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Full text of "Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]"

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DENKWÜRDIGKEITEN  AUS  ALTÖSTERREICH  V 

(UNTER  DER  LEITUNG  VON  GUSTAV  GUGITZ) 

CAROLINE  PICHLER,  GEB.  v.  GREINER 

DENKWÜRDIGKEITEN  I 


1 


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Karoline  von  Greiner 

Pastellbildnis  von  Gabriele  Beyer  (1786)  — •  Städtisches  Museum,  Wien 


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Betreffs  aller  erstmalig  mitgeteilten  Stellen,  der  Originalbildnisse, 
der  Einleitung   und   der  Anmerkungen   alle  Rechte  vorbehalten. 


834-P5  84 


Seiner 
lieben  Frau  und  treuen  Lebensgefährtin 

ROSABLÜMML 

in  Liebe  und  Dankbarkeit 
zugeeignet 


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MiiiinniiiitniiiiiniiniiiniiiitiiitiiiiiniiiiiiiiiiMiiiiiniiiiifiiniiiiiiiiiMiMiiiiiinittitiiiitiiiiMiiiMiiiliiiiiiiiiiiiiMiiii 


EINLEITUNG 

Welcher  Wiener,  der  die  Namen  Greiner  und  Pichler 
hört,  denkt  nicht  mit  wehmutsvollem  Gefühle,  das 
alles  Vergangene  einflößt,  an  das  Wien  der  Großväter- 
und  Urgroßväterzeit!  An  jenes  wallumgürtete  Wien 
mit  seinen  hochgiebeligen  Häusern,  seinen  engen  und 
krummen  Straßen,  seinen  lauschigen  Plätzen  und  gon- 
nigen  Basteien.  Die  lebensfrohen  Bewohner  von  dainals, 
die  Großstädter  spieltenj  obwohl  das  alte  Wien,  der 
Mittelpunkt  des  heiligen  römischen  Reiches  deutscher 
Nation,  doch  nur  eine  kleine  Stadt  von  heute  war,  sie 
schlummern  in  den  alten  Friedhöfen  vor  den  ehemaligen 
Linien  und  was  sie  für  ewig  am  Bilde  ihrer  Stadt  hiel- 
ten, das  schwand  und  wurde  zur  lieben  Überlieferung, 
an  die  wir  uns  heute  klammern.  Die  gute,  alte  Zeit, 
wie.  wir  sie  so  gerne  nennen,  die  uns  anheimelt,  weil  sie 
vergangen  ist,  die  wir  gerne  miterlebt  hätten,  weil  sie 
bereits  märchenhaftes  an  sich  hat,  sie  ist  unsere  Zu- 
fluchtsstätte, der  wir  in  stillen,  träumerischen  Stunden 
zueilen,  an  der  wir  uns  erlaben,  deren  ragende  Zeichen 
wir  aber  in  wollüstiger  Grausamkeit  zerstören.  Denn 
der  nüchterne,  nur  manchmal  sich  in  weichHcher  Ge- 
fühlsstimmung gefallende  Großstädter  kennt  keine 
Rücksicht  der  Vergangenheit  gegenüber,  wenn  es  sich 
um  gleißendes  Gold,  wenn  es  sich  um  den  Verkehr, 
dieses  Schlagwort .  der  Gegenwart,  handelt.  Er,  der 
gern  sein  Urahne  'sein  möchte,  wenn  er  im  wirbelnden, 

VII 


hastenden  Treiben  des  Lebens  eine  kurze  Ruhestunde 
gefunden  hat,  die  ihm  den  gequälten  Schrei  nach 
„mehr  Freude!",  um  die  er  sich  selbst  betrog,  aus- 
preßt, er  brachte  diese  Urahnen  mit  lächelndem  Ant- 
litz und  ruhigem  Gewissen  um  ihre  letzte  Ruhestätte, 
weil  die  Toten  eben  Verkehrshindernisse  sind.  Er  riß 
die  alten,  anheimelnden  Gebäude,  da  sie  im  Wege 
standen,  nieder,  er  zerstörte  die  lauschigsten  Plätz- 
chen, er  hat  die  Vorstädte  mit  ihren  vielen  Gärten 
verschwinden  gemacht,  er  hat  die  Dörfer  vor  den 
Linien  ihrer  Eigenheiten  entblößt,  ihres  grünen 
Schmuckes  und  ihrer  sonnigen  Hügel  und  Weinreben 
beraubt  und  hat  ein  kahles  Steinmeer,  die  Großstadt, 
geschaffen,  die  nach  außen  glänzend  dasteht,  im  Innern 
aber  schweres  Elend  birgt  i). 

Wenn  vom  Traumland  des  alten  Wien  auch  nur 
weniges  der  Zerstörungswut  des  heutigen  Geschlechtes 
entgangen  ist,  so  ragt  doch  vorderhand,  vielleicht  wird 
es  auch  einmal  Verkehrshindernis  und  muß  dann 
schwinden,  das  alte  Wahrzeichen,  der  St.  Stephans- 
dom, stolz  in  die  Lüfte  hinaus  und  meldet  von  schweren 
und  freudigen  Tagen  der  Stadt,  die  zu  seinen  Füßen 
liegt.  Wie  viele  Geschlechter  sah  er  kommen  und  gehen, 
zu  seinen  Füßen  niedersinken  und  in  der  geweihten 
Erde  rings  um  ihn  verschwinden.  Alles  um  ihn  änderte 
sich,  doch  er  blieb  der  alte,  der  in  seiner  erhabenen 
Gotik  stumm  und  kalt  auf  die  Gleichgültigen,  doch 
beredt  auf  die  Fühlenden  niederblickt,  die  in  ihm 
Wiens  Geschichte  verkörpert  sehen.  Jede  Zeit  hat  ihre 


^)  Vgl.  dazu  die  äußerst  lesenswerten  Ausführungen  von  Jos. 
Aug.  Lux  (,  ,Wenn  Du  vom  Kahlenberg  .  .  ."  Das  künstlerische 
Stadtbild  Wiens,  wie  es  war  und  wird.  Wien  1907,  S.  5  ff.) 
über   das  gewesene   Wien. 

VIII 


Größen  und  ihre  Sehenswürdigkeiten.  Auch  Wien  hat 
deren  viele  gehabt,  doch  das  Bleibende  im  Wandel  der 
Zeiten  blieb  der  Dom  des  heiligen  Stephan.  Es  gab 
eine  Zeit,  noch  liegt  sie  nicht  allzuweit  hinter  uns,  es 
waren  die  drei  ersten  Jahrzehnte  des  neunzehnten 
Jahrhunderts,  da  galten  der  Stephansturm  und  die 
Dichterin  Karoline  Pichler  als  Hauptmerkwürdigkeiten 
von  Wien^).  Beide  mußte  man  gesehen  haben,  wollte 
man  von  Wiener  Eigenart  und  Wesen  etwas  wissen 
und  wenn  sie  auch  nicht  ebenbürtig  waren,  so  waren 
sie  doch  gleicherweise  Anziehungspunkte  für  die 
Fremden.  Was  man  in  Karoline  Pichlers  Heim  ken= 
nen  lernen  konnte,  das  war  eben  jene  echte  Wiener 
Geselligkeit,  die  bei  ihr  in  voller  Blüte  stand,  an  der 
alle  Gebildeten  gleichermaßen  teilnahmen,  und  die 
heute  mit  ihren  Trägern  längst  der  Vergangenheit 
angehört. 

Das  Wiener  Gesellschaftsleben,  dessen  Schilderin 
Karoline  Pichler  wurde  und  in  dem  sie  selbst  einen 
eigenartigen  Kreis  bildete,  hat  aber  keine  so  weit  zu- 
rückreichende Tradition  aufzuweisen  wie  etwa  das 
der  italienischen  Renaissancehöfe  oder  das  leichtlebige, 
geistigen  und  leiblichen  Genuß  gewährende, Leben  der 
französischen  Salons  zur  Zeit  des  Sonnenkönigs  und 
seiner  Nachfolger  2).  Wien  hatte  lange  keine  geselligen 
Vereinigungen,  wo  sich  Geist  mit  Anmut,  Scherz  mit 
Ernst,  Weisheit  mit  Genuß  paarten,  denn  erst  in  die 
Zeit   der   Regierung   der   Kaiserin   Maria   Theresia 

^)  P.  D.  Atterbom,  Aufzeichnungen  über  berühmte  deutsche 
Männer  und  Frauen.  Aus  dem  Schwedischen  übersetzt  von 
Franz   Maurer.     Berlin  1867,    S.  199. 

2)  Über  diese  Salons  vgl.  man  die  feinsinnigen  Bemerkungen 
von  Valerian  Tornius  (Salons.  Bilder  gesellschaftlicher  Kultur  aus 
fünf  Jahrhunderten.    Leipzig  1913). 

IX 


fallen  die  ersten  Anfänge  der  Wiener  Geselligkeit^). 
Unter  Kaiser  Josef  IL  bildeten  sich  dann  jene  drei 
Kreise  desselben  aus^),  die  lange  Zeit  hindurch,  bis  zur 
Revolution  des  Jahres  1848  feststehend  blieben,  wenn 
auch  das  Leben  und  Treiben  in  den  Salons  selbst 
schließlich  nur  mehr  ein  schattenhaftes  war.  Der  erste 
Kreis,  dessen  Hauptzweck  in  der  Förderung  der  Wissen- 
schaften lag^),  war  im  18.  Jahrhundert  durch  Ignaz 
von  Born  und  Nikolaus  von  Jacquin  und  deren 
Gesellschaften,  von  denen  auch  Karoline  Pichler 
spricht  (I,  S.  149 f.,  158),  vertreten;  der  feinsinnige, 
gleichen  Zwecken  dienende  Kreis  um  den  Botaniker 
Ladislaus  Endlicher  gehört  einer  späteren  Zeit  an. 
Im  Gegensatz  dazu  stand  jener,  der  den  Frohsinn 
pflegte^),  sich  im  Humor  aller  Art  nicht  genug  tun 
konnte,  und  besonders  jenen  behaglichen  und  gemüt- 
lichen Wiener  Spießern  zusagte,  die  etwa  heute  im 
Rostbratelorden  mittaten,  morgen  in  der  Ludlamshöhle 
Castellis  gerade  nicht  immer  feine  Witze  anhörten, 
und  am  dritten  Tag  nach  alter  Ritterart  als  Knappe 
Williram  oder  Ritter  Kunz  im  feierlichen  Aufzug  ein 
Ritterkonventikel  im  Seebensteiner  Schlosse  abhielten. 
Mitten  zwischen  Ernst  und  Scherz  aber  stand  jener 
Kreis,  der  die  Geselligkeit  selbst  zum  Hauptzwecke 
hatte,  dem  „die  Geselligkeit  als  Mittel  zum  anknüpfen 
gegenseitiger  Bekanntschaften,  als  Vereinigungspunkt 
von  Personen  verschiedener  Geistesrichtungen  und 
verschiedener    Lebensweise"    diente^).    Hier    fiel    im 


^)  Vgl.  M.  A.   Becker,  Geselligkeit  und  Gesellschaft  in  Wien. 
In  dessen:  Verstreute  Blätter.  Wien  1880,  S.  36!. 

2)  Becker,  a.  a.  O.  S.  38. 

3)  Becker,  a.a.O.  S.  38,  41  f. 
*)  Becker,  a.  a.  O.  S.  39,  43!. 
6)  Becker,  a.  a.  O.  S.  39{. 

X 


Gegensatze  zu  den  beiden  anderen  Kreisen  der  Haus- 
frau die  entscheidende  Rolle  zu.  Von  ihrem  Geschick 
und  ihren  geistigen  Fähigkeiten  hing  es  ab,  ob  dieser  , 
Kreis  lebensfähig  war  oder  nicht,  ob  er  anregend 
wirkte  und  jene  heitere  Freude  im  Besucher  auslöste, 
die  ein  stetes  Wiederkommen  verbürgte.  Charlotte  ^ 
von  Grein  er  war  eine  solche  Frau,  die,  mit  scharfem 
Geiste,  wenn  auch  nicht  hübschen  Zügen  begabt,  es 
verstand,  in  ihrem  Heim  während  der  ausgehenden 
siebziger,  der  achtziger  und  neunziger  Jahre  des 
i8.  Jahrhunderts  jene  behagliche  Geselligkeit  zu  schaf- 
fen, deren  beherrschender  Mittelpunkt  sie  war  (H, 
S.  440).  Für  Abwechslung  war  in  ihrem  Hause  bei  den 
täglichen  Abendgesellschaften  (I,  S.  168)  genügend 
gesorgt.  Während  sie  selbst  mit  ihren  Freunden  eine 
Art  gelehrter  Akademie  wöchentlich  abhielt  (H, 
S.  441),  veranstaltete  ihr  Gatte,  seiner  Neigung  gemäß, 
größere  Gesellschaftskonzerte,  an  denen  die  Tochter 
des  Hauses  mitwirkte  (I,  S.481  f.).  Als  Sohn  und  Tochter 
erwachsen  waren,  da  gab  es  für  die  Freunde  des  Sohnes 
gelehrte  Kränzchen  (I,  S.  171  ff.)  und  für  alle  jungen 
Leute  Tableaux  und  Theatervorstellungen  (I,  S.  1 1 1  ff., 
150 ff.),  bei  denen  man  sich  die  Liebe  ins  Herz  mimte. 
Während  die  Frau  des  Hauses  auf  ihrem  Ehrenplatz 
am  Sopha  thronte  und  mit  den  älteren  Damen  und 
Herren  kritisch  die  Vorzüge  und  Fehler  ihrer  Bekann- 
ten und  Freunde  durchging,  wohl  auch  hie  und  da 
ihre  gelehrten  Ansichten  über  die  Entstehung  und  den 
Urgrund  aller  Religionen  zum  besten  gab  und  während 
der  Herr  Hofrat  einem  Spielchen  huldigte,  da  flirteten 
die  jungen  Leute,  aller  Standesunterschiede  vergessend,  - 
und  aus  ihren  Herzen  knospte  die  luftige  Zukunft  in 
die  Gegenwart  hinein.  Diese  fröhHche,  ungebundene 

XI 


Heiterkeit,  dieses  gegenseitige  Vertrauen  und  der  Auf- 
klärungsdusel, der  sich  in  den  Unterhaltungen  breit 
machte,  fand  aber  mit  einem  Male  ein  Ende,  als  die  Jako- 
binerfurcht aufkam  und  eine  künstlich  aufgebauschte 
Jakobinerverschwörung  1794  ^^  Wien  und  den  Pro- 
vinzen aufgedeckt  und  mit  drakonischer  Strenge  gegen 
die  vermeintlichen  Vaterlandsverräter  vorgegangen 
vi^urde.  Wie  ein  kalter  Wasserstrahl  wirkte  das  nunmehr 
auftretende  Polizeiregiment  auf  die  Gesellschaften  und 
man  zog  sich  scheu  vor  den  Menschen  zurück,  waren 
ja  doch  die  grimmigsten  Freimaurer  und  Aufklärer 
vielfach  Angeber  und  verbissene  Rückschrittler  ge- 
worden. Die  heitere  Geselligkeit  der  josefinischen  Zeit, 
die  Karoline  Pichler  auch  im  ersten  Teile  ihrer  „Zeit- 
bilder" anschaulich  vor  Augen  führt,  war  der  Furcht, 
dem  Parteigeist  und  dem  Mißtrauen  gewichen.  Der 
literarische  Zirkel  der  jungen  Männer  im  Hause  Greiner 
hörte  auf  (I,  S.  184)  und  die  jungen  Leute  fanden  sich 
nur  mehr  zu  harmlosen  Zusammenkünften  und  Garten- 
festen im  Hernalser  Landhaus  ein.  Wenn  so  der  Salon 
Greiner,  den  früher  jeder  Fremde,  der  nach  Wien 
kam,  gern  besucht  hatte,  allmählich  seine  Bedeutung 
verloren  hatte,  so  war  überhaupt  sein  Ende  da,  als 
1798  der  Hofrat  Greiner  das  Zeitliche  segnete. 

Die  notwendigen  Einschränkungen,  die  nunmehr 
eintreten  mußten,  zwangen  die  Familie  Greiner- 
Pichler  —  Karoline  hatte  ja  unterdessen  den  Hafen  der 
Ehe  erreicht  — ,  sich  in  einen  Vorort  (Alservorstadt)  zu 
ziehen.  So  nahe  auch  heute  diese  Gegend  der  inneren 
Stadt  liegt,  so  leicht  und  bequem  sie  jetzt  erreichbar 
ist,  so  schwierig  war  es  damals,  über  das  unbeleuchtete 
und  ungepflasterte  Glacis  von  der  Stadt  aus  in  die 
Vorstadt  zu  kommen  (vgl.  I,   S.  225).   Selten  verirrte 

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sich  daher  ein  Freund  oder  Bekannter  in  das  Haus 
Nr,  109  der  Alservorstadt.  Eine  stille,  trauliche  Häus- 
lichkeit war  an  die  Stelle  der  Geselligkeit  getreten  und 
man  unterhielt  sich,  so  gut  es  eben  ging,  mit  Lektüre 
oder  Klavierspiel  im  engsten  Familienkreis  (I,  S.  225). 
Das  änderte  sich  aber,  nachdem  Karoline  Pichler  1800 
mit  ihren  „Gleichnissen"  an  die  Öffentlichkeit  getreten 
war,  mit  denen  sie  eine  bekannte  Dichterin  wurde. 
Man  drängte  sich,  ihre  Bekanntschaft  zu  machen,  man 
wollte  in  ihrer  Gesellschaft  sein  und  1802  beginnt  die 
Geschichte  des  Pichlerschen  Salons.  Zwar  war  nach 
wie  vor  Charlotte  von  Grein  er  der  sogenannte  Mittel- 
punkt, denn  noch  immer  verstand  sie  es,  durch  ihre 
Geistesgaben  und  ihr  Unterhaltungstalent  große  und 
kleine  Geister  zu  fesseln  (I,  S.  250 f.),  aber  ihr  gewöhn- 
licher Freundeskreis  war  ein  sehr  geistesarmer  (H, 
S.  44if.).  Das  geistige  Haupt  war  aber  jetzt  Karoline 
Pichler,  wenn  sie  auch  vor  ihrer  Mutter  in  Bescheiden- 
heit zurücktrat.  Ihr  huldigte  man  und  ihr  galten  all 
die  Besuche  der  Fremden,  die  jahraus  und  jahrein  ihr 
die  schuldige  Achtung  zollten.  War  sie  auch  nur  „La 
Muse  du  Faubourg",  wie  sie  Frau  von  Stael  scherzend 
nannte^),  so  war  sie  doch  eine  geistige  Macht  in  Wien 
geworden,  mit  der  man  zu  rechnen  hatte,  und  nicht 
mit  Unrecht  nannte  man  sie  Wiens  Recamier^).  War 
ihr  Kreis  auch  nicht  so  glänzend  wie  die  gleichzeitigen 
Zirkel  der  geistreichen  Jüdinnen  Fanny  Arnstein  und 
Cäcilia  Eskeles,  wo  sich  der  Hochadel  und  die  Diplo- 
maten ein  Stelldichein  gaben,  wo  berühmte  Geistes 
beiden  und  hervorragende  Männer  der  Geschäftswelt 
sich  trafen,  so  waren  ihre  Gesellschaftsabende —  jeden 

1)  P.  D.  Atterbom,  a.  a.  O.,  S.  199. 

2)  B  (Bolza .'')  in :  Illustrierte  Zeitung.   I.  (Leipzig  1843),  S.  171. 

XHI 


Mittwoch  (I,  S.  314,  318),  später  jeden  Dienstag  und 
Donnerstag  (II,  S.  114,  470:  178)  empfing  sie,  während 
die  Sonntage  dem  engsten  Freundeskreis  vorbehalten 
waren  (II,  S.  39,  114)  —  der  Vereinigungspunkt  der 
feinen  bürgerlichen  Kreise,  des  niederen  Adels  und  der 
literarischen  und  künstlerischen  Größen,  deren  Unter- 
haltung sich  um  Tagesereignisse  und  Gegenstände  der 
Literatur  und  Kunst  drehte^).  Wenn  die  Gesellschaften 
der  Eskeles  und  Arnstein  im  gewissen  Sinne  alle 
Vorzüge  und  Nachteile  des  Emporkömmlingtums  zeig- 
ten, wie  es  Karoline  Pichler  im  zweiten  Teile  ihrer 
,, Zeitbilder"  so  trefflich  schilderte,  so  verkörperte  sie 
mit  ihrem  Kreis,  der  die  Gesellschaften  der  Piquots, 
Hoppe  u.  a.  durch  die  literarischen  Interessen  weit 
überragte,  die  Traditionen  des  josefinischen  Beamten- 
tums und  des  seßhaften  niederen  Adels,  der  auch  bei 
Frau  Flies  und  bei  der  Baronin  v.  Matt  sich  geltend 
machte. 

Bei  ihr  ging  es  stets  gesittet  und  ruhig  zu  und  gerne 
sahen  es  aristokratische  Eltern,  daß  ihre  Söhne  bei  der 
Pichler,  welche  die  Jugend  gerne  um  sich  hatte  (II, 
S.  87,  463  f.)  und  wo  man  guten  Ton  und  feine  Sitte 
lernen  konnte  (II,  S.  87),  verkehrten.  Die  aufstrebenden 
Talente,  wie  Hormayr,  Hammer-  Purgstall,  Col- 
lin,  Streckfuß,  Schneller,  Rothkirch- Panthen 
u.  a.  vereinigten  sich  hier,  übten  sich  in  Deklamationen 
(I,  S.  261,  539),  im  Theaterspiel  (I,  S.  297,  565:  488f.), 
das  Regierungsrat  Pichler  leidenschaftlich  liebte,  hielten 
Musikabende  ab  (I,  S.  265,  283 f.;  II,  S.  114  u.  ö.) 
und  waren  glühende  Patrioten,  die  den  Fall  ihres 
Vaterlandes  aufs  tiefste  bedauerten  und  den  Empor- 

1)  Becker,  a.   a.   O.,   S.  41;   Alexandrine   Baronne  du   Montet, 
Souvenirs.   Paris  1904,  S.  79. 

XIV 


kömmling  Napoleon  mit  der  ganzen  Glut  ihrer  feurigen 
Seelen  haßten  ^).  In  diesem  Kreise  wurden  die  nationalen 
Stoffe,  die  ermunternd  und  anfeuernd  auf  das  gesunkene 
Volksbewußtsein  wirken  sollten,  gepflegt  und  hier 
kamen  der  Staatsgedanke,  der  damals  allen  Öster- 
reichern tief  in  den  Knochen  saß,  und  der  glühende 
Patriotismus  wiederholt  zum  Ausbruche,  besonders  als 
Körner  in  Wien  weilte  (I,  S.405).  Pichlers  Salon  war 
damals,  wie  Eugen  Guglia  in  seiner  trefflichen  Ab- 
handlung „Gesellschaft  und  Literatur  im  alten  Öster- 
reich (1792 — 1825)"  richtig  bemerkte,  eine  „Muster- 
schule für  künftige  Staatsbeamte"  2)  und  setzte  damit 
die  Tradition  des  Greinerschen  Kreises  fort  (I,  S.  168). 
Während  aber  der  Salon  ihrer  Mutter  im  Zeichen  der 
Aufklärung  stand,  Haschka  hier  seine  fanatischen  An- 
klagen gegen  Papst  und  Mönchstum  vorbringen  konnte, 
steht  .Karoline  Pichlers  Salon  bereits  unter  dem  Ein- 
fluß der  Romantik.  Wenn  sie,  als  aus  der  klassischen 
Schule  hervorgegangen,  auch  sonst  gegen  die  roman- 
tischen Ideale  und  Lehrsätze  sich  auflehnte  (I,  S.  264, 
300 ff.),  so  konnte  sie  sich  doch  dem  Einflüsse  der  na- 
tionalen und  später  der  religiösen  Wiedergeburt,  wie 
sie  die  Romantik  lehrte,  nicht  entziehen.  Österreichs 
schwere  Bedrängnis  hatte  im  ersten  Jahrzehnt  des 
19.  Jahrhunderts  das  nationale  Gefühl  in  ihr  ausgelöst, 
ihr  Blick  wandte  sich  von  der  sorgenvollen  Gegenwart 
der  Vergangenheit  zu  und  da  die  Not  beten  lehrt,  so 
hatte  auch  Karoline  Pichler  durch  den  Krieg  und  be- 
sonders durch  den  Tod  ihrer  Mutter  (18 15)  ihren  reli- 


^)  Über  Pichlers  Franzosenhaß  vgl.  man  Denkwürdigkeiten  I. 
S.  278!,  348!.,  611  Anm.  606. 

2)  Österreichische  Rundschau.  Hg.  von  Anton  Edlinger,  I, 
(Wien  1883),  S.  718. 

XV 


giösen  Halt  wiedergefunden  (II,  S.  6i  ff.),  der  sie  den 
Blick  nach  oben  wenden  hieß.  Das  Jahr  1815  führte 
sie  endgültig  (II,  S.  83  f.)  in  den  Kreis  derer  um  Fried- 
rich und  Dorothea  von  Schlegel,  welche  die 
Ideen  des  Redemptoristen  Klemens  Maria  Hoff- 
bauer, der  ebenso  wie  Zacharias  Werner  das  religiöse 
Leben  in  Wien  einer  neuen  Glanzzeit  zuführen  wollte^), 
vertraten.  Obwohl  ein  Feind  des  katholischen  Ultra- 
montanismus, fand  Karoline  Pichler  hier  in  diesem 
Kreise  aber  doch  so  viele  gleichgestimmte  Wesen, 
welche  Gedanken,  die  schon  lange  tief  in  ihrer  Seele 
schlummerten  und  die  sie  im  „Agathokles"  schriftstelle- 
risch verwertet  hatte,  offen  zum  Ausdrucke  brachten. 
Ihre  tief  religiöse  Natur  konnte  sich  dem  Banne  dieses 
Kreises  nicht  entziehen,  daher  man  bei  ihr  von  nun 
ab  nicht  nur  feine  Sitten  lernen,  sondern  auch  der  Re- 
ligion zugeführt  werden  konnte  (II,  S.  464:  163). 

Als  die  Befreiungskriege  und  die  Not  der  Zeit  vor- 
über waren  und  Wien  im  Taumel  des  Kongresses  stand, 
wo  Vergnügen  auf  Vergnügen  folgte  und  ein  neues 
Sündenbabel  sich  auftat,  da  ging  es  auch  in  Karoline 
Pichlers  Salon  lebhaft  zu  2),  doch  alles  bewegte  sich 
in  ruhigen,  gemessenen  Bahnen.  Während  das  ganze 
gesellige  Leben  in  den  nächsten  Jahren  einen  völligen 
Umschwung  durchmachte,  eine  Fülle  und  Mannig- 
faltigkeit von  Genüssen  verlangt  wurde,  da  alles  der 
Zerstreuungssucht  huldigte,  an  allem  rasch  vorüber- 
gleiten wollte,  sich  dabei  aber  herzlich  langweilte,  blieb 
Karoline  Pichler  dem  alten  Grundsatze,  daß  die  Ge- 


^)  Vgl.  den  interessanten  Aufsatz  von  Eugen  Guglia,  Religiöses 
Leben  in  Wien  1815  bis  1830.  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung. 
München  1891,  Nr.  128  f. 

2)  Denkwürdigkeiten  II,  S.  Sgf.,  46,  48!.,  53!. 

XVI 


selligkeit  Freude  schaffen  soll,  getreu^).  Bei  ihr  gab 
es  keinen  Prunk,  keine  Vorträge  von  Künstlern,  keine 
starken  Reize,  sondern  wie  in  alter  Zeit  2)  musikalische 
und  deklamatorische  Genüsse,  einfache  Erfrischungen, 
prunklose  Nikolaus-  und  Weihnachtsbescherungen,  vor 
allem  aber  ging  man  bei  ihren  Abendgesellschaften, 
alter  Sitte  gemäß,  bereits  um  lo  Uhr  auseinander, 
während  die  modernen  Gesellschaften  meist  erst  nach 
1 1  Uhr  ihren  Abschluß  fanden.  So  blieb  es,  trotz  dem 
Zuspruche  vieler  Fremder,  bis  zum  Jahre  1824,  wo 
ihre  Tochter,  die  lange  Zeit  der  jugendliche  Anzie- 
hungspunkt der  Gesellschaft  war,  Wien  verließ  und 
nach  Prag  übersiedelte.  Karoline  Pichler  empfing  von 
nun  ab  seltener  und  gab  nur  mehr  kleine  Gesellschaften 
(II,  S.  227),  denn  sie  hatte  bereits  das  Bedürfnis  nach 
Ruhe  und  Scheu  vor  neuen  Bekanhtschaften^).  Die 
Blütezeit  ihres  Salons  war  vorüber,  was  jetzt  folgte, 
hielt  keinen  Vergleich  mit  dem  früheren  aus. 

Das  Salonleben  im  übrigen  Wien  hatte  sich  immer 
mehr  verflacht  und  war  zum  geistlosen  Getändel 
herabgesunken.  Während  früher  die  gemischten  Gesell- 


^)  Vgl.  ihren  Aufsatz  „Über  die  Art  der  geselligen  Untefhal- 
tungen"  im  Taschenbuch  „Huldigung  den  Frauen"  (I,  [Leipzig 
1823],  S.  i5off.,  bes.  S.  I52ff.)  und  eine  Stelle  in  einem  Brief 
an  Th.  Huber  vom  6.  März  18 19  (K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  HI, 
S.  284). 

2)SPichler,  ebd.  I,  S.  157 ff.  —  Denkwürdigkeiten  H,  S.  85 f. 
(i8i6)\92f.  (1816),  i3of.  (1817),  i3if.  (1818). 

^)  Bri6^  an  Therese  Huber  vom  6.  Dezember  1825  (K.  Glossy, 
Grillp.  Jb.  ni,  S.  336):  „Je  älter  ich  werde,  desto  mehr  fühle  ich 
das  Bedürfnis  größerer  Ruhe  und  Stille  um  mich  —  und  suche 
mich  sachte  von  zu  vielen  Geschäften  und  Bekanntschaften  zurück- 
zuziehen. Gleichförmigkeit  des  Lebens,  Vermeidung  aller  zu  nahen 
Berührungen,  außer  denen,  die  die  Natur  mir  auferlegte,  und 
Stetigkeit  der  Verhältnisse,  das  sind  die  Hauptbedingungen  meiner 
Zufriedenheit." 

II    C.P.I  XVII 


Schäften,  wo  Männer  von  Geist  mit  gebildeten  Frauen, 
die  ihre  Handarbeiten  während  der  Unterhaltung  för- 
derten, gerne  und  oft  verkehrten,  an  der  Tagesordnung 
waren  ^),  zogen  sich  die  Männer  zu  Ende  der  zwanziger 
Jahre  immer  mehr  zurück.  Das  Tabakrauchen,  die  Ängst- 
lichkeit vor  der  Polizei  und  der  aufkommende  Luxus 
nötigten  sie  dazu  2).  Eine  förmliche  Umwälzung  brachte 
aber  die  Julirevolution  nicht  nur  im  täglichen,  sondern 
auch  im  geselligen  Leben^).  Die  Gesellschaften,  wie 
sie  Karoline  Pichler  im  dritten  Teil  ihrer  „Zeitbilder" 
schilderte,  waren  nunmehr  Durchgangsorte;  auf  der 
einen  Seite  strömten  die  Gäste  zu,  auf  der  anderen 
Seite  verschwanden  sie,  ohne  Abschied  zu  nehmen. 
Geistloses  Geplauder,  konventionelle  Redensarten  bil- 
deten ihren  Inhalt  ^)  und  es  ist  begreiflich,  daß  K.  Pich- 
ler, die  an  etwas  anderes  gewöhnt  war,  diese  Gesell- 
schaften floh  (II,  S.  308),  ebenso  begreiflich  aber,  daß 
die  jungen  Literaten  diese  Art  Geselligkeit,  die  ihnen 
nichts  bot,  mieden  und  im  literarischen  Kaffeehaus^) 
sich  einen  Mittelpunkt  schufen.  Wir  begreifen  aber  auch, 
daß  Lenau  und  Bauernfeld  an  der  althergebrachten 
Geselligkeit,  wie  sie  im  Hause  Pichler  herrschte,  keinen 
Gefallen  fanden  und  auf  Nimmerwiedersehen  ver- 
schwanden (II,  S.  311),  denn  sie  waren  jung  und  stür- 
mend, Karoline  Pichler  aber  alt  und  konservativ;  für 
jene  ging  der  Stern  ihres  Ruhmes  auf,  während  der 
der  Hausfrau  niedersank.  Zwei  Welten,  die  sich  nicht 


1)  Denkwürdigkeiten  II,  S.  izyf.,  308,  381. 

2)  Denkwürdigkeiten  II,  S.  606:  567  (Tabakrauchen).  —  Brief 
an  K.  Streckfuß  vom  26.  Jänner  1828:  K.  Glossy,  Wiener  Commu- 
nal-Kalender,  XXXII,  S.  414. 

2)   Denkwürdigkeiten  II,  S.  381  ff.,  606:  566. 
^)  Neuners    silbernes    Kaffeehaus;    vgl.    darüber    Jean    Charles, 
Wien  und  die  Wiener.    Stuttgart   1840,  S.  78  ff. 

XVIII 


überbrücken  ließen,  standen  einander  gegenüber.  Wenn 
Karoline  Pichler  in  ihrem  konservativen  Sinn  die  alte 
Geselligkeitsform,  wie  sie  noch  immer  bei  ihr  herrschte, 
der  ein  Kreis  gebildeter,  wenn  auch  älterer  Damen 
„einen  noch  erhöhteren  Reiz"  gab^),  lobend  pries,  so 
hatten  aber  auch  die  Jungen,  die  unter  sich  sein  und 
von  gebildeten  älteren  Damen  nichts  wissen  wollten, 
auch  wenn  damit  ihre  Sitten  Schaden  litten  (II, 
S.  309),  von  ihrem  Standpunkte  aus  recht,  wenn  sie 
der  Welt  verkündeten,  daß  die  ästhetischen  Gesell- 
schaften für  Wien  nichts  seien.  Ihr  Sprachrohr,  Jean 
Charles  (Karl  Johann  Braun  Ritter  von  Braunthal), 
ein  von  sich  selbst  sehr  eingenommener  junger  Mann, 
der  von  Karoline  Pichler  meinte,  daß  sie  im  Roman 
nicht  ohne  alles  Verdienst  sei^)^  rief  einmal  aus^): 
„Selbst  die  edleren  Vereine  dieser  Art  passen  für  das 
geistige  Leben  so  wenig,  daß  _  man  auch  ihrer  nicht 
schonen  soll:  so  belächelt  denn  der  Wiener  nicht  minder 
die  ästhetischen  Soireen  bei  Hammer,  Pereira^)  und 
der  Frau  von  Pichler,  in  denen  sich  doch  Poeten  von 
bedeutenden  Namen  einfinden."  Diese  Art  der  Ge- 
selligkeit war  eben  überlebt,  versteinert,  schuf  keine 
neuen  Werte  mehr;  sie  konnte  künstlich  nicht  erhalten 
werden  und  mußte  mit  dem  Tode  derer,  die  in  ihrem 
Banne  aufgewachsen  waren  und  auch  aus  Ruhebedürf- 
nis sie  festhielten,  verschwinden,  da  der  Nachwuchs 
fehlte.  Denn  die  wenigen  jungen  Literaten,  wie  L.  A. 
Frankl  und  Otto  Prechtler,  die  in  Pichlers   Kreis 


^)  Nile.  Fürst,  Frankls  Sonntags-Blätter  II,  (Wien  1843),  S.  1077 
(im  Aufsatz:  Literarische  Soires  [in  Wien]  und  die  Journalistik). 

2)  Wien  und  die  Wiener,  S.  97. 

^)  Wien  und  die  Wiener  S.  76. 

*)  Stand  auf  gleicher  Höhe  wie  Pichlers  Salon,  vgl.  Denkwürdig- 
keiten II,  S.  124. 

II*  XIX 


ausharrten,  waren  mit  ihren  inneren  Gesinnungen  doch 
im  anderen  Lager.  Und  so  steht  die  letzte  Stufe  des 
Greiner-Pichlerschen  Salons,  etwa  die  Zeit  von  1830 
bis  1843  umfassend,  im  Zeichen  des  Verfalls.  Es  waren 
nur  mehr  kleine,  intime  Gesellschaftsabende,  welche 
Karoline  Pichler  veranstaltete^),  die  sie  aber  durch 
ihre  ungezwungene  Heiterkeit  und  angeborene  Fröh- 
lichkeit 2)  doch  zu  heiteren  gestaltete.  Kam  ein  bedeuten- 
der Literat  nach  Wien,  der  sie  besuchte^),  obwohl  mit 
ihrem  sinkenden  Ruhme  auch  die  Besuche  von  aus- 
wärts immer  geringer  wurden,  dann  gab  sie  eine  eigene 
Soiree  zu  Ehren  ihres  berühmten  Gastes,  etwa  in  der 
Art,  wie  uns  L.  A.  Frankl  eine  solche  anläßlich  der 
Anwesenheit  des  Dichters  und  Erzbischofs  Ladislaus 
Pyrker  schilderte*),  die  in  ihrer  Verquickung  von 
Schrifttum  und  Strickstrumpf  doch  etwas  altväterlich- 
hausbacken anmutet.  Von  den  Mitgliedern  dieses 
Kreises  forderte  die  Zeit  ihre  Opfer,  viele,  darunter 
ihr  Lebensgefährte,  starben  und  einsam  wurde  es  in 
den  letzten  Jahren  um  Karoline  Pichler,  die  sich,  der 
Welt  entfremdet,  immer  mehr  in  den  trauten  Familien- 
kreis zurückzog,  wo  die  Jugend  um  ihre  Enkel  herum 
ihr  des  Lebens  Winter  verschönte  (II,  S.  607).  Ein  hal- 
bes Jahr  vor  ihrem  Tode  gab  sie,  wenn  auch  mit  schwe- 
rem Herzen,  ihre  Wohnung  im  ersten  Stock  ihres 
Hauses  auf  und  übersiedelte  in  den  zweiten  (II,  S.  609) ; 


^)  Frankl,  Erinnerungen,  Prag  1910,  S.  105,  iii. 

2)  Über  Karoline  Pichlers  heiteres  Naturell  vgl.  man  Denk- 
würdigkeiten I,  S.   208,  483  Anm.   256a;  II,   S.   loif. 

3)  1840  war  z.  B.  Hof  rat  Göttling  mit  einem  Empfehlungs- 
schreiben der  Frau  v.  Wolzogen  (Literarischer  Nachlaß,  ^  II, 
S.  398  f.)  zur  Pichler  gekommen,  doch  konnte  sie  ihm  krankheits- 
halber nicht  viel  Aufmerksamkeit  schenken. 

*)  Erinnerungen,  S.  104 ff. 

XX 


damit  war  das  Ende  ihres  historischen  Salons,  dessen 
Geschichte  sich  in  ihren  „Denkwürdigkeiten"  spiegelte, 
gekommen. 

Jenes  blaue  Zimmer,  in  dem  sie  in  ihren  letzten 
Jahren  (1836),  und  so  wird  es  wohl  auch  früher  gewesen 
sein,  punkt  sieben  Uhr  abends  empfing,  in  das  man  über 
eine  schön  geschwungene  Treppe  und  durch  ein  ge- 
räumiges großes  Zimmer  gelangte,  war  nicht  mehr. 
Hier  saß  sie  früher,  bescheiden  gekleidet,  auf  einem 
altvaterischen  Kanapee  und  bewillkommte  mit  ge- 
winnender Freundlichkeit  ihre  Gäste.  Rings  an  den 
Wänden  hingen  Erinnerungszeichen  an  frühere  Zeiten, 
so  Fügers  Kupferstiche  zur  Messiade  in  schwarzen 
Rahmen,  Körners  höchst  ähnliches  Miniaturbild,  das 
erst  jüngst  wieder  bekannt  wurde  (I,  S.  621),  das  Ge- 
mälde „Kaiser  Maximilian  I.  seinen  Sarg  betrachtend" 
und  andere  Bilder,  welche  Freunde  des  Hauses  vor- 
stellten. Ein  Betschemel,  der  vor  einer  schönen  Madonna 
mit  dem  Kinde  stand,  wies  auf  erbauliche  Stunden 
hin  und  ein  Körbchen  mit  einem  Knäuel  Zwirn  am 
Tische,  wo  auch  der  Teekessel  der  Gäste  harrte,  zeugte 
für  den  Strickeifer  der  Hausfrau^).  Der  Salon  war,  wie 
Anton  Langer,  ein  Spielgenosse  von  Pichlers  Enkeln^), 
berichtet^),  „eines  jener  dämmernden,  heimlichen  Ge- 
mächer, die  auf  eine  merkwürdige  Weise  moderne 
Eleganz  mit  altertümlicher  Bequemlichkeit  vereinen. 
In  der  Tat  befanden  sich  hier  einige  Möbel,  die,  im 
strengsten   Sinne   des  Wortes,   nicht   bloß   der   Fa^on 

^)  Diese  Schilderung  nach  L.  A.  Frankl  (Erinnerungen,  S.  106) 
und  Franziska  v.  Pelzeln  (Österr.  Kaiser-Jubiläums-Dichterbuch. 
Wien  1899,  S.  54). 

^)  Frankl,  Erinnerungen,  S.  108. 

^)  Ein  Abend  bei  Karoline  Pichler.  Bäuerles  Allgemeine  Theater- 
zeitung. Wien  1843,  S-  749- 

XXI 


^ 


nach,  Rococco  waren,  und  um  welche  manche  Mode- 
dame die  Besitzerin  beneidet  hätte".  In  einem  an- 
stoßenden, langen  Gemach,  das  gegen  den  Hof  zu  lag, 
hingen  die  Familienbilder  ^). 

In  diesem  blauen  Zimmer  hatten  Karoline  Pichler 
und  ihre  literarischen  Freunde  vor  und  nach  dem 
gereichten  Tee  ihre  dichterischen  Erzeugnisse  zum 
Vortrag  gebracht  und  hier  kam  oft  die  Schriftstellerin 
Pichler  mit  der  Hausfrau  Pichler  in  Zwiespalt,  wenn 
etwa  eine  Vorlesung  gar  zu  lange  dauerte  und  das 
künstlich  gebaute,  zur  Erfrischung  bestimmte  Eis 
unterdessen  zu  schmelzen  drohte^).  Im  Leben  und 
Treiben  dieses  Zimmers  erhielt  sie  sich  bis  in  ihre 
letzten  Tage  jene  geistige  Regsamkeit  und  Tätigkeit, 
die  ihr  ein  fester  Schild  gegen  die  Stürme  des  Ge- 
schickes waren,  ,, nicht  bloß  durch  Ableitung  und  Zer- 
streuung, sondern  aktiv  durch  Innern  Widerstand  und 
stete  Regsamkeit"^).  Hier  konnte  sie  aber,  wenn  die 
Gesellschaft  nur  aus  dem  engsten  Familienkreis  und 
höchstens  einem  oder  zwei  Freunden  bestand,  auch 
kindlich  heiter  werden,  nachdem  sie  ihren  Tee  mit 
Milch  getrunken.  Anton  Langer  berichtet  uns  von 
einem  solchen  Abend,  wo  fröhliches  Geplauder 
herrschte,  man  sich  nach  Tische  mit  einem  Zusammen- 
legspiel bemühte,  wobei  Pichler  Proben  ihrer  geistigen 
Regsamkeit  gab,  und  schließlich  über  ihre  Aufforde- 
rung ein  ,,Tanzerl"  gemacht  wurde,  zu  dem  Charlotte 
von  Pelz  ein  am  Klavier  aufspielte,  während  die  siebzig- 
jährige   Dichterin    selbst    in    taktmäßiger    Grazie    ein 

^)  Franziska  v.  Pelzeln,  a.  a.  O.,  S.  54. 

2)  Vgl.  den  Bericht  Wilhelm  v.  Chezys:  Denkwürdigkeiten  II, 
S.  515,  Anm.  295. 

3)  Brief  an  Karoline  v.  Wolzogen  vom  18.  April  1840:  Wolzogen, 
Literarischer  Nachlaß,  ^  II,  S.  40c. 

XXII 


Menuett  ä  la  Reine,  in  seligem  Gedenken  an  ihre  Ju- 
gend, mit  A.  Langer  tanzen  wollte  i). 

Am  Bilde  von  Karoline  Pichlers  geselligem  Leben 
würde  aber  etwas  fehlen,  wollte  man  nicht  auch  ihres 
Gartens  gedenken,  den  Grillparzer  verherrlicht  hat 
{11,  S.  115 f.).  Vom  gepflasterten  Hof  ihres  Hauses  aus 
kam  man  durch  ein  hölzernes  Staketentor  in  diesen, 
in  dem  sich  ein  gemauertes,  fünf  Fenster  langes 
Pflanzenhaus  und  eine  hölzerne  Requisitenkammer  be- 
fanden^).  Von  dem  Vorgänger,  Professor  Hu nczovsky 
angelegt,  wurde  er  1800  zu  einem  „Garten  voll  Ge- 
büsche, durch  welche  sich  viele  kleine,  schmale  Gänge 
schlängelten",  hergerichtet  (I,  S.  226).  Zwei  große  Nuß- 
bäume, 40  verschiedene  Obstbäume,  7  Ficus  carica  L., 
44  Weinstöcke,  6  hohe  Rosen,  i  große  Linde,  26  Ro- 
binien, 40  große  Acer  pseudoplatanus  L.,  eine  Menge 
Gesträuche  und  Zierpflanzen,  im  ganzen  206  größere 
Stücke,  erfüllten  ihn 2),  darunter  auch  zwei  große 
Roßkastanien,  in  deren  Schatten  Karoline  Pichler  am 
liebsten  saß^).  In  einer  Laube  dieSes  Gartens  empfing 
sie  1817  wiederholt  Oehlenschläger  (H,  S.  470:  178). 
Im  Grünen  traf  sie  1811  Reinbeck  (II,  S.  586:  500) 
und  hier  entstand  manche  ihrer  Novellen  und  man- 
cher Aufsatz  so  wie  einst  ein  Großteil  der  „Gleich- 
nisse" und  viele  Gedichte  im  Garten  des  Hernalser 
Landhauses  gedichtet  wurden  (I,  S.  2i6f.).  Sie  war 
immer  viel  im  Garten,  der  aber  nicht  nur  Zier- 
sträuche und  Obstbäume,  sondern  auch  Küchenge- 
wächse und  ein  köstliches  Erdbeerbeet  mit  Ananaserd- 

^)  Bäuerles  Allgemeine  Theaterzeitung,    1843,  S.  749  f- 

^)  Vgl.  die  Hausbeschreibung  und  Gartenschätzung  (Protokoll) 

vom  2.  September  1843  i^  Pichlers  Nachlaßakt  (Archiv  des  Wiener 

Landesgerichtes.    Fasz.  II,  Nr.  238  ex  1843). 
^)  Franziska  v.  Pelzeln,  a.  a.  O.,  S.  54. 

XXIII 


beeren  barg^).  Hier  traf  sie  in  ihren  alten  Tagen  (nach 
1839)  eines  Nachmittags  Anton  Langer,  die  Münche- 
ner „Allgemeine  Zeitung"  lesend,  da  sie  noch  immer  an 
den  politischen  Ereignissen  Europas  regen  Anteil  nahm. 
Sie  erzählte  ihm  lebhaft  und  anschaulich^»  Denis,  H. 
V.  Collin,  Z.  Werner,  Gluck,  Mozart,  Ha^n  und  Salieri, 
von  den  Ereignissen  des  Jahres  1809  und  von  Erzherzog 
Karl  und  als  sie  einen  kleinen  Spaziergang  durch  den 
Garten  unternahmen,  da  nannte  sie  ihm  dessen  Pflanzen 
mit  deutschen  und  lateinischen  Namen  und  zitierte 
betreffs  ihres  Küchengartens  Stellen  aus  Horaz  (lib. 
Epod.  Od.  II).  Unter  der  großen,  weithinschattenden 
Kastanie,'  ihrem  Lieblingsplätzchen,  setzten  sie  sich 
und  plauderten  über  neuere  .Literatur,  wobei  sich 
Pichler  gegen  Lenau,  dessen  Weichheit  und  Wehmut 
ihr  mißfiel,  aussprach,  wohingegen  ihr  Grüiis  mutige 
und  edle  Männlichkeit,  dessen  „Mannesträne"  sie 
rezitierte,  gefiel.  Ein  fröhliches  Erdbeersuchen,  an 
dem  auch  Karoline  v.  Pelzein  und  deren  Kinder  teil- 
nahmen, bildete  den  Abschluß  dieser  Szene  im  Garten  2), 
der  mit  der  Besitzerin  alt,  unmodern  und  einsam  ge- 
worden war.  Er  hatte  seinerzeit  Pichlers  Glanzzeit 
gesehen  und  sah  jetzt  ihre  letzten  Jahre,  wo  sie  ver- 
einsamt im  Kreise  der  Familie,  nur  mehr  von  wenigen 
Freunden  besucht,  lebte. 

Aus  diesem  trauten  Familienleben,  aus  diesem  engen 
Freundeskreis  riß  Karoline  Pichler  im  Mai  1843  eine 
schwere,  wenn  auch  nicht  unvermutet  eingetretene 
Krankheit,  von  der  sie  nicht  mehr  genesen  sollte.  Zwar 


1)  Brief  an  Grillparzer  vom  19.  Mai  18 19:  A.  Sauer,  Grillparzers 
Werke  III,  i,  (Wien  1913),  S.  i88f.;  A.  Langer,  a.  a.  O.,  1843, 
S.  749. 

2)  A,  Langer,  a.  a.  O.,  1843,  S.  749. 

XXIV 


blieb  sie  frisch  am  Geist,  betrieb  nach  wie  vor  eifrig  die 
Lektüre  und  sprach  am  Krankenlager  mit  den  sie  be- 
suchenden Freunden  über  Literatur  und  Wissenschaft 
(II,  S.  609),  aber  der  Körper  versagte  seine  Dienste 
und  am  9.  Juli  1843,  einem  Sonntag,  verließ  ihre  Seele 
die  gebrechliche  Hülle  (II,  S.  608 f.).  Sie  war  der  Welt, 
in  deren  neuer  Gestaltung  sie  sich  weder  heimisch  noch 
zurechtfinden  konnte^),  ruhig  entschlummert  und  zur 
Ansehung  des  höchsten  Wesens  gelangt,  dem  sie  die  An- 
dacht und  Liebe  ihrer  letzten  Jahre  geweiht  hatte. 

Beinahe  unbemerkt  ging  der  Tod  der  einst  vielgefei- 
erten Schriftstellerin  vorüber.  Sie,  die  ehemals  gewohnt 
war,  von  vielen  umringt  und  gepriesen  zu  werden,  fuhr 
einsam  zu  Grabe.  Ihr  Leichenbegängnis  war  still,  nur 
einige  Freunde  gaben  ihr  das  letzte  Geleite  und  am 
Grabe  standen  wenige  (II,  S.  612 f.).  Karoline  Pichler 
war  schon,  bevor  sie  ins  ewige  Leben  einging,  eine  tote 
Größe  gewesen.  Ihre  Zeit  war  vorüber,  die  neue  Gene- 
ration war  über  sie  hinweggeschritten  und  fühlte  keiner- 
lei Bedürfnis,  sich  mit  ihr  mehr  zu  beschäftigen.  Daher 
flössen  auch  die  Nachrufe  sehr  spärlich  und  beschränk- 
ten sich  größtenteils  darauf,  zu  zeigen,  was  Karoline 
Pichler  war,  denn  was  sie  ist  und  sein  wird,  darüber 
brauchte  man  nichts  mehr  zu  sagen.  Meistens  waren  es 
auch  nur  nahestehende  Freunde,  die  ihrer  in  Liebe  und 
Treue  gedachten.  So  vor  allen  andern  Otto  Prechtler, 
der  in  den  letzten  Jahren  zu  den  Besuchern  ihres  Salons 
gehört  hatte  2).  Dieser  setzte  ihr  ein  schönes  dichteri- 
sches Denkmal  in  seinem,  am  12.  Juli  1843  verfaßten 


^)  Brief  an  Karoline  von  Wolzogen  vom  18.  April  1840:  Wol- 
zogen,  Literarischer  Nachlaß.  ^  II,  S.  400. 

^)  Franziska  v.  Pelzeln  in:  Österr.  Kaiser- Jubiläums-Dichter- 
buch.  Wien  1899,  S.  55. 

XXV 


\ 


Gedicht  „Nai  hruf  an  Karoline  Pichler"^).  Mit  ihr,  so 
meint  er,  ging  eine  goldene  Zeit  vorüber,  denn  sie  gab 
Blumen  in  gesunden  Liedern,  da  sie  die  Menschen  nicht 
krank  machen  wollte,  denn  sie  brachte  das  Licht,  um 
anderer  Pfad  zu  erhellen  und  gab  ihr  Bestes,  aber  nicht 
im  modischen  Gewand;  sie  blieb  trotz  allem  Ruhm  ein 
Weib  und  wenn  auch  die  moderne  Jugend  sich  über  sie 
erhaben  dünke,  so  gelte  doch  von  ihr: 

Wert  Deiner  bessern  Zeit  warst  Du,  Verklärte! 

Warst  Deines  Hauses  Stolz  und  edle  Zier! 

Dein  klarer  Geist  bleibt  manchem  noch  Gefährte; 

Dort  oben  ewig,  —  lange  lebst  Du  hier! 

So  lang  die  Guten  liebend  sich  erkennen: 

Wird  man  auch  Deinen  teuren  Namen  nennen! 

Kurz,  aber  mit  trefflichen  Worten  meldete  ein  Un- 
bekannter (Chiffre  33)  ihren  Tod  2),  dabei  von  ihr  sa- 
gend: „Eine  in  allen  Beziehungen  ausgezeichnete  Frau, 
erfreute  sie  sich  im  Privatleben  der  ungeteiltesten  Liebe 
aller  derer,  welchen  es  vergönnt  war,  ihr  persönlich 
näher  zu  kommen  und  ihre  hohe  Herzensgüte,  die  sel- 
tene, wahrhaft  bewunderungswürdige  Anspruchslosig- 
keit ihres  Charakters  kennen  zu  lernen.  Ihr  Bild  wird 
unvergänglich  leben  in  dem  Herzen  ihrer  Freunde  und 
Deutschland  wird  das  Andenken  an  eine  seiner  edelsten 
Frauen  zu  ehren  wissen."  An  die  Schlußworte  Precht- 
lers  klingen  die  Worte  des  Nekrologisten  B.  (Bolza?) 
an^),  der  Pichler  von  dem  Vorwurf,  ein  Blaustrumpf 
gewesen  zu  sein,  freiwäscht  und  ihr  echte  Dichtergabe 
beimißt,  daher  sie  nicht  vergessen  werden  könne,  denn 


^)  Bäuerles  Allgemeine  Theaterzeitung,  1843,  S.  749. 

2)  Wiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode. 
Wien  1843,  S.  no3f. 

3)  Illustrierte  Zeitung,  I,  (Leipzig  1843),  S-  ^7°  ^^  Bildnis  (nach 
Kriehuber-Benedetti  in  Pichler,  S.  W.^  L.). 

XXVI 


der  Name  Karoline  Pichler  wird,  so  hoffen  wir  wenig- 
stens, noch  so  lange  ehrenvoll  forttönen,  als  der  Sinn  für 
das  wahrhaft  Schöne  und  Edle  noch  nicht  völlig  erstor- 
ben oder  ausgeartet  sein,  als  Undank  und  Frivolität 
nicht  jede  und  alle  höhere  Tendenz  üppig  überwuchert 
haben  und  als  der  Kultus  des  echten  Talentes  noch  eine 
würdigere  Geltung,  denn  die  einer  bloßen  lächerlichen 
Farce  behaupten  wird!"  Ähnliches  drückte  auch  der 
Anonymus  Y.  in  seinem  Nachruft)  mit  den  Worten  aus : 
„Ihr  Geist  weilt  noch  unter  den  Lebenden  und  wird 
daselbst  verbleiben,  solange  nicht  die  Empfänglichkeit 
für  das  Schöne,  Wahre  und  Gute  stirbt";  dieser  Be- 
merkung ging  aber  eine  andere  voraus,  die  der  Wahrheit 
sehr  nahe  kam  und  besagte :  ,,Die  allgemeine  Verehrung, 
welche  ihrem  glänzenden  Talente  gezollt  wurde,  ist  als 
ein  Denkmal  zu  betrachten,  das  jedes  Grabesmonu- 
ment lange  überdauert."  Im  ,, wurde"  dieser  Ausfüh- 
rungen ruht  der  Schwerpunkt,  denn  selbst  ihre  Freunde 
fühlten,  daß  Karoline  Pichler  nur  mehr  historische  Gel- 
tung habe,  wollten  es  aber  nicht  offen  aussprechen,  son- 
dern ließen  es  zwischen  den  Zeilen  durchschimmern. 
Nur  Heinrich  Laube  sagte  es  trocken  heraus^),  daß  ihre 
Zeit  schon  damals,  als  er  sie  1833  in  Baden  traf,  vorüber 
war.  Selbst  L.  A.  Frankl,  der  einen  schönen  und  war- 
men, von  inniger  Teilnahme  und  vollem  Verstehen  ge- 
tragenen Nachruf  verfaßte^),  wußte  sie  nur  als  Glück- 
liche zu  preisen,  deren  Leben  einem  abgeschlossenen 


^)  Bäuerles  Allgemeine  Theaterzeitung.     1843,  Nr.  167,  S.  747 

(vom  14.  Juli  1843)  =  Der  Zuschauer.    Hg.  von  J.  S.  Ebersberg. 

1843,  Beilage  zu  Nr.  88,  S.  933  f. 

^)  Zeitung  für  die  elegante  Welt.    Leipzig  1843,  S-  73^- 

^)  Allgemeine  Zeitung.   Augsburg  1843,  Nr.  218  vom  6.  August 

1843.   Beilage  S.  i7oif.  (ungezeichnet)  =  Frankls  Sonntags-Blätter 

II,  [Wien  1843],  S.  677ff.  (erweitert). 

XXVII 


1 

f 


Kunstwerke  glich,  der  es  vergönnt  war,  „ein  Leben  wie 
das  eines  natürlich  und  gesund  entwickelten  Stammes  zu 
führen  und  zu  vollenden  —  soweit  es  eben  dem  Sterb- 
lichen gestattet  ist"^).  Über  die  Wertung  ihrer  Werke 
ließ  sich  Frankl  nur  kurz  aus,  über  deren  Fortleben 
schwieg  er,  aber  mit  seherischem  Blick  sah  er  Karoline 
Pichlers  Bedeutung  in  ihren  „Denkwürdigkeiten",  die 
ihm  handschriftlich  vorlagen-). 

Von  diesen  „Denkwürdigkeiten"  ging  auch  Hor- 
mayr,  der  seiner  langjährigen  Freundin  ebenfalls  ein 
ehrendes  Denkmal  setzte^),  aus,  um  in  weitschweifiger 
Weise,  vielfach  streut  er  eigene  Erinnerungen  ein,  zu 
folgendem  Schluß  zu  kommen*) :  „Eine  reine,  prunklose 
Sprache,  innige  Wärme  für  das  Gute  und  Schöne,  eine 
, rechte  Mitte'  und  ein  aufgeklärter  Geist,  Kenntnis  des 
Menschenherzens  und  eine  mehr  als  gewöhnliche  Er- 
findungsgabe sind  ihr  nicht  abzusprechen.  Sie  mochte 
in  Wort,  Schrift  und  Tat  als  eine  würdige  Vorgänge- 
rin und  Ratgeberin  der  weiblichen  Jugend  gelten 
und  insofern  den  Besten  und  Edelsten  ihrer  Zeit 
anzureihen  sein."  Ihm  war  Pichlers  Tod,  mit  der  er 
jahrelang  in  Verkehr  gestanden  (I,  S.  5 39 ff.),  nahege- 
gangen, wie  Briefe  an  Wolfgang  Menzel^)  und  L.  A. 
Frankl*)  beweisen,  und  doch  hatte  er  sich  das  richtige 
Urteil  bewahrt,  vielleicht  gerade  unter  dem  Einfluß  der 
,, Denkwürdigkeiten",  wo  auch  er  kritisch  gesondert 


1)  Sonntags-Blätter  II,  S.  677. 

2)  Sonntags-Blätter  II,  S.  679. 

3)  Hormayrs     Taschenbuch     für     vaterländische      Geschichte 
XXXIV,  (1845),  S.  iioff. 

4)  Hormayrs  Taschenbuch  XXXIV,  S.  143. 

5)  Vom  24.  Oktober   1844:  Briefe  an  Wolfgang  Menzel.    Hg. 
von  Heinrich  Meisner  und  Erich  Schmidt.   Berlin   1908,  S.  133. 

*)  Vom  24.  Jänner   1846:   L.  A.  Frankl,  Erinnerungen  S.  loi. 

XXVIII 


wurde.  Gar  nichts  Neues  boten  die,  einem  kritischen 
Urteile  weit  aus  dem  Wege  gehenden  Ausführungen 
von  B.  H  a i  n^) ,  die  nach Pichlers  kleiner  Selbstbiographie 
(II,  S.  393  ff.),  nach  ihren  „Denkwürdigkeiten"  u.  a.  ge- 
arbeitet sind. 

Dies  war  alles,  was  man  bei  Karoline  Pichlers  Tode 
zu  sagen  wußte.  Wenig  genug,  wenn  man  die  gesell- 
schaftliche und  dichterische  Rolle  betrachtet,  die  Pich- 
let einst  spielte.  In  der  Folge  wurde  es  aber  noch  stiller. 
Manch  einfaches,  dem  Absonderlichen  abholdes  Gemüt, 
das  mit  der  damaligen  Moderne  nicht  einverstanden 
war,  wird  wohl  manchesmal  Karoline  Pichlers  ver- 
staubte Schriften  aus  dem  Bücherschrank  hervorgezogen 
und  sich  daran  erquickt  haben,  in  seligem  Gedenken  an 
jene  Zeit,  wo  deren  Schriften  „als  der  schönste  Schmuck 
in  jeder  PrivatbibHothek"  galten,  wo  es  hieß,  daß  diese 
Lektüre  „geläutertes  Gold,  ein  reiner  Sternenlichter 
Himmel,  ein  Blütenstrauß  ohne  Giftpflanze"  sei 2).  Für 
viele  war  aber  Karoline  Pichler  mit  Realis  (G.  R.  W. 
Ritter  vonCoeckelberghe-Dützele)^)  eine  Altwiener  Ku- 
riosität geworden,  von  der  man  sprach,  deren  53  Bände 
man  anstaunte,  die  man  aber  zu  schrecklich  altvaterisch 
und  fade,  breit  und  langweilig  fand,  um  sie  zu  lesen. 
FreiHch  in  den  Literaturgeschichten^),  die  über  diese 
53  Bände  doch  nicht  so  hinweggleiten  konnten,  da  las 
man  ihren  Namen,  mit  einigen  nichtssagenden  Phrasen 

^)  Neuer  Nekrolog  der  Deutschen,  1843.  XXI,  (Weimar  1845), 
S.  640  ff. 

2)  Bäuerles  Allgemeine  Theaterzeitung,  1843,  S.  747. 

^)  Curiositäten-  und  Memorabilien-Lexicon  von  Wien,  II, 
(Wien  1846),  S.  250. 

*)  Josef  Kehrein  (Biographisch-literarisches  Lexikon  der  katho- 
lischen deutschen  Dichter,  Volks-  und  Jugendschriftsteller  im 
19.  Jahrhundert.  II,  [Zürich  1871],  S.  izf.)  weist  auf  eine  große 
Anzahl  solcher  Stellen  hin.   Meist  sind  sie  belanglos. 

XXIX 


umgeben,  noch  hie  und  da  und  freute  sich,  daß  sie  nicht 
ganz  verschollen  sei  und  daß  Wien  eine  solche  weibliche 
Größe  hervorgebracht  habe.  Von  Zeit  zu  Zeit  tauchte 
sie  auch  in  Memoiren  auf;  Eduard  Vehse  schrieb  kurz, 
flüchtig  und  falsch  über  sie  und  ihre  Mutter i),  und 
die  biographischen  Sammelwerke  führten  sie,  wie  so 
viele  andere  mehr  oder  minder  bekannte  historische 
Größen  mit.  Vor  allem  behandelte  sie  Konstant  von 
Wurzbach  ^)  eingehender,  bei  dem  man  jedoch  vergeb- 
lich eine  kritische  Würdigung  sucht;  er  begnügte  sich 
vielmehr  damit,  ihre  Werke,  im  Anschlüsse  an  Schin- 
del^) genau  zu  verzeichnen,  Arbeiten  zur  Biographie 
zusammenzustellen,  einige  Bildnisse  anzuführen,  ihre 
Handschrift  zu  beleuchten,  vom  Grabmal  zu  sprechen 
und  einige  Urteile  der  wichtigsten  Literarhistoriker  aus- 
zuheben. Auch  Jakob  Minor  in  seiner  knappen  Würdi- 
gung der  deutschen  Literatur  in  Wien  und  Nieder- 
österreich beschränkte  sich  darauf,  ihre  einstige  Popu- 
larität und  die  Vielbändigkeit  ihrer  einzelnen  Romane 
festzustellen*),  brachte  aber  dagegen  bibliographisch 
wichtiges  Material  bei ^)  .Hingegen  versuchte  1888  Anton 
Schlossar  in  seiner,  auf  Grund  der  „Denkwürdig- 
keiten" verfaßten^  Lebensskizze ^)  die  Bedeutung  ihrer 
Werke  klarzulegen.  Er  findet  sie,  mit  Ausnahme  der  No- 
vellen, weitschweifig,  doch  enthalten  sie  viel  ,, echte 


^)  Geschichte  des  östreichischen  Hofs  und  Adels  und  der 
östreichischen  Diplomatie  VIII,  (Hamburg  1852),  S.  zgi. 

2)  Biographisches  Lexikon  des  österr.  Kaiserthumes  XXII, 
(Wien  1870),  S.  242 ff. 

3)  Vgl.  unten  II,  S.  617,  Anm.  583. 

*)  Die  österreichisch-ungarische  Alonarchie  in  Wort  und  Bild. 
Wien  und  Niederösterreich,  I,  (Wien  1886),  S.  I57f. 

°)  Zeitschrift  für  österreichische  Gymnasien.   Wien  1886,  S.  578. 

ß)  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XXVI,  (Leipzig  1888), 
S.  io6ff. 

XXX 


¥ 


Lebensweisheit,  eine  zu  Herzen  sprechende  Frömmig- 
keit, tiefes  Sittengefühl  und  zarte  Weiblichkeit"  und 
manche  ihrer  älteren  Dichtungen,  so  meint  er,  sei 
ein  Kunstwerk  von  bleibendem  Werte" i).  , 
So  war  Karohne  Pichlers  fünfzigster  Todestag  (1893) 
herangekommen.  Wenn  sonst  eine  Reihe  geschäftiger 
Federn  solche  Tage  benützen,  um  rasch  eine  Lebens- 
skizze zusammenzustellen  und  mit  mehr  oder  minder 
geistreichen,  rtieist  aber  nichtssagenden  Phrasen  zu  ver- 
brämen, so  sollte  Karoline  Pichler  auch  dieser  Ehre 
nur  in  geringem  Maße  teilhaftig  werden.  Zwei  be- 
scheidene Aufsätze  gedachten  anläßlich  dieses  Tages 
ihrer  Persönlichkeit  und  widmeten  ihrem  Wirken  einige  [ 

Worte.  Es  mag  hervorhebenswert  sein,  daß  A.  J.  Welt- 
ner^)  in  einem  dieser  kleinen  Artikel,  worin  er  auch  die 
Grabinschriften  von  Andreas  Eugen  und  Karoline  Pich- 
ler der  Nachwelt  überlieferte,  zuerst  den  W^unsch  nach 
einem  Ehrengrab  für  die  Dichterin  und  ihren  Mann 
zum  Ausdruck  brachte.  Der  zweite  Aufsatz^),  dessen  • 
Verfassersich  mit  R.  K.(=  Richard  von  Kralik?)  zeich- 
nete, folgt  in  seinem  Bericht  völlig  den  „Denkwürdigkei- 
ten" und  wir  fühlen  uns  an  Ho  rmayr  (oben  S.  XXVIII) 
erinnert,  wenn  das  Schlußurteil  besagt :  „Wie  verschie- 
denartig auch  die  Urteile  über  ihre  vielseitige  literari- 
sche Tätigkeit  lauten  mögen,  eines  ist  gewiß,  sie  war 
eine  Dichterin,  die  an  Tiefe  des  Gemütes,  an  klarem 
verständnisvollem  Erfassen  und  in  der  Schilderung  der 
ihr  vorschwebenden  Situationen  und  Charaktere  den 
Besten  ihrer  Zeit  gleichkam."  Ging  ihr  fünfzigster  To- 

^)  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XXVI,  S.  107. 

^)  Zu  Karoline  Pichlers  fünfzigstem  Todestag.  IL  Beilage  zum 
Wiener  „Fremden-Blatt",  Nr.  187  vom  9.  Juli  1893. 

^)  Karoline  Pichler  (1769 — 1843).  Wiener  Tagblatt  Nr.  186 
vom  8.  Juli  1893  (Feuilleton). 

XXXI 


destag  in  der  Öffentlichkeit  auch  ziemlich  spurlos  vor- 
über, so  brachte  das  Jahr  1893  doch  eine  hochwichtige 
wissenschaftliche  Veröffentlichung,  die  Ausgabe  ihrer 
Briefe  an  Therese  Huber  durch  K.  Glossy  ^),  der  nebst 
einer  trefflichen  Einleitung  eine  Reihe  sachkundiger  An- 
merkungen beigab.  1894  folgten  vom  gleichen  Heraus- 
geber Karoline  Pichlers  Briefe  an  K.  Streckfuß  in  eben- 
so sorgfältiger  Ausgabe  2). 

War  somit  die  Grundlage  für  eine  wissenschaftliche 
Beschäftigung  mit  Karoline  Pichler  gegeben,  so  wollte 
diese  doch  nicht  recht  einsetzen.  Dafür  erinnerte  sich 
aber  ihre  Vaterstadt  Wien  einer  Ehrenschuld  und  wid- 
mete ihr,  nach  der  bereits  früher  eine  Straße  benannt 
worden  war  ^),  1898  ein  Ehrengrab  im  Wiener  Zentral- 
friedhof, in  das  sie  1901  überführt  und  über  dem  ein 
prächtiges  Monument  errichtet  wurde,  zu  dessen  Kosten 
weite  Kreise  beigetragen  hatten  (vgl.  H,  S.  6i4f.).  Was 
einst  L.  A.  Frankl  geplant  hatte,  in  der  Wiener  Karls- 
kirche ihre  Büste  aufstellen  zulassen  (II,  S.  581),  das  hatte 
sich  zwar  nicht  erfüllt,  aber  ihr  von  Alois  Düll  nach 
Kriehubers  Bild  geschaffenes  Porträtmedaillon,  das 
mild  und  freundlich  vom  Grabstein  auf  den  Beschauer 
niederblickt  und  sie  den  Lebenden  wieder  näher  bringt, 
mag  als  ihr  wohlverdientes  Denkmal  gelten.  Daß  sich 
anläßlich  dieser  Vorfälle  auch  die  Zeitungen  mit  der 
Pichler  beschäftigten,  darf  ebensowenig  verwundern, 
als  daß  einige  rührige  Feuilletonisten  aus  ihr  Kapital 
schlugen.  Doch  was  einer  davon,  Herr  Staberl  jun., 


1)  Jahrbuch    der    Grillparzer-Gesellschaft    III,    (Wien     1893), 
S.  269«. 

2)  Wiener  Communal-Kalender  und  Städtisches  Jahrbuch  XXXII 
(Wien  1894),  S.  393  ff. 

3)  Pichlergasse  im  IX.  Bezirk;  vgl.  Friedrich  Umlauft,  Namen- 
buch der  Straßen  und  Plätze  von  Wien.    Wien  1905,  S.  82. 

XXXII 


über  sie  zu  sagen  wußte  i),  ist  äußerst  nichtssagend.  Bes- 
ser sind  zwei  anläßlich  ihrer  Exhumierung  von  Rudolf 
Holz  er  verfaßte  Feuilletons  2),  die  wenigstens  zeigen, 
daß  der  Verfasser  außer  den  „Denkwürdigkeiten"  noch 
Glossys  Briefausgaben  las;  doch  lauf  fauch  hier  manches 
Falsche  unter  und  manche  schillernde  Phrase  muß  den 
Mangel  wirklicher  Kenntnisse  verdecken.  Wenn  ,es  aber 
heißt,  daß  KaroHne  Pichler  eine  Weiblichkeit  auszeich- 
nete, „die  heute  Lächeln  erregt",  so  muß  dem  unbe- 
dingt widersprochen  werden,  denn  ihre  Weiblichkeit 
darf  nicht  an  den  Auswüchsen  unserer  heutigen  Frauen- 
emanzipation gemessen  werden.  Eine  wahrhaft  emanzi- 
pierte Frau  wird  auch  heute  noch  Karoline  Pichler  ihre 
Bewunderung  nicht  versagen  können,  die  es  verstand, 
die  Hausmutter  mit  der  Schriftstellerin  in  harmoni- 
schen Einklang  zu  bringen.  Schon  E.  Guglia^)  be- 
merkte 1883,  daß  Karoline  Pichler  „eine  der  edelsten 
Frauengestalten  in  der  Geschichte  unseres  Vaterlandes" 
sei,  „über  die  geringschätzig  abzuurteilen,  äußerst  un- 
passend wäre".  Pichlers  freien  Charakter  und  den  Wert 
der  „Denkwürdigkeiten"  erkannte  Holzer  richtig. 

H.  M.  Truxa,  der  als  nächster  sich  mit  der  Dichte- 
rin beschäftigte*),  beging  einen  anderen  Fehler,  als  er, 
um  ein  Schlagwort  zu  prägen,  Karoline  Pichler  im 
Sinne  unserer  heutigen  katholischen  Neuromantik  ge- 
radezu als  katholische  Dichterin  hinstellen  wollte.  Ge- 


^)  Wienerinnen  von  Namen.  Neue  Freie  Presse  Nr.  13  002  vom 
4.  November  1900,  S.  5f. 

2)  Wiener-Zeitung  Nr.  205  vom  6.  September  1901;  Neue 
Freie  Presse  Nr.  13  302  vom  6.  September  1901,  S.  5. 

2)  Österreichische  Rundschau.  Hg.  von  A.  Edlinger.  I.  (Wien 
1883),  S,  718. 

*)  Illustrierter  Universal -Unterhaltungs- Kalender  für  das  Jahr 
1905.  II,  2,  (Wien  1904),  S.  39ff.,  besonders  S.  40. 


ni   c.  p.  I 


xxxni 


■«.  ,. 


wiß  war  Karoline  Pichler  im  Leben  durch  und  durch 
katholisch,  fügte  sich  den  Vorschriften  und  Satzungen 
ihrer  Religion  gerne  und  willig,  aber  als  Dichterin  hat 
sie  mit  Ausnahme  des  „Agathokles",  den  sie  jedoch  als 
historischen  Roman  aufgefaßt  wissen  wollte,  keinen 
Stoff  im  Sinne  der  heutigen  katholischen  Dichter  be- 
handelt. Zudem  wußte  sie,  da  ihr  Leserkreis  den  ver- 
schiedensten Religionsbekenntnissen  angehörte,  konfes- 
sionellen Fragen  stets  aus  dem  Wege  zu  gehen.  Wenn 
sie  auch  in  den  ,, Denkwürdigkeiten"  gegen  die  Pro- 
testanten, deren  vielgerühmte  Duldsamkeit  und  par- 
teiisch gefärbte  Geschichtschreibung  auftrat  ^),  so  war 
sie  andererseits  vom  katholischen  Ultramontanismus  und 
von  der  Frömmelei  der  Romantik  ebenfalls  nicht  er- 
baut 2). 

Unbeirrt  durch  all  diese  Schlagworte  und  Ereignisse 
schritt  die  Forschung  ruhig  ihren  Weg  weiter  und  hellte 
Karoline  Pichlers  Lebenspfad  und  geistiges  Schaffen  in 
unermüdlicher  Tätigkeit  auf.  Das  Verhältniß  des  jungen 
Grillparzer  zur  Dichterin,  das  sogar  eine  Zeitlang  ein 
nahes  und  dauerndes  zu  werden  versprach,  beleuchtete 
auf  Grund  der  „Denkwürdigkeiten"  und  unveröffent- 
lichter Briefe  Oskar  Freiherr  von  Mitis^)  in  feiner 
W^eise;  doch  schöpfte  er  den  Stoff  nicht  völlig  aus. Wert- 
volle Einblicke  in  Karoline  Pichlers  poetisches  Schaffen, 
in  das  Werden  ihrer  Stoffe  boten  die  von  K.  Glossy 
herausgegebenen^)  Briefe  Hormayrs  an  sie,  die  gleich- 
zeitig dessen  Einfluß  auf  ihre  Werke,  der  bereits  aus  den 


^)  Denkwürdigkeiten  I,  S.  8,  105,  426!.;  II,  S.  35 f.,  37,  62,  430. 

2)  Denkwürdigkeiten  I,  S.  301  f.;  II,  S.  183. 

3)  Der    junge    Grillparzer    bei    Caroline    Pichler.   Neue    Freie 
Presse  Nr.  13  302  vom  6.  September  1901  (Feuilleton). 

*)  Jahrbuch    der    Grillparzer-Gesellschaft    XII,    (Wien    1902), 
S.  2i2ff.,  besonders  S.  241  ff. 

XXXIV 


„Denkwürdigkeiten"  ersichtlich  war,  klarlegten.  Wie 
sich  der  große  Altmeister  der  deutschen  Dichtung, 
Goethe,  zu  ihr  stellte,  das  zeigte  im  Rahmen  eines 
weitausgreifenden  Werkes  August  Sauer  i)  und  was  ihr 
Therese  Hu  her,  ihre  Genossin  in  Apoll  und  zweite 
deutsche  Musterfrau  ihrer  Zeit,  mitzuteilen  und  anzu- 
vertrauen hatte,  das  ging  aus  Hubers  Briefen  an  die 
Pichler,  die  L.  Geiger^)  in  sauberer  Ausgabe  vorlegte, 
hervor.  In  diese  Zeit  fällt  auch  ein,  nach  den  „Denk- 
würdigkeiten" gearbeiteter  Aufsatz  von  Marie  Bihain 
(Irma  Warmuth-Jansco)^),  der  einiges  Neue  enthält  und 
in  Karoline  Pichler,  die  an  den  Menschen  und  im  Leben 
nur  das,  was  schön  und  liebenswert  war,  sah,  den  Typus 
des  guten,  alten  Wien  erblickte. 

Seither  hat  die  Forschung  eine  Ruhepause  eintreten 
lassen.  Die  Bausteine  liegen  da  \ind  harren  des  zukünf- 
tigen Bearbeiters.  Doch  vorher  sind  noch  einige  wichtige 
Arbeiten  zu  erledigen,  ohne  die  eine  Biographie  nicht 
geschrieben  werden  kann,  falls  sie  nicht  den  Mangel  der 
UnVollständigkeit  und  Ungenauigkeit  an  sich  tragen 
will.  Vor  allem  fehlt  eine  eingehende  Pichlerbibliogra- 
phie. Was  K.  Goedeke'*)  in  dieser  Hinsicht  bietet,  ist 
unzulänghch  und  vielfach  weniger,  als  Würz bach,  Mi- 
nor und  Schindel  brachten.  Die  Einleitung  und  die 
Anmerkungen  vorliegender  Ausgabe  dürften  zur  Ge- 
nüge dartun,  welche  Fülle  von  zeitgenössischen  Berich- 


1)  Goethe  und  Österreich  II,  (Weimar  1904),  S.  LVIIff.,  252 ff. 

2)  Jahrbuch  der  Grillparzer- Gesellschaft  XVII,  (Wien  1907), 
S.  190  ff. 

^)  Caroline  Pichler.  Nach  ihren  Memoiren.  Österreichisches 
Jahrbuch.  Hg.  von  Helfert,  XXX,  (Wien  1906),  S.  I37ff.,  besonders 
S.  159. 

*)  Grundriß  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung.  ^  V, 
S.484;  2  VI,  S.  577. 

"I*  XXXV 


ten  usw.  über  die  Pichler  vorliegen,  ebenso  wird  dies  die 
seit  langer  Zeit  von  G.  Gugitz  vorbereitete  Bibliogra- 
phie der  josefinischen  Zeit,  deren  auf  die  Pichler  bezüg- 
liche Zettel  ich  benutzen  konnte,  zeigen.  Die  zweite 
Grundlage  für  eine  Biographie  wären  Einzeluntersu- 
chungen, die  Pichlers  Schauspiele,  Romane,  Novellen 
usw.  entwicklungsgeschichtlich  betrachten,  ihre  Quellen 
und  ihre  Abhängigkeit  aufzeigen,  sie  zum  zeitgenössi- 
schen Schrifttum'  in  Beziehung  setzen  und  auf  diese  Art 
Karoline  Pichlers  eigentlich  dichterisches  Antlitz  in  kla- 
rer, unzweideutiger  Weise  herausarbeiten  würden.-  An- 
sätze dazu  gibt  es  ja.  Was  sie  für  die  österreichische  Balla- 
dendichtung bedeutet,  das  hat  Rudolf  J.  Binder  zwar 
mehr  angedeutet  als  ausgeführt^),  aber  es  läßt  dennoch 
ihre  Stellung  im  richtigen  Lichte  erscheinen.  In  welcher 
Richtung  sich  ihre  Romane  bewegten,  welche  Vorfah- 
ren und  Nachfolger  sie  hatten  und  aus  welchen  Quellen 
sie  schöpften,  das  war  der  Stoff  einer  Wiener  Disserta- 
tion, die  Fräulein  Popini  verfaßte,  die  aber  ungedruckt 
blieb.  Was  Karoline  Picliler  Ungarn  verdankte,  welche 
Beziehungen  sie  zu  diesem  Lande  hatte  und  was  die 
ungarischen  Dichter  ihr  schulden,  das  wird  eine  Buda- 
pester Dissertation  zeigen,  an  der  Franziska  Bosänyi 
arbeitet,  welche  bereits  die  neuen  Ergebnisse  und  Auf- 
schlüsse dieser  Ausgabe  verwerten  konnte.  Bevor  solche 
Untersuchungen  aber  vorliegen,  müssen  wir  uns  mit  der 
literarhistorischen  Würdigung,  die  Karoline  Pichler 
durch  Jakob  Z  ei  dl  er  2)  erfuhr,  begnügen,  denn  einzig 
und  allein  diese  hat  bisher  unserer  Dichterin  die  rich- 


■"■)  Johann  Nepomuk  Vogl  und  die  österreichische  Ballade.  Prag 
1907,  S.  I3ff. 

2)  Nagl-Zeidler,  Deutsch-Österreichische  Literaturgeschichte 
II,  S.  735 ff. 

XXXVI 


tige  Stelle  im  österreichischen  Schrifttum  eingeräumt, 
hat  vor-  und  rückwärtsschauend  die  Einflüsse  auf  sie  und 
die  Wirkungen,  die  von  ihr  ausstrahlten,  klargelegt  und 
hat  den  Wert  ihrer  „Denkwürdigkeiten"  gebührend  her- 
vorgehoben. 

Eine  dritte,  für  Karoline  Pichlers  Leben  und  Schaf- 
fen hochwichtige  Quelle  sind  ihre  Briefe.  In  diesen  gab- 
sie  sich  in  ihrer  ganzen  Natürlichkeit  und  ungezwunge- 
nen Heiterkeit.  Da  si«  darinnen  keine  gesellschaftlichen 
und  andere  Rücksichten  zu  wahren  brauchte,  so  ließ 
sie  in  ihnen  volle  Aufrichtigkeit  walten  und  brachte 
manches  vor,  das  sie  sonst  nie  und  nimmer  geschrieben 
hätte.  Mit  einem  großen  Bekannten-  und  Freundes- 
kreis ausgestattet,  als  gepriesene  Schriftstellerin  mitten 
im  literarischen  Getriebe  stehend,  war  ihr  Briefwechsel 
ein  umfangreicher  und  ausgebreiteter.  Ein  glücklicher 
Zufall  hat  es  gewollt,  daß  ihre  Briefe  nicht  in  alleWinde 
zerstreut  wurden,  wie  dies  sonst  meist  der  Fall  ist,  son- 
dern sich  nur  in  wenigen,  aber  sicheren  Händen  befin- 
den. Gleich  nach  ihrem  Tode  hatten  nämlicTi  L.  A. 
Frankl,  Ferd.  Wolf  und  andere  deren  Wert  erkannt 
und  beabsichtigt,  sie  als  Ergänzung  zu  ihren  „Denk- 
würdigkeiten", aber  ohne  Gegenbriefe,  denn  diese  wur- 
den meist  für  die  Pichlerbriefe  an  die  Absender  zurück- 
gesandt, herauszugeben.  Karoline  von  Pelzein,  Pich- 
lers Tochter,  war,  wobei  sie  auch  einem  Wunsche  ihrer 
Mutter  nachkam,  einverstanden  und  erließ  noch  imjuli 
1843  folgendes  „Höfliches  Ersuchen"  an  die  Öffentlich- 
keit i): 

„Die  Gefertigte  erlaubt  sich  an  alle  Jene,  namentlich 
schriftstellerische  Persönlichkeiten,  die  mit  ihrer  Mut- 

^)  Wiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode. 
Wien  1843,  S.  1200. 

xxxvn 


i' 


11-^ 


ter  Caroline  Pichler,  geb.  von  Greiner,  in  Brief- 
wechsel standen,  die  höfliche  Bitte,  ihr  die  Briefe,  die 
sie  von  der  Hingeschiedenen  besitzen,  zur  Einsicht  be- 
hufs der  Abfassung  einer  Biographie  und  allfälligen  Her- 
ausgabe, bey  strenger  Ausscheidung  aller  persönlichen 
Beziehungen,  wie  dieß  die  Verewigte  ausdrücklich 
wünschte,  freundlich  einsenden  zu  wollen,  dagegen  sie 
die  gewissenhafte  Rückstellung  der  Briefe  nebst  ver- 
bindlichstem Danke  zusagt." 

Der  Aufruf  war  von  Erfolg  gekrönt.  Viele  Briefe  lang- 
ten ein  und  wurden  von  Ferdinand  Wolf  einer  vorläu- 
figen Sichtung  auf  ihre  Brauchbarkeit  hin  unterworfen. 
Das  Auszuscheidende  wurde  von  ihm  mit  roter  Tinte 
gekennzeichnet  und  viele  Briefe  tragen  heute  noch  die 
Spuren  dieser  seiner  Redaktionstätigkeit.  Die  Arbeit 
schritt  rüstig  vorwärts  und  1844  machte  Frankl  auf  die 
bevorstehende  Ausgabe  der  Briefe,  die  er  „eine  reiche 
und  interessante  Sammlung"  nannte,  aufmerksam  ^).  Die 
Veröffentlichung  wurde  aber  dennoch  fallen  gelassen. 
Wahrscheinlich  waren  die  Erfahrungen,  die  man  mit 
den  1844  herausgekommenen  „Denkwürdigkeiten"  ge- 
macht hatte,  das  Ausschlaggebende  an  diesem  Entschluß. 
Wenn  schon  diese,  die  mit  größter  Feinheit  und  Rück- 
sichtnahme geschrieben  sind,  Anlaß  zu  Beschwerden 
boten  (unten  S.  LXVHIff.),  um  wieviel  mehr  wäre  dies 
erst  bei  den  Briefen  der  Fall  gewesen,  deren  Hauptwert  ja 
in  den  rein  persönlichen  Mitteilungen,  die  oft  eine  harte 
Sprache  führen  und  schonungslose  Kritik  üben,  lag. 
Hätte  man  das  meiste  davon  gestrichen,  dann  wären  die 
Briefe  wertlos  geworden,  hätten  nichts  von  Pichlers 
Geist  an  sich  gehabt  und  hätten  zu  ihrer  Charakteristik 
nicht  sonderlich  viel  beigetragen.  Was  bis  jetzt  an  Brie- 

1)  Sonntags- Blätter  III,  (Wien  1844),  S.  304. 

xxxvni 


fen  von  und  an  die  Pichlef  gedruckt  wurde  ^),  bezeugt 
deren  Wichtigkeit  nicht  nur  für  das  Leben  der  Dichte- 
rin selbst,  sondern  auch  für  die  Zeitgeschichte  und  ihre 
Zeitgenossen,  so  daß  eine  Ausgabe  aller  Briefe,  die  nur 
etwa  das  ganz  Nebensächliche  auszumerzen  oder  mit 
wenigen  Worten  anzudeuten  hätte,  eine  Notwendigkeit 
für  die  österreichische  Literaturgeschichte  ist.  Wenn 
Frankl  die  Briefe,  die  er  von  der  Pichler  erhielt  (II, 
S.  608,  Anm.  570),  als  ,,ein  interessantes  literarisches 
Complement  zu  ihren  Memoiren,  die  sich  auf  den  letz- 
ten Blättern  mehr  den  Begebenheiten  eines  stillen  Fa- 
milienlebens widmen  und  selten  mehr  den  Kreis  der 
Häuslichkeit  der  würdigen  Matrone  überschreiten",  be- 
zeichnete 2)^  so  gilt  dies  von  allen  Briefen,  denn  vieles, 
was  Karoline  Pichler  in  ihren  „Denkwürdigkeiten"  nur 
andeuten  konnte  oder  wollte,  findet  in  den  Briefen  seine 
Aufhellung  und  richtige  Beleuchtung. 

Da  aber  auch  eine  Briefausgabe  nur  in  steter  Bezie- 
hung auf  die  „Denkwürdigkeiten",  als  der  wichtigsten 
Quelle  für  Pichlers  Leben  und  Schaffen,  hergestellt  wer- 
den kann,  so  erweist  sich  als  wichtigste  Unterlage  für  alle 
Untersuchungen  eine  kritisch-erklärende  Ausgabe  dieser 
Lebenserinnerungen,  die  bereits  1901  dringend  von 
Oskar  Freiherrn  von  Mitis  gefordert  wurde ^).  Deren 
Notwendigkeit  ergibt  sich  von  selbst.  Die  Erstausgabe 
(1844)  hatte  mit  Rücksicht  auf  damals  noch  lebende 
Zeitgenossen  manches  im  Dunkel  gelassen,  sie  bot  nicht 
eine  Zeile  Erläuterungen  und  doch  hat  gerade  dieses 
Werk,  das  beinahe  einen  Zeitraum  von  70  Jahren  um- 

^)  Vgl.  das  II.  Register  (Pichler)  unter  „Briefe". 

2)  Album.  Zum  Besten  der  durch  die  Überschwemmungen  im 
Frühjahre  1845  in  Böhmen  Verunglückten.    Wien   1845,  S.  77. 

^)  Neue  freie  Presse  Nr,  13302  vom  6.  September  1901,  Feuille- 
ton, Sp.  2. 

XXXIX 


II.. 


faßt,  einen  Kommentar,  der  die  Zusammenhänge  und 
Beziehungen  aufdeckt,  der  Angedeutetes  ergänzt  und 
Fehler  richtigstellt,  äußerst  notwendig,  soll  das  Buch 
seinen  Zweck,  ein  Spiegel  der  Zustände  und  der 
Menschen  der  theresianisch-josefinisch-franziszeischen 
Zeit  zu  sein,  voll  und  ganz  erfüllen. 

Als  Karo' ine  Pichler  an  die  Abfassung  ihrer  „Denk- 
würdigkeiten" ging,  da  hatte  sie  den  Höhepunkt  ihres 
Lebens  längst  überschritten,  um  sie  war  es  still  und  ein- 
sam geworden,  die  Gesellschaften  in  fremden  Häusern 
mied  sie  (seit  1830;  H,  S.  308)  und  nur  selten  noch  gab 
es  in  ihrem  Heim  größere  Empfänge.  Von  den  alten 
Freunden  waren  viele  dorthin  gegangen,  von  wannen 
es  keine  Wiederkehr  gibt,  und  da  sie  selbst  für  die  Zu- 
kunft nichts  mehr  zu  erwarten  hatte,  so  wendete  sie  den 
Blick  der  glänzenden  Vergangenheit  zu.  Die  Dreißiger- 
jahre hatten  ihr  nicht  nur  eine  gewisse  gesellschaftliche 
Vernachlässigung  gebracht,  sondern  auch  ihr  dichteri- 
scher Ruhm  war  im  Abnehmen  begriffen,  denn  die  jün- 
gere Generation  hatte  andere  Ideale  und  Ziele.  Ihr 
letzter  Roman  „Elisabeth  von  Guttenstein",  1834  ^^^' 
standen  und  1835  erschienen,  fand  zwar  den  Beifall  der 
Kritik,  wurde  aber  vom  Publikum  kühl  aufgenommen 
(II,  S.  312).  Karoline  Pichler,  deren  Geisteskraft  und 
Phantasie  mit  ihrer  Schaffenslust  nicht  mehr  Schritt 
halten  konnten  (II,  S.  606),  fühlte  daraus  nur  zu  deut- 
lich, daß  ihre  Zeit  vorüber  war  und  als  praktische  Frau 
wurde  es  ihr  nicht  allzu  schwer,  den  TJbergang  in  ein 
anderes,  ihren  Fähigkeiten  entsprechenderes  Gebiet  zu 
finden.  Wirkte  sie  früher  durch  ihre  dichterischen  Er- 
zeugnisse belehrend  und  in  sittlicher  Hinsicht  erziehe- 
risch auf  ihre  Leser  ein,  so  tat  sie  jetzt  das  gleiche  durch 
zahlreiche  kleinere  Aufsätze  vermischten  Inhalts,  in  de- 

XL 


nen  sie  ihre  abgeklärte  Lebensweisheit  und  ihre  Erfah- 
rungen verwertete.  Den  gleichen  Zweck  hatte  sie  auch 
bei  der  Niederschrift  ihrer  „Denkwürdigkeiten",  die  sie 
ursprünglich  nicht  für  den  Druck  bestimmte  (I,  S.  4), 
im  Auge.  Sie  wollte  hier  die  Summe  ihrer  Lebenserfah- 
rungen niederlegen,  damit  sie  ihren  Nachkommen  nütz- 
lich würden,  sie  wollte  sich  selbst  über  ihren  Lebens- 
gang Rechenschaft  geben  und  aufzeigen,  welchen  Ein- 
wirkungen sie  während  ihres  langen  Lebens  unterworfen 
war  und  welche  Kräfte  wirksam  waren,  um  das  Endpro- 
dukt „Karoline  Pichler"  zu  ergeben  (I,  S.  /\.i.). 

Vielleicht  hatte  Pichler  bereits  1832,  als  sie  ihre„Hen- 
riette  von  England"  nach  den  französischen  Memoiren- 
werken der  Madame  Fran^oise  Bertaud,  dame  de 
Motteville  und  der  Madame  Marie  Pioche  de  La- 
vergne,  Gräfin  de  la  Fayette  in  idealisierender  Weise 
bearbeitet  hatte ^),  den  Plan  gefaßt,  die  Denkwürdig- 
keiten ihres  eigenen  Lebens  zu  verfassen,  vielleicht  war 
erst  der  Mißerfolg  der  „Elisabeth  von  Guttenstein"  der 
Anstoß  dazu,  Sicheres  läßt  sich  darüber  aber  nicht  sagen. 
Gewiß  ist  jedoch,  daß  sie  1835  bereits  mitten; in  der 
Arbeit  war,  im  Dezember  1836  die  Hälfte  des  zweiten 
Buches  hinter  sich  (vgl.  I,  S.  332)  und  1837  diesen  Teil 
vollendet  hatte,  wie  einige  Anspielungen  in  den  ersten 
beiden  Büchern  der  „Denkwürdigkeiten"  deutlich  er- 
kennen lassen 2).  Im  September  1837  erlitt  aber  Karo- 
line Pichler  den  schwersten  Verlust  ihres  Lebens,  ihr 
Mann  verließ  sie  auf  immer.  Die  seelische  Verstim-  - 


^)  Henriette  von  England,  Gemahlinn  des  Herzogs  von  Orleans. 
Wien,  1832.  Gedruckt  und  im  Verlage  bey  Anton  Pichler.  Mit 
einem  Kupfer  (Dav.  Weiß  sc.)  =  S.  W.  ^  XLVI.  Über  die  Quellen 
vgl.  Vorrede  S.  VI.  —  Eine  Anzeige:  Blätter  fü^  literarische^Unter- 
haltung.   1832,  II,  S.  831. 

^)  Denkwürdigkeiten  I,  S.  231,  319,  332,  369,  377,  418. 

XLI 


mung,  die  dieses  Ereignis  im  Gefolge  hatte,  die  Schere- 
reien, v/elche  die  Erledigung  der  Verlassenschaftsab- 
handlung, die  im  August  1838  beendigt  wurde  (II, 
S.  601),  mit  sich  brachte,  ließen  vorläufig  eine  Fortset- 
zung der  Arbeit  an  den  „Denkwürdigkeiten"  nicht  zu. 
Erst  zu  Ende  des  Jahres  1838  wird  Pichler  an  das  dritte 
Buch  geschritten  sein,  das  1839  oder  1840  fertig  vorlag. 
Das  Jahr  1841  sah  sie  an  der  Arbeit  des  vierten  Buches 
und  im  Herbst  dieses  Jahres  war  sie  bereits  bei  den  Er- 
eignissen des  Jahres  1832  angelangt  (vgl.  II,  S.  287  mit 
Anra.  460).  Der  Abschluß  des  ganzen  Werkes  dürfte 
noch  1841  erfolgt  sein.  Daß  Karoline  Pichler  unterdes- 
sen das  Niedergeschriebene  fleißig  durchsah,  stilistische 
und  andere  Verbesserungen,  sowie  Ergänzungen  an- 
brachte 1),  das  zeigt  deutlich  die  Originalhandschrift  der 
„Denkwürdigkeiten"  (vgl.  unten  S.  LH  f.  bes.  Anm.  i) 
Diese  Arbeit,  die  nach  den  Tod  ihres  Mannes  fiel,  mag 
F.  Wolf  im  Auge  haben  (II,  S.  389),  der  die  „Denk- 
würdigkeiten" zum  Großteil  erst  nach  1837  entstehen 
läßt.  Pichler  hat  jedoch  gegen  ihren  ursprünglichen 
Plan  (vgl.  II,  S.ii3[Pezold]und  S.  565,  Anm.  435)  ihre 
Aufzeichnungen  nur  bis  zum  Jahre  1837,  ^^^  '^^^  Todes- 
jahre ihres  Gemahls  und  einem  entscheidenden  Wende- 
punkt ihres  Lebens,  geführt,  die  späteren  Jahre  (1838  bis 
1 842)  dagegen  ganz  kurz  gestreift,  obwohl  auch  diese  noch 
einiges  Bemerkenswerte  für  die  „Denkwürdigkeiten"  er- 
geben hätten  (vgl.  II,  S.  606 ff.,  Anm.  569).  Aber  für  sie 
war  nach  dem  Hinscheiden  ihres  Mannes  ihre  Welt  tot 
(II,  S.  370)  und  so  sollten  mit  ihm  und  mit  der  Klage 
über  die  neue  Gestaltung  der  Dinge,  in  die  sie  sich  nicht 
mehr  hineinfinden  konnte,  die  Erinnerungen  ausklingen. 

1)  Vgl.  z.  B.  I,  S.  429  (Angabe  des  Todes  von  Dr.  Pohl,  der  August 
1840  erfolgte). 

XLII 


Ursprünglich  nur  für  sie  und  ihre  FamiHe,  gewisser- 
maßen als  Familienbuch  und  Rechenschaftsbericht  über 
ihr  Leben  niedergeschrieben,  dachte  Karoline  Pichler  in 
Anbetracht  der  österreichischen  Zensurverhältnisse,  die 
sie  ja  selbst  bei  ihrem  vaterländischen  Schauspiel  „Fer- 
dinand II."  zur  »Genüge  kennen  gelernt  hatte,  nicht 
daran,  die  „Denkwürdigkeiten"  dem  Drucke  zu  über- 
geben (I,  S.  4).  Im  Laufe  der  Arbeit  aber  änderte  sie 
ihren  ursprünglichen  Entschluß  und  bereits  im  März 
1840  fand  sie  es  nötig,  ihrem  Testament  vom  Jahre  1827, 
das  später  durch  ein  anderes  ersetzt  wurde,  eine  nach- 
trägliche Verordnung  betreffs  ihrer  „Denkwürdigkei- 
ten", die  auch  1842  aufrecht  blieb,  beizufügen.  Diese 
besagt^): 

„Da  ich  wünschte,  daß  meine  Memoiren  erst  nach 
meinem  Tode,  so  weit  sie  bis  dahin  geführt  seyn  wer- 
den, erscheinen  möchten,  dann  aber  doch  meiner  Toch- 
ter und  ihren  Kindern  ein  nicht  unbedeutendes  Hono- 
rar eintragen  könnten,  so  glaube  ich,  meine  Tochter 
sollte  sich,  wenn  ich  diese  Unterhandlung  nicht  selbst 
mehr  anknüpfen  kann,  geradezu  oder  durch  einen  der 
hiesigen  Gelehrten,  etwa  H.Wolf  2)  an  den  Baron  Cot- 
ta  von  Cottendorff^)  in  München  oder  Stuttgart, 
den  sie  ja  vor  mehr  als  20  Jahren  als  damahligen  k. 
Würtembergischen  Stallmeister  wohl  gekannt  —  wen- 
den und  ihm  das  Manuscript,  das,  wie  ich  denke,  wohl 
3 — 4  mäßige  Bände  geben  wird,  um  2000  Thaler  Kaiser- 
geld oder  3000  fl.  zu  dem  20  X  Fuß  anbiethen.  Nach 
dem,  was  er  antwortet,  kann  sie  sich  dann  richten,  und 

^)  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes  in  Zivilsachen.  Testa- 
mente Nr.  388  ex  1843. 

^)  Ferdinand  Wolf,  der  Herausgeber  der  „Denkwürdigkeiten"; 
vgl.  über  ihn  II,  S.  615,  Anm.  575. 

^)  Johann  Georg  Freiherr  v.  Cotta,  vgl.  II,  S.  623,  Anm.  84. 

XLIII 


mit  ihrem  Cousin  ^),  wenn  sie  das  vorzieht,  unterhandeln. 
Doch  wird  es  stets  gut  seyn,  wenn  sie  vorher  einige  Er- 
kundigungen über  den  Preis,  den  man  allenfalls  ver- 
langen könnte,  einzieht.  Vielleicht  könnte  sie  auch  bey 
Brockhaus  anfragen  lassen." 

Was  Karoline  Pichler  letztwillig  gewünscht,  geschah 
aber  nicht.  Ihre  Tochter  verhandelte  nicht  mit  Cotta 
betreffs  der  Herausgabe,  denn  das  Cottasche  Verlags- 
archiv enthält  nichts  darüber^),  sondern  es  übernahm 
Karoline  Pichlers  Neffe  Franz  Pichler  sogleich  den 
Verlag  der  „Denkwürdigkeiten"  zu  dem  Honorar  von 
3000  Gulden  CM^).  Sie  bildeten  als  Pichlers  letztes 
Werk  gewissermaßen  den  Abschluß  ihrer  „Sämmtlichen 
Werke",  doch  erschienen  sie  merkwürdigerweise  nicht 
in  deren  Reihe. 

Mit  der  Herausgabe  hatte  man  es  eilig.  Ferdinand 
Wolf,  der  die  erste  Durchsicht  der  Handschrift  be- 
sorgte, beseitigte  alles,  was  etwa  bei  der  Zensurbehörde 
Anstoß  erregen  konnte  und  bereits  anfangs  September 
1843  legte  Karoline  Von  Pelzeln  als  gesetzmäßige  Er- 
bin nach  Karoline  Pichler  die  vier  Bücher  der  ,, Denk- 
würdigkeiten" dem  k.  k.  Zentral-Bücher-Revisionsamt 
zur  Begutachtung  in  der  Handschrift  vor.  Da  es  aber  ge- 
setzliche Vorschrift  war,  daß  jedes  zur  Zensurierung  ge- 
langende Werk  in  zwei  Exemplaren  abgeliefert  werden 
müsse,  so  bat  Karoline  v.  Pelzeln  unterm  ii,  Septem- 
ber 1843  in  einer  Eingabe  die  Vorstehung  des  k.  k. 
Zentral-Bücher-Revisionsamtes,  ihr  die  Vorlage  des 
zweiten  Exemplares  zu  erlassen,   da   „das  nochmalige 


^)  Franz  I.  Pichler,  vgl.  II,  S.  521,  Anm.  305. 
2)  Laut  freundlicher  Mitteilung  der  J.   G.   Cottaschen  Buch- 
handlung in  Stuttgart. 

8)  Frankls  Sonntags-Blätter  II,  S.  863. 

XLIV 


Abschreiben  dieser  aus  vi  e  r  starken  Bänden  bestehenden 
Memoiren  mit  großem  Zeitverluste  und  nicht  unbedeu- 
tendem Kostenaufwand  verbunden  wäre,  welche  Vor- 
sichtsmaßregel bei  den  bekannten  loyalen  Gesin- 
nungen und  der  rücksichtsvollen  Discretion  der 
sei.  Verfasserin  überdieß  wohl  unnöthig  sein  dürfte" i). 
Das  Bücher-Revisionsamt  leitete  am  14.  September  1843 
die  Sache  zur  Beschlußfassung  an  die  k.  k.  oberste  Poli- 
zei- und  Zensurhofstelle,  welche  am  17.  September  1843 
entschied,  daß  das  Manuskript  vorläufig  in  die  Zensur 
geleitet  werden  könne  und  dieses  Exhibit  mit  dem  Vo- 
tum des  Zensors  zu  reproduzieren  sei^).  Diesem  Auf- 
trage gemäß  kam  die  Handschrift  an  den  Zensor,  Re- 
gierungsrat Johann  Ludwig  Deinhardstein,  der  zu 
Pichlers  näheren  Bekannten  gehört,  vielfach  in  ihrem 
Hause  verkehrt  hatte  und  von  ihr  in  früheren  Jahren 
auch  gefördert  worden  war  (vgl.  H,  S.  461  f.,  Anm.157). 
Bereits  am  23.  September  erfloß  sein  Gutachten.  Es 
Hegt  jedoch  nur  der  Zensurzettel  vor,  denn  das  Zensur- 
protokoll selbst  (vgl.  unten  S.LXXI),  das  die  näheren  An- 
gaben enthielt,  ist  wohl  mit  den  Zensurakten  vernichtet 
worden 2);  jener  lautet^): 

Zensurzettel. 

Die  Memoiren  der  Fr.  v.  Pichler  sind  als  Mittheilun- 
gen der  Erlebnisse  und  Ansichten  einer  achtbaren  Frau 
und  Schriftstellerin  zu  berücksichtigen,  demungeachtet 
erscheinen  nachfolgende  Veränderungen  und  Weglas- 
sungen durchaus  nothwendig: 

2.  Band,  S.  165,  166,  171,  216,  (217),  224. 

^)  Archiv  des  k,  k.  Ministeriums  des  Innern  in  Wien,  Polizei- 
akten 8034/25  ex  1843. 

2)  Vgl.  L.  A.  Frankl,  Erinnerungen.  Prag  1910,  S.  185 f. 
^)  Arch.  Minist,  d.  Innern,  Polizeiakten  8034/25  ex  1843. 

XLV 


3.  Band,  S.6i,  77,  103,  104,  105,  113,  115,  116,  159, 
161,  (162),  (163),  (166). 

4.  Band,  S.  75,  83,  103,  (104). 

admittitur  om.  del.  c.  c. 

Deinhardstein. 

Trotz  dieses  gewissenhaften  Gutachtens  hatte  die  Zen- 
surhofstelle Bedenken,  sofort  die  Druckerlaubnis  zu  er- 
teilen und  übergab  die  Handschrift  einem  zweiten  Re- 
ferenten, der,  wie  seiner  Nachschrift  am  Deinhard- 
stein sehen  Zensurzettel  zu  entnehmen  ist,  noch  einige 
Stellen  (I,  S.  209;  II,  S.  224;  III,  S.  176;  IV,  S.  215) 
beanstandete  und  auch  sonst  Bedenken  wegen  verschie- 
dener politischer  Äußerungen  trug,  so  daß  sich  Graf  Jo- 
sef Sedlnitzky,  als  Präsident  der  Obersten  Polizei- und 
Zensurhofstelle  entschloß,  darüber  die  Wohlmeinung 
der  Staatskanzlei  einzuholen.  Am  12.  Oktober  1843  über- 
mittelte er  dieser  die  Handschrift  der  ,, Denkwürdigkei- 
ten" mit  folgendem  Begleitschreiben^): 

„Der  hierortige  Censor,  Regierungsrath  Deinhard- 
stein, hat,  laut  des  beigebogenen  Censurvotums^), 
mehrere  Stellen  beanständet  und  theils  zur  gänzlichen 
Weglassung,  theils  zur  Abänderung  bezeichnet.  Unter 
diesen  und  anderen  bei  der  hierortigen  Durchsicht  des 
Manuscriptes  noch  aufgefallenen  Stellen  befinden  sich 
mehrere,  wie  z.  B. 

Bd.  II,  S.  165,  166,  216,  217,  224  etc. 

Bd.  III,  S.  61,  161,  162,  163,  166  etc. 

Bd.  IV,  S.  103  etc., 
in  welcher  die  Verfasserin  theils  ihre  Ansichten  über 
manche  politischen  Fragen,  welche  während  ihres  Le- 


1)  Arch.   Minist,   d.   Innern,   Polizeiakten  8034/25    ex    1843. 

2)  s.  oben  S.  XLV. 

XLVI 


bens  entschieden  wurden,  theils  Notizen  und  Urtheile 
über  verschiedene  in  pohtischer  und  diplomatischer  Be- 
ziehung bemerkenswerthe  Personen,  mit  welchen  sie  in 
nähere  Berührung  kam,  darunter  namentlich  über  den 
jetzigen  k.  k.  Gesandten  in  Griechenland,  Anton  Pro- 
kesch  Ritter  von  Osten  niederlegt. 

In  dieser  Beziehung  dürften  die  gedachten  ,, Memoi- 
ren" vor  ihrer  definitiven  Censurerledigung  auch  einer 
politischen  Würdigung  unterzogen  werden,  und  ich 
nehme  mir  daher  die  Freyheit,  Einer  löbl.  etc.  zu  die- 
sem Behufe  das  gedachte  Manuscript  mit  dem  Ersuchen 
mitzutheilen,  mir  über  dessen  Druckzulässigkeit  vom 
politischen  Standpunkte  aus  Hochdero  competente 
Wohlmeinung  gefälligst  gewähren  zu  wollen." 

Die  Erledigung  von  selten  der  Staatskanzlei  Heß  nicht 
lange  auf  sich  warten,  denn  bereits  am  25.' Oktober  1843 
erging  folgende  Antwort  ^) : 

„Die  Memoiren  der  rühmlich  bekannten  vaterländi- 
schen Schriftstellerin  Caroline  Pichler,  geb.  v.  Grei- 
ner, welche  ihre  Tochter,  die  k.  k.  Appellationsraths- 
witwe  Caroline  v.  Pelzelnim  Druck  herauszugeben  be- 
absichtigt und  wovon  die  löbliche  k.  k.  Oberste  Polizei- 
und  Censur-Hofstelle  das  Manuskript  mit  der  schätz- 
baren Note  vom  12.  dies,  zur  Meinungsäußerung  über 
die  Druckzulässigkeit  mehrerer  darin  in  politischer  Be- 
ziehung auffälliger  Stellen  anher  mitzutheilen  beliebte, 
hat  die  geheime  Hof-  und  Staatskanzlei  die  Ehre,  im 
Anbuge  mit  folgenden  Bemerkungen  zurückzustellen: 

I.  Ohne  dem  zarten  Mitgefühle,  das  die  Verfasserin 
dieser  Memoiren  für  die  Schicksale  Polens  und  den  Un- 
tergang der  Selbstständigkeit  dieses  Reiches  an  den  Tag 

^)  Archiv  des  Ministeriums  des  Innern,  Polizeiakten,  9512  ad 
8034  ex  1843. 

XLVII 


legt,  zu  nahe  treten  zu  wollen,  hält  man  doch  das  im 
I.  Bande,  S.  182  gestellte  Prognostikon  von  Polens  poli- 
tischer Wiedergeburt  nicht  zulässig  und  ist  daher  der 
Meinung,  daß  die  Stelle,  welche  mit  den  Worten:  ,,In 
mir  aber  lebt  der  feste  Glauben"  anfängt  und  mit  den 
Worten  „wird  auch  rechte  Ruhe  in  Europa  werden"  zu 
streichen  wäre.  Aus  demselben  Grunde  trägt  man  auch 
auf  Weglassung  der  im  4.  Bande,  S.  103  und  104  roth 
angestrichenen  Stelle  an^). 

2.  Seite  89  des  i.  Bandes  kömmt  ein  Ausfall  auf  die 
Censur  vor,  —  ob  und  inwiefern  derselbe  anstößig  be- 
funden werden  sollte,  bleibt  jedoch  dem  erleuchteten 
Ermessen  der  löblichen  Hof  stelle  anheimgestellt  ^). 

3.  Im  2.  Bande,  S.  21  dürfte  dort,  wo  es  heißt,  daß 
Se.  kais.  Höh.  der  Erzherzog  Carl  das  Commando  der 
Armee  wieder  übernommen  habe,  der  Zusatz :  „und  den 
nur  die  Cabalen  und  Ränke  seiner  Feinde  davon  ent- 
fernen gemacht  hatten"  zu  streichen  sein^). 

4.  Den  in  eben  diesem  Bande,  S.  165  und  166*),  dann 

^)  Die  angeführten  Stellen  (I,  S.  1865  II,  S.  271  ff.)  mußten 
tatsächlich  wegbleiben  (vgl.  I,  S.  512,  Anm.  327a;  II,  S.  573, 
Anm.  450). 

2)  Bezieht  sich  auf  I,  S.  gif.  In  der  Originalhandschrift  (S.  85) 
heißt  die  Stelle:  „Der  Geist  durfte  sich  frei  bewegen,  [es  durfte] 
geschrieben,  gedruckt  werden,  was  nur  im  strengsten  Sinn  des 
Wortes,  nicht  in  dem,  welchen  ein  Censor  hineindeuteln 
wollte,  wider  Religion  und  Staat  war."  Das  Gesperrtgedruckte 
ist  die  beanstandete  Stelle. 

3)  Wäre  der  Nachsatz  zu  Absatz  III  auf  S.  234  des  Bandes  I; 
die  Stelle  lautet  in  der  Originalhandschrift  (S.  217)  abweichend: 
„  .  .  .  worden,  und  den  nur  die  Cabalen  und  Ränke  seiner  Feinde, 
welche  auch  die  des  Vaterlandes  waren,  wenn  sie  gleich  nicht  unter 
französischen  Fahnen  standen,  vom  Commando  entfernen  gemacht 
hatten,  dasselbe  wieder " 

*)  Bezog  sich  auf  den  Bankozettelsturz;  die  Stelle  steht  jetzt 
I,  S.  380!.,  was  Deinhardstein  dafür  einsetzte,  daher  der  Erst- 
druck bot,  findet  sich  I,  S.  618,  Anm.  641. 

XLVHI 


2i6^)  und  224 2)  vom  Censor  vorgenommenen  Abände- 
rungen pflichtet  man  hierorts  bei, 

5.  Im  3.  Bande,  S.  60  und  61  hat  man  diejenigen  wei- 
teren Modifikationen  angedeutet,  welche  noch  außer 
den  von  dem  Censor  beantragten  nothwendig  schienen, 
um  eine  Amtshandlung  der  Staatskanzlei  nicht  bloß  zu 
stellen  und  als  die  Wirkung  einer  ungünstig  beurtheilten 
Individualität  erscheinen  zu  lassen.  Freilich  wäre  es  noch 
besser,  wenn  die  umständliche  Erzählung  des  Faktums, 
von  dem  hier  die  Rede  ist,  ganz  unterbliebe  und  der 
Umstand,  daß  die  Aufführung  des  Stückes  Ferdinand  II. 
auf  der  Hofbühne  nicht  gestattet  wurde,  nur  in  Kürze 
und  mit  Weglassung  aller  verletzenden  Details  bezeich- 
net werden  wollte  3). 

6.  Die  Verhältnisse  des  Anton  Prokesch  Ritter  v. 
Osten  zur  Familie  Pichler,  die  in  diesem  Bande  pag. 
158  und  folgende  besprochen  werden,  sind  zwar  durch- 
aus nicht  politischer  Natur,  gleichwohl  ist  man  der  Mei- 
nung, daß  in  Anbetracht  des  officiellen  Characters,  den 
Prokesch  bekleidet  und  aus  Rücksichten  der  Schicklich- 
keit und  Schonung  für  ihn  als  einen  noch  lebenden  Zeit- 
genossen wenigstens  dieHinweglassungder,  Seite  163  mit 
Rothstift  bezeichneten  Stelle  verfügt  werden  dürfte*). 

^)  Dürfte  folgende  Stelle  (Original  S.  384;  I,  S.  424)  gemeint 
sein:  „.  .  .  Ungeniertheit  mir  zu  demonstrieren,  daß  unser  Erz- 
herzog Karl  ein  gar  unbedeutender  Kriegsheld  sei,  denn  natür- 
licherweise war  aller  in  .  .  .  ." 

^)  Welche  Stelle  gemeint  ist,  läßt  sich  nicht  bestimmen. 

^)  Die  beantragte  Fassung,  die  in  die  erste  Ausgabe  aufgenommen 
werden  mußte,  findet  sich  II,  S.  445,  Anm.  107;  der  ursprüng- 
hche  Wortlaut  in  unserem  Text  II,  S.  52 f. 

*)  Diese  Stellen  dürften  mit  II,  S.  143  (Anm,  252)  und  144 
(Anm.  252a)  identisch  sein;  vielleicht  mußte  auch  die  ursprüng- 
liche Fassung  (II,  S.  493 f.,  Anm,  253)  abgeändert  werden,  woraus 
sich  II,  S,  143  ff.  (Im  folgenden  Winter  ....  zu  haben  schien) 
erklären  würde. 

IV  c.  p.  I  XLIX 


7-  Da  es  gewiß  nicht  in  der  Absicht  der  Verfasserin 
der  anhegenden  Memoiren  lag,  das  Mißlingen  der  im 
J.  1821  in  Italien  ausgesprochenen  (!)  Revolution  zu  be- 
dauern, so  dürfte  die  Seite  166  des  3.  Bandes  angestri- 
chene Stelle  wohl  nur  einer  kleinen  Abänderung  be- 
dürfen, um  nicht  mißverstanden  zu  werden  ^).  Wien,  den 
25.  October  1843. 

Metternich. 

ad  acta  und  ist  das  Mpt.  hiernach  mit  adm.  om.  del. 
c.  c.  mut.  mut.  erlediget  worden.  Wien,  29.  Oct.  1843. 

Maltz2)." 

Auf  Grund  dieser  Entscheidung  stellte  der  wirkliche 
Hofkonzipist  Josef  Theophil  Demel  der  Obersten  Po- 
lizei- und  Zensurhofstelle  am  29.  Oktober  1843  unter 
Berücksichtigung  des  Deinhardst einschen- Gutach- 
tens und  der  Äußerung  der  Staatskanzlei  das  Verzeichnis 
der  nicht  zulässigen  Stellen  nach  den  Seiten  zusammen, 
das  am  30.  Oktober  1843  an  Karoline  von  Pelzeln 
übermittelt  wurde  ^).  Mit  dem  Drucke  konnte  begon- 
nen werden. 

Bevor  aber  die  weiteren  Geschicke  des  Buches  in  Be- 
tracht gezogen  werden,  ist  es  nötig,  über  die  Textüber- 
lieferung ein  Bild  zu  gewinnen  und  von  den  Hand- 
schriften der  „Denkwürdigkeiten"  zu  handeln.  Es  ist 
schon  seit  längerer  Zeit  bekannt,  daß  die  Originalnieder- 
schrift sich  im  Besitze  der  Familie  Pelzeln  befand  und 
nach  dem  Tode  der  Franziska  von  Pelzeln  durch  Kauf 


1)  Bezieht  sich  auf  II,  S.  151  (Der  Krieg  .  .  .  Militärs). 

2)  Karl  Ludwig  Maltz  war  k.  k.  wirklicher  Regierungsrat  der 
Obersten  Polizei-  und  Zensurhofstelle  (Hof-  und  Staatsschematis- 
mus.   1844,  I,  S.  263). 

3)  Archiv  des  Ministeriums  des  Innern,  Polizeiakten,  ad  9512 
ex  1843. 


an  die  Bibliothek  der  Stadt  Wien  kam.  Daß  diese  Hand- 
schrift mit  der,  welche  der  Zensurbehörde  vorgelegt 
wurde,  nicht  zusammenfällt,  geht  schon  daraus  hervor, 
daß  diese  aus  vier,  mit  besonderer  Seitenzählung  ver- 
sehenen Bänden  bestand  (oben  S.  XLV),  während  jene 
aus  355  Quartblättern,  die  in  verschieden  große  Lagen 
zusammengefügt  sind,  gebildet  wird.  Aber  auch  inhalt- 
lich weisen  beide  Handschriften,  von  denen  die  zensu- 
rierte zwar  nicht  mehr  erhalten,  aber  durch  die  erste 
Druckausgabe  dargestellt  wird,  Verschiedenheiten  auf. 
Abgesehen  von  allen  jenen  Stellen,  welche  die  Zensur 
entfernte  und  von  denen  nicht  alle  mehr  bestimmbar 
sind,  enthält  die  Handschrift  der  Wiener  Stadtbibliothek 
gegenüber  dem  Erstdruck  viele  Zusätze.  Daß  manche 
davon  nicht  in  diesen  übergingen,  sondern  vom  He- 
rausgeber Ferdinand  Wolf  aus  naheliegenden  Grün- 
den, wenn  sie  sich  auf  Lebende  (Toni  Adamberger- 
Arneth,  Franz  Grillparzer,  Nikolaus  Lenau)  be- 
zogen, gestrichen  wurden,  ist  begreiflich.  Aber  noch 
immer  bleibt  eine  erkleckliche  Anzahl  von  Stellen,  deren 
Fehlen  in  der  Druckausgabe  unerklärlich  wäre,  wenn 
man  nicht  annehmen  würde,  daß  die  Handschrift  der 
Stadtbibliothek  zur  Druckausgabe  (Zensurhandschrift) 
sich  wie  die  erste  zur  zweiten  Niederschrift  verhalte. 
Nach  Vollendung  des  Werkes  wird  Karoline  Pichler, 
da  die  Drucklegung  ja  nunmehr  bei  ihr  feststand  (vgl. 
ihr  Testamentskodizill,  oben  S.  XLHI),  eben  das  ganze 
Werk  nochmals  abgeschrieben  und  dabei  verschiedene 
Änderungen  vorgenommen  haben,  die  nicht  nur  stili- 
stischer Art  waren,  sondern  auch  auf  den  Text  Bezug 
nahmen.  Da  es  viel  .zu  weit  führen  würde,  wenn  hier 
alle  Verbesserungen  aufgezählt  würden,  welche  die 
Druckausgabe  (Zensurhandschrift)  gegenüber  der  Hand- 

IV*  LI 


Schrift  der  Wiener  Stadtbibliothek,  die  sich  durch  die 
am  Rande  beigefügten  Jahreszahlen  auszeichnet,  auf- 
weist, so  genügt  es,  zur  Verdeutlichung  des  Gesagten, 
auf  die  Abweichungen  der  ersten  zehn  Seiten  des  i.  und 
2.  Bandes  unseres  Neudruckes,  der  B  (Erstdruck)  folgt, 
gegenüber  der  Handschrift  hier  hinzuweisen^). 


1)  Lesarten  des  Druckes  (B)  gegenüber  der  Handschrift  (A). 
Band  I,  S.  3 — 12. 

S.  3,  8  erlaubt  es  sich  A.  —  12  sollen  sie  dazu  A.  —  13  anzu- 
fachen A  [anzuregen  B.  —  18  oder  auch  nur  hervorragende  A. — 
27  wichtigen  A  [hochwichtigen  B. 

S.  4,  4  bis  5  2  fehlt  B5  in  A  durchstrichen. 

S.  6,  10  denen  A  [der  B. 

S.  7,  5  wo  A  [deren  Chef  B.  —  n  k.  k.  fehlt  A. —  12  in  A  [bei  B.  — 
17  mühselig  A  [mühsam  B.  — 21  in  A  [nach  B. — 33  nie  A  [kaum  B. 

S.  8,  9  den  Oberlieutenant  Hieronymus  A  durchstrichen^  in  B 

fehlend.    —    22 — 24    war    protestantisch    geboren  und  die 

Regiments  ebenfalls  diesem  Glauben  zugetan  A.  —  28  dieser  Leute 
A  [ihrer  Konfession  B, 

S.  9,  2  sie  nun  A  [es  auf  B. 

S.  10,  4  Geschicklichkeit  A  [Fähigkeit  B.  —  31  in  seidnem  A. 

S.  12,  10  wo  A  [bei  denen  B.  — 16  aufhielt  A  [aufgehalten  hatte  B. 
—  27  Mann  mehr  schön  A.  —  30  Denkart  eben  so  A. 


Band  II,  S.  3—12. 

S.  3,  6  mir  es  A.  —  22  rechtfertigte  auch  durch  .  .  .  A. 

S.  4j  II  Weißenthurn  vielleicht  durch  . .  •  A. 

S.  5,  13  doch  A  [war  denn  B.  —  i4f.  nicht  war  A  [halte  ich  es 
nicht  für  schlecht  B.  —  i7f.  montierten  A  [erhöhten  B. 

S.  6,  21  denn  wohl  A  [daher  B.  —  30  erhalten  A  [erhielt  B. 

S.  7,  I  Meinung,  welche  ....  erwähnt  A  [Ansicht,  welcher  .... 
erwähnte  B.  —  3f.  Nur  hätte  es,  wenn  diese  Rezensenten  .  .  .  A.  — 
4  mußte  es  dann  fehlt  A.  —  5  auf  A  [in  B.  —  6  nicht  A  [kaum  B. — 
7  daß  es  in  vier  ...  A.  —  u  Rheinbündische  A.  — 22  en  echec  A 
[in  Schach  B.  —  26 f.  abermal  der  Kurier  mit  .  .  .  A.  —  28  wurde. 
• —  Nun  ging  es  Schlag  auf  Schlag  {jehlt  B).  „Die  .  .  ,  A. 

S.  8,  3  denn  auch  ein  A  [der  B.  —  5 — 7  was  er gesucht 

hatte  fehlt  A.  —  7  und  auch  A.  —  13  hatte  fehlt  A;  In  dieser 
Kantate,  dem  .  .  .  A  [diesem  B.  — 14  nur  A  [nun  B.  —  15  Vaterland 
angemessen,   für...   A.   —   17   eine   A   [der  B;    entsprechend 

LH 


Schon  diese  kurze  Gegenüberstellung  der  Lesarten 
von  A  und  B  zeigt  deutlich,  daß  die  Fassung  B  in  stili- 
stischer Hinsicht  bedeutende  Verbesserungen  aufweist, 
daß  sie  Fremdworte  und  Austriazismen  ausmerzt,  nicht 
richtige  Satzgebilde  ändert  usw.  Diese  Verbesserungen 
können  wir  aber  nicht  auf  Rechnung  des  Herausgebers 
Ferdinand  Wolf  setzen,  da  es  schon  physisch  unmög- 
lich wäre,  in  der  kurzen  Zeit  von  1^/2  Monaten,  vom 
Tode  der  Pichler  (9.  Juli  1843) 'bis  zur  Übergabe  der 
„Denkwürdigkeiten"  an  die  Zensurbehörde  (anfangs 
September),  diese  Redaktionsarbeit  vorzunehmen,  über- 
dies die  „Denkwürdigkeiten",  wie  sie  jetzt  vorliegen,  in 
der  Diktion  und  im  Stile  aus  einem  Gusse  sind.  Diese 
Lesarten  zwingen  vielmehr  ebenfalls  zur  Annahme  einer 
ersten  und  zweiten  Niederschrift,  die  beide  von  Karo- 
line Pichler  selbst  besorgt  wurden.  Dazu  kommt  noch, 
und  dies  erhebt  die  bisherige  Annahme  zur  Gewißheit, 


jehlt  A.  —  21  Mund,  das  so  begann  A.  —  30  unablässig  bald  eines, 
bald  das  andere  A  [viel  B.  ■' 

S.  9,  2  mir  fehlt .  .  .  stets  als  einen  A.  —  3  Gönner  an  meinen 
Werken  gezeigt .  .  .  A.  —  22  sichern  A  [gewissen  B. 

S.  10,  26  Fertigkeit  und  Leichtigkeit  fehlt  A.  — 28  Arbeiten  Fer- 
tigkeit und  Leichtigkeit  gibt  A. 

S.  II,  I — 4  Diese  Erfahrung,  welche  in  einer  Verrichtung  unseres 
geistigen  Vermögens  eine  mechanische  Regel  entdeckt  zu  haben 
glaubt,  und  andere  ihr  ähnliche  mag  von  .  .  .  A.  —  8  vielleicht 
ebensolchen  Bewegungen  zugeschrieben  werden  A.  —  11  f.  Sterb- 
lichen einen  gar  guten  Genius  an  der  .  .  .  A.  — 13  in  dem  Laufe  A 
[auf  dem  Wege  B.  —  14  der  uns ....  begleitet  A.  —  i5  seinen  A 
[dessen  B.  —  20  zu  A  [los  B.  —  22  von  fehlt  A.  —  23  dieser  Stadt 
ein  A  [von  Paris  an  B.  —  23  f.  Auch  heute  war  großer  Jubel  über 
diese  Botschaft  und  jeder  .  .  .  .  A.  —  25  erhoben  A  [befriedigt  B. 

—  26  empfinden  A  [erfahren  B.  —  29  nahen  A  [wahren  B. 

S.  12,  I  dem  Wüste  A  [den  Wirren  B  .  .  .  .  Anarchie  gerissen 
mit .  .  .  A.  —  2  gerissen  hatte  fehlt  A.  —  n  welcher  nötig  schien  A. 

—  21  undnötiger  Kraft  A.  —  22  wie  A  [als  B.  — 29  mögen  A  [möch- 
ten B. 

LHI 


daß  B  eine  Stelle  enthält,  die  in  A  fehlt;  der  Heraus- 
geber Wolf  hat  sie  zwar  verlesen  („Moter"  für  „Mo- 
ser": I,  S.  157  mit  Anm.  289  auf  S.  493f.),  aber  ihr 
Vorhandensein  beweist,  daß  sie  nur  von  der  Pichler  her- 
rühren kann.  Auf  eine  zweite  Stelle,  die  in  der  Zensur- 
handschrift gestanden  haben  könnte,  in  A  aber  fehlt, 
soll  kein  besonderes  Gewicht  gelegt  werden,  da  sie  uns 
nur  von  K.  A.  Schimmer  überliefert  ist  (vgl.  I,  S.510). 
Wenn  sich  somit  B  (Druck)  als  die  endgültige  Pich- 
lersche  Fassung  ergab,  so  war  damit  für  die  vorliegende 
Ausgabe  der  kritische  Grundsatz  gewonnen,  daß  diese, 
was  die  Textgestaltung  betrifft,  dem  Erstdrucke  zu  fol- 
gen, somit  auf  die  Lesarten  von  A  (Handschrift  der 
Stadtbibliothek)  keine  Rücksicht  zu  nehmen  hat.  An- 
ders war  aber  die  Frage  zu  beurteilen,  ob  alle  Zusätze 
von  A,  die  irgendwie  von  Wichtigkeit  sind  und  auf  die 
Zeitgeschichte  Bezug  haben,  aufzunehmen  seien  ?  Daß 
vor  allem  alle  von  der  Zensur  gestrichenen  oder  geän- 
derten Stellen  in  den  Text  gehörten,  war  klar;  ebenso 
konnte  kein  Zweifel  darüber  herrschen,  daß  alles  das, 
was  sich  auf  zur  Zeit  der  Erstausgabe  (1844)  noch  le- 
bende Personen  bezog  und  von  F.  Wolf  gestrichen 
wurde,  aufzunehmen  sei,  da  heute  die  damals  notwen- 
dige Zartheit  nicht  mehr  am  Platze  wäre.  Blieben  also 
nur  mehr  jene  Stellen,  die  K.  Pichler  wohl  in  A  nieder- 
geschrieben, später  durchstrichen  oder  erst  in  B  aus- 
gelassen hatte.  Welche  Gründe  K.  Pichler  dazu  führten, 
dies  zu  tun,  ist  für  die  Beurteilung  der  Frage  von  deren 
Wichtigkeit  gleichgültig.  Da  viele  dieser  Stellen,  von 
einem  Zeitgenossen  herrührend,  wenn  sie  vielleicht  auch 
nicht  authentische  Mitteilungen  enthalten,  als  Aus- 
druck der  Zeitstimmung  wertvoll  sind,  so  mußten  sie, 
selbst  auf  die  Gefahr  hin,  hier  gegen  die  Absicht  der 

LIV 


Verfasserin  zu  handeln,  aufgenommen  werden.  Handelt 
es  sich  bei  den  „Denkwürdigkeiten"  ja  nicht  um  ein 
Drama  oder  einen  Roman,  die  Zusätze  vielleicht  nicht 
vertragen  würden,  sondern  um  ein  Zeitgemälde  und 
Lebensbild,  das  inhaltlich  gewiß  vertieft  werden  kann. 
Aus  diesem  Grunde  wurde  alles,  was  nur' irgendwie 
wichtig  erschien,  mit  in  die  Neuausgabe  übernommen^). 
Textlich  hält  sich  diese  somit  genau  an  K.  Pichlers 
letzte  Fassung  (B),  wobei  aber,  unseren  heutigen  Bedürf- 
nissen entsprechend,  die  moderne  Rechtschreibung 
durchgeführt  wurde;  ältere  Wortformen,  wo  nicht  Pich- 
let selbst  schwankt,  sind  stets  beibehalten,  ebenso  im 
großen  und  ganzen  ihre  Interpunktion.  InhaltHch  aber 
bietet  der  Neudruck  mehr  wie  der  Erstdruck,  da  er, 
nebst  den  ursprünglich  in  B  vorhandenen  Zusätzen, 


^)  Hier  ein  Verzeichnis  aller  Stellen,  die  ein  Mehr  dem  Erst- 
druck gegenüber  vorstellen:  I,  S.  437:  2(d.),  440:10  (f.),  445:  44 
(d.),  451:  76  (d.),  454:  92  (d.),  470:  194  (d.),  475:  220  (d.),  486: 
268  (e.),  487:  270  (d.),  488:  276  (d.):  278  (u.),  490:  284a  (e.), 
512:  327a  (u.5  Z.),  515:  343  a  (u.5  w.),  521:  364  (d.),  568:  501 
(u.;  w.),  602:  573  (u.),  618:  641  (u.;  Z.),  619:  646  (u.).  —  II,  S. 
427:  52  (u.),  438:  102  (u.),  445:  107  (u.;  Z.),  469:  177  (u.;  W.), 
476:  191a  (u.):  193  (u.),  477:  194a  (f.):  195  (u.),  479:  198a  (u.; 
W.  ?),  485:  220a  (u.):  223  (u.):  223  a  (u.;  W.  ?):  224  (u.;  W.  ?), 
486:  226  (u.;  w.),  489:  236  (u.;  W.?),  490:  240  (u.;  W.  ?),  491: 
248  (u.;  W.?),  492f.:  251  (u.):  252  (u.;  Z.?):  252a  (u.;  Z.):  253 
(e.;  Z.),  499:  264  (u.):  265  (u.):  268  (u.),  519:  301  (u.;  Z.  ?),  558: 

412  (u.),  561:  422  (u.;  Z.),  573:  450  (u.;  Z.),  583:  484  (u.),  584: 
493  (u.),  587:  502  (u.;W.),  602:  560  (u.),  606:  568  (u.:  w.).  — 
Diese  Zusammenstellung  zeigt,  was  Pichler  in  A  (Originalhand- 
schrift) bereits  selbst  durchstrich  (d.),  was  die  Zensur  (Z.)  oder 
Wolf  (W.)  beseitigten,  was  falsche  Angaben  enthielt  (f.),  daher 
später  wegfiel,  was  in  A  in  erweiterter  Form  (w.)  gegenüber  B 
oder  undurchstrichen  (u.)  sich  fand  ode^  bereits  früher  Gesagtes 
wiederholte  (w.),  daher  in  B  ausgelassen  wurde.  In  einigen  Fällen 
(I,  455:  102;  II,  476:  191a,  584:  493)  zeigt  A  die  Namen  aus- 
geschrieben, wo  B  eine  Chiffre  bietet  oder  eine  solche  (I,  488: 
278;  II,  438:  102),  wo  B  den  Namen  ganz  verhüllt. 

LV 


auch  alle  wichtigeren  von  A  enthält.  Dazu  kommt  der 
Kommentar. 

Erst  die  genaue  Durchführung  des  letzteren,  die 
schrittweise  Kontrolle  jeder  einzelnen  Angabe  der  Pich- 
1er  erlaubte  es,  der  Frage  nach  den  Quellen  der  „Denk- 
würdigkeiten" näher  zu  treten.  Freilich,  wenn  man  einige 
ärgere  Versehen,  so  die  Angaben  über  das Gerambsche 
Freikorps  (I,  S.  533,  Anm.  393)  und  über  die  Stadtbe- 
festigung von  Wien  (I,  S.  519,  Anm.  356)  ins  Auge  faßt, 
so  möchte  man  annehmen,  daß  K.  Pichler  ihre  „Denk- 
würdigkeiten" durchaus  aus  dem  Gedächtnisse  nieder- 
schrieb. Daß  letzteres  Quelle  für  alle  jene  Ereignisse  war, 
die  ihre  Vorfahren  und  besonders  die  früheren  Geschicke 
ihrer  Eltern  betreffen,  muß  ohne  weiteres  zugegeben  wer- 
den; ebenso  dürfte  K.  Pichlers  Jugendgeschichte,  etwa 
bis  zum  20.  Jahre  aus  der  Erinnerung  niedergeschrieben 
sein.  Daß  sie  aber  später  schriftliche  Aufzeichnungen 
oder  ein  Tagebuch  führte,  das  mag  nicht  nur  ihre  Kor- 
respondenz mit  ihrer  vertrauten  Freundin  Maria  Josefa 
von  Ravenet  zu  Anfang  der  neunziger  Jahre  des  18. 
Jahrhunderts,  die  sich  hauptsächlich  auf  den  alltäglichen 
Ereignissen  aufbaute,  beweisen  (I,  S.  138),  sondern  das 
zeigt  auch  die  merkwürdige  Übereinstimmung  verschie- 
dener Stellen  der  „Denkwürdigkeiten"  mit  ihren  Brie- 
fen. Es  sei  hier  nur  an  die  Schilderung  A.  W.  Schlegels 
und  der  Frau  v.  Stael  hingewiesen^).  Diese  oft  beinahe 
wörtliche  Übereinstimmung  erklärt  sich  wohl  nur  dar- 
aus, daß  sie  sich  Auszüge  der  Briefe  in  ihr  Tagebuch 
eintrug.  Wenn  sich  trotz  alledem  Unrichtigkeiten,  die 
meist  nebensächlicher  Art  sind,  in  ihrem  Werke  nach- 
weisen lassen,  so  mögen  sie  auf  Rechnung  des  Gedächt- 


^)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  311,  314  und  580,   582:  525;  3i2f. 
und  581!.:  523. 

LVI 


nisses  kommen.  Jeder,  der  selbst  ein  Tagebuch  führt, 
wird  zugeben,  wie  schwer  es  ist,  dieses  regelrecht  und 
ohne  Unterbrechung  jahraus  und  jahrein  fortzusetzen. 
Lücken,  die  sich  auf  diese  Art  in  Pichlers  Journal  er- 
gaben, hat  sie  dann  bei  Abfassung  ihres  Werkes  eben  aus 
der  Erinnerung  ergänzt,  wobei  manches  Falsche  unter- 
lief, wofür  ja  auch  ihre  Zitate,  die  sie  meist  dem  Ge- 
dächtnisse entnahm,  genug  Belege  bieten  i).  Daß  von 
Tagebüchern  der  Pichler  nichts  erhalten  ist,  spricht 
nicht  im  geringsten  gegen  obige  Annahme.  Als  sie  ihre 
„Denkwürdigkeiten"  abgeschlossen  hatte,  da  wird  sie, 
wie  es  ja  viele  andere  in  gleicher  Lage  taten,  die  Grund- 
lagen dazu  vernichtet  haben,  da  die  übrigbleibenden 
familiären  Nachrichten  nur  für  sie  wertvoll  .gewesen 
waren.  Daß  Karoline  Pichler  auch  Zeitungsberichte 
benützte,  dafür  sprechen  zwei  Stellen.  Eine  davon 
(I,  S.  307f.)  zeigt  wörtliche  Anklänge  an  einen  Bericht 
der  „Wiener-Zeitung"  (vgl.  I,  S.  570,  Anm.  507)j  die  an- 
dere verwertet  Ausführungen  des  Astronomen  J.  J.Lit- 
trow  aus  einem  seiner  Aufsätze  (vgl.  II,  S.  574,  Anm. 
456).  Nicht  minder  hielt  sie  sich|.aö  eigene  Berichte,  so 
an  die  über  Mariazell  (I,  S.  558,  Anm.  447),  über  den 
Kirchenbau  zu  Gran  (II,  S.  549,  Anm.  388),  über  Pest 
und  Ofen  (II,  S.  553,  Anm.  401)  und  über  ihre  Reise  von 
Kremsmünster  nach  Spital  am  Pyhrn  (I,  S.S-^iiß.).  In 
den  letzten  Jahren  ihres  Lebens,  eben  zu  der  Zeit,  als  sie 
den  „Denkwürdigkeiten"  ihre  Muße  widmete,  verfaßte 
sie,  durch  die  Ereignisse  und  die  Freundschaft  gedrängt, 

^)  Nicht  richtig  wiedergegebene  Zitate:  I,  S.  441:  15,  442:  24, 
455:  loi,  459=  128,  477:  230,  512:  328,  544:  415,  566:  490a,  567: 
495,  607:  593,  613:  615,  630:  674,  646:  724!.,  647:  728,  649f.: 
74of.  —  II,  s.  479  =  199,  487:  228,  499:  266,  526:  322,  547:  381, 
575=  4585  586:  497.  —  Schreibt  Gedichte  anderer  nach  Gedächtnis 
auf:  II,  98,  141. 

LVII 


eine  größere  Anzahl  von  Nachrufen  auf  ihr  teure  Freun- 
de für  verschiedene  Zeitschriften  i),  die  in  vieler  Hin- 
sicht ausführlicher  sind  als  die  betreffenden  Stellen  ihrer 
Memoiren.  Auch  diese  Nachrufe  hat  sie,  ebenso  wie  die 
in  früherer  Zeit  auf  Köderl  (1,8.613:  619),  Theresevon 
Ar  tn  er  (II,  S.  604.:  563),  Luise  Brach  mann  (II,  S.505: 
283)  verfaßten,  fleißig  benützt.  Dazu  zog  sie  die  vielen 
Briefe,  die  sie  im  Laufe  ihres  langen  Lebens  von  den 
verschiedensten  Persönlichkeiten  erhielt,  ebenfalls  her- 
an, da  für  ihre  Zwecke  manches  daraus  zu  gewinnen 
war,  wie  die  Anführung  einiger  derselben  in  den  „Denk- 
würdigkeiten" beweist^).  Daß  viele  persönliche  An- 
schauungen, Aussprüche  u.  dgl.  bereits  in  vorher  er- 
schienenen Aufsätzen  anzutreffen  sind,  darf  nicht 
wundernehmen,  bewegt  sich  ja  doch  jeder  Mensch  und 
Schriftsteller  in  einer  bestimmten  Gedankenrichtung, 
der  er  nicht  entrinnen  kann. 

Fester  Grundsatz  für  Karoline  Pichler,  als  sie  ihre 
„Denkwürdigkeiten"  abfaßte,  war,  Aufrichtigkeit  und 
Wahrheit  zu  üben.  Sie  hielt  es  bei  einer  Selbstbiographie 
für  Pflicht,  „ganz  aufrichtig  zu  sein,  insoweit  es  die 
Klugheit,  welche  zwar  nie  eine  Lüge,  aber  Stillschwei- 
gen gebieten  kann  oder  die  Schonung  erlaubt,  welche 
man  noch  lebenden  Personen  oder  nahen  Verwandten 
Verstorbener  schuldig  ist"  (I,  S.  169 f.).  Daß  sie  daher 
mit  dem  Nebentitel  von  Goethes,  als  Kunstwerk  ein- 
zig dastehenden  Selbstbiographie  „Aus  meinem  Leben, 
Dichtung  und  Wahrheit"  (3  Bände,  Tübingen  181 1  bis 


^)  Gabriele  Baumberg,  vgl.  I,  S.  492:  285.  —  Franz  A.  von 
Kurländer,  vgl.  II,  S.  592:  514.  —  Marianne  v.  Neumann,  vgl. 
II,  S.  592:  514.  —  Dorothea  v.  Schlegel,  vgl.  II,  S.  524:  311. 
—  Pauline  v.  Schmerling,  vgl.  II,  S.  476:  191.  —  Marie  Gräfin 
Zay,  vgl.  II,  S.  42if.:  36. 

2)  Vgl.  Register  II  (Pichler)  unter  „Briefe". 

LVIII 


1814)  nicht  einverstanden  war  und  diesen  als  eine  Art 
von  Beleidigung  für  den  Leser  auffaßte  (I,  S.  170),  ist 
selbstverständlich.  Siewollte  janichtsanderes,,alsVv^ahr- 
heit  und  nichts  als  Wahrheit"  (II,  S.  143)  schreiben, 
ein  Zweck,  der  zwar  auch  Goethe  vorschwebte,  den  er 
aber  auf  anderem  Wege  als  die  Pichler,  die  nur  nackte 
Tatsachen  bot,  zu  erreichen  suchte.  Goethehandelte  es 
sich  bei  der  Wahrheit  nur  um  das  sogenannte  ,, Grund- 
wahre",  das  in  seinem  Leben  etwas  zu  bedeuten  hatte, 
das  ihm  Richtung  und  Entwicklung  gab,  und  um  dieses 
gehörig  hervortreten  zu  lassen,  scheute  er  nicht  davor 
zurück,  Personen  und  Vorgänge  bewußt  zu  erfinden^). 
Anders  ist  es  bei  der  Pichler.  Sie  wollte  nicht  nur  das 
Grundwahre,  ihre  dichterische  und  sonstige  Entwick- 
lung festhalten,  sondern  das  Wahre  mit  allem  Neben- 
und  Beiwerk,  also  auch  die  Mutter  und  Hausfrau  zur 
Darstellung  bringen  und  Ereignisse  der  Umwelt  be- 
richten. Sie  konnte  daher  nicht  Goethes  Beispiel 
folgen. 

Mit  ihrer  Polemik  gegen  diesen  meinte  sie  es  ehrlich, 
sie  wollte  nicht  etwa  wie  Ignaz  F.  Castelli  unter  dem 
Schutze  der  beteuerten  Wahrheit  Lügen  in  Hülle  und 
Fülle  auftischen^),  sondern  sie  gab  wirklich  dieser  die 
Ehre.  Selbst  so  unangenehme  Ereignisse,  wie  den  in 
ihr  Privatleben  tief  eingreifenden  Konkurs  ihres  Mannes, 
der  ihr  gewiß  viele  tränenreiche  Nächte  gebracht  hatte, 
verschwieg  sie  nicht,  wenn  sie  dieses  Ereignis  auch 
nur  verschleiert  andeutete  (II,  S.  172  mit  Anm.  293). 
Wahrheit   gegen    sich   selbst   und   gegen   andere,    das 


)  Karl  Alt,   Studien  zur  Entstehungsgeschichte   von   Goethes 
Dichtung  und  Wahrheit.  München  1898,  S.  80 ff. 

^)  Vgl-  Josef  Bindtner  in  seiner  Neuausgabe  von  Castellis  Me- 
moiren, I.  (München   1914),  Einleitung,  S.  Vf. 

LIX 


war  der  Grundzug  ihres  Wesens,  daher  sie  auch 
Bettinas  autobiographischen  Briefroman  „Goethes 
Briefwechsel  mit  einem  Kinde"  (BerHn  1835),  ^^^  ^^ 
den  Traditionen  von  Goethes  „Dichtung  und  Wahr- 
heit" steht,  in  einem  Aufsatze  ablehnte  (II,  S.  603). 

Die  genaue  Nachprüfung  aller  Angaben  der  Pichler 
lieferte  den  Beweis,  daß  ihre  Wahrheitsbeteuerungen 
echt  sind  und  auch  in  den  „Denkwürdigkeiten"  ihre 
Wahrheitsliebe  die  Probe  bestand.  Was  sie  niederschrieb, 
das  konnte  die  ernste  Kritik  im  großen  und  ganzen  nur 
bestätigen,  wie  es  die  dieser  Ausgabe  beigegebenen  Er- 
läuterungen auf  Schritt  und  Tritt  zeigen.  Daß  aber  bei 
einer  solchen  Arbeit,  wie  es  die  ,, Denkwürdigkeiten" 
sind,  die  einen  Zeitraum  von  68  Jahren  umfassen,  die 
vor-  und  rückwärts  schauen  und  auch  die  Nebendinge 
streifen,  Fehler  unterlaufen  müssen,  das  wird  nicht  ver- 
wundern. Kleinigkeiten  wurden  unrichtig  eingereiht, 
falsche  Gedankenverbindungen  unterliefen,  aber,  das  sei 
gleich  vorweg  betont,  dies  alles  betrifft  nur  Nebendinge, 
nicht  Ereignisse,  die  in  Pichlers  Leben  etwa  eine  Haupt- 
rolle spielten. 

Wenn  man  in  Goethes  „Wahrheit  und  Dichtung" 
eine  Reihe  chronologischer  Fehler  findet,  welche  die  Ent- 
stehungszeit seiner  Werke  betreffen  (Werthers  Leiden, 
Götz,  Mahomet  u.  a.)^)  und  auf  Gedächtnistäuschung 
beruhen,  so  können  wir  dem  in  Pichlers  „Denkwürdig- 
keiten" nur  einen  Fall  zur  Seite  stellen.  Es  ist  die  Rück- 
versetzung ihrer  Novelle  „Der  schwarze  Fritz"  ins  Jahr 
i8i6(II,  S.  88), wobei  es  aberimmerhinmöglich  wäre,  daß 
K.  Pichler  hier  bewußt  eine  Verschiebung  vornahm,  um 
Grillparzers  Einfluß  zu  verdecken  ( II,  S.  465:  166). 

^)  Vgl.  Heinrich  Düntzer,  Goethe- Jahrbuch  I  (Frankfurt  a.  M. 
1880),  S.  i4off.;  K.  Alt,  a.  a.  O.,  S.  jgf. 

LX 


Eine  Reihe  von  Verstößen  können  Karoline  Pichler 
überhaupt  nicht  zur  Last  gelegt  werden.  Vor  allem  ge- 
hören hieher  einige  Unrichtigkeiten  i)  im  Leben  ihrer 
Ahnen  väter-  und  mütterlicherseits,  ihres  Vaters,  ihrer 
Mutter  und  ihres  Bruders  Frank  Xaver,  die  sie  im  guten 
Glauben  an  die  Zuverlässigkeit! der  Berichte  ihrer  Mut- 
ter, archivalische  Studien  konnte  und  wollte  sie  ja  nicht 
betreiben,  niedergeschrieben  hat.  Letzterer  verdanken 
auch  einige  falsche  Angaben  über  die  Kaiserin  Maria 
Theresia  (I,  S.  444:  38f,),  über  Mesmer  (I,  S.  448: 
64)  und  über  die  Erzherzogin  Isabella  (I,  S.  478:  238 f.) 
ihre  Entstehung,  ebenso  ist  einiges  Zweifelhafte  aus  dem 
Leben  der  Kaiserin  Maria  Theresia  (I,  S.442:  26:  27; 
456:  iio)  und  des  Kaisers  Josef  IL  (I,  S.  477:  228,478: 
235)  auf  die  Erzählungen  der  Mutter  zurückzuführen. 
Eine  Reihe  anderer  Fehler  erklärt  sich  daraus,  daß  Ka- 
roline Pichler  eben  das,  was  man  zu  ihrer  Zeit  allgemein 
glaubte,  ohne  weitere  Prüfung  niederschrieb;  erst  einer 
späteren  Zeit  war  es  vorbehalten,  die  Unrichtigkeit  die- 
ser Dinge,  die  sich  öfter  auf  Klatsch  gründeten,  nachzu- 
weisen. Dies  gilt  von  der  Teilnahme  des  Kronprinzen 
Josef  am  Preß  burger  Reichstag  (1741;  I,  S.442:  25), 
vom  Zusammentreffen  zwischen  Kaiser  Josef  IL  und 
Kaiserin  Katharina  von  Rußland  (I,  S.  471:  198)  und 
fünf  weiteren  Stellen  2), 

Alle  übrigen  Irrtümer  rühren  von  Karoline  Pichler 
selbst  her.  Von  vornherein  wird  man  als  uneigent- 
liche Fehler,  da  sie  für  den  Gang  der  Erzählung  voll- 
ständig gleichgültig  sind,  die  falsch  wiedergegebenen 


^)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  437:  3,  439:  7,  440:  10:  12:  14,  442: 
28, 456:  105.  "  ■  ■  •         • 

2)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  509:  318,  583:  528,  609 f.:  600.  — 
II,  S.  416:  17,  487:  227. 

LXI 


Zitate  (obenS.LVII)  ausschalten.  Diesen  schließen  sich, 
als  in  dieselbe  Gruppe  gehörig,  einige  nicht  nachweis- 
bare Stellen,  deren  Urheber  sie  aber  anführte,  an^).  Nur 
scheinbare  Fehler  liegen  vor,  wenn  Pichler  Personen,  die 
sie  kennen  lernte,  Titel  beilegte,  die  diesen  später  wirk- 
Hch  zukamen  2).  Nicht  sonderhch  schwer  wird  man  auch 
drei  unrichtig  wiedergegebene  Namen,  die  sie  verhörte 
und  durch  ähnlich  klingende  ersetzte  3),  die  dreimalige 
Verwechslung  von  Buchverfassern ^)  und  die  unrichtige 
Ansetzung  eines  Gesetzes  5)  beurteilen,  während  man 
zwei  weitere  Stellen^)  schon  deshalb  nicht  in  Anrech- 
nung bringen  wird,  weil  KaroHne  Pichler  in  anderen 
ihrer  Werke  die  betreffenden  Daten  vollständig  richtig 
wiedergab,  also  nur  Flüchtigkeitsfehler  vorhegen. 

Wenn  sie  aber  hie  und  da  Dinge  aus  dem  Leben  per- 
sönlich Bekannter  anführt,  die  nicht  zutreffen,  so  ge- 
hören diese  einer  Zeit  an,  wo  sie  nicht  mit  ihnen  bei- 
sammen, daher  auf  Gehörtes  angewiesen  war,  das  leicht 
im  Gedächtnis  verschwimmen  und  Falsches  ergeben 
konnte').  Freilich  hätte  sie  hier  ebenso  wde  bei  Ereig- 

^)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  485:  262.  —  II,  S.  463:  162,  468: 
173,  573:  453,  597:  532- 

2)  Denkwürdigkeiten,  II,  S.  490:  241  (Töpke),  552:  394 
(Minarelli). 

3)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  473:  210  (Riepbe  für  Ripke).  — 
II.  S.  434:  85,  vgl.  noch  S.  623:  85  (Hohenlohe  für  HohenzoUern), 
470:   179  (Gossen  statt  Koß). 

*)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  458:   120  (Mirabeau  statt  Holbach), 

647:  727.  —  II,  S.  497:  258  (Apel  statt  Kind). 

5)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  522:  370. 

6)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  508:  315.  —  IL   S.  596:  526. 

'')  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  522:  368  (Hunczovsky),  552:  435 
(Schneller);  569:  502a  (Werner);  580:  519  (Stael);  670:  285a 
(Tod  der  Gräfin  Kuef stein,  der  Lissl  und  Eberls).  —  II,  S.  429: 
62  (Gräfin  Natalie  Rothkirch);  434:  87  (Major  Kronenthal); 
483:  218  (Tod  des  Peter  V.  Piquot);  559:  416  (Schlegels  Vorles- 
ungen 1827);  572:  448  (Antoniewicz). 

LXII 


nissen,  an  denen  sie  nicht  selbst  Anteil  hatte,  sondern 
die  ihr  nur  berichtet  wurden  ^)  oder  von  denen  sie  las, 
gedruckte  Hilfsmittel  heranziehen  können;  sie  unter- 
ließ es  sicherlich  nur  deshalb,  weil  sie  von  deren  Richtig- 
keit vollständig  überzeugt  war,  obwohl  nur  Gedächtnis- 
täuschungen vorlagen.  Eine  merkwürdige  Irrung  bietet 
der  Bericht  über  ein  Gedicht  von  Collin  (I,  S.  584: 
534),  dessen  Unrichtigkeit  sie  schon  aus  dem  Inhalt 
des  Gedichtes  selbst  hätte  ersehen  können.  Auf 
schlechten  Geschichtskenntnissen  beruhen  die  Angaben 
über  den  Hofdichter  Apostolo  Zeno  (I,  S.  441:  19)  und 
den  letzten  Hohenberger  (II,  S.  458:  144).  Dies  alles 
sind  jedoch  leichte  Fehler,  da  die  Ereignisse,  welche  sie 
betreffen,  nicht  im  geringsten  in  Pichlers  Leben  ein- 
griffen. Schwerer  wiegt  es,  wenn  sie  den  General  Zoph 
bereits  1797,  wo  sie  gar  nicht  in  Wien  war,  die  Verteidi- 
gung Wiens  führen  läßt  (I,  S.  519:  356),  wenn  sie  die 
Gerambsche  Freischar  ins  Jahr  1800  verlegt  und  ein 
Gerambsches  Werk  zu  spät  ansetzt  (I,  S.  533:  393,535: 
397),  Varnhagen  von  Ense  1809  später  als  in  Wirklich- 
keit getroffen  haben  will  (I,  S.  612:  609),  Körners 
Toni  mit  dessen  Hedwig  verwechselt  (I,  S.  624:  656), 
für  Goethe  Mozarthandschriften  gesammelt  haben  will 
(I,  S.  628),  das  Kriegsriianifest  bereits  am  17.  August 
181 3  in  Wien  veröffentlichen  läßt  (I,  S.  642:  713  a), 
im  Bericht  über  die  Erstaufführung  ihres  „Heinrich  von 
Hohenstauffen"    den  Prolog  unrichtig   einrückt    (II, 

^)  Denkwürdigkeiten  I,  S.  519:  357  (Wiener  Aufgebot  1797); 
562:  468  (Kaisers  Rückkehr  1806);  603  (Barchettis  Tod);  604:  580 
(Parlamentär  Lagrange);  605:  584  (Einmarsch  der  Franzosen  in 
Wien  1809);  613:  613  (Kaisers  Rückkehr  1809);  618:  642  (Tetten- 
borns  Ritt);  633:  679  (Überschwemmung  in  Lilienfeld).  —  II, 
S.  465:  166  (Graseis  Gefangennahme);  524:  314  (Hochzeit  der 
Gräfin  Esterhazy). 

LXIII 


S.414'  4)5  die  letzte  Begegnung  mit  der  Artner  ins  Jahr 
1823  (statt  1827)  verlegt  (II,  S.  423:  37),  zwei  Reisen 
nach  Buchen  in  eine  zusammenfaßt  (II,  S.  465:  i66a), 
einen  Brief  Grillparzers  aus  Venedig  statt  aus  Rom  er- 
halten haben  will  (II,  S.  487:  232),  über  das  Jahr  der 
Bekanntschaft  mit  Cramayel  nicht  im  klaren  ist  (II, 
S.  545:  375)  und  den  Geburtstag  ihrer  Enkelin  Marie 
um  einen  Tag  zu  spät  angibt  (II,  S.  568:  444).  Bei 
näherem  Zusehen  zeigt  es  sich  aber,  daß  diese  Versehen 
ebenfalls  nicht  hoch  zu  bewerten  sind,  da  sie,  viel- 
leicht nur  die  Geburt  der  Enkelin  ausgenommen,  auf 
das  Leben  der  Pichler  keinerlei  tieferen  Einfluß  hatten, 
weder  ihre  geistige  noch  dichterische  Persönlichkeit  ver- 
änderten, also  nur  unbedeutende  Punkte  ihrer  langen 
Lebensbahn  darstellen.  Bleibt  nur  noch  eine  Angabe. 
Zweimal  (I,  S.  578:  515;  II,  S.  540:  365)  hebt  sie  ganz 
besonders  hervor,  daß  sie  nie  eine  Kritik  schrieb;  dies 
hätte  sie  nicht  sagen  sollen,  da  sie  doch  eine  solche  und 
zwar  über  Grillparzers  Sappho  verfaßte,  die  aber  unge- 
zeichnet erschien  und  daher  von  ihr  mit  obigen  Worten 
verleugnet  werden  konnte. 

Pichler  hat  demnach  in  ihren  „Denkwürdigkeiten" 
der  Wahrheit  gehuldigt,  hat  nichts  erfunden  und  hinzu- 
gedichtet und  nur  in  Kleinigkeiten  Fehler  gezeigt,  die 
aber  der  Menge  des  Gebotenen  gegenüber  nichts  be- 
deuten und  nur  die  Unzulänglichkeit  des  Gedächtnisses 
und  alles  Menschenwerkes  beweisen.  Sie  steht  mit  ihrer 
Wahrheitsliebe,  wenn  wir  ihre  bedeutenderen  Vorgän- 
gerinnen in  Deutschland  auf  dem  Gebiete  der  Memoi- 
renliteratur in  Betracht  ziehen,  im  schroffen  Gegensatz 
zur  Markgräfin  Friederike  Sophie  Wilhelmine 
von  Bayreuth,  deren  Erinnerungen  nicht  glaubwür- 
dig sind,  keinen  Wert  als  geschichtliche  Quelle  haben, 

LXIV 


vom  Tratsch  und  der  Erfindung  leben  und  eine  sehr 
böse  Sprache  sprechen  i).  Würdig  reiht  sich  aber  die 
Pichler  an  die  zeitlich  erste  Schriftstellerin  auf  diesem 
Gebiete,  an  Frau  Helene  Kot  tanner  an,  die  ihre  wahr- 
heitsgetreuen Erinnerungen  an  die  Jahre  1439  und  1440, 
die  durch  die  Art  der  Auffassung  und  Darstellung  eine 
ungewöhnUche  PersönHchkeit  verraten,  ebenfalls  in  deut- 
scher Sprache  niederschrieb  2).  Aber  auch  an  eine  zweite 
bedeutende  deutsche  Frau,  an  die  Herzogin,  spätere 
Kurfürstin  Sophie  von  Hannover  erinnert  man  sich, 
die,  um  sich  von  tiefem  Herzeleid  zu  befreien,  an  der 
Wende  von  1680  auf  1681  ihre  Erinnerungen,  dem  Zuge 
der  Zeit  gemäß  aber  in  französischer  Sprache,  nieder- 
schrieb.  Auch  diese   Frau,   deren  Darstellung  Leben 
zeigt,  die  sprudelnden  Witz  mit  scharfer  Beobachtungs- 
gabe in  sich  vereint,  ist  nirgends  geflissenthch,  obwohl 
sie  zu  den  Sachen  und  Personen  stets  eine  persönHche 
Stellung  einnimmt,  von  der  Wahrheit  abgewichen  3). 
Eines  aber  unterscheidet  sie  von  der  Pichler,  ihre  böse 
Zunge,  die  uns  in  manchem  an  die  österreichische  Grä- 
fin Lulu  Thürheim,  die  bedeutendste  Nachfolgerin  der 
Pichler  als  Memoirenschreiberin,  erinnert.  Herzogin  S  o  - 
phie  vernichtet  damit  ihre  Gegn-er,  schont  ihre  eigenen 
Freunde  nicht  und  läßt  auch  ihrer  Mutter  gegenüber 
die  schuldige  Ehrerbietung  vermissen*). 

Der  Gegensatz  zur  Herzogin  Sophie  ist  KaroHne 
Pichler.  Nicht  nur,  daß  sie'ihrer  Mutter  in  den  „Denk- 

1)  Franz  Xaver  v.  Wegele,  Vorträge  und  Abhandlungen.  Leipzig 
1898,  S.  zogf. 

2)  St.    L.   Endlicher,   Aus   den   Denkwürdigkeiten   der   Helene 
Kottannerin.  Leipzig  1846,  S.  6. 

3)  Adolf   Köcher,   Memoiren    der   Herzogin    Sophie   nachmals 
Kurfürstin  von  Hannover.  Leipzig  1879,  S.  4,  6. 

*)  Adolf    Köcher,    Memoiren    S.   11  f.,  24. 


V    C.  P.  I 


LXV 


Würdigkeiten",  ähnlich  wie  der  eitle  Abt  Guibert 
vonNogent  (f  1124)  seiner  Mutter  in  den  seinen^), 
ein  literarisches  Ehrendenkmal  setzte  und  ihrer  stets 
mit  Ehrerbietung  gedachte,  so  war  sie  auch  eijfie  wohl- 
wollende Natur,  die  überall  nur  das  Gute  hervorhob 
und  das  Schlechte  mit  Absicht  übersah.  Da  sie  selbst 
stets  das  Beste  wollte,  so  übte  sie  auch  anderen  Personen 
gegenüber  im  Leben  und  in  ihren  Erinnerungen 
Nachsicht^).  Im  Verkehr  selbst  konnte  freilich  auch 
sie  manchmal  boshaft  sein,  mit  spitzem  Zünglein  Tratsch 
und  Klatsch  verbreiten^)  und  über  jene,  die  sich  ge- 
sellschaftlich oder  sonst  gegen  sie  ungezogen  benahmen, 
Gericht  halten*);  aber  sobald  sie  etwas  für  die  Öffent- 
lichkeit bestimmte,  trat  ihr  stark  ausgeprägtes  Verant- 
wortlichkeitsgefühl in  Tätigkeit,  und  ihre  natürliche 
Gutmütigkeit,  die  sie  als  echte  Wienerin  nicht  ab- 
streifen konnte,  verbot  ihr,  verletzende  Bemerkungen 
niederzuschreiben.  Es  mag  sein,  daß  ihre  „Denk- 
würdigkeiten" dadurch  manchen  Reiz  einbüßten,  daß 
deren  Natürlichkeit  darunter  litt,  aber  Karoline 
Pichlers  Charakter  hat  dabei  sicherlich  nur  gewonnen. 
Und  so  müssen  wir  neben  der  Wahrheitsliebe  als  zweite 
charakteristische  Eigenschaft  der  „Denkwürdigkeiten" 
die  Zartheit  und  freundliche  Rücksichtnahme,  mit  der 
verschiedene  persönliche  Verhältnisse  von  Bekannten 
behandelt  sind,  gebührend  hervorheben.  Karoline  Pich- 

1)  Vgl.  Friedrich  v.  Bezold,  Über  die  Anfänge  der  Selbstbio- 
graphie und  ihre  Entwicklungim  Mittelalter.  Erlangen  1893,  S.  15. 

2)  Denkwürdigkeiten,  I,  S.  32 f.,  189,  220.  Vgl.  unten  S.  LXXIX 
(Amalie  v.  Groß). 

3)  Vgl.  ihre  Ausstreuungen  über  Zedlitz:  Denkwürdigkeiten, 
II,  S.  488:  232. 

*)  Vgl.  ihre  Äußerungen  über  Menzel  zu  Laube:  Denkwürdig- 
keiten, II,  S.  566:  437;  dagegen  halte  man  die  zurückhaltenden 
Bemerkungen:  II,  S.  262. 

LXVI 


1er  hat  dabei  aber  nicht  etwa  der  Wahrheit  einen  Zwang 
angelegt,  sondern  läßt  ihr  auch  hier  vollständig  ihr 
Recht  werden.  Wenn  sie  aus  zarter  Schonung  manchmal 
die  Namen  von  behandelten  Persönlichkeiten  ausließ,  so 
gab  sie  doch  immerhin  irgendein  charakteristisches 
Merkmal  an,  so  daß  es  nicht  allzu  schwer  wird,  des  Rät- 
sels Lösung  zu  finden.  Es  sei  hier  nur  an  den  Geliebten 
ihrer  Mutter,  den  Hofkonzipisten  Ignaz  v.  Sauttermei- 
ster,  an  den  Grafen  H.  (Haugwitz),  der  zu  ihr  eine  Nei- 
gung hatte,  an  das  Verhältnis  Eberls  mit  einer  Gräfin 
(Kuef  stein),  an  die  Werbung  Hammer-Purgstalls  um  ihre 
Tochter  u.  a.  erinnert^).  Rücksichten  ließ  sie  aber  nur 
gegen  andere,  nicht  gegen  sich  selbst  walten,  denn  ihre 
eii;ene  Entwicklung,  ihre  Empfindungen  und  Gefühle, 
ihre  Liebesverhältnisse  u.  a.  legte  sie  mit  rücksichtsloser 
Offenheit  klar.  Hier  gab  es  für  sie  keine  Geheimniskrä- 
merei und  keine  Vertuschung,  wodurch  sie  sich  vorteil- 
haft von  ihrer  dichtenden  Genossin,  mit  der  sie  ja  auch 
im  persönlichen  Verkehre  stand,  von  Helmina  v.Chezy 
unterscheidet,  die  in  ihren  Denkwürdigkeiten,  „Unver- 
gessenes""betitelt,  nur  allzuhäufig  ihre  Lebensgeschicke 
verschleierte^).  Karoline  Pichler  hatte  aber  auch  die  Öf- 
fentlichkeit nicht  zu  scheuen,  sie  handelte  stets  recht- 
Hch  und  ihre  Vorfahren  hatten  als  Beamte  und  Offiziere 
ein  blankes  Ehrenschild  sich  erworben  und  erhalten.  Für 
sie  bestand  daher  nicht  jene  Nötigung,  die  z.B.  Fried- 
rich Anton  von  Schönholz  zwang,  sich  und  seine  Fa- 
milie in  ein  vermeintlich  undurchdringliches  Dunkel, 
das  aber  der  gewissenhaften  Forschung  von  G.  Gugitz 

^)  Vgl.  die  betreffenden  Stellen  im  „Namensverzeichnis"  der 
„Denkwürdigkeiten"  unter.  Sauttermeister,  Graf  Haugwitz,  Gräfin 
Kuefstein  und  Hammer-Purgstall  (II,  S.  82  f.). 

2)  Vgl.  L.  Geiger,  Grillparzer- Jahrbuch  XVII,  S.  288  und: 
Aus  Chamissos  Frühzeit.  Berlin  1905,  S.  2ioff. 

V*  Lxvn 


nicht  standhalten  konnte,  zu  hüllen  und,  um  diesen 
Zweck  zu  erreichen,  die  Fehler  und  Torheiten  anderer 
um  so  lebhafter  herauszuarbeiten^). 

Und  doch,  trotz  aller  Rücksichtnahme  erregten  Karo- 
line Pichlers  „Denkwürdigkeiten"  im  Kreise  einer  hoch- 
adeligen FamilieAnstoß,  hatte  sie  es  doch  gewagt,  über  das 
Liebesverhältnis  zwischen  dem  Grafen  Ignaz  Chorinsky 
und  ihrerjugendfreundin  Sophie  v.Mertens  in  wahrheits- 
getreuer, dabei  aber  doch  zarter  Weise  zu  berichten  (I, 
S.  175,  I77f.,  i87f.).  Pichlers  feinfühlige  Schilderung 
springt  sofort  in  die  Augen,  wenn  man  ihr  die  Worte  des 
Freiherrn  v.  Kübeck,  an  deren  Wahrheit  ebenfalls  nicht  zu 
zweifeln  ist,  entgegenhält  (I,  S.5o8f.  :3I7).  Diese  Familie 
beschwerte  sich  und  da  die  ganze  Beschwerde  für  unser 
vormärzliches  Österreich  mit  seiner  Adelswirtschaft  und 
seinem  offiziellen  geistigen  Tiefstand  zu  kennzeichnend 
ist,  so  folge  sie  mit  allen  daraus  entspringenden  Recht- 
fertigungen und  Schreibereien  hier  im  Wortlaute^): 

Wien,  am  22.  April  1844. 

Hochgeborener  Graf! 
In  dem  jüngst  hier  in  der  Pichlerischen  Verlagshand- 
lung erschienenem  Werke,  betitelt  „Denkwürdigkeiten 
aus  meinem  Leben  von  Caroline  Pichler"  habe  ich  mei- 
nen im  J.  1823  als  Staatsminister  verstorbenen  Schwie- 
gervater, Grafen  Chorinsky,  und  meine  bereits  auch  aus 
dem  Leben  geschiedene  Schwiegermutter  in  der  darin 
eingeflochtenen  Erzählung  jener  Familienverhältnisse, 
welche  ihrer  ehelichen  Verbindung  vorangingen,  auf 

^)  Vgl.  Gustav  Gugitz  in  seiner  Einleitung  zu  F.  A.  v.  Schön- 
holz, Traditionen  zur  Charakteristik  Österreichs  I,  (München 
1914),  S.  XVIf. 

2)  Archiv  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innern  in  Wien,  Polizei- 
akten 3793  ex  1844. 

LXVIII 


eine  Art  genannt  gefunden,  die  ihre  noch  lebenden  Kin- 
der^), so  wie  ihre  noch  einzig  am  Leben  befindliche 
Schwester^)  um  so  schmerzlicher  berühren  mußte,  als 
die  Darstellung  selbst  eine,  jene  Verhältnisse  in  das  Klare 
setzende  Berichtigung  bedarf,  die  nun  für  diese  Ausgabe 
nicht  mehr  erfolgen  kann. 

Muß  ich  mich  auch  bescheiden,  daß  Euere  Exzellenz 
dermal  das  Versehen  des  Zensors  nicht  mehr  gut  zu 
machen  vermögen,  so  glaube  ich  doch  nichts  desto  we- 
niger Ihre  Aufmerksamkeit  und  Ihren  wohlwollenden 
Einfluß  zu  dem  Ende  in  Anspruch  nehmen  zu  dürfen, 
damit  für  den  Fall,  als  noch  ähnliche  Veröffentlichun- 
gen in  der  Absicht  lägen,  Hochdieselben  sich  veranlaßt^ 
finden  möchten,  jenen  Rücksichten  der  Schicklichkeit 
für  einen  geachteten  Namen  Eingang  und  Geltung  zu 
verschaffen,  welche  dem  Unternehmen  der  oben  er- 
wähnten Ausgabe  fremd  gewesen  zu  sein  scheinen. 

Ich  habe  die  Ehre  mit  besonderer  Hochachtung  und 

Verehrung  zu  verharren       ^  t-       n 

Euerer  Exzellenz 

ergebenster  Diener 

Friedr.  G.  Wilczek^). 


^)  1844  lebten  von  ihren  Kindern  noch:  Karl  Franz  Graf 
Chorinsky  (1800 — 1853),  1844  Hofsekretär  bei  der  allgemeinen 
Hofkammer;  Franziska  Gräfin  Chorinsky,  verehelichte  Gräfin 
Wilczek  (vgl.  -Anm.  3);  Ignaz  Gustav  Graf  Chorinsky  (1806 
bis  1873),  1844  Regierungsrat  und  Kreishauptmann  in  Salzburg, 
und  Marie  Henriette  Leopoldine  Gräfin  CJiorinsky,  verehelichte 
Freiin  von  Pillersdorf  (1807  bis  November  1844).  Vgl.  Genealo- 
gisches Taschenbuch  der  deutschen  gräflichen  Häuser,  XVH, 
(Gotha  1844),  S.  117. 

^)  Klementine  Marie  von  Mertens  (1783 — 1865),  die  seit  1813 
mit  Johann  Nepomuk  Freiherrn  von  Aichen  (1783 — 1858),  Hofrate 
des  Obersten  Gerichtshofes,  vermählt  war  (Genealogisches  Taschen- 
buch der  adeligen  Häuser  Österreichs  H,  [Wien  1907],  S.  263:  12). 

^)  Friedrich  Graf  v.  Wilczek,  Frei-  und  Bannerherr  von  Hultschin 
und  Gutenland  (1790 — 1861),  Geheimer  Rat  und  1844 ^Präsident 

LXIX  ^        ^ 


Auf  diese  Eingabe  hin,  erließ  der  Präsident  der  Ober- 
sten Zensurhofstelle  Graf  Sedlnitzky  am  23.  April 
1844  ^^^  Dekret  an  den  Vorsteher  des  k.  k.  Bücherrevi- 
sionsamtes, den  n.-ö. Regierungssekretär  Heinrich  H  ö  1  z  1, 
worin  er  ihm  zunächst  den  Fall  berichtete  und  beifügte : 
„Auf  eine  ähnliche  unzarte  Weise  ist  in  jener  Druck- 
schrift das  Verhältnis  der  Familie  des  verstorbenen  k.  k. 
FML.  Grafen  von  Rothkirch  zu  jener  der  Verfasserin 
besprochen  worden^)."  Er  verlangte  betreffs  beider  Fak- 
ten eine  Rechtfertigung  von  selten  des  Zensors,  sovi^ie 
ein  Gutachten  Hölzls,  „was  zur  Klaglosstellung  der  Be- 
schwerdeführer bei  der  etwa  stattfindenden  Wiederauf- 
lage der  gedachten  Schrift  zu  verfügen  sein  dürfte". 
Außerdem  trug  er  auf,  daß  bereits  jetzt  das  Erforderliche 
vorgesehen  werde,  „damit  jene  Wiederauflage  zuverlässig 
nicht  ohne  hierortiger  vorläufiger  Bewilligung  erfolge". 

Da  bis  zum  19.  Juni  1844  die  Rechtfertigung  nicht 
einlangte,  so  verlangte  sie  Sedin itzky  an  diesem  Tage 
von  Hölzl  neuerdings,  worauf  am  21.  Juni  1844  das  vom 
8.  Juni  stammende  Gutachten  Hölzls  samt  Deinhard- 
steins  Rechtfertigung  einlangte-).  Deinhardstein 
führte  folgendes  aus: 

„In  Folge  des  mir  zugekommenen  hohen  Auftrages 
mich  über  den  Grund  der  Zulassung  einiger  Stellen  zu 


des  General-Rechnungs-Direktoriums,  war  seit  18 18  mit  Franziska 
Gräfin  Chorinsky  (1798 — 1863)  vermählt  (Gothaisches  Genealo- 
gisches Taschenbuch  der  gräflichen  Häuser  XVII,  [Gotha  1844]. 
S.  640;  LXXXV,  [Gotha  1912],  S.  1048). 

^)  Gemeint  ist  jedenfalls  die  Stelle,  worin  K.  Pichler  von  ihrem 
späteren  Verhältnis  zu  den  Rothkirchs  spricht  (Denkwürdigkeiten, 
II,  S.  162  f.),  und  in  deren  Harmlosigkeit  wohl  nur  der  allseitig 
bekannte  Unverstand  des  Grafen  Sedlnitzky  eine  Ungehörigkeit 
erblicken  konnte. 

2)  Archiv  des  Ministeriums  des  Innern,  Polizeiakten  6063  ad 
3793  ex  1844. 

LXX 


äußern,  welche,  in  den  Pichlerischen  Memoiren  vorkom- 
mend, die  hochgräflichen  Familien  Chorinsky  und  Roth- 
kirch betreffen,  habe  ich  mich  pflichtschuldig  desselben 
nachstehend  zu  entledigen. 

„Ich  habe,  wie  sich  aus  dem  Censur-Zettel  erzeigen 
wird,  bei  Begutachtung  der  mir  zur  Censur  zugeteilten, 
obgedachten,  vom  k.  k.  Skriptor  der  Hofbibliothek  und 
pro.  Censor  Wolf  zum  Drucke  besorgten  Memoiren  der 
Frau  Caroline  Pichler  mit  gewohnter  sorglicher  Genau- 
igkeit alles  entfernt,  was  mir  darin  anstößig  schien  und 
die  Gründe  davon  angegeben.  Jene  Weglassungen  und 
Veränderungen  sind  meinem  Censur-Protokolle  gemäß 
zahlreich. 

„Bei  der  großen  Masse  meiner  Censur-  und  sonstigen 
Geschäfte  ist  es  mir  nicht  mehr  erinnerlich,  was  in  den 
Pichlerischen  Memoiren  über  die  vorgedachten  gräf- 
lichen Familien  vorkam ;  doch  bin  ich  mir  bewußt, nichts 
darüber  stehen  gelassen  zu  haben,  was  ich  nach  den  be- 
stehenden Censurgesetzen  hätte  entfernen  sollen  oder 
dürfen,  ohne  das  Interesse  des  ohnedieß  ziemlich  matten 
Werkes  ganz  zu  vernichten. 

„Irgend  einen  versteckten  Angriff,  der  mir  im  Lesen 
entgangen  sein  sollte,  kann  ich  um  so  weniger  voraus- 
setzen als  ich  oft  Gelegenheit  hatte,  aus  dem  Munde 
der  mir  befreundet  gewesenen  Schriftstellerin  Äußerun- 
gen anerkennender  Verehrung  über  die  gedachten  gräf- 
lichen Familien  zu  vernehmen. 

Wien,  am  31.  Mai  1844. 

Deinhardstein." 

Hölzl  meinte,  wenn  diese  Erklärung  nicht  genüge,  so 
stelle  er  das  „Ersuchen  um  hochgefällige  Bekanntgabe 
der  für  jene  Familien  verletzenden  Passagen  der  gedach- 

LXXI 


ten  Memoiren,  um  sodann  den  Censor  zu  einer  speciellen 
und  detaillierten  Rechtfertigung  über  die  Zulassung  der- 
selben auffordern  zu  können".  Weiters  teilte  Hölzl  mit, 
daß  die  Verlagsbuchhandlung  den  Auftrag  erhielt,  bei 
einer  eventuellen  Neuauflage  das  Werk  nochmals  zen- 
surieren zu  lassen,  was  übrigens  nach  den  bestehenden 
Vorschriften  sowieso  sein  müßte,  damit  die  Anstoß  er- 
regenden Stellen  getilgt  werden  können. 

Darauf  erging  unterm  30.  Juni  1844 von  Sedlnitzky 
an  Hölzl  die  Weisung,  daß  er  die  Eingabe  zur  Kenntnis 
nehme,  obwohl  die  Entschuldigung  Deinhardsteins  kei- 
neswegs genügend  sei.  Gleichzeitig  forderte  er  Hölzl  auf, 
dafür  Sorge  zu  tragen,  daß  bei  einer  etwaigen  Neuauf- 
lage die  beanständeten  Stellen  „sicher  und  unfehlbar" 
weggelassen  werden  und  fuhr  fort:  „Zugleich  finde  ich 
mich  durch  den  gegenwärtigen  Anlaß  zu  der  Bestim- 
mung bewogen,  daß  in  Manuskripten  alle  Stellen,  wel- 
che einzelne  darin  namhaft  gemachte  Familien  betref- 
fen, wenn  diese  Stellen  nicht  ohnehin  so  geartet  sind, 
daß  sie  wegen  ihrer  Anstößigkeit  in  Censurbeziehung 
schon  an  und  für  sich  gestrichen  werden  müssen,  jeder- 
zeit anher  zu  exhibieren  sind."  Damit  war  dieser  für  die 
österreichische  Zensur  charakteristische  Fall  erledigt. 
Aus  einer  Kleinigkeit,  die  im  übrigen  vollständig  richtig 
dargestellt  war,  wurde  eine  Staatsaffäre  gemacht.  We- 
gen eines  echten  Aristokraten,  der  an  seiner  Braut  ehr- 
lich und  anständig  gehandelt  hatte,  wurde  so  viel  Papier 
verschrieben  und  so  viel  Geist  in  Bewegung  gesetzt,weil' 
sein  Schwiegersohn  nichtwollte,  daß  eine  ehrliche  Hand- 
lung der  Öffentlichkeit  bekannt  werde.  Es  ist  nur  schade, 
daß  man  den  himmlichen  Behörden  von  selten  Sedl- 
nitzkys  nicht  die  Weisung  erteilte,  die  gutmütige 
Fichler  zur  Abbitte  zu  verhalten. 

Lxxn 


Ein  hervorstechendes  Kennzeichen  der  „Denkwür- 
digkeiten", das  schon  der  Merkwürdigkeit  halber  nicht 
übergangen  werden  soll,  ist,  daß  die  Pichler  der  Mu- 
siker, mit  denen  sie  vielfach  verkehrte,  wie  Beethoven, 
Haydn,  Mozart,  Schubert  u.  a.,  nur  ganz  kurz  gedenkt, 
worüber  sich  bereits  A.  W.  Thayer  aufhielt i).  Diese 
Nichtbeachtung  der  Tondichter  hängt  damit  zusammen, 
daß  die  musikahsche  Begabung  von  der  Pichler  nur 
als  etwas  Einseitiges  betrachtet  und  daher  die  Musiker 
von  ihr  nicht  als  gleichwertige  Gesellschaftsmenschen 
angesehen  wurden  (I,  S.  282,  293 f.). 

KaroHne  Pichlers  „Denkwürdigkeiten"  sind,  wie  ja 
schon  früher  (oben  S.  XL!  f.)  auseinandergesetzt  wurde, 
ein  Alters  werk.  Man  wollte  an  ihnen  etwas  „Großmutter- 
haftes" finden^)  und  vergaß  dabei  ganz  und  gar,  daß  alle 
älteren  Leute  bei  ihren  Erzählungen  gern  etwas  breiter 
werden,  Reflexionen,  aus  ihrer  reichen  Lebenserfahrung 
heraus,  einstreuen,  zu  lehrhaften  Auseinandersetzungen 
neigen  und  hie  und  da,  das  Gedächtnis  läßt  sie  ja  viel- 
fach im  Stiche,  Wiederholungen  nicht  vermeiden  kön- 
nen^).  Was  wir  von  dieser  Art  bei  der  Pichler  finden,  das 
fällt  uns  ja  auch  in  Goethes  „Dichtung  und  Wahrheit", 
ebenfalls  einem  Alterswerk,  auf*).  Dafür  entschädigt  uns 
aber  hier  wie  dort  die  klare,  ruhige  Sprache  und  die  ab- 
geklärte Form.  Wenn  man  Goethes  Doppeltitel  seiner 
Selbstbiographie  dahin  auslegen  wollte^),  daß  dieDich- 


1)  Ludwig    van     Beethovens    Leben.      2   n.    (Leipzig    1910), 
S.   131.  •  ' 

2)  Nagl-Zeidler,  a.  a.  O.,  S.  735. 

3)  Wiederholungen     enthalten     die     „Den Würdigkeiten"     nur 
wenige,  vgL  II,  S.  540:  364.3;  587:  501  (Lenau  und  Tieck). 

*)  K.  Alt,  a.  a.  O.,  S.  86. 

5)  Karl  Kochendörffer,  Preußische  Jahrbücher  LXVL  (BerHn 
1890),  S.  542. 

LXXIII 


tung  auf  die  Form,  die  Wahrheit  auf  den  Inhalt  hin- 
ziele, daß  also  das  Dichterische  in  ihr  in  der  Darstellung, 
dem  harmonischen  Aufbau  und  der  feinen  Gliederung 
der  Erzählung  liege,  so  könnte  man  auch  Pichlers  „Denk- 
würdigkeiten" mit  dem  Ausdrucke  „Dichtung"  belegen. 
Denn  nicht  nur  die  Begebenheiten  ihres  Lebens,  son- 
dern auch  die  zahlreichen  weltgeschichtlichen  Ereignisse 
ihrer  Zeit,  deren  Zeuge  sie  vielfach  war,  hat  sie  mit 
ihrem  klaren  und  ordnenden  Geist,  nachdem  sie  die  not- 
wendige Fernstellung  durch  Zeit  und  Raum  gewonnen 
hatte  (II,  S.  119),  in  fesselnder  Form  zur  Darstellung 
gebracht,  manch  heiteren,  belebenden  Zug  eingefloch- 
ten und  dies  alles  in  klarer,  ruhiger  und  wohlgesetzter 
Sprache  vorgetragen. 

Daß  ihre  „Denkwürdigkeiten"  in  mehr  als  einem  Zug 
die  Frau  verraten,  daß  die  Frauenart  und  das  Mütter- 
liche der  Frau  vielfach  zum  Durchbruche  gelangen,wird 
man  ihr,  wie  auch  Amalie  v.  Groß  schon  1844  richtig 
hervorhob  (unten  S.LXXVIII),  nicht  ernstlich  verübeln 
können.  Denn  wenn  es  dem  Manne  geziemt,  von  Waffen- 
taten und  großen  Ereignissen,  die  sich  außer  dem  Kreise 
der  engsten  Familie  zutrugen,  zu  erzählen,  dann  wird 
man  von  der  Frau  verlangen  müssen,  daß  sie  in  Ergän- 
zung dazu  von  jenem  engen  Kreise,  aus  dem  der  Mann 
hinausgewachsen  ist,  in  dem  sich  aber  nicht  nur  ihr 
Glück,  sondern  vielfach  auch  seines  abspielt,  ebenfalls 
berichte.  Hätte  Pichler  dies  nicht  getan,  dann  würden 
wir  eben  die  Frau  an  ihr  vermissen,  würden  sie  als  Schrift- 
stellerin gewiß  ebenso  hochschätzen  wie  sonst,  aber  be- 
dauern, daß  sie  um  des  bißchen  Ruhmes  wegen  ihr  Haus- 
frauen- und  Mutterglück  preisgab.  Daß  Karoline  Pich- 
ler in  ihren  „Denkwürdigkeiten"  auch  in  dieser  Hinsicht 
wahr  blieb  und  sich  ganz  und  gar  als  Frau  gab,  ist  ihr 

LXXIV 


hoch  anzurechnen  und  sollte  sie  vor  jeder  Verunglimp- 
fung, die  sie  deswegen  schon  öfter  erfuhr,  schützen. 
Frauenart  ist  nun  einmal,  den  Kindern  ein  Maß  über- 
schwenglicher Liebe  gepaart  mit  großer  Entsagung  ent- 
gegenzubringen, die  dem  Manne  vielfach  fremd  ist,  und 
da  Karoline  Pichler  über  ihr  Geschlecht  nicht  hinaus- 
konnte, übrigens  auch  nicht  wollte  i),  so  müssen  wir  uns 
damit  abfinden,  daß  sie  im  vierten  Buche  ihrer  „Denk- 
würdigkeiten" ein  wenig  viel  von  ihrer  Tochter  und  den 
Ereignissen,  die  sich  in  deren  Familienkreis  zutrugen, 
berichtet.  Dieses  Buch  ist  überhaupt  das  schwächste, 
denn  es  ist  den  ersten  drei  Büchern  gegenüber  ereignis- 
arm.  Pichlers  Sonne  hatte  sich  gegen  Abend  geneigt, 
Österreich  war  nach  den  Befreiungskriegen,  wo  das  Volk 
in  heller  Begeisterung  seine  ganze  Kraft  eingesetzt  hatte, 
infolge  der  Karlsbader  Beschlüsse  in  schmähliche  Polizei- 
fesseln geschlagen,  die  gesellschaftlichen  Verhältnisse 
hatten  sich,  eben  unter  dem  Polizeidruck  gründlich  ge- 
ändert, das  gegenseitige  Vertrauen  war  vielfach  ge- 
schwunden und  jeder  zog  sich  scheu  vor  der  Öffentlich- 
keit zurück.  Was  hätte  da  eine  alte  Frau  über  diese  Zeit 
sagen  sollen  ?  Günstiges  hätte  sie  über  das  Österreich  der 
zwanziger  und  dreißiger  Jahre -nicht  viel  berichten  kön- 
nen. Das  wollte  sie  aber  auch  nicht,  denn  ihr  Patriotis- 
mus und  die  Überlieferungen  einer  alten  Beamtenfami- 
lie, die  sie  hochhielt,  verboten  es  ihr,  über  Österreichs 
Verhältnisse  mißbilligende  Betrachtungen  anzustellen 
und  so  zog  sie  es  eben  vor,  über  das  Harmlosere,  das 
Familiäre,  Rechenschaft  zu  geben. 


^)  Schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert  finden  wir  in  den  Selbst- 
biographien (Visionen)  der  deutschen  Mystikerinnen  das  starke 
Hervortreten  der  mütterHcheu  Gefühle  in  deren  Christkindkult; 
vgl.  Bezold,  a.  a.  O.,  S.  17. 

LXXV 


Die  Anordnung  der  „Denkwürdigkeiten"  ist  eine  chro- 
nologische. Schrittweise  können  wir  Pichlers  Leben 
gleichzeitig  mit  den  Ereignissen,  die  in  ihrer  Umwelt 
vorgehen,  verfolgen.  Alles  entwickelt  sich  folgerichtig. 
Abschweifungen  oder  Einstreuungen,  wie  etwa  die  Ab- 
handlung über  das  Gebet  (II,  S.  343  ff.),  treten  selten 
auf  und  der  chronologische  Gang  der  Handlung  erleidet 
hauptsächlich  nur  an  zwei  Stellen,  wo  sie  über  Grill- 
parzer  (II,  S.  ii4ff.)  und  Bauernfeld  (II,  S.  301  ff.)  in 
einem  Zuge  berichtet,  Unterbrechungen.  Karoline 
Pichler  hat  eben  auch  hier  im  Formellen  die  Dichterin 
nicht  verleugnen  können  und  die  Meisterschaft  der  Dar- 
stellung ähnlich  wie  Goethe  bekundet,  ein  Vorzug,  der 
besonders  dann  ins  Auge  fällt,  wenn  man  z.B.Castellis 
Art  dagegen  hält.  Aber  auch  gegen  ihre  bedeutendste 
Nachfahrin,  die  Gräfin  Lulu  Thürheim  befindet  sich 
Karoline  Pichler  durch  ihre  Art  der  Darstellung  in  Vor- 
teil, denn  sie  bietet  ein  abgerundeteis  Ganze,  das  auch 
künstlerisch  als  solches  wirkt,  während  dieThürheim, 
die  Verarbeitetes  mit  Tagebuchblättern  bunt  durchein- 
andermengt, durch  diese  Darstellungsweise  etwas  Zer- 
rissenes und  Zerfahrenes  an  sich  hat,  das  den  künstleri- 
schen Genuß  stört,  wenn  auch  die  Unmittelbarkeit  und 
das  Persönliche  dadurch  oft  besser  zum  Ausdruck  ge- 
langen. 

Im  März  oder  anfangs  April  1844  waren,  wie  aus  der 
Beschwerde  des  Grafen  Friedrich  Wilczek  hervorgeht 
(oben  S.  LXVIII),  die  „Denkwürdigkeiten  aus  meinem 
Leben"  der  Karoline  Pichler,  gebornen  von  Greiner,  in 
vier  Bänden  bei  ihrer  Schwägerin  Elisabeth  Pichler 
erschienen^).  Sie  machten  zwar  einiges  Aufsehen  in  der 
Wiener  Gesellschaft,  doch  groß  scheint  ihre  Wirkung 

1)  4  Bände,  8",  (IV),  243;  (IV)  257;  (IV)  179  und  (IV)  254  Seiten. 

LXXVI 


nicht  gewesen  zu  sein,  sonst  hätte  sich  die  Kritik  mit 
ihnen  wohl  mehr  befaßt.  Außer  einer  ganz  kurzen  An- 
zeige von  L.  A.  FrankU) ,  der  zur  Illustrierung  des  Ge- 
sagten   auch   den  Abschnitt  über  die  Kaiserin  Maria 
Theresia  mit  einigen  Auslassungen  abdruckte  2),  erschien 
in  Wien  nur  noch  eine  Kritik,  mit  S.  gezeichnet 3),  die 
der  Feder  des  Schriftstellers  Andreas  Schumacher, 
der  bereits  öfters  Pichlersche  Schriften  besprochen  hat- 
te*), entstammen  dürfte.  Er  nennt  darin  die  „Denkwür- 
digkeiten" ein  „Vermächtnis,  durch  welches  ein  edler 
Geist  sein  Angedenken  in  dem  Herzen  derer  zu  befesti- 
gen beabsichtigt,  denen  er  lieb  war  im  Dasein",  ahnt 
also  deren  kulturgeschichtlichen  und  sonstigen  Wert  für 
die  Nachwelt  nicht.  Er  erkennt  in  ihnen  überall  mit 
Recht  „die  denkende  Frau,  die  gemäßigte  Beobachterin, 
die  loyale  Untertanin,  die  treue  Menschenfreundin,  die 
fromme  Christin"  und  findet,  daß  „wo  allenfalls  die 
Kühnheit  der  Anschauung,  das  Pikante  der  Darstellung 
vermißt  werden,  dürfte  gerade  dies  der  Entschlafenen 
zur  Ehre  anzurechnen  sein,  da  sie  ja  eine  Frau  war,  kein 
cynischer  Sansculott  oder  Zerrissener  der  Neuzeit". 

Wenn  diese  beiden  in  Österreich  erschienenen  und 
von  Österreichern  verfaßten  Anzeigen  ein  tieferes  Ein- 
gehen in  KaroHne  Pichlers  Absichten  vermissen  lassen, 
ihr  Wesen,  wie  es  sich  gerade  in  den  „Denkwürdigkei- 
ten" offenbarte,  nicht  erkannten,  beziehungsweise  nicht 
zeichnen  wollten  und  die  Bedeutung  dieser  Erinnerun- 
gen für  die  Nachwelt,  obwohl  sichFrankl  deren  völlig 
bewußt  war  (oben  S.  XXVIII),  nicht  hervorhoben,  so  war 

1)  Frankls  Sonntags-Blätter  III,  (Wien  1844),  S.  304. 

2)  Vgl.  Denkwürdigkeiten,  II,  S.  581:  478. 

3)  Wiener  Zeltschrift  für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode. 
Wien  1844,  S.  1039^ 

*)  Vgl.  das  Namensverzeichnis  unter  „Schumacher". 

LXXVII' 


es  einer  Frau  überlassen,  dies  mit  feinem  Gefühle  zu  tun. 
Die  Schriftstellerin  Amalie  Freiin  von  Groß  (1802  bis 
1879)  ^^  Weimar,  welche  drei  Sammlungen  interessan- 
ter „Frauenbilder"  (1840 — 1842)  geschrieben  hat,  war 
es,  die  in  ihrer  AnzeigiC  der  „Denkwürdigkeiten"^),  die 
sie  ein  „würdiges  Monument"  nennt  ^),  eine  feine  Cha- 
rakteristik mit  folgenden  Worten^)  lieferte:  „Auch  für 
solche,  welche  nicht  zu  den  Lesern  der  Pichlerschen 
Werke  gehören,  sind  die  , Denkwürdigkeiten'  interessant 
als  die  wahre  Geschichte  eines  edeln  weiblichen  Wesens, 
welches  als  Tochter,  Gattin,  Mutter  und  Schriftstelle- 
rin stets  achtungswert  dasteht,  Geist  und  Gemüt  gleich- 
mäßig entwickelnd  im  Streben  nach  dem  Höhern,  nach 
dem  Wahren.  Mit  der  klaren,  ruhigen  Weltanschauung 
eines  scharfen  Verstandes,  mit  der  Lebensauffassung  ei- 
nes warmen  Herzens,  mit  dem  durch  eine  tiefe  Religiosi- 
tät geleiteten  und  beschatteten  Denken  tritt  Karoline 
Pichler  uns  aus  ihrer  Zeit  entgegen,  als  ein  Kind  der- 
selben, dem  das  Verständnis  der  folgenden  Zeiten  nicht 
abgeht.  Vielleicht  wird  sie  zuweilen  zu  breit  über  die 
Begebnisse  ihres  Familien-  und  Herzenslebens,  vielleicht 
könnte  man  ihr  den  Vorwurf  machen,  daß  die  zahlrei- 
chen Niederkünfte  der  Tochter,  die  Details  über  Gatten, 
Geschwister,  Freunde,  die  Begebenheiten  des  Hauses 
zu  viel  Raum  in  dem  vorliegenden  Werke  einnehmen. 
Was  die  Frau  mit  dem  Herzen  erfaßt,  liegt  ihr  näher  als 
die  Interessen  des  Geistes  und  eben  dieses  Plaudern  über 
das  Familienleben  bekundet  uns  Karoline  Pichler  als 


^)  Blätter  für  literarische  Unterhaltung.  1844,  II,  (Leipzig  1844), 
S.  1150 — 1152,  ii55f.,  unterzeichnet  mit  der  Chiffre  12,  die,  nach 
freundlicher  Mitteilung  des  Verlages  von  F.  A.  Brockhaus  in  Leip- 
zig,  1844  der  Schriftstellerin  Amalie  v.  Groß  in  Weimar  zukam. 

2)  Blätter  fi^r  Hterarische  Unterhaltung.  1844,  S.  1156. 

3)  Blätter  für  literarische  Unterhaltung.   1844,  S.  1151. 

LXXVHI 


echtes  weibliches  Wesen,  während  ihre  Werke  sie  uns  als 
geistreiche  Schriftstellerin  kennen  lehrten  .  .  .  Wer  nun 
nicht  als  Psycholog  die  vorliegenden  ,Denkwürdigkei- 
ten'  liest,  wen  das  Leben  und  Entwickeln  der  Schrift- 
stellerin nicht  anzieht,  wird  an  ihrem  Erlebten  ein  reiches 
Interesse  finden."  Besonders  scheint  es  Amalie  Freiin 
von  Groß  hervorhebenswert,  daß  Karoline  Pichler,  die 
mit  so  vielen  geistreichen  Menschen  verkehrte,  in  ihren 
Urteilen  über  diese  nie  indiskret,  sondern  „mild,  aner- 
kennend, eher  bewundernd  als  das  Gegenteil"  ist.  „Ka- 
roline Pichler  hatte  nichts  Verneinendes  weder  in  ihrem 
Wesen  noch  in  ihren  Werken  und  ihre  ,Denkwürdig- 
keiten'  gleichen  einem  schönen  Landsee,  der  Himmel 
und  Erde  zugleich  aufnimmt  und  wiederspiegelt."  Was 
Amalie  Freiin  von  Groß  schon  als  Zeitgenossin,  wenn 
auch  öfter  nur  andeutungsweise  als  hervorstechende  Ei- 
genschaften der  „Denkwürdigkeiten"  erkannte,  nämlich 
die  zarte  Rücksichtnahme  auf  andere  und  das  starke  Her- 
vortreten der  Frau,  das  bestätigen  die  eingeheüden,  wei- 
ter oben  stehenden  Ausführungen. 

Soweit  die  gedruckten  Kritiken.  An  schriftlichen 
Äußerungen  sind  nur  die  des  Zensors  Deinhardstein 
(oben  S.  LXXI)  bekannt,  der  die  „Denkwürdigkeiten" 
ein  mattes  Werk  nannte,  und  die  Hormayrs,  der, 
wohl  ärgerlich  über  die  ihn  betreffenden  Stellen,  am 
24.  Januar  1846  an  L.  A.  Frankl  schrieb^):  „Durch 
den  Druck  so  vieler  Frau  Basereien,  die  keine  Seele 
mehr  interessieren,  hat  der  Geistesschwung  der  lieben 
Pichler  um  so  weniger  gewonnen,  als  ich  hier  (Bremen), 
in  Hamburg,  in  München,  überall,  von  dem  taumelnden 
Pindusgang  der  Tochter  hörte,  ja  sogar  deii  mich  nicht 
wenig  ärgernden  Mißverstand,  schon  die  Mutter  habe 

^)  L.  A.  Frankl,  Erinnerungen.   S.  loi. 

LXXIX 


in  ihren  letzten  Jahren  der  Flasche  weidlich  zuge- 
sprochen? Auch  an  manche  Leichdornen  des  seligen 
Pichler  sollte  nicht  ohne  Not  erinnert  werden". 

Das  war  alles,  was  man  damals  über  die  „Denkwürdig- 
keiten" zu  sagen  hatte.  Dafür  wurden  sie  aber  in  der 
Folge  fleißig  benützt.  Besonders  die  neueren  Darstel- 
lungen, die  sich  mit  der  Zeit  der  Kaiserin  Maria  There- 
sia und  des  Kaisers  Josef  II.  beschäftigten,  zogen  sie  im- 
mer und  immer  wieder  heran,  oft  auch  ohne  sie  als 
Quelle  zu  nennen.  Es  sei  nur  kurz  auf  Adam  Wolf  (I, 
S.  442:  26f.),  Franz  Gräffer^),  Otto  Jahn^),  Johann 
Wendrinsky^)  u.  a.  verwiesen.  Andererseits  muß  man 
aber  wieder  sagen,  daß  sie  viel  zu  wenig  benutzt  wurden, 
es  sei  nur  an  ihre  Mitteilungen  über  Zacharias  Werner 
erinnert,  die  sowohl  Felix  Poppenberg  als  Jonas  Frän- 
kel  entgingen  (I,  S.  566f. :  491 :  495),  und  an  vieles  an- 
dere, das  ungenützt  blieb,  weil  sie  eben  kein  Register 
besaßen.  Erst  in  dieser  Ausgabe  wurde,  gemäß  der  Rich- 
tung, welche  die  „Denkwürdigkeiten  aus  Alt-Österreich" 
einschlagen,  ein  solches  beigegeben  und  wird  damit 
hoffentlich  der  reiche  Inhalt  des  Pichlerschen  Buches 
der  Allgemeinheit  dauernd  erschlossen. 

War  überhaupt  eine  Neuausgabe  dieses  Werkes  nötig  ? 
Die  Beantwortung  dieser  Frage  hängt  innig  mit  der 
Frage  nach  dem  Werte  der  „Denkwürdigkeiten"  für  die 
Gegenwart  zusammen.  Was  bedeuten  uns  diese  heute  ? 
Ganz  abgesehen  davon,  daß  sie  uns  den  Entwicklungs- 
gang einer  in  der  österreichischen  Literaturgeschichte 
des  Vormärzes  nicht  unbedeutenden  Dichterin  schil- 
dern, sind  sie  uns,  wie  schon  L.  A.  Frankl  1843  in  rich- 


^)  Josephinische  Curiosa,  II,  (Wien  1848),  S.  372ff.;  III,  S.i3iff. 

2)  W.  A.  Mozart,  IV,  (Leipzig  1859),  S.  817. 

3)  Kaiser  Josef  II.  Wien   1880,  S.  26f.,  360!. 

LXXX 


tiger  Vorahnung  sagte  i),  ein  „glänzender  Beitrag"  zur 
Sitten-  und  Literaturgeschichte  Österreichs.  Sie  sind 
uns   für  viele  Personen  und  Ereignisse  der  Zeit  von 
1769—1843  eine  hochwichtige,  oft  einzige  Quelle,  um 
so  wertvoller,  als  sie  lautere  Wahrheit  bieten.  Ihr  Stil 
und  ihr  Inhalt  stempeln  sie  geradez^  zum  klassischen 
Werk  der  österreichischen  Denkwürdigkeitenliteratur. 
Daher  auch  Franz  Xaver  Wegele,  der  eine  sehr  lesens- 
werte Arbeit  über  die  wichtigsten  deutschen  Memoiren- 
werke schrieb  2),  sie  behandelte,  meinend,  daß  er  sie  nicht 
mit  Stillschweigen  übergehen  könne,  da  sie  über  das  litera- 
rische und  soziale  Treiben  der  Stadt  Wien  zu  ihrer  Zeit 
vieles  bieten,  „was  wir  uns  gern  gefallen  lassen  können"  ^). 
Ebenso  widmete  ihnen  auch  Schult  e  in  seiner  Artikel- 
reihe „Denkwürdigkeiten  zur  deutschen  Geschichte" 
einen  eigenen  Abschnitt*).   Für  Wien  haben  Pichlers 
Erinnerungen   unstreitig  den  größten  Wert  und  die 
größte  Bedeutung,  sie  sind  ein  Quellenwerk  zu  nen- 
nen^),  das  jeder  Österreicher  lesen  sollte«).  Weder  vor 
ihr  noch  nach  ihr  wurde  das  Wiener  gesellige  Leben  und 
Treiben  so  frisch  und  farbenprächtig  geschildert,  denn 
was  der  Wiener  Arzt  und  Humanist  Johann  Tichtel 
für  die  Jahre  1477 — 1495  in  lateinischer  Sprache  bot, 
zeigt  nicht  nur  primitive  Form,  sondern  höchst  beschei- 

1)  Sonntags-Blätter,  II,  (Wien  1843),  S.  679. 

2)  Die  deutsche  Memoirenliteratur.  Deutsche  Rundschau.  Hg. 
von  Jul.  Rodenberg.  XL,  (Berlin  1884),  S.  jzii.  =  Wegele,  Vor- 
träge und  Abhandlungen.  Leipzig  1898,  S.  I92ff. 

s)  Rundschau,  XL,  S.  94  =  Vorträge,  S.  216. 

*)  Sonntagsbeilage  der  Vossischen  Zeitung  In  Berlin,  1888, 
Nr.  38«.,  besonders  Nr.  41  (H.  H.  Houben,  Die  Sonntagsbeilage 
der  Vossischen  Zeitung.  Berlin  1904,  Sp.  46off.,  bes.  462). 

5)  Marie  Bihain  (Irma  Warmuth-Jancsö),  Österreichisches  Jahr- 
buch XXX,  (Wien  1906),  S.  146. 

8)  R.  Holzer,  Wiener-Zeitung.  1901,  Nr.  205. 


VI    c.  P.  I 


LXXXI 


denen  Inhalt^),  was  Ign.  F.  Castelli  in  geschwätziger 
Plauderhaftigkeit  vortrug,  trägt  nicht  immer  den  Stem- 
pel der  Wahrheit  und  am  allerwenigsten  den  der  Künst- 
lerschaft an  sich,  und  was  L.  A.  Frankl  in  seinen  feuil- 
letonistischen  Plaudereien  vorlegte,  beruht  zwar  viel- 
fach auf  Quellenstudien,  läßt  aber  ebenfalls  oft  die  nö- 
tige Kritik  vermissen  und  setzt  eigentlich  zu  einer  Zeit 
ein,  wo  der  Glanzpunkt  der  Wiener  Geselligkeit  längst 
vorüber,  wo  der  Salon  abgetan  und  das  literarische  Kaf- 
feehaus seine  Blütezeit  erlebte. 

Karoline  Pichlers  „Denkwürdigkeiten"  haben  uns 
heute  viel  mehr  zu  sagen  als  ihren  Zeitgenossen.  Eine 
erfahrene,  lebenskluge  und  geistig  nicht  unbedeutende 
Frau  spricht  aus  ihnen,  die  auf  ihrer  langen  Lebensbahn 
mit  aufmerksamem  Blick  und  scharfem  Auge  sich  und 
die  Umgebung  scharf  musterte  und  in  klaren  Bildern 
das,  was  sie  sah,  wiederzugeben  und  vor  unser  geistiges 
Auge  hinzuzaubern  verstand.  Die  „Denkwürdigkeiten" 
sind  das  einzige  Werk,  das  von  den  vielen  Schriften  der 
einst  vielgefeierten  und  vielgepriesenen  Schriftstellerin 
nicht  der  Vergessenheit  anheimgefallen  ist  und  auch 
nicht  konnte,  da  sein  Inhalt  in  seiner  lauteren  Wahrheit 
und  frischen  Klarheit  unabhängig  von  jeder  Zeitrich- 
tung und  jedem  Zeitgeschmack  ist  und  heute  noch  so 
unmittelbar  wirkt  wie  zur  Zeit  seines  Entstehens.  Je 
mehr  die  Zeit  über  die  Dichterin  dahinschritt,  desto 
mehr  haben  die  „Denkwürdigkeiten"  als  Zeugen  einer 
vergangenen  Zeit,  deren  Mitlebende  vom  Schauplatze 
des  Lebens  verschwanden,  an  Wert  gewonnen.  Doch 
immer  seltener  wird  das  Buch  und  immer  schwerer  wird 
es  für  die  späteren  Geschlechter  all  die  Hindeutungen 

\)  Th.  G.  V.  Karrajan  In:  Fontes  rerum  austriacarum,    I.  Abt. 
I.  (Wien    1855),  S.  i  ff. 

LXXXII 


und  Anspielungen  zu  verstehen,  so  daß  es  gewiß,  eine 
Notwendigkeit  war,  dieses  für  uns  bedeutungsvolle  Werk 
einer  Neuausgabe  zuzuführen.  Daß  diese  kein  bloßer 
Wiederabdruck  oder  eine  Auswahl  sein  konnte,  wie  ihn 
Joh.  Eckardt^)  und  Max  MelP)  1912  versuchten, 
ist  klar,  da  wir  bei  einem  historischen  Werk,  und 
ein  solches  sind  doch  die  „Denkwürdigkeiten"  der  Pich- 
1er,  verlangen  müssen,  daß  der  Herausgeber  es  nach 
allen  Richtungen  klarstelle').  Was  die  Zeitgenossen, 
eben  weil  sie  Mitlebende  waren,  ohne  Erklärung  ver- 
standen, das  muß  für  jdie  Nachlebenden  erläutert 
werden.  Auch  hätte  die  Wahrheitsliebe  der  Pichler 
ohne  genaue  Nachprüfung  aller  Ereignisse  nicht  festge- 
stellt werden  können  und  außerdem  galt  es,  da  die 
„Denkwürdigkeiten"  ja  die  wichtigste  und  erste  Quelle 
für  Pichlers  Leben  und  Dichten  sind,  durch  die  Erläu- 
terungen die  Grundlage  für  die  Einzelforschung  zu  lie- 
fern. Wenn  heute  vielfach  der  Ruf  ertönt,  man  möge 
des  Dichters  Wort  ohne  entstellenden  Kommentar  selbst 
sprechen  lassen,  so  mag  die  Richtigkeit  dieser  Anschau- 
ung für  ein  dichterisches  Werk  bedingt  zugegeben  wer- 
den, falls  sie  nicht  der  Deckmantel  für  Faulheit  und  be- 
quemen Honorarerwerb  ist,  aber  bei  einem  Werk,  das 

^)  Bücherei  des  österreichischen  Volksschriftenvereins,  Bd.  6. 
Brixen  1912.  (Es  liegt  nur  der  erste  Teil  mit  128  Seiten  vor.) 

2)  Österreichische  Zeiten  und  Charaktere.  Ausgewählte  Bruch- 
stücke aus  österreichischen  Selbstbiographien.  Wien  (1912),  S. 
XV  f.  und   169«. 

^)  Es  ist  dem  Herausgeber  gelungen,  bis  auf  einen  verschwindend 
kleinen  Teil  alles  klarzulegen.  Trotz  Mithilfe  des  französischen 
Kriegsarchivs  in  Paris  konnte  aber  über  die  französischen  Offiziere 
Derüe,  Guy,  Mercier  und  Trembly  nichts  gefunden  werden,  da 
die  Angaben  der  Pichler  über  sie  zu  unbestimmt  sind.  Ebenso  war 
es  unmöglich,  Näheres  über  die  Frauen  v.  Bräunersdorf,  van  Nuys, 
Freiin  v.  Ott  und  Westenholz,  sowie  über  Prof.  Kapp  zu  erlangen. 
Nicht  aufklärbar  war  auch  II,  S.  458:  143, 

VI*  Lxxxni 


nur  der  Form  nach  Dichtung  sein  könnte,  sonst  aber 
ein  geschichtHches  ist,  fordert  es  schon  die  Rücksicht 
auf  den  heutigen  Leser,  mit  den  Erläuterungen  nicht  zu 
kargen.  Die  Furcht  vor  diesen  ist  eine  unbegründete, 
denn  Anmerkungen  und  Zitate  sind  eine  Notwendig- 
keit für  den  Leser,  wie  bereits  M.  B er nay sin  schlagen- 
der Weise  nachwies^),  und  höchstens  unbequem  für  den 
Herausgeber,  von  dem  man  aber  verlangen  kann,  daß  er 
seinen  Stoff  gehörig  verarbeite.  Mögen  Karoline  Pichlers 
„Denkwürdigkeiten"  in  ihrer  neuen  Form  oeim  großen 
Lesekreis  eine  freundliche  Aufnahme  finden  und  dem 
Gelehrten  nützlich  werden,  auf  welch  beide  die  erklä- 
renden Anmerkungen  Rücksicht  nehmen. 


Es  erübrigt  nunmehr  dem  Herausgeber  nur  mehr  die 
angenehme  Pflicht,  allen  jenen  öffentlichen  Anstalten 
und  Personen,  welche  diese  Ausgabe  durch  ihre  Unter- 
stützung ermöglichten,  seinen  ergebensten  Dank  aus- 
zusprechen. Vor  allem  gebührt  dieser  dem  Stadtrat 
der  k.  k.  Reichshaupt- und  Residenzstadt  Wien, 
welcher  über  Vorschlag  seines  Referenten,  des  Herrn 
Stadtrates  Hans  Arnold  Schwer  aus  den  Beständen 
der  Stadtbibliothek  die  erste  Niederschrift  der  Pichler- 
schen  „Denkwürdigkeiten"  sowie  den  umfangreichen 
Briefwechsel  der  Pichler  in  entgegenkommendster  Weise 
zur  Verfügung  stellte,  auch  die  Wiedergabe  einer  Reihe 
bisher  unveröffentlichter,  in  den  Städtischen  Samm- 
lungen aufbewahrter  Bildnisse  gestattete.  Ebenso  ge- 
bührt mein  Dank,  sei  es  für  freundliche  Auskünfte, 
sei  es  für  die  Überlassung  von  Bildern,  sei  es  für  Be- 


^)  Zur  neueren  und  neuesten  Litteraturgeschichte,  II,   (Berlin 
1899),  S.  253  ff.,  besonders  S.  322 ff. 

LXXXIV 


reitstellung  von  Aktenmaterial,  Protokollen  und  Hand- 
schriften, den  Vorständen,  beziehungsweise  Beamten 
der  Stadtbibliothek  und  Städtischen  Sammlungen,  des 
Stadtarchivs  und  des  Totenbeschreibamtes  der  Stadt 
Wien,  der  k.  k.  Familien  -  Fidei  -  Kommißbibliothek, 
des  k.  u.  k.  Kriegs- Archivs,  der  k.  k.  Universitätsbiblio- 
thek, des  Archivs  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  und 
des  Archivs  des  Landesgerichtes  in  Zivilsachen  in  Wien, 
des  kgl.  Preußischen  Geheimen  Staatsarchivs,  der  Ge- 
heimen Kriegskanzlei  im  •  Kriegsministerium  und  der 
kgl.  Bibliothek  in  Berlin,  der  Szechenyischen  Bibliothek 
des  Ungarischen  National-Museums  in  Budapest,  des 
kgl.  Sächsischen  Hauptstaatsarchivs  in  Dresden,  des 
Freien  Deutschen  Hochstifts  in  Frankfurt  am  Main, 
des  Großherzoglich  Badischen  General-Landes-Archivs 
in  Karlsruhe,  des  Museums  in  Kaschau  (Ungarn)  und 
des  k.  k.  Blinden-Instituts  in  Linz,  des  „Bureau  des  Ar- 
chives  Administratives  au  Ministere  de  la  Guerre"  in 
Paris,  sowie  den  Kanzleileitungen  des  Franz  Josef-Or- 
dens, des  österr.  kais.  Leopold-Ordens  und  des  h.  a. 
Sternkreuz-Ordens  in  Wien  und  dem  Sekretariate  der 
k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste  in  Wien.  Wie  stets 
bei  meinen  Arbeiten  wurde  ich  auch  diesmal  von  Seite 
der  hochwürdigen  Geistlichkeit  durch  bereitwilligst  er- 
teilte Auskünfte,  beziehungsweise  durch  Bereitstellung 
der  Matriken  gefördert;  ich  habe  zunächst  dem  fürst- 
erzbischöflichen  Konsistorium  in  Wien,  weiters  den 
hochwürdigen  Herren  Stiftspfarrer  P. Berthold  Bayer, 
O.  S.  B.,  in  Wien  (Schotten),  Jentsch  in  Weißtropp 
(Sachsen),  Feldsuperior  E.  Kemeny  in  Temesvar,  Pfar- 
rer und  geistlichen  Rat  Roman  Kohlhofer,  O.  S.  B., 
in  Wien  VH  (St.  Ulrich),  Hofburgpfarrvikar  Prof.  Dr. 
Josef  Lehn  er  in  Wien,  Stadtpfarrer  Dr.  K.  Maierhof 

LXXXV 


in  Graz,  P.  Guardian  Burchard  Paar,  O.  F.  M.,  in 
Wien,  Provinzial  und  Pfarrer  P.  Joh.  Nep.  Pix  in  Wien 
(Alservorstadt),  fürstbischöflichen  Konsistorialarchivar 
Matth.  Schaffler  in  Graz,  Ehrendomherr,  Kur-  und 
Chormeister  Josef  Roll  er  (11914)  inWien  (St.  Stephan), 
geistlichen  Rat  und  Pfarrer  Johann  St  ob  er  in  Wien- 
Hernals  (gest.  1913),  Stadtpfarrer  Alois  Stradner  in 
Leoben  (Steiermark)  und  dem  erzbischöflichen  Vikar 
und  Pfarrer  Josef  Svoboda  in  Prag- Kleinseite  zu  dan- 
ken. Ergebensten  Dank  für  Auskünfte,  Bilder,  Bücher- 
darleihung  und  andere  Förderung  schulde  ich  den  Da- 
men Frau  Sektionsrat  Emilie  Khayl  (Baden  bei  Wien), 
Fräulein  stud.  phil.  Angela  Neu  mann  (Wien-Buda- 
pest) und  Frau  Anna  Talkner  (Wien),  besonders  aber 
Frau  Irma  Warmuth-Jancso  (Wien),  die  mir  in  be- 
reitwilligster Weise  ihre  interessanten  Pichlergegen- 
stände zugänglich  machte  und  mich  auf  einige  Bilder  im 
Privatbesitz  hinwies;  weiters  den  Firmen  F.  A.  Brock- 
haus  (Leipzig)  und  J.  G.  Cottasche  Buchhand- 
lung Nachfolger  (Stuttgart),  sowie  den  Herren  Dr.  Ri- 
chird  A  b  e  1  e  s  (Wien),  Schriftsteller  Dr.  Josef  B  i  n  d t  n  er 
(Wien),  Stadtbibliothekar  H.  Brunner  (Winterthur), 
Dr.  Albert  Figdor  (Wien),  Universitätsarchivar  und 
Sektionsrat  Dr.ArthurGoldmann  (Wien),  Schriftstel- 
ler Gustav  Gugitz  (Wien),  Hofrat  Dr.  Eugen  Guglia 
(Wien),  Dr.  August  Hey  mann  (Wien),  Professor  Ad. 
M.  Hildebrandt  (Berlin),  Stadtarchivar  F.  Imbery 
(St.Pölten  inN.-Ö.),  Zivilstandesbeamten  Jakob  Kirch- 
hofer (Stein  am  Rhein,  Kanton  Schaffhausen),  Dr. 
Adolf  Koczirz  (Wien),  k.  u.  k.  Kustos  Franz  Friedrich 
Kohl  (Wien),  Bibliothekar  Prof.  Dr.  H.  A.  Lier  (Dres- 
den), Oberbibliothekar  Dr.  F.  A.  Mayer  (Wien),  Kam- 
merherr Dr.  Börries  E.  Freiherr  v.  Münchhausen 

LXXXVI 


(Hannover),  Verlagsbuchhändler  Franz  P  i  c  h  1  e  r  (Wien), 
Redakteur  und  Landesexpeditor  Friedrich  Edlen  von 
Pilat  (Wien),  Max  v.  Portheim  (Wien),  Direktor  des 
städtischen  Museums  in  Baden  bei  Wien  Professor  Dr. 
Rainer  v.  Reinöhl,  Kustos  Kaspar  Schwarz  (Inns- 
bruck), Redakteur  Paul  Taus  ig  (Baden  bei  Wien), 
Professor  Dr.  Karl  Weller  (Stuttgart)  und  Josef 
Wünsch  (Wien). 

Wien,  am   lo.  Dezember  1913. 

Dr.  phil.  Emil  Karl  Blümml 


iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiii 

LXXXVII 


ERSTES  BUCH 

1769 — 1798 


IIIIIIIIMIIIIIIMI 


iiiiiKHiiHuiniiiiiuiiiiiiriiii niiintiiiiiniiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiuniiiMniii iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii 


Dem  Ende  einer  langen  Reise  nahe,  deren  letz- 
tes Ziel  undurchdringliche  Wolkenschleier  noch 
vor  dem  Blicke  verbergen,  steht  der  Wanderer  atem- 
holend still,  überdenkt  den  weiten  Raum,  welchen  er 
schon  zurückgelegt,  den  kleinen  Rest,  welcher  noch 
zu  durchlaufen  ist,  erwartet  diesen,  er  mag  nun  länger 
oder  kürzer  sein,  vertrauensvoll  aus  Gottes  Hand,  und 
erlaubt  sich,  die  einzelnen  Punkte  jener  langen  Bahn, 
vom  Anfange  her,  so  getreu  es  sein  Gedächtnis  ge- 
stattet, sich  zurückzurufen.  Manche  Erinnerung  wird 
ihn  beschämen,  einige  werden  ihn  erfreuen,  alle  aber 
sollen  dazu  dienen,  ihn  zum  Danke  gegen  die  Vorsicht, 
die  ihn  mit  väterlicher  Huld  geleitet,  anzuregen,  und 
dann  den  nächsten  Lieben,  welche  er  noch  in  Mitte 
ihrer  Bahn  zurückläßt,  ein  Andenken  an  den  voraus- 
gegangenen Waller  zu  werden. 

Erwarte  ja  niemand  in  diesen  Blättern  merkwürdige 
Vorfälle,  sonderbare  Schicksale,  oder  hervorragende 
Punkte  der  allgemeinen  Geschichte  des  Vaterlandes 
zu  finden,  an  welche  das  Leben  der  einzelnen  sich 
oft  kettet  und,  von  jenen  mächtigen  Fittichen  getragen, 
der  Erinnerung  ferner  Zeiten  zueilt.  Mein  Leben  war 
höchst  einfach,  und  Gellerts  Vers: 

—  er  ward  geboren, 

Er  lebte,  nahm  ein  Weib,  und  starb  ^); 

umschreibt  im  eigentlichsten  Sinne  den  ganzen  Kreis- 
lauf meiner  Schicksale'.  Diese  Armut  an  jedem  hoch- 
wichtigen Ereignisse,  ani  jeder  bedeutenden  äußeren 
Bewegung  ist  mir  nie  lästig  oder  als  eine  Ungunst  des 


Schicksals  vorgekommen,  vielmehr  habe  ich  von  jeher 
mein  wahrstes  Glück  in  der  Stetigkeit  und  Gleich- 
förmigkeit meiner  Verhältnisse  gefunden. 

Darum  auch  können  diese  Blätter  nicht  leicht  durch 
den  Druck  bekannt  gemacht  werden,  denn  erstens 
würde  die  Lesewelt,  welche  Unterhaltung  und  Auf- 
regung sucht,  von  der  Einfachheit  der  Erzählung  er- 
müdet werden,  und  zweitens  ist  es  der  eigentliche 
Zweck  dieser  Schrift,  wahr  zu  sein  und  meinen  näch- 
sten Geliebten  zu  zeigen,  wie  ich  das  geworden,  was 
ich  war,  durch  welche  Einwirkungen,  Umgebungen, 
Belehrungen,  Irrtümer  und  Hindernisse  mein  Geist 
und  Gemüt  die  Richtung  erhalten  haben,  die  ihnen 
jetzt  eigen  ist.  Bei  diesen  Auseinandersetzungen 
müssen  Personen,  Bücher,  Zeitumstände  und  vor  allem 
Zeitgeister  geschildert  und  deutlich  gemacht  werden, 
von  denen  aufrichtig  und  nach  gerechter  Würdigung 
zu  reden,  jetzt  nicht  mehr  erlaubt  ist.  Ein  Büchelchen, 
das  die  Zeiten  Kaiser  Josefs  II.  und  der  Begriffe,  welche 
in  jenem  merkwürdigen  Dezennium  in  Osterreich  gang 
und  gäbe  geworden  sind,  mit  Wahrheit,  wenn  auch 
nicht  mit  durchgängiger  Billigung  erwähnen  und  die 
Wirkung  schildern  will,  die  jene  Zeit  auf  ein  junges, 
lebhaftes  Gemüt  ausübte,  dessen  geistige  Entwicklung 
von  IG  bis  20  Jahren  gerade  in  jene  Periode  fiel,  ein 
solches  Buch  darf  keine  Hoffnung  nähren,  wie  harmlos 
es  übrigens  sein  möge,  jetzt  in  Österreich  gedruckt  zu 
werden.  Auch  ist  mein  Selbstbekenntnis  zunächst  nur 
für  meine  Familie  bestimmt.  Sollten  bis  zu  meinem 
Tode  die  Umstände  im  Vaterlande  sich  ändern  und 
wieder  einige  Gedanken  und  Preßfreiheit  bis  dahin 
in  Österreich  möghch  sein,  so  steht  es  der  Willkür 
meiner  hinterlassenen  Lieben  frei,  welchen  Gebrauch 


sie  von  dieser  Arbeit  machen  wollen,  die  ihnen  gewid- 
met ist^). 

Noch  eine  Absicht  habe  ich  mit  dieser  Wiederholung 
meines  Lebens.  Sie  soll  mir,  und  wenn  sie  andere 
lesen,  auch  diesen  dienen,  den  Gang  zu  beobachten, 
welchen  die  göttliche  Gnade  mit  einem  irrenden  Ge- 
schöpf genommen,  um  es  durch  unmerkliche  und  un- 
zuberechnende  Einwirkungen  und  Erleuchtungen  all- 
mählich von  den  Pfaden  der  Welt  und  des  beginnenden 
Unglaubens  zum  Heil  zurückzuführen.  Je  mehr  ich 
diesen  Fügungen  nachsinne,  je  mehr  erfüllen  sie  mich 
mit-D.ank  gegen  Gott  und  mit  Verwunderung,  wie  ein 
schwacher  Glaubensfunke  sich  inmitten  einer  ganz  irre- 
ligiösen Zeit  und  Umgebung  in  mir  erhalten,  nach 
und  nach  an  geringen  und  scheinbar  zufälligen  Ereig- 
nissen verstärken,  entzünden,  und  allmählich  zü^inem 
wohltätigen  Lichte  erweitern  konnte,  welches  nicht 
allein  mein  Inneres  jetzt  beglückend  erleuchtet,  son- 
dern mit  Gottes  Hilfe  auch  den  Rest  meines  Lebens- 
weges erhellen  und  mir  das  dunkle  Tal  des  Todes 
minder  furchtbar  machen  soll. 


