 423)
weiß von dieser intimen Szene nichts, während Wolf (S. 121), dem
aber wahrscheinlich die Pichler als Quelle diente, darüber berichtet.
^) Unrichtig; Greiner war 1761 Konzipist beim kaiserlichen
Hofkriegsrat, 1766 Hofkriegssekretär und erst 1769 zur böhmisch-
österreichischen Kanzlei als Hofsekretär versetzt worden (vgl.
oben Anm. 7).
^) Nach Rousseau (s. nächste Anmerkung) war er ein ungarischer
Edelmann, namens Baron Sauttern, beziehungsweise, wie sich später
herausstellte, namens Sautternheim. Vielleicht ist aber auch dieser
Name nicht der richtige, denn In einem Brief (datiert : Motiers, le
20 mal 1764) an Mr. de S . . . (Sauttern) spricht Rousseau davon,
daß er sich am Wiener Hofe nach ihm erkundigte, sein Name
dort aber nicht bekannt sei (Seconde partie des Confessions, III
[Geneve 1789], p. 108 ff.).
*•) Jean Jacques Rousseau (Seconde partie des Confessions, II
[Geneve 1789], p. 3 13 ff. = Bekenntnisse. Deutsch von Levin
SchücHng, II [Hildburghausen 1870], S. 4i7ff.) berichtet, daß
einige Monate nach seiner Ankunft in Motiers-Travers (10. Juli
1762) sich ein junger Ungar, namens Baron von Sauttern, neben
ihm niederließ, der von Zürich aus an ihn empfohlen war. Seine
Liebenswürdigkeit öffnete ihm Rousseaus Herz und beide wurden
442
unzertrennliche Freunde. Rousseau rühmt an ihm die Sanftmut
des Charakters, gebildetes und elegantes Wesen, große körperliche
Reinlichkeit und eine außerordentliche Zurückhaltung in allen
Reden. Bald wurde Rousseau aber von Genf aus verständigt, daß
Sauttern ein, im Dienste der französischen Regierung stehender
Spion sei. Rousseau versuchte ihn, indem er mit ihm nach Pontar-
lier ging, ihm dort den Brief vorlas und ihn gleichzeitig versicherte,
daß er an dieses Gerücht nicht glaube. Freilich, kurz vorher,
scheint er doch nicht ganz sicher gewesen zu sein, sonst hätte er
unterm 23. April 1763 vom Marschall von Luxembourg nicht Aus-
künfte über Sauttern verlangt (vgl. Auguste Rey, Jean Jacques
Rousseau dans la vallee de Montmorency. Paris 1909, p. 222).
Beinahe zwei Jahre verbHeb Sauttern in Motiers, dann ging er
vorm Mai 1764 plötzlich nach Straßburg, wo er mit einer verheira-
teten Frau ein früheres Verhältnis wieder anknüpfte. In Motiers
ließ er eine häßliche Wirtsmagd schwanger zurück. In Straßburg
lebte er im Hause seiner Geliebten zusammen mit deren Mann.
Noch im Jahre 1764 ging er nach Paris und schrieb, da es ihm sehr
elend ging, wiederholt an Rousseau, der ihm mit Geld aushalf und
ihn im Dezember 1765 dort bei der Durchreise besuchte. 1767
kehrte Sauttern wieder nach Straßburg zurück, schrieb von dort
aus an Rousseau und starb bald danach.
3^) Maria Ludovica (1745 — 1792), Tochter Karls III. von Spanien,
wurde am 5. August 1765 in Innsbruck dem Erzherzog Leopold,
nachmaligem Kaiser, angetraut.
^^) Über die Ambraser Sammlung vgl. man Job. Primisser, Kurze
Nachricht von dem k. k. Raritätenkabinet zu Ambras in Tyrol.
Innsbruck 1777 und Alois Primisser, Die kaiserlich-königliche
Ambraser- Sammlung. Wien 18 19.
^) Valentin Jamerai Duval, geboren 1695 zu Artonnay in der
Champagne, ein besonderer Liebling Kaiser Franz L, kam mit
diesen nach Florenz, dann 1743 nach Wien, wo er in der Hofburg
eine Wohnung bezog. 1748 wurde er Direktor des Münzkabinetts
und starb als solcher 1775 in Wien (Wurzbach, III, S. 401 ff.) —
Studierend wurde er von den Prinzen Leopold Clemens und Franz
im Walde bei St. Anna in Lothringen am 13. Mai 17 17 aufgefunden.
Herzog Leopold ließ ihn dann bei den Jesuiten zu Pont-ä-Mousson
studieren (vgl. Albrecht Christoph Kayser, Leben des Herrn
Valentin Jamerai Duval. Regensburg 1784. S. I7ff.)-
^) Duval nannte alle weiblichen Wesen, zu denen er eine gewisse
Zuneigung hatte, „Bibi", besonders aber das Fräulein Anastasia
Socoloff (vgl. Kayser, S. 44 und 58, Anm. ; vgl. auch Duval, Oeuvres,
1 [St. Petersbourg 1784], S. 123 ff. und II, S. iff. und 238 ff.: Briefe
an die Socoloff und an die Hofdame Guttenberg).
443
^) Gemeint ist die Münzensammlung im Schloß Ambras, die,
ebenso wie die übrigen Sammlungen unter der Aufsicht der je-
weiligen Schloßhauptmänner stand, die vor Joh. Prünisser (1773)
gleichgültig und unfähig waren, eine Sammlung in Ordnung zu
halten (vgl. Alois Primisser, a. a. O., S. 23). Der damalige
Schloßhauptmann, gleichzeitig Hofburgpfleger war Karl Maximi-
lian von Khiepach (frdl. Mitteilung des Herrn Kustosadjunkten
K. Schwarz in Innsbruck).
^) Vgl. darüber Arneth, Geschichte Maria Theresias, VII
(1876), S. i47f. und Wolf, Hofleben, 8.263!
^') Maria Theresias Trauer um ihren verstorbenen Gemahl
bringt eiji Brief an die Gräfin von Enzenberg vom 12. Februar 1766
(Arneth, Maria Theresia, VII [Wien 1876], S. 163) besonders
schön zum Ausdruck. Manche von der Pichler angegebenen Details
werden dadurch bestätigt. Vgl. noch Arneth, VII, S. 148 f. und 158;
Wolf, Hofleben, S. 264f. und 272f. (hier ist die Pichler Quelle).
^) Das Datum stimmt nicht völlig; denn meist kam Maria
Theresia am 19. August in die Kapuzinergruft (vgl. das Verzeichnis
ihrer Gruftbesuche bei Cölestin Wolfsgruber, a. a. O. S. 61 ff.).
^) Eine Abbildung bei Wolfsgruber, a. a. O. S. 243. Das Grab-
mal war aber bereits 1754, also noch zu Lebzeiten Kaiser Franz I,,
von B. Moll verfertigt und aufgestellt worden (Wolfsgruber, S. 254).
Eine genaue Beschreibung samt Wiedergabe der Inschriften bei
Wolfsgruber, S. 254ff.
^) Wir wissen, daß Maria Theresia 1725 als Kind bereits in
einer Oper und 1739 zusammen mit der berühmten Senesino in Flo-
renz ein Duett sang (s. Bäuerles Wiener Theaterzeitung, LIII [Wien
1859], S. 550; Otto Jahn, W. A. Mozart, I [Leipzig 1856], S. 37).
1735 entzückte ihr Gesang Metastasio (vgl. Th. G. von Karajan,
Aus Metastasios Hofleben. Wien 1861. S. 13).
*^) Anna Jameson, Memoirs of celebrated female sovereigns,
2 vol. London 183 1. — 2. verm. Aufl., London 1834. — Pichler
lernte die Verfasserin persönlich kennen, vgl. II, S. 299 ff.
*2) Gemeint ist die schöne Gräfin Maria Wilhelmine Auersperg
(1738 — 1775), früher Hofdame der Kaiserin Maria Theresia und
seit 1755 mit dem Grafen Johann Adam Auersperg verehelicht.
Sie war eine leidenschaftliche Spielerin, im Spiele aber nie glücklich.
Maria Theresia war auf sie sehr eifersüchtig und schloß sie von
mancher Hoffestlichkeit aus (vgl. Wolf, Hofleben, S. 151 f.).
Auch andere Frauen, so die Gräfin Colloredo und die Gräfin Palffy
sah Franz I. gerne (Wolf, Hofleben, S. 140).
^) Wenn sich Franz I. auch nicht oft den Staatsgeschäften
widmete, wovon ihn übrigens Maria Theresia ziemlich ferne hielt,
so betrieb er doch verschiedene Liebhabereien, so die Jagd, die
444
•TL.
Gartenkunst und das Spiel, und ergab sich auf dem Gebiete der
Münzen und Medaillen einem wissenschaftlichen Dilettantismus.
Er war ein ausgezeichneter Ökojiom und Sparmeister, hatte daher
die oberste Leitung des Finanz- und Schuldenwesens des Staates
mit Erfolg inne. Vgl. Arneth, Maria Theresia, VII, S. 149 ff. und
Wolf, Hofleben, S, 141 ff.
*4) Das Eingeklammerte fehlt im Drucke ; in der Handschrift
durchstrichen.
*5) Die Hochzeit fand am 20. April 1766 statt. — In der
Trauungsmatrik der k. k. Hof- und Burgpfarre in Wien findet sich
darüber folgender Eintrag (t. II. fol. 61. — Frdl. Mitteilung des
hochw.Herrn Hofburgpfarrvikars Dr. Lehner): „Anno 1766 die 20.
Aprilis. Perillustris D. Franciscus de Greiner, Coelebs, Belli Aulico-
Consilü Secretarius, Viennensis, deposito prius propter impedi-
mentum ortum in denuntiationibus, Libertatis juramento et
domicella Charlotta de Hieronymo Cubicularia Augustae Impera-
tricis et Reginae Viduae iuxta ritum Sacri Concilii Tridentini
matrimoniahter inpraesentia Aug. Imperatoris Josephill. Imperatris
Viduae et Regnantis etc. copulati sunt in Capella Camerae Aulica
circa 8. vespert, a me Francisco Conrado Briselance de Renndorff
Parocho Aulico. Testes praesentes erant: 111. D. Joannes Georgius
Liber Baro de Grechtler, generahs Vigiliarum magister, et Supremus
Belli Commissarius, perill. D. Phiüppus de Managetta Circuli in
infer. Austria Capitaneus, Magnific. D. Joannes Andreas de Kestler
Medicus AuUcus, et praenob. D, Joannes Adamus de Mayer eonsil.
Aulicus, et secretarius Camerae aerarii Thesaurarius." — ' Die
Hochzeiten bei Hofe trugen alle ziemHch den gleichen Charakter,
vgl. Wolf, Hofleben, S. 79.
*®) Maria Josefa Gräfin Paar, geb. Gräfin von Oettingen (1686
bis 1771), seit 1754 Obersthof meisterin der Kaiserin, als Nach-
folgerin der Gräfin Fuchs (vgl. Wurzbach, XXI, S. 148, Nr. 11).
*') Es ergibt sich die merkwürdige Tatsache, daß die Geburt
der Karoline von Greiner in der Taufmatrik der Pfarre Schotten
(Wien I) nicht vermerkt ist, während die ihres Zwillingsbruders
Franz Sales unterm 7. September 1769 (Taufprotokoll, Bd. 37,
Fol. 115a) eingetragen ist. Da sie die Nottaufe erhielt, scheint
man in der Eile die Eintragung vergessen zu haben.
^) Über den großen Kometen des Jahres 1769 vgl. man J. J.
Littrow, Über Kometen. Neue Auflage. Wien 1835. S. 59f.
**) Hieß Franz Salesius und starb am 5. April 1770, '^j^'i-Z Uhr
nachts, im Alter von 6 Monaten am Kopffraß (Totenprotokolle der
Stadt Wien im Stadtarchiv. Bd. 98, Buchstabe C, G, K, Fol. 17b).
^) Hieß Josef Franz Vinzenz und wurde am 19. Oktober 1767,
nachmittags 4 Uhr geboren. Sein Vater war damals Hofsekretär
445
in Commissariaticis, Taufpate war Anton Faucherand, k. k.
Kammerdiener, als Vertreter Ihrer Majestäten des Kaisers Josef
und der Kaiserin Maria Theresia (Taufprotokoll der Pfarre
Schotten in Wien, Bd. 37, Fol. 13 b).
^^) Franz Xaver Josef Nikolaus wurde abends 9 Uhr am 10.
September 1772 geboren und in der Schottenkirche getauft.
Taufpate war Franz Josef Diwald, Universitätskanzlist (Tauf-
protokolle der Pfarre Schotten in Wien, Bd. 38, Fol. 29 a).
^2) Dies geschah am 31. März 1773. Greiner übersprang alle
seine Vordermänner. Sein Gehalt als wirklicher Hofrat und ge-
heimer Referent bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei
betrug 4000 Gulden (Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 314).
^) Frau Katharina Greiner gehörte „im tiefen Graben" das
Haus Nr. 318 (später Nr. 241); dem Hofrat Greiner das Haus
Nr. 319 (später Nr. 240. — vgl. Verzeichniß der in der k. k. Haupt-
und Residenzstadt Wien befindlichen Gassen, Hausinnhaberu, deren
Schildern und numerirten Häusern. Wien 1774. S. 13). Nach
dem Tode seiner Mutter hatte Hofrat Greiner beide Häuser im
Besitze (Verzeichniß usw. Wien 1778. S. 19). Nach seinem Tode
gehörte das Haus Nr. 240 der Karoline Pichler, während Nr. 241
verkauft wurde Qos. Joh. Grosbauer, Vollständiges Verzeichniß
aller in der k. k. Haupt- und Residenz-Stadt Wien befindlichen
numerirten Häuser. Wien 1804. S. 9). Was Karl Aug. Schimmer
(Ausführliche Häuser- Chronik der innern Stadt Wien. Wien 1849
S. 48, Nr. 233 und 234) bietet, ist dürftig und teilweise unrichtig;
nur soviel ist daraus zu entnehmen, daß Nr. 240 (Schimmer Nr. 233)
1820 nicht mehr im Besitze der Pichler war.
®*) Dies geschah am 10. September 1773 (vgl. Arneth, Maria
Theresia, IX, S. 99 f.).
^) Josef Anton GaU (1748 — 1807) wurde 1771 zum Priester ge-
weiht und kam 1773 nach Wien, um Felbigers Normalschule aus
eigener Anschauung kennen zu lernen. Er wurde an dieser Kate-
chet; 1779 Pfarrer in Burgschleinitz, aber bereits 1780 Oberauf-
seher der deutschen Schulen Niederösterreichs in \^^en. Sämtliche
Schulreformen aus den Jahren 1780 — 1789 gehen auf seine An-
regung zurück. 1787 wurde er Domherr bei St. Stephan und 1788
Bischof von Linz (vgl. Wurzbach, V, S. 65 f.). Über seine Wirksam-
keit als Bischof und über seine Verdienste um die Errichtung des
Priesterseminars in Linz vgl. man J. Megerle von Mühlfeld, Memora-
bilien des österreichischen Kaiserstaates II, (Wien 1827), S. 202
und Rudolf Hittmair, Der Josefinische Klostersturm im Land ob
der Enns. Freiburg i. B. 1907. S. 403 ff., 493. — Über einen Besuch
bei ihm in Linz und Mondsee 1792 s. oben S. 163 ff.; über einen
solchen in Gleink 1806 oben S. 287^
• 446
w) Josef Anton Steffan (1726 — 1797) kam frühzeitig aus Böh-
men nach Wien, war ein Schüler Wagenseils und wurde Hof-
klaviermeister, als welcher er die Erzherzoginnen Maria Antoinette,
Maria Karoline und Elisabeth unterrichtete. Hofrat Greiner war
sein Jugendfreund und Gönner, der ihn anspornte, deutsche Lieder
herauszugeben und ihm die Texte dazu aussuchte. 1778 — 1780
erschienen diese als „Sammlung deutscher Lieder fürs Klavier"
in 3 Teilen. Vgl. Wurzbach, XXXVII, S. 286 ff.; R.Eitner,'
Biographisch-Bibliographisches Quellen-Lexicon der Musiker und
Musikgelehrten, IX (Leipzig 1903), S. 26if.
*') Vgl. Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 3i7f. Besonders bei
der Aufhebung der Frone in Böhmen, die gar nicht in sein Referat
fiel, da Greiner das für Niederösterreich in der Hofkanzlei hatte,
zog sie ihn wiederholt zu Rate und entschied nach seinen Gut-
achten (Arneth, XXX, S. 322ff.). Jeden Mittwoch erschien er bei
der Kaiserin in Privataudienz (Arneth, XXX, S. 327). Wiederholt
gab sie ihm ihre Zufriedenheit zu verstehen (Arneth, XXX, S. 316)
und erkundigte sich nach seiner Gesundheit (Arneth, XXX, S. 3 1 5f .).
Sogar in ihrem Testamente bedachte sie ihn mit 1000 Dukaten
und einer goldenen Dose (Arneth, Maria Theresia, X, S. 735).
^) Herausgegeben in Auswahl (72 Stücke) von A. Arneth,
Sitzungsberichte, XXX, S. 333 ff. Im ganzen sind es 120 Schreiben
Greiners, davon 109 Bemerkungen Maria Theresias tragen; dazu
kommen 5 eigenhändige Billetts der Monarchin. Die gesamte
Korrespondenz, aus den Jahren 1772 — 1780 stammend, wurde von
Karoline Pichler der Kaiserin Karoline Auguste (t 1873) testa-
mentarisch überwiesen (vgl. Arneth, XXX, S. 311).
**) 4000 Gulden, vgl. oben Anm. 52.
***) Seit 3. November 1616 mußten in Wien den höheren Hof-
beamten von selten der Bürgerschaft Freiquartiere beigestellt
werden. Diese hob Kaiser Josef gegen eine jährliche Abfindungs-
summe von Seiten der Hausbesitzer am 16. Februar 1781 auf (vgl.
Franz Graf f er. Kleine Wiener Memoiren, III [Wien 1845], S. i3f.;
oben S. 63 f.).
^) Salvatorgässel, Nr. 429; zu jener Zeit im Besitze des Frei-
herrn Augustin von Aichen (vgl. Verzeichniß usw. Wien 1774. \
S. 16). Von 1775 (s. Hof- und Staatsschematismus. 1776. S. 97)
bis 1777 (s. oben S. 46) wohnten Greiners darinnen.
*^) Zeneide wurde am 27. Mai 1759 auch in Laxenburg gespielt
(Wolf, Hofleben, S. 189). — L'isle deserte, comedie en un acte et
en vers, par M. C , . . . (CoUet). Paris 1758 (A. Barbier, Diction-
naire des ouvrages anonymes. II'. [Paris 1874], Sp. 888).
^) Weiß und Rosenfarb. Ein Singspiel in einem Aufzuge von
J. F. Ratschlgr (Wienerischer Musenalmanach auf das Jahr 1777.
447
Wien [1776]. S. 39 ff.). Das französische Widmungsgedicht „A Mon-
sieur Noverre" enthält eine, Pichlers Erinnerung bestätigende Stelle:.
Ja n'ai point, d' egaler Ton Ballet admirable,
Le desir trop altier:
Non, mon oeuvre imparfait ne demande autre chose,
Qu'une feuille de Ton laurier,
Si j'ai de Blanc et Rose
Attrape quelques traits.
Jean George Noverre (1727 — 1810) war Hoftänzer und Tanz-
meister (vgl. Otto Jahn, W. A. Mozart, II [Leipzig 1856], S. 225;
Oskar Teuber in: Die Theater WieüS, II, i [Wien 1895], S. Ii4ff.,
mit Bildnis).
**) Franz Anton Mesmer (i 734 — 18 1 5) studierte in Wien Medizin,
wo er 1766 zum Doktor der Medizin promoviert wurde und her-
nach seine Praxis im eigenen Hause ausübte. 1772 benützte er
den Magnet zu Heilzwecken, 1773 bereits heilte er durch Auf-
legen der Hände („tierischen Magnetismus") und erzielte in Ungarn
große Erfolge. 1775 faßte er seine Entdeckungen in 27 Lehrsätzen
zusammen. Unterdessen . behandelte er das Fräulein v. Paradis,
nicht ohne Erfolg; die üblen Erfahrungen aber, die ihm schließlich
vrurden, zwangen ihn, 1777 Wien zu verlassen. Er ging nach Mün-
chen und 1778 durch die Schweiz nach Paris, flüchtete aber im
Trubel der Revolution. Später lebte er in Frauenfeld und Kon-
stanz seiner ärztlichen Tätigkeit. Über diesen Mann, sowie über
seine Lehre bietet Justinus Kerner (Franz Anton Mesmer aus
Schwaben, Entdecker des thierischen Magnetismus. Frankfurt a. M.
1856) interessante Aufschlüsse, ihm folgt Karl Kiesewetter (Franz
Anton Mesmers Leben und Lehre. Leipzig 1893. S. 99ff.); da-
gegen Eugen Sierke, Schwärmer und Schwindler zu Ende des
18. Jahrhunderts. Leipzig 1874, S. 7off. — Wenn die Pichler
sagt, Mesmer sei zur Zeit, als er die Paradis behandelte, ein
junger Mann gewesen, so stimmt dies nicht ganz, denn damals
war er bereits 40 Jahre alt.
^^) Maria Theresia von Paradis (1759 — 1824) war im dritten
Lebensjahre plötzlich erblindet. In der Folge entwickelte sich in
ihr ein reiches Innenleben, besonders kam der musikalische Sinn
zur Geltung. Sie wurde im Gesang und Klavierspiel unterrichtet
und sang bereits mit 11 Jahren Pergoleses Stabat mater in der
Augustinerkirche. 1777 fällt ihre Bekanntschaft mit Mesmer, die
mit einem schrillen Mißton endete (s. Anm. 71). 1784 unternahm
sie, von ihrer Mutter begleitet, ihre erste Kunstreise (Deutschland,
Schweiz), erregte überall Bewunderung und erzielte Erfolge. 1785
vollführte sie ihre zweite Kunstreise (Paris, London und Brüssel),
überall wahre Triumphe feiernd. 1787 kehrte sie nach Wien zurück
448
und lebte fortan hier dem Musikunterricht und der Komposition.
Ihre Werke, seinerzeit bewundert, sind heute verschollen. Vgl.
Wurzbach, XXI, S. 286ff.; Eitner, VII, S. 3i6f. und L. A.
Frankl, Maria Theresia von Paradis. Linz 1876. S. 8 ff. mit
Bildnis. — M. Parädis hatte ein Stammbuch, dessen Einträge, aus
der Zeit von 1774 — 1803 stammend, von bedeutenden Zeitgenossen
herrühren (vgl. Hermannstädter Zeitung 1863, Nr. 119 und Frankl,*
S. 2iff.); darunter auch eine Einzeichnung der Karoline Pichler
(Frankl, S. 34= Pichler, Sänmitliche Werke. 2 XVI. S. 48^5 unten
Anm. 345)5 die später mit der Paradis eng befreundet war, mit
ihr musizierte und bei ihrem Hochzeitsfest durch die Paradis
angenehm überrascht wurde (vgl. oben S. 190 ff., 296).
«6) S. oben S. i9off.
*') Johann Jakob von WeU (1725 — 1787), ursprünglich Apotheker,
dann Arzt und Naturhistoriker, war seit 1760 Professor der Natur-
wissenschaften an der Universität Wien (Wurzbach, LIV, S. 225).
**) Nikolaus Josef Freiherr von Jacquin (1727 — 18 17), einer der
größten Botaniker, kam 1752 zur Vollendung seiner Studien nach
Wien und wurde hier 1768 Universitätsprofessor (vgl. Wurzbach,
X, S. 26 ff.,). Er wohnte am Rennweg im botanischen Garten,
dort fanden berühmte Mittwoch- Abende statt (oben S. 158).
^^) Es waren dies die neunzehnjährige Zwelferine und die acht-
zehnjährige Ossine (Frankl, S. I3f.; Sierke, S. I26f., i32f.).
™) Nach einem eigenhändigen Berichte des Vaters^der Paradis,
des Regierungsrates Josef Anton von Paradis, erhielt sie durch Mes-
mers Behandlung wenigstens auf einige Zeit das Augenlicht wieder,
wie verschiedene Proben bewiesen (Kerner, S. 62 ff., Kiese-
wetter, S. 107 ff,); Sierke (S. 138 ff.) hält diesen Bericht für eine
Fälschung Mesmers.
'^) Obwohl Prof. v. Störck und der Augenarzt Prof. Barth sich
von ihrem Sehvermögen überzeugt hatten, erklärte letzterer doch,
sie sehe nicht. Prof. Ingenhousz und P. Hell traten gegen Mesmer
energisch auf, der Vater der Paradis wurde "aufgehetzt, seine
Tochter von Mesmer zurückzuverlangen. Vater und . Mutter
führten in Mesmers Haus eine schreckliche Szene auf, die Tochter
erblindete neuerdings aus Aufregung, Mesmer behandelte sie
wieder, da erschien am 2. Mai 1777 vom Prof. v. Störck die Ver-
fügung, dem „Betrüge ein Ende zu machen". Mesmer verließ
Wien, Fräulein von Paradis blieb blind. — Vgl. darüber Kerner,
S. 69 ff.; Frankl, S. I4f.; Julius Wiesner, Jan Ingen-Housz. Wien
1905. S. 44; Sierke, S. I28f., 138 (Mesmer soll die Paradis ver-
führt haben).
'^) Mesmer kam 1778 nach Paris und blieb dort bis 1789. Er
erregte Aufsehen^ gewann viele Freunde und Anhänger, über
29 C. P. I
449
20 „Harmonische Gesellschaften" wurden begründet, ein heftiger
Kampf entbrannte zwischen seinen Anhängern und Gegnern. Vgl.
die eingehenden Schilderungen bei Kerner, S. 72 ff. und Kiese-
wetter, S. ii4ff., I24ff.; Sierke, ^S. I47ff.
") Lorenz Leopold Haschka (1749 — 1827), zuerst Novize bei
den Jesuiten, dann Erzieher und Lehrer, später Professor der
Ästhetik am Theresianum und Kustos der Wiener Universitäts-
bibliothek (1797). Seine Dichtungen (Oden) erschienen einzeln
und wurden nie gesammelt. Ursprünglich glühender Josephlner,
entwickelte er sich später aus materiellen Gründen zu einem Reak-
tionär. Man vgl. Wurzbach, VIII, S. 2off., Goedeke, V, S. 4o6f.,
VI, S. 532 f. und die eingehende Untersuchung von Gustav Gugitz
Qahrbuch der Grillparzer- Gesellschaft, XVII [Wien 1907], S. 32 ff.),
gegen deren Schlußergebnisse sich Eugen Guglia (Das Theresianum
in Wien. Wien 19 12. S. 209 f. Anm. 6) wendet. Haschka war
Gelegenheitsdichter, dessen Muse meist historische Ereignisse
besang. Häufig genug fehlt ihm, den Barden, der Schwung, auch
ist er vom Schwulst nicht freizusprechen; vgl. die Charakteristik,
welche Otto Rommel (Der Wiener Musenalmanach. Wien 1906.
S. 185 ff.) von seinen dichterischen Leistungen gibt. Als Verfasser
der österreichischen Volkshymne In Ihrer ursprünglichen Gestalt
Ist er heute noch bekannt. — Im Jahre 1776 kam er in das Haus
der Greiner, wo er bald eine große Rolle spielte (man vgl. die Affäre
mit der Klopstockischen Ode „An den Kaiser!" bei Gugitz, XVII,
S. 63 ff.) und sogar Hausgenosse wurde (oben S. 46, 56, 72). Frei-
lich dürfte hier ein Liebesverhältnis, das sich zvnschen ihm und
der Frau vom Hause entspann (vgl. Gugitz, a. a. O. XVII, S. 53 ff.,
74), hereingespielt haben. Verdrießlichkeiten, die daraus ent-
sprangen, führten dazu, daß Haschka das Haus wieder verließ
(s. oben S. 75), doch blieb er zeitlebens der FamiUe und der Frau
(vgl. seinen Brief vom 2. August 1792: Gugitz, XVII, S. 54f.)
zugetan. Am ersten Jahrestag der Bekanntschaft mit Frau Greiner
(3. November 1777) sang er ihr eine schwungvolle Ode (ich drucke
sie, als äußerst selten, unten ab), In der er auch die kleine Lotte
apostrophiert. Diese verdankte ihm viel. Latein lehrte er sie
(oben S. 75), machte sie mit der deutschen Literatur bekannt
(oben S. 44, 60, 72 f.) und führte sie in die Grammatik und Ästhetik
ein (S. 51, 78)5 später las sie gemeinsam mit ihm und Alxinger
lateinische Klassiker (S. 134). Als sie heiratete, widmeten ihr
Alxinger und Haschka zwei Gedichte zum Hochzeltstage (Goe-
deke, VI, 532, 11), die leider verschollen sind. Früher schon
(August 1795) hatte Haschka Ihr eine Ode „Das Landleben"
(Magazin der Kunst und Literatur, III, 3 [Wien 1795], S. 260 flE.)
zugeeignet, worin er sie mit
450
„Du! die Pans begrünte Reviere liebet
Und auf Maros Flöte so reizend schildert"
anredet (S. 262). Ihrem Hause blieb er zu Lebzeiten der Mutter
als auch später ein treuer Freund (oben S. 260), er begutachtete
ihre Gleichnisse (s. oben S. 227), wies sie auf die Bibel als Stoffqiielle
für Idyllen (oben S. 262 f.), dichtete einen Prolog zum Namens-
tag der drei Karolinen (S. 298), lobte Pichlers Romane Reinhold
gegenüber (I. Anm. 509, II. Anm. 189) und führte manchen Gast
ins Greinersche Haus ein (oben S. 48 f., 82 f., 239; Gugitz, XVII,
S. 121). Von seiner Anhänglichkeit zeugen zwei Briefe, die Karo-
line Pichler (Frankls Sonntagsblätter, II [Wien 1843], S. öi/ff.)
mitteilte. 1843 widmete sie ihm (ebd. II, S. 266) eine kleine Skizze,
worin sie ihn von dem Vorwurf, daß er das, von Alxinger geschenkt
erhaltene Geld im Sklavenhandel verlor, reinigte. Über eine ko-
mische Szene mit ihm vgl II, S. 89 f.
'*) Vgl. oben Anm. 5.
'^) Diese, oben S. 53, 56 nochmals wiederkehrend, übte auf Ka-
rohne poetischen Einfluß aus, war sie doch selbst Dichterin. Sie
hieß Elisabeth Schweitzer und wurde im Testament ihres Vetters
Franz Sales von Greiner vom 11. Oktober 1767 in § 6 mit 100 Duka-
ten bedacht, war aber bei seinem Ableben (1798) bereits tot (vgl.
seinen Verlassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes,
Fasz. V, Nr. 67 "& 1798). — Vgl. noch II. S. 37 f.
'^) Dieser Absatz fehlt im Druck; in der Handschrift ist er
durchstrichen.
") Die Wohnung befand sich im Hause Nr. 11 63 (später Nr.
1201; Verzeichniß usw. Wien 1778. S. 70). Greiners wohnten
hier von 1777 — 1781 (s. oben S. 64 und Hof- und Staatsschema-
tismus. 1778. S. 9).
'^) Dieses Lied, dessen Verfasser man bisher vergeblich suchte,
taucht zuerst 1841 im Druck auf und lebt heute noch im Volke
(Hoffmann-Prahl, Unsere volkstümUchen Lieder. * [Leipzig 1900],
S. 14, Nr. 52 ; John Meier, Kunstlieder im Volksmunde, Halle a. S.
1906. S. 58, Nr. 351). Ein vollständiger Text bei Wilibald Walter,
Sammlung deutscher Volkslieder. Leipzig 1841. S. 60, Nr. 40.
'^) Mary Wollstonecraft, Defense des droits des femmes. Ouv-
rage traduit de l'anglais. Paris et Lyon 1792, Die englische Aus-
gabe (A vindication of the rights of woman) erschien 1792 in London
in einem Bande.
**) Johann Baptist von Alxinger (1755 — 1797) war ein reicher
Mann, der die Rechte studiert hatte und k. k. Hofagent wurde;
später (1794) übernahm er die Stelle eines Sekretärs des k. k. Hof-
theaters. Er ist in seinen Epen ein Nachahmer Wielands, in seinen
39*
451
Gedichten stark von der Antike beeinflußt. Vgl, Goedeke, IV, i,
S. 232 und Wurzbach, I, S. 23!. betreffs seiner Lebensumstände.
Seine dichterische Eigenart zeichnete Otto Rommel, Der Wiener
Musenahnanach. Wien 1906. S. i62ff. — Abcinger half Karoline
in manchen Gegenständen nach (S. 83), er warnte sie vor den
Männern (Anm. 176), las mit ihr lateinische Klassiker (S, 134)
und spielte am Haustheater mit (oben S. 112 mit Anm. 224).
Er kündete Wieland unterm 11. Februar 1789 an (G.Wilhelm,
Briefe des Dichters Joh. Bapt. v. Abcinger, S. 58), daß er näch-
stens etwas von dem Fräulein von Greiner schicken werde,
„womit sie recht zufrieden seyn werden". Sie widmete ihm 1843
eine kurze Notiz (Frankls Sonntagsblätter, II [Wien 1843], S. 266).
^^) Gottlieb von Leon (1757 — 1832), ein Wiener, war von 1780 ab
Hauslehrer bei Greiners (s. S. 49, 75), kam 1782 als Skriptor an die
Wiener Hofbibliothek, wo er es 18 16 zum Kustos brachte. Er las
mit Karoline deutsche Literatur (s. oben S. 49 f.), war mit ihrem
Vater zusammen in der Loge zur „wahren Eintracht" (Anm. 195),
beteiligte sich lebhaft am Wiener Musenalmanach und gab 1788
eine Sammlung „Gedichte" heraus. Über seine Lebensumstände
und Werke vgl. man Wurzbach, XV, S. i und Goedeke, VI,
S. 533 ff.; seine dichterische Entwicklung beleuchtet Otto Rom-
mel, a. a. O. S. 21 f. und 191 ff. — Eine Erinnerung an die Zeit,
wo er mit Karoline v. Greiner schwärmte und träumte, bewahrt
sein Gedicht „An Fräulein Carolina von Greiner" (Gedichte.
Wien 1788. S. 206 ff.), das in dem Wunsch ausklingt, daß beide,
obwohl sie jetzt auf der Weltbühne stehen, Weisheit und Phan-
tasie weiterhin begleiten mögen.
^2) Josef Franz von Ratschky (1757 — 1810) brachte es vom Hof-
konzipisten bis zum Hof- (1806) und Staatsrat (1807). Er war im
Amte des Hofrates Greiner (k. k. Direktorium). Er hat hervorragen-
den Anteil am Wiener Musenalmanach. Als Dichter ist er frisch,
ein echtes Wiener Kind, das im Banne der Aufklärung großge-
wachsen ist. Vgl. Wurzbach, XXV, S. 22 ff. und Goedeke, IV, i,
S. III, VI, S. 536f. Den Dichter kennzeichnet Rommel, a. a. O.
S. 203 ff. — Ein Singspiel von ihm wurde am Greinerschen Haus-
theater aufgeführt (vgl. oben Anm. 63). — Hofrat Greiner sub-
skribierte seine „Gedichte" (1785. S. 215).
^) Johann Nepomuk Denis (1729 — 1800), Exjesuit, Lehrer am
Theresianum (1759), Kustos (1785) und wirklicher Hofrat (179O
an der Hofbibliothek in Wien, als Gelehrter und Mensch aus-
gezeichnet, als Dichter der Bardenrichtung angehörig. Er erwarb
sich große Verdienste um Ossians Einbürgerung in Deutschland.
Vgl, Wurzbach, III, S. 238 ff.; Goedeke, IV, i, S, 109 und
P. von Hofmann- Wellenhof, Michael Denis, Innsbruck 188 1, —
Er war der Karoline Pichler bei der Herausgabe der „Gleich-
nisse" behilflich (oben S. 227). — Was Hofmann (a. a. O. S. 359)
über die Beziehungen des Denis zu den Greiners sagt, entnimmt
er K. Pichler.
8*) Karl Mastalier (173 1 — 1795) trat 1749 in den Jesuitenorden
ein. Nach dessen Aufhebung erhielt er ein Titularkanonikat in
Laibach, lebte aber in Wien seiner Muse. Er verfaßte Oden
und bildete Horaz nach (Wurzbach, XVII, S. 90 ff.; Goedeke,
IV, I, S. iio).
85) Johann Alois Blumauer (1755 — 1798), ein Oberösterreicher,
Exjesuit, Mitglied der Freimaurer, Bücherzensor (1781) und schüeß-
lich Buchhändler (1793). Ursprünglich strenger Josephiner mit
satirischer Begabung (Virgils Äneis travestiert. Frankfurt 1783),
verstummt in der Zeit der Reaktion seine Muse. Er starb in ärm-
lichen Verhältnissen, sein Name aber blieb, trotz des Zynismus,
der seine späteren Gedichte auszeichnet, der Nachwelt erhalten.
Vgl. Goedeke, IV, S. 236ff., Nr. 28, Wurzbach, I, 436ff. Eine
eingehende Darstellung seines Lebensganges und seiner dichteri-
schen Entwicklung bietet F. Hofmann v. Wellenhof (Alois Blu-
mauer. Wien 1885), wozu Gustav Gugitz Qahrbuch der Grillparzer-
Gesellschaft. XVIII, [Wien 1908], S. 27ff.) wertvolle Ergänzungen
gab. Betreffs des Verkehrs bei Greiners kommt dieser über die
Angaben der Pichler nicht hinaus Qb. XVIII, S. 96). Von Blu-
mauer ist noch ein Billett erhalten, worin er Leon bittet, ihn
bei Greiner wegen Nichtkommen zu entschuldigen. (Hofmann,
S. 128). Sowohl der Hofrat Greiner als seine Frau subskribierten
Blumauers „Äneis" (I [Wien 1784], S. IX; II [Wien 1785], S. XII),
welche auch Karoline las (oben S. I34f.).
*^ Johann Josef Eckhel (1737 — 1798), ein berühmter Numis-
matiker, seit 1 751 im Orden der Jesuiten. Nach dessen Aufhebung
Weltpriester und Direktor der antiken Münzen und Universitäts-
^ Professor. 1792 bis 1798 erschien sein numismatisches Lebens-
werk, das die Systematik der antiken Münzen auf eine neue Grund-
lage stellte (Wurzbach, III, S. 423 ff.).
*^) Sonnenfels war als Hofrat beim Direktorium ein Amts-
kqllege Greiners. Vgl. über ihn unten Anm. 126.
®8) Josef Freiherr v. Sperges (1725 — 1791)5 war ein ausgezeich-
neter Staatsmann. Selbst dichterisch tätig, unterstützte er be-
sonders Künstler und galt als trefflicher Kunstmäcen. Auch auf
dem Gebiete der Geschichtsschreibung versuchte er sich (Wurz-
bach XXXVI, S. 138 ff.).
^*) Abbate Jos. Maffei war Direktor der chemischen Schule an
der k. k. Stückgießerei in Wien. Er soll ein mathematisches
Genie gewesen sein und gemeinsam mit dem Feldmarschall Josef
453
Gtafen von CoUoredo zum Aufschwung der österreichischen
Artillerie beigetragen haben (Hormayrs Taschenbuch. XXXIV.,
S. ii6; Karoline Pichler, Sämmtliche Werke. 2 XVIII., S. 193),
doch weiß Anton Dolleczek (Geschichte der österreichischen
Artillerie. Wien 1887, S. 289 ff.) davon nichts zu berichten. Ein
Zeitgenosse sagt (Sendschreiben des Abbate Andres über das
Litteraturwesen in Wien. Mit vielen wichtigen Zusätzen des
Herrn Doctor Aloys Brera. Wien 1795, S. 92), daß Maffei einen
sehr beredten, klaren und angenehmen Vortrag hatte und in die
schwersteh Experimente und feinsten Theorien einzudringen
vermochte. Maffei war 1782 Privatsekretär des Grafen Josef
Colloredo und Mitglied der Loge zur gekrönten Hoffnung in
Wien (L. Abafi, Geschichte der Freimaurerei in Österreich-
Ungarn. IV. [Budapest 1893], S. 202). — Vgl. unten Nachtrag.
^) Von Friedrich Heinrich Jacobi. Der erste Teil erschien zuerst
1777 in Wielands Teutschem Merkur und dann gesondert (Erster
Band. Flensburg und Leipzig 1779). Ein zweiter Teil findet sich
1779 im Deutschen Museum; eine vollständige Ausgabe in 2 Bänden
kam erst 1794 in Königsberg heraus (vgl. Goedeke, Grdr. IV, i^,
S. 273 : 4). — Die sonstige Aufnahme des „Woldemar" war in Wien
kühl (vgl. H. M. Richter, Aus der Messias- und Werther-Zeit,
Wien 1882. S. 146); sollte Frau v. G., die sich gegen eine abspre-
chende Kritik „im Namen einer ganzen Gemeinde schöner Seelen
Wendet" (Richter, S. 147), nicht vielleicht Frau v. Greiner sein.?
^3) Nicolais. Allgemeine deutsche Bibliothek, LI (Berlin 1782),
S. 586 f. brachte in einer Anmerkung über Greiners Töchterchen,
die sich in As^embleen mit ihren rhythmischen und metrischen
Kenntnissen produziert und von Seite der Subalternen große
Schmeicheleien hört, worauf ^sie im Dialekt antwortet, man
frozzle sie nur, einen Angriff, der in Wien viel Staub aufwirbelte,
so daß sich Nicolai deswegen bald (LH [1783], S. 6ioff.) entschul-
digte. Vgl. über die ganze Angelegenheit R. M. Werner, Aus dem
Josephinischen Wien. Berlin i888. S. 108 und I52ff. Anm. I43f.
*^) Kern der Deutschen Sprachkunst, aus der ausführlichen
Sprachkunst des Herrn Professor Gottscheds, zum Gebrauch der
Jugend, von ihm selbst ins Kurze gezogen. (4. Ausgabe.) Wien,
bey Georg Ludwig Schulz, 1765.
8^3) J. Chr. Adelungj. Deutsche Sprachlehre zum Gebrauch
der Schulen. Berlin 178 1. Im selben Jahre erschien auch in
Berlin ein: Auszug aus der deutschen Sprachlehre für Schulen.
»2) „Mein Vater . . . hören ließ": fehlt im Druck; in der Hand-
schrift durchstrichen.
*ä) 1778 beschuldigte man ihn, mit dem Juden Königsberger,
der als preußischer Spion galt, Beziehungen zu haben und 1780
454
warf man ihm vor, daß er sich von den Bräuern und Wirten
bestechen ksse. Beide Vorwürfe führten zu Untersuchungen, die
aber Greiners völlige Unschuld ergaben. Vgl. -darüber die ein-
gehenden Angaben bei 'Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 327 ff.
»*) Vgl. Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 3i4f. In ihrer
Korrespondenz mit Greiner spricht die Kaiserin oft von seinen
„charmanten Kindern",
96) Erzherzog Maximilian Franz (1756— 1801) war später Hoch-
und Deutschmeister, Kurfürst und Erzbischof von Köln.
98) Erzherzog Ferdinand Karl von Este (1754 — 1806), später
Generalkapitän der Lombardei.
") Erzherzogin Marianne (1738 — 1789), von Natur aus ver-
wachsen, war seit 1766 Äbtissin des adeligen Damenstiftes in Prag,
residierte aber in Wien; .später (178 1) Äbtissin der Elisabethinerin-
nen in Klagenfurt.
9*) Erzherzogin Maria Christine (1742 — 1798), die nachmalige
Gattin des Herzogs Albert von, Sachsen-Teschen.
99) Erzherzogin Elisabeth (1743 — 1808), die schönste aller
Töchter Maria Theresias, sollte den König Stanislaus Poniatowski
von Polen, dann Ludwig XV. heiraten. Die Projekte zerschlugen
sich jedoch und sie starb als Äbtissin des Klosters Hall in Tirol.
^^) Maria Theresia war infolge Ansteckung von Seite ihrer
Schwiegertochter, der Kaiserin Josefa, Ende Mai und Anfang Juni
1767 heftig an den Blattern erkrankt (Arneth, Maria Theresia,
VII, S. 325ff.; Wolf, Hofleben, S. 292 ff.).
^9^) Die Pichler meint jedenfalls den am Ende des ersten Kapitels
der Wahlverwandtschaften vorkommenden Ausspruch (Kürschners
Deutsche National-Litteratur. XCIV, S. i8of., Zeile 37, i — ^4), der
zwar nicht gleich lautet, aber so ziemlich das Gleiche besagt.
^92) In der Handschrift steht der Name ausgeschrieben. Die
Freundin hieß Rosine von Häring, geb. Edle von Lackner. Sie
war die Frau des niederösterreichischen Regierungsrates Franz
Anton von Häring (vgl. Anm. 112) und starb am 21. Juli
1806 zu Weinhaus (jetzt Wien XVIII. — Verlassenschaftsakten im
Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 189, ex 1806).
Sie ist wohl mit der Rosemunde von Häring identisch, die 1788
Leons „Gedichte" (Wien 1788, S. IX) subskribierte. Sie besaß
das Haus Nr. 298 am Kohhnarkt (Verlassenschaftsakten). Ihr
am 15. September 1787 abgefaßtes Testament spricht nur von
3 Kindern : Franziska, Franz und Johann Baptist (Verlassenschafts-
akten), denn Katharina (Anm. 161) war ihre Stieftochter.
•^"*) Rosine Johanna Maria Anna von Greiner war am 31. De-
zember 1777 geboren worden; ihr Taufpate war Dr. ju?>^ Johann
Baptist Edler von Zoller, hochfürstlich erzbischöflicher Kanzler
455
und Konsistorialrat (Taufmatrik der Pfarre St. Stephan, Wien I.,
t. XCIV, Fol. io6a).
^'^) Seit 1762 ließ Kaiserin Maria Theresia adelige und später
auch nichtadelige Kinder durch Josef Miller, Wundarzt in Atzgers-
dorf und Freiherrn von Störck, ihrem Leibarzt, im Schlosse
Hetzendorf impfen (Topographie von Niederösterreich, IV [Wien
1896], S. 241a).
105^ Franz Xaver war bereits 6 Jahre alt.
^*'*) Rosine Greiner starb am 17. Dezember 1778 um 8 Uhr früh
im Alter von 11 Monaten (Totenprotokolle der Stadt Wien im
Stadtarchiv. Bd. io6, I, Buchstabe C, G, K, Fol. 105a).
^''^) Greiners Mitteilung und Maria Theresias Antwort auch bei
Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 315. Greiner schreibt u. a.:
„Weil mein Weib vor Wehmut dem Kinde nicht beistehen konnte,
habe ich das arme Würmchen müssen sterben sehen, so weh mir
auch dabei geschah. O Gott, wie war es so finster in meiner
Seele!"
108) Vgl. die Belege bei Arneth, Sitzungsberichte, XXX, S. 3i6f.
109) Wienerischer Musenalmanach auf das Jahr 1782. Wien
(1781), S. i63ff. : Auf die Genesung meiner Freundin. Unter-
zeichnet: CaroUne v. Greiner, ein zwölfjähriges Fräulein. — Ein
Gedicht in 7 vierzeiligen Strophen, beginnend: Dem Veilchen an
dem Bache gleich, Geliebte, blühtest du. — Die Pichler schrieb
auch später manches für den Wienerischen Musenalmanach, s.
die Zusammenstellung bei Otto Rommel, Der Wiener Musenalma-
nach, Leipzig 1906. S. 149 f. und unten Anm. 377. Ob nicht
auch die Chiffre Lotte von ** (1786, S. 121) als Charlotte von
Greiner zu deuten ist, imisomehr als das Gedicht eine Übertragung
von „Tibulls fünfter Elegie des vierten Buchs" (Der Tag, der dich
mir gab, Cerinthus! soll mir heilig) ist, mit dem sich die Greiner
beschäftigte (vgl. oben S. 134).
11") Über die letzten Lebenstage der Kaiserin vgl. man die
offiziellen Berichte bei Wolfsgruber (a. a. O. S. 244ff.) und Arneth
(Maria Theresia, X, S. 722 ff.), deren Darstellung mit der Pichler-
schen übereinstimmt. Die Limonadengeschichte findet sich dort
nicht, wohl aber," daß sie dem Leibarzt von Störck befahl, ihr die
letzte Stunde anzukünden (Wolfsgruber, S. 249).
m) Anton Freiherr von Störck (173 1 — 1803), k. k. erster Hof-
leibarzt und Oberdirektor des Allgemeinen Krankenhauses in
Wien (Wurzbach, XXXIX, S. 117 ff.).
112) Franz Anton von Häring, des hl. römischen Reichs und der
Erblande Ritter, Landmann im Herzogtum Steiermark und k. k.
niederösterreichischer Regierungsrat, war der Sohn des nieder-
österreichischen Regierungsrates Viktor Josef von Häring (t 1764),
der 1759 geadelt worden war (vgl. über diesen Beiträge zur Ge-
schichte der n. ö. Statthalterei. Wien 1897. S. 460). Er war zu-
erst mit Anna v. Lackner, dann mit Rosine von Lackner (oben
Anm. 102) vermählt, aus welchen Ehen 4 Kinder stammten (vgl.
Aimi. 160). Er starb nach längerer Krankheit' am 22. August 1792
auf seinem Landhaus in Weinhaus (jetzt Wien XVIII), ein Haus
am Kohlmarkt (Nr. 168) und zwei Häuser in Weinhaus (Nr. 19
und 21) hinterlassend. Vgl. die Verlassenschaftsakten im Archiv
des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V. Nr. iio ex 1792. %
113) S. oben Anm. 60.
ii^a) Sie wohnten auf dem Neuen Markt in der Mehlgrube 1074,
neu 1108 (Hof- und Staatsschematismus, 1784, S. 13) und zwar
seit 178 1.
11*) Eine bibliographische Zusammenstellung dieser- reichen
Literatur fehlt noch immer. Manches bieten Sebastian Brunner
(Die Mysterien der Aufklärung in Österreich 1770 — 1800. Mainz
1869) und Franz Gräffer Qosephinische Curiosa. - $ Hefte. Wien
1848 — 1850). Die Äußerungen Blumauers und Pezzls über diese
Schriftenflut bringt Gräffer (a. a. O. V [Wien 1850], S. 48ff.);
die Ausführungen beider bilden eine interessante Charakteristik
all dieser Eintagserzeugnisse.
116) Über die Begräbnisse in Wien. Wien 178 1. (8°, 29 S.).
Verfasser der Schrift ist Friedrich Schilling (Goedeke, Grdr. VI,
557:40). — Über ihren Inhalt vgl. Herm. Gnau, Die Zensur
unter Joseph IL, Straßburg 191 1, S. 73ff. Die Schrift rief eine
Menge Entgegnungen hervor, vgl. Brunner, S. I77ff.
n^) Diese Frage bewegte die Gemüter heftig. Eine Menge
Schriften für und gegen die Predigtkritiken erschienen. Zwei
Geistliche, Josef PochUn und Patricius Fast, traten in scharfer
Weise für die Freiheit des Predigers ein. Vgl. zum Ganzen Brunner,
S. 191 ff.; Rommel, a. a. O. S. 35 f.; J. Pezzl, Skizze von Wien, IV
(Wien 1787), S. 583 ff.; R.M.Werner, Aus dem Josephinischen
Wien. Berlin 1888. S. 126, Kaiser Josef gestattete die Kritiken
(Frz. X. Huber, Geschichte Josefs IL II [Wien 1790], S. 55).
H'') Herr Schlendrian oder der Richter nach den neuen Kriminal-
gesezen. Ein komischer Roman. Zwo te Aufl. Berlin 1787. — 3. Aufl.
(. . . neuen Gesezen). Berlin 1787 (vollständig umgearbeitet). —
Verfasser ist Franz Xaver Hub er (Goedeke, IV. i, S. 228: 98, i) ;
dazu: Joh. Wendrinsky, Kaiser Joseph IL, Wien 1880, S. 261.
n®) Joannis Physiophili Specimen Monachologiae methodo
Linnaeana tabuÜs tribus aeneis illustratum, cum adnexis thesibus
e pansophia P. P. P. Fast .... quas praeside A. R. P. Capistrano
a mulo Antonii lectore theologiae ordinario XXVI. May hora IV.
post prandium in vestibulo refectorii conventus defendent P.
457
Tiburtius a vulnere Theresiae et P. Theodatus a stigmatibus
Francisci fratres conventualium minorem. Augustae Vindelicorum,
sumtibus P. AloysiiMerz, concionatoris ecclesiae cathedralis, 1783.
4". Ai — F4 und 2 Bildertafeln. — Die Schrift, anonym erschienen,
erregte in Österreich und Deutschland großes Aufsehen Qoh.
Pezzl, Lebensbeschreibungen des Fürsten Raimund Montekukuli,
des Fürsten Wenzel Lichtenstein, des Hofraths Ignatz von Born.
Wien 1792. S. 254ff. und Frz. Gräffer, Josephinische Curiosa,
IV [Wien 1850], S. 201 ff.; Über Wiens Autoren, Von zwey
Reisenden X. X. Wien 1785. S. I4f.; Abafi, IV, S. 3o6f.).
^') Ignaz Edler von Born (1742 — 1791), Geolog und Mineralog,
seit 1779 Wirklicher Hof rat der Hofkammer im Münz- und Berg-
wesen, verbesserte die Amalgamationsmethode und war ein feiner
Satiriker (Wurzbach, II, S. 71 ff.). Er war Großmeister der
Loge zur wahren Eintracht (Abafi, IV, S. 281 ff.), der auch
Alxinger, Blumauer, Greiner und Leon angehörten. Eine gute
Charakteristik von Born gibt 1769 Sonnenfels (H. RoUett, Briefe
von Sonnenfels. Wien 1874. S. 20 f.). Über seine Samstagsabende,
an denen die Greiners teilnahmen, vgl. oben S. 149 f.
^*) Der Autor ist nicht Mirabeau, sondern Paul Heinrich Diet-
rich Freiherr von Holbach (Le Systeme de la nature. London 1770.
2 Bde.). Eine deutsche Übersetzung von Schreiter erschien in
2 Bänden zu Frankfurt a. Main 1783.
^^) Const. Frangois Chasseboeuf de Volney, Les ruines ou
medidation sur les revolutions des empires. Paris 1791.
^2^) Horus oder AstrognostischesEndurtheil über die Offenbarung
Johannis und über die Weissagungen auf den Messias wie auch über
Jesum und seine Jünger. Mit einem Anhange von Europens neuern
Aufklärung und von der Bestimmung des Menschen durch Gott.
Ein Lesebuch zur Erholung für die Gelehrten und ein Denkzeddel
für Freimaurer. Ebenezer, Im Verlage des Vernunfthaußes 1783.
— Der Verfasser dieses Buches ist: Christian Ernst Wünsch
(Holzmann-Bohatta, Deutsches Anonymen-Lexikon, II [Weimar
1903], S. 302).
123^ Briefe über die Bibel, im Volkston. Eine Wochenschrift
von einem Prediger auf dem Lande. 3 Bände. Halle 1782, bei
Johann Friedrich Dost. — 76 Briefe, verteilt auf vier Quartale
des ersten Jahrgangs (Bd. i und 2) und 2 Quartale des 2. Jahrgangs
(Bd. 3), handeln über die Bibel; eine Hauptrolle spielt Haram.
Der geistige Urheber der Schrift ist Karl Friedrich Bahrdt (1741
bis 1792) mit der eisernen Stime. Eine größere Anzahl Gegen-
schriften folgten (vgl. Goedeke, Grdr. IV, i, S. 328: 59).
184^ Wenn die Sache auch nicht so schlimm war, wie die Pichler
schildert, so ging doch viel Wertvolles bei den Klosteraufhebungen
458 .
verloren. Die Jüdin Schendel Dobruska und ihr Sohn Thomas
von Schönfeld, als Dichter nicht unbekannt, hatten seit Februar
1788 das alleinige Recht auf alle Effekten und Pretiosen, die den
Klöstern und Kirchen abgenommen wurden. Über die Verschleu-
derungen usw. vgl. man die ausführlichen Angaben bei Rudolf
Hittmair (Der Josefinische Klostersturm im Land ob der Enns.
Freiburg i. B. 1907. S. gSff., 352ff., 354ff.)j Adam Wolf (Die
Aufhebung der Klöster in Innerösterreich, 1782 — :iJ<)o. Wien 1871.
S. 4if.} 158 ff.) und Aug. Lindner, Die Aufhebung der Klöster
in Deutschtirol 1782 — 1787. Zeitschrift des Ferdinandeums für
Tirol und Vorarlberg. 3. Folge. XXVIII. (1884), S. I57ff. und
XXIX. (1885), S. 145 ff. (an verschiedenen Stellen).
125) August von Kotzebue, Die jüngsten Kinder meiner Laune,
II (Ausgewählte prosaische Schriften, XXII.). Wien 1843. S. 205ff.
Das Alter. — Die Erstausgabe erschien 1794 in Leipzig.
126) Josef von Sonnenfels (1733 — 18 17), zuerst Soldat, dann
Jurist. Erwarb sich große Verdienste um die österreichische Lite-
ratur und wetterte besonders gegen den Hanswurst auf der Bühne.
Auch als Jurist ist er ausgezeichnet, und wendete sich gegen die
Folter. Er verkehrte, da er ein Amtskollege Greiners war (Hofrat
beim k. k. Direktorium), viel in dessen Haus (s. oben S. 49), fühlte
sich diesem auch zu Dank verpflichtet (Sonnenfels, Gesammelte
Schriften, I [Wien 1783], Vorrede Blatt b 8a). Besonders Frau
von Greiner hatte sich für ihn, als sie noch Kammerfrau der Kaiserin
war, wiederholt warm eingesetzt (vgl. Hormayr, Taschenbuch,
XXXIV, S. 114). Er war der Gönner und Beistand des Andreas
Pichler (s. oben S. 189 und Anm. 308), der ihm ein Gedicht wid-
mete, und begutachtete die „Gleichnisse" der Karoline, bevor sie
in den Druck gingen (s. oben S. 227). Vgl. über ihn Goedeke IV,
I, S. i83f.; Wurzbach, XXXV, 3i7ff.; Franz Kopetzky, Josef und
Franz von Sonnenfels. Wien 1882. — Eine kurze Charakteristik
von ihm gibt Karoline Pichler in Frankls Sonntagsblätter, II
(Wien 1843), S. 265.
12') Johann Friedrich Jünger (1759 — 1797)) ein gebürtiger
Leipziger, kam 1787 nach Wien und wurde hier 1789 Hoftheater-
dichter (Goedeke, IV, i, S. 224: 83). Von seinen vielen Stücken
spielte man eines „Maske für Maske" am Greinerschen Haus-
theater (s. Anm. 225).
■^) Eine solche Stelle findet sich bei Haller nicht; vielleicht
hatte die Pichler folgende im Auge: Er denket wie ein Hirt und
schreibet, wie er denket (Die Alpen. 1732. v. 270 = Kürschners
Deutsche National-Litteratur, XLI, S. 25).
129) Über Kaiser Josefs Fürsorge für das Wiener Hoftheater,
besonders auf dem Gebiete der Oper vgl. man Eduard Wlassack,
459
Chronik des k. k. Hof- Burgtheaters. Wien 1876. S. agff.; Oskar
Teuber in: Die Theater Wiens, II, 2, i [Wien 1903], S. 15 ff.,
besonders S. 59 ff. Die Dichter des Wiener Musenahnanaches
rühmen Kaiser Josef darob, vgl. Rommel, S. "](>.
i**) Friedrich Ludwig Schröder (1744 — 1816), einer der größten
deutschen Schauspieler, spielte am 13. April 1780 als Gast am
Burgtheater den „Lear" mit Riesenerfolg. Er gastierte bis 11. Mai
1780. Im April 1781 wurde er mit seiner Frau Friederike engagiert;
am 16. April 1781 traten beide in der „Agnes Bernauer" von
Törring zum erstenmal als Mitglieder des Hauses vors Publikum.
Infolge verschiedener Intrigen nahm jedoch Schröder im Jänner
1785 seine Entlassung (Wlassack, S. 55ff.; L. Eisenberg, Großes
biographisches Lexikon der deutschen Bühne im 19. Jahrhundert.
Leipzig 1903. S. 9i9ff.5 Teuber-Weilen, a.a.O. II, 2,2 [1906],
S. 280 Register). Während seines Wiener Aufenthaltes verkehrte
Schröder bei Greiners (s. Anm. 170). — VgL noch Anm. 190.
"^) Johann Franz Hieronymus Brockmann (1745 — 1812), ein
Grazer, debütierte am Hoftheater am 30. April 1778 als „Essex"
in der „Gunst der Fürsten", Er spielte reifere Heldenrollen und
war schriftstellerisch tätig (Wurzbach, II, S. 152 ff.; Wlassack,
S. 48; Goedeke V, S. 336: 120; Eisenberg, S. I29f.; Teuber-Weilen
in: Die Theater Wiens, II, 2, i [1903], S. 24ff.). — Über sein
Auftreten in Kotzebueschen Dramen vgl. oben S. 92.
'^'^ Josef Lange (1751 — 1831), seit 1770 für junge, feurige Lieb-
haber engagiert, spielte später bis zu seiner Pensionierung (18 10)
Heldenrollen (Wurzbach, XIV, S. 97 ff.; Wlassack, S. 33 und 105;
Eisenberg, S. 571 f.; Teuber-Weilen, a. a. O. II, 2, 2 [1906], S. 275
Register). — Über seine Mitwirkung in Kotzebueschen Stücken
vgl. oben S. 92.
1^) Katharina Jacquet (1760 — 1786) war seit 1774 im Fache
junger tragischer Heldinnen beschäftigt, starb aber frühzeitig
(Wurzbach, X, S. 22 ; Wlassack, S. 3 5 ; Eisenberg, S. 1 5 ; Teuber-
Weilen, II, 2, 2, S. 274). — Über ihr Spiel in Kotzebueschen
Dramen oben S. 92.
^^) Anna Jacquet (1753 — 1804) kam 1768 ans Burgtheater, wo
sie naive, launige Mädchenrollen spielte. 1780 heiratete sie den
Sänger Adamberger; 1804 ging sie in Pension (Wurzbach, X.
S. 22; Wlassack, S.35; Eisenberg, S. 14!; Teuber-Weilen, II, 2, 2,
S. 274). — Über ihr Spiel vgl. noch oben S. 92; über ihre Be-
ziehungen zum Greinerschen Haus II, S. 84 f.
^^) Johanna Sacco (1754 — 1802) trat als Eugenie im gleich-
namigen Stück des Beaumarchais am 10. Juni 1776 zum erstenmal
im Nationaltheater auf. 1793 ging sie in Pension, nachdem sie
durch 17 Jahre sentimentale Liebhaberinnen spielte (Wurzbach,
46c
XXVIII, S. i8; Wlassack, S. 35f., 72; Eisenberg, S. 860; Teuber-
Weilen, II, 2, 2, S. 280). -^ Vgl. noch oben S. 92 (Mitwirkung
in Kotzebueschen Dramen).
136) August Wilhekn Iffland (1759 — 1814), Dichter und Schau-
spieler, absolvierte im Juni 1801 und im August 1808 Gastspiele
am Wiener Hoftheater (Wlassack, S. 92, 119; Eisenberg, S. 460 ff.;
Goedeke V, S. 263 ff.; Teuber- Weilen II, 2, 2, S. 274.) Sein letztes
Auftreten am 29. Juni 1801 im „Leichten Sinn" verherrUchte
Karoline Pichler durch ein Abschiedsgedicht (An Iffland : Sämmt-
liche Werke, 2 XVI [Wien 1822], S. 53), das im Theater als Einzel-
druck verteilt WTirde (Goedeke VI, S. 577:87,1). Ratschky ge-
denkt dieses Gastspiels ebenfalls (Iffland, Wien im Brachmond 1801 :
Neuere Gedichte. Wien 1805. S. 181). — Ein Zitat aus Iffland
oben S. 175; ein Stück von Iffland am Pichlerschen Haustheater
oben S. 297 f.; über die Romantik und Iffland oben S. 416.
137) Johann Friedrich Ferdinand Fleck (1757 — 1801) vertrat die
von Schiller geforderte, idealisierende Richtung der dramatischen
Kunst in Berlin (Eisenberg, S. 263 ff.).
138) Siegfried Gotthelf Koch (1754 — 1831) kam nach verschiede-
nen Wanderfahrten durch Empfehlung Kotzebues im Oktober
1798 ans Wiener Burgtheater, dem er bis zu seiner -Pensionierung
(1831) als hervorragender Darsteller angehörte (Wlassack, S. 106;
Eisenberg, S. 522 ff.; Teuber- Weilen, II, 2, 2, S. 275).
139) Friederike Unzelmann, geborne Großmann (1760 — 1815)
trat am Wiener Burgtheater im April 1799 sechsmal als Gast auf
(Wlassack, S. 92f.; Teuber- Weilen II., 2, 2, S. 282).
1*") August Friedrich Ferdinand v. Kotzebue (1761 — 1819),
fruchtbarer dramatischer Dichter, fiel unter den Händen des
Studenten Karl Ludwig Sand am 23. März 18 19 in Mannheim
als Opfer seiner absolutistischen Tendenzen. Sein erstes Theater-
stück erschien 1784 (vgL Goedeke, V, S. 270 ff.). Über Kotzebue
als Lektüre der Pichler oben S. 69; über die Aufnahme seiner
Theaterstücke in Wien oben S. 92; Kotzebuesche Dramen am
Pichlerschen Haustheater oben S. 297; Kotzebue und die Ro-
mantik oben S. 416; über einen weitläufigen Verwandten von
ihm (Ignatius) II, S. 86.
1*1) Job. Jakob Bodmer, Noah. Frankfurt und Leipzig 1750.
Seit 1765 lautet der Titel: Die Noachide. (Berlin 1765; Zürich
1772; Basel 178 1. -T Vgl. Goedeke, Grdr. IV, i, S. 8:32). —
Vgl. noch S. loi und SämmtUche Werke. ^XVI, S. 195.
"2) Miltons Paradise lost wurde zuerst vollständig 1682 von
Ernst Gottlieb von Berge ins Deutsche in der Versart des Originals
(fünffüßige Jamben) übertragen. Diese Übersetzung wurde bald
vergessen, erst Bodmer war es 1732 mit seiner Prosaübertragung
461
gegönnt, Milton dauernd in die deutsche Literatur einzuführen
(Vgl. Gustav Jenny, Miltons Verlornes Paradies in der deutschen
Literatur des 1 8. Jahrhunderts. St. Gallen 1890. S. 5ff., lyff.).
Bodmers Verdeutschung, die bis 1780 wiederholt aufgelegt und
verbessert wurde (Goedeke, IV, i, S. 7: 6), lag jedenfalls der
Pichler vor. Bodmer wurde durch Milton zur Abfassung seiner
Noachide (Anm. 141) begeistert. — Vgl. noch Pichler, Sänuntliche
Werke. 2 XVI, S. 195.
^*ä) Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, Die Insel. Leipzig 1788.
144) Magnus Gottfried Lichtwer, Vier Bücher Äsopischer
Fabeln. Leipzig 1748. Mehrere Ausgaben (vgl. Goedeke. IV.
I S. 45: 5, i). ^
145) Morgengesang: Mein erst Gefühl sei Preis und Dank
(Geistliche Oden und Lieder. Leipzig 1767. S, 50). — Abend-
lieder gibt es zwei von Geliert: i. Für alle Güte sei gepreist,
Gott Vater Sohn und heiiger Geist (ebd. S. 76) und 2. Herr,
der Du mir das Leben bis diesen Tag gegeben (ebd. S. iio).
Wahrscheinlich ist das letztere gemeint.
14*) Zufriedenheit mit seinem Zustande: Str. I, i, 2: Du klagst
und des Stands, in dem du dürftig lebst {Geistliche Oden
und Lieder. Leipzig 1767. 8.83).
"') Beständige Erinnerung des Todes: Str. VI, i — 3 (Geistliche
Oden und Lieder. Leipzig 1767. S. 23); beginnend: Was sorgst
du ängstlich für dein Leben.
148) Buch IV, Vers 799 ff.: The poetical works of John Milton.
Edited by David Masson, I (London 1874), S. 237.
"*) Die erste Halbzeile des Liedes „Prüfung am Abend" (Geist-
liche Oden und Lieder. Leipzig 1767. S. 11).
^™) Leon kam am 26. Oktober 1782 als Skriptor an die Hof-
bibliothek, ging 1827 in Pension und starb am 17. September 1832
in Wien (Wurzbach, XV, S. i; Ign. Fr. Edler von Mosel, Ge-
schichte der k. k. Hofbibliothek zu Wien. Wien 1835. S. 181).
^^) Besteht seit 1770 in Wien. Gegründet wurde sie von Karl
Artaria und seinen Neffen Franz, Ignaz und Pasqual Artaria. 1780
schloß sich ein Musikverlag an. Vgl. Wurzbach, I, S. 72 und W.
Kisch, Die alten Straßen und Plätze Wiens. Wien 1883. S. 191.
1^2) Das Gemälde „The death of General Wolfe" stammt von
Benjamin West (1738 — 1792). William Woollett (1735 — 1785),
einer der hervorragendsten englischen Kupferstecher, stach es in
Kupfer (vgl. Michael Bryan, Dictionary of painters and engravers,
II [London 1889], p. 706, 730). Das Blatt gehört zu seinen besten
Leistungen.
"^) Musen-Almanach für 1783 — 1785. |Iamburg bey Carl
Ernst Bohn. — 1783, S. 3ff. Des Bräutigams Besuch. An F. H.
462
Jacobi (= Luise. 2. Idylle); 1784, S. ii5ff. (= Luise, i. Idylle);
1.785, S. 46ff. Hochzeitslied (= Luise, 3. Idylle v. So5ff,). — Vgl.
Goedeke, Grdr. IV, i, S. 407: 9. — Über den Eindruck, welchen
„Das Fest im Walde'' auf die Pichler ausübte, vgl. Sämmtliche
Werke. »XVI, S. 195 f.
154^ Johann Timotheus Hermes, Sophiens Reise von Memel nach
Sachsen. 5 Bde. Leipzig 1769 — 1773. In Wien erschien 1787 ein
Nachdruck in 10 Bänden (Goedeke, Grdr. IV, i, S. 212, Nr. 29: 2).
Über diesen Roman und seinen Einfluß auf die Zeitgenossen
vgl. Konst. Muskalla, Die Romane von Joh. Timotheus Hermes,
Breslau 1912. S. 3 ff., 43 ff. — Die Pichler erinnert sich selbst in
späteren Jahren an diese Lektüre gerne, vgl. Sämmtliche Werke.
2 XVI, S. 196 und Briefe an die Therese Huber aus dem Jahre
18 19 (Karl Glossy, Grillparzer Jahrbuch. III, S. 286, 288).
155) Batteux, Les beaux arts reduits ä un meme principe," Paris
1747. — Auszug aus des Herrn Batteux, Schönen Künsten, aus dem
einzigen Grundsatze der Nachahmung hergeleitet. Zum Gebrauche
seiner Vorlesungen mit verschiedenen Zusätzen und Anmerkungen
erläutert von Johann Christoph Gottscheden. Leipzig 1754. —
Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Nach dem Französi-
schen des Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehret von Karl
Wilhelm Ramler. 3. verb. Aufl. 4 Bde. Leipzig 1769.
158) Joh. Christ. Erxleben, Anfangsgründe der Naturlehre.
Göttingen 1772. — 2. Auflage. Göttingen 1777. — Die späteren
Ausgaben (1784 u. ff.) kommen nicht mehr in Betracht.
15') Salomon Geßner, Idyllen. Zürich 1756 u. ö.; Neue Idyllen.
Zürich 1772. In 5 Bänden gesammelt. Zürich 1772 u. ö. (Goedeke,
IV, I, S. 39: 2). — Die Idyllendichtung der Wiener stand damals
überhaupt unter Geßners Einfluß (vgl. Otto Rommel, Der Wiener
Musenalmanach, S. 55 f., 68). — Über die Wirkung Geßners auf
die Pichler s. Sämmtliche Werke. 2 XVI, S. 195, 197.
158) Joh. Heinrich Voßens Idyllen erschienen seit 1776 in seinen
Almanachen (Goedeke, IV, i, 5.407:9). Gesammelt treten sie
in „Gedichte, I, Hamburg 1785" auf (Goedeke, IV, i, S. 408: 17).
— Unter ihrem Einfluß stehen die Pichlerschen „Idyllen" (Wien
i^°3)5 vgl. Anm. 402.
159) Zu jener Zeit gab es zwei vollständige deutsche Über-
setzungen der Idyllen des Theokrit, eine von Lieberkühn (1757)
und eine von Karl Aug. Kütner (1772), außerdem waren einzelne
übersetzt, vgl. Joh. Friedr. Degen, Litteratur der deutschen
Übersetzungen der Griechen, II (Altenburg 1798), S. 442 ff.
^^) Betreffs des Vaters Franz Anton v. Häring vgl. Anm. 112,
betreffs der Mutter , Rosine Anm. 102; über die älteste Tochter
Katharina s. Anm. 161. Von den Söhnen hieß der ältere Franz
Seraphicus, der jüngere Johann Baptist. Der erstere war beim
Tode seines Vaters (1792) Praktikant der böhmischen und öster-
reichischen Hofkanzlei (Verlassenschaftsakten im Wiener Landes-
gericht, Fasz. V, Nr. iio ex 1792), der jüngere, Karoline Greiners
erste Liebe, im Handelshaus seines Schwagers Ignaz Edlen von
Schwab. Johann Baptist war ein trefflicher Violinspieler (vgl.
Anm. 162) und subskribierte 1788 sowohl Leons „Gedichte"
(Wien 1788, S. IX), als Blumauers „Virgils Aeneis travestiert"
(III [Wien 1788], S. 8). Das Verhältnis mit Karoline Greiner zer-
schlug sich 1788 (oben S. 89). Er heiratete später ein Fräulein
Nancy von Atkins, scheint sich aber wieder von ihr getrennt zu
haben, denn bei seinem, am 17. Mai 18 18 im 57. Lebensjahre er-
folgten Tod befand sie sich in London (Verlassenschaftsakten im
Archiv des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V, Nr. 71 ex 18 18;
Totenprotokolle der Stadt Wien im Wiener Konskriptionsamt. 18 18,
Buchstabe H, Fol. 33a). Schon zur Zeit des Todes seiner Mutter
privatisierte er (vgl. deren Verlassenschaftsakten im Landesgerichts-
archiv in Wien, Fasz. V, Nr. 189 ex 1806); er scheint überhaupt
vermögend gewesen zu sein, besaß er doch einen Anteil an einer
Gespunstfabrik in Ebergassing in Niederösterreich (Verlassenschafts-
akten). Er hinterließ eine Mineraliensammlung, viele französische
und englische Bücher (vgl. oben S. 8 1 f.), Kupferstiche und Hand-
zeichnungen, eine Venus von Tizian und mehrere Musikinstrumente,
darunter 5 Geigen von Steiner, Amati, Quarnieri, Stradivari und
Geissenhof (Verlassenschaftsakten).
^^) 1785 subskribierte Ignaz von Schwab die „Gedichte" (Wien
1785. S» 220) des Ratsch^ und 1788 Leons „Gedichte" (Wien
1788, S. X). Ignaz Edler von Schwab (175C3 — 181 1), Großhändler
in Wien und Inhaber der Indiennefabrik in Graz, wurde 1785
wegen Emporbringung der Fabriken geadelt; seit 1778 war er mit
Katharina von Häring (1752 — 1825), der Tochter des Franz Anton
von Häring vermählt Qoh. Georg Megerle von Mühlfeld, Öster-
reichisches Adels-Lexikon, I [Wien 1822], S. 262; Wurzbach,
XXXII, S. 264; unten Nachtrag). 1800 treffen wir ihn unter
den Subskribenten der Gedichte der Gabriele von Baumberg
(Sämmtliche Gedichte. Wien 1800. S. XVIII).
"2) Diesem trefflichen Spiele widmete Joh. v. Alxinger ein
Gedicht „An Johann von Häring" (SämmtUche poetische Schriften,
Leipzig 1784. S. 63 f. = Sämmtliche Werke, VIII [Wien 18 12],
S. 8 5 f.), in das er Mahnungen über des Jünglings künftiges Leben
einfließen Heß.
^^) Zitate aus Äußerungen des Zacharias Werner, vgl. oben S. 174.
^**) Oben S. 49. — Franz Gräffer hat ein Genrebild „An der
Tafel Herrn von Greiners" geschrieben (L. A. Frankls Sonntags-
464
.^äsa
Blätter, III [Wien 1844], S. 1084 ff. = Gräffer, Kleine Wiener
Memoiren, III [Wien 1845], S. 207 ff.), worin er Abdnger, Haschka,
Denis, Blumauer, von Retzer, Mastalier, Ratschky und Greiner
sich über die Zukunft der kleinen Karoline, über Nicolai, Sonnen-
fels und Schiller unterhalten läßt. Selbstverständlich ist das Ganze
nur ein Phantasiestück. — Eine ausführlichere Liste der Besucher:
Pichler, Sämmtliche Werke. 2XVI, S. 193.
165) Johann Georg Adam Forster (1754 — 1794)} berühmter
Reisender und Reiseschriftsteller, begleitete bereits mit 17 Jahren
seinen Vater 1772 auf der zweiten Reise Cooks, würde später
Professor in Kassel und kam 1784 in gleicher Eigenschaft nach
Wilna. 1788 übernahm er beim Kurfürsten in Mainz die Stelle
eines Bibliothekars, schloß sich 1792 den Mainzer Klubbisten anj
ging 1793 nach Paris, Um die Vereinigung des linken Rheinufers
mit Frankreich zu bewirken und starb dort, nachdem er vorher durch
die Pariser Verhältnisse seine republikanischen Ideale eingebüßt
hatte. — Forster war vom 29. JuU bis 16. September 1784 in Wien
und verkehrte hier in den besten Kreisen. Er lernte die trefflichsten
Männer kennen und gewann in Wien, wo er am Neuen, Markt
wohnte, seine Fröhlichkeit wieder. Vgl.* über seinen Wiener Auf ent-
halt Heinric.h König, Georg Forsters Leben in Haus und Welt, I'
(Leipzig 1858), S. 173 ff. — Pichler nennt (Sämmtliche Werke.
2 XVI, S. 192) Forster liebenswürdig; ein . Zitat aus seinen
Schriften oben S. 1165 über seinen Tod obeh S. 178. Noch
1820 gibt sie ihrer Freundin Therese Huber, der Gattin Forsters,
eine Schilderung von dem Eindruck,, den Forster auf sie machte
(K. Glossy, Grillparzer Jahrbuch. III, S. 299 f.).
^^) Christoph Meiners (1747 — 1810) seit 1772 Professor der
Philosophie in Gottingen. Er war ein äußerst produktiver Schrift-
steller auf historischem, kulturhistorischem und religiorisgeschicht-
lichem Gebiet (vgl. Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie,
XXI, S. 224 ff.). Er war mit seiner Frau und Spittler (s. Anm. 167)
im April und Mai 1788 in Wien (s. seine Kleinere Länder- und
Reisebeschreibungen, I [Berlin 1791],. S. 57 ff.). Er wöhüte am
Graben (I, S. 62 f.) und war vom Prater und von Schöribrunn be-
sonders entzückt (I, S. 68 ff., 81 ff.). Job. Bapt. voti AJädüger, der
ihn damals kennen lernte, urteilt ziemlich abfällig über ihn (Gust.
Wilhelm, Briefe des Dichters Job. Bapt. von Alxinger. , Wien 1898.
S. 51), was er später in etwas bereute (ebd. S. 54).
"'') Ludwig Timotheus Freiherr von Spittler (1752— 18 10),
ein Stuttgarter, kam 1778 als Ordinarius nach Götting^n und ent-
wickelte hier eine fruchtbare Tätigkeit als Lehrer und als Schrift-
steller auf historischem Gebiete. Er pflegte hauptsächlich die
politische Geschichte mit pragmatischer Methode. ' 1797 wurde
30 C. p. I
465
er in württembergische Staatsdienste berufen, in denen er es zum
Staatsminister brachte. Vgl. Wegele in: Allgemeine Deutsche
Biographie XXXV, S. 2 12 ff. — Im April und Mai 1788 war er
gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Christ. Meiners
(Anm. 166) in Wien und mißfiel ebenso wie dieser dem Dichter
Alxinger (Gust. Wilhelm, Briefe des Dichters Johann Baptist von
Alxinger. Wien 1898. S. 50 und 51).
i«8) Gottfried Wilhehn Ruprecht Becker (1759— 1823), Schrift-
steller und Komponist, später geheimer sächsischer Kriegskammer-
rat, weilte in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Wien
(E. M. Oettinger, Moniteur des dates, I [Leipzig 1869], S. 70;
Eitner, I, S. 400; J. G. Meusel, Das gelehrte Deutschland, I
[Lemgo 1796], S. 193 f.).
1") Leopold Friedrich Günther von Göckingk (1748 — 1828), als
Dichter Mitglied des Göttinger Hainbundes, Herausgeber des
Göttinger Musenalmanaches und seit 1793 Geheimer Oberfinanz-
rat in Berlin. Bekannt durch seine „Lieder zweier Liebenden"
(1777). Vgl. Goedeke, Grdr. IV, i, S. 379^ — Er war 1785 in
Wien (vgl. Hofmann von Wellenhof, Michael Denis. Innsbruck
1881. S. 80, Anm. i). — Später (1804) rezensierte er Pichlers
„Leonore" nicht besonders freundlich (vgl. Anm. 509).
170J Friedrich Ludwig Schröder war zweimal in Wien. Zuerst
vom S.April bis zum 15. Mai 1780, dann vom i. April 1781 bis
zum 9. Februar 1785; er fühlte sich in Wien anfangs sehr heimisch
(vgl. Friedr. Ludwig Wilhelm Meyer, Friedrich Ludwig Schröder,
I [Hamburg 18231, S. 340 ff., 355 und 369 ff.; B. Litzmann, Fried-
rich Ludwig Schröder, II [Hamburg 1894], S. 289 ff.). Bereit«
während seiner ersten Anwesenheit in Wien zeichnete sich Hofrat
V. Greiner mit einer begeisterten Widmung in Schröders Stamm-
buch ein (Litzmann, II, S. 295).
"*) Giovanni Paisiello (1741 — 1816) war, bevor er 1776 auf
Reisen ging, die ihn auch nach Wien führten, bereits ein aner-
kannter Opernkomponist. Über Wunsch Napoleons bekleidete er
1802 und 1803 die Stelle eines Direktors der Hofmusik in Paris
(Eitner, VIT, S. 286ff.). In Wien war er 1784 (R. Wallaschek in:
Die Theater Wiens, IV [Wien 1909], S. 15). Der Melodie des
Liedes „Nel cuor piü non mi sento" aus seiner Oper „La moiinara"
xmterlegte K. Pichler 1791 ihr Gedicht „Hedwig" (s. Anm. 377
unter a).
*'*) Dominik Cimarosa (1755 — 1801), aus Neapel, wurde, nach-
dem er ^787 bis 1790 in St. Petersburg war, 1791 an Salieris Stelle
Kapellmeister in Wien (?), Kaiser Leopold II. war sein besonderer
Gönner. Nach dessen Tod ging er nach Italien zurück, wo er sich
in politische Umtriebe einließ, infolgedessen aber 1800 in Venedig
466
X
eingekerkert wurde. Er schrieb eine große Anzahl Opern, von
denen die komischen beachtenswert sind (Wurzbach, II, S. 372 ff.;
Eitner, II, S. 445 ff.; R. Wallaschek in: Die Theater Wiens, IV,
[Wien 1909], S. isf.)-
"3) Anton Salieri (1750 — 1825) kam 1766 nach Wien, wurde
Glucks Schüler und ließ 1770 seine erste Oper hier aufführen. 1774
wurde er zum Kompositeur, 1788 zum kaiserlichen Kapellmeister
ernannt, als welcher er 1824 in Pension ging. Er komponierte zahl-
reiche Opern und ist am meisten als Gegner Mozarts bekannt
(Wurzbach, XXVIII, S. 97ff.; Eitner, VIII, S. 394ff.; R. Walla-
schek in: Die Theater Wiens, IV,. S. 14).
"*) Anton (1745 — 1798) und Josef Hickel (1734 — 1807), beide
aus Deutschböhmen, waren kaiserliche Kammermaler. Ersterer
pflegte das Familienstück, die häuslichen Szenen und das Einzel-
porträt, letzterer war nur Porträtist. Das freiwillige Aufgebot
von 1797 (s. unten Anm. 348) verherrlichte Josef durch zwei Ge-
mälde. Vgl. Wurzbach, IX, S. 2 ff.
"*) Friedrich Heinrich Füger (175 1 — 18 18), ein Württemberger,
kam 1774 nach Wien. 1784 wurde er Vizedirektor der Akademie
der bildenden Künste, später Direktor und 1801 Vorstand der
kais. Galerie im Belvedere. In ersterer Eigenschaft hatte er mit
Greiner amtUch viel zu tun. Zuerst Miniaturist, wendete er sich
später der Historienmalerei zu. Er verfertigte auch Bilder zur
Klopstockschen Messiade. Vgl. Wurzbach, V, S. iff.; Ferdinand
Laban, Heinrich Friedrich Füger der Porträtminiaturist, Ber-
lin 1905.
"*) Sämmtliche Gedichte, I (Klagenfurt und Laibach 1788),
S. 73ff. : An ein junges Fräulein. — Die betreffende Stelle S. 75 f.
mit 2 kleinen Änderungen (Z. 2 Um dein Persönchen nun wie
Satelliten drehen; 7 . . . nichts, als das Frauenzimmer). — Alxingers
Gedicht beginnt: Du, die Natur und Glück so wohl bedachten.
^'''') Karoline Pichler dürfte das Verhältnis zwischen Phaon
und Sappho in Grillparzers „Sappho" im Auge haben, wenn
auch das Zitat in der „Sappho" nicht aufscheint.
•^'^) Pierre Ambroise Fran^ois Choderlos de la Glos, Les liaisons
dangere'uses. Paris 1782.
"®) Ferdinand Freiherr v. Kempelen war der Sohn des Generals
Johann Nep. Freiherrn v. Kempelen, der als Oberst zur Zeit des
Palatinats des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen in Ungarn eine
wichtige Rolle spielte (Arneth, Maria Theresia, X, S. 115 f.), und
das Kleinkreuz des Stephansordens seit 1770 besaß (vgl. über ihn
Ivan Nagy, Magyarorszäg csalädai czimerekkel es nemzekrendi
tabläkhal, VI [Pest 1860], S. 184). Ferdinand, dessen Onkel der
bekannte Hofrat Wolfgang v. Kempelen (s. Anm. 404) war, trat
30*
467
-r"
jung in die militärische Laufbahn ein und wurde 1790, nachdem
er am zweiten türkischen Feldzug als Adjutant des Obersten Mack
teilgenommen hatte, Hauptmann und als solcher dem General-
quartiermeisterstab, dessen Chef Mack damals war, zugeteilt. 1796
wurde er Major im Generalquartiermeisterstab (Österreichischer
Militäralmanach, VII [Wien 1796], S. 87), machte als solcher den
Sommerfeldzug in Süddeutschland im Jahre 1800, sowie den Rück-
zug der Österreicher nach der Schlacht bei Hohenlinden (Dezember
1800) mit (s. oben S. 233) und blieb dann einige Zeit in Wien.
Am 28. April 1801 zum Oberstleutnant im Husarenregiment Kaiser
Franz Nr. i ernannt, zog er im Oktober mit seinem Regiment nach
Zlocsow in Galizien, welche Garnison er im Februar 1802 mit
Zolkiew vertauschte (Gustav Ritter Amon von Treuenfest, Ge-
schichte des k. und k. Husaren-Regimentes Kaiser Nr. i. Wien
1898. S. 208 f.). Dort heiratete er (s. oben S. 234). Da er bei
den Einser-Husaren supermmierärer Oberstleutnant war, so wurde
er am 13. August 1803 bei den Stipsics-Husaren Nr. 10 in die
Wirklichkeit eingebracht (Amon a. a. O. S. 210). Zuerst in Uibecs
im Banat in Garnison liegend, kam seine Division im Juni 1804
nach Csanid (Gustav Ritter Amon v. Treuenfest, Geschichte des
k. und k. Husaren-Regimentes Nr. 10. Wien 1892. S. 227). Er
ging im September 1805 mit dem Regiment nach Italien, wo sich
seine Eskadron rühmlich an der Schlacht bei Caldiero (30. Oktober
1805) beteiligte (Amon Nr. 10, S. 229). Am 15. Oktober 1808
quittierte er den Dienst und erhielt den Charakter eines Obersten
(Amon Nr. 10, S. 238). — Über das Verhältnis zur Greiner, das
ihrerseits ein inniges und langandauerndes war, vgl. S. 125 ff.;
der Bruch wurde von ihr schmerzlich empfunden (oben S. I27f.,
130» ^33) "i^<i dieser Schmerz äußerte sich auch dichterisch
(oben S. i3of.); sein Verhältnis zu Frau v. Mack oben S. 127. —
Kempelen starb am 24. Juli 1832 in Pest (Militärschematismus
des österreichischen Kaiserthums. Wien 1833, S. 481). Seine
letzten Jahre verbrachte er auf seinem Gute Pazmand im Stuhl-
weißenburger Komitat.
180) Karl Mack Freiherr von Leiberich (1752— 1828), Feld-
marschalleutnant und Ritter des Maria-Theresienordens, nahm
am zweiten Türkenkrieg unter Loudon als Generalqüartier-
meister teil, beteiligte sich an Belgrads Eroberung und wurde
Oberst. Er leitete dann die Belagerung von Orsowa. Ende 1789
kam er mit Loudon nach Wien, erhielt das Ritterkreuz des Maria-
Theresienordens und wurde Chef des Generalquartiermeisterstabes
(Wurzbach, XVI. S. 211 ff.).
"1) Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Von Goethe.
Ächte Ausgabe. Leipzig, bey Ge. G. Göschen, 1788.
468
182) Menschenhaß und Reue. Ein Schauspiel in 5 Aufzügen.
Berlin 1789. In Wien erschien 1790 ein Nachdruck. Sehr beliebt,
erlebte viele Fortsetzungen und Nachdrucke (vgl. Goedeke, Grdr.
V, 275: 16). — Das Stück wurde von den Wiener Damen gerne
gelesen (vgl. Jos. Richter, Gedichte. ^ Wien 1809. S. 14) und
vom 14. November 1789 bis zum 12. Oktober 1855 am Wiener
Burgtheater 123 Mal gespielt (Repertoire des deutschen Schau-
spiels in Wien. Hds. der Wiener Stadtbibliothek, S. 122).
183) Die Indianer in England. Lustspiel in drey Aufz. Leipzig
1790. Im Februar 1789 zuerst in Reval aufgeführt; ein Nachdruck
erschien 1790 in Wien (vgl. Goedeke, Grdr. V, 276: 18). — Vom
12. April 1790 bis zum 27. November 1844 neunzigmal im Burg-
theater in Wien aufgeführt (Repertoire usw. S. 90).
184) Die Sonnenjungfrau. Ein Schauspiel in 5 Akten. Leipzig
1791. Ein Wiener Nachdruck aus dem Jahre 1791 (Goedeke, Grdr.
V, 276: 21). — Erlebte in Wien (Bvurgtheater) in der Zeit vom
5. Jänner 1791 bis zum 7. November 18 16 sechsundfünfzig Auf-
führungen (Repertoire usw. S. 166).
185) Rosalia Nouseul (1750 — 1804), eine Grazerin, war seit 1779
am Hoftheater. Sie war groß im Fach der Heldinnen und heroischen
Mütter (Eduard Wlassack, S. 485 L. Eisenberg, S. 732; Wurzbach,
XX, S.4045 Teuber-Weilen, a.a.O. II, 2, 2, S. 278).
186) Johann Heinrich Friedrich Müller (1738 — 18 15) war seit
1763 für Lustspiehollen am Hoftheater engagiert; er war auch
schriftstellerisch tätig, besonders im Theaterfach (Wlassack, S. 32f.;
Wurzbach, XIX, S. 382ff.; Goedeke, V, S. 3i2f.: 19; Eisenberg,
S. 700; Teuber-Weilen IL 2, 2, S. 277). 1801 nahm er seinen
Abschied.
■^8') Joh. Ernst Dauer kam 1779 an die Oper, wurde aber von
1783 bis 18 12 nur mehr in Nebenrollen von Schauspielen verwendet
(Wlassack, S. 48 ; O. Jahn, Mozart, III, S. 39 ; Wiener Schriftsteller-
und Künstler-Lexikon. Wien 1793. S. 3 3 f.; Teuber-Weilen II.
2, 2, S. 270).
^ Friedrich Schütz (1750 — 1801) stellte 1779 — 1801 Bonvi-
vants, feine Bediente usw. dar (Wlassack, S. 48; Wurzbach, XXXII,
S. 134; Teuber-Weilen IL 2, 2, S. 281).
"*) Otto Heinrich Freiherr von Gemmingen, Der teutsche
Hausvater. Für die teutsche Schaubühne zu München. ( 1780
(Goedeke, Grdr. IV, i, S. 245, Nr. 5:3). — Am Burgtheater in
Wien vom 27. Oktober 1781 bis zum 21. September 1821 ein-
undfünfzig Aufführungen (Repertoire usw. S. 52).
190) Friedrich Ludwig Schröder, Der Ring. Lustspiel in fünf Auf-
zügen, nach Farquhars Constant couple. In : Beytrag zur deutschen
Schaubühne. II. BerHn 1786. Nr. 5. Zuerst am 4. Oktober 1783
469
im Wiener Hofburgtheater aufgeführt (Goedeke, Grdr. IV, i,
S. 246, Nr. 8:2; F. L. W. Meyer, Friedrich Ludwig Schröder, I,
[Hamburg 1823], S. 387^) und bis zum 17. Jänner 1865 ein-
hundertundfünfmal gespielt (Repertoire usw. S. 150).
181) August Gottlieb Meißner, Skizzen. 14 Sammlungen.
Leipzig 1778 — 1796.
192) Oberon. Ein Gedicht in vierzehn Gesängen. Zuerst 1780
im Teutschen Merkur, dann Weimar 1780 selbständig erschienen.
Später nur mehr 12 Gesänge (vgl. Goedeke, Grdr. IV, i, S. 205 f.
: 93). — Ein Zitat daraus oben S. 217!.
1*') Alcibiadesi 4 Bde. Leipzig 1781. — Er gehörte zur Mode-
lektüre der Wiener Damen (vgl. Josef Richter, Gedichte. ^ Wien
1809. S. 14).
"*) Diese Absätze fehlen im Druck; in der Handschrift durch-
strichen.
1^) Vgl. über die ganze Freimaurerbewegung unter Josef II.
mit ihrem Guten und Schlechten L. Lewis, Geschichte der Frei-
maurerei in Österreich, Wien 1861, S. 2off. Die bedeutendste
Wiener Loge war die zur „Wahren Eintracht", der Born vorsaß
und der Alxinger, Blumauer, Denis, Josef Eckhel, Greiner (seit
1785), Josef Haydn, Leon, M. J. Prandstetter, Ratschky, Retzer,
Franz Graf von Saurau, Sonnenfels, Prof. Max Stoll u. a. angehörten
(Lewis, S. 25ff.; Abafi IV, S. 2780., besonders S. 316). Über das
wohltätige Wirken der Logen gibt Lewis S. 32 ff., 126 f. Belege.