Wenn  je  eine  Art  von  Ahnenstolz  nicht  bloß  erlaubt, 
sondern  geziemend  ist,  so  ist  es  der  auf  die  Tugenden, 
die  Rechtlichkeit  und  nützlichen  Leistungen  seiner  Vor- 
eltern und  Eltern,  und  in  dieser  Hinsicht  wird  man  es 
mir  zugute  halten,  wenn  ich  am  Eingange  meines  eigenen 
Lebenslaufes  etwas  weitläufiger  von  meinen  Eltern 
spreche.  Da  es  ohnehin  die  Bestimmung  dieser  Blät- 
ter hauptsächlich  ist,  zu  zeigen,  wie  ich  durch  Um- 
gebung, Umstände  und  eigene  Anlagen  die  Bildung  er- 
halten, die  jetzt  meinePersönlichkeit  ausmacht,  so  stehen 


hier  wie  überall  die  Eltern  billig  obenan;  denn  ihre 
Denk-  und  ^Handlungsweise  hat  ja  den  ersten  und  blei- 
bendsten Einfluß  auf  alles,  was  Kinder  sind  und  werden. 
Meines  Vaters  Eltern  waren  wohlhabende  Personen 
des  Mittelstandes.  Der  Großvater^),  der  ein  kräftiger, 
kluger  Mann  gewesen  sein  muß,  liebte  die  Kunst,  und 
verwendete  den  Überschuß  seiner  Einkünfte  und  seiner 
Muße  (er  war  Beamter  des  Stadtmagistrats)  auf  eine 
Sammlung  von  gar  nicht  unbedeutenden  Gemälden, 
der  er  in  seinem  eigenen  Hause  ein  geziemendes  Lokal 
baute  und  einrichtete,  und  die  ich  noch  wohl  gekannt 
habe.  Einige  der  besten  Stücke  wurden  später  in  die 
k.  k.  Bildergallerie  verkauft,  wo  sie  noch  zu  sehen  sind**). 
Dieser  Großvater  starb  aber- in  der  Blüte  seiner  Jahre, 
als  mein  Vater  ein  halberwachsener  Knabe  war,  und 
die  Witwe ^),  eine  rasche,  tätige  Frau,  erzog  den  Sohn 
nun  allein.  Sie  verstand  Latein,  und  war  überhaupt 
für  jene  Zeit  gebildet  genug,  so  daß  auch  des  Sohnes 
vorzüglicher  Geist  sich  unter  ihrer  Leitung  glücklich 
entfalten  konnte.  Die  Liebhaberei  des  Großvaters  war 
in  gewisser  Hinsicht  auf  seinen  Sohn  übergegangen, 
nur  daß  sie  bei  dem  lebhaften  Gefühle  meines  Vaters 
sich  noch  reger  und  als  ausübende  Kunst  entfaltete; 
denn  er  zeichnete  und  malte  fast  ohne  alle  Anleitung 
sehr  artig.  Zugleich  erwachte  der  Geist  der  Poesie  in 
ihm,  und  die  Musik  ward  seine  Lieblingsunterhaltung. 
So  von  allen  schönen  Künsten  angezogen,  mit  ihren 
damaligen  Leistungen  vertraut,  zeichnete  er  sich  eben- 
falls in  seinen  Studien  aus,  und  gern  hätten  die  Patres 
der  Jesuiten,  unter  denen  er,  wie  damals  alle  jungen 
Leute,  studierte,  und  welche  ihre  Zöglinge  sehr  wohl 
zu  würdigen  verstanden,  ihn  beredet,  in  ihren  Orden 
zu  treten.    Dazu  aber  bezeigte  mein  Vater  keine  Lust, 


das  Leben  lächelte  ihm  zu  freundlich  im  Geleite  der 
Musen,  und  im  Besitz  eines  unabhängigen,  wenn  auch 
nicht  großen  Vermögens.  Er  studierte  die  Rechte, 
und  wurde  bei  der  Böhmischen  Höfstelle  angestellt, 
deren  Chef,  der  damalige  Oberstkanzler  Graf  Rudolf  von 
Chotek"),  den  eben  so  geschickten  als  sittlichen  jungen 
Mann,  den  heitern,  gebildeten  Gesellschafter  bald  aus- 
zeichnete und  mit  vorzüglicher  Achtung  behandelte'). 
Von  meiner  Mutter  Eltern  weiß  ich  nur  wenig. 
Ihr  Vater®)  war  aus  dem  Hannoveranischen  gebürtig 
und  Oifizier  im  k.  k.  Regiment  Wolfenbüttel.  Wahr- 
scheinhch  war  seine  Frau  bei  der  Geburt  dieses  Kindes 
oder  bald  darnach  gestorben.  Meine  Mutter  hatte  sie 
nie  gesehen  und  erinnerte  sich  auch  keine  andern 
Geschwisters,  Der  Vater  hatte  das  kleine,  kaum  fünf- 
jährige Mädchen  bei  sich,  zog  mit  ihm  und  dem  Regi- 
mente  —  mühsam  genug,  wie  man  denken  kann  — 
auf  ungarischen  Dörfern  umher,  und  kam  zuletzt,  da 
das  Regiment  in  Wien  Garnisonsdienste  tun  sollte, 
mit  demselben  nach  Wien^).  Hier  erkrankte  er  schwer 
und  starb  nach  kurzer  Zeit,  das  unmündige  Kind  unter 
lauter  fremden  Menschen,  fremden  Glaubens  (denn 
mein  Großvater  war  protestantisch),  im  fremden  Lande 
zurücklassend.  „Du"  armes  Kind,  was  wird  aus  dir 
werden!"  waren  seine  letzten  schmerzlichen  Worte  zu 
der  kleinen  Charlotte  (so  hieß  meine  Mutter)  gewesen, 
die  sich  ihrem  kindischen  Gedächtnis  unauslöschlich 
eingeprägt  hatten.  Aber  die  Vatersorge  und  des  Vaters 
Gebet  hatte  seinen  Weg  zu  Gottes  Thron  gefunden, 
und  der  allgemeine  Vater  unser  aller  bewies  sich  auch 
als  solcher  an  der  verlassenen  Waise.  Er  bereitete  ihr 
auf  wunderbare  Weise  ein  Los,  wie  sie  es  bei  Lebzeiten 
ihrer  Eltern  kaum  hätte  hoffen  dürfen. 


7 


Eine  Kammerdienerin  oder  Kammerfrau  der  ver- 
storbenen, hochseligen  Kaiserin  Maria  Theresia  — 
Tochter  Karls  VI.  —  befand  sich  abends  in  einer  Ge- 
sellschaft zu  Wien,  in  welcher  auch  einer  oder  einige 
Offiziere  des  kürzlich  eingerückten  Infanterieregiments 
waren.  Zufälligerweise  kam  die  Rede  auf  dasselbe,  und 
der  eine  Offizier  sagte,  daß  sie  bereits  das  Unglück 
gehabt,  einen  aus  ihrer  Zahl  —  den  Oberleutnant 
Hieronymus  ^")  —  zu  verlieren,  und  daß  er  nichts  als 
ein  fünfjähriges,  ganz  hilfloses  Mädchen  hinterlassen 
habe,  für  das  einstweilen  seine  Kameraden  Sorge 
tragen  müßten. 

Als  die  Kammerfrau  abends  ihre  Gebieterin  aus- 
kleiden half,  und  die  gütige  Monarchin  sich  herab- 
lassend nach  den  Tagesbegebenheiten  ihrer  Frauen  er- 
kundigte, erzählte  jene  das  Gespräch  mit  dem  Offizier 
von  Wolfenbüttel*).  Die  Kaiserin  hörte  aufmerksam 
zu,  ihr  menschenfreundliches  Herz  wurde  in  Mitleid 
für  das  verlassene  Kind  gerührt:  Ich  will  das  Mädchen 
holen  lassen,  sagte  sie,  —  sorgt  dafür,  daß  sie  mir  ge- 
bracht werde. 

Meine  Mutter  war  im  protestantischen  Glauben  ge- 
boren worden,  dem  auch  die  meisten  Offiziere  des 
Regiments  zugetan  waren.  Der  Befehl  der  Kaiserin 
ließ  sie  nichts  anders  erwarten,  als  daß  das  Kind,  dessen 
sie  sich  annehmen  wollte,  in  der  katholischen  Religion 
erzogen  werden  würde.  Trotz  der  gerühmten  Toleranz 
ihrer  Konfession  suchten  sie  aus  allen  Kräften  dies  zu 
verhindern,  und  verbargen  das  Mädchen  mehrere  Tage 
lang  vor  den  Nachsuchungen,  welche  die  Leute  der 

*)  Vielleicht  machte  der  Umstand,  daß  dies  Regiment  den 
Namen  des  Geschlechts  der  Kaiserin  Elisabeth,  der  Mutter  There- 
sias trug,  sie  demselben  geneigter. 

8 


Monarchin  nach  demselben  anstellten.  Endlich  fand 
man  es  auf,  in  einem  Hause  einer  Vorstadt  Wiens;  es 
wurde  nach  Hof  gebracht,  dort  unter  Aufsicht  eines 
alten,  aber  sehr  würdigen  Fräuleins  von  spanischer  Her- 
kunft, Isabellas  Düplessis^^),  in  den  wenigen  Fer- 
tigkeiten unterrichtet,  die  man  dazumal  von  einem 
Mädchen  forderte,  und  mit  noch  einigen  Fräulein  zum 
persönlichen  Dienst  bei  der  Kaiserin  bestimmt. 

Meiner  Mutter  ungewöhnlich  lebhafter  und  durch- 
dringender Geist  fühlte  bald  die  Schranken,  welche 
die  Beschränktheit  ihrer  Umgebungen  demselben  an- 
legte. Sie  dürstete  nach  Kenntnissen,  nach  gründ- 
Hchen  Erklärungen  der  Dinge  oder  Begebenheiten,  die 
sie  um  sich  sah,  und  sie  benutzte  die  Besuche  einiger 
älterer,  gebildeter  Männer,  welche  in  das  Haus  ihrer 
Erzieherin  kamen,  um  von  ihnen  Antwort  auf  die 
Fragen  zu  erhalten,  welche  sich  ihr  während  der  Zeit 
aufgedrängt,  und  die  sie  sich  deshalb  aufzuschreiben 
pflegte.  So  strebte  ihr  Geist  weit  über  ihre  Lage,  über 
ihre  Gefährtinnen  hinaus,  und  bildete  sich  meist  aus 
sich  selbst. 

In  diesem  Alter  war  sie  auch  oft  die  Spielgefährtin 
der  kaiserlichen  Prinzessinnen  und  lernte  in  diesem 
ungezwungenen  Beisammensein  jene  nahe  und  genau 
kennen,  welche  einst  die  ersten  Throne  Europas  ein- 
zunehmen bestimmt  waren  ^^).  Etwas  später,  da  man 
die  ungewöhnlichen  Fähigkeiten  dieses  Kindes  beur- 
teilen lernte,  wurde  sie  zur  künftigen  Vorleserin  der 
Kaiserin  bestimmt,  und  zu  dem  Ende  der  Obersthof- 
meisterin Gräfin  Fuchs ^^)  (nach  dem  Brauch  jener  Zeit 
Gräfin  Füchsin  genannt)  übergeben,  bei  welcher  sie 
sich  im  Lesen  von  Druck-  sowohl  als  Handschriften 
üben  mußte. 


Als  sie  ihr  dreizehntes  Jahr  erreicht^"*)  hatte,  fand 
man  sie  geschickt  und  klug  genug,  um  ihren  nicht  leich- 
ten Dienst  anzutreten,  und  schon  dies  bürgt  für  ihre 
hohe  Geisteskraft  und  Fähigkeit.  Sie  hatte  in  dieser 
Stelle  teils  mit  andern  Fräulein  ihres  Ranges,  welche 
insgesamt  den  Titel  kaiserlicher  Kammerdienerinnen 
trugen,  die  Toilette  und  persönliche  Bedienung  ihrer 
Gebieterin  zu  besorgen,  teils  allein  das  Amt,  der 
Regentin  vorzulesen.  Diese  Lektüre  bestand  aber 
nicht  in  Romanen  oder  Unterhaltungsbüchern;  es 
waren  Geschäftsschriften,  Berichte,  Depeschen,  kurz 
Staatsangelegenheiten,  über  welche  die  Monarchin 
selbst  entschied,  und  in  denen  sie  mit  unermüdlicher 
Anstrengung  täglich  viele  Stunden  arbeitete,  wobei 
meine  Mutter  ihr  vorlas  und  überhaupt  oft  Sekretärs- 
dienste verrichtete. 

Natürlich  waren  wichtige  Geheimnisse  in  den  Hän- 
den des  jungen  Mädchens,  aber  ein  frühreifer  Geist, 
bei  dem  vielleicht  die  einsame  Stellung,  ohne  Bluts- 
verwandte, ohne  Freunde,  auf  einer  Höhe,  die  von 
vielen  beneidet  ward,  noch  die  angeborne  Urteils- 
kraft vermehrte  und  den  Beobachtungssinn  schärfte, 
dieser  wahrhaft  männliche  Geist  gab  meiner  Mutter 
die  Kraft,  die  Verschwiegenheit,  die  ganze  würdige 
Haltung,  welche  ihr  Platz  forderte,  und  welche  ihr 
das  Vertrauen  der  Fürstin  bis  an  deren  Tod  sicherte. 

Maria  Theresia  führte  ein  äußerst  tätiges  und  sehr 
regelmäßiges  Leben.  Um  fünf  Uhr  im  Sommer,  im 
Winter  wahrscheinlich  später,  stand  sie  täglich  auf, 
und  eine  Klingel  rief  ihren  Zofen.  Es  war  Etikette, 
daß  keine  anders  als  frisiert,  im  seidenen  Kleide  (man 
kannte  damals  unsere  Perkais,  englische  Leinwand  usw. 
nicht),  ja  selbst  im  Reifrocke,  der  aber  zum  Negligee 

10 


nur  von  kleinem  Umfang  war  und  Hanserl  genannt 
wurde,  vor  der  Fürstin  erscheinen  durfte.  Dies  machte 
sehr  frühes  Aufstehen  auch  den  Kammerdienerinnen, 
wenigstens  denen,  welche  für  diesen  Tag  im  Dienste 
waren,  notwendig.  Die  Toilette  der  Kaiserin  war  der 
mühsamste,  wie  der  unbelohnendste  Teil  des  Dienstes, 
den  meine  Mutter  zu  versehen  hatte.  Da  sie  ihn  aber 
mit  ebensoviel  Geschmack  als  Schnelle  und  Geschick- 
hchkeit  versah,  so  ward  ihr  die  Pflicht,  ihre  Monar- 
chin täglich  zu  frisieren,  dahingegen  die  andern  Fräu- 
lein im  Dienste  abwechselten  und  manchen  Tag  ganz 
frei  hatten.  Diese  ganz  freien  Tage  wurden  auch  meiner 
Mutter  nach  ihrer  Tour,  nur  daß  das  Frisieren  am 
Morgen  und  das  Vorlesen  auf  die  Nacht  jeden  Tag 
ihr  ausschließendes  Geschäft  blieb,  in  welchem  keine 
andere  sie  ablösen  konnte,  weil  keine  es  so  zu  verrichten 
verstand  wie  sie. 

Dieses  Frisieren  und  die  Verfertigung  des  Kopf- 
putzes war  denn  aber  auch  für  meine  Mutter  eine  nur 
zu  ergiebige  Quelle  von  Verdruß  und  Kränkungen.  Man 
kennt  das  Wort,  welches  über  Elisabeth  von  England 
gesprochen  wurde:  ,, Selbst  die  größte  Königin  ist  doch 
eine  Frau."  Dieses  Wort,  obgleich  Maria  Theresia, 
ihren  moralischen  Eigenschaften  nach,  als  Frau  weit 
über  Elisabeth  stand,  traf  sie  doch  auch,  und  sie  unter- 
lag dem  allgemeinen  Los  unsers  Geschlechtes.  Ihre 
Gestalt,  die  aber  wirklich  von  höchster  Schönheit  war, 
und  die  Ausschmückung  derselben  durch  vorteilhaften 
Putz  beschäftigte  sie  etwas  mehr,  als  man  gemeinhin 
von  einer  Frau,  die  mit  so  vielem  Geist,  mit  so  viel 
männlichem  Starkmut  so  weite  Länderstrecken  zu  be- 
herrschen verstand,  hätte  vermuten  sollen  ^*^).  Nur 
muß  man  zur  Steuer  der  Wahrheit  hinzusetzen,  daß 

]  I 


diese  Freude  an  ihrer  Schönheit,  und  die  Zeit,  die  sie 
ihr  widmete,  nie  ihren  wichtigeren  Pflichten  Eintrag 
tat;  noch  viel  weniger  aber  Gefallsucht  oder  eine  größere 
Aufmerksamkeit  für  das  andere  Geschlecht  zur  Quelle 
hatte.  Maria  Theresia  stand  in  dieser  Rücksicht  flecken- 
los vor  ihrem  Zeitalter,  und,  was  noch  weit  mehr  sagen 
will,  auch  vor  ihrer  Umgebung,  ihren  dienenden 
Frauen,  im  höchsten  Glanz  frommsittlicher  Würde 
und  ehelicher  Treue  da.  Wie  ein  Mädchen  aus  den 
mittleren  Ständen,  bei  denen  mehr  das  Herz  als  eigen- 
nützige Rücksichten  die  Wahl  des  Gatten  bestimmt, 
und  man  für  sich  und  nicht  für  seine  Väter  liebt 
(wie  Haller  sagt)^^),  hatte  sie  den  Gemahl  gewählt, 
den  schönen,  liebenswürdigen  Jüngling,  der  mit 
ihr  erzogen  worden  oder  sich  doch  während  seiner 
Jugend  am  Hofe  ihres  Vaters  aufgehalten  hatte.  Weder 
Landesmacht  noch  große  Vorteile  brachte  ihr  in 
politischer  Hinsicht  die  Ehe  mit  dem  Prinzen  Franz 
von  Lothringen,  der  später  das  Großherzogtum  Tos- 
kana erhielt^®).  Aber  er  und  sein  Bruder  Karl^^)  lebten 
am  Hofe  Kaiser  Karls  VL,  und  seine  zwei  Töchter, 
Maria  Theresia  und  Marianna  ^^),  neigten  sich  in  Liebe 
zu  den  beiden  Brüdern.  Theresia  teilte  den  Thron 
ihrer  reichen  Erbstaaten  mit  Franz  von  Lothringen, 
und  Mariannä  brachte  ihrem  Gemahl  das  Gouverne- 
ment der  Niederlande.  Nie  hat  Maria  Theresia  je 
einen  andern  Mann  schön  oder  anziehend  gefunden, 
und  meine  Mutter,  eine  Frau  von  so  vielem  Geiste, 
daß  ich  keine  in  dieser  Rücksicht  mit  ihr  zu  vergleichen 
weiß,  eine  Frau,  die  in  ihrer  ganzen  Denkart  so  weit 
von  blindem  Enthusiasmus  als  Schmeichelei  und 
Schranzenwesen  entfernt  war,  die  die  Fehler  und 
Schwächen  ihrer  Gebieterin  wohl  sah  und  sehen  mußte, 

12 


weil  sie  dreizehn  Jahre  um  sie  lebte,  hat  in  Rücksicht 
weiblicher  Würde  und  ehelicher  Treue  Marien  There- 
sien  immer  als  das  Vorbild  ihres  Geschlechtes  ge- 
priesen. .  •'■ 

Ihre  trübsten  Stunden  hatte  meine  Mutter  also 
bei  der  Toilette  der  Kaiserin  oder  bei  der  Verfertigung 
ihres  Putzes,  denn  dazumal  wußte  man  nicht  so  viel 
von  Marchandes  de  mode,  und  die  Fräulein,  welche 
die  Monarchin  bedienten,  waren  auch  größtenteils 
ihre  Putzmacherinnen.  Oft  —  sehr  oft  mußte  eine 
Haube  vier-  bis  fünfmal  anders  gesteckt  werden,  bis 
sie  nach  dem  Geschmacke  der  Gebieterin  war,  und 
wer  diese  Art  von  Arbeit  zu  beurteilen  versteht,  wird 
wissen,  daß  ein  „öfteres  Auf-  und  Andersmachen  der 
Sache  gar  nicht  förderlich  ist,  ja  meistens  die  Schön- 
heit der  Stoffe  und  des  Zubehörs  ganz  zerstört.  Eben- 
so ging  es  mit  der  Frisur.  Auch  an  dieser  zupfte, 
rupfte,  änderte  die  hohe  Frau  so  viel  und  so  lange,  bis 
sie  verdorben  war  und  neu  gemacht  werden  mußte^ 
was  denn  bei  der  damaligen  Art  des  Haarputzes  ge- 
meiniglich dahin  führte,  daß  der  ganze  Bau  zerstört, 
die  Haare  ausgekämmt  und  nicht  selten  neu  in  Papil- 
loten  gewickelt  und  gekräuselt  werden  mußten.  Daß 
die  Gebieterin  dabei  übellaunig  wurde,  daß  die  Zofen 
das  entgelten  mußten,  ist  ebenso  natürlich  —  und  die 
Erinnerung  an  alle  die  trüben  Stunden,  welche  Putz 
und  Toilette  ihr  gemacht  hatten,  mag  wohl  schuld 
gewesen  sein,  daß  meine  Mutter  selbst  in  den  Jahren, 
wo  sie  noch  wohl  Freude  daran  hätte  haben  können, 
sich  vorteilhaft  und  ihrer  sehr  niedlichen  Figur  gemäß 
anzuziehen,  sich  schon  ganz  matronenhaft,  und,  wie 
ich  mich  aus  den  Bildern  meiner  Kindheit  w^ohl  ent- 
sinne,  beinahe  altfränkisch  kleidete.    Auch  auf  mich 

13 


hatten  jene  Erinnerungen  Einfluß,  denn  ich  mußte 
wie  in  allem,  so  besonders  bei  meiner  Toilette  sehr 
hurtig  zu  sein  lernen,  und  es  wurde  mir  für  die  damalige 
mühsame  Art  des  Anzuges  und  der  Frisur  ungemein 
wenig  Zeit  gegönnt,  um  beides  an  mir  zu  bewerkstelligen. 


Eine  viel  minder  verdrießliche,  wenn  gleich  auch  an- 
strengende Art  des  Dienstes,  war  das  Vorlesen  der 
Geschäftsschriften  in  den  verschiedenen  Sprachen, 
welche  in  den  weiten  Provinzen  der  Erbstaaten  geredet 
wurden;  deutsch,  italienisch,  französisch  (in  den 
Niederlanden)  und  lateinisch  (in  Ungarn).  Da  Fran- 
zösisch damals  noch  viel  mehr  als  jetzt  die  Sprache  der 
höhern  Stände,  ja  der  gebildeten  Welt  überhaupt  war, 
so  war  sie  denn  auch  an  Maria  Theresias  Hof  die 
herrschende,  zumal  da  ihr  Gemahl,  Kaiser  Franz  I., 
als  geborner  Lothringer  kaum  Deutsch  verstand  und 
es  nie  sprach,  auch  seinetwegen  viele  Personen  in  den 
Hofdiensten  Lothringer  oder  Niederländer  waren. 
Meine  Mutter  hatte  das  Französische  daher  von  ihrer 
Kindheit  an  wie  eine  zweite  Muttersprache,  ja  wie 
ihre  eigenthche  gelernt  und  sprach  und  schrieb  es  mit 
gleicher  Fertigkeit.  Auch  das  Italienische  war  ihr 
geläufig.  Damals  wurde  es  überhaupt  viel  am  Hofe 
und  in  Wien  gesprochen,  und  der  Dichter  des  Hofes 
war  stets  ein  Itahener;  früher  unter  Kaiser  Leopold, 
Apostolo  Zeno^^).,  später  der  hochberühmte  Meta- 
stasio^o),  eigentlich  Trapassi  genannt,  den  ich  noch  per- 
sönlich gekannt  habe.  Alle  Schauspiele,  welche  dem  Hofe 
zu  Ehren  oder  bei  feierlichen  Gelegenheiten  gegeben 
wurden,  waren  itahenische  Opern,  an  deren  Schlüsse 
jedesmal  in  einer  kleinen  Strophe,  welche  den  Namen 

H 


Licenza  führte,  ein  Kompliment  angebracht  war,  wel- 
ches den  Inhalt  der  Oper  mit  einer  schmeicHelhaften  An- 
wendung auf  die  gegenwärtige  Feierlichkeit  verband 2^). 
Diese  beiden  Sprachen  waren  meiner  Mutter  also 
sehr  geläufig,  und  sie  redete  sie  wahrscheinlich  zier- 
licher und  korrekter  als  ihre  Muttersprache;  denn  da- 
mals galt  noch  von  den  meisten  Einwohnern  Wiens 
in  den  höheren  Ständen,  was  ein  Dichter  von  sich  sagt : 

Ich  spreche  Wälsch  wie  Dante, 

Wie  Cicero  Lateinisch, 

Wie  Pope  und  Thomson  Enghsch, 

Wie  Demosthenes  Griechisch, 

Wie  Diderot  Französisch 

Und  Deutsch  —  wie  meine  Amme. 

Selbst  die  Kaiserin  bediente  sich  des  ganz  gemeinen 
österreichischen  Jargons,  und  folgende  zwei  Anek- 
doten, die  ich  oft  aus  dem  Mund  meiner  seligen  Mut- 
ter hörte,  werden  dienen,  jene  Zeit  zu  charakterisieren, 
von  der  ich  spreche.  Ein  Fräulein  aus  Sachsen  wurde 
als  Kammerdienerin  bei  der  Kaiserin  angestellt,  und 
meine  Mutter,  welche  ihr  damals  schon  mehrere  Jahre 
gedient  hatte,  bekam  den  Auftrag,  die  Neue,  so  hieß 
jede  Letzteingetretene  unter  den  Fräulein,  zum  Dienst 
abzurichten. "  Das  sächsische  Fräulein  nahm  also  in 
zweifelhaften  Fällen  immer  ihre  Zuflucht  zu  meiner 
Mutter,  als  ihrer  Lehrerin.  Eines  Tages  kam  sie  ganz 
verlegen  und  ängstlich  zu  ihr,  und  bat  sie,  ihr  zu  sagen, 
was  sie  zu  tun  habe.  Ihre  Majestät  die  Kaiserin  habe 
das  Blabe  Buich  verlangt.  —  Meine  Mutter  mußte 
lächeln,  sie  gab  der  Sächsin  ein  blaues  Buch,  in 
welchem  die  Kaiserin  eben  zu  lesen  pflegte,  mit  dem 
Bedeuten,  es  der  Monarchin  zu  überreichen. ,  Lange 
wollte  die  andere  es  nicht  glauben,  daß  mit  jener  Be- 
zeichnung  ein    blaues    Buch   gemeint    sein    sollte;    — 


indes  meine  Mutter  beharrte  darauf,  Fräulein  M**22) 
übergab  das  Buch,  und  sieh!  —  es  war  das  rechte. 
Diese  Anekdote  erklärt  hinreichend,  warum  in  den 
glänzenden  Zirkeln  Französisch  oder  Italienisch  und 
nie  Deutsch  gesprochen  wurde. 

Kurz  vor  der  Geburt  einer  ihrer  jüngsten  Prin- 
zessinnen stritt  die  hochselige  Kaiserin  mit  einem  Gra- 
fen Dietrichstein  ^^  scherzhaft  darüber,  ob  das  zu  er- 
wartende Kind  ein  Prinz  oder  eine  Prinzessin  sein  würde. 
Der  Graf  behauptete  das  erste,  die  Kaiserin  das  zweite. 
Es  wurde  eine  Wette  eingegangen;  —  die  Kaiserin 
behielt  recht,  das  Kind  war  eine  Erzherzogin,  und  Graf 
Dietrichstein  mußte  bezahlen.  Da  half  er  nun,  im 
Geschmacke  jener  Zeit,  sich  mit  einer  sehr  artigen 
Galanterie.  Er  ließ  sein  Bild  in  kniender  Stellung 
von  Porzellan  verfertigen,  und  diese  Gestalt  reicht 
mit  der  einen  Hand  der  Kaiserin  ein  Blatt,  worauf 
folgende  Verse  Metastasios  standen: 

Perdo,  e  ver,  l'augusta  figlia 
A  pagar  m'ha  condannato, 
Ma  s'e  ver  che  a  te  somiglia, 
Tutto  il  mondo  ha  guadagnato  2*). 

Die  ganze  Idee,  welche  vermutlich  von  Metastasio 
herrührte,  ist  ebenso  zart  als  schmeichelhaft,  und 
macht  seiner  Erfindungskraft  Ehre;  dennoch  kann  man 
nicht  umhin,  wenn  man  sich  jenes  Geschenk  lebhaft 
vergegenwärtigt,  das  porzellanene  Figürchen,  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach,  weil  es  Porträt  war,  mit 
Staatskleid,  Perücke  und  Degen,  welches  da  kniend 
ein  beschriebenes  Blatt  überreicht,  komisch  zu  finden. 
Doch  das  Ganze  zeigt  den  Geschmack  und  Ton  jener 
Zeit,  wo  die  schöne  deutsche  Literatur  sich  kaum  mit 
ihren   ersten   Strahlen  in   Norddeutschland  zu   zeigen 

16 


anfing,  bis  zu  uns  aber  noch  nicht  gedrungen  war,  und 
alles,  was  las  vind  Sinn  für  Bildung  hatte,  bloß  fran- 
zösische oder  italienische  Literatur  kannte. 

Latein  war  die  .vierte  Sprache,  welche  in  den  Ge- 
schäftspapieren, die  meine  Mutter  ihrer  Monarchin 
vorlesen  mußte,  vorkam.  Die  Kaiserin  verstand  sie 
vollkommen,  redete  sie  vielleicht  auch  mit  ihren  un- 
garischen Magnaten  und  rief  ihnen  in  diesen  Akzenten 
jenen  unvergeßlichen  Tag  zurück,  an  dem  sie,  von  den 
Mächten  von  halb  Europa  bekriegt  und  mit  dem  Ver- 
lust aller  ihrer,  von  eben  jenen  Mächten  garantierten 
Staaten  bedroht,  die  schöne,  junge,  unglückliche  Für- 
stin, den  könighchen  Säughng  auf  dem  Arm,  auf  dem 
Reichstag  ihrer  treuen  Ungarn  erschien,  sie  zum  Bei- 
stand aufforderte,  und  solchen  Enthusiasmus  in  ihnen 
erregte,  daß  Greise  und  Helden  begeistert  und  gerührt 
die  Säbel  zogen,  und  einstimmig,  alle  für  ihren  König 
Maria  Theresia  zu  sterben,  schwuren.  Gar  gern  er- 
innerte sich  die  große  Frau  jenes  Tages,  wo  sie  den 
dreifachen  Triumph:  der  verfolgten  Tugend,  des  recht- 
mäßigen Königtums  und  der  Schönheit  gefeiert  hatte  ^s). 
Immer  blieb  sie  der  ungarischen  Nation  vorzüglich  ge- 
wogen, und  jener  Anstrengungen,  die  sie  damals 
machte,  um  ihr  den  Thron  ihrer  Väter  zu  erhalten, 
dankbar  eingedenk. 

In  dieser  Sprache  nun  (im  Latein)  gab  die  Kaiserin 
selbst  meiner  Mutter  die  notdürftigste  Anleitung, 
damit  diese  ihr  verständlich  vorlesen  konnte.  Vieles 
begriff  meine  Mutter  durch  das  verwandte  Franzö- 
sisch und  Italienisch,  das  übrige  erklärte  ihr,  soweit  es 
nötig  war,  ihre  Gebieterin.  So  las  sie  denn  derselben 
viele  Stunden  und  Stunden,  besonders  abends  und 
nach  dem  sehr  mäßigen  Nachtessen,  welches  die  Kaise- 


c.  P.  I. 


17 


rin  in  ihren  Zimmern  allein  zu  sich  nahm,  die  Ge- 
schäftspapiere ihrer  verschiedenen  Staaten  vor.  Diese 
Lektüre  dauerte  fort,  nachdem  die  Monarchin  sich 
schon  entkleiden  lassen  und  zu  Bette  gelegt  hatte,  und 
selbst  dann  noch,  bis  der  Schlaf  sie  überwältigte.  Dann 
erst  bekam  meine  Mutter  die  Erlaubnis,  sich  zu  ent- 
fernen. 

Wohl  umgaben  Glanz  und  Herrlichkeiten  meine 
Mutter  in  ihrer  Jugend,  aber  ihr  Dienst  war,  wie 
man  aus  dem  obigen  sieht,  nichts  weniger  als  leicht, 
und  manche  Angewöhnungen  der  Monarchin  machten 
ihn  noch  beschwerlicher.  So  z.  B.  konnte  diese,  als  eine 
große,  starkgebaute  Frau,  gar  keine  Wärme  vertragen, 
wie  sie  denn  überhaupt,  trotz  ihrer  hohen  Geburt  und 
des  königlichen  Glanzes,  der  schon  ihre  Wiege  umgab, 
in  Rücksicht  ihres  Körpers  nichts  weniger  als  weichlich 
oder  in  ihren  Gelüsten  fordernd  w^ar.  Geheizt  durfte 
bei  ihr  fast  gar  nicht  werden,  die  Furcht  vor  Zugluft 
kannte  sie  nicht,  sie  wußte  nicht,  was  ein  Rheumatis- 
mus sei,  und  selbst  im  Winter  stand  oft  ein  Fenster 
neben  ihrem  Schreibtisch  offen,  durch  das  der  Wind 
meiner  Mutter  den  Schnee  auf  das  Papier  warf,  aus 
welchem  sie  vorlas.  Eine  Anekdote  mag  zum  Belege 
des  hier  Gesagten  dienen.  Die  Kaiserin,  welche  wirk- 
lich fromm  und  eine  Christin  im  edelsten  Sinne  des 
Wortes  war,  ging,  solange  es  ihr  körperliches  Befinden 
erlaubte,  jährlich  mit  der  Frohnleichnamsprozession. 
An  einem  solchen  Tage,  als  sie  zu  dem  Ende  von 
S.chönbrunn  nach  der  Stadt  gefahren  war,  kam  sie 
gegen  Mittag,  furchtbar  erhitzt  und  ermüdet  von  dem 
heißen  Juniustage,  von  der  Schwere  und  Größe  ihrer 
Person  und  dem  langen,  meist  der  Sonne  ausgesetzten 
Gange  durch  die  halbe  Stadt,  nach  Schönbrunn  zu- 

i8 


rück.  Sie  ließ  sich  sogleich  ganz  entkleiden  —  und 
setzte  sich  dann  in  der  Mitte  eines  Kabinetts  nieder, 
in  welchem  Fenster  und  Türen  geöffnet  werden 
mußten,  mit  nichts  als  einem  Mieder,  Rock  und  Puder- 
mantel bekleidet,  trank  Limonade,  aß  Erdbeeren  in 
Eis  gekühlt  und  ließ  sich  von  meiner  Mutter  die  Haare 
auskämmen,  die  so  naß  waren,  daß  meine  IVJutter  mehr 
als  einmal  ihre  Hände  trocknen  mußte.  Das  alles 
schadete  der  kräftigen,  noch  immer  blühenden  Frau 
nicht  im  geringsten,  aber  es  machte  auch,  daß  sie  sehr 
wenig  Rücksicht  auf  Bedürfnisse  oder  Wünsche  solcher 
Art  bei  ihrer  dienenden  Umgebung  nahm,  und  Ab- 
härtung, Nichtachtung  seiner  selbst  und  Unempfind- 
lichkeit  gegen  schädliche  Einwirkungen,  welche  sie, 
die  kaiserliche  Frau,  besaß,  bei  dem  dienenden  Per- 
sonale teils  voraussetzte,  teils  forderte.  Und  so  wie 
sie,  hart  gegen  sich  selbst,  jede  körperliche  Verweich- 
lichung oder  Schwächlichkeit  haßte,  war  ihr  auch  jede 
sittliche  Schwäche  und  übergroße  Weichheit  zuwider. 
Ihrer  eigenen  Kraft  und  so  mancher  Gelegenheit  sich 
bewußt,  wo  sie  durch  diese  und  durch  ihren  Mut  sich 
aus  gefährlichen  Lagen  gerissen  und  schwere  Leiden 
mit  Selbstverleugnung  getragen  hatte,  forderte  sie  Ähn- 
liches von  ihren  Umgebungen  und  mochte  kein  weiner- 
liches Wesen  und  keine  zu  große  Empfindlichkeit  um 
sich  leiden. 

So  bildete  sich  im  steten  Umgang  mit  dieser  wahr- 
haft großen  Frau,  von  ihrer  Zufriedenheit  oder  ihrem 
Tadel  geleitet,  von  ihrem  Beispiele  ermutigt,  meiner 
Mutter  von  Natur  kräftiger  Geist  und  gesunder  Kör- 
per auf  eine  Weise  aus,  der  sie  noch  in  ihren  hohen 
Jahren  zum  Gegenstand  der  allgemeinen  Achtung  und 
des  Erstaunens  für  viele  machte.  Bei  einem  schlanken. 


19 


; 


zierlichen  Körperbau,  von  mittelmäßiger  Größe,  besaß 
meine  Mutter  eine  ungewöhnliche  Fülle  von  Lebens- 
kraft und  Gesundheit,  welche  wohl  das  Erzeugnis 
einer  unverdorbenen  Natur,  einer  abhärtenden  Er- 
ziehung und  ihrer  eigenen  Behutsamkeit  und  strengen 
Mäßigkeit  war,  so  daß  sie  für  den  Einfluß  der  Witte- 
rung, der  Zugluft,  veränderter  oder  unverdaulicher 
Speise  ganz  und  gar  unempfindlich  war,  und  bis  in 
ein  sehr  hohes  Alter,  ihre  Sehkraft  ausgenommen, 
welche  gegen  das  Ende  ihres  Lebens  sehr  schwach 
wurde,  alle  ihre  geistigen  und  körperlichen  Fähig-' 
keiten  unvermindert  erhielt. 


Maria  Theresia  forderte  viel  von  ihren  Dienerinnen; 
doch  umgab  sie  sie  dafür  auch  mit  Glanz,  Wohlstand 
und  Ansehen,  wodurch  die  einzelnen  sich  nicht  bloß 
geehrt  und  nach  Maßgabe  ihrer  Denkart  auch  beglückt 
fühlten,  sondern  wodurch  ihnen  auch  ein  Begriff 
ihrer  eigenen  Würde  eingeflößt  wurde,  der  vielleicht 
besser  als  die  strengsten  Verhaltungsbefehle  dazu 
diente,  sie  vor  fremder  Zudringlichkeit  und  eigener 
Vernachlässigung  zu  bewahren.  Sie  standen  unter 
einer  Art  von  häuslicher,  ja  mütterlicher  Aufsicht, 
mußten  es  melden,  wenn  sie  ausgehen  wollten  und  be- 
merken, wohin;  dann  wurde  ihnen  eine  Hofequipage 
zu  diesem  Behuf  angespannt  oder  irgendeine  an- 
gesehene Frau,  die  aber  dazu  eigens  bei  der  Monarchin 
die  Erlaubnis  nachsuchen  mußte,  durfte  das  Fräu- 
lein in  ihrer  eigenen  Equipage  abholen  und  mußte 
sie  auch  wieder  ebenso  zurückführen.  Auf  andere 
Art  oder  in  einem  Fiaker  war  durchaus  den  Kammer- 
dienerinnen nicht  erlaubt,  auf  den  Straßen  zu  erschei- 

/ 

20 


nen.  In  früherer  Zeit  wurden  sie  sogar  mit  sechs 
Pferden  geführt,  späterhin  nur  mit  zweien.  In  Ge- 
sellschaften gebührte  ihnen  der  Rang  einer  Hofrätin, 
und  wenn  keine  solche  gegenwärtig  war,  nahm  das 
Fräulein  vom  Hofe  vor  den  übrigen  verheirateten 
Damen  den  Ehrenplatz  auf  dem  Kanapee  ein. 

Ihren  Tisch  hatten  sie  vom  Hofe,  ihre  Besolduii"gen 
waren  mäßig,  aber  die  Freigebigkeit  der  Monarchin, 
die  vielen  Teilungen  ihrer  Garderobe  ersetzten  ihnen 
das  reichlich,  und  sie  fanden  bei  Ordnungsliebe  und 
Sparsamkeit  stets  die  Mittel,  sehr  geschmackvoll  und 
glänzend  angezogen  zu  sein  und  doch  etwas  zurück- 
zulegen. An  den  Tagen,  an  welchen  sie  den  Dienst 
nicht  hatten,  war  es  ihnen  auch  vergönnt,  auf  ihren 
Zimmern  Bekannte,  selbst  Männer,  nicht  bloß  vom 
Hofe,  sondern  auch  aus  der  Stadt,  zu  sehen,  nur  mußte 
die  Kaiserin  davon  benachrichtigt  und  dies  Personen 
von  unbescholtenem  Rufe  sein. 

Auf  diese  Art  entspannen  sich  denn  manche  Be- 
kanntschaften, und  auch  die  mit  meinem  Vater.  Es 
war  in  der  traurigen  Zeit  des  Siebenjährigen  Krieges, 
als  Schrecken,  Angst  und  Siegesruhm  so  oft  in  Wien 
und  in  der  kaiserHchen  Burg  wechselten.  Wohl  er- 
innere ich  mich  noch  an  ein  paar  Züge,  welche  meine 
Mutter  mir  aus  jener  Zeit  erzählt  hat.  Als  König 
Friedrich  mit  seinen  glückhchen  Waffen  immer  weiter 
vorwärts  drang,  bereits  in  Mähren  stand  und  01m  ütz 
zu  belagern  anfing,  da  war  am  kaiserlichen  Hofe  eben 
die  Zeit  gekommen,  auf  eines  der  Lustschlösser  zu 
ziehen.  Es  wurde  also  in  den  Kammern  gepackt  und 
zur  Landfahrt  zugerüstet.  Meine  Mutter  war  an  den 
Koffern  beschäftigt,  um  die  Garderobe  und  täglichen 
Bedürfnisse  ihrer  Gebieterin  einzupacken.  Eben  vor- 


21 


her  war  die  Schreckensnachricht  von  jener  Belagerung 
gekommen.  Ohne  zu  klagen,  ohne  sich  weiter  zu 
äußern,  sagte  die  Monarchin,  indem  sie,  durchs  Zim- 
mer gehend,  die  Reiseanstalten  betrachtete,  zu  meiner 
Mutter:  „Nimm  etwas  mehr  mit,  vielleicht  gehen  wir 
weiter"  2^). 

Der  Kurier  von  der  Schlacht  bei  Hochkirch  traf 
am  Theresiatage,  den  15.  Oktober,  hier  ein,  abends 
ziemlich  spät,  als  schon  die  Prinzen  und  Prinzessinnen 
des  kaiserlichen  Hofes  sich  nach  der  Cour  und  Assemblee 
bei  der  Monarchin  in  ihre  Zimmer  zurückgezogen  urid 
angefangen  hatten,  sich  auszukleiden.  Die  frohe  Sieges- 
botschaft wurde  schnell  von  der  Kaiserin  in  alle  Kam- 
mern ihrer  Kinder  gesendet  und  wunderlich  geputzt,  — 
jene  Erzherzogin  mit  den  Edelsteinen  im  Haare,  aber 
im  Nachtkleide,  diese  im  Reifrocke  und  Galakleide  mit 
zerstörter  Frisur;  Prinzen  halb  in  Uniform,  halb  im 
Hausrocke,  kamen  sie  eiligst  wieder  in  den  Zimmern 
ihrer  erlauchten  Mutter  zusammen,  um  ihr,  nach 
der  Feier  des  Namenstages,  noch  zu  der  Feier  des 
Sieges  Glück  zu  wünschen^'). 


Während  dieser  und  ähnlicher  abwechselnden 
Szenen  entspann  sich  das  zärtliche  Verhältnis  meiner 
Eltern.  Mein  Vater  hatte  unterdes  die  Stelle  eines 
Sekretärs  bei  der  böhmisch-österreichischen  Kanzlei 
erlangt 2^,  er  durfte  allerdings  als  Freier  auftreten, 
aber  ans  Ziel  seiner  Wünsche  zu  gelangen,  wollte  ihm 
noch  immer  nicht  gelingen.  Schon  sehr  oft  war  die 
Hand  meiner  Mutter  von  glänzenden  und  auch  von 
minder  bedeutenden  Freiern  gesucht  worden.  Außer 
den   persönlichen    Annehmlichkeiten    einer   sehr   zier- 

22 


liehen  Gestalt,  anmutiger  Gebärden  und  eines  aus- 
gezeichneten Geistes,  war  auch  die  Aussicht  auf  be- 
sondere Gunst  und  Unterstützung  von  Seite  der 
Monarchin,  welche  ihrer  geschätzten  Dienerin  und 
Vorleserin,  und  um  ihretwillen  auch  dem  künftigen 
Gemahl  nicht  wohl  fehlen  konnte,  ein  Hauptreiz, 
welche  Freier  lockte.  Aber  sie  alle,  welche  bei  der 
Monarchin  selbst,  die  in  so  vielem  und  würdigem  Sinn 
Mutterstelle  bei  ihren  Untergebenen  vertrat,  ihr  Ge- 
such anbringen  mußten,  sahen  sich  bisher  abgewiesen. 
Bei  den  meisten,  ja  fast  bei  allen,  war  meiner  Mutter 
Herz  gleichgültig  geblieben.  Nur  einer,  ein  geborner 
Ungar  29),  dessen  Porträt  sie  noch  lange  Jahre  nachher 
besaß,  und  dessen  in  Rousseaus  Konfessionen^")  als 
eines  höchst  interessanten  und  hebenswürdigen  jungen 
Mannes  erwähnt  wird  —  hatte  ihr  Herz  tiefer  gerührt. 
Nicht  bloß  der  Wille  der  Monarchin,  auch  ungünstige 
Verhältnisse  in  der  Familie  des  jungen  Ungars  zer- 
rissen das  Bündnis.  —  Er  starb  bald  darauf;  meine 
Mutter  gedachte  seiner  nie  ohne  Rührung.  Bei 
meinem  Vater,  der  ihre  ganze  Achtung  und  innige 
Neigung  erworben  hatte,  fürchtete  sie  ebenfalls,  die 
Einwilligung  der  Kaiserin  nicht  zu  erhalten.  Diese 
hatte  gegen  jede  Verbindung,  welche  meine  Mutter 
eingehen  sollte,  etwas  einzuwenden.  Freilich  ist  wohl 
kein  Bündnis,  kein  Verhältnis  in  der  Welt  jedem  Wunsche 
und  jeder  Forderung  so  ganz  gemäß,  daß  sich  nicht  mit 
mehr  oder  minderem  Anschein  etwas  dagegen  auf- 
bringen ließe.  Bei  der  Monarchin  aber  mag  wohl 
die  Abneigung,  sich  von  der  so  geschickten,  so  ver- 
schwiegenen und  verständigen  Dienerin  zu  trennen, 
deren  Stelle  nur  schwer  zu  ersetzen  gewesen  sein 
würde,  jenen  abschlägigen  Antworten  zu  Grunde  ge- 


23 


legen  liaben.  Meine  Eltern  mußten  sich  in  Geduld 
fassen. 

Im  Jahre  1765  reiste  der  Hof  nach  Innsbruck,  um 
die  Vermählung  des  zweiten  Prinzen,  des  nachmaligen 
Kaisers  Leopold  II.,  mit  einer  spanischen  Prinzes- 
sin^^) zu  feiern.  Für  meine  Mutter  war  diese  Reise 
in  ein  gebirgiges  Land  eine  ganz  neue  und  sehr  will- 
kommene Begebenheit.  Sie  freute  sich  der  ihr  fremden, 
wilden  Natur,  und  manches  romantische  Plätzchen, 
manche  schöne  Einsamkeit  regte  in  ihrer,  allmählich 
des  Hoflebens  müden  Seele,  den  Wunsch  auf,  an  einer 
solchen  Stelle  sich  selbst  und  ihren  geheimen  Nei- 
gungen leben  zu  können.  —  Der  Kaiser  Franz,  ein 
noch  kräftiger,  blühender  Mann,  fand  für  seine  Wiß- 
begierde und  Liebe  zur  Altertumskunde  viel  inter- 
essanten Stoff  an  so  vielen  geschichtlichen  und  archäo- 
logischen Schätzen,  welche  Innsbruck,  noch  mehr  aber 
das  Bergschloß  Ambras  enthielt,  woselbst  sich  damals 
noch  die  ganze  merkwürdige  Sammlung  befand,  welche 
dem  Erzherzoge  Ferdinand,  dem  Gemahl  der  schönen 
Welserin,  ihr  Entstehen  verdankt  und  welche  später, 
als  Tirol  auf  kurze  Zeit  einer  fremden  Macht  geräumt 
werden  mußte  (1805),  hierher  nach  Wien  transportiert 
und  seitdem  im  k.  k.  Belvedere  aufgestellt  wurde^^). 

Vorzüglich  erfreute  das  Münz-  und  Antikenkabinett 
sich  der  Vorsorge  und  Aufmerksamkeit  des  Monarchen, 
der  einen  sehr  tüchtigen  und  der  ganzen  Welt  rühm- 
lich bekannten  Gelehrten,  Herrn  Duval,  zum  Vor- 
steher desselben  ernannt  hatte.  Duval  habe  ich  noch 
gekannt  und  erinnere  mich  des  langen,  hagern,  alten 
Franzosen  recht  wohl,  der  meine  Eltern  öfters  be- 
suchte, von  ihnen  mit  großer  Achtung  und  Liebe  be- 
handelt wurde  und  gegen  uns   Kinder  so  freundlich 

24 


Charlotte  von  Greiner 

Anonyme  Bleistiftzeichnung  nach  einer  Miniatur 
Frau  Irma  Warmuth-Jancsö,  Wien 


war.  Er  war  aber  selbst  im  hohen  Alter  noch  eine 
kindliche  Natur,  und  er,  der  arme  Hirtenknabe,  der 
hinter  seinen  Schafen  einhergehend  und  Bücher  lesend, 
die  er  sich  von  seinem  sauer  ersparten  Lohn  kaufte, 
so  von  Kaiser  Franzens  Vater,  dem  Herzog  von  Lothrin- 
gen, auf  der  Jagd  gefunden,  befragt  und  aufgenommen 
uairde,  den  der  Herzog  dann  studieren  ließ,  weil  er 
dessen  ungemeine  Fähigkeiten  erkannte  —  behielt  noch 
bis  ins  späte  Alter  die  ungetrübte  Heiterkeit  des  Geistes, 
die  unerschöpfhche  Gutmütigkeit  seiner  Kindheit  und 
Jugend  bei  33).  Meine  Mutter  Hebte  er  väterlich,  nannte 
sie  seine  „Bibi"  und  unterzeichnete  seine  Briefe  an  sie 
immer  mit  dem,  auf  ein  französisches  Sprichwort  (que 
99  moutons  et  un  Champagnard  fönt  loo  betes)  ge- 
gründeten Ausdruck:  le  suplement  des  99  moutons  ^^). 
—  Er  war  aus 'der  Champagne  gebürtig. 

Um  diesem,'' seinem  heben  Duval,  nun  auch  eine 
Ausbeute  von  seiner  Reise  mitzubringen^und  das  Wie- 
ner Münzkabinett  zu  bereichern,  ließ  skh  Kaiser 
Franz  die  Schätze  des  Innsbrucker  zeig^,  und  be- 
schloß, die  Dubletten  desselben  mitzunehmen  und  da- 
für von  Wien  zu  senden,  was  dem  Innsbrucker  fehlte. 
Aber  damit  war  der  damalige  Direktor  des  Kabinettes 
in  Innsbruck 35)  nicht  zufrieden  (seinen  Namen  zu 
nennen,  wäre  unbescheiden,  aber  die  Anekdoten  sind 
zu  hübsch,  um  vergessen  zu  werden).  —  Mit  nichten, 
antwortete  er  dem  Kaiser,  ich  habe  die  Münzen  auf 
meinem  Inventar,  ich  muß  dafür  haften.  Vergebens 
suchte  ihn  der  Kaiser  auf  den  wissenschaftlichen  Stand- 
punkt zu  stellen,  von  dem  aus  er  einen  solchen  Tausch 
zu  betrachten  hätte  —  der  gute  Direktor  hielt  sich 
an  sein  Inventarium,  bis  endhch  der  Monarch,  der 
merkte,  mit  welchem  Manne  er  es  zu  tun  habe,  ihm 

25 


vorschlug,    die   auszutauschenden    Münzen    zu    wägen 
und   dem   Innsbrucker  Münzkabinette  indes   so  viele 
(neugeprägte)    Dukaten    dazulassen,    als    jene    Gold- 
gewicht hätten,  bis  sie  durch  die  aus  Wien  zu  senden- 
den   ausgelöst    werden    würden.     Das    beruhigte    den 
Direktor;   er  gab  Goldgewicht  für  Goldgewicht  und 
war  nun  überzeugt,  seine  PfHcht  gegen  die  ihm  an- 
vertrauten   Schätze    vollkommen    erfüllt    zu    haben. 
Eine    zweite    Antwort,    die    derselbe    gelehrte    Mann 
meiner   Mutter  gab,    dient   zum    Beleg  jener   ersten. 
Im  Antikenkabinett,  welches  die  Fräulein  der  Kaiserin 
auch  zu  besehen  gekommen  waren,  fiel  meiner  Mutter 
ein  Stück  auf,  das  ihr  nicht  echt,  keine  wirkliche  Antike 
zu  sein  schien.    Sie  äußerte  diesen  Zweifel  gegen  den 
gelehrten    Herrn    Direktor.      O,    mein   Fräulein!    er- 
widerte dieser,  dies  Stück  ist  gewiß  antik  —  ich  bin 
nun  schon  vierzig  Jahre  in  diesem  Kabinett  angestellt 
und  habe  es  bereits  vorgefunden. 


Das  Beilager  wurde  gehalten,  die  Feierlichkeiten 
waren  vorüber,  der  Hof  dachte  an  seine  Rückreise 
nach  Wien,  da  ging  am  i8.  August  der  Kaiser,  von 
seinem  ältesten  Sohne,  dem  Erzherzog  Josef,  damals 
schon  römischem  König,  abends  aus  seiner  Loge  im 
Theater,  um  in  seine  Gemächer  zurückzukehren.  Auf 
dem  Gange  hinter  den  Logen  rührte  ihn  plötzhch  ein 
Schlagfluß.  Er  sank  in  die  Arme  seines  Sohnes  und 
gab  auf  der  Stelle  seinen  Geist  auf.  Dieser  Sohn  mußte 
der  Überbringer  der  schreckhchen  Nachricht  an  seine 
Mutter,  an  seinen  Bruder  sein,  der  einer  Unpäßhch- 
keit  wegen  sich  in  seinen  Zimmern  gehalten  hatte-'"). 
Hier  zeigte  sich's,  wie  meine  Mutter  sagte,  welche  tiefe, 

26 


innige  Liebe  Maria  Theresia  für  ihren  Gemahl  hatte. 
Sie  war  ganz  vernichtet,  sie  fand  keine  Tränen  und 
ein  krampfhaftes,  gewaltsames  Schluchzen,  welches  die 
ganze  Nacht  durch  währte,  erfüllte  ihre  Umgebung 
mit  der  lebhaftesten  Sorge  für  die  Gesundheit  und 
das  Leben  der  hohen  Frau.  Erst  gegen  Morgen,  nach 
einer  Aderlaß,  welche  der  Arzt  verordnete,  brach  ihr 
tiefer,  großer  Schmerz  in  erleichternde  Tränen  aus.  — 
Eine  ihrer  ersten  Handlungen  aber  war,  meiner  Mutter 
zu  befehlen,  daß  sie  ihr  die  Haare  abschneide.  —  Von 
diesem  Augenblicke  an,  als  ihr  Gemahl  sich  ihrer,  trotz 
ihres  reiferen  Alters,  noch  immer  großen  Schönheit 
nicht  mehr  erfreuen  konnte,  freute  auch  sie  sich  ihrer 
Gestalt  nicht  mehr.  Sie  legte  allen  bunten  Putz  und 
alles  Geschmeide  ab,  teilte  ihre  Garderobe  unter  ihre 
Frauen,  ließ  ihr  Schlafzimmer  mit  grauer  Seide  aus- 
schlagen, ihr  einsames  Lager  mit  grauen  Vorhängen 
umgeben  und  zeigte  so  auch  in  ihrem  Äußern,  daß  das 
Leben  und  die  Welt  für  sie  ihren  Reiz  verloren  haben  ^'O- 
An  jedem  i8.  des  Augusts,  dem  Todestage  ihres  Gatten, 
besuchte  sie  seine  Grabstätte^^),  schloß  sich  dann  in  ihr 
Zimmer  ein,  beichtete,  fastete  und  brachte  den  Tag  in 
schmerzlichen  Erinnerunge;a  und  frommen  Gebeten  zu. 
Rührend  ist  das  GrabmVl,  welches  sie  ihrem  Gemahl 
nach  seinem  Tode  und  sich  selbst  im  voraus  in  der  kaiser- 
hchen  Gruft  bei  den  Kapuzinern  errichten  ließ,  und  wo 
sie  mit  dem  ersten  und  einzigen  Gegenstand  ihrer  Liebe, 
auf  einer  Art  von  Paradebette  ruhend,  vorgestellt  ist^^). 
Die  Wahrheit  solcher  Gefühle,  welche  allein  ihren  Wert 
ausmacht,  zeigt  sich  am  siegreichsten  und  überzeugend- 
sten vor  den  nächsten  und  beständigen  Umgebungen. 
Sind  diese  von  der  Wirklichkeit  und  Tiefe  des  Schmerzes 
überzeugt,  so  ist  wohl  kaum  mehr  daran   zu  zweifeln. 

27 


So  steht  Maria  Theresia,  welche  als  Regentin  einen 
der  ersten  Plätze  in  der  Reihe  der  großen  Monarchen 
einnimmt,  als  Frau  nicht  miftder  groß  und  erhaben 
vor  uns.  Schön,  wie  wenige  ihres  Geschlechts,  Erbin 
großer  Staaten,  liebenswürdige  Frau,  mit  tausend 
Talenten,  unter  andern  auch  mit  einer  wunderlieb- 
lichen Stimme  begabt,  die  sie  im  Gesänge  oft  zur 
Freude  des  Hofes  hören  ließ*")  —  und  dem  ersten  und 
einzigen  Gegenstand  ihrer  jugendlichen  Zärtlichkeit 
treu  bis  in  den  Tod.  —  Es  war  mir  auch  eine  sehr  werte 
und  erfreuliche  Erscheinung,  diese  Regentin  von  der 
Feder  einer  weiblichen  und  liebevollen  Hand,  der 
Mistreß  Jameson^^)  in  ihrem  Buche:  The  Female 
Sovereigns,  ganz  nach  ihrem  wahren  Wert  erkannt  und 
geschildert  zu  sehen,  so  daß  sich  ihr  Bild  weit  über 
Katharina  H.  und  sogar  über  Elisabeth  von  England 
erhebt. 

Diese  Treue  und  Liebe  wird  noch  herrlicher,  wenn 
man  weiß,  daß  die  erste  bei  weitem  nicht  in  dem  Maß 
vergolten  wurde,  in  welchem  sie  es  verdient  hätte. 
Kaiser  Franz  hatte  verschiedene  Liebschaften,  die  man 
teils  kannte,  teils  nicht.  —  Seine  Gemahlin  wußte  wohl 
darum,  sie  zog  die  eine  davon  an  ihren  Spieltisch;  — 
sie  litt  dadurch,  aber  sie  liebte  den  Wankelmütigen 
nichtsdestoweniger  mit  gleicher  Glut  bis  an  seinen 
Tod*2).  Ein  Wort,  das  sie  einst  zu  meiner  Mutter 
sprach,  mag  wohl  aus  der  tiefen,  Innern  Überzeugung 
entstanden  sein,  daß  ihres  Gemahls  Standpunkt  und 
Verhältnis  zu  ihr  und  seinen  Staaten  nicht  das  eigent- 
lich rechte  und  vielleicht  die  Quelle  manches  Miß- 
tones zwischen  ihnen  war.  ,,Laß  dich  warnen,"  sagte 
sie  einst,  ,,und  heirate  ja  nie  einen  Mann,  der  nichts  zu 
tun  hat"«). 

28 


War,  es,  daß  die  Haare  der  Monarchin  den  Manen 
ihres  Gemahls  ^ und  ihrem  Schmerz^  zum  Opfer  ge- 
fallen waren  und  ihre  Toilette  nicht  mehr  so  viel  Sorg- 
falt erforderte;  war  es  die  eigene  Vereinsamung,  die 
ihr  Herz  für  das  Traurige  eines  solchen  Geschickes  bei 
andern  empfindHcher  machte  —  kurz,  noch  während 
des  Trauerjahres  erhielt  meine  Mutter  die  Erlaubnis, 
mit  ihrer  Hand  zu  schalten,  und  mein  Vater  erreichte 
das  Ziel  seiner  heißen  und  lange  genährten  Wünsche. 
Als  meine  Mutter  ihren  Bräutigam  der  Monarchin 
vorstellte,  war  diese  erstaunt,  in  meinem  Vater  einen 
zwar  noch  jungen  (er  zählte  35  Jahre,  meine  Mutter 
26)**),  aber  sehr  gesetzten,  einfachen  und  wahrhaft 
deutschen  Mann  zu  finden.  Ich  glaubte  immer, 
äußerte  sie  hernach  zu  meiner  Mutter,  du  würdest 
dir  so  einen  galanten  Herrn,  einen  Chevalier  aussuchen. 
—  Demnach  gewann  dieser  einfache  Mann  späterhin 
durch  seine  erkannte  RechtHchkeit,  seinen  Diensteifer 
und  seine  vorzüglichen  Geistesgaben  die  ausgezeichnete 
Huld  seiner  Monarchin,  wovon  diese  Blätter  unzweifel- 
hafte Proben  aufzeigen  werden. 

Die  Heirat  meiner  Mutter  war  also  beschlossen  und 
wurde  mit  aller,  damals  am  Hofe  übhchen  Feierhch- 
keit  vollzogen.  Die  Verlöbnisse  bestanden  damals 
noch;  —  jenes  meiner  Mutter  wurde  acht  Tage  vor 
der  Trauung  gehalten.  —  Während  dieser  Zeit  legte 
sie  die  Trauer  ab,  welche  sie  mit  dem  ganzen  Hof  noch 
um  den  verstorbenen  Kaiser  trug,  und  ging  bunt.  Am 
Tage  der  Hochzeit  *5)  mußte  sie  sich  in  ihrem  Braut- 
staat vor  der  Kaiserin  zeigen,  welche  zu  dem  eigenen, 
nicht  unbedeutenden  Geschmeide,  womit  meine  Mut- 
ter geschmückt  war,  einige  Geschenke  fügte  und  ihr 
dann  noch  eine  Perlenschnur  von  unschätzbarem  Werte 

29 


um  den  Hals  band,  die  jedoch  die  Braut  nach  der 
Feierlichkeit  der  Trauung  wieder  zurückgeben  mußte, 
da  sie  unter  das  Geschmeide  der  k.  k.  Schatzkammer 
gehörte  und  nur  bei  solchen  Gelegenheiten  gebraucht 
wurde.  In  der  sogenannten  Kammerkapelle  wurde  die 
Zeremonie  vollzogen,  die  Obersthofmeisterin  der  Kaise- 
rin ^^)  führte  als  Brautmutter  die  Braut  an  den  Altar 
und  nahm  während  der  Trauung  in  einem  Betstuhl 
Platz.  Als  der  Geistliche  an  die  Stelle  kam,  wo  er  die 
Braut  auffordert,  das  Ja  auszusprechen,  mußte  diese 
(so  gebot  es  die  Etikette),  ehe  sie  antwortete,  sich  mit 
einer  Verneigung  gegen  die  Obersthofmeisterin  wenden, 
Sit  gleichsam  um  die  Erlaubnis  dazu  ersuchen.  —  Die 
Obersthofmeisterin  erhob  sich,  drehte  sich  gegen  das 
Oratorium,  in  welchem  sich  die  Monarchin  befand, 
und  wiederholte  die  Verbeugung  und  die  stumme  An- 
frage. Hierauf  nickte  die  Kaiserin  bejahend,  die  Oberst- 
hofmeisterin überlieferte  durch  ein  ebensolches  Zeichen 
die  Einwilligung  der,  Mutterstelle  vertretenden,  hohen 
Frau,  die  Braut  verbeugte  sich  dankbar,  wendete  sich 
dann  gegen  den  Priester  und  sprach  ihr  Ja  aus. 

Nach  der  Trauung  folgte  meine  Mutter  ihrem  Ge- 
mahl in  sein  Haus,  wo  indes  seine  Mutter,  bei  welcher 
er  wohnte,  alle  Anstalten  zur  Mittagstafel  und  Be- 
wirtung der  Hochzeitsgäste  getroffen  hatte;  ■ —  und 
dann  ihrer  Schnur  die  Führung  des  ganzen  Haus- 
wesens übergab. 


Hier  begann  nun  für  meine  Mutter  eine  ganz 
neue  Lebensweise,  ja,  sie  fand  sich  eigentlich  in 
einer  neuen  Welt,  nicht  bloß  durch  den  bedeutenden 
Unterschied,  den  die  Verheiratung  in  das  Leben  jedes 

30 


Mädchens  bringt,  sondern  hauptsächlich  dadurch,  daß 
sie  sich  plötzlich  aus  den  glänzenden,  geräuschvollen 
Räumen  eines  der  ersten  Höfe  Europas  und  aus  der 
unmittelbaren  Nähe  einer  regierenden  Monarchin  in 
die  Stille  und  Dunkelheit  einer  wohlhabenden,  aber 
im  Vergleich  mit  ihren  frühern  Gewohnheiten  doch 
sehr  beschränkten  Haushaltung  versetzt  sah.  Dennoch 
scheint  dies  so  sehr  mit  den  geheimen  und  lange  ge- 
nährten Wünschen  ihres  Herzens  übereingestimmt  zu 
haben,  daß  ich  sie  nicht  allein  dieser  Epoche  nie  mit 
Trauer  oder  düsterer  Erinnerung  erwähnen  hörte,  wie 
man  sonst  wohl  später  sich  an  trübverlebte  Stunden 
erinnert,  sondern  sie  vielmehr  mit  Freude  von  dem 
Zeitpunkte  sprach,  wo  sie  endlich  einer  glänzenden  und 
von  vielen  beneideten  Sklaverei  los  ward  und  sich  selbst 
angehören  durfte.  Es  scheint,  habe  ich  oben  gesagt, 
denn  ich  war  natürlicherweise  keine  Zeugin  jener 
ersten  Jahre  der  Verheiratung  meiner  Eltern,  indem 
ich  nicht  einmal  ihr  erstes  Kind  war,  und  wie  ich 
in  die  Jahre  trat,  wo  Kinder  etwas  bemerken  und 
beurteilen  können,  umgab  meine  Eltern  schon  wie- 
der ein  großer  Glanz  und  eine  Bemerktheit,  welche 
meiner  Mutter,  wenn  sie  unmittelbar  auf  ihre  Ver- 
mählung gefolgt  wären,  den  Unterschied  zwischen 
ihrem  Hof-  und  häuslichen  Leben  weniger  hätten 
fühlen  lassen  müssen. 

Ich  erblickte  das  Licht  der  Welt  in  einem  Jahre  mit 
dem  merkwürdigsten  Manne  unserer  Zeit,  mit  Napo- 
leon, und  um  drei  Wochen  später  als  er*').  Oft  hatte 
mir  meine  Mutter  in  frühern  Jahren  erzählt,  daß  da- 
mals (1769)  ein  sehr  heißer  Sommer  gewesen  und  ein 
Komet  am  Himmel  gestanden  habe*^),  den  sie  in  den 

warmen  Sommernächten,  wo  ihr  beschwerlicher  Zu- 

) 
I 

31/ 


stand  (sie  trug  Zwillinge)  ihr  wenig  zu  schlafen  er- 
laubte, oft  betrachtete.  Späterhin  erinnerte  ich  mich 
dieses  Umstandes,  und  daß  dieser  Komet,  wenn  man 
ja  zwischen  der  Erscheinung  dieser  himmlischen  Kör- 
per und  unsern  irdischen  Angelegenheiten  einen  Zu- 
sammenhang annehmen  will,  gar  wohl  auf  die  Geburt 
jenes  furchtbaren  Helden  gedeutet  werden  könne.  — 
Meine  Mutter  hatte,  ganz  gegen  die  damalige  Sitte 
der  Frauen  in  ansehnlicheren  Familien,  beschlossen, 
ihre  Kinder  selbst  zu  nähren  und  in  jedem  Sinne  ihre 
Mutterpflichten  zu  erfüllen.  Den  ältesten  Sohn  hatte 
sie  bereits  gestillt  und  sich  sehr  wohl  dabei  befunden .^^ 
Jetzt,  wo  sie  und  jedermann  glaubte,  daß  sie  zwei 
Kinder  auf  einmal  haben  wurde,  hatte  sie  Lust  und 
fühlte  sich  stark  genug,  beide  zu  nähren.  Sie  kam 
stets  viel  nach  Hofe  und  sah  oft  ihre  kaiserliche  Ge- 
bieterin, diese  aber,  die  ihre  ehemalige  Dienerin  noch 
immer  mit  huldreicher  Sorgfalt  betrachtete,  verbot 
ihr  ausdrücklich,  mehr  als  ein  Kind  zugleich  zu  stillen, 
und  so  überließ  meine  Mutter  die  Wahl,  welche  ihr 
schwer  gewesen  sein  würde,  der  Vorsicht,  indem  sie 
beschloß,  das  Erstgeborne  selbst  zu  tränken.  Das  war 
nun  zu  meinem  Glücke  ich,  und  obwohl  ich,  wie  man 
mir  später  erzählte,  so  klein  und  schwach  auf  die  Welt 
kam,  daß  man,  an  meinem  Leben  verzweifelnd,  mir 
die  Nottaufe  gab,  so  gedieh  ich  doch  an  meiner  Mutter 
Brust  zu  einer  solchen  Fülle  von  Kraft  und  Gesundheit, 
daß  ich  noch  bis  jetzt,  bereits  eine  Siebzigerin,  von 
keiner  eigentlichen  Krankheit  weiß  und  nie,  selbst  nicht 
im  Wochenbette,  länger  als  6 — 7  Tage  hintereinander 
im  Bette  bleiben  mußte.  Kein  chirurgisches  Instru- 
ment, nicht  einmal  eine  Lanzette  zum  Aderlassen,  hat 
meinen  Leib  berührt,  und  ich  kann,  kleine  Unpäßlich- 

32 


J.  E.  Mansfeld  sc.  —  k.  k.  FIdei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


keiten  und  eine  außerordentliche  Reizbarkeit  der  Ner- 
ven und  der  Organisation  überhaupt  ausgenommen, 
welche  sich  in  spätem  Jahren  offenbarte  und  mir  große 
Behutsamkeit  und  Mäßigkeit  zur  Pfhcht  macht,  sagen, 
daß  ich  stets  vollkommen  gesund  war. 

Mein  Zwilhngsbruder^^),  ein  starker,  schöner  Knabe, 
bekam   eine  Amme  und   starb   noch   vor  dem   ersten 
Jahre;  denn  die  Amme  wurde  krank  und  verschwieg  es. 
Auch  mein   älterer  Bruder  °o)   muß   nicht  lange  nach 
meinem    Erscheinen   im    elterhchen    Hause   gestorben 
sein,  denn  ich  erinnere  mich  seiner  durchaus  nicht,  ob- 
wohl  mein   Bewußtsein   in    einzelnen   Bildern    bis     an 
mein  drittes  Lebensjahr  reicht.    Damals  lebten  jene 
zwei   Kinder  nicht  mehr,   aber  ein   viertes,   auch   ein 
Knabe,  Franz  Xav.  mit  Namen,  wuchs  neben  mir  em- 
por.   Ich  wußte  später,  daß  er  um  drei  Jahre  jünger  sei 
als  ich,  und  ich  erinnere  mich  wohl,  ihn  noch  auf  dem 
Arm  der  Wärterin  gesehen  zu  habendi).    Zwei  Szenen 
aus  jener  frühen  Zeit  stehen  auch  noch  einzeln  vor  mir 
und  haben  sich  wie  dämmernde  Punkte  in  einer  dun- 
keln Vergangenheit  erhalten.    Eines  Morgens,  es  war 
ein  Sonnabend,  saß  ich  in  meiner  Eltern  Schlafzimmer 
auf  einem  Schemelchen  zu  meiner  Mutter  Füßen,  als 
mein  Vater  eintrat  und  ihr  seine  Erhebung  zur  Hof- 
ratsstelle    ankündigte  ^2).     Gewiß    war    dies    Ereignis 
meinen    Eltern    sehr   wichtig,    und    die    Bewegungen, 
welche  es  im  Hause  verursacht  haben  mag,  werden  die 
L'rsache  sein,  warum  eine  Veränderung  unserer  Lage, 
mit  der  ich  damals,  im  3.  bis  4.  Lebensjahre,  gar  keinen 
Begriff  verbinden  konnte,  so  bleibenden  Eindruck  auf 
mich  gemacht  hat.    Das  zweite  Ereignis  war  verschie- 
dener Art.  —  Ich  stand  im  Zimmer  meiner  Großmut- 
ter,  welche   das   Haus   bewohnte,   das   an   das   unsrige 

33 


stiei3,  und  deren  Wohnung,  weil  beide  Häuser  ihr 
eigentümlich  gehörten,  durch  eine  Kommunikations- 
türe mit  der  unsrigen  zusammenhing^^);  —  da  trat  der 
Bediente  mit  erschrockener  Miene  in  das  Zimmer  der 
alten  Frau  (ich  sehe  sein  Gesicht  noch,  er  diente  meinem 
Vater  noch  viele  Jahre  darnach)  und  erzählte,  daß  er 
eben  von  den  ,,obern  Jesuiten"  käme:  Da  sieht  es  aus! 
rief  der  alte  Jakob,  die  Aufhebung  ist  da,  die  kaiser- 
lichen Kommissarien  sind  eben  gekommen^*).  Diese 
Nachricht  war  nun  freilich  für  meine  Großmutter,  wie 
für  sehr  viele  Menschen  in  jener  Zeit,  ein  Donner- 
schlag; sie  hatte  einen  Jesuiten  zum  Beichtvater,  war 
überhaupt  eine  sehr  fromme  Frau  und  nach  den  Begriffen 
jenerZeit  der  Geistlichkeit  sehr  ergeben.  Auch  bei  dieser 
Begebenheit  muß  das  Betragen  der  Umstehenden  den 
Eindruck  auf  mich  gemacht  haben,  den  eine  Nachricht 
an  sich  nicht  hätte  hervorbringen  können,  von  deren 
Wichtigkeit  ich  nichts  verstand  —  und  diese  Szene  wie 
die  vorhergehende  meinem  Gedächtnis  eingeprägt  haben. 


Ich  war  ein  sehr  lebhaftes,  munteres  Kind  —  oft 
wurde  mir  gesagt,  daß  ich  besser  zum  Knaben  ge- 
taugt hätte,  und  ich  erinnere  mich  mancher  Ermah- 
nungen, mancher  beschämenden  Auftritte,  wo  diese 
unbesorgte  Lebhaftigkeit  mich  zu  Übereilungen  hin- 
gerissen oder  zu  einem  Betragen  getrieben  hatte,  das 
für  ein  Mädchen  viel  zu  wild  und  entschieden  war. 
Drei  Jahre  voraus  und  jene  natürliche  Unstetigkeit  und 
Heftigkeit  gaben  mir  lange  Zeit  ein  großes  Über- 
gewicht über  den  Jüngern  und  sanftem  Bruder.  Ich 
,  lernte  leicht,  faßte  schnell,  hatte  ein  vortreffliches  Ge- 
dächtnis, lauter  Naturgaben,  um  die  ich  kein  Verdienst 

34 


hatte  —  an  welchen  ich  aber  meinen  Bruder  übertraf, 
der  mit  einem,  wie  es  sich  später  wohl  zeigte,  viel  rich- 
tigerm  Verstände  eine  etwas  langsamere  Fassungskraft 
verband.  Mir  ward  jene  Leichtigkeit  oft  schädlich.  — 
Ich  lernte  höchst  ungern.  —  Auf  einem  Stuhle  sitzen, 
acht  geben  und  mit  einerlei  Gegenstand  mich  beschäf- 
tigen, das  alles  waren  mir  unerträgliche  Dinge.  So 
benützte  ich  jene  Fassungskraft  und  mein  gutes  Ge- 
dächtnis, nahm  mein  Spielzeug  oder  ein  Märchenbuch 
mit  zur  Lektion,  hörte,  während  ich  spielte  oder  las, 
mit  halbem  Ohr  auf  das,  was  der  Lehrer  erklärte  und 
fertigte  ihn,  wenn  er  mir  meine  sehr  ungehörige  Spiel- 
lust verweisen  oder  die  Gerätschaften  derselben  weg- 
nehmen wollte,  damit  ab,  daß  ich  ihm  genau  wieder- 
holte, was  er  soeben  gesprochen  und  auf  diese  Art 
meine  Lektion  doch  zu  wissen  schien.  —  Freilich  war 
es  nur  ein  Schein  und  kein  rechtes  Erkennen,  ich  hatte 
es  aber  einmal  dahin  gebracht,  beim  Lernen  spielen 
zu  dürfen  und  ließ  mir  dies  Vorrecht  nicht  nehmen. 
Noch  erinnere  ich  mich  eines  Verses  —  des  ersten,  den 
ich  in  meinem  Leben  gemacht,  den  meine  Ungeduld 

bei  der  Lehrstunde  mir  eingegeben. Die  Stunde 

war  von  12 — i  Uhr,  und  meine  Sehnsucht  und  Auf- 
merksamkeit viel  mehr  auf  die  Uhr  als  auf  das  Lernen 
gerichtet.  —  In  dieser  Stimmung  setzte  ich  mir  fol- 
gende Reime  im  Geiste  zusammen: 

Uhrchen,  Ührchen,  geh'  geschwind. 
Mach',  daß  bald  der  Sand  verrinnt, 
Laß  den  Sand  verrinnen, 
Laß  Ein  Uhr  beginnen, 
Ührchen,  Ührchen,  geh'  geschwind. 

Doch   nicht    bei   jedem    meiner   Lehrer   ging   dies 
mutwillige  Spiel  an.    Ich  hatte  deren  einige,  welche 

'  35 


auch  sonst  noch  in  der  Welt,  besonders  der  hterari- 
schen,  ausgezeichnet  waren,  und  ich  freue  mich  jetzt, 
nach  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  ungefähr, 
von  diesen  Männern  sprechen  und  ihnen  meinen  Dank 
bezeigen  zu  können.  Als  ich  mein  sechstes  Jahr  erreicht 
hatte,  wurde  ich,  zum  Unterricht  in  der  Religion,  der 
Leitung  des  damaligen  Katecheten  an  der  Normal- 
schule, Josef  Gall*),  übergeben,  der  späterhin  Pfarrer, 
dann  Domherr,  Oberaufseher  der  Schulen  und  end- 
lich im  Jahre  1788  Bischof  in  Linz  wurde ^^).  Noch  jetzt 
lebt  das  Andenken  dieses,  als  Mensch,  Priester,  Pädagog 
und  Kirchenoberhaupt  gleich  würdigen  Mannes,  in 
vielen  Herzen,  besonders  der  Oberösterreicher,  welche 
unter  seinem  Hirtenamte  ihre  Schulen  ungemein  ver- 
bessert, die  Pfarreien  mit  würdigen  Männern  besetzt 
und  im  ganzen  Lande,  dessen  einzelne  Teile  der  wahr- 
haft apostolische  Bischof  abwechselnd  jährlich  in  den 
Visitationen  durchreiste,  echte  Gottesfurcht  und  Sitt- 
lichkeit verbreitet  sahen.  Dieser  vortreffliche  Mann 
war  mein  Lehrer  in  der  Religion,  zu  w^elchem  Unter- 
richte er  späterhin  den  in  der  Naturgeschichte  und 
Naturlehre  fügte,  zwei  Zweige  der  Belehrung,  die  für 
ein  gottesfürchtiges  wie  für  ein  kindliches  Gemüt  sich 
gar  wohl  und  erbauend  an  den  Religionsunterricht 
schließen  lassen,  was  denn  Gall  auch  tat.  Bei  seinen 
Lektionen  war  keine  Rede  von  Spielerei,  und  doch  war 
er  nichts  weniger  als  streng,  vielmehr  heiter,  gelassen 
und  überaus  gütig  gegen  seine  Untergebenen,  denen 
er  bald  mit  Erzählung  interessanter  Geschichten  oder 
natürlicher  Erscheinungen  oder  mit  dem  Geschenke 
eines  nützlichen  Buches  Freude  zu  machen  und  über- 

•)  Ein  ziemlich  naher  Verwandter  und  Landsmann  des  Dr.  Gall, 
des  Kranologen. 

36 


haupt  ihre  Liebe  und  Ehrfurcht  in  gleichem  Grade 
zu  erwerben  wußte. 

Ein    zweiter,    ebenfalls    nicht    unberühmter    Mann 
war    mein     Klaviermeister    Steffann^^)^    gjj^    Böhme 
von   Geburt,   der   ebenfalls   in   dieser  Eigenschaft   als 
Klavierlehrer  früher  die  kaiserlichen  Prinzen  und  Prin- 
zessinnen   unterrichtet    hatte.     Steffann    komponierte 
mit    Glück,'  seine    drei    Sammlungen    von    deutschen 
Liedern  rnachten  damals  (vor  50 — 52  Jahren)  Epoche 
und  brachen  dem  einfachen  deutschen  Gesänge  so  zu- 
sagen eine  neue  Bahn.   Steffann  war  ein  humoristischer, 
ganz  eigener  Mensch,  der  zu  den  Wunderlichkeiten, 
welche    bei    Künstlern    und    besonders    Musikern   ge- 
wöhnlich sind,  noch  einige  besondere  fügte.    Aber  er 
verstand  seine  Kunst  gründhch  und  hatte  einen  un- 
erschöpfhchen  Fond  von  guter  Laune.    So  imponierte 
er  mir  nicht  durch  sittliche  Würde  wie  Gall,  aber  er 
flößte  mir  Achtung  ein  und  wußte  durch  Güte  und 
Ernst,  durch  Spaße  und  Verweise  meine  Aufmerksam- 
keit zu  fesseln.    Mir  fiel  es  nicht  ein,  zu  spielen  oder 
etwas  anderes  zu  sinnen,  solange  die  Lektion  dauerte, 
und  ich  galt  auch  bald  für  eine  seiner  besten  Schüle- 
rinnen, obgleich  Musik  eigentlich  meinem  Geiste  nicht 
zusagte,  der  sich  mehr  in  klaren  Vorstellungen  als  in 
unbestimmten  Anregungen  gefiel  und  dessen  Anlagen 
und  Natur  mich  von  jeher  die  Malerei  der  Musik  hatten 
vorziehen  lassen. 

Ich  bekam  auch  Unterricht  im  Zeichnen,  aber  hier 
ar  die  Wahl  meines  Lehrers  nicht  glücklich.  Der 
Mann  war  unstreitig  sehr  geschickt  in  seinem  Fache, 
welches  Baukunst  und  Blumenzeichnung  war,  beides 
aber,  besonders  das  erste,  sprach  mich  ganz  und  gar 
nicht  an.    Dieses  Handhaben  des  Zirkels  und  Lineals, 

37 


w 


diese  Unausweichbarkeit  der  Formen,  diese  Beschrän- 
kung aller  Phantasie  und  Willkür  war  meinem  überaus 
unsteten,  lebhaften  Wesen  entgegen.  Besser  freuten 
mich  die  Blumen ;  hier  war  der  Erfindung,  der  Freiheit 
zu  ändern,  doch  einiger  Raum  gegönnt;  aber  mich 
hätte  die  Landschaftszeichnung  am  meisten  angezogen, 
und  diese  verstand  mein  Lehrer  nicht,  und  die  Anlei- 
tung, welche  er  mir  nach  Büchern  geben  wollte,  schlug 
nicht  an;  denn  sie  war  nicht  lebendig  und  wahr. 

Späterhin  wurde  es  mir  klar,  warum  dieser  Unter- 
richt und  dieser  Meister  gewählt  worden  waren.  — 
Meine  Eltern  und  einige  verständige  Freunde  derselben, 
denen  meine  zweckmäßige  Ausbildung  am  Herzen  lag, 
fanden,  daß  mein  allzu  lebhafter  und  unsteter  Geist, 
sowie  meine  Phantasie,  welche  schon  die  Schwingen 
zu  regen  begann,  des  Zaums  und  Gegengewichts  einer 
ernsten,  zu  gründlichem  Denken  und  anhaltender  Auf- 
merksamkeit führenden  Beschäftigung  bedürfe.    Jener 
Lehrer  war  zugleich  auch  Professor  der  Mathematik. 
Er  sollte  mich   nebst  dem  Zeichnen  nach  seiner  Art 
auch  Geometrie  lehren ;  —  nicht  damit  ich  einst  Mathe- 
matik verstehen  und  damit  prunken  könne,  sondern  da- 
mit ich  richtig  denken,  schließen  und  die  schwärmende 
Einbildungskraft  zügeln  lerne.    Daß  dieser  Unterricht 
nicht  nach  meinem  Geschmacke  war,  wird  man  'nach 
dem  Vorhergehenden  wohl  leicht  ermessen;  indessen 
war  er  mir  doch  heilsam,  und  erleichterte  mir  später- 
hin das  Begreifen,  sowie  das  Durchdringen  und  Ord- 
nen   manches    schwerer    verständhchen    Buches    oder 
Vortrags. 

Es  wird  hier  pasjiend  sein,  etwas  von  den  Freunden, 
welche  das  Haus  meiner  Eltern  besuchten,  sowie  von 
der    Innern    Einrichtung    dieses    Hauses    und    seinen 

38 


äußeren  Verhältnissen  zu  sagen,  weil  alles  dies  unmerk- 
lichen, aber  steten  und  daher  bedeutenden  Einfluß 
auf  die  Bildung  und  Richtung  meines  Innern  hatte. 

Meines  Vaters  ausgezeichnete  Geistesgaben,  seine 
strenge  Redlichkeit,  sein  Eifer,  sein  unermüdeter 
Fleiß  hatten  bald  nach  seiner  Verheiratung  die  Auf- 
merksamkeit der  Monarchin  auf  den  Gemahl  ihrer  Vor- 
leserin, der  zugleich  einer  der  tüchtigsten  Beamten 
war,  gelenkt.  Sie  erhob  ihn  zur  Stelle  eines  Hofrates 
und  geheimen  Referendars,  schenkte  ihm  viel  Ver- 
trauen, sah  ihn  oft,  ließ  sich  von  ihm  in  Privataudienzen 
wichtige  Dinge  vortragen  und  hörte  seine  Meinung, 
seinen  Rat,  zuweilen  auch,  wenn  es  die  Umstände  ge- 
boten, seinen  Widerspruch  mit  Zutrauen  und  Geduld  ^') . 
Noch  besitzen  wir  in  unserer  Familie  einen  Schatz  von 
einzelnen  Blättern,  auf  welchen  von  meines  Vaters 
Hand  Vorträge,  Anfragen,  Gutachten  geschrieben 
sind,  wie  er  sie  der  Monarchin  vorlegen  mußte  und  auf 
welche  sie  dann  eigenhändig  eine  Antwort,  Entschei- 
dung, Entschließung  usw.  schrieb  ^^).  Sie  stellen  ein 
Verhältnis  des  Staatsbeamten  ,zu  seiner  Monarchin, 
und  zugleich  des  innigstergebenen  Dieners  und  Freun- 
des zu  seiner  huldreichen  Fürstin  dar,  das  ebenso 
würdig  als  zart,  ebenso  rührend  als  erhebend  ist  und 
wovon  ich  im  Verlauf  einige  Proben  geben  werde, 
welche  gewiß  dazu  beitragen,  den  Charakter  der  großen 
Maria  Theresia  in  seinem  schönsten  Lichte  zu  zeigen. 

Diese  Gunst  der  Monarchin  verbreitete  einen  be- 
deutenden Glanz  über  unser  Haus,  welches  durch  die 
(für  jene  Zeit)  beträchtliche  Besoldung"^)  eines  kaiser- 
lichen Hofrates  und  das  eigene  Vermögen  meines  Vaters 
auf  einem  sehr  hübschen  Fuß  eingerichtet  war.  Da- 
mals  genossen   die  kaiserlichen   Beamten,   welche   bei 

39 


Hofstcllcn  dienten,  noch  der  sehr  wichtigen  Wohltat 
der  freien  oder  Hof  quartiere ''*').  So  wie  mein  Vater 
also  Hofrat  ward,  konnte  er  auch  Anspruch  auf  eine 
freie  Wohnung  machen,  da  ihm  ohnedies  die  in  seinem 
eigenen  oder  seiner  Mutter  Haus  „im  tiefen  Graben" 
zu  klein  geworden  war.  Es  war  wahrscheinlich  1775 
oder  1776,  daß  wir  die  Wohnung,  in  der  meine  Ge- 
schwister und  ich  geboren  worden,  gegen  eine  statt- 
lichere und  viel  geräumigere  im  Hause  zum  großen 
Christoph ^^)  vertauschten,  welches  jetzt  freilich  ein 
ganz  anderes  Ansehen  hat  als  damals,  wo  es,  nur 
einen  Stock  hoch,  mit  eisernen  Gittern  vor  allen  Fen- 
stern, einem  hölzernen  Kommunikationsgang  im  Hofe, 
einer  freien,  unbedeckten  Treppe  usw.  im  Äußern  und 
Innern  einer  alten  Schloßruine  ähnlicher  sah  als  einem 
Wohnhause  in  Wien.  Doch  der  Zimmer  waren  viel, 
sie  waren  hoch,  groß  und  stattlich,  und  damals  hatte 
man  von  vielen  Bequemlichkeiten  und  Bedürfnissen, 
die  jetzt  in  jeder  Wohnung  gefordert  werden,  keinen 
Begriff.  Auch  w-aren  die  Menschen  stärker  und  ge- 
sünder. Luftzug,  kalte  Gänge,  die  zu  passieren  waren, 
Fenster  oder  Türen,  die  nicht  allzu  wohl  schlössen, 
hier  und  da  eine  feuchte  Wand  usw.  wurden  nicht  ge- 
achtet und,  weil  sie  keinen  schädlichen  Einfluß  hatten, 
kaum  bemerkt.  Ich  weiß,  daß  meine  Eltern  ganz  zu- 
frieden mit  ihrer  Wohnung  waren.  Die  großen  Zim- 
mer, welche  Sälen  glichen,  boten  ihnen  ein  gewünsch- 
tes Lokal  für  die  Bildersammlung  meines  Großvaters 
und  für  die  zahlreichen  Gesellschaften,  welche  sich 
in  unserm  Hause  zu  versammeln  anfingen.  Hier  wurde 
ein  Theater  errichtet,  W'orauf  wir  Kinder  kleine  fran- 
zösische Stücke:  Zeneide  ou  la  fee  und  L'isle  deserte^^), 
nebst  einer  kleinen  deutschen  Idylle  aufführten,  welche 

40 


Josef  Anton  Steffann 
Anonyme  Silhouette  —  k.  k.  Fidel-Commiß-Bibliothek,  Wien 


A 


Herr  von  Ratschky  (wenn  ich  nicht  irre)  nach  dem 
Programm  des  niedlichen  Noverreschen  Ballettes: 
.  Blanc  et  rose  geschrieben  <^3).  In  allen  diesen  Stücken 
wurden  mir  die  muntern,  mutwilligen  Rollen  zugeteilt; 
—  es  war  mir  damals  nicht  möglich,  tiefe  oder  warme 
Empfindung  zu  zeigen,  so  wenig  als  später,  als  wir 
dreizehn,  vierzehn  Jahre  darauf  ebenfalls  diese  Art  ge- 
selliger Unterhaltung  versuchten. 

Auch  große  Musiken  wurden  gegeben,  und  ob- 
wohl ich  ein  ganz  winziges  Geschöpf  von  etwa  7 — 8 
Jahren  war,  ließ  mein  Vater  mich  doch  kleine  Kon- 
zerte, die  mein  Klaviermeister  Steffann  eigens  für  mich 
komponierte,  mit  vollem  Orchester  produzieren.  Na- 
türlich wurde  das  Kind,  die  Tochter  vom  Hause,  be- 
klatscht, belobt,  bewundert,  und  ich  hielt  mich  bald 
für  eine  bedeutende  Künstlerin. 

Um  diese  Zeit  erregte  eine  Erscheinung,  welche  sich 
auch  später,  und  in  unsern  Tagen  oft  wiederholt  hat, 
das  erstemal  ungeheures  Aufsehen  in  Wien.    Es  war 
dies   der  Magnetismus  oder   eigenthch  Mesmerismus; 
denn  Dr.  Mesmer«^)   war  es,  der,  damals  ein  schöner, 
kräftiger,  junger  Mann  (die  meisten  Magnetiseure,  die 
ich  kennen  gelernt,  vereinten  diese  Eigenschaften)  seine 
Kunst  durch  die  Wiederherstellung  des  Augenlichts  bei 
dem  blinden  Fräulein  von  Paradis  zeigen  wollte.    Fräu- 
lein Therese  von  Paradis  war  damals  ein  Mädchen  von 
17— 18  Jahren,  nicht  hübsch,  aber  voll  Geist,  Herzens- 
güte und  Talent,  besonders  für  Musik,  was  denn,  mit 
ihrem  Unglück  zusammengenommen,  ihr  eine  sehr  an- 
ziehende Persönlichkeit  gab,  und  ihr  auch  noch  in  späte- 
ren Jahren  die  Achtung  und  Liebe  aller  derjenigen  er- 
warb, welche  zu  dem  engeren  Kreise  ihrer  Freunde  ge- 
hörten, und  unter  welche  auch  ich  mich  zählen  durfte  ^^). 


-<9  ■  .         . 

\      Damals    war   ich    ein    Kind,    und    auf   keine    Weise 

mrer  Bemerkung  wert;  auch  lernte  ich  sie  erst  später, 
als  jene  Geschichten  schon  vorüber  waren,  persönlich 
kennen  ^^) ;  aber  ich  erinnere  mich  wohl  der  überaus  leb- 
haften Debatten,  welche  jeden  Abend  im  Zirkel  meiner 
Eltern,  wo  sich  viele  geistreiche,  gelehrte  Männer  und 
gebildete  Frauen  versammelten,  über  diesen  Gegen- 
stand gehalten  wurden.  Die  Gesellschaft  teilte  sich  in 
Gläubige  und  Ungläubige.  Zu  den  ersten  gehörten 
hauptsächlich  die  Landsleute  Mesmers  (Schwaben)  und 
jene  Personen,  welche,  damals  wie  jetzt,  ihrer  Phanta- 
sie gern  viel  Spielraum  gönnten,  und  sich  lieber  von 
dem  Neuen  und  Ungewöhnlichen  fortreißen  ließen,  als 
es  untersuchten  und  prüften.  Zu  den  zweiten  zählte 
man  viele  gebildete  Personen  und  einige  Gelehrte  und 
Professoren,  namentlich  von  Well^^)  und  Jacquin®^ 
(Vater;  der  Sohn,  der  später  rühmlich  in  dessen  Fuß- 
stapfen trat,  war  damals  ein  Knabe,  nur  um  ein  paar 
Jahre  älter  als  ich),  und  meine  Eltern.  Vor  allen  erklärte 
sich  meine  Mutter,  deren  scharfsichtiger  Geist  so  wie 
ihre  Achtung  vor  der  Wahrheit  sie  schon  a  priori  je- 
dem Unerklärlichen,  Geheimnisvollen  abgeneigt  mach- 
ten, stets  laut  dagegen,  und  wollte  diese  Heilung, 
welche  die  andere  Partei  als  schon  entschieden  annahm, 
nicht  eher  als  möglich  zugeben,  bis  sie  nicht  selbst  sich 
überzeugt  hätte,  daß  das  Fräulein  sehe.  Sie  fuhr  also 
mit  einem  Anhänger  der  glaubenden  Partei  selbst  in 
die  Gartenwohnung,  in  welcher  damals  die  Familie 
Paradis  lebte,  und  Mesmer,  der  ebenfalls  daselbst 
wohnte,  noch  verschiedene  andere  Kranke  in  der  Kur 
hatte®^).  Mein  Vater  begab  sich  an  einem  andern  Tage 
dahin.  Diese  magnetische  Behandlung  des  blinden 
Fräulein  war  das  allgemeine  Stadtgespräch,  und  ganz 

42 


fremde    Menschen    suchten    Zutritt    in    dem    Hause, 
um  sich  von  dem  Wunder  zu  überzeugen,  daß  eine 
Person,  welche  seit  ihrem  zweiten  oder  dritten  Lebens- 
jahre,   infolge    der    zweckwidrigen    Behandlung    eines 
Hautübels,  das  Augenlicht  verloren  hatte,  dies  jetzt, 
nach  so  vielen  Jahren,  durch  magnetische  Einwirkun- 
gen wieder  erhalten  sollte  haben.    ABer  weder  mein 
Vater  noch  meine  Mutter  kamen  gläubiger  von  diesen 
Besuchen  zurück.  —  Beide  konnten  sich  nicht  über- 
zeugen, daß  Fräulein  Paradis  wirklich  sehe,  so  manche 
Probe,   so   manches   Kunststückchen  ihr  Magnetiseur 
und  Freund  sie  auch  machen  ließ;  und  der  Erfolg  be- 
stätigte meiner  Eltern  Wahrnehmungen '").    Nach  eini- 
gen WocÜen  fielen  sehr  unangenehme  Szenen  zwischen 
Mesmer  und  der  Famihe  Paradis  vor'^),  welche  damit 
endigten,  daß  der  erste  sie  und  bald  auch  Wien  verließ, 
um  in  Paris  seine  magnetischen  Kureri  fortzusetzen'^^)^ 
und  noch  viel  mehr  Aufsehen  und  Anhänger  zu  ma- 
chen als  in  Wien ;  die  unglückKche  Blinde  aber  in  dem 
Zustande  blieb,  in  welchem  sie  vor  der  Kur  gewesen. 
Bald  nach   dieser   Geschichte  wurde  ein   Mann  in 
meiner    Eltern    Hause    eingeführt,    der    bedeutenden 
Einfluß  auf  die  Ausbildung  und  Richtung  meines  Gei- 
stes nahm  —  Herr  L.  L,  Haschka'^),  ein  damals  sehr 
junger,  und,  so  viel  ich  mich  erinnere,  liebenswürdiger 
Mann,  der  nun  seit  ein  paar  Jahren  bei  der  Aufhebung 
des  Jesuitenordens,  dessen  Mitghed  er  gewesen,  wieder 
in  die  Welt  getreten,  und  den  geisthchen  Stand,  da  er 
keine  Profeß  abgelegt,  völlig  verlassen  hatte.    Mit  ihm 
zogen,  möchte  ich  sagen,  die  Musen  in  unser  Haus, 
und  meines  Vaters  Liebe  für  die  schönen  Künste  kam 
jener  Richtung,  welche  Haschka  in  sich  trug,  gern  ent- 
gegen.   Meine  Mutter  Hebte  zwar  die  Poesie  durchaus 

43 


nicht,  aber  sie  hörte  doch  gern  gute  Gedichte  lesen,  und 
erfreute  sich  daran,  wenn  Haschka,  und  auch  später  an- 
dere Musensöhne  Wiens,  die  nach  und  nach  mit  uns 
bekannt  wurden,  ihre  Werke  bei  uns  lasen.    Haschka 
bemerkte  bald  meine  günstigen  Geistesanlagen,  er  fing 
an,  sich  mit  mir  abzugeben,  er  ließ  mich  Gellertsche 
Fabeln    auswendig   lernen    (Deklamieren    war    damals 
nicht  Mode),  ich  durfte  zuhören,  wenn  neue  bedeu- 
tende Sachen  gelesen  wurden.    Ich  fing  bereits  damals 
an,  die  Empfindungen,  von  denen  ich  mich  entweder 
wirkhch  beseelt    fühlte   oder  die  ich  nach  Willkür  in 
mir  hervorzurufen  versuchte,   zu   Papier  zu   bringen, 
und,    freiHch   ohne    eigentlichen    Begriff   von   Versen, 
Rhythmus  und  Form,  so  eine  Art  von  Rhapsodie  zu 
schreiben*).    Ich  weiß,  daß  das  eine  dieser  Blätter  mit 
den    Worten    begann:      „Die    Tage    sind    dahin,    an 
denen   ich    mich    freute",    wie    denn    überhaupt    eine 
Art  von  elegischem  Gefühl  mich,  trotz  meiner  sehr 
glücklichen   Lage   und   munteren    Stimmung,   in   ein- 
zelnen AugenbHcken  zuweilen  übermannte,  und  mich 
eine  vergangene,  schönere  Zeit,  die  meist  nur  in  meiner 
Einbildung  existiert  hatte,   beklagen  ließ.    Vermuthch 
war  es  die  kindische  Freiheit  und  Zwangslosigkeit  mei- 
ner ersten  Jahre,  welche  im  Vergleich  mit  den,  nun  be- 
ginnenden   ernsteren    Beschäftigungen    des    Lernens, 
Arbeitens  und   einer  strengen   Aufsicht,   mir  wie   ein 
goldenes  Zeitalter  erschien,  und  mir  meine  Gegenwart 
in  düsterem  Lichte  zeigte. 

Im  Herbst  1777  starb  meine  Großmutter,  die  lange 
gekränkelt  hatte,  wie  sie  denn  überhaupt  eine  traurige 
Existenz    hatte,    und    durch    einen    schlecht    geheilten 

*)  Jene  oben  Seite  35  angeführten  Verse  wurden  einige  Jahre 
später  gemacht. 

44 


Beinbruch    gelähmt,    seit    vielen    Jahren    ihr    Leben 
zwischen    ihrem    Bett    und    ihrem    Kanapee    teilte'*). 
Sie  besaß  auch  deshalb  eine  Hauskapelle,  in  welcher 
Messe  für  sie  gelesen  werden  durfte,  und  eine  Kusine 
meines   Vaters,    ein    bejahrtes,    unverheiratetes    Fräu- 
lein, lebte  bei  ihr  und  pflegte  ihrer'^).    Bei  dieser  Groß- 
mutter und  dieser  Tante  blühten  uns   Kindern  sehr 
schöne  Stunden;  denn  hier  durften  wir  uns  manches 
erlauben,    was    meine    Eltern    mit    Fug    und    Recht 
nicht  duldeten,    und    hier  erhielten  wir  auch  allerlei 
Näschereien,  die  eben  zu  Hause  uns  mit -eben  so  viel 
Recht  nicht  gegeben  wurden.    Den  Grund  dieses  Ver- 
botes einzusehen,  waren  wir  viel  zu  jung,  ich  sieben, 
der  Bruder  vier  Jahre  alt,  und  wenn  wir  gleich  zu 
Hause  uns  nichts  weniger  als  unzufrieden  fühlten,  be- 
hagte  uns  doch  jene  größere  Zwangslosigkeit,  die  Süßig- 
keiten, das  Spielzeug,  welches  wir  geschenkt  erhielten, 
gar  sehr.   Diese  Großmutter  verstand  auch  Latein,  die 
Tante  machte  (in  größter  Stille,  denn  sie  schämte  sich 
dessen)  gar  nicht  schlechte  Verse  für  jene  Zeit,  und 
hatte  ein  paar  Trauerspiele  in  ehrenfesten  Alexandrinern 
in  ihrem  geheimsten  Schranke  liegen,  die  in  spätem 
Jahren,   als  sie  mit  großem  Vergnügen  in  ihrer  Nichte 
ein  poetisches  Talent  wahrnahm,  nur  ich  allein,  und 
unter  dem  Siegel  der  Verschwiegenheit  zu  sehen  bekam. 
Froh  und  freundhch  wie  helle  Punkte  glänzen  mir 
aus  dem   Dunkel  tiefer  Vergangenheit   diese   bei   der 
Großmutter  und  Tante  verlebten  Stunden  entgegen. 
Sie  stehen  jetzt  noch  nach  viel  mehr  pls  einem  halben 
Säkulum  deutlich  vor  meinem  Geiste,  ich  könnte  auch 
die  Stelle  jedes  Stuhles,  jedes  Buches  in  dem  einfachen 
Zimmer  bezeichnen,  so  wie -ich  ein  paar  Sprüche  wohl 
behalten  habe,  die  ich  oft  bei  passender  Gelegenheit, 

45 


wenn  ich  kindisch  und  täppisch  nach  allem  langte,  was 
nicht  für  mich  gehörte  oder  wenn  ich  nach  etwas 
fragte,  was  ich  nicht  verstand,  von  der  Großmutter 
hörte  und  deren  einer  meinem  kindischen  Verstände 
lange  wie  ein  unbegreifhches  Rätsel  erschien..  Lern 
was,  so  kannst  du  was,  stiehl  was,  so  hast  du  was  und 
laß  jedem  das  seine ''^).  > 

Diese  gute,  freundhche  Großmutter  war  nun  tot, 
die  Tante  bezog  unser  Haus,  und  meine  Eltern  ver- 
ließen nun  auch  die  Wohnung  beim  großen  Christoph, 
und  erhielten  eine  sehr  schöne  und  äußerst  geräumige 
in  einem  Hause  „am  Graben",  in  welchem  sich  auch 
eine  Hauskapelle  befand").  Hier,  wo  eineEnfilade  von 
vier  bis  fünf  Zimmern  bloß  zum  Empfange  von  Ge- 
sellschaften bestimmt  war,  und  noch  viele  andere  Ge- 
mächer zur  Bewohnung  der  zahlreichen  Hausgenossen 
vorhanden  waren,  erweiterte  sich  unser  häushches  Le- 
ben sehr.  Meine  Eltern  boten  jenem  Herrn  Haschka, 
der  von  seinem  ersten  Eintritt  ins  Haus  sich  als  eine 
bedeutende  und  angenehme  Erscheinung  gezeigt  hatte, 
Quartier  in  ihrer  Wohnung  an;  es  wurde  für  meinen 
Bruder  ein  Hofmeister  und  für  mich  ein  Mädchen  an- 
genommen, das  aus  gutem  Hause,  aber  arm  und  einige 
Jahre  älter  als  ich,  mir  zur  Gespiehn  und  gewisser- 
maßen zur  Aufseherin  bestellt  war.  Wir  hatten  viele 
Domestiken,  Equipage,  Reitpferde,  eine  nach  damah- 
gen  Begriffen  elegante  Wohnung,  täghch  abends  zahl- 
reiche Gesellschaft,  sehr  oft  Gäste  zu  Mittag,  und  meist 
ein  paar  Freunde  zum  Souper. 

So  gestaltete  sich  unser  Leben  glänzend  und  ange- 
nehm. Vielleicht  bestand  aber  die  größte  Annehm- 
lichkeit desselben  (wenigstens  dünkt  es  mich  jetzt  so)  in 
dem  Umstände,  daß  die  höhere  Geistesbildung  mei- 

46 


ner  Eltern,  welche  sie  vor  den  meisten  ihrer  Standes- 
genossen auszeichnete,  ihnen  den  Umgang  mit  geist- 
reichen, gebildeten  und  sogar  gelehrten  Personen 
wünschenswert,  ja  zum  Bedürfnisse  gemacht  hatte. 
Mein  Vater  malte  sehr  hübsch  in  Pastell,  er  dichtete 
artige  Lieder,  welche  damals  (vor  70 — 80  Jahren)  mit 
gefälliger  Musikbegleitung  allgemein  bekannt  und  ge- 
sungen wurden.  Eins  derselben  erhielt  eine  besondere 
Zelebrität,  es  fing  also  an: 

Als  in  jüngstvergangnem  Jahr 
Leipzigs  Ostermesse  war, 
Hatte  in  des  Marktes  Mitte 
Amor  eine  Krämerhütte, 
Und  bot  freundlich  jedermann 
Herzen  zu  verkaufen  an;  usw. ^ä^. 

Überdies  Hebte  und  trieb  er  Musik  mit  großem 
Eifer,  und  fand  bei  vielen  und  wichtigen  Geschäften 
doch  immer  noch  Zeit  für  die  Erholungen,  welche  die 
schönen  Künste  ihm  boten.  / 

Meine  Mutter,  im  Gegensatze  von  ihm  oder  um 
den  Kreis  der  Bildung,  der  sich  in  unserm  Hause  fand, 
zu  vervollständigen,  hatte  einen  ausschließenden  Hang 
zu  ernsten  Wissenschaften.  Sie  verachtete,  möchte 
ich  beinahe  sagen,  Dichtkunst  und  überhaupt  schöne 
Künste,  sie  hielt  blutwenig  von  der  Geschichte,  die 
ihr  zu  wenig  ausgemachte  und  unzweifelhafte  Wahrheit 
bot.  Sie  strebte  nur  nach  dieser,  wollte  nur  diese  fin- 
den, hören  und  ihr  folgen.  Gewiß  ein  edles  Streben, 
nur  leider!  daß  es  dem  Menschengeiste  in  seinen  ir- 
dischen Beschränkungen  so  ganz  und  gar  nicht  möglich 
ist,  außer  der  Mathematik  sich  irgend  einer  unbestritte- 
nen Wahrheit  zu  versichern,  und  endlich  doch  alles 
aufs  Glauben  und  Dafürhalten  hinausläuft!  Dieser 
Geistesrichtung  gemäß,  interessierte  sich  meine  Mutter 

47 


für   Naturgeschichte,    Naturlehre,    sogar   Astronomie, 
welche  letztere  Wissenschaft  für  sie  großen  Reiz  hatte, 
und  endlich  für  Untersuchungen  in  einem  Fache,  das 
gewiß  wenig  Männer,  und  vielleicht  außer  ihr  noch 
nie   eine   Frau   beschäftigt  hat.     Sie  strebte  nämhch, 
durch    die    Bekanntschaft    mit    den    Religionen    und 
Mythen  aller  alten  und  neuen  Völker,  mit  den  Tradi- 
tionen, den  Geschichten  der  Vorwelt,  den  Mysterien, 
Tempelgebräuchen  usw.  zur  ursprünglichen  und  höch- 
sten Erkenntnis  in  Rücksicht  der  Gottheit,  unseres  Ver- 
hältnisses zu  ihr,  der  Geologie  und  Kosmogonie  zu  ge- 
langen.   Zu  diesem  Behufe  las  und  exzerpierte  sie  eine 
Menge  Bücher  in  allen  Sprachen,  und  ich  besitze  noch 
mehrere  Blätter,  auf  welchen  sie  einige  Andeutungen 
der    Resultate   ihrer   Forschungen   aufgezeichnet   hat. 
Das  männliche  Geschlecht  kam  bei  allen  diesen  Unter- 
suchungen nicht  zum  besten  weg,  und  meine  Mutter 
war  sehr  geneigt  (wie  ich  später  hörte,  als  ich  imstande 
war,  solche  Begriffe  zu  fassen,  und  ihr  oft  Bücher  vor- 
las, welche  in  diesem  Sinne  geschrieben  waren,  z.  B. 
Sur  les  droits  des  femmes,  par  Mme.  de  Wolstonecraft^^) 
das  System  aufzustellen,  daß  die  Frauen  ursprüngHch 
von  der  Natur  und  Vorsicht  zur  Herrschaft  bestimmt 
seien,  und  dieses  Vorrecht  durch  eine  Art  von  Usur- 
pation des  männlichen  Geschlechtes,  welches  uns  an 
physischen    Kräften   übertrifft,   verloren   habe.     Doch 
das  ist  eine  Abschweifung,  welche  eigentlich  nicht  hier- 
her, sondern  in  die  spätere  Zeit  meiner  aufblühenden 
Jugend  gehört;  aber  sie  floß  zu  natürlich  aus  dem  Vor- 
hergesagten, um  ganz  unterdrückt  zu  werden,  und  ich 
werde  mich  nur  später  darauf  berufen. 

Ich  kehre  zu  dem  Punkte  zurück,  auf  dem  sich  unser 
Haus  in   den  Jahren    1777,   78,   79  befand.     Haschka, 

-        48 


Franz  Josef  von  Ratschky 
Stich  von  Friedrich  John  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


der  durch  seinen  lebendigen  Geist,  durch  sein  Dichter- 
talent, durch  seine  RechtHchkeit  und  echte  Freund- 
schaft, wohl  aber  auch  durch  ein  Betragen,  das  ich  jetzt, 
nach  50  Jahren  darüber  nachdenkend,  fordernd  und 
um  sich  greifend  nennen  möchte,  mit  jedem  Tage 
mehr  Ansehen  uüd  Gewicht  in  unserer  FamiHe  be- 
kam, führte  nach  und  nach  die  damaligen  Schöngeister 
von  Wien  bei  uns  ein.  Alxinger^o),  sein  treuester 
Freund,  wurde  bald  eben  dies  für  meine  Eltern,  und 
war  täghch  bei  uns;  Leon  (ebenfalls  Dichter  und  spä- 
ter Kustos  der  k.  k.  Bibhothek)«!)  ward  durch  Haschka 
als  Hofmeister  meines  Bruders  ins  Haus  gebracht. 
Durch  diese  beiden  lernten  wir  Ratschk782)^  Denis  ^3)^ 
Mastalier^'i),  Blumauer^s)  usw.  kennen,  und  durch 
die  Professoren  Well  (den  Botaniker  und  Naturfor- 
scher), Jacquin,  Abbe  EckheP6),Sonnenfels87),Sperges88), 
Maffei^^)  (lauter  Namen,  welche  die  Literargeschichte 
Österreichs  mit  Achtung  nennt)  wurden  auch  die 
ernstern  Wissenschaften  in  unsern  Kreis  gezogen. 

Mein  Geist  war  lebhaft,  meine  Phantasie  beweghch. 
Die  schönen  Künste  lebten  und  herrschten  in  unserm 
Hause,  Dichter  umgaben  uns  beständig,  Musiker, 
Maler  von  einiger  Bedeutung,  welche  nach  Wien 
kamen,  heßen  so  wie  Gelehrte  anderer  Art  sich  bei 
meinen  Eltern  einführen,  deren  Haus  vor  vielen  der 
Hauptstadt  sich  auszeichnete.  Alles,  was  von  neuen 
Dichterwerken  im  In-  und  Auslande  erschien,  wurde 
sogleich  bei  uns  bekannt,  gelesen,  besprochen.  Herr  v. 
Leon,  unser  Hofmeister,  damals  ein  junger  Mann  von 
23 — 24  Jahren,  fand  Vergnügen  an  der  lebhaften 
Weise,  womit  mein  Geist  alles  auffaßte,  was  Dichtung 
hieß,  so  z.  B,  die  Bürgerschen  Romanzen,  die  ich 
bald  auswendig  wußte.    Wenn  ich  gut  gelernt  hatte, 

49 


las  er  mir  zur  Belohnung  eine  Szene  aus  Götz  von 
Berlichingen,  ein  Stück  aus  Werther,  Woldemar^^) 
oder  einer  andern  Dichtung  vor;  und  ich  kannte  diese 
Bücher,  wußte  manches  davon  auswendig,  ehe  ich  im- 
stande war,  ihren  Wert  auch  nur  im  geringsten  zu 
fassen  und  zu  beurteilen.  Ob  dies  wohl  klug  gehandelt 
war  bei  einem  Kinde,  dessen  Phantasie  ohnedies  zu 
lebhafte  Sprünge  machte,  will  ich  dahingestellt  sein 
lassen;  es  diente  aber,  nebst  den  Einwirkungen,  welche 
von  allen  Seiten  auf  mich  eindrangen,  sehr  dazu,  den 
Keim  zur  Dichtung,  der  in  mir  lag,  zu  erwecken.  Ich 
versuchte  mit  zehn  Jahren,  einige  gereimte  Zeilen  zu- 
sammen zu  setzen  (denn  mit  einem  bessern  Namen 
verdienen  so  rohe  Anfänge  nicht  genannt  zu  werden), 
und  so  entstand  mein  erstes  Liedchen,  auf  dessen  erste 
Zeilen  ich  mich  noch  besinne: 

Wie  lieblich  ist  der  Morgen, 
Wie  schön  ist's  auf  der  Flur! 
Es  schwinden  alle  Sorgen, 
Die  Freude  lächelt  nur  usw. 

Daß  dies  nichts  als  Reminiszenzen  aus  der  Unzahl 
von  gelesenen  und  gehörten  Gedichten  waren,  die  täg- 
lich und  stündlich  in  meinem  Kopfe  spukten,  ist  klar, 
und  wenn  wir  die  ersten  Versuche  so  mancher,  beson- 
ders der  sogenannten  „Naturdichter"  betrachten,  die 
dehn  auch  auf  gewisse  Weise  noch  Kinder  sind,  wie  ich 
es  war,  so  wird  sich  finden,  daß  ihr  Dichterberuf,  so 
wie  meiner  damals,  wohl  in  weiter  nichts  als  einer 
glückhchen  Kombinationsgabe  und  gutem  Gedächt- 
nisse besteht.  Indessen  —  mein  Liedchen  wurde  ange- 
hört, gelobt,  bewundert  und  sogar  in  Musik  gesetzt. 
Was  geschieht  nicht  von  Seiten  der  Freunde  und  Be- 
kannten für  die  Kinder  eines  verehrten  und  ansehn- 

50 


liehen  Hauses ^°^) !  Das  sollten  sich  manche  gegenwärtig 
halten,  die,  von  den  Lobsprüchen  der  Haus-  und  Tisch- 
freunde irregeführt,  so  leicht  dahin  gebracht  werden, 
in  den  Äußerungen  und  Leistungen  ihrer  Sprößlinge 
etwas  Außerordentliches  zu  sehen. 

So  schwach  diese  Versuche  waren,  so  dienten  sie 
doch,  verbunden  mit  meinem  lebhaften  Geiste  und  mei- 
nem unvergleichlichen  Gedächtnisse,  dazu,  die  Auf- 
merksamkeit der  Männer  von  Bildung  und  Wissen- 
schaft, die  das  Haus  meiner  Eltern  oft  besuchten,  vor 
allen  die  unsers  Hausgenossen  Haschka  auf  mich  zu 
lenken.  Er  fand  es  der  Mühe  wert,  sich  mit  dem  Kinde, 
das  etwas  zu  werden  versprach,  abzugeben-;  er  bestimmte 
täglich  eine  gewisse  Zeit,  wo  ich  auf  sein  Zimmer  kom- 
men mußte,  und  wo  er  mir,  so  wie  meinem  Bruder, 
L  nterricht  in  den  Regeln  der  deutschen  Sprache  gab 
—  damals  noch  aus  Gottscheds  Grammatik  ^^);  denn 
Adelung^^^)  war  noch  nicht  erschienen. 

Hier  aber  stößt  meine  Erinnerung  auf  einen  dunkeln 
Fleck  in  der  Entwicklung  meines  Selbsts,  auf  einen 
häßlichen  Zug  des  Übermutes  und  liebloser  Eitelkeit. 
Ich  könnte  ihn  verschweigen,  denn  er  ist  zum  Glücke 
auf  keine  Weise  mit  in  die  weiteren  Fortschritte  mei- 
ner Bildung  verflochten;  aber  ich  würde  ujiwahr  zu 
sein,  und  diesen  Bekenntnissen  einen  Teil  ihres  Wer- 
tes für  unbefangene  Seelen,  die  auch  aus  Fehlern 
anderer  lernen  können,  zu  entziehen  glauben,  wenn  ich 
den  meinigen  nicht  gestände,  da  ich  doch  auch  einiges 
zu  meiner  Entschuldigung  anführen  kann. 

Ich  glaube  schon  einmal  berührt  zu  haben,  daß 
mein  Bruder,  der  um  drei  Jahre  jünger  war  als  ich, 
von  der  Natur  zwar,  wie  es  sich  später  zeigte,  einen 
sehr  scharfen,  richtigen  Verstand,  aber  kein  so  schnelles 

4"  51 


Auffassungsvermögen  erhalten  hatte,  als  ich.  Auch 
sein  Gedächtnis  war  nicht  so  hervorstechend,  und  eine 
gewisse  Langsamkeit  in  geistigen  und  körperlichen  Be- 
wegungen, verbunden  mit  einer  nicht  ganz  deutlichen 
Aussprache,  machten  ihm  das  Lernen  schwer  und  daher 
oft  unangenehm.  Die  Lehrer,  die  wir  (das  Zeichnen 
und  Klavierspielen  ausgenommen)  gemeinschaftlich 
hatten,  waren  daher  stets  mit  mir  viel  besser  zufrieden, 
obgleich  sie,  wenn  sie  sich  die  Mühe  genommen  hätten, 
etwas  tiefer  zu  untersuchen,  manchesmal  gefunden  haben 
würden,  daß  eben  jene  große  Leichtigkeit  der  Auf- 
fassung mein  Erlernen  oft  oberflächlich  und  vergäng- 
lich machte.  Indessen,  ich  glänzte,  ich  ward  vorgezo- 
gen, als  Beispiel  aufgestellt,  und  — -  ich  übernahm  mich, 
was  eine  natürliche  Folge  davon  war.  Man  wollte  mei- 
nes Bruders  trägen  Geist  aufstacheln,  ihn  zur  Nach- 
eiferung reizen,  und  wenig  fehlte,  man  hätte  mein 
Herz  verdorben.  Ich  hielt  mich  für  viel  was  Vorzüg- 
licheres als  meinen  Bruder,  ich  erlaubte  mir,  ihn  zu 
bespötteln,  zu  necken,  lächerlich  zu  machen,  und  diese 
Bestrebungen  eines  eitlen,  lebhaften  Kindes  wurden 
leider  nicht  streng  und  strafend  gerügt,  wie  ich  mich 
wohl  erinnere. 

Noch  weiß  ich  nicht,  wodurch  ich  so  viel  Gnade 
vor  Gott  gefunden,  daß  er  mich  nicht  tiefer  fallen,  und 
mich  sogar  die  fortgesetzte  Liebe  dieses,  von  mir  nicht 
immer  schwesterlich  behandelten  Bruders  nicht  ver- 
lieren ließ.  Es  ist  wohl  dies  der  größte  Beweis  von  der 
Trefflichkeit  des  schönen  Herzens  dieses  teuern  und 
unvergeßlichen  Bruders,  daß  keine  Art  Widerwille  oder 
Bitterkeit  gegen  die  stets  vorgezogene  und  über  ihn  er- 
hobene Schwester,  die  noch  dazu  sich  dieses  Vorzugs 
nur  zu  sehr  bewußt  war,  sich  in  diesem  Herzen  fest- 

52 


setzte,   und   eine  innige  Geschwisterliebe  uns   bis   an 
seinen  Tod  verband. 

Eine    feste   Stütze    hatte    dieser  Bruder    im   Hause 
an   jener   Tante,   der   Kusine   meines   Vaters,   welche 
seit  dem  Tode  der  Großmutter  bei  uns  lebte,  und  auch 
auf  mich  eine  bleibende  Einwirkung  anderer  —  eigent- 
Hch  poetischerer  Art  übte.    Gehebt  ward  ich  nicht  sehr 
von  ihr,  wenigstens  dazumal  nicht;  denn  sie  sah  in 
mir  den  Gegenstand,   um  dessentwillen  ihr  Liebling 
Xaver  zurückgesetzt  wurde;  aber  sie  war  mir  gut  als 
dem  Kinde  ihres  teuern  Verwandten,  meines  Vaters, 
und  da  sie  viel  zu  billig  und  gutmütig  war,  um  unter 
Geschwistern  einen  gehässigen  Unterschied  zu  machen, 
so  genoß  ich  manche  Freude  mit,  und  erhielt  manches 
werte  Geschenk  von  ihr,  weil  sie  eben  ihren  Liebling, 
meinen   Bruder,   damit   erfreuen   wollte.     Aber   diese 
Vorhebe  meiner  Tante  für  den  Knaben,  den  Eltern  und 
Lehrer  mit  großer  Strenge,  behandeln  zu  müssen  glaub- 
ten,  und  die  daraus   entspringenden   Mißverhältnisse 
veranlaßten  öfters  unangenehme  Szenen  im  Innern  un- 
serer Familie. 

Während  sich  die  Dinge  auf  solche  Art  im  häus- 
. liehen  Zusammensein  gestalteten,  ging  das  äußere,  glän- 
zende Leben  seinen  Gang  fort.  Jeden  Abend  war  Ge- 
sellschaft. Angesehene  Beamte  mit  ihren  Famihen, 
KavaHere,  einige  Damen,  Gelehrte  und  Künstler  be- 
suchten unser  Haus.  Mein  Vater  gab  öfters  große,  glän- 
zende Konzerte,  zu  welchen  die  schöne  Welt  sich 
drängte  und  bei  welchen  ich  —  obgleich  noch  ein  Kind 
—  mich  auf  dem  Flügel  (damals  kannte  man  noch  keine 
Pianoforte)  hören  heß^^).  _  Aber  eben  diese  Auszeich- 
nungen, die  sichtbare  Gunst  der  Monarchin,  welche 
mein  Vater  genoß,  der  glänzende  Fuß,  auf  dem  unser 


bS 


Haus  eingerichtet  war,  die  Menge  der  Besucher  des- 
selben, erregten  Aufsehen,  Mißgunst,  Feinde.  Von 
vielen  Seiten  standen  sie  gegen  meinen  Vater  auf;  vieles 
wurde  versucht,  um  ihm  die  Gnade  der  Kaiserin  zu  rau- 
ben; aber  seine  unerschütterliche  Treue  und  Redlich- 
keit bestanden  alle  diese  Proben®^).  Die  Monarchin 
verkannte  den  Wert  seiner  Dienste  nie,  und  bis  an  ihren 
Tod  währte  das  Vertrauen  und  die,  ich  möchte  sagen, 
freundschaftliche  Zuneigung,  die  sie  ihm  so  wie  meiner 
Mutter  schenkte,  und  für  welche  wir  noch  in  jenen 
Blättern,  von  denen  ich  oben  sprach,  rührende  Beweise, 
von  ihrer  Hand  geschrieben,  besitzen. 

Meine  Mutter  besuchte  den  Hof  oft.  Ihre  Stellung 
in  der  Welt  erlaubte  ihr  zwar  nicht,  in  den  Kreisen 
des  Adels  und  bei  jenen  Gelegenheiten  zu  erscheinen, 
wann  dieser  sich  um  die  Monarchin  versammelte,  und 
nur  einmal  im  Jahre,  am  Neujahrstage,  war  es  damals 
den  Frauen  der  höheren  Staatsdiener  erlaubt,  sich  zum 
Handkusse  bei  der  Kaiserin  einzufinden.  Das  unter- 
ließ denn  meine  Mutter  nie,  und  noch  sehe  ich  das 
Kleid  vor  mir,  von  schwerem,  weißen  Seidenstoff,  mit 
bunten  und  goldenen  Blumen  reich  durchwirkt  und 
mit  goldenem  Besatz  verschönert,  das  sie  an  solchen 
Tagen  trug.  Aber  sie  fuhr  oft  in  die  Burg,  nach  Schön- 
brunn oder  Laxenburg,  um  in  der  Kammer,  wie  man 
es  nennt,  der  Monarchin  aufzuwarten,  und  bei  diesen 
Besuchen  nahm  sie  uns,  ihre  Kinder,  öfters  mit^^). 
So  sah  ich  denn  den  glänzenden  Hof  der  regierenden 
Frau,  sie  und  viele  ihrer  schönen  Kinder,  die  damaligen 
Erzherzoge  Max ^^)  und  Ferdinand ^^),  die  Erzherzogin- 
nen Marianne ^^),  Christine ^^),  Elisabeth ^^)  usw.  oft. 
Lebhaft  steht  die  Gestalt  der  großen  Frau  vor  mir,  die, 
trotz  ihres  vorgerückten  Alters  und  ihrer  durch  die 

54 


Blattern    damals   ganz   zerstörten   Schönheit  1°"),    eine 
Majestät, mit  Huld  und  Freundhchkeit  verbunden,  besaß, 
welche  unwiderstehlich  anzog.  Wie  manches  Mal  redete 
sie  freundhch  zu  mir,  Heß  sich  herab,  mir  Spielzeug  zu 
schenken  und  dessen  Gebrauch  zu  zeigen.    In  Laxen- 
burg  und  wohl  auch  in  ihren  andern  Schlössern  hatte 
sie,  da  ihr  das  Treppensteigen  sehr  beschwerHch  zu 
werden    anfing,    sich    eine   Maschine   machen   lassen, 
welche  in  einem  Kanapee  bestand,  auf  dem  sitzend  sie 
mittelst    eines    leichten    Mechanismus    in    das'  obere 
Stockwerk  hinaufgehoben  oder  in  das  untere  hinabge- 
lassen werden  konnte.    Höchst  wunderbar  und  unter- 
haltend war  es  mir,  wenn  sie  zuweilen  sich  mit  meiner 
Mutter  auf  eines  jener  Sophas  setzte,  mich  zwischen 
ihnen  beiden  stehen  hieß,  und  ich  mich  nun  wie  durch 
Geisterhände  emporgehoben  und  in  ein  anderes  Zim- 
mer versetzt  fand.   Noch  jetzt,  nach  mehr  als  50  Jahren 
erscheinen  jene  Bilder,  die  Gestalten  jener  fürstlichen 
Personen,  vor  allen  die  Gestalt  der  huldvollen,  großen 
Kaiserin  mir  hell  und  deutHch.    Ich  wollte  die  Zim- 
mer, in  die  ich  damals  oft  geführt  wurde,  noch  finden, 
und  den  ganzen  silbergrauen  Aufputz  ihres  einsamen 
Witwengemaches    beschreiben.     Hier   saß   sie   einmal, 
nach   einer  glänzenden   Schhttenfahrt,   w^elche  meine 
Mutter  auch  in  den  Zimmern  der  Kaiserin  mit  ange- 
sehen hatte,   Knötchen  schürzend  (ihre  gewöhnliche 
Handarbeit,  welche  dann  zur  Verzierung  von  Kirchen- 
ornaten verwendet  wurden),  am  Fenster,  und  ich  be- 
fand mich  allein  in  der  Stube  bei  ihr.    Da  rief  sie  fnich 
und  gab  mir  einen  Auftrag  an  eine  ihrer  Kammer- 
dienerinnen im  vordersten  Zimmer.    Ich  —  ein  Kind 
von  8 — 9  Jahren,  eilte  dann  geschäftig  hinaus,  sehr^ge- 
ehrt  durch  den  Auftrag,  ghtschte  aber  auf  dem  Parkett 

55 


aus,  und  fiel  im  vordersten  Zimmer  der  Länge  nach 
hin.   Sogleich  schickte  die  gütige  Monarchin  ihre  Kam- 
merfrau, um  zu  sehen,  ob  mir  nichts  widerfahren  wäre, 
ließ  mich  zu  sich  hineinführen,  befragte  mich  selbst, 
und  da  das  ganze  geschehene  Unglück  in  einem  zerr 
brochenen  Fächer  bestand,  den  ich  in  der  Hand  ge- 
habt hatte,  schien  sie  sehr  erfreut,  und  schenkte  mir 
einen  andern,  den  ich  noch  als  Andenken  jenes  kleinen 
Vorfalls  und  der  Huld  Maria  Theresias  heilig  verehre. 
Allmählich  aber  kamen  auch  trübere  Stunden  und 
mancherlei  Verdrießlichkeiten,  ja  endlich  manches  Un- 
glück.   Unser  Hausstand  war  durch  die  Tante,  Herrn 
Haschka,  einen  Hofmeister  und  meine  Gesellschafterin 
vermehrt.    Wie  wahr  ist  das,  was  in  den  —  mir  übri- 
gens  gar  nicht   zusagenden  —  Wahlverwandtschaften 
Charlotte    darüber   sagt:    wenn   wir    andere   in   unser 
Haus,  an  unsern  Tisch  nehmen,  unser  Leben  mit  ihnen 
gemeinschaftlich  verbringen  sollen!    Mögen  es  noch  so 
gute  Menschen  sein  —  jene  vier  Personen  waren  ^es 
sicher,  vor  allen  die  gute  Tante  —  aber  es  sind  andere 
als  wir,  sie  haben  andere  Ansichten,  andere  Gewohn- 
heiten, andern  Geschmack i°^).  —  Sollen  sie  dies  alles 
nicht  uns  zum  Opfer  bringen,  und  sich  ganz  verleug- 
nen, so  müssen  wir  von  den  unsrigen  abhandeln  lassen, 
wir   müssen,   ihre   Individualität   erkennend,   und  wie 
billig   ehrend,    die    unsrige   beschränken;  ' —   das    tut 
niemand  gern  und  so  bringt  ein  solches  Zusammen- 
leben selten  allen  Teilen  Freude.    Auch  bei  uns  er- 
zeugten sich  einige  Mißtöne,  ich  bemerkte  wohl  hier 
und  da  etwas,  aber  ich  war  zu  sehr  Kind,  um  darauf  zu 
achten.     Wichtiger    war    mir    die    Erscheinung    eines 
Schwesterchens,  das  nach  dem  ersten  Winter,  welchen 
wir  in  jener  Wohnung  am  Graben  verlebten,  das  Licht 

56 


"»fiiC^^mfdm^t^ 


Silhouette  von  Hieronymus  Löschenkohl 
(Ostreichischer  Nationaltaschen-Kalender  für  1789.    Wien.    Bild  Nr.  12) 


Stadtbibliothek,  Wien 


der  Welt  erblickte.  Es  war  ein  bildschönes  Kind,  das 
einer  unsrer  werten  Hausfreunde  zur  Taufe  hielt,  und 
das  den  Namen  einer  innigen  Freundin  und  Ver- 
wandten meiner  Eltern,  einer  Frau  von  Häring^'^^), 
welche  sich  Rosine  nannte,  erhielt  i"^).  Meine  Mutter 
nährte  das  Kind  selbst,  es  gedieh  trefflich,  und  es  ward 
beschlossen,  daß  es  so  wie  mein  Bruder  im  Frühling  des 
nächsten  Jahres  zu  Hetzendorf  im  k.  k.  Lustschlosse 
geimpft  werden  sollte.  ^ 

Die  Blatternimpfung  war  damals,  in  den  Siebziger- 
Jahren  des  vorigen  Säkulums,  so  neu,  so  allgemein 
anregend,  aber  im  Anfange  auch  von  vielen  so  gefürch- 
tet und  verdächtigt,  wie  dreißig  Jahre  später  die 
Vakzine. 

Die  Kaiserin,  überzeugt  von  der  Nützlichkeit  dieser 
Methode,  suchte  durch  Befehl,  Ermahnung  und  Bei- 
spiel ihr  überall  Eingang  zu  verschaffen.  Sie  etabHerte 
in  einem  ihrer  Lustschlösser,  zu  Hetzendorf,  in  der 
Nähe  von  Schönbrunn,  eine  solche  Anstalt,  in  welcher 
jeden  Frühling  mehrere  Familien  des  Adels  und  ange- 
sehenen Mittelstandes  aufgenommen  und  sämtlich  auf 
kaiserliche  Kosten  bewirtet  wurden,  wenn  sie  sich  ent- 
schlossen, ihre  Kinder  daselbst  von  den  kaiserlichen 
Leibärzten  impfen  zu  lassen.  Man  kann  denken,  wie 
gern  und  häufig  sich  Eltern  fanden,  die  um  diese  Ver- 
günstigung nachsuchten,  ihre  Kinder  vor  dem  gefähr- 
lichsten Feind,  den  Blattern,  a;uf  eine  so  ehrenvolle 
als  angenehme  Art  zu  sichern;  denn,  so  wie  ich  in  mei- 
ner Kindheit  oft  vernahm,  glich  jener  Jmpfsejour  in 
Hetzendorf  einem  fröhlichen  Badeaufenthalt,  wo  meh- 
rere, sonst  sich  fremde  Familien  in  einem  angenehmen 
Lokal  auf  dem  Lande  versammelt,  in  wechselnden 
Zerstreuungen  und  Unterhaltungen  lebten.    Beinahe 


57 


\ 


täglich  fuhr  die  Monarchin  von  Schönbrunn  hinüber, 
um  nach  -dem  Fortgang  ihrer  Anstalt  zu  sehen.  Sie 
veranstaltete  kleine  Feste  für  die  Kinderchen,  Lotte- 
rien, Spiele  usw.,  kurz,  sie  sorgte  als  allgemeine  Mutter 
auch  für  uWe^^^). 

Den  Winter  nun  vor  dem  Frühling,  wo  jene  Impfung 
meiner  Jüngern  Geschwister  stattfinden  sollte  (ich  selbst 
hatte  bereits  an  der  Mutter  Brust  natürlich  und  glück- 
lich geblättert)  erkrankten  diese  plötzlich;  —  es  zeigten 
sich  die  Blattern,  und  zwar  von  der  bösesten  Art. 
Mein  Bruder,  damals  ein  bildschönes  Kind  von  vier 
bis  fünf  Jahren  ^^^),  war  lange  in  Lebensgefahr,  er  sah 
kaum,  durch  Geschwulst  v;nd  Blasen  entstellt,  einem 
Menschen  gleich;  und  meine  Mutter,  die  ihn  mit  der 
größten  Sorge  pflegte,  stand  unnennbare  Angst  um  ihn 
aus.  Das  jüngere  Schwesterchen  aber  starb  ^''^),  und  als 
der  Knabe  sich  zu  erholen  anfing,  lag  jene  im  Sarge. 
Dies  war  für  meine  Eltern  eine  sehr  traurige  Zeit.  Die 
gütige  Kaiserin  nahm  auch  hier  warmen  und  tröstenden 
Anteil  an  den  Leiden  meiner  Eltern.  Wir  besitzen  noch 
unter  jenen,  schon  erwähnten  Blättern  eines,  worauf, 
nachdem  mein  Vater  ihr  den  Tod  dieses  Kindes  gemel- 
det, sie  ihm  folgendes  schriftlich  erwidert  ^'^'^ : 

„ich  empfinde  beeder  Altern  Schmertz,  wie  glücklich 
,,ist  die  Kleine,  hat  ihre  Carriere  bald  gemacht  in  un- 
,, schuld.  Von  dem  muß  man  sich  occupiren,  nicht 
„von  dem  Verlurst;  was  haben  wir  mit  unserm  langen 
,, Leben  vor  Nutz  und  Freud,  was  für  Verantwor- 
,,tung  ?  da  ist  zu  zittern.  Gott  erhalte  ihm  seinen 
„Kleinen."*) 

Diese  trübe  Zeit  verging  denn  auch.    Meiner  Eltern 
Schmerz    beruhigte    sich    allmählich.     Bruder    Xaver 
*)  In  der  Schreibvveise  des  Originals. 

58 


war  vollkommen  genesen,  und  obwohl  seine  hübschen 
Züge  zerstört  waren,  so  daß,  wer  ihn  früher  gesehen, 
ihn  jetzt  kaum  mehr  erkennen  konnte,  war  seine  Ge- 
sundheit doch  weiter  nicht  erschüttert.  Er  gedieh,  so 
wie  ich,  recht  fröhlich ;  Schwester  Rosine  war  ein  Engel 
im  Himmel.  Unsere  Lernstunden  gingen  wieder  den 
gewohnten  Gang,  und  ebenso  die  Lebensweise  meiner 
Eltern.  Der  kleine  Preußenkrieg  —  der  Zwetschken- 
rummel vom  Volke  genannt  —  der  sich  in  dieser  Zeit, 
1778 — 79,  erhob,  hatte  so  wie  auf  das  allgemeine,  so 
auch  auf  das  innere  Leben  unserer  Mitbürger  keinen 
sichtbaren  Einfluß.  Aber  die  Gesinnungen  des  Thron- 
folgers, Kaiser  Josefs,  die  in  vielem  von  denen  seiner 
Mutter  verschieden  waren,  schienen  damals  immer 
deutlicher  hervorgetreten  zu  sein,  und  manches  Miß- 
verständnis, manche  Unzufriedenheit  zwischen  Mutter 
und  Sohn  erregt  zu  haben.  Es  war  eben  die  alte  und 
neue  Zeit,  die  sich  hier  grell  und  stark  von  einander 
trennten,  und  so  wie  sie  einander  nicht  begreifen  konn- 
ten, konnte  auch  keine  Vereinigung  zwischen  ihnen 
stattfinden.  Mein  Vater' kannte  dies  alles  sehr  genau, 
und  in  jenen  Blättern  liegt  mancher  Beleg  dazu,  wenn 
die  lebens-  und  arbeitsmüde,  fromme  Herrscherin  selbst 
davon  spricht,  daß  sie  das  nicht  mehr  sei,  was  sie  gewe- 
sen, und  daß  ihr  Wort,  ihr  Wille  nicht  mehr  gelte  wie 
früher  108). 

Noch  ein  Jahr  verging  auf  diese  Weise.  Mein  Geist 
entwickelte  sich  allmählich,  und  so  wie  er  sich  selbst 
und  seine  Umgebungen  besser  zu  verstehen  anfing, 
übte  Phantasie  und  Dichtkunst  mehr  Macht  über  den- 
selben. Ich  hatte  hin  und  wieder  einen  Roman,  ein 
Schauspiel  zu  lesen  bekommen.  Ich  schrieb  nun  selber 
eins  oder  zwei,  die  jedes,  ungefähr  einen  Bogen  stark, 

59 


barer  Unsinn  waren,  wie  ich  mich  noch  erinnere;  aber 
genug,  ich  fühlte  den  Drang,  etwas  zu  dichten  und  meine 
Gedanken  zu  Papier  zu  bringen.  Haschka  ließ  mich 
viele  Gedichte  auswendig  lernen,  mein  Kopf  war  voll 
Verse,  Bilder,  Reime;  —  und  aus  dieser  aufgehäuften 
Masse  fremden  Gutes  entwickelte  sich  da  und  dort 
etwas  eigenes,  so  zum  Beispiel  ein  Jahr  später  ein  kleines 
Gedicht  auf  die  Wiedergenesung  einer  Gespielin,  jenes 
Mädchens,  das  meine  Eltern  mir  zur  Gesellschafterin 
gegeben  hatten,  welches  Gedicht  die  Herren  Poeten, 
die  unser  Haus  besuchten,  aus  Rücksicht  für  meine 
Eltern  —  denn  das  Zeug  verdiente  die  Ehre  nicht  — 
in  einen  Wiener  Musenalmanach  aufnahmen ^°^).  Nun 
war  also  mein  Name  schon  gedruckt,  obgleich  ich  kaum 
zwölf  Jahre  zählte.  Doch  ich  kehre  zum  Faden  der 
Erzählung  zurück. 

Im  Herbste  1780  fing  die  Kaiserin  an,  viele  Be- 
schwerden von  einem  heftigen  Husten  zu  fühlen.  Die 
Ärzte  machten  bedenkliche  Mienen;  —  man  glaubte 
die  reii3enden  Fortschritte  einer  längstbegonnenen 
Brustwassersucht  zu  erkennen,  welche  der  Monarchin 
schon  seit  vieler  Zeit  das  Treppensteigen,  Atemholen 
usw.  beschwerlich  gemacht  hatten.  Die  Stadt  wurde 
bestürzt,  in  allen  Familien  regten  sich,  je  nachdem  ihre 
Stellung  zum  Hofe  oder  dem  öffentlichen  Leben  war, 
je  nachdem  sie  mehr  der  milden,  wohltätigen  Wärme 
des  sinkenden  Gestirnes  oder  dem  feurigen  Glänze  des 
aufsteigenden  zugewendet  waren,  verschiedene,  aber 
lebhafte  Besorgnisse,  Hoffnungen,  Erwartungen;  aber 
in  unserm  Hause  und  wohl  noch  in  vielen  der  älteren 
Diener  Maria  Theresias  herrschte  die  tiefste  Nieder- 
geschlagenheit. Der  Zustand  der  Kaiserin  verschlim- 
merte sich  schnell;  in  wenigen  Tagen  wurde  von  höch- 

60 


ster  Gefahr  und  bald  darauf  von  Hoffnungslosigkeit 
gesprochen.  Ich  erinnere  mich  noch  dieser  ängstlichen 
Tage  sehr  wohl,  sie  lasteten  selbst  auf  uns  Kindern 
durch  den  Reflex  des  Kummers  unserer  Eltern  und 
Freunde;  denn  wir  konnten  die  Bedeutung  der  großen 
Veränderung,  welche  dem  Vaterlande  bevorstand,  und 
ihre  Folgen  nicht  einsehen.  Während  alles  um  sie  her 
trauerte,  behielt  nur  sie  ihre  ruhige  Fassung  bei.  Sie 
hatte  als  Christin  im  höheren  Sinne  gelebt;  sie  war  mit 
der  Idee  ihres  Todes  vertraut,  und  jenseits  erwartete 
sie  der  unvergeßliche,  geliebte  Gemahl  und  mehrere 
vorangegangene  Kinder.  Ihr  Zustand  erlaubte  ihr 
nicht,  im  Bette  zu  bleiben,  so  brachte  sie  die  wenigen 
Tage  der  sehr  verschlimmerten  Krankheit  bis  zu  ihrem 
Tode  auf  ihrem  Kanapee  sitzend,  mit  Kissen  gestützt, 
zu.  Kaiser  Josef  verließ  die  verehrte  Aiutter  in  die- 
sen düstern  Tagen  fast  nicht  mehr,  und  zeigte  ihr  un- 
geheuchelten  Schmerz  und  kindliche  Achtung.  Man 
erzählt,  sie  habe,  völlig  vertraut  mit  dem  Gedanken, 
in  kurzem  aus  diesem  Leben  zu  scheiden,  und  jede 
wohlgemeinte  Täuschung  in  dieser  Ansicht  von  sich 
abwehrend,  sich  zuerst  als  Christin  mit  Beobachtung 
aller  vorgeschriebenen  Gebräuche  zum  Tode  bereitet, 
und  sich  dann  vorgenommen,  die  Annäherung  des 
letzten  Augenblicks  mit  ruhiger  Fassung  zu  be- 
obachten^^''); daher  habe  sie  ihrem  Leibarzt,  B.  v. 
Störck^^^),  in  einer  geheimen  Unterredung  befohlen,, 
wenn  er  glaube,  daß  der  Augenblick  des  Scheidens 
eintreten  werde,  ihr  dies  durch  ein,  den  übrigen  An- 
wesenden unmerkliches  Zeichen  zu  erkennen  zu  geben. 
Es  wurde  beliebt,  daß  B.  v.  Störck,  der  sich  stets  bei  der 
erhabenen  Kranken  befand,  oft  ihren  Puls  fühlte,  und 
die    wenigen    möglichen    Erleichterungen    und    Hilfs- 

6i 


mittel  verordnete,  sie,  wenn  er  jenen  Zeitpunkt  ein- 
getreten glaubte,  fragen  sollte:  ob  sie  vielleicht  Limo- 
nade befehle  ?  und  daß  die  Kaiserin  dann  schon  wissen 
würde,  was  dies  zu  bedeuten  habe.  Ich  kann  die  Echt- 
heit dieser  Anekdote  nicht  verbürgen,  weil  meine  Mut- 
ter natürlicherweise  nicht  mehr  im  unmittelbaren 
Hofdienst  um  die  Person  der  Monarchin  war,  und  mein 
Vater  wohl  täglich  mehrere  Male  sich  in  der  Kammer 
der  Kaiserin  persönlich  nach  ihrem  Befinden  erkun- 
digte, aber  die  vielgeliebte  und  hochverehrte  Frau 
in  der  kurzen  Zeit  ihres  letzten  Ubelbefindens,  das  nur 
wenige  Tage  währte,  nicht  mehr  sah.  Indessen,  wenn 
jene  Geschichte  mit  der  Limonade  av;ch  nur  eine  Er- 
findung war,  so  zeugt  sie  doch  von  der  Ansicht  und 
Vorstellung,  welche  man  sich  im  Publikum  von  der 
Kraft  und  frommen  Heiterkeit  ihres  Geistes  machte. 
Am  29.  November  1780,  zwischen  8  und  9  Uhr 
abends,  als  eben  einige  treue  Freunde  meiner  Eltern 
bei  ihnen  versammelt  waren  und  alles  mit  banger 
Sehnsucht  den  Nachrichten  entgegensah,  die  man  heute 
noch  vom  Hofe  erwartete,  trat  —  ich  erinnere  mich  des- 
sen sehr  lebhaft  —  der  Gemahl  jener  Verwandten,  nach 
deren  Vornamen  meine  selige  Schwester  war  getauft 
worden,  Regimentsrat  von  Häring^^^)  (wie  man  da- 
mals sagte),  einer  der  genauesten  Freunde  unsers 
Hauses,  ins  Besuchzimmer,  und  seine  düstere  Miene 
zeigte  schon,  daß  er  nichts  Gutes  zu  verkünden  habe. 
Jetzt  ist  wahrscheinlich  die  Kaiserin  gestorben,  sagte 
Herr  von  Häring'^^^).  Ich  bin  durch  die  Burg  gegangen, 
es  ist  ein  Hin-  und  Herlaufen,  eine  Bestürzung  unter 
den  Leuten,  die  auf  nichts  anderes  schließen  lassen. 
So  sehr  meine  Eltern  auf  diesen  Schlag  vorbereitet  wa- 
ren,   so    entstand    doch   die   heftigste    Erschütterung. 

62 


Mein  Vater  eilte  nach  Hofe;  —  es  war  nur  zu  wahr, 
was  unser  Verwandter  vermutet  hatte;  —  Maria  The- 
resia war  verschieden  und  eine  neue  Zeitrichtung  trat 
an  die  Stelle  der  bisher  befolgten. 


Ich  stehe  nun  mit  meinen  Erinnerungen  an  einem 
Abschnitte,  den  man  mit  Recht  einen  Wendepunkt  in 
der  Geschichte,  besonders  in  der  Österreichs,  nennen 
kann,  an  dem  Regierungsantritt  Kaiser  Josefs  IL 

Sprünge  geschehen  nicht,  weder  in  der  physischen 
noch  in  der  moralischen  Welt,  und  jeder  folgende  Zu- 
stand des  Einzelwesens  wie  des  Ganzen  liegt  lange 
vorbereitet  und  eingehüllt  im  Vorhergehenden,  so  daß 
er  selten  mit  überraschender  Neuheit  plötzlich  hervor- 
tritt, sondern  sich  meistens  nur  nach  und  nach  entfal- 
tet und  jene  Veränderungen  sichtbar  erscheinen  läßt, 
welche  gleichsam  unsichtbar  schon  länger  vorhanden 
waren.  So  war  es  auch  damals  mit  jener  Periode  der 
Denk-  und  Preßfreiheit,  Aufklärung,  Neuerung  und 
Philosophie,  deren  Wurzeln  weit  zurück  in  vergange- 
nen Dezennien  zu  suchen  waren.  Indes  trat  sie,  ob- 
^wohl  lange  vorbereitet,  bei  Gelegenheit  des  Regenten- 
wechsels auffallender  hervor,  und  schien  von  diesem 
mehr  abhängig,  als  wirklich  der  Fall  war. 

Wir  in  unserm  Hausstande  fühlten  sogleich  eine 
Wirkung  dieser  Neuerungen.  Kaiser  Josef  schaffte 
die  sogenannten  Hofquartiere  ab,  nämlich  die  Woh- 
nungen, welche  die  Hausbesitzer  Wiens  seit  undenk- 
lichen Zeiten  den  kaiserlichen  Beamten  hatten  einräu- 
men müssen  und  wofür  sie  nur  einen  sehr  unbedeuten- 
den Zins  erhielten,  weil  man  vermutlich  in  alter  Zeit 
glaubte,    daß    die    Hauseigentümer,    um    des   Vorteils 

63 


willen,  das  Hoflager  beständig  in  ihrer  Stadt  zu  be- 
sitzen, für  die  Beamten  ein  Übriges  tun  können  i^^^. 
Meine  Eltern  suchten  sich  also  eine  Wohnung  auf 
eigene  Kosten  und  fanden  diese  in  einer  sehr  angeneh- 
men Lage  auf  dem  Neuenmarkt,  wo  wir  sehr  hohe, 
große,  freundliche  Zimmer  hatten,  eine  Wohnung,  ganz 
geeignet,  um  darin  viele  Leute  zu  empfangen,  Feste  zu 
geben  usw.  ^^^a)  —  eine  Lebensart,  die  sich  in  meiner 
Eltern  Hause  ununterbrochen  fortsetzte,  obgleich  der 
Tod  der  allgeliebten  Maria  Theresia  und  die  ganz  ver- 
änderte Stellung,  in  welcher  die  vor  vielen  begünstig- 
ten Räte  des  Vorfahrs  jederzeit  zum  Nachfolger  zu 
stehen  pflegen,  einen  Umschwung  der  Dinge  in  dieser 
Rücksicht  für  meinen  Vater  hätte  können  besorgen 
lassen.  Hier  aber,  glaube  ich,  galt  seine  und  meiner 
Mutter  Persönlichkeit  zu  viel  und  diese  erhielt  das  An- 
sehen des  Hauses,  wenn  schon  keine  besondere  Gunst 
des  Monarchen  dasselbe  auszeichnete,  so  daß  denn  dies 
nach  wie  vor  der  Sammelplatz  bedeutender  und  zahl- 
reicher Besuche  war. 

Eine  der  ersten  fühlbaren  Wirkungen  des  neuen  Re- 
gierungssystems war  eine  viel  unbeschränktere  Preß- 
lizenz, und  Josef  H.  suchte  eine  Art  von  Stolz  darin, 
selbst  was  über  seine  Person  gesagt  oder  geschrieben 
wurde,  ungeahndet  öffentlich  erscheinen  zu  lassen. 
Die  unmittelbare  Folge  davon  war  eine  Unzahl  kleiner 
oder  größerer  Broschüren,  Pamphlets  usw.,  welche  nun 
erschienen,  und  in  welchen  sich  die  Schriftsteller  mit 
und  ohne  Witz,  mit  oder  ohne  Grund  über  alte  Ge- 
bräuche und  Mißbräuche  aussprachen  ^^^).  Eine  der 
ersten,  wo  nicht  ganz  die  erste,  war  eine  Betrachtung 
über  die  kostspieligen  Leichenfeierlichkeiten ^^^),  die 
denn  ganz  in  dem  materiellen  Geist  jener  Zeit,  der  so- 

64 


genannten  Aufklärung,  als  töricht,  als  eine  unnütze 
Verschwendung,  als  eine  aus  der  Gewinnsucht  der 
Geistlichen  entstandene  Spekulation  dargestellt  wur- 
den. Vielen  Anklang  fanden  solche  Äußerungen  in  der 
Erkaltung  der  meisten  Gefühle  so  wie  im  Eigennutz 
der  Erben  und  Verwandten  des  Verstorbenen.  Auch 
ließ  jenes  Leichengepränge  merklich  nach.  Man  fand 
es  bürgerstolz,  unaufgeklärt,  altfränkisch,  kostspiehge 
Leichenzüge  zu  veranstalten,  Gräber  und  Grüfte  'zu 
ehren,  zu  schmücken;  —  und  siehe  da!  sechzig  Jahre 
darnach  liest  man  in  jeder  Zeitung  von  irgend  einer 
hochfeierUchen  Bestattung  eines  oder  des  andern  aus- 
gezeichneten Mannes  und  sieht  den  Luxus,  der  in 
unsern  Tagen  mit  eigenen  Grabstätten  und  Denk- 
mälern auf  den,  gleichsam  in  Gärten  verwandelten 
Friedhöfen  herrscht. 

Weil  nun  eben  alles  besprochen  werden  durfte,  war 
auch  des  Sprechens  kein  Maß  und  kein  Ziel.  Jeder, 
der  die  Feder  führen  konnte  (das  waren  aber  doch 
vor  fünfzig  Jahren  nicht  so  viele  wie  jetzt),  ergriff  sie 
in"  dieser  Periode,  um,  wie  ihn  sein  Herz  oder  sein 
Witz  oder  vielleicht  sein  böser  Wille  trieb,  irgend  ein 
tadelnswürdiges  Vorurteil,  einen  ,  schädlichen  Miß- 
brauch zu.  rügen  oder  wohl  auch  nur  seine  Geistesüber- 
legenheit zu  zeigen  oder  seiner  Galle  Luft  zu  machen. 
Das  auf  diese  Weise  Besprochene  ward  nun  von  seiner 
ehemaligen  sichern  Stellung  oder  Höhe  hferabgerissen 
und  nicht  selten  schonungslos  mit  Füßen  getreten. 
Manchem  geschah  recht,  manches  Schädliche  wurde 
fortgeschafft,  manches  Hemmende  beseitigt,  aber  auch 
nur  zu  viel  Gutes,  Nützliches,  ja  Heiliges  mit  einge- 
rissen. Von  unbedeutenden  Mißbräuchen  und  Lächer- 
lichkeiten kam  man  auf  das  Wesentlichere.    An  allen 


c.  P.  I 


65 


alten  Einrichtungen,  Vorrechten,  Ordnungen,  endUch 
selbst  am  Glauben  und  den  Dogmen  der  Religion  wurde 
gerüttelt.  Predigerkritiken  erschienen,  welche,  wie 
jetzt  die  Theaterkritiken,  die  Leistungen  der  verschie- 
denen Prediger  an  jedem  Sonntag  würdigten.  Mancher 
wahre  Tadel  wurde  ausgesprochen,  aber  das  Publikum 
verlor  die  Achtung  vor  dem  Manne,  aus  dessen  Mund 
es  das  Wort  Gottes  vernehmen  sollte,  und  den  es  nun 
öffentlich  in  die  Schule  nehmen  und  oft  bitter  oder 
spöttisch  tadeln  hörte ^^^).  Der  tadelnde  Witz,  der  sich 
an  allem  üben  durfte,  verschonte  auch  die  Person  des 
Monarchen  nicht,  dessen  freisinnige  Großmut  ihm  die- 
sen Weg  eröffnet  hatte.  —  Alles,  was  Josef  II.  mit 
hohem  und  humanem  Sinne  seinen  Völkern  Gutes  er- 
weisen wollte  und  wirklich  erwies,  wurde  von  allen  Sei- 
ten beleuchtet,  jede  Schwäche,  jede  möglich  schlimme 
Deutung  aufgegriffen,  und  je  bitterer  die  Satire  war, 
je  willkommener  war  sie  dem  Publikum,  das  nur  selten 
untersuchte,  ob  denn  der  Tadel  auch  gegründet, 
ob  die  Auffassung  nicht  einseitig,  nicht  von  Gehässigkeit 
eingegeben  sei,  sondern  zufrieden  war,  wenn  es  mit- 
schimpfen und  mitlachen  konnte.  Ich  will  hier  nur  an 
den  Richter  Schlendrian  (eine  ebenso  witzige  als 
oberflächliche  Satire  auf  das  Gesetzbuch  Kaiser  Jo- 
sefs ^^'')  und  die  Monachologie^^^)  erinnern,  worin 
Hof  rat  Born  11^),  einer  der  glänzendsten  Köpfe  jener 
Zeit,  ein  großer  Naturkundiger  und  Mineralog,  die 
verschiedenen  Mönchsorden  mit  Linneschen  Bezeich- 
nungen als  Käfer  und  anderes  Ungeziefer  sehr  witzig, 
aber  sehr  unanständig  darstellte. 

Aus  Frankreich  kamen  uns  (wie  denn  aus  Frankreich 
von  jeher  viel  Schädliches  über  die  Welt  gekommen 
ist:    stehende   Heere,    die   wir   Louis  XI.    verdanken; 

66 


das  Papiergeld,  die  Revolution,  die  Modesucht  usw.) 
um  diese  Zeit  auch  eine  Menge  Bücher,"  welche  den 
Geist  des  Spottes,  des  Unglaubens,  der  Opposition 
in  jeder  Rücksicht,  der  sich  so  mächtig  in  Österreich 
zu  regen  anfing,  nährten;  wie  le  Systeme  de  la  nature 
von  Mirabeau^^"),  les  Ruines  von  Volney^^^)  und  viele 
andere.  Unter  dem  Deckmantel  der  Philosophie,  der 
Wahrheitsliebe,  der  unparteiischen  Forschung  wurde 
der  Maßstab,  die  Sonde,  das  anatomische  Messer  an 
alles  Schöne,  Edle,  Heilige  gelegt.  Durch  die  fünf 
Sinne  allein  sollten  und  konnten,  nach  den  Ansichten 
jener  Weisen  und  Aufklärer,  dem  Menschen  seine  Vor- 
stellungen von  der  äußern  Welt  kommen ;  was  sich  also 
nicht  in  den  Bereich  derselben  ziehen,  wessen  Evidenz 
oder  Dasein  sich. nicht  dem  nüchternen  Verstände  mit 
beinahe  geometrischer  Genauigkeit  erweisen  ließ, 
wurde  bezweifelt  oder  bespöttelt  oder  ins  Reich  der 
Träume  verwiesen.  Mit  religiösen  Zeremonien  hatte 
man  angefangen,  zur  Religion  selbst  schritt  man  fort, 
ihre  Dogmen  wurden  untersucht,  der  Glaube  als  etwas 
des  denkenden  Menschen  Unwürdiges  verworfen.  So 
kam  es  endlich  dahin,  daß  man  nicht  bloß  alle  positiven,' 
sondern  alle  natürlichen  Religionen  im  allgemeinen 
wegphilosophiert  hatte.  Da  erschienen  Bücher  wie  der 
Horus^22^^  Bahrdts  Bibel  im  Volkston  ^2^),  worin  der 
Autor  versucht,  die  Wunder  des  neuen 'Testaments 
auf  natürliche  Art  zu  erklären,  nur  geht  es  damit,  lei- 
der! wie  mit  der  strengen.  Beobachtung  der  „trois  uni- 
tes"  in  der  altern  französischen  Tragödie,  worin  man 
denn  auch,  um  diesen  Forderungen  nachzukommen, 
die  größten  Unwahrscheinlichkeiten  gelten,  und  z.  B. 
ein  verliebtes  Rendezvous  in  einem  Vorhof,  eine  Ver- 
schwörung auf  der  Gasse  vorgehen  lassen  muß.    Ebenso 

5*  6-] 


setzt    der   Verfasser    der    Bibel    im    Volkston   Verab- 
redungen, Zusammentreffen  von  Umständen,  Mißver- 
.-  Ständnisse,  unbegreifliche  Verblendungen  oder  Selbst- 
täuschungen voraus,  damit  das  wegraisonnierte  Wun- 
der auf  die  wunderbarste  Weise  natürlich  hat  geschehen 
können.     Er  nimmt  seine  Zuflucht  zu  einem  jungen 
Ägyptier    (Haram    genannt,    wenn    mich   mein    Ge- 
dächtnis nicht  täuscht),  der  mit  Christus  und  dessen 
Verwandten  Johannes  dem  Täufer  im  Bunde,  vermit- 
telst  seiner   aus   Ägypten   gebrachten   Wissenschaften 
(die  ein  bißchen  an  Freimaurerei  erinnern)  alle  diese 
sogenannten   Wunder   möglich   oder   sie   den   Leuten 
glaubbar  macht.    Noch  unzählige  andere,  teils  philo- 
sophische, teils  poetische  Erzeugnisse  des  jungen  auf- 
sprudelnden Geistes,  in  deutscher,  französischer  und 
englischer  Sprache,  erschienen  jetzt.    Den  weggespot- 
teten  Religionsgefühlen  warf  man  bald  alles  nach,  was 
in  der  bürgerlichen  Welt  bisher  geehrt  und  geachtet 
worden    war,    wenn    man    sich    dessen    zureichenden 
Grund  nicht  philosophisch  vordemonstrieren  konnte: 
Vaterlandsliebe,    Anhänglichkeit    an    seinen    Fürsten, 
Ehrfurcht  vor  dem  Alter  usw.,  dies  alles  wurde  mit  dem 
Worte  Vorurteil  gebrandmarkt.    Es  wurde  gezeigt,  daß 
die  Scholle,  auf  der  uns  der  Zufall  das  Licht  der  Welt 
hatte  erblicken  lassen,  durchaus  kein  Recht  auf  unsere 
größere   Liebe   und   Achtung   habe    als    eine   andere. 
Patriotismus  wurde  als  eine  Engherzigkeit;  Anhäng- 
lichkeit an  das  angestammte  Fürstenhaus  als  Schwäche 
und  Aberglauben;  Achtung  und  Liebe  für  das  Alte,  weil 
es  eben  alt  und  wohlbekannt  ist,  als  lächerliches  Vor- 
urteil behandelt.     Das  ganze  Mittelalter  versank  auf 
diese  Art  hinter  uns  in  einen  Abgrund  von  Nacht  und 
Unscheinbarkeit,    und   wenn   man   sich   erinnert,    auf 

68 


welche  Art  Friedrich  IL,  der  sogenannte  Große,  den 
Fund  des  Liedes  -  der  Nibelungen  aufnahm,  so  darf 
man  sich  nicht  wundern,  wenn  in  Österreich  bei  den 
Aufhebungen  der  Klöster  der  Archive  wenig  oder  gar 
nicht  geachtet,  Altertümer  an  Manuskripten,  Gerät- 
schaften, Arbeiten,  Malereien  als  Produkte  bar- 
barischer Zeit  geringgeschätzt,  um  Spottpreise  ver- 
auktioniert oder  wohl  gar  vertilgt  wurden,  nachdem 
man  höchstens  von  alten,  vielleicht  unschätzbaren 
Dokumenten  die  goldenen  Kapseln  der  Siegel  abge- 
schnitten, die  Schriften  verbrannt  oder  in  die  Papier- 
stampfe gegeben,  die  Kapseln  aber  als  Pagamentsilber 
behandelt  hatte i^^).  Ich  erinnere  mich  auch  sehr  wohl 
eines  Aufsatzes  von  Herrn  von  Kotzebue  in  einer  Samm- 
lung kleiner  Schriften  (wenn  ich  nicht  irre,  so  hieß  sie : 
die  jüngsten  Kinder  meiner  Laune),  worin  die  Ehr- 
furcht für  das  Alter,  die  Unterordnung  unter  die  Er- 
fahrung desselben  usw.  als  Begriffe  dargestellt  wurden, 
welche  für  unsere  Welt  nicht  mehr  paßten  und  sich 
nur  traditionell  aus  einer  Zeit  herschrieben,  in  der  noch 
keine  Schrift,  viel  weniger  der  Druck  existiert  hatte  und 
folglich  die  Alten,  die  einzige  Quelle  der  Erfahrung, 
gleichsam  die  lebendige  Tradition,  Geschichte  und 
Nachschlagebücher  waren  ^^^). 

Doch  so  viele  Schattenseiten  man  auch  an  jener  Zeit 
nachweisen  kann,  in  welcher  die  ersten  Erschütterun- 
gen an  dem  Gebäude  der  bürgerlichen  Ordnung  und 
Stetigkeit  gemacht  wurden,  das  uns  nun  bald  überall, 
infolge  jener  fortgesetzten  Bemühungen,  über  den 
Köpfen  einzufallen  droht,  so  war  sie  doch  auch  eine 
Zeit  frischen,  schönen,  regen  Geisteslebens  und  viel- 
leicht das  goldene  —  nie  wiederkehrende  Zeitalter  der 
deutschen    Literatur,    zumal   im    ästhetischen    Fache. 

69 


überall  zuckten  die  Funken  lebhafter  Geistestätigkeit 
auf,  leuchteten  hier  mit  mildem  Lichte,  das  sich  segens- 
reich weiter  und  weiter  verbreitete,  blendeten  dort  wie 
gewaltige  Blitze,  fuhren  auch  manchmal  wie  täuschende 
Jrrwische    hin    und    lockten    den    Nachfolgenden    in 
Sümpfe.    Wird  es  wohl  nötig  sein,  hier  auf  Klopstock, 
Lessing,  Goethe,  Wieland,  Schiller,  Herder  hinzuwei- 
sen ?    Wir  in  Österreich  hatten  unsern  Denis,  Sonnen- 
fels ^^®),  Jünger  ^^''),  Alxinger  und  viele  andere,  deren 
Leistungen  leider  jetzt  vom  Zeitenstrom  weggespült 
sind,  so  wie  man  kaum  mehr  eines  Geliert,  Rabener, 
Hagedorn  gedenkt  und  nur  jene  größern  Namen  ste- 
hen geblieben  sind,   die  ich  oben  genannt.     In  allen 
Zweigen  des  Wissens  regte  sich  eine  lobenswerte  Tä- 
tigkeit, man  durfte  frei  denken   und  so  dachte  man 
wohl,   wie   Haller  singt  ^^^).     Auch    in    die    geselligen 
Kreise  drang  eine  muntere  Freudigkeit  statt  früherer 
Steifheit  und  veralteter  Formen.    Das  Theater,  wel- 
ches Kaiser  Josef  seines  unmittelbaren  Schutzes  wür- 
digte, trug  sehr  viel  zu  diesen  geselligen  Freuden  bei. 
Unsere  Bühne  ward  unter  der  Leitung  des  Monarchen 
im  deutschen  Schauspiel  bald  eine  der  ersten  Deutsch- 
lands,  in   der  italienischen   Oper  vielleicht   die   erste 
damals  existierende,  Jtalien  nicht  ausgenommen;  denn 
der  Kaiser  hatte  auf  seinen  Reisen  die  Theater  dieses 
Landes  kennen  gelernt,  die  besten  Sänger  und  Sän- 
gerinnen selbst  engagiert  und  von  unserer  Oper  gingen 
die    seconde   und   terze    donne    nach    Italien    zurück, 
um    als    erste    überall    aufzutreten  ^^^).      Schröder  ^^°) 
kam  nach  Wien,  spielte  zuerst  Gastrollen  und  wurde 
sodann    samt   seiner    Frau    engagiert.     Brockm-ann^^^) 
kam"  nach  Wien,   Lange ^^^^  war  in   der  Blüte  seiner 
Kraft,   die  beiden  Jacquets,    Katharina  ^^^)  und  Anna 

70 


(nachmals  Adamberger  und  Mutter  der  liebenswürdigen 
Schauspielerin    unserer    Zeit^^^)),    Madame    Sacco^^s^ 
und    viele    andere    machten    die    Leistungen    unserer 
Bühne    höchst    glänzend,    und    das  Publikum    nahm 
auf   eine   Weise   an   dem   Theater  Teil,    die   von  der 
jetzigen  ganz  verschieden  ist.    Es  suchte  geistigen  Ge- 
nuß, nicht  bloßen  Zeitvertreib,  es  wollte  sein  Gefühl 
anregen  lassen,  nicht  bloß  den  Verstand  im  Tadeln 
üben.    Es  kam  mit  frischer  Empfänglichkeit  ins  Thea- 
ter, faßte  jede  Schönheit  des  Dramas  sowohl  als  der 
Darstellung   auf,   verlangte   nicht   mit   Übersättigung 
nur   nach   schnellem   Dahineilen   der   Handlung   und 
wurde  durch  eine  tiefere  psychologische  Entfaltung  der 
Motive  nicht  gelangweilt.     So  gab  es  sich  dem  Ein- 
druck hin,   den  Dichter  und   Schauspieler  hervorzu- 
bringen strebten  und  dies  geistig  bewegliche,  für  jede 
Schönheit   empfängliche   Publikum   (nicht   bloß   hier, 
sondern  in  ganz  Deutschland)  erweckte  in  schöner,  aber 
sehr  natürlicher  Wechselwirkung  die  dramatischen  Ge- 
nies, die  sich  gern  einer  so  lohnenden  Arbeit  unter- 
zogen, sowohl  als  Dichter  wie  als   Schauspieler.     Aus 
jener   Periode    stammen,    nebst    den    obengenannten, 
Ifflandi36),  Fleck  137),  Koch^^s)^  die  Unzelmanni^^)  und 
viele  andere,  deren  Namen  mir  nicht  eben  beifallen. 
In  jener  Periode  traten  Iffland  und  Schröder  als  Schau- 
spieler und  Schauspieldichter,  Kotzebue^*")  und  Jün- 
ger als  Schauspieldichter  auf,  deren  Stücke  noch  jetzt 
den  Kern  unserer  Repertoire  bilden  und  trotz  des  ganz 
veränderten  Geschmackes  oft  lieber  gesehen   werden 
als  die  Erzeugnisse  neuerer  Zeit.    So  bewegte  sich  die 
gesellige  Welt,  geistig  angeregt,  aufs  lebhafteste  und 
genügendste  in   stetem  Wechsel  der  Leistungen  und 
Empfängnisse,  und  mitten  in  diesem  freudigen  Trei- 

71 


ben  der  Geister  wuchs  ich  empor  und  trat  in  die  Peri- 
ode, wo  das  Kind  zur  Jungfrau  entblüht,  das  Herz  zu 
fühlen,  der  Geist  mit  klarem  Bewußtsein  um  sich  zu 
blicken  vermag. 

Ich  hörte  und  sah  vieles,  was  von  meinen  früheren 
Ideen  sehr  abstach.  Ich  war  religiös  erzogen,  und  alle 
von  der  Kirche  vorgeschriebenen  Gebräuche  waren 
bis  zu  jener  Zeit  im  Hause  sowohl  als  auch  von  mir  be- 
obachtet worden.  Allmählich  aber  drang  die  neue 
Gesinnung  auch  bei  uns  ein.  Gar  manche  der  Freunde, 
die  unser  Haus  besuchten  und  übrigens  achtungswerte 
Menschen  waren,  dachten  über  die  Religion  sehr  frei. 
—  Nicht  allein,  daß  sie  sich  in  ihrem  Herzen  von  jeder 
positiven  Satzung  losmachten  und  eigentliche  Deisten, 
oft  nicht  einmal  dies,  sondern  Materialisten  und  Athe- 
isten waren,  gab  es  auch  viele  unter  ihnen,  die  unbe- 
sonnen genug  waren,  diese  Gesinnung- ungescheut  im 
Gespräche  laut  werden  zu  lassen,  sich  von  allen  äußer- 
lichen Beobachtungen  der  Religion,  allen  Vorschriften 
der  Kirche  los  zu  machen  und  in  philosophischer  Ruhe 
bequem  dahin  zu  leben.  Diese  Gesinnungen,  diese 
Beispiele  sah  ich  täglich  vor  mir,  und  obwohl  sie  mich 
wohl  zuweilen  durch  ihre  Grellheit  verletzten,  so  drang 
doch  einiges  davon  auch  in  meinen  Geist  ein,  erregte 
mir  Zweifel,  Unsicherheit  und  erkältete  auf  jeden  Fall 
mein  Gefühl.  — 

Gottes  Gnade  war  es,  deren  Walten  über  mir  ich 
recht  sichtbar  erkenne,  wenn  ich  der  Entwicklung 
meines  Geistes  und  den  Einwirkungen,  die  er  von  Zeit 
zu  Zeit  erhielt,  nachsinne,  daß  Haschka,  welcher,  wie 
schon  gemeldet,  bei  uns  wohnte  und  sich  meiner  geisti- 
gen Ausbildung  eifrig  annahm,  mir  (vielleicht  durch- 
aus nur  aus  ästhetischen  Rücksichten)  die  Noachide^^^), 

72 


Miltons  verlornes  Paradies  ^*^),  die  Insel  vom  Gra- 
fen Stolberg ^*^)  u.  dgl.  zu  lesen  gab  und,  um  mein 
von  Natur  glückliches  Gedächtnis  durch  Übung  zu 
stärken,  zuerst  alle  Fabeln  und  Erzählungen  von  Gel- 
iert, Hagedorn,  Lichtwer^*^),  dann  aber  auch  die  geist- 
lichen Lieder  des  ersten  sowohl  als  anderer  Dichter 
auswendig  lernen  ließ.  In  jenen  geistlichen  Epopöen 
erschienen  mir  die  Gottheit,  die  Engel  wieder  in  dem 
würdigen  hohen  Licht,  worin  ich  sie  im  gesellschaft- 
lichen Leben  gar  nicht  oder  höchst  selten  betrachtet 
sah,  und  mein  Herz  ergriff  eifrig  diese  durch  die  Phan- 
tasie ihm  dargebotenen  Vorstellungen,  welche  mit  dem 
tiefsten  Grunde  meiner  Seele  so  wohl  zusammen- 
stimmten. Ich  behielt  die  schönsten  von  Gellerts 
Liedern  auswendig  (ich  weiß  sie  noch  jetzt  großenteils), 
bediente  mich  seines  Morgen-  und  Abendliedes  ^*^)  zu 
meiner  täglichen  Andacht  und  hielt  mir  viele  seiner 
frommen  Sprüche  gegenwärtig,  so  z.  B.  das  schöne 
Lied:  Du  klagst  und  fühlest  die  Beschwerden  des 
Standes,  worin  du  dürftig  lebst ^^^),  in  welchem  wirk- 
lich ein  Schatz  von  Erfahrung  und  Trost  für  jeden 
liegt;  so  endlich  aus  einem  andern  die  Stelle:  Denk 
an  den  Tod  in  frohen  Tagen,  kann  deine  Lust  sein 
Bild  vertragen,  so  ist  sie  gut  und  unschuldsvoll  ^*^). 
Wohl  sprang  ich  freudig  und  mutig  auf  keinem  Ball 
herum,  ohne  mir  nicht  mehr  als  einmal  während  des 
Abends  jenen  Vers  des  frommen  Mannes  zurückzu- 
rufen und  die  Reinheit  meines  Genusses  an  diesem 
Prüfstein  zu  untersuchen.  Gott  sei  Dank!  ich  fühlte 
nie  Schrecken  oder  Angst  bei  dem  Gedanken  an  einen 
möglichen  nahen  Tod. 

Aus  jenen  Epopöen  ging  noch  eine  Vorstellung  le- 
bendig in  meine  Seele  über  —  die  der  Engel  und  mei- 

73 


lies  Schutzengels  insbesondere.  Meine  Religionsbe- 
griffe stimmten  gar  wohl  damit  überein,  und  so  erkor 
ich  mir  den  Engel  Ithuriel,  der  im  Milton  vorkommt, 
wo  er  den  Satan  als  Kröte  am  Ohr  der  Eva  entdeckt 
und  ihn,  mit  seinem  Speere  berührend,  zur  Entdeckung 
und  Flucht  zwingt i*^),  zu  meinem  Schutzengel  oder 
vielmehr  ich  gab  dem  Geiste,  dessen  Schutz  mich  der 
Schöpfer  bei  meiner  Geburt  übergeben,  diesen  Na- 
men. Dann  erkor  ich  mir  einen  der  schönsten  Fix- 
sterne —  (späterhin  erfuhr  ich,  daß  es  die,  fast  im  Ze- 
nith  stehende  Lyra  ist),  in  welchem  ich  mir  Ithuriels 
Residenz  dachte.  Um  aber  auch  ein  deutliches  Bild 
von  ihm  in  meiner  Phantasie  zu  bewahren,  wählte  ich 
mir  einen  überaus  schönen  Engel  in  Jünglingsgestalt, 
der  auf  einem  Bilde  in  unserer  Dorfkirche  (zu  Hernais, 
wo  meine  Eltern  jeden  Sommer  zubrachten)  der  hei- 
ligen Barbara  den  Palmzweig  aus  den  Wolken  reicht. 
So  also  sah  mein  Schutzgeist  aus,  wohnte  in  dem 
schönen  Stern,  den  ich  in  hellen  Nächten  über  mir 
funkeln  sah,  umschwebte  mich,  beobachtete  mich  und 
war  betrübt  oder  ungehalten,  wenn  ich  Fehler  beging. 
Jeden  Abend  examinierte  ich  mich  nach  Gellerts 
Selbstprüfung:  Der  Tag  ist  wieder  hin^^^),  gleich- 
sam in  Gegenwart  meines  Schutzengels  und  glaubte  zu 
fühlen,  ob  er  freundlich  oder  strenge  dabei  aussah.  --^ 
Zuweilen  erschien  er  mir  im  Traum  —  unendlich 
schön,  von  weit  mehr  als  menschlicher  Größe,  eine 
Krone  von  Rosen  im  hellbraunen  Haar  (jener  auf  dem 
Altarblatt  war  ganz  blond)  und  meine  Seele  versank  in 
Entzücken,  Demut  und  Hingebung  vor  ihm;  denn  — 
wie  ich  jetzt  wohl  einsehe  —  die  erwachenden  Gefühle 
der  Jungfrau  mischten  sich  in  die  religiösen  Vorstellun- 
gen, und  der  künftige  Geliebte  verschmolz  mit  dem 

74 


schönen  Schvitzgeist.  Wie  vielen  Anteil  aber  auch  diese 
Täuschung  an  jener  Verehrung  meines  Engels  und  an 
mancher  religiösen  Erhebung  gehabt  haben  mochte, 
so  erkenne  ich  doch,  daß  es  sichtbare  Waltung  der  Vor- 
sehung war,  die  meinen,  durch  den  Zeitgeist  erschüt- 
terten Glauben  und  das  Bessere  in  mir  auf  solche  Weise 
bewahrte.  Ich  schrieb  mir  auch  —  in  meinem  drei- 
zehnten oder  vierzehnten  Jahre  —  ein  kleines  Gebet- 
buch zusammen,  in  welches  ich  viele  der  Gellertschen 
Lieder  eintrug  und  bediente  mich  dessen  in  der  Kirche 
und  zu  Hause. 

:J;Kurz  vor  dieser  Zeit  hatte  Haschka  angefangen, 
mich  in  der  lateinischen  Sprache  zu  unterrichten, 
die  ich  mit  vieler  Lust  ergriff  und  worin  ich  schnelle 
Fortschritte  machte.  Herr  von  Leon,  der  früher  meines 
Bruders  Mentor  gewesen  war,  hatte  unser  Haus  ver- 
lassen und  eine  Anstellung  an  der  k.  k.  Hofbibliothek 
erhalten,  die  er  auch  bis  zu  seinem,  erst  vor  einigen  Jah- 
ren erfolgten  Tode  behielt ^^°).  An  seine  Stelle  kam  ein 
anderer  junger,  aber  sehr  tüchtiger  Mann,  der  später 
ebenfalls  ein  kaiserliches  Amt  erhielt  und  bis  an  seinen 
Tod  ein  treuer  Freund  unsers  Hauses  war.  Dieser 
setzte  den  Unterricht  im  Lateinischen  bei  mir  fort, 
indem  ich  die  Lehrstunden  meines  Bruders  besuchte, 
da  Herr  Haschka  infolge  mancher  kleinen  Mißverständ- 
nisse unser  Haus  verlassen  hatte,  obgleich  er  uns  immer- 
fort und  fleißig  besuchte. 

Man  hatte  damals  angefangen,  Kinder  und  junge 
Leute  mehr  an  Luft  und  jede  Witterung  zu  gewöhnen. 
Es  wurde  also  auch  bei  uns  Sitte,  daß  ich,  so  oft  es  nur 
möglich  war,  mit  meinem  Bruder  in  Begleitung  des 
Hofmeisters  spazieren  ging.  Auf  diesen  Gängen,  die 
im  Winter  nur  durch  die  Straßen  der  Stadt  gescha- 

.  75 


hen,  kamen  wir  denn  sehr  oft  auf  den  Michaelsplatz, 
wo  damals  Artaria^^^)  die  erste,  sehr  schöne  Kunst- 
handlung eröffnet  hatte.  Obwohl  noch  halbes  Kind, 
fand  ich  doch  viel  Vergnügen  an  Gemälden  und  Kupfer- 
stichen, es  war  mir  also  sehr  angenehm,  wenn  unser 
Weg  bei  Artaria  vorüberführte  und  ich  Gelegenheit, 
fand,  die  Bilder  zu  betrachten.  Bald  aber  zog  eines  vor 
allen  meine  Aufmerksamkeit  an  sich  und  machte  einen 
tiefen  Eindruck  auf  mein  Herz.  —  Es  war  dies  das  be- 
rühmte Blatt  (von  Woollet,  wenn  ich  nicht  irre): 
der  Tod  des  Generals  Wolf  in  der  Schlacht  bei  Que- 
f  beck^^^^.    Die  edle  Gestalt  des  jungen  sterbenden  Hel- 

den, der  erhabene  Ausdruck  seiner  Züge,  der  im  Ster- 
ben noch  die  Siegesfreude  und  das  God  be  thanked 
bezeichnet,  womit  er  die  Nachricht  empfängt,  daß  die 
Feinde  flohen,  die  Trauer  der  ihn  umgebenden  Ge- 
fährten, die  die  Größe  dieses  Verlustes  anschaulich 
machte,  alles  dies  ergriff  mich  tief  und  General  Wolf, 
der  die  Weltbühne  zehn  Jahre  vor  meiner  Geburt 
verlassen  hatte,  ward  der  geheime  Gegenstand  einer  — 
wahrlich  schuldlosen  Neigung  und  manches  zärtlichen 
Gedichtes,  das  ich  seinem  Andenken  weihte.  —  Alle 
Tage  wußte  ich  es  nun  einzuleiten,  daß  wir  bei  Ar- 
taria vorüberkamen  und  ich  mein  Ideal  zu  sehen  be- 
kam; in  unserm  Garten  errichtete  ich  ihm  in  einem 
schattigen  verborgenen  Winkelchen  ein  Denkmal, 
einen  kleinen  Erdhügel,  auf  den  ich  ein  Kreuz  pflanzte 
und  ihn  mit  Blumen  und  Bändern  schmückte,  und  so 
erhielt  sich  diese  Geisterliebe  eine  Weile  in  meiner 
Phantasie. 

Ich  war  stets  gern  im  Sommer  auf  dem  Lande, 
das  heißt,  in  dem  Garten  meiner  Eltern  auf  dem  be- 
nachbarten Dorfe  Hernais  gewesen.    Die  freie  Natur, 

76 


Bäume,  Blumen,  das  Gebirg  in  der  Ferne,  schöne  Son- 
nenuntergänge und  Mondnächte  sprachen  mein  Ge- 
fühl an  und  es  war  mir  immer  leid,  wenn  wir  im  Herbste 
in  die  Stadt  zurückkehrten.  Ungefähr  in  dieser  Zeit 
des  Erwachens  meiner  Empfindungen  erschien  Vos- 
sens Luise,  nämlich  der  Geburtstag,  der  Brautabend 
und  der  Morgenbesuch,  jedes  einzeln  in  den  damaligen 
Hamburger  Musenalmanachen  ^^^). 

Mir  ging  eine  neue  Welt  in  diesen  Dichtungen  auf. 
Das  war  es,  was  tief  und  unverstanden  in  mir  gelegen 
hatte,  dieses  stille,  ländliche  Leben,  diese  genügende  Be- 
grenzung, dieser  Frieden,  dieses  häusliche  Glück!  In 
solchen  Szenen  konnte  ich  auch  das  meinige  finden,  und 
ein  Arnold  Ludwig  Walter*)  schwebte  mir  in  seinem 
würdigen  Ernst,  seinem  frommen  Sinn,  seiner  prie- 
sterlichen Hoheit  als  das  Wünschenswerteste  vor  Au- 
gen, was  ein  Mädchen  erreichen  konnte.  Daß  es 
gerade  ein  Geistlicher  war,  erhöhte  bei  mir  seinen 
Wert.  Ich  hatte  Sophiens  Reisen  von  Memel  nach 
Sachsen  gelesen  und  wieder  gelesen;  denn  der  Ro- 
man hat  sicher  große  Vorzüge  und  es  ist  schade, 
daß  er  so  vergessen  ist^^^).  Auch  hier  stand  ein  pastor- 
licher Held,  Herr  Eduard  Groß,  vor  allen  übrigen 
glänzend,  kräftig  und  edel  da.  —  Ja!  eines  solchen 
Mannes,  gerade  eines  Geistlichen  Frau  zu  werden,  in 
ländlicher  Stille  mit  ihm  zu  leben,  die  Heiligung  zu 
fühlen,  die  sein  gottverwandter  Sinn,  sein  frommer 
Wandel  um  sich  verbreitet,  ihm  anzuhängen,  ihm  freu- 
dig zu  gehorchen,  mich  kindlich  von  seiner  Tugend  und 
Frömmigkeit  leiten  zu  lassen,  erschien  mir  als  das 
schönste  Los,  das  ich  erstreben  konnte;  und  diese 
Richtung,   die  damals  meine  Empfindungen  nahmen 

*)  In  Vossens  Luise. 

11 


oder  vielmehr  wie  sie  sich  aus  meinem  Innern  entfal- 
teten, blieb  so  ziemlich  der  Typus,  der  ihnen  für  immer 
eingedrückt  war. 

Nun  gab  mir  Haschka  Unterricht  in  den  schönen 
Wissenschaften,  vmd  Batteux^^^)  war  unser  Lehrbuch, 
aus  welchem  ich  Auszüge  zu  machen  angehalten  wurde, 
so  wie  aus  Erxlebens  Physik^^®),  in  welcher  mich 
Haschka  ebenfalls  unterwies.  Überhaupt  mußte  ich 
viel  schreiben,  übersetzen,  aus  dem  Lateinischen  und 
Französischen,  und  Auszüge  aus  den  Lehrbüchern, 
Exzerpte  aus  Gedichten  machen.  Ich  halte  dies  für 
eine  sehr  nützliche  Übung  für  junge  Leute,  und  glaube, 
daß  ich  ihr  vieles  verdanke;  denn  ich  gewöhnte  mich, 
den  eigentlichen  Sinn,  den  Kern  jedes  Vortrags  aufzu- 
suchen, zu  fassen  und  deutlich  darzustellen,  was  mir 
später  von  vielfachem  Nutzen  war,  und  jene  Exzerpte 
oder  Anthologien  leiteten  mich  dahin,  die  Schönheiten 
eines  Werkes  zu  studieren,  zu  empfinden,  und  mir 
gleichsam  eigen  zu  machen. 

Nachdem  ich  diesen  Unterricht  nach  Batteux  ziem- 
lich gefaßt  hatte,  fing  ich  an,  mich  in  Fabeln  und  Idyl- 
len zu  versuchen.  Geßner^^'),  Voß^^^),  Virgil,  eine 
deutsche  Übersetzung  des  Theokrit^^^)  wurden  mir  in 
die  Hand  gegeben,  und  ich  schrieb  eine  Menge  Zeugs 
in  Geßnerscher  poetischer  Prosa  oder  in  Hexametern 
nieder,  das  längst  untergegangen  ist,  v/eil  es  kein  besse- 
res Schicksal  verdiente,  das  aber  doch  dazu  diente,  mich 
im  Stil  und  Vortrag  zu  üben. 

So  erreichte  ich  mein  fünfzehntes  Jahr  und  mithin 
eine  bedeutendere  Epoche  meines  Lebens.  Meine  El- 
tern waren  mit  der  Familie  jener  Frau  von  Häring,  der 
Patin  meines  verstorbenen  Schwesterchens,  nicht  bloß 
weitläufig  verwandt,  sondern  seit  langem  durch  Bande 

78 


herzlicher  Freundschaft  verbunden.  Herr  von  Häring 
hatte  zwei  Söhne  und  zwei  Töchter,  die  alle  um  einige 
oder  auch  viele  Jahre  älter  waren  als  ich^^"),  wie  denn 
die  ältere  Tochter  nicht  mehr  als  ein  ganz  junges  Mäd- 
chen einem  Bankier  „von  Schwab"  ^^^)  die  Hand  gab, 
als  ich  kaum  zehn  oder  elf  Jahre  zählte.  Der  jüngere 
Sohn,  ein  sehr  hübscher  Jüngling,  ebenfalls  um  8 — 9 
Jahre  älter  als  ich,  hatte  mir  immer  freundlich  begegnet, 
und  sein  meisterliches  Violinspiel  meine  Aufmerksam- 
keit auf  ihn  geheftet  ^^^),  ohne  daß  ich  etwas  weiteres 
dabei  dachte.  Nun  war  er  ein  paair  Jahre  auf  Reisen  ge- 
gangen, hatte  Frankreich,  England,  einen  großen  Teil 
von  Deutschland  gesehen,  und  wurde  mit  großen  Hoff- 
nungen von  seiner  hohen  Ausbildung  und  moralischen 
Vortrefflichkeit  im  Vaterhause  und  in  dem  ganzen 
Freund-  und  Verwandtschaftskreise  zurück  erwartet. 
Er  kam  an  und  einer  seiner  ersten  Gänge  war  zu 
den  treuen  Freunden  seiner  Eltern,  zu  uns.  Ich 
hatte  wenig  oder  gar  nicht  an  ihn  gedacht;  aber  ich 
wurde  doch  sehr  frappiert,  als  er  eines  Abends,  da  eben 
wie  immer  Gesellschaft  bei  uns  war,  eintrat.  Seine 
natürlich  vorteilhafte  Gestalt  hatte  sich  noch  ange- 
nehmer ausgebildet.  Er  war  von  mehr  als  mittlerer 
Größe,  blond,  mit  blauen  Augen,  bedeutenden  Zügen 
und  ernster  würdiger  Haltung,  hatte  durchaus  nichts 
Gecken-  oder  Stutzerhaftes,  vielmehr  etwas  Gehaltnes, 
das  fast  bis  ans  Strenge  ging.  Eine  Nadel  in  meiner 
Stickerei  ging  mir  über  dem  Anschauen  des  hübschen 
Jünglings  verloren,  und  als  ich  sie  am  Boden  suchen 
wollte,  kam  er  selbst  —  o  welcher  Zuwachs  an  Verwir- 
rung! —  mir  zu  helfen.  Von  dem  Augenblicke  an,  war 
meine  Unbefangenheit  dahin,  und  wenn  ich  mich 
gleich  recht  wohl  erinnere,  daß  von  jenem  ,, Blitz,  der 

79 


In  zwei  Herzen  zugleich  einschlägt",  von  jenem 
„Vorgefühl,  daß  jetzt  das  Schicksal  unsers  Lebens  ent- 
schieden sei"^^^),  gar  nichts  in  meiner  Seele  war,  viel- 
leicht schon  darum  nicht,  weil  jene  Ideen,  Geburten 
einer  spätem  phantastischem  Zeit,  damals  nicht  Mode 
waren,  so  weiß  ich  doch  noch  recht  gut,  daß  ich  glaubte, 
Herr  v.  Häring  könnte  so  ziemlich  dem  Ideal  entspre- 
chen, das  ich  mir  von  einem  vollkommenen  Manne  ent- 
worfen hatte. 

Auch  er  schien  von  ähnlichen  Gefühlen  für  mich 
beseelt;  sei  es  nun,  daß  ich  ihm  wirklich  gefallen  oder 
daß  die  Betrachtung  der  mancherlei  Vorteile,  welche 
eine  Verbindung  mit  der  Tochter  des  angesehenen  und 
vermöglichen  Hofrates  Greiner  bringen  konnte,  ihm 
selbst  einleuchtete  oder  von  seinen  Verwandten,  die 
auch  die  unsrigen  waren,  angeraten  wurde  —  genug, 
er  näherte  sich  mir  auf  entschiedene,  nicht  zu  mißver- 
stehende Weise,  und  mein  jugendliches  Herz  war  ganz 
glücklich  in  diesem  Gefühl  einer  ersten,  tugendhaften, 
und  von  beiden  Familien  gut  geheißenen  Liebe.  Daß 
Häring  trotz  seiner  Aufmerksamkeit  und  Zärtlichkeit 
sich  immer  in  einer  gewissen  ruhigen  Haltung  gegen 
mich  zu  behaupten  wußte,  die  von  einem  lebhaftem 
Geiste  manchmal  zu  Übereilungen  hingerissen  wurde; 
daß  er  diese  Übereilungen  liebreich,  aber  offen  tadelte; 
daß  er  überhaupt  hier  und  dort  manches  zu  hofmeistern 
an  mir  fand,  irrte  mich  lange  nicht.  Mein  Ideal  war  ja 
ernst,  besonnen,  weise,  viel  etwas  besseres  als  ich  selbst, 
und  so  nahm  ich  jede  Zurechtweisung  demütig  und 
willig  hin.  Noch  ein  zufälliger  Umstand  trat  hinzu, 
um  dies  untergeordnete  Verhältnis  auszubilden.  Häring 
besaß  die  Musik,  in  der  auch  ich  mich  nicht  ohne  Bei- 
fall übte,  in  sehr  hohem  Grad.   Er  hatte  vor  seiner  Reise 

80 


Silhouette  von  Illeronymus  Löschenkohl 
3streichischer  Nationakaschen-Kalender  für  1789.    Wien.    Eild  Nr.  XXXV) 

Stadtbibliothek,  Wien 


die  Violine  meisterlich  gespielt  ^^2),  und  diese  Fertig- 
keit während  jener  Jahre  in  der  Fremde  noch  ungleich 
höher  ausgebildet.    So  stand  er  in  dieser  Rücksicht  als 
vollendeter   Virtuose    vor   mir,    der    den    Dilettanten 
kaum  ahnen  ließ.    Er  akkompagnierte  mir  nun  bestän- 
dig, er  studierte  die  herrlichen  Werke  Mozarts  und 
Haydns  mit  mir  ein;  er  hielt  mich  streng,  ließ  mir  den 
kleinsten  Fehler  in  Takt  oder  Betonung  nicht  hingehn, 
und  meine  Neigung  für  ihn,  so  wie  mein  hoher  Begriff 
von  seiner  Vortrefflichkeit  machten  mich  zur  gelehrigen 
Schülerin  und  gaben  diesen  Musikübungen  einen  na- 
menlosen Reiz.     Sehr  oft   unterhielten   wir  uns,   ein 
bißchen  kindisch,  ich  muß  es  zugeben,  damit,  irgend 
einem    gehaltvollen    Tonstücke    jener    Meister    einen  . 
Redesinn,  eine  dramatische  Handlung  oder  Situation 
unterzulegen,  die  wir  dann  durch  dasselbe  vollkommen 
ausgedrückt  zu  hören  vermeinten.    Das  war  eine  gar 
zu  angenehme  Unterhaltung  für  mich,  und  daß  unsere 
Meinung  sehr  oft  nicht  zusammentraf,  daß  Häring  in 
demselben    Tonstück,    das    mir    ein    Gewitter   darzu- 
stellen schien,  eine  Schlacht  zu  erkennen  glaubte,  oder, 
wo  ich  eine  Klage  der  Sehnsucht  fand,  einen  verliebten 
Vorwurf  hörte  usw.  —  schien  mir  natürlich;  denn  jene 
Bedeutungen  waren  gar  zu  willkürlich,  um  sehr  be- 
zeichnend zu  sein.    Nur  gefiel  es  mir  nicht,  daß  seine 
Auslegungen  oft  gar  zu  trocken  und  prosaisch  klangen. 
Auch  in   der   englischen    Sprache,    die   damals,   vor 
50  Jahren,  Mode  zu  werden  anfing,  die  Häring  schon 
früher  mit  Fleiß  und  Genauigkeit  getrieben,  und  in 
England,  wo  er  mehr  als  ein  Jahr  lebte,  zu  großer  Fer- 
tigkeit gebracht  hatte,  wurde  er  mein  Meister.    Wir 
lasen  zusammen  englische  Gedichte,  Romane  usw.    Er 
gab    mir  ordentliche  Pensa    auf,    die    ich  übersetzen 


6     C.  P.  I 


81 


mußte,  und  deren  Fehler  er  korrigierte;  aber  hier  waren 
meine  Progressen  denen  in  der  Musik  nicht  gleich. 
Das  Studium  einer  Sprache  hat  stets  etwas  Trockenes, 
Härings  Methode  wußte  diese  Trockenheit  nicht  zu  mil- 
dern, mich  fing  das  an  zu  langweilen,  und  ich  dachte 
zuweilen,  daß  er  die  nicht  häufigen  Stunden,  in  wel- 
chen wir  ungestört  beisammen  sein  konnten,  mit  etwas 
Besserem  als  grammatikalischen  Übungen  ausfüllen 
könnte.  So  blieb  die  englische  Sprache  bald  beiseite 
liegen,  und  erst  lange  Jahre  darnach,  als  Walter  Scotts 
und  Byrons  Schriften  die  ganze  lesende  Welt  in  Deutsch- 
land in  Bewegung  setzten,  suchte  ich  mein  fast  ganz 
vernachlässigtes  Englisch  hervor,  und  trieb  es  mit  Eifer, 
um  jene  Meisterwerke  im  Original  genießen  zu  können. 
Nach  und  nach  suchte  Häring  statt  der  englischen 
Lektionen  eine  andere  Beschäftigung  in  unsere  Stunden 
des  Beisammenseins  einzuführen.  Er  brachte  mir  Bü- 
cher, mitunter  gute,  und  las  sie  mir  vor.  Hätte  ich 
sonst  keine  Gelegenheit  gehabt,  meinen  Geist  auszu- 
bilden, so  wäre  diese  Bemühung  meines  Freundes  im- 
mer dankenswert  gewesen.  So  aber  konnte  sie  in  dieser 
Richtung  kein  großes  Verdienst  ansprechen;  denn  im 
Hause  meiner  Eltern  und  unter  ihrer  ebenso  liebevollen 
als  sorgfältigen  Leitung  mangelte  es  mir  weder  an  Ge- 
legenheit, noch  an  Zeit  und  Aufmunterung,  meinen 
Geist  mit  den  mannigfaltigsten  Kenntnissen  zu 
schmücken.  Außer  den  Dichtern:  Denis,  Leon, 
Haschka,  Alxinger,  Blumauer  usw.,  welches  damals  be- 
rühmte Namen  waren,  besuchten  auch  Männer  von 
strengen  Wissenschaften  häufig  unser  Haus,  wie  ich 
schon  früher  angeführt  ^^^).  Überdies  reiste  beinahe 
kein  fremder  Gelehrter  oder  Künstler  nach  Wien,  der 
nicht  Empfehlungsschreiben  an  Haschka  oder  unmittel- 

82 


\ 


bar  an  meine  Eltern  hatte,  und  sich  von  jenem  vor- 
stellen oder  durch  seine  Briefe  einführen  ließ.  So  ka- 
men der  berühmte  Reisende  Georg  Forster i^^),  die  Pro- 
fessoren Meiners  1^^)  und  Spittler^^'),  Becker i^^),  Gök- 
kingk^^^),  der  Schauspieler  Schröder i^")  aus  Hamburg, 
viele  Musiker,  Kompositoren,  wie  Paisiello^''^),  Cima- 
rosa^'^),  zu  uns;  und  daß  die  einheimischen  Künst- 
ler Mozart,  Haydn,  Salieri^'^),  die  Gebrüder  Hickhel 
(Kammermaler  des  Hofes)  ^''*),  Füger ^'^)  und  andere 
nicht  fehlten,  versteht  sich  von  selbst.  Im  Umgange 
mit  diesen  Menschen,  deren  bloßes  Gespräch  schon 
an  sich  selbst  Unterricht  für  einen  empfänglichen 
Geist  war,  von  manchem  unter  ihnen  aber,  wie  von 
Haschka,  Leon,  Alxinger,  Maffei  usw.  wirklich  in  ver- 
schiedenen Gegenständen  des  Wissens  angeleitet,  be- 
durfte ich  keiner  Nachhilfe  von  Seite  meines  Freun- 
des, ja,  seine  Bemühungen,  allerlei  Bücher  mit  mir  zu 
lesen,  oder  mich  im  Englischen  zu  unterrichten,  schie- 
nen mir  in  der  Stellung,  in  welcher  ich  mich  befand, 
überflüssig  und  unpassend;  denn  meine  Phantasie  hatte 
sich  angenehmere  Bilder  von  herzlichen  Mitteilungen 
und  süßem  Gekose  entworfen,  welches  die  Stunden  un- 
sers  Beisammenseins  hätte  ausfüllen,  und  ihm  kein 
Verlangen  nach  einer  trockenen  Lehrstunde  nähren 
lassen  sollen,  die  mir  wie  ein  Lückenbüßer  der  Lang- 
weile vorkam. 

Allmählich  drängten  sich  mir  auch  andere  Bemer- 
kungen auf.  Nicht  Häring  allein,  auch  andere  junge 
Männer,  die  unser  Haus  besuchten,  brachten  mir  ihre 
Huldigungen;  denn  damals  war  es  noch  Sitte,  daß  die 
Männer  in  Gesellschaft  sich  um  die  Frauen  und  Mäd- 
chen bemühten,  und  jede,  die  einige  äußere  oder  innere 
Vorzüge  besaß,  einen  kleinen  Hof  um  sich  sah,  der. 


6* 


83 


wenn  auch  ohne  bestimmte  Aussicht  oder  Hoffnung, 
sich  bestrebte,  der  verehrten  Königin  gefällig  zu  sein. 
Diese  nun  fanden  alles,  was  und  wie  ich  es  tat,  gut 
und  liebenswürdig,  während  Häring  stets  etwas  an  mir 
zu  tadeln  und  zu  hofmeistern  hatte,  das,  wie  eben  der 
erste  Zauber  verschwunden  war,  greller  hervortrat,  mir 
manche  Stunde  des  Beisammenseins  verbitterte,  manche 
unangenehme  Erörterung  herbeiführte,  und  mich 
in  eben  dem  Maße  gegen  ihn  kälter  machte,  in  welchem 
ich  mich  immer  mehr  von  seiner  Kälte  überzeugt 
glaubte.  Dazu  kam  noch  die  Beobachtung,  daß  diese 
Kälte  meistens  nur  erschien,  wenn  wir  allein  waren; 
vor  den  Leuten  aber  einem  aufmerksamem,  wärmern 
Benehmen  wich,  das  mir  zugleich  so  eingerichtet  vor- 
kam, um  die  Welt  an  Sicherheit  und  Unveränderlich- 
keit  unsers  Verhältnisses  glauben  zu  machen. 

Herr  v.  Alxinger,  der  warme  und  treue  Freund  un- 
sers Hauses,  hatte  etwa  um  diese  Zeit  oder  etwas  früher 
eine  allerliebste  poetische  Epistel  an  mich  gedichtet, 
in  der  er  mir  sehr  heilsame  Lehren,  besonders  in 
Rücksicht  auf  sein  Geschlecht,  gab,  und  worin  es  unter 
andern  heißt: 

Von  zwanzig  Jünglingen,  die  sich 
Wie  Satelliten  um  Dich  drehen, 
Liebt  auch  vielleicht  nicht  Einer  Dich. 
Den  blendet  der  Dukaten  Schimmer, 
Die  Deiner  warten,  den  reizt  deines  Vaters  Rang, 
Den  lockt  Dein  Witz,  den  Deiner  Saiten  Klang, 
Und  Jener  liebt  in  Dir  nur  bloß  das  Frauenzimmer"*). 
(Dieser  letzte  Vers  drückt  dieselbe  Idee  aus,  welche   Grillparzer 

40  Jahre  darnach  in  die  Worte  hüllte: 

—  aber  nicht,  weil  es  die  Rose, 

Weil  es  —  eine  Blume  ist)"^). 

Ich  merkte  mir  diese  Stelle  sehr  wohl,  so  wenig 
Schmeichelhaftes  sie  auch  für  meine  Eitelkeit  enthielt. 


Sie  drückte  sich  meinem  Gedächtnisse  ein;  ich  fing  an, 
Härings  Betragen  daran  zu  prüfen,  und  ob  ich  gleich 
nicht  entscheiden  will,  welche  der  dort  aufgeführten 
Bezeichnungen  gerade  auf  ihn  paßte,  so  trat  doch  die 
Vermutung,  daß  ich  nicht  geliebt  sei,  wie  ich  es  hätte 
sein  sollen,  wie  ich  es  wünschte,  wie  ich  es,  wenigstens 
im  Anfange  selbst  getan  hatte,  immer  deutlicher  her- 
vor, und  bildete  sich  durch  jede  Beobachtung,  jeden 
Zwist  mit  meinem  Freunde,  jede  seiner  Zurechtwei- 
sungen bestimmter  aus. 

Noch  eine  Wahrnehmung  gesellte  sich  dazu,  die 
vollends  mein  Gemüt  von  ihm  wandte.  Ich  habe  frü- 
her schon  erwähnt,  daß  mein  religiöses  Gefühl,  trotz 
des  Zeitgeistes  und  des  ganz  entgegengesetzten  Tones, 
der  um  mich  herrschte,  sich  ziemlich  lebendig  in  mir 
erhalten,  und  ich  sehr  gewünscht  hatte,  bei  näherer 
Bekanntschaft  mit  meinem  Freund  über  jene  Gegen- 
stände, die  mir  so  wichtig  waren,  zu  sprechen,  mich  von 
ihm  belehren,  mein  Gemüt  durch  ihn  erheben  zu  lassen. 
Statt  dessen  machte  ich  nach  und  nach  die  höchst  uner- 
freuliche Entdeckung,  daß  auch  Häring  dem  Zeitgeiste 
wie  fast  alle  jungen  Leute  huldigte,  daß  er  beinahe 
nichts  glaubte,  und  die  kirchlichen  Gebräuche,  gegen 
welche  meine  Eltern  stets  Ehrfurcht  beobachtet,  und 
mich  dazu  angehalten  hatten,  nicht  bloß  geringschätzte, 
sondern  verhöhnte.  Er  brachte  meiner  Mutter  allerlei 
Bücher,  z.  B.  das  Systeme  de  la  nature,  Les  liaisons  dan- 
gereuses^"^),  und  las  sie  ihr  vor —  wo  ich  denn  auch 
dort  und  da  ein  Stückchen  zu  hören  bekam.  Das 
tat  mir  alles  im  Anfa-nge  sehr  weh;  ich  versuchte  es, 
mit  Häring  darüber  zu  sprechen,  ihm  die  Schädlichkeit 
und  Falschheit  seiner  Ansichten  zu  zeigen,  aber  ich  kam 
übel  an.    So  wie  der  Spötter  und  Leugner  bei  jedem 

85 


Streite  immer  das  leichtere  Spiel  hat,  so  ging  es  auch 
hier.  Ich  war  zu  wenig  in  diesem  Fache  tief  unterrich- 
tet, und  meine  Religion  zu  sehr  Sache  des  Gefühls, 
des  Glavibens,  was  sie  wohl  im  Grunde  überall  sein 
muß,  um  in  dem  Streit  mit  einem  entschiedenen  Wi- 
dersacher auszulangen,  der  nun  einmal  alles  Positive 
der  Religion  verwarf,  und  vielleicht,  ich  erinnere  mich 
dessen  nicht  mehr  genau,  sogar  an  den  Atheismus 
streifte.  Diese  Erörterungen  griffen  schmerzlich  in 
mein  Inneres  ein.  Sie  wurzelten  meine  erste,  mir  einst 
so  werte  und  beglückende  Liebe  gänzlich  aus,  und  er- 
schütterten noch  überdies  meine  Ruhe,  indem,  teils 
aus  Härings  Ansichten,  teils  aus  Büchern,  teils  aus  den 
Gesprächen,  die  ich  häufig  um  mich  führen  hörte, 
Zweifel  und  Unsicherheit  in  mein  Herz  drangen. 

Drei  Jahre  hatte  nun  meine  Verbindung  mit  die- 
sem Manne  gewährt;  jch  hatte  mein  achtzehntes  Jahr 
erreicht,  und  jeder  Tag  ließ  es  mich  deutlicher  erkennen, 
daß  wir  zwei  nicht  für  einander  geschaffen  waren;  den- 
noch schleppte  die  Sache  sich  noch  eine  Weile  hin,  da 
Häring  keine  Lust  und  ich  nicht  Entschlossenheit  ge- 
nug hatte,  um  förmlich  zu  brechen.  Eine  Verkettung 
von  Umständen  trat  wohltätig  ins  Mittel.  Härings 
Aussichten,  bald  zu  einer  Stellung  in  dem  Handelshause 
seines  Schwagers  ,,von  Schwab",  in  dem  er  angestellt 
war,  zu  gelangen,  welche  ihm,  wie  wir  seit  langer  Zeit 
hofften,  die  Möglichkeit  geben  sollte,  mir  seine  Hand 
zu  bieten,  und  einen  kleinen,  aber  anständigen  Haus- 
halt zu  beginnen,  trübten  sich  plötzlich.  Aus  wider- 
wärtigen und  sehr  gemeinen  Streitigkeiten  mit  den 
übrigen  Interessenten  ging  nur  allzu  deutlich  Härings 
prekäre  Stellung  in  ihrer  Mitte  hervor.  Mein  Vater 
und  noch  ein  Freund  der  gesamten  Familie  nahmen  sich 

86 


endlich  ernstlich  der  Sache  an,  jene  Streitigkeiten  wur- 
den beigelegt,  Häring  behielt  seine  Anstellung;  aber 
dieser  Vorfall  hatte  meinen  Eltern  die  Überzeugung 
gegeben,  daß  mein  Schicksal  als  Härings  Frau  ganz  von 
den  Launen  und  dem  Eigensinne  einer  gewissen  Person 
abhängig  sein  würde,  welche  in  jenem  Streite  eben  die 
Hauptrolle  gespielt,  und  durch  einen  plötzlichen  Um- 
schwung der  ganzen  Verhältnisse  gezeigt  hatte,  welche 
Macht  sie  über  dieselben  besaß,  und  wie  alles  sich  ihrem 
Willen  würde  beugen  müssen! 

Diese  Aussicht  in  die  Zukunft  machte  meinen  El- 
tern für  mein  Glück  bange,  und  da  ihnen  in  unserm 
gegenseitigen  Betragen  die  Erkaltung  unserer  Neigung 
längst  bemerklich  geworden  war,  so  fing  meine  Mutter 
an,  ernsthaft  über  diese  Angelegenheit  mit  mir  zu  spre- 
chen. Sie  gab  mir  zu  bedenken,  daß  man  bei  einer  Hei- 
rat die  innere  Zufriedenheit  oder  wenigstens  äußere 
Vorteile  beabsichtigen  müsse.  Sie  machte  mich  darauf 
aufmerksam,  daß  meines  Freundes  Zukunft  in  ökono- 
mischer Hinsicht  nichts  weniger  als  gesichert  sei,  wie 
die  erst  abgetane  Geschichte  bewiesen  hatte,  und  sie 
fragte  mich  dringend,  ob  ich  denn  Liebe  genug  für  ihn 
fühlte,  und  auch  der  seinigen  gegen  mich  auf  einem 
solchen  Grade  sicher  sei,  um,  falls  wir  künftig  vielleicht 
durch  feindselige  Einwirkungen,  welche  bei  Härings 
Lage  nur  zu  wahrscheinlich  waren,  in  beschränkte 
Umstände  geraten  sollten,  für  die  äußern  Vorteile 
durch  inneres  Glück  entschädigt  zu  werden. 

Da  stand  ich  nun,  und  wußte  nichts  genügendes  zu 
antworten,  ja  ich  mußte  die  Frage  meiner  Mutter, 
die  ich  nur  als  zu  gegründet  erkannte,  wenn  ich  auf- 
richtig sein  wollte,  geradezu  verneinen.  Nein!  Ich 
fühlte  diese  Liebe,  die  für  alles  entschädigen  konnte, 

87 


längst  nicht  mehr,  und  Häring  hatte  sie,  wenn  ich  der 
Sache  recht  nachsann,  wohl  nie  gefühlt.  — 

Unsere  Trennung  wurde  also  beschlossen.  Sie  tat 
mir  weh,  so  klar  ich  auch  überzeugt  war,  daß  unsere 
Verbindung  keinem  von  beiden  mehr  Glück  bringen 
würde.  Mein  Herz  hatte  die  alten  Bande  liebgewon- 
nen, weil  sie  eben  alt  waren,  und  es  kostete  manchen 
Kampf,  bis  endlich  die  Vernunft  siegte,  und  ich  mei- 
nem Freunde  schriftlich  meinen  Entschluß  erklärte. 
Eine  Weile  glaubte  ich  in  manchen  Augenblicken  an 
den  Schmerz,  den  erzeigte;- — allmählich  aber  erkannte 
ich,  daß  seine  Ruhe  und  Behaglichkeit  zu  fest  gegrün- 
det waren,  um  durch  meinen  Verlust  erschüttert  zu 
werden,  und  daß  sein  Bestreben  eigentlich  nur  dahin 
ging,  vor  der  Welt  noch  stets  als  mein  Liebhaber  zu 
gelten.  Um  dies  zu  erreichen,  drängte  er  sich  auffallen- 
der als  je  an  mich,  und  wie  ich,  geärgert  durch  dies  ab- 
sichtsvolle Benehmen,  mir  erlaubte,  es  ihm  fühlen  zu 
lassen,  entdeckte  ich  zu  meinem  großen  Mißfallen  und 
Ärger,  daß  er  mein  nachlässiges,  ja  manchmal  unartiges 
Benehmen  gegen  ihn  ganz  geduldig  hinnahm,  sich, 
wenn  wir  allein  waren,  alle  Kälte,  alle  Bitterkeit  von 
mir  gefallen  ließ;  aber  in  den  Gesellschaften  unserer 
Bekannten  und  Verwandten,  wo  wir  uns,  trotz  unseres 
Bruches,  zu  sehen  nicht  vermeiden  konnten,  meinen 
Liebhaber  zu  spielen  fortfuhr. 

Wie  sehr  mich  dies  Betragen  empörte,  wird  man 
leicht  erachten,  wenn  man  bedenkt,  wie  hoch  meine 
erste  Meinung  von  Härings  moralischem  Wert,  wie 
schwärmerisch  überhaupt  meine  Meinimg  von  der 
Würde  des  Mannes  war,  der  eine  gebildete,  feinfüh- 
lende Frau  wirklich  beglücken  könne;  wenn  man  weiß, 
daß  ich  ziemlich  viele  Romane  gelesen,  mir  aus  diesen 

88 


Ideale  abgezogen,  und  endlich  in  der  eigenen  Phan- 
tasie lebendige  Farben  und  Wärme  genug  gefunden 
hatte,  um  diese  Bilder  aufs  Glänzendste  auszumalen. 
•Nun  war  auch  jeder  Kampf  zu  Ende,  jede  Rücksicht 
beseitigt.  Ich  erklärte  Häring  mündlich,  aber  mit  gro- 
ßer Ruhe  und  Kälte,  es  sei  alles  zwischen  uns  geendet; 
ich  wolle  aber,  daß  die  Welt  es  auch  erfahre.  Ich  bäte 
ihn  daher,  sein  Betragen  darnach  einzurichten,  so  wie 
ich  meinerseits  mich  auch  demgemäß  gegen  ihn  ver- 
halten würde.  So  erhielt  ich  endlich  meine  völlige  Frei- 
heit, und  daß  wir  beide  nach  wie  vor  uns  in  den  Zirkeln 
unserer  Bekannten  trafen,  auch  wohl  zuweilen  miteinan- 
der musizierten,  späterhin  auch  auf  unserm  Haustheater 
miteinander  spielten,  ohne  den  geringsten  Schmerz  zu 
fühlen,  war  wohl  der  triftigste  Beweis  von  der  vollkom- 
menen Gleichgültigkeit  und  Kälte,  die  in  uns  beiden 
herrschten.    Es  war  wirklich  ein  seltsames  Verhältnis ! 

Dies  erste  Band  war  nun  gelöst  oder  vielmehr 
es  war,  wie  eine  Gerätschaft,  die  sich  abnützt,  aus- 
einander gefallen.  Mein  Herz  war  unbeschäftigt,  meine 
Phantasie  hatte  während  der  ganzen  drei  Jahre  ge- 
schlummert, gleich  als  ob  die  Prosa,  welche  das  Gemüt 
meines  Freundes  beherrschte,  sich  auch  mir  rnitgeteilt 
und  alle  meine  dichterischen  Anlagen  getötet  oder  ein- 
geschläfert hätte.  Sie  fingen  an,  sich  wieder  zu  regen, 
ich  dichtete  Lieder,  Idyllen,  ich  träumte  mir  eine 
schöne  Ideenwelt,  und  lebte  in  der  wirklichen  auch 
ganz  vergnügt,  indem  ich  an  allen  Freuden  und  Un- 
terhaltungen, die  teils  unser  eigenes  Haus,  teils  die 
Häuser  unserer  Freunde  oder  öffentliche  Feste  mir  dar- 
boten, lebhaften  Anteil  nahm. 

Aber  in  der  Tiefe  meines  Herzens  oder  —  viel- 
Itichf  meiner  Phantasie  lebte  das  Bedürfnis,  einen  aus- 

8q 


schließenden  Gegenstand  meiner  Neigungen  zu  fin- 
den, an  welchen  diese  Phantasie  mit  ihren  Bildern  sich 
heften  konnte.  Da  brachte  der  ausbrechende  Türken- 
krieg einen  jungen  Mann,  den  ich  früher  kennen  ge- 
lernt, und  dessen  Erscheinung  nicht  spurlos  an  mir  vor- 
übergegangen war,  obwohl  ich  damals,  meines  Ver- 
hältnisses zu  Häring  wegen,  keinen  andern  Gedanken 
in  mir  aufkommen  ließ,  nach  Wien  und  in  meine  Nähe. 
Er  war  der  Sohn  eines  hochgestellten  Offiziers,  eines 
alten  Bekannten  meiner  Eltern,  noch  vom  Hofe  der 
Kaiserin  her,  und  selbst  schon  Offizier ^^^).  Ein  paar 
Jahre  früher  hatte  dieser  junge  Mann  auf  dem  Lande  in 
unserer  Nachbarschaft  bei  Härings  Eltern  während  der 
Ferien  gewohnt,  und  sich  durch  Feldmessen,  geometri- 
sche und  mathematische  Studien  für  seinen  Beruf  vor- 
bereitet. Er  war  ein  zierlicher  Dichter,  überhaupt  sehr 
gebildet,  von  zartem  Wuchs,  feinjer  Gesichtsbildung, 
und,  was  für  mich  stets  anziehend  war,  mit  einem  sehr 
wohlklingenden  Sprachorgane  begabt.  In  den  Bäumen 
jenes  Gartens,  in  welchem  er  damals  wohnte,  standen 
mancherlei  Verse,  die  mir  galten.  Häring  selbst  hatte 
sie  mir  gezeigt,  und  sich  wohl  auch  ein  bißchen  über 
den  Dichter  lustig  gemacht.  Bei  mir  waren  diese  Be- 
merkungen nicht  auf  die  Erde  gefallen.  Baron  K.,  den 
ich  Fernando  nennen  will,  war  überhaupt  der  Aufmerk- 
samkeit in  vielem  Betracht  würdig,  und  wurde  seitdem 
auch  von  mir  nicht  ohne  Interesse  betrachtet.  Wir 
sahen  uns  zuweilen,  wo  er  mich  stets  mit  zarter  Ehr- 
furcht auszeichnete,  und  als  er  zum  Regimente  abging, 
einen  sehr  bewegten  Abschied  von  mir  nahm.  Während 
dieser  Abwesenheit  löste  sich  mein  Verhältnis  zu  Hä- 
ring ganz  auf,  und  als  Fernando  bei  Eröffnung  des  ersten 
türkischen  Feldzuges  wieder  nach  Wien  kam,  sah  ich 

90 


ihn  mit  ganz  andern  Augen.  "Indessen  blieb  vor  der 
Hand  alles  zwischen  uns,  wie  es  war,  nur  daß  mein  Herz 
und  meine  Einbildungskraft  an  allen  Bulletins,  die 
damals  von  den  Diesseitigen  und  Jenseitigen  (wie 
man  unpassender  Weise  in  den  schlechtgeschriebenen 
Extrablättern  Freund  und  Feind  nannte)  erschienen, 
sehr  lebhaften  Anteil  nahm,  und  ich  mich  stets 
von  dem  Stande  des  Hauptquartiers,  in  welchem  da- 
mals Fernando  bei  dem,  später  durch  verschiedene 
Schicksale  merkwürdigen  Generalquartiermeister  Ba- 
ron von  Mack^^°)  als  Adjutant  stand,  zu  unter- 
richten suchte. 

Schon  diese  Anstellung,  das  Vertrauen,  welches  ihm 
Baron  Mack  schenkte,  und  der  Gebrauch,  den  er  von 
den  Fähigkeiten  des  jungen  Offiziers  machte,  bewiesen 
sehr  für  Fernandos  Geschicklichkeit  und  Wert,  und  er- 
freuten mein  Herz,  das  nun  in  Liedern  und  Dichtun- 
gen freudig  aufging,  und  mit  dem  bewegtesten  Anteil 
die  Zeitungsnachrichten  ergriff.  Um  diese  Zeit  er- 
schien Goethes  Egmont.  Wie  so  lebhaft  konnte  ich  mit 
Clärchen  sympathisieren,  und  das  Liedchen,  zu  dem  ich 
mir  selbst  eine  Melodie  auf  dem  Klaviere  ausgesonnen 
hatte,  singen: 

Die  Trommel  gerühret, 
Das  Pfeifchen  gespielt! 
Mein  Liebster  bewaffnet 
Dem  Haufen  befiehlt !  ^^i) 

Das  Leben  in  meiner  Eltern  Hause  gestaltete  sich  um 
diese  Zeit  sehr  angenehm,  wie  denn  überhaupt  in  ganz 
Wien  damals  ein  fröhlicher,  für  jedes  Schöne  empfäng- 
licher, für  jeden  Genuß  offener  Sinn  herrschte.  Der 
Geist  durfte  sich  frei  bewegen,  es  durfte  geschrieben, 
gedruckt  werden,  was  nur  nicht  im  strengsten  Sinne 

91 


des  Wortes,  wider  Religion  und  Staat  war.  Auf  gute 
Sitten  ward  nicht  so  sehr  gesehen.  Ziemlich  freie 
Theaterstücke  und  Romane  waren  erlaubt  und  kur- 
sierten in  der  großen  Welt.  Kotzebue  machte  damals 
ungeheures  Aufsehen;  —  sein  Menschenhaß  und 
Reue^^^),  seine  Indianer  in  England ^^3),  seine  Sonnen- 
jungfrau i^^),  meisterlich  von  dem  damaligen  Personale: 
Madame  Sacco,  Adamberger  (Mutter),  Katharine  Jac- 
quet,  Madame  Nouseul^^^),  den  Herren  Lange,  Brock- 
mann, Müller  1^^),  Dauer  1^"),  Schütz  ^^®)  usw.  vorge- 
stellt, waren  eine  geistige  Angelegenheit  des  Publikums, 
und  nicht  wie  jetzt  bloße  Ausfüllung  der  Avantsoireen; 
denn  damals  gab  es  dies  Erzeugnis  der  Langweile  und 
Abstumpfung  noch  nicht,  und  selbst  die  höchsten 
Klassen  der  Gesellschaft  widmeten  in  der  Regel  bloß 
den  spätem  Nachmittag  und  Abend  bis  etwa  zehn 
Uhr  der  Geselligkeit. 

Alle  jene  obengenannten  Stücke,  sowie  Gemmin- 
gens  deutscher  Hausvater  (nach  Diderot)  ^^^),  der  Ring 
von  Schröder  ^^°),  viele  andere,  die  im  Strom  der 
Vergessenheit  versunken  sind  und  eine  Menge  Romane 
und  Erzählungen  (ich  weise  vor  andern  auf  Meißners 
Skizzen  ^^^)  hin)  waren  auf  lauter  unanständige  Verhält- 
nisse gegründet.  Ohne  Arg  und  Anstoß  sah,  bewun- 
derte, las  sie  die  Welt  und  jedes  junge  Mädchen.  Ich 
hatte  alles  dies  mehr  als  einmal  gelesen  oder  gesehen, 
der  Oberon^^^)  war  mir  wohlbekannt,  so  wie  Meißners 
Alcibiades^^^).  — •  Keine  Mutter  trug  ein  Bedenken, 
ihre  Tochter  mit  solchen  Werken  bekannt  zu  machen, 
und  vor  unsern  Augen  wandelten  der  lebenden  Bei- 
spiele genug  herum,  deren  regellose  Aufführung  zu  be- 
kannt war,  als  daß  irgend  eine  Mutter  ihre  Töchter 
in  Unwissenheit  darüber  hätte  erhalten  können. 

92 


Sehr  viele,  ja  die  meisten  jungen,  hübschen  Frauen 
unter  dem  ersten  und  zweiten  Adel  hatten  verliebte 
Verhältnisse  mit  andern  Männern,  oft  mit  solchen,  die 
ihren  eigenen  Frauen  untreu,  aber  dabei  wohl  über- 
zeugt waren,  daß  auch  diese  sich  ihrerseits  zu  entschädi- 
gen nicht  versäumten.  Bei  vielen  war  es  Sache  des  Her- 
zens oder  der  Eitelkeit,  der  Mode,  wenn  man  will,  bei 
manchen  lag  eine  niedrigere  Absicht  zugrunde  und 
man  nannte  die  Summen,  für  welche  jene  oder  diese 
ihre  Treue,  ihre  Ehre,  ihr  Bewußtsein  an  irgend  einen 
reichen  Wollüstling  verkauft  hatte.  Bei  manchen 
Ehen  war  der  eigene  Mann  verworfen  genug  um  den 
Handel  selbst  zu  schließen,  bei  den  meisten,  wenn  auch 
dies  Ärgste  nicht  geschah,  schloß  er  freiwillig  die  Augen 
vor  dem  Aufwand,  der  in  seinem  Hause  herrschte  und 
den  seine  Einkünfte  zu  beschaffen,  nicht  imstande 
waren,  den  er  sich  aber  wohl  gefallen  ließ  und  mit- 
genoß i^*). 

In  andern  Ehen,  wenn  auch  die  Frauen  ihre  sittliche 
Würde  behaupteten  und  ein  geregeltes  Leben  führten, 
gingen  die  Männer  ihren  Abwegen  außer  dem  Hause 
nach  und  tyrannisierten  im  Hause  Frau,  Kinder  und 
Gesinde,  Solche  Männer  wählten  sich  daher  vorzugs- 
weise gern  sehr  beschränkte  Frauen,  deren  Einsicht  und 
Wissen  sich  nicht  weiter  als  auf  Küche  und  Haushalt 
erstreckte  und  diese  Ehemänner,  die  keinen  Begriff 
von  haushoher  Glück^lrgkeit  un;d  weibhcher  Würde 
hatten,  vielmehr  dies  alles  verachteten  und  verlachten, 
wie  sie  Religion  und  Sitte  verlachten,  gehörten  mei- 
stens zum  Orden  der  Freimaurer  i^^). 

Ein  charakteristisches  Merkmal  jener  Zeit  unter 
Kaiser  Josef  waren  die  Bewegungen,  welche  durch 
die  sogenannten  geheimen  Gesellscha;ften  in  der  gesel- 

93 


ligen  Welt  hervorgebracht  wurden.  Der  Orden  der 
Freimaurer  trieb  sein  Wesen  mit  einer  fast  lächerhchen 
Öffenthchkeit  und  Ostentation.  Freimaurerheder  wur- 
den gedruckt,  komponiert  und  allgemein  gesungen. 
Man  trug  Freimaurerzeichen  als  joujoux  an  den  Uhren, 
die  Damen  empfingen  weiße  Handschuhe  von  Lehr- 
lingen und  Gesellen,  und  mehrere  Modeartikel,  wie  die 
weißatlassenen  Muffe  mit  dem  blauumsäumten  Über- 
schlage, der  den  Maurerschurz  vorstellte,  hießen  ä  la 
franc-magon.  Viele  Männer  ließen  sich  aus  Neugier 
aufnehmen,  traten  dann,  wenn  der  frere  terrible  nicht 
gar  zu  arg  mit  ihnen  umsprang,  in  den  Orden,  und  ge- 
nossen wenigstens  die  Freuden  der  Tafellogen.  An- 
dere hatten  andere  Absichten.  Es  war  damals  nicht  un- 
nützlich, zu  dieser  Bruderschaft  zu  gehören,  welche  in 
allen  Kollegien  Mitglieder  hatte,  und  überall  den  Vor- 
steher, Präsidenten,  Gouverneur  in  ihren  Schoß  zu 
ziehen  verstanden  hatte.  Da  half  denn  ein  Bruder  dem 
andern;  und  wie  man  von  dem  würdig  geheimnisvollen 
Orden  der  Pythagoräer  erzählt,  ging  es  hier  auf  unwür- 
digere und  minder  geheime  Weise.  Die  Bruderschaft 
unterstützte  sich  überall;  wer  nicht  dazu  gehörte,  fand 
oft  Hindernisse,  und  dies  lockte  viele.  Wieder  andere, 
die  ehrlicher  oder  beschränkter  waren,  suchten  mit 
gläubigem  Sinn  höhere  Geheimnisse,  und  glaubten  Auf- 
schlüsse über  geheime  Wissenschaften,  über  den  Stein 
der  Weisen,  über  Umgang  mit  Geistern  in  dem  Orden 
zu  erhalten.  Da  gab  es  allerlei  Arten  und  Abteilungen 
der  Maurerei  —  Rosenkreuzer,  Templer,  Schottische 
Maurer  usw.,  endlich  sogar  die  Illuminaten,  und  es 
ward  damit  in  den  letzten  Jahren  der  Regierung 
Kaiser  Josefs  großer  Spektakel  und  wohl  auch  großer 
Unfug  getrieben.    Indessen  wäre  es  undankbar,  nicht 

94 


auch  das  wenige  Gute,  das  diesem  an  sich  trüben  Quell 
entfloß,  zu  erwähnen.  Wohltätig  waren  die  Freimaurer 
gewiß ^^^).  In  ihren  Versammlungen  wurden  sehr  oft 
Kollekten  für  Arme  oder  Verunglückte  gemacht;  und 
Prinz  Leopold  von  Braunschweig,  der  bei  einer  Wasser- 
not, als  er  den  Bedrängten  mit  Lebensgefahr  Hilfe 
brachte,  selbst  den  Tod  fand,  war  ein  glänzendes  Bei- 
spiel, mit  dem  der  Orden  sich  sehr  brüstete'-^®). 

Diese  einzelnen  Züge,  welche  die  Zeit  bezeichnen, 
wie  sie  damals  war,  werden  dem  Leser  zeigen,  daß,  so 
rege  auch  das  geistige  Leben  war,  so  viele  Fortschritte 
die  Bildung  und  Aufklärung  damals  machte,  doch  auch 
manches  anders  und  leicht  besser  hätte  sein  können 
und  wenn  unsere  jetzige  Zeit  nichts  vor  derselben  vor- 
aus hätte  als  eine  größere  Beobachtung  des  äußern  An- 
standes,  so  wäre  dies  schon  dankenswert.  Aber  sie  hat 
unstreitig  noch  manchen  andern  Vorzug.  Wer  lange 
genug  gelebt  hat,  um  Vergleichungen  mit  unpar- 
teiischen Augen  anstellen  zu  können,  wird  gestehen 
müssen,  daß  das  häusliche  Leben,  die  ehelichen  Ver- 
hältnisse, die  Kinderzucht,  die  Stellung  der  Kleinen 
gegen  die  Eltern  viel  besser  und  zweckmäßiger,  sowie 
überhaupt  der  ganze  gesellschaftliche  Ton  feiner  und 
geschliffener  ist,  und  selbst  aus  den  untern  Ständen  und 
aus  ihrem  Umgange  sich  das  allzu  Rohe  und  Derbe  ver- 
loren hat.  Wohl  hat  die  viel  weiter  verbreitete  Bil- 
dung dies  letztere  bewirkt,  und  auch  an  den  ersten  Ver- 
besserungen ist  ihr  Anteil  nicht  zu  verkennen.  Indessen 
glaube  ich  doch,  daß  das  Beispiel  nicht  bloß  unseres, 
sondern  der  meisten  europäischen  Höfe,  wo  das  Mai- 
tressenleben und  die  arge  Zügellosigkeit  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  verschwunden  sind,  viel  zu  der  Beobach- 
tung wenigstens  des  äußern  Anstandes  beigetragen  hat. 

95 


In  jener  Zeit  hatte  denn  auch  die  Gärung  in  den 
poHtischen  Ideen  ihren  höchsten  Punkt  erreicht.  Die 
Revolution  brach  in  Paris  aus.  Ihre  Vorboten  hatten 
sich  schon  früher  in  Lyon  gezeigt,  und  eine  achtbare 
Famihe,  deren  Haupt,  Baron  Geramb,  eigentlich  aus 
Ungarn  stammte,  und  sich  in  Lyon,  wo  er  geheiratet, 
niedergelassen  hatte,  war  schon  seit  langer  Zeit,  unter 
dem  Vorwand  einer  großen  Reise,  mit  seiner  Familie 
aus  Frankreich  weggezogen,  um  sich  nach  Osterreich 
zu  retten,  wo  seine  Kinder  und  Enkel  noch  jetzt  ge- 
achtet und  in  Ansehen  leben;  der  älteste  Sohn  aber, 
welcher  der  berühmte  Trappistengeneral  geworden, 
sich  in  Rom  aufhält  ^^''). 

Auch  bei  uns  in  Österreich  machten  sich  diese  gei- 
stigen Erschütterungen  und  Umstaltungen  fühlbar. 
Vieles  gärte  und  glimmte  im  Verborgenen,  und  Oppo- 
sitionen, Reaktionen  gegen  das  Bestehende,  immer 
stärkerer  Tadel  der  Maßregeln  und  Anordnungen  des 
Monarchen  sprachen  sich  überall  laut  aus.  Während 
dieser  unruhigen  Stimmung  hatte  der  Türkenkrieg  in 
Ungarn  mit  sehr  wechselndem  Glücke  fortgedauert. 
Kaiser  Josef  hatte  ihn,  wie  man  damals  erzählte,  aus 
einer  Art  von  ritterlicher  Galanterie  gegen  die  geist- 
volle Herrscherin  im  Norden  angefangen,  der  er  vorher 
einen  Besuch  in  ihrem  Reiche  abgestattet  hatte,  von 
welchem  uns  die  Memoiren  des  Fürsten  von  Ligne  und 
des  Grafen  von  Segur  d.  Ä.  interessante  Notizen  lie- 
fern ^^^.  Er  liebte  den  Soldatenstand,  er  trug  stets  die 
Uniform  seines  Regiments,  und  er  wollte  vielleicht  in 
diesem  Kriege,  in  welchem  er  einen  untergeordneten 
Gegner  und  keinen  Friedrich  IL  mit  seinen  Preußen 
vor  sich  hatte,  seine  militärischen  Kenntnisse  zeigen 
und  auch   diesen  Lorbeer  in   seine   Kronen  flechten. 

96 


•^-.-^ ,  ^^ 


Karoline  v.  Greiner 
Jugendbildnis  —  Quirin  Mark,  del  et  sc. 

Dr.  August  Heymann,  Wien 


Aber  der  Erfolg  entsprach  keineswegs  diesen  stolzen 
Erwartungen.  Schlachten  wurden  verloren,  die  Ein- 
schließung der  festen  Plätze  mißlang,  verderbliche 
Rückzüge  schwächten  das  Heer,  von  dem  ohnedies  ein 
großer  Teil,  durch  das  ungesunde  Klima  erkrankt,  in 
den  Spitälern  zugrunde  gegangen  war.  Kurz,  der  Feld- 
zug von  1788  unter  des  Kaisers  und  Feldmarschalls 
Lascy^^^)  Führung  war  ein  durchaus  mißglückter. 
Der  Monarch  kehrte  im  Winter  nach  Wien  zurück  und 
brachte  leider  einen  Keim  des  Übels  mit  sich,  das 
seinem  Leben  ein  paar  Jahre  darauf,  viel  zu  früh  für 
seine  Staaten  und  seine  Entwürfe,  ein  Ende  machte. 
Im  Frühling  1789  ging  Loudon^oo)  ins  Feld;  —  das 
Glück,  der  Sieg  folgten  überall  seinen  Spuren,  und  nach 
verschiedenen  großen  Vorteilen  und  ^  Eroberungen, 
welche  diesen  Feldzug  bezeichneten,  krönten,  ihn  am 
Schlüsse  die  Einnahme  von  Belgrad  durch  Loudoh^*^^) 
und  der  Sieg  bei  Martinjestie  unter  Prinz  Koburg^^^). 
Fünfzig  Jahre  war  Belgrad  für  Österreich  verloren 
gewesen,  London  hatte  es  wieder  erobert,  und  der  Tag, 
an  welchem  der  Kurier  mit  der  Siegesnachricht  ein- 
ritt  (12.  Oktober  1789),  wird  allen  Wienern,  die  Zeu- 
gen dieses  freudigen  Ereignisses  waren,  unvergeßlich 
bleiben  203). 

Es  war  ein  schöner,  heiterer  Herbstmorgen.  Wien 
hatte  sich  auf  die  Straßen,  an  die  Fenster  ergossen, 
von  denen  man  den  ankommenden  Siegesboten  —  Ge- 
neral Klebeck,  einen  Verwandten  des  großen  Türken- 
besiegers  —  sehen  konnte.  Ich  war  wie  natürlich  auch 
an  einem  unserer  Fenster,  w^elche  in  die  Kärnthner- 
straße,  durch  die  er  kommen  mußte,  gingen.  Mein 
Herz  schlug  hoch;  —  kriegerischer  Ruhm  und  der 
Glanz  meines  Vaterlandes  hatten  von  jeher  begeisternd 

7   c.  P.  I  ^- 


auf  mich  gewirkt,  jetzt  vielleicht,  gesellte  sich  noch  eine 
geheime  Beziehung  dazu,  welche  mir  alles,  was  diesen 
Krieg,  diese  Siege  und  die,  welche  Anteil  daran  hat- 
ten, betraf,  näher  rückte.  Nun  erklang  von  weitem  das 
Geklatsche  der  Postillonpeitschen,  das  Schmettern 
ihrer  Hörner.  —  Er  kommt!  Er  kommt!  so  tönte  es  in 
mir  und  gestaltete  sich  unwillkürlich  in  mir  zum  Gesang: 

Er  kommt!  er  kommt!  Wie  jauchzt  die  trunkne  Menge! 

Ha!  welch  ein  Tag,  beglücktes  Wien! 

Der  Siegesbote  naht  in  jubelndem  Gedränge, 

In  deine  Mauern  einzuziehn. 

Der  Hörner  Ton,  der  Peitschen  lautes  Knallen 

Verkündet  seine  Ankunft  schon. 

Die  Scharen  mehren  sich,  gedrängte  Reihen  wallen 

Ihm  vor  und  nach  bis  hin  zum  Thron. 

Es  lebe  Loudon!  tönt  aus  jedem  Munde  usw.***) 

Die  24  oder  48  Postillone  kamen  nun  näher,  eine  un- 
geheure Menschenmasse  wälzte  sich  vor,  neben,  hin- 
ter ihnen  daher  durch  die  Straßen.  Vivatgeschrei 
durchschmetterte  die  Luft;  eine  Art  Trunkenheit  schien 
sich  der  ganzen  Einwohnerschaft  bemächtigt  zu  haben. 
Nun  erschien  der  General;  —  da  verdoppelte  sich  das 
Jauchzen,  das  laute  Rufen,  und  so  im  allgemeinen  Ju- 
bel, den  ich,  den  Kurier  von  der  Leipziger  Schlacht 
1813  kaum  ausgenommen  —  denn  das  Volk  war  unter 
Josef  IL  mehr  gewohnt,  seine  Empfindungen  auszu- 
sprechen —  nie  wieder  so  gehört  habe,  gelangte  der 
General  in  die  Burg. 

Aber  mit  diesen  paar  schönen  Stunden  waren  die 
Glückseligkeit  der  Wiener  und  die  Bezeugungen  ihrer 
Freude  nicht  vorüber,  wie  es  wohl  jetzt,  in  zahmeren 
Zeiten  der  Fall  ist  und  sein  muß.  Ich  habe  schon  ge- 
meldet, daß  ein  sehr  schöner  Tag  war.  Nach  Tisch 
flog  alles  da-,  dorthinaus,  die  meisten  in  den  Prater; 

98 


—  auch  wir  machten  es  so.  —  Wie  wir  gegen  den  roten 
Turm  kamen,  tönte  uns  neues  Vivatrufen  entgegen 
und  ein  Menschenschwarm  sperrte  den  Weg.  —  Was 
war  es  ?  —  Ein  Träger  von  der  Hauptmaut,  wenn 
ich  nicht  irre,  trug  sehr  zufälHger  Weise  den  Na- 
men London.  Dieser  Umstand  identifizierte  den  Mann 
in  den  Augen  des  Volkes  auf  gewisse  Weise  mit  dem 
Helden  des  Tages,  und  so  wurde  dann  von  tollen,  be- 
geisterten Kameraden  und  andern  Leuten  der  dicke, 
kupferige  Mann,  dem  wohl  von  solcher  Ehre  nie  ge- 
träumt hatte,  in  seinem  leinenen  Arbeitskittel,  das 
Bündel  Stricke  auf  der  Achsel,  wie  im  Triumph  auf  den 
Schultern  herumgetragen,  mit  Wein  bewirtet,  den  er 
sich  tapfer  schmecken  ließ,  und  es  wurden  allerlei  Possen 
mit  ihm  getrieben. 

Als  es  dunkelte,  entbrannten  plötzlich  in  allen 
Fenstern  der  Stadt  die  Lichter  und  eine  allgemeine, 
freiwilhge,  extemporierte  Illumination  bezeugte  und 
verherrlichte  die  Freude  meiner  'guten  Mitbürger. 
Die  ganze  Welt  wanderte  auf  den  hellen  Straßen  in  der 
milden  Luft  des  schönen  Herbstabends  und  alles  fühlte 
sich  von  der  Bedeutung  des  Tages  gehoben  und  be- 
geistert^os).  Auch  Klänge  sollten  dem  schönen  Abend 
nicht  fehlen.  In  rascher  Entschließung  hatten  die  Stu- 
denten sich  vereinigt  (damals  war  es  noch  erlaubt, 
solche  Entschlüsse  auf  der  Stelle  zu  fassen  und  sie,  ohne 
sich  bei  der  Polizei  anzufragen,  auch  auszuführen),  eine 
vollstimmige,  schöne  Instrumentalmusik  zusammenge- 
bracht und  zogen  nun,  alle  durch  weiße  Kokarden  be- 
zeichnet, mit  Transparents  und  ihren  Instrumenten 
durch  die  Stadt.  Eine  Unzahl  junger  Männer  aus  den 
höheren  Ständen  schloß  sich  an  sie  und  qualifizierte 
sich  durch  eine  weiße  Schleife,  im  Notfalle  durch  ein 

99 


Stückchen  weißes  Papier  auf  den  Hut  gesteckt,  als  einer 
der  ihrigen.''  So  bewegte  sich  der  lange  Zug  durch  die 
Straßen  der  Stadt  und  brachte  seine  Ständchen  in  sehr 
wohl  ausgeführten  Symphonien  vor  dem  Hause,  in 
welchem  Loudons  Gemahlin  wohnte,  vor  dem  Kriegsge- 
bäude, der  Universität  und  auf  dem  Burgplatz  vor  Kaiser 
Josefs  Fenstern  und'überall  wiederholte  sich  in  lautem 
Beifalls] auchzen  der. Jubel  dieses  zwölften  Oktobers^''^). 

Nicht  lange  darnach  folgten  andere  Kuriere  mit  den 
Nachrichten  von  der  Einnahme  von  Orsova,  dem 
Sieg  bei  Martin]  estie  usw.  und  so  schloß  dieser  Feldzug 
höchst  glänzend  2'*^). 

Meine  poetische  Laune  war  schon  seit  längerer  Zeit, 
seit  nämlich  das  höchst  prosaische  Verhältnis  mit  Hä- 
ring  ein  Ende  genommen,  wieder  lebhaft  erwacht.  Ich 
vollendete  das  Gedicht,  das  ich  beim  Einreiten  des 
Kuriers  am  Fenster  begonnen;  es  fand  Beifall.  Freunde 
des  Feldmarschalls  erbaten  es  sich,  es  wurde  gedruckt, 
ihm  übersandt  und  bald  darauf  erschien  einer  seiner 
Neffen  bei  uns  (der  nun  auch  längst  tot  ist),  um  mir  im 
Namen  seines  Oheims  zu  danken.  Es  freute  mich  sehr; 
doch  durch  eine  Eigenheit  meines  Wesens,  die  mich 
nur  so  lange,  als  ich  dichtete,  lebhaften  Anteil  an  mei- 
nen Kompositionen  nehmen,  sie  aber,  wenn  sie  einmal 
aus  mir  herausgetreten  waren,  ruhig  und  wie  etwas 
Fremdes  betrachten  ließ,  machte  auch  diese  Auszeich- 
nung keinen  sehr  tiefen  Eindruck  auf  mich,  und  die 
Artigkeit  des  ]ungen  London 2°^),  der  zufälligerweise 
die  damalige  Uniform  des  Generalstabes  wie  Baron 
K**  trug,  sprach  mich  beinahe  lebhafter  an,  als  der 
literarische  Ruhm,  den  ich  geerntet  hatte. 

Wie  überhaupt  um  mich  herum  reges  geistiges 
Leben  war,  so  bewegte  es  sich  auch  in  mir.    Man  hatte 


100 


mir  lange  nicht  gestatten  wollen,  die  Messiadc  zu  lesen, 
weil  ich  sie  nicht  verstehen  und  folglich  nicht  genießen 
würde,  wie  man  sagte.  In  Klosterneuburg,  dessen 
Probst  ein  Verwandter  meiner  Eltern  war 2°^),  und  den 
wir  öfters  in  seiner  herrlich  gelegenen  Abtei  besuchten, 
trafen  wir  einst  den  Chef  des  Pontonierkorps,  das  dort 
und  in  der  Umgegend  stationiert  war.  General 
Riepbe^io)  ^^j-  gjj-^  geistvoller,  liebenswürdiger  Greis. 
Er  fand  Gefallen  an  meiner  Unterhaltung,  und  ich 
schätzte  mir  es  (nach  den  Begriffen  jener  Zeit,  die 
nun  freilich  anders  sind)  zur  Ehre,  von  dem  würdigen 
Manne  als  ein  junges  Ding  von  18 — 19  Jahren  aus- 
gezeichnet zu  werden.  Ausschließend  unterhielt  er 
sich  mit  mir,  fragte  nach  meinen  Beschäftigungen, 
meiner  Lektüre  und  riet  mir,  die  Messiade  zu  lesen, 
indem  er  sich  mit  schöner  religiöser  Wärme  über  die 
Erhabenheit  dieses  Werkes  aussprach. 

So  wurde  ich  auf  diese  Dichtung  hingeleitet.  — 
Ich  las  sie;  mein  Innerstes  faßte  begierig  die  himm- 
lischen Strahlen  auf,  die  aus  ihr  hervordrangen.  Ich 
hatte  früher  schon  die  Noachide,  den  Tasso^^^),  selbst 
den  Ariost^^^)  gelesen;  denn,  wie  ich  schon  erwähnt, 
man  dachte  damals  in  Rücksicht  lockerer  Schriften  sehr 
Hberal.  Indessen  hatte  Ariost  auf  mich  wenig  Ein- 
druck gemacht.  Ich  betrachtete  ihn  wie  ein  Feen- 
märchen aus  der  Tausend  und  einen  Nacht,  und  einzig 
Zerbinos  und  Bellas  Geschick  und  einige  ähnliche 
Szenen  aus  Ruggieros  Schicksalen  prägten  sich  mir  tie- 
fer ein.  Viel  inniger  hatte  mich  Tasso  angesprochen, 
dessen  Gerusalemme  ich  regelmäßig  jedes  Jahr  las,  und 
dessen  tiefergreifendste  Stellen  sich  in  meinem  Ge- 
dächtnisse noch  jetzt  erhalten  haben.  Auch  die  Iliade 
und  Odyssee 21^)  war  mir  wohlbekannt,  und  auf  die  Ge- 


ld 


fahr  hin,  getadelt  oder  verspottet  zu  werden,  bekenne 
ich  ganz  offen,  daß  ich  die  letzte  (die  Odyssee)  bei  wei- 
tem meinem  Geschmacke  zusagender  fand,  als  die 
Ilias.  Das  häusliche,  idyllische  Leben  sprach  mich  an, 
ich  fand  mich  wohl  zurecht  in  der  Wohnung  des 
Odysseus,  bei  dem  göttlichen  Sauhirten  Eumäos,  und 
mit  Freude  begrüßte  ich  stets  einen  unserer  großen 
Hofhunde,  dem  mein  Vater  den  Namen  Argos  gegeben, 
wie  ihn  jenes  treue  Tier  des  vielgereisten  Helden  trug. 

Alles  dies  aber  wich  in  meinem  Gemüte  vor  der 
Messiade  in  Schatten  zurück.  Hier  fand  ich  meine  re- 
ligiösen Gefühle,  meine  Engel,  selbst  meinen  Schutz- 
engel Ithuriel  wieder  (leider  als  den  Hüter  eines  nicht 
ehrenvollen  Schützlings,  des  Iskarioths)^^^).  Unbe- 
schreiblich erhoben  fühlte  ich  mich  durch  dies  Gedicht. 
Klopstock  ward  der  Gegenstand  meiner  innigsten  Ver- 
ehrung. Ich  schrieb  mir,  wie  ich  das  überhaupt  ge- 
wohnt war,  eine  Menge  Stellen  daraus  ab,  und  be- 
schloß nun,  auch  dies  Werk  alljährlich  einmal  ganz 
durchzulesen,  ein  Vorsatz,  den  ich  auch  durch  viele  Jahre 
hielt  und  meine  Lieblingsstellen  auswendig  behielt,  da- 
von ich  die  meisten  noch  jetzt  herzusagen  imstande  bin. 

Bald  nach  der  Messiade  las  ich  auch  den  Ossian^^^), 
und  ergab  mich  mit  süßem  Hange  dem  düstern,  aber 
namenlosen  Zauber,  der  für  mich  in  diesen  Dichtungen 
wehte.  Auch  hieraus  wurden  Stellen  abgeschrieben 
und  viele  davon  im  treuen  Gedächtnisse  bewahrt.  Es 
war  eine  ganz  neue  Welt  voll  Wehmut,  Erinnerung, 
Nebel  und  unbestimmten  Gestalten,  die  aber  eben  des- 
wegen mein  jugendliches  Herz  um  so  mächtiger  anzog 
und  mich  zu  Liedern  begeisterte,  in  denen  Anklänge 
aus  jener  düstern  Region  walteten  und  sich  seltsam 
mit  andern  Eindrücken,  die  ich  damals  auf  ganz  ent- 

102 


gegengesetzten  Wegen  erhielt,  vermischten.  In  diese 
Zeit,  nämlich  1788,  1789,  1790  fiel  die  Erscheinung  der 
ersten  Ritterromane  jener  Periode,  von  welchen  die 
Schlenkertschen^^^),  so  wie  Veit  Webers  Sagen  der 
Vorzeit  217)  ihrer  Roheit  und  affektierten  Schreibart 
wegen  nicht  viel  Eindruck  auf  mich  machten,  dahin- 
gegen mich  Herrmann  von  Unna,  Walter  von  Mont- 
barry,  Elisabeth  von  Toggenburg,  vor  allen  aber  Alf 
von  Dülmen,  mit  einem  Wort  die'Naubertschen  Ro- 
mane ^i®)  —  von  denen  damals  niemand  in  Deutsch- 
land den  Autor  kannte  oder  nur  mutmaßte  —  ganz 
unbeschreiblich  entzückten  und  in  jene  Zeiten  ver- 
setzten, die  sie  so  lebhaft  schilderten.  Alles  im  Hause 
gestaltete  sich  mir  auf  ritterlich  altertümliche  Art. 
Ich  betrachtete  alles  in  diesem  Sinne,  ich  lebte  in 
diesen  Vorstellungen  und  war  ganz  glücklich,  wenn 
ich  wieder  ein  Werk  aus  dieser  Feder  zum  Lesen 
erhielt.  In  meinem  Kopfe  wirbelten  diese  Bilder,  diese 
Szenen,  diese  Gefühle;  ich  dichtete  einige  Romanzen, 
die  ich  jetzt  im  ganzen  für  herzlich  schlecht  erkennen 
muß,  deren  Eingänge  aber  nicht  ohne  poetischen  Wert, 
und  da  sie  nie  gedruckt  wurden,  doch  des  Aufbewah- 
rens  in  diesen  Blättern  nicht  unwert  sind. 

Die  eine  war  dem  Walter  von"  Montbarry  entnom- 
men. —  Ihr  Inhalt  war  ein  gefabeltes  Abenteuer 
Richard  Löwenherz,  das  er  in  Wien,  am  Hofe  Herzog 
Leopolds  sollte  bestanden  haben.  Daß  Österreich 
und  seine  Herrscher  ziemlich  schlecht  in  jenem  Ro- 
mane und  so  auch  in  meinem  Gedichte  erscheinen,  irrte 
mich  damals  nicht  und  irrte  auch  niemand  in  meiner 
Romanze.  Eswar  die  Zeit  der  Verirrungen.  Protestanten 
hatten  sich  seit  der  Reformation  der  deutschen  Litera- 
tur bemächtigt,   um  den  ■  katholischen   Glauben    und 

103 


den  Staat  herabzusetzen,  der  seit  300  Jahren  dessen 
mächtigster  Schirm  in  Deutschland  gewesen;  eine  Ten- 
denz, welche  durch  die  ganze  deutsche  Literatur  und 
wohl  auch  durch  die  Literatur  anderer;  Länder  geht. 
Wahrlich!  wäre  Österreich  so  in  Nacht  und  Barbarei 
versunken,  wie  sie  uns  gewöhnlich  und  mit  Lust  schil- 
dern; hätten  seine  Herrscher,  seine  Staatsmänner  und 
Kriegshelden  sich  solche  Schwächen,  Fehler,  Unge- 
schicklichkeiten, Ungerechtigkeiten  usw.  zu  schulden 
kommen  lassen,  als  nach  den  Angaben  jener  Schrift- 
steller geschehen  war,  so  hätte  der  österreichische 
Staat  längst  in  sich  zusammenstürzen  müssen.  Daß 
dies  nicht  geschehen  ist,  daß  er  nach  so  vielen  Bedräng- 
nissen, schweren  Kriegen,  blutigen  Niederlagen  und 
beständigen  Anfeindungen,  obwohl  aus  heterogenen 
Teilen  bestehend,  sich  nicht  allein  erhalten  hat,  son- 
dern gewichtiger  und  glänzender  im  Staatenvereine 
von  Europa  dasteht  als  je,  ist  wohl  die  beste  Wider- 
legung jener  parteiischen  Schmähungen,  deren  allzu 
lauter  Ton  sich  erst  seit  18 13  etwas  gemildert  und  billi- 
gern Ansichten  Platz  gemacht  hat.  Seit  nämlich-das, 
von  allen  im  Kampf  mit  dem  Riesen  der  Revolution 
verlassene  Österreich,  das  einsam,  blutend,  aber  doch 
herrlich  nach  der  Schlacht  von  Aspern  auf  dem  Wahl- 
platze stehen  geblieben  war,  von  jenen  Feinden  selbst 
um  seinen  Beitritt,  Schirm  und  Hilfe  ersucht  ward  und 
sich  aufs  neue  in  seiner  Kraft  erhob,  um  Deutschland 
zu  retten.  Ohne  Österreich,  was  hätte  Preußen  aus- 
richten wollen,  dem  seine  lobhudelnden  Schriftsteller 
doch  gern  den  Ruhm  jener  Befreiung  allein  zuschrei- 
ben möchten  ? 

Damals  also,  um  wieder  auf  jene  Zeiten  einzulenken, 
von  denen  früher  die  Rede  war,   dachte  niemand  an 

104 


Österreichs  Ruhm,  an  seine  geschichtHche  Würde,  an 
die  Taten  seiner  Voreltern.  Was  hinter  dem  sechzehn- 
ten Jahrhundert  lag,  wurde  Barbarei  genannt,  unsere 
Nationalgeschichte  war  uns  fremd,  wir  lernten  sie  als 
etAvas  neues  in  der  Jugend  wie  die  französische  oder 
englische,  und  die  meisten  Geschichtsbücher,  die  man 
der  Jugend  gab,  waren  ja  von  Protestanten  oder  pro- 
testantisch aufgeklärten  Katholiken  geschrieben.  So 
gestaltete  sich  vor  unserm  Blicke  Vaterland  und  Reli- 
gion in  diesem  Sinn.  Wir  waren  weder  rechte  Katho- 
liken noch  rechte  Österreicher  und  in  selbstgefälligem 
Eigendünkel,  der  nur  uns  allein  von  dem  allgemeinen 
Tadel  ausnahm,  sehr  bereit,  über  alles  zu  spotten,  was 
in  unserm  Vaterland  geschah.  Das  war  damals  Geist 
der  Zeit,  er  hatte  auch  mich  ergriffen,  und  so  wählte  ich 
den  Stoff  zur  Romanze  aus  dem  Romane,  der  auf  mich 
einen  tiefen  Eindruck  gemacht  hatte  und  hielt  mich  an 
die  Fiktion  desselben,  vermöge  welcher  Blondel  nach 
Richards  und  Walters  Tod  sich  mit  Mathilden,  der 
Geliebten,  der  Gattin  des  ersten,  auf  eine  Insel  des 
Mittelmeeres  zurückzieht  (wenn  ich  nicht  irre,  eine  der 
Hyeres)   und   dort   ihrem   und  seinem  Schmerze  lebt. 

Ein  leises  Lüftchen  schwebt  um  mich, 

Füllt  mich  mit  süßer  Trauer. 

Der  Harfe  Saiten  regen  sich, 

Es  bebt  das  Gras  der  Flur,  und  mich 

Ergreift  ein  heiiger  Schauer. 


) 


Woher,  o  Lüftchen  i   Spieltest  du 

Um  eines  Freundes  Hügel? 

Wie  —  oder  schwebet  ungesehn 

Ein  Geist  um  mich,  bist  du  sein  Wehn, 

Das  Rauschen  seiner  Flügel.'' 

Bist  du  vergangner  Zeiten  Hauch, 
Die  längst  vergessen  liegen.'' 

105 


wie  um  den  Fels  ein  Windstoß  irrt, 
Die  Wellen  hebt,  im  Schilfe  schwirrt. 
Wenn  längst  die  Stürme  schwiegen? 

All  meine  Freunde  schlummern  schon, 
Zerrissen  sind  die  Bande. 
Auf  meines  Walters*)  grünend  Grab 
Streun  Palmen  ihren  Duft  herab, 
Fern  im  gelobten  Lande. 

Auch  Richard  schläft  —  der  Name  weckt 

Die  Seele  Blondels  wieder. 

Ein  halbverklungenes  Gefühl 

Wird  laut  —  es  bebt  mein  Saitenspiel 

Und  tönt  vergeßne  Lieder. 

Bewohnerin  des  Eilands,  komm, 
Steig'  von  dem  Felsenhange. 
Mathilde,  helle  deinen  BUck, 
Die  Toten  ruft  kein  Schmerz  zurück, 
Komm,  lausche  dem  Gesänge. 

Man  wird  wohl  erkennen,  daß  die  Lesung  von  Os- 
sians  Gesängen  vielen  Einfluß  auf  die  Art  der  Darstel- 
lung hatte.  Ebenso  war  der  Anfang  einer  andern  Ro- 
manze den  Ossianschen  Gesängen  nachgebildet,  aber 
die  erste  Anregung  dazu  kam  mir  im  damaligen  Garten 
des  Grafen  Kobenzl  auf  dem  Kahlenberge,  der  mir 
überhaupt  durch  seinen  einfachen,  etwas  düstern  und 
erhabenen  Charakter  ungemein  gefiel,  und  den  ich 
allen  übrigen  bis  dahin  gesehenen  Gärten,  selbst  dem 
Dornbacher  Park,  vorzog  ^^^).  Es  war  noch  überdies 
an  einem  etwas  trüben  Herbsttag,  als  ich  ihn  zum 
erstenmal  besuchte.  Das  verschwiegene  Waldtal  mit 
seinem  durch  die  Wiese  schlängelnden  Bach,  die  maje- 
stätische Grotte  am  Ende  desselben,  aus  der  sich  der 
Quell    herausstürzte    und    sein    eintöniges    Rauschen 

*)  Walter  von  Montbarry. 

io6 


mit  den  trüben  Schatten  des  Waldes  und  dem  sch\^er- 
mütigen  Anblick  der  Landschaft  vereinigte,  machte 
einen  tiefen  Eindruck  auf  meine  Seele,  welcher  sich 
dann  in  der  Romanze  aussprach,  wovon  ich  den  An- 
fang hiehersetze: 

Was  schallet  dort  aus  jener  Felsenhöhle 

Das  rings  umschloss'ne  Tal  entlang 

Für  ein  beweglicher  Gesang? 
In  Wehmut  löst  sich  meine  ganze  Seele 

Bei  dieser  Stimm'  und  dieser  Laute  Klang. 

Wer  bist  du,  Felsensohn,  deß  laute  Klage 

Den  Widerhall  in  diesen  Bergen  weckt? 

Jetzt,  da  der  Mond  noch  halbversteckt 
Sein  Silberhorn  nach  einem  trüben  Tage 

Aus  den  zerriss'nen  Nebelwellen  streckt. 

Sei  mir  gegrüßt!    O  schöpf  aus  deiner  Quelle 
^  Mir  eine  Schale  Wasser  nur. 

Durch  Feld  und  Wald,  durch  Haid'  und  Flur 
Verfolg  ich  seit  des  Morgens  erster  Helle 
Auf  diesen  Höhn  des  flüchtgen  Wildes  Spur. 

„Hier  ist  der  Trank,  und  hier  sind  Brot  und  Früchte," 

Erwidert  ihm  der  Eremit, 

Wie  er  den  muntern  Jäger  sieht, 
Auf  dessen  Stirn  und  bräunlichem  Gesichte 

Der  Jugend  Mut,  der  Jagd  Ermüdung  glüht. 

Der  Eremit   befragt   den  Jüngling  um   seine  Her- 
kunft, seinen  Namen;  er  erwidert: 

Ich  heiße  Wood.    Am  wasserreichen  Clyde, 

Dort,  wo  von  Nebeln  stets  umschwebt, 

Ein  Berg  sich  in  die  Lüfte  hebt, 
Dort  wohnt  mein  Vater,  ich  bin  seine  Freude, 

Der  einzge  Sproß,  in  dem  sein  Stamm  noch  lebt. 

Seit  langer  Zeit,  seit  meinen  Kinderjahren, 

Ruht  meine  Mutter  schon  im  Grab, 

Sie  sank  zu  früh  für  mich  hinab; 
Ach,  ihre  ersten  süßen  Küsse  waren 

Die  letzten,  die  sie  ihrem  Sohne  gab. 

107 


^•^     Nun  kommt  sie  nur  zu  meinen  stillen  Träumen, 
Ein  Schattenbild,  gewebt  aus  Luft, 
ij     Ihr  Kleid  Ist  wie  des  Hügels  Duft. 
So  leise  seufzt  der  Abendwind  in  Bäumen, 
Als  ihre  Stimme  tönt,  wenn  sie  mir  ruft. 

Es'  ergibt  sich  im  Verlauf  der  Romanze,  daß  Wood 
der  Sohn  der  JugendgeHebten  des  Einsiedlers  ist, 
und  dieser  erzählt  dann  die  Geschichte  seiner  unglück- 
lichen Liebe.  Wer  hätte  mir  damals  gesagt,  daß  25 — 30 
Jahre  später  aus  jenen  nebligen  Gegenden  Schottlands, 
die  meine  Seele  so  mächtig  ansprachen,  eine  Reihe  von 
Dichtungen  hervorgehen  würde  (Walter  Scotts  Werke), 
welche  nicht  allein  mich,  sondern  ganz  Europa  ent- 
zücken würden! 

Ungefähr  um  diese  Zeit  bekam  ich  auch  Herders 
Schriften,  seine  zerstreuten  Blätter,  seine  Ideen  zur 
Philosophie  einer  Geschichte  der  Menschheit  in  die 
Hände  und  da  von  jeher  Naturlehre  und  Geologie 
einen  wunderbaren,  geheimnisvollen  Reiz  für  mich 
gehabt  hatten,  so  faßte  ich  diese  letzteren  Schriften 
sehr  begierig  auf.  .  .^^*'). 


Während  der  letzten  hier  geschilderten  Jahre  hatte 
meines  Bruders  Geist,  so  wie  sein  Charakter  und  selbst 
sein  Äußeres  sich  sehr  vorteilhaft  und  ganz  anders,  als 
seine  frühern  Anlagen  vermuten  ließen,  entwickelt. 
Zwar  hatten  die  Blattern  seine  kindische  Schönheit 
zerstört,  aber  seine  Züge,  der  Ausdruck  seines  Gesichts 
war  bedeutend,  ernst  und  doch  von  unendlicher  Güte 
zeugend,  die  denn  auch  wirklich  in  seinem  Gemüte 
herrschte,  f  Dabei  war  sein  Wuchs  hoch,  tadellos,  und 
sein  Anstand  vortrefflich,  so  daß  er  zwar  nicht  zu  den 
schönen,  aber  zu  den  sehr  interessanten  Männern  ge- 

108 


zählt  werden  konnte.     Auch  gefiel  er  den  Mädchen, 
meinen  Gespielinnen   sehr  wohl,   und  manch  kleiner 
Liebeshandel,    wie   es   denn   die    damalige    Sitte   und 
Denkart  mit   sich   brachte,   knüpfte  sich  trotz  seiner 
Jugend  an.    So  wenig  meine  Gesinnung  und  mein  Be- 
tragen gegen  diesen  treffhchen  Jüngling  in  unserer  Ju- 
gend zu  billigen  gewesen  war,  so  hing  ich  doch  jetzt 
mit  desto  wärmerer  Liebe  an  ihm;  ich  kannte  seinen 
tiefen  Wert,  ich  achtete  ihn  aufs  innigste,  ja  ich  ord- 
nete oft  und  gern  mein  Urteil  dem  seinigen  unter,  das 
sich  stets  höchst  eigentümhch  und  richtig  erwies,  und 
sagte  ihm  oft  im  Scherz,  doch  mit  sehr  ernstem  Ge- 
fühl, daß  ich  ihn  lieber  heiraten  möchte   als   alle  an- 
deren jungen  Männer,  die  mich  umflatterten;  aber  du, 
setzte  ich  dann  hinzu,  du  würdest  mich  nicht  nehmen, 
denn  mir  fehlt,  was  dich  an  Mädchen  am  meisten  reizt, 
ein  majestätisches  Ansehen  und  würdiger  Ernst   des 
Benehmens.    Ich  war  nämhch  stets  sehr  munter,  nicht 
immer  besonnen,  und  vor  allem,  ich  weiß  nicht,  ob  es 
mir  zum   Lob   oder  Tadel  gereicht,   nicht  imstande, 
mein  Betragen  gehörig  abzumessen,  und  meinem  leb- 
haften Gefühl,  dessen  Ausdruck  sich  meist  unwillkür- 
Hch  in  meinen  sehr  bewegHchen  BHcken  und  Zügen 
malte,  so  zu  gebieten,  daß  ich  mir  Herrschaft  üJber  an- 
dere dadurch  hätte  erwerben  können.    Ich  gab  mich 
und  mußte  mich  geben,  wie  ich  war,  und  wem  ich  so 
mcht  gefallen  konnte,  auf  dessen  Neigung  mußte  ich 
verzichten,    besonders    da    keine    einnehmende    oder 
schöne  Gestalt  mir  zu  Hilfe  kam. 


Zu  unsern  geseUigen  Freuden  hatte  sich  eine  neue 
gefunden.      Durch    einen    Jugendfreund    und    Schul- 


kameraden  meines  Bruders,  eirien  Vetter  jenes  Baron 
K***,  der  jetzt  im  Felde  stand,  hatte  die  Lust  und  der 
Geschmack  für  kleine  Hauskomödien  sich  bei  uns  ein- 
gebürgert. Des  jungen  Menschen  Eltern,  altbe- 
kannte und  geschätzte  Freunde  der  meinigen,  die  sich 
vor  ein  paar  Jahren  in  Wien  niedergelassen  hatten,  da 
sie  früher  in  Ofen  gelebt,  erneuerten  die  freundschaft- 
lichen Verhältnisse  gern;  eine  Tochter,  nur  um  ein 
paar  Jahre  älter  als  ich,  fand  sich  ebenfalls  in  dem  Hause, 
und  so  bildeten  wir  jungen  Leute  einen  vierblättrigen 
Klee,  an  welchem  sich  zwei  und  zwei  Blätter  stärker 
einander  zu  neigen  begannen.  Meinen  Bruder  zog  die 
schlanke,  ernste,  hochgesinnte  Therese,  ein  übrigens 
sehr  schätzbares  Mädchen  an,  und  ihr  Bruder,  den  ich, 
um  ihn  von  seinem  Vetter  zu  unterscheiden,  Karl 
nennen  will,  brachte  mir  seine  Huldigungen  dar 2^^). 
Aber  er  vermochte  mein  Herz  nicht  zu  rühren.  Um 
einige  Jahre  jünger  als  ich,  noch  Student,  gutmütig, 
aber  eitel,  voll  Talente,  aber  ohne  Fleiß  und  erworbene 
Kenntnisse,  war  er  von  dem  Bilde  eines  ernsten,  wür- 
digen Mannes,  den  ich  von  ganzer  Seele  achten,  oder 
eines  geist-  und  kenntnisvollen,  den  ich  bewundern 
hätte  können,  viel  zu  entfernt,  um  mir  anziehend  zu 
erscheinen.  Auch  trug  die  Erinnerung  an  seinen  Vetter, 
der  bereits  als  Mann  wirkend  und  tätig  ins  Leben  ge- 
treten war  und  seinen  Platz  mit  Auszeichnung  füllte, 
ebenfalls  bei,  ihn  bei  mir  in  Schatten  zu  stellen.  Aber 
der  junge  Mensch  war  ein  Tausendkünstler.  —  In 
wenigen  Tagen  hatte  er  für  den  Geburtstag  des  Va- 
ters ein  kleines  Theater  gebaut  und  gemalt,  ich  wurde 
gebeten,  ein  Schäferspiel  oder  so  etwas  zu  schreiben,, 
das  sich  für  unser  Personal,  aus  vier  Personen  bestehend, 
paßte.    Gesang  sollte  auch  dabei  sein.  —  Ich  entwarf 

1 10 


einen  winzigen  Plan,  wir  legten  bekannte  Arien  ein,  be- 
hielten den  ursprünglichen  Text  bei,  wenn  er  sich  zur 
Szene  paßte,  oder  ich  dichtete  einen  andern,  wie  das 
Stück  ihn  erheischte.  Am  Ende  war  ein  Schlußchor 
mit  dem  Glückwunsch  und  der  Anwendung  ange- 
bracht. So  armselig  das  Ganze  war,  wenn  man  es  ab- 
solut als  Schauspiel,  Dichtung,  Operette  und  Deko- 
ration betrachtete,  so  machte  es  doch  an  Ort  und  Stelle 
durch  Überraschung  und  gute  herzliche  Meinung  den 
gehörigen  Effekt,  und  wir  erhielten  alle  großes  Lob. 
Von  da  an  erwachte  die  Lust  und  Freude  an  dieser 
Art  von  geselliger  Unterhaltung  in  meinem  Bruder  und 
mir,  und  wir  wußten  bald  unsere  Eltern  zu  vermögen, 
uns  ein  kleines  Theater  bauen  zu  lassen,  das,  geschickt 
eingerichtet,  sich  leicht  i.und  in  wenig  Stunden  abbre- 
chen und  wieder  aufrichten  ließ,  um  den  großen  Salon, 
den  mein  Vater  zu  seinen  Musiken,  und  wir  selbst  im 
Fasching  sehr  gern  zu  den  kleinen  Picknickes  brauch- 
ten, die  bei  uns  statthatten,  immer  zu  gehöriger  Zeit 
in  einen  Tempel  Thaliens,  und  aus  diesem  wieder  in 
seine  ursprüngliche  Gestalt  umzuwandeln.  Sobald  un- 
ser Vorsatz,  Hauskomödien  (eine  damals  sehr  gewöhn- 
liche Unterhaltung)  bei  uns  zu  geben,  bekannt  wurde, 
fand  und  sammelte  sich  bald  ein  sehr  ansehnliches  und 
in  einigen  Mitgliedern  bedeutendes  Personal  um  uns. 
Ein  Herr  von  Kirchstettern^^^)  gab  die  Rollen,  welche 
man  8 — lo  Jahre  vorher  von  dem  großen  Schröder 
hatte  spielen  sehen,  mit  einer  für  einen  Dilettanten 
bewundernswürdigen  Kunst  und  Kraft.  An  einem 
Herrn  Eberl^^^),  einem  sehr  artigen  und  gebildeten 
Mann,  besaß  unsere  Truppe  einen  ersten  Liebhaber, 
der  dies  schwere  Fach  auf,  und  auch  wohl  aiißer  der 
Bühne  mit  seltenem  Glücke  übernahm,  und  dem  eine 

III 


auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  berühmten  Schau- 
spieler Lange,  der  eben  dies  Rollenfach  auf  dem  Hof- 
theater inne  hatte,  sehr  zustatten  kam.  Wie  Lange 
schmächtig,  blond,  zierlich  und  voll  Anstand,  hatte  er 
auch  die  Ähnlichkeit  mit  ihm,  daß  seine  im  Grunde  gar 
nicht  hübschen  Züge  auf  dem  Theater  und  mit  der 
Schminke  beinahe  schön  erschienen.  Überdies  erbot 
sich  der  vieljährige,  treue  Freund  meiner  Eltern,  Herr 
von  Alxinger,  mit  Vergnügen  zur  Teilnahme  an  un- 
serm  Projekte,  und  übernahm,  nebst  einer  Art  von  Di- 
rektion, jene  Rollen,  die  damals  die  Brockmannschen 
von  diesem  Schauspieler  genannt  wurden,  junge  Ehe- 
männer, launigte  Charaktere,  auch  einige  komische 
oder  Charakterrollen,  und  führte  sie,  wenn  es  nur  keinen 
Anstand  oder  tiefere  Empfindung  bedurfte,  sehr  gut 
aus^^^).  Mein  Bruder  übernahm  das  Fach  der  komischen 
Bedienten,  zweiten  Liebhaber  usw.  Andere  hübsche, 
junge  Mädchen  fanden  sich  zu  zärtlichen  oder  ernsten 
Rollen,  mein  Fach  war  das  der  muntern  jugendlichen 
Charaktere,  schnippischer  oder  koketter  Mädchen, 
wohl  auch  der  Soubretten.  Etwas  Zärtliches  oder 
Rührendes  brachte  ich  durchaus  nicht  aus  meinem 
Innern  heraus;  in  jenen  Rollen  aber  gefiel  ich,  und  un- 
sere ganze  Truppe  erwarb  sich  Beifall. 

Ein  Zyklus  von  geselligen  Freuden  bildete  sich  nun 
in  unserm  vielbesuchten  Hause.  Wenn  wir  vom  Lande 
(einem  hübschen  Gartenhaus,  das  meine  Eltern  in  der 
Nähe  besaßen)  im  Herbst  nach  der  Stadt  zogen,  wurde 
gleich  das  Theater  aufgeschlagen  und  einige  Stücke  ge- 
geben: Minna  von  Barnhelm,  die  falschen  Vertraulich- 
keiten, Maske  für  Maske,  die  unversehene  Wette,  der 
seltene  Freier,  die  Glücksritter  nebst  vielen  andern ^^^). 
Wie  der  Advent  heran  kam,  mußte  das  Theater  fort, 

112 


E.  Henne  sc.  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,    Wien 


\ 


und  die  wöchentlichen  Quartetten  begannen,  bei  wel- 
chen ich  jederzeit  spielen  mußte,  und  die  von  einer 
sehr  zahlreichen  und  glänzenden  Gesellschaft  besucht 
wurden,  nicht  weil  sie  so  vorzüglich  waren,  sondern 
weil  es  Mode  war,  unser  Haus  zu  besuchen.  Dann  folg- 
ten im  Fasching  ebenso  wöchentliche  Picknicks,  an  de- 
nen aber  nur,  eben  des  Raumes  wegen,  ein  kleiner,  ge- 
wählter Kreis  von  bessern  Bekannten  Anteil  nahm,  und 
an  deren  zwanglose  und  lebhafte  Freuden  sich  jetzt 
noch,  nach  viel  mehr  als  dreißig  Jahren,  die  wenigen 
Teilnehmer,  die  diesen  Zeitraum  überlebt  haben,  mit 
Vergnügen  erinnern.  Nach  dem  Fasching  begannen 
die  Quartetten  abermals,  und  nach  Ostern  wurde  das 
Theater  aufgerichtet  und  die  Komödien  nahmen  ihren 
Gang,  bis  wir  aufs  Land  zogen,  und  einen  Sommer 
spielten  wir  sogar  in  unserer  Gartenwohnung,  bis  die 
Hitze  dem  Spaße  ein  Ende  machte. 


Mein  Geist  und  meine  ganze  Denkart  hatten  sich 
unter  dem  Einflüsse  eines  zerstreuten,  vielbewegten 
Lebens  und  der  allgemeinen  Richtung  des  Zeitgeistes 
diesem  in  manchen  Stücken  gemäß,  in  manchen  zu- 
wider ausgebildet.  In  meinem  Innern  hatte  sich 
ein  tiefer  Grund  von  Religiosität  erhalten,  der  den 
Einwirkungen  freigeistischer  oder  sogenannter  philo- 
sophischer Schriften  widerstrebte.  Dennoch  ver- 
mochte mein  Verstand  nicht,  den  Behauptungen, 
Schlüssen  und  Spöttereien  jener  Schriften  ganz  zu 
widerstehen.  Sie  machten  unwillkürlich  Eindruck  auf 
meinen  Geist,  und  wenn  hier  der  Witz,  mit  dem  irgend- 
ein wirklicher  Mißbrauch  oder  ein  Aberglauben  ver- 
spottet wurde,  mich  unterhielt,  indem  er  mich  ärgerte, 

8  CP.  I  „3 


so  war  ich  nicht  immer,  ja  leider  nur  selten  imstande, 
das  Sophistische,  Seichte  oder  Falsche  in  dem  gegen 
die  Lehren  des  Christentums  und  dessen  eigentliche 
Wesenheit  gerichteten  Angriffe  ernsterer  Bücher  dieser 
Art  zu  erkennen  und  dadurch  ^unschädlich  für  meine 
Überzeugung  zu  machen.  Tief  im  Innersten  erschüt- 
terte und  empörte  mich  Schillers  „Resignation"; 
aber  ich  wußte  ihr  nichts  entgegen  zu  setzen,  als  mein 
Gefühl,  daß  dem  nicht  so  sei,  wie  er  behauptete 2^®); 
Gar  viele,  und  gewiß  sehr  gefährliche  Bücher  fielen  in 
meine  Hände,  welche  ich  früher  schon  genannt: 
Bahrdts  Bibel  im  Volkston,  Horus,  die  Ruinen  von 
Volney,  L'antiquite  devoilee^^')  usw.  Wie  mich 
die  Ideen  gequält,  welche  aus  diesen  Schriften  gleich 
scharfen  Pfeilen  von  allen  Seiten  in  das  innerste 
HeiHgtum  meiner  Seele  eindrangen,  vermag  ich  nicht 
zu  beschreiben.  Ein  Streit  meines  Verstandes  und 
meines  Gefühles  begann,  und  manche  wichtige  Lehre 
der  Offenbarnng  sank  unter  diesem  Kampfgetümmel 
nieder,  und  ich  vermochte  damals  nicht,  sie  wieder 
in  mir  zu  beleben.  Es  war  ein  peinlicher  Zustand, 
dessen  ganze  Widrigkeit  ich  empfand,  ohne  die  Macht 
zu  haben,  ihn  auf  irgendeine  Weise  zu  ändern.  Zum 
Freigeist  war  mein  Inneres  zu  fromm,  zu  weich,  und 
alte  Ideen  behaupteten  noch  immer  ihr  Recht  über 
meine  Seele;  zum  kindlichen  Glauben  hatte  ich  zu  viel 
gelesen,  und  ihn  bald  mit  Ernst  erschüttert,  bald  mit 
Witz  verspottet  gesehen.  Gott  erbarme  sich  meiner. 
Ein  tiefer  Schmerz  mußte  mich  zu  ihm  zurückführen. 


Die  Taten  des  Feldzugs  von  1789  waren  glänzend  ^ 
gewesen,  sie  verbreiteten  einen  hellen  Schimmer  über 

114 


die  abnehmenden  Lebenstage  Kaiser  Josefs,  der 
in  der  vollen  Reife  männlicher  Kraft,  noch  nicht 
CO  Jahre  alt,  an  einem  unheilbaren  Überseinem  Ende 
entgegenging.  Gewaltig  war  der  Umschwung,  den 
seine  Denk-  und  Handlungsweise  seinen  Staaten  und 
mit  ihnen  der  Gesinnung  seiner  Untertanen  ge- 
geben hatte.  Ich  habe  oben,  wo  von  dem  Tode  seiner 
Mutter  und  Vorfahrerin  die  Rede  gewesen,  gesagt, 
daß  damals  eine  neue  Zeit  für  Österreich  begonnen 
habe;  und  so  war  es  auch,  obgleich  Kaiser  Josef  viel- 
leicht nur,  wie  manche  behaupten,  mit  eigener  Hand 
die  Schranken  öffnete,  welche  seine  Untertanen  von 
jenen  freisinnigen  Begriffen,  erhöhten  Forderungen 
und  eigenmächtigerm  Hervortreten  noch  trennten,  zu 
welchen  sich  in  Frankreich  das  Volk  selbst  gewaltsam 
Bahn  gemacht  hatte.  Ja,  ich  habe  es  mehr  als  einmal 
von  Männern,  welche  dies  genau  zu  wissen  vorgaben 
und  es  wohl  auch  wissen  konnten,  gehört,  daß  Kaiser 
Josef  bei  seiner  letzten  Anwesenheit  in  Paris,  kurz 
vor  dem  Ausbruche  der  Revolution,  sich  selbst  von 
der  Stimmnng  des  Volkes,  von  den  Umtrieben  der 
Mißvergnügten  und  den  Systemen  nnd  Entwürfen 
der  Schriftsteller  unterrichtet  und  dadurch  die  Über- 
zeugung gewonnen  habe,  der  Neuerung  sei  nicht  mehr 
zu  widerstehen  und  es  sei  besser,  wenn  die  Reformen, 
die  nun  einmal  unumgänglich  notwendig  geworden, 
vom  Throne  selbst  ausgehen,  als  wenn  das  Volk  sie 
gewaltsam  ertrotze.  In  dieser  Überzeugung  habe  er 
seine  Schwester,  die  unglückliche  Königin  Antonie  noch 
treulich,  aber  leider  vergeblich  gewarnt,  und  dann  bei 
sich  zu  Hause  mit  großartigem  Sinn  selbst  vorzubereiten 
und  zu  verbessern  sich  bemüht,  was  er  dem  mächtig 
herandrängenden  Zeitgeiste  gemäß  erachtet ^^s^, 

8* 

115 


Wie  dem  immer  sei,  der  unglückliche,  von  dem 
blendenden  Wahnbild  echter  Freiheit  geäffte  Forster, 
der  in  Paris  als  ein  Opfer  seines  Enthusiasmus  und 
der  folgenden  bittern  Enttäuschungen  starb^^»),  hat  in 
seiner  Reise  nach  Niederland  ein  Wort  über  Kaiser 
Josef  gesagt,  das  mich  mächtig  ergriff  und  mir  höchst 
wahr  scheint.  —  Er  sagt  nämlich:  „Aus  der  Fackel 
seines  (Kaiser  Josefs)  Geistes  ist  ein  Funke  in  Öster- 
reich gefallen,  der  nie  verlöschen  wird''^^**).  Glänzend, 
feurig  belebend  w^ar  dieser  Funke  allerdings;  aber  wie 
alles  Feuer  tat  er  auch  weh,  wenn  man  ihm  zu  nahe  kam, 
und  war  ebenfalls  von  Rauch  nicht  ganz  frei. 

War  es  Vorgefühl  der  kurzen  Laufbahn,  die  ihm 
von  der  Vorsicht  gestattet  war?  war  es  innerer  stür- 
mischer Antrieb,  der  sich  durch  den  Widerstand,  den 
er  überall  fand,  noch  mehr  erhitzte  ?  war  es  über- 
wiegende Kraft  des  Verstandes,  die  das  Gefühl  oft  zum 
Schweigen  brachte  —  genug,  so  menschenbeglückend 
auch  Kaiser  Josefs  Pläne  und  Vorbereitungen  waren, 
so  wenig  man  in  der  Idee  daran  tadeln  konnte,  so 
fielen  sie  doch  in  der  Ausführung  oft  zu  hastig,  meist 
zu  hart  und  schonungslos  aus,  und  es  schien  öfters,  als 
sollte  alles  Alte,  Langbestandene,  Langverehrte  bloß 
deswegen,  weil  es  dies  war,  niedergerissen  werden. 
Wenn  ich  jetzt,  nach  40  Jahren,  auf  jene  Zeit  zurück- 
blicke, geht  mir  aus  der  Vergleichung  mit  dem,  was 
nun  in  Frankreich  und  auch  in  Deutschland  geschieht, 
erst  recht  das  Verständnis  jenes  Strebens  auf,  das- 
Kaiser  Josef  in  mancher  seiner  Anordnungen  zu  be- 
seelen schien.  Das  Alte  sollte  fort  —  gleichviel  ob  es 
schädlich  oder  nützlich,  dem  Menschen  gleichgültig 
oder  drückend  oder  wohl  gar  lieb  war  —  genug,  es 
war  alt,  und  taugte  darum  nicht  mehr  in  die  neue  Welt, 

116 


die  sich  damals  zu  gestalten  anfing.  Aber  in  der  Praxis 
geht  nur  langsam,  ruckweise  und  mit  oft  krebsgängigen 
Schritten  die  Umwandlung  vor,  die  der  Gelehrte  oder 
Staatsmann  in  seinem  Kopf  schnell  erzeugt,  und  wohl 
kann  man  die  Zeit  in  dieser  Hinsicht  jenen  Pilgern  des 
Mittelalters  vergleichen,  die  auf  einer  Wallfahrt  stets 
nach  2  bis  3  Schritten  vorwärts  einen  zurück  taten; 
indes  kamen  sie  doch,  wiewohl  langsam,  weiter,  und 
jene  Rückschritte  hemmten  nur,  aber  sie  hinderten 
die  Reise  nicht.  So  ist  es  auch  mit  der  Ausbildung  dieser 
neuen  Zeit  und  ihrer  Gesinnung;  aber  man  ist  jetzt 
klüger  und  überstürzt  sich  nicht  wie  damals. 

Damals,  vor  40  Jahren,  war  man  noch  nicht  so  weit 
vorgeschritten.  Es  gab  viele,  die  sich  dieser  Neue- 
rungen, dieser  Aufklärung,  dieses  Wegräumens  alten 
Schuttes  von  Vorurteilen,  Kastenzwang  usw.  als  glück- 
licher Schritte  zu  einem  sichern  Heil  erfreuten;  weit 
mehrere  indes,  die  sie  mißbilligten,  weil  entweder 
ihr  Vorteil  darunter  litt  oder  weil  ihre  in  entgegen- 
gesetzten Begriffen  erzogenen  Geister  sich  über  diese 
neuen  Ansichten,  als  über  Ketzereien,  entsetzten. 
Mitten  zwischen  diesen  beiden  Äußersten  befand  sich 
aber  eine  bedeutende  Anzahl  von  Personen,  die  viel- 
leicht eben  durch  ihre  gemäßigtere  Meinung  sich  als 
diejenigen  bewiesen,  die  ohne  Vorurteil  oder  Eigen- 
nutz, ja  vielleicht  von  Hoffnung  eben  so  weit  als  von 
Furcht  entfernt,  ein  richtiges  Urteil  besaßen.  Diese 
ließen  zwar  dem  edlen  Willen  des  Monarchen  alle  Ge- 
rechtigkeit widerfahren,  sie  billigten,  ja  sie  erfreuten 
sich  der  meisten  seiner  Anordnungen,  welche  die  Er- 
leichterung und  sorgfältigere  Bildung  der  untersten 
Klassen,  die  Abstellung  alter  Mißbräuche,  die  Ein- 
schränkung lästiger  Vorrechte  und  Privilegien,   end- 

117 


lieh  die  Gedankenfreiheit  und  allgemeine  Duldung 
zum  Gegenstande  hatten.  Aber  sie  konnten  die  rasche 
Hastigkeit,  womit  alles  betrieben  wurde,  und  die  oft 
jenseits  des  Zieles  schoß,  sowie  den  Mangel  an  Schonung 
und  Billigkeit  bei  Ausübung  der  strengsten  Gerechtig- 
keit nicht  gutheißen.  Ebensowenig  waren  diese  ge- 
mäßigten Beurteiler  mit  dem  übereilten  Aufklären  der 
untern  Volksklassen  und  mit  dem  gewaltsamen  Weg- 
räumen so  mancher  Schranken  und  hindernden  Be- 
griffe zufrieden,  welche  in  dem  Gewissen  des  Volkes 
dort  ihre  stille  Macht  gegründet  hatten,  wohin  das 
Gesetz  zu  reichen  nicht  imstande  ist. 

Ich  war  wohl  im  ganzen  noch  zu  jung,  um  dies  alles 
nach  meinen  eigenen  Ansichten  zu  beurteilen;  aber 
ich  hörte  verständige  Menschen  von  verschiedenen 
Parteien  sprechen,  und  mein  eigenes  Gefühl  fand  sich 
durch  manche  Neuerung,  die  an  die  Stelle  eines  alten, 
liebgewordenen  Gebrauchs,  einer  wohlbekannten  Ge- 
wohnheit getreten  war,  abgestoßen,  sowie  durch  man- 
ches Harte  und  Schonungslose  in  dem  Verfahren  des 
Monarchen  verletzt.  Ich  erinnere  hier  nur  an  den  — 
freilich  nicht  durchgesetzten  —  Befehl,  die  Leichen 
künftig  ohne  Sarg,  in  Säcken  zu  begraben  und  mit 
Kalk  zu  überschütten.  Vielleicht  konnte  der  kalte  Ver- 
stand hierin  eine  zweckmäßige  Verordnung  finden  und 
verteidigen;  aber  das  Gefühl  der  ganzen  Stadt  war 
empört,  und  die  Sache  mußte  unterbleiben,  weil 
„meine  Untertanen",  wie  Kaiser  Josef  bei  Auf- 
hebung dieses  Befehls  schrieb,  „länger  Äser  bleiben 
wollen!! 2^^)"  Ebenso  unbillig  schien  mir  die  strenge 
Gerechtigkeit,  welche,  alles  vor  dem  Gesetze  nivel- 
lierend, einen  Grafen,  einen  Hofrat,  einen  angesehenen 
Privatmann  zu  eben  der  Strafe  des  Gassenkehrens  wie 

ii8 


den  Taglöhner,  den  Hausknecht  usw.  verdamnate, 
deren  tägliches  Geschäft  jenes  ohnedies  war,  und  die 
noch  dazu  von  niemand  vermißt,  von  niemand  ge- 
kannt, als  den  wenigen,  ebenfalls  der  Welt  verborgenen 
nächsten  Verwandten,  ihre  Schmach  in  ihrer  Dunkel- 
heit begruben  und  daher  minder  fühlten  ^^2). 

Was  aber  auch  immer  mit  Recht  und  Unrecht  an 
dem  Verfahren  des  Kaisers  getadelt  worden  war,  und 
wie  stark  sich  die  Unzufriedenheit  darüber  fast  über- 
all in  seinen  Staaten  zeigte,  litt  doch  vielleicht  nie- 
mand von  all  den  Tausenden,  die  über  ihn  klagten, 
darunter  so  tief,  so  schmerzlich  als  er  selbst.  Gleich 
als  wollte  das  Schicksal  ihn  für  dieses  stolze  Voraus- 
nehmen strafen,  mußte  der  Monarch  mitten  in  einer 
ruhmvollen  Laufbahn,  lange  vor  der  natürlichen  Todes- 
zeit an  einem  langwierigen  Siechtum  dahinwelken, 
und  noch  vor  seinem  Ende  viele  seiner  kühnen  Pläne 
in  sich  zusammenstürzen  sehen;  viele  seiner  Verord- 
nungen, durch  die  drohenden  Umstände  gezwungen, 
selbst  zurücknehmen.  So  trotzten  die  Ungarn,  bei 
denen  er  sich  ebensowenig  als  in  den  übrigen  Erb- 
staaten hatte  krönen  oder  huldigen,  und  deren  Krone 
er  wie  die  böhmische  und  den  Herzogshut  von  Öster- 
reich aus  den  respektiven  Orten,  wo  sie  bisher  als 
HeiHgtümer  waren  bewahrt  worden,  nach  Wien  hatte 
bringen  lassen,  ihm  die  ihrige  noch  bei  seinem  Leben 
ab,  und  er  mußte  es  zugeben,  daß  sie  wie  im  Triumphe 
von  ihnen  nach  Ungarn  zurückgeführt  wurde  ^^).  Die 
Niederlande  waren  in  vollem  Aufstande;  die  Steuer- 
regulierung, die  wohl  eigentlich  dem  Untertan  zu 
emer  großen  Erleichterung  gemeint  und  wohltätig  ge- 
wesen wäre,  hatte  den  ganzen  Adel  gegen  den  Mo- 
narchen aufgeregt;   die   Geistlichkeit,   die  sich  seiner 

119 


nie  und  nirgends  zu  beloben,  Ursache  gehabt  hatte, 
suchte  die  Herzen  des  Volkes  von  ihm  abzuwenden.  — 
Überall  war  Unzufriedenheit,  Gärung,  und  zuletzt 
mußte  der  unglückliche  Fürst  noch  den  schmerzlichen 
Schlag  in  seinem  Hause  erleben,  daß  die  Gemahlin 
seines  Neffen  und  Nachfolgers,  unsers  geliebten 
Kaisers  Franz,  die  liebenswürdige  Elisabeth  von  Würt- 
temberg, zwei  Tage  vor  ihm  an  den  Folgen  einer 
schweren  Niederkunft  starb  ^^^).  Sie  war  dem  k.  rus- 
sischen Hause  nahe  verwandt,  diese  Rücksicht  machte 
diese  Verbindung  dem  Kaiser  besonders  wert,  der  Erz- 
herzog liebte  seine  junge  Gemahlin,  alles  das  zerstörte 
der  kalte  Hauch  des  Todes,  und  Josef  sah  so  noch, 
bevor  er  die  Augen  schloß,  die  meisten  seiner  Pläne 
zusammenbrechen  und  seine  Hoffnungen  vernichtet. 
Die  Erzherzogin  war  am  i8.  Februar  1790  um  6  Uhr 
morgens  verschieden;  Kaiser  Josef  folgte  ihr  am  20. 
darauf,  und  zwei  fürstliche  Leichen  lagen  zugleich  im 
kaiserlichen  Palast  auf  den  Paradebetten. 


Es  sei  mir  erlaubt,  einige  Züge,  einzelne  Striche 
zu  dem  Bilde  des  großen  Verewigten,  das  in  seiner 
vollen  Herrlichkeit  nun  vor  den  Augen  der  Nachwelt 
steht,  hier  einzuschalten,  welche,  wie  mich  dünkt, 
manche  Eigentümlichkeit  seiner  Sinnes-  und  Hand- 
lungsart erklären,  und  die  ich  teils  den  Erzählungen 
meiner  Mutter,  teils  Mitteilungen  von  Personen  danke, 
die  wohlunterrichtet  sein  konnten,  weil  ihre  Geburt 
und  Stellung  in  der  Welt  sie  dem  Hofe  nahe  brachten. 

Kaiser  Josef  war  ein  äußerst  schönes,  herrliches, 
geistvolles  Kind,  mit  ausgezeichneten  Anlagen  und 
einer"  sehr    starken    Willenskraft.     Diese    Willenskraft 


120 


wurde  gefürchtet;  man  wollte  sie  bändigen,  man  wollte 
dem  eigensinnigen  Knaben,  wie  man  sich  ausdrückte, 
den  Kopf  brechen.  Das  wäre  auf  jeden  Fall  ein 
mißliches  Unternehmen  gewesen,  auch  wenn  Eltern 
und  Erzieher  alle  nötige  Kraft,  Einsicht  und  Mui3e 
besessen  hätten,  um  dies  Experiment  zu  leiten.  Aber 
Maria  Theresia  war  Regenti^  großer  Staaten,  und 
konnte,  so  wichtig  ihr  ihre  Mutterpflicht  war,  sich 
dieser  doch  nicht  widmen.  Ihr  Gemahl  war  von  allen 
Geschäften  entfernt.  Wohl  wählte  sie  die  Männer, 
deren  Leitung  sie  den  Prinzen,  den  künftigen  Erben 
ihrer  Krone  übergeben  wollte,  mit  Rücksicht  und  Sorg- 
falt; dennoch  fielen  diese  Wahlen  unglücklich  aus,  und 
der  Prinz,  mit  seinem  überwiegenden  Geiste,  mit 
seinem  vorstrebenden  Genius,  sah  sich  von  Männern 
umgeben,  und,  was  schlimmer  war,  solchen  untergeben, 
die  er  weit  und  leicht  übersah.  Seine  Ansichten,  seine 
Entschlüsse  waren  immer  die  bessern,  klügern,  passen- 
deren gewesen,  und  er  wurde  gezwungen,  sie  fahren 
zu  lassen,  um  sich  beschränkten,  unstatthaften  Mei- 
nungen zu  fügen,  die  ihm  noch  dazu  mit  einer  kränken- 
den Superiorität  aufgedrungen  wurden.  Das  wars,  was 
man  hieß:  ihm  den  Kopf  brechen,  und  was  vielleicht 
den  Keim  jenes  Starrsinns  in  ihm  entwickelte  und 
mächtig  nährte,  der  ihn  später  zu  manchem  falschen 
Schritt  verleitete  ^^^).  Kaiser  Josef  hatte  mehrere 
Brüder,  wovon  einige  ihn  überlebten.  In  früherer 
Jugend  stand  ihm  der  Zweitgeborne,  der  Sohn  des 
Kaisers,  während  Josef  nur  der  Sohn  des  Groß- 
herzogs war,  am  nächsten.  Dieser  Erzherzog,  Karl  ge- 
nannt, scheint  in  vieler  Rücksicht  in  einer  Art  von 
Opposition  mit  dem  altern  Bruder  gestanden  zu  haben. 
Schon  der  Vorzug  der  Purpurgeburt  —  so  zufällig, 

121 


so  unbedleutend  er  bei  dem  entschiedenen  Rechte  des 
Erstgebornen  sein  mußte,  war  eine  Art  von  Zankapfel 
zwischen  den  Knaben,  von  denen  der  ältere  das  Über- 
gewicht durch  Verstand  und  Geisteskraft,  sowie  der 
jüngere  durch  Gemüt  und  Liebenswürdigkeit  be- 
hauptete. Immer  aber  ist  solch  ein  Antagonismus  von 
schädlichem  Einfluß  auf  die  Herzen  der  Geschwister, 
und  es  war  vielleicht  ein  Glück,  daß  ein  frühzeitiger 
Tod  im  beginnenden  Jünglingsalter  den  gefährlichen 
Nebenbuhler  Karl  hinraffte  und  so  diesen  Zwist 
löste  ^^^).  Aber  in  Josefs  Seele  keimte  nach  und 
nach  etwas  Bitteres,  Scharfes,  Schneidendes  empor, 
das  einen  verdunkelnden  Schatten  auf  seine  großen 
Eigenschaften  warf. 

Das  Unglück  seiner  beiden  Ehen  mochte  ebenfalls 
vieles  dazu  beigetragen  haben.  Man  hatte  die  Prin- 
zessin von  Parma,  Isabella,  für  ihn  gewählt.  Diese 
Prinzessin  hatte  sich  früher  dem  Kloster  bestimmt,  und 
eine  Anekdote,  welche  ich  von  ihr  erzählen  hörte,  läßt 
helle  Blicke  in  die  Tiefe  ihres  kräftigen  und  eigentüm- 
lichen Gemütes  werfen.  Ihr  war  eine  geliebte  Person  — 
wenn  ich  nicht  irre,  ihre  Mutter  —  gestorben.  Ganz 
in  den  tiefsten  Schmerz  aufgelöst,  kniete  sie  am  Sarge 
und  flehte  zu  Gott,  sie  bald  mit  der  Vorangegangenen 
zu  vereinigen.  Da  war  es  ihr,  als  spräche  jemand  die 
Zahl  drei  aus.  Ihre  hocherhobene  Seele  ergriff  mit 
Begierde  diesen,  wie  sie  glaubte,  prophetischen  Aus- 
spruch, und  in  drei  Tagen  hoffte  sie  die  Erfüllung 
ihres  sehnlichen  Wunsches.  —  Aber  es  vergingen  drei 
Tage,  drei  Wochen,  drei  Monate,  und  der  erwartete 
Friedensbote,  der  die  der  Welt  Überdrüssige  abrufen 
sollte,  erschien  nicht.  Wohl  aber  erschienen  bald  dar- 
auf die  Boten  des  österreichischen  Hofes,  welche  die 


122 


Hand  der  Prinzessin  für  den  Erben  so  vieler  Kronen, 
für  einen  der  schönsten,  geistvollsten  und  versprechend- 
sten Prinzen  forderten.  Nur  ungern,  nur  aus  Zwang 
entsagte  die  Prinzessin  ihrem  Wunsche,  ihr  Leben  in 
Einsamkeit  und  Trauer  hinzubringen  und  ward  des 
römischen  Königs  (denn  das  war  Josef  damals  schon) 
Frau.  Er  umfaßte  die  nicht  schöne,  aber  höchst  liebens- 
würdige und  anziehende  Braut  mit  aller  leidenschaft- 
lichen Glut  eines  starken  Gemütes.  Er  liebte  sie  hef- 
tig, innig,  zärtlich,  und  obwohl  sie,  diese  Gefühle  zu 
erwidern,  sich  außerstand  fühlte,  so  mußte  sie  doch, 
von  ihrem  richtigen  Verstand  und  einem  geläuterten 
Gefühle  geleitet,  sehr  wohl  verstanden  haben,  selbst 
den  Forderungen  seines  liebenden  Herzens  zu  ent- 
sprechen; denn  solange  sie  lebte,  glaubte  er  sich  von 
ihr  geliebt. 

Eine  Prinzessin  ^37)  ward  bald  darauf  zum  neuen,  be- 
glückenden Bande  zwischen  den  jungen  Eheleuten; 
doch  dies  Glück  sollte  nicht  von  Dauer  sein.  Ehe 
drei  Jahre  nach  jenem  verhängnisvollen  Ereignis  am 
Sarge  der  Verewigten  dahingegangen  waren,  starb 
Isabella  von  Parma  an  bösartigen  Blattern  im  Arme 
ihres  verzweifelten  Gemahls  ^^s). 

Während  ihres  kurzen  Lebens  an  seiner  Seite  hatte 
sich  ihr  Herz,  vor  allen  andern,  einer  seiner  Schwe- 
stern, der  wunderschönen  Erzherzogin -Christina,  nach- 
maligen Gouvernantin  der  Niederlande,  zugeneigt. 
Mit  dieser  hatte  die  Verstorbene  einen  Freundschafts- 
bund errichtet  und  häufige  Briefe  gewechselt,  in  wel- 
chen sie  ihr  Herz  und  den  wahren  Stand  ihrer  Emp- 
findungen treu  darstellte.  Als  nun  Christina  ihren  ge- 
liebten Bruder  so  der  Verzweiflung  zum  Raube  sah, 
sie,  die  doch  wußte,  daß  er  um  ein  Gut  trauerte,  was 

123 


er  im  Grunde  nie  besessen,  um  Isabellas  Liebe  — 
glaubte  sie  sich  aus  Mitgefühl  und  Rechtlichkeit  ver- 
pflichtet, dem  Getäuschten  die  Wahrheit  zu  eröffnen, 
und  so  seinen  allzuheftigen  Schmerz  zu  mäßigen.  — 
Sie  zeigte  ihm  die  Briefe  der  Verstorbenen.  —  Es  war 
ein  Mißgriff,  ein  unseliger  Einfall!  und  er  verfehlte 
seine  Wirkung  nicht.  Josef  sah  sein  blutendes,  hin- 
gebendes Herz  verschmäht " —  getäuscht;  seine  hohe 
Meinung  von  der  Verstorbenen  zernichtet  2^^).  — 
Wohl  mögen  seine  Tränen  um  die  Verlorne  versiegt 
sein;  aber  Erbitterung,  Verachtung  gegen  das  ganze 
weibliche  Geschlecht  setzten  sich  in  seiner  Brust  fest, 
von  denen  sein  besserer  Sinn  nur  wenige  ausnahm, 
indes  er  die  übrigen  als  bloße  Puppen  oder  Gegen- 
stände der  Sinnlichkeit  betrachtete.  —  Dennoch  be- 
suchte er  in  spätem  Jahren  gern  einige  ältere  Damen, 
eine  Fürstin  Liechtenstein,  eine  Kaunitz  und  andere, 
und  unterhielt  sich  gern  mit  ihnen,  die  verständige, 
gebildete  Matronen  waren  ^^°). 

Seine  zweite  Vermählung  war  nicht  geeignet,  diese 
Vorstellungen  zu  berichtigen.  Schon  vor  der  Be- 
werbung hatte  er  sich  schroff  und  kalt  über  die  Not- 
wendigkeit seiner  Wiederverheiratung  und  die  traurige 
Wahl  zwischen  mehreren,  gleich  unliebenswürdigen 
Kompetentinnen  um  seine  Hand  ausgesprochen,  aus 
welchen  er  doch  seine  künftige  Lebensgefährtin  wählen 
müsse.  Eine  Prinzessin  von  Bayern  traf  dieses  un- 
glückliche Los.  Von  der  Natur  höchst  stiefmütterlich 
behandelt,  ohne  Anmut,  ohne  Takt,  um  den  Charak- 
ter ihres  Gemahls  aufzufassen  und  sich  in  ihn  zu 
schicken,  dienten  selbst  ihre  guten  Eigenschaften,  ihre 
Sanftmut,  Herzensgüte  und  Liebe  zu  ihm  nur  dazu, 
ihn  noch  mehr  von  ihr  zu  entfernen.   Beschämend  war 


124 


i/^ 


^ 


die  grelle  Entfernung,  in  der  er  sich  von  ihr  hielt,  so 
daß  er  unter  anderm  auf  dem  Balkon,  der  vor  ihrem 
gemeinsamen  Appartement  war,  ein  Separatim  machen 
ließ,  damit  sie  ihm  dort  nicht  begegnen  könne,  und  er 
lieber  vor  aller  Welt  Augen  beim  Fenster  hinausstieg, 
um  nur  nicht  durch  den  gemeinschaftlichen  Salon 
gehen  zu  müssen,  in  welchem  sich  die  Türe  zum  Bal- 
kon befand.  Auch  dieses  Band,  welches  ganz  kinder- 
los blieb,  löste  endUch  der  Tod,  auch  die  unglückliche 
Maria  Josef a  von  Bayern  befreite  dieser  unausbleib- 
liche Freund  aus  ihrer  schweren  Lage  und  gab  dem 
ungeduldigen  Gemahl  seine  Freiheit  wieder.  Aber  die 
Art,  wie  diese  Prinzessin  von  ihm  war  behandelt  worden, 
hatte  den  alten  Nationalunwillen  zwischen  Bayern  und 
Österreich  nicht  gemindert,  und  gar  viele  ihres  Volkes 
behaupteten  noch  lange  nach  ihrem  Tode,  sie  sei  nicht 
gestorben,  nur  verstoßen,  und  lebe  unbekannt  in 
einem  Kloster  in  Bayern,  wo  sogar  einige  sie  gesehen 
haben  wollten  ^*^). 


Für  mich  hatte  eben  jetzt  auch  eine  neue  Periode 
meines  Lebens  begonnen.  Baron  K...  war  als 
Hauptmann  aus  dem  Türkenkriege  in  die  Winter- 
quartiere nach  Wien  gekommen  und  bei  seinem 
Oheim  abgestiegen,  von  wo  er  sogleich  zu  uns  eilte. 
Therese,  seine  Kusine,  hatte  mich  früher  schon  be- 
nachrichtigt —  und  einen  gewaltigen  Sturm  mit 
dieser  Neuigkeit  in  meiner  Brust  erregt.  Das  Wieder- 
sehen war  bewegt  und  zärtlich  von  beiden  Seiten,  und 
wir  sahen  uns  von  nun  an  oft,  sowohl  bei  seinem  Oheim 
als  in  unserm  Hause.  Doch  kam  es  nicht  zu  einer 
eigentlichen  Erklärung,  und  der  schönste  Zeitpunkt  in 

125 


der  Liebe  zweier  jungen  Herzen,  der  Zeitpunkt  der 
Erwartung,  des  Zweifels,  der  Hoffnung  dauerte  einige 
Wochen.  Schon  fing  man  an,  in  den  beiden  FamiHen 
von  dieser  Verbindung  zu  sprechen.  Mein  Vater  hatte 
nichts  gegen  die  Persönlichkeit  des  jungen  Mannes, 
die  in  vieler  Rücksicht  achtungswert  war,  und  der 
schon  jetzt  mit  kaum  23  bis  24  Jahren  eine  bedeutende 
Stufe  erstiegen  hatte,  aber  desto  mehr  gegen  seinen 
Stand.  Meine  Eltern  hatten  sich  nämlich  mit  Liebe 
an  mich  und  das,  was  ich  ihnen  im  Hause  leistete,  ge- 
wöhnt, meines  Vaters  Liebe  zur  Musik  hatte  ihm  meine 
Hilfe  und  Mitwirkung  in  diesem  Fache  sehr  erwünscht 
gemacht;  meiner  Mutter  zunehmende  Augenschwäche 
und  der  größere  Fuß,  auf  den  unser  Haus  eingerichtet 
war,  machte  ihr  meine  Hilfe  und  Tätigkeit  in  der 
Führung  der  Wirtschaft  notwendig.  So  kam  es,  daß 
beide  bei  einer  künftigen  Verheiratung  für  mich  haupt- 
sächlich darauf  sahen,  mich,  wo  nicht  ganz  nebst 
meinem  Gemahl  in  demselben  Hause,  doch  wenigstens 
in  der  Nähe  zu  behalten.  Ein  Offizier  aber  hätte  ihnen 
die  Tochter  sogleich  entführt,  und  darum  sprach  mein 
Vater  ernstlich  mit  mir,  und  meinte,  wenn  es  dem 
jungen  Manne  Ernst  um  mich  wäre,  würde  er  wohl 
seinem  Stande  (der  damals  vor  vierzig  Jahren  vor  den 
Augen  des  ruhigen  Bürgers  in  ganz  anderm  und  viel 
ungünstigerm  Lichte  als  jetzt  erschien)  gern  ent- 
sagen und  eine  friedliche  Anstellung  suchen,  welche 
ihm  bei  dem  Ansehen  und  Einfluß  seiner  Familie  und 
durch  meines  Vaters  Verwendung  nicht  fehlen  würde. 
Meine  Mutter  sagte  gar  nichts.  —  Sie  wußte  um 
meine  Neigung,  sie  hatte  nichts  dagegen,  aber  sie  sah 
wohl  vielleicht  schärfer  und  weiter  als  ich,  welche 
durch  mein  Herz  irregeführt  wurde,  und  als  Papa,  der 

126 


dann,  wie  die  Männer  überhaupt,  in  solchen  Dingen 
oberflächlicher  beobachtete  und  urteilte.  Allmählich 
kam  mir  das  Schweigen  über  unsere  gegenseitige  Stel- 
lung, das  Stehenbleiben  auf  dem  Grade  der  Annähe- 
rung, auf  welchem  wir  uns  seit  Fernandos  Anwesen- 
heit seit  beinahe  drei  Monaten  noch  immer  befanden, 
befremdend  vor.  —  Doch  da,  wie  gesagt,  noch  keine 
Erklärung  zwischen  uns  stattgehabt  hatte,  glaubte  ich 
kein  Recht  zu  haben,  ihn  zur  Rede  zu  stellen.  Nun  aber 
hörte  ich  bald  dort,  bald  da  von  frühern  oder  spätem 
kleinen,  zärtlichen  Verhältnissen,  die  Fernando  während 
des  Krieges  in  Ungarn  (seinem  Vaterland)  gehabt 
haben  sollte;  ja  endlich  sprach  man  davon,  daß  ihn 
nicht  allein  die  Pflicht  an  seinen  Chef,  den  damals 
schon  sehr  geachteten  General  Mack  binde,  sondern 
daß  der  stete  Umgang  mit  dessen  schöner  und  liebens- 
würdiger Gemahlin  ^^^  vielen  Anteil  an  dieser  Anhäng- 
lichkeit habe.  Wirklich  auch  verließ  Fernando  das 
Haus  seines  Oheims,  und  folgte  seinem  General  auf 
dessen  Landhaus  in  Penzing.  Zugleich  wurden  seine 
Besuche  bei  uns  immer  seltener,  sein  Benehmen  gegen 
mich  kälter.  —  Ich  erkannte  nur  zu  deutlich,  daß  dies 
Herz,  das  trotz  vieler  andern  edlen  Eigenschaften 
doch  zu  schwach  gegen  weiblichen  Liebreiz  war,  keiner 
wahren,  dauernden  Liebe  fähig  sei;  —  ich  konnte  mir 
die  traurige  Wahrheit  nicht  verbergen,  daß  ich  nicht 
mehr  ausschließend  in  Fernandos  Herzen  herrschte, 
ja  daß  dieser  Alleinbesitz  wohl  immer  nur  eine  Selbst- 
täuschung gewesen  sein  mochte. 

Damals  fühlte  ich  mich  sehr  unglücklich.  Mein  Herz 
war  in  seinen  zartesten  Gefühlen  verletzt.  Ich  hatte 
gehofft,  arglos  vertraut,  ich  hatte  des  jungen  Mannes 
Herz  nach   dem   meinigen   beurteilt,   ich  hatte   mich 


127 


rf5i 


ohne  Rückhalt  meiner  Neigung  überlassen,  die  durch 
die  Vorzüge  des  Gegenstandes,  durch  die  Empfindung, 
die  er  mir  zeigte,  durch  die  Beistimmung  der  beiden 
Familien  gerechtfertigt  war.  —  Ich  glaubte,  bald  ein 
Band  für  meine  ganze  Zukunft  schließen  zu  können, 
und  ich  mußte  erkennen,  daß  ich  nur  das  Spielwerk 
einer  flüchtigen  Laune  gewesen  war,  und  nun  rück- 
sichtslos einer  andern  angenehmem  Beschäftigung  eben 
dieser  Laune  aufgeopfert  wurde. 

Jetzt  waren  mir  Tröstungen  höherer  Art  notwen- 
dig, als  sie  die  Welt  und  die  Menschen  um  mich  mir 
geben  konnten.  —  Die  religiösen  Gefühle  wollten  ihr 
altes  Recht  behaupten  und  mich  mit  meinen  Schmer- 
zen dahin  leiten,  wo  allein  wahrer  Trost  und  Ruhe  zu 
finden  ist,  zu  Gott,  zu  seiner  Offenbarung,  zur  Aus- 
sicht auf  ein  anderes,  besseres  Leben.  Aber  da  erhoben 
sich  mit  feindlicher  Kälte  alle  jene  Zweifel  und  Un- 
sicherheiten, welche  durch  die  Lesung  von  irreligiösen 
Büchern  und  Anhörung  solcher  Gespräche  sich  nach 
und  nach  wie  verfinsternde  Nebel  in  mein  Gemüt 
gelagert  und  mir  den  tröstlichen  Ausblick  in  die  Ewig- 
keit verdunkelt  hatten.  Ich  glaubte  nicht  mehr  und 
ich  wußte  doch  nichts;  —  und  diese  Haltlosigkeit 
meines  Innern  vervielfachte  auf  die  bitterste  Weise  den 
Schmerz,  der  dasselbe  zerriß. 

^-■.  In  dieser  unsichern,  peinlichen  Stellung  meines 
Geistes  griff  ich  nach  allen,  Beruhigungen,  die  ich 
mir  verschaffen  konnte.  Ich  las  Mendelssohns 
Phädon^^^),  Hallers  Briefe  über  die  Offenbarung^**) 
und  andere  Werke  ähnlicher  Art.  Wohl  waren 
sie  alle  geeignet,  dem  Herzen,  das  ohne  dies 
schon  im  allgemeinen  glaubte  oder  von  den  Wahr- 
heiten, die  sie  mit  ihren  Gründen  zu  unterstützen  sich 

128 


Karoline  und  Franz  Xaver  von  Greiner 

(Jugendbildnisse,  ca.   1785) 
Unsigniertes  Ölgemälde  —  Verlagsbuchhändler  Franz  Pichler,  Wien 


bemühten,  zum  Teil  überzeugt  war,  diese  in  vollem 
Lichte  zu  zeigen;  aber  ein  irregemachtes,  zweifelndes 
Gemüt  zu  beschwichtigen,  fand  ich  sie  wenigstens 
nicht  imstande.  Meine  Unruhe,  und  somit  mein 
Schmerz,  blieben  dieselben.  Da  fielen  mir  Youngs 
Nachtgedanken  2*^)  in  die  Hände,  und  begierig  ver- 
senkte sich  mein  blutendes  Herz  in  die  Tiefen  dieser 
Schwermut.  —  Meine  Empfindungen  waren  hier  aus- 
gesprochen —  ,, durch  die  Hintertüre  der  Vergangen- 
heit begegneten  mir  die  Geister  meiner  abgeschie- 
denen Freuden,  ein  zahlreicher  Haufe"  —  mir 
„flocht  die  Erinnerung  die  Stacheln  entflohenen 
Glückes  in  die  Geisel  ein,  womit  sie  mich  nun  dop- 
pelt schmerzhaft  züchtigte";  ich  erkannte,  „daß  der 
Raupe  dünnster  Faden  ein  Schiffsseil  ist,  mit  dem 
Band  verglichen,  das  den  Menschen  an  seine 
irdische  Glückseligkeit  bindet,  und  das  jedes  Lüft- 
chen zerreißt"*) 2**).  Von  diesen  so  wahr,  so  energisch 
ausgesprochenen  Schmerzen  erhob  sich  mein  gedrück- 
ter Geist  zu  den  überirdischen  Tröstungen,  welche  dem 
Dichter  die  Religion  beut  und  die  beiden  Nächte,  ich 
denke,  es  ist  die  siebente  und  achte,  welche  die  Auf- 
schrift führen:  The  Infidel  reclaimed^*^^),  vollendeten 
auch  meine  Bekehrung.  Was  philosophische  Speku- 
lation und  wohlgemeinte  Abhandlungen  nicht  ver- 
mochten, bewirkte  die  Poesie,  die  unmittelbar  an  das 
t-iefverletzte  Gefühl  sprach  und  aus  dessen  eigenem 
Grund  die  Wahrheiten  entwickelte,  denen  der  Ver- 
stand seinen  Beifall  nicht  versagen  konnte.  Nun  ward 
mir  wieder  leichter.  Mit  beruhigterem  Gefühl  blickte 
ich  auf  mein  getrübtes  Leben;  denn  jenseits  desselben 
öffnete  sich  mir  die  Aussicht  in  die  Ewigkeit,  und  es 
)  Stellen  aus  Youngs  Nachtgedanken. 

^   C-P-I  129 


war  die  Vorsicht,  der  Wille  eines  höchst  weisen,  un- 
endlich gütigen  und  allmächtigen  Wesens,  das  mir  diese 
Wunden  geschlagen  und  mein  Glück  zertrümmert  hatte. 
Es  war  doch  zu  meinem  Besten,  davon  fühlte  ich  mich 
überzeugt,  und  so  gewann  ich  Ergebung  und  Ruhe. 

Wohl  schmerzte  K**s  Flattersinn  und  meine  zer- 
störten Hoffnungen  mich  tief;  —  wohl  war  meine  be- 
ängstigte Seele  durch  schwere  Kämpfe  gegangen,  ehe 
sie  einige  Ruhe  fand;  aber  nebst  dem  Glauben  kam 
ihr  der  Stolz  zu  Hilfe.  Unerträglich  war  mir  der  Ge- 
danke, die  Rolle  der  Verlassenen  vor  der_Welt  zu 
spielen  und  dem  Wankelmütigen  den  Triumph  zu 
gönnen,  daß  sein  Verlust  mich  kränken  könne. 

Damals  dichtete  ich  verschiedene  Lieder,  die  aber 
niemand  zu  sehen  bekommen  durfte.  —  Das  eine  be- 
gann also: 

Wie  still  ist  alles  um  mich  her! 
Es  ruht  die  Nacht  mit  ihrem  Schatten 
Auf  diesen  farbenlosen  Matten; 
Kein  Wild  regt  sich  im  Haine  mehr, 
Des  Vogels  Haupt  ist  unterm  Flügel, 
Von  ferne  rauscht  der  Felsenbach, 
Und  in  den  Eichen  dieser  Hügel 
Seufzt  ihm  ein  sterbend  Lüftchen  nach. 

dann  kam  eine  Anrufung  an  meinen  Lieblingsstern,  die. 
Lyra,  der  früher  von  K**  ebenfalls  war  besungen  wor- 
den, und  dann  schloß  das  Lied  mit  den  Zeilen: 

O  lehre  mich  den  Gram  besiegen, 
Und  ihn,  der  dein  und  mein  vergißt. 
Nun  auch  um  den  Triumph  betrügen, 
Daß  sein  Verlust  mir  schmerzHch  ist^''). 

Ein  anderes  Lied  enthielt  folgende  Strophen: 

Jetzt,  da  die  Nacht  vom  Winterhimmel  sinket. 
Kein  Stern  den  trüben  Nebelflor  durchbUnket, 
Eil'  ich  zu  dir  mit  allen  meinen  Wunden, 

O  mein  Klavier! 

130 


Du  spottest  nicht,  kein  Hohngelächter  schrecket 
Dies  arme  Herz,  das  dir  sich  gern  entdecket, 
Du  lachst  der  Schwachheit  nicht,  die  ich  empfunden, 

Drum  klag'  ich  dir! 

Hier  fällt  die  Maske,  die  ich  sonst  getragen. 
Hier  darf  ich  weinen  und  mein  Schicksal  klagen. 
Ach,  in  dem  Zirkel,  der  mich  sonst  umrauschet. 

Darf  ich  das  nicht. 

Dort  wehrt  mein  Stolz  dem  Ausbruch  heißer  Zähren, 
Dort  darf  kein  Ohr  den  leisen  Seufzer  hören, 
Dort,  wo  auf  jeden  Blick  ein  Spötter  lauschet, 

■     Lügt  mein  Gesicht,  usw.  2**) 

Die  Empfindungen  und  Ansichten,  welche  aus  diesen 
Liedern  sprachen,  waren  tief  aus  meinem  Innersten 
geschöpft.  Vielleicht  findet  man  sie  weder  poetisch  noch 
romantisch,  wenigstens  die  Heldinnen  von  Romanen 
und  Theaterstücken  werden  gewöhnlich  mit  andern 
Gefühlen  geschildert.  —  In  mir  war  es  nun  einmal  so 
und  eine  gewisse  Elastizität  meines  Gemütes,  wenn  ich 
also  sagen  darf,  half  mir  stets,  besonders  nachdem  das 
Licht  des  Glaubens  mir  wieder  heller  zu  scheinen  an- 
gefai^gen  hatte,  mich  aus  den  Fluten,  der  über  mich 
ergangenen  Leiden  emporzuheben,  sowie  sie  mich  ab- 
hielt, durch  weichliches  Klagen  fremdes  Mitleid  zu 
suchen  und  zu  erregen.  Von  jeher  fand  ich  es  erbärm- 
lich, die  Didone  abbandonata  zu  spielen,  in  Liedern 
und  Klagen  der  Welt  zu  vertrauen,  daß  ein  Wankel- 
mütiger mir  eine  andere  vorgezogen  hatte,  und  ebenso- 
wenig konnte  ich  damals  mit  zwanzig  Jahren,  sowie  jetzt 
mit  mehr  als  siebzig,  in  die  Jeremiaden  so  vieler  meiner 
Schwestern,  und  unter  diesen  namentlich  vieler  Dich- 
termnen,  über  die  Gefühllosigkeit,  den  Leicht-  und 
■Flattersinn  oder  die  Roheit  des  männlichen  Geschlechts 
einstimmen.   Selbst  meiner  Mutter  Ansichten  von  dem 


9* 


131 


unbilligen  Verhältnis,  worin  wir  gegen  die  Männer 
stehen,  von  den  Anmaßungen,  die  sie  sich  im  bürger- 
lichen und  häuslichen  Leben  über  uns  erlaubt  haben 
sollten,  von  den  sogenannten  Rechten  des  Weibes 
fanden  keinen  Anklang  in  meiner  Seele,  soviel  Gewalt 
auch  in  jeder  andern  Hinsicht  ihr  sehr  starker  Geist 
und  ebenso  starker  Wille  über  mich  ausübte.  Ich  konnte 
die  Männer  weder  hassen  noch  verachten  und,  noch 
viel  weniger  beneiden.  Ich  fühlte  mich  überzeugt, 
daß  der  notwendige  Geschlechtscharakter  und  die 
Einrichtungen  in  der  physischen  wie  in  der  moralischen 
und  bürgerlichen  Welt  uns  die  untergeordnete  Rolle 
mit  Recht  angewiesen  hatten;  ich  konnte  es  mir  nicht 
verhehlen,  daß  nicht  allein  in  Künsten  und  Wissen- 
schaften, sondern  selbst  in  den  ganz  eigentümlich  weib- 
lichen Beschäftigungen  wie  Kochen,  Schneidern, 
Sticken  die  Männer,  wenn  sie  sich  darum  annahmen, 
doch  immer  die  Leistungen  unsers  Geschlechts  weit 
hinter  sich  ließen.  WiUig  also  räumte  ihnen  mein  Herz 
diese  geistigen  Vorzüge  ein,  aber  eben  so  bestimmt  er- 
kannte ich  auch,  daß  von  Seite  des  Gefühls,  des  richtigen 
Taktes,  der  Herrschaft  über  uns,  ja  selbst  in  einer  ge- 
wissen Art  von  Mut  wir  den  Männern  wo  nicht  voran, 
doch  völlig  gleich  stehen,  und  daß  die  Vorsicht,  unend- 
lich weise  in  allen  ihren  Veranstaltungen,  auch  hier 
sich  also  bewiesen  und  die  Eigenschaften,  welche  dem 
Menschen  in  abstracto  zukommen,  auf  solche  Art 
zwischen  die  beiden  Geschlechter  verteilt  hat,  welche 
für  das  Wohl  des  Ganzen  am  zuträglichsten  war.  In 
dieser  Ansicht  nun  kam  mir  das  Los  unsers  Geschlechts, 
dem  die  erste  mühsame  Pflege  und  Bildung  des  jungen 
Menschen  anvertraut  und  in  dessen  Hand  es  gelegt  ist, 
guten,  edlen  Samen  in  die  jungen  Herzen  zu  streuen, 

132 


der  im  Mannesalter  seine  segensreichen  Früchte  tragen 
soll,  immer  ehrwürdig  und  schön  vor,  und  ich  fand 
(wie  ich  es  späterhin  in  dem  Roman  „Frauenwürde"  2«) 
deutlicher  auseinander  zu  setzen  mich  bemüht  habe), 
daß  der  Himmel  sehr  gütig  gerade  dadurch  für  uns 
gesorgt  hatfe^  daß  er  uns  unsere  PfHchten  so  deutlich 
vorgezeichrret  und  uns  dadurch  vor  so  vielen  gefähr- 
lichen Irrtumern  und  schmerzHcher  Reue  bewahrt  hatte. 

So  wehrte  ich  denn  meiner  Zunge,  meinen  Mienen 
und  Blicken,  daß  sie  nicht  das  schmerzliche  Geheimnis 
meiner  Brust  verrieten,  und  es  gelang  mir  so  wohl,  daß 
vielleicht  nur  ganz  wenige  meiner  nächsten  Bekannten 
eine  Ahnung  davon  hatten.  Dies  war  auch  um  so  mehr 
zu  hoffen,  da  Fernando  sich  nie  lange  in  Wien  auf- 
gehalten hatte,  unser  Verhältnis  ohnedies  kein  er- 
klärtes war  und  wir  uns  vor  der  Welt  stets  mit  der 
nötigen  Zurückhaltung  betragen  hatten.  Die  Sache 
löste  sich  ganz  leicht  und  unbemerkbar  auf  und  ich 
entging  dem  Gespötte  und  dem  kränkenden  Mitleid. 

Aber  mein  Geist  war  ernster  geworden.  Manche 
laute  Freude,  die  mich  früher  vollgenügend  angespro- 
chen und  mein  ganzes  Wesen  erfüllt  hatte,  wie  z.  B. 
der  Tanz  als  Tanz,  große  Gesellschaften,  wo  eine  Men- 
schenflut durch  die  Säle  auf-  und  abwogte,  Prater- 
fahrten  an  Frühlingssonntagen,  besonders  hinab  bis 
ins  Lusthaus,  wo  zahllose  Equipagen  und  eine  wim- 
melnde Menschenmenge  im  buntesten  Putz  alle  Sinne 
betäubend  beschäftigten  2^°) ;  —  alles  dies,  was  ich  sonst 
mit  jugendlichem  Mute  gewünscht  und  genossen  hatte, 
fing  an,  seine  Reize  für  mich  zu  verlieren,  ja  manches 
beinahe  mir  lästig  zu  werden,  vorzüglich  die  großen 
Gesellschaften  und  überhaupt  das  Geschwirre  und  Ge- 
treibe vieler,   mitunter  auch  unbekannter  Menschen. 


133 


Ich  suchte  die  Einsamkeit  öfter  und  lieber,  ich  fand 
eine  Art  von  Beruhigung  und  Beschwichtigung  meiner 
schmerzHchen  Gefühle  in  derselben,  welche  mir  keine 
sogenannte  Zerstreuung  und  Unterhaltung  gewähren 
konnte,  und  schon  damals  begann  diese  Richtung 
meines  Geistes  sich  zu  entwickeln,  vermöge  welcher 
ich  jede  Kränkung,  jeden  Schmerz,  ja  auch  jede  Sorge 
und  Angelegenheit  am  liebsten  ganz  für  mich  und  mit 
mir  allein  ausmachte,  bekämpfte  oder  zur  Ruhe  sprach. 
Mehrere  ernste  Bücher  fingen  an,  mich  tief  anzu- 
sprechen. Ich  las  Herders  Ideen  zur  Philosophie  der 
Geschichte ^^^),  mehrere  lateinische  Klassiker,  den 
Virgil,  Lucan,  Tacitus,  Seneca,  Horaz,  TibuU,  meist, 
mit  den  beiden  Freunden  meiner  Eltern,  Alxinger  und 
Haschka,  deren  kenntnisreiche  Erklärungen  mir  das 
Verständnis  dieser  Schriften  erleichterten  und  meinen 
Geschmack  leiteten;  ja  sogar  einige  Satiren  des  Juvenal 
und  Persius  durfte  ich  unter  Alxingers  Anleitung  und 
nach  strenger  Auswahl  lesen.  Großen  Eindruck  machten 
einige  Stellen  des  Virgil,  die  ich  jetzt  noch  auswendig 
weiß,  auf  mein  Gefühl  —  und  häufige  Tränen  flössen 
dem  Tode  desNisus  undEuryalus,  sowie  dem  des  Turnus, 
den  ich,  sowie  beim  Homer  den  Hektor,  nun  einmal  als 
den  unschuldig  Verfolgten  und  Beeinträchtigten  in  mein 
Herz  geschlossen  und  gegen  den  Äneas  in  Schutz  ge- 
nommen hatte.  Vielleicht  war  der  Umstand,  daß  ich 
Blumauers  Travestie  früher  als  das  Original  gelesen, 
viel  schuld  an  meiner  Abneigung  gegen  den  frommen 
Helden,  aber  ich  konnte  nicht  umhin,  diesen  Mann, 
der  der  begegnenden  Nymphe  in  den  Lybischen  Wäl- 
dern sich  selbst  als  den  „pius  Aeneas  fama  super 
aethera  natus"  ankündigt  ^^2),  bei  jeder  Gelegenheit 
steif  und  fade  zu  finden  und  immer  in  ihm  den  Äneas 

134 


eanz    von    Butter   zu    sehen,    wie   ihn  Blumauer   auf 
einer  Torte  darstellt*)  ^ss). 

Viel  tiefer  aber  ergriffen  mich  des  Tacitus  und 
Seneca-^chriften  und  die  Gesinnungen,  die  in  den- 
selben;  ausgedrückt  sind.  Vieles  übersetzte  ich  mir 
daraus,  machte  aus  andern  Auszüge  und  strebte,  so- 
viel ich  konnte,  in  den  Geist  dieser  beiden  Schrift- 
steller und  besonders  des  Seneca  einzudringen.  Ich 
hatte  eine  Jugendfreundin,  ein  Fräulein  von  Rave- 
net^^*),  die  im  Hause  sehr  werter  Freunde  meiner 
Eltern  erzogen  wurde.  Ihr  leuchteten,  als  die  würdig- 
sten Beispiele  weiblicher  Tugend,  die  Gemahlin  und 
Schwiegermutter  ihres  Pflegevaters,  des  Regierungs- 
rates von  Heß,  vor;  zwei  Frauen,  deren  Erinnerung 
mir  noch  jetzt  vorschwebt  2^^),  und  deren  Charakter 
ich  in  der  Larissa  meines  Agathokles  zu  schildern  mich 
bestrebt  habe.  Josefinen,  so  hieß  meine  Freundin, 
mit  der  mich  eine  große  Ähnlichkeit  der  Geistesrich- 
tung verband  —  denn  auch  sie  erhielt  eine  mehr  als 
gewöhnliche  Bildung  und  vielseitigen  Unterricht  — 
teilte  ich  denn  auch  meine  Liebe  und  Verehrung  für 
den  Seneca  mit.  Sowie  er  fleißig  an  seinen  Lucilius 
schreibt,  und  jedem  Briefe  eine  kleine  Gabe,  irgend- 
eine Sentenz,  einen  Gedanken  als  eine  Frucht  seiner 
Lektüre  anderer  Autoren  beifügt,  so  schrieb  auch  ich 
Josefinen  oft  aus  einem  Hause  in  das  andere  (denn 
wir  wohnten  nahe)^^^)  bogenlange  Briefe  über  alle 
kleinen  Vorfälle,  die  sich  mit  mir  ereigneten  und  fügte 
dem  Briefe  einen  Spruch  des  Seneca  bei,  von  welchem 
oft  der  ganze  Brief  nur  eine  Erläuterung  war. 

Ich  stand  damals,  wie  ich  glaube,  auf  einem  Wende- 
punkte meines  Lebens,  wo  das  fröhliche  Mädchen  sich 

)  In  Blumauers  Äneis. 


von  der  ernsten  Jungfrau  scheidet.  Und  wenn  dies  bei 
mir  vielleicht  etwas  später  als  bei  andern,  nämlich 
erst  im  20,,  21.  Jahre  geschah,  so  muß  ich  bemerken, 
daß  eine  sehr  gesunde  körperliche  Konstitution  (ich 
war  eigentlich  nie  krank  gewesen),  ein  leichtes  Blut, 
ein  lebhafter  und  doch  klarer  Geist,  eine  unvertilg- 
bare  Anlage  zur  Frömmigkeit  und  eine  im  ganzen 
glückliche  äußere  Lage  mir  von  jeher  viele  Heiterkeit 
und  Lebensfreudigkeit  erhalten  hatten.  So  war  ich 
lange  dem  Frohsinn  und  der  Empfänglichkeit  für  ge- 
ringe Freuden  nach  ein  glückliches  Kind  geblieben, 
als  ich  schon  mehr  als  halb  zu  den  erwachsenen  Mäd- 
chen gehörte,  so  erhielt  eben  dieser  Frohsinn  sich  auch 
noch  bei  reiferen  Jahren  in  mir  und  hat  mich  tief  ins 
Alter  begleitet.    Gott  sei  dafür  gedankt  !^^^^) 

Dieser  Frohsinn  war  aber  jener  ernsten  Richtung 
meines  Geistes,  die  dieser  jetzt  zu  nehmen  anfing,  nicht 
im  geringsten  hinderlich,  vielmehr  fand  er  seine  Rech- 
nung auf  gewisse  Art  noch  besser  dabei.  Denn  wenn 
jene  strengeren  Ansichten  derStoa^'),  wenn  die  groß- 
artige Denk-  und  Empfindungsart  der  römischen 
Klassiker  mich  viele,  bisher  von  mir  und  andern  meines 
Geschlechts  geschätzte  und  gesuchte  Dinge  in  ihrer 
eigentlichen  Nichtigkeit  erkennen  ließen,  so  lernte  ich 
durch  eben  diese  Bücher  auch,  mich  über  vieles,  was 
andere  betrübte,  beruhigen.  Mir  erschien  eine  höhere 
Weltordnung;  ich  konnte  mich  mit  meinen  Hoff- 
nungen und  Erwartungen  jetzt  leichter  über  die  Be- 
dingungen unsers  irdischen  Seins  erheben.  Die  Ruhe, 
mit  der  ich,  selbst  in  früheren  Jahren,  an  den  Tod 
gedacht  hatte,  begründete  sich  mehr  und  mehr,  und 
jene  Ansichten,  die  späterhin  Schiller  in  zwei  Versen 
so  unübertrefflich  schön  und  wahr  ausgedrückt  hat: 

136 


Das  Leben  ist  der  Güter  höchstes  nicht, 
Der  Übel  größtes  aber  ist  die  Schuld  ^''^); 

entwickelten  sich,  nicht  so  klar  und  erschöpfend,  wie 
dieser  erhabene  Dichter  sie  ausspricht,  aber  doch  in 
bestimmtem  und  unbestimmtem  Anklängen  in  meiner 
Seele.  Sie  ließen  mich  Glück  und  Unglück,  Leben  und 
Tod,  Gegenwart  und  Zukunft  in  ernsten,  aber  heitern 
Beziehungen  sehen,  und  benahmen  selbst  dem  Tode 
immer  mehr  seine  Schrecken,  denn  er  war  ja,  wie  Seneca 
sagt:  „der  Geburtstag  der  Ewigkeit" ^^. 

Die  Natur  hatte  von  jeher  lebhaft  an  mein  Gemüt 
gesprochen,  jetzt  fühlte  ich  mich  immer  mehr  zu 
ihr  hingezogen;  Herders  Ideen,  von  denen  ich  zu- 
vor gesprochen,  Bonnets  Betrachtungen  über  die 
Natur ^^^);  ein  kleines  Buch,  das  vielleicht  wenige 
kennen:  La  chaumiere  indienne  von  Bernardin  de 
St.  Pierre  (aus  dem  Michel  Beer  seinen  Paria  ge- 
schöpft) 2^°),  öffneten  mir  gleichsam  das  geistige  Auge, 
um  die  Wunder  der  Natur  zu  erkennen  und  sie  in  ihren 
geheimnisvollen  Beziehungen  auf  uns  und  unser  Ver- 
halten zu  betrachten.  Damals  faßte  ich  die  erste  Idee 
zu  den  Gleichnissen ^^^).  Wenn  ich  einsam,  aber 
recht  seelenvergnügt  durch  den  weitläufigen  Garten 
meiner  Eltern  wandelte,  wenn  ich  an  Gott  dachte, 
seine  Gegenwart  zu  fühlen  glaubte  und  dann  meinen 
Blick  auf  Blumen,  Gräser,  Bäume  richtete,  dann  traten 
allerlei  seltsame  und,  wie  es  mir  vorkam,  geheimnisvolle 
Beziehungen  zwischen  der  körperHchen  und  sittlichen 
Welt  mir  vor  Augen,  und  der  Gedanke,  daß  ähnliche 
Gesetze  in  beiden  regierten,  ergriff  mich  mit  großer 
Gewalt.  Ich  versuchte  es,  ihn  darzustellen,  und  so 
entstanden  die  Gleichnisse,  die  ich  damals,  weit  ent- 
fernt, an  die  Bekanntmachung  einer  so  unbedeutenden 

137 


Kleinigkeit  zu  denken,  bloß  meiner  Freundin  Josefine 
zugedacht  und  in  einer  reinlichen  Abschrift  mit  einer 
D6dicace  in  Versen  ihr  übergeben  hatte. 

Es  ist  vielleicht  hier  der  Ort,  mich  auch  über  meine 
Ansichten  von  der  Freundschaft  auszusprechen.    Sie 
waren    denen    der    Alten    nachgebildet,    und    folglich 
streng  und  vv^ürdig.    Mir  galt  die  Freundschaft  als  ein 
Bund  für  das  Leben  und  noch  weiter  hinaus,  dessen 
eigentlicher     Zweck    gegenseitige     Vervollkommnung 
war.    Jener  Ausspruch  Ciceros  (wenn  ich  nicht  irre): 
Omnia    cum    amico    delibera,    sed   prius    te   ipso  ^^2^, 
schwebte  mir  vor.   Jedes  Verhehlen  auch  nur  eines  Ge- 
dankens oder  Gefühles  schien  mir  Verrat.    Wohl  sollte 
meine  Freundin  jedes  kleine  Begegnis,  das  ich  erlebte, 
erfahren;  aber  das  Erzählen  desselben  war  nicht,  wie 
ich  es  bei  den  meisten  meiner  Gespielinnen  sah,  der 
einzige  Zweck  dieses  Vertrauens;  denn  dazu  hätte  ja 
wohl  die  Grube  hingereicht,  in  welche  jener  geschwätzige 
Barbier  des  Königs  Midas  sein  Geheimnis  hineinrief. 
Nein,  meine  Freundin  sollte  mich  ganz  erkennen,  be- 
urteilen, ermahnen,  tadeln,  mit  einem  Worte,  bessern 
können,  sowie  ich  das  gleiche  bei  ihr  zu  tun  bereit  war. 
Hierzu   ist   nun   freilich   eine   große   Ähnlichkeit   der 
Jahre,    der   Bildungs-   und    Lebensweise    erforderlich 
Es  gehört  aber  auch,  um  solch  ein  Band  in  seiner  ganzen 
Würde    und    Schönheit    aufrecht    zu    erhalten,    dazu, 
daß  jene  Bedingungen  fortdauern.    Ändern  sich  die 
Beziehungen   der  beiden  Personen  zueinander  merk- 
lich, führen  Schicksale,  fremde  Einwirkungen  die  eine 
oder  die  andere  einen  ganz  verschiedenen  Lebensweg 
und  hält  sie  lange  auf  demselben,  so  daß  dessen  Ge- 
wohnheiten   und    Einflüsse    die    früheren    Eindrücke 
verwischen,  so  kann  wohl  Neigung  und  Achtung  noch 

138 


wie  ehemals  fortbestehen,  aber  die  feineren  Beziehun- 
gen, der  innere  Anklang,  der  der  Empfindung  oder  dem 
Gedanken  der  verwandten  Seele  entgegenkommt,  müs- 
sen sich  dann  verlieren. 

Etwa  um  diese  Zeit  wurden  mir/  zwei  Bücher  zu 
lesen  erlaubt,  von  denen  ich  früher  sehr  viel  gehört  und 
sie  oft  näher  zu  kennen  gewünscht  hatte.  Doch  meine 
Mutter  hatte  es  für  zweckmäßig  gehalten,  solange  sie 
mein  Herz  für  zu  empfänglich  und  meinen  Geist  für 
noch  nicht  reif  genug  hielt,  mir  dieselben  (es  waren  der 
Werther  und  Agathon)  zu  entziehen.  Nun  las  ich 
sie,  und  sowohl  meine  Mutter  als  ich  selbst  mußten 
uns  wundern,  daß. der  Eindruck,  welchen  diese  Werke 
auf  mich  machten,  ganz  dem  erwarteten  oder  gefürch- 
teten entgegengesetzt  war. 

Mich  ließ  der  Werther  ^63)^  als  Roman,  kalt,  so  leb- 
haft mich  die  Schönheit  der  Darstellung,  die  psycho- 
logische Wahrheit  der  Charaktere,  die  tiefe  Kenntnis 
des  menschlichen  Herzens,  die  Naturschilderungen  usw. 
anzogen.  Meine  Phantasie,  deren  Aufregung  man 
hauptsächlich  gefürchtet  hatte,  blieb  ruhig;  —  dieser 
junge  Mann  (Werther)  flößte  mir  kein  Interesse  ein; 
denn  ich  konnte  ihn  nicht  achten,  höchstens  Mitleid 
mit  dem  verschrobenen  Gemüte  haben,  dem  es  nur 
immer  nach  dem  Verwehrten  lüstete,  weil  es  verwehrt 
war,  und  an  dessen  endhcher  Verzweiflung  und  Selbst- 
mord gekränkte  Eitelkeit  und  zurückgewiesene  An- 
maßung in  jener  Gesellschaft  des  Präsidenten  wohl 
ebensoviel,  wo  nicht  größern  Teil  hatte,  als  seine  un- 
glückliche Leidenschaft.  Ich  prüfte  mich  aufmerksam, 
und  ich  glaubte  damals,  wenn  ich  durchaus  zwischen 
ihm  und  Albert  hätte  wählen  müssen,  ich  mich  doch 
eher  für  den  letztern  entschieden  haben  würde,  der  mir 

139 


als  Gefährte  für  ein  ganzes  Leben  viel  würdiger  und 
passender  vorkam. 

So  ging  beim  Werther  die  gefürchtete  Gefahr  für 
meine  unruhige  Einbildungskraft  schadlos  vorüber,  und 
was  es  immer  gewesen  sein  mochte,  das  meine  Mutter 
abhielt,  mir  den  Agathon^^*)  früher  in  die  Hand  zu 
geben  —  ob  Besorgnis  vor  den  zu  lüsternen  Schilde- 
rungen oder  den  philosophischen  Ansichten,  die  das 
Buch  enthielt  —  genug,  auch  diese  Stacheln  glitten 
ab  an  mir.  Zwar  erregten  der  Charakter  und  die  Schick- 
sale Agathons  meine  lebhafteste  Teilnahme,  und  ich 
fühlte  viel  mehr  für  ihn  und  mit  ihm  als  für  Werther; 
aber  die  Stelle,  welche  den  tiefsten,  unauslöschlichsten 
Eindruck  auf  mich  machte,  einen  Eindruck,  der  lange 
in  mir  nachwirkte,  war  die  Schilderung  jener  Periode 
in  Agathons  Leben,  als  er  und  Psyche  im  heiligen  Haine 
zu  Delphi  miteinander  erzogen  wurden  ^^^).  Dies 
stille,  gleichsam  im  Heiligtume  der  Gottheit  ver- 
borgene Leben,  das  wie  ein  ruhiger  Bach  einförmig, 
aber  klar  dahinfloß,  und  in  dessen  heller  Tiefe  sich  der 
Himmel  und  der  Gott  spiegelte,  dem  beide  dies  Leben 
gewidmet  glaubten,  die  reinen  und  doch  so  warmen 
Gefühle,  welche  die  jungen  Herzen  aneinanderzogen 
und  ihnen  doch  nichts  von  ihrer  Unschuld  und  Fröm- 
migkeit nahmen,  rührten  und  bewegten  mich  aufs 
tiefste.  Das  war  ein  irdisches  Paradies,  in  dem  ich 
mich  unendlich  selig  gefunden  haben  würde,  wenn 
es  Gott  gefallen  hätte,  mich  in  ein  solches  zu  versetzen 
und  die  Wunden,  an  denen  mein  Herz  im  stillen  noch 
immer  blutete,  vermehrten  die  wehmütige  Sehnsucht, 
welche  jenen  Zustand  vor  den  Augen  meines  Geistes 
mit  himmlischem  Lichte  verklärte. 

Ich  war  nicht  bestimmt,  ein  solches  Glück  zu  ge- 

140 


nießen!  Zweimal  hatte  sich  ein  trügerischer  Schimmer 
desselben  mir  gezeigt,  zweimal  war  er  verschwunden; 
hatte  sich  das  erstemal  in  die  erbärmlichste  Prosa  auf- 
gelöst, war  das  zweitemal  durch  Flattersinn  zerstört 
worden. 

Je  schmerzlicher  ich  diese  Ausschließung  von  jener 
Seligkeit  fühlte,  die  ich  dem  frommen  Paar  im  heiligen 
Hain  so  tief  und  lebhaft  nachempfand,  je  leichter 
und  lebendiger  entwickelte  sich  der  Gedanke  in  mir, 
das  Glück  der  Liebe  und  häusHche  Freuden  seien  nicht 
das  Los,  welches  mir  die  Vorsicht  zugedacht  und  diese 
Ansicht  setzte  sich  durch  verschiedene,  zufällig  zusam- 
mentreffende Umstände  immer  fester  in  meinem  Ge- 
müte.  Aber  auch  sie  benahm  mir  meine  innere  Heiter- 
keit nicht ;  denn  ich  hatte  mich,  durch  reHgiöse  Trost- 
gründe und  durch  Young  und  Seneca  gestärkt,  mit 
ruhiger  Wehmut  in  dies  Geschick  ergeben,  und  strebte 
jetzt  nur  dahin,  diese  neue  Ansicht  mit  meinen  übrigen 
Verhältnissen  und  meinen  Aussichten  für  meine  kom- 
menden Jahre,  wenn  ich  sie  erreichen  sollte,  in  Ein- 
klang zu  bringen. 

Jene  Schilderung  von  Agathons  und  Psyches  Lebens- 
weise in  Wielands  Werke;  viele  Stellen  im  Seneca, 
welche  Mäßigkeit,  Beherrschung  der  Leidenschaften 
und  Begierden,  Geringschätzung  der  rauschenden  Welt- 
freuden lehrten  und  uns  dadurch  den  Weg  zur  wahren 
geistigen  Freiheit  zeigten;  Youngs  Aussichten  in  jene 
bessere   Welt,   welche   die   Rätsel   der   gegenwärtigen  j- 

lösen  sollte  —  Nothing  this  world  unriddles  but  the 
next266)  —  endHch  allerlei  seltsame  Ansichten, 
Ahnungen,    Ereignisse   usw.,    welche   ich   aus    Erzäh-  * 

lungen  glaubhafter  Menschen  und  aus  manchen 
Büchern,   vorzügHch  aus  Moritz  Magazin  der  Seelen- 

141 


erfahrungskunde^^')  geschöpft,  hatten  mir  Ideen 
von  einer  schon  auf  Erden  möglichen  Annäherung 
an  die  Geisterwelt  gegeben.  Es  schien  mir  nicht 
untunlich,  daß  der  Mensch  durch  große  Mäßigkeit  in 
allen  sinnlichen  Genüssen,  durch  große  Stille  und  Ein- 
fachheit der  Lebensweise,  durch  strenge  Herrschaft 
über  seine  Leidenschaften  und  Regungen,  durch  steten 
Rückblick  auf  Gott,  in  einem  nützlich,  aber  nicht  zu 
sehr  beschäftigten  Leben,  es  schon  auf  Erden  zu  einer 
hohen  Stufe  der  Vollkommenheit,  ja  vielleicht  dahin 
bringen  könnte,  wenigstens  auf  einzelne  Lichtmomente 
seines  Lebens,  seinen  Geist  der  Herrschaft  des  Körpers 
zu  entziehen  und  sich  der  Geisterwelt  zu  nähern  oder 
wenigstens  hellere  Blicke  in  dieselbe  werfen  zu  dürfen. 

Diese  Vorstellungen  beschäftigten  mich  sehr.  Ich 
sammelte  mit  Fleiß  alles,  was  ich  in  klassischen  und 
andern  Schriftstellern  damit  Übereinstimmendes  fand. 
Ich  entwarf  meinen  künftigen  Lebensplan,  und  nachdem 
ich  alles  reiflich  erwogen  und  geordnet  hatte,  brachte 
ich  einen  Aufsatz  zu  Papier,  den  ich  in  Briefform  an 
Josefinen  richtete,  und  der  ungefähr  folgende  An- 
sichten und  Vorschläge  enthielt.  ^68) 

Wir  wollten  beide  unverheiratet  bleiben,  da  ich 
eine  Ehe  ohne  Liebe  für  Entheiligung  hielt  und  dieser 
Leidenschaft,  nach  zweimaliger  Täuschung,  mein  Herz 
abgestorben  glaubte.  Die  Lage  meiner  Freundin  ver- 
sprach damals  auch  ihr  keine  glänzenden  Aussichten; 
so  wollten  wir  denn,  wenn  wir  unsere  Pflichten  gegen 
unsere  Eltern,  solange  sie  lebten,  erfüllt  haben  würden, 
mit  dem  nicht  beträchtlichen,  aber  hinreichenden 
Erbteil,  welches  ich  hoffen  konnte,  uns  eine  kleine  Be- 
sitzung auf  dem  Lande  kaufen  und  dort  still  beisam- 
men leben.  ^ 


142 


Um  aber  auch  andern  nützlich  zu  werden,  und  das 
Gute,  welches  wir  beide  für  das  Höchste  hielten,  sittliche 
Ausbildung,  nach  unsern  Kräften  zu  verbreiten,  woll- 
ten wir  einige  Mädchen  aus  der  Nachbarschaft  zu  uns 
nehmen  und  erziehen.  Das  sollte  unser  mäßiges  Tage- 
werk sein;  außerdem  aber  wollten  wir  so  viel  mög- 
lich abgezogen  und  beschaulich  leben,  wenig  Um- 
gang und  Verkehr  mit  andern  Menschen  haben,  und 
selbst  unsere  Nahrungsweise  sollte  darauf  hinzielen,  das 
Irdische  an  uns  ja  nicht  ohne  Not  zu  vermehren.  Wir 
woUten  uns  nämlich  nur  von  Pflanzenspeisen  nähren 
(ich  hatte  damals  eben  die  Rede  des  Pythagoras  in  den 
Metamorphosen 2^^)  gelesen),  grobe  Fleischnahrung, 
Wein  und  alle  Leckereien  vermeiden  und  so  dahin 
streben,  uns  schon  hienieden  soviel  als  möglich  zu  ver- 
geistigen, damit  unsere  Seelen,  wenn  der  Tod  sie  einst 
abriefe,  keine  so  schwere  Hülle  abzustreifen  und  nur 
lockere  Bande  zu  zerbrechen  hätten.  Alle  diese  An- 
sichten und  Vorschläge  waren  mit  Zitationen  aus  den 
Schriftstellern,  die  meine  beständige  Lektüre  aus- 
machten, und  aus  denen  ich  jene  Ideen  auch  ge- 
schöpft, belegt. 

Diese  Arbeit  machte  ich  während  eines  Sommers 
auf  dem  Lande  mit  großer  Liebe  und  ebenso  großem 
Fleiße  und  fühlte  mich  ungemein  beruhigt,  getröstet, 
gestärkt,  als  ich  sie  vollendet  und  nun  den  Pfad  für 
mein  künftiges,  einsames,  aber  nicht  zweckloses  Dasein 
mir  fest  vorgezeichnet  zu  haben  glaubte.  Was  ist  der 
Mensch  und  seine  Entwürfe! 

Ich  war,  wie  ich  schon  einmal  in  diesen  Blättern 
berührt,  eigentlich  nie  krank  gewesen,  und  ein  kaltes 
Wechselfieber  mit  einer  Ergießung  der  GaUe,  die  mich 
sehr  verdroß,  weil  sie  mich  auf  eine  Weile  sehr  ent- 

H3 


stellte,  waren  bisher  meine  einzigen  körperlichen  Leiden 
gewesen.  Doch  auch  selbst  während  dieser  kleinen  An- 
fälle, die  sich  durch  zwei  Sommer  wiederholten,  lag 
ich  nur  selten  und  nur  auf  Stunden  zu  Bette,  und  meine 
kräftige  Natur  überwand  den  bösen  Keim  gänzlich. 

Daß  mir  nur  eine  seltsame  Geneigtheit  zu  Er- 
gießungen der  Galle  überblieb,  die  sich  dann  jedesmal, 
wenn  irgendeine  andere  Unpäßlichkeit  oder  noch 
vielmehr  ein  Kummer,  eine  schwere  Sorge  mich  drück- 
ten, durch  eine  gelblichere  Hautfarbe  offenbarte,  wo- 
bei sich  selbst  im  Weißen  der  Augen  ein  gelblicher 
Schein  zeigte,  diese  Geneigtheit  währte  lange  bei  mir 
und  bis  in  meine  höheren  Jahre  hin 2'°). 

In  jener  Epoche  aber,  wo  ich  den  obenerwähnten 
Aufsatz  schrieb,  war  ich  völlig  gesund.  Die  Fieberan- 
fälle hatten  sich  nicht  mehr  gezeigt,  ich  genoß  eines 
ungestörten  Wohlseins  und  habe  jene  Krankheitszufälle 
nur  darum  berührt,  um  mit  mehr  Bestimmtheit  zu 
zeigen,  daß  kein  körperliches  Übel  damals  Einfluß  auf 
meinen  Seelenzustand  hatte.  Dennoch  hatte  sich  mei- 
ner eine  Art  von  Todesahnung  bemächtigt.  Wir  stan- 
den damals  am  Anfange  des  Winters;  —  ich  war,  Gott 
weiß  warum,  fest  überzeugt,  daß  ich  ihn  nicht  über- 
leben und  der  nächste  Frühling  mein  Grab  begrünen 
würde.  Dies  war  mir  so  ausgemacht,  daß  ich  einen 
prächtigen  MousseHn,  den  ich  damals  bei  einer  Freun- 
din meiner  Mutter,  der  Gräfin  Truchseß  Zeill^'^) 
zum  Geschenk  erhalten  hatte,  die  ihn  mir  von  einer 
Reise  in  die  Schweiz  mitgebracht,  gar  nicht  machen 
lassen  wollte,  damit  ihn  die  Mutter  gleich  behalten 
und  für  sich  zurichten  lassen  könnte.  Diese  Gewißheit 
meines  nahen  Todes  beunruhigte  mich  aber  nicht  im 
geringsten.    Ich  setzte  sogar  mit  Vergnügen  eine  Art 

144 


Karoline  von  Greiner  (?)  ^) 

Pastellbildnis  von  Gabriele  Beyer  (1786) 
k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste,  Wien 

)  Karl  von  Lützow  (Geschichte  der  k.  k.  Akademie  der  bildenden  Künste, 

Wien  1877,  S.  74  f.)  bestimmt  dieses  Bild,  wohl  mit  Unrecht  (vgl.  Bild 

Nr.  i),  mit  ,, Karoline  von  Greiner". 


Testament  auf,  worin  ich,  da  ich  kein  Eigentum  besaß, 
meine  Eltern  bat,  aus  meinen  kleinen  Habseligkeiten 
von  Nippen,  Geschmeide  usw.  meinen  Freundinnen 
Andenken  bestimmen  zu  dürfen. 

Literarisch  oder  eigentlich  poetisch  beschäftigte  ich 
mich  damals  nicht  viel.  Mein  Gefühl  war  zu  sehr  ver- 
letzt und  meine  Gedanken  zu  sehr  teils  mit  jenen  ern- 
sten Vorstellungen,  teils  mit  wirkHchen  und  prosaischen 
Dingen  erfüllt.  Meine  Mutter  war,  trotz  ihres  hoch- 
gebildeten Geistes  und  dem  glänzenden  Fuße,  auf 
dem  unser  Haus  eingerichtet  war,  ihrer  Wirtschaft 
bis  ins  kleinste  Detail  stets  selbst  vorgestanden,  und 
hatte  mich  schon  früh  ebenfalls  dazu  angehalten.  Sie 
wehrte  mir  nicht,  meinen  Geist  zu  bilden,  ja  sie  hielt 
mich,  wie  man  sich  durch  die  Lesung  dieser  Blätter 
überzeugt  haben  wird,  selbst  dazu  an.  Aber  —  und 
diese  Ansicht  werde  ich  ihr  ewig,  nebst  so  vielem  andern 
danken  —  aber  jene  Beschäftigungen  durften  erst  an  die 
Reihe  kommen,  wenn  jeder  häuslichen  Pflicht,  jeder 
nötigen  Arbeit  ein  Genüge  geschehen  war.  Sie  sagte 
mir  oft:  das  Hauswesen  in  Ordnung  zu  halten,  ist  der 
Frauen  erste  Pflicht ;  diese  muß  streng  und  vollständig 
erfüllt  werden.  Bleibt  uns  dann  Zeit  übrig,  so  dürfen 
wir  sie  nach  Gefallen  auf  erlaubte  Dinge  verwenden. 
Die  eine  geht  spazieren,  die  zweite  macht  künstliche 
Arbeiten,  eine  dritte  empfängt  und  gibt  Besuche  oder 
liest  Romane;  —  willst  du  in  deinen  freien  Stunden 
dich  mit  Poesie,  mit  Übersetzungen  aus  fremden  Spra- 
chen (was  ich  ^rn  und  häufig  tat)  beschäftigen,  so  ist 
dir  dies  unvervvehrt;  aber  dem  Hauswesen  darf  kein 
Abbruch  dadurch  geschehen. 

In  eben  diesem  Sinne  hielt  sie  mich  zur  Sparsam- 
keit und  zur   Selbsttätigkeit   an.     Ich  mußte  lernen, 

10    C.  P.  I  i^.  • 


mich  soviel  wie  möglich  überall  zu  behelfen,  mich 
selbst  zu  bedienen  und  vorzüglich  meinen  ganzen  Putz 
selbst  zu  verfertigen.«  Damals  waren  die  Frisuren  künst- 
lich und  zeitraubend;  ich  mußte  mir,  vom  Wickeln 
und  Brennen  der  Haare  an,  bis  zum  Putz  mit  Blumen 
und  Federn  alles  dies  selbst  leisten,  meine  Hauben  und 
Hüte  selbst  stecken,  und  ich  lernte  es  endlich  so  gut, 
daß  ich  meinen  Freundinnen  hierin  half,  manches 
Käppchen  oder  Häubchen  für  andere  verfaßte,  und 
selbst  meine  Blumen  zum  Putz  verfertigte.  Bei  diesen 
Ansichten  war  ihr  nun  freilich  die  große  Liebe  meines 
Vaters  zur  Musik  und  die  Forderungen,  die  er  deswegen 
an  mich  stellte,  oft  ein  Anstoß.  Mit  Klavierspielen, 
Üben,  Produzieren,  Singen  gingen  viele  Stunden  des 
Tages  hin,  und  das  billigte  meine  Mutter  wohl  nicht; 
aber  sie  vermochte  es  nicht  zu  ändern,  nur  zu  mäßigen. 

Durch  vieles  Lesen,  besonders  beim  Kerzenlicht  und 
in  oft  schlechtgeschriebenen  Papieren,  welches  meine 
Mutter  während  ihres  Dienstes  bei  der  seligen  Kaiserin 
täglich  durch  mehrere  Stunden  üben  mußte,  vielleicht 
auch  durch  körperliche  Disposition,  fingen  ihre  Augen 
eben  zu  jener  Zeit  an,  sehr  zu  leiden.  Lesen  und  Schrei- 
ben kostete  sie  viele  Anstrengung,  ich  wurde  also  all- 
mählich von  ihr  auch  in  diesen  Teil  des  Hauswesens  ein- 
geführt und  mußte  für  sie  alle  Rechnungen,  Schreibe- 
reien, Quittungen,  Briefe,  Attestate,  kurz  alles,  was  in 
einer  Wirtschaft  und  bei  Grundbesitz  (meine  Eltern 
hatten  mehrere  Häuser  in  und  vor  der  Stadt)  ^'2)  vor- 
fällt, verfassen  lernen.  Überdies  ließ  sie  sich  viel  von 
mir  vorlesen,  da  ihre  Augenschwäche  ihr  diese,  sonst  so 
werte  Beschäftigung  nur  selten  gestattete. 

Man  kann  leicht  erachten,  daß  meine  Zeit  unter 
diesen  Umständen  sehr  besetzt  war.  Meistens  hatte  ich 

146 


ein  gutes  Teil  mehr  Arbeit  vor  mir,  als  wozu  der  Tag 
hinreichte,  und  meine  poetischen  Übungen  wurden 
ziemlich  auf  die  Seite  gedrängt.  Dennoch  lernte  ich 
nach  und  nach  meine  Stunden  so  haushälterisch  ein- 
teilen, die  verschiedenen  Geschäfte,  die  mir  oblagen, 
so  ineinander  passen,  so  manche,  wo  es  sich  tun  ließ, 
gleichzeitig  verrichten,  daß  ich  es  dahin  brachte,  allem, 
was  meine  Mutter  im  Haushalt,  mein  Vater  für  seine 
Musikübungen,  endlich  unsere  ganze  Lebensweise  an 
geselliger  Rücksicht,  mit  Putz  und  Empfang  zahl- 
reicher Besuche  von  mir  forderte,  zu  leisten,  und  doch 
noch  hier  und  dort  ein  Stündchen  für  einsamen  Ge- 
nuß, der  mir  zum  Bedürfnis  geworden  war,  und"  lite- 
rarische Arbeiten  zu  finden.  Diese  genoß  ich  denn 
auch  mit  doppelter  Lust,  und  habe  mich  durch  eigene 
und  fremde  Erfahrung  in  meinem  langen  Leben  über- 
^  zeugt,  daß  Dichter  und  Künstler,  die  nichts  als  dieses 
g  waren  und  sein  wollten,  sich  selten  mit  Glück  in  dieser 
^ allzu  unbestimmten  Bahn  hielten,  und  noch  viel  sel- 
rtener  ein  großes  Ziel  erreichten.  Daß  aber  jene  unter 
ihnen,  die  außer  ihrer  Kunst  sich  noch  irgendeiner 
andern,  ernsten  Beschäftigung  ergeben  hatten,  diese 
mit  strengem  Pflichtgefühl  trieben,  und  die  Muse  mehr 
wie  eine  Geliebte,  als  wie  ihre  Hausfrau  betrachteten, 
meist  Größeres  und  Allgemeingültigeres  leisteten.  Gar 
7n  selten  sind  jene  privilegierten  Geister,  die  die  Kunst 
in  allen  ihren  Tiefen  zu  erfassen  und  zu  halten  ver- 
mögen, ohne  auf  Abwege  dabei  zu  geraten.  Selbst  diese 
Freiheit  und  Ungebundenheit  von  jedem  bürgerlichen 
Verhältnisse  wird  oft  zur  Verräterin  an  ihrer  Kunst, 
noch  öfter  an  ihrem  sittlichen  Wert  oder  ihrem  physi- 
schen Wohl.  Daher  habe  ich  es  stets  für  höchst  gefähr- 
hch  gehalten,  wenn  ein  junger  Mensch  den  Vorsatz 

10* 

147 


äußerte,  sich  keinen  bürgerlichen  Beruf  zu  erwählen, 
sondern  der  Kunst  zu  widmen,  wie  sich  diese  Leute 
auszudrücken  pflegen.  Im  Grunde  heiJ3t  das  gewöhn- 
lich nichts  anders,  als  einen  Freibrief  suchen,  um  gar 
nichts  zu  tun.  Hat  aber  einer  den  göttlichen  Funken 
wirklich  in  der  Brust,  spricht  die  Kunst  oder  Wissen- 
schaft wirklich  allmählich  an  sein  Gemüt,  so  fürchte 
man  ja  nicht,  wie  ich  es  oft  von  verblendeten  Eltern 
gehört,  diesen  Funken  zu  ersticken,  indem  man  den  Jüng- 
ling zu  ernsten  Berufsstudien,  die  Tochter  zu  Häuslich- 
keit, Fleiß  und  Wirtschaft  anhält.  Da  erprobt  sich  erst 
die  Echtheit  der  Begeisterung  und  durch  Zwang  und 
Hindernisse  macht  das  wahre  Talent  sich  Bahn,  wie  ich 
es  oft  erlebt  habe  und  namentliche  Beispiele  anführen 
könnte.  Carpani  vergleicht  in  seinem  Werke:  Le  Hay- 
dine^'^,  wo  er  von  diesen  höhern  Anlagen  spricht,  die 
der  Mensch  oft  unbewußt  in  sich  trägt,  und  die  sich 
auch  unter  den  ungünstigsten  Umständen  Platz  zu 
machen  wissen,  diese  mit  einer  schönen  Statue,  die  noch 
in  dem  unbearbeiteten  Marmorblocke  verschlossen  liegt: 
„Die  Statue  ist  schon  da,  aber  es  bedarf  gewöhnlich 
der  Arbeit  des  Meißels,  um  sie  zutage  zu  fördern.  Ist 
sie  aber  rechter  Art,  so  springt  sie  wohl  selbst  aus  dem 
Blocke  hervor."  Diesen  Ansichten,  die  meine  gute,  ver- 
ständige Mutter  in  mein  noch  jugendliches  Gemüt 
legte,  meinem  Gehorsam,  sie  zu  befolgen  und  viel- 
jähriger Übung  danke  ich  es  nun  im  Alter,  daß  ich  bei 
vieler  Anlage  zur  Poesie,  bei  vieler  Zeit,  die  ich  der  Be- 
schäftigung damit  widmete,  so  daß  ich  in  dem  langen 
Räume  meines  Lebens  die  Zahl  meiner  Werke  bis  gegen 
50  Bände  brachte,  doch  meine  häuslichen  Pflichten, 
wie  ich  zu  Gott  hoffe,  nicht  versäumt,  meiner  Mutter, 
solange  ich  sie  an  meiner  Seite  hatte,  treu  beigestanden, 

148 


meines  Mannes  Leben  erheitert,  und  meine  Tochter 
zu  einer  sehr  braven  Frau  gebildet  habe.  Oft  hörte 
ich  verwundernde  Lobsprüche  darüber,  daß  ich  alles 
dies  so  gut  zu  vereinigen  gewußt  hätte;  ich  kann  aber 
vor  Gott  bekennen,  daß  es  mich  weder  Studien  noch 
Mühe  gekostet,  sondern  daß  alles  aus  früher  Gewöh- 
nung und  den  Lehren  meiner  Mutter  ganz  natürlich 
entflossen  ist. 


Meine  Todesahnungen,  mit  denen  ich  den  Win- 
ter begonnen  hatte,  wollten  sich  im  Laufe  dessel- 
ben nicht  bewähren,  ja  selbst  meine  Stimmung  wurde 
nach  und  nach  wieder  heiterer.  Der  Zyklus  gesell- 
schaftlicher Freuden,  der  sich  jedes  Jahr  im  Hause 
meiner  Eltern  abrollte,  hatte  auch  diesen  Winter  sein 
Recht  behauptet.  Die  theatralischen  Vorstellungen  be- 
gannen, so  wie  wir  vom  Lande  zurückgekehrt  waren; 
dann  kamen  die  wöchentlichen  Quartetten  während  des 
Advents  an  die  Reihe.  Im  Karneval  lösten  ebenso 
wöchentliche  Picknicks  unter  unserer  näheren  Be- 
kanntschaft die  Quartetten  ab,  die  mit  der  Fastenzeit 
wieder  eintraten,  und  nach  Ostern  wurde  das  Theater 
abermals  aufgerichtet  und  fortgespielt,  bis  es  Zeit  war, 
aufs  Land  zu  ziehen.  Noch  eine  Art  von  geselliger 
Unterhaltung  hatte  sich  seit  einiger  Zeit  in  unsern 
Kreisen  etabliert,  die  eigentlich  im  Hause  eines  nähern 
Bekannten,  des  berühmten  Hofrats  von  Born,  begonnen 
hatte,  mit  dessen  jüngerer  Tochter 2''*),  einem  liebens- 
würdigen, sanften  Mädchen,  mich  eine  herzliche  Zu- 
neigung verband,  und  wo  alle  Sonnabende  im  ganzen 
Winter  sich  größere  Gesellschaften  versammelten  2'^)^ 
die  eigentlich  in  drei  Abteilungen  zerfielen.   Den  mit- 

.      H9 


telsten  Salon,  das  eigentliche  Tafelzimmer,  okkupierten 
wir  junge  Leute  und  durften  uns  auch  noch  in  die,  zu 
beiden  Seiten  anstoßenden  Kabinette  verbreiten.  Neben 
dem  Kabinette  linker  Hand  aber  war  der  Salon  der  Hof- 
rätin,  in  welchem  die  Väter  und  Mütter  der  im  Tafel- 
zimmer versammelten  Jugend  oder  andere  ältere  Be- 
kannte der  Frau  vom  Hause  sich  mit  Kartenspielen 
unterhielten,  während  in  dem  Salon  neben  dem 
Kabinette  rechter  Hand  —  dem  Studierzimm.er  des 
ebenso  geistreichen  als  gelehrten  Herrn  vom  Hause, 
sich  Gelehrte,  bedeutende  Fremde  oder  ausgezeichnete 
Geschäftsmänner  höheren  Ranges  einfanden.  Durch 
den  Saal,  in  dem  wir  unser,  oft  sehr  lautes  Wesen  trieben, 
gingen  alle  die  Eingeweihten,  die  in  eines  der  höheren 
Gemächer  zugelassen  wurden;  wir  sahen  sie  durch- 
passieren, wir  knixten  und  verbeugten  uns  achtungs- 
voll und  waren  wieder  froh,  wenn  die  kartenspielende 
Dame  oder  der  gelehrte  Herr,  der  Herr  Graf  oder  Präsi- 
dent linker  oder  rechter  Hand  abdesitiert  und  in  eines 
der  beiden  Heiligtümer  eingegangen  war  2'^).  —  Hier 
wurde  ein  Spiel  eingeführt,  das  große  Ähnlichkeit  mit 
den  zehn  bis  zwanzig  Jahre  nachh  r  ebenso  beliebten 
als  kostspieligen  Tableaux  hatte.  Unsere  Gesellschaft 
teilte  sich  nämlich  in  zwei  ziemlich  gleiche  Hälften, 
und  jede  Partie  stellte  abwechselnd  irgendeine  Szene 
aus  einem  bekannten  Theaterstück,  aus  der  Profan- 
oder heiligen  Geschichte  oder  der  Mythologie  panto- 
mimisch dar.  Die  zur  Verständigung  nötigen  Kostüme 
und  Requisiten  wurden,  so  gut  sich  es  tun  ließ,  aus  den 
nächsten  Umgebungen  herbeigeschafft;  denn  eine 
Hauptsache  war,  daß  die  Zubereitungen  nicht  zu  viel 
Zeit  hinwegnahmen  und  möglichst  viele  Geschichten 
in    einem    Abend    aufgeführt    werden    konnten.     Wir 

150 


nannten  es  auch  Geschichten  spielen.  Aus  dem.Born- 
schen  Hause,  welches  bald  darauf  durch  den  Tod  des 
ausgezeichneten  Mannes  2'^)  und  durch  den  zerrütteten 
Zustand,  in  dem  er  sein  Vermögen  hinterließ,  sich  auf- 
gelöst hatte,  verpflanzte  sich  jenes  Spiel  in  unser  Haus. 
Jeden  Montag  kam  eine  zahlreiche  Gesellschaft  junger 
Leute  bei  uns  zusammen.  Ihre  Eltern  und  auch  andere 
Personen  fanden  sich  mit  ihnen  ein,  und  unterhielten 
sich  recht  gut,  indem  sie  unserm  Spiele  zusahen.  Ver- 
schiedene freundlich  gesinnte  Zuseher  spendeten  uns 
allerlei  Gerätschaften,  Maskenanzüge,  Waffen,  Helme, 
Lanzen,  Mäntel  usw.,  und  es  bildete  sich  eine  hübsche 
Theatergarderobe,  in  der  sich  denn  die  auftretenden 
Personen  ganz  leidlich  und  kenntlich  ausnahmen.  Ein 
großer  Schritt  zur  Vervollkommnung  dieser  Spiele 
wurde  dadurch  gemacht,  daß  die  Geschichten  nicht 
mehr  pantomimisch  und  sukzessive  wie  früher,  sondern 
auf  einmal  in  einem  glücklich  oder  unglücklich  ge- 
wählten Moment  als  Tableau  dargestellt  wurden,  wo- 
durch mancher  Ungeschicklichkeit  und  manchem 
lächerlichen  Mißgriff  der  darstellenden  Personen  vor- 
gebeugt wurde.  Nach  und  nach  wurde  auch  auf  Grup- 
pierung, Beleuchtung,  Effekt  geachtet,  und  diese  Dar- 
stellungen bekamen  dadurch  ein  immer  lebhafteres 
Interesse  für  die  Spielenden  sowohl  als  für  die  Zuseher, 
welche  sich  stets  in  größerer  Menge  einfanden.  Be- 
sonders erinnere  ich  mich  einer  sehr  gelungenen  Vor- 
stellung: Julie  im  Sarge  im  verfinsterten  Grabgewölbe, 
die  in  dem  Augenblicke  erwacht,  wo  die  Türe  sich  öff- 
net, Männer  mit  Fackeln  über  Stufen  herabsteigen  und 
sie  und  den  toten  Romeo  finden.  Auch  wurde  das 
Theater,  wenn  es  stand,  zu  diesen  Darstellungen  be- 
nutzt.   Der  Sturz  der  Engel,  den  die  jungen  Männer 

151 


unserer  Gesellschaft  sehr  gut  vorstellten,  die  Stürmung 
des  Olymps  durch  die  Titanen,  das  Gastmahl  Belsazers, 
Medea  auf  dem  Drachenwagen  usw.  erhielten  großen 
Beifall,  und  mußten  gewöhnlich  am  nächsten  Montag 
wiederholt  werden.  —  Wo  sind  diese  jungen  Leute  nun 
alle,  die  damals  munter  und  eifrig  an  dieser  Unter- 
haltung teilnahmen  ?  Kaum,  daß  außer  mir  vielleicht 
noch  vier  bis  fünf  leben ;  wie  wenige  von  einem  Kreise, 
der  gegen  dreißig  Personen  umfaßte!  Alle,  alle  voran- 
gegangen, wohin  wir  wenigen  übrigen  bald  folgen 
werden. 

Das  sind  ganz  andere  und  ernstere  Todesahnungen, 
als  jene  Grillen  —  so  mag  ich  sie  wohl  nach  fast  einem 
halben  Jahrhunderte  nennen  —  welche  damals  durch 
verliebte  Schmerzen  und  eine  düstere  Geistesrichtung 
in  mir  erzeugt  worden  waren.  Dennoch  kann  ich  mit 
Wahrheit  sagen,  daß  sie  jetzt,  wo  sie  eine  große  und 
nahe  Gewißheit  für  mich  haben,  mich  ebensowenig 
erschüttern,  als  jene  mich  damals  verstörten  oder  um 
den  innern  Frieden,  der  mein  Jugendleben  begleitete, 
zu  bringen  imstande  waren. 

Sie  trafen  damals  nicht  allein  nicht  ein,  sondern  die 
Elastizität  meiner  Empfindungen,  möchte  ich  sagen, 
half  mir  bald  wieder  aus  der  trüben  Stimmung,  in  die 
jene  Liebesschmerzen  mich  versenkt  hatten.  Auch 
heitere,  sanfte,  hoffnungnährende  Gefühle  begannen 
wieder  an  mein  Herz  zu  sprechen.  Durch  die  vielen 
Zerstreuungen,  welche  dem  Kreis  unserer  Bekannten 
in  unserm  Hause  geboten  wurden,  und  vorzüglich  durch 
das  Haustheater,  knüpften  sich  allerlei  kleine  Verbin- 
dungen und  Interessen  zwischen  den  jungen  Leuten  um 
mich  herum  an,  und  auch  mein  Gefühl  ward  hier  oder 
da,  freilich  nur  leicht,  wieder  angeregt. 

152 


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Gabriele  Baumberg 

Gemälde  von  Heinrich  Füger  —  Museum  in  Kaschau  (Ungarn) 


Ein  junger,  ziemlich  wohlgebildeter  Kavalier,  Graf 
H^'^),  der  im  Bureau  meines  Vaters  seit  einiger  Zeit 
arbeitete,  kam  fast  täglich  in  unser  Haus.  —  Er  zeigte 
mir  viele  Aufmerksamkeit;  —  es  ist  sogar  möglich,  daß, 
wäre  er  nicht  der  älteste  Sohn  eines  hochadeligen 
Hauses,  und  ich  ihm  ebenbürtig  gewesen,  er  sich  mir 
bestimmter  genähert  haben  würde.  —  Manche  seiner 
Reden,  seiner  Handlungen  ließen  es  vermuten,  und 
ganz  verfehlte  dies  Betragen  mein  Herz  nicht.  Graf  H., 
dessen  treffliches  Gemüt  und  ernstes  Pflichtgefühl 
trotz  seiner  wenigen  Geistesbildung  mir  Achtung  ein- 
flößten, und  dessen  herzliches  Zutrauen  zu  mir  — ;  denn 
ich  war  mit  allen  seinen  Familienangelegenheiten,  Lei- 
den und  Freuden,  Hoffnungen  und  Entwürfen  bekannt 
—  mich  nicht  ungerührt  ließ,  war  mir,  vielleicht  eben 
der  Hindernisse  wegen,  die  sich  einer  Verbindung 
zwischen  uns  in  den  Weg  gestellt  haben  würden,  sehr 
wert  geworden.  Lange  darnach  habe  ich  Graf  H.s 
Persönlichkeit  in  der  kleinen  Erzählung  „Alt  und 
neuer  Sinn  2'^",  freilich  verändert  und  verschönert, 
dargestellt.  Er  war  ebenso  blond,  so  schlank,  so  recht- 
lich, so  herzensgut  wie  Blankenwerth,  aber  weder  im 
Anfang  so  plump  und  linkisch  noch  am  Ende  so  inter- 
essant wie  jener.  Aus  dieser  Periode  stammt  auch  das 
kleine  Gedicht:  „Der  Eichbaum  und  die  Weide,  eine 
Fabel"  2^°),  das  ich  damals  um  keinen  Preis  veröffent- 
licht haben  würde,  so  wenig  als  die  Klagen  um  einen 
Treulosen  2^^),  das  aber  bei  seiner  Erscheinung  vierzig 
oder  fünfzig  Jahre  später  einen  Beifall  fand,  über  den 
ich  selbst  erstaunte. 

Jener  Herr  Eberl^^^,  der  auf  unsrer  und  mehreren 
Privatbühnen  die  Lange'schen  oder  Liebhaberrollen 
spielte,  war  ebenfalls  eine  ausgezeichnete  Erscheinung 

153 


in  unserem  Kreise.  Ein  düsterer  Sinn,  ein  scharfer  Ver- 
stand, eine  melancholische  Weltansicht  zog  die  Auf- 
merksamkeit seiner  Umgebung,  zumal  die  der  Frauen, 
auf  ihn.  Seine  Verhältnisse  (er  bekleidete  eine  kleine 
Stelle  bei  einer  Rechnungsbehörde),  sein  Sinn,  der  nicht 
ohne  Ehrgeiz  und  Wunsch  nach  Auszeichnung  war, 
seine  beschränkten  Umstände  und  seine  Kränklichkeit, 
die  (wie  wir  später  erfuhren)  ihn  an  jedem  Aufstreben 
hinderte,  erklärten  leicht  jene  melancholische  Stim- 
mung; aber  sie  machten  ihn,  verbunden  mit  dem  fein- 
sten Ton,  mit  Anstand  und  hoher  Geistesbildung-  zu 
einer  sehr  bedeutenden  Persönlichkeit  in  der  geselligen 
Welt.  Wenn  er  in  den  Rollen  des  Schauspielers  Lange 
auf  Privatbühnen  auftrat,  dem  er  auffallend  im  Wüchse, 
Haltung  und  Bewegungen  glich,  flogen  ihm  viele  Blicke 
und  auch  manches  Herz  entgegen.  Dieser,  von  vielen 
gesuchte  Mann  fing  nun  an,  mich  sehr  merklich  aus- 
zuzeichnen, und  ich  gestehe,  daß  ich  nicht  ganz  gleich- 
gültig gegen  ihn  blieb,  besonders  da  uns  oft  das  Los 
traf,  bei  unsern  Komödien  die  zärtlichen  Rollen  mit- 
einander zu  spielen. 

Ich  habe  viele  Jahre  darnach  das  Gefährliche  einer 
solchen  Lage,  wenn  der  Mann,  der  uns  nicht  gleich- 
gültig ist,  seine  Empfindungen  unter  der  Maske  einer 
einstudierten  Rolle  uns  ungescheuter  gesteht,  und  wie 
leicht  sich  da  ein  Mädchenherz  täuschen  und  hin- 
reißen läßt,  in  einer  meiner  Erzählungen:  „Das  gefähr- 
liche Spiel"  2^^)  dargestellt. 

Sei  es  aber,  daß  Eberl,  als  gesetzter  und  vernünf- 
tiger Mann,  der  bereits  über  die  Jünglings  jähre  hinaus 
war,  die  Schwierigkeiten,  ja  die  Unmöglichkeit  einer 
ernsthaften  Verbindung  mit  mir  so  gut  als  ich  selbst 
einsah ;  sei  es,  daß  ein  anderes  Verhältnis  zu  einem  sehr 


liebenswürdigen  Mädchen,  deren  beschränkte  Um- 
stände ihnen :.  auch  keine  Aussicht  auf  Vereinigung 
boten,  mehr  war  als  bloße  Freundschaft;  kurz,  wir 
hielten  uns  stets  in  gehöriger  Entfernung  voneinander; 
aber  Fräulein  L — 1  (so  hieß  dies  Mädchen)  2^*)  ward 
mir  sehr  wert,  und  wir  wurden  einander  herzlich 
gut.  Sie  mochte  den  gefährlichen  Mann  wohl  inniger 
lieben  als  er  sie,  und  der  Verfolg  zeigte  es  auch  ziem- 
hch  klar  284a), 

Hier  scheint  es  mir  der  geeignete  Platz,  einer  früheren 
zärtlichen  Verbindung  dieses  Mannes  mit  einem  der 
interessantesten  Mädchen  in  Wien,  dem  Fräulein 
Gabriele  Baumberg ^^s)^  2:u  erwähnen,  die  vor  etwa 
anderthalb  Jahren,  ganz  ignoriert  von  der  Welt,  in 
Linz  starb,  und  erst  durch  ihren  Tod  und  ein  Gedicht, 
welches  bei  dieser  Gelegenheit  erschien,  wieder  ins  An- 
gedenken der  Zeitgenossen  zurückgerufen  wurde,  Sie 
war  ein  liebenswürdiges  Geschöpf,  wohlgebildet,  an- 
mutig, mit  einem  schönen  Talent  für  Poesie  (damals' 
ein  viel  selteneres  Geschenk  der  Natur  als  jetzt)  be- 
gabt, aÄgenehm  im  Umgang  und  voll  feinem  Ge- 
schmack für  alles  Zierliche,  Wohlanständige.  Als  Eberl 
sie  liebte,  traf  ihn  das  Los,  in  seiner  Anstellung  nach 
Brüssel,  das  damals  noch  österreichisch  war,  gehen  zu 
müssen.  Jede  Aussicht  auf  eine  Verbindung  mit  der 
einzigen  Tochter  einer  geachteten  und  wohlhabenden 
Familie  mußte  jetzt  aufgegeben  werden.  Am  Vor- 
abend seiner  Abreise  schrieb  er  in  Gabrielens  Stamm- 
buch unter  das  Bild  eines  Amors,  der  weinend  sich 
bemüht,  eine  Fackel  auszulöschen:  „pour  l'eteindre 
il  n'a  que  des  larmes."  Die  Unruhen,  welche  ein 
paar  Jahre  darnach  in  Niederland  ausbrachen,  führten 
Eberl  mit  andern   kaiserlichen  Beamten  wieder  nach 


155 


Wien 282)  j  aber  jenes  Verhältnis  knüpfte  sich  nicht 
wieder  an. 

Der  Verfolg  rechtfertigte,  wie  ich  oben  gesagt,  meine 
Ansicht  vollkommen.  Eberl  wurde  bald  darauf  bei 
einer  andern  Privatbühne  gebeten,  die  Liebhaberrolle 
zu  übernehmen.  Er  tat  es  abermals  auf  und  außer  der 
Bühne.  Eine  verheiratete  Dame  wurde  diesmal  der 
Gegenstand  seiner  Aufmerksamkeit,  nachdem  er  schon 
längere  Zeit  der  der  ihrigen  gewesen  war.  Bald  zog 
sich  dies  Verhältnis  noch  fester.  Eberl  wurde  der  Haus- 
genosse der  Gräfin^ssa)  und,  was  gewiß  für  den  Wert 
seiner  Denkart  bürgt,  zugleich  der  wärmste  Freund  des 
Grafen,  ihres  Gemahls.  In  diesem  Hause  stand  er 
eine  bedeutende  Krankheit  aus,  und  während  der- 
selben besuchte  ihn  Ffäulein  L  .  .  ,  seine  Freundin, 
fleißig  und  pflegte  seiner  nach  Möglichkeit.  Dies  alles 
zusammengenommen  stellt  wirklich  ein  seltsames  Ver- 
hältnis und  eine  ungewöhnliche  Richtung  der  Charak- 
tere dar.  Von  diesen  Personen  starb  das  Mädchen,  das 
so  treu,  so  aufopfernd  geliebt  hatte,  zuerst,  die  Gräfin 
folgte  nicht  lange  darnach.  In  ein  paar  Jahren  darauf, 
als  ich  schon  längere  Zeit  verheiratet  war,  starb  auch 
Eberl,  und,  wie  es  bei  seinem  Tode  erst  kund  ward, 
an  einem  unheilbaren  Übel,  das  er  bis  dahin  verheim- 
licht, und  das  ihn  wahrscheinlich  bestimmt  hatte, 
nie  sich  in  eine  ernste  oder  gar  eheliche  Verbindung 
einzulassen. 

Ich  bin  etwas  weitläufiger,  als  es  gerade  die  Be- 
ziehungen forderten,  in  denen  ich  mit  diesen  Personen 
stand,  für  die  Geschichte  meines  Lebens  in  diesen 
kleinen  Begebenheiten  gewesen;  aber  sie  dünkten  und 
dünken  mich  noch  in  psychologischer  Hinsicht  nicht 
unmerkwürdig,  und  ich  brachte  nach  so  vielen  Jahren 

156 


mit  diesen  wenigen  Zeilen  den  Manen  jener  schätz- 
baren Menschen  gern  noch  den  Tribut  einer  achtungs- 
vollen Erinnerung. 


Noch  muß  ich  mir  gestatten,  an  dieser  Stelle,  wo 
so  vieler  Vorfälle  gedacht  wird,  die  sich  damals  er- 
eigneten, und  so  vieler  Personen,  die  uns  zunächst  um- 
gaben, dieser  letzteren,  die  später  mehr  oder  minder 
in  meine  Verhältnisse  verflochten  woirden,  mit  flüch- 
tigen Worten  ausführlicher  zu  erwähnen. 

Härings  Familie  war  mit  der  unsrigen  verwandt, 
darum  dauerte  das  gegenseitig  freundschaftliche  Ver- 
hältnis mit  ihnen  sowohl  als  dem  Schwabschen  Hause, 
mit  dessen  Chef  Härings  Schwester  seit  langen  Jahren 
verheiratet  war,  trotz  jenes  Bruches  zwischen  unsern 
jugendlichen  Herzen  fort.  Ebenso  alt  und  herzlich  war 
unsere  Verbindung  mit  der  Kurländerschen  Familie, 
die  damals  außer  den  Eltern  aus  zwei  Töchtern  und 
drei  Söhnen  bestand,  wovon  die  ersten  mir  ungefähr 
an  Alter  glichen  ^8).  Später  geschlossen,"  aber  darum 
nicht  minder  warm,  war  unsere  Freundschaft  zur 
Familie  von  Mertens,  des  berühmten  Arztes,  aus  der 
aber  nur  eigentlich  zwei  Töchter,  Sophie  und  Henriette 
mir  und  meinem  Bruder  näher  standen  und  sehr  oft 
bei  uns  waren,  ja  im  Sommer  oft  mehrere  Wochen  bei 
uns  auf  dem  Lande  zubrachten^sT).  Dann  waren  mir 
auch  jenes  Fräulein  v.  Born  und  eine  ihrige  Kusine 
und  ein  Fräulein  von  Hackher^^^),  v.  Moter^ss)^  ein 
Fräulein  v.  Ravenet,  deren  schon  Erwähnung  geschah, 
die  Kempelensche  FamiHe^so)  ^j^^  einige  andere,  recht 
werte  und  liebe  Gefährtinnen  auf  den  heitern  Pfaden 
der  Jugend.    Ein  Haus  muß  ich' noch  erwähnen,  mit 

^S7 


dem  das  meiner  Eltern,  schon  wie  ich  noch  ein  Kind 
war,  in  sehr  freundschaftHchen  Beziehungen  stand. 
Es  war  die  FamiHe  des  berühmten  Freiherrn  v.  Jacquin, 
die  schon  damals  vor  60 — 70  Jahren,  ein  helleuchten- 
des Augenmerk  für  die  wissenschaftliche  Welt  in  und 
außer  Wien  war,  und  die  auch  ihrer  angenehm  gesel- 
ligen Verhältnisse  wegen  von  vielen  gesucht  wurde. 
Wenn  die  Gelehrten  oder  gelehrt  sein  Wollenden  den 
berühmten  Vater  und  den  ihm  nachstrebenden  Sohn 
(den  erst  vor  wenig  Jahren  verstorbenen  Josef  Frei- 
herrn V.  Jacquin ^^^)  aufsuchten,  so  sammelte  sich  die 
junge  Welt  um  den  jüngeren  Sohn  Gottfried ^^2),  den 
ein  lebhafter,  gebildeter  Geist,  ein  ausgezeichnetes 
Talent  für  Musik,  mit  einer  angenehmen  Stimme  ver- 
bunden, zum  Mittelpunkt  des  heitern  Kreises  machte,  > 
und  um  seine  Schwester  Franziska,  die  jetzt  noch'" 
lebende  Frau  v.  Lagusius^^^).  Franziska  spielte  vor- 
trefflich Klavier,  sie  war  eine  der  besten  Schülerinnen 
Mozarts,  der  für  sie  das  Trio  mit  der  Klarinette  ge- 
schrieben hat  ^^*),  und  sang  noch  überdies  sehr  hübsch. 
Da  wurden  nun  an  den  Mittwochabenden,  die,  seit 
ich  denken  kann,  in  diesem  Hause  der  Geselligkeit  ge- 
widmet waren,  auch  selbst  im  Winter,  wann  die  Fa- 
milie Jacquin,  wie  jetzt  Professor  Endlicher 2^^),  im 
Botanischen  Garten  wohnte,  in  den  Zimmern  des 
Vaters  gelehrte  Gespräche  geführt,  und  wir  jungen 
Leute  plauderten,  scherzten,  machten  Musik,  spielten 
kleine  Spiele  und  unterhielten  uns  trefflich.  Schöne 
Zeit  der  heitern,  sorglosen  Jugend!  Liebliche  Bilder 
längstentschwundener  Freuden!  Noch  jetzt  im  Greisen- 
alter beschwört  euch  mein  Geist  gern  herauf  aus  dem 
Dunkel  der  Vergangenheit  und  ergötzt  sich  an  euch 
und   gedenkt   gar   manches   scherzhaften   Vorfalls,   so 

158 


z.  B.  des  Erstaunens,  ja  der  Betroffenheit,  mit  der  ich 
als  Kind  von  9 — 10  Jahren  einst  auf  meines  Vaters 
Tische  ein  dünnes  Büchelchen  fand,  das  unser  ern- 
sterer Spielgefährte,  der  ältere  Jacquin,  der  damals 
12 — 13  Jahre  zählte,  über  irgendeinen  naturhistori- 
schen Gegenstand  geschrieben  hatte,  und  das  gedruckt 
wurde  2^^).  Es  kam  mir  wie  eine  Zauberei  vof,  und 
ich  konnte  es  kaum  begreifen,  wie  man  noch  fast  ein 
Kind  sein  und  ein  Buch  schreiben  könne.  Von  nun  an 
betrachtete  ich  unsern  Josef  mit  einer  Art  Ehrfurcht. 
Viel  lieber  aber  unterhielt  ich  mich  mit  seinen  Jüngern 
Geschwistern  und  ihrer  gleichgestimmten  Gesellschaft, 
mit  der  ich  denn  allmählich,  wie  es  diese  Blätter  zeigen, 
aus  dem  Kindesalter  in  das  jugendliche,  beweglichere 
und  bedeutendere  getreten  war,  in  dem  nun  statt 
heiterer  Kinderspiele  lebhaftere  Empfindungen,  ab- 
wechselnde Hoffnungen  und  Schmerzen  uns  beschäf- 
tigten. 


<  Es  Ist  Zeit,  nunmehr  nach  Erzählung  vieler  kleinen 
Begebenheiten  den  Faden  der  allgemeinen,  an  dem 
sich  ja  das  Leben  der  einzelnen  auch  mit  abspinnt,  auf- 
zufassen, da  jene  Ereignisse  doch  nie  ohne  Einwirkung 
auf  deren  Schicksal  bleiben  können. 

Als  Kaiser  Josef  gestorben  war,  hofften  viele  mit 
Grund  ungemein  viel  Gutes  von  seinem  Nachfolger 
und  Bruder  Leopold  IL  Es-  war  nicht  bloß  jenes  un- 
bestimmte Hoffen  auf  einen  Wechsel,  auf  ein  Anders- 
werden so  mancher  Dinge,  die  im  Laufe  der  Zeit 
drückend  geworden  waren,  es  waren  bestimmte  und 
gerechte  Erwartungen  von  dem  Herrscher,  der  sein 
kleines  Toskana  zu  einem  der  bestgeordneten,  glück- 

159 


lichsten  Staaten  gemacht  und  den  Namen  des  Weisen 
mit  Recht  erworben  hatte. 

In  unserm  Hause  sah  man  seiner  Thronbesteigung 
mit  großer  Freude  und  lebhaftem  Anteil  entgegen. 
Mein  Gemüt  wurde  durch  alles,  was  ich  über  Kaiser 
Josef  hatte  sprechen  hören,  was  ich  selbst  gedacht 
und  gefühlt  hatte,  durch  die  Begriffe  der  Zeit  endlich, 
welche  jeden  Tadel  der  bestehenden  Regierungen  be- 
günstigten, ebenfalls  auf  eine  Weise  angeregt,  daß  ich 
mir  von  dem  kommenden  Herrscher  unendlich  viel 
Gutes  versprach,  und  da  meine  Seele  sich  bei  vieler 
Liberalität  meiner  politischen  Gesinnungen  (welche 
ich  fast  mit  allen  jungen  Leuten  teilte)  stets  mit  innerem 
Widerwillen  von  den  gar  zu  freien  und  nüchternen 
religiösen  sowohl  als  moralischen  Grundsätzen  ab- 
gewendet hatte,  die  mit  jenen  meist  Hand  in  Hand 
gingen,  so  hoffte  ich  denn  von  Kaiser  Leopolds  Fami- 
lientugenden, von  seiner  Achtung  für  häusliches  Glück, 
das  er  auf  fast  bürgerliche  Weise  in  Florenz  genossen 
hatte,  Wiederherstellung  der  alten  guten  Zeit,  ver- 
mehrte Sittlichkeit,  Achtung  für  Religion  usw.,  und 
feierte  seine  Ankunft  mit  einem  herzlich  gemeinten  Ge- 
dichte, worin  ich  jene  Ansichten  aussprach 2^'). 

Doch  die  Zeit  für  eine  solche  Verbesserung  war  da- 
mals noch  nicht  gekommen.  Schwere  Regentensorgen 
empfingen  den  neuen  Monarchen.  Die  Erbländer  waren 
in  furchtbarer  Aufregung,  aus  Frankreich  drohte  die 
Revolution  sich  herüber  nach  Deutschland  zu  verbrei- 
ten. So  viel  nahe  Gefahren  mochten  den  Kaiser  er- 
schreckt haben.  Er  eilte,  den  Türkenkrieg  nach  so 
vielen  glänzenden  Siegen  und  gerechten  Hoffnungen 
durch  einen,  vielleicht  übereilten  Frieden  zu  schließen, 
der  Osterreich  wenig  oder  gar  keine  Vorteile  von  dem 

160 


Josef  Anton  Gall 

Monsorno  ad  vivum,   C.  Pfeiffer  sc. 
k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


ließ,  was  es  durch  Anstrengung  und  Tapferkeit  erwor- 
ben ^^^.  Belgrad,  Orsova  usw.  wurde  abgetreten,  der 
greise  Held  London  starb  gleich  darauf  2^^),  und  es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  der  Gram  über  diesen 
Friedensschluß,  der  nicht  allein  die  Frucht  aller  seiner 
frühern  Kämpfe  dahin  gab,  sondern  ihn  auch  um  die 
neuen  Lorbeern  betrog,  welche  zu  erkämpfen  er  bereits 
den  Feldzug  wieder  begonnen  und  sich  ins  Lager  be- 
geben hatte,  seinen  Tod  herbeigeführt  hatte.  Genug, 
der  Friede  ward  geschlossen,  Preußen  erwies  sich  wie 
früher  immer  aufs  feindseligste  gegen  Österreich,  und 
Kaiser  Leopold  wandte  nun  seine  Sorgen  auf  die  Koali- 
tion, welche  denn  auch  zu  Pillnitz  zwischen  den  großen 
Mächten  Europas  und  den  französischen  emigrierten 
Prinzen  zustande  kam  2''°).  Ihr  Zweck  war,  die  Greuel 
der  Revolution  zu  hemmen,  das  Haus  des  Königs  auf 
dem  Throne  zu  erhalten  und  die  Fortschritte  der 
neuen  Ideep  auch  in  Deutschland  soviel  wie  möglich 
zu  unterdr^ken.  Eingeleitet  waren  diese  Pläne;  die 
Ruhe  iin  Innern  war  ziemlich  hergestellt,  manches 
Drückende,  aber  auch  dort  und  da  etwas  Gutes  auf- 
gehoben oder  verändert.  Noch  wußte  man  nicht  recht, 
wessen  man  sich  zu  dem  neuen  Herrscher  zu  versehen 
habe,  als  auch  ihn  ein  frühzeitiger  und  schneller  Tod 
plötzlich  äbrief^"^),  und  der  Staat,  noch  stets  in  un- 
ruhiger Bewegung  von  innen  und  außen,  in  diesen  be- 
denklichen Zeitläuften  von  der  Vorsicht  in  die  Hände 
eines  dreiundzwanzigj  ährigen  Jünglings  gelegt  wurde. 
Wohl  glaubten  viele,  eben  darum  manches  befürchten 
und  nicht  viel  hoffen  zu  können.  In  unserm  Hause 
herrschte  ebenfalls  Trauer  über  diesen  Todfall  in  einer 
so  verhängnisvollen  Epoche;  aber  mein  Herz  hatte 
sich  im  stillen  zu  dem  gleichalterigen  Prinzen  gewendet. 

II    c.  p.  I  •  161 


Ich  sah  in  ihm  das  Bild  der  Hoffnung,  und  mein  Gefühl 
sprach  sich  in  einem  Gedichte  aus,  das  ich  zum  Teil 
bei  der  Leichenfeier  des  Kaisers  Leopold  an  unsern 
Fenstern  dichtete,  von  wo  man  den  Zug  um  die  Kapu- 
zinerkirche, in  der  sich  die  k.k.  Gruft  befindet,  sehen 
konnte. 

Wir  flehn  zu  Dir  gleich  frühverwaisten  Kindern, 

O  tu  an  uns  wie  ältre  Brüder  tun! 

Du  kannst  allein  des  Volkes  Leiden  mindern, 

Du, 

Du  warst  uns  Bruder;  —  sei  uns  Vater  nun!*''^) 

Und  Kaiser  Franz  wurde  uns  Vater,  im  schönsten, 
besten  Sinne  des  Wortes.  Meine  Hoffnung  hatte  mich 
nicht  getäuscht,  meine  poetische  Vorhersagung  war 
wahr  geworden,  und  mit  großem  Vergnügen  erinnere 
ich  mich  noch  jetzt  des  lebhaften  und  frohen  Eindrucks, 
den  dessen  Silhouette  auf  Goldgrund  auf  einer  Tabatiere 
und  mit  der  hübschen  Aufschrift 

O  decus,  o  patriae  per  te  florentis  imago! 

auf  mich  machte. 

Im  Sommer  1792  rückten  nun  die  kombinierten 
Armeen  der  Österreicher  und  Preußen  (zum  erstenmal 
in  friedlicher  Vereinigung)  ins  Feld;  an  den  Rhein 
und  über  den  Rhein  ^''^).  Den  ungünstigen  Erfolg  dieses 
Feldzugs  kennt  die  Welt.  Statt  den  König  zu  retten, 
war  sein  Tod  beschleunigt  worden,  und  statt  die  Greuel 
zu  unterdrücken,  die  den  Thronen  den  Umsturz  droh- 
ten, zogen  sie  sie  gleichsam  erst  recht  nach  Deutsch- 
land herüber,  wo  ohnedies  schon  längere  Zeit  vorher 
Freimaurer  und  Illuminaten  diesen  Ideen  vorgearbeitet 
hatten:  wie  wenn  sich  jemand  unvorsichtigerweise  einer 
Feuersbrunst  naht  und  von  den  Flammen,  die  er  löschen 
wollte,  ergriffen,  diese  im  Fliehen  mit  sich  fortträgt 

162 


und  so  das  Feuer  in  die  vorher  noch  ruhige  Gegend 
bringt.  Gebe  Gott,  daß  von  dieser  Erinnerung  ge- 
warnt, die  Fürsten  Europas  den  unheilschwangern 
Vulkan  in  Frankreich  am  besten  in  sich  selbst  verglühen 
und  sich  verzehren  lassen! 


Während  der  Krieg  am  Rheine  begann  und  der  un- 
sehge  Brand  entzündet  wurde,  der  noch  fast  ein 
Vierteljahrhundert  lang  Deutschland  verwüstete,  hat- 
ten meines  Vaters  Geschäfte  und  auch  sein  Wunsch, 
Oberösterreich,  das  er  zehn  Jahre  früher  mit  meiner 
Mutter  schon  einmal  besucht,  wieder  zu  sehen,  die 
Veranlassung  zu  einer  Reise  in  diese  Provinz  gegeben, 
wo  meinen  Eltern  viele  werte  Freunde  lebten,  vor 
allen  der  Bischof  Gall,  eben  jener  würdige  Priester,  der 
mich  in  meiner  Kindheit  unterrichtet  und  von  seinem 
eigenen  großen  Verdienst  und  einem  glücklichen  Zu-  . 
sammentreffen  der  Umstände  gehoben,  diesen  be- 
deutenden Platz  erreicht  hatte.  Kaiser  Josef  fand 
es  seinem,  dem  Adel  nicht  sehr  geneigten  Systeme  zu-  • 
sagend,  würdige  Geistliche  bürgerlicher  Herkunft  zu 
solchen  hohen  Stellen  zu  erheben,  die  bisher  dem  lang- 
eingeführten Gebrauche  gemäß  nur  Adeligen  zuteil 
und  gleichsam  ihr  Eigentum,  auf  das  sie  Anspruch  zu 
haben  meinten,  geworden  war.  Mit  Erstaunen,  mit 
Freude  und  auch  wohl  mit  Mißbilligung,  je  nachdem  . 
die  Parteien  gesinnt  waren,  wurde  die  Besetzung  meh- 
rerer Bischofstühle,  wie  des  von  Linz,  von  Brunn  usw. 
durch  Bürgerliche  angesehen;  aber  wer  Gall  näher 
kannte,  mußte  sich  seiner  Erhebung  erfreuen,  die  in 
religiöser  und  sittlicher  Rücksicht  ein  Segen  für  das 
Land  ward. 

163 


Bischof  Gall  hatte  meine  Eltern  eingeladen,  ihn  in 
Linz  und  mit  ihm  seine  schöne  Besitzung  Mondsee  ^"^) 
(welches  jetzt  dem  Fürsten  Wrede  gehört,  demselben, 
der  am  Tage  der  Wagramer  Schlacht  unserer  Armee 
den  schon  errungenen  Sieg  entriß,  indem  er  um  elf  Uhr 
Vormittag  mit  seinen  Bayern  den  bereits  weichenden 
Kolonnen  der  Franzosen  zu  Hilfe  eilte  !^°^)  zu  be- 
suchen. Acht  Tage  ungefähr  lebten  wir  in  Linz  im 
bischöflichen  Palast  ein  sehr  angenehmes,  aber  etwas 
geräuschvolles  Leben,  dann  trennten  wir  uns  von  mei- 
nem Vater,  welcher  in  seinen  Geschäften  die  Kreis- 
ämter bereiste,  während,  wir,  meine  Mutter,  mein 
Bruder  und  ich,  nach  Mondsee  gingen,  woselbst  er 
uns  in  acht  bis  zehn  Tagen  abzuholen  verhieß.  Wun- 
derschön war  diese  kleine  Reise,  auf  der  ich  zum  ersten- 
mal in  meinem  Leben  das  Hochgebirg  (denn  eine  Fahrt 
nachMariazell,  als  ich  sechs  bis  sieben  Jahre  zählte,  hatte 
mir  keine  bleibenden  Eindrücke  hinterlassen)  und  den 
weit  ausgegossenen  Attersee  erblickte.  Durch  tiefe  Wal-, 
düngen,  auf  ziemlich  beschwerlichen  Wegen,  wo  oft  die 
Tannenäste  auf  und  in  unsern  Wagen  schlugen,  ge- 
langten wir  an  Sägemühlen,  Hammer-  und  Sensen- 
schmieden mit  ihren  rauschenden  Wassern  und  damp- 
fenden Schornsteinen  vorbei,  am  Abend  eines  meist 
trüben  und  oft  von  mit  Schnee  gemischtem  Regen  ge- 
kühlten Tage,  plötzlich  aus  dem  Walddunkel  hervor  in 
ein  weites  Tal.  Vor  uns  lag  breit,  klar  und  tiefgrün 
ausgegossen  der  Spiegel  des  Mondsees,  und  ringsum 
starrten  uns  himmelhohe  Berg-  und  Felsenkuppen  an, 
die  ihn  in  ihrem  sichern  Schoß  halten  und  mit  Schnee 
bis  an  den  Fuß  bedeckt  waren.  So  viel  Schnee,  solche 
Kälte,  und  der  erste  Juni!  Das  kam  mir  wie  ein 
Märchen  vor,  und  ich  würde  mich  mehr  an  dieser, 

164 


mir,  der  Flächenbewohnerin,  so  seltsamen  Abnormität 
ergötzt  haben,  wenn  der  Gedanke,  statt  der  ländlichen 
Freuden,  Spaziergänge,  Wasserfahrten  usw.,  denen  ich 
schon  im  voraus  entgegengesehen  hatte,  mich  durch 
Schnee  und  Kälte  auf  einem  einsamen  Schloß  im  Ge- 
birge durch  mehrere  Tage  eingesperrt  zu  finden,  nicht 
ängstigend  vor  meinen  Geist  getreten  wäre. 

Am  andern  Tage  war  alles  anders.  Aller  Schnee 
von  Höhe  und  Tal  verschwunden,  die  Berge  herrlich 
mit  ihren  Wäldern  und  Felsen  und  dem  spiegelnden 
See  im  Frühlingssonnenstrahl,  der  zwar  noch  nicht 
mild  erwärmte,  aber  doch  der  freien  Natur  zu  genießen 
erlaubte.  Was  waren  das  für  köstliche  Tage  in  dieser 
wild-schönen  Gegend,  im  Umgange  mit  zwar  an  Jahren 
von  mir  sehr  verschiedenen,  aber  höchst  gebildeten, 
geistreichen  Männern,J'dem  Bischof  und  einigen  seiner 
Domherren,  die  uns  begleitet  hatten,  und  deren  einer, 
Vierthaler  ^°^),  der  Bruder  des  damals  schon  berühmten 
Professors  der  Geschichte  in  Salzburg  war!  Freund- 
lich waren  die  Herren  beflissen,  uns  die  Zeit  aufs  an- 
genehmste zu  verkürzen.  Wir  machten.  Spaziergänge 
und  Fahrten  zu  Land  und  auf  dem  See.  Bei  diesen 
letzten  war  es  unterhaltend  und  wunderbar,  den 
Effekt  der  Musik,  des  lauten  Rufens  oder  wohl  gar 
einer  abgeschossenen  Pistole  zu  beobachten,  wie  die 
vielen  nähern  und  fernem  Echos  in  den  Gebirgen  den 
Schall  bald  vollkommener,  bald  unvollkommener  zu- 
rückgaben, und  wenn  das  erste  donnerähnliche  Getöse 
vorüber  war,  alles  im'  Schiffe  still  wurde,  die  Ruder- 
knechte ihre  Ruder  in  die  Höhe 'hoben,  daß  ja  kein 
Laut  die  Stille  unterbreche,  und  nun  nach  zwei  oder 
drei|Minuten  der  Donner  des  Echos  sich  noch  einmal, 
der  Himmel  weiß  von  welchem  fernen  Berge,  hören  ließ. 

165 


Auf  dieser  Reise  kam  ich  auch  in  das,  damals  ganz 
unberühmte  Ischl,  das  aber  in  seiner  heimhchen  Lage 
zwischen  waldgrünen  Bergen,  von  der  lautbrausenden 
Traun  der  Länge  nach  durchrauscht,  deren  Getose 
mich  oft  des  Nachts  in  Schlummer  wiegte,  mir  so  wohl 
gefiel,  mich  so  anheimelte,  daß  ix:h  beinahe  gewiß  bin, 
es  würde  mir  jetzt,  wo  es  von  Badegästen,  Fremden 
und  prächtigen  Erscheinungen  belebt,  von  Eleganz 
und  städtischen  Bequemlichkeiten  verherrlicht  ist, 
schlechter  als  damals  vor  ungefähr  einem  halben  Jahr- 
hundert gefallen.  Überhaupt  hat  mir  dies  Ergießen 
der  Städte  hinaus  aufs  Land,  diese  Sucht,  an  jedem 
freundlichen  oder  romantischen  Plätzchen  die  Kom- 
forts eines  Kaffee-  oder  Wirtshauses  aufzuschlagen, 
schon  eine  Menge  hübscher  Gegenden  verleidet,  und 
wie  oft  sind  mir  Schillers  Worte  im  Wallenstein  ein- 
gefallen: „Dies  Geschlecht  kann  sich  nicht  anders 
freuen  als  bei  Tisch^**')."  Freilich  aß  und  trank  man 
damals  auch;  denn  das  ist  Gebot  der  Natur;  aber  man 
aß  zu  Hause,  nachdem  man  sich  vorher  auf  einem 
Spaziergang  erheitert  und  ermüdet  hatte,  oder  bei 
einem  Freunde,  den  man  auf  dem  Lande  besuchte,  und 
so  fand  das  Familien-  und  gesellige  Leben  seine  Rech- 
nung neben  dem  Genuß  der  Naturfreuden,  dahin- 
gegen der  Genuß  in  den  Wirtshäusern  nur  die  ego- 
istische Bequemlichkeit  unserer  Tage  und  die  Ver- 
geudung des  Geldes  begünstigt,  in  denen  er  auch  seinen 
Ursprung  hat. 

Von  Ischl  aus  sahen  und  befuhren  wir  auch  den 
düstern  Hallstätter  See,  an  dessen  Ende  man  umkehren 
muß,  weil  keine  Straße  weiter  führt,  und  zuletzt  trug 
unser  schwebendes  Schiffchen  uns  über  den  prächtigen 
Traun-  oder  Gmundner  See   bis  zu   diesem  Ort,  der 

;  i66 


sich,  so  an  der  Krümmung  des  Ufers  hingebaut,  wo  seine 
besten  Häuser  beisammen  stehen,  ganz  stattlich  aus- 
nimmt. Übrigens  enthalte  ich  mich  jeder  Beschreibung 
dieser  Gegenden;  denn  seit  es  Mode  geworden  ist,  sie 
zu  besuchen,  sind  sie  „in  Wort  und  Tat,  in  Bild  und 
Schall"  so  oft  gepriesen,  geschildert,  gemalt  und  von 
allen  Seiten  dargestellt  worden,  daß  noch  eine  Beschrei- 
bung ganz  überflüssig  wäre.  Das  glaube  ich  aber  be- 
haupten zu  können,  daß  ihre  teils  reizenden,  teils  er- 
habenen Schönheiten  von  unserer  kleinen  Karawane 
mit  tief erem  Gefühl  aufgefaßt  wurden,  als  es  jetzt  wohl 
bei  der  Mehrzahl  der  Ischler  Kurgäste  der  Fall  sein 
mag,  welche  nur  Zerstreuung,  Veränderung  und  das, 
was  Mode  ist,  aufsuchen. 

Die  Masern,  eine  eigentliche  Kinderkrankheit,  die 
uns  früher  verschont  hatte,  ergriff  jetzt  plötzhch  meinen 
Bruder,  der  sie  sich  in  einem  Hause  geholt,  wo  wir  für 
den  Abend  gebeten  waren  und  wo  ein  krankes  Kind, 
dessen  wahres  Übel  wir  nicht  kannten  oder  das  man 
uns  verheimHchte,  auf  dem  Sofa  neben  uns  lag  und 
sie  meinem  Bruder  mitteilte,  der  ihm  zunächst  saß. 
Erst  am  achten  Tage  ergriff  die  Krankheit  auch  mich; 
sie  war,  wie  bei  Xaver,  sehr  gutartig,  dennoch  fühlte 
ich  mich  sehr  übel,  und  besonders  bei  der  Eruption, 
indem  ich  zwar  nirgends  am  Körper  einen  Schmerz, 
aber  in  jedem  Fleckchen  der  Haut  ein  unnennbares 
Unbehagen  fühlte.  Nach  8 — lo  Tagen  war  alles  vor- 
über, und  wir  kehrten  beide  in  die  gewohnte  Lebens- 
weise uiisers  väterlichen  Hauses  zurück.  Während 
dieser  Zeit  hatten  unsere  jugendlichen  Freunde  und 
Freundinnen  uns  ohne  alle  Scheu  an  unsern  Betten 
besucht,  was  uns  höchst  willkommen  war.  —  Sei  es 
nun,  daß  die  meisten  diese  Krankheit  schon  gehabt 

167 


hatten  oder  sich  nicht  davor  fürchteten.  Überhaupt 
erinnere  ich  mich  recht  wohl,  daß  dazumal  (etwa  die 
Kinderblattern  ausgenommen,  deren  Verheerungen  in- 
dessen die  Inokulation  schon  mächtig  entgegengearbei- 
tet hatte)  diese  Scheu  vor  möglicher  Ansteckung  nicht 
so  groß,  so  allgemein,  so  — ich  möchte  sagen,  kindisch 
war  wie  jetzt,  da  man,  wenn  es  nur  angeht,  das  Haus 
nicht  betritt,  in  welchem  bei  irgendeiner  Partei  eine 
Kinderkrankheit :  Scharlach,  Masern  usw.  herrscht,  oder 
es  kaum  wagt,  einen  Bedienten  nach  Erkundigung 
hinzusenden.  Waren  wir  damals  unbesonnener  oder 
weniger  egoistisch  ? 

Ich  komme  nun  zu  einem  wichtigen,  wohl  dem  wich- 
tigsten Abschnitt  in  meinem  Leben,  zu  den  kleinen 
Ereignissen  und  Verkettungen  scheinbarer  Zufällig- 
keiten, welche  mich  zu  der  Bekanntschaft  mit  meinem 
Gemahl,  und  somit  zu  dem  Ursprung  meines  Lebens- 
glückes führten. 

In  dem  Bureau  meines  Vaters  arbeiteten  nebst 
meinem  Bruder  noch  mehrere  junge  Männer,  welche 
alle  von  ausgezeichneten  Fähigkeiten  und  sittlicher 
Würde  waren,  wie  denn,  ich  darf  es  mit  Stolz  sagen, 
um  meine  Eltern  sich  von  jeher  stets  ein  Kreis  vorzüg- 
licher Menschen  sammelte  und  unser  Haus  (der  edle 
Heinrich  von  Collin  sagte  uns  das  zwanzig  Jahre  nach- 
her noch  oft)  das  Augenmerk  besserer  junger  Leute 
war,  die  nach  feinerer  und  höherer  Bildung  strebten. 
Auch  haben  die  ausgezeichneten  Plätze  im  Staate,  zu 
welchen  jene  Männer  späterhin  meist  gelangten,  be- 
wiesen, daß  sie  bedeutenden  Wert  hatten.  Diese  Her- 
ren waren  alle  genaue  Freunde  meines  Bruders  und 
besuchten  beinahe  täglich  unsere  Abendgesellschaften. 
Einer  aus  ihnen ^•'^),  der  denn  auch,  seiner  außerordent- 

i68 


liehen  Geschicklichkeit  sowie  seiner  Sittlichkeit  wegen 
meines  Vaters  Liebling  war,  zog  bald,  eben  durch  dasS 
viele  Güte,  das  mein  Vater  von  ihm  sprach,  meine 
Aufmerksamkeit  auf  sich.  Aber  eine  groi3e  Schüchtern- 
heit, eine  Ungewohntheit,  sich  in  den  Kreisen  der 
größern  Welt  zu  bewegen,  gaben  ihm  eine  etwas  ge- 
zwungene Haltung,  und  dies  schadete  ihm,  ich  muß 
es  zu  meiner  Beschämung  sagen,  in  meinen  Augen  im 
Anfange  unserer  Bekanntschaft.  Ich  glaubte  wohl  das 
Gute,  das  andere  von  ihm  sagten,  doch  ich  ließ  es  auf 
sich  beruhen,  ohne  ihn  näher  kennen  lernen  zu  wollen. 
Aber  mein  Vater  suchte  ihn  selbst,  immer  mehr  in  unser 
Haus  zu  ziehen.  Er  war  bei  allen  unsern  Bällen  und 
kleinen  Unterhaltungen  gebeten,  und  hat  mir  später  ' 
gestanden,  wie  peinlich  ihm  dies  war,  da  er  nicht  gern 
unter  vielen  Menschen  sich  befand,  und  doch  auch  seines 
Hofrats  Einladungen  nicht  wohl   ausschlagen  konnte. 

Allmählich  nun,  im  often  Zusammensein,  fingen 
seine  vortrefflichen  Eigenschaften  an,  Eindruck  auf 
mich  zu  machen,  wozu  wohl  die  Bemerkung  beitragen 
mochte,  daß  auch  ich  ihm  nicht  gleichgültig  war,  und 
sein  Gefühl,  trotz  seiner  Schüchternheit  oder  vielleicht 
eben  dadurch,  sich  unwillkürlich  zuweilen  verriet. 
Meine  Eitelkeit  war  durch  die  Eroberung  dieses  vor- 
züglichen, und  trotz  seiner  Steifheit  sehr  hübschen 
Mannes  geschmeichelt,  und  obwohl  nur  mein  Verstand 
und  noch  nicht  mein  Herz  für  ihn  sprach,  so  war  ich 
doch  sehr  zufrieden,  wenn  er  oft  kam  und  ich  mich 
seines  gehaltvollen  Umganges  sowie  der  kleinen  Sprüh- 
funken seiner  nur  schlecht  verhehlten  Empfindung  für 
mich  erfreute. 

Ich  halte  es  für  Pflicht,  bei  einer  Selbstbiographie 
ganz  aufrichtig  zu  sein,  insoweit  es  die  Klugheit,  welche 

169 


zwar  nie  eine  Lüge,  aber  Stillschweigen  gebieten 
kann  oder  die  Schonung  erlaubt,  welche  man  noch 
lebenden  Personen  oder  nahen  Verwandten  Verstor- 
bener schuldig  ist.  Daher  dünkte  mich  der  Titel  von 
Goethes  Werke:  Wahrheit  und  Dichtung  aus  meinem 
Leben,  eine  Art  von  Beleidigung  für  den  Leser,  der 
sich  nun  weder  eine  psychologische  Beobachtung  noch 
eigentliche  Belehrung  versprechen  kann,  weil  er  bei 
keiner  Beschreibung,  keiner  Begebenheit  oder  Gefühls- 
äußerung weiß,  ob  sie  sich  wirklich  so  in  Goethes  Geist 
oder  Leben  zugetragen  hat  oder  bloß  von  ihm  zur  an- 
ziehenderen Unterhaltung  seiner  Leser  erfunden  wor- 
den ist. 

In  dieser  Ansicht  habe  ich  mich  bestrebt,  in  der 
Schilderung  meines,  übrigens  unbedeutenden  Lebens- 
laufes stets  so  vor  dem  Leser  zu  erscheinen,  wie  ich 
mir  selbst  bei  strenger  Prüfung  vorkam,  und  so  bekenne 
ich  also,  daß  ich  gegen  den  jungen  Mann,  von  dem  ich 
eben  gesprochen,  mich  durch  kindische  Eitelkeit  im 
Anfange  unserer  nähern  Bekanntschaft  manchmal  ver- 
sündigt und  mich  im  stillen  auf  unerlaubte  Weise  daran 
erfreut  habe,  ihn  oft  an  einem  Abend  mehr  als  einmal 
bald  in  stilles  Entzücken,  bald  in  Trauer  zu  versetzen, 
je  nachdem  ich  ihm  gütig  begegnete  oder  einen  seiner 
gefürchteten  Nebenbuhler  auszeichnete,  deren  er  — 
manche  wahrlich  oft  mit  Unrecht  —  in  den  übrigen 
jungen  Leuten  zu  sehen  glaubte,  die  unser  Haus  be- 
suchten. 

Mein  Bruder  hatte  um  diese  Zeit  mit  seinen  Ge- 
fährten im  Bureau,  mit  Herrn  Eberl  und  noch  ein 
paar  jungen  Männern  den  Plan  zu  einer  Art  von  lite- 
rarischem Verein  entworfen,  in  welchem  Aufsätze  über 
mancherlei  Gegenstände  geschrieben,  diese  gegenseitig 

170 


vorgelesen,  beurteilt  und  auch  bei  Gelegenheit  Reden 
aus  dem  Stegreife  gehalten  werden  sollten;  denn  die 
französische  Revolution,  das  Repräsentativsystem  und 
die  öffentlichen  Reden  beschäftigten  die  Geister  der 
meisten  und  gerade  der  bessern  jungen  Leute. 

Der  Plan  war  sehr  lobenswert,  sowie  der  Zweck  des- 
selben: gegenseitige  Ausbildung  und  Vervollkomm- 
nung zu  ihrer  künftigen  Laufbahn.  Da  nun  bei  keinem 
der  übrigen  Mitglieder  das  Lokal  und  die  Umstände 
sich  so  dazu  eigneten,  den  Platz  für  die  Versammlungen 
anzubieten  als  bei  meinem  Bruder,  so  wurde  beschlös- 
sen, die  Zusammenkünfte  jeden  Sonnabend  nach  ge- 
endigten Bureaugeschäften  bei  diesem  zu  halten.  Meine 
Mutter  begünstigte  gern  einen  Plan,  der  ihrem  Sohn 
Nutzen  und  Vergnügen  versprach,  aber  es  verstand  sich 
von  selbst,  daß  die  Herren  nicht  in  unser  Zimmer,  son- 
dern in  das  meines  Bruders  kamen  und  wir  nicht  dabei 
erschienen. 

Doch  konnten  wir  uns  die  kleine  Befriedigung  un- 
serer Neugier  nicht  versagen,  uns  von  dem  Bruder 
manchmal  die  Aufsätze  der  Herren  mitteilen  zu  lassen, 
wenn  er  sie  zur  Beurteilung  bei  sich  hatte  (was  von 
jedem  Mitglied  mit  jedem  Aufsatz  der  andern  geschah). 
Die  Gegenstände  der  Aufsätze  waren  teils  philosophi- 
scher, teils  moralischer,  teils  politischer  Art,  und  da 
die  Gesellschaft  sich  gegen  drei  Jahre  erhielt  und  sie 
sich  regelmäßig  jede  Woche  versammelte,  wo  dann 
stets  einmal  die  Aufsätze  und  das  nächste  Mal  die  Be- 
urteilungen in  Gegenwart  aller  Mitglieder  vorgelesen 
wurden,  so  kann  man  leicht  ermessen,  daß  der  Aus- 
arbeitungen eine  bedeutende  Zahl  und  von  den  ver- 
schiedensten Arten  werden  mußten.  Die  Gegenstände 
wurden  von  den  Mitgliedern  nach  der  Reihe  aufgegeben. 

171  . 


Meine  Mutter  und  ich  hatten  also  einige  der  Auf- 
sätze gelesen  und  viel  Vergnügen  daran  wie  überhaupt 
an  der  ganzen  Anstalt  gefunden.  Allmählich  stieg  in 
mir  der  Gedanke  auf,  mich  ebenfalls  auf  dieser  Bahn  zu 
versuchen,  und  ohne,  wie  es  sich  versteht,  persönlich 
zu  erscheinen,  ja  auch  ohne  meinen  Namen  zu  nennen, 
über  einige  der  Aufgaben,  die  meiner  Fassungskraft  so- 
wie meinem  Geschlecht  zusagten,  ebenfalls  kleine  Auf- 
sätze zu  schreiben.  Diese  übergab  ich  meinem  Bruder, 
der  sie  nebst  den  seinigen  vorlas,  wenn  die  jungen 
Herren  sich  bei  ihm  versammelten,  und  ein  paarmal 
ließ  sich  sogar  meine  Mutter  herbei,  ungenannterweise 
an  dieser  Geistesübung  teilzunehmen.  So  erinnere  ich 
mich  bestimmt,  daß  sie  über  die  Todesstrafen  mit- 
schrieb, eine  Wahl  des  Gegenstandes,  die  schon  zeigt, 
wie  ernst  und  mäftnlich  ihr  Geist  war  und  worin  sie 
gegen  Beccaria^"^)  sich  für  die  Todesstrafe,  aber  aus 
dem  Grunde  erklärte,  weil  sie  lebenslänglichen  Kerker 
für  etwas  subjektiv  viel  Quälenderes  und  objektiv  min- 
der Abschreckendes  hielt,  wodurch  also  die  Menge  nicht 
von  Begehung  ähnlicher  Verbrechen  abgehalten  und 
der  Gesellschaft  nur  ein  unnützes  oder  schädliches  Glied 
erhalten  würde. 

Die  Gegenstände,  welche  ich  mir  zur  Bearbeitung 
wählte,  waren  die  Aufgaben  philosophischer  oder  mo- 
raHscher  Art,  und  da  deren  die  größte  Anzahl  war,  so 
war  ich  eine  sehr  fleißige  Teilnehmerin,  und  kann  wohl 
sagen,  daß  ich  diesem  Verein  zu  gemeinschaftlichen 
Übungen  der  Denkkraft  und  den  strengen,  aber  meist 
gerechten  Beurteilungen  der  übrigen  Mitglieder  einen 
großen  Teil  meiner  Fortschritte  in  der  Leichtigkeit 
verdanke,  meine  Gedanken  über  irgendeinen!  Gegen- 
stand   zu    sammeln,    zu    ordnen    und    soviel    möglich 

172         ■ 


logisch  richtig  und  in  angenehmer  Schreibart  vor- 
zutragen. 

Aber  es  sollte  aus  dieser  Geistesübung,  die  nur  unsere 
■gegenseitige  Ausbildung  zum  Zwecke  zu  haben  schien, 
ein  anderer  und  für  mich  viel  wichtigerer  Vorteil, 
der  über  das  Glück  meines  Lebens  entschied,  hervor- 
gehen. Unter  den  Mitarbeitern  befand  sich  nämlich 
jener  junge  Mann,  der  in  meines  Vaters  Bureau  ar- 
beitete, längst  von  mir  mit  Auszeichnung  war  bemerkt 
worden  und  mich  zum  Gegenstande  einer  stillen,  ehr- 
furchtsvollen, aber  innigen  und  edlen  Zuneigung  er- 
wählt hatte.  Sonderbar  genug  fand  es  sich,  daß,  wenn 
die  sechs  bis  sieben  Mitglieder  jenes  Vereins  ihre 
Meinungen  über  denselben  Gegenstand  meist  sehr 
verschieden,  ja  oft  entgegengesetzt  äußerten,  Pichlers 
(dies  war  der  Name  jenes  jungen  Mannes)  Aufsätze  mit 
denen  des  Unbekannten  (unter  welcher  Bezeichnung 
ich  schrieb)  in  Ansicht  und  Beurteilung  meist  voll- 
kommen zusammen  trafen.  Daß  vorher  darüber 
zwischen  uns  nicht  gesprochen  wurde,  versteht  sich 
von  selbst;  denn  ich  sollte  ja  mein  Inkognito  be- 
halten; es  war  also  wirklich  Übereinstimmung  der 
Seelen,  die  sich  durch  dieses.  Mittel  wahrhaft  und 
offen  zeigte. 

Wie  sehr  die  Bemerkung  dieses  Zusammenklanges 
uns  beiden  auffallen,  und  wie  sehr  sie  den  Anteil,  den 
wir  bereits  aneinander  nahmen,  erhöhen  mußte,  ist 
leicht  zu  erachten.  Pichler  wurde  mir  immer  werter, 
.  und  ich  fühlte  wohl,  wie  sehr  mit  seiner  vermehrten 
Achtung  für  meinen  Geist,  auch  seine  Empfindung 
für  mich  lebendiger  wurde.  So  entwickelte,  vermehrte 
und  stärkte  sich  unsere  wechselseitige  Neigung  und 
ward    zuletzt    zum    unauflöslichen    Seelenbande,    das 

173 


unsere  Gemüter  auch  nach  mehr  als  40  Jahren  treu  und 
innig  zusammenhielt. 

Wohl  habe  ich  viele  Jahre  darnach  (1808)  aus  dem 
Munde  des  geist-  und  gemütreichen  Dichters  F.  Z.  Wer- 
ner, der,  .als  ^  er  noch  Protestant  und  weltlich  war, 
•während  seiner  ersten  Anwesenheit  in  Wien  unser 
Haus  sehr  oft  besuchte,  eine  Äußerung  vernommen, 
welche,  wenn  sie  gegründet  wäre,  bewiese,  daß  die 
Liebe,  welche  nur  nach  und  nach  aus  Achtung  und 
Wohlwollen  erwächst,  nicht  die  rechte,  echte  Liebe  sei. 
„Diese  muß",  so  drückte  der  schwärmerische  Dichter 
sich  aus,  ,,wie  der  Blitz  auf  einmal  in  zwei  Herzen 
schlagen,  sie  entzündend  reinigen  und  ewig  dauern." 
Ich  hörte  das  init  an,  erwiderte  dann,  daß  ich  auf  diese 
Weise  freilich  nie  recht  geliebt  hätte;  dachte  aber 
im  stillen  daran,  wie  bei  Wernern  selbst  der  Blitz, 
der  nur  einmal  fürs  ganze  Leben  entzünden  sollte, 
zwei-  oder  dreimal  eingeschlagen  habe,  und  ließ  den 
Streit  auf  sich  beruhen ^^°).  Es  nimmt  sich  eine  Sache, 
besonders  ein  Gefühl,  in  einem  Romane  oder  Ge- 
dichte ganz  anders  aus  als  in  der  wirklichen  Welt. 
Manches,  was  dort  glänzt  und  strahlt,  ist  hier  un- 
brauchbar, wo  nicht  gar  schädlich,  und  manches, 
das  sich  in  der  Wirklichkeit  unendlich  beglückend  und 
segensvoll  bewährt,  würde  in  einem  Gedichte  wenig 
oder  gar  keine  Figur  machen.  So  sehr  ist  Dichtung 
und  Wirklichkeit  verschieden,  und  so  gefährlich  ist  es, 
die  erste  aus  Romanen  und  Gedichten  zur  Führerin  auf 
der  Lebensbahn  zu  wählen,  was  indessen  sehr  vielen 
jungen  Leuten  begegnet,  und  vor  Zeiten,  wo  man 
sentimentaler  dachte,  noch  viel  mehreren  begegnet  ist. 

Während  diese  Neigung  in  unser  beider  Herzen 
wuchs  und  erstarkte,  knüpften  sich  neben  uns  unter 

174 


den  Freunden  auch  allerlei  Bändchen  und  Bande  an.  — 
Unter  den  jugendlichen  Gefährtinnen,  mit  denen  ich 
am  meisten  zusammen  kam,  war  mir  wohl  jenes  Fräu- 
lein Ravenet  die  nächste,  weil  sie  mir  noch  am  längsten 
und  genauesten  bekannt,  und  meine  eigentliche  Ver- 
traute war.  Außer  ihr  aber  schätzte  und  liebte  ich 
sehr  die  beiden  Fräulein  von  Mertens,  Sophie  und 
Henriette,  und  ein  Fräulein  Therese  Hackher.  Alle 
drei  sehr  hübsch,  schön  darf  man  wohl  sagen,  viel 
reizender  als  ich,  aber  alle  drei  so  gut,  verständig,  ge- 
bildet und  liebevoll,  daß  eine  herzliche  Zuneigung  und 
gegenseitige  Achtung  uns  verband.  Mein  Bruder, 
dieser  ausgezeichnete  junge  Mann,  entschied  sich  für 
Henrietten,  deren  ruhiges,  anstandsvolles  Betragen 
ihm  sehr  zusagte.  Sophie,  die  ältere  Schwester,  viel 
lebhafter  und  geistvoller  als  jene,  aber  vielleicht  min- 
der besonnen  und  ruhig,  wurde  von  einem  der  edelsten, 
besten  Menschen,  dem  jungen  Grafen  Chorinsky^^^), 
einem  innigen  Freund  Pichlers  und  meines  Bruders, 
und  nicht  dem  unbedeutendsten  in  diesem  seltenen 
Kleeblatt  guter  Menschen  und  treuer  Freunde,  ge- 
liebt; und  Therese  Hackher,  eines  der  liebenswürdig- 
sten und  schönsten  Mädchen  Wiens,  stand  durch 
mehrere  Jahre  in  einem  sehr  treuen  Verhältnis  mit 
einem  vorzüglichen  jungen  Mann,  meinem  Jugend- 
gespielen und  vertrauten  Freunde,  dem  Sohne  '  des 
Hofrats  Dürfeld^^^).  Diese  drei  Paare,  sowie  Pichler 
und  ich,  waren  nun  oft  und  viel  beisammen;  wir  kannten 
uns  alle  genau,  und  liebten  uns  herzlich  untereinander, 
und  ich  mag  wohl  sagen,  Dürf eld  und  Graf  Chorinsky 
waren  ebenso  sehr  meine  Freunde,  als  ihre  Geliebten 
meine  Freundinnen.  Es  war  ein  schönes  Leben  da- 
mals —  das  Jugendleben  guter  Menschen,  wie  Iffland 

175 


.1 

i  f 

r 


in  der  Elise  Valberg  so  wahr  sagt^^^);  wir  genossen  es 
mit  Innigkeit,  Treue  und  Mäßigung,  und  unsere 
gegenseitige  Vertraulichkeit  war  ein  schönes  Band  mehr 
in  diesem  Kreise. 

Mein  Bruder  indessen  löste  sein  Verhältnis  zu  Hen- 
rietten bald  oder  vielmehr,  sie  tat  es.  Es  war  ein  braves, 
sittsames,  aber  heiteres  und  lebensfrohes  Mädchen,  von 
sehr  bedeutender  Lieblichkeit  der  Gestalt;  meines 
Bruders  Begriffe  von  weiblicher  Würde  waren  hoch,  ja 
überspannt,  darf  ich  wohl  sagen,  und  seine  Forderungen 
an  das  Wesen,  das  er  sic4i  erwählt  hatte,  allzustrenge. 
Henriette  hatte  sich  in  allen  Schranken  des  Anstandes 
und  der  Rücksicht  auf  den  Geliebten  gehalten;  dennoch 
fand  mein  Bruder  stets  etwas  in  ihrem  Betragen  gegen 
andere  Männer  zu  tadeln,  und  das  reizte  sie  gegen  ihn 
auf.  Zudem  glaubte  sie  in  der  Art,  wie  er  mir  zuweilen, 
wenn  seine  Strengheitsprinzipien  lebhaft  hervortraten, 
begegnete  —  die  mich  aber  minder  verletzte,  weil  ich 
den  Bruder  und  seine  gute  Meinung  genau  kannte  — 
etwas  zu  finden,  das  ihr  Besorgnisse  für  ihr  zukünftiges 
Glück  an  seiner  Seite  geben  könnte,  und  so  trennten 
sich  diese  beiden  Herzen,  die  vielleicht  mit  etwas  mehr 
Geduld  und  Nachsicht  von  beiden  Seiten  sich  einander 
beglückt  haben  würden. 

Lange  hatte  der  Verbindung  zwischen  der  schönen 
Therese  Hackher  und  ihrem  Freunde  kein  günstiger 
Stern  geleuchtet.  Meine  innige  Teilnahme  an  ihrem 
Schicksal  sprach  sich  in  einem  kleinen  Gedichte  aus, 
welches  ich  ihr  zu  ihrem  Geburtstag  dichtete  ^i*). 
Endlich  ebnete  später  sich  ihnen  der  Pfad,  der  sie  zu 
ihrem  Glücke  führen  sollte,  und  im  Mai  1795  sprach 
der  Priester  den  Segen  über  diesen  Bund,  den  auch 
wir    alle    mit    unsern    besten    Wünschen    begleiteten. 


176 


i 


^y^  '^^' 


Ignaz  Karl  Graf  Chorinsky 
C.  Sales  pinx.,  B.  de  Schrötter  lith.  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


Auch  dieses  Ereignis  feierte  ich  durch  ein  kleines  Ge- 
dicht ^^^),  wie  denn  überhaupt  meine  Gedichte  minder 
freie  Ergießungen  eines  poetischen  Gefühls  waren, 
sondern  meist  irgend  einer  Veranlassung  bedurften,  die 
den  Funken  in  mir  weckte,  und  das  Gedicht  ins  Da- 
sein rief. 

Während  dieser  Zeit  hatte  Graf  Chorinsky  viele 
Mühe  und  Kummer  um  seine  Liebe  zu  Sophien  ge- 
tragen. Sie  war  ihm  nicht  ebenbürtig,  und  so  treff- 
lich sie  an  Herz  und  Geist,  so  hübsch  sie  von  Gestalt, 
und  so  gut  und  liebevoll  gegen  den  Sohn  auch  der  alte 
Graf^^^)  gesinnt  war,  dennoch  ließen  sich,  besonders 
damals,  die  Stan,desvorurteile  oder  Ansichten  nicht 
leicht  überwinden.  Der  Vater  wollte  seine  Einwil- 
ligung nicht  geben,  der  Sohn  das  Mädchen  nicht  lassen. 
Es  war  eben  noch  eine  Liebe  und  Treue  aus  jener  Zeit, 
wo  man  im  allgemeinen  wärmerer  Gefühle  und  eines 
höhern  Schwunges  in  den  Lebensansichten  fähig  war. 

Indessen  hatte  Chorinsky  zum  Schein  sich  dem  Be- 
fehle seines  Vaters  gefügt  und  Sophien  entsagt,  die 
er  mit  seines  Vaters  EinwilHgung  nie  hätte  besitzen 
können.  Wir  bedauerten  ihn  alle  recht  herzlich,  und 
gaben  uns  Mühe,  dem  unglücklichenPaar  unsere  wärmste 
Teilnahme  zu  beweisen.  Im  stillen  aber  währte,  uns 
allen,  selbst  Sophiens  Mutter  und  Chorinskys  besten 
Freunden,  meinem  Bruder  und  Pichlern  verborgen, 
diese  Verbindung  fort.  Die  Zusammenkünfte  wurden 
mit  Klugheit  und  Vorsicht  eingeleitet.  Ein  gemein- 
samer Freund,  der  gar  zu  gern  Geistestätigkeiten 
dieser  Art  übte,  wurde  ins  Vertrauen  gezogen.  Er  ver- 
mittelte die  geheimen  Besuche,  und  erst  lange  darnach, 
als  eben  dieser  allzu  tätige  Vertraute  wegen  anderer 
Verhältnisse  Gefahr  für  sich  selbst  fürchtete,  und  seine 


12     c.   P.   I 


177 


Mitwirkung  aufgeben  mußte,  erfuhren  wir  -öligen 
Freunde,  nicht  ohne  Schrecken  und  inniger  Mißbmi- 
gung,  den  wahren  Stand  der  Dinge,  daß  nämlich  Graf 
Chorinsky  fest  entschlossen  sei,  sich  mit  seiner  Ge- 
liebten auch  heimlich,  auch  wider  den  Willen  seines 
Vaters,  zu  verbinden. 

Zu  tun,  abzuwarten,  zu  hindern  war  nichts  mehr; 
das  sahen  seine  Freunde  klar  ein.  Man  ließ  also  die 
Sache  ihren  Weg  gehen,  nachdem  man  beiden  noch 
einmal  allen  Kummer  und  alle  Mißverhältnisse,  denen 
sie  sich  unausbleiblich  durch  jenen  Entschluß  aus- 
setzten, vorgestellt  hatte  ^^''). 


Wir  standen  jetzt  im  Jahre  1794.  Die  französische 
Revolution  hatte  indessen  alle  ihre  Greuel  entfaltet, 
der  König  und  die  Königin  waren  ermordet,  Ströme 
von  Blut  in  der  Hauptstadt  sowohl  als  den  Provinzen 
geflossen;  viele  bessere  Herzen,  die  im  Anfang  warm 
für  die  neuen  Ideen  geschlagen  hatten,  wandten  sich 
mit  Abscheu  ab,  als  statt  der  jugendlichen  Göttin 
der  Freiheit  ihnen  eine  bluttriefende  Mänade  ent- 
gegen taumelte.  Klopstock  sandte  dem  Konvent  das 
Bürgerdiplom  zurück,  das  er  früher  als  eine  ehrende 
Anerkennung  angenommen  hatte);  der  edle  Georg 
Forster,  den  wir  bei  seiner  Anwesenheit  in  Wien  oft 
in  unserm  Hause  gesehen,  und  den  meine  Eltern  sehr 
liebgewonnen  hatten,  war  vor  Gram  über  seine  ge- 
täuschten Erwartungen  in  Paris  gestorben  ^^^).  Der 
Krieg,  den  die  verbündeten  Mächte  gegen  Frankreich 
begonnen  hatten,  brachte  mit  den  Heeren  der  Repu- 
blik, die  die  Angreifenden  zurückdrängten  und  ihnen 
auf  dem  Fuße  folgten,  ihre  Vorstellungen  von  Frei- 


178 


heit,  Gleichheit,  Menschenrechten  usw.  mit  sich  her- 
über;  der  Schwindel  ergriff  die  Geister  jenseits  wie 
diesseits  des  Rheins  und  entzündete  verwandte  Ge- 
müter auch  in  Österreich  und  Ungarn.    Es  waren  ge- 
heime   Verbindungen    geschlossen,    Katechismen    der 
Freiheit   unter   den   Mitgliedern   verteilt,    und    noch 
sonst  allerlei  bedenkliche  Bewegungen  versucht  worden, 
welche  die  Regierung  aufmerksam  machten.    Plötzlich 
brach  das  Geheimnis  hervor.    In  einer  Nacht  wurden 
sowohl  hier  in  Wien  als  hier  und  dort  auf  dem  Lande 
viele  Personen  ergriffen,  ihre  Papiere  in  Beschlag  ge- 
nommen, sie  selbst  in  strengere  oder  gelindere  Haft 
gebracht.     Dasselbe    geschah    in    Ungarn.     Wie    ein 
Donnerschlag  aus  heiterm  Himmel  wirkte  diese  Nach- 
richt auf  die  lebensfrohen  Wiener,  die  plötzlich  aus 
ihrer    Mitte    eine    bedeutende    Zahl    wohlbekannter 
und  mit  vielen  befreundeter  Männer  gerissen,   diese 
als  Staatsverräter   beinzichtigt,    und   einem   sehr  un- 
gewissen, vielleicht  schrecklichen  Schicksal  entgegen- 
geführt sahen.    Die  Ergriffenen  gehörten  meist  dem 
gebildeten  Mittelstande  an,  es  waren  Beamte,  Kauf- 
leute, Advokaten,  Gelehrte  —  mit  einem  Worte,  jenen 
Kategorien,  aus  denen  auch  in  Frankreich  viele  bedeu- 
tende Männer  der  Revolution  hervorgegangen  waren. 
Im  ersten  Schreck  wurden  noch  gar  viele  als  arretiert 
genannt,    die   es   nicht  waren;   denn   die   Bestürzung 
war  groß  und  allgemein.    Eine  Kommission  aus  Mit- 
gliedern  des   Hofkriegsrates,   der  Polizeihofstelle  und 
der  Justizkollegien  wurde  zusammengesetzt,  um  über 
die  Schuldigen  zu  erkennen,  und  nachdem  die  Unter- 
suchung ziemlich  lange  gewährt  hatte,  wurden  einige 
zum   Tode,   andere   zur   Festung,   wieder  andere   zu 
längerer   oder  kürzerer   Haft   verdammt,   einige   ver- 

179 


wiesen.  Einer  oder  ein  paar  hatten  sich  im  Gefäng- 
nisse selbst  das  Leben  genommen.  Worin  ihr  Ver- 
brechen eigenthch  bestanden,  was  sie  bezweckt,  wie- 
viel ihnen  davon  schon  gelungen,  blieb  stets  mit  dich- 
tem Schleier  bedeckt.  Manche,  die  sehr  ängstlich  oder 
entschiedene  Widersacher  aller  neueren  Ideen  waren, 
überzeugten  sich  bald  von  der  Ungeheuern  Strafbar- 
keit dieser  VerschWornen  und  ihren  staatsgefährlichen 
Plänen,  während  andere,  echte  Frondeurs,  denen  alles 
mißfiel,  was  immer  die  Regierung  tat,  an  gar  keine 
oder  nur  höchst  geringe  Vergehen  glauben  wollten 
und  der  Meinung  waren,  man  habe  Schuldige  finden 
wollen,  um  Schrecken  zu  verbreiten,  und  die  Demo- 
kraten einzuschüchtern.  Gemäßigte  hielten  dafür, 
daß  zwar  allerdings  eine  geheime  Verbindung,  die  in 
Wechselwirkung  mit  der  ungarischen  unter  Martino- 
vich  stand  ^^^),  existiert,  und  daß  sie  bedenkliche,  wohl 
auch  staatsgefährliche  Absichtentgehabt  habe,  daß  es 
notwendig,  und  der  Gerechtigkeit,  ja  der  bürger- 
lichen Ordnung  und  Sicherheit  gemäß  war,  diese  nicht 
zu  dulden  und  streng  zu  bestrafen;  daß  man  aber  doch 
mit  zu  großem  Lärmen  und  unnötiger  Strenge  ver- 
fahren sei,  weil  einige  der  Hauptentdecker  und  Mit- 
glieder jener  Kommission  sich  gern  recht  in  die  Augen 
fallende  Verdienste  erwerben  wollten,  und  daher  dem 
Monarchen  die  Sache  im  gefährlichsten  und  nachteilig- 
sten Lichte  zeigten.  So  dachten  viele,  und  meine  An- 
sicht stimmte  schon  damals  damit  überein,  weil  ich 
a  priori  unserm  Kaiser  Franz  keine  Unbilligkeit  zu- 
trauen konnte  und  die  spätere  Erfahrung,  ja  das  eigene 
Geständnis  manches  damals  Verurteilten,  und  dann 
nach  der  Strafzeit  wieder  Freigegebenen  bestätigten 
vollkommen  diese  Meinung  ^2'^). 

i8o 


Von  diesem  Zeitpunkte  an  sprach  sich  der  Partei- 
geist recht  laut  und  gehässig  in  Wien  aus.  Da  fing 
man  an,  die  Benennung  Jakobiner  oft  und  vielmals  zu 
hören,  und  mit  diesem  Worte  wurden  nicht  allein 
jene  bezeichnet,  welche  allerdings  Grundsätze  hegten^ 
gleich  denen  des  französischen  Konvents,  sondern  leider 
ward  sie  von  den  übertrieben  loyalen  und  orthodoxen 
Gegnern  jedem  als  Brandmal  aufgedrückt,  der  nur 
irgendeine  freisinnige  Idee  äußerte;  c'est  le  mot  pour 
perdre  les  honnetes  gens,  wie  einer  unserer  Haus- 
freunde sagte.  Im  Gegenteil  wurde  wieder  von  der 
andern  Partei  jeder  dn  Aristokrat,  ein  Bigott,  ein 
Feind  aller  Aufklärung  gescholten,  der  seine  kirch- 
lichen Vorschriften  befolgte,  seinem  Herrscherhaus  treu 
ergeben  war  und  öffentliche  Ruhe  und  Sicherheit 
wünschte  ^2^).  Dieser  Geist  der  Parteiung  verbreitete 
sich  bald  über  alles,  ja  auch  über  die  heterogensten 
Gegenstände.  So  kamen  damals  oder  bald  darnach  Herr 
und  Madame  Vigano^^^)  nach  Wien  und  führten  eine 
neue  Art  von  pantomimischen  Tanz,  mit  ganz  neuer 
Art  sich  zu  kleiden,  ein.  Die  römischen  und  andern 
steifen  Kostüms,  die  Reifröcke  usw.  usw.  verschwanden 
vom  Theater;  die  Natur  wurde  aufs  treueste  nach- 
geahmt; fleischfarbe  Trikots  umhüllten  Arme  und 
Beine,  die  Tänzer  und  Tänzerinnen  waren  kaum  be- 
kleidet; ja  in  dem  sogenannten  rosenfarben  Pas  de  deux 
hatte  Madame  Vigano  über  dem  Trikot,  der  ihren 
ganzen  Leib  umgab,  nichts  an,  als  drei  bis  vier  flat- 
ternde Röckchen  von  Krepp,  immer  eins  kürzer  wie 
das  andere,  und  alle  zusammen  mit  einem  Gürtel  von 
dunkelbraunem  Band  um  die  Mitte  des  Leibes  fest- 
gebunden. Eigentlich  also  war  dies  Band  das  einzige 
Kleidungsstück,    das    sie    bedeckte,    denn    der    Krepp 

i8i 


verhüllte  nichts,  im  Tanze  flogen  auch  oft  noch  diese 
P.öckchen  oder  eigentlich  Falbalas  hoch  empor  und 
ließen  dem  Publikum  den  ganzen  Körper  der  Tänzerin 
in  fleischfarbem  Trikot,  der  die  Haut  nachahmte,  also 
scheinbar  ganz  entblößt,  sehen. 

Mir  kam  das  empörend  frech  vor;  dennoch  mußte 
ich  gestehen,  daß  die  Bewegungen  dieser  Künstlerin 
hinreißend  anmutig,  ihr  Mienenspiel  voll  Ausdruck 
(sie  war  noch  überdies  sehr  hübsch),  ihre  Pantomime 
meisterhaft  waren.  Die  Sensation,  welche  diese  Frau 
und  die  Ballette,  welche  ihr  Mann  aufführte,  hier 
machten,  war  ungeheuer;  sie  waren  aber  auch  zu- 
gleich der  Wendepunkt  der  alten  und  neuen  Kunst  so- 
wie des  alten  und  neuen  Geschmackes.  Scharf  und  ge- 
hässig trennten  auch  hier  sich  die  Parteien.  Der  Bal- 
lettmeister Muzzarelli  ^2')  repräsentierte  mit  seiner  Art 
und  Kunst  die  alte  Zeit,  die  Viganos  die  neue,  und  , 
in  diesem  Sinn  teilten  sich  die  Anhänger  dieser  beiden 
Führer,  nur  mit  der  einzigen  Ausnahme,  daß  manche 
ältere  Herren,  die  sonst  ihrer  Geburt  und  Sinnesart 
nach  sehr  wohl  zu  den  Verteidigern  des  Alten  gehörten,  ■ 
Aristokraten  im  vollen  damaligen  Sinne  des  Wortes, 
den  Reizen  der  wollustatmenden  Vigano  doch  nicht 
völlig  zu  widerstehen  vermochten  und  so  gleichsam 
eine  Versöhnung  zwischen  dem  Alten  und  Neuen  zu 
machen  strebten. 

Auch  auf  die  Mode  in  der  Frauenkleidung  geschah 
jetzt  eine  auffallende  Einwirkung.  —  Unsere  steifen, 
faltenreichen  Anzüge  machten  leichteren  Formen 
Platz,  die  langenTaillen  mit  den  Schnabelspitzen  vorn 
und  hinten  verschwanden  samt  den  Bouffants  und 
Siebröcken,  welche  schon  nach  und  nach  eine  An- 
näherung vorbereitet  hatten.    Der  Gürtel  des  Kleides 

182 


wurde  nicht  mehr  an  den  Hüften,  sondern  unter  der 
Brust  gebunden;  der  Puder  wurde  allmählich  ab- 
geschafft, die  Hackenschuhe  abgelegt,  die  ganze  Klei- 
dung näherte  sich  mehr  der  Natur  und  eigentlich  dem 
griechischen  Geschmacke,  in  welchem  Sinne  man  in 
den  folgenden  Jahren  immer  weiter  und  weiter  schritt, 
bis  zu  Knappheiten  in  der  Kleidung,  die  kaum  eine 
Falte  übrig  ließen,  so  daß  die  genaueste  Bezeichnung 
der  darunter  befindlichen  Körperform  der  eigentliche 
Zweck  und  Ruhm  dieser  Mode  zu  sein  schien.  Dazu 
gehörten  denn  die  wirklich  oder  scheinbar  unter  Tri- 
kots entblößten  Arme,  'entblößte  Schultern,  geschnürte 
Schuhe,  die  den  Kothurn  nachahmten,  reiche  Arm- 
bänder, nicht  bloß  am  Vorderarm  wie  sonst,  sondern 
über  dem  Ellenbogen;  abgeschnittenes  und  in  kurze 
Locken  gelegtes  oder,  wenn  es  lang  blieb,  in  einen 
Knoten  am  Hinterkopf  geschlungenes  Haar  —  kurz 
ein,  soviel  es  möglich  war,  griechisierendes  Kostüm. 

Die  Männer  stutzten  ihre  Haare  ebenfalls,  kein  Zopf, 
kein  Haarbeutel,  keine  Seitenlocken  wurden  mehr  ge- 
sehen; der  Puder  verlor  sich  ebenfalls,  und  bei  vielen 
traten  ungeheure  Backenbärte  hervor.  Hierin  aber  ge- 
nierten sich  doch  viele,  und  gerade  die  sittlichsten, 
geregeltsten  der  jungen  Männer;  denn  so  ein  Schweden- 
kopf, wie  man  sie  zuweilen  nach  den  Porträten  Karls  XII. 
nannte,  und  ein  starker  Backenbart  galt  bei  Loyal- 
gesinnten oft  für  das  wahre  Abzeichen  eines  Jakobiners 
und  mancher,  der  die  Mode  als  Mode  mitmachte  und 
vielleicht  ganz  rechtlich  gesinnt  war,  mußte  sich  mit 
diesem  Namen  brandmarken  lassen,  der  nicht  ohne 
Übeln  Einfluß  auf  die  Gunst  seiner  Vorgesetzten  und 
somit  auf  sein  Fortkommen  in  der  Welt  blieb  2^*). 

Es  ist  natürlich,   daß   die  jungen  Männer  unserer 

183 


Sozietät  die  Einwirkung  dieser  öffentlichen  Ereignisse 
ebenfalls  fühlen  mußten,  und  obwohl  sie  in  Kleidung, 
Äußerungen  und  Betragen  sich  alle  in  den  Schranken 
des  Anstandes  und  der  gebräuchlichen  Formen  hielten, 
so  beschlossen  doch  diejenigen,  die  zu  der  gewissen 
Samstagsgesellschaft  gehörten,  diese  nun  aufzulösen, 
um  der  Regierung  und  öffentlichen  Meinung  keinen  An- 
stoß zu  geben;  besonders  da  einer  unter  ihnen,  Graf 
Chorinsky,  der  Neffe  jenes  hohen  Staatsbearn^en  war, 
der  sich  am  tätigsten  in  der  Verfolgung  derA^erdäch- 
tigen  und  Verschwornen  bewiesen  hatter^^).  Die 
meisten  vertilgten  also  ihre  Aufsätze !  sowie]  die  Be- 
urteilungen, besonders  jene,  welche  politische  Gegen- 
stände behandelten  und  worin  freisinnige  Meinungen 
ohne  Scheu,  weil  bloß  vor  Freunden,  waren  aus- 
gesprochen worden.  Man  fürchtete  damals  nicht  ohne 
Grund  sogar  Haussuchungen,  und  diejenigen,  welche 
noch  ihre  Karriere  in  der  Welt  zu  mächen  hatten,  durf- 
ten keinen  solchen  Makel  auf  ihren  Ruf  laden. 