1*^) Prinz Leopold von Braunschweig ertrank am 27. April 1785
zu Frankfurt an der Oder, als er den Bewohnern der unteren
Dammvorstadt, die infolge des plötzlichen Tauwetters bedroht
waren, zu Hilfe eilte.
"') Julius Ferdinand Freiherr von Geramb (1737 — 1803), ein
gebürtiger Wiener, hatte sich 1771 zu Lyon mit Maria Magdalena,
geb. La Sausse vermählt. Er wohnte in der Alservorstadt im eigenen
Haus (Nr. 79), besaß eine Seiden- und Goldzeugfabrik und starb
am 30. Dezember 1803. Er erlangte 1791 für sich und seine
Familie den Freiherrntitel. Er hatte 2 Söhne, Ferdinand Julius
(1772 — 1848), den späteren Trappistengeneral, und Florian Leo-
pold (1774 — 1845), k. k. österreichischen Geheimen Rat und General
der Kavallerie; außerdem drei Töchter: Barbara Julia, verehelichte
Röthl von Rothenhausen (beim Tode ihres Vaters bereits verwit-
wete ungarische Hofrätin), Elise, verehelichte Reichsfreyin von ,
Rieger, Banquiere in Wien, und Maria Magdalena, verehelichte
V. Erstenberger zu Freyenthurm, Frau eines k. Reichsagenten in
Wien; alle waren in Lyon geboren. Seit 1790 war Gerarab in
Wien. Vgl. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Frei-
herrlichen Häuser. XXI. (Gotha 1871), S. 202 f. und Verlassen-
Schaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V,
Nr. 154 ex 1803; Megerle v. Mühlfeld, Memorabilien, I, S. 232;
Frankl, Paradis S. 30 f.
198) Diesen Besuch stattete Kaiser Josef der Kaiserin Katharina
in der Zeit vom 18. Mai bis Ende Mai 1787 in d^ Krim ab; sie
trafen sich vor Kaydak. Kaiser Josef II. reiste als Graf Falkenstein
und war nur von einem General und zwei Bedienten begleitet.
Ursprünglich wollte er die PoÜtik Katharinas der Türkei gegen-
über nicht unterstützen, als aber die Türken, auf die Einwirkung
Englands hin, an Rußland den Krieg erklärten, mußte er, um bei
den voraussichtlichen Eroberungen nicht Rußland allein im Vorteil
zu lassen, mittun. Zweckmäßigkeitsgründe und nicht Galanterie
erklären seine Teilnahme am zweiten Türkenkrieg. Vgl. F. X. Huber,
Geschichte Josephs II., II, (Wien 1790), S. i86f.; Wendrinsky,
S. 308 ff. — Louis Philippe comte de Segur (Memoires, III, [Paris
1827], p. I37ff.; in deutscher Übertragung und auszugsweise bei
Frz. Gräffer, Josephinische Curiosa, V, [Wien 1850], S. 161 ff.).
199) Franz Moritz Graf von Lacy (Lascy; 1725 — 1801) trat 1739
in österreichische Dienste und wurde bereits 1750 Oberst. Sich
durch Tapferkeit und Kenntnisse auszeichnend, rückte er rasch
vor. 1766 war er Präsident des Hofkriegsrates und führte die
Reform der Heeresverwaltung durch. 1788 hatte er im Türken-
kriege keinen Erfolg. Sein Schloß und Garten in Neuwaldegg
waren berühmt (vgl. Anm. 219). Er liegt dort auch in Waldes-
stille begraben. Vgl. Wurzbach, XIII, S. 4640.
^ Gideon Ernst Freiherr von Lqudon (1716 — 1790) zuerst in
russischen, dann seit 1742 in österreichischen Diensten, tat sich
besonders im Siebenjährigen Krieg hervor. Er entsetzte 1758
Olmütz, wofür er Maria-Theresienordensritter und Feldmarschall-
leutnant wurde, entschied die Schlachten bei Hochkirch und Kun-
nersdorf (1759), wofür er Freiherr und Feldzeugmeister wurde, und
nahm 1761 Schweidnitz ein. Schließlich wurde er Generalissimus
der österreichischen Armee und erfocht als solcher bedeutende
Siege im Türkenkrieg (1789). Vgl. Wurzbach XVI, S. 66 ff.;
oben S. t6i und unten Anm. 204.
^^) Am 12. September 1789 wurde die Belagerung begonnen,
und am 9. Oktober 1789 fiel Belgrad in die Hände Londons. Man
vgl. die genauen Berichte in der 30., 31., 34., 35., 37., 38. und 39.
besonderen Beylage zur Wiener Zeitung von 1789, Nr. 76, 77, 79, 8 1.
^^) Der Sieg, den der Prinz Josias von Sachsen-Koburg gemein-
sam mit den Russen unter General Suworow über die Türken unter
dem Großvezier bei Martinestie am Rimnik davontrug, erfolgte
am 22. September 1789. Das Nähere darüber berichtet die 33. und
36. besondere Beylage zur Wiener Zeitung von 1789, Nr. 78 und
471
8o. — Alxinger besang dies Ereignis (Neueste Gedichte. Wien
1794. S. iff. = Sämmtliche Werke, VIII, [Men 1812], S. 215),
ebenso Denis (Carmina quaedam. Vindobonae 1794. S. 171).
*'^) Über den Einritt des Generalmajors Wilhelm Freiherrn
V. Klebeck (1729 — 181 1) vgl. man die 39. besondere Beylage zur
Wiener Zeitung von 1789, Nr. 81, sowie Wiener Zeitung. 1789.
Nr. 82, S. 2627. Er ritt in Begleitung von 4 Postoffizieren imd
24 Postillionen in Wien herum.
^ Das Gedicht erschien als Einzeldruck (s. oben S. 100),
scheint sich aber als solcher und auch sonst nicht erhalten zu haben,
denn Wilhelm Edler von Janko (London im Gedicht und Liede
seiner Zeitgenossen. Wien 188 1), der S; 53 ff. alle Lieder über die
Eroberung Belgrads zusammenstellt, kennt es nicht.? Den Einritt
Klebecks und Wiens Jubel besingen Blumauer Qanko, S. 58 ff.), Leon
(Janko, S. 66ff.), Alxinger Qanko, S. 72), zwei Unbekannte Qanko,
S. 68 ff., 70 ff.), Haschka Qanko, S. 80 ff.), M. J. Prandstetter
Qanko, S. ii2ff.) und Emanuel Schikaneder (St. Hock, Eupho-
rien, XI, [1904], S. 98f., Nr. III).
**) Vgl. darüber A. Wolf, Fürstin Eleonore Liechtenstein.
S. 221 (nach einem Bericht Kaiser Josef IL) und Wiener Zeitung,
Nr. 83 vom 17. Oktober 1789, S. 2650.
^ Es waren etwa 1200 Juristen und Mediziner, die nach 9 Uhr
abends, unter Militärbedeckung mit Musik zur Hofburg zogen,
wo sich der Kaiser am Fenster zeigte. Hierauf marschierten sie zu
Londons Wohnung und dann zur Universität zurück, wo sie mit
Haydns Harmonie die Feier schlössen. Vgl. Wiener Zeitung, Nr. 83
vom 17. Oktober 1789, S. 2650.
^'') Die Nachricht vom Siege bei Martinestie überbrachte Ritt-
meister Hartelmüller, der in Wien in Begleitung von 2 Postoffi-
zieren und 24 Postillionen am i. Oktober 1789 feierlich zum Hof-
kriegsrat ritt (33. besondere Beylage zur Wiener Zeitung, 1789,
Nr. 78).
^ Johann Ludwig Alexander Freiherr von London (1762 bis
1822), k. k. Feldmarschalleutnant und Maria-Theresienordensritter,
war damals seines Oheims Flügeladjutant; früher war er Haupt-
mann in russischen Diensten (Wurzbach, XVI, S. 92 ff.).
^^) Propst Floridus Leeb (173 1 — 1799), Doktor der Theologie,
stand dem Stifte Klosterneuburg von 1782 — 1799 vor. In seine
Regierungszeit fällt der Besuch des Papstes Pius VI. (20. April 1782),
sowie die Wegbringung des Erzherzoghutes von Klosterneuburg
(28. April 1784). 1786 war er Rektor der Universität Wien.
Nach ihm ist Floridsdorf (Wien XXI) benannt. Vgl. Maximilian
Fischer, Merkwürdigere Schicksale des Stiftes und der Stadt
Klosterneuburg, I, (Wien 1815), S. 326ff.; Megerle von Mühl-
472
feld, Memorabüien, I, S. 239 und 296. — Karoline Pichler
schrieb über Klosterneuburg einen längeren Aufsatz (S. W. ^ L,
S. 161 flf.) und behandelte die Gründungssage des Stiftes poetiscli
(S.W.2XVI, S.2i9flF.).
aio) Generalmajor Ludwig Rudolf Freiherr von Ripke (1723
bis 1796), nicht Riepbe, war seit 1760 Ritter des Maria-There-
sienordens (Wurzbach, XXVI, S. I74ff.)-
211) Pichler dürfte Tasso im Originaltext gelesen haben. An Über-
setzungen gab es damals nur eine in Prosa von Wilh. Heinse (4 Bände,
Mannheim 178 1 — 1783: Goedeke, IV, i, S. 342: 13), die von J. D.
Gries und Karl Streckfuß erschienen erst später (1800, beziehungs-
weise 1822). — Vgl. unten Nachtrag.
212) Ariosts Rasender Roland lag in zwei Übersetzungen vor,
einer in Prosa von Wilh. Heinse (4 Teile. Hannover 1782 — 1785:
Goedeke, IV, i, S. 342: 15) und einer poetischen, aber nur die
ersten 8 Gesänge umfassenden von F. A. Kl. Werthes (Bern 1778).
Über Ariost in Deutschland vgl. man Erich Schmidt, Charakteristi-
ken. 12 (Berlin 1902), S. 43ff. — Vgl. unten Nachtrag.
213) Jedenfalls kannte Pichler die Werke Homers aus einer Ge-
samtübersetzung. Damals gab es zwei solche, die von Christian
Tobias Damm (1769 — 1771) und die von Bodmer (1778), während
die Voßsche erst 1793 erschien. Andererseits lag die Ilias allein in
Übersetzungen von Kütner (1771 — 1773) und Friedrich Leopold
Grafen zu Stolberg (1778), die Odyssee in einer solchen von Johann
Heinrich Voß (178 1) vor. Vgl. Joh. Friedrich Degen, Litteratur
der deutschen Übersetzungen der Griechen, I, (Altenburg 1797),
S. 345 ff. — Besonders bevorzugte die Pichler Hektor (oben
S. 134). Auch schrieb sie später (S. W.2 L, S. 2340.) eine kleine
Abhandlung, „Homer und die Nibelungen", darin einige Über-
einstimmungen nachweisend. — Vgl. unten Nachtrag.
^*) Ithuriel findet sich an 6 Stellen in der Klopstockschen
Messiade (s. die Zusammenstellung von R. Hamel in Kürschners
Deutscher National-Litteratur, XLV, 2, S. 457). — Gerade die
Engelgestalten übernahm Klopstock aus Miltons Verlornem Para-
dies, wenn er ihnen auch öfter andere Funktionen zuwies (vgL
Gust. Jenny, Miltons Verlornes Paradies in der deutschen Literatur
des 18. Jahrhunderts. St. Gallen 1890. S. 66f.; Franz Hübler,
Milton und Klopstock, II, Progr. Reichenberg 1894. S. 49). —
Wenn R. Payer von Thurn meint (Jahrbuch der Grillparzer- Ge-
sellschaft. XIII. [Wien 1903], S. 72), daß die Pichler ihren Ithuriel
vielleicht aus Paul Weidmanns „Faust" übernahm, so ist zu be-
merken, daß beiden die gleiche Quelle (Milton) zugrunde liegt.
^ Karoline Pichler las Ossians Lieder in der Verdeutschung des
Hausfreundes Michael Denis, die 1784 neuerdings erschienen war
473
(Ossians und Sineds Lieder. 6 Bände. Wien 1784; die ersten drei
Bände enthalten Ossians Gedichte). Wenn Nachrichten über Ossian
und Übersetzungen einzelner Gedichte desselben bereits seit 1762
in Deutschland erscheinen (vgl. Rudolf Tonnbo, Ossian in Germany.
New York 1901. S. 4ff.), so war es doch neben Klopstock und
Gerstenberg hauptsächlich Denis, dessen erste Ossianübersetzung
in 2 Bänden 1768-69 erschien (Tombo, S. 7f.), der Ossian in Deutsch-
land einführte, Herder zu seinem begeisterten Aufsatz veranlaßte
und die Bardendichtung mit in die Wege leiten half (vgl. Tombo,
S. I igff.). Die Beeinflussung der Pichler durch Ossian blieb Tombo
unbekannt. — Vgl. noch oben S. 106 und unten Nachtrag.
216) Friedrich Christian Schlenkert (1757 — 1826) schrieb seine
Romane in sehr trockenem Ton, den auch die Dialogisierung nicht
beleben konnte. Zu erwähnen wären : Friedrich mit der gebissenen
Wange, eine dialogisierte Geschichte. Leipzig 1785 — 88; Kaiser
Heinrich IV, eine dialogisierte Geschichte. Leipzig 1789 — 95;
Graf Wiprecht von Groitzsch. Zürich 1789 — 95; Rudolph von
Habsburg, ein historisch romantisches Gemälde. Leipzig 1792
bis 1794 u.a. (Goedeke, V, S. 495: 13).
^') Veit Weber, Pseudonym für Georg Philipp Ludwig Leonhard
Wächter (1762 — 1837), schrieb, angeregt durch Goethes Götz, die
„Sagen der Vorzeit" (7 Bände, Berlin 1787 — 1798), welche 14 Ge-
schichten aus dem Mittelalter enthalten (Goedeke, V, S. 492).
Seine Darstellung ist sehr oft plump und roh. Er hatte aber trotz-
dem großen Einfluß auf verschiedene Schriftsteller.
^*) Christiane Benedikte Naubert (1756 — 1819), eine Leipzigerin.
Äußerst fruchtbare Schriftstellerin, welche 50 Romane ohne ihren
Namen veröffentlichte. Ihre Anonymität wurde erst kurz vor
ihrem Tode gelüftet. Von den angeführten Romanen erschienen:
Walther von Montbarry, Großmeister des Tempelordens. 2 Bde.
Leipzig 1786; Hermann von Unna. Eine Geschichte aus den Zeiten
der Vehmgerichte. Leipzig 1788 5 Elisabeth, Erbin von Toggenburg.
Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz. Leipzig
1789; Alf von Dülmen, oder Geschichte Kaiser Philipps und seiner
Tochter. Aus den ersten Zeiten der heimlichen Gerichte. Leipzig
1790. Vgl. Goedeke, V, S. 497: 15.
^') Auch Alois Blumauer hatte ähnliche Gedanken, s. sein Ge-
dicht „Empfindungen in dem neu angelegten Lustgarten Sr.
Excellenz des Grafen von Kobenzl" (Wienerischer Musenalmanach
auf das Jahr 1784. Wien [1783], S. 92 ff. = Gedichte, II, [Wien
1787], S. 8 ff.). Ebenso zieht C. Meiners 1788 Kobenzls Garten dem
des Lascy vor (Kleinere Länder- und Reisebeschreibungen, I,
[Berlin 1791], S. 94 ff.), wohingegen Gabriele Baumberg die Sän-
gerin des letzteren ist (Sämmtliche Gedichte. Wien 1800. S. 69 ff.
474
und S. 154 ff.), da sie hier einen süßen Liebestraum träumte. Eine
Beschreibung bietet Meiners (I, S. 88 ff.).
**) Fehlt im Druck, steht aber durchstrichen in der Hand-
schrift.
*2i) Karl von Kempelen, Sohn des Hofrates Wolfgang von Kem-
pelen, studierte Jus an der Universität Wien und trat im Jahre
1793 als Konzipist beim k. k. Direktorium ein (Hof- und Staats-
schematismus. 1794, S. 6). 1797 wurde er in gleicher Eigenschaft
zur k. k. Höfkammer, Finanz- und Kammerhofstelle übersetzt
(ebd. 1798, S. 14). Vor 1800 hatte er sich mit Antonie Sölwanger
verheiratet, und 1801 zog er mit seinen Eltern aus der Stadt (Kohl-
markt Nr. 271) in die Alservorstadt 131 (Hof- und Staatsschem.
1802, S. 22), den Pichlers gegenüber (s. oben S. 239). Von seinem
Vater überkam er ein treffliches Zeichentalent (J. K- Unger,
Zeitschrift von und für Ungarn, V, [Pest 1804], S. 316). 1805 ging
er in Pension, 1806 trennte er sich freiwillig von seiner Gattin und
zog auf sein Gut Gomba im Preßburger Komitat, wo er fürderhin
lebte (vgl. unten Anm. 405). 1800 finden wir ihn unter den
Subskribenten der „Gedichte" (Wien 1800, S. X) der Gabriele
von Baumberg. — Seine Schwester Theresia von Kempelen, die
den Franz Xaver von Greiner gerne sah, heiratete zwischen den
Jahren 1801 (Übersiedlung in die Alservorstadt, oben S. 239)
und 1804 (Tod ihres Vaters) einen Herrn v. Bitto und lebte nach
ihrer Verehelichung in Ungarn (s. den Verlassenschaftsakt ihres
Vaters im Wiener Landesgerichtsarchiv, Fasz. V, Nr. 63 ex 1804
und Unger, a. a. O. V, S. 3 1 6).
^ Karl Edler von Kirchstättern war 1786 Exhibitenproto-
koUistensadjunkt mit dem Titel k. k. Sekretär in der Registratur
• der k. k. niederösterreichischen Landrechts-De^siten-Amtsver-
waltung, welche Stellung (Registrant) tr bis zu seinem Tode inne-
hatte (Hof- und Staatsschematismus. I787,^S. 196; 1809, S. 167).
Er war mit Elisabeth, geb. Bock verehelicht und starb am 20. De-
zember 1809, 60 Jahre alt, an der Abzehrung (Totenprotokolle der
Gemeinde Wien im städt. Konskriptionsamt, 1809, Buchst. C, G,
K. Fol. 162a; Verlassenschaftsakten im Archiv des Wiener Landes-
gerichtes, Fasz. V, Nr. 268 ex 1809; vgl. oben S.'^368). E^ hinter-
ließ fünf minderjährige Kinder: Anna Maria (geb. 29. März 1787),
Franziska (geb. 21. Jänner 1791), Maria (geb. 8. September 1795),
Theresia (geb. 8. Juli 1796) und Antonia (geb. 19. März 1803). Von
diesen war Theresia in Diensten der Pichler und Anna erwies ihr
«inen wertvollen Dienst (vgl. oben S. 388 f., 395 und II, S. 241 f.).
K. war einst Mitglied der Johannesloge zur Beständigkeit (L. Lewis,
Geschichte der Freimaurerei, S. 154; Abafi IV, S. 320) und in
jungen Jahren ein guter Schauspieler gewesen. Über seine Lei-
■ 475
stungen am Privattheater der Gräfin Stockhammer berichtet ein
Zeitgenösse (Wiener Theater-Ahnanach für das Jahr 1794. Wien.
S. 47) : „Unter den Männern steht nicht nur bey dieser sondern
bey allen Privatgesellschaften Herr K. (Kirchstättem) oben an;
er spielt meistens jene Rollen, die Schröder auf dem Hoftheater
spielte; zärtliche, rasche, launige Alte. Ich kenne beynahe keinen
Schauspieler, der seine Mienen so ganz und gar in seiner Gevfalt
hätte, der seiner Stimme so mächtig wäre, der so tief ins Herz
wirken könnte als er. Auch weiß er sich so vortrefflich zu kleiden,
und verabsäumet nicht eine Kleinigkeit, die zur besseren Wirkung
des ganzen bey tragen könnte. Nur wünschte ich, daß er etwas mehr
Adel in seinem Spiel hätte, und nicht manchmahl mit seinen Armen
in Verlegenheit wäre. Die vorzüglichsten Rollen, die ich von ihm
gesehen habe, sind der alte Obrist im Fähnrich, Obrist Hitzig im
Striche durch die Rechnung, der Landjunker im Postzuge,
Graf Wodmar im deutschen Hausvater." Auch auf anderen
Privatbühnen spielte Kirchstättem, so auf der im ehemaligen
Kloster zur Himmelpforte und bei Schrämbl auf der Laimgrube
(ebd. 1794, S. 52 und 67f.), sowie bei der Gräfin Karolyi (ebd.
1795, S. i).
^ Siehe Näheres über Eberl unten Anm. 282.
224) Über das Greinersche Haustheater enthält der „Wiener
Theater-Ahnanach für das Jahr 1794," S. 60 f. einiges Interessante:
„Hr. Hofrath von G*** läßt schon mehrere Jahre in seinem Hause
spielen. Dieses Haus ist in der ganzen Stadt als ein Sammelplatz
der besten Köpfe Wiens bekannt, es ist also zu vermuthen, daß man
in demselben bey der Wahl der Stücke, und der Mitglieder genau
zu Werke gehen werde. Herr K. (Kirchstättem), Hr. E** (Eberl),
und Hr. L** (Leon), von denen ich bey dem gräfl. Stockhammeri-
schen Theater gesprochen habe, spielen auch hier. Das Fräulein
vom Hause spielt mit sehr viel Feinheit und Anstand; in den
falschen Vertraulichkeiten hab' ich sie vorzügHchbevniiidert;
auch als Minna von Barnhelm gefiel sie mir sehr gut, obschon
ich ihr Spiel in jener Rolle vorziehe. Merkwürdig ist, daß auch der
berühmte Dichter Hr. von AI*** (Alxinger), ein Freund dieses
Hauses, mit von der Gesellschaft ist." — Von Alxinger wird auch
sonst berichtet, daß er „ein besonderer Liebhaber der Bühne"
war (Wiener Schriftsteller- und Künstler-Lexikon. Wien 1793.
S. 10).
^ Die falschen VertrauUchkeiten. Lustspiel nach Marivaux von
F. W. Gotter. Gotha 1774 (Goedeke, IV, i, S. 252: 6). — Maske
für Maske. Lustspiel nach Marivaux von Jünger. Leipzig 1794
(Goedeke, IV, i, S. 224: 83, 16). — Die unversehene Wette. Lust-
spiel in einem Akte nach Sedaine von F. W. Gotter. Leipzig 1781
(Goedeke, IV, i, S. 252: 15). — Der seltene Freier. Lustspiel in
3 Akten. Wien 1 781. -Berlin 1782. Verfasser: Friedr. Ludw. Wil-
helm Meyer (Holzmann-Bohatta, AnonTmen-Lexikon, II, S. 120).
— „Die Glücksritter" besser: Der Glücksritter oder die Liebe steht
ihrem Günstling bei. Lustspiel in 4 Akten. Wien 1783. Verfaßt
von Auguste Freiin von Goldstein (Holzmann-Bohatta, II, 229).
22«) Das bekannte Gedicht „Auch ich vs^ar in Arkadien geboren"
(zuerst 1787 in Schillers „Thalia" erschienen) rief auch anderwärts
Widerspruch hervor (vgl. Goedeke, V, S. 176: 12, 12a). Sein Tenor
ist, entweder hoffe auf Ewigkeit und Vergeltung oder genieße im
Leben, ohne zu glauben. — Pichlers Freundin, Therese von
Artner, wendet sich in dem Gedicht „Dichterberuf" (Gedichte.
I. [Leipzig 1818], S. 164) ebenfalls gegen Schillers „Resignation".
227) L'antiquite devoilee au moyen de la Genese, source et origine
de la mythologie et de tous les cultes reügieux. Paris 1807. Der
Verfasser ist : Ch. Robert Gosselin (A. Barbier, Dictionnaire des
ouvrages anonymes, I ä, [Paris 1872], Sp. 220).
***) Diese Ansicht ist nicht ganz richtig, denn Kaiser Josef
war 178 1 (acht Jahre vor der Revolution) zum zweiten- und
letztenmale, aber nur für kurze Zeit in Frankreich; vgl. P. v.
Radics, Österreichisch-ungarische Revue. N. F. IX. (Wien 1890),
S. 27 ff. und Wendrinsky, Kaiser Josef, S. 137.
«29) Vgl. oben S. 178 mit Anm. 318.
2**) Nicht aus Forsters „Ansichten vom Niederrhein" (1793),
sondern aus dessen „Erinnerungen aus dem Jahre 1790 in histo-
rischen Gemälden und Bildnissen" (Berlin 1793 = Sämmtliche
Schriften. VI. [Leipzig 1843], S. 201). Pichler zitiert ungenau
(richtig: .... seines Genius . . ., der nicht wieder erlischt).
2*1) Die Verordnung erschien am 15. September 1784, wurde
aber bereits am 13. März 1785 widerrufen (vgl. Brunner, S. 4421.).
Über den Widerstand, den sie hervorrief, sowie über deren Text
vgl. Franz Graf f er, Josephinische Curiosa, IV, (Wien 1850), S. 3i3ff.
222) Die Verordnung stammte vom 1 5. Juli 1782 und rief, wie alles
zur josefinischen Zeit, eine Flut von Liedern, Schriften und Bildern
hervor, umsomehr, als auch die galanten Damen öffentlich Straßen
kehren miißten. Gust. Gugitz hat darüber einen Aufsatz veröffent-
licht (Zeitschrift für Bücherfreunde, XII, 10 [1909], S. 379 ff.)-
^ Dies geschah am 18. Februar 1790, zwei Tage vor Kaiser
Josefs Tod und am selben Tag, als die Erzherzogin Elisabeth ins
Jenseits ging (Franz X. Huber, Geschichte Josephs IL Wien 1790.
S. 261; Frz. Gräffer, Josephinische Curiosa, IV, [Wien 1850],
S. 397ff.; Wendrinsky, S. 367).
^ Erzherzogin Elisabeth Wilhelmine war am 21. April 1767
geboren; sie genas am 17. Februar 1790 von einer Prinzessin, der
477
Erzherzogin Ludovica Francisca, die im Juni 1791 starb (vgl. Wolfs-
gruber, Kapuzinergr. S. 258!. Nr. 59 und zß^i.f Nr. 61).
^ Pichlers Angaben stimmen nicht ganz zur Wirklichkeit, man
vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Wolf, Hofleben, S. 305 ff.
und Arneth (Maria Theresia, IV, S. 157 ff.), aus denen hervorgeht,
daß Kaiser Josef in seiner Jugend treffliche Lehrer hatte, daß sich
seine Fähigkeiten nur langsam entwickelten und daß er wenig
lernte, dies aber auf immer behielt. Erst in seinem 17. Lebensjahre,
nach einer Krankheit, wurde er selbständiger und bildete eine
stoische Strenge in sich aus.
238) Erzherzog Karl Josef (1745 — 1761), Maria Theresias Lieb-
ling, zeigte hervorragende Fähigkeiten, war aber jäh und auf-
brausend und hatte oft mit Josef Zank (vgl. Wolf, Hofleben,
S. 99f. und Arneth, Maria Theresia, IV, S. 178 f.).
237) Erzherzogin Maria Theresia (1762 — 1770) starb in sehr
jungen Jahren.
238) Isabella, die Tochter des Herzogs Phiüpp von Parma, war
1741 geboren, 1760 dem Erzherzog Josef, der damals noch nicht
römischer König war, — dies wurde er erst 1764 — angetraut
worden und starb am 27. November 1763 an den Blattern. Über
ihre Melancholie, über ihres Gatten Liebe, sowie über dessen Be-
tragen an ihrem Sterbebette vgl. man Wolf, Hofleben, S. 275 f.;
Wolfsgruber, S. 224ff.; Adam Wolf, Marie Christine, Erzherzogin
von.Österreich, I, [Wien 1863], S. 23 ff. und Arneth, Mar. Theresia,
VII. S. 33ff. _
239) Über die Beziehungen der Erzherzogin Christine zur Kron-
prinzessin Isabella s. Wolf, Hofleben, S. 276f. und Marie Christine,
S. 13 ff., 20 ff. — Pichlers Angabe, daß Isabella ihren Gatten nicht
liebte, steht im Widerspruch zu deren Briefen an Marie Christine
(s. Wolf, Marie Christine, S. 23, 26 f.) und wurde bereits von Arneth
(Maria Theresia, VII, S. 57 f.) aufs richtige Maß zurückgeführt.
2*°) Fürstin Eleonore Liechtenstein (1745 — 1812), ihre Schwester
Leopoldine Gräfin Kaunitz (1741 — i79S)j die Fürstinnen Leopol-
dine Liechtenstein (geb. 1733), Marie Josefa Clary (1728 — 1801)
und Marie Sidonie Kinsky (geb. 1729) bildeten jenen Fünfdamen-
kreis, in dem Kaiser Josef gemeinsam mit Lascy und Rosenberg
seine Abende seit 1770 in anregender Unterhaltung zubrachte
(Wolf, Hofleben, S. 161 und Fürstin Eleonore Liechtenstein. Wien
1875. S. iiiff., 181 ff.). Kaiser Josef liebte die Fürstin Eleonore,
unterdrückte aber seine Neigung. — Über Kaiser Josefs Liebes-
leben bietet F. Graf f er Qosephinische Curiosa, I, [Wien 1848],
S. 115 f.) einiges.
2*1) Maria Josefa von Bayern (1739 — 1767) wurde am 23. Jänner
1765 dem römischen König Josef in Schönbrunn angetraut. Dieser
hatte keinerlei Gefühl für sie, da sie im geraden Gegensatz zu seiner
ersten Gattin weder schön noch geistreich war. Dafür war sie
ihm zärtlich zugetan, trotz der vielen Kränkungen, die sie von ihm,
wenn auch nicht öffentlich, wo er sie mitaUer Ehrfurcht behandelte,
erfuhr. Ihr Tod trat an den Blattern ein. Da gleichzeitig Maria
Theresia an der gleichen Krankheit, die sie durch Ansteckung von
ihrer Schwiegertochter erworben hatte, darniederlag, so kümmerte
sich Kaiser Josef, der beständig in der Nähe seiner Mutter weilte,
auch in der Todeskrankheit nicht um seine Gattin. Freilich tat
ihm seine Kälte später leid. Vgl. Wolf, Hofleben, S. 278 ff., zSjf. und
zgoff.; Wolfsgruber, S. 233ff., Nr. 55; Arneth, VII, lozff., ßZßff.
2*2) fm Sommer und Winter 1790 lebte Mack in Wien (Penzing),
um sich von den Strapazen des mährischen Feldzugs zu erholen
(oben S. 127; Wurzbach XVI, S. 212). Seine Gattin Katharina,
geb. Gabriel, starb am 15. April 1826 in St. Polten, wo sie an
der Seite ihres Gatten ruht (laut Photographie des Grabsteins,
die mir Herr Museumsverwalter Friedrich Imbery in St. Polten
freundlichst übermittelte).
2*3) Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Ge-
sprächen. Berlin und Stettin 1767; 4. verm. Aufl. Berlin und
Stettin 1776.
2**) Albrecht von Haller, Briefe über einige Entwürfe der Frei-
geister wider die Offenbarung. 3 Teile. Bern 1775 und 1776. Im
Wiener Musenalmanach spottet man über sie (Rommel, a. a. O.
S. 37 Anm. 1).
2*5) Eduard Youngs Night Thoughts erschienen 1742 — 1746 in
London und wurden durch die Übersetzung des Johann Arnold
Ebert (1751, 52. Wiederholt und verbessert 1760 — 1765, 1768
bis 1771 und 1790 — 1795), die in Prosa gehalten ist, das Original
aber trefflich vnedergibt, in die deutsche Literatur eingeführt,
auf welche sie äußerst befruchtend wirkten (vgl. Johannes Barn-
storff, Youngs Nachtgedanken und ihr Einfluß auf die deutsche
Litteratur. Bamberg 1895. S. 23 ff .). Young verherrlichte in seinem
Gedicht den Offenbarungsglauben und brachte das subjektive
Naturgefühl zum Durchbruch.
2**) Eduard Young, Klagen oder Nachtgedanken über Leben,
Tod und Unsterblichkeit. Originaltext nebst Übersetzung von
Johann Arnold Ebert. I 2, (Leipzig 1790), S. 42, Vers 222 — 229;
54, Vers 3 19 f.; 34, Vers 177 — 179. Die deutsche Wiedergabe in
obigen Zitaten stammt von derPichler; sie ist nicht sehr genau.
246 aj ^'pjjg infidel reclaimed' betiteln sich die 6. und 7. Nacht
der „Night thoughts".
^*') , Nachtgedanken, den 11. August 1790.
Str. I = oben; nur Z. 4: Kein Blatt regt ...
479
2. Schon schlummert alles. O, es wacht
Mein Kummer nur auf diesen Flächen,
Nur meine heißen Tränen brechen
Hervor mit jeder neuen Nacht.
Eilt denn, geschäftige Gedanken,
Nur zu geschäftig für mein Glück,
Schweift aus den gegenwärtgen Schranken
In die Vergangenheit zurück.
3. Ruft mit unseiger Tätigkeit
Mir jeden frohen Tag zurücke.
Verhallte Worte, süße Blicke,
Den Ausdruck falscher Zärtlichkeit.
Ich weiß, daß alles dies verschwunden,
Ich fühle diese leere Brust,
Und wühle doch in meinen Wunden
Mit einer schmerzlich süßen Lust.
4. Noch glänzt dein zitternd blaues Licht,
Geliebtester von allen Sternen!
Aus jenen ungemeßnen Fernen,
Das sich in meinen Tränen bricht.
Jetzt hängt an deinem hellen Schimmer
Kein Auge mehr voll Lieb und Ruh,
Du wirfst verstellter Sehnsucht ninmier
Das Bild der nahen Freundin zu.
5. O, wie beneid ich dein Geschick,
Dich quält kein ungestilltes Sehnen,
Du spiegelst dich in meinen Tränen
So hell wie in dem heitern Blick.
O lehre mich, den Gram besiegen.
Und ihn, der dich und mich vergißt.
Nun auch um den Triumph betrügen,
Daß sein Verlust mir schmerzlich ist.
(Handschriftlich in der Wiener Stadtbibliothek.)
2*8) Erinnerung im November 1790.
1. = oben Str. i, nur: 3 Flieh ich zu dir in diesen ernsten Stunden.
2. = oben Str. 2, nur : i kein weiser Vorwurf . . ;
3. = oben Str. 3, nur: 2 weinen, hier mein
4. = oben Str. 4.
5. Ihr Saiten nur, ihr dürft allein es wissen,
Für wen noch immer diese Tränen fließen.
Ach, jenes Band, das einmal mich umschlungen,
Hält bis zum Tod.
480
6. Kann ich dafür, daß nach so vielen Jahren,
Nach Untreu, Kummer, Trennung und Gefahren
Doch jetzt mein Herz noch bei Erinnerungen
Zu brechen droht.
7. So oft geliebt, so oft aufs neu vergessen,
Macht dieses Herz, das er einst ganz besessen,
Von den verjährten, teuem Fesseln nimmer
Sich gänzlich los.
8. Er brach die Seinen. Männerarme sprengen
Die Ketten leicht, woran wir ewig hängen.
Der fernsten Rückkehr kleinster Sonnenschinuner
Dünkt uns so groß!
9. Die Hoffnung regt, bedeckt vom Aschenhügel
Verglühter Flamme, ihre schwachen Flügel
Und wähnet nicht, daß, was sich ihr gezeiget,
Nur Täuschung sei. .
10. Die Vorsicht weiß, warum sie uns geschieden;
Ich fand in seiner Liebe Glück und Frieden —
Es ist vorbei! — schweigt, rege Wünsche, schweiget.
Es ist vorbei!
(Handschriftlich in der Wiener Stadtbibliothek.) — Karoline
V. Greiner als Klavierspielerin feiert ein Gedicht von Ignaz
Liebel (Gedichte. 2. Aufl. Wien 18 14. S. 49: Die Klavier-
spielerin, an Fräul. K. v. G**). Ein Ungenannter preist 1789
(Wiener Musenalmanach auf das Jahr 1790. Wien [1789],
S. 89) ihren Gesang und ihr Klavierspiel und Karl JuUus
Fridrich rief 1787 (ebd. 1791, S. 150), nachdem er eine
musikalische Akademie im Hause Greiner gehört hatte (vgl.
über diese oben S. -41, 53), als Unmusikalischer bei ihrem
Spiele aus:
Und doch, du Zauberin! verstand von deinem Spiele
Mein Herz, dem Kenner gleich, den Sinn in jedem Laut.
Von ihrem Klavierspiel, ihrem Gesang, ihrer Mitwirkung bei
Quartetten und von sonstigen AuflFührungen im Hause ihrer
Eltern und später in ihrem eigenen Heim ist wiederholt die
Rede, vgl. oben S. 37, 41, 53, 81, 113, 146, 149, i9of.,
251, 260, 283f.; II. 24f., 41 — ^43, 78, 84. — Gedanken über
die Anlage zur Musik und Komposition äußert sie oben
31 c. p. I . 481
S. 293 — 295; über die Frauen und die Musik spricht sie oben
S. 2951.
2*9) Frauenwürde. 4 Bde. Wien 18 18 (= S. W. 2 XX bis
XXIII). — Vgl. IL Anm. 189.
2^) Über den Prater und die Praterfahrten jener Zeit vgl. man
J. Pezzl, Skizze von Wien, IV, (Wien 1787), S. 569ff.
25^) Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit.
4 Teile. Riga und Leipzig 1784 — 1791. Über weitere Aus-
gaben s. Goedeke, Grdr. IV, i, S. 293 : 67. — Vgl. unten
Nachtrag.
252) Alxinger, der den Virgil mit der Karoline las, berichtet
von ihrer Rührung, als sie die Stelle vom Tode des Euryalus
und des Nisus lasen, in dem Widmungsgedicht (Sämmtliche
Gedichte, II, [Klagenfurt 1788], S. 161 = Sämmtliche Werke,
VII, [Wien 1812], S. gf.), das er der, KaroUne von Greiner ge-
widmeten Übersetzung dieser Episode (Virgil, Aen. 1. IX, v.
176 ff.) vorausschickt. — Das Zitat aus der Aeneide steht lib. I,
V. 3 78 f. (richtig heißt es: Sum pius Aeneas fama super
aethera notus). — Ein Ungenannter weist in seinem Gedichte
„An C. von G**r (Wiener Musenalmanach auf das Jahr 1790.
Wien [1789], S. 89^) ebenfalls darauf hin, daß zwei Sänger
(Alxinger und Haschka) ihr Sprachen lehrten, daß sie nun-
mehr die Sänger am Arno, die Schwäne der Themse und
das süße Geschwirre gallischer Lieder kenne und die einzige
Schöne in Wien sei, die Virgil und Horaz „innigempfunden"
verstehe.
253) Alois Blumauer, Virgils Aeneis travestiert, I, [Wien 1784],
S. 39. — In ihrer Abhandlung „Über die Travestirungen"
(SW. 2 XVII, S. 7 ff.) spricht Pichler (S. 16 f.) unter Heran-
ziehung des Blumauerschen Beispiels über den Schaden, den
die Travestie in jugendUchen Gemütern t anrichtet. — Vgl.
Nachtrag.
25*) Maria Josefa von Ravenet, im Hause des Regierungsrates
von Heß (Anm. 255) erzogen, verband ein inniges Freundschafts-
band mit Karoline von Greiner, das besonders bei letzterer zu
Enthusiasmus führte (vgl. S. I38f., I42f., 486). Die „Gleichnisse"
widmete diese ihr handschriftlich mit einem Gedicht, 1792 (S. 138),
das in der ersten Buchausgabe, 1800, weggefallen ist (unten
Anm. 376), in die „Sämmtlichen Werke" 1822 aber aufgenommen
wurde (vgl. Anm. 261). Aus diesem geht hervor, daß Josefa eine
Malerin war (S.W. 2 XVIII, S. 6 und 29). Bei Karolinens Hochzeit
(1796) war sie Kranzeljungfer (oben S. 189). Sie heiratete später
(vgl. II, S. 184), im Mai 1824, den bekannten Landschaftsmaler
Johann Schödelberger, der 25 Jahre auf sie gewartet hatte. Vorher
482
war sie Erzieherin im Hause der Gräfin Esterhazy (II, S. 183).
Nach ihrer Verehelichung kam sie wieder oft ins Haus der Pichler.
— Karoline widmete ihr 1803 auch die Idylle „Der Sommer-
abend" (Idyllen. Wien 1803. S.21 = S.W. 2 XV, S. 2^). —Unten
Nachtrag. • '
255^ Franz Josef, Reichsritter von Heß (1739 — 1804) war seit
1776 Regierungsrat der niederösterreichischen Statthalterei und
trat besonders 1797 beim allgemeinen Aufgebot hervor (vgl. über
ihn Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statt-
halterei. Wien 1897. S. 470; Geusau, Geschichte der Haupt- und
Residenzstadt Wien, V, [Wien 1807], S. 69; Jos. Lauber, Denk-
mal der VaterlandsUebe und Fürstentreue. Wien 1797. S. 351).
1785 finden wir ihn unter den Subskribenten der Blumauer-
schen „Aeneis" (II, S. XII) und der „Gedichte" von Ratschky
(S. 215). Er war 1796 KaroHnens Beistand bei ihrer Verehe-
lichung (oben S. 189). — Seine Frau hieß Maria Theresia und
war eine geborene v. Leporini. Sie starb am 1. Februar 1798,
44 Jahre alt, an gallichtem Faulfieber, drei Kinder (Albert
Joachim Franz, geb. 1787; Heinrich Hermann Josef, geb. 1788
und Maria Antonia, geb. 1790) zurücklassend, von denen Hein-
rich der rühmlichst bekannte, spätere österreichische Feldmar-
schall ist (vgl. Verlassenschaftsakten im Archiv des Wiener
Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 15, ex 1798; Totenprotokolle der
Stadt Wien. Handschrift im Wiener Stadtarchiv. Bd. 126,
Buchst. H, Fol. 7a).
25^) Zu dieser Zeit wohnte der Regierungsrat v. Heß in der
Kärtnerstraße Nr. 1082 (später 1139; Hof- und Staatsschema-
tismus, 1791, S. 146; 1793, S. 140). — Diese vielen Briefe
wurden unter Richardsons (Grandison) und Hermes (Sophiens
Reisen) Einfluß geschrieben, wie die Pichler 18 19 der Therese
Huber in einem Briefe mitteilte (K. Glossy, Grillparzer-Jahrb.
III, S. 286).
256 a) über diesen Frohsinn, der Karoline durchs ganze Leben
begleitete, vgl. man auch zwei sehr interessante Briefstellen an die
Huber aus den Jahren 18 19 und 1820 (K. Glossy, Grillparzer- Jahr-
buch. III, S. 289!. und 294).
257) Über die Stoa schrieb Pichler später eine Abhandlung „Zwey
Briefe über die Stoa und das Christenthum" (S. W.2 XVIII, S. 21 1 ff.),
die auch einzeln erschien (Über die Stoa und das Christenthum
in zwey Briefen. Wien und Leipzig 1822). Es ist dies eigentlich
eine autobiographische Skizze, in der sie ihr jugendliches Hinneigen
zur Stoa, die ihrer ganzen IndividuaUtät entsprach, deren Lehren
mit dem Christentum im allgemeinen übereinstimmten, schilderte,
die sie aber im Grunde nicht glücklich machte (S. W. 2 XVIII,-
31* 483
S. 2i6f.). Das Im tiefsten Grunde ihrer Seele schlummernde
wahre Christentum, das sie, ihrer Zeitrichtung folgend, zurück-
gedrängt hatte (vgl. oben S. 72!, 8 5 f., 113 f., 128 f.), machte
seine Rechte geltend, und nun kam die Zeit der Zweifel; hie
Christentum, hie Stoa war das Losungswort, und an Stelle der
stoischen Tugend trat die christliche Demut (S. W. * XVIII,
S. 221 ff.). Um ihre Zweifel zu lösen, deckte sie, denn der
Name Lucidor ist nur ein Deckmantel, dem altbewährten Lehrer
Adrast, wir erkennen in ihm ihren späteren Seelenführer P. Mar-
cellian Lunger (vgl. II, S. 65 ff., III), ihren Seelenzustand auf,
und dieser wies sie darauf hin, daß die Stoiker, im besonderen
Seneca, nicht, was ihre Grundmeinungen betreffe, dem Chri-
stentum entgegengesetzte, sondern nur verschiedene Wege wan-
deln, wie ein Vergleich von Stellen ihrer Schriften mit christ-
lichen Schriftstellen beweise. Den stoischen Geist möge Luci-
dor beibehalten, aber mit der christlichen Demut verbinden
(S. W. 2 XVIII, S. 264f.). Wenn Karoline Pichler in dieser Ar-
beit, die sich im zweiten Brief vielfach mit ihrer Abhandlung
über das Gebet (II, S. 343 ff.) berührt, den Stoikern und Seneca
Ahnungen des christlichen Geistes zuschreibt, so stimmt sie
mit Michael Baumgarten (Lucius Annaeus Seneca und das
Christenthum in der tief gesunkenen antiken Weltzeit. Rostock
1895. S. 233) überein, der aber in seiner Übersicht über den
Einfluß Senecas in Deutschland (a. a. O. S. 28 ff.) der Pichler
nicht gedenkt.
**'*) Die Braut von Messina. 4. Aufzug. 10. Auftritt: Schluß-
verse. — Dieser Vers, auch in einem Gedichte der Pichler an Abt
Ladislaus Pyrker variiert wiederkehrend (S. W. ^ XVI, S. 136,
Str. III, 4, 5) und sonst öfter verwendet (S. W. ^ XVIII, S. 217),
bildete den Ausgangspunkt für ihre Romane „Agathokles" und
„Frauenwürde" (vgl. 11, S. 107).
*^) Epistel 102: dies iste, quem tanquam extremum reformidas,
aeterni nataüs est. Vgl. Clemens Kickh, Gott, Mensch, Tod und
Unsterblichkeit. Eine Blütenlese aus den Schriften des L. Annaeus
Seneca. Wien 1874. S. 76. Diese Stelle wird von der Pichler auch
in ihrer Abhandlung „Über die Stoa und das Christenthum" (oben
Anm. 257) zitiert (S. W. « XVIII, S. 255). — Kickh, S. 63 ff. stellt
eine große Anzahl Zitate aus Senecas Schriften zusammen, die
über den Tod und die Unsterblichkeit handeln. Vieles davon
berührt sich mit dem, was die Pichler hier und in ihrer Ab-
handlung „Über die Stoa" zum Ausdruck bringt. — Diese
zitiert in den „Denkwürdigkeiten" noch öfter Stellen aus Seneca
(vgl. das Register im IL Band unter Seneca), denn sie besaß in
ihrer Bibliothek dessen „Opera omnia" (Lipsiae 1770 bei Weid-
484 .
manns Erben; Nr. 36 im Verzeichnis ihrer Bücher im Verlassen-
schaftsakt); sie war von ihrer Jugend bis in ihr spätes Alter
stark von Seneca beeinflußt (vgl. oben S. I34f., 141 und eine
Brief stelle an die Huber aus dem Jahre 18 19: K. Glossy, Grill-
parzer- Jahrb. HI, S. 289). Die Excerpte, welche sie aus ihm
machte (vgl. oben S. 135), verwertete sie in der Abhandlung
„Zwey Briefe über die Stoa und das Christenthum" (Anm. 257)
in ausgiebiger Weise.
259) Charles Bonnet, Contemplation de la nature. 2 Bde. Am-
sterdam 1764. Eine deutsche Übersetzvmg „Betrachtungen über
die Natur" erschien 1772 in Leipzig. — In Pichlers Bibliothek war
die Übersetzung von Titius, Leipzig 1783, vorhanden (Nr. 14 des
Verzeichnisses ihrer Bücher im Verlassenschaftsakt).
260) Jacques Bernardin de St. Pierre, La chaumiere Indienne.
Paris 1791. — »Der Paria" (Trauerspiel in einem Aufzug) von
Michael Beer wurde zuerst im Dezember 1823 in BerUn aufgeführt,
erschien aber erst 1826 und selbständig 1829 im Druck (Goedeke,
VIII, S. 57of.:6, 10).
261) SämmtUche Werke, 2 XVIII. Prosaische Werke, II (Wien
1822), S. 5 ff. — 38 Gleichnisse, die von 1792 bis 1800 entstanden
sind. Unter dem Eindrucke des Werkes von St. Pierre dichtete
Pichler zunächst die Gleichnisse: „Die Salbei" (Nr. XIII), „Die
Tannen" (Nr. XVIII), „Der SchmetterUng" (Nr. XV); später
folgten unter der Einwirkung von Herders „Ideen" andere,
als „Die Blüten im FrühUng" (Nr. I), „Die Pflanzen im Schat-
ten" (Nr. XXIII), „Die eingeimpften Bäume" (Nr. xVl) u. a.
(vgl. Sämmtl. Werke, 2 XVIII, S. 8 und 9). Wie die Gleich-
nisse zuna Druck kamen und welche Aufnahme sie fanden, er-
zählt die Pichler selbst (oben S. 217, 226ff). Das Widmungs-
gedicht an Josefa von Ravenet (S. W. ^ XVIII, S. 3 f.) ist mit
1792 datiert. — Vgl. dazu unten Anm. 376 und S. W. 2 XVIII,
S. 198.
2*2) Dieses Zitat ist nicht von Cicero, denn H. Merguet (Lexikon
zu den Reden des Cicero. 4 Bde. Jena 1877 — 1884; Lexikon zu den
philosophischen Schriften Ciceros. 3 Bde. ^Jena 1887 — 1894) hat
keinen derartigen Stellenbeleg.
2*^) Was hier die Pichler über den Werther sagt, scheint für
Österreich typisch zu sein, denn wenn auch dieses Werk viel
gelesen wurde, so hat es literarisch in Österreich beinahe gar
keinen Einfluß ausgeübt. Auch das Wertherfieber war hier
nicht zur Blüte gelangt. Nur der zur Parodie und Travestie
geneigte Geist der Wiener ergriff den Stoff zur burlesken Aus-
schrotung. VgL Gustav Gugitz, Das Wertherfieber in Öster-
reich. Wien 1908. S. Iff., welcher die etwas zu enthusia-
stischen Ausführungen von H. M. Richter (Aus der Messias-
und Werther- Zeit. Wien 1882. S. lözff.) auf das richtige
Maß zurückführte.
28*) Chr. M. Wieland, Geschichte des Agathon. 2 Bde. Frank-
furt und Leipzig 1766 — 67. — Agathon. 4 Teile. Leipzig 1773
(vgl. Goedeke, Grdr. IV, i 8.201:41). .
^ Agathon. IV. Buch. 7. Kapitel (II, [Leipzig 1773], S. I36ff.).
— In späteren Ausgaben: VII. Buch. 4. Kapitel (Geschichte des
Agathon. IL [Wien 18 18], S. 46ff.). ■
^^) 7. Nacht, Vers 466 : Eduard Young, Klagen oder Nacht-
gedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Eriglisch
und deutsch von Joh. Arnold Ebert. III, (Leipzig 1792), S. 84.
— Young wird von der Pichler öfter zitiert (vgl. Band II,
Register unter Young). — Über den Einfluß, den ,er auf
die Pichler ausübte, s. oben S. 129 und eine Brief steile an die
Huber aus dem Jahre 18 19 (K. Glossy, Grillparzer- Jahrb. III,
S. 289). ,
*8') Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch
für Gelehrte und Ungelehrte. Mit Unterstützung, mehrerer
Wahrheitsfreunde herausgegeben von Carl Philipp Storitz. 10
Bände. Berlin, bei August Mylius 1783— 1793. Jeder Band
in 3 Stücken.
2^) In der Originalhandschrift ist der Gedanke ursprünglich
weiter ausgeführt: „Meine Eltern waren wohl nicht eigentlich
reich, aber sehr wohlhabend zu nennen; und da mein Bruder
und ich die einzigen Kinder derselben waren, so konnte ich
berechnen, daß das Vermögen, das einst, wenn keine Unglücks-
fälle einträten, meinen Anteil ausmachen sollte, hinreichend
sein würde, um zwei Personen, deren Wünsche mäßig waren,
beschränkt, aber anständig zu ernähren. Solange meine Eltern
leben würden, bliebe ich natürlicherweise bei ihnen, würde
sie aber Gott vor mir, wie es wahrscheinlich war, abrufen,
so hatte ich für mich und Josefinen folgenden Lebensplan
entworfen.
Daß auch sie schwerlich heiraten würde, war mir aus ihren
Verhältnissen sehr wahrscheinlich, denn sie war arm, nicht
schön und die günstigen Vorzüge, die sie besaß, galten auch
damals wie jetzt den meisten jungen Männern nicht als Er-
satz für Vermögen und Reize. Überdies war ihr Gefühl so
fein, ihre Geistesbildung so bedeutend, daß ich gewiß wußte,
zu einer bloßen Konvenienzheirat, um überhaupt versorgt
zu sein, würde sich meine Freundin nie entschließen. Sie
besaß auch an ihren Kenntnissen und Geschicklichkeiten einen
Schatz, der ihr, wie es sich hernach wies, eine sehr ehrenvolle
486
und einträgliche Versorgung anderer Art verschaffte. Doch
das wußten und dachten wir beide damals nicht. Wohl aber
war es von jeher mein fester Vorsatz gewesen, Josefinen nie
zu verlassen und sie, wenn sie es einst bedürfen sollte, zu mir
zu nehmen."
269) P. Ovidius Naso, Metamorphoses, lib. XV, v. 75ff.
270) Fehlt im Druck; in der Originalhandschrift durchstrichen.
271) Walpurga Gräfin Truchseß-Waldburg-Zeil (1762— 1828),
geb. Gräfin Harrach, seit 1779 mit dem Grafen Klemens Alois
von Truchseß-Zeil vermählt, lebt als ehemalige Besitzerin der
Herrschaft Kunewald im mährischen Kuhländchen heute noch
in lebhafter Erinnerung fort. Sie war es, die, nachdem ^
sie sich 1786 von ihrem Gatten getrennt hatte, 1788 die erste
Schule in Kunewald und 1792 in ihrem Schlosse eine Er-
ziehungsanstalt errichtete. Um die Schweizer Schuleinrich-
tungen kennen zu lernen, fuhr sie zweimal (1792 und 1808)
in die Schweiz; von ersterer Reise brachte sie Karoline von
Greiner einen Seidenstoff mit. Die Gräfin Walpurga war etwas
exzentrisch und romantisch veranlagt und hatte von Seiten
der Behörden für ihre gemeinnützigen Schöpfungen nur Un-
dank geerntet. Vgl. über sie die treffliche Biographie von Wilh.
Schräm (Vaterländische Denkwürdigkeiten, II [Brunn 1907], S. iff.
mit Bildnis).
272) Betreffs der Stadthäuser vgl. oben S. 446 Anm. 53 ; über das
Landhaus unten Anm. 365.
^73) Guiseppe Carpani, Le Haydine ovvero lettere sulla vita e
le opere del celebre maestro Guiseppe Haydn. Edizione seconda.
In Padova 1S23. p. 26 (dritter Brief vom 20. Juni 1808).
^7*) Josef ine von Born war am 17. Mai 1768 in Wien geboren
(Verlassenschaftsakt ihres Vaters im Wiener Landesgericht, Fasz. V,
Nr. 97 ex I79i). Sie erscheint 1787 unter den Subskribenten der
Gedichte des K. J. Fridrich (Lieder der Liebe und der Freude.
Wien 1787. Bl. 5 a) und 1788 unter denen der „Gedichte" von
Gottlieb Leon (Wien 1788, S. VIII), der, ihr ein Gedicht
„An Fräulein Josepha v. B. bey Übersendung eines Paars weißer
Handschuhe" (Gedichte S. 52) mit dem Wunsche, sie möge so
weiß und makellos wie die Gabe bis zum Grabe sein, zueignete.
Nach dem Tode ihres Vaters nahm sie Franz Graf Szechenyi
in sein Haus und versprach, sie zu versorgen (Brief Alxingers
an Wieland vom 3. August 1791: G. Wilhelm, Briefe des
Dichters Johann Baptist von Alxinger. Wien 1898. S. 66).
Was weiter aus ihr wurde, ist mir unbekannt. Beim Tode ihrer
Mutter Magdalena von Born (gest. in Wien am 3. April 18 18)
lebte sie nicht mehr (vgl. die Verlassenschaftsakten im Archiv
487
des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 67 ex 18 18 und unten
II. S. 188).
275) Über diese Gesellschaften vgl. Pezzl, Lebensbeschreibungen
des Hofraths Ignatz von Born. Wien 1792. S. 252f,; P. von
Hofmann-Wellenhof, Alois Blumauer. Wien 1885. S. 15.
276) Von „die eigentlich" bis „eingegangen war" ist in der
Handschrift durchstrichen und fehlt im Druck.
2") Hofrat Ignaz von Born starb am 24. Juli 1791.
^8) So in der Handschrift; der Druck setzt dafür * hier und
später **. — Gemeint ist Graf Heinrich Wilhelm (HL) von
Haugwitz (1770 — 1842), der von 1790 bis 1793 als Hofkon-
zipist beim k. k. Direktorium diente (Hof- und Staatsschema-
tismus. 1791, S. 13; 1793, S. 15). Er war k. k. Kämmerer und
Geheimer Rat. Seit 7. August 1794 war er mit Sophie Gräfin
von Fries vermählt (E. H. Kneschke, Deutsche Grafen-Häuser
der Gegenwart, I, [Leipzig 1852], S. 336). Ignaz Liebel hatte
—-ihn in seiner Jugend mit zwei Gedichten bedacht (Gedichte.
Wien 1787. S. 39, 140 = Gedichte. 2. Aufl. Wien 1814. S. 182
und 269).
2") Sämmtliche Werke « XXVI. S. 23 1 ff. : Alt und neuer Sinn. —
Erschien zuerst 18 10 (Taschenbuch für Damen auf das Jahr 181 1,
Tübingen [18 10], S. 48ff.).
280) Fehlt S. W. — Bis jetzt ist mir die Auffindung des Erst-
drucks nicht gelungen.
^1) Gemeint sind die oben S. 130 f. (dazu Anm. 247 und 248)
angeführten Gedichte „Nachtgedanken" und „Erinnerung",
die sich auf das Verhältnis zu Kempelen beziehen und von
denen zu KaroUne Pichlers Lebzeiten nur das 6rstere veröffent-
licht wurde.
2*2) Anton Bernhard Eberl, geboren 1762 zu Wien, trat
nach Vollendung seiner Studien 1783 als Accessist in die Re-
gistratur der k. k. Kameral-Haupt-Buchhalterei in Wien ein
(Hof- und Staatsschematismus. 1784, S. 56) und wurde dort
1786 Ingrossist (ebd. 1787, S. 54). Zu dieser Zeit hatte er mit
Gabriele Baumberg ein Liebesverhältnis, das 1787 durch seine
Versetzung als Offizial zur k. k. Rechenkammer in Brüssel (vgl.
G. Leon, Gedichte. Wien 1788, S. III, unter Brüssel) zerstört
wurde. Wenn Otto Rommel (Der Wiener Musenalmanach,
S. 209) zwei Gedichte der Baumberg auf diese Trennung be-
zieht, so ist dies falsch, denn diese stammen aus dem Jahre
1784, haben demnach ein anderes zerstörtes Verhältnis zur Vor-
aussetzung. 1790 kehrte Eberl wieder nach Wien zurück und
diente dem Staate bis 1805 als Raitoffizier (Rechnungsoffizial)
bei der Hauptbuchhalterei (Hof- und Staatsschematismus. 1791,
488
S. 52; 1805, S. 135). Sein Liebesleben während dieser Zeit, die
Neigungen, die er zu Karoline v. Greiner, dem Fräulein L — 1
und der Gräfin Salmour hatte, beleuchtet Pichler (S. I54ff0'
Seine Liebe zur Poesie oder zur Baumberg machte ihn auch
zum Dichter. Zwei Epigramme (Der pünktliche Rath; Der
Quieszent), die Amtsverhältnisse behandeln, und eine Absage
an die Liebe (Der Vorsatz) liegen aus der Zeit vor 1787 vor
(Wienerischer Musenalmanach auf das Jahr 1787. Wien [1786],
S. 78 und 105; 49). Gestorben ist er, nachdem er vorher noch
in der Gemeinde Weinhaus (jetzt Wien XVIII) Nr. i zur Er-
holung weilte, am 17. August 1805 im allgemeinen Kranken-
haus an der Lungenschwindsucht, 43 Jahre alt (Totenprotokoll
der Stadt Wien im Konskriptionsamt der Stadt Wien, 1805,
Buchst. A, E. Fol. 32 a). Damit erledigt sich, was Rommel (Der
Wiener Musenalmanach, S. 158 : 9) über Eberl vermutet. —
Eberl war ebenso wie Kirchstättern ein beliebter und gesuchter
Schauspieler für Privatbühnen; wir wissen, daß er am Theater
der Gräfin Stockhammer auftrat, wo er 1793 im Melodrama
„Pyramus und Thisbe" seines Namensvetters Anton Eberl den
Pyramus mit Auszeichnung gab (Wiener Theateralmanach für
das Jahr 1794. S. 55). Am Theater des Grafen Esterhazy
spielte er den Grafen Ferdinand Wodmar in Gemmingens deut-
schem Hausvater (ebd. 1794, S. 57), ebenso trat er am Privat-
theater des Herrn L** im ehemaligen Nonnenkloster zur Him-
melpforte auf (ebd. 1794. S. 52). Ein Unbekannter sagt 1794
(ebd. 1794, S. 48) von seinem Spiel: „Jetzt hat Herr E**
(Eberl) dieses Fach (der Liebhaber) übernommen, der es auch
schon im Taubstummeninstitute gespielt hatte. Er spielt mit
sehr viel Feinheit, besitzt seinen Körper ganz, spricht immer
im wahren Konversationstöne, benimmt sich mit dem schönsten
Anstände, mit einem Wort, er ist seinem Fache ganz gewachsen,
nur wünschte ich ihm etwas mehr natürliches Feuer." — Eberl
gehörte auch dem literarischen Verein an, den Karolinens Bruder
Franz Xaver von Greiner 1791 oder 1792 mit anderen begründet
hatte (oben S. 170).
283) Sämmtliche Werke. 2 XXIII, S. 241 ff.: Das gefährUche
Spiel. — Erschien zuerst 18 13 (Taschenbuch für Damen auf das
Jahr 1814. Tübingen [1813], S. i8ff.).
28*) Am 29. Mai 1804 starb im Hohenblumischen Hause
Nr. 856 auf der Seilerstätte in Wien im Alter von 32 Jahren
Jungfrau Maria Anna Lissl, die Tochter eines pensionierten k,
k. Staatsgüteradministrationsgrundbuchverwalters, an der Lungen-
sucht (Totenprotokoll der Stadt Wien im Konskriptionsamt,
1804, Buchst. L., Fol. 20b). Diese wird mit dem Fräulein
489
L — 1 identisch sein. Ihr geringfügiger Nachlaß ging an ihre
Schwester Theresia Edle von Hochenblum, k. k. Bankalgefällen-
Aktuariusgattin, in deren Haus sie wohnte, über (Verlassen-
schaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. 2, Nr. 2514
ex 1804).
2^^) In der Originalhandschrift waren die beiden Absätze
ursprüngUch mehr ausgeführt, jedoch dann durchstrichen und
durch die Druckrelation ersetzt worden; hier die ursprüngliche
Fassung: „In der letzten Szene, wo Dörner, so heißt der
Sekretär im Stücke, von Furcht, die Geliebte zu verlieren, von
Besorgnis, ihr zu mißfallen und von Leidenschaft zugleich ge-
trieben, ihr zu Füßen sinkt und ihr seine Liebe gesteht — da
— verUeß auch mich meine Kraft. Eberl lag zu meinen Füßen,
die Worte seiner Rolle gingen mich wirklich an, — er mochte
so empfinden wie Dörner für Julien fühlt — mir fing an zu
schwindeln, ich wußte nicht mehr, was ich sprach, ich sah nur
den Mann vor mir, der mir so wert war, und hörte nur sein
Geständnis. Mit Mühe behielt ich die Fassung, mein Bewußt-
sein verließ mich beinahe und ich mußte mich — was gegen
die Rolle war — einen Augenblick niedersetzen, um Kraft
zum Ausspielen der Szene zu erhalten. Glücklicherweise hielt
ich mich aufrecht, aber dieser Moment zeigte mir, wie sehr
Eberl mich interessierte. Ich erkannte bei solchen Anlässen,
wie gefährlich es sei, mit einem Manne, der uns nicht gleich-
gültig ist, in solchen beziehungsvollen Rollen zusammen zu
spielen. Viel später, wohl nach 25 und mehr Jahren schilderte
ich diesen bedenklichen Augenblick meines Lebens in der
kleinen Erzählung: Das gefährliche Spiel — wo der Ge-
liebte als Tancred einen eben solchen und nur des poetischen
Effekts wegen noch entscheidenderen Eindruck auf die Liebende
macht.
So bedenklich, wie ich eben sagte, dieser Moment war, den-
noch hatte das glücklicherweise keine ernsteren Folgen. Sei es,
daß Eberl die Schwierigkeiten, welche sich an ein Verhältnis
wie das unsrige hätten knüpfen müssen, als vernünftiger Mann,
der bereits über die Jünglingsjahre hinaus war, deutUch er-
kannte und sich zu beherrschen wußte; sei es, daß auch bei
ihm, wie ich es an mir glaube, diese Herzensneigung, das ganze
Interesse mehr auf Phantasie und Eitelkeit als auf unserer
Neigung beruhte, sei es, daß ein anderes Verhältnis zu einem
sehr liebenswürdigen Mädchen, deren beschränkte Umstände
ihnen beiden auch keine Aussicht zur Vereinigung boten und
von der es daher niemals recht klar wurde, ob Eberl bloß ihr
treuer Freund oder ob es mehr war als bloße Freundschaft,
490
wie viele glaubten — kurz, wir blieben beide stets in gleicher Ent-
fernung voneinander und ich fing 'an zu glauben, daß Fräulein
L . . ., so hieß jenes Mädchen, wohl ihn sehr treu und war^n liebe,
daß aber ihre Neigung nicht in gleichem Maße erwidert war. Wir
zwei Mädchen wurden einander herzlich "gut — keine Eifersucht
fand zwischen uns statt, denn keine hatte ein Recht an diesen
Mann, der wohl, wie ich wenigstens glaubte, nie einer von uns
gehören konnte."
285) Gabriele v. Baumberg, später verehelichte Bacsänyi, wurde
1766 (nicht 1775) in Wien geboren, hatte in jungen Jahren ein
Lie^esverhältni-s mit Eberl (s. Anm. 282) und lernte 1799 den
ungarischen Dichter Johann Bacsänyi kennen, mit dem sie sich
1805 verehelichte. Dieser soll 1809 die Proklamation Napoleons
vom 15. Mai an die Ungarn, worin diese zum Abfall von Öster-
reich aufgefordert wurden, ins Ungarische übersetzt haben. Er
flüchtete nach Paris, wohin Gabriele ihm 181 1 folgte. Sie kehrte
18 14 nach Wien zurück; ihr Mann wurde im August 18 15 in
Paris gefangen genommen und nach Brunn ins Gefängnis ge-
bracht, von wo er später nach Linz kam. Gabriele lebte unter-
dessen in Wien bei dem Schriftsteller Joh. Bäpt. Rupprecht.
Sie verließ jedoch Wien bald und ging zu ihrem Mann nach
Linz, ohne daß es jemand wußte. Erst ihr Tod in Linz
(24. JuH 1839) ""^ ^^^ ^^ Baron Hammer-Purgstall gekomme-
nes, von ihr verfaßtes Gedicht „an ihren Mann" lüftete das
Geheimnis und zeigte, daß sie in glücklicher Ehe gelebt hatte.
Vgl. Wurzbach, I, S. 112 ff.; Goedeke, VI, S. 543 f., Nr. 22; Ed.
Wertheimer, Neue Freie Presse, Nr. 7194 vom 5. September 1884
(mit Berichtigungen); I. Peisner, Ungarische Rundschau für
historische und soziale Wissenschaften. I. (München 19 12),
S. 906 ff.; J. Maria Berde, Erdelyi Müzeum. XXVIII, (Kolozsvär
1912), I, S. 3ff. und XXVIII, 2, S. 5ff., 201 ff. — Gabriele
scheint, ihre Gedichte zeigen dies wenigstens, verliebter Natur
gewesen zu sein. Ihr Bild als Dichterin zeichnete Otto Rommel,
Der Wiener Musenalmanach, S. 208 ff. Sie spielte im Literatur-
leben Wiens und in der Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Sie
war die „Sappho Wiens". Eine große Anzahl der damaligen
Wiener Dichter widmeten ihr Gedichte oder Stammbuch-
blätter. — Karoline von Greiner (Pichler) eignete ihr am 5. De-
zember 1787 die Idylle „Die Blumenketten" (Baumberg, Sämmt-
liche Gedichte. Wien 1800, S. 93) mit einem reizenden Ge-
dicht (Baumberg, S. 91), worin sie auf die gemeinsam ver-
brachten Abendstunden im Garten, wo sie schaukelten und
Vergißmeinnicht suchten, hinwies, zu. Das Originalmanu-
skript erliegt in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
(Berde, XXVIII. i, S. 15).^ Gabriele antwortete 1791 mit der
Idylle: Die Schäfchen, Nach der französischen Idylle der
Madame Deshoulieres: „Les moutons" (Wienerischer Musen-
almanach. 1792, S. 74 = S. G. 102) und einem Zueignungs-
gedicht (S. G. 100), worin sie die Un Vergeßlichkeit jener
Abende im Greinerschen Garten beteuert. Dafür bedankte sich
Karoline am 24. Jänner 1791 in einem Brief (Berde, XXVIII.
I, S. 15). Karoline nahm jedoch „Die Blumenketten" nicht
in ihre Sammlung auf, sondern widmete Gabriele dort eine
Idylle „Der Tanz" (Idyllen. Wien i?o3. S. 119 = S. W. « XV,
S. 106). Über die Entstehungsgeschichte beider vgl. Pichler,
S. W. * LIII, S. 246 f. und 249. — Die Geschichte mit Eberl,
aber ohne Namensnennung, berichtete Karoline Pichler in dem
Aufsatz, den sie dem Andenken der Baumberg widmete (S. W.
* LIII, S. 243 ff.), beinahe mit denselben Worten (a. a. O. ^
LIII, S. 247 f.).
285 a) A. B. Eberl wohnte in den Jahren 1800 — 1802 in
der, Krugerstraße Nr. 1074 (Hof- und Staats- Schematismus,
1801, S. 52; 1802, S. 126), welches Haus dem Grafen Josef
Salmour seit 1765 gehörte (K. A. Schimmer, Ausführliche
Häuser- Chronik. S. 220, Nr. 1013; Grundbuch der Stadt Wien
im Wiener Stadtarchiv, VI. Fol. 808 b, XXXI. Fol. 368 b).
1809 verkaufte dieser das Haus (ebd. XXXVI, Fol. 206 b).
Dessen Gattin Gräfin Salmour wird Eberls Freundin ge-
wesen sein.
*8*) Über Vater (Karl) und Mutter (Theresia) Kurländer vgl.
Anm. 385. — Die drei Söhne (Franz, Karl und Josef) werden
Anm. 386 — 388 behandelt. Von den Töchtern war eine (Barbara)
an einen Arzt in Mähren verheiratet (Anm. 386), die zweite
(Maria) die Gattin Franz Xaver v. Greiners (s. unten Anm. 350).
Die Familie war adelig (Kurländer von Kornfeld). Den Adel
erwarb 1765 Karl Kurländer (ob der Vater?) als Kriegskasse-
offizier (Megerle von Mühlfeld, Österreichisches Adels-Lexikon,
II, [Wien 1824], S. 351).
287) Karl Ritter v. Mertens (1738 — 1788), ein Brüssler, be-
kannter Mediziner. In Wien, wo er seit 1758 seine Praxis aus-
übte, hatte er sich 1766 mit Anna Katharina Humbourg aus
Straßburg vermählt. Er war dann bis 1773 Arzt in Moskau und
wurde 1773 (Dezember) von Kaiser Josef II. in den Reichs-
ritterstand erhoben. Mertens kam bald wieder nach Wien, wo
er praktisch und literarisch tätig war. Vgl. Wurzbach, XVII,
S. 405 f.; Genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser Öster-
reichs, II, [Wien 1907], S. 261 f. mit Bild. — Seine Tochter
Anna Sophie war zu Moskau (26. Juli 1769) geboren, vermählte
sich am 18. Mai 1796 in Wien mit Ignaz Karl Grafen Cho-
rinsky (1770 — 1823) und starb in Wien am 9. Dezember (nicht
2. August) 1836 (Genealogisches Taschenbuch, II, S. 262 : 3j
Wurzbach, XVII, S. 406). Über deren heimliche Brautschaft mit
dem Grafen Chorinsky s. oben S. 175, I77f.; über ihre Vermäh-
lung S. i87f. Die Erinnerung an gemeinsam in Camuntum ver-
brachte Tage hielt Karoline Pichler in einem Gedichte „Erinne-
rungen an meine Freundin Sophie v. Mertens" (Sämmtliche
Werke, *XVI, S. 2iff.) fest, das zuerst 1796 erschien (s. unten
Anm. 377). Über Sophiens Tod spricht Karoline II, S. 333 f.;
ebenso berichtet Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau
darüber (Tagebücher, 1,2, [Wien 1909], S. 739), der ihr folgende
Worte widmet: „Sie war eine edle Frau, die aus Wohl-
wollen und Liebe sich die Aufgabe machte, alle die Ihrigen
zu beglücken. In den Mitteln irrte sie nur all zu oft." —
Dr. Mertens fünftes Kind war Heiuiette Magdalena, die am
23. April 1774 in Wien geboren wurde, sich am 9. Septem-
ber 1799 in Kagran mit dem Hofsekretär Joh. Nep. Freiherrn
von Tinti (1772 — 1824) vermählte und am 14. Dezember 1820
in Wien starb (Genealogisches Taschenbuch, II, S. 263: 5;
Wurzbach, XVII, S. 406). Sie liegt am Währinger allgemeinen
Friedhof (E. M. Hampeis, Chronologische Epigraphik der Fried-
höfe Wiens. Wien 1833. S. 76, Nr. 348). Sie war ursprüng-
lich die Braut des Franz Xav. von Greiner (s. oben S. 175 f.)-
Ihr widmete Karoline Pichler die Idylle „Der Flvißgott"
(Idyllen. Wien 1803. S. 132 ff.) in Erinnerung an gemeinsame
Stunden.
^^) Maria Theresia von Hackher zu Hart, geboren am 11. Fe-
bruar 1769 zu Wien als Tochter des Wiener Stadtsyndikus, späteren
Regierungs- und Hofrates Josef Franz von Hackher zu Hart (1726
bis 1808) und der Maria Anna Brigitta, geb. Edlen von Hentschel
(1738 — 1792), war von besonderer Schönheit und Herzensgüte.
Nach langen Kämpfen heiratete sie am 29. April 1794 den Hof-
sekretär Josef von Dürfeid (s. Aima. 312 und oben S. 176 f.),
starb aber bereits am 21. Juni 1795 an den Folgen der Ge-
burt ihrer Tochter Maria Theresia (s. Anm. 333 f. und oben
S. 188 f.). Über ihre Beziehungen zur Pichler vgl. Anm. 3i4f.
und 335. -— Über sie berichtet Moritz Marie Edler von Weltten-
hiller. Heraldisch-genealogische Zeitschrift (Adler), III, (Wien
1873), S.91.
^•) Es Ist mir nicht gelungen, weder beim niederösterreichischen
Landrecht (Archiv des Wiener Landesgerichtes), noch in genealo-
gischen Büchern ein Geschlecht von Moter zu finden. In der
Originalhandschrift der Pichler fehlt dieser Name, er. steht nur in
493
der Druckrelation. Wahrscheinlich liegt ein Lesefehler für v. Moser
vor. Karl Leopold Freiherr von Moser (1744 — 1823) stand damals
als niederösterreichischer Regierungsrat (seit 1765) mit Hof rat
Greiner in Verbindung, war dessen Gegner in der Frage der
Tranksteuer und hatte eine Tochter Katharina (1774 — 1837),
später mit dem Generalmajor Andreas Freiherrn von Sorriot de
1' Hoste verheiratet, die mit Karoline in ziemlich gleichem Alter
stand (vgl. Wurzbach, XIX, S. i52f.: 3 und Stammtafel der
Moser v. Ebreichsdorf). '-
2**) Über den Vater, den Hofrat Wolfgang v. Kempelen vgl.
Anm. 404; über die Kinder Karl und Therese v. Kempelen
Anm. 221.
^^) Josef Franz Freiherr von Jacquin (1766 — 1839), berühmter
Botaniker. In Schemnitz geboren, wurde er 1797 seines Vaters
Nachfolger als Universitätsprofessor und 1820 Regierungsrat.
Besondere Verdienste ervi^arb er sich um den botanischen
Garten der Universität Wien (Wurzbach, X, S. 23 ff.). Er
war mit Mozart befreundet, der ihm am 4. April 1787 den
Doppelkanon I. ins Stammbuch schrieb (Ludveig Ritter von
Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämmtlicher Ton-
werke Wolfg. Amade Mozarts. 2. Aufl. Leipzig 1905. S. 230,
Nr. 228). Mit ihm starb sein Geschlecht aus. — Über spätere
Begegnungen mit der Pichler in Baden vgl. II, S. 293, 294,
36of., 362.
^2) Emilian Gottfried Edler von Jacquin (1767 — 1792) war selbst
Komponist. Einige Kompositionen von Mozart, die dieser 1783
für den Jacquinschen Kreis geschrieben hatte, gingen längere Zeit
unter seinem Namen (Köchel, S. 41 3 ff., Nr. 436 — ^439). Er war
mit Mozart, der ihm am 23. März 1787 die Baßarie „Mentre ti
lascio, o figlia" vyidmete, innig befreundet, stand im Briefwechsel
mit ihm und verevyigte sich unterm 11. April 1787 in dessen Stamm-
buch (Köchel, S. 483 Nr. 513; O.Jahn, Mozart, III, S. 3 27 ff.).
Er steht 1787 unter den Subskribenten der „Lieder der Liebe
und der Freude" (Wien 1787. Bl. 6a) des K. J. Fridrich und
1788 unter denen der „Gedichte" von Leon (S. IX). Um
1803 kamen einige Lieder von ihm heraus (R. Eitner, Biogra-
phisch-bibliographisches Quellen-Lexikon der Musiker, V, S. 267),
ebenso wurden 1799 einige Kompositionen von ihm ange-
kündigt (E. L. Gerber, Neues historisch-biographisches Lexikon
der Tonkunst, II, [Leipzig 18 12], S. 760). Er war seit 1790
Praktikant bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und
starb am 24. Jänner 1792 im Alter von 24 Jahren an der
Lungenschwindsucht im botanischen Garten am Rennweg, seinen
Bruder Josef zum Erben mit Testament vom 16. Jänner 1792
494
einsetzend (Totenprotokoll der Stadt Wien, Bd. 120, Buch-
stabe J, Y, Fol. ib, hds. im Wiener Stadtarchiv; Verlassen-
schaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V,
Nr. 19 ex 1792).
293) Franziska Edle von Jacquin, geboren am 10. Oktober 1769
in Wien als die Tochter des Universitätsprofessors Nikolaus Jacquin
und der Katharina Josefa, geb. Schreibers (gestorben am 15. Jänner
1791), heiratete im April 1792 den Konzipisten bei der böhmisch-
österreichischen Hof stelle Leopold Edlen von Lagusius, der 1804
Hofsekretär der Hofkammer wurde (Megerle, Memorabilien, II,
S. 121) und am 24. April 1828 starb (vgl. die Verlassenschafts-
akten nach Josefa Edlen von Jacquin und Leopold Edlen von
Lagusius im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 9
ex 1791 und Nr. 92 ex 1828; letzteren liegt der Heiratskontrakt
vom 14. April 1792 bei). Frau v. Lagusius scheint nicht In
Wien gestorben zu sein, wenigstens bieten die Verlassenschafts-
akten des niederösterreichischen Landrechts, nichts über sie;
1839 beim Tode ihres Bruders lebte sie noch (vgl. dessen Ver-
lassenschaftsakt, Fasz. V, Nr. 214 ex 1839). ^^°° subskribierte
sie Gabriele von Baumbergs „Sämmtliche Gedichte" (Wien 1800,
S. XII).
29*) Das „Trio für Klavier, Klarinette und Viola" wurde am
5. August 1786 komponiert (Köchel, S. 472, Nr. 498). Über die
Beziehungen Mozarts zu seiner Schülerin Franziska v. Jacquin,
nach der er sich in Briefen wiederholt erkundigte, vgl. Jahn,
Mozart, III, S. 192 f.
^P) Stephan Ladislaus Endlicher (1804 — 1849), hervorragender
Botaniker und Sprachforscher, war seit 1840 Professor und Direktor
des Botanischen Gartens am Rennweg (Wurzbach, IV, S. 44 ff.).
^^) Es war dies eine mathematische Abhandlung: Sätze aus der
Mathematik nebst einer Abhandlung über Parallellinien. Wien
1778. 8°.
^'') Das Gedicht der Pichler scheint nicht erhalten zu sein; in
ihre Sämmtlichen Werke wurde es nicht aufgenommen. — Wie alles
feierten auch dieses Ereignis die österreichischen Dichter. Alxinger
schrieb zwei Gedichte auf Leopold IL Thronbesteigung (Neueste
Gedichte. Wien 1794. S. 33 ff. und 42 ff. = Sämmtliche Werke,
VIII, S. 173 ff. und 176 ff.); das zweite im Namen der Nieder-
lagsverwandten und Großhändler in Wien. Alois Blumauer
verfaßte eine „Bittschrift der verwittweten Erzherzogin Austria.
an ihren neuen Gebieter Leopold II." (Gesammelte Schrif-
ten, II, [Stuttgart 1862], S. 237ff.; dazu Gugitz, Grillparzer-
Jahrbuch, XVIII, S. 117). Michael Denis dichtete ein latei-
nisches Distichon (Carmina quaedam. VIndobonae 1794. S. 173)
495
und Haschka zwei Oden (Gugitz, Grillparzer-Jahrbuch, XVII,
S. 89 f.). Vgl. dazu Alxingers Schreiben an Nicolai vom
26. April 1790 (G. Wilhelm, Briefe des Dichters Joh. Bapt. v.
Alxinger. S. 60).
*'^) Der Türkenkrieg wurde 1791 durch den Frieden von
Sistowa, der auf dem Besitzstand vor dem Krieg aufgebaut
war, beendigt.
***) Am 14. Juli 1790 starb London im Hauptquartier zu
Mährisch -Neutitschein als Kommandant der gegen Preußen
aufgestellten Armee. Sein Tod begeisterte L. L. Haschka,
Alxinger, Benedikt Josef Koller, Friedrich Freiherrn von der
Trenck und mehrere Unbekannte zu Trauergedichten (Wilhelm
Edler von Janko, London im Gedicht und Liede seiner Zeit-
genossen. Wien 1881. S. izoff.).
*'*') Am 25. bis 27. August 1791 fand im königlichen Lustschloß
Pillnitz die Zusammenkunft zwischen Kaiser Leopold IL und König
Friedrich Wilhelm IL von Preußen statt, in welcher über Maßregeln
gegen die revolutionäre Bewegung in Frankreich Beschlüsse gefaßt
vpurden.
^^) Kaiser Leopold IL ging nach kurzer, sorgenvoller Regierung
am I. März 1792 zu seinen Vätern ein. Sein Tod gab mehreren
Zeitgenossen Gelegenheit, Trauergedichte zu verfassen, so Al-
xinger (Neueste Gedichte. Wien 1794. S. 60 ff. = Sämmtliche
Werke, VIII, [18 12], S. 179 f.), Denis (Carmina quaedam. Vindo-
bonae 1794. S. 183 ff.) und Haschka (vgl. Gugitz, Grillparzer Jahr-
buch, XVII, S. 90).
^2) Erschien als Einzeldruck; in die Sämmtlichen Werke
nicht aufgenommen. — Alxinger widmete Franz IL eine
„Cantate am Huldigungstage Franzens des Zweyten" (Neueste
Gedichte. Wien 1794. S. 65 ff. = Sämmtliche Werke, VIII,
[Wien 18 12], S. 163 f.), in der er ähnliche Gedanken wie die
Pichler ausspricht (vgl. auch Alxingers oben unter Anm. 301
angeführtes Gedicht am Schlüsse). — Über das Gedicht
der Pichler vgl. eine Stimme aus dem Jahre 1793 (unten
Anm. 377).
*'^) Es ist dies der Feldzug in die Champagne, an dem auch
Goethe teilnahm. Die gesamte Heeresmacht, Österreicher und
Preußen, standen unter dem Oberbefehl des bedächtigen Prinzen
Ferdinand von Braunschweig. Nach der Kanonade von Valmy
(20. September 1792) zogen sich die Preußen zurück.
***) Mit Hofkanzleidekret vom 20. Oktober 1791 wurde dem
Bischof von Linz als Realdotadon das Gebiet der ehemaligen
Klöster Garsten, Gleink und Mondsee zugewiesen (Hittmair,
a. a. O. S. 451 ff.).
496 >
305) Der kgl. bayrische Feldmarschall und Staatsminister Karl
Philipp Fürst von Wrede (1767 — 1838), der an der Schlacht bei
Wagram rühmlichen Anteil nahm (vgl. oben S. 350) und 18 13 die
Schlacht bei Hanau verlor (II, S. 7), erhielt vom Kaiser Napoleon
unterm 27. August 18 10 den französischen Reichsgrafentitel und
gleichzeitig eine Herrschaftsdotation, worunter sich Mondsee
befand. Trotz aller Fährnisse der folgenden Zeit blieb selbe in
seinem Besitz (Hittmair, S. 5oif.; Joh. Heilmann, Feldmarschall
Fürst Wrede. Leipzig 1881. S. ißzi., 179).
306) Josef Vierthaler (1754 — 180 1), Domdechant und Stadtpfarrer
in Linz, Direktor des bischöflichen Priesterseminars, Konsistorialrat
und Konkursexaminator aus der Dogma tik, war 1787 Pfarrer zu
Reichenau und 1789 Domherr in Linz geworden (vgl. Wolfgang
Dannerbauer, Hundertjähriger General-Schematismus des geist-
lichen Personalstandes der Diöcese Linz vom Jahre 1785 bis 1885,
II, [Linz 1889], S. 33).
307) Wallenstelns Tod. 5. Aufzug. 4. Auftritt.
308) Es war dies Karollnens späterer Mann Andreas Eugen Pichler.
Dieser wurde am 3. März 1764 als Sohn des Gastwirtes und Haus-
inhabers Ulrich Josef Pichler und der Maria Theresia, geb. Boden-
reitter, am Spittelberg (jetzt Wien VII) geboren und erhielt in der
Taufe, bei der der Richter Andreas Haydt vom Spittelberg als Pate
fungierte, die Namen Andreas Ulrich (Taufprotokoll der Pfarre
St. Ulrich, Wien VII, Bd. XXXI, Fol. 153 a). Gleich seinem älte-
ren Bruder Josef Prosper (Anm. 337) kam er zu den Piaristen in
der Josefstadt in die Schule und war 1782, als sein Vater starb,
Mitglied des Piaristenordens, wo er den Klosternamen Eugen, den
er später als zweiten Namen beibehielt, führte (vgl. das Testament
seines Vaters Im Pichlernachlaß der Wiener Stadtbibliothek, Inv.
Nr. 759, § 6). Nach vierjährigem Aufenthalt im Kloster trat Pich-
ler, bald nach dem Tode seines Vaters (September 1782), in den
weltlichen Stand über, widmete sich an der Universität den ju-
ridischen Studien und praktizierte gleichzeitig in der Hofkanzlei
unter dem Hof rate Josef von Sonnenfels, der ihm bereits am 30. März
1783 folgendes Zeugnis (im Pichlernachlaß J. N. 760) ausstellte:
sjDa mir Herr Andreas Pichler durch glaubwürdige Männer als
ein junger Mensch von Fähigkeit, Anwendung und Sitten empfoh-
len worden, auch ich bei demselben seit einiger Zeit solche Eigen-
schaften wahrgenommen habe, die allerdings erwarten lassen, daß
er der ihm erteilten Empfehlung Ehre machen werde, so habe
denselben zu mir in die Praxin übernommen und werde mit Ver-
gnügen itzt zu seiner Bildung, und, wo er mich durch seinen Fleiß
in Stand setzt, nachher zu seinem Fortkommen beizutragen, mir
angelegen seyn lassen." Unterdessen oblag Pichler an der Univer-
32 C, p. I 497
sität mit großem Fleiße seinen Studien, wofür die, von den Profes-
sorenjosef Pehemund Franz Zeiller ausgestellten Zeugnisse (Pichler-
nachlaß J. N. 761) aus Kirchenrecht und den Institutionen des
römischen Rechts sprechen. Er wurde über Vermittlung des Hof-
rates Sonnenfels im September 1785 Konzeptspraktikant in der
Hofkanzlei, am 30. Dezember 1785 daselbst Accessist und rückte
am 25. Februar 1788 zum Hofkonzipisten vor (Beiträge zur Ge-
schichte der n.-ö. Statthalterei, S. 473 ; handschriftlicher Lebens-
abriß im Pichlernachlaß). In der Folge wurde er ein besonderer
Liebling des Hofrates der Hofkanzlei, Franz Sales von Greiner, der
ihn in sein Haus einführte, wo er auch dem literarischen Verein, den
Franz Xaver von Greiner gemeinsam mit seinen Freunden unter-
hielt, angehörte (oben S. 168 f., 173 f.). Dadurch trat er zur Tochter
des Hauses in zarte Beziehungen, die schließlich, nachdem er am
21. Jänner 1796 als Regierungssekretär zur niederösterreichischen
Regierung gekommen war (Beiträge, S. 473), zur Hochzeit, die am
25. Mai 1796 stattfand, führten (vgl. oben S. i84f., iSgff.). Pichler
war damals ein schüchterner, junger Mann (oben S. 169), der aber
in seinem Herzen eine glühende Liebe zur Dichtkunst und eine
innige Dankbarkeit zu Sonnenfels trug, der ihm stets wohlwollte
und auch sein Beistand bei der Hochzeit war (oben S. 189 und Anm.
338). Schon als Jüngling hatte Pichler eine Ode auf Sonnenfels
verfaßt (An Sonnenfels. Ode. 1784. 8°: Moritz Trapp, Catalog
der Bibliothek des Franzens-Museums. Brunn 1868. S. 292, Nr.
6370), auf die auch ein kleines Schriftchen (Faschingskrapfen
für die Herren Wiener Autoren von einem Mandolettikrämer.
[Wien] 1785) hinweist, wo es S. 26 von Pichler heißt: „Ein
edler Jüngling von Talenten und ein brennender Enthusiast für
die schönen Wissenschaften. Seine Ode auf Sonnenfels macht
seiner Muse eben so viel Ehre, als seinem dankbaren Herzen." An
gleicher Stelle wird er charakterisiert mit:
Pichler.
Gleicht Deinem Herzen an Vortrefflichkeit
Einst Deine Muse, Freund! so trotzet sie der Zeit.
Eine zweite Ode aus dem gleichen Jahr (An den lezten Tag des
Jahres 1784. Eine Rhapsodie von Pichler. Wien 1784. 8") fand
keine so günstige Aufnahme; so beurteilt sie ein Anonymus ziem-
lich scharf (Über Wiens Autoren. Von zwey Reisenden X. X.
Wien 1785. S. 63): „Schrieb eine elende Rhapsodie an den
letzten Tag des Jahrs 1784. Wir wundern uns, daß der Ver-
leger einen so unzusammenhängenden Wirrwar zum Druck
annehmen konnte. Es scheint aber, daß Autor und Verleger am
letzten Tag des Jahrs 1784 mit solchen Sinnen begäbet waren,
die sonst nur jenen Leuten eigen sind, welche man — in die Toll-
498
häuser sperrt." Nicht minder unfreundlich ist eine zweite Anzeige
von Franz X. Huber (Wiener Kronik, II [Wien 1785], S. 443 ff.),
wo es heißt, daß diese Rhapsodie ihrer Sonderbarkeit wegen ge-
lesen werden soUe und daß in den Versen kein gesunder Menschen-
verstand stecke. Schließlich meint Huber: „Allein dieser Dichter
kennt wohl weder die Theorie der Empfindung noch Schriften
der bessern Dichter, noch die reine Sprache der Vernunft, noch
sonst etwas, was ein erträglicher Poete kennen sollte."
Andreas Pichler gab in der Folge, wie so mancher einst en-
thusiastische Jüngling, das Dichten auf, dafür wurde er seiner
Frau ein wohlwollender Beurteiler und veranlaßte sie, mit ihren
,. Gleichnissen" an die Öffentlichkeit zu treten (oben S. 226, 228),
betreffs der „Ruth" mit Streckfuß zu konkurrieren (oben S. 263)
und gegen ihren Willen das historische Drama zu pflegen (oben
S, 398, 401, 426, 428; II, 34). Er selbst war später ein leiden-
schaftlicher Theaterdilettant, dem das Spielen ein Bedürfnis war
und der seine Sache gut machte (man vgl. den Briefwechsel seiner
Frau mit Streckfuß : K. Glossy, Wiener Communal- Kalender und
städtisches Jahrbuch, XXXII, [Wien 1894], S. 395 f., 3975 sowie
oben S. 297; II. 86). Er kaufte von Karl von Kempelen das Haus-
theater (Glossy a. a. O. S. 396). Den Neuerscheinungen auf dem
Gebiete der Literatur stand er stets teilnahmsvoll gegenüber und
brachte manche im häuslichen Kreis zur Verlesung (oben S. 225,
230; II, 184). Grillparzer und Raimund schätzte er persönlich
sehr (vgl. II, S. 133, 317).
Die ersten neunzehn Jahre von Pichlers Ehe waren insofern ge-
trübt, als er im Hause der Eltern seiner Frau leben und sich dem
starren Willen seiner Schwiegermutter, sollten Streitigkeiten ver-
, mieden werden, beugen mußte, was er aber willig tat und wofür ihm
Karoline noch später dankte (obenS. i94f., 195 f.)- Im Oktober 1797
erfreute ihn seine Frau mit seinem ersten und einzigen Kind (oben
S. 205 f.), dem er Zeit seiaes Lebens die gleiche Güte und Opfer-
willigkeit wie seiner Frau und Schvyiegermutter entgegenbrachte
(vgl.II, 144, i68f., i76f., i79f., 189, 2o6f., 216, 224, 229, 240,
286) und deren Sohn August, dessen Taufpate er war (II, Anm, 342),
ihm in seinen letzten Tagen besonders ans Herz gewachsen war
(vgl. II, S. 293, 360, 363, 364, 375, 377).
Pichlers amtliche Laufbahn war eine glückliche und aufstrebende.
Zwar an Arbeit gebrach es ihm nie und seine Güte und Liebens-
würdigkeit war auch hier oft der Grund, ihn! alle schvnerigen und
von anderen abgewälzten Referate zu übertragen, die er mit größter
Geduld zu einem gedeihlichen Ende führte, wofür ihm eine Reihe
noch erhaltener Belobungen zuteil wurden. L. A. Frankl bemerkt
ganz richtig (Der österreichische Zuschauer. Wien 1838, S. 1132),
32* 499
daß Pichler bei der niederösterreichischen Regierung ganz in der
Lage war, „seinen glühenden Wunsch, der Menschheit zu dienen,
das heiße Streben, ein tätiger Helfer, Verbesserer und Veredler
seiner Brüder zu werden, im vollsten Maße zu befriedigen; wie
denn auch sein ganzes Leben von nun an nur eine Kette philan-
thropischer Bestrebungen ist, wodurch er die Herzen aller edlen
Zeitgenossen an sich fesselte." Im Mai 1797 nahm er als Re-
gierungskommissär an der Organisierung des Wiener Aufge-
botes teil, wofür er belobt vrarde, aber gleichzeitig auf Befehl
seiner Schwiegermutter, der gefährlichen Zeitläufte wegen, sich von
seiner Frau, die mit ihren Eltern schweren Herzens nach Dürnholz
fuhr, trennen mußte (oben S. 199, 201, 203 f. mit Anm. 348),
1802 der Wohlfeilheitshofkommission zugezogen, welcher der
Vizepräsident der niederösterreichischen Regierung Graf Mit-
trowsky vorsaß, erwarb sich Pichler hier durch seine sachge-
mäßen Vorschläge und seine eifrige Tätigkeit so große Verdienste,
daß er am 16. Oktober 1802 zum Regierungsrat ernannt wurde
(oben S. 244 — 246; Beiträge usw. S. 473; Ernennungsdekret im
Pichlernachlaß J. N. 762), nachdem er sich vorher um die Bezirks-
hauptmannsstelle von Korneuburg beworben hatte. Als im gleichen
Jahre die Hofkommission aufgelöst wurde und deren Geschäfte an
die niederösterreichische Regierung übergingen, erhielt Pichler das
Referat für das Wohlfahrtswesen (Anm. 416); er hatte hauptsächlich
auf die Approvisionierung Wiens mit Lebensmitteln und auf dessen
Versorgung mit Holz zu achten, zu welchem Zwecke er oft Kom-
missionsreisen nach Nieder- und Oberösterreich, Steiermark und
selbst Bayern unternehmen mußte, um die Errichtung von Holz-
schwemmen und die Zufuhr genügender Holzmengen zu bewirken.
Auf diesen Reisen war er meist- von seinen Angehörigen begleitet,
so 1804 (Mariazell und Leoben; oben S. 265 ff.), 1806 (Oberöster-
reich; oben S. 287ff.), 18 12 (Gaming, Lunz, Neuhaus, Maria-Zeil,
Lilienfeld; oben S. 3 94 ff.), 18 15 (Linz und Lilienfeld; II, S. 79 ff.)}
1816 (Ybbs, Lilienfeld; II, S. 88ff.), 1818 (LiUenfeld; II, S. 118),
doch konnte er infolge der Arbeitslast an deren Vergnügungen
und sich daran schließenden Ausflügen nur selten teilnehmen.
Im März und April 18 14 besichtigte er die Schäden am Schwemm-
werk der Schwarza und am Wiener-Neustädter-Schiffahrtskanal
und im September 18 14 leitete er die Verhandlungen wegen Her-
stellung der Lilienfelder Holzschwemme auf der Traisen (bezüg-
liche Akten im Pichlernachlaß der Wiener Stadtbibliothek, J. N.
762). Eine kurze Zusammenfassung aller dieser Reisen s. oben
S. 369.
Im November 1803 war er als Regierungsvertreter in die von
Kaiser Franz errichtete Kommission für die Regulierung und Lei-
500
tung der Fleischlieferungen entsendet worden, welche unter dem
Vorsitze des Hofkammerpräsidenten Grafen Zichy tagte und den
Zweck hatte, die ärariale Fleischlieferung wieder an die Fleisch-
hauer oder an Privatgesellschaften zu übertragen, da der Staat dabei
kein Auskommen fand (Pichlernachlaß J. N. 762: Ernennungs-
dekret vom 3. November 1803). Karl Friedrich Freiherr Kübeck
von Kübau. der amtlich damals viel mit Pichler zu tun hatte,
charakterisiert ihn 1805 mit den Worten (Tagebücher, I, [Wien
1899], S. 129): „Er ist ein Mann von vielem positiven Wissen in
diesem Fache (Approvisionierungsangelegenheiten); mir leuchten
aber seine Grundsätze nicht ein." Im selben Jahre hatte Pichler
bei der französischen Invasion für die Proviantierung der Sol-
daten zu sorgen (vgl. Geusau, Historisches Tagebuch aller merkwürdi-
gen Begebenheiten, welche sich in Wien vom September 1805 bis
zum I. Februar 1806 zugetragen haben. Wien 1807. S. 143), ebenso
1809 (handschriftl. Biographie im Pichlernachlaß). Für seine Wirk-
samkeit auf dem Gebiete des Wohlfahrtswesens wurde Pichler vier-
mal vom Kaiser Franz das allerhöchste Wohlgefallen ausgesprochen
(ebd.).
ÜberPichlers weitere amtliche Tätigkeit berichtet die im Pichler-
nachlaß befindliche, handschriftliche Biographie sehr interessante
Einzelheiten, die hier folgen mögen:
„Bei der Landesstelle wurden ihm teils gleichzeitig, teils nach-
einander äußerst umfangreiche Referate zugewiesen; darunter
gehörten die zahlreichen weltlichen Stiftungen, ein großer Teil der
Wohltätigkeits- und Humanitätsanstalten, als das Versatzamt, das
allgemeine Kranken-, das Waisen-, Gebär- und Findelhaus, das
Straf- und das Zwangsarbeitshaus, die Korrektions- und die frei-
willige Arbeitsanstalt, die fünf, für hiesige (Wiener) Arme teils hier,
teils auf dem Lande bestehenden Versorgungshäuser u. a. m. Als
zur Zeit des Finanzpatentes vom Jahre 18 11 die Vermögensver-
hältnisse dieser und aller übrigen, der unmittelbaren Leitung der
n.-ö. Regierung unterstehenden politischen Fonds, die alle bei
dem n.-ö. Provinzialzahlamt konzentriert sind, zerrüttet waren,
brachte Pichler als Referent, was er bis an seinen Tod verblieb,
dieselben teils durch neue Organisierung der Anstalten selbst, teils
durch Auffindung und Verschaffung neuer Zuflußquellen oder vor-
teilhafter Benützung der vorhandenen in Ordnung. Eine eben-
falls sehr mühsame Bearbeitung ward ihm hierbei zuteil, als durch
das Finanzpatent vom Jahre 18 16 die Geldzirkulation auf die feste
Valute zurückgeführt wurde. In diesem Geschäftskreis lernte er
das Elend, aber auch das tiefere Verderben vieler aus dieser Men-
schenklasse in der Nähe kennen. Sein menschenfreundliches Herz
spornte seine Tätigkeit, um Verleger aufzufinden, die diese An-
501
stalten [Strafhäuser] mit angemessener Arbeit versahen, wozu die
Arbeitsscheuen mit Strenge zu immerwährender Beschäftigung an-
gehalten, die fleißigen durch Gestattung einiger, mit der Verfassung
der Anstalten verträglicher Genüsse ermuntert, der größere Teil
des Verdienstes eines einzelnen aber jedem bis zu seinem Austritte
aufbewahrt wurde, um zur ersten Begründung eines ehrlichen Er-
werbes unter Aufsicht verwendet zu werden. Um auch auf ihre
Moralität zu wirken, wurden Sonntagsschulen und geistlicher
Unterricht abgehalten." Das Wiener Provinzialstrafhaus hatte er
nach dem Muster der Brünner und Linzer Anstalt eingerichtet,
die er im August 1817 über amtlichen Auftrag besichtigte (vgl. II,
S. 103 ff. mit Anm. 188 und Dekret vom 6. August 18 17 im Pichler-
nachlaß, J. N. 762). Im Provinzialstrafhaus, sowie im Waisen- und
Zwangsarbeitshause hielt er monatliche Kommissionen ab und sah
auch sonst öfters nach (vgl. Rechnungsbelege aus den Jahren 18 16
und 18 19 im Pichlernachlaß, J. N. 762).
„Dem im Jahre 18 13 errichteten Vereine zur Unterstützung der
Militär- und Landwehrfamilien, welcher seine Wirksamkeit auch
auf die Versorgung der Invaliden ausdehnte, trat Pichler als wirken-
des Mitglied bei und ihm ward ein ausgezeichneter Anteil an den
glänzenden Resultaten dieses edlen Vereines zugeschrieben", wofür
ihm unterm 7. August 1820 das Allerhöchste Wohlgefallen ausge-
drückt wurde (Pichler Nachlaß I. N. 762: Dekret vom 14. August
1820).
„Bei der, auf allerhöchsten Befehl im Jahre 1816 errichteten,
Regierungskommission zur Regulierung des Vermögens der Stadt
Wien ward Pichler zum Referenten ernannt und als die Aufgabe
im Jahre 18 18 zur allerhöchsten Zufriedenheit gelöst war, erhielt
er den Auftrag, den wöchentlichen Ratssitzungen des Magistrats in
Wirtschaftsangelegenheiten als Regierungskommissär beizuwohnen,
welches Amt er bis an seinen Tod ausübte." Als im Jahre 1821
im landesfürstlichen Markt Stockerau Streitigkeiten der Bürger-
schaft ausbrachen, da wurde Pichler als landesfürstlicher Kommissär
dorthin gesendet und schaffte im Winter 1821/22 Ordnung (vgl.
II, S. 152 f. mit Anm. 262).
„Ein Zweig seines Referates in den letzteren Jahren war auch
die mühsame und oft verdrießliche Prüfung der Vorschläge zu Er-
richtung von Privat-Pensions-, Versorgungs- und Unterstützungs-
instituten für niedere und für höhere Stände, von Sparkassen und
der damit verbundenen Auszahlung ihrer Kapitalien auf Hypothe-
ken, 80 wie auch die Schlichtung der Ausstände und Beschwerden,
die sich bei schon bestehenden Anstalten dieser Art ergaben. Einen
solchen Gegenstand bearbeitete er am Krankenbette noch am Vor-
abend seines Hinscheidens. Nebst seinem eigenen Referate wurden
502
ihm oft einzelne, sehr verwickelte, viel Genauigkeit und Sach-
kenntnis fofdemde, einzelne Angelegenheiten und Lokalunter-
suchungen von dem Landespräsidium zugeteilt und durch viele
Jahre in Ermangelung oder Verhinderung vom Vizepräsidenten die
Revision über mehrere Referate seiner Kollegen anvertraut, die er
auch während seines jährlichen, sechswöchentlichen Gebrauchs der
Badner Bäder (von 182z — 1837, vgl. das Register unter Karoline
Plchler: Reisen, Baden) nebst einem Teil seines eigenen Referates
auf Präsidialersuchen fortführte."
„Ungeachtet der immerwährenden Anhäufung der Geschäfte,
unbeschadet der Genauigkeit und Gründlichkeit der Bearbeitung
jedes einzelnen Stückes hatte er doch niemals Geschäftsrückstände,
so daß er hierüber unzähligemal mündlich und mehrmalen schrift-
lich von dem Präsidium belobt ward." Der Kaiser verlieh ihm dafür
am 5. Jänner 1837 ^^^ Ritterkreuz des Leopoldordens und ernannte
ihn gleichzeitig zum Kanzleidirektor der Statthalterei (Beiträge
zur Geschichte der n.ö. Statthalterei. S. 473).
„Durch mühsame Einleitungen und durch Auffindung sehr an-
sehnlicher Fonds, die keine bestimmte Verwendung hatten, ver-
anlaßte er, daß der von Sr. Majestät Kaiser Franz für Wiener Arme
aus dero Privatkasse samt einer kalten Badquelle angekaufte Domi-
nikalhof [in Baden] in ein großes Gebäude, jetzt Wohltätigkeitshaüs
genannt, umgestaltet und eine ungenützt ausströmende warme
Quelle aufgefaßt und darüber das gemauerte Franzensbad errichtet
wurde, wo jährlich viele hundert Arme nebst dem Bade Unterstand,
volle Verpflegung und ärztliche Hilfe genießen und auf Kosten des
Fonds transportiert werden (vgl. II, S. izöf. mit Anm. 217)."
Auch stand er der Baronin Pereira seit 1830 als freiwilliger Kon-
sulent in allen das Marienspital in Baden betreffenden Fragen zur
Seite (ebd.).
„In seinem Privatleben legte Pichler einen Beweis von seltener
Redlichkeit ab. Seine große Herzensgüte hatte ihn in früheren
Jahren verleitet, sich für einen nahen Verwandten (Bruder Anton,
vgl. darüber II, S. 172 mit Anm. 293) zu verbürgen und als des
letzteren Vermögensumstände durch das Falliment seines eigenen
Hauptschuldners so zerrüttet wurden, daß er auf dem Punkt stand,
seine einzige Erwerbsquelle (Buchhandlung) zu verlieren, ward
Pichlers Bürgschaft so in Anspruch genommen, daß die Erfüllung
derselben sein und seiner Gattin ganzes Vermögen vefsclilang; dem-
ungeachtet verwendete er bis an seinen Tod bei sparsamer, prunk-
loser Lebensweise einen großen Teil seiner Besoldung zur sukzes-
siven Befriedigung der Gläubiger (vgl. seine Verlassenschaftsab-
bandlung, II, Anm. 557)."
Pichler war ein ruhiger (vgl. oben S. 339 f.; II, S. 283), in seinen
Urteilen besonnener Mann (vgl. II, S. 43), der nur für sein Amt
und seine Familie lebte. Beinahe den ganzen Tag verbrachte er
in seinem Bureau (vgl. II, S. 181) und selbst Krankheitsanfälle
hinderten ihn nicht, dorthin zu gehen (vgl. II, S. 251). Diese
große Arbeitsfreudigkeit, dieses Interesse an seinem Fach, das sich
auch im Verkehr mit dem Gesandtschaftssekretär Lagrange äußerte
(vgl. II, S. 2251, 227), war die Ursache, vi^arum Pichler bis zum
Jahre 18 15 beinahe gar keinen Urlaub nahm, sondern seine Urlaubs-
zeit zu Dienstreisen verwendete (vgl. oben S. 500). Dieser Über-
eifer gereichte ihm aber einige Male zum Verderben; so verkühlte
er sich 18 15 in Lilienfeld heftig und legte dadurch den Grund
zu einem wiederholt auftretenden krampfartigen Unterleibsleiden
(vgh II, S. 81 f., 251 ff., 360, 361 ff.), das in Verbindung mit einem
bereits 1835 zum erstenmal aufgetretenen Schlaganfall (vgl. II,
S. 3i8f.) am 17. September 1837 ^^ Baden seinen Tod herbei-
führte (vgl. II, S. 361 ff.), dem er bereits 18 10 in Guttenstein
mit seinem Töchterlein ins Auge gesehen hatte (vgl. oben S. 377).
18 16 hatte Überanstrengung ebenfalls eine Kränklichkeit im Ge-
folge (vgl. II, S. 88 ff.), doch glichen seine Erholungsreisen, die
er von 1815 ab zuerst nach Buchen (1815: II, S. 79), dann nach
Zay-Ugröcz (1819:11, S. 143; 1821: II, S. 1485 1822: II, S. I56ff,),
wo er sich 1821 durch einen Fall infolge seiner Kurzsichtigkeit ver-
letzte (II, S. 148 f.), und später nach Baden (von 1822 — 1837)
machte, immer wieder die Kränklichkeit aus, so daß Pichlers Ar-
beitsfreudigkeit keine Einbuße erlitt. An eigentlichen Lustreisen
unternahm er nur eine und zwar im Jahre 1825 nach Prag zu seiner
Tochter, gleichzeitig seine Frau abholend und mit ihr auf der
.Rückreise die ihm wertgewordene Familie Pereira in Schwarzenau
besuchend (vgl. II, S. 207f., 2i3f.).
Andreas Pichlers Ehe mit Karoline von Greiner war die denkbar
glücklichste, trotzdem er Geschäftsmann und sie Dichterin war
(vgl. 168, 232f.; II, S. 357; Hormayrs Taschenbuch, XXXIV,
S. 121); war sie doch in erster Linie nur Hausfrau und Andreas, der
selbst dichterisch fühlte, verstand seine Frau vollständig. Sie hatten
das Glück, in langer, manchmal zwar sorgenvoller Ehe miteinander
zu leben, die silberne Hochzeit feiern zu können (vgl. II, S. 147) und
ihre Tochter, wenn auch nach zwei schmerzlichen Enttäuschungen
(Grillparzer und Prokesch), in glücklicher Ehe mit Josef von Pelzeln
verehelicht zu sehen. Freilich war dieses späte Glück nicht von lan-
ger Dauer, doch die Enkel entschädigten die Großeltern für all
das erlittene Leid und Ungemach. Andreas Pichler war ein treff-
licher Gatte, der seiner Frau nicht nur betreffs ihrer Dichtungen
ratend zur Seite stand (oben S. 499), sondern auch sonst ihr Rat-
geber und ihre Stütze war. Als er dahingeschieden, da empfand
504
sie erst so recht, was sie an diesem Manne besessen hatte. Mit
Ihm war ihre Welt tot (II, S. 37of.), sie zog sich zurück*^ lebte dem
Gedenken der vergangenen Tage und schrieb ihre „Denkwürdig-
keiten", in denen ihr Mann freilich ihrer Mutter und ihrer Tochter
gegenüber etwas in den Schatten tritt. Doch wo sie, besonders
anläßlich seines Todes auf ihn zu sprechen kommt, da leuchtet
sein Wert, seine Bescheidenheit (vgl. II, S. 293) und sein herrliches
Gemüt (II, S. 368) voll und ganz durch. Dichterisch verherrlichte
sie einst seinen Geburtstag (Am Geburtstage meines Gemahls:
S. W. 2 XVI, S. 83 f.; zuerst 1806, vgl. Anm. 383), worin sie ihm
durch seine Tochter ihre Wünsche darbringt, und widmete ihm
1800 Nr. XXV (XXXII) ihrer „Gleichnisse" (Der bewachsene
Stein. An meinen Gemahl: S. W. ^ XVIII, S. iioff.; über den
Erstdruck vgl. Anm. 376).
Die Zeitgenossen erkannten Andreas Pichlers Verdienste, die
heute der Vergessenheit anheimgefallen sind, ebenfalls. Sein Lei-
chenbegängnis am 19. September 1837 in Baden zeigte, wie sie
ihn schätzten (vgl. II, S. 372 ff.) und F. (L. A. Frankl) konnte seinen
kurzen Nachruf auf Pichler (Der österreichische Zuschauer. Hg.
von Ebersberg. Wien 1838. S. 1132; diesem folgte Wurzbach,
XXII, S. 255) mit den Worten schließen: „Wie sehr sein Verlust
empfunden worden, zeigte sich bei seinem Leichenbegängnisse,
das dadurch wirklich zu einer ebenso rührenden als erhebenden
Feierlichkeit geworden ist." Später wurden seine sterblichen Reste
auf den Währinger allgemeinen Friedhof überführt, wo sein und
seiner Gattin Grab bis zum Jahre 1901 nebeneinander lagen. Als
in diesem Jahre seine Frau in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zen-
tralfriedhof gebettet wurde, da wurden auch Pichlers Gebeine
exhumiert und in den Sarg seiner Gattin gelegt (vgl. II, Anm. 572).
Doch keine Schrift meldet auf ihrem Stein von seinem Dasein.
Da Karoline Pichler über die Familie ihres Mannes nur sehr
wenig Angaben macht, so sei hier einiges beigebracht," Der Name
Pichler selbst ist ein alter Berglername und sowohl in der einfachen
Form, als in den verschiedensten Zusammensetzungen in den Alpen-
ländern weit verbreitet (vgl. Fritz Pichler, Zeitschrift für öster-
reichische Volkskunde, III, [Wien 1897], S. 141 ff.). Iif diese große
Sippe fügt sich auch Pichlers Stamm ein, dessen Vater Ulrich Josef
Pichler ehrsamer Gastgeb im Hause zu den sieben Churfürsten am
Spittelberg Nr. 100 war. Das Haus und Gastgewerbe rührte von
seiner Frau Maria Theresia, gebornen Bodenreitter, deren Stamm
seit Großvaters Zeiten hier heimisch war, her! Im Jahre 1703 hatten
Michael Bodenreitter (t 1738) und seine Frau Eleonore (t 17 12)
505
als Untertanen des Wiener Bürgerspitals das Haus Nr. loo in der
Herrengasse am Spittelberg vergewöhrt erhalten (Grundbuch
Nr. 624 im Archiv der Stadt Wien, Fol. 84a); ihnen folgten 1738
der Sohn Jakob Bodenreitter (t 1749) und seine Frau Theresia
(t 1742)} welche das Haus von den fünf übrigen Geschwistern ab-
lösten und bereits das Wirtsgewerbe a,u8übten (Grundbuch Nr. 624,
Fol. 222a, 236b). Von ihren vier Kindern heiratete Maria Barbara
Theresia den Ulrich Josef Pichler, Sohn des Gastwirtes Adam
Pichler und der Barbara (diese starb im Hause ihres Sohnes, 86 Jahre
alt, am 22. August 1774 an der Abzehrung: Totenprotokolle im
Archiv der Stadt Wien, t. 102, Buchst. B, P, Fol. Sgb), und beide
kauften im Jänner 1751 von den drei übrigen Geschwistern der
Frau das Haus Nr. 100 im Ausmaße von 33 Quadratklaftern um
8600 Fl. (Grundbuch Nr. 624, Fol. 314a). Aus der Ehe der Pichler-
schen Eltern stammten 9 Kinder : Alexander (später Josef Prosper,
1752 — 1822; Anm. 337), Franz de Paula (geb. 14. Februar 1756:
Taufbuch, Pfarre St. Ulrich, t. XXVIII, Fol. 322a; gestorben vor
1822, 8. Testament seines Bruders Prosper, Anm. 337), Maria
Elisabeth Theresia (1758 — 1815; verehelichte Schweiger, vgl. Anm.
352), Theresia Elisabeth Thekla (geb. 24. September 1759: Taufb.
t. XXIX, Fol. 346b), Anna Elisabeth (geb. 16. März 1762: Taufb.
t. XXX, Fol. 279a), Andreas Ulrich (1764 — 1837; Karoline Pichlers
Mann, s. oben), Maria Theresia Elisabeth (geb. 4. März 1765:
Taufb. t. XXXI, Fol. 284 a; 1788 noch ledig, s. Grundbuch Nr. 624,
Fol. 616), Ulrich Andreas Sylvester (geb. 31. Dezember 1768:
Taufb. t. XXXII, Fol. 222b) und Anton Andreas (1770 — 1823, der
Buchhändler, vgl. II, Anm. 290). Bereits 1774 verstarb die Mutter
und nun erhielten die Kinder Franz, Elisabeth, Andreas, Theresia
und Anton 1776 die Gewöhr auf das halbe Elternhaus (Grundbuch
Nr. 624, Fol. 503 a)^ Josef als Ordenspriester konnte keinen Haus-
anteil erhalten, die übrigen, oben noch angeführten Kinder waren
jung verstorben. Am i. September 1782 starb der Vater, 56 Jahre
alt (Totenprotokoll St. Ulrich, t. XXIII, sub i. IX. 1782), der
unterm 29. August 1782 seinen letzten Willen aufgesetzt hatte
(eine Abschrift des Testaments im Pichlemachlaß der Stadtbib-
liothek, J. N. 759); er wurde gleich seiner Frau am Friedhof um
die Kirche von St. Ulrich (jetzt St. Ulrichsplatz) beerdigt. Sein
Hausanteil ging an die Kinder über, welche 1788 das Haus durch
Lizitation an die Wirtsleute Johann und SibyUa Gföller verkauften
(Grundbuch Nr. 624, Fol. 616).
**) Cesare Marchesi di Beccaria-Boimesana, Dei delitti e dellc
pene. Edizione sesta. Harlem 1766. p. ii7ff. § XXVIII. Della
pena di morte ^ Des Marchese Beccarias Abhandlung über Ver-
brechen und Strafen. Von neuem aus dem Italienischen übersetzt
506
von J. A. Bergk, I, (Leipzig 1798), S. 168 ff. Von der Todesstrafe. —
Beweist, daß die Todesstrafe kein Recht sei, denn der Tod eines
Verbrechers ist weder notwendig noch nützlich, außer in 2 Fällen :
I. wenn das längere Leben eines Menschen für den Bestand des
Staates gefährlich und 2. der Tod das wirksamste Mittel ist, andere
vom Verbrechen abzuhalten. Er spricht sich für lange Kerker-
strafen aus, da diese mehr abschreckend wirken, als die Todesstrafe,
die nur ein Beispiel von Grausamkeit gibt.
31°) Karoline Pichler hat hier die drei Heiraten des Dichters in
Polen im Auge, die, schnell geschlossen, ebenso schnell wieder
getrennt wurden, vgl. Schütz, Zacharias Werners Biographie und
Charakteristik, I, (Grimma 1841), S. 13 f. Werner war überhaupt
sehr sinnlich und hatte damit bis in die späten Tage zu kämpfen
(Schütz, I, S. 10 f.). Pichler kommt öfter darauf zurück (oben
S. 174, 302)-
^^) Ignaz Karl Graf Chorinsky, Freiherr von Ledskie (1770
bis 1823), ein geborener Brünner, wurde September 1795 Regie-
rungssekretär in Niederösterreich, kam am 21. April 1796 als Guber-
nialrat und Kreishauptmann nach Westgalizien, von wo er 1798
nach Prag versetzt wurde. 1804 wurde er Hof rat und Vizepräsident
der niederösterreichischen Landesregierung, übernahm 1805 die
Leitung der Landesregierung, kam 1807 als wirklicher Staats- und
Konferenzrat in den Staatsrat und trat 1809 in den Ruhestand.
Jänner 18 13 reaktiviert, wurde er Vizepräsident der allgemeinen
Hofkammer und wirklicher Geheimer Rat. Mai 18 13 als Vizepräsi-
dent zur vereinigten Hofkanzlei versetzt, ging er September 18 13
als Hofkommissär nach Mähren und Schlesien, übernahm April
181 5 die Leitung der niederösterreichischen Landesregierung
zum zweitenmal und kam April 18 16 als Präsident zur allgemeinen
Hofkammer. Ende 1822 trat er in den Ruhestand und erhielt den
Titel eines Staatsministers. Am 14. April 1823 starb er. Er war
ein Gönner Grillparzers. Vgl. Beiträge zur Geschichte der nieder-
österreichischen Statthalterei. S. 364ff. mit Bildnis; Wurzbach,
n, S. 358. — Über seine Gemahlin Sophie s. Anm. 2875 über das
Verhältnis beider vgl. oben S. I77f. mit Anm. 317; über ihre Hoch-
zeit S. i87f. — Chorinsky gehörte dem literarischen Verein des
Franz Xaver von Greiner an (oben S. 184) und erwies später (1801)
Karoline eine Gefälligkeit bei Erzherzog Karl (oben S. 23 6 f.).
Karoline Pichler bezeichnet ihn noch in späteren Jahren als vor-
trefflichen und achtungswürdigen Mann (II, S. 334).
^12) Josef von Dürf eld, einziger Sohn des Hofrats Anton Ignaz von
Dürf eid (1726 — 1 805) und der Maria Elisabeth, geb. Edlen von Mayer
(^743 — 1829), war am 15. März 1766 zu Wien geboren. Er wurde
1786 kgl. ungarisch-siebenbürgischer Hofkonzipist in der Steuer-
507
regulierungs-Hofkommission (Hof- und Staatsschematismus, 1787.
S. 76), kam 1790 als Konzipist in sein eigentliches Amt (kgl. unga-
rischen Hof rat) zurück (ebd. 1791, S. 178), wurde 1792 als Konzi-
pist beim k. k. Direktorium übernommen (ebd. 1793, S. 15), von
wo er 1793 als Hofsekretär zum k. k. geheimen Kammerzahlamt kam
(ebd. 1794, S. 389). 1806 war er Hofrat geworden (ebd. 1807,
S. 464). Am 29. April 1794 heiratete er Therese von Hackher (s.
oben Anm. 288), welche bereits 1795 unter Hinterlassung einer
Tochter (s. unten Anm. 333) starb. Zum zweitenmal heiratete er
am 20. November 1796 in Wien Aloisia Franziska Edle von Wild-
burg. Er starb am 24. Februar 18 12 (nicht 181 1) in Wien und
liegt bei seiner ersten Gattin am Währinger Ortsfriedhof begraben
(Genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser Österreichs, I,
[Wien 1905], S. 166; Hampeis S. 23, Nr. 102 und 43, Nr. 10, [Vers]).
Er war Karoline Pichlers zweiter Beistand bei ihrer Hochzeit (oben
S. 189). 1800 finden wir ihn unter den Subskribenten von Gabriele
V. Baumbergs „Sämmtlichen Gedichten" (Wien 1800. S. VI).
31^) „Das Jugendleben guter Menschen ist die höchste Seligkeit
auf Erden" (Worte des Fürsten im 5. Aufzug, 11. Auftritt von:
A. W. Iffland, Elise von Valberg. Schauspiel in 5 Aufzügen. In:
Deutsche Schaubühne, XIV, [Wien 1825], S. 131).
^^*) Freundschaft und Liebe. Am Geburtstage meiner Freundinn,
Fräulein Therese von Hackher. 1791 (Sämmtliche Werke, ^ XVI,
S. 12 ff.).
^^^) Am Vermählungstage meiner Freundinn Therese von Hackher
mit Herrn von Dürfeid, den 29. April 1794 (Sämmtliche Werke,
2 XVI, S. 29 ff.). Zuerst 1795 gedruckt (vgl. unten Anm. 377). —
Die Hochzeit fand also Im April und nicht im Mai statt. In diesem
Gedicht streift KaroUne Pichler die widrigen Geschicke, welche
Therese und Dürfeid im Brautstand trafen.
3^*) Franz Johann Graf Chorlnsky (1726 — 1812), k. k. Känunerer
und Geheimer Rat, seit 1757 mit Maria Cajetana Gräfin >Eon Wall-
dorf verehelicht (E. li. Kneschke, Neues allgemeines Deutsches
Adels-Lexikon, II, [Leipzig 1860], S. 266). — Vgl. noch S. 188
und Anm. 317.
^") Vgl. dazu, was Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau
(Tagebücher, I, i, [Wien 1909], S. 1901.) sagt: „Er (Ignaz Graf
Chorlnsky) besuchte das Haus des n. ö. Referenten Hofrats von
Greiner und lernte dort die Tochter eines Arztes, Sophie von
Mertens kennen. Ihre Schönheit entzündete seine Leidenschaft,
welche die feurigste Erwiderung fand. Du kennst den Vater
Chorlnsky von Brunn aus. Er ist der erste seiner Familie, der die
16 Quartiere ausfüllte und worauf er den höchsten Wert legt. Er
bedroht den Sohn mit Fluch und Enterbung für den Fall seiner
508
ehelichen Verbindung mit Sophie. Ignaz Chorinsky tritt zurück.
Sophie kränkelt, welkt wie eine zerknickte Blume. Der Zufall —
oder wie Kielmansegge meint — kein Zufall — führt beide in dem
Garten des Hofrats von Greiner zusammen. Es folgt eine Szene
erneuerter Liebe, erneuerter Versprechungen. Sie werden gehalten.
Der Ehebund wird geschlossen. Der Vater hält auch sein Wort
und verstößt den Sohn. Der Kaiser selbst ist ungehalten und macht
ihm Vorwürfe. Er schließt sich um so enger an seine Frau, die ihm
nun alles ist." An einer anderen Stelle (I, i, S. 203) meint Kübeck,
aus Klugheit hätte Graf Chorinsky seine Frau nicht heiraten
sollen, da sie nicht hoffähig ist.
318) Am 26. August 1792 war er zum Bürger ernannt worden;
trotz des Abscheus, den Klopstock vor den Gräueltaten der Jako-
biner hatte, legte er sein Diplom nicht zurück, obwohl ihn Lavater
1793 dazu aufforderte und einige Zeitungen die Nachricht von der
Zurücksendung des Diploms brachten (vgl. Franz Muncker, Fried-
rich Gottlieb Klopstock. Stuttgart 1893. S. 512, 5i4ff., 540). —
Georg Forster starb einsam in Paris am 10. Jänner 1794 im vier-
zigsten Jahre seines ruhelosen Lebens; über seine Beziehungen zum
Hause der Greiner, s. Anm. 165.
319) Abt Josef Ignaz Martinovics (1755 — 1795) hatte unter Leo-
pold II. eine Vertrauensstelle am Hofe inne, war 1792 in geheimer
Sendung nach Paris gegangen und hatte mit der Berg-Partei Füh-
lung genommen, deren Grundsätze er dann, als er zu einer Mission
in Ungarn verwendet wurde, aufs Emsigste verbreitete. Er verfaßte
zwei revolutionäre Katechismen auf demokratischer Grundlage und
gründete zwei geheime Gesellschaften, deren Mitgliederstand aber
nicht allzu groß gewesen sein soll. Ungarn wurde in 4 Distrikte
aufgeteilt, und Ende August soUte das Komplott zur Durchführung
kommen. Die Verschwörung wurde aber rechtzeitig entdeckt,
Martinovics in Wien verhaftet und mit vier Genossen am 20. Mai
1795 in Pest hingerichtet. Vgl. Wurzbach, XVII, S. 50 ff. und Joh.
Graf Mailäth, Geschichte der Magyaren, IV, ^ (Regensburg 1853),
S, 128 ff.; V. Fraknöi, Martinovics es tärsainak összeesküvese. Buda-
pest 1884. — Eine Verbindung mit Wien scheint nicht bestanden
zu haben.
'*•) Über diese sogenannte Jakobinerverschwörung ist man heute
noch nicht im klaren, da die Akten nicht erschlossen sind. Es
scheint aber, daß einige Streber, um sich schön zu machen, dem
Kaiser Franz eine Gefahr vormachten, die nicht vorhanden war. Aus
einer größeren Anzahl zeitgenössischer Schriften (vgl. Franz Graf f er,
Franzisceische Curiosa. Wien 1849. S. 9 ff.) ist zu entnehmen, daß
m Wien und in ganz Österreich im August 1794 eine große Ver-
schwörung, an der sich Zivil- und Militärpersonen beteiligten,
aufgedeckt wurde, welche die Absicht hatte, französisch-demokra-
tische Grundsätze ins Volk zu bringen, aufrührerische Schriften
gegen den Kaiser zu verbreiten und eine Staatsrevolution anzu-
zetteln. Nun dürften diese Schriften aber von der Regierung be-
einflußt gewesen sein. Tatsache ist, daß eine Menge Personen
gefänglich eingezogen wurden, der Feldkriegskanzlist Gilloffsky
sich im Gefängnis erhenkte, der Platzoberleutnant Franz von
Hebenstreit im Jänner 1795 aufgehängt wurde, der Hauptmann
Billeck von Billenberg zehnjährige Schanzarbeit erhielt, sechs andere
zu dreißigjähriger Schanzarbeit verurteilt wurden, worunter sich
auch der Freund des Hauptstaatsretters Grafen Franz von Saurau,
der Wiener Magistratsrat und Dichter Martin Josef Prandstätter,
befand, und einige andere mit geringeren Strafen davonkamen.
Spätere Berichte (Graf f er, S. 26 ff.) denken über die Sache ganz
anders. Der Kampf ging wahrscheinlich gegen die Logen, und ist
hier eine Mitteilung charakteristisch, die K. A. Schimmer von der
KaroUne Pichler haben wollte (Gustav Brabbee, Sub Rosa, Ver-
trauliche Mittheilungen aus dem maurerischen Leben unserer Groß-
väter. Wien 1879. S. 122 ff.) — freilich ist dessen Angabe, daß
diese sie in das Manuskript der Denkwürdigkeiten aufnahm, nicht
stichhältig — daß Kaiser Franz durch eine rotangestrichene Stelle
(„Die Loge ist eine demokratische Republik") in der Rechtferti-
gungsschrift der Prager Logen (1794) aufgebracht wurde. Aus
den Zeitungen jener Zeit, welche die öffentliche Meinung vor-
stellen, ist nicht viel zu entnehmen, denn meist arbeiteten sie im
Interesse der Regierung und wirkten eher aufhetzend als beruhi-
gend, was besonders von den Blättern des Professors L. A. Hoffmann
und des Ex Jesuiten Hofstäter gilt (vgl. A. Fäulhammer, Politische
Meinungen und Stimmungen in Wien in den Jahren 1793 und 1794.
Progr. Salzburg 1893. S. i6ff.), während die freiheitlich Gesinnten
sich um Alxinger und Josef Schreyvogel scharten, deren „Öster-
reichische Monatsschrift" offen und ehrlich Opposition gegen das
herrschende System, wenn auch in patriotischer und loyaler Weise
trieb (Fäulhammer, S. 23 ff.). Interessant ist, daß der Wiener Pöbel
mit großem Vergnügen an den Opfern der Regierungsgewalt seine
Schau- und Sensationslust kühlte, wie aus den Eipeldauerbriefen
des Josef Richter hervorgeht (Fäulhammer, S. 15 f.).
^^) Dazu vergleiche man einen Ausspruch von Alxinger, der
Ende 1792 an Wieland schrieb: „Sie (die Minister) möchten gern
so regieren wia vor hundert Jahren Mode war, schelten alles Jako-
biner, was die alte Mode mißbiUiget und sind entschlossen, es auf
ihre Art durchzusetzen, es koste, was es wolle" (G. Wilhelm, Briefe
des Dichters Joh. Bapt. v. Alxinger. Wien 1898. S. 71). Blumauer,
der 1796 gar nicht mehr hervortrat, wurde von einem Anonymus
510
als „Jakobiner" denunziert (Gugitz, Grillparzer Jahrbuch, XVIII,
S. 8i). — Es gab damals eigene Jakobinerlieder.
8M) Salvatore Vigano (1769 — 1821), ein Neapolitaner, hatte in
Rom die Wienerin Josef a Maria Mayer (1756 — 1821) geheiratet, mit
der er 1793 und 1794 im Wiener Nationaltheater auftrat. Er wurde
1793 Ballettmeister, blieb dies bis 1798 und bekleidete diese Stelle
nochmals 1803 — 1806. Über beider Auftreten und Wirken am
Nationaltheater vgl. Wurzbach, L, S. 287 f.; Rieh. Wallaschek in:
Die Theater Wiens. IV, (Wien 1909), S. 22 f. mit Bildern; Katalog
der Portrait-Sammlung der k. und k. General-Intendanz der k. k.
Hoftheater, Wien 1892, S. 442. Gedichte auf deren Auftreten
am 3. März und 2. August 1794, sowie ein Sonett auf die Vigano
als Terpsichore und eine dadurch hervorgerufene mythische Dich-
tung „Die Weihe der Tanzkunst", die Herrn und Madame Vigano
vom Dichter G. Leon zugeeignet ist, enthält der „Wiener Theater-
ahnanach für 1794 und 1795" (Goedeke, VI, S. 515: aß). Das
Sonett auf die Vigano (Wien am 29. Julius 1793: Wiener Theater-
almanach 1794, S. 82 f.) klingt in die Worte aus:
Laßt uns sie mit jungen Rosen krönen,
Sie hat uns der Griechen Kunst gebracht.
Die die Herzen sanft und fröhlich macht.
Sie erhebt mit ihrem süßen 3piel
Himmelan das menschliche Gefühl
Und den Geist zum Ideal des Schönen.
Kaiser F ranz fand an der Vigano Wohlgefallen, worüber die Gräfin
Lulu Thürheim (Mein Leben, I [München 1913], S. i26f.) sich
einige Bemerkungen gestattet. Josef Richter (Gedichte. ^ Wien
1809. S. 29, 37, 58) wendet sich scharf gegen die Mode der Vigano-
bäuche, gegen den Pas de deux der Vigano und gegen das Herein-
bringen von Pferden auf die Bühne im Viganoschen Ballett
„Richard Löwenherz".
'*') Antonio Muzzarelli (1744 — 1821) war seit 1791 Tänzer, seit
1794 Ballettmeister des Naitionaltheaters und k. k. Hoftanzmeister
(Wallaschek, a. a. O. IV, S. 23, Anm.; Katalog der Portrait-Samm-
lung, 5,441).
'**) Vgl. dazu die vielen Angaben, welche (Josef Richter) „Briefe
eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran über d'Wien-
Btadt" bringt (Heft XXXVII. Wien 1797. S. [28 ff.] des Registers).
Verschiedene dieser Moden, so bei den Damen das Tragen von
Jakobinerhüten, Schleppen, dünner Stoffe um den Busen und
langer goldener Ketten, bei den Herren die großen Männerhals-
binden, nimmt Josef Richter auch in Gedichten satirisch her
(Gedichte. 2 Wien 1809. S. 8, 18, 43, 60).
•*") Franz Josef Graf v. Saurau (1760 — 1832) kam 1789 von Prag
als Regierungsrat und Stadthauptmann nach Wien und wurde
1791 Hof rat, 1792 Geheimer Rat und August 1795 Präsident der
niederösterreichischen Regierung. 1789 war er auch Adlatus des
Präsidenten der Polizeihofstelle und beteiligte sich als solcher
hervorragend an der Unterdrückung der Jakobiner, er, der früher
selbst Freimaurer gewesen. Er war 1797 Qänner) der Anreger der
Hymne auf Kaiser Franz, die L. Haschka dichtete und Josef Haydn
in Musik setzte. 1797 bot er den allgemeinen Landsturm gegen die
Franzosen auf, und im selben Jahre (November) vnirde er Polizei-
und Finanzminister und reorganisierte die Theresianische Akademie ;
1801 schied er aus dem Ministerium, kam als Botschafter nach
St. Petersburg und von hier 1803 als niederösterreichischer Land-
marschall nach Wien. Von 1806 ab verschiedene Ämter bekleidend,
wurde er 1809 neuerdings Statthalter von Niederösterreich. 18 17
war er Gesandter in Madrid, dann bis 183 1 oberster Hofkanzler
und vor seinem Tode Gesandter in Florenz. Er war ein liberaler
Despot und Freund aller Künste (1800 unter den Subskribenten von
Gabriele Baumberg, Sämmtliche Gedichte. Wien 1800. S. XVII)
und Wissenschaften (vgl. Beiträge zur Geschichte der niederöster-
reichischen Statthalterei. S. 349 ff. mit Bild; Wurzbach, XXVIII,
S. 279 ff.; Karl Hafner, Zeitschrift des historischen Vereines für
Steiermark, VII, [Graz 1909], S. 24ff. mit Bildnis). — L.L. Haschka
widmete ihm ein Loblied (Magazin der Kunst und Litteratur, IV, 4,
[Wien 1796], S. iff.).
^^) Der Friede von Basel, abgeschlossen am 5. April 1795-
327^ Die dritte Teilung Polens fand im Jänner 1796 statt, nachdem
sich Preußen, Rußland und Österreich am 24. Oktober 1795 dahin
verständigt hatten.
327 a) Von „In mir .... Europa wieder" fehltim Druck, stehtaber
in der Handschrift undurchstrichen mit einer Randbemerkung:
„Folgendes hat auszubleiben".
328) Die Stelle lautet wörtlich: „Bedenkh der Fürst, was wir
aller Welt für ein Exempl geben, wenn wir um ein eilendes stuck
von Pohlen oder von der Moldau und Walachey, unnser ehr und
reputation in die schanz schlagen (Hormayr, Taschenbuch für
vaterländische Geschichte. N. F. II, [München 183 1], S. 66f.).
Pichler zitiert hier nur sinngemäß, nicht wörtUch; vgl. noch Adolf
Beer, Die erste Theilung Polens, II, (Wien 1873), S. 315 f.
329) Am 21. April 1796 wurde Chorinsky Gubemialrat und Kreis-
hauptmann zu Kieke in Westgalizien (vgl. oben Anm. 3 1 1).
3*') 25. August 1795 wurde Saurau Präsident der niederöster-
reichischen Regierung (Beiträge zur Geschichte der n.-ö. Statt-
halterei. S. 349).
512
SSI) 21. Jänner 1796 (s, oben Anm. 308).
332) Herrngasse 127 (Hof- und Staatsschematismus. 1795. S. 379).
333) Maria Theresia von Dürfeid, verehelichte Hauer, wurde zu
Wien am 16. Juni 1795 geboren, vermählte sich nach dem frühen
Tod ihres Vaters am 24. April 18 14 mit Josef Ritter von Hauer,
späteren Geheimen Rat und Vizepräsidenten der k. k. allgemeinen
Hofkammer. Sie starb am 30. Juni 1874 zu Schleinz bei Wiener-
Neustadt (H. W. Höfflinger, Genealogisches Taschenbuch der
adeligen Häuser Österreichs, IV, [Wien 191 1], S. 152; vgl. auch
I, [1905], S. 167).
334) Maria Theresia von Dürfeid, geb. von Hackher zu Hart,
starb am 21. Juni 1795 und fand am Währinger Ortsfriedhof ihre
letzte Ruhestätte (E. M. Hampeis, a. a. O. S. 18). Ihre Grabschrift
(Legende samt Vers) verzeichnen: Sammlung der auf den Gottes-
äckern der k. auch k. kgl. Haupt- und Residenz-Stadt Wien be-
findlichen Grabschriften und Denkmähler, I, (Wien 1807), S. 34,
Nr. 71 und Hampeis, S. 41, Nr. 2.
335) Elegie bey dem Leichenbegängnisse meiner unvergeßlichen
Freundinn, Therese von Dürfeid, den 23. Junius 1795 (Sämmtliche
Werke, ^ XVI, S. 36ff.). Erschien zuerst 1796 (vgl. Anm. 377).
336) Josef Paul Gottlob Freiherr von Lederer (1771 — 18 12),
k. k. Truchseß, Hofrat und Stadthauptmann zu Wien (Wurzbach,
XIV, S. 296; Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen
Statthalterei, S. 473). Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau
charakterisierte ihn 1805 mit den Worten: „Lederer hat (als Regle-
rungsrat) mehr Genialität als Kenntnisse" (Tagebücher, I, [Wien
1909], S. 129); er bringt vieles zu dessen Amtstätigkeit bei {vgl.
Tagebücher, II, S. 267 das Register). — Vgl. noch S. 245.
^') Josef Prosper Pichler war (laut Testament seines Vaters vom
29. August 1782; im Pichlemachlaß der Stadtbibliothek, JN 759)
das älteste Kind des Ulrich Josef Pichler, wohnhaft am Spittelberg
Nr. 100 (jetzt Wien VII), und wurde am 12. Oktober 1752 als An-
dreas Alexander getauft (Taufbuch der Pfarre St. Ulrich [Wien
VII], t. XXVII, Fol. 255 b). Nach Absolvierung seiner Studien trat
er bei den Piaristen in der Josefstadt ein, erhielt 1771 die Tonsur
und den Klosternamen Josef Prosper und wurde am 15. März 1777
zum Priester geweiht. 1782 wurde er von seinem Vater testamen-
tarisch jährlich mit 60 Fl. bedacht, solange er im Ordensstand sich
befinde; bei Übertritt in den Weltpriesterstand habe er 1500 Fl.
von den Universalerben zu erhalten (Testament seines Vaters). Er
trat später aus dem Piaristenorden, wurde Weltpriester, wirkte zu-
nächst (vom i6. Juni 1796 ab) als Pfarrer bei St. Josef in Margareten
und wurde am 8. Februar 1803 Pfarrer zu St. Josef ob der Laim-
grube (jetzt Wien VI.) und fürsterzbischöflicher Konsistorialrat.
33 C. p. I 513
Als solcher starb er am 5. Juli 1822, 69 Jahre alt an der Lungen-
lähmung, seine arme Seele zum Erben einsetzend (Totenprotokolle
der Stadt Wien, 1822, Buchstabe B, P. Fol. 60 b; Verlassenschafts-
akten im Archiv des Wiener Landesgerichtes. Fasz. XXI, Nr. 23
ex 1822; Mitteilungen des fürsterzbischöf liehen Konsistorialarchivs
in Wien und unten II, S. 156). Ein Teil seines hinterlassenen
Geldes (300 Fl.) wurde seinem Wunsche gemäß zu einer Messen-
stiftung bei St. Josef ob der Laimgrube verwendet (vom fürst-
erzbischöf liehen Ordinariat in Wien unterm 13. März 1824 be-
willigt), einen andern Teil (600 Fl.) erhielten die Versorgungs-
häuser zu Ybbs und am Alserbach, und der Rest wurde unter die
Kinder seines verstorbenen Bruders Franz und des noch leben-
den Bruders Anton verteilt; seine Brüder erbten Bücher und ge-
schriebene Predigten (Verlassenschaftsakten). Er hatte seines Bru-
ders Andreas Hochzeit eingesegnet und reichte der Karoline v.
Greiner die letzte Ölung (unten II. S. 50). 1817 erschien zu seinem
Geburtstage (!) ein Gedicht: „Dem hochwürdigen Herrn Joseph
Prosper Pichler, Pfarrer ob der Laimgrube. Zu seinem Wiegenfeste
am 30. Jänner 18 17 gewidmet von L. S. d. j. Wien, o. J. kL 8". 2 Bll."
(Katalog Nr. 103: Viennensia, von Gilhofer und Ranschburg in
Wien. S. 34, Nr. 618).
**) Das Trauungsbuch derPfarre zumhl. Bartholomäus inHernals
(jetzt Wien XVII) enthält darüber folgenden Eintrag (freundliche
Mitteilung des hochw. Herrn Pfarrers, geistlichen Rates Stöber in
Hernais): Am 25. Mai 1796. Copulans: Franz (!) Pichler, Pfarrer
von Auerstal. Bräutigam: Andreas v. Pichler, in der Stadt 272
(wohnhaft), katholisch, 33 Jahre, unverehelicht. Braut: Karolina
von Grainer, allhier (Hernais), kath., 26 Qahre), unverehelicht.
Beistände: Joseph von Sonnenfels, k. k. Hofrath; Franz von Heeß,
k. k. Regierungsrath.
Der Heiratskontrakt, vom 25. Mai 1796 datiert, liegt in Abschrift
dem Verlassenschaftsakt des Andreas Pichler (Archiv des Wiener
Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 187 ex 1837) b^^- ^^ bestimmt in
§ I das Heiratsgut mit 1000 Fl. und in § 2 die Wiederlage des
Bräutigams mit 2000 Fl.
^ Lieder österreichischer Wehrmänner von H. J. v. Collin.
Erste Abtheilung. Wien 1809. 32 S. 8^ (Goedeke, VI, S. 107: 9;
vgl. Arnold-Wagner, Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik
des Kriegsjahres. Wien 1909. S. 321 ff.). — Vgl. oben S. 331.
■*•) Vgl. oben Anm. 65, 70, 71.
**i) Josef Antoii v. Paradis (geb. 1733), 1755 Kriminalassessor
in Temesvär, hierauf Hofkonzipist beim Direktorium in publicis et
cameralibus, 1769 Hofsekretär bei der Kommerzhofstelle und 1785
Regierungsrat bei der niederösterreichischen Regierung. Am
23- August 1795 wurde er jubiliert (Wurzbach, XXI, S. 286f.;
Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statthalterei.
S. 347 ^^^ 470-_
3*2) Der sächsische HofkapeUmeister Joh. Gottlieb Naumann
(1741 — 180 1) hatte die Oper „Amphion" 1776 für den schwedischen
Hof komponiert; der Text, sowie die Partitur erschienen 1784 in
Leipzig. Die dreiaktige Oper „Cora", ebenfalls vor 1780 für den
schwedischen Königshof vertont, erschien 1780 in Leipzig. Vgl.
Eitner, VII, iSiff., besonders S. 155a.
3*3) Marianne von Martines (auch Martinez; 1744 — 1812), eine
Wienerin, war eine beliebte Sängerin und Klavierspielerin. Unter
ihren Lehrern waren Metastasio, den sie beerbte, und Josef Haydn.
Im Gegensatze zur Pichler loben Abt Gerbert und Dr. Burney ihre
Kompositionen sehr (Wurzbach, XVII, S. 22ff.; Eitner, VI,
S.353f0-.
3*3 a) Dieser Absatz fehlt im Druck, in der Handschrift steht er
undurchstrichen. Den gleichen Gedanken s. oben S. 295 ff.
3**) Im Hause des Regierungsrates von Paradis wurden Lustspiele
und Operetten aufgeführt, die durch die Mitwirkung der Maria
Therese von Paradis, die auf dem Klaviere begleitete, besonderes
Interesse hatten. 1 794 wurde Dittersdorfs „Doktor und Apotheker"
hier gespielt (vgl. Wiener Theater-Almanach für das Jahr 1794.
S. 58 f. und Richard Wallaschek, in: Die Theater Wiens, IV, [Wien
1909], S. 6).
^ KaroUne Pichler gedenkt dieser Überraschimg auch in dem
Gedichte, das sie der Paradis ins Stammbuch schrieb (Sämmtliche
Werke, 2 XVI, S. 49; zuerst: Österreichischer Taschenkalender für
das Jahr 1803. Wien. S. 36).
^®) Mehlgrube Nr. 1074 (Hof- und Staatsschematismus, 1798,
S. 117).
^') Der k. k. Leibwundarzt Josef Franz Herbek, laut Toten-
protokoll aus Köln am Rhein gebürtig, befand sich 1797 beim all-
gemeinen Aufgebot als Arzt (Geusau, Geschichte Wiens, V, S. 119;
Lauber, Denkmal usw. S. 392 und Anhang S. 6). Im selben Jahr
war er k. k. Rat und Leibchirurg geworden (Hof- und Staats-
schematismus. 1798, S. 355); 1801 wurde er Mitglied der k. k.
medizinisch-chirurgischen Josefs- Akademie (ebd. 1802, S. 311). Er
starb am 17. Dezember 1827 zu Wien im Alter von jj Jahren und
wurde am Schmelzerfriedhof begraben; ihn überlebte seine Gattin
Aloisia, geb. Kitzeil, mit derer seit 1790 verehelicht war (Verlassen-
schaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II, Nr.
906 ex 1828; Totenprotokolle der Stadt Wien im Konskriptionsamt,
1827, Buchstabe H, Fol. 60a), — Über seine ärztliche Tätigkeit im
Hause Greiner s. noch oben S. 2o8f., 221.
33« 515
347 a) Wie aufgeregt die Wiener waren, zeigt eine Schrift, welche
zur Beruhigung der Gemüter ausgegeben wurde: „Beantwortung
der Frage: Werden die Franzosen nach Wien kommen? Zur Be-
ruhigung für einige kleinmüthige Bewohner. Wien 1797. Zu finden
bey B. Ph. Bauer, und in Kommission bey Peter Rehm, Buch-
händler am Kohhnarkt." (kl. S". 16 S. — Wien, Stadtbibliothek).
Die Gründe zwar, die der Verfasser anführt, sind nicht sehr über-
zeugend: I. Könnten die Franzosen nicht über den Semmering,
da man ihnen ein Heer gegenüberstellen würde; 2. könnten sie
auch nicht auf dem Wege durch Ungarn nach Wien kommen, weil
sie die Sprache der Ungarn nicht verstehen und deren Aufgebot
nicht gewachsen sind. Die Wiener mögen nur auf Gott und den
Kaiser vertrauen, beten und arbeiten, dann wird alles wieder gut.
„Noch sind die Franzosen nicht in Wien, und sie werden sich auch
den Kopf an Wiens Mauern nicht anrennen. Der Zaghafte fliehe !
der Standhafte erspart die Reisekosten und hat die Genugthuung,
den Zaghaften zu kennen, und ihn zu verlachen" (S. 15 f.). — Josef
Richter schrieb anonym zwei Sammlungen spaßhafter Anekdoten
über die Furcht der Leute im Jahre 1797: Gesammelte Reise- Anek-
doten der Wiener Furchtsamen auf ihrer Flucht im Monate April
1797. Prag (1797). — Nachtrag zu den gesammelten Reise-Anek-
doten der Wiener Furchtsamen auf ihrer Flucht im Monate April
1797. Wien und Prag (1797).
^ Es war der damals an der Spitze der niederösterreichischen
Regierung stehende Graf Saurau (Anm. 325), der am 4. April 1797
an die Bürger Wiens eine Proklamation richtete, worin er sie auf-
forderte, den allgemeinen Landsturm aufzubieten und am Wiener-
berg ein verschanztes Lager zu errichten. Acht Tage nach seiner
Aufforderung standen 37 000 Mann bereit, doch bereits im Mai
1797 wurden sie verabschiedet (vgl. unten Anm. 357), da inzwischen
die Friedenspräliminarien zu Leoben am 18. April 1797 unter-
zeichnet worden waren (Beiträge zur Geschichte der niederöster-
reichischen Statthai terei. S. 350 f.; Anton Edler von Geusau, Ge-
schichte der Haupt- und Residenzstadt Wien. V, [Wien 1807],
S. 60 ff. 5 Lauber, Denkmal usw. S. 338 ff.; Karl Glossy, Wiener
Neujahrs-Almanach 1897. Wien 1897, S. iff.). Die am Wienerberg
angelegten Schanzen wurden am 16. April bezogen (Geusau, V,
S. 108 ff.). Zur besseren Leitung der Einschreibungen in der
Stadt und in den Vorstädten wurden am 8. April 1797 eigene Re-
gierungskommissäre aufgestellt, unter denen sich auch Pichler be-
fand (Geusau, V, S. 76). Als die Stadt Wien am 18. Mai zu Ehren
der neuernannten Bürger Graf Saurau und Prinz Ferdinand von
Württemberg ein Mahl in der Schießstätte veranstaltete, lud sie die
Regierungskommissäre ebenfalls dazu (Geusau, V, S. i66f.; Lauber,
516
5.4^8), die von Kaiser Franz unterm 15. Mai Belobungsdekrete,
erhalten hatten (Lauber, S. 435). A. Pichler wurde diese Belobung
durch den Grafen Saurau am 16. Mai intimiert (das betreffende
Dekret im Pichlernachlaß der Stadtbibliothek, J. N. 762).
349) Die Oberleitung des Theresianums hatte zwar von 1797
bis 1801 Franz Graf Saurau als Kurator (Eugen GugUa, Das There-
sianum in Wien. Wien 19 12. S. 97ff.), doch dürfte Greiner als
Referent der Studienhofkommission sich an der Verwaltung be-
teiligt haben.
SSO) Maria Cäcilia Kurländer von Kornfeld, die Tochter des Karl
und der Theresia Kurländer von Kornfeld (Anm. 385), ein kalter
und stolzer Charakter (oben S. 206), heiratete am 10. Mai 1797
den Hofkonzipisten Franz Xaver von Greiner (oben S. 211),
wurde jedoch bald lungenkrank und verschied am 12. Dezember
1799 nach kaum zweijähriger Ehe, 27 Jahre alt (vgl. oben S. 22off.;
Totenprotokolle der Stadt Wien im städt. Archiv. Bd. 127,
Buchstabe C, G, K, Fol. 128 b). Ihr nicht bedeutendes Vermögen
(1568 Fl. 30 Kr.) ging, da keine Kinder vorhanden waren, an die
Eltern, beziehungsweise Geschwister über (Verlassenschaftsakt im
Archiv des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V, Nr. 154 ex 1799). —
Der Schmerz ihres Gatten um sie war groß (vgl. oben S. 223 f.,
254); um ihn in etwas zu trösten, schrieb seine Schwester für
ihn das Gleichnis „Der entblätterte Baum" (Gleichnisse. Wien
1800. S. 20 = S. W. 2 XVIII, S. 119).
^*^) Schloß Dürnholz liegt in der südlichsten Ecke Mährens
an der Thaya, nicht weit von Grußbach und Nikolsburg entfernt
(vgl. Gregor Wolny, Die Markgrafschaft Mähren topographisch,
statistisch und historisch geschildert. II, i [Brunn 1836], S. 273 ff.)
und gehört heute noch dem Besitzstande des Theresianums in
Wien an, welchem es nach Auflösung des adeligen Olmützer Kon-
viktes als Stiftung des Feldmarschalls und Geheimen Rates Rudolf
Freiherrn von Teuffenbach (t 1650) zur Gänze zufiel, nachdem
früher nur ein Teil zu ihm gehörte (Anton Reichsritter von Geusau, .
Geschichte der Stiftungen, Erziehungs- und Unterrichtsanstalten
in Wien. Wien 1803. S. 356ff.; Joh. Nep. Edler von Savageri,
Chronologisch-geschichtliche Sammlung aller bestehenden Stif-
tungen, Institute, öffentlichen Erziehungs- und Unterrichts- An-
stalten der k.k. österreichischen Monarchie, I [Brunn 1832], S. 348 ff.).
— Die Abreise von Wien erfolgte über Auftrag des Kaisers Franz
am Ostermontag, den 17. April 1797 mittelst Wagen, wobei nebst
den 30 Theresianisch-Leopoldinischen Zöglingen, die Hofrat
Greiner beaufsichtigte, noch die Zöglinge der Barbara-Akademie in
der Stadt unter Leitung des Rektors P. Ehrenbert Sonnenmeyer,
des P. Stephan Becker und des Profeßklerikers Franz Barger be-
teiligt waren ; die beiden ersteren hatten in Dürnholz Umgang mit
den Greiners; die Rückreise erfolgte am 31. Mai 1797 (vgl. Anton
Brendler, Das Wirken der P. P. Piaristen seit ihrer Ansiedelung in
Wien im Collegium in der Josefstadt, zu St. Thekla auf der Wieden
und im Löwenburgschen Convicte. Wien 1896. S. 263).
***) Karl David Schweiger, laut Heiratsprotokoll aus Linz und
Sohn des Linzer Stadtschreibers Jakob Schweiger und der Theresia,
geb. Kek, kam, nachdem 1783 das Bistum Leoben de facto gegründet
wurde, als Kanzlist in die Konsistorialkanzlei nach Leoben, wurde
dort am 9. März 1792 seiner ausnehmenden Fähigkeiten und der
vielen, mit ganzer Zufriedenheit gelieferten Arbeiten wegen, wie
es im Emennungsdekrete heißt, Konsistorialkanzler und übersiedelte
1808 mit der Kanzlei, da das Bistum Leoben vom Seckauer Bischof
(Sitz in Graz) administriert wurde, nach Graz, wo er am Grieß
Nr. 887 wohnte (Schematismus für das Herzogthum Steiermark auf
das Jahr 1827. Grätz, S. 330). Er starb nach langer Krankheit,
laut Totenprotokoll der Pfarre St. Andrae in Graz, am 5. März
1829, 69 Jahre alt, an der Gicht (Frdl. Mitteilungen der hochw.
Herrn Konsistorialarchivar Math. Schaffler und Pfarrer Dr. K.
Maierhof in Graz). Von Schwelger sind drei an die Pichler gerich-
tete Briefe in der Wiener Stadtbibliothek erhalten und zwar zwei
aus dem Jahre 1826 (Graz 2. Mai und 14. Juni) und einer aus dem
Jahre 1827 (22. November). Sie behandeln eine Geldangelegenheit.
Im letzten Brief vom 22. November 1827 berichtet Schweiger, daß
ihn nunmehr seit vier Wochen ein krampfhaftes Leiden im Unter-
leib meistenteils ans Bett fessele. — Schweiger war mit einer Schwe-
ster des Andreas Pichler vermählt (vgl. oben S. 266, 272 f.). Diese,
Maria Elisabeth Theresia, wurde am 16. August 1758 in der Ge-
meinde Spittelberg (jetzt Wien VII) geboren und heiratete am
17. Juni 1784 bei St. Ulrich in Wien (Taufprotokoll der Pfarre
St. Ulrich in Wien VII, t. XXIX, Fol. 222 a; Heiratsbuch derselben
Pfarre, t. XXIX, Fol. 248 b). Aus ihrer Ehe mit Schweiger entsproß
eine Tochter Karoline (geboren in Goeß bei Leoben am 10. Sep-
tember 1785: Taufbuch der Pfarre Goeß nach frdl. Mitteilung des
Herrn Stadtpfarrers Alois Stradner in Leoben), die im Winter von
1804 auf 1805 bei Pichlers in Wien weilte, nachdem diese im Som-
mer 1804 in Leoben auf Besuch bei Schweigers waren (oben
S. 272f.). Elisabeth Schweiger starb am 15. Dezember 1815 in
Graz an den Kopffraisen (Totenbuch der Pfarre St. Andrä in Graz,
nach frdl. Mitteilung des hochw. Herrn Pfarrers Dr. K. Maierhof).
^ Alexander Graf von Engel und zu Wagrain (172 1 — i8oo) war
der erste Bischof von Leoben seit dem Jahre 1784. Er starb zu
Goeß. Vgl. Megerle von Mühlfeld, Memorabillen, I, S. 285; Bon.
Sentzer, Roman Sebastian Zängerle. Graz 1901, S. 401 (Register).
518'
3**) Die Franzosen kamen am 7. April 1797, nachdem Erzherzog
Karl am selben Tag die Stadt verlassen hatte, unter Massena nach
Leoben; Massena ging am 9. April weg, dafür kam die DiTision
Angereau, die bis 26. blieb. Am 28. April waren alle Franzosen
fort. Napoleon war am 10. April abends %io Uhr angekommen,
aber sogleich nach Goeß weitergegangen, wo er beim Bischof von
Leoben Graf Engel wohnte. Am nächsten Tag reiste er nach Graz,
kehrte aber am 13. wieder zurück (vgl. den Bericht des Leobner
Bürgermeisters Dirnpöck bei Hans v. Zwiedineck-Südenhorst, Der
Vorfriede von Leoben. Leoben 1897. S. 3if.).
355) Der Präliminarfriede von Leoben (18. April 1797) sicherte,
den Franzosen die Lombardei und Belgien. Der Friede wurde in
der Vorstadt Mühltal (nicht in Goeß) im Gartenhäuschen des Rad-
gewerken Josef Egger Edlen von Eggenwalt unterzeichnet (Zwie-
dineck-Südenhorst, S. I2f., 32f. und 35). Vgl. über dieses Häus-
chen und die dort befindliche Inschrift Jul. Wilh. Fischer, Reisen
durch Österreich, Ungarn usw., II, (Wien 1803), S. i52ff.
368) Stadtkommandant war Feldmarschall Graf Josef "v. Kinsky
(Anton Edler v. Geusau, Geschichte der Haupt- und Residenzstadt
Wien. V, [Wien 1807], S. 74). Pichler meint jedenfalls den Feld-
marschalleutnant Johann Freiherrn von Zoph, auch Zopf (1740
bis 18 12), der sich in den Franzosenkriegen besonders auszeichnete
(J. Hirtenfeld, Der Militär-Maria-Theresien-Orden und seine Mit-
glieder. Wien 1857. S. 5iof.), und der im Jänner 1801 die Stadt-
verteidigung von Wien leitete, wobei Tag und Nacht, Sonn- und
Werktags 8000 Mann an den Festungswerken und äußefen Ver-
schanzungen arbeiteten (Ed. Duller, Erzherzog Carl. * Pest 1859.
S. 493 f.). Pichler verwechselt hier 1801 und 1797.
'^') Vgl. oben Anm. 348. Was hier Karoline Pichler als die Ent-
lassung des Wiener Aufgebots anführt, war vielmehr die Fahnen-
weihe, die der Bischof Graf Arzt am 17. April 1797 am Glacis vor-
nahm, worauf das Aufgebot in das Hauptquartier nach Klosterneu-
burg marschierte. Am 3. Mai kehrte es nach Wien zurück und
wurde infolge der Friedenspräliminarien von Leoben aufgelöst.
Jeder Teilnehmer erhielt im Juli und September 1797 die „Aufge-
bots-EhrenmedaiUe" (Geusau, V, S. 119 ff., I52ff. und 173 ff.;
Jos. Lauber, Denkmal der Vaterlandsliebe usw. S. 379ff., 396ff.
und 441 f.; Glossy, Wiener Neujahrs-Almanach 1897, S. 37ff.).
^ Marie Jean Paul Marquis de Lafayette (1757 — 1834) be-
teiligte sich in jungen Jahren am nordamerikanischen Freiheits-
krieg. Nach Frankreich zurückgekehrt, wählte man ihn 1787 in
die Versammlung der Notabein und 1789 in die Nationalversamm-
lung, derer an den stürmischen Tagen (13. und 14. Juli) präsidierte.
Im Juni 1792 wollte er die königliche Familie in Sicherheit bringen,
519
p.-^^. ^
doch wurde sein Aijerbieten abgelehnt, er selbst angeklagt, aber
freigesprochen. Als er am 15. August 1792 in Sedan den Abge-
ordneten der Nationalversammlung verhaftete, wurde er von den
Republikanern geächtet und mußte nach Flandern fliehen. Dort
gefangen genommen, wurde er von der Koalition zur Haft ver-
urteilt und von den Preußen zur Bewachung übernommen, die
ihn aber am 17. Mai 1794 an die Österreicher übergaben, die
ihn als Staatsgefangenen der französischen Emigrantenregierung
am 18. Mai in die Festung Olmütz einlieferten, wo er anfangs alle
möglichen Freiheiten hatte, bis ein mißglückter Fluchtversuch
eine strengere Bewachung zur Folge hatte. Seit Oktober 1795
teilten seine Frau und seine Töchter freiwillig mit ihm die Haft.
Nach mannigfachen Unterhandlungen, an denen sich nach dem
Leobner Präliminarfrieden auch Napoleon beteiligte, wurden
die Gefangenen am 18. September 1797 aus Olmütz entlassen
und nach Hamburg geleitet, wo sie der amerikanische Konsul
übernahm. Vgl. über die ganze Gefangenschaft Max Büdinger,
La Fayette in Österreich. Wien 1878, S. 6 ff.; dazu die
interessanten Mitteilungen von Gustav Gugitz über Haschka
(Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft, XVII, S. 100 ff.), der
diese Gefangennehmung über amtlichen Auftrag publizistisch
verteidigen mußte. Später kehrte Lafayette nach Frankreich"' zu-
rück, lebte zu Lagrange und trat erst nach Napoleons Sturz wieder
hervor. Er wurde neuerdings Deputierter und 1830 Kommandant
der Nationalgarde (vgl. auch unten IL S. 266 f.).
^') Getauft wurde die Kleine am 12. Oktober 1797 auf die
Namen Carolina Eugenia, wobei die Großmutter, Karoline von
Grciner als Taufpatin fungierte (Tauf pro tokoU der Pfarre St.
Augustin in Wien I, t. IV, Fol. 43).
3«o) Matth. 6, 25—34.
361) Maximilian Stoll (1742 — 1788) war einer der gesuchtesten
und gewiegtesten Wiener Ärzte. Ein geborener Badenser, kam er
nach seinem Austritt aus dem Jesuitenorden nach Wien, wo er
1772 Doctor medicinae und 1776 Extraordinarius wurde (Würz-,
bach, XXXIX, S. 161 ff.; Th. Puschmann, Die Medicin in Wien
während der letzten 100 Jahre. Wien 1884, S. 45ff.). Sein Tod,
sowie seine Bemühungen um die Einführung der Impfung in Wien
riefen Gedichte von Alxinger, Leon u. a. hervor (ein Verzeichnis
bei Wurzbach, a. a. O. S. 166).
^2) Greiner wurde am 4. Juni 1798 am Hernalser Pfarrfriedhof
beerdigt (Totenprotokoll der Pfarre St. Bartholomäus in Hernais,
jetzt Wien, XVII). Er hinterließ ein Testament vom 11. Oktober
1767, in dem er die eine Hälfte seines Vermögens seiner Gattin,
die andere Hälfte seinen Kindern vermachte, außerdem 100 Messen
520
für sein Seelenheil wünschte und kleinere Legate für das Militär-
invalidenhaus, die Normalschule und für seine Muhme Elisabeth
Schweitzer aussetzte. Sein Nachlaß betrug an Immobilarv,ermögen
33 965 Fl., an Mobilarvermögen 16 578 Fl. 7 Kr. Vgl. seinen Ver-
lassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V,.
Nr. 67 ex 1798.
383) Im Nachlaß ist dieses Gedicht nicht erhalten.
864) In der Handschrift steht nach „Gleichnissen" durchstrichen:
„indem ich in solchen stillen Stunden, oder auch öfters beim Hin-
und Hergehen in den Gängen des Gartens, über Bäume, Blumen,
Tiere u. dgl. meine Betrachtungen anstellte, manches an ihnen zu
bemerken fand und, das Bemerkte in ein Ganzes zusanamennehmend,
jene stillen, aber wahren Beziehungen fand, die sich zwischen der
physischen und menschlichen Welt um uns und in uns finden."
365) Das Haus Nr, 88 (später Nr. 151 ; heute Wien XVII, Jörger-
straße 9 und Müglendergasse 5) in Hernais samt dem sogenannten
Bleichgarten wurde im Jahre 1771 von Franz Sales und Charlotte
von Greiner licitando um den Preis von 4610 Fl. gekauft und ging
im August 1798 uxa 7000 Fl. an den bürgerlichen Handelsmann
Josef Mayr über; das Domkapitel zu St. Stephan erhielt davon
jährUch zu Michaeli 4 Schilling Grundzins (vgl. Grundbuch des
Domkapitels von St. Stephan über Herrnais [Wiener Stadtarchiv,
Rep. 75, Nr. 23], Fol. 49, 50; Gwährbuch des Domkapitels von
St. Stephan über Herrnais [Wiener Stadtarchiv, Rep. 75, Nr. 10],
Fol. 207a, 265 a). Ein kurzer Hinweis auf dieses Haus auch bei
Franz von Paula Gaheis (Wanderungen und Spazierfahrten in die
Gegenden ima Wien, II, [Wien 1801], S. 117) und Karl Hofbauer
(Die Alservorstadt. Wien 1861. S. 60). — Außerdem besaß
Greiner noch ein Haus zu St. Ulrich untern Guts Nr. 38 (vgl.
die Schätzungsquittung vom 30. Juni 1798 in der Pichler hand-
schriftlichem Nachlaß I. N. 755).
366) Über die seit 1587 bestehende, 1732 vergrößerte Wasser-
leitung von Hernais nach Wien vgl. Hofbauer, S. 3 f.
^*') Wielands Werke. Hrg. von Heinrich Kurz, I, (Leipzig) S. 140
(Neunter Gesang, Stanze 43 — ^45).
*^8) Johann Hunczovsky (1752 — 1798) kam 1771 nach Wien,
mac hte i jjj auf Staatskosten eine dreijährige Studienreise nach Paris
und London und wurde, zurückge}cehrt, 1781 ordentlicher Professor
am Militärspital zu Gumpendorf, 1791 unternahm er im Gefolge
Kaiser Leopolds IL eine vrässenschaftUche Reise nach Italien und
wurde in der Folge k. k. Leibchirurg. Er war ein ausgezeichneter
Operateur und starb am 4. April 1798 als Opfer seines Berufes
(Wurzbach, IX, S. 428 ff.; Theodor Puschmann, Die Medicin in
Wien während der letzten 100 Jahre. Wien 1884. S. 99ff.). Über
521
dessen Charakter, sowie von dessen Sammlungen berichtet Joh.
Adam Schmidt (Rede zum Andenken des k. k. Rathes und Pro^
fessors Dr. J. N. Hunczovsky. Wien 1798, S., 12 ff.) Bemerkens-
wertes. Ein Bild seiner Todeskrankheit bietet die Medizinisch-
diirurgische Zeitung, Salzburg 1798, III, S. 39 ff-, aus der hervor-
geht, daß Pichlers Darstellung nicht ganz richtig ist. Sie
wui3te jedenfalls nur vom Hörensagen von dieser Sache, daher
ihre fehlerhaften Angaben.
868) Hunczovsky war zweimal verheiratet, doch jede Frau starb
bei der Geburt (vgl. Schmidt, a. a. O. S. 40). Der Knabe hieß
Johann Nepomuk Heinrich Hunczovsky.
870) War schon eine Verordnung der Kaiserin Maria Theresia vom
3. Februar 1755, soweit es Waisen betraf (vgl. Joh. Nep. Freiherr
V. Hempel-Kürsinger, Alphabetisch-chronologische Übersicht der
k. k. Gesetze und Verordnungen. X, [Wien 1827], S. 220).
ä'^) Es war dies das Haus Alstergasse Nr. 90 (später Nr. 102
und 109). — Es wurde zuerst am 24. Jänner 1799 licitando um den
Schätzungswert von 12850 Gulden feilgeboten und vom Vertreter
der Greinerschen Erben, Herrn Josef Koch, um 14 600 Gulden für
diese erstanden. Dieser Kauf fand jedoch nicht die Bestätigung
des Militärgerichts als Hunczovskysche Vormundschaftsbehörde,
und so kam es zu neuerlichen Verhandlungen mit dem Vormund
Prof. Wilhelm Böcking, die am 20. April 1799 mit der Aufstellung
eines Kaufvertrages, worin sich Frau Karoline von Greiner ver-
pflichtete, für das Haus 29 650 Gulden zu bezahlen, endigten
(3 Akten darüber im handschriftlichen Nachlaß der Pichler in
der Wiener Stadtbibliothek, Inv.-Nr. 757). Die Einantwortung
erfolgte am 31. Dezember 1802 (Grundbuch der Stadt Wien
Nr. 153 im Wiener Stadtarchiv, Fol. 229b). — Nach dem
Tode der Mutter ging das Haus 18 16 an Karoline Pichler über,
die es bis zu ihrem Ableben inne hatte (Grundbuch Nr. 154,
Fol. 133 b). Bereits früher (1826) in zwei Konskriptionsnummern
(102 und 109) geteilt, vermachte Karoline Pichler Nr. 102 ihrer
Tochter und Nr. 109 ihren Enkeln, gleichzeitig betreffs eines
eventuellen Verkaufes, sowie wegen der Satzübertragung Ver-
haltungsmaßregeln gebend (vgl. ihr Testament unten II, Anm. 571).
1854 wurde das Haus Nr. 109 an Johann und Maria Oppolzer
verkauft (Grundbuch Nr. 149, Fol. 106 a), während Nr. 102
bereits 1846 an die bürgerliche Handelsmannswitwe Katharina
Fasching durch Kauf kam (Grundbuch Nr. 155, Fol. 373 b).
Nr. 109 blieb dann 1854 — 1871 Im Besitze des berühmten Medi-
ziners Prof. Johann Oppolzer (Karl Hofbauer, Die Alservorstadt.
Wien i86i.| S. 59f.; W. KIsch, Die alten Straßen und Plätze von
Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. II,
522
[Wien 1895], S. 558 mit einigen falschen Angaben). Es trug
zuletzt die Nr. 25 in der Alserstraße und wurde 19 11 demoliert.
W2) Johann Ritter de Carro (1770 — 1857) aus Genf, wurde 1796
in Wien zum Doktor der Medizin promoviert, führte hier 1799 als
erster die Vaccination Jenners ein, dessen eifrigster Apostel er war.
1826 verließ er aus Gesundheitsrücksichten Wien und zog nach
Karlsbad, dessen Historiograph und Topograph er wurde. 1801
veröffentlichte er eine Schrift „Über das Einimpfen der Kuh-
pocken" (Wurzbach, II, S. 295 ff.; Puschmann S. 199).
3'3) Edward Jenner, An inquiry into the causes and effects of
Variolae vaccinae, a disease discovered in some of the western coun-
ties of England . . . known by the name of the cow pox, London
1798. 2nd ed. 1800. — Further observations on the Variolae
vaccinae or Cow Pox. London 1799.
3^*) Jakob Barchetti, ein Wiener, war 1797 bereits Sekretär beim
Kreisamt des Hausruckviertels in Wels, 1799 ebenda zweiter Kreis-
kommissär und 1803 in gleicher Eigenschaft dem Kreisamt beider
Mühlviertel in Linz zugeteilt (k. k. Schematismus des Erzherzog-
thums Oesterreich ob der Enns. Linz 1798, S. 52; 1800, S. 56;
1804, S. -jj). 1805 kam er als Hofkonzipist zur vereinigten böhmisch-
österreichischen Hofkanzlei nach Wien, bei der er bis 181 1 diente,
und wohnte in der Alservorstadt (Hof- und Staatsschematismus.
1806, S. 22; 1811, S. 181). 1812 als wirklicher Regierungssekretär
zur Landesregierung nach Linz versetzt, wurde er dort 1823 Re-
gierungsrat, als welcher er bis 1828 aufscheint (Hof- und Staats-
schematismus. 1813, S. 362; 1824, I, S. 403; 1828, I, S. 392).
375) August Heinrich Julius Lafontaine (175 8 — 1 831), der Urheber
des weinerlichen Familienromans, war ursprünglich. Feldprediger,
privatisierte aber seit 1801. Verfaßte ca. 150 Bände Romane (vgl.
Goedeke, V, S. 478f.: 21). Über seinen Aufenthalt in Wien s. oben
S. 384^ Über die Vorliebe, mit der man um 1803 in den höheren
Klassen Wiens Lafontaines Romane las, vgl. Jul. Wilh. Fischer,
Reisen durch Österreich. I, S. 212 und II, S. 128; oben S. 230 und
II, S. 2311. Über seine Aufnahme in Österreich überhaupt vgl.
Karl O. Wagner, Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger
Landeskunde, XLVIII. (Salzburg 1908), S. 211 und Lulu Gräfin
Thürheim, Mein Leben. Hg. von Rene van Rhyn, I (München
'913)5 S. 77. Baronin Richler und ihre Schwestern Porta standen
zeitlebens unter seinem Einfluß (vgl. II, S. 321 f.). — Über die
Romantik und Lafontaine vgl. oben S. 416.
*'•) Gleichnisse. Wien 1800,, im Verlage bey Anton Pichler. (S**.
136 S.). — Die Vorrede (S. 3 — 8) ist gezeichnet: Wien, den 30. Jän-
ner 1800. Sie berichtet über die Entstehungsgeschichte (vgl. oben
Anm. 261). — Diese erste Ausgabe enthält, ebenso wie S. W. ^ XIII
(Wien 1814 bei Strauß: die Gleichnisse von S. 5 — 136) die Widmung
an Josefine v. Ravenet, die S.W.^ XVIII, S. 3f. enthalten ist, nicht.
Es sind 30 Gleichnisse, von denen 2 (Nr. XVIII. Der Morgennebel
und Nr. III, Der Pappelbaum) bereits früher gedruckt vfaren (s.
Anm. 377). — Die 1800 erschienenen Gleichnisse sind: i. Die Blüten
im Frühlinge (I.); 2. Der Sturmwind (IL) ; 3. Der Pappelbaum (IV.);
4. Das Vergißmeinnicht (V.); 5. Das Tal (VII.); 6. Das Hänflings-
nest (VIII.); 7. Der Gemüsegarten (X.); 8. Die Allee (XII.);
9. Die Salbey (XIII.); 10. Die ausländischen Gewächse (XIV.);
II. Der sterbende Schmetterling (XV.); 12. Die Johanniskäfer
(XVI.); 13. Die Obstkerne (XVII.); 14. Die Tannen (XVIII.);
15. Der Laubengang (XIX.); 16. Die Weidenbäume (XX.); 17. Die
eingeimpften Bäume (XXL); 18. Die Morgennebel (XXIL);
19. Die Pflanzen im Schatten (XXIII.) ; 20. Die Herbstgegend
(XXV.); 21. Der Berggipfel (XXVI.) ; 22. Der Garten im September
(XXVII.) ; 23. Das Gartenbeet (XXX.); 24. Der Herbstwind
(XXXI.)^ 25. Der bewachsene Stein. An meinen Gemahl (XXXII.) ;
26. Das Wäldchen (XXXIII.) ; 27. Der Garten im November
(XXXIV.) ; 28. Der entblätterte Baum. An meinen Bruder (XXXV.) ;
29. Der Winterabend (XXXVII.) ; 30. Die Morgenstunde
(XXXVIIL). Die eingeklammerten römischen Ziffern bezeichnen
die Gleichnisnummer in S. W. 1 XIII, S. 5 ff. und 2 XVIII, S. iiff.
Letztere Ausgabe enthält, ebenso wie S. W. ^ XIII noch 8 weitere
Gleichnisse: III. Der Garten in der Stadt; VI. Die Bohnen; IX.
Der Regenbogen; XL Das Geranium triste; XXIV. Die Astern;
XXVIII. Die Blüten im Herbste; XXIX. Die Knospen im Herbste
und XXXVI. Das Treibhaus. Von diesen waren Nr. XXIV, III,
XXIX, VI und XI im „Österreichischen Taschenkalender für
das Jahr 1804, S. i84ff.; 1805, S. 198 ff. und 1806, S. I96ff. er-
schienen.
1807 kam eine, "von Barbara Kelemen besorgte Übersetzung ins
Ungarische heraus (Hasonlatossägai. Pest, o. J. [1807]: vgl. Allge-
meine Literaturzeitung vom Jahre 1807. Halle 1807. Intelligenz-
blatt Nr. 83, Sp. 666; G. Petrik, Bibliographia Hungariae. III,
[Budapest 1891], S. 91), welche ein Rezensent (Neue Annalen der
Literatur des österreichischen Kaiserthumes. Wien 1808, II, S. 93 f.:
5) als „eine glückliche Übersetzung eines trefflichen deutschen
Werkes" bezeichnet. 18 10 erschien bei Cotta in Tübingen eine,
um ein Fünftel vermehrte Ausgabe der Gleichnisse von 1800 als
„Gleichnisse" (S**. IV, 156 S.); diese Ausgabe war mir unzugänglich.
ä^^) So in: a) „Wienerischer Musenalmanach" 1782, S. 163 (Auf
die Genesung meiner Freundin; s. oben Anm. 109). — 1786,
5. 121 (TibuUs fünfte Elegie des vierten Buchs; s. oben Anm. 109).
— 17^7» ^' 9° (^ ^^^ Nacht : Schwing die thaubenetzten Flügel). —
524
1795> ^' ^^ ^^^ '^^^ Bach 1789: Was rauschest du vor mir dahin
= Sämmtliche Werke. 2 XVI, S. 5), 28 (Der Morgennebel [Prosa]
= Gleichnisse Nr. XXII: S. W. 2 XVIII, S. 78), 44 (Hedwig. Auf
das italienische Lied: Nel cuor piü non mi sento. Aus der Oper:
La Molinara. 1792: Vom Haselgesträuche beschattet = S. W.
a XVI, S. 10), 63 (An meinen todten Zeisig. 1792 : Schlummre deinen
letzten Schlummer = S. W. 2 XVI, S. 19), 80 (Die Pappelweide:
Komm, Timarette, und betrachte mit mir .... [Prosa] = Gleich-
nisse, Nr. IV: S. W. 2 XVIII, S. 20), 94 (Erinnerung an den Sommer.
Im November 1792: Wo bist du hin, zu schnell entflohne Zeit
= S. W. 2 XVI, S. 16), 103 (Am Vermählungstage meiner Freundinn.
Den 29. AprU 1794: Der lieblichste von allen Frühlingsmorgen
= oben Anm. 315). — I79Ö, S. 16 (Die Verlassene. Aus dem
Französischen des de la Place: Flieht meinen Geist, ihr traifrigen
Gedanken = S. W. 2 XVI, S. 7), 30 (Erinnerungen. An meine
Freundinn Fräulein Sophie vonMertens: Süß ist das Angedenken
vergangener fröhlicher Tage = oben Anm. 287), 53 (Elegie bey
dem Leichenbegängnisse meiner unvergeßlichen Freundinn The-
rese von Dürfeid. Den 23. Junius 1795: Die Mitternacht ruht
schweigend auf der Gegend = oben Anm. 335), 102 (Sehnsucht
nach Ruhe. Auf Mozarts Musik: O Isis und Osiris schenket usw.:
Des Lebens und des Leidens müde = S. W. 2 XVI, S. 9).
b) Wiener Theater-Almanach für das Jahr 1795. Wien (1794),
S. 26 ff.: An Herrn Joseph Hayden. Bey Anhörung seiner sechs
neuen, in England verfertigten Symphonien (Sie wurden bei der
Akademie der Tonkünstlersozietät im Advent 1794 aufgeführt):
Wie rauscht die laute Musik, wie wälzt im harmonischen Gange . .
(unterzeichnet Caroline von G**) = Österreichische Monaths-
schrift. Wien 1794. Band I, S. 5iff. (Unterzeichnet: Caroline
von Greiner).
c) Österreichische Monathsschrift. . Hg. von Alxinger. Prag
und Wien 1793. 3. Bd., S. iff.: Der Wasserfall. Eine Idylle.
(Christel und Dorchen: Dorchen, der Morgen ist kühl; es wehn
erfrischende Lüftchen): Fräul. v. Greiner. — S. i62ff. : Adelgunde
(Am Felsen sitz ich hier allein, Es glänzt der Mond mit trüberm
Schein...): Caroline v. Greiner [S. 162 Anm.: „Diese Ballade
gründet sich auf eine wirkliche Geschichte. Sein Bildniß, wo-
von am Ende des Gedichtes gesprochen wird, ist unfern von Basel
zu sehen"].
d) Einzeldrucke von Gedichten vgl. oben Anm. 204, 297 und 304.
Auf diese ersten, oft schwächlichen dichterischen Leistungen
der Karoline von Greiner beziehen sich drei Bemerkungen. Ein
Unbekannter erklärt (Deutschlands Schriftstellerinnen. Eine cha-
rakteristische Skize [!]. King-Tsching in der kaiserlichen Druckerei
i/go- S. 36 unter Karoline von Grünier [!]): „Schlecht wollen
wir die Arbeiten dieser Dichterinn (S. den Wiener Musenalmanach
auf das Jahr 1787) eben nicht nennen, aber schwerlich werden
sie sich jemals sehr über das mittelmäßige erheben." Entzückter,
aber unkritischer ist ein Unbekannter (nicht Johann Friedl), der
in seinem Buch (Vertraute Briefe zur Charakteristik von Wien.
I, [Görlitz 1793], S. 193) sagt: „An diese Dichter schließen
sich auch drei Damen an, als die Gräfin Fries, — Gabriele
von Beumberg (!) und Caroline von Grainer, die schöne
Blumen geliefert und gezeigt haben, daß auch Violen in einer
kalten Zone blühen können." Im „Wiener Schriftsteller und
Künstler-Lexikon. Wien 1793" heißt es von ihr (S. 47): „eine
liebenswürdige Dichterin. Ihre Elegie auf Kaiser Leopolds II.
Tod erhielt den Beyfall vieler Kenner und unter andern auch
jenen des Fürsten von Kaunitz Rietberg."
^'®) Bei diesem Abbe Br. könnte man zunächst an den Hof- und
Burgpfarrer Franz Konrad Briselance von Rendorff denken, der
1766 den Hof rat Greiner getraut hatte (vgl. oben Anm. 45); aber
Briselance war bereits 1770 in Pension gegangen und in sein Heimat-
land gereist (Cölestin Wolfsgruber, Die k. und k. Hofburgkapelle
und die k. und k. geistliche Hofkapelle. Wien 1905. S. 290). Ge-
meint ist aber vielmehr der Exjesuit Abbe Wilhelm von Brink, der
von 1773 — 1782 Präfekt und bis 1787 Lehrer der Rhetorik am
Theresianum war, in welch letzterem Jahre er seiner schwächlichen
Gesundheit wegen als Präfekt (Anstaltsleiter) an die humanistische
Schule zu St. Anna kam, die er bis zu seiner, am 12. Jänner 1808
erfolgten Pensionierung leitete. Er zeichnete sich durch vorzügliche
Kenntnisse und bewährte Tauglichkeit aus. Vgl. Max Freiherr von
Gemmel-Flischbach, Album des k. k. Theresianums (1746 — 1880).
Wien i88o, S. 15, 16; Albert Hübl, Das Gymnasium bei St. Anna
in Wien (1775 — 1807). Progr. Schottengymnasium Wien 1909,
S. 39.
s'ö) Otto Wiser (175 1 — 1824), ein Günzburger, war zuerst
Professor am Gymnasium zu Marburg und lehrte seit 1781 Philo-
sophie und Mathematik am Löwenburgschen Konvikt in der
Josefstadt (Wien VIII). Von 1797 — 18 10 war er Vizerektor am
Theresianum und von 18 10 — 1822 Piaristenprovinzial. Mit seinem
Bruder Johann Siegfried, ebenfalls Piarist, übersetzte er Klopstocks
Messiade ins Lateinische. Doch blieb diese Übersetzung Hand-
schrift (Wurzbach, LVI, S. 54; Gemmel-Flischbach, S. 17 und 62;
Anton Brendler, Das Wirken der P. P. Piaristen seit ihrer Ansiede-
lung in Wien. Wien 1896, S. 261, 280 ff.).
^^) G. Merkel (Briefe an ein Frauenzimmer über die wichtigsten
Produkte der schönen Literatur, II, [Berlin 1801], S. 445 ff.) be-
526
spricht Im 28. Brief Karoline Pichlers „Gleichnisse" sehr eingehend
und überschwänglich. Im stillen Kämmerlein, bei verschlossenen
Türen soll das Büchlein mit einer Freundin gelesen werden, denn
„in dem ganzen Werke ist kein Streben nach Abenteuerlichkeit
sichtbar und ebenso wenig nach Witz, Lichter Verstand und ein
gefühlvolles Herz allein sprechen in ihm zum Verstände und zum
Herzen". Das Gefühl ist wahr und echt. Karoline Pichler ist ein
Beweis dafür, daß „auch das schöne Geschlecht durch eine literarische
Bildung außerordentlich gewinnen könne", besonders wenn es nicht
gelehrt sein wolle, sondern seine Mitschwestern nur belehren will,
was es besser tun könne als die Männer. „Die Idee des Buches
ist »ehr einfach und ihre Ausführung meistenteils vortrefflich,"
wenn auch die Natur der Aufsätze der Verfasserin kein sehr weites Feld
zur Entfaltung ihrer Talente darbot, aber was möglich war, das leistete
sie. „Die Gegenstände, die sie beschreibt, sind sehr glücklich gewählt,
mit Wahrheit geschildert, mit innigem Gefühle und hellem, oft
philosophischem Geistesblick angewandt." Wenn sie ihren Blick
auf häusliche und gesellschaftliche Verhältnisse ihres Geschlechtes
senkte, „dann sind ihre Gefühle von der zartesten Innigkeit".
Zum Beweise dafür druckt Merkel das Gleichnis „Der Schmetter-
ling" ab. Selbst das, was sie zuviel gibt, „ist meistenteils so wahr
und schön: man gesteht, es wäre ein Verlust, wenn sie es wegge-
schnitten hätte".
Julius Wilhelm Fischer (Reisen durch Österreich, Ungarn,
Steyermark, Venedig, Böhmen und Mähren in den Jahren 1801
und 1802. I, [Wien 1803], S. 211) meint im August 1802, Karoline
Pichler „hat liebliche, herzliche Dichtungen unter dem Nahmen
Gleichnisse geschrieben. Sie schweben sanft spielend um die Seele
des Lesers, wie ein frischer, glänzender Thautropfe um die leicht
gefärbte Rose." Ähnlich urteilte Josef Rohrer (Versuch über die
deutschen Bewohner der österreichischen Monarchie. II, [Wien
1804], S. 10) über die Gleichnisse, „deren Blumenauswahl auf die
geschmackvollste Naturfreundinn hinweiset. Man fühlet es in
jedem Blatte, daß diese Dichterinn, gleich dem Idyllen-Sänger
Geßner, neben einem vortrefflichen Talente zur Dichtkunst auch
ausgebreitete Kenntnisse in dem anmuthigen Felde des Pflanzen-
reiches und dem schönen Gebiethe der zeichnenden Künste haben
müsse. Lasset uns eine ähnliche Dichterinn um so willkommener
seyn, je seltener man Dichter dieser Art unter uns trifft." Ganz
enthusiastisch klingen die Worte des J. B. v. M(edniansk)y (Über-
blick des neuesten Zustandes der Litteratur, des Theaters und des
Geschmackes in Wien. I, [Wien 1802], S. 13 f.) : „Ich war so glücklich,
die in unsern Gegenden rühmlichst bekannte und mehr vielleicht
als in ihrer Vaterstadt selbst geschätzte Dichterin Karoline Pichler,
527 '
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geborene von Greiner kennen zu lernen. Mit einer Achtung, welche
von Verehrung wenig verschieden ist, bemerkte ich auch in ihrem
Umgange jene interessante Vereinigung zarter Weiblichkeit mit
männlicher Tiefe des Gefühls und philosophischer Stärke der
Gedanken, welche in ihren unlängst erschienenen Gleichnissen
sich so anziehend und mit allem Zauber einer lieblichen Farben-
gebung äußert. Dieselbe sanfte Melancholie, derselbe schüchtern
verschlossene Harm, welche in den meisten der früheren Poesien
dieser Dichterin auf den lebhaften Reiz fröhlicher Bilder, wie das
Mondlicht auf eine Laube der Freude und Liebe den magischen
Schleyer süßer Wehmuth haucht; lebt auch in diesen Blättern, und
indem er mit hohem didaktischem Verdienste in ein harmonisches,
jede Saite des Gefühls wohlthätig berührendes Ganze verfließt; so
wird dieses schöne Denkmal einer großen weiblichen Seele für jedes
unerfahrne Mädchenherz so lange ein vortreffliches Bildungsbuch
bleiben, als es der modernen Erziehung nicht ganz gelingen wird,
alle Empfänglichkeit für reinere Genüsse und aUe Sehnsucht nach
Befriedigung feinerer Gefühle zu unterdrücken."