So  hatten  denn  die  angenehmen  Samstagsvereine 
ein  Ende;  es  tat  mir  ungemein  leid;  aber  eine  gute 
Folge  war  mir  doch  davon  geblieben.  Pichler  und 
ich  hatten  uns  einander  nicht  bloß  genähert,  sondern 
wirklich  vereinigt.  Wir  liebten  uns  herzlich  und  waren 
ernstlich  entschlossen,  uns  für  das  ganze  Leben  zu  ver- 
binden. Mitten  unter  poHtischen  Gärungen  und  Dis- 
sonanzen wuchs  und  erstarkte  die  Harmonie  unserer 
Seelen,  und  da  meine  Eltern,  denen  wir  kein  Geheim- 
nis aus  unserer  Liebe  machten,  ihren  Segen  dazu 
sprachen,  so  beseligte  uns  ein  stiller  Frieden,  und  wir 
sahen  mit  Geduld,  obwohl  mit  recht  innigem  Ver- 
langen, einer  glücklichen  Wendung  von  Pichlers  Ge- 
schick entgegen,  die  ihm  eine  Beförderung  verschaffen, 

184 


■^v^LUfja 


und  ihn  dadurch  in  den  Stand  setzen  sollte,  mir  seine 
Hand  anzubieten.  Er  selbst  besaß  kein  Vermögen,  aber 
meine  Eltern  konnten  und  woUten  uns  gern  unter- 
stützen, und  Pichlers  Geschicklichkeit,  Fleiß  und  Recht- 
lichkeit waren  so  bei  allen  Behörden^  die  zu  der  poli-' 
tischen  Branche  gehörten,  anerkannt,  daß  wohl  an 
seinem  baldigen  und  glücklichen  Fortkommen  nicht  zu 
zweifeln  war.  , 


Der  Krieg  mit  Frankreich  ging  seinen  Gang  mit 
dem  bekannten  Erfolge  fort.  Im  Jahre  1795 
machte  Preußen  seinen  Separatfrieden ^^^^  und  ließ 
Österreich  allein  den  furchtbaren  Kampf  fortsetzen. 
Dafür  rückte  es,  unter  dem  Vorwande,  die  Gefahr 
jakobinischer  Gesinnungen  zu  beseitigen,  welche  ihm 
von  Polen  aus  drohte,  mit  Rußland  vereint  in  dies 
unglückliche  Land  ein,  und  es  ward  zum  drittenmal 
geteilt  ^2').  Genau  habe  ich  die  Folge  dieser,  nach 
meiner  Ansicht  höchst  widerrechtlichen  Eingriffe  in 
die  Freiheit  eines  selbständigen  Volkes  nicht  behalten. 
Immer  aber  hat  mir  geschienen,  diese  Zerstückelung 
und  die  Ungerechtigkeit,  deren  sich  die  Höfe  dabei 
schuldig  machten,  sei  der  Giftkeim  gewesen,  der  in  dem 
europäischen  Gemeinwesen,  erst  verborgen,  dann 
immer  offener  wie  ein  Krebsschaden  um  sich  gegriffen 
hat.  Jene  Gewaltschritte  mögen  wohl  dem  furcht- 
baren Eroberer  zum  Vorbild  wie  zur  Rechtfertigung 
gedient  haben,  als  er  später,  nachdem  der  Wille  der 
Vorsicht  das  Schicksal  der  Nationen  in  seine  über- 
mächtige Hand  gelegt  hatte,  mit  Ländern  und  Völ- 
kern wie  mit  Spielmarken  umging,  die  man  heute 
diesem,  morgen  jenem  zuteilen  kann,  um  eine  Weile 

185  ^ 


damit  zu  glänzen  und  sie  bei  dem  nächsten  Wechsel 
der  Herrscherlaune  wieder  zu  verlieren.  Seitdem  hat 
ein  ungeheures  Unglück  dies  bedauernswerte  Land 
ganz  um  jeden  Schatten  der  Selbständigkeit  und 
Nationalität  gebracht,  den  Kaiser  Alexanders  milde 
Gesinnungen  ihm  noch  gelassen.  In  mir  aber  lebt  der 
feste  Glaube,  daß  es  so  nicht  bleiben  wird  und  kann, 
und  die  Vorsicht  solche  schreiende  Ungerechtigkeiten 
nicht  durch  ihren  Beistand  sanktionieren  kann.  Polen 
wird  einst,  —  ob  bald,  ob  später  weiß  nur  der  Lenker 
unsrer  Geschicke,  und  in  der  Weltgeschichte  zählen 
ja  die  Jahre  nur  wie  Tage  —  also  Polen  wird  und  muß 
sich  wieder  erheben,  es  muß  wieder  ein  eignes,  selb- 
ständiges Reich  werden,  das  die  kultivierten  Staaten 
Europas  als  ein  mächtiges  Bollwerk  gegen  die  Horden 
des  nordischen  Riesenreiches  schirmen,  den  Weltteil 
vor  einer  zweiten  Völkerwanderung  und  die  Nationen 
germanischen  und  keltischen  Stammes  vor  einer  Unter- 
jochung durch  Slaven  bewahre,  die  das  k,  welches  in 
ihrem  Namen  ausgelassen  ist,  durch  ihre  Denkart 
immer  mit  hineinbringen,  drücken,  wo  sie  können  und 
kriechen,  wo  sie  müssen.  Und  nur  dann,  wenn  Polen 
hergestellt,  die  Nemesis  gesühnt  und  Recht  befriedigt 
ist,  wird  auch  rechte  Ruhe  in  Europa  wieder'"*).  Immer 
erfüllt  es  mich  mit  einer  stolzen  Beruhigung,  daß 
schon  vor  sechzig  Jahren  (it  is  60  years  since)  bei  der 
ersten  Teilung  dieses  unglücklichen  Reiches,  als  Preußen 
und  Rußland  ihren  schlimmen  Plan  entwarfen,  Öster- 
reich, d.  i.  die  Kaiserin  Maria  Theresia,  diese  wahr- 
haft große  und  christlichgesinnte  Monarchin,  nicht 
einwilligen  wollte,  wie  ihr  Billett  an  Fürst  Kaunitz 
beweist,  welches  uns  Baron  Hormayr  im  historischen 
Taschenbuch    bei    Gelegenheit    von    Kaunitz   Leben 

186 


mitteilt.  „Ich  fürchte,  es  werde  ein  übles  Beispiel 
geben",  schrieb  die  weise  Fürstin  iri  prophetischem 
Geiste,  und  sie  hatte  richtig  gesehen,  wie  der  Erfolg 
bewiesen.  Nur  gezwungen  gab  sie  endlich  nach  und 
schämte  sich  bitter  dieser  harten  Notwendigkeit  ^2*). 
Damals  also,  mehr  als  20  Jahre  später,  fiel  bei  der 
dritten  Teilung  das  sogenannte  Westgahzien  mit 
Krakau  an  Österreich.    Viele  Beamte  fanden  dort  An- 

y 

Stellungen,  und  Graf  Chorinsky  ward  zum  Kreishaupt- 
mann in  Kielge  ernannt  ^2®).  Fast  zu  gleicher  Zeit 
gingen  auch  hier  große  Veränderungen  vor.  Graf 
Saurau,  Graf  Chorinskys  Oheim,  wurde  Regierungs- 
präsident ^^°),  mehrere  ältere  oder  mißfällige  Räte  und 
Sekretäre  wurden  jubiliert,  und,  wie  denn  das  so  oft 
in  der  Welt  geht,  das  Mißgeschick  jener  (an  dem  wir 
übrigens  auch  nicht  die  entfernteste  Schuld  hatten) 
wurde  der  Grund  unseres  Glückes, 

Pichler  erhielt  die  Stelle  eines  Regierungssekretärs  ^^^) 
und  war  durch  den  damit  verbundenen  höhern  Rang 
und  Gehalt  imstande,  an  unsere  Verbindung  zu  denken, 
da  meine  Eltern  (um  mich  nicht  aus  ihrer  Nähe  zu 
verlieren)  uns  eine  sehr  ausgiebige  Unterstützung  ver- 
sprochen hatten.  Es  wurde  also  eine  kleine,  aber  sehr 
nette  Wohnung,  welche  gerade  an  die  meiner  Eltern, 
„auf  der  Mehlgrube",  grenzte,  und  mit  jener  das  ganze 
Stockwerk  ausmachte,  für  uns  gemietet,  die  wir  im 
nächsten  Herbst  beziehen  sollten.  Unsere  Vermählung 
aber  war  auf  den  Frühling  1796  festgesetzt  und  sollte 
in  unserer  Gartenwohnung  zu  Hernais  gefeiert  werden, 
wo  wir  auch  den  Sommer  über  leben  wollten. 

Chorinsky  nährte  dieselben  Hoffnungen  und  Pläne 
wie  Pichler.  Auch  er  war  entschlossen,  das  Mädchen, 
das  er  liebte,   Sophie  Mertens,  zu  heiraten,  da  aber 

187   .. 


sein  Vater  diese  Verbindung  nicht  zugeben  wollte, 
sollte  die  Trauung  ganz  in  der  Stille  sein,  acht  Tage  vor 
der  unsrigen,  und  so  sahen  denn  wenigstens  zwei  Paare 
der  Jugendfreunde  froh  dem  Ziele  ihrer  Wünsche  ent- 
gegen, wie  vor  zwei  Jahren  Dürfeid  mit  seiner  Therese, 
nur  daß  leider  dies  Band  seitdem  schon  wieder  zerrissen 
worden  war.  Therese  hatte  ein  überglückliches  Jahr, 
vom  Mai  1794  ^^^  zum  Juni  1795,  mit  dem  trefflichen 
Gatten  gelebt;  sie  hatte  Hoffnung,  bald  Mutter  zu 
werden.  Wir  sahen  uns  oft  bei  meinen  Eltern  im 
Garten  oder  auch  in  Theresens  Wohnung  in  der 
Stadt '^^).  Gegen  den  Zeitpunkt,  wo  jene  Hoffnung 
erfüllt  werden  sollte,  bemerkten  ich  und  viele,  welche 
die  junge  schöne  Frau  sahen  und  Anteil  an  ihr 
nahmen,  daß  sich  ihre  Züge  in  etwas  geändert  hatten, 
ohne  daß  man  eben  sagen  konnte,  sie  sehe  krank  aus. 
Erfahrene  Matronen  wollten  daraus  Besorgnisse  schöp- 
fen; aber  Therese  ward  glücklich  von  einem  schönen 
und  gesunden  Mädchen  entbunden,  die  noch  jetzt  als 
Mutter  von  neun  Kindern  und  Gattin  des -Vizepräsi- 
denten von  Hauer  ^3^)  lebt.  Indessen  hatte  man  bei 
der  Taufe  des  Kindes  oder  nach  derselben  die  schöne 
Wöchnerin  zierlich  geputzt,  eine  Menge  Besuche  bei 
ihr  eintreten  lassen,  und  diesem,  freilich  verkehrten 
Verhalten  ward  es  zugeschrieben,  daß  Therese  plötz- 
lich sehr  krank  wurde,  ihr  Übel  von  Stunde  zu 
Stunde,  von  Tag  zu  Tag  stieg,  und  das  blühende, 
edle,  liebenswürdige  Weib,  die  glückliche  Gattin  und 
Mutter  noch  vor  dem  Ende  der  neun  Tage  eine 
Leiche  war^^*). 

Ich  fühlte  diesen  Verlust  sehr  tief  und  schmerzlich, 
nicht  bloß  um  der  Verblichenen  selbst,  sondern  auch 
um  ihres  untröstlichen  Mannes,  meines  teuern  Freun- 

188 


des  willen,  und  ich  sprach  mein  Gefühl  in  einem  Ge- 
dicht aus,  das  dieses  traurige  Ereignis  besang  und  in 
der  Sammlung  meiner  Gedichte  enthalten  ist^^^). 


Als  mein  Hochzeitstag  heranrückte,  den  meine 
Eltern  auf  den  25.  des  schönsten  Monats,  des  Mai, 
festgesetzt,  wünschte  ich,  daß  meine  wertern  Jugend- 
freunde daran  teilnehmen  und  mich  an  diesem  Tage 
umgeben  sollten.  Fräulein  Ravenet  bat  ich,  meine 
Kranzjungfrau  zu  werden,  ihr  Pflegevater,  der  Regie- 
rungsrat von  Heß,  wurde  zu  meinem  einen  Zeugen  ^ 
oder  Beistand  erwählt,  und  "mein  lieber  Dürfeid,  dem 
ich  es  kaum  zuzumuten  wagte,  ein  Jahr  nach  seinem 
unendlichen  Verlust  bei  meiner  Hochzeit  gegenwärtig 
zu  sein,  übernahm  doch  aus  freundschaftlicher  Güte 
für  mich  die  Stelle  des  zweiten.  Pichlers  Beistände 
waren  der  damalige  Hof  rat  von  Sonnenfels,  dessen 
Name  in  Österreich  in  dankbarem  Andenken  lebt, 
und  ein  junger  Baron  von  Lederer^^^,  der  denn  nun  - 
auch  so  gut  wie  die  beiden  älteren  Beistände  und 
Dürfeid  längst  schon  hinübergegangen  ist  und  die 
Brautleute  dort  erwartet,  wo  wir  uns  wahrscheinlich 
in  nicht  langer  Frist  alle  zusammenfinden  werden. 

Dieser  25.  Mai  1796,  ein  Mittwoch,  war  von  dem 
herrlichsten  Frühlingswetter  begünstigt  und  in  unserm 
Hause  vom  frühen  Morgen  an  ein  geschäftiges  Treiben 
und  Drängen,  das  mich  in  innerer  und  äußerer  Un- 
ruhe und  Spannung  erhielt.  Gegen  Abfend  erschienen 
die  Hochzeitsgäste  und  unsere  nächsten  Freunde  und 
Bekannten ;  denn  wir  beide,  Pichler  und  ich,  wünschten 
kein  rauschendes  Fest,  und  es  sollte  doch  eines  werden! 
Meines    Mannes    Bruder,    der    würdige    Pfarrer^'), 

189 


traute  uns,  und  mit  tiefbewegter  Seele  kam  ich  von 
der  Trauung  zurück ^^^),  wo  ich  zwar  nicht  geweint, 
aber  desto  mehr  gezittert  hatte,  wie  denn  überhaupt 
meine  Tränen  nicht  bei  jenen  Anlässen  fließen,  die 
sie  sonst  bei  meinem  Geschlechte  hervorzurufen  pflegen, 
wohl  aber  bei  Regungen  und  Äußerungen  öffentlicher 
Erhebung  oder  Freude.  So  haben  sie  später  die  Land- 
wehrlieder meines  Freundes  CoUin^^^)  und  die  An- 
strengungen und  Siege  der  Jahre  1813 — 14  reichlich 
fheßen  gemacht. 

Wir  waren  also  nach  Hause  gekommen,  ein  sehr 
elegantes  Gouter  war  eingenommen,  und  es  fing  an 
zu  dunkeln,  da  bemerkten  einige  von  der  Gesellschaft, 
die  zufälligerweise  an  ein  Fenster,  welches  in  den 
Garten  sah,  getreten  waren,  daß  es  im  Garten  von 
Menschen  wimmle,  und  in  der  Entfernung  der  Schein 
von  Lichtern  zu  sehen  sei.  Meine  Mutter  lächelte  bei 
dieser  Bemerkung  ganz  geheimnisvoll;  aber  sie  schwieg, 
denn  sie  allein  wußte  von  der  Überraschung,  welche 
liebe  Freunde  uns  bereitet  hatten,  nämlich  das  Fräu- 
lein von  Paradis,  deren  unglücklicher  Bhndheit  und 
ihres  seltsamen  Geschicks  schon  erwähnt  worden  ist^*"). 
Ihr  Vater  war  ein  vieljähriger  Bekannter  und  Freund 
des  meinigen^*!),  Fräulein  Therese,  obwohl  viel  älter 
als  ich,  trug  von  jeher  eine  lebhafte  Neigung  zu  mir,  die 
ich  herzlich  erwiderte,  und  die  Musik,  welche  sie,  mit 
so  vielem  Glück  als  Freude,  als  den  vorzüglichsten  Trost 
in  ihrer  Lage  trieb,  wurde  zu  einem  neuen  Band  zwi- 
schen uns.  Wir  hatten  bereits  kleine  Komödien,  auch 
einige  Oratorien  und  Opern,  meistens  ohne  Theater 
und  Spiel  miteinander  aufführen  geholfen;  „Cora" 
und  „Amphion"  von  Naumann  ^*2)  und  viele  andere, 
auch    einige    Kompositionen    von    Fräulein    Paradis 

190 


,-iSl 


selbst;  doch  fand  ich,  daß  weder  ihre  noch  die  Kom- 
positionen des  Fräuleins  von  Martinez^*^)  (die  einzigen 
Werke  von  weibhchen  Kompositeurs,  die  mir  bekannt 
geworden)  von  großem  Belange  waren. 

Es  ist  überhaupt  eine  seltsame  Bemerkung  und  sie 
möge  hier  stehn,  weil  sie  eine  Veranlassung  gefunden 
hat,  daß  es  noch  nie  einer  Frau  gelungen  ist,  sich  als 
schaffende  Musikerin  auszuzeichnen.  Es  gibt  glück- 
liche Malerinnen  und  Dichterinnen  und  wenn  gleich 
nie  eine  Frau  es  in  irgend  einer  Kunst  oder  Wissen- 
schaft so  weit  wie  die  Männer  gebracht  hat,  so  haben 
sie  doch  bedeutende  Stufen  erstiegen.  In  der  Musik 
nicht.  Und  dennoch  sollte  man  glauben,  daß  diese 
Kunst,  welche  die  wenigsten  Vorstudien  erheischt 
und  viel  eigentlicher  Sache  des  Gemüts  und  der 
Phantasie  ist  als  die  andern  Künste,  das  rechte 
Organ  wäre,  in  dem  sich  der  weibHche  Geist  aus- 
sprechen könnte  3*'*). 

Doch  ich  kehre  zu  Fräulein  v.  Paradis  und  meiner 
Hochzeitsfeier  zurück.  Gleich  nachdem  jene  Bewe- 
gungen im  Garten  bemerkt  worden  waren,  ertönte 
Musik,  die  sich  immer  mehr  näherte;  es  kam  die  Treppe, 
herauf,  und  ein  Zug  ländlich  gekleideter  Gestalten 
trat,  einen  Chor  singend,  den  Instrumente  begleiteten, 
in  den  Vorsaal.  —  Alles  eilte  ihnen  entgegenj^  und  mit 
lebhaftem  Vergnügen  erkannte  ich  in  den  Bauern  und 
Bäuerinnen  des  Zuges  meine  Schauspiel-  und  Opern- 
gefährten aus  dem  Paradisschen  Hause  2**).  Ein  Paar 
nach  dem  andern  trat  nun  vor  Pichler  und  mich  hin, 
und  überreichte  uns  in  kleinen  Körbchen  niedliche 
Spielsachen,  die  in  verkleinertem  Maßstabe  eine  ganze 
Hauseinrichtung  vorstellten,  und  sangen  eine  Strophe 
des  Chors,  der  also  begann: 


Wir  kommen  mit  Gaben  und  Steuer, 

Zu  ehren  die  ehliche  Feier, 

Die  heute  das  glücklichste  Pärchen  vereint; 

Und  scheinen  gering  auch  die  Gaben, 

Die  wir  zum  Geschenke  hier  haben, 

So  denkt  nur,  wir  haben  es  redlich  gemeint,  usw. 

Als  alle  vier  Paare  ihre  Körbchen,  jedes  mit  andern, 
auf  den  Inhalt  des  Korbes  bezüglichen  Versen  über- 
geben hatten,  wurden  wir  gebeten,  dem  Zuge  in  den 
Garten  zu  folgen.  Hier  standen  am  Fuße  der.  Treppe 
vier  weißgekleidete  Mädchen,  die  einen  Baldachin  von 
Zweigen  und  Blumen  hielten,  unter  den  der  Bräutigam 
treten  und  sich  von  ihnen  führen  lassen  mußte.  Ebenso 
erwarteten  mich  vier  junge  Herren  mit  ihrem  grünen 
Dache,  und  nun  strömte  die  ganze  zahlreiche  Ge- 
sellschaft uns  nach  durch  die  langen  Alleen  bis  zu  dem 
Platze,  wo  eine  Art  von  natürlichem  Theater  aus  le- 
bendigen Hecken  und  Spalieren  gebildet,  ein  passen- 
des Lokal  für  einen  Altar  des  häuslichen  Glückes  bot, 
an  welchem  Fräulein  Therese  v.  Paradis  als  Priesterin 
der  Freundschaft  stand,  noch  andere  Mitspielende  in 
verschiedenen  Attitüden  umher  gruppiert  waren  (das 
Ganze  von  unzähligen  Lampen  geschmackvoll  erleuch- 
tet) und  uns  mit  einem  Chorgesange  empfingen. 

Es  war  ein  schönes  und  rührendes  Fest  herzlicher 
Freundschaft,  das  mich  damals  ungemein  erfreute,  die 
Bande  wechselseitiger  Zuneigung  zwischen  uns  und  der 
Paradisschen  Familie  fester  zuzog,  und  wofür  ich  noch 
jetzt,  nach  langen  Jahren,  den  Manen  der  längstvor- 
angegangenen Freunde  einen  Zoll  dankbarer  Erinne- 
rung entrichte'**). 

So  ward  unser  Hochzeitfest,  das  nach  unserer  Mei- 
nung still  und  geräuschlos  hätte  vorüber  gehen  sol- 
len,  doch  unvermutet  durch  die  Mitwirkung  wohl- 

192 


Maria  Theresia  v.  Paradis 
Wachsbüste  —  k.  k.  Blinden-Institut,  Linz 


wollender  Freunde  glänzend  gefeiert,  und  „so  vieler 
Geister  wohlgemeintes  Streben"  konnte  nicht  anders 
als  Segen  über  diese  Verbindung  bringen,  die  sich 
denn  in  dem  langen  Zeitraum,  in  Glück  und  Unglück 
als  eine  der  zufriedensten  und  vergnügtesten  Ehen  be- 
währt hat. 


Wir  waren  vermählt  und  lebten  mit  meinen  Eltern 
nicht  bloß  in  einem  Hause ^*''),  sondern  aßen  auch  mit 
ihnen  an  einem  Tische,  und  machten  nur  eine  Haus- 
haltung aus,  obgleich  wir  junges  Ehepaar  ein  ganz 
separiertes  Appartement,  sowohl  auf  dem  Lande  in'mei- 
ner  Eltern  Haus  als  in  der  Stadt,  neben  ihnen  bewohn- 
ten. Hier  sei  es  mir  erlaubt,  eine  Bemerkung  und 
Erfahrung  einzuschalten,  die  ich  an  meinem  eigenen 
Schicksal  gemacht,  und  dadurch  angeregt,  noch  so  oft 
und  vielmal  bei  andern  zu  machen,  Gelegenheit  gehabt 
habe,  daß  ich  sie  wohl  als  untrügHch  aussprechen  darf. 
Es  taugt  nicht,  und  stört  das  häusliche  Glück  beider 
Teile,  wenn  Schwiegerkinder  mit  den  Eltern  auf  eine 
solche  Art  beisammen  wohnen,  daß  sie  nur  einen  Haus- 
halt ausmachen.  Wenn  auch  Grundsätze  und  Lebens- 
verhältnisse der  Kinder  und  Eltern  sich  ziemlich  glei- 
chen, so  bringt  schon  der  Unterschied  der  Jahre  und  die 
daherrührende  Verschiedenheit  der  Ansichten  und  des 
Geschmacks  einen  notwendigen  Zwiespalt  hervor. 
Überdies  gibt  es  Eigenheiten,  Angewöhnungen,  Haus- 
bräuche, die  an  sich  völlig  gleichgültig  sind,  aber  der 
Schwiegersohn,  die  Schwiegertochter  bringt  solche  aus 
dem  väterlichen  Hause  mit,  und  findet  hier  ganz  an- 
dere. Über  vieles  setzt  sich  wohl  ein  wohlgeordnetes 
Gemüt  hinaus  aus  Liebe  zu  dem  Gatten,  aus  Liebe  zum 


13    c.  P.  I 


[ 


193 


Frieden.  Auch  werden  zwei  junge  Gemüter,  sich  selbst 
überlassen,  sich  leichter  ineinander  finden  und  schicken. 
Schroffer,  kälter,  starrer  stehen  die  Ansichten  der 
Schwiegereltern,  ihre  Eigenheiten  dem  fremden  Teil 
gegenüber,  und  es  kommt  dann  darauf  an,  ob  die  alten 
Leute  nachgeben  und  in  ihren  späten  Jahren  sich  eine 
Art  ton  Unterordnung  gefallen  lassen  oder  ob  die 
jungen  Leute  sich  willenlos  hingeben  sollen  ?  Im.mer 
muß  ein  Teil,  die  Alten  oder  Jungen,  geopfert  werden, 
und  wer  das  Leben  kennt,  wird  hier  nicht  von  Nach- 
geben, Ausweichen  usw.  sprechen.  Im  engen  Zu- 
sammenleben treten  solche  Verschiedenheiten  grell 
und  immerwährend  hervor,  und  die  jungen  Leute 
müssen  sehr  gut  sein,  und  sich  sehr  lieben,  wenn  sich 
nicht  durch  dies  Zusammensein  mit  den  Eltern  des 
einen  Teils  ein  Keim  der  Unzufriedenheit  erzeugt,, der 
in  der  Folge  bittere  Früchte  trägt.  Und  hier  ist  nur 
von  Verschiedenheit  der  Angewöhnungen,  der  Le- 
bensweise die  Rede.  Wie  aber,  wenn  heftige  Leiden- 
schaften, bedeutende  Unarten,  Zanksucht  usw.  bei 
einem  oder  andern  der  Mitglieder  eines  so  eng  verbun- 
denen, doppelten  Haushalts  hervortreten;  wenn  große 
Verstimmungen  entstehen  und  sich  ärgerliche  Auftritte, 
empörende  Zänkereien  daraus  entwickeln  ?  Bei  uns 
war  dies.  Gottlob!  nie  der  Fall,  und  dennoch  machte 
uns  dies  Zusammenleben  nicht  glücklich.  Es  tötete 
manche  unserer  jugendlichen  Freuden  im  ersten  Keim 
und  säte  manchen  bösen  Samen,  der  spät  bittere 
Früchte  trug. 

Hier  ist  wohl  der  Ort,  wo  ich  nach  einer  glücklichen 
Ehe  von  mehr  als  vierzig  Jahren  meinem  vortrefflichen 
Gatten  den  innigsten  Dank  für  die  Güte,  Nachsicht, 
Liebe  und  Geduld  sagen  kann,  mit  welcher  er  sich  durch 


die  ersten  ganzen  19  Jahre  unserer  Ehe  in  ein  solches 
schwieriges  Verhältnis  gefügt,  und  mich  nie  mit  einem 
Worte  oder  auch  nur  mit  einem  Blicke  hat  fühlen  las- 
sen, wie  viele  Opfer  es  ihn  gekostet,  wie  viele  seiner' 
und  meiner  besten  Freuden  auf  diesem  unerbittlichen 
Altar  des  notwendigen  Zus^nmenlebens  mit  den 
Schwiegereltern  geschlachtet  wurden.  Gott  segne  ihn 
dort  dafür;  denn  nie  werde  ich  es  ihm  vergelten  können. 


Meine  Lebensweise  im  Hause  meiner  Eltern  erlitt 
wenig  Veränderung,  nur  schlief  ich  und  kleidete 
mich  in  einem  andern  Zimmer;  denn  so  wie  mein 
Mann  in  sein  Bureau  ging,  und  selbst  wenn  er  zu  Hause 
war,  forderte  meine  Mutter  alle  die  Dienstleistungen 
und  Pflichten  von  mir,  die  mir  als  Mädchen  obgelegen 
hatten.  —  Das  war  schon  ein  sehr  schwerer  Punkt  für 
uns  beide;  denn  da  wir  mit  den  Eltern  auch  früh- 
stücken, zu  Mittag  und  Abend  essen  sollten,  blieben 
uns  kaum  einzelne  Augenblicke,  in  welchen  wir  uns" 
angehören  durften.  Mein  Vater  zeigte  mehr  Nach- 
sicht und  Achtung  für  mein  neues  Verhältnis,  und  ob^ 
gleich  auch  er  nicht  auf  die  Leistungen  und  Aushülfen 
ganz  verzichtete,  welche  er  von  mir  zu  erhalten  ge- 
wohnt war,  so  fühlte  ich  doch  wohl,  daß  er  mir  mehrj 
Freiheit  ließ.  Er  erkannte  als  Mann  die  Rechte  seines- 
Schwiegersohnes  an,  wo  hingegen  meine  Mutter  bei  , 
ihrer  oben  geschilderten  Denkart  gegen  das  männliche 
Geschlecht  von  keinem  Rechte  desselben  etwas  wissen 
wollte. 

Wir  fühlten  wohl  beide  den  Druck,  der  auf  uns  lag, 
und  fühlten  ihn  manchmal  schmerzlich,  mir  aber  half 
die   Gewohnheit   des   Gehorchens   und   mein  heiterer 


13* 


195 


Sinn  über  manche  holprige  Stelle  meines  Lebensweges 
hinüber,  und  mein  Mann  liebte  mich  so  sehr,  daß  er 
auch  nicht  oder  nur  selten  sich  beklagte,  und  so  ver- 
ging der  erste  Sommer  unserer  Ehe  ziemlich  vergnügt. 

Mit  dem  Herbste  bezogen  wir  unsere  neue  kleine, 
aber  sehr  angenehme  Stadtwohnung,  welche  in  dem- 
selben Stockwerke  wie  die  meiner  Eltern  gelegen,  mit 
der  ihrigen  eigentlich  eine  ausmachte,  und  zu  der  sie. 
mir  später  noch  ein  daranstoßendes  Zimmer  der  ihri- 
gen einräumten.  Voll  Freuden,  unser  eigenes  Nest- 
chen für  uns  zu  haben,  bezogen  wir  es  vielleicht  zu 
früh;  denn  die  Öfen  waren  noch  nicht  alle  gesetzt,  und 
die  frisch  geweißt  und  gemalten  Wände  feucht.  In 
einer  der  ersten  Nächte  wurde  ich  von  einer  heftigen 
Kolik  befallen,  aber  wenig  bekannt  mit  Krankheiten 
und  meiner  guten  Natur  vertrauend,  wollte  ich  Aveder 
meinen  Mann  noch  unsere  Magd  im  Schlafe  stören, 
und  erst  gegen  Morgen,  als  ich  es  nicht  mehr  vor 
Schmerzen  aushalten  konnte,  weckte  ich  Pichler,  der 
sogleich  um  den  Arzt  schickte.  Dieser,  ein  treuer 
Freund  unseres  Hauses,  der  nachmalige  k.  k.  Leib- 
chirurgus  v.  Herbek^*'),  ein  als  Arzt  und  Mensch  gleich 
schätzbarer  Mann,  erschien  sogleich,  erklärte  meinen 
Zustand  für  entzündlich  und  nicht  ohne  Gefahr. 
Denselben  Tag  kam  er  noch  dreimal,  um  nachzusehen, 
man  wendete  mit  Sorgfalt  und  Liebe  alle  verordneten 
Mittel  an,  und  nach  einigen  Tagen  konnte  ich  bereits 
das  Bett  verlassen.  Doch  zeigte  sich  von  jener  Zeit  an 
öfters  eine  große  Reizbarkeit  der  Eingeweide,  und  ich 
mußte  mich  vor  Verkühlung  sehr  in  Acht  nehmen. 

Im  folgenden  Karneval,  dem  ersten,  den  ich  als 
vermählte  Frau  zubrachte,  und  mich  sehr  wohl  unter- 
hielt, fing  ich  an,  die  ersten  Anzeichen  einer  sehr  er- 

196 


-'x^si^:t.jiiä 


wünschten  Veränderung  zu  bemerken,  und  die  Hoff- 
nung bestätigte  sich  immer  mehr,  daß  ich  wahrschein- 
Hch  bis  zum  Herbst  das  Glück  Mutter  zu  sein  genießen 
würde.  Von  diesem  Augenbhcke  an  beobachtete  ich 
mich  sorgfältig,  tanzte  nicht  mehr  so  viel,  und  befand 
mich  übrigens  sehr  wohl. 

Öftere  kleine  Unbehaglichkeiten  waren  alles,  was  ich 
in  den  ersten  Monaten  von  diesem  Zustand  zu  leiden 
hatte,  und  meine  gesunde,  kräftige  Natur  bew^ährte 
sich  auch  hierin.  Desto  ängstlicher  wurde  mir  diese 
Zeit  durch  politische  Vorgänge  und  Schrecken.  Die 
französische  Armee  unter  General  Bonaparte  rückte 
aus  Italien  immer  näher  heran,  eine  Schlacht  nach  der 
andern  ging  für  uns  verloren,  und  die  Feinde  standen 
endlich  im  März  bereits  in  der  Ö;^eiermark.  Ein  allge- 
meiner Schrecken  bemächtigte  sich  der  ganzen  Haupt- 
stadt. Die  wilden  Scharen  der  jungen  Republik  hatten 
in  Deutschland  und  Italien  auf  eine  Art  gehaust,  daß 
alles  vor  ihnen  zitterte  und  an  Flucht,  Rettung  und 
möglichste  Verteidigung  dachte.  Dazumal  erfuhren  die 
Wiener  zum-  erstenmal  die  Schrecken,  welche  einer 
Invasion  vorausgehen,  sie  sollten  jene  noch  einmal  füh-. 
len,  bis  endlich  die  Wirklichkeit  ebenfalls  zweimal  im 
Jahre  1805  und  1809  eintraf,  und  uns  lehrte,  was  bei  so 
vielen  großen  Übeln  der  Fall  ist,  daß  Erwartung,  Angst 
und  aufgereizte  Phantasie  uns  das  wirkliche  Unglück 
ungebührend  vergrößern,  daß  die  Furcht  etwas  An- 
steckendes hat,  daß  sie  sehr  oft  die  Vernunft  ausschließt, 
und  daß  die  böse  Wirklichkeit  leichter  zu  ertragen  ist, 
als  die  grundlosen  Schreckbilder,  welche  die  Angst  in 
uns  aufregt. 

^     Was  wurde  damals  im  Frühlinge  1797  nicht  alles  er- 
zälilt,  gefürchtet  und  mit  dem  verkehrtesten  Sinn  ent- 

197 


werfen  und  ausgeführt!  Alles  wollte  fliehen;  alles  nur 
fort,  nur  fort  aus  der,  von  allen  möglichen  Schrecken 
bedrohten  Stadt!?  Wie  schlecht  die  Wege,  wie  schwer 
die  Pferde  zu  haben,  wie  elend  die  Unterkunft  auf  den 
überfüllten  Poststraßen  nach  Böhmen  und  Ungarn 
sein  mochten ;  was  den  Geflüchteten  an  den,  zum  Auf- 
enthalte erwählten  Orten  bevorstehen  konnte,  wenn 
der  Sieger  seine  Eroberungen  verfolgen,  sie  vielleicht 
auch  von  jenen  Zufluchtsstätten  vertreiben  würde, 
und  sich  dann  ohne  Geld,  ohne  Schutz,  unter  Fremden 
befänden,  —  das  alles  wurde  nicht  bedacht.  Man 
wollte  nur  fort,  und  die  unsinnigsten  Erzählungen  fan- 
den Glauben,  wenn  sie  zu  der  ruhelosen  Angst  stimm- 
ten, die  damals  die  Bevölkerung  von  Wien  großenteils 
ergriffen  hatte.  Wir  haben  in  unserer  Zeit  bei  der 
ersten  Annäherung  der  Cholera  eine  zweite  Erfahrung 
dieser  Art  gemacht,  und  auch  sonst  sehr  vernünftige 
Menschen  kopflos,  verderblich  und  oft  lächerlich  han- 
deln gesehen,  wenn  es  anders  erlaubt  wäre,  über  etwas, 
was  andere  quält,  zu  lachen  ^*^*). 

Indessen  muß  man  zur  Entschuldigung  der  damals 
Lebenden  auch  sagen,  daß  die  Sachen  um  uns  herum 
ernst  und  drohend  aussahen.  Es  wurden  Anstalten  zur 
Verteidigung  der  Stadt  gemacht,  und  im  Anfange 
davon  gesprochen,  die  Linien  zu  verteidigen.  Als  aber 
erfahrene  Militärs  aussprachen,  daß,  um  diesen  weiten 
Umkreis  zu  beschirmen,  eine  Besatzung  von  150000 
Mann  nötig  sein  würde,  so  gab  man  den  Plan  auf  und 
wollte  sich  auf  die  innere  Stadt,  die  eigentliche  Fe- 
stung beschränken.  Ein  Aufgebot  aller  waffenfähigen 
Mannschaft  in  der  Stadt  und  den  Vorstädten  wurde 
beschlossen,  und  diese  dazu  in  verschiedene  -Bezirke 
eingeteilt.   Die  Jüngern  Beamten  der  Landesregierung 

198 


wurden  zur  Organisation  dieser  Scharen  verwendet, 
und  auch  meinem  Mann  ein  Bezirk,  nämlich  die  Jäger- 
zeile, angewiesene*^).. Während  alles  dies  uns  in  steter 
ängstlicher  Bewegung  aufregte,  erhielt  mein  Vater 
Befehl,  sich  mit  den  Zöglingen  des  k.  k.  Theresianums, 
dessen  Oberleitung  ihm  damals  anvertraut  war,  von 
Wien  wegzubegeben,  um  die  Söhne  der  angesehenen 
Häuser,  die  sich  in  jener  Anstalt  befanden,  nicht  den  Ge- 
fahren eines  feindlichen  Überfalls  preis  zu  geben e*^). 
Erwünscht  erschien  meinen  Eltern  diese  Gelegenheit, 
um  sich  mit  ihrer  Familie  dieser  Reise  anzuschließen, 
und  ich  war  zu  gewohnt,  meinen  Eltern  in  allem  unbe- 
dingt zu  gehorchen,  als  daß  ich  es  gewagt  hätte,  zurück 
zu  bleiben  und  mich  im  Zustande  der  Schwangerschaft 
den  Schrecken  und  Gefahren  auszusetzen,  welche,  wie 
doch  die  Mehrzahl  der  Wiener  befürchtete,  uns  bei  der 
Eroberung  der  Stadt  durch  die  Truppen  der  damaligen 
Republik  drohten. 

Es  wurde  also  in  einem  Familienrate  beschlossen,  daß 
ich  mit  meinen  Eltern  nach  Dürnholz  (einem  Schlosse 
an  der  mährischen  Grenze,  welches  dem  Theresianum 
gehörte)  reisen  sollte,  und  m.ein  Bruder  vermochte 
meine  Eltern  dahin,  auch  seine  Geliebte  und  künftige 
Braut,  ein  Fräulein  v.  Kurländer e^°),  die  Tochter  einer 
mit  uns  durch  alte  Freundschaftsbande  verbundenen 
Familie,  mitzunehmen,  um  auch  sie  vor  den  möghchen 
Gefahren,  die. sich  ereignen  konnten,  zu  sichern.  Frei- 
lich mußte  ich  mich  nun  von  meinem  Manne  trennen, 
und  das  tat  mir  unendlich  leid;  aber  ich  glaubte  in  dem 
ausgesprochenen  Befehl  meiner  Mutter  ein  Gebot  zu 
sehen,  wider  welches  keine  Appellation  stattfand; 
und  so  trat  ich  denn  mit  recht  schwerem  Herzen  diese 
an  sich  freilich  unbedeutende  Reise  an,  die  unter  an- 

199 


/ 


dern  Umständen  allerlei  Angenehmes  und  selbst  Kö- 
misches hätte  haben  können. 

Auf  bequem  eingerichtete,  lange  Wagen,  nach  Art 
der  „Zeiselwagen",  wurde  eine  ziemliche  Anzahl  jun- 
ger Leute,  wovon  viele  noch  im  Knabenalter  standen, 
aufgepackt;  bei  weitem  nicht  alle  Zöglinge,  denn  die- 
jenigen, für  die  ihre  Eltern  sorgen  konnten  und  wollten, 
wurden  ihnen  übergeben.  Einige  Patres  Piaristen,  (wel- 
chen das  Theresianum  damals  wie  einst  den  Jesuiten 
übergeben  war)  begleiteten  sie.  Dann  folgten  unsere 
beiden  Kutschen,  mit  unsern  eigenen  Pferden  be- 
spannt, und  so  bewegte  sich  der  Zug  ziemlich  gemäch- 
lich und  langsam  auf  der  Brünnerstraße  fort  und  wir  er- 
reichten unser  Ziel,  das  mit  Postpferden  kaum  eine 
Tagereise  weit  war,  erst  am  folgenden  Tag. 

Ein  altertümliches  Schloß 2^^),  einst  ein  Besitztum 
des  letzten  Barons  von  Teuffenbach,  der  es  zu  einer 
Stiftung  bestimmt  hatte,  nahm  uns  auf.  Wir  bewohn- 
ten ein  paar  hohe,  große  Stuben,  deren  weiße  Wände 
und  wenige  Möbel  keine  großen  BequemHchkeiten  ver- 
sprachen. Die  Zöglinge  des  Theresianums  mit  ihren 
Hofmeistern  waren  auf  einem  andern  Flügel  einquar- 
tiert und  nur  die  zwei  angesehensten  der  geisthchen 
Herren  aßen  mit  uns  an  demselben  Tische.  Es  gestal- 
tete sich  ein,  im  Ganzen  ziemlich  angenehmes  Leben, 
obwohl  die  unbedeutende,  flache  Gegend,  welche  erst 
kürzlich  von  der,  hier  in  der  Nähe  fließenden  Thaya  war 
überschwemmt  worden,  und  auf  Feldern  und  Wiesen 
noch  genug  Spuren  davon  in  Schlamm,  Sumpf  und 
toten  Fischen  zeigte,  verbunden  mit  der  frühen  Jahres- 
zeit im  Anfange  des  April  wenig  ländliche  Freuden 
bot.  Aber  die  beiden  Geistlichen  waren  gebildete, 
welterfahrene  Männer  und  meine  Eltern  sowohl  als 


200 


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Vorstellung  der  Versammlung  des  allgemeinen  Wiener  Aufgebothes 
auf  dem  Glacis  am  17.  April  1797 

Kolorierter  Stich  von  Josef  Eder  nach  Joh.  Adamek  —  Städtisches  Museum,  Wien 


wir  jungen  Leute  fanden  in  ihrer  Unterhaltung,  in  Lek- 
türe, Arbeit  und  einigen  Spaziergangen  Stoff  genug, 
unsere  Zeit  leidlich  zu  verbringen.  Aber  mein  Herz  war 
nicht  ruhig.  Mir  standen  die  Gedanken  nach  Wien  zu 
meinem  Mahne,  und  je  länger  unser  Aufenthalt  in 
Dürnholz  dauerte,  je  unbestimmbarer  seine  Dauer 
überhaupt  und  unsere  ganze  prekäre  Lage  war,  je 
schwerer  wurde  mir  die  Trennung  von  Pichler.  Mich 
überfielen  düstere  Einbildungen,  die  ich  für  sichere 
Ahnungen  hielt,  daß  ich  hier  in  Dürnholz  krank  wer- 
den und  fern  von  meinem  Manne  sterben  würde,  ohne 
den  Trost,  in  seinen  Armen  mein  Leben  zu  endigen  und 
ohne  die  Freude,  mein  Kind  zu  gebären.  Vielleicht 
war  dieser  körperliche  Zustand,  verbunden  mit  dem 
natürlichen  Weh  der  Trennung,  die  sehr  begreifliche 
Ursache  meiner  melancholischen  Vorstellungen,  die  ich 
indessen  niemand,  selbst  nicht  den  Briefen  an  meinen 
Mann  anvertraute  und  nur  mit  gespannter  Angst  auf 
jede  Nachricht  von  Wien  wartete,  die  uns  über  die  Lage 
der  Dinge,  das  Vorrücken  der  Feinde  und  die  An- 
stalten, welche  in  Wien  getroffen  wurden,  etwas  Zu- 
verlässiges berichten  konnte. 

Beinahe  vierzehn  oder  noch  mehr  peinliche  Tage 
waren  auf  diese  Art  für  mich  langsam  dahingeschli- 
chen.  Meines  Mannes  Briefe  waren  meine,  einzige 
Freude.  Aus  ihnen  schöpfte  ich  den  nächsten  Trost, 
daß  es  ihm  wohl  ging  und  er  gesund  war;  aus  ihnen 
auch  den  entferntem,  daß  sich  Friedensgerüchte  in 
Wien  zu  verbreiten  anfingen,  und  General  Bonaparte, 
der  mit  seinen  sieggewohnten  Scharen  bis  Leoben  ge- 
drungen war,  sich  zu  friedlichen  Unterhandlungen  ge- 
neigt zeige  und  man  hoffen  dürfe,  die  Präliminarien 
bald  abgeschlossen  zu  sehen.    Das  war  eine  freudige 

20I 


Botschaft  für  alle;  aber  vielleicht  unter  unserer  Ge- 
sellschaft für  niemand  mehr  als  für  mich;  denn  nie- 
man  von  uns  hatte  etwas  so  Liebes  in  Wien  zurückge- 
lassen als  ich. 

Wirklich  kam  die  Nachricht  von  diesem  Abschluß 
der  Präliminarien  bald  mit  Zuverlässigkeit,  und  ein  Brief 
meines,  nun  auch  schon  lange  verstorbenen  Schwagers 
Schweiger ^^2),  der  damals  Konsistorialkanzler  des  Bi- 
schofs von  Leoben  war,  meldete  uns  noch  die  genauem 
Details  und  manchen  interessanten  Zug  von  dem  ju- 
gendlichen Helden,  dessen  Ruhmes-Morgenröte  eben 
über  Europa  zu  leuchten  begann,  und  der  den  Lorbeer, 
welcher  damals  seine  Schläfe  schmückte,  noch  mit  kei- 
ner Ungerechtigkeit  und  Gewalttat  befleckt  hatte. 
Überhaupt  hatte  er  sich  in  Leoben  und  Goß  (dem 
eigentlichen  Sitze  des  Bischofs)  viele  geneigte  Herzen 
erworben  und  ein  rühmliches  Andenken  an  seine  Ge- 
genwart hinterlassen,  das  noch  lange  zu  seinen  Gunsten 
nachwirkte.  Der  Bischof  (ein  Graf  von  Engl  3^3)  emp- 
fing ihn  bei  seiner  Ankunft  ehrfurchts-,  aber  auch  angst- 
voll; Kränklichkeit  und  Alter  hatten  dem  Greise  nicht 
erlaubt,  sich,  wie  es  andere  getan,  vor  der  Ankunft  der 
Franzosen  zu  entfernen.  Bonaparte  begrüßte  ihn  mit 
Anstand  und  der  freundlichen  Bemerkung,  daß  er  sich 
sehr  freue,  ihn  auf  seinem  Bischofssitze  anzutreffen;  er 
sei  wirklich  der  einzige  seiner  Kollegen,  den  er  bis 
jetzt  zu  Hause  gefunden.  Auch  entsprach  das  nach- 
folgende Betragen  des  jungen  Helden  ganz  diesem 
ersten  Anfange;  denn  er  benahm  sich  mit  beinahe  kind- 
licher Schonung  gegen  den  Greis,  und  ritt  nie  aus  oder 
kam  nie  nach  Hause,  ohne  seinen  Wirt  ehrerbietig  zu 
begrüßen  354). 

In  einem  Pavillon  des  Schlosses  Goß,  in  der  Nähe  von 


202 


Leoben,  der  als  ein  neutraler  Ort  erklärt  wurde,  ver- 
sammelten sich  die  Abgesandten  unsers  Kaisers  und  die  3 
französischen  Machthaber,  die  Präliminarien  wurden 
unterzeichnet,  und  die  Tinte,  welche  dazu  gebraucht 
worden  war,  nach  einer  sonderbaren  Etikette,  sodann 
auf  den  Boden  geschüttet,  wo  man  mir  nach  acht  Jah- 
ren, als  ich  dahin  kam,  noch  das  schwarze  Mal  zeigte  2^^. 

Es  war  also,  wenigstens  für  jetzt,  Waffenruhe,  Wien 
hatte  nichts  von  der  Annäherung  der  Feinde  zu  fürch- 
ten, welche  sich  bald  darauf  aus  Steiermark  zurück- 
zogen,  und  wir  durften  mit  den,  meines  Vaters  Obhut 
anvertrauten  jungen  Leuten  wieder  nach  der  Residenz 
zurückkehren.  Nun  war  ich  wieder  glücklich;  wir 
brachen  auch  bald  auf,  und  mit  Entzücken  umarmte  ich 
meinen  Mann,  der  uns,  von  unserm  Eintreffen  benach- 
richtigt, schon  jenseits  der  Donau  in  den  Auen  ent- 
gegen kam.  Freudig  kehrten  wir  in  unsere  kleine,  heim- 
liche Wohnung  zurück,  aber  eine  neue  Sorge  begann 
sogleich,  denn  Marie,  die  Braut  meines  Bruders,  welche 
uns  nach  Dürnholz  begleitet  hatte,  befand  sich  schon 
den  Abend  vor  unserer  Abreise  unwohl,  kam  noch  viel 
kränker  hier  an  und  lag  mehrere  Wochen  hindurch  an 
einem  bedeutenden  hitzigen  Fieber  darnieder. 

Die  militärischen  Vorkehrungen,  welche  schon  vor 
unserer  Abreise  begonnen,  waren  während  derselben 
fortgesetzt  worden,  indem  wirklich  einige  ausgezeich- 
nete Militärs  (unter  andern  General  Mack)  an  die  Mög- 
lichkeit einer  dauernden  Verteidigung  geglaubt  hatten, 
und  ein  gewisser  General  Zopf  oder  Zapf  2^^,  der  mit 
dem  Kommando  in  der  Stadt  beauftragt  war,  sich  ge- 
äußert hatte,  er  werde  die  Wiener  schon  lehren,  Pferde-  ' 
fleisch  essen;  die  Stadt  trug  wirklich  bei  unserer  Zurück- 
kunft  noch  manche  Spuren  dieser  Anstalten  und  sah 

203 


.-:"?-^|^?w! 


etwas  verändert  aus.  Aber  bald  verschwand  dieser 
fremdartige  Schein,  der  denn  auch,  nach  der  Meinung 
aller  vernünftigen,  vorurteilslosen  Menschen,  nur  ein 
Schein  war,  und  keine  Realität  und  Dauer  haben  konnte, 
wenn  es  wirklich  zu  einer  Belagerung  oder  nur  zu 
einer  kurzen  Verteidigung  kam,  wie  es  die  Erfahrung  im 
Jahre  1809  bewies.  Am  17.  April  vvoirde  das  ganze 
Wiener  Aufgebot,  welches  ziemlich  zahlreich,  und,  wie 
man  allgemein  bemerkte,  von  einem  guten  Geiste  be- 
seelt war,  auf  dem  Glacis  aufgestellt  und  feierlich  ent- 
lassen, wobei  denn  jede  Abteilung  von  ihren  Kommis- 
sären mit  einer  kleinen  Rede  haranguiert  wurde,  und 
auch  Pichler  eine  recht  hübsche  an  seine  Truppe  von 
der  Jägerzeile  hielt  ^^''). 

So  hatte  denn  unsere  Angst  und  Not  für  diesmal  ein 
Ende,  und  ich  fing  sogleich  eine  Beschäftigung  ganz 
anderer  Art  an,  nämlich  die  Vorbereitungen  für  den 
Empfang  des  unbekannten,  teuren  Wesens,  das  ich  er- 
wartete, und  das,  meiner  Rechnung  zufolge,  etwa  in  der 
Hälfte  des  Oktober  erscheinen  sollte.  Der  Sommer  v/ar 
sehr  trocken  und  sehr  heiß,  ich  fühlte  das  durch  meine 
körperliche  Lage  doppelt,  doch  war  ich  im  ganzen  sehr 
wohl  und  hatte  eben  keine  großen  Beschwerden  zu  er- 
tragen. Dennoch  betrachtete  ich  den  Zeitpunkt,  wel- 
cher mir  bevorstand,  mit  sehr  ernsten  Blicken,  und  ge- 
wohnt, den  Gedanken  an  den  Tod  mir  oft  zu  ver- 
gegenwärtigen, entwarf  ich,  wenige  Wochen  vor  mei- 
ner Entbindung,  mein  Testament. 

Mit  Ende  des  Septembers  verließen  wir  unsere  Gar- 
tenwohnung,  um  die  bevorstehende  Katastrophe  in  der 
Stadt  abzuwarten,  und  diese  erfolgte  denn  unter  sehr 
glücklichenf  Umständen  am  11.  Oktober  1797  spät 
gegen   Mitternacht,   nachdem  ich  schon   die  vorher- 

204 


gehende  Nacht  sehi^-unruhig  zugebracht  hatte.  Denn 
zu  den  körperhchen  Vorempfindungen,  welche  mir  den 
Schlaf  verkümmerten,  gesellte  sich  auch  noch  eine  mo- 
ralische Angelegenheit,  die  mir  die  Ruhe  nahm,  und 
das  war,  so  seltsam  dies  klingen  mag,  das  Schicksal  des 
Generals  Lafayette^^^. 

^Dieser  Mann  war  von  seinem  ersten  Auftreten  in  der . 
Revolution  von  1789  an,  durch  sein  Benehmen  in  der 
Nationalversammlung  (wo  er  einer  der  ersten  seine 
Adelsvorrechte  und  den  wohlerworbenen  Ruhm  seiner 
Alinen  willig  auf  dem  Altar  des  Vaterlandes  opferte), 
auf  dem  Marsfelde,  bei  der  Flucht  des  unglückHchen 
Königs,  kurz  bei  jeder  Gelegenheit  mir  so  groß  und 
edel  erschienen,  daß  er  meine  ganze  Bewunderung  er- 
worben hatte,  und  wahrHch,  sein  Lebenslauf  und  die 
Weise,  wie  er  nach  vierzig  Jahren  wieder  als  Retter 
und  Schirmer  des  Vaterlands  auftrat,  hat  meine  An- 
sichten vollkommen  gerechtfertigt.  Damals  nun  war 
die  Nachricht  von  seiner  höchst  unbilligen  Gefangen- 
nehmung und  Einkerkerung  in  Olmütz  entweder  erst 
in  Wien  oder  wenigstens  mir  bekannt  geworden.  Ge- 
nug, sie  beschäftigte  meine  Einbildungskraft  unauf- 
hörlich, und  Lafayette,  seine  Frau,  die  ihn  begleitete 
oder  besuchte,  und  überhaupt  seine  Lage  auf  der  un- 
freundhchen  Ffestung  war  in  der  Nacht  vor  meiner  Nie- 
derkunft das  Bild  meiner  Träume  und  der  Gegenstand 
meiner  wachen  Gedanken. 

Aber  die  Erscheinung  eines  gesunden,  wohlgebildeten 
Töchterchens,  die  Leiden  und  Freuden,  die  Unruhe 
und  Geschäfte,  welche  eine  solche  Epoche  begleiten, 
löschten  wenigstens  für  den  Augenblick  Lafayettes  An- 
denken in  meiner  Phantasie  aus,  und  ich  war  ganz  glück- 
lich und  beruhigt  im  Besitz  des  lieben,  kleinen  Wesens, 

205 


das  ich  selbst  zu  stillen  beschlossen  hatte  und  es  auch 
sogleich  ausführte.  Die  Kleine  bekam  den  Namen  ihrer 
Mutter  und  Großmutter  und  hieß  KaroHne  wie  wir^^*). 

Mein  Wochenbett  war  glücklich  und  wäre  auch  ver- 
gnügt gewesen,  wenn  nicht  ein  häusliches  Mißver- 
ständnis den  Frieden  meiner  Eltern,  hierdurch  die 
Laune  meiner  Mutter  und  folglich  die  Heiterkeit  unsers 
Zusammenlebens  gestört  hätte.  Ich  habe  schon  erzählt, 
daß  mein  Bruder  seine  Neigung  einem  Fräulein  von  Kur- 
länder zugewendet  hatte,  ein  Mädchen  von  unstreitig 
vielen  vorzüglichen  Eigenschaften,  deren  Wuchs  ma- 
jestätisch, deren  Anstand  edel,  ihre  Gesichtszüge  aber 
nicht  schön  und  ihr  Betragen  nicht  gewinnend  waren. 
Unter  uns  Mädchen  hatte  sie  keine  eigentliche  Freun- 
din oder  Vertraute  gefunden.  Es  lag  etwas  Kaltes, 
Stolzes  in  ihrem  Benehmen,  und  so  fein  und  artig  ihr 
Umgang  war,  fühlten  wir  uns  doch  nicht  befriedigt  in 
ihrer  Nähe.  Meinem  Bruder  gefiel  sie  außerordentlich. 
Ihr  edler  Anstand  bezauberte  ihn,  ihre  Kälte  gegen  die 
übrigen  verhieß  ihm  eine  ausschließende  Wärme  für. 
ihn,  und  je  weniger  sie  sich  den  andern  mitteilte,  je 
fester  und  unumschränkter  hoffte  er  in  ihrem  Herzen 
zu  herrschen.  Wir  übrigen  konnten  seine  Überzeugung 
nicht  teilen;  wer  aber  von  uns  recht  behalten  hätte, 
das  hätte  nur  die  Zeit  entscheiden  können,  und  hierzu 
lebte  die  arme  Marie  nicht  lange  genug.  Doch  ich  darf 
meiner  Erzählung  nicht  vorgreifen. 

Auch  meine  beiden  Eltern,  obwohl  sie  keine  bestimmte 
Einwendung  gegen  das  Mädchen  machen  konnten, 
freuten  sich  dieser  Schwiegertochter  nicht  sehr,  und 
auch  hierin  war  ich  glücklicher  gewesen  als  mein  Bru- 
der; denn  meine  beiden  Eltern,  vorzüglich  aber  mein 
Vater,  waren  ganz  zufrieden,  ja  vergnügt  durch  meine 

206 


ü^ 


Ehe,  Endlich  aber  erhielt  mein  Bruder  doch  die  Ein- 
willigung zu  seiner  Vermählung,  und  nun  kam  es  darauf 
an,  in  unserer  Wohnung  in  der  Stadt  sowohl  als  auf 
dem  Lande  eine  Möglichkeit  auszumitteln,  damit  wir 
beide -junge  Paare,  ohne  den  Eltern  eine  neue  Ausgabe 
aufzubürden,  in  demselben  Quartiere  mit  ihnen  woh- 
nen könnten;  denn  ohne  eine  großmütige  Unterstü- 
tzung von  Seite  meines  Vaters  hätten  weder  Pichler 
und  ich,  noch  mein  Bruder  mit  Marien  anständig  le- 
ben können.  Hier  nun  traten  große  Schwierigkeiten 
ein.  Meine  Mutter  trug  auf  Einschränkungen  an,  die 
meines  Vaters  Hang  zu  geselligen  Freuden  und  einem 
gewissen  Glanz  seines  Hauses  sehr  zu  beschränken  droh- 
ten. Er  versagte  seine  Zustimmung,  es  gab  unange- 
nehme Auftritte  und  die  Heiterkeit  und  Ruhe  'unseres 
häuslichen  Lebens  war  sehr  dadurch  gestört.  Ich  er- 
trug das  in  meinem  Wochenbette  gar  ungern,  es  ver- 
bitterte mir  meine  Mutterfreuden,  und  so  gab  ich  mir 
alle  erdenkliche  Mühe,  um  hier  eine  Auskunft,  welche 
alle  Parteien  zufrieden  stellen  konnte,  wenigstens  für 
den  Aufenthalt  auf  unserm  Landhause,  zu  ersinnen. 
Ich  überlegte,  ich  verglich,  ich  rechnete  und  fand  end- 
lich, daß  mit  einer  ziemlich  geringen  Summe  ein  Teil 
der  Wirtschaftsgebäude,  der  überflüssig  geworden  war, 
zu  einer  kleinen,  aber  niedlichen  Wohnung  für  meinen 
Bruder  umgeschaffen  werden  könnte.  Meine  Eltern 
und  wir  behielten  unverändert  die  Zimmer,  welche  wir 
jetzt  in  dem  Landhause  inne  hatten,  alles  war  in  einem 
Hause  vereinigt,  und  da  d6r  Bau  nicht  kostspielig  sein 
konnte,  alle  Wünsche  befriedigt.  Diesen  Vorschlag 
trug  ich  denn  meinen  Eltern  und  dem  Bruder  vor,^  er 
würde  geprüft,  genehmigt,  und  ich  sah  nach  ungefähr 
vierzehn  recht  trüben  Tagen  wieder  heitere  Gesichter 

207  ' 


und  gute  Laune  um  mich  —  eine  Lebensbedingung, 
die  mir  von  jeher  Bedürfnis  meines  eigenen  Glückes  ge- 
wesen und  es  fortwährend  geblieben  ist;  mich  aber  da- 
durch oft  sehr  abhängig  von  denen  gemacht  hat,  deren 
guten  Willen  ich  mit  Opfern  zu  erkaufen  bereit  war. 

Auch  in  dieser  Angelegenheit  erprobte  sich,  was  ich 
seitdem  so  oft  in  meinem  langen  Leben  durch  Erfahrung 
bestätigt  gefunden  habe :  wie  kurzsichtig  unser  Blick  in 
die  Zukunft  ist,  wie  oft  wir  uns  ohne  Not  mit  Sorgen 
quälen,  deren  Abwendung  dann  gar  nicht  mehr  statt 
hat,  und  wie  manchen  Kummer  marTsich  ersparen 
könnte,  wenn  man,  nach  den  eigenen  Worten  des  Hei- 
lands, nicht  immer  für  den  kommenden  Tag  sorgen, 
sondern  jedem  Tag  seine  eigene  Sorge  überlassen 
wollte  380). 

Der  Bau  in  unserm  Landhaus  in  Hernais  war  also 
beschlossen  und  die  streitenden  Parteien  befriedigt. 
Ruhe  und  Heiterkeit  kehrte  in  unsere  Familie  zurück, 
mein  Kind  gedieh  an  meiner  Brust,  und  ein  paar  Mo- 
nate vergingen  ganz  angenehm.  Der  Fasching  war 
mittlerweile  herangekommen;  mein  Mann,  mein  Bru- 
der, seine  Braut  und  meine  übrigen  Gespielinnen  ge- 
nossen seine  Freuden,  mich  schloß  meine  Pflicht  als 
Amme  von  diesen  Unterhaltungen  aus,  die  ich  nur  mit 
großen  Einschränkungen  hätte  genießen  können,  und 
ihnen  daher  lieber  ganz  entsagte.  Aber  noch  im  Laufe 
des  Karnevals  fing  mein  guter  Vater  an,  zu  kränkeln. 
Es  war  dem  Anscheine  nach  nur  sein  gewöhnliches 
Übel,  Heiserkeit  und  Husten,  aber  es  zeigte  sich  so  hart- 
näckig, es  sanken  die  Kräfte  des  Leidenden  so  merklich 
bei  einer  an  sich  unbedeutenden  Krankheit,  daß  dies 
alles  uns  sehr  aufmerksam  und  besorgt  machte,  und  der 
Arzt,  eben  jener  Dr.  Herbek,  ein  Schüler  des  großen 

208 


1  Franz  Sales  von  Greiner 

Ölgemälde  von  Hubert  Maurer  —  Städtisches  Museum,  Wien 


) 


StolP®^)  und  unser  Hausfreund,  jetzt  beinahe  täglich 
erschien,  um  nach  dem  Papa  zu  sehen. 

Die  Hochzeit  meines  Bruders  war  auf  den  nächsten 
Frühling  festgesetzt,  und  im  Hause  der  Eltern  der 
Braut,  so  wie  in  dem  unsrigen,  wurden  bereits  Vor- 
anstalten getroffen.  Aber  meines  Vaters  Kränklich- 
keit und  zunehmende  Schwäche  breitete  einen  düstern 
Schleier  über  diese  herannahende  Verbindung,  und 
wahrlich,  das  Schicksal  dieser  Ehe  hielt  der  düstern 
Stimmung  Wort,  in  welcher  sie  bereitet  und  vollzogen 
wurde! 

Auf  eine  wunderbare,  aber  uns  alle  sehr  beunru- 
higende Weise  fing  meines  Vaters  Geschmack  und  Sin- 
nesart an,  sich  in  dieser  Periode  ganz  zu  verändern. 
Was  ihm  früher  und  noch  bis  vor  wenigen  Wochen  sehr 
angenehm,  ja  sein  liebster  Wunsch,  und  sein  Streben 
war  —  nämlich  stets  viele  Leute  um  sich  zu  sehen, 
wurde  ihm  jetzt  lästig,  ohne  daß  er  doch  über  ein  be- 
stimmtes körperliches  Leiden  zu  klagen  gehabt  hätte,  ja 
ohne  weder  das  Bette  noch  das  Zimmer  hüten  zu 
müssen.  Er  fuhr  selbst  noch  oft  aus,  und  wenn  er  auch 
sein  Bureau  nicht  mehr  so  fleißig  besuchte,  so  zeigte 
er  sich  doch  bisweilen  dort  oder  arbeitete  zu  Hause  mit 
seinem  Personal  und  machte  hier  oder  dort  einen  Be- 
such. Ebenso  fing  der  Kaffee,  sonst  sein  Lieblings - 
getränk,  von  dem  er  täglich  eine, 'vielleicht  für  seine 
Gesundheit  zu  große  Portion  zu  $ich  nahm,  an,  ihm 
zu  widern,  und  diese  auffallende  Ümstimmung  Vv-ar  es, 
welche  uns  alle  beunruhigte  und,  wie  der  Erfolg  zeigte, 
leider  mit  Recht.  Denn  wie  allmählich  der  Frühling 
herannahte,  alles  Leben  in  der  Natur  erwachte,  alles 
neu  zu  erstehen  und  Kraft  zu  gewinnen  anfing,  nahm 
nur  meines  teuren  Vaters   Kraft  und  Leben  täglich 


H    c.  P.  I 


209 


mehr  und  mehr  ab,  und  doch  war,  wie  schon  gesagt, 
keine    eigentliche     Krankheit    bei    ihm    vorhanden,/, 
welche  ein  so  schnelles  und  gänzliches  Hinwelken  hättet 
begreiflich  machen  können.    Ja  sein  Geist  war  ganz- 
heiter, und  eine  seiner  liebsten  Unterhaltungen  war 
es  nun,  wenn  ich  ihm  vorlas;  denn  auch  die  Musik, 
ehemals  seine  Lieblingsleidenschaft,  war  ihm  gleich- 
gültig geworden,  und  wenn  es  ihm  auch  nicht  zuwider 
war,  wenn  ich  neben  seinem  Zimmer  wie  sonst  spielte 
oder  sang,  zog  er  es  doch  vor,  lesen  zu  hören. 

Gegen   den  Anfang  des   Maimonats   erklärten  die 
Ärzte  plötzlich,  es  wäre  sehr  heilsam,  wenn  mein  Vater 
sogleich  aufs  Land  gebracht  würde,  und  wir  sollten 
daher,  sobald  wir  könnten,  unsere  Gartenwohnung  be- 
ziehen, wo  die  reinere  Luft  günstig  auf  den  Kranken 
wirken  werde.   So  willkommen  mir  jeden  Frühling  der 
Ruf  tönte,  daß  wir  aufs  Land  gehen  würden  —  denn 
ich  war  nie  gern  in  der  Stadt  und  kehrte  jeden  Herbst 
mit  Widerwillen  dahin  zurück  —  so  schien  mir,  bei  der 
Unstetigkeit  unseres  Frühlingswetters ,  und  der  größe- 
ren Luftigkeit  einer  Sommerwohnung,  dieser  Befehl 
doch  ein  bißchen  zu  voreilig.   Damals  nämlich,  wo  die 
Menschen  minder  empfindlich  gegen  Rheumatismus, 
Luftzug  oder  gähe  Abwechslungen  der  Temperatur 
waren,  fiel  es  niemand  ein,  so  wie  jetzt  fast  allgemein, 
die  Landhäuser  wenigstens  mit  einigen  Öfen  und  allen- 
falls auch  mit  Doppelfenstern  zu  versehen,  ebensowenig 
als  man  in  der  Stadt  oder  den  Vorstädten  alle  Trep- 
pen, Vorhäuser  oder  Korridors  mit  Glasfenstern  und 
Türen  zu  verwahren  und  die  Wohnungen  so  kompakt 
zu  machen,  wie  jetzt  geschieht,  bedacht  war.  Ein  offe- 
ner Gang,  auf  dem  man  im  Winter  durch  den  Schnee 
hindurch  mußte,  eine  Treppe,  ein  Vorzimmer,  das  dem 

210 


/  ^ 

kalten  Luftstrom  ausgesetzt  war,  fiel  niemanden  be- 
schwerlich, und  man  bemerkte  diese  Unbequemlich- 
keiten entweder  gar  nicht  oder  ertrug  sie  als  etwas,  was 
nicht  zu  ändern  war,  mit  Gleichmut. 

In  unserm  ganzen,  sehr  geräumigen  Landhause,  in 
dem  man  wohl  über  zwanzig  Zimmer  zählte,  war  nur 
ein  Ofen,  und  dieser  mehr  aus  Vergeßlichkeit  oder  um 
sich  keine  Ungelegenheit  mit  dem  Abbrechen  zu  ma- 
chen, als  aus  Bedürfnis  stehen  geblieben.  Das  Kabinett, 
in  dem  mein  Vater  schrieb  und  in  den  letzteren  Jahren 
seines  Lebens  auch  schlief,  lag  gegen  Norden,  genoß 
zwar  der  schönsten  Aussicht  über  Felder  und  Wein- 
gärten bis  zum  Gebirg,  war  aber  eben  deswegen  der 
Kälte  sehr  ausgesetzt.  Indessen  ging  es  die  ersten  Tage 
unseres  Aufenthalts  noch  leidlich-.  Mein  Vater  fühlte 
sich  etwas  besser;  hoffen  konnte  ich  nicht,  denn  die 
Abnahme  der  Kräfte  war  zu  sichtbar  und  zu  schreckend ; 
aber  es  wurde  doch  möglich,  an  meines  Bruders  Ver^ 
mählung  zu  denken,  welche  auf  den  lo.  Mai  bestimmt 
war.    Welches  traurige  Fest! 

Es  wurde,  wie  natürlich,  im  Hause  der  Braut,  aber 
sowohl  des  Zustandes  meines  Vaters  wegen,  als  auch 
weil  beide  Verlobte  keine  Freude  an  rauschenden  Ver- 
gnügungen hatten,  ganz  in  der  Stille  gefeiert.  Ach! 
noch  jetzt,  nach  so  langen,  langen  Jahren,  schwebt  mir 
dieser  Tag  und  das  Bild  meines  Vaters,  dessen  gestick- 
tes Galakleid  und  stattlicher  Hochzeitsputz  einen  noch 
schmerzlichem  Gegensatz  mit  seinem  kranken,  hin- 
fälligen Aussehen  bot,  vor  Augen.  Mit  Anstrengung 
brachten  wir  ihn  in  den  Wagen,  von  da  in  die  Kirche 
und  endhch  ins  Hochzeitshaus,  wo  wenige  Freunde 
nebst  uns  versammelt  waren,  und  der  Abend  bei  einem 
zwar  sehr  glänzenden  Gouter,  aber  in  der  Vorahnung 


14== 


211 


dessen,  was  uns  allen  nahe  drohte,  trüb  und  still  ver- 
floß. Dieser  trübe  Hochzeitstag  war  gleichsam  der 
Vorbote  eines  noch  trübern  Schicksals  dieser  Ehe,  und 
zwei  gute,  sich  liebende  Menschen,  die  von  diesem  Tage 
das  Glück  ihres  Lebens  mit  gerechten  Hoffnungen  er- 
warteten, sollten  beide  in  wenigen  Jahren  —  doch  ich 
will  der  Zukunft  nicht  vorgreifen. 

Mein  Bruder  war  nun  nach  seinem  Wunsche  ver- 
mählt, er  bezog  das  kleine,  niedliche  Quartier, .  was 
meine  Eltern  ihm  nach  meinem  Vorschlag  aus  einem 
Teil  der  Wirtschaftsgebäude  hatten  zurichten  lassen^ 
und  war  hätten  wohl  alle  vergnügt  und  still  neben  ein- 
ander leben  können,  wenn  nicht  meines  Vaters  immer 
mehr  sinkende  Gesundheit  diese  häusliche  Zufrieden- 
heit zerstört  hätte.  Bisher  hatte  er  es  vermocht,  die 
Treppe  hinab  in  den  Garten  zu  gehen,  bald  aber  er- 
laubten dies  die  schwindenden  Kräfte  nicht  mehr,  und 
unglücklicherweise  trat,  wie  ich  es  gefürchtet  hatte, 
eine  jener  gäben  Witterungsveränderungen  ein,  die  bei 
uns  wohl  das  ganze  Jahr  hindurch  nicht  selten,  im 
Frühling  aber  sehr  gewöhnlich  sind.  Es  kam  anhalten- 
des Regenwetter  mit  kalten  Stürmen,  wir  wußten  uns 
nicht  zu  helfen,  um  des  Vaters  Kabinett  und  ihn  selbst 
hinlänglich  mit  Flaschen  von  heißem  Wasser,  Wach- 
holderfeuer  usw.  zu  erwärmen.  Diese  Schädliche  Ein- 
wirkung der  äußern  Kälte  offenbarte  sich  nur  zu  bald. 
Zwar  hörte  der  Regen  und  mit  ihm  der  Frost  auf,  die 
Sonne  schien  wieder  hell  und  warm,  aber  mein  Vater 
welkte  sichtHcher  dem  Grabe  zu,  und  am  2.  Juni  ver- 
schied er  sanft,  fromm  und  liebend  für  uns  alle  besorgt, 
wde  er  gelebt  hatte ^^2)! 

Illlllllllllllllll Illlll IIIIMIIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII Illlllllllllllllllllllllllll 

212 


ZWEITES  BUCH 

1798— 1813 


iiiiiiiiilMliliiftiiiiiiiiiiiiilifiitiiinimiiiMiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiifiiiiiiiMiiitfiuifiiiMiiiinifliiiMfiTiiHiiittfiiiiniiiii 


Der  Tod  meines  Vaters  machte  eine  wichtige 
Epoche  in  unserm  häusHchen  Zusammenleben. 
Nicht  bloß  der  zärtliche,  treffliche  Vater  war  uns  allen 
entzogen,  sondern  mit  ihm  hörten  auch  die  bedeuten- 
den Einkünfte  auf,  welche  mit  seiner  Stelle^  als  der 
eines  altern  Hofrats,  verbunden  waren,  und  meine 
Mutter,  nebst  uns  beiden  jungen  Paaren,  war  nun  auf 
die  aus  unserm  Stammvermögen  entfallenden  Ein- 
künfte, und  die  noch  sehr  mäßigen  Besoldungen  mei- 
nes Mannes  und  meines  Bruders  beschränkt. 

Es  wurden  Einschränkungen  nötig,  besonders  da 
wir  jungen  Paare  keine  bedeutenden  Einkünfte  hatten, 
und  einer  Vermehrung  der  Ausgaben  entgegen  sehen 
mußten.  Es  wurde  also  überlegt,  Rat  gehalten.  Eine 
Wohnung  in  der  Stadt,  wie  wir  alle  sie  bisher  ge- 
wohnt waren  und  nicht  gern  entbehrt  hätten,  und  ein 
Sommeraufenthalt  auf  dem  Lande,  der  uns  allen  seit 
Jahren,  zum  Bedürfnis  geworden,  erforderten  einen 
Aufwand,  der  unsre  damaligen  Kräfte  überstieg.  Wir 
beschlossen  also  —  ein  Vorsatz,  der  damals  viel  bedenk- 
licher und  schwerer  zu  fassen  war,  als  es  jetzt  scheinen 
möchte  —  nur  eine  Wohnung  fürs  ganze  Jahr,  aber 
diese,  um  die  AnnehmUchkeit  eines  Gartens  zu  ge- 
nießen, in  einer  schönen,  nahen  Vorstadt  zu  suchen. 
Unsere  Bekannten  und  Freunde  erstaunten  über  die- 
sen Entschluß  und  die  meisten  mißbilligten  ihn  höch- 
lich; denn  damals  standen  die  Vorstädte  ungefähr  in 
dem  Verhältnis  zur  Stadt,  in  welchem  sich  jetzt  die 
Dörfer  befinden,  wo  nun  auch  nur  wenige  Familien 

215 


aus  den  angesehenen  Ständen  sich  entschließen,  Win- 
ter und  Sommer  zu  wohnen,  und  eine  solche  Wahl 
immer  Verwunderung  und  Tadel  erregt. 

Da  wir  alle  wenig  Ansprüche  auf  ein  Leben  in  gro- 
ßen und  glänzenden  Gesellschaften  machten,  und  un- 
ser Glück  in  zufriedner  Häuslichkeit  fanden,  so  ließen 
wir  die  Leute  sagen,  was  sie  wollten,  suchten  fleißig 
nach  einem  Hause,  wie  wir  es  in  unsern  damaligen  Ver- 
hältnissen brauchten,  und  fanden  endhch  dasjenige, 
welches  wir  seit  jener  Zeit  bis  auf  diesen  Tag  noch  be- 
wohnen. 

Zur  Ausführung  dieses  Planes  gehörte  denn  auch, 
daß  das  Landhaus,  das  wir  besaßen,  und  in  dem  wir 
zur  Zeit  des  Verlustes  unsers  teuern  Vaters  und  noch 
den  ganzen  Sommer  von  1798  lebten,  verkauft  wurde. 
Es  tat  mir  sehr  weh,  denn  in  diesem  Landhause  hatte 
ich  die  Zeit  meiner  Kindheit  und  Jugend  zugebracht, 
und- in  den  Schattengängen  des  großen,  schönen  Gar- 
tens waren  die  ersten  Anregungen  zur  Poesie  in  meinem 
Gemüt  erwacht.  Wie  oft  hatte  ich  im  dichtesten  Ge- 
büsche an  meinem  Lieblingsplätzchen  gesessen,  wo 
ein  kleiner  Quell  über  nette  Steine  hinabrieselte, 
und  dem  Geflüster  der  Blätter  über  mir,  dem  Gesang 
der  Vögel,  dem  Gemurmel  des  Wassers  horchend,  mich 
still  und  selig  gefühlt.  Von  solchen  Stunden  sagte  ich 
später  in  einem  ungedruckten  Liede: 

Ich  war  allein,  doch  einsam  war  ich  nie; 

Ich  war  bei  Blumen,  Büschen,  Gras  und   Bächen, 

Ich  hörte  sie  in  ihrer  Sprache  sprechen, 

Und  tief  im  Innersten  verstand  ich  sie.  - 

Dort  lagen  Saiten,  die  bei  jedem  Ton 

In  der  belebten  Schöpfung  mit  erklangen, 

Sie  sind's,  woraus  mir  reine  Freuden  sprangen, 

Sie   tauscht'  ich  nicht  um  eines  Fürsten  Thron.  3^^) 

216 


\ 


In  diesem  Garten  waren  meine  Gleichnisse^^*)  und 
viele  meiner  frühern  Gedichte  entstanden,  hier  waren 
mir  sehr  angenehme  Stunden  verflossen,  und  diese 
Bäume  hatten  auch  oft  meine  Tränen  gesehen.  Ich 
schied  ungern  von  diesen  Erinnerungen  meiner  Kind- 
heit und  ersten  Jugend,  aber  es  mußte  sein,  das  er- 
kannte ich,  und  so  faßte  ich  mich  mit  Ernst  und  gutem 
Willen,  und  ergab  mich  in  das  Unausweichbare. 

Das  Landhaus  wurde  verkauft  ^^^).  Wir  bewohnten 
es,  dem  Kaufkontrakte  gemäß,  noch  bis  zum  Winter, 
und  mit  wehmütigem  Gefühl  genoß  ich  die  zwei  oder 
drei  letzten  Monate,  welche  es  mir  daselbst  zuzubrin- 
gen vergönnt  war.  Kaum  aber  waren  wir  weggezogen, 
so  ging  auch  eine  gewaltige  Veränderung  mit  dem  Gar- 
ten vor.  Der  Strahl  des  reinsten  Quellwassers,  das  — 
durch  eine,  meinem  seligen  Vater  von  dem  Magistrat 
in  Wien  bewilligte  Seitenleitung  aus  der  großen 
Wasserleitung,  welche  das  frische  Quellwasser  in  die 
Röhrbrunnen  der  Vorstädte  und  der  Stadt  führt ^®^)  — 
in  unserm  Gartenbassin  lustig  in  die  Luft  sprang,  unser 
Haus  und  oft  die  Nachbarschaft  mit  kösthchem  Trink- 
wasser und  den  Garten  mit  hinreichender  Feuchtigkeit 
versorgte,  dieser  Wasserstrahl  wurde  sogleich  von  dem 
Magistrat  zurückgenommen  und  das  Bassin  in  unserm 
ehemaligen  Garten  stand  leer.  Der  Sinn  der  neuen 
Besitzer  war  auch  ein  ganz  anderer,  die  Anlagen  wur- 
den vernachlässigt,  die  Gebüsche  verwilderten,  die 
kleinen  Partien  —  eine  Einsiedelei,  ein  Wasserfall,  zier- 
Hche  Brücken  usw.  —  verfielen,  und  oft  mahnte  mich 
dieses  Zurücksinken  einer  vormals  HebHchen  Schöpfung 
in  einen  Zustand  der  Verwilderung  durch  den  Tod 
eines  einzigen  vorzügHchen  Mannes  an  jene  Episode  in 
Wielands  Oberen,  wie  das  kleine  Paradies,  das  Titania 

217 


um  des  greisen  Alphons  willen  in  der  Wüste  hervor- 
gezaubert hatte,  nach  seinem  Tode  sich  wieder  in  eine 
Wüste  verwandelt^'). 

Der  Winter  verging  uns  in  seinem  Beginne  bis  nach 
dem  Karneval  ziemlich  angenehm.  Meine  Kleine  ge- 
dieh sichtlich,  und  es  wurde  beschlossen,  sie  nächsten 
Frühling,  den  wir  schon  in  unserm  neuen  Hause  in  der 
Alservorstadt  zuzubringen  gedachten,  dort  einimpfen 
zu  lassen.  Dies  Haus,  das  kürzlich  seinen  Besitzer, 
einen  der  berühmtesten  Ärzte  Wiens  und  einen  guten 
Bekannten  von  uns,  durch  den  Tod  verloren  hatte,  war 
von  ihm,  der  damals  noch  in  der  Blüte  seiner  Jahre 
stand,  aufs  zierlichste  eingerichtet  worden.  Hun- 
czovsky^^^)  (das  war  sein  Name,  der  gewiß  bei  manchem 
in  Wien  in  lebhaftem  und  dankbarem  Andenken  sein 
wird)  war  ein  sehr  gebildeter  Mann,  ein  großer  Kunst- 
freund, und,  was  noch  mehr  sagen  will,  und  was  sein 
Tod  bewies,  ein  edler  Menschenfreund.  Die  meisten 
und  schönsten  Zimmer  seines  Hauses  hatte  er  seinen 
Sammlungen  gewidmet.  Da  war  eine  ansehnliche  Bib- 
liothek, ein  ganzes  Zimmer  voll  Handzeichnungen,  die 
an  den  tiefblauen  Wänden  desselben  in  prächtigen  Gold- 
rahmen prangten,  ein  anderes  mit  den  schönsten  Kup- 
ferstichen, in  dem  sich  überdies  eine  zahlreiche  Mine- 
raliensammlung in  IG — 12  höchst  eleganten  Glas- 
schränken befand;  endlich  ein  eigens  dazu  eingerich- 
teter Saal  mit  Gemälden.  Hier  lebte  der  Besitzer  mit 
einer  hübschen,  jungen  Frau,  die  er  kürzlich  geheiratet, 
umgeben  von  seinen  Kunstschätzen  und  in  der  nahen 
Erwartung,  bald  Vater  zu  werden.  Da  entriß  ihm  zu- 
erst der  Wille  Gottes  die  Frau,  welche,  wenn  ich  nicht 
irre,  bei  der  Geburt  eines  Knaben  blieb  ^^^).  Kaum  ein 
oder  anderthalb  Jahre  darauf  hatte  Hunczovsky  einen 

218 


Kranken  zu  behandeln,  der  an  einem  sehr  bösartigen 
Gescliwüre  litt.  Es  sollte  geöffnet  werden,  Hunczovsky 
war  Arzt  und  ein  sehr  berühmter  Wundarzt  zugleich; 
er  schickte  sich  an,  die  Operation  zu  machen  und  voll- 
endete sie  auch  glücklich;  aber  er  verwundete  sich  da- 
bei in  der  Hand,  und  zwar  so,  daß  er  blutete,  und  zwar 
in  dem  Augenblicke,  als  die  Lage  seines  Kranken  ihm 
nur  die  Wahl  ließ,  entweder  die  Wunde,  die  er  diesem 
gemacht  hatte,  fahren  zu  lassen,  wodurch  der  Kranke 
aufs  Äußerste  gefährdet  worden  wäre,  oder  zuzugeben, 
daß  die  giftige  Jauche  seine  eigene  verwundete  Hand 
berühre  und  in  sein  Blut  übergehe.  Hunczovsky 
wählte  das  letzte.  —  Er  besorgte  und  verband  seinen 
Kranken,  der  wahrscheinlicherweise  genaß.  Er  selbst 
aber  fühlte  bald  die  Folgen  seiner  großmütigen  Auf- 
opferung. Seine  Wunde  verschlimmerte  sich,  die 
Hand  schwoll,  endlich  der  Arm;  —  das  Übel  verbreitete 
sich  mit  ungeheurer  Schnelligkeit  im  ganzen  Körper, 
und  er  starb  als  ein  Opfer  seiner  Menschenfreundlich- 
keit.   Friede  sei  seiner  Asche! 

Vielleicht  wird  manchem,  der  einst  diese-  Blätter 
liest,  diese  kleine  Anekdote  unbedeutend,  überflüssig 
erscheinen.  Ich  habe  sie  mit  Vorbedacht  erwähnt, 
weil  ich  erstlich  gern  das  Andenken  eines  braven  Man- 
nes, den  ich  wohl  kannte,  feiern  mochte;  zweitens  aber, 
weil  solche  Beispiele  von  pflichtmäßiger  Aufopferung 
in  unserer  selbstischen  Zeit  immer  seltener  werden,  und 
daher  nicht  sorgsam  genug  bewahrt  werden  können. 

Nach  seinem  Tode  mußte,  den  Verordnungen  Kai- 
ser Josefs  in  Vormundschaftsdingen  gemäß  ^''°),  alles, 
was  er  besessen  hatte,  verkauft,  zu  Gelde  gemacht,  und 
dies  in  öffentlichen  Papieren  für  seinen  Knaben  hinter-  • 
legt  werden,  obwohl  damals  der  Kredit  jener  Papiere 

219 


schon  sehr  gesunken  war,  und  jedermann  das  Schäd- 
liche dieser  Maßregel  einsah.  Das  Haus,  freilich  seiner 
kostbaren  Einrichtung  beraubt,  aber  auch  so  noch  im- 
mer sehr  elegant  und  bequem  zugerichtet,  nebst  dem 
Garten,  kaufte  meine  Mutter,  und  wir  gedachten  es  im 
Frühling  zu  beziehen  und  angenehm  zu  bewohnen, 
da  auch  die  Eltern  meiner  Schwägerin  sich  eine  Woh- 
nung in  demselben  vorbehielten. 

Aber  schon  nach  dem  Karneval  fing  meine  Schwä- 
gerin an,  zu  kränkeln.  Wir  hielten  es  für  Folgen  irgend 
einer  Erkühlung;  denn  es  gestaltete  sich  wie  ein  Katar- 
rhalfieber,  und  sie  konnte  nach  wenigen  Tagen  das  Bett 
wieder  verlassen.  Doch  war  eine  auffallende  Mattigkeit 
und  völlige  Entkräftung  zurückgeblieben,  die  uns  allen 
und  selbst  dem  Arzte  nach  einer  so  unbedeutenden 
Krankheit  beunruhigend  vorkam.  Er  beschloß,  ihr 
China  zur  Stärkung  zu  geben;  denn  er  glaubte,  da  sie 
in  ihrer  ersten  Jugend  schnell  in  die  Höhe  geschossen, 
und  mit  dreizehn  Jahren  bereits  so  groß  und  stark  war 
wie  mit  zwanzig,  die  Natur  habe  ihre  Kräfte  in  der 
Bildung  der  äußern  Form  erschöpft  und  das  Innere  zu 
schwach  gelassen.  Bald  aber  zeigte  sich  die  Folge  oder 
Ursache  dieser  auffallenden  Schwäche  auf  eine  für 
meinen  armen  Bruder  und  uns  alle  sehr  erschreckende 
Weise.  Ich  wurde  eines  Morgens  mit  der  Nachricht 
geweckt,  Marie  (so  hieß  meine  Schwägerin)  habe  in  der 
Nacht  stark  Blut  gehustet  und  sei  außerordentlich  ent- 
kräftet. Diese  Nachricht  oder  vielmehr  diese  Er- 
scheinung war  gleichsam  die  Totenglocke  von  meines 
Bruders  häuslichem  und  überhaupt  von  dem  Glücke 
seines  Lebens.  Es  war  eine  Lungensucht,  und  wenn 
auch  in  den  ersten  Monaten  zwischen  jedem  neuen  An- 
fall ein  Zwischenraum  täuschender  Besserung  eintrat, 


220 


.i'';5.,'l-5jVi.4ä 


in  dem  die  Kranke,  und  alle,  die  sie  liebten,  wieder 
hofften,  so  mußte  doch,  wer  hier  klar  und  ungeblendet 
beobachten  konnte,  den  wahren  und  unheilbaren 
Grund  des  Übels  erkennen.  '   j- 

Indessen  war  uns  das  Haus  in  der  Alservorstadt  ein- 
geräumt worden ^'^).  Wir  be2;ogen.es  im  Frühhng  und 
versprachen  uns  viel  von  der  reinen  Luft,  von  dem  Le- 
ben im  Garten  für  unsere  Kranke.  Dieser  Garten  war 
aber  in  einem  Zustande  völliger  Verwilderung,  ob- 
gleich reich  mit  schönen  exotischen  Bäumen  und 
Sträuchern  und  mitunter  auch  edlem  Obst  besetzt. 
Der  vorige  Besitzer  hatte  den  Vorsatz  gehabt,  ihn  auf 
moderne  Art  geschmackvoll  zuzurichten.  Er  hatte  des- 
wegen die  alten,  steifen  Gänge  kassiert,  den  Boden  ge- 
ebnet, die  schönen  Pflanzen  hineingesetzt,  aber  ^ein 
früher  Tod  hatte  diese  Schöpfung  in  ihrem  Werden 
aufgehalten,  und  wer  einen  Garten  hat,  weiß,  was  zwei 
Jahre  ohne  alle  Aufsicht  und  Pflege  für  eine  Wildnis 
daraus  machen  können.  Vorderhand  mußte  alles  so 
bleiben,  wie  es  war,  der  nächste  Winter  und  Frühhng 
war  dazu  bestimmt,  alles  dies  in  Ordnung  zu  bringen. 

Sehr  angenehm,  heiter,  luftig  und  anständig  war 
die  Wohnung,  und  wir  richteten  uns  mit  Vergnügen 
daselbst  ein.  Sobald  es  die  Witterung  erlaubte,  sollte 
auch  mein  kleines  Mädchen  geimpft  werden.  Eben  um 
diese  Zeit  fing  die ,  seitdem  so  viel  besprochene  Vakzine 
an,  bekannt  zu  werden.  Der  dadurch  berühmt  ge- 
wordene Doktor  de  Carro^'2^,  der  mit  der  Tochter  eines 
uns  freundschaftlich  verbundenen  Hauses  vermählt 
war,  schickte  mir  Jenners  Werk  über  diesen  Gegen- 
stand^'^. Aber  unser  Hausarzt,  Doktor  Herbek,  war 
nicht  der  Meinung,  von  dieser,  damals  noch  so  wenig 
konstatierten  Entdeckung  Gebrauch  zu  machen.    Mein 

221 


Lottchen  wurde  mit  Menschenblattern  geimpft  und 
überstand  die  Krankheit  leicht,  indem  sie,  nach  der 
damals  gewöhnlichen  Behandlungsart,  den  ganzen  Tag 
in  der  freien  Luft  gehalten,  selbst  ihre  Fieber  in  einem 
mit  Betten  ausgelegten  Wägelchen  im  Garten  über- 
stehen mußte,  wobei  nur  die  Vorsicht  gebraucht  wurde, 
den  Platz  und  also  die  umgebende  Luft  zu  wechseln, 
und  so  ging  mit  Gottes  Hilfe  diese  wichtige  Periode 
glücklich  vorüber.  Weniger  günstig  wirkte  der  kühle, 
regnichte  Sommer  vom  Jahre  1799,  wo  sogar  die 
Trauben  am  Spalier  in  unserm  neuen  Besitztum  nicht 
recht  reif  wurden,  auf  meine  arme  Schwägerin.  Die 
Anfälle  von  Fieber  mit  Blutauswerfen  und  heftigen 
Brustschmerzen  traten  in  kürzeren  Zwischenräumen 
und  mit  größerer  Stärke  ein,  und  mit  dem  Blätterfall, 
wie  denn  das  so  oft  geschieht,  war  die  Verschlimmerung 
so  groß  geworden,  daß  sie  das  Bett  nicht  mehr  ver- 
lassen, und  mein  armer  Bruder  sich  mit  keiner  Hoff- 
nung mehr  täuschen  konnte. 

Welche  Tage  tiefer  Trauer  und  herzzerreißender 
Schmerzen  traten  nun  an  dem  Krankenbette  d^,  so 
heiß  von  ihrem  Manne  und  ihren  Eltern  geliebten  Frau 
ein,  die  mit  jeder  Woche  dem  Grabe  sichtlicher  zu- 
welkte! Was  wurde  nicht  versucht,  um  ihr  Leben  zu 
erhalten!  Welche  Ärzte  nicht  gerufen,  welche  Heil- 
mittel nicht  angewendet!  Es  war  vergebens.  Am  12. 
Dezember  saß  ich  eines  Nachmittags,  wo  eben  der 
letzte  Schimmer  des  Tages  in  den  trüben  Winter- 
nebeln erstarb,  an  ihrem  Bette.  Kurz  vorher  hatte  sie 
noch  gesprochen,  dann  lag  sie  still,  wie  fast  immer. 
Mein  Bruder  brachte  ihr  einen  Trank,  der  ihr  einige 
Labung  zu  geben  pflegte.  Er  hielt  ihr  die  Schale  an 
den  Mund,  sie  nahm  sie  nicht;  er  redete  sie  an,  sie  ant- 

222 


..:lä 


wertete  nicht.  Ich  erschrak;  denn  die  Wahrheit  trat 
auf  einmal  furchtbar  vor  meine  Seele  —  ich  kniete  am 
Bette  nieder,  ich  sah  ihr  in  die  Augen  — ,  sie  schienen 
mir  gebrochen;  die  Wärterin  wurde  gen^fen  —  ein 
Spiegel  gebracht  —  ^in  Hauch  färbte  ihn  mehr;  > —  sie 
war  verschieden! 

Mehr  als  dreißig  Jahre  sind  seit  dieser  Szene  über, 
mich  hingegangen,  das  Bild  dieses  Augenblicks  und  der 
Schmerz  meines  Bruders  steht  noch  so  lebhaft  vor  mir, 
als  wären  erst  Monate  darüber  verflossen.   Er  stürzte 
fort  aus  dem  Zimmer,  wie  er  die  furchtbare  Gewißheit 
seines  Verlustes  erkannt  hatte,  und  mir  trug  er  auf,  bei 
der  Toten  zu  bleiben  und  mit  Bürsten,  Wärmen  und 
allen  andern  Mitteln  zu  versuchen,  das  fliehende  — 
entflohene  Leben  festzuhalten.    Daß  es  uns  nicht  ge- 
lang, war  vorzusehen.    Ein  paar  Stunden  darauf  kam 
er  wieder,  und  sah  aus  dem  Nebenzimmer  auf  die  Leiche 
hin,  die  noch  eben  in  der  Stellung,  wie  er  sie  verlassen 
hatte,  in  warme  Tücher  eingeschlagen,  im  Bette  lag. 
Das  ist  mein  Weib!  schrie  er  nun  mit  einem  Tone, 
dessen  zerreißender  Wehlaut  noch  in  meinen  Ohren 
klingt,  und  eilte  aufs  neue  fort,  einem  Anblick  zu  ent- 
fliehen, den  er  auszuhalten  nicht  vermochte. 

Später  kamen  die  armen  Eltern.  —  Ich  gehe  über 
alles  das,  über  die  Abreise  meines  Bruders,  der  am  fol- 
genden Tage  Wien  verHeß  und  mitten  im  Winter  nach 
Linz  zu  einem  Jugendfreunde  reiste,  über  die  Beerdi- 
gung und  alle  Anstalten  und  Vorkehrungen,  die  dieser 
Todesfall  nötig  machte,  und  die  mir  aufgetragen  wa- 
ren, schnell  hinweg.  Es  war  eine  traurige  Zeit,  ein  sehr 
trauriger  Auftrag;  aber  ich  schien  immer  bestimmt, 
diese  peinlichen  Geschäfte  zu  übernehmen,  denen  sich 
gern  jedes  andere  entzog. 

223 


Nach  sechs  Wochen  kam  mein  Bruder  wieder.  Die 
Reise,  die  Neuheit,  die  Verschiedenheit  der  Gegen- 
stände hatten  günstig  auf  ihn  gewirkt.  Der  Zufall 
wollte  es,  fiaß  gerade  in  diesem  Winter  die  russische 
Armee  durch  Oberösterreich  zog,  um  sich  nach  der 
Schweiz,  wenn  ich  nicht  irre,  zu  begeben.  Die  Kreis- 
beamten hatten  außerordentlich  viel  mit  ihnen  zu  tun, 
und  dem  Freunde  meines  Bruders,  jetzt  Gubernial- 
rat  Barchetti^'*),  war  es  daher  sehr  erwünscht,  in  dem 
Ankommenden  einen  ebenso  tätigen  als  geschickten 
und  geschäftskundigen  Gehilfen  zu  finden.  Meines 
Bruders  Tätigkeit  wurde  sofort  in  Anspruch  genom- 
men, und  mit  Einquartierung,  Etappen  machen, 
Marschrouten  ausmitteln,  Händel  schlichten,  Ordnung 
halten,  ward  sein  Geist  von  der  steten  Beschauung  sei- 
nes Schmerzes,  der  aller ver der bHchsten  Verfassung 
eines  Unglücklichen,  abgezogen  und  auf  wirkliche,  aber 
ganz  heterogene  Gegenstände  gelenkt,  deren  Beschaf- 
fenheit keinen  Aufschub,  keine  Zögerung,  und  daher 
kein  Versinken  in  Träumereien  gestattete.  Wohl  er- 
wachte der  heftigste  Schmerz  wieder  beim  Anblick 
und  Eintritt  in  das  Haus,  wo  er  so  glücklich  mit  ihr  ge- 
lebt, wo  er  sie  so  schmerzlich  und  so  neuerlich  verloren ; 
aber  er  bezwang  das  wunde  Herz  als  Mann  und  ernster 
Denker,  und  nur  in  vertrauten  Stunden  mit  mir  allein 
ergoß  sich  zuweilen  sein  Schmerz  in  Klagen  und  wohl 
auch  in  Tränen. 

Diese  ganze  Zeit  vor  und  nach  meiner  Verheiratung, 
da  Krankheiten,  Todesfälle  und  überhäufte  häusliche 
Angelegenheiten  aller  Art  meinen  Geist,  mein  Gefühl 
und  meine  ganze  Muße  streng  und  gebieterisch  in  An- 
spruch nahmen,  dachte  ich  beinahe  an  keine  Poesie,  und 
auch  die  Zeitumstände  waren  durch  die  Kriegsbege- 

224 


C.  Caspar  pinx.  C.  Kohl  sc. 

k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothekj  Wien 


benheiten  und  die  daraus  entspringenden  teils  ängsten- 
den,  teils  drückenden  Verhältnisse,  der  Poesie  nichts 
weniger  als  günstig.  Meine  Phantasie  schwieg  ganz, 
und  mein  Geist  lag  im  eigentlichen  Sinne  brach.  Auch 
war  unser  Leben  ziemlich  einsam  geworden.  Wir  brach- 
ten den  Winter  fast  ohne  allen  Umgang  zu;  denn 
wenn  jetzt  noch  die  meisten  Bewohner  der  innern  Stadt 
den  Weg  in  die  Vorstädte  scheuen,  und  das  Glacis  für 
viele  ein  nicht  zu  überschreitender  Ozean  ist,  dessen 
Stürmen  und  Fährlichkeiten  sie  sich  im  Winter  kaum 
auszusetzen  wagen,  wenn  nicht  eine  sehr  lockende  Un- 
terhaltung sie  dazu  reizt  und  für  die  Beschwerhchkei- 
ten  einer  solchen  Fahrt  entschädigt,  so  kann  man  sich 
vorstellen,  wie  das  vor  mehr  als  vierzig  Jahren  war. 

Wenn  wir  nicht  nach  der  Stadt  gingen,  um  einen 
Abend  im  Theater  oder  bei  Freunden  zuzubringen, 
saßen  wir  meistens  ganz  allein,  und  unsere  Unterhal- 
tung .bestand  darin,  daß  Pichler,  wenn  er  abends  nach 
Hause  kam,  uns  vorlas,  bis  es  Zeit  zum  Souper  war, 
während  meine  Mutter  strickte  und  ich  spann,  nach- 
dem ich  meine  Kleine  schlafen  geschickt  hatte  und  mein 
Bruder  ausgegangen  war.  Dennoch  hatte  auch  dies 
sehr  stille  Leben,  so  auffallend  es  gegen  das  gesellige 
Geräusch  in  meines  Vaters  Hause  abstach,  und  viel- 
leicht eben  des  Kontrastes  wegen,  einen  großen  Reiz 
für  mich.  Pichler  brachte  uns  die  neuesten  Erschei- 
nungen im  Fache  der  schönen  Literatur,  und  wir  ge- 
nossen recht  tief  und  innig  die  damals  höchst  beliebten 
und  bewunderten  Romane  von  Lafontaines'^).  Kam 
dann  manchmal  ein  unvermuteter  Besuch  aus  der 
Stadt,  so  vvoirde  er  mit  großer  Freude  empfangen,  nach 
Neuigkeiten  befragt,  wenn  es  ein  Freund  war,  mit 
Pichler  politisiert,  und  so  verstrichen  die  stürmischen 


15    c.  P.  I 


225 


Abende  wie  auf  dem  Lande  still  und  behaglich,  bis 
endlich  der  Winter,  in  jenem  Jahre  etwas  spät,  dem 
Frühlinge  wich,  und  nun  die  Arbeiten  im  Garten,  um 
ihn  neu  anzulegen,  beginnen  konnten.  Unter  der  Lei- 
tung eines  Bekannten,  welcher  das,  von  den  Schwieger- 
eltern meines  Bruders  im  Winter  nicht  bewohnte 
Quartier  gemietet  hatte,  und  der  sich  trefflich  auf 
Gartenkunst  verstand,  wurde  die  Wildnis  geordnet,  die 
schönen  Bäume  und  Sträucher  an  passende  Plätze  ge- 
setzt, der  schon  erwachsenen  so  viel  wie  möglich  ge- 
schont und  so  nach  dem  Geschmacke  jener  Zeit  ein 
Garten  voll  Gebüsche,  durch  welche  sich  viele  kleine, 
schmale  Gänge  schlängelten,  hergestellt.  Damals  fand 
ihn  jedermann  schön,  seitdem  hat  sich  auch  hierin, 
wie  in  allem,  die  Welt  und  der  Geschmack  verändert, 
und  er  mußte  späterhin  eben  solchen  Wechsel  wie  alle 
Dinge  erfahren. 

Um  diese  Zeit  ungefähr  fand  mein  Mann,  als  er  eines 
Tages  in  meinen  Schriften  herumsuchte,  das  Manu- 
skript meiner  Gleichnisse  ^^^,  welche  ich  viele  Jahre 
früher  bei  verschiedenen  Anlässen  gedichtet,  meiner 
Jugendfreundin  Josefine  gewidmet,  in  einer  reinlichen 
Abschrift  übergeben,  und  seitdem  nicht  viel  mehr  dar- 
an gedacht  hatte,  außer  daß  ich  gelegentlich,  wie  ein 
Gegenstand  solche  Betrachtungen  in  mir  erweckte, 
wieder  ein  neues  Gleichnis  schrieb,  und  zu  der  Samm- 
lung legte.  Sie  gefielen  Pichlern,  und  zwar  so  sehr,  daß 
er  mir  den  Vorschlag  tat,  sie  der  Welt  durch  den  Druck 
zu  übergeben.  Vor  diesem  Gedanken  erschrak  ich  im 
eigentlichsten  Sinn;  denn  wenn  gleich  einzelne  kleine 
Gedichte  von  mir  gelegentlich  allein  oder  in  Almana- 
chen erschienen  waren  ^"),  so  hatte  ich  doch  nie  daran 
gedacht,  als  Schriftstellerin  mit  einem  eigenen  Werke 

226 


aufzutreten.  Vielmehr  hatte  ich  solche  Öffentlichkeit 
immer  gefürchtet,  und  warnend  trat  ein  Wort  eines  un- 
serer Freunde,  eines  sehr  gelehrten  Mannes,  vor  meine 
Erinnerung,  der,  als  ich  ihn  einst  befragte,  warum  er 
denn  der  Welt  nichts  von  den  gelehrten  Schätzen,  die 
er  gesammelt,  mitteilen  wollte,  mir  mit  vieler  Heftig- 
keit sagte:  „Mein  Fräulein,  das  werde  ich  nie  tun.  Ein 
Mann,  der  ein  Buch  herausgibt,  ist  wie  ein  Narr,  der 
die  Hand  zum  Fenster  hinausstreckt;  jeder  Vorüber- 
gehende kann  ihn  darauf  schlagen." 

Jetzt,  als  mein  Mann  eine  ähnliche  Auffordejrung  an 
mich  ergehen  ließ,  fiel  mir  der  gelehrte  Abbe  Br.^'^) 
und  seine,  wie  mir  schien,  sehr  treffende  Bemerkung  ein, 
und  ich  vertraute  meinem  Manne  meine  Angst.  Er 
mißbilligte  sie  nicht  ganz;  aber  er  schlug  mir  vor,  das 
Manuskript,  ehe  wir  jenen  großen  Schritt  vor  die 
öffentliche  Meinung  täten,  einigen  vertrauten  und 
durch  ihre  Gelehrsamkeit  sowohl  als  ihr  Wohlwollen 
gegen  uns  bewährten  Freunden  zu  zeigen  und  ihr  Ur- 
teil zu  vernehmen.  So  wurde  es  denn  nacheinander 
Herrn  Haschka,  der  ohnedies  so  vielen  Teil  an  meiner 
Geistesbildung  genommen,  Herrn  Otto  Wieser,  einem 
Freund  meines  Mannes  und  Professor  am  Piaristen- 
kollegium^'^),  Herrn  Hofrat  von  Sonnenfels,  der  sich 
von  jeher  als  einen  väterlichen  Freund  Pichlers  er- 
wiesen, und  dem  Hofrat  Denis,  dessen  Name  schon 
Autorität  genug  ist,  zuni  Durchlesen  gegeben.  Das 
einstimmige  Urteil  dieser  Herren  fiel  günstig  und 
ermunternd  aus,  und  so  erschienen  denn,  obgleich  von 
mir  noch  immer  mit  Angst  und  Sorge  aus  dem  schützen- 
den Schatten  der  Unbekanntheit  entlassen,  die  Gleich- 
nisse, und  ich  trat  öffentlich  vor  der  Welt  als  Schrift- 
stellerin auf. 


15* 


227 


Zu  meiner  großen  Freude  und  noch  größerem  Er- 
staunen fand  das  Büchelchen  eine  sehr  günstige  Auf- 
nahme, und  wurde  von  dem,  damals  mit  Kotzebue  gegen 
die  Schlegelsche  Schule  bewaffneten  Merkel  —  Herrn 
Garlieb  MerkeP^"),  der  aber  vielen  Leuten  gar  nicht 
lieb  war  —  vermutlich,  weil  er  meine  Gleichnisse  in 
ihrer    Einfachheit    der    neumodische^   Verkünstelung 
und  widernatürlichen  Verdrehung  der  Schreibart  ent- 
gegensetzen wollte,  sehr  gütig  angezeigt;  so  ungefähr, 
wie  Tacitus  in  seinen  Sitten   der  Deutschen  diesen 
damals  sehr  rohen  Völkern  und  ihren  einfachen  Tugen- 
den wohl  nur  darum  so  warmes  Lob  spendet,  um  seinen 
entarteten  Mitbürgern  einen  strengen  Spiegel  vorzu- 
halten.   Genug,  die  Gleichnisse  wurden  sehr  gut  auf- 
genommen, und  dieser  unverhoffte  Erfolg,  verbunden 
mit  der  lebhaften  Freude,  welche  mein  geliebter  Mann 
—  ganz  im  Gegensatze  von  dem  Manne  einer  berühm- 
ten Frau  in  Schillers  Epistel ^^^)  —  an  meinen  Schöpfun- 
gen empfand  und  zeigte,  munterte  mich  auf,  dem  In- 
nern Drang  meines  Gefühls,  den  ich  stets  empfand, 
nachzugeben,  und  wieder  auf  eine  neue  Dichtung  zu 
sinnen.    Ein  Traum  —  denn  zu  manchen  meiner  Er- 
zählungen hat  ein  lebhaftes  Bild,  eine  Situation,  ein 
Charakter,  von  dem  mir  träumte,  die  erste  Veranlas- 
sung gegeben  —  erregte  in  mir  den  Gedanken,  zu  schil- 
dern, wie  in  einem  edlen  weiblichen  Gemüte  die  Treff- 
lichkeit  eines   Mannes,   ungeachtet   eines   widerlichen 
Äußeren,    einen   tiefen   Eindruck   machen,   und   ihm 
selbst  unbewußt,  ja  wider  dessen  Willen,  eine  Leiden- 
schaft erregen  könnte.   Wohl  war  eben  damals  Krates 
und  Hipparchia  von  Wieland  erschienen ^^^;  aber  meine 
Idee  war  eine  ganz  andere;  jenes  Bild  war  zu  ruhig,  zu 
klassisch.  —  Ich  sann,  ich  bildete,  und  es  entstand  eine 

228 


Erzählung  —  Olivier,  die  im  ersten  Entwurf  romantisch, 
ja  eigentlich  ein  Märchen  war^^^). 

Um  diese  Zeit  fing  der  politische  Himmel  über  uns 
sich  wieder  sehr  zu  trüben  an.   Die  Schlacht  von  Ma- 
rengo'®*)  hatte  die  Angelegenheiten  unsers  Vaterlandes 
sehr  drohend  verschlimmert,  und  zum  zweitenmal  in 
vier  Jahren  mußten  wir  mit  angsterfüllten  Herzen  der 
Annäherung  der  französischen  Armeen,  entweder  von 
Italien  oder  von  der  Seite  des  damals  noch  bestehenden 
deutschen  Reiches  entgegen  sehen.    Der  Sommer  und 
Herbst  vergingen  in  bangen  Erwartungen,  und  zwei 
Todesfälle  in  unserer  Familie,  welche  schnell  aufein- 
ander folgten,  vereinigten  sich  mit  jenen  Ereignissen, 
um  uns  alle  recht  trüb  zu  stimmen,  und  die  Verluste, 
die  wir  vor  kurzem  erlitten,  uns  mit  neuer  Wehmut 
fühlen  zu  lassen.    Binnen  vierzehn  Tagen  starben  in 
unserm  Hause  und  fast  in  unsern  Armen  beide  Eltern 
meiner  seligen  Schwägerin,  bei  denen  wohl  der  Schmerz 
über  den  Verlust  des  treffhchen  Blindes  alten  Übeln, 
an  welchen  beide  litten,  bedeutenden  Vorschub  ge- 
leistet, und  sie  der  vorausgegangenen  Tochter  nach- 
geführt hatte ^^^.    Auf  meines  Bruders  Gemüt  wirkte 
dies  sehr  schmerzlich  ein;  aber  es  diente  auch  dazu, 
seine  Tätigkeit  zum  Nutzen  und  Frommen  der,  nun  im 
Jünglingsalter  stehenden  und  ganz  verwaisten  Brüder 
seiner  verstorbenen  Frau  aufzufordern,  die  außer  ihm 
keine  oder  wenigstens  keine  hinreichende  Stütze  hat- 
ten; denn  eine  in  Mähren  an  einen  Arzt  verheiratete 
Schwester  und  ein  Bruder,   der  als  Hauptmann  im 
Felde  stand,  waren  nicht  zu  rechnen ^^^.   Mein  Bruder 
war  schnell  entschlossen,  er  nahm  die  beiden  jungen 
Leute  zu  sich,  und  sie  gehörten  fortan  zu  unserer  Fa- 
milie.  Der  ältere,  Franz,  der  seitdem  als  Schriftsteller 

229  ,    "    ' 


und  Verfasser  vieler  wohlgelungenen  Übersetzungen 
französischer  Lustspiele  sich  in  Deutschland  einen  Na- 
men erworben,  wurde  bald  hierauf  bei  den  hiesigen  Land- 
rechten  angestellt^'),  den  jungem,  Karl^ss)^  brachte 
mein  Bruder  durch  die  freundschaftlichen  Verhältnisse, 
in  welchen  unsere  Familie  seit  vielen  Jahren  mit  dem 
Hause  des  Barons  von  Puthon^^^)  gestanden  hatte,  als 
Kommis  in  dies  Comptoir,  und  beide  junge  Männer 
zeichneten  sich  fortan  als  geschickte  und  in  jeder 
Beziehung  würdige  Menschen  aus.  Den  altern  aber 
zog  sein  Hang  zur  großen  Welt  bald  in  die  Stadt,  der 
jüngere  blieb  in  unserm  Hause,  und  war  uns  durch 
zwanzig  Jahre  ein  treuer  Freund  und  lieber  Haus- 
genosse. 

Im  Herbst  bezog  eine  sehr  würdige  Familie,  die 
Witwe  eines  ungarischen  Hofrates,  Frau  von  Wlas- 
sics  mit  ihren  Söhnen  und  einer,  bereits  an  einen 
Cousin,  der  sich  ebenfalls  Wlassics  nannte,  verheirateten 
Stieftochter,  die  Wohnung  im  obern  Stocke  unsefs 
Hauses ^^°),  und  ganz  in  unserer  Nähe  mietete  sich  ihre 
Schwester^'^)  ein,  die  an  den(  nachmals  durch  verschie- 
dene seltsame  Schicksale  bekannt  gewordenen  Baron 
von  Geramb  verheiratet  war.  Jetzt  bildete  sich  für 
uns  ein  recht  angenehmes,  geselliges  Leben.  So  wie  es 
Abend  wurde,  kamen  die  beiden  Frauen,  welche  bei 
uns  wohnten,  mit  ihrer  Arbeit  zu  uns  herab,  etwas 
später  kehrten  Herr  von  Wlassics  und  mein  Mann 
aus  ihren  Bureaus  nach  Hause,  und  nun  lasen  uns  die 
Herren,  oder  vielmehr  meistens  Pichler,  die  neuesten 
Erscheinungen  der  damaligen  Literatur  vor,  Lafon- 
taines Romane,  eine  zu  jener  Zeit  sehr  geschätzte  Lek- 
türe, oder  wenn  etwas  noch  Höherstrahlendes,  aus 
Schillers    oder    Goethes    Feder    geflossen,    vor    ganz 

2^0 


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Deutschland  neu  erglänzte.  Die  Knaben  der  Witwe, 
ihre  Neffen,  die  Kinder ^^2)  eben  jenes  Barons  Geramb 
und  meine  kleine  Lotte  spielten  neben  uns,  und  so  ver- 
gingen uns  die  Abende  still  und  genußreich.  Mein 
Bruder  und  sein  Mündel  Karl  (denn  er  war  nach  der 
beiden  Eltern  Tode  zum  Vormund  seiner  Schwäger 
ernannt  worden),  die  selbst  sehr  gut  und  gern  vor- 
lasen, ianden  aber  ihre  Rechnung  zu  wenig  beim  bloßen. 
Zuhören,  und  so  brachten  diese  ihre  Abende  meist  in 
der  Stadt  zu. 

Recht  angenehm  wäre  uns  allen  der  Winter  auf 
diese  Weise  verflossen,  hätten  nicht  unglückliche 
Kriegsereignisse  das  ganze  Land,  und  somit  auch  uns, 
mit  Furcht  und  Angst  erfüllt.  Die  französischen  Ar- 
meen rückten  nach  den  Siegen  in  Italien  und  am  Rhein 
immer  näher  heran,  und  man  sprach,  wie  vor  drei  Jah- 
ren, von  der  drohenden  Gefahr  einer  Invasion.  In 
unserm  stillen  Abendkreise  teilten  wir  uns  unsere  Be- 
sorgnisse mit,  und  eine  wahrscheinliche  Trennung,  die 
unserm  zufriedenen  Beisammensein  ein  nahes  Ende 
machen  soUte,  stellte  sich  ganz  dicht  vor  unsere  Augen; 
denn  Frau  von  Wlassics  dachte  sehr  ernstlich  daran, 
sich  samt  ihrer  Schwester  und  ihren  beiderseitigen  Kin- 
dern nach  Ungarn  zu  flüchten,  was  denn  auch  im  Laufe 
des  Winters  noch  geschah,  und  seitdem  —  es  sind  nun 
beinahe  vierzig  Jahre  —  habe  ich  diese  Hebenswürdige 
Frau  nicht  mehr  gesehen,  und  nur  wenig  und  Unbe- 
friedigendes, ja  Schmerzliches  von  ihr  vernommen.  Sie 
hatte  ein  neues  Eheband  in  Ungarn  geschlossen,  das 
unglücklich  ausfiel  und  ihr  Leben  verbitterte. 

Doch  ich  kehre  zu  meiner  Erzählung  zurück.  Wäh- 
rend wir  noch  alle  beisammen,  und  alle  voll  Besorg- 
nisse  vor  den  Dingen,  die  da  kommen  konnten,  waren, 

231 


trat  Baron  Geramb  zum  erstenmal  aus  der  Unbekannt- 
schaft seines  bisherigen  Privatlebens  mit  einem  Pro- 
jekte hervor,  das  Aufsehen  genug  erregte,  um  die  Blicke 
der  Stadt  auf  ihn  zu  lenken.  Er  v/ollte  nämlich  ein 
Freikorps  errichten  und  es  dem  Kaiser  in  dieser  be- 
drängten Zeit  zur  Disposition  stellen.  Geramb  wohnte, 
wie  ich  oben  gesagt,  nicht  weit  von  uns,  der  Zudrang 
der  Leute  in  seinem  Hause,  die  Unruhe,  welche  dieses 
Werbgeschäft  in  der  Nachbarschaft  verbreitete,  das 
Aus-  und  Einmarschieren  der  regellosen,  meistens  zer- 
lumpten Truppe  mit  Musik,  die  durch  die  ganze  Straße 
schallte,  das  alles  schien  mir  bei  der  wenigen  Zuver- 
sicht, die  man  in  einem,  auf  solche  Weise  zusammen- 
gerafften Haufen  setzen  konnte,  das  Unheimliche  un- 
serer Lage  noch  zu  vermehren  ^^^.  Indessen  hatte  unsere 
Armee  sich  anderGrenze  von  Oberösterreich  aufgestellt; 
die  unglückliche  Schlacht  von  Hohenlinden^^*),  auf  die 
man  die  letzte  Hoffnung  der  Rettung  gesetzt  hatte, 
ging  verloren,  der  Damm  war  durchstochen,  welcher 
die  verheerenden  Kriegsfluten  von  unserm  Vaterlande 
hätte  abhalten  sollen,  und  nun  ergossen  sich  die  feind- 
lichen Scharen  unaufgehalten  über  Salzburg,  Passau 
und  Österreich  ob  der  Enns. 

Vor  ihnen  her  retirierte  unsere  Armee  und  eilte 
durch  die,  bald  dem  Feinde  zu  überlassenden  Provinzen 
bis  gegen  Wien.  Dieses  Ereignis  bereitete  auch  mir 
ein  unverhofftes  Wiedersehen  einer  Person,  die  mehrere 
Jahre  vorher  einen  zu  tiefen  Eindruck  auf  mein  Ge- 
müt gemacht  hatte,  als  daß  die  Aufregung  eingeschla- 
fener  Erinnerungen  selbst  jetzt,  wo  ich  glücklich  ver- 
heiratet und  über  jene  Ereignisse  längst  ein  beruhigen- 
der Schleier  gezogen  war,  nicht  dennoch  eine  vorüber- 
gehende Erschütterung  in  meinem  Innern  hätte  ver- 

232  t 


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Ursachen  sollen,  und  weil  es  so  war,  so  stehe  es  hier,  zur 
Steuer  der  Wahrheit. 

Fernando,  der  junge  Offizier,  dessen  sich  die  Leser 
wohl  noch  erinnern  werden,  war  indes  zum  Major  im 
Generalstab  vorgerückt,  und  befand  sich,  ohne  daß  ich 
es  ahnte  —  denn  ich  hatte  in  Jahren  nichts  mehr  von 
ihm  gehört  und  geflissentlich  nicht  nach  ihm  gefragt 
—  bei  dem  retirierenden  Armeekorps,  dessen  Rückzug 
er  unter  vielen  Beschwerden  mitgemacht  und  leiten 
geholfen  hatte. 

Eines  Abends  trat  er  plötzlich  und  völlig  unerwartet 
bei  uns  ein.  Ich  leugne  es  nicht,  daß  dies  Wiedersehen 
mich  erschütterte,  daß  ich  einige  Minuten  bedurfte, 
um  meine  ruhige  Fassung  zu  erhalten;  aber  es  ging. 
Das  Bewußtsein  meines  jetzigen*  Standpunktes'  in  einer 
glücklichen  Ehe  und  Fernandos  feines  Gefühl  halfen 
uns  über  diesen  Moment  hinweg.  Ich  empfing  ihn  als 
einen  werten  alten  Freund  und  er  gab  sich  auch  so.  — 
Er  besuchte  uns  nun  oft,  erzählte  uns,  was  er  bei  dieser 
Retraite  ausgestanden,  erinnerte  uns  an  manches  ver- 
gangene Ereignis,  und  wir  besuchten  ihn  wieder  im 
Hause  seines  Oheims,  des  Hofrates,  wo  er  sich  aufhielt 
und  noch  eine  Weile  an  den  Folgen  der  Winterkam- 
pagne zu  leiden  hatte.  Kurz,  das  Verhältnis  ordnete 
sich  zu  unserer  beiderseitigen  Zufriedenheit.  Alles 
Leidenschaftliche  hatte  sich  läuternd  abgesondert  und 
nur  gegenseitige  Achtung  und  Wohlwollen  waren  zu- 
rückgeblieb 3n.  Nach  dem  bald  erfolgten  Waffenstill- 
stand trat  er  als  Obristleutnant  aus  dem  Generalstab 
in  ein  Husarenregiment,  produzierte  sich  in  seiner 
prächtigen,  reich  mit  Gold  besetzten  Uniform,  und 
schied  endlich  unter  herzlichen  Freundschaftsbezeu- 
gungen  und   unsern   wärmsten   Wünschen   von   uns, 

233 


Bald  darauf  verheiratete  er  sich  mit  einem  sehr  jungen 
polnischen  Fräulein,  und  hat,  so  viel  ich  weiß,  in  einer 
glücklichen  Ehe  mit  ihr  gelebt. 

So  hatte  sich  denn  durch  Zeit  und  veränderte  Ver- 
hältnisse ein  Eindruck  wie  ein  flüchtiger  Schatten  aus 
meinem  Gemüte  verloren,  der  durch  viele  Jahre  stark 
genug  gewesen  war,  um  mir  manche  trübe  und  bittere 
Stunde  zu  verursachen,  und  dessen  ehemalige  Gewalt 
ich  erst  recht  dadurch  erkennen  konnte,  daß  sich  unter 
ganz  veränderten  Umständen  doch  die  letzten  Spuren 
desselben  bei  dem  unvermuteten  Wiedersehen  in  mei- 
ner Seele  regten.  ^ 

Wichtigere  und  tiefer  gehende  Gedanken  und  Sor- 
gen bemächtigten  sich  in  dieser  Zeit  meiner  wie  aller 
Menschen.  Die  französische  Armee  stand  auf  öster- 
reichischem Boden  und  man  zitterte  in  Wien  vor  den 
Ereignissen,  die  kommen  konnten.  Viele  dachten  aber- 
mals auf  Flucht  wie  im  Jahre  1797,  und  die  Unge- 
wißheit und  Ratlosigkeit  dieser  Lage,  in  der  niemand 
mit  Sicherheit  einen  Entschluß  zu  fassen  wußte,  und 
wobei  die  Einbildungskraft  freies  Spiel  hatte,  alle  mög- 
lichen Gefahren  und  Unfälle  von  den  noch  sehr  wilden 
repubHkanischen  Horden  zu  fürchten,  waren  unaus- 
sprechlich peinigend. 

In  diesen  drangvollen  Umständen  ertönte  plötzlich 
wie  eine  Stimme  vom  Himmel  die  Nachricht,  daß  der 
Erzherzog  Karl,  der  früher  schon  einmal  als  Retter 
Germaniens*)  von  der  ganzen  Welt  war  erkannt  und 
verehrt  worden,  das  Kommando  wieder  übernommen 
und  sich  an  die  Spitze  der  Armee  gestellt  habe^^. 

•)  Viele  werden  sich  noch  der  goldenen  Kreuze  mit  der  In- 
schrift: „Dem  Retter  Germaniens"  erinnern,  die  man  damals  trug 
und  die  ihre  Stiftung  einer  Fürstin  von  Fürstenberg  verdankten. 


Alles  fing  an  zu  hoffen;  nicht  auf  Sieg  und  Glück, 
das  war  nach  der  Lage  der  Dinge  nicht  möglich;  aber 
auf  Rettung,  und  diese  erfolgte  denn  auch  durch  unsers 
teuern  Helden  Karl  Vermittlung.  Am  27.  Dezember 
kam  er  unvermutet  in  Wien  an  und  brachte  selbst  die 
Nachricht  des  abgeschlossenen  Waffenstillstands^^). 
Das  Verderben  war  für  diesmal  nicht  ganz  abge- 
wendet, aber  aufgehalten,  und  bei  der  Vorstellung 
der  mannigfachen  Übel,  die  uns  so  nahe  drohen 
konnten,  schien  schon  diese  Waffenruhe  uns  ein 
wahres  Heil. 

Mit  lautem  Jubel  empfing  das  Volk  unsern  Retter, 
ein  freudiger  Taumel  bemächtigte  sich  aller  Gemüter, 
und  ihm  folgte,  wie  man  sich  zu  verständigen  und  zu 
,  besinnen  anfing,  die  schöne  Hoffnung  auf  den  Frie- 
den, der  denn  auch  ein  paar  Monate  später  zu  Lüne- 
ville  geschlossen  wurde.  ^ 

In  Wien  atmete  alles  neu  auf.  Mit  der  Hoffnung 
kehrten  Ruhe  und  Frohsinn  wieder,  unsere  Abend- 
unterhaltungen wurden  wieder  still  und  genußreich  wie 
zuvor.  Baron  Geramb  ließ  sein  Freikorps  auseinander 
gehen,  das  ihm  indessen  den  Titel  und  Rang  eines  kai- 
serlichen Obersten  verschafft  hatte,  und  beschäftigte 
sich  jetzt  wieder  mit  etwas  neuem,  nämhch  ein  Gedicht 
über  die  Geschichte  des  Habsburgischeh  Hauses  von 
irgend  jemand  verfassen  und  in  alle  europäischen  Spra- 
chen, die  türkische  nicht  ausgenommen,  übersetzen, 
mit  stattlichen  Vignetten  auszieren,  und  in  einer 
Prachtausgabe  in  FoHo  erscheinen  zu  lassen.  Auch 
dieses  Unternehmen  erregte  Aufsehen,  und  wahrschein- 
lich war  dies  ein  Hauptzweck  des  Unternehmers,  der 
bald  nachher  durch  ein  Duell,  dessen  Kampfplatz  der 
Ätna   oder  Vesuv  sein  sollte,   in  allen  Zeitungen  be- 

235  . 


kannt    wurde,    und   seine   unruhige    Lebensbahn    im 
Kloster  La  Trappe  endete^'). 

Erzherzog  Karl,  an  dem  das  Volk  mit  großer  Liebe 
hing,  war  im  Anfange  des  Jahres  1801  zum  Chef  der 
ganzen  Armee  und  zum  Hofkriegspräsidenten  er- 
nannt worden.  Bald  darauf  ergriff  ihn  sein  ge- 
wohntes Übel  mit  außerordentlicher  Heftigkeit,  er 
wurde  nach  Wien  und  ins  Batthyanische  Haus  in  der 
,  Schenkenstraße  gebracht,  das  von  nun  an  den  ganzen 
Tag  von  Haufen  Volkes  umlagert  war,  welches  Nach- 
richten von  dem  Befinden  des  aUgeliebten  Erzherzogs 
zu  haben  wünschte.  Man  zitterte  allgemein  für  sein  Le- 
ben, denn  der  Anfall  war  ungewöhnlich  stark  gewesen, 
und  tausend  Gebete  und  Wünsche  stiegen  für  ihn  zum 
Himmel.  Endlich  erhörte  di-^ser  unser  einstimmiges 
Flehen,  die  Krankheit  wich  und  man  durfte  mit  Zuver- 
sicht auf  Genesung  hoffen '^^. 

Auch  ich  gehörte  unter  die  Zahl  seiner  wärmsten 
Verehrerinnen,  obgleich  ich  ihn  nie  anders  als  von  wei- 
tem gesehen,  aber  schon  seit  seiner  joyeuse  entree  in 
Brüssel,  so  viel  Edles,  Schönes  und  Großes  von  ihm  ge- 
hört und  miterlebt  hatte,  daß  in  meiner  Seele  immer 
ein  Altar  für  diesen  Fürsten  stand  und  noch  steht, 
auf  welchem  eine  nie  verlöschende  Flamme  der  Ver- 
ehrung lodert,  und  mit  allem,  was  ich  Edles  und  Gro- 
ßes von  ihm  vernahm,  genährt  wird.  So  war  es  natür- 
lich, daß  mein  Gefühl  der  Freude  über  die  Genesung 
dieses  Helden  sich  in  einem  Gedichte  ^^^)  aussprach,  von 
dem  ich  wünschte,  daß  es  vor  seine  Augen  kommen  und 
ihm  zeigen  sollte,  wie  sehr  und  wie  aufrichtig  er  von  dem 
Volke  geliebt  'werde,  das  ihm  so  viel  zu  verdanken  hatte. 

Graf  Chorinsky,  der  Gemahl  meiner  Freundin, 
befand  sich  damals  gerade  in  Wien''"''),  er  hatte  durch 

236 


einen  Verwandten  oder  durch  seine  eigene  Persönlich 
keit,  die  so  äußerst  schätzbar  war,  leichten  Zutritt  zu 
dem  Erzherzog,  ihn  bat  ich  also,  es  einzuleiten,  daß  der 
königliche  Held  das  Gedicht  bekomme,  und  in  ihm  den 
Ausdruck  nicht  bloß  nfemer,  sondern  der  Verehrung 
des  ganzen  Volkes  lese,  daß  er  aber  ja  nicht  glaube,  es 
wäre  auf  ein  Ehrengeschenk  dabei  abgesehen;  denn  da- 
mals und  später  noch  mehr  wurde  der  Erzherzog  mit 
Dedikationen  von  Büchern  und  Lobgedichten,  für  die 
alle  ein  barer  Lohn  erwartet  wurde,  völlig  bestürmt, 
bis  er  später  dies  förmlich  verbat  und  verbot. 

Wie  ich  gewünscht  hatte,  so  ward  es  mir  auch.  Gi"af 
Chorinsky  hatte  mit  feinem  Gefühl  sich  der  Sache  an- 
genommen, und  ich  erhielt  das,  was  mir  das  Liebste 
war,  ein  Handbillett  des  allverehrten  Helden,  begleitet 
von  einem  verbindlichen  Briefe  seines,  damals  viel  ge- 
nannten und  von  der  ganzen  Welt  beachteten  Hof- 
oder Staatsrates  Faßbender *"^). 

Das  Schreiben  des  Erzherzogs  Karl  ist  schön  an  sich 
und  zu  teuer  für  mich,  um  ihm  nicht  einen  Platz  in 
diesen  Blättern  einzuräumen,  die  ja  doch  nur  der  Er- 
zählung der  an  sich  unbedeutenden  Begegnisse  meines 
Lebens  für  sich,  und  in  Verbindung  mit  den  öffent- 
lichen Ereignissen,  so  wie  den  Fortschritten  auf  meiner 
schriftstellerischen  Laufbahn  gewidmet  sind. 

„Ich  bin  äußerst  gerührt  über  die  schöne  und  ge- 
fällige Art,  womit  Sie  mir  Ihre  Teilnahme  an  mei- 
ner Genesung  bezeugen,  und  freue  mich,  daß  Wien 
eine  Dichterin  besitzt,  die  reine  Empfindung,  leb- 
hafte Darstellung  und  richtige  Sprache  in  so  voll- 
kommenem Maße  verbindet.  Sehr  willkommen 
würde  es  mir  sein,  Ihnen  etwas  Angenehmes  zu  er- 
weisen, so  wie  ich  mit  Vergnügen  die  gegenwärtige 

237  . 


Gelegenheit  nicht  unbenutzt  lasse,  Sie  meiner  auf- 
richtigsten Ergebenheit  und  ganz  vorzüglichen  Wert- 
schätzung zu  versichern,  womit  ich  stets  verharre 

Ihr  aufrichtigst  ergebener 
23.  März  1801.  E.  Carl." 

Ich  war  ganz  glücklich  durch  diese  höchste  Huld 
und  gnädige  Anerkennung,  und  mir  schien  es,  als  hätte 
ich  nun  eine  Ursache,  ja  ein  Recht  mehr,  mich  der  Ver- 
ehrung und  Bewunderung  so  vieler  fürstlichen,  kriege- 
rischen und  menschlichen  Tugenden  zu  überlassen. 
Diese  Empfindung  strömte  auch  über  in  eine  Idylle: 
die  Geretteten*"^,  in  der  ich  die  gesicherte  Ruhe  der 
Bewohner  des  Landes  unter  der  Enns,  welche  sie  dem 
Helden  Karl  zu  danken  hatten,  im  Vergleich  mit  den 
Schrecken  und  Leiden  schilderte,  unter  welchen  die 
vom  Feinde  besetzten  Provinzen  seufzten  und  jene 
Ekloge  Virgils  nachzuahmen  suchte,  worin  der  Dichter 
den  Augustus  preiset*"^,  der  sein  (des  Dichters)  Vater- 
land vor  ähnlicher  Verwüstung  schützte. 
Die  Stelle: 

O  Meliboee,  Deus  nobis  haec  otia  fecit.  " 
Namque  erlt  ille  mihi  semper  Deus;  ... 

schien  mir  recht  geeignet,  um  auf  unsern  Helden  ange- 
wendet zu  werden,  und  ich  freute  mich,  ihm  wieder 
öffentlich  meine  tiefe  Verehrung  bezeugen  zu  können. 
Diese  Idylle  sandte  ich  dem  Staatsrate  von  Faßben- 
der, von  dem  ich,  wie  oben  gesagt  worden,  bereits  einen 
Brief  erhalten  hatte,  und  er  dankte  mir  wieder  schrift- 
lich im  Namen  seines  Herrn. 

Der  Friede  von  Lüneville  schloß  indessen  auf  kurze 
Zeit  die  Pforten  des  Janustempels  für  uns  und  einen 
Teil  von  Europa,  aber  das  Feuer  glimmte  unter  der 
Asche  fort,  und  bei  der  immer  wachsenden  Macht 

238 


Frankreichs  und  dem  Weitergreifen  seines  kriegslusti- 
gen Oberhauptes,  das  zwar  damals  noch  einen  beschei- 
deneren Titel  trug,  war  wohl  niemand,  der  ein  bißchen 
weiter  zu  sehen  vermochte,  imstande,  sich  über  die 
Gefahr,  in  der  wir  alle  schwebten,  und  die  prekären 
Bedingungen  unserer  damaligen  Ruhe  zu  täuschen. 

Unser  Leben  ging  indes  still  fort  und  im  ganzen 
ziemlich  einsam;  aber  es  knüpften  sich  nach  und  nach 
gesellige  Verhältnisse  in  unserer  Nähe  an,  welche  uns 
viel  Annehmliches  versprachen.  Die  Familie  des  Hjof- 
rats  von  Kempelen  entschloß  sich,  wohl  durch  meines 
Bruders  Zureden  vermocht,  sich  in  der  Alservorstadt 
gegenüber  von  uns  anzusiedeln*^).  Zu  den  früher  er- 
wähnten Gliedern  derselben  gehörte  nun  die  wunder- 
schöne und  sehr  interessante  Frau  des  Sohnes*"^).  Da 
seit  langen  Jahren,  wie  der  Leser  dieser  Blätter  sich  er- 
innern wird,  eine  genaue  Freundschaft  unsere  beiden 
Familien  verband,  so  war  uns  diese  Nachbarschaft  etwas 
sehr  Erwünschtes,  und  wirklich  begann  auch  von  die- 
sem Punkte  an  ein  angenehmes  geselliges  Leben  für 
uns,  indem  unser  Kreis  sich  nach  und  nach  erweiterte 
und  durch  bedeutende  Mitglieder  verschönte. 

Zwar  verloren  wir  die  Familie  Wlassics  aus  unserer. 
Nähe,  die  Glieder  derselben  zerstreuten  sich,  wie  das 
zu  gehen  pflegt,  da-  und  dorthin;  aber  durch  die  Nach- 
barschaft des  Kempelenschen  Hauses  ward  unser  Ver- 
lust mehr  als  ersetzt.  Diesen  Winter  von  i8oi  auf  1802 
wurde  auch  ein  noch  sehr  junger  Mann  bei  uns  durch 
Herrn  Haschka  eingeführt,  der  eine,  besonders  in  der 
Folge  zu  merkwürdige  Erscheinung  war,  um  seiner 
nicht  hier  zu  erwähnen.  Es  war  der  Verfasser  der 
Tirolergeschichte,  Baron  von  Hormavr^,  ein  Jüng- 
ling von  vielleicht. nicht  mehr  als  zwanzig  Jahren,  vor 

239 


welchem  aber  schon  ein  bedeutender  literarischer  Ruf 
vorausging,  un^  dessen  sehr  vorteilhaftes  Äußeres  den 
Eindruck  angenehm  verstärkte,  w^elchen  jener  Ruf  ver- 
breitete. Damals  kam  er  indessen  nur  selten  zu  uns, 
und  erst  eine  spätere  Epoche  brachte  uns  in  nähere  Be- 
ziehungen. 

Um  diese  Zeit  ungefähr,  da  durch  die  Unfälle  des 
Krieges,  durch  ungünstige  Witterung,  die  Preise  der 
Lebensmittel  sehr  gestiegen  und  viele  Menschen  in 
Wien  sowohl  als  anderswo  mit  Mangel  zu  kämpfen  hatten, 
bildete  sich  hier  aus  menschenfreundlichen  Männern 
ein  Verein*®'),  an  dessen  Spitze  der  verstorbene  Fürst 
Josef  von  Schwarzenberg*®®)  stand,  und  dessen  Ge- 
schäft es  ward,  auf  Mittel  zu  sinnen,  um  den  untern 
Klassen,  die  damals  am  meisten  litten,  zu  Hilfe  zu 

0 

kommen.  Allerlei  ward  da  erfunden  und  manches  aus- 
geführt, was  wenigstens  eine  Zeitlang  seiner  Bestim- 
mung entsprach.  Unter  diese  Hilfsmittel  gehörte  denn 
auch  die  Rumfordsche  Suppe  ^^),  und  einer  unserer  ge- 
nauesten Freunde,  Herr  von  Perger  *^*'),  dessen  lebhafter 
Geist  sich  leicht  für  alles  neue  interessierte  und  dessen 
kräftiges  Gemüt  das  Ergriffene  mit  ungewöhnlicher 
Heftigkeit  festhielt,  war  der  eifrigste  Beförderer  dieses 
neuen  Planes.  Ja,  er  Heß  mit  großer  Uneigennützig- 
keit  seine  eigene  Küche  zu  diesem  Behufe  einrichten. 
Da  wurde  nun  täglich  nach  der  Vorschrift  eines  Herrn 
von  Voght*^^)  aus  Hamburg,  der  auch  in  seiner  Vater- 
stadt ein  Beförderer,  ja  ein  Stifter  solcher  Anstalten 
war,  Rumfordsche  Suppe  nach  den  besten  Rezepten 
gekocht,  und  gegen  sehr  mäßige  Preise  von  zwei  bis 
drei  Kreuzern  (Kupfergeld  von  geringer  Valuta)  unter 
die  Armen  verteilt.  M  ehr  er  e*"  junge  Beamte  von  Per- 
gers  Bekanntschaft,   unter  ihnen   auch  mein   Bruder, 

240 


»  nahmen  wechselweise  das  Geschäft  über  sich,  bei  dieser 
Austeilung  gegenwärtig  zu  sein  und  über  dieselbe  die 
Aufsicht  zu  führen. 

Perger,  der  uns  sonst  sehr  fleißig,  selbst  in  den 
rauhesten  Winterabenden,  besuchte,  ja  bei  stürmischem 
oder  schlechtem  Wetter  fast  unser  sicherer  Gesell- 
schafter war,  kam  nun  äußerst  selten,  und  ich  schrieb 
ihm  deswegen  eine  komische  Epistel  in  Knittelreimen, 
welche  also  begann: 

O  du,  der  jetzt  mit  kräft'ger  Brühe 
Wiens  Leckermäuler  täglich  speist, 
Und  weder  Ungemach  noch  Mühe, 
Noch  Küchenruß  und  Arbeit  scheu' st, 


Wenn  durch  das  Lob  von  tausend  Zungen 
Dich  noch  mein  Wort  erreichen  kann, 
So  neig',  o  hochberühmter  Mann, 
Dein  Ohr  mir  wenig  Augenblicke, 
Und  kehre  dann  ans  große  Werk  zurücke. 


Sind  denn  die  stillen  Abendstunden, 
So  manche  finstre  Regennacht, 
Wo  doch  dein  Herz  den  Weg  zu  uns  gefunden, 
Dir  ganz  aus  dem  Gemüt  verschwunden.'' 
usw.  usw.*^2^ 

Kurz,  ich  beklagte  mich  über  seine  Vernachlässigung 
auf  eine  lustige  Weise.  Perger  las  das  Gedicht  in  einer 
Sitzung  des  Wohltätigkeitsvereins,  es  erregte  Lachen, 
und  ward,  vermutHch  durch  den  Fürsten  von  Schwar- 
zenberg  selbst,  vor  die  Augen  des  Kaisers  gebracht, 
dem  der  heitere  Scherz  gefiel,  wie  denn  überhaupt 
alles  Gemütliche  Anklang  in  seiner  ebenso  erhabenen 
als  einfachen  Seele  fand. 

Aber    es    schien    mir,  als  verdiene  diese  Erfindung 
der  Rumfordschen  Suppe,  wenigstens  für  Länder  und 


16    c.  P.  I 


241 


orte,  die  mit  weniger  Fruchtbarkeit  und  Wohlleben  als 
unser  Österreich  gesegnet  sind,  eine  ernsthaftere  und 
würdigere  Anerkennung.  Dies  gab  mii  die  Idee  zu  der 
Idylle:  Die  Rumfordsche  Suppe,  die  aber  vielleicht 
nicht  halb  so  viel  Aufmerksamkeit  erregte  als  jene  ko- 
mische Epistel  *^^. 

Indessen,  trotz  aller  aufrichtigen  und  edlen  Bemü- 
hungen jener  Herren  vom  Wohltätigkeitsvereine,  ge- 
dieh das  Suppekochen  und  Spenden  in  unserm  geseg- 
neten Wien,  wo  damals  und  noch  lange  nachher  der 
Bürgermeister    selbst,    sehr  bedeutsam,  Wohlleben*^*) 
hieß,  nicht  recht.   Den  armem  Klassen,  so  viel  sie  auch 
sonst  jammerten  und  schrien,  behagte  die  Nahrung 
eines  bloß  aus  Erdäpfeln,  Graupen  und  Erbsen  gekoch- 
ten Breies,  der  nur  durch  etwas  geräuchertes  Fleisch 
eine  Annäherung  an  eine  Fleischspeise  erhielt,  nicht 
lange.   Sie  holten  keine  BiUette  auf  eine  oder  mehrere 
Portionen  mehr  ab,  die  man  ihnen  an  Almosen  statt 
hatte  austeilen  lassen.    Das  Kochen  der  Suppe  hörte 
auf,  und  Rumford  *i**)  mit  allen  seinen  gutgemeinten 
Anstalten,  seinen  gespannten  Betten,  Brühen,  Koch- 
öfen usw.,  die  gewiß  für  ärmere  Gegenden  wohltätig 
gewesen  wären,  fand  keine  entsprechende  Aufnahme  in 
dem  Lande  der  Phäaken,  wie  uns  die  sehr  mäßigen  Nord- 
deutschen nennen,   die  sich  indes,  wenn  sie  in  Wien 
sind,  unsere  Schnitzel  und  Rostbratel  trefflich  schmek- 
ken  lassen,  auch  ganze  Abhandlungen  darüber  ihren 
Reisebüchern  einverleiben. 

Schon  damals  also  zeigte  sich,  was  die  neuere  Zeit 
noch  viel  öfter  und  auffallender  ans  Licht  stellt,  daß  es, 
trotz  des  Jammerns  der  niedrigen  Klassen,  und  trotz 
der  menschenfreundlichen  Klagen  so  vieler  .wohl- 
tätigen Seelen,  welche  jenen  alles  aufs  Wort  glauben 

242 


.ijiM 


und  von  Mitgefühl  für  ihre  Not  durchdrungen  sind, 
daß  diese  Not  in  den  allermeisten  Fällen  nur  eine  re- 
lative, nicht  absolute  war.  Wäre  wirklich  Not  im  all- 
gemeinen vorhanden  gewesen,  wie  in  der  Schweiz  und 
in  Hamburg  damals,  so  hätte  die  Suppe  Abnehmer  und 
Liebhaber  gefunden.  Es  gehe  jemand  an  Sonntagen 
oder  Feiertagen  ins  Lerchenfeld,  in  den  Wurstelprater, 
nach  Hietzing  zum  Domayer,  nach  Tivoli,  ins  Krapfen- 
waldel  usw.;  kurz,  wo  möglich  an  einem  Tage  an  alle 
Erlustigungsorte  der  höheren  und  besonders  der  ge- 
meinen Klassen,  und  er  wird  sie  alle  zum  Erdrücken 
voll  finden,  er  wird  diese  gemeinern  Klassen  in  An- 
zügen sehen,  die  durchaus  keine  Not  auch  nur  vermuten 
lassen.  Aber  in  den  Briefen  eines  Verstorbenen"^ 
steht  eine  Stelle,  welche,  wie  mich  dünkt,  ein  helles 
Licht  auch  auf  unsere  Bevölkerung  und  ihre  Klagen 
wirft.  Der  Verfasser  nämlich  redet  auch  von  den  Klagen 
des  englischen  Volkes,  von  seiner  Unzufriedenheit  mit 
den  Maßregeln  der  Regierung,  besonders  von  dem  un- 
gestümen Jammern  der  Fabriksarbeiter.  Aber  er  setzt 
uns  sogleich  auseinander,  daß  diese  Klassen  durch  frü- 
heren reicheren  Erwerb  sich  an  ein  solches  Wohlleben 
gewöhnt  haben,  daß  sie  über  Mangel  und  Not  schreien, 
wenn  sie  nicht  täglich  ein-  bis  zweimal  Fleisch  und  Ku- 
chen zum  Tee  haben  können.  So  weit  haben  wir  es 
noch  nicht  gebracht;  denn  es  ist  bei  uns  nicht  so  viel 
Geld  in  Umlauf  wie  in  England,  ich  halte  mich  aber 
für  überzeugt,  daß  die  zunehmende  Teuerung  ebenso 
s5hr  von  dem  steigenden  Luxus  der  untern  Klassen 
als  von  den  erhöhten  Steuern,  welche  die  Regierung 
auferlegt,  herrührt,  und  daß  in  den  allermeisten  FäUen, 
wie  oben  gesagt,  von  keinem  Mangel  an  eigentlichem 
Lebensunterhalt,  sondern  nur  an  feinern  Lebensgenüs- 

16*  243 


sen  die  Rede  ist,  an  welche  sich  der  gemeine  Mann  im- 
mer mehr  und  mehr  hat  gewöhnen  lernen.  Viel  hat  bei 
uns  die  Zeit  der  Bänkozettel  zu  dieser  Steigerung  der 
Genüsse  und  somit  der  Bedürfnisse  in  den  arbeitenden 
Klassen  beigetragen,  indem  diese  im  Verhältnis  viel  besser 
daran  waren  als  die  kleinern,  ja  selbst  die  etwas  höhern 
Staatsbeamten.  Ob  nun  dies  ein  Glück  für  die  Nation 
zu  nennen  ist,  wie  viele  Statistiker  und  Nationalöko- 
nomen behaupten,  oder  ob  es  zum  sittlichen  Verderben 
führt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Kluge  und  er- 
fahrene Männer  stehen  auf  beiden  Seiten  und  ich  denke, 
daß  noch 

sub  judice  lis  est. 


Pichler  war  in  diesem  Jahre  1802  bei  der  sogenann- 
ten Wohltätigkeitskommission  *^^)  unter  der  Leitung  des 
Grafen  Mittrowsky*^')  angestellt.  Es  sollte  diese  Kom- 
mission der  immer  steigenden  Teuerung  der  not- 
wendigsten Bedürfnisse  steuern  so  wie  der  obener- 
wähnte Wohltätigkeitsverein;  aber  sie  erreichten  beide 
ihren  Zweck  nur  in  sehr  geringem  Maße,  weil,  wie  ich 
glaube,  in  solchen  Umständen,  welche  sich  frei  und 
organisch  aus  der  jedesmaligen  Lage  der  Dinge  ent- 
wickeln, ebensowenig  durch  partielle  Einwirkung  ab- 
zuhelfen, als  gegen  den  Strom  zu  schwimmen  ist.  Die 
Zeitverhältnisse,  die  langen  und  unglücklichen  Kriege, 
die  Finanzverwirrungen,  die  Devaluation  des  Papier- 
geldes aller  Art,  der  steigende  Luxus  der  untern  Stände 
und  einige  unfruchtbare  Jahre  hatten  jene  Not  her- 
beigeführt, und  ihr  zu  wehren  oder  sie  aufhören  zu 
machen,  lag  außer  dem  Bereich  menschhcher  Kräfte. 
Teilweise  wurde  hier  und  dort  nachgeholfen,  so  z.  B. 

244 


■:i 


dem  immer  fühlbareren  Mangel  an  Brennholz  für  den 
ungeheuren  Bedarf  der  Hauptstadt  teils  durch  vorsich- 
tige Vorkehrungen  hier  auf  dem  Platze  selbst,  teils 
durch  Eröffnung  neuer  Zuflüsse  aus  den  reichen  Wal- 
dungen von  Unter-,  Oberösterreich  und  Steiermark. 
Zu  diesen  beiden  Arten  von  Tätigkeit  verwendete  Graf 
Mittrowsky  meinen  Mann.  Er  mußte  im  Bureau  über 
die  Austeilung  des  Holzes  an  die  Parteien  wachen  und 
von  Zeit  zu  Zeit  Reisen  in  die  Gebirge  unternehmen, 
um  dort  mit  Zuziehung  der  Kreisbeamten,  Wasser- 
baukundigen, herrschaftlichen  Beamten  usw.  für  Fäl- 
lung des  Holzes  in  noch  unbenutzten  Waldungen,  Her- 
ausschaffung desselben  durch  Riesen,  Wehren,  Rechen 
usw.  und  Verführung  nach  der  Hauptstadt  zu  sorgen. 
Diese  Reisen  wurden  noch  durch  mehrere  Jahre  fast 
jeden  Sommer  wiederholt  und  boten  uns  später  die  er- 
wünschtesten Gelegenheiten,  die  schönsten  Gegenden 
dieser  Provinzen  zu  besuchen,  uns  an  ihren  malerischen 
Ansichten,  ihren  geschichtlichen  Merkwürdigkeiten 
zu  erfreuen  und  gaben  mir  die  Veranlassung  und  Szene- 
rie zu  manchen  meiner  Romane  und  Erzählungen. 

Aber  noch  bedeutender  und  angenehmer  wirkten 
diese  Dienstverhältnisse  auf  Pichlers  und  somit  auf 
mein  Leben  ein.  Es  war  damals  die  Kreishauptmanns- 
stelle in  Korneuburg  nach  dem  Abgang  des  Baron  von 
Lederer  erledigt  *^^.  Pichler  bewarb  sich  mit  mehreren 
darum  —  er  war  nahe  daran,  sie  zu  erhalten,  das  hätte 
ihn  und  mich  sehr  glücklich  gemacht,  denn  wir  liebten 
das  Land  oder  das  stille  Leben  in  einer  kleinen  Stadt, 
wo  wir  einen  Garten  und  ein  bequemes  Wohnhaus  ge- 
funden hätten.  Hier  aber  erhob  sich  ein  peinlicher 
Widerstreit.  Meine  Mutter  erklärte  geradezu,  sie 
würde  nicht  mit  uns  ziehen  und  ihr  Haus  in  Wien  nur 

245 


■•''':■■'% 


mit  ihrem  Tode  verlassen.  Ich  aber  zitterte  vor  dem 
Gedanken,  die  hochbejahrte  und  fast  ihres  Augen- 
Hchts  beraubte  Frau  allein  unter  Dienstboten  zu 
lassen;  denn  das  wußte  ich  im  voraus,  daß  einen  ihrer 
Entschlüsse  zu  beugen  oder  zu  ändern,  ein  fruchtloses 
Unternehmen  sein  würde.  Da  half  mir  Gottes  Fügung 
durch  Graf  Mittrowskys  Dazwischentreten.  |Er  erklärte 
nämhch,  daß  er  Pichler  bei  der  Kommission  nicht  ent- 
behren könne  und  verlangte  daher  und  erhielt  es  auch, 
daß  er  hier  in  Wien  bei  der  Landesstelle,  deren  Chef 
damals  Graf  Mittrowsky  war,  als  Regierungsrat  ange- 
stellt wurde  *^^).  Nun  hatte  Gott  geholfen.  Pichler  hatte 
eine  sehr  ehrenvolle  Stufe  in  verhältnismäßig  sehr 
kurzer  Zeit  —  er  war  erst  sechs  Jahre  Sekretär  gewesen 
und  erst  überhaupt  seit  17 — 18  Jahren  angestellt  — 
erstiegen;  eine  Schnelligkeit  der  Beförderung,  die  jetzt 
wohl  selten  einem  Bürgerlichen  zuteil  wird.  —  Der 
Zwiespalt  in  unserm  Hause  war  geschlichtet,  wir  blie- 
ben hier  und  bei  meiner  Mutter,  und  so  löste  sich  alles 
in  Freude  und  Beruhigung  auf. 


Mein  Bruder  hatte  sein  geliebtes  Weib  verloren, 
aber  er  war  ein  blühender  Mann  von  28 — 29  Jahren, 
der  bereits  einen  nicht  unbedeutenden  Posten,  als  Hof- 
konzipist*2°),  bekleidete,  und  der  einiges  Vermögen  be- 
saß, welches  durch  das  Gerücht  wie  gewöhnlich  viel 
größer  ausgeschrien  wurde.  Es  konnte  daher  nicht  feh- 
len, daß  allerlei  Pläne  auf  seine  Hand  gemacht  wurden, 
welche  aber  meist  spurlos  von  seinem  Hetzen  abgHtten. 
Nur  ein  Mädchen,  die  Tochter  eines  uns  weitläufig 
verwandten  Hauses,  gewann  ihm  durch  große  Herzens- 
güte, noch  mehr  aber  durch  die  sichtlichen  Bemühun- 


246 


gen  ihrer  Familie,  dieses  Band  zu  knüpfen,  und  es  vor 
der  Welt  als  ein  schon  geknüpftes  erscheinen  zu  lassen, 
einige  Aufmerksamkeit  ab.  Sie  liebte  ihn  gewiß  sehr 
und  aufrichtig.  —  Sei  es  aber,  daß  das  Bild  seiner  Ver- 
lorenen, die  durch  ein  imposantes  und  wirklich  wür- 
diges Äußere,  bei  einer  kühlen  und  mehr  verständigen 
als  liebevollen  Gemütsart  ganz  das  Widerspiel  There- 
sens*^^)  (so  hieß  jenes  Mädchen)  gewesen  war,  ihm  zu 
lebhaft  vorschwebte;  sei  es,  daß  eben  jene  zu  auffallen- 
den Bemühungen  der  Familie  ihm  widersagten :  genug, 
nachdem  einige  Monate  zwischen  Hoffen  und  Verzagen, 
Annähern  und  Entfernen  hingegangen  waren,  ent- 
schloß sich  mein  Bruder,  diese  Verbindung,  welche 
ihm  kein  Glück,  wie  er  es  forderte,  zu  versprechen 
schien,  lieber  mutig  zu  brechen,  als  sich  in  unbefrie- 
digenden Verhältnissen  eine  Weile  hinzuschleppen, 
das  Mädchen  immer  tiefer  in  eine,  am  Ende  hoffnungs- 
lose Leidenschaft  sich  verwickeln  zu  lassen,  und  nach 
einem  halben  oder  ganzen  Jahre  doch  endUch  zu  dem 
Resultate  zu  kommen,  das  jetzt  scholl  vor  ihm  lag, 
nämlich,  daß  sie  beide  nicht  für  einander  paßten. 

Mir  tat  dieser  Entschluß  sehr  weh.  Ich  war  There- 
sen  herzhch  gut  und  hatte  gehofft,  an  ihr  eine  liebe- 
volle, teilnehmende  Verwandte  zu  erhalten.  Auch  sie 
empfand  diesen  Riß  schmerzlich,  sie  hatte  meinen  Bru- 
der innig  geliebt,  wie  er  es  auch  in  jeder  Rücksicht  ver- 
diente; denn  er  war  unstreitig  einer  der  vorzügHchstqu 
Männer,  die  ich  je  gekannt,  aber  in  seiner  Phantasie, 
die  nun  einmal  von  dem  Bilde  seiner  Verstorbenen  er- 
füllt und  beherrscht  wurde,  war  Anstand  und  hohe 
Würde  im  Äußerlichen  von  dem  Ideal  eines  vollkomme- 
nen Frauenzimmers  untrennbar,  und  diese  besaß  The- 
rese,  bei  vielen  andern  guten  Eigenschaften,  nicht.   Es 

247 


-.■■z~yK,^^ 


war  ihr  tröstend,  daß  wenigstens  ich  mich  nicht  von 
ihr  entfernte;  wir  bheben  einander  gut,  aber  ich  mußte 
es  höchlich  mißbilligen  und  widerraten,  als  sie  ein  hal- 
bes Jahr  darnach,  vermutlich  aus  Depit  amoureux,  den 
dringenden  Wünschen  ihrer  spekulierenden  Verwand- 
ten nachgab  und  einen  reichen,  verständigen,  aber  un- 
liebenswürdigen Mann*^^)  heiratete,  der  um  dreißig 
Jahre  älter  als  sie  war.  Als  ich  auf  die  erhaltene  Nach- 
richt zu  ihr  eilte,  um,  so  weit  es  möghch  wäre,  ihr  von 
diesem  Schritte  abzuraten,  fand  ich  sie  mit  jugendHch 
mädchenhaftem  Vergnügen  beschäftigt,  an  ihre  Aus- 
steuer zu  denken  und  sich  der  neuen  Equipage  zu  er- 
freuen, die  ihr  vorgeführt  werden  sollte.  — Ich  dachte: 

the  best  repenting  in  a  coach  of  six! 
sagte  ihr  zwar  redlich,  was  ich  zu  sagen  nötig  fand, 
gab  aber  gleich  jede  Hoffnung  auf,  eine  Verbindung  zu 
hindern,  welche  von  der  ganzen  Familie  heftig  ge- 
wünscht wurde,  und  die  dennoch,  wie  ich  es  vorher- 
gesehen, das  arme  Wesen  in  eine  Kette  von  Schmer- 
zen, Fehltritten  und  Unglück  verwickelte. 

Aber  dieser  Versuch,  meinen  Bruder  zu  einer  zwei- 
ten Heirat  zu  vermögen,  so  ungünstig  er  ausgefallen 
war,  blieb  nicht  der  einzige.  Indessen  brachten  uns 
diese  Pläne  doch  auch  manches  Angenehme,  indem  wir 
dadurch  mit  mehreren  Familien  in  nähere  Beziehungen 
kamen,  und  überhaupt  unser  geseUiger  Kreis  auch  durch 
andere  Mitglieder,  die  gerade  nicht  in  jener  Absicht  un- 
sere Bekanntschaft  suchten,  auf  recht  genügende  Art 
vermehrt  wurde. 

Zu  diesen  muß  ich  vor  allen  die  FamiHe  eines  Ma- 
jors Baron  v.  Richler*^^  rechnen,  die  aus  seiner  Frau 
und  ihren  beiden  unverheirateten  Schwestern  bestand. 
Der  Major  hatte  während  des  Krieges  in  Heidelberg 

248 


Karoline  Ungher-Sabatier 
Lithographie  von  J.  Kriehuber  (1839)  —  ^-  ^'  Fidei-Commiß-Bibllothek,  Wien 


diese,  damals  noch  sehr  hübsche,  lebhafte  und  gebildete 
Frau  geheiratet.  Sie  war  ihm  später  nach  Österreich 
gefolgt,  und  nach  dem  Tode  ihrer  kränklichen  Mutter 
zogen  auch  die  /kreiden  Jüngern  Schwestern  der  ver- 
heirateten nach.  Da  sie  in  derselben  Vorstadt  wie  wir 
wohnten,  lernten  wir  sie  zu  unserm  großen  Vergnügen 
im  Kempelenschen  Hause  kennen,  wo  mein  Bruder  sie 
zuerst  sah  und  uns  auf  sie  aufmerksam  machte.  Auch 
ein  HerrUnger*^^,  ein  zierlicher  Dichter  und  recht  ge- 
bildeter Mann,  der  in  unserer  Nachbarschaft  lebte, 
schloß  sich  unserm  Kreis  an.  Seine  Frau,  eine  geborne 
Baronesse  Karvinsky,  war  ihrer  Entbindung  nahe  — 
sie  baten  mich,  ihr  Kind  zur  Taufe  zu  halten,  ich  tat  es 
gern;  es  war  ein  Mädchen,  sie  erhielt  meinen  Namen, 
und  wurde  die  berühmte  Sängerin  Carolina  Ungher***). 
In  dem  Hause  dieser  Heidelbergerinnen  machten 
wir  bald  die  Bekanntschaft  noch  anderer,  sehr  ausge- 
zeichneter Personen  vom  Militärstande  —  und  aus 
allen  diesen  ganz  gewöhnHch  begonnenen  Verbindun- 
gen erwuchsen  uns  treue,  lebenslängHche  Freunde,  die, 
so  lange  sie  auf  der  Erde  oder  wenigstens  in  unserer 
Nähe  weilten,  verläßlich  und  unveränderlich  an  uns 
hingen,  und  mit  welchen,  insofern  sie  noch  leben,  noch 
jetzt  warme  Bande  gegenseitiger  Achtung  uns  verbin- 
den. Nebst  jenen  drei  Schwestern  muß  ich  vor  allen 
den  damaligen  Hauptmann  Baron  v.  Rothkirch,  jetzt 
Graf  Rothkirch *^)  und  Feldmarschalleutnant,  und  das 
Haus  des  Obersten  Baron  v.  Engelhardt*^*)  nennen.  Seine 
Frau,  eine  der  vorzüglichsten  ihres  Geschlechts,  deren 
Schwester,  und  ihre  beiden  Brüder,  alle  vier  höchst 
ausgezeichnete  Menschen,  trugen  sehr  viel  zur  Annehm- 
lichkeit unsers  kleinen  Kreises  bei,  und  noch  jetzt  ver- 
bindet Achtung  und  gegenseitige  Wertschätzung  uns 

249  , 


mit  den  noch  lebenden,  aber  entfernten  Gliedern  dieser 
Familie,  und  macht  uns  ihr  Wiedersehen,  wenn  es  ein- 
mal unvermutet  stattfindet,  zum  frohen  Feste.  Ich 
ergreife  gern  diese  Gelegenheit,  um  allen  diesen  hoch- 
geachteten Freunden,  die  einen  großen  Teil  meines 
Lebensweges  mir  verschönerten,  noch  jetzt  nach  mehr 
als  dreißig  Jahren  meinen  Dank  dafür  abzustatten, 
und  überhaupt  jener  schönen,  an  so  manchen  geistigen 
Genüssen  reichen  Periode  ein  kleines  dankbares  Denk- 
mal zu  errichten. 

Unser  Haus  wurde  bald  der  allgemeine  Vereini- 
gungspunkt  dieses  ganzen  Kreises,  da  die  andern  Fa- 
miHen  teils  durch  die  Beschaffenheit  ihrer  kleinern 
Wohnungen,  teils  durch  Kränkhchkeiten  eines  oder 
des  andern  Mitgliedes,  teils  endlich  durch  eigenen  Ge- 
schmack sich  nicht  dazu  geneigt  fanden,  jeden  Abend 
zu  Hause  zu  bleiben  und  Gesellschaft  bei  sich  zu  emp- 
fangen. Das  war  aber  meine  Mutter,  sie,  welche  durch 
lange  Jahre  gewohnt  gewesen  war,  jeden  Abend  in 
ihrem  großen  und  ganz  dazu  geeigneten  Appartement 
zahlreiche  Gesellschaft  sich  versammeln  zu  sehen,  und 
die  es  so  ganz  verstand,  durch  geist-  und  sinnvolle  Un- 
terhaltung, so  wie  durch  Benutzung  kleiner  gesellschaft- 
licher Talente  in  ihrer  nächsten  Umgebung,  ihren 
Abendzirkeln  einen  lebhaften  Reiz  zu  geben.  Ein  paar 
Jahre  her  war  durch  Umstände  und  hauptsächhch  durch 
unsere  Umsiedlung  in  die  Vorstadt  diese  Lebensweise 
unterbrochen  worden,  jetzt  bot  sich  die  Möglichkeit 
wieder  dar,  da  wir  Bekanntschaften  in  unserer  Nähe 
geschlossen  hatten,  und  nun  ward  das  Haus  der  Frau 
von  Greiner  wieder  der  Mittelpunkt  eines  ziemlich 
zahlreichen,  gebildeten  und  freundschafthchen  Kreises.' 
Wir  Jüngern  Leute  unterhielten  uns  mit  gesellschaft- 

250 


liehen  Spielen,  mit  Musik,  welche  manche  in  dem  Kreise 
verstanden,  wie  denn  z.  B,  mein  Bruder  sehr  hübsch 
sang,  die  junge  Kempelen  und  ich  Klavier  spielten,  usw. 
Wir  arrangierten  im  Fasching  Picknicks,  wozu  unsere 
großen,  hohen  Zimmer  passend  waren,  und  machten  im 
Sommer  gemeinschaftliche  Spaziergänge  und  Land- 
partien. 

So  ging  das  angenehme  Leben  ein  Jahr  oder  zwei  hin, 
als  mein  guter  Bruder  plötzlich  von  rheumatischen 
Schmerzen  in  der  Seite  befallen  wurde,  die  er  anfangs 
wenig  achtete  und  durch  den  Gebrauch  der  Badner 
Bäder  zu  heilen  hoffte.  Aber  trotz  der  vorübergehen- 
den Linderung,  welche  ihm  diese  Kur  verschaffte, 
stellten  sich  die  Schmerzen  wieder  ein,  und  Gott  weiß, 
weiche  sonderbare  Ansicht  seines  damaligen  Arztes,  des 
berühmten  Doktors  Closet*^'),  diesen  veranlaßte,  mei- 
nem Bruder  zu  raten,  alles  warme  Verhalten,  welches 
er  bisher  beobachtet,  fahren  zu  lassen,  sich  mit  kaltem 
Wasser  zu  waschen  usw.  Mein  Bruder  befolgte  den 
Rat  dieses  sonst  sehr  erfahrenen  Mannes,  und  nach 
einer  scheinbaren  Besserung  von  wenigen  Tagen  stell- 
ten sich  die  Schmerzen  in  der  Hüfte  heftiger  als  je  ein. 
Sie  waren  so  stark,  daß  mein  Bruder  das  Bett  hüten 
mußte,  und  wie  ein  Märtyrer  Utt.  Von  diesem  Augen- 
bHcke  an  ging  sein  Übel  mit  Riesenschritten  vorwärts. 
In  der  vielleicht  sehr  wohlgegründeten  Meinung,  daß 
Closets  Ansicht  unrichtig  gewesen,  berief  er  nun  an- 
dere Ärzte,  und  endHch,  da  aller  Kunst  hier  an  einem 
unheilbar  gewordenen  Übel  zu  schänden  wurde,  einen 
damals  sehr  jungen,  aber  seines  Scharfblicks  und  seiner 
seltenen  Kenntnisse  wegen  schon  sehr  ausgezeichneten 
Arzt,  den  Freiherrn  v.  Türkheim  *2^).  Er  war  der  Arzt 
einer  unserer  Freundinnen,  die  ihn  meinem  Bruder 

251 


empfahl,  ein  Mann  von  seltenem  Genie,  von  unbesieg- 
barer Liebe  zu  seiner  Wissenschaft,  der  er  sich,  gegen 
den  Willen  seiner  Familie,  mit  beispielloser  Anstren- 
gung und  Aufopferung  gewidmet  hatte;  außer  seiner 
ärztlichen  Laufbahn  mit  der  Literatur  und  allen  schö- 
nen Künsten  vertraut  und  über  dies  alles  mit  einem 
Herzen  begabt,  das  warmen  Anteil  an  den  Leidenden 
zu  nehmen,  und  denen,  welche  es  einmal  seiner  Ach- 
tung würdig  gefunden,  durchs  ganze  Leben  unver- 
änderlich treu  zu  bleiben  fähig  war.  Türkheim  über- 
nahm, durch  jene  Freundin  vermocht,  meinen  Bruder 
als  seinen  Patienten.  Er  kam  an,  verordnete;  es  besserte 
sich  nichts;  bald  darauf  erfuhr  ich  durch  eine  andere 
gemeinschaftliche  Bekannte,  gegen  die  er  sich  offen 
geäußert,  daß  er  wenig  oder  gar  keine  Hoffnung  hege, 
meinen  Bruder  wiederherzustellen.  Ich  erschrak  aufs 
heftigste,'  indessen  schien  mir  die  Sache  so  unglaublich, 
daß  eine  Krankheit,  die  höchstens  ein  schmerzhaftes 
chronisches  Übel  genannt  werden  kann,  einem  jungen 
Mann  von  dreißig  Jahren,  in  aller  Blüte  seiner  Kraft 
und  bei  sonst  ungeschwächtem  Körper  tödlich  werden 
sollte,  daß  ich  mir  meine  Angst  selbst  mit  allen  Ver- 
nunftgründen ausredete,  und  die  Äußerung  des  Arztes, 
den  ich  damals  nur  wenig  kannte,  für  jenen  gewöhn- 
lichen Kunstgriff  hielt,  den  Fall  für  bedenklicher  aus- 
zugeben, als  er  wirklich  war,  um  die  Ehre  der  Kur  zu 
vergrößern. 

Täglich  versammelte  sich  nun,  so  lange  der  Gesund- 
heitszustand meines  Bruders  noch  leidlich  war,  weil 
er  es  wünschte,  und  er  in  dem  Umgang  mit  unserm  ge- 
bildeten Freundeskreise  seine  einzige,  aber  auch  recht 
tiefgefühlte  Freude  fand,  dieser  Kreis  in  seinem  geräu- 
migen Zimmer.    Wir  schwätzten,  spielten  Karte,  an- 

2;2 


dere  kleine  Gesellschaftsspiele,  die  sich  sitzend  upd  ru- 
hig spielen  ließen,  lasen,  kurz  wir  hätten  diese  Art  von 
geselligem  Leben  sehr  genußreich  nennen  können, 
wenn  nicht  die  Leiden  meines  armen  Bruders,  welche 
sich  mit  jeder  Woche  vermehrten,  und  einen  immer  er- 
schreckenderen Charakter  annahmen,  mir  vor  allen, 
aber  auch  den  übrigen  Freunden,  welche  warmen  An- 
teil an  ihm  nahmen,  diesen  Genuß  verbittert  hätten. 
Bewundernswürdig  war  die  Geduld,  ja  der  Starkmut, 
mit  dem  er  selbst,  dieser  treffliche  und  von  so  vielen 
Schmerzen  gequälte  Mann,  diese  Leiden  ertrug. 
Mitten  in  den  heftigsten  Qualen,  wenn  seine  Gesichts- 
züge den  Schmerz,  den  er  litt,  aufs  schrecklichste  zeig- 
ten, blieb  sein  Geist  ruhig,  und  unmittelbar  nach  einem 
solchen  Sturm,  dergleichen  sich  nur  zu  oft  erneuerten, 
kehrten  seine  Mienen  zu  ihrer  vorigen  Ruhe,  sein  Geist 
zu  derselben  Fassung,  ja  Heiterkeit . zurück,  die  uns  in 
manchen  Augenblicken  vergessen  machten,  daß  wir  um 
das  Lager  eines  gefährlich  kranken  Freundes  versammelt 
waren. 

Nie  wird  der  30.  November  im  Jahre  1803  aus  mei- 
nem Gedächtnisse  schwinden.  Es  war  der  Namenstag 
meines  Mannes,  und  der  gute  Bruder  woUte  ihn,  so 
gut  er  es  vermochte,  feiern.  Aber  gerade  einen  oder 
zwei  Tage  zuvor  trat  eine  große  Verschlimmerung  in 
seinem  Zustande  ein.  Ein  Konsilium  wurde  für  nötig 
erachtet.  Sein  Ausspruch  lautete  erschreckend  für 
uns;  nur  der  Kränke  allein,  obwohl  völlig  bekannt  mit 
dem  Inhalte  desselben,  blieb  ganz  ruhig.  Die  Ärzte 
hatten  erklärt,  das  Übel  habe  sich  aufs  Rückenmark  ge- 
worfen. Mein  Bruder  sah  dies  als  eine  Krisis  an,  die 
entweder  zur  Genesung  oder  zum  Tode,  und  somit  in 
jedem  Fall  zum  Ende  seiner  schweren  Leiden  führen 

253  - 


mußte,  und  zeigte  sich  gerade  an  diesem  Tage  in  einer 
Ruhe,  ja  in  einer  Heiterkeit  des  Geistes,  die  uns  allen, 
welche  nach  dem  Ausspruche  der  Ärzte  nur  an  einen 
von  diesen  zwei  Ausgängen  —  nämlich  an  den  traurigen 
glauben  konnten,  unendlich  schmerzlich  war,  indem 
wir  in  diesem  heldenmütigen  Betragen  des  Kranken 
einen  neuen  Beweis  seiner  edlen  Denkajt  und  seines 
kräftigen  Geistes  erkannten.  Mit  frommer  Erhebung 
wünschte  er  meinem  Manne  zu  seinem  Festtage  Glück, 
ermahnte  uns  beide  zu  unseren  gegenseitigen  Pflichten, 
und  sprach  von  der  baldigen  Wiedervereinigung  mit 
seiner  Marie,  der  er  in  dem  Fall,  daß  er  nicht  genesen 
sollte,  mit  Freuden  entgegen  sah. 

So  verging  dieser  Tag  in  schmerzlicher  und  doch  er- 
hebender Stimmung;  aber  ihm  folgten  bald  traurigere. 
Das  Übel  nahm  zu,  die  Kräfte  des  Kranken  schwanden 
sichtlich.  Seine  Geduld,  seine  Geistesruhe  blieben  die- 
selben, und  selbst  seine  Heiterkeit  zeigte  sich  manch- 
mal, wenn  an  einem  Tage,  wo  die  Schmerzen  nicht  gar 
zu  heftig  waren,  die  Freunde  sich  um  sein  Bett  sammel- 
ten, und  lebhafte  Gespräche  oder  ein  gesellschaftliches 
Spiel  ihn  zu  zerstreuen  fähig  war.  In  den  einsameren 
Stunden  war  ich,  so  viel  es  meine  häuslichen  Verrich- 
tungen zuließen,  bei  ihm,  ich,  las  ihm  vieles  vor,  unter 
anderm  auch  Gibbons  Geschichte  vom  Verfall  des  Rö- 
mischen Reiches  *2^).  Allmählich  aber  sanken  seine  Kräfte 
so  sehr,  daß  er  sich  jenes  Vergnügen,  die  Gesellschaft 
bei  sich  zu  sehen,  versagen  mußte,  und  nur  einzelne 
durften  dann  und  wann  ihn  besuchen  oder  wir  spielten 
an  seinem  Bette  ein  Kartenspiel,  und  er  dirigierte  das 
meinige,  da  ich  ohnedies  jedes  solche  Spiel  sehr  schlecht 
spielte.  Bald  war  er  auch  dieser  armen  Erholung  nicht 
mehr  fähig,  und  die  Lektüre  blieb  seine  einzige  Zer- 

254 


Streuung.  Gibbon  interessierte  ihn'  sehr,  und  mit  einer 
bewundernswürdigen  Aufmerksamkeit  und  Geiste^- 
ruhe  ließ  er  sich  von  mir  die  d'Anvilleschen  Landkarten 
der  alten  Welt*^**)  vor  sein  Bette  bringen,  suchte  die  vor- 
kommenden Orte  auf  denselben,  zeigte  sie  mir,  und 
ich  mag  wohl  sagen,  unterrichtete  mich  auf  seinem 
Todbette  mit  eben  der  Klarheit  und  Ruhe  der  Seele, 
mit  welcher  er  früher  bei  jede;r  Gelegenheit  gehandelt 
hatte.  /^ 

Mich  empörte  indessen  die  Art,  wie  Gibbon  sich 
über  die  christliche  Religion  in  jenem,  übrigens  berühm- 
ten Werke  äußert,  aufs  Tiefste,  und  ich  sammelte  schon 
damals  die  Ideen,  Ansichten  und  Beweggründe  für  das 
Christentum  im  Gegensatz  des  Polytheismus,  die  ich 
später  im  Agathokles  verarbeitete*^^). 

Es  vergingen  zwei  und  endlich  drei  Monate  auf  die- 
selbe stille  und  schmerzliche  Art.  Mit  düsterer  Ge- 
wißheit sahen  wir,  wenn  wir  alles  recht  erwogen  und  die 
Aussprüche  der  Ärzte  bedachten,  dem  Augenblicke 
entgegen,  der  dies  achtungswürdige  Leben  endigen, 
und  einem  Geiste,  welcher  inmitten  schmerzlicher  Lei- 
den alle  seine  Würde  und  Kraft  bewiesen  hatte,  die 
Freiheit  geben  würde,  sich  zu  seinem  Schöpfer  aufzu- 
schwingen. Mein  Bruder  hatte  auch  mit  der  Ruhe  und 
Besonnenheit,  als  wenn  es  jemand  andern  beträfe,  alle 
Anordnungen  für  diesen  Fall  gemacht  und  mir  über- 
geben. Ich  wußte  seine  Andenken  an  seine  Freunde, 
was  ich  jedem  zu  geben,  zu  senden  hatte,  die  Anord- 
nungen über  sein  Vermögen  waren  getroffen  —  ich 
zwar  zu  seiner  Erbin  ernannt,  aber  er  hatte  die  Jugend- 
freunde, die  er  in  beschränkten  Verhältnissen  wußte, 
so  großmütig  bedacht,  als  es  der  Umfang  seines  Ver- 
mögens erlaubte,  und  gewiß  auch  keines  von  seinen 

255  '  ^   ' 


Dienstleuten  vergessen,  welches  er  einer  Unterstützung 
oder  auch  nur  eines  Andenkens  wert  hielt  *^^) .  Dennoch, 
so  nahe  mir  die  Vorstellung  seines  Verlustes  dadurch  in 
manchen  Augenblicken  gerückt  wurde,  war  doch  die 
Hoffnung,  diese  unermüdliche  Gefährtin  des  Sterb- 
lichen, nie  ganz  in  meinem  Herzen  zu  vertilgen,  und 
wenn  wieder,  wie  öfters  geschah,  ein  paar  bessere  Tage 
eintraten,  die  Schmerzen  ausblieben  und  sein  Geist 
sich  mit  besonderer  Heiterkeit  erhob,  ja  dann  erhoben 
sich  auch  die  Möglichkeiten,  daß  das  Übel  von  der  un- 
verdorbenen Körperkraft  des  jungen  Mannes  dennoch 
besiegt  werden,  und  eine,  wenn  auch  langsame  Gene- 
sung eintreten  könne,  wieder  in  meiner  Seele,  sie  wur- 
den zu  Wahrscheinlichkeiten,  und  ich  glaubte  an  das 
Glück,  den  trefflichen  Bruder  zu  behalten.  Diese 
hellere  Aussicht  schloß  sich  indes  nach  ein  paar  Tagen 
wieder,  wie  die  Schmerzen  und  übrigen  bösen  Sym- 
ptome wieder  eintraten,  die  Hoffnung  wurde  aufge- 
geben, und  dennoch  abermals  nach  einiger  Zeit  ge- 
faßt, um  neuerdings  verloren  zu  werden,  bis  endlich 
mit  dem  Anfange  des  Märzmonates  tägliche  Fieber  an- 
fingen, und  sogar  mehr  als  ein  Paroxismus  in  einem 
Tage  eintrat.  Nun  ging  es  mit  furchtbarer  Schnellig- 
keit abwärts  —  sein  Aussehen  war  auf  eine  Art  verän- 
dert, daß,  wer  ihn  lange  Zeit  nicht  gesehen,  ihn  nur 
mit  Mühe  erkannt  haben  würde;  mir  aber  schwebt  dies 
Bild  mit  allen  seinen  Schmerzen  und  den  Empfindun- 
gen, die  es  damals  in  mir  erregt,  mit  allen  Szenen,  die 
dabei  vorfielen,  nach  viel  mehr  als  dreißig  Jahren  noch 
immer  hell  vor  den  Augen  meines  Geistes. 

Am  17,  März  1804,  an  einem  Sonnabend,  machte 
endlich  der  letzte  Tod,  wie  der  römische  Schrift- 
steller sagt: 

256 


Heinrich  Josef  Edler  von  Collin 
Jos.  Lange  pinx.,  Friedr.  John  sc.  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


V 


Mors  non  ultima  venit,  quae  rapit  ultima  mors  est  — *'^) 
nach  einem  siebenmonatlichen  Leiden  und  langem 
Todeskampfe  diesem  edlen,  nur  mit  Gutem  beschäf- 
tigten Leben  ein  Ende.  Er  fand  die  Ruhe,  die  er  so 
lange  schmerzlich  entbehrt,  und  auch  ich  dachte  nun, 
nach  so  manchen  Anstrengungen,  Sorgen  und  Kummer, 
doch  wenigstens  einiger  Stille  zu  genießen,  in  der  die 
aufgeregten  Kräfte,  die  stürmisch  bewegten  Empfin- 
dungen zur  Ruhe  gelangen  sollten.  Aber  der  lange  ge- 
tragene und  verhaltene  Kummer  meiner  Mutter,  der 
ihre  Ansichten,  sei  es  aus  philosophischem  Stolz  oder 
einer  andern  Regung,  nicht  erlaubt  hatten,  die  Er- 
leichterung einer  Klage  oder  einer  freuridschaftlichen 
Teilnahme  zu  suchen,  hatte  nun,  nachdem  der  letzte 
Schlag  gefallen  war,  auch  sein  Werk  in  ihr  vollendet. 
Am  Tage,  nachdem  mein  Bruder  verschieden  war,  be- 
fiel auch  sie  ein  Unwohlsein,  welches  sogleich  in  seinen 
ersten  Symptomen  viel  Bedenkliches  zeigte.  Auch  brach 
wirklich  eine  Lungenentzündung  aus,  die  ihr  Leben  in 
Gefahr  setzte,  und  mich  nach  einem  erst  so  schmerz- 
Hchen  Verlust  in  neue  Angst  und  Bekümmernis  stürzte. 
Baron  Türkheim  wurde  gerufen;  denn  uns  allen  hatte 
der  Tod  meines  Bruders  nicht  allein  das  Vertrauen  auf 
ihn  nicht  benommen,  sondern  sein  zweckmäßiges  und 
teilnehmendes  Betragen  während  dieser  langen  Zeit 
hatte  unsere  Achtung  für  ihn  noch  vermehrt.  Er  recht- 
fertigte dies  Zutrauen  vollkommen,  da  er  sogleich  er- 
klärte, obwohl  ich  es,  der  gewöhnlichen  Erfahrung  gemäß, 
wünschte,  daß  der  Kranken  zur  Ader  gelassen  werde, 
dies  sei  eine  Krankheit,  welche  durch  langen  Kummer 
und  Erschöpfung  der  Kraft  erzeugt  worden,  und  daher 
durchaus  nicht  wie  eine  gewöhnliche  Entzündung  zu 
behandeln.     Trotz    meiner    Achtung    für   Türkheims 


17    c.  P.  I 


^S7 


Wissenschaft  im  allgemeinen,  vermochte  ich  doch  meine 
Angst  nicht  ganz  zu  beschwichtigen-;  ich  wollte  ganz 
beruhigt  sein,  und  mit  Türkheims  Erlaubnis  berief  ich 
den  Doktor  Closet,  der  schon  früher  für  wichtigere  Fälle 
unsere  Zuflucht  gewesen  war,  und  sein  Ausspruch 
bestätigte  vollkommen  das  Urteil,  welches  Türkheim 
mit  seinem  Scharfblick,  der  ihn  vor  so  vielen  Ärzten 
auszeichnete,  erkannt  hatte.  Er  nannte  die  Krankheit 
eine  nervöse  Lungenentzündung,  und  fand  bei  der  vor- 
liegenden Ursache  derselben  und  den  hohen  Jahren  der 
Patientin  eine  Aderlaß  nicht  nur  nicht  anwendbar, 
sondern  schädlich. 

Wirklich  besserte  sich  meine  Mutter  zu  meiner  un- 
beschreiblichen Freude  bald  wieder,  die  Heftigkeit  der 
Krankheit  brach  sich  an  der  zweckmäßigen  Behandlung 
und  ihrer  trefflichen  Konstitution,  und  nach  drei  Wo- 
chen vermochte  die  mehr  als  sechzig] ährige  Frau  be- 
reits, von  uns  unterstützt,  in  ihren  Garten  zu  gehen, 
wo  denn  der  eben  eintretende  Frühling  und  die  ver- 
einte Bemühung  aller  unserer  Freunde  und  Freundin- 
nen, die  sie  fleißig  besuchten,  ihre  Genesung,  Erheite- 
rung und  Beruhigung  nach  und  nach  bewirkten. 


Es  war  im  Mai  dieses  Jahres  1804  ungefähr,  als  uns 
durch  einen  unserer  sehr  gebildeten  Freunde,  einen 
gewissen  Herrn  Köderl*^*),  der  ein  sehr  geist- und  kennt- 
nisreicher Mann  war,  und  bei  dem  Revisionsamte  ange- 
stellt, sich  in  Berührung  mit  den  meisten  Literatoren 
Wiens  befand,  der  nachmalige  Professor  und  Geschicht- 
schreiber Schneller*^^)  vorgestellt  wurde.  Damals  war 
Schneller  ein  junger  Mann  von  einigen  zwanzig  Jahren, 
hatte  wohl  noch  nicht  die  Bedeutung  und  den  Ruf, 


258 


A..'A>--x-,'-m 


den  ihm  später  seine  Arbeiten  wie  seine  Schicksale 
erwarben,  aber  er  war  auf  jeden  Fall  eine  interessante 
Erscheinung,  und  wurde  bald  einheimisch  in  unserm' 
Kreise. 

Etwa  um  diese  Zeit  oder  vielleicht  etwas  früher  trat 
hier  in  Wien  ein  junger  Dichter  mit  einem  Trauer- 
spiele auf,  das  bei  der  ersten  Erscheinung  im  Publikum 
die  höchste  Aufmerksamkeit  erregte.  Es  war  der  Re- 
gulus,  und  der  Ruf  dieses  Stückes  sowohl  als  der  Name 
seines  Verfassers,  des  Herrn  Heinrich  von  Collin*^^), 
flog  bald  durch  ganz  Deutschland,  erregte  die  schönsten 
Erwartungen,  und  in  unserm  Hause  den  lebhaften 
Wunsch,  die  Bekanntschaft  desselben  zu  machen,  da 
es  ja  von  frühen  Zeiten  her  bei  uns  zur  Hausordnung 
gehörte,  die  ausgezeichneten  Geister  Wiens  oder  auch 
des  Auslandes,  wenn  sie  sich  hier  befanden,  um  uns 
zu  versammeln.  Bei  dieser  Gelegenheit  kann  ich  nicht 
umhin,  die  Bemerkung  beizufügen,  daß,  so  merkwürdig 
solche  Männer  auch  oft  als  Gelehrte  oder  Künstler  in 
der  Welt  durch  ihre  Werke  erscheinen,  nur  sehr  we- 
nige sich  im  nähern  Umgange  auch  als  Menschen  ach- 
tungs-  und  liebenswürdig  bewährten.  Noch  weniger 
liebenswürdig  aber,  mit  sehr  seltenen  Ausnahmen, 
fand  ich  von  jeher  die  weiblichen  ausgezeichneten  Gei- 
ster, die  f  emmes  superieures,  wie  Frau  v.  Stael  sie  nannte 
und  wich  ihrer  Annäherung  immer  gern  aus,  da  sie  mir 
als  Frauen  im  Umgange  fast  nie  zusagten. 

Bei  unserm  Collin  hingegen  traf  zu  unserer  großen 
Freude  diese  Bemerkung  nicht  eiif.  Ein  anspruchs- 
loseres, einfacheres,  herzlicheres  Betragen  laßt  sich  bei 
einem  so  ausgezeichneten  Talente  kaum  denken,  und 
mit  dieser  offenen  Herzlichkeit  verband  sich  ein  gründ- 
licher Verstand,  eine  ausgezeichnete  Geschäftskenntnis 


17* 


259 


(er  war  Beamter  und  damals  Konzipist  oder  Sekretär 
bei  der  Hofkammer)  *^')  und  hohe  klassische  Bildung. 
So  warm  und  herzlich  wir  ihm  entgegen  kamen,  ebenso 
warm  und  herzlich  wurde  diese  Empfindung  von  ihm 
erwidert,  und  ich  darf  es  mit  stolzem  Gefühle  sagen, 
der  edle  CoUin,  der  in  so  vieler  Hinsicht  über  seine 
Mitbürger  hervorragte,  war  unser  aller  warmer,  treuer 
Freund  geworden,  der  meine  Mutter,  meinen  Mann 
und  mich  herzlich  achtete,  und  selbst  meine  Tochter, 
damals  ein  Kind  von  8 — 9  Jahren,  mit  gütiger  Zunei- 
gung und  oft  —  denn  er  hatte  nicht  die  Freude,  Vater 
zu  sein  —  mit  einer  Art  von  liebevoller  Wehmut  be- 
trachtete. 

Haschka  lebte  damals  noch,  und  CoUin,  ebenso  wie 
der  früher  genannte  Baron  von  Hormayr,  schlössen 
sich  mit  Achtung  an  den  gelehrten  und  viel  erfahrnen 
alten  Herrn,  der  seinerseits  gern  jedes  junge  Talent 
aufmunterte  und  mit  Rat  und  Tat  zu  unterstützen 
liebte.  Damals  bildete  sich  gar  ein  schönes  geistiges  Le- 
ben um  uns.  Collin,  Hormayr,  Haschka,  Köderl, 
Schneller  und  noch  einige  andere  schriftstellernde  Her- 
ren besuchten  fleißig  unser  Haus,  in  welchem  sich  je- 
den Abend  auch  jene  gebildeten  Frauen  mit  ihren  Fa- 
milien einfanden,  deren  ich  früher  erwähnt.  Gemein- 
schaftliche Lektüre  der  besten,  eben  damals  erscheinen- 
den Stücke  von  Goethe,  Schiller,  Werner  usw.  mit  aus- 
geteilten Rollen,  Musik,  gesellschaftliche  Spiele,  im  Fa- 
sching auch  wohl  zuweilen  ein  Tänzchen,  das  bei  uns 
oder  einer  unserer  Freundinnen  statthatte,  füllten 
unsere  Abende  aufs  angenehmste  aus.  Vor  allem  aber 
war  uns  eine'  Art  geistiger  Unterhaltung,  die  wir  frei- 
lich nur  selten  genossen,  vielleicht  mitunter  schon  des- 
wegen, ungemein  wert.    Es  waren  die  eben  damals  in 

260 


Schwung  kommenden  Deklamationen,  das  gesteigerte 
und  mit  eigentlich  theatralischer  Betonung  belebte 
Hersagen  schöner  oder  bedeutender  Gedichte.  CoUin 
und  Hormayr  waren  es,  die  uns  diesen  Genuß  kennen 
lehrten  und  verschafften,  indem  sie  manchmal  einen 
Abend  bestimmten,  wo  sich  unser  ganzer  kleiner  Zirkel 
bei  uns  versammelte,  und  die  beiden  Herren  nun  ab- 
wechselnd die  vorzüglichsten  Produkte  unserer  vater- 
ländischen Schriftsteller  mit  meisterhaftem  Ausdrucke' 
vortrugen. 


Es  war  ein  wunderschöner  Sommerabend  im  August 
1804,  als  eines  Abends  Schneller  einen  jungen  Dichter, 
Herrn  Karl  Streckfuß  **^),  auf  dessen  Bekanntschaft  uns 
einige  in  Almanachen  und  Journalen  erschienene,  höchst 
liebliche  Gedichte  begierig  gemächt  hatten,  bei  uns 
einführte.  Karl  Streckfuß,  jetzt  preußischer  Ober- 
regierungsrat, Ordensritter,  Lehrer  und  Freund  des 
Kronprinzen,  Übersetzer  des  Ariost  und  Dante,  war 
damals  ein  schlanker,  hochgewachsener  Jüngling  von 
24 — 25  Jahren,  mit  blondem  Ringelhaar  und  blauen 
Augen,  Hofmeister  in  einem  Bankierhause  hier  in 
Wien  —  eine  für  uns  alle  erwünschte,  angenehme  Er- 
scheinung; aber  in  der  Welt  noch  kaum  durch  einige 
Klänge  seiner  Leier  bekannt.  Unserm  Kreise  wurde 
er  es  bald,  wurde  es  auf  der  Stelle  möchte  ich  sagen; 
denn  er  gehörte  zu  den  wenigen  Menschen  (Körner  war 
ebenso),  die  uns  beim  ersten  Blick  wie  befreundet  an- 
sprechen —  jede  Spur  der  Fremdheit  abstreifen,  und 
uns  das  Bewußtsein  geben,  als  sprächen  wir  mit  einem 
alten  Bekannten.  Vielleicht  ist  es  auch  so.  —  Wer 
kennt  die  Geheimnisse  der  Geisterwelt  und  die  Bedin- 

261 


gungen  einer  vielleicht  frühem  Existenz  unserer  Seele, 
in  welcher  sie  sich  an  andere  Seelen  anzuschließen  Ge- 
legenheit hatte  ?  Genug,  Streckfuß  ward  sogleich  einer 
der  Unsrigen.  Unter  dem  Schatten  unserer  hohen  Lin- 
denbäume, durch  die  die  Abendsonne  schimmerte, 
sagte  er  uns  auf  unsere  Bitten  einige  seiner  Gedichte, 
namentlich  die  Harmonien  *^^)  her,  und  wirklich  waren 
diese  Verse  Harmonien  —  und  harmonisch  fühlten  alle 
Freundinnen  und  Freunde,  die  zugegen  waren,  sich  dem 
Sänger  verbunden.  Was  der  erste  Abend  verheißen 
hatte,  hielt  die  Folge.  Streckfuß  wußte  durch  seine  an- 
ziehende Persönlichkeit  vne  durch  einen  gebildeten  Ver- 
stand und  ein  würdiges,  höchst  rechtliches  Betragen, 
aller  Achtung  und  Zuneigung  zu  erwerben,  und  er 
wurde  bald  meiner  Mutter  so  wert  wie  meinem  kleinen 
Mädchen,  das  mit  kindlicher  Wärme  an  ihm  hing  und 
das  er  sein  Bräutchen  nannte. 

Es  ist  natürlich,  daß  der  stete  Umgang  mit  Män- 
nern vsde  Collin,  Hormayr,  Schneller,  Köderl,  Streck- 
fuß, Rothkirch  und  andern  auf  mein  Gemüt  erregend 
und  erhebend  wirken  mußte.  Ich  hatte  früher  be- 
reits einige  Idyllen  geschrieben.  Haschka,  dem  ich  so 
vieles  verdanke,  was  meine  literarische  Ausbildung  ver- 
vollkommnete, und  bei  dem  ich  mir  über  meine  Ar- 
beiten gern  Rats  holte,  hatte  mir,  mit  sehr  triftigen 
Gründen,  vorgeschlagen,  den  Stoff  zu  einigen  Idyllen 
aus  der  Bibel,  das  heißt,  aus  der  Zeit  der  Patriarchen  zu 
^nehmen,  deren  Lebensweise  den  eigentlichen  Forde- 
rungen der  Idylle,  wie  Haschka  meinte,  vollkommen 
entspräche,  indem  sie  ein  ländliches  und  in  seiner  Aus- 
bildung einfaches  Leben  mit  Wohlstand  und  Sorglosig- 
keit verbunden,  darstelle,  gleichweit  von  städtischer 
Verfeinerung    und    bäurischer  Roheit    entfernt,    und 

262 


durch  religiöse  Gesinnung  und  innigen  Verkehr  mit 
Gott  dem  Gemälde  einen  eigenen  anziehenden  Cha- 
rakter gebe.  Mir  leuchtete  diese  Behauptung  sehr  ein, 
denn  fromme  Empfindungen  und  Schilderungen  hatten 
mir  von  jeher  zugesagt.  Ich  hatte  zufällig  damals 
Jahns  biblische  Archäologie**")  bekommen;  diese  stu- 
dierte ich,  verschaffte  mir  eine  Luthersche  Bibel,  der 
kräftigen  Diktion  wegen,  und  wählte  mir  nun  einige 
Stücke,  die  mir  zu  solcher  Bearbeitung  am  dienlichsten 
schienen.  Vor  allem  nahm  ich  mir  vor,  das  Buch  Ruth 
auf  diese  Weise  zu  behandeln;  dann  sollten  Stücke  aus 
Abrahams  Leben  kommen,  und  recht  mit  Lust  über- 
dachte und  durchsann  ich  diese  Gegenstände. 

Eines  Abends,  als  wir  alle  wie  gewöhnlich  beisam- 
men waren,  und  Literatur  und  Poesie  auch  wie  ge- 
wöhnlich den  Gegenstand  unserer  Gespräche  ausmach- 
ten, äußerte  Streckfuß,  daß  er  gesonnen  sei,  das  Buch 
Ruth  als  Idylle  oder  kleines  erzählendes  Gedicht  zu  be- 
handeln. [Das  klang  mir  sehr  unangenehm;  aber  ich 
schwieg,  und  vertraute  nur  meinem  Manne,  als  wir 
allein  waren,  meinen  Verdruß,  weil  ich  nun  glaubte, 
meinen  Vorsatz  aufgeben  zu  müssen,  denselben  Stoff 
zu  bearbeiten,  wie  ich  mir  früher  vorgesetzt.  Aber 
Pichler  war  nicht  dieser  Meinung,  er  brachte  diese  An- 
sicht eines  andern  Tages  in  unserm  Kreise  vor,  und 
Haschka,  Schneller,  ja  Streckfuß  selbst  munterten  mich 
.auf,  meinen  früher  gefaßten  Plan  nicht  aufzugeben, 
und  die  Ruth  doch  zu  bearbeiten,  wenngleich  ein  an- 
derer Kämpfer  sich  in  derselben  Bahn  einfinden  sollte. 
So  Avard  denn  beschlossen,  daß  wir  beide  —  Karl 
Streckfuß  und  Karoline  Pichler  —  um  dieselbe  Palme 
laufen  und  unsern  poetischen  Wettstreit  in  herzlicher 
Freundschaft  beginnen  sollten**^).    Nun  gab  das  recht 

263 


köstliche  Abende  alle  Sonntage,  wenn  wir  jedes,  was 
wir  in  dieser  Woche  gearbeitet  hatten,  vorlasen;  es  ver- 
steht sich,  daß  der,  der  weiter  gediehen  war,  und  das 
war  gewöhnlich  Streckfuß,  nicht  weiter  las,  als  der  an- 
dere, meist  ich,  gekommen  war.  Seltsam  und  für  den 
kleinen  Kreis,  der  an  uns  beiden  lebhaften  Anteil 
nahm,  anziehend  waren  dann  die  Beobachtungen,  wie 
derselbe  Stoff  unter  zweierlei  Bearbeitung  etwas  so 
ganz  Verschiedenes  wurde,  so  daß  die  Ruth  von  Streck- 
fuß in  Wendung  der  Fabel,  in  Kolorit,  Schilderung 
der  Charaktere,  Haltung  des  Tons  usw.  sich  ganz  an- 
ders gestaltete  als  die  meinige.  Fast  möchte  ich  nach 
der  jetzigen  Klassifikation  der  poetischen  Produkte 
sagen,  Streckfuß's  Ruth  war  romantisch,  die  meinige 
klassisch.  Auf  ihn  hatte  die  damals  beginnende  Zeit- 
richtung als  auf  einen  noch  sehr  jungen  Mann  mehr  ge- 
wirkt, so  wie  denn  seine  ganze  Poesie  damals  mehr  musi- 
kalisch als  rhetorisch  war,  und  ihm  die  Sonette **2)  ganz 
vorzüglich  gelangen.  Auf  mich,  die  ältere,  hatte  die 
neue  Gestalt  der  Dinge  weniger  Einfluß  gehabt,  und 
durch  eigentlich  klassische  Literatur  gebildet,  mit  den 
Werken  römischer  und  griechischer  Schriftsteller  (den 
erstem  in  der  Ursprache)  wohl  bekannt,  hatte  mein  Ge- 
dicht mehr  einen  antiken  Ton  und  einen  Anklang  ho- 
merischer Art  angenommen.  Das  sah  ich  wohl,  daß  auf 
die  Damen  unseres  Kreises  die  Streckfußsche  Bearbei- 
tung mehr  Eindruck  machte,  wie  ihnen  denn  überhaupt 
die  damals  moderne  Poesie  zusagte,  und  einiges  mochte 
wohl  des  jungen,  hübschen  Dichters  Persönlichkeit  bei- 
tragen. Doch  gönnte  ich  dem  Freunde  gern  diesen 
Vorzug,  und  war  —  gewiß  nicht  mit  Unrecht,  über- 
zeugt, wie  es  auch  der  Erfolg  bewiesen  hat,  daß  auch 
meine  Bearbeitung  ihren  Wert  habe**^*). 

264 


_.^^^ 


fe 


B 


Julius  Schneller 
Unsignierte  Lithographie  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek   Wien 


So  verging  der  Winter  höchst  angenehm  und  auch 
Tanz,  Musik  und  andere  gesellschaftliche  Freuden  ka- 
men wieder  an  die  Reihe,  es  war  eine  liebliche  Zeit! 

Im  Frühling  verließ  uns  Schneller,  der  eine  Pro- 
fessur in  Linz  erhielt;  dafür  aber  hatte  Streckfuß,  der 
seine  Hofmeisterstelle  aufgegeben,  meine  Mutter  er- 
sucht, ihm  eine  hübsche,  aber  von  uns  nicht  gebrauchte 
Stube,  das  Zimmer  meines  seligen  Bruders,  das  wir 
nicht  benützten  und  selten  und  ungern  betraten,  zur 
Miete  zu  überlassen.  Meine  Mutter  wiUigte  mit 
Freuden  ein.  Sie  hätte  es  ihm  am  liebsten  unentgelt- 
lich überlassen;  aber  dies  nahm  Streckfuß  natürhch 
nicht  an,  und  so  wurde  er  denn  unser  lieber  Hausgenosse 
und  jeden  Abend  (den  Tag  über  ging  er  seinen  Ge- 
schäften oder  Arbeiten  nach)  nebst  Karl  Kurländer,  der 
auch  bei  uns  wohnte,  unser  Gast  bei  dem  mäßigen  Sou- 
per. 

Nachträglich  muß  ich  noch  erzählen,  was  der  Fa- 
den der  Geschichte  im  Sommer  1804  mich  übersprin- 
gen machte,  daß  ein  Zufall,  ich  weiß  nicht  welcher, 
mitunter  aber  waren  es  auch  Streckfuß  lebendige 
Schflderungen  schöner  Gebirgsgegenden,  die  er  uns 
mündlich  mitteilte,  in  Pichler  und  mir  den  Vorsatz 
weckte,  eine  Gebirgsreise,  und  zwar  nach  Maria  Zell  zu 
machen.  Pichler  hatte  in  amtlichen  Geschäften  schon 
öfters  die  Gebirgsgegenden  in  Österreich  ob  und  unter 
der  Enns  durchstreift.  Er  kannte  die  Wege,  die  Ge- 
genden, die  Distanzen  genau,  und  so  wurde  denn  be- 
schlossen, daß  wir  uns  auf  den  Weg  machen  und  Maria 
Zell  besuchen  sollten,  das,  wie  Pichler  sagte,  in  einer 
sehr  mäßigen  Entfernung  von  anderthalb  Tagen,  bei 
trefflichen  Straßen  und  bequemer  Unterkunft,  große 
Schönheiten  darbiete. 

265  ' 


Nachdem  wir  uns  hierzu  entschlossen,  nahm  sich 
mein  Mann  vor,  noch  einen  Zweck  mit  dieser  Reise  zu 
vereinigen  und  eine  ihm  sehr  teure  Schwester,  die  nur 
eine  Tagereise  noch  weiter  als  Maria  Zell  in  Steiermark 
lebte,  zu  besuchen.  Auch  dieser  Vorschlag  ward  gern 
angenommen;  meine  Mutter,  obwohl  damals  schqp 
hoch  in  Jahren,  erklärte,  uns  gern  begleiten  zu  wollet, 
und  so  brachen  wir  denn  an  einem  sehr  schönen  Au- 
gusttage im  Sommer  1804,  nebst  unserm  damals  sehr 
kleinen  Lottchen,  auf,  und  fuhren  über  Mödling  und 
Heiligenkreuz  die  etwas  unbequemere,  aber  nach  Pich- 
lers  richtiger  Ansicht  viel  schönere  Wallfahrtsstraße 
bis  LiHenfeld*«). 

Nur  in  meiner  Kindheit,  beinahe  dreißig  Jahre  frü- 
her, hatte  ich  mit  meinen  Eltern  dieselbe  Reise,  aber 
über  St.  Polten  gemacht,  und  außer  den  Leuchtkäfer- 
chen, welche  auf  dem  Annaberg,  den  wir  damals  abends 
erreichten,  zu  beiden  Seiten  der  Straße  in  den  Gebü- 
schen schimmerten,  so,  daß  es  mich  bedünkte,  als  sei  der 
gestirnte  Himmel  hier  auf  die  Erde  gesunken,  hatte  ich 
von  jener  ersten  Fahrt  kaum  eine  Erinnerung  behal- 
ten***). Daher  war  mir  jetzt  alles  neu  und  alles  wunder- 
schön, und  auch  die  Leuchtwürmchen  fanden  sich 
wieder  ein  und  stickten  das  Ufer  der  Traisen,  die  uns 
hier  rauschend  durch  die  nächtliche  Dunkelheit  ent- 
gegenströmte, mit  hellen  grünlichen  Funken.  Wir 
fuhren  das  Stift,  das  in  großen  dunkeln  Massen  in  der 
Nacht  halb  sichtbar  dalag,  vorüber  und  zu  dem  soge- 
nannten Steg- Wirtshause,  das  eine  Viertelstunde  auf- 
wärts vom  Stift  am  ufer  des  Flusses  lag.  Freundliche 
Menschen,  reinliche  Zimmer  und  Betten,  eine  ein- 
fache aber  schmackhafte  Abendkost  fanden  wir  hier, 
und  blieben,  weil  es  uns  hier  so  wohl  gefiel,  auch  noch 

266 


-..ii 


den  folgenden  Tag,  gingen  in  der  Gegend  spazieren, 
weideten  uns  an  dem  saftigen  Grün  der  Wiesen  und 
Wälder,  an  den  tausend  Blumen,  die  hinter  jedem 
Zaun  hervorguckten,  und  tranken  abends  im  Schim- 
mer der  sinkenden  Sonne  im  Garten  des  Wirtes,  an 
dem  die  Traisen  hinabrauscht,  einen  deliziösen  Kaffee 
—  lauter  Genüsse,  die  ich  in  der  Stadt  entbehren  mußte 
und  die  ich  allen  Freuden  des  glänzendsten  Balles  oder 
der  recherchiertesten  Mahlzeiten  in  den  elegantesten 
Zimmern  vorzog.  Mir  war  köstlich  wohl  zwischen  die- 
sen Bergen,  an  diesem  hellen,  wilden  Waldwasser,  un- 
ter diesen  einfachen  Menschen  und  den  Einwirkungen 
der  großen,  freien  Natur,  die  ich  recht  mit  Lust  in  mein 
Innerstes  dringen  ließ. 

Am  andern  Morgen  fuhren  wir  dem  Laufe  der  Trai- 
sen entgegen,  tiefer  in  die  immer  höher  steigenden 
Berge  hinein.  Ein  wunderschöner  Weg,  der  bald  an 
den  Seiten  der  Berge  hoch  über  dem,  unter  Fichten 
und  Tannen  dahinrauschenden  Wasser  führte,  bald 
sich  durch  enge,  wilde  Täler  schlängelte,  zwischen  deren 
himmelanstrebenden  Felsenwänden  nur  für  diesen 
Weg  und  den  Strom  daneben  Raum  war;  jetzt  sich 
durch  eine  schöne,  grüne  Gegend  zog,  wo  die  zurück- 
weichenden Berge  einen  freundlichen  Talgrund,  mit 
ländhchen  Hütten  besetzt,  einschlössen,  und  danri  wie- 
der an  rauchenden  Essen  und  pochenden  Hämmern 
und  weißbeschäumten  Wehren  vorbeiging,  wo  "das 
Eisen,  welches  diese  Berge  enthalten,  zu  allerlei,  dem  Le- 
ben unentbehrlichen  Gerätschaften  verarbeitet  wird. 

So  gelangten  wir  nach  dem  freundlichen  Türnitz,  wo 
den  Wallfahrtern  sogleich  Frauen  und  Männer  mit 
großen  Körben  voll  niedHch  aus  verschiedenem  Holze 
gedrechselter  Kleinigkeiten,  Heiligenbilder  und  Rosen- 

267 


kränze  entgegenkommen.  Während  die  Pferde  ge- 
tränkt werden,  kauft  man  allerlei  solcher  Spielsachen, 
Bilder  usw.  und  dann  geht  es  wieder  weiter  durch 
eben  solche  Täler,  bis  dahin,  wo  der  Annaberg  mit  sei- 
nem ganzen  mächtigen  Umfang  alles  Weiterkommen, 
ausgenommen  über  seinen  Rücken,  versperrt.  —  Be- 
troffen blickten  wir  hinan  —  da  zeigten  sich,  halb  im 
Tannenschatten  versteckt,  ein  Kirchlein  und  ein  paar 
Häuser  auf  dem  Gipfel  des  Berges,  und  dahin  richtete 
sich  nun  unser  Weg,  nachdem  wir  den  Wagen  ver- 
lassen hatten,  von  dem  man  unsere  Pferde  ausgespannt 
und  andere,  die  schon  zu  diesem  Behuf  stets  hier  war- 
ten, vorgelegt  hatte.  Nicht  ohne  Sorge  dachte  ich  an 
die  Beschwerlichkeit,  jetzt  in  der  Mittagsstunde  (es 
war  elf  Uhr)  den  nicht  unbedeutenden  Berg  hinanzu- 
klimmen.  Es  ging  viel  besser,  als  ich  gedacht.  Bald  nah- 
men uns  Waldesschatten  auf,  bald  ruhten  wir  an  einem 
kühlen  Quell,  und  jeder  Blick  zurück  auf  die  besonnten 
Saatfelder,  in  denen  ein  frisches  Lüftchen  wühlte,  das 
auch  unsere  erhitzten  Wangen  fächelte,  jedes  Ein- 
atmen der  reinen  Bergluft  bei  kurzem  Stillestehn  er- 
quickte uns  so  sehr,  daß  wir  nach  einer  guten  Stunde 
zwar  erhitzt,  aber  durchaus  nicht  ermüdet,  gerade  un- 
ter dem  heimisch  klingenden  Mittagsgeläute  auf  den 
kleinen  Platz  vor  der  Kirche  traten,  wo  der  Brunnen 
mit  einem  quellenden  Wasser  plätschert  und  ein  ein- 
faches, aber  reinliches  Wirtshaus  uns  und  unsern  Tie- 
ren Erholung  und  Labung  verhieß. 

Seit  jenem  Male  haben  wir  in  den  folgenden  Jah- 
ren diesen  Weg  noch  öfters  gemacht,  und  einmal  kam 
mir   der  Wunsch    oder ;  vielmehr  meine   Kleine   bat 

'V', 

darum,  mir  ein  Pferd  mit  jenem  bequemen  Sattel,  der 
wie   ein  kleines   Bänkchen  gestaltet,   eigens  für  wall- 

268 


fahrtende  Frauen  bestimmt  ist,  zu  mieten,  und  so  den 
Berg  hinan  zu  reiten.  Die  Kleine  hatte  ich  auf  dem 
Schöße,  und  Pichler,  der  nicht  reiten  wollte,  folgte  zu 
Fuß.  Da  kamen  einige  junge,  wohlgekleidete  Männer 
in  bequemem  Fußwandereranzug,  ihre  Röcke  an  Stök- 
ken  über  den  Schultern  tragend,  den  Berg  herab,  uns 
entgegen.  Sie  betrachteten  uns  und  lachend  riefen  sie 
mir  zu:  „Grüß  dich  Gott,  Maria!"  und  wirklich 
mochte  der  Anbhck  einer  jungen  Frau  mit  einem  Kinde 
auf  dem  Schoß,  auf  einem  Tief,  das  durch  seine  Hal- 
tung dem  Esel  vielleicht  mehr  als  einem  Pferde  glich, 
und  dem  ein  Mann,  der  Vater  und  Gatte,  zu  Fuße 
folgte  —  wohl  die  Vorstellung  einer  Flucht  nach  Ägyp- 
ten in  den  Wanderern  erregt  haben. 

Einen  hohen  Berg  hat  man  erstiegen,  aber  so  wie 
man  zu  dem  Brunnen  hintritt,  erhebt  sich  vor  dem  er- 
staunten Blick  ein  noch  viel  höherer  Riese,  der  mäch- 
tige Ötscher,  der  uns  hier  mit  seiner  seitwärts,  wie  an 
einer  Männernachtmütze,  geneigten  Spitze  gegenüber 
steht.  Nun  ist  man  recht  in  der  Gebirgswelt  darin,  und 
immer  folgen  schönere  Naturszenen. 

Wir  überstiegen  nun  auch  den  Joachims-  und  Jo- 
sefsberg; denn  alle  Bergspitzen  tragen  hier  Namen 
aus  der  heihgen  Sippschaft,  und  der  letzte  ist  der  höchste 
und  schönste.  Auf  jedem  Gipfel  dieser  Berge  stehen 
Kapellen,  und  überall  knien  betende  Wallfahrter  und 
werden  Heiligenbilder  u.  dgl.  zum  Verkauf  ausgeboten. 

Auf  der  Spitze  des  Josefsberges  findet  man  seine 
Kutsche  und  Pferde  wieder,  die  Vorspann  wird  zurück- 
gesandt, und  nun  geht  es  über  noch  zwei,  aber  minder 
hohe  Berge  nach  Maria  Zell. 

Durch  Waldesschatten,  an  rascheii  Bächen,  in  engen 
Tälern,  neben  Eisenwerken  führt  auch  dieser  Teil  des 

269 


/ 


Weges  hin,  bis  sich  plötzlich  das  weite  Tal  öffnet,  in 
welchem  der  Wallfahrtsort  liegt. 

Jetzt,  nach  dem  großen  Brande,  der  vor  mehreren 
Jahren  den  ganz^Ort  in  Asche  legte **^),  soll  alles  ganz 
anders  sein ;  aber  wie  mich  manche  Reisende  versichern, 
zwar  stattlicher  und  moderner,  doch  bei  weitem  nicht 
mehr  so  heimlich  und  ansprechend  als  ehemals  aus- 
sehen. Ich  bin  seit  i6,  17  Jahren  ungefähr  nicht  mehr 
dort  gewesen,  und  schildere  also  bloß,  wie  ich  es  da- 
mals gefunden  und  e'mpfunden. 

Aus  engen  Wegen,  die  durch  Waldesdunkel  und 
Felsen  führen,  kommt  man  heraus  —  und  nun  liegt  ein 
weites  freundliches  Tal  vor  uns,  ringsumher  von  be- 
grünten Bergen  umschirmt,  mit  einzelnen  Wohnungen 
belebt,  die  hier  und  dort  aus  Büschen  hervorschauen, 
und  im  Hintergrunde  glänzt  uns  auf  der  halben  Höhe 
des  Berges  die  Wallfahrtskirche,  das  Ziel  unserer  Wan- 
derung, im  Abendschein,  der  an  den  Türmen  spielt, 
entgegen.  Kann  das  nicht  recht  zum  Bild  der  ganzen 
Reise  dienen  ?  Mühsam  windet  sich  der  Pilger,  der  Ab- 
hilfe seiner  geistigen  oder  körperlichen  Schmerzen  am 
Gnadenorte  sucht,  durch  die  engen  Wege  und  beschwer- 
lichen Berge  wie  durch  die  Leiden,  welche  ihm  Gott 
auferlegte,  hindurch.  —  Der  letzte  Teil  der  Reise  ist 
der  beschwerlichste,  so  wie  fortwährende  Leiden  dem 
Ermüdeten  immer  drückender  werden.  Aber  nun  hat 
er  den  Gnadenort  erreicht,  nun  weichen  die  einengen- 
den Wälder  und  Felsen  zurück,  nun  ebnet  sich  der 
Pfad,  der  vorher  mühevoll  über  Berge  führte,  Heiter- 
keit im  weit  offenen  Talgrund  und  Ruhe  im  Gold- 
schimmer des  Abends  empfängt  ihn,  und  der  helle 
Schein  glänzt  von  der  Kirche  her,  woher  er  eben  seinen 
Trost  oder  seine  Heilung  zu  hoffen  hat. 

270 


Das  waren  die  Empfindungen  und  Betrachtungen, 
die  sich  in  mir  regten,  während  wir  auf  gutgebahnter 
Straß  ein  den  reinhchen,  freundHchen  Marktflecken 
hineinfuhren,  und  an  einem  der  vielen  guten  und  mit- 
unter stattlichen  Wirtshäuser  stille  hielten.  Während 
dessen  war  die  Sonne  längst  hinab  hinter  die  hohen 
Berge  (es  war  in  der  ersten  Hälfte  des  August,  wo  sie 
nach  7  Uhr  unterzugehen  pflegt),  die  Dämmerung  la- 
gerte bereits  über  den  fernem  tiefern  Tälern,  nur  die 
Türme  der  hochgelegenen  Kirche  faßten  noch  die 
letzten  Strahlen,  und  als  jetzt  das  Abendgeläute  von 
ihnen  herab  zu  erklingen  begann,  um  die  ganze,  nach 
den  Lasten  des  Tages  in  Stille  und  Frieden  daliegende 
Gegend  zum  Gebet  aufzufordern,  da  drängte  es  auch 
uns,  in  die  stille,  einsame  Kirche  einzutreten,  die  übri- 
gens, meinem  Geschmack  nach,  gar  nichts  Schönes  uiid 
Erhebendes  in  ihrem  Äußern  hat,  und  wo  bloß  der  kleine 
mittlere  Turm  und  ein  altes  Schnitzwerk  über  der 
ebenfalls  alten,  laubenähnlichen  Pforte  an  jene  längst- 
verflossene Zeit  erinnert,  wo  die  beiden  Fürsten  Lud- 
wig, König  in  Ungarn  und  Heinrich,  Markgraf  von 
Mähren,  deren  Statuen  am  Eingang  der  Kirche  stehen, 
den  Gnadenort  entdeckten  und  begründeten**^).  Desto 
überraschender  und  ergreifender  wirkte  das  Innere  der 
Kirche  auf  mich.  Es  war  bereits  dunkel  in  dem  hohen 
geräumigen  Gewölbe  —  nur  wenige  Beter  knieten  hier 
und  da  auf  den  Bänken  oder  lagen' ausgestreckt  auf  der 
Erde.  Aber  tiefer  darin,  dort,  wo  mitten  in  der  großen 
Kirche  die  kleine  Felsenkapelle  und  in  ihr  das  Bildnis 
der  heiligen  Jungfrau  steht  —  dort  strömte  ein  heller 
Lichtglanz  aus  und  wir  folgten  dem  Schimmer,  der  uns 
anzog  und  leitete.  Er  kam  von  diesem  Bild  oder  eigent- 
lich von  dem  ^  hellerleuchteten  Altar,  dessen  Lichter 

271 


und  Lampen  sich  in  dem  Glanz  des  Goldes  und  Sil- 
bers, der  ihn  schmückte,  noch  verdoppelten,  und  um 
die  Kapelle  her  standen  Engelgestalten  aus  Silber  ge- 
formt auf  hohen  Fußgestellen,  deren  jede  eine  Lampe 
trug  und  ihr  Licht  mit  den  blendenderen  in  der  Ka- 
pelle vereinigten.  So  strömte  also  aller  Glanz,  alle 
HerrHchkeit  gleichsam  von  der  Hochgebenedeiten  aus, 
und  unwillkürlich  ergriff  ein  erhebendes,  andächtiges 
Gefühl  jedes  Herz,  das  sich  hier  dem  Heiligtum  nahte. 

Ich  habe  später  die  Empfindungen,  welche  auf 
dieser  ganzen  Reise  und  in  der  Kirche  selbst  mein  Herz 
beschäftigten,  in  der  Romanze :  Maria  Zell,  welche  der 
Legende  gemäß  den  Ursprung  des  Gotteshauses  er- 
zählt, beschrieben**'). 

Von  Zell  fuhren  wir  dann  noch  weiter  in  die  Steier- 
mark hinein,  einen  reizenden  Weg  durchs  Mürz-  und 
Murtal  bis  Leoben,  wo  eine  Schwester  meines  Mannes 
mit  ihrem  Gatten,  dem  Konsistorialkanzler  des  Bis- 
tums, und  einer  blühenden,  recht  liebenswürdigen 
Tochter  von  17 — 18  Jahren  lebte.  Aufs  Liebevollste 
empfangen,  brachten  wir  ein  paar  Tage  dort  zu  und 
gewannen  diese  Nichte  so  lieb,  daß  wir  beschlossen,  die 
Eltern  zu  bitten,  sie  uns  für  einige  Zeit  nach  Wien  zu 
geben,  was  denn  auch  im  nächsten  Winter  geschah,  und 
sehr  zu  der  Annehmlichkeit  unsers  häuslichen  und  ge- 
selligen Lebens  beitrug. 

Der  Winter  von  1804  auf  1805  war  auf  die  oben  ge- 
schilderte Weise  dahin  gegangen.  Im  nächstfolgenden 
Sommer  führten  wir,  ebenfalls  über  Maria  Zell,  das 
uns  so  sehr  angezogen  hatte,  die  gute  Nichte,  unsere  liebe 
Charlotte  (denn  in  unserm  Hause  regierte  dieser  Name 
vor  allen,  und  nebst  meiner  Mutter,  Nichte,  Tochter, 
hießen  ich,  Streckfuß  und  Kurländer,  folglich  alle  Glie- 

272 


Maria  Luigi  Carlo  Cherubini 
Anonymer  Stich  (Friedrich  John?)  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


X 


der  des  Hauses,  Pichler  allein  ausgenommen,  nach 
einem  Namen)  wieder  zu  ihren  Eltern  zurück,  nachdem 
sie  beinahe  ein  Jahr  mit  uns  gelebt  hatte  und  uns  allen 
lieb  geworden  war.  Nun  sind  nicht  allein  ihre  beiden 
Eltern,  sondern  auch  sie  bereits  lange  tot,  und  nur  in 
unsern  Erinnerungen  leben  ihre  Bilder  noch. 

Der  Herbst  von  1805  fing  an,  sich  wieder  ernst  und 
furchtbar  zu  gestalten.  Der  Krieg  war  aufs  Neue  aus- 
gebrochen. Große  Zurüstungen  wurden  gemacht, 
aber,  was  man  allgemein  gehofft  und  gewünscht  hatte, 
geschah  nicht.  Dem  Erzherzog  Karl  wurde  das  Kom- 
mando nicht  übergeben,  sondern  dem  General  Mack, 
der  freilich  in  frühern  Feldzügen  sich  als  einen  ver- 
dienstvollen Feldherrn  bewiesen,  dennoch  aber  in  dem, 
italienischen  Kriege  und  bei  der  Annäherung  der 
Feinde  im  Jahre  1 797,  wo  er  zur  Verteidigung  von  Wien 
gerate:;  hatte,  der  Welt  Ursache  zu  gerechtem  Miß- 
trauen, nicht  sowohl  in  seine  Kenntnisse  oder  seine 
Bravour,  als  eigentlich  in  die  Klarheit  und  Unbefangen- 
heit seines  Geistes,  gegeben  hatte.  Denn  seine  heftigen 
Nerven-  und  Kopfleiden  erregten  nicht  ohne  Grund 
die  Mutmaßung,  daß  seiner  Ansicht  oder  seinem  Ur- 
teil nicht  allemal  unbedingt  zu  vertrauen  sei,  und  der 
Erfolg  hat  diese  ängstHche  Besorgnis  nur  zu  sehr  be- 
stätigt **8). 

Ein  abscheuUches  Herbstwetter,  mit  Kälte,  Nebel 
und  unaufhörhchem  Regen,  der  den  ausmarschieren- 
den Truppen  unendlich  beschwerHch  fiel,  war  schon 
das  erste  ungünstige  Vorzeichen  kommender  Un- 
glücksfälle. Des  (damaligen)  Kurfürsten  von  Bayern 
Widerspruch,  der  unsern  Truppen,  dem  Heere  seines 
Kaisers,  den  Durchzug  durch  sein  Land  weigerte,  un- 
ter dem  Vorwand,    daß    sein   Kurprinz    (der   jetzige 


18    c.  P.  I 


273 


König)  sich  in  der  Macht  der  Franzosen,  und  folgl^^i, 
wenn  des  Vaters  Teilnahme  an  deif :  FeindseHgk'eiten 
ihnen  mißfiele  **'),  in  Gefahr  befände,  war  def.fweite 
Schlag,  und  mit  ängstlich  besorgtem  Gemüte  bHcktö 
man  einer  Zukunft  und  der  Entscheidung  eines  Feld- 
zuges entgegen,  welcher  schon  unter  so  ungünstigen 
Umständen  begann. 

Napoleon  hatte  indessen  schnell  das  Lager  bei  Bou- 
logne  aufgehoben,  und  seine  Armee  marschierte  mit 
Sturmeseile  nach  Deutschland.  Es  fand  die  Affäre  bei 
Ulm  statt,  Mack  ergab  sich  mit  der  ganzen  Armee  *^°), 
das  Kavalleriekorps  ausgenommen,  mit  welchem  sich 
der  Erzherzog  Ferdinand  *^^)  mitten  durch  die  franzö- 
sische Armee  durchschlug,  und  nun  war  das  Unglück 
des  Feldzugs  und  Österreichs  entschieden.  Die  Reste 
unserer  Armee,  die  noch  nicht  ganz  hinausgelangt 
waren,  zogen  sich  mit  der  größten  Schnelligkeit  zurück, 
verfolgt  von  dem  siegreichen,  ungestüm  nachsetzen- 
den Feind;  denn  was  unsere  Armee  getan  hatte,  um 
Bayerns  späterklärte  Neutralität  zu  respektieren,  taten 
die  Preußen  nicht  oder  Napoleon  achtete  nicht  darauf, 
und  so  durchzog  seine  Armee  das  Anspachische  Gebiet 
und  drang  bis  nach  Österreich,  bis  Krems,  wo  der 
wackere  General  Schmidt  ihnen  noch  mit  der  letzten 
Kraft  tapfern  Widerstand  leistete  und  seinen  Helden- 
mut mit  seinem  Tode  besiegelte*^*). 

Mit  Angst,  mit  bangem  Zweifel  und  peinlicher  Er- 
wartung sah  die  Bevölkerung  der  Hauptstadt  der  An- 
näherung der  Feinde  entgegen.  Wieder  wie  1797  wog- 
ten die  Gemüter  im  Sturme  der  Empfindungen  auf 
und  ab.  —  Dableiben  oder  flüchten  ?  nach  Böhmen 
oder  Ungarn  ?  auf  wie  lange  ?  mit  welchen  Mitteln  ? 
welche  Vorkehrungen  hier  zu  treffen  ?    Vergraben  der 

274 


Habseligkeiten  ?  Absendung  des  Kostbarsten  nach 
Ungarn  ?  das  waren  die  ängstlichen  Fragen  und  Zwei- 
fel, welche  sich  der  meisten  Geister  mit  unwidersteh- 
licher Gewalt  bemeistert  hatten,  und  sie  wie  auf  em- 
pörten Wogen  herum  und  oft  gerade  zum  Wider- 
sinnigsten trieben,  das  sie  dann  mit  Hast  ergriffen  und 
zu  ihrem  Schaden  durchsetzten*^^). 

Von  Tag  zu  Tage,  ja  von  Stunde  zu  Stunde  liefen 
beunruhigende  Nachrichten  ein,  und  im  steten  Hin- 
und  Herschwanken  zwischen  Gehen  und  Bleiben  und 
allen  oft  widersprechenden  Maßregeln,  die  man  zu 
treffen  dachte,  vergingen  einige  höchst  bange  Tage. 
Wir  teilten  indes  diese  große  Unruhe  nicht  ganz,  durch 
Erfahrungen  anderer,  besonders  sogenannter  Reichs- 
glieder, belehrt,  und  durch  eigene  Überlegung  hatten 
meine  Mutter  und  wir  bald  die  Überzeugung  gewon- 
nen, daß,  selbst  bei  einer  wirklichen  Invasion  des  Fein- 
des, da  zu  bleiben,  wo  unsere  Häuser,  unser  ganzes  Hab 
und  Gut  gelegen  ist,  gewiß  das  Sicherste  und  Rätlichste 
sei.  Wir  hatten  also  unsern  Entschluß  gefaßt  und  ließen 
nun  mit  Ergebung  in  den  Willen  der  Vorsicht  über 
uns  kommen,  was  kommen  sollte,  fest  überzeugt,  wie 
es  denn  auch  der  Erfolg  bewies,  daß  jene,  welche  sich 
von  Wien  entfernten,  ohne  durch  ihre  Dienst-  oder  an- 
dere Verhältnisse  dazu  bestimmt  zu  sein,  gewiß  ein 
schlimmeres  Los  erwählt  hatten. 

Es  wurden  also  einige  Vorräte  angeschafft,  mit  Mö- 
beln und  Zimmern  die  nötige  Einrichtung  getroffen, 
um  die  ungebetenen  Gäste  aufzunehmen  und  bewirten 
zu  können,  und  so  vernahmen  wir  nach  und  nach  mit 
Bangigkeit,  aber  ohne  eigentlichen  Schrecken,  wie  das 
gefürchtete  Ungetüm  des  feindlichen  Heeres  sich  uns 
immer  näher  wälzte.    An  eine  Verteidigung  der  Stadt 


i8* 


275 


wurde  damals  nicht  gedacht,  und  nur  der  Übergang 
über  die  Donau  sollte  durch  Abbrennen  der  Brücken 
dem  Feinde  erschwert  werden;  dazu  war,  durch  An- 
häufung brennbaren  Stoffes  auf  denselben,  alle  An- 
stalt getroffen  worden,  und  Fürst  Auersperg  war  mit 
Vollziehung  dieser  Maßregel  beauftragt*^).  Der  Hof 
und  die  Dikasterien  hatten  die  Stadt  bereits  verlassen 
und  sich  nach  Ungarn  begeben.  Es  lagen  nur  wenige 
Truppen  mehr  in  Wien,  und  diese  wenigen  waren  mit 
jeder  Minute  des  Befehls  zum  Aufbruch  gewärtig.  Die 
Familie  Richler  lebte  seit  einiger  Zeit  in  der  Kaserne 
derAlservorstadt*^^,  nicht  weit  von  uns,  wo  der  Major 
das  vierte  Bataillon  organisierte.  Da  aber,  so  wie  dies 
den  Befehl  zum  Ausmarsch  erhalten  würde,  die  Frauen 
keinen  Augenblick  länger  in  der  Kaserne  hätten  bleiben 
können,  welche  sogleich  von  den  feindlichen  Truppen 
besetzt  werden  mußte,  hatten  diese  sich  eine  Woh- 
nung in  der  Nähe  gemietet  und  nach  und  nach  alle 
Möbel,  bis  auf  die  allerunentbehrHchsten,  dorthin  brin- 
gen lassen.  Sie  selbst  aber  wollten  den  Gemahl  und 
Schwager  in  diesem  verhängnisvollen  Momente  nicht 
verlassen,  und  wir  übrigen  wünschten  denn  auch  die 
Abende  in  dem  gewohnten  Kreise  zuzubringen,  und  in 
so  kritischen  Tagen,  wo  jedes  sich  nach  Mitteilung  und 
Freundestrost  sehnt,  des  Umgangs  der  werten  Freunde 
nicht  zu  entbehren.  Da  also  Richler  die  Kaserne  nicht 
verließen,  so  brachten  wir  die  Abende,  auf  Koffern  und 
Packkörben  sitzend  oder  auf  einigen  Stühlen,  die  jede 
Familie  sich  von  ihren  Bedienten  nachtragen  ließ,  bei 
ihnen  zu,  und  gerade  dies  Zigeunerartige,  Seltsame  un- 
seres Beisammenseins  würzte  die  Abendunterhaltungen. 
Damals  auch  trat  Herr  von  Weingarten*^^),  der  sich 
späterhin  in  unsern  geselligen  Kreisen  und  in  der  litera- 

276 


rischen  Welt  als  ein  zierlicher  Dichter  zeigte,  mancher- 
lei Aufmerksamkeit  erregte,  und  vor  ein  paar  Jahren 
als  Major  in  einem  traurigen  Zustande  starb,  als  ein 
Jüngling  von  17 — 18  Jahren  ins  Mihtär,  und  zwar 
in  dem  vierten  Bataillon  des  Baron  Richler  ein,  und 
niemand  von  uns  ahnte  die  Auszeichnungen,  die  ihm 
einst  von  geistreichen  Damen  werden  sollten. 