Ein unbekannter Rezensent (Allgemeine Literatur-Zeitung. 1801.
I, Qena 1801], Sp. jSSf.) weist mit Recht darauf hin, daß der Titel
besser Vergleichungen als Gleichnisse heißen sollte und daß der
Gedanke selbst in Deutschland nicht neu sei, denn Joh. Jak. Engel
(Der Philosoph für die Welt), A. Meißner (Skizzen), Anton Wall
(Bagatellen) und Christian Scriver (Gottholds zufällige Andach-
ten) haben in ähnlicher Weise die unbelebte Natur zu philosophi-
schen und morahschen Sätzen in Beziehung gesetzt. Er lobt den
edlen, gefühlvollen Ton in den Gleichnissen, die Sorgfalt des Aus-
druckes und den moralischen Endzweck und meint, daß KaroUne
Pichler mit diesem Werk nicht nur ihre männlichen Kollegen in
Wien beschäme, sondern sich einen nicht unbedeutenden Platz
unter den deutschen Schriftstellerinnen damit erworben habe. Was
den Inhalt betrifft, so bieten ihm manche Gleichnisse (Nr. 2, 4,
28) nichts neues, bei einigen (Nr. 7, 21) seien die Vergleichungen
gezwungen, am besten gelungen scheinen ihm Nr. 10, 11, 19 und
22. Besonders hervorhebenswert scheint ihm die weisUche Beschei-
denheit, welche die meisten der Lehrbilder aufs weibliche Ge-
schlecht Bezug haben läßt.
An der zweiten, 1810 erschienenen Ausgabe (vgl. Anm. 376) lobt
ein anderer Kritiker (Allgemeine Literatur-Zeitung. 1815. IV,
[Halle 18 15], Sp. 662 f.) die reine, blühende und belebte Sprache,
die freilich öfter zu sehr Konversationston und zu weitläufig ist,
und das glückliche Auffinden von Ähnlichkeiten, wobei freilich eine
umfassende Kenntnis der Natur und ein tieferes Ergreifen ihres
geheimnisvollen Geistes von einer Dame nicht verlangt werden
5^28
kann. Einiges erscheint ihm gezwungen (Nr, 3 Der Pappelbaum),
anderes zu bekannt (Nr. 2 Der Sturmwind).
Klopstock äußerte sich in einem Briefe an die Hofrätin v. Greiner
lobend über die Gleichnisse, ebenso zeigte sich Freiherr von Nicolay
darüber in Briefen erfreut (Pichler, S. W. 2 XVIII, S. 201 f. =
oben II. S. 404 f.).
381) „Die berühmte Frau. Epistel eines Ehemannes an einen
andern." Erschien zuerst 1789 in „Pandora", dann 1803 in
Schillers „Gedichten" (Goedeke, V, S. 184: 19).
382) Krates und Hipparchia. Ein Seitenstück zu Menander und
Glycerion. Zum Neujahrs-Geschenk auf 1805. Tübingen [1804]. —
Vgl. Goedeke, IV, i, S. 208 b : 146.
383) Olivier oder die Rache der Elfe. 2 Teile. Wien. Im Verlage
bey Anton Pichler, 1803. (8". 96 und 188 Seiten mit je einem
Bilde: a) V. Kiniger del., J. Blaschke sc; b) J. Blaschke sc). Er-
schien zuerst 1801 und 1802 anonym (Österreichischer Taschen-
kalender für das Jahr 1801. Wien, S. 6yif.; 1802, S. 66ff. Unter-
zeichnet: Auguste ***). — Später in S. W. ^ als Band VIII über-
nommen. — Vgl. noch Anm. 508.
Karoline Pichler schrieb auch sonst viel für: Österreichischer
Taschenkalender (ab 1804: Österreichisches Taschenbuch) für das
Jahr 1801 ( — 1806). Wien i8oiff. und zwar:
1801, S. 9 Klage eines Verlassnen am Vermählungstage seiner
Geliebten: Darf ich denn noch mein dich nennen? (fehlt S. W. ^).
— 16 Der Flußgott. Eine Idylle an die Freyinn Henriette von
Tinti, geborne v. Mertens (Idyllen, 1803, S. 132; fehlt S. W. 2).
— 28 Sehnsucht: Der Vollmon4 glänzt mit stillem Licht (fehlt
S. W. 2). — 36 Romanze zu der Melodie: Ihr guten, lieben Leut-
chen hört. Aus Hrn. Müllers Fagottisten: Siehst du das Grab im
Mondenschein (fehlt S. W. ^). -^ 67 Olivier. Eine Erzählung: Der
Winter hatte ausgestürmt ... (S. W. ^ VIII).
1802, S. II. Der Blumenstrauß, Idylle (Idyllen, 1803, S. 82 =
S. W. 2 XV, S. 74). — 25 Bey der Genesung Seiner Königlichen
Hoheit des Erzherzogs Carl. Den 16. März 1801: So haben
wir vom Himmel ihn erbethen (S. W. ^ XVI, S. 50). — 33 Der
Sänger am Felsen. Idylle (IdyUen, 1803, S. 35 = S. W. 2 XV,
S' 34)- — 66 Olivier (Schluß); unterzeichnet Auguste **• (S.
W. 2 VIII).
1803, S. I. Corneliens Abschied von ihrem Gemahle. Aus Lu-
cans Pharsalia V. Buch, v. 723: Jetzo da Cäsars Macht von allen
Seiten heranwuchs (fehlt S. W. 2). — 36 In das Stammbuch des
Fräuleins Therese von Paradis: Von der sichtbaren Welt durch
34 C. P. I. 529
der Vorsicht Willen geschieden (S. W. * XVI, S. 48). — 52 Abend-
lied eines Hirtenmädchens : Konunt, Schäfchen, kommt, der Abend
winkt (S.W.* XVI, S. 46). — 57 Schifferliedchen. Nach dem
Italienischen: La biondina in gondoletta etc. etc.: Als ich abends
auf der Gondel (S. W. * XVI, S. 44). — 69 Der Abschied. Nach
dem Italienischen des Metastasio: Schon naht die Scheidestunde
(S. W. 2 XVI, S. 41).
1804, S. I. Rebekka. Ein biblisches Gemähide: Nah dem gast-
lichen Thor des Hauses, unter den Palmen (S. W. * XV, S. 249). —
184 Gleichnisse, i. Die Astern (S. 184 — S. W. 2 XVIII, S. 84ff.);
2. Der Garten in der Stadt (S. 190 — S. W. 2 XVIII, S. i/ff.).
1805, S. 3. Hagar in der Wüste. Eine biblische Idylle: Hagar,
komm aus der Hütte hervor und höre gelassen (S. W. * XV, S. 234).
— 198 Gleichnisse, i. Die Knospen im Herbste (S. 198 — S.W. ^
XVIII, S. 101 ff.); 2. Die Bohnen (S. 201 — S. W. « XVIII, S. 25 ff.
1806, S. 37. Am Geburtstage meines Gemahls: Es naht der
Lenz, von den beeisten Höhen (S. W. * XVI, S. 83). — 48 Maria
Zell: Kennst du den Berg, zu dem von allen Seiten (S. W. * XVI,
S.'2oi). — 84 Der Bettler (Versuch einer Übersetzung aus den
Allemannischen Gedichten des Herrn Professors Hebel) : Ein armer
Mann, ein alter Mann (fehlt S. W. *). — 124 Das Hafermus. Aus
den Allemannischen Gedichten des Herrn P. Hebel: Fertig wäre
das Hafermus, kommt Kinder und esset! (fehlt S. W. *), — igS
Das Geranium triste. An meine Freundinnen die Freyinn von
Richler und ihre Schwestern (= S. W. 2 XVIII, S. 42 ff.).
8**) Am 14. Juni 1800 erzielte Napoleon beim dritten Angriff,
nachdem er zweimal zurückgeschlagen worden war, über den öster-
reichischen General Melas bei Marengo einen entscheidenden
Sieg, der Österreich zwang, am 15. Juni den Waffenstillstand von
Alessandria zu schließen, damit die Reste der Truppen gerettet
würden.
^^) Am 22. August 1800 verschied Frau Theresia von Kurländer,
geb. Sepp von Seppenburg, 53 Jahre alt, am Nervenschlag (Toten-
protokoll der Stadt Wien, 1800. Buchstabe C, G, K. Fol. 122a.
Handschrift im Konskriptionsamt der Stadt Wien). Ihr folgte
am 10. September 1800 ihr Mann Karl Kurländer von Kornfeld,
k. k. wirklicher niederösterreichischer Regierungsrat und General-
Hof-Tax- und Expeditants-Direktor im Alter von 62 Jahren an
Baucheingeweidsverhärtu^g (ebd. 1800, Buchstabe C, G, K.
Fol. 140a).
^ Josef Kurländer von Kornfeld wurde im Juli 1789 ex propriis
zum Infanterieregiment Nr. 3 assentiert, wurde im April 1790
Fähnrich, im März 1793 Unterleutnant und im August 1795
Oberleutnant in diesem Regiment. Wegen Verwundungen teilte
man ihn im April 1799 dem Hauptspital Nr. 7 in Augsburg zur
Dienstleistung zu, von wo er im Oktober 1799 zum Hauptspital
Nr. 2 in Füßen kam. Im Januar 1801 als kriegstauglich wieder zu
seinem Regiment eingeteilt, wurde er im März 1801 zum Infan-
terieregiment Nr. 21 übersetzt und wurde hier 1805 Kapitänleut-
nant. Im März 1806 zu Nr. 49 transferiert, wurde er 1808 Haupt-
mann und fiel als solcher am 6. Juli 1809 bei Markgraf-Neusledel,
wo sein Regiment im zweiten Treffen stand (nach frdl. Mitteilungen
aus dem k. u. k. Kriegsarchiv in Wien; oben S, 350; Historisches
Jahrbuch des Kriegerdenkmal- Ausschusses in Deutsch- Wagram. Hg.
von Anton Pfalz, II [Deutsch-Wagram 1908], S. 105 mit der fal-
schen Angabe, daß Kurländer bei Nr. 48 diehte; Gustav Mayr-
hofer Edler von Sulzegg, Das Infanterie-Regiment Freiherr von
Heß Nr. 49 in den Kriegen Österreichs seit seiner Errichtung
1715 — 1896, St. Polten 1897, S. 96). Seine Schwester Barbara war
1800 beim Tode ihrer Eltern bereits an d^n Dr. med. Boer in
Trebitsch in Mähren verheiratet und ist ypr 1836 gestorben (s.
Verlassenschaftsakte ihres Vaters und Bruders Franz im Archiv
des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 141 ex 1800 und Nr.
- 174 ex 1836).
387) Franz August von Kurländer (1777 — 1836), ein Wiener,
1800 Auskultant beim niederösterreichischen Landrecht, 1806
Ratsprotokollist und 18 11 Sekretär. Er war ein äußerst fruchtbarer
Dramatiker. Seinen Werken ist eine gute Mache nicht abzuspre-
chen, so daß er seinerzeit zu den beliebtesten Lustspieldichtern
gehörte. Seine Stücke, teils Originale, teils Bearbeitungen franzö-
sischer Vorlagen, sind in seinem „Dramatischen Almanach" (Wien
181 1 — 1837) enthalten. Er war äußerst wohltätig und hinterließ
ein großes Vermögen (Wurzbach, XIII, S. 4i8f.; Goedeke, i III, 2,
[1881], S. 8i2ff., Nr. 406). Karoline Pichler widmete ihrem Schwa-
ger einen warmen Nachruf, worin sie ihn als Menschen und Freund
kennzeichnete (Sämmtliche Werke. ^ LI, [Wien 1839], S. 273 ff.;
vgl. II, S. 359). Julius Seidlitz (Die Poesie und die Poeten in Öster-
reich im Jahre 1836. I, [Grimma 1837], S. 113) sagt boshaft nichts
von ihm als: De mortuis nil nisi bene. — Kurländer hatte Bezie-
hungen zu Körner (oben S. 388), vermittelte Pichler die Bekannt-
schaft mit dem Fürsten Odescalchi (II, S. 4), mit dem Landrat
V. Pelzeln, dem späteren Schvnegersohn (II, S. 167) der Pichler
und mit dem Dichter Bolza (II, S. 297). Bei der Hochzeit der Lotte
fungierte er als Brautführer (II, S. 171). Karoline Pichler hingegen
empfahl ihn 1820 der Therese Huber als Korrespondenten fürs
Stuttgarter „Morgenblatt", doch zeigte er als Wiener Korrespon-
dent keinen besonderen Fleiß (vgl. die Briefe der Pichler an die
Huber: K. Glossy, Grillp. Jb. III, S. 293, 298, 304, 309 f.), auch
34* 531
a
später noch (1825) empfahl sie der Huber einen seiner Aufsätze
(ebd. III, S. 335, 338). Über seine Todeskrankheit, seinen Tod
und sein Testament vgl. unten II, S. 322f., 326f., 33off.
388) Karl Kurländer Edler v. Kornfeld, geboren am 2. Dezember
1784, war beim Tode seines Vaters k. k. theresianischer Stiftung
(Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 141 ex 1800),
wurde bald hernach durch seinen Schwager und Vormund Franz
Xaver von Greiner ins Puthonsche Wechselgeschäft gebracht und
blieb bis 1822 Hausgenosse der Pichler (s. I, S. 265, 339; II, S. 21,
81, 154). Während dieser Zeit war er oft Karoline Pichlers Be-
gleiter, so 1809 zur Truppenrevue Napoleons auf der Schmelz
(oben S. 344) und 18 14 beim Einzug Kaisers Franzens (II, S. 49);
18 15 holte er die Pichler aus Ungarn ab (II, S. 79). In letzterem
Jahre heiratete er, nachdem er früher ein Verhältnis mit Nanette
V. Porta und mit Frau v. Kempelen hatte (unten II, S. i55^-)>
ganz in der Stille eine Jugendfreundin der Lotte Pichler, namens
Amalie Fischer von Schlechtem (II, S. 93), doch blieb diese Ehe
kinderlos und war nicht glücklich (unten II, S. 154). Pichler war
bei der Verehelichung sein Beistand (II, S. 155). In der Folge
nahm Kurländer mit seiner Frau 1823 an Lotte Pichlers Hochzeit
teil (II, S, 171) und v/ar mit Karoline Pichler bei der Erstaufführung
von Grillparzers Ottokar anwesend (II, S. 185). Er war Wechsel-
und Börsensensal geworden, kaufte in kurzer Zeit (November
1829) ein Haus in Rodaun (Nr. 27), beerbte 1836 seinen Bruder
und starb am 15. April 1838 an der Herzbeutelwassersucht
zu Salzburg in einem Gasthof auf der Durchreise (s. seinen Ver-
lassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V,
Nr. 68 ex 1838) als der letzte seines Stammes. In seinem Testament
vom I. Juni 1837 setzte er seine Frau zur Universalerbin ein, be-
stimmte 100 Fl. CM. für die Ortsarmen in Rodaun und ersuchte
den Regierungsrat Andreas Eugen Pichler, desse^ Frau Karoline
•und deren Tochter Karoline von Pelzeln „sich g&tigst Andenken
aus meinem Nachlaß zu wählen, um dadurch zu den vielen Be-
weisen von Liebe und Theilnahme, welche sie mir während meines
Lebens gaben, auch noch diesen nach meinem Tode hinzuzufügen"
(ebd.). Er liegt in Salzburg begraben. Seine Frau heiratete wieder;
am 30. Oktober 1846 unterschreibt sie sich mit Amalie Edle Herrin
von Saffran und nennt sich Inhaberin der Herrschaft Pols im Grazer
Kreise der Steiermark (ebd.). Ihr zweiter Mann war Ludwig Frei-
herr von Saffran, der 1863 starb. Sie scheint mit ihm in glücklicher,
wenn auch kinderloser Ehe gelebt zu haben, denn in seinem Te-
stamente vom 15. November 1862 (Archiv des Wiener Landes-
gerichtes, Testamente 1863, Nr. 155) sagt er: „Möge mein gutes
Weib meinen guten Willen als Dank für all die Liebe nehmen,
welche Ich im Leben von ihr empfangen und mir verzeihen, daß
ich zu ihrem Wohle nicht mehr zu leisten imstande bin." Sie selbst
starb am 30. April 1879 ^^ Graz (Gothaisches genealogisches Ta-
schenbuch der Freiherrlichen Häuser, XXX [Gotha 1880], S. 1016).
889) Gemeint ist der privilegierte Großhändler und Bankier
Johann Baptist Puthon (t 18 16), der im Oktober 1773 den öster-
reichischen Ritterstand erwarb, Juli 1792 Reichsfreiherr und 18 11
österreichischer Freiherr wurde (Genealogisches Taschenbuch der
Freiherrlichen Häuser. I, [Gotha 1848], S. 2915 XVII, [Gotha 1867],
S. 682). Er gab zu patriotischen Zwecken 1794 und 1797 bedeutende
Geldsummen (Megerle von Mühlfeld, Memorabilien. I, S. 223
und 247).
390) Sie war die Witwe nach Andreas Vlassics, der 1779 als Hofrat
bei der kgl. ungarischen Hofkanzlei aufscheint und im selben Jahre
in Preßburg eine Rede durch den Druck veröffentlichte (Wurzbach,
LI, S. iii). Sie war (s. ihre Schwester Amn. 391) eine geborene
V. Adda. Ihre Geschicke sind mir unbekannt, ebenso die ihres
Schwiegersohnes Wlassics. Dieser Familie dürfte als Nachkomme
Anton von Wlassics zugehören, der 1846 k. k. wirklicher Hofkon-
zipist in der k. k. allgemeinen Hofkammer war und in der Alser-
vorstadt Nr. 197 wohnte (Hof- und Staatsschematismus, 1847, I,
S. 247). Er unterzeichnete 1844 auf dem Verlassenschaftsakt jjer
Katharina Porta als Zeuge mit „kgl. ungarischer Landesadvokat
und k. k. Hofkammerbeamter."
^'^) Theresia Freifrau von Geramb, war eine geborene v. Adda.
Am 7. Oktober 1796 hatte sie sich zu Preßburg mit Ferdinand
Freiherrn von Geramb vermählt und starb am 2. August 1807 zu
Palermo (Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherr-
lichen Häuser. XXI, [Gotha 1871], S. 203).
^'2) Eduard Freiherr v. Geramb (geb. 1797); er fiel als kals.
russischer Oberstleutnant gegen die Tscherkessen in den dreißiger
Jahren des 19. Jahrhunderts. Gustav Freiherr v. Geramb, der im
Januar 1849 ^^^ ^•^- Oberstleutnant des 2. Banal-Grenz-Infanterie-
regiments Nr. 10 bei Nyarsöl den Heldentod erlitt. Vgl. Gothaisches
Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser. XXI,
[Gotha 1871], S. 203).
^*^) Karoline Pichlers sonst so gutes Gedächtnis läßt sie hier im
Stiche, denn Ferdinand Freiherr von Geramb bildete sein Frei-
korps erst 1805, nicht 1800. *Am 9. November 1805 hatte er den
Aufruf an seine Mitbürger um Geldbeiträge erlassen und bereits
am 12. November konnte er mittags mit 1400 Mann, darunter viele
Vom Aufgebot des Jahres 1797, durch die Hofburg über die Donau-
brücken aus Wien hinausziehen; die Auflösung dieses Freikorps
erfolgte am 21. März 1806 bei der Stadt Enzersdorf (vgl. Anton
533
Ritter von Geusau, Historisches Tagebuch aller merkwürdigen
Begebenheiten, welche sich in Wien vom Monat September 1805 bis
I. Februar 1806 zugetragen haben. Wien 1807, S. 132 ff., 146;
Franz Gräffer, Neue Wiener-Localfresken. Linz 1847, S. 263 ff.).
"*) 3. Dezember 1800. Dieser Sieg des Generals Moreau über die
Österreicher bei Hohenlinden zwang letztere zum Frieden von Lune-
ville (9. Februar 1801).
"^) Erzherzog Karl, der am 17. März 1800, aus Gesundheits-
rücksichten, zum Schmerz aller, von der Armee geschieden war,
übernahm, da die Franzosen entscheidende Fortschritte gemacht
hatten, am 17. Dezember neuerlich das Oberkommando der Armee
(Eduard Duller, Erzherzog Carl von Österreich. * Pest, 1859.
S. 475 ff., 490 ff.).
89«) Der Waffenstillstand wurde am 25. Dezember 1800 in Steyr
in Oberösterreich zwischen Erzherzog Karl und dem Marschall
Moreau abgeschlossen (Duller, S. 492), und ihm folgte der Friede
von Luneville (9. Februar 1801), der dem französischen Reich die
Etsch und den Rhein als Grenze gab (Duller, S. 494 ff.).
"•') Ferdinand Freiherr vonGeramb, geboren 1772 in Lyon, kam
mit seinem gleichnamigen Vater (s. oben Anm. 197) in den
neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts nach Wien, machte weite
Reisen und verehelichte sich 1796 mit Theresia von Adda (oben
Anm. 391). Als im August 1804 Kaiser Franz die erbliche Kaiser-
würde annahm, widmete er diesem das historisch-allegorische Ge-
dicht „Habsburg" (Wien, kl. Fol.). 1806 hatte er mit einem engli-
schen Obersten ein Duell unter schweren Bedingungen am Ätna;
1805 hatte er sein Freikorps aufgestellt, 1809 nahm er als Oberst an
der Schlacht bei Wagram teil und 18 10 stand er gegen Napoleon
in Spanien. Er wollte hierauf in England ein Freikorps sammeln,
geriet in Schulden, wurde ausgewiesen, 1812 in Husum ans Land
gesetzt, von Franzosen gefangen genommen und eingesperrt. 18 14
frei geworden, verblieb er in Paris, trat 18 15 bei den Trappisten
ein, deren Generalabt er 1837 wurde. 1848 starb er in Rom. Er
gab verschiedene Gelegenheitsschriften heraus, darunter auch viele
asketische, von denen Karoline Pichler das Buch „Lettres k Eugene
sur TEucharistie" (Paris 1827) in ihrer Bibliothek hatte (Nr. 136
im Bücherverzeichnis des Verlassenschaftsaktes). Vgl. Wurzbach,
V, S. 146 ff.; Goedeke, VH, S. ii6ff.: 244. Eine Charakteristik
von ihm bietet Uffo Hörn (Österreichischer Parnaß. Frey-Sing
o. J. [1842], S. 18) mit folgenden Worten:
„Finsteres, markirtes Gesicht, viel graue Haare, militärische Hal-
tung, Trappist, Interessant durch seine Schicksale — mittelmäßiges
Talent, Finsterling, riecht nach Erbärmlichkeit."
Bei Angabe der Gerambschen Unternehmungen ist der
534
Pichler eine kleine Verwechslung unterlaufen, denn i. wurde das
Freikorps erst 1805 und nicht bereits im Jahre, 1800 aufgestellt (vgl.
oben Anm. 393) und 2. fällt die Abfassung des Gedichtes Habs-
burg ins Jahr 1804, also vor die Aufstellung des Freikorps. Dieses
Gedicht trug dem Verfasser verschiedene Ehren und Geschenke ein;
so erhielt er 1805 vom König von Preußen, den Kurfürsten von
Pfalzbayern und Württemberg reich mit Brillanten besetzte Taba-
tieren (Megerle von Mühlfeld, Memorabilien. II, S. 188). Es ist
von ihm selbst und zwar auf der Rückreise vom Auslande, wo ihn
die Nachricht, daß Franz die erbhche österreichische Kaiserwürde
annahm, ereilte, gedichtet (s. Habsburg. Wien 1804. S. 21), also
nicht, wie die Pichler meint, von jemanden anderm verfaßt.
*»8) Am 9. Januar 1801 wurde Erzherzog Karl zum k. k. Feld-
marschall und Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt, und ihm
gleichzeitig die oberste Leitung des gesamten Kriegswesens über-
tragen (Duller, S. 493). Anfangs März erkrankte er schwer (Duller,
S. 496). Über die Teilnahme der Wiener vgl. Jul. Wilh. Fischer,
Reisen durch Österreich. I, S. 43 f.
399j Bey der Genesung Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs
Carl. Den 16. März 1801. (Österreichischer Taschenkalender für
das Jahr 1802. Wien. S. 25 = S. W., 2 XVI, S. Soff.). Im Gedichte
spielt Pichler auf Karls Ankunft in Wien am 27. Dezember 1800 an
(vgl. darüber S. 235).
*°°) Graf Chorinsky war damals in Prag (vgl. Anm. 311) angestellt.
Sein naher Verwandter war der Graf Franz Saurau.
^'*^) Matthias von Faßbender, ein Rheinländer, früher Reichshof-
rat, seit 1801 Präsidialhofrat des Hofkriegsrates, dessen Leiter Erz-
herzog Karl war, und wirklicher Staats- und Konferenzrat. Im
Jahre 1805 wurde Faßbender wirklicher Geheimer Rat (vgl. Megerle
von Mühlfeld, Memorabilien, II, S. 105). Am 28. Februar 1809
starb er am Schlagfluß plötzlich in Wien (Verlassenschaftsakt im
Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II, Nr. 2196 ex 1809).
Karl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau (Tagebücher. I [Wien
1909], S. 263) charakterisiert ihn ziemlich scharf, wozu die Angaben
bei E. Vehse (Geschichte des östreichischen Hofs und Adels und
der östreichischen Diplomatie, IX [Hamburg 1852], S. iSyff.),
die Faßbender als ziemlich unfähig hinstellen, passen würden. Da-
gegen schildert ihn Friedrich Freiherr v. Lupin auf Illerfeld (Selbst-
Biographie, II [Weimar 1844], S. I99f.) als befähigt. Vgl. noch
Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben, I, S. 266.
*02) Idyllen. Wien 1803. S. looff., Nr. VII. (Die Geretteten.
Eine Nachahmung von Virgils erster Ekloge)= S. W., ^XV, S.89ff.
(1801). — Der Freiherr und Julchen, die von Oberösterreich ge-
flohen, zu ihrer Freundin, der Gattin des Freiherrn, nach Nieder-
535
Österreich kommt, preisen Erzherzog Karl und seine Verdienste um
den Waffenstillstand. Julchen gibt eine Schilderung der Kriegs-
gräuel in Oberösterreich.
Idyllen. Wien, Im Verlage bey Anton Pichler. 1803. S". 176 S.
mit einem Bildnis (Weinrauch fec.) = S.W., *XV, S. 3ff. —
Gewidmet sind sie von der Pichler durch ein Gedicht „An meine
Mutter, die Frau Carolina, verwittwete von Greiner" (S. 3 f.) ihrer
Mijj'-ter, aus Dank für die Sorgfalt, die sie ihr in der Jugend zuwendete
und zum Dank für die Geistes- und Herzensbildung, die sie ihr gab.
— Das Büchlein enthält 10 Idyllen: I. Die Schnitterinnen (S. 5ff.);
II. Der Sommerabend. An meine Freundinn, das Fräulein Josepha
von Ravenet (S. Ziff.); III. Der Sänger am Felsen (S. 35ff.);
IV. Die Zurückkunft (S. 48ff.); V. Der Herbstabend am Kahlen-
berge (S. 66 ff.); VI. Der Blumenstrauß (S. 82 ff.); VII. Die Ge-
retteten, Eine Nachahmung von Virgils erster Ekloge (S. looff.);
VIII. Der Tanz. An das Fräulein Gabriela von Baumberg (S. i I9ff.);
IX. Der Flußgott. An die Freyinn Henriette von Tinti, geborene
von Mertens (S. 132 ff.); X. Die Rumfordsche Suppe (S. 145 ff.). —
In den Sämmtlichen Werken (^ XII [Wien, bei Strauß, 18 13], S. 5 ff.)
sind alle diese Idyllen wieder anzutreffen, dagegen ist in S. V/. ^ XV,
S. 3 ff., Nr. IX ausgelassen; an deren Stelle ist (S. 1 17 ff.) „Narcissus.
Nach dem Pausanias" (Veteris Graeciae Descriptio, Boeotiaca 1. 9 c.
3 1 ad finem) eingefügt. — Von den Idyllen waren bereits früher in
Zeitschriften erschienen: Nr. IX (Österreichischer Taschenkalender
für das Jahr 1801. Wien. S. 16); VI (ebd. 1802. S. 11); III (ebd. 1802,
S. 33). — Die Beeinflussung durch die Voßschen Idyllen, die Pichler
ja kannte (oben Anm. 153) und auch besaß (Luise. Tübingen 1807;
Idyllen, Wien 1801: Nr. 2 12 f. des Bücherverzeichnisses im Ver-
lassenschaftsakt), ist unverkennbar. Bereits mit 14 Jahren dichtete
Pichler nach diesen und anderen Mustern Idyllen (oben S. 78).
Von Besprechungen möge auf eine, durchaus lobende von
Sg. hingewiesen werden (Neue allgemeine Deutsche Bibliothek.
LXXXIII, [BerUn 1803], S. 345 ff.), in der folgende, Pichlers Wesen
gut charakterisierende Stelle vorkommt (S. 345f.): „Die Empfin-
dungen des Kummers und der Freude, die Gefühle des Schönen und
Guten, die Reize der Natur und Geselligkeit zu Gemälden einigen
Umfangs auszubilden, aus den Ereignissen des Lebens sie hervor-
treten zu lassen und, durch in Handlung gesetzte Charaktere, ^An-
schaulichkeit und Theilnahme zu verstärken, scheint ihr Lieblings-
fach zu seyn. Auch in vorliegenden Gedichten ist sie dieser Stim-
mung treu geblieben; und wer für eine, durch Metrum und Bil-
dersprache zwar oft veredelte, nur selten aber in Rücksicht auf
Wahrheit verfehlte, Darstellung solcher Auftritte Sinn hat, die im
Gebiet ländlicher Natur und Sitten den Geist einer jungen Wiene-
rinn ansprechen konnten, wird die von Ihr aufgestellte Idyllenreihe
nicht ungern durchlaufen. Nur zehn dergleichen Schildereyen
enthält das Bändchen; und da es weder Episoden noch künstliche
Verwicklungen sind, die sie dehnen halfen: so läßt schon hieraus
sich abnehmen, daß die Dichterinn dann und wann doch wohl et-
was zu gesprächig ward und manches uns mitthellt, was man noch
lieber selbst errathen, oder aus eignem Busen ergänzt hätte. Wem
diese gar zu fleißige Ausführung nicht zuwider Ist, wird alles Übrige
noch weniger es seyn; denn obgleich aus dem Gange merklich genug
hervorgeht, daß der Theokrit Niedersachsens Ihr Vorbild gewesen,
und aus dem gebrauchten Blldervorrath eine nur kleine Zahl für
neu gelten kann : so macht eine nicht mißrathne Nachahmung doch
niemals Unehre." — In den „Annalen der Literatur und Kunst in
den österreichischen Staaten", II, i, (Wien 1803), Sp. zSgff. eine
ausführliche, ungezeichnete Anzeige, welche den Idyllen den Geist
echter Poesie abspricht, was an Idylle VII (Die Geretteten — nach
Virgil) bewiesen wird. Auch mit Voß halten die PIchlerschen Idyllen
keinen Vergleich aus, denn dieser schildert wirkliches Landleben,
während die Pichler Stadt und Land vermischt. Besonders un-
poetisch ist die „Rumfordsche Suppe", da es mehr einer Anweisung
zur Suppenbereitung als einer Idylle gleicht. — Retzer übersandte
Im Juni 1802 die Idyllen ohne weitere Mitteilung an Christ. Gott-
fried Schütz (Schütz, Darstellung seines Lebens, Charakters und
Verdienstes. Hg. von Friedrich Karl Julius Schütz. II, [Halle
1835], S. 397).
^^) BucoHca. Ecloga I. : M. Tityre, tu patulae recubans sub
tegmine fagl .... — Die angeführte Stelle Ist Vers 6 f. (Opera, ed.
Otto Güthling. I, [Lipslae 1886], p. 3).
*<•*) Wolfgang Ritter von Kempelen (1734 — 1804), ein Preß-
burger, kam 1786 als Hofrat der vereinigten ungarisch-slebenbür-
gischen Hofkanzlei nach Wien, diente mit Hofrat von Grelner
und verkehrte In dessen Haus (vgl. oben S. 157). 1798 ging er in
Pension, 1801 zog er In die Alservorstadt Nr. 131 (vgl. oben S. 233,
239) und starb hier am 20. März 1804. Die Sommermonate ver-
lebte er auf seiner Besitzung Gomba In Ungarn. Er machte sich
durch die Konstruktion verschiedener Maschinen (Schach-,
Sprach-, Dunstmaschine) und durch dichterische Arbeiten bekannt.
Er hatte ein treffliches Zeichentalent, und sein Haus war der Sam-
melplatz talentvoller Leute; Pichler lernte dort Rlchlers und die
Schwestern Porta kennen (oben S. 249). Kempelen war zweimal
verheiratet. Seine zweite Frau, Marie Anna, geborene Walter von
Gobelius, sowie seine beiden Kinder aus dieser Ehe, Theresia und
Karl (s. oben Anm. 221) überlebten ihn. Vgl. J. Karl Unger, Zeit-
schrift von und für Ungarn, V, (Pest 1804), S. 3 13 ff.; Wurzbach,
537 ■
XI, S. 158 ff. und Verkssenschaftsakten im Archiv des Wiener
Landesgerichtes (Fasz. V, Nr. 63 ex 1804).
*°5) Antonie von Kempelen, geb. Sölnwanger, die Frau des Karl
von Kempelen, wurde durch ihre Schönheit und ihr flatterhaftes
Wesen verschiedenen männlichen Mitgliedern des Pichlerschen Krei-
ses gefährlich. . Sie spielte gut Klavier (vgl. oben S. 251, 283, 314)
und dadurch trat sie Streckfuß nahe, der ihretwegen im April 1806
Wien verließ, um seine Leidenschaft zu dämpfen (vgl. oben S. 285 f.).
Gleichzeitig (1805) hatte sie das Herz des französischen Stabs-
offiziers Guy in Brand gesetzt (oben S. 283, 284). Bald darnach (noch
1806) trennte sie sich freiwillig von ihrem Gatten, der nach Gomba
in Ungarn (Preßburger Komitat) zog, während sie in Wien blieb
und seine Pension im Betrage von 300 Gulden zum Lebensunterhalt
von ihm zugewiesen erhielt (vgl. die Vergleichsurkunde im Archiv
des Wiener Landesgerichtes vom 7. September 18 12: landrechtliche
Testamente Nr. 39 ex 18 14). Sie spielte am Pichlerschen Theater
mit, und da interessierte sich Hormayr für sie (vgl. oben S. 297 und
Hormayr, Taschenbuch, 1845, S. 114), der ihrer in einem Briefe
an die Pichler (K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 322) noch 1841 ge-
denkt. 1809 machte sie die Beschießung Wiens im Hause der Pichler
mit (oben S. 336, 339), sah sich mit ihr und Kurländer eine Parade
Napoleons in Schönbrunn an (oben S. 344) und fesselte Karl Kur-
länders Herz, der später ihretwegen seine Braut Nanette Porta
(unten II, S. 155 f.; vgl. noch oben S. 336) verließ, doch war auch
sein Verhältnis mit Frau von Kempelen kein dauerndes. Ihr flatter-
haftes, stets unbefriedigtes Wesen zeichnete Karoline Pichler in
der Rosalie Sarewsky des Romanes „Frauenwürde" (unten II,
S. 108). Antonie von Kempelen starb am 2. April 18 14, 32 Jahre
alt, an der Lungensucht in der Aiser Vorstadt Nr. 27, ihren einzigen
Sohn Ludwig (geboren am 14. Februar 1803) — ein zweiter Sohn
Karl war am 22. März 1800, 9 Monate alt, an Schleimfieber gestorben
(TotenprotokoUe der Stadt Wien. 1800. Buchstabe C, G, K,
Fol. 45 a) — zum Universalerben einsetzend (Totenprotokolle usw.
18 14, Buchstabe C, G, K, Fol. 50 a; Verlassenschaftsakten im
Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 70 ex 18 14). Der
Sohn verblieb bei der Großmutter Josefa Sölnwanger in Wien,
während der Vater in Gomba wohnte (Verlassenschaftsakt). Ludwig
trat später bei der allgemeinen Hofkammer ein, wo er 1848 (Hof-
und Staats- Handbuch, 1848, I, S. 251) als Hofaccessist erscheint;
1855 wurde er Kanzleioff izial im Hilfsamt des Finanzministeriums
(ebd. 1856, I, S. 153 c), als welcher er bis 1876 dient (ebd. 1876,
S. 28 1). Als Dichter hatte er kein Glück, denn sein Schauspiel „Das
Bild des Bruders" fiel 1835 im Burgtheater glänzend durch (C. L.
Costenoble, Aus dem Burgtheater, II, [Wien 1889], S. 213, 217).
40«) Josef Freiherr von Hormayr (178 1 — 1848), ein Tiroler, als
Historiker und Staatsmann hervorragend tätig, war im Mai 1797
zu Innsbruck in den Staatsdienst getreten, diente nebenher bei
der Tiroler Landwehr, in der er es 1800 zum Divisionskommandan-
ten und Major brachte, und wxurde im September 1801 nach Wien
zur Dienstleistung in die Haus-, Hof- und Staatskanzlei als Hof-
konzipist berufen. Er hatte damals, trotz seiner Jugend, als histo-
rischer Schriftsteller einen Namen, und so kam es, daß er in den
literarischen Kreisen Wiens bald heimisch war. Am 21. September
1801 in Wien angelangt, ließ er sich bereits am 28. September durch
Haschka bei der Pichler einführen, die einen günstigen Eindruck
von ihm empfing (vgl. I, S. 239 f.; II, S. 406; Hormayrs Brief an
die Pichler vom 30. Oktober 1841: K. Glossy, Grillp. Jb. XII,
S. 322; Hormayrs Taschenbuch, XXXIV, S. 123). Im Juli 1802
wurde Horma)T: mit der provisorischen Leitung des Haus-, Hof-
und Staatsarchivs betraut, dessen wirklicher Direktor er im April
1808 wurde; er schuf dieses Institut in Kürze vollständig mn und
machte es in großzügiger Weise der Wissenschaft dienstbar. Wäh-
rend Hormayr anfangs nur selten zur Pichler kam (oben S, 240),
entwickelte sich seit 1804 ein äußerst reges gesellschaftliches Ver-
hältnis. Man pflegte gemeinsame Lektüre, Hormayr und Collin
hielten Deklamationen ab (oben S. 260 f.), die großen Genuß ge-
währten (Pichler an Streckfuß, 9. Juni 1807: K. Glossy, Wiener
Communal-Kalender, XXXII, S. 404), und es wurde fleißig
Theater gespielt (1807: oben S. 297 mit Anm. 489). Hormayr
führte hervorragende Leute ein, die später intime Freunde des
Hauses wurden, so 1807 den Diplomaten Merian (oben S. 299, 421),
den Maler Karl Ruß (Hormayrs Taschenbuch, XXXIV, S. 127),
dessen Bild „Die beiden Freunde" Pichler später mit einem Ge-
dichte versah (vgl. II, Anm. 185), den Grafen Szechenyi (oben
S. 4105 II, S. 13), später (1828) auch den Schauspieler Anschütz
(K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 315) u. a. Er selbst verkehrte, wie
aus Brief stellen hervorgeht (1808: K. Glossy, Grillp. Jb. XII,
S. 243, 244), sehr gerne bei der Pichler, ja es war schließlich sogar
das einzige Haus, das er überhaupt aufsuchte, wozu vielleicht auch
Frau Kempelen beigetragen haben mag (oben S. 297), da Hormayrs
Ehe keine besonders glückÜche zu nennen war. Glühende Vater-
landsliebe erfüllte damals Hormayr, alles, was er an historischen
Arbeiten schrieb, war davon durchdrungen und diente zur Ver-
herrlichung Österreichs. Ein klassisches Muster dafür ist sein
„Österreichischer Plutarch" (i8o7ff.), der, in Verbindung mit
Hormayrs Idee von der Durchdringung der Künste mit vaterlän-
dischen Stoffen, auf die damalige österreichische Dichtergeneration,
allen voran H. Collin und KaroHne Pichler, mächtigen Einfluß aus-
539
übte (vgl. oben S. 307 mit Anm. 505 f.). Pichlers vaterländische
Balladen, die im Hormayrschen „Archiv" und „Taschenbuch"
meist zuerst veröffentlicht wurden (vgl. Anm. 678), gingen aus
Hormayrs Anregungen hervor, der ihr bei der Stoffbeschaffung zur
Seite stand und wiederholt auf geeignete Stoffe hinwies (vgl.
Anm. 678 unter den einzelnen Balladen; Hormayrs Briefe an die
Pichler: K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 288 [18 15, Boleslaw, Mörder
des hl. Stanislaus Kostka], 293 [1815, Tancred], 298 [1816, Otto von
Andechs], 299 f. [Tancred], 303 f. [Salm]). Ihr Drama „Ferdinand
II.", dessen sich Hormayr auch sonst kräftig annahm (vgl. II,
Anm. 107), fußte auf Hormayrs „Plutarch" (vgl. II, S. 430), ihre
Oper Rudolf von Habsburg paßte in Hormayrs Richtung (vgl. II,
S. 419 : 28), und ihre historischen Romane gehen direkt oder in-
direkt ebenfalls auf Hormayrs Anregungen zurück. In ihrem „Fried-
rich dem Streitbaren" verwertete sie eine Hormayrsche Arbeit (vgl.II,
S. 26of. mit Anm. 434f.), deren Darstellung ihr besonders zusagte.
„Die Schweden vor Prag" sind durch ihn angeregt (II, S. 217 mit
Anm. 362) und gern hätte er auch die Geschicke der Königin Mar-
garetha, der Gemahlin Heinrichs von Hohenstaufen, und des
Przemysliden Ottokar IL, in einem Roman oder in Gedichten ver-
arbeitet gesehen (vgl. seine Briefe an die Pichler aus den Jahren
18 15 und 18 18: K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 27of., 280 f., 282,
308). Karoline Pichler anerkannte Hormayrs starken Einfluß auf
sie stets, nicht nur in Briefen (Hormayrs Taschenbuch, XXXIV,
S. 127), sondern auch in ihren „Denkwürdigkeiten" (oben S. 262,
410; II, S. 247). Ein Gedicht, das sie ihm 1807 zu Weihnachten
ins Stammbuch schrieb (In das Stammbuch des Freiherrn v.
Hormayr^Ts. W. 2 XVI, S. 70 f.; vgl. Anm. 678: fy.; Hormayrs
Taschenbuch, XXXIV, S. 126), gab der Hochschätzung seiner
Verdienste beredten Ausdruck.
Als 1809 der Krieg gegen Napoleon zum Ausbruche kam, ging
Hormayr als Hofkommissär am 31. März nach Tirol, dessen Auf-
stand er glänzend eingeleitet hatte (oben S. 333 mit Anm. 566).
In Anerkennung seiner Verdienste erfolgte im September 1809
seine Ernennung zum wirklichen Hofrat, und damit hatte Hormayr
den Höhepunkt seiner amtlichen Laufbahn in Österreich erreicht.
Trotz seines Patriotismus hatte er als Freigeist und wegen ver-
schiedener Charaktereigenschaften zahlreiche Feinde, die sich be-
bemühten, seine Stellung zu erschüttern. Als er 18 12 mit Erzherzog
Johann und einigen anderen den „Alpenbund" zur Befreiung Tirols
bildete, da kam die Polizei durch den Verrat von Hormayrs Freund
Roschmann dahinter, und am 7. März 18 13 abends erfolgte Hor-
mayrs Verhaftung (vgl. oben S. 409ff. und Anm. 707). Zuerst
^ nach Munkäcs gebracht, verblieb er durch 5 Monate in dieser
540
Festung, wurde dann nach Brunn auf den Spielberg überführt,
wo er vom Juli 1813 bis zum April 18 14 interniert war, und erhielt
endlich die Erlaubnis, sich in Brunn frei aufzuhalten (vgl. II,
S. 103 f. mit Anm. 187). Hormayr, zunächst unter fürchterlichen Ge-
mütszuständen leidend, wurde allmählich stumpf und gleichgültig
(vgl. seine Briefe an die Pichler aus den Jahren 18 15 und 1816:
K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 291 f., 301), lebte seiner Freundschaft
mit dem Grafen Salm, seiner gelehrten Arbeit und dem Brief-
wechsel mit den ihm treu gebliebenen Freunden, worunter auch
Karoline Pichler war. Sie nahm an seinem Geschicke innigen An-
teil, tröstete und richtete ihn wiederholt auf (vgl. seine Briefe an
sie: K. Glossy, XII, S. 265, 282, 292); er nannte sie seine älteste
Freundin in Wien, bat um Erhaltung ihres Wohlwollens (ebd. XII,
S. 307, 311) und dachte daran, bei seiner Rückkehr nach Wien in
ihrem Hause Wohnung zu nehmen (1816: ebd. XII, S. 3oof.).
Trotzdem sich für Hormayrs Rückkehr eine Reihe von bedeuten-
den Persönlichkeiten einsetzte, wurde sie ihm erst im August 18 16
mit seiner Ernennung zum Reichshistoriographen bewilligt. Nun
durfte er wieder in Wien leben, aber trotz seiner hervorragenden
Fähigkeiten wurde der in der Blüte seiner Jahre stehende Mann in
seine früheren Ämter nicht wieder eingesetzt, er blieb kaltgestellt
und ohne Einfluß. Daß dies einen Mann von Hormayrs unbändi-
gem Ehrgeiz kränken mußte, daß er, der nie Liebe fühlte (an die
Pichler, 28. Dezember 1814: K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S.'264),
allmählich zum Haß gegen das herrschende System und gegen
Metternich, die so undankbar an ihm gehandelt hatten, kommen
mußte, das wollten jene Zeitgenossen, darunter auch Pichler, die
solche Schläge nicht erduldet hatten, nicht einsehen. Land und
Volk Österreich haßte er ja nie (Glossy, a. a. O. XII, S. 320 f.; L. A.
Frankl, Erinnerungen, S. 98, 99). Welche Kämpfe mag es dem
Mann gekostet haben, nachdem er bereits zweimal (1825, 1827)
ähnliche Anträge ausgeschlagen hatte, 1828 in die Dienste Bayerns,
das er früher in Wort und Tat befehdet hatte, zu treten, dessen
edler König Ludwig I. ihm aber jene Stellung (Geheimer Rat und
Ministerialrat) bot, die seinen Fähigkeiten und Talenten entsprach.
Freilich war er, als er nach Bayern ging, nicht mehr der alte Hor-
mayr, sondern wie die Pichler in einem Briefe an die Huber bereits
1 822 schrieb, „eine Ruine dessen, was er war und zu werden versprach"
(K. Glossy, Grillp. Jb. III, S. 319). Von den Österreichern und
besonders von der Staatskanzlei in lügenhafter Weise als Verräter
gebranndmarkt, mußte er auch in Bayern erst langsam eine feind-
selige Stimmung (vgl. II, S. 246 mit Anm. 412) überwinden, was
ihm nach einiger Zeit auch gelang. Doch sein Starrsinn (vgl.
Pichler an die Huber, 7. Jänner 1828: K. Glossy, Grillp. Jb., III,
S. 346) brachte ihn wieder in Verwicklungen, er kam daher am
2. April 1832 als bayrischer Ministerresident nach Hannover und
1839 ^^ gleicher Eigenschaft nach Bremen, von wo er 1846 als
Direktor des Staatsarchivs nach München zurückberufen wurde.
Während all dieser Jahre entwickelte Hormayr eine rege wissenschaf t-
Uche Tätigkeit und unterhielt eine ausgebreitete Korrespondenz,
darunter auch mit Kar. Pichler, die freilich in den letzten Jahren
sich nur mehr auf wenige Briefe beschränkte (vgl. II, S. 247 mit
Anm. 415); konnte doch auch diese seinen Übertritt in bayrische
Dienste nicht verwinden und fand herbe Worte dafür (II, S. 246),
die aber Hormayr nicht abhielten, ihr nach ihrem Tode einen
äußerst warmen Nachruf zu widmen (Taschenbuch XXXIV, [1845],
S. HO ff.). Das einst so vertraute Verhältnis (Pichler II, S. 247;
Hormayr, Taschenbuch XXXIV, S. 1 23) beider, wollte Hormayr doch
sogar der Pichler seine Tagebücher anvertrauen (K. Glossy, Grillp.
Jb. XII, S. 286f., 294), war zwar erkaltet, aber nicht erloschen,
und gerade Hormayrs Nachruf zeigt, daß er auch dann, wenn er
angegriffen wurde, dem Verdienste sein Recht zuteil werden lassen
konnte. Hormayrs Schwächen als Mensch liegen in seinem heftigen
Charakter, als Schriftsteller in seinem bombastischen Schachtelstil,
den Kar. Pichler bereits 1820 in einem Briefe an die Huber, der sie
übrigens 18 18 auch Hormayr als Korrespondenten fürs „Morgen-
blatt" empfohlen hatte (K. Glossy, Grillp. Jb. III, S. 282, 293),
richtig charakterisierte (Glossy, ebd. III, S. 296). Pichler las
Hormayrs Schriften fleißig und verwertete einiges daraus auch in
den „Denkwürdigkeiten" (I, S. 186, 378); in ihrer Bibliothek
befand sich eine größere Anzahl seiner Werke (vgl. das Verzeichnis
ihrer Bücher im Verlassenschaftsakt unter Nr. 68 [Plutarch], 71
[Taschenbuch, 2 Bde., 1836, 37], 73 [Geschichte Wiens]). — Über
Hormayr vgl. man Wurzbach, IX, S. 277 ff.; K. Th. Heigel in:
Allgemeine Deutsche Biographie, XIII, S. 131 ff.; besonders aber
die feine Darstellung von K. Glossy im Grillp. Jb. XII, S. 212 ff.
und L. A. Frankl, Erinnerungen, Prag 1910, S. 94ff.
*"') Die Pichler meint die k. k. Hofkommission für die Armen-
anstalten, die Kaiser Franz 1801 einsetzte. Diese hatte eingehende
Erhebungen über die Armut unter der Bevölkerung zu machen und
schuf zu diesem Zwecke die Armenväter für einzelne Rayons. Den
Sitzungen wurde über Auftrag des Kaisers der, damals in Wien
weilende dänische Etatsrat Voght, der im Armenwesen gründ-
liche Kenntnisse hatte, beigezogen (Megerle von Mühlfeld, Memo-
rabiüen, II, S. 6 ff.; Karl Weiß, Geschichte der öffentlichen An-
stalten, Fonde und Stiftungen für die Armenversorgung in Wien.
Wien 1867. S. 202f., 2i9ff.; Hermann Meynert, Kaiser Franz I.
Wien 1872. S. 378 ff.). •
*«•) Josef Fürst von Schwarzenberg (1769 — 1833) war seit 1804
Präsident der Hofkommission zur Regulierung der Wohltätigkeits-
anstalten und blieb dies bis i8i6 (Megerle, Memorabilien, II.
S. 142; Wurzbach, XXXIII, S. 86 ff.).
409) In der Zeit vom 25. Jänner bis 14. Februar 1802 wurde in
der Stadt in der Wipplingerstraße eine Probeanstalt zum Verkauf
der Rumfordischen Suppe, das Seidel zu i Kreuzer, errichtet. Täg-
lich wurden ca. 462 Portionen verkauft (Anton Edler von Geusau,
Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Wien. V, [Wien 1807],
S. 272). Trotzdem wurde sie nicht beliebt (vgl. Jul. Wilh. Fischer,
Reisen durch Österreich, I, S. 142). Ein Rezept dieser Suppe
bietet Franz Gräffer (Wiener-Dosenstücke, I, [Wien 1852], S. 230).
Einen ironischen Artikel über „die Notsuppe" verfaßte 1804
Friedrich Weisser (Sämmtliche prosaische Werke, I, [Wien 18 18],
S. 208 ff.).
^^i*) Josef Ritter von Perger war damals Hofkonzipist und Aktuar
bei der Wohltätigkeitskommission 5 er kam 1804 als überzähliger
Hofsekretär zur vereinigten Hofkanzlei (Megerle von Mühlfeld,
Memorabilien, II, S. 132). 1807 wurde er wirklicher Hofsekretär,
18 12 erhielt er den Titel und Charakter eines Regierungsrates, 18 17
wurde er wirklicher Regierungsrat und 1830 pensioniert, nachdem
er seit 1789 im Staatsdienste stand (Beiträge zur Geschichte der
niederösterreichischen Statthalterei, S. 475). Er starb am 28. Juni
1838, 70 Jahre alt, an der Lungenlähmung in Wien (Totenproto-
koll der Stadt Wien. 1838. Buchstabe B, P, Fol. 27 b; unten II,
S. 373). Er war auch in späteren Jahren, als Pichlers Amtskollege,
viel mit Pichlers beisammen, so in Baden (unten II, S. 360, 362,
366, 367), und nahm sich nach Pichlers Tod der Karoline an (II,
S- 373. 375)-
*^^) Kaspar Freiherr von Voght (1752 — 1839), deutscher Land-
wirt und dänischer Etatsrat, der sich im Gebiete des Armenwesens
große Verdienste erwarb. 1802 war er in Wien, wurde den Sitzungen
der Hofkommission über Wunsch des Kaisers beigezogen und zum
Reichsfreiherrn gemacht. Sein Bericht wurde gedruckt (W. Sillem in :
Allgemeine Deutsche Biographie, XL, S. 161 ff.; Meynert, S. 379).
*^^) Dieses Gedicht ist ungedruckt. Vollständig nicht mehr er-
halten.
*") Idyllen. Wien 1803. S. 145 ff., Nr. X= Sämmtliche Werke,
*XV, S. 129 ff. — 1802 gedichtet und sichtlich von Voß beeinflußt,
schildert diese Idylle, wie ein Freiherr und Gutsbesitzer den not-
leidenden Bewohnern seines Dorfes durch seine Gattin die Rum-
fordsche Suppe bereiten läßt und diese sie mit Dank verzehren.
*^*) Stephan Edler von Wohlleben (1751 — 1823), seit 1771 im
Dienste der Gemeinde Wien, 1784 Magistratsrat, 1801 Stadtober-
543
kämmerer und 1804 Bürgermeister von Wien. Er leitete die Ge-
meinde in schweren Zeiten und verstand es, mit Geschick und
Tatkraft die Franzoseninvasionen für Wien so glimpflich als mög-
lich zu gestalten. Das alte Wien verdankte ihm viel (Wurzbach,
LVII, S. 245ff.).
*^**) Benjamin Thompson Graf von Rumford (1753 — 18 14),
ein Amerikaner, der nach wunderlichen Geschicken 1776 in den
englischen Staatsdienst trat, dem er bis 1782 angehörte. 1784 kam
er als englischer Oberst in bayrische Dienste, reformierte das bay-
rische Militär, wurde 1788 Generalmajor und widmete sich nun
der Ordnung des Bettelwesens durch Erbauung eines zweckmäßig
eingerichteten Arbeitshauses (1790). Für seine Verdienste 1792
zum Reichsgrafen ernannt, beschäftigte er sich in der Folge mit
der Ausgabe seiner kleinen Schriften und mit Versuchen über die
Herstellung billiger Nahrungsmittel. Seit 1803 lebte er in Paris
und stellte seine allgemeine Wärmetheorie auf. In München, das
zwei Denkmäler von ihm enthält, hatte er den Englischen Garten
errichtet. Vgl. Bauernfeind in: Allgemeine Deutsche Biographie,
XXIX, S. 643 ff.
*i5) „Die Briefe eines Verstorbenen" erschienen 1831 — 1832 in
Stuttgart und haben den Fürsten Ludwig Heinrich Hermann
Pückler-Muskau zum Verfasser (s. Holzmann-Bohatta, Anonymen-
Lexikon, I, S. 265, Nr. 7696). Die Stelle, auf welche die Pichler
anspielt, steht I ^ (Stuttgart 1836), S. 4, wenn auch nicht in der,
von der Pichler zitierten Form; Pückler-Muskau spricht von 3 — ^4
Mahlzeiten, die nunmehr in Birmingham auf 2 reduziert sind,
so daß man bereits von einer Hungersnot (!) unter den Arbeitern
spreche.
^*) Es war dies die, von Kaiser Franz 1801 eingesetzte k. k.
Wohlfeilheits-Hofkommission, der Anton Friedrich Graf von Mitt-
rowsky als Hofrat vorstand. Sie hatte die niederösterreichischen
Angelegenheiten zu besorgen, mußte aber von allen übrigen Kron-
ländern Berichte abverlangen, um stets am laufenden zu sein.
1802 wurde diese Kommission aufgelöst. Ihre Geschäfte gingen
an die ordentlichen Behörden über (Megerle von Mühlfeld, Memo-
rabilien, II, S. 9). In Niederösterreich wurden sie der nieder-
österreichischen Regierung übertragen, und Pichler zum Referenten
bestellt, der sich sehr bemühte, halbwegs erträgliche Zustände zu
schaffen. Eine interessante Unterredung mit Pichler über diesen
Gegenstand bietet aus dem Jahre 1805 Karl Friedrich Freiherr Kü-
beck von Kübau (Tagebücher, I, [Wien 1909], S. 142 ff.), der aber
selbst, und nicht mit Unrecht, von der ganzen Sache nicht viel hielt.
*!') Anton Friedrich Graf Mittrowsky vonNemyssl (1770 — 1841),
seit 1791 im Staatsdienst stehend, war 1799 Stadthauptmann von
544
Wien, 1801 Hofrat bei der Polizeioberbehörde und August 1802
Geheimer Rat und Vizepräsident der niederösterreichischen Landes-
regierung geworden, welche Stelle er bis 1804 inne hatte. Später
war er Landesgouverneur in' Mähren, Hofkanzler und oberster
Kanzler (Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statt-
halterei. S.473; Wurzbach, XVHI, S. 384ff.).
418) Josef Freiherr von Lederer, Pichlers Beistand (oben Anm.
336)} war 1802 von der Kreishauptmannschaft Korneuburg, der
er vorstand, als Stadthauptmann und Regierungsrat nach Wien
gekommen (Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen
Statthalterei, S. 473). Vgl. über ihn noch einen Nekrolog in : Vater-
ländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat, 1812, S. 235f.
*19) Am 16. Oktober 1802 (s. oben Anm, 308).
*2") Franz Xaver von Greiner war nach Absolvierung seiner juri-
dischen Studien 1796 Hofkonzipist im Amt seines Vaters (k. k.
Direktorium, später vereinigte Hofkanzlei) geworden (Hof- und
Staatsschematismus, 1797, S. 6) und bekleidete diese Stelle bis zu
seinem frühen Tod (ebd. 1803, S. 21).
*2i) Theresia Schwab, geb. 1782 in Wien, war die Tochter des
Großhändlers Philipp Schwab (1748 — 1802), eines Bruders des
geadelten, mit der Greinerschen Verwandten Katharina v. Häring
(Anm. 161) verehelichten Ignaz v. Schwab (vgl. Genealogisches
Taschenbuch der adeligen Häuser, X, [Brunn 1885], S. 479). There-
sia heiratete im März 1802 — der Heiratskontrakt im Verlassen-
schaftsakt des Mannes ist vom 13. März ausgestellt — Friedrich
Jakob van der Null, der öffentlicher Gesellschafter des Großhand-
lungshauses Ignaz von Schwab war (vgl. Vollständiges Auskunfts-
buch oder einzig richtiger Wegweiser in der k. k. Haupt- und
Residenzstadt Wien auf das Jahr 1804. Wien [1803], S. 24). Wir
finden ihn 1785 unter den Subskribenten der Ratschkyschen „Ge-
dichte" (Wien 1785, S. 218), 1786 und 1787 unter denen von Werken
des Karl Julius Fridrich (Situationen. Wien 1786, S. 255; Lieder
der Liebe und der Freude. Wien 1787, Bl. 6 b) und 1800 unter
denen der „Gedichte" (Wien 1800, S. XIV) der Gabriele von
Baumberg. Seine Frau führte ein großes Haus, und Karoline Pichler,
welche die Freundschaft mit ihr aufrecht erhielt, lernte bei ihr
1805 Cherubini und Crescentini kennen (oben S. 281). Sie wohnte
im eigenen Hause (Michaelsplatz Nr. 253), wo sich auch die be-
rühmte, 1801 begonnene und 1804 von Friedriche Mohs beschriebene
Mineraliensammlung des Friedrich van der Null befand (vgl. Franz
Heinrich Böckh, Wiens lebende Schriftsteller, Künstler und Dilet-
tanten im Kunstfache. Wien 1822. S. I36ff.), während die be-
trächtliche Conchyliensammlung bereits 1802 an das Stift St.
Florian verkauft worden war (Engelberte Mühlbacher, Die litera-
35 c. P. I -- f' 545
rischen Leistungen des Stiftes St. Florian bis zur Mitte des 19. Jahr-
hunderts. Innsbruck 1905. S. 108). Außerdem besaß van der Null
noch wertvolle Pretiosen-, Bilder- und Büchersammlungen (vgl.
seinen Verlassenschaftsakt mit den gedruckten Katalogen darüber).
1 807 kaufte er von der Großmutter seiner Frau, Klara Schwab, das
Schloß in Weinhaus, ließ die noch heute bestehende Schloßkapelle,
früher Pfarrkirche, vergrößern und durch ein prächtiges Altarblatt,
durch eine Orgel und größere Glocken verschönern (Kirchliche
Topographie der Wiener Erz-Diözese, I, i, [Wien 18 19], S. 251).
1825 wurde das Schloß wieder verkauft (Franz K. Leitgeb, Mono-
graphie von Weinhaus. Weinhaus 1890. S. 13), nachdem Jakob
Friedrich van der Null am 3. Mai 1823, 73 Jahre alt, durch einen
zufälligen Sturz aus dem Fenster seiner Stadtwohnung (Dreilaufer-
haus) den Tod gefunden hatte (Totenprotokoll der Stadt Wien,
1823, Buchst. N., Fol. 9a). Von seiner Frau, die damals Stadt
Nr. 793 wohnte, war er seit 18 15 geschieden, trotzdem testierte
er ihr 25 000 fl. und eine jährliche Pension von 1000 fl. C. M.
wegen ihrer bewiesenen unzweideutigen Anhänglichkeit und vor-
trefflichen Erziehung der Kinder Jakob Friedrich (1823 dreizehn
Jahre alt; t am 16. Oktober 1854 in Wien als Generalmajor und
Brigadier beim i. Infanterie- Armee-Korps : Militär- Schematismus
des österr. Kaiserthumes, 1855, S. 1033; Wurzbach, XX, S. 426),
Marie (12 Jahre) und Eduard (1812 — 1868, Architekt und Erbauer
der Wiener Oper: Wurzbach, XX, S. 422 ff.), welche Universal-
erben seines über 63 000 fl. C. M. betragenden Vermögens wurden
(Verlassenschaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes,
Fasz. II, Nr. 804 ex 1823). Da der jüngste Sohn Eduard ein natür-
liches Kind des F. Z. M. Franz Ludwig Freiherrn von Weiden
(1782 — 1853: Wurzbach, LIV, S. 2i4ff.) war, so dürfte dies wohl
auch bei den zwei andern Kindern der Fall und dies der Grund
gewesen sein, daß die Ehe getrennt wurde. Theresia van der Null
lebte im Jänner 1836 noch.
*22) Leopold Freiherr von Richler (1754 — 1830) zeichnete sich bei
Giurgewo im Juni 1793 derart aus, daß er im Dezember das Ritter-
kreuz des Maria-Theresienordens erhielt. Im Juni 1801 ging er
als Major in Pension, wurde aber trotzdem in Kriegszeiten wieder
verwendet. So ist er 1805 Major im 5. Infanterieregiment, 1809
Kommandant des ersten Landwehrbatallions des Viertels unterm
Wienerwald (vgl. oben S. 276f., 337) und wird nach der Schlacht
bei Aspern Oberstleutnant. 18 13 befehligte er das i. Landwehr-
bataillon der Deutschmeister und wurde im März 18 14 Oberst.
Vgl. Wurzbach, XXVI, S. 26. — Er war mit Josefa, geborenen
de Porta, seit dem 30. Jänner 1795 verheiratet, wie aus seinem
Testament hervorgeht (Verlassenschaftsakten im Archiv des Wiener
546
Landesgerichtes: Militärgericht, Fasz. III, Nr. z ex 1831). Er starb
am 22. Dezember 1830 im Roten Haus Alservorstadt Nr. 197 ohne
Kinder zu hinterlassen (ebenda) und wurde am Währinger Ali-
gemeinen Friedhof, wo heute noch sein Leichenstein an der rechten
Mauer zu sehen ist, beigesetzt (Hampeis, Chronologische Epigra-
phik, S. 118, Nr. 1188), vor einigen Jahren aber in ein, ihm von der
Gemeinde Wien gewidmetes Ehrengrab auf den Zentralfriedhof
(Gruppe 14 A, Nr. 34) überführt. Seine Frau folgte ihm am i. Mai
1836, 67 Jahre alt, in den Tod, ihre Schwester Katharina zur Erbin
ihres 33i4fl. 27 kr betragenden Vermögens einsetzend (Verlassen-
schaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes: Militärgericht,
Fasz. III, Nr. 123/4 ex 1836). Karoline Pichler ging der Tod ihrer
langjährigen Freundin, welche sie 1802 kennen gelernt (I, S. 248 f.),
die in schweren Zeiten (1805, 1809) beruhigend auf sie gewirkt
hatte (I, S. 276, 337), die zu den Intimen des Hauses gehörte
(II, S. 1 14), mit der sie Predigten des Zacharias Werner zusammen
besuchte (II, S, 59f.), am Praterfest 18 14 teilnahm (II, S. 3off.)
und in deren Haus sie manche neue Bekanntschaft machte (I, S. 249),
sehr zu Herzen, da sie fast täglich beisammen waren (II, S. 321,
327), wenn auch in geistiger Hinsicht manche Differenzen bestan-
den, da Frau von Richler alles im Lafontaineschen Sinn faßte (II,
S.32if.)
Die Schwestern der Frau Richler hießen Nanette (vgl. unten
Anm. 644) und Katharina. Letzterer widmete Karl Streckfuß 1806
ein Gedicht (Gedichte. Neueste Auflage. Wien 18 17. S. 7of. :
Der edlen Freundinn Katharina Porta in Wien zum Namenstage;
vorher: Minerva, III, [Leipzig 18 11], S. 61). Schneller sagte 18 17
von ihr: „Katy Porta hat eine Tiefe des Gemüts und einen auf-
opfernden Sinn, wie man ihn nur selten trifft" (Briefwechsel zwi-
schen Julius Schneller und seinem Pflegsohne Prokesch. Hg. von
Ernst Münch. Leipzig 1834, S. 13). Schneller selbst stand mit
Katharina Porta, die viel kränkelte Qul. Schneller, Hinterlassene
Werke. Hg. von E. Münch. I, [Leipzig 1834], S. 274, 275, 277,
278, 284) und im vertrauten Kreise Caton genannt wurde, in Brief-
wechsel (ein Brief von ihr ebd. I, S. 283). Auch sie war, wie ihre
Schwester Josefa, vom Lafontaineschen Geist durchdrungen (II,
S. 321 f.). Sie starb, 73 Jahre alt, am 18. Dezember 1844, unver-
heiratet, an Entkräftung im Hause Aisergrund Nr. 102, wo sie bei
der Medizinerswitwe Anna Pohl (Anm. 732) wohnte, deren Kinder
(Mathilde, Emilie, Eduard) sie mit Legaten bedachte (Toten-
protokoll der Stadt Wien, 1844, Buchst. P., Fol. 33b; Verlassen-
schaftsakten im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II,
Nr. 42^5 ex 1844). Beigesetzt wurde sie am Währinger allgemeinen
Friedhof (Grab Nr. 369). — Allen drei Schwestern ist das Pichler-
35*
547
-ym
sehe Gleichnis „Das Geranium triste" (Österreichisches Taschen-
buch für das Jahr 1806. Wien. S. igöff. = S. W. * XVIII, S. 42 ff.)
zugeeignet.
*28) Johann Karl Unger (geb. 1 771), ein Zipser, ursprünglich
Piarist, dann Jurist, wurde er 1796 Lehrer am Theresianum, dann
Erzieher beim Baron Ignaz von Forgäcs und schließlich 18 10 Wirt-
schaftsrat beim Freiherrn von Hackelberg-Landau. 1836 war er
noch am Leben. Er trat als Dichter und populärer Schriftsteller
hervor (Wurzbach, XLIX, S. 6iff.).
*2*) Karoline Ungher-Sabatier (1803 — 1877), eine gefeierte Sän-
gerin, trat zuerst 18 19 am Kärtnertortheater in Wien auf, 1825
bis 1837 unternahm sie Künstlerreisen nach Italien und Paris,
überall Triumphe feiernd. Sie war kurze Zeit Lenaus Braut. Später
wirkte sie in Wien und Dresden, trat aber nach ihrer Vermählung
1843 ins Privatleben zurück (vgl. Wurzbach XLIX, S. 66ff. ;
L. Eisenberg, S. 1059; Wallaschek in: Die Theater Wiens, IV,
S. 98 mit Bild).
425) Leonhard Graf von Rothkirch und Panthen (1773 — 1842),
k. k. Feldmarschalleutnant und Ritter des Maria-Theresienordens,
trat 1791 in den Militärdienst ein. Seine hervorragenden Fähig-
keiten machten auf ihn aufmerksam und er avancierte rasch. 1807
Major, 1809 Oberstleutnant, 18 13 Oberst. Bei Leipzig gab er
solche Proben seines Mutes, daß er Maria-Theresienordensritter
wurde. 18 15 Generalstabschef des Erzherzogs Johann, dann Refe-
rent der Grundsteuer-Regulierungskommission, 1821 General-
major und Brigadier in Kärnten, 183 1 wieder in den Generalstab
berufen, dessen Chef er wurde. August 1840 ging er als kommandie-
render General nach Graz. 1826 war er Graf geworden. Er war
ein hervorragender Militär und Mitbegründer der österreichischen
militärischen Zeitschrift. Vgl. Wurzbach, XXVII, S. 108 ff.; Goe-
deke, VII, S. 123. — Mit KaroUne Pichler verband ihn und seine
Familie während seines ersten Wiener Aufenthaltes innige Freund-
schaft (vgl. oben S. 262, 335; II, S. 91, 123); sie war Taufpatin
einer Tochter (II, S. 163). Später brachten die Verhältnisse eine
Entfremdung mit sich (II, S. 162 f.). 1805 widmete Rothkirch der
Pichler folgende Zeilen (Gedichte. Wien 1848. S. 147!: An
Caroline Pichler. Als sie mir mit einem schönen Gedicht ihren
Eduard sandte):
Du Priesterin der himmlischen Kamönen,
Die hochbegabt das Seltenste vereint,
Die, wenn ihr Haupt gleich Pindus' Lorbeern krönen,
Am eignen Herd ein stilles Weib erscheint.
Die froh ergreift des Lebens bunte Szenen
Und voll Gefühl beim Schmerz der Lieben weint.
Wenn Deines Geistes Züge mich umschweben,
Laß auch mein Bild in Deinem Herzen leben.
Im gleichen Jahre (1805) wechselten Pichler und Rothkirch, wäh-
rend er durch den Feldzug von Wien entfernt war, häufig Briefe
(vgl. oben S. 3355 Pichlers Briefe an Schneller in dessen: Hinter-
lassene Werke, I, [Leipzig 1834], S. 262, 266). Das von Rothkirch
erwähnte Gedicht der Pichler ist nicht erhalten, dafür aber ein
zweites, das sie dem Obersten (also 18 13) „bei Übersendung einer
Brille, von der gleichen Nummer wie die meinige" zu seinem
Geburtstage zudachte (An den k. k. Obersten, Freyherrn von Roth-
kirch, S. W. 2 XVI, S. 92).
428) Franz Xaver Baron Engelhardt (1765 — 1809), k.k. Kämmerer,
Oberst und Kommandant des Infanterieregiments Nr. 4 Hoch- und
Deutschmeister, diente seit 1782 beim Militär. Zuerst war er bei der
Lindenau Infanterie (Nr. 29), dann bei den Czeschwitz-Kürassieren,
und seit i, November 1801 bei Hoch- und Deutschmeister, zuerst
als Obristleutnant und seit 2. August 1805 als Oberst. Er nahm an
vielen Kämpfen, so im Durchlaß bei Lunz (8. Nov. 1805), teil und
wurde am 3. Mai 1809 bei Ebelsberg verwundet. Nach Wien ge-
bracht, starb er am Wundfieber am 8. Mai 1809 im Greinerschen
Haus Alservorstadt Nr. 90 (oben S. 345 f.) und wurde am Wäh-
ringer allgemeinen Friedhof begraben (Verlassenschaftsakten im
Archiv des Wiener Landesgerichtes: Militärgericht, Fasz. III,
Nr. 235/3 ex 18 10; Gustav Ritter Amon von Treuenfest, Geschichte
des k. k. Infanterieregiments Hoch- und Deutschmeister Nr. 4.
Wien 1879. S. 377, 382, 389, 410, 416; Rudolf von Hödl, Geschichte
des k. imd k. Infanterieregiments Nr. 29. Temesvär 1906. S. 594;
Hampeis, Chronologische Epigraphik, S. 57, Nr. 29). — Er war
mit Anna Maria, geb. Freifrau von Bretton verheiratet und hinter-
ließ einen Sohn Alexander (vgl. II, Anm. 102). Diese Frau, mit
trefflichen Eigenschaften begabt (oben S. 249, 340, 345), mußte
während dSf Beschießung Wiens (Mai 1809) Karoline Pichler, in
deren Haus sie wohnte, aufrichten (oben S. 337, 340). Sie starb
am 14. März 1824 nach längerer Krankheit auf dem Gute Zlin
ihres Bruders Klaudius Freiherrn von Bretton in Mähren, ein Ver-
mögen von II (»Tj fl. 32/3 kr C. M. hinterlassend; sie hatte jähr-
uch 500 fl. Pension und wohnte in der Alservorstadt Nr. 109 (vgl.
ihren Verlassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes:
Militärgericht, Fasz. III, Nr. 227/287 ex 1824).
*2') Er ist mit Thomas Franz Glosse t idenüsch, der als
Doktor der Philosophie im Jahre 1782 öffentlich in der Universität
Wien seine medizinische Doktordissertation verteidigte, die im
selben Jahre als „Dissertatio inauguraUs practico-medica de fontibus
indicationum in m.orbis chronicis" (Viennae, typis Joannis Josephi
549
Jahn. 8". 26 und 3 Selten Theses) erschien. Obwohl in Wien
graduiert, gehörte er der medizinischen Fakultät nicht als Mitglied
an (Hof- und Staats-Schematismus, 1807, Anhang, S. 52). Er
wohnte Wipplingerstraße 391 (ebd.), war einst Mozarts Hausarzt
und behandelte 1809 Grillparzers Vater Wenzel (K. Glossy, Grillp.
Jb. I, S. 361).
*28) Ludwig Freiherr von Türkheim (1777 — 1846) widmete sich
gleichzeitig den juridischen und medizinischen Studien, wurde 1800
in Wien zum Doktor promoviert und entwickelte nun eine ausge-
dehnte medizinische Praxis, so daß er zu den gesuchtesten Ärzten
gehörte. Er wurde jedoch bald in den Staatsdienst berufen, wurde
wirklicher Hofrat und Sanitätsreferent bei der k. k. vereinigten Hof-
kanzlei, Beisitzer der k. k. Studienhofkommission und Vizedirektor
des medizinisch-chirurgischen Studiums, als welcher er eine äußerst
glückliche Hand in der Berufung tüchtiger Lehrkräfte an die
Wiener Universität, deren Rektor er zweimal war (1817 und 1829),
zeigte. Vgl. Wurzbach, XLVIII, S. 88 f. — Von 1803 ab, wo er
zum erstenmal konsultiert wurde, blieb Türkheim Hausarzt und
Freund des Hauses Pichler, der alle Familienmitglieder in verschie-
denen Krankheiten mit Erfolg behandelte (vgl. das Register unter
Türkheim). Aus Anlaß des Todes ihres Bruders (1804) widmete
ihm Karoline Pichler ein Sonett („Bey Überreichung eines Laven-
delkissens": S. W. 2 XVI, S. 59; vorher: Morgenblatt, Stuttgart
1809, S. 299: An meinen Arzt und Freund bey Übersendung eines
Lavendelkissens), worin sie die Erinnerung preist, und zu seinem
Geburtstage 18 12 ein zweites (An den Freyherrn Ludwig von
Türkheim: S. W. ^ XVI, S. 97 ff.), als sie ihm ein Schreibzeug von
Kristallglas übermittelte, dessen einzelne Teile sie symbolisch er-
läutert.
*2«) Eduard Gibbon, The history of the decline and fall of the
roman empire. 6 Bde. London 1776 — 1781. Eine deutsche Über-
setzung von F. A. W. Wenck erschien in 19 Teilen zu Leipzig 1805
und 1806.
*30) Gemeint ist: Jean Bapt. Bourguignon d'Anville, Geographie
ancienne abregee. 3 Bände. Paris 1768, ein Werk, das zahlreiche
Karten enthält.
^^) Vgh oben S. 326 mit Anm. 551.
*32) Das Testament, datiert vom 19. Jänner 1 804, liegt in einer Ab-
schrift im Pichlernachlaß der Wiener Stadtbibliothek als I.-N. 758.
Es besagt in Kürze: § i Will ohne Gepränge zur Erde bestattet
werden und bestimmt 30 Gulden auf Seelenmessen ; § 2 Je zehn
Gulden sollen das Armeninstitut, das allgemeine Krankenhaus, das
Invalideninstitut, die Normalschule, die Barmherzigen Brüder und
die Elisabethinerinnen bekommen; § 3 vermacht seiner Mutter sein
und seiner Frau Porträt; §4 setzt Schwester zur Universalerbin
ein; wenn sie kinderlos sterbe, möge sie seiner Freunde, falls sie in
dürftigen Umständen sind, gedenken; § 5 dem Schwager Pichler
gehören die Bücher, Landkarten und jene Schriften aus dem Nach-
laß des Vaters, die Staatssachen, Kanzlei- und Privatgeschäfte be-
treffen ; § 6 der erste und innigste Freund Gubernialrat Karl Graf
von Chorinsky, sowie seine Frau erhalten des Erblassers und seiner
Frau Uhr „zur Erinnerung an die Tage, wo sie uns glücklicher kann-
ten" ; § 7 Freund Jakob Barchetti, derzeit Kreiskommissär in Linz,
bekommt 4000 Gulden, die dessen Bruder Lorenz dem Testator
schuldet; § 8 der Freund Karl von Kempelen, k. k. Hofkonzipist,
erhält 6000 Gulden; § 9 Josef von Kurländer bekommt 500 Gulden,
Franz und Karl je 1000 Gulden, sowie die Leibkleidung und Wäsche ;
§ 10 bittet den Direktor des Taubstummeninstitutes Josef May an
seiner Stelle die Vormundschaft über Karl von Kurländer zu über-
nehmen, „da er diesen jungen braven Menschen genau kennet und
zum Thelle selbst erzogen hat"; §§ 11 und 12 verschiedene kleinere
Legate an Hausbedienstete u. a. — Die Verlassenschaftsabhandlung
(Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 53 ex 1804)
weist ein hinter lassenes Vermögen von 23 819 fl. 47^/2 kr aus;
darunter ist auch ein Schuldschein des Schweizerseidenbandfabrl-
kanten Lorenz Barchetti, ausgestellt am I.Oktober 1801, mit
4000 fl, inbegriffen.
*^) Der Gedanke wäre Seneca gemäß, findet sich aber in dieser
Form nicht bei ihm. Vielleicht schwebte Pichler eine andere
Stelle aus Ep. 102 vor: „Sie [die Todesstunde] ist nur für den
Körper, nicht für den Geist die letzte" (vgl. Pichler, S. W. ^
XVIII, S. 254).
*ä*) Josef Köderl (1772 — 1810) studierte Philosophie und Jus
an der Universität Wien, wurde dann Diurnist beim Bücherrevi-
sionsamt, wo er es 1803 zum zweiten Bücherrevisor brachte. Er
widmete sich der Kritik auf dem Gebiete der Philosophie und Ästhe-
tik, dichtete Sonette und war Bücherzensor (ein .Gutachten von
ihm brachte K. Glossy, GrlUp. Jb. IX, S. 213 f.). Als Kritiker war
er besonnen. Vgl. Wurzbach, XII, S. 208; Go^eke, VI, S. 5761.:
83. — Er verkehrte viel im Pichlerschen Kreis'p (oben S. 258, 260,
262), wo er angesehen war. Die Bekanntschaft hatte eine Rezension
des „Olivier" (vgl. unten Anm. 508) 1802 vermittelt (Hormayr,
Taschenbuch, XXXIV, S. 122). Als er starb Qänner 18 10), war
dort die Trauer um Ihn aufrichtig, vgl. oben S. 368 f. und den
schönen, warmen Nachruf, den ihm die Pichler widmete (S. W. ^
XVII, S. 79ff.; unten Anm. 619); wenn man Schnellers Worten an
Andre Glaubjen beimessen darf (Schneller, Hinterlassene Werke, I,
S. 340), so hätte Hormayr mittelbar an Köderls Tod die Schuld.
*'5) Julius Schneller (1777 — 1832), ein Straßburger, kam in jungen
Jahren nach Wien, um hier seine Studien zu vollenden, und wurde
dann Hofmeister beim Grafen von Sinzendorf, mit dem er auf
Reisen ging. Wieder nach Wien zurückgekehrt, wurde er 1803,
nicht im Frühjahr 1805, wie die Pichler (S. 265) meint, Professor
der Geschichte am Lyzeum zu Linz, und während der Ferialzeit
(Sonuner) führte ihn Köderl 1804 bei der Pichler ein, wo er sich
bald allgemeiner Beliebtheit erfreute (oben S. 258, 260; vgl. ihren
Brief an Streckfuß vom 21. VIII. 1806: K. Glossy, Wiener Commu-
nal-Kalender, XXXII, S. 400). Mit Streckfuß bekannt, brachte
er im August 1804 diesen dem Pichlerkreis zu (S. 261). Er munterte
die Pichler auf, gleichzeitig mit Streckfuß die Idylle Ruth zu be-
handeln (S. 263). 1806 kam er als Professor der Geschichte nach
Graz. Er war ein sehr fruchtbarer und freimütiger historischer
Schriftsteller; letzteres verfeindete ihn mit der Zensur, daher er,
trotz wiederholter Versuche, an denen sich nebst anderen auch
Andreas Pichler beteiligte (Schnellers Hinterlassene Werke, I,
[Leipzig 1834], S. 273; II, S. 41), eine Versetzung nach Wien nicht
durchsetzte, da man ihn als Josefiner ausgeschrien hatte. Er ging
daher 1823 an die Universität Freiburg im Breisgau ab (vgl. Wurz-
bach, XXXI, S. 45 ff.; Goedeke, VII, S. 517: 10; E. Münch in
Schnellers H. W. I, S. i ff., bes. S. 4f.). Sein Stiefsohn Prokesch-
Osten, den Schneller an die Pichler empfahl (H. W. I, S. 271
Qänner 1817]), spielte später im Pichlerkreis eine Rolle (vgl. II,
Anm. 253). Schneller und Karoline Pichler standen lange Jahre
in anregendem, freundschaftUchem Briefwechsel (14 Briefe in
Schnellers H. W. I, S. 261 ff.). Er empfahl ihr, die er 1817 eine
treffliche Schriftstellerin und Mutter nannte (H. W. II, S. 13),
der er Geschenke machte (H. W. II, S. 21), verschiedene Leute
brieflich (H. W. I, S. 266, 268, 269, 274, 282), damit sie diese in
ihre Abendzirkel aufnehme, und konterfeite die treffliche Gattin
und Mutter mit in seinem Sonettenzyklus „Weiblichkeit" (H. W.
III, S. i82ff.; vgl. I, S. 269, 270), der seine Frau und Tochter zum
Gegenstande hatte. Noch 1828 gedachte er ihrer, wenn auch kurz,
in einem seiner Werke (Österreichs Einfluß auf Deutschland und
Europa, I, [Stuttgart 1828], S. 409), wo er ihre Bearbeitung des
empfindsamen Romans würdevoll nennt.
*3«) Heinrich Josef von Collin (1772 — 181 1), ein Wiener, trat
nach Beendigung des Rechtsstudiums als Konzipist bei der Finanz-
hofstelle ein und brachte es bereits 1809 infolge seiner hervorragen-
den Fähigkeiten und Talente, zum Hof rate, als welcher er das
Ritterkreuz des Leopoldordens erhielt. Frühzeitig dichterisch im
Sinne des Klassizismus tätig, wurde er später, durch Hormayr stark
beeinflußt (vgl. oben S. 307), Vater der vaterländischen Ballade.
Am populärsten wurde er 1809 durch seine begeisternden Land-
wehrlieder, die auch auf die Pichler tiefen Eindruck machten (vgl.
oben S. 190, 331 mit Anm. 560, 373, 514 und II, S. 297). Sein
„Regulus", 1802 erschienen, hatte ihn zuerst bekannt gemacht (pheii
S. 259; vgl. Überblick des neuesten Zustandes der Litteratur, des
Theaters und des Geschmackes in Wien, I, [Wien 1802], S. 47ff. und
Ferdinand Laban, Heinrich Joseph Collin. Wien 1879, S. 91 ff.).
Bald nach Erscheinen des „Regulus" wurde er bei der Pichler ein-
geführt (oben S. 260), und es dauerte nicht lange, so war er ständiger
Gast, da ihm Pichlers Haus sehr gefiel (oben S. 168). Hier las er
seine Dichtungen vor (oben S. 408; II, S. 91), beteiligte sich am
Theaterspiel (oben S. 297 f.) und hielt mit Hormayr Deklamationen
ab (oben S. 261). Er führte Zacharias Werner bei der Pichler ein
(oben S. 303), und als 1808 die Stael in Wien war, da spielte er zwi-'"'
sehen ihr und der Pichler eine Art Vermittlerrolle (oben S. 3 15 f.,
320). Sein Umgang wirkte dichterisch anregend auf die Pichler
(oben S. 262); besonders beim Drama „Germanicus" leuchteten
ihr seine dramatischen Schöpfungen vor (oben S. 399), und vielleicht
hat sein Rudolf von Habsburg (II, S. 9) auch ihre gleichnamige
Oper in etwas beeinflußt. Mit einigen Szenen im „Mäon" konnte
sie sich, die sonst so gerne die Werke ihres Freundes anerkannte
(oben S. 318), aber nicht befreimden (II, S. 186 mit Anm. 323).
ColUn widmete Karoline Pichler ein begeistertes Gedicht „An Ca-
rolina von Pichler" (Sämmtliche Werke, IV, [Wien 1813], S. 47ff.),
das Julius Schneller (Hinterlassene Werke, I, S. 267) betreffs der
Verse gesucht und gezwungen fand; in diesem Gedichte preist
ColUn (S. 57 f.) ganz besonders den „Agathokles", den er „ein ewiges
Werk, geschaffen zur Stärkung aufstrebender Seelen" nennt, an
dem er „die durchgängige strenge Haltung und die Mannigfaltig-
keit, besonders der christlichen Charaktere" bewlmdert (ebd.
S. 363). Dagegen hatte ihm die Pichler bereits 1806 in 2 Sonetten
(An CoUin: Urania 1812, S. 157 = S. W. * XVI, S. 57!) anläßlich
der Übersendung einer weißen, mit Silber verzierten Porzellanschale
zu seinem Geburtstage, die sie allegorisch auslegte, die Unsterblich-
keit prophezeit. Knapp vor seinem Tode, dem er eine heitere Seite
abzugewinnen wußte (II, S. 97), war er noch bei der Pichler auf
Besuch (oben S. 382 f.), doch bald darnach raffte den rastlos tätigen
Mann ein hitziges Fieber hinweg. Seine Totenfeier gestaltete sich
erhebend und trug auch die Pichler ihr Scherflein dazu bei (vgl.
unten Anm. 645). Sein Verlust ging der Pichler sehr nahe, denn
unersetzlich war er für ihren Kreis (oben S. 383), und so konnte sie
an Streckfuß schreiben (10, September 181 1: K. Glossy, Wiener
Communal-Kalender, XXXII, S. 410): „Sie haben unseren Collin
gekannt, nicht bloß als Dichter, sondern als Mensch, als Freund,
553
in jeder dieser Rücksichten ist der Verlust unersetzlich." — über
Collin vgl. man die eingehende Monographie von Laban (s. oben);
Wurzbach, II, S. 4i2ff.; Goedeke, VI, S. 105 ff.
*3') Collin war damals Hofkonzipist bei der Hofkammer (Hof-
und Staatsschematismus. 1804, S. 38).
«8) Adolf Friedrich Karl Streckfuß (1778— 1844) aus Gera, ein
hervorragender Vermittler italienischer Literatur, wurde nach
Vollendung seiner Studien 1803 Hofmeister In Trlest, kam 1803
In gleicher Eigenschaft nach Wien, gab den Posten auf, wurde Haus-
genosse der Pichler (oben S. 265), verUebte sich in Frau von Kem-
pelen und verließ ihretwegen 1806 Wien (oben S. 283, 285f., 297,
336). Er ging nach Zeitz, wo er 1807 Sekretär der Stiftsregierung
wurde. 18 11 kam er als geheimer Regierungssekretär zum geheimen
Kabinett In Dresden, vertauschte 18 15 den sächsischen mit dem
preußischen Staatsdienst, rückte 18 16 zum Geheimen Finanzrat und
später zum ersten Reglerungsrat In Merseburg vor; 18 19 kam er
nach Berlin, wo er 1820 vortragender Rat Im Ministerium des
Innern, 1823 Geh. Oberregierungsrat und 1840 Mitglied des Staats-
rates wurde. 1843 g^^S ^^ ^^ Pension. Vgl. Goedeke, VII, S. 792 ff.
Im Pichlerschen Kreise war Streckfuß sehr beliebt; er sang dort
mit angenehmer Stimme (oben S. 283) und trug seine neuesten
Gedichte vor (II, S. 91 ; oben S. 262), welche die Pichler dann später
in Abschriften mit der Buchausgabe zur Erinnerung an Ihn in
einen Schuber steckte, damit „Ihr Geist, Ihre Melodien uns auf
unseren Spaziergängen begleiten und wir wollen still und wehmütig
des schönen Abends [vgl. oben S. 262] gedenken, an dem Sie sie
uns zuerst unter den Lindenbäumen deklamierten" (Brief an
Streckfuß vom 21. April 1806: K. Glossy, Wiener Communal-
Kalender, XXXII, S. 395). Im edlen Wettstreite zwischen Pichler
und Streckfuß entstand beider „Ruth" (vgl. oben S. 262 ff. mit
Anm. 441, 442 a und II, S. 405 f.). Letzterer widmete sie Frau von
Greiner, bei der er sich besonders eingeschmeichelt hatte (vgl.
Anm. 441 und oben S. 265). Allen drei Karolinen (Großmutter,
Mutter, Tochter) eignete er 1805 ein Gedicht „Der Frau v. Greiner,
ihrer Tochter und Enkelinn an Ihrem gemeinschaftlichen Nahmens-
tage" (Österreichisches Taschenbuch für das Jahr 1806. Wien
[1805], S. I07ff.) zu, das ähnlich wie die Widmung der Ruth (Anm.
441) die Freude der Großmutter und Mutter bespricht und das
bene der Tochter, unter solcher Leitung aufzuwachsen, hervor-
hebt. Als er am 11. April 1806 Frau von Kempelens wegen Wien
verheß (vgl. oben S. 286), da fühlte man im Pichlerschen Kreise
seine Unersetzlichkeit und Karoline Pichler widmete ihm, ebenso
wie sein Freund Friedrich Treitschke (Der Sammler, II, [Wien
1810], S. 237 = Gedichte, Wien 1817, S. 57), ein Abschieds-
554
gedieht, und zwar ihr erstes Sonett (Urania, Taschenbuch für
Damen auf das Jahr 1815. Leipzig [18 14], S. 158 : Mein erstes Sonett,
Zum Abschied an einen Freund. Im April 1806 = S. W. * XVI,
S, 55 : An C, S. Zum Abschiede 1806). Die Lücke, die sein Scheiden
in ihrem Kreise riß, veränlaßte sie bald darnach zu einem zweiten
Gedichte „Erinnerungen. Im May 1806" (S. W. 2 XVI, S. 66 ff.),
in dem sie wieder schmerzlich seiner und jener Zeit, die sie ein
Arkadien nannte, in dem sie drin gewesen (Brief an Streckfuß vom
21. August 1806: K. Glossy, Wiener Communal-Kalender, XXXII,
S. 400), gedenkt. Ein wenn nicht reger, so um so herzlicher Brief-
wechsel entspann sich zwischen Karoline Pichler und Streckfuß in
der Folgezeit; davon sind Pichlers Briefe durch K. Glossy (Wiener
Communal-Kalender und Städtisches Jahrbuch, XXXII, [Wien
1894], S. 393 ff.) veröffentlicht worden, während die Briefe von
Streckfuß, die im Besitze des Staatsarchivars Dr. Oskar Freiherrn
von Mitis in Wien sind (H. Freiherr v. Jaden, Theodor Körner und
seine Braut. Dresden 1896, S. VII, Anm.), noch der Veröffent-
lichung harren. 1814 kam Streckfuß anläßlich des Kongresses
wieder nach Wien und wurde im Pichlerkreise herzlich aufgenom-
men (II, S. 55 f. mit Anm. iii). 181 1 hatte er ihr A. W. Böttiger
empfohlen, wofür sie ihm sehr dankbar war (Brief vom 10. Septem-
ber 181 1: K. Glossy, a. a. O. XXXII, S. 410; über Böttigers Be-
such bei der Pichler s. H. A. Lier, Grillp. Jb. XIII, S. 129, 131,
136 und Hormayrs Brief: K. Glossy, ebd. XII, S. 250).; Seine
Danteübersetzung, die sie ebenso besaß (Halle 1825; Nr. 25z ihres
Bücherverzeichnisses im Nachlaß) als seine „Gedichte" (Wien 1804;
Leipzig 181 1: ebd. Nr. 178, 179), sein „Torquato Tassos Leben"
(Berlin 1840; ebd. Nr. 254) und die „Ruth" (Wien 1805; ebd.
Nr. 284), gefiel ihr sehr (Brief vom 26. Jänner 1828: K. Glossy,
a. a. O. XXXII, S. 412). Ein wie lieber Freund er ihr war, zeigte
sich auch noch in gelegentlichen Äußerungen späterer Jahre (vgl. II,
S. 296, 316). Es mag als nicht uninteressant angemerkt werden,
daß sie zur Zeit des wütendsten Sonettenkrieges, in 'dem Heinrich
von CoUin 1807 als Verteidiger des Sonettes auftrat (vgl. Heinrich
Welti, Geschichte des Sonettes in der deutschen Dichtung. Leipzig
1884, S. I97ff., bes. S. 201 f.), durch Streckfuß beeinflußt, der hier
im romantischen Fahrwasser segelte, Sonette schrieb, obwohl sie
sonst der Romantik und deren Kunstformen nicht hold war.
*^) 1804 entstanden, erschienen die „Harmonien" 1805 (Streck-
fuß-Treitschke, Musenalmanach für das Jahr 1805. Wien. S. 24ff.
= Gedichte von Carl Streckfuß. Neueste Auflage. Wien 18 17. S.
71 ff.). Nach seinem Weggang von Wien rezitierte man sie im Pich-
lerkreis im Mai 1806 im Augarten (Brief an Streckfuß vom 16. Mai
1806: K. Glossy, Wiener Communal-Kalender, XXXII, S. 398).
555
**°) Joh. Jahn, Biblische Archäologie. 3 Teile in 5 Bänden. Wien
1796 — 1805; 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Wien 1807
bis 1825. — War im Besitze der Pichler (Nr. 137 des Bibliotheks-
Terzeichnisses im Nachlaß).
**^) Carl Streckfuß, Ruth. Ein Gedicht in vier Gesängen, Wien
bey Schaumburg et Compagnie. 1805. (8". 133 S.). Die Ausgabe
ist der Frau Hofrätin von Greiner gewidmet. Streckfuß sagt in der
Vorrede (S. 3 ff.): »Ich widme Ihnen dieses Gedicht, gnädige Frau,
nicht um Ihnen dadurch ein Zeichen meiner Verehrung zu geben
— denn dessen bedürfen Sie nicht. Wer so, wie Sie, mit der klarsten
Einsicht in die Verhältnisse des Lebens die schöne Wärme des
Herzens verbindet und sich diese bis ins Alter zu erhalten gewußt
hat; wer so, wie Sie, den Samen des Schönen und Guten aus-
streute und ihn nun die herrlichsten Früchte tragen sieht, der
muß ohne alle Versicherung derjenigen Ehrfurcht gewiß seyn, die
Geist und Tugend auch dem rohesten Gemüth abnöthigeu. Mir
selbst wollte ich durch diese Dichtung bey Ihnen und Ihrem Kreise
ein Denkmahl errichten. Leider ist es mein Schicksal, einer flüch-
tigen Erscheinung gleich, bey denen vorüber zu gleiten, an die ich
mich dauernd anzuschließen gehofft hatte. Wer weiß, wie bald ich
auch von Ihnen scheiden muß!" Unterzeichnet ist diese Vorrede
am 13. Februar 1805. — In vier Gesängen schildert Streckfuß im
Gedichte i. den Abschied von der Heimat; 2. die Rückkehr ins
Vaterland; 3. Liebe und Seligkeit der Ruth und 4. Hoffnung
und Erfüllung. Das Gedicht fand freundliche Aufnahme, eine
größere Anzahl von Kritiken erschien (vgl. Goedeke, VII, S. 792,
Nr. 182: 6).
**2) Die Sammlung „Gedichte" von Carl Streckfuß, Neueste
Auflage, Wien 18 17, enthält als drittes Buch (S. 193 ff.) eine große
Anzahl von, in den Jahren 1800 — 1809 entstandenen Sonetten, die
der Dichter nur mit Schüchternheit (Vorrede, S. 6) der Öffentlich-
keit übergab. Die erste Ausgabe seiner „Gedichte" (Wien 1804)
enthielt nur die 13 Sonette an Amanda (S. 86ff.), die 1802 ent-
standen sind, sowie die 8 Sonette „Getäuschte Liebe" (S. 97ff.)
aus dem Jahre 1803 und eine „Blumenlese aus Petrarcas Sonetten
auf Laurens Leben und Tod" (S. 131 ff.), die 1817 nicht mehr er-
scheint.
**'a) Die Kritik stellte sich durchgehends auf Pichlers Seite, deren
„Ruth" man vor der des Streckfuß den Vorzug gab, wenn man
auch die Schwächen der Pichlerschen Bearbeitung nicht verkannte.
So tadelte Friedrich Weisser (Neue Bibliothek der schönen Wissen-
schaften und der freyen Künste, LXXII, [Leipzig 1806], S. il5ff.
= Sämmtliche prosaische Werke, I, [Wien 1818], S. 26off.) den
Mangel an poetischer Schönheit bei reiner und natürlicher Sprache
und oft hinreißender Wärme der Empfindung; er fand, daß die
2. Idylle viel zu viel Unbedeutendes enthalte imd die Darstellung
der Personen nicht besonders vorzüglich sei, da Ruth selbst beinahe
gar keine Eigentümlichkeit aufweise, während Naemi am besten
gelang; die Ruth des Streckfuß aber lehnte er durchweg ab (ebd.
LXXII, S. io6ff. = S. p. W. I, S. 247ff.). Sehr freundlich ist eine
anonyme Anzeige in den „Annalen der Literatur und Kunst in
den österreichischen Staaten" (IV, 2 [Wien 1805], S. 3 12 ff.),
welche die Idyllenform, die Anlage und die Verteilung der Situa-
tionen, die Naturgemälde, die Sprache und den Versbau preist,
dagegen an Streckfuß (ebd. IV, 2, S. 3 14 ff.) viel auszusetzen findet.
Die „Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1806" (Halle 1806,
I, Sp. 201 ff.) hebt die Zartheit der Behandlung hervor, meint, daß
es der Pichler gelang, das Dissonierende des biblischen Textes zu
poetischer Harmonie zu gestalten, wendet sich aber gegen die zur
Schau gestellte moderne Sentimentalität, gegen die nicht besonders
sorgfältige Versifikation und die oft breite und umständliche Dar-
stellung; auch dieser Rezensent zieht die Pichlersche der Streckfuß-
schen Bearbeitung bei weitem vor (ebd. IV, [1806], Sp. 50 ff.), da
die idyllische Bearbeitung dem Stoffe angemessener sei. R. L. (Der
Freymüthige, III, i [Berlin 1805], S. 337f.) findet, daß die Ge-
schichte durch die Veredelung, wie sie die Pichler vornahm, viel
gewann und anziehenden Genuß gewähre, während der Kunstgenuß
beim Lesen des Streckfußschen Werkes, der sich treuer an die Bibel
hielt, viel geringer sei. Heinrich von CoUin war durch die Ver-
schmelzung des Homerischen mit dem Biblischen und durch „die
schön ausgesprochenen Gefühle über weibliche Bestimmung und
weibliches Glück" entzückt (Sämmtliche Werke, VI, [Wien 18 14],
S. 68), während Freiherr von Kübeck (Tagebücher, I, S. 409) die
Vortrefflichkeit des Gedichtes zwar anerkennt, aber 1831 meint, daß
die Darstellung hinter der einfachen Erzählung der Bibel weit zu-
rückbleibe. — Das Buch selbst erschien 1805: Ruth. Ein Biblisches
Gemähide in drey Idyllen. Wien, ,bey Anton Pichler, 1805. Gr.-8"',
96 S. mit einem Titelkupfer (Weinrauch fec). Es wurde 1839 "^^^
Carlo Beolchi ins Italienische übersetzt: Ruth quadro biblico in
tre idilii della signora Carolina Pichler recati in versi italiani da
Carlo Beolchi. Pavia, nella Stamperia Fusi e Comp. 1839, Gr.-8",
51 (+1) SS. (Wien, Universitätsbibliothek). Später wurde „Ruth"
in Pichlers „Biblische Idyllen" (i. Rebekka, 2. Hagar, 3. Ruth.
Wien, 1813 bey Anton Pichler, VIII. +9 — 155 SS. mit einem
Kupfer [Gysin fec.]) übernommen (S. 71 ff. = S. W. 2 XV, S. 159 ff.).
Diese „Biblischen Idyllen", zu denen später (S. W. 2 XV, S. 284 ff.)
noch „David und Jonathan" kam, erschienen, soweit es „Rebekka"
und „Hagar" betrifft, zuerst im „Österreichischen Taschenkaien-
557
der" (vgl. oben Anm. 383) und erfuhren in der Leipziger Ausgabe
(Biblische Idyllen, Leipzig, bei Fleischer d. j. 18 12. 8", 152 S.)
eine Besprechung in „Allgemeine Literatur-Zeitung" (18 13, I,
Sp. 161 ff.), welche sie den gelungenen Nachbildungen zugesellt,
wenn auch ausgestellt wird, daß manches nach dem Vorbilde Homers
und Vossens zu sehr ausgesponnen wurde, wodurch manches alt-
griechisch und modern, manches zu gedehnt oder zu geschwätzig
wurde; den besten Eindruck machte Hagar auf den Rezensenten.
„Rebekka" hebt ein anderer (Za.) als einen sehr gelungenen Versuch
hervor (Neue allgemeine deutsche Bibliothek, LXXXIX, [1804],
S. 160).
**') Es war dies der Weg der Wiener-Prozession, den Karoline
Pichler schildert; man vgl. die Führer von Josef Adler (Der Be-
gleiter auf der Wallfahrt nach Maria Zell. Wien o. J.), C. F. Weid-
mann (Reise von Wien nach Maria-Zeil. Wien 1830) und Matth.
Macher (Der berühmte Wallfahrtsort Maria-Zeil in Steiermark
historisch-topographisch dargestellt. Wien 1832, S. iff.).
*«) Vgl. oben S. 164.
*^) In der Nacht des i. November 1827 wütete dieser furchtbare
Brand, vgl. Macher, S. 33 ff.
***) Die Legende berichtet, daß Markgraf Wladislaus oder Hein-
rich von Mähren und seine Gemahlin , da sie von schwerer Krank-
heit genasen, die seit 11 57 bestehende Kapelle zu Maria-Zeil in
eine steinerne umwandeln ließen, während König Ludwig von
Ungarn zum Dank, daß er mit Hilfe der Gottesmutter die Türken
besiegte, die jetzige Kirche erbauen ließ (J. P. Kaltenbaeck, Die
Mariensagen in Österreich. Wien 1845. S. 24ff.). Quelle dafür ist
eine Schrift des Dr. Johannes Manesdorfer aus Wien, 1487 verfaßt,
deren Angaben aber, soweit sie den Markgrafen von Mähren und
das Entstehungsjahr von Mariazell (1157) betreffen, Matthias
Pangerl in einer kritischen Untersuchung (Mittheilungen des
historischen Vereines für Steiermark, XVIII, [Graz 1870], S. 6 ff.)
ablehnte, während er urkundlich nachwies (S. 24 ff.), daß Mariazell
zuerst 1266 aufscheint, 1278 bereits einen Pfarrer hatte, 1322 die
erste Widmung erhielt, 1330 zuerst als Wallfahrtsort genannt wurde
und 1363 durch König Ludwig I. von Ungarn einen ansehnlichen
Zubau (Turm) erhielt.
**') Karoline Pichler schilderte die Reise auch in einem Prosa-
aufsatz „Maria-Zeil" (Sartoris Mahlerisches Taschenbuch für
Freunde interessanter Gegenden, Natur- und Kunst-Merkwürdig-
keiten der Österreichischen Monarchie. I, [Wien 1812], S. 8iff.
= S.W. 2 XVII, S. 5 5 ff.), der manches Ergänzende bietet. — Die
Romanze „Maria-Zeil" erscliien zuerst 1806 (Österreichisches
Taschenbuch für das Jahr 1806. Wien. S. 48ff. = S. W. 2 XVI,
S. 20iff.)> dann nochmals 1811 (Hormayrs Archiv für Geographie
Historie, Staats- und Kriegskunst, II, S. 557); sie enthält auch die
Legende vom Markgrafen Heinrich. Eine Anzeige (Der Frei-
müthige, IV, [Berlin 1806], S. 53) nennt das Gedicht „vorzüglich".
Eine andere Qenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, 1806, II,
S. 355) findet die Stanzen wohlklingend, das Gedicht aber an
einigen Stellen an „A. W. Schlegels Bund der Kirche mit den
Künsten" erinnernd.
**8) Vgl. über diese Angabe die übereinstimmenden Mitteilungen
in Macks Biographie bei Joh. Ritter von Rittersberg, Biographien
der ausgezeichnetesten Feldherren der k. k. österreichischen Armee
1788 bis 1821. I, (Prag 1829), S. 849.
**8) Am 8. September 1805 kamen die Österreicher nach Bayern,
am 14. September trafen sie in München ein und am 16. September
überschritten sie den Lech. Kurfürst Maximilian Josef hatte
das Land verlassen; sein Sohn Ludwig hatte, obwohl er Napo-
leon haßte, diesen später nach Paris begleiten müssen (vgl. Anton
Ritter von Geusau, Historisches Tagebuch aller merkwürdigen
Begebenheiten, welche sich in Wien vom Monat September 1805
bis I. Februar 1806 zugetragen haben. Wien 1807. S. 38 ff.).
*50) Die Kapitulation von Ulm erfolgte am 17. Oktober 1805.
Mit 23 Generalen gerieten 23 000 Österreicher in Kriegsgefangen-
schaft (vgl. Geusau, Tagebuch, S. 66 ff. 5 die aktenmäßigste Dar-
stellung bietet M. Edler v. Angeli in : Mitteilungen des k. k. Kriegs-
Archivs, II, [Wien 1877], S. 476 ff.). Die Nachricht kam am 26. Ok-
tober nach Wien (Pichler an Schneller: Schnellers Hinterlassene
Werke, I, S. 265). Mack kam vors Kriegsgericht, verlor seinen Rang
und seine Würden und wurde erst 18 19 gnadenweise rehabilitiert.
*^^) Ferdinand Karl Josef Este, Erzherzog von Österreich, Feld-
marschall und Ritter des Märia-Theresienordens (178 1 — 1850), war
1805 Oberkommandant in Süddeutschland, doch hatte Mack zu
weitgehende Vollmachten, als daß er hätte energisch eingreifen
können. Mit dem Fürsten Karl Schwarzenberg und dem Obersten
Friedrich Baron Bianchi schlug er sich mit 12 Schwadronen Rei-
tern von Ulm aus durch das feindliche Lager und erreichte Böh-
men (vgl. Wurzbach, IV, S. 86f.; Angeli, a. a. O., II, S. 477 ff.;
Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben, I, S. I57f.).
*^2) Der FeldmarschaÜeutnant Heinrich von Schmidt (1743 bis
1805) fiel am 11. November 1805 im Gefecht bei Dürrenstein, das
zwischen Russen und Franzosen vorfiel. Erstere bUeben Sieger.
Schmidt war der russischen Armee als Generalquartiermeister bei-
gegeben und führte sie an (Wurzbach, XXX, S. 252 ff.; Geusau,
Tagebuch, S. 138 f.; Thürheim, a. a. O. I, S. 163). In Krems a. d.
Donau wurde ihm ein Denkmal errichtet.
559
*^) über das Flüchten der Wiener und das Retten ihrer Hab-
seligkeiten und Kostbarkeiten vgl. Karl August Schimmer, Die
französischen Invasionen in Österreich und die Franzosen in Wien
in den Jahren 1805 und 1809. Zweite Ausgabe. Wien 1854.
S. 8ff,, i4f. und Geusau, Tagebuch. S. 113 ff.
*") Karl Fürst Auersperg (1750 — 1822) vrar seit 1790 Ritter des
Maria-Theresien-Ordens und Feldmarschalleutnant. Er übernahm
gegen seinen Willen am 8. November das Kommando des, bei
Wien zurückgebliebenen Reservekorps und hatte den strikten Auf-
trag, bei Annäherung des Feindes die Donaubrücken zu zerstören.
Er hielt jedoch seine Instruktion nicht ein (vgl. Anm. 458), kam
dafür vors Kriegsgericht und büßte sein Vergehen mit mehrjähriger
Festungshaft und dem Verluste seiner Würden. Vgl. Lulu Gräfin
Thürheim, M. L., I, S. i67f., 202 f.; II, S. 220; J. Hirtenfeld,
Der Militär-Marla-Theresien-Orden und seine Mitglieder, I, (Wien
1857), S. 282 f.
*5S) Ist jetzt (Frühling und Sommer 19 12) abgebrochen worden.
*B6) Adam von Weingarten, dessen Lebensgrenzen Wurzbach
(LIV, S. 36) unbekannt sind, war 1821 Hauptmann im General-
quartiermeisterstab, 1829 bereits Major. Er zeichnete sich als guter
Novellist aus, verfaßte aber auch kriegsgeschichtliche und sonstige
Aufsätze, so die Wurzbach unbekannt gebliebene Broschüre „Schloß
Aggsteln" (Wien 1828, Gr.-8", 15 S. — Universitätsbibliothek Wien),
und versuchte sich als Lithograph (F. H. Böckh, Wiens lebende
Schriftsteller, Künstler und Dilettanten im Kunstfache. Wien 1822.
S. 284). Mit Karoline Pichler traf er auch bei Rothkirchs zusammen
(II, S. 123) und verfaßte 1829 zu deren Namenstag ein Sonett, das in
Merkenstein durch Henriette Ephraim zum Vortrag gelangte (II, S.
255). Er, Helmine von Chezy, J. Graf von Mailäth und Karoline
Pichler behandelten 1824 denselben Stoff novellistisch; er und die
Pichler als „Der Teppich" (Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur,
Theater und Mode. 1824, S. ii47ff. [Weingarten], 1241 ff. [Pichler]).
Im April 1830 wurde er irrsinnig und am 23. Februar 183 1 erlöste
ihn der Tod, 42 Jahre alt, im ledigen Stande, durch einen Schlag-
fluß im Garnisonspital von seinem Leiden (Totenprotokoll der Stadt
Wien im Konskriptionsamt, 183 1, Buchst. W., Fol. 7b). Seine
Habe, darunter viele Bücher, die hauptsächlich der französischen
und italienischen Literatur angehörten, wurde in seiner Wohnung
(Stadt, Am Peter Nr. 571) versteigert (vgl. seine Verlassenschafts-
akten im Archiv des Wiener Landesgerichtes: Militärgericht, Fasz.
III, Nr. 173 ex 183 1). Beerdigt wurde er am Währinger allgemeinen
Friedhof (Hampeis, Chronologische Epigraphik, S. 120, Nr. 1220).
*5') Am 12. November 1805 begab sich eine zweite Deputation
zu Napoleon ins Hauptquartier nach Sieghartskirchen und bat ihn
560
um Schonung für die Stadt Wien, was Napoleon auch zusagte
(Schimmer, S. 13; Geusau, Tagebuch, S. 146 f.).
*58) Dazu vgl. Geusau, Tagebuch, S. 150 f. und besonders M.
Edler von Angeli (Mitteilungen des k. k. Kriegs- Archivs, III, [Wien
1878], S. 31 8 ff.), der eine aktengemäße Darstellung gibt, vne Fürst
K. Auersperg in seiner Gutmütigkeit düpiert wurde, wobei ein Teil
der Schuld aber auch den Zivilkommissär Grafen Wrbna trifft. Die
Überrumpelung erfolgte am 13. November 1805 zwischen 10 und
II Uhr vormittags unter Mithilfe eines Wiener Bürgers. Das
Nichtabbrennen der Brücken war eine Bedingung dafür, daß Murat
Wien schone.
459) Der Einmarsch erfolgte bereits am 13. November 1805 nach
II Uhr mittags (Schimmer, S. 15 f.; Geusau, Tagebuch, S. 149).
Was die Pichler von den Kaufläden und der Neugier der Wiener
erzählt, findet bei Schimmer, S. 16 und Geusau, S. 150 seine Be-
stätigung. Über die anfängUche Besetzung der Wachtposten durch
die Bürger vgl. Schimmer, S. 19; Geusau, S. 160; doch schon am
17. November wurden auch die Stadttore vom französischen Militär,
einiger Exzesse wegen, besetzt (Schimmer, S. 23; Geusau, S. 179).
*^) Robert David Henri Bruce (1755 — 1828), zwar erst seit 1807
Oberst und Befehlshaber des 5. holländischen Infanterieregiments,
war seit 1799 Major beim i. Bataillon der 7. Halbbrigade, beteiligte
sich am Feldzug 1805, wurde 1809 Generalmajor, wirkte 1809 bei
der Konföderation von Breda mit und avancierte 18 15 zum General-
leutnant, als welcher er Kommandierender der Provinz Seeland war.
Vgl. P. C. Molhuysen en P. J. Blok, Nieuw Nederlandsch Biogra-
fisch Woordenboek, I, (Leiden 191 1), Sp. 481 f.
**'^) Am 2. Dezember 1805 fand die Schlacht bei Austerlitz statt.
*^*) Karl Philipp Fürst von Schwarzenberg (1771 — 1820), der
Sieger von Leipzig, hatte am 5. September 1805 um die Vereinigung
der bayerischen mit der österreichischen Armee in München beim
Kurfürsten angesucht, war aber abgewiesen worden (Geusau, S. 38)
und zwar infolge seines hochmütigen Benehmens (Lulu Gräfin
Thürheim, M. L., I, S. 154).
**^) Maria Luigi Carlo Cherubini (1760 — 1842) schrieb bereits im
Jahre 1780 seine erste Oper. Er kam 1784 nach London und 1787
nach Paris. 1805 und 1806 weilte er in Wien, führte hier seine
Lodoiska und Faniska, sowie Medea auf (vgl. darüber Jul. Wilh.
Fischer, Reisen durch Österreich, II, S. ii2ff.). Vor Kaiser Na-
poleon mußte er einige Male in Schönbrunn konzertieren (Geusau,
S. 247; Schimmer, S. 36). Mit diesem verließ er wieder Wien und
ging nach Paris, wo er 1821 Direktor des Konservatoriums wurde.
Er komponierte viele Opern und Kirchenmusik. Vgl. Eitner, II,
S. 4i7ff.
36 C, p. I 561
*"*) Girolamo Crescentini (1766 — 1846), ein Kastrat, weilte' von
1803 — 1806 in Wien, sang vor Napoleon (Geusau, S. 247), der ihn
für Paris engagierte (Geusau, S. 288) und war später (1825) Gesang-
direktor am Musikkollegium in Neapel. Er war nicht nur ein aus-
gezeichneter Sänger, sondern auch Komponist. Er gab eine Ge-
sangschule heraus. Vgl. Eitner, III, S. loif. — Über sein Spiel als
Romeo vgl. oben S. 323.
*^) Über diesen konnte ich vorderhand nichts finden. — Über
die Einquartierungen des Jahres 1805 im Hause der Pichler vgl. man
einen Brief an Schneller vom 29. November 1805 Qul. Schneller,
Hinterlassene Werke, I, [Leipzig 1834], S. 264f.).
*'^) 26. Dezember 1805. Österreich verlor durch den Frieden
von Preßburg Tirol, Vorderösterreich und das venezianische Ge-
biet; der Friedenstraktat bei Geusau, S. 364ff.
467) Friedrich Julius Wilhelm Ziegler, Der Tag der Erlösung.
Ein Originalschauspiel in 4 Aufzügen. Wien 1799. — Nach Goedeke
(V, S. 291, Nr. 14: 15) wurde das Stück am 27. November 1809
beim Abzüge der Franzosen im Burgtheater gespielt; dem steht
aber die ausdrückliche Angabe bei Geusau, S. 322, gegenüber.
*88) Über die Vorbereitungen zum Empfang des Kaisers Franz,
sowie über diesen selbst (am 16. Jänner 1806) vgl. man die ausführ-
lichen Angaben bei Geusau^ S. 284 ff., 294 und 328 ff.; Schimmer,
S. 51 f.; Lulu Gräfin Thürheim, M. L., I., S. 175 ff. Der Kaiser
kam aus Mähren, von Holitsch über Feldsberg, und nicht von Un-
garn, wie die Pichler angibt.
««) s. unten II, S. 55f.
*'") Sie wurde im Juli und August durchgeführt. Zuerst weilten
sie in Linz, dann im Schlosse Gleink, von dort ging es nach Krems-
münster und nach kurzem Aufenthalt über Scharnstein zum Alm-
see, wo Pichler amtlich wegen der Holzfällung und Schwemmung
zu tun hatte. Die Rückreise führte wieder nach Kremsmünster.
Einige Tage verbrachten sie dann in Linz, und hierauf folgte ein
lötägiger Besuch in St. Florian (vgl. Pichlers Brief an Streckfuß
vom 20. August 1806 bei K. Glossy, Wiener Communal-Kalender
und städtisches Jahrbuch, XXXII, [Wien 1894], S. 398 f.).
*^i) Gemeint ist Frau Eleonore Freiin von Sorgenthal, geb.
Gräfin Seeau, welche damals viel im Hause der Pichler verkehrte,
am Haustheater 1806 mitspielte (vgl. Pichlers Briefe an Streck-
fuß : K. Glossy, Wiener Communal-Kalender, XXXII, S. 395, 397)
und deren Gemahl Konrad Freiherr von Sorgenthal (1735 — 1805),
Direktor der Wiener k. k. Porzellanfabrik, am 17. Oktober 1805 in
Wien verstorben war (Wurzbach, XXXVI, S. 21 ff.; Verlassen-
schaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 197
ex 1805). Eleonore war seit 9. Juni 1796 (laut Ehekontrakt in ihrem
562 I
Verlassenschaftsakt) dessen zweite Gattin, besaß in Wien die Häu-
ser Haarmarkt Nr. 686 und 687 und starb am 7. Oktober 18 10 in
Hernais (jetzt Wien XVII 5 vgl. ihren Verlassenschaftsakt im Archiv
des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 208 ex 1810). Vgl. noch
II, S. 205.
472) Propst Johann Michael Ziegler (1743 — 1823) gehörte dem
Stifte St. Florian seit 1761 an. Er hatte in Rom studiert, war ein
sehr gelehrter und freundlicher Herr und war 1793 Propst geworden.
Er war es, der in St. Florian jene wissenschaftliche Richtung durch
Heranziehung junger Kräfte begründete, die dieses Stift mit Recht
bis in unsere Tage bekannt und berühmt machte. Vgl. Engelbert
Mühlbacher, Die literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Innsbruck 1905. S. 99 ff-,
167 ff. — Anläßlich dieses Besuches schreibt Pichler in einem Brief
an Streckfuß (K. Glossy, a. a. O. XXXII, S. 399): „Der Prälat und
die Geistlichen, jeder mehr oder weniger gebildet, aber alle gesellig,
gar nicht mönchisch, zuvorkommend und artig, machten uns den
Aufenthalt . . . sehr angenehm."
*^3) Franz Kurz (1771 — 1843), aus dem oberösterreichischen
Mühlviertel, war 1789 in St. Florian eingetreten, absolvierte seine
theologischen Studien in Wien und 'vvurde 1795 Priester. Zuerst als
Kooperator verwendet, übernahm er 1810 die Pfarre St. Florian;
seit 1799 war er bereits Archivar. Propst Ziegler hielt große Stücke
auf ihn und leitete ihn schon als Novize zu wissenschaftlichen
Arbeiten an. 1805 war der erste Band seiner „Beyträge zur Ge-
schichte des Landes Österreich ob der Enns" erschienen, und dieser
Erstlingsarbeit folgten eine Reihe höchst wertvoller historischer,
teilweise noch heute unüberholter Arbeiten. Seinen wissenschaft-
lichen Leistungen widmete Engelbert Mühlbacher, a. a. O. S. 166 ff.
eine eingehende Studie. — Im Sommer des Jahres 181 1 weilte
Kurz in Wien und verkehrte viel im Hause der Pichler, wo sein
geselliges und musikalisches Talent zur Geltung kam; vgl. Hormayr,
Taschenbuch. 1845, S. 43. Mit seiner wahrheitsgetreuen, reali-
stischen Schilderung Herzog Rudolf IV., des Stifters, war die Pichler
nicht einverstanden (Mühlbacher, S. 216, Anm. i). Sie benützte
seine Arbeiten zu ihrem „Ferdinand IL" (vgl. II, Anm. 66).
*^*) Einen ganz ähnlichen Gedanken führt Hormayr, Taschen-
buch. 1845, S. 29 aus.
*^^) Über die Acta s. Floriani vgl. man Mühlbacher, a. a. O.
S. iff.; A. Potthast, BibUotheca historica medii aevi. II, ^ (Berlin
1896), S. I3i4f.; Ulysse Chevalier, Repertoire des sources historiques
du moyen äge. I, 2 (Paris 1905), p. 1529 f.
*'«) K. Pichler, S. W. 2 V, S. 191 ff. (Brief 23 und 24) und 331 f.,
Anm. 18 f.
36* 563
*") s. oben S. 255.
*'^ Das Wiener Kunst- und Industrie- Comp toir wurde nach dem
Muster des Weimarschen von Josef Schreyvogel am 26. Mai i8oi
in Gemeinschaft mit Dr. Jakob Hohler, Dr. Johann Sigismund
Rizy, Michael Riedl und Josef Sonnleithner gegründet und be-
schäftigte die bedeutendsten Kupferstecher. Schreyvogels kauf-
männische Unerfahrenheit und die mangelnde Unterstützung
von Seite der Kunstliebhaber führten aber, trotz bedeutender
Leistungen, am 20. Februar 1805 zur Auflösung. Vgl. Zedlitz
in: Österreichische Zeitschrift für Geschichts- und Staatskunde,
I, (Wien 1835), S. 133; Paul Friedr. Walther, ebd. II, (Wien
1836), S. III; K. Pichler, Frankls Sonntags- Blätter, II, (Wien
1843), S. 266f.
*79) Vgl. II, S. 341 mit Anm. 537.
***•) Karoline Pichler spielt hier auf ihren Aufsatz in Briefform
„Über Musik" (S.W.» LIII, S. 83 ff.) an, wo sie auf S. giff.,
107 ff. über die oben behandelten Themen im Anschluß an Herder
spricht. Noch 1842 kommt sie bei Mitteilung eines Musikerbriefes
darauf zurück (Frankls Sonntags- Blätter, I, S. 203). — Eine hübsche
Anekdote von Mozart erzählte Karoline Pichler Anton Langer
(Bäuerles Allgemeine Theaterzeitung. Wien 1843, S. 750), die ein
Beleg für ihre Ansicht wäre; denn als Mozart einst mit ihr das
„Non piu andrai" am Klavier mit Variationen spielte, sprang er
plötzlich auf, setzte über Tische und Sessel, schlug" Purzelbäume
und miaute wie eine Katze.
*8i) Johann Michael Vogl (1768 — 1840), bedeutender Opern-
sänger und hervorragender Interpret Schubertscher Lieder. Er
hat Schubert 1821 in Wien gemacht, das heißt, dem großen Publi-
kum nahe gebracht. Vgl. Wurzbach, LI, S. 172 ff.
**2) Schubert vertonte drei Gedichte der Pichler: i. op. 87, i
Der Unglückliche (1821); 2. Lied: Ferne von der großen Stadt
(Nachlaß); 3. Der Sänger am Felsen (Nachlaß). Vgl. Wurzbach,
XXXII, S. 96 und G. Nottebohm, Thematisches Verzeichnis der
im Druck erschienenen Werke von Franz Schubert. Wien 1874.
S. 96. — Karoline Pichler stand Schubert und seinen Kompositio-
nen sehr freundlich gegenüber (vgl. Anselm Hüttenbrenners Auf-
zeichnungen: Otto E. Deutsch, Grillp. Jb. XVI, S. 125).
*83) Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den
letzten Jahren seines Lebens. 6. Aufl. von Heinrich Düntzer. I,
(Leipzig 1885), S. 89, 90 (26. Februar 1824).
484) Elisabeth Sirani (1638 — 1665), eine Nachahmerin des Guido,
hinterließ etwa 150 von ihr gemalte Bilder. Sie wurde von ihrer
Dienerin vergiftet. Vgl. M. Bryan, Dictionary of painters and
engravers. II, S. 503.
564
486J Rosalba Carriera (1675 — 1757)} am meisten bekannt durch
ihr Porträt des Metastasio, ist in der Dresdner Gallerie durch zahl-
reiche Werke vertreten. Sie malte in Öl, war aber auch Miniatu-
ristin. Vgl. Bryan, I, S. 242.
488) Angelika Kaufmann (1741 — 1807) lebte lange Jahre in Eng-
land und Italien; in Rom starb sie. Über 700 Werke stammen von
ihr; meist sind es Porträts. Vgl. Bryan, I, S. 723.
487) Maria Louise Elisabeth Le Brun (1755 — 1842) war ein Lieb-
ling der Königin Maria Antoinette, die sie von 1779 ab nicht,
weniger als fünfundzv^anzigmal porträtierte. Auf ihren Reisen kam
sie auch nach Wien. Bekannt ist ihr Bild der Madame Stael als
Corinna. Vgl. Bryan, II, S. 33.
488) Der Mann von vierzig Jahren. Lustspiel in einem Aufzug
nach dem Französischen des Fayan. Leipzig 1795 u. ö. (Goedeke,
V, 278: 37). — Die Brandschatzung. Ein Lustspiel in einem Akt:
Almanach dramatischer Spiele zur geselligen Unterhaltung auf
dem Lande. IV. Berlin 1806 (Goedeke, V, S. 283: 120). — Dazu
vgl. man auch die Bemerkungen der Pichler in einem Brief an
Streckfuß vom 16. Mai 1806, worin sie über ihre Rolle im zweiten
Stück, sowie von anderen zur Einstudierung kommenden Stücken
spricht (K. Glossy, Wiener Communal-Kalender und städtisches
Jahrbuch, XXXII, [Wien 1894], S. 397).
489) Der Mann von Wort. Schauspiel in 5 Aufzügen. Leipzig
1800 (Goedeke, V, S. 269: 46). Hormayr gedenkt noch in Briefen
an die Pichler aus den Jahren 1826 und 1831 dieser Aufführung
(Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 3 13 f., 3i7f.), ebenso 1845 in seinem
Pichlernekrologe (Hormayrs Taschenbuch, XXXIV, S. 127), nur
versetzt er hier die Aufführung fälschUch ins Jahr 1806. Hier führt
er Karl von Kempelen als Darsteller des Neffen Friedrich Maring
an. Über Hormayr als Theaterspieler vgl. noch seinen Brief vom
16. Februar 1815 an die Pichler (K. Glossy, Grillp. Jb. XII, S. 273).
**°) Andreas Merian von Falkach (1772 — 1828), aus dem berühm-
ten Basler Geschlechte der Merian, wirkte zunächst in England und
trat dann in österreichische Dienste. Von 1803 — 1805 war er Ge-
sandtschaftssekretär des fränkischen Kreises in Regensburg (Hof-
und Staats-Schematismus. 1804, S. 12; 1806, S. 12), wurde 1806
ebenda Geschäftsträger, kam 1807 in gleicher Eigenschaft nach
Karlsruhe (ebd. 1808, S. 162), von hier 1809 als Legadonsrat ins
Armeeministerium nach Wien (Hormayrs Archiv VII, S. 476, Anm.)
und ging in gleicher Eigenschaft 18 10 nach Dresden zur österreichi-
schen Gesandtschaft (H. St. Seh. 181 1, S. 172), welcher er bis 18 12
angehörte. Dort leistete er seinem Vaterlande 181 1 durch den
Abschluß der Grenzkonvention mit Sachsen wertvolle Dienste
(Hermann Meynert, Kaiser Franz I. Wien 1872. S. 146). 18 13
trat er in russische Dienste (oben S. 421; Hormayrs Archiv VII,
476, Anm.), wurde Staatsrat und Generalsekretär des russischen
Generalgouverneurs in Sachsen Fürsten Repnin (Honnayr, a. a. O.);
18 15 war er Abgeordneter zum Indemnisationskongreß in Paris
(Joh. V. Müller, Sämmtliche Werke, XXVIII, [Stuttgart 1834],
S. 306, Anm.). Später lebte er in Paris — denn der 1827 in einem
Brief der Pichler an Therese Huber erwähnte Freund in Paris
(K. GI0SS7, Grillp. Jb. , III, S. 244) ist niemand anderer als Merian
— , wo er 1828 ohne Nachkommen auch starb (Schweizerisches
Geschlechterbuch, I, [Basel 1905], S. 290). — Durch Hormayr,
mit dem ihn eine innige, später aber in Brüche gegangene Freund-
schaft (vgl. Hormayrs Brief an Karoline Pichler vom 25. Oktober
18 15: K. GI0SS7, Grillp. Jb., XII, S. 286 f.) verband, wurde
Merian 1807 in den Pichlerkreis eingeführt (oben S. 298 f.), fühlte
sich darin bald heimisch und wurde 1809, als er in Wien war,
dort allgemein geliebt. Als er 18 10 nach Dresden kam, vermißte
ihn die Pichler schwer (oben S. 369). Sie gab ihren Gefühlen in
einem Gedichte „An F. A. v. M. Zum Abschied im Frühling 18 10"
(S. W. ^ XVI, S. 72 ff.) beredten Ausdruck. Sie blieb mit ihm in
eifriger Korrespondenz (oben S. 299, 421 f.), doch hat sich von den
Briefen nichts erhalten. Er empfahl ihr 1812 Körner (oben S. 386f.,
r 388), dessen Tod er ihr meldete (oben S. 423 f.), sowie er auch ihr
Gedicht auf Körner den Eltern übermittelte (II, S. 8) und wies sie
auf Scott und Byron hin (II, S. 67 f.), wodurch ihre Scott- und
Byronübersetzungen bedingt sind. Merkwürdig ist sein Liebes-
verhältnis, von dem die Pichler oben S. 299 f. berichtet. — Eine
größere Anzahl Briefe von und an Merian veröffentlichte Karl
von Nostitz (Leben und Briefwechsel. Dresden 1848. S. I76ff.,
Nr. 5, 6,8, 9, 15, 18,20 — 42), dessen väterlicher Freund Merian
war (Vorwort S. 3 ff.), und der eine kurze Biographie (S. 176 ff.
Anm.) beifügte. In den Briefen geschieht Dezember 18 17 auch
der Pichler Erwähnung, von der zwei Briefe vor Merian lagen,
die er noch nicht beantwortete (S. 269). Einige boshafte Bemer-
kungen über Merian bietet B. Kopitar in seinen Briefen (V. Jagic ,
IstocniH dlja istorii slav. filologii, I, [St. Petersburg 1885], S.
555, 623).
490 a^ Pichler dürfte wahrscheinlich das 167. Sonett Petrarcas
im Auge haben, das Ähnliches besagt, die Stelle als solche aber
nicht enthält (vgl. F. Petrarca, Rime. Hg. von G. BiagioU. I,
[Milano 1823], p. 143).
*9i) Die Söhne des Thaies. Ein dramatisches Gedicht. Berlin
i8o3f. 2 Bde. Eine 2. Auflage Berlin 1807, eine dritte Berlin 1823
(Goedeke VI, 94 : 2). Über die Aufnahme, die dieses dramatische
Gedicht erfuhr, vgl. Felix Poppenberg, Zacharias Werner, Mystik
566
und Romantik in den „Söhnen des Thals". Berlin 1893. S. 7off.;
aus dessen Auslassungen geht hervor, daß es sowohl bei den Roman-
tikern als auch sonst nicht viel Aufsehen erregte. Pichlers Aus-
führungen sind Poppenberg entgangen. Sie war von den Söhnen
des Thaies begeistert (s. ihren Brief an Streckfuß: K. Glossy,
Wiener Communal-Kalender XXXII, S. 404).
492) Über Lucinde vgl. Anm. 553. — Alarcos. Ein Trauerspiel
von Friedrich Schlegel. Berlin 1802 (Goedeke VI, S. 22 : 22). —
Lacrimas, ein Schauspiel. Herausgegeben von August Wilhelm
Schlegel. Berlin 1803 (Goedeke VI, S. 12 : 23).
*93) „Die Templer auf Cypern" bilden den i. Teil der „Söhne
des Thaies". Die Erzählung vom Phosphorus steht jedoch im
2. Teil „Die Kreuzesbrüder" (Werner, Theater II [Wien 18 13],
S. 2i4ff. : S.Akt, 3. Sz.), vgl. dazu Poppenberg, S. 43f. Sie ist der
Ausdruck der Wernerschen Todessinnlichkeit, der Inbegriff der
Weisheit des Thals und wird vom Alten vom Carmel gesprochen.
*9*) Das Kreuz an der Ostsee. Ein Trauerspiel. I. Die Braut-
nacht. Berlin 1806. Eine 2. Auflage Berlin 1823 (Goedeke VI,
94 : 3). Beim Gebet der Landsknechte und sonst entzündet sich
ein Flämmchen auf dem Haupt des Spiehnanns (Werner, Theater IV
[Wien 18 13], S. 94, 154, 222 f.) 5 die Brautnacht zwischen Warmio
und Malgona, in der sie ihre Keuschheit bewahrt, ebda. IV, S. 21 1 ff.
Pichlers Begeisterung für Werner wurde durch das Lesen dieses
Stückes sehr herabgestimmt (Brief an Streckfuß : K. Glossy, Wiener
Communal-Kalender XXXII, S. 404).
*^5) Martin Luther oder die Weihe der Kraft. Eine Tragödie.
Berlin 1807 (Goedeke VI, 94 : 4). Über dessen Aufnahme bei den
Zeitgenossen, die diesem Werke mit wenigen Ausnahmen nicht ge-
recht wurden, vgl. Jonas Fränkel, Zacharias Werners Weihe der
Kraft. Hamburg 1904, S. 125 ff., dem aber die Angaben der
Pichler entgingen. — Über Werners Lieblingsthema handelt die
Pichler öfter satirisch, vgl. oben S. 79f., 174. — Die Szene, welche
Pichler im Auge hat, findet sich am Schlüsse des i. Aktes (Theater
III, S. 71), doch steigt Luther nicht von einem Wagen herab,
sondern tritt durch das Wittenberger Tor auf einen freien Platz,
um des Papstes Bannbulle zu verbrennen. — Der S. 304 von Pichler
erwähnte Tod der Therese ist die Voraussetzung von Szene i des
S.Aktes (Theater III, S. 2330.). Therese ist eine der mißglück-
testen Gestalten im Stück, sie ist die Vertreterin des Glaubens
und Werner vsrußte sie selbst nicht recht zu deuten (vgl. Fränkel
S. 84, dem aber die Wernersche Deutung der Pichler gegenüber
entging).
*^) Werner, der bereits sein Amt zurückgelegt hatte, kam an-
fangs Juni 1807 von Prag aus nach Wien, wo er bis zum 27. Sep-
567
V.
tember blieb. Er war von Wien und den Wienern, besonders
vom Prater, dem Brigitten- und Annenfest, sowie von den hübschen
Wienerinnen sehr entzückt, wie ein Brief vom Juli 1807 an eine
Berliner Freundin ausweist (Schütz, Zacharias Werners Biographie
und Charakteristik I [Grimma 1841], S. 64ff.). — Zur Pichler kam
er am Montag nach dem 9. Juni, das ist am 1 5 . Juni (s. ihren Brief an
Streckfuß : K. Glossy, Wiener Communal-Kalender XXXII, S. 404),
mit Collin. Ihre Schilderung seiner äußeren Erscheinung steht
im Gegensatz zu einer des Philosophen H. Steffens (bei Poppen-
berg, S. 14), welche ihn als häßlich erscheinen läßt. Über seine
Schnupf gewohnheiten s. auch Poppenberg, S. 14 und Pichler,
S.W. 2 L, S. 22.
**') Gemeint ist Gellerts Gedicht „Der glückliche Dichter"
(Alanus Chartier), den die Königin, als er eingeschlafen, obwohl
er nicht schön war, küßte, da seinem Munde so süße Reden ent-
flossen (vgl. Kürschners Deutsche National- Litteratur XLIII,
S. 133, Nr. 13', Vers 26 ff.).
*^8) Erschien 1807 (vgl. Anm. 491). Über die Astralisszenen vgl.
die eingehenden Ausführungen bei Poppenberg, S. 31 ff. Das von
der Pichler angeführte Zitat: Theater I, S. 56 (II. Akt, i. Szene).
*^^) Attila, König der Hunnen. Eine romantische Tragödie in
5 Akten. Berlin 1808. — Wanda, Königin der Sarmaten. Eine
romantische Tragödie mit Gesang in 5 Akten. Tübingen 18 10. —
Cunegunde die Heilige, Römisch-Deutsche Kaiserin. Ein roman-
tisches Schauspiel in 5 Akten. Leipzig 1815. — Vgl. Goedeke VI,
S. 94f.: 5, 7, 13- _
^^) WahrscheinUch einem Brief der Artner an die Pichler ent-
nommen.
^^) Werners Liebhngsldee, die in allen seinen Stücken zum
Vorschein kommt, war das Verfließen in das Unendliche, das er,
gemäß seinem eigenen Charakter (Gemisch von religiöser Askese
und fleischlicher Lust), mit einer wollüstigen Askese umgab. Dieses
Verfließen hat zwei Stadien. Das erste Stadium ist das Aufgehen
in der Liebe, im Liebesgenuß, das zweite aber ist das völlige Ver-
fließen im Tod. Was die Liebe nur auf kurze Zeit gewährt. Auf-
geben der eigenen Individualität, bietet der Tod auf inamer. Dieser
ist die Vollendung (vgl. Poppenberg, S. 13, 2of.). Man begreift
daraus, daß er es für seine Aufgabe hielt (oben S. 304), Liebe zu
predigen, sie zu suchen und zu verbreiten, denn sie war ihm ja
Mittel zum Zweck. — In Pichlers Originalhandschrift steht an-
schließend noch folgendes, das bereits öfter Gesagtes wiederholt:
„Er behauptete: Die wahre Liebe müsse das Werk eines
Augenblicks sein, ein Blitz, der zugleich in zwei Herzen
einschlägt, sie entzündet und reinigend verzehrt. Als
568
wir ihm antworteten, wahre Liebe müsse auf Hochachtung ge-
gründet sein und folglich könne sie nur nach längerer Bekannt-
schaft entstehn, behauptete er, das sei gar keine Liebe zu nennen,
jene wahre Liebe entstehe auf einmal und dauere ewig. Er selbst
aber, wie wir hernach erfuhren, und auch aus seinem, von seinem
Freunde Hitzig herausgegebenen Leben erheUt, hat in seinem
Leben mehr solche Ewigkeiten erlebt, wovon vielleicht oder viel-
mehr gewiß keine die rechte war."
^ Josef Ludwig Stoll (1778 — 18 15), Sohn des berühmten Arztes
Maximilian Stoll, dessen Vermögen er bald durchgebracht hatte.
Gab mit Leo Freiherrn von Seckendorf den „Prometheus" heraus
und hatte zu Goethe Beziehungen. Vgl. Goedeke VI, S. 1 14,
Nr. 7; A. Sauer, Goethe und Österreich II [Weimar 1904], S. 349 f.
502a) Diesen Brief von Werner, d. d. Wien, den 26. Septem-
ber 1807, veröffentlichte Karoline Pichler 1838 (Wiener Zeitschrift
für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Wien 1838. S. 314). Das
Original befindet sich heute in der Wiener Stadtbibliothek. Werner
ging von Wien aus nach München, Stuttgart und Weimar und erst
viel später (1809) nach Rom; Pichler verschwimmen die Daten.
^3) Johann Wilhelm Ridler (1772 — 1834), ein Deutschböhme,
kam 1791 nach Wien, war seit 1804 Universitätsprofessor für Ge-
schichte, dann Prinzenerzieher und wurde 18 14 Direktor der
Wiener Universitätsbibliothek, die ihm viel verdankt. Als Historiker
ist er nicht besonders bedeutend. Vgl. Wurzbach XXVI, S. 73 ff.
und Hormayrs scharfe Urteile (Taschenbuch XXXIV, S. 1255
K. GI08S7, Grillp. Jb. XII, S. 283, 320). Mit Karoline Pichler ver-
band ihn aufrichtige Freundschaft (II, S. 406). Er reiste mit ihr
zusammen im Sommer 1812 nach Mariazeil (oben S. 395f., 397f.)-
Einen Ausflug zu den Lunzerseen, den er am 4. Juli 18 12 allein
während dieser Reise unternahm, schilderte er der Pichler in seinem
Aufsatze „Spaziergang an die Lunzerseen" (Hormayrs Taschen-
buch IV [Wien 1814], S. 5off.); er brachte ihr (S.ysf.) ein Sträuß-
chen mit, daß er symbolisch auslegte (die Silene acaulis und die
Soldanella beziehen sich auf die Gleichnisse, das Immergrün auf
den Agathokles, denn unverändert wird Deutschlands Hochachtung
für dessen Verfasserin sein). Ihrem „Ferdinand IL" stand er aber
als Zensor unfreundlich gegenüber, worüber sich Karoline Pichler
Hormayr gegenüber beschwerte, was diesen zu Ausfällen veranlaßte
(vgl. II, S. 53 mit Anm. 107).
^ Franz Michael Vierthaler (1758 — 1827), ein Oberösterreicher,
war 1790 Direktor des Lehrerseminars in Salzburg geworden, er-
hielt 1792 die Lehrkanzel für Pädagogik an der Salzburger Uni-
versität, 1803 die Stelle eines Hofbibliothekars und reformierte
als Schulinspektor die Waisenhäuser. 1807 kam er als Direktor des
569
■t.
Waisenhauses nach Wien, welches er auf eine hohe Stufe hob.
Er war ein trefflicher Pädagog und versuchte sich mit Glück als
philosophisch-historischer Schriftsteller (vgl. Wurzbach L,
S. 276 ff.). — Zur Pichler hatte er mannigfache gesellschaftliche
Beziehungen, wohnte er doch in der Alservorstadt (oben S. 336;
II, S. 168, 226, 406). Er begleitete sie 1822 nach Stockerau (II,
S. 153) und war 1823 Lottes Beistand (II, S. 171).
^ Hormayr, Österreichischer Plutarch. 20 Hefte. Wien 1807
bis 18 14. — Er enthält die Biographien der österreichischen
Regenten von Rudolf von Habsburg bis Franz II. (Heft 1 — 12),
die böhmischen Regenten (Heft 13 — 18) und die Babenberger
(Heft 19 u. 20). Jedes Heft bringt außerdem 2 Biographien von
Staatsmännern, Feldherrn oder Gelelirten der entsprechenden
Periode. Jede Lebensbeschreibung ist von einem Bild begleitet.
Von jenen Leuten, die dem Greinerschen Kreise nahestanden,
finden wir : Michael Denis (Heft 5), Josef Hilarius Eckhel (Heft 6),
Wolfgang Amadeus Mozart und Maria Anna Adamberger (Heft 8),
Ignaz Edler von Born (Heft 9) und Josef Freiherr von Sperges
(Heft 16). Auch Karoline Pichler sollte aufgenommen werden
(vgl. Hormayrs Brief vom 13. August 1806: K. Glossy, Grillparzer
Jb. XII, S. 242), doch bUeb es beim Plan, da sie nicht gerne ein-
willigte (Brief an Streckfuß vom 21. August 1806: K. Glossy,
Wiener Communal-Kalender XXXII, S. 400). — Über den Ein-
fluß, den Hormayr mit dem Plutarch auf seine Zeitgenossen aus-
übte, spricht er selbst in seinen Briefen an C. A. Böttiger (deren
Herausgabe von mir vorbereitet wird); vgl. überdies noch" Anna. 506.
— L. L. Haschka schreibt am 8. November 1808 an Reinhold
über den Plutarch: „Welch ein Werk! Wenn es auch einen glei-
chen classischen Styl hätte, so wäre es ein Meister- Werk" (Robert
Keil, Wiener Freunde 1784— 1808. Wien 1883. S. 99).
^^) Über den Einfluß, den Hormayr auf die österreichischen
Dichter ausübte, wäre zu vergleichen: Jos. Wihan, Euphorion.
Ergänzungsheft V (1901), S. ii4ff. (für Matthäus und Heinrich
von Collin), 137 ff. (Weiterbildung der Gedanken Hormayrs durch
M. Collin), 141 f. Anmerkungen (Balladen im Hormayrschen
Archiv), 143 ff. (Einfluß auf die Künstler); Hormayr, Taschen-
buch für die vaterländische Geschichte XXXV (Berlin 1846),
S. 9ff., i7ff.; R. J. Binder, Johann Nepomuk Vogl und die öster-
reichische Ballade. Prag 1907. S. 11 ff.; Ferd. Laban, Heinrich
Joseph Collin, Wien 1879, S. 73 f-, Anm. 4; oben Anm. 406 (Ein-
fluß auf die Pichler).
^') Vgl. die Schilderung dieses Sturmes in der Wiener Zeitung
Nr. 80 vom 7. Oktober 1807, S. 4647f. Pichlers Worte'' stimmen
an einigen Stellen wörtlich mit diesem Bericht.
570
508j Über die Entstehung des Olivier, dessen Erstdruck (anonym)
und dessen Aufnahme vgl. oben S. 228 f. mit Anm. 383 und II,
S. 405. — Die Buchausgabe (1803) wurde nicht freundlich begrüßt.
Besonders eingehend ist eine ungezeichnete Anzeige in den „An-
nalen der Literatur und Kunst in den österreichischen Staafen" II i
[Wien 1803], Sp. 225 ff., welche den Roman als ohne Interesse be-
zeichnet, da seine Charaktere zu abstrakt und seine Begebenheiten
weder neu noch interessant sind; die Einführung der Elfe, welche
zu wenig vom Geisterreich an sich hat, wird getadelt, der Stil als
korrekt und zierlich, aber kalt, gedehnt und ohne seelenvolle Be-
wegung hingestellt; gelobt wird, als sehr natürlich, die Abschieds-
szene und daran die Bemerkung geknüpft, daß überhaupt die
kleinen Erzählungen der Dichterin mehr angemessen seien als der
große Roman, der „einen männlichen, scharfsehenden, mit reicher
Welt- und Menschenkenntnis bebauten Verstand" fordert. Im
merkwürdigen Gegensatze dazu steht eine Rezension, die ein Jahr
vorher in der gleichen Zeitschrift (Annalen der österreichischen
Literatur I [Wien 1802], Sp. 112) erschien und die anonyme
Novelle „Olivier" besprach; der Verfasser dieser Anzeige soll
Köderl gewesen sein (Hormayr, Taschenbuch XXXIV, S. 122).
Dieser sagt, die Erzählung gäbe „selbständig einen kleinen Roman,
der, die Elferei, die so füglich wegbleiben könnte, abgerechnet,
der natürlichste, feinste, zarteste, schönste Roman ist, der seit
Jüngers Tode in Wien geschrieben wurde". Die Verfasserin be-
weise darin, daß nur gebildete Weiber Liebe „in ihren tausend-
fältigen Formen mit Wahrheit und Delicatesse malen können. Es
versuche sich ein Mann, einen ähnlichen Roman, der' so wenig
Handlung enthält, und sich eben so leicht und gut und mit immer
steigendem Interesse lesen ließe, zu schreiben; und vielleicht
wird er mit uns gestehen, daß es kein Paradoxon ist, wenn man
behauptet: unsere Weiber sollen uns Romane schreiben und
unsere Romanenschreiber sollen Nadel und Faden statt der
Feder in die Hand nehmen. Wenn die Verfasserin die Elferei
weglassen wollte (der Held könnte ja auch auf einem natür-
lichen Wege zu einer schöneren Gestalt gelangen, seine Ab-
kunft könnte ihm auf eine natürliche Weise unbekannt geblie-
ben sein), wenn sie hie und da einige zu gedehnte Situationen
und Herzensanatomien etwas abkürzen und nur ein wenig
rascheren Gang, nur etwas mehr Handlung in die Geschichte
bringen wollte, so würde diese Erzählung, ein allerliebstes
Dingelchen werden, das man gewiß auch zum zweiten Male
mit Vergnügen lesen würde."
Schreyvogel äußerte Ähnliches (Tagebücher. Herausgegeben von
K. Glossy I [Berlin 1903], S. 268) unterm 13. Dezember 18 13:
Olivier „hat einen beinahe meisterhaften Gang der Handlung. Das
ist eine Schriftstellerin wie ein Mann".
Dieser kleine Roman wurde sowohl ins Französische (Olivier.
Traduction libre de l'allemand, d'apres Mme. Caroline Pichler,
nee de Greiner, par Mme. de Montolieu. Avec figure. 2 vols.
in 12". Paris 18235 ^S^' Bibliographie de la France 1823, S. 4, Nr. 30)
als ins Holländische (Amsterdam 1823; Schindel, Die deutschen
Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts II [Leipzig 1825], S. 116)
übersetzt.
^"') Leonore. Ein Gemähide aus der großen Welt. 2 Theile.
Wien 1804. Bey Anton Pichler. S**. 231 und 302 S.; später
S. W.2 I, II. Wien 1820. Mit je einem Kupfer Qos. Schmidt sc).
Auch dieser Roman fand keine allzu günstige Aufnahme. Auf
Schreyvogel (Tagebücher I, S. 267), den die letzten Szenen häus-
lichen Glückes rührten, wirkte mehr die Sache als die Kunst. Ein
Rezensent Gk. (Göckingk .'') entwarf aus dem Inhalt des Romans
in etwas boshafter Weise ein Bild der Verfasserin (Neue allgemeine
Deutsche Bibliothek XCI [Berlin 1804], S. 96ff.):
„Madame P. ist eine weder hübsche, noch häßliche, recht leid-
liche, entweder kinderlose oder doch nur mit einem Jungen und
einem Mädchen in der Fabrica maritali abgefundene Frau, die
sich nicht ohne Geschmack kleidet, zugegen ist, wenn die Kind-
lein gewaschen und gesäubert werden, und nur in preßhaften
Fällen, und wenn die Presse (zwey so handfeste Bände wollen
geschrieben und gedruckt seyn!) — drängt, die Milchsuppe und den
Mehlbrey verbrennen läßt, — übrigens gesellig, nicht keifend,
freundlich, am Theetische redselig, in Abendzirkeln gern das Wort
führend, ein wenig eifer-, aber dagegen nur mäßig putzsüchtig usw."
Als Schlußfolgerung ergab sich: „Madame P. mag eine recht gute
Frau seyn; sie hat einen höchst alltäglichen Roman geschrieben,
in dem es, wie in gewissen Familiengeschichten und dramatischen
Werken recht bürgerlich — nach Weise des sogenannten Mittel-
standes hergeht. Die große Welt, von welcher der Titel spricht,
ist ihr fremd; und das, was sie so zu nennen beliebt, veranlaßt zu
dem Wunsche: fern von der großen, sich eine recht kleine Welt
zu seiner Umgebung zu bilden. — Dazu bedurfte es aber dieses
Bchlechtgepinselten, in einem geschmacklosen Rahmen gefaßten
Gemäldes wahrlich nicht!" — L. L. Haschka, der in die Pichler
„pro tempore verliebt" ist, verlangte unterm 5. März und 9. Ok-
tober 1804 von Reinhold ein Urteil über die Leonore, ohne sich
selbst darüber auszulassen (R. Keil, Wiener Freunde S. 81). —
Ein Anonymus nannte (Annalen der Literatur und Kunst in den
österreichischen Staaten III 2 [Wien 1804], Sp. 449ff., 457ff.) die
Anlage des Romanes einfach und gut, fand aber, daß die einzelnen
Charaktere zu sehr bloße Skizzen de« Verstandes und die Hand-
lungen, Begebenheiten und Verwicklungen gar zu gewöhnliche
sind, wofür er die Schuld der geringen Ausbildung des gesellschaft-
lichen Geistes bei den Deutschen beimißt. Er tadelte, daß sich
alles im Romane einer bestimmten Lehre (Leben der glänzenden
Welt ist elend) fügen müsse, daß die Briefform, die möglichste Ein-
fachheit der Handlung voraussetze, oft einen schleppenden Gang
der Handlung durch Wiederholungen erzeuge und auch die feineren
Charakterunterschiede in den Briefen nicht zur Geltung kommen.
Wenn auch der Plan gut sei, die Charaktere verständig gegenein-
andergesetzt und berechnet seien und die Sprache rein, gefeilt und
warm sei, so erzeuge der Roman im Detail doch Langeweile und
sei keine angenehme und belehrende Unterhaltung für den, der
mit dieser großen Welt vertraut ist. Vergleichf: man aber den
Roman mit anderen, zu Ruhm gelangten Romanen von Damen,
so verdiene er unter diesen eine ehrenvolle Stellung und ein
ebenso großes Publikum. — Nach all diesen mehr oder weniger
bissigen und absprechenden Rezensionen des 1803 entstandenen
und Gestalten der Wirklichkeit verwertenden Romans (vgl. II,
S. 405 ; Häring = Ferdinand Blum usw.), sei auch auf eine freund-
lichere Anzeige (Allgemeine Literatur-Zeitung. Halle 1807. II,
Sp. 249 ff.) hingewiesen, welche die Zeichnung der Charaktere
gut, die Darstellung gewählt und trefflich nennt, wenn auch in-
folge der Briefform Wiederholungen und Weitschweifigkeiten ein-
treten, so daß der 2. Teil ermüdend wirkt.
Von anderen Werken Karoline Pichlers waren damals noch er-
schienen :
I. Eduard und Malvina. Wien, bey Anton Pichler, 1805. 8°.
196 S. Mit einem Kupfer (Joh. Kaspar Weinrauch fec). Später:
S. W.a XXVII. S. 97 ff. — Sehr lobend, doch eine gewisse Weit-
schweifigkeit rügend, spricht sich darüber eine Anzeige in „Jenaische
Allgemeine Literatur-Zeitung" (1806, II, Sp. 334f.) aus. Lobend
ist im großen und ganzen eine Rezension in „Annalen der Literatur
und Kunst in den österreichischen Staaten" (IV 2 [Wien 1805],
S. 3i6ff.), wenn sie auch die Ereignisse als zu unwahrscheinlich,
die Art und Verbindung der Gegenstände als zu wenig der Welt
entsprechend und die Individualität der Personen nicht gehörig
herausgearbeitet findet, wofür aber die Naturschilderungen treff-
lich sind. Die UnWahrscheinlichkeit mancher Ereignisse hebt
auch die Anzeige in „Allgemeine Literatur-Zeitung" (1807, II,
Sp. 252 f.) hervor, doch wird dies durch die Lebendigkeit der
Schilderung gedeckt. Garli^b Merkel, der bereits Pichlers „Gleich-
nissen" wohlwollend gegenüberstand, findet (Der Freymüthige
III, I [Berlin 1805], S. 305) in diesem Roman „Szenen von einem
573
80 zart rührenden Charakter, als nur jemals in die Lebensgeschichte
Heloisens hineingedichtet wurden". Viele Situationen und Szenen
erscheinen ihm „reizend ausgemalt" und der Vortrag ist „blühend
und wohlklingend". — Der Roman als solcher schließt sich an
Kotzebues Schauspiel „Eduard in Schottland" (nach Duval; Drama
in 3 Akten. Leipzig 1804: Goedeke V, S. 282 : 103), und zwar
an dessen Ende an, und schildert, wie sich die Sache hätte weiter
entwickeln können. — Von dieser Erzählung erschien 18 13 eine
Übersetzung ins Italienische (Eduardo e Malvina, romanze senti-
mentale trasp. da V. Bondegammi. Milano 18 13: Schindel, Die
Schriftstellerinnen . . . III, S. 227).
2. Sie war es dennoch. Wien, bey Anton Pichler, 1807. 8".
126 S. Mit einem Kupfer (Joh. K. Weinrauch fec). Später:
S. W.2 XXVI, S. 8 1 ff . — Diese Erzählung wurde als unterhaltend,
belehrend und lesenswert bezeichnet (Neue Annalen der Literatur
des österreichischen Kaiserthumes I, 2 [Wien 1807], S. 2871.), da
sie „voll feiner psychologischer Züge" ist (Vaterländische Blätter
für den österreichischen Kaiserstaat I [Wien 1808], S. 248).
^^°) Minerva. Taschenbuch für das Jahr 1809 ( — 1833). Leipzig,
bey Gerhard Fleischer dem Jüngeren (ab 183 1 Friedrich Fleischer).
Enthält folgende Beiträge der Pichler:
I. (1809), ^i ff.: Stille Liebe (Prosa = S. W.* XXII, S.227ff.).
— Frau Montolieu übersetzte 1S13 die Novelle als „Amour et
Silence" ins Französische (vgl. II, Anm. 297), J. Tom. Novacek
1836 ins Cechische (Welikomyslne zaprenj sehe, aneb tagnä laskak.
Tabor 1836: Anton Hansgirg, Katalog ceskych etc. Prag 1840,
S. 54b).
II. (1810), S. i59ff. : Cremsmünster. Eine Legende (Gedicht
= S. W.2 XVI, S. 256ff.). — Nachdrucke: Der Sammler. Wien
1810. S. 5ff.; Hormayrs Archiv 1810 (vgl. II, Anm. 678a ß); Franz
Sartoris, Mahlerisches Taschenbuch für Freunde interessanter Ge-
genden III (Wien 18 14), S. 125. — K. Pichler war im Juli 1806
längere Zeit in Kremsmünster (oben Anm. 470). — Diese Legende
„beurkundet bei vieler Anmut eine mehr als weibliche Darstel-
lungskraft" (Annalen der Literatur und Kunst des In- und Aus-
landes I [Wien 1810], S. 124).
m. (i8ii),S. 23ff.:Zuleima (Prosa = S. W.« XXVII, S. 261 ff.).
Die Geschichte ist nach einer mündlichen Erzählung Denons
(Anm. 599) gearbeitet und in: Der Sammler II (Wien 1810), S. 608 ff.
611 ff. und 61 5 f. (Nr. 150 — 152 vom 15. — 20. Dez. 18 10) nach-
gedruckt. Am 6. März 18 10 war sie von der Zensur zurückgelangt
(Hormayr an Pichler, 7. März 18 10: K. Glossy, Grillp. Jb. XII,
S. 248). — Eine Übersetzung ins Französische von Marquis H. de
Chauteaugiron erschien 1825 (Zuleima. Par Caroline Pichler
574
imite de rallemand par H. de C. Paris 1825) in 100 Exem-
plaren den Mitgliedern der französischen Bibliophilengesellschaft
und des Roxburg-Clubs zugeeignet (Bibliographie de la France
1825, P- S3h Nr. 4456).
IV. (1812), S. iff.: ArgaHa (Prosa = S.W.« XXV, S. 233 ff.).
V. (1813), S. 75ff.: Der Bade-Aufenthalt (Prosa, Briefform
= S. W.8 XXIV, S. 79 ff.).
VI. (1814), S. 4iff.: Mathilde. Eine tragische Oper in 3 Auf-
zügen (= S.W.2XX, S. 155 ff.).— Vgl. dazu II, S.8f., 35,418 :22,24.
VII. (1815), S. 357ff. : Das befreite Deutschland. Eine Cantate
in 2 Abtheilungen (= S. W.« XIX, S. 239ff.). — Vgl. dazu II,
S. 8, 417 : 19 und Nachtrag zu Anm. 19.
VIII. (18 16), S. iff. : So war es nicht gemeint (Prosa, in Briefen
= S. W.8 XXVIII, S. 3 ff.). — Wurde 1820 ins Norwegische über-
setzt (Saaledes var det ikke meent. Fortalling. Overs. af en Dame
og udg. af M.C.Hansen. Christiänia 1820. 8". 64 S.: Mart.
Nissen, Norsk Bog-Fortegnelse 1814 — 1847. Kristiania 1848,
5.113).
IX. (18 17), S. 169 ff.: Der Husarenoffizier (Prosa = S.W.« XXIX
S. i57ff-)-
X. (1818), S. 249 ff.: Die Berggeister (An meine Freundin Theone:
Gedichte = S. W.« XVI, S. I49ff.). — Dazu II, S. 423, Anm. 37.
XI. (1819), S. I93ff. : Rüdiger der Normann, erster Graf von
SiciUen (Prosa = S. W.« XVII, S. 171 ff.).
XII. (1820), S. 161 ff.: Die frühe Verlobten. Nach einer neapoli-
tanischen Sage (Prosa = S. W." XXIV, S. 5 ff.).
XIII. (1821), S. 239ff. : Das Kloster auf Kapri. Nach einem
Gemälde von Catel [im Besitze der Frau Baronin von Pereira,
geb. Freiin v. Arnstein] (Prosa = S.W.« XXVI, S. 5ff.). — In
dieser Erzählung hat das Verhältnis zwischen Lotte Pichler und
Prokesch Spuren hinterlassen (vgl. II, S. 158).
XIV. (1822), S. I99ff. : FreundschaftUche Briefe (Prosa: Als ich
gestern von Ihnen nach Hause ging . . . = S. W. « L III, S. 1 1 1 ff:
Über Bescheidenheit und Seelenruhe).
XV. (1823), S. 89ff. : Freundschaftliche Briefe. Fortsetzung
(Prosa : Amalie an Lucinden : Welche Neuigkeit habe ich Ihnen . . .
= S. W. «LIII, S. 9ff.: Über weibliche Erziehung).
XVI. (1824), S. io7ff.: Quintin Messis (Prosa = S. W.« XXXI,
S. iff.). Diese Künstlernovelle erlebte mehrere Übersetzungen,
so ins Französische (Guido Reni et Quintin Metsys ou Revers
et prosperite. Par M. Abbema et Mme. Caroline Pichler. In 12".
Paris 1838: Bibliographie de la France 1838, p. 28, Nr. 277), ins
Englische (i. Quentin Matsys, or the Blacksmith. From the Ger-
man. London 1845; 2. Beauties of German Literature. As exempli-
575
fied by the works of Pichler [„Quentin Matsys" and „Johannes
Schoreel"]. In: Chandos Classics. London 1868. — Katalog des
Britischen Museums) und ins Tschechische (Kwintin Messis. Prel.
Jar. Pospjssil. Prag 1835: Anton Hansgirg, Katalog ceskych knih
od 1. 1774 az do konce r. 1839. Prag 1840. S. 51b). — S. 387!!.:
Über Wahrheit im Erkennen, Denken und Empfinden (Prosa:
Was ist Wahrheit, so fragte . . . = S. W. ^ fehlend).
XVII, (1825), S. 457ff.: Freundschaftliche Briefe (Prosa: Aurelie
an Cölestinen : Sie sind auf dem Lande . . . = S. W.* L III, S- 83 ff. :
Über Musik). |.-^'
XIX. (1827), S. I ff- : Johannes Schoreel (Prosa = S. W.^ XXXII,
S. 5 ff.). Über eine Übersetzung ins Englische (1868) vgl. unter
„Quintin Messis".
XXI. (1829), S. iff.: Die Freunde (Prosa = S.W.* XXXIII,
S. 259ff.). j,j
XXII. (183 1), S. iff.: Das Turnier zu Worms (Prosa = S. W.»
XXXIII, S. i65ff.). — Vgl. dazu II, S. 261 f. mit Anm. 436.
^^) Taschenkalender (später: Taschenbuch) für Damen auf das
Jahr 1799 ( — 1822). Tübingen, in der J. G. Cotta'schen Buchhand-
lung 1799 ff. — Von der Pichler folgende Beiträge:
a) 1808, S. 13 Iff. Das vergebliche Opfer (Prosa = S. W.^XXVI,
S. 163 ff.). — Diese Erzählung war von Karoline Pichler ursprüng-
lich für das „Journal für Frauen", das Rochlitz herausgab, be-
stimmt, dann überließ sie selbe'^aber Cotta (vgl. ihre Briefe an
K. Streckfuß vom 31. Jänner und 9. Juni 1807: K. Glossy, Wiener
Communal-Kalender XXXII, S.401, 405). EinKritiker sagt(Vater-
ländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat I piVien^i8o8],
S. 248), diese Erzählung „kann in Beziehung auf Anlage und Aus-
führung für diese Gattung als Muster aufgestellt werden."
b) i8io,S. 9ff. Falkenberg (Prosa = S. W.« XXIV, S. 18 iff.).—
Madame Montolieu bearbeitete diese Erzählung französisch (Fal-
kenberg ou l'Oncle, imite de l'allemand de Mme. Pichler, par
Mme. Isabelle de Montolieu. 2 vols. Paris 18 12: Bibliographie
de la France 1812, p. 627, Nr. 4032). Eine Übersetzung erfolgte
ins Dänische (Falkenberg, En romant. Skildring, overs. af JensKragh
Hoest. Kjoebenhavn 1815: Chr. V. Bruun, Bibliotheca Danica IV
[Kjoebenhavn 1902], Sp. 468).
c) 181 1, S. 48 ff. Alt und neuer Sinn (Prosa, Briefform = S. W.*
XXVI, S. 23 iff.). — Über die Entstehung vgl. oben S. 371 mit
Anm. 623. Das Vorbild zu Blankenwerth ist Graf Heinrich Wil-
helm III. von Haugwitz, vgl. oben S. 153.
d) 1813, S. 160 ff. Die Geschwister (Prosa = S. W.« XXIII,
S. 77ff.). — Von Madame de Montolieu ins Französische übersetzt,
vgl. II, Anm. 297.
e) 1814, S. i8ff. Das gefährUche Spiel (Prosa = S. W.2 XXIII,
S. 24iffO* — Eine autobiographische Erzählung, worin Karoline
Pichler ihr Verhältnis zu Eberl bespricht (vgl. oben S. 154, 490
: 284a).
f) 1815, S. lögff. Der entwendete Schuh (Prosa = S.W.« XXIII,
S. i65ff.).
g) 1816, S. 148 ff. Schloß Wiernitz (Prosa = S. W.2 XXVIII,
S. 175 ff.). — Beruht auf einer wahren Begebenheit, die man ihr
in ihrer Jugend oft erzählte (S. W.2 XXVIII, S. 177).
h) 18 17, S. 28 ff. Abderachmen (Prosa = 5. W.^XXIX, S. 65 ff.).
i) 18 18, S. 271 ff. Der schwarze Fritz (Prosa = S. W.2 XXX,
S. I ff.). — ijat die Erlebnisse des Räubers Grasel zur Voraussetzung
und steht unter Schillerschen und Grillparzerschen Einflüssen (vgl.
II, S. 88 mit Anm. 164 und 166). — Wurde als „Öerny Bad rieh"
durch A. Cepeläka ins Tschechische übersetzt (Prag 1844; vgl.
Wurzbach, XXII, S. 248 a).
j) 1819, S. 6iff. Der Einsiedler auf dem Monserrat (Prosa
= S. W.2 XXX, S. 179 ff.).
k) 1820, S. 202 ff. Erste Liebe (Prosa = S. W.2 XXVII, S. 5ff.,
mit geändertem Titel: Der Amethyst).
1)1821, S. iff. Der junge Maler (Prosa = S. W. 2 XXII,
S. iiiff.). — Behandelt das Thema, „wie Eitelkeit und Hochmut
das beste Gemüt verderben können", und zwar nach Erfahrungen,
die sie selbst (an Prokesch) machte; vgl. zwei Brief stellen an die
Huber (K. Glossy, Grillp. Jb. III, S. 296, 300, 304 [Coradelli]).
Die Kupfer dazu, die Pichler sehr gefielen (Glossy III, S. 300),
zeichnete Ludw. Ferdinand Schnorr von Carolsfeld.
m) 1822, S. loff. Wahre Liebe (Prosa = S. W.« XXV, S. 7ff.).
— Ebenfalls auf das Verhältnis ihrer Tochter Lotte zu Prokesch
Bezug nehmend, vgl. II, S. 158 mit Anm. 170.
^^) Gerhard Fleischer (1770 bis nach 1838) aus Frankfurt a. M.,
eröffnete zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Leipzig ein Verlags-
und Sortimentsgeschäft. Er verlegte vieles. 1829 zog er sich
zurück, den Verlag seinem Sohn Ernst Gerhard überlassend.
1838 gründete er in Dresden ein neues Geschäft; in der Zvnschen-
zeit war er nach Pichler in der Schweiz. Vgl. Kelchner in: Allge-
meine Deutsche Biographie VII, S. 113 und unten II, S. 261. —
Die Briefe von ihm an die Pichler, die 1816 ihren „Ferdinand IL"
bei ihm verlegte (II, S. 430), sind im Pichlernachlaß der Wiener
Stadtbibliothek nicht enthalten, dafür aber ein Brief der Pichler
an ihn (vom 17. Februar 1827).
^^^) Therese Huber (1764 — 1829), die Tochter des Göttinger
Philologen Heyne, war seit 1785 mit Georg Forster verheiratet
und ehelichte nach dessem Tod (1794) seinen Freund Ludwig
37 C. P. I 577
Ferdinand Huber (1764 — 1804), der für sie bereits nach der Flucht
aus Mainz treulich gesorgt hatte, im Jahre 1794. Sie übersetzte
viel, schrieb einige treffliche, durch Würde ausgezeichnete Romane,
und wurde die Biographin ihrer Männer (Goedeke V, S. 48 1 ff.).
Ludwig Geiger widmete ihr eine feinsinnige Biographie (Therese
Huber. Stuttgart 1901). — Karoline Pichler hatte die Absicht,
eine Erzählung (Der Steckbrief) der Huber zu dramatisieren, doch
gab sie den Plan wieder auf (vgl. ihren Brief vom 20. Dezember
1820: K. Glossy, Grillparzer Jahrbuch III, S. 339).
^^*) Es sind 18 Briefe der Pichler an die Huber erhalten, die
K. Glossy (Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft III [Wien 1893],
S. 269ff.) herausgab, und 19 Briefe der Huber an die Pichler, die
L. Geiger (ebd. XVII [Wien 1907], S. i9off.) zugänglich machte.
Eine Mitteilung darauä zieht die Pichler II, S. 246 heran.
^^^) Theresia Huber hatte zu Ende des Jahres 18 16 die Redaktion
des Cottaschen „Morgenblattes für gebildete Stände" übernom-
men und führte selbe mit großem Geschick und Verständnis. Da
sie aber als Redakteurin unbekannt bleiben wollte, so ergaben
sich daraus für sie manche Verlegenheiten und mancher Verdruß,
denn Cotta ließ sie nicht frei schalten, sondern behielt sich eine
Art Oberleitung vor (vgl. L. Geiger, Therese Huber. S. 281 ff.).
Über ihren Kopf hinweg berief Cotta den Dichter A. Müllner
zum Redakteur des Literaturblattes, und als Huber einen Aufsatz
desselben ablehnte, schmähte Müllner sie öffentlich und privat
(Geiger, S. 297 ff.). Ende 1823 wurde der Bruch mit Cotta, der
sich 1828 endgültig vollzog, offenkundig (Geiger, S. 299ff.). Noch
1825 bedauerte die Pichler in einem Briefe an die Huber diese
wegen der Redaktionsverdrießlichkeiten (K. Glossy, Grillparzer Jb.
III, S. 336). — Wenn die Pichler davon spricht, daß sie nie eine
Rezension schrieb, so vergaß sie, daß sie eine solche über Grill-
parzers Sappho ins Morgenblatt (18 18, Nr. 117), wenn auch
anonym, einrücken ließ (vgl. Glossy, Grillparzer Jb. III, S. 348 ff.,
Anm. 6).
51«) Vgl. oben S. 3i6ff. mit Anm. 528 ff.
^i') Anne Louise Germaine Baronin von Stael-Holstein (1766
bis 18 17), die Tochter des französischen Finanzministers Jakob
Necker, heiratete 1786 den schwedischen Gesandten Erich Magnus
Baron von Stael, von dem sie sich 1796 trennte, 1798 aber wieder
zu ihm zurückkehrte und bis zu seinem Tode (1802) bei ihm ver-
blieb. Bereits 1786 erschien ihre erste Schrift. 1792 flüchtete sie
vor der Revolution aus Paris, lernte in Coppet 1794 Benjamin
Constant kennen, kehrte 1797 nach Paris zurück, wurde aber 1803
von Napoleon politischer Konspirationen wegen aus Paris ver-
bannt. Sie reiste nunmehr nach Deutschland (Berlin, Weimar^,
578
lernte in Berlin A. W. Schlegel kennen, der sich ihr anschloß, und
ging 1805 nach Italien. Eine Frucht der italienischen Reise ist
ihr berühmtes Werk „Corinne ou l'Italie" (Paris 1807). 1808 kam
sie von Weimar nach Wien (vgl. Anm. 519), lernte hier auch die
Pichler kennen und hatte flüchtigen Verkehr mit ihr. Ihre An-
sichten über Deutschlands Zustände auf dem Gebiete der Philo-
sophie, der Sitten und Literatur faßte sie in dem Werke „De
rÄllemagne" (18 10) zusammen, das bei seinem Erscheinen auf Be-
fehl Napoleons beinahe gänzlich vernichtet wurde und ihr eine
neuerliche Verbannung, und zwar aus ganz Frankreich zuzog.
Sie lebte nun in Coppet in der Schweiz, reiste 18 12 nach Moskau,
St. Petersburg und Stockholm, 18 13 nach England, und erst
Napoleons Sturz gab sie der Heimat wieder, aus der sie bei Napo-
leons Rückkehr 1815 noch einmal floh, um jedoch bald wieder
zurückzukehren und bis an ihr Lebensende in Paris zu verbleiben.
Vgl. Lady Blennerhassett, Frau von Stael, ihre Freunde und ihre
Bedeutung. 3 Bde. Berlin 1888 f.
5^8) Über das Denkmal, seine Herstellung und Ausführung durch
den Bildhauer Franz Zauner vgl. Jos. Ellmaurer, Le monument
de Joseph II. Vienne 1807. — Die Enthüllung fand am 24. Novem-
ber 1807 statt; über die dabei stattgehabten Festlichkeiten berichtete
die Wiener Zeitung Nr. 94 vom 25. November 1807, S. 5467 f.
(e3 waren etwa 6000 Zuseher anwesend; 12 Uhr wurde das Denk-
mal enthüllt, die Sonne trat aus den Wolken). — Franz Zauner,
Edler von Falpatann (1746 — 1822) war seit 1766 in Wien, seit 1784
Professor an der Akademie der bildenden Künste und seit 1806
deren Direktor, außerdem Hofstatuar (vgl. Wurzbach LIX,
Ssl. 20 ff.).
®^^)Frau von Stael kam nach den Berichten der Wiener Polizei,
die sie, weil man eine Spionin in ihr vermutete, bis auf die kleinste
Kleinigkeit beobachten ließ, anfangs Januar 1808 nach Wien (der
erste Polizeibericht ist vom 13. Januar 1808), wohnte zunächst
im Gasthof zum „Weißen Schwan", zog dann ins Haus Nr. 2 der
Plankengasse und gab hier jeden Donnerstag Gesellschaften, an denen
Aristokraten und Gelehrte (Retzer, Hammer, Hormayr, Collin u. a.)
teilnahmen (Bericht vom 8. Februar 1808). Sie selbst verkehrte
viel in vornehmen Gesellschaften, beteiligte sich auch an Hof-
festlichkeiten, was die Polizei für Zudringlichkeit hielt, konnte
sich aber nicht viel Freunde machen, da man an ihr alles für
Intrige ansah (Bericht vom 8. Februar 1808), weil sie auch, wie
die Polizei meint, „bei ihrem bekannten Geist die Kunst nicht
verstehe, die Herzen oder das Zutrauen der Menschen zu ge-
winnen" (ebd.). Sie war in Wien gar nicht beliebt, und selbst
Unbekannte sprachen an öffentlichen Orten von ihr als einer ver-
37* 579
haßten Person (ebd.). Die Polizei vermutete auch, daß sie, weil
man ihr Spionage nicht nachweisen konnte, den Zweck habe, eine
bedeutende Rolle zu spielen, als Gelehrte zu glänzen und deswegen
die große Welt um sich versammle (Bericht vom 27. Februar 1808).
Vgl. über die Polizeiberichte Alex. Hajdecki, Österreichische Rund-
schau II (Wien 1905), S. 225 ff. — Was die Pichler über die Teil-
nahme der Frau von Stael an der Enthüllung des Kaiser- Josef-
Denkmals sagt, ist nicht richtig, da diese damals nicht in Wien
war; vgl. auch einen Brief der Pichler an Streckfuß (Glossy, Wiener
Communal- Kalender XXXII, S. 406), worin es heißt, Stael sei seit
dem neuen Jahr (1808) in Wien. In diesem Briefe gibt die Pichler
auch Nachricht über die unfreundlichen Gerüchte, welche in
Wien über Frau von Stael kursieren und die Gründe, welche
diese Gerüchte hervorriefen, denn „daß sie Geist hat und ohne
Prät«nsion ist, daß sie häßlich ist und doch den meisten Männern
gefällt, das können ihr die Weiber — daß sie von Geburt eine
Bürgerliche an den Hof geht — die Emigrierten und der Adel
nicht verzeihen — und hinc illae lacrymae — sage ich Ihnen ins
Ohr, denn laut würde ich als Weib keinen lateinischen Text
zitieren" (ebd. S. 4o6f.). Pichler fühlte sich durch das Betragen
der Frau v. Stael angezogen und wurde ihr herzlich geneigt (ebd.
S. 407). Frau v. Stael verließ Wien am 22. Mai 1808 mit Schlegel
und ging über Prag nach Weimar (Hajdecki a. a. O. il, S. 232). —
Über Staels Wiener Aufenthalt berichtet diese selbst kurz in „De
l'Allemagne" (Paris 1862. S. 43 f., 45 ff.), wobei sie nur die Hoch-
zeitsfeierlichkeiten des Kaisers hervorhebt, desto eingehender aber
über die Wiener Gesellschaft plaudert. Was Lady Blennerhasset (Frau
von Stael III, S. 191 ff.) darüber berichtet, ist nicht sehr eingehend.
520) Über die Corinne der Frau v. Stael: Morgenblatt für ge-
bildete Stände I (Tübingen 1807), S. ii53f. und ii57f. (Nr. 289
und 290 vom 3. und 4. Dezember 1807) = S. W.^ XVII, S. 33ff. —
Die Stellen, worauf die Pichler anspielt, bringt sie in ihrem Auf-
satze selbst (Morgenblatt I, S. 1157= S. W.^ XVII, S. 4if.); sie
sind aus Corinne ou i'Italie II (Paris 1807), p. 60 (Il avoit pour
eile . . . rassuree par lui) und II, p. 186 (Ah, ne faut-il ... et
protegees). Die Pichler meint in diesem Aufsatz, und da hat sie
sich selbst vor Augen, daß jede Frau ihren Geist ausbilden könne,
ohne ihre häuslichen Pflichten zu vernachlässigen und ohne sich
über den Mann zu erheben. Außerdem beanstandet sie, daß die
Religion bei Corinne als Aberglauben erscheine. HäusUchkeit und
ReUgion, die beiden Steckenpferde der Pichler erscheinen also
bereits hier. — Über Staels schwächliche Helden äußert sich die
Pichler auch sonst, vgl. II, S. 161; Staels Schrei nach Unter-
ordnung auch II, S. 311.
580
521) August Freiherr von Steigentesch (1774 — 1826), General-
major und dramatischer Dichter, war seit seinem fünfzehnten
Lebensjahr in österreichischen Kriegsdiensten^ klomm rasch die
militärische Stufenleiter hinan und wurde vielfach zu diplomati-
schen Sendungen verwendet. 1809 befehligte er ein Wiener Land-
wehrbataillon (oben S. 332). Pichler traf ihn wiederholt in Gesell-
schaft (oben S. 315; II, S. 219). Als Lustspieldichter wendete er
sich gegen die falsche SentimentaÜtät und die Gefühlskarikatur.
Vgl. Wurzbach XXXVIII, S. 7ff. und Goedeke V, S. 296.
522) August Wilhelm von Schlegel (1767 — 1845), ein hannovera-
nisches Dichterkind, verdiente sich in Göttingen unter Bürgers
Einfluß seine ersten dichterischen Sporen, warf sich aber, selbst
nicht besonders produktiv, bald auf die Kritik (vgl. auch oben
S. 301). Seit 1796 verheiratet, wohnte er bis 1801 in Jena und
führte dann bis 18 18, wo er Professor der Literatur in Bonn wurde,
ein Wanderleben, das ihn im Gefolge der Frau v. Stael, die er^i8o3
in Weimar kennen gelernt hatte, über Paris und Coppet nach
Wien, Dänemark, Italien usw. führte. Als Dichter nur dem For-
mellen Genüge leistend, erwarb er sich durch seine Übersetzungen,
durch seine Vorlesungen und durch seine Arbeiten auf dem Ge-
biete der indischen Philologie bedeutende Verdienste. Vom Wesen
händelsüchtig und eitel, führte er zeitlebens eine große Anzahl
Fehden mit mehr oder minderem Geschick durch. Vgl. Goedeke
VI, S. 5 ff. und Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie
XXXI, S. 3 54 ff. Über seine Beziehungen zu Frau v. Stael vgl. Lady
Blennerhasset a. a. O. III, S. 555 Reg. — Schlegel verkehrte wäh-
rend seines Wiener Aufenthaltes (Januar bis 22. Mai 1808) einige
Male bei der Pichler (oben S. 312, 320), auch traf sie ihn sonst
(oben S. 315, 326), besonders in seinen Vorlesungen, denen sie
beiwohnte (oben S. 325); aber trotz seiner Artigkeit war sie von
ihm, seines eiteln Wesens wegen nicht eingenommen (oben S. 312,
327f. mit Anm. 555). Schlegel spielte in Wien im intimen Kreise
auch Theater in Staelschen Stücken (oben S. 324). Pichlers „Hein-
rich von Hohenstaufen" und „Rudolf von Habsburg" folgen
Schlegelschen Anregungen (II, S. 413 : i; 419 : 28).
^^) Ganz gleiche Gedanken äußerte Karoüne Pichler bereits in
ihrem Brief an K. Streckfuß vom 8. März 1808 (K. Glossy, Wiener .
Communal-Kalender XXXII, S. 407); auch hier heißt es, daß die
Frauen eine gewisse Melancholie an ihm wahrgenommen haben
wollten und ein zärtliches Mitleid mit ihm haben, da er durch
seine abhängige Situation gebeugt sei, während Karoline dem-
gegenüber bemerkte, „es käme nur auf ihn an, diese goldne Sklaverei
mit einer beschränkten, aber freien Existenz zu vertauschen, die
einem Manne vöe Schlegel nirgends in Deutschland entgehen
581
könnte". Sie fand keine Spur von Anomalie an ihm, vielmehr
etwas Launenhaftes, Ungleichartiges, und obwohl er ein sehr artiger
Mann war, ^o fühlte sie sich durch sein Betragen „eher abgestoßen
als angezogen".
624^ Frau von Nuys aus Bremen, bei der Karoline Pichler Frau
Stael traf (oben S. 314) und mit der sie auch sonst öfter in Gesell-
schaft zusammenkam, so bei Frau Flies (oben S. 326), ist mir sonst
unbekannt. Hormayr spricht in einem Briefe an die Pichler
(i. März 1808: K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 243 f.) von
der soliden Anschauung dieser Frau.
524 a) Diese klavierspielende Freundin dürfte mit Antonie von
Kempelen identisch sein, von deren trefflichem Klavierspiel die
Pichler auch sonst berichtet (vgl. oben S. 251, 283).
^26) In einem Briefe an Streckfuß vom 8. März 1808 schildert
Karoline Pichler auch Frau von Stael (K. Glossy, Wiener Com-
munal-Kalender XXXII, S. 406). Sie nennt sie häßlich, was ja
allgemein bekannt sei, aber auch sehr liebenswürdig, ohne alle
Prätension, freundlich und mitteilend, beinahe herzlich, was den
meisten unbekannt sei. Sie glaubt aber in ihr eine gevnsse Eitel-
keit zu finden, da sie an allen Festlichkeiten teilnimmt. Noch 1820
äußert sich Karoline Pichler in einem Briefe an die Huber (vom
19. Juni 1820: K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch III, S. 300) an-
läßlich der Lektüre der Staelbiographie der Albertine Adrienne
Necker de Saussure, deren panegyrisches Lob sie ablehnt, über
Stael: sie „war gewiß als Mensch und Schriftstellerin so edel und
groß, daß eine einfache Darstellung ihrer Tugenden, Verdienste
und Handlungen der erhabenen Frau gewiß würdiger und ihrem
Geiste, der nun von so manchem Irrtum befreit, mit hellerem Blicke
auf die Erde und ihre Freunde niederschaut, angenehmer gewesen
wäre."
^26) Albert Baron Stael wurde 1792 zu Coppet in der Schweiz
geboren, verblieb während der ersten Reise seiner Mutter nach
Deutschland (1803) in Paris, sah sie 1804 (Mai) in Zürich Nieder,
lebte dann mit ihr in der Verbannung und spielte bereits 1806
zu Genf den Engel in Staels „Agar", eine Rolle, die er 1808 in
Wien wieder agierte (oben S. 323). Da seine Erziehung in Deutsch-
land durchgeführt werden sollte, reiste Frau Stael im Dezember
1807 nach Weimar, kam von dort mit Tochter und Sohn nach
Wien, wo er in Theaterstücken von ihr und anderen auf Privat-
theatern auftrat (oben S. 323, 324; Thürheim, M. L. I, S. 243)
und im April in der Militärschule untergebracht wurde. Später
wieder in Coppet, begleitete er seine Mutter 1 8 1 2 auf ihrer Flucht
nach Rußland, trat hierauf in schwedische, bald hernach in russische
Militärdienste und blieb im Juli 18 13 in einem Duell. Er war
582
leichtsinnig und aufbrausend. Vgl. Blennerhassett, Frau v. Stael II
(Berlin 1888), S. 145 und III (1889), S. 36if., 558 Reg.; Thür-
heim, M. L. I, S. 239.
527) Albertine Baronin Stael wurde am 13. Oktober 1797 zu
Coppet als Frucht des Verhältnisses ihrer Mutter mit Benjamin
Constant geboren, genoß eine sorgfältige Erziehung, begleitete
ihre Mutter auf ihren Wanderfahrten und vermählte sich am
20. Februar 18 16 zu Pisa mit dem Herzog Achille Leonce Victor
Charles de Broglie (1785 — 1870), welches Ereignis A. W. von
Schlegel durch ein Gedicht feierte (Goedeke VI, S. 13 : 43). Sie
starb in jungen Jahren 1838. Vgl. Blennerhassett II, S. 309,
III, S. 449 ff., 485 f. — Über ihr Theaterspiel in Wien vgl. oben
S. 322, 324.
528) Maria Ludovica Beatrix von Este, Kaiserin von Österreich
(1787 — 1816), seit 6. Januar 1808 die dritte Gattin Kaiser Franz L,
war eine glühende Feindin Napoleons und 1809 und später Haupt
der Kriegspartei. Sie war anmutig, geistvoll und stets geschmack-
voll gekleidet (vgl. oben S. 373, 375), mochte aber des Kai,sers
vulgäre Umgebung nicht leiden, so daß bald Unstimmigkeiten
auftraten. Die ursprüngliche Liebesheirat hielt nicht, was sie ver-
sprochen (vgl. Ed. Wertheimer, Die drei ersten Frauen des Kaisers
Franz. Leipzig 1893. S. göf.). Daß ihre Mutter, Erzherzogin
Maria Beatrix Riccarda von Este, sie ursprünglich für das Kloster
bestimmte (Pichler, oben S. 316), davon berichten die Quellen
nichts (E. Guglia, Kaiserin Maria Ludovica von Österreich. Wien
1894. S. 188). Goethe schätzte die Kaiserin hoch. Vgl. Wurz-
bach VII, S. 535 Guglia a. a. O.; Wertheimer, S. 77ff.; Lulu
Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. 225 ff.
529) Ygi oben S. 374f. und Anm. 233 f. Dazu: Ed. Wertheimer,
Die drei ersten Frauen des Kaisers Franz. Leipzig 1893. S. iff.