Indessen  waren  die  Feinde  der  Stadt  ganz  nahe  ge- 
kommen. Die  Truppen  erhielten  Befehl,  schleunig 
auszumarschieren  —  der  Augenblick  der  Trennung  war 
da  —  das  Bataillon  und  alles,  was  sonst  noch  von  Mili- 
tär in  Wien  lag,  eilte  über  die  Brücken  hinüber  aufs 
andere  Ufer;  dem  anrückenden  Kaiser  der  Franzosen 
wurde  eine  Deputation  des  Magistrates  und  der  Bür- 
gerschaft entgegengeschickt  (ich  glaube  bis  Siegharts- 
kirchen)  und  ihm  die  Schlüssel  der  Stadt  und  diese  selbst 
seinem  Schutze  übergeben*").  Am  14.  November,  dem 
Vorabende  des  Schutzheiligen  unsers  Landes,  rückten 
—  ein  bitteres  Zusammentreffen!  -^  die  Feinde  in  die 
Stadt  ei^  und  eilten  sogleich  durch  und  um  dieselbe 
an  den  Strom. 

Hier,  glaubte  man  allgemein,  würden  sie  durch 
die  Vernichtung  der  Brücken  sich  aufgehalten  finden, 
und  dieses  Hindernis,  indem  es  ihren  Zorn  reizte, 
könnte  vielleicht  stürmische  Auftritte  wenigstens  in 
jenen  Teilen  der  Vorstädte  veranlassen,  welche  der 
Donau  zunächst  lagen.  —  Ach!  es  lief  alles  ganz  und  gar  ' 
anders  und  sehr  friedlich  ab,  denn  die  Brücke  blieb 
stehen!  Ein  Faktum,  das  man  schwer  begreifen  kann, 
das  aber  leider  doch  wahr  war.  Fürst  Auersperg  hatte 
sich .  unbegreiflicherweise  vom  General  Murat  (König 
von  Neapel)  täuschen  lassen,  als  wäre  das  Nichtabbren- 
nen  der  Brücke  in  den  Bedingungen  der  Übergabe  der 


\ 


Stadt  mit  eingeschlossen  gewesen.  Der  Fürst  nahm  das 
Wort  des  feindhchen  Befehlshabers  als  unbezweifel- 
bare  Wahrheit  an  *^*) ;  die  französische  Armee  eilte  mit 
Sturm^bsschnelligkeit  auf  das  andere  Ufer,  und  alle 
Familien,  welche  teure  Angehörige  unter  den  zuletzt 
entfernten  Truppen  hatten,  zitterten  mit  Recht  für 
diese,  deren  Gefangenschaft  und  vielleicht  üble  Be- 
handlung sie  bei  der  damaligen  Sitte  oder  Unsitte  der 
noch  halbrepublikanischen  Armee  fürchteten.  Einige 
Tage  vergingen,  während  welcher  die  Feinde  in  Wien 
einrückten,  sich  in  der  Stadt  und  den  Vorstädten  aus- 
breiteten, und  dann  erst  vernahm  man,  daß  die  zuletzt 
ausgerückten  österreichischen  Truppen  in  Sicherheit 
waren. 

Es  war  Abend,  der  15.  November,  eine  heitere,  kalte 
Winternacht,  als  man  uns,  wie  wir  im  kleinen  Freundes- 
kreise beisammen  saßen,  die  erste  französische  Einquar- 
tierung meldete.  Alles  stand  für  ihre  Ankunft  vorbe- 
reitet, meine  Mutter  schickte  mich  hinab,  sie  an  der 
Tür  zu  empfangen.  Unwillkürlich  schüttelte  mich  ein 
krampfhafter  Schauer  —  es  war  nicht  Furcht,  denn  was 
hätte  ich  im  menschenvollen  Hause,  wo  sich  viele 
Männer  befanden,  von  ihnen  zu  besorgen  gehabt  ?  es 
war  die  Vorstellung  dieser  schmerzlichen  Lage,  die 
Demütigung  meines  Patriotismus,  das  gehässige  Gefühl 
gegen  diese  Übermütigen,  die  nun  den  Fuß  auf  unsern 
Nacken  setzen  durften!  Zwei  Offiziere,  Männer  von 
mittleren  Jahren,  deren  einer  Derüe,  der  andere  Tr?m- 
h\y  hieß,  jener  Kapitän,  dieser  Major  war,  von  ihren 
Bedienten  begleitet,  welche  vor  der  Türe  die  Pferde 
hielten,  standen  vor  mir.  Ich  begrüßte  sie  französisch 
und  bemerkte  sogleich,  wie  der  heimatliche  Klang 
günstig  auf  sie  wirkte.    Sie  benahmen  sich  artig,  der 

278 


Major  sogar  mit  Feinheit,  und  so  lief  denn  die  erste 
Bewillkommnung  ziemlich  gut  ab.  Beim  Nachtessen 
erschienen  die  Offiziere,  ein  nicht  unangenehmes,  recht 
lebhaftes  Gespräch  entspann  sich.  Sie  kamen  unmittel- 
bar von  Boulogne  nach  Deutschland  in  Eilmärschen 
und  hatten  kaum  die  nötige  Wäsche  und  Fußbeklei- 
dung, weil  alles  auf  dem  forzierten  Marsche  zugrunde 
gegangen  war.  Derüe,  ein  Fünfziger,  wahrscheinlich 
von  gemeiner  Abkunft,  war  mit  Leib  und  Seele  Re- 
publikaner. Der  gebildetere  Major  schien  heller  zu 
sehen.  Jener  nannte,  als  die  Rede  auf  Napoleon  kam, 
ihn :  notre  premier  magistrat.  — ■  II  a  au  moins  de  heiles 
gages!  erwiederte  der  Major. 

So  hatten  wir  denn  das  Schmerzliche  erlebt !  Unsere 
Residenzstadt,  der  Wohnort  der  Kaiser,  der  zweimal 
den  Angriffen  der  Türken  widerstanden  hatte,  war  in 
die  Macht  eines  fremden  Volkes  gefallen,  und  diese 
Blauen,  die  Kinder  einer  Nation,  gegen  welche  ich  von 
Kindheit  an  stets  eine  fast  angeborene  Abneigung  emp- 
funden hatte,  waren  nun  unsere  Sieger  und  Herren! 
Als  ich  ein  paar  Tage  darauf  in  die  Stadt  kam  —  wie 
bitter  war  milr  dieser  Anblick!  Zwar  an  .den  Stadt- 
toren stand  kein  französisches  Militär,  die  Wachtposten 
hier  so  wie  überall  waren  dem  Bürgerkorps,  unserer 
Nationalwache,  übergeben;  aber  diese  verhaßten  Blauen 
schwärmten  überall  herum,  und  —  ich  muß  es  beken- 
nen, wenn  man  es  an  einer  Frau  auch  tadelnswert 
finden  würde,  der  Wunsch  des  Kaisers  Nero,  daß  sie 
doch  alle  nur  einen  Hals  haben  und  ich  ihnen  den  ab- 
schlagen könnte,  stieg  in  mir  auf.  Ich  haßte  sie  aufs 
Bitterste.  Man  erzählte  dann  später,  daß  es  sie  sehr  be- 
fremdet und  ihnen  zugleich  imponiert  habe,  zu  sehen, 
wie   an   dem   Tage  ihres   Einmarsches,   am    14.,   kein 

279 


-->  ^iv^yvi^^-^ 


Kaufladen  geschlossen,  die  Bürgerwachen  überall  auf 
ihrem  Posten  waren  und  die  Einwohnerschaft  still  und 
gemessen,  höchstens  von  Neugier  sichtlich  bewegt,  dem 
Durchmarsch  des  fremden  Heeres  wie  einem  Spektakel 
zusah  *5'). 

Unsere  Einquartierten  verließen  uns  nach  einigen 
Tagen  um,  au  delä  du  Danube,  das  heißt,  nach  Mäh- 
ren zu  eilen;  denn  bei  der  wirklich  unbegreiflichen  U[n-' 
bekanntschaft  der  damaligen  Franzosen  mit  der  Geogra- 
phie fremder  Länder  hieß  ihnen  Korneuburg  u'^d 
Brunn,  der  Manhartsberg  und  das  Riesengebirge  bloß 
au  delä  du  Danube.  Es  kamen  nun,  andere  Truppen, 
und  in  unsere  Vorstadt  ein  holländisches  Regiment, 
dessen  Oberster,  mit  Namen  Bruce  **"),  bei  uns  einquar- 
tiert wurde.  Nichts  war  auffallender  als  der  Kontrast 
der  französischen  und  holländischen  Gestalten,  so  wie 
das  Benehmen  der  Franzosen  und  Holländer  selbst. 
Jene  leichten,  schlanken,  dunklen  Männer,  mit  dunklen, 
lebhaften  Augen  und  sprechenden  Zügen,  wenn  gleich 
das,  was  diese  ^  Züge  aussprachen,  nicht  immer  etwas 
Gutes  oder  Vertrauenerweckendes  war,  hatten  großen, 
starken  Figuren  mit  blonden  Haaren  Platz  gemacht, 
deren  Ehrlichkeit  und  Phlegma,  Wohlsein  und  Arg- 
losigkeit aus  den  freundlichen  Augen  und  den  blühen- 
den Gesichtern  schaute.  Wir  waren  wohl  mit  dem 
Tausche  zufrieden,  und  hatten  an  dem  Obersten  einen 
bescheidenen,  ruhigen  Hausgenossen  und  einen  höchst 
gebildeten  und  artigen  Gast  bei  Tische  und  in  unserm 
Abendkreise  gewonnen.  Von  ihm  erfuhren  wir,  daß 
seine  Famihe  ein  Zweig  des  ehemaligen  schottischen 
Königshauses  war,  der  sich  —  per  varios  casus  —  in 
Holland,  zu  Leyden,  niedergelassen;  daß  aber  fort- 
während ein  Zusammenhang  zwischen  ihnen  und  den 

280 


\ 


Girolamo  Crescentini 

Stich  von  Friedrich  John  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


\ 


Bruces  in  Schottland  erhalten  und  jede  Geburt  eines 
Knaben  dort  gemeldet  werden  müsse.  Wie  oft  sprach 
der  rechtliche,  teilnehmende  Mann  über  die  Zeitum- 
stände offen  mit  uns,  und  über  den  Druck,  den  er  wil- 
lenlos über  ein  fremdes  Land  bringen  helfen  müsse,  in- 
des daheim  in  Holland  derselbe  Druck  auf  ihm  und  den 
Seinigen  laste ! 

Gegen  drei  Wochen  erfreuten  wir  uns  seiner  ange- 
nehmen Gesellschaft,  während  seine  Leute  mit  großer 
Bonhomie  und'  FreundHchkeit  unsern  Dienstleuten 
überall  hilfreich  an  die  Hand  gingen.  Endlich  mußte 
auch  er  uns  verlassen,  die  Schlacht*  von  Austerlitz 
wurde  inzwischen  geschlagen,  das  Schicksal  des  Krieges 
und  somit  das  unsers  Vaterlandes  war  entschieden  *^^)  — 
Tirol,  das  edle,  treue  Land,  schnöde  abgerissen  und  an 
Bayern,  zum  Lohne  der  Abtrünnigkeit,  womit  das 
Münchner  Kabinett  den  Fürsten  Schwarzenberg  *'2), 
der  an  dasselbe  gesendet  worden  war,  hingehalten,  und 
den  Truppen  unsers  Kaisers,  des  damaligen  Reichs- 
oberhauptes,'den  Durchzug  verwehrt  hatte,  hingege- 
ben. 

Wohl  erinnere  i^h  mich  noch  mit  bitterm  und  weh- 
mütigem Gefühl  jener  für  Österreich  und  somit  für 
uns  alle  höchst  traurigen  Epoche.  Es  war  an  dem  Tage, 
als  die  Nachricht  von  jener  Unglücksschlacht  (bei 
Austerlitz)  in  Wien  bekannt  wurde,  daß  ich  zu  einer 
Freundin  (eben  jener  Therese  V.  d.  N.,  die  einst  mei- 
nes Bruders  Frau  hätte  werden  sollen)  gebeten  war,  um 
mit  zwei  merkwürdigen  Männern  jener  Zeit,  mit  dem 
Tonsetzer  Cherubini  und  dem  lieblichen  Sänger  des 
Romeo,  Crescentini,  bei  ihr  zu  speisen.  Die  trübe 
Nachricht,  welche  sich  allmählich  in  der  Stadt  ver- 
breitete, verbitterte  uns  zwar  alles  Vergnügen  einer 

281 


geistreichen  Unterhaltung,  dennoch  blieb  mir  die  Er- 
innerung an  die  Persönlichkeit  und  das  Betragen  dieser 
beiden  merkwürdigen  Künstler  lebhaft  eingeprägt  und 
sehr  wert.  ^ 

Cherubini  *^3)  war  ein  junger  Mann  von  etwa  dreißig 
Jahren.  Ein  feiner  Wuchs  von  mittlerer  Größe  und 
geistreiche  Züge,  welche  den  Italiener  kenntlich  mach- 
ten, zeichneten  sein  Äußeres  vorteilhaft  aus.  Im  Ge- 
spräche zeigte  er  Verstand  und  Bildung  —  mehr,  wie 
gewöhnlich  Kompositoren  besitzen.  Er  erzählte  uns 
viel  von  der  Schreckenszeit  in  Frankreich,  die  er  als  sehr 
junger  Mensch  mit  erlebt,  und  in  allem,  was  und 
wie  er  es  sagte,  zeigte  sich  ein  richtiger  Verstand  und 
feines  Gefühl,  Aber  viel  mehr  und  tiefer  fühlte  ich 
mich  von  Crescentinis  ***)  Wesen  angesprochen.  Auch 
sein  Äußeres  war  vorteilhaft;  etwas  größer  und  bedeu- 
terid  stärker  als  Cherubini,  sprach  sich  in  allem,  was 
und  wie  er  es  sagte,  ein  zartes  Gefühl  und  ein  tiefes 
Gemüt  aus,  dem  ein  Anstrich  von  Melancholie, 
welche  über  sein  ganzes  Wesen  verbreitet  war,  noch 
mehr  Reiz  erteilte.  Mit  warmer  Teilnahme  äußerte 
er  sich  über  das  Unglück,  welches  Österreich  bereits 
getroffen  hatte  und  uns  noch  bevorstand,  und  wenn 
uns  Cherubini  nur  als  ein  feinfühlender  Mensch  von 
der  feindlichen  Partei  schonend  und  billig  gegenüber 
stand,  so  schien  Crescentini  unsere  Sache  zu  der  seini- 
gen gemacht  zu  haben,  und  mit  uns  tief  und  schmerz- 
X"  lieh  zu  fühlen.  Das  gewann  ihm  denn  ganz  meine 
Dankbarkeit,  und  noch  jetzt  denke  ich,  nach  dreißig 
langen  Jahren,  mit  Vergnügen  jener  beiden  interessan- 
ten Bekanntschaften. 

Die  Einquartierungen  wechselten  nun  öfters  in  un- 
serm  Hause,  in  welches  man,  so  wie  überhaupt  in  die 

282 


benachbarten  Häuser,  gern  die  Rekonvaleszenten  ver- 
legte, welche  in  den  Affären  verwundet,  im  nahen 
Spital  geheilt,  und  nun  zu  besserer  Pflege  Bei  den  Ein- 
wohnern einquartiert  wurden  —  ein  Verfah,ren,  wel- 
ches man  auch  im  Jahre  1809  beobachtete.  Nur  einer 
von  diesen  Blessierten,  ein  Stabsoffizier,  Guy  *'^)  mit 
Namen,  zeichnete  sich  unter  den  übrigen  durch  ein 
feineres  Betragen  aus,  und  wurde  denn  auch  wie  der 
holländische  Oberst  in  unsern  Abendzirkeln  einhei- 
misch. Er  war  jung,  wohlgebildet,  artig;  seine  Verwun- 
dung am  Arme,  die  ihm  fremde  Gefälligkeit  notwendig 
machte,  und  ein  etwas  düsterer  Sinn,  gaben  ihm  in 
den  Augen  unserer  jungen  Damen  einen  höheren  Wert, 
und  besonders  zeichnete  ihn  eine  unter  uns,  die  selbst 
durch  Schönheit  und  Geist  vor  allen  strahlte,  Frau  von 
Kempelen,  beifällig  aus,  indes  zu  gleicher  Zeit  unser 
Freund  und  Hausgenosse  Streckfuß  ebenfalls  von  ihr 
angezogen  wurde. 

Ich  besaß  ein  seltenes,  aber  sehr  vorzügliches  In- 
strument, organisiertes  Fortepiano  genannt,  das  zu- 
gleich Klavier  und  Positiv  war,  und  das  man  auf  jede 
dieser  Arten  einzeln  oder  auch  zusammen  benützen 
konnte,  was  denn  einen  sehr  angenehmen  Effekt 
machte,  wenn  der  melodische  Hauch  der  Orgelpfeifen 
sich  mit  den  Saitenklängen  des  Fortepiano  verband. 
Frau  von  Kempelen,  die  Gemahlin  des  Sohns  jener  al- 
ten Freunde  unsers  Hauses,  welche  schon  lange  in  un- 
serer Nähe  lebten,  spielte  sehr  schön  Klavier;  Streck- 
fuß sang  angenehm,  noch  einige  MitgHeder  unseres 
Kreises  und  ich  selbst  waren  musikalisch,  es  wurde  also 
abends  die  Zeit  sehr  oft  mit  Musik  verkürzt;  denn  da- 
mals waren  die  Forderungen  an  die  Leistungen  der 
Dilettanten  nicht  so  hoch  gespannt  als  jetzt,  und  man 

283 


konnte  sich  mit  Beifall  unter  seinen  Freunden  hören 
lassen,  wenn  man  auch  nicht  imstande  war,  eine  Bra- 
vourarie zu  singen  oder  sich  im  Theater  auf  dem  Forte- 
piano  zu  produzieren.  Unser  Franzose  liebte  Musik, 
er  forderte  uns  oft  auf,  welche  zu  machen,  und  mancher 
Faden  mag  sich  damals  aus  den  Augen  der  schönen  Frau 
und  aus  ihren  Tönen  um  sein  Herz  geschlungen  haben. 
Doch  der  Friede  wurde  in  Preßburg  geschlossen  *^^  — 
die  feindlichen  Truppen  bekamen  Befehl,  aufzubre- 
chen —  und  eines  Morgens  war  auf  den  Theater- 
affichen  (vielleicht  nur  aus  Zufall)  eben  der  Tag  der 
Erlösung!  von  Ziegler *^^)  angekündigt,  wo  denn  auch 
die  Last  der  feindlichen  Besatzung  von  uns  ge- 
nommen ward. 


Allmählich  kehrte  wieder  alles  in  sein  gewohntes 
Geleise  zurück.  Im  Jänner  des  Jahres  1806  kain  der 
Hof  aus  Ungarn  zurück  und  der  Kaiser  hielt  einen 
feierlichen  Einzug  in  die  wieder  gewonnene  Stadt.  Die 
Bürgerkorps,  alle  diejenigen,  welche  sich  während  der 
feindlichen  Besitznahme  als  unsere  natürlichen  Be- 
schützer erwiesen  hatten,  genossen  auch  der  Ehre,  den 
Monarchen  zu  empfangen.  Ihre  zahlreichen  Scharen 
waren  bis  in  die  Leopoldstadt  aufgestellt,  und  ein  herz- 
liches und  lautes  Jubelgeschrei  verkündete  und  beglei- 
tete den  Einzug  des  Monarchen,  dessen  erster  Weg 
nach  der  St.  Stephanskirche  zum  Tedeum  war.  Es  war 
ein  schöner  Tag  —  dieser  Tag  der  feierlichen  Rück- 
kehr! *^^)  —  Meinem  Gefühle  nach  wurde  er  von  einem 
ähnlichen,  aber  viel  merkwürdigem,  am  27.  November 
1809  weit  übertroffen.  Doch  davon  später.  —  Unser 
Leben  gestaltete  sich,  seit  die  Feinde  entfernt  waren. 


284 


äi^Ji^xMi 


wieder  auf  seine  gewohnte  Weise,  aber  im  Innern  eini- 
ger.; Gemüter  waren  bedeutende  i  Veränderungen  vor- 
gegangen, toie  Neigung,  w^elche  Frau  v.  K.  zuerst  für 
unsern  liebenswürdigen  Dichter  gefühlt,  hatte  ant- 
worteiid^  Flammen  in  seiner  Brust  entzündet.  Zu 
seinem  und  ihrem  Glücke^  hatte  diese  Leidenschaft 
seine  klare  Besonnenheit  und  den  redlichen  Ernst  sei- 
ner Gesinnung  nicht  überwältigen  können.  Er  emp- 
fand die  Gefahr,  die  ihm  und  ihr  drohte,  er  ehrte  ihr  / 
häusliches  Glück,  ihren  Ruf,  und  er  beschloß,  sich  los- 
zureißen, Wien  zu  verlassen  und  nach  seiner  Vater- 
stadt Zeitz  zurückzukehren.  Wer  den  jungen  Mann 
so  kannte  wie  ich  und  einige  wenige  in  unserm  Kreise, 
wer  wußte,  wie  angenehm  er  hier  in  der  großen  Stadt 
in  mannigfachen  geselHgen  und  literarischen  Bezie- 
hungen, geliebt  und  geachtet  von  allen,  die  ihn  kann- 
ten, so  recht  nach  seinem  Sinn  gelebt  hatte,  der  konnte 
die  Größe  des  Opfers,  das  er  dem  anerkannt  Rechten 
brachte,  ermessen.  Freilich,  nach  der  damals  begin- 
nenden und  jetzt  allgemein  gewordenen  Mode  war  es 
nicht.  Dann  hätte  er  bleiben,  die  unüberwindliche 
Leidenschaft  hegen  und  pflegen,  Szenen  veranlassen, 
die  Ehe  zerreißen-  machen,  und  vielleicht  am  Ende 
durch  einen  Selbst-  oder  Wechselmord  das  moderne 
Trauerspiel  beschließen  sollen.  Davon  tat  nun  freihch 
Streckfuß  nichts ;  —  aber  er  handelte  als  rechtlicher 
Mensch. 

Uns  übrigen  tat  sein  Entschluß  sehr  wehe.  Wir 
hatten  uns  mit  Liebe  an  ihn  gewöhnt;  wir  hatten  ge- 
hofft, er  sollte  hier  in  Wien  sich  mit  seinen  bedeutenden 
Talenten  eine  ehrenvolle  Bahn  eröffnen,  wie  er  es 
später  in  Dresden  und  BerHn  wirkHch  getan,  und  auf 
diese   Weise   bei   seinen   hiesigen    Ffeunden    bleiben. 


^ 


Aber  keines  von  uns  konnte  ihm  seinen  Entschluß  ver- 
denken, wir  mußten  ihn  darum  nur  höher  achten,  und 
so  sahen  wir  denn  mit  schmerzlichem  Vorgefühl  der 
nahen  Abreise  des  werten  Freundes  still  gefaßt  ent- 
gegen. 

Es  war  der  ii.  April  1806,  ein  Freitag.  Ich  weiß 
es  noch,  als  wäre  es  gestern  gewesen,  da  saßen  wir  alle, 
die  Freundinnen,  welche  uns  täghch  besuchten,  und 
ich  um  meine  Mutter  her,  neben  deren  Kanapee 
Streckfuß  seinen  gewöhnlichen  Platz  einnahm,  in  stil- 
ler, banger  Erwartung  des  kommenden  Augenblicks, 
der  uns,  wie  wir  nicht  mit  Unrecht  dachten,  den  Freund 
für  immer  zu  entziehen  bestimmt  war.  Es  schlug 
7  Uhr  —  da  sprang  Streckfuß  auf  —  umarmte  uns 
alle  mit  einzelnen  Lauten  von  Lebewohl  —  und  ver- 
schwand. Erst  acht  Jahre  darauf  sahen  wir  ihn  ganz 
unvermutet  im  Kongreßwinter  wieder**^). 

In  unserm  Kreise  war  nun  eine  große  Lücke  gelassen. 
Sie  hat  sich  auf  diese  Art,  in  diesem  Sinne  nie  mehr 
ausgefüllt,  wie  denn  kein  Mensch,  und  wäre  er  auch 
nicht  so  ausgezeichnet  wie  Streckfuß,  je  ganz  durch 
einen  andern  ersetzt  wird.  Dieser  Rempla9ant  kann 
manche  bessere,  angenehmere  Eigenschaften  haben, 
der  Abgegangene  ist  er  doch  nicht.  Hier  fehlt  etwas 
—  dort  ist  etwas  zu  viel.  Das  merkt  man  im  Anfange 
gleich  und  oft  schmerzlich.  Nach  und  nach  gewöhnt 
man  sich  an  diese  neue  Persönlichkeit,  und  beruhigt 
sich  über  das,  was  nicht  mehr  so  ist  wie  das  früher  Da- 
gewesene. Ist  aber  der  Entrissene  ein  Ausgezeichneter, 
sind  uns  seine  trefflichen  Eigenschaften  im  nähern 
Umgange  recht  klar  geworden,  haben  wir  uns  mit 
Liebe  an  ihn  gewöhnt,  und  sind  wir  versichert,  daß 
auch  er  uns  liebevoll  in  sein  Herz  geschlossen,  dann 

286 


'LM 


handelt  es  sich  beim  Verluste  nicht  um  die  oder  jene 
einzelne  Eigenschaft,  die  der  Freund  besaß  und  die  wir 
fortwährend  vermissen,  sondern  die  Lücke  bleibt  ganz 
unausfüllbar,  und  nach  dreißig  Jahren  lebt  in  dem 
Entfernten  wie  in  dem  Zurückgebliebenen  noch  die- 
selbe Überzeugung  wie  dieselbe  Freundschaft  fort. 


Mein  Mann  hatte  durch  die  Art  seiner  Geschäfte 
öfters  Veranlassung,  kleine  Reisen  in  den  Gebirgen 
von  Unter-Österreich  und  Steiermark  zu  machen,  wo 
er  die  Wälder  zu  besehen,  von  Kreis-  und  Forstbeam- 
teri  begleitet,  die  Lokalitäten  zum  Fällen,,  und  zur 
Transportation  des  Brennholzes  für  den  Bedarf  der 
Hauptstadt  und  die  nötigen  Vorrichtungen  und  Vor- 
kehrungen zu  diesem  Zwecke  anzuordnen  hatte.  Auch 
in  diesem  Sommer  von  1806  fiel  eine  solche,  etwas  län- 
gere Reise  vor*'"),  und  diesmal  nahm  Pichler  auch 
mich,  meine  Mutter,  die  sich  nicht  gern  von  uns  tren- 
nen mochte,  und  für  ihr  Alter  noch  sehr  rüstig  war,  und 
unser  kleines  Töchterchen  mit.  Auch  eine  liebens- 
würdige Freundin,  Frau  v.  S — ^1*'^),  die  aus  Ober- 
Österreich  gebürtig  war,  seit  ihrer  Verheiratung  in 
Wien  gelebt  hatte,  und  im  vergangenen  Winter  Witwe 
geworden  war,  wollte  mit  uns  zu  gleicher  Zeit  einen 
Teil  dieser  Reise  machen.  Eine  Unpäßlichkeit  hinderte 
unsere  gleichzeitige  Abreise,  ich  traf  sie  erst  in  Linz 
wieder,  und  wir  hielten  uns,  während  Pichler  seine 
Exkursionen  machte,  bei  dem  Lehrer  meiner  Jugend, 
jenem  Bischof  von  Linz,  den  ich  das  erstemal  14  Jahre 
früher  mit  meinen  Eltern  und  meinem  Bruder  besucht 
hatte,  auf  seinem  Schlosse  Gleink,  unfern  von  Enns, 
auf.    Ein  stiller,  einsamer  Aufenthalt,  der  uns  ein  ge- 

287 


wisses  wehmütiges  Gefühl  gab.  Bischof  Gall  war  wohl 
noch  ganz  derselbe  treue  Freund  und  gütig  aufmerk- 
same Wirt  für  uns,  der  er  in  jener  Epoche  gewesen; 
aber  seine  Geistesheiterkeit  und  seine  körperliche  Ge-  ' 
sundheit  hatten  durch  die  Zufälle,  Schrecken  und  Be- 
fürchtungen der  langen  Kriegsjahre,  welche  früher 
seine  Familie  in  Schwaben,  und  ihn  nun  selbst  bei  zwei 
Invasionen  in  Oberösterreich  getroffen  hatten,  so  sehr . 
gehtten,  daß  wir  uns  die  traurige  Überzeugung  nicht 
verhehlen  konnten,  der  verehrte  Freund  wanke  dem 
Grabe  zu,  und  wir  sehen  ihn  —  obwohl  sein  Alter  noch 
vieles  hätte  können  hoffen  lassen  (er  hatte  die  Fünfzig 
kaum  überschritten),  diesmal  zum  letzten  Male.  Die- 
sem Manne  hatte  und  habe  ich  viel  zu  verdanken.  Er 
war  mein  Lehrer  in  der  Religion  und  der  nahe  damit 
verwandten  Naturlehre;  er  pflanzte  Keime  in  mein 
Herz,  die  spät  noch  mir  segensreiche  Früchte  der 
Gottergebenheit  und  Zufriedenheit  trugen.  Dort  — 
wo  er  schon  lange  ist  und  ich  ihm  wohl  bald  nachfolgen 
werde,  wird  ihn  Gott  dafür  belohnt  haben;  denn  er 
hat  nicht  bloß  an  mir,  sondern  an  vielen  Gutes  geübt, 
und  das  Land  segnet  noch  sein  Andenken. 

Auf  jener  Reise  kamen  wir  auch  nach  Stift  Flo- 
rian, wo  ich  14  Jahre  früher  ebenfalls  gewesen  war, ' 
als  eben  der  Prälat  Michael  Ziegler  *'2),  der  uns  jetzt 
1 806  wieder  aufnahm,  zu  seiner  Würde  erhoben  wurde. 
Hier  lernte  ich  auch  den,  nachmals  durch  seine  histo- 
rischen Forschungen  so  sehr  ausgezeichneten  Chor- 
herrn Franz  Kurz*'^  kennen,  wie  denn  überhaupt  in 
diesem  Stifte  Männer  von  hoher  Geistesbildung  und 
mannigfacher  wissenschaftlicher  Richtung  lebten  und 
zum  Teil  noch  leben,  so  daß  es  mich  oft  bedünkte,  ich 
befände  mich  nicht  in  einem  Kloster,  sondern  in  einer 

288 


.»^T'y?r*-*;^«^-H| 


Franz  Kurz 


Leopold  Schulz  pinx.,  Friedrich  Leybold  lith. 
k,  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


Akademie  *'*),  in  der  mehrere  Gelehrte  oder  sonst  ge- 
bildete Männer  sich  in  ihren  Bestrebungen  zu  höhern 
literarischen  Zwecken  vereinigt  hätten.    Auch  für  die 
schönen  Künste  geschah  manches  —  Dichtkunst  und 
Musik  wurde  hier  getrieben,  und  die  Stiftsbibliothek 
hat  vor  andern  ihresgleichen  den  Ruhfn  einer  muster- 
haften Ordnung  und  eines  steten  Fortschreitens  mit 
der  Zeit.   Mit  Herrn  Kürz,  dessen  lebhafte,  geistreiche 
Unterhaltung  mich  sehr  anzog,  war  ich  indessen  in 
ewigem  Streite,  da  seine  klaren,  aber  wohl  etwas  nüch- 
ternen Ansichten  vom  Mittelalter  und  der  Poesie  über- 
haupt, den  meinigen  gerade  entgegengesetzt  waren. 
Den  würdigen  Prälaten,   einen   ebenso  gelehrten   als 
höchst    verehrungswerten    Mann,    belustigte    unsere 
Opposition.    Er  veranlaßte  daher  fast  bei  jeder  Mit- 
tagstafel eine  solche  Erörterung  unter  uns,  und  ging 
im  Scherze  so  weit,  zu  fordern,  ich  sollte  meinen  Streit 
nach  allen  Regeln   der  Dialektik,   nach  den   Schluß- 
formeln des  Barbara  celarent  usw.  führen.    Das  gab 
denn  allen  vielen  Spaß,  und  so  verflossen  in  geistreicher 
Unterhaltung,  in  musikalischen  Genüssen  (jeden  Abend 
nach  dem  Souper,  das  schon  um  7  Uhr  statt  hatte,  wurde 
in  unsern  Zimmern  Musik  gemacht)  und  den  einfachen 
Freuden  des  Landlebens   mir   einige   kösthche  Tage. 
Ich    hatte    damals    eben    angefangen,    an    meinem 
Agathokles  zu  arbeiten.   In  Stift  Florian  erzählte  man 
mir,   daß   der   Schutzpatron   desselben,   jener  gehar- 
nischte Heilige  mit  dem  Wasserkruge,  den  er  über  ein 
Haus  in  Flammen  ausgießt,  und  sich  so  als  ein  Retter  in 
Feuersgefahr  kund  gibt,  und  den  man  in  Österreich 
besonders  auf  dem  Lande  vielfach  abgebildet  und  ver- 
ehrt findet  —  daß  dieser  Heilige  ein  römischer  Zen- 
turio  gewesen,  und  hier  bei  der  Verfolgung  unter  Kai- 


19   c.  P.  I 


289 


ser  Diokletian  in  den  Fluten  der  Enns  den  Martertod 
erlitten  habe.    Das  gefiel  mir,  mein  Plan  zum  Aga- 
thokles  war  noch  nicht  ganz  ausgearbeitet.   Ich  konnte 
die  vaterländische  Legende  recht  wohl  in  denselben 
verweben.   Ich  fragte  also  näher  nach,  und  Herr  Kurz 
hatte  die  Güte,  mir  folgendes  zu  erzählen*'^):    Flori- 
anus  stand  bei  einer  der  römischen  Legionen,  die  ihre 
Kastelle  an  den  Ufern  der  Donau  hatten,  und  war 
wahrscheinlich  in  dem  alten  Laureacum  —  Lorch  — , 
das  sich  von  dem  heutigen  Asten  bis  Enns  erstreckt 
haben  mag,  stationiert.    Seine  Weigerung,  den  Götzen 
zu  opfern,  hatte  ihm  den  Tod  in  den  Fluten  der  Enns 
zugezogen.    Eine  fromme,  christliche  Witwe,  Valeria 
mit  Namen,  ließ  den  Körper  aus  dem  Strom  ziehen 
und  auf  einen  Wagen  legen,  der,  von  Ochsen  gezogen, 
die  teuren  Reste  bis  in  diese  waldigen  Hügel,  wo  jetzt 
das   Stift  liegt,   zur  christlichen  Beerdigung  bringen 
sollte.   Aber  der  Weg  war  weit,  der  Tag  heiß,  die  mü- 
den Tiere,  nach  Wasser  lechzend,  erlagen  fast  der  Er- 
schöpfung.   Da  entsprang  plötzlich  am  Eingang  der 
Waldschlucht   eine    Quelle,    die    Ochsen   wurden   ge- 
tränkt, und  gelangten  nun  ohne  weiteres  Hindernis 
bis  an  den  bestimmten  Ort.  Hier  wurde  der  christHche 
Held  durch  Valeriens  fromme  Sorge,  und  später  auch 
sie  begraben,  und  es  erhob  sich  endhch  ein  bewohnter 
Ort  und  ein  Stift  daselbst,  das  noch  jetzt  keinen  an- 
dern guten  Brunnen,  als  den  durch  jenes  Wunder  ent- 
standenen, unten  im  Markte  besitzt;   denn  für  das 
Stift  bringt  eine  künstHche  und  kostspieHge  Wasser- 
leitung den  Bedarf  aus  einem  eine  Viertelstunde  ent- 
legenen Orte,  Hohenbrunn  genannt. 

In  den  Katakomben  des  Klosters  sind  eine  Menge 
Gebeine  kunstvoll  aufgeschichtet,  und  die  Sage  läßt 

290 


glauben,  daß  es  Gebeine  der  in  dieser  Christenverfol- 
gung umgekommenen  Märtyrer  sind.  Auch  eine  Sta- 
tue der  Valeria  findet  sich  hier,  und  das  Wunder  des 
plötzHch  entspringenden  Wassers,  welches  dem  Heili- 
gen zugeschriebn  wird,  mag  wohl  die  Veranlassung  zu 
seiner  Anrufung  in  Feuersgefahr  gegeben  haben;  denn 
sonst  kommt,  wenigstens  so  viel  mir  bekannt  wurde, 
nichts  vom  Feuerlöschen  in  dieser  Erzählung  vor. 

Mit  großem  Vergnügen  verfolgte  ich  nun  den  Vor- 
satz, diese  Legende  in  den  Stoff  des  Agathokles  zu  ver- 
weben, und  zugleich  eine  kleine  Neckerei  gegen  eben 
den  verehrten  Mann,  dem  ich  die  Erzählung  dankte, 
auszuführen,  und  gleichsam  ihm  zum  Trotze,  der  alle 
Vermischung  der  Poesie  und  Geschichte  als  strenger 
Wahrheitsfreund  haßte,  und  der  neueren  Dichtkunst, 
Ossian  ausgenommen,  überhaupt  abhold  war,  den 
Schutzheiligen  seines  Klosters  und  die  fegend  umher 
als  Episode  in  einen  Roman  zu  verflechten*'^^. 

Überhaupt  war  es  oft,  ja  meistens  etwas  also  Zu- 
fälliges, welches  mir  die  erste  Anregung  zu  irgend  einer 
Ausübung  meiner  Innern  Anlagen  darbot;  wie  denn 
z.  B.  der  ganze  Agathokles  durch  die  Lesung  Gibbons  *''') 
und  meinen  Unwillen  über  dessen  Gesinnung  gegen  das 
Christentum,  die  Gestaltung  desselben  aber  durch  ei- 
nen sehr  schönen  engHschen  Kupferstich,  den  Tod  des 
heiHgen  Stephanus  vorstellend,  veranlaßt  worden  war. 
Auf  diesem  Bilde,  das  in  dem,  damals 'von  unserm  be- 
rühmten Schreyvogel  errichteten  Industriecomptoir*''^ 
zu  sehen  war,  liegt  der  Märtyrer,  ein  JüngKng  von  der 
edelsten  Bildung,  tot  im  Kreise  einiger  trauernden 
Christen,  die  ihn  umgeben,  und  die  Schönheit  dieser 
Gestalt,  die  selige  Verklärung,  v/elche  seine  Züge  zeig- 
ten, und  die  ganze  Idee,  welche  diesem  Bilde  zugrunde 


19» 


291 


l 


lag,  bestimmten  mich,  den  Helden  meines  Romans 
einen  christlichen  Märtyrer  sein  zu  lassen,  der  aus  einem 
erhabenen  Begriff  von  der  Würde  und  Gemeinnützig- 
keit seiner  Religion  sich  für  dieselbe  aufopfert,  und  alle 
Güter  des  Lebens,  selbst  die,  welche  bessern  Menschen 
ewig  teuer  bleiben,  für  diese  Idee  hingibt. 

Wenn  mich  irgend  ein  Gedanke  auf  diese  Art  er- 
griffen hatte,  ging  es  wunderbar  in  meinem  Innern  zu. 
Ich  war  mir  keines  eigentlichen  Nachsinnens,  keines 
Erfindens  bewußt;  ja  ich  möchte  sagen,  mein  Denken, 
mein  ganzer  Zustand  war  etwas  Passives.  Es  war  mir 
stets,  als  läge  das  Ganze  meines  Planes  oder  künftigen 
Werkes  bereits  fertig  in  meiner  Seele.  Da  bedurfte  es 
denn  nur  des  Wiedererkennens,  des  Deutlichmachens, 
und  ich  kann  das,  was  in  meiner  Seele  vorging,  mit  nichts 
passender  als  mit  der  Wiederherstellung  eines  alten 
Bildes  vergleichen.  Dies  ist  auch  schon  ganz  vorhanden, 
und  man  hat  nichts  anders  zu  tun,  als  es  durch  zweck- 
mäßige Mittel  aufzufrischen,  damit  es  erkennbar  werde. 
Wie  zuerst  die  Hauptmotive  anschaulich  werden, 
dann  allmähhch  die  kleinern  Formen  deutlich  hervor- 
treten, nach  und  nach  sick  die  Farben  sichtbar  zeigen, 
bis  endlich  das  ganze  Bild  in  allen  seinen  Umrissen,  in 
Zeichnung,  Kolorit  usw.  vor  unsern  Augen  steht,  so 
enthüllte  sich,  ohne  ein  bewußtes  ferneres  Nachsinnen, 
das  Ganze  wie  von  selbst  allmählich  in  meiner  Seele, 
und  es  kam  mir  stets  wie  etwas  Gegebenes,  nie  wie  etwas 
Erfundenes  vor. 

Dieser  Prozeß,  der  in  der  Seele  jedes  Künstlers  — 
seine  Idee  mag  nun  „in  Wort  oder  Tat,  in  Bild  oder 
Schall"  ins  Leben  treten  —  in  den  Momenten  der  gei- 
stigen Empfängnis  vorgeht,  hat  für  mich  stets  etwas 
Geheimnisvolles,  Rätselhaftes  gehabt,  das  mir  auf  die 

292 


höhere  Abkunft  unserer  Seele,  auf  ihren  Zusammen- 
hang mit  der  gesamten  Geisterwelt  zu  deuten  scheint. 

■  Jene  Menschen,  denen  die  Natur  Anlagen  anderer  Art 
gegeben  hat,  können  sich  keine  Vorstellung  von  dem 
machen,  was  in  der  Seele  eines  Dichters  vorgeht,  ujid 
es  ist  dem  Ähnliches,  was  Fenelon  in  einer  seiner  Be- 
trachtungen über  das  innerliche  Leben  einer  frommen 
Seele  sagt,  daß  nämlich  die  Weltmenschen  das,  was  in 
derselben  vorgeht,  für  einen  Traum,  einen  Wahn  hal- 
ten werden*'^).  Es  gibt  viel  solcher  Rätsel,  und  eines 
derselben,  vielleicht  eines  der  wunderbarsten,  ist 
die  Anlage  zur  Musik  und  Komposition.  In  einem  Auf- 
sätze, den  ich  für  irgend  einen  Almanach  vor  mehreren 
Jahren  geschrieben,  habe  ich  meine  Ansichten  darüber 

,  geäußert*^").  Ich  erinnere  mich  des  genauem  Details 
nicht,  aber  ich  wiederhole  im  allgemeinen,  was  ich  da- 
mals darüber  dachte,  und  was  nachfolgende  Erfahrun- 
gen bestätigt  haben.  Es  liegt  etwas  Wunderbares,  Ge- 
heimnisvolles in  diesem  Sinn  für  Harmonie,  und  noch 
mehr  in  der  Fähigkeit,  selbst  Harmonien  und  Melodien 
zu  schaffen.  Sie  findet  sich  oft  bei  Menschen,  die  außer 
dieser  Himmelsgabe  wenig  geistige  Fähigkeiten  oder 
doch  wenig  Bildung  besitzen.  Sie  selbst  haben  keine 
deutliche  Vorstellung  weder  von  ihren  Anlagen  noch  U 
weniger  von  dem  Prozesse,  der  in  ihrem  Innern  vor-  ) 
geht,  wenn  sie  sich  bestreben,  die  Schöpfungen,  die 
in  ihnen  gären,  durch  Töne  deutlich  zu  machen  oder 
irgend  ein  fremdes  poetisches  Pito4ukt  in  diesen  Tönen 
auszusprechen.  Mozart  und  Haydn,  die  ich  wohl 
kannte,  waren  Menschen,  in  deren  persönlichem  Um- 
gange sich  durchaus  keine  andere  hervorragende  Gei- 
steskraft und  beinahe  keinerlei  Art  von  Geistesbildung, 
von  wissenschaftlicher  oder  höherer  Richtung  zeigte. 

293  • 


Alltägliche  Sinnesart,  platte  Scherze,  und  bei  dem 
ersten  ein  leichtsinniges  Leben,  war  alles,  wodurch  sie- 
sich  im  Umgange  kundgaben,  und  welche  Tiefen,  welche 
Welten  von  Phantasie,  Harmonie,  Melodie  und  Ge- 
fühl lagen  doch  in  dieser  unscheinbaren  Hülle  verbor- 
gen! Durch  welche  innere  Offenbarungen  kam  ihnen 
das  Verständnis,  wie  sie  es  angreifen  müßten,  um 
so  gewaltige  Effekte  hervorzubringen,,  und  Gefühle, 
Gedanken,  Leidenschaften  in  Tönen  auszudrücken, 
daß  jeder  Zuhörer  dasselbe  mit  ihnen  zu  fühlen  ge- 
zwungen^ und  auch  in  ihm  das  Gemüt  aufs  tiefste 
angesprochen  wird? 

Auch  Schubert  habe  ich  gekannt.  —  Auf  ihn  paßte, 
was  seine  übrigen  Fähigkeiten  betrifft,  genau  dasselbe, 
was  ich  von  jenen  beiden  großen  Genien  sagte.  Auch 
er  brachte  das  Schöne,  das  Ergreifende  seiner  Kom- 
positionen fast  unbewußt  hervor,  ja,  ich  darf  mich  hier 
auf  eine  Anekdote  berufen,  die  ich  aus  unsers  be- 
rühmten Sängers  Vogl*^i)  eigenem  Munde  habe.  — 
Das,  was  er  vor  vor  einigen  Wochen  aus  der  Tiefe 
seines  Gefühls  hervorgeströmt  hatte,  ein  sehr  schön 
komponiertes  Lied,  kannte  er  nicht  mehr,  als  es  ihm 
Vogl  zeigte,  und  lobte  den  Satz,  wie  etwas  aus  einer 
fremden  Seele  Entsprungenes,  ganz  aufrichtig *^^).  So 
bewußtlos,  so  unwillkürlich  sind  diese  Hervorbringun- 
gen, und  man  kann  nicht  umhin,  hier  an  magnetische 
Zustände  und  jene  geheimnisvollen  Fähigkeiten  der 
Psyche  zu  denken,  die  in  ihr,  wie  die  SchmetterHngs- 
flügel  in  der  Puppe  verschlossen  und  zusammengewickelt 
liegen,  bis  sie  sie  einst,  wenn  die  Puppe  zerbrochen  wird, 
entfalten  darf.  Hier  in  ihrem  beengten  Zustande  ahnt 
sie  nur  in  einzelnen  Augenblicken,  in  Wahrnehmun- 
gen etwas  davon,  und  diese  Augenblicke  sind  es  wohl, 

294 


..jijuä 


yon  denen  Fenelon  spricht,  und  die  der  Weltmensch 
verlacht,  weil  er  sie  nicht  kennt. 

Nachdem  ich  dies  vor  einigen  Tagen  geschrieben, 
geriet  ich  in  Eckermanns  Gesprächen  mit  Goethe  auf 
eine  Äußerung*^  dieses  großen  Mannes,  daß  nämlich 
„dem  echten  Dichter  die  Kenntnis  der  Welt  angeboren 
sei",  daß  er  selbst  seinen  Götz  geschrieben,  ohne  das, 
was  er  schilderte,  erlebt  oder  gesehen  zu  haben,  und 
daß  er  später  über  die  Wahrheit  dieser  Darstellung  er- 
staunt sei,  er  müsse  also  diese  Anschauungen  durch 
Antizipation  besessen  haben,  ja  er  behauptete,  daß, 
„hätte  er  nicht  die  Welt  durch  Antizipation  in  sich 
getragen,  alle  seine  Erforschung  und  Erfahrung  ein 
totes,  vergebHches  Bemühen  gewesen  wäre".  Sollte 
man,  indem,  ein  so  mysteriöses  Verfahren  der  Seele  an- 
gedeutet wird,  nicht,  lieber  die  Bezeichnungen  aus  der 
gewöhnlichen  Welt  mit  denen  aus  einer  höhern  ver- 
tauschen dürfen,  und,  was  Goethe  klar  und  trocken  — 
aber  wie  mir  scheint,  nicht  erschöpfend  Antizipation 
nennt,  lieber  mit  Inspiration  bezeichnen  ?  Inspiriert 
sind  diese  Anschauungen,  sie  sind  dem  Dichter,  ohne 
daß  er  weiß  woher  oder  wozu,  zugekommen,  und  auf 
ihrer  Stärke,  Deutlichkeit  und  ihrem  Umfang  beruht, 
wie  ich  glaube,  die  größere  oder  gerin'gere  Kraft  des 
Dichters.  Im  Grunde  ist  es  wohl  gleichgültig,  ob  man 
nun,  dies  geheimnisvolle  Wirken  in  der  Seele  des  Dich- 
ters zu  bezeichnen,  sich  des  Wortes  Antizipation  oder 
Inspiration  bediene;  aber  selbstzufrieden  und  vergnügt 
war  ich  durch  die  Entdeckung,  daß  dieser  große  Mann 
ähnliche  Wahrnehmungen  hatte  und  mit  mir  darin 
übereinstimmt. 

Noch  muß  ich,  bei  Gelegenheit  des  Sinnes  für  Mu- 
sik und  Komposition  eine  Bemerkung  anführen,  die  ich 

295 


vor  langer  Zeit  bereits  gemaclit,  und  auch  manchen 
gebildeten  Menschen  mitgeteilt  habe,  ohne  von  ihnen 
eine  genügende  Erklärung  über  eine,  wie  mir  es  scheint, 
sonderbare  Erscheinung  zu  erhalten,  diese  nämlich,  daß 
unter  so  vielen  Frauenzimmern,  die  sich  mit  exekutiver 
Musik  auf  dem  Klavier,  auf  andern  Instrumenten 
oder  im  Gesang  mit  vielem  Glück  beschäftigten,  unter 
so  vielen  geistreichen  Künstlerinnen,  die  sich  in  der 
Malerei  oder  Dichtkunst  auszeichneten,  auch  nicht 
eine  ist,  die  mit  bedeutendem  Erfolge  etv/as  in  der  mu- 
sikaKschen  Komposition  geleistet  hat.  Nur  zvv^ei  habe 
ich  in  meinem  langen  Leben  und  bei  besonders  in  mei- 
ner Jugend  häufigen  Berührungen  mit  der  musikali- 
schen Welt  gekannt,  die  sich  mit  Komposition  beschäf- 
tigten, ein  Fräulein  von  Martinez,  Schülerin  des  berühm- 
ten Metastasio,  der  bei  ihren  Eltern  lebte  und  sich  die 
Ausbildung  dieses,  in  vieler  Hinsicht  ausgezeichneten 
Frauenzimmers  zum  angenehmen  Geschäft  machte; 
und  meine  Freundin,  das  blinde  Fräulein  von  Paradis. 
Beide  leisteten  Artiges,  aber  es  erhob  sich  nicht  über 
—  ja  kaum  an  das  Mittelmäßige,  w^ährend  doch  in 
Malerei  und  Poesie  Frauen,  v^^enn  auch  nichts  den  Wer- 
ken der  ersten  Meister  in  diesen  Fächern  zu  Verglei- 
chendes, doch  vieles  auch  an  sich  und  ohne  Rücksicht 
auf  das  Geschlecht  Schätzbare  hervorgebracht  haben. 
Sollte  man  aber  nicht  glauben,  daß  gerade  dies  Be- 
wußtlose, bloß  auf  innern  Regungen,  auf  Gefühl  und 
Phantasie  Beruhende  der  Musik,  dem  weiblichen  Cha- 
rakter besser  zusagte  als  die  Leistungen  im  Gebiete  der 
Malerei  und  Dichtkunst,  welche  Vorkenntnisse,  deut- 
liche Begriffe,  technische  Fertigkeiten  usw.  voraus- 
setzen ?  Es  muß  doch  nicht  also  sein,  weil  wir  bis  jetzt 
wohl  eine  Sirani^^*),  Rosalba*^^),  Angelica  Kaufmann *^^), 

296 


Lebrun^^')  usw.  —  aber  keine  nur  einigermaßen  bedeu- 
tende Tonsetzerin  erlebt  haben.  Doch  ich  nehme  den 
Faden  meiner  Erzählung  wieder  auf. 


Im  nächsten  Winter  wurden  unsere  gewöhnlichen' 
Abendunterhaltungen  fortgesetzt,  und  es  fiel  üiis  ein, 
uns  doch  einmal  wieder  im  Komödienspielen  zu  ver- 
suchen. Zuerst  wählten  wir  kleinere  Stücke,  Kotze- 
buesche, ein-  oder  zweiaktige  Lustspiele:  Den  Mann 
von  40  Jahren,  die  Brandschatzung  usw.'*^^.  Endlich 
schlug  uns  Hormayr  vor,  uns  an  ein  bedeutendes  Stück 
zu  wagen.  Der  Mann  von  Wort,  von  Iffland*^^)  wurde 
gewählt,  und  auf  eine  Weise  besetzt  und  gespielt,  wie 
man  es  auf  Haustheatern  selten  finden  wird.  Mein 
Mann,  der  überhaupt  seine  Rollen  stets  mit  vieler 
Kraft  und  Würde  und  einem  guten  Anstände  gab, 
wobei  ihm  seine  vorteilhafte  Gestalt  sehr  zu  statten 
kam,  gab  den  Archivar  Lestang,  die  Titelrolle,  vor- 
trefflich; der  Verfasser  des  Regulus,  Collin  —  den 
blödsinnigen  Oheim;  der  Verfasser  des  österreichischen 
Plutarchs,  Hormayr,  den  Hofrat  Wallner;  Frau  von 
Kempelen,  jene  interessante  und  schöne  Gemahlin 
des  Jugendfreundes  von  meinem  seligen  Bruder,  welche 
schon  dem  dichterischen  Freunde  Streckfuß  so  ge- 
fährlich gewesen  war,  und  in  deren  Nähe  auch  Hor- 
mayr sich  nicht  gleichgültig  erhalten  konnte,  hatte  die 
Rolle  der  Julie,  der  Pflegetochter  des  Hofrats;  mir 
ward  die  der  Frau  des  Archivars  zuteil,  und  auch  die 
übrigen  Personen  machten  ihre  Sachen  gut.  Wir  hatten 
beschlossen,  das  Stück  zum  Namenstage  meiner  Mutter 
zu  geben,  der  auch  der  meinige  und  der  meines  Töch- 
terchens war,  welche  einen,  von  unserm  alten  Freund 

297 


Haschka  gedichteten  Prolog  sprach,  und  so  geschah  es 
auch.  Wer  das  Stück  kennt,  wird  sich  erinnern,  daß 
jener  blödsinnige  Oheim  seiner  Nichte,  der  Frau  des 
Archivars,  den  Brillant  schenken  will,  der  aus  einer, 
durch  sieben  Jahre  eingesperrten  Kreuzspinne  ent- 
stehen soll  und  an  dessen  Existenz  und  Besitz  er  festig- 
lich  glaubt.  Es  ist  dies  eine  wirklich  rührende  Szene, 
denn  der  gute  Alte  will  sich  seines  vermeinten  un- 
ermeßlichen Schatzes  willig  entäußern,  um  nur  seine 
Nichte  zu  vermögen,  ihrem  Manne  die  schuldige  Treue 
zu  halten.  Collin  hatte,  wie  gesagt,  die  Rolle  des 
Oheims,  die  er  trefflich  durchführte.  Ich,  als  Frau 
seines  Neffen,  war  mit  ihm  auf  dem  Theater,  und  er 
zog  nun  das  Schächtelchen  mit  der  kostbaren  Spinne 
hervor,  auf  welches  ich,  wie  es  im  Stücke  angegeben 
ist,  das  Jahr  und  den  Tag,  wann  sie  eingefangen  worden 
war,  geschrieben  hatte,  um  CoUin  das  Auswendig- 
lernen dieser  Worte  zu  ersparen.  Man  stelle  sich  meine 
Verwunderung  und  Verlegenheit  vor,  als  der  unver- 
geßliche, teure  Freund  nun  statt  des  in  dem  Stücke 
benannten  Tages  den  vierten  November  nannte,  und 
mit  einer  höchst  verbindHchen  Wendung  einen  Glück- 
wunsch für  drei  Karolinen,  Großmutter,  Mutter  und 
Enkelin  sprach.  Der  Beifall  war  allgemein,  und  nie 
werde  ich  diese  kleine  Szene,  in  welcher  sich  die  Freund- 
schaft des  teuern  Mannes  für  uns  alle  und  seine  wahr- 
haft kindHche  Verehrung  für  meine  treffliche  Mutter 
so  deutlich  aussprach,  vergessen. 

Dieser  Winter  und  der  nächstfolgende  Sommer  ver- 
gingen in  gleich  angenehmen  Verhältnissen.  Unter 
verschiedenen  Fremden,  welche  bei  uns  eingeführt 
wurden,  zeichnete  sich  bald,  durch  seinen  Innern  Ge- 
halt sowohl  als  seinen  warmen  Anteil  an  uns,  ein  Baron 

298 


-rxiüüßJä 


von  Merian-Falkach*^")  aus,  der  in  der  Staatskanzlei  an- 
gestellt und  ein  genauer  Freund  Hormayrs  war,  wel- 
cher ihn  auch  bei  uns  einführte.  Dieser  Mann  war 
ganz  klassische  Literatur,  scharfsinnig,  gelehrt,  wahr- 
haft freundschafthch,  aber  auch  höchst  eigen,  ja  bis* 
zum  Paradoxen  seltsam  in  seinen  Ansichten,  denen  er  . 
übrigens  im  praktischen  Leben  nicht  immer  treu  blieb. 
So  war  es  sein  Lieblingsthema,  daß  eine  Frau  nichts 
oder  nicht  vi^l  lernen  soll,  weü  ihre  Liebenswürdigkeit, 
ihre  Kindlichkeit  usw.  darunter  leiden  würde;  daß 
eine  Frau  ganz  willenlos  dem  Geliebten  anhängen  und 
gleichsam  nur  durch  seinen  Geist  denken,  nur  durch 
und  für  ihn  leben  solle.  Er  haßte  deswegen  weibliche 
Schriftstellerei,  ging  aber  vorzugsweise  gern  mit  meiner 
Mutter,  welche  eine  der  geistreichsten  und  selbstän- 
digsten Frauen  war,  die  nur  je  vorgekommen  und  mit 
mir,  einer  Schriftstellerin,  um.  Er  gefiel  sich  über- 
haupt sehr  in  unserm  Kreise,  ward  bald  einheimisch 
darin  und  blieb  mir  durch  viele  Jahre  ein  verläßlicher, 
treuer  Freund,  dessen  Wärme  eine  langjährige  Ab- 
wesenheit (ich  sah  ihn,  seit  er  uns  i8io  verheß,  nie 
wieder,  und  er  starb  erst  vor  einigen  Jahren)  nicht  er- 
kältet hatte,  und  die  ein  eifriger  Briefwechsel,  durch 
immerwährende  Streitigkeiten  belebt,  stets  aufrecht  . 
erhielt.  Ihn  band  seit  vielen  Jahren  ein  zärtliches  Ver- 
hältnis an  eine  Frau,  von  der  er, stets  den  Ausdruck 
Petrarcas;  Che  sola  a  me  par  donna*^"^),  brauchte.  Ich 
kannte  sie  nicht,  aber  ihren  Briefen  nach  zu  urteilen, 
womit  sie  mich  auf  Merians  Veranlassung  beehrte, 
mußte  sie  wenigstens  eine  sehr  verständige,  gebildete 
Person  sein.  Im  Jahre  1809  kam  sie  endlich  nach  Wien, 
und  man  denke  sich  unser  aller  Erstaunen!  Diese  Laura, 
diese  sola  Donna  war  eine  —  nicht  sehr  hübsche,  nicht 

299 


ganz  junge  Frau,  von  kleinem  Wüchse,  unendlicher 
Beweglichkeit  und  Lebendigkeit,  eine  wirklich  sehr  ge- 
bildete, aber  auch  so  positive  Frau,  daß  unser  guter 
Merian  zu  unser  Aller  Verwunderung  und  Leidwesen 
ganz  unter  ihrem  Pantoffel  stand,  und  solange  sie  in 
Wien  war,  es  auch  nicht  einmal  wagen  durfte,  ohne 
sie  bei  uns  zu  erscheinen.  So  auffallend  wie  dies  Bei- 
spiel sind  freilich  nicht  viele;  dennoch  ist  mir  die  Er- 
scheinung zum  öftern  vorgekommen,  daß  gerade  jene 
Männer,  welche  so  viel  von  der  Sanftmut,  Unterord- 
nung, Hingebung  des  Weibes  sprechen,  wenn  sie  ein- 
mal wählen,  ziemlich  gehorsame  Liebhaber  und  Ehe- 
männer werden;  ja,  daß  sie  schon  von  vornherein  nicht 
leicht  an  einer  Geschmack  finden,  welche  nicht  etwas 
Herrisches  an  sich  hat.  Im  Gegenteile  aber  sind  es 
gerade  die  Haus-  oder  Liebestyrannen  und  die  sich 
einer  unumschränkten  Herrschaft  nicht  bloß  über  die 
Handlungen,  sondern  über  die  Gedanken  und  An- 
sichten ihrer  Geliebten  oder  Frauen  bemächtigen, 
welche  vor  der  Ehe  die  schmiegsamsten,  ehrerbietigsten 
scheinen  und  stets  die  sanfte  Oberherrschaft  der 
Frauen  anzuerkennen  bereit  sein  wollen.  Ich  könnte 
mehrere  anführen,  aber  Exempla  sunt  odiosa. 

Schon  seit  einigen  Jahren  kannten  wir  in  Wien  die 
Trauerspiele  F.  Z.  Werners.  Seine  Söhne  des  Tales ^^^ 
hatten  ungeheures  Aufsehen  erregt  und  alles,  was  sich 
mit  schöner  Literatur  beschäftigte,  aufmerksam  auf 
den,  wie  es  hieß,  noch  jungen  Dichter  gemacht. 
Es  war  die  Zeitepoche,  in  welcher  auch  die  Schlegel, 
Tieck  u.  a.  aufgetreten  waren,  das  sogenannte  Roman- 
tische sich  zuerst  und  zwar  mit  großem  Beifalle  zeigte, 
die  poetische  Poesie  im  Gegensatz  der  bisher  geübten 
und   geschätzten   aufgestellt,   und   viele   Autoritäten, 

300 


die  wir  bisher  verehrt  hatten,  durch:  die  neue  Schule, 
wie  sie  genannt  wurde,  von  ihren  Altären  herabgestürzt 
werden  sollten.  Gar  viele  glaubten  auch  diesem  neuen 
Evangelium;  ungleich  mehrere  aber  ließen  sich  in 
ihrer  biUigen  Verehrung  für  Schiller,  Herder,  Wieland, 
Klopstock  usw.  nicht  irre  machen.  Es  gab  manche, 
die  sogar  behaupteten:  Die  Gebrüder  Schlegel  hätten 
gar  zu  gern  eine  große  Rolle  in  der  gelehrten  Welt 
gespielt,  da  sie  aber  fühlten,  und  —  weil  sie  wirklich 
treffliche  Köpfe  waren  —  auch  deutlich  einsahen,  daß 
sie  auf  produktivem  Wege  neben  den  schon  bestehenden 
Matadoren  in  der  schönen  Literatur  doch  nur  einen 
untergeordneten  Platz  einnehmen  vmrden,  hätten  sie 
sich  auf  die  Kritik  geworfen,  und,  indem  sie  das  bisher 
Verehrte  von  seinem  Standpunkt  herabzuziehen  be- 
müht waren,  Raum  für  sich  und  ihre  Anhänger  zu  ge- 
winnen gesucht,  wie  das  Vaudeville  sagt: 

Les  arbustes  sont  des  chenes, 
Quand  les  chenes  ne  sont  plus. 

Nur  einen  unter  den  Lebenden  ließen  sie  gelten, 
Goethe,  und  indem  sie  ihn  zu  ihrem  Koryphäus  wählten 
und  ihn  mit  einer  Ungeheuern  Portion  Weihrauch  da- 
zu gleichsam  installierten,  suchten  sie  sich  durch  seinen 
Ruhm,  sein  Ansehen  in  Deutschland,  seine  Autorität 
zu  schützen,  sie  flüchteten  unter  den  Schatten  seiner 
Flügel. 

Zugleich  mit  diesen  Bestrebungen,  die  neue  Poesie 
und  Ansicht  auf  Kosten  alles  Alten  geltend  zu  machen, 
dämmerte  auch  ein  gewisser  hyperreHgiöser  Sinn  in  den 
neuen  Erzeugnissen  auf.  Es  war  nicht  eigentliche  Fröm- 
migkeit, Gottesfurcht,  Hinblick  aufs  Ewige;  es  war  ein 
krampfhaft  wundergläubiges  Unterordnen  unter  ver- 
altete Ansichten,  das  sich  mit  krasser  Sinnlichkeit  und 

301 


unlautern  Trieben  ganz  nachbarlich  vertrug.  Unlängst 
war  die  Lucinde,  das  berüchtigte  Buch  von  Friedrich 
von  Schlegel  erschienen,  ihm  v^^aren  nicht  so  grelle,  aber 
höchst  seltsame  Geburten:  Lacrymas  und  Alarcos,  ge- 
folgt *^^.  Staunend  betrachtete  sie  die  Welt  und  wußte 
nicht  recht,  ob  sie  sie  bewundern  oder  belachen  sollte. 
Zum  ersten  bekannten  sich  die  Anhänger  der  neuen 
Schule;  denn  das  Neue  findet  jederzeit  geneigte  Ge- 
müter, die  es  gern  in  sich  aufnehmen,  um  es  nächstens 
mit  etwas  noch  Neuerem  zu  vertauschen.  Die  meisten, 
welche  von  diesen  Werken  Notiz  nahmen,  mißbilligten 
sie,  und  bedauerten  einen  reichbegabten  Geist  auf  Irr- 
wegen zu  sehen. 

Diese  frömmelnde  Tendenz  griff  immer  mehr  um 
sich.  Das  zweite  Stück  Werners :  Die  Templer  auf 
Cypern*^^,  trug  schon  in  seiner  ersten  Form  etwas 
Mystisches,  Rätselhaftes  in  sich,  und  jene  Erzählung 
oder  Mythe  von  Phosphor  Heß  die  Leser  in  Ungewiß- 
heit, ob  hier  ein  tiefgeheimer,  wirklicher  Sinn  ver- 
borgen liege  oder  der  Verfasser  der  Welt  nur  ein  schwer 
zu  lösendes  Rätsel  habe  aufgeben  wollen.  Das  dritte 
Stück:  Das  Kreuz  an  der  Ostsee*^*),  in  dem  der  heilige 
Adalbert,  der  bereits  den  Martertod  erHtten  hat,  als 
Spielmann  auftritt,  auf  dessen  Haupt  sich  von  Zeit 
zu  Zeit  eine  Feuerflamme  sehen  läßt,  und  die  Braut- 
nacht zwischen  Warmio  und  Malgona  sprechen  noch 
deuthcher  den  mystisch-asketischen  und  dabei  lüster- 
nen Sinn  aus,  der  in  so  vielen  Werken  jener  Zeit  auf- 
tauchte. Endlich  erschien  seine  Weihe  der  Kraft  *^^). 
Daß  der  Protestantismus  in  seiner  nüchternen  Kälte 
den  Künsten  verderblich  sei,  ging  wohl  deutlich  daraus 
hervor,  und  Werners  Lieblingsthema,  daß  die  Liebe 
ein  Blitzstrahl  sein  müsse,  der  zugleich  in  zwei  Herzen 

302 


einschlägt  und  sie  verzehrend  reinigt,  wurde  sichtbar 
durch  Katharinas  freudiges  Erschrecken,  als  ein  dicker 
Augustiner  vom  Wagen  steigt,  und  sie  ihn  als  ihr  Ur- 
bild erkennt.  Ich  gestehe,  daß  mir  ein  dicker  Augu- 
stiner nicht  eben  sehr  idealisch  scheint,  aber  Fräulein 
von  Bora  war  von  anderm  Geschmacke.  Auch  dieses 
Werk  machte  große  Sensation  und  erregte  viele  wider^ 
sprechende  Urteile.  Nicht  lange  darnach  verbreitete 
sich  die  Nachricht,  daß  der  Verfasser  aller  dieser  ge- 
nialischen Stücke  nach  Wien  kommen  solle,  und  vnr 
hoffen  dürfen,  seine  Bekanntschaft  zu  machen. 

Der  Tag,  wo  er  kam  und  die  Weise,  vne  er  sich  bei 
uns  einführte,  war  gewiß  merkwürdig  und  mir  daher 
sehr  lebhaft  im  Gedächtnisse  geblieben.  Es  war  ein 
schöner  Abend  im  Anfange  des  Sommers  von  1807, 
wenn  ich  nicht  irre,  und  ich  hatte  einen  kleinen  Kreis  , 
gebildeter  Freundinnen  und  literarischer  Freunde  ge- 
beten. Der  Erwartete  kam,  von  unserm  Freunde  CoUin 
eingeführt  —  ein  ziemHch  junger,  wohlgebildeter 
Mann,  damals  Kammersekretär  in  Warschau  oder  Posen 
und  im  ganzen  eine  nicht  unangenehme  Erscheinung*^^).  ■ 
Auch  er  schien  sich  nicht  übel  in  der  Gesellschaft  zu 
gefallen,  die  ihn  umgab,  und  in  welcher  sich  einige 
hübsche,  junge  Frauen  befanden.  Bald  gingen  wir  zum 
Gouter,  bei  welchem  denn  nebst  Tee  und  Backwerk 
nach  der  Jahreszeit  auch  Obst  herumgeboten  würde. 
Werner  protestierte  höchlich  gegen  dies  letztere  und 
versicherte  uns  laut  —  „die  schönste  Frau  dürfte  ihm, 
wenn  sie  zuvor  einen  Apfel  oder  anderes  Obst  gegessen 
hätte,  keinen  Kuß  anbieten"  —  eine  Äußerung,  die  uns 
allen  etwas  sonderbar  und  befremdend  klang;  denn  ob- 
gleich Werner  nicht  eben  häßlich  war,  hätte  doch  nur 
allenfalls  sein  Dichterruhm,  wie  in  der  alten  Gellert- 

303  ,i    " 


sehen  Erzählung  *®'),  eine  Frau,  und  zumal  eine  schöne 
Frau,  bewegen  können,  ihm  einen  Kuß  zu  bieten. 

Übrigens  benahm  er  sich  in  den  gewöhnhchen  For- 
men und  außerdem,  daß  er  ungeheuer  viel  und  oft 
Tabak  schnupfte  und  mit  einer  eigentümlichen  Be- 
wegung des  Daumens  den  Tabak  stets  zuletzt  auf  die 
rechte  Wange  hinüberstrich,  so,' daß  es  bald  wie  ein 
Schnurrbart  aussah,  war  nichts  Außergewöhnliches  an 
ihm  zu  bemerken.  Als  sich  die  Gesellschaft  hierauf  im 
Garten  zerstreute,  fand  ich  ihn. mit  einer  unserer  Be- 
kannten in  ein  eifriges  Gespräch  über  die  Liebe  ver- 
tieft.  Ich  trat  hinzu,  und  bald  wußte  Werner  mich  so 
hineinzuziehen,  daß  jene  mich  verließ  und  er  nun  mit 
mir,  auf  und  ab  gehend,  sein  voriges  Thema  fortsetzte 
und  sich  erklärte,  daß  er  eigentlich  den  Beruf  habe, 
über  Liebe  zu  sprechen,  sie  zu  suchen,  zu  verbreiten 
usw..  Reden,  deren  eigentlichen  Sinn  ich  nicht  ganz 
verstand.  Von  der  Liebe  gerieten  wir  auf  den  Glauben, 
auf  Religion,  auf  sein  letztes  Werk:  Die  Weihe  der 
Kraft.    Auch  hier  übersprach  er  viel,  was  ich  nicht 
recht  fassen  konnte,  doch  schien  mir  der  Hauptsinn 
dahin  zu  zielen,  daß  der  Protestantismus  die  Künste 
totgemacht  habe,  was  er  denn  auch  durch  den  Tod 
jener  Therese  oder  wie  sie  heißt,  habe  andeuten  wollen. 
Zuletzt  fragte  er  mich  geradezu:   was  ich  von  der 
Transsubstantiation    halte  ?     Diese    Frage    kam    mir 
höchst  unerwartet.    Ich  wußte  wirklich  nicht,  was  ich 
sagen  sollte;  denn  es  schien  mir  hier. gar  nicht  der  Ort, 
noch  die  Gelegenheit,  um  solche  Dinge  zu  erörtern. 
Ich  antwortete  also  bloß:  Ich  sei  KathoHkin,  und  folg- 
lich könnte  er  denken,  daß  ich  über  diesen  Punkt  mich 
nicht  von  dem  Dafürhalten  meiner  Kirche  entfernen 
würde.    Übrigens  scheine  mir  der  Gegenstand  nicht 

304 


Therese  Huber 

Unsignierte  Miniatur  —  Familie  Greyerz    Bern 
Reproduktion:  Stadtbibliothek  Wien 


geeignet,  um  in  geselligen  Kreisen  abgehandelt  zu 
werden.  Er  ließ  darauf  das  Gespräch  fahren,  aber  er 
kam  oft  zu  uns,  las  uns  manche  seiner  Arbeiten  vor, 
unter  andern  die  sehr  veränderte  zweite  Auflage  seiner 
Söhne  des  Tales  *^^),  in  welchen  ein  Mädchen  —  Astra- 
lis  —  eine  mystische  Person,  vorkommt,  und  der  ver- 
storbene Marschall  Endo,  der  in  der  ersten  Auflage 
so  unübertrefflich  schön  als  Pilger  eingeführt  wurde  — 
vielleicht  die  schönste  und  wirksamste  Geistererschei- 
nung, die  mir  in  der  neuen  Literatur  vorgekommen  — r 
nun  als  ein  ziemlich  materieller  Geist  auftritt,  Brot 
bricht,  Astralis  unterrichtet  usw.  Noch  recht  lebhaft 
erinnere  ich  mich,  daß  meine  Mutter  ihn  fragte :  Lebt 
denn  der  Marschall  Eudo?  weil  dieser  Geist  sich  gar 
so  körperlich  benimmt,  und  Werner  ihr  antwortete : 
Er  lebt  und  er  lebt  nicht,  wie  man  es  nimmt.  Dann 
fragt  Eudo  die  Astralis,  ob  sie  gebetet  habe  ?  und  sie 
antwortet:  Ja!  geglüht  für  Robert  (ihren  Geliebten). 
Diese  wenigen  Züge  bezeichnen,  wie  mich  dünkt,  die 
ganze  mystische,  exaltierte,  seltsame  Richtung,  welche 
Werners  Geist  damals  schon  genommen,  und  welche 
später  solche  Schöpfungen  wie  Kunigunde,  Wanda, 
Attila*^^)  ins  Leben  rief,  von  denen  meine  Freundin 
Therese  Artner  ^''°)  später  sagte:  „Es  ist  zu  bedauern, 
daß  ein  solcher  Geist  sich  also  verirren  konnte;  aber  er 
wird  zusehends  mit  jedem  Stücke  toller."  Dennoch 
waren  selbst  in  diesen  Geburten  einer  verirrten  Ein- 
bildungskraft große  Schönheiten  und  offenbare  Be- 
weise von  Genialität. 

Diese  Geistesrichtung  erstreckte  sich  auch  in  sein 
Leben,  er  glaubte  das,  was  er  schrieb,  selbst,  und  war 
ganz  mit  diesen  Ideen  erfüllt.  Daher  nahm  auch  meist 
das  Gespräch,  wenii  er  an  unserem  Abendkreise  teil- 


20     c.   P.   I 


305 


nahm,  wieder  dieselbe  sonderbare  Richtung  nach  seinen 
Lieblingsideen  ^°^).  ^ 

Späterhin  zog  sich  Werner  von  unserm  Kreise  zu- 
rück; er  hielt  sich  viel  zu  Stoll^"^,  dem  jungen 
und  ebenfalls  exaltierten  Dichter,  und  zu  andern  ähn- 
lichen Geistern.  Endlich  bekam  ich  einen  Brief  von 
ihm^°2a^^  [j^  welchem  er  mit  sehr  herzlichen  Worten  von 
mir,  von  meiner  Familie  und  von  seinem  lieben,  lieben, 
lieben  Wien  Abschied  nimmt.  Er  ging  nach  Italien, 
nach  Rom  und  kam  erst  nach  mehreren  Jahren  als 
Katholik  und  Priester  von  dorther  zurück.  Sein 
zweites  Auftreten  unter  uns,  in  den  letztgenannten 
Eigenschaften,  erregte  beinahe  mehr  Sensation  als  das 
erste;  aber  wir  sahen  ihn  sehr  selten  unter  uns.  Er 
lebte  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Kloster;  bei  den 
Serviten,  Liguorianern,  Franziskanern  und  zuletzt  bei 
den  Augustinern,  wo  er  bis  an  seinen  Tod  verblieb. 
Sein  Wirken  als  Prediger  werden  wir  später  zu  schildern 
Gelegenheit  haben. 

Die  Gestaltung  der  damaligen  Zeit,  in  welcher  das 
Deutsche  Reich  zusammengestürzt  war,  Napoleon 
durch  den  Rheinbund  ins  Herz  aller  deutschen  Staaten, 
ins  Herz  der  ganzen  Nation  mit  eisernen  Händen  griff, 
das  Schwankende,  Unsichere  aller  politischen  und  somit 
auch  aller  sozialen  Verhältnisse,  das  stets  kühnere  und 
gewaltsamere  Ausbreiten  der  französischen  Macht: 
dies  alles  drängte  die  Geister  aus  der  freudenlosen,  zer- 
rütteten Gegenwart  in  die  feststehende  Vergangenheit 
zurück,  an  der  wenigstens  ein  Eroberer  und  Unter- 
drücker aller  politischer  wie  aller  literarischen  Freiheit 
nichts  mehr  ändern  konnte,  so  gern  er  auch  in  den 
römischen  Klassikern  die  Stellen,  welche  die  Sache  der 
Freiheit  gegen  Anmaßungen  der  Gewalt  verteidigen, 

306 


weggewünscht  hätte.  Das  Studium  der  Geschichte 
fing  an,  bei  der  damaligen  Generation  ein  lebhaftes 
Interesse  zu  erregen.  Viele  Gelehrte  verlegten  sich 
darauf,  und  man  suchte  Halt  und  Trost  in  der  Be- 
trachtung der  Vergangenheit.  Diese  allgemeine  Stim- 
mung und  der  häufige  Umgang  mit  Hormayr,  Rid- 
ler^*'^,  Vierthaler 5<'*)  regten  auch  in  mir  eine  lebhafte 
Teilnahme  für  die  Geschichte  im  allgemeinen  und  be- 
sonders für  die  meines  Vaterlandes  auf.  Österreichs 
Plutarch  erschien  danials  und  erregte  lebhafte  Teil- 
nahme^®^). Mit  Grund  und  überzeugenden  Nach- 
weisungen ward  von  Sachverständigen  vieles  an  dem 
Werke  getadelt,  tndes  erreichte  es  den  einen  Zweck, 
den  sich  der  Verfasser  vielleicht  vorgesetzt  hatte,  es 
weckte  bei  vielen  wie  bei  mir  den  Sinn  für  vater- 
ländische Geschichte  und  sprach  Phantasie  und  Ge- 
fühl an,  weil  es  mit  Wärme  und  dichterischer  Auf- 
fassung geschrieben  war.  Auch  sonst  noch  suchte 
Hormayr  auf  seine  Freunde  und  durch  sie  aufs  Publi- 
kum nach  dieser  Richtung  zu  wirken.  Er  wußte  die 
beiden  Collin  für  seine  Absicht,  Dichtung  und  Künste 
mit  vaterländischen  Gegenständen  zu  beschäftigen,  zu 
gewinnen,  er  regte  noch  mehrere  andere  Geister  an, 
die  sich  um  ihn  willig  sammelten;  er  suchte  Künst- 
lern denselben  Sinn  einzuflößen,  und  vieles  geschah 
damals  und  auch  später  für  die  österreichische  Ge- 
schichte, was  den  ersten  Impuls  durch  Hormayr  erhielt. 
Dies  Verdienst  muß  man  ihm  zugestehen,  obgleich  er 
zwanzig  Jahre  später  dieser  Gesinnung  in  der  Haupt- 
sache ungetreu  wurde^®^). 

Im  Herbste  des  Jahres  1807,  in  der  Nacht  des 
Micha eHstages,  erhob  sich  jejier  denkwürdige  Orkan, 
der  in  Wien  Häuser  abdeckte,  den  Turm  der  Augu- 


20^^ 


307 


stinerkirche  herabwarf  —  glücklicherweise  ohne  jemand 
zu  beschädigen  —  Fenster  eindrückte  und  im  Augarten 
und  in  der  Brigittenau  die  größten  Bäume  entwurzelte 
und  niederwarf,  so  daß  der  Garten  und  die  Au  am 
folgenden  Tage  einem  großen  Verhaue  glichen,  durch 
den  man  kaum  durchkommen  konnte^"''). 

Mein  Name  fing  damals  an,  durch  die  Gleichnisse, 
Olivier^"^,  Leonore^"*)  usw.  in  Deutschland  bekannt 
zu  werden.  Ich  erhielt  Aufforderungen  von  Buch- 
händlern, ihnen  Beiträge  zu  Almanachen,  Journalen 
usw.  zu  liefern.  Die  beachtenswertesten  Aufforde- 
rungen der  Art  waren  die  von  Fleischer  in  Leipzig  für 
die  Minerva  ^1°),  eines  der  besten  damals  erscheinenden 
Taschenbücher,  und  von  Cotta  in  Stuttgart  für  den 
Damenkalender ^^^)  mitzuarbeiten.  Der  erste  wies 
sich  durch  seine  Briefe  an  mich,  durch  sehr  hübsche 
Geschenke  an  Büchern,  die  er  teils  meiner  Tochter, 
teils  mir  selbst  noch  über  das  sehr  bedeutende  Honorar 
verehrte,  als  ein  wohlwollender  Freund,  und  zeigte 
sich  auch  im  Umgang  so,  als  er  1810  eine  Weile  in  Wien 
war  und  uns  oft  besuchte.  Später  scheinen  häusliche 
Mißverhältnisse  und  eine,  Wie  mich  dünkte,  etwas  zu 
jugendliche  Neigung  zu  einem  Schweizer-Landmäd- 
chen, das  er  heiratete,  ihn  bewogen  zu  haben,  Leipzig 
und  seine  Geschäfte  zu  verlassen  und  sich  in  die 
Schweiz  zu  begeben.  Seitdem  habe  ich  nichts  mehr 
gehört  und  dies  aufrichtig  bedauert;  denn  Fleischer 
war  mir  sehr  würdig  und  wohlwollend  zugleich  er- 
schienen ^^2). 

Cottas  Aufforderungen  brachten  mich  in 'ein  noch 
werteres  Verhältnis;  Madame  Huber^^^,  Heynes 
Tochter  und  Witwe  von  zwei  ausgezeichneten  Gelehr- 
ten:   G.    Forster   und   Huber,   redigierte   damals   das 

30R 


Morgenblatt.  Sie  schrieb  mir  »bei  Gelegenheit  einer 
Sendung  für  den  Damenkalender.  Von  da  entspann 
sich  zwischen  uns  ein  fleißiger  und  nach  und  nach 
so  herzlicher,  zusagender  Briefwechsel,  daß  wir  zwei 
Matronen,  die*  sich  nie  gesehen  hatten  und  auch  nie 
sahen,  uns  unsere  häusHchen  und  innersten  Angelegen- 
heiten mitteilten,  und  dies  währte  bis  an  Therese 
Hubers  Tod  im  Jahre  1829^1*).  So  hat  mir  meine  lite- 
rarische Bekanntschaft  manches  sehr  angenehme  Ver.- 
hältnis,  manches  Wohlwollen,  und  herzliche  Teilnahme 
von  unbekannten  Menschen,  und  nur  äußerst  selten 
etwas  Unangenehmes  gebracht.  Wohl  aber  hütete  ich 
mich  stets  aufs  sorgfältigste,  mich  ja  nie  zu  Redak- 
tionen, Rezensionen  usw.  gebrauchen  zu  lassen,  und 
mit  den  gelehrten  Herren  in  eine  nähere  Beziehung 
zu  kommen.  Therese  Huber,  der  ihre  finanziellen 
Verhältnisse  vermutlich  jene  Redaktion  aufgedrungen 
haben  mochten,  hat  dadurch,  und  namentlich  mit 
dem  Verfasser  der  Schuld,  Müllner,  Verdruß  genug 
"gehabt"«). 

Mit  dem  Herbste  dieses  Jahres  begann  eine  lebhafte, 
interessante  Zeit.  Unser  geliebter  Kaiser  wollte  sich 
das  drittemal  mit  Marie  Luise  von  Este,  seiner  Cousine, 
vermählen,  und  die  Vorbereitungen,  sowie,  die  Ver- 
mählungsfeierlichkeiten dieser  höchst  anmutigen  Prin- 
zessin gaben  Veranlassung  zu  allerlei  Festen  und  rüh- 
rigem Leben  "1^.  Auch  traf  die  Ankunft  der  berühmten  . 
Frau  von  Stael,  welche  mit  A.  W.  v.  Schlegel  aus 
Weimar  nach  Wien  kam,  gerade  auf  diesen  Herbst  5^'). 
Die  Statue  des  Kaisers  Josef,  von  Zauner  in  Erz 
gegossen,  war  auch  eben  fertig  und  aufgestellt,  wor- 
den ^1^.  Die  Enthüllung  derselben  wurde  eine  Art 
von  Feier  und  Festlichkeit,  welche  das  kindlich -.dank- 

309 


bare   Gemüt   des   Neffen   seinem  großen   Oheim  zu 
Ehren  veranstaltet  hatte. 

Es  war  ein  milder  Herbsttag  zu  Ende  Oktobers 
oder  Anfang  Novembers.  Auf  dem  Josefsplatze,  wo 
die  kolossale  Bildsäule  unter  ihren  Umhüllungen  wie 
ein  kleiner  Berg  dastand,  waren  in  freier  Luft  Tribünen 
errichtet,  auf  welchen  man  mittelst  BiUetten  Platz  er- 
hielt. Frau  von  Stael  war  ebenfalls  zugegen,  ich  sah 
oder  kannte  sie  wenigstens  damals  nicht,  und  nebst 
ihr  eine  große  Menge  elegant  geputzter  Damen  und 
Herren,  die  dem  Schauspiel  entgegen  harrten.  Um  die 
angesetzte  Stunde  (wenn  ich  nicht  irre  12  Uhr  mit- 
tags) donnerte  das  erste  Geschütz  auf  dem  Walle  der 
Stadt,  ihm  folgten  bald  die  andern  ringsherum  auf 
den  Basteien,  denn  —  so  wollte  es  des  Monarchen 
liebevolle  Dankbarkeit  —  seines  väterhchen  Oheims 
Bild  sollte  auf  dieselbe  feierliche  Weise  wie  die  per- 
sönliche Ankunft  eines  regierenden  Herrn  bei  seinen 
Untertanen  empfangen  und  begrüßt  werden.  Durch 
eine  geschickte  Vorrichtung  fielen  plötzUch  die  Decken, 
welche  die  Statue  verhüllt  hatten,  das  majestätische 
Bild  ward  sichtbar,  und  fast  in  demselben  Augenblick 
zerriß  auch,  wahrscheinlich  durch  die  Kanonenschüsse 
zerteilt,  die  Nebeldecke,  welche  den  Himmel  umhüllt 
hatte.  Rein  und  blau  lächelte  er  hernieder  auf  das 
Bild  des  großen  Josefs,  der  mitten  im  Kreise  der 
Seinen  erschien,  und  die  mildesten  Sonnenstrahlen 
spielten  auf  dem  glänzenden  Metall  und  auf  den  edlen 
Zügen.  Es  war  ein  schöner,  erhebender  Augenblick, 
in  welchem  der  Himmel  selbst  an  dem  Dankbarkeits- 
gefühle unsers  Monarchen  und  an  unser  aller  Freude 
segnend  Anteil  nahm. 


310 


y 


Die  Anwesenheit  der  Frau  von  StaeP^^),  was  sie  tat, 
sagte,  wie  sie  aussah,  sich  kleidete  usw.  war  von  nun 
an  das  allgemeine  Gespräch  in  den  Salons.  Man  hatte 
sich  eine  Menge  von  ihr  zu  erzählen,  wovon  vieles, 
ja  das  meiste,  ungünstig  war.  Wenn  ihr  einige  nicht 
verzeihen  konnten,  daß  sie  eine  Femme  superieure  war 
(und  das  war  sie  denn  doch  gewiß !),  so  beleidigte  an^ 
dere  ihr  Umgang  mit  dem  höchsten  Adel,  zu  dem 
eigentlich  ihre  Geburt  sie  nicht  berechtigte;  andere 
fanden  zu  viel  Anmaßung  in  ihrem  Betragen,  und 
wieder  andere  hielten  sich  an  die  übelgewählte  Toilette, 
welche  denn  auch  wirklich  bei  ihren  vorgerückten 
Jahren  (sie  war  damals  schon  jenseits  der  Vierzig)  und 
einer  unvorteilhaften  Gestalt  oft  zu  anspruchsvoll  war, 
und  eine  Meinung  von  ihrer  Schönheit  voraussetzte, 
welche  doch  jeder  Spiegel  hätte  Lügen  strafen  sollen. 
Ich  hatte  sie  damals  noch  nicht  gesehen,  aber  ich  hatte 
kurz  vorher  einen  kleinen  Aufsatz  ins  Morgenblatt 
einrücken  lassen,  in  welchem  ich,  ohne  der  großen 
Achtung  Abbruch  zu  tun,  die  ihr  außerordenthches 
Talent  mir  wie  jedem  ihrer  Leser  einflößte,  meine 
Verwunderung  darüber  äußerte,  daß  sie  sowohl  in 
der  Corinne  als  in  der  Delphine  ihre  Helden  so  schwach, 
inkonsequent  und  leicht  beweglich  geschildert  habe, 
indes  ihr  doch  selbst  ein  wahrhaft  weibhches  Gefühl 
an  mehreren  Stellen  das  Geständnis  entlockt  hat,  daß 
ein  Weib  sich  nur  in  einer  gewissen  Unterordnung 
unter  den  kräftigen  Mann  recht  wohl  und  glücklich 
fühlen  könne ^^).  Ich  wußte  nicht,  ob  sie  diesen  Auf- 
satz kannte,  aber  ich  scheute  mich  nicht,  das,  was  ich 
schriftlich  geäußert,  auch  in  ihrer  Gegenwart  zu  be- 
haupten. Ich  hätte  sie  gern  kennen  gelernt,  aber  ich 
glaubte  es  nicht  schicklich,  daß  ich,  die  Einheimische, 

311 


N^ 


zuerst  zu  ihr  ginge  und  mich  gleichsam  bei  ihr  ein- 
führen Heße.  Unsere  gelehrten  Freunde  hatten  dies 
zwar  getan  —  aber  CoUin,  Steigentesch^^^),  Hormayr 
waren  Männer,  und  daher  konnten  sie,  ohne  sich  etwas 
zu  vergeben,  der  fremden  Dame  ihre  Aufwartung 
machen.  A.  W.  von  Schlegel ^2^,  der  die  berühmte 
Frau  auf  ihrer  Reise  begleitete,  hatte  sich  bei  uns  vor- 
stellen lassen.  Er  kam  öfter  zu  uns  und  schien  ein  sehr 
eleganter  Gelehrter,  der  im  Gegensatz  zu  den  meisten 
seinesgleichen  sich  höchst  fashionable  kleidete,  aber 
auch  im  Gegensatze  zu  jenen  mit  seiner  Toilette 
selbst  in  Gesellschaft  beschäftigt  war,  und  wenn  ihm, 
wie  es  bei  uns  ein  paarmal  der  Fall  gewesen,  andere 
etwas  von  ihren  Werken  vorlasen  (ich  nicht,  wie  ich 
denn  überhaupt  dies  nur  höchst  selten  und  unter  sehr 
guten  Freunden  tat),  während  der  ganzen  Lesung  am 
Busenstreif,  am  coup  de  vent  und  den  Schleifen  seiner 
Unterkleider  zu  zupfen  und  zu  richten  hatte.  Man 
hat  mir,  zwanzig  Jahre  nach  jener  Zeit,  erzählt,  daß 
er  diese  ZierUchkeit  und  Sorgfalt  für  sein  Äußeres  auch 
jetzt  noch  als  Greis  beibehalten  habe.  Damals  war  er 
"ein  Mann  von  mittleren  Jahren  und  wirklich  an- 
genehmer Gestalt,  dennoch  hätte  ich  um  seiner  selbst 
und  seines  verdienten  literarischen  Ruhmes  willen  ge- 
wünscht, daß  er  diese  Schwäche  nicht  an  sich  gehabt 
hätte.  Im  Umgange  war  er  sehr  artig,  sehr  geistreich, 
aber  nicht  ohne  eine  merkliche  Beimischung  von  Selbst- 
gefühl, die  sich  oft  geltend  machte,  und  mit  allen 
diesen  Eigenschaften  und  einem  angenehmen  Äußern, 
das  durch  einen  vorteilhaften  Anzug  gehoben  war, 
der  Liebling  vieler  geistvollen,  gebildeten  Frauen, 
sowohl  einheimischer  als  fremder,  mit  denen  ich  damals 
umging.    Man  erzählte,  und  ich  selbst  hatte  später 

^12 


Gelegenheit,  es  zu  bemerken,  daß  er  von  Frau  von 
Stael  nicht  mit  der  Achtung  und  Auszeichnupg  be- 
handelt wurde,  die  sie  wohl  einem  Manne  seines 
Talentes  schuldig  gewesen  wäre.  Es  erschien  öfters  ein 
befehlender  Ton  wie  gegen  einen  Untergeordneten 
in  ihrem  Betragen  ihm  gegenüber,  und  das  erregte  nun 
bei  jenen  Damen  seiner  Verehrung  das  tiefste  Mit- 
leid. Man  war  aufgebracht  über  Frau  von  Stael, 
man  wollte  in  Schlegels  ganzem  Wesen  einen  Schatten 
von  Gedrücktheit,  von  Melancholie  bemerken,  den 
man  auf  die  Rechnung  jener  Behandlung  schrieb,  und  • 
der  den  interessanten  Unglücklichen  nur  noch  teurer 
machte.  Mir  erschien  die  Sache  anders,  und  ich  er- 
klärte mich  dahin,  daß  Herrn  v.  Schlegel  die  Existenz 
im  glänzenden  Hause  der  reichen  und  berühmten 
Frau  doch  angenehm  sein  müsse,  weil  es  einem  Manne 
von  seinem  Rufe,  von  seinen  ausgezeichneten  Gaben 
nicht  fehlen  könne,  auf  jeder  deutschen  Universität 
durch  eine  Professorstelle,  durch  Privatvorlesungen,' 
literarische  Arbeiten  usw.  sich  eine  zwar  nicht  so  be- 
queme, aber  unabhängige  Existenz  zu  verschaffen, 
und  daß  also,  weil  er  dies  nicht  tue,  jenes  Verhältnis 
ihm  nicht  so  gar  drückend  erscheinen  könne.  Damit 
fand  ich  nun  freilich  vielen  Widerspruch,  es  war  aber 
schon  einmal  meine  Weise,  die  Poesie  von  der  Wirk- 
lichkeit stets  scharf  zu  scheiden,  jene  in  Büchern  und 
Kunstwerken  hoch  zu  verehren,  im  gewöhnlichen 
Leben  aber  die  Dinge  so  klar  als  möglich  zu  betrachten 
und  so  einfach  als  mögHch  zu  behandeln  ^^^. 

Ich  hatte  gegen  A.  W.  von  Schlegel  mehrmals  den 
Wunsch  geäußert,  Frau  von  Stael  persönhch  kennen 
zu  lernen.  Er  forderte  mich  auf,  zu  ihr  zu  gehen.  Das 
wollte  ich  nicht,  und  so  ging  einige  Zeit  hin.  —  End- 

313 


lieh  übernahm  es  eine  gemeinschaftliche  Bekannte,  die 
Sache  vermittelnd  einzuleiten.  Frau  von  Nuys^^*),  eine 
geistreiche,  artige  Frau  aus  Bremen,  welche  unter  uns 
nur  die  schöne  Großmama  hieß,  weil  sie  bereits  ein^n 
Enkel  von  ihrer  Tochter  hatte,  und  noch  immer  nicht 
bloß  beaux  restes,  sondern  wirkliche  Schönheit  besaß, 
übernahm  es,  Frau  von  Stael  mit  mir,  mich  mit  der 
hochberühmten  Frau  bekannt  zu  machen.  Wir  wurden 
beide  zu  einem  Tee  bei  ihr  gebeten,  und  ich  konnte, 
da  es  gerade  der  Wochentag  war,  an  welchem  meine 
Mutter  selbst  Gesellschaft  zu  empfangen  pflegte,  erst 
spät  abkommen.  Als  ich  eintrat,  war  der  Kreis  schon 
eine  Weile  versammelt,  und  ich  sah  neben  einer  meiner 
Freundinnen,  die  eine  große  Künstlerin  auf  dem  Kla- 
vier war^^*^),  am  Fortepiano  eine  Frau  sitzen,  welche  ich 
nach  allem,  was  ich  bereits  gehört  —  für  die  berühmte 
Dichterin  erkennen  mußte.  Ich  werde  den  Eindruck 
nicht  vergessen,  den  mir  ihre  Gestalt  machte.  Sie  war 
eine  ziemHch  große,  starke  Frau,  über  alle  Jugend  hin- 
aus, mit  bedeutenden,  aber  nicht  angenehmen  Zügen, 
deren  Ausdruck  —  in  dem  vortretenden  Mund  und 
Kinne,  in  der  ganzen  etwas  mohrischen  Bildung  mir 
eine  überwiegende  Sinnlichkeit  zu  verkünden  schien,  und 
deren  auffallender,  ich  möchte  sagen  gewagter  Anzug 
Ansprüche  anzeigte,  welchen  sowohl  die  Jahre  als  die 
ganze  unanmutige  Erscheinung  nicht  entsprachen^^). 
Ich  grüßte  allseitig,  aber  flüchtig,  wurde  der  Frau 
von  Stael  ebenso  flüchtig  genannt,  und  ging  ins  Neben- 
zimmer, weil  kein  Vorzimmer  vorhanden  war,  wo  man 
die  Überkleider  ablegen  konnte,  um  Schal  und  Über- 
rock auszuziehen.  Gleich  darauf  kam  Frau  von  Stael 
mir  nach,  trat  vor  einen  Spiegel,  der  sich  hier  befand, 
fing  an,  ihren  Kopfputz  zu  ordnen  und  richtete  aus 

314 


dem  Spiegel  die  Rede  über  jenen  Aufsatz  im  Morgen- 
blatt an  mich.  Ich  antwortete  freimütig,  aber  beschei- 
den; das  Gespräch  dauerte  nicht  lange,  andere  traten 
dazwischen,  die  Unterhaltung  wurde  allgemein,  und 
Frau  von  Stael  verließ  die  Gesellschaft  bald  in  Be- 
gleitung ihres  Cavaliere  servente,  des  Herrn  von 
Schlegel.  Die  Art,  wie  sie  ihn  fragte,  ob  ihre  Leute 
da  wären?  und  ihm  mit  einer  bloßen  Kopfneigung  an- 
deutete, sich  darnach  umzusehen,  mißfiel  mir  um  sein- 
und  ihretwillen  gleich  sehr.  Sie  erregte  bei  den  Ver- 
ehrerinnen des  anziehenden  Unglücklichen  aufs  neue 
inniges  Bedauern,  worein  ich  nun  freilich  nicht  ein- 
stimmen konnte;  aber  sie  diente  nicht  dazu,  den  Ein- 
druck zu  mildern,  den  die  ganze  Persönlichkeit  seiner 
Prinzipalin  auf  mich  gemacht  hatte. 

Bald  darauf  wurde  ich  von  ihr  zu  Tische  gebeten. 
Der  Kreis  war  klein  und  bestand  nur  aus  unserm  wür- 
digen Freund  Heinrich  von  Collin,  dem  Baron  Stei- 
gentesch,  der  Frau  vom  Hause,  ihrem  jüngeren  Sohn ^2^), 
einem  bildschönen  Knaben  von  etwa  12  Jahren,  ihrer 
noch  etwas  jüngeren  und  ebenfalls  sehr  hübschen  Toch- 
ter Albertine^^  (der  verstorbenen  Duchesse  de 
Broghe),  aus  Schlegel  und  mir.  Hier  aber,  gleichsam 
im  häuslichen  Kreise,  wo  keine  Prätension,  keine  Ab- 
sicht zu  glänzen,  keine  Koketterie  sie  zu  einem  Betragen 
verleitete,  das  sie  nicht  wohl  kleidete,  kam  sie  mir 
ganz  anders  und  viel  liebenswürdiger  vor.  Vor  allem 
bestach  mich  der  ungemein  schöne,  weiche  Ton  ihrer 
Stimme,  und  diese  Stimme  trug  so  geistreiche  Dinge 
mit  so  gewähltem  Ausdruck  vor,  daß  ich  wenigstens 
ihr  mit  dem  größten  Vergnügen  zuhörte,  und  nur 
einen  Stenographen  ins  Nebenzimmer  wünschte,  um 
schnell  zu  Papier  zu  bringen  und  so  der  Vergessenheit 

315  , 


zu  entreißen^  was  sie  so  bedeutend  als  schön  sagte. 
Nach  Tische  mußte  Collin  ihr  etwas  von  seiner  Arbeit 
deklamieren*  —  sie  überlas  es  vorher,  denn  sie  las 
und  verstand  das  Deutsche  wohl,  nur  sprach  sie  es 
nicht  geläufig.  Sie  hörte  dem  Dichter  mit  sichtbarem 
Anteil  zu,  und  faßte  lebendig  jede  Schönheit  auf.  Dann 
holte  sie  ein  französisches  Gedicht,  das  eine  schweize- 
rische Dame  gedichtet  und  das  wirklich  voll  tiefer 
Empfindung  war,  und  las  es  uns  mit  innigem  und 
lebendigem  Ausdruck  vor,  indem  sie  mit  liebens- 
würdiger Wärme  uns  jede  schöne  Stelle  bemerklich 
machte.  So  wußte  sie  fremdes  Verdienst  freundlich 
geltend  zu  machen,  und  erschien  mir  in  diesem  Ver- 
fahren und  in  ihrer  einfacheren  Natürlichkeit  weit 
angenehmer  als  in  der  anmaßenden  Rolle  einer  hoch- 
berühmten Frau,  der  alles  huldigen  soll,  in  welcher  ich 
sie  bei  Frau  von  Nuys  gesehen  hatte. 

Nun  kam  der  Fasching  und  mit  ihm  eine  glänzende 
Reihe  von  Festen  und  Unterhaltungen,  denn  unser 
Kaiser  feierte  seine  Vermählung  mit  der  anmutigen 
Marie  Luise  von  Este^^).  Diese  Prinzessin  war  von 
ihrer  Mutter  früher,  wie  man  sagte,  zum  Kloster  be- 
stimmt (welche  Bestimmung  ihre  bald  nachher  sich 
äußernde  KränkHchkeit  wohl  zu  rechtfertigen  schien); 
aber  sie  hatte  eine  so  sorgfältige  Erziehung  genossen, 
und  fand  in  ihrem  Geiste  so  viel  Gewandtheit  und 
Kraft,  daß  sie  sogleich  bei  ihrem  ersten  Auftreten  am 
Hofe  sich  mit  ebensoviel  Majestät  als  Anmut  in  die 
neue  Herrlichkeit  und  die  Rolle  einer  hochgestellten 
Monarchin  zu  finden  wußte.  Der  Kaiser  hatte  sie  aus 
vvirklicher  Liebe  gewählt,  er  hatte  gesagt:  Seine  erste 
Frau,  Elisabeth  von  Württemberg^^,  habe  ihm  sein 
Oheim  gegeben;   die  zweite,  Therese  von  Neapel^^"), 


/i'iäS 


sein  Vater;  diese  dritte  nehme  er  sich  selbst,  und  er 
schien  auch,  wenigstens  im  Anfangej  sehr  vergnügt. 
Späterhin  soll  sie  ihm  zuviel  Eleganz  und  zu  sehr  den 
Ton  der  großen  Welt  angenommen  und  ihn  daher 
nicht  so  glücklich  gemacht  haben,  als  er  es  wünschte 
und  hoffte.  Denn  er  Hebte  ein  hausväterhch  bürger- 
liches Leben  und  wußte,  wie  es  sich  im  Kongreßwinter 
zeigte,  sehr  wohl  den  Patriarchen  seiner  zahlreichen 
Familie  mit  der  Majestät  und  Würde  eines  der  ersten 
europäischen  Monarchen  zu  vereinigen. 

In  jenem  Fasching  1808  dauerten  indessen,  noch 
die  Flitterwochen  dieser  Ehe,  und  alles  bestrebte  sich, 
der  jungen,  reizenden  und  liebenswürdigen  Monarchin 
zu  huldigen.  Auf  einer  glänzenden  Freiredoute^^^), 
in  welcher  alles  in  möglichster  Pracht  erschien,  zeigte 
sich  auch  ein  überaus  herrlicher  Maskenzug,  die  Hul- 
digung oder  ich  weiß  nicht,  welche  Feierlichkeit  eines 
indostanischen  Sultans  vorstellend.  Personen  des 
höchsten  Adels  bildeten  den  Zug,  und  alles  strahlte  von 
Gold  und  Edelsteinen.  Die  verstorbene  Fürstin  Col- 
loredo-Mansfeld^^^),  eine  sehr  edle  Gestalt,  welche 
die  Rolle  der  Sultaninmutter  hatte,  war  ganz  mit 
Diamanten  bedeckt,  ja,  es  schien,  als  wäre  ihr  das 
Stützen  auf  eine  ihrer  Begleiterinnen  nicht  bloß  des 
Anstandes,  sondern  der  Last  von  Diamanten  wegen 
notwendig,  unter  welcher  sie  kaum  das  Haup.t  gerade 
tragen  konnte.  Der  Sultan  selbst  war,  ich  weiß  nicht 
warum,  noch  ein  Kind  und  wurde  von  dem,  damals 
bildschönen  und  kaum  zehn-  oder  zwölfjährigen  Grafen 
Arthur  Woyna'*^^  vorgestellt,  der  auf  einem  Palankin 
getragen,  vor  welchem  die  Mutter  herging,  in  seiner 
kindlichen  Schönheit  und  asiatischen  Herrscherpracht 
den  interessantesten  Teil  des  Zuges  bildete. 

317 


Dieser  Maskenzug  (aber  ohne  Larven)  schritt  lang- 
sam, zum  großen  Vergnügen  der  versammelten  Menge, 
durch  die  Säle  bis  an  den  Platz,  wo  der  Hof  sich  be- 
fand, und  hier  überreichte  der  Sultan  oder  seine  Mut- 
ter der  neuvermählten  Kaiserin  einen  Strauß  aus 
Blumen,  nach  den  Anfangsbuchstaben  ihres  Namens 
gewunden  und  ein  Gedicht  unsers  Heinrich  CoUin 
dazu^^*),  das  die  Blumen  auf  eine  ebenso  sinnreiche  als 
schmeichelhafte  Weise  erklärte. 

Diesem  öffentlichen  Feste  folgten  noch  mehrere;  es 
war,  wie  gesagt,  eine  glänzende  Zeit,  und  als  sie  zu 
Ende  war,  dachte  Frau  von  Stael,  der  man  sich  alle 
Ehre  zu  erweisen  und  sie  an  allem  Sehenswürdigen 
Anteil  nehmen  zu  lassen  bemühte,  auch  daran,  mir 
einen  Gegenbesuch  —  den  ersten  und  letzten  —  am 
Aschermittwoch^'*^)  zumachen,  und  die  Weise,  wie  sie 
mich  im  Zirkel  meiner  gewöhnHchen  Abendbesuche 
fand,,  sowie  die  Zeit  und  ganze  Art  ihrer  Erscheinung 
war  darnach,  um  ihr  und  mir  deutlich  zu  zeigen,  wie 
wenig  Zusammenstimmendes  sich  zwischen  uns  fand. 
Als  die  zahlreichen  Damen,  welche  die  gewöhnliche 
Abendgesellschaft  meiner  Mutter  ausmachten,  ver- 
nahmen, daß  Frau  von  Stael  an  jenem  Mittwoch  abends 
kommen  würde,  wollte  jede  sie  sehen,  wie  man  etwa 
ein  fremdes  Tier  ansieht ;  denn  nur  wenige  unter  ihnen 
waren  gebildet  genug,  um  sich  in  eine  Konversation 
mit  dieser  Frau  einzulassen,  und  unter  diesen,  welchen 
'es  wohl  nicht  an  Geisteskultur  und  Artigkeit  mangelte, 
war  doch  keine  der  französischen  Sprache  so  mächtig, 
um  ein  Gespräch  mit  Frau  von  Stael  hinlänglich  ge- 
wandt zu  führen. 

Auch  ich  fühlte  mich  in  diesem  Punkte  geniert,  ob- 
gleich ich  mich  ziemlich  geläufig  auszudrücken  geübt 

318 


war;  aber  es  ist  ganz  etwas  anderes,  eine  Sprache  zu 
reden,  in  der  man  zu  denken  gewohnt  ist,  und  sich  eines 
Idioms  bedienen  zu  müssen,  dessen  Ausdrücke  sich 
nicht  freiwillig  und  sogleich  unserm  Geiste  darbieten. 
Am  schwersten  ist  es  dann,  sich  über  Gedanken,  Mei- 
nungen, literarische  Gegenstände  usw.  auszusprechen, 
besonders  einem  so  brillanten  Geiste  wie  Frau  von 
Stael  gegenüber,  welche,  wie  sie  sich  in  ihren  später 
erschienenen  Lettres  sur  l'Allemagne  äußert,  unsere 
Konversation  stets  unbeholfen  und  zu  langsam  fand, 
und  die  Ursache  sogar  in  dem  Genius  unserer  Sprache 
sieht,  weil  wir  stets  das  Zeitwort  zuletzt  setzen,  und 
es  daher  unmöglich  sei,  jemand  nach-  den  ersten  Worten, 
zu  unterbrechen 535).  In  dieser  Hinsicht  hat  ihr  Frau 
von  Fouque  sehr  richtig  in  einer  kleinen  Schrift  ^^ß), 
die  bald  nach  jenem  Buche  sur  l'Allemagne  erschien, 
geantwortet:  daß  Frau  von  Stael  nie  vergessen  sollte, 
wenn  sie  über  den  Mangel  an  lebhafter  Konversation . 
in  Deutschland  klagt,  daß  die  Deutschen  so  artig  waren, " 
als  sie  sich  unter  uns  befand,  ihre  Sprache  milf  ihr  zu 
sprechen,  in  welcher  wir  freilich  ihr  an  Leichtigkeit 
und  Reichtum  des  Ausdrucks  nicht  gleichkommen 
konnten;  daß  sie  aber  bei  einem  nochmaligen  Besuche 
die  Gefälligkeit  haben  möchte,  sich  im  Gespräch  mit 
uns  unserer  Sprache  zu  bedienen;  dann  würde  man  er- 
kennen, auf  wessen  Seite  der  Vorteil  sei. 

Doch  wieder  auf  jenen  Aschermittwoch  zu  kommen, 
an  den  ich  nach  fast  30  Jahren  nicht  ohne  Verlegenheit 
denken  kann,  so  saßen  denn  unsere  Damen,  —  unter 
welchen  sich  leider  viele  befanden,  von  denen  ich  noch 
nicht  begreife,  wie  meine  so  geistvolle,  hochgebildete 
Mutter  sie  fast  täglich  um  sich  dulden  konnte  —  in 
dichtgedrängter   Reihe   um   den   Teetisch,   jede    mit 

319  ' 


-■  <^  ■-'^i:1v^s^'^: 


einem  Strickstrumpf  bewaffnet,  jede  fest  entschlossen, 
und  viele  wohl  auch,  wie  ich  oben  sagte,  bemüssigt, 
eine  stumme  Rolle  zu  spielen.  Es  wurde  sieben  (die 
damals  gewöhnliche  Versammlungsstunde),  es  wurde 
halb  8  Uhr,  die  Erwartete  erschien  nicht.  —  Von  Män- 
nern, welche  man  Frau  von  Stael  mit  Ehren  vorstellen 
konnte,  hatte  ich  nur  Herrn  von  Hammer  und  unsern 
Collin  für  diesen  Abend  bekommen,  und  dies  waren, 
nebst  meiner  Mutter,  die  vortrefflich  französisch 
sprach,  die  einzigen  Personen,  auf  die  ich  zählen  konnte, 
um  Frau  von  Stael  zu  unterhalten,  wenn  sie  käme. 
Dies  geschah  denn  endlich  um  8  oder  nach  8  Uhr,  wo 
sie  von  der  Gräfin  Wrbna^^'),  ganz  nahe  bei  uns,  auf 
eine  kurze  Zeit  zu  mir  herüber  kam.  Sie  trat  ein,  und 
aller  Blicke  wendeten  sich  nach  ihr.  Ein  Kleid  von 
silbergrauem  Atlas  und  ein  Schal  oder  Tuch  von  schwar- 
zen Spitzen  darüber,  war  ein  recht  passender  Anzug 
für  eine  Frau  von  ihren  Jahren,  aber  ein,  auf  orien- 
talische Art  gewundener  Wulst  von  schwarzem  Samt, 
mit  hochroten  Grains  d'Inde  vielfach  umschlungen, 
gab  ihr  etwas  Höchstauffallendes,  Kühnes,  und  kleidete 
sie,  meiner  Meinung  nach,  bei  ihren  starken,  männ- 
lichen Zügen  und  braunem  Teint  durchaus  nicht. 

Sie  saß  neben  meiner  Mutter  auf  dem  Kanapee, 
ich  nahm  meinen  Platz  an  ihrer  Seite,  Schlegel,  Ham- 
mer und  Collin  näherten  sich  ebenfalls,  die  Frauen 
rings  um  den  Tisch  hatten  ehrerbietig  gegrüßt  und  sich 
jetzt  wieder  niedergesetzt,  um  —  zu  stricken,  wie  das 
altenglische  Lied  sagt: 

Phillis,  ohne  Sprach  und  Wort, 
Saß  und  strickte  ruhig  fort. 

Mich  überfiel  eine  Art  von  Bangigkeit,  so  oft  ich 
auf  diese  schweigsame  Gesellschaft  sah,  die  die  hoch- 


320 


,  "t<f  :,->. 


Anne  Louise  Germaine  baronne  de  Stael 


A.  Maurin  (1833)  pinx.,  de  Villain  lith. 
k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


berühmte  Frau  lautlos  umgab,  sie  nur  dann  und  wann 
mit  neugierigen  Blicken  musternd,  und  mir  dachte, 
welche  Vorstellung  sich  Frau  von  Stael  wohl  nach 
diesem  Abend  von  dem  Kreis  machen  möchte,  in.  dem 
ich  lebte.  Daß  es  nicht  eigentlich  meine,  sondern 
meiner  Mutter  Bekannte  waren,  konnte  ich  nicht 
sagen  und  sie  nicht  erfahren,  da  ich,  solange  meine 
Mutter  lebte,  in  diesen  wie  in  so  manchen  andern 
Stücken  mich  gänzlich  nach  ihr  richten  mußte. 

Indes  unterhielten  eben  meine  Mutter  und  die  Her- 
ren, welche  zugegen  waren,  das  Gespräch  mit  Frau 
von    Stael   sehr   lebhaft   und   angenehm;    sie    schien 
wenigstens  sich  nicht  zu  ennuyieren,  sie  sprach  äußerst 
geistreich  und  sagte  unter  andern  von  Chateaubriand: 
il  est  croyant  par    Imagination    —   eine,    wie    mich 
dünkt,  sehr  passende  Bezeichnung.    Dann  forderte  sie  ' 
mich  auf,  sie  mein  organisiertes  Fortepiano  hören  zu 
lassen.  Ich  spielte  ihr  etwas  vor,  das  Instrument  gefiel 
ihr  wohl,  wie  es  denn  auch  wirklich,  maiÄhe  kleine 
Gebrechen  abgerechnet,  vielen  Genuß  gewährte  ^^'*).  Sie 
berührte  es  hierauf  selbst,  aber  ich  kann  nicht  sagen, 
daß  sie  eigentHch  gespielt  hätte,  und  bald  darauf  ging 
sie  weg.    Ich  fühlte  mich  völlig  erleichtert,  als  sie  fort 
und  diese  so  heterogene  Erscheinung  aus  dem  Gesell- 
schaftskreise, für  den  sie  und  der  nicht  für  sie  paßte, 
verschwunden  war.  Nun  war  das  Siegel  von  dem  Mund 
der  Damen  gelöst,  und  sie  ahnten  wohl  nicht,  wie  sie 
so  nach  ihrer  Art  diese  Frau  beurteilten,  daß  sie,  zwei 
Häuser   weit   von   uns,   bei   der   Gräfin   von   Wrbna, 
zu  der  sie  Wieder  von  uns  ging,  sie  die  Tricoteuses  de 
la  tribune  genannt  hatte. 

Die  Visite  war  denn  also  abgetan  und  ich  froh, 
daß  sie  nicht  wiederholt  wurde.    Indes  blieb  Frau  von 


21    c.  p.  I 


32f 


Stael  sehr  artig  gegen  mich,  und  lud  mich  durch  ein 
freundschaftliches  Billett  bald  darauf  zu  einer  theatra- 
lischen Vorstellung  ein,  welche  bei  der  Gräfin  Zamoys- 
ka  ^^)  statthaben,  und  wo  Frau  von  Stael  in  einem,  von 
ihr  selbst  gedichteten  kleinen  Schauspiel  Hagar,  und 
dann  in  einer  kleinen  Komödie:  Le  legs  auftreten 
sollte.  Die  Versammlung  war  sehr  glänzend,  es  war 
die  Creme  de  la  Societe,  obwohl  sie  damals  noch  nicht 
so  genannt  wurde;  das  Appartement,  nach  dem  da- 
maligen Geschmack  auf  griechische  Art  drapiert, 
von  den  ebenfalls  unlängst  modegewordenen  argan- 
tischen  Lampen  erhellt,  und  eine  Menge  kleinerer 
oder  größerer  Etablissements  mitten  im  Salon,  so  daß 
die  Gesellschaft  ohne  allen  eigentlichen  Mittelpunkt 
nach  allen  Richtungen,  wie  es  gerade  jedem  beliebte, 
saß,  stand,  ging,  lehnte  usw.  Mir  war  dies  damals  et- 
was Neues,  denn  in  den  Gesellschaften  des  Mittel- 
standes herrschte  noch  die  ältere  Sitte;  aber  ich  fand 
das  Neue  wo  nicht  hübsch,  doch  bequem,  und  jetzt 
ist  es  wohl  schon  überall  verbreitet,  wo  man  auf  Eleganz 
Anspruch  macht. 

Endlich  begann  die  Vorstellung.  Wir  wurden  in 
einen  andern  Salon  geführt,  wo  ein  kleines  Theater 
aufgeschlagen  war.  Das  erste  Stück,  Hagar^^^,  war  von 
Frau  von  Stael  selbst.  Die  Szene  stellte  die  Wüste 
vor.  Frau  von  Stael,  in  sehr  einfachem  orientalisieren- 
den  Anzug,  trat,  ihre  Tochter  (die  Herzogin  von 
Broglie,  damals  ein  zehnjähriges  Kind)  als  Ismael  -an 
der  Hand,  auf,  und  gab  wirklich  mit  vieler  Wahrheit 
und  Lebhaftigkeit  die  Rolle  dieser  leidenschaftlichen, 
unglücklichen  Mutter,  wobei  ihr  ihre  ausdrucksvolle 
Physiognomie  und  ihre  schöne  Stimme  sehr  zu  statten 
kam.    Mich  und  vermutlich  alle  meine  gegenwärtigen 

322 


Landsleute  befremdete  wohl  das  sehr  heftige,  tragie- 
rende  Spiel  der  französischen  Schule,  aber  nie  werde 
ich  des  Tones  vergessen,  der  ihren  bebenden  Lippen 
entfloh,  als  sie  in  ihrer  ungestümen  Heftigkeit  den 
Wasserkrug,  in  dem  sich  ihr  letzter  Vorrat  und  das 
letzte  Mittel,  des  verschmachtenden  Kindes  Leben  zu 
fristen,  befand  —  umgestoßen  hatte,  und  sie  nun  den 
Inhalt  desselben  gleichsam  mit  dem  Leben  des  Kindes 
verrinnen  sah.  Es  war  kein  Schrei,  kein  Ruf,  aber  es 
war  ein  unartikulierter  Naturlaut,  der,  tief  aus  der 
Seele  kommend,  wieder  in  die  Seele  drang,  und  den 
ich  gern  mit  jenem,  ebenfalls  halblauten  Schmerzenston 
Crescentinis  vergleichen  möchte,  wenn  der  Sargdeckel 
abgehoben  wurde,  und  er  nun  Juliens  Gestalt  als  Leiche 
vor  sich  erblickte. 

Doch  nun  erschien  der  Engel  —  der  jüngere  Sohn 
der  Frau  von  Stael  —  ein  Knabe  von  zwölf  bis  vier- 
zehn Jahren,  weiß  gekleidet  und  mit  himmelblauem 
Krepp  drapiert,  wirklich  einem  Engel  an  Schön- 
heit gleich,  obwohl  sein  Spiel,  wie  das  bei  Knaben 
in  solchen  Jahren  gewöhnlich  ist,  ziemlich  steif 
und  unbedeutend  war,  und  das  Stück  eijdete  froh 
und  trostvoll  unter  lebhaften  Beifallsbezeugungen 
der  Menge.  '  ' 

Hierauf  folgte  das  französische  Lustspiel  Le  legs^***). 
Ein  Testament  verbindet  einen  jungen  Kavalier,  seine 
Hand  der  Erbin  eines  großen  Vermögens  zu  geben, 
wenn  er  dessen  teilhaftig  werden  will.  Aber  er  liebt  . 
eine  andere  und  zieht  diese  der.  reichen  Erbin  vor.  Ein 
fataler  Zufall  wollte,  daß  das  Frauenzimmer,  eine 
nicht  ganz  junge  Person,  wie  man  sagte,  welche  die 
verschmähte  Erbin  hätte  machen  sollen,  denselben  Tag 
krank  wurde,  und  nun  die  Frau  vom  Hause,  Gräfin 

"*  323» 


i.- 


;  Zamoyska  selbst,  eine  junge  und  sehr  hübsche  Dame, 
..  aus  Gefälligkeit  und  41m  die  Darstellung  möglich  zu 
machen,  die  Rolle  der  Verschmähten  übernahm.  Frei- 
lich las  sie  selbe  nur  aus  der  Schrift  herab,  aber  sie  stand 
doch  leibhaft  in  ihrer  Jugend  und  Schönheit  vor  uns, 
während  Fürst  Clary^*^),  der  den  jungen  Mann  mit 
ebensoviel  Anstand  als  Lebhaftigkeit  gab,  ihr  die  Frau 
von  Stael,  die  jetzt  in  modernem  Kostüm,  weiß  an- 
gezogen und  das  Überkleid  mit  einem  Ungeheuern 
Bukett  am  Knie  trassiert,  nichts  weniger  als  schön 
aussah,  vorziehen  sollte.  Es  lag  etwas  gar  zu  Wider- 
sprechendes und  daher  Störendes  in  dieser  Rollen- 
besetzung, die  denn  auch  zu  manchem  Witzworte 
über  die,  ohnedies  nicht  beliebte  Schriftstellerin  An- 
laß gab,  sowie  man  ihre  Hagar,  la  justification  d'Abra- 
ham  nannte. 

Nicht  lange  darnach  wurde  bei  Fürst  Liechten- 
stein^*^ auf  seinem  Haustheater  im  Palast  in  der 
Herrengasse  ein  zweites  Stück  von  Frau  von  Stael: 
Genevieve  de  Brabant^*^)  gegeben.  Sie  war  Genovefa; 
Fürst  Clary  Sigefroi,  ihr  Gemahl;  Schlegel  ein  Eremit 
des  Ardennerwaldes;  Albertine  (ihre  Tochter)  hatte 
die  Rolle  des  Schmerzenreich  (l'enfant  de  la  douleur), 
und  ihr  Sohn  gab  einen,  von  ihr  hinzugedichteten 
,  älteren  Sohn  Genovefens  und  Siegfrieds,  der  seinen 
Vater  auf  die  Jagd  begleitet.  Von  Golo  und  allen  Be- 
gebenheiten, die  ihrer  Verstoßung  vorausgehen,  wurde 
nur  gesprochen,  und  das  Stück  begann  in  ihrer  Höhle, 
in  der  sie  schon  sieben  Jahre  mit  ihrem  Knaben  lebt. 
Auch  in  diesem  Stücke  zeigte  sie  sich  als  eine  sehr  ge- 
schickte Schauspielerin;  aber  ihre  Gestalt  nahm  sich 
durchaus  unvorteilhaft  in  der  Kleidung  von  Tierfellen, 
mit  herabhängenden  Haaren,  ohne  allen  Putz,  aus, 

324 


ihr  Spiel  war  zu  heftig,  und  die  Dichtung  selbst  nicht 
sehr  bedeutend. 

In  der  nächstfolgenden  Fastenzeit  hielt  uns  A.  W. 
Schlegel  im  Janischen  Saale  Vorlesungen  über,  Drama- 
turgie^**). Diese  Kollegien,  in  den  Vormittagsstunden 
gehalten  und  von  allen  besucht,  welche  mit  Recht 
oder  Unrecht  Anspruch  auf  Geistesbildung  oder  Ele- 
ganz machten,  boten  eine  recht  angenehme  Versamm- 
lung interessanter  Personen  dar.  Frau  von  Stael  er- 
schien fleißig,  man  war  sicher,  viele  Bekannte  und  aus- 
gezeichnete Menschen  zu  treffen  oder  kennen  zu 
lernen;  was  Schlegel  sagte  oder  las,  hatte  natürhcher- 
weise  viel  Gehalt,  wenn  es  gleich  zuweilen  Paradoxen 
enthielt  und  sein  Vortrag  nicht  gerade  hinreißend  war. 
So  bildeten  diese  Vorlesungen  eine  sehr  angenehme 
Unterhaltung  und  einen  Vereinigungspunkt  für  die 
schöne  Welt  auch  nach  dem  Karneval. 

Eine  Freundin  meiner  Eltern,  Frau  von  Flies  ^*^), 
Schwester  des  Barons  von  Eskeles^*^),  war  nach  einer 
langen  Abwesenheit  im  Jahre  1802  oder  1803  wieder 
nach  Wien  zurückgekommen.  Sie  war  Witwe  und  be- 
jahrt, aber  ein  reger  Geist,  eine  Liebe  zu  höheren 
geistigen  Genüssen  und  eine  unepdhche  Gutmütig- 
keit und  FreundHchkeit  machten  ihr  Haus,  so  klein 
es  war,  zu  einem  angenehmen  Sammelplatz  für  einen 
beschränkten,  aber  gewählten  Kreis  gebildeter  Men- 
schen. Man  versammelte  sich  an  einem  bestimmten 
Wochentage  und  manche,  die  schon  zu  den  Auserwähl- 
ten gehörten,  blieben  nach  der  Soiree  bei  einem 
mäßigen,  aber  niedlichen  Souper.  Mich  hatte  Frau 
von  Flies  liebgewonnen,  ich  war  die  Tochter  lang- 
bewährter Freunde,  sie  hatte  mich  als  halbgewach- 
senes Mädchen  verlassen  und  fand  mich  als  Frau  von 

325 


mittleren  Jahren,  als  Schriftstellerin,  die  schon  einigen 
Namen  erworben  hatte,  wieder;  so  war  ich  ihr  wert, 
und  ich  achtete  sie  als  eine  mütterliche  Freundin. 
Viele  angenehme  Stunden  habe  ich  in  ihrem  Hause 
verlebt,  viele  anziehende  Bekanntschaften  dort  gemacht; 
durch  sie  ward  unsere  FamiHe  dem  Arnsteinschen 
Hause,  mit  dem  schon  meine  Eltern  wohlbekannt 
waren,  dem  mich  aber  wie  vielen  andern  die  Ent- 
fernung meiner  Wohnung  entfremdet  hatte,  wieder 
genähert,  und  ich  kam  nun  sehr  oft  in  diese  glänzenden 
Häuser  von  Arnstein^*'),  Pereira^*^)  und  Eskeles.^  Doch 
am  meisten  fühlte  ich  mich  verpfHchtet,  Frau  von 
Flies  für  ihr  Wohlwollen  und  ihren  herzlichen  Anteil 
an  mir  zu  danken. 

Bei  ihr  sah  ich  denn  auch  A.  W.  von  Schlegel,  die 
schöne  Großmutter  und  viele  bedeutende  Fremde. 
Schlegel  las  uns  Übersetzungen  aus  Calderon  und 
andere  Gedichte,  teils  von  ihm  selbst,  teils  von  seinem 
Bruder  Friedrich  vor^*^),  dessen  Ankunft  in  Wien  man 
fürs  nächste  Jahr  erwartete,  und  auf  welchen,  sowie 
auf  den  schon  anwesenden  Bruder,  ihre  Fehden  mit 
Kotzebue  und  Merkel^"),  sowie  ihre  Vergötterung 
Goethes  und  die  neuen  Theorien  von  Poesie  höchst 
aufmerksam  gemacht  hatten.  Jene  Abende  bei  Frau 
von  FHes  waren  mir  sehr  angenehm,  und  in  solchen 
lebhaften  geselligen  Verbindungen  ging  der  Winter 
von  1807  auf  1808  genußreich  hin. 

Im  Frühjahr  dieses  Jahres  erschien  mein  Agathokles, 
an  dem  ich  fast  drei  Jahre  gearbeitet  hatte,  und  er- 
regte im  Anfange  wenig  Teilnahme^^^).  Auf  mich 
stürmte  in  derselben  Periode  manches  häusliche 
Leiden  ein  und  wurde  mir  zum  Prüfstein  meiner  inner- 
lichen Kraft.   Ich  ertrug  und  ich  kann  sagen,  ich  über- 

326 


wand  es.  Waren  doch  meine  Lieben,  mein  Mann, 
mein  Kind,  meine  Mutter  mir  geblieben.  Ich  war  an 
manchem  Schönen,  mancher  jugendHchen  Täuschung 
ärmer,  aber  an  Mut,  Erfahrung  und  Geduld  reicher 
geworden. 

Im  nächsten  Herbste  traf  also  Friedrich  von  Schle- 
gel^^^)  mit  seiner  Frau,  einer  gebornen  Mendelssohn, 
in  Wien  ein.  Alles  war  sehr  gespannt  auf  dieses  Paar; 
denn  nächst  dem  wohlverdienten  literarischen  Ruhm, 
der  Friedrich  von  Schlegel  voranging  und  ihm  schon 
längst  die  Achtung  der  Gelehrtenwelt  erworben  hatte, 
gesellte  sich  noch  ein  pikanterer  Reiz  dazu.  Man  freute 
sich,  den  streitfertigen  Gegner  Merkels  und  Kotzebues, 
den  Mann,  der  als  Gründer  einer  neuen  poetischen 
Schule  so  viele  langverehrte  Autoritäten  von  ihren 
Altären  stürzen  wollte  und  in  Vieler  leicht  beweglicher 
Meinung  auch  gestürzt  hatte  —  endlich  auch  den  Ver- 
fasser der  vielberüchtigten  Lucinde^^^)  von  Angesicht 
zu  Angesicht  kennen  zu  lernen.  Dieses  Buch,  sowie 
das  meiste,  was  ungefähr  5 — 6  Jahre  früher  aus  der 
Feder  dieser  beiden  Brüder  geflossen  war,  hatte 
Deutschland  in  Erstaunen  gesetzt;  war  aber  doch  von 
den  meisten  zwar  mit  Anerkennung  der  großen  Ge- 
lehrsamkeit, im  ganzen  aber  mit  Mißbilligung  auf- 
genommen worden.  Überdies  erwartete  man;in  Frau 
von  Schlegel^^*)  das  Urbild  der  Lucinde  zu  erbhcken, 
und  so  sah  man  ihrer  beiderseitigen  Erscheinung  be- 
gierig entgegen. 

Hatte  aber  schon  A.  W.  Schlegel  durch  sein  zier- 
liches, fashionables  und  fast  übertrieben  sorgfältiges 
Äußeres  die  allgemeine  Erwartung  getäuscht,  welche 
auf  einen  tüchtigen  Renommisten  und  rauhen,  scharfen 
Kritiker,  dessen  Sitten  der  Umgang  mit  den  schönen 

327 


Künsten  nicht  gemildert  hatte,  vorbereitet  war,  so  fand 
sich  bei  seinem  Bruder  noch  weniger  von  diesem,  durch 
die  Phantasie  entworfenen  Bilde.  Friedrich  Schlegel 
war  ein  Mann  gegen  Vierzig  —  mit  einer  ziemlich  an- 
genehmen Bildung,  der  aber  in  Wuchs,  Gesicht  und 
Benehmen  viel  eher  einem  einfachen,  redlichen  Bür- 
gersmann als  einem  schlag-  und  streitsüchtigen  Ge- 
lehrten glich  ^^^).  Noch  auffallender  war  der  Kontrast 
zwischen  dem  Bilde,  das  wir  uns  hier  von  seiner  Frau 
entworfen,  in  der  jedermann  das  Urbild  der  schönen, 
lüsternen,  freien  Lucinde  zu  finden  dachte,  und  dem 
Eindrucke,  den  die  wirkhche  Erscheinung  dieser  Frau 
machte.  Es  war  eine,  längst  über  alle  Jugend  und  alle 
Schönheit  —  wenn  je  eine  dagewesen  war  —  hinaus- 
gerückte Gestalt,  von  mittlerem,  etwas  starkem  Wüchse 
mit  geistreichen,  aber  beinahe  männHchen  Zügen, 
wie  denn  manche,  die  ihren  berühmten  Vater  gekannt, 
behaupteten,  sie  sähe  ihm  ganz  ähnlich.  Dennoch  war 
in  diesen  nicht  reizenden  Formen  ein  solcher  Aus- 
druck von  Geist  und  höherer  Natur,  in  diesen  wirk- 
lich schönen  schwarzen  Augen  so  viel  Leben,  Feuer 
und  Güte,  in  dieser  ganzen  Persönlichkeit  so  viel  echt 
weibliche  Würde,  sittsamer  und  feiner  Anstand,  daß 
es  unmöglich  war,  auch  nur  einen  Augenblick  länger 
an  jenes  schlüpfrige,  unsaubere  Bild  zu  denken,  und 
daß  man  sich  mit  mächtigen  Banden  der  Achtung 
und  des  Wohlwollens  zu  dieser  merkwürdigen,  geist- 
vollen und  doch  so  anspruchslosen,  zu  dieser  viel- 
besprochenen, vielgeprüften  und  doch  so  einfachen 
Frau  hingezogen  fühlte.  Wenigstens  ging  es  mir  so, 
und  die  allgemeine  Achtung,  deren  sie  während  eines 
vieljährigen  Aufenthaltes  in  Wien  sowie  später  in 
Frankfurt  genoß,  die  warme  Freundschaft,  mit  welcher 

^28 


alle,  die  sie  näher  kennen  gelernt,  an  ihr  hingen,  be- 
weist, daß  diese  meine  Empfindung,  welche  mich  nun 
auch  schon  seit  beinahe  dreißig  Jahren  für  diese  Frau 
belebt,  keine  individuelle  Ansicht  oder  wohl  gar  Täu- 
schung gewesen  sei^^^). 

Genug,  die  Schlegel  waren  nun  in  Wien.  Bald  er- 
hielt Friedrich  eine  diplomatische  Anstellung,  die  ihn 
an  Österreich  band,  und  ihr  Haus  ward  ein  Vereini- 
gungspunkt für  höhergebildete  Menschen,  interessante 
Fremde  und  Künstler.  Sehr  angenehm  verflossen  dann 
die  Abende  in  diesem^  Kreise,'"und  gerade  die  Beschrän- 
kung der  Glücksumstände,  welche  der  Familie  keinen 
Aufwand,  keine  oft  lästige  Eleganz  und  prätenziöse 
Fashionablität  erlaubte,  gab  diesen  Zusammenkünften 
einen  eigentümlichen  Reiz  von  hausväteirlichem  Ton 
und  herzlichem  Wohlwollen.  Man  fühlte,  daß  man 
wirklich  willkommen  war,  und  daß  das  einfache,  aber 
schmackhafte  Gouter  uns  mit  aufrichtiger  Wohl- 
meinung geboten  wurde.  Ich  war  ungemein  gern  da, 
und  zähle  jene  Stunden,  bei  Frau  von  Schlegel  zu- 
gebracht,  zu   den   angenehmsten   meines  Lebens ^^'). 

So  verging  das  Jahr  1808  unter  wechselnden,  aber 
bedeutenden  Ereignissen,  und  das  ungleich  wichtigere 
1809  brach  an. 

Schlegel  hatte  eine  Zeitung  begonnen.  Es  war  der 
Osterreichische  Beobachter ^5^),  der  damals  zuerst  er- 
schien, und  so  wie  jetzt  unter  der  Ägide  und  mithin 
unter  der  Aufsicht  der  Staatskanzlei  oder  eigentlich 
des  Fürsten  (damals  Grafen)  Metternich  stand.  Große 
Bewegungen  schienen  sich  vorzubereiten  und  auf  noch 
größere  Ereignisse  hinzudeuten.  Napoleon  dehnte  in 
Krieg  und  Frieden  seine  Macht  immer  weiter  aus.  Er 
eroberte  durch  seine  Armeen  und  seine  überraschende 

329 


Taktik,  die  damals  noch  immer  das  Erstaunen  und  eben 
deswegen  auch  den  Ruin  der  feindlichen  Armeen  ver- 
ursachte, große  Länderstrecken.  Was  er  erobert,  be- 
hielt er  beim  Friedensschlüsse  und  wußte  nach  dem 
Frieden  oder  eigentlich  während  des  Friedens  unter 
allerlei  der  nichtigsten  Vorwände,  womit  er  der  Welt 
gleichsam  spottete,  mehr  Länder  zu  besetzen,  zu  be- 
halten und  als  direkte  und  indirekte  Staaten  seinem, 
bereits  nach  der  Universalmonarchie  strebenden  Reiche 
einzuverleiben,  als  ihm  das  Glück  der  Waffen  verschafft 
hatte.  Die  Freiheit  der  Presse  war  durch  ihn  vernich- 
tet, ein  ungeheures  Lügensystem  in  den  Zeitungen 
eingeführt  und  in  der  Absicht,  den  englischen  Handel 
zu  zerstören,  ganz  Europa  mit  der  Kontinentalsperre 
unter  dem  unerträglichsten  Drucke  gehalten.  Alles 
seufzte  unter  diesem  Joche,  die  alten  Throne  wankten, 
und  mit  Bangigkeit  sahen  Völker  und  einzelne  dem  Los 
ihrer  künftigen  Tage  entgegen,  dessen  Bestimmung 
einzig  und  allein  von  dem  Willen  eines  Mannes,  dieses 
Napoleon,  abhängig  war,  den  jetzt  so  viele  mit  un- 
begreifHcher  Vergessenheit  alles  einst  Geschehenen  als 
einen  Verfechter  der  Völkerfreiheit  und  liberaler  Ideen 
betrachten. 

In  ganz  Deutschland,  besonders  nach  dem  Unglücke 
Preußens  ^^^),  gärte  und  kochte  Haß  gegen  diesen  — 
jetzt  so  gerühmten  Freiheitshelden,  und  geheime  Ver- 
bindungen knüpften  sich  an,  um  wo  möglich  eine  Reak- 
tion hervorzubringen.  Es  mag  nun  wohl  sein,  daß 
englisches  Gold  unter  der  Hand  zvl  diesem  Zwecke 
tätig  gewesen  war,  so  viel  aber  ist  gewiß,  und  jeder 
Zeitgenosse,  der  jene  Epoche  mit  erlebt,  wird  es  zu- 
geben müssen,  daß  ganz  Deutschland  sowie  Österreich 
die  Last  jener  Verhältnisse  mit  Schmerzen  fühlte  und 

330 


einer  Möglichkeit,  sie  abzuschütteln,  mit  banger  Sehn- 
sucht entgegensah. 

Ein  schönerer  Geist  fing  an,  sich  zu  regen.  Durch 
Bücher,  durch  Dichtungen,  durch  die  Richtung,  welche 
Kurist  und  Literatur  auf  vaterländische  Gegenstände 
nahmen,  bekamen  diese  höheren  Wert  für  jeden,  als 
sie  vormals  gehabt  hatten.  Die  Idee  des  Vaterlandes, 
die  Nationalehre  erwachte  in  den,  durch  lange  Gewohn- 
heit und  bequemes  Hinleben  im  behaglichen  Friedens  - 
Stande  der  letzten  Dezennien  erschlafften  Geistern,  und 
es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  auch  die  romantische  Poesie, 
indem  sie  eine  bis  dahin  unbeachtete  Vergangenheit  aus 
ihren  Gräbern  aufrief,  und  die  alten  Schätze  deutscher 
Dichtkunst  uns  vor  Augen  führte,  diesen  Geist  erhöhte 
und  verstärkte.  Man  fing  an,  das  alte  Deutschland  zu 
lieben,  man  studierte  seine  Sitten,  man  erwärmte  sich 
an  dem  ritterlichen,  frommen  Sinne  des  Mittelalters 
und  gewann  das  Land  und  die  Landsleute  lieber,  denen 
man  früher  gern  alles  Ausländische  vorgezogen  hatte. 

So  war  die  allgemeine  Stimmung,  als  Österreich 
den  Krieg  an  Frankreich  erklärte.  Unser  Freund  CoUin 
dichtete  für  diesen  Zweck  seine  Landwehrlieder,  welche 
mit  Musik  von  Weigl  am  Ostersonntag  vor  einer  ge- 
drängten Versammlung  von  mehreren  tausend  Men- 
schen im  Redoutensaale  gesungen  wurden  und  in  welche 
das  Publikum,  wo  es  anging,  mit  voUer  Seele  und  unter 
allgemeinem  Jubel  einstimmte.  Welch  ein  Tag  war 
das!^*°)  Welche  Stimmung  unter  meinen  Mitbürgern, 
und  wie  —  —  doch  ich  will  mir  nicht  selbst  vor- 
greifen. 

Die  Regimenter  fingen  an,  sich  zu  rühren.  Die 
sechs  Landwehrbataillone  von  Wien  wurden  organi- 
siert^*^).    Viele    angesehenere    junge   Leute    nahmen 

331 


Pienste,  darunter  B.  Steigentesch,  und  andere  aus- 
gezeichnete Offiziere  schätzten  es  sich  zur  Ehre,  sich 
an  die  Spitze  eines  der  Bataillone  zu  stellen;  Graf 
H070S  (der  Oberstjägermeister)  ^^^  bewaffnete  seine 
Bergbewohner,  die  Untertanen  seiner  Güter,  und 
zog  selbst  als  ihr  Oberst  mit  ihnen  aus,  jedes  Ungemach, 
jede  Entbehrung,  jede  Gefahr  mit  ihnen  teilend.  Sie 
begleitete  als  Feldkaplan  ein  ausgezeichneter  Geist- 
licher, Baron  Somerau-Beeckh^*^,  ein  Jugendbekannter 
von  mir,  mit  dem  ich  mehr  als  zwanzig  Jahre  früher 
manchen  Walzer  getanzt  hatte.  Damals  dachte  wohl 
niemand  an  eine  solche  Umstaltung  seiner  Laufbahn; 
denn  aus  jenem  fröhlichen  Studentenleben  trat  So- 
merau  ins  MiKtär,  und  es  vergingen  mehrere  Jahre, 
während  welcher  niemand  —  kaum  seine  Mutter  und 
Schwester  —  etwas  von  ihm  wui3ten.  Plötzlich,  kurz 
vor  meiner  Verheiratung,  verbreitete  sich  das  Gerücht, 
Baron  Somerau  habe  sich  dem  geistlichen  Stande 
gewidmet,  und  bald  darauf  kam  er  nach  Wien,  besuchte 
uns  freundlich,  zeichnete  sich  sofort  in  seiner  neu- 
gewählten Laufbahn  .als  Seelsorger  und  Prediger  aus, 
war  Kaplan  in  mehreren  Pfarren  nacheinander,  zog 
dann  mit  der  Landwehr  aus,  der  er  als  ehemaliger 
Militär  von  großem  Nutzen  war;  erwarb  sich  auch  in 
dieser  Laufbahn  Ehre  und  Achtung,  wurde  dann  Dom- 
herr in  Olmütz,  und  ist  jetzt  (ich  schreibe  dies  im 
Dezember  1836)  erwählter  Fürst-Erzbischof  von  Ol- 
mütz! Per  tot  discrimina  rerum!  Nicht  ohne  stilles 
Vergnügen  weilt  mein  Geist  bei  den  Erinnerungen 
an  diesen  Mann,  dessen  Laufbahn  so  sonderbar,  dessen 
Geist  und  Gemüt  stets  ausgezeichnet  waren,  dessen 
endliche  Erhebung  auf  den  Fürstenstuhl  für  seinen 
gediegenen  Wert  beweist,  und  ich  denke  gern  an  die 

332 


längstvergangene  Zeit,  zwischen  die  und  jetzt  sich 
ein  halbes  Jahrhundert  drängt,  wo  ich  mit  ihm  jugend- 
liche Freuden  teilte  oder  zehn  Jahre  später,  als  er 
schon  Priester  war,  mich  an  seinem  geistreichen  Um- 
gang ergötzte  oder  an  seinen  Predigten  erbaute,  die 
wirklich  sehr  gut  waren  und  ein  zahlreiches  Publikum 
hatten. 

Das  berühmte  Kürassierregiment  ,^Hohenzollern  (vor 
200  Jahren  Dampierre,  später  Großfürst  Konstantin, 
oder  wie  es  jetzt  heißen  mag)  marschierte  durch  Wien, 
und  wie  es  sich  dies  Vorrecht  durch  die  Befreiung 
Kaiser  Ferdinands  II.  im  Jahre  1619  verdient,  zog  es 
durch  die  Stadt,  durch  die  kaiserliche  Burg,  und  schlug 
sein  Werbgezelt  auf  dem  Burgplatze  auf,  wo  sich  so- 
gleich zwei  Fürsten  Liechtenstein^'*)  anwerben  ließen. 
Mich  regte  das  alles  ungemein  auf,  und  ich  dichtete 
eine  Romanze,  deren  Inhalt  diese  Rettung  des  Kaisers 
und  das  von  diesem  Regimente  erworbene  Vorrecht 
waren.  Die  Romanze^**)  erschien,  wenn  ich  nicht  irre, 
an  dem  Tage  selbst,  wo  der  Einmarsch  statthatte,  und 
ich  sah  die  ganze  Zeremonie  mit  wahrhaft  klopfendem 
Herzen  und  unter  frommen,  aber  zitternden  Wünschen 
für  den  glücklichen  Ausgang  aller  dieser  Bestrebungen 
aus  den  Fenstern  des  k.  k.  Archivs  an  Hormayrs  Seite 
an,  dfsr  voll  stolzer  Hoffnungen  war  und  sich  anschickte, 
als  Generalintendant  nach  Tirol  zu  gehen  und  dort 
den  Landsturm  gegen  die  Bayern  und  Franzosen  zu 
organisieren^").  Es  war  wohl  nur  Zufall,  aber  doch 
ein  böses  Omen,  daß  er  gerade  am  Karfreitag  zu  dieser 
Mission  von  hier  abging. 

Die  Würfel  waren  geworfen,  die  Regimenter  mar- 
schierten gegen  den  Feind.  In  unserm  Kreise  befanden 
sich  mehrere  Familien  von  Offizieren;  die  Frauen,  die 

333 


Verwandten  sahen  mit  noch  bangerem  Gefühl  als  wir 
übrigen  dem  Schicksale  der  kommenden  Tage  ent- 
gegen; denn  manche  traurige  Erfahrung  von  1797, 
1800,  1805,  Preußens  Schicksal  in  den  Jahren  1806  bis 
1807  hatten  uns  die  frohe  Zuversicht  in  das  Glück  der 
österreichischen  Waffen  im  Konflikt  mit  jenen  bis 
dahin  unüberwindlichen  Armeen  sehr  geschwächt. 
Jedoch  lebte  noch  manche  freundliche  Hoffnung  in 
uns,  gestützt  auf  die  Größe  und  Wirksamkeit  der  An- 
stalten, auf  den  Ruhm  des  Erzherzogs  Karl,  der  zum 
GeneraHssimus  ernannt  war,  und  den  neuen  patrio- 
tischen Geist,  der  die  ganze  Nation  beseelte. 

So  vergingen  einige  Tage.  Es  waren,  um  den  Schutz 
des  Himmels  für  unsere  wirklich  gerechte  Sache  an- 
zuflehen, Bittgänge  angeordnet,  an  denen  der  Hof 
und  die  ganze  Stadt  teilnahmen^").  Ehe  der  Tag  zu 
diesen  Prozessionen  erschien,  ereilten  uns  schon  trübe, 
unglückverkündende  Botschaften.  Der  Unfall  bei 
Regensburg  war  eingetreten  ^^^.  Von  einem  Vorrücken 
oder  Angreifen  keine  Rede  mehr.  Die  Armee  des  Erz- 
herzogs zog  sich  nach  Böhmen.  Mit  welchen  Gefühlen 
der  Angst  und  inbrünstiger  Andacht  um  Abwendung 
der  abermals  drohenden  Gefahr  wurde  diese  Pro- 
zession begangen!  Mit  welchen  schmerzHchen  Ge- 
fühlen betrachtete  ich  den  Dom  von  St.  Stephan, 
während  die  Prozessionen  der  Vorstädte  laut  betend 
und  den  Herrn  der  Könige,  der  „ihre  Herzen  wie 
Wasserbäche  lenkt"  ^'^),  um  Schutz  und  Segen  für  den 
Monarchen,  für  das  Vaterland,  für  jeden  einzelnen 
anrufend,  in  denselben  einzogen!  Ach,  dieser  Dom! 
welche  Schicksale  hatte  er  nicht  schon  gesehen,  was 
hatte  er  nicht  mit  Österreich  mitgemacht !  Ruhm  und 
Glanz,  Not  und  Gefahr,  Elementarstürme  und  Be- 

334 


lagerungen!  Es  kam  mir  in  dem  Augenblick  das  ehr- 
würdige Gebäude  mit  seinen  kolossalen  Dimensionen, 
mit  seiner  altertümlichen  Pracht,  mit  seinen,  durch 
fünf  Jahrhunderte  dauernden  Mauern  wie  ein  Symbol, 
wie  ein  Repräsentant  von  Österreich  und  von  seinem 
Kaiserhause  vor.  Waren  es  denn  nicht  einige  der 
ersten  Herzoge  aus  diesem  Hause,  welche  den,  von  den 
Babenbergern  gegründeten  kleinen  Bau  nach  einem 
größern  Plan  erweitert  und  in  der  Pracht  hergestellt 
hatten,  in  der  wir  ihn  noch  sehen  ?  Gerade  wie  auch 
das  Haus  Habsburg  die  anfangs  kleine  Macht  der 
Ostmark  endlich  zu  der  Größe  von  Bedeutenheit 
und  Gewalt  gebracht  hat,  deren  sich  Österreich  jetzt 
erfreuen  durfte. 

Durch  unsern  werten  Freund,  Baron,  jetzt  Graf 
Rothkirch,  der  als  Major  vom  Generalstabe  mit  der 
Armee  fortgezogen  war,  bekam  ich  die  erste  ausführ- 
hchere  Nachricht  von  jenen  Unglücksfällen.  Sein  Brief, 
in  sehr  düsterm  Ton  geschrieben,  war  aus  einem  kleinen 
Flecken  an  der  böhmischen  Grenze  datiert.  Er  schickte 
mir  durch  einen  vertrauten  Menschen  einen  Teil  seiner 
Barschaft,  seine  Karten  und  eine  Kassette  mit  Papieren, 
um  es  zu  verwahren.  Während  aber  jene  Truppe  sich 
nach  Böhmen  gezogen  hatte,  war  die  feindliche  Armee 
uns  schon  ganz  nahe  gekommen.  Der  Hof,  die  Kanz- 
leien gingen  fort,  die  kaiserlichen  Schätze,  Gale- 
rien usw.  wurden  eingepackt  und  entweder  fortgesandt 
oder  an  verläßlichen  Orten  verborgen"^).  Zum  vierten 
Male  hatten  wir  eine  Invasion  des  Feindes  mit  allen 
ihren  Schrecken  zu  befürchten,  zum  zweiten  Male 
sollte  sie  wirklich  über  uns  kommen,  und  um  so  furcht- 
barer, da  man  nicht  bloß  wie  anno  1797  daran  dachte, 
die  Stadt  zu  verteidigen,  sondern  wirklich  alles  Ernstes 

335 


die  Anstalten  dazu  getroffen,  die  Basteien  mit  Kanonen 
besetzt,  die  Zugbrücken  an  den  Stadttoren  in  Gang 
gesetzt  wurden,  und  die  Vorstädte  folglich  dem  Feinde 
oder  dem  Pöbel  preisgegeben  werden  soUten^'^).  v 

Das  war  keine  freundliche  Aussicht,  zumal  für  uns, 
die  die  Lerchenfelder  Bevölkerung  von  der  ersten 
Hand  zu  erwarten  hatten.  Meine  Mutter,  damals 
schon  hochbetagt,  überlegte,  was  zu  tun  sei.  Viele 
rieten  uns,  von  hier  wegzugehen  und  taten  es  selbst; 
andere  zogen,  der  persönlichen  Sicherheit  wegen  vor, 
sich  lieber  in  die  zu  belagernde  Stadt  einschließen  zu 
lassen.  Unter  diesen  war  eine  Familie,  welche  aus  einer 
hochbetagten  Mutter^''^),  zwei  verheirateten,  aber 
von  ihren  Männern  getrennten  Töchtern  und  deren 
Kindern  bestand.  Diese  trieb  die  Angst  vor  Volks- 
aufständen in^ie  Stadt  hinein,  und  es  war  auch  wirk- 
lich zu  verwundern,  wie  man,  da  eine  Belagerung  be- 
vorstand, so  viel  unnützes  Volk  in  den  Umkreis  der 
Stadt  aufnehmen  mochte.  Doch  die  eine  der  Töchter, 
eben  jene  schöne  und  geistreiche  Frau  von  Kempelen, 
welche  mit  unserm  Freunde  Streckfuß  und  dann  noch 
mit  mehr  andern  zärtliche  Verhältnisse  gehabt  hatte, 
und  die  nun  in  unserm  Hause  einen  neuen  Magnet 
an  einem  s^hr  braven  und  interessanten  Manne  ge- 
funden hatte  ^'3),  Frau  von  K.  entschied  sich,  in  der 
Vorstadt  zu  bleiben,  und  wenn  wir  sie  aufnehmen 
wollten,  die  Tage  der  Gefahr  mit  uns  und  unsern  Haus- 
genossen zu  teilen.  Meine  Mutter  hatte  schon  früher, 
teils  aus  eigener  Ansicht,  teils  auf  den  Rat  eines  sehr 
würdigen  Freundes,  des  Waisenhausdirektors  Vier- 
thaler, sich  entschlossen,  in  ihrem  Hause  zu  bleiben. 
Vierthaler  hatte  ihr  nämlich  gesagt:  wo  Gott  sie  hin- 
gestellt habe,  wo  ihr  liegendes  Eigentum  sei,  das  sie 

336 


Antonie  von  Kempelen 
Unsignierte  Miniatur  —  Dr.  Albert  Figdor,  Wien 


f 


ohne  großen  Schaden  nicht  verlassen  könne,  dort  sei 
auch  ihr  Platz  bei  Gefahren;  und  so  blieb  sie  denri!^ 
und  wir  fingen  an,  für  die  ersten  Tage  der  Unruhe 
und  Verwirrung  einige  Vorräte  an  Mehl,  Hülsen- 
früchten, geräuchertem  Fleisch,  Schmalz  usw.  einzu- 
schaffen  und  einstweilen  auf  dem  Hausboden  zu  ver- 
wahren. Komisch  war  es,  bei  aller  Angst  und  Besorg- 
nis, die  uns  drückten,  das  Benehmen  mancher  von 
den  alten  Frauen,  den  Gesellschafterinnen  meiner  Mut- 
ter, zu  beobachten,  und  ich  habe  einige  Züge  aus  jener 
Zeit  in  dem  Charakter  der  Frau  v.  Volkersdorf  in 
meinem  Roman:  Die  Belagerung  Wiens  ^'^^),  aufbewahrt, 
wie  sie  von  jeder  Höckerin,  jeder  Magd  sich  Nach- 
richten holten,  an  die  sie  fest  wie  an  offizielle  Berichte 
glaubten;  wie  jedes  ungewöhnliche  Getöse  sie  in  Angst 
versetzte,  weil  sie  es  für  Schüsse  hielten,  und  als  die 
Feinde  noch  bei  Linz  standen,  das  Holzabladen  in 
einer  nahen  Straße  für  fernen  Kanonendonner  gehal- 
ten wurde. 

Zum  Glück  für  mich  waren  aber  auch  klügere 
Frauen  in  unserem  Kreise,  welche  doch  selbst,  als  Offi- 
ziersfrauen, eher  ein  Recht  gehabt  hätten,  ängstlich 
zu" sein.  Die  Baronin  Richler  mit  ihren  beiden  Schwe- 
stern^'^), deren  Mann  an  der  Spitze  eines  Landwehr- 
bataillons ausgezogen  war,  und  die  Baronin  von 
Engelhardt  samt  einer  Schwester,  die  für  den  Mann, 
den  Sohn  und  den  Bruder  zu  zittern  hatten,  welche 
beim  Regiment  Deutschmeister  standen^'*).  Und 
gerade  diese  waren  die  Ruhigsten,  die  Vernünftigsten, 
an  deren  Haltung  und  Fassung  ich  mich  oft  aufrichtete. 
Es  war  eine  schöne  Frühlingszeit  im  Anfange  des  Mais, 
und  unser  stiller  Garten  in  der  Alservorstadt  jeden 
Abend  und  oft  auch  während  des  Tages  der  Sammel- 


23     c.   P.  I 


337 


platz  des  kleinen  Kreises  der  Freundinnen  und  einiger 
hiergebliebener  Freunde,  welche  die  Nachrichten,  die 
jedes  vernommen,  ihre  Mutmaßungen,  düstern  Be- 
sorgnisse oder  geringen  Hoffnungen  einander  mit- 
teilten. 

Indessen  rückten  die  Feinde  immer  näher  heran, 
und  drangen  endlich  bis  in  die  Vorstädte.  Jetzt  hörte 
man  wirklich  ihre  Schüsse  ziemUch  nahe;  die  Tore 
der  Stadt  wurden  gesperrt,  unsere  Bürgerregimenter 
marschierten  auf  die  WäUe  und  bedienten  das  Geschütz. 
Wie  in  der  letzten  türkischen  Belagerung  geschah  der 
Angriff  von  Seite  der  ungarischen  Garde  und  der  k.  k. 
Stallungen  gegen  die  Burgbastei  und  den  kaiserlichen 
Palast.  Hier  stand  einer  unserer  Freunde,  der  Haupt- 
mann beim  zweiten  Bürgerregiment,  Barchetti,  ein 
schöner,  junger  Mann  mit  seiner  Kompagnie.  Eine 
französische  Kugel  riß  ihm  den  Schenkel  weg,  er  wurde 
in  die  Stadt  hinabtransportiert,  sein  Bruder  (der 
jetzige  Gubernialrat)  geholt;  er  starb  aber  noch  diese 
Nacht  —  vielleicht  nebst  wenigen  Unbekannten  das 
einzige  Opfer  von  Bedeutung,  welches  diese  Beschießung 
gekostet  hatte;  denn  er  war  ein  hoffnungsvoller  Mann 
in  der  Blüte  seiner  Jahre  und  Vater  von  mehreren 
Kindern"'). 

Am  Abend  wurde  das  Schießen  von  beiden  Seiten 
stärker.  Lange  bewahrten  die  Mauern  der  k.  k.  Stal- 
lungen die  Spuren  mancher  Kugeln,  welche  von  der 
befreundeten  Stadt  hinaus  auf  die  Vorstädte  flogen. 
Mit  dem  Einbruch  der  Nacht  schien  die  Beschießung 
der  Stadt  ernstlich  zu  werden,  und  in  dem  Maße,  wie 
die  Schüsse  näher,  dichter  fielen,  wuchsen  natürHcher- 
weise  unsere  Besorgnisse.  Man  berichtete  uns,  daß  wir 
vom  Garten  aus  die  Richtung  und  den  Weg  der  Kugeln 

338 


UjA'^^ 


sehen  könnten.  —  Wir  eilten  in  das  Zimmer,  welches 
in  den  Garten  sieht,  und  das  uns,  freilich  hinter  Bäumen 
und  von  andern  nähern  Gebäuden  versteckt;  dennoch 
ziemlich  richtig  die  Lage  der  Vorstädte,  in  denen  die 
Franzosen  mit  ihrem  Geschütze  standen,  und  die  Gegend 
der  Stadt  beurteilen  ließ,  wohin  sie  ihre  Schüsse  richte- 
ten, und  woher  die  der  unserigen  kamen.  Mit  bangem 
Mute  standen  wir,  Frau  von  K**,  der  jüngere  Kur- 
länder, ich  und  mein  Mann,  am  Gartenfenster  da, 
und  sahen  von  der  rechten  Seite  herein  (von  der  Gegend 
des  Spittelberges)  die  Haubitzen  der  Franzosen  als 
weißglänzende  zitternde  Schlangen  in  fast  horizontaler 
Bewegung  gegen  die  Stadt  hinfliegen  —  furchtbare 
Vögel,  die  Graus  und  Flammen  dahintrugen,  wo  sie 
hintrafen,  während  aus  der  Stadt  linksherüber  in  maje- 
stätischem Bogen  rotlodernde  Bomben  si^h  erhoben 
und  sich  auf  die,  vom  Feinde  besetzte  Gegend  herab- 
senkten. Das  Krachen,  der  Donner  des  eifrig  spielen- 
den Geschützes,  das  in  solcher  Nähe  auch  bald  uns 
selbst  zu  erreichen  drohte,  hatte  schon  an  und  für  sich 
etwas  sehr  Beängstigendes;  noch  beängstigender  aber 
war  es  für  uns,  als  wir  rechts  hinüber,  also  in  der  be- 
freundeten Stadt,  eine  Lohe  um  die  andere  auflodern 
sahen  und  unsere  Phantasie  freien  Spielraum  hatte,  sich 
jeden  oder  jede  unserer  liebsten  Freunde  jetzt  in 
Feuers-  oder  Lebensgefahr  zu  denken!  Es  war  eine 
furchtbare  Nacht  —  durch  die  Menschen  dazu  ge- 
macht! während  der  Garten  mit  seinen  Blumen  und 
Bäumen,  vom  hellen  Monde  beglänzt,  im  tiefsten 
Frieden  der  Natur  vor  uns  lag"^)! 

Pichler  ging  mit  einer  Seelenruhe,  die  ich  mir  wohl 
wünschen,  aber  nicht  erlangen  konnte,  gegen  zwölf  Uhr 
von  uns  weg,  legte  sich  zu  Bette  und  schlief  richtig 


32* 


339 


während  des  Kanonendonners,  der  bis  gegen  drei  Uhr 
morgens  währte,  ruhig  ein.  Wir  übrigen  brachten 
diese  Stunden  wach  und  in  großer  Unruhe  zu,  und  ich 
stieg  mehr  als  einmal  zu  meiner  verehrten  Nachbarin, 
der  Baronin  von  Engelhardt  hinauf,  um  bei  ihr,  die 
als  sehr  gescheite  Frau,  als  Gemahlin  eines  Militärs, 
und  welche  die  Belagerung  von  Mainz  mitgemacht 
hatte,  mir  gänzlich  Unerfahrenen  zu  Rat  und  Trost 
sein  konnte.  Aber  Trost  gaben  mir  ihre  Reden  nicht, 
vielmehr  gingen  aus  denselben  größere  Besorgnisse 
hervor;  denn  es  wurde  mir  klar,  daß  die  heutige  Nacht 
nur  erst  der  Anfang  bedrängterer  Tage  sein  könne. 
Endlich  hörte  der  Kanonendonner  auf,  ich  legte  mich 
zu  Bette  und  schhef  ein  paar  Stunden.  Als  ich  nach 
sechs  Uhr  in  den  Garten  hinabging,  und  unserm  alten 
Gärtner,  der  in  seiner  Jugend  Kanonier  gewesen  war, 
von  den  Schrecken  dieser  Nacht  sprechen  wollte,  sagte 
der  alte  Soldat  ganz  ruhig :  Gnädige  Frau !  Das  wird  und 
muß  noch  ganz  anders  kommen.  Jetzt  werden  die 
Franzosen  die  Dächer  der  nächsten  Häuser  am  Glacis 
abdecken  und  die  Kanonen  dort  hinaufpflanzen,  dann 
wird  das  Schießen  erst  recht  angehen.  Des  Mannes 
Meinung  traf  zu  genau  mit  dem  zusammen,  was  meine 
Freundin  mir  in  der  Nacht  gesagt  hatte,  um  mir  nicht 
die  lebhafteste  Angst  einzuflößen. 

Indessen  —  kein  Schuß  ließ  sich  mehr  weder  aus 
der  Stadt  noch  aus  der  Vorstadt  vernehmen,  und  wie 
wir  uns  auf  der  Gasse  umsahen,  bemerkten  wir  zu  un- 
serer Beruhigung,  daß  auf  den  Dächern  des  Universal- 
spitales,  Findelhauses  usw.  schwarze  Sicherheitsfahnen 
aufgesteckt  "Waren,  um  diese  frommen  Anstalten  vor 
den  feindlichen  sowohl  als  freundlichen  Kugeln  zu 
schirmen;  denn  das  durften  wir  unsern  Siegern  wohl 

340 


■  \^ 


k,f 


zutrauen,  daß  sie  solche  Häwser,  welche  der  leidenden 
oder  der  hilflosen  Menschheit  gewidmet  waren,  re- 
spektieren würden.  Und  sie  taten  es  auch  bei  jeder 
Gelegenheit,  sowie  sie  sich,  als  sie  später  die  Stadt 
schon  besetzt  hatten,  bei  Unordnungen  willig  und  ge- 
horsam von  unserer  Bürgergarde  arretieren  Heßen,  und 
so  manchen  „Staberl"  als  das  Organ  der  öffentlichen 
Ordnung  und  Sicherheit  ehrten.  Das  sind  eben  die 
zwar  seltenen,  aber  erfreulichen  Züge,  an  denen  der 
unparteiische  Beobachter  das  langsame,  aber  sichere 
Vorrücken  der  echten  Sittigung  wahrnehmen  kann. 
Gegen  8  Uhr  überraschte  uns,  und  wahrlich  nicht 
ganz  angenehm,  die  unerwartete  Nachricht,  daß  die 
Stadt  übergeben  sei  und  die  Franzosen  sogleich  Besitz 
davon  nehmen  würden  ^'^).  So  waren  denn  alle  die  An- 
strengungen, so  manches  Leben,  welches  für  die  Idee 
der  Stadtverteidigung  gefallen  war,  so  viele  Vorberei- 
tungen und  Entschlüsse  vergeblich  —  und  das  ganze 
eigentlich  eine  leere  Ostentation  gewesen!  Da  hätte 
man  nicht  bedurft,  die  Einwohner  zu  schrecken,  sie  so 
manchen  Plackereien  zu  unterwerfen,  so  manches  Haus 
den  Flammen  zu  überliefern,  so  vieler  Menschen  Ge- 
sundheit und  Leben,  die  in  der  Nacht  des  Bombarde- 
ments gelitten,  aufs  Spiel  zu  setzen,  wenn  der  Wider- 
stand nicht  länger  als  24  Stunden  dauern  sollte.  Wohl 
hatte  die  Vorstellung  einer  längern  Belagerung  und 
dessen,  was  die  Vorstädte  hätte  betreffen  können, 
viel  Furchtbares  für  uns;  aber  vieles,  was  nur  im  ersten 
AugenbHck  schreckte,  war  schon  überwunden,  vieles 
hätte  die  Notwendigkeit  ertragen  gelehrt,  zu  vielem 
war  ja  jeder  Österreicher  freudig  entschlossen,  wenn 
es  das  Wohl  des  Vaterlandes  galt,  um  den  Feind  auf- ' 
zuhalten  und  dem  geliebten  Erzherzog  Karl  die  Mög- 

341       . 


lichkeit  zu  verschaffen,  sich  mit  seiner  Armee  von  der 
Nordseite  her  der  Donau  zu  nähern  und  vielleicht  der 
bedrängten  Stadt  glorreichen  Entsatz  zu  bringen.  Was 
hätte  man  nicht  gern  dafür  ausgestanden? 

Das  war  nun  alles  vorbei !  Von  dem  Bombardement, 
von  dem  Abdecken  unserer  Häuser  und  dem  Aufführen 
des  Geschützes  —  waren  wir  befreit.  Kein  Bürgerblut 
brauchte  mehr  vergossen  zu  werden;  aber  das  Ganze, 
so  wohltätig  und  schonend  es  aussah,  mißfiel  doch  den 
meisten. 

Die  Verbindung  mit  der  innern  Stadt  war  nun  er- 
öffnet, die  feindlichen  Truppen  zeigten  sich  hier  und 
dort  und  wurden  nicht  aufs  beste  empfangen,  wie  denn 
einer  ihrer  Offiziere,  und  was  die  Sache  schlimmer 
machte,  ein  Parlamentär  oder  sonst  Beauftragter  auf 
der  Laimgrube  vom  Pöbel  mißhandelt  und  schwer  ver- 
wundet wurde ;  denn  der  Haß  gegen  die  Franzosen  war 
ungemein  groß  unter  dem  Volke  und  früher  geflissent- 
lich genährt  worden  ^^°). 

Nun  rückten  die  feindlichen  Scharen  förmlich  ein, 
und  die  Einquartierungen  nahmen  ihren  Anfang.  Der 
erste  Besuch  derselben  im  Jahre  1805  hatte  uns  mit 
der  Idee,  dergleichen  Gäste  aufnehmen  zu  müssen,  ver- 
trauter, und  ihr  anständiges  Betragen  sie  erträglicher 
gemacht.  Aber  nun  trat  eine  andere  Bedrängnis  ein. 
Der  Hof  hatte  sich  samt  allen  Kanzleien,  Schätzen, 
Kassen  usw.  nach  Ungarn  begeben,  und  mit  Öster- 
reich, als  einem  vom  Feinde  besetzten  Lande,  sollte 
aller  Verkehr  aufhören.  Wir  wurden  also  von  Ungarn, 
woher  die  Hauptstadt  den  größten  Teil  ihres  Lebens- 
unterhaltes bezogen  hatte  und  noch  bezieht,  ab- 
gesperrt. —  Nun  brach  der  Mangel  an  Brot,  Fleisch 
usw.  sogleich  aus.    An  den  Bäckerladen  standen  die 

342 


Kunden  oft  halbe  Nächte  lang,  um  am  Morgen,  50  wie 
geöffnet  wurde,  wenn  auch  -selten  ihren  ganzen  Be- 
darf, doch  wenigstens  einen  Teil  davon  zu  erhalten, 
und  bei  diesen  drückenden  Umständen  hatte  jede  Haus- 
haltung beinahe  noch  einige  fremde  und  oft  sehr 
fordernde  Gäste  an  ihren  Einquartierten  zu  bewirten  ^*i). 
Noch  schmerzlicher  indes  als  diese  leiblichen  Ent- 
behrungen drückte  uns  alle  der  Mangel  an  zuverläs- 
sigen Nachrichten  von  dem  öffentlichen  Stande  der 
Dingej  von  dem,  was  unsere  Armeen  machten,  wo 
sie  standen,  wie  es  den  beiden  Erzherzogen  Karl  und 
Johann  erging,  was  wir  für  unser  Geschick  in  diesen 
so  wichtigen.  Verhältnissen  zu  hoffen  oder  zu  fürchten 
hatten  ?  Mit  eifersüchtiger  Strenge  vnißten  die  Feinde, 
die  uns  unter  ihren  eisernen  Krallen  hielten,  jede  Nach- 
richt abzuhalten,  und  was  unter  der  Hand  einer  dem 
andern  mitteilte,  hatte  keine  Autorität  und  erwies 
sich  auch  früher  oder  später  als  unwahr.  Das  \vußte 
man,  daß  der  Erzherzog  Karl  am  jenseitigen  Donau- 
ufer lagerte,  und  Erzherzog  Johann  in  Eilmärschen  nach 
der  Schlacht  von  Caldiero^^^)  über  die  steierschen  Ge- 
birge heranzog,  um  dem  Feinde  von  hier  entweder  in 
den  Rücken  zu  fallen,  oder  den  Umweg  durch  Ungarn 
nehmend,  sich  mit  seinem  Bruder  auf  dem  jenseitigen 
Lande  zu  vereinigen. 

So  dauerte  unsere  bänghche  Lage  einige  Tage  fort, 
während  welchen  unser  einquartierter  Offizier,  ein 
artiger,  selbst  ein  schöner,  übrigens  aber  unbedeuten- 
der Mann,  uns  benachrichtigte,  daß  wir  ihren  Kaiser 
in  Schönbrunn  bei  einer  Revue,  die  auf  der  Schmelz 
(den  weiten  Feldern  zwischen  Schönbrunn  und  der 
Lerchenfelder  Linie)  gehalten  würde,  sehr  gut  sehen 
könnten  ^^3). 

343      . 


Ich  fuhr  also  mit  meinem  Schwager  Kurländer 
und  Frau  von  K**  nach  Schönbrunn.  Hier,  sowie  wir 
uns  durch  die  Allee  dem  Schlosse  näherten,  war  alles 
voll  Menschen,  Wagen  und  Pferden,  herbeigezogen 
wie  wir  durch  die  Neugier,  den  ausgezeichnetsten 
Mann  von  ganz  Europa  zu  sehen.  Mir  war  schmerzlich 
zumute,  ich  kann  es  nicht  leugnen,  denn  mein  Gemüt 
ertrug  nur  mit  Widerstreben  das  Gefühl  des  Fremd- 
lingsjoches, und  meine  Erinnerungen  führten  mich 
in  die  Zeiten  meiner  schönen  Kindheit  und  Jugend 
zurück,  wo  ich  oft  mit  meinen  Eltern  hieher  gekom- 
men war  und  die  edlen  Gestalten  der  Glieder  unsers 
Herrscherhauses  in  diesem  Schlosse,  in  diesen  Gärten 
gesehen  hatte.  Jetzt  wimmelte  es  im  Schloßhof  und 
vor  demselben  von  den  kaiserlich  französischen  Garden 
in  den  geschmackvollsten,  reichsten  Kostümen  —  ob- 
wohl etwas  von  den  gewöhnlichen  Formen  unsers 
MiHtärs  abweichend  —  Husaren  z.  B.  in  Pantalons; 
nie  aber  hatte  ich  auf  einem  verhältnismäßig  kleinen 
Raum  so  viele  schöne  Männergestalten  gesehen,  als 
sich  hier  bei  jedem  Blicke  zeigten,  und  es  hatte  das 
Ansehen,  als  wäre  die  Wahl  bei  der  Aufnahme  in  diese 
Korps  nach  den  Vorschriften  eines  Winckelmann  oder 
solcher  Meister  bestimmt  worden. 

Eine  gute  Weile  mußten  wir  mit  unserm  Wagen 
in  der  Allee  halten  und  warten.  —  Endlich  kam  Be- 
wegung in  die  überall  verstreute  Menge  der  Zuseher 
sowohl  als  des  französischen  Militärs,  und  nun  erschien 
eine  große  Schar  prächtig  gekleideter  Offiziere  zu 
Pferde,  die  aus  dem  Schloßhofe  über  die  Brücke  sich 
der  Allee  näherten.  Sie  kamen  uns  nahe  —  Gold-  und 
Silberstickereien  bedeckten  die  dunkeln  Uniformen, 
Federbüsche   von   allen   Farben   schwankten   auf   den 

344 


reichgallonierten  Hüten,  Mützen,  Tschakkos  usw.  Es 
war  die  französische  Generalität,  und  in  der  Mitte  der 
glänzenden  Schar  —  der  kleine  Mann  in  schlichter 
grüner  Uniform,  mit  dem  dreieckigen  kleinen  Hütchen 
auf  dem  Kopfe!!  Er  war  es  —  ich  sah  ihn  ziemlich 
nahe,  und  kann  mir  seine  Gestalt,  seine  Züge  noch  jetzt 
vergegenwärtigen.  Da  ritt  er,  der  fremde  Eroberer  — 
der  Usurpator,  der  Feind  unserer  Nation  —  aus  dem- 
selben Schlosse,  über  dieselbe  Brücke,  wo  so  oft  die 
verklärte  Theresia,  der  Kaiser  Josef,  unser  Kaiser 
Franz  herausgefahren  oder  geritten  waren!  Mein 
Herz  wandte  sich  mir  in  der  Brust  um  bei  diesem  An- 
blicke, mit  diesen  Erinnerungen  vergesellschaftet,  und 
ich  konnte  mich  in  jener  tief  empörten  Stimmung  des 
Wunsches  nicht  erwehren,  daß  doch  auf  irgendeinem 
Baume  dieser  Allee  ein  Tiroler  Scharfschütze  ver- 
borgen sitzen  und  einen  Teilsschuß  auf  diesen  mehr  als 
Geßler  tun  möchte. 

Wieder  vergingen  einige  schwergefühlte  Tage  auf 
die  vorige  Weise,  und  ein  trübes  Ereignis  in  unserm 
Hause  diente  nur  dazu,  den  Eindruck,  den  unsere  ganze 
Lage  auf  die  Gemüter  übte,  zu  verstärken.  Ich  habe 
schon  öfters  meiner  verehrten  Freundin  und  Haus- 
genossin, der  Baronin  Engelhardt,  erwähnt.  Ihr  Ge- 
mahl war  Oberst  vom  Regiment  Deutschmeister.  Bei 
Ebelsberg  an  der  Traun,  wo  ein  heftiges  Gefecht  vor- 
gefallen war,  wurde  er,  wie  es  schien,  nicht  gefährhch 
unter  dem  Knie  verwundet.  Er  ließ  sich  nach  Wien 
zu  seiner  Frau  bringen,  obwohl  er  hierdurch,  da  die 
Feinde  sogleich  einrückten,  ihr  Kriegsgefangener  wurde. 
Niemand  glaubte  hier  an  Gefahr  für  den  Verwundeten, 
er  war  vielmehr  sehr  heiter,  und  seine  Frau  nährte 
schöne   Hoffnungen   einer  frohen   Zukunft.     Da   trat 

345 


plötzlich  der  Starrkrampf  ein,  und  keine  Rettung  war 
möglich!  Seine  Frau  hatte  ihn  unendlich  geliebt,  ihr 
Schmerz  war  grenzenlos,  dennoch  wußte  sie  ihn  mit 
einer  Kraft  zu  beherrschen,  die  uns  alle  in  Erstaunen 
setzte  und  meine  hohe  Achtung  für  die  Unglückliche 
sehr  vermehrte.  Die  Anwesenheit  der  Feinde,  die  bäng- 
lichen äußern  Verhältnisse  machten  es  uns  unmöglich, 
dem  Verstorbenen  die  Ehre  eines,  seinem  Range  an- 
gemessenen Leichenzuges  zu  verschaffen,  und  er  mußte 
in  der  Stille  begraben  werden,  was  uns  alle,  besonders 
in  jenen  betrübten  Tagen,  noch  eine  Vermehrung  un- 
serer Leiden  schien  ^^). 

Indessen  war  Pfingsten  herangekommen  (die  Fran- 
zosen waren  am  Christi  Himmelfahrtstage  eingerückt). 
Es  war  ein  wunderschöner  Frühlingssonntag  (21.  Mai), 
als  plötzlich  ferner  und  doch  lauter  Kanonendonner 
an  unsre  Ohren  schlug  —  das  Kanonieren  dauerte 
fort,  wurde  immer  stärker,  häufiger  —  es  war  eine 
Schlacht  —  es  war  die  unvergeßliche  Schlacht  von 
Aspern  ^®^),  in  der  unser  Erzherzog  Karl  zuerst  den  bisher 
Unbesiegten  zum  Weichen  zwang.  Zwar  wußten  wir 
von  nichts  mit  Zuverlässigkeit  und  alles,  was  man  sich 
von  Nachrichten  zu  verschaffen  vermochte,  bestand 
in  der  Bespähung  jener  Donaugegend,  woher  die 
Schüsse  ertönten,  nämlich  bei  der  Insel  Lobau,  deren 
Namen  man  bei  dieser  Gelegenheit  erst  kennen  lernte, 
von  den  Türmen  der  Stadt.  Was  uns  aber  noch  mehr 
als  der  ununterbrochene  Donner  der  Kanonen  von  der 
Wichtigkeit  des  Gefechtes,  welches  in  unserer  Nähe 
vorging,  und  dessen  Entscheidung  so  viel  Einfluß  auf 
unser  Schicksal  haben  konnte,  überzeugte,  waren  die 
ungeheure  Anzahl  blessierter  Franzosen,  welche  in  den 
beiden  Schlachttagen  21.  und  22.  Mai  und  noch  mehrere 


Tage  nachher  zu  Fuß  oder  auf  Wagen  durch  die  St.- 
Marxer-Linie  und  bei  der  Leopoldstadt  herein  kamen. 

Sie  alle  aber  verrieten  wenig  oder  gar  nichts  von 
dem,  was  jenseits  der  Brücken  vorgegangen.  Sei  es,  daß 
strenge  Gebote  ihrer  Vorgesetzten,  sei  es,  daß  eigene 
Nationaleitelkeit  sie  an  Bekanntmachung  ihrer  miß- 
lichen Lage  hinderte. 

Den  zweiten  Tag  dauerte  die  Schlacht  fort  bis 
gegen  Abend,  wo  endhch  das  Geschütz  verstummte; 
aber  erst  spät  oder  vielleicht  (ich  erinnere  mich  dessen 
nicht  mehr)  am  andern  Tage  verbreitete  sich  heimhch 
und  flüsternd  das  Gerücht  von  der  Niederlage  der 
Feinde,  von  der  gesprengten  Brücke,  von  dem  zahl- 
reichen Korps  der  Franzosen,  das  auf  der  Lobau  ab- 
geschnitten stand,  von  der  heimlichen  und  einsamen 
Rückfahrt  des  mächtigen  Heerführers  in  demselben 
Kahne  mit  einem  unserer  kriegsgefangenen  Generale 
(Weber)  ^^^)  und  nun  erst  wagte  man,  sich  zu  Hause  und 
unbelauscht  von  seiner  Einquartierung,  angenehmen 
Hoffnungen  und  tröstlichen  Erwartungen  hinzugeben. 
Es  ward  uns  mehr  als  wahrscheinlich,  daß  der  Erz- 
herzog einen  mehr  als  glänzenden  Sieg  über  unsere 
Unterdrücker  erfochten  hatte,  und  was  im  seinsollen- 
den Spotte  vom  General  Danube  in  den  französischen 
Blättern  stand,  bestätigte  eben,  statt  sie  zu  entkräften, 
unsere  Vermutungen.  Nun  fingen  wir  an,  auf  nahe 
gänzliche  Befreiung  zu  hoffen,  und  das  Betragen  der 
Feinde  selbst  half  diese  Hoffnungen  vermehren.  Ja 
man  hat  später  erzählt,  daß  General  Andreossy^^^),  der 
Kommandant  der  Stadt  (vorher  hier  Gesandter),  schon 
Befehl  hatte,  mit  aller  Mannschaft,  die  hier  lag,  die 
Stadt  zu  räumen  und  den  Rückweg  nach  Oberöster- 
reich anzutreten. 

347 


Aber  es  verging  ein  Tag  nach  dem  andern,  und  es 
geschah  nichts.  Noch  immer  Hegt  ein  undurchdring- 
Hches  Dunkel  über  den  wahren,  aber  geheimen  Be- 
weggründen, welche  damals  den  Erzherzog  abhielten, 
seinen  Sieg  zu  verfolgen,  über  die  Donau  zu  setzen 
und  unsere  Peiniger  aus  Wien  zu  verjagen.  Ebenso 
unaufgehellt  sind  auch  die  eigentHchen  Ursachen  des 
spätem  Unglückes  bei  Wagram,  und  was  die  Ver- 
anlassung der  nicht  erfolgten  Ankunft  des  Erzherzogs 
Johann  mit  seiner  Armee  aus  Steiermark  war.  Doch 
hiervon  an  seinem  Orte. 

Wir  hatten  indes  unaufhörlich  französische  Ein- 
quartierung, die  denn,  wie  das  erstemal  im  Jahre  1805, 
mit  uns  wenigstens  zu  Mittag  an  einem  Tische  aß.  Im 
ganzen  durften  wir  uns  nicht  beschweren.  Es  waren 
meist  artige,  bescheidene  Leute  und  manche  darunter, 
wie  z.  B.  ein  sogenannter  aide-major  und  Chirurg, 
Mercier  geheißen,  sehr  gebildete  Leute,  mit  denen  man 
gan2;  angenehm  hätte  umgehen  können,  wenn  der  Ge- 
danke, in  welchen  Verhältnissen  sie  zu  uns  standen,  mich 
wenigstens  nicht  immer  gewaltig  von  dem  Franzosen, 
dem  Feinde  abgestoßen  hätte.  Zu  unserer  großen  Er- 
leichterung wurde  endlich  die  Sperre  zwischen  Ungarn 
und  Österreich  aufgehoben  5^).  Es  kamen  wieder  un- 
gehindert Lebensmittel  nach  Wien,  die  Not  und  das 
Gedränge  an  den  Bäckerladen  hörte  auf,  und  unsere 
Lage  war  dadurch  merklich  gebessert.  Übrigens  gHch 
unsere  Alservorstadt  einem  großen  Spital.  Sowohl  in 
der  Kaserne  als  im  eigentlichen  Zivil-  und  Militär- 
spitale  lag  alles  voll  Blessierter,  und  wenn  sie  so  weit  ge- 
nesen waren,  daß  sie  auf  sein  konnten,  schlichen  oder 
humpelten  sie  auf  den  Straßen  umher  und  wurden  bis 
zu  ihrer  völligen  Heilung  in  die  Privathäuser  verlegt. 

348 


So  bekamen  wir  einen  Halbkranken  nach  dem  andern, 
konnten  uns  aber  mit  Grund  über  keinen  beschweren, 
und  die  stark  vermehrten  Ausgaben,  die  Beschränkung 
in  wenige  Zimmer  ausgenommen,  da  wir  z.  B.  einmal 
17  Personen  im  Hause  hatten,  hatten  wir  im  einzelnen 
wenig  Verdruß;  nur  litt  wohl  jeder,  der  Gefühl  für 
das  aligemeine  WohL  hatte,  durch  die  Vorstellung  von 
dem,  was  uns  alle  als  Österreicher  noch  bedrohte. 

So  kam  der  Monat  Juli  und  mit  ihm  die  Schlacht 
von  Wagram  ^*^)  heran.  Kanonendonner,  obwohl  ferner 
als  bei  der  ersten  Schlacht,  verkündete  uns  abermals 
einen  wichtigen  Tag  der  Entscheidung.  Aber  diesmal 
war  es  unsern  Mitbürgern  nicht  mehr  gegönnt,  von 
Kirchtürmen  oder  andern  hohen  Plätzen  ferne  Zeugen 
des  Kampfes  zu  sein.  Die  Franzosen  hielten  alle  diese 
Orte  mit  Wachsen  besetzt,  die  niemand  hinaufzusteigen 
erlaubten  und  nur,  wenn  sich  hier  und  da  in  einem 
Privathause  zufälligerweise  ein  solcher  hochgelegener 
Raum,  ein  Turm,  ein  Belvedere  usw.  befand,  v/ar  es 
einigen  Personen  möglich,  etwas  zu  beobachten.  Aber 
schon  das  Gehör  belehrte  uns,  wie  oben  gesagt,  daß 
diesmal  der  Schauplatz  des  Gefechtes  viel  weiter  ent- 
legen sei.  —  Dennoch  horchten  wir  mit  banger  Er- 
wartung, ob  der  Schall  des  Geschützes  sich  nähere 
oder  entferne.  Das  ersj:e  wäre  uns  ein  günstiges  Zeichen 
vom  Zurückweichen  der  Feinde  und  dem  Vordringen 
des  Erzherzogs  gewesen.  Wirklich  hörten  wir  mit  un- 
aussprechlicher Freude  den  Kanonendonner  sich  nähern. 
Man  fing  an  zu  hoffen  —  da  sandte  Napoleon  den 
bayerischen  Truppen,  die  denn  wie  alle  abtrünnigen 
Rheinbündler  ihre  Schwerter  gegen  ihre  Landsleute 
gezogen  hatten  und  in  der  Gegend  herumlagen,  Be- 
fehl, über  die  Donau  hinüber,  der  französischen  Armee, 

^J  ■ 

349 


die  der  Erzherzog  zum  Weichen  gebracht  hatte,  zu 
Hilfe  zu  eilen.  Gegen  1 1  Uhr  marschierten  die  Bayern 
unter  demselben  Fürst  Wrede^'°),  der  nun  eine  so  schöne 
Besitzung  in  unserm  guten  Österreich  inne  hat,  über 
die  Brücken  hinaus,  und  nicht  lange  darnach  entfernte 
sich  der  Schall  des  Geschützes  wieder.  Mit  trüber 
Ahnung  sahen  wir,  was  geschehen  würde  —  die  ge- 
hoffte Vereinigung  des  Erzherzogs  Johann  mit  dem 
Heere  seines  Bruders  erfolgte  nicht.  —  Auch  über 
diesem  Faktum  ruht  jetzt  noch,  nach  beinahe  30  Jahren, 
ein  undurchdringliches  Dunkel^'^),  aus  welchem  ver- 
schiedene, je  nachdem  sie  zur  einen  oder  andern  Partei 
gehören,  eine  Schuld  auf  der  Seite  eines  der  beiden 
hohen  Brüder  herausdeuteln  wollen,  das  aber  vielleicht 
erst  die  Folgezeit,  wenn  ira  et  Studium  aufgehört 
haben,  richtig  enträtseln  wird.  Genug,  die  Schlacht 
ging,  trotz  ungeheuren  Anstrengungen  von  Seite  un- 
serer Armeen,  verloren.  Unzählige  Blessierte  wurden 
wieder  nach  Wien  und  in  die  umliegenden  Ortschaften 
verlegt,  von  wannen  sie,  wenn  sie  ein  bißchen  her- 
gestellt waren,  wieder  in  die  Privathäuser  einquartiert 
wurden.  Auch  wir  verloren  in  dieser  Schlacht  einen 
Verwandten.  Der  Hauptmann  Kurländer,  Schwager 
meines  verstorbenen  Bruders,  blieb  in  dieser  Schlacht, 
und  es  war  uns  bei  diesem  Verlust  eine  Art  von  Trost, 
daß  eine  Kanonenkugel  seinem  Leben  und  seinen  Lei- 
den ein  schnelles  Ende  gemacht  hatte **2). 

Nun  gab  es  wieder  halbgenesene  Offiziere  bei  uns, 
und  überhaupt  war  die  Stadt  angefüllter  als  je.  Alles 
wimmelte  von  kranken  und  gesunden  Franzosen,  und 
jetzt  kam  auch  der  unangenehme  Nachtrab  einer 
Armee  —  eine  zahllose  Menge  sogenannter  Em- 
ployes,  welche  weit  schlimmere  Gäste  waren  als  die 

350 


eigentlichen  Combattants,  Unter  diesen  aber  erwiesen 
sich  im  ganzen  —  Ausnahmen  gibt  es  überall  —  meiner 
Erfahrung  nach  die  Unteroffiziere,  Sergents  majors 
u.  dgl.  großenteils  als  bescheidene,  ordentliche  Leute, 
bei  denen  man  noch  den  Vorteil  hatte,  daß  man  ihnen 
das  Essen  auf  ihre  Zimmer  schicken,  und  sie  nicht  ge- 
rade an  dem  Familientisch  haberj  durfte.  Sie  waren 
meistens  Bürgerskinder,  Söhne  stiller,  achtbarer  Fa- 
milien, und  nicht  selten  diejenigen,  welche  ihre  wil- 
deren Offiziere  zu  beschwichtigen  und  Ruhe  und  Ord- 
nung im  Hause  zu  erhalten  verstanden.  Mit  freund- 
licher Empfindung  erinnere  ich  mich  eines  Reiter- 
unteroffiziers —  Brigadier  du  logis  war  sein  Titel  — 
eines  hochgewachsenen  Mannes  von  gesetzten  Jahren 
und  würdigem  Aussehen,  der,  als  meine  Mutter  ihn 
nebst  seinen  drei  Gefährten  nicht  aufnehmen  wollte, 
weil  das  Haus  schon  überlegt  war,  sagte:  Gardez  nous 
toujours  Madame,  nous  sommes  des  bons  enfants.  Und 
wirklich  erwiesen  sie  sich  als  solche.  Sie  führten  z.  B. 
morgens  ihre  Pferde,  wenn  sie  zur  Revue  sollten,  am 
Zügel  über  den  Hof  und  saßen  erst  vor  dem  Tore  auf, 
um  uns  durch  das  Getrappel  auf  dem  Hofpflaster  nicht 
im  Schlaf  zu  stören,  und  verhielten  sich  überhaupt 
sehr  anständig.  Wer  weiß,  auf  welchen  Schlachtfeldern 
sie  nun  begraben  liegen?    Ob  sie  von  denen  sind: 

Und  die  im  kalten  Norden 
Wohl  unter  Schnee  und  Eis, 
Und  die  in  Welschland  liegen, 
Wo  ihnen  die  Erde  so  heiß. 

(Nächtliche  Heerschau.)  »93) 

Noch  eines  Einquartierten  muß  ich  gedenken,  der 
uns  merkwürdig  war.  Ein  sehr  junger  Leutnant,  Ray- 
mond mit  Namen,  ein  Zögling  der  polytechnischen 
Schule,  ein  wahres  Kind  der  Revolution.    Mit  einem 

351 


erstaunenswürdigen  Wissen  in  den  meisten  Fächern 
und  einer  umfassenden  Belesenheit  in  den  alten  Klas- 
sikern und  in  denen  der  neueren  Zeit,  verband  er  eine 
Gleichgültigkeit  gegen  alle  äußern  Formen  und  eine 
stoische  Kälte  gegen  aUes,  was  ihn  umgab.  So  bin  ich 
überzeugt,  daß  er  beinahe  nie  wußte,  was  er  aß,  weil 
er  stets  und  über  lauter  interessante  Dinge  mit  uns 
stritt  und  den  Disput,  wenn  wir  ihm  nur  ausgehalten 
hätten,  bis  zum  Nachtessen  fortgeführt  haben  würde. 
Als  meine  damals  zwölfjährige  Tochter,  mit  der  er 
sonst  jeden  Mittag  gegessen  hatte,  freilich  ohne  an 
sie  einmal  ein  Wort  zu  adressieren,  an  der  Ruhr  er- 
krankte, welche  damals  der  vielen  Soldaten  wegen 
epidemisch  war,  fragte  er  nie  nach  dem  Kinde,  ja,  ich 
glaube,  er  hatte  gar  nicht  bemerkt,  daß  sie  durch  viele 
Tage  nicht  am  Tisch  erschienen  war.  Auch  dieser 
Mensch  lebt  wahrscheinHch  nicht  mehr;  denn  ihm 
standen  noch  die  Tage  an  der  Beresina,  bei  Leipzig 
und  Hanau  bevor.  Friede  seiner  Asche!  Vielleicht 
hätte  er  ihn  mit  seiner  Gemütsart  auf  Erden  ohnedies 
nicht  gefunden. 

Eines  Tages  muß  ich  an  dieser  Stelle  erwähnen, 
der  in  seiner  Art  merkwürdig  ominös  und  höchst  un- 
angenehm war:  Napoleons  Geburtsfestes  am  15.  August, 
an  welchem  allen  Bewohnern  Wiens  geboten  wurde, 
in  der  Stadt  und  in  den  Vorstädten  abends  ihre  Fenster 
zu  illuminieren.  Eine  befohlene  Freudenbezeugung, 
die  sonst  ge'wiß  unterblieben  wäre,  und  uns  ahnen  ließ, 
daß  gar  manchmal  die  Zeitungen  uns  ein  ähnliches 
Fest  als  Ausdruck  der  allgemeinen  Volksfreude  be- 
richtet haben  mochten,  das  ähnlichen  gebotenen  Ur- 
sprunges war.  Schon  am  Tage  zuvor  ereignete  sich 
ein  schreckender  Zufall,  herbeigeführt  durch  die  Prä- 

352 


parativen  zu  dem  sehr  brillanten  Feuerwerk,  das  den 
folgenden  Abend  in  den  Donauinseln  statthaben  sollte, 
und  zwar  durch  den  Leichtsinn  der  Franzosen,  Auf  der 
Schöttenbastei,  nicht  weit  von  dem  kaiserlichen  Zeug- 
hause, hatten  sie  eine  Hütte  errichtet,  in  welcher  sie  die 
Zubehör  zu  dem  Feuerwerk  bereiteten,  und,  sowie  uns 
unsere  einquartierten  Offiziere  selbst  erzählten,  mit 
dem  Pulver  höchst  unvorsichtig  umgingen.  Da  ge- 
schah nun  am  Vormittag  des  Vorabends  eine  heftige 
Explosion,  die  Hütte  sprang  in  die  Luft,  mehrere  Ar- 
beiter wurden  getötet,  und  nicht  ohne  Grund  fürchtete 
man  Gefahr  für  das  Zeughaus,  in  dem  viele  gefüllte 
Bomben  lagen,  und  somit  für  die  ganze  Stadt^®*). 

Ominös  schien  uns  Wienern  diese  Vorbereitung  zur 
Feier  des  Geburtstages  unsers  Drängers,  aber  es  war 
uns  befohlen,  uns  zu  freuen,  und  so  stellte  denn  jeder- 
mann einige  Kerzen  vor  die  Fenster.  In  der  Stadt 
waren  selbst  einige  Transparente  mit  —  ich  erinnere 
mich  nicht  mehr  —  welchen  Vorstellungen  oder  Sinn- 
bildern zu  schauen.  Nur  eines  schien  mir  sehr  merk- 
würdig, das  sich,  wenn  ich  nicht  irre,  in  einer  von  den, 
in  die  Kärntner-  oder  Bischofsstraße  ausmündenden 
Gassen  bei  einem  kleinen  Krämer  fand.  Es  war  ein 
mäßig  großes  Transparent  mit  folgenden  Zeilen: 

Zur 

Weihe 

An 

Napoleons 

GeburtS 

FEST. 

und  hieß  eigentHch,  wenn  man  die  großen,  mit  anderer 
Farbe  gezeichneten  Buchstaben  zusammen  las: 
ZWANGSFEST.  —  Ein  köstlicher  Einfall!  Er  ent- 
hielt keine  Schmähung  über  den  Dränger,  und  drückte 

.3  C.P.I  353 


doch  die  Stimmung  dieses  Mannes,  welche  wohl  die 
allermeisten  Bewohner  Wiens  mit  ihm  teilten,  auf  sehr 
sinnreiche  Weise  aus^*^). 

Eine  Marter  eigener  Art  begann  nun  für  uns  Öster- 
reicher, die  mit  warmen  Herzen  an  unserm  Kaiser- 
haus und  Vaterland  hingen,  und  das  waren  die  suk- 
zessiven Nachrichten  und  Erzählungen  von  den 
Friedensartikeln,  welche  jetzt,  da  nach  der  unglück- 
lichen Schlacht  bei  Wagram,  Waffenstillstand  geschlossen 
worden,  zwischen  Champagny^^^)  und  dem  damaligen 
Grafen  Metternich^^')  abgehandelt  wurden.  Da  uns  alle 
verläßlichen  Nachrichten  unmittelbar  von  unsern 
Leuten  fehlten,  so  mußten  oder  sollten  wir  alles  glau- 
ben, was  die  Franzosen  aus  eigener  Ansicht  oder 
Rodomontade  uns  aufheften  wollten.  Dazu  kam  noch, 
daß  gar  viele  hier  lebten,  die  es  im  Herzen  mit  den 
Feinden  hielten,  und  alles,  was  uns  nachteilig  klang, 
als  das  Wahrscheinlichste  begierig  auffaßten  und  eifrig 
verbreiteten.  Daß  Tirol,  das  edle,  treue  Land,  nachdem 
es  durch  unsäghche  eigene  Anstrengungen  sich  selbst 
vom  Joche  der  Feinde  befreit  hatte,  doch  wdeder  an 
Bayern,  das  sich  so  undeutsch  in  jeder  Rücksicht  gegen 
Österreich  bewiesen  hatte,  verloren  werden  sollte,  war 
schon  ausgemacht  und  erregte  den  tiefsten,  unwilHgsten 
Schmerz  bei  allen  echt  österreichischen  Herzen;  aber 
die  Grenzlinie  der  abzutretenden  Länder  wurde  im 
Anfange,  wenigstens  durch  das  Gerücht,  so  nahe  ge- 
zogen, daß  man  hätte  darüber  verzweifeln  können. 
Allmählich  erweiterte  sich  aber  diese  Schranke,  ging 
über  die  Steiermark  hinaus  und  über  Ungarn,  und 
schloß  sich  zuletzt  an  dem  illyrischen  Königreiche^^*). 
Ich  will  auch  glauben,  daß  dies  nicht  bloß  Gerücht, 
sondern  wirklich  der  Gang  der  Unterhandlungen  war, 

354 


und  daß  der  Sieger  im  Beginne  seine  Forderungen  nicht 
hoch  genug  spannen  zu  können  glaubte.  Haben  es 
seine  Leute  doch  mit  allen  ihrenForderungen  also 
gemacht,  und  wenn  sie  schrieben:  Je  vous  invite  (das 
war  der  Ausdruck)  de  nous  fournir  10,000  rations  de 
pain  oder  de  foin  usw.,  so  waren  sie  zuletzt  mit  4000 
oder  3000  auch  zufrieden.  ■ 

So  kam  endHch  der  Herbst  heran,  und  mit  ihm 
ein  Anfang  des  geseUigen  Lebens.  Bei  meiner  treuen 
mütterKchen  Freundin  Flies  lernte  ich  zwei  sehr  aus- 
gezeichnete Männer  kennen,  welche  dem  französischen 
Kaiser  nach  Wien  gefolgt  waren,  den  berühmten  Rei- 
senden Denon  und  den  Grafen  Alexandre  De  la  Borde. 
Der  erste  war  wahrscheinlich  jetzt  während  der  Unter- 
handlungen berufen  worden,  um  sich  hier  in  Biblio- 
theken und  Kunstsammlungen  umzusehen  und  zu 
nehmen,  was  ihm  und  seinem  Kaiser  gefiel;  der  zweite. 
De  la  Borde,  war  mit  der  Direktion  der  kaiserHchen 
Domänen  beauftragt,  und  der  Tiergarten  wurde  da- 
mals ziemlich  von  Bäumen  entblößt,  welche  die  Fran- 
zosen fällen  und  verkaufen  ließen. 

Denon  ^^^),  ein  ansehnlicher  Mann  von  sechzig  Jahren 
ungefähr,  dessen  bedeutende  Züge  und  halbkahler 
Scheitel  an  die  Darstellungen  des  Apostels  Petrus  er- 
innerten, war  im  Umgange  höchst  angenehm  und 
ganz  so,  wie  ein  echter  Gelehrter,  der  zugleich  Welt 
hat,  sein  sollte.  Sein  vieles  Wissen,  seine  zahlreichen 
Kenntnisse  traten  in  der  Gesellschaft  nie  unger^fen 
hervor.  Nur  ihr  Resultat,  eine  geistreiche  Unterhal- 
tung, und  ein  gebildetes,  gründliches  Urteil  über  jeden 
vorkommenden  Gegenstand  gab  sich  im  Gespräche 
kund.  Brachte  man  ihn  aber  gefHssentlich  auf  irgend- 
eine Sache,  eine  Begebenheit,  die  in  sein  Fach  ein- 


23* 


355 


schlug,  fragte  man  ihn  geradezu  um  irgend  etwas  der 
Art,  dann  gab  er  auch  mit  Redseligkeit  Bescheid,  und 
wußte  die  Gesellschaft  mit  Anekdoten  und  einzelnen 
Zügen  seiner  Erlebnisse  geistreich  und  belehrend  zu 
unterhalten.  Er  ließ  sich  auch  bei  uns  vorstellen, 
zeichnete  meine  Mutter  sehr  aus  und  lieferte  mir 
durch  seine  Erzählungen  Stoff  zu  ein  paar  Novellen, 
um  deren  Bearbeitung  er  sich  höchlich  interessierte. 
Meine  Tochter,  damals  noch  fast  ein  Kind,  spielte 
schon  ziemlich  artig  Fortepiano,  in  welcher  Kunst 
ich  sie  selbst  unterrichtet  hatte.  Es  kam  die  Rede 
darauf;  Denon  hätte  gern  das  organisierte  Piano,  das 
ich  damals  noch  besaß,  gehört;  Lottchen  wurde  auf- 
gefordert, zu  spielen  und  machte  es  recht  artig,  wofür 
ihr  denn  der  galante  Denon  die  Hand  küßte.  —  Das 
war  dem  Mädchen  noch  nie  widerfahren,  und  es  war 
komisch  anzusehen,  wie  Freude  und  Verwirrung, 
Respekt  vor  dem  übergelehrten  Herrn,  den  sie  als  etwas 
Außergewöhnliches  betrachten  gelernt  hatte,  und  Ge- 
fühl der  eigenen  Wichtigkeit,  die  ihr  dieser  Hand- 
kuß zu  geben  schien,  sich  in  dem  lieblichen  Gesichtchen 
malten. 

Wenn  nun  Denon  durch  Geist  und  Kenntnisse  so- 
wie durch  sein  von  aller  Pedanterie  entferntes  Betragen 
einen  vorteilhaften  Eindruck  auf  die  Gesellschaft 
machte,  so  flößte  De  la  Borde  *°ö)  ein  Interesse  ganz  ver- 
schiedener Art  ein.  Ohne  Anspruch  auf  Schönheit  zu 
machen,  waren  Figur  und  Züge  dieses  Mannes,  der 
kaum  sein  vierzigstes  Jahr  erreicht  haben  mochte,  sehr 
angenehm.  Vor  allem  hatte  der  ernste,  beinahe  düstere 
Ausdruck  seiner  blauen  Augen  etwas  Anziehendes,  so- 
wie überhaupt  sein  ganzes  Wesen  durch  diesen  Ernst  und 
eine  gewisse  ruhige  Würde  mehr  etwas  Deutsches  als 

356 


Französisches  verkündigte.  Auch  hatte  er  früher,  wie 
ich  erfuhr,  während  der  Revolution,  in  der  sein  Vater 
und  seine  Brüder  unter  der  Guillotine  starben,  eine 
Weile  in  österreichischen  Kriegsdiensten  als  Ritt- 
meister unter  Kinsky  Chevauxlegers  gestanden,  und 
während  seines  damahgen  Aufenthaltes  in  Wien  sich 
viel  auf  der  kaiserlichen  Bibliothek  aufgehalten,  wo  er 
sich  wissenschafthch  beschäftigte  und  Deutsch  er- 
lernte, was  er  denn  auch  ziemHch  geläufig  sprach. 
Ich  habe  De  la  Borde  viel  seltener  gesehen  als  Denon, 
und  eben  deswegen,  sowie  auch  seines  ernsten,'  weniger 
mitteilenden  Sinnes  wegei\  nicht  soviel  mit  ihm  als 
mit  jenem  gesprochen,  aber  die  Erinnerung  an  ihn 
wird  mir  stets  werter  bleiben,  weil  in  dem,  was  und 
wie  er  sprach,  z.  B.  iii  seinen  Äußerungen  über  Chateau- 
briand ^®i),  den  er  seinen  Freund  nannte  und  mit  schö- 
ner Wärme  von  ihm  redete,  sich  mir  ein  viel  tieferes  Ge- 
müt und  ein  ernsterer  Geist  zeigte,  als  bei  dem  zwar 
liebenswürdigen,  aber  durchaus  französischen  Denon. 
Später  las  ich  den  Roman  der  Frau  von  Fouque:  „Das 
Mädchen  aus  der  Vendee"^"^^,  und  in  diesem  ist  ein 
Franzose  Sombreuil  (wenn  ich  nicht  irre)  geschildert, 
von  dem  ich  immer  dachte,  er  müsse  ausgesehen  und 
sich  gezeigt  haben  wie  Graf  De  la  Borde. 

Allmählich  kam  es  nun  zum  Friedensschluß,  und  wie 
ungünstig  dieser  für  Österreich  ausfiel,  wie  das  teure 
Tirol,  die  Lombardie,  Venedig,  Dalmatien,  Kärnten 
mit  Krain,  Salzburg  usw.  verloren  gingen,  weiß  die 
Welt  ohnedies.  —  Es  war  eine  schmerzliche  Zeit  für 
jeden,  dem  sein  Vaterland  teuer  war. 

Der  französische  Kaiser  hielt  sich  nun  meistens  in 
Schönbrunn  auf,  wohin  er  abwechselnd  das  deutsche 
Schauspiel  und  die  Oper  kommen  ließ,  um  dort  auf 

357 


dem  kleinen  Theater  des  Palastes  zu  spielen  ^°^).  Denon 
hatte  versprochen,  uns  einmal  Billetten  zu  verschaffen, 
und  er  hielt  Wort.  Mit  Frau  von  Flies  fuhr  ich  in 
einem  Postzug,  mit  vier  Maultieren  bespannt,  nach 
Schönbrunn.  Die  Equipage  gehörte  einem  ihrer  Be- 
kannten, einem  französischen  General,  und  ich  fand 
zu  meinem  Erstaunen,  daß  diese  vier  sehr  wohlgebil- 
deten braunen  Tiere  mit  uns  so  schnell  davon  Hefen, 
als  wären  es  engHsche  Hengste  gewesen,  und  also  durch 
nichts  als  die  längeren  Ohren  an  ihre  Zwitterabkunft 
erinnerten. 

Im  Theater,  das  sehr  niedlich  und  wohlgebaut  ist, 
angekommen,  fanden  wir  die  Galerien  mit  lauter  fran- 
zösischer Generalität  in  strahlenden  Uniformen  be- 
setzt, und  Frau  von  Flies  nannte  mir  einige  ihrer  Be- 
kannten. Der  Vorhang  war  noch  zugezogen,  man 
wartete  auf  den  Kaiser.  Nachdem  dies  eine  feine  Weile 
gedauert  und  mir  Zeit  gelassen  hatte,  einen  verglei- 
chenden Rückblick  auf  unsern  väterlichen  Monarchen 
zu  werfen,,  der  stets  die  Ordnung  selbst  war,  pünkt- 
lich die  Stunden  einhielt  und  nie  das  Publikum  oder 
die  Behörden  warten  ließ,  erschallte  plötzlich  gegen 
8  Uhr  ein  gäher  und  lauter  Trommelwirbel,  der  die 
Ankunft  des  Kaisers  verkündete,  und  ich  konnte  aber- 
mals nicht  umhin,  dies  unfreundliche  Getöse  mit  dem 
unheimlichen  Gerolle  zu  vergleichen,  womit  bei  uns 
eine  Feuersbrunst,  folglich  ein  Unglück,  angekündigt 
zu  werden  pflegt.  Ach,  ein  Unglück,  und  ein  großes  für 
uns  war  ja  die  Anwesenheit  dieses  Mannes  im  Lust- 
schloß unserer  Monarchen! 

Er  kam  und  setzte  sich,  ein  Komödienbuch  in  der 
Hand,  in  der  Loge  nieder;  hinter  ihm  standen  seine 
Adjutanten  oder  wer  die  Herren  waren,  einen  darunter, 

358 


General Duroc **•*),  nannte  mir  meine  Freundin.  Da  war 
er  nun,  der  Erderschütterer,  der  Mensch,  der  an  allen 
Thronen  Europas  gerüttelt,  manchen  schon  um- 
gestürzt, manchen  seiner  besten  Grundfesten  be- 
raubt hatte!  Was  konnte  er  noch  tun  wollen,  er,  dem, 
wie  es  schien,  nichts  unmöglich  war,  und  in  dessen  ab- 
soluten Willen  unser  aller  Geschick  gegeben  schien? 
Das  waren  meine  Gedanken,  während  ein  Akt  des  Sar- 
gines ^°^),  und  dann  ein  kleines  Divertissement  vor  uns 
■aufgeführt  wurde,  auf  welches  meine  Seele  viel  weniger 
-achtete,  als  auf  den  Furchtbaren  da  oben  in  der  Loge 
—  den  ein  Schuß  von  geschickter  Hand,  so  wie  er 
sorglos  da  saß,  herabstürzen  und  somit  allen  seinen 
.  welterobernden  Plänen  und  dem  Elend,  das  er  über 
die  Menschheit  gebracht  hatte  und  noch  bringen 
konnte,  ein  Ende  hätte  machen  l^önnen.  Jener  Erfurter, 
der  bald  darauf  bei  einer  Revue  in  Schönbrunn  er- 
griffen wurde,  mochte  Ähnliches  gedacht  haben ^°^).  — 
Viele  —  viele  Menschen  in  Deutschland  dachten  da- 
mals ebenso,  und  jetzt  —  wo  dies  unheilbringende 
Meteor  schon  lange  vor  seinem  wirklichen  Tode  ein- 
sam erloschen  ist,  jetzt  sehen  so  viele  einen  Verfechter 
der  Freiheit,  einen  Helden  der  Humanität  in  ihm, 
und  scheinen  alles  vergessen  zu  haben,  was  sie  selbst 
oder  ihre  Eltern  durch  ihn  gelitten.  Wohl  mag  sein 
tragisches  Geschick  viel  zu  dieser  versöhnenden,  mil- 
dern Ansicht  beigetragen  haben.  'Auch  bin  ich  weit 
entfernt,  das  Mitgefühl  zu  tadeln,  das  jeden  wohl- 
gesinnten Menschen  ergreifen  muß,  wenn  er  sich  diesen 
Mann,  dem  einst  ganz  Europa  gehorchte,  der 

nutu  tremefecit  olympum, 
dessen   Willen    durch    12 — 15    Jahre    das    Gesetz   der 
Welt   war,    als    Gefangenen   und    als   hartgehaltenen, 

359 


despotisch  behandelten  Gefangenen  seiner  erbittert- 
sten Feinde  dort  auf  dem  einsamen  Eiland,  von  Weib 
und  Kind  getrennt,  denkt.  —  Niemand  hat  wohl  dies 
sein  Geschick  und  sein  Ende  mit  echterm  christlich 
philosophischem  Bhck  erschaut  und  geschildert,  als 
Manzoni  in  seinem  Cinque  maggio^*").  —  Ebensowenig 
konnte  oder  kann  ich  in  das  Urteil  derjenigen  einstim- 
men, welche  in  Napoleon  einen  grausamen  Tyrannen, 
einen  fühllosen  Krieger  sahen.  Jene  Befehle  de  balayer 
le  pont  (nämlich  von  den  Donaubrücken  die  Verwun- 
deten mit  den  Toten  ins  Wasser  zu  werfen),  jene  Ver- 
giftung der  Pestkranken  in  St.  Jean  d'Acre  usw.  müssen 
—  wenn  sie  je  wahr  waren  —  ihm  gewiß  nur  durch 
eine  zwingende  Notwendigkeit,  die  sein  mihtärisches 
Genie  als  solche  erkannte,  aufgedrungen  worden  sein. 
Aber  große,  unbeschränkte  Macht  ist  eine  der  gefähr- 
lichsten Gaben  für  den  Menschen,  und  die  Klippe, 
an  der  meist  sein  sittliches  Gefühl  scheitert.  Wer 
tun  kann,  was  er  will,  tut  selten,  was  er  soll  —  pflegte 
meine  sehr  verständige  Mutter  zu  sagen.  Das  war 
Napoleons  Sünde,  und  er  machte  sich  ihrer  im  vollen 
Maße  schuldig;  obwohl  manche  mit  dem  geistreichen 
Franzosen  Villers  glauben '°^),  daß  er  noch  mehr  wegen 
des  Guten,  was  er  hätte  tun  können  und  sollen,  und 
aus  selbstsüchtigen  Rücksichten  zu  tun  unterHeß,  an- 
zuklagen sei. 

Wie  immer  diese  Beschuldigungen  gestellt  werden 
mögen  —  so  viel  ist  sicher,  daß  sein  Übermut  ihn  leitete 
und  endlich  verleitete,  Rußland  in  seinem  furchtbaren ' 
Klima  aufzusuchen  und  bezwingen  zu  wollen.  Da- 
mals, wie  ich  ihn  so  im  Theater  in  der  Loge  unserer 
Kaiser  sitzen  sah,  faßte  wohl  weder  ich  noch  sonst 
jemand  die  MögHchkeit,  daß  es  dahin  kommen  sollte, 

360 


y       LA-Aurt  » j*«»  t*i^  • 


l,  ^: 


W-.  :_-  .ii- 


"^t 


K.  A.  Varnhagen  v.  Ense 
Lithographie  von  Loeillot  de  Mars  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


und  ich  betrachtete  ihn,  solange  ich  dort  war,  immer 
mit  dem  Gefühl  innerlichen  Hasses.  Im  ganzen  war 
auch  seine  Erscheinung  nicht  ansprechend.  Zu  klein 
und  zu  stämmig,  um  für  gutgewachsen  zu  gelten,  hatte 
seine  Gestalt  auch  nichts  Edles  oder  Imposantes.  Seine 
Züge  —  das  was  eigentlich  die  Physiognomie  bildet, 
Augen,  Stirn,  Nase  und  Mund  —  waren  regelmäßig, 
das  Kinn  besonders  schön,  ganz  antik  aufgebogen  wie 
an  einem  Antinouskopfe.  Aber  diese  edlen  Lineamente 
verloren  durch  die  breite  Fleischmasse  des  allzuvollen 
Gesichts,  die  sie  umgab,  und  nicht  einmal  durch  einen 
Backen-  oder  andern  Bart  begrenzt  wurde,  den  größten 
Teil  ihres  Adels  und  ihrer  Bedeutung.  So  bekam  das 
Ganze  —  Gesicht  und  Figur  zusammen  —  nach  meinem 
Gefühle  etwas  Gemeines,  und  ich  bedauerte,  daß  ich 
die  Idee  der  tiefen  und  düstern  Züge  auf  dem  Kupfer- 
stiche, wie  er  in  der  Schlacht  von  Arcole  die  Fahne 
ergreift,  gegen  dieses  wohlgenährte  PrälatenantHtz  ver- 
tauschen mußte. 

Der  Friede  war  abgeschlossen,  die  Feinde  sollten 
nun  bald  abziehen,  und  schon  begann  ein,  obgleich  noch 
seltener  Verkehr  zwischen  der  Stadt  und  der  noch 
fernen  Armee.  1 

Eines  Abends  trat  ich  bei  Frau  von  Flies  ein.  — 
Welche  Freude!  Eine  österreichische  Offiziersschärpe 
hing  über  die  Lehne  des  Sofa,  und  ein  kaiserlicher 
Degen  mit  dem  goldenen  und  schwarzen  Portepee 
lehnte  daneben.  Mir  ging  das  Herz  in  wehmütiger 
Freude  auf.  Wie  lange  hatte  mein  Auge  diese,  eben 
durch  die  Entfernung  so  wertgewordenen  Abzeichen 
nicht  gesehen!  Ohne  zu  wissen,  wem  sie  gehörte,  drückte 
ich,  da  ich  mich  allein  im  Zimmer  befand,  die  vater- 
ländische Schärpe  an  meine  Lippen,  und  begrüßte  so 

361 


im  Geist  das  befreundete  tapfere  Heer  in  dem  un- 
bekannten Einzelwesen. 

Ins  Kabinett  der  Frau  vom  Hause  getreten,  erblickte 
ich  dieses  bald  in  voUer  Uniform  und  erfuhr,  daß  es 
ein  als  Schriftsteller  sowie  überhaupt  als  geistreicher 
Mann  ausgezeichneter  Preuße,  Herr  Varnhagen*"^) 
war,  der,  wie  so  manche  seiner  Landsleute,  öster- 
reichische Dienste  genommen  und  den  gegenwärtigen 
Feldzug  mitgemacht  hatte,  wie  denn  auch  ein  Aufsatz 
von  ihm  über  die  Vorfälle  desselben  erst  neuerlich  in 
einem  historischen  Taschenbuche  erschienen  ist*^°). 
Damals  war  er  ein  junger  Mann,  und  noch  nicht  durch 
seine  eigenen  und  seiner  nicht  minder  berühmten  Frau 
geistsprühende  Schriften  merkwürdig  geworden;  aber 
schon  damals  war  seine  Unterhaltung  sehr  lebhaft  und 
geistvoll,  und  schon  damals  sprach  sich  sein  eminentes 
Talent,  Charaktere  zu  schildern,  freilich  nur  erst  in 
höchst  charakteristisch  aus  Papier  ausgeschnittenen 
Figürchen  aus.  Denselben  Abend  waren  auch  De  la 
Borde  und  Denon  zugegen,  und  die  Stunden  verflossen 
angenehm  im  Kreise  so  hochgebildeter  Personen. 

Endlich  verließen  die  fremden  Truppen  die  Stadt  und 
das  Land^^^),  und  nur  wenige  blieben  in  Wien,  welche 
durch  irgendein  noch  zu  berichtigendes  Geschäft  hier 
aufgehalten  wurden.  Nun  durften  wir  endHch  der  An- 
kunft unsers  Kaisers,  des  Hofes  und  der  langabwesen- 
den Freunde  entgegensehen.  Welches  Wiedersehen 
nach  so  vielen  Leiden,  nach  so  viel  Unglück  und  Ver- 
lust im  Vaterlande!  Und  wie  geschah  es  so  ganz  anders, 
als  wohl  jedermann  geglaubt  hatte ! 

Es  war  am  27.  November  1809  an  einem  trüben 
Herbstabend,  wie  sie  in  dieser  Jahreszeit  zu  sein  pflegen, 
als  unser  geliebter  Kaiser,  vermutlich  um  auf  keine 

362 


Weise  Aufsehen  zu  erregen,  in  der  Husarenuniform  sei- 
nes Regimentes,  wie  man  ihn  hier  nicht  gewöhnhch  zu 
sehen  pflegte,  nur  vom  einzigen  Grafen  Wrbna^^^)  be- 
gleitet, in  einer  unscheinbaren  und,  wie  man  erzählte, 
sogar  bepackten  Chaise  zum  Stubentor,  etwa  um  vier 
Uhr  nachmittags,  in  die  Stadt  hereinfuhr.  Aber  sein 
Volk  erkannte  auf  der  Stelle  den  geHebten  Vater.  Wie 
ein  Lauffeuer  verbreitete  sich  die  Nachricht  durch  die 
Straßen.  —  Alles  Uef  zusammen,  bald  ward  der  Wagen 
umringt,  und  unter  lautem  Vivatrufen  und  dem  Freu- 
denjubel des  Volkes  in  die  Burg  begleitet.  Ein  Fran- 
zose von  den  wenigen  Zurückgebliebenen,  der  am 
Stephansplatze  auf  einem  Eckstein  stehend,  dieses 
Schauspiel  mit  ansah,  soll  sich  nicht  haben  enthalten 
können  auszurufen,  indem  er  einem  Bürger  auf  die 
Achsel  klopfte:  Braves  Volk! 

In  der  Burg  angelangt,  wo  sich  schon  eine  zahllose 
Menschenmenge  zusammengefunden  hatte,  war  das 
Gedränge  an  und  auf  der  Treppe  so  groß,  daß  sie  ihren 
geliebten  Monarchen,  wenn  er  es  nur  gestattet  hätte, 
auf  den  Schultern  bis  in  seine  Gemächer  getragen  hät- 
ten. Binnen  einer  Stunde  wußte  man  im  ganzen  Um-  j 
kreis  der  weiten  Vorstädte  die  frohe  Kunde,  und  so  wie 
es  ganz  dunkel  ward,  entbrannte  —  wie  in  allen  Herzen 

—  so  auch  in  allen  Fenstern  der  Stadt  und  Vorstädte 
eine  —  nicht  gebotene,  nicht  vorbereitete,  eine  wahr- 
haft aus  Liebe  und  Treue  improvisierte  Illumination. 

—  Die  Leute  waren  ganz  freudetrunken  —  der  Kaiser 
war  wieder  da !  die  Feinde  abgezogen  —  das  alte  Öster- 
reich konnte  wieder  ins  Leben  treten !  Schwärmer  und 
Raketen,  Polier  und  Freudenschüsse  knallten  den  gan- 
zen Abend  und  die  Nacht  durch  die  dunkle  Luft!  Es- 
war  ein  großer,  ein  herrlicher  Tag  —  um  so  größer, 

363  t 


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um  so  herrlicher,  weil  er  nicht  auf  Sieg  und  Triumph 
folgte,  sondern  im  Unglück,  nach  Verlust  und  Schmer- 
zen die  alte  Liebe  und  Treue  nur  desto  glänzender 
sich  erwies  ^^2). 


Das  unglückliche  und  doch  für  Österreich  in  so  vie- 
lem Sinne  ehrenvolle  Jahr  1809  war  nun  vorüber.  Un- 
sers  geliebten  Kaisers  heldenmütiger  Bruder  hatte  den 
bisher  Unbesiegten  in  einer  groi3en  Schlacht  überwun- 
den, und  unser  Österreich  hatte,  wie  Körner  in  der 
Schlacht  von  Aspern  bald  darauf  sang: 

Einen  Tag  und  einen  Mann'")! 

Es  hatte  sich  starkmütig  und  kräftig  gegen  den  Feind, 
in  rührender  Treue  gegen  sein  Herrscherhaus,  und  mit- 
ten in  Bedrängnissen  mildtätig  und  menschenfreund- 
lich auch  gegen  leidende  Feinde  gezeigt;  es  hatte  end- 
lich den  unerschöpflichen  Reichtum  seines  von  Gott 
gesegneten  Bodens  durch  die  Menge  von  Lebensmitteln 
bewiesen,  welche  trotz  allem,  den  Sommer  über  not- 
wendig gewordenem  Verbrauche,  bei  so  zahlreichen 
Heeren,  die  in  Österreich  lagen,  und  bei  der  nicht  zu 
vermeidenden  Verschwendung,  welche  dabei  statt  hatte, 
jetzt,  da  die  Feinde  abgezogen  waren,  auf  unsern  Märk- 
ten erschienen,  gleich  als  wären  gar  keine  ungebetenen 
Gäste  dagewesen.  Aber  aller  dieser  tröstlichen  Betrach- 
tungen ungeachtet,  blutete  es  aus  zu  vielen  Wunden, 
als  daß  seine  Bewohner  sich  nicht  gebeugt,  entmutigt 
und  von  gerechter  Furcht  und  Sorge  für  die  nächste 
Zukunft  in  Rücksicht  des  Allgemeinen,  und  somit  auch 
des  einzelnen  hätten  erfüllt  s^in  sollen.  Was  war  nicht 
schon  geschehen!  Tirol  —  das  nie  zu  verschmerzende 
Tirol  —  die  Lombardie  und  Venedig,  Triest,  das  Lit- 

364 


torale  und  sogar  auch  Innerösterreich  waren  vom  Staats- 
körper abgerissen,  und  der  übriggebliebene  Teil  mußte 
bei  jedem  eroberungslustigen  Einfall,  der  den  Über- 
mächtigen und  Übermütigen  anwandelte,,um  seine  di- 
rekten und  indirekten  Staaten  zu  vermehren,  gewärtig 
sein,  früher  oder  später  in  diesen  Abgrund  einer  Uni- 
versalmonarchie verschlungen  und  Gott  weiß  welchem 
rheinbündischen  Fürsten  oder  welchem  Napoleoniden 
als  leichte  Beute  zugeworfen  zu  werden!  Das  waren  un- 
sere Aussichten,  das  waren  wenigstens  die  Möglichkei- 
ten, die  —  was  wohl  niemand  mit  Grund  bestreiten 
konnte  —  nächstens  zu  Wahrscheinlichkeiten  und  dann 
auch  zu  Gewißheiten  werden  konnten.  Das  war  das 
Schicksal,  welches  der  alten,  durch  500  Jahre  langsam 
aus  kleinem  Anfange  aufgekeimten  und  durch  lauter 
rechtlichen  Erwerb,  nicht  durch  blutige  Eroberungen 
zu  solcher  Größe  und  Macht  emporgewachsenen  Mon- 
archie, wie  sie  unter  Maria  Theresia  und  Kaiser  Josef 
und  bis  ans  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  ge- 
wesen, bevorstand. 

Wie  das  alles  in  mein  Herz  eingriff,  wie  es  mir  alle 
menschliche  Größe  und  Hoheit,  alles  menschliche  Glück 
überhaupt  als  unstet,  nichtig  und  durchaus  ungenügend 
darstellte,  kann  ich  nicht  mit  Worten  ganz  erklären. 
Es  war  ein  tiefes,  elegisches  Gefühl,  das  sich  nach  und 
nach  m-einer  bemeisterte,  mich  die  Welt  mit  allen  ihren 
Hoffnungen,  Freuden  und  Bestrebungen  wie  ein  Schat- 
tenspiel betrachten  machte  und  an  gar  kein  bleibendes 
Glück  mehr  glauben  ließ. 

Dazu  kam  noch  eine  andere  Bemerkung,  welche 
jenen  Betrachtungen  einen  Tropfen  Bitterkeit  mehr 
beimischte.  Obgleich  selbst  nicht  von  altadeliger  Ge- 
burt, hatte  doch  diese  Institution  —  die  Idee  des  Adels, 

365 


für  mich  immer  etwas  sehr  Poetisches  und  Würdiges 
gehabt.  Gerade  weil  eine  altadelige  Geburt  etwas  war, 
was  keine  Industrie,  kein  merkantiHsches  Bestreben, 
'  keine  noch  so  hochsteigende  Eitelkeit  den  Ringenden 

%      i^      geben  konnte;  weil  sie  —  wie  man  gewöhnlich  zu  sagen 
V    ^       pflegt  —  vom  Zufall,  eigentHch  aber  von  der  Hand  der 
Vorsicht  jenen  geschenkt  und  diesen  auf  ewig  verwei- 
gert wurde,  erschien  sie  mir  wie  die  Gunst  der  Musen, 
von  der  Tasso  sagt: 

—  das,  was  die  Natur  allein  verleiht, 

Was  jeglicher  Bemühung,  jedem  Streben 

Stets  unerreichbar  bleibt,  was  weder  Gold, 

Noch  Schwert,  noch  Klugheit,  noch  Beharrlichkeit 

Erringen  kann'^^). 

Auch  fand  ich  für  die  Nachkommen  etwas  Erheben- 
des, Anregendes  in  der  Betrachtung  der  Verdienste 
ihrer  Ahnen.  Es  schien  mir  begeisternd  zum  Guten,  so 
in  einem  Saale,  in  dem  die  FamiHengemälde  dem  Enkel 
von  den  Wänden  herab  entgegenblickten,  und  er  gleich- 
sam vor  den  Augen  seiner  Väter  wandelte,  sich  die  Bei- 
spiele würdiger  Menschen,  deren  Blut  auch  in  des 
Enkels  Adern  waUt,  zur  Nacheiferung  vorzustellen. 

Und  wenn  von  unsrer  Marmorsäle  Wänden 

Die  Ahnenbilder  auf  uns  niederschaun. 

Wie  könnten  wir  ihr  Angedenken  schänden  ? 

Daß  es  dennoch  oft  geschieht,  daß  so  viele  Nach- 
kommen größer  oder  wenigstens  würdiger  Väter  un- 
würdig und  klein  handeln,  weiß  ich  wohl,  auch  daß  nicht 
alle  die  Herren  in  Harnischen  und  Allongeperücken, 
welche  hier  und  dort  in  solchen  Galerien  abgemalt 
sind,  ehrenwerte  Männer  und  nachahmungswürdige 
Beispiele  gewesen;  aber  das  ändert  nichts  an  der  all- 
gemeinen Idee  des  Adels,  und  benimmt  ihm  nach  mei- 
nem Gefühl  nichts  von  dem  Poetischen,  was  er  von  je- 

366 


her  für  mich  hatte.  Es  ging  mir  in  der  römischen  Ge- 
schichte ebenso,  und  sei  es  nun  die  Darstellungsart  des 
Livius,  oder  eine  angeborne  Weise  zu  empfinden —  bei 
mir  hatten  die  Patrizier  immer  recht  gegen  die  Plebejer. 
Ich  konnte  jener  Schwester  einer  Konsulsfrau  ihren 
bürgerlichen  Hochmut  nicht  verzeihen,  der  im  Grunde 
kein  besserer  war  als  der  Adelstolz  ihrer  Schwester,  und 
welcher  die  Veranlassung  gab,  daß  künftig  der  eine  Kon- 
sul stets  aus  den  Plebejern  gewählt  werden  mußte ®i^). 
Auch  sah  und  sehe  ich  noch  nicht  ein,  daß  .das  stets  mehr 
aufkommende  demokratische  Prinzip,  welches  allmählich 
in  Rom  immer  mächtiger  wurde,  dem  Staate  oder  der 
Stadt  par  excellence  (Urbi)  zu  großem  Nutzen  gewesen 
wäre.  Es  war  eben  der  Gang  der  Vorsicht  mit  dem 
Menschengeschlechte,  es  mußte  so  kommen,  weil  der 
Zeitgeist  sich  allmählich  mehr  entfaltete :  aber  besser, 
schöner  wenigstens  ist  es,  glaube  ich,  nicht  dadurch  ge- 
worden. 