^^) Maria Theresia von Neapel, Kaiserin von Österreich (1772
bis 1807), seit 1790 mit Kaiser Franz verehelicht, hatte etwas
sonderbare Allüren, sodaß es öfter zu Differenzen mit ihrem
Gemahl kam. Sie war sehr fromm und häuslich und hinterließ
bei ihrem frühen Tod, der Kaiser Franz sehr nahe ging, eine große
Kinderschar. Vgl. Wurzbach VII, S. 8if.; Lulu Gräfin Thür-
heim, Mein Leben I, S. 125 ff.; Ed. Wertheimer, Die drei Frauen
usw., S.yyii.j Schönholz, Traditionen. Herausgegeben von
G. Gugitz I (München 19 13), S. 65 ff.
^^^) Diese glänzend besuchte Freiredoute — es waren an 4000 Ein-
ladungen ausgegeben worden, — fand am 10. Januar 1808 in den
neu und geschmackvoll dekorierten „Redoutensälen" statt. Der
Hof blieb bis 1 1 Uhr, der Ball dauerte bis in den Morgen hinein.
Die Gäste wurden die ganze Nacht hindurch bewirtet. Die
3 ° :»
„Wiener-Zeitung" (1808, S. 178) berichtet, daß eine Gesellschaft
von Kavalieren und Damen maskiert ihren Einzug in den Saal
hielt, eine persische Hochzeit darstellte und dann Tänze auf-
führte. Es wurde aber vielmehr eine Gesandtschaft aus Indien
vorgestellt, mit dem Großmogul an der Spitze, die ihre Huldigung
darbrachte. Vgl. Guglia, S. 31 f.; Lulu Gräfin Thürheim, Mein
Leben I, S. 228; Arnold- Wagner, Achtzehnhundertneun. Wien
1909. S. 291 ff.; Aug. Wilh. von Schlegel, Sämmtliche Werke IX
(Leipzig 1846), S. 285ff.
^^2) August Wilhelm von Schlegel, der eine genaue Beschreibung
dieses Festes lieferte und alle mitwirkenden Damen beschrieb
(Sämmtliche Werke IX, S. 287), sagt von der Führerin des Zuges:
„Man bewunderte die Fürstin von CoUoredo, die als indostanische
Kaiserin in ihrer Gestalt und Haltung ganz die hohe Würde hatte,
welche der Führerin eines solchen Zuges zukam." — Philippine
Karoline Fürstin Colloredo-Mansfeld, geb. Gräfin von Oettingen-
Katzenstein-Baldern (1776 — 1842), war seit 1794 mit dem Prinzen
Rudolf Josef von Colloredo-Mansfeld (1772 — 1843), der seit Ok-
tober 1807 Fürst war, vermählt. Infolge einer Liebesirrung der
Frau, die auch trefflich Theater spielte, wurde die Ehe zeitweise
getrennt. Vgl. Lulu Gräfin von Thürheim, Mein Leben I, S. 228,
242!; Gothaischer genealogischer Hofkalender 1843, S. 251; 1844,
S. 281.
^ Graf Woyna, der damals bereits 15 Jahre zählte, hieß
Eduard und nicht Arthur. 1793 geboren, widmete er sich dem
Militärdienst, wurde 1840 Generalmajor und schUeßlich Feld-
marschalleutnant. Zuletzt war er Gesandter am schwedischen und
belgischen Hof. Er starb 1850. Vgl. Wurzbach LVIII, S. 136;
Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. 134, 228.
^^) Collins Gedicht „Blumenstrauß" erschien als Einzeldruck
und später abweichend in seinen Werken; vgl. R. F. Arnold und
Karl Wagner, Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des
Kriegsjahres. Wien 1909. S. lof., 289ff. Die überreichten Blumen
waren: Lilie, Viole, Rose, Veilchen, Myrte, Hyazinthe, Reseda,
Fühlkraut, Maßlieb, Dornen, Nelke, Rosmarin, Sonnenblume,
Pfirsichblüten, und konnten, wie man sieht, nicht nach den An-
fangsbuchstaben der Kaiserin gewunden sein (oben S. 318), son-
dern hatten rein symbolische Bedeutung.
53*a) Der Aschermittwoch des Jahres 1808 fiel auf den 2. März. —
Franz Gräffer hat Frau Stael und Frau Pichler in einen nicht
Übeln Zusammenhang gebracht (Frankls Sonntags-Blätter II [Wien
1843], S. 152): „Es gäbe zwei vollkommene Schriftstellerinnen:
Frau V. Stael mit dem schönen Gemüt und der ethischen Rein-
heit der Frau Pichler; Frau Pichler mit dem Geist und der Welt-
C8/L
Tournure der Frau v. Stael. Die Deutsche; die Französin!" —
Franz Gräffer verkehrte mit Karoline Pichler, wie ein Brief von
ihr an ihn (Ludwig Stern, Die Varnhagen von Ensesche Samm-
lung in der kgl. Bibliothek zu Berlin. Berlin 191 1. S. 594) und
verschiedene Züge, die er über die Pichler in seinen Werken mit-
teilte, beweisen.
635) Gemeint ist das 12. Kapitel der ersten Abteilung: Von der
deutschen Sprache in ihren Beziehungen mit dem Geiste der
Unterhaltung (Stael, Deutschland I, i [Berlin 1814], S. 86ff. = De
l'Allemagne, Paris 1862, S. 64ff.).
536) Karoline de la Motte Fouque, Über deutsche Geselligkeit
in Antwort auf das Urtheil der Frau von Stael. Berlin 18 14. S'*.
36 S. (Goedeke VI, S. 132 : 15).
537) Flora Gräfin Wrbna, geb. Gräfin Kageneck (1779 — 1857),
die Frau des Grafen Eugen Wrbna (seit 1798), glänzte durch ihre
schauspielerischen Talente in der Wiener Gesellschaft (vgl. De la
Garde, ed. Gugitz I, S. 226; Lulu Thürheim, Mein Leben. Her-
ausgegeben von Rene van Rhyn I [München 1913], S. 131, 133,
243; II, S. iii) nicht minder als durch ihre Schönheit. Zur
Kongreßzeit gefeiert, soll sie mit Zar Alexander eine verfängliche
Wette eingegangen sein (Thürheim II, S. ii7f.). Später versah
diese mit schönen Augen und einem klaren Verstand versehene
Frau die Rolle einer Hausrepräsentantin bei Metternich, dessen
Cousine sie war (vgl. Gugitz a. a. O. I, S. 226, Anm. 3). Ihre
letzten Jahre verbrachte sie halberblindet in Ischl. Vgl. Wurz-
bach LVIII, S. i87f.
537 a) Von Karoline Pichlers organisiertem Piano berichtet 1808
auch Joh. Friedr. Reichardt (Vertraute Briefe, geschrieben auf
einer Reise nach Wien I [Amsterdam 18 10], S. 195 f.), der damals
bei ihr eingeführt wurde, mit den Worten : „Sie (Pichler) Ist auch
musikalisch und setzte sich gleich aus freiem Antriebe an ihr
Orgelfortepiano, mir etwas vorzuspielen." — Vgl. über dieses
Piano noch oben S. 283, 356.
^ Sophie Gräfin Zamoyska, geb. Prinzessin Czartoryska (1778
bis 1837), seit 1798 die Frau des polnischen Senatspräsidenten
Stanislaus Grafen ZamoyskI, war eine polnische Schönheit, groß
und blond, mit blendendem Teint (De la Garde I, S. 72; oben
S. 324). Zur Zeit des Wiener Kongresses spielte sie eine große
gesellschaftliche Rolle. 'Sie war eine gute Sängerin und hatte auch
schauspielerische Talente (De la Garde I, S. 235; oben S. 324),
die sich in einer kleinen Intrige gegen Karl Wilhelm Lord Stewart
1814 ebenfalls entfalteten (De la Garde II, S. 42 ff.). — Über die
Pracht ihrer Wohnung (oben S. 322), die in der Jägerzeile lag,
vgl. noch De la Garde II, S. 42.
. 585
^^) Agar dans le desert. Scene lyrlque, composee en 1806:
Mme. la baronne de Stael, Oeuvres completes XVI (Paris 1821),
S. iff. — Frau v. Stael hatte dieses Stück bereits 1806 auf ihrem
Dilettantentheater in Genf zur Darstellung gebracht, wobei die
Zuschauer zu Tränen gerührt waren. Vgl. Blennerhassett III,
S. 167; Aug. Wilh. von Schlegel, Sämmtliche Werke IX (Leipzig
1846), S. 277 f. (ähnliche Bemerkungen wie bei der PichJer), —
Lulu Gräfin Thürheim (Mein Leben I, S. 234f.) fand die Verse
bei der Aufführung im Hause der Gräfin Zamoyska kalt und
mittelmäßig; dem Vortrag mangelte jede Grazie, die Deklamation
war zu heftig (vgl. auch Pichler, S. 323), die Figur der Tragödin,
die sich zu stark gehen ließ, zu häßlich. — Die Aufführung bei
der Gräfin Zamoyska fand am 8. März 1808 statt (K. Pichler an
K. Streckfuß: K. Glossy, Wiener Communal-Kalender XXXII,
S. 406).
^°) Le legs. Comedie en un acte par Pierre Carlet de Chamblain
de Marivaux. Die erste Aufführung erfolgte 1736 zu Paris in der
Comedie fran?aise. Vgl. G. Lanson, Histoire de la litterature
frangalse. Paris 1896. S. 645.
^^) Karl Josef Fürst Clary und Aldringen (1777 — 183 1), ein
Enkel des Fürsten de Ligne, betätigte sich als Schriftsteller und
Zeichner, organisierte 1809 ein Landwehrbataillon und mimte
wiederholt auf Privattheatern mit Talent (Lulu Gräfin Thür-
heim, Mein Leben I, S. 133; oben S. 324). Er überbrachte 1810
Kaiser Napoleon den ersten Brief seiner neuangetrauten Gemahlin
Maria Luise nach Compiegnes (Thürheim, I, S. 332 f.). Er hatte den
Spitznamen „Lolo", war heiter, originell und liebenswürdig, dabei
aber sehr kapriziös und störrisch (ebd. II, S. 145). Er schrieb
Denkwürdigkeiten, die noch ungedruckt sind. Vgl. Wurzbach II,
S. 38if.
^ Johann Fürst Liechtenstein (1760 — 1836), k. k. Feldmar-
schall und Großkreuz des Maria-Theresienordens, einer der aus-
gezeichnetsten und tapfersten österreichischen Militärs, seit 1805
regierender Fürst, ein eifriger Mäcen der Künste und Wissen-
schaften (Wurzbach XV, S. 148 ff.), unterhielt in seinem Palais in
der Herrengasse (19 13 demoliert) ein Haustheater, auf dem wieder-
holt Vorstellungen stattfanden (vgl. Thürheim, Mein Leben I,
S. 234, 242!).
^^) Genevieve de Brabant. Drame en trois actes et en prose,
composee en 1808: Mme. la baronne de Stael, Oeuvres com-
pletes XVI (Paris 1821), S. 21 ff. Der ältere, hinzugedichtete Sohn
der Genovefa heißt Adolf. — Auch diesem Stücke wohnte Gräfin
Lulu Thürheim bei (Mein Leben I, S. 235); ihre Kritik des Äußeren
der Stael stimmt mit der Auffassung der Pichler überein.
586
5**) August Wilhelm von Schlegel hielt im Saale des Hoftraiteurs
Jann 15 Vorlesungen über Dramaturgie (vgl. Intelligenzblatt der
Annalen der Literatur des Österreichischen Kaiserthumes 1808,
Sp. 259)5 die in 3 Bänden in Heidelberg von 1809 — 181 1 als „Über
dramatische Kunst und Literatur; Vorlesungen" im Druck er-
schienen (Goedeke VI, S. izf. : 32). Eine treffliche Analyse dieser
Vorlesungen, welche gegen die Franzosen als Dramatiker losgehen
und ihnen die Griechen, Spanier und Engländer gegenüberstellen,
bietet Jakob Minor, Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien
XXXVIII (Wien 1887), S. 594ff. Die Vorlesungen als solche, die
sich mit Ideen Hormayrs berührten (Wihan, Euphorion. V. Er-
gänzungsheft. S. 121 f.), waren glänzend besucht, waren doch
ca. 300 Hörer und Hörerinnen anwesend, und erhielten viel Bei-
fall, sodaß die vom Kaiser ausnahmsweise erteilte Erlaubnis nicht
erfolglos war (vgl. Joh. Friedr. Reichardt, Vertraute Briefe, ge-
schrieben auf einer Reise nach Wien II [Amsterdam 1810], S. lygü.;
Rob. Keil, Wiener Freunde- Wien 1883, S. 102 [Haschkas Bericht]).
Karoline Pichler selbst äußerte sich über die Vorlesungen, zu denen
man 25 fl. Eintritt zahlen mußte, wie folgt: „Schlegels münd-
licher Vortrag ist nicht angenehm, er spricht nicht geläufig, er
stottert zuweilen und ist um den Ausdruck verlegen, dann sieht
er wieder in das geschriebene Blatt, liest einige Zeilen heraus,
spricht dann wieder auswendig, bis er stecken bleibt usw. Was er
aber sagt, ist höchst anziehend, besonders über manche Gegen-
stände, z. B. die Romantische Poesie, die Wirkungen der Christ-
lichen Religion auf die Umstaltung der menschlichen Denkart, der
Charakter der Spanischen Nation, der Römischen, über die Deut-
sche Literatur usw., besonders über die bald ganz verlorene Deutsch-
heit. Ich kann sagen, daß ich die Vorlesungen mit großem Ver-
gnügen besucht habe" (Brief der K. Pichler an K. Streckfuß vom
22. Mai 1808: K. Glossy, Communal-Kalender XXXII, S. 408!.).
Marianne von Eybenberg schrieb am 11. Mai 1808 im Gegensatze
dazu an Goethe (A. Sauer, Goethe und Österreich I [Weimar 1904],
S. 193): „Das Gute, was er uns gesagt, war nicht neu, und das
Neue nicht besonders gut, das Ganze auf der erbärmlichsten Weise
vorgetragen." Den gleichen Standpunkt nehmen auch Jonathan
Flowen (= Josef Schreyvogel; Das Sonntagsblatt. Herausgegeben
von Thomas West II, i [Wien 1808], S. 243 ff.; II, 2, S. 21 ff.,
47ff., 57ff., i22ff., I77ff.) und Bretschneider (Briefe an Nicolai
vom 9. April und 16. Mai 1808: R.M.Werner, Österreichisch-
Ungarische Revue. Neue Folge VIII [Wien 1890], S. 284f.) ein,
wovon ersterer in 5 Briefen die Vorlesungen sehr unfreundlich
kritisierte, hatte er doch keinerlei Nutzen daraus gezogen (II, 2,
S. 22) und bei manchen Langeweile gespürt (II, 2, S. 23), während
letzterer zwar zugibt, daß Schlegel Aufsehen machte, befand sich
ja selbst Sonnenfels unter den Zuhörern, aber doch nicht umhin
kann, boshaft zu bemerken: „Er (Schlegel) ist ein elender Knabe,
dem auch das Äußerliche fehlt, weder Stimme, noch Anstand,
noch Deklamation."
^ Eleonore FUes, geb. Eskeles, aus Wien, war an einen Kauf-
mann verehelicht, weilte i8 Jahre im Auslande (Berlin, vgl. Brief-
wechsel zwischen KaroUne v. Humboldt, Rahel und Varnhagen.
Herausgegeben von Albert Leitzmann. Weimar 1896. S. 20) und
kam um 1802 wieder nach Wien. Sie versammelte, ähnlich wie die
ihr verwandten Frauen Eskeles und Arnstein, einen Kreis ge-
bildeter Menschen um sich (oben S. 325, 411). Zu ihren wöchent-
lichen Abenden lud sie auch Karoline Pichler, die ihr bereits als
Mädchen bekannt war, und bei dieser ihrer mütterUchen Freundin
lernte diese A. W. Schlegel, Denon, den Grafen A. de la Borde,
Varnhagen, Ernst von Pfuel u.a. kennen (oben 5.325!., 355,
361 f., 414). Mit ihr zusammen war sie 1809 im Schönbrunner
Schloß theater, um Napoleon zu sehen (oben S. 358, 359), und
durch sie wurde Pichlers Briefwechsel mit Goethe vermittelt.
Kannte doch Frau E. Flies seit 1808 Goethe und besorgte ihm
verschiedene Gefälligkeiten (oben S. 392f. mit Anm. 669). Frau
E. Flies starb am 20. August 18 12 in Wien (Nr. 1209 in der Stadt)
am Schlagfluß, 60 Jahre alt (vgl. oben S. 392 und Totenprotokoll
der Stadt Wien, 18 12, Buchst. F, Fol. 35 b); ihr Nachlaß war nicht
sehr beträchtlich (16 018 fl. 40 kr. C. M. und 5050 fl. W. W.: Ver-
lassenschaftsregister im Archiv des Wiener Landesgerichtes, 18 12,
Buchst. F, Fol. 171 ; der Akt [Fasz. II, Nr. 2576 ex 1812] fehlt).
Ein kurzer Nachruf (Allgemeine Literatur-Zeitung. Halle 18 12.
III, Sp. 279) sagt von ihr, daß sie „eine Freundin der Künste
und Wissenschaften, sowie eine besondere Gönnerin und Beschütze-
rin talentvoller, gebildeter Männer" war, und daß man „in ihrem
Hause oft einen Kreis von in- und ausländischen Gelehrten" fand,
„die bei ihr stets die beste Aufnahme fanden". Goethe war vom
Abscheiden der Frau Flies, die ihn durch ihre Gefälligkeiten und
Aufmerksamkeiten als Schuldner hinterließ, schmerzlich berührt
(vgl. seinen Brief an Baronin Eskeles vom 26. November 18 12:
A. Sauer, Goethe und Österreich I, S. 286f.). — Karoline Pichler
beklagte deren Verlust Goethe gegenüber (Brief vom 9. November
18 12: A. Sauer a.a.O. I, S. 28if.) mit folgenden Worten, die
manches mit den „Denkwürdigkeiten" Gemeinsame haben: „Was
ich an ihr [Frau Flies] verloren, können Sie, der Sie sie näher ge-
kannt und ihrer Sitten Freundlichkeit erfahren haben, leicht er-
messen, wenn ich Ihnen sage, daß sie seit den ersten Kinderjahren,
in welche ich zurückdenken kann, eine warme Freundin meiner
588
Eltern gewesen; daß eine 18jährige Entfernung nichts an dieser
Gesinnung geändert hat, und daß sie vor allem mir mit wahrhaft
mütterlicher Neigung zugetan war. In ihrem Hause habe ich
manche frohe Stunde genossen und ihr verdanke ich endlich das
Vergnügen eines schriftlichen Verkehrs mit Ihnen und Ihr Urteil
über Agathokles."
5*8) Bernhard Freiherr von Eskeles (1753 — 1839), ein Wiener
Jude, der dem Glauben seiner Väter treu blieb, hatte mit 20 Jahren
das Großhandlungshaus Arnstein und Eskeles begründet, das er
zu ungeahnter Höhe brachte. Er beteiligte sich 1816 an der
Gründung der Nationalbank, später an der der Wiener Sparkasse
und war der finanzielle Ratgeber der Kaiser Josef IL und Franz I.
Vgl. Wurzbach IV, S. 78 f. — Seine Frau Cäcilia (vgl. Anm. 670)
verstand es, ihren Salon zur Kongreßzeit berühmt zu machen.
547) Der Glanz des Arnsteinschen Hauses wurde durch Fanni
Freiin von Arnstein (1758 — 1818), einer Tochter des Berliner
Bankiers Itzig, begründet. Nicht nur durch Schönheit und Geist
glänzte diese Frau, die Kaiser Josef II. hochschätzte und van
derentwillen manches Duell sich entspann, sondern auch durch
feine Sitten, und der Salon dieser geistvollen Jüdin war nicht
nur zur Kongreßzeit, sondern auch sonst der Vereinigungspunkt
alles dessen, was Name und Rang hatte. Vgl. Wurzbach I, S. 69 f.;
De la Garde, ed. Gugitz I, S. 350 mit Bild; Gräfin L. Thürheim,
Mein Leben I, S. 40; II, S. 263; Aug. Fournier, Die Geheimpolizei
auf dem Wiener Kongreß. Wien 1913. S. 491 Reg.; J. B. Alxinger,
Neueste Gedichte. Wien 1794. S. 41 = Sämmtliche Werke VIII ,
(Wien 18 12), S. 127 (ein Lobgedicht). — Ihr Mann, seit 1774, war
der schwedische Generalkonsul -Nathan Adam von Arnstein
(1743 — 1838), Mitchef des Hauses Eskeles und Arnstein, und
Schwager des Barons Eskeles; er wurde 1795 geadelt und erhielt
1798 den Freiherrnstand (Weimarer historisch-genealoges Taschen-
buch des gesamten Adels jehudäischen Ursprunges I [Weimar 1912],
S. 97). Er besaß in Baden das Haus Theresiengasse Nr. 38 (jetzt
Nr. 2; Herrn. RoUett, Neue Beiträge zur Chronik der Stadt Baden
bei Wien, IX [Baden 1896], S. 67), in dem K. Pichler während
ihres Badener Aufenthaltes wiederholt verkehrte (II, S. 158 f.).
Er war äußerst wohltätig (II, S. 125) und nahm 1829 am Aus-
fluge nach Merkenstein an Pichlers Geburtstag teil (II, S. 254).
^ Die einzige Tochter des Nathan und der Fanni von Arn-
stein war Henriette (1780 — 1879), ^^^ ^^ Berlin geboren wurde
und 1802 in Wien Heinrich Pereira (1773 — 1835) ehelichte, der
von seinem Schwiegervater adoptiert und 18 10 für sich und seine
Nachkommen den Freiherrnstand mit dem Prädikate Pereira-Arn-
stein erhielt (Weimarer historisch-genealoges Taschenbuch usw.
I, S. 98, 193). sie war eine rassige Schönheit (De la Garde, ed.
Gugitz II, S. 256 mit Bild), bei der Karoline Pichler in Wien,
Baden, Schwarzenau und sonst oft verkehrte (vgl. oben S. 411;
II, S. 127, 158, 175, 2i3f., 268, 295), hatte deren Salon doch viel
Ähnlichkeit mit dem Pichlerschen (II, S. 124). Fröhliche Unge-
zwungenheit herrschte hier, Tanz, Musik und Vorlesen boten eine
köstliche Abwechslung und die besten Köpfe trafen sich im un-
gezwungenen Beisammensein (II, S. I24f.). Grillparzer und Wolf-
gang Menzel verkehrten in diesem Kreise (II, S. 130, 262); Thor-
valdsen, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Adelheid Reinbold
lernte Pichler bei der Pereira kennen (II, S. 146, 159, 160), die
auch Theodor Körner fördernd zur Seite stand. Baronin Pereira
war äußerst wohltätig (II, S. 125), und stand dem Marienspital in
Baden vor, wobei sie Andreas Pichler als Beirat unterstützte (II,
S. 126).
^ Friedrich Schlegel veröffentlichte bereits 1802 „Alte Ge-
dichte aus dem Spanischen" im „Musen-Almanach" seines Bruders
(Goedeke VI, S. 11 : 16) und August Wilhelm folgte 1803 und
1809 mit seinem Buche „Spanisches Theater" (Goedeke VI,
S. 12 : 21), das Calderonsche Dramen enthielt.
^ Die Fehden mit Kotzebue und dem Kritiker Garlieb Merkel
(1769 — 1850: Goedeke VI, S. 381 ff.), der die romantische Schule
heftig angriff und auch Karoline Pichlers Gleichnisse zu ihr in
Gegensatz gestellt hatte (vgl. oben S. 228 und Anm. 380), be-
gannen 1800 mit der „Ehrenpforte" von A. W. Schlegel und
setzten sich in heftiger Weise, wobei Schrift und Gegenschrift
einander rasch folgten, bis 1806 fort (Goedeke V, S. 279 : 58;
VI, S. 10 : 12; 12 : 29).
551) K. Pichler, Agathokles. 3 Bde. Wien 1808. Bey Anton
Pichler. Später: S. W.^ III— V, Wien, Pichler, 1820 (mit je
einem Kupfer). Hier und in der Ausgabe von 1815 (S. W.^ III
bis V), zuerst eine Vorrede (III, S. III ff.), worin Pichler über die
Entstehung des Romans berichtet und, auf eine Bemerkung Rasoris
(vgl. II, Anm. 299) zurückkommend, mitteilt (III, S. Vif.), daß
ihr und Chateaubriands Roman „Les martyrs" zwar den gleichen
Gegenstand behandeln, dieselben Tendenzen haben, aber vonein-
ander völlig unabhängig seien, um so mehr, als Chateaubriands
Roman später erschien; das zufällige Zusammentreffen freue sie
aber sehr.
Der „Agathokles", aus Widerspruch gegen Gibbons Ansichten
über die christliche Religion entstanden (oben S. 255, 291 ; II,
S. 407; S. W.2 III, S. III), wurde bereits 1804 geplant (oben
S. 255) und erhielt seine Märtyrertendenz durch ein Bild des
hl. Stephanus, das Pichler im Schreyvogelschen Industriekomptoir
S9P
sah (oben S.zgii.). Betreffs der Larissa schwebte ihr Maria
Theresia von Heß und deren Mutter vor (oben ,S. 135). Dem Ge-
danken folgte bald die Ausführung, und schon im Mai 1806 schrieb
Karoline Pichler fleißig am „Agathokles", wie ihre Briefe an
Streckfuß ausweisen (K. Glossy, Wiener Communal-Kalender
XXXII, S. 396), faßte im Juli durch Zufall, um eine Neckerei
gegen den Historiker Franz Kurz in St. Florian auszuüben, die
Aufnahme der Florianus-Legende ins Auge (oben S. 289 ff.) und
hatte Ende August den i. Teil beinahe fertig (Glossy a. a. O.
S. 399)5 machte sich dann an die Abschrift, und wollte Ende
Oktober den 2. Teil beginnen (ebd. S. 399), von dem im Januar 1807
ein Viertel fertig vorlag (ebd. S. 400). Im März 1808 hatte sie
den „Agathokles" vollendet, er gefiel ihr aber nicht recht, trotz
des Guteil, das darin lag (ebd. S. 405). Sie wollte das Urteil der
Welt erwarten, doch fürchtete sie, es werde ihr „in diesen Zeiten
literarischer Gärung so gehen, wie es den Moderantisten überall
ergeht — sie stoßen bei jeder Partei an und befriedigen keine" (ebd.
S. 405)., Ihr Plan war, da ihr Mystik ebenso widerstrebte wie Ver-
standeskälte, „die geoffenbarte Religion ohne Mystizismus in ihrer
pathetischen, moralischen und segenreichen Größe darzustellen,
den Einfluß zu schildern, den sie auf die Menschheit hatte, das
Charakteristische, wodurch sie sich von der heidnischen auszeich-
net," darzulegen, obwohl sie im voraus wußte, „daß die Mystiker
mich viel zu kalt und die Vernunftmenschen mich viel zu närrisch
finden werden" (ebd. S. 405). Im Mai 1808 lag der Agathokles
endlich gedruckt vor (ebd. S. 409) und die Kritik bemächtigte
sich seiner.
Eine der eingehendsten Rezensionen erschien 1809 anonym
(Annalen der Literatur und Kunst in dem österreichischen Kaiser-
thume. Wien 1809. I, S. 90 ff.). Diese bezeichnete die Idee, einzelne
Menscliengeschicke in eine große Zeit zu stellen und in deren
Leben auf historischem Hintergrunde gleichsam das Leben der
ganzen Zeit zu schildern, als eine glückliche. Die Notwendigkeit
der christlichen Religion soll gezeigt werden, also- liege ein Ver-
standeszweck vor, aber da die Religion pache des Herzens sei, so
verbinde sich der poetische Zweck sogleich damit. Der Dichterin
ist es gelungen, die Heilsamkeit des Christentums anschaulich zu
machen, wobei sie gute und edle Christen schildert. Die Personen
sind bis auf Konstantin erdichtet, und letzterer in seinem Charakter
trefflich gezeichnet. Auch Agathokles, in dessen Wesen Vernunft
und Gefühl in schönem Bunde stehen, ist gut gedacht und durch-
geführt. Dem Kritiker scheinen zu viele Liebschaften im Romane
zu sein, und der überflüssigsten eine die Episode von Florianus
und Valeria (S. 92), die ja tatsächlich (vgl. oben) nur einem Zufall
ihre Aufnahme verdankte. Larissa fesselt, „nur sollte sie in der
Todesstunde ihres Mannes nicht platonisieren" ; neben Larissa ge-
fällt Junia Marcella dem Rezensenten am besten. Die Ereignisse
haben größtenteils Wahrscheinlichkeit für sich, die Handlungen
und Begebenheiten sind „gut ineinander verschlungen und die
Entwicklung geht mit Ordnung und Klarheit vor sich", so daß
das Werk „von einem verständigen, kunst erfahrnen Geist" zeuge.
Die Briefform war am Platze, nur läßt sich in ihr das Bild der
alten Zeit nicht rein ausprägen. Die Sprache ist rein und schön,
den einzelnen Charakteren entsprechend. Die Briefe der Larissa
sind besonders durch ihre Verbindung von Naturschilderung mit
Gemütsstlmmung gelungen.
Allmählich setzte sich „Agathokles" durch. L. L. Haschka war
begeistert davon und schrieb seinem Freunde Reinhold (12. No-
vember 1808: Robert Keil, Wiener Freunde 1784 — 1808. Wien
1883. S. 98): „Und nun werde ich Dir ein Buch nennen, zwar
nur einen Roman, zwar nur von einer Frau geschrieben, den aber
gelesen zu haben, sich ein Mann von meinem Alter und ein Philo-
soph von Deinem Range nicht nur allein nicht schämen darf, son-
dern sich sogar rühmen mag: es ist Agathokles . . ." Goethe, wenn
auch gegen die Tendenz und betreffs der Frauen Larissa und
Calpurnia anderer Meinung, versagte seine Anerkennung nicht
(oben S. 393 f. mit Anm. 673). August Graf von Platen-Haller-
münde schrieb 18 13 in sein Tagebuch (Die Tagebücher des Grafen
August von Platen. Herausgegeben von G. v. Laubmann und L. v.
Scheffler I [Stuttgart 1896], S.77) folgende bemerkenswerte Worte:
„Ich habe heute den ,Agathokles' der Karoline Pichler gekauft.
Wenn ein Roman in Hinsicht auf Inhalt, Ausführung, Moralität
und Darstellung gerühmt zu werden verdient, so ist es dieser. Der
Stil hat alle Vorzüge. Die Verfasserin weiß uns noch dadurch be-
sonders an das Interesse ihres Helden zu fesseln, da die Größe
seiner Tat noch durch die Folgen erhöht wird, deren wohltätige
Wirkung gleichsam auf uns noch übergeht. Die einfach richtige
Entwickelung des Lebens der Alten, die Gegeneinanderstellung
zweier weiblicher Charaktere, mit so viel Feinheit und Menschen-
kenntnis gezeichnet und die reine, christliche Moral, die das Ganze
durchzieht, sind große Vorzüge dieses Buches. Die Briefform wird
für den Roman immer die beste bleiben, da sie uns in das Innerste
des Herzens sehen läßt und wir die handelnden Charaktere besser
erkennen, als in der weitläufigsten Schilderung des erzählenden
Stils." Heinrich von Collin ist voll des Lobes (vgl. Anm. 436).
„Agathokles" wurde Pichlers berühmtester Roman. Madame
Montolieu übersetzte bzw. bearbeitete ihn in französischer Sprache
(vgl. II, S. 175 f. mit Anm. 297)5 ihre Ausgabe erlebte 4 Auf-
592
lagen (Agathocles ou Lettres ecrites de Rome et de Grece au
conimencement du quatrieme siecle. 4 vols. Paris 18 12; * Paris
18 13; 'Paris 1817; *3 vols. Paris 1826, — Vgl. Bibliographie de
la France 1812, S. 290, Nr. 198 1; 1813, S. 328, Nr. 2166; 1817,
S. 690, Nr. 4051; 1826, S. 915, Nr. 6775). Nach dieser Bearbeitung
übersetzte den Roman Giovanni Rasori 18 12 ins Italienische
(II, S. 176 mit Anm. 299). Jens Ernst Wegener übertrug ihn ins
Dänische (Agathokles. 3 Bde. Kjoebenhavn 1820 — 1821: Chr.
V. Bruun, Bibliotheca Danica IV [Kjoebenhavn 1902], Sp. 469) und
Dorothea Dunckel verarbeitete ihn zu einem Drama (Agathokles.
Sorgespei i fem Handlingar; efter Fru C. Pichlers roman af samma
namn. In: Dramatiska och Lyriska Försök. Heft i. Götheborg
1828: Katalog des Britischen Museums). 1817 erschien ein anony-
mes Gedicht „Die Geisterstimme des Agathokles" (Abendunter-
haltungcn für den Winter, Wien 18 17. S. 396 ff.*), das an eine
Episode des Romans (Agathokles verspricht Theophania ihr aus
der Geisterwelt Nachricht zu geben: Brief 45 in Band III,
[Wien 1813], S. 309) anknüpft.
Was Erzherzogin Sophie von Österreich 1827 Karoline Pichler
über den „Agathokles" in das von ihr gespendete Album schrieb
(II, S. 243), das war die Ansicht der großen Menge der Leser,
von denen Pichler viele Zuschriften erluelt, welche erzählten, daß
„manches leidende Gemüt Trost, manches zweifelnde Ruhe" dar-
aus schöpfte (vgl. II, S. 410). Wer das Werk las, der war „mit der
innigsten Hochachtung und Dankbarkeit gegen die würdige Ver-
fasserin für die aus demselben geschöpfte Beruhigung und Befesti-
gung im materiellen Gange des Lebens und Vertrauens zu der
höhern Weltenhand erfüllt" (Hormayrs Archiv XIX [Wien 182S],
S. 542). Karoline Pichler selbst schilderte in einem Briefe an
Matthisson, der ebenfalls ein sehr vorteilhaftes Urteil über den
Agathokles fällte, am 26. März 1829 den Eindruck, den der „Aga-
thokles" machte (Friedrich von Matthissons Literarischer Nachlaß
nebst einer Auswahl von Briefen seiner Freunde IV [Berlin 1832],
S.2i6ff.):
„Diesem ,Agathokles* habe ich manches angenehme Gefühl,
manche lohnende Anerkennung, wenngleich wenig so ehrenvolle
wie die Ihrige zu danken. Er hat mir in der Ferne unbekannte
Herzen genähert, und mir wohlwollende Gesinnungen bei völlig
Fremden, die ich nie sah und nie sehen werde, erweckt. Schon
darum mußte dieß mein fast ältestes Kind nur auch eins der lieb-
•) In diesen „Abendunterhaltungen" steht auch der Erstdruck
von K. Pichlers Novelle „Carls des Großen Jugendliebe" (S. 130 ff,
= S. W.2 XXVIII, S. 245 ff.).
38 c. p. I 593
sten sein, wenn es nicht auch sonst so manche Gesinnung, manche
Ansicht in ernsten Dingen enthielte, welche ich mit Liebe und
Fleiß darin niedergelegt habe. Mit großem Eifer habe ich an diesem
Werke gearbeitet, und meine besten Stunden dabei genossen, wie
denn überhaupt, die Zeit ausgenommen, welche ich meiner Familie
und namentlich jetzt mit den lieblichen Kindern meiner Tochter
hinbringen kann, meine seligsten Stunden immer die am Schreib-
tische waren und sind. Freilich würde der ,Agathokles', wenn er
jetzt erschiene, vielleicht die günstige Aufnahme, die ihm vor
zwanzig Jahren wurde, nicht finden. Man macht jetzt ganz andere
Forderungen an den geschichtlichen Roman, er soll nicht bloß
keinen Verstoß gegen den Geist der Zeit, in welcher die Hand-
lung vorgeht, enthalten, er soll ein lebhaftes und treues Gemälde
jener Zeit, ihrer Sitten, Denkart und der Charaktere sein, welche
sie hervorbrachte. Das alles ist freilich der ,Agathokles' nicht und
vielleicht wird es überhaupt keiner Frau geUngen, einen solchen
geschichtlichen Roman zu schreiben, wie wir sie aus Männer-
händen jetzt mehrfach empfangen haben."
Was KaroUne Pichler mit dem letzten Satze voraussah, erfüllte
sich. Der einst so vielgefeierte und gelesene Roman geriet, da er
kein eigentlich historischer Roman im Sinne Scotts, sondern ein
Tendenzroman war, immer mehr in Vergessenheit, und heute
bietet er nur mehr historisches Interesse. Schon Charlotte Schiller
hatte 1815 die Schwäche des Agathokles, „ein wundersames Ge-
misch von Altem und Neuem", erkannt (Briefe von Schillers
Gattin an einen vertrauten Freund. Herausgegeben von Heinrich
Düntzer. Leipzig 1856. S. 237) und in den dreißiger Jahren be-
gann das Ablehnen ' dieses Romans. Zwar Wolfgang Menzel, der
sonst Karoline Pichler nicht freundüch gesinnt war (vgl. II,
Anm. 437f.), lobte ihn 1836 noch, da er ja selbst zu dieser Zeit be-
reits Reaktionär war, aber im gleichen Jahre äußerte sich J. Seid-
litz (Jeitteles) dahin, daß er heute nur mehr als Bekenntnis einer
Christin Aufsehen erregen würde. Heinrich Laube degradierte
ihn 1840 zur Damenunterhaltung und 1861 nannte ihn Rudolf
von Gottschall einen „FamiUenroman zur Erbauung edler Ge-
müter", der zwar einzelne treffliche Reflexionen und eine gute
Technik aufweise, der aber im ganzen genommen doch nichts
anderes als „eine erbauliche Vorlesung mit verteilten Rollen, ein
apologetischer Brief dialog, keine geschichtliche Theodicee" sei (vgl.
die Zusammenstellung all dieser Urteile bei Wurzbach XXII,
S. 25if.).
552^ Friedrich von Schlegel (1772 — 1829) traf von Dresden aus
am 22. Juni 1808 in Wien ein und stieg Landstraße Nr. 213 ab
(Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Wien
594
'',M
i8o8. S. 126); seine Frau folgte ihm am 31. Oktober (F. Muncker
in: Allgemeine Deutsche Biographie XXXI, S. 375), — Ursprüng-
lich für den Handelsstand bestimmt, ging er 1788 zur Wissen-
schaft über und hielt bereits 1800/ 1801 in Jena philosophische
Vorlesungen. Er suchte die einzelnen Dichter als nationale Er-
scheinungen aufzufassen, die in ihrem Volke und ihrer Zeit wur-
zeln, und schuf mit seiner „Lucinde" die Sinnlichkeitsphilosophie
der Romantik. 1802 zog er mit Dorothea Veit nach Paris, eheUchte
sie dort, kam über Köln und Dresden 1808 nach Wien, nachdem
er KathoÜk geworden, erhielt in Wien eine diplomatische An-
stellung (vgl. Anm. 557), nahm am Kriege des Jahres 1809 im
Hauptquartiere teil, verfaßte die meisten Proklamationen, gab
1810 den „Österreichischen Beobachter" heraus (Anm. 558) und
wurde Oktober 18 15 österreichischer Legationsrat beim Bundes-
tag in Frankfurt a. M. 1818 nach Wien zurückgekehrt, redigierte
er seine Schriften und arbeitete an kritischen Aufsätzen, auch
hielt er Vorlesungen (Wien 1828). Während einer solchen starb
er im Januar 1829 in Dresden (vgl. auch II, S. 246). Vgl. Goedeke
VI, S. I7ff. — Durch 5 Jahre Karolinens Hausgenosse (oben II,
S. 171, 181) hatte Schlegel mannigfache Beziehungen zur Pichler.
Nicht nur, daß sie seine Wiener Vorlesungen 1812 und 1828 be-
suchte (oben S. 387, 415; II, S. 347!.), teilweise auch in ihrem
Ferdinand II. berücksichtigte (II, S. 25), seinen etwas seltsamen
Alarcos las und zitierte (oben S. 302 ; II, 28 1 f.), seine berüchtigte
Lucinde vornahm (oben S. 302, 327), wiederholt in seiner Gesell-
schaft, sei es in seinem, in ihrem (II, S. 185) oder in Frau von
Matts Haus (oben S. 409) war, sondern sie schrieb, obwohl sie ihn
als Dichter unproduktiv fand (oben S. 301), für seinen „Beobach-
ter" (unten Anm. 558) und für sein „Deutsches Museum" (4 Bde.
Wien 1812, 1813: Goedeke VI, S. 24ff.; H. H. Houben, Zeit-
schriften der Romantik. Berlin 1904. Sp. 216 ff.) Aufsätze und zwar:
I. (Wien 1812), S. loiff. : Johann Hunniady Corvin (Gedicht
= S. W.2 XVI, S. 228 ff.). Vgl. noch Anm. 678 c, a. — III. (Wien
1813), S. i4off. : Scenen aus dem Trauerspiel Germanicus (II. Akt,
Sz. 5; IV. Akt, Sz. 1,2). Vgl. Anm. 682. — IV. (Wien 1813),
S. 175 f.: Vor dem Gemähide des Herrn Peter, in der Kunstaus-
stellung der k. k. Akademie zu Wien: Kaiser Maximilian der Erste,
wie er seine Braut, Maria von Burgund, zu Gent empfängt (2 So-
nette = S. W.2 XVI, S. 95 f.). Vgl. Anm. 67%^, a.
^ Lucinde. Ein "Roman von Friedrich Schlegel. Erster (ein-
ziger) Theil. Berlin 1799. Das Buch löste eine große Anzahl
Schriften für und wider und Nathahmungen aus (Goedeke VI,
S. 2if., Nr. 20). Die darin gepredigte freie Liebe erregte Auf-
sehen (vgl. noch oben S. 302).
38* 595
"*) Dorothea Schlegel (1763— 1839), die Tochter des Philo-
sophen Moses Mendelssohn, heiratete frühzeitig (1778) den Kauf-
mann Simon Veit, verließ ihn aber 1798 Friedrich Schlegels wegen
den sie 1804 in Paris heiratete und mit dem sie in Paris, Köln
und Wien lebte. Sie war über den Protestantismus (1804) 1808
Katholikin geworden. Von i8o8 — 1830 (September) weilte sie mit
Ausnahme zweier Jahre (April 18 18 bis Juli 1820), die sie in Rom
bei ihrem Sohne Philipp Veit verbrachte, in Wien, still und fromm,
in angenehmer Häuslichkeit. Sie versammelte in ihrem Hause die
Spitzen der geistigen Aristokratie und unterhielt zu dem Klemens
Hoffbauer-Kreis rege Beziehungen. Die Schriftstellerei, die sie
früher gepflegt (vgl. auch II, S. 183), übte sie nicht mehr aus,
sondern widmete sich ganz der Häuslichkeit, was die Pichler be-
sonders an ihr zu loben fand (oben II, S. iSzf., 189^), und der
Liebe zu ihrem Gatten, der ihr aber nicht immer Treue mit Treue
vergalt (oben II, S. 182; Pichler, S. W.2 LIII, S. 231, 232). Sie
kränkelte auch wiederholt. Nach dem Tode ihres Gatten (11. Ja-
nuar 1829), der ihr sehr nahe ging (oben II, S. 248 f.), übersiedelte
sie September 1830 zu ihrem Sohn Philipp Veit nach Frank-
furt a. M., wo sie ihre Tage beschloß. Sie war in Wien eine heitere,
hingebende, gütige, unschöne, aber geistreiche Frau, die mit der
sinnlich leidenschaftlichen „Lucinde" eigentlich nichts mehr zu
tun hatte. Vgl. Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Bio-
graphie XXXI, S. 372 ff.; Goedeke VI, S. 27f.; S. Hensel, Die
Familie Mendelssohn. I ^° (Berlin 1900), S. 42ff. (mit manchen
irrigen Daten); Ludwig Geiger, Dichter und Frauen I (Berlin 1896),
S. 128 ff. Über Dorothea Schlegel in Wien handelt eingehender,
wobei auch K. Pichler benützt wird, Margareta Hiemenz (Dorothea
V. Schlegel, Freiburg i. B. 191 1. S. 109 ff.).
556) Der Mediziner Karl Friedrich Burdach schildert 18 10 Fried-
rich Schlegel mit (Rückblick auf mein Leben. Leipzig 1848. S. 43):
„fettes, glänzendes Gesicht mit der pfäffischen Salbung, von wel-
cher er zu triefen schien." Das stark Einseitige für religiöse Meinun-
gen hebt 181 1 auch Wilhelm von Humboldt an Friedrich von
Schlegel hervor (Ansichten über Ästhetik und Literatur. Heraus-
^gegeben von F. Jonas. Berlin 1880. S. 124), doch spricht er ihm
Tiefe und Originalität zu, während er an Wilhelm August Schlegel,
der in allem um die Sache herumgeht, den Mangel an Tiefe und
Originalität festlegt. Nach Haschka (Robert Keil, Wiener Freunde
1784 — 1808. Wien 1883. S. 102) gebärdete sichWilhehn in Gesell-
schaft vornehm, einsilbig, absprechend und pedantisch, während
Friedrich Schlegel (S. 103), den Karl Friedrich Freiherr Kübeck-
von Kübau (Tagebücher I [Wien 1909], S. 271) bis 1809 für einen
sinnlichen und feigen Menschen hielt, dem er aber später ein
596
Ringen nach Überzeugung und Wahrheit zubilligt, als gesetzt,
anspruchslos und wirklich gründlicher und vielseitiger Gelehrter
hingestellt wird, der „seine Meinung offen und frei, ohne Dreistig-
keit, ohne Rechthaberei, ohne irgendeine Zudringlichkeit" sagt.
Haschka sagt weiter: „In meinem Leben hätte ich in diesem
ernsten, ordentlichen, gesitteten Menschen nicht den Verfasser
der Lucinde vermutet." Eine Charakteristik beider Brüder, die
mit der obigen (S, 312 und Szyf.) übereinstimmt, gibt K, Pichler
bereits früher in ihrem Nekrolog der Dorothea Schlegel (S. W.^
LIII, S.224f.).
556^ Eine ganz ähnliche Charakteristik der Dorothea v. Schlegel
entwarf Karoline Pichler im Nekrolog auf sie (S. W.^ LIII, S. 225 f.).
Auch deren gesellschaftliche Talente (oben S. 329) hob sie in diesem
Aufsatze bereits gehörig hervor (S. W.^ LIII, S. 227) und gelangte
zum Schlüsse, daß Frau Schlegel „die liebenswürdigste Frau vom
Hause war, die man finden kann". Karoline Pichler war Dorothea
in langjähriger, aufrichtiger Freundschaft zugetan, trotzdem diese
eine norddeutsche Frau und Schriftstellerin war (II, S. 28), die
Karoline sonst haßte, denn Dorothea hatte den großen Reiz der
Häuslichkeit, den Karoline so sehr liebte, an sich. (II, S. 189 f.;
S. W.2 LIII, S. 227f.), und war ihr völlig gleichgesinnt (oben
S. 402). Auch Dorotheas frommer Sinn zog sie an, und als Karo-
linens Tochter 1824 nach Prag übersiedelt war und Schlegels in
Pichlers Haus einzogen, "da klammerte sich Karoline mit ganzer
Seele an Dorothea, die ihr Trost zusprach, verbrachte beinahe
jeden Abend bei ihr und lernte sie nun völlig kennen und verstehen
(II, S. 181, i82f., 221; S. W.2 LIII, S. 229f.). Schon 181 1 hatte
Dorothea den Sommer in Karolinens Nähe verbracht (oben S. 381,
382; S. W.* LIII, S. 229) und waren hier beide einander nahe-
gekommen. Nach ■ Friedrich Schlegels Tod (Januar 1829) über-
siedelte Dorothea zu Klinkowström (II, S. 251 mit Anm. 424) und
im September 1830 zu ihrem Sohne Philipp Veit nach Frankfurt.
Ein Briefwechsel zwischen Karoline und Dorothea entspann sich,
und als letztere 1839 starb, da erhielt erstere, die dieser einen war-
men Nachruf widmete (II, Anm. 311), testamentarisch Dorotheas
Kommunionbuch (Pichler, S. W.^ LIII, S. 223).
^^) Friedrich von Schlegel, seit dem Sommer 1808 in der Staats-
kanzlei in Preßangelegenheiten beschäftigt, wurde am 28. März 1809
zum Hofsekretär in der Staatskanzlei ernannt (J. M. Raich, Doro-
thea Schlegel I [Mainz 188 1], S. 331, 341). — Der Abendgesell-
schaften bei der Schlegel gedenkt Karoline Pichler auch sonst noch
(II, S. 182 f.; S. W.* LIII, S. 230), lernte sie doch hier viele Leute,
darunter besonders die Humboldts (Karoline, Wilhelm und Alexan-
der) kennen (oben S. 384, 413; II, S. 26, 83, 225).
597
"*) Der Österreichische Beobachter für das Jahr 1810. Wien.
2 Bde. Zuerst (1810) von Friedrich Schlegel, später von Pilat
redigiert; es nahmen Friedrich von Gentz, Adam Müller, Hülse-
mann u. a. vperktätigen Anteil daran. Zunächst neben der Politik
auch die Literatur pflegend, segelte die Zeitung später ganz im
politischen Fahrwasser der auswärtigen Kanzlei Metternichs. Der
erste, unter Schlegels Redaktion erschienene Jahrgang enthielt
literarische „Beilagen"; in diesen veröffentlichte (Nr. 5) Karoline
Pichler ihren Nekrolog auf Josef Köderl. Der zweite Jahrgang
brachte ein Gedicht der Pichler (vgl. Anm. 620). Über Schlegels
Beteiligung am „Österreichischen Beobachter" vgl. man L. Geiger,
Jahrbuch der Grillparzer- Gesellschaft XVI. (Wien 1906), S. 295 ff.
— Dem Beobachter ging 1809 in 52 Nummern vom 24. Juni bis
16. Dezember 1809 die ebenfalls von Schlegel gegründete „Öster-
reichische Zeitung" voran (Geiger a. a. O. XVI, S. 295).
"*) Preußen war am 14. Oktober 1806 in der großen Doppel-
schlacht bei Jena und Auerstädt vernichtend aufs Haupt geschlagen
worden und der Friede von Tilsit (7. — 9. Juli 1807) raubte ihm
einen großen Teil seines Landbesitzes.
**") Über Collins „Lieder Österreichischer Wehrmänner" (Wien
1809) haben R. F. Arnold und Karl Wagner (Achtzehnhundert-
neun. Wien 1909, S. 321 ff.) alles Wissenswerte in eingehender
Weise zusammengestellt. Bemerkt sei nur, daß der, von der Pichler
erwähnten öffentlichen Aufführung am 2. April (Ostersonntag) im
Redoutensaale bereits am 25. und 28. März Aufführungen voran-
gegangen waren (Arnold-Wagner, S. 334ff.), während am 16. April
die letzte Aufführung folgte (ebd. S. 337). Karoline Pichler war
von den Liedern zu Tränen gerührt (oben S. 190).
^^) Das Patent zur Organisation der Landwehr für Österreich
erging bereits am 9. Juni 1808 und Ende August war die Organisie-
rung vollendet. Erzherzog Johann stand an der Spitze, der Adel
und die Bürger drängten sich um die Fahnen, ein guter Geist und
Begeisterung herrschten allenthalben. Am 3., 4. und 5. März 1809
stellten sich die 6 Wiener Landwehrbataillone in der Stärke von
ca. 6000 Mann zur Musterung auf das Glacis, vom 6. — 8. März er-
hielten sie Gewehre und zwei Feldpater, am 9. März fand die
Fahnenweihe bei St. Stephan statt, wobei die Kaiserin Maria
Ludovica anwesend war, und am 10. März erfolgte der Abmarsch
über Klosterneuburg und Korneuburg zur Armee; vgl. (Alois
Edler von Bergenstanam) Materialien zur Geschichte der Öster-
reichischen Landesvertheidigung, insbesondere der Landwehr.
Wien 1809. S. 49 ff.; Geusau, S. 41 ff.; Wertheimer, S. 9ff.; Glossy,
S. 42ff.; Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. 267ff. —
Karoline Pichlers Aufsatz „Über den Volksausdruck in unserer
598
Sprache: Ein ganzer Mann. 1809" (Vaterländische Blätter für
den österreichischen Kaiserstaat. Wien 1809. S. 175 ff. = S.W.*
XVII, S. I46ff.) ist ein begeisterter Ruf an die Bürger, Soldaten,
an die Soldaten, Bürger zu sein, daß alle ganze Männer seien.
Sie wendet sich darin gegen die stehenden Heere, da ihr nur das
Volksheer (die Miliz) das Richtige zu sein scheint, um ganze Män-
ner hervorzubringen. — Außerdem enthalten die „Vaterländischen
Blätter" noch von Karoline Pichler: i. 1809, S. 81 — 83: Die Tropf-
steinhöhle zu Blasenstein (= S. W.^ XVII, 8,45 ff.). — 2. 1809,
S. 103 f. Kaiser Ferdinand der Zweyte (Nachdruck; vgl. Anm. 565).
— 3. 1810, S. 192 ff. : Über die Bildung des weiblichen Geschlechtes
(= S. W.2 XVII, S. i58ff.). — 4. 1810, S. 286ff.: Joseph Köderl
(Nachdruck; vgl. Anm. 558).
582) Johann Ernst Graf von Hoyos-Sprinzensteln (J779 — 1849),
Feldmarschalleutnant und Ritter des goldenen Vließes, trat 1809
in die österreichische Landwehr, wurde bald Kommandant des
von ihm ausgerüsteten Bataillons und ging 18 15 als Oberst zur
Armee. Seit 1821 Geheimer Rat, wurde er 1848 Befehlshaber
der Wiener Nationalgarde, war aber als solcher in seinen Hand-
lungen nicht glückUch. Vgl. Wurzbach IX, S. 346 f.
563) Maximilian Josef Freiherr von Somerau-Beeckh (i 769 — 18 5 3),
der letzte seines Stammes, war der Sohn der Clara von Summern
und des Gottfried Wilhelm von Somerau-Beeckh, diente zuerst
bei der Kavallerie, wurde 1797 Priester und war dann Koopefator
in Pillichsdorf, Hernais, Matzleinsdorf und auf der Wieden; 1809
wurde er Feldpater der drei ersten Wiener Landwehrbataillone
und hielt bei deren Fahnenweihe, da er ein glänzender Redner
war, die Festrede. 18 10 Pfarrer der Leopoldstadt, 18 13 Domherr
in Olmütz, 1827 Propst der Stadtpfarre daselbst, 1831 Dompropst
geworden, erwählte ihn das Domkapitel 1836 zum Fürsterzbischof
von Olmütz. Er erwarb sich als solcher große Verdienste um die
Verwaltung seiner Diözese und um seine Diözesanen, welches
Wirken von Kaiser und Papst anerkannt wurde. 1850 wurde er
zum Kardinal ernannt. Vgl. Wurzbach XXXV, S. 265 ff.
5^) Das Dragonerregiment Nr. 8 (Dampierre) übte sein Regi-
mentsprivilegium, mit klingendem Spiel durch die Stadt in die
Burg zu reiten und dort das Werbezelt aufzuschlagen, zum letzten-
mal am 8. März 1809 aus; Erzherzog Karl ritt damals an dessen
Spitze durch die Stadt. Aus diesem Anlaß wurden mehrere Ge-
legenheitsgedichte, darunter auch eines von der Pichler, in Druck
gelegt und unter die Mannschaft verteilt. Vgl. Eduard Freiherr
von Tomaschek, Geschichte des k. k. Dragoner-Regiments Nr. 8.
Wien 1889. S. 293 f.; Geusau, S. 39 f. — Wenn Karoline Pichler
(oben S. 333) von zwei Prinzen Liechtenstein berichtet, die sich
599
anwerben ließen, so dürfte dies nicht ganz richtig sein, denn Lulu
Gräfin Thürheim (Mein Leben I, S. 267) meldet, daß nur der
junge Prinz Karl Liechtenstein (1790 — 1865), später General der
Kavallerie, Geheimer Rat und Obersthofmeister (Wurzbach XV,
S. 163 ff.) nebst einem andern Edelmanne sich bei den Werbern
einfand.
^ Kaiser Ferdinand der Zweyte. Als am 8. März 1809 das
Cavallerie-Regiment Hohenzollern durch die Stadt über den Burg-
platz zog. Von Carolina Pichler, gebornen von Greiner. Wien 1809.
8". 4 ungezeichnete Blätter (Stadtbibliothek). — Danach gedruckt:
Pichler, S. W.« XVI, S. 213 ff.; Tomaschek a.a.O., S. 775 ff.;
Arnold-Wagner, Achtzehnhundertneun. Wien 1909. S. io2ff.,
Nr. 62 und 362 ff. (Erläuterungen); vgl. nochAnm. 561 und 678a, a).
— Karoline Pichler berichtet in diesem Gedichte von der Rettung
Kaiser Ferdinand IL durch das Regiment Dampierre, ein Er-
eignis, das sie später in ihrem Theaterstück „Ferdinand IL" ver-
wertete (vgl. II, S. 431, Anm. 70). Ihre Quelle war Hormayrs
Plutarch (Arnold-Wagner, S. 364) und mündUche Tradition (vgl.
II, S. 38).
^^) Der Direktor des geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchivs
Josef Freiherr von Hormayr hatte, seitdem Tirol an Bayern ab-
getreten worden war, eine fieberhafte Tätigkeit in Wort und
Schrift entfaltet, um zu beweisen, daß Tirol zu Österreich gehöre
und um das Anhänglichkeitsgefühl seiner Landsleute an die Habs-
burger wach zu erhalten. 1808 führte er die geheimen Verhand-
lungen mit den Tiroler Führern und entwarf den Plan zur Be-
freiung Tirols. Er wurde Erzherzog Johann als administrativer
Oberleiter für Tirol beigegeben und verfaßte als solcher die meisten
Manifeste und Proklamationen. Daß der Aufstand in Tirol so
glänzend gelang, ist ein Hauptverdienst Hormayrs. Vgl. K. Th. Hei-
gel in: Allgemeine Deutsche Biographie XIII, S. I3if. — Der
Karfreitag des Jahres 1809, an dem Hormayr von Wien abging
(oben S. 333), fiel auf den 31. März.
^^') Die Kriegsandachten, die am 17. April begonnen hatten,
waren am 24. April 1809 mit einer feierlichen Prozession, die von
St. Augustin über alle Stadtkirchen zu St. Stephan unter Führung
des Wiener Erzbischofs und unter Beisein der Kaiserin, des Kron-
prinzen, einiger Erzherzöge, der Spitzen des Stadtmagistrats ging,
abgeschlossen worden (A. Ritter v. Geusau, Historisches Tagebuch
aller merkwürdigen Begebenheiten, welche sich vor, während und
nach der französischen Invasion der k. k. Haupt- und Residenz-
stadt in dem Jahre 1809 zugetragen haben. Wien 1810. S. 57f.,
60 f.; Tagebuch des M. Perth: K. Glossy in: Wiener Neujahrs-
Almanach 1900, S. 53f., 55; Briefe der Dorothea Schlegel: J. M.
600
Raich,Dorotheav. Schlegel I [Mainz 1881], S.344, 349; K.A. Schim-
mer, Die Französischen Invasionen in Österreich und die Franzosen
in Wien in den Jahren 1805 und 1809. Wien 1846. S. 67, 243 f.).
Alles war guter Dinge, war doch am selben Tag die Nachricht von
einem Siege eingetroffen (Eduard Wertheimer, Zur Geschichte Wiens
im Jahre 1809. Wien 1889. S. 14). Doch bald folgte das Dementi,
man erfuhr von den Niederlagen bei Abensberg (20. April), Lands-
hut (21. April), Eckmühl (22. April) und Regensburg (23. April).
Tiefe Niedergeschlagenheit trat ein und von allen Pfarren Wiens
und der Umgebung fanden am 28. April feierliche Prozessionen
unter Vorantragung des Hochwürdigsten zur Stephanskirche statt
(Geusau, S. 69; Schimmer S. 72; Wertheimer S. 15), welche um
Sieg flehten.
ä^) Am 24. April 1809 rückte Erzherzog Karl mit dem Gros
seiner Armee im Angesichte des Feindes, unter dem Schutze der
Artillerie und Kavallerie bei Regensburg über die Donau und zog
sich nach Böhmen zurück. Dadurch war für Napoleon der Weg
nach Österreich und Wien offen, denn der abgeschnittene linke
Flügel unter Hiller war zu schwach, erfolgreichen Widerstand
zu leisten, um so mehr, als die beabsichtigte Vereinigung mit
Erzherzog Karl bei Linz unterblieb und Hiller bei Ebelsberg ge-
schlagen wurde. Vgl. Schimmer, S, 68 ff.; Wertheimer, S. 15 f;
Geusau, S. 66 f.
569) Jeremias 31,9: Ich will sie leiten an den Wasserbächen (mit
Trost göttlichen Worts). — Die Gedanken, welche K. Pichler hier
über den Stephansdom ausspricht, treten uns auch in einem ihrer
Gedichte entgegen (vgl. II, Anm. 409).
5^°) Ein Teil der kaiserlichen Familie reiste bereits am 29. April
nach Ungarn ab, ebenso ging am gleichen Tage ein großer Teil
der Hofschätze ab; das Gefecht bei Ebelsberg (3. Mai) veranlaßte
am 4. Mai die Kaiserin Maria Ludovica, mit der Erzherzogin
Maria Luise Wien zu verlassen, und am 7. Mai wurden das Haus-,
Hof- und Staatsarchiv, das Archiv des Hofkriegsrates, die Staats-
kassen und die Kasse des^ magistratischen Depositenamtes nach
Ungarn geführt. Vgl. Schimmer, S. 72, 73, 76 f.; Geusau, S. 69,
82, 83, 93; Glossy, S. 57.
^'^) Erzherzog MaximiUan hatte es schon Ende April beim
Kaiser durchgesetzt, die Stadt Wien bis zum Eintreffen der Haupt-
armee zu verteidigen. Obwohl der Magistrat und Erzherzog
Rainer dagegen waren, da sich diese von einer überhasteten Ver-
teidigung nur Schaden versprachen, blieb der Kaiser fest und
Erzherzog Maximilian erließ am 4. Mai eine Proklamation an die
Wiener, worin er sie aufforderte, an der Verteidigung teilzu-
nehmen und eine Art Landwehr zu organisieren. Bis zum 10. Mai
601
wiirde in fieberhafter Hast gearbeitet, der Hauptwall befestigt,
die Burgbastei mit Kanonen versehen, die Vorstädte preisgegeben,
die Zugbrücken der einzelnen Tore instand gesetzt, einzelne Donau-
brücken abgebrannt und die Verteilung der Truppen und Bürger-
miliz vorgenommen. Vgl. Schimmer, S. 74ff.; Geusau, S. 85 ff.,
9off.; Wertheimer, S. i6ff.; Glossy, S. 58 ff.
^'^) Gemeint ist Josefa Sölnwanger, die Mutter der Frau Kem-
pelen, welche am Breitenfelder Grund das Haus Nr. 12 besaß,
auf das sie am i. November 18 14 satzweise von Frau v. Greiner
500 fl. C M aufnahm (vgl. den Verlassenschaftsakt der letzteren
im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 12 ex 1815).
Nach dem Tode der Antonie von Kempelen (t 18 14) übernahm
sie die Erziehung von deren Sohn Ludwig (vgl. Anm. 405). Sie
selbst starb am 27. August 1824 zu St. Polten, wo sie auf Besuch
bei ihrer Enkelin Wilhelmine Czerny, geb. Rotter (vgl. über diese
Jul. Schneller, Hinterlassene Werke, I, [Leipzig 1834], S. 272; II,
S. 13) war (vgl. den Verlassenschaftsakt der Frau Sölnwanger im
Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II, Nr. 5053 ex 1824).
Frau Sölnwanger, Witwe nach einem k. k. Oberkommissär mit dem
Titel Regierungsrat, wohnte die letzten 15 Jahre ihres Lebens in
der Leopoldstadt (ebd.). — Ihre zweite Tochter war Josefa von
Rotter, die 1824 als Hauptmannswitwe im Verlassenschaftsakt ihrer
Mutter figuriert; Schneller (a. a. O., I, S. 269) nannte sie 1812
eine schöne Seele.
^'^) KaroUne Pichler spielt hier auf das Verhältnis der Frau
V. Kempelen zu Karl von Kurländer an (vgl. darüber oben Anm.
405). — Von „eben jene" bis „gefunden hatte" nur in der Hand-
schrift.
^'*) Über Pichlers Roman „Die Belagerung von Wien", vgl. II,
S. 175 mit Anm. 296 und II, S. 228.
*'^) Über Josefa Freiin von Richler s. oben Anm. 422; über
deren Schwestern Katharina und Nanette Porta vgl. oben Anm. 422
und unten Anm. 644. Über ihren Mann Leopold, der 1809 Kom-
mandant des I. Landwehrbataillons des Viertels unterm Wiener-
wald war, vgl. Anm. 422.
6'6) Über Anna Maria Baronin Engelhardt, deren Mann Franz
Xaver und deren Stiefsohn Alexander vgl. oben Anm. 426 und II,
Anm. 102. Über den Bruder Eugen Freiherrn von Bretton und
die Schwester Maria Ernestine der Frau Engelhardt vgl. man II,
Anm. 194.
^") Die Franzosen hatten am 10. Mai 1809 mit Tagesanbruch
von Schönbrunn aus die Vorstadt Mariahilf besetzt und verbreiteten
sich von hier aus weiter. Zweimal wurde Erzherzog Maximilian
von Seiten der Franzosen zur Übergabe der Stadt aufgefordert,
602
doch er gab eine hochmütige Antwort und ließ die Vorstädte
heftig beschießen, so daß man zur Vermeidung von Unannehm-
lichkeiten gezwungen war, die Kranken- und Versorgungshäuser
in den Vorstädten durch schwarze Fahnen vor den Freunden zu
schützen (Schimmer, S. 84; oben S. 34of.). Die Beschießung wurde
am II. Mai fortgesetzt und dabei besonders die Hof Stallungen
beschädigt. Nachdem die Franzosen bereits um 2 Uhr nachmit-
tags gegen die Burgbastei geschossen hatten, begannen sie abends
um 9 Uhr das allgemeine Bombardement. Vgl. Schimmer, S. 79 ff.;
Geusau, S. 105 ff.; Wertheimer, S. igf.; Glossy, S. 64ff. — Haupt-
mann Lorenz Barchetti, der mit seiner Kompagnie vom zweiten
Bürgerregiment gegen die Löwelbastei zu stand, wurde in der
Nacht vom 11. zum 12. Mai durch eine Granate schwer verwundet
(vgl. Schimmer, S. 89; Geusau, S. 129), starb aber nicht noch diese
Nacht, wie die Pichler meint, sondern erst am 15. Mai. Er war
bürgerlicher Bandfabrikant in Oberneustift Nr. 88, seit 12. Sep-
tember 1803 mit Katharina Mattei verehelicht und hinterließ
seinen vier Kindern (Anton, 4 Jahre; Katharina, 3 Jahre; Karl,
2 Jahre und Franziska, ^1^ Jahre) ein Vermögen von 6709 fl. 57 kr.
(vgl. seinen Verlassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landes-
gerichtes, Fasz. II, Nr. 3636 ex 1809), Sein Leichenbegängnis
fand am 17. Mai in feierlicher Weise statt, selbst Franzosen be-
teiligten sich daran (Schimmer, S. 89, Anm.; Geusau, S. 129). Er
■wurde am Schmelzer Friedhof beerdigt, wo heute' noch (Novem-
ber 19 12) sein Grabstein (Haupteingang, rechts) mit folgender
Inschrift zu sehen ist:
Dem tapfern Herrn
Lorenz Barchetti
Hauptmann im zweyten Wiener-
Bürger-Regiment
gewidmet ;
von seinen Cameraden.
Errichtet am 11. May 1847.
Die Gemeinde benannte ihm zu Ehren im 13. Bezirke eine Straße
mit „Barchettigasse" (Friedrich Umlauft, Namenbuch der Straßen
und Plätze von Wien. Wien 1905. S. 8). — Außer Barchetti
fielen dem Bombardement noch 16 Menschenleben zum Opfer
(Schimmer, S. 89f.; Geusau, S. i29f.).
^^^) Über die Beschießung Wiens in der Nacht vom ii. zum
12. Mai 1809, die um 9 Uhr abends von den Hof Stallungen aus
(Spittelberg) begann und infolge Munitionsmangels um I/23 Uhr
früh aufhörte, sowie über die Zerstörungen, die sie bewirkte, und
603
über die Feuersbrünste, die in der Stadt ausbrachen, vgl. man
Geusau, S. izöff.; Schimmer, S. 86ff.; Wertheimer, S. 20;
J. A. Freiherr von Helfert in : Die Kultur IX (Wien 1908), S. 45 1 ff.
*'^) Die Franzosen hatten es verstanden, zu gleicher Zeit, als
sie Wien bombardierten, beim Lusthaus im Prater eine Brücke
zu schlagen; alle Bemühungen der Österreicher, sich dieser Brücke
zu bemächtigen, schlugen fehl, und so entschloß sich Erzherzog
Maximilian, um nicht abgeschnitten zu werden, mit seinen Truppen
Wien über die Taborbrücke zu verlassen, und gab dem Platz-
kommandanten General Oreilly um ^24 Uhr morgens den Befehl,
eine vorteilhafte Kapitulation abzuschließen. Da der Magistrat,
die Hofkommission und die in Wien verbliebenen Generäle dafür
waren, so leitete Oreilly mit Andreossy die Verhandlungen ein
und eine Bürgerdeputation erschien bei Napoleon in Schönbrunn,
der ihr die größte Schonung Wiens versprach. Die Unterzeich-
nung der Kapitulation erfolgte am 12. Mai abends, die Aussteckung
der weißen Fahnen auf den Wällen war bereits um 2 Uhr nachts
vollzogen worden. Vgl. Geusau, S. 131 ff.; Schimmer, S. goff.;
Wertheimer, S. 21 ff.; Glossy, S. 66 f. — Ähnliche Gedanken wie
die Pichler betreffs der Nutzlosigkeit der Verteidigung Wiens
hatten auch andere, welche die ganze Sache als Gaskonade usw.
bezeichneten, vgl. Wertheimer, S. 25 f.
*^) Am 13. Mai um 7 Uhr früh marschierten die französischen
Grenadiere des Oudinotschen Korps als erste in Wien ein (Geusau,
S. 138; Schimmer, S. 93; Glossy, S. 68; Helfert a. a. O. IX, S. 454).
— Die Mißhandlung des Parlamentärs (Oberst Lagrange), und
nur diese kann Karoline Pichler im Auge haben, erfolgte bereits
vor der Übergabe der Stadt am Morgen (7 Uhr) des 10. Mai 1809,
und zwar beim Burgtor. Über die dabei obwaltenden Umstände,
seine Gefangennahme und Verwundung vgl. Geusau, S. 108 f.;
Schimmer, S. 80; Wertheimer, S. 19; J. M. Raich, Dorothea
V. Schlegel I, S. 358. Schönholz (Traditionen. Herausgegeben von-
G. Gugitz I [München 19 13], S. 205) setzt dies Ereignis auf den
14. Mai, also wie die Pichler nach der Kapitulation Wiens, läßt
aber fälschlich den Parlamentär töten. Ganz verworren ist die
Darstellung im Tagebuche des M. Perth (Glossy, S. 6if.). Zur
einzig richtigen Mitteilung bei Geusau stimmt die Biographie
des Obersten Ange-Fran?ois Le Lievre de Lagrange in „Nouvelle
Biographie generale (XXVIII [Paris 1859], Sp. 843).
681) Der Brotmangel hing damit zusammen, daß die Bäcker täg-
lich 58 000 Portionen an die französische Armee abliefern mußten
(Geusau, S. 142; Schimmer, S. 94). Betreffs der Einquartierungen
erschien am 15. Mai 1809 ein vernünftiger Befehl des Platzkom-
mandanten Generals Razout (Geusau, S. I47ff.); die Hausinhaber
604
hatten nach Verordnung vom 14. Mai die Bequartierten ent-
sprechend ihrem Range zu verköstigen (Geusau, S. 143 f., 152;
Schimmer, S. göf.). Vom 16. Mai ab zeigte sich neben dem Brot-
mangel noch Mangel an Fleisch und Milch (Geusau, S. 150, 153,
i54f.; Schinlmer, S. 97f.)k
582) Nach den Siegen bei Pordenone (15. April) und Sacile
(16. April) schlug Erzhepog Johann am 28. April 1809 den Vize-
könig Eugene Beauharnais und die italienische Armee bei Caldiero
entscheidend aufs Haupt, doch konnte er den Sieg wegen der
schlechten Nachrichten von der Hauptarmee nicht ausnützen und
mußte den Rückzug antreten (vgl. Hans von Zwiedineck-Suden-
horst, Erzherzog Johann von Österreich im Feldzuge von 1809.
Graz 1892. S. 4 ff.).
583) Kaiser Napoleon hielt am 14., 15. und 16. Mai Revuen auf
der Schmelz ab (Geusau, S. 153). Einer dieser Revuen wird Karo-
line Pichler beigewohnt haben, wahrscheinlich der am 16. Mai,
die besonders glänzend war (C. Bernd, in: Der Wiener Zuschauer.
Herausgegeben von J. S. Ebersberg. Wien 1846. S. 1172, nach
einem hds. Tagebuch, das mit dem Rosenbaums identisch sein
dürfte).
584) Der Tod des Obersten Freiherrn von Engelhardt erfolgte
im Hause der Pichler am 8. Mai 1809 (vgl. oben Anm. 426), also
zu einer Zeit, wo die Franzosen noch nicht in Wien waren, er
konnte daher nicht deren Kriegsgefangener sein (Pichler, S. 345).
Die Franzosen rückten erst am Tage des Leichenbegängnisses
(iQ. Mai) in die Vorstädte ein (Geuseu, S. 107), also auch nicht
am Tage Christi Himmelfahrt (11. Mai), wie die Pichler (S. 346)
meint, denn an diesem Tage begann bereits das Bombardement.
585) Über die, zwei Tage währende (21. und 22. Mai 1809)
Schlacht bei Aspern, wo Napoleon zum erstenmal besiegt wurde,
vgl. die eingehende Darstellung bei Moritz Edlen von Angell,
Erzherzog Carl von Österreich als Feldherr und Heeresorganisator
IV (Wien 1897), S. 287 ff. Daß der Sieg nicht ausgenützt wurde,
hatte keine geheimnisvollen oder anderen Gründe, wie Pichler
(S. 348) und viele andere (Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben I,
S. 3oof., 3ioff.) meinten, sondern war darin begründet, daß die
Eigenart des Terrains eIne.Vernichtung der Besiegten nicht zuließ,
waren doch die Donauarme hoch angeschwollen, und daß Napoleon
noch über eine starke Reserve verfügte, während die Österreicher
ihre ganze Armee ins Treffen gebracht hatten und außerdem
keine Munitionsreserve hatten (vgl. Angeli IV, S. 3 63 f.); ein ge-
planter Überfall auf die Lobau in der Nacht vom 23. auf den
24. Mai mußte, da er nicht genügend vorbereitet war, unter-
bleiben (Angeli IV, S. 365 ff.). Da Napoleon wieder rührig wurde,
605
so wurde am 25. Mai die gefährliche Stellung bei der Lobau ver-
lassen und die österreichische Armee hinter dem Riißbache auf-
gestellt (Angeli IV, S. SÖjff.). — Über die Anteilnahme der
Wiener an dieser Schlacht, die auf die Basteien beim Rotenturm-
und Stubentor, sowie auf Dächer und Türme eilten, um etwas
zu hören oder zu sehen, vgl. Geusau, S. 164. Napoleon verheim-
lichte den Wienern den Sieg der Österreicher und das 10. fran-
zösische Armeebulletin vom 24. Mai sprach von ungeheuren Ver-
lusten der Österreicher, aber von ganz geringen der Franzosen,
was direkt lächerlich war, nachdem seit dem 23. Mai ununter-
brochen französische Blessierte eingebracht wurden; doch er-
fuhren die Wiener den wahren Sachverhalt schon am 24. Mai;
vgl. Glossy, S. 73ff.; Schimmer, S. 103 ff.; Wertheimer, S. 3of.;
C. Bernd in: Der Wiener Zuschauer. 1846. S. 11 79 ff.; Helfert
a. a. O. IX, S. 459 ff.
^^) Franz Weber von Treuenfels, seit 1808 Feldmarschalleutnant,
wurde am 22. Mai tötlich verwundet, geriet in Kriegsgefangen-
schaft, wurde über eigenes Verlangen, nachdem er mit Napoleon
darüber gesprochen hatte, nach Wien transportiert und starb hier
am 23. Mai 1809. Sein Leichenbegängnis (25. Mai) fand mit miU-
tärischen Ehren statt. Vgl. Geusau, S. ijöf.; Schimmer, S. 106 f.
^'') Antoine Fran^ois Graf Andreossy (1761 — 1828), seit 1781
in Militärdiensten, wurde von Napoleon zum Leiter des Artillerie-
und Geniewesens und zum Divisionsgeneral ernannt. Von 1807
bis 1809 war er Gesandter in Wien, und als diese Stadt 1809 von
Napoleon in Besitz genommen wurde, deren milder Gouverneur.
Später war er Gesandter in Konstantinopel, zog sich aber unter
den Bourbonen ins Privatleben zurück und veröffentlichte eine
größere Anzahl historischer Werke, die ihm 1826 die Wahl in
die Akademie brachten. Vgl. Nouvelle Biographie generale II,
Sp. 583 f.; Thürheim, Mein Leben I, S. 315.
^ In den Spitälern befanden sich am 12. Juni ca. 20 000 Ver-
wundete, eine sehr große Anzahl auch in Privathäusern (vgl.
Geusau, S. 216). — Am 24. Juli brachten viele Schiffe Viktualien
nach Wien (Geusau, S. 276) und am 28. Juli hörte der empfind-
liche Brotmangel auf (Geusau, S. 279; Glossy, S. 102).
^^) Über die Schlacht bei Wagram (5. und 6. Juli 1809) vgl. den
eingehenden Bericht bei Angeli a. a. O. IV, S. 476 ff. — Über
die vielen Verwundeten (oben S. 350), die vom 6. Juli an nach
Wien gebracht oder in Mauer, Mariabrunn und anderen Orten
untergebracht wurden, vgl. Geusau, S. 256f., 260, 262, 265, 275,
281, 285; Glossy, S. 93; Schimmer, S. 124 f.; Helfert IX, S. 476 ff,
590J Wrede nahm am zweiten Tage (6. Juli) mit seinen Truppen
an der Schlacht bei Wagram teil und zwar im Zentrum. Er trieb
606
die Österreicher anderthalb Stunden weit zurück, wodurch der
Erfolg des österreichischen rechten Flügels aufgehoben wurde.
Ihm wurde ein Pferd erschossen, er selbst verwundet. Vgl. Johann
Heilmann, Feldmarschall Fürst Wrede^ Leipzig 1881. S. i56ff. —
Über das unhöfliche Benehmen dieser Bayern in Wien vgl. Glossy,
S. 93- .
591) Die moderne, objektive Forschung hat unter Berücksichti-
gung alles für und gegen Erzherzog Johann Sprechenden gezeigt,
daß dieser gar nicht früher als am 6. Juli nachmittags nach Ober-
Siebenbrunn kommen konnte, da ihm die Befehle zum Vorrücken
zu spät zukamen und diese zu wenig präzis waren, um seinen Vor-
marsch ohne Rücksicht auf die Kraft seiner Truppen und seiner
Artillerie zu forcieren. Als er am Schlachtfeld eintraf, da war der
Feldmarschalleutnant Franz Fürst Rosenberg mit dem linken
Flügel bereits im Zurückweichen und feine Vereinigung mit diesem
unmöglich, da Napoleon Davoust gegen Rosenberg gesendet hatte
und Davoust nun zwischen Erzherzog Johann und Rosenberg
stand. Vgl. die eingehende Schilderung und aktenmäßige Dar-
stellung bei Hans von Zwiedineck-Südenhorst, Erzherzog Johann
von Österreich im Feldzuge von 1809. Graz 1892. S. 136 ff.,
bes. S. I46f., 149, 150, i52ff. — Den Zeitgenossen, nicht nur
der Pichler (oben S. 350), war das Verhalten Erzherzog Johanns
ein Rätsel (Gräfin Lulu Thürheim, Mein Leben I, S. 312).
698) Über den Tod Josef von Kurländers vgl. man oben Anm. 386.
*9^) Strophe IV des Gedichtes „Die nächtliche Heerschau" von
J. Chr. Freiherrn von Zedlitz (Gedichte. Stuttgart 1832. S. 16)
mit einigen Abweichungen: i. kalten [tiefen; 2. Wohl unter
[Erstarrt in.
6'*) Am 14. August vormittags ^2^° ^^^ explodierte infolge der
Unvorsichtigkeit einiger Artilleristen das Pulverlaboratorium auf
der Schottenbastei, wobei mehrere zerplatzte Granaten bis in die
Stadt flogen. Der große Stadel auf der Bastei brannte ab und
eine Anzahl von Franzosen (ca. 120) verloren ihr Leben. Vgl.
Xeusau, S. 286; Schimmer, S. 128; Glossy,. S. 1 12 ff.; Helfert
a. a. O. X, S. 57.
"'*) Über die allgemeine, den Bürgern anbefohlene Illumination
am Abend des 15. August 1809, sowie über das am Glacis vor
den kaiserlichen Stallungen abends abgebrannte Feuerwerk, vgl.
man Geusau, S. 286ff.; Schimmer, S. 130; Wertheimer, S. 37f.
und Glossy, S. ii4ff.; Helfert a.a.O. X, S. 58f. — Die von
Karoline Pichler erwähnte Inschrift wird sonst in der Form „Zur
Weihe An Napoleons Geburtstag" (= Zwang) überliefert und soll
nach den einen in Mariahilf (Schimmer, S. 130), nach den anderen
m der Stadt beim roten Turm zu sehen gewesen sein Qulius
607
Leisching, Aus dem Tagebuche eines alten Wieners. Wien 1907.
S. 60 = Glossy, S. 120).
^^*) Jean Baptiste Nompere de Champagny, Herzog von Cadore
(1756— 1834), 1789 Deputierter, 1801 Gesandter in Wien, 1804
Minister des Innern und 1807 Minister des Äußern in Paris, 1808
Herzog von Cadore, 1809 Friedensunterhändler in Wien und
18 10 Vermittler in Napoleons Eheangelegenheit. 18 11 als Minister
•entsetzt, aber zum Senator und 18 14 zum Pair ernannt. Vgl.
Nouvelle Biographie generale IX, Sp. 620 ff.
5^') Clemens Lothar Wenzel Fürst Metternich-Winneburg
(1773 — 1859), ^^^ bekannte und vielfach verkannte österreichische
Staatsmann, von 1809 — 1848 Minister des Äußern und unum-
schränkter Herr von Österreich, war seit i8oi im diplomatischen
Dienst Österreichs zunächst in Berlin und dann in Paris (1806
bis 1809). 1809 behandelte ihn Napoleon als Gefangenen und
erst nach der Schlacht bei Aspern erlangte er die Freiheit. Er und
Champagny unterhandelten vom 17. August ab in Deutsch- Alten-
burg viele Wochen, ohne besonderen Erfolg. Metternich war
Napoleons grimmer Feind und trug viel zu dessen Sturz bei.
Vgl. Wurzbach XVIII, S. 23ff. — Später (1815) lernte Pichler
Metternich aus Anlaß der Zensurschwierigkeiten ihres Stückes
„Ferdinand II." persönlich kennen (II, S. 52 f.); sie war 1829
•über den Tod seiner Gattin Antonie betrübt (II, S. 250).
^88) Der Waffenstillstand wurde nach dem Gefechte bei Znaim
(11. Juli 1809) in dieser Stadt am 12. Juli 1809 auf einen Monat
abgeschlossen. Das betreffende Instrument enthielt 9 Artikel; vgl.
Geusau, S. 266ff. — Betreffs des Friedens herrschte in Wien zu
Ende des Juli 1809 große Ungewißheit, die einen glaubten daran,
andere nicht (Glossy, S. 102 f.), ebenso war es zu Anfang des
August (Glossy, S. 108, iio, 122). Die eigentlichen Friedensver-
handlungen begannen am 16. August, denn an diesem Tage reiste
der Minister Champagny zum Friedenskongreß nach Deutsch-
Altenburg (Geusau, S. 291; Schimmer, S. 131 f.; Glossy, S. 120),
doch wurde der Friede erst am 14. Oktober 1809 in Wien geschlos-
sen und um 4 Uhr nachmittags sowie am folgenden Morgen mit
je 100 Kanonenschüssen verkündet (Geusau, S. 313; Schimmer,
S. 137; Glossy, S. 141). Der Friedenstraktat, aus 18 Artikeln be-
stehend (Geusau, S. 321 ff.), bestimmte in § 3, daß Salzburg und
Berchtesgaden, ein Teil von Oberösterreich, Görz, Monfalcone,
Triest, Krain, der Villacher Kreis in Kärnten, die Länder rechts
der Save, Teile von Böhmen und Westgalizien an Frankreich und
seine Verbündeten abzutreten seien. — Am 16. Oktober verließ
Napoleon um 2 Uhr nachmittags Schönbrunn und reiste nach
Frankreich (Geusau, S. 314; Glossy, S. 142; Schimmer, S. 138).
608
:m
Am 25. Oktobefr wurde der Friedenstraktat allenthalben in Wien
angeschlagen (Geusau, S. 320; Glossy, S. 145; Schimmer, S. 140),
699) Dominique "V^vant Denon (1747 — 1825), Maler und Kimst-
historiker, war ursprünglich unter dto Bourbonen Diplomat und
dilettierte nebenbei als Maler. Ein Älfenthalt in Neapel führte
ihn zur Kupferstecherkunst. Nach dem Ausbruch der Revolution
kehrte er nach Paris zurück und schloß sich als Maler Napoleons
ägyptischer Expedition an. Napoleon ernannte ihn später zum
Generaldirektor der Museen und er hatte seines Herrschers künst-
lerische Verherrlichung zu besorgen und zu leiten. Er war ein
gewandter Weltmann, geistreicher Causeur und der „verständigste,
sachkundigste Dieb Napoleons", wie ihn Karl Friedrich Freiherr
Kübeck von Kübau (Tagebücher I [Wien 1909], S. 164) nennt,
denn er hatte in den eroberten und besetzten Gebieten die Kunst-
schätze für die Pariser Sammlungen auszuwählen. Aus Wien
wurden damals (im August 1809) eine große Anzahl Bücher und
Handschriften der Hofbibliothek, sowie Gemälde der kaiserlichen
Gemäldegalerie nach Paris geschickt (Schimmer, S. 132). Vgl.
Nouvelle Biographie generale XIII, Sp. 650 ff. — Karoline Pichler,
bei der Denon verkehrte, traf ihn auch bei Frau Flies (oben S. 362),
und er verschaffte ihr Zutritt ins Schönbrunner Schloßtheater
(oben S. 358). Außerdem verdankte sie ihm den Stoff zu einigen
Erzählungen (oben S. 356), und zwar besonders zu Zuleima (S.W.^
XXVII, S. 261 ff., besonders S. 264).
^ Alexandre Louis Joseph Marquis De Laborde (1774 — 1842),
der Sohn des 1794 in Paris hingerichteten französischen Staats-
mannes Jean Joseph De Laborde, kam 1789 nach Wien, wo er in
österreichische Kriegsdienste trat und gegen Frankreich kämpfte.
1797 nach Paris zurückgekehrt, unternahm er weite Reisen, überall
Kunststudien treibend und in großen Werken die Ergebnisse seiner
Studien niederlegend. Auch über seinen Aufenthalt in Österreich
schrieb er ein großes, reich illustriertes Buch (Voyage pittoresque
en Antriebe. Paris 1821), dessen zweiter Band Wiens Kunst- und
andere Merkwürdigkeiten, aber keine Persönlichkeiten behandelt,
obwohl er in Wien nicht nur bei der Pichler (oben S. 356), sondern
auch bei Frau Flies u. a. verkehrte (oben S. 355, 362). Unter den
Bourbonen wurde er Deputierter (1822), beteiligte sich an der
Julirevolution und bekleidete eine Zeitlang das Amt eines Seine-
präfekten. 1841 zog er sich von allem zurück. Er war ein frei-
mütiger und geistreicher Mann. Vgl. Nouvelle Biographie generale
XIII, Sp. 38off. — Wenn K. Pichler (oben S. 355) behauptet,
daß die Franzosen 1809 die Bäume Im Tiergarten fällen ließen
und verkauften, so stimmt dies nicht mit den Tatsachen. Denn
es war der Wiener Pöbel, der im August den Tiergarten gewaltsam
39 C. P. I 609
erbrach und im Verein mit reicheren Gewerbeleuten die Bäume
fällte und wegführte, mit der Ausrede, daß Napoleon diesen Raub
gestattet hätte. Am 9. Oktober verbot daher die französische
Regierung alle Arten von Holzfuhren aus dem Tiergarten bei
Strafe (vgl. Geusau, S. 292 f., 308 f.).
^^) Frangois Rene vicomte de Chateaubriand (1768 — 1848),
der berühmte französische Dichter, nebenbei auch Staatsmann,
seit 1798 positiver Christ, schrieb 1802 sein Werk „Genie du
christianisme", eine poetische und ästhetische Apologie des Christen-
tums, ein Vorläufer seines Romans „Les martyrs", der 1802 be-
gonnen wurde und 1809 erschien. Dieser Roman berührt sich
vielfach mit Karoline Pichlers „Agathokles", worauf Rasori zuerst
hinwies (vgl. II, Anm. 299), doch sind beide voneinander unab-
hängig (vgl. oben Anm. 551).
^°2) Karoline Freiin de la Motte Fouque, Das Heldenmädchen
aus der Vendee. Ein Roman (2 Bde. Leipzig 18 16; Goedeke VI,
S. 132 : 23).
^ Napoleon, ein großer Liebhaber des Theaters (vgl. August
Fournier, Historische Studien und Skizzen II [Wien 1908], S. 206 ff.)
ließ zweimal in der Woche in Schönbrunn Opern aufführen
(Glossy, S. III; Schönholz, Traditionen. Hg. von G. Gugitz. I,
S. 229 f.), aber auch Schauspiele wurden hier gegeben. Wir wissen
von einer großen Aufführung der Phädra am 31. JuU (Teuber-
Weilen II, 2, i, S. 180), der Schweizerfamilie von Weigl am
4. August (Glosjy, S. 106) usw. Am 18. August beschenkte Napo-
leon alle Schauspieler, Tänzer und Operisten der Wiener Hof-
theaterdirektion, die in Schönbrunn gespielt hatten, reichlich
(Geusau, S. 291). Noch am i. September wurde in Schönbrunn
gespielt, und ein Zeitgenosse berichtet, daß es freie Eintritts-
billetts gab, und die Besucher auf kaiserHche Kosten bewirtet
wurden; wenn Napoleon in seine Loge trat, so begrüßte er „alle
Anwesenden mit Freundlichkeit und Herablassung" (Glossy,
5. 127). _
^ Michel Duroc, Herzog von Friaul (1772 — 18 13), einer der
treuesten und anhänglichsten Generäle Napoleons, dessen Adjutant
er 1796 war. Stets um Napoleon, war er einer von dessen Ver-
trauten, und als er bei Markersdorf in der Nähe von Bautzen 18 13
durch eine Kanonenkugel tötlich verwundet wurde, ging dies
Napoleon sehr nahe. Vgl. Nouvelle Biographie generale XV,
Sp. 470 ff.
^^) Sargines ou l'eleve de l'amour, comedie lyrique en quatre
actes. Text von Jacques Monvel, Musik von Nicolas Dalayrac
(vgl. F. Clement et P. Larousse, Dictionnaire des operas. Paris,
o. J., S. 1005).
610
608) Friedrich Stapps (1792 — 1809), ein Predigerssohn aus Erfurt
und früher ein glühender Anhänger Napoleons, wollte diesen am
II. Oktober 1809 in Schönbrunn erdolchen. Doch kam es nicht
zur Ausführung der Tat, denn bereits früher fiel Stapps durch
sein Wesen auf und wurde ergriffen. Napoleon kam ihm mit
Milde entgegen, doch der Schwärmer wollte den Tod, und so
wurde er denn am 13., nach anderen am 15. oder 17. Oktober
erschossen. Vgl. Geusau, S. 3iof.; Schimmer, S. 135 f.; Glossy,
S. 138 ff.; J. Alex. Freiherr von Helfert, Maria Louise, Erzherzogin
von Österreich, Kaiserin der Franzosen. Wiei^ ^873. S. 52ff., 390,
Anm. 17; Thürheim, Mein Leben I, S. 3i9.Jf
Der glühende Haß, den Karoline Pichler gögen Napoleon hatte,
ist auch sonst bemerkbar (vgl. oben S. 345, 359, 361). Einige
Briefstellen bieten zu S. 359 ff. Parallelen, so an Huber (29. Ok-
tober 1822: Glossy, Grillparzer- Jahrbuch III, S. 324): „Ich habe
Napoleon nie geliebt und nur Weniges an ihm bewundert, ja es
war eine Zeit, wo ich seine Ermordung für einen der Menschheit
geleisteten Dienst angesehen hätte. Seit seiner Verbannung habe
ich ihn bedauert (vgl. oben S. 359f.), und seit dem 31. März 1814
über vieles anders zu denken angefangen. Tempora mutantur — ."
In einem Briefe an Frankl (Album usw. Wien 1845, S. 81) meint
sie, Napoleon war kein Verfechter der Freiheit, für welchen ihn
nun die Jüngeren halten, die sich ein Ideal aus ihm schaffen,
das nie bestand (vgl. dazu oben S. 330). Am 21. August 1806
(Brief an Streckfuß: K. Glossy, Wiener Communal- Kalender
XXXII, S. 400) nennt sie Napoleon einen Unhold, den Gott
zur Strafe des sündigen Menschengeschlechts auf die Welt
sandte.
*"') Manzonis Ode auf den Tod Napoleons „II cinque maggio",
1821 gedichtet und 1822 im Druck erschienen, erregte überall
lebhaftes Aufsehen.
^^) Charles de Villers (1765 — 1815), ein Lothringer, kam 1792
nach Deutschland und wurde hier germanisiert. Er brachte seinea
Landsleuten deutsches Wesen und deutschen Geist näher und
erschloß ihnen Kant. Vgl. Sander in: Allgemeine Deutsche Bio-
graphie XXXIX, S. 708 ff. — Über Grausamkeiten, die Napoleon
1805 und 1809 in Österreich begangen haben soll, vgl. Lulu
Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. i8of., 314^ — Von Villers
und Friedr. Jakob Christ. Saalfeld gibt es ein, 18 14 anonym er-
schienenes Buch „Hundert und etliche Fanfaronaden des Corsikar
nischen Abentheurers Napoleon Buona-Parte Ex-Kaisers der Fran-
zosen" (Cum notis variorum. Leipzig 1814: Goedeke VII,
S. 862 : 198), dem der von der Pichler angezogene Au?spruch über
Napoleon entnommen sein könnte.
■#■
39*
611
«») Karl August Varnhagen von Ense (1785— 1858: O. F. Walzel
in: Allgemeine Deutsche Biographie XXXIX, S. j6gii.), der viel-
geschäftige Historiker und Biograph, war 1809 auf den Aufruf
Österreichs hin nach Österreich geeilt, um als Freiwilliger in Erz-
herzog Karls Armee einzutreten. Am 21. Juni traf er in Wagram
ein, am 25. wurde er als Fähnrich im Regiment Vogelsang einge-
stellt, machte die Schlacht bei Wagram mit, in der er leicht ver-
wundet wurde. Am 14. August kam Varnhagen als französischer
Kriegsgefangener nach Wien und wurde in verschiedene jüdische
Salons eingeführt, so bei Arnsteins, Eskeles, Pereira und Flies.
Am 23. September reiste er, da er inzwischen ausgewechselt wurde,
zur Armee nach Ungarn, wo er bis Ende November blieb, um hier-
auf nach Wien zurückzukehren. Vgl. Denkwürdigkeiten des eignen
Lebens I, 2^ (Leipzig 1871), S. 196, 204, 217, 253, 254ff., 305. —
Bereits Varnhagen (Denkwürdigkeiten 1, 2, S. 265) wies nach, daß
Karoline Pichlers Angabe (oben S. 361 f.) über seinen Besuch bei
Frau E. Flies, soweit sie die Zeit betrifft, irrig sei, denn dieser fiel
nicht in die Zeit nach dem Friedensschluß (14. Oktober), sondern
in den August oder September. — Als Varnhagen 1841 in Kissingen
die Frau des Sir Charles Morgan traf, da erinnerte ihn diese in
etwas an Dorothea Schlegel und Karoline Pichler (Tagebücher ^ I
[Leipzig 1863], S. 313). Letztere las seine Aufsätze mit Interesse
(oben S. 413).
*^'*) K. A. Varnhagen von Ense, Die Schlacht von Deutsch-
Wagram am 5. imd 6. Juli 1809. (Aus persönlichen Denkwürdig-
keiten.) In: Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Fried-
rich von Raumer VII (Leipzig 1836), S. iff.
*^i) Am 20. November mittags verließen die letzten französischen
Truppen Wien, die zurückbleibenden Verwundeten und Kranken
wurden in eigenen Spitälern untergebracht (Geusau, S. 339 f.;
I^chimmer, S. 141; Glossy, S. 150). Am 26. November rückten
in Wien nach langer Zeit wieder österreichische Truppen ein
(Geusau, S. 343 f.; Schimmer, S. 142 f.).
^^) Rudolf Graf Wrbna-Freudenthal (1761 — 1823), österreichi-
scher Staatsmann, der seit frühester Jugend große Vorliebe für
das Montanfach hatte und 1785 auch als Hofsekretär bei der
montanistischen Hofstelle in den Staatsdienst trat. In diesem
Fache erwarb er sich große Verdienste. 1805 wurde er Landes-
Hofkommissär, ebenso 1809, und entwickelte als solcher eine
äußerst rege und ersprießliche Tätigkeit. Später war er Oberst-
kämmerer und intimer Ratgeber des Kaisers. Vgl. Wurzbach
LVIII, S. i9off.
613^ Wrbna weilte seit 19. Oktober in Wien (Geusau, S. 317)
und Heß am 27. November 2 Uhr nachmittags eine Kundmachung,
612
daß der Kaiser Franz am selben Tage nach Wien zurückkehre,
anschlagen (Geusau, S. 345; Schimmer, S. 143). Um 4 Uhr langte
der Kaiser unter großem Jubel der Bevölkerung, die nicht, wie
die Pichler (S. 363) meint, unvorbereitet v?ar, an und nun ent-
wickelten sich jene oben S. 363 f. beschriebenen Szenen. Die Be-
leuchtung besichtigte der Kaiser abends selbst. Vgl. Geusau,
S. 345 ff.; Glossy, S. 151 f. 5 Schimmer, S. 144.
61*) Theodor Körner „Auf dem Schlachtfelde von Aspern",
Str. III, 9f.: Nein! Germanien ist nicht gesunken. Hat noch
einen Tag und einen Mann.
615) Goethe, Torquato Tasso, IV. Aufzug, Z.Auftritt, Vers 136
bis 140 (nur 140 erzv?ingen [erringen).
616) KaroUne Pichler hat hier die Gesetze der Volkstribunen
Licinius Stolo und L. Sextius im Auge, die, 376 v. Chr. zuerst
gestellt, 367 durchdrangen und wovon das erste Gesetz bestimmte,
daß von den zwei alljährlich zu wählenden Konsuln einer stets
ein Plebejer sein müsse, womit der endÜche Ausgleich der Stände
erreicht und Roms Machtstellung begründet war (Theodor
Mommsen, Römische Geschichte I* [Berlin 1903], S. 295 f.).
61') Karl Edler von Kirchstättern, Karoline Pichlers Jugend-
bekannter, starb am 20. Dezember 1809 und hinterließ nebst
seiner Frau fünf Töchter (vgl. oben S. 475, Anrii. 222).
618) Moritz Gomez de Parientos (1744 — 18 10), Feldmarschall-
leutnant, ein Holländer und Zögling der Wiener Neustädter
Militärakademie, nahm an den Türkenkriegen hervorragend teil,
wurde 1794 Oberst und 1800 Generalmajor und Direktor des
Kriegsarchivs in Wien, wo er sehr verdienstvoll wirkte, die Öster-
reichische militärische Zeitschrift mitbegründen half und das
chalkographische Bureau des Generalstabes einrichtete. 1808 vnirde
er Feldmarschalleutnant, kam 1809 als Generalquartiermeister an
die Spitze der ungarischen Insurrektion, fiel aber im Januar 18 10
in Ofen dem Typhus zum Opfer. Vgl. Wurzbach V, S. 265 f.;
Annalen der Literatur und Kunst. Wien 1810. IV, S. 339ff.
®^^) Karoline Pichlers aufrichtiger Schmerz über den Tod des
Zensors Josef Köderl kam in ihrem Nekrolog (Der österreichische
Beobachter 18 10, Beilage Nr. 5) zum Ausdruck. Über ihre Be-
ziehungen zu Köderl vgl. oben Anm. 434.
*^) Pichler, Die Grafen von Hohenberg. 2 Bde. Neue ver-
besserte Auflage. Wien 1820, bei Anton Pichler = S. W.* VI,
VII. Mit 2 Kupfern (Dav. Weiß sc). — Vorher in 2 Bänden.
Leipzig. 18 II, bei G. Fleischer; 2. Aufl., Wien 1813 = S. W.^VI,
VII, bei Anton Strauß. Mit 2 Kupfern (K. Rahl, sc). — An
Übersetzungen erschien eine dänische: Greverne Hohenberg. En
FortaelUng. Overs. ved L(udv.) J. Flamand. 2 Del. Kjoeben-
613
havn 1829 (vgl. Chr. V. Bruun, Bibliotheca Danica IV [Kjoeben-
havn 1902], Sp. 469).
An kritischen Stimmen über dieses Werk der Pichler sind mir
nur wenige untergekommen. Bemerkenswert ist eine Äußerung
des Dichters August Grafen von Pkten-Hallermünde, der 18 15 in
sein Tagebuch schrieb (Tagebücher. Herausgegeben von G. v. Laub-
mann und L. V. Scheffler I [Stuttgart 1896], S. 2i7f.):
„Wer den ,Agathokles' dieser Schriftstellerin gelesen hat, wird
erstaunen, in den , Grafen von Hohenberg' beinahe einen gewöhn-
lichen Ritterroman zu finden, mit welcher Gattung wir ohnehin
so sehr überschwemmt sind. Von der Verfasserin des großen
Agathokles kann man mit vollem Rechte sagen.
Daß sie die Herzen erhebt, wenn sie die Herzen zerreißt.
In den Grafen von Hohenberg aber werden viele edle Gemüter
zugrunde gerichtet, ohne einen moralischen Zweck, bloß durch
die blinde Hand des Zufalls, dessen Geschöpfe sie sind. Auch
fällt die Briefform weg, die der Karoline Pichler so wohl gelang.
Sie liebt besonders unwiderruflich traurige Situationen, wo das
Unglück keiner Milderung fähig ist."
Hormayr wollte bereits 18 10, noch vor Erscheinen des Werkes
auf dasselbe in den „Vaterländischen Blättern" hinweisen (Brief
an die Pichler: Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 250), was er
auch tatsächlich anonym in Nr. 19 vom 6. März 181 1 (Vaterlän-
dische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat 181 1, S. 115)
besorgte, dabei gleichzeitig das kleine Lied „Es irret ein Pilger
durch Berg und Tal" (dazu: Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 250)
daraus als würdiges Gegenstück zu Theklas Geisterstimme ab-
druckend; schon vorher war ein anderes Lied dieses Romanes
(Anm. 622) veröffentlicht worden (Österreichischer Beobachter.
Wien 181 1. S. 44). Im Eingange seiner Anzeige weist Hormayr
auf das große Verdienst hin, daß sich Karoline Pichler durch ihre
Schriften um die Bildung des weiblichen Geschlechts erwirbt.
"^^) Vgl. die Zusammenstellung all dieser Reisen oben S. 500.
«22) Pichler, S. W.2 VII, S. 270 ff. Pichler zitiert oben S. 370 f.
nur einzelne Bruchstücke des 12 strophigen Liedes; vgl. noch
Anm. 620 über den Erstdruck.
*23) jjAlt und neuer Sinn" erschien zuerst Ende 18 10 (vgl. oben
S. 488 : 279). Die Erzählung verwertet in der Schilderung Blan-
kenwerths persönliche Erinnerungen an den Grafen Heinrich
Wilhelm III. von Haugwitz (oben S. 153). Sie gelangte am 6. März
1810 zur Zensurierung, die Hormayr besorgte, der noch am
selben Tage das Admittitur gab und sie an den Zensor Franz
Sartori weiterleitete (Hormayr an die Pichler, 7. März 18 10:
K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 248).
614
624) Im Archiv des Kriegsministeriums konnte nur gefunden
werden, daß in der Schlacht bei Raab sieben Offiziere fielen,
doch sind deren Namen in den Akten nicht vermerkt. Gemeint
ist Gräfin Amalie Clary-Aldringen (1778 — 1838), eine geborene
Gräfin Nadäsdy, Sternkreuzordensdame, die seit Juni 1803 mit
dem Grafen Albert Clary-Aldrlngen, der am 25. Juni 1809 wahr-
scheinlich an den Wunden, die er bei Raab (14. Juni 1809) erhielt,
starb, verehelicht war. Sie besaß die k. k. priv. Glasfabrik Gstetten-
hof zwischen Türnitz und Annaberg, die im Oktober 18 16 samt
den dazugehörigen Gründen Abt Ladislaus Pyrker von Lilienfeld
für sein Stift um 140 000 fl. W. W. erwarb. Vgl. Paul Tobner,
Lilienfeld 1202 — 1902. Wien 1902. S. 452f. und Topographie
von Niederösterreich V, S. 961b; Genealogisches Taschenbuch
der deutschen gräfUchen Häuser X (Gotha 1837), S. i^9j XIII
(1840), S. 572; Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. 310. — ■
Die Reise nach Lilienfeld und Mariazeil, während der Karoline
Pichler die Gräfin Clary kennen lernte, erfolgte 1812 (vgl. oben
S.394ff-)-
624 a) Ähnliche Gedanken äußert die Pichler öfter, so II, S. 410
und in einem Briefe an Matthisson (Matthissons Literarischer
Nachlaß IV, S. 216) über den Erfolg des Agathokles.
625) Alexandre Berthier, Fürst und Herzog von Neuchätel und
Valangin, Fürst von Wagram (1753 — 1815), französischer Marschall,
war 1795 Chef des Generalstabs der italienischen Armee geworden.
Er befreundete sich hier mit Napoleon, dessen Aufstieg auch ihn
in die Höhe brachte, so daß er 1807 Fürst von Neuchätel und
kaiserlicher Prinz wurde. Stets Generalstabschef, nahm er an allen
großen Unternehmungen mit Auszeichnung teil. Nach Napoleons
Sturz schloß er sich dem neuen Regiment an. Vgl. über ihn
Derrecagaix, Le marechal Berthier, prince de Wagram et de
Neuchätel. 2 Bde. Paris I904f., besonders II, S. 36off. (Gesandt-
schaft nach Wien).
®26) Schon zu Ende des Jahres 1809 hatte der Wiener Hof eine
Verbindung mit Napoleon, wahrscheinlich über Vorschlag Metter-
nichs ins Auge gefaßt, und bereits am 7. Februar 18 10 hatte Napo-
leon in seiner ungestümen Hast, unter Zurücksetzung alles höfischen
Herkommens, den Ehevertrag in Paris geschlossen Q. Alex. Frei-
herr von Helfert, Maria Louise, Erzherzogin von Österreich,
Kaiserin der Franzosen. Wien 1873. S. 905 Ed. Wertheimer,
Archiv für österreichische Geschichte LXIV [^en 1882], S. 505 ff.).
Zuerst war die Bevölkerung von diesem Projekte nicht sehr er-
baut, doch bald waren die Wiener darüber freudig erregt, wenn
sie auch verschiedentliche Witze rissen (Helfert, S. 95ff., iiof.;
Lulu Gräfin Thürheim, Mein Leben I, S. 330; Wertheimer
615
S. 502, 522 ff.). Die freudige Stimmung der Wiener zeigte sich
besonders bei der Ankunft Berthiers, die am 4. März erfolgte;
am 5. hielt er seinen feierlichen Einzug in Wien, am 8. war die
feierliche Werbung und am 9. März die Renunziation der Braut,
dazwischen gab es Bälle und Theatervorstellungen; am 12. März
reiste Berthier ab (vgl. Derrecagaix a. a. O. II, S. 363 ff.; Helfert,
S. III ff.; Wertheimer, S. 524f.; Ed. Gachot, Marie-Louise in-
time I [Paris 191 1], S. 27 ff. und Joh. Bapt. Skall, Die Vermählung
der Erzherzogin Maria Luise. In: Die Kultur IX [Wisn 1908],
s. 338«;).
627) Über die am Abend des 11. März 1810 stattgefundene
Trauung in der Augustinerkirche vgl. man Derrecagaix a. a.O. II,
S. SÖ/ff., Helfert, S. 113 und Gachot I, S. 29f. Berthier hatte
in einer feierlichen Audienz Erzherzog Karl, der große Freude
bezeugte, am 8. März um Übernahme der Prokuratur gebeten
(Gachot I, S. 28; Wertheimer, S. 525). Die Wiener illuminierten
am Hochzeitsabend zu Ehren der Braut (Wertheimer, S. 530;
Helfert, S. 114).
628J Dieser Freiball in den k. k. Redoutensälen fand am Abend
des 6. März statt. Eine Beschreibung der Saaldekoration und des
Balles, der von etwa 6000 Personen besucht war, s. Wiener-Zeitung
Nr. 20 vom 10. März 1810 und Derrecagaix a. a. O. II, S. 364^
62^) Albert Kasimir Herzog von Sachsen-Teschen (1738 — 1822),
kaiserlich österreichischer Feldmarschall, gehörte seit 1766 durch
seine Frau (Anm. 630) dem österreichischen Hofe an. Er be-
kleidete wichtige militärische Ämter und war ein großer Förderer
von Kunst („Albertina") und Wissenschaften. Vgl. Wurzbach
XXVIII, S. 32 ff.
*^) Marie Christine, Erzherzogin von Österreich (1742 — 1798),
eine Tochter der Kaiserin Maria Theresia, war seit 1766 mit
Albrecht von Sachsen vermählt. Sie war eine hübsche, geistreiche
und wohltätige Frau. Vgl. Wurzbach VI, S. I57f.; oben S. 54,
123 f.
*^a)Am 13. März 18 10 verließ Maria Luise Wien, am 16. fand
bei St. Peter am Hart in Oberösterreich die Übergabe an die
Franzosen statt und am selben Tag traf sie in Braunau ein, wo sie
ihre österreichische Toilette in die französische umwandeln lassen
mußte (vgl. Helfert, S. 119, 121). Daß sich Maria Luise ge-
schmacklos als Erzherzogin kleidete, geht auch aus einem anderen
zeitgenössischen Bericht hervor (Wertheimer, S. 515 f.). — Über
den Besuch der Exkaiserin Maria Luise in Lilienfeld s. II, Anm. 144.
^^) Karl Philipp Fürst Schwarzenberg (1771 — 1820), der Sieger
von Leipzig, Feldmarschall, war seit Ende des Jahres 1809 öster-
reichischer Botschafter am französischen Hofe, wo er besonders
616
die Verhandlungen wegen Napoleons zweiter Ehe führte. Am
I. Juli 1810 gab er zu Ehren Marie Luisens jenes große Fest, das
durch Brand ein frühes und schreckliches Ende fand und bei dem
seine Schwägerin Pauline zugrunde ging. Seine diplomatische
Stelle versah er bis zum Juni 18 12, dann trat er wieder in die
militärische Laufbahn ein. Vgl. Wurzbach. XXXIII, S. 94ff.
832) K. A. Varnhagen von Ense, Das Fest des JFürsten von
Schwarzenberg zu Paris, im Jahre 1810. Historisches Taschenbuch.
Herausgegeben von Friedrich von Raumer IV (Leipzig 1833),
S. iff., besonders S. 38ff. (über das Auffinden der Leiche der
Fürstin Schwarzenberg). Vgl. noch Helfert a.a.O. S. 148 ff.
833) Pauline Fürstin Schwarzenberg, geb. Herzogin von Aren-
berg (1774 — 1810), war seit Mai 1794 mit Josef Johann Nepomuk
Fürsten von Schwarzenberg vermählt. Sie wohnte mit ihrem
Gatten am i. Juli 18 10 dem Ballfeste bei, das ihr Schwager Karl
Philipp zu Ehren des Kaisers Napoleon und dessen Gattin Maria
Luise in seinem Botschaftshotel gab. Als das ausgebrochene Feuer
mit rasender SchnelUgkeit um sich griff, suchte sie ihre dreizehn-
jährige Tochter Pauline (t 1821), spätere Fürstin Schönburg- Wai-
denburg zu retten. Schon nahe dem Ausgange, trennte sie ein un-
glücklicher Zufall, die Fürstin eilte in den Saal zvurück und fand
dort ihren Tod. Vgl. Wurzbach XXXIII, S. 118 ff.
83*) Vgl. II, S. 423, Anm. 37 (Die Rettung).
835) Hormayr handelte über „Die Martinswand" im Jahre 1820
(Taschenbuch für die vaterländische Geschichte I [Wien 1820],
S. 208 ff.) und sprach auf S. 220 f. seines Aufsatzes die Vermutung
aus, daß die Nichterwähnung des Abenteuers im Theuerdank aus
„des herrlichen" Maximilians Charakter zu erklären sei, denn „das
Abenteuer an der Martinswand hatte ihn wie mit einer höheren
Hand ergriffen und eine religiöse Scheu eingeflößt vor aller Er-
wähnung desselben zu weltlicher Freudigkeit und Lust". — Da-
gegen sieht Karl Kirchlechner (Über Maximilian als Jäger und
im besonderen über das Abenteuer des Kaisers auf der Martins-
wand. Progr. Realschule Linz 1885, S. 22ff.) im 20. Abenteuer
des Theuerdank den Kern, aus dem sich die Sage, die bereits 1572
vöUig ausgebildet ist, entwickelte. Dieser Ansicht tritt aber Arnold
Busson (Die Sage von Max auf der Martinswand und ihre Ent-
stehung. Wien 1888) entgegen, der nachweist, daß erst Sebastian
Franck 1538 die Hauptbestandteile für die spätere Sage lieferte
(vgl. S. 3 3 ff.), die in Maximilians Leben keinen Untergrund hat.
®38) Karoline Pichler hat eine Rezension der „Geschichte des
trojanischen Krieges" von Joh. Uschold (1836) des Rezensenten 113
(Blätter für literarische Unterhaltung. Leipzig 1836. Nr. 359 vom
24. Dezember 1836, S. 1501 — 1503) im Auge. Der Rezensent gibt
617
darin einen kurzen Überblick von Uscholds skeptischen Aufstel-
lungen.
^ David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu. Kritisch bearbei-
tet, 2 Bde. Tübingen 1835/36. 4. Aufl. Tübingen 1840 usw.
*^) Joh. Uschold, Geschichte des Trojanischen Krieges. Mit
Beilagen über die älteste Geschichte Griechenlands und Trojas.
Ein historischer Versuch. Stuttgart 1836.
•^®) Barthold Georg Niebuhr, Römische Geschichte. 3 Teile.
BerUn 18 12, 1832. P, 11« Berlin 1827, 1830. P Berlin 1828.
****) Die gleichen Gedanken sprach KaroUne Pichler bereits oben
Ij S. 6"/ aus.
"^) Diese beiden Absätze nur in der Handschrift. Der Druck
hat dafür (II, S. 195): „Schon im März ward es durch ein merk-
würdiges Ereignis bezeichnet, die Geburt des damaligen Königs
von Rom, bei uns später Herzog von Reichstadt genannt."
***) Der österreichische Major und Botschaftskavalier, spätere
badische Generalleutnant Karl Freiherr von Tettenborn (1778
bis 1845; vgl. Wurzbach XLIV, S. 39 ff.) kam in der Nacht vom
24. auf den 25. März 181 1 um 12 Uhr mit der Botschaft nach
Wien, nachdem er Paris am 20. März um 2 Uhr nachmittags ver-
lassen hatte. Er legte also den Weg nicht in 8 oder 9 Tagen zurück,
wie die Pichler S. 381 meint, sondern in 4 Tagen und 10 Stunden.
Vgl. Wiener-Zeitung Nr. 25 vom 27, März 181 1.
**^) Philipp Veit (1793 — 1877), ein bedeutender deutscher Maler,
stammte aus der ersten Ehe der Dorothea v. Schlegel mit dem
Berliner Bankier Simon Veit und war nach der Trennung der
Ehe längere Zeit bei der Mutter verblieben. Seit 181 1 war er
dauernd in Wien, nahm am Befreiungskriege teil und übersiedelte
1815 nach Rom. Von hier wurde er 1830 als Direktor an das
Städelsche Institut nach Frankfurt a. M. berufen, dem er lange
Jahre (bis 1843) trefflich vorstand. Seine Mutter lebte bei ihm.
1853 trat er an die Spitze der Gemäldegalerie in Mainz. Er ist
ein hervorragender Nazarener. Vgl. Veit Valentin in: Allgemeine
Deutsche Biographie XXXIX, S. 546 ff.; M. Spahn, Philipp Veit.
Bielefeld 1901, bes. S. i6ff. (Wiener Aufenthalt). — Über diese
Gartenspiele vgl. noch Pichler, S. W. ^ LIII, S. 229.
^ Nanette (Anna) Porta, eine Heidelbergerin, war in Straß-
burg im selben Kloster wie die Gräfin Marie Josefa von Salm-
Reifferscheid-Krautheim erzogen worden (Hormayr an die Pichler :
K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 293), welch letztere noch
Gedichte der Porta aus dieser Zeit besaß. Sie kam mit ihrer
Schwester Katharina zu ihrer verehelichten Schwester Josefa
Baronin Richler nach Wien, bei der sie lebte (oben S. 249). Im
Kempelenschen Hause hatte sie Karoline Pichler 1802 kennen ge-
618
lernt (oben S. 249) und nun entspann sich ein reger, freundschaft-
licher Verkehr (vgl. S. 249, 276). Im Pichlerschen Hause wird
Nanette Karl von Kurländer kennen gelernt haben, der sie später
wegen der schönen Frau Kempelen aufgab (vgl. oben S. 381; II,
S. I55f0- Diese Kränkung ging ihr zu Herzen und am 16. August
18 11 starb sie in Ober-Döbling bei Wien, Nr. 55, 32 Jahre alt, an
Abzehrung (Totenprotokoll der Pfarre Döbling [Wien XIX], t. I,
fol. 147). Sie war eine leidenschaftliche Verehrerin der Lafontaine-
schen Romane gewesen (vgl. II, S. 32if.).
"*) Heinrich von Collin starb am 28. Juli 181 1 morgens um
7 Uhr an einem Nervenfieber; bereits Ende Juni war er unpäßUch
geworden (vgl. Ferdinand Laban, Heinrich Joseph Collin. Wien
1879. S. 77 f.). Die Trauer um seinen Tod war in Wien auf-
richtig und äußerte sich nicht nur in einer größeren Anzahl von
Gedichten (Laban, S. 79, Anm. i), darunter eines der Pichler
(Bey Anhörung des Mozartschen Requiem zu Collins Todten-
feyer 1811. Hormayrs Archiv II [1811], 8.429= S.W.« XVI,
S. 76 ff.), sondern auch in 2 großen, in Wien am 15. Dezember 181 1
und am 3. April 18 12 stattgefundenen Gedenkfeiern (Laban, S. 79),
welche die von Grafen Moritz Dietrichstein in Musik gesetzte
Pichlersche „Klage auf den Tod H.J.Edlen von ColUn" (Ge-
dichtet von Caroline Pichler gebornen von Greiner. In Musik
gesetzt vom Grafen Moriz von Dietrichstein. [Wien 18 12.] 8°,
16 S. [Wien, Stadtbibliothek] = Der Sammler III [Wien 181 1].
S. 617 = S. W.2XVI, S. 89 ff.) ebenfalls am Programm hatte. Bei
der ersten Aufführung sangen Antonie Laucher und Joh. Mich.
Vogl, bei der zweiten Anna Milder und Leopold Pfeiffer die Solo-
partien dieser „Klage", während die k. k. Hofharfenmeisterin
Johanna Müllner die Harfenbegleitung besorgte (vgl. Der Sammler
III [Wien 1811], S. 610; IV [1812], S. 174).
***) Die Stelle zwischen den Strichen nur in der Handschrift.
**') Charles Maurice Prinz von Talleyrand-Perigord, Fürst von
Benevent (1754 — 1838), berühmter Diplomat, ursprünglich Geist-
licher und Bischof, seit 1799 Napoleons vertrauter Ratgeber,
1806 Fürst von Benevent. 1808 fiel er in Ungnade, schloß sich
1812 den Bourbonen an und feierte am Wiener Kongreß Triumphe
(Prinzip der Legitimität).
®**) Vgl. über Karoline von Humboldt und ihr späteres freund-
licheres Verhältnis zur Pichler II, S. 426, Anm. 50.
"^) Henriette Herz (1764 — 1847), geborene De Lemos, eine der
weniger geistreichen Berliner Jüdinnen, seit 1779 mit dem be-
kannten Philosophen und Arzt Marcus Herz verehelicht, war eine,
mannigfachen Angriffen ausgesetzte Schönheit, die aber fleckenlos
blieb und mit den bedeutendsten Männern ihrer Zeit in Seelen-
619
freundschaft verbunden war. Ihr Haus war ein Mittelpunkt der
Geselligkeit. Sie war stets bemüht, sich auszubilden und ein tätiges
Leben zu entfalten. Wie ihre Freundin Dorothea Schlegel ver-
fiel auch sie dem Banne des Christentums und trat 1816 in aller
Stille zur protestantischen Religion über. Ihre letzten Tage wären
in Not verflossen, wenn ihr nicht Alexander von Humboldt eine
Gnadengabe verschafft hätte. Vgl, J. Fürst, Henriette Herz. Ihr
Leben und ihre Erinnerungen.^ Berlin 1858; Briefwechsel des
jungen Börne und der Henriette Herz, Herausgegeben von Lud-
wig Geiger. Oldenburg (1905), S. 5 ff.; Jugenderinnerungen von
Henriette Herz. In: Mittheilungen aus dem Litteraturarchive
in Berlin I. (Berlin 1897), S. 141 ff. (geschrieben 1823). — Im
Jahre 18 11 besuchte sie Wien und ihre Freundin Schlegel. Bei
dieser lernte sie die bedeutendsten Wiener Größen kennen, doch
befriedigte sie die Wiener Gesellschaft nicht, da selbe zu stark
das leibliche Wohlbehagen betonte, dabei aber in geistiger Armut
befangen war. Nur Karoline Pichler allein hinterließ in ihr eine
angenehme Erinnerung, denn diese war zwar „äußerlich häßlich,
aber angeregt und sehr anregend,^ und dabei gemütlich und ein-
fach" (Fürst, S. 66). Über die Beziehungen der Herz zur Schlegel
vgl. Jugenderinnerungen a. a. O. I, S. 165 f.
^ Über den Kometen des Jahres 181 1 und über dessen poetische
Verwertung durch Karoline Pichler vgl. II, Anm. 238. — Lulu
Gräfin Thürheim (Mein Leben I, S. 369) nennt diesen Kometen
einen der schönsten, den sie je sah.
^^) Theodor Körner (1791 — 1813), Held und Freiheitssänger,
kam im Sommer 181 1 (26. August), reichlich mit Empfehlungen
ausgestattet, nach Wien, wo er sich dichterisch auslebte, Gedicht
auf Gedicht und Theaterstück auf Theaterstück in etwas zu jugend-
licher Hast schrieb. Gleich nach seiner Ankunft wollte er Karoline
Pichler, an die er ein Empfehlungsschreiben von Merian hatte
(oben S. 387) besuchen, und schon am 31. August 18 n (Samstag)
schrieb er an seinen Vater (Augusta Weldler-Steinberg, Theodor
Körners Briefwechsel mit den Seinen. Leipzig 1910. S. 147), daß
er vergangenen Donnerstag (29. August) bei Friedrich Schlegel
war und dieser ihm versprach, ihn zur Pichler zu führen. Doch
kam Körner nicht dazu, trotzdem ihn am 21. Oktober 181 1 sein
Vater brieflich mahnte (Weldler-Steinberg, S. 151 f.), die Merian-
sche Empfehlung doch endlich bei der Pichler abzugeben. Unter-
dessen wurden seine ersten Stücke Qanuar 18 12) in Wien aufge-
führt, Toni wurde gegeben (17. April 18 12) und Friedrich Schlegel
hatte seine Vorlesungen begonnen (27. Februar 1812), bei der die
Pichler Körner zum erstenmal sah, aber nicht sprach (oben S. 387).
Seine gesellschaftliche Ungezogenheit vertrug sie nur schwer, dä-
620
her ließ sie ihn durch August v. Kurländer auffordern, ihr wenig-
stens Merians Brief zu senden (oben S. 388), und nun kam Körner
nach dem 17. April 18 12 („Toni") endlich zu ihr, eroberte sich
ihre Gunst und Freundschaft im Fluge (oben S. 261, 388 f.) und
besuchte nun wiederholt das Pichlersche Haus. Seine neuesten
Werke las er oft bei der Pichler vor (oben S. 389), so am i8. Novem-
ber 18 12 die „Rosamunde" (oben S. 390), was Karoline Pichler
veranlaßte, darüber einen begeisterten Brief zu schreiben, den
Körner mit einem Sonett beantwortete (oben S. 390 mit Anm. 661).
Die übrige Wiener Gesellschaft nahm Körner ebenfalls freundlich
auf und bei Baronin Pereira und deren Verwandten verkehrte
der neuernannte Burgtheaterdichter Qänner 18 13) fleißig. Für
diesen Kreis hatte er im Dezember 18 12 die zwei Erzählungen
„Die Tauben" und „Die Rosen" erdacht (Weldler-Steinberg,
S. 209), welche 18 19 Karoline Pichler nach der mündlichen Er-
zählung der Baronin Pereira für diese schriftlich fixierte und die
nun in dieser Form in Körners Werke (S. W. Herausgegeben von
K. Streckfuß.5 Berlin 1858. S. 697ff.) Eingang fanden. Kömers
Jägerlied wurde bei Pichler eines schönen Abends, als die Wogen
der Begeisterung hochgingen, abgesungen (oben S. 405). Am
15. März 1813 verließ Körner, seine Braut Toni Adamberger
zurücklassend, Wien (oben S. 406), trat am 19. März 18 13 ins
Lützowsche Freikorps, wurde im Juni verletzt, lebte hierauf einige
Zeit in Karlsbad (oben S. 423) und fiel am 26. August 1813 bei
Gadebusch. Pichler erhielt die Todesnachricht, die sie tief be-
wegte, auf sonderbare Weise durch Merian (oben S. 423 f.). Körners
Andenken widmete sie ein Gedicht und führte ihn in ihre Kantate
„Das befreyte Deutschland" ein (II, S. 8). Noch 1832 erinnerte
sie sich in Baden seines Geburtstages (II, S. 294^ 295) mit Rüh-
rung. — Über Körners Wiener Aufenthalt vgl. man Emil
Peschel und Eugen Wildenow, Theodor Körner und die Seinen I
(Leipzig 1898), S. 29off.; sonst Goedeke VII, S. 838ff. — Ka-
roline Pichler besaß von Körner ein Bild in Zivilkleidung,
das er ihr vor seinem Weggang von Wien gab und das
große Ähnlichkeit besaß. Man bezweifeltet seine Echtheit (Hans
Krticzka Freiherr v. Jaden, Theodor Körner und seine Braut,
Dresden 1896, S. 76 ff.). Den Echtheitsbeweis erbringen aber
A. Langer in seinem Aufsatz über einen Besuch bei Karoline
Pichler (Bäuerles Theater-Zeitung. Wien 1843. S. 749) und
L. A. Frankl (Erinnerungen, Hg. von St. Hock. Prag 1910.
S. 106). Die Miniatur ist derzeit im Besitze des Dr. Hans
Freiherrn von Jaden in Wien (vgl. dessen: Theodor Körner.
Neue Körner - Erinnerungen in Wort und Bild. Wien 1913,
S. 7 ff. mit Bild).
621
**') Die beiden Körnerschen Lustspiele „Die Braut" und „Der
grüne Domino", beide einaktig, fanden am 17. Januar 1812 im
Wiener Burgtheater ihre Erstaufführung und erhielten viel Bei-
fall, woran den Hauptanteil die Darstellung, darunter auch Frl.
Adamberger, gehabt haben soll (vgl. Der Sammler IV [Wien 1812],
S. 36). Bei der Generalprobe dieser Stücke lernte Körner seine
Toni kennen, vgl. Peschel-Wildenow a. a. O. I, S. 311, 3 14 ff. und
A. Arneth, Aus meinem Leben I (Wien 189 1), S. 68 ff. — Toiii
Adamberger spielte im „Grünen Domino", die Rolle der Marie
(vgl. Jaden, Körner und seine Braut, S. 38, 66f.).
*^) Der Hof Sekretär Friedrich Schlegel erhielt im Juli 181 1 von
Kaiser Franz die Erlaubnis „über die neuere Literatur" eine An-
zahl Vorlesungen gegen Honorar dem Publikum halten zu dürfen
(Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat 18 n,
S- 557)' Die Vorlesungen wurden aber erst am 27. Februar 18 12
begonnen (J. M. Raich, Dorothea Schlegel II, S. 66; vgl. über
diese noch oben S. 415 und unten Anm. 712) und erschienen 18 15
in Wien als „Geschichte der alten und neuen Litteratur. Vor-
lesungen, gehalten zu Wien im Jahre 18 12" im Druck (Goedeke VI,
S. 24 : 32). Körner, der sie anhörte, berichtet seinen Eltern
(A. Weldler-Steinberg, a. a. O. S. 178 und 186 f.), daß die letzte
Vorlesung am 30. April stattfand, daß sie sehr trefflich waren, aber
man durch Schlegels ewige Anspielungen auf die Religion, sowie
durch seinen Haß gegen den Protestantismus widrig gestört wurde.
Schlegel soll nach dem Urteile seiner Frau (Raich II, S. 70 f.) vor-
trefflich gelesen und mit Wohllaut gesprochen haben. Der Be-
such war stark (ca. 200 Personen) und „eine Fülle von neuen und
äußerst scharfsinnigen Gedanken und Ansichten, verbunden mit
einer reinen und kräftigen Sprache, besonders aber die äußerst
gute Gesinnung, die aus jedem Wort hervorgeht", machten sie
zu einem „vorzüglichen" Werk (Philipp Veit an seinen Vater
Simon Veit: Raich II, S. 69).
®^*) Johanna Franul von Weißenthurn (1773 — 1847), geb. Grün-
berg, ein Schauspielerkind, erhielt 1787 ihr erstes Engagement
in München und kam 1789 ans Wiener Burgtheater, dem sie bis
zu ihrer Pensionierung (1842) angehörte. 1791 hatte sie sich ver-
ehelicht. Sie spielte zunächst erste Liebhaberinnen, später gemüt-
liche Mütter. 1809 trat sie in Schönbrunn vor Napoleon auf,
dem sie sehr gefiel. Als Dichterin pflegte sie das Familienrühr-
stück und hatte beim Publikum große Erfolge. Vgl. Wurzbach IV,
S. 34if.; Goedeke 1 III, S. Sioff.; Teuber-Weilen II 2, 2, S. 283
Reg. — Karoline Pichler verkehrte um 18 12 der beiderseitigen
Kinder wegen (oben S. 390) viel bei der Weißenthurn und schätzte
deren Häuslichkeit sehr (II, S. 28, 409). 1822 traf Karl Maria
622 *
von Weber Pichler in deren Gesellschaft (II, Anm. 259). Die
Weißenthurn sprach 1814 den Prolog des „Heinrich von Hohen-
staufen" (II, S. 4f.) und 1827 wohnte Karoline Pichler einer Vor-
stellung der Weißenthurnschen „Adelheid, Markgräfin von Burgau"
in Pest bei (II, S. 236). Als Karoline Pichler ein Gedicht „An
Frau von Weißenthurn zum Geburtstage 1812" verfaßte, da pries
sie zwar die Dichterin und Schauspielerin, hauptsächlich stellte
sie aber die häusliche Frau Weißenthurn in den Vordergrund,
welche die Nadel führt, beim Herde waltet und ihre Tochter zur
Kunst erzieht (Pichler, S. W. 2 XVI, S. 85 ff.). Dagegen feierte die
Weißenthurn Karoline Pichler 18 13 in ihrem Gedicht „An meine
verehrte Freundinn Caroline v. Pichler" (Wiener Hof-Theater
Taschenbuch auf das Jahr 1814. Herausgegeben von Ign. F. Ca-
stelli XI [Wien 18 13], S. 153 f.) als Hohe, der sie nicht nahen
könne, denn der Pichler enthüllte sich das Höchste, da sie dem Ge-
meinen entschwebte:
„Schwebst — und ich weile, ich schmachte im Tale,
Reiche die Hand Dir — erreiche Dich nicht.
Siehe — da neigst Du Dich liebend zur Tiefe,
Tröstend mir rufend — Ich komme zu Dir."
*^) Antonie Adamberger (1790 — 1867), eine Wienerin, betrat
nach dem frühzeitigen Tode ihrer Eltern, von Heinrich von Collin
vorgebildet, bereits 1807 die Bühne des Wiener Burgtheaters, zu
deren Zierden sie bald gehörte. 18 12 wxirde sie Körners Braut,
der für sie die Toni in „Toni" schrieb (oben S. 3 87 f.), und sie auch
sonst zur Heldin seiner Stücke machte (oben S. 390, 391). Nach
dessen Tod, der noch in ihren letzten Lebensjahren in ihrem
Innern schmerzlich nachwirkte, verließ sie das Haus ihrer Tante
und zog zu ihrer Schwester Luise in die Alservorstadt (II, S. 92).
Schon früher bei der Pichler verkehrend, wurde sie jetzt vielfach
in deren Kreis gezogen und lernte bei dieser Josef Arneth kennen
(vgl. II, S. 93ff.), verlobte sich mit ihm im Mai 1817 und ehelichte
ihn am 19. Juni 18 17, gleichzeitig die Bühne zum Schmerz aller
Theaterfreunde verlassend, wobei ihr Pichler einen Epilog zur
Schlußvorstellung dichtete (II, S. 95). Karoline Pichler schildert
Toni Adamberger als höchst sittliches, ausgezeichnetes Mädchen
(oben S. 387, 406; II, S. 85, 92), das allgemein beliebt war, dem
das Publikum bei seiner Verehelichung aber aus Zorn etwas übel
mitspielte (II, S. 94). Ihr hatte Karoline Pichler mehrere, Rollen
auf den Leib geschrieben, so die Margarethe in „Heinrich von
Hohenstaufen" (II, S. 5, 84), Marianne in „Wiedersehen" (II,
S. 34) und Maria Hofkirchen in „Ferdinand IL", welch letztere
Rolle aber Toni nur bei einer Vorlesung im Hause der Pichler
tragierte (II, S. 84 f.). Wie vor ihrer Verehelichung im Hause
623
der Tante (II, S. 85), dann im Hause der Pichler selbst, so blieb
auch nach der Rückkehr aus Genf der Verkehr mit der Pichler
aufrecht (II, S. 163, 185). So besorgte sie 1822 der Pichler die
Wohnung in Baden (II, S. 157), während diese ihr 1834 die brief-
liche Annäherung an Theodor Körners Mutter Minna vermittelte
(Alfred Ritter v. Arneth, Aus meinem Leben II, S. 62). Über
Toni Adamberger vgl. die feinfühlige Biographie von Hans Krticzka
Freiherrn von Jaden (Theodor Körner und seine Braut. Dresden
1896. S. 32 ff.), welche besonders ihre Bühnentätigkeit eingehend
schildert, sowie Teuber- Weilen II 2, 2, S. 268 Reg.
•^) Hedwig, ein Drama in 3 Akten, von Theodor Körner, wurde
am II. Januar 18 13 zum erstenmal im Burgtheater gegeben (vgl.
über das Stück Peschel-Wildenow I, S. 37Sf.) und Körner fand
es in seinen Briefen selbst, was den Inhalt betrifft, gräßlich. Von
Seiten der Pichler dürfte aber, da sie ja Körner (S. 388) bereits 18 12
kennen lernte, ein Irrtum vorliegen; was sie mit „Hedwig" be-
zeichnet, ist vielmehr „Toni", zuerst am 17. April 1812 am Burg-
theater unter großem Beifall aufgeführt und Ende Januar 18 12
nach Heinrich von Kleists Novelle „Die Verlobung auf St. Do-
mingo" verfaßt; obwohl damals Körners Verhältnis zu Toni Adam-
berger noch kein erklärtes war, so ist ihr doch die Titelrolle zuge-
dacht (vgl. Peschel-Wildenow I, S. 3 18 ff.).
*^') Zacharias Werners „Der vierundzwanzigste Februar" er-
schien erst 18 15 (Goedeke VI, S. 95 : 12), fällt also später als
Kömers „Toni". — Adolf Müllners „Die Schuld" erschien erst
18 16, wurde aber bereits im April 18 13 in Wien aufgeführt (Goe-
deke VIII, S. 302 : 15) und Herbst 1812 gedichtet (vgl. Anm. 689).
*^) Theresia Edle von Kirchstättern, 1796 in Wien als Tochter
des mit Pichler befreundeten Karl Edlen von Kirchstättern ge-
boren (vgl. oben I, S. 475, Anm. 222), war um 18 12 eine Art Ge-
sellschafterin bei der Pichler und heiratete am 27. April 18 15
den kontrollierenden Wirtschaftsbeamten der k. k. Staatsherrschaft
Schwadorf, Franz Xaver Knoch (laut Heiratsvertrag im Verlassen-
schaftsakt ihres Vaters im Landesgerichtsarchiv in Wien, Fasz. V,
Nr. 268 ex 1809), der später Kontrollor des Wiener Versorgungs-
hauses war. 1835, beim Tode ihrer Mutter Elisabeth, war sie
noch am Leben (vgl. I, Nachtrag zu Anm. 222).
•^^) Körners Eltern kamen mit Dora Stock und Emma Körner
anfangs August 18 12 nach Wien und verkehrten hauptsächlich
bei Humboldts, Baronin Pereira-Arnstein, Pichler u. a. Wien,
besonders die Sehenswürdigkeiten, die Umgebung und die Theater
gefielen ihnen gut. Die Rückreise nach Dresden erfolgte am 5. Sep-
tember (Peschel-Wildenow I, S. 372ff. unter Anziehung der Pich-
lerschen Stelle; Wilhelm von Humboldt, Ansichten über Ästhetik
624
und Literatur. Herausgegeben von F. Jonas. Berlin 1880. S. 181;
Fritz Jonas, Christian Gottfried Kömer. Berlin 1882. S. 245 ff.).
«60) Diese Vorlesung der „Rosamunde" erfolgte am 18. Novem-
ber 18 12 bei der Pichler (vgl. Anm. 661). Das Trauerspiel Rosa-
munde entstand vom 26. Oktober bis 8. November 18 12 und ist
nach der englischen Ballade „Fair Rosamond" unter Benützung
der historischen Rosamunde Clifford, der Geliebten Heinrichs II.
von England, und des Aufstands der Söhne Heinrichs, verfaßt;
es wurde von vielen (Pichlers, Korns, Weißenthurns, Kurländer),
mit Ausnahme der Humboldts, dem „Zriny" vorgezogen; seine
Aufführung fand am 3. Dezember 1812 am Theater an der Wien
statt (vgl. Peschel-Wildenow I, S. 374, 3 77 ff. unter Anziehung
der Pichlerstelle und Verwertung von deren Brief).
*6i) Dieser von Karoline Pichler in ihrer Begeisterung über
„Rosamunde" geschriebene Brief ist erhalten (Rudolf Brockhaus,
Theodor Körner. Leipzig 1891. S. 82ff.). Er ist am 18. November
abends und am 19. November 18 12 morgens geschrieben, dankt
zunächst für den Genuß, den die Vorlesung bereitete, sowie dafür,
daß sie durch dieses Gebilde „wie durch einen Spiegel in Ihr Ge-
müt sehen durfte und den heiligen Sinn für Recht, Pflicht und
Tugend drinnen erkannte, der die Achtung, welche Sie mir von
jeher einflößten, noch Viel vermehrt, und mich Ihre Mutter nicht
ohne geheimen Neid betrachten läßt. Wahrlich, Ihre Eltern
können und müssen glücklich sein durch solche Kinder!" Daran
schließen sich einige Vorschläge, wie sie die Figur König Hein-
richs II. in einigen Punkten gestaltet sehen möchte. Nochmals
dankt sie für ein Werk, daß „so schön, so ergreifend ist, daß einige
Momente desselben noch heute In meiner Brust nachbeben und
die Überzeugung in mir hervorgebracht haben, daß Ich nie Im-
stande sein würde, etwas so lebendiges, feuriges, tiefeindringen-
des zu dichten, wie dieß Stück oder wenigstens wie die 3 ersten
Akte desselben — und ein Teil des fünften." Sie sagte dies auch
Ihrem Manne. Unvergeßlich bleibt ihr die Schlußszene des 2, Akts,
die Szene zwischen Heinrich und Rosamunde Im 3. und Richards
Unterwerfung im 5. Akt. — Körner antwortete, mit dem Sonett
„An Caroline Pichler. Nach Vorlesung der Rosamunde" (Körner,
S. W.5 Herausgegeben von K. Streckfuß. Berlin 1858. S. 172),
worin er K. Pichler auf des Tempels Schwelle treten und Ihm
den Pfad zur Bergeshöhe zeigen läßt.
**2) Körners „Zriny", ein Spiegelbild der Zeltbestrebungen,
wurde am 3. Juni 1812 begonnen, am 24. Juni in Döbllng voll- .
endet und am 18. Juli einem Abschreiber übergeben; vorher fielen
die Vorlesungen bei Humboldts, Schlegels (3. Juli) und Frau
von Weißenthurn. Quelle war Körner hauptsächlich Hormayrs '
40 c. p. I ' t 625
Plutarch (nach der Chronik des Budina), daneben verwertete er
einzehies aus den Zrinydramen des Cl. F. Werthes (1790) und
des J. L. Pyrker (18 10). Helene war für Toni Adamberger ge-
schrieben. Vgl. Heinrich Bischoff, Theodor Körners „Zriny".
Leipzig 1891. S. z/ff., 54ff.; Theodor Herold, Friedrich August
Clemens Werthes und die deutschen Zriny-Dramen. Münster i. W.
1898. S. 118 ff., 126 ff. (beide verwerten auch die Pichlerstelle:
Bischoff, S. 61; Herold, S. 146); Peschel-Wildenow I, S. 3S3ff.
®^) Johanna Franul von Weißenthurn hatte aus ihrer Ehe mit
dem Großhandlungskassier Alois Franul von Weißenthurn
(t 29. November 18 17 in Wien) zwei Kinder; einen Sohn Nikolaus,
der beim Tode seines Vaters beim Marinedepartement in Venedig
angestellt war, und eine Tochter Franziska, die 18 17 zweiund-
zwanzig Jahre zählte (vgl. den Verlassenschaftsakt des Vaters
im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 195 ex 18 17).
Letztere lebte 1847, als die Mutter starb, nicht mehr (vgl. deren
Verlassenschaftsakt, ebd., Fasz. V, Nr. 94 ex 1847).
*^) Die Erstaufführung des „Zriny" erfolgte am 30. Dezem-
ber 18 12 im Theater an der Wien. Wie die zeitgenössischen
Kritiken erkennen lassen, . war das Interesse beim 4. Akt etwas
abgeflaut und nur das Feuerwerk am Schluß des Stückes beschwich-
tigte die Unbehaglichkeit des Publikums, die, wie Körner in einem
Briefe vom i. Januar 18 13 selbst zugibt, hauptsächlich durch den
Tod Helenens, der den meisten zu fürchterlich war, hervorgerufen
wurde. Die Vorstellung dauerte bis -^/aii Uhr abends. Vgl.
Bischoff, S. 58ff. und 88, Anm. 4; Herold, S. 122 ff.; Peschel-
Wildenow I, S. 3 57 ff.
^^) Über Franz Josef Maximilian Ferdinand Reichsfürsten
von Lobkowitz vgl. H, S. 415, Anm. 13. Über seine Beziehungen
zu Theodor Körner vgl. Peschel-Wildenow II, S. 263 Reg.
^^ Christian Gottfried Körner (1756 — 183 1), Schillers Freund,
war seit 1782 Konsistorialadvokat in Leipzig, trat später in den
Staatsdienst, wurde Appellationsgerichtsrat und geheimer Referen-
dar, 18 15 Staatsrat in Berlin und 18 17 im BerHner Kultusministe-
rium Geheimer Oberregierungsrat. Er schrieb ästhetische und
politische Schriften. Vgl. Goedeke V, S. 499f.; Fritz Jonas.
Christian Gottfried Körner, Berlin 1882. Karoline Pichler lobt
sein Klavierspiel in ihrem Hause (oben S. 391 f.). — Er war seit 1785
mit Anna Maria Jakobine (Minna) Stock (1762 — 1843) vermählt;
sie besaß schöne Anlagen für Malerei und Musik und war von
gewinnendem Liebreiz und großer Schönheit; der Verehelichung
hatten sich anfangs bedeutende Schwierigkeiten in den Weg ge-
stellt. Vgl. über sie Peschel-Wildenow I, S. -I7ff.; Jonas a.a.O.,
passim. Sie stand mit Charlotte von Schiller in regem Briefwechsel,
626
vgl. Ludwig Urlichs, Charlotte von Schiller und ihre Freunde III
(Stuttgart 1865), S. 32ff. samt Bildnis. Ihr widmete Karoline
Pichler nach Theodor Körners Tod ein Gedicht (II, S. 8, 417!. : 20).
867) Johanna Dorothea (Dora) Stock (1760^1832), die Freundin
Schillers und eine begabte Malerin, lebte im Hause ihres Schwagers
Körner und ist auch in der Familienruhestätte zu Wöbbelin be-
erdigt. Vgl. Ludwig Urlichs, a. a. O. III. S. 3ff. mit Bild; Peschel-
Wildenow II, S. 269 Reg.
888) Emma Sophie Körner, 1788 in Dresden geboren, eine be-
gabte Dilettantin auf dem Gebiete der Malkunst, war Körner
sehr zugetan. Nicht lange nach seinem Tode erkrankte sie im März
18 15 an den Masern, zu denen sich ein Nervenfieber gesellte,
und am 15. März 18 15 starb Emma. Sie wurde in Wöbbelin an
der Seite ihres Bruders, dessen Soldatenbildnis von ihr herrührt,
bestattet. Vgl. Jonas, Christian Gottfried Körner, S. 66, 338 ff.,
3 80 ff.; Peschel-Wildenow II, S. 262 Reg.
88^) Dieser Brief Goethes an Frau Flies ist aus Karlsbad und
mit 30. August 18 12 datiert (Abgedruckt bei Aug. Sauer, Goethe
und Österreich II [Weimar 1904], S. 276ff.). Er traf vor dem
7. September 18 12 in Wien ein, an welchem Tage J. L. S. Bar-
tholdi (1779 — 1825) im Namen seiner Tante Eskeles Goethes Brief
dahin beantwortete, daß Frau El. Flies vor einigen Tagen starb,
Frau Eskeles den Brief eröffnete und las und das Angenehme
und Schmeichelhafte, das über Frau Pichler darin stand, dieser
sogleich mitteilte (Sauer, ebd. II, S. 280). — Frau Flies hatte
Goethe im Sommer 1808 in Karlsbad kennen gelernt und sah ihn
im Juni 181 1 dort wieder (Sauer II, S. 388f., 390 : 5), Von Frau
Flies sind 3 Briefe an Goethe erhalten (Sauer II, S. 252 : i [1809],
253 : 2 [18 10]; 272 : 6 [18 12]), von Goethe zwei (Sauer II, 268 : 4
[1812]; 276 : 7 [1812]; andere gingen verloren: ebd. II, S. 389).
8™) Cäcilia Freiin von Eskeles (1760 — 1836), eine Berlinerin,
Schwester der Fanni Arnstein und Rebekka Ephraim, Tochter
des bekannten Berliner Bankiers Daniel Itzig, später Hitzig (1722
bis 1799), war die Gattin des Bernhard Freiherrn von Eskeles
(Anm. 546). Vgl. Weimarer historisch-genealoges Taschenbuch des
gesamten Adels jehudäischen Ursprunges I (Weimar 1912), S. 125,
385. — Ihr Salon war zwar weniger glänzend als der ihrer Schwester
Fanni Freiin von Arnstein, aber ihr Haus in Hietzing sah die vor-
nehmsten und berühmtesten Leute, die sie mit gutmütigem Wohl-
wollen empfing. Sie stand auch mit Goethe in Verkehr, den sie
1808 in Karlsbad kennen lernte und mit dem sie einen Brief
wechselte (vgl. A. Sauer a. a. O. II, S. LV, 284 : 10, 388 f.). Karo-
line Pichler verkehrte oft im Eskelesschen Hause (oben S. 326,
II, S. i24f.).
40"
627
*'^) Dieser Brief Goethes an die Pichler, mit Weimar, 31. März
1812 datiert („Ich darf meinen lebhaften Dank"...), enthält
Goethes Dank für Autographen, welche ihm Karoline Pichler mit
Schreiben vom 28. November 181 1 über Vermittlung der Frau
Flies sandte (A. Sauer, Goethe und Österreich II, S. 255 : 3). Es
waren Autographen von Josef Haydn, Nelson, Max. Hell und
Bemerkungen und Verbesserungen, die Denis und Mastalier an
ihren ersten jugendlichen Arbeiten machten. Den Brief Goethes
an sie brachte Karoline Pichler selbst 1838 in einem Aufsatze
„Briefe von Goethe und Werner" (Wiener Zeitschrift für Kunst,
Literatur, Theater und Mode. Wien 1838. S. 3i3f.) zum Abdruck;
er weicht in zwei Kleinigkeiten von A. Sauer (II, S. 271 :"5; vor-
her: C. A. H. Burkhardt in: Die Grenzboten XXXIV, i [Leipzig
1875], S. 48if. [Goethes Konzept]; Mich. Bernays in: Im neuen
Reich V, i [Leipzig 1875], S. 578 = M. Bernays, Zur neueren und
neuesten Litteraturgeschichte I [Leipzig 1893], S. 243 f. [Original-
brief]) ab. Sowohl aus Goethes Antwort, als auch aus Pichlers
Schreiben geht hervor, daß sie Autographen von Mozart nicht
auftreiben konnte (Sauer II, S. 256, 271), womit sich ihre An-
gabe (oben S. 393) berichtigt. — Schon in diesem ihrem ersten
Schreiben an Goethe gab Karoline Pichler ihrer Freude darüber
Ausdruck, daß ihr Agathokles, wie sie von Frau Flies und von
ihrem Arzte Türkheim erfuhr, sich eines günstigen Urteils von
Seiten Goethes erfreue. Anschließend daran teilte sie Goethe mit,
welchen unauslöschlichen Eindruck seine Werke (Werther, Götz,
Stella) bereits in ihrer Jugend, wo ihr Stellen daraus zur Belohnung
ihres Fleißes von ihrem Lehrer vorgelesen wurden (vgl. oben S. 50),
auf sie machten, und daß sie später im Betrachten der Meister-
werke (Iphigenie, Tasso, Egmont) ein stilles Glück fand, sich vor
allem aber „vor dem hohen reinen Geist, der in Iphigenien waltet",
neigte (Sauer II, S. 267 f.). Dieser Brief, mit Wärme geschrieben,
wurde von Goethe ebenfalls seiner Autographensammlung ein-
gereiht (Sauer II, S. 270, 271), entlockte ihm jedoch keine Äußerung
über den Agathokles, die Pichler so gerne gehabt hätte, denn er
begnügte sich, zu versichern, daß er an ihren Produktionen teil-
genommen und dadurch veranlaßt, wiederholt daran dachte, über
sie und ihre „Schwestern in Apoll ein heiteres Wort zu sagen"
(Sauer II, S. 272, 390 : 5). Als Karoline Pichler Goethes Brief
erhielt, soll sie „außer sich vor Freude" gewesen sein (Flies an
Goethe, 25. Mai 18 12: Sauer II, S. 273), was dem oben S. 393
Gesagten widersprechen würde. Betreffs eines persönlichen
Umganges äußerte die Pichler in einem Briefe an die Huber
(vom 29. Oktober ^822: K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch III,
S. 323 f.), daß sie daran nicht Gefallen finden könnte, da sie
628
Goethes Indifferenzpunkt von jeder traulichen Annäherung ab-
halten würde.
672^ Vgl. über die Übersetzung des Agathokles durch Baronin
Montolieu II, S. 175 f. Über den Agathokles selbst vgl. oben
Anm. 551.
673) Goethe hatte Pichlers „Agathokles" in Karlsbad vom 18. bis
20, August 1812 gelesen (Tagebücher IV [Weimar 1891], S. 3i2f.)
und am 30. August übermittelte er Frau Flies ein Blatt über den
„Agathokles", „womit Sie unserer lieben Pichler einen Spaß
machen sollten". Darin sagte er (Sauer a. a. O. I, S, 277 ff.; vorher:
C.A.H. Burkhardt in: Die Grenzboten XXXIV, i [Leipzig 1875],
S. 482 ff.), daß er das Werk „mit Aufmerksamkeit und vielem Ver-
gnügen" las, daß die Zeichnung der Charaktere, die Anlage und
Durchführung derselben, ebenso die Fabel, die „in einer prägnanten
Zeit und auf eii^m breiten bedeutenden Lokal sich so reich als
faßUch ausdehnt", seinen Beifall fandeuj so daß er „über diesem
Uebenswürdigen Natur- und Kunstwerke ganz vergaß", wie wenig
ihm „sonst jenes Jahrhundert und die Gesinnungen, die darin
triumphierend auftreten, eigentlich zusagen können. Ja, unsere
Freundin wird es sich hoch anrechnen, daß ich nicht im mindesten
verdrüßlich geworden bin, wenn sie meinen Großoheim Hadrian
und sein Seelchen und meine übrige heidnische Sippschaft und
ihre Geister nicht zum besten behandelt (Agathokles. I. Band,
9. Brief: M. Bemays, Zur neueren und neuesten Litteraturge-
schichte I [Leipzig 1893], S. 246; Sauer I, S. 391). Die innere
Konsequenz des Werkes hat mich mit allem einzelnen, was mir
sonst hätte fremd bleiben müssen, wirkUch befreundet." Obwohl
er den Plan hier und da umdenken, „einem Charakter eine andere
Richtung, einer Begebenheit eine andere Wendung" erteilen wollte,
so wurde er doch immer durch die Verfasserin in der Folge selbst
bekehrt und „auf ihren eigenen Sinn zurückgebracht", so daß er
die Arbeit in jedem Sinn gegen jede Einwendung in Schutz neh-
men könnte. Er wollte gerne dem Publikum gegenüber die liebens-
würdige Calpurnia als Hauptperson erklären, ihr alle anderen
Personen unterordnen und alle Begebenheiten auf sie beziehen,
um auf diese Weise „die Harmonie dieser Komposition aufs neue
recht anschaulich" zu machen. Karoline Pichler wendete sich in
ihrem Brief vom 9. November 18 12 (A. Sauer a. a. O. I, S. 282 f.)
gegen die Ansetzung der Calpurnia als Hauptperson, die übrigens
auch der Fürst Ligne gerne als solche sehen wollte. Sie war be-
treffs der Meinung über Calpurnia betrübt, denn es dünkte sie,
daß Larissa Calpurnia doch an „innerm Gehalt und echt weib-
licher Tugend" weit übertreffe. Larissa entsprach eben ihrem
Ideal von der Frau, während die Männer an der freieren Calpurnia
629
mehr Gefallen fanden, was Pichler ahnte, da sie die Frage auf-
warf: „Sollte diese (Larissa) wirldich so wenig liebenswürdig für
das andre Geschlecht sein?" Daß Karoline Pichler Goethes
„Spaße" so liebenswürdig aufnahm, dafür ließ er ihr am 26. No-
vember 18 12 durch Frau Cäcilia v. Eskeles seinen Dank über-
mitteln (Sauer I, S. 287). Damit schÜeßen Goethes Beziehungen
zur Pichler, wenn er sich auch September 1823 ihrer freundlich
erinnerte (Sauer I, S. 392, Nr. 11). Außer dem „Agathokles" las
Goethe 18 12 noch Pichlers Roman „Sie war es dennoch" (Tage-
bücher IV, S. 320: 12. September).
®'*) Goethes Torquato Tasso, I. Aufzug, i. Auftritt, Vers loi :
„Du hast sie [die Bildung] doch und bist's am Ende doch." —
Karoline Pichler zitiert, wie gewöhnlich, ungenau.
*'^) Johann (Klostername Ladislaus) Pyrker de Felsö-Eör (1772
bis 1847), ^^^ Ungar, trat Oktober 1792 ins Zisterzienserstift
LiUenfeld ein. 1795 legte er die feierliche Profeß ab und Dezem-
ber 1796 erhielt er die Priesterweihe. 1797 ist er Stiftsökonom,
1799 Kämmerer und Waldmeister, 1807 Pfarrer in Türnitz und
am 15. Juli 181 1 Prior im Stifte. Letzteres war ein sorgenvolles
Amt. Im Juli 18 12 zum Abt seines Stiftes erwählt, war seine
Prälatenzeit für das Stift eine segensreiche. Nicht nur, daß er
durch Beschaffung von Geldmitteln die Brandschäden beseitigte,
er legte auch verschiedene naturhistorische und andere Sammlungen
an, vergrößerte den Besitz des Stiftes und wahrte dessen Rechte.
Daneben war er vielfach dichterisch tätig. Infolge seiner Tüchtig-
keit wurde er im August 18 18 Bischof von Zips, 1820 Patriarch
von Venedig und 1827 Erzbischof von Erlau, wo er die neue
Kathedrale erbaute. Dem Stifte Lilienfeld blieb er auch weiter-
hin in Liebe zugetan und fand seine letzte Ruhestätte dort. Von
seinen groß angelegten Epen sind „Rudolf von Habsburg" und
die „Tunisias" besonders hervorhebenswert. Vgl. P. Tobner,
Lilienfeld 1202 — 1902. Wien 1902. S. 443 ff.; Wurzbach XXIV,
S. 115 ff.; Goedeke -^ III, S. 769 ff., 1253. — Karoline Pichler
wurde mit Ladislaus Pyrker, obwohl sie ihn schon früher flüchtig
gesehen hatte (oben S. 395), 1812 knapp vor der Abtwahl (8. Juli
1812) in Lilienfeld bekannt (oben S. 395, 397f.). Nun entwickelte
sich zwischen beiden ein reger persönlicher und schriftlicher Ver-
kehr. Noch im Herbst 18 12 besuchte Pyrker die Pichler in Wien
(oben S. 398), während diese in den folgenden Jahren (18 15, 18 16,
1818) wiederholt nach Lilienfeld kam (II, S. 79f., 89f., ii8ff.).
Sie verwendete sich 1822 für den Druck einiger Gesänge der
Rudolfias bei Therese Huber (II, S. 419 : 28), da ihr dieses Werk
gefiel (II, S. 9). Als sie ihm Fouques „Zauberring" als Dank für
die gastfreundliche Bewirtung in Lilienfeld übermittelte, be-
630
gleitete sie diese Sendung mit einem Gedicht (An den Herrn
Abten Ladislaus von Lilienfeld, bey Übersendung des. Zauber-
ringes: S. W.2 XVI, S. I33f.)5 in dem sie auf Pyrkers Tunisias
hinwies. Zum Andenken an den Ausflug auf die Klosteralpe (1818)
schenkte sie ihm ein Exemplar des Nibelungenliedes mit poetischer
Widmung (vgl. II, Anm. 260). Über eine, zu Pyrkers Ehren statt-
gehabte Soiree bei der Pichler (ca. 1835) vgl. L. A. Frankl, Eine
Soiree bei Caroline Pichler. In: Die Presse, XV, (Wien 1862),
Nr. 31 = Erinnerungen. Hg. von St. Hock, Prag 1910, S. io4ff.;
der Aufsatz dürfte aber nur Fiktion sein.
676^ Neuere Forschungen ergaben, daß bereits 1322 Herzog
Albrecht II. der Lahme mit seinem Bruder Leopold dem Glor-
würdigen das Gelübde tat, wenn der Kampf gegen Ludwig den
Bayer günstig ausgehe, ein Kloster zu Gaming zu errichten (vgl.
Josef Lampel in ; Topographie ■ von Niederösterreich III [Wien
1893], S. 272 f.).
^") Johann Martin Fischer (1740 — 1820), Bildhauer, stammte
aus Schwaben und war seit 1760 in Wien, wo er die Akademie •
der bildenden Künste besuchte, an der er später als Professor (1786)
und Direktor wirkte. Sein „Mutlus Scävola" Ist heute noch in
Schönbrunn zu sehen. Bedeutender Ist aber Fischer als Anatom.
Vgl. Wurzbach IV, S. 244f. 5 Kabdebo in: Allgemeine Deutsche
Biographie VH, S. 79 f.
^'^) Erster Druck: Archiv für Geographie, Historie, Staats- und
Kriegskunst. Herausgegeben von Hormayr IV (Wien 18 13), S. 519:
Gaming. Dann S. W.^ XVI, S. 241 ff. Die historischen Daten zu
diesem Gedichte lieferte Hormayr unterm 18. August 18 12 brief-
Uch der K. Pichler (K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 251).
Hier seien Karoline Pichlers übrige Beiträge zu Hormayrs
„Archiv" und „Taschenbuch", das sie 16. März 1820 (Brief an
die Huber: K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch III, S. 296) zwar für
gehaltvoll, aber stilistisch verfehlt hält, verzeichnet :
a) Archiv I (18 10); a) S. 141: Kaiser Ferdinand II. = S.W.*
XVI, S. 213; vgl. noch Anm. 565.
ß) S. 329: Historischer Frauenspiegel (Prosa. Zu einem Auf-
satz Im Archiv I, S. 32iff. : Bredows historischer Frauenspiegel)
= S. W.2 XVII, S. 103 ff. : Erinnerung an einige merkwürdige
Frauen. Am Zustandekommen dieses Aufsatzes hatte Hormayr
durch Lieferung von Quellenmaterial werktätigen Anteil (vgl. seine
Briefe an die Pichler vom 7. März 1809, Januar 1810, 7. März 1810:
K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 245—248). Der Aufsatz
selbst hatte ihn „in Wahrheit freudig überrascht" und seine „hohe
Idee von Ihrer historischen Darstellungsgabe aufs neue beurkundet"
(ebd. XII, S. 246).
631
y) S. 341 : Cremsmünster, Legende = S. W.' XVI, S. 256; ein
Nachdruck: vgl. I, Anm. 510 und Hormayrs Brief an die Pichler
vom Januar 18 10 (K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 247).
b) II (181 1); d) S. 288: Der Markgräfin Schleyer = Hormayrs
Taschenbuch für die vaterländische Geschichte. Wien 181 1. S. 3
= S. W.a XVI, S. 219.
ß) S. 429: Bey Anhörung des Mozartschen Requiem zu
Collin's Todenfeyer (Am 6. August 181 1) = S. W." XVI, S. 76. —
Nachdruck: Urania. Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815.
Leipzig (18 14). S. 73 ff.
y) S. 557: Maria Zell = S. W.» XVI, S. 201. — Ein Nach-
druck; zuerst 1806, vgl. Anm. 447.
c) III (1812); a) S. 189: Johann Hunniady Corvin = S. W.« XVI,
S. 228. — Ein Nachdruck; zuerst 18 12, vgl. Anm. 552.
ß) S. 249: Herzog Albrechts Rache, 1536= Hormayrs Ta-
schenbuch 1812, S. 207 = S. W.2 XVI, S. 249. — Quelle: Österr.
Plutarch, II. Heft, im Leben Albrechts des Lahmen; Joh. v. Müller,
Schweitzerhistorie.
d) IV (1813), S. 519: Gaming = S. W.2 XVI, S. 241. — Gleich-
zeitig: Taschenbuch 18 13, S. 3 ff.
e) V (1814); a) S. 161: Kaiser Maximilian L, wie er seine Braut,
Maria von Burgund, zu Gent empfängt (Vor dem Gemähide des
Herrn Peter in der Kunstausstellung der k. k. Akademie zu Wien)
= S. W.2 XVI, S. 95. — Zuerst 18 13, vgl. Anm. 552.
ß) S. 249 : Philippine Weiserinn, entlehnt aus Selam = S. W.^
XVI, S. 267.
f) VII (18 16); a) S. 9: Kaiser Maximilians Zweykampf, 1495
= S. W.a XVI, S. 289. — Vgl. noch II, S. 281 mit Anm. 436
über die Prosabearbeitung. — Hormayr nennt dieses Gedicht
„köstlich" (Brief an die Pichler vom 25. Oktober 18 15: K. Glossy,
Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 287, vgl. noch S. 292 f.).
ß) S. 24iff. : Reise von Kremsmünster nach Spital am Pyhm
(Prosa) = S. W.2 XVII, S. 239ff. — Nachdruck: Album aus Öster-
reich ob der Enns. Hg. zum Besten der durch den Brand am
26. Oktober 1841 verunglückten Bewohner von Spital am Pyhm in
Ober- Österreich. Linz 1843, S- I2ff. — Die Vermittlung zu diesem
Nachdruck ging von Frankl aus (vgl. K. Pichlers Brief an ihn vom
21. XII. 1842: Frankls Sonntags-Blätter, III, [Wien 1844], S. 80).
y) S. 531 : In das Stammbuch des Freyherrn von Hormayr 1808
= S. W.2 XVI, S. 70. Vorher: Der Sammler II (Wien 1810),
S. 257: In das Stanmibuch eines vaterländischen Geschichts-
forschers.
g) VIII (18 17); a) S. 17: Markgraf Leopold der Erlauchte
= S. W.2 XVI, S. 234. — Vorher: Taschenbuch 1814, S. 3 ff.
632
ß) S. 153: Hohenfurth = S. W,« XVI, S. 275.— Zuerst 1816
als Einzeldruck: Goedeke VI, S. 577 : 87 : 3.
h) XII (1821), S. 241: Die Freunde, i. Salm; 2. Rogendorf
= S. W.a XVI, S.28iff.= Taschenbuch 1820, S. XXXVII ff.;
vgl. noch II, Anm. 185.
6'8) Am 13. September 1810 zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags
war der stiftliche Meierhof in Brand geraten, das Feuer griff rasch
um sich und binnen fünf Stunden waren alle Stiftsgebäude und
die Kirche ein Raub der Flammen geworden (Paul Tobner, Lilien-
feld 1202 — 1902. Wien 1902. S. 436). Ladislaus Pyrker war da-
mit beauftragt, die Herstellungsarbeiten zu leiten, doch scheiterte
vieles am Mangel an Geld, so daß das Refektorium, das Dormitorium
und die Sebastianikapelle zugrunde gingen (Tobner, S. 441 ff.). —
Die von der Pichler erwähnte (S. 397) Überschwemmung fand
erst am 24. August und 13. September 1813, also ein Jahr später
statt (Tobner, S. 448).
^^) Am 8, Juli 18 12 wurde der Prior Ladislaus Pyrker mit
24 Stimmen infolge seiner Verdienste, die er sich bereits raoa. das
Stift erwarb, zum Abt des Stiftes Lilienfeld erwählt, am selben
Tage noch installiert und am 22. Juli infuliert (Tobner, S. 446f.).
**^) Über Germanicus Caesar vgl. man die Biographie von
A. Zingerle (De Germanigo Caesare, Drusi filio. Progr. Gymnasium
Trient 1867), welcher die gan'ze in Betracht kommende Literatur,
besonders des Tacitus Annalen ;(lib. I und II) verwertet.
*^2) Die Erstaufführung «erfolgte am 12. Dezember 18 12 anonym
im Wiener Burgtheater,' worüber S. Eckler eine lange Anzeige
verfaßte (Bäuerles Theater-Zeitung 18 12, S. 4o5f.). Das Trauer-
spiel ist zwar nach ihm kein glänzendes, aber ein „dem Kenner-
blick genügendes Meteor an Melpomenens Horizonte". Da der
Stoff als solcher undankbar und leer ist, so ist der Gang der Hand-
lung in den ersten drei Akten etwas schleppend, doch fesselt jede
Szene, sei es durch die blühende Darstellung eines reinen Patriotis-
mus und echt römischer Bürgertugend, sei es durch den mit
herrlichen Zügen gezeichneten Seelenzustand des Germanicus.
Die Katastrophe ist glücklich gewählt, der Dialog wohlverbunden
und malerisch, „das Ganze atmet geläuterte politische Ansichten
und reinen Natursinn". Die Kostüme und die Dekorationen waren
passend, die Darsteller (s. unten) trefflich, besonders ragte Frl.
Adamberger hervor, bei der es schien, als ob der Dichter nur
an sie gedacht habe. — Die dritte Vorstellung, die am 21. Dezem-
ber 18 12 bei vollem Hause vor sich ging, fand eine kritische Würdi-
gung in „Der Sammler" (IV [Wien 18 12], S. 630). Der Rezensent
nennt die Diktion des Trauerspiels edel und elegant, nur vielleicht
etwas zu wenig erhaben, die weiblichen Charaktere, besonders
633
Plancina, die der historischen -Wahrheit gegenüber stark veredelt
ist, vortrefflich, und begnügt sich, einige kleine Einwände betreffs
der Vorgänge beim Tode der Plancina und betreffs des sterbenden
Germanicus zu machen. Die Darstellung, Koberwein als Germani-
cus. Ziegler als Piso, Krüger als Publius Hortensius, Koch als
Athenodor, Madame Weißenthurn als Agrippina und DUe. Adam-
berger als Plancina, vi^ar trefflich, — Das Stück erlebte vom 12. De-
zember 18 12 bis zum 4. Januar 18 13 fünf Aufführungen am
Wiener Burgtheater (vgl. Hds. J c 40 428 der Wiener Stadtbiblio-
thek, S. 69) und hatte, wie die Anzeigen lehren, Erfolg, womit
sich Teuber- Weilen II, 2, i, S. 190 f. berichtigt.
Der Text erschien 18 13 im Druck (Germanicus, ein Trauerspiel.
Wien, bey Ant. Strauß 1813= S. W.2 XIX, S. 5ff.), nachdem
einzelne Szenen bereits früher erschienen waren (vgl. Anm. 552),
und war dem Erzherzog Karl mit einer Widmung (S. W.^ XIX,
S. 9 ff.) zugeeignet (unterzeichnet: Wien, im März 18 13). Darin
ist ausgeführt, daß Pichler bereits 1801 — 1803 beim Lesen der
römischen Geschichte in Germanicus einen passenden Stoff für
ein Trauerspiel sah, besonders als sie eine Ähnlichkeit zwischen
diesem und Erzherzog Karl fand.
^^^) Über Karoline Fürstin Lobkowitz vgl. II, Anm. 212.
**^) Über Erzherzog Rudolf von Österreich vgl. II, 418, Anm. 23.
^^) Über die Teilnahme der österreichischen Truppen am rus-
sischen Feldzug Napoleons unter dem Fürsten Karl Philipp von
Schwarzenberg vgl. man Ludwig Freiherr von Weiden, Der Feld-
zug der Österreicher gegen Rußland im Jahre 18 12. Wien 1870.
S. 4ff. Das Auxiliarkorps bestand vom 10. Juni 1812 bis gegen
Ende Februar 18 13, beteiligte sich an verschiedenen Gefechten
und war vom 29. Dezember 18 12 ab, wo es bei Pultusk kan-
tonierte, untätig.
^^) Fedor Graf Rostoptschin (1765 — 1826), russischer General
und Gouverneur von Moskau, bereitete nach der Schlacht bei
Borodino (7. September 18 12) alles vor, um Moskau beim Ein-
marsch der Franzosen in Brand zu setzen. Am 14. September
verließ er die Stadt, gleichzeitig drangen die Franzosen ein und
in der Nacht vom 15. auf den 16. September brach der verheerende
Brand aus. Vgl. darüber A. comte de Segur, Vie du comte Rostop-
chine, gouverneur de Moscou en 1812. Paris 1871. S. 2i8ff. —
K. Pichler verwertete den Brand von Moskau in ihrer Kantate
„Das befreyte Deutschland" (Wien 1819. S. 12).
^^) Johannes Büel (1761 — 1830), aus Stein am Rhein im Kanton
Schaff hausen gebürtig, studierte Theologie und war seit 1784
Helfer in Hemmishofen. Hier erwarb er sich durch einige päda-
gogische Schriften einen guten Namen. 1782 lernte er Luise von
634
Auleben in Schaffhausen kennen und ehelichte sie bald danach.
Als sie 1802 starb, ging er aus Schmerz, die Ehe war überaus glück-
lich gewesen, nach Gotha, wo er durch seine Frau Beziehungen hatte.
Hier wurde er Bibliothekar, als welcher er später den Hofratstitel
erhielt. Bereits im Frühjahre 1803 verließ er aber als Reisebegleiter
eines Grafen Gotha wieder und wendete sich nach Wien, wurde
Erzieher im Hause des Grafen Browne- Camus und leitete die Er-
ziehung des Grafen Moritz, der sich voll Dank in Büels Stammbuch
über ihn äußerte (vgl. Jak. Bächtold, Zürcher Taschenbuch auf
das Jahr 1892. NF. XV, [Zürich 1892], S. 167). Er machte mit
seinem Zögling und allein viele Reisen und verkehrte in den besten
und bedeutendsten Kreisen, worüber seine Stammbücher, die Jak.
Bächtold auszugsweise veröffentlichte (a. a. O., S. 132 ff.), interes-
sante Aufschlüsse bieten. In Wien lernte er auch Karoline Pichler
kennen, bei der er nicht nur ein gern gesehener Gast war (vgl. I,
S. 482), sondern dem sie ihr volles Vertrauen schenkte und den sie
als geistlichen Freund wiederholt zu Rate zog (H, S. iii). Nicht
nur, daß er viele Leute von Namen bei ihr einführte, so 18 13 Frau
von Wolzogen und Frau Humboldt (II, S. 27), 18 14 den Grafen
Stolberg (II, S. 39; vgl. noch dessen Stammbucheintrag bei Bächtold
S. 149 vom 31. Oktober 18 14), den Schweizer Peter aus Winterthur
(II, S. 84) und später brieflich den Gesandten Effinger- Wildegg
(II, S. 113, 227), sondern er machte auch 1816 gemeinsam mit der
Pichler und anderen eine Reise nach Lilienfeld und Maria-Zeil
(II, S. 88 ff.) und stand ihr 1809 während der schweren Kriegszeit
gesellig bei, worüber ein prosaischer Eintrag der Pichler vom August
1809 in seinem Stammbuch Aufschluß gibt (Bächtold, S. 142 f.).
Als er 18 14 eine Reise in seine Heimat unternahm, da schrieb ihm
Karoline Pichler ein Lobgedicht auf die Berge in das Stammbuch
(Bächtold, S. 143 f.: Wien, 21. September 1814. — Erster Druck:
Morgenblatt für gebildete Stände 18 15, Nr. 15, S. 60: An Johannes
Büel [unterzeichnet: Wien, i. November 18 14]; darnach: S. W.^
XVI, S. io4ff.). Als 18 17 Graf Moritz Browne seine Studien vol-
lendet hatte und in Militärdienste trat, da verHeß Büel im Juni
Wien (vgl. II, S. iiof.) und kehrte in die Schweiz zurück, wo er in
Zürich bei seinem Freunde, dem Pfarrer Salomon Vögelin als
Privatmann lebte. Verschiedene Reisen, worunter ihn eine auch
wieder nach Wien führte (vgl. II, S. 112), unterbrachen sein, dem
Studium gewidmetes Leben. Ein reger Briefwechsel mit Karoline
Pichler hielt die alten Beziehungen warm (vgl. II, S. 112 f.; Pichlers
Briefe werden in Zürich bewahrt: Bächtold, S. 142; Büels Briefe
sind zum Teil in der Wiener Stadtbibliothek, zum Teil in Privat-
besitz). 1829 übersiedelte Büel in seine Vaterstadt Stein und starb
hier am 7. Oktober 1830 an einem Schlagfluß (vgl. II, S. 276). Eine
635
Stiftung hält in seiner Heimat seinen Namen lebendig. Vgl. über
Büel die Biographie von J. Böschenstein Qohannes Büel. Schaff-
hausen 1872).
***) Über Müllners Schuld und Zacharias Werners Vierundzwan-
zigsten Februar vgl. Anm. 657 und 689. — »Der neunundzwan-
zigste Februar", ein Trauerspiel in einem Akt von Adolf Müllner,
erschien 18 12 in Leipzig und wurde ebenda am 7. August 18 12
zum erstenmal aufgeführt; es erlebte verschiedene Nachahmungen
und Parodien (vgl. Goedeke VIII, S. 301: ii; Jakob Minor, Die
Schicksals-Tragödie in ihren Hauptvertretern. Frankfurt a. M.,
1883, S. I2off.).
^^^) Über Müllners Schuld, deren Entstehung (Herbst 18 12) und
deren Aufnahme in Wien (erste Aufführung 27. April 18 13) vgl.
man Jakob Minor, a. a. O., S. 131 ff. und Goedeke VIII, S. 302 : 15.
— Die von der Pichler angezogene Szene ist Akt II, Szene 4,5
(A. MüUner, Die Schuld. Wien 18 17. S. 52 ff.).
^^) J. Rudolf Graf Chotek (1748 — 1824), österreichischer Staats-
und Konferenzminister, damafe-ftSi 3) Präsident der Hofkommission
in politischen Gesetzsachen. Vgl. Wurzbach II, S. 362 f.
*'^) Theodor Körners Stück „Die Sühne", in Wien nicht zur
Aufführung gelangt, erzielte in Weimar gute Erfolge. Körner
hielt das Stück trotz des gräßlichen Stoffes ebenso wie sein Vater
für gelungen. Vgl. Peschel-Wildenow I, S. 32if. — Über den
Einfluß Schillers auf Körner, auf den Karoline Pichler hinweist,
vgl. man R. Stagl, Theodor Körner als Dramatiker mit besonderer
Berücksichtigung Schlllerschen Einflusses. Progr. Realgymnasium
Stockerau 1900, besonders S. 6ff., wo dargelegt wird, daß nebst
Kotzebue (Verwechslungsszene) hauptsächlich Schiller mit den
„Räubern" und der „Braut von Messina" auf „Die Sühne" ein-
wirkte. Eine ins einzelne gehende Untersuchung dieses Einflusses
bietet auch Gustav Edgar Reinhard (Schillers Einfluß auf Theodor
Körner. Diss. Neu-Ruppin 1899), der in der „Sühne" Kömers
nebst dem Einfluß der „Braut von Messina" noch Elnvnrkungen
von Schillers „Fiesko" und „Wallenstein" sieht (a. a. O. S. 49 f.).
692^ Wenn Liegende, was sie längst hätten sollen. Empor sich
endlich raffen, nennt's Empörung! (F. Rückert, Gesammelte
poetische Werke I [Frankfurt a. M. 1882], S. 13, Nr. 14, Str. I, 3, 4).
®^) Ernst Friedrich Georg Otto Freiherr von der Malsburg
(1786 — 1824), bekannt als Übersetzer spanischer Literatur und
Dichter, war von 1810 — 1813 Sekretär bei der westfälischen Ge-
sandtschaft in Wien, stand also in französischen Diensten. Später
wirkte er als kurhessischer Geschäftsträger in Dresden und war
mit Tieck sehr befreundet. Vgl. Josef Kürschner in: Allgemeine
Deutsche Biographie XX, S, 148.
636
'
«9*) Im Text der ersten Ausgabe ist fälschlich (II, S. 224) als
Komponist der Weise „Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark"
Schubert angeführt, doch stammt dieses Lied sowohl dem Text
als der Weise nach von Christ. Friedrich Daniel Schubart (vgl.
Hoffmann-Prahl, Unsere volkstümlichen Lieder. * Leipzig 1900.
S. 20, Nr. 78). Das Körnersche Jägerlied „Frisch auf, ihr Jäger,
frei und flink!" zieht Pichler auch sonst heran (oben S. 432).
*8^ Am 20. März i8ii war Napoleon II., der König von Rom,
als Zangengeburt zur Welt gekommen; das Leben der Mutter
war in Gefahr gewesen und Napoleon hatte um 8 Uhr früh den
Befehl gegeben, dieses auf Kosten des Kindes zu retten. Vgl.
Helfert, Maria Louise, S. 188 ff.
«9«) Über die zahlreiche dichterische Literatur der Freiheits-
kriege vgl. man Goedeke VII, S. 855ff. : 42ff.; Oskar Richter,
Die LieblingsvorsteUungen der Dichter des deutschen Befreiungs-
krieges. Diss. Leipzig 1909, besonders S. VII f.
*") Ernst Raupach (1784 — 1852), dramatischer Dichter, lebte
damals (1804 — 1822) in Rußland in verschiedenen Stellungen und
war 18 14 mit seinem dramatischen Gedicht „Timoleon der Be-
freyer" hervorgetreten. Seine Erfolge als Dramatiker fallen erst
nach 18 19. Vgl. Goedeke VIII, S. 646 ff. — Karoline Pichler
schrieb einen Aufsatz über Raupachs „Tassos Tod" (Trauerspiel.
Hamburg 1835. Aufgeführt am Wiener Burgtheater achtmal,
und zwar vom 4. November 1834 bis zum 13. Mai 1840: vgl.
GoedekeVIII,S.665 : 58; Hds. Je 40 428 der Wiener StadtbibUothek,
S. 173), den sie am Wiener Burgtheater sah und der ihr sehr ge-
fiel (S. W.^ L, S. 69 ff.) und knüpfte moralische Betrachtungen
daran, so daß Strenge kein Heilmittel sei, sondern mit-Milde mehr
zu erreichen ist usw. Ebenso machte später sein Stück „Vormund
und Mündel" großen Eindruck auf sie (II, 263).
*^) Elisabeth Freiin von Matt, geb. von Humelauer, war die
Gemahlin des niederösterreichischen Regierungsrates Franz von
Matt, der zu Klopstock in Beziehungen stand. Sie besaß das
Haus Nr. 874 in der Großen Schullerstraße und versammelte
schon in der josefinischen Zeit größere Gesellschaften um sich.
Wir finden sie 1786 und 1787 unter den Subskribenten der Ge-
dichte des Karl Julius Fridrich (Situationen. Wien 1786. S. 255;
Lieder der Liebe und der Freude. Wien 1787. S. 6 b). Sie starb
am I. März 18 14 in ihrem Hause in Wien, 52 Jahre alt, an der
Brustwassersucht (Totenprotokoll der Gemeinde W^en im Kon-
skriptionsamt, 1814, Buchst. M, fol. 14a; Verlassenschaftsakten im
Archiv des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V, Nr. 42 ex 1814). Sie
besaß eine Privatsternwarte und veröffentlichte einige astrono-
mische Arbeiten (Wurzbach XVII, S, 112 mit fehlerhaften Daten).
637
— Hormayr gedenkt in seinen Briefen an die Pichler einige Male
der Gesellschaften bei der Baronin Matt, wo er am 28. Februar 1812
zum letztenmal weilte und Rothkirchs Gedicht „Deutsche Sprache,,
deklamierte (K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 259, 307).
*^') Über Adam Müller vgl. II, Anm. 423.
™°) Johann Baptist Rupprecht (1776 — 1846), aus Preußisch-
Schlesien, wirkte lange Jahre als Kaufmann in Wien, wo sein
botanischer Garten in Gumpendorf eine Sehenswürdigkeit war.
Er war auch k. k. Bücherzensor, als solcher zienalich strenge und
engherzig, wofür ihn Grillparzer in Epigrammen gehörig hernahm.
Als Dichter wenig bedeutend, schuf er sich als Übersetzer aus
dem Englischen und als Hortologe Verdienste. Hormayr, an dessen
Archiv Rupprecht mitarbeitete, wohnte eine Zeit in seinem Hause.
Vgl. Wurzbach XXVII, S. 272 ff.; Goedeke VI, S. 557f.
701^ Franziska Freiin Hormayr zu Hortenburg, verehelichte Freiin
Kreß von Kressenstein (vgl. über sie II, Anm. 414), ist tatsächlich
am 7. März (1807) geboren worden (Genealogisches Taschenbuch
der Freiherrlichen Häuser III [Gotha 1853], S. 216).
'°^) Franz Graf Szechenyi (1754 — 1820), der sich dem politischen
Fach gewidmet hatte, war bereits 1785 Obergespan des Agramer
Komitats, legte aber noch im selben Jahre seine Würden nieder,
lebte einige Jahre im Ausland und trat 1798 wieder in den poli-
tischen Dienst. Für seine patriotischen und treuen Dienste erhielt er
1808 den Orden des Goldenen Vließes. 18 11 legte er indessen aus
Gesundheitsrücksichten alle Ämter nieder, zog sich nach Wien zurück
und dürfte zu dieser Zeit durch Hormayr, dem er stets ein wohl-
wollender Gönner war (vgl. Hormayrs Briefe an K. Pichler :
K. Glossy, Grillparzer- Jahrbuch XII, S. 259, 281), bei der Pichler
eingeführt worden sein (oben S. 410), die wiederholt in seinem
Hause verkehrte (oben S. 410; II, S. 219) und 18 14 sein Gast auf
dem Gute Zinkendorf war (II, S. 13 ff.). Unsterbliche Verdienste
erwarb er sich durch die Gründung des ungarischen National-
museums in Pest. Vgl. Wurzbach, XLI, S. 246 ff. — Karoline
Pichler widmete ihm 1812 ihr Gedicht „Johann Huniady Corvin"
(S. W.2 XVI, S. 228ff.; zuerst 1812 erschienen, vgl. Anm. 552).
"'^) Über Hormayrs Einfluß auf Karoline Pichler vgl. oben
Anm. 406.
'"*) Hans Christoph Ernst Freiherr von Gagern (1766 — 1852),
seit 1786 Präsident der Landesregierung von Nassau-Weilburg,
1801 Gesandter in Paris und infolge eines napoleonischen Edikts
i8n gezwungen, den nassauischen Staatsdienst zu verlassen, kam
181 1 nach Wien, verband sich mit Hormayr, nahm an der Grün-
dung des Alpenbundes teil, wurde aber diesertwegen aus Öster-
reich 1813 verbannt (vgl. auch oben S. 412). Er zog sich in die
638
Schweiz zurück, wurde bald danach leitender Minister der vier
oranischen Fürstentümer, betätigte sich am Wiener Kongreß er-
folgreich für die Niederlande und war ein eifriger Verfechter
des deutschen Bundesstaates. Seit 1820 lebte er im Ruhestand.
Er war ein freisinniger, kerndeutscher Mann, der auch als poli-
tischer Schriftsteller stets offen und ehrlich war. Vgl. K. Wipper-
mann, Allgemeine Deutsche Biographie VIII, S. 303 ff. — Hor-
mayr spricht über Gagern von Brunn aus wiederholt in seinen
Briefen an die Pichler, zur Zeit als Gagern beim Wiener Kongreß
anwesend war (Glossy, Grillparzer Jahrbuch XII, S. 254, 256,
257f., 259, 275, 283f.). Dieser besuchte 1815 auch die Pichler
(ebd. Xll, S. 275) und besprach in seinem damals (1814) anonym
erschienenen Buche „Beiträge zur Zeitgeschichte I" (Am Rhein,
0. J.) die Hormayr- Affäre (vgl. Hormayr an Pichler: K. Glossy,
a. a. O. XII, S. 254, 2571), wobei er freiUch sich selbst etwas zu
sehr in den Vordergrund stellte. Über Gagern als Kongreßmitglied
vgl. August Fournier, Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongreß.
Wien 19 13, S. 497, Reg.
"'^) Der berühmte Historiker Johannes von Müller (1752 — 1809)
war Hormayrs väterlicher Freund und hatte durch zwölf Jahre
in Wien im politischen Dienst und seit 1800 als Direktor der Hof-
bibliothek gewirkt (vgl. Wegele in: Allgemeine Deutsche Bio-
graphie XXII, S. 587ff.).
™6) Über die Familie Piquot vgl. II, Anm. 218.
'"^ Bereits zu Ende des Jahres 18 12 beschäftigte sich Erzherzog
Johann mit dem Plan, eine Volkserhebung in Tirol und Vorarlberg
mit englischem Gelde zur Abschüttelung des französisch-bayrischen
Joches zu inszenieren. Da die Ereignisse zu Beginn des Jahres 18 13
gegen Napoleon waren, so fand am 11. Februar abends die erste
Sitzung des „Alpenbundes" statt, dem eine zweite am 14. Februar
folgte. Hormayr, der Appellationsrat -Anton Schneider (1777
bis 1820: Wurzbach XXX, S. 11 ff.) und Kreishauptmann Anton
Leopold von Roschmann (1777 — 1830: Wurzbach XXVI, S. 3S2f.),
ein Freund Hormayrs, waren die Hauptteilnehmer, denen sich
noch Gagern zugesellte. Bereits um den 20. Februar herum wußte
aber die Polizei von der Sache, Roschmann spielte den Verräter,
und am 7. März wurden Hormayr, Schneider und Roschmann
abends in des ersteren Haus verhaftet; die beiden ersten wurden
nach Munkacz und Brunn deportiert, Roschmann bald entlassen
und für seine Verdienste belohnt, doch bereits 18 19 infolge Un-
fähigkeit in den Ruhestand versetzt. Vgl. die eingehende Dar-
stellung über den Alpenbund und dessen eigentUche patriotische
Ziele bei Franz Ritter von Krones, Tirol 18 12 — 18 16 und Erz-
herzog Johann von Österreich. Innsbruck 1890. S. 58 ff. Über die
639
Verhaftung und Roschmanns Verräterrolle ebd. S. 72 f., 75 ff. (nach
Hormayrs und anderen Berichten); Eduard Wertheimer, Wien und
das Kriegsjahr 1813. Wien 1893. S. Sff., zgff.
"*) Alexander von Humboldt (1769 — 1859), ^^^ berühmte Natur-
forscher, weilte im Jahre 181 1 zum Besuche seines Bruders Wilhelm
in Wien. Er wollte sich vor Antritt seiner geplanten, aber dann
nicht zur Ausführung gelangten Reise nach Ober-Indien, von
Wilhelm verabschieden (vgl. Karl Bruhns, Alexander von Hum-
boldt II [Leipzig 1872], S. 73). Seine Ankunft in Wien erfolgte
am 21. Oktober 181 1 abends (Der österreichische Beobachter.
Wien 181 1. S. 1185).