Es  war  eben  auch  dieser  Zeitgeist,  der  bei  uns  in 
Osterreich  durch  die  langen  Kriege,  durch  die  un- 
geheure Menge  des  Papiergeldes,  durch  die  Verluste, 
welche  viele  höhergestellte  Famihen  an  Gütern  und 
Einkünften  erhtten,  diese  bewog,  ja  zwang,  das  Übrig- 
bleibende zu  veräußern,  das  dann  in  die  Hände  der  In- 
dustrie, des  Handelsstandes,  des  Gewerbefleißes  kam. 
Besonders  fiel  mir  dies  in  Oberösterreich,  das  ich  vor 
nicht  langer  Zeit  besucht  hatte,  unangenehm  auf. 
Jenes  stattHche  Haus,  das  zur  Zeit  meiner  ersten  Reise 
dahin  mit  meinen  Eltern,  irgendeiner  hochangesehenen 
Familie  gehört  hatte,  war  jetzt  das  Eigentum  eines  Ge- 
werbsmannes geworden.  Der  Herr  Fleischer  oder  Tisch- 
lermeister bewohnte  nun  die  prächtigen  Gemächer,  in 
welchen  früher  Freiherrn  oder  Grafen  gehaust  hatten, 

367 


und  etablierte  einen  gewiß  nicht  geringern  Stolz  als 
diese.'  Jenes  gräfliche  Schloß  gehörte  nun  einem  reichen 
Kaufmanne,  ein  anderes  war  zu  einer  Fabrik  eingerich- 
tet. Aus  den  Treibhäusern  waren  die  freilich  nutzlosen, 
aber  lieblichen  Orangenbäume  und  seltenen  Pflanzen 
verschwunden,  und  ihre  Räume  hatten  Zuckersiede- 
reien  oder  Spinnmaschinen  aufgenommen.  In  den  Gär- 
ten, wo  keine  mannigfaltigen  Blumen  mehr  das  Auge 
müßig  ergötzten,  lagen  allenfalls  die  bedruckten  Kat- 
tunstücke zum  Ausbleichen  der  Krappfarbe  am  Boden 
hingebreitet  usw.  Alles  hatte  seinen  Zweck,  seinen 
Nutzen,  alles  trug  etwas  ein.  Aber  —  das  Schöne  war 
hinweg  aus  diesem  Leben! 

Zu  diesen  trüben  Betrachtungen,  welche  die  am 
Schönen  und  Edeln  verarmte  Gegenwart  mir  aufdrang, 
gesellte  sich  auch  noch  manches  andere  Trübe.  Werte 
Freunde,  welche  sehr  oft  unser  Haus  besuchten,  wie 
Herrv.  Kirchstättern'"),  Vater  vieler  Kinder,  die  er  in 
dieser  bedrängten  Zeit  nur  kummervoll  ernährte,  übri- 
gens ein  gebildeter,  rechtlicher  Mann,  den  >  eine  lange 
gegenseitige  Achtung  mit  uns  verband,  starb  um  diese 
Zeit,  wohl  mitunter  aus  Sorge  und  Gram.  Bald  darauf 
erfuhren  wir  aus  Ungarn,  wohin  er  mit  dem  Kriegs- 
archiv dem  Hofe  gefolgt  war,  den  Tod  des  General 
Gomez'*®),  eines  sehr  würdigen  und  gelehrten  Mannes, 
der  in  Wien  unser  naher  Nachbar  gewesen  war,  dessen 
Haus  wir  oft  besuchten.  Noch  tiefer  aber  kränkte  uns 
alle  der  Verlust  eines  gar  werten,  vielseitig  gebildeten 
und  unserm  ganzen  Kreise  mit  Liebe  und  Achtung  zu- 
gewendeten Mannes,  eines  gewissen  Herrn  Köderl'^"), 
der  in  dem  Bücherrevisionsamte  angestellt,  durch  seine 
rechtliche  Gesinnung,  durch  seinen  vielfach  gebildeten 
Geist,  durch  seine  heitere  Unbefangenheit,  und  selbst 

368 


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durch  seine  offizielle  Stellung,  die  ihn  au  courant  der 
neuesten  Literatur  erhielt,  uns  ungemein  wert  ge- 
worden war,  und  dessen  frühzeitiger  Tod,  er  hatte  kaum 
das  dreißigste  Jahr  überschritten,  in  unserm  ganzen 
Kreise  schmerzlich  gefühlt  wurde.  Endlich  noch  er- 
hielt Baron  Merian,  dessen  ich  schon  öfters  erwähnt, 
eine  diplomatische  Anstellung  am  Dresdner  Hofe  und 
kam  daher  nicht  mehr  nach  Wien  zurück.  Ich  vermißte 
seinen  so  angenehmen  als  lehrreichen  Umgang  schwer, 
und  kurz  —  dies  alles  trug  bei,  meine  trübe  Stimmung 
zu  vermehren. 

Dieser  Abstand  zwischen  dem  Einst  und  Jetzt,  dies 
Umsichgreifen  und  der  Übermut  der  niedrigem  Stände, 
die  wachsende  Macht  ihres  eigentlichen  Hebels,  des 
Geldes,  fing  in  jeher  Zeit  zuerst  an,  recht  bemerklich 
zu  werden,  und  hat  sich  seit  diesen  fünfundzwanzig 
Jahren  noch  unendlich  vermehrt.  Für  meine  Art  zu 
denken  und  zu  empfinden,  hatte  dies  alles  etwas  sehr 
Niederschlagendes,  und  diese  Stimmung  gab  sich  in 
meinen  damals  entstehenden  Schriften  kund.  In  dieser 
Stimmung  entwarf  ich  den  Plan  zu  den  „Grafen  von 
Hohenberg"'20^^  wozu  ich  die  Szenerie  auf  vielfältigen 
Reisen  in  Ober-  und  Unterösterreich  gesammelt  hatte. 
Pichler  hatte  nämlich  in  dieser  Epoche  fast  jährlich  eine 
größere  oder  kleinere  Geschäftsreise  in  die  Gebirge  und 
Wälder  unseres  Vaterlandes  zu  machen  ^^i)^  er  nahm  uns 
alle,  meine  Mutter,  mich  und  unser  Töchterchen  mit, 
und  wir  genossen  so  sehr  oft  das  heitere  Landleben  in 
den  schönsten  Gegenden.  So  sah  ich  St.  Florian,  Krems- 
münster, den  Albensee,  Scharnstein,  Spital  am  Pyhrn, 
Mariazeil,  Lilienfeld,  Hohenberg,  Guttenstein  usw., 
und  die  Bilder  dieser  Gegenden  hatten  sich  meiner 
Seele  tief  eingedrückt.  Sie  wurden  nun  der  Schauplatz, 


84    c.  P.  I 


369 


auf  welchem  sich  die,  von  mir  teils  selbstgeschaffenen, 
teils  der  vaterländischen  Geschichte  entnommenen  Ge- 
stalten sowohl  in  den  Grafen  von  Hohenberg  als  in  an- 
dern meiner  Novellen  bewegten,  und  wozu  eben  diese 
Geschichte  den  Hintergrund  bildete.  Eine  unglücks- 
volle Epoche  hatte  ich  mit  Fleiß  gewählt,  die  Zeit,  wo 
die  Kinder  K.  Albrecht  des  Ersten,  vor  allen  die  un- 
garische Königin  Agnes  Blutrache  wegen  der  Ermor- 
dung ihres  Vaters  an  vielen  edlen  Familien  nahmen, 
und  diese  düstere  Färbung,  sowie  sie  über  jener  Epoche 
und  jetzt  auch  in  meiner  Seele  waltete,  verbreitete  sich 
über  das  ganze  Gedicht.  Keine  Neigung  blieb  ver- 
schont, kein  noch  so  zufriedenes  Verhältnis  ungestört. 
Es  hatte  sich  mir  aus  den  Erfahrungen  jener  traurigen 
Zeit  der  Glauben  aufgedrungen,  daß  es  hiernieden  kein 
wahres  Glück  gebe;  daß  unsere  edelsten  Freuden  nur 
Täuschungen  saien  und  alles  uns  auf  Jenseits  hinweise. 
Dieses  Glaubensbekenntnis  sprach  sich  am  vollständig- 
sten in  dem  Liede  aus,  welches  Agnes  singt  ^^2): 

Was  weinst  du  Pilger  dieser  Erden, 
Drückt  dich  des  heißen  Tages  Last? 

O  blick'  auf  dich,  auf  deine  Brüder, 

Wer  ist  denn  glücklich  ?  frag  ich  dich. 

Und  dennoch  schwebt  im  Sonnenscheine 

Ein  reizend  Bild  vor  unserm  Blick. 

In  der  Gestalt  der  schönsten  Triebe 
Schwebt  es  der  heitern  Jugend  vor, 
Es  zeigt  als  Freundschaft  sich,  als  Liebe, 
Es  lockt  uns  noch  durch  heiße  Triebe, 
Und  zieht  uns  von  der  Erd'  empor. 

Wie  mutig  folgen  wir  den  Winken, 
Wie  reich  an  innrer  Seligkeit! 
Wir  sehn  im  Tau  die  Blume  blinken, 
Wir  pflücken  sie  —  die  Blätter  sinken 
Zerstört  vom  Hauch  der  Wirklichkeit. 


Verblichen  ist  die  Glut  der  Farben, 
Entflohn  des  Duftes  zarter  Geist  — 

O  murre  nicht  —  nicht  zum  Genießen 
Sind  wir  in  diese  Welt  gesandt.  — 

Dorthin,  dorthin  geht  das  Verlangen, 
Dort  wird  uns  unser  Wünschen  klar, 
Dort  sehn  wir  unsre  Blumen  prangen, 
Dort  wird  kein  Hoffen  hintergangen, 
Wo  alles  ewig  ist  und  wahr. 

In  diesem  Liede  sprach  sich  mein  damaliges  innerstes 
Gefühl  aus,  und  es  ist  der  rechte  Schlüssel  zu  dem 
ganzen  Roman. 

Ähnliche  Ansichten,  nur  in  einer  etwas  veränderten 
Richtung,  gaben  mir  die  Idee  zur  Erzählung:  Alt  und 
neuer  Sinn^^s).  Es  war  der  grelle  Kontrast  zwischen 
der  treuherzigen,  frommen,  einfachen  Vorzeit  und  der 
rastlos  strebenden,  ungläubigen,  nie  gesättigten  Gegen- 
wart. Die  wirklichen -Ereignisse,  daß  soTnanche  unserer 
Güterbesitzer  bei  dem  Aufrufe  der  Landwehr  ihre 
Untertanen  bewaffnet  und  sich  an  ihre  Spitze  gestellt 
hatten,  boten  mir  willkommene  Verflechtungen.  So 
entstand  jene  Erzählung,  in  welcher  Cäcilie  die  neue 
Sinnesart  gegenüber  der  alten  Blankenwerths  dar- 
stellte und  beide  in  dem  Konflikt  zugrunde  gehen,  wo 
denn  zuletzt  Gewerbefleiß  und  Fabrikswesen  sich  das 
Besitztum  ritterlicher  Vorgänger  aneignen.  Ohne  es 
zu  ahnen,  hatte  ich  mit  dieser  Novelle  das  Wohlwollen 
und  höhere  Interesse  einer  verdienstvollen  Dame,  der 
Gräfin  C**y^^*),  gewonnen.  Ihr  Gemahl,  ein  schöner, 
jugendlicher  und  zufälligerweise  wie  Blanken  werth  blon- 
der Mann,  dessen  Besitzungen  tief  im  Gebirge  lagen, 
war  ebenfalls  in  jenem  verhängnisvollen  Jahre  1809  zur 
Landwehr  gegangen,  hatte  sich  sehr  wacker  gehalten, 
und  war  bei  Raab  geblieben.    Als  ich  ein  paar  Jahre 


M* 


371 


darauf  nach  Lilienfeld  und  Mariazeil  reiste,  lernte  ich 
diese  Frau  kennen,  welche  in  jener  Erzählung  eine  Art 
Verklärung  ihres  tapfern  Gemahls  gefunden  hatte  und 
mir  darum  recht  gut  geworden  war. 

Auf  diese  und  ähnliche  Weise  hatten  mir  meine  Sjchrif- 
ten  manches  wohlgeneigte  Herz  in  der  Nähe  und  Ferne 
gewonnen,  und  was  mich  stets  am  meisten  freute,  es 
war  sehr  oft  nicht  sowohl  die  Schriftstellerin  als  das 
weibliche  Gemüt,  die  Frau  selbst,  was  man  in  meineii 
Schriften  achtete  und  mit  Wohlwollen  auffaßte.  Das 
war  und  ist  ein  schöner  Gewinn,  der  mir  durch  Gottes 
Gnade,  nebst  dem  unsäglichen  Vergnügen,  welches  mir 
die  Ausübung  meines  Talentes  gewährte,  noch  darüber 
zuteil  ward^24a^. 

Während  ich  noch,  zwischen  Wehmut  über  die  Ver- 
gangenheit und  Sorge  für  die  Zukunft  befangen,  an  den 
Grafen  von  Hohenberg  arbeitete,  und  eine  schwer- 
mütige Freude  darin  fand,  mich  in  die  Leiden  und 
Schmerzen,  Entsagungen  und  Enttäuschungen  dieser 
Geschöpfe  meiner  Einbildungskraft  zu  versenken,  zu- 
gleich die  Bilder  jener  himmhsch  schönen  Gegenden 
von  Guttenstein,  Scharnstein,  Lilienfeld,  dem  Alben- 
see usw.  wieder  lebhaft  zurückzurufen  und  den  Ein- 
druck zu  schildern,  mit  dem  ihre  halbwilden,  halb- 
düstern  Reize  mich  selbst  berührt  hatten,  als  ich  sie  das 
erstemal  sah,  erschütterte  plötzlich  eine  ebenso  folgen- 
reiche als  unerwartete  Neuigkeit  ganz  Wien,  ganz 
Österreich,  ja  wohl  ganz  Europa.  Napoleon  ließ  um  die 
Tochter  unsers  Kaisers  werben.  Marechal  Berthier'*^) 
war  auf  dem  Wege  nach  Wien,  und  mit  Erstaunen,  mit 
ängstlicher  Freude  und  furchtsamer  Hoffnung  sah  je- 
dermann diesem  Ereignisse  und  seinen  möglichen  Fol- 
gen entgegen. 

372 


K 


General  Berthier  kam  an  —  die  Werbung  geschah 
in  aller  Form.  Feste  folgten  bei/Hofe  auf  Feste.  Die 
damalige  Kaiserin  Maria  Ludovica  wußte  durch  ihren 
Geist,  ihre  Anmut  und  durch  die^rgfältigsten  Toilet- 
ten den  Marechal  so  zu  bezaubern  und  zu  stimmen^ 
daß  er  bei  seiner  Abreise  soll  gesagt  haben:  Es  sei  Z-eit, 
daß  er  von  Wien  wegkomme  *26).  In  der  Augustiner- 
kirche geschah  die  feierliche  Trauung,  wobei  unser  hoch- 
verehrter Erzherzog  Karl  statt  des  entfernten  Bräuti- 
gams, die  Hand  der  Braut,  seiner  Nichte,  empfing*^'), 
—  Er,  der  Sieger  von  Aspern,  der  zuerst  den  Nieüber- 
wundenen zum  Weichen  gezwoingen  hatte,  sollte  nun 
das  Band  besiegeln  helfen,  was  jenen  Gewaltigen  an 
das  Erzhaus  binden,  und  diesem  entweder  Frieden  und 
Glück   oder  noch  ärgere  Sklaverei  bereiten   konnte!! 

Vergeblich  würde  ich  es  versuchen,  die  gemischten, 
streitenden,  ja  peinlichen  Empfindungen  zu  schildern, 
welche  mich  ergriffen,  als  ich  bei  dem  freien  Ballfeste *2*), 
das  bei  dieser  Gelegenheit  in  den  k.  k.  Redoutensälen 
mit  großer  Pracht  gegeben  wurde,  zuerst  wieder  in 
diesen  Saal  trat,  wo  vor  zehn,  elf  Monaten,  vor  dem 
Ausbruch  des  unseligen  Krieges,  die  Landwehrlieder 
unsers  Freundes  Collin  bei  gedrängt  vollem  Hause 
waren  gesungen  und  in  jeder  österreichischen,  jeder 
deutschen  Brust  Haß  und  mutiger  Widerstand  gegen 
Frankreichs  Übermacht  und  Übermut  war  entflammt 
worden.  Jetzt  war  eben  dieser  Saal  auf  einer  Seite  mit 
Fahnen  und  Drapperien  in  Österreichs  Farben,  auf  der 
andern  Seite  mit  Trikolor  verziert.  Dieses  Zeichen,  das 
Erfahrung,  Nachdenken  und  jeder  Blick  um  uns  her  uns 
seit  Jahren  als  das  unglückbringendste  für  uns  und  die 
ganze  Welt  hatte  ansehen  gelehrt !  Nun  schwebten  diese 
Farben  über  unsern  Häuptern,  dicht  neben  den  ver- 

373 


'% 


ehrten  vaterländischen,  und  wie  lange  ?  —  wie  lange  ?  — 
wird  uns,  so  konnte  man  wohl,  ohne  eben  allzu  große 
Furchtsamkeit,  mit  Recht  denken,  wie  lange  wird  uns 
der  Allgewaltige  wohl  noch  gestatten,  diese  Farben  zu 
verehren  und  als  das  Palladium  des  Volksglücks  unter 
dem  Szepter  unserer  angestammten  Fürsten  zu  behal- 
ten ?  Daß  solche  Betrachtungen  nicht  sehr  geeignet 
waren,  um  jene  fröhliche  Stimmung  zu  erzeugen,  die 
sich  für  einen  Ball  schickte,  ist  wohl  natürlich.  In- 
dessen, sowie  ich  bereits  über  die  Jahre  hinaus  war,  in 
denen  man  zu  tanzen  pflegt,  so  war  auch  überhaupt  das 
Tanzen  auf  der  Redoute  nicht  mehr  Sitte,  und  man 
betrachtete  ein  solches  Fest  nur  als  eine  große  Reunion, 
wo  man  in  zierlich  geschmückten  und  erleuchteten 
Sälen  während  einer  Tanzmusik,  auf  die  übrigens  nie- 
mand oder  nur  wenige  achteten,  herumspazierte,  seine 
Bekannten  sah,  Anzüge  betrachtete  und  musterte,  Glos- 
sen machte,  und  sich  gut  oder  nicht  gut  unterhielt,  je 
nachdem  es  sich  traf.  Eine  der  besten  Unterhaltungen 
bot  bei  solchen  Gelegenheiten  die  Erscheinung  des 
kaiserlichen  Hofes  mit  seinem  Gefolge  von  Kavalieren 
und  Damen.  Diesmal  führte  unser  geliebter  Kaiser  den 
Zug  an,  an  seinem  Arme  die  jugendliche  Braut  des  Hel- 
den der  Zeit ;  ihnen  folgte  an  Erzherzog  Karls  Arme  die 
Kaiserin  Maria  Ludovica;  hinter  diesen  die  übrigen 
Prinzen  des  Hauses,  den  Patriarchen  desselben,  Herzog 
Albrecht  von  Sachsen-Teschen'^»)^  mitten  unter  ihnen. 
Auch  diesmal  war,  wie  ich  es  schon  bei  der  ersten  Ver- 
mählung unsers  Kaisers  mit  der  Prinzessin  Elisabeth 
von  Württemberg  bemerkt  hatte,  die  Braut,  welche 
doch  an  diesem  Tage  die  größte  Aufmerksamkeit  er- 
regen mußte,  durchaus  nicht  die  anziehendste  Gestalt. 
Damals  verdunkelte  die  zwar  nicht  mehr  jugendliche, 

374 


aber  durch  ihre  edlen  Formen  und  den  geistvollen  Aus-  , 
druck  derselben,  sowie  durch  einen  sehr  wohlgewählten 
Anzug,  noch  immer  sehr  schöne  Erzherzogin  Christina  *^) 
die  blasse  und  viel  unscheinbarere  Braut.  Bei  dem 
gegenwärtigen  Fest  übertraf  die  Kaiserin,  obwohl  nicht 
regelmäßig  schön  und  älter,  kränklicher  als  die  blühende 
Braut,  diese  doch  durch  Anmut  der  Bewegungen,  vor- 
teilhaften Anzug  und  eine  Majestät  der  Haltung,  welchfe 
bei  dieser  nicht  großen  Gestalt  doppelt  überraschend 
war.  Daß  der  mindere  Glanz  der  Braut  großenteils 
von  einer  unvorteilhaften  Art  sich  zu  kleiden  und  ihrer 
Schüchternheit  herrührte,  erwies  sich  später.  Man  er- 
zählte allgemein,  daß,  wie  sie  in  Braunau,  wo  das  ihr 
entgegengesandte  französische  Gefolge  sie  erwartet 
hatte  und  sie  von  den  französischen  Zofen  in  einem 
Nebengemach  umgekleidet  worden  war,  in  dem  von 
Paris  mitgebrachten  Anzug  und  Schmuck  wieder  her- 
austrat, sie  als  eine  ganz  andere  Person  erschien  ^^^) .  Wohl 
mochte  die  innere  Sicherheit,  der  Gedanke:  nun  die 
erste  und  höchste  Monarchin  in  Europa  zu  sein,  viel 
beitragen,  die  jugendliche  Gestalt  zu  erheben  und  den 
blühenden  Kopf  aufzurichten;  daß  aber  an  der  Wahl 
und  Umsicht  beim  Anzug  gar  viel  gelegen  ist,  wird 
keine  Frau  bestreiten.  Später  —  nach  dem  Zusam- 
mensturz ihres  so  blendenden  Glückes  —  sah  ich  diese 
Prinzessin  in  Lilienfeld  wieder  und  mußte  gestehen, 
daß  sie  in  Haltung  und  Anstand  ungemein  gewon- 
nen hatte. 

Doch  ich  kehre  zu  dem  Faden  der  Erzählung  zu- 
rück. Unser  Vaterland  war  also  mit  Frankreich  ver- 
bündet —  die  Tochter  unsers  Kaisers  saß  an  des  mäch- 
tigsten Monarchen,  an  Napoleons  Seite,  auf  dem  Thron 
dieses  Reiches,  und  nach  den  gewöhnlichen  Berech- 

375 


nungen  hätten  wir  uns  nun  Ruhe  und  ungestörten  Ge- 
nuß im  Besitz  dessen,  was  dem  österreichischen  Kaiser- 
tume  nach  so  vielen  Losreißungen  gebHeben,  und  aller- 
dings eine  bedeutende  Macht  zu  nennen  war,  ver- 
sprechen können.  Aber  war  sich  bei  Napoleons  rastlos- 
strebendem Eroberungsgeist,  bei  dem  militärischen  Ge- 
nie, das  er  besaß  und  welches  ihm  das  Kriegführen  und 
Überwinden  zu  einfer  LiebHngsbeschäftigung  machen 
mußte,  und  bei  den  Ungeheuern  Mitteln,  die  ihm  zu 
Gebote  standen,  wohl  Ruhe  und  bleibende  Sicherheit 
zu  versprechen! 

Unglückverkündend  und  im  Rückblick  auf  das  trau- 
rige Geschick  der  Königin  Antoinette  höchst  ominös 
war  der  Brand  des  Tanzsaales  bei  dem  Fest,  das  unser 
Gesandter  Fürst  Karl  von  Schwarzenberg^^^)  dem  kaiser- 
lichen Paare  mit  großer  Pracht  und  ausgesuchtem  Ge- 
schmack gab.  Schon  bei  Gelegenheit  jener  Hochzeits- 
feierhchkeiten  unter  Ludwig  XVL  war  ein  ähnliches 
Unglück  entstanden,  und  diese  Wiederholung  desselben 
Zufalls  bei  gleicher  Veranlassung  warf  ahnungsvolle  Be- 
sorgnisse in  manche  Herzen.  Sehr  lebendig  und  schön 
geschildert  hat  eben  jener  Herr  Varnhagen,  dessen  wei- 
ter oben  Meldung  geschehen,  dieses  Fest  mit  allen  sei- 
nen Schrecken  und  einzelnen  erhebenden  Momenten  im 
Raumerschen  Taschenbuch *32^.  Varnhagen  war  damals 
Adjutant  des  Fürsten,  daher  ein  glaubwürdiger  Augen- 
zeuge all  dieser  Auftritte.  Nicht  ohne  erhebendes  Ge- 
fühl liest  man  in  dieser  Schilderung  neben  allen  den 
entsetzhchen  Ereignissen  die  einzelnen  Beweise  von 
Mut,  Aufopferung,  Pflichtgefühl  —  das  Schicksal  der 
Fürstin  von  Schwarzenberg^^),  die  ein  Opfer  ihrer  Mut- 
terliebe ward,  und  das  Betragen  des  Kaisers  Napoleon 
selbst,  das  sich  ebenso  besonnen  und  würdig,  als  voll 

.376 


Karoline  Pichler 

Anonymer  Stich  (Quirin  Mark?  oder  Friedrich  John?) 
k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


Rücksicht  auf  seine  eben  angetraute  Gemahlin  aus- 
sprach. 

Der  folgende  Sommer  verging  wie  mancher  frühere 
für  mich  in  stillem  Genuß  häuslicher  Zufriedenheit, 
im  Umgang  mit  werten  Freunden  und  kleinen  Reisen 
in  die  schönen  Gebirgsgegenden.  So  waren  wir  noch 
im  Anfange  des  Oktobers  zum  zweitenmal  in  Gutten- 
stein,  und  ich  sah  mit  Vergnügen  die  Plätze  wieder, 
die  ich  schon  ein  paar  Jahre  früher  besucht  und  wo 
ich  einen  großen  Schrecken  bei  dem  Muckendorfer 
Wasserfall  erlebt  hatte.  Dieser  Auftritt,  bei  welchem 
nur  Gottes  sichtbar  einwirkende  Gnade  mich  vor  dem 
furchtbaren  Jammer,  Gemahl  und  Kind  in  einem 
AugenbHcke  zu  verlieren,  bewahrt  hatte,  ist  mir  von 
jeher  zu  entsetzlich,  zu  ergreifend  gewesen,  als  daß 
ich  auch  jetzt  noch,  nach  mehr  als  dreißig  Jahren  im- 
stande wäre,  ihn  in  diesen  Blättern  zu  schildern.  Er- 
zählen konnte  ich  ihn  nur  mit  der  größten  Erschütte- 
rung des  Gemütes,  tat  es  daher  fast  nie,  und  nur  meine 
innige  Freundin,  die  mir  nun  auch  schon  lange  ins 
bessere  Leben  vorangegangen  ist,  Fräulein  Therese  von 
Artner,  hat  in  einer  schönen  Roma^ize,  welche  ihr  die 
Liebe  für  mich  eingegeben,  diesen  entsetzlichen  Vor- 
fall geschildert'^*). 

Man  hat  —  wenn  es  erlaubt  ist,  so  Kleines,  wie 
meine  Erlebnisse,  mit  den  Ereignissen  in  dem  Leben 
eines  der  glänzendsten  Monarchen  in  Vergleich  zu  stel- 
len —  man  hat  öfters  schon  die  Rettungsgeschichte  un- 
sers  Kaisers  Max  L  auf  der  Martinswand  für  ein  Mär- 
chen, eine  poetische  Sage  usw.  erklären  wollen,  weil 
sie  sich  unter  den  Abenteuern  des  Kaisers,  welche  er 
selbst  im  Teuerdank  erzählt,  und  in  welchem  seine 
bösen  Gesellen,  der  Neidthart  Fürwittig  und  Unfalo 

377 


ihn  in  allerlei  Gefahren  bringen,  nicht  vorfindet.  Dies 
ist  wahr;  aber  ist  es  wohl  erlaubt,  aus  der  Nichtberüh- 
rung  dieses  Abenteuers  auf  das  Nichtvorhandensein 
desselben  notwendig  zu  schließen?  Kann  nicht  ein 
Schauer,  der  den  höchst  gemütsreichen  letzten  Ritter 
bei  der  Erinnerung  an  jene  Gefahr  ergriff,  die  Ursache 
dieses  Verschweigens  sein  ?  Kann  nicht  —  ich  glaube, 
Baron  Hormayr  hat  Ähnliches  irgendwo  geäußert'^)  — 
eine  Art  heiliger  Scheu  ihn  abgehalten  haben,  dies  ge- 
heimnisvolle Begegnis  profanen,  vielleicht  ungläubigen 
Ohren  mitzuteilen;  es  möge  nun  jenes  rettende  Wesen 
ein  wirklicher,  von  Gott  gesendeter  Engel — denn  die 
Erhaltung  dieses  Fürsten  war  allerdings  dignus  vindice 
nodus  —  oder  ein  auf  wunderbare  Weise  auftretender 
Bergknappe  gewesen  sein.  Wie  gesagt,  ich  glaube  in 
meiner  Scheu  vor  dem  Erzählen  jenes  Vorfalls  am 
Muckendorfer  Wasserfall  eine  natürliche  Erklärung  von 
Kaiser  Maxens  Schweigen  über  den  so  ungleich  wich- 
tigern und  verhängnisvollem  Vorfall  an  der  Martins- 
wand zu  erkennen. 

Aber  unsere  Zeit  ist  so  über  alle  Maßen  skeptisch 
und  nüchtern,  hat  so  ausschließend  nur  für  das  Reelle, 
Handgreifliche,  Nutzbare  Sinn,  daß  alles,  was  sich 
nicht  in  diese  Kategorien  bringen  läßt,  für  sie  nicht 
allein  keinen  Wert  hat,  ja,  daß  es  von  ihr  gar  nicht 
mehr  erfaßt  werden  kann.  In  dieser  Tendenz  zum  Rea- 
len übt  sich  nun  auch  die  historische  Kritik  mit  scho- 
nungsloser Schärfe,  verdächtigt  ÜberHeferungen,  an 
deren  erhebendem,  menschhch  schönem  Inhalt  seit 
Jahrhunderten,  ja  seit  Jahrtausenden  ^e  Welt  mit 
Liebe  und  Glauben  hing,  z.  B.  in  den  ersten  Büchern 
der  römischen  Geschichte,  oder  zieht  den  trojanischen 
Krieg  —  wie  ich  aus  einer  Rezension  in  den  „Blättern 

378   " 


für  Literar.  Unterhaltung,  Dezember  1836""'  gesehen ^^^) 
—  von  seiner  glanzvollen  Höhe,  auf  der  er  der  Welt  ge- 
leuchtet, herunter,  und  sucht  ihn  zu  einer  unbedeuten- 
den, halb  wahren,  halb  erlogenen  Expedition  einer  oder 
einiger  kleinen  griechischen  Völkerschaften  zu  machen. 
Ebenso,  nur  weit  verderblicher  und  darum  verabscheu-- 
ungswürdiger  mag  auch  das,  jetzt  in  vielen  kritischen 
Blättern  besprochene  Leben  Jesu  von  Strauß  sein^^').  Ich 
habe  es  so  wenig  als  Uscholds  trojanischen  Krieg^^)  oder 
Herrn  von  Niebuhrs  römische  Geschichte  ^^^)  gelesen» 
Aber  ich  habe  in  meiner  Jugend  das  Buch  des  berühm- 
ten oder  berüchtigten  Dr.  Bahrdt :  Die  Bibel  im  Volks-^ 
ton,  wohl  gekannt,  welches  sich  mit  vielem  Scharfsinn 
und  großer  Anstrengung  Mühe  gibt,  alles  Wunderbare, 
Göttliche  aus  der  Person  und  den  Taten  Jesu  Christi 
hinweg  zu  deuteln  und  alles  ganz  natürlich  zu  erklären» 
Zu  welchen  abenteuerlichen,  teils  lächerlichen,  teils 
ganz  unstatthaften  Voraussetzungen  und  Erfindungen 
Bahrdt  deshalb  seine  Zuflucht  nehmen  mußte,  leuch- 
tet wohl  jedem  unbefangenen  und  christlich  gesinn- 
ten Menschen  ein;  aber  das  Buch  machte  gewaltig 
viel  Aufsehen.  Mir  schien  es  aber  schon  damals,  daß 
jene  sogenannten  Erklärungen  und  Vernatürlichungen 
der  Wunder  etwas  noch  viel  Wunderbareres  als  die 
wirklichen  Mirakel,  nämlich  ein  ganz  unwahrschein- 
liches Zusammentreffen  der  seltsamsten  Umstände,, 
eine  unbegreifliche  Betörung  und  Befangenheit  der 
Zuseher,  und  endlich  einen  Grad  von  Geistesgewandt- 
heit, Schlauheit  und  Bildung  voraussetzen,  der  sich 
bei  einfachen  Fischern  und  Leuten  aus  den  niedrig- 
sten Ständen  gar  nicht  denken  läßt.  Es  ist  —  so  dünkt 
es  mich  —  mit  diesem  Wegerklären  des  Wunderbaren 
wie  mit  der  Beobachtung  der  drei  dramatischen  Ein- 

379 


heiten  auf  der  Bühne,  wo  denn  auch,  um  ja  dem  Zu- 
seher  keine  Versetzung  seiner  Gedanken  an  einen  an- 
dern Ort,  oder  keinen  Glauben  an  eine  längere  vergan- 
gene Zeit  zuzumuten,  man  ihm  aufbürdet,  zu  glauben, 
daß  z.  B.  eine  Verschwörung  auf  öffentlicher  Straße 
-entsponnen  werde,  der  Vater  sich  über  die  innersten 
Angelegenheiten  seiner  Familie  in  einem  Vorsaale  aus- 
sprechen oder  die  totale  Sinnesänderung  eines  ver- 
kehrten Menschen  binnen  24  Stunden  stattfinden 
Jcönne«^o).  ^ 


So  ging  denn  das  Jahr  18 10  zu  Ende,  und  das,  in  so 
vieler  Hinsicht  merkwürdige  von  181 1  brach  an. 

Schon  im  März  ward  es  durch  zwei  folgenschwere, 
obgleich  unter  sich  sehr  verschiedne  Ereignisse  be- 
zeichnet, die  Geburt  des  damaligen  Königs  von  Rom, 
bei  uns  später  der  Herzog  von  Reichstadt  genannt,  und 
<iie  unselige  Skala,  die  zwar  mit  einem  Gewaltstreich 
vielen  Verlegenheiten  der  Staaten  abhalf,  auch  das 
Los  der  Beamten  und  aller  vom  Staate  Salerierten  be- 
deutend verbesserte,  aber  auch  manche  rechtliche  Fa- 
milie zum  Teil  oder  gänzlich  um  ihr  Vermögen  brachte. 
Auch  das  unsrige  litt  bedeutenden  Verlust,  sowohl  da- 
mals als  späterhin,  da  selbst  Kapitalien,  die  lange  vor 
jeder  Entwertung- der  Bankozettel  in  den  Jahren  1797 
oder  1798  angelegt  worden  waren,  uns  zwanzig  Jahre 
später  in  Einlösscheinen  zurückgezahlt  wurden,  wo- 
gegen dann  keine  Protestation  geholfen  hätte,  weil  das 
Patent  ausgesprochen  hatte:  Einlösscheine  sind  Kon- 
ventionsmünze^*!). 

Doch  über  das  alles  ist  damals  genug  geklagt,  räson- 
niert,  gebeten,  versucht  worden,  die  Ansprüche  blie- 

380 


ben  stehen  —  das  Geld  war  verloren  und  nun  haben 
einige  zwanzig  Jahre  jene  Wunden  vernarbt  oder  die 
verletzten  Herzen   ruhen  längst  im  kühlen  Grab^")^ 

Bei  Hofe  und  überall  war  bedeutende  Freude  über 
die  Geburt  jenes  Prinzen,  und  Baron  Tettenborn,  der 
im  forcierten  Kurierritt  diese  frohe  Nachricht  in  8  oder 
9  Tagen  von  Paris  nach  Wien  brachte,  war  mit  seiner 
Neuigkeit  und  dem  Erstaunen  über  seine  kühne  Reise 
durch  mehrere  Tage  der  Gegenstand  aller  Gespräche  ^*2^, 

Der  heiße  Sommer  kam  nun  und  brachte  mir  allerlei 
Angenehmes  und  Unangenehmes,  ja  Schmerzliches, 
Die  innig  von  mir  verehrte  Frau  von  Schlegel  hatte 
sich  für  den  Sommer  eine  Gartenwohnung  in  unserer 
Nachbarschaft  genommen;  wir  sahen  uns  oft,  und  unsere 
Kinder,  Philipp  Veit^^),  damals  ein  hübscher  Junge 
von  etwa  i6 — 17  Jahren,  und  meine  Tochter,  unge^ 
fähr  13  oder  14  Jahre  alt,  trieben  sich  im  Garten  spie- 
lend und  scherzend  umher.  Welche  Veränderung 
bis  jetzt!  Veit  ist  ein  berühmter  Maler  geworden  und 
ist  Vater  von  sechs  Kindern  —  meine  Tochter  ist 
Witwe  und  Mutter  von  fünf  Kindern,  von  denen  ihr 
Gott  drei  ließ,  welche  unser  Alter  verschönern.  — 

Unsere  Freundinnen,  Baronin  Richler  und  ihre 
Schwestern,  brachten  den  Sommer  in  Döbling  zu.  Die 
jüngste,  Nanette,  hatte  schon  lange  gekränkelt  —  als- 
Folge  einer  schwächlichen  Konstitution  und  mancher 
geheimen  Kränkung,  welche  ihr  die  Untreue  eines 
Mannes  verursacht,  der  um  mehrere  Jahre  jünger  als 
sie,  ^ie  im  Anfang  mit  jugendlicher  Leidenschaft  um-' 
faßt,  und  endlich  um  einer  jüngeren  und  sehr  schönen, 
genauen  Freundin  Nan^ettens  willen  verlassen  hatte***), 
—  Es  war  eben  auch  eine  Sapphogeschichte,  wie  sie 
iiur  zu  gewöhnlich  vorfallen;  wo  die  Verirrung  einef 

381 


jugendlichen  Phantasie  mit  der  Zeit  der  natürlichen 
Wirkung  der  Jugend  und  Wohlgestalt  weichen  muß. 
Noch  während  Nanette  mit  ziemlich  schnellen  Schrit- 
ten dem  Grabe  zueilte,  entriß  ganz  unvermutet  eine 
heftige  plötzliche  Krankheit  uns  einen  andern  bewährten 
und  unvergeßHchen  Freund,  Heinrich  von  Collin**^), 
der  seit  seinem  ersten  Auftreten  in  der  Hterarischen 
Welt  in  dieser  sowohl  als  in  seinen  amthchen  Beziehun- 
gen eine  glänzende  Karriere  gemacht  hatte,  Hofrat 
und  Leopoldördensritter  geworden  war.  Der  amtliche 
Fleiß,  die  Geistesanstrengung,  welche  durch  doppelte 
Richtung  —  als  Dichter  und  Geschäftsmann  —  seine 
Kräfte  in  zu  großen  Anspruch  nahm,  hatten  seine  Na- 
tur erschüttert,  und  einer  gefährlichen  Krankheit, 
einem  Nervenfieber,  das  ihn  im  JuH  dieses  Jahres  be- 
fiel, nur  zu  leichtes  Spiel  gemacht.  Es  war  ein  heißer 
Sommernachmittag,  als  er  von  Schlegel  —  die  damals 
unweit  von  uns  in  einem  Garten  wohnten  *^^)  —  zu  uns 
herüber  kam  und  sich  Wasser  in  einem  gewissen  gläser- 
nen Kruge,  den  er  wohl  kannte  und  öfters  bei  uns 
daraus  zu  trinken  pflegte,  ausbat.  Ich  goß  es  ihm  mit 
Himbeersaft  ab,  er  ruhte  eine  Weile  bei  uns,  erfrischte 
sich  mit  dem  Tranke,  klagte  aber  sehr  über  Unbehag- 
lichkeit  und  Mattigkeit.  Es  war  das  letzte  Mal,  daß  wir 
ihn  sahen.  In  einigen  Tagen  ergriff  ihn  die  Krankheit 
mit  voller  Macht,  und  am  29.,  wenn  ich  nicht  irre,  trat 
<lie  gute  Schlegel  mit  sehr  ernster  Miene  Nachmittag 
in  mein  Zimmer,  und  bereitete  mich  schonend  und 
vorsichtig  auf  die  schmerzliche  Nachricht  seines  Todes 
vor.  So  hatte  ich,  wie  alle,  das  Vaterland  den  treff- 
lichen Mann,  den  ausgezeichneten  Dichter,  den  tüch- 
tigen Staatsbeamten,  den  teilnehmenden,  treuen,  recht- 
lichen Freund  verloren !  Er  wurde  allgemein  bedauert ; 

382 


die  Lücke,  welche  er  in  unserm  Kreise  gelassen,  ist 
nicht  mehr  ausgefüllt  worden,  wie  denn  überhaupt 
nie  ein  Mensch  durch  einen  andern,  der  an  seine  Stelle 
tritt,  im  rechten  Sinne  ersetzt  werden  kann. 

Bald  nach  CoUins  Tode  endete  denn  auch  Nanette 
Porta,  und  hinterließ  ihre  beiden  altern  Schwestern  in 
tiefer  Trauer  und  uns  alle  in  Wehmut  um  sie.  Es  war 
ein  ausgezeichnetes  Mädchen,  voll  Geist  und  Leb- 
haftigkeit, und  ihr  Verlust  in  unserm  geseUigen  Kreise 
sehr  empfunden. 

Indessen  ging  die  Welt  draußen ,  um  uns  her  ihren 
vielbewegten,  stürmischen  Gang  fort;  denn  an  ihrer 
Spitze  stand  der  gewaltigste  und  unruhigste  Geist  die- 
ses Jahrhunderts,  Napoleon,  der  alles  mit  der  Macht 
seines  Genies  und  Ehrgeizes  aufregte  und  durchein- 
ander trieb.  Mit  Recht  sah  man  tägHch  neuen  Gewit- 
tern und  Stürmen  entgegen,  die  zwar  noch  nicht  an 
unserm  Horizonte  aufgestiegen  waren,  auf  die  aber 
jeder,  der  die  Zeit  kannte  und  nur  etwas  Voraussicht 
hatte,  sich  mit  der  größten  Wahrscheinlichkeit  vor- 
bereiten durfte,  und  vor  welchen  —  so  glaubten  auch 
die  Vernünftigsten  —  uns  selbst  weder  die  Vermählung 
mit  der  Tochter  der  Cäsaren  noch  die  Geburt  des  En- 
kels unsers  Monarchen  schützen  würde,  wenn  es  dem 
gewaltigen  Geiste  gefiele,  Österreich  zu  einem  seiner 
direkten  oder  indirekten  Staaten  zu  machen.  In  einem 
Sinne  hatten  diese  Propheten  richtig  geraten;  daß  es  ge- 
rade der  entgegengesetzte  war,  ließ  damals  in  Öster- 
reich, ja  in  Europa  sich  kein  Mensch  träumen,  vielleicht 
selbst  Talleyrand**')  nicht,  der  den  Marsch  nach  Ruß- 
land im  folgenden  Jahre :  Le  commencenjent  de  la  fin 
genannt  haben  soll. 


383 


i 


In  diesem  Sommer,  der  uns  so  manchen  Verlust  ge- 
bracht und  in  Rücksicht  der  unausstehlichen  Hitze  so 
manche  Freude  verdorben  hatte,  fehlte  es  doch  an 
kleinen  Unterhaltungen  nicht.  Ich  hatte  Gelegenheit, 
interessante  Fremde  kennen  zu  lernen  —  Wilhelm  v. 
Humboldt  mit  seiner  Frau  ^*^),  einer  höchst  geistreichen 
Dame,  die  ich  bei  Schlegel  kennen  lernte,  die  sich  aber, 
weiß  Gott  warum  ?  gegen  mich  äußerst  schroff  benahm, 
und,  so  wie  auch  ihr  Mann,  in  dem  übrigens  sehr  klei- 
nen Kreise  desselben  Abends,  unter  höchstens  8 — lo 
Personen,  mich  auf  eine  auffallende  Art  ignorieren  zu 
wollen  das  Ansehen  hatte.  Nie  habe  ich  erfahren,  wo- 
her diese  übersehende,  ja  ganz  unfreundliche  Behand- 
lung kam,  da  ich  sonst  (ich  darf  das  sagen,  ohne  daß 
man  es  mir  als  Ruhmredigkeit  auslege)  gewohnt  war, 
wenigstens,  wenn  man  mich  Jiicht  kannte,  mit  der  ge- 
gen Unbekannte  gewöhnlichen  Höflichkeit,  und  wenn 
ich  genannt  wurde,  mit  Auszeichnung  behandelt  zu 
werden.  Diesmal  war  es  anders,  und  vergebens  habe 
ich  nachgesonnen,  was  wohl  die  Ursache  davon  habe 
sein  können,  da  ich  Herrn  und  Frau  von  Humboldt 
jenen  Abend  zum  erstenmal  in  meinem  Leben  gesehen 
hatte. 

Zur  selben  Zeit  wohnte  auch  eine  Freundin  der 
Frau  von  Schlegel,  eine  Madame  Herz**^)  aus  Berlin, 
auf  einige  Zeit  bei  ihr,  eine  sehr  majestätische,  und 
hätte  man  sie  durch  ein  Verkleinerungsglas  betrachten 
können,  wirklich  schöne,  dabei  geistvolle,  freundliche, 
gebildete  Frau,  mit  der  ich  manche  vergnügte  Stunde 
zugebracht.  Durch  sie  erfuhren  wir  eine  sehr  komische 
Anekdote  von  dem  berühmten  Romandichter  Lafon- 
taine, der  auch  dazumal  im  Sommer  1811  nach  Wien 
gekommen  war,  den  wir  aber,  Schlegel  und  ich,  nicht 


384 


kennen  lernten,  weil  er  sich  bei  keinem  von  uns  auffüh- 
ren ließ.  Seine  Lieblingsbeschäftigung  war  es,  sich  im 
sogenannten  Wurstelprater  bei  den  Schenken,  Schau- 
keln, Pulcinellen  usw.  herumzutreiben,  das  Volk  in  sei- 
ner Fröhlichkeit  dort  zu  betrachten,  und  vielleicht 
manche  psychologische  Bemerkung  zu  machen.  In  die 
feinen  Gesellschaften  ging  er  nicht,  in  keinem  von  allen 
mir  bekannten  Häusern  hatte  er  Zutritt  gesucht.  Aber 
ein  paar  Damen,  welche  seine  Romane  mit  großer  Er- 
hebung und  Rührung  (wie  mehr  oder  minder  wohl  wir 
alle  vor  30 — ^40  Jahren)  gelesen  hatten,  und  nach  ihrem 
Ton  und  ihrer  Tendenz  in  dem  Autor  einen  zarten,  fei- 
nen, vielleicht  zierHchen,  gewiß  aber  sehr  anziehenden 
Gesellschafter  zu  finden  glaubten,  ließen  ihn  zum  Tee 
bitten,  und  freuten  sich  schon  sehr  auf  den  genußrei- 
chen Abend  mit  dem  Verfasser  so  rührender,  zärtlicher 
Dichtungen.  Es  war  ein  heißer  Tag  in  Mitte  des  heißen 
Sommers  —  es  wurde  7,  halb  8,  8  Uhr  —  eine  für  jene 
Zeit  viel  zu  späte  Stunde,  um  zum  Tee  zu  erscheinen. 
—  Lafontaine  ließ  sich  noch  immer  erwarten.  Endlich 
um  halb  9  Uhr  trat  ein  mittelgroßer,  sehr  korpulenter, 
sehr  abgeschwitzter  Herr  ein,  es  war  der  erwartete  Dich- 
ter, der  sich  in  einemfort  den  Schweiß  abtrocknete, 
über  die  Hitze  klagte,  sich  statt  des  Tees  und  der  Kon- 
fitüren —  ein  Glas  Bier  ausbat,  und  mit  großer  Lust 
statt  von  zarten  und  erhabenen  Dingen,  wie  wohl  er- 
wartet worden  war,  von  dem  Vergnügen  sprach,  das 
ihm  der  obengenannte  Wurstelprater  geboten.  Wie 
waren  die  Damen  von  ihrer  ätherischen  Höhe  herab- 
gestürzt! 

Bald  darauf  erschien,  nicht  hier  auf  Erden,  aber  am 
nordwestlichen  Himmel,  ein  schimmernder  und  merk- 
würdiger Fremdling,  der  große  Komet  von  181 1^^")  — 

25   c.  p.  I  385 


und  eine  übermäßige  Hitze  ging  seiner  Erscheinung  be- 
vor, begleitete  sie  und  dauerte  mit  verhältnismäßiger 
Abstufung  bis  gegen  den  November.  Viele  Brunnen 
versiegten,  die  Ernte  war  mittelmäßig,  der  Wein  aber 
trefflich.  Mir  war  die  Hitze  peinlich,  übrigens  aber  der 
Anblick  des  fremdartigen  und  schönen  Gestirns,  das 
seinen  lichthellen  Schweif  über  einen  bedeutenden  Teil 
des  Abendhimmels  erstreckte,  und  das  ich  aus  meinem 
Fenster  oft  mit  Vergnügen  betrachtete,  anziehend  und 
angenehm  zugleich.  Nicht  alle  Menschen  teilten  dies 
Vergnügen  mit  mir.  Es  gab  ihrer,  und  sehr  geistreiche, 
welchen  der  Anblick  des  Sternes  Unglück  weissagend 
erschien,  und  die  sich  daher  vor  ihm  fürchteten.  Zu 
streiten  ist  über  solche  Ansichten  nicht,  denn  Gründe 
finden  hier  keinen  Eingang.  —  Hätte  aber  jener  Him- 
melskörper wirklich  ein  allgemeines  Unglück  bedeuten 
sollen,  so  waren  wenigstens  wir  Deutsche  es  nicht ;  denn 
die  Schrecken  des  bald  darauf  unternommenen  Feld- 
zugs von  1812  trafen  uns  nur  in  wenigen  einzelnen, 
welche  sich  eben  unter  der  französischen  Armee  be- 
fanden, und  vielmehr  wurde  das  Unglück  jener  Cam- 
pagne  der  Grund  und  die  Wurzel,  aus  welchen  sich  die 
Befreiung  unseres  Vaterlandes  im  Jahre  18 13  ent- 
wickelt e. 


Im  Anfang  dieses  Winters  erhielt  ich  von  unserm 
Freunde  Merian  in  Dresden,  mit  dem  ich  fleißig  korre- 
spondierte, einen  Brief,  welcher  mir  die  baldige  An- 
kunft eines  jungen  und  sehr  bedeutenden,  sehr  hoff- 
nungsvollen Dichters,  Herrn  Theodor  Körners  *^^),  ver- 
hieß, und  "mich  mit  vielem  Lobe  auf  diese  neue  Er- 
scheinung   aufmerksam    machte.     Körner    sollte    sich 


386 


y 


mittelst  eines  andern  Briefes  von  ihm  bei  mir  einfüh- 
ren; aber  er  kam  nicht.  —  Ich  hörte  von  andern  Leu- 
ten, daß  er  hier  und  sehr  viel  mit  Schauspielern  sei,  wie 
denn  auch  einige  kleine  Stücke  von  ihm:  Die  Braut,  der 
grüne  Domino  ^^^)  usw.  aufgeführt  wurden.  Ich  hatte 
ihn  noch  nicht  gesehen,  so  sehr  ich  es  wünschte,  und  nur 
in  einer  der  Vorlesungen  über  die  neuere  Geschichte, 
welche  Friedrich  Schlegel  damals  im  Saale  beim  „rö- 
mischen Kaiser"  hielt ®^^),  zeigte  mir  ihn  Frau  von  Weis- 
senthurn^^*)  von  weitem.  Es  war  eine  hohe,  schlanke, 
kräftige  Jünglingsgestalt,  nicht  eben  mit  schönen,  aber 
sehr  bedeutenden  Zügen,  lebhaften  blauen  Augen  bei 
ganz  dunklem  Haar  und  in  einem  etwas  vernachlässigten 
Anzug.  Nicht  lange  darauf  erzählte  man  sich,  daß  er  ein 
zärtliches  Verhältnis  mit  einer  unserer  damaligen  ersten 
Schauspielerinnen,  MUe.  Adamb erger ®^^)  habe,  welche 
mit  einer  schönen  Gestalt,  einem  liebenswürdigen  heitern  • 
Umgang  und  einem  großen  theatraHschen  Talent,  eine 
so  strenge  Sittlichkeit,  eine  so  höchst  vorsichtige  Auf- 
führung verband,  daß  man  sie  allgemein  eben  so  sehr 
bewunderte  als  hochachtete;  ja,  die  jungen  Herren, 
welche  sich  ihr,  als  einer  Schauspielerin,  ohne  große 
Umsicht  nähern  zu  dürfen  glaubten,  wurden  auf  eine 
Art  von  ihrer  Tante,  bei  der  sie  mit  ihren  Geschwistern 
lebte,  empfangen,  daß  man  ihr  den  Titel:  le  dragon  de 
vertu  gab. 

Dieses  Mädchen  nun,  das  in  so  vieler  Rücksicht  glän- 
zend vor  den  Bewohnern  Wiens  dastand,  liebte  der  junge 
Mann,  der  ebenfalls  eine  leuchtende  Erscheinung  in 
seiner  Art,  nun  zum  erstenmal  so  bedeutend  im  Pu- 
blikum auftrat.  Hedwig ^^^)  wurde  gegeben  —  Toni 
(Fräulein  Adamberger)  gab  diese  Hauptrolle,  und  man 
konnte  wohl  erkennen,  daß  die  Liebe  des  Dichters  die- 


25' 


387 


sen  Charakter  mit  einer  Verklärung  von  Kraft,  weib- 
licher Würde,  Geist  und  Edelmut  umgeben  hatte,  die 
eigentlich  das  Werk  seiner  Leidenschaft  und  Phantasie 
war;  dennoch  aber  mit  dem  Charakter  Antoniens  — 
wie  er  damals  vor  der  Welt  erschien  —  viele  ähnliche 
Grundzüge  hatte. 

Das  Stück,  etwas  grell  und  ans  Schauderhafte  strei- 
fend —  welcher  Geschmack  schon  zu  jener  Zeit  sich 
hier  und  dort  in  Dichterwerken  wie  die  Schuld,  der 
vierundzwanzigste  Februar^")  usw.  zu  zeigen  anfing  — 
fand  sehr  viel  Beifall,  und  Antonie  erntete  für  ihr  Spiel 
wohl  eben  so  viel  Lob,  als  ihr  Dichter  für  sein  Werk. 

Alles  dies  hatte  mich  denn  ebenso  gespannt  auf  die 
persönliche  Bekanntschaft  des  jungen  Mannes,  als  wirk- 
lich ungehalten  auf  seine  Vernachlässigung  meiner  ge- 
macht. So  ließ  ich  ihm  denn  einmal  durch  Kurländer, 
der  als  Theaterdichter  in  mannigfachen  Berührungen 
mit  Körner  stand,  sagen :  Wenn  er  mich  nicht  besuchen 
wolle  —  so  müßte  ich  es  mir  gefallen  lassen;  aber  ich 
bäte  ihn  nur,  mir  durch  Kurländer  den  Brief  meines 
Freundes  Merian  zu  schicken,  den  ich  nicht  missen 
wollte.  Das  wirkte  endlich  —  und  an  einem  regneri- 
schen Frühlingsnachmittag,  wo  ich  mit  meiner  Tochter 
und  noch  einem  jungen  Mädchen  *^^),  das  ich  damals  als 
ein  Mittelding  zwischen  Gesellschafterin  und  Kammer- 
jungfer ins  Haus  genommen  hatte,  beisammen  saß,  mel- 
dete man  mir  Herrn  Körner.  Die  Mädchen,  welche  ei- 
nem Gelehrten  nicht  gern  begegneten,  flohen  ins  an- 
dere Zimmer,  und  ließen  mich  allein  den  Besuch  eines 
Mannes  annehmen,  von  dessen  Dichtergeist  ich  wohl 
eine  günstige  Vorstellung,  dafür  aber  eine  geringere  von 
seiner  Lebensart  überhaupt  oder  wenigstens  von  seiner 
Achtung  für  mich  hatte.  Dennoch  kam  es  ganz  anders, 

388 


und  nur  selten  in  meinem  langen  Leben  hatte  die  erste 
Stunde  des  Beisammenseins  mit  einem  vorher  ganz 'Un- 
bekannten so  schnell  alles  Fremde  von  beiden  Seiten 
abgestreift,  eine  sehr  gemütliche  Annäherung  bewirkt 
wie  zwischen  Körner  und  mir,  ungeachtet  des  großen 
Unterschiedes  im  Alter.  Er  blieb  lange,  er  erzählte  mir 
eine  Menge  aus  seinem  Leben,  seinen  häuslichen  Ver- 
hältnissen; er  brachte  komische  Anekdoten  vor,  ich 
mußte  herzlich  lachen,  Körner  lachte  mit,  und  die 
Mädchen  im  Nebenzimmer  verwunderten  sich  über  den 
seltsamen  Besuch,  bei  dem  es  so  viel  zu  lachen  gab.- 

Von  nun  an  war  er  heimisch  bei  uns  geworden.  Er 
kam  oft,  er  blieb  lange  bei  den  kleinen  Mädchen  in  der 
Alservorstadt,  wie  er  Lotte  und  Theresen  nannte,  und 
sagte  später  einmal  zu  einer  gemeinschaftlichen  Be- 
kannten, daß  auch  er  bei  seinem  ersten  Besuche  gleich 
so  viel  Wohlwollen  und  Vertrauen  zu  mir  empfunden 
habe,  daß  er  mir  alle  seine  Geheimnisse  gesagt  haben 
würde,  wenn  ich  darnach  gefragt  hätte.  Ja,  es  war  eine 
verwandte  Seele,  die  diesen  jungen  Mann  belebte,  und 
die  auch  später  mich  seiner  Familie,  die  im  nächsten 
Sommer  nach  Wien  kam,  und  sie  mir  schnell  und  blei- 
bend befreundete'^^). 

Körner  las  nun  jedesmal  seine  neuen  Schöpfungen^ 
vor,  und  mit  großem  Erstaunen  konnte  ich  die  Leich- 
tigkeit und  Sicherheit  seiner  Arbeiten  an  dem,  von  Kor- 
rekturen reinen  Konzepte  bemerken,  wo  oft  auf  einer 
ganzen!  Folioseite  kaum  ein  Gedanke  zurückgenommen 
oder  ein  paar  Verse  gestrichen  vy^aren.  So  floß  es  ihm 
aus  der  reichen  Seele,  und  so  strömte  es  aufs  Papier,  ob- 
wohl ich  nicht  zweifle,  daß,  hätte  er  länger  gelebt,  er 
manches  damals  Geschriebene  geändert,  verbessert  — 
vielleicht  manches  vertilgt  haben  würde. 

389 


Lebhaft  erinnere  ich  mich  der  Lesung  der  Rosa- 
munde ^®°).  Er  hatte  zu  Mittag  bei  uns  gegessen,  und 
las  uns  nach  Tische  das  Trauerspiel  vor,  das  voll  höchst 
effektreicher  Szenen  war,  und  den  nicht  ganz  züchtigen 
Gegenstand  mit  einer  Zartheit  und  Rücksicht  für  seine 
Geliebte,  welcher  die  Titelrolle  bestimmt  war,  behan- 
delte, wie  sie  nur  in  einem  reinen  Jünglingsherzen  woh- 
nen konnte.  Auch  bei  diesem  Stücke  waren  oft  auf  einer 
Seite  kaum  drei  oder  vier  Korrekturen  —  und  sowohl 
meine  Mutter  als  ich  ganz  erhoben  und  entzückt  von 
dem  Werke.  Am  andern  Tage  schrieb  ich  ihm  mütter- 
lich dankend  für  die  Freude,  welche  mir  gestern  nicht 
bloß  sein  Dichtertalent,  sondern  der  Bhck  in  sein  schö- 
nes Gemüt  gegeben.  Ein  allerliebstes  Sonett,  in  dem 
er  mich,  wohl  etwas  zu  hoch,  als  eine  Priesterin  im  Tem- 
pel des  Ruhmes  gestellt  hatte,  erhielt  ich  dafür  ^*^); 
bewahrte  es  —  es  war  das  einzige  Blatt  von  seiner  Hand 
—  als  kostbares  Andenken,  und  habe  es  dennoch  nicht 
mehr!  Verloren  im  eigentlichen  Sinn  kann  ich  es  nicht 
haben;  denn  es  hatte  seinen  angewiesenen  Platz  bei 
ähnlichen  Gedichten  und  Briefen  an  mich;  aber  wahr- 
scheinlich wurde  es  mir  abgeborgt  unter  irgend  einem 
Vorwande,  und  nicht  mehr  zurückgegeben  oder  aus  der 
Sammlung  entwendet. 

Zriny  ^^^)  las  er  bei  Frau  v.  Weissenthurn,  mit  der  ich 
damals  häufiger  als  jetzt  umging,  da  unsere  Töchter*^) 
sich  herzlich  gut  waren  und  dutzten.  Meine  Mutter 
war  ebenfalls  gegenwärtig,  und  wir  alle,  auch  die  Mäd- 
chen hörten  mit  dem  größten  Interesse  zu ;  als  er  an  die 
Szene  kam,  wo  Juranitsch  seine  Helene  ohne  weiteres 
ersticht,  schrie  meine  Mutter  auf,  und  sie  sowohl  als 
Frau  V.  Weissenthurn  wollten  ihn  bereden,  die  Szene 
zu  ändern,  weil  dieser  kaltblütige  Mord  gar  zu  gräßlich, 

390 


zu  unnatürlich  sei,  sagte  meine  Mutter.  Unnatürlich  ? 
erwiderte  Körner  mit  seiner  Naivität.  —  Es  hat  mir 
ebfen  so  in  der  Hand  gelegen.  Wir  mußten  alle  über 
diese  Antwort  lachen;  er  aber  ließ  die  Szene  stehen,  und 
bei  der  ersten  Aufführung,  bei  der  ich  zugegen  war,  be- 
stätigte sich  die  Richtigkeit  der  Empfindung  meiner 
Mutter,  denn  die  Zuschauer  waren  ebenso  empört  wie 
sie  durch  diesen  Auftritt;  ein  allgemeines  Zischen  be- 
urkundete das  allgemeine  Mißfallen,  und  hätte,  ohne 
den  höchst  effektvollen  fünften  Akt,  besonders  bei  der 
ungebührhchen  Länge  des  Stückes,  diesem  beinahe  den 
Untergang  gebracht  ^^*). 

Mit  seiner  Liebe  zu  Toni  nahm  auch  Körners  Tätigkeit 
für  das  Theater  zu.  Fürst  Lobkowitz*^^),  der  damalige 
Direktor  des  Theaters,  der  Körnern  schätzte  und  Toni 
sehr  wohl  wollte,  bestimmte  ihm  mit  der  Zeit  die  Stelle 
eines  Theatersekretärs,  und  eröffnete  ihm  somit  die 
Aussicht,  sich  dann  vermählen  und  in  Wien  etablieren 
zu  können.  Man  sprach  davon,  daß  seine  Eltern  den 
nächsten  Sommer  ebenfalls  nach  Wien  kommen  sollten, 
um  diese  Stadt  und  die  Geliebte  ihres  Sohnes  kennen  zu 
lernen,  und  so  dauerte  ein  lebhaft  bewegtes  Leben  in 
literarischen,  geselligen  und  politischen  Verhältnissen 
—  so  angenehm  und  so  ungestört  als  es  die  damahgen 
Zeitereignisse  gestatteten,  noch  eine  Weile  fort. 

Körners  Eltern ^^^),  Fräulein  Stock^*'),  die  Schwester 
seiner  Mutter,  und  Emma^*^),  seine  Schwester,  kamen 
diesen  Sommer  von  1812  nach  Wien.  Er  führte  sie  so- 
gleich zu  uns,  und  nun  sahen  wir  diese  würdige  Familie 
sehr  oft.  Mancher  Abend  an  den  Tagen,  wo  wir  ohnedies 
Besuch  erwarteten,  der  oft  sehr  zahlreich  ausfiel,  ging 
aufs  angenehmste  hin,  wenn  die  jungen  Leute  entweder 
tanzten  oder  Körners  verehrter  Vater  am  Klavier  den 


Gesang  seiner  beiden  vortrefflich  unterrichteten  Kin- 
der und  meine  Tochter  begleitete.  Das  waren  sehr 
schöne  Stunden !  —  Wo  sind  die  Menschen  hin,  welche 
sie  mir  so  genußreich  verfheßen  machten?  Wie  viele 
leben  noch?  Solche  wehmütige  Betrachtungen  mi- 
schen sich  nur  zu  oft  in  die  Erinnerungen  an  jene  Zeit. 

Bald  sollte  ich  auch  damals  einen  empfindlichen  Ver- 
lust dieser  Art  haben.  Frau  v.  Flies,  die  mir  mit  einer 
Art  von  mütterHchem  Wohlwollen  zugetan  war,  er- 
krankte mit  sehr  bedenklichen  Zufällen,  welche  auf 
eine  Brustentzündung  oder  so  etwas  schheßen  ließen. 
Ich  besuchte  sie  den  dritten  oder  vierten  Tag,  und  fand 
sie  zwar  sehr  angegriffen  und  leidend  (sie  klagte  haupt- 
sächHch  über  Mangel  an  Atem),  doch  hegte  sie  selbst 
keine  Vorstellung  von  Gefahr.  Sie  hatte  sich  vielmehr 
für  denselben  Abend  eine  Spielpartie  bestellt,  und  re- 
dete mit  mir  über  eine  projektierte  Fahrt  nach  Hietzing 
zu  ihrer  Schwägerin  Baronin  Eskeles,  welche  nächsten 
Sonntag  hätte  statthaben  sollen,  und  wo  wir  mit  Kör- 
ner zusammen  gebeten  waren.  Voll  guter  Hoffnung  für 
ihre  Besserung,  verließ  ich  sie  um  ein  Uhr  mittags  — 
um  drei  Uhr  machte  ein  Schlagfluß  ihrem  Leben  ein 
Ende,  und  in  ihr  verlor  ich  —  was  jedermann  gewiß  als 
einen  bedeutenden  Verlust  anerkennen  wird  —  eine 
teilnehmende,  verständige  und  warme  Freundin.  Friede 
sei  mit  ihrer  Asche! 

Wenige  Wochen  nach  ihrem  Tode  kam  ein  Brief 
Goethes  an  die  Verstorbene  an^'^),  der  eigentlich  mich 
betraf,  und  den  ihre  Schwägerin,  die  nun  auch  verstor- 
bene Baronin  Eskeles^'"),  mir  mit  vieler  Güte  zusandte. 
Früher  schon  hatte  ich  durch  die  Vermittlung  eben  dieser 
Freundin,  der  Frau  v.  FHes,  einen  Brief  von  dem  Hoch- 
bewünderten  erhalten,  der  direkt  an  mich  lautete*'^). 

392 


Toni  Adamberger  als  Emilie  Galotti' 
Photographie  nach  einem  anonymen-  Gemälde  —  Städtisches  Museum,  Wien 


Er  sammelte  nämlich  Handschriften,  gab  Frau  v.  Flies, 
mit  der  er  fast  jährlich  in  Karlsbad  zusammentraf,  den 
Auftrag,  ihm  deren  in  Wien  zu  verschaffen,  und  sie,  die 
gern  jedermann  verpfHchtete,  und  in  ihrer  isoKerten 
Stellung  als  kinderlose  Witwe  hierin  einen  \Lebens- 
zweck  fand,  nahm  denn  Goethes  Auftrag  willig  an,  gab 
auch  mir  die  weitere  Weisung,  mich  um  Autographen 
bedeutender  Menschen  in  Wien  umzusehen,  und  als 
ich  einige,  namentlich  von  Mozart  und  Haydn,  erhal- 
ten hatte,  riet  sie  mir,  sie  Herrn  v.  Goethe  mit  einem 
Briefe  selbst  zu  übersenden.  Dies  geschah  denn  alles 
wie  meine  mütterliche  Freundin  in  ihrer  Hebevollen 
Geschäftigkeit  angeordnet  hatte,  und  ich  erhielt  durch 
sie  Goethes  sehr  höfliche,  aber  diplomatisch  steife,  um- 
sichtige Antwort,  in  der  er  sich,  wie  es  schien,  vorge- 
setzt hatte,  ja  nicht  zu  viel,  aber  auch  nicht  zu  wenig 
zu  sagen,  und  die  mich  darum  sehr  wenig  freute. 

Ganz  anders  war  der  zweite  —  jener  Brief  an  meine 
bereits  verstorbene  Freundin.  Hier  hatte  er  sich  gehen 
lassen,  und  war  eben  dadurch  recht  liebenswürdig  er- 
schienen. Der  ganze  Brief  betraf  meinen  Agathokles.  — 
Er  hatte  ihn  gelesen,  das  Buch  hatte  ihm  gefallen,  aber 
—  sehr  begreiflicherweise  hatte  ihn  Calpurnia  viel 
mehr  als  Larissa  angesprochen,  so  daß  er  sich  versucht 
fühlte,  den  Roman  so  umzuarbeiten,  daß  jene,  nicht 
Agathokles  die  Hauptperson  sein  sollte  —  und,  schrieb 
er,  die  Pichler  kann  es  mir  als  Verdienst  anrechnen,  daß 
mir  ihr  Buch  so  wohl  gefiel,  obwohl  die  Grundsätze, 
welche  darin  triumphierend  auftreten,  nicht  die  meini- 
gen sind,  und  meiner  heidnischen  Sippschaft  im  Kaiser 
Hadrian  übel  mitgespielt  wird.  Kurz,  der  Brief  freute 
mich  sehr,  denn  er  sprach  ein  unaufgefordertes,  unpar- 
teiisches Lob  über  ein  Buch  aus,  das  denn  auch  nun  all- 

393 


mählich  bekannt  zu  werden,  und  sich  in  Deutschland 
und  Frankreich,  in  dem  es  Frau  v.  Montolieu  durch 
ihre  Übersetzung  einführte^'^),  Bahn  zu  machen 
anfing  ^'^^). 

Viel  Ehre  und  Auszeichnung  hat  mir  dies  Werk  er- 
worben, mehr  noch,  als  jedes  folgende  einzelne,  es  war 
gleichsam  die  Ehrenpforte,  durch  welche  die  übrigen  in 
die  Welt  einzogen.  Aber  mehr  als  alle  diese  Auszeichnung 
und  Aufmerksamkeit  hat  mich  jederzeit  die  gute  Mei- 
nung, das  Zutrauen,  das  Wohlwollen  so  vieler,  mir  ganz 
unbekannter,  in  entfernten  Ländern  lebender  Menschen 
erfreut,  die  durch  den  Agathokles  und  meine  andern 
Schriften,  hauptsächlich  aber  durch  jenen  bewogen  — 
sich  entweder  brieflich  oder  auf  Reisen  persönlich  an 
mich  gewendet,  und  öfters  mich  um  Rat,  Empfehlun- 
gen, Trost  oder  Beruhigung  angesprochen  haben.  Wie 
manches  edle  Herz  wurde  mir  auf  diese  Weise  zuge- 
wendet, wie  manches  Gute  gewirkt  oder  Nützliche  ver- 
breitet !  Das  alles  erkenne  ich  nun  freilich  mit  dank- 
barer  Demut  als  ein  Geschenk  und  gnädige  Fügung 
Gottes,  welche  nicht  allein  jene  Gabe  der  Dichtkunst 
in  meine  Seele  gelegt,  sondern  auch  mein  Geschick 
durch  edle  Eltern  und  würdige  Freunde  so  geleitet  hat, 
daß  dies  Talent  sich  aufs  Rechte  und  Gute  gelenkt,  und 
mir  so  jene  Freuden  erworben  hat,  aber  ich  muß  mit 
Tassos  Sanvitale  sagen ^'*): 

Am  Ende  bist  du's  doch,  und  hast  es  doch  — 

es  kam  mir  doch  vielfältig  zu  Guten  und  ebnete  und 
verschönte  meinen  Lebensweg. 

In  der  Mitte  des  Sommers  hatte  Pichler  abermals 
eine  Reise  in  die  Gebirge  hinter  Lilienfeld  bis  Maria- 
Zeil  usw.  zu  machen.  Er  ging  allein,  denn  meiner  Mut- 
ter Jahre  erlaubten  ihr  nicht  mehr,  so  wie  früher  ge- 

394 


schehen,  wo  sie  mit  uns  in  Steiermark  und  Oberöster- 
reich gewesen  war,  uns  durch  mehrere  Wochen  zu  be- 
gleiten, und  ich  durfte  auch  nicht  daran  denken,  sie  auf 
so  lange  Zeit  zu  verlassen;  aber  fünf,  sechs  oder  acht 
Tage,  konnte  ich  mich  doch  entfernen,  da  ich  damals 
jenes  junge  Mädchen,  ein  Fräulein  Kirchstettern,  nach 
dem  Tode  ihres  Vaters  ins  Haus  genommen  hatte, 
welche  meiner  Mutter  Gesellschaft  leisten,  ihr  vorlesen, 
und  im  Hause  an  die  Hand  gehen  konnte.  So  wurde 
denn  verabredet,  daß  ich  Pichler  in  St.  Polten  abholen, 
und  mit  ihm  einen,  mir  noch  ganz  neuen  Weg  über 
Waidhofen,  Gaming  und  Lunz  nach  Maria-Zeil  machen 
und  von  dort  über  Lilienfeld  nach  Hause  kehren  sollte. 
Ein  sehr  werter,  nun  auch  schon  vorausgegangener 
Freund,  der  Regierungsrat  Ridler,  ein  M^nn,  der  als 
Gelehrter  und  Mensch  mir  gleich  schätzbar,  und  ein 
Liebhaber  von  Berggegenden  war,  entschloß  sich,  uns 
zu  begleiten,  und  die  kleine  Tour  mit  uns  zu  machen, 
da  er  die  Lunzerseen  noch  nicht  gesehen  hatte.  Schon 
ehe  wir  abreisten,  schrieb  mir  mein  Mann  aus  Lilien- 
feld sehr  viel  von  einem  Geistlichen  daselbst,  dem  da- 
maligen Prior  P.  Ladislaus^'^^),  den  wir  mehrere  Jahre 
früher  als  BibHothekar  dort  getroffen,  und  schon  damals 
eine  Geistesbildung,  wie  sie  in  den  Klöstern  nicht  sehr 
gewöhnlich  ist,  in  ihm  erkannt  hatten.  Dieser  Mann, 
der  jetzt,  wie  gesagt.  Prior,  und  bei  der  bevorstehenden 
Prälatenwahl  nahe  daran  war,  diese  Würdfe  zu  erlangen, 
hatte  sich  meinem  Manne  als  ein  sehr  wertvoller  Dich- 
ter gezeigt,  und  Pichler  mir  einige  seiner  Gedichte  in 
Briefen  mitgeteilt.  Ihn  näher  kennen  zu  lernen,  war 
mir  daher  eine  angenehme  Aussicht,  und  so  trafen  wir 
denn,  Ridler,  meine  Tochter  und  ich  mit  Pichler,  der 
von  ein  paar  Kreisbeamten  begleitet  war,  an  einem 

395 


schönen  Sommerabend  in  St.  Polten  zusammen,  und 
freuten  uns  herzlich  des  Wiedersehens  nach  einer  Tren- 
nung von  mehreren  Wochen.  ■"  , 

Sogleich  den  andern  Tag  traten  wir  unsern  fernem 
Weg  an,  aber  das  Wetter  begünstigte  uns  nicht.  Regen- 
ströme stürzten  nieder,  und  nur  immer  durch  wenige 
heitere  Stunden  konnten  wir  uns  des  AnbHcks  der 
wunderschönen  Gebirgsketten  erfreuen.  So  kamen  wir 
nach  Gaming,  eine  jetzt  zerstörte  Kartause  in  einem 
eng  umschlossenen  stillen,  melanchohschen  Tale,  eine 
Stiftung  Albrecht  des  Lahmen  oder  Weisen  von  Öster- 
reich, aus  dem  vierzehnten  Jahrhundert;  gegründet, 
wie  man  sagt,  infolge  eines  Gelübdes,  welches  Albrecht 
für  die  Befreiung  seines  unglücklichen  Bruders  Frie- 
drich aus  der  Haft  zu  Trausnitz  gemacht  hatte  ^'^). 
Das  Porträt  Albrechts  war  hier  zu  sehen  —  eine  edle  Ge- 
stalt mit  sehr  angenehmen  Zügen,  da  aber  das  Gemälde 
offenbar  einer  spätem  Zeit  angehört,  so  läßt  sich  über 
die  Treue  nichts  sagen,  als  daß  Albrecht  der  Weise,  der 
als  Fürst  und  Mensch  die  Achtung  seine/ Zeitgenossen 
besaß,  wohl  so  ausgesehen  haben  konnte,  und  die  Habs- 
burgische Familienähnlichkeit  auch  zu  bemerken  war.  In 
dieser  Hinsicht  war  es  mir  auffallend,  als  1809,  während 
der  Anwesenheit  der  Franzosen,  Professor  Fischer^'') 
(der  damals  noch  lebende  berühmte  Bildhauer)  auf  Be- 
fehl des  Kronprinzen  von  Bay^ern  (jetzt  König  Lud- 
wig) die  Büste  eben  jenes  unglücklichen  Friedrich  des 
Schönen  nach  noch  vorhandenen  Denkmälern  arbei- 
ten mußte,  daß  diese  Züge  besonders  um  den  Mund 
herum,  einige  AhnHchkeit  mit  denen  unsers  hochver- 
ehrten Erzherzogs  Karl  trugen. 

Unter  Regenströmen  fuhren  wir  von  Gaming  nach 
Lunz.   Auf  dem  Wege,  noch  voll  von  den  Bildern  und 

396 


Empfindungen,  welche  Gaming  und  die  Geschichte  r 

der  beiden  edlen  Brüder  in  mir  erregt  hatte,  dichtete  . 

ich  die  Romanze:   Gaming,   welche  jene  Geschichte  - 

besingt  und  so  beginnt : 

Der  Regen  strömt,  die  Wälder  brausen, 
Die  Nebel  hängen  tief  ins  Tal  — «'8) 

Ein  einsamer  Wanderer  kommt  in  diesem  Unwetter 
in  das  stille  Gaming  —  er  ist  unglückHch  —  er  findet 
hier  Frieden,  und  vernimmt'  von  einem  der  Kloster- 
brüder, der  das  Gelübde  des  Schweigens  zuweilen  bre- 
chen darf,  die  Geschichte  Albrechts  und  Friedrichs.   : 

Über  Lunz,  den  Zellerrain  und  noch  manche  andere 
sehr  hohe  Berge  setzten  wir,  teils  im  Wagen,  teils  zu 
Fuße,  wie  es  die  Witterung  erlaubte,  unsern  Weg  fort,, 
und  gelangten  endHch  nach  Neuhaus,  das  ganz  auf  der 
Spitze  eines  Berges  liegt,  zu  Fuße  dritthalb  Stunden 
abwärts  steigend  nach  Maria-Zeil,  das  mir  auch  dies 
wie  alle  übrigen  Male,  so  oft  ich  es  betreten,  wie  ein 
Hafen  der  Ruhe  und  stillen  Freude  in  Gott  erschien. 

Am  zweiten  Tage  kamen  wir  nach  Lilienfeld,  das  ich 
nun  schon  mehrere  Jahre  nicht  gesehen  hatte,  und  wo 
eine  gewaltige  Überschwemmung  das  schöne  Tal  in- 
dessen verheert,  die  blühenden  Wiesen  mit  Schutt  be- 
deckt, und  eine  ebenso  zerstörende  Feuersbrunst  daa 
Gebäude  großenteils  in  Asche  gelegt  hatte '''*) ;  das  Dor- 
mitorium,  dieses  schöne  Überbleibsel  des  Mittelalters, 
war  vernichtet,  und  somit  die  meisten  Urbilder  aus  die-. 
ser  Gegend,  welche  mir  bei  der  Dichtung  der  Hohen- 
berge  vorgeschwebt,  verändert  oder  ganz  zerstört  wor- 
den. 

Der  Herr  Prior,  eben  jener  Dichter,  und  ein  paar 
andere  Geistliche,  deren  ich  mich  aus  früheren  Be- 
suchen erinnerte,  empfingen  uns  gastfreundlich.    Die 

397 


Unglücksfälle,  welche  das  Stift  indessen  getroffen,  und 
die  nahe  bevorstehende  Prälatenwahl  waren  die  Gegen- 
stände unserer  lebhaften  Gespräche,  und  mir  schien 
immer,  wenn  ich  P.  Ladislaus  betrachtete,  als  sähe  ich 
schon  die  goldene  Kette  mit  einem  Kreuze  an  seiner 
Gestalt,  welche  durch  einen  feinen  Anstand  und  ein 
sehr  gebildetes  Benehmen  sich  gar  wohl  dazu  qualifi- 
zierte. 

Was  wdr  damals  dachten,  geschah  auch  bald^^*^)  — 
und  noch  denselben  Herbst  besuchte  uns  der  neue  Herr 
Prälat,  der  seitdem  noch  ganz  andere  Stufen  geistHcher 
Würden  erstiegen  hat,  in  Wien,  und  von  dieser  Zeit  an 
besuchten  auch  wir  ihn  öfters  in  seinem  Stifte,  dessen 
romantische  Lage  sehr  einladend  ist,  und  wo  wir  von 
ihm  immer  mit  der  größten  GastfreundHchkeit  auf- 
genommen wurden. 

Pichler  hatte  stets  warmen  Anteil  an  allen  meinen 
literarischen  Arbeiten  genommen,  sie  immer  zuerst  ge- 
lesen, wie  ich  sie  am  Morgen  niedergeschrieben  und  oft 
selbst  noch  nicht  überschaut  hatte.  Nun  hatte  er  schon 
seit  längerer  Zeit  den  Wunsch  geäußert,  daß  ich  mich 
einmal  im  Dramatischen  versuchen  und  etwas  für  das 
Theater  schreiben  sollte.  Ich  tat  es  nicht  gern.  Meine 
ganze  Geistesrichtung  war  nicht  für  das  Lebhafte,  An- 
schauliche, welches  eine  wichtige  Handlung  mit  allen 
ihren  Motiven  und  Folgen  in  schneller  Entwicklung 
vor  Augen  stellt.  Ich  liebte  es  vielmehr,  langsam  und 
wohlberechnet  die  Fortschritte  der  Empfindungen,  die" 
unmerklichen  Übergänge  in  den  menschlichen  Gemü- 
tern mit  beobachtendem  Auge  zu  verfolgen  und  darzu- 
stellen, wozu  sich  denn  der  Roman,  vorzüglich  der  in 
Briefen,  ganz  besonders  eignet.  Doch  wollte  ich  Pich- 
lers  Wunsch  nicht  abweisen,  und  so  fing  ich  denn  an, 

398 


mich  nach  einem  Stoff  zu  einer  Tragödie  (denn  daß  ich 
kein  Lustspiel  schreiben  konnte,  war  ich  überzeugt)  in  - 
der  Geschichte  umzusehen.  Unsers  verewigten  Freun- 
des Collin  Beispiel  leuchtete  mir  hell  vor,  die  ganze 
Richtung  meiner  Bildung,  die  eigentlich  das  war,  was 
man  jetzt  im  Gegensatze  mit  dem  Romantischen  klas- 
sisch nennt,  stimmte  dazu.  —  Tacitus  war  stets  ein  mir  " 
sehr  zusagender  Autor  gewesen,  und  Germanicus'  Cha- 
rakter und  Schicksal  vor  vielen  Helden  des  Altertums 
würdig,  edel  und  hochtragisch  erschienen ^^^).  Über- 
dies lag  in  diesem  Geschick  und  Charakter  noch  eine 
nahe  und  geheime  Beziehung,  welche  mich  diesen  Helden 
vor  vielen  andern  zu  wählen  bestimmte.  Ich  fand  näm- 
lich in  der  miHtärischen  Größe  desselben,  in  seiner 
menschHchen  Würde,  und  in  manchen  amtlichen  und 
vom  bösen  Willen  anderer  herrührenden  Verfolgungen 
viel  Ähnlichkeit  mit  unserm,  von  mir  stets  so  innig  ge- 
achteten Erzherzog  Karl.  Dies  machte  mir  den  Nef- 
fen des  Tiberius  noch  teurer  —  und  mein  Stoff  war  ge- 
wählt. 

Nun  sah  ich  mich  noch  in  der  römischen  Geschichte 
etwas  genauer  nach  der  Epoche  um,  in  welche  ich  meine 
Handlung  verlegen  woUte,  und  so  trat  denn  allmählich 
aus  dem  Dunkel  meiner  Seele  der  fertige  Plan  zu  dem 
Stücke  hervor,  und  die  Liebesgeschichte,  welche  ich 
hineinverweben  zu  müssen  glaubte,  schien  mir  damals 
anziehend,  passend,  und  ein  glücklicher  Gedanke.  Viele 
Ausdrücke  im  Tacitus  weisen  darauf  hin,  daß  Agrippi- 
nens  Charakter  ernst,  würdig,  aber  nicht  angenehm  ge- 
wesen sein  mußte.  Leidenschaftliche  Heftigkeit  und 
unweibliche  Schärfe  mögen  sie  oft  über  die  zarten 
Schranken  gerissen  haben,  die  Sitte  und  Pflicht  der 
Frau  vorschreiben.    Ihr  Gemahl  selbst  warnt  sie  noch 

399 


auf  dem  Todbette  davor,  und  empfiehlt  ihr,  ihr  Rache- 
gefühl zu  bemeistern.  Dieser  achtungs-,  aber  nicht  lie- 
benswürdigen Frau  mußte  nun  —  so  entwarf  ich,  wie 
ich  jetzt  wohl  einsehe  mit  zu  modernem  Sinn,  den  Plan 
—  Germanicus  nur  aus  Familienrücksichten  die  Hand 
gereicht,  doch  auf  jeden  Fall  eine  zufriedene  und  von 
der  Welt  geachtete  Ehe  mit  ihr  geführt  haben.  Seine 
schönern  Jugendempfindungen  waren  seiner  ersten 
Liebe,  eben  jener  Plancina  zugewendet,  die  er  in  Asien 
nach  langer,  ganz  hoffnungsloser  Trennung  als  die  un- 
glückliche Gattin  seines  bittersten  Feindes,  des  Pro- 
konsul Calpurnius  Piso  wiederfindet.  Plancina  hat  eben- 
falls den  Jugendgeliebten  nicht  vergessen,  und  da  ihr 
die  Rachepläne  ihres  Gemahls  bekannt  werden,  wagt  sie 
es,  als  Sklave  verkleidet,  den  Feldherrn  zu  warnen.  Er 
erkennt  sie  —  ihre  Herzen  öffnen  sich  gegeneinander; 
aber  die  Pflicht  gebeut,  sie  sind  getrennt  und  bleiben 
es,  bis  der  Tod  durch  Gift,  den  Calpurnius  dem  Ger- 
manicus bereitet,  und  ihm  Plancina  aus  Eifersucht  oder 
Rache  voraussendet,  sie  vereinigt.  Das  zu  Moderne, 
und  daher  der  Würde  der  Tragödie  nicht  Entsprechende 
leuchtete  mir  später  wohl  ein,  aber  es  stand  nicht  mehr 
zu  ändern;  denn  das  hätte  ein  gänzhches  Umarbeiten 
des  Planes  erfordert,  und  da  ich  wohl  berechnen  konnte, 
daß  das  Stück  auch  dann  kein  großes  Glück  machen 
würde,  so  ließ  ich  es,  wie  es  war. 

Das  Stück  wurde  ohne  meinen  Namen  aufgeführt. 
Es  mißfiel  eben  nicht,  aber  es  erlebte  —  was  vorauszu- 
sehen war  —  nur  wenige  Vorstellungen  ^^^) .  Ich  verstand 
das  Theater,  und  das,  was  man  theatralischen  Effekt 
nennt,  zu  wenig,  und  ich  glaube,  daß  überhaupt  die 
heroische  Tragödie  etwas  ist,  dessen  glückliche  Bearbei- 
tung über  den  Horizont  weiblicher  Kräfte  geht. 

400 


Indessen  mein  hauptsächlichster  Zweck,  Pichlers 
Wunsch  zu  erfüllen,  und  ihm  Freude  zu  machen,  war 
erreicht.  Er  war  zufrieden  auch  mit  dem  wenigen 
Sukzeß,  den  dieser  erste  Versuch  seines  Weibes  er- 
langt, und  feuerte  mich  an,  ferner  auf  dieser  Bahn 
fortzuschreiten. 

Es  war  dies  im  Winter  von  12  auf  13  geschehen.  In 
dieser  Zeit,  die  überhaupt  sehr  angenehm  war,  kam  icli 
auch  oft  in  das  Haus  des  Fürsten  von  Lobkowitz,  der  sich, 
so  wie  seine  vortreffliche  Gattin  ^^3)  (sie  beide  sind  auch 
längst  dahingegangen)  lebhaft  für  meine  Arbeiten  inter- 
essierte, und  bei  dessen  Abendgesellschaften,  theatraH- 
schen  Vorstellungen  oder  Konzerten  ich  mich  sehr  oft 
mitten  unter  dem  höchsten  Adel,  ja  in  Gegenwart  eines 
oder  des  andern  unserer  kaiserlichen  Prinzen  fand.  Nie 
aber,  ich  müßte  unwahr  sein,  wenn  ich  es  anders  T)e- 
haupten  wollte,  wurde  ich  durch  irgend  eine  Unart  oder 
Zurückweisung  von  Seite  der  Damen  an  den  Unter- 
schied unsers  Standes  in  der  Gesellschaft  erinnert.  Sei 
es  nun,  daß  meine  Stellung  als  Schriftstellerin,  die  mich 
gleichsam  mit  Künstlern  in  eine  Reihe  zu  ordnen  schien, 
oder  ein  bescheidenes,  zurückhaltendes  Betragen  von 
meiner  Seite,  welches  stets  danach  eingerichtet  war, 
diesen  Damen  zu  zeigen,  daß  ich  mich  ebensowenig  als 
ihresgleichen  betrachtete,  als  ich  fern  davon  war,  mir 
ihre  Artigkeiten  als  Gnaden  anzurechnen  —  mir  diese 
recht  angenehme  Stellung  zu  der  haute  volee  ver- 
schaffte, genug,  ich  hatte  sie,  und  die  Erinnerung  an  die 
genußreichen  Abende,  die  ich  in  diesem  Hause  zu- 
brachte, und  wo  ich  auch  den  seHgen  Erzherzog  Ru- 
dolf684)  mit  seltener  Fertigkeit  Beethovensche  Ton- 
stücke auf  dem  Fortepiano  vortragen  hörte,  wird  mir 
stets  wert  bleiben. 


26    c.  P.  I 


401 


Es  war  eine  lebhaft  bewegte  Zeit  damals  —  eine  Zeit, 
in  der  die  Geister  großer  Begebenheiten  ihnen  schon 
ahnungsvoll  in  Deutschland  vorangingen,  und  dadurch 
eine  Stimmung  erzeugten,  welche  auch  auf  die  Litera- 
tur großen  Einfluß  hatte.  Im  Jahre  i8n  war  unser  Hof 
in  Dresden  mit  Napoleon  zusammengekommen  und 
der  Feldzug  gegen  Rußland  verabredet  worden,  wozu 
unser  Kaiser  ein  Hilfskorps  unter  dem  Kommando  des 
Fürsten  von  Schwarzenberg*^^)  zu  geben  versprochen 
hatte.  Im  Jahre  1 8 1 2  fand  dieser  Feldzug  statt,  und  seine 
Geschichte,  der  Brand  von  Moskau,  der  Untergang  des 
französischen  Heeres,  und  das  Non  plus  ultra,  welches 
die  göttliche  Vorsicht  auf  Rußlands  Eisfeldern  dem 
kühnen  Eroberer  setzte,  sind  noch  lebhaft  in  jeder- 
manns Gedächtnisse.  Wohl  erinnere  ich  mich  der  sehr 
verschiedenen  Sensation  noch,  welche  die  Nachricht 
jenes  Brandes  in  Wien  erregte.  Mir  brachte  sie  eines 
Morgens  meine,  in  diesem  wie  in  vielen  andern  Dingen 
gleichgesinnte  Freundin,  Frau  von  Schlegel,  und  ich 
fühlte  mich  so  wie  sie  begeistert,  erhoben  von  diesem  zwar 
grausamen,  aber  heldenmütigen  und  notwendigen  Ent- 
schlüsse Rostoptschins**^).  —  Wir  gaben  uns  die  Hände, 
wir  dachten  an  Sagunt,  Numantia,  Saragossa  —  und 
freuten  uns,  in  unsern  .Tagen  noch  solche  wahre,  antike 
Größe  zu  erleben.  Andere,  z.  B.  meine  Mutter,  unser 
Freund  Hof  rat  Büel'^'),  ein  sonst  durchaus  deutschge- 
sinnter Mann,  schauderten  darob,  und  nannten  diesen 
Brand  eine  gräßliche,  barbarische  Tat.  Ebenso  ver- 
schieden fielen  auch  die  Urteile  der  Menge  aus; 
aber  wir,  die  gleich  vom  Anfange  dafür  gestimmt 
hatten,  erlebten  die  Genugtuung,  daß  der  Erfolg 
die  Zweckmäßigkeit  dieses  Mittels  vollkommen  ge- 
rechtfertigt hat. 

402 


In  der  Literatur,  auf  welche  der  Zeitgeist  jedesmal 
einen  unausweichlichen  Einfluß  übt,  hatten  der  Frem- 
dendruck, die  Unsicherheit  aller  Lebensstellungen,  die 
stets  erneuerten  Stürme,  denen  auch  der  ruhigste,  un- 
befangenste Bürger  nicht  zu  entgehen  imstande  war, 
eine  Ansicht  des  Lebens  hervorgerufen,  welche  dem 
Fatalismus  sehr  ähnelte,  und  mir  nach  meinem  Dafür- 
halten, obwohl  der  erste  Impuls  dazu  von  dem  christ- 
hchen,  ja  katholischen  Z.  Werner  in  seinem  vierund- 
zwanzigsten Februar  ausgegangen  war,  sehr  unchrist- 
lich schien.  Dies  waren  die  sogenannten  Schicksalsdich- 
tungen :  Die  Schuld,  jener  viemndzwanzigste,  und  der 
neunundzwanzigste  Februar  u.  a.  ^^^),  und  diese  Rich- 
tung verbreitete,  wie  jede  Mode,  sich  schnell  und  weit. 
Es  erschienen  Novellen,  Theaterstücke,  Gedichte,  alle 
in  diese  trüben  Schleier  gehüUt,  wo  der  —  oft  willenlos, 
oft  im  Sturm  der  Leidenschaft  ausgesprochene  Fluch 
des  Schwergereizten  —  oft  eine  Familiensage,  ein  un- 
schuldiges Werkzeug,  an  welches  sich  Unglück  knüpfte, 
hinreichte,  um  das  Lebensglück  guter  harmloser  Men- 
schen zu  zerstören,  und  wo  also  die  Vorsehung,  dieser 
Ansicht  nach,  zur  Vollstreckerin  des  Willens  und  Aus- 
spruchs der  Rache,  des  Hasses,  oft  der  Dummheit  ge- 
macht wurde.  Wie  gänzlich  dies  der  christlichen  Moral 
zuwiderläuft,  leuchtet  wohl  jedem  ein,  der  es  unpar- 
teiisch betrachtet;  damals  aber  fanden,  durch  die  Mode- 
tendenz hingerissen,  auch  die  Besten  und  Frömmsten 
keinen  Anstoß  daran.  Was  mich  betrifft,  so  yerfehlte 
wohl  die  Aufführung  der  Schuld  ihres  gewaltigen  dra- 
matischen oder  eigentHch  theatrahschen  Eindrucks  auf 
mich  nicht.  Ich  war  sehr  ergriffen,  besonders  von  der 
Szene,  wo  Hugo  und  Elvire  sich  über  Carlos  Tod,  ihre 
früher    schon   genährte   Leidenschaft    mit    geheimen 

403 


/ 


Schauern  besprechen,  das  Theater  sich  allmählich  ver- 
dunkelt, und  nun  plötzlich,  von  dem  Lichte,  das  der 
Knabe  vorträgt,  hell  beleuchtet,  ihnen  das  Bild  des  Ver- 
ratenen, Ermordeten  in  der  Gestalt  und  den  Zügen  ' 
seines  Vaters  entgegentritt®^^).  Im  Traume  der  folgen- 
den Nacht  quälten  mich  Erinnerungen  an  die  Schreckens- 
szenen, die  ich  angesehen,  dennoch  erkannte  ich  das 
höchst  Unmoralische,  ja  Antichristliche  dieses  Stückes, 
und  mußte  dem  Urteil  eines  sehr  verständigen  alten 
Herrn,  des  Grafen  von  Chotek®^")  beipflichten,  der 
mir  beim  Herausgehen  sagte,  es  sei  ein  gottloses  Stück. 
Körners  reine,  gesunde  Seele  wurde  von  dem  Hauche 
der  Modetheorie  nur  leicht  gestreift.  In  seinen  Stücken 
ist  wenig  Spur  davon,  wenn  nicht  vielleicht  ein  kleines, 
nicht  eben  sehr  glückHches  Trauerspiel  in  einem  Akte: 
Die  Sühne  ®^^),  zu  dieser  Gattung  zu  rechnen  ist.  Ihn 
bewahrte  Schillers  —  des  Freundes  seiner  Eltern  —  Ge- 
nius, und  es  ist  klar  zu  erkennen,  wie  groi3en  Einfluß  die- 
ser überhaupt  auf  des  jungen  Mannes  Geist  hatte. 


Unter  solchen  Beschäftigungen,  Ansichten,  Lektüren 
und  mitunter  sehr  trüben  Aussichten  in  die  nächste  Zu- 
kunft für  das  Allgemeine  ging  das  Jahr  1812  zu  Ende, 
und  mit  dem  folgenden  traten  wir  und  ganz  Europa  in 
eine  Periode  des  Umschwungs,  der  Veränderung,  der 
Umstaltung  darf  man  wohl  sagen,  von  der  noch  ein 
Jahr  vorher  wohl  niemand  etwas  geahnt,  und  selbst  als 
die  ersten  Zeichen  der  kommenden  Dinge  sich  sehen 
ließen,  noch  niemand  das  Ende  vorhersehen  oder  sich 
versprechen  konnte,  das  wirklich  erfolgte. 

Die  französische  Armee  w^r  durch  den  Winter  auf 
russischen  Eisfeldern,  durch  die  Affären  an  der  Bere- 

404, 


sina,  durch  den  Brand  von  Moskau  so  gut  wie  vernichr^ 
tet,  und  so  wie  die  letzten  Reste  dieser  Unglücklichen 
durch  die  preußischen  und  deutschen  Lande  ihrer  Hei- 
mat zuzogen,  schien  es,  als  richtete,  dicht  hinter  ihnen, 
der  deutsche  Geist,  der  deutsche  Mut,  die  Hoffnung 
besserer  Tage  sich  empor.  Man  sprach  von  den  Rü- 
stungen der  Preußen.  Hier  und  da  ließen  sich  Stim- 
men hören,  die  einen  frischen  kriegerischen  Klang  hat- 
ten, und  bei  dem  Worte  empor  denkt  man  gleichsam 
unwillkürlich  an  Rückerts  geharnischte  Sonette,  wo- 
runter eines  die  Etymologie  des  Wortes  Empörung 
eben  von  Empor,  vom  Aufrichten  unterm  Druck,  vom 
Erheben  des  Geistes  aus  der  Schmach  ebenso  wahr  als 
sinnig  herleitet  ^^2).  Auch  Körner  ließ  seine  Saiten  er- 
klingen, und  eines  Abends  wurde,  trotz  der  Anwesenheit 
des,  übrigens  sehr  liebenswürdigen  und  uns  allen  werten 
Freiherrn  von  der  Malsburg^^^)  —  damals  bei  derwest- 
fähschen  Gesandtschaft  angestellt  —  Körners  JägerKed  < 
nach  Schubarts  Melodie :  Auf,  auf,  ihr  Brüder  und  seid 
stark!  beinah  im  Chorus  bei  uns  gesungen ®^^).  Solchen 
Anklang,  solchen  tiefempfindenden  Widerhall  fanden 
die  Worte  des  Liedes. 

Bald  darauf  war  es  entschieden,  daß  Preußen  die 
Waffen  gegen  Frankreich  ergreifen,  sich,  wie  es  Napo- 
leon nannte,  empören  würde,  und  Mut  und  Todesver- 
achtung, Vaterlandsgefühl  und  bange  Sorge,  Hoffnung 
und  Furc]it  regte  sich  in  allen  Teilen  Deutschlands, 
und  so  auch  bei  uns.  Was  unser  Hof  beschließen  würde, 
war  unbekannt.  War  doch  die  Kaisertochter  mit  dem 
allgemein  Gefürchteten,  Gehaßten,  aber  Allmächtigen 
vermählt,  und  ein  Kind  —  ein  Sohn  hatte  dies  Band 
fester  gezogen  und  heiHger  geknüpft.  Dies  Band,  das  -^ 
Napoleon,  der  Wahrheit  zur  Steuer  muß  es  gesagt  wer- 

405 


den,  selbst  sehr  zart  und  treu  hielt,  seiner  Gemahlin 
mit  Liebe  und  Achtung  begegnete,  und  als  bei  ihrea* 
schweren  Entbindung  die  Ärzte  einige  Augenblicke 
zweifelhaft  waren,  ob  sie  Mutter  oder  Kind  retten 
sollten  —  schnell  entschied,  daß  man  die  Mutter  er- 
halten solle,  obwohl  ihm  unendlich  viel  an  der  Geburt 
eines  Kindes,  das  eigentlich  seine  neue  Dynastie  grün- 
den und  besiegeln  sollte,  gelegen  sein  mußte  •'*•). 

Immer  lebhafter  ward  die  Bewegung  um  uns  her.  In 
jungen  Leuten  regte  sich  kriegerischer  Sinn,  und  Kör- 
ner war  einer  der  ersten,  welcher  sich  erklärte,  preußi- 
sche Dienste  nehmen  zu  wollen.  Dieser  rasche  Ent- 
schluß befremdete  in  vieler  Hinsicht  das  Publikum,  dem 
der  junge  Mann  durch  sein  schönes  Talent  und  beson- 
ders durch  dessen  Anwendung  auf  die  Bühne  schon 
gleichsam  angehörte.  Noch  war,  trotz  des  drückenden 
Gefühles  der  Unterjochung  und  des  glühenden  Fran- 
zosenhasses, der  fast  in  jedem  Herzen  lebte,  und  trotz 
des  lebhaften  Wunsches  vieler  Bessern,  das  schmähliche 
Joch  auch  mit  großen  Aufopferungen  abzuschütteln, 
die  Zuversicht  auf  einen  glücklichen  Erfolg  dieses  Ver- 
suches nur  gering.  Es  war  mehr  ein  begeisterndes  Ehr- 
und  Nationalgefühl,  als  eine  klare  Vorstellung  von  dem 
möglichen  Gang  der  Dinge,  was  die  meisten  aufregte. 
Überdies  waren  Körners  Eltern  in  Dresden  angesiedelt, 
und  der  Vater  stand  im  Dienste  des  Königs  von  Sach- 
sen, der  sich  fest  an  die  französische  Partei  angeschlos- 
sen hatte.  Des  Sohnes  Schritt  konnte  und  mußte  also 
den  Vater  kompromittieren.  Dazu  kam  noch  das  allbe- 
kannte Verhältnis  Körners  zu  Fräulein  Adamberger, 
welches  seinen  Entschluß,  die  Waffen  in  einer  Zeit  zu 
ergreifen,  wo  ihm  das  Glück  der  Liebe  und  Häuslich- 
keit   an    der    Seite    eines    ausgezeichneten    Mädchens 

406 


winkte,  sehr  überraschend  machte,  da  Körner  hier  sehr 
geachtet  war,  und  bei  den  trüben  Aussichten,  der  in 
jeder  Hinsicht  so  achtungswerte  Jüngling  doch  allen 
viel  zu  gut  für  Kanonenfutter  dünkte.  Dies  war  näm- 
lich der  Gesichtspunkt,  aus  dem  damals  die  meisten  sei- 
nen Entschluß  und  den  wahrscheinlichen  Erfolg  des 
Unternehmens  der  Preußen  betrachteten. 

Allmählich  änderte  sich  diese  Stimmung.  Die  Furcht^ 
die  Verzagtheit,  erzeugt  durch  ein  Unglück  vieler  Jahre 
und  durch  die  niederschlagenden  Erfahrungen,  wie 
übel  uns  Österreichern  in  den  Jahren  1805  und  1809,  so 
wie  Preußen  1806  der  Versuch  bekommen  war,  sich  der 
Riesenmacht  Napoleons  entgegenzusetzen  —  fing  nach 
und  nach  an,  sich  aus  den  allzu  gedrückten  Gemütern 
zu  verlieren.  Sicher  war  nach  den  Ereignissen  des  Win- 
ters 181 2  die  französische  Armee  nicht  mehr  das,  was 
sie  vor  dieser  Epoche  gewesen.  Und  hatten  wir  Öster- 
reicher nicht  die  erhebende  Erfahrung  gemacht,  daß 
jene  Armee  in  ihrer  ganzen  frühern  Stärke  und  Macht 
im  Angesicht  unserer  Vaterstadt  1809  durch  den  Erz- 
herzog Karl  war  geschlagen  und  in  eine  Lage  versetzt 
worden,  welche,  wenn  die  Umstände  —  oder  andere  uns 
verborgene  Triebfedern  nicht  entgegengewirkt,  und 
die  Verfolgung  dieses  glänzenden  Sieges  gehindert  hät- 
ten, den  furchtbaren  Feind  vielleicht  von  seiner,  bis  da- 
hin glänzenden  Siegesbahn  schon  damals  zurückge- 
drängt haben  würde  ?  Diese  Erfahrung  hatten  wir  für 
unsere  beginnenden  Hoffnungen,  und  so  manches  hi- 
storische Beispiel,  wo  ernster  Entschluß  und  verzwei- 
felter Mut  Unglaubliches  bewirkt,  und  kleine  Haufen 
zu  Siegern  über  große  Heere  gemacht  hatten,  konnte 
jeder  sich  selbst  ins  Gedächtnis  rufen.  Sie  wurden  uns 
aber  auch  in  Gedichten  und  andern  Schriften  in  Er- 

407 


i     (• 


innerung  gebracht,  und  trugen  das  Ihrige  bei,  um  die 
Hoffnung  auf  glücklichen  Ausgang  zu  erheben,  oder  im 
schlimmem  Fall  den  mutigen  Entschluß  zum  letzten 
entscheidenden  Kampf  zu  stählen  *^^). 

Von  verschiedenen  Seiten  kamen  nun  insgeheim  oder 
mehr  öffentlich  Nachrichten  von  Bewegungen,  die  sich 
an  mehreren  Punkten  zu  gestalten  anfingen,  ähnlich  den 
ersten  Tropfen  des  schmelzenden  Eises  nach  der 
starren,  stummen  Winternacht,  wenn  der  erste  noch 
schwache  Strahl  der  Sonne  es  berührt,  und  das  leise  Ge- 
räusch, das  die  fallenden  machen,  auch  der  erste  Le- 
benslaut der  bis  dahin  toten,  erstarrten  Natur  scheint. 
Man  flüsterte  sich  von  Tirol,  von  einigen  deutschen 
Fürsten  zu,  und  die  Hoffnung  regte  die  jungen  Flügel 
stärker. 

In  den  geselligen  Kreisen  waren  diese  Hoffnungen 
sehr  oft  der  Gegenstand  der  Gespräche  und  die  Dich- 
tungen unserer  vorzüglichen  Geister  —  Schillers,  Col- 
lins,  Raupachs ^"')  —  dessen  Name  dazumal  genannt  zu 
werden  begann  —  deren  ganzer  Geist  ernst,  würdig  und 
dahin  gerichtet  war,  den  Kampf  der  Freiheit  mit  der 
Naturnotwendigkeit  zu  begünstigen,  machten  sehr  oft, 
von  einem  oder  mehreren,  nach  den  RoUen  verteilt, 
vorgelesen,  ein  Hauptvergnügen  unserer  Abendunter- 
haltungen aus.  Längst  schon  hatten  wir  in  unserm 
Hause  Goethes,  Schillers  und  anderer  Stücke  auf  diese 
Weise  mit  großem  Genüsse  vorgetragen.  Jetzt  —  im 
März  1813 — war  es  beschlossen  worden,  bei  der  Baro- 
nin von  Matt  ^^^),  einer  sehr  gebildeten,  sogar  gelehrten 
Dame,  welche  sich  mit  Astronomie  beschäftigte  und 
eine  Sternwarte  in  ihrem  Hause  hatte  errichten  lassen, 
die  Braut  von  Messina  vorzulesen.  Bei  dieser  Frau 
hatte  sich  wöchentHch  einmal  derselbe  Kreis  von  ge- 

408 


Josef  Freiherr  von  Hormayr 
Stich  von  Thomas  Benedetti  —  k.  k.  Fidei-Commiß-Bibliothek,  Wien 


c^ 


meinschaftlichen  Freunden,  worunter  sich  sehr  gebil- 
dete Frauen  und  mehrere  ausgezeichnete  Gelehrte,  wie 
Hamnier,  Schlegel,  Adam  MüUer**^)  usw.  befanden,  ver- 
sammelt, der  früher  im  Hause  meiner  verstorbenen 
Freundin  Flies  zusammenkam.  Baron Hormayr  und  ein 
Herr  Rupprecht'^""),  der  selbst  ein  artiger  Dichter  war, 
hatten  die  Rollen  der  beiden  Söhne  übernommen;  eine 
sehr  hübsche  Frau,  der  man  ein  sehr  lebhaftes  Interesse 
für  den  einen  dieser  Herren  zuschrieb,  soUte  die  Bea- 
trice, und  ich  die  Rolle  der  Mutter  lesen.  Ich  war 
in  jener  Zeitepoche  sehr  oft  unwohl  und  litt  häufig  an 
aufgereizten  Nerven,  an  Migräne,  Krämpfen  usw.,  eine 
sehr  begreifliche  Folge  der  Zeitenstürme,  die  seit  un- 
gefähr zehn,  zwölf  Jahren  über  uns  alle  ergangen  waren, 
und  vielleicht  auch  meiner  Beschäftigung  mit  Poesie. 
Eben  an  dem  Montag,  wo  jene  Vorlesung  statthaben 
soUte,  es  war  der  7.  März,  und  wenn  ich  nicht  irre,  der 
Geburtstag  von  Hormayrs  älterer  Tochter,  der  sehr  ver- 
dienstvollen jetzigen  Baronin  v.  Kreß'°^),  überfiel 
mich  eine  so  heftige  Migräne,  daß  ich  unmöglich  außer 
dem  Bette  bleiben,  Toilette  machen  und  vorlesen  hätte 
können.  Sehr  unzufrieden,  die  verabredete  Unterhal- 
tung stören  zu  müssen,  blieb  mir  dennoch  nichts  übrig 
als  zur  Baronin  Matt  zu  senden  und  mich  entschuldigen 
zu  lassen.  Weder  ich  noch  sonst  jemand  von  uns  allen 
hatte  auch  nur  von  fern  eine  Ahnung  von  der  Kata- 
strophe, welche,  auch  wenn  ich  gesund  geblieben  und 
bei  Matt  gewesen  wäre,  unsere  projektierte  Lesung  auf 
eine  schreckhafte  Art  zu  nichte  gemacht  haben  würde. 
Es  war  noch  früh  am  andern  Morgen,  als  man  mir, 
die  an  nichts  so  Schreckendes,  und  überhaupt  für  den 
gegenwärtigen  Augenblick  an  nichts  Arges  dachte, 
einen  —  Sekretär,  oder  was  der  Mann  eigentlich  war, 

409 


■■^iKflö^^ 


des  Grafen  von  Szecheny'"*)  meldete,  dieses  ausgezeich- 
neten Mannes,  in  dessen  Hause  ich  eben  mit  Hormayr, 
der  (wenn  ich  nicht  irre)  den  Grafen  bei  mir  eingeführt 
hatte,  oft  zusammen  getroffen  und  genußreiche  Stun- 
den im  Kreise  höchst  würdiger  und  gebildeter  Men- 
schen, wie  es  die  ganze  Sz^chenysche  Familie  war,  ge- 
nossen hatte. 

Dieser  Beamte  des  Grafen  trat  ein,  und  erkundigte 
sich  mit  verlegener,  bestürzter  Miene,  ob  ich  den  vori-. 
gen  Abend  bei  der  Baronin  von  Matt  gewesen,  und 
welche  Auskunft  ich  dem  Grafen  über  die  beunruhi- 
gende Nachricht  geben  könne,  daß  gestern  Abend  Ba- 
ron Hormayr  in  seiner  Wohnung  arretiert  und  von 
Wien  weggeführt  worden  sei? 

Ich  war  aufs  höchste  erstaunt  und  sogleich  bestürzt. 
Hormayr  gehörte  zu  den  nähern  Freunden  unsers  Hau- 
ses; ihm  verdankte  ich  manche  genußreiche  Unterhal- 
tung, manche  belehrende  Nach  Weisung  in  der  Geschichte 
meines  Vaterlandes,  in  welche  ich  durch  ihn  eigentlich 
eingeführt  worden  war,  so  wie  in  die  Geschichte  über- 
haupt, und  manche  bedeutende  Gefälligkeit,  die  er 
mir  und  den  meinigen,  denen  er  allen  wert  war,  erwie- 
sen hatte'"^).  Noch  gestern  Abend  sollte  ich  mit  dem 
verehrten  Freund  eine  gemeinschaftliche  Lesung  unter- 
nehmen; wie  wenig  dachte  ich,  wie  wenig  mag  wohl  er 
selbst  an  die  Möglichkeit  gedacht  haben,  daß  unser  Pro- 
jekt auf  diese  Art  gestört  werden  sollte!  Bevor  er  sich 
zur  Lesung  einfinden  wollte,  beging  er  mit  einigen 
Freunden  zu  Hause  den  Geburtstag  seines  Kindes,  und 
hier  ereilte  ihn  sein  Schicksal!  Ich  war  unaussprech- 
lich von  diesem  Ereignis  ergriffen,  dessen  mögliche  Fol- 
gen mir  schauderhaft  in  jenem  ersten  Augenblicke  des 
Schreckens  vorschwebten. 

410 


Da  ich  gänzlich  unwissend  über  alles  war,  konnte  ich 
auch  dem  Grafen  Sz^cheny  nichts  antworten  lassen, 
was  das  verworrene  Dunkel  dieser  Gefangennehmung 
erklärt  hätte;  bald  darauf  vernahm  ich,  daß  ein  dump- 
fes Gerücht  von  dem,  was  in  jenem  Augenblicke  mit 
Baron  von  Hormayr  geschehen  war,  sich  schon  gestern 
bei  der  Baronin  von  Matt  verbreitet  hatte,  daß  alle 
bestürzt  waren,  vorzügUch  aber  der  damals  als  Diplo- 
mat und  Gelehrter,  als  eifriger  Freund  des  deutschen 
Vaterlandes  bekannte  und  gerühmte  Freiherr  von  Ga- 
gern'***). Dieser  ausgezeichnete  Mann  war  ein  Freund 
Hormayrs  und  mit  ihm  von  einerlei  Gesinnung,  einerlei 
Streben,  den  niedergedrückten  Geist  seiner  Landsleute 
aufzurütteln  und  sie  zu  mutigen  Entschlüssen  zu  be- 
geistern. Zu  diesem  Behufe  hatte  er  damals  die  Natio- 
nalgeschichte der  Deutschen  zu  schreiben  begonnen, 
wovon  der  erste  Band,  mit  typographischer  Eleganz 
ausgestattet,  in  Quarto  zu  Wien  noch  im  Jahre  1813 
herauskam.  Sie  war  in  ernstem,  edlem  Geist,  aber  in 
einem  Stile  geschrieben,  der  fast  zu  sehr  an  Tacitus  und 
Johannes  Müller'®^)  erinnerte.  Baron  Gagern  besuchte 
auch  unser  Haus,  wie  denn  damals  die  in  der  Literatur 
ausgezeichneten  Männer  häufig  und  gern  die  Gesell- 
schaften besuchten,  wo  gebildete  Personen  verschiede- 
ner Stände,  Geschlechter  und  Lebensbedingungen  sich 
zu  heiterm  Gespräch  oder  Lektüre  oder  andern  geselli- 
gen Vergnügungen  zusammenfanden.  So  war  es  von 
meiner  Kindheit  an  in  meiner  Eltern  und  später  iA 
meinem  Hause  gewesen,  so  waren  die  Abende  bei 
Frau  von  Flies  und  Baronin  Matt,  bei  Bäfonin 
Pereira,  bei  den  treffHchen  Piquot'***)  und  bei  andern; 
für  mich  eine  Quelle  stiller,  aber  tiefempfundener 
geistiger  Genüsse.    Das  ist  nun  jetzt  anders  geworden; 


aber  ich  glaube  nicht,  daß  das  gesellige  Leben  da- 
durch gewonnen  hat. 

An  jenem  verhängnisvollen  Abend  wollten  nun  die 
bei  Baronin  Matt  Gegenwärtigen  eine  unverkennbare 
Betroffenheit  an  Baron  Gagern  bemerkt  haben,  und 
durchaus  nicht  unwahrscheinlich  ist  es  wohl,  daß  er 
entweder  im  Ganzen  für  die  Erfüllung  seiner  patrioti- 
schen Wünsche  viel  von  Hormayrs  Tätigkeit  erwartet 
hatte,  die  nun,  wie  durch  einen  BHtzstrahl,  plötzlich 
gelähmt  war,  oder  daß  er  vielleicht  nicht  ganz  fremd  in 
den  Plänen  und  Unternehmungen  war,  welche  seinem 
Freunde  diese  erschütternde  Katastrophe  zuzogen. 

Vergebens  bemühte  man  sich,  zu  erraten,  von  wel- 
cher Art  diese  Unternehmung  gewesen  oder  welche 
Verräterhand  sie  mitten  im  Entstehen  schon  vereitelt. 
Vage  Gerüchte  und  Mutmaßungen  wiesen  auf  Unter- 
handlungen mit  den  Tirolern  hin,  die  im  Jahre  1809, 
nachdem  ihre  Tapferkeit  allein  sie  von  der  Knecht- 
schaft der  Franzosen  befreit  hatte,  dennoch  im  Frie- 
densschluß abermals  abgetreten  werden  mußten.  Man 
erzählte  sich,  daß  mehrere  dieser  seiner  unglücklichen 
Landsleute  Umgang  und  Verkehr  mit  Hormayr  ge- 
pflogen, daß  neuerdings  Entwürfe  zur  Abschüttelung 
des  fremden  Joches  gemacht  worden,  und  daß  Hor- 
mayr  hier  im  stillen  tätig  gewesen  sein  sollte.  Andere 
erzählten  Unglaublicheres,  das  an  Rittermärchen 
grenzte,  und  das  mir  und  vielen  allzu  romantisch,  ge- 
wagt und  —  daß  ich  es  frei  sage  —  zu  unrecht  und  tö- 
richt schien,  um  vernünftige  und  sogar  sehr  hochge- 
stellte Männer,  die  die  Lage  der  Dinge  und  die  Men- 
schen kennen  mußten,  solcher  chimärischen  Pläne  fähig 
zu  halten '07). 

Wie  dem  immer  gewesen  sein  mag,  Hormayr  ward 

412 


gefangen  von  hier  weggeführt,  niemand  wußte  warum  ? 
und  wohin  ?  bis  es  nach  einiger  Zeit  bekannt  wurde, 
daß  man  ihn  nach  Munkäcs  gebracht,  und  seine 
Freunde  waren  voll  Trauer  um  ihn  besorgt,  ohne  etwas 
für  ihn  tun  zu  können. 

.  Indessen  hatte  der  Gang  der  allgemeinen  Ereignisse 
manche  ausgezeichnete  Menschen  nach  Wien  geführt, 
mit  welchen  ich  in  nähere  oder  fernere  Berührungen 
kam.  Mein  Zusammentreffen  mit  Alexander  von  Hum- 
boldt'°^)  bei  Schlegel,  wo  ich  schon  dessen  Bruder  und 
Schwägerin  längere  Zeit  vorher  getroffen,  hätte  mir 
wohl  den  bedeutendsten  Genuß  gewährt,  wenn  es  et- 
was mehr  als  ein  bloßes  von  Gesicht  Kennenlernen  ge- 
wesen wäre.  Aber  er  teilte  —  und  noch  weiß  ich  durch- 
aus nicht  warum  ?  —  die  Nichtachtung,  ich  möchte 
sagen  Geringschätzung  gegen  mich,  welche  mir  seine 
Verwandten  bewiesen  blatten,  so  daß,  da  der  Kreis,  in 
dem  wir  uns  bei  Schlegel  befanden,  sehr  wenig  zahl- 
reich war,  ich  bald  ohne  alle  Ansprache,  wie  verloren, 
da  gesessen  hätte,  indes  Herr  und  Frau  vom  Hause  mit 
ihren  ausgezeichneten  Gästen  beschäftigt  waren,  wenn 
nicht  ein  sehr  schönes  und  interessantes  Mädchen,  Fräu- 
lein Nina,  die  Nichte  des  Hofrats  von  Hartl,  nach- 
malige Frau  von  Overbeck'"^),  sich  meiner  angenom- 
men, und  ein  Gespräch  mit  mir  angeknüpft  hätte.  Eine 
zweite,  gegen  mich  viel  freundlicher  gesinnte  Erschei- 
nung war  der  damalige  österreichische  Hauptmann, 
jetzt,  wie  ich  glaube,  General  Baron  von  Pfuel'^")  in 
.  preußischen  Diensten.  Ihn  hatte,  so  wie  Varnhagen  und 
andere,  der  Zeitensturm  nach  dem  Unglück  seines  Vater- 
landes in  den  Jahren  1806 — 1807  nach  Österreich  ge- 
führt, das  ja  auf  dem  Festlande,  Spanien  vielleicht  aus- 
genommen, allein  noch  in  Waffen  gegen    den  allge- 

413 


meinen  Unterdrücker  stand.  Baron  Pfuel  war  der  erste 
Errichter  oder  Einrichter  der,  nachher  durch  ihre  Nütz- 
lichkeit so  bewährten  Schwimmschulen  hier  und  in 
Prag.  Bei  nicht  angenehmen,  fast  häßlichen  Gesichts- 
zügen machte  ihn  eine  schöne  Figur  und  ungemeiner 
Anstand,  eine  Klarheit  des  Geistes,  die  ganz  aufs  Prak- 
tische zu  gehen  schien,  und  dennoch  das  Übersinnliche, 
das  Unbegreifliche  mit  großer  Gewalt  erfaßte,  sowie 
ausgebreitete  Kenntnisse  und  der  feinste  Ton  im  Um- 
gang zu  einer  höchst  bedeutenden  Persönlichkeit.  Bei 
Frau  von  Flies  und  auch  in  unserm  Hause  sah  und 
sprach  ich  ihn  oft,  und  eine  homogene  Art  über  die  all- 
gemeinen Ereignisse  zu  denken  und  zu  empfinden, 
machte  ihn  uns  allen  wert. 

Ein  anderer  ausgezeichneter  Mann  war  Adam  von 
Müller,  später  österreichischer  Konsul  in  Leipzig  und 
zuletzt  Hofrat  in  der  Staatskanzlei.  Er  war  mit  seiner 
sehr  angenehmen  Frau'^^)  und  zwei  damals  kleinen  Mäd- 
chen nach  Wien  gekommen,  um,  wie  es  schien  und  sich 
auch  bewährte,  hier  Dienste  zu  suchen.  Er  schrieb  po- 
litische Aufsätze  für  ein  Journal,  welches  Schlegel 
damals   herausgab,  und  hielt  in  den  Seitenzimmern 

der  Redoute  Vorlesungen  über  „die  schönen  Rede- 
künste« "2). 

Bei  diesen  Vorlesungen  zeigte  er  sich  wahrlich  als  ei- 
nen Redekünstler.  Sein  Vortrag  war  gewählt,  stets  zier- 
lich, zuweilen  kräftig,  ja  ergreifend.  So  z.  B.  als  er  jene 
berühmte  Parlamentssitzung  schilderte,  in  der  Fox  und 
Burke,  die  sonst  Freunde  gewesen  waren,  um  ihrer  ver- 
schiedenen, ja  entgegengesetzten  politischen  Ansichten 
willen,  sich  öffentlich  und  auf  immerdar  trennten.  Mit 
Vergnügen  und  Erschütterung  hörte  man  diese  Schilde- 
rung, indes  will  ich  nicht  behaupten,  daß  jene  nicht 

414 


recht  hatten,  welche  Müllern  einige  Koketterie  im 
Vortrage  vorwarfen.  Sichtlich  war  er  viel  mehr  als 
Friedrich  von  Schlegel  bei  seinen  Vorlesungen  bemüht, 
sie  angenehm  zu  machen.  Er  las  mit  gemäßigter,  nicht 
ganz  von  Manier  freier  Stimme,  zusammenhängend.  In 
geregeltem  Flusse  aus  seinem  Manuskripte, .  das  voll- 
kommen vor  der  Lesung  geordnet  zu  sein  schien.  Schle- 
gel hingegen,  obwohl  sein  Vortrag  lebendig  und  natür- 
licher als  der  Müllers  war,  mußte  oft  in  seinen  Blättern 
den  Zusammenhang  nachsuchen,  die  Einschiebsel  nach- 
holen, manchen  Satz  wiederholen.  Das  war  nun  freilich 
etwas  störend,  und  dies  wußte  Müller  zu  vermeiden. 

Doch  war  manches,  worin  ich  mit  Müller  durchaus 
nicht  übereinstimmen  konnte.  Auch  er  nannte  Schiller 
—  nach  der  Weise  der  neuen  Schule  —  einen  rhetori- 
schen Dichter  oder  vielmehr  eigentlich  gar  keinen  Dich- 
ter, sondern  bloß  einen  Rhetor.  Er  erzählte  uns  in  einer 
Gesellschaft  die  Geschichte  des  gräßlichen  Kleistschen 
Wechselmordes '^^)  auf  eine  Art,  welche  mir  genugsam 
zu  zeigen  schien,  daß  ihm  das  Verbrecherische,  Verkehrte, 
ja  Widersinnige  einer  solchen  Handlung  vor  dem  soge- 
nannten Grandiosen  der  Gesinnung,  welche  sich  über 
alle  bisher  gewohnten  und  anerkannten  Schranken  hin- 
auszusetzen wagt,  verschwand.  — 

Überhaupt  schien  sich,  seitdem  diese  neue  oder  ro- 
mantische Schule  ihre  Lehren  verbreitet,  so  manche 
früher  verehrte  Autorität  in  der  Uterarischen  Welt  vom 
Altare  gestoßen,  so  manches  früher  allgemein  anerkannte 
Verdienst  zu  bezweifeln  und  zu  benagen  angefangen 
hatte,  dieser  Geist  der  Neuerung,  dies  Herabziehen 
alles  früher  Verehrten,  dieser  Kampf  gegen  so  viele  kon- 
ventionelle Schranken  —  auch  auf  die  gesellige  Welt 
und  die  sittlichen  Begriffe  zu  erstrecken.    Man  schalt 

415 


Kotzebue  und  Lafontaine  als  unsittlich,  weil  sie  das 
Laster  oder  die  Sinnlichkeit  in  täuschender  Hülle  und 
unter  versöhnenden  Formen  in  ihren  Werken  einführ- 
ten, und  man  hatte  hierin  recht;   obgleich  man  mit 
diesem  allerdings  gerechten  Tadel  das  ijbrige  Verdienst 
dieser  beiden   Literaturen  nicht  ganz  niederschlagen 
konnte,  wie  man  wohl  gewollt ;  denn  Kotzebues  Stücke 
erhalten  sich  nach  40 — 50  Jahren  noch  auf  unsern  Büh- 
nen, ebenso  viele  von  Iffland,  über  dessen  spießbürger- 
liche Charaktere,  über  dessen  beschränkte,  allzu  haus- 
backene Ansichten  man  sich  ebenfalls  ^u  lachen  und  zu 
spotten  erlaubte.    Was  wollte  denn  die  neue  Schule 
nun  eigentlich,  da  ihr  der  eine  zu  locker,  der  andere  zu 
beschränkt  war  ?  Das  glaube  ich,  wußte  niemand,  selbst 
die  Koryphäen  derselben  nicht.  Sie  rissen  nur  ein,  ohne 
aufzubauen,  sie  brachten  nur  eine  Verwirrung  der  Be- 
griffe hervor,  und  nannten  Worte  oder  Darstellungen 
oder  auch  wohl  Handlungen  sittlich,  schön,  erhaben, 
welche  gegen  alle  bisher  bekannten  Vorschriften  der 
Sittlichkeit  und  Würde  stritten.   EheHche  Treue,  Ge- 
horsam gegen  Eltern,  Fügen  in  häusliche  Verhältnisse, 
Achtung  für  eingeführte  Sitte  usw.  wurden  als  been- 
gende Schranken,  die  einen  starken  und  unabhängigen 
Geist  nicht  abhalten  dürfen,  dargestellt,  und  das  Hin- 
wegsetzen darüber  war  eben  jenes  Grandiose,  wie  das 
damals  in  Mode  gekommene  Wort  hieß,  womit  man  je- 
den Verstoß  gegen  hergebrachte  Formen,  jedes  Auf- 
lehnen gegen  Pflicht,  ja,  jede  Übertretung  derselben  be- 
schönigen zu  können  glaubte.    So  verwirrten  sich  die 
Begriffe  von  Recht  und  Unrecht,  von  Erlaubt  und  Ver- 
boten, ja  von  Wahrheit  und  Lüge,  und  es  lassen  sich 
vielleicht  in  den  Grundsätzen  und  Beispielen,  welche 
diese  Schule  in  den  ersten  Jahren  dieses  Jahrhunderts 

416 


aufzustellen  begann,  die  Keime  und  ersten  Wurzeln  der 
widrigen  und  verderblichen  Geistesrichtungen  nach- 
weisen, die  in  der  literarischen  und  geselligen  Welt  zu 
Extravaganzen,  Zerrüttung  der  Familien,  Untergang 
schöner  Talente,  ja  oft  zum  Selbstmorde  führten.   . 

Damals  fielen  diese  Ungewöhnlichkeiten  wohl  auch 
auf,  aber  wichtigere,  aufs  Allgemeine  —  von  dem  doch 
das  Einzelne  stets  abhängt  —  gerichtete  Sorgen  ließen 
jene  kleinen  Ereignisse  aus  unsern  Blicken  verschwin- 
den. Preußen  erhob  sich  mächtig  und  laut,  und  es  blieb 
kein  Zweifel  mehr,  daß  es  das  Joch  zerbrechen  woUe, 
unter  dem  Frankreich  es  gefangen  hielt.  Auf  Rußlands 
tätige  Mitwirkung  war  seit  den  Ereignissen  von  1812 
und  dem  Brandt  von  Moskau  zu  zählen;  was  die  deut- 
schen Rheinbundfürsten  tun  würden  oder  eigentlich, 
was  sie  tun  durften,  war  ungewiß.  In  vielen  edlen  Her- 
zen, wie  z.  B.  in  dem  des  damaligen  Kronprinzen,  jetzi- 
gen Königs  von  Bayern,  regte  sich  die  deutsche  Ge- 
sinnung, der  Wunsch,  das  fremde  Joch  abzuschütteln, 
mit  Macht ;  aber  keiner  wollte  oder  durfte  einzeln  her- 
vortreten. So  richteten  sich  vieler  Augen  sehnsüchtig 
und  gespannt  auf  Österreich,  welches  durch  enge  Ver- 
wandtschaftsbande an  Napoleon  gebunden,  und  von 
den  deutschen  Fürsten  mehr  als  einmal  im  Stich  ge- 
lassen, allein  zu  bluten  und  zu  weichen  gezwungen  wor- 
den war.  Aber  nichts  verlautete  von  seinen  Gesinnun- 
gen, und  trüb  und  ängsthch  standen  wir,  mitten  in  der 
frisch  aufblühenden  Natur  des  Frühlings  von  18 13,  un- 
ruhig in  die  so  nahe  und  so  dichtverhangene  Zukunft 
blickend'i3*). 

Preußen  hatte  den  Krieg  offen  erklärt.  Die  Feind- 
seligkeiten begannen;  die  Schlachten  von  Lützen  und 
Bautzen'^!*)  waren  vorüber.  Mit  welcher  Spannung  hatte 


87    c.  P.  I 


417 


man  diese  Nachricht  erwartet,  und  wie  wenig  war  sie 
geeignet,  unsere  Hoffnungen  aufzurichten.  O,  ich  er- 
innere mich  noch  wohl  eines  wunderschönen  Abends, 
wo  wir  im  Garten  mit  einer  sehr  werten  Freundin  Hen- 
riette Ephraim'^^)  und  der  liebenswürdigen  Marianne 
Saaling'^*)  unter  Blüten  und  Blumen  beisammen  saßen, 
die  trüben  Ereignisse  der  Gegenwart,  die  noch  düsterere 
^"ukunf  t  mit  schwerem  Herzen  erwägend,  und  wie  gerade 
das  unaufgehaltene  Entwickeln  der  Natur  in  ihren  fest- 
gezeichneten Kreisen,  während  in  der  moraHschen  Welt 
solche  Stürme  tobten,  mir  so  schmerzlich  erschien: 
diese  frommen  Blüten,  diese  stillen  Lenzesfreuden, 
welche  uns  Segen  und  Fülle  verhießen,  gegenüber  gezo- 
genen Schwertern,  angeschlagenen  Feuergewehren  und 
erbittertem  Haß! 

Um  diese  Zeit  führte  sich  der  berühmte  Bruder  einer 
später  noch  viel  berühmtem  Schwester,  Herr  Clemens 
von  Brentano'"),  mittelst  eines  Briefes  von  Tieck,  wenn 
ich  mich  recht  entsinne,  bei  mir  ein.  Tieck'^^)  war  im 
Jahre  1808  oder  1809  mit  seiner  Schwester  öfter  bei  uns 
gewesen,  und  ich  darf  wohl  nicht  erst  sagen,  daß  diese  Be- 
kanntschaft für  mich  sehr  großen  Wert  hatte  und  noch 
hat,  und  daß  ich  stolz  darauf  bin,  daß  Tieck  meiner  noch 
öfter  freundlich  gedacht,  und  mir  die  Bekanntschaft 
bedeutender  Personen,  wie  z.  B.  noch  viel  später  des 
edlen,  unvergeßlichen  Carl  Maria  von  Weber  ver- 
schaffte. Damals,  wie  ich  ihn  sah,  war  Tieck  ein  hüb- 
scher, schlank,  obwohl  nicht  hochgewachsener  Mann 
von  etwa  30  oder  32  Jahren,  an  dessen  gefälliges  Äußere 
mich  ebenfalls  im  Äußerlichen  der  Dichter  Nikolaus 
Lenau,  den  ich  erst  vor  kurzem  kennen  gelernt,  lebhaft 
erinnert  hat.  Seine  Schwester  war  als  Frau  viel  weniger 
hübsch,  aber  sie  war  eine  Dichterin,  eine  geniale  Frau, 

418 


die  ihrem  Gemahl  Bernhardi'^^),  wie  man  sagte,  davon 
gegangen  war,  und  mit  einem  Herrn  von  Knorring'^o)^ 
den  sie  später  auch  heiratete,  herumreiste.  Das  war  so 
damals  die  Art,  wie  geistreiche  Frauen  die  Lehren  der 
romantischen  Schule  aufs  Leben  anwandten. 


Doch  ich  kehre  zum  Faden  der  Geschichte  im  Jahre 
1813  und  Herrn  von  Brentano  zurück.  Auch  er  gehörte 
dieser  neuen  Geistesrichtung  an,  und  obwohl  seine  sehr 
markierte  Originalität,  sein  poetisches  Talent  und  seine 
geistreiche  Unterhaltung  mir  manche  angenehme  Stun- 
den machte,  so  fand  ich  doch  auch  vieles  so  heterogen 
in  unserer  beiderseitigen  Denkart,  daß  ich  ihn  oft  mit 
Erstaunen  sprechen  hörte,  und  ebenso  oft  ganz  und 
gar  nicht  begriff,  was  er  meinte  und  sagte.  Dies  Nicht- 
begreifen  der  Reden  und  Schriften  anderer,  oft  sehr  ge- 
lehrter oder  sinnreicher  Männer,  begegnete  mir  da- 
mals schon  zuweilen,  seitdem  aber  immer  öfter.  Ich 
habe  mich  schriftlich  darüber  ausgesprochen'^^),  und 
erlaube  mir  nun  die  Frage  zu  wiederholen,  ob  denn  nur 
an  mir  —  die  auch  früher  ernste  Bücher  gelesen  und 
verstanden  hatte  —  oder  nicht  vielmehr  an  der  Vortrags- 
weise dieser  Schriftsteller  die  Schuld  davon  liege?  — 

Brentano  las  uns  in  drei  Abenden  sein  großes  dra- 
matisches Gedicht :  Die  Gründung  von  Prag'^a)^  das  bei 
vielen  einzelnen  Schönheiten  sehr  barokke,  sehr  grelle 
Auftritte  und  Redensarten  und  manches  mir  eben  auch 
Unverständliche  hatte;  wie  ich  denn  über  eine  mystische 
Person,  ein  Mädchen,  Trinitas,  wenn  ich  mich  recht  er- 
innere, genannt,  nicht  recht  ins  Klare  und  zu  dem  ei- 
gentlichen Verständnis  des  Dichters  gelangen  konnte. 

Indessen  verbreitete  sich  die  lange  und  ängstlich  er- 


27* 


419 


sehnte  Nachricht:  Österreich  sei  den  andern  gegen 
Frankreich  oder  vielmehr  gegen  Napoleon  verbündeten 
Mächten  beigetreten.  Unser  edler  Kaiser  hatte  sein 
Vatergefühl  das  zweitemal  bezwungen,  wie  es  bei  der 
Vermählung  seiner  Tochter  zum  erstenmal  geschah, 
und  ihrem  Gemahl  und  dem  Lande,  dem  sie  nun  ange- 
hörte, den  Krieg  erklärt.  —  Am  17.  August  wurde  der 
Waffenstillstand  aufgekündigt  und  die  Furie  des  Krie- 
ges entfesselt. 

Schon  früher  hatten  Dichter  und  andere  Schriftstel- 
ler, gedrängt  von  der  traurigen  Lage  des  gemeinsamen 
Vaterlands,  sich  erhoben  und  glühende  Wünsche  aus- 
gesprochen, daß  die  Deutschen  sich  ermannen,  den  al- 
ten Zwiespalt  vergessen,  sich  vereinigen  und  mit  ge- 
samten Kräften  das  fremde  Joch  abschütteln  möchten. 
So  hatte  der  kräftige  Rückert  seine  „geharnischten  So- 
nette" gedichtet '^^).  So  rief  der  edle  Schenken dorf  den 
Deutschen  zu,  sich  unter  ihrem  ehemaligen  Haupte  zu 
sammeln,  in  dem  schönen  Gedichte: 

Deutscher  Kaiser!  deutscher  Kaiser! 
Komm  zu  rächen,  komm  zu  retten, 
Löse  deines  Volkes  Ketten, 
Nimm  den  Kranz,  dir  zugedacht!  usw.'^) 

Beinahe  noch  schöner  und  in  ganz  prophetischem 
Geiste  gesungen  war  sein  anderes  Gedicht:  Die  Preu- 
ßen an  der  kaiserlichen  Grenze. 

Wir  grüßen  dich  n^t  Waffentänzen, 
Wir  neigen  uns  an  deinen  Grenzen, 
Du  klangreich  Böhmer land! 
O  Herr!  im  Schmuck  der  grünen  Reiser, 
Wir  rufen:  Heil  und  Sieg  dem  Kaiser! 
Der  deinen  Sinn  erkannt. 

Der  Geister  Zorn  versank  in  Aschen, 
Des  Rächers  Hand  hat  abgewaschen, 
Was  widers  Recht  geschehn. 

420 


Nicht  mehr  nun  trennt  uns  Süd  und  Norden,    '  " 
Ein  Lied,  ein  Herz,  ein  Gott,  ein  Orden! 
Ein  Deutschland  stark  und  schön. 

Und  dann  in  der  fünften  so  wie  in  der  letzten  Strophe 

die  genau  erfüllte  prophetische  Vorempfindung : 

Wo  halten  wir  die  Siegesfeier? 
Wo  wir  die  Lese  halten  heuer, 
Dort,  bei  des  Rheines  Kraft.  — '^s) 

Im  Herbst  kamen  die  verbündeten  Heere  an  den  Rhein, 

und  später  nach  Frankreich  und  der  Schweiz,  ans  Ufer 

der  Rhone. 

Wir  sprengen  Kette  kühn  auf  Kette, 
Und  hängen  an  des  Rhodans  Bette 
Den  deutschen  Eichenkranz. 

Pünktlich  erfüllte  sich  diese  Voraussicht  und  bestätigte 
in  mir  den  Gedanken  oder  das  Gefühl,  das  manche 
Sprachen  auch  durch  das  Wort  bezeichnen,  daß  im  ech- 
ten Dichter  etwas  Prophetisches  lebe;  so  nennt  ihn  der 
Römer:  Vates. 


Ich  hatte  einen  schätzbaren  Freund,  den  schon  er- 
wähnten Baron  von  Merian,  der  in  früherer  Zeit  auch 
Hormayrs  Freund  gewesen,  und  von  diesem  bei  uns  ein- 
geführt worden  war.  Seit  i8io  hatte  er  Wien  verlassen, 
und  war  in  Dresden  bei  der  kaiserlichen  Gesandtschaft 
angestellt.  Wir  wechselten  fleißig  Briefe,  und  Merian, 
der  ebenfalls  Deutschland  und  seine  Freiheit  mit  war- 
mem Herzen  umfaßt  hatte,  und  dem  es  sehr  leid  tat, 
daß  Österreich  im  Jahre  1812  ein  Hilfskorps  zu  der 
französischen  Armee  gestellt  hatte,  verließ  die  kaiser- 
lichen Dienste  und  nahm  eine  russische  Anstellung  an, 
weil  er,  wie  er  mir  schrieb,  von  Scythen  und  Gelonen 
das  hoffte,  was  ihm  die  Deutschen  nicht  tun  zu  woUen 


r 


421 


schienen.  Jetzt  war  auch  er  zufrieden  gestellt,  und  da 
der  Kurierwechsel  in  jener  Periode  sehr  lebhaft  zwi- 
schen Wien  und  Dresden  war,  hatte  ich  sehr  oft,  ja  in 
manchen  Perioden  täghch  einen  Brief  von  Merian; 
aber  auch  manchmal  was  für  wunderliche !  Eines  Mor- 
gens z.  B.  weckte  man  uns  zeitig,  und  überreichte  uns 
ein  ziemlich  konsiderables  Paket,  das  ein  russischer  Ku- 
rier gebracht  hatte.  Pichler,  den  natürlicherweise  jede 
Nachricht  aus  Dresden  in  jenem  Zeitpunkte  inter- 
essierte, erbrach  schnell  den  Brief.  —  Was  enthielt  er? 
Einen  kurzen,  ziemlich  gleichgültigen  Brief  und  einen 
sorgfältig  zusammengelegten  Bogen  Löschpapier,  auf 
dem  von  Merlans  Hand  das  Wort  „Ballast"  geschrieben 
stand.  Merian  hatte,  wie  er  später  schrieb,  nicht  Zeit 
gehabt,  mir  ausführlich  zu  schreiben;  wollte  doch  ein 
Lebenszeichen,  und  dem  Kurier  nicht  ein  bloßes  Billet 
mitgeben ;  so  verfiel  er  auf  jenen  wunderlichen  Gedanken 
des  Ballasts,  der  aber  im  ganzen  nicht  wunderlicher  war, 
als  mancher  andere,  den  er  in  seinen  Briefen,  und  wohl 
auch  in  seinem  Leben  ausgeführt.  Wie  oft  bekam  ich, 
eben  auf  dem  Kurierwege,  dicke  Pakete,  die  denn  kaum 
in  einigen  Zeilen  Nachricht  von  dem  fernen  Freunde, 
hingegen  große  Auszüge  oder  Notaten  aus  Büchern  ent- 
hielten, wie  sie  Merian  eben  damals  las.  Bei  allen  diesen 
Sonderbarkeiten  waren  mir  seine  Briefe  oder  Blätter 
stets  eine  erwünschte  Erscheinung,  und  mit  warmem 
Andenken  ruf  ich  dem  Langedahingegangenen  einen 
herzlichen  Scheidegruß  in  jene  Welt  nach,  in  welcher 
wir  uns  bald  begegnen  werden. 

Es  war  im  August  1813,  schon  gegen  das  Ende  des 
Monats,  und  ich  hatte  mit  einer  Pünktlichkeit,  die  ich 
mancher  Offiziersfrau  an  meiner  Stelle  gewünscht  hätte, 
beinahe  täglich  einen  Brief  von  Merian  aus  Dresden  er- 

422 


halten.  Nicht  als  ob  diese  Nachrichten  von  dem  fernen 
Freund  mir  nicht  erwünscht  gewesen  wären,  aber  weil 
ich  sie  doch  mit  sehr  großer  Ruhe  erwartete,  und  wenn 
sie  einmal  ausblieben,  ohne  lebhafte  Unruhe  vermissen 
konnte.  Auch  war  bis  gegen  Ende  des  Monats  noch 
nichts  Entscheidendes  vorgegangen,  und  nur  von  klei- 
nern Gefechten  Nachricht  gekommen,  bei  deren  einem 
schon  etwas  früher  Körner  verwundet  worden  war,  und 
sein  so  frommergebenes,  so  heldenkräftiges  Sonett : 

Die  Wunde  brennt,  die  bleichen  Lippen  beben  — 
gedichtet  hatte;  worauf  er  sich  zu  seiner  Heilung  nach 
Karlsbad  begab,  wo  damals  sich  seine  Eltern  aufhiel- 
ten'2®);  dann  aber  wieder  zu  seinem  Korps  stieß,  um  mit 
dem  Schwerte  zu  streiten,  wie  er  es  früher  mit  der  Leier 
gegen  den  allgemeinen  Feind  getan.  Eines  Tages  gingen 
wir  eben  zu  Tische,  und  ich  fand,  wie  es  damals  fast  je- 
den Tag  der  Fall  war,  einen  Brief  von  Merian  auf  mei- 
nem Teller.  Es  war  ein  kurzer  Zettel  —  wie  gewöhn- 
lich. Ohne  weitere  Aufschrift  oder  Einleitung  enthielt 
er  ein  Gedicht  auf  Körners  Tod,  von  Apel'^')  ^-  und 
unten  bei  Körners  Namen  die  Note :  Geblieben  in  einem 
Gefecht  bei  Gadebusch  im  Mecklenburgschen  den  26. 
August  1813. 

Das  war  die  Weise,  wie  der  sonderbare  und  nur  zu 
originelle  Mann  einer  Frau,  die  er  gewiß  achtete  und 
der  er  wohl  wollte^,  den  Tod  eines  Jünglings  verkündete, 
den  er  selbst  vor  anderthalb  Jahren  mit  warmer  Emp- 
fehlung an  sie  gewiesen,  und  die  sich  seitdem  in  ihren 
Briefen  so  oft  und  mit  so  herzlicher  Teilnahme  über 
den  talentvollen,  edlen  Theodor  ausgesprochen  hatte. 
Ich  war  aufs  Äußerste  betroffen,  doch  hatte  ich  die  Ge- 
walt über  mich,  meiner  Mutter  und  meinem  Manne, 
denen  der  Verstorbene  ebenfalls  sehr  wert  gewesen,  und 

423 


die  mich  nach  dem  Inhalt  von  Merians  Briefe  befragten, 
weil  diese  Nachrichten  unter  uns  Gemeingut  waren,  die 
trostlose  Botschaft  zu  verschweigen,  um  ihnen  nicht  das 
Mittagsmahl  zu  verderben,  wie  es  mir  verdorben  war. 
Übrigens  glaube  ich,  daß  ich  ziemlich  die  erste  in  Wien 
war,  die  diesen  großen  Verlust  erfuhr  —  aber  auch  auf 
welch  unpassende  Weise! 

Bald  verbreitete  sich  die  Kunde  durch  die  ganze 
Stadt,  und  das  bedeutende  Opfer,  das  in  Theodors  Per- 
son, auf  welchen  ganz  Deutschland  mit  Achtung  blickte, 
der  guten  Sache  ohne  Nutz  und  Förderung  bis  dahin 
gefallen  war,  diente  nicht  dazu,  unsere  Hoffnungen  zu 
beleben  oder  unsern  Mut  zu  erhöhen'^'a). 

Brentano  führte  in  diesen  Tagen  oder  etwas  früher, 
bald  nach  der  Kriegserklärung,  ein  paar  fremde  Damen 
aus  Breslau,  wenn  ich  nicht  irre,  bei  mir  ein.  Es  war  von 
dem  beginnenden  Kriege,  von  unsern  Aussichten,  An- 
strengungen usw.  die  Rede.  Mit  jener  liebenswürdigen 
Naivität,  mit  welcher  West-  und  Norddeutsche  (diese 
ganz  vorzüglich)  sich  berechtigt  glaubten,  Österreich 
nicht  allein  tief  unter  sich  zu  sehen,  sondern  es  uns  bei 
jeder  Gelegenheit  ins  Gesicht  zu  sagen,  rief  Brentano 
in  seiner  Lebhaftigkeit  aus:  Mein  Gott!  wie  können 
sich  die  Wiener  Hoffnung  machen,  Napoleon  zu  schla- 
gen, da  sie  so  viel  Wohlgefallen  an  .  .  .  (ich  weiß  nicht 
mehr,  welchen  mittelmäßigen  Schauspieler  er  hier 
nannte)  finden!  Dann  begannen  die  Damen  mit  der- 
selben Ungeniertheit  mir  ihre  Ansichten  zu  demonstrie- 
ren; denn  natürHch  war  aller  in  Deutschland  vorhan- 
dene Verstand  das  Erbteil  der  Preußen  und  Norddeut- 
schen, und  für  uns  arme  Österreicher  und  Katholiken 
nichts  übrig  geblieben.  Derlei  Verbindlichkeiten  er- 
laubten sich  die  Fremden  sehr  oft,  uns  ins  Gesicht  zu 

424 


Clemens  Brentano 
Anonymer  Stich  —  k.  k.  Fidel-Commiß-Bibliothek,  Wien 


sagen;  aber  wir  berechtigten  sie  auch  dazu  durch  den 
gar  zu  großen  Mangel  an  allem  Nationalgefühl,  den  wir 
leider  mit  allen 'Deutschen  teilen,  aber  sie  in  diesem 
Stücke  noch  übertreffen.  Wäre  ich  so  unzart  gewesen 
wie  diese  Personen,  so  hätte  ich  niit  Fug  und  Recht 
diese  Preußinnen  an  den  totalen  Sturz  ihrer  Monarchie 
im  Jahre  1806  erinnern  können,  und  wie  doch  Öster- 
reich noch  viel  respektabler  im  Jahre  1809  aus  dem 
Kampfe  geschieden  war.  Aber  das  hätte  mir  unwürdig 
geschienen,  und  so  ließ  ich  sie  reden.  Vielleicht  aber 
hätte  ich  es  rügen  sollen,  und  vielleicht  wäre  mancher 
solche  Übermut  der  Fremden  gegen  uns  unterblieben, 
wenn  wir  ihnen  die  Zähne  gezeigt  hätten,  so  wie  Bürger 
singt'28): 

Viel  Klagen  hör  ich  stets  erheben 
Vom  Hochmut,  den  der  Große  übt. 
Der  Großen  Hochmut  wird  sich  geben. 
Wenn  unsre  Kriecherei  sich  gibt. 


Indessen  hatten  doch  Preußen  und  Rußland  dem' 
Beitritt  Österreichs  zu  ihrem  Bunde  mit  Verlangen  ent- 
gegengesehen, und  nur  davon  sich  Heil  und  das  Gelin- 
gen ihrer  Pläne  versprochen.  Mein  Herz  jauchzte  auf 
über  diesen  Beitritt,  und  wie  immer  auch  die  Schicksale 
sich  gestalten  sollten,  es  schien  mir  ehrenvoller,  mit  dem 
ganzen  deutschen  Vaterland  zu  Grund  zu  gehen,  als 
allein  ruhig  stehen  zu  bleiben,  wenn  die  übrigen  kämpf- 
ten, bluteten  —  eine  Rolle,  die  Preußen  früher  beim 
Basler  Traktat,  wenn  ich  nicht  irre,  und  im  Jahre  1805 
nicht  verschmäht  hatte,  zu  spielen.  Es  war  ihnen  1806 
schrecklich  heimgekommen  und  darum  nichts  mehr, 
davon !  Schenkendorf  sprach  es  ja  aus :  Nicht  mehr  nun 
trennt  uns  Süd  und  Norden'*^).  —  Damals  galten  -wir 

425 


yS^T^ 


auch  für  Deutsche,  eine  Benennung,  die  man  uns  früher, 
und  auch  jetzt  wieder  in  so  mancher  Beziehung  vom 
Norden  und  Westen  aus  nicht  immer  zugestehen  will. 

Österreich  erhob  also  den  Schild  —  und  wahrlich,  es 
schien  mir  in  diesem  Kampfe,  in  dem  zwar  jede  der 
drei  Mächte  mit  allen  ihren  Waffen  im  Felde  erschien, 
als  ob  Preußen  das  Schwert,  Rußland  die  ferntreffende 
Lanze  und  Österreich  der  Schild  war,  der  sich  vor  die 
übrigen  noch  unversehrten  Gaue  Deutschlands  stellte, 
um  die  Schrecken  des  Krieges  von  ihnen  abzuhalten. 

Alle  diese  Hoffnungen,  Befürchtungen,  Erwartungen 
und  Zweifel  hatten  mein  Innerstes  lebhaft  erregt,  und 
allerlei  Entwürfe,  das,  was  mich  bewegte,  in  poetischer 
Gestaltung  auszusprechen,  stiegen  und  sanken  wechsel- 
weise in  mir  auf  und  nieder.  Meines  Mannes  Wunsch 
entschied  endlich  für  ein  dramatisches  Gedicht,  und 
ich  erinnere  mich  nicht  mehr  bestimmt,  welche  Veran- 
lassung mich  auf  einen  Punkt  der  deutschen  Geschichte 
führte,  wo  ein  (zwar  deutscher  Kaiser,  aber  von  undeut- 
scher Geburt)  nämlich  Friedrich  IL,  der  wohl  oft  das 
Glück  Deutschlands  seinen  italienischen  Bestrebungen 
unterordnete,  eben  (nach  der  Meinung  einiger  Ge- 
schichtsschreiber) mit  seinem  Sohne  Heinrich  in  Kampf 
geriet,  weil  dieser  sich  seines  Vaters  Plänen,  Italien  zu 
unterjochen,  und  sich  dazu  der  Kräfte  Deutschlands 
zu  bedienen,  entgegensetzte.  Es  gibt  viele  Geschichts- 
schreiber, die  diese  Begebenheit  anders  berichten,  und 
bei  denen  Heinrichs,  des  römischen  Königs  Unrecht  ge- 
gen seinen  Vater  deutlicher  hervortritt.  Nur  muß  man 
nicht  vergessen,  daß,  da  seit  der  Reformation  bis  ganz 
nahe  an  unsere  Zeit  die  Geschichtsschreibung  meist  in 
den  Händen  der  Protestanten  war,  schon  der  unglück- 
liche und  mit  so  viel  Kraft  geführte  Kampf  gegen  die 

426 


Macht  des  Papstes,  Friedrich  IL  in  den  Augen  dieser 
Historiker  einen  Glanz  verlieh,  der  vor  dem  unpar^ 
teiischen  Richterstuhl  der  Wahrheit  vielleicht  nicht 
ganz  anerkannt  werden  dürfte,  indem  dieses  Monarchen 
Charakter  italienische  Schlauheit,  Härte,  Irreligiosität 
und  Nichtachtung  der  öffentlichen  Meinung  (wie  seine 
sarazenische  Leibwache  in  jener  Zeit  des  kindlichsten 
Glaubens  bewies),  eine  Mischung  von  Elementen  zeigt, 
die  ihn,  nach  meiner  Meinung,  tief  unter  seinen  edleren 
und  echten  deutschen  Ahn  Barbarossa  stellen. 
.  War  diese  meine  Ansicht  ein  Irrtum,  so  war  es  doch 
ein  unfreiwilliger,  entstanden  —  wie  jede  Ansicht 
pflegt  —  aus  den  angebornen  Neigungen,  aus  den  Ein- 
drücken meiner  Erziehung  und  der  Einwirkung  der 
Zeitumstände.  Genug,  ich  entwarf  den  Plan  zu  mei- 
nem „Heinrich  vonHohenstauffen"'^"),  in  dessen  Ver- 
schlingungen ich  passenden  Raum  für  vieles,  was  da- 
mals mich  und  Tausende  mit  jnir  bewegte,  zu  finden 
dachte.  Es  war  Deutschland,  welches  von  einem  kräf- 
tigen, aber  nicht  wohlgesinnten  Fürsten  und  Kriegs- 
helden seinen  anderweitigen  Plänen  für  Größe  und 
Ehre  aufgeopfert  werden  soll;  es  waren  deutsche  Für- 
sten, die,  uneins  unter  sich,  nur  ihren  eigenen  Vorteil, 
nicht  den  des  gesamten  Vaterlandes  im  Auge  hatten;  es 
war  endlich  Österreich,  welches  in  der  Person  seines 
letzten  (Babenbergischen)  Herzogs  Friedrich  und  dessen 
Schwester  Margaretha,  Gemahlin  des  unglücklichen 
Kaisersohnes  Heinrich,  vermittelnd  und  schützend  in 
der  gewaltigen  Zerwürfnis  zwischen  Vater  und  Sohn 
auftritt. 

Jetzt  sehe  ich  die  großen  Fehler,  die  auch  dieses  Stück 
an  sich  hat,  vollkommen  ein,  und  bin  durch  eigene  Er- 
fahrung von  dem  oft  gehörten  Satze  überzeugt  worden, 

427 


daß  Frauenzimmer  sich  nicht  auf  den  Kothurn  wagen 
sollen.  Schon  damals  hatte  ich  eine  warnende  Ahnung 
davon  gehabt,  und  ich  kann  nichts  zu  meiner  Recht- 
fertigung sagen,  als  daß  es  meines  Mannes  deutlich  aus- 
gesprochener Wunsch  und  seine  herzliche  Freude  an 
diesen  meinen  Arbeiten  war,  was  mich  bestimmte, 
mich  zuweilen  auf  dieser  gefährlichen  Bahn  zu  ver- 
suchen. 

Unter  schweren  Sorgen  für  das  Gelingen  des  großen 
Kampfes  um  die  allgemeine  Freiheit  des  deutschen 
Vaterlandes,  und  wie  oft  unter  Tränen  arbeitete  ich  an 
diesem  Heinrich  von  Hohenstaufen,  und  das  lebendige 
Gefühl  dieser  Sorge  sprach  sich  in  den  vielen  Anspie- 
lungen auf  die  damaUgen  Zeitumstände  aus,  wozu  der 
Stoff  Veranlassung  bot  und  welche  dies  Stück,  als  es 
späterhin  aufgeführt  wurde,  für  ein  Gelegenheitsstück, 
das  eigens  zu  der  Feier  des  i8.  Oktobers  gedichtet  wor- 
den sei,  halten  machten.  Dem  war  aber  nicht  so.  Ich 
arbeitete  fast  den  ganzen  Sommer  daran,  und  Gott  sah 
meine  und  Millionen  anderer  Sorgen  und  Tränen  an. 
Er  erhörte  die  brünstigen  Bitten,  und  so  konnte  ich,  als 
das  Stück  aufgeführt  wurde,  wohl  mit  innigem  Dank- 
gefühl sagen:  Die  mit  Tränen  säen,  werden  mit  Froh- 
locken ernten '^^). 

Begeisterung  für  die  Sache  des  Vaterlandes  hatte  alle 
Stände,  alle  Alter  in  allen  Teilen  Deutschlands  ergriffen. 
Freiwillig  eilten  Jünglinge  aus  jenen  Reihen  der  Staats- 
bürger, die  nie  zum  Kriegsdienste  verpflichtet  gewesen 
wären,  zu  den  Waffen.  Beamte  verließen  ihre  Bureaus, 
um  Teil  an  dem  Kampfe  zu  nehmen,  und  vor  vielen 
dünkte  mich  der  Entschluß  junger  Ärzte  lobenswert, 
sich  dem  Dienste  der  Kranken  und  Verwundeten  in  den 
Feldspitälern  zu  weihen.    Unser  Haus  besuchten  da- 

428 


mals  zwei  solche  junge  Männer,  wovon  der  eine  Dr.  Ed^ 
Pohl,  aus  Sachsen  gebürtig,  seine  Studien  hier  vollendete, 
und  erst  kürzlich  als  geschätzter  Arzt  und  verehrter  Fa- 
milienvater hier  gestorben  ist'^^).  Der  andere  war  ein 
junger  Lief-  oder  Esthländer,  Gust.  Ad.  Fichtner'^^) 
genannt,  der  sich  durch  seltene  Bildung  und  durch 
feines  Betragen  vorteilhaft  auszeichnete,  dessen  Her- 
kunft und  übrige  Lebensverhältnisse  aber  in  ein  ge- 
heimnisvolles Dunkel  gehüllt  waren.  Wir  nannten 
ihn  auch  unter  uns  im  Scherze:  das  Kind  der  Ostsee. 
Diese  beiden  Jünglinge  nun  entschlossen  sich,  zur  Ar- 
mee nach  Böhmen  abzugehen,  und  Dienst  in  den  Feld- 
spitälern zu  nehmen.  Fichtner  hatte,  ebenso  wie  Kör- 
ner es  in  seinen  Gedichten  getan,  in  den  Gesprächen 
mit  uns  seine  Todesahnung  ausgesprochen.  Er  hatte 
mich  beim  Abschiede  gebeten,  wenn  er  —  wie  er  nicht 
zweifelte  —  sterben  würde,  seine  kleine  Büchersamm- 
lung als  Andenken  anzunehmen.  Ich  teilte,  wie  natür- 
lich, diese  seine  düstere  Ahnung  nicht,  und  so  nahm  ich, 
als  er,  der  lebensvolle,  blühende  Mann,  nebst  Dr.  Pohl 
gerade  an  den  denkwürdigen  Tagen  3es  25.  und  26. 
August  (an  welchen  nämlich  unter  unaufhörlichen  Re- 
gengüssen, die  auch  in  Wien  herrschten,  die  Linien  bei 
Dresden  gestürmt  wurden,  der  unglückliche  Moreau 
seinen  unpatriotischen  Entschluß  mit  dem  Leben  büßte, 
die  Schlacht  an  der  Katzbach  geschlagen  worden, 
und  der  teure  Körner  bei  Gadebusch  gefallen  war'^*) 
sich  von  uns  beurlaubte  —  mit  herzlichen  Segenswün- 
schen für  beider  Wohl  und  mit  der  festen  Hoffnung,  sie 
beide  wieder  in  Wien  zu  sehen,  von  ihnen  Abschied. 
Kurz  darnach  kamen  alle  jene  Nachrichten  an,  und  ich 
beeilte  mich,  Pohl  und  Fichtner  von  dem  traurigen  Ver- 
lust des  ausgezeichneten  Dichters  und  werten  Freundes 

429 


von  beiden  auf  eine  schonende  Art  zu  unterrichten,  ehe 
sie  denselben  durch  Zeitungen  erfuhren.  Ach!  noch 
reut  mich,  daß  ich  es  getan;  denn  diese  Nachricht  war 
es,  die  vielleicht  den  letzten  Ausschlag  bei  dem  frühen 
Tode  des  guten  Fichtners  gab,  so  wie  eben  ein  letzter 
Tropfen  das  zu  volle  Glas  überfließen  macht.  Mein 
Brief  war  an  Dr.  Pohl  gerichtet,  mit  dem  ich  in  nähern 
freundschaftlichen  Verhältnissen  als  mit  Fichtner  stand. 
Indessen  teilten  sich  die  jungen  Leute  gern  die  Nach- 
richten mit,  die  ihnen  aus  Wien  und  dem  gewohnten 
Kreise,  in  dem  sie  heimisch  gewesen  waren,  zukamen. 
Damals  standen  beide  bei  einem  kaiserlichen  Spital  in 
Böhmen,  und  wenn  wir  den  Mut  der  Kämpfer  ehren, 
welche  im  Schlachtgewühl  ihr  Leben  aufs  Spiel  setzen, 
wo  der  Lärm  des  Kampfes,  der  Donner  des  Geschützes, 
die  Menge  der  Mitstreiter  und  Zeugen,  die  Töne  der 
Kriegsmusik,  endlich  die  Begeisterung  der  Sympathie 
das  Gemüt  erweitert,  und  dem  Tode  seine  meisten 
Schrecken  nimmt :  so  muß  auf  der  andern  Seite  die  Auf- 
opferung eines  Arztes,  der  im  Spital  vielleicht  einem 
ebenso  gewissen  Tode,  nur  einsam,  unbeachtet,  unter 
entmutigenden  Umständen,  und  bloß  von  dem  Ge- 
danken seines  nützlichen  Wirkens  für  andere  gestärkt, 
entgegengeht,  nicht  minder  gepriesen  werden.  Es  hat 
ein  junger  Arzt  und  Dichter,  Dr.  Friedländer'^^),  den 
ich  später  kennen  gelernt,  über  diese  Aufopferung  der 
Ärzte  in  den  Feldspitälern,  welchem  Dienst  auch  er  sich 
in  dieser  denkwürdigen  Epoche  weihte,  ein  schönes  Ge- 
dicht verfaßt :  Die  Asklepiaden  des  Heeres,  welches  mit 
sehr  poetischer  Empfindung  die  Stellung  dieser  stillen, 
unbeachteten  Helden  schildert,  und  ich  bedaure  nur, 
dies  Gedicht  nicht  bei  der  Hand  zu  haben,  um  einige 
seiner  schönen  Stellen  hier  mitteilen  zu  können. 

430 


Fichtner  war  schon  unwohl  gewesen,  er  war  aber 
noch  außer  dem  Bette,  als  mein  Brief  mit  der  Nachricht 
von  Körners  Tode  ankam,  Pohl,  an  den  er  gerichtet 
war,  las  ihn  ihm  vor;  diese  Nachricht  ergriff  den  ohne- 
dies Kranken  heftig;  ein  starkes  Fieber  trat  ein,  er 
mußte  sich  niederlegen,  und  —  er  stand  nicht  wieder 
auf.  Seine  Ahnung  hatte  ihn  ebensowenig  als  Körnern 
getäuscht,  und  es  ist  mir  stets  seltsam  und  wehmütig 
aufgefallen,  daß  des  einen  Tod  auf  gewisse  Weise  den  des 
andern  nach  sich  gezogen  hat. 

Indessen  waren  der  August  und  die  ersten  Tage  des 
Septembers  vergangen.  Ängstlich  wurde  auf  jede 
Nachricht  von  der  Armee  gewartet,  die  nicht,  wie  man 
glaubte,  dem  Befehl  des  Erzherzogs  Karl,  sondern  dem 
des  Fürsten  Schwarzenberg  untergeordnet  war,  und 
der  nun,  samt  den  vereinigten  Scharen  der  Preußen, 
Russen  und  sogar  der  Schweden,  der  Armee  Napoleons 
gegenüberstand,  so  daß  man  täglich  einer  entscheiden- 
den Schlacht  mit  der  höchsten  Spannung  entgegensah. 

Mit  welcher  freudigen  Überraschung  erfüllte  uns  in 
Wien  nun  eines  Tages  die  Siegesnachricht  von  der 
Schlacht  bei  Kulm,  welche  Fürst  Paar  brachte,  und 
mit  welchem  Jubel  umringte  das  Volk  seinen  Wagen, 
auf  dem  er  die  erbeuteten  Fahnen  führte''^).  Nach  so 
viel  Angst,  nach  so  viel  vereitelten  Hoffnungen,  nach  so 
viel  düstern  Vorzeichen  nun  endlich  ein  Sieg,  und  wel- 
cher! der  ganz  Böhmen  vor  dem  Einbruch  der  Armee 
des  Vandamme'^')  rettete,  und  wo  Ostermann '^^)  mit 
den  vereinigten  russischen  und  österreichischen  Trup- 
pen, wie  ein  Cherub  mit  dem  Flammenschwerte,  sich 
vor  das  bedrängte  Vaterland  gestellt  hatte ! 

Jetzt,  nach  mehr  als  25  Jahren  erinnere  ich  mich -der 
Zeitfolge  der  Begebenheiten  nicht  ganz  genau  ^  nur 

431 


das  weiß  ich,  daß  die  frohen  Nachrichten  von  der 
Schlacht  an  der  Katzbach,  von  der  bei  Kulm,  beiDenne- 
witz'^^)  usw.  sich  bald  folgten  und  die  gesunkenen  Ge- 
müter mächtig  aufrichteten,  indem  jeder  Teil  der 
verbündeten  Nationen  sich  mit  eben  der  herzlichen 
Empfindung  der  Siege  ihrer  Alliierten,  sowie  der  eigenen 
freute,  und  wirklich  Schenkendorfs  Worte: 

Ein  Lied,  ein  Herz,  ein  Gott,  ein  Orden, 
Ein  Deutschland  hoch  und  frei!'*") 

und  Körners: 

Denn  Brüder  sind  wir  allzumal!'*^) 

wenigstens  bei  uns  in  Wien,  in  den  warmen,  arglosen 

Herzen  meiner  Landsleute  in  schöne  Erfüllung  gingen. 

So  kam  denn  unter  abwechselnden,  aber  meist  freu- 
digen, erhebenden  Nachrichten  von  den  verbündeten 
Armeen,  die  alle  nur  eine  gute  und  gerechte  Sache  ver- 
teidigten, der  Oktober  heran.  Napoleon  stand  noch 
immer  bei  Leipzig  und  sah,  wie  es  schien,  ruhig  den 
Kreis,  den  die  verbündeten  Heere  um  ihn  herzogen, 
immer  enger  werden,  und  ganz  Deutschland  blickte 
mit  unruhiger  Erwartung  dem  Ausgang  oder  wenig- 
stens einer  entscheidenden  Krisis  des  großen  Kampfes 
entgegen.  — 

Endlich  brach  der  Morgen  des  i8.  Oktobers  an,  die- 
ser für  alle  Zeiten  merkwürdige  Tag,  an  dem  Deutsch- 
land seinfe  lange  und  schmählich  getragenen  Ketten  zer- 
brach, die  so  viele  von  uns  wund  gedrückt,  so  viele  er- 
drückt hatten:    Gott  hatte  uns  den  Sieg  gegeben! 

Wenige  Tage  daraiif  erscholl  die  frohe  Nachricht  in 
Wien.  Graf  Neipperg  brachte  sie,  und  sein  Einzug  mit 
dieser  alle  beglückenden  Botschaft  war  ein  Freudenfest 
für  Wien'*2).  Einen  Zug  der  Größe  und  erhabenen 
Vergessens  seiner  selbst  über  dem  Wohl  des  Vaterlandes 

432 


von  unserem  angebeteten  Erzherzog  Karl,  den  man 
sich  damals  erzählte,  will  ich  hier  wiederholen.  Als  der 
Kurier  des  Feldmarschalls  Fürsten  Schwarzenberg  vor 
dem  Palast  des  Erzherzogs  vorbeiritt,  eilte  der  Fürst  in 
seiner  edlen  Freude  über  die  Rettung  des  Vaterlandes, 
alle  persönliche  Rücksicht  vergessend,  die  Treppe  herab, 
um  den  Siegesboten  zu  begrüßen,  und  sich  näheres  von 
ihm  berichten  zu  lassen'*^). 


•■luiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiituiHiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiuiu 

38    C.  P.  I 


433 


ANMERKUNGEN 


iiiiiiiiiiHiiii»ii**>""**>""'"""*""""""""""""'""""""*"'"""'*""""'""'i""*""*"*<  iiiiiiiiiiitiiniitfitir 


1)  Strophe  V  3,  4  des  Gedichtes  „Der  Greis"  (s.  Kürschners 
Deutsche  National- Litteratur.  XLIII,  S.  43). — Eine  ähnliche  Stelle 
in  einem  Brief  der  Pichler  an  Karl  Streckfuß  vom  20,  August  1806 
(K.  Glossy  in:  Wiener  Communal-Kalender  und  Städtisches 
Jahrbuch.    XXXII.  [Wien  1894],  S.  400). 

2)  Dieser  Absatz  fehlt  dem  Druck;  in  der  Handschrift  ist  er 
durchstrichen, 

3)  Franz  Josef  Greiner  war  Rechnungsrat  der  Ministerial-Banco- 
Deputation,  also  nicht  Beamter  des  Stadtmagistrats,  und  diente 
dem  Staate  durch  36  Jahre.  Er  erwarb  sich  besondere  Verdienste 
um  die  Einrichtung  des  Salzgefällwesens  in  Oberösterreich  und 
besaß  ein  Haus  „im  tiefen  Graben"  (vgl.  Alfred  Arneth,  Sitzungs- 
berichte der  philos.-histor.  Klasse  der  kais.  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien,  XXX.  [1859],  S.  3iif-)-  Am  28.  Jänner  1743 
starb  er  dort  im  Alter  von  54  Jahren  an  der  Hektik  (Totenproto- 
kolle der  Stadt  Wien  im  Stadtarchiv.    Bd.  77,  Fol.  531b). 

*)  Von  diesen  Gemälden  wurden  durch  den  Kupferstecher  und 
Kunsthändler  Christian  von  Mechel  (1737 — 1818)  im  Auftrage 
Kaiser  Josefs  II.  acht  Stücke  weit  unter  ihrem  Werte  angekauft, 
worüber  Maria  Theresia  sehr  verstimmt  war  (man  vgl.  über  den 
Bilderankauf  Arneth,  a.  a.  O.  XXX,  S.  325  ff.,  374f.,  Nr.  67 — 69  und 
Geschichte  Maria  Theresias,  IX,  S.  282  f.).  Über  die  Bilder  selbst 
stellt  Theodor  von  Frimmel  (Geschichte  der  Wiener  Gemälde- 
sammlungen, I  [Leipzig  1899],  S.  23z  und  S72f.)  einige  Vermu- 
tungen auf. 

^)  Sie  hieß  Katharina  Greiner,  war  eine  geborene  Schwärzl  und 
wohnte  bis  zu  ihrem,  am  9.  November  1777  um  1/28  Uhr  abends 
durch  kalten  Brand  im  80.  Lebensjahre  erfolgten  Tod  im  Greiner- 
schen  Hause  im  tiefen  Graben  (Nr.  319.  —  Totenprotokolle  der 
Stadt  Wien  im  Stadtarchiv,  Bd.  105,  Buchstabe  C,  G,  K.,  Fol.  io8a). 
Bis  zum  Jahre  1775  wohnte  ihr  Sohn -Franz  mit  Frau  und  Kindern 
mi  Nebenhause  (s.  oben  S.  40);  später  kamen  letztere  wiederholt 
zur  Großmutter  (vgl.  oben  S.  45). 

®)  Graf  Rudolf  Chotdk  (1707 — 1771)  war,  nachdem  er  ver- 
schiedene wichtige  Ämter  bekleidet  hatte,  seit  1765  oberster 
Kanzler  der  vereinigten  böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei  und 
genoß  als  solcher  das  besondere  Vertrauen  Maria  Theresias  (vgl. 
über  ihn  Adam  Wolf,  Graf  Rudolf  Chotek,  k.  k.  österreichischer 
Staats-  und  Conferenz-Minister.    Wien  1852.    S.  4f.;  Jak.  A.  F. 

437 


Hyrtl,  Die  fürstlichen,  gräflichen  und  freiherrlichen  Familien  des 
österreichischen  Kaiserstaates.  II  [Wien  1852],  S.  48;  Adam  Wolf, 
Aus  dem  Hofleben  Maria  Theresias,  ^  [Wien  1859],  S.  64ff.).  Er 
war  Greiner  sehr  gewogen  und  empfahl  ihn  noch  am  Totenbett 
der  Kaiserin  zur  besonderen  Gnadenbezeigung,  was  die  Verleihung 
des  Ritterstandes  zur  Folge  hatte  (Arneth,  a.  a.  O.  XXX,  S.  313)* 
*)  Franz  Sales  von  Greiner  wurde  am  2.  Februar  1730  (nicht 
1732)  als  Sohn  des  Franz  Josef  und  der  Katharina  Greiner  geboren. 
Er  studierte  zunächst  bei  den  Jesuiten;  hierauf  hörte  er  an  der  Uni- 
versität Rechtswissenschaft.  1752  trat  er  als  Volontär  ins  Direktorium 
in  publicis  et  cameraUbus  ein,  wurde  1761  Konzipist  beimk.  Hof- 
kriegsrat in  conunissariaticis,  rückte  1766  zum  Hofkriegssekretär 
vor  und  kam  1768  oder  1769  zur  böhmischen  und  österreichischen 
Hofkanzlei  in  gleicher  Eigenschaft.  Zuerst  im  Referat  für  Tirol 
und  Vorderösterreich  verwendet,  wurde  er  bald  Protokollführer 
bei  den  Sitzungen,  die  in  kirchlichen  Angelegenheiten  gehalten 
wurden.  Hier  wurde  der  oberste  Kanzler,  Graf  Rudolf  Chotek, 
auf  ihn  aufmerksam,  der  ihm  mit  Zustimmung  der  Kaiserin  die 
Durchführung  der  geheimen  Präsidialgeschäfte  zuwies.  Noch  vor 
seinem  Tode  empfahl  ihn  Chotek  der  Kaiserin  aufs  wärmste. 
Greiner  wurde  am  i.  August  1771  in  den  Ritterstand  erhoben. 
Am  31.  März  1773  erfolgte  seine  Ernennung  zvun  wirklichen  Hof- 
rat und  geheimen  Referenten  der  Hofkanzlei  unter  Überspringung 
aller  Vordermänner  (vgl.  Anm.  52).  Dies  verdankte  er  seinen 
großen  Fähigkeiten,  sowie  dem  Umstände,  daß  er  seit  1766  (April, 
vgl.  Anm.  45)  mit  einer  Lieblingskammerdienerin  der  Kaiserin, 
mit  Charlotte  Hieronymus,  verehelicht  war  und  so  der  Kaiserin 
persönlich  nahe  trat,  die  seine  vortrefflichen  Eigenschaften  kennen 
und  schätzen  lernte.  Er  stand  mit  der  Kaiserin,  die  ihm  ihr  volles 
Vertrauen  schenkte  und  seinen  Rat  wiederholt  einholte  (vgl.  Anm. 
57),in  vertrauter  Korrespondenz  (vgl.  Aima.  58).  Er  hatte  das  Referat 
für  Niederösterreich  und  erwarb  sich  um  die  Lebensmittelver- 
sorgung Wiens  große  Verdienste,  ergriff  energische  Teuerungsmaß- 
regeln, regte  die  Einführung  der  Tranksteuer  in  Niederösterreich 
an,  die  er  auch  durchsetzte,  und  trat  energisch  für  die  Aufhebung 
der  Frone  in  Böhmen  ein.  Als  Mitglied  der  k.  k.  Studienhof- 
kommission  hatte  er  Einfluß  auf  das  niedere  und  höhere  Studien- 
wesen in  Österreich.  Seit  1783  war  er  auch  Rat  bei  der  k.  k.  Aka- 
demie der  bildenden  Künste  (Hof-  und  Staatsschematismus.  1784, 
S.  i).  Er  hatte  manche  Anfeindungen  zu  erdulden,  doch  erwiesen 
sich  alle  Verdächtigungen  als  unbegründet  (vgl.  Anm.  93).  Nach 
dem  Tode  der  Kaiserin  Maria  Theresia  war  seine  Vertrauens- 
stellung zu  Ende.  Er  verbUeb  jedoch  in  Amt  und  Würden,  denn 
er  wußte  sich  rasch  in  die  neuen  Verhältnisse  hineinzufinden.  Erst 

438 


Kaiser  Franz  II.  erinnerte  sich  seiner  vieljährigen,  treuen  und 
hingebungsvollen  Dienste  wieder,  verlieh  ihm  unterm  15.  März 
1797  das  Ritterkreuz  des  St.  Stephansordens  und  ernannte  ihn  zum 
Referenten  bei  der  k.  k.  Bücherzensur  (Hof-  und  Staatsschematis- 
müs,  1798,  S.  10).  Ein  Jahr  darauf  starb  Greiner  (am  2.  Juni  1798). 
Schriftstellerisch  betätigte  er  sich  1771  durch  die  Übertragung 
einer  französischen  Gelegenheitsschrift  des  Le  Vayer  de  Boutigni 
(De  Tautorite  du  roi,  touchant  Tage  necessaire  ä  la  profession 
solemnelle  des  Religieux);  auch  Gedichte  kennen  wir  von  ihm  (vgl. 
Anm.  78).  Aus  dem  Jahre  1794  (24.  September)  ist  ein  gedrucktes 
Mandat  Kaiser  Franz  II.,  ein  Verbot  des  Handels  nach  Frankreich, 
erhalten  (Wien,  Universitätsbibliothek,  II  330429),  das  Greiner 
verfaßte  und  mit  zeichnete.  —  Karoline  Pichler  ist  über  den 
Lebensgang  ihres  Vaters  öfter  nicht  richtig  unterrichtet.  Erst 
Arneth  (Sitzungsberichte,  XXX,  S.  3i2ff.  und  Maria  Theresia, 
IX,  S.  io4f.  Qesuitenkommission],  240 ff.  [Reform  der  Gymnasien], 
249ff.  [Bringt  Felbigers  Sache  zum  Sieg],  376f.  [Robott],  391  f. 
[Fürsorge  für  Wien]  und  X,  S.  9ff.  [Tranksteuer])  und  Wurz- 
bach (Biogr.  Lexikon,  V,  S.  326  f.)  haben  das  meiste  klargestellt. 
Über  seine  Tätigkeit  als  Mitglied  der  Studienhofkommission, 
welche  J.  G.  Megerle  von  Mühlfeld  (Memorabilien  des  österreichi- 
schen Kaiserstaates,  I.  [Wien  1825],  S.  287)  rühmend  hervorhebt, 
bietet  Karl  Freiherr  von  Hock  (Der  österreichische  Staatsrath 
1760 — 1848,  Wien  1879,  S.  455)  einiges.  Über  Greiner  als  Frei- 
maurer vgl.  man  Anm.  195,  über  seinen  Tod  oben  S.  208  ff. 
—  Greiner  war  (s.  sein  Bild)  ein  dicker  Herr  mit  einem  nicht 
besonders  einnehmenden  Äußern,  unter  dessen  ungeheurem  Bauch 
mehr  Phlegma  steckte  als  Damen  angenehm  ist,  wie  ein  Zeit-, 
genösse  meint  (vgl.  G.  Gugitz,  Jahrbuch  der  Grillparzer-GeseU- 
schaft.  XVII.  S.  54)5  gleichzeitig  verband  Greiner  damit  eine 
derbe  Ausdrucksweise,  —  manche  seiner  proverbes  lebten  noch  in 
den  vierziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  im  Volke  (Hör- 
mayis  Taschenbuch.  XXXIV.  [1845],  S.  114)  —  sodaß  es  mit 
seiner  höher  hinausstrebenden  Gattin  manche  Meinungsdifferenz 
gab,  woran  auch  der  Hausgenosse  L.  L.  Haschka  nicht  ganz 
schuldlos  war  (vgl.  Anm.  73). 

^)  Friedrich  Hieronymus  war  1729  Wachtmeister-Leutnant, 
1735  Fähnrich,  1743  Leutnant  beim  k.  k.  Regiment  Wolfenbüttel, 
jetzt  k.  und  k.  Infanterieregiment  Nr.  29  (Gideon  Freiherr  von 
London),  und  starb  am  3.  Mai  1744  in  Wien  im  Trautmannsdorff- 
schen  Haus  in  der  Herrengasse,  50  Jahre  alt,  an  Lungenbrand 
(Rudolf  von  Hödl,  Geschichte  des  k.  und  k.  Infanterieregiments 
Nr.  29.  Temesvar  1906.  S.  608;  Totenprotokolle  der  Stadt  Wien 
im  Wiener  Stadtarchiv.    Bd.  78,  Fol.  431b). 

439 


*)  Das  Regiment  Wolfenbüttel  lag  In  den  Jahren  1740 — 1744, 
soweit  es  nicht  1742 — 44  am  bayrisch-österreichischen  Erbfolge- 
krieg teilnahm,  in  den  ungarischen  Städten  Kaschau,  Leutschau, 
Eperies  und  Munkacs,  sowie  in  verschiedenen  Orten  des  Säroser 
Komitats  in  Garnison.  Im  April  1744  kamen  die  in  Ungarn  zurück- 
gebliebenen 2  Bataillone  samt  der  Grenadierkompagnie  nach  Wien 
(Hödl,  S.  74  und  78).  In  einem  dieser  ungarischen  Orte  erblickte 
daher  Charlotte  Hieronymus,  später  Frau  von  Grelner,  1740  das 
Licht  der  Welt.  Die  Mutter  soll  in  Ödenburg  gestorben  sein  (vgl. 
Hormayr,  Taschenbuch  für  die  vaterländische  Geschichte,  XXXIV 
[Berlin  1845],  S.  iii). 

")  In  der  Handschrift  durchstrichen.  Hieronymus  war  nur 
Leutnant  gewesen  (vgl.  Anm.  8). 

")  Diese  kommt  in  den  Hof  Schematismen  jener  Zeit  nicht  vor; 
sie  dürfte  aber  mit  Elisabeth  du  Plessy  (auch  Blessy)  identisch 
sein,  die  Kammerdienerin  bei  Kaiserin  Maria  Theresia  war,  1776 
starb  und  ein  eigenhändiges  Testament  vom  9.  April  1761  mit 
einem  Kodizill  vom  17.  April  1771  (publiziert  am  10.  Februar 
1776;  Obersthofmarschallische  Testamente  1776  Nr.  4  und  Oberst- 
hofmarschallische Abhandlungen  1776,  Nr.  3  im  Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes)  hinterließ.  Vgl.  auch  Hormayr,  Taschenbuch, 
XXXIV,  S.  Ulf. 

^^)  Diese  Angabe  ist  ungenau,  denn  von  den  kaiserlichen  Prin- 
zessinnen kommen  nur  Erzherzogin  Maria  Christine  (1742 — 1798), 
die  nachmalige  Gemahlin  des  Herzogs  Albert  von  Sachsen-Teschen, 
und  Maria  Amalie,  Herzogin  von  Parma  (1746 — 1804),  als  Spiel- 
genossinnen in  Betracht.  Alle  übrigen  Erzherzoginnen,  besonders 
Maria  Carolina  (1752 — 1814),  später  Königin  von  Sizilien,  und  Maria 
Antoinette  (1755 — 1793),  die  spätere  Gattin  Ludwigs  XVI.  von 
Frankreich,  waren  zu  jener  Zeit  (vor  1753)  zu  jung  oder  noch  un- 
geboren. 

^')  Karoline,  verwitwete  Reichsgräfin  von  Fuchs,  geb.  Gräfin 
von  Mollart  (1675 — 1754),  war  Aja  und  Erzieherin,  später  Oberst- 
hofmeisterin der  Kaiserin  Maria  Theresia  und  dieser  so  lieb  und 
wert,  daß  sie  nach  ihrem  Ableben  (27.  April  1754)  über  Befehl 
der  Kaiserin  in  der  Kapuzinergruft,  der  Begräbnisstätte  des  öster- 
reichischen Erzhauses,  beigesetzt  wurde  (vgl.  Cölestin  Wolfsgruber, 
Die  Kaisergruft  bei  den  Kapuzinern  in  Wien,  Wien  1887,  S.  2 10  ff., 
Nr.  47;  Wurzbach,  Biogr.  Lexikon,  IV,  S.  39if.). 

")  Dies  war  also  im  Jahre  1753.  Die  „Staats-  und  Standes- 
kalender"  von  I754ff.  führen  Charlotte  Hieronymus  nicht  unter  den 
Kammerdienerinnen  der  Kaiserin  an,  erst  von  1763  (S.  422)  ab 
ist  sie  als  solche  verzeichnet  und  trat  daher  diese  Stelle  1762  an. 
Vorleserin   mag   sie  bereits  früher   gewesen   sein.    Dieser  Dienst 


mußte  kniend  versehen  werden  (Hormayr,  Taschenbuch,  XXXIV, 
S.  112).  Über  das  Amt  einer  Vorleserin  vgl.  man  Wolf,  Hof- 
leben, S.  83. 

i*a)  Über  Maria  Theresias  Toilette  bietet  Wolf,  Hof  leben, 
S.  183  f.  einige  nähere  Angaben. 

.15)  Richtiger:  Man  hebet  vor  sich  selbst  und  nicht  vor  seine 
Väter  (Albrecht  vonHaUer,  Die  Alpen,  1732:  Kürschners  Deutsche 
National-Litteratur,  XLI,  2,  S.  20,  Vers  120). 

18)  Prinz  Franz  von  Lothringen,  der  spätere  deutsche  Kaiser - 
Franz  I.,  war  am  8.  Dezember  1708  geboren,  und  kam  Ende  De- 
zember 1723  nach  Wien,  wo  er  alle  durch  sein  freundliches,  liebes 
Benehmen  bezauberte  (vgl.  Arneth,  Maria  Theresias  erste  Regie- 
rungsjahre,  I  [Wien  1863],  S.  9 ff.);  er  gewann  die  Liebe  der  Erz- 
herzogin Maria  Theresia,  mit  der  er  sich  am  12.  Februar  1736 
vermählte.  Seit  9.  Juli  1737  war  er  Großherzog  von  Toskana,  trat 
aber  die  Regierung  erst  im  Januar  1739  an. 

1')  Karl  Alexander,  Prinz  von  Lothringen  und  Bar  (1712 — 1780), 
österreichischer  Feldherr,  war  seit  1744  mit  Maria  Anna,  der 
Schwester  Maria  Theresias,  vermählt.  Vier  Jahre  nach  dem  Tode 
seiner  Frau  wurde  er  1748  Gouverneur  der  Niederlande. 

18)  Erzherzogin  Maria  Anna  (1718 — 1744),  seit  Januar  1744  mit 
dem  Herzog  Karl  von  Lothringen  vereheücht,  wurde  1744  General- 
gouvemantin  der  Niederlande  und  starb  im  Dezember  1744  zu 
Brüssel  an  den  Folgen  des  Kindsbettes. 

1^)  Apostolo  Zeno  (1668 — 1750)  aus  Venedig  war  von  171 5  bis 
1729  Hofpoet  in  Wien,  und  erfreute  sich  der  besonderen  Gunst 
des  Kaisers  Karl  VL  Karohne  Pichler  irrt,  wenn  sie  ihn  zum  Hof- 
poeten Kaiser  Leopolds  I.  (t  1705)  macht. 

^)  Pietro  Bonaventura  Metastasio  (1698 — 1782),  ein  gebürtiger 
Römer,  wurde  1729  als  Hofpoet  in  Wien  der  Nachfolger  Zenos. 
Er  stand  sowohl  bei  Kaiser  Karl  VI.  als  auch  bei  Maria  Theresia 
in  großer  Gunst.  Er  starb  in  Wien  und  Hegt  in  der  Michaeler- 
kirche  begraben.  —  KaroHne  fichler  bearbeitete  später  eines  seiner 
Gedichte   (Der  Abschied:    SämmtUche   Werke,   2XVL    S.  41  ff.). 

^)  Über  die  Licenza  vgl.  man  Otto  Jahn,  W.  A.  Mozart,  I 
(Leipzig  1856),  S.  228. 

^)  Diese  Kammerdienerin  hieß  KaroUne  Mercler;  sie  versah 
ihren  Dienst  von  1762 — 1776  (Staats-  und  Standeskalender,  Wien 
1763,    S.  422;  Hof-  und  Staatsschematismus,  1776,    S.  364). 

^)  Nach  Metastäsios  Bericht  (Opere  scelte,  V  [Milano  1820], 
P-  345)  spielte  sich  dieser  Vorfall  1755  vor  der  Geburt  der  Erz- 
herzogin Maria  Antoinette  ab.  Der  Wettende  war  Graf  Hans  Karl 
Dietrichstein  (1728 — 1808),  der  spätere  Oberststallmeister  Josefs 
IL  (vgl.  über  ihn  Wolf,  Hofleben,  S.  1 54,  296  und  Fürstin  Eleonore 

441 


Liechtenstein.  Wien  1875.  S.  276  f. ;  Matth.  Feyfar,  Die  erlauchten 
Herren  auf  Nikolsburg.   Wien  1879.    S.  3C34ff.), 

^)  Metastasios  Fassung  (a.  a.  O.  V,  345)  weicht  etwas  ab :  Zeile  i 
Jo  perdei,  l'augusta  figlia;  2  mihaj  3  a  voi .  .  . 

*^)  Am  II.  September  1741  trat  Maria  Theresia  in  Preßburg, 
aber  ohne  den  Kronprinzen  Josef,  der  in  Wien  verblieben  war, 
vor  die  Ungarn,  klagte  ihnen  ihr  Leid  und  veranlaßte  dadurch  das 
allgemeine  Aufgebot  (Alfred  von  Arneth,  JMaria  Theresias  erste 
Regierungsjahre,  I  [Wien  1863],  S.  298  ff.  ifl|d  405  Anm.  18). 

2*)  Die  Belagerung  von  Ohnütz  begann  am  5.  Mai  1758,  zu  einer 
Zeit,  wo  Maria  Theresia  mit  ihrem  Hofstaat  nach  Laxenburg  zu 
übersiedeln  pflegte.  Der  Kriegsgefahr  wegen  riet  man  der  Kaiserin, 
sie  möge  nach  Graz  reisen,  doch  sie  blieb  fest  und  wollte  Wien  erst 
verlassen,  bis  die  Preußen  vor  den  Toren  Wiens  stünden  (vgl. 
Arneth,  Geschichte  Maria  Theresias,  V  [Wien  1875],  S.  361; 
Wolf,  Hofleben,  S.  181).  Der  von  Karoline  Pichler  mitgeteilte 
Ausspruch,  den,  ihr  folgend,  auch  Wolf  (S.  120)  bringt,  kann  Maria 
Theresia  nur  in  der  ersten  Erregung  entschlüpft  sein.  Tatsächlich 
ging  man  1758  nicht  nach  Laxfenburg  (Wolf,  S.  181). 

^)  Der  Überbringer  der  Siegesnachricht  von  der  gewonnenen 
Schlacht  bei  Hochkirch  (14.  Oktober  1758)  war  des  Feldherrn 
Daun  Flügeladjutant,  Major  von  Rothschütz.  Das  „Wienerische 
Diarium"  (1758,  Nr.  83,  danach  Arneth,  Maria  Theresia,  V,  S.  423) 
weiß  von  dieser  intimen  Szene  nichts,  während  Wolf  (S.  121),  dem 
aber  wahrscheinlich  die  Pichler  als  Quelle  diente,  darüber  berichtet. 

^)  Unrichtig;  Greiner  war  1761  Konzipist  beim  kaiserlichen 
Hofkriegsrat,  1766  Hofkriegssekretär  und  erst  1769  zur  böhmisch- 
österreichischen Kanzlei  als  Hofsekretär  versetzt  worden  (vgl. 
oben  Anm.  7). 

^)  Nach  Rousseau  (s.  nächste  Anmerkung)  war  er  ein  ungarischer 
Edelmann,  namens  Baron  Sauttern,  beziehungsweise,  wie  sich  später 
herausstellte,  namens  Sautternheim.  Vielleicht  ist  aber  auch  dieser 
Name  nicht  der  richtige,  denn  In  einem  Brief  (datiert :  Motiers,  le 
20  mal  1764)  an  Mr.  de  S  .  . .  (Sauttern)  spricht  Rousseau  davon, 
daß  er  sich  am  Wiener  Hofe  nach  ihm  erkundigte,  sein  Name 
dort  aber  nicht  bekannt  sei  (Seconde  partie  des  Confessions,  III 
[Geneve  1789],  p.  108  ff.). 

*•)  Jean  Jacques  Rousseau  (Seconde  partie  des  Confessions,  II 
[Geneve  1789],  p.  3 13  ff.  =  Bekenntnisse.  Deutsch  von  Levin 
SchücHng,  II  [Hildburghausen  1870],  S.  4i7ff.)  berichtet,  daß 
einige  Monate  nach  seiner  Ankunft  in  Motiers-Travers  (10.  Juli 
1762)  sich  ein  junger  Ungar,  namens  Baron  von  Sauttern,  neben 
ihm  niederließ,  der  von  Zürich  aus  an  ihn  empfohlen  war.  Seine 
Liebenswürdigkeit  öffnete  ihm  Rousseaus  Herz  und  beide  wurden 

442 


unzertrennliche  Freunde.  Rousseau  rühmt  an  ihm  die  Sanftmut 
des  Charakters,  gebildetes  und  elegantes  Wesen,  große  körperliche 
Reinlichkeit  und  eine  außerordentliche  Zurückhaltung  in  allen 
Reden.  Bald  wurde  Rousseau  aber  von  Genf  aus  verständigt,  daß 
Sauttern  ein,  im  Dienste  der  französischen  Regierung  stehender 
Spion  sei.  Rousseau  versuchte  ihn,  indem  er  mit  ihm  nach  Pontar- 
lier  ging,  ihm  dort  den  Brief  vorlas  und  ihn  gleichzeitig  versicherte, 
daß  er  an  dieses  Gerücht  nicht  glaube.  Freilich,  kurz  vorher, 
scheint  er  doch  nicht  ganz  sicher  gewesen  zu  sein,  sonst  hätte  er 
unterm  23.  April  1763  vom  Marschall  von  Luxembourg  nicht  Aus- 
künfte über  Sauttern  verlangt  (vgl.  Auguste  Rey,  Jean  Jacques 
Rousseau  dans  la  vallee  de  Montmorency.  Paris  1909,  p.  222). 
Beinahe  zwei  Jahre  verbHeb  Sauttern  in  Motiers,  dann  ging  er 
vorm  Mai  1764  plötzlich  nach  Straßburg,  wo  er  mit  einer  verheira- 
teten Frau  ein  früheres  Verhältnis  wieder  anknüpfte.  In  Motiers 
ließ  er  eine  häßliche  Wirtsmagd  schwanger  zurück.  In  Straßburg 
lebte  er  im  Hause  seiner  Geliebten  zusammen  mit  deren  Mann. 
Noch  im  Jahre  1764  ging  er  nach  Paris  und  schrieb,  da  es  ihm  sehr 
elend  ging,  wiederholt  an  Rousseau,  der  ihm  mit  Geld  aushalf  und 
ihn  im  Dezember  1765  dort  bei  der  Durchreise  besuchte.  1767 
kehrte  Sauttern  wieder  nach  Straßburg  zurück,  schrieb  von  dort 
aus  an  Rousseau  und  starb  bald  danach. 

3^)  Maria  Ludovica  (1745 — 1792),  Tochter  Karls  III.  von  Spanien, 
wurde  am  5.  August  1765  in  Innsbruck  dem  Erzherzog  Leopold, 
nachmaligem  Kaiser,  angetraut. 

^^)  Über  die  Ambraser  Sammlung  vgl.  man  Job.  Primisser,  Kurze 
Nachricht  von  dem  k.  k.  Raritätenkabinet  zu  Ambras  in  Tyrol. 
Innsbruck  1777  und  Alois  Primisser,  Die  kaiserlich-königliche 
Ambraser- Sammlung.    Wien  18 19. 

^)  Valentin  Jamerai  Duval,  geboren  1695  zu  Artonnay  in  der 
Champagne,  ein  besonderer  Liebling  Kaiser  Franz  L,  kam  mit 
diesen  nach  Florenz,  dann  1743  nach  Wien,  wo  er  in  der  Hofburg 
eine  Wohnung  bezog.  1748  wurde  er  Direktor  des  Münzkabinetts 
und  starb  als  solcher  1775  in  Wien  (Wurzbach,  III,  S.  401  ff.)  — 
Studierend  wurde  er  von  den  Prinzen  Leopold  Clemens  und  Franz 
im  Walde  bei  St.  Anna  in  Lothringen  am  13.  Mai  17 17  aufgefunden. 
Herzog  Leopold  ließ  ihn  dann  bei  den  Jesuiten  zu  Pont-ä-Mousson 
studieren  (vgl.  Albrecht  Christoph  Kayser,  Leben  des  Herrn 
Valentin  Jamerai  Duval.    Regensburg  1784.    S.  I7ff.)- 

^)  Duval  nannte  alle  weiblichen  Wesen,  zu  denen  er  eine  gewisse 
Zuneigung  hatte,  „Bibi",  besonders  aber  das  Fräulein  Anastasia 
Socoloff  (vgl.  Kayser,  S.  44  und  58,  Anm. ;  vgl.  auch  Duval,  Oeuvres, 
1  [St. Petersbourg  1784],  S.  123 ff.  und II,  S.  iff.  und  238 ff.:  Briefe 
an  die  Socoloff  und  an  die  Hofdame  Guttenberg). 

443 


^)  Gemeint  ist  die  Münzensammlung  im  Schloß  Ambras,  die, 
ebenso  wie  die  übrigen  Sammlungen  unter  der  Aufsicht  der  je- 
weiligen Schloßhauptmänner  stand,  die  vor  Joh.  Prünisser  (1773) 
gleichgültig  und  unfähig  waren,  eine  Sammlung  in  Ordnung  zu 
halten  (vgl.  Alois  Primisser,  a.  a.  O.,  S.  23).  Der  damalige 
Schloßhauptmann,  gleichzeitig  Hofburgpfleger  war  Karl  Maximi- 
lian von  Khiepach  (frdl.  Mitteilung  des  Herrn  Kustosadjunkten 
K.  Schwarz  in  Innsbruck). 

^)  Vgl.  darüber  Arneth,  Geschichte  Maria  Theresias,  VII 
(1876),  S.  i47f.  und  Wolf,  Hofleben,  8.263! 

^')  Maria  Theresias  Trauer  um  ihren  verstorbenen  Gemahl 
bringt  eiji  Brief  an  die  Gräfin  von  Enzenberg  vom  12.  Februar  1766 
(Arneth,  Maria  Theresia,  VII  [Wien  1876],  S.  163)  besonders 
schön  zum  Ausdruck.  Manche  von  der  Pichler  angegebenen  Details 
werden  dadurch  bestätigt.  Vgl.  noch  Arneth,  VII,  S.  148  f.  und  158; 
Wolf,  Hofleben,  S.  264f.  und  272f.  (hier  ist  die  Pichler  Quelle). 

^)  Das  Datum  stimmt  nicht  völlig;  denn  meist  kam  Maria 
Theresia  am  19.  August  in  die  Kapuzinergruft  (vgl.  das  Verzeichnis 
ihrer  Gruftbesuche  bei  Cölestin  Wolfsgruber,  a.  a.  O.  S.  61  ff.). 

^)  Eine  Abbildung  bei  Wolfsgruber,  a.  a.  O.  S.  243.  Das  Grab- 
mal war  aber  bereits  1754,  also  noch  zu  Lebzeiten  Kaiser  Franz  I,, 
von  B.  Moll  verfertigt  und  aufgestellt  worden  (Wolfsgruber,  S.  254). 
Eine  genaue  Beschreibung  samt  Wiedergabe  der  Inschriften  bei 
Wolfsgruber,  S.  254ff. 

^)  Wir  wissen,  daß  Maria  Theresia  1725  als  Kind  bereits  in 
einer  Oper  und  1739  zusammen  mit  der  berühmten  Senesino  in  Flo- 
renz ein  Duett  sang  (s.  Bäuerles  Wiener  Theaterzeitung,  LIII  [Wien 
1859],  S.  550;  Otto  Jahn,  W.  A.  Mozart,  I  [Leipzig  1856],  S.  37). 
1735  entzückte  ihr  Gesang  Metastasio  (vgl.  Th.  G.  von  Karajan, 
Aus  Metastasios  Hofleben.    Wien  1861.    S.  13). 

*^)  Anna  Jameson,  Memoirs  of  celebrated  female  sovereigns, 
2  vol.  London  183 1.  —  2.  verm.  Aufl.,  London  1834.  —  Pichler 
lernte  die  Verfasserin  persönlich  kennen,  vgl.  II,  S.  299  ff. 

*2)  Gemeint  ist  die  schöne  Gräfin  Maria  Wilhelmine  Auersperg 
(1738 — 1775),  früher  Hofdame  der  Kaiserin  Maria  Theresia  und 
seit  1755  mit  dem  Grafen  Johann  Adam  Auersperg  verehelicht. 
Sie  war  eine  leidenschaftliche  Spielerin,  im  Spiele  aber  nie  glücklich. 
Maria  Theresia  war  auf  sie  sehr  eifersüchtig  und  schloß  sie  von 
mancher  Hoffestlichkeit  aus  (vgl.  Wolf,  Hofleben,  S.  151  f.). 
Auch  andere  Frauen,  so  die  Gräfin  Colloredo  und  die  Gräfin  Palffy 
sah  Franz  I.  gerne  (Wolf,  Hofleben,  S.  140). 

^)  Wenn  sich  Franz  I.  auch  nicht  oft  den  Staatsgeschäften 
widmete,  wovon  ihn  übrigens  Maria  Theresia  ziemlich  ferne  hielt, 
so  betrieb  er  doch  verschiedene  Liebhabereien,  so  die  Jagd,  die 

444 


•TL. 


Gartenkunst  und  das  Spiel,  und  ergab  sich  auf  dem  Gebiete  der 
Münzen  und  Medaillen  einem  wissenschaftlichen  Dilettantismus. 
Er  war  ein  ausgezeichneter  Ökojiom  und  Sparmeister,  hatte  daher 
die  oberste  Leitung  des  Finanz-  und  Schuldenwesens  des  Staates 
mit  Erfolg  inne.  Vgl.  Arneth,  Maria  Theresia,  VII,  S.  149 ff.  und 
Wolf,  Hofleben,  S,  141  ff. 

*4)  Das  Eingeklammerte  fehlt  im  Drucke  ;  in  der  Handschrift 
durchstrichen. 

*5)  Die  Hochzeit  fand  am  20.  April  1766  statt.  —  In  der 
Trauungsmatrik  der  k.  k.  Hof-  und  Burgpfarre  in  Wien  findet  sich 
darüber  folgender  Eintrag  (t.  II.  fol.  61.  —  Frdl.  Mitteilung  des 
hochw.Herrn  Hofburgpfarrvikars  Dr.  Lehner):  „Anno  1766  die  20. 
Aprilis.  Perillustris  D.  Franciscus  de  Greiner,  Coelebs,  Belli  Aulico- 
Consilü  Secretarius,  Viennensis,  deposito  prius  propter  impedi- 
mentum  ortum  in  denuntiationibus,  Libertatis  juramento  et 
domicella  Charlotta  de  Hieronymo  Cubicularia  Augustae  Impera- 
tricis  et  Reginae  Viduae  iuxta  ritum  Sacri  Concilii  Tridentini 
matrimoniahter  inpraesentia  Aug.  Imperatoris  Josephill.  Imperatris 
Viduae  et  Regnantis  etc.  copulati  sunt  in  Capella  Camerae  Aulica 
circa  8.  vespert,  a  me  Francisco  Conrado  Briselance  de  Renndorff 
Parocho  Aulico.  Testes  praesentes  erant:  111.  D.  Joannes  Georgius 
Liber  Baro  de  Grechtler,  generahs  Vigiliarum  magister,  et  Supremus 
Belli  Commissarius,  perill.  D.  Phiüppus  de  Managetta  Circuli  in 
infer.  Austria  Capitaneus,  Magnific.  D.  Joannes  Andreas  de  Kestler 
Medicus  AuUcus,  et  praenob.  D,  Joannes  Adamus  de  Mayer  eonsil. 
Aulicus,  et  secretarius  Camerae  aerarii  Thesaurarius."  — '  Die 
Hochzeiten  bei  Hofe  trugen  alle  ziemHch  den  gleichen  Charakter, 
vgl.  Wolf,  Hofleben,  S.  79. 

*®)  Maria  Josefa  Gräfin  Paar,  geb.  Gräfin  von  Oettingen  (1686 
bis  1771),  seit  1754  Obersthof meisterin  der  Kaiserin,  als  Nach- 
folgerin der  Gräfin  Fuchs  (vgl.  Wurzbach,  XXI,   S.  148,  Nr.  11). 

*')  Es  ergibt  sich  die  merkwürdige  Tatsache,  daß  die  Geburt 
der  Karoline  von  Greiner  in  der  Taufmatrik  der  Pfarre  Schotten 
(Wien  I)  nicht  vermerkt  ist,  während  die  ihres  Zwillingsbruders 
Franz  Sales  unterm  7.  September  1769  (Taufprotokoll,  Bd.  37, 
Fol.  115a)  eingetragen  ist.  Da  sie  die  Nottaufe  erhielt,  scheint 
man  in  der  Eile  die  Eintragung  vergessen  zu  haben. 

^)  Über  den  großen  Kometen  des  Jahres  1769  vgl.  man  J.  J. 
Littrow,  Über  Kometen.    Neue  Auflage.    Wien  1835.    S.  59f. 

**)  Hieß  Franz  Salesius  und  starb  am  5.  April  1770,  '^j^'i-Z  Uhr 
nachts,  im  Alter  von  6  Monaten  am  Kopffraß  (Totenprotokolle  der 
Stadt  Wien  im  Stadtarchiv.  Bd.  98,  Buchstabe  C,  G,  K,  Fol.  17b). 

^)  Hieß  Josef  Franz  Vinzenz  und  wurde  am  19.  Oktober  1767, 
nachmittags  4  Uhr  geboren.    Sein  Vater  war  damals  Hofsekretär 


445 


in  Commissariaticis,  Taufpate  war  Anton  Faucherand,  k.  k. 
Kammerdiener,  als  Vertreter  Ihrer  Majestäten  des  Kaisers  Josef 
und  der  Kaiserin  Maria  Theresia  (Taufprotokoll  der  Pfarre 
Schotten  in  Wien,  Bd.  37,  Fol.  13  b). 

^^)  Franz  Xaver  Josef  Nikolaus  wurde  abends  9  Uhr  am  10. 
September  1772  geboren  und  in  der  Schottenkirche  getauft. 
Taufpate  war  Franz  Josef  Diwald,  Universitätskanzlist  (Tauf- 
protokolle der  Pfarre  Schotten  in  Wien,  Bd.  38,  Fol.  29  a). 

^2)  Dies  geschah  am  31.  März  1773.  Greiner  übersprang  alle 
seine  Vordermänner.  Sein  Gehalt  als  wirklicher  Hofrat  und  ge- 
heimer Referent  bei  der  böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei 
betrug  4000  Gulden  (Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  314). 

^)  Frau  Katharina  Greiner  gehörte  „im  tiefen  Graben"  das 
Haus  Nr.  318  (später  Nr.  241);  dem  Hofrat  Greiner  das  Haus 
Nr.  319  (später  Nr.  240.  —  vgl.  Verzeichniß  der  in  der  k.  k.  Haupt- 
und  Residenzstadt  Wien  befindlichen  Gassen,  Hausinnhaberu,  deren 
Schildern  und  numerirten  Häusern.  Wien  1774.  S.  13).  Nach 
dem  Tode  seiner  Mutter  hatte  Hofrat  Greiner  beide  Häuser  im 
Besitze  (Verzeichniß  usw.  Wien  1778.  S.  19).  Nach  seinem  Tode 
gehörte  das  Haus  Nr.  240  der  Karoline  Pichler,  während  Nr.  241 
verkauft  wurde  Qos.  Joh.  Grosbauer,  Vollständiges  Verzeichniß 
aller  in  der  k.  k.  Haupt-  und  Residenz-Stadt  Wien  befindlichen 
numerirten  Häuser.  Wien  1804.  S.  9).  Was  Karl  Aug.  Schimmer 
(Ausführliche  Häuser- Chronik  der  innern  Stadt  Wien.  Wien  1849 
S.  48,  Nr.  233  und  234)  bietet,  ist  dürftig  und  teilweise  unrichtig; 
nur  soviel  ist  daraus  zu  entnehmen,  daß  Nr.  240  (Schimmer  Nr.  233) 
1820  nicht  mehr  im  Besitze  der  Pichler  war. 

®*)  Dies  geschah  am  10.  September  1773  (vgl.  Arneth,  Maria 
Theresia,  IX,  S.  99 f.). 

^)  Josef  Anton  GaU  (1748 — 1807)  wurde  1771  zum  Priester  ge- 
weiht und  kam  1773  nach  Wien,  um  Felbigers  Normalschule  aus 
eigener  Anschauung  kennen  zu  lernen.  Er  wurde  an  dieser  Kate- 
chet; 1779  Pfarrer  in  Burgschleinitz,  aber  bereits  1780  Oberauf- 
seher der  deutschen  Schulen  Niederösterreichs  in  \^^en.  Sämtliche 
Schulreformen  aus  den  Jahren  1780 — 1789  gehen  auf  seine  An- 
regung zurück.  1787  wurde  er  Domherr  bei  St.  Stephan  und  1788 
Bischof  von  Linz  (vgl.  Wurzbach,  V,  S.  65  f.).  Über  seine  Wirksam- 
keit als  Bischof  und  über  seine  Verdienste  um  die  Errichtung  des 
Priesterseminars  in  Linz  vgl.  man  J.  Megerle  von  Mühlfeld,  Memora- 
bilien  des  österreichischen  Kaiserstaates  II,  (Wien  1827),  S.  202 
und  Rudolf  Hittmair,  Der  Josefinische  Klostersturm  im  Land  ob 
der  Enns.  Freiburg  i.  B.  1907.  S.  403  ff.,  493.  —  Über  einen  Besuch 
bei  ihm  in  Linz  und  Mondsee  1792  s.  oben  S.  163 ff.;  über  einen 
solchen  in  Gleink  1806  oben  S.  287^ 

•       446 


w)  Josef  Anton  Steffan  (1726 — 1797)  kam  frühzeitig  aus  Böh- 
men nach  Wien,  war  ein  Schüler  Wagenseils  und  wurde  Hof- 
klaviermeister, als  welcher  er  die  Erzherzoginnen  Maria  Antoinette, 
Maria  Karoline  und  Elisabeth  unterrichtete.  Hofrat  Greiner  war 
sein  Jugendfreund  und  Gönner,  der  ihn  anspornte,  deutsche  Lieder 
herauszugeben  und  ihm  die  Texte  dazu  aussuchte.  1778 — 1780 
erschienen  diese  als  „Sammlung  deutscher  Lieder  fürs  Klavier" 
in  3  Teilen.  Vgl.  Wurzbach,  XXXVII,  S.  286 ff.;  R.Eitner,' 
Biographisch-Bibliographisches  Quellen-Lexicon  der  Musiker  und 
Musikgelehrten,  IX  (Leipzig  1903),  S.  26if. 

*')  Vgl.  Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  3i7f.  Besonders  bei 
der  Aufhebung  der  Frone  in  Böhmen,  die  gar  nicht  in  sein  Referat 
fiel,  da  Greiner  das  für  Niederösterreich  in  der  Hofkanzlei  hatte, 
zog  sie  ihn  wiederholt  zu  Rate  und  entschied  nach  seinen  Gut- 
achten (Arneth,  XXX,  S.  322ff.).  Jeden  Mittwoch  erschien  er  bei 
der  Kaiserin  in  Privataudienz  (Arneth,  XXX,  S.  327).  Wiederholt 
gab  sie  ihm  ihre  Zufriedenheit  zu  verstehen  (Arneth,  XXX,  S.  316) 
und  erkundigte  sich  nach  seiner  Gesundheit  (Arneth,  XXX,  S.  3 1 5f .). 
Sogar  in  ihrem  Testamente  bedachte  sie  ihn  mit  1000  Dukaten 
und  einer  goldenen  Dose  (Arneth,  Maria  Theresia,  X,  S.  735). 

^)  Herausgegeben  in  Auswahl  (72  Stücke)  von  A.  Arneth, 
Sitzungsberichte,  XXX,  S.  333 ff.  Im  ganzen  sind  es  120  Schreiben 
Greiners,  davon  109  Bemerkungen  Maria  Theresias  tragen;  dazu 
kommen  5  eigenhändige  Billetts  der  Monarchin.  Die  gesamte 
Korrespondenz,  aus  den  Jahren  1772 — 1780  stammend,  wurde  von 
Karoline  Pichler  der  Kaiserin  Karoline  Auguste  (t  1873)  testa- 
mentarisch überwiesen  (vgl.  Arneth,  XXX,  S.  311). 

**)  4000  Gulden,  vgl.  oben  Anm.  52. 

***)  Seit  3.  November  1616  mußten  in  Wien  den  höheren  Hof- 
beamten von  selten  der  Bürgerschaft  Freiquartiere  beigestellt 
werden.  Diese  hob  Kaiser  Josef  gegen  eine  jährliche  Abfindungs- 
summe von  Seiten  der  Hausbesitzer  am  16.  Februar  1781  auf  (vgl. 
Franz  Graf f er.  Kleine  Wiener  Memoiren,  III  [Wien  1845],  S.  i3f.; 
oben  S.  63  f.). 

^)  Salvatorgässel,  Nr.  429;  zu  jener  Zeit  im  Besitze  des  Frei- 
herrn Augustin  von  Aichen  (vgl.  Verzeichniß  usw.    Wien    1774.  \ 
S.  16).    Von  1775  (s.  Hof-  und  Staatsschematismus.    1776.    S.  97) 
bis  1777  (s.  oben  S.  46)  wohnten  Greiners  darinnen. 

*^)  Zeneide  wurde  am  27.  Mai  1759  auch  in  Laxenburg  gespielt 
(Wolf,  Hofleben,  S.  189).  —  L'isle  deserte,  comedie  en  un  acte  et 
en  vers,  par  M.  C , . .  .  (CoUet).  Paris  1758  (A.  Barbier,  Diction- 
naire  des  ouvrages  anonymes.    II'.   [Paris  1874],  Sp.  888). 

^)  Weiß  und  Rosenfarb.  Ein  Singspiel  in  einem  Aufzuge  von 
J.  F.  Ratschlgr  (Wienerischer  Musenalmanach  auf  das  Jahr  1777. 

447 


Wien  [1776].  S.  39 ff.).  Das  französische  Widmungsgedicht  „A  Mon- 
sieur Noverre"  enthält  eine,  Pichlers Erinnerung  bestätigende  Stelle:. 
Ja  n'ai  point,  d' egaler  Ton  Ballet  admirable, 

Le  desir  trop  altier: 
Non,  mon  oeuvre  imparfait  ne  demande  autre  chose, 

Qu'une  feuille  de  Ton  laurier, 

Si  j'ai  de  Blanc  et  Rose 

Attrape  quelques  traits. 
Jean   George  Noverre   (1727 — 1810)   war   Hoftänzer  und  Tanz- 
meister (vgl.  Otto  Jahn,  W.  A.  Mozart,  II  [Leipzig  1856],  S.  225; 
Oskar  Teuber  in:  Die  Theater  WieüS,  II,  i  [Wien  1895],  S.  Ii4ff., 
mit  Bildnis). 

**)  Franz  Anton  Mesmer  (i  734 — 18 1 5)  studierte  in  Wien  Medizin, 
wo  er  1766  zum  Doktor  der  Medizin  promoviert  wurde  und  her- 
nach seine  Praxis  im  eigenen  Hause  ausübte.  1772  benützte  er 
den  Magnet  zu  Heilzwecken,  1773  bereits  heilte  er  durch  Auf- 
legen der  Hände  („tierischen  Magnetismus")  und  erzielte  in  Ungarn 
große  Erfolge.  1775  faßte  er  seine  Entdeckungen  in  27  Lehrsätzen 
zusammen.  Unterdessen .  behandelte  er  das  Fräulein  v.  Paradis, 
nicht  ohne  Erfolg;  die  üblen  Erfahrungen  aber,  die  ihm  schließlich 
vrurden,  zwangen  ihn,  1777  Wien  zu  verlassen.  Er  ging  nach  Mün- 
chen und  1778  durch  die  Schweiz  nach  Paris,  flüchtete  aber  im 
Trubel  der  Revolution.  Später  lebte  er  in  Frauenfeld  und  Kon- 
stanz seiner  ärztlichen  Tätigkeit.  Über  diesen  Mann,  sowie  über 
seine  Lehre  bietet  Justinus  Kerner  (Franz  Anton  Mesmer  aus 
Schwaben,  Entdecker  des  thierischen  Magnetismus.  Frankfurt  a.  M. 
1856)  interessante  Aufschlüsse,  ihm  folgt  Karl  Kiesewetter  (Franz 
Anton  Mesmers  Leben  und  Lehre.  Leipzig  1893.  S.  99ff.);  da- 
gegen Eugen  Sierke,  Schwärmer  und  Schwindler  zu  Ende  des 
18.  Jahrhunderts.  Leipzig  1874,  S.  7off.  —  Wenn  die  Pichler 
sagt,  Mesmer  sei  zur  Zeit,  als  er  die  Paradis  behandelte,  ein 
junger  Mann  gewesen,  so  stimmt  dies  nicht  ganz,  denn  damals 
war  er  bereits  40  Jahre  alt. 

^^)  Maria  Theresia  von  Paradis  (1759 — 1824)  war  im  dritten 
Lebensjahre  plötzlich  erblindet.  In  der  Folge  entwickelte  sich  in 
ihr  ein  reiches  Innenleben,  besonders  kam  der  musikalische  Sinn 
zur  Geltung.  Sie  wurde  im  Gesang  und  Klavierspiel  unterrichtet 
und  sang  bereits  mit  11  Jahren  Pergoleses  Stabat  mater  in  der 
Augustinerkirche.  1777  fällt  ihre  Bekanntschaft  mit  Mesmer,  die 
mit  einem  schrillen  Mißton  endete  (s.  Anm.  71).  1784  unternahm 
sie,  von  ihrer  Mutter  begleitet,  ihre  erste  Kunstreise  (Deutschland, 
Schweiz),  erregte  überall  Bewunderung  und  erzielte  Erfolge.  1785 
vollführte  sie  ihre  zweite  Kunstreise  (Paris,  London  und  Brüssel), 
überall  wahre  Triumphe  feiernd.   1787  kehrte  sie  nach  Wien  zurück 

448 


und  lebte  fortan  hier  dem  Musikunterricht  und  der  Komposition. 
Ihre  Werke,  seinerzeit  bewundert,  sind  heute  verschollen.  Vgl. 
Wurzbach,  XXI,  S.  286ff.;  Eitner,  VII,  S.  3i6f.  und  L.  A. 
Frankl,  Maria  Theresia  von  Paradis.  Linz  1876.  S.  8  ff.  mit 
Bildnis.  —  M.  Parädis  hatte  ein  Stammbuch,  dessen  Einträge,  aus 
der  Zeit  von  1774 — 1803  stammend,  von  bedeutenden  Zeitgenossen 
herrühren  (vgl.  Hermannstädter  Zeitung  1863,  Nr.  119  und  Frankl,* 
S.  2iff.);  darunter  auch  eine  Einzeichnung  der  Karoline  Pichler 
(Frankl,  S.  34= Pichler,  Sänmitliche  Werke.  2  XVI.  S.  48^5  unten 
Anm.  345)5  die  später  mit  der  Paradis  eng  befreundet  war,  mit 
ihr  musizierte  und  bei  ihrem  Hochzeitsfest  durch  die  Paradis 
angenehm  überrascht  wurde  (vgl.  oben  S.  190  ff.,  296). 

«6)  S.  oben  S.  i9off. 

*')  Johann  Jakob  von  WeU  (1725 — 1787),  ursprünglich  Apotheker, 
dann  Arzt  und  Naturhistoriker,  war  seit  1760  Professor  der  Natur- 
wissenschaften an  der  Universität  Wien  (Wurzbach,   LIV,  S.  225). 

**)  Nikolaus  Josef  Freiherr  von  Jacquin  (1727 — 18 17),  einer  der 
größten  Botaniker,  kam  1752  zur  Vollendung  seiner  Studien  nach 
Wien  und  wurde  hier  1768  Universitätsprofessor  (vgl.  Wurzbach, 
X,  S.  26  ff.,).  Er  wohnte  am  Rennweg  im  botanischen  Garten, 
dort  fanden  berühmte  Mittwoch- Abende  statt  (oben  S.  158). 

^^)  Es  waren  dies  die  neunzehnjährige  Zwelferine  und  die  acht- 
zehnjährige Ossine  (Frankl,  S.  I3f.;  Sierke,  S.  I26f.,  i32f.). 

™)  Nach  einem  eigenhändigen  Berichte  des  Vaters^der  Paradis, 
des  Regierungsrates  Josef  Anton  von  Paradis,  erhielt  sie  durch  Mes- 
mers  Behandlung  wenigstens  auf  einige  Zeit  das  Augenlicht  wieder, 
wie  verschiedene  Proben  bewiesen  (Kerner,  S.  62  ff.,  Kiese- 
wetter, S.  107 ff,);  Sierke  (S.  138 ff.)  hält  diesen  Bericht  für  eine 
Fälschung  Mesmers. 

'^)  Obwohl  Prof.  v.  Störck  und  der  Augenarzt  Prof.  Barth  sich 
von  ihrem  Sehvermögen  überzeugt  hatten,  erklärte  letzterer  doch, 
sie  sehe  nicht.  Prof.  Ingenhousz  und  P.  Hell  traten  gegen  Mesmer 
energisch  auf,  der  Vater  der  Paradis  wurde  "aufgehetzt,  seine 
Tochter  von  Mesmer  zurückzuverlangen.  Vater  und .  Mutter 
führten  in  Mesmers  Haus  eine  schreckliche  Szene  auf,  die  Tochter 
erblindete  neuerdings  aus  Aufregung,  Mesmer  behandelte  sie 
wieder,  da  erschien  am  2.  Mai  1777  vom  Prof.  v.  Störck  die  Ver- 
fügung, dem  „Betrüge  ein  Ende  zu  machen".  Mesmer  verließ 
Wien,  Fräulein  von  Paradis  blieb  blind.  —  Vgl.  darüber  Kerner, 
S.  69 ff.;  Frankl,  S.  I4f.;  Julius  Wiesner,  Jan  Ingen-Housz.  Wien 
1905.  S.  44;  Sierke,  S.  I28f.,  138  (Mesmer  soll  die  Paradis  ver- 
führt haben). 

'^)  Mesmer  kam  1778  nach  Paris  und  blieb  dort  bis  1789.  Er 
erregte   Aufsehen^  gewann   viele   Freunde   und   Anhänger,   über 


29    C.  P.  I 


449 


20  „Harmonische  Gesellschaften"  wurden  begründet,  ein  heftiger 
Kampf  entbrannte  zwischen  seinen  Anhängern  und  Gegnern.  Vgl. 
die  eingehenden  Schilderungen  bei  Kerner,  S.  72 ff.  und  Kiese- 
wetter, S.  ii4ff.,  I24ff.;  Sierke,  ^S.  I47ff. 

")  Lorenz  Leopold  Haschka  (1749 — 1827),  zuerst  Novize  bei 
den  Jesuiten,  dann  Erzieher  und  Lehrer,  später  Professor  der 
Ästhetik  am  Theresianum  und  Kustos  der  Wiener  Universitäts- 
bibliothek (1797).  Seine  Dichtungen  (Oden)  erschienen  einzeln 
und  wurden  nie  gesammelt.  Ursprünglich  glühender  Josephlner, 
entwickelte  er  sich  später  aus  materiellen  Gründen  zu  einem  Reak- 
tionär. Man  vgl.  Wurzbach,  VIII,  S.  2off.,  Goedeke,  V,  S.  4o6f., 
VI,  S.  532 f.  und  die  eingehende  Untersuchung  von  Gustav  Gugitz 
Qahrbuch  der  Grillparzer- Gesellschaft,  XVII  [Wien  1907],  S.  32  ff.), 
gegen  deren  Schlußergebnisse  sich  Eugen  Guglia  (Das  Theresianum 
in  Wien.  Wien  19 12.  S.  209  f.  Anm.  6)  wendet.  Haschka  war 
Gelegenheitsdichter,  dessen  Muse  meist  historische  Ereignisse 
besang.  Häufig  genug  fehlt  ihm,  den  Barden,  der  Schwung,  auch 
ist  er  vom  Schwulst  nicht  freizusprechen;  vgl.  die  Charakteristik, 
welche  Otto  Rommel  (Der  Wiener  Musenalmanach.  Wien  1906. 
S.  185  ff.)  von  seinen  dichterischen  Leistungen  gibt.  Als  Verfasser 
der  österreichischen  Volkshymne  In  Ihrer  ursprünglichen  Gestalt 
Ist  er  heute  noch  bekannt.  —  Im  Jahre  1776  kam  er  in  das  Haus 
der  Greiner,  wo  er  bald  eine  große  Rolle  spielte  (man  vgl.  die  Affäre 
mit  der  Klopstockischen  Ode  „An  den  Kaiser!"  bei  Gugitz,  XVII, 
S.  63  ff.)  und  sogar  Hausgenosse  wurde  (oben  S.  46,  56,  72).  Frei- 
lich dürfte  hier  ein  Liebesverhältnis,  das  sich  zvnschen  ihm  und 
der  Frau  vom  Hause  entspann  (vgl.  Gugitz,  a.  a.  O.  XVII,  S.  53 ff., 
74),  hereingespielt  haben.  Verdrießlichkeiten,  die  daraus  ent- 
sprangen, führten  dazu,  daß  Haschka  das  Haus  wieder  verließ 
(s.  oben  S.  75),  doch  blieb  er  zeitlebens  der  FamiUe  und  der  Frau 
(vgl.  seinen  Brief  vom  2.  August  1792:  Gugitz,  XVII,  S.  54f.) 
zugetan.  Am  ersten  Jahrestag  der  Bekanntschaft  mit  Frau  Greiner 
(3.  November  1777)  sang  er  ihr  eine  schwungvolle  Ode  (ich  drucke 
sie,  als  äußerst  selten,  unten  ab),  In  der  er  auch  die  kleine  Lotte 
apostrophiert.  Diese  verdankte  ihm  viel.  Latein  lehrte  er  sie 
(oben  S.  75),  machte  sie  mit  der  deutschen  Literatur  bekannt 
(oben  S.  44,  60,  72  f.)  und  führte  sie  in  die  Grammatik  und  Ästhetik 
ein  (S.  51,  78)5  später  las  sie  gemeinsam  mit  ihm  und  Alxinger 
lateinische  Klassiker  (S.  134).  Als  sie  heiratete,  widmeten  ihr 
Alxinger  und  Haschka  zwei  Gedichte  zum  Hochzeltstage  (Goe- 
deke, VI,  532,  11),  die  leider  verschollen  sind.  Früher  schon 
(August  1795)  hatte  Haschka  Ihr  eine  Ode  „Das  Landleben" 
(Magazin  der  Kunst  und  Literatur,  III,  3  [Wien  1795],  S.  260 flE.) 
zugeeignet,  worin  er  sie  mit 

450 


„Du!  die  Pans  begrünte  Reviere  liebet 
Und  auf  Maros  Flöte  so  reizend  schildert" 

anredet  (S.  262).  Ihrem  Hause  blieb  er  zu  Lebzeiten  der  Mutter 
als  auch  später  ein  treuer  Freund  (oben  S.  260),  er  begutachtete 
ihre  Gleichnisse  (s.  oben  S.  227),  wies  sie  auf  die  Bibel  als  Stoffqiielle 
für  Idyllen  (oben  S.  262  f.),  dichtete  einen  Prolog  zum  Namens- 
tag der  drei  Karolinen  (S.  298),  lobte  Pichlers  Romane  Reinhold 
gegenüber  (I.  Anm.  509,  II.  Anm.  189)  und  führte  manchen  Gast 
ins  Greinersche  Haus  ein  (oben  S.  48  f.,  82  f.,  239;  Gugitz,  XVII, 
S.  121).  Von  seiner  Anhänglichkeit  zeugen  zwei  Briefe,  die  Karo- 
line Pichler  (Frankls  Sonntagsblätter,  II  [Wien  1843],  S.  öi/ff.) 
mitteilte.  1843  widmete  sie  ihm  (ebd.  II,  S.  266)  eine  kleine  Skizze, 
worin  sie  ihn  von  dem  Vorwurf,  daß  er  das,  von  Alxinger  geschenkt 
erhaltene  Geld  im  Sklavenhandel  verlor,  reinigte.  Über  eine  ko- 
mische Szene  mit  ihm  vgl  II,  S.  89  f. 

'*)  Vgl.  oben  Anm.  5. 

'^)  Diese,  oben  S.  53,  56  nochmals  wiederkehrend,  übte  auf  Ka- 
rohne  poetischen  Einfluß  aus,  war  sie  doch  selbst  Dichterin.  Sie 
hieß  Elisabeth  Schweitzer  und  wurde  im  Testament  ihres  Vetters 
Franz  Sales  von  Greiner  vom  11.  Oktober  1767  in  §  6  mit  100  Duka- 
ten bedacht,  war  aber  bei  seinem  Ableben  (1798)  bereits  tot  (vgl. 
seinen  Verlassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes, 
Fasz.  V,  Nr.  67  "&  1798).  —  Vgl.  noch  II.  S.  37  f. 

'^)  Dieser  Absatz  fehlt  im  Druck;  in  der  Handschrift  ist  er 
durchstrichen. 

")  Die  Wohnung  befand  sich  im  Hause  Nr.  11 63  (später  Nr. 
1201;  Verzeichniß  usw.  Wien  1778.  S.  70).  Greiners  wohnten 
hier  von  1777 — 1781  (s.  oben  S.  64  und  Hof-  und  Staatsschema- 
tismus. 1778.  S.  9). 

'^)  Dieses  Lied,  dessen  Verfasser  man  bisher  vergeblich  suchte, 
taucht  zuerst  1841  im  Druck  auf  und  lebt  heute  noch  im  Volke 
(Hoffmann-Prahl,  Unsere  volkstümUchen  Lieder.  *  [Leipzig  1900], 
S.  14,  Nr.  52 ;  John  Meier,  Kunstlieder  im  Volksmunde,  Halle  a.  S. 
1906.  S.  58,  Nr.  351).  Ein  vollständiger  Text  bei  Wilibald  Walter, 
Sammlung  deutscher  Volkslieder.    Leipzig   1841.    S.  60,  Nr.  40. 

'^)  Mary  Wollstonecraft,  Defense  des  droits  des  femmes.  Ouv- 
rage  traduit  de  l'anglais.  Paris  et  Lyon  1792,  Die  englische  Aus- 
gabe (A  vindication  of  the  rights  of  woman)  erschien  1792  in  London 
in  einem  Bande. 

**)  Johann  Baptist  von  Alxinger  (1755 — 1797)  war  ein  reicher 
Mann,  der  die  Rechte  studiert  hatte  und  k.  k.  Hofagent  wurde; 
später  (1794)  übernahm  er  die  Stelle  eines  Sekretärs  des  k.  k.  Hof- 
theaters. Er  ist  in  seinen  Epen  ein  Nachahmer  Wielands,  in  seinen 


39* 


451 


Gedichten  stark  von  der  Antike  beeinflußt.  Vgl,  Goedeke,  IV,  i, 
S.  232  und  Wurzbach,  I,  S.  23!.  betreffs  seiner  Lebensumstände. 
Seine  dichterische  Eigenart  zeichnete  Otto  Rommel,  Der  Wiener 
Musenahnanach.  Wien  1906.  S.  i62ff.  —  Abcinger  half  Karoline 
in  manchen  Gegenständen  nach  (S.  83),  er  warnte  sie  vor  den 
Männern  (Anm.  176),  las  mit  ihr  lateinische  Klassiker  (S,  134) 
und  spielte  am  Haustheater  mit  (oben  S.  112  mit  Anm.  224). 
Er  kündete  Wieland  unterm  11.  Februar  1789  an  (G.Wilhelm, 
Briefe  des  Dichters  Joh.  Bapt.  v.  Abcinger,  S.  58),  daß  er  näch- 
stens etwas  von  dem  Fräulein  von  Greiner  schicken  werde, 
„womit  sie  recht  zufrieden  seyn  werden".  Sie  widmete  ihm  1843 
eine  kurze  Notiz  (Frankls  Sonntagsblätter,  II  [Wien  1843],  S.  266). 

^^)  Gottlieb  von  Leon  (1757 — 1832),  ein  Wiener,  war  von  1780  ab 
Hauslehrer  bei  Greiners  (s.  S.  49,  75),  kam  1782  als  Skriptor  an  die 
Wiener  Hofbibliothek,  wo  er  es  18 16  zum  Kustos  brachte.  Er  las 
mit  Karoline  deutsche  Literatur  (s.  oben  S.  49  f.),  war  mit  ihrem 
Vater  zusammen  in  der  Loge  zur  „wahren  Eintracht"  (Anm.  195), 
beteiligte  sich  lebhaft  am  Wiener  Musenalmanach  und  gab  1788 
eine  Sammlung  „Gedichte"  heraus.  Über  seine  Lebensumstände 
und  Werke  vgl.  man  Wurzbach,  XV,  S.  i  und  Goedeke,  VI, 
S.  533 ff.;  seine  dichterische  Entwicklung  beleuchtet  Otto  Rom- 
mel, a.  a.  O.  S.  21  f.  und  191  ff.  —  Eine  Erinnerung  an  die  Zeit, 
wo  er  mit  Karoline  v.  Greiner  schwärmte  und  träumte,  bewahrt 
sein  Gedicht  „An  Fräulein  Carolina  von  Greiner"  (Gedichte. 
Wien  1788.  S.  206 ff.),  das  in  dem  Wunsch  ausklingt,  daß  beide, 
obwohl  sie  jetzt  auf  der  Weltbühne  stehen,  Weisheit  und  Phan- 
tasie weiterhin  begleiten  mögen. 

^2)  Josef  Franz  von  Ratschky  (1757 — 1810)  brachte  es  vom  Hof- 
konzipisten  bis  zum  Hof-  (1806)  und  Staatsrat  (1807).  Er  war  im 
Amte  des  Hofrates  Greiner  (k.  k.  Direktorium).  Er  hat  hervorragen- 
den Anteil  am  Wiener  Musenalmanach.  Als  Dichter  ist  er  frisch, 
ein  echtes  Wiener  Kind,  das  im  Banne  der  Aufklärung  großge- 
wachsen ist.  Vgl.  Wurzbach,  XXV,  S.  22  ff.  und  Goedeke,  IV,  i, 
S.  III,  VI,  S.  536f.  Den  Dichter  kennzeichnet  Rommel,  a.  a.  O. 
S.  203  ff.  —  Ein  Singspiel  von  ihm  wurde  am  Greinerschen  Haus- 
theater aufgeführt  (vgl.  oben  Anm.  63).  —  Hofrat  Greiner  sub- 
skribierte seine  „Gedichte"  (1785.    S.  215). 

^)  Johann  Nepomuk  Denis  (1729 — 1800),  Exjesuit,  Lehrer  am 
Theresianum  (1759),  Kustos  (1785)  und  wirklicher  Hofrat  (179O 
an  der  Hofbibliothek  in  Wien,  als  Gelehrter  und  Mensch  aus- 
gezeichnet, als  Dichter  der  Bardenrichtung  angehörig.  Er  erwarb 
sich  große  Verdienste  um  Ossians  Einbürgerung  in  Deutschland. 
Vgl,  Wurzbach,  III,  S.  238 ff.;  Goedeke,  IV,  i,  S,  109  und 
P.  von  Hofmann- Wellenhof,  Michael  Denis,  Innsbruck  188 1,  — 


Er  war  der  Karoline  Pichler  bei  der  Herausgabe  der  „Gleich- 
nisse" behilflich  (oben  S.  227).  —  Was  Hofmann  (a.  a.  O.  S.  359) 
über  die  Beziehungen  des  Denis  zu  den  Greiners  sagt,  entnimmt 
er  K.  Pichler. 

8*)  Karl  Mastalier  (173 1 — 1795)  trat  1749  in  den  Jesuitenorden 
ein.  Nach  dessen  Aufhebung  erhielt  er  ein  Titularkanonikat  in 
Laibach,  lebte  aber  in  Wien  seiner  Muse.  Er  verfaßte  Oden 
und  bildete  Horaz  nach  (Wurzbach,  XVII,  S.  90 ff.;  Goedeke, 
IV,  I,  S.  iio). 

85)  Johann  Alois  Blumauer  (1755 — 1798),  ein  Oberösterreicher, 
Exjesuit,  Mitglied  der  Freimaurer,  Bücherzensor  (1781)  und  schüeß- 
lich  Buchhändler  (1793).  Ursprünglich  strenger  Josephiner  mit 
satirischer  Begabung  (Virgils  Äneis  travestiert.  Frankfurt  1783), 
verstummt  in  der  Zeit  der  Reaktion  seine  Muse.  Er  starb  in  ärm- 
lichen Verhältnissen,  sein  Name  aber  blieb,  trotz  des  Zynismus, 
der  seine  späteren  Gedichte  auszeichnet,  der  Nachwelt  erhalten. 
Vgl.  Goedeke,  IV,  S.  236ff.,  Nr.  28,  Wurzbach,  I,  436ff.  Eine 
eingehende  Darstellung  seines  Lebensganges  und  seiner  dichteri- 
schen Entwicklung  bietet  F.  Hofmann  v.  Wellenhof  (Alois  Blu- 
mauer. Wien  1885),  wozu  Gustav  Gugitz  Qahrbuch  der  Grillparzer- 
Gesellschaft.  XVIII,  [Wien  1908],  S.  27ff.)  wertvolle  Ergänzungen 
gab.  Betreffs  des  Verkehrs  bei  Greiners  kommt  dieser  über  die 
Angaben  der  Pichler  nicht  hinaus  Qb.  XVIII,  S.  96).  Von  Blu- 
mauer ist  noch  ein  Billett  erhalten,  worin  er  Leon  bittet,  ihn 
bei  Greiner  wegen  Nichtkommen  zu  entschuldigen.  (Hofmann, 
S.  128).  Sowohl  der  Hofrat  Greiner  als  seine  Frau  subskribierten 
Blumauers  „Äneis"  (I  [Wien  1784],  S.  IX;  II  [Wien  1785],  S.  XII), 
welche  auch  Karoline  las  (oben  S.  I34f.). 

*^  Johann  Josef  Eckhel  (1737 — 1798),  ein  berühmter  Numis- 
matiker, seit  1 751  im  Orden  der  Jesuiten.  Nach  dessen  Aufhebung 
Weltpriester  und  Direktor  der  antiken  Münzen  und  Universitäts- 
^  Professor.  1792  bis  1798  erschien  sein  numismatisches  Lebens- 
werk, das  die  Systematik  der  antiken  Münzen  auf  eine  neue  Grund- 
lage stellte  (Wurzbach,  III,  S.  423  ff.). 

*^)  Sonnenfels  war  als  Hofrat  beim  Direktorium  ein  Amts- 
kqllege  Greiners.    Vgl.  über  ihn  unten  Anm.  126. 

®8)  Josef  Freiherr  v.  Sperges  (1725 — 1791)5  war  ein  ausgezeich- 
neter Staatsmann.  Selbst  dichterisch  tätig,  unterstützte  er  be- 
sonders Künstler  und  galt  als  trefflicher  Kunstmäcen.  Auch  auf 
dem  Gebiete  der  Geschichtsschreibung  versuchte  er  sich  (Wurz- 
bach XXXVI,  S.  138  ff.). 

^*)  Abbate  Jos.  Maffei  war  Direktor  der  chemischen  Schule  an 
der  k.  k.  Stückgießerei  in  Wien.  Er  soll  ein  mathematisches 
Genie  gewesen  sein  und  gemeinsam  mit  dem  Feldmarschall  Josef 

453 


Gtafen  von  CoUoredo  zum  Aufschwung  der  österreichischen 
Artillerie  beigetragen  haben  (Hormayrs  Taschenbuch.  XXXIV., 
S.  ii6;  Karoline  Pichler,  Sämmtliche  Werke.  2  XVIII.,  S.  193), 
doch  weiß  Anton  Dolleczek  (Geschichte  der  österreichischen 
Artillerie.  Wien  1887,  S.  289  ff.)  davon  nichts  zu  berichten.  Ein 
Zeitgenosse  sagt  (Sendschreiben  des  Abbate  Andres  über  das 
Litteraturwesen  in  Wien.  Mit  vielen  wichtigen  Zusätzen  des 
Herrn  Doctor  Aloys  Brera.  Wien  1795,  S.  92),  daß  Maffei  einen 
sehr  beredten,  klaren  und  angenehmen  Vortrag  hatte  und  in  die 
schwersteh  Experimente  und  feinsten  Theorien  einzudringen 
vermochte.  Maffei  war  1782  Privatsekretär  des  Grafen  Josef 
Colloredo  und  Mitglied  der  Loge  zur  gekrönten  Hoffnung  in 
Wien  (L.  Abafi,  Geschichte  der  Freimaurerei  in  Österreich- 
Ungarn.  IV.  [Budapest   1893],   S.  202).  —  Vgl.  unten  Nachtrag. 

^)  Von  Friedrich  Heinrich  Jacobi.  Der  erste  Teil  erschien  zuerst 
1777  in  Wielands  Teutschem  Merkur  und  dann  gesondert  (Erster 
Band.  Flensburg  und  Leipzig  1779).  Ein  zweiter  Teil  findet  sich 
1779  im  Deutschen  Museum;  eine  vollständige  Ausgabe  in  2  Bänden 
kam  erst  1794  in  Königsberg  heraus  (vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i^, 
S.  273 :  4).  —  Die  sonstige  Aufnahme  des  „Woldemar"  war  in  Wien 
kühl  (vgl.  H.  M.  Richter,  Aus  der  Messias-  und  Werther-Zeit, 
Wien  1882.  S.  146);  sollte  Frau  v.  G.,  die  sich  gegen  eine  abspre- 
chende Kritik  „im  Namen  einer  ganzen  Gemeinde  schöner  Seelen 
Wendet"  (Richter,  S.  147),  nicht  vielleicht  Frau  v.  Greiner  sein.? 

^3)  Nicolais. Allgemeine  deutsche  Bibliothek,  LI  (Berlin  1782), 
S.  586 f.  brachte  in  einer  Anmerkung  über  Greiners  Töchterchen, 
die  sich  in  As^embleen  mit  ihren  rhythmischen  und  metrischen 
Kenntnissen  produziert  und  von  Seite  der  Subalternen  große 
Schmeicheleien  hört,  worauf  ^sie  im  Dialekt  antwortet,  man 
frozzle  sie  nur,  einen  Angriff,  der  in  Wien  viel  Staub  aufwirbelte, 
so  daß  sich  Nicolai  deswegen  bald  (LH  [1783],  S.  6ioff.)  entschul- 
digte. Vgl.  über  die  ganze  Angelegenheit  R.  M.  Werner,  Aus  dem 
Josephinischen  Wien.  Berlin  i888.  S.  108  und  I52ff.  Anm.  I43f. 

*^)  Kern  der  Deutschen  Sprachkunst,  aus  der  ausführlichen 
Sprachkunst  des  Herrn  Professor  Gottscheds,  zum  Gebrauch  der 
Jugend,  von  ihm  selbst  ins  Kurze  gezogen.  (4.  Ausgabe.)  Wien, 
bey  Georg  Ludwig  Schulz,  1765. 

8^3)  J.  Chr.  Adelungj.  Deutsche  Sprachlehre  zum  Gebrauch 
der  Schulen.  Berlin  178 1.  Im  selben  Jahre  erschien  auch  in 
Berlin  ein:   Auszug  aus  der  deutschen  Sprachlehre  für  Schulen. 

»2)  „Mein  Vater  . . .  hören  ließ":  fehlt  im  Druck;  in  der  Hand- 
schrift durchstrichen. 

*ä)  1778  beschuldigte  man  ihn,  mit  dem  Juden  Königsberger, 
der  als  preußischer  Spion  galt,  Beziehungen  zu  haben  und  1780 

454 


warf  man  ihm  vor,  daß  er  sich  von  den  Bräuern  und  Wirten 
bestechen  ksse.  Beide  Vorwürfe  führten  zu  Untersuchungen,  die 
aber  Greiners  völlige  Unschuld  ergaben.  Vgl. -darüber  die  ein- 
gehenden Angaben  bei  'Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  327  ff. 

»*)  Vgl.  Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  3i4f.  In  ihrer 
Korrespondenz  mit  Greiner  spricht  die  Kaiserin  oft  von  seinen 
„charmanten  Kindern", 

96)  Erzherzog  Maximilian  Franz  (1756— 1801)  war  später  Hoch- 
und  Deutschmeister,  Kurfürst  und  Erzbischof  von  Köln. 

98)  Erzherzog  Ferdinand  Karl  von  Este  (1754 — 1806),  später 
Generalkapitän  der  Lombardei. 

")  Erzherzogin  Marianne  (1738 — 1789),  von  Natur  aus  ver- 
wachsen, war  seit  1766  Äbtissin  des  adeligen  Damenstiftes  in  Prag, 
residierte  aber  in  Wien;  .später  (178 1)  Äbtissin  der  Elisabethinerin- 
nen  in  Klagenfurt. 

9*)  Erzherzogin  Maria  Christine  (1742 — 1798),  die  nachmalige 
Gattin  des  Herzogs  Albert  von,  Sachsen-Teschen. 

99)  Erzherzogin  Elisabeth  (1743 — 1808),  die  schönste  aller 
Töchter  Maria  Theresias,  sollte  den  König  Stanislaus  Poniatowski 
von  Polen,  dann  Ludwig  XV.  heiraten.  Die  Projekte  zerschlugen 
sich  jedoch  und  sie  starb  als  Äbtissin  des  Klosters  Hall  in  Tirol. 

^^)  Maria  Theresia  war  infolge  Ansteckung  von  Seite  ihrer 
Schwiegertochter,  der  Kaiserin  Josefa,  Ende  Mai  und  Anfang  Juni 
1767  heftig  an  den  Blattern  erkrankt  (Arneth,  Maria  Theresia, 
VII,  S.  325ff.;  Wolf,  Hofleben,  S.  292 ff.). 

^9^)  Die  Pichler  meint  jedenfalls  den  am  Ende  des  ersten  Kapitels 
der  Wahlverwandtschaften  vorkommenden  Ausspruch  (Kürschners 
Deutsche  National-Litteratur.  XCIV,  S.  i8of.,  Zeile  37,  i — ^4),  der 
zwar   nicht   gleich  lautet,   aber   so  ziemlich  das  Gleiche  besagt. 

^92)  In  der  Handschrift  steht  der  Name  ausgeschrieben.  Die 
Freundin  hieß  Rosine  von  Häring,  geb.  Edle  von  Lackner.  Sie 
war  die  Frau  des  niederösterreichischen  Regierungsrates  Franz 
Anton  von  Häring  (vgl.  Anm.  112)  und  starb  am  21.  Juli 
1806  zu  Weinhaus  (jetzt  Wien  XVIII.  —  Verlassenschaftsakten  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  189,  ex  1806). 
Sie  ist  wohl  mit  der  Rosemunde  von  Häring  identisch,  die  1788 
Leons  „Gedichte"  (Wien  1788,  S.  IX)  subskribierte.  Sie  besaß 
das  Haus  Nr.  298  am  Kohhnarkt  (Verlassenschaftsakten).  Ihr 
am  15.  September  1787  abgefaßtes  Testament  spricht  nur  von 
3  Kindern :  Franziska,  Franz  und  Johann  Baptist  (Verlassenschafts- 
akten), denn  Katharina  (Anm.  161)  war  ihre  Stieftochter. 

•^"*)  Rosine  Johanna  Maria  Anna  von  Greiner  war  am  31.  De- 
zember 1777  geboren  worden;  ihr  Taufpate  war  Dr.  ju?>^ Johann 
Baptist  Edler  von  Zoller,  hochfürstlich  erzbischöflicher  Kanzler 

455 


und  Konsistorialrat  (Taufmatrik  der  Pfarre  St.  Stephan,  Wien  I., 
t.  XCIV,  Fol.  io6a). 

^'^)  Seit  1762  ließ  Kaiserin  Maria  Theresia  adelige  und  später 
auch  nichtadelige  Kinder  durch  Josef  Miller,  Wundarzt  in  Atzgers- 
dorf und  Freiherrn  von  Störck,  ihrem  Leibarzt,  im  Schlosse 
Hetzendorf  impfen  (Topographie  von  Niederösterreich,  IV  [Wien 
1896],  S.  241a). 

105^  Franz  Xaver  war  bereits  6  Jahre  alt. 

^*'*)  Rosine  Greiner  starb  am  17.  Dezember  1778  um  8  Uhr  früh 
im  Alter  von  11  Monaten  (Totenprotokolle  der  Stadt  Wien  im 
Stadtarchiv.    Bd.  io6,  I,  Buchstabe  C,  G,  K,  Fol.  105a). 

^''^)  Greiners  Mitteilung  und  Maria  Theresias  Antwort  auch  bei 
Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  315.  Greiner  schreibt  u.  a.: 
„Weil  mein  Weib  vor  Wehmut  dem  Kinde  nicht  beistehen  konnte, 
habe  ich  das  arme  Würmchen  müssen  sterben  sehen,  so  weh  mir 
auch  dabei  geschah.  O  Gott,  wie  war  es  so  finster  in  meiner 
Seele!" 

108)  Vgl.  die  Belege  bei  Arneth,  Sitzungsberichte,  XXX,  S.  3i6f. 

109)  Wienerischer  Musenalmanach  auf  das  Jahr  1782.  Wien 
(1781),  S.  i63ff. :  Auf  die  Genesung  meiner  Freundin.  Unter- 
zeichnet: CaroUne  v.  Greiner,  ein  zwölfjähriges  Fräulein.  —  Ein 
Gedicht  in  7  vierzeiligen  Strophen,  beginnend:  Dem  Veilchen  an 
dem  Bache  gleich,  Geliebte,  blühtest  du.  —  Die  Pichler  schrieb 
auch  später  manches  für  den  Wienerischen  Musenalmanach,  s. 
die  Zusammenstellung  bei  Otto  Rommel,  Der  Wiener  Musenalma- 
nach, Leipzig  1906.  S.  149 f.  und  unten  Anm.  377.  Ob  nicht 
auch  die  Chiffre  Lotte  von  **  (1786,  S.  121)  als  Charlotte  von 
Greiner  zu  deuten  ist,  imisomehr  als  das  Gedicht  eine  Übertragung 
von  „Tibulls  fünfter  Elegie  des  vierten  Buchs"  (Der  Tag,  der  dich 
mir  gab,  Cerinthus!  soll  mir  heilig)  ist,  mit  dem  sich  die  Greiner 
beschäftigte  (vgl.  oben  S.  134). 

11")  Über  die  letzten  Lebenstage  der  Kaiserin  vgl.  man  die 
offiziellen  Berichte  bei  Wolfsgruber  (a.  a.  O.  S.  244ff.)  und  Arneth 
(Maria  Theresia,  X,  S.  722 ff.),  deren  Darstellung  mit  der  Pichler- 
schen  übereinstimmt.  Die  Limonadengeschichte  findet  sich  dort 
nicht,  wohl  aber,"  daß  sie  dem  Leibarzt  von  Störck  befahl,  ihr  die 
letzte  Stunde  anzukünden  (Wolfsgruber,  S.  249). 

m)  Anton  Freiherr  von  Störck  (173 1 — 1803),  k.  k.  erster  Hof- 
leibarzt und  Oberdirektor  des  Allgemeinen  Krankenhauses  in 
Wien  (Wurzbach,  XXXIX,  S.  117 ff.). 

112)  Franz  Anton  von  Häring,  des  hl.  römischen  Reichs  und  der 
Erblande  Ritter,  Landmann  im  Herzogtum  Steiermark  und  k.  k. 
niederösterreichischer  Regierungsrat,  war  der  Sohn  des  nieder- 
österreichischen Regierungsrates  Viktor  Josef  von  Häring  (t  1764), 


der  1759  geadelt  worden  war  (vgl.  über  diesen  Beiträge  zur  Ge- 
schichte der  n.  ö.  Statthalterei.  Wien  1897.  S.  460).  Er  war  zu- 
erst mit  Anna  v.  Lackner,  dann  mit  Rosine  von  Lackner  (oben 
Anm.  102)  vermählt,  aus  welchen  Ehen  4  Kinder  stammten  (vgl. 
Aimi.  160).  Er  starb  nach  längerer  Krankheit'  am  22.  August  1792 
auf  seinem  Landhaus  in  Weinhaus  (jetzt  Wien  XVIII),  ein  Haus 
am  Kohlmarkt  (Nr.  168)  und  zwei  Häuser  in  Weinhaus  (Nr.  19 
und  21)  hinterlassend.  Vgl.  die  Verlassenschaftsakten  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes.    Fasz.  V.  Nr.  iio  ex  1792.         % 

113)  S.  oben  Anm.  60. 

ii^a)  Sie  wohnten  auf  dem  Neuen  Markt  in  der  Mehlgrube  1074, 
neu  1108  (Hof-  und  Staatsschematismus,  1784,  S.  13)  und  zwar 
seit  178 1. 

11*)  Eine  bibliographische  Zusammenstellung  dieser-  reichen 
Literatur  fehlt  noch  immer.  Manches  bieten  Sebastian  Brunner 
(Die  Mysterien  der  Aufklärung  in  Österreich  1770 — 1800.  Mainz 
1869)  und  Franz  Gräffer  Qosephinische  Curiosa.  -  $  Hefte.  Wien 
1848 — 1850).  Die  Äußerungen  Blumauers  und  Pezzls  über  diese 
Schriftenflut  bringt  Gräffer  (a.  a.  O.  V  [Wien  1850],  S.  48ff.); 
die  Ausführungen  beider  bilden  eine  interessante  Charakteristik 
all  dieser  Eintagserzeugnisse. 

116)  Über  die  Begräbnisse  in  Wien.  Wien  178 1.  (8°,  29  S.). 
Verfasser  der  Schrift  ist  Friedrich  Schilling  (Goedeke,  Grdr.  VI, 
557:40).  —  Über  ihren  Inhalt  vgl.  Herm.  Gnau,  Die  Zensur 
unter  Joseph  IL,  Straßburg  191 1,  S.  73ff.  Die  Schrift  rief  eine 
Menge  Entgegnungen  hervor,  vgl.  Brunner,  S.  I77ff. 

n^)  Diese  Frage  bewegte  die  Gemüter  heftig.  Eine  Menge 
Schriften  für  und  gegen  die  Predigtkritiken  erschienen.  Zwei 
Geistliche,  Josef  PochUn  und  Patricius  Fast,  traten  in  scharfer 
Weise  für  die  Freiheit  des  Predigers  ein.  Vgl.  zum  Ganzen  Brunner, 
S.  191  ff.;  Rommel,  a.  a.  O.  S.  35 f.;  J.  Pezzl,  Skizze  von  Wien,  IV 
(Wien  1787),  S.  583 ff.;  R.M.Werner,  Aus  dem  Josephinischen 
Wien.  Berlin  1888.  S.  126,  Kaiser  Josef  gestattete  die  Kritiken 
(Frz.  X.   Huber,    Geschichte   Josefs  IL    II   [Wien  1790],  S.  55). 

H'')  Herr  Schlendrian  oder  der  Richter  nach  den  neuen  Kriminal- 
gesezen.  Ein  komischer  Roman.  Zwo te  Aufl.  Berlin  1787.  —  3.  Aufl. 
(.  . .  neuen  Gesezen).  Berlin  1787  (vollständig  umgearbeitet).  — 
Verfasser  ist  Franz  Xaver  Hub  er  (Goedeke,  IV.  i,  S.  228:  98,  i) ; 
dazu:   Joh.   Wendrinsky,   Kaiser  Joseph  IL,  Wien  1880,  S.  261. 

n®)  Joannis  Physiophili  Specimen  Monachologiae  methodo 
Linnaeana  tabuÜs  tribus  aeneis  illustratum,  cum  adnexis  thesibus 
e  pansophia  P.  P.  P.  Fast ....  quas  praeside  A.  R.  P.  Capistrano 
a  mulo  Antonii  lectore  theologiae  ordinario  XXVI.  May  hora  IV. 
post  prandium   in   vestibulo   refectorii    conventus    defendent   P. 

457 


Tiburtius  a  vulnere  Theresiae  et  P.  Theodatus  a  stigmatibus 
Francisci  fratres  conventualium  minorem.  Augustae  Vindelicorum, 
sumtibus  P.  AloysiiMerz,  concionatoris  ecclesiae  cathedralis,  1783. 
4".  Ai — F4  und  2  Bildertafeln.  —  Die  Schrift,  anonym  erschienen, 
erregte  in  Österreich  und  Deutschland  großes  Aufsehen  Qoh. 
Pezzl,  Lebensbeschreibungen  des  Fürsten  Raimund  Montekukuli, 
des  Fürsten  Wenzel  Lichtenstein,  des  Hofraths  Ignatz  von  Born. 
Wien  1792.  S.  254ff.  und  Frz.  Gräffer,  Josephinische  Curiosa, 
IV  [Wien  1850],  S.  201  ff.;  Über  Wiens  Autoren,  Von  zwey 
Reisenden  X.  X.    Wien  1785.    S.  I4f.;  Abafi,  IV,  S.  3o6f.). 

^')  Ignaz  Edler  von  Born  (1742 — 1791),  Geolog  und  Mineralog, 
seit  1779  Wirklicher  Hof  rat  der  Hofkammer  im  Münz-  und  Berg- 
wesen, verbesserte  die  Amalgamationsmethode  und  war  ein  feiner 
Satiriker  (Wurzbach,  II,  S.  71  ff.).  Er  war  Großmeister  der 
Loge  zur  wahren  Eintracht  (Abafi,  IV,  S.  281  ff.),  der  auch 
Alxinger,  Blumauer,  Greiner  und  Leon  angehörten.  Eine  gute 
Charakteristik  von  Born  gibt  1769  Sonnenfels  (H.  RoUett,  Briefe 
von  Sonnenfels.  Wien  1874.  S.  20 f.).  Über  seine  Samstagsabende, 
an  denen  die  Greiners  teilnahmen,  vgl.  oben  S.  149  f. 

^*)  Der  Autor  ist  nicht  Mirabeau,  sondern  Paul  Heinrich  Diet- 
rich Freiherr  von  Holbach  (Le  Systeme  de  la  nature.  London  1770. 
2  Bde.).  Eine  deutsche  Übersetzung  von  Schreiter  erschien  in 
2  Bänden  zu  Frankfurt  a.  Main  1783. 

^^)  Const.  Frangois  Chasseboeuf  de  Volney,  Les  ruines  ou 
medidation  sur  les  revolutions  des  empires.    Paris  1791. 

^2^)  Horus  oder  AstrognostischesEndurtheil  über  die  Offenbarung 
Johannis  und  über  die  Weissagungen  auf  den  Messias  wie  auch  über 
Jesum  und  seine  Jünger.  Mit  einem  Anhange  von  Europens  neuern 
Aufklärung  und  von  der  Bestimmung  des  Menschen  durch  Gott. 
Ein  Lesebuch  zur  Erholung  für  die  Gelehrten  und  ein  Denkzeddel 
für  Freimaurer.  Ebenezer,  Im  Verlage  des  Vernunfthaußes  1783. 
—  Der  Verfasser  dieses  Buches  ist:  Christian  Ernst  Wünsch 
(Holzmann-Bohatta,  Deutsches  Anonymen-Lexikon,  II  [Weimar 
1903],  S.  302). 

123^  Briefe  über  die  Bibel,  im  Volkston.  Eine  Wochenschrift 
von  einem  Prediger  auf  dem  Lande.  3  Bände.  Halle  1782,  bei 
Johann  Friedrich  Dost.  —  76  Briefe,  verteilt  auf  vier  Quartale 
des  ersten  Jahrgangs  (Bd.  i  und  2)  und  2  Quartale  des  2.  Jahrgangs 
(Bd.  3),  handeln  über  die  Bibel;  eine  Hauptrolle  spielt  Haram. 
Der  geistige  Urheber  der  Schrift  ist  Karl  Friedrich  Bahrdt  (1741 
bis  1792)  mit  der  eisernen  Stime.  Eine  größere  Anzahl  Gegen- 
schriften folgten  (vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  328:  59). 

184^  Wenn  die  Sache  auch  nicht  so  schlimm  war,  wie  die  Pichler 
schildert,  so  ging  doch  viel  Wertvolles  bei  den  Klosteraufhebungen 

458     . 


verloren.  Die  Jüdin  Schendel  Dobruska  und  ihr  Sohn  Thomas 
von  Schönfeld,  als  Dichter  nicht  unbekannt,  hatten  seit  Februar 
1788  das  alleinige  Recht  auf  alle  Effekten  und  Pretiosen,  die  den 
Klöstern  und  Kirchen  abgenommen  wurden.  Über  die  Verschleu- 
derungen usw.  vgl.  man  die  ausführlichen  Angaben  bei  Rudolf 
Hittmair  (Der  Josefinische  Klostersturm  im  Land  ob  der  Enns. 
Freiburg  i.  B.  1907.  S.  gSff.,  352ff.,  354ff.)j  Adam  Wolf  (Die 
Aufhebung  der  Klöster  in  Innerösterreich,  1782 — :iJ<)o.  Wien  1871. 
S.  4if.}  158  ff.)  und  Aug.  Lindner,  Die  Aufhebung  der  Klöster 
in  Deutschtirol  1782 — 1787.  Zeitschrift  des  Ferdinandeums  für 
Tirol  und  Vorarlberg.  3.  Folge.  XXVIII.  (1884),  S.  I57ff.  und 
XXIX.  (1885),  S.  145 ff.  (an  verschiedenen  Stellen). 

125)  August  von  Kotzebue,  Die  jüngsten  Kinder  meiner  Laune, 
II  (Ausgewählte  prosaische  Schriften,  XXII.).  Wien  1843.  S.  205ff. 
Das  Alter.  —  Die  Erstausgabe  erschien  1794  in  Leipzig. 

126)  Josef  von  Sonnenfels  (1733 — 18 17),  zuerst  Soldat,  dann 
Jurist.  Erwarb  sich  große  Verdienste  um  die  österreichische  Lite- 
ratur und  wetterte  besonders  gegen  den  Hanswurst  auf  der  Bühne. 
Auch  als  Jurist  ist  er  ausgezeichnet,  und  wendete  sich  gegen  die 
Folter.  Er  verkehrte,  da  er  ein  Amtskollege  Greiners  war  (Hofrat 
beim  k.  k.  Direktorium),  viel  in  dessen  Haus  (s.  oben  S.  49),  fühlte 
sich  diesem  auch  zu  Dank  verpflichtet  (Sonnenfels,  Gesammelte 
Schriften,  I  [Wien  1783],  Vorrede  Blatt  b  8a).  Besonders  Frau 
von  Greiner  hatte  sich  für  ihn,  als  sie  noch  Kammerfrau  der  Kaiserin 
war,  wiederholt  warm  eingesetzt  (vgl.  Hormayr,  Taschenbuch, 
XXXIV,  S.  114).  Er  war  der  Gönner  und  Beistand  des  Andreas 
Pichler  (s.  oben  S.  189  und  Anm.  308),  der  ihm  ein  Gedicht  wid- 
mete, und  begutachtete  die  „Gleichnisse"  der  Karoline,  bevor  sie 
in  den  Druck  gingen  (s.  oben  S.  227).  Vgl.  über  ihn  Goedeke  IV, 
I,  S.  i83f.;  Wurzbach,  XXXV,  3i7ff.;  Franz  Kopetzky,  Josef  und 
Franz  von  Sonnenfels.  Wien  1882.  —  Eine  kurze  Charakteristik 
von  ihm  gibt  Karoline  Pichler  in  Frankls  Sonntagsblätter,  II 
(Wien  1843),  S.  265. 

12')  Johann  Friedrich  Jünger  (1759 — 1797))  ein  gebürtiger 
Leipziger,  kam  1787  nach  Wien  und  wurde  hier  1789  Hoftheater- 
dichter (Goedeke,  IV,  i,  S.  224:  83).  Von  seinen  vielen  Stücken 
spielte  man  eines  „Maske  für  Maske"  am  Greinerschen  Haus- 
theater (s.  Anm.  225). 

■^)  Eine  solche  Stelle  findet  sich  bei  Haller  nicht;  vielleicht 
hatte  die  Pichler  folgende  im  Auge:  Er  denket  wie  ein  Hirt  und 
schreibet,  wie  er  denket  (Die  Alpen.  1732.  v.  270  =  Kürschners 
Deutsche  National-Litteratur,  XLI,  S.  25). 

129)  Über  Kaiser  Josefs  Fürsorge  für  das  Wiener  Hoftheater, 
besonders  auf  dem  Gebiete  der  Oper  vgl.  man  Eduard  Wlassack, 

459 


Chronik  des  k.  k.  Hof- Burgtheaters.  Wien  1876.  S.  agff.;  Oskar 
Teuber  in:  Die  Theater  Wiens,  II,  2,  i  [Wien  1903],  S.  15 ff., 
besonders  S.  59  ff.  Die  Dichter  des  Wiener  Musenahnanaches 
rühmen  Kaiser  Josef  darob,  vgl.  Rommel,  S.  "](>. 

i**)  Friedrich  Ludwig  Schröder  (1744 — 1816),  einer  der  größten 
deutschen  Schauspieler,  spielte  am  13.  April  1780  als  Gast  am 
Burgtheater  den  „Lear"  mit  Riesenerfolg.  Er  gastierte  bis  11.  Mai 
1780.  Im  April  1781  wurde  er  mit  seiner  Frau  Friederike  engagiert; 
am  16.  April  1781  traten  beide  in  der  „Agnes  Bernauer"  von 
Törring  zum  erstenmal  als  Mitglieder  des  Hauses  vors  Publikum. 
Infolge  verschiedener  Intrigen  nahm  jedoch  Schröder  im  Jänner 
1785  seine  Entlassung  (Wlassack,  S.  55ff.;  L.  Eisenberg,  Großes 
biographisches  Lexikon  der  deutschen  Bühne  im  19.  Jahrhundert. 
Leipzig  1903.  S.  9i9ff.5  Teuber-Weilen,  a.a.O.  II,  2,2  [1906], 
S.  280  Register).  Während  seines  Wiener  Aufenthaltes  verkehrte 
Schröder   bei    Greiners    (s.  Anm.  170).  —  VgL  noch   Anm.  190. 

"^)  Johann  Franz  Hieronymus  Brockmann  (1745 — 1812),  ein 
Grazer,  debütierte  am  Hoftheater  am  30.  April  1778  als  „Essex" 
in  der  „Gunst  der  Fürsten",  Er  spielte  reifere  Heldenrollen  und 
war  schriftstellerisch  tätig  (Wurzbach,  II,  S.  152 ff.;  Wlassack, 
S.  48;  Goedeke  V,  S.  336:  120;  Eisenberg,  S.  I29f.;  Teuber-Weilen 
in:  Die  Theater  Wiens,  II,  2,  i  [1903],  S.  24ff.).  —  Über  sein 
Auftreten  in  Kotzebueschen  Dramen  vgl.  oben  S.  92. 

'^'^  Josef  Lange  (1751 — 1831),  seit  1770  für  junge,  feurige  Lieb- 
haber engagiert,  spielte  später  bis  zu  seiner  Pensionierung  (18 10) 
Heldenrollen  (Wurzbach,  XIV,  S.  97  ff.;  Wlassack,  S.  33  und  105; 
Eisenberg,  S.  571  f.;  Teuber-Weilen,  a.  a.  O.  II,  2,  2  [1906],  S.  275 
Register).  —  Über  seine  Mitwirkung  in  Kotzebueschen  Stücken 
vgl.  oben  S.  92. 

1^)  Katharina  Jacquet  (1760 — 1786)  war  seit  1774  im  Fache 
junger  tragischer  Heldinnen  beschäftigt,  starb  aber  frühzeitig 
(Wurzbach,  X,  S.  22 ;  Wlassack,  S.  3  5 ;  Eisenberg,  S.  1 5 ;  Teuber- 
Weilen,  II,  2,  2,  S.  274).  —  Über  ihr  Spiel  in  Kotzebueschen 
Dramen  oben  S.  92. 

^^)  Anna  Jacquet  (1753 — 1804)  kam  1768  ans  Burgtheater,  wo 
sie  naive,  launige  Mädchenrollen  spielte.  1780  heiratete  sie  den 
Sänger  Adamberger;  1804  ging  sie  in  Pension  (Wurzbach,  X. 
S.  22;  Wlassack,  S.35;  Eisenberg,  S.  14!;  Teuber-Weilen,  II,  2,  2, 
S.  274).  —  Über  ihr  Spiel  vgl.  noch  oben  S.  92;  über  ihre  Be- 
ziehungen zum  Greinerschen  Haus  II,  S.  84  f. 

^^)  Johanna  Sacco  (1754 — 1802)  trat  als  Eugenie  im  gleich- 
namigen Stück  des  Beaumarchais  am  10. Juni  1776  zum  erstenmal 
im  Nationaltheater  auf.  1793  ging  sie  in  Pension,  nachdem  sie 
durch  17  Jahre  sentimentale  Liebhaberinnen  spielte  (Wurzbach, 

46c 


XXVIII,  S.  i8;  Wlassack,  S.  35f.,  72;  Eisenberg,  S.  860;  Teuber- 
Weilen,  II,  2,  2,  S.  280).  -^  Vgl.  noch  oben  S.  92  (Mitwirkung 
in  Kotzebueschen  Dramen). 

136)  August  Wilhekn  Iffland  (1759 — 1814),  Dichter  und  Schau- 
spieler, absolvierte  im  Juni  1801  und  im  August  1808  Gastspiele 
am  Wiener  Hoftheater  (Wlassack,  S.  92,  119;  Eisenberg,  S.  460 ff.; 
Goedeke  V,  S.  263 ff.;  Teuber- Weilen  II,  2,  2,  S.  274.)  Sein  letztes 
Auftreten  am  29.  Juni  1801  im  „Leichten  Sinn"  verherrUchte 
Karoline  Pichler  durch  ein  Abschiedsgedicht  (An  Iffland :  Sämmt- 
liche  Werke,  2  XVI  [Wien  1822],  S.  53),  das  im  Theater  als  Einzel- 
druck verteilt  WTirde  (Goedeke  VI,  S.  577:87,1).  Ratschky  ge- 
denkt dieses  Gastspiels  ebenfalls  (Iffland,  Wien  im  Brachmond  1801 : 
Neuere  Gedichte.  Wien  1805.  S.  181).  —  Ein  Zitat  aus  Iffland 
oben  S.  175;  ein  Stück  von  Iffland  am  Pichlerschen  Haustheater 
oben  S.  297 f.;  über  die  Romantik  und  Iffland  oben  S.  416. 

137)  Johann  Friedrich  Ferdinand  Fleck  (1757 — 1801)  vertrat  die 
von  Schiller  geforderte,  idealisierende  Richtung  der  dramatischen 
Kunst  in  Berlin  (Eisenberg,  S.  263  ff.). 

138)  Siegfried  Gotthelf  Koch  (1754 — 1831)  kam  nach  verschiede- 
nen Wanderfahrten  durch  Empfehlung  Kotzebues  im  Oktober 
1798  ans  Wiener  Burgtheater,  dem  er  bis  zu  seiner  -Pensionierung 
(1831)  als  hervorragender  Darsteller  angehörte  (Wlassack,  S.  106; 
Eisenberg,  S.  522 ff.;  Teuber- Weilen,  II,  2,  2,  S.  275). 

139)  Friederike  Unzelmann,  geborne  Großmann  (1760 — 1815) 
trat  am  Wiener  Burgtheater  im  April  1799  sechsmal  als  Gast  auf 
(Wlassack,  S.  92f.;  Teuber- Weilen  II.,  2,  2,  S.  282). 

1*")  August  Friedrich  Ferdinand  v.  Kotzebue  (1761 — 1819), 
fruchtbarer  dramatischer  Dichter,  fiel  unter  den  Händen  des 
Studenten  Karl  Ludwig  Sand  am  23.  März  18 19  in  Mannheim 
als  Opfer  seiner  absolutistischen  Tendenzen.  Sein  erstes  Theater- 
stück erschien  1784  (vgL  Goedeke,  V,  S.  270  ff.).  Über  Kotzebue 
als  Lektüre  der  Pichler  oben  S.  69;  über  die  Aufnahme  seiner 
Theaterstücke  in  Wien  oben  S.  92;  Kotzebuesche  Dramen  am 
Pichlerschen  Haustheater  oben  S.  297;  Kotzebue  und  die  Ro- 
mantik oben  S.  416;  über  einen  weitläufigen  Verwandten  von 
ihm  (Ignatius)  II,  S.  86. 

1*1)  Job.  Jakob  Bodmer,  Noah.  Frankfurt  und  Leipzig  1750. 
Seit  1765  lautet  der  Titel:  Die  Noachide.  (Berlin  1765;  Zürich 
1772;  Basel  178 1. -T  Vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  8:32).  — 
Vgl.  noch  S.  loi  und  SämmtUche  Werke.    ^XVI,  S.  195. 

"2)  Miltons  Paradise  lost  wurde  zuerst  vollständig  1682  von 
Ernst  Gottlieb  von  Berge  ins  Deutsche  in  der  Versart  des  Originals 
(fünffüßige  Jamben)  übertragen.  Diese  Übersetzung  wurde  bald 
vergessen,  erst  Bodmer  war  es  1732  mit  seiner  Prosaübertragung 

461 


gegönnt,  Milton  dauernd  in  die  deutsche  Literatur  einzuführen 
(Vgl.  Gustav  Jenny,  Miltons  Verlornes  Paradies  in  der  deutschen 
Literatur  des  1 8.  Jahrhunderts.  St.  Gallen  1890.  S.  5ff.,  lyff.). 
Bodmers  Verdeutschung,  die  bis  1780  wiederholt  aufgelegt  und 
verbessert  wurde  (Goedeke,  IV,  i,  S.  7:  6),  lag  jedenfalls  der 
Pichler  vor.  Bodmer  wurde  durch  Milton  zur  Abfassung  seiner 
Noachide  (Anm.  141)  begeistert.  —  Vgl.  noch  Pichler,  Sänuntliche 
Werke.  2 XVI,  S.  195. 

^*ä)  Friedrich  Leopold  Graf  zu  Stolberg,  Die  Insel.  Leipzig  1788. 

144)  Magnus  Gottfried  Lichtwer,  Vier  Bücher  Äsopischer 
Fabeln.      Leipzig  1748.     Mehrere  Ausgaben  (vgl.  Goedeke.  IV. 

I  S.  45:  5,  i).  ^ 

145)  Morgengesang:  Mein  erst  Gefühl  sei  Preis  und  Dank 
(Geistliche  Oden  und  Lieder.  Leipzig  1767.  S,  50).  —  Abend- 
lieder gibt  es  zwei  von  Geliert:  i.  Für  alle  Güte  sei  gepreist, 
Gott  Vater  Sohn  und  heiiger  Geist  (ebd.  S.  76)  und  2.  Herr, 
der  Du  mir  das  Leben  bis  diesen  Tag  gegeben  (ebd.  S.  iio). 
Wahrscheinlich  ist  das  letztere  gemeint. 

14*)  Zufriedenheit  mit  seinem  Zustande:  Str.  I,  i,  2:  Du  klagst 

und des  Stands,  in  dem  du  dürftig  lebst  {Geistliche  Oden 

und  Lieder.    Leipzig  1767.    8.83). 

"')  Beständige  Erinnerung  des  Todes:  Str.  VI,  i — 3  (Geistliche 
Oden  und  Lieder.  Leipzig  1767.  S.  23);  beginnend:  Was  sorgst 
du  ängstlich  für  dein  Leben. 

148)  Buch  IV,  Vers  799 ff.:  The  poetical  works  of  John  Milton. 
Edited  by  David  Masson,  I  (London  1874),  S.  237. 

"*)  Die  erste  Halbzeile  des  Liedes  „Prüfung  am  Abend"  (Geist- 
liche Oden  und  Lieder.    Leipzig  1767.    S.  11). 

^™)  Leon  kam  am  26.  Oktober  1782  als  Skriptor  an  die  Hof- 
bibliothek, ging  1827  in  Pension  und  starb  am  17.  September  1832 
in  Wien  (Wurzbach,  XV,  S.  i;  Ign.  Fr.  Edler  von  Mosel,  Ge- 
schichte der  k.  k.  Hofbibliothek  zu  Wien.   Wien  1835.    S.  181). 

^^)  Besteht  seit  1770  in  Wien.  Gegründet  wurde  sie  von  Karl 
Artaria  und  seinen  Neffen  Franz,  Ignaz  und  Pasqual  Artaria.  1780 
schloß  sich  ein  Musikverlag  an.  Vgl.  Wurzbach,  I,  S.  72  und  W. 
Kisch,  Die  alten  Straßen  und  Plätze  Wiens.   Wien  1883.    S.  191. 

1^2)  Das  Gemälde  „The  death  of  General  Wolfe"  stammt  von 
Benjamin  West  (1738 — 1792).  William  Woollett  (1735 — 1785), 
einer  der  hervorragendsten  englischen  Kupferstecher,  stach  es  in 
Kupfer  (vgl.  Michael  Bryan,  Dictionary  of  painters  and  engravers, 

II  [London  1889],  p.  706,  730).  Das  Blatt  gehört  zu  seinen  besten 
Leistungen. 

"^)  Musen-Almanach  für  1783 — 1785.  |Iamburg  bey  Carl 
Ernst  Bohn.  —  1783,  S.  3ff.    Des  Bräutigams  Besuch.    An  F.  H. 

462 


Jacobi  (=  Luise.  2.  Idylle);  1784,  S.  ii5ff.  (=  Luise,  i.  Idylle); 
1.785,  S.  46ff.  Hochzeitslied  (=  Luise,  3.  Idylle  v.  So5ff,).  —  Vgl. 
Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  407:  9.  —  Über  den  Eindruck,  welchen 
„Das  Fest  im  Walde''  auf  die  Pichler  ausübte,  vgl.  Sämmtliche 
Werke.   »XVI,  S.  195  f. 

154^  Johann  Timotheus  Hermes,  Sophiens  Reise  von  Memel  nach 
Sachsen.  5  Bde.  Leipzig  1769 — 1773.  In  Wien  erschien  1787  ein 
Nachdruck  in  10  Bänden  (Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  212,  Nr.  29:  2). 
Über  diesen  Roman  und  seinen  Einfluß  auf  die  Zeitgenossen 
vgl.  Konst.  Muskalla,  Die  Romane  von  Joh.  Timotheus  Hermes, 
Breslau  1912.  S.  3  ff.,  43  ff.  —  Die  Pichler  erinnert  sich  selbst  in 
späteren  Jahren  an  diese  Lektüre  gerne,  vgl.  Sämmtliche  Werke. 
2 XVI,  S.  196  und  Briefe  an  die  Therese  Huber  aus  dem  Jahre 
18 19  (Karl  Glossy,    Grillparzer  Jahrbuch.    III,  S.  286,  288). 

155)  Batteux,  Les  beaux  arts  reduits  ä  un  meme  principe,"  Paris 
1747.  —  Auszug  aus  des  Herrn  Batteux,  Schönen  Künsten,  aus  dem 
einzigen  Grundsatze  der  Nachahmung  hergeleitet.  Zum  Gebrauche 
seiner  Vorlesungen  mit  verschiedenen  Zusätzen  und  Anmerkungen 
erläutert  von  Johann  Christoph  Gottscheden.  Leipzig  1754.  — 
Einleitung  in  die  Schönen  Wissenschaften.  Nach  dem  Französi- 
schen des  Herrn  Batteux,  mit  Zusätzen  vermehret  von  Karl 
Wilhelm  Ramler.    3.  verb.  Aufl.    4  Bde.    Leipzig  1769. 

158)  Joh.  Christ.  Erxleben,  Anfangsgründe  der  Naturlehre. 
Göttingen  1772.  —  2.  Auflage.  Göttingen  1777.  —  Die  späteren 
Ausgaben  (1784  u.  ff.)  kommen  nicht  mehr  in  Betracht. 

15')  Salomon  Geßner,  Idyllen.  Zürich  1756  u.  ö.;  Neue  Idyllen. 
Zürich  1772.  In  5  Bänden  gesammelt.  Zürich  1772  u.  ö.  (Goedeke, 
IV,  I,  S.  39:  2).  — Die  Idyllendichtung  der  Wiener  stand  damals 
überhaupt  unter  Geßners  Einfluß  (vgl.  Otto  Rommel,  Der  Wiener 
Musenalmanach,  S.  55 f.,  68).  —  Über  die  Wirkung  Geßners  auf 
die  Pichler  s.  Sämmtliche  Werke.    2  XVI,  S.  195,  197. 

158)  Joh.  Heinrich  Voßens  Idyllen  erschienen  seit  1776  in  seinen 
Almanachen  (Goedeke,  IV,  i,  5.407:9).  Gesammelt  treten  sie 
in  „Gedichte,  I,  Hamburg  1785"  auf  (Goedeke,  IV,  i,  S.  408:  17). 
—  Unter  ihrem  Einfluß  stehen  die  Pichlerschen  „Idyllen"  (Wien 
i^°3)5  vgl.  Anm.  402. 

159)  Zu  jener  Zeit  gab  es  zwei  vollständige  deutsche  Über- 
setzungen der  Idyllen  des  Theokrit,  eine  von  Lieberkühn  (1757) 
und  eine  von  Karl  Aug.  Kütner  (1772),  außerdem  waren  einzelne 
übersetzt,  vgl.  Joh.  Friedr.  Degen,  Litteratur  der  deutschen 
Übersetzungen  der  Griechen,  II  (Altenburg  1798),  S.  442  ff. 

^^)  Betreffs  des  Vaters  Franz  Anton  v.  Häring  vgl.  Anm.  112, 
betreffs  der  Mutter , Rosine  Anm.  102;  über  die  älteste  Tochter 
Katharina  s.  Anm.  161.    Von  den  Söhnen  hieß  der  ältere  Franz 


Seraphicus,  der  jüngere  Johann  Baptist.  Der  erstere  war  beim 
Tode  seines  Vaters  (1792)  Praktikant  der  böhmischen  und  öster- 
reichischen Hofkanzlei  (Verlassenschaftsakten  im  Wiener  Landes- 
gericht, Fasz.  V,  Nr.  iio  ex  1792),  der  jüngere,  Karoline  Greiners 
erste  Liebe,  im  Handelshaus  seines  Schwagers  Ignaz  Edlen  von 
Schwab.  Johann  Baptist  war  ein  trefflicher  Violinspieler  (vgl. 
Anm.  162)  und  subskribierte  1788  sowohl  Leons  „Gedichte" 
(Wien  1788,  S.  IX),  als  Blumauers  „Virgils  Aeneis  travestiert" 
(III  [Wien  1788],  S.  8).  Das  Verhältnis  mit  Karoline  Greiner  zer- 
schlug sich  1788  (oben  S.  89).  Er  heiratete  später  ein  Fräulein 
Nancy  von  Atkins,  scheint  sich  aber  wieder  von  ihr  getrennt  zu 
haben,  denn  bei  seinem,  am  17.  Mai  18 18  im  57.  Lebensjahre  er- 
folgten Tod  befand  sie  sich  in  London  (Verlassenschaftsakten  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  V,  Nr.  71  ex  18 18; 
Totenprotokolle  der  Stadt  Wien  im  Wiener  Konskriptionsamt.  18 18, 
Buchstabe  H,  Fol.  33a).  Schon  zur  Zeit  des  Todes  seiner  Mutter 
privatisierte  er  (vgl.  deren  Verlassenschaftsakten  im  Landesgerichts- 
archiv in  Wien,  Fasz.  V,  Nr.  189  ex  1806);  er  scheint  überhaupt 
vermögend  gewesen  zu  sein,  besaß  er  doch  einen  Anteil  an  einer 
Gespunstfabrik  in  Ebergassing  in  Niederösterreich  (Verlassenschafts- 
akten). Er  hinterließ  eine  Mineraliensammlung,  viele  französische 
und  englische  Bücher  (vgl.  oben  S.  8 1  f.),  Kupferstiche  und  Hand- 
zeichnungen, eine  Venus  von  Tizian  und  mehrere  Musikinstrumente, 
darunter  5  Geigen  von  Steiner,  Amati,  Quarnieri,  Stradivari  und 
Geissenhof  (Verlassenschaftsakten). 

^^)  1785  subskribierte  Ignaz  von  Schwab  die  „Gedichte"  (Wien 
1785.  S»  220)  des  Ratsch^  und  1788  Leons  „Gedichte"  (Wien 
1788,  S.  X).  Ignaz  Edler  von  Schwab  (175C3 — 181 1),  Großhändler 
in  Wien  und  Inhaber  der  Indiennefabrik  in  Graz,  wurde  1785 
wegen  Emporbringung  der  Fabriken  geadelt;  seit  1778  war  er  mit 
Katharina  von  Häring  (1752 — 1825),  der  Tochter  des  Franz  Anton 
von  Häring  vermählt  Qoh.  Georg  Megerle  von  Mühlfeld,  Öster- 
reichisches Adels-Lexikon,  I  [Wien  1822],  S.  262;  Wurzbach, 
XXXII,  S.  264;  unten  Nachtrag).  1800  treffen  wir  ihn  unter 
den  Subskribenten  der  Gedichte  der  Gabriele  von  Baumberg 
(Sämmtliche  Gedichte.   Wien  1800.    S.  XVIII). 

"2)  Diesem  trefflichen  Spiele  widmete  Joh.  v.  Alxinger  ein 
Gedicht  „An  Johann  von  Häring"  (SämmtUche  poetische  Schriften, 
Leipzig  1784.  S.  63  f.  =  Sämmtliche  Werke,  VIII  [Wien  18 12], 
S.  8  5  f.),  in  das  er  Mahnungen  über  des  Jünglings  künftiges  Leben 
einfließen  Heß. 

^^)  Zitate  aus  Äußerungen  des  Zacharias  Werner,  vgl.  oben  S.  174. 

^**)  Oben  S.  49.  —  Franz  Gräffer  hat  ein  Genrebild  „An  der 
Tafel  Herrn  von  Greiners"  geschrieben  (L.  A.  Frankls  Sonntags- 

464 


.^äsa 


Blätter,  III  [Wien  1844],  S.  1084  ff.  =  Gräffer,  Kleine  Wiener 
Memoiren,  III  [Wien  1845],  S.  207  ff.),  worin  er  Abdnger,  Haschka, 
Denis,  Blumauer,  von  Retzer,  Mastalier,  Ratschky  und  Greiner 
sich  über  die  Zukunft  der  kleinen  Karoline,  über  Nicolai,  Sonnen- 
fels und  Schiller  unterhalten  läßt.  Selbstverständlich  ist  das  Ganze 
nur  ein  Phantasiestück.  —  Eine  ausführlichere  Liste  der  Besucher: 
Pichler,  Sämmtliche  Werke.    2XVI,  S.  193. 

165)  Johann  Georg  Adam  Forster  (1754 — 1794)}  berühmter 
Reisender  und  Reiseschriftsteller,  begleitete  bereits  mit  17  Jahren 
seinen  Vater  1772  auf  der  zweiten  Reise  Cooks,  würde  später 
Professor  in  Kassel  und  kam  1784  in  gleicher  Eigenschaft  nach 
Wilna.  1788  übernahm  er  beim  Kurfürsten  in  Mainz  die  Stelle 
eines  Bibliothekars,  schloß  sich  1792  den  Mainzer  Klubbisten  anj 
ging  1793  nach  Paris,  Um  die  Vereinigung  des  linken  Rheinufers 
mit  Frankreich  zu  bewirken  und  starb  dort,  nachdem  er  vorher  durch 
die  Pariser  Verhältnisse  seine  republikanischen  Ideale  eingebüßt 
hatte.  —  Forster  war  vom  29.  JuU  bis  16.  September  1784  in  Wien 
und  verkehrte  hier  in  den  besten  Kreisen.  Er  lernte  die  trefflichsten 
Männer  kennen  und  gewann  in  Wien,  wo  er  am  Neuen,  Markt 
wohnte,  seine  Fröhlichkeit  wieder.  Vgl.*  über  seinen  Wiener  Auf  ent- 
halt Heinric.h  König,  Georg  Forsters  Leben  in  Haus  und  Welt,  I' 
(Leipzig  1858),  S.  173  ff.  — Pichler  nennt  (Sämmtliche  Werke. 
2  XVI,  S.  192)  Forster  liebenswürdig;  ein  .  Zitat  aus  seinen 
Schriften  oben  S.  1165  über  seinen  Tod  obeh  S.  178.  Noch 
1820  gibt  sie  ihrer  Freundin  Therese  Huber,  der  Gattin  Forsters, 
eine  Schilderung  von  dem  Eindruck,,  den  Forster  auf  sie  machte 
(K.  Glossy,  Grillparzer  Jahrbuch.  III,  S.  299 f.). 

^^)  Christoph  Meiners  (1747 — 1810)  seit  1772  Professor  der 
Philosophie  in  Gottingen.  Er  war  ein  äußerst  produktiver  Schrift- 
steller auf  historischem,  kulturhistorischem  und  religiorisgeschicht- 
lichem  Gebiet  (vgl.  Prantl  in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie, 
XXI,  S.  224  ff.).  Er  war  mit  seiner  Frau  und  Spittler  (s.  Anm.  167) 
im  April  und  Mai  1788  in  Wien  (s.  seine  Kleinere  Länder-  und 
Reisebeschreibungen,  I  [Berlin  1791],.  S.  57  ff.).  Er  wöhüte  am 
Graben  (I,  S.  62  f.)  und  war  vom  Prater  und  von  Schöribrunn  be- 
sonders entzückt  (I,  S.  68  ff.,  81  ff.).  Job.  Bapt.  voti  AJädüger,  der 
ihn  damals  kennen  lernte,  urteilt  ziemlich  abfällig  über  ihn  (Gust. 
Wilhelm,  Briefe  des  Dichters  Job.  Bapt.  von  Alxinger. ,  Wien  1898. 
S.  51),  was  er  später  in  etwas  bereute  (ebd.  S.  54). 

"'')  Ludwig  Timotheus  Freiherr  von  Spittler  (1752— 18 10), 
ein  Stuttgarter,  kam  1778  als  Ordinarius  nach  Götting^n  und  ent- 
wickelte hier  eine  fruchtbare  Tätigkeit  als  Lehrer  und  als  Schrift- 
steller auf  historischem  Gebiete.  Er  pflegte  hauptsächlich  die 
politische  Geschichte  mit  pragmatischer  Methode. '  1797  wurde 


30   C.  p.  I 


465 


er  in  württembergische  Staatsdienste  berufen,  in  denen  er  es  zum 
Staatsminister  brachte.  Vgl.  Wegele  in:  Allgemeine  Deutsche 
Biographie  XXXV,  S.  2 12  ff.  —  Im  April  und  Mai  1788  war  er 
gemeinsam  mit  seinem  Freund  und  Kollegen  Christ.  Meiners 
(Anm.  166)  in  Wien  und  mißfiel  ebenso  wie  dieser  dem  Dichter 
Alxinger  (Gust.  Wilhelm,  Briefe  des  Dichters  Johann  Baptist  von 
Alxinger.    Wien  1898.    S.  50  und  51). 

i«8)  Gottfried  Wilhehn  Ruprecht  Becker  (1759— 1823),  Schrift- 
steller und  Komponist,  später  geheimer  sächsischer  Kriegskammer- 
rat, weilte  in  den  achtziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  in  Wien 
(E.  M.  Oettinger,  Moniteur  des  dates,  I  [Leipzig  1869],  S.  70; 
Eitner,  I,  S.  400;  J.  G.  Meusel,  Das  gelehrte  Deutschland,  I 
[Lemgo  1796],  S.  193  f.). 

1")  Leopold  Friedrich  Günther  von  Göckingk  (1748 — 1828),  als 
Dichter  Mitglied  des  Göttinger  Hainbundes,  Herausgeber  des 
Göttinger  Musenalmanaches  und  seit  1793  Geheimer  Oberfinanz- 
rat in  Berlin.  Bekannt  durch  seine  „Lieder  zweier  Liebenden" 
(1777).  Vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  379^  —  Er  war  1785  in 
Wien  (vgl.  Hofmann  von  Wellenhof,  Michael  Denis.  Innsbruck 
1881.  S.  80,  Anm.  i).  —  Später  (1804)  rezensierte  er  Pichlers 
„Leonore"  nicht  besonders  freundlich  (vgl.  Anm.  509). 

170J  Friedrich  Ludwig  Schröder  war  zweimal  in  Wien.  Zuerst 
vom  S.April  bis  zum  15.  Mai  1780,  dann  vom  i.  April  1781  bis 
zum  9.  Februar  1785;  er  fühlte  sich  in  Wien  anfangs  sehr  heimisch 
(vgl.  Friedr.  Ludwig  Wilhelm  Meyer,  Friedrich  Ludwig  Schröder, 
I  [Hamburg  18231,  S.  340 ff.,  355  und  369 ff.;  B.  Litzmann,  Fried- 
rich Ludwig  Schröder,  II  [Hamburg  1894],  S.  289 ff.).  Bereit« 
während  seiner  ersten  Anwesenheit  in  Wien  zeichnete  sich  Hofrat 
V.  Greiner  mit  einer  begeisterten  Widmung  in  Schröders  Stamm- 
buch ein  (Litzmann,  II,  S.  295). 

"*)  Giovanni  Paisiello  (1741 — 1816)  war,  bevor  er  1776  auf 
Reisen  ging,  die  ihn  auch  nach  Wien  führten,  bereits  ein  aner- 
kannter Opernkomponist.  Über  Wunsch  Napoleons  bekleidete  er 
1802  und  1803  die  Stelle  eines  Direktors  der  Hofmusik  in  Paris 
(Eitner,  VIT,  S.  286ff.).  In  Wien  war  er  1784  (R.  Wallaschek  in: 
Die  Theater  Wiens,  IV  [Wien  1909],  S.  15).  Der  Melodie  des 
Liedes  „Nel  cuor  piü  non  mi  sento"  aus  seiner  Oper  „La  moiinara" 
xmterlegte  K.  Pichler  1791  ihr  Gedicht  „Hedwig"  (s.  Anm.  377 
unter  a). 

*'*)  Dominik  Cimarosa  (1755 — 1801),  aus  Neapel,  wurde,  nach- 
dem er  ^787  bis  1790  in  St.  Petersburg  war,  1791  an  Salieris  Stelle 
Kapellmeister  in  Wien  (?),  Kaiser  Leopold  II.  war  sein  besonderer 
Gönner.  Nach  dessen  Tod  ging  er  nach  Italien  zurück,  wo  er  sich 
in  politische  Umtriebe  einließ,  infolgedessen  aber  1800  in  Venedig 

466 


X 


eingekerkert  wurde.  Er  schrieb  eine  große  Anzahl  Opern,  von 
denen  die  komischen  beachtenswert  sind  (Wurzbach,  II,  S.  372 ff.; 
Eitner,  II,  S.  445 ff.;  R.  Wallaschek  in:  Die  Theater  Wiens,  IV, 
[Wien  1909],  S.  isf.)- 

"3)  Anton  Salieri  (1750 — 1825)  kam  1766  nach  Wien,  wurde 
Glucks  Schüler  und  ließ  1770  seine  erste  Oper  hier  aufführen.  1774 
wurde  er  zum  Kompositeur,  1788  zum  kaiserlichen  Kapellmeister 
ernannt,  als  welcher  er  1824  in  Pension  ging.  Er  komponierte  zahl- 
reiche Opern  und  ist  am  meisten  als  Gegner  Mozarts  bekannt 
(Wurzbach,  XXVIII,  S.  97ff.;  Eitner,  VIII,  S.  394ff.;  R.  Walla- 
schek in:  Die  Theater  Wiens,  IV,.  S.  14). 

"*)  Anton  (1745 — 1798)  und  Josef  Hickel  (1734 — 1807),  beide 
aus  Deutschböhmen,  waren  kaiserliche  Kammermaler.  Ersterer 
pflegte  das  Familienstück,  die  häuslichen  Szenen  und  das  Einzel- 
porträt, letzterer  war  nur  Porträtist.  Das  freiwillige  Aufgebot 
von  1797  (s.  unten  Anm.  348)  verherrlichte  Josef  durch  zwei  Ge- 
mälde.   Vgl.  Wurzbach,  IX,  S.  2  ff. 

"*)  Friedrich  Heinrich  Füger  (175 1 — 18 18),  ein  Württemberger, 
kam  1774  nach  Wien.  1784  wurde  er  Vizedirektor  der  Akademie 
der  bildenden  Künste,  später  Direktor  und  1801  Vorstand  der 
kais.  Galerie  im  Belvedere.  In  ersterer  Eigenschaft  hatte  er  mit 
Greiner  amtUch  viel  zu  tun.  Zuerst  Miniaturist,  wendete  er  sich 
später  der  Historienmalerei  zu.  Er  verfertigte  auch  Bilder  zur 
Klopstockschen  Messiade.  Vgl.  Wurzbach,  V,  S.  iff.;  Ferdinand 
Laban,  Heinrich  Friedrich  Füger  der  Porträtminiaturist,  Ber- 
lin 1905. 

"*)  Sämmtliche  Gedichte,  I  (Klagenfurt  und  Laibach  1788), 
S.  73ff. :  An  ein  junges  Fräulein.  —  Die  betreffende  Stelle  S.  75  f. 
mit  2  kleinen  Änderungen  (Z.  2  Um  dein  Persönchen  nun  wie 
Satelliten  drehen;  7  .  .  .  nichts,  als  das  Frauenzimmer).  —  Alxingers 
Gedicht  beginnt:  Du,  die  Natur  und  Glück  so  wohl  bedachten. 

^'''')  Karoline  Pichler  dürfte  das  Verhältnis  zwischen  Phaon 
und  Sappho  in  Grillparzers  „Sappho"  im  Auge  haben,  wenn 
auch  das  Zitat  in  der  „Sappho"  nicht  aufscheint. 

•^'^)  Pierre  Ambroise  Fran^ois  Choderlos  de  la  Glos,  Les  liaisons 
dangere'uses.    Paris  1782. 

"®)  Ferdinand  Freiherr  v.  Kempelen  war  der  Sohn  des  Generals 
Johann  Nep.  Freiherrn  v.  Kempelen,  der  als  Oberst  zur  Zeit  des 
Palatinats  des  Herzogs  Albert  von  Sachsen-Teschen  in  Ungarn  eine 
wichtige  Rolle  spielte  (Arneth,  Maria  Theresia,  X,  S.  115  f.),  und 
das  Kleinkreuz  des  Stephansordens  seit  1770  besaß  (vgl.  über  ihn 
Ivan  Nagy,  Magyarorszäg  csalädai  czimerekkel  es  nemzekrendi 
tabläkhal,  VI  [Pest  1860],  S.  184).  Ferdinand,  dessen  Onkel  der 
bekannte   Hofrat  Wolfgang  v.  Kempelen  (s.  Anm.  404)  war,  trat 


30* 


467 


-r" 


jung  in  die  militärische  Laufbahn  ein  und  wurde  1790,  nachdem 
er  am  zweiten  türkischen  Feldzug  als  Adjutant  des  Obersten  Mack 
teilgenommen  hatte,  Hauptmann  und  als  solcher  dem  General- 
quartiermeisterstab, dessen  Chef  Mack  damals  war,  zugeteilt.  1796 
wurde  er  Major  im  Generalquartiermeisterstab  (Österreichischer 
Militäralmanach,  VII  [Wien  1796],  S.  87),  machte  als  solcher  den 
Sommerfeldzug  in  Süddeutschland  im  Jahre  1800,  sowie  den  Rück- 
zug der  Österreicher  nach  der  Schlacht  bei  Hohenlinden  (Dezember 
1800)  mit  (s.  oben  S.  233)  und  blieb  dann  einige  Zeit  in  Wien. 
Am  28.  April  1801  zum  Oberstleutnant  im  Husarenregiment  Kaiser 
Franz  Nr.  i  ernannt,  zog  er  im  Oktober  mit  seinem  Regiment  nach 
Zlocsow  in  Galizien,  welche  Garnison  er  im  Februar  1802  mit 
Zolkiew  vertauschte  (Gustav  Ritter  Amon  von  Treuenfest,  Ge- 
schichte des  k.  und  k.  Husaren-Regimentes  Kaiser  Nr.  i.  Wien 
1898.  S.  208  f.).  Dort  heiratete  er  (s.  oben  S.  234).  Da  er  bei 
den  Einser-Husaren  supermmierärer  Oberstleutnant  war,  so  wurde 
er  am  13.  August  1803  bei  den  Stipsics-Husaren  Nr.  10  in  die 
Wirklichkeit  eingebracht  (Amon  a.  a.  O.  S.  210).  Zuerst  in  Uibecs 
im  Banat  in  Garnison  liegend,  kam  seine  Division  im  Juni  1804 
nach  Csanid  (Gustav  Ritter  Amon  v.  Treuenfest,  Geschichte  des 
k.  und  k.  Husaren-Regimentes  Nr.  10.  Wien  1892.  S.  227).  Er 
ging  im  September  1805  mit  dem  Regiment  nach  Italien,  wo  sich 
seine  Eskadron  rühmlich  an  der  Schlacht  bei  Caldiero  (30.  Oktober 
1805)  beteiligte  (Amon  Nr.  10,  S.  229).  Am  15.  Oktober  1808 
quittierte  er  den  Dienst  und  erhielt  den  Charakter  eines  Obersten 
(Amon  Nr.  10,  S.  238).  —  Über  das  Verhältnis  zur  Greiner,  das 
ihrerseits  ein  inniges  und  langandauerndes  war,  vgl.  S.  125 ff.; 
der  Bruch  wurde  von  ihr  schmerzlich  empfunden  (oben  S.  I27f., 
130»  ^33)  "i^<i  dieser  Schmerz  äußerte  sich  auch  dichterisch 
(oben  S.  i3of.);  sein  Verhältnis  zu  Frau  v.  Mack  oben  S.  127. — 
Kempelen  starb  am  24.  Juli  1832  in  Pest  (Militärschematismus 
des  österreichischen  Kaiserthums.  Wien  1833,  S.  481).  Seine 
letzten  Jahre  verbrachte  er  auf  seinem  Gute  Pazmand  im  Stuhl- 
weißenburger  Komitat. 

180)  Karl  Mack  Freiherr  von  Leiberich  (1752— 1828),  Feld- 
marschalleutnant  und  Ritter  des  Maria-Theresienordens,  nahm 
am  zweiten  Türkenkrieg  unter  Loudon  als  Generalqüartier- 
meister  teil,  beteiligte  sich  an  Belgrads  Eroberung  und  wurde 
Oberst.  Er  leitete  dann  die  Belagerung  von  Orsowa.  Ende  1789 
kam  er  mit  Loudon  nach  Wien,  erhielt  das  Ritterkreuz  des  Maria- 
Theresienordens  und  wurde  Chef  des  Generalquartiermeisterstabes 
(Wurzbach,  XVI.  S.  211  ff.). 

"1)  Egmont.  Ein  Trauerspiel  in  fünf  Aufzügen.  Von  Goethe. 
Ächte  Ausgabe.    Leipzig,  bey  Ge.  G.  Göschen,  1788. 

468 


182)  Menschenhaß  und  Reue.  Ein  Schauspiel  in  5  Aufzügen. 
Berlin  1789.  In  Wien  erschien  1790  ein  Nachdruck.  Sehr  beliebt, 
erlebte  viele  Fortsetzungen  und  Nachdrucke  (vgl.  Goedeke,  Grdr. 
V,  275:  16).  —  Das  Stück  wurde  von  den  Wiener  Damen  gerne 
gelesen  (vgl.  Jos.  Richter,  Gedichte.  ^  Wien  1809.  S.  14)  und 
vom  14.  November  1789  bis  zum  12.  Oktober  1855  am  Wiener 
Burgtheater  123  Mal  gespielt  (Repertoire  des  deutschen  Schau- 
spiels in  Wien.    Hds.  der  Wiener  Stadtbibliothek,  S.  122). 

183)  Die  Indianer  in  England.    Lustspiel  in  drey  Aufz.    Leipzig 

1790.  Im  Februar  1789  zuerst  in  Reval  aufgeführt;  ein  Nachdruck 
erschien  1790  in  Wien  (vgl.  Goedeke,  Grdr.  V,  276:  18).  —  Vom 
12.  April  1790  bis  zum  27.  November  1844  neunzigmal  im  Burg- 
theater in  Wien  aufgeführt  (Repertoire  usw.   S.  90). 

184)  Die  Sonnenjungfrau.    Ein  Schauspiel  in  5  Akten.    Leipzig 

1791.  Ein  Wiener  Nachdruck  aus  dem  Jahre  1791  (Goedeke,  Grdr. 
V,  276:  21).  —  Erlebte  in  Wien  (Bvurgtheater)  in  der  Zeit  vom 
5.  Jänner  1791  bis  zum  7.  November  18 16  sechsundfünfzig  Auf- 
führungen (Repertoire  usw.  S.  166). 

185)  Rosalia  Nouseul  (1750 — 1804),  eine  Grazerin,  war  seit  1779 
am  Hoftheater.  Sie  war  groß  im  Fach  der  Heldinnen  und  heroischen 
Mütter  (Eduard  Wlassack,  S.  485  L.  Eisenberg,  S.  732;  Wurzbach, 
XX,  S.4045  Teuber-Weilen,  a.a.O.  II,  2,  2,  S.  278). 

186)  Johann  Heinrich  Friedrich  Müller  (1738 — 18 15)  war  seit 
1763  für  Lustspiehollen  am  Hoftheater  engagiert;  er  war  auch 
schriftstellerisch  tätig,  besonders  im  Theaterfach  (Wlassack,  S.  32f.; 
Wurzbach,  XIX,  S.  382ff.;  Goedeke,  V,  S.  3i2f.:  19;  Eisenberg, 
S.  700;  Teuber-Weilen  IL  2,  2,  S.  277).  1801  nahm  er  seinen 
Abschied. 

■^8')  Joh.  Ernst  Dauer  kam  1779  an  die  Oper,  wurde  aber  von 
1783  bis  18 12  nur  mehr  in  Nebenrollen  von  Schauspielen  verwendet 
(Wlassack,  S.  48 ;  O.  Jahn,  Mozart,  III,  S.  39 ;  Wiener  Schriftsteller- 
und Künstler-Lexikon.  Wien  1793.  S.  3 3 f.;  Teuber-Weilen  II. 
2,  2,  S.  270). 

^  Friedrich  Schütz  (1750 — 1801)  stellte  1779 — 1801  Bonvi- 
vants,  feine  Bediente  usw.  dar  (Wlassack,  S.  48;  Wurzbach,  XXXII, 
S.  134;  Teuber-Weilen  IL  2,  2,  S.  281). 

"*)  Otto  Heinrich  Freiherr  von  Gemmingen,  Der  teutsche 
Hausvater.  Für  die  teutsche  Schaubühne  zu  München. (  1780 
(Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  245,  Nr.  5:3).  —  Am  Burgtheater  in 
Wien  vom  27.  Oktober  1781  bis  zum  21.  September  1821  ein- 
undfünfzig Aufführungen  (Repertoire  usw.  S.  52). 

190)  Friedrich  Ludwig  Schröder,  Der  Ring.  Lustspiel  in  fünf  Auf- 
zügen, nach  Farquhars  Constant  couple.  In :  Beytrag  zur  deutschen 
Schaubühne.   II.   BerHn  1786.  Nr.  5.    Zuerst  am  4.  Oktober  1783 

469 


im  Wiener  Hofburgtheater  aufgeführt  (Goedeke,  Grdr.  IV,  i, 
S.  246,  Nr.  8:2;  F.  L.  W.  Meyer,  Friedrich  Ludwig  Schröder,  I, 
[Hamburg  1823],  S.  387^)  und  bis  zum  17.  Jänner  1865  ein- 
hundertundfünfmal  gespielt  (Repertoire  usw.  S.  150). 

181)  August  Gottlieb  Meißner,  Skizzen.  14  Sammlungen. 
Leipzig  1778 — 1796. 

192)  Oberon.  Ein  Gedicht  in  vierzehn  Gesängen.  Zuerst  1780 
im  Teutschen  Merkur,  dann  Weimar  1780  selbständig  erschienen. 
Später  nur  mehr  12  Gesänge  (vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  205  f. 
:  93).  —  Ein  Zitat  daraus  oben  S.  217!. 

1*')  Alcibiadesi  4  Bde.  Leipzig  1781.  —  Er  gehörte  zur  Mode- 
lektüre der  Wiener  Damen  (vgl.  Josef  Richter,  Gedichte.  ^  Wien 
1809.    S.  14). 

"*)  Diese  Absätze  fehlen  im  Druck;  in  der  Handschrift  durch- 
strichen. 

1^)  Vgl.  über  die  ganze  Freimaurerbewegung  unter  Josef  II. 
mit  ihrem  Guten  und  Schlechten  L.  Lewis,  Geschichte  der  Frei- 
maurerei in  Österreich,  Wien  1861,  S.  2off.  Die  bedeutendste 
Wiener  Loge  war  die  zur  „Wahren  Eintracht",  der  Born  vorsaß 
und  der  Alxinger,  Blumauer,  Denis,  Josef  Eckhel,  Greiner  (seit 
1785),  Josef  Haydn,  Leon,  M.  J.  Prandstetter,  Ratschky,  Retzer, 
Franz  Graf  von  Saurau,  Sonnenfels,  Prof.  Max  Stoll  u.  a.  angehörten 
(Lewis,  S.  25ff.;  Abafi  IV,  S.  2780.,  besonders  S.  316).  Über  das 
wohltätige  Wirken  der  Logen  gibt  Lewis  S.  32  ff.,   126 f.  Belege. 

1*^)  Prinz  Leopold  von  Braunschweig  ertrank  am  27.  April  1785 
zu  Frankfurt  an  der  Oder,  als  er  den  Bewohnern  der  unteren 
Dammvorstadt,  die  infolge  des  plötzlichen  Tauwetters  bedroht 
waren,  zu  Hilfe  eilte. 

"')  Julius  Ferdinand  Freiherr  von  Geramb  (1737 — 1803),  ein 
gebürtiger  Wiener,  hatte  sich  1771  zu  Lyon  mit  Maria  Magdalena, 
geb.  La  Sausse  vermählt.  Er  wohnte  in  der  Alservorstadt  im  eigenen 
Haus  (Nr.  79),  besaß  eine  Seiden-  und  Goldzeugfabrik  und  starb 
am  30.  Dezember  1803.  Er  erlangte  1791  für  sich  und  seine 
Familie  den  Freiherrntitel.  Er  hatte  2  Söhne,  Ferdinand  Julius 
(1772 — 1848),  den  späteren  Trappistengeneral,  und  Florian  Leo- 
pold (1774 — 1845),  k.  k.  österreichischen  Geheimen  Rat  und  General 
der  Kavallerie;  außerdem  drei  Töchter:  Barbara  Julia,  verehelichte 
Röthl  von  Rothenhausen  (beim  Tode  ihres  Vaters  bereits  verwit- 
wete ungarische  Hofrätin),  Elise,  verehelichte  Reichsfreyin  von , 
Rieger,  Banquiere  in  Wien,  und  Maria  Magdalena,  verehelichte 
V.  Erstenberger  zu  Freyenthurm,  Frau  eines  k.  Reichsagenten  in 
Wien;  alle  waren  in  Lyon  geboren.  Seit  1790  war  Gerarab  in 
Wien.  Vgl.  Gothaisches  Genealogisches  Taschenbuch  der  Frei- 
herrlichen Häuser.    XXI.    (Gotha  1871),  S.  202  f.  und  Verlassen- 


Schaftsakten  im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V, 
Nr.  154  ex  1803;  Megerle  v.  Mühlfeld,  Memorabilien,  I,  S.  232; 
Frankl,  Paradis  S.  30  f. 

198)  Diesen  Besuch  stattete  Kaiser  Josef  der  Kaiserin  Katharina 
in  der  Zeit  vom  18.  Mai  bis  Ende  Mai  1787  in  d^  Krim  ab;  sie 
trafen  sich  vor  Kaydak.  Kaiser  Josef  II.  reiste  als  Graf  Falkenstein 
und  war  nur  von  einem  General  und  zwei  Bedienten  begleitet. 
Ursprünglich  wollte  er  die  PoÜtik  Katharinas  der  Türkei  gegen- 
über nicht  unterstützen,  als  aber  die  Türken,  auf  die  Einwirkung 
Englands  hin,  an  Rußland  den  Krieg  erklärten,  mußte  er,  um  bei 
den  voraussichtlichen  Eroberungen  nicht  Rußland  allein  im  Vorteil 
zu  lassen,  mittun.  Zweckmäßigkeitsgründe  und  nicht  Galanterie 
erklären  seine  Teilnahme  am  zweiten  Türkenkrieg.  Vgl.  F.  X.  Huber, 
Geschichte  Josephs  II.,  II,  (Wien  1790),  S.  i86f.;  Wendrinsky, 
S.  308  ff.  —  Louis  Philippe  comte  de  Segur  (Memoires,  III,  [Paris 
1827],  p.  I37ff.;  in  deutscher  Übertragung  und  auszugsweise  bei 
Frz.   Gräffer,  Josephinische  Curiosa,  V,  [Wien  1850],  S.  161  ff.). 

199)  Franz  Moritz  Graf  von  Lacy  (Lascy;  1725 — 1801)  trat  1739 
in  österreichische  Dienste  und  wurde  bereits  1750  Oberst.  Sich 
durch  Tapferkeit  und  Kenntnisse  auszeichnend,  rückte  er  rasch 
vor.  1766  war  er  Präsident  des  Hofkriegsrates  und  führte  die 
Reform  der  Heeresverwaltung  durch.  1788  hatte  er  im  Türken- 
kriege keinen  Erfolg.  Sein  Schloß  und  Garten  in  Neuwaldegg 
waren  berühmt  (vgl.  Anm.  219).  Er  liegt  dort  auch  in  Waldes- 
stille begraben.    Vgl.  Wurzbach,  XIII,  S.  4640. 

^  Gideon  Ernst  Freiherr  von  Lqudon  (1716 — 1790)  zuerst  in 
russischen,  dann  seit  1742  in  österreichischen  Diensten,  tat  sich 
besonders  im  Siebenjährigen  Krieg  hervor.  Er  entsetzte  1758 
Olmütz,  wofür  er  Maria-Theresienordensritter  und  Feldmarschall- 
leutnant wurde,  entschied  die  Schlachten  bei  Hochkirch  und  Kun- 
nersdorf  (1759),  wofür  er  Freiherr  und  Feldzeugmeister  wurde,  und 
nahm  1761  Schweidnitz  ein.  Schließlich  wurde  er  Generalissimus 
der  österreichischen  Armee  und  erfocht  als  solcher  bedeutende 
Siege  im  Türkenkrieg  (1789).  Vgl.  Wurzbach  XVI,  S.  66 ff.; 
oben  S.  t6i  und  unten  Anm.  204. 

^^)  Am  12.  September  1789  wurde  die  Belagerung  begonnen, 
und  am  9.  Oktober  1789  fiel  Belgrad  in  die  Hände  Londons.  Man 
vgl.  die  genauen  Berichte  in  der  30.,  31.,  34.,  35.,  37.,  38.  und  39. 
besonderen  Beylage  zur  Wiener  Zeitung  von  1789,  Nr.  76, 77, 79,  8 1. 

^^)  Der  Sieg,  den  der  Prinz  Josias  von  Sachsen-Koburg  gemein- 
sam mit  den  Russen  unter  General  Suworow  über  die  Türken  unter 
dem  Großvezier  bei  Martinestie  am  Rimnik  davontrug,  erfolgte 
am  22.  September  1789.  Das  Nähere  darüber  berichtet  die  33.  und 
36.  besondere  Beylage  zur  Wiener  Zeitung  von  1789,  Nr.  78  und 

471 


8o.  —  Alxinger  besang  dies  Ereignis  (Neueste  Gedichte.  Wien 
1794.  S.  iff.  =  Sämmtliche  Werke,  VIII,  [Men  1812],  S.  215), 
ebenso  Denis  (Carmina  quaedam.   Vindobonae  1794.    S.  171). 

*'^)  Über  den  Einritt  des  Generalmajors  Wilhelm  Freiherrn 
V.  Klebeck  (1729 — 181 1)  vgl.  man  die  39.  besondere  Beylage  zur 
Wiener  Zeitung  von  1789,  Nr.  81,  sowie  Wiener  Zeitung.  1789. 
Nr.  82,  S.  2627.  Er  ritt  in  Begleitung  von  4  Postoffizieren  imd 
24  Postillionen  in  Wien  herum. 

^  Das  Gedicht  erschien  als  Einzeldruck  (s.  oben  S.  100), 
scheint  sich  aber  als  solcher  und  auch  sonst  nicht  erhalten  zu  haben, 
denn  Wilhelm  Edler  von  Janko  (London  im  Gedicht  und  Liede 
seiner  Zeitgenossen.  Wien  188 1),  der  S;  53  ff.  alle  Lieder  über  die 
Eroberung  Belgrads  zusammenstellt,  kennt  es  nicht.?  Den  Einritt 
Klebecks  und  Wiens  Jubel  besingen  Blumauer  Qanko,  S.  58  ff.),  Leon 
(Janko,  S.  66ff.),  Alxinger  Qanko,  S.  72),  zwei  Unbekannte  Qanko, 
S.  68  ff.,  70  ff.),  Haschka  Qanko,  S.  80  ff.),  M.  J.  Prandstetter 
Qanko,  S.  ii2ff.)  und  Emanuel  Schikaneder  (St.  Hock,  Eupho- 
rien,  XI,  [1904],  S.  98f.,  Nr.  III). 

**)  Vgl.  darüber  A.  Wolf,  Fürstin  Eleonore  Liechtenstein. 
S.  221  (nach  einem  Bericht  Kaiser  Josef  IL)  und  Wiener  Zeitung, 
Nr.  83  vom  17.  Oktober  1789,  S.  2650. 

^  Es  waren  etwa  1200  Juristen  und  Mediziner,  die  nach  9  Uhr 
abends,  unter  Militärbedeckung  mit  Musik  zur  Hofburg  zogen, 
wo  sich  der  Kaiser  am  Fenster  zeigte.  Hierauf  marschierten  sie  zu 
Londons  Wohnung  und  dann  zur  Universität  zurück,  wo  sie  mit 
Haydns  Harmonie  die  Feier  schlössen.  Vgl.  Wiener  Zeitung,  Nr.  83 
vom  17.  Oktober  1789,  S.  2650. 

^'')  Die  Nachricht  vom  Siege  bei  Martinestie  überbrachte  Ritt- 
meister Hartelmüller,  der  in  Wien  in  Begleitung  von  2  Postoffi- 
zieren  und  24  Postillionen  am  i.  Oktober  1789  feierlich  zum  Hof- 
kriegsrat ritt  (33.  besondere  Beylage  zur  Wiener  Zeitung,  1789, 
Nr.  78). 

^  Johann  Ludwig  Alexander  Freiherr  von  London  (1762  bis 
1822),  k.  k.  Feldmarschalleutnant  und  Maria-Theresienordensritter, 
war  damals  seines  Oheims  Flügeladjutant;  früher  war  er  Haupt- 
mann in  russischen  Diensten  (Wurzbach,  XVI,  S.  92  ff.). 

^^)  Propst  Floridus  Leeb  (173 1 — 1799),  Doktor  der  Theologie, 
stand  dem  Stifte  Klosterneuburg  von  1782 — 1799  vor.  In  seine 
Regierungszeit  fällt  der  Besuch  des  Papstes  Pius  VI.  (20.  April  1782), 
sowie  die  Wegbringung  des  Erzherzoghutes  von  Klosterneuburg 
(28.  April  1784).  1786  war  er  Rektor  der  Universität  Wien. 
Nach  ihm  ist  Floridsdorf  (Wien  XXI)  benannt.  Vgl.  Maximilian 
Fischer,  Merkwürdigere  Schicksale  des  Stiftes  und  der  Stadt 
Klosterneuburg,  I,  (Wien  1815),  S.  326ff.;  Megerle  von  Mühl- 

472 


feld,  Memorabüien,  I,  S.  239  und  296.  —  Karoline  Pichler 
schrieb  über  Klosterneuburg  einen  längeren  Aufsatz  (S.  W.  ^  L, 
S.  161  flf.)  und  behandelte  die  Gründungssage  des  Stiftes  poetiscli 
(S.W.2XVI,  S.2i9flF.). 

aio)  Generalmajor  Ludwig  Rudolf  Freiherr  von  Ripke  (1723 
bis  1796),  nicht  Riepbe,  war  seit  1760  Ritter  des  Maria-There- 
sienordens  (Wurzbach,  XXVI,  S.  I74ff.)- 

211)  Pichler  dürfte  Tasso  im  Originaltext  gelesen  haben.  An  Über- 
setzungen gab  es  damals  nur  eine  in  Prosa  von  Wilh.  Heinse  (4  Bände, 
Mannheim  178 1 — 1783:  Goedeke,  IV,  i,  S.  342:  13),  die  von  J.  D. 
Gries  und  Karl  Streckfuß  erschienen  erst  später  (1800,  beziehungs- 
weise 1822).  —  Vgl.  unten  Nachtrag. 

212)  Ariosts  Rasender  Roland  lag  in  zwei  Übersetzungen  vor, 
einer  in  Prosa  von  Wilh.  Heinse  (4  Teile.  Hannover  1782 — 1785: 
Goedeke,  IV,  i,  S.  342:  15)  und  einer  poetischen,  aber  nur  die 
ersten  8  Gesänge  umfassenden  von  F.  A.  Kl.  Werthes  (Bern  1778). 
Über  Ariost  in  Deutschland  vgl.  man  Erich  Schmidt,  Charakteristi- 
ken.   12  (Berlin  1902),  S.  43ff.  —  Vgl.  unten  Nachtrag. 

213)  Jedenfalls  kannte  Pichler  die  Werke  Homers  aus  einer  Ge- 
samtübersetzung. Damals  gab  es  zwei  solche,  die  von  Christian 
Tobias  Damm  (1769 — 1771)  und  die  von  Bodmer  (1778),  während 
die  Voßsche  erst  1793  erschien.  Andererseits  lag  die  Ilias  allein  in 
Übersetzungen  von  Kütner  (1771 — 1773)  und  Friedrich  Leopold 
Grafen  zu  Stolberg  (1778),  die  Odyssee  in  einer  solchen  von  Johann 
Heinrich  Voß  (178 1)  vor.  Vgl.  Joh.  Friedrich  Degen,  Litteratur 
der  deutschen  Übersetzungen  der  Griechen,  I,  (Altenburg  1797), 
S.  345  ff.  —  Besonders  bevorzugte  die  Pichler  Hektor  (oben 
S.  134).  Auch  schrieb  sie  später  (S.  W.2  L,  S.  2340.)  eine  kleine 
Abhandlung,  „Homer  und  die  Nibelungen",  darin  einige  Über- 
einstimmungen nachweisend.  —  Vgl.  unten  Nachtrag. 

^*)  Ithuriel  findet  sich  an  6  Stellen  in  der  Klopstockschen 
Messiade  (s.  die  Zusammenstellung  von  R.  Hamel  in  Kürschners 
Deutscher  National-Litteratur,  XLV,  2,  S.  457).  —  Gerade  die 
Engelgestalten  übernahm  Klopstock  aus  Miltons  Verlornem  Para- 
dies, wenn  er  ihnen  auch  öfter  andere  Funktionen  zuwies  (vgL 
Gust.  Jenny,  Miltons  Verlornes  Paradies  in  der  deutschen  Literatur 
des  18.  Jahrhunderts.  St.  Gallen  1890.  S.  66f.;  Franz  Hübler, 
Milton  und  Klopstock,  II,  Progr.  Reichenberg  1894.  S.  49).  — 
Wenn  R.  Payer  von  Thurn  meint  (Jahrbuch  der  Grillparzer- Ge- 
sellschaft. XIII.  [Wien  1903],  S.  72),  daß  die  Pichler  ihren  Ithuriel 
vielleicht  aus  Paul  Weidmanns  „Faust"  übernahm,  so  ist  zu  be- 
merken, daß  beiden  die  gleiche  Quelle  (Milton)  zugrunde  liegt. 

^  Karoline  Pichler  las  Ossians  Lieder  in  der  Verdeutschung  des 
Hausfreundes  Michael  Denis,  die  1784  neuerdings  erschienen  war 

473 


(Ossians  und  Sineds  Lieder.  6  Bände.  Wien  1784;  die  ersten  drei 
Bände  enthalten  Ossians  Gedichte).  Wenn  Nachrichten  über  Ossian 
und  Übersetzungen  einzelner  Gedichte  desselben  bereits  seit  1762 
in  Deutschland  erscheinen  (vgl.  Rudolf  Tonnbo,  Ossian  in  Germany. 
New  York  1901.  S.  4ff.),  so  war  es  doch  neben  Klopstock  und 
Gerstenberg  hauptsächlich  Denis,  dessen  erste  Ossianübersetzung 
in  2  Bänden  1768-69  erschien  (Tombo,  S.  7f.),  der  Ossian  in  Deutsch- 
land einführte,  Herder  zu  seinem  begeisterten  Aufsatz  veranlaßte 
und  die  Bardendichtung  mit  in  die  Wege  leiten  half  (vgl.  Tombo, 
S.  I  igff.).  Die  Beeinflussung  der  Pichler  durch  Ossian  blieb  Tombo 
unbekannt.  —  Vgl.  noch  oben  S.  106  und  unten  Nachtrag. 

216)  Friedrich  Christian  Schlenkert  (1757 — 1826)  schrieb  seine 
Romane  in  sehr  trockenem  Ton,  den  auch  die  Dialogisierung  nicht 
beleben  konnte.  Zu  erwähnen  wären  :  Friedrich  mit  der  gebissenen 
Wange,  eine  dialogisierte  Geschichte.  Leipzig  1785 — 88;  Kaiser 
Heinrich  IV,  eine  dialogisierte  Geschichte.  Leipzig  1789 — 95; 
Graf  Wiprecht  von  Groitzsch.  Zürich  1789 — 95;  Rudolph  von 
Habsburg,  ein  historisch  romantisches  Gemälde.  Leipzig  1792 
bis  1794  u.a.  (Goedeke,  V,  S.  495:  13). 

^')  Veit  Weber,  Pseudonym  für  Georg  Philipp  Ludwig  Leonhard 
Wächter  (1762 — 1837),  schrieb,  angeregt  durch  Goethes  Götz,  die 
„Sagen  der  Vorzeit"  (7  Bände,  Berlin  1787 — 1798),  welche  14  Ge- 
schichten aus  dem  Mittelalter  enthalten  (Goedeke,  V,  S.  492). 
Seine  Darstellung  ist  sehr  oft  plump  und  roh.  Er  hatte  aber  trotz- 
dem großen  Einfluß  auf  verschiedene  Schriftsteller. 

^*)  Christiane  Benedikte  Naubert  (1756 — 1819),  eine  Leipzigerin. 
Äußerst  fruchtbare  Schriftstellerin,  welche  50  Romane  ohne  ihren 
Namen  veröffentlichte.  Ihre  Anonymität  wurde  erst  kurz  vor 
ihrem  Tode  gelüftet.  Von  den  angeführten  Romanen  erschienen: 
Walther  von  Montbarry,  Großmeister  des  Tempelordens.  2  Bde. 
Leipzig  1786;  Hermann  von  Unna.  Eine  Geschichte  aus  den  Zeiten 
der  Vehmgerichte.  Leipzig  1788  5  Elisabeth,  Erbin  von  Toggenburg. 
Oder  Geschichte  der  Frauen  von  Sargans  in  der  Schweiz.  Leipzig 
1789;  Alf  von  Dülmen,  oder  Geschichte  Kaiser  Philipps  und  seiner 
Tochter.  Aus  den  ersten  Zeiten  der  heimlichen  Gerichte.  Leipzig 
1790.    Vgl.  Goedeke,  V,  S.  497:  15. 

^')  Auch  Alois  Blumauer  hatte  ähnliche  Gedanken,  s.  sein  Ge- 
dicht „Empfindungen  in  dem  neu  angelegten  Lustgarten  Sr. 
Excellenz  des  Grafen  von  Kobenzl"  (Wienerischer  Musenalmanach 
auf  das  Jahr  1784.  Wien  [1783],  S.  92  ff.  =  Gedichte,  II,  [Wien 
1787],  S.  8  ff.).  Ebenso  zieht  C.  Meiners  1788  Kobenzls  Garten  dem 
des  Lascy  vor  (Kleinere  Länder-  und  Reisebeschreibungen,  I, 
[Berlin  1791],  S.  94  ff.),  wohingegen  Gabriele  Baumberg  die  Sän- 
gerin des  letzteren  ist  (Sämmtliche  Gedichte.  Wien  1800.  S.  69  ff. 

474 


und  S.  154  ff.),  da  sie  hier  einen  süßen  Liebestraum  träumte.  Eine 
Beschreibung  bietet  Meiners  (I,  S.  88  ff.). 

**)  Fehlt  im  Druck,  steht  aber  durchstrichen  in  der  Hand- 
schrift. 

*2i)  Karl  von  Kempelen,  Sohn  des  Hofrates  Wolfgang  von  Kem- 
pelen,  studierte  Jus  an  der  Universität  Wien  und  trat  im  Jahre 
1793  als  Konzipist  beim  k.  k.  Direktorium  ein  (Hof-  und  Staats- 
schematismus. 1794,  S.  6).  1797  wurde  er  in  gleicher  Eigenschaft 
zur  k.  k.  Höfkammer,  Finanz-  und  Kammerhofstelle  übersetzt 
(ebd.  1798,  S.  14).  Vor  1800  hatte  er  sich  mit  Antonie  Sölwanger 
verheiratet,  und  1801  zog  er  mit  seinen  Eltern  aus  der  Stadt  (Kohl- 
markt Nr.  271)  in  die  Alservorstadt  131  (Hof-  und  Staatsschem. 
1802,  S.  22),  den  Pichlers  gegenüber  (s.  oben  S.  239).  Von  seinem 
Vater  überkam  er  ein  treffliches  Zeichentalent  (J.  K-  Unger, 
Zeitschrift  von  und  für  Ungarn,  V,  [Pest  1804],  S.  316).  1805  ging 
er  in  Pension,  1806  trennte  er  sich  freiwillig  von  seiner  Gattin  und 
zog  auf  sein  Gut  Gomba  im  Preßburger  Komitat,  wo  er  fürderhin 
lebte  (vgl.  unten  Anm.  405).  1800  finden  wir  ihn  unter  den 
Subskribenten  der  „Gedichte"  (Wien  1800,  S.  X)  der  Gabriele 
von  Baumberg.  —  Seine  Schwester  Theresia  von  Kempelen,  die 
den  Franz  Xaver  von  Greiner  gerne  sah,  heiratete  zwischen  den 
Jahren  1801  (Übersiedlung  in  die  Alservorstadt,  oben  S.  239) 
und  1804  (Tod  ihres  Vaters)  einen  Herrn  v.  Bitto  und  lebte  nach 
ihrer  Verehelichung  in  Ungarn  (s.  den  Verlassenschaftsakt  ihres 
Vaters  im  Wiener  Landesgerichtsarchiv,  Fasz.  V,  Nr.  63  ex  1804 
und  Unger,  a.  a.  O.  V,  S.  3 1 6). 

^  Karl  Edler  von  Kirchstättern  war  1786  Exhibitenproto- 
koUistensadjunkt  mit  dem  Titel  k.  k.  Sekretär  in  der  Registratur 
•  der  k.  k.  niederösterreichischen  Landrechts-De^siten-Amtsver- 
waltung,  welche  Stellung  (Registrant)  tr  bis  zu  seinem  Tode  inne- 
hatte (Hof-  und  Staatsschematismus.  I787,^S.  196;  1809,  S.  167). 
Er  war  mit  Elisabeth,  geb.  Bock  verehelicht  und  starb  am  20.  De- 
zember 1809,  60  Jahre  alt,  an  der  Abzehrung  (Totenprotokolle  der 
Gemeinde  Wien  im  städt.  Konskriptionsamt,  1809,  Buchst.  C,  G, 
K.  Fol.  162a;  Verlassenschaftsakten  im  Archiv  des  Wiener  Landes- 
gerichtes, Fasz.  V,  Nr.  268  ex  1809;  vgl.  oben  S.'^368).  E^  hinter- 
ließ fünf  minderjährige  Kinder:  Anna  Maria  (geb.  29.  März  1787), 
Franziska  (geb.  21.  Jänner  1791),  Maria  (geb.  8.  September  1795), 
Theresia  (geb.  8.  Juli  1796)  und  Antonia  (geb.  19.  März  1803).  Von 
diesen  war  Theresia  in  Diensten  der  Pichler  und  Anna  erwies  ihr 
«inen  wertvollen  Dienst  (vgl.  oben  S.  388  f.,  395  und  II,  S.  241  f.). 
K.  war  einst  Mitglied  der  Johannesloge  zur  Beständigkeit  (L.  Lewis, 
Geschichte  der  Freimaurerei,  S.  154;  Abafi  IV,  S.  320)  und  in 
jungen  Jahren  ein  guter  Schauspieler  gewesen.    Über  seine  Lei- 

■     475 


stungen  am  Privattheater  der  Gräfin  Stockhammer  berichtet  ein 
Zeitgenösse  (Wiener  Theater-Ahnanach  für  das  Jahr  1794.  Wien. 
S.  47) :  „Unter  den  Männern  steht  nicht  nur  bey  dieser  sondern 
bey  allen  Privatgesellschaften  Herr  K.  (Kirchstättem)  oben  an; 
er  spielt  meistens  jene  Rollen,  die  Schröder  auf  dem  Hoftheater 
spielte;  zärtliche,  rasche,  launige  Alte.  Ich  kenne  beynahe  keinen 
Schauspieler,  der  seine  Mienen  so  ganz  und  gar  in  seiner  Gevfalt 
hätte,  der  seiner  Stimme  so  mächtig  wäre,  der  so  tief  ins  Herz 
wirken  könnte  als  er.  Auch  weiß  er  sich  so  vortrefflich  zu  kleiden, 
und  verabsäumet  nicht  eine  Kleinigkeit,  die  zur  besseren  Wirkung 
des  ganzen  bey  tragen  könnte.  Nur  wünschte  ich,  daß  er  etwas  mehr 
Adel  in  seinem  Spiel  hätte,  und  nicht  manchmahl  mit  seinen  Armen 
in  Verlegenheit  wäre.  Die  vorzüglichsten  Rollen,  die  ich  von  ihm 
gesehen  habe,  sind  der  alte  Obrist  im  Fähnrich,  Obrist  Hitzig  im 
Striche  durch  die  Rechnung,  der  Landjunker  im  Postzuge, 
Graf  Wodmar  im  deutschen  Hausvater."  Auch  auf  anderen 
Privatbühnen  spielte  Kirchstättem,  so  auf  der  im  ehemaligen 
Kloster  zur  Himmelpforte  und  bei  Schrämbl  auf  der  Laimgrube 
(ebd.  1794,  S.  52  und  67f.),  sowie  bei  der  Gräfin  Karolyi  (ebd. 
1795,  S.  i). 

^  Siehe  Näheres  über  Eberl  unten  Anm.  282. 

224)  Über  das  Greinersche  Haustheater  enthält  der  „Wiener 
Theater-Ahnanach  für  das  Jahr  1794,"  S.  60 f.  einiges  Interessante: 
„Hr.  Hofrath  von  G***  läßt  schon  mehrere  Jahre  in  seinem  Hause 
spielen.  Dieses  Haus  ist  in  der  ganzen  Stadt  als  ein  Sammelplatz 
der  besten  Köpfe  Wiens  bekannt,  es  ist  also  zu  vermuthen,  daß  man 
in  demselben  bey  der  Wahl  der  Stücke,  und  der  Mitglieder  genau 
zu  Werke  gehen  werde.  Herr  K.  (Kirchstättem),  Hr.  E**  (Eberl), 
und  Hr.  L**  (Leon),  von  denen  ich  bey  dem  gräfl.  Stockhammeri- 
schen Theater  gesprochen  habe,  spielen  auch  hier.  Das  Fräulein 
vom  Hause  spielt  mit  sehr  viel  Feinheit  und  Anstand;  in  den 
falschen  Vertraulichkeiten  hab' ich  sie  vorzügHchbevniiidert; 
auch  als  Minna  von  Barnhelm  gefiel  sie  mir  sehr  gut,  obschon 
ich  ihr  Spiel  in  jener  Rolle  vorziehe.  Merkwürdig  ist,  daß  auch  der 
berühmte  Dichter  Hr.  von  AI***  (Alxinger),  ein  Freund  dieses 
Hauses,  mit  von  der  Gesellschaft  ist."  —  Von  Alxinger  wird  auch 
sonst  berichtet,  daß  er  „ein  besonderer  Liebhaber  der  Bühne" 
war  (Wiener  Schriftsteller-  und  Künstler-Lexikon.  Wien  1793. 
S.  10). 

^  Die  falschen  VertrauUchkeiten.  Lustspiel  nach  Marivaux  von 
F.  W.  Gotter.  Gotha  1774  (Goedeke,  IV,  i,  S.  252:  6).  —  Maske 
für  Maske.  Lustspiel  nach  Marivaux  von  Jünger.  Leipzig  1794 
(Goedeke,  IV,  i,  S.  224:  83,  16).  —  Die  unversehene  Wette.  Lust- 
spiel in  einem  Akte  nach  Sedaine  von  F.  W.  Gotter.   Leipzig  1781 


(Goedeke,  IV,  i,  S.  252:  15).  —  Der  seltene  Freier.  Lustspiel  in 
3  Akten.  Wien  1 781. -Berlin  1782.  Verfasser:  Friedr.  Ludw.  Wil- 
helm Meyer  (Holzmann-Bohatta,  AnonTmen-Lexikon,  II,  S.  120). 
—  „Die  Glücksritter"  besser:  Der  Glücksritter  oder  die  Liebe  steht 
ihrem  Günstling  bei.  Lustspiel  in  4  Akten.  Wien  1783.  Verfaßt 
von  Auguste  Freiin  von  Goldstein  (Holzmann-Bohatta,  II,  229). 

22«)  Das  bekannte  Gedicht  „Auch  ich  vs^ar  in  Arkadien  geboren" 
(zuerst  1787  in  Schillers  „Thalia"  erschienen)  rief  auch  anderwärts 
Widerspruch  hervor  (vgl.  Goedeke,  V,  S.  176:  12,  12a).  Sein  Tenor 
ist,  entweder  hoffe  auf  Ewigkeit  und  Vergeltung  oder  genieße  im 
Leben,  ohne  zu  glauben.  —  Pichlers  Freundin,  Therese  von 
Artner,  wendet  sich  in  dem  Gedicht  „Dichterberuf"  (Gedichte. 
I.  [Leipzig  1818],  S.  164)  ebenfalls  gegen  Schillers  „Resignation". 

227)  L'antiquite  devoilee  au  moyen  de  la  Genese,  source  et  origine 
de  la  mythologie  et  de  tous  les  cultes  reügieux.  Paris  1807.  Der 
Verfasser  ist :  Ch.  Robert  Gosselin  (A.  Barbier,  Dictionnaire  des 
ouvrages  anonymes,  I  ä,  [Paris  1872],  Sp.  220). 

***)  Diese  Ansicht  ist  nicht  ganz  richtig,  denn  Kaiser  Josef 
war  178 1  (acht  Jahre  vor  der  Revolution)  zum  zweiten-  und 
letztenmale,  aber  nur  für  kurze  Zeit  in  Frankreich;  vgl.  P.  v. 
Radics,  Österreichisch-ungarische  Revue.  N.  F.  IX.  (Wien  1890), 
S.  27 ff.  und  Wendrinsky,  Kaiser  Josef,  S.  137. 

«29)  Vgl.  oben  S.  178  mit  Anm.  318. 

2**)  Nicht  aus  Forsters  „Ansichten  vom  Niederrhein"  (1793), 
sondern  aus  dessen  „Erinnerungen  aus  dem  Jahre  1790  in  histo- 
rischen Gemälden  und  Bildnissen"  (Berlin  1793  =  Sämmtliche 
Schriften.  VI.  [Leipzig  1843],  S.  201).  Pichler  zitiert  ungenau 
(richtig:  ....  seines  Genius  . . .,  der  nicht  wieder  erlischt). 

2*1)  Die  Verordnung  erschien  am  15.  September  1784,  wurde 
aber  bereits  am  13.  März  1785  widerrufen  (vgl.  Brunner,  S.  4421.). 
Über  den  Widerstand,  den  sie  hervorrief,  sowie  über  deren  Text 
vgl.  Franz  Graf f er,  Josephinische  Curiosa,  IV,  (Wien  1850),  S.  3i3ff. 

222)  Die  Verordnung  stammte  vom  1 5.  Juli  1782  und  rief,  wie  alles 
zur  josefinischen  Zeit,  eine  Flut  von  Liedern,  Schriften  und  Bildern 
hervor,  umsomehr,  als  auch  die  galanten  Damen  öffentlich  Straßen 
kehren  miißten.  Gust.  Gugitz  hat  darüber  einen  Aufsatz  veröffent- 
licht (Zeitschrift   für  Bücherfreunde,   XII,   10  [1909],  S.  379  ff.)- 

^  Dies  geschah  am  18.  Februar  1790,  zwei  Tage  vor  Kaiser 
Josefs  Tod  und  am  selben  Tag,  als  die  Erzherzogin  Elisabeth  ins 
Jenseits  ging  (Franz  X.  Huber,  Geschichte  Josephs  IL  Wien  1790. 
S.  261;  Frz.  Gräffer,  Josephinische  Curiosa,  IV,  [Wien  1850], 
S.  397ff.;  Wendrinsky,  S.  367). 

^  Erzherzogin  Elisabeth  Wilhelmine  war  am  21.  April  1767 
geboren;  sie  genas  am  17.  Februar  1790  von  einer  Prinzessin,  der 

477 


Erzherzogin  Ludovica  Francisca,  die  im  Juni  1791  starb  (vgl.  Wolfs- 
gruber, Kapuzinergr.  S.  258!.  Nr.  59  und  zß^i.f  Nr.  61). 

^  Pichlers  Angaben  stimmen  nicht  ganz  zur  Wirklichkeit,  man 
vgl.  die  entsprechenden  Ausführungen  bei  Wolf,  Hofleben,  S.  305  ff. 
und  Arneth  (Maria  Theresia,  IV,  S.  157 ff.),  aus  denen  hervorgeht, 
daß  Kaiser  Josef  in  seiner  Jugend  treffliche  Lehrer  hatte,  daß  sich 
seine  Fähigkeiten  nur  langsam  entwickelten  und  daß  er  wenig 
lernte,  dies  aber  auf  immer  behielt.  Erst  in  seinem  17.  Lebensjahre, 
nach  einer  Krankheit,  wurde  er  selbständiger  und  bildete  eine 
stoische  Strenge  in  sich  aus. 

238)  Erzherzog  Karl  Josef  (1745 — 1761),  Maria  Theresias  Lieb- 
ling, zeigte  hervorragende  Fähigkeiten,  war  aber  jäh  und  auf- 
brausend und  hatte  oft  mit  Josef  Zank  (vgl.  Wolf,  Hofleben, 
S.  99f.  und  Arneth,  Maria  Theresia,  IV,  S.  178  f.). 

237)  Erzherzogin  Maria  Theresia  (1762 — 1770)  starb  in  sehr 
jungen  Jahren. 

238)  Isabella,  die  Tochter  des  Herzogs  Phiüpp  von  Parma,  war 
1741  geboren,  1760  dem  Erzherzog  Josef,  der  damals  noch  nicht 
römischer  König  war,  —  dies  wurde  er  erst  1764  —  angetraut 
worden  und  starb  am  27.  November  1763  an  den  Blattern.  Über 
ihre  Melancholie,  über  ihres  Gatten  Liebe,  sowie  über  dessen  Be- 
tragen an  ihrem  Sterbebette  vgl.  man  Wolf,  Hofleben,  S.  275 f.; 
Wolfsgruber,  S.  224ff.;  Adam  Wolf,  Marie  Christine,  Erzherzogin 
von.Österreich,  I,  [Wien  1863],  S.  23  ff.  und  Arneth,  Mar.  Theresia, 
VII.  S.  33ff.  _ 

239)  Über  die  Beziehungen  der  Erzherzogin  Christine  zur  Kron- 
prinzessin Isabella  s.  Wolf,  Hofleben,  S.  276f.  und  Marie  Christine, 
S.  13  ff.,  20  ff.  —  Pichlers  Angabe,  daß  Isabella  ihren  Gatten  nicht 
liebte,  steht  im  Widerspruch  zu  deren  Briefen  an  Marie  Christine 
(s.  Wolf,  Marie  Christine,  S.  23,  26 f.)  und  wurde  bereits  von  Arneth 
(Maria  Theresia,  VII,  S.  57  f.)  aufs  richtige  Maß  zurückgeführt. 

2*°)  Fürstin  Eleonore  Liechtenstein  (1745 — 1812),  ihre  Schwester 
Leopoldine  Gräfin  Kaunitz  (1741 — i79S)j  die  Fürstinnen  Leopol- 
dine Liechtenstein  (geb.  1733),  Marie  Josefa  Clary  (1728 — 1801) 
und  Marie  Sidonie  Kinsky  (geb.  1729)  bildeten  jenen  Fünfdamen- 
kreis,  in  dem  Kaiser  Josef  gemeinsam  mit  Lascy  und  Rosenberg 
seine  Abende  seit  1770  in  anregender  Unterhaltung  zubrachte 
(Wolf,  Hofleben,  S.  161  und  Fürstin  Eleonore  Liechtenstein.  Wien 
1875.  S.  iiiff.,  181  ff.).  Kaiser  Josef  liebte  die  Fürstin  Eleonore, 
unterdrückte  aber  seine  Neigung.  —  Über  Kaiser  Josefs  Liebes- 
leben bietet  F.  Graf f er  Qosephinische  Curiosa,  I,  [Wien  1848], 
S.  115  f.)  einiges. 

2*1)  Maria  Josefa  von  Bayern  (1739 — 1767)  wurde  am  23.  Jänner 
1765  dem  römischen  König  Josef  in  Schönbrunn  angetraut.  Dieser 


hatte  keinerlei  Gefühl  für  sie,  da  sie  im  geraden  Gegensatz  zu  seiner 
ersten  Gattin  weder  schön  noch  geistreich  war.  Dafür  war  sie 
ihm  zärtlich  zugetan,  trotz  der  vielen  Kränkungen,  die  sie  von  ihm, 
wenn  auch  nicht  öffentlich,  wo  er  sie  mitaUer  Ehrfurcht  behandelte, 
erfuhr.  Ihr  Tod  trat  an  den  Blattern  ein.  Da  gleichzeitig  Maria 
Theresia  an  der  gleichen  Krankheit,  die  sie  durch  Ansteckung  von 
ihrer  Schwiegertochter  erworben  hatte,  darniederlag,  so  kümmerte 
sich  Kaiser  Josef,  der  beständig  in  der  Nähe  seiner  Mutter  weilte, 
auch  in  der  Todeskrankheit  nicht  um  seine  Gattin.  Freilich  tat 
ihm  seine  Kälte  später  leid.  Vgl.  Wolf,  Hofleben,  S.  278  ff.,  zSjf.  und 
zgoff.;  Wolfsgruber,  S.  233ff.,  Nr.  55;  Arneth,  VII,  lozff.,  ßZßff. 

2*2)  fm  Sommer  und  Winter  1790  lebte  Mack  in  Wien  (Penzing), 
um  sich  von  den  Strapazen  des  mährischen  Feldzugs  zu  erholen 
(oben  S.  127;  Wurzbach  XVI,  S.  212).  Seine  Gattin  Katharina, 
geb.  Gabriel,  starb  am  15.  April  1826  in  St.  Polten,  wo  sie  an 
der  Seite  ihres  Gatten  ruht  (laut  Photographie  des  Grabsteins, 
die  mir  Herr  Museumsverwalter  Friedrich  Imbery  in  St.  Polten 
freundlichst  übermittelte). 

2*3)  Phädon  oder  über  die  Unsterblichkeit  der  Seele  in  drey  Ge- 
sprächen. Berlin  und  Stettin  1767;  4.  verm.  Aufl.  Berlin  und 
Stettin  1776. 

2**)  Albrecht  von  Haller,  Briefe  über  einige  Entwürfe  der  Frei- 
geister wider  die  Offenbarung.  3  Teile.  Bern  1775  und  1776.  Im 
Wiener  Musenalmanach  spottet  man  über  sie  (Rommel,  a.  a.  O. 
S.  37  Anm.  1). 

2*5)  Eduard  Youngs  Night  Thoughts  erschienen  1742  —  1746  in 
London  und  wurden  durch  die  Übersetzung  des  Johann  Arnold 
Ebert  (1751,  52.  Wiederholt  und  verbessert  1760 — 1765,  1768 
bis  1771  und  1790 — 1795),  die  in  Prosa  gehalten  ist,  das  Original 
aber  trefflich  vnedergibt,  in  die  deutsche  Literatur  eingeführt, 
auf  welche  sie  äußerst  befruchtend  wirkten  (vgl.  Johannes  Barn- 
storff,  Youngs  Nachtgedanken  und  ihr  Einfluß  auf  die  deutsche 
Litteratur.  Bamberg  1895.  S.  23  ff .).  Young  verherrlichte  in  seinem 
Gedicht  den  Offenbarungsglauben  und  brachte  das  subjektive 
Naturgefühl  zum  Durchbruch. 

2**)  Eduard  Young,  Klagen  oder  Nachtgedanken  über  Leben, 
Tod  und  Unsterblichkeit.  Originaltext  nebst  Übersetzung  von 
Johann  Arnold  Ebert.  I  2,  (Leipzig  1790),  S.  42,  Vers  222 — 229; 
54,  Vers  3 19 f.;  34,  Vers  177 — 179.  Die  deutsche  Wiedergabe  in 
obigen  Zitaten  stammt  von  derPichler;  sie  ist  nicht  sehr  genau. 

246  aj  ^'pjjg  infidel  reclaimed'  betiteln  sich  die  6.  und  7.  Nacht 
der  „Night  thoughts". 

^*')    ,        Nachtgedanken,  den  11.  August  1790. 
Str.  I  =  oben;  nur  Z.  4:  Kein  Blatt  regt ... 

479 


2.  Schon  schlummert  alles.    O,  es  wacht 
Mein  Kummer  nur  auf  diesen  Flächen, 
Nur  meine  heißen  Tränen  brechen 
Hervor  mit  jeder  neuen  Nacht. 

Eilt  denn,  geschäftige  Gedanken, 
Nur  zu  geschäftig  für  mein  Glück, 
Schweift  aus  den  gegenwärtgen  Schranken 
In  die  Vergangenheit  zurück. 

3.  Ruft  mit  unseiger  Tätigkeit 
Mir  jeden  frohen  Tag  zurücke. 
Verhallte  Worte,  süße  Blicke, 

Den  Ausdruck  falscher  Zärtlichkeit. 
Ich  weiß,  daß  alles  dies  verschwunden, 
Ich  fühle  diese  leere  Brust, 
Und  wühle  doch  in  meinen  Wunden 
Mit  einer  schmerzlich  süßen  Lust. 

4.  Noch  glänzt  dein  zitternd  blaues  Licht, 
Geliebtester  von  allen  Sternen! 

Aus  jenen  ungemeßnen  Fernen, 
Das  sich  in  meinen  Tränen  bricht. 
Jetzt  hängt  an  deinem  hellen  Schimmer 
Kein  Auge  mehr  voll  Lieb  und  Ruh, 
Du  wirfst  verstellter  Sehnsucht  ninmier 
Das  Bild  der  nahen  Freundin  zu. 

5.  O,  wie  beneid  ich  dein  Geschick, 
Dich  quält  kein  ungestilltes  Sehnen, 
Du  spiegelst  dich  in  meinen  Tränen 
So  hell  wie  in  dem  heitern  Blick. 

O  lehre  mich,  den  Gram  besiegen. 
Und  ihn,  der  dich  und  mich  vergißt. 
Nun  auch  um  den  Triumph  betrügen, 
Daß  sein  Verlust  mir  schmerzlich  ist. 
(Handschriftlich  in  der  Wiener  Stadtbibliothek.) 
2*8)  Erinnerung  im  November  1790. 

1.  =  oben  Str.  i,  nur:  3  Flieh  ich  zu  dir  in  diesen  ernsten  Stunden. 

2.  =  oben  Str.  2,  nur :   i  kein  weiser  Vorwurf . . ; 

3.  =  oben  Str.  3,  nur:  2  weinen,  hier  mein 

4.  =  oben  Str.  4. 

5.  Ihr  Saiten  nur,  ihr  dürft  allein  es  wissen, 
Für  wen  noch  immer  diese  Tränen  fließen. 
Ach,  jenes  Band,  das  einmal  mich  umschlungen, 
Hält  bis  zum  Tod. 

480 


6.  Kann  ich  dafür,  daß  nach  so  vielen  Jahren, 
Nach  Untreu,  Kummer,  Trennung  und  Gefahren 
Doch  jetzt  mein  Herz  noch  bei  Erinnerungen 

Zu  brechen  droht. 

7.  So  oft  geliebt,  so  oft  aufs  neu  vergessen, 
Macht  dieses  Herz,  das  er  einst  ganz  besessen, 
Von  den  verjährten,  teuem  Fesseln  nimmer 

Sich  gänzlich  los. 

8.  Er  brach  die  Seinen.    Männerarme  sprengen 
Die  Ketten  leicht,  woran  wir  ewig  hängen. 

Der  fernsten  Rückkehr  kleinster  Sonnenschinuner 
Dünkt  uns  so  groß! 

9.  Die  Hoffnung  regt,  bedeckt  vom  Aschenhügel 
Verglühter  Flamme,  ihre  schwachen  Flügel 
Und  wähnet  nicht,  daß,  was  sich  ihr  gezeiget, 

Nur  Täuschung  sei.  . 

10.  Die  Vorsicht  weiß,  warum  sie  uns  geschieden; 
Ich  fand  in  seiner  Liebe  Glück  und  Frieden  — 
Es  ist  vorbei!  —  schweigt,  rege  Wünsche,  schweiget. 
Es  ist  vorbei! 

(Handschriftlich  in  der  Wiener  Stadtbibliothek.)  —  Karoline 
V.  Greiner  als  Klavierspielerin  feiert  ein  Gedicht  von  Ignaz 
Liebel  (Gedichte.  2.  Aufl.  Wien  18 14.  S.  49:  Die  Klavier- 
spielerin, an  Fräul.  K.  v.  G**).  Ein  Ungenannter  preist  1789 
(Wiener  Musenalmanach  auf  das  Jahr  1790.  Wien  [1789], 
S.  89)  ihren  Gesang  und  ihr  Klavierspiel  und  Karl  JuUus 
Fridrich  rief  1787  (ebd.  1791,  S.  150),  nachdem  er  eine 
musikalische  Akademie  im  Hause  Greiner  gehört  hatte  (vgl. 
über  diese  oben  S.  -41,  53),  als  Unmusikalischer  bei  ihrem 
Spiele  aus: 

Und  doch,  du  Zauberin!  verstand  von  deinem  Spiele 
Mein  Herz,   dem  Kenner  gleich,  den  Sinn  in  jedem  Laut. 

Von  ihrem  Klavierspiel,  ihrem  Gesang,  ihrer  Mitwirkung  bei 
Quartetten  und  von  sonstigen  AuflFührungen  im  Hause  ihrer 
Eltern  und  später  in  ihrem  eigenen  Heim  ist  wiederholt  die 
Rede,  vgl.  oben  S.  37,  41,  53,  81,  113,  146,  149,  i9of., 
251,  260,  283f.;  II.  24f.,  41 — ^43,  78,  84.  —  Gedanken  über 
die    Anlage    zur    Musik    und    Komposition    äußert    sie    oben 

31  c.  p.  I  .  481 


S.  293 — 295;  über  die  Frauen  und  die  Musik  spricht  sie  oben 
S.  2951. 

2*9)  Frauenwürde.  4  Bde.  Wien  18 18  (=  S.  W.  2  XX  bis 
XXIII).  —  Vgl.  IL  Anm.  189. 

2^)  Über  den  Prater  und  die  Praterfahrten  jener  Zeit  vgl.  man 
J.  Pezzl,  Skizze  von  Wien,  IV,  (Wien  1787),  S.  569ff. 

25^)  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der  Menschheit. 
4  Teile.  Riga  und  Leipzig  1784 — 1791.  Über  weitere  Aus- 
gaben s.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i,  S.  293  :  67.  —  Vgl.  unten 
Nachtrag. 

252)  Alxinger,  der  den  Virgil  mit  der  Karoline  las,  berichtet 
von  ihrer  Rührung,  als  sie  die  Stelle  vom  Tode  des  Euryalus 
und  des  Nisus  lasen,  in  dem  Widmungsgedicht  (Sämmtliche 
Gedichte,  II,  [Klagenfurt  1788],  S.  161  =  Sämmtliche  Werke, 
VII,  [Wien  1812],  S.  gf.),  das  er  der,  KaroUne  von  Greiner  ge- 
widmeten Übersetzung  dieser  Episode  (Virgil,  Aen.  1.  IX,  v. 
176  ff.)  vorausschickt.  —  Das  Zitat  aus  der  Aeneide  steht  lib.  I, 

V.  3 78 f.  (richtig  heißt  es:  Sum    pius  Aeneas fama  super 

aethera  notus).  —  Ein  Ungenannter  weist  in  seinem  Gedichte 
„An  C.  von  G**r  (Wiener  Musenalmanach  auf  das  Jahr  1790. 
Wien  [1789],  S.  89^)  ebenfalls  darauf  hin,  daß  zwei  Sänger 
(Alxinger  und  Haschka)  ihr  Sprachen  lehrten,  daß  sie  nun- 
mehr die  Sänger  am  Arno,  die  Schwäne  der  Themse  und 
das  süße  Geschwirre  gallischer  Lieder  kenne  und  die  einzige 
Schöne  in  Wien  sei,  die  Virgil  und  Horaz  „innigempfunden" 
verstehe. 

253)  Alois  Blumauer,  Virgils  Aeneis  travestiert,  I,  [Wien  1784], 
S.  39.  —  In  ihrer  Abhandlung  „Über  die  Travestirungen" 
(SW.  2  XVII,  S.  7  ff.)  spricht  Pichler  (S.  16  f.)  unter  Heran- 
ziehung des  Blumauerschen  Beispiels  über  den  Schaden,  den 
die  Travestie  in  jugendUchen  Gemütern  t  anrichtet.  —  Vgl. 
Nachtrag. 

25*)  Maria  Josefa  von  Ravenet,  im  Hause  des  Regierungsrates 
von  Heß  (Anm.  255)  erzogen,  verband  ein  inniges  Freundschafts- 
band mit  Karoline  von  Greiner,  das  besonders  bei  letzterer  zu 
Enthusiasmus  führte  (vgl.  S.  I38f.,  I42f.,  486).  Die  „Gleichnisse" 
widmete  diese  ihr  handschriftlich  mit  einem  Gedicht,  1792  (S.  138), 
das  in  der  ersten  Buchausgabe,  1800,  weggefallen  ist  (unten 
Anm.  376),  in  die  „Sämmtlichen  Werke"  1822  aber  aufgenommen 
wurde  (vgl.  Anm.  261).  Aus  diesem  geht  hervor,  daß  Josefa  eine 
Malerin  war  (S.W.  2  XVIII,  S.  6  und  29).  Bei  Karolinens  Hochzeit 
(1796)  war  sie  Kranzeljungfer  (oben  S.  189).  Sie  heiratete  später 
(vgl.  II,  S.  184),  im  Mai  1824,  den  bekannten  Landschaftsmaler 
Johann  Schödelberger,  der  25  Jahre  auf  sie  gewartet  hatte.  Vorher 

482 


war  sie  Erzieherin  im  Hause  der  Gräfin  Esterhazy  (II,  S.  183). 
Nach  ihrer  Verehelichung  kam  sie  wieder  oft  ins  Haus  der  Pichler. 
—  Karoline  widmete  ihr  1803  auch  die  Idylle  „Der  Sommer- 
abend" (Idyllen.  Wien  1803.  S.21  =  S.W.  2  XV,  S.  2^). —Unten 
Nachtrag.  •  ' 

255^  Franz  Josef,  Reichsritter  von  Heß  (1739 — 1804)  war  seit 
1776  Regierungsrat  der  niederösterreichischen  Statthalterei  und 
trat  besonders  1797  beim  allgemeinen  Aufgebot  hervor  (vgl.  über 
ihn  Beiträge  zur  Geschichte  der  niederösterreichischen  Statt- 
halterei. Wien  1897.  S.  470;  Geusau,  Geschichte  der  Haupt-  und 
Residenzstadt  Wien,  V,  [Wien  1807],  S.  69;  Jos.  Lauber,  Denk- 
mal der  VaterlandsUebe  und  Fürstentreue.  Wien  1797.  S.  351). 
1785  finden  wir  ihn  unter  den  Subskribenten  der  Blumauer- 
schen  „Aeneis"  (II,  S.  XII)  und  der  „Gedichte"  von  Ratschky 
(S.  215).  Er  war  1796  KaroHnens  Beistand  bei  ihrer  Verehe- 
lichung (oben  S.  189).  —  Seine  Frau  hieß  Maria  Theresia  und 
war  eine  geborene  v.  Leporini.  Sie  starb  am  1.  Februar  1798, 
44  Jahre  alt,  an  gallichtem  Faulfieber,  drei  Kinder  (Albert 
Joachim  Franz,  geb.  1787;  Heinrich  Hermann  Josef,  geb.  1788 
und  Maria  Antonia,  geb.  1790)  zurücklassend,  von  denen  Hein- 
rich der  rühmlichst  bekannte,  spätere  österreichische  Feldmar- 
schall ist  (vgl.  Verlassenschaftsakten  im  Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  15,  ex  1798;  Totenprotokolle  der 
Stadt  Wien.  Handschrift  im  Wiener  Stadtarchiv.  Bd.  126, 
Buchst.  H,  Fol.  7a). 

25^)  Zu  dieser  Zeit  wohnte  der  Regierungsrat  v.  Heß  in  der 
Kärtnerstraße  Nr.  1082  (später  1139;  Hof-  und  Staatsschema- 
tismus, 1791,  S.  146;  1793,  S.  140).  —  Diese  vielen  Briefe 
wurden  unter  Richardsons  (Grandison)  und  Hermes  (Sophiens 
Reisen)  Einfluß  geschrieben,  wie  die  Pichler  18 19  der  Therese 
Huber  in  einem  Briefe  mitteilte  (K.  Glossy,  Grillparzer-Jahrb. 
III,  S.  286). 

256  a)  über  diesen  Frohsinn,  der  Karoline  durchs  ganze  Leben 
begleitete,  vgl.  man  auch  zwei  sehr  interessante  Briefstellen  an  die 
Huber  aus  den  Jahren  18 19  und  1820  (K.  Glossy,  Grillparzer- Jahr- 
buch. III,  S.  289!.  und  294). 

257)  Über  die  Stoa  schrieb  Pichler  später  eine  Abhandlung  „Zwey 
Briefe  über  die  Stoa  und  das  Christenthum"  (S.  W.2  XVIII,  S.  21 1  ff.), 
die  auch  einzeln  erschien  (Über  die  Stoa  und  das  Christenthum 
in  zwey  Briefen.  Wien  und  Leipzig  1822).  Es  ist  dies  eigentlich 
eine  autobiographische  Skizze,  in  der  sie  ihr  jugendliches  Hinneigen 
zur  Stoa,  die  ihrer  ganzen  IndividuaUtät  entsprach,  deren  Lehren 
mit  dem  Christentum  im  allgemeinen  übereinstimmten,  schilderte, 
die  sie  aber  im  Grunde  nicht  glücklich  machte  (S.  W.  2  XVIII,- 

31*  483 


S.  2i6f.).  Das  Im  tiefsten  Grunde  ihrer  Seele  schlummernde 
wahre  Christentum,  das  sie,  ihrer  Zeitrichtung  folgend,  zurück- 
gedrängt hatte  (vgl.  oben  S.  72!,  8 5  f.,  113  f.,  128  f.),  machte 
seine  Rechte  geltend,  und  nun  kam  die  Zeit  der  Zweifel;  hie 
Christentum,  hie  Stoa  war  das  Losungswort,  und  an  Stelle  der 
stoischen  Tugend  trat  die  christliche  Demut  (S.  W.  *  XVIII, 
S.  221  ff.).  Um  ihre  Zweifel  zu  lösen,  deckte  sie,  denn  der 
Name  Lucidor  ist  nur  ein  Deckmantel,  dem  altbewährten  Lehrer 
Adrast,  wir  erkennen  in  ihm  ihren  späteren  Seelenführer  P.  Mar- 
cellian  Lunger  (vgl.  II,  S.  65  ff.,  III),  ihren  Seelenzustand  auf, 
und  dieser  wies  sie  darauf  hin,  daß  die  Stoiker,  im  besonderen 
Seneca,  nicht,  was  ihre  Grundmeinungen  betreffe,  dem  Chri- 
stentum entgegengesetzte,  sondern  nur  verschiedene  Wege  wan- 
deln, wie  ein  Vergleich  von  Stellen  ihrer  Schriften  mit  christ- 
lichen Schriftstellen  beweise.  Den  stoischen  Geist  möge  Luci- 
dor beibehalten,  aber  mit  der  christlichen  Demut  verbinden 
(S.  W.  2  XVIII,  S.  264f.).  Wenn  Karoline  Pichler  in  dieser  Ar- 
beit, die  sich  im  zweiten  Brief  vielfach  mit  ihrer  Abhandlung 
über  das  Gebet  (II,  S.  343  ff.)  berührt,  den  Stoikern  und  Seneca 
Ahnungen  des  christlichen  Geistes  zuschreibt,  so  stimmt  sie 
mit  Michael  Baumgarten  (Lucius  Annaeus  Seneca  und  das 
Christenthum  in  der  tief  gesunkenen  antiken  Weltzeit.  Rostock 
1895.  S.  233)  überein,  der  aber  in  seiner  Übersicht  über  den 
Einfluß  Senecas  in  Deutschland  (a.  a.  O.  S.  28  ff.)  der  Pichler 
nicht  gedenkt. 

**'*)  Die  Braut  von  Messina.  4.  Aufzug.  10.  Auftritt:  Schluß- 
verse. —  Dieser  Vers,  auch  in  einem  Gedichte  der  Pichler  an  Abt 
Ladislaus  Pyrker  variiert  wiederkehrend  (S.  W.  ^  XVI,  S.  136, 
Str.  III,  4,  5)  und  sonst  öfter  verwendet  (S.  W.  ^  XVIII,  S.  217), 
bildete  den  Ausgangspunkt  für  ihre  Romane  „Agathokles"  und 
„Frauenwürde"  (vgl.  11,  S.  107). 

*^)  Epistel  102:  dies  iste,  quem  tanquam  extremum  reformidas, 
aeterni  nataüs  est.  Vgl.  Clemens  Kickh,  Gott,  Mensch,  Tod  und 
Unsterblichkeit.  Eine  Blütenlese  aus  den  Schriften  des  L.  Annaeus 
Seneca.  Wien  1874.  S.  76.  Diese  Stelle  wird  von  der  Pichler  auch 
in  ihrer  Abhandlung  „Über  die  Stoa  und  das  Christenthum"  (oben 
Anm.  257)  zitiert  (S.  W.  «  XVIII,  S.  255).  —  Kickh,  S.  63  ff.  stellt 
eine  große  Anzahl  Zitate  aus  Senecas  Schriften  zusammen,  die 
über  den  Tod  und  die  Unsterblichkeit  handeln.  Vieles  davon 
berührt  sich  mit  dem,  was  die  Pichler  hier  und  in  ihrer  Ab- 
handlung „Über  die  Stoa"  zum  Ausdruck  bringt.  —  Diese 
zitiert  in  den  „Denkwürdigkeiten"  noch  öfter  Stellen  aus  Seneca 
(vgl.  das  Register  im  IL  Band  unter  Seneca),  denn  sie  besaß  in 
ihrer  Bibliothek  dessen  „Opera  omnia"  (Lipsiae  1770  bei  Weid- 

484      . 


manns  Erben;  Nr.  36  im  Verzeichnis  ihrer  Bücher  im  Verlassen- 
schaftsakt); sie  war  von  ihrer  Jugend  bis  in  ihr  spätes  Alter 
stark  von  Seneca  beeinflußt  (vgl.  oben  S.  I34f.,  141  und  eine 
Brief  stelle  an  die  Huber  aus  dem  Jahre  18 19:  K.  Glossy,  Grill- 
parzer- Jahrb.  HI,  S.  289).  Die  Excerpte,  welche  sie  aus  ihm 
machte  (vgl.  oben  S.  135),  verwertete  sie  in  der  Abhandlung 
„Zwey  Briefe  über  die  Stoa  und  das  Christenthum"  (Anm.  257) 
in  ausgiebiger  Weise. 

259)  Charles  Bonnet,  Contemplation  de  la  nature.  2  Bde.  Am- 
sterdam 1764.  Eine  deutsche  Übersetzvmg  „Betrachtungen  über 
die  Natur"  erschien  1772  in  Leipzig.  —  In  Pichlers  Bibliothek  war 
die  Übersetzung  von  Titius,  Leipzig  1783,  vorhanden  (Nr.  14  des 
Verzeichnisses  ihrer  Bücher  im  Verlassenschaftsakt). 

260)  Jacques  Bernardin  de  St.  Pierre,  La  chaumiere  Indienne. 
Paris  1791.  —  »Der  Paria"  (Trauerspiel  in  einem  Aufzug)  von 
Michael  Beer  wurde  zuerst  im  Dezember  1823  in  BerUn  aufgeführt, 
erschien  aber  erst  1826  und  selbständig  1829  im  Druck  (Goedeke, 
VIII,  S.  57of.:6,  10). 

261)  SämmtUche  Werke,  2  XVIII.  Prosaische  Werke,  II  (Wien 
1822),  S.  5  ff.  —  38  Gleichnisse,  die  von  1792  bis  1800  entstanden 
sind.  Unter  dem  Eindrucke  des  Werkes  von  St.  Pierre  dichtete 
Pichler  zunächst  die  Gleichnisse:  „Die  Salbei"  (Nr.  XIII),  „Die 
Tannen"  (Nr.  XVIII),  „Der  SchmetterUng"  (Nr.  XV);  später 
folgten  unter  der  Einwirkung  von  Herders  „Ideen"  andere, 
als  „Die  Blüten  im  FrühUng"  (Nr.  I),  „Die  Pflanzen  im  Schat- 
ten" (Nr.  XXIII),  „Die  eingeimpften  Bäume"  (Nr.  xVl)  u.  a. 
(vgl.  Sämmtl.  Werke,  2  XVIII,  S.  8  und  9).  Wie  die  Gleich- 
nisse zuna  Druck  kamen  und  welche  Aufnahme  sie  fanden,  er- 
zählt die  Pichler  selbst  (oben  S.  217,  226ff).  Das  Widmungs- 
gedicht an  Josefa  von  Ravenet  (S.  W.  ^  XVIII,  S.  3  f.)  ist  mit 
1792  datiert.  —  Vgl.  dazu  unten  Anm.  376  und  S.  W.  2  XVIII, 
S.  198. 

2*2)  Dieses  Zitat  ist  nicht  von  Cicero,  denn  H.  Merguet  (Lexikon 
zu  den  Reden  des  Cicero.  4  Bde.  Jena  1877 — 1884;  Lexikon  zu  den 
philosophischen  Schriften  Ciceros.  3  Bde.  ^Jena  1887 — 1894)  hat 
keinen  derartigen  Stellenbeleg. 

2*^)  Was  hier  die  Pichler  über  den  Werther  sagt,  scheint  für 
Österreich  typisch  zu  sein,  denn  wenn  auch  dieses  Werk  viel 
gelesen  wurde,  so  hat  es  literarisch  in  Österreich  beinahe  gar 
keinen  Einfluß  ausgeübt.  Auch  das  Wertherfieber  war  hier 
nicht  zur  Blüte  gelangt.  Nur  der  zur  Parodie  und  Travestie 
geneigte  Geist  der  Wiener  ergriff  den  Stoff  zur  burlesken  Aus- 
schrotung. VgL  Gustav  Gugitz,  Das  Wertherfieber  in  Öster- 
reich.    Wien    1908.     S.  Iff.,    welcher    die    etwas    zu    enthusia- 


stischen  Ausführungen  von  H.  M.  Richter  (Aus  der  Messias- 
und  Werther- Zeit.  Wien  1882.  S.  lözff.)  auf  das  richtige 
Maß  zurückführte. 

28*)  Chr.  M.  Wieland,  Geschichte  des  Agathon.  2  Bde.  Frank- 
furt und  Leipzig  1766 — 67.  —  Agathon.  4  Teile.  Leipzig  1773 
(vgl.  Goedeke,  Grdr.  IV,  i  8.201:41).     . 

^  Agathon.  IV.  Buch.  7.  Kapitel  (II,  [Leipzig  1773],  S.  I36ff.). 

—  In  späteren  Ausgaben:  VII.  Buch.  4.  Kapitel  (Geschichte  des 
Agathon.  IL  [Wien  18 18],  S.  46ff.).  ■ 

^^)  7.  Nacht,  Vers  466 :  Eduard  Young,  Klagen  oder  Nacht- 
gedanken über  Leben,  Tod  und  Unsterblichkeit.  Eriglisch 
und  deutsch  von  Joh.  Arnold  Ebert.    III,  (Leipzig  1792),   S.  84. 

—  Young  wird  von  der  Pichler  öfter  zitiert  (vgl.  Band  II, 
Register  unter  Young).  —  Über  den  Einfluß,  den  ,er  auf 
die  Pichler  ausübte,  s.  oben  S.  129  und  eine  Brief  steile  an  die 
Huber  aus  dem  Jahre  18 19  (K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrb.  III, 
S.  289).  , 

*8')  Magazin  zur  Erfahrungsseelenkunde  als  ein  Lesebuch 
für  Gelehrte  und  Ungelehrte.  Mit  Unterstützung,  mehrerer 
Wahrheitsfreunde  herausgegeben  von  Carl  Philipp  Storitz.  10 
Bände.  Berlin,  bei  August  Mylius  1783— 1793.  Jeder  Band 
in  3  Stücken. 

2^)  In  der  Originalhandschrift  ist  der  Gedanke  ursprünglich 
weiter  ausgeführt:  „Meine  Eltern  waren  wohl  nicht  eigentlich 
reich,  aber  sehr  wohlhabend  zu  nennen;  und  da  mein  Bruder 
und  ich  die  einzigen  Kinder  derselben  waren,  so  konnte  ich 
berechnen,  daß  das  Vermögen,  das  einst,  wenn  keine  Unglücks- 
fälle einträten,  meinen  Anteil  ausmachen  sollte,  hinreichend 
sein  würde,  um  zwei  Personen,  deren  Wünsche  mäßig  waren, 
beschränkt,  aber  anständig  zu  ernähren.  Solange  meine  Eltern 
leben  würden,  bliebe  ich  natürlicherweise  bei  ihnen,  würde 
sie  aber  Gott  vor  mir,  wie  es  wahrscheinlich  war,  abrufen, 
so  hatte  ich  für  mich  und  Josefinen  folgenden  Lebensplan 
entworfen. 

Daß  auch  sie  schwerlich  heiraten  würde,  war  mir  aus  ihren 
Verhältnissen  sehr  wahrscheinlich,  denn  sie  war  arm,  nicht 
schön  und  die  günstigen  Vorzüge,  die  sie  besaß,  galten  auch 
damals  wie  jetzt  den  meisten  jungen  Männern  nicht  als  Er- 
satz für  Vermögen  und  Reize.  Überdies  war  ihr  Gefühl  so 
fein,  ihre  Geistesbildung  so  bedeutend,  daß  ich  gewiß  wußte, 
zu  einer  bloßen  Konvenienzheirat,  um  überhaupt  versorgt 
zu  sein,  würde  sich  meine  Freundin  nie  entschließen.  Sie 
besaß  auch  an  ihren  Kenntnissen  und  Geschicklichkeiten  einen 
Schatz,  der  ihr,  wie   es  sich  hernach  wies,    eine  sehr  ehrenvolle 

486 


und  einträgliche  Versorgung  anderer  Art  verschaffte.  Doch 
das  wußten  und  dachten  wir  beide  damals  nicht.  Wohl  aber 
war  es  von  jeher  mein  fester  Vorsatz  gewesen,  Josefinen  nie 
zu  verlassen  und  sie,  wenn  sie  es  einst  bedürfen  sollte,  zu  mir 
zu  nehmen." 

269)  P.  Ovidius  Naso,  Metamorphoses,  lib.  XV,  v.  75ff. 

270)  Fehlt  im  Druck;  in  der  Originalhandschrift  durchstrichen. 

271)  Walpurga  Gräfin  Truchseß-Waldburg-Zeil  (1762— 1828), 
geb.  Gräfin  Harrach,  seit  1779  mit  dem  Grafen  Klemens  Alois 
von  Truchseß-Zeil  vermählt,  lebt  als  ehemalige  Besitzerin  der 
Herrschaft  Kunewald  im  mährischen  Kuhländchen  heute  noch 
in  lebhafter  Erinnerung  fort.  Sie  war  es,  die,  nachdem  ^ 
sie  sich  1786  von  ihrem  Gatten  getrennt  hatte,  1788  die  erste 
Schule  in  Kunewald  und  1792  in  ihrem  Schlosse  eine  Er- 
ziehungsanstalt errichtete.  Um  die  Schweizer  Schuleinrich- 
tungen kennen  zu  lernen,  fuhr  sie  zweimal  (1792  und  1808) 
in  die  Schweiz;  von  ersterer  Reise  brachte  sie  Karoline  von 
Greiner  einen  Seidenstoff  mit.  Die  Gräfin  Walpurga  war  etwas 
exzentrisch  und  romantisch  veranlagt  und  hatte  von  Seiten 
der  Behörden  für  ihre  gemeinnützigen  Schöpfungen  nur  Un- 
dank geerntet.  Vgl.  über  sie  die  treffliche  Biographie  von  Wilh. 
Schräm  (Vaterländische  Denkwürdigkeiten,  II  [Brunn  1907],  S.  iff. 
mit  Bildnis). 

272)  Betreffs  der  Stadthäuser  vgl.  oben  S.  446  Anm.  53 ;  über  das 
Landhaus  unten  Anm.  365. 

^73)  Guiseppe  Carpani,  Le  Haydine  ovvero  lettere  sulla  vita  e 
le  opere  del  celebre  maestro  Guiseppe  Haydn.  Edizione  seconda. 
In  Padova  1S23.    p.  26  (dritter  Brief  vom  20.  Juni  1808). 

^7*)  Josef  ine  von  Born  war  am  17.  Mai  1768  in  Wien  geboren 
(Verlassenschaftsakt  ihres  Vaters  im  Wiener  Landesgericht,  Fasz.  V, 
Nr.  97  ex  I79i).  Sie  erscheint  1787  unter  den  Subskribenten  der 
Gedichte  des  K.  J.  Fridrich  (Lieder  der  Liebe  und  der  Freude. 
Wien  1787.  Bl.  5  a)  und  1788  unter  denen  der  „Gedichte"  von 
Gottlieb  Leon  (Wien  1788,  S.  VIII),  der,  ihr  ein  Gedicht 
„An  Fräulein  Josepha  v.  B.  bey  Übersendung  eines  Paars  weißer 
Handschuhe"  (Gedichte  S.  52)  mit  dem  Wunsche,  sie  möge  so 
weiß  und  makellos  wie  die  Gabe  bis  zum  Grabe  sein,  zueignete. 
Nach  dem  Tode  ihres  Vaters  nahm  sie  Franz  Graf  Szechenyi 
in  sein  Haus  und  versprach,  sie  zu  versorgen  (Brief  Alxingers 
an  Wieland  vom  3.  August  1791:  G.  Wilhelm,  Briefe  des 
Dichters  Johann  Baptist  von  Alxinger.  Wien  1898.  S.  66). 
Was  weiter  aus  ihr  wurde,  ist  mir  unbekannt.  Beim  Tode  ihrer 
Mutter  Magdalena  von  Born  (gest.  in  Wien  am  3.  April  18 18) 
lebte  sie   nicht   mehr  (vgl.   die  Verlassenschaftsakten   im  Archiv 

487 


des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  67  ex  18 18  und  unten 
II.  S.  188). 

275)  Über  diese  Gesellschaften  vgl.  Pezzl,  Lebensbeschreibungen 

des Hofraths  Ignatz  von  Born.  Wien  1792.   S.  252f,;  P.  von 

Hofmann-Wellenhof,  Alois  Blumauer.   Wien  1885.    S.  15. 

276)  Von  „die  eigentlich"  bis  „eingegangen  war"  ist  in  der 
Handschrift  durchstrichen  und  fehlt  im  Druck. 

2")  Hofrat  Ignaz  von  Born  starb  am  24.  Juli  1791. 

^8)  So  in  der  Handschrift;  der  Druck  setzt  dafür  *  hier  und 
später  **.  —  Gemeint  ist  Graf  Heinrich  Wilhelm  (HL)  von 
Haugwitz  (1770 — 1842),  der  von  1790  bis  1793  als  Hofkon- 
zipist  beim  k.  k.  Direktorium  diente  (Hof-  und  Staatsschema- 
tismus. 1791,  S.  13;  1793,  S.  15).  Er  war  k.  k.  Kämmerer  und 
Geheimer  Rat.  Seit  7.  August  1794  war  er  mit  Sophie  Gräfin 
von  Fries  vermählt  (E.  H.  Kneschke,  Deutsche  Grafen-Häuser 
der  Gegenwart,  I,  [Leipzig  1852],  S.  336).  Ignaz  Liebel  hatte 
—-ihn  in  seiner  Jugend  mit  zwei  Gedichten  bedacht  (Gedichte. 
Wien  1787.  S.  39,  140  =  Gedichte.  2.  Aufl.  Wien  1814.  S.  182 
und  269). 

2")  Sämmtliche  Werke  «  XXVI.  S.  23 1  ff. :  Alt  und  neuer  Sinn.  — 
Erschien  zuerst  18 10  (Taschenbuch  für  Damen  auf  das  Jahr  181 1, 
Tübingen  [18 10],  S.  48ff.). 

280)  Fehlt  S.  W.  —  Bis  jetzt  ist  mir  die  Auffindung  des  Erst- 
drucks nicht  gelungen. 

^1)  Gemeint  sind  die  oben  S.  130  f.  (dazu  Anm.  247  und  248) 
angeführten  Gedichte  „Nachtgedanken"  und  „Erinnerung", 
die  sich  auf  das  Verhältnis  zu  Kempelen  beziehen  und  von 
denen  zu  KaroUne  Pichlers  Lebzeiten  nur  das  6rstere  veröffent- 
licht wurde. 

2*2)  Anton  Bernhard  Eberl,  geboren  1762  zu  Wien,  trat 
nach  Vollendung  seiner  Studien  1783  als  Accessist  in  die  Re- 
gistratur der  k.  k.  Kameral-Haupt-Buchhalterei  in  Wien  ein 
(Hof-  und  Staatsschematismus.  1784,  S.  56)  und  wurde  dort 
1786  Ingrossist  (ebd.  1787,  S.  54).  Zu  dieser  Zeit  hatte  er  mit 
Gabriele  Baumberg  ein  Liebesverhältnis,  das  1787  durch  seine 
Versetzung  als  Offizial  zur  k.  k.  Rechenkammer  in  Brüssel  (vgl. 
G.  Leon,  Gedichte.  Wien  1788,  S.  III,  unter  Brüssel)  zerstört 
wurde.  Wenn  Otto  Rommel  (Der  Wiener  Musenalmanach, 
S.  209)  zwei  Gedichte  der  Baumberg  auf  diese  Trennung  be- 
zieht, so  ist  dies  falsch,  denn  diese  stammen  aus  dem  Jahre 
1784,  haben  demnach  ein  anderes  zerstörtes  Verhältnis  zur  Vor- 
aussetzung. 1790  kehrte  Eberl  wieder  nach  Wien  zurück  und 
diente  dem  Staate  bis  1805  als  Raitoffizier  (Rechnungsoffizial) 
bei  der  Hauptbuchhalterei  (Hof-  und  Staatsschematismus.    1791, 

488 


S.  52;  1805,  S.  135).  Sein  Liebesleben  während  dieser  Zeit,  die 
Neigungen,  die  er  zu  Karoline  v.  Greiner,  dem  Fräulein  L — 1 
und  der  Gräfin  Salmour  hatte,  beleuchtet  Pichler  (S.  I54ff0' 
Seine  Liebe  zur  Poesie  oder  zur  Baumberg  machte  ihn  auch 
zum  Dichter.  Zwei  Epigramme  (Der  pünktliche  Rath;  Der 
Quieszent),  die  Amtsverhältnisse  behandeln,  und  eine  Absage 
an  die  Liebe  (Der  Vorsatz)  liegen  aus  der  Zeit  vor  1787  vor 
(Wienerischer  Musenalmanach  auf  das  Jahr  1787.  Wien  [1786], 
S.  78  und  105;  49).  Gestorben  ist  er,  nachdem  er  vorher  noch 
in  der  Gemeinde  Weinhaus  (jetzt  Wien  XVIII)  Nr.  i  zur  Er- 
holung weilte,  am  17.  August  1805  im  allgemeinen  Kranken- 
haus an  der  Lungenschwindsucht,  43  Jahre  alt  (Totenprotokoll 
der  Stadt  Wien  im  Konskriptionsamt  der  Stadt  Wien,  1805, 
Buchst.  A,  E.  Fol.  32  a).  Damit  erledigt  sich,  was  Rommel  (Der 
Wiener  Musenalmanach,  S.  158  :  9)  über  Eberl  vermutet.  — 
Eberl  war  ebenso  wie  Kirchstättern  ein  beliebter  und  gesuchter 
Schauspieler  für  Privatbühnen;  wir  wissen,  daß  er  am  Theater 
der  Gräfin  Stockhammer  auftrat,  wo  er  1793  im  Melodrama 
„Pyramus  und  Thisbe"  seines  Namensvetters  Anton  Eberl  den 
Pyramus  mit  Auszeichnung  gab  (Wiener  Theateralmanach  für 
das  Jahr  1794.  S.  55).  Am  Theater  des  Grafen  Esterhazy 
spielte  er  den  Grafen  Ferdinand  Wodmar  in  Gemmingens  deut- 
schem Hausvater  (ebd.  1794,  S.  57),  ebenso  trat  er  am  Privat- 
theater des  Herrn  L**  im  ehemaligen  Nonnenkloster  zur  Him- 
melpforte auf  (ebd.  1794.  S.  52).  Ein  Unbekannter  sagt  1794 
(ebd.  1794,  S.  48)  von  seinem  Spiel:  „Jetzt  hat  Herr  E** 
(Eberl)  dieses  Fach  (der  Liebhaber)  übernommen,  der  es  auch 
schon  im  Taubstummeninstitute  gespielt  hatte.  Er  spielt  mit 
sehr  viel  Feinheit,  besitzt  seinen  Körper  ganz,  spricht  immer 
im  wahren  Konversationstöne,  benimmt  sich  mit  dem  schönsten 
Anstände,  mit  einem  Wort,  er  ist  seinem  Fache  ganz  gewachsen, 
nur  wünschte  ich  ihm  etwas  mehr  natürliches  Feuer."  —  Eberl 
gehörte  auch  dem  literarischen  Verein  an,  den  Karolinens  Bruder 
Franz  Xaver  von  Greiner  1791  oder  1792  mit  anderen  begründet 
hatte  (oben  S.  170). 

283)  Sämmtliche  Werke.  2  XXIII,  S.  241  ff.:  Das  gefährUche 
Spiel.  —  Erschien  zuerst  18 13  (Taschenbuch  für  Damen  auf  das 
Jahr  1814.    Tübingen  [1813],  S.  i8ff.). 

28*)  Am  29.  Mai  1804  starb  im  Hohenblumischen  Hause 
Nr.  856  auf  der  Seilerstätte  in  Wien  im  Alter  von  32  Jahren 
Jungfrau  Maria  Anna  Lissl,  die  Tochter  eines  pensionierten  k, 
k.  Staatsgüteradministrationsgrundbuchverwalters,  an  der  Lungen- 
sucht (Totenprotokoll  der  Stadt  Wien  im  Konskriptionsamt, 
1804,    Buchst.  L.,    Fol.  20b).     Diese    wird    mit    dem    Fräulein 

489 


L — 1  identisch  sein.  Ihr  geringfügiger  Nachlaß  ging  an  ihre 
Schwester  Theresia  Edle  von  Hochenblum,  k.  k.  Bankalgefällen- 
Aktuariusgattin,  in  deren  Haus  sie  wohnte,  über  (Verlassen- 
schaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  2,  Nr.  2514 
ex  1804). 

2^^)  In  der  Originalhandschrift  waren  die  beiden  Absätze 
ursprüngUch  mehr  ausgeführt,  jedoch  dann  durchstrichen  und 
durch  die  Druckrelation  ersetzt  worden;  hier  die  ursprüngliche 
Fassung:  „In  der  letzten  Szene,  wo  Dörner,  so  heißt  der 
Sekretär  im  Stücke,  von  Furcht,  die  Geliebte  zu  verlieren,  von 
Besorgnis,  ihr  zu  mißfallen  und  von  Leidenschaft  zugleich  ge- 
trieben, ihr  zu  Füßen  sinkt  und  ihr  seine  Liebe  gesteht  —  da 
—  verUeß  auch  mich  meine  Kraft.  Eberl  lag  zu  meinen  Füßen, 
die  Worte  seiner  Rolle  gingen  mich  wirklich  an,  —  er  mochte 
so  empfinden  wie  Dörner  für  Julien  fühlt  —  mir  fing  an  zu 
schwindeln,  ich  wußte  nicht  mehr,  was  ich  sprach,  ich  sah  nur 
den  Mann  vor  mir,  der  mir  so  wert  war,  und  hörte  nur  sein 
Geständnis.  Mit  Mühe  behielt  ich  die  Fassung,  mein  Bewußt- 
sein verließ  mich  beinahe  und  ich  mußte  mich  —  was  gegen 
die  Rolle  war  —  einen  Augenblick  niedersetzen,  um  Kraft 
zum  Ausspielen  der  Szene  zu  erhalten.  Glücklicherweise  hielt 
ich  mich  aufrecht,  aber  dieser  Moment  zeigte  mir,  wie  sehr 
Eberl  mich  interessierte.  Ich  erkannte  bei  solchen  Anlässen, 
wie  gefährlich  es  sei,  mit  einem  Manne,  der  uns  nicht  gleich- 
gültig ist,  in  solchen  beziehungsvollen  Rollen  zusammen  zu 
spielen.  Viel  später,  wohl  nach  25  und  mehr  Jahren  schilderte 
ich  diesen  bedenklichen  Augenblick  meines  Lebens  in  der 
kleinen  Erzählung:  Das  gefährliche  Spiel  —  wo  der  Ge- 
liebte als  Tancred  einen  eben  solchen  und  nur  des  poetischen 
Effekts  wegen  noch  entscheidenderen  Eindruck  auf  die  Liebende 
macht. 

So  bedenklich,  wie  ich  eben  sagte,  dieser  Moment  war,  den- 
noch hatte  das  glücklicherweise  keine  ernsteren  Folgen.  Sei  es, 
daß  Eberl  die  Schwierigkeiten,  welche  sich  an  ein  Verhältnis 
wie  das  unsrige  hätten  knüpfen  müssen,  als  vernünftiger  Mann, 
der  bereits  über  die  Jünglingsjahre  hinaus  war,  deutUch  er- 
kannte und  sich  zu  beherrschen  wußte;  sei  es,  daß  auch  bei 
ihm,  wie  ich  es  an  mir  glaube,  diese  Herzensneigung,  das  ganze 
Interesse  mehr  auf  Phantasie  und  Eitelkeit  als  auf  unserer 
Neigung  beruhte,  sei  es,  daß  ein  anderes  Verhältnis  zu  einem 
sehr  liebenswürdigen  Mädchen,  deren  beschränkte  Umstände 
ihnen  beiden  auch  keine  Aussicht  zur  Vereinigung  boten  und 
von  der  es  daher  niemals  recht  klar  wurde,  ob  Eberl  bloß  ihr 
treuer  Freund    oder   ob    es    mehr   war   als   bloße  Freundschaft, 

490 


wie  viele  glaubten  —  kurz,  wir  blieben  beide  stets  in  gleicher  Ent- 
fernung voneinander  und  ich  fing 'an  zu  glauben,  daß  Fräulein 
L  . .  .,  so  hieß  jenes  Mädchen,  wohl  ihn  sehr  treu  und  war^n  liebe, 
daß  aber  ihre  Neigung  nicht  in  gleichem  Maße  erwidert  war.  Wir 
zwei  Mädchen  wurden  einander  herzlich  "gut  —  keine  Eifersucht 
fand  zwischen  uns  statt,  denn  keine  hatte  ein  Recht  an  diesen 
Mann,  der  wohl,  wie  ich  wenigstens  glaubte,  nie  einer  von  uns 
gehören  konnte." 

285)  Gabriele  v.  Baumberg,  später  verehelichte  Bacsänyi,  wurde 
1766  (nicht  1775)  in  Wien  geboren,  hatte  in  jungen  Jahren  ein 
Lie^esverhältni-s  mit  Eberl  (s.  Anm.  282)  und  lernte  1799  den 
ungarischen  Dichter  Johann  Bacsänyi  kennen,  mit  dem  sie  sich 
1805  verehelichte.  Dieser  soll  1809  die  Proklamation  Napoleons 
vom  15.  Mai  an  die  Ungarn,  worin  diese  zum  Abfall  von  Öster- 
reich aufgefordert  wurden,  ins  Ungarische  übersetzt  haben.  Er 
flüchtete  nach  Paris,  wohin  Gabriele  ihm  181 1  folgte.  Sie  kehrte 
18 14  nach  Wien  zurück;  ihr  Mann  wurde  im  August  18 15  in 
Paris  gefangen  genommen  und  nach  Brunn  ins  Gefängnis  ge- 
bracht, von  wo  er  später  nach  Linz  kam.  Gabriele  lebte  unter- 
dessen in  Wien  bei  dem  Schriftsteller  Joh.  Bäpt.  Rupprecht. 
Sie  verließ  jedoch  Wien  bald  und  ging  zu  ihrem  Mann  nach 
Linz,  ohne  daß  es  jemand  wußte.  Erst  ihr  Tod  in  Linz 
(24.  JuH  1839)  ""^  ^^^  ^^  Baron  Hammer-Purgstall  gekomme- 
nes, von  ihr  verfaßtes  Gedicht  „an  ihren  Mann"  lüftete  das 
Geheimnis  und  zeigte,  daß  sie  in  glücklicher  Ehe  gelebt  hatte. 
Vgl.  Wurzbach,  I,  S.  112 ff.;  Goedeke,  VI,  S.  543 f.,  Nr.  22;  Ed. 
Wertheimer,  Neue  Freie  Presse,  Nr.  7194  vom  5.  September  1884 
(mit  Berichtigungen);  I.  Peisner,  Ungarische  Rundschau  für 
historische  und  soziale  Wissenschaften.  I.  (München  19 12), 
S.  906 ff.;  J.  Maria  Berde,  Erdelyi  Müzeum.  XXVIII,  (Kolozsvär 
1912),  I,  S.  3ff.  und  XXVIII,  2,  S.  5ff.,  201  ff.  —  Gabriele 
scheint,  ihre  Gedichte  zeigen  dies  wenigstens,  verliebter  Natur 
gewesen  zu  sein.  Ihr  Bild  als  Dichterin  zeichnete  Otto  Rommel, 
Der  Wiener  Musenalmanach,  S.  208  ff.  Sie  spielte  im  Literatur- 
leben Wiens  und  in  der  Gesellschaft  eine  bedeutende  Rolle.  Sie 
war  die  „Sappho  Wiens".  Eine  große  Anzahl  der  damaligen 
Wiener  Dichter  widmeten  ihr  Gedichte  oder  Stammbuch- 
blätter. —  Karoline  von  Greiner  (Pichler)  eignete  ihr  am  5.  De- 
zember 1787  die  Idylle  „Die  Blumenketten"  (Baumberg,  Sämmt- 
liche  Gedichte.  Wien  1800,  S.  93)  mit  einem  reizenden  Ge- 
dicht (Baumberg,  S.  91),  worin  sie  auf  die  gemeinsam  ver- 
brachten Abendstunden  im  Garten,  wo  sie  schaukelten  und 
Vergißmeinnicht  suchten,  hinwies,  zu.  Das  Originalmanu- 
skript erliegt  in   der  Ungarischen  Akademie   der  Wissenschaften 


(Berde,  XXVIII.  i,  S.  15).^  Gabriele  antwortete  1791  mit  der 
Idylle:  Die  Schäfchen,  Nach  der  französischen  Idylle  der 
Madame  Deshoulieres:  „Les  moutons"  (Wienerischer  Musen- 
almanach. 1792,  S.  74  =  S.  G.  102)  und  einem  Zueignungs- 
gedicht (S.  G.  100),  worin  sie  die  Un Vergeßlichkeit  jener 
Abende  im  Greinerschen  Garten  beteuert.  Dafür  bedankte  sich 
Karoline  am  24.  Jänner  1791   in  einem  Brief  (Berde,  XXVIII. 

I,  S.  15).  Karoline  nahm  jedoch  „Die  Blumenketten"  nicht 
in  ihre  Sammlung  auf,  sondern  widmete  Gabriele  dort  eine 
Idylle  „Der  Tanz"  (Idyllen.  Wien  i?o3.  S.  119  =  S.  W.  «  XV, 
S.  106).  Über  die  Entstehungsgeschichte  beider  vgl.  Pichler, 
S.  W.  *  LIII,  S.  246  f.  und  249.  —  Die  Geschichte  mit  Eberl, 
aber  ohne  Namensnennung,  berichtete  Karoline  Pichler  in  dem 
Aufsatz,  den  sie  dem  Andenken  der  Baumberg  widmete  (S.  W. 
*  LIII,  S.  243  ff.),  beinahe  mit  denselben  Worten  (a.  a.  O.  ^ 
LIII,  S.  247 f.). 

285  a)  A.  B.  Eberl  wohnte  in  den  Jahren  1800 — 1802  in 
der,  Krugerstraße  Nr.  1074  (Hof-  und  Staats- Schematismus, 
1801,  S.  52;  1802,  S.  126),  welches  Haus  dem  Grafen  Josef 
Salmour  seit  1765  gehörte  (K.  A.  Schimmer,  Ausführliche 
Häuser- Chronik.  S.  220,  Nr.  1013;  Grundbuch  der  Stadt  Wien 
im  Wiener  Stadtarchiv,  VI.  Fol.  808  b,  XXXI.  Fol.  368  b). 
1809  verkaufte  dieser  das  Haus  (ebd.  XXXVI,  Fol.  206  b). 
Dessen  Gattin  Gräfin  Salmour  wird  Eberls  Freundin  ge- 
wesen sein. 

*8*)  Über  Vater  (Karl)  und  Mutter  (Theresia)  Kurländer  vgl. 
Anm.  385.  —  Die  drei  Söhne  (Franz,  Karl  und  Josef)  werden 
Anm.  386 — 388  behandelt.  Von  den  Töchtern  war  eine  (Barbara) 
an  einen  Arzt  in  Mähren  verheiratet  (Anm.  386),  die  zweite 
(Maria)  die  Gattin  Franz  Xaver  v.  Greiners  (s.  unten  Anm.  350). 
Die  Familie  war  adelig  (Kurländer  von  Kornfeld).  Den  Adel 
erwarb  1765  Karl  Kurländer  (ob  der  Vater?)  als  Kriegskasse- 
offizier (Megerle  von  Mühlfeld,  Österreichisches  Adels-Lexikon, 

II,  [Wien  1824],  S.  351). 

287)  Karl  Ritter  v.  Mertens  (1738 — 1788),  ein  Brüssler,  be- 
kannter Mediziner.  In  Wien,  wo  er  seit  1758  seine  Praxis  aus- 
übte, hatte  er  sich  1766  mit  Anna  Katharina  Humbourg  aus 
Straßburg  vermählt.  Er  war  dann  bis  1773  Arzt  in  Moskau  und 
wurde  1773  (Dezember)  von  Kaiser  Josef  II.  in  den  Reichs- 
ritterstand erhoben.  Mertens  kam  bald  wieder  nach  Wien,  wo 
er  praktisch  und  literarisch  tätig  war.  Vgl.  Wurzbach,  XVII, 
S.  405 f.;  Genealogisches  Taschenbuch  der  adeligen  Häuser  Öster- 
reichs, II,  [Wien  1907],  S.  261  f.  mit  Bild.  —  Seine  Tochter 
Anna  Sophie  war  zu  Moskau  (26.  Juli  1769)  geboren,  vermählte 


sich  am  18.  Mai  1796  in  Wien  mit  Ignaz  Karl  Grafen  Cho- 
rinsky  (1770 — 1823)  und  starb  in  Wien  am  9.  Dezember  (nicht 
2.  August)  1836  (Genealogisches  Taschenbuch,  II,  S.  262  :  3j 
Wurzbach,  XVII,  S.  406).  Über  deren  heimliche  Brautschaft  mit 
dem  Grafen  Chorinsky  s.  oben  S.  175,  I77f.;  über  ihre  Vermäh- 
lung S.  i87f.  Die  Erinnerung  an  gemeinsam  in  Camuntum  ver- 
brachte Tage  hielt  Karoline  Pichler  in  einem  Gedichte  „Erinne- 
rungen an  meine  Freundin  Sophie  v.  Mertens"  (Sämmtliche 
Werke,  *XVI,  S.  2iff.)  fest,  das  zuerst  1796  erschien  (s.  unten 
Anm.  377).  Über  Sophiens  Tod  spricht  Karoline  II,  S.  333 f.; 
ebenso  berichtet  Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck  von  Kübau 
darüber  (Tagebücher,  1,2,  [Wien  1909],  S.  739),  der  ihr  folgende 
Worte  widmet:  „Sie  war  eine  edle  Frau,  die  aus  Wohl- 
wollen und  Liebe  sich  die  Aufgabe  machte,  alle  die  Ihrigen 
zu  beglücken.  In  den  Mitteln  irrte  sie  nur  all  zu  oft."  — 
Dr.  Mertens  fünftes  Kind  war  Heiuiette  Magdalena,  die  am 
23.  April  1774  in  Wien  geboren  wurde,  sich  am  9.  Septem- 
ber 1799  in  Kagran  mit  dem  Hofsekretär  Joh.  Nep.  Freiherrn 
von  Tinti  (1772 — 1824)  vermählte  und  am  14.  Dezember  1820 
in  Wien  starb  (Genealogisches  Taschenbuch,  II,  S.  263:  5; 
Wurzbach,  XVII,  S.  406).  Sie  liegt  am  Währinger  allgemeinen 
Friedhof  (E.  M.  Hampeis,  Chronologische  Epigraphik  der  Fried- 
höfe Wiens.  Wien  1833.  S.  76,  Nr.  348).  Sie  war  ursprüng- 
lich die  Braut  des  Franz  Xav.  von  Greiner  (s.  oben  S.  175  f.)- 
Ihr  widmete  Karoline  Pichler  die  Idylle  „Der  Flvißgott" 
(Idyllen.  Wien  1803.  S.  132 ff.)  in  Erinnerung  an  gemeinsame 
Stunden. 

^^)  Maria  Theresia  von  Hackher  zu  Hart,  geboren  am  11.  Fe- 
bruar 1769  zu  Wien  als  Tochter  des  Wiener  Stadtsyndikus,  späteren 
Regierungs-  und  Hofrates  Josef  Franz  von  Hackher  zu  Hart  (1726 
bis  1808)  und  der  Maria  Anna  Brigitta,  geb.  Edlen  von  Hentschel 
(1738 — 1792),  war  von  besonderer  Schönheit  und  Herzensgüte. 
Nach  langen  Kämpfen  heiratete  sie  am  29.  April  1794  den  Hof- 
sekretär Josef  von  Dürfeid  (s.  Aima.  312  und  oben  S.  176  f.), 
starb  aber  bereits  am  21.  Juni  1795  an  den  Folgen  der  Ge- 
burt ihrer  Tochter  Maria  Theresia  (s.  Anm.  333  f.  und  oben 
S.  188  f.).  Über  ihre  Beziehungen  zur  Pichler  vgl.  Anm.  3i4f. 
und  335.  -—  Über  sie  berichtet  Moritz  Marie  Edler  von  Weltten- 
hiller.  Heraldisch-genealogische  Zeitschrift  (Adler),  III,  (Wien 
1873),  S.91. 

^•)  Es  Ist  mir  nicht  gelungen,  weder  beim  niederösterreichischen 
Landrecht  (Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes),  noch  in  genealo- 
gischen Büchern  ein  Geschlecht  von  Moter  zu  finden.  In  der 
Originalhandschrift  der  Pichler  fehlt  dieser  Name,  er. steht  nur  in 

493 


der  Druckrelation.  Wahrscheinlich  liegt  ein  Lesefehler  für  v.  Moser 
vor.  Karl  Leopold  Freiherr  von  Moser  (1744 — 1823)  stand  damals 
als  niederösterreichischer  Regierungsrat  (seit  1765)  mit  Hof  rat 
Greiner  in  Verbindung,  war  dessen  Gegner  in  der  Frage  der 
Tranksteuer  und  hatte  eine  Tochter  Katharina  (1774 — 1837), 
später  mit  dem  Generalmajor  Andreas  Freiherrn  von  Sorriot  de 
1' Hoste  verheiratet,  die  mit  Karoline  in  ziemlich  gleichem  Alter 
stand  (vgl.  Wurzbach,  XIX,  S.  i52f.:  3  und  Stammtafel  der 
Moser  v.  Ebreichsdorf).  '- 

2**)  Über  den  Vater,  den  Hofrat  Wolfgang  v.  Kempelen  vgl. 
Anm.  404;  über  die  Kinder  Karl  und  Therese  v.  Kempelen 
Anm.  221. 

^^)  Josef  Franz  Freiherr  von  Jacquin  (1766 — 1839),  berühmter 
Botaniker.  In  Schemnitz  geboren,  wurde  er  1797  seines  Vaters 
Nachfolger  als  Universitätsprofessor  und  1820  Regierungsrat. 
Besondere  Verdienste  ervi^arb  er  sich  um  den  botanischen 
Garten  der  Universität  Wien  (Wurzbach,  X,  S.  23  ff.).  Er 
war  mit  Mozart  befreundet,  der  ihm  am  4.  April  1787  den 
Doppelkanon  I.  ins  Stammbuch  schrieb  (Ludveig  Ritter  von 
Köchel,  Chronologisch-thematisches  Verzeichnis  sämmtlicher  Ton- 
werke Wolfg.  Amade  Mozarts.  2.  Aufl.  Leipzig  1905.  S.  230, 
Nr.  228).  Mit  ihm  starb  sein  Geschlecht  aus.  —  Über  spätere 
Begegnungen  mit  der  Pichler  in  Baden  vgl.  II,  S.  293,  294, 
36of.,  362. 

^2)  Emilian  Gottfried  Edler  von  Jacquin  (1767 — 1792)  war  selbst 
Komponist.  Einige  Kompositionen  von  Mozart,  die  dieser  1783 
für  den  Jacquinschen  Kreis  geschrieben  hatte,  gingen  längere  Zeit 
unter  seinem  Namen  (Köchel,  S.  41 3  ff.,  Nr.  436 — ^439).  Er  war 
mit  Mozart,  der  ihm  am  23.  März  1787  die  Baßarie  „Mentre  ti 
lascio,  o  figlia"  vyidmete,  innig  befreundet,  stand  im  Briefwechsel 
mit  ihm  und  verevyigte  sich  unterm  11.  April  1787  in  dessen  Stamm- 
buch (Köchel,  S.  483  Nr.  513;  O.Jahn,  Mozart,  III,  S.  3  27  ff.). 
Er  steht  1787  unter  den  Subskribenten  der  „Lieder  der  Liebe 
und  der  Freude"  (Wien  1787.  Bl.  6a)  des  K.  J.  Fridrich  und 
1788  unter  denen  der  „Gedichte"  von  Leon  (S.  IX).  Um 
1803  kamen  einige  Lieder  von  ihm  heraus  (R.  Eitner,  Biogra- 
phisch-bibliographisches Quellen-Lexikon  der  Musiker,  V,  S.  267), 
ebenso  wurden  1799  einige  Kompositionen  von  ihm  ange- 
kündigt (E.  L.  Gerber,  Neues  historisch-biographisches  Lexikon 
der  Tonkunst,  II,  [Leipzig  18 12],  S.  760).  Er  war  seit  1790 
Praktikant  bei  der  böhmisch-österreichischen  Hofkanzlei  und 
starb  am  24.  Jänner  1792  im  Alter  von  24  Jahren  an  der 
Lungenschwindsucht  im  botanischen  Garten  am  Rennweg,  seinen 
Bruder  Josef  zum  Erben   mit  Testament    vom    16.  Jänner   1792 

494 


einsetzend  (Totenprotokoll  der  Stadt  Wien,  Bd.  120,  Buch- 
stabe J,  Y,  Fol.  ib,  hds.  im  Wiener  Stadtarchiv;  Verlassen- 
schaftsakten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V, 
Nr.  19  ex  1792). 

293)  Franziska  Edle  von  Jacquin,  geboren  am  10.  Oktober  1769 
in  Wien  als  die  Tochter  des  Universitätsprofessors  Nikolaus  Jacquin 
und  der  Katharina  Josefa,  geb.  Schreibers  (gestorben  am  15.  Jänner 
1791),  heiratete  im  April  1792  den  Konzipisten  bei  der  böhmisch- 
österreichischen Hof  stelle  Leopold  Edlen  von  Lagusius,  der  1804 
Hofsekretär  der  Hofkammer  wurde  (Megerle,  Memorabilien,  II, 
S.  121)  und  am  24.  April  1828  starb  (vgl.  die  Verlassenschafts- 
akten nach  Josefa  Edlen  von  Jacquin  und  Leopold  Edlen  von 
Lagusius  im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  9 
ex  1791  und  Nr.  92  ex  1828;  letzteren  liegt  der  Heiratskontrakt 
vom  14.  April  1792  bei).  Frau  v.  Lagusius  scheint  nicht  In 
Wien  gestorben  zu  sein,  wenigstens  bieten  die  Verlassenschafts- 
akten des  niederösterreichischen  Landrechts,  nichts  über  sie; 
1839  beim  Tode  ihres  Bruders  lebte  sie  noch  (vgl.  dessen  Ver- 
lassenschaftsakt, Fasz.  V,  Nr.  214  ex  1839).  ^^°°  subskribierte 
sie  Gabriele  von  Baumbergs  „Sämmtliche  Gedichte"  (Wien  1800, 
S.  XII). 

29*)  Das  „Trio  für  Klavier,  Klarinette  und  Viola"  wurde  am 
5.  August  1786  komponiert  (Köchel,  S.  472,  Nr.  498).  Über  die 
Beziehungen  Mozarts  zu  seiner  Schülerin  Franziska  v.  Jacquin, 
nach  der  er  sich  in  Briefen  wiederholt  erkundigte,  vgl.  Jahn, 
Mozart,  III,  S.  192  f. 

^P)  Stephan  Ladislaus  Endlicher  (1804 — 1849),  hervorragender 
Botaniker  und  Sprachforscher,  war  seit  1840  Professor  und  Direktor 
des  Botanischen  Gartens  am  Rennweg  (Wurzbach,  IV,  S.  44  ff.). 

^^)  Es  war  dies  eine  mathematische  Abhandlung:  Sätze  aus  der 
Mathematik  nebst  einer  Abhandlung  über  Parallellinien.  Wien 
1778.    8°. 

^'')  Das  Gedicht  der  Pichler  scheint  nicht  erhalten  zu  sein;  in 
ihre  Sämmtlichen  Werke  wurde  es  nicht  aufgenommen.  —  Wie  alles 
feierten  auch  dieses  Ereignis  die  österreichischen  Dichter.  Alxinger 
schrieb  zwei  Gedichte  auf  Leopold  IL  Thronbesteigung  (Neueste 
Gedichte.  Wien  1794.  S.  33  ff.  und  42 ff.  =  Sämmtliche  Werke, 
VIII,  S.  173 ff.  und  176 ff.);  das  zweite  im  Namen  der  Nieder- 
lagsverwandten und  Großhändler  in  Wien.  Alois  Blumauer 
verfaßte  eine  „Bittschrift  der  verwittweten  Erzherzogin  Austria. 
an  ihren  neuen  Gebieter  Leopold  II."  (Gesammelte  Schrif- 
ten, II,  [Stuttgart  1862],  S.  237ff.;  dazu  Gugitz,  Grillparzer- 
Jahrbuch,  XVIII,  S.  117).  Michael  Denis  dichtete  ein  latei- 
nisches Distichon  (Carmina  quaedam.  VIndobonae  1794.    S.  173) 

495 


und  Haschka  zwei  Oden  (Gugitz,  Grillparzer-Jahrbuch,  XVII, 
S.  89  f.).  Vgl.  dazu  Alxingers  Schreiben  an  Nicolai  vom 
26.  April  1790  (G.  Wilhelm,  Briefe  des  Dichters  Joh.  Bapt.  v. 
Alxinger.  S.  60). 

*'^)  Der  Türkenkrieg  wurde  1791  durch  den  Frieden  von 
Sistowa,  der  auf  dem  Besitzstand  vor  dem  Krieg  aufgebaut 
war,  beendigt. 

***)  Am  14.  Juli  1790  starb  London  im  Hauptquartier  zu 
Mährisch -Neutitschein  als  Kommandant  der  gegen  Preußen 
aufgestellten  Armee.  Sein  Tod  begeisterte  L.  L.  Haschka, 
Alxinger,  Benedikt  Josef  Koller,  Friedrich  Freiherrn  von  der 
Trenck  und  mehrere  Unbekannte  zu  Trauergedichten  (Wilhelm 
Edler  von  Janko,  London  im  Gedicht  und  Liede  seiner  Zeit- 
genossen.   Wien  1881.     S.  izoff.). 

*'*')  Am  25.  bis  27.  August  1791  fand  im  königlichen  Lustschloß 
Pillnitz  die  Zusammenkunft  zwischen  Kaiser  Leopold  IL  und  König 
Friedrich  Wilhelm  IL  von  Preußen  statt,  in  welcher  über  Maßregeln 
gegen  die  revolutionäre  Bewegung  in  Frankreich  Beschlüsse  gefaßt 
vpurden. 

^^)  Kaiser  Leopold  IL  ging  nach  kurzer,  sorgenvoller  Regierung 
am  I.  März  1792  zu  seinen  Vätern  ein.  Sein  Tod  gab  mehreren 
Zeitgenossen  Gelegenheit,  Trauergedichte  zu  verfassen,  so  Al- 
xinger (Neueste  Gedichte.  Wien  1794.  S.  60  ff.  =  Sämmtliche 
Werke,  VIII,  [18 12],  S.  179  f.),  Denis  (Carmina  quaedam.  Vindo- 
bonae  1794.  S.  183  ff.)  und  Haschka  (vgl.  Gugitz,  Grillparzer  Jahr- 
buch, XVII,  S.  90). 

^2)  Erschien  als  Einzeldruck;  in  die  Sämmtlichen  Werke 
nicht  aufgenommen.  —  Alxinger  widmete  Franz  IL  eine 
„Cantate  am  Huldigungstage  Franzens  des  Zweyten"  (Neueste 
Gedichte.  Wien  1794.  S.  65  ff.  =  Sämmtliche  Werke,  VIII, 
[Wien  18 12],  S.  163  f.),  in  der  er  ähnliche  Gedanken  wie  die 
Pichler  ausspricht  (vgl.  auch  Alxingers  oben  unter  Anm.  301 
angeführtes  Gedicht  am  Schlüsse).  —  Über  das  Gedicht 
der  Pichler  vgl.  eine  Stimme  aus  dem  Jahre  1793  (unten 
Anm.  377). 

*'^)  Es  ist  dies  der  Feldzug  in  die  Champagne,  an  dem  auch 
Goethe  teilnahm.  Die  gesamte  Heeresmacht,  Österreicher  und 
Preußen,  standen  unter  dem  Oberbefehl  des  bedächtigen  Prinzen 
Ferdinand  von  Braunschweig.  Nach  der  Kanonade  von  Valmy 
(20.  September  1792)  zogen  sich  die  Preußen  zurück. 

***)  Mit  Hofkanzleidekret  vom  20.  Oktober  1791  wurde  dem 
Bischof  von  Linz  als  Realdotadon  das  Gebiet  der  ehemaligen 
Klöster  Garsten,  Gleink  und  Mondsee  zugewiesen  (Hittmair, 
a.  a.  O.  S.  451  ff.). 

496       > 


305)  Der  kgl.  bayrische  Feldmarschall  und  Staatsminister  Karl 
Philipp  Fürst  von  Wrede  (1767 — 1838),  der  an  der  Schlacht  bei 
Wagram  rühmlichen  Anteil  nahm  (vgl.  oben  S.  350)  und  18 13  die 
Schlacht  bei  Hanau  verlor  (II,  S.  7),  erhielt  vom  Kaiser  Napoleon 
unterm  27.  August  18 10  den  französischen  Reichsgrafentitel  und 
gleichzeitig  eine  Herrschaftsdotation,  worunter  sich  Mondsee 
befand.  Trotz  aller  Fährnisse  der  folgenden  Zeit  blieb  selbe  in 
seinem  Besitz  (Hittmair,  S.  5oif.;  Joh.  Heilmann,  Feldmarschall 
Fürst  Wrede.    Leipzig  1881.    S.  ißzi.,  179). 

306)  Josef  Vierthaler  (1754 — 180 1),  Domdechant  und  Stadtpfarrer 
in  Linz,  Direktor  des  bischöflichen  Priesterseminars,  Konsistorialrat 
und  Konkursexaminator  aus  der  Dogma tik,  war  1787  Pfarrer  zu 
Reichenau  und  1789  Domherr  in  Linz  geworden  (vgl.  Wolfgang 
Dannerbauer,  Hundertjähriger  General-Schematismus  des  geist- 
lichen Personalstandes  der  Diöcese  Linz  vom  Jahre  1785  bis  1885, 
II,  [Linz  1889],  S.  33). 

307)  Wallenstelns  Tod.    5.  Aufzug.    4.  Auftritt. 

308)  Es  war  dies  Karollnens  späterer  Mann  Andreas  Eugen  Pichler. 
Dieser  wurde  am  3.  März  1764  als  Sohn  des  Gastwirtes  und  Haus- 
inhabers Ulrich  Josef  Pichler  und  der  Maria  Theresia,  geb.  Boden- 
reitter,  am  Spittelberg  (jetzt  Wien  VII)  geboren  und  erhielt  in  der 
Taufe,  bei  der  der  Richter  Andreas  Haydt  vom  Spittelberg  als  Pate 
fungierte,  die  Namen  Andreas  Ulrich  (Taufprotokoll  der  Pfarre 
St.  Ulrich,  Wien  VII,  Bd.  XXXI,  Fol.  153  a).  Gleich  seinem  älte- 
ren Bruder  Josef  Prosper  (Anm.  337)  kam  er  zu  den  Piaristen  in 
der  Josefstadt  in  die  Schule  und  war  1782,  als  sein  Vater  starb, 
Mitglied  des  Piaristenordens,  wo  er  den  Klosternamen  Eugen,  den 
er  später  als  zweiten  Namen  beibehielt,  führte  (vgl.  das  Testament 
seines  Vaters  Im  Pichlernachlaß  der  Wiener  Stadtbibliothek,  Inv. 
Nr.  759,  §  6).  Nach  vierjährigem  Aufenthalt  im  Kloster  trat  Pich- 
ler, bald  nach  dem  Tode  seines  Vaters  (September  1782),  in  den 
weltlichen  Stand  über,  widmete  sich  an  der  Universität  den  ju- 
ridischen Studien  und  praktizierte  gleichzeitig  in  der  Hofkanzlei 
unter  dem  Hof  rate  Josef  von  Sonnenfels,  der  ihm  bereits  am  30.  März 
1783  folgendes  Zeugnis  (im  Pichlernachlaß  J.  N.  760)  ausstellte: 
sjDa  mir  Herr  Andreas  Pichler  durch  glaubwürdige  Männer  als 
ein  junger  Mensch  von  Fähigkeit,  Anwendung  und  Sitten  empfoh- 
len worden,  auch  ich  bei  demselben  seit  einiger  Zeit  solche  Eigen- 
schaften wahrgenommen  habe,  die  allerdings  erwarten  lassen,  daß 
er  der  ihm  erteilten  Empfehlung  Ehre  machen  werde,  so  habe 
denselben  zu  mir  in  die  Praxin  übernommen  und  werde  mit  Ver- 
gnügen itzt  zu  seiner  Bildung,  und,  wo  er  mich  durch  seinen  Fleiß 
in  Stand  setzt,  nachher  zu  seinem  Fortkommen  beizutragen,  mir 
angelegen  seyn  lassen."   Unterdessen  oblag  Pichler  an  der  Univer- 

32   C,  p.  I  497 


sität  mit  großem  Fleiße  seinen  Studien,  wofür  die,  von  den  Profes- 
sorenjosef Pehemund  Franz  Zeiller  ausgestellten  Zeugnisse  (Pichler- 
nachlaß J.  N.  761)  aus  Kirchenrecht  und  den  Institutionen  des 
römischen  Rechts  sprechen.  Er  wurde  über  Vermittlung  des  Hof- 
rates Sonnenfels  im  September  1785  Konzeptspraktikant  in  der 
Hofkanzlei,  am  30.  Dezember  1785  daselbst  Accessist  und  rückte 
am  25.  Februar  1788  zum  Hofkonzipisten  vor  (Beiträge  zur  Ge- 
schichte der  n.-ö.  Statthalterei,  S.  473 ;  handschriftlicher  Lebens- 
abriß im  Pichlernachlaß).  In  der  Folge  wurde  er  ein  besonderer 
Liebling  des  Hofrates  der  Hofkanzlei,  Franz  Sales  von  Greiner,  der 
ihn  in  sein  Haus  einführte,  wo  er  auch  dem  literarischen  Verein,  den 
Franz  Xaver  von  Greiner  gemeinsam  mit  seinen  Freunden  unter- 
hielt, angehörte  (oben  S.  168  f.,  173  f.).  Dadurch  trat  er  zur  Tochter 
des  Hauses  in  zarte  Beziehungen,  die  schließlich,  nachdem  er  am 
21.  Jänner  1796  als  Regierungssekretär  zur  niederösterreichischen 
Regierung  gekommen  war  (Beiträge,  S.  473),  zur  Hochzeit,  die  am 
25.  Mai  1796  stattfand,  führten  (vgl.  oben  S.  i84f.,  iSgff.).  Pichler 
war  damals  ein  schüchterner,  junger  Mann  (oben  S.  169),  der  aber 
in  seinem  Herzen  eine  glühende  Liebe  zur  Dichtkunst  und  eine 
innige  Dankbarkeit  zu  Sonnenfels  trug,  der  ihm  stets  wohlwollte 
und  auch  sein  Beistand  bei  der  Hochzeit  war  (oben  S.  189  und  Anm. 
338).  Schon  als  Jüngling  hatte  Pichler  eine  Ode  auf  Sonnenfels 
verfaßt  (An  Sonnenfels.  Ode.  1784.  8°:  Moritz  Trapp,  Catalog 
der  Bibliothek  des  Franzens-Museums.  Brunn  1868.  S.  292,  Nr. 
6370),  auf  die  auch  ein  kleines  Schriftchen  (Faschingskrapfen 
für  die  Herren  Wiener  Autoren  von  einem  Mandolettikrämer. 
[Wien]  1785)  hinweist,  wo  es  S.  26  von  Pichler  heißt:  „Ein 
edler  Jüngling  von  Talenten  und  ein  brennender  Enthusiast  für 
die  schönen  Wissenschaften.  Seine  Ode  auf  Sonnenfels  macht 
seiner  Muse  eben  so  viel  Ehre,  als  seinem  dankbaren  Herzen."  An 
gleicher  Stelle  wird  er  charakterisiert  mit: 

Pichler. 
Gleicht  Deinem  Herzen  an  Vortrefflichkeit 
Einst  Deine  Muse,  Freund!  so  trotzet  sie  der  Zeit. 
Eine  zweite  Ode  aus  dem  gleichen  Jahr  (An  den  lezten  Tag  des 
Jahres  1784.    Eine  Rhapsodie  von  Pichler.    Wien  1784.   8")  fand 
keine  so  günstige  Aufnahme;  so  beurteilt  sie  ein  Anonymus  ziem- 
lich scharf  (Über  Wiens  Autoren.    Von  zwey  Reisenden  X.  X. 
Wien    1785.     S.  63):    „Schrieb    eine   elende    Rhapsodie    an   den 
letzten  Tag  des  Jahrs   1784.    Wir  wundern  uns,  daß   der  Ver- 
leger   einen    so    unzusammenhängenden    Wirrwar    zum    Druck 
annehmen  konnte.    Es  scheint  aber,  daß  Autor  und  Verleger  am 
letzten  Tag  des  Jahrs  1784  mit  solchen  Sinnen  begäbet  waren, 
die  sonst  nur  jenen  Leuten  eigen  sind,  welche  man  —  in  die  Toll- 

498 


häuser  sperrt."  Nicht  minder  unfreundlich  ist  eine  zweite  Anzeige 
von  Franz  X.  Huber  (Wiener  Kronik,  II  [Wien  1785],  S.  443  ff.), 
wo  es  heißt,  daß  diese  Rhapsodie  ihrer  Sonderbarkeit  wegen  ge- 
lesen werden  soUe  und  daß  in  den  Versen  kein  gesunder  Menschen- 
verstand stecke.  Schließlich  meint  Huber:  „Allein  dieser  Dichter 
kennt  wohl  weder  die  Theorie  der  Empfindung  noch  Schriften 
der  bessern  Dichter,  noch  die  reine  Sprache  der  Vernunft,  noch 
sonst  etwas,  was  ein  erträglicher  Poete  kennen  sollte." 

Andreas  Pichler  gab  in  der  Folge,  wie  so  mancher  einst  en- 
thusiastische Jüngling,  das  Dichten  auf,  dafür  wurde  er  seiner 
Frau  ein  wohlwollender  Beurteiler  und  veranlaßte  sie,  mit  ihren 
,.  Gleichnissen"  an  die  Öffentlichkeit  zu  treten  (oben  S.  226,  228), 
betreffs  der  „Ruth"  mit  Streckfuß  zu  konkurrieren  (oben  S.  263) 
und  gegen  ihren  Willen  das  historische  Drama  zu  pflegen  (oben 
S,  398,  401,  426,  428;  II,  34).  Er  selbst  war  später  ein  leiden- 
schaftlicher Theaterdilettant,  dem  das  Spielen  ein  Bedürfnis  war 
und  der  seine  Sache  gut  machte  (man  vgl.  den  Briefwechsel  seiner 
Frau  mit  Streckfuß :  K.  Glossy,  Wiener  Communal- Kalender  und 
städtisches  Jahrbuch,  XXXII,  [Wien  1894],  S.  395  f.,  3975  sowie 
oben  S.  297;  II.  86).  Er  kaufte  von  Karl  von  Kempelen  das  Haus- 
theater (Glossy  a.  a.  O.  S.  396).  Den  Neuerscheinungen  auf  dem 
Gebiete  der  Literatur  stand  er  stets  teilnahmsvoll  gegenüber  und 
brachte  manche  im  häuslichen  Kreis  zur  Verlesung  (oben  S.  225, 
230;  II,  184).  Grillparzer  und  Raimund  schätzte  er  persönlich 
sehr  (vgl.  II,  S.  133,  317). 

Die  ersten  neunzehn  Jahre  von  Pichlers  Ehe  waren  insofern  ge- 
trübt, als  er  im  Hause  der  Eltern  seiner  Frau  leben  und  sich  dem 
starren  Willen  seiner  Schwiegermutter,  sollten  Streitigkeiten  ver- 
,  mieden  werden,  beugen  mußte,  was  er  aber  willig  tat  und  wofür  ihm 
Karoline  noch  später  dankte  (obenS.  i94f.,  195  f.)-  Im  Oktober  1797 
erfreute  ihn  seine  Frau  mit  seinem  ersten  und  einzigen  Kind  (oben 
S.  205  f.),  dem  er  Zeit  seiaes  Lebens  die  gleiche  Güte  und  Opfer- 
willigkeit wie  seiner  Frau  und  Schvyiegermutter  entgegenbrachte 
(vgl.II,  144,  i68f.,  i76f.,  i79f.,  189,  2o6f.,  216,  224,  229,  240, 
286)  und  deren  Sohn  August,  dessen  Taufpate  er  war  (II,  Anm,  342), 
ihm  in  seinen  letzten  Tagen  besonders  ans  Herz  gewachsen  war 
(vgl.  II,  S.  293,  360,  363,  364,  375,  377). 

Pichlers  amtliche  Laufbahn  war  eine  glückliche  und  aufstrebende. 
Zwar  an  Arbeit  gebrach  es  ihm  nie  und  seine  Güte  und  Liebens- 
würdigkeit war  auch  hier  oft  der  Grund,  ihn!  alle  schvnerigen  und 
von  anderen  abgewälzten  Referate  zu  übertragen,  die  er  mit  größter 
Geduld  zu  einem  gedeihlichen  Ende  führte,  wofür  ihm  eine  Reihe 
noch  erhaltener  Belobungen  zuteil  wurden.  L.  A.  Frankl  bemerkt 
ganz  richtig  (Der  österreichische  Zuschauer.   Wien  1838,  S.  1132), 

32*  499 


daß  Pichler  bei  der  niederösterreichischen  Regierung  ganz  in  der 
Lage  war,  „seinen  glühenden  Wunsch,  der  Menschheit  zu  dienen, 
das  heiße  Streben,  ein  tätiger  Helfer,  Verbesserer  und  Veredler 
seiner  Brüder  zu  werden,  im  vollsten  Maße  zu  befriedigen;  wie 
denn  auch  sein  ganzes  Leben  von  nun  an  nur  eine  Kette  philan- 
thropischer Bestrebungen  ist,  wodurch  er  die  Herzen  aller  edlen 
Zeitgenossen  an  sich  fesselte."    Im  Mai   1797  nahm  er  als  Re- 
gierungskommissär   an    der    Organisierung    des   Wiener   Aufge- 
botes teil,  wofür  er  belobt  vrarde,  aber  gleichzeitig  auf  Befehl 
seiner  Schwiegermutter,  der  gefährlichen  Zeitläufte  wegen,  sich  von 
seiner  Frau,  die  mit  ihren  Eltern  schweren  Herzens  nach  Dürnholz 
fuhr,  trennen  mußte   (oben   S.  199,  201,  203  f.  mit  Anm.   348), 
1802  der  Wohlfeilheitshofkommission  zugezogen,   welcher   der 
Vizepräsident    der    niederösterreichischen   Regierung   Graf   Mit- 
trowsky   vorsaß,   erwarb    sich  Pichler   hier   durch   seine   sachge- 
mäßen Vorschläge  und  seine  eifrige  Tätigkeit  so  große  Verdienste, 
daß  er  am  16.  Oktober  1802  zum  Regierungsrat  ernannt  wurde 
(oben  S.  244 — 246;   Beiträge  usw.   S.  473;  Ernennungsdekret  im 
Pichlernachlaß  J.  N.  762),  nachdem  er  sich  vorher  um  die  Bezirks- 
hauptmannsstelle von  Korneuburg  beworben  hatte.  Als  im  gleichen 
Jahre  die  Hofkommission  aufgelöst  wurde  und  deren  Geschäfte  an 
die  niederösterreichische  Regierung  übergingen,  erhielt  Pichler  das 
Referat  für  das  Wohlfahrtswesen  (Anm.  416);  er  hatte  hauptsächlich 
auf  die  Approvisionierung  Wiens  mit  Lebensmitteln  und  auf  dessen 
Versorgung  mit  Holz  zu  achten,  zu  welchem  Zwecke  er  oft  Kom- 
missionsreisen nach  Nieder-  und  Oberösterreich,  Steiermark  und 
selbst  Bayern  unternehmen  mußte,  um  die  Errichtung  von  Holz- 
schwemmen und  die  Zufuhr  genügender  Holzmengen  zu  bewirken. 
Auf  diesen  Reisen  war  er  meist-  von  seinen  Angehörigen  begleitet, 
so  1804  (Mariazell  und  Leoben;  oben  S.  265 ff.),  1806  (Oberöster- 
reich; oben  S.  287ff.),  18 12  (Gaming,  Lunz,  Neuhaus,  Maria-Zeil, 
Lilienfeld;  oben  S.  3 94 ff.),  18 15  (Linz  und  Lilienfeld;  II,  S.  79 ff.)} 
1816  (Ybbs,  Lilienfeld;  II,  S.  88ff.),  1818  (LiUenfeld;  II,  S.  118), 
doch  konnte  er  infolge  der  Arbeitslast  an  deren  Vergnügungen 
und  sich  daran  schließenden   Ausflügen  nur  selten  teilnehmen. 
Im  März  und  April  18 14  besichtigte  er  die  Schäden  am  Schwemm- 
werk der  Schwarza  und  am  Wiener-Neustädter-Schiffahrtskanal 
und  im  September  18 14  leitete  er  die  Verhandlungen  wegen  Her- 
stellung der  Lilienfelder  Holzschwemme  auf  der  Traisen  (bezüg- 
liche Akten  im  Pichlernachlaß  der  Wiener  Stadtbibliothek,  J.  N. 
762).    Eine  kurze  Zusammenfassung  aller  dieser  Reisen  s.  oben 
S.  369. 

Im  November  1803  war  er  als  Regierungsvertreter  in  die  von 
Kaiser  Franz  errichtete  Kommission  für  die  Regulierung  und  Lei- 

500 


tung  der  Fleischlieferungen  entsendet  worden,  welche  unter  dem 
Vorsitze  des  Hofkammerpräsidenten  Grafen  Zichy  tagte  und  den 
Zweck  hatte,  die  ärariale  Fleischlieferung  wieder  an  die  Fleisch- 
hauer oder  an  Privatgesellschaften  zu  übertragen,  da  der  Staat  dabei 
kein  Auskommen  fand  (Pichlernachlaß  J.  N.  762:  Ernennungs- 
dekret vom  3.  November  1803).  Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck 
von  Kübau.  der  amtlich  damals  viel  mit  Pichler  zu  tun  hatte, 
charakterisiert  ihn  1805  mit  den  Worten  (Tagebücher,  I,  [Wien 
1899],  S.  129):  „Er  ist  ein  Mann  von  vielem  positiven  Wissen  in 
diesem  Fache  (Approvisionierungsangelegenheiten);  mir  leuchten 
aber  seine  Grundsätze  nicht  ein."  Im  selben  Jahre  hatte  Pichler 
bei  der  französischen  Invasion  für  die  Proviantierung  der  Sol- 
daten zu  sorgen  (vgl.  Geusau,  Historisches  Tagebuch  aller  merkwürdi- 
gen Begebenheiten,  welche  sich  in  Wien  vom  September  1805  bis 
zum  I.  Februar  1806  zugetragen  haben.  Wien  1807.  S.  143),  ebenso 
1809  (handschriftl.  Biographie  im  Pichlernachlaß).  Für  seine  Wirk- 
samkeit auf  dem  Gebiete  des  Wohlfahrtswesens  wurde  Pichler  vier- 
mal vom  Kaiser  Franz  das  allerhöchste  Wohlgefallen  ausgesprochen 
(ebd.). 

ÜberPichlers  weitere  amtliche  Tätigkeit  berichtet  die  im  Pichler- 
nachlaß befindliche,  handschriftliche  Biographie  sehr  interessante 
Einzelheiten,  die  hier  folgen  mögen: 

„Bei  der  Landesstelle  wurden  ihm  teils  gleichzeitig,  teils  nach- 
einander äußerst  umfangreiche  Referate  zugewiesen;  darunter 
gehörten  die  zahlreichen  weltlichen  Stiftungen,  ein  großer  Teil  der 
Wohltätigkeits-  und  Humanitätsanstalten,  als  das  Versatzamt,  das 
allgemeine  Kranken-,  das  Waisen-,  Gebär-  und  Findelhaus,  das 
Straf-  und  das  Zwangsarbeitshaus,  die  Korrektions-  und  die  frei- 
willige Arbeitsanstalt,  die  fünf,  für  hiesige  (Wiener)  Arme  teils  hier, 
teils  auf  dem  Lande  bestehenden  Versorgungshäuser  u.  a.  m.  Als 
zur  Zeit  des  Finanzpatentes  vom  Jahre  18 11  die  Vermögensver- 
hältnisse dieser  und  aller  übrigen,  der  unmittelbaren  Leitung  der 
n.-ö.  Regierung  unterstehenden  politischen  Fonds,  die  alle  bei 
dem  n.-ö.  Provinzialzahlamt  konzentriert  sind,  zerrüttet  waren, 
brachte  Pichler  als  Referent,  was  er  bis  an  seinen  Tod  verblieb, 
dieselben  teils  durch  neue  Organisierung  der  Anstalten  selbst,  teils 
durch  Auffindung  und  Verschaffung  neuer  Zuflußquellen  oder  vor- 
teilhafter Benützung  der  vorhandenen  in  Ordnung.  Eine  eben- 
falls sehr  mühsame  Bearbeitung  ward  ihm  hierbei  zuteil,  als  durch 
das  Finanzpatent  vom  Jahre  18 16  die  Geldzirkulation  auf  die  feste 
Valute  zurückgeführt  wurde.  In  diesem  Geschäftskreis  lernte  er 
das  Elend,  aber  auch  das  tiefere  Verderben  vieler  aus  dieser  Men- 
schenklasse in  der  Nähe  kennen.  Sein  menschenfreundliches  Herz 
spornte  seine  Tätigkeit,  um  Verleger  aufzufinden,  die  diese  An- 


501 


stalten  [Strafhäuser]  mit  angemessener  Arbeit  versahen,  wozu  die 
Arbeitsscheuen  mit  Strenge  zu  immerwährender  Beschäftigung  an- 
gehalten, die  fleißigen  durch  Gestattung  einiger,  mit  der  Verfassung 
der  Anstalten  verträglicher  Genüsse  ermuntert,  der  größere  Teil 
des  Verdienstes  eines  einzelnen  aber  jedem  bis  zu  seinem  Austritte 
aufbewahrt  wurde,  um  zur  ersten  Begründung  eines  ehrlichen  Er- 
werbes unter  Aufsicht  verwendet  zu  werden.  Um  auch  auf  ihre 
Moralität  zu  wirken,  wurden  Sonntagsschulen  und  geistlicher 
Unterricht  abgehalten."  Das  Wiener  Provinzialstrafhaus  hatte  er 
nach  dem  Muster  der  Brünner  und  Linzer  Anstalt  eingerichtet, 
die  er  im  August  1817  über  amtlichen  Auftrag  besichtigte  (vgl.  II, 
S.  103  ff.  mit  Anm.  188  und  Dekret  vom  6.  August  18 17  im  Pichler- 
nachlaß, J.  N.  762).  Im  Provinzialstrafhaus,  sowie  im  Waisen-  und 
Zwangsarbeitshause  hielt  er  monatliche  Kommissionen  ab  und  sah 
auch  sonst  öfters  nach  (vgl.  Rechnungsbelege  aus  den  Jahren  18 16 
und  18 19  im  Pichlernachlaß,  J.  N.  762). 

„Dem  im  Jahre  18 13  errichteten  Vereine  zur  Unterstützung  der 
Militär-  und  Landwehrfamilien,  welcher  seine  Wirksamkeit  auch 
auf  die  Versorgung  der  Invaliden  ausdehnte,  trat  Pichler  als  wirken- 
des Mitglied  bei  und  ihm  ward  ein  ausgezeichneter  Anteil  an  den 
glänzenden  Resultaten  dieses  edlen  Vereines  zugeschrieben",  wofür 
ihm  unterm  7.  August  1820  das  Allerhöchste  Wohlgefallen  ausge- 
drückt wurde  (Pichler  Nachlaß  I.  N.  762:  Dekret  vom  14.  August 
1820). 

„Bei  der,  auf  allerhöchsten  Befehl  im  Jahre  1816  errichteten, 
Regierungskommission  zur  Regulierung  des  Vermögens  der  Stadt 
Wien  ward  Pichler  zum  Referenten  ernannt  und  als  die  Aufgabe 
im  Jahre  18 18  zur  allerhöchsten  Zufriedenheit  gelöst  war,  erhielt 
er  den  Auftrag,  den  wöchentlichen  Ratssitzungen  des  Magistrats  in 
Wirtschaftsangelegenheiten  als  Regierungskommissär  beizuwohnen, 
welches  Amt  er  bis  an  seinen  Tod  ausübte."  Als  im  Jahre  1821 
im  landesfürstlichen  Markt  Stockerau  Streitigkeiten  der  Bürger- 
schaft ausbrachen,  da  wurde  Pichler  als  landesfürstlicher  Kommissär 
dorthin  gesendet  und  schaffte  im  Winter  1821/22  Ordnung  (vgl. 
II,  S.  152  f.  mit  Anm.  262). 

„Ein  Zweig  seines  Referates  in  den  letzteren  Jahren  war  auch 
die  mühsame  und  oft  verdrießliche  Prüfung  der  Vorschläge  zu  Er- 
richtung von  Privat-Pensions-,  Versorgungs-  und  Unterstützungs- 
instituten für  niedere  und  für  höhere  Stände,  von  Sparkassen  und 
der  damit  verbundenen  Auszahlung  ihrer  Kapitalien  auf  Hypothe- 
ken, 80  wie  auch  die  Schlichtung  der  Ausstände  und  Beschwerden, 
die  sich  bei  schon  bestehenden  Anstalten  dieser  Art  ergaben.  Einen 
solchen  Gegenstand  bearbeitete  er  am  Krankenbette  noch  am  Vor- 
abend seines  Hinscheidens.  Nebst  seinem  eigenen  Referate  wurden 

502 


ihm  oft  einzelne,  sehr  verwickelte,  viel  Genauigkeit  und  Sach- 
kenntnis fofdemde,  einzelne  Angelegenheiten  und  Lokalunter- 
suchungen von  dem  Landespräsidium  zugeteilt  und  durch  viele 
Jahre  in  Ermangelung  oder  Verhinderung  vom  Vizepräsidenten  die 
Revision  über  mehrere  Referate  seiner  Kollegen  anvertraut,  die  er 
auch  während  seines  jährlichen,  sechswöchentlichen  Gebrauchs  der 
Badner  Bäder  (von  182z — 1837,  vgl.  das  Register  unter  Karoline 
Plchler:  Reisen,  Baden)  nebst  einem  Teil  seines  eigenen  Referates 
auf  Präsidialersuchen  fortführte." 

„Ungeachtet  der  immerwährenden  Anhäufung  der  Geschäfte, 
unbeschadet  der  Genauigkeit  und  Gründlichkeit  der  Bearbeitung 
jedes  einzelnen  Stückes  hatte  er  doch  niemals  Geschäftsrückstände, 
so  daß  er  hierüber  unzähligemal  mündlich  und  mehrmalen  schrift- 
lich von  dem  Präsidium  belobt  ward."  Der  Kaiser  verlieh  ihm  dafür 
am  5.  Jänner  1837  ^^^  Ritterkreuz  des  Leopoldordens  und  ernannte 
ihn  gleichzeitig  zum  Kanzleidirektor  der  Statthalterei  (Beiträge 
zur  Geschichte  der  n.ö.  Statthalterei.    S.  473). 

„Durch  mühsame  Einleitungen  und  durch  Auffindung  sehr  an- 
sehnlicher Fonds,  die  keine  bestimmte  Verwendung  hatten,  ver- 
anlaßte  er,  daß  der  von  Sr.  Majestät  Kaiser  Franz  für  Wiener  Arme 
aus  dero  Privatkasse  samt  einer  kalten  Badquelle  angekaufte  Domi- 
nikalhof  [in  Baden]  in  ein  großes  Gebäude,  jetzt  Wohltätigkeitshaüs 
genannt,  umgestaltet  und  eine  ungenützt  ausströmende  warme 
Quelle  aufgefaßt  und  darüber  das  gemauerte  Franzensbad  errichtet 
wurde,  wo  jährlich  viele  hundert  Arme  nebst  dem  Bade  Unterstand, 
volle  Verpflegung  und  ärztliche  Hilfe  genießen  und  auf  Kosten  des 
Fonds  transportiert  werden  (vgl.  II,  S.  izöf.  mit  Anm.  217)." 
Auch  stand  er  der  Baronin  Pereira  seit  1830  als  freiwilliger  Kon- 
sulent  in  allen  das  Marienspital  in  Baden  betreffenden  Fragen  zur 
Seite  (ebd.). 

„In  seinem  Privatleben  legte  Pichler  einen  Beweis  von  seltener 
Redlichkeit  ab.  Seine  große  Herzensgüte  hatte  ihn  in  früheren 
Jahren  verleitet,  sich  für  einen  nahen  Verwandten  (Bruder  Anton, 
vgl.  darüber  II,  S.  172  mit  Anm.  293)  zu  verbürgen  und  als  des 
letzteren  Vermögensumstände  durch  das  Falliment  seines  eigenen 
Hauptschuldners  so  zerrüttet  wurden,  daß  er  auf  dem  Punkt  stand, 
seine  einzige  Erwerbsquelle  (Buchhandlung)  zu  verlieren,  ward 
Pichlers  Bürgschaft  so  in  Anspruch  genommen,  daß  die  Erfüllung 
derselben  sein  und  seiner  Gattin  ganzes  Vermögen  vefsclilang;  dem- 
ungeachtet  verwendete  er  bis  an  seinen  Tod  bei  sparsamer,  prunk- 
loser Lebensweise  einen  großen  Teil  seiner  Besoldung  zur  sukzes- 
siven Befriedigung  der  Gläubiger  (vgl.  seine  Verlassenschaftsab- 
bandlung,  II,  Anm.  557)." 

Pichler  war  ein  ruhiger  (vgl.  oben  S.  339 f.;  II,  S.  283),  in  seinen 


Urteilen  besonnener  Mann  (vgl.  II,  S.  43),  der  nur  für  sein  Amt 
und  seine  Familie  lebte.  Beinahe  den  ganzen  Tag  verbrachte  er 
in  seinem  Bureau  (vgl.  II,  S.  181)  und  selbst  Krankheitsanfälle 
hinderten  ihn  nicht,  dorthin  zu  gehen  (vgl.  II,  S.  251).  Diese 
große  Arbeitsfreudigkeit,  dieses  Interesse  an  seinem  Fach,  das  sich 
auch  im  Verkehr  mit  dem  Gesandtschaftssekretär  Lagrange  äußerte 
(vgl.  II,  S.  2251,  227),  war  die  Ursache,  vi^arum  Pichler  bis  zum 
Jahre  18 15  beinahe  gar  keinen  Urlaub  nahm,  sondern  seine  Urlaubs- 
zeit zu  Dienstreisen  verwendete  (vgl.  oben  S.  500).  Dieser  Über- 
eifer gereichte  ihm  aber  einige  Male  zum  Verderben;  so  verkühlte 
er  sich  18 15  in  Lilienfeld  heftig  und  legte  dadurch  den  Grund 
zu  einem  wiederholt  auftretenden  krampfartigen  Unterleibsleiden 
(vgh  II,  S.  81  f.,  251  ff.,  360,  361  ff.),  das  in  Verbindung  mit  einem 
bereits  1835  zum  erstenmal  aufgetretenen  Schlaganfall  (vgl.  II, 
S.  3i8f.)  am  17.  September  1837  ^^  Baden  seinen  Tod  herbei- 
führte (vgl.  II,  S.  361  ff.),  dem  er  bereits  18 10  in  Guttenstein 
mit  seinem  Töchterlein  ins  Auge  gesehen  hatte  (vgl.  oben  S.  377). 
18 16  hatte  Überanstrengung  ebenfalls  eine  Kränklichkeit  im  Ge- 
folge (vgl.  II,  S.  88  ff.),  doch  glichen  seine  Erholungsreisen,  die 
er  von  1815  ab  zuerst  nach  Buchen  (1815:  II,  S.  79),  dann  nach 
Zay-Ugröcz  (1819:11,  S.  143;  1821:  II,  S.  1485  1822:  II,  S.  I56ff,), 
wo  er  sich  1821  durch  einen  Fall  infolge  seiner  Kurzsichtigkeit  ver- 
letzte (II,  S.  148  f.),  und  später  nach  Baden  (von  1822 — 1837) 
machte,  immer  wieder  die  Kränklichkeit  aus,  so  daß  Pichlers  Ar- 
beitsfreudigkeit keine  Einbuße  erlitt.  An  eigentlichen  Lustreisen 
unternahm  er  nur  eine  und  zwar  im  Jahre  1825  nach  Prag  zu  seiner 
Tochter,  gleichzeitig  seine  Frau  abholend  und  mit  ihr  auf  der 
.Rückreise  die  ihm  wertgewordene  Familie  Pereira  in  Schwarzenau 
besuchend  (vgl.  II,  S.  207f.,  2i3f.). 

Andreas  Pichlers  Ehe  mit  Karoline  von  Greiner  war  die  denkbar 
glücklichste,  trotzdem  er  Geschäftsmann  und  sie  Dichterin  war 
(vgl.  168,  232f.;  II,  S.  357;  Hormayrs  Taschenbuch,  XXXIV, 
S.  121);  war  sie  doch  in  erster  Linie  nur  Hausfrau  und  Andreas,  der 
selbst  dichterisch  fühlte,  verstand  seine  Frau  vollständig.  Sie  hatten 
das  Glück,  in  langer,  manchmal  zwar  sorgenvoller  Ehe  miteinander 
zu  leben,  die  silberne  Hochzeit  feiern  zu  können  (vgl.  II,  S.  147)  und 
ihre  Tochter,  wenn  auch  nach  zwei  schmerzlichen  Enttäuschungen 
(Grillparzer  und  Prokesch),  in  glücklicher  Ehe  mit  Josef  von  Pelzeln 
verehelicht  zu  sehen.  Freilich  war  dieses  späte  Glück  nicht  von  lan- 
ger Dauer,  doch  die  Enkel  entschädigten  die  Großeltern  für  all 
das  erlittene  Leid  und  Ungemach.  Andreas  Pichler  war  ein  treff- 
licher Gatte,  der  seiner  Frau  nicht  nur  betreffs  ihrer  Dichtungen 
ratend  zur  Seite  stand  (oben  S.  499),  sondern  auch  sonst  ihr  Rat- 
geber und  ihre  Stütze  war.    Als  er  dahingeschieden,  da  empfand 

504 


sie  erst  so  recht,  was  sie  an  diesem  Manne  besessen  hatte.  Mit 
Ihm  war  ihre  Welt  tot  (II,  S.  37of.),  sie  zog  sich  zurück*^  lebte  dem 
Gedenken  der  vergangenen  Tage  und  schrieb  ihre  „Denkwürdig- 
keiten", in  denen  ihr  Mann  freilich  ihrer  Mutter  und  ihrer  Tochter 
gegenüber  etwas  in  den  Schatten  tritt.  Doch  wo  sie,  besonders 
anläßlich  seines  Todes  auf  ihn  zu  sprechen  kommt,  da  leuchtet 
sein  Wert,  seine  Bescheidenheit  (vgl.  II,  S.  293)  und  sein  herrliches 
Gemüt  (II,  S.  368)  voll  und  ganz  durch.  Dichterisch  verherrlichte 
sie  einst  seinen  Geburtstag  (Am  Geburtstage  meines  Gemahls: 
S.  W.  2  XVI,  S.  83 f.;  zuerst  1806,  vgl.  Anm.  383),  worin  sie  ihm 
durch  seine  Tochter  ihre  Wünsche  darbringt,  und  widmete  ihm 
1800  Nr.  XXV  (XXXII)  ihrer  „Gleichnisse"  (Der  bewachsene 
Stein.  An  meinen  Gemahl:  S.  W.  ^  XVIII,  S.  iioff.;  über  den 
Erstdruck  vgl.  Anm.  376). 

Die  Zeitgenossen  erkannten  Andreas  Pichlers  Verdienste,  die 
heute  der  Vergessenheit  anheimgefallen  sind,  ebenfalls.  Sein  Lei- 
chenbegängnis am  19.  September  1837  in  Baden  zeigte,  wie  sie 
ihn  schätzten  (vgl.  II,  S.  372 ff.)  und  F.  (L.  A.  Frankl)  konnte  seinen 
kurzen  Nachruf  auf  Pichler  (Der  österreichische  Zuschauer.  Hg. 
von  Ebersberg.  Wien  1838.  S.  1132;  diesem  folgte  Wurzbach, 
XXII,  S.  255)  mit  den  Worten  schließen:  „Wie  sehr  sein  Verlust 
empfunden  worden,  zeigte  sich  bei  seinem  Leichenbegängnisse, 
das  dadurch  wirklich  zu  einer  ebenso  rührenden  als  erhebenden 
Feierlichkeit  geworden  ist."  Später  wurden  seine  sterblichen  Reste 
auf  den  Währinger  allgemeinen  Friedhof  überführt,  wo  sein  und 
seiner  Gattin  Grab  bis  zum  Jahre  1901  nebeneinander  lagen.  Als 
in  diesem  Jahre  seine  Frau  in  ein  Ehrengrab  auf  dem  Wiener  Zen- 
tralfriedhof gebettet  wurde,  da  wurden  auch  Pichlers  Gebeine 
exhumiert  und  in  den  Sarg  seiner  Gattin  gelegt  (vgl.  II,  Anm.  572). 
Doch  keine  Schrift  meldet  auf  ihrem  Stein  von  seinem  Dasein. 


Da  Karoline  Pichler  über  die  Familie  ihres  Mannes  nur  sehr 
wenig  Angaben  macht,  so  sei  hier  einiges  beigebracht,"  Der  Name 
Pichler  selbst  ist  ein  alter  Berglername  und  sowohl  in  der  einfachen 
Form,  als  in  den  verschiedensten  Zusammensetzungen  in  den  Alpen- 
ländern weit  verbreitet  (vgl.  Fritz  Pichler,  Zeitschrift  für  öster- 
reichische Volkskunde,  III,  [Wien  1897],  S.  141  ff.).  Iif  diese  große 
Sippe  fügt  sich  auch  Pichlers  Stamm  ein,  dessen  Vater  Ulrich  Josef 
Pichler  ehrsamer  Gastgeb  im  Hause  zu  den  sieben  Churfürsten  am 
Spittelberg  Nr.  100  war.  Das  Haus  und  Gastgewerbe  rührte  von 
seiner  Frau  Maria  Theresia,  gebornen  Bodenreitter,  deren  Stamm 
seit  Großvaters  Zeiten  hier  heimisch  war,  her!  Im  Jahre  1703  hatten 
Michael  Bodenreitter  (t  1738)  und  seine  Frau  Eleonore  (t  17 12) 


505 


als  Untertanen  des  Wiener  Bürgerspitals  das  Haus  Nr.  loo  in  der 
Herrengasse  am  Spittelberg  vergewöhrt  erhalten  (Grundbuch 
Nr.  624  im  Archiv  der  Stadt  Wien,  Fol.  84a);  ihnen  folgten  1738 
der  Sohn  Jakob  Bodenreitter  (t  1749)  und  seine  Frau  Theresia 
(t  1742)}  welche  das  Haus  von  den  fünf  übrigen  Geschwistern  ab- 
lösten und  bereits  das  Wirtsgewerbe  a,u8übten  (Grundbuch  Nr.  624, 
Fol.  222a,  236b).  Von  ihren  vier  Kindern  heiratete  Maria  Barbara 
Theresia  den  Ulrich  Josef  Pichler,  Sohn  des  Gastwirtes  Adam 
Pichler  und  der  Barbara  (diese  starb  im  Hause  ihres  Sohnes,  86  Jahre 
alt,  am  22.  August  1774  an  der  Abzehrung:  Totenprotokolle  im 
Archiv  der  Stadt  Wien,  t.  102,  Buchst.  B,  P,  Fol.  Sgb),  und  beide 
kauften  im  Jänner  1751  von  den  drei  übrigen  Geschwistern  der 
Frau  das  Haus  Nr.  100  im  Ausmaße  von  33  Quadratklaftern  um 
8600  Fl.  (Grundbuch  Nr.  624,  Fol.  314a).  Aus  der  Ehe  der  Pichler- 
schen  Eltern  stammten  9  Kinder :  Alexander  (später  Josef  Prosper, 
1752 — 1822;  Anm.  337),  Franz  de  Paula  (geb.  14.  Februar  1756: 
Taufbuch,  Pfarre  St.  Ulrich,  t.  XXVIII,  Fol.  322a;  gestorben  vor 
1822,  8.  Testament  seines  Bruders  Prosper,  Anm.  337),  Maria 
Elisabeth  Theresia  (1758 — 1815;  verehelichte  Schweiger,  vgl.  Anm. 
352),  Theresia  Elisabeth  Thekla  (geb.  24.  September  1759:  Taufb. 
t.  XXIX,  Fol.  346b),  Anna  Elisabeth  (geb.  16.  März  1762:  Taufb. 
t.  XXX,  Fol.  279a),  Andreas  Ulrich  (1764 — 1837;  Karoline  Pichlers 
Mann,  s.  oben),  Maria  Theresia  Elisabeth  (geb.  4.  März  1765: 
Taufb.  t.  XXXI,  Fol.  284  a;  1788  noch  ledig,  s.  Grundbuch  Nr.  624, 
Fol.  616),  Ulrich  Andreas  Sylvester  (geb.  31.  Dezember  1768: 
Taufb.  t.  XXXII,  Fol.  222b)  und  Anton  Andreas  (1770 — 1823,  der 
Buchhändler,  vgl.  II,  Anm.  290).  Bereits  1774  verstarb  die  Mutter 
und  nun  erhielten  die  Kinder  Franz,  Elisabeth,  Andreas,  Theresia 
und  Anton  1776  die  Gewöhr  auf  das  halbe  Elternhaus  (Grundbuch 
Nr.  624,  Fol.  503  a)^  Josef  als  Ordenspriester  konnte  keinen  Haus- 
anteil erhalten,  die  übrigen,  oben  noch  angeführten  Kinder  waren 
jung  verstorben.  Am  i.  September  1782  starb  der  Vater,  56  Jahre 
alt  (Totenprotokoll  St.  Ulrich,  t.  XXIII,  sub  i.  IX.  1782),  der 
unterm  29.  August  1782  seinen  letzten  Willen  aufgesetzt  hatte 
(eine  Abschrift  des  Testaments  im  Pichlemachlaß  der  Stadtbib- 
liothek, J.  N.  759);  er  wurde  gleich  seiner  Frau  am  Friedhof  um 
die  Kirche  von  St.  Ulrich  (jetzt  St.  Ulrichsplatz)  beerdigt.  Sein 
Hausanteil  ging  an  die  Kinder  über,  welche  1788  das  Haus  durch 
Lizitation  an  die  Wirtsleute  Johann  und  SibyUa  Gföller  verkauften 
(Grundbuch  Nr.  624,  Fol.  616). 

**)  Cesare  Marchesi  di  Beccaria-Boimesana,  Dei  delitti  e  dellc 
pene.  Edizione  sesta.  Harlem  1766.  p.  ii7ff.  §  XXVIII.  Della 
pena  di  morte  ^  Des  Marchese  Beccarias  Abhandlung  über  Ver- 
brechen und  Strafen.  Von  neuem  aus  dem  Italienischen  übersetzt 

506 


von  J.  A.  Bergk,  I,  (Leipzig  1798),  S.  168  ff.  Von  der  Todesstrafe.  — 
Beweist,  daß  die  Todesstrafe  kein  Recht  sei,  denn  der  Tod  eines 
Verbrechers  ist  weder  notwendig  noch  nützlich,  außer  in  2  Fällen : 
I.  wenn  das  längere  Leben  eines  Menschen  für  den  Bestand  des 
Staates  gefährlich  und  2.  der  Tod  das  wirksamste  Mittel  ist,  andere 
vom  Verbrechen  abzuhalten.  Er  spricht  sich  für  lange  Kerker- 
strafen aus,  da  diese  mehr  abschreckend  wirken,  als  die  Todesstrafe, 
die  nur  ein  Beispiel  von  Grausamkeit  gibt. 