"") Josef Hartl Edler von Luchsenstein (1760 — 1822), ein durch
sein humanistisches Wirken sehr verdienstvoller Mann, gründete
1802 die Pottendorfer Spinnfabrik, war von 1808 — 18 11 Direktor
der beiden Hoftheater in Wien, von 1803 — 1806 Referent der
Hofkommission zur Regulierung der Wohltätigkeitsanstalten, wurde
1803 Regierungsrat und 18 15 Hofrat. Vgl. Wurzbach VII, S. 405 f.
Seine Nichte, vielmehr Adoptiv- bzw. natürliche Tochter war
Anna (Nina) Schiffenhuber-Hartl, eine fanatische Katholikin des
Clemens Hoffbauer-Kreises, die seit 1809 im Hause Schlegel
heimisch war, sich eng an Dorothea angeschlossen hatte und bei
den Schlegelschen Abendgesellschaften die Stelle einer Haustochter
versah. 18 13/14 machten sich die Anzeichen eines Brustleidens
bei ihr bemerkbar, sie übersiedelte daher im Herbst 18 14 nach
Pisa, ging 1816 nach Florenz und 1817 nach Rom, wo sie sich in
den Maler Friedrich Overbeck verliebte und diesen, falls man
den Worten der Luise Seidler trauen darf, auf schlaue Weise ein-
fing, so daß am 18. Oktober 18 18 deren Hochzeit in Rom erfolgte.
Sie war damals, nach der Seidler „eine zarte, sentimentale, beinahe
weichliche Schönheit; mit großer Begabung zur Intrige verband
sie reiche Bildung, wußte die italienischen Dichter auswendig und
schwärmte für die Kunst". Sie war ihrem Manne Friedrich (1789
bis 1869), der sie 18 18 als Ruth porträtiert hatte, eine aufopfernde,
treue Gattin. Sie starb am 23. Juni 1853. Vgl. Marg. Howitt,
Friedrich Overbeck I (Freiburg i. B. 1886), S. 427 ff. und II,
S. 442 Reg. (I, 429 f. die Pichler-Stelle zitiert); Erinnerungen und
Leben der Malerin Louise Seidler. Herausgegeben von Herrn.
Uhde. Berlin 1874. S. 237ff.; Julius Schnorr von Carolsfeld,
Briefe aus Italien. Gotha 1S86. S. 548 Reg.
'i*') Ernst Heinrich Adolf von Pfuel (1779 — 1866), ein Freund
des Dichters H. v. Kleist, trat 1797 als Fähnrich in die preußische
Armee ein, nahm 1803 und 1807 seine Entlassung, wirkte dann in
Dresden als Lehrer und ging am 13. Mai 1809 als Kompagnie-
führer zur fränkischen Legion. Später (18 10) in österreichische
640
Dienste übernommen, gründete er in Prag die militärische Schwimm-
anstalt und wurde im November 1811 zum Kriegsarchiv nach Wien
versetzt. In Wien verkehrte er mit Körner und betätigte sich
schriftstellerisch. Im Mai 18 12 nach Prag zurückversetzt, verließ
er Ende Juli 18 12 den österreichischen Dienst und trat in die
russische Armee. Später wurde er, nachdem er sich wiederholt
auszeichnete, preußischer General der Infanterie (1848), Minister-
präsident und Kriegsminister. Vgl. Wippermann in: Allgemeine
Deutsche Biographie XXV, S. 70511.
'") Über Sophie Müller von Nittemdorf vgl. II, Anm. 420.
'") Adam Müller hatte im Mai 18 12 die Erlaubnis erhalten,
15 Vorlesungen über das Verhältnis der Beredsamkeit zur Poesie
gegen ein Honorar von 12 fl. W.W. pro Person zu halten (Vater-
ländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. 18 12, S. 354)
und begann diese Vorlesungen am 15. Mai (J. M. Raich, Dorothea
Schlegel II, S. 79). — Ähnlich wie Karoline Pichler (S. 4i4f.)
äußert sich auch Wilhelm Humboldt in einem Briefe vom i. Juli
18 12 über die Vorlesungen Friedrich Schlegels und Adam Müllers
(Ansichten über Ästhetik und Literatur. Herausgegeben von
F. Jonas. Berlin 1880. S. 131); er sagt, daß diese Vorlesungen
eine sophistische Rhetorik, die einseitig Philosophie und Kunst in
eine bestimmte Form zwingen wollte, auszeichnete, wobei sich
Schlegel durch die Kraft der Gedanken, Müller durch die künst-
liche Behandlung der Sprache hervortat. Überhaupt schätzt
Humboldt (a. a. O. S. 124) Müller nicht tief ein, da dieser kein
gründlicher Erforscher der Gegenstände ist. Theodor Körner
äußert sich in einem Brief an seinen Vater vom 24. Mai 18 12
(Augusta Weldler-Steinberg, Theodor Kömers Briefwechsel mit
den Seinen. Leipzig 1910. S. 191) über diese Vorlesungen, die
angingen und worin Müller Schiller nicht als Dichter, sondern
nur als ersten Redner gelten ließ, folgendermaßen : „Noch dieselbe
Oberflächlichkeit, Geziertheit, künstliche und gewählte, aber nicht
minder interessante Art zu sprechen." Dorothea Schlegel (Raich II,
S. 79 f., 88) ist. von diesen Vorlesungen, die sie als „Nachlesungen"
bezeichnet, nicht sehr erbaut, da sie den Eindruck der Vorlesungen
ihres Mannes verwischten; sie berichtet, daß Erzherzog Maximilian,
Prinz von Ligne u. a. anwesend waren und Müller viele Dukaten
und Geschenke erhielt. — Das Schlegelsche Journal, für das
Adam Müller damals schrieb, war das „Deutsche Museum" (vgl.
H. H. Houben, Zeitschriften der Romantik. Berlin 1904.
Sp. 2i6ff., besonders 461a sub Müller; Johannes Bobeth, Die
Zeitschriften der Romantik. Leipzig 191 1. S. 423 Reg.), in das
auch Karoline Pichler zweimal Aufsätze gab (Bobeth, S. 277;
oben Anm. 552).
41 c. p. I 641
'13) Heinrich von Kleist hatte durch Adam Müller, mit dem
er vom Oktober bis Dezember 1810 in Berlin die Berliner Abend-
blätter herausgegeben hatte, die hysterische Frau Henriette Vogel
in Berlin kennen gelernt, die glaubte, sie sei unheilbar erkrankt
und sich deshalb töten wollte. Nachdem ihr Kleist einst ver-
sprochen hatte, ihr den größten Freundschaftsdienst zu leisten,
60 verlangte sie, daß er sie töte. Kleist tat dies und erschoß seine
Freundin und sich am 21. November 181 1 am Ufer des Wannsees
bei Berlin. Vgl. Felix Bamberg in: Allgemeine Deutsche Bio-
graphie XVI, S. 14s ff.
'i^a) Schon 18 12 war ein großer Teil der Bevölkerung dagegen,
daß man Napoleon gegen Rußland Hilfe leiste und wollte, daß
man an Napoleon den Krieg erkläre, ein Ziel, das auch der „Alpen-
bund" verfocht. Als dieser im März 18 13 sein jähes Ende fand,
da war die Kriegspartei, soweit die oberen Schichten in Betracht
kamen, vernichtet, aber das niedere Volk zeigte seinen Haß gegen
Napoleon offen. Als es im April hieß, Metternich habe eine neue
Allianz mit Napoleon geschlossen, da brach in Wien in allen
Schichten die Leidenschaft aus und es kam zu erregten Auftritten
gegen Metternich. Die Regierung wirkte beruhigend und auf-
klärend durch ihre Agenten. Nun schlug aber im Juni die Stim-
mung vollständig um, denn als die Kriegsvorbereitungen getroffen
wurden, da war völlige Mutlosigkeit, und die Regierung mußte
diese durch patriotische Broschüren bekämpfen. Man lehnte den
Fürsten Schwarzenberg als Oberkommandanten ab und wollte als
solchen Erzherzog Karl (vgl. auch oben S. 43 1). Die drückende
Ungewißheit und Angst hörte mit der Veröffentlichung des Kriegs-
manifestes am 19. August (nicht am 17. August, wie es oben S. 420
heißt) auf, das begeisternd wirkte. Vgl. Ed. Wertheimer, Wien
und das Kriegsjahr 18 13. Wien 1893. S. loff.
'") Die Schlacht bei Großgörschen (bei Lützen) fand am 2. Mai,
die bei Bautzen am 20. und 21. Mai zwischen den Preußen und
Franzosen statt. In beiden behaupteten letztere, wenn auch mit
großen Verlusten, das Feld.
'1^) Henriette Ephraim, eine Tochter der Rebekka Ephraim
(II, Anm. 427), geboren in Berlin, scheint lange ledig geblieben
zu sein. Sie konvertierte zum katholischen Glauben und heiratete
den Handelsmann, kgl. preußischen Kommerzialrat und Ritter des
roten Adlerordens Anton Tichy, einen Katholiken, der früher in
Triest vrirkte und dann nach Wien übersiedelte; sie war dessen
zweite Frau und ihre Ehe blieb kinderlos. Sie starb am 18. No-
vember 1850 in Wien (Stadt Nr. 390), 58 Jahre alt, am Schlag-
fluß, während ihr Gatte sie überlebte (lebt 1864 noch); vgl. die
Verlassenschaftsakten ihrer Mutter Rebekka Ephraim im Archiv
642
des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II, Nr. 1113 ex 1846 und Toten-
protokolle der Stadt Wien im Konskriptionsamt, 1850, Buchst. T,
Fol. 2 ib. — Karoline Pichler war mit Henriette Ephraim und
deren Mutter Rebekka wiederholt in Gesellschaften beisammen
(vgl. II, S. 125, 158, 175); 1825 trafen sie sich in Schwarzenau
(II, S. 214) und 1829 in Baden, wo Henriette bei einem Ausflug
nach Merkenstein ein Gedicht, das Adam von Weingarten Karöline
Pichler zu Ehren gedichtet hatte, vortrug (II, S. 255).
'16) Marianne Saaling, eine geistreiche Berliner Jüdin, die aber
später zum KathoUzismus konvertierte (S. Hensel, Die Familie
Mendelssohn 1 1" [Berün 1900], S. 70), wurde ca. 1786 in Berlin
geboren (Ludwig Geiger, Dichter und Frauen II [Berlin 1899],
S. 158). Sie war eine Schwester der Dichterin Regine Frohberg,
die in Wien lebte, und eine Nichte der Fanni von Arnstein, bei
der sie die Jahre 18 12 — 18 14 in Wien verbrachte (Albert Leitz-
mann, Briefwechsel zwischen Karoline von Humboldt, Rahel und
Vamhagen. Weimar 1896. S. 220 Reg.; Ludvrig Freiherr v. Wol-
zogen, Memoiren. Leipzig 185 1. S. 275). Von auffallender Schön-
heit, vereinte sie innere Bildung mit allen Vorzügen der glatten
Außenwelt (Theodor Körner an seinen Vater, 19. Dezember 18 12:
Augusta Weldler-Steinberg, Theodor Körners Briefwechsel mit
den Seinen. Leipzig 1910. S. 208). 1812 malte sie Philipp Veit
in Wien Q. M. Raich, Dorothea von Schlegel I [Mainz 1881],
S. 68, 90) und Juli 18 13 lernte sie Brentano im Hause der Pereira
zu 'Hietzing kennen; dieser schreibt in einem Briefe an die Rahel
(Wien, 28. Juli 1813: Vamhagen von Ense, Biographische Porträts.
Leipzig 1871. S. 95) von ihr: Sie ist „ein Hebes, anmutig be-
redetes Wesen, aber sie müßte eine Liebe und ein Kind haben,
denn sie gewöhnt sich bereits an allgemeine Anbetung und ihre
Natur, gezwungen zu jungfräulicher Haltung, schwängert sich
selbst, ohne Geburt; sie muß kalt und eine Figur werden, und der
Mensch kann nur eine Natur werden oder ein Geist in der modernen
Zeit, die Antiken sind erschöpft, wie die Heiligung der Nacktheit."
Zur Zeit des Wiener Kongresses verlobte sie sich in Wien, doch
starb ihr Bräutigam während der Vorbereitungen zum Hochzeits-
fest (Raich II, S. 68, Anm. 2). 1822 unternahm sie eine Reise in
die Schweiz (Hensel I, S. 124). 1830 fand sie FeHx Mendelssohn-
Bartholdy (Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann in
London. "Herausgegeben von Karl Klingemann. Essen 1909.
S. 78) ruhiger und natürlicher als früher, und im Mai 1834 verlobte
sie sich, sie wohnte damals in Berlin bei ihrem Schwager Heyse,
mit Vamhagen von Ense, doch ging dieses Verlöbnis bald in
Brüche, da beide zu eigensinnige Charaktere waren, außerdem noch
verschiedene Mißverständnisse sich geltend machten (vgl. Vam-
41'
643
hagens eingehende Schilderung: Denkwürdigkeiten des eignen
Lebens.^ I, 5 [Leipzig 1871], S. 206 ff.). Marianne, die Felix
Mendelssohn- Bartholdy noch 1840 ganz hübsch nennt (Brief-
wechsel mit Klingemann, S. 249), stand bis an ihr Lebensende
an der Spitze zahkeicher Wohltätigkeitsunternehmungen na Berlin
und starb, 84 Jahre alt, 1869 in Berlin (David Aug. Rosei^hal,
Convertitenbilder aus dem 19. Jahrhundert.* I, i [Schaf fhauseJ
1871], S. 391, Anm. 2). Vgl. noch Paul Heyse, Jugenderinnerungen
und Bekenntnisse.^ BerUn 1900. S. 9 f.
'") Clemens Brentano (1778— 1842: Goedeke VI, S. 52ff.), der
große Romantiker, lebte seit 18 11 in Prag, wo er seine Gründung
Prags, dieses echt romantische Werk verfaßte, und mit Ludwig
Tieck im Juni und anfangs Juli 18 13 zusammen war (Reinhold
Steig, Achim von Arnim und Clemens Brentano, Stuttgart 1894.
S. 315). Dieser gab ihm, als Brentano am 6. Juli 18 13 nach Wien
reiste, Briefe an Collin und die Pichler mit (Steig, S. 316). Bren-
tano wohnte in Wien, Erdberggasse 98, fand sich rasch in das
Wiener gesellschaftUche Leben und Treiben, verkehrte bei Pereiras,
Schlegels und anderen, wurde bald beliebt und schrieb Rezensionen
über das Wiener Theaterwesen; seine „Valeria" (Ponce de Leon)
wurde, aber ohne Beifall, in Wien aufgeführt und so vmrde er
schließlich mißvergnügt und verließ Ende August 18 14 diese Stadt
(Steig, S. 316, 317, 319, 333, 339). In Wien vollendete er auch
die Bühnenbearbeitung der Libussa und begann den Druck des
ganzen Werkes (Steig, S. 329, 332, 336). Vgl. über seinen Wiener
Aufenthalt noch Joh. Bapt. Diel, Clemens Brentano, I, (Freiburg
i. B. 1877), S. 388 ff. — Im Hause der Pichler lernte Brentano den
Schauspieler Hasenhut, der ihn in die „Rebhühnergesellschaft"
(Josefiner) einführte, und Theodor Körner kennen (Diel, I, S. 396,
404). — Über eine Äußerung, die damals Brentano der Pichler
gegenüber über die Juden machte, vgl. II, S. 210. — Unter den
von Karoline Pichler (oben S. 424 f.) erwähnten fremden Damen
aus Breslau, die Brentano bei ihr einführte, befand sich sicher Frau
V. Bräunersdorf aus Breslau, mit der er am 8. August 1813 einen
Ausflug machte (vgl. seine Briefe an die Rahel bei Varnhagen
V. Ense, Biographische Porträts. Leipzig 187 1. S. 96, 103).
"8) Ludwig Tieck (1773— 1853: Goedeke VI, S. 28 ff.) kam am
I. August 1808 von Dresden aus, es begann sein Wanderleben,
nach Wien und wohnte auf der Landstraße Nr. 84 (Vaterländische
Blätter für den österreichischen Kaiserstaat. Wien 1808. S. 220).
Er verkehrte hier mit den beiden Collin, Hormayr und Karoline
Pichler, die er „angenehmer als ihre Romane" fand (R. Köpke,
Ludwig Tieck I [Leipzig 1855], S. 34of.). Der Schauspieler Josef
Lange fesselte ihn und Heinrich Collin wollte Tieck für das Wiener
644
Burgtheater gewinnen, doch bereits im Herbst reiste er nach
München (Köpke, S. 340 f.). Am 9. Oktober 1808 hatte er sich
noch in Hofrat Büels Stammbuch eingetragen Q. Bächtold, Zürcher
Taschenbuch auf das Jahr 1892. N. F. XV, [Zürich 1892], S. 142).
— Über Tiecks Ähnlichkeit mit Lenau vgl. noch II, S. 310; daß
er Weber an die Pichler empfahl, findet sich auch II, S. 149 f. —
Karoline Pichler stand mit Tieck in Briefwechsel. Zwei ihrer
Briefe, die seine Erzählung „Der Gelehrte", welche die Pichler
„lebhaft und tief zugleich ansprach", betreffen, sind gedruckt
(Briefe an Ludwig Tieck. Herausgegeben von Karl v. Holtei III
[Breslau 1864], S. 74 — 76: datiert vom 10. Mai 1828 und vom
21. Juni 1830). Im zweiten Brief (Holtei, S. 75), den sie durch
Frau V. Schlegel überschickte, sagt sie von ihren Zeilen: „Sie
sollen Ihnen sagen, wie sehr mich jedesmahl Ihre gütige Er-
innerung, Ihre freundliche Theilnahme erfreut hat, wenn mir
ein Gruß, eine ehrenvolle Meinung von Ihnen wurde, und sie
sollen Ihnen für so manche schöne Stunden danken, die Ihre
neuesten Arbeiten mir gewährt."
'") Sophie Bernhardi (1775 — 1833), Tiecks Schwester, wurde
1799 die Frau von Tiecks Freund, August Ferdinand Bernhardi
(1769 — 1820), der zuerst Professor, dann seit 1808 Direktor des
Friedrich- Werderschen Gymnasiums in Berlin war, sich als Sprach-
philosoph betätigte und ironische Aufsätze in Tiecks Manier ver-
faßte (vgl. Goedeke VI, S. 45f.). 1802 trennte sich Sophie von
ihrem Manne, lebte in Weimar und zog dann mit ihren Kindern
nach Rom. 1804 wurde ihre Ehe geschieden und 18 10 heiratete
sie den Estländer Johann Ludwig von Knorring (1769 — 1837),
mit dem sie in Rom, Wien, München und schließlich in Estland
lebte. Sie schrieb romantische Gedichte und Märchen. Vgl.
Goedeke VI, S. 46; VII, S. 491.
^ Johann Ludwig von Knorring (1769 — 1837), ein Estländer,
studierte in Deutschland, heiratete 18 10 Sophie Bernhardi, mit
der er zunächst verschiedene Reisen unternahm, hierauf aber nach
Estland zurückkehrte, wo er mit Ausnahme der Jahre 18 19 und 1820
bis an sein .Lebensende auf seinen Gütern weilte. Er war nieder-
ländischer Vizekonsul und verfaßte ein Lustspiel, das 1815 erschien.
Vgl. Joh. Friedr. v. Recke und K. E. Napiersky, Allgemeines Schrift-
steller- und Gelehrten- Lexikon der Provinzen Livland, Esthland
und Kurland II (Mitau 1829), S. 4675 Nachträge I (Mitau 1859),
S. 312.
''^^) Karoline Pichler meint ihren Aufsatz „Über die Allgemein-
heit der Bezeichnungen" (Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur,
Theater und Mode 1838, S. 357ff. = S. W.^ fehlend), worin
sie gegen die Maniriertheit der modernen Schriftsteller, keine
645
präzisen Ausdrücke zu verwenden, wobei ihnen Goethe als Muster
dienen könne, sondern nur Umschreibungen, wodurch das Ver-
ständnis eines Werkes wesentlich erschwert werde, auftritt. — Über
das schlechte Verständnis der modernen Schriftsteller ihrerseits
vgl. noch II, S. 248, 390.
'*^) „Die Gründung Prags. Ein historisch-romantisches Drama"
von Clemens Brentano erschien 18 15 in Pest (Goedeke VI, S. 60:27).
Über das Drama als solches, seine Quellen, die Mystik und Mythe,
die darin in Form von Hexen, Zauberwesen, Aberglauben, mytho-
logischen, christlichen und volkstümlichen Einzelheiten verwendet
werden, vgl. man Emanuel Grigorovitza, Libussa in der deutschen
Litteratur. Berlin 1901, S. 27ff. — Die Vorlesung bei Karoline
Pichler fand am 23. Juli 18 13 statt (Diel, I, S. 396 Anm.). An ihr
nahm auch Johann Nepomuk von Ringseis teil, der vom Septem-
ber 18 12 bis zum September 18 13 in Wien weilte (Ringseis, Er-
innerungen. Herausgegeben von Emilie Ringseis I [Regensburg
1886], S. 137 ff.) und in der Alservorstadt wohnte; er berichtet
darüber (I, S. 148): „Die Schriftstellerin (Pichler) zeigte Unwillen,
weil er darin vor ihrer Tochter Ohr Dinge gebracht, die für ein
junges Mädchen ungeeignet seien; nicht minder unwillig ver-
teidigte sich der Verfasser, seine höchst ehrbaren Schwestern hätten
keinen Anstoß genommen." Brentano rächte sich in seiner Satire
„Mäcenas", worin er von den Pichlerschen Dramen sagt (Diel, I,
S. 399):
Und die Pichler ist wohl würdig,
Immer wieder sie zu sehn.
Dem Cothurne ebenbürtig
Kann sie den Pantoffel drehn.
— Über die unsinnlich gehaltene Lichtgestalt Trinitas vgl. Gri-
gorovitza, S. 66.
'23) Deutsche Gedichte von Freimund Raimar [Friedrich
Rückert], o. O. (Heidelberg) 18 14. Den zweiten und vierten Teil
davon bilden 44 „geharnischte Sonette". Vgl. Goedeke VIII,
S. 150 : 5. — Ein Zitat daraus oben S. 405.
'**) Max von Schenkendorf, Sämmtliche Gedichte. Berlin 1837.
S. i23ff. : Die Deutschen an ihren Kaiser. Julius 1813. — Die
von der Pichler angeführte i. Strophe ist nicht ganz genau wieder-
gegeben; im Original heißt es Zeile 3: deiner Völker.
'2^) Schenkendorf a. a. O. S. I37ff. : Die Preußen an der kaiser-
lichen Grenze. August 18 13. — Die Pichler zitiert Str. I (im
Original heißt es: 3 Böhmenland; 4 O Heer; 5 Sieg und Heil),
III (Original: 6 hoch [stark), V, i — 3 und VIII, 4— 6. — Zitate
aus diesem Gedicht kehren auch sonst wieder, vgl. Anm. 729, 740
und II, Anm. 18.
646
726^ Theodor Körner war vom 30. Juni bis 14. Juli 18 13 in Karls-
bad (vgl. Theodor Körners Tagebuch und Kriegslieder aus dem
Jahre 18 13. Herausgegeben von W. Emil Peschel. Freiburg i. B.
1893. S. 35 f.).
'27) Weder Karl Streckfuß (Theodor Körners Sämmtliche
Werke.« Berlin 1858. S. 749ff.) noch Goedeke (Grdr. VI, S. 459f.
unter Apel), noch Wurzbach (XII, S. 259) und Emil Peschel (Kör-
ner-Bibliographie. Leipzig 1891, S. 46ff.) verzeichnen ein Gedicht
von Apel, der zwar zu Körner Beziehungen hatte (vgl. Adolf
WolflF, Theodor Körners Leben und Briefwechsel. Berlin 1858,
S. 193, 209), auf Körners Tod. Sollte sich Karoline Pichler irren?
'^'a) Die Stimmung über Körners Tod in Wien bringt am deut-
lichsten ein Gedicht von Florian Pichler (Der deutsche Geist.
Wien 18 14. S. 31 ff.) zum Ausdruck. Vgl. noch Hans K. Freiherr
von Jaden, Theodor Körner und seine Braut. Dresden 1896.
S. 89 ff.
'28) Gemeint ist das Epigramm „Mittel gegen die Hochmut
der Großen" (G. A. Bürger, Werke. Herausgegeben von Ed. Grise-
bach« [Berlin 1894], S. 146; im Original Zeile i oft [stets).
'29) Str. III, 4 des Gedichtes „Die Preußen an der kaiserlichen
Grenze" (18 13) von Schenkendorf; vgl. oben Anm. 725.
'^) Über dieses Stück tmd dessen Aufführung vgl. II, S. 3 ff. mit
Anm. I — 15.
'31) Psahn 125, 5- ,
'32) Christian Eduard Pohl, ein Leipziger, erwarb sich auf Grund
seiner Arbeit „Dissertatio inauguralis medica sistens expositionem
generalem anatomicam organi auditus per classes animalium"
(Vindobonae 1818. Typis Antonii Pichler. 4". IV, 48 S, u. 5 Ta-
feln) das Doktordiplom der Medizin und Chirurgie der Universität
Wien. Am 2. September 18 18 verteidigte er öffentlich seine
17 Thesen an der Universität. Seit 18 19 gehörte er der medizini-
schen Fakultät an und wohnte in der Wollzeile 857 (Hof- und
Staatsschematismus 1820, II, S. 118); 1834 übersiedelte er in die
Himmelpfortgasse 955 (tbd. 1835, I^j S- ^^S) ^^^ "^^^ '^^ den
Studienjahren 1831/32 und 1835/36 Prokurator der sächsischen
Nation an der Universität (ebd. 1832, II, S. 84; 1836, II, S. 86).
18 15 war er beinahe täglich bei Pichlers (II, S. 48f.) und 18 18
weilte er in Italien (vgl. Brief der Pichler an Grillparzer vom
19. Mai 18 19: A. Sauer, Grillparzers Werke III, i [Wien 19 13]
S, 188). Er verheiratete sich am 15. Januar 1820 in Wien mit Anna
Schwarzleithner (Ehevertrag in seinem Nachlaß s. unten). Mit
Grillparzer von der Pichler aus bekannt, erkundigte sich dieser 18 19
von Italien aus wiederholt nach Pohl (Glossy- Sauer, Grillparzers
Briefe I, S. 37; Sauer, Grillparzers Werke III, i, S. 179, 185). Pohl
647
starb am i8. August 1840 In Währing (jetzt Wien XVIII) Nr. 106
während des Sommeraufenthaltes, 55 Jahre alt, seine Frau und
vier Kinder (Emilie, 18 Jahre; Pauline, 16 Jahre; Mathilde,
13 Jahre; Eduard, 11 Jahre) zurücklassend (vgl. seinen Verlassen-
schaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II,
Nr. 5354 ex 1840).
'^) Dr. Gustav Adolf Fich'tner, ca. 1787 in Rostock geboren,
studierte an der Universität Würzburg Medizin und promovierte
18 10 an dieser Universität zum Doktor der Medizin. Er über-
siedelte hierauf nach Wien, wo er mit Dr. Pohl bekannt und bei
der Pichler eingeführt wurde. Am 16. August 1813 als Oberarzt
beim Feldspital Nr. 20 in Kaaden eingeteilt, weist ihn die Standes-
liste dieses Spitals bereits im Oktober als „auswärts krank" aus
und am 14. November 18 13 verschied er am Nervenfieber zu Asch
in Böhmen. Er war unverehelicht. (Laut freundlichen Mitteilun-
gen der Direktion des k. und k. Kriegsarchivs in Wien.)
'34) Beim Angriff auf Dresden wurden am 27. August 18 13 dem
Sieger von Hohenlinden, dem ehemaligen französischen General
Jean Victor Moreau, der 18 13 aus der nordamerikanischen Ver-
bannung über Einladung Alexanders I. von Rußland zurückgekehrt
war, um gegen Napoleon zu kämpfen, beide Beine zerschmettert;
den schrecklichen Wunden erlag Moreau am 2. September 18 13
zu Laun In Böhmen. — Die Schlacht an der Katzbach fand am
26. August 18 13 statt; Blücher siegte hier über Macdonald.
'35) Ludwig Hermann Friedländer (1790 — 185 1), ein Königs-
berger, studierte In Königsberg Medizin, hatte schon damals reges
Interesse an Literatur und Philosophie und trat zu Schenkendorf
in ein Freundschaftsverhältnis. 18 12 ging er nach Berlin, machte
18 13 den Feldzug nach Paris mit, nahm 18 14 den Abschied, kam
über Karlsruhe nach Wien und reiste von hier mit seinem Freund
Philipp Veit nach ^llen. 18 17 kehrte er nach Deutschland
zurück, veröffentlichte 18 18 seine vielgelesenen „Ansichten von
Italien" (im Besitze der Pichler; Nr. 19 Ihres Bücherverzeichnisses
im Verlassenschaftsakt), habilitierte sich in Halle für Medizin und
wurde 18 19 Extraordinarius, 1823 Ordinarius der Inneren Medizin
ebenda. Er gehörte der romantischen Richtung als Dichter an und
machte sich um die Geschichte der Medizin verdient. Vgl. A. Hirsch
in: Allgemeine Deutsche Biographie VII, S. 397f. — Karoline
Pichler widmete ihm Im Februar 18 16, als er bereits in Rom war,
ein Gedicht „An Herrn Doctor Friedländer In Rom 18 16" (S. W.'
XVI, S. 128 ff.; ursprünglich „An einen Freund in Rom": Wiener
Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 1816, S. 171 f.),
worin sie des fröhlichen Zusammenseins und seines trefflichen
Gesanges gedenkt.
648
'38) Die offizielle Nachricht von dem Sieg bei Kulm langte am
2. September in Wien ein, vgl. Erste, Zweyte und Dritte außer-
ordentliche Beylage zur Wiener-Zeitung Nr. 105 vom Donnerstag
den 2. September 18 13 und Nr. 106 vom Samstag den 4. Septem-
ber 1813. — Der Oberstleutnant und Generaladjutant Graf
Johann Bapt. Paar zog am 4. September 18 13 mit dert Sieges-
zeichen, von 30 Postillionen begleitet, unter dem Jubel des Volkes
in Wien ein (Wiener-Zeitung 18 13, Nr. 107, S. 443). Er ritt
zu Pferde, die eroberten Fahnen wurden zu seiiler Seite ge-
tragen (ebd.). — Graf Johann Bapt. Paar (178C5 — 1839) diente
seit 1797 beim Militär, war von 18 12 — 18 14 Flügeladjutant
des Fürsten Schwarzenberg, wurde 18 14 Maria-Theresienordens-
ritter und trat 1820 als Oberst aus der Armee (Wurzbach XXI,
S. 143 f-)-
'37) Dominique Joseph Vandamme, Graf von Hüneburg (1771
bis 1830), französischer Feldherr, der von der Pike auf diente, es
in rascher Folge zum General brachte, 1805 sich bei Auster-
litz auszeichnete, sonst aber durch Grausamkeit gegen die Be-
siegten bekannt ist. Am 30. August 18 13 mußte er sich bei
Kulm mit 10 000 Mann ergeben. Über seine Niederlage bei
Kulm vgl. man A. du Casse, Le general Vandamme et sa corre-
spondance II (Paris 1870), p. 5 13 ff. (eine ausführliche, dokumen-
tarische Darstellung).
'^) Alexander Iwanowitsch, Graf Ostermann-Tolstoi (1772
bis 1857), russischer Generalleutnant, tat sich schon in den Kriegen
gegen die Russen und Polen hervor. Besonders zeichnete er sich
1812 aus. 18 13 hatte er am 29. und 30. August den Befehl über
das russische Gardekorps bei Kulm, besiegte Vandamme und
wurde selbst verwundet (linker Arm zerschmettert). Später m^r
er (1815) Gesandter in Paris; schließlich unternahm er (1831) eine
Orientreise und wohnte von 1837 bis zu seinem Tode am Genfersee.
Vgl. Nouvelle Biographie generale XXXVIII (Paris 1862), S. 922. — -
Über seinen Aufenthalt in Wien vgl. II, S. 25, — Für seine Tätig-
keit bei Kulm erhielt er das Kommandeurkreuz des Maria-There-
sienordens (Wiener-Zeitung 1813, Nr. 109, S. 453; J. Hirtenfeld,
Der Militär-Maria-Theresien-Orden und seine Mitglieder III
[Wien 1857], S. Ii29f.).
'^) Über Katzbach (26. August 18 13) vgl. Anm. 734. — Bei
Dennewitz wurde am 6. September 18 13 durch Bernadotte in
Verbindung mit den Preußen Marschall Ney geschlagen und so
die Einnahme Berlins verhindert. — Über Kuhn vgl. Anm. 737.
'*") Str. III, 5, 6 (aber im Original: 6 schön [frei) des Schenken-
dorfschen Gedichtes „Die Preußen an der kaiserlichen Grenze"
(1813) vgl. oben Anm. 725.
649
'*^) Ungenau; richtig: Doch Brüder sind wir allzusamm (Str. Uli
vom „Jägerlied": 1813 in „Leyer und Schwert". Wien 0. J.
S. 43 = Werke I [Leipzig 1912], S. 27).
'*2) Der Generahnajor Adam Albrecht Graf Neipperg hielt am
Sonntag den 24. Oktober 18 13 nachmittags 2 Uhr in Begleitung
von 26 Postillionen seinen Einzug in Wien unter dem Jubel des
Volkes (vgl. Wiener-Zeitung 1813, Nr. 143, S. 679). Die Freude
der Wiener war eine unbändige; eine Illumination fand statt,
tolle Lust und Ausgelassenheit herrschten (vgl. Eduard Wert-
heimer, Wien und das Kriegsjahr 1813. Wien 1893. S. 22f.). —
Adam Albrecht Graf Neipperg (177S — 1829) war seit 1793 General-
stäbler, machte als solcher die meisten französischen Kriege mit
und wurde 1801 Maria-Theresien-Ordensritter; im Jahre 1821
vermählte er sich mit der Ex-Kaiserin Maria Luise von Frank-
reich, deren Ehrenkavalier er war (vgl. Wurzbach XX, S. i46ff.).
'*') Darüber findet sich bei Eduard Duller (Erzherzog Carl von
Österreich. Pest 1859) nichts.
IlllllllllllllllllllllltllllllllUtlllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllltllllUlllllllllllllUIIIIIUUlllllllllllllllllllllllllllllllllll
650
y
NACHTRÄGE ZU DEN ANMERKUNGEN
■ ■IIHiUIHIIUIIIHIIIIIIIIItullllll||U|n||||||||||||||||||||||||||||,||„„„H„„„„„„„„„„„,„„„„„„„„„„„„|„|,t,|,„,
^ Anna Katharina Greiner war am 26. April 1697 als jüngstes
Kind des Jakob Schwärzl, Remanenzers des Wiener magistratischen
Oberkammeramtes (t 20. Dezember 1720, 67 Jahre alt: Toten-
protokoll der Pfarre Schotten [Wien I], t. IV, fol. 75 b) und der
Maria Elisabeth Schwärzl (tu. Oktober 1730, 64 Jahre alt: ebd.
t. VI, fol. 19 b) geboren worden (Taufprotokoll der Pfarre Schotten,
t. XX, fol. 174 b) und hatte sich am 22. Oktober 1726 mit dem
damaligen Raitoffizier Franz Josef Greiner vermählt (Hochzeits-
buch der Pfarre Schotten, t. XXIV, fol. 50a).
*) Franz Sales von Greiner wurde am 2. Februar 1732 (nicht
1730) geboren (Taufprotokoll der Pfarre Schotten, Wien I, t. XXX,
fol. 178 a). Er war ein „geschworner Feind der Gleisnerei und
Bigotterie" (Ign. Feßler, Rückblicke auf seine siebzigjährige Pilger-r
Schaft. Breslau 1824. S. 138) und „ein glatter, gutdenkender,
einsichtsvoller, tätiger und verehrungswürdiger Mann, Beförderer
der Wissenschaften und der Aufklärung und warmer Freund all
jener, die sich durch Talente und Geschicklichkeit auszeichnen"
(Rautenstrauch, Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Wien
1784. S. 66 f.). Er bemühte sich im November 1775 sehr um das
Zustandekommen einer Akademie der Wissenschaften in Wien
(Jos. Feil, Versuche zur Gründung einer Akademie der Wissen-
schaften unter Maria Theresia. Wien 1860. S. 66, 87!), widmete
der Einrichtung der Volksschulen unter Maria Theresia einen
großen Teil seiner Kraft Qosef Alexander Freiherr von Helfert,
Die österreichische Volksschule I [Wien 1860], S. 653 Reg.), war
in religiösen Fragen freigeistig (Cölestin Wolfsgruber, Christoph
Anton Kardinal Migazzi, Fürsterzbischof von Wien. Saulgau 1890.
S. 897 Reg.), ging jedoch 1785 in der Angelegenheit des Franzis-
kaners Franz X. Paradeiser selbst Kaiser Josef zuweit, so daß er
eine Nase erhielt (Sebastian Brunner, Der Humor in der Diplomatie
und Regierungskunde des 18. Jahrhunderts II [Wien 1872], S, 199 f.).
Er bewährte sich als denkender Freimaurer, der den Freimaurereid
für die minderen Grade aufgehoben und für die höheren umge-
ändert wissen wollte (vgl. seinen Aufsatz : Über den Freymaurereid.
Journal für Freymaurer I, 2 [Wien 1784], S. 138 ff.; danach mit
Glossen bei [Leopold Alois Hoffmann], Die zwo Schwestern p***
[Prag] und W*** [Wien] oder neu entdecktes Freymaurer- und
Revolutionssystem [Wien] 1796, S. 76ff.). Ein weiterer Beleg für
seine dichterische Tätigkeit (oben S. 47 mit Anm. 78) ist die Über-
653
Setzung eines Gedichtes von P. Metastasio (Die allgemeinen
Wünsche für die Kaiserin Königin vorgetragen . . . Übersetzt von
F. S. G.[reinerJ. [Wien] 1766. 4"). Fleißig unterstützte er auch
gemeinsam mit seiner Gattin verschiedene bei ihm verkehrende
Dichter durch die Subskription ihrer Werke, so K. J. Fridrich
(Lieder der Liebe und der Freude. Wien 1787. S. 5b; Situationen.
Wien 1786. S. 254), A. Blumauer (vgl. unten Nachtrag zu Anm.
^53)- Joh. Bapt. Alxinger widmete ihm seinen „DooUn von
Maynz" (Ein Rittergedicht. Wien 1787, S. 3 ff.) mit einfer sehr
schmeichelhaften Zueignungsschrift. Er dagegen machte manch-
mal, wie Hormayr boshaft erklärt, die Leute durch Vorlesen
seiner eigenen Verse und Lieder unglücklich (Taschenbuch.
XXXIV, S. 115).
*^) und ^) Dem ungarischen Freund Rousseaus ist kürzlich von
Ludwig Räcz eine, alle Verhältnisse klarlegende, eingehende Studie
gewidmet worden (Ungarische Rundschau für historische und
soziale Wissenschaften I [München 19 12], S. 9 12 ff.). Demnach
hieß er Ignaz Sauttermeister de Sauttersheim (1738 — 1767), war
der Sohn des Ofner Bürgermeisters Emanuel von Sauttersheim,
wurde 1760 Honorarkonzipist der Preßburger Hofkanmier, stürzte
sich aber, wozu die vielen Fahrten nach Wien, der Charlotte
Hieronymus wegen, ebenfalls beitrugen, in Schulden, so daß Kaiserin
Maria Theresia aus diesem Grunde gegeü eine beabsichtigte Heirat
mit der Hieronymus war. Da sein Vater für die Schulden nicht
aufkommen wollte, zerwarf er sich mit seiner Familie und flüchtete
im Dezember 1762 in die Schweiz. Im März 1763 kam er nach
Motiers zu Rousseau und nun entwickelte sich das oben in Anm. 30
geschilderte Freundschaftsverhältnis. Bereits anfangs Juli 1763 ver-
ließ Sauttersheim Motiers, blieb also nicht, wie Rousseau angibt
(Anm. 30), zwei Jahre und ging nach Straßburg, wo er die Ehe-
bruchsgeschichte hatte. Im Mai 1764 berichtete er von Paris aus
Rousseau über sein vergangenes Leben. Seine letzten Lebensjahre
verbrachte er in Besan9on Quli 1764), Straßburg Qanuar 1765),
Benfeld (April 1765), Straßburg, wo er sich als Jurist an der Uni-
versität immatrikulieren ließ, Paris (August 1765), wo ihn Rousseau
im Dezember traf, Montmorency (1766) und Straßburg, wo er
am 15. Dezember 1767 sein ruheloses Leben beschloß.
^) Greinerscher Hausbesitz. — Das Haus Nr. 318 (241; 234)
stammte vom Vater der Katharina Greiner, von Jakob Schwärzl;
es war dem Hofspital zinspflichtig. Auf Jakob Schwärzl folgten
Katharina Greiner, dann ab 1778 Franz Sales von Greiner und
nach dessen Tod gemeinsam Karoline und Franz Xaver von
Greiner und Karoline Pichler als Besitzer, welch letztere im
November 1802 das Haus an den bürgerlichen Wagnermeister
654
Jakob Kautzner und dessen Gattin Theresia um 28 000 fl. ver-
kauften (vgl. Grundbuch der Stadt Wien, t. VI, fol. 594a; Grund-
buch Nr. 563, fol. 45 b, 47b f. und Grundbuch Nr. 564, fol. 4b;
alle im Wiener Stadtarchiv). — Das Haus Nr. 319 (240; 233)
erbten Katharina und Franz Sales Greiner im August 1765 nach
Franz und dessen Tochter Theresia Lautter; Katharina trat ihre
Haushälfte ihrem Sohn ab, so daß dieser alleiniger Besitzer des,
dem Magistrat zinspflichtigen Hauses wurde. In dem sich seit 1734
das Lampenfüllungsgewölbe und das Quartler des Stadtübergehers,
sowie ein offen zu lassender Durchgang zum Unterkämmereramt
befanden. Nach seinem Tod ging das Haus an seine Frau und
Kinder über; Karoline von Greiner überließ später ihre Haus-
hälfte ihrer Tochter, so daß Karoline Pichler im Juli 18 13 darauf
allein vergewährt wurde. Diese verkaufte dann im Juni 1825 ihren
Besitz an Theresia Mayer (Grundbuch der Stadt Wien, t. VI,
Fol. 593b; Grundbuch Nr. 31, Fol. 413; Nr. 36, Fol. 356b und
Nr. 38, Fol. 270a im Wiener Stadtarchiv).
*") Über die Einrichtung der Hofquartlere^vgl. noch die ein-
gehenden Bemerkungen von Josef Feil (Versuche zur Gründung
einer Akademie der Wissenschaften unter Maria Theresia. Wien
1860. S. 78 ff.).
'^) Hier Haschkas Gedicht auf die Frau von Grelner:
Der I edlen Greinerinn j gesungen ] am dritten Wintermonats, ]
1777. 1'von I Haschka. ] (Rosette) | (Doppelstrich) | WIEN, 1 Druckts
Joseph V. Kurzböck. — gr.8"., 4 BÜ., signiert )( 2, )( 3; Bl. ib weiß;
Bl. la, 2a — ^4b je mit einer Umrahmung versehen; am Beginn und
Schluß des Gedichtes gleiche Rosette wie am Titelblatt. (Im Be-
sitze von Herrn Josef Wünsch in Wien.)
[2 a] Auch war es Ahnenbrauch mit Sang' und Klang
Die Tage zu bezeichnen, wann sich zwo
Der bessern Seelen trafen freundschaftlich.
So wars der dritte Winterabend, den
Sein Mond heut wiederum zurückerollt.
Da, Seltne! du mich stillen Haynesohn,
Den Unbekannten seiner Vaterstadt,
Und der Ich sang! = Zwar Wien, was achtet die
Der Llejder, ha! Gold, Namen, Körper, und
Die Seihe, was die ausschäumt, schätzet Wien! =
In deinen Gastsaal, welcher wimmelte
Von Feyrern, die mit Wünschen dir den Tag,
Der deinen Namen, o Karlina! sprach.
Herangeleiteten, beschiedst. Dein Aug
Kohr vom Gewimmel mich heraus, und schoß
Der Unterscheidung Blick mir in das Herz,
/
[zb] Ha! das, als ich zum ersten male dich
Ersah, schlug hoch empor, und ahnte schön
Der Frauen Einzige, wie dich ein Jahr
Geprüftes Umgangs voll mir auch bewährt.
Und diesen Tag, der deinen Namen spricht,
Sang' ich an diesem Abend nicht, als ich
Dich, Einzige! zum ersten mal' ersah?
Ja! singen will ich, daß mein Lied "umher
Durch alle Widerhalle meiner Gau
Ertöne! daß vielleicht zu edlerem
Wetteifer manche Nickerinn erwacht!
Dieser schönen Wintermorgendämmrung
Glich, Karlina! deine Jugend: eine
Sonne, stralte dir dein Herz im Busen;
Aber Nebel barg es.
[3a] Nicht der Wüste Nebel! denn im Goldsaal'
Hinter Fürsten gieng dein Wandeln. Eine
Sonne, stralte dir dein Herz im Busen;
Aber Nebel barg es.
Nicht des Kenners Blicken undurchdringlich,
Stäts dem Klügling doch ein Räthsel! Mährchen
Warst Du der Gespielinn selbsten, hätte
Sie dein Herz errathen!
So vergab man dir, daß du so gut warst!
Ließ mit deiner Seele dich in deiner
Kammer einsam! Unterm Hofgetümmel
Lerntest du die Weisheit,
Die's noch dann ist, wann die Federbuschen
Umgestürzt sind, wann der Thorheit Schellen
Sind zertreten, wann die schmucke Wang' in
Staub ist hingesunken!
[3b] Jene Weisheit, die = Karlina! diesem
Hellen Wintermittag gleichst du, welcher
Jezt in vollem Glänze niederstralet,
Alles übergoldet! =
Die den Edlen, welcher dich verdiente.
Neben dir so glücklich macht, die Pfänder
Eurer Liebe zwoen Welten bildet.
Alle Tugendfreunde
Dir gewinnt! Wiebald nach deinen Gatten
Du nun hießest, so zerriß der Nebel:
Eine Sonne, brach dein Herz in jeder
Handlung aus dem Busen!
656
Deß nahms billig alle Dreyschrittseher
Höchlich Wunder! Doch du giengst gelassen
Deiner Pflichten steile Bahn zu treten,
Jeden Tritt auf steiler!
[4 a] Tritt sie lange, treue Gattinn! edle
Freundinn! wahre Mutter! — O! verzeiht ihr
Diese Eine Leidenschaft, mit der sie
Hänge an ihren Kindern!
Tritt sie lange diese Bahn, und streue
Deines Beispiels Saamen in der Weiber
Herzen! Eitelkeit und Scheelsucht haben, "
Leider! sie versteinert!
Und wann einst dein Leben sich zu seinem
Abend neiget, dann, Karlina! gleicht es
Diesem Sternenhimmel, rings mit goldnen
Thaten durchgewirket.
Lottchen!*) dieß ist der Umriß von deiner erhabenen
Mutter,
Leicht gezeichnet, wie Lieder es können! du wirst einst,
das hoff ich,
[4b] Durch dein Leben vollenden dieß Bild! und, wie du von ihr den
Namen erbtest, von ihr auch alle die Tugenden erben!
Ja! das wirst du! die zärtUche Mutter gab keiner verlaufnen,
Gallischen Dirne dich Preis. So wie sie dich selber gestillet.
Bildet sie deine Jugend auch selber: du blühest an ihrem
Herzen empor! und, Fräulein! dieß Herz ist gut, und edel!
Hab' es, und weis* es in Thaten! dann sing' ich auch dich
einst, wie je und
Deine Mutter ich sang in unverdächtige Saiten.
Über dieses Gedicht sind zwei Besprechungen erschienen. Die
eine von R.-ch-r (Realzeitung der Wissenschaften, Künste und
Kommerzien. Wien 1777. II, 33. Stück vom 11. November, S. 516)
besagt: „Diese Karolina, die uns der Herr Verfasser durch das
ganze Lied mit so erhabenen und edlen Zügen schildert, ist die
GemahHn unsers würdigen und verdienstvollen Hofrathes v. Grei-
ner. — Er sang es ihr an ihrem Namenstage aus warmem Herzen
mit deutscher Redlichkeit, und alle, die diese vortreffUche Frau
in der Nähe kennen, sagen zu den aufrichtigen Wünschen des
Dichters: Amen." Eine zweite findet sich im Leipziger Musen-
almanach 1779, S. 12 (vgl. P. Hofmann von Wellenhof, Denis
S. 352, Anm. 4).
•) Ihr achtjährig Töchterchen.
42 c. p. I 657
Karoline Pichler widmete Haschka und der Aufschrift „Er-
kenne dich selbst" über seiner Studierstube in ihrem Alter einen
längeren Aufsatz (S. W.* L, S. /ff.), worin sie auch dessen Eigen-
heiten berührt.
"') Maffei war ursprünglich Jesuit und lehrte 1771/72 am Wiener
Theresianum Architekturzeichnen (Max Freiherr von Gemmel-
Flischbach, Album des k. k. Theresianimas, 1746 — 1880. Wien 1880.
S. 15), Von 1778 ab unterrichtete er den Feldmarschall Josßf
Grafen Colloredo in der Mathematik, Mechanik und Physik
(A. von Weingarten, Östreichische militärische Zeitschrift. Wien
1819. IV, S. 79). Bereits 1789 war er, der aus Görz stammte,
bei der Stückgießerei angestellt (Giuseppe Volriggi, Lettere Vien-
nesi. Vienna 1789. S. 100). Er hatte Beziehungen zu Jakob Ca-
sanova (vgl. Ravä-Gugitz, Casanovas Briefwechsel. München 1913,
S. 2^%i., Anm. 3). — Er leitete die Pichler in manchem an (oben
S.83).
*"*) Klopstock kommt in einem Brief an die Greiner vom
I. März 1783 ebenfalls auf diesen Angriff Nicolais zurück; dai'aus
geht auch hervor, daß sich Nicolai bei Greiners brieflich ent-
schuldigte und angab, daß er nicht der Verfasser der Note gegen
die kleine Karoline sei (Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur,
Theater und Mode 1838, S. 130). Nicolai selbst hatte, als er in
Wien war, das Greinersche Haus gemieden (ebd. S. 122). Klop-
stock erwähnt in anderen Briefen ebenfalls mehrere Male der
kleinen Karoline (ebd. S. 138, 139), nach der er sich bei verschie-
denen Reisenden erkundigte : „so bekomme ich allerhand zu hören,
das mir gefällt, und das hat denn so seine Folge fürs Herz" (S. 139:
20. Februar 1788). An einer anderen Stelle (S. 138: 18. Oktober
1786): „Ich habe so oft und so viel Gutes von Ihrer Tochter
gehört, daß Sie ihr in meinem Namen notwendig einen Kuß geben
müssen."
^"^ Die Verwandtschaft der Frau Rosine von Häring mit den
Greiners leitet sich daraus her, daß deren Mutter Anna Maria
Katharina von Lackner eine geborene Schweizer war (vgl. Ludwig
Schiviz von Schivizhoffen, Der Adel in den Matriken der Stadt
Graz. Graz 1909. S. 150, unter Häring), demnach so hieß wie
die Kousine der Greiners (vgl. Anm. 75).
1«") Johann Baptist von Häring spielte im Musikleben Wiens
eine nicht unbedeutende Rolle. So begründete er im November
1807 die „adeligen Liebhaberkonzdrte" in Wien, die zuerst im
Saale „zur Mehlgrube" (jetzt Hotel Krantz), dann im Universitäts-
gebäude abgehalten wurden; er, als geübter Geiger, führte das
aus Dilettanten gebildete Orchester zunächst selbst an; da"" aber
infolge seines unverträglichen Temperaments Streitigkeiten ent-
658
standen, so trat er bald zurück und im Mai 1808 ging das Unter-
nehmen wieder ein (vgl. Eduard Hanslick, Geschichte des Concert-
wesens in Wien, I [Wien 1869], S. 76!., wo aber der Name fälsch-
lich „Herring" geschrieben ist). Seit 18 15 führte er bei den Auf-
führungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien die zweiten
Geigen an (Richard v. Perger und Robert Hirschfeld, Geschichte
der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, I [Wien 19 12],
S. 33). Johann Friedrich Reichardt (Vertraute Briefe, geschrieben
auf einer Reise nach Wien, II [Amsterdam 1810], S. ii9f.) hörte
ihn 1809 Haydnsche Quartette mit Geschmack und Präzision
spielen. KaroUne Pichler hat seine schulmeisterlichen Allüren
und sein Verhältnis zu ihr 1803 im Roman „Leonore" (vgl. Anm. 509)
verwertet, denn Ferdinand Blum, der seine Braut Leonore (= Ka-
roline) beständig schulmeistert, ist niemand anderer als Joh. Bapt.
von Häring.
"^) Anna Maria Eva Katharina von Häring wurde am 7. Ok-
tober 1752 in Graz als Tochter des Kommerzialsekretärs Franz
Anton von Häring und seiner ersten Frau, Anna v. Lackner ge-
boren (vgl. Ludwig Schiviz von Schivizhoffen a. a. O., S. 1 50).
Die Daten, welche in: „Genealogisches Taschenbuch der adeligen
Häuser X (Brunn 1885), S. 481 über Katharina von Häring ge-
boten werden, sind mehrfach falsch. — Ignaz Edler von Schwab
starb nicht 181 1 (Wurzbach), sondern am 12. Februar 18 12 (Ver-
lassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V,
Nr. 17 ex 18 12).
"^) Meißners „Skizzen" gehörten auch zur Jugendlektüre der
Gräfin Lulu Thürheim (Mein Leben, I, S. 77 f.).
^^®) Über Leopold von Braunschweig und dessen Tod, der
mannigfach von Dichtern besungen wurde, vgl. man die ein-
gehende Studie von Michael Bernays (Zur neueren Literatur-
geschichte II [Leipzig 1898], S. I37ff.).
^ Pichler besaß von Tasso die „Rime" in der Venetianer-
Ausgabe von 1608 (Nr. 242 des Verzeichnisses ihrer Bücher im Nach-
laß). Außerdem die Übersetzung von Streckfuß (Nr. 312 ebenda).
2^) Von Ariosts Orlando furioso hatte die Pichler eine Aus-
gabe, die 1603 in Venedig erschien (Nr. 106 ihres Bibliotheks-
verzeichnisses).
"") Karoline Pichler besaß die Voßsche Übersetzung der Odyssee
(Hamburg 1781; Nr. 289 ihres Bibliotheksverzeichnisses).
*") Nebst Denis' „Ossian und Sineds Lieder" (Wien 1784;
Nr. 249 des Bibliotheksverzeichnisses) hatte Karoline Pichler noch
eine italienische, von A. B. Melchior Cesarotti besorgte Ausgabe
des Ossian (Padua 1763; Nr. 243 des Bibliotheksverzeichnisses) in
ihrem Besitz.
42* 659
***) Frau Elisabeth von Kirchstättern starb am 8, März 1835,
67 Jahre alt, in Wien. Bei ihrem Tode lebten alle Kinder noch;
vier davon waren verheiratet, und zwar Anna (verwitwete Hosp,
k. k. Kammerdienerin bei Erzherzogin Sophie; vgl. II, Anm. 404),
Franziska (WejTinger, Landwirtschaftsbesitzersgattin auf der Wie-
den [Wien IVJ), Maria (Gropmayer, Versorgungshausverwalters-
gattin in St. Andrä a. d. Traisen, Niederösterreich) und Theresia
(Knoch, Kontrollorsgattin, im Wiener Versorgungshaus), während
Antonia ledig war und als Erzieherin beim Grafen von Orschitz
in Agram wirkte. Vgl. den Verlassenschaftsakt der Mutter im
Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 46 ex 1835. —
Kirchstättern selbst findet sich 1786 unter den Subskribenten
der „Situationen" (Wien 1786, S. 255) von Karl Julius Fridrich.
**') Das Gedicht ist, entgegen der Mitteilung Karoline Pichlers
(oben S. 130), doch gedruckt, und zwar mit der falschen, der Hand-
schrift widersprechenden Datierung 1796 (Nachtgedanken 1796.
In: Oesterreichischer Musen- Almanach 1840. Herausgegeben von
Andreas Schumacher. Wien [1839]. S* 288 f.). Dieser Druck zeigt
der Handschrift gegenüber folgende Abweichungen:
Str. I stimmt zu oben S. 130, gegen S. 479, Anm. 247, Str. I.
Str. II, 7: Eilt aus . . .
Str. 111,3: Die süßen Worte, trunknen Blicke. — 4: heißer
[falscher. — 6: Bin der Enttäuschung mir bewußt.
Str. IV, i: mildes [blaues. — 4: So einsam sahst du sonst mich
nicht. — 5 : Da hing an . . . — 6 : Ein zweiter Blick voll Zärtlich-
keit. — 7: Da wähnt ich. Hochbeglückte, nimmer — 8: Kann sie
entfliehn, die goldne Zeit.
*'^) K. Pichler besaß Herders „Ideen" in der Rigaer Ausgabe
(i784ff.; s. Verzeichnis ihrer Bücher im Nachlaß Nr. 248). Außer-
dem war Herder noch vertreten durch: a) Zerstreute Blätter.
6 Teile. Gotha 1785 (Nachlaßverzeichnis Nr. 250); b) Adrastea.
6 Teile. Leipzig 1801 (Verzeichnis Nr. 251); c) Die älteste Ur-
kunde des Menschengeschlechtes. Riga 1774 (Verzeichnis Nr. 290).
*•") K. Pichler besaß die travestierte Aeneis Blumauers (Wien
1784; Bücherverzeichnis im Nachlaß Nr. 22), wahrscheinlich aus
dem Nachlasse ihres Vaters, der ja ebenso wie seine Gattin unter
den Subskribenten aufscheint (Blumauer, \^gils Aeneis travestirt I
[Wien 1784], S. [9]; II [Wien 1785], S. [14]). Auch Blumauers Ge-
dichte (2 Teile. Wien 1787) waren in ihrem Besitz (Verzeichnis
Nr. 257).
***) Maria Josefa von Ravenet wurde am 19. Oktober 1768 in
Wien als fünftes Kind des Dr. phil. et med. Franz von Ravenet
und der Maria Helene von Ravenet geboren und am 20. Oktober
getauft (Taufprotokolle der Pfarre Schotten, t. XXXVII, Fol, 62 b).
660
Die mißlichen Vermögensverhältnisse ihres Vaters, der am 23. Juni
1786 in Konkurs geraten war, brachten es mit sich, daß seine
minorennen Kinder bei verschiedenen bekannten Familien unter-
gebracht wurden. So kam Josefine ins Haus des Regierungsrates
Heß. Als der Vater am 19. Mai 1790, 63 Jahre alt, an Lungen-
entzündung starb, da hinterließ er so wenig, daß er auf Kosten
des Armeninstituts begraben vsrurde (Totenprotokolle der Stadt
Wien im Stadtarchiv. Bd. 118 II, Buchst. R, Fol. 24b; Verlassen-
schaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 73
ex 1790). Josef a blieb weiterhin im Hause des Regierungsrates
Heß, dem sie bis an ihren Tod ein dankbares Gedenken bewahrte,
wie aus § 10 ihres Testamentes (vom 3. Juli 1835; Archiv des
Wiener Landesgerichtes, Testamente, Nr. 449 ex 1849) hervorgeht,
wo sie sich auch der „frommen" Theresia von Heß, geb. v. Leporini
und ihrer drei Pflegegeschvnster dankbar erinnert. Nach dem
Tode ihres Pflegevaters (1804) wurde sie Erzieherin und heiratete
1824 Johann Schödelberger, dem sie in inniger Liebe zugetan war;
sagt sie doch in ihrem Testament, daß sie die Aufsetzung ihres
letzten Willens immer und inuner verschob, denn „der Gedanke
an die Trennung von meinem inniggeliebten Gemahl war meinem
Herzen immer all zu schmerzUch". Sie überlebte ihre Jugend-
freundin Karoline Pichler um einige Jahre. Im Alter von 80 Jahren
raffte sie am 30. Juni 1849 der Tod infolge Entkräftung aus ihrer
Wohnung in der Josefstadt Nr. 6 hinweg (Totenprotokolle der
Stadt Wien im Konskriptionsamt 1849, Buchst. S, Fol. 53b; Ver-
lassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. II,
Nr. 5296 ex 1849).
^2) Dieses, in K. Pichlers S. W. nicht aufgenommene Gedicht
auf Kaiser Leopold IL Leichenbegängnis findet sich als Einzel-
druck in der Sammlung des Herrn Dr. A. Figdor in Wien, der
mir die Einsichtnahme und Veröffentlichung gütigst gestattete.
Der Druck umfaßt 2 Blätter, im Format 19 X 23 cm:
[Bl. la] Bey dem | , Leichengepränge j Leopold des Zweyten. |
(Strichmuster) | von | C. v. G. | Kupferstich, 9X7 cm (ein in
Wolken schwebender Engel mit halbverhülltem Haupte preßt beide
Hände auf die Augen; links ein Teil eines pyramidalen Grabmauso-
leums sichtbar) | (langer Strich) | The Spider's most attenuated
Thread j Is Cord, is Cable, to Man's tender Tie | On earthly Bliss;|
it breaks at ev'ry Breeze | Young. | (langer Strich) | Wien, 1792.
Bei Joseph Edlen von Kurzbeck, | k. Hofbuchdrucker, Gross- und
Buchhändler.
[Bl. ib] (Langer Doppelstrich.)
Welch eine Nacht I Von allen Thürmen hallet
Der Glocken feyerlicher Grabgesangj
661
Aus der durch Fackeln hellen Ferne wallet
Der Leichenzug, und tief erschütternd schallet
Bedeckter Trommeln, heis'rer Flöten Klang*).
Der Zug kommt näher. Langsam rollt der Wagen
Mit seiner theuern Last zur Fürstengruft.
O Du, zu früh zur letzten Ruh getragen!
Du hörst nicht mehr des armen Volkes Klagen,
Da» dem entrissnen Vater weinend ruft!
Zwey Jahre sind's, — Wo sind sie hingeschwunden? —
Seit wir so freudig Dir entgegensahn.
Wir hofften**) Heilung unsrer tiefen Wunden,
Wir sahn Dich im Gefolge bessrer Stunden,
Zu unserm Heil, den deutschen Grenzen nahn.
[Bl. 2a] (Kurzer Doppelstrich.)
Du kamst, und jedes Herz schlug Dir entgegen.
Mit väterlicher, ungesehner Hand,
Gleich der Natur auf still verborgnen Wegen,
Verbreitetest Du Völkerglück und Segen,
Und dankbar ehrte Dich das Vaterland.
Es ruhte voll Vertrau'n in Deinen Händen:
So ruht der Säugling in der Mutter Schooss;
Ihm jede gute Gabe auszuspenden.
Die drohende Gefahr von ihm zu wenden.
War keine Müh, kein Opfer Dir zu gross.
Es gieng der Frieden aus von Deinem Throne ;
Und ungeblendet von des Ruhmes Glanz,
Zufrieden mit der stillen Eichenkrone,
Entsagtest Du dem stolzen Heldenlohne,
Dem reitzenden, dem blut'gen Lorbeerkranz.
Auch schien sich Erd' und Himmel Dein zu freuen,
Sie öffnete den lang verschlossnen Schooss;
Da schwoll die Saat, von Wachsthum und Gedeihen,
Da standen dicht der schweren Halme Reihen,
Auf die der Himmel reichen Segen goss.
[Bl. 2b] (Kurzer Doppelstrich.)
Wir träumten schöne, goldne Träume wieder.
Und sie, die uns nie ganz verlassen kann.
•) Im Druck: Ton.
*•) Im Druck: hoften.
662
Die Hoffnung, Hess auf schimmerndem Gefieder
Sich doppelt schön aus lauen Lüften nieder,
Und eine heitre Zukunft lacht' uns an.
O Menschenglück! du schwebst an einem Haare,
Und diess zerreisst des Windes kleinster Hauch.
Sie sind dahin, die Träume bessrer Jahre,
Ach an des besten Fürsten früher Bahre,
Verweht, verstoben, wie ein leichter Rauch!
Nein Österreich — sie sind noch nicht verschwunden,
'Noch lebt Sein Sohn — O lass zu Ihm uns fliehn!
Er selbst empfand den Schmerz, den wir empfunden,
Es wird Erinnerung an gleiche Wunden,
Den Vaterlosen zu den Waisen ziehn.
Wir flehn zu Dir gleich früh verwais'ten Kindern:
O thu an uns wie ältre Brüder thun!
Du kannst allein des Volkes Jammer lindern,
Den Schmerz um Ihn, den wir verloren, mindern;
Du warst uns Bruder, sey uns Vater nun!
(Ein, in der Mitte verdickter Strich.)
^^) Über Josef von Dürfeid erschien bald nach seinem Tode
ein warm gehaltener Nachruf in: Vaterländische Blätter für den
österreichischen Kaiserstaat 1812, S. izöf.
®^^) und '^) Über Martinovics und die Jakobinerverschwörung
in Wien wäre noch Schönholz, Traditionen. Hg. von G. Gugitz,
I, S. 28 ff. zu vergleichen.
^''*) Zwei Briefstellen der Pichler beschäftigen sich ebenfalls mit
Barchetti; so fragte sie im Februar 1805 bei Schneller in Linz nach
Barchettis Gesundheit nach (Schneller, Hinterlassene Werke, I,
[Leipzig 1834], S. 261 f.) und im März 1807 teilte sie Streckfuß mit,
daß Barchetti eine Linzerin zu heiraten gedenke (K. Glossy,
Communal-Kalender, XXXII, S. 403).
375) über den Aufenthalt Lafontaines in Wien (18 11) bietet
Julius Leisching (Aus dem Tagebuche eines alten Wieners. Wien
1907. S. 70) einiges. Es heißt da u. a. : „In Gesellschaft raufte
man sich beinahe um ihn." Karoline Pichler (Brief an K. Streckfuß
vom 10. September 181 1: K. Glossy, Wiener Communal-Kalender
XXXII, S. 410 f.) bemerkt, daß sich Lafontaine fast nirgends in
Wien aufführen ließ, denn „sein ganzes Sein war im Prater bei
den Ringelspielen und Wirtshäusern".
378) Die Gleichnisse „Das Wäldchen" (26. = XXXIII) und „Der
Berggipfel" (21. = XXVI) wurden 18 10 in „Der Sammler" (II,
S. 269 f.) nachgedruckt.
663
•™) über Otto Wiser vgl. man noch die Biographie in (A.
Kerschbaumer), Jubileums-Catalog des Bisthums St. Polten. St.
Polten 1884, S. 287. Hier sind auch (S. 288, 289, 304) die oben
S. 517 Anm. 351 erwähnten Piaristen Stephan Becker (1755 bis
1825) und Franz Barger (1769 — 1843) biographisch behandelt.
^^) Der Arzt Dr. med. Boer in Trebitsch ist mit dem außerordent-
lichen Professor für Frauen- und Kinderkrankheiten an der Uni-
versität Wien Dr. Heinrich Franz Xaver Boer identisch, der, laut
Heiratskontrakt, seit dem 24. Jänner 1799 mit Barbara von Kur-
länder verehelicht war und seit 1808 an der Wiener Universität
wirkte^ (vgl. seinen Verlassenschaftsakt im Archiv des Wiener
Landesgerichtes, Fasz. II, Nr. 1390 ex 1821; Th. Puschmann,
Die Medicin in Wien, S. 201, 305). Er schrieb ein Werk über den
Kinderorganismus (Versuch einer Darstellung des kindlichen
Organismus. Wien 18 13). Er starb nach sechsmonatlicher schwerer
Erkrankung in Hietzing (jetzt Wien XIII) am 18. Juli 1821 (Ver-
lassenschaftsakt; F. H. Böckh, Wiens lebende Schriftsteller, S. 9
u. 541). Seine Bücher (375 Nummern) wurden in seiner Stadt-
wohnung Qudenplatz Nr. 404) versteigert, worüber ein Katalog
(liegt "dem Verlassenschaftsakt bei) erschien (Verzeichniß einer
Sammlung größtentheils medizinischer Werke, welche, den 29. No-
vember 1821 angefangen, täglich .... öffentlich versteigert werden.
Wien, gedruckt bey J. G. Binz. 4». IV und 28 S.), der bei Karl
Kupfer (in der oberen Breunerstraße) um 6 kr zu haben war. Unter
den Büchern befand sich auch Pichlers „Olivier" (Wien 1803;
Verzeichniß S. 5, Nr. 86), der um i fl. 30 kr wegging. Boers
Ehe mit Barbara Kurländer war kinderlos.
^^) Der wirkliche Hofrat und Referendarius der kgl. ungarischen
Hofkanzlei in Wien Michael von Wlassics war zweimal verehelicht.
Seine erste Frau war Josefa, geb. Redl von Rottenhausen, die am
6. September 1789 in Wien (Franziskanerplatz Nr. 949) unter Hin-
terlassung der Töchter Josefa (geb. 28. Oktober 1778) und Anna
(geb. 15. Juni 1789) starb (vgl. ihren Verlassenschaftsakt im Archiv
des Wiener Landesgerichtes. Fasz. V, Nr. 99 ex 1789). Er heiratete
dann Anna v. Adda, die ihm zwei Söhne, Johann Baptist (geb.
2. Oktober 1793) und Karl (geb. 19. Dezember 1795), schenkte;
er selbst starb am 10. Oktober 1799 in der Neuschottengasse Nr. 108
der Vorstadt St. Ulrich (vgl. seinen Verlassenschaftsakt, ebd.,
Fasz. V,'Nr.'i34 ex 1799).
Der . Schwiegersohn der Frau' Anna von Wlassics ist Josef v.
Wlassics, der 1804 Hofkonzipist in der kgl. ungarischen Hofkanzlei
war und in der Adlergasse Nr. 141 am Alsergrund wohnte (Schema-
tismus inclyti regni Hungariae. Budae 1805, Sp. 123). 1809 wurde
er Hofsekretär in der Hofkanzlei und zugleich erster Assessor der
664
Preßburger Gerichtstafel (ebd. 1810, S. 102). Er starb jedoch
bereits am 21. November 1813 in Wien (im Bürgerspital Nr. iioo)
unter Hinterlassung von vier Kindern (Anton, geb. 28. Mai 1804;
Juliana, geb. 14. November 1805; Benedikt, geb. 2. Februar 1807,
und Elisabeth, geb. 28. Februar 18 13) und seiner Frau Josefa, ge-
bornen von Wlassics (vgl. seinen Verlassenscliaftsakt im Archiv
des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V, Nr. 200 ex 18 13). Als diese
am 18. Mai 1837 zu Alland bei Baden starb, da lebten von den
Kindern nur mehr Anton (Konzeptspraktikant der k. k. Hof-
kammer) und Julie, die in der Alservorstadt (Rotes Haus) wohnte
(vgl. den Verlassenschaftsakt der Josefa von Wlassics im Lan-
desgerichtsarchiv, Fasz. V, Nr. 116 ex 1837). Aus letzterem
geht auch hervor, daß der Stiefbruder Karl der Frau Josefa von
Wlassics 1837 Hauptmann bei Bakonyilinieninfanterie (Nr. 33) in
Mailand war.
**>^) Faßbender, den Joh. Friedr. Reichardt (Vertraute Briefe,
geschrieben auf einer Reise nach Wien, I [Amsterdam 1810],
S. 234) als rechtlich und uneigennützig hinstellt und dessen Unter-
haltung er mit verständig und angenehm bezeichnet, war Fried-
rich V. Schlegels Gönner (ebd. II, S. 45). Als er, 43 Jahre alt,
starb, widmete ihm die „Wiener-Zeitung" (1809, Nr. 23, S. i3iof.)
einen warmen Nachruf. Vgl. noch Schönholz, Traditionen. Hg.
von G. Gugitz, I, S. 160 f., 3i4f.
*23) Karl Unger wohnte in Pichlers Nähe, beim Auge Gottes
in der Josefstadt (Nr. 22), wo ihn A. W. Böttiger einigemale be-
suchte (A. H. Lier, Grillp. Jahrb. XIII. S. 138, 139; F. H.
Böckh, Wiens lebende Schriftsteller usw., Wien 1822, S. 53).
Ungers oben S. 249 erwähnte Frau hieß Anna, wie aus dem Ver-
lassenschaftsakt (Archiv des Wiener Landesgerichtes, Fasz. V,
Nr. 122 ex 1808) ihrer, am 7. Juni 1808 in der Alservorstadt
Nr. 17 verstorbenen Mutter Barbara, verwitweten Freiin von Kar-
winsky, geb. Freiin Mladota von Solopisk, hervorgeht.
*^ Außer dem Arzt Thomas Franz Closset gab es noch einen
zweiten Arzt dieses Namens in Wien, den aus Malmedy in d^r
Rheinprovinz stammenden Dr. med. Nikolaus Closet, der ebenfalls
außerhalb der Wiener medizinischen Fakultät stand. Dieser, der
auf der Mölkerbastei Nr. 91 wohnte, starb am 27. September
1824 in Wien, 70 Jahre alt, als Junggeselle und überaus reicher
Mann und wurde am Währinger Allgemeinen Friedhof beigesetzt
(vgl. seinen Verlassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landes-
gerichtes, Fasz. II, Nr. 321 ex 1824; E. M. Hampeis, Chrono-
logische Epigraphik der Friedhöfe Wiens, I, [Wien 1833], S. 87,
Nr. 568). Karoline Pichler wird, ihrer Namensschreibung zufolge,
Nikolaus Closet meinen.
665
44*a) Josef SchrcTvogel nennt die „Ruth" der Pichler ein ziem-
lich unbedeutendes Gedicht (Tagebücher. Hg. von K. Glossy. I. ,
[Berlin 1903], S. 269 unterm 12. Dezember 18 13).
494) und *®®) Als Eduard Bauernfeld im Dezember 1841 Werners
„Das Kreuz an der Ostsee" und „Wanda" wieder las, fand er,
daß doch noch niemand auf der ganzen Welt so hirntolles Zeug
geschrieben habe (Aus Bauernfelds Tagebüchern. Hg. von K. Glossy.
I. [Wien 1895], S. 95 Nr. 347).
***) Die Schönheit der Frau von Nuys, von der die Pichler
(oben S. 314) spricht, begeisterte Vater Gleim zu folgendem Ge-
dicht (Apollonion. Ein Taschenbuch zum Vergnügen und Unter-
richt auf das Jahr 1809. Wien 1809, S. 74; fehlt in: J. W. L.
Gleim, Sämmtliche Werke. Hg. von W. Körte. Leipzig 181 1
big 18 13. 7 Bände):
Inpromptu bey dem unvermutheten Besuche der Frau
' von Nuys aus Bremen.
Erscheinung wärst du mir erschienen
Mit aller Lieblichkeit in deinen holden Mienen,
Als noch mein lockig Haar um meine Schultern hing,
Ich Graff, des Mahlers, Lob empfing:
Tyrtäus war' ich nicht geworden.
Getreten war' ich nur in Amors Ritterorden;
Und hätte dann dein Herz mein Flehen nicht erweicht,
Petrarka war' ich jetzt vielleicht.
^') Besonders glänzte Flora Gräfin Wrbna-Kageneck in lebenden
Bildern. Josef von Hammer widmete ihrer Magdalena in einem
Tableau nach Correggio ein höchst lobendes Gedicht (An die Frau
Gräfin Flora v. W. Als Magdalena in einem Tableau nach dem
Gemähide des Correggio : Apollonion. Ein Taschenbuch zum Ver-
gnügen und Unterricht auf das Jahr 1809. Wien 1809, S. $8 f.).
^ Über A. W. Schlegels Wiener Vorlesungen bringt noch
einiges Karl Wagner (Archiv für österreichische Geschichte, CIV,
I [Wien 1913], S. 203 Anm. i, 210 Anm.) bei.
^1) Den Nachweis, daß die italienische Agathoklesübersetzung
von Rasori nach der französischen der Madame Montolieu gear-
beitet sei (oben S. 593; II, S. 176 mit Anm. 299), erbrachte J. B.
Bolza in seiner „Rivista Viennese" (II, [Wien 1838], S. 248 ff.),
der den i. Brief des „Agathokles" deutsch, französisch (Montolieu)
und itahenisch (Rasori) gegenüberstellte, außerdem eine wörtliche
itaHenische Übersetzung aus seiner Feder beifügte.
^^3) Der von Karoline Pichler S. 3Sif. (vgl. noch II, S. 270)
gewürdigte französische Leutnant Raymond hieß Joseph Esprit.
Er war am 14. Mai 178 1 zu Aix (Bouches du Rhone) geboren und
666
trat am 5. Dezember 1803 ah Schüler in die Ecole Polytechnique.
1805 wurde er Unterleutnant im 25. Infanterieregiment und
1807 Leutnant und Personaladjutant des Generals Petit. 1809
kam er nach Wien und war jedenfalls vor der Schlacht bei Wagram
(6. Juli 1809) bei der Pichler. einquartiert. In dieser Schlacht
wurde er als Kapitän des 100. Infanterieregiments verwundet
und starb am 30. Juli 1809 an seinen Verletzungen in Wien (Freund-
liche Auskünfte des „Bureau des Archives Administratives" des
„Minist^re de la Guerre" in Paris). Karoline Pichler ahnte nicht,
daß diesen lebhaften und geistreichen jungen Mann so bald das
Verhängnis traf und ihn Wiener Erde deckte.
«"5) Je ein Akt von „Sargines" mit folgendem Ballett wurde
in Schönbrunn am 6. VIII. und 4. IX. 1809 aufgeführt (Wiener
Hof-Theater Taschenbuch auf das Jahr 18 10, S. 60, 61).
'^) Über Toni Adambergers Verkehr bei der Pichler in späteren
Tagen vgl. noch L. A. Frankl, Erinnerungen. Prag 19 10, S. 106 f.
™') A. W. Böttiger fand bei seinem Besuche in Wien (18 11)
Nina Hartl-Schiffenhuber liebenswürdig (A. H. Lier, Grillp. Jahrb.
XIII. S. 133).
') Laut freundlicher Mitteilung des hochw. Herrn Feldsuperiors
E. Kemeny des k. u. k. Feldsuperiorats des 9. Korps in Temesvär
(Ungarn) enthält die Matrik des Infanterieregiments Nr. 29 über
die Geburt der Charlotte Hieronymus folgende Eintragung: „16.
Aprilis 1739 baptisata est Charlotha. Parentes: D. Vexilifer
Augustus Siegfridus (1) Hyeronimus et Anna Elisabetha. Patrini:
D. Simon Fischer vexilifer et Ursula uxor ejus, Brodae in Slavonia."
"') Laut^ Heiratsprotokoll im k. u. k. Kriegsarchiv in Wien
heiratete Oberstleutnant Ferdinand Freiherr v. Kempelen im
Februar 1803 Katharina von Josef owitz.
^ Von Karl v. Kirchstättern heißt es (Taschenbuch für die
Schaubühne auf das Jahr 1793. Gotha, S. 72), daß er in Schröder-
schen Rollen auf dem Privattheater der Gräfin Stockhammer in
Wien einer der besten Privatschauspieler war, denn er spielte „mit
so viel Wahrheit und Feuer, daß es Momente gibt, da man den
großen Schröder zu hören glaubt. Sein schlanker Wuchs, sein
Gebärden- und Mienenspiel, sein hohler, Schröders Stimme ähn^
lieber Ton kommen ihm darin trefflich zu statten" (ebd. S. 75).
Als er und seine Frau 1793 am gleichen Theater im Stücke „Der
Bürgermeister" von F. A. Grafen von Brühl mitwirkten, da hieß
es von ihrem Spiel (ebd. 1794, S.95f.), es war „Frau v. Kirchstetter
als Mutter, was sie seyn sollte; und Hr. v. Kirchstetter als Bettler
mehr, als vielleicht noch irgend ein Schauspieler in dieser RoUe
war. In der Szene, in welcher er dem Bürgermeister seine Leiden
erzählt, litt und weinte alles mit ihm .... Mit einem Worte 1
667
er spielte, daß wir über die Natur seines Spiels der Kunst vergaßen
und zuletzt froh waren, daß es Kunst sey und er im Grunde lebe.
Meister und 'Kenner der Kunst, die gegenwärtig waren, zollten
dem Künstler, als sie aus ihrer Täuschung erwachten, ein leises:
das ist viel mehr, als ich je gesehen!" — Auch im Stücke von
Spieß „Folgen einer einzigen Lüge" am gleichen Theater spielte
Frau v. Kirchstättern trefflich, während Herr v. Kirchstättern
als Major „einzig" war (ebd. 1794, S. 97). Am Schrämbischen
Privattheater spielten beide 1793 ebenfalls ausgezeichnet, besonders
aber Herr v. Kirchstättern in Kotzebues „Kind der Liebe" (ebd.
1794. S. 99).
^ Ein zweiter Bericht über das Greinersche Privattheater im
Jahre 1791 findet sich im „Taschenbuch für die Schaubühne auf
das Jahr 1793" (Gotha, S. 78); er folge hier: „Herr Hofrath v.
Greiner, dieser bekannte würdige Staatsmann, scheint das Vor-
urtheil wider Privat-Schauspiele und Schauspieler nicht nur von
sich geworfen, sondern sich öffentlich für dieselben erklärt zu haben,
da er seiner FamiHe im eignen Hause eine Schaubühne errichten
ließ, worauf einige Monathe hindurch — nämlich wenn das Stock-
hammerische Theater pausirt — mit Zuziehung einiger Freunde
und Bekannten gespielt wird. Nebst seinem Hrn. Sohn und Fräu-
lein Tochter, nebst dem berühmten Hrn. v. Alxinger spielen
einige von der Stockhammerischen Gesellschaft mit. Von einem
Manne, wie Alxinger, und einem Fräulein, wie Karoline von Grei-
ner ist, läßt sich vermuthen, daß sie nur richtig spielen können.
Hr. v. E . . . 1 [Eberl] ist ganz Anstand. Hr. Joseph Li ... 1 [Lissel]
ist in niedrig komischen Rollen glücklich."
Josef Lißl, der mit dem Herrn L** (oben S. 476, Anm. 224)
identisch ist, war damals (1792) Accessist im Expedit des k. k.
Direktoriums (Hof- und Staatsschematismus, 1793, S. 20) und
wohnte in der Himmelpfortgasse 1355 bei seinem Vater Ignaz
Ferdinand Lißl, der Grundbuchamtsverwalter der k. k. Staats-
güteradministration war (ebd. 1793, S. 151). Er besaß ein Privat-
theater (oben S. 489, Anm. 282), an dem Eberl wirkte, den die
Schwester Maria Anna liebte. Josef starb als pens. Hofsekretär
am 27. Mai 1828 in Hadersdorf (Landesgerichts- Archiv, Fasz. II,
Nr. 1402 ex 1828).
^') Noch 1840 schrieb Karoline Pichler in einem ihrer Briefe
an L. A. Frankl (Frankls Sonntags-Blätter, III, S. 79) über die Stoa
und das Christentum, daß diese nicht entgegengesetzt seien,
sondern nur verschiedene Wege wandelten, das höchste Gut zu
suchen.
^ Das Gedicht „Der junge Eichbaum und die Weide. Eine
Fabel" erschien zuerst 1838 in der, von J. B. Bolza herausgegebenen
668
„Rivista Viennese" (I, [Wien 1838], S. 224 f.) mit einer italienischen
Übersetzung von Professor Ab. Nicola Negrelli. Diese Zeitschrift,
welche den Italienern die deutsche und den Deutschen die italieni-
sche Literatur in Originalen nebst Übersetzungen vermitteln
wollte, enthielt auch noch eine Übertragung der Pichlerschen
Novelle „Das Turnier zu Worms" als „II torneo di Worms" (IV,
[Wien 1838], S. 351 ff.); als Übersetzer zeichnete G. O. Weiters
findet sich hier der Erstdruck ihres Gedichtes „Die Rückkehr des
Kreuzfahrers" (I, S. 3 60 ff,), dem das itaHenische Original (II
ritorno del crociato) des Dichters Paride Zajotti di Trento bei-
gegeben ist.
^2) Über Eberl als Schauspieler finden sich noch einige Angaben
im „Taschenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 1794" (Gotha
1794). Er spielte 1793 den Brizstein im Stück „Der Bürgermeister"
vom Grafen F. A. von Brühl am gräflich Stockhammerschen Theater
und zwar (S. 96) „wie gewöhnlich sehr gut. Schade, daß er wohl
lau, aber selten warm vrird und überhaupt ihm am Feuer fehlt,
was er am Anstände zu viel hat". Von seinem Spiel in „Pyramus
und Thisbe" heißt es (S. 97): „war zu viel französischer Akteur
und niemahls kam ihm seine Physiognomie übler zu Statten als
hier." Gelobt vrird sein Siknik in den „Folgen einer einzigen
Lüge" von C. H. Spieß (S. 97).
^^*) KaroUne Pichler berichtet (oben S. 156) über ein Freund-
schaftsverhältnis zwischen A. B. Eberl, einem Grafen und einer
Gräfin und meldet, daß Eberl sogar einige Jahre Hausgenosse der
Gräfin war. Unter Berücksichtigung von Eberls Wohnungen und
der betreffenden Hausbesitzer kam ich (oben S. 492, Anm. 285 a)
auf die Vermutung, daß eine Gräfin Salmour gemeint sei. Diese
Annahme erweist sich aber als falsch. Die richtige Lösung ergibt
sich vielmehr aus devq. kurzen Bericht eines Unbekannten (Taschen-
buch für die Schaubühne auf das Jahr 1794. Gotha, S. 98), der
über das Haustheater der Gräfin von Sinzendorf in Wien zum
Jahre 1793 meldet, daß ihm die Herrn E . . 1 (Eberl) und AI . . ger
(Alxinger) als ausgezeichnete Mitglieder angehören, neben denen
noch Graf und Gräfin Ku . . stein (Kuefstein) hervorragen. Von
letzterer heißt es, siel sei „eine der belesensten und liebenswürdig-
sten Damen unsrer Stadt", übertreffe „in der Richtigkeit der Dekla-
mation und Empfindung die ersten Schauspielerinnen unsrer
Nationalbühne" und ihr diesjähriges (1793) Meisterstück sei „die
gute Tochter" gewesen. Diese Gräfin Kuefstein, die mit Maria
Theresia Gräfin Kuefstein, gebornen Gräfin Colloredo (1763 bis
1800), gleichzusetzen ist, war die Freundin Eberls. Mit dem
Vizepräsidenten der niederösterreichischen Regierung, Musik-
liebhaber und Hofmusikgrafen Johann Ferdinand (III.) Grafen
669
Kuefstein (1752 — 1818; Wurzbach, XIII, S. 3i7f.) seit 1781
vermählt, wohnte Gräfin Maria Theresia, die dem Hofstaate der
Kaiserin Maria Theresia (von Neapel) angehörte, in den Jahren
1797 — 1800 im Hause Dorotheergasse 1183 (Hof- und Staats-
schematismus, 1798, S. 372; 1799, S. 379), in welchem Hause
auch Eberi von 1797 — 1800 seine Wohnung hatte (ebd. 1798,
S. 35; 1800, S. 46). Hier starb auch die Gräfin am 14. März 1800
(vgl. ihren Veriassenschaftsakt im Archiv des Wiener Landes-
gerichtes, Fasz. V, Nr. 45 ex 1800), also vor Anna Maria Lißl
(gest. 1804) und nicht später, wie Pichler (oben S. 156) meint.
Sie vermachte Eberl, der sowohl das Testament vom i. März 1800,
als dessen Kodizill vom 3. März 1800 als erbetener Zeuge unter-
fertigte, „zu einem Angedenken meine Sackuhr, die ich bei meinen
Lebzeiten getragen habe" (§10 des Testaments: Archiv des Wiener
Landesgerichtes, landrechtliche Testamente Nr. 33 ex 1800). '■■■- *
^ Zu der Zusammenstellung der Dienstreisen des Regierungs-
rates Andreas Pichler (oben S. 500) wäre noch beizufügen, daß er
im Juni 1808 in Oberösterreich war, denn am 14. Juni kam er von
Enns nach Wien zurück (Vaterländische Blätter für den österr.
Kaiserstaat. 1808, S. 105). Für die Reise nach Linz und Lilienfeld
im Jahre 18 15 (II, S. 79 ff.), die fünf Wochen dauerte und während
der Karoline Pichler sehr schöne Gegenden sah und „manche
Idee, manchen Stoff zu neuen Arbeiten" faßte, vgl. noch eine
Stelle in einem Brief an Streckfuß vom 6. November 18 15 (K.
Glossy, Wiener Communal-JCalender, XXXII, S. 411).
871) Der Vollständigkeit halber sei auf ein soeben erschienenes
Feuilleton von Franz Kerschbaumer „Die Alserstraße" (Alt Wiener
Erinnerungen: Deutsches Volksblatt Nr. 8938 vom 22. November
19 13 [Wien], Morgenausgabe) verwiesen, in dem auch das Haus der
Pichler, sowie diese selbst gewürdigt wird. Die meisten Angaben
sind aber völlig falsch; betreffs des Hauses sei bemerkt, daß Prof.
Oppolzer dasselbe 1858 nicht neu baute, sondern nur einen dritten
Stock aufsetzte.
8'2) Johann Ritter de Carro hatte 1796 in Wien Maria Anna
von Kurzböck (geb. 1775) geehelicht, die aber bereits am 9. Jänner
1800 an der Schwindsucht starb (vgl. Memoires du Chevalier Jean
de Carro. Carlsbad 1855, S. 17; A. Mayer, Wiens Buchdrucker-
geschichte. II, S. 50 Aiim. 205). Diese ist oben S. 221 gemeint.
609) Rezensent Gk. (S. 572) ist in den Jahren 1802 — 1806 Re-
gierungsrat von Rohr in Berlin (vgl. Gust. Parthey, Die Mit-
arbeiter an Friedrich Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek.
Berlin 1842, S. 22, 41).
IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIMIIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIilllllllllllllllllll
VERZEICHNIS DER BILDBEIGABEN
iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiniiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiilirninniiMiiiniiniiininiiiiiiiiimnimiimninninin
Im ersten Band:
•i. Karoline von Grelner, Pastellbildnis von
Gabriele Beyer (1786) Vor dem Titel
2. Kaiserin Maria Theresia. Unsigniertes Pastell-
gemälde. Vor S. 17
•3. Charlotte von Greiner. Anonyme Bleistift-
zeichnung Vor S. 25
4. Franz Sales von Greiner. Stich von J. E. Mans-
feld Vor S. 33
5. Josef Anton Steffann. Anonyme Silhouette . . Vor S. 41
6. Franz Josef V. Ratschky. Stich von Friedrich John Vor S. 49
7. Lorenz Leopold Haschka. Silhouette von Hiero-
nymus Löschenkohl Vor S. 57
8. Gottlieb Leon. Silhouette von Hieronymus
Löschenkohl . Vor S. 81
9. Karoline von Greiner. Qu. Mark del. et. sc. Vor S. 97
10. Johann Baptist von Alxinger. Stich von E. Henne Vor S. 113
•11. Karoline und Franz Xaver von Greiner. Un-
signiertes Ölgemälde (ca. 1785) Vor S. 129
•12. Karoline von Greiner (?). Pastellbildnis von
Gabriele Beyer (1786) Vor S. 145
13. Gabriele Baumberg. Gemälde von Heinrich
Füger Vor S. 153
14. Josef Anton Gall. G. Monsomo ad vivum, C.
Pfeiffer sc Vor S. 161
15. Ignaz Karl Graf Chorinsky. C. Sales pinx., B. de
Schrötter lith Vor S. 177
16. Maria Theresia von Paradis. Wachsbüste . . Vor S. 193
17. Allgemeines Wiener Aufgebot des Jahres 1797.
Kolorierter Stich von Josef Eder, nach Joh. Ada-
mek Vor S. 201
•18. Franz Sales von Greiner. Ölgemälde von Hubert
Maurer Vor S. 209
19. Michael Denis. C. Caspar pinx., C. Kohl sc. . . Vor S. 225
20. Josef von Sonnenfels. F. Mesner pinx., J. Jacobe
sc , Vor S. 233
• Bisher unveröffentlichte Originale.
43 c. p. I 673
21. Karoline Ungher-Sabatier. Lithographie von J.
Kriehuber (1839) ^°^ S. 249
22. Heinrich von CoUin. J. Lange pinx., Friedr.
John sc Vor S. 257
23. Julius Schneller. Unsignierte Lithographie . . Vor S. 265
24. Maria Luigi Carlo Cherubini. Anonymer Stich
jjFriedr.Johni') Vor S. 273
25. Girolamo Crescentini. Stich von Friedrich John Vor S. 281
26. Franz Kurz. Leopold Schulz pinx., Friedrich
Leybold lith Vor S. 289
27. Therege Huber. Unsignierte Miniatur .... Vor S. 305
28. Anne Louise Germaine baronne de Stael. A.
Maurin pinx., de Villain lith Vor S. 321
•29. Antonie von Kempelen. Unsignierte Miniatur Vor S. 337
30. K. A. Varnhagen von Ense. Lithographie von
Loeillot de Mars Vor S. 361
•31. ^^ener Porzellan aus Karoline Pichlers Besitz Vor S. 369
32. Karoline Pichler. Anonymer Stich (Quirin Mark ?
oder Friedr. John ?) Vor S. 377
33. Toni Adamberger als Emilie Galotti. Photo-
graphie nach einem Gemälde von Jos. Lange . Vor S. 393
34. Josef Freiherr von Hormayr. Stich von Thomas
Benedetti Vor S. 409
35. Clemens Brentano. Anonymer Stich nach L. E.
Grimm, 1837. (vgl. Zeitschrift für Bücher^
freunde. IX. i, S. 196) Vor S. 425
llltltlltlllllllHIIIIIIIIIIllllllllllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllllllllinilllllllMHIII
674
aMIIIIIUniMlllllllllllllltnilllUlllllllllllllMIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIHMIIIIHIIIIIMMIIIIIIIIIIMMIillllllinirillllHIHIIMItll^
DKUCKFEHLERBERICHTIGUNG
Zum ersten Band
S. 73, Z. 2 von oben lies: **^)
S. 178, Z. 9 von unten lies: hatte
S. 202, Z. 3 von oben lies: niemand
S. 271, Z. 3 von oben lies: Straße in
S. 280, Z. 7 von oben lies: Tagen, um an ... .
S. 291, Z. 5 von oben lies: zugeschrieben
S. 297, Z. 12 von unten lies: Hofrät Wallnau
S. 302, Z. 4 von oben lies: Lacrimas
S. 438, Z. 7 von oben lies: 1732
Z. 8 von oben lies: 1730
S. 444, Anm. 40, Z. 2 lies ,dem' statt ,der'
S. 476, Anm. 224, Z. 8 statt , Leon' lies ,Lißr
S. 484, Z. 10 von oben lies: 11 1 nicht III
S. 487, Anm. 273^ Z. i lies: Giuseppe
INHALTSVERZEICHNIS
, Seite
Einleitung VII
Erstes Buch (1769 — 1798) i
Zweites Buch (1798— 1813) 213
Anmerkungen 435
Nachträge zu den Anmerkungen . 651
Verzeichnis der Bildbeigaben 671
Druckfehlerberichtigung 675
1 -»
I
^•iiiiiHiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiR
i,t
'i^r . : i
Gedruckt von der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. Buch-
ausstattung von Paul Renner. Einhundertfünfzig Exemplare
wurden auf holländisches Bütten abgezogen und in Ganzleder
gebunden.