31°)  Karoline  Pichler  hat  hier  die  drei  Heiraten  des  Dichters  in 
Polen  im  Auge,  die,  schnell  geschlossen,  ebenso  schnell  wieder 
getrennt  wurden,  vgl.  Schütz,  Zacharias  Werners  Biographie  und 
Charakteristik,  I,  (Grimma  1841),  S.  13  f.  Werner  war  überhaupt 
sehr  sinnlich  und  hatte  damit  bis  in  die  späten  Tage  zu  kämpfen 
(Schütz,   I,   S.  10  f.).    Pichler  kommt  öfter  darauf  zurück  (oben 

S.  174,  302)- 

^^)  Ignaz  Karl  Graf  Chorinsky,  Freiherr  von  Ledskie  (1770 
bis  1823),  ein  geborener  Brünner,  wurde  September  1795  Regie- 
rungssekretär in  Niederösterreich,  kam  am  21.  April  1796  als  Guber- 
nialrat  und  Kreishauptmann  nach  Westgalizien,  von  wo  er  1798 
nach  Prag  versetzt  wurde.  1804  wurde  er  Hof  rat  und  Vizepräsident 
der  niederösterreichischen  Landesregierung,  übernahm  1805  die 
Leitung  der  Landesregierung,  kam  1807  als  wirklicher  Staats-  und 
Konferenzrat  in  den  Staatsrat  und  trat  1809  in  den  Ruhestand. 
Jänner  18 13  reaktiviert,  wurde  er  Vizepräsident  der  allgemeinen 
Hofkammer  und  wirklicher  Geheimer  Rat.  Mai  18 13  als  Vizepräsi- 
dent zur  vereinigten  Hofkanzlei  versetzt,  ging  er  September  18 13 
als  Hofkommissär  nach  Mähren  und  Schlesien,  übernahm  April 
181 5  die  Leitung  der  niederösterreichischen  Landesregierung 
zum  zweitenmal  und  kam  April  18 16  als  Präsident  zur  allgemeinen 
Hofkammer.  Ende  1822  trat  er  in  den  Ruhestand  und  erhielt  den 
Titel  eines  Staatsministers.  Am  14.  April  1823  starb  er.  Er  war 
ein  Gönner  Grillparzers.  Vgl.  Beiträge  zur  Geschichte  der  nieder- 
österreichischen  Statthalterei.  S.  364ff.  mit  Bildnis;  Wurzbach, 
n,  S.  358.  — Über  seine  Gemahlin  Sophie  s.  Anm.  2875  über  das 
Verhältnis  beider  vgl.  oben  S.  I77f.  mit  Anm.  317;  über  ihre  Hoch- 
zeit S.  i87f.  —  Chorinsky  gehörte  dem  literarischen  Verein  des 
Franz  Xaver  von  Greiner  an  (oben  S.  184)  und  erwies  später  (1801) 
Karoline  eine  Gefälligkeit  bei  Erzherzog  Karl  (oben  S.  23  6  f.). 
Karoline  Pichler  bezeichnet  ihn  noch  in  späteren  Jahren  als  vor- 
trefflichen und  achtungswürdigen  Mann  (II,  S.  334). 

^12)  Josef  von  Dürf  eld,  einziger  Sohn  des  Hofrats  Anton  Ignaz  von 
Dürf  eid  (1726 — 1 805)  und  der  Maria  Elisabeth,  geb.  Edlen  von  Mayer 
(^743 — 1829),  war  am  15.  März  1766  zu  Wien  geboren.  Er  wurde 
1786  kgl.  ungarisch-siebenbürgischer  Hofkonzipist  in  der  Steuer- 

507 


regulierungs-Hofkommission  (Hof-  und  Staatsschematismus,  1787. 
S.  76),  kam  1790  als  Konzipist  in  sein  eigentliches  Amt  (kgl.  unga- 
rischen Hof  rat)  zurück  (ebd.  1791,  S.  178),  wurde  1792  als  Konzi- 
pist beim  k.  k.  Direktorium  übernommen  (ebd.  1793,  S.  15),  von 
wo  er  1793  als  Hofsekretär  zum  k.  k.  geheimen  Kammerzahlamt  kam 
(ebd.  1794,  S.  389).  1806  war  er  Hofrat  geworden  (ebd.  1807, 
S.  464).  Am  29.  April  1794  heiratete  er  Therese  von  Hackher  (s. 
oben  Anm.  288),  welche  bereits  1795  unter  Hinterlassung  einer 
Tochter  (s.  unten  Anm.  333)  starb.  Zum  zweitenmal  heiratete  er 
am  20.  November  1796  in  Wien  Aloisia  Franziska  Edle  von  Wild- 
burg. Er  starb  am  24.  Februar  18 12  (nicht  181 1)  in  Wien  und 
liegt  bei  seiner  ersten  Gattin  am  Währinger  Ortsfriedhof  begraben 
(Genealogisches  Taschenbuch  der  adeligen  Häuser  Österreichs,  I, 
[Wien  1905],  S.  166;  Hampeis  S.  23,  Nr.  102  und  43,  Nr.  10,  [Vers]). 
Er  war  Karoline  Pichlers  zweiter  Beistand  bei  ihrer  Hochzeit  (oben 
S.  189).  1800  finden  wir  ihn  unter  den  Subskribenten  von  Gabriele 
V.  Baumbergs  „Sämmtlichen  Gedichten"  (Wien  1800.    S.  VI). 

31^)  „Das  Jugendleben  guter  Menschen  ist  die  höchste  Seligkeit 
auf  Erden"  (Worte  des  Fürsten  im  5.  Aufzug,  11.  Auftritt  von: 
A.  W.  Iffland,  Elise  von  Valberg.  Schauspiel  in  5  Aufzügen.  In: 
Deutsche  Schaubühne,  XIV,  [Wien  1825],  S.  131). 

^^*)  Freundschaft  und  Liebe.  Am  Geburtstage  meiner  Freundinn, 
Fräulein  Therese  von  Hackher.  1791  (Sämmtliche  Werke,  ^  XVI, 
S.  12  ff.). 

^^^)  Am  Vermählungstage  meiner  Freundinn  Therese  von  Hackher 
mit  Herrn  von  Dürfeid,  den  29.  April  1794  (Sämmtliche  Werke, 
2  XVI,  S.  29  ff.).  Zuerst  1795  gedruckt  (vgl.  unten  Anm.  377).  — 
Die  Hochzeit  fand  also  Im  April  und  nicht  im  Mai  statt.  In  diesem 
Gedicht  streift  KaroUne  Pichler  die  widrigen  Geschicke,  welche 
Therese  und  Dürfeid  im  Brautstand  trafen. 

3^*)  Franz  Johann  Graf  Chorlnsky  (1726 — 1812),  k.  k.  Känunerer 
und  Geheimer  Rat,  seit  1757  mit  Maria  Cajetana  Gräfin >Eon  Wall- 
dorf verehelicht  (E.  li.  Kneschke,  Neues  allgemeines  Deutsches 
Adels-Lexikon,  II,  [Leipzig  1860],  S.  266).  —  Vgl.  noch  S.  188 
und  Anm.  317. 

^")  Vgl.  dazu,  was  Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck  von  Kübau 
(Tagebücher,  I,  i,  [Wien  1909],  S.  1901.)  sagt:  „Er  (Ignaz  Graf 
Chorlnsky)  besuchte  das  Haus  des  n.  ö.  Referenten  Hofrats  von 
Greiner  und  lernte  dort  die  Tochter  eines  Arztes,  Sophie  von 
Mertens  kennen.  Ihre  Schönheit  entzündete  seine  Leidenschaft, 
welche  die  feurigste  Erwiderung  fand.  Du  kennst  den  Vater 
Chorlnsky  von  Brunn  aus.  Er  ist  der  erste  seiner  Familie,  der  die 
16  Quartiere  ausfüllte  und  worauf  er  den  höchsten  Wert  legt.  Er 
bedroht  den  Sohn  mit  Fluch  und  Enterbung  für  den  Fall  seiner 

508 


ehelichen  Verbindung  mit  Sophie.  Ignaz  Chorinsky  tritt  zurück. 
Sophie  kränkelt,  welkt  wie  eine  zerknickte  Blume.  Der  Zufall  — 
oder  wie  Kielmansegge  meint  —  kein  Zufall  —  führt  beide  in  dem 
Garten  des  Hofrats  von  Greiner  zusammen.  Es  folgt  eine  Szene 
erneuerter  Liebe,  erneuerter  Versprechungen.  Sie  werden  gehalten. 
Der  Ehebund  wird  geschlossen.  Der  Vater  hält  auch  sein  Wort 
und  verstößt  den  Sohn.  Der  Kaiser  selbst  ist  ungehalten  und  macht 
ihm  Vorwürfe.  Er  schließt  sich  um  so  enger  an  seine  Frau,  die  ihm 
nun  alles  ist."  An  einer  anderen  Stelle  (I,  i,  S.  203)  meint  Kübeck, 
aus  Klugheit  hätte  Graf  Chorinsky  seine  Frau  nicht  heiraten 
sollen,  da  sie  nicht  hoffähig  ist. 

318)  Am  26.  August  1792  war  er  zum  Bürger  ernannt  worden; 
trotz  des  Abscheus,  den  Klopstock  vor  den  Gräueltaten  der  Jako- 
biner hatte,  legte  er  sein  Diplom  nicht  zurück,  obwohl  ihn  Lavater 
1793  dazu  aufforderte  und  einige  Zeitungen  die  Nachricht  von  der 
Zurücksendung  des  Diploms  brachten  (vgl.  Franz  Muncker,  Fried- 
rich Gottlieb  Klopstock.  Stuttgart  1893.  S.  512,  5i4ff.,  540).  — 
Georg  Forster  starb  einsam  in  Paris  am  10.  Jänner  1794  im  vier- 
zigsten Jahre  seines  ruhelosen  Lebens;  über  seine  Beziehungen  zum 
Hause  der  Greiner,  s.  Anm.  165. 

319)  Abt  Josef  Ignaz  Martinovics  (1755 — 1795)  hatte  unter  Leo- 
pold II.  eine  Vertrauensstelle  am  Hofe  inne,  war  1792  in  geheimer 
Sendung  nach  Paris  gegangen  und  hatte  mit  der  Berg-Partei  Füh- 
lung genommen,  deren  Grundsätze  er  dann,  als  er  zu  einer  Mission 
in  Ungarn  verwendet  wurde,  aufs  Emsigste  verbreitete.  Er  verfaßte 
zwei  revolutionäre  Katechismen  auf  demokratischer  Grundlage  und 
gründete  zwei  geheime  Gesellschaften,  deren  Mitgliederstand  aber 
nicht  allzu  groß  gewesen  sein  soll.  Ungarn  wurde  in  4  Distrikte 
aufgeteilt,  und  Ende  August  soUte  das  Komplott  zur  Durchführung 
kommen.  Die  Verschwörung  wurde  aber  rechtzeitig  entdeckt, 
Martinovics  in  Wien  verhaftet  und  mit  vier  Genossen  am  20.  Mai 
1795  in  Pest  hingerichtet.  Vgl.  Wurzbach,  XVII,  S.  50 ff.  und  Joh. 
Graf  Mailäth,  Geschichte  der  Magyaren,  IV,  ^  (Regensburg  1853), 
S,  128 ff.;  V.  Fraknöi,  Martinovics  es  tärsainak  összeesküvese.  Buda- 
pest 1884.  —  Eine  Verbindung  mit  Wien  scheint  nicht  bestanden 
zu  haben. 

'*•)  Über  diese  sogenannte  Jakobinerverschwörung  ist  man  heute 
noch  nicht  im  klaren,  da  die  Akten  nicht  erschlossen  sind.  Es 
scheint  aber,  daß  einige  Streber,  um  sich  schön  zu  machen,  dem 
Kaiser  Franz  eine  Gefahr  vormachten,  die  nicht  vorhanden  war.  Aus 
einer  größeren  Anzahl  zeitgenössischer  Schriften  (vgl.  Franz  Graf f er, 
Franzisceische  Curiosa.  Wien  1849.  S.  9  ff.)  ist  zu  entnehmen,  daß 
m  Wien  und  in  ganz  Österreich  im  August  1794  eine  große  Ver- 
schwörung, an  der  sich  Zivil-  und  Militärpersonen  beteiligten, 


aufgedeckt  wurde,  welche  die  Absicht  hatte,  französisch-demokra- 
tische Grundsätze  ins  Volk  zu  bringen,  aufrührerische  Schriften 
gegen  den  Kaiser  zu  verbreiten  und  eine  Staatsrevolution  anzu- 
zetteln. Nun  dürften  diese  Schriften  aber  von  der  Regierung  be- 
einflußt gewesen  sein.  Tatsache  ist,  daß  eine  Menge  Personen 
gefänglich  eingezogen  wurden,  der  Feldkriegskanzlist  Gilloffsky 
sich  im  Gefängnis  erhenkte,  der  Platzoberleutnant  Franz  von 
Hebenstreit  im  Jänner  1795  aufgehängt  wurde,  der  Hauptmann 
Billeck  von  Billenberg  zehnjährige  Schanzarbeit  erhielt,  sechs  andere 
zu  dreißigjähriger  Schanzarbeit  verurteilt  wurden,  worunter  sich 
auch  der  Freund  des  Hauptstaatsretters  Grafen  Franz  von  Saurau, 
der  Wiener  Magistratsrat  und  Dichter  Martin  Josef  Prandstätter, 
befand,  und  einige  andere  mit  geringeren  Strafen  davonkamen. 
Spätere  Berichte  (Graf f er,  S.  26  ff.)  denken  über  die  Sache  ganz 
anders.  Der  Kampf  ging  wahrscheinlich  gegen  die  Logen,  und  ist 
hier  eine  Mitteilung  charakteristisch,  die  K.  A.  Schimmer  von  der 
KaroUne  Pichler  haben  wollte  (Gustav  Brabbee,  Sub  Rosa,  Ver- 
trauliche Mittheilungen  aus  dem  maurerischen  Leben  unserer  Groß- 
väter. Wien  1879.  S.  122  ff.)  —  freilich  ist  dessen  Angabe,  daß 
diese  sie  in  das  Manuskript  der  Denkwürdigkeiten  aufnahm,  nicht 
stichhältig  —  daß  Kaiser  Franz  durch  eine  rotangestrichene  Stelle 
(„Die  Loge  ist  eine  demokratische  Republik")  in  der  Rechtferti- 
gungsschrift der  Prager  Logen  (1794)  aufgebracht  wurde.  Aus 
den  Zeitungen  jener  Zeit,  welche  die  öffentliche  Meinung  vor- 
stellen, ist  nicht  viel  zu  entnehmen,  denn  meist  arbeiteten  sie  im 
Interesse  der  Regierung  und  wirkten  eher  aufhetzend  als  beruhi- 
gend, was  besonders  von  den  Blättern  des  Professors  L.  A.  Hoffmann 
und  des  Ex  Jesuiten  Hofstäter  gilt  (vgl.  A.  Fäulhammer,  Politische 
Meinungen  und  Stimmungen  in  Wien  in  den  Jahren  1793  und  1794. 
Progr.  Salzburg  1893.  S.  i6ff.),  während  die  freiheitlich  Gesinnten 
sich  um  Alxinger  und  Josef  Schreyvogel  scharten,  deren  „Öster- 
reichische Monatsschrift"  offen  und  ehrlich  Opposition  gegen  das 
herrschende  System,  wenn  auch  in  patriotischer  und  loyaler  Weise 
trieb  (Fäulhammer,  S.  23  ff.).  Interessant  ist,  daß  der  Wiener  Pöbel 
mit  großem  Vergnügen  an  den  Opfern  der  Regierungsgewalt  seine 
Schau-  und  Sensationslust  kühlte,  wie  aus  den  Eipeldauerbriefen 
des  Josef  Richter  hervorgeht  (Fäulhammer,  S.  15  f.). 

^^)  Dazu  vergleiche  man  einen  Ausspruch  von  Alxinger,  der 
Ende  1792  an  Wieland  schrieb:  „Sie  (die  Minister)  möchten  gern 
so  regieren  wia  vor  hundert  Jahren  Mode  war,  schelten  alles  Jako- 
biner, was  die  alte  Mode  mißbiUiget  und  sind  entschlossen,  es  auf 
ihre  Art  durchzusetzen,  es  koste,  was  es  wolle"  (G.  Wilhelm,  Briefe 
des  Dichters  Joh.  Bapt.  v.  Alxinger.  Wien  1898.  S.  71).  Blumauer, 
der  1796  gar  nicht  mehr  hervortrat,  wurde  von  einem  Anonymus 

510 


als  „Jakobiner"  denunziert  (Gugitz,  Grillparzer  Jahrbuch,  XVIII, 
S.  8i).  —  Es  gab  damals  eigene  Jakobinerlieder. 

8M)  Salvatore  Vigano  (1769 — 1821),  ein  Neapolitaner,  hatte  in 
Rom  die  Wienerin  Josef  a  Maria  Mayer  (1756 — 1821)  geheiratet,  mit 
der  er  1793  und  1794  im  Wiener  Nationaltheater  auftrat.  Er  wurde 

1793  Ballettmeister,  blieb  dies  bis  1798  und  bekleidete  diese  Stelle 
nochmals  1803 — 1806.  Über  beider  Auftreten  und  Wirken  am 
Nationaltheater  vgl.  Wurzbach,  L,  S.  287 f.;  Rieh.  Wallaschek  in: 
Die  Theater  Wiens.  IV,  (Wien  1909),  S.  22 f.  mit  Bildern;  Katalog 
der  Portrait-Sammlung  der  k.  und  k.  General-Intendanz  der  k.  k. 
Hoftheater,  Wien  1892,  S.  442.  Gedichte  auf  deren  Auftreten 
am  3.  März  und  2.  August  1794,  sowie  ein  Sonett  auf  die  Vigano 
als  Terpsichore  und  eine  dadurch  hervorgerufene  mythische  Dich- 
tung „Die  Weihe  der  Tanzkunst",  die  Herrn  und  Madame  Vigano 
vom  Dichter  G.  Leon  zugeeignet  ist,  enthält  der  „Wiener  Theater- 
ahnanach  für  1794  und  1795"  (Goedeke,  VI,  S.  515:  aß).  Das 
Sonett  auf  die  Vigano  (Wien  am  29.  Julius  1793:  Wiener  Theater- 
almanach  1794,  S.  82 f.)  klingt  in  die  Worte  aus: 

Laßt  uns  sie  mit  jungen  Rosen  krönen, 
Sie  hat  uns  der  Griechen  Kunst  gebracht. 
Die  die  Herzen  sanft  und  fröhlich  macht. 

Sie  erhebt  mit  ihrem  süßen  3piel 
Himmelan  das  menschliche  Gefühl 
Und  den  Geist  zum  Ideal  des  Schönen. 

Kaiser  F  ranz  fand  an  der  Vigano  Wohlgefallen,  worüber  die  Gräfin 
Lulu  Thürheim  (Mein  Leben,  I  [München  1913],  S.  i26f.)  sich 
einige  Bemerkungen  gestattet.  Josef  Richter  (Gedichte.  ^  Wien 
1809.  S.  29,  37,  58)  wendet  sich  scharf  gegen  die  Mode  der  Vigano- 
bäuche,  gegen  den  Pas  de  deux  der  Vigano  und  gegen  das  Herein- 
bringen von  Pferden  auf  die  Bühne  im  Viganoschen  Ballett 
„Richard  Löwenherz". 
'*')  Antonio  Muzzarelli  (1744 — 1821)  war  seit  1791  Tänzer,  seit 

1794  Ballettmeister  des  Naitionaltheaters  und  k.  k.  Hoftanzmeister 
(Wallaschek,  a.  a.  O.  IV,  S.  23,  Anm.;  Katalog  der  Portrait-Samm- 
lung, 5,441). 

'**)  Vgl.  dazu  die  vielen  Angaben,  welche  (Josef  Richter)  „Briefe 
eines  Eipeldauers  an  seinen  Herrn  Vetter  in  Kakran  über  d'Wien- 
Btadt"  bringt  (Heft  XXXVII.  Wien  1797.  S.  [28  ff.]  des  Registers). 
Verschiedene  dieser  Moden,  so  bei  den  Damen  das  Tragen  von 
Jakobinerhüten,  Schleppen,  dünner  Stoffe  um  den  Busen  und 
langer  goldener  Ketten,  bei  den  Herren  die  großen  Männerhals- 
binden, nimmt  Josef  Richter  auch  in  Gedichten  satirisch  her 
(Gedichte.  2  Wien  1809.    S.  8,  18,  43,  60). 


•*")  Franz  Josef  Graf  v.  Saurau  (1760 — 1832)  kam  1789  von  Prag 
als  Regierungsrat  und  Stadthauptmann  nach  Wien  und  wurde 
1791  Hof  rat,  1792  Geheimer  Rat  und  August  1795  Präsident  der 
niederösterreichischen  Regierung.  1789  war  er  auch  Adlatus  des 
Präsidenten  der  Polizeihofstelle  und  beteiligte  sich  als  solcher 
hervorragend  an  der  Unterdrückung  der  Jakobiner,  er,  der  früher 
selbst  Freimaurer  gewesen.  Er  war  1797  Qänner)  der  Anreger  der 
Hymne  auf  Kaiser  Franz,  die  L.  Haschka  dichtete  und  Josef  Haydn 
in  Musik  setzte.  1797  bot  er  den  allgemeinen  Landsturm  gegen  die 
Franzosen  auf,  und  im  selben  Jahre  (November)  vnirde  er  Polizei- 
und  Finanzminister  und  reorganisierte  die  Theresianische  Akademie ; 
1801  schied  er  aus  dem  Ministerium,  kam  als  Botschafter  nach 
St.  Petersburg  und  von  hier  1803  als  niederösterreichischer  Land- 
marschall nach  Wien.  Von  1806  ab  verschiedene  Ämter  bekleidend, 
wurde  er  1809  neuerdings  Statthalter  von  Niederösterreich.  18 17 
war  er  Gesandter  in  Madrid,  dann  bis  183 1  oberster  Hofkanzler 
und  vor  seinem  Tode  Gesandter  in  Florenz.  Er  war  ein  liberaler 
Despot  und  Freund  aller  Künste  (1800  unter  den  Subskribenten  von 
Gabriele  Baumberg,  Sämmtliche  Gedichte.  Wien  1800.  S.  XVII) 
und  Wissenschaften  (vgl.  Beiträge  zur  Geschichte  der  niederöster- 
reichischen Statthalterei.  S.  349 ff.  mit  Bild;  Wurzbach,  XXVIII, 
S.  279 ff.;  Karl  Hafner,  Zeitschrift  des  historischen  Vereines  für 
Steiermark,  VII,  [Graz  1909],  S.  24ff.  mit  Bildnis). — L.L.  Haschka 
widmete  ihm  ein  Loblied  (Magazin  der  Kunst  und  Litteratur,  IV,  4, 
[Wien  1796],  S.  iff.). 

^^)  Der  Friede  von  Basel,  abgeschlossen  am  5.  April  1795- 

327^  Die  dritte  Teilung  Polens  fand  im  Jänner  1796  statt,  nachdem 
sich  Preußen,  Rußland  und  Österreich  am  24.  Oktober  1795  dahin 
verständigt  hatten. 

327  a)  Von  „In  mir  ....  Europa  wieder"  fehltim  Druck,  stehtaber 
in  der  Handschrift  undurchstrichen  mit  einer  Randbemerkung: 
„Folgendes  hat  auszubleiben". 

328)  Die  Stelle  lautet  wörtlich:  „Bedenkh  der  Fürst,  was  wir 
aller  Welt  für  ein  Exempl  geben,  wenn  wir  um  ein  eilendes  stuck 
von  Pohlen  oder  von  der  Moldau  und  Walachey,  unnser  ehr  und 
reputation  in  die  schanz  schlagen  (Hormayr,  Taschenbuch  für 
vaterländische  Geschichte.  N.  F.  II,  [München  183 1],  S.  66f.). 
Pichler  zitiert  hier  nur  sinngemäß,  nicht  wörtUch;  vgl.  noch  Adolf 
Beer,  Die  erste  Theilung  Polens,  II,  (Wien  1873),  S.  315  f. 

329)  Am  21.  April  1796  wurde  Chorinsky  Gubemialrat  und  Kreis- 
hauptmann zu  Kieke  in  Westgalizien  (vgl.  oben  Anm.  3 1 1). 

3*')  25.  August  1795  wurde  Saurau  Präsident  der  niederöster- 
reichischen Regierung  (Beiträge  zur  Geschichte  der  n.-ö.  Statt- 
halterei.   S.  349). 

512 


SSI)  21.  Jänner  1796  (s,  oben  Anm.  308). 

332)  Herrngasse  127  (Hof-  und  Staatsschematismus.  1795.  S.  379). 

333)  Maria  Theresia  von  Dürfeid,  verehelichte  Hauer,  wurde  zu 
Wien  am  16.  Juni  1795  geboren,  vermählte  sich  nach  dem  frühen 
Tod  ihres  Vaters  am  24.  April  18 14  mit  Josef  Ritter  von  Hauer, 
späteren  Geheimen  Rat  und  Vizepräsidenten  der  k.  k.  allgemeinen 
Hofkammer.  Sie  starb  am  30.  Juni  1874  zu  Schleinz  bei  Wiener- 
Neustadt  (H.  W.  Höfflinger,  Genealogisches  Taschenbuch  der 
adeligen  Häuser  Österreichs,  IV,  [Wien  191 1],  S.  152;  vgl.  auch 
I,  [1905],  S.  167). 

334)  Maria  Theresia  von  Dürfeid,  geb.  von  Hackher  zu  Hart, 
starb  am  21.  Juni  1795  und  fand  am  Währinger  Ortsfriedhof  ihre 
letzte  Ruhestätte  (E.  M.  Hampeis,  a.  a.  O.  S.  18).  Ihre  Grabschrift 
(Legende  samt  Vers)  verzeichnen:  Sammlung  der  auf  den  Gottes- 
äckern der  k.  auch  k.  kgl.  Haupt-  und  Residenz-Stadt  Wien  be- 
findlichen Grabschriften  und  Denkmähler,  I,  (Wien  1807),  S.  34, 
Nr.  71  und  Hampeis,  S.  41,  Nr.  2. 

335)  Elegie  bey  dem  Leichenbegängnisse  meiner  unvergeßlichen 
Freundinn,  Therese  von  Dürfeid,  den  23.  Junius  1795  (Sämmtliche 
Werke,  ^  XVI,   S.  36ff.).     Erschien  zuerst  1796  (vgl.  Anm.  377). 

336)  Josef  Paul  Gottlob  Freiherr  von  Lederer  (1771 — 18 12), 
k.  k.  Truchseß,  Hofrat  und  Stadthauptmann  zu  Wien  (Wurzbach, 
XIV,  S.  296;  Beiträge  zur  Geschichte  der  niederösterreichischen 
Statthalterei,  S.  473).  Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck  von  Kübau 
charakterisierte  ihn  1805  mit  den  Worten:  „Lederer  hat  (als  Regle- 
rungsrat) mehr  Genialität  als  Kenntnisse"  (Tagebücher,  I,  [Wien 
1909],  S.  129);  er  bringt  vieles  zu  dessen  Amtstätigkeit  bei  {vgl. 
Tagebücher,  II,  S.  267  das  Register).  —  Vgl.  noch  S.  245. 

^')  Josef  Prosper  Pichler  war  (laut  Testament  seines  Vaters  vom 
29.  August  1782;  im  Pichlemachlaß  der  Stadtbibliothek,  JN  759) 
das  älteste  Kind  des  Ulrich  Josef  Pichler,  wohnhaft  am  Spittelberg 
Nr.  100  (jetzt  Wien  VII),  und  wurde  am  12.  Oktober  1752  als  An- 
dreas Alexander  getauft  (Taufbuch  der  Pfarre  St.  Ulrich  [Wien 
VII],  t.  XXVII,  Fol.  255  b).  Nach  Absolvierung  seiner  Studien  trat 
er  bei  den  Piaristen  in  der  Josefstadt  ein,  erhielt  1771  die  Tonsur 
und  den  Klosternamen  Josef  Prosper  und  wurde  am  15.  März  1777 
zum  Priester  geweiht.  1782  wurde  er  von  seinem  Vater  testamen- 
tarisch jährlich  mit  60  Fl.  bedacht,  solange  er  im  Ordensstand  sich 
befinde;  bei  Übertritt  in  den  Weltpriesterstand  habe  er  1500  Fl. 
von  den  Universalerben  zu  erhalten  (Testament  seines  Vaters).  Er 
trat  später  aus  dem  Piaristenorden,  wurde  Weltpriester,  wirkte  zu- 
nächst (vom  i6.  Juni  1796  ab)  als  Pfarrer  bei  St.  Josef  in  Margareten 
und  wurde  am  8.  Februar  1803  Pfarrer  zu  St.  Josef  ob  der  Laim- 
grube  (jetzt  Wien  VI.)  und  fürsterzbischöflicher  Konsistorialrat. 

33    C.  p.  I  513 


Als  solcher  starb  er  am  5.  Juli  1822,  69  Jahre  alt  an  der  Lungen- 
lähmung, seine  arme  Seele  zum  Erben  einsetzend  (Totenprotokolle 
der  Stadt  Wien,  1822,  Buchstabe  B,  P.  Fol.  60  b;  Verlassenschafts- 
akten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  XXI,  Nr.  23 
ex  1822;  Mitteilungen  des  fürsterzbischöf liehen  Konsistorialarchivs 
in  Wien  und  unten  II,  S.  156).  Ein  Teil  seines  hinterlassenen 
Geldes  (300  Fl.)  wurde  seinem  Wunsche  gemäß  zu  einer  Messen- 
stiftung bei  St.  Josef  ob  der  Laimgrube  verwendet  (vom  fürst- 
erzbischöf liehen  Ordinariat  in  Wien  unterm  13.  März  1824  be- 
willigt), einen  andern  Teil  (600  Fl.)  erhielten  die  Versorgungs- 
häuser zu  Ybbs  und  am  Alserbach,  und  der  Rest  wurde  unter  die 
Kinder  seines  verstorbenen  Bruders  Franz  und  des  noch  leben- 
den Bruders  Anton  verteilt;  seine  Brüder  erbten  Bücher  und  ge- 
schriebene Predigten  (Verlassenschaftsakten).  Er  hatte  seines  Bru- 
ders Andreas  Hochzeit  eingesegnet  und  reichte  der  Karoline  v. 
Greiner  die  letzte  Ölung  (unten  II.  S.  50).  1817  erschien  zu  seinem 
Geburtstage  (!)  ein  Gedicht:  „Dem  hochwürdigen  Herrn  Joseph 
Prosper  Pichler,  Pfarrer  ob  der  Laimgrube.  Zu  seinem  Wiegenfeste 
am  30.  Jänner  18 17  gewidmet  von  L.  S.  d.  j.  Wien,  o.  J.  kL  8".  2  Bll." 
(Katalog  Nr.  103:  Viennensia,  von  Gilhofer  und  Ranschburg  in 
Wien.    S.  34,  Nr.  618). 

**)  Das  Trauungsbuch  derPfarre  zumhl.  Bartholomäus  inHernals 
(jetzt  Wien  XVII)  enthält  darüber  folgenden  Eintrag  (freundliche 
Mitteilung  des  hochw.  Herrn  Pfarrers,  geistlichen  Rates  Stöber  in 
Hernais):  Am  25.  Mai  1796.  Copulans:  Franz  (!)  Pichler,  Pfarrer 
von  Auerstal.  Bräutigam:  Andreas  v.  Pichler,  in  der  Stadt  272 
(wohnhaft),  katholisch,  33  Jahre,  unverehelicht.  Braut:  Karolina 
von  Grainer,  allhier  (Hernais),  kath.,  26  Qahre),  unverehelicht. 
Beistände:  Joseph  von  Sonnenfels,  k.  k.  Hofrath;  Franz  von  Heeß, 
k.  k.  Regierungsrath. 

Der  Heiratskontrakt,  vom  25.  Mai  1796  datiert,  liegt  in  Abschrift 
dem  Verlassenschaftsakt  des  Andreas  Pichler  (Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  187  ex  1837)  b^^-  ^^  bestimmt  in 
§  I  das  Heiratsgut  mit  1000  Fl.  und  in  §  2  die  Wiederlage  des 
Bräutigams  mit  2000  Fl. 

^  Lieder  österreichischer  Wehrmänner  von  H.  J.  v.  Collin. 
Erste  Abtheilung.  Wien  1809.  32  S.  8^  (Goedeke,  VI,  S.  107:  9; 
vgl.  Arnold-Wagner,  Achtzehnhundertneun.  Die  politische  Lyrik 
des  Kriegsjahres.    Wien  1909.    S.  321  ff.).  —  Vgl.  oben  S.  331. 

■*•)  Vgl.  oben  Anm.  65,  70,  71. 

**i)  Josef  Antoii  v.  Paradis  (geb.  1733),  1755  Kriminalassessor 
in  Temesvär,  hierauf  Hofkonzipist  beim  Direktorium  in  publicis  et 
cameralibus,  1769  Hofsekretär  bei  der  Kommerzhofstelle  und  1785 
Regierungsrat    bei    der    niederösterreichischen    Regierung.     Am 


23- August   1795  wurde  er  jubiliert  (Wurzbach,  XXI,  S.  286f.; 
Beiträge  zur  Geschichte  der  niederösterreichischen  Statthalterei. 

S.  347  ^^^  470-_ 
3*2)  Der   sächsische   HofkapeUmeister  Joh.  Gottlieb   Naumann 

(1741 — 180 1)  hatte  die  Oper  „Amphion"  1776  für  den  schwedischen 

Hof  komponiert;  der  Text,  sowie  die  Partitur  erschienen  1784  in 

Leipzig.    Die  dreiaktige  Oper  „Cora",  ebenfalls  vor  1780  für  den 

schwedischen  Königshof  vertont,  erschien  1780  in  Leipzig.    Vgl. 

Eitner,  VII,  iSiff.,  besonders  S.  155a. 

3*3)  Marianne  von  Martines  (auch  Martinez;   1744 — 1812),  eine 

Wienerin,  war  eine  beliebte  Sängerin  und  Klavierspielerin.  Unter 

ihren  Lehrern  waren  Metastasio,  den  sie  beerbte,  und  Josef  Haydn. 

Im  Gegensatze  zur  Pichler  loben  Abt  Gerbert  und  Dr.  Burney  ihre 

Kompositionen    sehr    (Wurzbach,    XVII,    S.  22ff.;    Eitner,    VI, 

S.353f0-. 
3*3  a)  Dieser  Absatz  fehlt  im  Druck,  in  der  Handschrift  steht  er 

undurchstrichen.    Den  gleichen  Gedanken  s.  oben  S.  295  ff. 

3**)  Im  Hause  des  Regierungsrates  von  Paradis  wurden  Lustspiele 
und  Operetten  aufgeführt,  die  durch  die  Mitwirkung  der  Maria 
Therese  von  Paradis,  die  auf  dem  Klaviere  begleitete,  besonderes 
Interesse  hatten.  1 794  wurde  Dittersdorfs  „Doktor  und  Apotheker" 
hier  gespielt  (vgl.  Wiener  Theater-Almanach  für  das  Jahr  1794. 
S.  58 f.  und  Richard  Wallaschek,  in:  Die  Theater  Wiens,  IV,  [Wien 
1909],  S.  6). 

^  KaroUne  Pichler  gedenkt  dieser  Überraschimg  auch  in  dem 
Gedichte,  das  sie  der  Paradis  ins  Stammbuch  schrieb  (Sämmtliche 
Werke,  2  XVI,  S.  49;  zuerst:  Österreichischer  Taschenkalender  für 
das  Jahr  1803.    Wien.  S.  36). 

^®)  Mehlgrube  Nr.  1074  (Hof-  und  Staatsschematismus,  1798, 
S.  117). 

^')  Der  k.  k.  Leibwundarzt  Josef  Franz  Herbek,  laut  Toten- 
protokoll aus  Köln  am  Rhein  gebürtig,  befand  sich  1797  beim  all- 
gemeinen Aufgebot  als  Arzt  (Geusau,  Geschichte  Wiens,  V,  S.  119; 
Lauber,  Denkmal  usw.  S.  392  und  Anhang  S.  6).  Im  selben  Jahr 
war  er  k.  k.  Rat  und  Leibchirurg  geworden  (Hof-  und  Staats- 
schematismus. 1798,  S.  355);  1801  wurde  er  Mitglied  der  k.  k. 
medizinisch-chirurgischen  Josefs- Akademie  (ebd.  1802,  S.  311).  Er 
starb  am  17.  Dezember  1827  zu  Wien  im  Alter  von  jj  Jahren  und 
wurde  am  Schmelzerfriedhof  begraben;  ihn  überlebte  seine  Gattin 
Aloisia,  geb.  Kitzeil,  mit  derer  seit  1790 verehelicht  war  (Verlassen- 
schaftsakten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II,  Nr. 
906  ex  1828;  Totenprotokolle  der  Stadt  Wien  im  Konskriptionsamt, 
1827,  Buchstabe  H,  Fol.  60a),  —  Über  seine  ärztliche  Tätigkeit  im 
Hause  Greiner  s.  noch  oben  S.  2o8f.,  221. 

33«  515 


347  a)  Wie  aufgeregt  die  Wiener  waren,  zeigt  eine  Schrift,  welche 
zur  Beruhigung  der  Gemüter  ausgegeben  wurde:  „Beantwortung 
der  Frage:  Werden  die  Franzosen  nach  Wien  kommen?  Zur  Be- 
ruhigung für  einige  kleinmüthige  Bewohner.  Wien  1797.  Zu  finden 
bey  B.  Ph.  Bauer,  und  in  Kommission  bey  Peter  Rehm,  Buch- 
händler am  Kohhnarkt."  (kl.  S".  16  S.  —  Wien,  Stadtbibliothek). 
Die  Gründe  zwar,  die  der  Verfasser  anführt,  sind  nicht  sehr  über- 
zeugend: I.  Könnten  die  Franzosen  nicht  über  den  Semmering, 
da  man  ihnen  ein  Heer  gegenüberstellen  würde;  2.  könnten  sie 
auch  nicht  auf  dem  Wege  durch  Ungarn  nach  Wien  kommen,  weil 
sie  die  Sprache  der  Ungarn  nicht  verstehen  und  deren  Aufgebot 
nicht  gewachsen  sind.  Die  Wiener  mögen  nur  auf  Gott  und  den 
Kaiser  vertrauen,  beten  und  arbeiten,  dann  wird  alles  wieder  gut. 
„Noch  sind  die  Franzosen  nicht  in  Wien,  und  sie  werden  sich  auch 
den  Kopf  an  Wiens  Mauern  nicht  anrennen.  Der  Zaghafte  fliehe ! 
der  Standhafte  erspart  die  Reisekosten  und  hat  die  Genugthuung, 
den  Zaghaften  zu  kennen,  und  ihn  zu  verlachen"  (S.  15  f.).  —  Josef 
Richter  schrieb  anonym  zwei  Sammlungen  spaßhafter  Anekdoten 
über  die  Furcht  der  Leute  im  Jahre  1797:  Gesammelte  Reise- Anek- 
doten der  Wiener  Furchtsamen  auf  ihrer  Flucht  im  Monate  April 
1797.  Prag  (1797).  —  Nachtrag  zu  den  gesammelten  Reise-Anek- 
doten der  Wiener  Furchtsamen  auf  ihrer  Flucht  im  Monate  April 
1797.    Wien  und  Prag  (1797). 

^  Es  war  der  damals  an  der  Spitze  der  niederösterreichischen 
Regierung  stehende  Graf  Saurau  (Anm.  325),  der  am  4.  April  1797 
an  die  Bürger  Wiens  eine  Proklamation  richtete,  worin  er  sie  auf- 
forderte, den  allgemeinen  Landsturm  aufzubieten  und  am  Wiener- 
berg ein  verschanztes  Lager  zu  errichten.  Acht  Tage  nach  seiner 
Aufforderung  standen  37  000  Mann  bereit,  doch  bereits  im  Mai 
1797  wurden  sie  verabschiedet  (vgl.  unten  Anm.  357),  da  inzwischen 
die  Friedenspräliminarien  zu  Leoben  am  18.  April  1797  unter- 
zeichnet worden  waren  (Beiträge  zur  Geschichte  der  niederöster- 
reichischen Statthai terei.  S.  350 f.;  Anton  Edler  von  Geusau,  Ge- 
schichte der  Haupt-  und  Residenzstadt  Wien.  V,  [Wien  1807], 
S.  60 ff. 5  Lauber,  Denkmal  usw.  S.  338 ff.;  Karl  Glossy,  Wiener 
Neujahrs-Almanach  1897.  Wien  1897,  S.  iff.).  Die  am  Wienerberg 
angelegten  Schanzen  wurden  am  16.  April  bezogen  (Geusau,  V, 
S.  108  ff.).  Zur  besseren  Leitung  der  Einschreibungen  in  der 
Stadt  und  in  den  Vorstädten  wurden  am  8.  April  1797  eigene  Re- 
gierungskommissäre aufgestellt,  unter  denen  sich  auch  Pichler  be- 
fand (Geusau,  V,  S.  76).  Als  die  Stadt  Wien  am  18.  Mai  zu  Ehren 
der  neuernannten  Bürger  Graf  Saurau  und  Prinz  Ferdinand  von 
Württemberg  ein  Mahl  in  der  Schießstätte  veranstaltete,  lud  sie  die 
Regierungskommissäre  ebenfalls  dazu  (Geusau,  V,  S.  i66f.;  Lauber, 

516 


5.4^8),  die  von  Kaiser  Franz  unterm  15.  Mai  Belobungsdekrete, 
erhalten  hatten  (Lauber,  S.  435).   A.  Pichler  wurde  diese  Belobung 
durch  den  Grafen  Saurau  am  16.  Mai  intimiert  (das  betreffende 
Dekret  im  Pichlernachlaß  der  Stadtbibliothek,  J.  N.  762). 

349)  Die  Oberleitung  des  Theresianums  hatte  zwar  von  1797 
bis  1801  Franz  Graf  Saurau  als  Kurator  (Eugen  GugUa,  Das  There- 
sianum  in  Wien.  Wien  19 12.  S.  97ff.),  doch  dürfte  Greiner  als 
Referent  der  Studienhofkommission  sich  an  der  Verwaltung  be- 
teiligt haben. 

SSO)  Maria  Cäcilia  Kurländer  von  Kornfeld,  die  Tochter  des  Karl 
und  der  Theresia  Kurländer  von  Kornfeld  (Anm.  385),  ein  kalter 
und  stolzer  Charakter  (oben  S.  206),  heiratete  am  10.  Mai  1797 
den  Hofkonzipisten  Franz  Xaver  von  Greiner  (oben  S.  211), 
wurde  jedoch  bald  lungenkrank  und  verschied  am  12.  Dezember 
1799  nach  kaum  zweijähriger  Ehe,  27  Jahre  alt  (vgl.  oben  S.  22off.; 
Totenprotokolle  der  Stadt  Wien  im  städt.  Archiv.  Bd.  127, 
Buchstabe  C,  G,  K,  Fol.  128  b).  Ihr  nicht  bedeutendes  Vermögen 
(1568  Fl.  30  Kr.)  ging,  da  keine  Kinder  vorhanden  waren,  an  die 
Eltern,  beziehungsweise  Geschwister  über  (Verlassenschaftsakt  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  V,  Nr.  154  ex  1799).  — 
Der  Schmerz  ihres  Gatten  um  sie  war  groß  (vgl.  oben  S.  223  f., 
254);  um  ihn  in  etwas  zu  trösten,  schrieb  seine  Schwester  für 
ihn  das  Gleichnis  „Der  entblätterte  Baum"  (Gleichnisse.  Wien 
1800.     S.  20  =  S.  W.  2  XVIII,  S.  119). 

^*^)  Schloß  Dürnholz  liegt  in  der  südlichsten  Ecke  Mährens 
an  der  Thaya,  nicht  weit  von  Grußbach  und  Nikolsburg  entfernt 
(vgl.  Gregor  Wolny,  Die  Markgrafschaft  Mähren  topographisch, 
statistisch  und  historisch  geschildert.  II,  i  [Brunn  1836],  S.  273  ff.) 
und  gehört  heute  noch  dem  Besitzstande  des  Theresianums  in 
Wien  an,  welchem  es  nach  Auflösung  des  adeligen  Olmützer  Kon- 
viktes  als  Stiftung  des  Feldmarschalls  und  Geheimen  Rates  Rudolf 
Freiherrn  von  Teuffenbach  (t  1650)  zur  Gänze  zufiel,  nachdem 
früher  nur  ein  Teil  zu  ihm  gehörte  (Anton  Reichsritter  von  Geusau,  . 
Geschichte  der  Stiftungen,  Erziehungs-  und  Unterrichtsanstalten 
in  Wien.  Wien  1803.  S.  356ff.;  Joh.  Nep.  Edler  von  Savageri, 
Chronologisch-geschichtliche  Sammlung  aller  bestehenden  Stif- 
tungen, Institute,  öffentlichen  Erziehungs-  und  Unterrichts- An- 
stalten der  k.k.  österreichischen  Monarchie,  I  [Brunn  1832],  S.  348  ff.). 
—  Die  Abreise  von  Wien  erfolgte  über  Auftrag  des  Kaisers  Franz 
am  Ostermontag,  den  17.  April  1797  mittelst  Wagen,  wobei  nebst 
den  30  Theresianisch-Leopoldinischen  Zöglingen,  die  Hofrat 
Greiner  beaufsichtigte,  noch  die  Zöglinge  der  Barbara-Akademie  in 
der  Stadt  unter  Leitung  des  Rektors  P.  Ehrenbert  Sonnenmeyer, 
des  P.  Stephan  Becker  und  des  Profeßklerikers  Franz  Barger  be- 


teiligt  waren ;  die  beiden  ersteren  hatten  in  Dürnholz  Umgang  mit 
den  Greiners;  die  Rückreise  erfolgte  am  31.  Mai  1797  (vgl.  Anton 
Brendler,  Das  Wirken  der  P.  P.  Piaristen  seit  ihrer  Ansiedelung  in 
Wien  im  Collegium  in  der  Josefstadt,  zu  St.  Thekla  auf  der  Wieden 
und  im  Löwenburgschen  Convicte.   Wien  1896.    S.  263). 

***)  Karl  David  Schweiger,  laut  Heiratsprotokoll  aus  Linz  und 
Sohn  des  Linzer  Stadtschreibers  Jakob  Schweiger  und  der  Theresia, 
geb.  Kek,  kam,  nachdem  1783  das  Bistum  Leoben  de  facto  gegründet 
wurde,  als  Kanzlist  in  die  Konsistorialkanzlei  nach  Leoben,  wurde 
dort  am  9.  März  1792  seiner  ausnehmenden  Fähigkeiten  und  der 
vielen,  mit  ganzer  Zufriedenheit  gelieferten  Arbeiten  wegen,  wie 
es  im  Emennungsdekrete  heißt,  Konsistorialkanzler  und  übersiedelte 
1808  mit  der  Kanzlei,  da  das  Bistum  Leoben  vom  Seckauer  Bischof 
(Sitz  in  Graz)  administriert  wurde,  nach  Graz,  wo  er  am  Grieß 
Nr.  887  wohnte  (Schematismus  für  das  Herzogthum  Steiermark  auf 
das  Jahr  1827.  Grätz,  S.  330).  Er  starb  nach  langer  Krankheit, 
laut  Totenprotokoll  der  Pfarre  St.  Andrae  in  Graz,  am  5.  März 
1829,  69  Jahre  alt,  an  der  Gicht  (Frdl.  Mitteilungen  der  hochw. 
Herrn  Konsistorialarchivar  Math.  Schaffler  und  Pfarrer  Dr.  K. 
Maierhof  in  Graz).  Von  Schwelger  sind  drei  an  die  Pichler  gerich- 
tete Briefe  in  der  Wiener  Stadtbibliothek  erhalten  und  zwar  zwei 
aus  dem  Jahre  1826  (Graz  2.  Mai  und  14.  Juni)  und  einer  aus  dem 
Jahre  1827  (22.  November).  Sie  behandeln  eine  Geldangelegenheit. 
Im  letzten  Brief  vom  22.  November  1827  berichtet  Schweiger,  daß 
ihn  nunmehr  seit  vier  Wochen  ein  krampfhaftes  Leiden  im  Unter- 
leib meistenteils  ans  Bett  fessele.  —  Schweiger  war  mit  einer  Schwe- 
ster des  Andreas  Pichler  vermählt  (vgl.  oben  S.  266,  272 f.).  Diese, 
Maria  Elisabeth  Theresia,  wurde  am  16.  August  1758  in  der  Ge- 
meinde Spittelberg  (jetzt  Wien  VII)  geboren  und  heiratete  am 
17.  Juni  1784  bei  St.  Ulrich  in  Wien  (Taufprotokoll  der  Pfarre 
St.  Ulrich  in  Wien  VII,  t.  XXIX,  Fol.  222  a;  Heiratsbuch  derselben 
Pfarre,  t.  XXIX,  Fol.  248  b).  Aus  ihrer  Ehe  mit  Schweiger  entsproß 
eine  Tochter  Karoline  (geboren  in  Goeß  bei  Leoben  am  10.  Sep- 
tember 1785:  Taufbuch  der  Pfarre  Goeß  nach  frdl.  Mitteilung  des 
Herrn  Stadtpfarrers  Alois  Stradner  in  Leoben),  die  im  Winter  von 
1804  auf  1805  bei  Pichlers  in  Wien  weilte,  nachdem  diese  im  Som- 
mer 1804  in  Leoben  auf  Besuch  bei  Schweigers  waren  (oben 
S.  272f.).  Elisabeth  Schweiger  starb  am  15.  Dezember  1815  in 
Graz  an  den  Kopffraisen  (Totenbuch  der  Pfarre  St.  Andrä  in  Graz, 
nach  frdl.  Mitteilung  des  hochw.  Herrn  Pfarrers  Dr.  K.  Maierhof). 

^  Alexander  Graf  von  Engel  und  zu  Wagrain  (172 1 — i8oo)  war 
der  erste  Bischof  von  Leoben  seit  dem  Jahre  1784.  Er  starb  zu 
Goeß.  Vgl.  Megerle  von  Mühlfeld,  Memorabillen,  I,  S.  285;  Bon. 
Sentzer,  Roman  Sebastian  Zängerle.  Graz  1901,  S.  401  (Register). 

518' 


3**)  Die  Franzosen  kamen  am  7.  April  1797,  nachdem  Erzherzog 
Karl  am  selben  Tag  die  Stadt  verlassen  hatte,  unter  Massena  nach 
Leoben;  Massena  ging  am  9.  April  weg,  dafür  kam  die  DiTision 
Angereau,  die  bis  26.  blieb.  Am  28.  April  waren  alle  Franzosen 
fort.  Napoleon  war  am  10.  April  abends  %io  Uhr  angekommen, 
aber  sogleich  nach  Goeß  weitergegangen,  wo  er  beim  Bischof  von 
Leoben  Graf  Engel  wohnte.  Am  nächsten  Tag  reiste  er  nach  Graz, 
kehrte  aber  am  13.  wieder  zurück  (vgl.  den  Bericht  des  Leobner 
Bürgermeisters  Dirnpöck  bei  Hans  v.  Zwiedineck-Südenhorst,  Der 
Vorfriede  von  Leoben.    Leoben  1897.    S.  3if.). 

355)  Der  Präliminarfriede  von  Leoben  (18.  April  1797)  sicherte, 
den  Franzosen  die  Lombardei  und  Belgien.  Der  Friede  wurde  in 
der  Vorstadt  Mühltal  (nicht  in  Goeß)  im  Gartenhäuschen  des  Rad- 
gewerken  Josef  Egger  Edlen  von  Eggenwalt  unterzeichnet  (Zwie- 
dineck-Südenhorst, S.  I2f.,  32f.  und  35).  Vgl.  über  dieses  Häus- 
chen und  die  dort  befindliche  Inschrift  Jul.  Wilh.  Fischer,  Reisen 
durch  Österreich,  Ungarn  usw.,  II,  (Wien  1803),  S.  i52ff. 

368)  Stadtkommandant  war  Feldmarschall  Graf  Josef  "v.  Kinsky 
(Anton  Edler  v.  Geusau,  Geschichte  der  Haupt-  und  Residenzstadt 
Wien.  V,  [Wien  1807],  S.  74).  Pichler  meint  jedenfalls  den  Feld- 
marschalleutnant  Johann  Freiherrn  von  Zoph,  auch  Zopf  (1740 
bis  18 12),  der  sich  in  den  Franzosenkriegen  besonders  auszeichnete 
(J.  Hirtenfeld,  Der  Militär-Maria-Theresien-Orden  und  seine  Mit- 
glieder. Wien  1857.  S.  5iof.),  und  der  im  Jänner  1801  die  Stadt- 
verteidigung von  Wien  leitete,  wobei  Tag  und  Nacht,  Sonn-  und 
Werktags  8000  Mann  an  den  Festungswerken  und  äußefen  Ver- 
schanzungen arbeiteten  (Ed.  Duller,  Erzherzog  Carl.  *  Pest  1859. 
S.  493  f.).     Pichler  verwechselt  hier  1801  und  1797. 

'^')  Vgl.  oben  Anm.  348.  Was  hier  Karoline  Pichler  als  die  Ent- 
lassung des  Wiener  Aufgebots  anführt,  war  vielmehr  die  Fahnen- 
weihe, die  der  Bischof  Graf  Arzt  am  17.  April  1797  am  Glacis  vor- 
nahm, worauf  das  Aufgebot  in  das  Hauptquartier  nach  Klosterneu- 
burg marschierte.  Am  3.  Mai  kehrte  es  nach  Wien  zurück  und 
wurde  infolge  der  Friedenspräliminarien  von  Leoben  aufgelöst. 
Jeder  Teilnehmer  erhielt  im  Juli  und  September  1797  die  „Aufge- 
bots-EhrenmedaiUe"  (Geusau,  V,  S.  119 ff.,  I52ff.  und  173 ff.; 
Jos.  Lauber,  Denkmal  der  Vaterlandsliebe  usw.  S.  379ff.,  396ff. 
und  441  f.;  Glossy,  Wiener  Neujahrs-Almanach  1897,  S.  37ff.). 

^  Marie  Jean  Paul  Marquis  de  Lafayette  (1757 — 1834)  be- 
teiligte sich  in  jungen  Jahren  am  nordamerikanischen  Freiheits- 
krieg. Nach  Frankreich  zurückgekehrt,  wählte  man  ihn  1787  in 
die  Versammlung  der  Notabein  und  1789  in  die  Nationalversamm- 
lung, derer  an  den  stürmischen  Tagen  (13.  und  14.  Juli)  präsidierte. 
Im  Juni  1792  wollte  er  die  königliche  Familie  in  Sicherheit  bringen, 

519 


p.-^^.    ^ 


doch  wurde  sein  Aijerbieten  abgelehnt,  er  selbst  angeklagt,  aber 
freigesprochen.  Als  er  am  15.  August  1792  in  Sedan  den  Abge- 
ordneten der  Nationalversammlung  verhaftete,  wurde  er  von  den 
Republikanern  geächtet  und  mußte  nach  Flandern  fliehen.  Dort 
gefangen  genommen,  wurde  er  von  der  Koalition  zur  Haft  ver- 
urteilt und  von  den  Preußen  zur  Bewachung  übernommen,  die 
ihn  aber  am  17.  Mai  1794  an  die  Österreicher  übergaben,  die 
ihn  als  Staatsgefangenen  der  französischen  Emigrantenregierung 
am  18.  Mai  in  die  Festung  Olmütz  einlieferten,  wo  er  anfangs  alle 
möglichen  Freiheiten  hatte,  bis  ein  mißglückter  Fluchtversuch 
eine  strengere  Bewachung  zur  Folge  hatte.  Seit  Oktober  1795 
teilten  seine  Frau  und  seine  Töchter  freiwillig  mit  ihm  die  Haft. 
Nach  mannigfachen  Unterhandlungen,  an  denen  sich  nach  dem 
Leobner  Präliminarfrieden  auch  Napoleon  beteiligte,  wurden 
die  Gefangenen  am  18.  September  1797  aus  Olmütz  entlassen 
und  nach  Hamburg  geleitet,  wo  sie  der  amerikanische  Konsul 
übernahm.  Vgl.  über  die  ganze  Gefangenschaft  Max  Büdinger, 
La  Fayette  in  Österreich.  Wien  1878,  S.  6 ff.;  dazu  die 
interessanten  Mitteilungen  von  Gustav  Gugitz  über  Haschka 
(Jahrbuch  der  Grillparzer-Gesellschaft,  XVII,  S.  100 ff.),  der 
diese  Gefangennehmung  über  amtlichen  Auftrag  publizistisch 
verteidigen  mußte.  Später  kehrte  Lafayette  nach  Frankreich"'  zu- 
rück, lebte  zu  Lagrange  und  trat  erst  nach  Napoleons  Sturz  wieder 
hervor.  Er  wurde  neuerdings  Deputierter  und  1830  Kommandant 
der  Nationalgarde  (vgl.  auch  unten  IL  S.  266  f.). 

^')  Getauft  wurde  die  Kleine  am  12.  Oktober  1797  auf  die 
Namen  Carolina  Eugenia,  wobei  die  Großmutter,  Karoline  von 
Grciner  als  Taufpatin  fungierte  (Tauf pro tokoU  der  Pfarre  St. 
Augustin  in  Wien  I,  t.  IV,  Fol.  43). 

3«o)  Matth.  6,  25—34. 

361)  Maximilian  Stoll  (1742 — 1788)  war  einer  der  gesuchtesten 
und  gewiegtesten  Wiener  Ärzte.  Ein  geborener  Badenser,  kam  er 
nach  seinem  Austritt  aus  dem  Jesuitenorden  nach  Wien,  wo  er 
1772  Doctor  medicinae  und  1776  Extraordinarius  wurde  (Würz-, 
bach,  XXXIX,  S.  161  ff.;  Th.  Puschmann,  Die  Medicin  in  Wien 
während  der  letzten  100  Jahre.  Wien  1884,  S.  45ff.).  Sein  Tod, 
sowie  seine  Bemühungen  um  die  Einführung  der  Impfung  in  Wien 
riefen  Gedichte  von  Alxinger,  Leon  u.  a.  hervor  (ein  Verzeichnis 
bei  Wurzbach,  a.  a.  O.  S.  166). 

^2)  Greiner  wurde  am  4.  Juni  1798  am  Hernalser  Pfarrfriedhof 
beerdigt  (Totenprotokoll  der  Pfarre  St.  Bartholomäus  in  Hernais, 
jetzt  Wien,  XVII).  Er  hinterließ  ein  Testament  vom  11.  Oktober 
1767,  in  dem  er  die  eine  Hälfte  seines  Vermögens  seiner  Gattin, 
die  andere  Hälfte  seinen  Kindern  vermachte,  außerdem  100  Messen 

520 


für  sein  Seelenheil  wünschte  und  kleinere  Legate  für  das  Militär- 
invalidenhaus, die  Normalschule  und  für  seine  Muhme  Elisabeth 
Schweitzer  aussetzte.  Sein  Nachlaß  betrug  an  Immobilarv,ermögen 
33  965  Fl.,  an  Mobilarvermögen  16  578  Fl.  7  Kr.  Vgl.  seinen  Ver- 
lassenschaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  V,. 
Nr.  67  ex  1798. 

383)  Im  Nachlaß  ist  dieses  Gedicht  nicht  erhalten. 

864)  In  der  Handschrift  steht  nach  „Gleichnissen"  durchstrichen: 
„indem  ich  in  solchen  stillen  Stunden,  oder  auch  öfters  beim  Hin- 
und  Hergehen  in  den  Gängen  des  Gartens,  über  Bäume,  Blumen, 
Tiere  u.  dgl.  meine  Betrachtungen  anstellte,  manches  an  ihnen  zu 
bemerken  fand  und,  das  Bemerkte  in  ein  Ganzes  zusanamennehmend, 
jene  stillen,  aber  wahren  Beziehungen  fand,  die  sich  zwischen  der 
physischen  und  menschlichen  Welt  um  uns  und  in  uns  finden." 

365)  Das  Haus  Nr,  88  (später  Nr.  151 ;  heute  Wien  XVII,  Jörger- 
straße  9  und  Müglendergasse  5)  in  Hernais  samt  dem  sogenannten 
Bleichgarten  wurde  im  Jahre  1771  von  Franz  Sales  und  Charlotte 
von  Greiner  licitando  um  den  Preis  von  4610  Fl.  gekauft  und  ging 
im  August  1798  uxa  7000  Fl.  an  den  bürgerlichen  Handelsmann 
Josef  Mayr  über;  das  Domkapitel  zu  St.  Stephan  erhielt  davon 
jährUch  zu  Michaeli  4  Schilling  Grundzins  (vgl.  Grundbuch  des 
Domkapitels  von  St.  Stephan  über  Herrnais  [Wiener  Stadtarchiv, 
Rep.  75,  Nr.  23],  Fol.  49,  50;  Gwährbuch  des  Domkapitels  von 
St.  Stephan  über  Herrnais  [Wiener  Stadtarchiv,  Rep.  75,  Nr.  10], 
Fol.  207a,  265  a).  Ein  kurzer  Hinweis  auf  dieses  Haus  auch  bei 
Franz  von  Paula  Gaheis  (Wanderungen  und  Spazierfahrten  in  die 
Gegenden  ima  Wien,  II,  [Wien  1801],  S.  117)  und  Karl  Hofbauer 
(Die  Alservorstadt.  Wien  1861.  S.  60).  —  Außerdem  besaß 
Greiner  noch  ein  Haus  zu  St.  Ulrich  untern  Guts  Nr.  38  (vgl. 
die  Schätzungsquittung  vom  30.  Juni  1798  in  der  Pichler  hand- 
schriftlichem Nachlaß  I.  N.  755). 

366)  Über  die  seit  1587  bestehende,  1732  vergrößerte  Wasser- 
leitung von  Hernais  nach  Wien  vgl.  Hofbauer,  S.  3  f. 

^*')  Wielands  Werke.  Hrg.  von  Heinrich  Kurz,  I,  (Leipzig)  S.  140 
(Neunter  Gesang,  Stanze  43 — ^45). 

*^8)  Johann  Hunczovsky  (1752 — 1798)  kam  1771  nach  Wien, 
mac  hte  i  jjj  auf  Staatskosten  eine  dreijährige  Studienreise  nach  Paris 
und  London  und  wurde,  zurückge}cehrt,  1781  ordentlicher  Professor 
am  Militärspital  zu  Gumpendorf,  1791  unternahm  er  im  Gefolge 
Kaiser  Leopolds  IL  eine  vrässenschaftUche  Reise  nach  Italien  und 
wurde  in  der  Folge  k.  k.  Leibchirurg.  Er  war  ein  ausgezeichneter 
Operateur  und  starb  am  4.  April  1798  als  Opfer  seines  Berufes 
(Wurzbach,  IX,  S.  428 ff.;  Theodor  Puschmann,  Die  Medicin  in 
Wien  während  der  letzten  100  Jahre.   Wien  1884.  S.  99ff.).  Über 

521 


dessen  Charakter,  sowie  von  dessen  Sammlungen  berichtet  Joh. 
Adam  Schmidt  (Rede  zum  Andenken  des  k.  k.  Rathes  und  Pro^ 
fessors  Dr.  J.  N.  Hunczovsky.  Wien  1798,  S.,  12  ff.)  Bemerkens- 
wertes. Ein  Bild  seiner  Todeskrankheit  bietet  die  Medizinisch- 
diirurgische  Zeitung,  Salzburg  1798,  III,  S.  39  ff-,  aus  der  hervor- 
geht, daß  Pichlers  Darstellung  nicht  ganz  richtig  ist.  Sie 
wui3te  jedenfalls  nur  vom  Hörensagen  von  dieser  Sache,  daher 
ihre  fehlerhaften  Angaben. 

868)  Hunczovsky  war  zweimal  verheiratet,  doch  jede  Frau  starb 
bei  der  Geburt  (vgl.  Schmidt,  a.  a.  O.  S.  40).  Der  Knabe  hieß 
Johann  Nepomuk  Heinrich  Hunczovsky. 

870)  War  schon  eine  Verordnung  der  Kaiserin  Maria  Theresia  vom 
3.  Februar  1755,  soweit  es  Waisen  betraf  (vgl.  Joh.  Nep.  Freiherr 
V.  Hempel-Kürsinger,  Alphabetisch-chronologische  Übersicht  der 
k.  k.  Gesetze  und  Verordnungen.    X,  [Wien  1827],  S.  220). 

ä'^)  Es  war  dies  das  Haus  Alstergasse  Nr.  90  (später  Nr.  102 
und  109).  —  Es  wurde  zuerst  am  24.  Jänner  1799  licitando  um  den 
Schätzungswert  von  12850  Gulden  feilgeboten  und  vom  Vertreter 
der  Greinerschen  Erben,  Herrn  Josef  Koch,  um  14  600  Gulden  für 
diese  erstanden.  Dieser  Kauf  fand  jedoch  nicht  die  Bestätigung 
des  Militärgerichts  als  Hunczovskysche  Vormundschaftsbehörde, 
und  so  kam  es  zu  neuerlichen  Verhandlungen  mit  dem  Vormund 
Prof.  Wilhelm  Böcking,  die  am  20.  April  1799  mit  der  Aufstellung 
eines  Kaufvertrages,  worin  sich  Frau  Karoline  von  Greiner  ver- 
pflichtete, für  das  Haus  29  650  Gulden  zu  bezahlen,  endigten 
(3  Akten  darüber  im  handschriftlichen  Nachlaß  der  Pichler  in 
der  Wiener  Stadtbibliothek,  Inv.-Nr.  757).  Die  Einantwortung 
erfolgte  am  31.  Dezember  1802  (Grundbuch  der  Stadt  Wien 
Nr.  153  im  Wiener  Stadtarchiv,  Fol.  229b).  —  Nach  dem 
Tode  der  Mutter  ging  das  Haus  18 16  an  Karoline  Pichler  über, 
die  es  bis  zu  ihrem  Ableben  inne  hatte  (Grundbuch  Nr.  154, 
Fol.  133  b).  Bereits  früher  (1826)  in  zwei  Konskriptionsnummern 
(102  und  109)  geteilt,  vermachte  Karoline  Pichler  Nr.  102  ihrer 
Tochter  und  Nr.  109  ihren  Enkeln,  gleichzeitig  betreffs  eines 
eventuellen  Verkaufes,  sowie  wegen  der  Satzübertragung  Ver- 
haltungsmaßregeln gebend  (vgl.  ihr  Testament  unten  II,  Anm.  571). 
1854  wurde  das  Haus  Nr.  109  an  Johann  und  Maria  Oppolzer 
verkauft  (Grundbuch  Nr.  149,  Fol.  106  a),  während  Nr.  102 
bereits  1846  an  die  bürgerliche  Handelsmannswitwe  Katharina 
Fasching  durch  Kauf  kam  (Grundbuch  Nr.  155,  Fol.  373  b). 
Nr.  109  blieb  dann  1854 — 1871  Im  Besitze  des  berühmten  Medi- 
ziners Prof.  Johann  Oppolzer  (Karl  Hofbauer,  Die  Alservorstadt. 
Wien  i86i.|  S.  59f.;  W.  KIsch,  Die  alten  Straßen  und  Plätze  von 
Wiens  Vorstädten  und  ihre  historisch  interessanten  Häuser.    II, 

522 


[Wien  1895],  S.  558  mit  einigen  falschen  Angaben).  Es  trug 
zuletzt  die  Nr.  25  in  der  Alserstraße  und  wurde  19 11  demoliert. 

W2)  Johann  Ritter  de  Carro  (1770 — 1857)  aus  Genf,  wurde  1796 
in  Wien  zum  Doktor  der  Medizin  promoviert,  führte  hier  1799  als 
erster  die  Vaccination  Jenners  ein,  dessen  eifrigster  Apostel  er  war. 
1826  verließ  er  aus  Gesundheitsrücksichten  Wien  und  zog  nach 
Karlsbad,  dessen  Historiograph  und  Topograph  er  wurde.  1801 
veröffentlichte  er  eine  Schrift  „Über  das  Einimpfen  der  Kuh- 
pocken" (Wurzbach,  II,  S.  295 ff.;  Puschmann  S.  199). 

3'3)  Edward  Jenner,  An  inquiry  into  the  causes  and  effects  of 
Variolae  vaccinae,  a  disease  discovered  in  some  of  the  western  coun- 
ties  of  England  . .  .  known  by  the  name  of  the  cow  pox,  London 
1798.  2nd  ed.  1800.  —  Further  observations  on  the  Variolae 
vaccinae  or  Cow  Pox.    London  1799. 

3^*)  Jakob  Barchetti,  ein  Wiener,  war  1797  bereits  Sekretär  beim 
Kreisamt  des  Hausruckviertels  in  Wels,  1799  ebenda  zweiter  Kreis- 
kommissär  und  1803  in  gleicher  Eigenschaft  dem  Kreisamt  beider 
Mühlviertel  in  Linz  zugeteilt  (k.  k.  Schematismus  des  Erzherzog- 
thums  Oesterreich  ob  der  Enns.  Linz  1798,  S.  52;  1800,  S.  56; 
1804,  S.  -jj).  1805  kam  er  als  Hofkonzipist  zur  vereinigten  böhmisch- 
österreichischen Hofkanzlei  nach  Wien,  bei  der  er  bis  181 1  diente, 
und  wohnte  in  der  Alservorstadt  (Hof-  und  Staatsschematismus. 
1806,  S.  22;  1811,  S.  181).  1812  als  wirklicher  Regierungssekretär 
zur  Landesregierung  nach  Linz  versetzt,  wurde  er  dort  1823  Re- 
gierungsrat, als  welcher  er  bis  1828  aufscheint  (Hof-  und  Staats- 
schematismus. 1813,  S.  362;  1824,  I,  S.  403;  1828,  I,  S.  392). 

375)  August  Heinrich  Julius  Lafontaine  (175  8 — 1 831),  der  Urheber 
des  weinerlichen  Familienromans,  war  ursprünglich.  Feldprediger, 
privatisierte  aber  seit  1801.  Verfaßte  ca.  150  Bände  Romane  (vgl. 
Goedeke,  V,  S.  478f.:  21).  Über  seinen  Aufenthalt  in  Wien  s.  oben 
S.  384^  Über  die  Vorliebe,  mit  der  man  um  1803  in  den  höheren 
Klassen  Wiens  Lafontaines  Romane  las,  vgl.  Jul.  Wilh.  Fischer, 
Reisen  durch  Österreich.  I,  S.  212  und  II,  S.  128;  oben  S.  230  und 
II,  S.  2311.  Über  seine  Aufnahme  in  Österreich  überhaupt  vgl. 
Karl  O.  Wagner,  Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  Salzburger 
Landeskunde,  XLVIII.  (Salzburg  1908),  S.  211  und  Lulu  Gräfin 
Thürheim,  Mein  Leben.  Hg.  von  Rene  van  Rhyn,  I  (München 
'913)5  S.  77.  Baronin  Richler  und  ihre  Schwestern  Porta  standen 
zeitlebens  unter  seinem  Einfluß  (vgl.  II,  S.  321  f.).  —  Über  die 
Romantik  und  Lafontaine  vgl.  oben  S.  416. 

*'•)  Gleichnisse.  Wien  1800,,  im  Verlage  bey  Anton  Pichler.  (S**. 
136  S.).  —  Die  Vorrede  (S.  3 — 8)  ist  gezeichnet:  Wien,  den  30.  Jän- 
ner 1800.  Sie  berichtet  über  die  Entstehungsgeschichte  (vgl.  oben 
Anm.  261).  —  Diese  erste  Ausgabe  enthält,  ebenso  wie  S.  W.  ^  XIII 


(Wien  1814  bei  Strauß:  die  Gleichnisse  von  S.  5 — 136)  die  Widmung 
an  Josefine  v.  Ravenet,  die  S.W.^  XVIII,  S.  3f.  enthalten  ist,  nicht. 
Es  sind  30  Gleichnisse,  von  denen  2  (Nr.  XVIII.  Der  Morgennebel 
und  Nr.  III,  Der  Pappelbaum)  bereits  früher  gedruckt  vfaren  (s. 
Anm.  377).  —  Die  1800  erschienenen  Gleichnisse  sind:  i.  Die  Blüten 
im  Frühlinge  (I.);  2.  Der  Sturmwind  (IL) ;  3.  Der  Pappelbaum  (IV.); 

4.  Das  Vergißmeinnicht  (V.);  5.  Das  Tal  (VII.);  6.  Das  Hänflings- 
nest (VIII.);  7.  Der  Gemüsegarten  (X.);  8.  Die  Allee  (XII.); 
9.  Die  Salbey  (XIII.);  10.  Die  ausländischen  Gewächse  (XIV.); 
II.  Der  sterbende  Schmetterling  (XV.);  12.  Die  Johanniskäfer 
(XVI.);  13.  Die  Obstkerne  (XVII.);  14.  Die  Tannen  (XVIII.); 
15.  Der  Laubengang  (XIX.);  16.  Die  Weidenbäume  (XX.);  17.  Die 
eingeimpften  Bäume  (XXL);  18.  Die  Morgennebel  (XXIL); 
19.  Die  Pflanzen  im  Schatten  (XXIII.) ;  20.  Die  Herbstgegend 
(XXV.);  21.  Der  Berggipfel  (XXVI.) ;  22.  Der  Garten  im  September 
(XXVII.) ;  23.  Das  Gartenbeet  (XXX.);  24.  Der  Herbstwind 
(XXXI.)^  25.  Der  bewachsene  Stein.  An  meinen  Gemahl  (XXXII.) ; 
26.  Das  Wäldchen  (XXXIII.) ;  27.  Der  Garten  im  November 
(XXXIV.) ;  28.  Der  entblätterte  Baum.  An  meinen  Bruder  (XXXV.) ; 
29.  Der  Winterabend  (XXXVII.) ;  30.  Die  Morgenstunde 
(XXXVIIL).  Die  eingeklammerten  römischen  Ziffern  bezeichnen 
die  Gleichnisnummer  in  S.  W.  1  XIII,  S.  5  ff.  und  2  XVIII,  S.  iiff. 
Letztere  Ausgabe  enthält,  ebenso  wie  S.  W.  ^  XIII  noch  8  weitere 
Gleichnisse:  III.  Der  Garten  in  der  Stadt;  VI.  Die  Bohnen;  IX. 
Der  Regenbogen;  XL  Das  Geranium  triste;  XXIV.  Die  Astern; 

XXVIII.  Die  Blüten  im  Herbste;  XXIX.  Die  Knospen  im  Herbste 
und  XXXVI.  Das  Treibhaus.  Von  diesen  waren  Nr.  XXIV,  III, 

XXIX,  VI  und  XI  im  „Österreichischen  Taschenkalender  für 
das  Jahr  1804,  S.  i84ff.;  1805,  S.  198 ff.  und  1806,  S.  I96ff.  er- 
schienen. 

1807  kam  eine,  "von  Barbara  Kelemen  besorgte  Übersetzung  ins 
Ungarische  heraus  (Hasonlatossägai.  Pest,  o.  J.  [1807]:  vgl.  Allge- 
meine Literaturzeitung  vom  Jahre  1807.  Halle  1807.  Intelligenz- 
blatt Nr.  83,  Sp.  666;  G.  Petrik,  Bibliographia  Hungariae.  III, 
[Budapest  1891],  S.  91),  welche  ein  Rezensent  (Neue  Annalen  der 
Literatur  des  österreichischen Kaiserthumes.  Wien  1808,  II,  S.  93 f.: 
5)  als  „eine  glückliche  Übersetzung  eines  trefflichen  deutschen 
Werkes"  bezeichnet.  18 10  erschien  bei  Cotta  in  Tübingen  eine, 
um  ein  Fünftel  vermehrte  Ausgabe  der  Gleichnisse  von  1800  als 
„Gleichnisse"  (S**.  IV,  156  S.);  diese  Ausgabe  war  mir  unzugänglich. 

ä^^)  So  in:  a)  „Wienerischer  Musenalmanach"  1782,  S.  163  (Auf 
die  Genesung  meiner   Freundin;   s.  oben   Anm.  109).  —    1786, 

5.  121  (TibuUs  fünfte  Elegie  des  vierten  Buchs;  s.  oben  Anm.  109). 
— 17^7»  ^'  9°  (^  ^^^  Nacht :  Schwing  die  thaubenetzten  Flügel).  — 

524 


1795>  ^'  ^^  ^^^  '^^^  Bach  1789:  Was  rauschest  du  vor  mir  dahin 
=  Sämmtliche  Werke.  2  XVI,  S.  5),  28  (Der  Morgennebel  [Prosa] 
=  Gleichnisse  Nr.  XXII:  S.  W.  2  XVIII,  S.  78),  44  (Hedwig.  Auf 
das  italienische  Lied:  Nel  cuor  piü  non  mi  sento.  Aus  der  Oper: 
La  Molinara.  1792:  Vom  Haselgesträuche  beschattet  =  S.  W. 
a  XVI,  S.  10),  63  (An  meinen  todten  Zeisig.  1792 :  Schlummre  deinen 
letzten  Schlummer  =  S.  W.  2  XVI,  S.  19),  80  (Die  Pappelweide: 
Komm,  Timarette,  und  betrachte  mit  mir  ....  [Prosa]  =  Gleich- 
nisse, Nr.  IV:  S.  W.  2  XVIII,  S.  20),  94  (Erinnerung  an  den  Sommer. 
Im  November  1792:  Wo  bist  du  hin,  zu  schnell  entflohne  Zeit 
=  S.  W.  2  XVI,  S.  16),  103  (Am  Vermählungstage  meiner  Freundinn. 
Den  29.  AprU  1794:  Der  lieblichste  von  allen  Frühlingsmorgen 
=  oben  Anm.  315).  —  I79Ö,  S.  16  (Die  Verlassene.  Aus  dem 
Französischen  des  de  la  Place:  Flieht  meinen  Geist,  ihr  traifrigen 
Gedanken  =  S.  W.  2  XVI,  S.  7),  30  (Erinnerungen.  An  meine 
Freundinn  Fräulein  Sophie  vonMertens:  Süß  ist  das  Angedenken 
vergangener  fröhlicher  Tage  =  oben  Anm.  287),  53  (Elegie  bey 
dem  Leichenbegängnisse  meiner  unvergeßlichen  Freundinn  The- 
rese  von  Dürfeid.  Den  23.  Junius  1795:  Die  Mitternacht  ruht 
schweigend  auf  der  Gegend  =  oben  Anm.  335),  102  (Sehnsucht 
nach  Ruhe.  Auf  Mozarts  Musik:  O  Isis  und  Osiris  schenket  usw.: 
Des  Lebens  und  des  Leidens  müde  =  S.  W.  2  XVI,  S.  9). 

b)  Wiener  Theater-Almanach  für  das  Jahr  1795.  Wien  (1794), 
S.  26 ff.:  An  Herrn  Joseph  Hayden.  Bey  Anhörung  seiner  sechs 
neuen,  in  England  verfertigten  Symphonien  (Sie  wurden  bei  der 
Akademie  der  Tonkünstlersozietät  im  Advent  1794  aufgeführt): 
Wie  rauscht  die  laute  Musik,  wie  wälzt  im  harmonischen  Gange . . 
(unterzeichnet  Caroline  von  G**)  =  Österreichische  Monaths- 
schrift.  Wien  1794.  Band  I,  S.  5iff.  (Unterzeichnet:  Caroline 
von  Greiner). 

c)  Österreichische  Monathsschrift.  .  Hg.  von  Alxinger.  Prag 
und  Wien  1793.  3.  Bd.,  S.  iff.:  Der  Wasserfall.  Eine  Idylle. 
(Christel  und  Dorchen:  Dorchen,  der  Morgen  ist  kühl;  es  wehn 
erfrischende  Lüftchen):  Fräul.  v.  Greiner.  —  S.  i62ff. :  Adelgunde 
(Am  Felsen  sitz  ich  hier  allein,  Es  glänzt  der  Mond  mit  trüberm 
Schein...):  Caroline  v.  Greiner  [S.  162  Anm.:  „Diese  Ballade 
gründet  sich  auf  eine  wirkliche  Geschichte.  Sein  Bildniß,  wo- 
von am  Ende  des  Gedichtes  gesprochen  wird,  ist  unfern  von  Basel 
zu  sehen"]. 

d)  Einzeldrucke  von  Gedichten  vgl.  oben  Anm.  204,  297  und  304. 
Auf   diese  ersten,   oft  schwächlichen  dichterischen  Leistungen 

der  Karoline  von  Greiner  beziehen  sich  drei  Bemerkungen.  Ein 
Unbekannter  erklärt  (Deutschlands  Schriftstellerinnen.  Eine  cha- 
rakteristische Skize  [!].  King-Tsching  in  der  kaiserlichen  Druckerei 


i/go-  S.  36  unter  Karoline  von  Grünier  [!]):  „Schlecht  wollen 
wir  die  Arbeiten  dieser  Dichterinn  (S.  den  Wiener  Musenalmanach 
auf  das  Jahr  1787)  eben  nicht  nennen,  aber  schwerlich  werden 
sie  sich  jemals  sehr  über  das  mittelmäßige  erheben."  Entzückter, 
aber  unkritischer  ist  ein  Unbekannter  (nicht  Johann  Friedl),  der 
in  seinem  Buch  (Vertraute  Briefe  zur  Charakteristik  von  Wien. 
I,  [Görlitz  1793],  S.  193)  sagt:  „An  diese  Dichter  schließen 
sich  auch  drei  Damen  an,  als  die  Gräfin  Fries,  —  Gabriele 
von  Beumberg  (!)  und  Caroline  von  Grainer,  die  schöne 
Blumen  geliefert  und  gezeigt  haben,  daß  auch  Violen  in  einer 
kalten  Zone  blühen  können."  Im  „Wiener  Schriftsteller  und 
Künstler-Lexikon.  Wien  1793"  heißt  es  von  ihr  (S.  47):  „eine 
liebenswürdige  Dichterin.  Ihre  Elegie  auf  Kaiser  Leopolds  II. 
Tod  erhielt  den  Beyfall  vieler  Kenner  und  unter  andern  auch 
jenen  des  Fürsten  von  Kaunitz  Rietberg." 

^'®)  Bei  diesem  Abbe  Br.  könnte  man  zunächst  an  den  Hof-  und 
Burgpfarrer  Franz  Konrad  Briselance  von  Rendorff  denken,  der 
1766  den  Hof  rat  Greiner  getraut  hatte  (vgl.  oben  Anm.  45);  aber 
Briselance  war  bereits  1770  in  Pension  gegangen  und  in  sein  Heimat- 
land gereist  (Cölestin  Wolfsgruber,  Die  k.  und  k.  Hofburgkapelle 
und  die  k.  und  k.  geistliche  Hofkapelle.  Wien  1905.  S.  290).  Ge- 
meint ist  aber  vielmehr  der  Exjesuit  Abbe  Wilhelm  von  Brink,  der 
von  1773 — 1782  Präfekt  und  bis  1787  Lehrer  der  Rhetorik  am 
Theresianum  war,  in  welch  letzterem  Jahre  er  seiner  schwächlichen 
Gesundheit  wegen  als  Präfekt  (Anstaltsleiter)  an  die  humanistische 
Schule  zu  St.  Anna  kam,  die  er  bis  zu  seiner,  am  12.  Jänner  1808 
erfolgten  Pensionierung  leitete.  Er  zeichnete  sich  durch  vorzügliche 
Kenntnisse  und  bewährte  Tauglichkeit  aus.  Vgl.  Max  Freiherr  von 
Gemmel-Flischbach,  Album  des  k.  k.  Theresianums  (1746 — 1880). 
Wien  i88o,  S.  15,  16;  Albert  Hübl,  Das  Gymnasium  bei  St.  Anna 
in  Wien  (1775 — 1807).  Progr.  Schottengymnasium  Wien  1909, 
S.  39. 

s'ö)  Otto  Wiser  (175 1 — 1824),  ein  Günzburger,  war  zuerst 
Professor  am  Gymnasium  zu  Marburg  und  lehrte  seit  1781  Philo- 
sophie und  Mathematik  am  Löwenburgschen  Konvikt  in  der 
Josefstadt  (Wien  VIII).  Von  1797 — 18 10  war  er  Vizerektor  am 
Theresianum  und  von  18 10 — 1822  Piaristenprovinzial.  Mit  seinem 
Bruder  Johann  Siegfried,  ebenfalls  Piarist,  übersetzte  er  Klopstocks 
Messiade  ins  Lateinische.  Doch  blieb  diese  Übersetzung  Hand- 
schrift (Wurzbach,  LVI,  S.  54;  Gemmel-Flischbach,  S.  17  und  62; 
Anton  Brendler,  Das  Wirken  der  P.  P.  Piaristen  seit  ihrer  Ansiede- 
lung in  Wien.    Wien  1896,  S.  261,  280  ff.). 

^^)  G.  Merkel  (Briefe  an  ein  Frauenzimmer  über  die  wichtigsten 
Produkte  der  schönen  Literatur,  II,  [Berlin   1801],  S.  445  ff.)  be- 

526 


spricht  Im  28.  Brief  Karoline  Pichlers  „Gleichnisse"  sehr  eingehend 
und  überschwänglich.  Im  stillen  Kämmerlein,  bei  verschlossenen 
Türen  soll  das  Büchlein  mit  einer  Freundin  gelesen  werden,  denn 
„in  dem  ganzen  Werke  ist  kein  Streben  nach  Abenteuerlichkeit 
sichtbar  und  ebenso  wenig  nach  Witz,  Lichter  Verstand  und  ein 
gefühlvolles  Herz  allein  sprechen  in  ihm  zum  Verstände  und  zum 
Herzen".  Das  Gefühl  ist  wahr  und  echt.  Karoline  Pichler  ist  ein 
Beweis  dafür,  daß  „auch  das  schöne  Geschlecht  durch  eine  literarische 
Bildung  außerordentlich  gewinnen  könne",  besonders  wenn  es  nicht 
gelehrt  sein  wolle,  sondern  seine  Mitschwestern  nur  belehren  will, 
was  es  besser  tun  könne  als  die  Männer.  „Die  Idee  des  Buches 
ist  »ehr  einfach  und  ihre  Ausführung  meistenteils  vortrefflich," 
wenn  auch  die  Natur  der  Aufsätze  der  Verfasserin  kein  sehr  weites  Feld 
zur  Entfaltung  ihrer  Talente  darbot,  aber  was  möglich  war,  das  leistete 
sie.  „Die  Gegenstände,  die  sie  beschreibt,  sind  sehr  glücklich  gewählt, 
mit  Wahrheit  geschildert,  mit  innigem  Gefühle  und  hellem,  oft 
philosophischem  Geistesblick  angewandt."  Wenn  sie  ihren  Blick 
auf  häusliche  und  gesellschaftliche  Verhältnisse  ihres  Geschlechtes 
senkte,  „dann  sind  ihre  Gefühle  von  der  zartesten  Innigkeit". 
Zum  Beweise  dafür  druckt  Merkel  das  Gleichnis  „Der  Schmetter- 
ling" ab.  Selbst  das,  was  sie  zuviel  gibt,  „ist  meistenteils  so  wahr 
und  schön:  man  gesteht,  es  wäre  ein  Verlust,  wenn  sie  es  wegge- 
schnitten hätte". 

Julius  Wilhelm  Fischer  (Reisen  durch  Österreich,  Ungarn, 
Steyermark,  Venedig,  Böhmen  und  Mähren  in  den  Jahren  1801 
und  1802.  I,  [Wien  1803],  S.  211)  meint  im  August  1802,  Karoline 
Pichler  „hat  liebliche,  herzliche  Dichtungen  unter  dem  Nahmen 
Gleichnisse  geschrieben.  Sie  schweben  sanft  spielend  um  die  Seele 
des  Lesers,  wie  ein  frischer,  glänzender  Thautropfe  um  die  leicht 
gefärbte  Rose."  Ähnlich  urteilte  Josef  Rohrer  (Versuch  über  die 
deutschen  Bewohner  der  österreichischen  Monarchie.  II,  [Wien 
1804],  S.  10)  über  die  Gleichnisse,  „deren  Blumenauswahl  auf  die 
geschmackvollste  Naturfreundinn  hinweiset.  Man  fühlet  es  in 
jedem  Blatte,  daß  diese  Dichterinn,  gleich  dem  Idyllen-Sänger 
Geßner,  neben  einem  vortrefflichen  Talente  zur  Dichtkunst  auch 
ausgebreitete  Kenntnisse  in  dem  anmuthigen  Felde  des  Pflanzen- 
reiches und  dem  schönen  Gebiethe  der  zeichnenden  Künste  haben 
müsse.  Lasset  uns  eine  ähnliche  Dichterinn  um  so  willkommener 
seyn,  je  seltener  man  Dichter  dieser  Art  unter  uns  trifft."  Ganz 
enthusiastisch  klingen  die  Worte  des  J.  B.  v.  M(edniansk)y  (Über- 
blick des  neuesten  Zustandes  der  Litteratur,  des  Theaters  und  des 
Geschmackes  in  Wien.  I,  [Wien  1802],  S.  13  f.) :  „Ich  war  so  glücklich, 
die  in  unsern  Gegenden  rühmlichst  bekannte  und  mehr  vielleicht 
als  in  ihrer  Vaterstadt  selbst  geschätzte  Dichterin  Karoline  Pichler, 

527  ' 


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geborene  von  Greiner  kennen  zu  lernen.  Mit  einer  Achtung,  welche 
von  Verehrung  wenig  verschieden  ist,  bemerkte  ich  auch  in  ihrem 
Umgange  jene  interessante  Vereinigung  zarter  Weiblichkeit  mit 
männlicher  Tiefe  des  Gefühls  und  philosophischer  Stärke  der 
Gedanken,  welche  in  ihren  unlängst  erschienenen  Gleichnissen 
sich  so  anziehend  und  mit  allem  Zauber  einer  lieblichen  Farben- 
gebung  äußert.  Dieselbe  sanfte  Melancholie,  derselbe  schüchtern 
verschlossene  Harm,  welche  in  den  meisten  der  früheren  Poesien 
dieser  Dichterin  auf  den  lebhaften  Reiz  fröhlicher  Bilder,  wie  das 
Mondlicht  auf  eine  Laube  der  Freude  und  Liebe  den  magischen 
Schleyer  süßer  Wehmuth  haucht;  lebt  auch  in  diesen  Blättern,  und 
indem  er  mit  hohem  didaktischem  Verdienste  in  ein  harmonisches, 
jede  Saite  des  Gefühls  wohlthätig  berührendes  Ganze  verfließt;  so 
wird  dieses  schöne  Denkmal  einer  großen  weiblichen  Seele  für  jedes 
unerfahrne  Mädchenherz  so  lange  ein  vortreffliches  Bildungsbuch 
bleiben,  als  es  der  modernen  Erziehung  nicht  ganz  gelingen  wird, 
alle  Empfänglichkeit  für  reinere  Genüsse  und  aUe  Sehnsucht  nach 
Befriedigung  feinerer  Gefühle  zu  unterdrücken." 

Ein  unbekannter  Rezensent  (Allgemeine  Literatur-Zeitung.  1801. 
I,  Qena  1801],  Sp.  jSSf.)  weist  mit  Recht  darauf  hin,  daß  der  Titel 
besser  Vergleichungen  als  Gleichnisse  heißen  sollte  und  daß  der 
Gedanke  selbst  in  Deutschland  nicht  neu  sei,  denn  Joh.  Jak.  Engel 
(Der  Philosoph  für  die  Welt),  A.  Meißner  (Skizzen),  Anton  Wall 
(Bagatellen)  und  Christian  Scriver  (Gottholds  zufällige  Andach- 
ten) haben  in  ähnlicher  Weise  die  unbelebte  Natur  zu  philosophi- 
schen und  morahschen  Sätzen  in  Beziehung  gesetzt.  Er  lobt  den 
edlen,  gefühlvollen  Ton  in  den  Gleichnissen,  die  Sorgfalt  des  Aus- 
druckes und  den  moralischen  Endzweck  und  meint,  daß  KaroUne 
Pichler  mit  diesem  Werk  nicht  nur  ihre  männlichen  Kollegen  in 
Wien  beschäme,  sondern  sich  einen  nicht  unbedeutenden  Platz 
unter  den  deutschen  Schriftstellerinnen  damit  erworben  habe.  Was 
den  Inhalt  betrifft,  so  bieten  ihm  manche  Gleichnisse  (Nr.  2,  4, 
28)  nichts  neues,  bei  einigen  (Nr.  7,  21)  seien  die  Vergleichungen 
gezwungen,  am  besten  gelungen  scheinen  ihm  Nr.  10,  11,  19  und 
22.  Besonders  hervorhebenswert  scheint  ihm  die  weisUche  Beschei- 
denheit, welche  die  meisten  der  Lehrbilder  aufs  weibliche  Ge- 
schlecht Bezug  haben  läßt. 

An  der  zweiten,  1810  erschienenen  Ausgabe  (vgl.  Anm.  376)  lobt 
ein  anderer  Kritiker  (Allgemeine  Literatur-Zeitung.  1815.  IV, 
[Halle  18 15],  Sp.  662  f.)  die  reine,  blühende  und  belebte  Sprache, 
die  freilich  öfter  zu  sehr  Konversationston  und  zu  weitläufig  ist, 
und  das  glückliche  Auffinden  von  Ähnlichkeiten,  wobei  freilich  eine 
umfassende  Kenntnis  der  Natur  und  ein  tieferes  Ergreifen  ihres 
geheimnisvollen  Geistes  von  einer  Dame  nicht  verlangt  werden 


5^28 


kann.   Einiges  erscheint  ihm  gezwungen  (Nr,  3  Der  Pappelbaum), 
anderes  zu  bekannt  (Nr.  2  Der  Sturmwind). 

Klopstock  äußerte  sich  in  einem  Briefe  an  die  Hofrätin  v.  Greiner 
lobend  über  die  Gleichnisse,  ebenso  zeigte  sich  Freiherr  von  Nicolay 
darüber  in  Briefen  erfreut  (Pichler,  S.  W.  2  XVIII,  S.  201  f.  = 
oben  II.  S.  404 f.). 

381)  „Die  berühmte  Frau.  Epistel  eines  Ehemannes  an  einen 
andern."  Erschien  zuerst  1789  in  „Pandora",  dann  1803  in 
Schillers  „Gedichten"  (Goedeke,  V,  S.  184:  19). 

382)  Krates  und  Hipparchia.  Ein  Seitenstück  zu  Menander  und 
Glycerion.  Zum  Neujahrs-Geschenk  auf  1805.  Tübingen  [1804]. — 
Vgl.  Goedeke,  IV,   i,  S.  208  b  :  146. 

383)  Olivier  oder  die  Rache  der  Elfe.  2  Teile.  Wien.  Im  Verlage 
bey  Anton  Pichler,  1803.  (8".  96  und  188  Seiten  mit  je  einem 
Bilde:  a)  V.  Kiniger  del.,  J.  Blaschke  sc;  b)  J.  Blaschke  sc).  Er- 
schien zuerst  1801  und  1802  anonym  (Österreichischer  Taschen- 
kalender für  das  Jahr  1801.  Wien,  S.  6yif.;  1802,  S.  66ff.  Unter- 
zeichnet: Auguste  ***).  —  Später  in  S.  W.  ^  als  Band  VIII  über- 
nommen. —  Vgl.  noch  Anm.  508. 


Karoline  Pichler  schrieb  auch  sonst  viel  für:  Österreichischer 
Taschenkalender  (ab  1804:  Österreichisches  Taschenbuch)  für  das 
Jahr  1801  ( — 1806).    Wien  i8oiff.  und  zwar: 

1801,  S.  9  Klage  eines  Verlassnen  am  Vermählungstage  seiner 
Geliebten:  Darf  ich  denn  noch  mein  dich  nennen?  (fehlt  S.  W.  ^). 

—  16  Der  Flußgott.  Eine  Idylle  an  die  Freyinn  Henriette  von 
Tinti,  geborne  v.  Mertens  (Idyllen,  1803,  S.  132;  fehlt  S.  W.  2). 

—  28  Sehnsucht:  Der  Vollmon4  glänzt  mit  stillem  Licht  (fehlt 
S.  W.  2).  —  36  Romanze  zu  der  Melodie:  Ihr  guten,  lieben  Leut- 
chen hört.  Aus  Hrn.  Müllers  Fagottisten:  Siehst  du  das  Grab  im 
Mondenschein  (fehlt  S.  W.  ^).  -^  67  Olivier.  Eine  Erzählung:  Der 
Winter  hatte  ausgestürmt ...  (S.  W.  ^  VIII). 

1802,  S.  II.  Der  Blumenstrauß,  Idylle  (Idyllen,  1803,  S.  82  = 
S.  W.  2  XV,  S.  74).  —  25  Bey  der  Genesung  Seiner  Königlichen 
Hoheit  des  Erzherzogs  Carl.  Den  16.  März  1801:  So  haben 
wir  vom  Himmel  ihn  erbethen  (S.  W.  ^  XVI,  S.  50).  —  33  Der 
Sänger  am  Felsen.  Idylle  (IdyUen,  1803,  S.  35  =  S.  W.  2  XV, 
S'  34)-  —  66  Olivier  (Schluß);  unterzeichnet  Auguste  **•  (S. 
W.  2  VIII). 

1803,  S.  I.  Corneliens  Abschied  von  ihrem  Gemahle.  Aus  Lu- 
cans  Pharsalia  V.  Buch,  v.  723:  Jetzo  da  Cäsars  Macht  von  allen 
Seiten  heranwuchs  (fehlt  S.  W.  2).  —  36  In  das  Stammbuch  des 
Fräuleins  Therese  von  Paradis:  Von  der  sichtbaren  Welt  durch 

34    C.  P.   I.  529 


der  Vorsicht  Willen  geschieden  (S.  W.  *  XVI,  S.  48).  —  52  Abend- 
lied eines  Hirtenmädchens :  Konunt,  Schäfchen,  kommt,  der  Abend 
winkt  (S.W.*  XVI,  S.  46).  —  57  Schifferliedchen.  Nach  dem 
Italienischen:  La  biondina  in  gondoletta  etc.  etc.:  Als  ich  abends 
auf  der  Gondel  (S.  W.  *  XVI,  S.  44).  —  69  Der  Abschied.  Nach 
dem  Italienischen  des  Metastasio:  Schon  naht  die  Scheidestunde 
(S.  W.  2  XVI,  S.  41). 

1804,  S.  I.  Rebekka.  Ein  biblisches  Gemähide:  Nah  dem  gast- 
lichen Thor  des  Hauses,  unter  den  Palmen  (S.  W.  *  XV,  S.  249).  — 
184  Gleichnisse,  i.  Die  Astern  (S.  184  —  S.  W.  2  XVIII,  S.  84ff.); 
2.   Der  Garten  in  der  Stadt  (S.  190  —  S.  W.  2  XVIII,  S.  i/ff.). 

1805,  S.  3.  Hagar  in  der  Wüste.  Eine  biblische  Idylle:  Hagar, 
komm  aus  der  Hütte  hervor  und  höre  gelassen  (S.  W.  *  XV,  S.  234). 
—  198  Gleichnisse,  i.  Die  Knospen  im  Herbste  (S.  198  —  S.W. ^ 
XVIII,  S.  101  ff.);  2.  Die  Bohnen  (S.  201  —  S.  W.  «  XVIII,  S.  25 ff. 

1806,  S.  37.  Am  Geburtstage  meines  Gemahls:  Es  naht  der 
Lenz,  von  den  beeisten  Höhen  (S.  W.  *  XVI,  S.  83).  —  48  Maria 
Zell:  Kennst  du  den  Berg,  zu  dem  von  allen  Seiten  (S.  W.  *  XVI, 
S.'2oi).  —  84  Der  Bettler  (Versuch  einer  Übersetzung  aus  den 
Allemannischen  Gedichten  des  Herrn  Professors  Hebel) :  Ein  armer 
Mann,  ein  alter  Mann  (fehlt  S.  W.  *).  —  124  Das  Hafermus.  Aus 
den  Allemannischen  Gedichten  des  Herrn  P.  Hebel:  Fertig  wäre 
das  Hafermus,  kommt  Kinder  und  esset!  (fehlt  S.  W.  *),  —  igS 
Das  Geranium  triste.  An  meine  Freundinnen  die  Freyinn  von 
Richler  und  ihre  Schwestern  (=  S.  W.  2  XVIII,  S.  42 ff.). 

8**)  Am  14.  Juni  1800  erzielte  Napoleon  beim  dritten  Angriff, 
nachdem  er  zweimal  zurückgeschlagen  worden  war,  über  den  öster- 
reichischen General  Melas  bei  Marengo  einen  entscheidenden 
Sieg,  der  Österreich  zwang,  am  15.  Juni  den  Waffenstillstand  von 
Alessandria  zu  schließen,  damit  die  Reste  der  Truppen  gerettet 
würden. 

^^)  Am  22.  August  1800  verschied  Frau  Theresia  von  Kurländer, 
geb.  Sepp  von  Seppenburg,  53  Jahre  alt,  am  Nervenschlag  (Toten- 
protokoll der  Stadt  Wien,  1800.  Buchstabe  C,  G,  K.  Fol.  122a. 
Handschrift  im  Konskriptionsamt  der  Stadt  Wien).  Ihr  folgte 
am  10.  September  1800  ihr  Mann  Karl  Kurländer  von  Kornfeld, 
k.  k.  wirklicher  niederösterreichischer  Regierungsrat  und  General- 
Hof-Tax-  und  Expeditants-Direktor  im  Alter  von  62  Jahren  an 
Baucheingeweidsverhärtu^g  (ebd.  1800,  Buchstabe  C,  G,  K. 
Fol.  140a). 

^  Josef  Kurländer  von  Kornfeld  wurde  im  Juli  1789  ex  propriis 
zum  Infanterieregiment  Nr.  3  assentiert,  wurde  im  April  1790 
Fähnrich,  im  März  1793  Unterleutnant  und  im  August  1795 
Oberleutnant  in  diesem  Regiment.    Wegen  Verwundungen  teilte 


man  ihn  im  April  1799  dem  Hauptspital  Nr.  7  in  Augsburg  zur 
Dienstleistung  zu,  von  wo  er  im  Oktober  1799  zum  Hauptspital 
Nr.  2  in  Füßen  kam.  Im  Januar  1801  als  kriegstauglich  wieder  zu 
seinem  Regiment  eingeteilt,  wurde  er  im  März  1801  zum  Infan- 
terieregiment Nr.  21  übersetzt  und  wurde  hier  1805  Kapitänleut- 
nant. Im  März  1806  zu  Nr.  49  transferiert,  wurde  er  1808  Haupt- 
mann und  fiel  als  solcher  am  6.  Juli  1809  bei  Markgraf-Neusledel, 
wo  sein  Regiment  im  zweiten  Treffen  stand  (nach  frdl.  Mitteilungen 
aus  dem  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  in  Wien;  oben  S,  350;  Historisches 
Jahrbuch  des  Kriegerdenkmal- Ausschusses  in  Deutsch- Wagram.  Hg. 
von  Anton  Pfalz,  II  [Deutsch-Wagram  1908],  S.  105  mit  der  fal- 
schen Angabe,  daß  Kurländer  bei  Nr.  48  diehte;  Gustav  Mayr- 
hofer  Edler  von  Sulzegg,  Das  Infanterie-Regiment  Freiherr  von 
Heß  Nr.  49  in  den  Kriegen  Österreichs  seit  seiner  Errichtung 
1715 — 1896,  St.  Polten  1897,  S.  96).  Seine  Schwester  Barbara  war 
1800  beim  Tode  ihrer  Eltern  bereits  an  d^n  Dr.  med.  Boer  in 
Trebitsch  in  Mähren  verheiratet  und  ist  ypr  1836  gestorben  (s. 
Verlassenschaftsakte  ihres  Vaters  und  Bruders  Franz  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  141  ex  1800  und  Nr. 
- 174  ex  1836). 

387)  Franz  August  von  Kurländer  (1777 — 1836),  ein  Wiener, 
1800  Auskultant  beim  niederösterreichischen  Landrecht,  1806 
Ratsprotokollist  und  18 11  Sekretär.  Er  war  ein  äußerst  fruchtbarer 
Dramatiker.  Seinen  Werken  ist  eine  gute  Mache  nicht  abzuspre- 
chen, so  daß  er  seinerzeit  zu  den  beliebtesten  Lustspieldichtern 
gehörte.  Seine  Stücke,  teils  Originale,  teils  Bearbeitungen  franzö- 
sischer Vorlagen,  sind  in  seinem  „Dramatischen  Almanach"  (Wien 
181 1 — 1837)  enthalten.  Er  war  äußerst  wohltätig  und  hinterließ 
ein  großes  Vermögen  (Wurzbach,  XIII,  S.  4i8f.;  Goedeke,  i  III,  2, 
[1881],  S.  8i2ff.,  Nr.  406).  Karoline  Pichler  widmete  ihrem  Schwa- 
ger einen  warmen  Nachruf,  worin  sie  ihn  als  Menschen  und  Freund 
kennzeichnete  (Sämmtliche  Werke.  ^  LI,  [Wien  1839],  S.  273 ff.; 
vgl.  II,  S.  359).  Julius  Seidlitz  (Die  Poesie  und  die  Poeten  in  Öster- 
reich im  Jahre  1836.  I,  [Grimma  1837],  S.  113)  sagt  boshaft  nichts 
von  ihm  als:  De  mortuis  nil  nisi  bene.  —  Kurländer  hatte  Bezie- 
hungen zu  Körner  (oben  S.  388),  vermittelte  Pichler  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  Fürsten  Odescalchi  (II,  S.  4),  mit  dem  Landrat 
V.  Pelzeln,  dem  späteren  Schvnegersohn  (II,  S.  167)  der  Pichler 
und  mit  dem  Dichter  Bolza  (II,  S.  297).  Bei  der  Hochzeit  der  Lotte 
fungierte  er  als  Brautführer  (II,  S.  171).  Karoline  Pichler  hingegen 
empfahl  ihn  1820  der  Therese  Huber  als  Korrespondenten  fürs 
Stuttgarter  „Morgenblatt",  doch  zeigte  er  als  Wiener  Korrespon- 
dent keinen  besonderen  Fleiß  (vgl.  die  Briefe  der  Pichler  an  die 
Huber:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  III,  S.  293,  298,  304,  309 f.),  auch 

34*  531 


a 


später  noch  (1825)  empfahl  sie  der  Huber  einen  seiner  Aufsätze 
(ebd.  III,  S.  335,  338).  Über  seine  Todeskrankheit,  seinen  Tod 
und  sein  Testament  vgl.  unten  II,  S.  322f.,  326f.,  33off. 

388)  Karl  Kurländer  Edler  v.  Kornfeld,  geboren  am  2.  Dezember 
1784,  war  beim  Tode  seines  Vaters  k.  k.  theresianischer  Stiftung 
(Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  141  ex  1800), 
wurde  bald  hernach  durch  seinen  Schwager  und  Vormund  Franz 
Xaver  von  Greiner  ins  Puthonsche  Wechselgeschäft  gebracht  und 
blieb  bis  1822  Hausgenosse  der  Pichler  (s.  I,  S.  265,  339;  II,  S.  21, 
81,  154).    Während  dieser  Zeit  war  er  oft  Karoline  Pichlers  Be- 
gleiter, so   1809  zur  Truppenrevue  Napoleons  auf  der  Schmelz 
(oben  S.  344)  und  18 14  beim  Einzug  Kaisers  Franzens  (II,  S.  49); 
18 15  holte  er  die  Pichler  aus  Ungarn  ab  (II,  S.  79).    In  letzterem 
Jahre  heiratete  er,  nachdem  er  früher  ein  Verhältnis  mit  Nanette 
V.  Porta  und  mit  Frau  v.  Kempelen  hatte  (unten  II,  S.  i55^-)> 
ganz  in  der  Stille  eine  Jugendfreundin  der  Lotte  Pichler,  namens 
Amalie  Fischer  von  Schlechtem  (II,  S.  93),  doch  blieb  diese  Ehe 
kinderlos  und  war  nicht  glücklich  (unten  II,  S.  154).   Pichler  war 
bei  der  Verehelichung  sein  Beistand  (II,  S.  155).    In  der  Folge 
nahm  Kurländer  mit  seiner  Frau  1823  an  Lotte  Pichlers  Hochzeit 
teil  (II,  S,  171)  und  v/ar  mit  Karoline  Pichler  bei  der  Erstaufführung 
von  Grillparzers  Ottokar  anwesend  (II,  S.  185).    Er  war  Wechsel- 
und   Börsensensal  geworden,   kaufte  in   kurzer  Zeit  (November 
1829)  ein  Haus  in  Rodaun  (Nr.  27),  beerbte  1836  seinen  Bruder 
und    starb    am    15.  April    1838    an    der    Herzbeutelwassersucht 
zu  Salzburg  in  einem  Gasthof  auf  der  Durchreise  (s.  seinen  Ver- 
lassenschaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V, 
Nr.  68  ex  1838)  als  der  letzte  seines  Stammes.  In  seinem  Testament 
vom  I.  Juni  1837  setzte  er  seine  Frau  zur  Universalerbin  ein,  be- 
stimmte 100  Fl.  CM.  für  die  Ortsarmen  in  Rodaun  und  ersuchte 
den  Regierungsrat  Andreas  Eugen  Pichler,  desse^  Frau  Karoline 
•und  deren  Tochter  Karoline  von  Pelzeln  „sich  g&tigst  Andenken 
aus  meinem  Nachlaß  zu  wählen,  um  dadurch  zu  den  vielen  Be- 
weisen von  Liebe  und  Theilnahme,  welche  sie  mir  während  meines 
Lebens  gaben,  auch  noch  diesen  nach  meinem  Tode  hinzuzufügen" 
(ebd.).  Er  liegt  in  Salzburg  begraben.  Seine  Frau  heiratete  wieder; 
am  30.  Oktober  1846  unterschreibt  sie  sich  mit  Amalie  Edle  Herrin 
von  Saffran  und  nennt  sich  Inhaberin  der  Herrschaft  Pols  im  Grazer 
Kreise  der  Steiermark  (ebd.).   Ihr  zweiter  Mann  war  Ludwig  Frei- 
herr von  Saffran,  der  1863  starb.  Sie  scheint  mit  ihm  in  glücklicher, 
wenn  auch  kinderloser  Ehe  gelebt  zu  haben,  denn  in  seinem  Te- 
stamente vom  15.  November  1862  (Archiv  des  Wiener  Landes- 
gerichtes, Testamente  1863,  Nr.  155)  sagt  er:  „Möge  mein  gutes 
Weib  meinen  guten  Willen  als  Dank  für  all  die  Liebe  nehmen, 


welche  Ich  im  Leben  von  ihr  empfangen  und  mir  verzeihen,  daß 
ich  zu  ihrem  Wohle  nicht  mehr  zu  leisten  imstande  bin."  Sie  selbst 
starb  am  30.  April  1879  ^^  Graz  (Gothaisches  genealogisches  Ta- 
schenbuch der  Freiherrlichen  Häuser,  XXX  [Gotha  1880],  S.  1016). 

889)  Gemeint  ist  der  privilegierte  Großhändler  und  Bankier 
Johann  Baptist  Puthon  (t  18 16),  der  im  Oktober  1773  den  öster- 
reichischen Ritterstand  erwarb,  Juli  1792  Reichsfreiherr  und  18 11 
österreichischer  Freiherr  wurde  (Genealogisches  Taschenbuch  der 
Freiherrlichen  Häuser.  I,  [Gotha  1848],  S.  2915  XVII,  [Gotha  1867], 
S.  682).  Er  gab  zu  patriotischen  Zwecken  1794  und  1797  bedeutende 
Geldsummen  (Megerle  von  Mühlfeld,  Memorabilien.  I,  S.  223 
und  247). 

390)  Sie  war  die  Witwe  nach  Andreas  Vlassics,  der  1779  als  Hofrat 
bei  der  kgl.  ungarischen  Hofkanzlei  aufscheint  und  im  selben  Jahre 
in  Preßburg  eine  Rede  durch  den  Druck  veröffentlichte  (Wurzbach, 
LI,  S.  iii).  Sie  war  (s.  ihre  Schwester  Amn.  391)  eine  geborene 
V.  Adda.  Ihre  Geschicke  sind  mir  unbekannt,  ebenso  die  ihres 
Schwiegersohnes  Wlassics.  Dieser  Familie  dürfte  als  Nachkomme 
Anton  von  Wlassics  zugehören,  der  1846  k.  k.  wirklicher  Hofkon- 
zipist  in  der  k.  k.  allgemeinen  Hofkammer  war  und  in  der  Alser- 
vorstadt  Nr.  197  wohnte  (Hof-  und  Staatsschematismus,  1847,  I, 
S.  247).  Er  unterzeichnete  1844  auf  dem  Verlassenschaftsakt  jjer 
Katharina  Porta  als  Zeuge  mit  „kgl.  ungarischer  Landesadvokat 
und  k.  k.  Hofkammerbeamter." 

^'^)  Theresia  Freifrau  von  Geramb,  war  eine  geborene  v.  Adda. 
Am  7.  Oktober  1796  hatte  sie  sich  zu  Preßburg  mit  Ferdinand 
Freiherrn  von  Geramb  vermählt  und  starb  am  2.  August  1807  zu 
Palermo  (Gothaisches  Genealogisches  Taschenbuch  der  Freiherr- 
lichen Häuser.    XXI,  [Gotha  1871],  S.  203). 

^'2)  Eduard  Freiherr  v.  Geramb  (geb.  1797);  er  fiel  als  kals. 
russischer  Oberstleutnant  gegen  die  Tscherkessen  in  den  dreißiger 
Jahren  des  19.  Jahrhunderts.  Gustav  Freiherr  v.  Geramb,  der  im 
Januar  1849  ^^^  ^•^-  Oberstleutnant  des  2.  Banal-Grenz-Infanterie- 
regiments  Nr.  10  bei  Nyarsöl  den  Heldentod  erlitt.  Vgl.  Gothaisches 
Genealogisches  Taschenbuch  der  Freiherrlichen  Häuser.  XXI, 
[Gotha  1871],  S.  203). 

^*^)  Karoline  Pichlers  sonst  so  gutes  Gedächtnis  läßt  sie  hier  im 
Stiche,  denn  Ferdinand  Freiherr  von  Geramb  bildete  sein  Frei- 
korps erst  1805,  nicht  1800.  *Am  9.  November  1805  hatte  er  den 
Aufruf  an  seine  Mitbürger  um  Geldbeiträge  erlassen  und  bereits 
am  12.  November  konnte  er  mittags  mit  1400  Mann,  darunter  viele 
Vom  Aufgebot  des  Jahres  1797,  durch  die  Hofburg  über  die  Donau- 
brücken aus  Wien  hinausziehen;  die  Auflösung  dieses  Freikorps 
erfolgte  am  21.  März  1806  bei  der  Stadt  Enzersdorf  (vgl.  Anton 

533 


Ritter  von  Geusau,  Historisches  Tagebuch  aller  merkwürdigen 
Begebenheiten,  welche  sich  in  Wien  vom  Monat  September  1805  bis 
I.  Februar  1806  zugetragen  haben.  Wien  1807,  S.  132  ff.,  146; 
Franz  Gräffer,  Neue  Wiener-Localfresken.   Linz  1847,  S.  263  ff.). 

"*)  3.  Dezember  1800.  Dieser  Sieg  des  Generals  Moreau  über  die 
Österreicher  bei  Hohenlinden  zwang  letztere  zum  Frieden  von  Lune- 
ville  (9.  Februar  1801). 

"^)  Erzherzog  Karl,  der  am  17.  März  1800,  aus  Gesundheits- 
rücksichten, zum  Schmerz  aller,  von  der  Armee  geschieden  war, 
übernahm,  da  die  Franzosen  entscheidende  Fortschritte  gemacht 
hatten,  am  17.  Dezember  neuerlich  das  Oberkommando  der  Armee 
(Eduard  Duller,  Erzherzog  Carl  von  Österreich.  *  Pest,  1859. 
S.  475  ff.,  490 ff.). 

89«)  Der  Waffenstillstand  wurde  am  25.  Dezember  1800  in  Steyr 
in  Oberösterreich  zwischen  Erzherzog  Karl  und  dem  Marschall 
Moreau  abgeschlossen  (Duller,  S.  492),  und  ihm  folgte  der  Friede 
von  Luneville  (9.  Februar  1801),  der  dem  französischen  Reich  die 
Etsch  und  den  Rhein  als  Grenze  gab  (Duller,  S.  494  ff.). 

"•')  Ferdinand  Freiherr  vonGeramb,  geboren  1772  in  Lyon,  kam 
mit  seinem  gleichnamigen  Vater  (s.  oben  Anm.  197)  in  den 
neunziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  nach  Wien,  machte  weite 
Reisen  und  verehelichte  sich  1796  mit  Theresia  von  Adda  (oben 
Anm.  391).  Als  im  August  1804  Kaiser  Franz  die  erbliche  Kaiser- 
würde annahm,  widmete  er  diesem  das  historisch-allegorische  Ge- 
dicht „Habsburg"  (Wien,  kl.  Fol.).  1806  hatte  er  mit  einem  engli- 
schen Obersten  ein  Duell  unter  schweren  Bedingungen  am  Ätna; 
1805  hatte  er  sein  Freikorps  aufgestellt,  1809  nahm  er  als  Oberst  an 
der  Schlacht  bei  Wagram  teil  und  18 10  stand  er  gegen  Napoleon 
in  Spanien.  Er  wollte  hierauf  in  England  ein  Freikorps  sammeln, 
geriet  in  Schulden,  wurde  ausgewiesen,  1812  in  Husum  ans  Land 
gesetzt,  von  Franzosen  gefangen  genommen  und  eingesperrt.  18 14 
frei  geworden,  verblieb  er  in  Paris,  trat  18 15  bei  den  Trappisten 
ein,  deren  Generalabt  er  1837  wurde.  1848  starb  er  in  Rom.  Er 
gab  verschiedene  Gelegenheitsschriften  heraus,  darunter  auch  viele 
asketische,  von  denen  Karoline  Pichler  das  Buch  „Lettres  k  Eugene 
sur  TEucharistie"  (Paris  1827)  in  ihrer  Bibliothek  hatte  (Nr.  136 
im  Bücherverzeichnis  des  Verlassenschaftsaktes).  Vgl.  Wurzbach, 
V,  S.  146 ff.;  Goedeke,  VH,  S.  ii6ff.:  244.  Eine  Charakteristik 
von  ihm  bietet  Uffo  Hörn  (Österreichischer  Parnaß.  Frey-Sing 
o.  J.  [1842],  S.  18)  mit  folgenden  Worten: 

„Finsteres,  markirtes  Gesicht,  viel  graue  Haare,  militärische  Hal- 
tung, Trappist,  Interessant  durch  seine  Schicksale  —  mittelmäßiges 
Talent,  Finsterling,  riecht  nach  Erbärmlichkeit." 

Bei     Angabe     der     Gerambschen    Unternehmungen     ist     der 

534 


Pichler  eine  kleine  Verwechslung  unterlaufen,  denn  i.  wurde  das 
Freikorps  erst  1805  und  nicht  bereits  im  Jahre,  1800  aufgestellt  (vgl. 
oben  Anm.  393)  und  2.  fällt  die  Abfassung  des  Gedichtes  Habs- 
burg ins  Jahr  1804,  also  vor  die  Aufstellung  des  Freikorps.  Dieses 
Gedicht  trug  dem  Verfasser  verschiedene  Ehren  und  Geschenke  ein; 
so  erhielt  er  1805  vom  König  von  Preußen,  den  Kurfürsten  von 
Pfalzbayern  und  Württemberg  reich  mit  Brillanten  besetzte  Taba- 
tieren  (Megerle  von  Mühlfeld,  Memorabilien.  II,  S.  188).  Es  ist 
von  ihm  selbst  und  zwar  auf  der  Rückreise  vom  Auslande,  wo  ihn 
die  Nachricht,  daß  Franz  die  erbhche  österreichische  Kaiserwürde 
annahm,  ereilte,  gedichtet  (s.  Habsburg.  Wien  1804.  S.  21),  also 
nicht,  wie  die  Pichler  meint,  von  jemanden  anderm  verfaßt. 

*»8)  Am  9.  Januar  1801  wurde  Erzherzog  Karl  zum  k.  k.  Feld- 
marschall und  Präsidenten  des  Hofkriegsrates  ernannt,  und  ihm 
gleichzeitig  die  oberste  Leitung  des  gesamten  Kriegswesens  über- 
tragen (Duller,  S.  493).  Anfangs  März  erkrankte  er  schwer  (Duller, 
S.  496).  Über  die  Teilnahme  der  Wiener  vgl.  Jul.  Wilh.  Fischer, 
Reisen  durch  Österreich.  I,  S.  43  f. 

399j  Bey  der  Genesung  Seiner  königlichen  Hoheit  des  Erzherzogs 
Carl.  Den  16.  März  1801.  (Österreichischer  Taschenkalender  für 
das  Jahr  1802.  Wien.  S.  25  =  S.  W.,  2  XVI,  S.  Soff.).  Im  Gedichte 
spielt  Pichler  auf  Karls  Ankunft  in  Wien  am  27.  Dezember  1800  an 
(vgl.  darüber  S.  235). 

*°°)  Graf  Chorinsky  war  damals  in  Prag  (vgl.  Anm.  311)  angestellt. 
Sein  naher  Verwandter  war  der  Graf  Franz  Saurau. 

^'*^)  Matthias  von  Faßbender,  ein  Rheinländer,  früher  Reichshof- 
rat, seit  1801  Präsidialhofrat  des  Hofkriegsrates,  dessen  Leiter  Erz- 
herzog Karl  war,  und  wirklicher  Staats-  und  Konferenzrat.  Im 
Jahre  1805  wurde  Faßbender  wirklicher  Geheimer  Rat  (vgl.  Megerle 
von  Mühlfeld,  Memorabilien,  II,  S.  105).  Am  28.  Februar  1809 
starb  er  am  Schlagfluß  plötzlich  in  Wien  (Verlassenschaftsakt  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II,  Nr.  2196  ex  1809). 
Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck  von  Kübau  (Tagebücher.  I  [Wien 
1909],  S.  263)  charakterisiert  ihn  ziemlich  scharf,  wozu  die  Angaben 
bei  E.  Vehse  (Geschichte  des  östreichischen  Hofs  und  Adels  und 
der  östreichischen  Diplomatie,  IX  [Hamburg  1852],  S.  iSyff.), 
die  Faßbender  als  ziemlich  unfähig  hinstellen,  passen  würden.  Da- 
gegen schildert  ihn  Friedrich  Freiherr  v.  Lupin  auf  Illerfeld  (Selbst- 
Biographie,  II  [Weimar  1844],  S.  I99f.)  als  befähigt.  Vgl.  noch 
Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben,  I,  S.  266. 

*02)  Idyllen.  Wien  1803.  S.  looff.,  Nr.  VII.  (Die  Geretteten. 
Eine  Nachahmung  von  Virgils  erster  Ekloge)=  S.  W.,  ^XV,  S.89ff. 
(1801).  —  Der  Freiherr  und  Julchen,  die  von  Oberösterreich  ge- 
flohen, zu  ihrer  Freundin,  der  Gattin  des  Freiherrn,  nach  Nieder- 

535 


Österreich  kommt,  preisen  Erzherzog  Karl  und  seine  Verdienste  um 
den  Waffenstillstand.  Julchen  gibt  eine  Schilderung  der  Kriegs- 
gräuel  in  Oberösterreich. 

Idyllen.  Wien,  Im  Verlage  bey  Anton  Pichler.  1803.  S".  176  S. 
mit  einem  Bildnis  (Weinrauch  fec.)  =  S.W.,  *XV,  S.  3ff.  — 
Gewidmet  sind  sie  von  der  Pichler  durch  ein  Gedicht  „An  meine 
Mutter,  die  Frau  Carolina,  verwittwete  von  Greiner"  (S.  3  f.)  ihrer 
Mijj'-ter,  aus  Dank  für  die  Sorgfalt,  die  sie  ihr  in  der  Jugend  zuwendete 
und  zum  Dank  für  die  Geistes- und  Herzensbildung,  die  sie  ihr  gab. 
—  Das  Büchlein  enthält  10  Idyllen:  I.  Die  Schnitterinnen  (S.  5ff.); 
II.  Der  Sommerabend.  An  meine  Freundinn,  das  Fräulein  Josepha 
von  Ravenet  (S.  Ziff.);  III.  Der  Sänger  am  Felsen  (S.  35ff.); 
IV.  Die  Zurückkunft  (S.  48ff.);  V.  Der  Herbstabend  am  Kahlen- 
berge  (S.  66  ff.);  VI.  Der  Blumenstrauß  (S.  82  ff.);  VII.  Die  Ge- 
retteten,   Eine  Nachahmung  von  Virgils  erster  Ekloge  (S.  looff.); 

VIII.  Der  Tanz.  An  das  Fräulein  Gabriela  von  Baumberg  (S.  i  I9ff.); 

IX.  Der  Flußgott.  An  die  Freyinn  Henriette  von  Tinti,  geborene 
von  Mertens  (S.  132 ff.);  X.  Die  Rumfordsche  Suppe  (S.  145 ff.).  — 
In  den  Sämmtlichen  Werken  (^  XII  [Wien,  bei  Strauß,  18 13],  S.  5  ff.) 
sind  alle  diese  Idyllen  wieder  anzutreffen,  dagegen  ist  in  S.  V/.  ^  XV, 
S.  3  ff.,  Nr.  IX  ausgelassen;  an  deren  Stelle  ist  (S.  1 17 ff.)  „Narcissus. 
Nach  dem  Pausanias"  (Veteris  Graeciae  Descriptio,  Boeotiaca  1.  9  c. 
3 1  ad  finem)  eingefügt.  —  Von  den  Idyllen  waren  bereits  früher  in 
Zeitschriften  erschienen:  Nr.  IX  (Österreichischer  Taschenkalender 
für  das  Jahr  1801.  Wien.  S.  16);  VI  (ebd.  1802.  S.  11);  III  (ebd.  1802, 
S.  33).  —  Die  Beeinflussung  durch  die  Voßschen  Idyllen,  die  Pichler 
ja  kannte  (oben  Anm.  153)  und  auch  besaß  (Luise.  Tübingen  1807; 
Idyllen,  Wien  1801:  Nr.  2 12  f.  des  Bücherverzeichnisses  im  Ver- 
lassenschaftsakt), ist  unverkennbar.  Bereits  mit  14  Jahren  dichtete 
Pichler   nach  diesen  und  anderen  Mustern  Idyllen  (oben  S.  78). 

Von  Besprechungen  möge  auf  eine,  durchaus  lobende  von 
Sg.  hingewiesen  werden  (Neue  allgemeine  Deutsche  Bibliothek. 
LXXXIII,  [BerUn  1803],  S.  345  ff.),  in  der  folgende,  Pichlers  Wesen 
gut  charakterisierende  Stelle  vorkommt  (S.  345f.):  „Die  Empfin- 
dungen des  Kummers  und  der  Freude,  die  Gefühle  des  Schönen  und 
Guten,  die  Reize  der  Natur  und  Geselligkeit  zu  Gemälden  einigen 
Umfangs  auszubilden,  aus  den  Ereignissen  des  Lebens  sie  hervor- 
treten zu  lassen  und,  durch  in  Handlung  gesetzte  Charaktere,  ^An- 
schaulichkeit und  Theilnahme  zu  verstärken,  scheint  ihr  Lieblings- 
fach zu  seyn.  Auch  in  vorliegenden  Gedichten  ist  sie  dieser  Stim- 
mung treu  geblieben;  und  wer  für  eine,  durch  Metrum  und  Bil- 
dersprache zwar  oft  veredelte,  nur  selten  aber  in  Rücksicht  auf 
Wahrheit  verfehlte,  Darstellung  solcher  Auftritte  Sinn  hat,  die  im 
Gebiet  ländlicher  Natur  und  Sitten  den  Geist  einer  jungen  Wiene- 


rinn  ansprechen  konnten,  wird  die  von  Ihr  aufgestellte  Idyllenreihe 
nicht  ungern  durchlaufen.  Nur  zehn  dergleichen  Schildereyen 
enthält  das  Bändchen;  und  da  es  weder  Episoden  noch  künstliche 
Verwicklungen  sind,  die  sie  dehnen  halfen:  so  läßt  schon  hieraus 
sich  abnehmen,  daß  die  Dichterinn  dann  und  wann  doch  wohl  et- 
was zu  gesprächig  ward  und  manches  uns  mitthellt,  was  man  noch 
lieber  selbst  errathen,  oder  aus  eignem  Busen  ergänzt  hätte.  Wem 
diese  gar  zu  fleißige  Ausführung  nicht  zuwider  Ist,  wird  alles  Übrige 
noch  weniger  es  seyn;  denn  obgleich  aus  dem  Gange  merklich  genug 
hervorgeht,  daß  der  Theokrit  Niedersachsens  Ihr  Vorbild  gewesen, 
und  aus  dem  gebrauchten  Blldervorrath  eine  nur  kleine  Zahl  für 
neu  gelten  kann :  so  macht  eine  nicht  mißrathne  Nachahmung  doch 
niemals  Unehre."  —  In  den  „Annalen  der  Literatur  und  Kunst  in 
den  österreichischen  Staaten",  II,  i,  (Wien  1803),  Sp.  zSgff.  eine 
ausführliche,  ungezeichnete  Anzeige,  welche  den  Idyllen  den  Geist 
echter  Poesie  abspricht,  was  an  Idylle  VII  (Die  Geretteten  —  nach 
Virgil)  bewiesen  wird.  Auch  mit  Voß  halten  die  PIchlerschen  Idyllen 
keinen  Vergleich  aus,  denn  dieser  schildert  wirkliches  Landleben, 
während  die  Pichler  Stadt  und  Land  vermischt.  Besonders  un- 
poetisch ist  die  „Rumfordsche  Suppe",  da  es  mehr  einer  Anweisung 
zur  Suppenbereitung  als  einer  Idylle  gleicht.  —  Retzer  übersandte 
Im  Juni  1802  die  Idyllen  ohne  weitere  Mitteilung  an  Christ.  Gott- 
fried Schütz  (Schütz,  Darstellung  seines  Lebens,  Charakters  und 
Verdienstes.  Hg.  von  Friedrich  Karl  Julius  Schütz.  II,  [Halle 
1835],  S.  397). 

^^)  BucoHca.  Ecloga  I. :  M.  Tityre,  tu  patulae  recubans  sub 
tegmine  fagl ....  —  Die  angeführte  Stelle  Ist  Vers  6  f.  (Opera,  ed. 
Otto  Güthling.  I,  [Lipslae  1886],  p.  3). 

*<•*)  Wolfgang  Ritter  von  Kempelen  (1734 — 1804),  ein  Preß- 
burger, kam  1786  als  Hofrat  der  vereinigten  ungarisch-slebenbür- 
gischen  Hofkanzlei  nach  Wien,  diente  mit  Hofrat  von  Grelner 
und  verkehrte  In  dessen  Haus  (vgl.  oben  S.  157).  1798  ging  er  in 
Pension,  1801  zog  er  In  die  Alservorstadt  Nr.  131  (vgl.  oben  S.  233, 
239)  und  starb  hier  am  20.  März  1804.  Die  Sommermonate  ver- 
lebte er  auf  seiner  Besitzung  Gomba  In  Ungarn.  Er  machte  sich 
durch  die  Konstruktion  verschiedener  Maschinen  (Schach-, 
Sprach-,  Dunstmaschine)  und  durch  dichterische  Arbeiten  bekannt. 
Er  hatte  ein  treffliches  Zeichentalent,  und  sein  Haus  war  der  Sam- 
melplatz talentvoller  Leute;  Pichler  lernte  dort  Rlchlers  und  die 
Schwestern  Porta  kennen  (oben  S.  249).  Kempelen  war  zweimal 
verheiratet.  Seine  zweite  Frau,  Marie  Anna,  geborene  Walter  von 
Gobelius,  sowie  seine  beiden  Kinder  aus  dieser  Ehe,  Theresia  und 
Karl  (s.  oben  Anm.  221)  überlebten  ihn.  Vgl.  J.  Karl  Unger,  Zeit- 
schrift von  und  für  Ungarn,  V,  (Pest  1804),  S.  3 13 ff.;  Wurzbach, 

537      ■ 


XI,  S.   158  ff.  und  Verkssenschaftsakten  im  Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes  (Fasz.  V,  Nr.  63  ex  1804). 

*°5)  Antonie  von  Kempelen,  geb.  Sölnwanger,  die  Frau  des  Karl 
von  Kempelen,  wurde  durch  ihre  Schönheit  und  ihr  flatterhaftes 
Wesen  verschiedenen  männlichen  Mitgliedern  des  Pichlerschen  Krei- 
ses gefährlich. .  Sie  spielte  gut  Klavier  (vgl.  oben  S.  251,  283,  314) 
und  dadurch  trat  sie  Streckfuß  nahe,  der  ihretwegen  im  April  1806 
Wien  verließ,  um  seine  Leidenschaft  zu  dämpfen  (vgl.  oben  S.  285  f.). 
Gleichzeitig  (1805)  hatte  sie  das  Herz  des  französischen  Stabs- 
offiziers Guy  in  Brand  gesetzt  (oben  S.  283, 284).  Bald  darnach  (noch 
1806)  trennte  sie  sich  freiwillig  von  ihrem  Gatten,  der  nach  Gomba 
in  Ungarn  (Preßburger  Komitat)  zog,  während  sie  in  Wien  blieb 
und  seine  Pension  im  Betrage  von  300  Gulden  zum  Lebensunterhalt 
von  ihm  zugewiesen  erhielt  (vgl.  die  Vergleichsurkunde  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes  vom  7.  September  18 12:  landrechtliche 
Testamente  Nr.  39  ex  18 14).  Sie  spielte  am  Pichlerschen  Theater 
mit,  und  da  interessierte  sich  Hormayr  für  sie  (vgl.  oben  S.  297  und 
Hormayr,  Taschenbuch,  1845,  S.  114),  der  ihrer  in  einem  Briefe 
an  die  Pichler  (K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  322)  noch  1841  ge- 
denkt. 1809  machte  sie  die  Beschießung  Wiens  im  Hause  der  Pichler 
mit  (oben  S.  336,  339),  sah  sich  mit  ihr  und  Kurländer  eine  Parade 
Napoleons  in  Schönbrunn  an  (oben  S.  344)  und  fesselte  Karl  Kur- 
länders  Herz,  der  später  ihretwegen  seine  Braut  Nanette  Porta 
(unten  II,  S.  155 f.;  vgl.  noch  oben  S.  336)  verließ,  doch  war  auch 
sein  Verhältnis  mit  Frau  von  Kempelen  kein  dauerndes.  Ihr  flatter- 
haftes, stets  unbefriedigtes  Wesen  zeichnete  Karoline  Pichler  in 
der  Rosalie  Sarewsky  des  Romanes  „Frauenwürde"  (unten  II, 
S.  108).  Antonie  von  Kempelen  starb  am  2.  April  18 14,  32  Jahre 
alt,  an  der  Lungensucht  in  der  Aiser  Vorstadt  Nr.  27,  ihren  einzigen 
Sohn  Ludwig  (geboren  am  14.  Februar  1803)  —  ein  zweiter  Sohn 
Karl  war  am  22.  März  1800, 9  Monate  alt,  an  Schleimfieber  gestorben 
(TotenprotokoUe  der  Stadt  Wien.  1800.  Buchstabe  C,  G,  K, 
Fol.  45  a)  —  zum  Universalerben  einsetzend  (Totenprotokolle  usw. 
18 14,  Buchstabe  C,  G,  K,  Fol.  50  a;  Verlassenschaftsakten  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  70  ex  18 14).  Der 
Sohn  verblieb  bei  der  Großmutter  Josefa  Sölnwanger  in  Wien, 
während  der  Vater  in  Gomba  wohnte  (Verlassenschaftsakt).  Ludwig 
trat  später  bei  der  allgemeinen  Hofkammer  ein,  wo  er  1848  (Hof- 
und  Staats- Handbuch,  1848,  I,  S.  251)  als  Hofaccessist  erscheint; 
1855  wurde  er  Kanzleioff izial  im  Hilfsamt  des  Finanzministeriums 
(ebd.  1856,  I,  S.  153  c),  als  welcher  er  bis  1876  dient  (ebd.  1876, 
S.  28 1).  Als  Dichter  hatte  er  kein  Glück,  denn  sein  Schauspiel  „Das 
Bild  des  Bruders"  fiel  1835  im  Burgtheater  glänzend  durch  (C.  L. 
Costenoble,  Aus  dem  Burgtheater,  II,  [Wien  1889],  S.  213,  217). 


40«)  Josef  Freiherr  von  Hormayr  (178 1 — 1848),  ein  Tiroler,  als 
Historiker  und  Staatsmann  hervorragend  tätig,  war  im  Mai  1797 
zu  Innsbruck  in  den  Staatsdienst  getreten,  diente  nebenher  bei 
der  Tiroler  Landwehr,  in  der  er  es  1800  zum  Divisionskommandan- 
ten und  Major  brachte,  und  wxurde  im  September  1801  nach  Wien 
zur  Dienstleistung  in  die  Haus-,  Hof-  und  Staatskanzlei  als  Hof- 
konzipist  berufen.  Er  hatte  damals,  trotz  seiner  Jugend,  als  histo- 
rischer Schriftsteller  einen  Namen,  und  so  kam  es,  daß  er  in  den 
literarischen  Kreisen  Wiens  bald  heimisch  war.  Am  21.  September 
1801  in  Wien  angelangt,  ließ  er  sich  bereits  am  28.  September  durch 
Haschka  bei  der  Pichler  einführen,  die  einen  günstigen  Eindruck 
von  ihm  empfing  (vgl.  I,  S.  239 f.;  II,  S.  406;  Hormayrs  Brief  an 
die  Pichler  vom  30.  Oktober  1841:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII, 
S.  322;  Hormayrs  Taschenbuch,  XXXIV,  S.  123).    Im  Juli  1802 
wurde  Horma)T:  mit  der  provisorischen  Leitung  des  Haus-,  Hof- 
und  Staatsarchivs  betraut,  dessen  wirklicher  Direktor  er  im  April 
1808  wurde;  er  schuf  dieses  Institut  in  Kürze  vollständig  mn  und 
machte  es  in  großzügiger  Weise  der  Wissenschaft  dienstbar.   Wäh- 
rend Hormayr  anfangs  nur  selten  zur  Pichler  kam  (oben  S,  240), 
entwickelte  sich  seit  1804  ein  äußerst  reges  gesellschaftliches  Ver- 
hältnis.   Man  pflegte  gemeinsame  Lektüre,  Hormayr  und  Collin 
hielten  Deklamationen  ab  (oben  S.  260  f.),  die  großen  Genuß  ge- 
währten (Pichler  an  Streckfuß,  9.  Juni  1807:  K.  Glossy,  Wiener 
Communal-Kalender,    XXXII,    S.   404),    und    es  wurde   fleißig 
Theater  gespielt  (1807:  oben  S.  297  mit  Anm.  489).    Hormayr 
führte  hervorragende  Leute  ein,  die  später  intime  Freunde  des 
Hauses  wurden,  so  1807  den  Diplomaten  Merian  (oben  S.  299,  421), 
den  Maler  Karl  Ruß  (Hormayrs  Taschenbuch,  XXXIV,  S.  127), 
dessen  Bild  „Die  beiden  Freunde"  Pichler  später  mit  einem  Ge- 
dichte versah  (vgl.  II,  Anm.   185),  den  Grafen  Szechenyi  (oben 
S.  4105  II,  S.  13),  später  (1828)  auch  den  Schauspieler  Anschütz 
(K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  315)  u.  a.   Er  selbst  verkehrte,  wie 
aus  Brief  stellen  hervorgeht  (1808:  K.   Glossy,  Grillp.  Jb.  XII, 
S.  243,  244),  sehr  gerne  bei  der  Pichler,  ja  es  war  schließlich  sogar 
das  einzige  Haus,  das  er  überhaupt  aufsuchte,  wozu  vielleicht  auch 
Frau  Kempelen  beigetragen  haben  mag  (oben  S.  297),  da  Hormayrs 
Ehe  keine  besonders  glückÜche  zu  nennen  war.    Glühende  Vater- 
landsliebe erfüllte  damals  Hormayr,  alles,  was  er  an  historischen 
Arbeiten  schrieb,  war  davon  durchdrungen  und  diente  zur  Ver- 
herrlichung   Österreichs.     Ein   klassisches   Muster    dafür  ist   sein 
„Österreichischer   Plutarch"    (i8o7ff.),   der,  in   Verbindung  mit 
Hormayrs  Idee  von  der  Durchdringung  der  Künste  mit  vaterlän- 
dischen Stoffen,  auf  die  damalige  österreichische  Dichtergeneration, 
allen  voran  H.  Collin  und  KaroHne  Pichler,  mächtigen  Einfluß  aus- 

539 


übte  (vgl.  oben  S.  307  mit  Anm.  505  f.).  Pichlers  vaterländische 
Balladen,  die  im  Hormayrschen  „Archiv"  und  „Taschenbuch" 
meist  zuerst  veröffentlicht  wurden  (vgl.  Anm.  678),  gingen  aus 
Hormayrs  Anregungen  hervor,  der  ihr  bei  der  Stoffbeschaffung  zur 
Seite  stand  und  wiederholt  auf  geeignete  Stoffe  hinwies  (vgl. 
Anm.  678  unter  den  einzelnen  Balladen;  Hormayrs  Briefe  an  die 
Pichler:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  288  [18 15,  Boleslaw,  Mörder 
des  hl.  Stanislaus  Kostka],  293  [1815,  Tancred],  298  [1816,  Otto  von 
Andechs],  299 f.  [Tancred],  303  f.  [Salm]).  Ihr  Drama  „Ferdinand 
II.",  dessen  sich  Hormayr  auch  sonst  kräftig  annahm  (vgl.  II, 
Anm.  107),  fußte  auf  Hormayrs  „Plutarch"  (vgl.  II,  S.  430),  ihre 
Oper  Rudolf  von  Habsburg  paßte  in  Hormayrs  Richtung  (vgl.  II, 
S.  419  :  28),  und  ihre  historischen  Romane  gehen  direkt  oder  in- 
direkt ebenfalls  auf  Hormayrs  Anregungen  zurück.  In  ihrem  „Fried- 
rich dem  Streitbaren"  verwertete  sie  eine  Hormayrsche  Arbeit  (vgl.II, 
S.  26of.  mit  Anm.  434f.),  deren  Darstellung  ihr  besonders  zusagte. 
„Die  Schweden  vor  Prag"  sind  durch  ihn  angeregt  (II,  S.  217  mit 
Anm.  362)  und  gern  hätte  er  auch  die  Geschicke  der  Königin  Mar- 
garetha,  der  Gemahlin  Heinrichs  von  Hohenstaufen,  und  des 
Przemysliden  Ottokar  IL,  in  einem  Roman  oder  in  Gedichten  ver- 
arbeitet gesehen  (vgl.  seine  Briefe  an  die  Pichler  aus  den  Jahren 
18 15  und  18 18:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  27of.,  280 f.,  282, 
308).  Karoline  Pichler  anerkannte  Hormayrs  starken  Einfluß  auf 
sie  stets,  nicht  nur  in  Briefen  (Hormayrs  Taschenbuch,  XXXIV, 
S.  127),  sondern  auch  in  ihren  „Denkwürdigkeiten"  (oben  S.  262, 
410;  II,  S.  247).  Ein  Gedicht,  das  sie  ihm  1807  zu  Weihnachten 
ins  Stammbuch  schrieb  (In  das  Stammbuch  des  Freiherrn  v. 
Hormayr^Ts.  W.  2  XVI,  S.  70 f.;  vgl.  Anm.  678:  fy.;  Hormayrs 
Taschenbuch,  XXXIV,  S.  126),  gab  der  Hochschätzung  seiner 
Verdienste  beredten  Ausdruck. 

Als  1809  der  Krieg  gegen  Napoleon  zum  Ausbruche  kam,  ging 
Hormayr  als  Hofkommissär  am  31.  März  nach  Tirol,  dessen  Auf- 
stand er  glänzend  eingeleitet  hatte  (oben  S.  333  mit  Anm.  566). 
In  Anerkennung  seiner  Verdienste  erfolgte  im  September  1809 
seine  Ernennung  zum  wirklichen  Hofrat,  und  damit  hatte  Hormayr 
den  Höhepunkt  seiner  amtlichen  Laufbahn  in  Österreich  erreicht. 
Trotz  seines  Patriotismus  hatte  er  als  Freigeist  und  wegen  ver- 
schiedener Charaktereigenschaften  zahlreiche  Feinde,  die  sich  be- 
bemühten, seine  Stellung  zu  erschüttern.  Als  er  18 12  mit  Erzherzog 
Johann  und  einigen  anderen  den  „Alpenbund"  zur  Befreiung  Tirols 
bildete,  da  kam  die  Polizei  durch  den  Verrat  von  Hormayrs  Freund 
Roschmann  dahinter,  und  am  7.  März  18 13  abends  erfolgte  Hor- 
mayrs Verhaftung  (vgl.  oben  S.  409ff.  und  Anm.  707).  Zuerst 
^  nach  Munkäcs  gebracht,  verblieb  er  durch  5  Monate  in  dieser 

540 


Festung,  wurde  dann  nach  Brunn  auf  den  Spielberg  überführt, 
wo  er  vom  Juli  1813  bis  zum  April  18 14  interniert  war,  und  erhielt 
endlich  die  Erlaubnis,  sich  in  Brunn  frei  aufzuhalten  (vgl.   II, 
S.  103  f.  mit  Anm.  187).  Hormayr,  zunächst  unter  fürchterlichen  Ge- 
mütszuständen leidend,  wurde  allmählich  stumpf  und  gleichgültig 
(vgl.  seine  Briefe  an  die  Pichler  aus  den  Jahren  18 15  und  1816: 
K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  291  f.,  301),  lebte  seiner  Freundschaft 
mit  dem  Grafen  Salm,  seiner  gelehrten  Arbeit  und  dem  Brief- 
wechsel mit  den  ihm  treu  gebliebenen  Freunden,  worunter  auch 
Karoline  Pichler  war.    Sie  nahm  an  seinem  Geschicke  innigen  An- 
teil, tröstete  und  richtete  ihn  wiederholt  auf  (vgl.  seine  Briefe  an 
sie:  K.  Glossy,  XII,  S.  265,  282,  292);  er  nannte  sie  seine  älteste 
Freundin  in  Wien,  bat  um  Erhaltung  ihres  Wohlwollens  (ebd.  XII, 
S.  307,  311)  und  dachte  daran,  bei  seiner  Rückkehr  nach  Wien  in 
ihrem  Hause  Wohnung  zu  nehmen  (1816:  ebd.  XII,  S.  3oof.). 
Trotzdem  sich  für  Hormayrs  Rückkehr  eine  Reihe  von  bedeuten- 
den Persönlichkeiten  einsetzte,  wurde  sie  ihm  erst  im  August  18 16 
mit  seiner  Ernennung  zum  Reichshistoriographen  bewilligt.    Nun 
durfte  er  wieder  in  Wien  leben,  aber  trotz  seiner  hervorragenden 
Fähigkeiten  wurde  der  in  der  Blüte  seiner  Jahre  stehende  Mann  in 
seine  früheren  Ämter  nicht  wieder  eingesetzt,  er  blieb  kaltgestellt 
und  ohne  Einfluß.   Daß  dies  einen  Mann  von  Hormayrs  unbändi- 
gem Ehrgeiz  kränken  mußte,  daß  er,  der  nie  Liebe  fühlte  (an  die 
Pichler,  28.  Dezember  1814:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.'264), 
allmählich  zum  Haß  gegen  das  herrschende  System  und  gegen 
Metternich,  die  so  undankbar  an  ihm  gehandelt  hatten,  kommen 
mußte,  das  wollten  jene  Zeitgenossen,  darunter  auch  Pichler,  die 
solche  Schläge  nicht  erduldet  hatten,  nicht  einsehen.    Land  und 
Volk  Österreich  haßte  er  ja  nie  (Glossy,  a.  a.  O.  XII,  S.  320 f.;  L.  A. 
Frankl,  Erinnerungen,  S.  98,  99).    Welche  Kämpfe  mag  es  dem 
Mann  gekostet  haben,  nachdem  er  bereits  zweimal  (1825,   1827) 
ähnliche  Anträge  ausgeschlagen  hatte,  1828  in  die  Dienste  Bayerns, 
das  er  früher  in  Wort  und  Tat  befehdet  hatte,  zu  treten,  dessen 
edler  König  Ludwig  I.  ihm  aber  jene  Stellung  (Geheimer  Rat  und 
Ministerialrat)  bot,  die  seinen  Fähigkeiten  und  Talenten  entsprach. 
Freilich  war  er,  als  er  nach  Bayern  ging,  nicht  mehr  der  alte  Hor- 
mayr, sondern  wie  die  Pichler  in  einem  Briefe  an  die  Huber  bereits 
1 822  schrieb,  „eine  Ruine  dessen,  was  er  war  und  zu  werden  versprach" 
(K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  III,  S.  319).    Von  den  Österreichern  und 
besonders  von  der  Staatskanzlei  in  lügenhafter  Weise  als  Verräter 
gebranndmarkt,  mußte  er  auch  in  Bayern  erst  langsam  eine  feind- 
selige Stimmung  (vgl.  II,  S.  246  mit  Anm.  412)  überwinden,  was 
ihm  nach  einiger  Zeit  auch  gelang.    Doch  sein   Starrsinn  (vgl. 
Pichler  an  die  Huber,  7.  Jänner  1828:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.,  III, 


S.  346)  brachte  ihn  wieder  in  Verwicklungen,  er  kam  daher  am 
2.  April  1832  als  bayrischer  Ministerresident  nach  Hannover  und 
1839  ^^  gleicher  Eigenschaft  nach  Bremen,  von  wo  er  1846  als 
Direktor  des  Staatsarchivs  nach  München  zurückberufen  wurde. 
Während  all  dieser  Jahre  entwickelte  Hormayr  eine  rege  wissenschaf  t- 
Uche  Tätigkeit  und  unterhielt  eine  ausgebreitete  Korrespondenz, 
darunter  auch  mit  Kar.  Pichler,  die  freilich  in  den  letzten  Jahren 
sich  nur  mehr  auf  wenige  Briefe  beschränkte  (vgl.  II,  S.  247  mit 
Anm.  415);  konnte  doch  auch  diese  seinen  Übertritt  in  bayrische 
Dienste  nicht  verwinden  und  fand  herbe  Worte  dafür  (II,  S.  246), 
die  aber  Hormayr  nicht  abhielten,  ihr  nach  ihrem  Tode  einen 
äußerst  warmen  Nachruf  zu  widmen  (Taschenbuch  XXXIV,  [1845], 
S.  HO  ff.).  Das  einst  so  vertraute  Verhältnis  (Pichler  II,  S.  247; 
Hormayr,  Taschenbuch  XXXIV,  S.  1 23)  beider,  wollte  Hormayr  doch 
sogar  der  Pichler  seine  Tagebücher  anvertrauen  (K.  Glossy,  Grillp. 
Jb.  XII,  S.  286f.,  294),  war  zwar  erkaltet,  aber  nicht  erloschen, 
und  gerade  Hormayrs  Nachruf  zeigt,  daß  er  auch  dann,  wenn  er 
angegriffen  wurde,  dem  Verdienste  sein  Recht  zuteil  werden  lassen 
konnte.  Hormayrs  Schwächen  als  Mensch  liegen  in  seinem  heftigen 
Charakter,  als  Schriftsteller  in  seinem  bombastischen  Schachtelstil, 
den  Kar.  Pichler  bereits  1820  in  einem  Briefe  an  die  Huber,  der  sie 
übrigens  18 18  auch  Hormayr  als  Korrespondenten  fürs  „Morgen- 
blatt" empfohlen  hatte  (K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  III,  S.  282,  293), 
richtig  charakterisierte  (Glossy,  ebd.  III,  S.  296).  Pichler  las 
Hormayrs  Schriften  fleißig  und  verwertete  einiges  daraus  auch  in 
den  „Denkwürdigkeiten"  (I,  S.  186,  378);  in  ihrer  Bibliothek 
befand  sich  eine  größere  Anzahl  seiner  Werke  (vgl.  das  Verzeichnis 
ihrer  Bücher  im  Verlassenschaftsakt  unter  Nr.  68  [Plutarch],  71 
[Taschenbuch,  2  Bde.,  1836,  37],  73  [Geschichte  Wiens]). —  Über 
Hormayr  vgl.  man  Wurzbach,  IX,  S.  277 ff.;  K.  Th.  Heigel  in: 
Allgemeine  Deutsche  Biographie,  XIII,  S.  131  ff.;  besonders  aber 
die  feine  Darstellung  von  K.  Glossy  im  Grillp.  Jb.  XII,  S.  212  ff. 
und  L.  A.  Frankl,  Erinnerungen,  Prag  1910,  S.  94ff. 

*"')  Die  Pichler  meint  die  k.  k.  Hofkommission  für  die  Armen- 
anstalten, die  Kaiser  Franz  1801  einsetzte.  Diese  hatte  eingehende 
Erhebungen  über  die  Armut  unter  der  Bevölkerung  zu  machen  und 
schuf  zu  diesem  Zwecke  die  Armenväter  für  einzelne  Rayons.  Den 
Sitzungen  wurde  über  Auftrag  des  Kaisers  der,  damals  in  Wien 
weilende  dänische  Etatsrat  Voght,  der  im  Armenwesen  gründ- 
liche Kenntnisse  hatte,  beigezogen  (Megerle  von  Mühlfeld,  Memo- 
rabiüen,  II,  S.  6 ff.;  Karl  Weiß,  Geschichte  der  öffentlichen  An- 
stalten, Fonde  und  Stiftungen  für  die  Armenversorgung  in  Wien. 
Wien  1867.  S.  202f.,  2i9ff.;  Hermann  Meynert,  Kaiser  Franz  I. 
Wien  1872.    S.  378  ff.).  • 


*«•)  Josef  Fürst  von  Schwarzenberg  (1769 — 1833)  war  seit  1804 
Präsident  der  Hofkommission  zur  Regulierung  der  Wohltätigkeits- 
anstalten und  blieb  dies  bis  i8i6  (Megerle,  Memorabilien,  II. 
S.  142;  Wurzbach,  XXXIII,  S.  86  ff.). 

409)  In  der  Zeit  vom  25.  Jänner  bis  14.  Februar  1802  wurde  in 
der  Stadt  in  der  Wipplingerstraße  eine  Probeanstalt  zum  Verkauf 
der  Rumfordischen  Suppe,  das  Seidel  zu  i  Kreuzer,  errichtet.  Täg- 
lich wurden  ca.  462  Portionen  verkauft  (Anton  Edler  von  Geusau, 
Geschichte  der  Haupt-  und  Residenzstadt  Wien.  V,  [Wien  1807], 
S.  272).  Trotzdem  wurde  sie  nicht  beliebt  (vgl.  Jul.  Wilh.  Fischer, 
Reisen  durch  Österreich,  I,  S.  142).  Ein  Rezept  dieser  Suppe 
bietet  Franz  Gräffer  (Wiener-Dosenstücke,  I,  [Wien  1852],  S.  230). 
Einen  ironischen  Artikel  über  „die  Notsuppe"  verfaßte  1804 
Friedrich  Weisser  (Sämmtliche  prosaische  Werke,  I,  [Wien  18 18], 
S.  208  ff.). 

^^i*)  Josef  Ritter  von  Perger  war  damals  Hofkonzipist  und  Aktuar 
bei  der  Wohltätigkeitskommission  5  er  kam  1804  als  überzähliger 
Hofsekretär  zur  vereinigten  Hofkanzlei  (Megerle  von  Mühlfeld, 
Memorabilien,  II,  S.  132).  1807  wurde  er  wirklicher  Hofsekretär, 
18 12  erhielt  er  den  Titel  und  Charakter  eines  Regierungsrates,  18 17 
wurde  er  wirklicher  Regierungsrat  und  1830  pensioniert,  nachdem 
er  seit  1789  im  Staatsdienste  stand  (Beiträge  zur  Geschichte  der 
niederösterreichischen  Statthalterei,  S.  475).  Er  starb  am  28.  Juni 
1838,  70  Jahre  alt,  an  der  Lungenlähmung  in  Wien  (Totenproto- 
koll der  Stadt  Wien.  1838.  Buchstabe  B,  P,  Fol.  27  b;  unten  II, 
S.  373).  Er  war  auch  in  späteren  Jahren,  als  Pichlers  Amtskollege, 
viel  mit  Pichlers  beisammen,  so  in  Baden  (unten  II,  S.  360,  362, 
366,  367),  und  nahm  sich  nach  Pichlers  Tod  der  Karoline  an  (II, 

S-  373.  375)- 

*^^)  Kaspar  Freiherr  von  Voght  (1752 — 1839),  deutscher  Land- 
wirt und  dänischer  Etatsrat,  der  sich  im  Gebiete  des  Armenwesens 
große  Verdienste  erwarb.  1802  war  er  in  Wien,  wurde  den  Sitzungen 
der  Hofkommission  über  Wunsch  des  Kaisers  beigezogen  und  zum 
Reichsfreiherrn  gemacht.  Sein  Bericht  wurde  gedruckt  (W.  Sillem  in : 
Allgemeine  Deutsche  Biographie,  XL,  S.  161  ff.;  Meynert,  S.  379). 

*^^)  Dieses  Gedicht  ist  ungedruckt.  Vollständig  nicht  mehr  er- 
halten. 

*")  Idyllen.  Wien  1803.  S.  145  ff.,  Nr.  X=  Sämmtliche  Werke, 
*XV,  S.  129  ff.  — 1802  gedichtet  und  sichtlich  von  Voß  beeinflußt, 
schildert  diese  Idylle,  wie  ein  Freiherr  und  Gutsbesitzer  den  not- 
leidenden Bewohnern  seines  Dorfes  durch  seine  Gattin  die  Rum- 
fordsche  Suppe  bereiten  läßt  und  diese  sie  mit  Dank  verzehren. 

*^*)  Stephan  Edler  von  Wohlleben  (1751 — 1823),  seit  1771  im 
Dienste  der  Gemeinde  Wien,  1784  Magistratsrat,  1801  Stadtober- 

543 


kämmerer  und  1804  Bürgermeister  von  Wien.  Er  leitete  die  Ge- 
meinde in  schweren  Zeiten  und  verstand  es,  mit  Geschick  und 
Tatkraft  die  Franzoseninvasionen  für  Wien  so  glimpflich  als  mög- 
lich zu  gestalten.  Das  alte  Wien  verdankte  ihm  viel  (Wurzbach, 
LVII,  S.  245ff.). 

*^**)  Benjamin  Thompson  Graf  von  Rumford  (1753 — 18 14), 
ein  Amerikaner,  der  nach  wunderlichen  Geschicken  1776  in  den 
englischen  Staatsdienst  trat,  dem  er  bis  1782  angehörte.  1784  kam 
er  als  englischer  Oberst  in  bayrische  Dienste,  reformierte  das  bay- 
rische Militär,  wurde  1788  Generalmajor  und  widmete  sich  nun 
der  Ordnung  des  Bettelwesens  durch  Erbauung  eines  zweckmäßig 
eingerichteten  Arbeitshauses  (1790).  Für  seine  Verdienste  1792 
zum  Reichsgrafen  ernannt,  beschäftigte  er  sich  in  der  Folge  mit 
der  Ausgabe  seiner  kleinen  Schriften  und  mit  Versuchen  über  die 
Herstellung  billiger  Nahrungsmittel.  Seit  1803  lebte  er  in  Paris 
und  stellte  seine  allgemeine  Wärmetheorie  auf.  In  München,  das 
zwei  Denkmäler  von  ihm  enthält,  hatte  er  den  Englischen  Garten 
errichtet.  Vgl.  Bauernfeind  in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie, 
XXIX,  S.  643  ff. 

*i5)  „Die  Briefe  eines  Verstorbenen"  erschienen  1831 — 1832  in 
Stuttgart  und  haben  den  Fürsten  Ludwig  Heinrich  Hermann 
Pückler-Muskau  zum  Verfasser  (s.  Holzmann-Bohatta,  Anonymen- 
Lexikon,  I,  S.  265,  Nr.  7696).  Die  Stelle,  auf  welche  die  Pichler 
anspielt,  steht  I  ^  (Stuttgart  1836),  S.  4,  wenn  auch  nicht  in  der, 
von  der  Pichler  zitierten  Form;  Pückler-Muskau  spricht  von  3 — ^4 
Mahlzeiten,  die  nunmehr  in  Birmingham  auf  2  reduziert  sind, 
so  daß  man  bereits  von  einer  Hungersnot  (!)  unter  den  Arbeitern 
spreche. 

^*)  Es  war  dies  die,  von  Kaiser  Franz  1801  eingesetzte  k.  k. 
Wohlfeilheits-Hofkommission,  der  Anton  Friedrich  Graf  von  Mitt- 
rowsky  als  Hofrat  vorstand.  Sie  hatte  die  niederösterreichischen 
Angelegenheiten  zu  besorgen,  mußte  aber  von  allen  übrigen  Kron- 
ländern Berichte  abverlangen,  um  stets  am  laufenden  zu  sein. 
1802  wurde  diese  Kommission  aufgelöst.  Ihre  Geschäfte  gingen 
an  die  ordentlichen  Behörden  über  (Megerle  von  Mühlfeld,  Memo- 
rabilien,  II,  S.  9).  In  Niederösterreich  wurden  sie  der  nieder- 
österreichischen  Regierung  übertragen,  und  Pichler  zum  Referenten 
bestellt,  der  sich  sehr  bemühte,  halbwegs  erträgliche  Zustände  zu 
schaffen.  Eine  interessante  Unterredung  mit  Pichler  über  diesen 
Gegenstand  bietet  aus  dem  Jahre  1805  Karl  Friedrich  Freiherr  Kü- 
beck von  Kübau  (Tagebücher,  I,  [Wien  1909],  S.  142  ff.),  der  aber 
selbst,  und  nicht  mit  Unrecht,  von  der  ganzen  Sache  nicht  viel  hielt. 
*!')  Anton  Friedrich  Graf  Mittrowsky  vonNemyssl  (1770 — 1841), 
seit  1791  im  Staatsdienst  stehend,  war  1799  Stadthauptmann  von 

544 


Wien,  1801  Hofrat  bei  der  Polizeioberbehörde  und  August  1802 
Geheimer  Rat  und  Vizepräsident  der  niederösterreichischen  Landes- 
regierung geworden,  welche  Stelle  er  bis  1804  inne  hatte.  Später 
war  er  Landesgouverneur  in'  Mähren,  Hofkanzler  und  oberster 
Kanzler  (Beiträge  zur  Geschichte  der  niederösterreichischen  Statt- 
halterei.    S.473;  Wurzbach,  XVHI,  S.  384ff.). 

418)  Josef  Freiherr  von  Lederer,  Pichlers  Beistand  (oben  Anm. 
336)}  war  1802  von  der  Kreishauptmannschaft  Korneuburg,  der 
er  vorstand,  als  Stadthauptmann  und  Regierungsrat  nach  Wien 
gekommen  (Beiträge  zur  Geschichte  der  niederösterreichischen 
Statthalterei,  S.  473).  Vgl.  über  ihn  noch  einen  Nekrolog  in :  Vater- 
ländische Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat,  1812,  S.  235f. 

*19)  Am  16.  Oktober  1802  (s.  oben  Anm,  308). 

*2")  Franz  Xaver  von  Greiner  war  nach  Absolvierung  seiner  juri- 
dischen Studien  1796  Hofkonzipist  im  Amt  seines  Vaters  (k.  k. 
Direktorium,  später  vereinigte  Hofkanzlei)  geworden  (Hof-  und 
Staatsschematismus,  1797,  S.  6)  und  bekleidete  diese  Stelle  bis  zu 
seinem  frühen  Tod  (ebd.  1803,  S.  21). 

*2i)  Theresia  Schwab,  geb.  1782  in  Wien,  war  die  Tochter  des 
Großhändlers  Philipp  Schwab  (1748 — 1802),  eines  Bruders  des 
geadelten,  mit  der  Greinerschen  Verwandten  Katharina  v.  Häring 
(Anm.  161)  verehelichten  Ignaz  v.  Schwab  (vgl.  Genealogisches 
Taschenbuch  der  adeligen  Häuser,  X,  [Brunn  1885],  S.  479).  There- 
sia heiratete  im  März  1802  —  der  Heiratskontrakt  im  Verlassen- 
schaftsakt des  Mannes  ist  vom  13.  März  ausgestellt  —  Friedrich 
Jakob  van  der  Null,  der  öffentlicher  Gesellschafter  des  Großhand- 
lungshauses Ignaz  von  Schwab  war  (vgl.  Vollständiges  Auskunfts- 
buch oder  einzig  richtiger  Wegweiser  in  der  k.  k.  Haupt-  und 
Residenzstadt  Wien  auf  das  Jahr  1804.  Wien  [1803],  S.  24).  Wir 
finden  ihn  1785  unter  den  Subskribenten  der  Ratschkyschen  „Ge- 
dichte" (Wien  1785,  S.  218),  1786  und  1787  unter  denen  von  Werken 
des  Karl  Julius  Fridrich  (Situationen.  Wien  1786,  S.  255;  Lieder 
der  Liebe  und  der  Freude.  Wien  1787,  Bl.  6  b)  und  1800  unter 
denen  der  „Gedichte"  (Wien  1800,  S.  XIV)  der  Gabriele  von 
Baumberg.  Seine  Frau  führte  ein  großes  Haus,  und  Karoline  Pichler, 
welche  die  Freundschaft  mit  ihr  aufrecht  erhielt,  lernte  bei  ihr 
1805  Cherubini  und  Crescentini  kennen  (oben  S.  281).  Sie  wohnte 
im  eigenen  Hause  (Michaelsplatz  Nr.  253),  wo  sich  auch  die  be- 
rühmte, 1801  begonnene  und  1804  von  Friedriche  Mohs  beschriebene 
Mineraliensammlung  des  Friedrich  van  der  Null  befand  (vgl.  Franz 
Heinrich  Böckh,  Wiens  lebende  Schriftsteller,  Künstler  und  Dilet- 
tanten im  Kunstfache.  Wien  1822.  S.  I36ff.),  während  die  be- 
trächtliche Conchyliensammlung  bereits  1802  an  das  Stift  St. 
Florian  verkauft  worden  war  (Engelberte  Mühlbacher,  Die  litera- 

35  c.  P.  I  --  f'  545 


rischen  Leistungen  des  Stiftes  St.  Florian  bis  zur  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts. Innsbruck  1905.  S.  108).  Außerdem  besaß  van  der  Null 
noch  wertvolle  Pretiosen-,  Bilder-  und  Büchersammlungen  (vgl. 
seinen  Verlassenschaftsakt  mit  den  gedruckten  Katalogen  darüber). 
1 807  kaufte  er  von  der  Großmutter  seiner  Frau,  Klara  Schwab,  das 
Schloß  in  Weinhaus,  ließ  die  noch  heute  bestehende  Schloßkapelle, 
früher  Pfarrkirche,  vergrößern  und  durch  ein  prächtiges  Altarblatt, 
durch  eine  Orgel  und  größere  Glocken  verschönern  (Kirchliche 
Topographie  der  Wiener  Erz-Diözese,  I,  i,  [Wien  18 19],  S.  251). 
1825  wurde  das  Schloß  wieder  verkauft  (Franz  K.  Leitgeb,  Mono- 
graphie von  Weinhaus.  Weinhaus  1890.  S.  13),  nachdem  Jakob 
Friedrich  van  der  Null  am  3.  Mai  1823,  73  Jahre  alt,  durch  einen 
zufälligen  Sturz  aus  dem  Fenster  seiner  Stadtwohnung  (Dreilaufer- 
haus)  den  Tod  gefunden  hatte  (Totenprotokoll  der  Stadt  Wien, 
1823,  Buchst.  N.,  Fol.  9a).  Von  seiner  Frau,  die  damals  Stadt 
Nr.  793  wohnte,  war  er  seit  18 15  geschieden,  trotzdem  testierte 
er  ihr  25  000  fl.  und  eine  jährliche  Pension  von  1000  fl.  C.  M. 
wegen  ihrer  bewiesenen  unzweideutigen  Anhänglichkeit  und  vor- 
trefflichen Erziehung  der  Kinder  Jakob  Friedrich  (1823  dreizehn 
Jahre  alt;  t  am  16.  Oktober  1854  in  Wien  als  Generalmajor  und 
Brigadier  beim  i.  Infanterie- Armee-Korps :  Militär- Schematismus 
des  österr.  Kaiserthumes,  1855,  S.  1033;  Wurzbach,  XX,  S.  426), 
Marie  (12  Jahre)  und  Eduard  (1812 — 1868,  Architekt  und  Erbauer 
der  Wiener  Oper:  Wurzbach,  XX,  S.  422 ff.),  welche  Universal- 
erben seines  über  63  000  fl.  C.  M.  betragenden  Vermögens  wurden 
(Verlassenschaftsakten  im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes, 
Fasz.  II,  Nr.  804  ex  1823).  Da  der  jüngste  Sohn  Eduard  ein  natür- 
liches Kind  des  F.  Z.  M.  Franz  Ludwig  Freiherrn  von  Weiden 
(1782 — 1853:  Wurzbach,  LIV,  S.  2i4ff.)  war,  so  dürfte  dies  wohl 
auch  bei  den  zwei  andern  Kindern  der  Fall  und  dies  der  Grund 
gewesen  sein,  daß  die  Ehe  getrennt  wurde.  Theresia  van  der  Null 
lebte  im  Jänner  1836  noch. 

*22)  Leopold  Freiherr  von  Richler  (1754 — 1830)  zeichnete  sich  bei 
Giurgewo  im  Juni  1793  derart  aus,  daß  er  im  Dezember  das  Ritter- 
kreuz des  Maria-Theresienordens  erhielt.  Im  Juni  1801  ging  er 
als  Major  in  Pension,  wurde  aber  trotzdem  in  Kriegszeiten  wieder 
verwendet.  So  ist  er  1805  Major  im  5.  Infanterieregiment,  1809 
Kommandant  des  ersten  Landwehrbatallions  des  Viertels  unterm 
Wienerwald  (vgl.  oben  S.  276f.,  337)  und  wird  nach  der  Schlacht 
bei  Aspern  Oberstleutnant.  18 13  befehligte  er  das  i.  Landwehr- 
bataillon der  Deutschmeister  und  wurde  im  März  18 14  Oberst. 
Vgl.  Wurzbach,  XXVI,  S.  26.  —  Er  war  mit  Josefa,  geborenen 
de  Porta,  seit  dem  30.  Jänner  1795  verheiratet,  wie  aus  seinem 
Testament  hervorgeht  (Verlassenschaftsakten  im  Archiv  des  Wiener 

546 


Landesgerichtes:  Militärgericht,  Fasz.  III,  Nr.  z  ex  1831).  Er  starb 
am  22.  Dezember  1830  im  Roten  Haus  Alservorstadt  Nr.  197  ohne 
Kinder  zu  hinterlassen  (ebenda)  und  wurde  am  Währinger  Ali- 
gemeinen Friedhof,  wo  heute  noch  sein  Leichenstein  an  der  rechten 
Mauer  zu  sehen  ist,  beigesetzt  (Hampeis,  Chronologische  Epigra- 
phik,  S.  118,  Nr.  1188),  vor  einigen  Jahren  aber  in  ein,  ihm  von  der 
Gemeinde  Wien  gewidmetes  Ehrengrab  auf  den  Zentralfriedhof 
(Gruppe  14  A,  Nr.  34)  überführt.  Seine  Frau  folgte  ihm  am  i.  Mai 
1836,  67  Jahre  alt,  in  den  Tod,  ihre  Schwester  Katharina  zur  Erbin 
ihres  33i4fl.  27  kr  betragenden  Vermögens  einsetzend  (Verlassen- 
schaftsakten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes:  Militärgericht, 
Fasz.  III,  Nr.  123/4  ex  1836).  Karoline  Pichler  ging  der  Tod  ihrer 
langjährigen  Freundin,  welche  sie  1802  kennen  gelernt  (I,  S.  248  f.), 
die  in  schweren  Zeiten  (1805,  1809)  beruhigend  auf  sie  gewirkt 
hatte  (I,  S.  276,  337),  die  zu  den  Intimen  des  Hauses  gehörte 
(II,  S.  1 14),  mit  der  sie  Predigten  des  Zacharias  Werner  zusammen 
besuchte  (II,  S,  59f.),  am  Praterfest  18 14  teilnahm  (II,  S.  3off.) 
und  in  deren  Haus  sie  manche  neue  Bekanntschaft  machte  (I,  S.  249), 
sehr  zu  Herzen,  da  sie  fast  täglich  beisammen  waren  (II,  S.  321, 
327),  wenn  auch  in  geistiger  Hinsicht  manche  Differenzen  bestan- 
den, da  Frau  von  Richler  alles  im  Lafontaineschen  Sinn  faßte  (II, 
S.32if.) 

Die  Schwestern  der  Frau  Richler  hießen  Nanette  (vgl.  unten 
Anm.  644)  und  Katharina.  Letzterer  widmete  Karl  Streckfuß  1806 
ein  Gedicht  (Gedichte.  Neueste  Auflage.  Wien  18 17.  S.  7of. : 
Der  edlen  Freundinn  Katharina  Porta  in  Wien  zum  Namenstage; 
vorher:  Minerva,  III,  [Leipzig  18 11],  S.  61).  Schneller  sagte  18 17 
von  ihr:  „Katy  Porta  hat  eine  Tiefe  des  Gemüts  und  einen  auf- 
opfernden Sinn,  wie  man  ihn  nur  selten  trifft"  (Briefwechsel  zwi- 
schen Julius  Schneller  und  seinem  Pflegsohne  Prokesch.  Hg.  von 
Ernst  Münch.  Leipzig  1834,  S.  13).  Schneller  selbst  stand  mit 
Katharina  Porta,  die  viel  kränkelte  Qul.  Schneller,  Hinterlassene 
Werke.  Hg.  von  E.  Münch.  I,  [Leipzig  1834],  S.  274,  275,  277, 
278,  284)  und  im  vertrauten  Kreise  Caton  genannt  wurde,  in  Brief- 
wechsel (ein  Brief  von  ihr  ebd.  I,  S.  283).  Auch  sie  war,  wie  ihre 
Schwester  Josefa,  vom  Lafontaineschen  Geist  durchdrungen  (II, 
S.  321  f.).  Sie  starb,  73  Jahre  alt,  am  18.  Dezember  1844,  unver- 
heiratet, an  Entkräftung  im  Hause  Aisergrund  Nr.  102,  wo  sie  bei 
der  Medizinerswitwe  Anna  Pohl  (Anm.  732)  wohnte,  deren  Kinder 
(Mathilde,  Emilie,  Eduard)  sie  mit  Legaten  bedachte  (Toten- 
protokoll  der  Stadt  Wien,  1844,  Buchst.  P.,  Fol.  33b;  Verlassen- 
schaftsakten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II, 
Nr.  42^5  ex  1844).  Beigesetzt  wurde  sie  am  Währinger  allgemeinen 
Friedhof  (Grab  Nr.  369).  —  Allen  drei  Schwestern  ist  das  Pichler- 


35* 


547 


-ym 


sehe  Gleichnis  „Das  Geranium  triste"  (Österreichisches  Taschen- 
buch für  das  Jahr  1806.  Wien.  S.  igöff.  =  S.  W.  *  XVIII,  S.  42 ff.) 
zugeeignet. 

*28)  Johann  Karl  Unger  (geb.  1 771),  ein  Zipser,  ursprünglich 
Piarist,  dann  Jurist,  wurde  er  1796  Lehrer  am  Theresianum,  dann 
Erzieher  beim  Baron  Ignaz  von  Forgäcs  und  schließlich  18 10  Wirt- 
schaftsrat beim  Freiherrn  von  Hackelberg-Landau.  1836  war  er 
noch  am  Leben.  Er  trat  als  Dichter  und  populärer  Schriftsteller 
hervor  (Wurzbach,  XLIX,  S.  6iff.). 

*2*)  Karoline  Ungher-Sabatier  (1803 — 1877),  eine  gefeierte  Sän- 
gerin, trat  zuerst  18 19  am  Kärtnertortheater  in  Wien  auf,  1825 
bis  1837  unternahm  sie  Künstlerreisen  nach  Italien  und  Paris, 
überall  Triumphe  feiernd.  Sie  war  kurze  Zeit  Lenaus  Braut.  Später 
wirkte  sie  in  Wien  und  Dresden,  trat  aber  nach  ihrer  Vermählung 
1843  ins  Privatleben  zurück  (vgl.  Wurzbach  XLIX,  S.  66ff. ; 
L.  Eisenberg,  S.  1059;  Wallaschek  in:  Die  Theater  Wiens,  IV, 
S.  98  mit  Bild). 

425)  Leonhard  Graf  von  Rothkirch  und  Panthen  (1773 — 1842), 
k.  k.  Feldmarschalleutnant  und  Ritter  des  Maria-Theresienordens, 
trat  1791  in  den  Militärdienst  ein.  Seine  hervorragenden  Fähig- 
keiten machten  auf  ihn  aufmerksam  und  er  avancierte  rasch.  1807 
Major,  1809  Oberstleutnant,  18 13  Oberst.  Bei  Leipzig  gab  er 
solche  Proben  seines  Mutes,  daß  er  Maria-Theresienordensritter 
wurde.  18 15  Generalstabschef  des  Erzherzogs  Johann,  dann  Refe- 
rent der  Grundsteuer-Regulierungskommission,  1821  General- 
major und  Brigadier  in  Kärnten,  183 1  wieder  in  den  Generalstab 
berufen,  dessen  Chef  er  wurde.  August  1840  ging  er  als  kommandie- 
render General  nach  Graz.  1826  war  er  Graf  geworden.  Er  war 
ein  hervorragender  Militär  und  Mitbegründer  der  österreichischen 
militärischen  Zeitschrift.  Vgl.  Wurzbach,  XXVII,  S.  108 ff.;  Goe- 
deke,  VII,  S.  123.  —  Mit  KaroUne  Pichler  verband  ihn  und  seine 
Familie  während  seines  ersten  Wiener  Aufenthaltes  innige  Freund- 
schaft (vgl.  oben  S.  262,  335;  II,  S.  91,  123);  sie  war  Taufpatin 
einer  Tochter  (II,  S.  163).  Später  brachten  die  Verhältnisse  eine 
Entfremdung  mit  sich  (II,  S.  162  f.).  1805  widmete  Rothkirch  der 
Pichler  folgende  Zeilen  (Gedichte.  Wien  1848.  S.  147!:  An 
Caroline  Pichler.  Als  sie  mir  mit  einem  schönen  Gedicht  ihren 
Eduard  sandte): 

Du  Priesterin  der  himmlischen  Kamönen, 

Die  hochbegabt  das  Seltenste  vereint, 

Die,  wenn  ihr  Haupt  gleich  Pindus'  Lorbeern  krönen, 

Am  eignen  Herd  ein  stilles  Weib  erscheint. 

Die  froh  ergreift  des  Lebens  bunte  Szenen 

Und  voll  Gefühl  beim  Schmerz  der  Lieben  weint. 


Wenn  Deines  Geistes  Züge  mich  umschweben, 
Laß  auch  mein  Bild  in  Deinem  Herzen  leben. 
Im  gleichen  Jahre  (1805)  wechselten  Pichler  und  Rothkirch,  wäh- 
rend er  durch  den  Feldzug  von  Wien  entfernt  war,  häufig  Briefe 
(vgl.  oben  S.  3355  Pichlers  Briefe  an  Schneller  in  dessen:  Hinter- 
lassene  Werke,  I,  [Leipzig  1834],  S.  262,  266).  Das  von  Rothkirch 
erwähnte  Gedicht  der  Pichler  ist  nicht  erhalten,  dafür  aber  ein 
zweites,  das  sie  dem  Obersten  (also  18 13)  „bei  Übersendung  einer 
Brille,  von  der  gleichen  Nummer  wie  die  meinige"  zu  seinem 
Geburtstage  zudachte  (An  den  k.  k.  Obersten,  Freyherrn  von  Roth- 
kirch, S.  W.  2  XVI,  S.  92). 

428)  Franz  Xaver  Baron  Engelhardt  (1765 — 1809),  k.k.  Kämmerer, 
Oberst  und  Kommandant  des  Infanterieregiments  Nr.  4  Hoch-  und 
Deutschmeister,  diente  seit  1782  beim  Militär.  Zuerst  war  er  bei  der 
Lindenau  Infanterie  (Nr.  29),  dann  bei  den  Czeschwitz-Kürassieren, 
und  seit  i,  November  1801  bei  Hoch-  und  Deutschmeister,  zuerst 
als  Obristleutnant  und  seit  2.  August  1805  als  Oberst.  Er  nahm  an 
vielen  Kämpfen,  so  im  Durchlaß  bei  Lunz  (8.  Nov.  1805),  teil  und 
wurde  am  3.  Mai  1809  bei  Ebelsberg  verwundet.   Nach  Wien  ge- 
bracht, starb  er  am  Wundfieber  am  8.  Mai  1809  im  Greinerschen 
Haus  Alservorstadt  Nr.  90  (oben  S.  345  f.)   und  wurde  am  Wäh- 
ringer  allgemeinen  Friedhof  begraben  (Verlassenschaftsakten  im 
Archiv    des    Wiener    Landesgerichtes:    Militärgericht,    Fasz.  III, 
Nr.  235/3  ex  18 10;  Gustav  Ritter  Amon  von  Treuenfest,  Geschichte 
des  k.  k.  Infanterieregiments  Hoch-  und  Deutschmeister  Nr.  4. 
Wien  1879.  S.  377,  382,  389, 410,  416;  Rudolf  von  Hödl,  Geschichte 
des  k.  imd  k.  Infanterieregiments  Nr.  29.    Temesvär  1906.   S.  594; 
Hampeis,  Chronologische  Epigraphik,  S.  57,  Nr.  29).  —  Er  war 
mit  Anna  Maria,  geb.  Freifrau  von  Bretton  verheiratet  und  hinter- 
ließ einen  Sohn  Alexander  (vgl.  II,  Anm.  102).    Diese  Frau,  mit 
trefflichen  Eigenschaften  begabt  (oben  S.  249,  340,  345),  mußte 
während  dSf  Beschießung  Wiens  (Mai  1809)  Karoline  Pichler,  in 
deren  Haus  sie  wohnte,  aufrichten  (oben  S.  337,  340).    Sie  starb 
am  14.  März  1824  nach  längerer  Krankheit  auf  dem  Gute  Zlin 
ihres  Bruders  Klaudius  Freiherrn  von  Bretton  in  Mähren,  ein  Ver- 
mögen von  II  (»Tj  fl.  32/3  kr  C.  M.  hinterlassend;  sie  hatte  jähr- 
uch  500  fl.  Pension  und  wohnte  in  der  Alservorstadt  Nr.  109  (vgl. 
ihren  Verlassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes: 
Militärgericht,  Fasz.  III,  Nr.  227/287  ex  1824). 

*2')  Er  ist  mit  Thomas  Franz  Glosse t  idenüsch,  der  als 
Doktor  der  Philosophie  im  Jahre  1782  öffentlich  in  der  Universität 
Wien  seine  medizinische  Doktordissertation  verteidigte,  die  im 
selben  Jahre  als  „Dissertatio  inauguraUs  practico-medica  de  fontibus 
indicationum  in  m.orbis  chronicis"  (Viennae,  typis  Joannis  Josephi 

549 


Jahn.  8".  26  und  3  Selten  Theses)  erschien.  Obwohl  in  Wien 
graduiert,  gehörte  er  der  medizinischen  Fakultät  nicht  als  Mitglied 
an  (Hof-  und  Staats-Schematismus,  1807,  Anhang,  S.  52).  Er 
wohnte  Wipplingerstraße  391  (ebd.),  war  einst  Mozarts  Hausarzt 
und  behandelte  1809  Grillparzers  Vater  Wenzel  (K.  Glossy,  Grillp. 
Jb.  I,  S.  361). 

*28)  Ludwig  Freiherr  von  Türkheim  (1777 — 1846)  widmete  sich 
gleichzeitig  den  juridischen  und  medizinischen  Studien,  wurde  1800 
in  Wien  zum  Doktor  promoviert  und  entwickelte  nun  eine  ausge- 
dehnte medizinische  Praxis,  so  daß  er  zu  den  gesuchtesten  Ärzten 
gehörte.  Er  wurde  jedoch  bald  in  den  Staatsdienst  berufen,  wurde 
wirklicher  Hofrat  und  Sanitätsreferent  bei  der  k.  k.  vereinigten  Hof- 
kanzlei, Beisitzer  der  k.  k.  Studienhofkommission  und  Vizedirektor 
des  medizinisch-chirurgischen  Studiums,  als  welcher  er  eine  äußerst 
glückliche  Hand  in  der  Berufung  tüchtiger  Lehrkräfte  an  die 
Wiener  Universität,  deren  Rektor  er  zweimal  war  (1817  und  1829), 
zeigte.  Vgl.  Wurzbach,  XLVIII,  S.  88  f.  —  Von  1803  ab,  wo  er 
zum  erstenmal  konsultiert  wurde,  blieb  Türkheim  Hausarzt  und 
Freund  des  Hauses  Pichler,  der  alle  Familienmitglieder  in  verschie- 
denen Krankheiten  mit  Erfolg  behandelte  (vgl.  das  Register  unter 
Türkheim).  Aus  Anlaß  des  Todes  ihres  Bruders  (1804)  widmete 
ihm  Karoline  Pichler  ein  Sonett  („Bey  Überreichung  eines  Laven- 
delkissens": S.  W.  2  XVI,  S.  59;  vorher:  Morgenblatt,  Stuttgart 
1809,  S.  299:  An  meinen  Arzt  und  Freund  bey  Übersendung  eines 
Lavendelkissens),  worin  sie  die  Erinnerung  preist,  und  zu  seinem 
Geburtstage  18 12  ein  zweites  (An  den  Freyherrn  Ludwig  von 
Türkheim:  S.  W.  ^  XVI,  S.  97 ff.),  als  sie  ihm  ein  Schreibzeug  von 
Kristallglas  übermittelte,  dessen  einzelne  Teile  sie  symbolisch  er- 
läutert. 

*2«)  Eduard  Gibbon,  The  history  of  the  decline  and  fall  of  the 
roman  empire.  6  Bde.  London  1776 — 1781.  Eine  deutsche  Über- 
setzung von  F.  A.  W.  Wenck  erschien  in  19  Teilen  zu  Leipzig  1805 
und  1806. 

*30)  Gemeint  ist:  Jean  Bapt.  Bourguignon  d'Anville,  Geographie 
ancienne  abregee.  3  Bände.  Paris  1768,  ein  Werk,  das  zahlreiche 
Karten  enthält. 

^^)  Vgh  oben  S.  326  mit  Anm.  551. 

*32)  Das  Testament,  datiert  vom  19.  Jänner  1 804,  liegt  in  einer  Ab- 
schrift im  Pichlernachlaß  der  Wiener  Stadtbibliothek  als  I.-N.  758. 
Es  besagt  in  Kürze:  §  i  Will  ohne  Gepränge  zur  Erde  bestattet 
werden  und  bestimmt  30  Gulden  auf  Seelenmessen ;  §  2  Je  zehn 
Gulden  sollen  das  Armeninstitut,  das  allgemeine  Krankenhaus,  das 
Invalideninstitut,  die  Normalschule,  die  Barmherzigen  Brüder  und 
die  Elisabethinerinnen  bekommen;  §  3  vermacht  seiner  Mutter  sein 


und  seiner  Frau  Porträt;  §4  setzt  Schwester  zur  Universalerbin 
ein;  wenn  sie  kinderlos  sterbe,  möge  sie  seiner  Freunde,  falls  sie  in 
dürftigen  Umständen  sind,  gedenken;  §  5  dem  Schwager  Pichler 
gehören  die  Bücher,  Landkarten  und  jene  Schriften  aus  dem  Nach- 
laß des  Vaters,  die  Staatssachen,  Kanzlei-  und  Privatgeschäfte  be- 
treffen ;  §  6  der  erste  und  innigste  Freund  Gubernialrat  Karl  Graf 
von  Chorinsky,  sowie  seine  Frau  erhalten  des  Erblassers  und  seiner 
Frau  Uhr  „zur  Erinnerung  an  die  Tage,  wo  sie  uns  glücklicher  kann- 
ten" ;  §  7  Freund  Jakob  Barchetti,  derzeit  Kreiskommissär  in  Linz, 
bekommt  4000  Gulden,  die  dessen  Bruder  Lorenz  dem  Testator 
schuldet;  §  8  der  Freund  Karl  von  Kempelen,  k.  k.  Hofkonzipist, 
erhält  6000  Gulden;  §  9  Josef  von  Kurländer  bekommt  500  Gulden, 
Franz  und  Karl  je  1000  Gulden,  sowie  die  Leibkleidung  und  Wäsche ; 
§  10  bittet  den  Direktor  des  Taubstummeninstitutes  Josef  May  an 
seiner  Stelle  die  Vormundschaft  über  Karl  von  Kurländer  zu  über- 
nehmen, „da  er  diesen  jungen  braven  Menschen  genau  kennet  und 
zum  Thelle  selbst  erzogen  hat";  §§  11  und  12  verschiedene  kleinere 
Legate  an  Hausbedienstete  u.  a.  —  Die  Verlassenschaftsabhandlung 
(Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  53  ex  1804) 
weist  ein  hinter lassenes  Vermögen  von  23  819  fl.  47^/2  kr  aus; 
darunter  ist  auch  ein  Schuldschein  des  Schweizerseidenbandfabrl- 
kanten  Lorenz  Barchetti,  ausgestellt  am  I.Oktober  1801,  mit 
4000  fl,  inbegriffen. 

*^)  Der  Gedanke  wäre  Seneca  gemäß,  findet  sich  aber  in  dieser 
Form  nicht  bei  ihm.  Vielleicht  schwebte  Pichler  eine  andere 
Stelle  aus  Ep.  102  vor:  „Sie  [die  Todesstunde]  ist  nur  für  den 
Körper,  nicht  für  den  Geist  die  letzte"  (vgl.  Pichler,  S.  W.  ^ 
XVIII,  S.  254). 

*ä*)  Josef  Köderl  (1772 — 1810)  studierte  Philosophie  und  Jus 
an  der  Universität  Wien,  wurde  dann  Diurnist  beim  Bücherrevi- 
sionsamt, wo  er  es  1803  zum  zweiten  Bücherrevisor  brachte.  Er 
widmete  sich  der  Kritik  auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  und  Ästhe- 
tik, dichtete  Sonette  und  war  Bücherzensor  (ein  .Gutachten  von 
ihm  brachte  K.  Glossy,  GrlUp.  Jb.  IX,  S.  213  f.).  Als  Kritiker  war 
er  besonnen.  Vgl.  Wurzbach,  XII,  S.  208;  Go^eke,  VI,  S.  5761.: 
83.  —  Er  verkehrte  viel  im  Pichlerschen  Kreis'p  (oben  S.  258,  260, 
262),  wo  er  angesehen  war.  Die  Bekanntschaft  hatte  eine  Rezension 
des  „Olivier"  (vgl.  unten  Anm.  508)  1802  vermittelt  (Hormayr, 
Taschenbuch,  XXXIV,  S.  122).  Als  er  starb  Qänner  18 10),  war 
dort  die  Trauer  um  Ihn  aufrichtig,  vgl.  oben  S.  368 f.  und  den 
schönen,  warmen  Nachruf,  den  ihm  die  Pichler  widmete  (S.  W.  ^ 
XVII,  S.  79ff.;  unten  Anm.  619);  wenn  man  Schnellers  Worten  an 
Andre  Glaubjen  beimessen  darf  (Schneller,  Hinterlassene  Werke,  I, 
S.  340),  so  hätte  Hormayr  mittelbar  an  Köderls  Tod  die  Schuld. 


*'5)  Julius  Schneller  (1777 — 1832),  ein  Straßburger,  kam  in  jungen 
Jahren  nach  Wien,  um  hier  seine  Studien  zu  vollenden,  und  wurde 
dann  Hofmeister  beim  Grafen  von  Sinzendorf,  mit  dem  er  auf 
Reisen  ging.    Wieder  nach  Wien  zurückgekehrt,  wurde  er  1803, 
nicht  im  Frühjahr  1805,  wie  die  Pichler  (S.  265)  meint,  Professor 
der  Geschichte  am  Lyzeum  zu  Linz,  und  während  der  Ferialzeit 
(Sonuner)  führte  ihn  Köderl  1804  bei  der  Pichler  ein,  wo  er  sich 
bald  allgemeiner  Beliebtheit  erfreute  (oben  S.  258,  260;  vgl.  ihren 
Brief  an  Streckfuß  vom  21.  VIII.  1806:  K.  Glossy,  Wiener  Commu- 
nal-Kalender,  XXXII,  S.  400).    Mit  Streckfuß  bekannt,  brachte 
er  im  August  1804  diesen  dem  Pichlerkreis  zu  (S.  261).  Er  munterte 
die  Pichler  auf,  gleichzeitig  mit  Streckfuß  die  Idylle  Ruth  zu  be- 
handeln (S.  263).    1806  kam  er  als  Professor  der  Geschichte  nach 
Graz.    Er  war  ein  sehr  fruchtbarer  und  freimütiger  historischer 
Schriftsteller;  letzteres  verfeindete  ihn  mit  der  Zensur,  daher  er, 
trotz  wiederholter  Versuche,  an  denen  sich  nebst  anderen  auch 
Andreas  Pichler    beteiligte    (Schnellers    Hinterlassene  Werke,    I, 
[Leipzig  1834],  S.  273;  II,  S.  41),  eine  Versetzung  nach  Wien  nicht 
durchsetzte,  da  man  ihn  als  Josefiner  ausgeschrien  hatte.    Er  ging 
daher  1823  an  die  Universität  Freiburg  im  Breisgau  ab  (vgl.  Wurz- 
bach, XXXI,  S.  45 ff.;  Goedeke,  VII,  S.  517:   10;  E.  Münch  in 
Schnellers  H.  W.  I,  S.  i  ff.,  bes.  S.  4f.).    Sein  Stiefsohn  Prokesch- 
Osten,   den  Schneller  an  die  Pichler  empfahl  (H.  W.  I,  S.  271 
Qänner  1817]),  spielte  später  im  Pichlerkreis  eine  Rolle   (vgl.  II, 
Anm.  253).    Schneller  und  Karoline  Pichler  standen  lange  Jahre 
in   anregendem,   freundschaftUchem    Briefwechsel    (14    Briefe   in 
Schnellers  H.  W.  I,  S.  261  ff.).    Er  empfahl  ihr,  die  er  1817  eine 
treffliche  Schriftstellerin  und  Mutter  nannte  (H.  W.  II,  S.  13), 
der  er  Geschenke  machte  (H.  W.  II,  S.  21),  verschiedene  Leute 
brieflich  (H.  W.  I,  S.  266,  268,  269,  274,  282),  damit  sie  diese  in 
ihre  Abendzirkel  aufnehme,  und  konterfeite  die  treffliche  Gattin 
und  Mutter  mit  in  seinem  Sonettenzyklus  „Weiblichkeit"  (H.  W. 
III,  S.  i82ff.;  vgl.  I,  S.  269,  270),  der  seine  Frau  und  Tochter  zum 
Gegenstande  hatte.  Noch  1828  gedachte  er  ihrer,  wenn  auch  kurz, 
in  einem  seiner  Werke  (Österreichs  Einfluß  auf  Deutschland  und 
Europa,  I,  [Stuttgart  1828],  S.  409),  wo  er  ihre  Bearbeitung  des 
empfindsamen  Romans  würdevoll  nennt. 

*3«)  Heinrich  Josef  von  Collin  (1772 — 181 1),  ein  Wiener,  trat 
nach  Beendigung  des  Rechtsstudiums  als  Konzipist  bei  der  Finanz- 
hofstelle ein  und  brachte  es  bereits  1809  infolge  seiner  hervorragen- 
den Fähigkeiten  und  Talente,  zum  Hof  rate,  als  welcher  er  das 
Ritterkreuz  des  Leopoldordens  erhielt.  Frühzeitig  dichterisch  im 
Sinne  des  Klassizismus  tätig,  wurde  er  später,  durch  Hormayr  stark 
beeinflußt  (vgl.  oben  S.  307),  Vater  der  vaterländischen  Ballade. 


Am  populärsten  wurde  er  1809  durch  seine  begeisternden  Land- 
wehrlieder,  die  auch  auf  die  Pichler  tiefen  Eindruck  machten  (vgl. 
oben  S.  190,  331  mit  Anm.  560,  373,  514  und  II,  S.  297).    Sein 
„Regulus",  1802  erschienen,  hatte  ihn  zuerst  bekannt  gemacht  (pheii 
S.  259;  vgl.  Überblick  des  neuesten  Zustandes  der  Litteratur,  des 
Theaters  und  des  Geschmackes  in  Wien,  I,  [Wien  1802],  S.  47ff.  und 
Ferdinand  Laban,  Heinrich  Joseph  Collin.    Wien  1879,  S.  91  ff.). 
Bald  nach  Erscheinen  des  „Regulus"  wurde  er  bei  der  Pichler  ein- 
geführt (oben  S.  260),  und  es  dauerte  nicht  lange,  so  war  er  ständiger 
Gast,  da  ihm  Pichlers  Haus  sehr  gefiel  (oben  S.  168).    Hier  las  er 
seine  Dichtungen  vor  (oben  S.  408;  II,  S.  91),  beteiligte  sich  am 
Theaterspiel  (oben  S.  297  f.)  und  hielt  mit  Hormayr  Deklamationen 
ab  (oben  S.  261).   Er  führte  Zacharias  Werner  bei  der  Pichler  ein 
(oben  S.  303),  und  als  1808  die  Stael  in  Wien  war,  da  spielte  er  zwi-'"' 
sehen  ihr  und  der  Pichler  eine  Art  Vermittlerrolle  (oben  S.  3 15  f., 
320).    Sein  Umgang  wirkte  dichterisch  anregend  auf  die  Pichler 
(oben  S.  262);  besonders  beim  Drama  „Germanicus"  leuchteten 
ihr  seine  dramatischen  Schöpfungen  vor  (oben  S.  399),  und  vielleicht 
hat  sein  Rudolf  von  Habsburg  (II,  S.  9)  auch  ihre  gleichnamige 
Oper  in  etwas  beeinflußt.   Mit  einigen  Szenen  im  „Mäon"  konnte 
sie  sich,  die  sonst  so  gerne  die  Werke  ihres  Freundes  anerkannte 
(oben  S.  318),  aber  nicht  befreimden  (II,  S.  186  mit  Anm.  323). 
ColUn  widmete  Karoline  Pichler  ein  begeistertes  Gedicht  „An  Ca- 
rolina von  Pichler"  (Sämmtliche  Werke,  IV,  [Wien  1813],  S.  47ff.), 
das  Julius  Schneller  (Hinterlassene  Werke,  I,  S.  267)  betreffs  der 
Verse  gesucht  und  gezwungen  fand;  in  diesem  Gedichte  preist 
ColUn  (S.  57  f.)  ganz  besonders  den  „Agathokles",  den  er  „ein  ewiges 
Werk,  geschaffen  zur  Stärkung  aufstrebender  Seelen"  nennt,  an 
dem  er  „die  durchgängige  strenge  Haltung  und  die  Mannigfaltig- 
keit,   besonders    der    christlichen    Charaktere"    bewlmdert    (ebd. 
S.  363).   Dagegen  hatte  ihm  die  Pichler  bereits  1806  in  2  Sonetten 
(An  CoUin:  Urania  1812,  S.  157  =  S.  W.  *  XVI,  S.  57!)  anläßlich 
der  Übersendung  einer  weißen,  mit  Silber  verzierten  Porzellanschale 
zu  seinem  Geburtstage,  die  sie  allegorisch  auslegte,  die  Unsterblich- 
keit prophezeit.  Knapp  vor  seinem  Tode,  dem  er  eine  heitere  Seite 
abzugewinnen  wußte  (II,  S.  97),  war  er  noch  bei  der  Pichler  auf 
Besuch  (oben  S.  382 f.),  doch  bald  darnach  raffte  den  rastlos  tätigen 
Mann  ein  hitziges  Fieber  hinweg.   Seine  Totenfeier  gestaltete  sich 
erhebend  und  trug  auch  die  Pichler  ihr  Scherflein  dazu  bei  (vgl. 
unten  Anm.  645).    Sein  Verlust  ging  der  Pichler  sehr  nahe,  denn 
unersetzlich  war  er  für  ihren  Kreis  (oben  S.  383),  und  so  konnte  sie 
an  Streckfuß  schreiben  (10,  September  181 1:  K.  Glossy,  Wiener 
Communal-Kalender,  XXXII,  S.  410):  „Sie  haben  unseren  Collin 
gekannt,  nicht  bloß  als  Dichter,  sondern  als  Mensch,  als  Freund, 

553 


in  jeder  dieser  Rücksichten  ist  der  Verlust  unersetzlich."  —  über 
Collin  vgl.  man  die  eingehende  Monographie  von  Laban  (s.  oben); 
Wurzbach,  II,  S.  4i2ff.;  Goedeke,  VI,  S.  105 ff. 

*3')  Collin  war  damals  Hofkonzipist  bei  der  Hofkammer  (Hof- 
und  Staatsschematismus.    1804,  S.  38). 

«8)  Adolf  Friedrich  Karl  Streckfuß  (1778— 1844)  aus  Gera,  ein 
hervorragender  Vermittler  italienischer  Literatur,  wurde  nach 
Vollendung  seiner  Studien  1803  Hofmeister  In  Trlest,  kam  1803 
In  gleicher  Eigenschaft  nach  Wien,  gab  den  Posten  auf,  wurde  Haus- 
genosse der  Pichler  (oben  S.  265),  verUebte  sich  in  Frau  von  Kem- 
pelen  und  verließ  ihretwegen  1806  Wien  (oben  S.  283,  285f.,  297, 
336).  Er  ging  nach  Zeitz,  wo  er  1807  Sekretär  der  Stiftsregierung 
wurde.  18 11  kam  er  als  geheimer  Regierungssekretär  zum  geheimen 
Kabinett  In  Dresden,  vertauschte  18 15  den  sächsischen  mit  dem 
preußischen  Staatsdienst,  rückte  18 16  zum  Geheimen  Finanzrat  und 
später  zum  ersten  Reglerungsrat  In  Merseburg  vor;  18 19  kam  er 
nach  Berlin,  wo  er  1820  vortragender  Rat  Im  Ministerium  des 
Innern,  1823  Geh.  Oberregierungsrat  und  1840  Mitglied  des  Staats- 
rates wurde.    1843  g^^S  ^^  ^^  Pension.  Vgl.  Goedeke,  VII,  S.  792 ff. 

Im  Pichlerschen  Kreise  war  Streckfuß  sehr  beliebt;  er  sang  dort 
mit  angenehmer  Stimme  (oben  S.  283)  und  trug  seine  neuesten 
Gedichte  vor  (II,  S.  91 ;  oben  S.  262),  welche  die  Pichler  dann  später 
in  Abschriften  mit  der  Buchausgabe  zur  Erinnerung  an  Ihn  in 
einen  Schuber  steckte,  damit  „Ihr  Geist,  Ihre  Melodien  uns  auf 
unseren  Spaziergängen  begleiten  und  wir  wollen  still  und  wehmütig 
des  schönen  Abends  [vgl.  oben  S.  262]  gedenken,  an  dem  Sie  sie 
uns  zuerst  unter  den  Lindenbäumen  deklamierten"  (Brief  an 
Streckfuß  vom  21.  April  1806:  K.  Glossy,  Wiener  Communal- 
Kalender,  XXXII,  S.  395).  Im  edlen  Wettstreite  zwischen  Pichler 
und  Streckfuß  entstand  beider  „Ruth"  (vgl.  oben  S.  262  ff.  mit 
Anm.  441,  442  a  und  II,  S.  405  f.).  Letzterer  widmete  sie  Frau  von 
Greiner,  bei  der  er  sich  besonders  eingeschmeichelt  hatte  (vgl. 
Anm.  441  und  oben  S.  265).  Allen  drei  Karolinen  (Großmutter, 
Mutter,  Tochter)  eignete  er  1805  ein  Gedicht  „Der  Frau  v.  Greiner, 
ihrer  Tochter  und  Enkelinn  an  Ihrem  gemeinschaftlichen  Nahmens- 
tage" (Österreichisches  Taschenbuch  für  das  Jahr  1806.  Wien 
[1805],  S.  I07ff.)  zu,  das  ähnlich  wie  die  Widmung  der  Ruth  (Anm. 
441)  die  Freude  der  Großmutter  und  Mutter  bespricht  und  das 
bene  der  Tochter,  unter  solcher  Leitung  aufzuwachsen,  hervor- 
hebt. Als  er  am  11.  April  1806  Frau  von  Kempelens  wegen  Wien 
verheß  (vgl.  oben  S.  286),  da  fühlte  man  im  Pichlerschen  Kreise 
seine  Unersetzlichkeit  und  Karoline  Pichler  widmete  ihm,  ebenso 
wie  sein  Freund  Friedrich  Treitschke  (Der  Sammler,  II,  [Wien 
1810],   S.   237  =  Gedichte,   Wien    1817,   S.    57),   ein   Abschieds- 

554 


gedieht,  und  zwar  ihr  erstes  Sonett  (Urania,  Taschenbuch  für 
Damen  auf  das  Jahr  1815.  Leipzig  [18 14],  S.  158 :  Mein  erstes  Sonett, 
Zum  Abschied  an  einen  Freund.  Im  April  1806  =  S.  W.  *  XVI, 
S,  55 :  An  C,  S.  Zum  Abschiede  1806).  Die  Lücke,  die  sein  Scheiden 
in  ihrem  Kreise  riß,  veränlaßte  sie  bald  darnach  zu  einem  zweiten 
Gedichte  „Erinnerungen.  Im  May  1806"  (S.  W.  2  XVI,  S.  66 ff.), 
in  dem  sie  wieder  schmerzlich  seiner  und  jener  Zeit,  die  sie  ein 
Arkadien  nannte,  in  dem  sie  drin  gewesen  (Brief  an  Streckfuß  vom 
21.  August  1806:  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender,  XXXII, 
S.  400),  gedenkt.  Ein  wenn  nicht  reger,  so  um  so  herzlicher  Brief- 
wechsel entspann  sich  zwischen  Karoline  Pichler  und  Streckfuß  in 
der  Folgezeit;  davon  sind  Pichlers  Briefe  durch  K.  Glossy  (Wiener 
Communal-Kalender  und  Städtisches  Jahrbuch,  XXXII,  [Wien 
1894],  S.  393  ff.)  veröffentlicht  worden,  während  die  Briefe  von 
Streckfuß,  die  im  Besitze  des  Staatsarchivars  Dr.  Oskar  Freiherrn 
von  Mitis  in  Wien  sind  (H.  Freiherr  v.  Jaden,  Theodor  Körner  und 
seine  Braut.  Dresden  1896,  S.  VII,  Anm.),  noch  der  Veröffent- 
lichung harren.  1814  kam  Streckfuß  anläßlich  des  Kongresses 
wieder  nach  Wien  und  wurde  im  Pichlerkreise  herzlich  aufgenom- 
men (II,  S.  55  f.  mit  Anm.  iii).  181 1  hatte  er  ihr  A.  W.  Böttiger 
empfohlen,  wofür  sie  ihm  sehr  dankbar  war  (Brief  vom  10.  Septem- 
ber 181 1:  K.  Glossy,  a.  a.  O.  XXXII,  S.  410;  über  Böttigers  Be- 
such bei  der  Pichler  s.  H.  A.  Lier,  Grillp.  Jb.  XIII,  S.  129,  131, 
136  und  Hormayrs  Brief:  K.  Glossy,  ebd.  XII,  S.  250).;  Seine 
Danteübersetzung,  die  sie  ebenso  besaß  (Halle  1825;  Nr.  25z  ihres 
Bücherverzeichnisses  im  Nachlaß)  als  seine  „Gedichte"  (Wien  1804; 
Leipzig  181 1:  ebd.  Nr.  178,  179),  sein  „Torquato  Tassos  Leben" 
(Berlin  1840;  ebd.  Nr.  254)  und  die  „Ruth"  (Wien  1805;  ebd. 
Nr.  284),  gefiel  ihr  sehr  (Brief  vom  26.  Jänner  1828:  K.  Glossy, 
a.  a.  O.  XXXII,  S.  412).  Ein  wie  lieber  Freund  er  ihr  war,  zeigte 
sich  auch  noch  in  gelegentlichen  Äußerungen  späterer  Jahre  (vgl.  II, 
S.  296,  316).  Es  mag  als  nicht  uninteressant  angemerkt  werden, 
daß  sie  zur  Zeit  des  wütendsten  Sonettenkrieges,  in  'dem  Heinrich 
von  CoUin  1807  als  Verteidiger  des  Sonettes  auftrat  (vgl.  Heinrich 
Welti,  Geschichte  des  Sonettes  in  der  deutschen  Dichtung.  Leipzig 
1884,  S.  I97ff.,  bes.  S.  201  f.),  durch  Streckfuß  beeinflußt,  der  hier 
im  romantischen  Fahrwasser  segelte,  Sonette  schrieb,  obwohl  sie 
sonst  der  Romantik  und  deren  Kunstformen  nicht  hold  war. 

*^)  1804  entstanden,  erschienen  die  „Harmonien"  1805  (Streck- 
fuß-Treitschke,  Musenalmanach  für  das  Jahr  1805.  Wien.  S.  24ff. 
=  Gedichte  von  Carl  Streckfuß.  Neueste  Auflage.  Wien  18 17.  S. 
71  ff.).  Nach  seinem  Weggang  von  Wien  rezitierte  man  sie  im  Pich- 
lerkreis im  Mai  1806  im  Augarten  (Brief  an  Streckfuß  vom  16.  Mai 
1806:  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender,  XXXII,  S.  398). 

555 


**°)  Joh.  Jahn,  Biblische  Archäologie.  3  Teile  in  5  Bänden.  Wien 
1796 — 1805;  2.  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Wien  1807 
bis  1825.  —  War  im  Besitze  der  Pichler  (Nr.  137  des  Bibliotheks- 
Terzeichnisses  im  Nachlaß). 

**^)  Carl  Streckfuß,  Ruth.  Ein  Gedicht  in  vier  Gesängen,  Wien 
bey  Schaumburg  et  Compagnie.  1805.  (8".  133  S.).  Die  Ausgabe 
ist  der  Frau  Hofrätin  von  Greiner  gewidmet.  Streckfuß  sagt  in  der 
Vorrede  (S.  3 ff.):  »Ich  widme  Ihnen  dieses  Gedicht,  gnädige  Frau, 
nicht  um  Ihnen  dadurch  ein  Zeichen  meiner  Verehrung  zu  geben 
—  denn  dessen  bedürfen  Sie  nicht.  Wer  so,  wie  Sie,  mit  der  klarsten 
Einsicht  in  die  Verhältnisse  des  Lebens  die  schöne  Wärme  des 
Herzens  verbindet  und  sich  diese  bis  ins  Alter  zu  erhalten  gewußt 
hat;  wer  so,  wie  Sie,  den  Samen  des  Schönen  und  Guten  aus- 
streute und  ihn  nun  die  herrlichsten  Früchte  tragen  sieht,  der 
muß  ohne  alle  Versicherung  derjenigen  Ehrfurcht  gewiß  seyn,  die 
Geist  und  Tugend  auch  dem  rohesten  Gemüth  abnöthigeu.  Mir 
selbst  wollte  ich  durch  diese  Dichtung  bey  Ihnen  und  Ihrem  Kreise 
ein  Denkmahl  errichten.  Leider  ist  es  mein  Schicksal,  einer  flüch- 
tigen Erscheinung  gleich,  bey  denen  vorüber  zu  gleiten,  an  die  ich 
mich  dauernd  anzuschließen  gehofft  hatte.  Wer  weiß,  wie  bald  ich 
auch  von  Ihnen  scheiden  muß!"  Unterzeichnet  ist  diese  Vorrede 
am  13.  Februar  1805.  —  In  vier  Gesängen  schildert  Streckfuß  im 
Gedichte  i.  den  Abschied  von  der  Heimat;  2.  die  Rückkehr  ins 
Vaterland;  3.  Liebe  und  Seligkeit  der  Ruth  und  4.  Hoffnung 
und  Erfüllung.  Das  Gedicht  fand  freundliche  Aufnahme,  eine 
größere  Anzahl  von  Kritiken  erschien  (vgl.  Goedeke,  VII,  S.  792, 
Nr.  182:  6). 

**2)  Die  Sammlung  „Gedichte"  von  Carl  Streckfuß,  Neueste 
Auflage,  Wien  18 17,  enthält  als  drittes  Buch  (S.  193  ff.)  eine  große 
Anzahl  von,  in  den  Jahren  1800 — 1809  entstandenen  Sonetten,  die 
der  Dichter  nur  mit  Schüchternheit  (Vorrede,  S.  6)  der  Öffentlich- 
keit übergab.  Die  erste  Ausgabe  seiner  „Gedichte"  (Wien  1804) 
enthielt  nur  die  13  Sonette  an  Amanda  (S.  86ff.),  die  1802  ent- 
standen sind,  sowie  die  8  Sonette  „Getäuschte  Liebe"  (S.  97ff.) 
aus  dem  Jahre  1803  und  eine  „Blumenlese  aus  Petrarcas  Sonetten 
auf  Laurens  Leben  und  Tod"  (S.  131  ff.),  die  1817  nicht  mehr  er- 
scheint. 

**'a)  Die  Kritik  stellte  sich  durchgehends  auf  Pichlers  Seite,  deren 
„Ruth"  man  vor  der  des  Streckfuß  den  Vorzug  gab,  wenn  man 
auch  die  Schwächen  der  Pichlerschen  Bearbeitung  nicht  verkannte. 
So  tadelte  Friedrich  Weisser  (Neue  Bibliothek  der  schönen  Wissen- 
schaften und  der  freyen  Künste,  LXXII,  [Leipzig  1806],  S.  il5ff. 
=  Sämmtliche  prosaische  Werke,  I,  [Wien  1818],  S.  26off.)  den 
Mangel  an  poetischer  Schönheit  bei  reiner  und  natürlicher  Sprache 


und  oft  hinreißender  Wärme  der  Empfindung;  er  fand,  daß  die 
2.  Idylle  viel  zu  viel  Unbedeutendes  enthalte  imd  die  Darstellung 
der  Personen  nicht  besonders  vorzüglich  sei,  da  Ruth  selbst  beinahe 
gar  keine  Eigentümlichkeit  aufweise,  während  Naemi  am  besten 
gelang;  die  Ruth  des  Streckfuß  aber  lehnte  er  durchweg  ab  (ebd. 
LXXII,  S.  io6ff.  =  S.  p.  W.  I,  S.  247ff.).  Sehr  freundlich  ist  eine 
anonyme  Anzeige  in  den  „Annalen  der  Literatur  und  Kunst  in 
den  österreichischen   Staaten"    (IV,  2  [Wien    1805],   S.   3 12  ff.), 
welche  die  Idyllenform,  die  Anlage  und  die  Verteilung  der  Situa- 
tionen, die  Naturgemälde,  die  Sprache  und  den  Versbau  preist, 
dagegen  an  Streckfuß  (ebd.  IV,  2,  S.  3 14  ff.)  viel  auszusetzen  findet. 
Die  „Allgemeine  Literatur-Zeitung  vom  Jahre  1806"  (Halle  1806, 
I,  Sp.  201  ff.)  hebt  die  Zartheit  der  Behandlung  hervor,  meint,  daß 
es  der  Pichler  gelang,  das  Dissonierende  des  biblischen  Textes  zu 
poetischer  Harmonie  zu  gestalten,  wendet  sich  aber  gegen  die  zur 
Schau  gestellte  moderne  Sentimentalität,  gegen  die  nicht  besonders 
sorgfältige  Versifikation  und  die  oft  breite  und  umständliche  Dar- 
stellung; auch  dieser  Rezensent  zieht  die  Pichlersche  der  Streckfuß- 
schen  Bearbeitung  bei  weitem  vor  (ebd.  IV,  [1806],  Sp.  50  ff.),  da 
die  idyllische  Bearbeitung  dem  Stoffe  angemessener  sei.  R.  L.  (Der 
Freymüthige,  III,  i  [Berlin  1805],  S.  337f.)  findet,  daß  die  Ge- 
schichte durch  die  Veredelung,  wie  sie  die  Pichler  vornahm,  viel 
gewann  und  anziehenden  Genuß  gewähre,  während  der  Kunstgenuß 
beim  Lesen  des  Streckfußschen  Werkes,  der  sich  treuer  an  die  Bibel 
hielt,  viel  geringer  sei.    Heinrich  von  CoUin  war  durch  die  Ver- 
schmelzung des  Homerischen  mit  dem  Biblischen  und  durch  „die 
schön  ausgesprochenen  Gefühle  über  weibliche  Bestimmung  und 
weibliches  Glück"  entzückt  (Sämmtliche  Werke,  VI,  [Wien  18 14], 
S.  68),  während  Freiherr  von  Kübeck  (Tagebücher,  I,  S.  409)  die 
Vortrefflichkeit  des  Gedichtes  zwar  anerkennt,  aber  1831  meint,  daß 
die  Darstellung  hinter  der  einfachen  Erzählung  der  Bibel  weit  zu- 
rückbleibe. —  Das  Buch  selbst  erschien  1805:  Ruth.  Ein  Biblisches 
Gemähide  in  drey  Idyllen.  Wien,  ,bey  Anton  Pichler,  1805.  Gr.-8"', 
96  S.  mit  einem  Titelkupfer  (Weinrauch  fec).  Es  wurde  1839  "^^^ 
Carlo  Beolchi  ins  Italienische  übersetzt:   Ruth  quadro  biblico  in 
tre  idilii  della  signora  Carolina  Pichler  recati  in  versi  italiani  da 
Carlo  Beolchi.   Pavia,  nella  Stamperia  Fusi  e  Comp.  1839,  Gr.-8", 
51  (+1)  SS.  (Wien,  Universitätsbibliothek).   Später  wurde  „Ruth" 
in  Pichlers  „Biblische  Idyllen"  (i.  Rebekka,  2.  Hagar,  3.  Ruth. 
Wien,  1813  bey  Anton  Pichler,  VIII.  +9 —  155  SS.  mit  einem 
Kupfer  [Gysin  fec.])  übernommen  (S.  71  ff.  =  S.  W.  2  XV,  S.  159  ff.). 
Diese  „Biblischen  Idyllen",  zu  denen  später  (S.  W.  2  XV,  S.  284 ff.) 
noch  „David  und  Jonathan"  kam,  erschienen,  soweit  es  „Rebekka" 
und  „Hagar"  betrifft,  zuerst  im  „Österreichischen  Taschenkaien- 

557 


der"  (vgl.  oben  Anm.  383)  und  erfuhren  in  der  Leipziger  Ausgabe 
(Biblische  Idyllen,  Leipzig,  bei  Fleischer  d.  j.  18 12.  8",  152  S.) 
eine  Besprechung  in  „Allgemeine  Literatur-Zeitung"  (18 13,  I, 
Sp.  161  ff.),  welche  sie  den  gelungenen  Nachbildungen  zugesellt, 
wenn  auch  ausgestellt  wird,  daß  manches  nach  dem  Vorbilde  Homers 
und  Vossens  zu  sehr  ausgesponnen  wurde,  wodurch  manches  alt- 
griechisch und  modern,  manches  zu  gedehnt  oder  zu  geschwätzig 
wurde;  den  besten  Eindruck  machte  Hagar  auf  den  Rezensenten. 
„Rebekka"  hebt  ein  anderer  (Za.)  als  einen  sehr  gelungenen  Versuch 
hervor  (Neue  allgemeine  deutsche  Bibliothek,  LXXXIX,  [1804], 
S.  160). 

**')  Es  war  dies  der  Weg  der  Wiener-Prozession,  den  Karoline 
Pichler  schildert;  man  vgl.  die  Führer  von  Josef  Adler  (Der  Be- 
gleiter auf  der  Wallfahrt  nach  Maria  Zell.  Wien  o.  J.),  C.  F.  Weid- 
mann (Reise  von  Wien  nach  Maria-Zeil.  Wien  1830)  und  Matth. 
Macher  (Der  berühmte  Wallfahrtsort  Maria-Zeil  in  Steiermark 
historisch-topographisch  dargestellt.   Wien  1832,  S.  iff.). 

*«)  Vgl.  oben  S.  164. 

*^)  In  der  Nacht  des  i.  November  1827  wütete  dieser  furchtbare 
Brand,  vgl.  Macher,  S.  33  ff. 

***)  Die  Legende  berichtet,  daß  Markgraf  Wladislaus  oder  Hein- 
rich von  Mähren  und  seine  Gemahlin  ,  da  sie  von  schwerer  Krank- 
heit genasen,  die  seit  11 57  bestehende  Kapelle  zu  Maria-Zeil  in 
eine  steinerne  umwandeln  ließen,  während  König  Ludwig  von 
Ungarn  zum  Dank,  daß  er  mit  Hilfe  der  Gottesmutter  die  Türken 
besiegte,  die  jetzige  Kirche  erbauen  ließ  (J.  P.  Kaltenbaeck,  Die 
Mariensagen  in  Österreich.  Wien  1845.  S.  24ff.).  Quelle  dafür  ist 
eine  Schrift  des  Dr.  Johannes  Manesdorfer  aus  Wien,  1487  verfaßt, 
deren  Angaben  aber,  soweit  sie  den  Markgrafen  von  Mähren  und 
das  Entstehungsjahr  von  Mariazell  (1157)  betreffen,  Matthias 
Pangerl  in  einer  kritischen  Untersuchung  (Mittheilungen  des 
historischen  Vereines  für  Steiermark,  XVIII,  [Graz  1870],  S.  6 ff.) 
ablehnte,  während  er  urkundlich  nachwies  (S.  24  ff.),  daß  Mariazell 
zuerst  1266  aufscheint,  1278  bereits  einen  Pfarrer  hatte,  1322  die 
erste  Widmung  erhielt,  1330  zuerst  als  Wallfahrtsort  genannt  wurde 
und  1363  durch  König  Ludwig  I.  von  Ungarn  einen  ansehnlichen 
Zubau  (Turm)  erhielt. 

**')  Karoline  Pichler  schilderte  die  Reise  auch  in  einem  Prosa- 
aufsatz „Maria-Zeil"  (Sartoris  Mahlerisches  Taschenbuch  für 
Freunde  interessanter  Gegenden,  Natur-  und  Kunst-Merkwürdig- 
keiten der  Österreichischen  Monarchie.  I,  [Wien  1812],  S.  8iff. 
=  S.W.  2  XVII,  S.  5  5  ff.),  der  manches  Ergänzende  bietet.  —  Die 
Romanze  „Maria-Zeil"  erscliien  zuerst  1806  (Österreichisches 
Taschenbuch  für  das  Jahr  1806.    Wien.    S.  48ff.  =  S.  W.  2  XVI, 


S.  20iff.)>  dann  nochmals  1811  (Hormayrs  Archiv  für  Geographie 
Historie,  Staats-  und  Kriegskunst,  II,  S.  557);  sie  enthält  auch  die 
Legende  vom  Markgrafen  Heinrich.  Eine  Anzeige  (Der  Frei- 
müthige,  IV,  [Berlin  1806],  S.  53)  nennt  das  Gedicht  „vorzüglich". 
Eine  andere  Qenaische  Allgemeine  Literatur-Zeitung,  1806,  II, 
S.  355)  findet  die  Stanzen  wohlklingend,  das  Gedicht  aber  an 
einigen  Stellen  an  „A.  W.  Schlegels  Bund  der  Kirche  mit  den 
Künsten"  erinnernd. 

**8)  Vgl.  über  diese  Angabe  die  übereinstimmenden  Mitteilungen 
in  Macks  Biographie  bei  Joh.  Ritter  von  Rittersberg,  Biographien 
der  ausgezeichnetesten  Feldherren  der  k.  k.  österreichischen  Armee 
1788  bis  1821.  I,  (Prag  1829),  S.  849. 

**8)  Am  8.  September  1805  kamen  die  Österreicher  nach  Bayern, 
am  14.  September  trafen  sie  in  München  ein  und  am  16.  September 
überschritten  sie  den  Lech.  Kurfürst  Maximilian  Josef  hatte 
das  Land  verlassen;  sein  Sohn  Ludwig  hatte,  obwohl  er  Napo- 
leon haßte,  diesen  später  nach  Paris  begleiten  müssen  (vgl.  Anton 
Ritter  von  Geusau,  Historisches  Tagebuch  aller  merkwürdigen 
Begebenheiten,  welche  sich  in  Wien  vom  Monat  September  1805 
bis  I.  Februar  1806  zugetragen  haben.   Wien  1807.   S.  38  ff.). 

*50)  Die  Kapitulation  von  Ulm  erfolgte  am  17.  Oktober  1805. 
Mit  23  Generalen  gerieten  23  000  Österreicher  in  Kriegsgefangen- 
schaft (vgl.  Geusau,  Tagebuch,  S.  66  ff.  5  die  aktenmäßigste  Dar- 
stellung bietet  M.  Edler  v.  Angeli  in :  Mitteilungen  des  k.  k.  Kriegs- 
Archivs,  II,  [Wien  1877],  S.  476 ff.).  Die  Nachricht  kam  am  26.  Ok- 
tober nach  Wien  (Pichler  an  Schneller:  Schnellers  Hinterlassene 
Werke,  I,  S.  265).  Mack  kam  vors  Kriegsgericht,  verlor  seinen  Rang 
und  seine  Würden  und  wurde  erst  18 19  gnadenweise  rehabilitiert. 

*^^)  Ferdinand  Karl  Josef  Este,  Erzherzog  von  Österreich,  Feld- 
marschall und  Ritter  des  Märia-Theresienordens  (178 1 — 1850),  war 
1805  Oberkommandant  in  Süddeutschland,  doch  hatte  Mack  zu 
weitgehende  Vollmachten,  als  daß  er  hätte  energisch  eingreifen 
können.  Mit  dem  Fürsten  Karl  Schwarzenberg  und  dem  Obersten 
Friedrich  Baron  Bianchi  schlug  er  sich  mit  12  Schwadronen  Rei- 
tern von  Ulm  aus  durch  das  feindliche  Lager  und  erreichte  Böh- 
men (vgl.  Wurzbach,  IV,  S.  86f.;  Angeli,  a.  a.  O.,  II,  S.  477 ff.; 
Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben,  I,  S.  I57f.). 

*^2)  Der  FeldmarschaÜeutnant  Heinrich  von  Schmidt  (1743  bis 
1805)  fiel  am  11.  November  1805  im  Gefecht  bei  Dürrenstein,  das 
zwischen  Russen  und  Franzosen  vorfiel.  Erstere  bUeben  Sieger. 
Schmidt  war  der  russischen  Armee  als  Generalquartiermeister  bei- 
gegeben und  führte  sie  an  (Wurzbach,  XXX,  S.  252 ff.;  Geusau, 
Tagebuch,  S.  138 f.;  Thürheim,  a.  a.  O.  I,  S.  163).  In  Krems  a.  d. 
Donau  wurde  ihm  ein  Denkmal  errichtet. 

559 


*^)  über  das  Flüchten  der  Wiener  und  das  Retten  ihrer  Hab- 
seligkeiten und  Kostbarkeiten  vgl.  Karl  August  Schimmer,  Die 
französischen  Invasionen  in  Österreich  und  die  Franzosen  in  Wien 
in  den  Jahren  1805  und  1809.  Zweite  Ausgabe.  Wien  1854. 
S.  8ff,,  i4f.  und  Geusau,  Tagebuch.  S.  113 ff. 

*")  Karl  Fürst  Auersperg  (1750 — 1822)  vrar  seit  1790  Ritter  des 
Maria-Theresien-Ordens  und  Feldmarschalleutnant.  Er  übernahm 
gegen  seinen  Willen  am  8.  November  das  Kommando  des,  bei 
Wien  zurückgebliebenen  Reservekorps  und  hatte  den  strikten  Auf- 
trag, bei  Annäherung  des  Feindes  die  Donaubrücken  zu  zerstören. 
Er  hielt  jedoch  seine  Instruktion  nicht  ein  (vgl.  Anm.  458),  kam 
dafür  vors  Kriegsgericht  und  büßte  sein  Vergehen  mit  mehrjähriger 
Festungshaft  und  dem  Verluste  seiner  Würden.   Vgl.  Lulu  Gräfin 
Thürheim,  M.  L.,  I,  S.  i67f.,  202 f.;  II,  S.  220;  J.  Hirtenfeld, 
Der  Militär-Marla-Theresien-Orden  und  seine  Mitglieder,  I,  (Wien 
1857),  S.  282 f. 
*5S)  Ist  jetzt  (Frühling  und  Sommer  19 12)  abgebrochen  worden. 
*B6)  Adam  von  Weingarten,    dessen  Lebensgrenzen  Wurzbach 
(LIV,  S.  36)  unbekannt  sind,  war  1821  Hauptmann  im  General- 
quartiermeisterstab, 1829  bereits  Major.  Er  zeichnete  sich  als  guter 
Novellist  aus,  verfaßte  aber  auch  kriegsgeschichtliche  und  sonstige 
Aufsätze,  so  die  Wurzbach  unbekannt  gebliebene  Broschüre  „Schloß 
Aggsteln"  (Wien  1828,  Gr.-8",  15  S. —  Universitätsbibliothek  Wien), 
und  versuchte  sich  als  Lithograph  (F.  H.  Böckh,  Wiens  lebende 
Schriftsteller,  Künstler  und  Dilettanten  im  Kunstfache.  Wien  1822. 
S.  284).  Mit  Karoline  Pichler  traf  er  auch  bei  Rothkirchs  zusammen 
(II,  S.  123)  und  verfaßte  1829  zu  deren  Namenstag  ein  Sonett,  das  in 
Merkenstein  durch  Henriette  Ephraim  zum  Vortrag  gelangte  (II,  S. 
255).    Er,  Helmine  von  Chezy,  J.  Graf  von  Mailäth  und  Karoline 
Pichler  behandelten  1824  denselben  Stoff  novellistisch;  er  und  die 
Pichler  als  „Der  Teppich"  (Wiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur, 
Theater  und  Mode.  1824,  S.  ii47ff.  [Weingarten],  1241  ff.  [Pichler]). 
Im  April  1830  wurde  er  irrsinnig  und  am  23.  Februar  183 1  erlöste 
ihn  der  Tod,  42  Jahre  alt,  im  ledigen  Stande,  durch  einen  Schlag- 
fluß im  Garnisonspital  von  seinem  Leiden  (Totenprotokoll  der  Stadt 
Wien  im  Konskriptionsamt,   183 1,  Buchst.  W.,  Fol.  7b).  Seine 
Habe,  darunter  viele  Bücher,  die  hauptsächlich  der  französischen 
und  italienischen  Literatur  angehörten,  wurde  in  seiner  Wohnung 
(Stadt,  Am  Peter  Nr.  571)  versteigert  (vgl.  seine  Verlassenschafts- 
akten im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes:  Militärgericht,  Fasz. 
III,  Nr.  173  ex  183 1).   Beerdigt  wurde  er  am  Währinger  allgemeinen 
Friedhof  (Hampeis,  Chronologische  Epigraphik,  S.  120,  Nr.  1220). 
*5')  Am  12.  November  1805  begab  sich  eine  zweite  Deputation 
zu  Napoleon  ins  Hauptquartier  nach  Sieghartskirchen  und  bat  ihn 

560 


um  Schonung  für  die  Stadt  Wien,   was  Napoleon  auch  zusagte 
(Schimmer,  S.  13;  Geusau,  Tagebuch,  S.  146  f.). 

*58)  Dazu  vgl.  Geusau,  Tagebuch,  S.  150  f.  und  besonders  M. 
Edler  von  Angeli  (Mitteilungen  des  k.  k.  Kriegs- Archivs,  III,  [Wien 
1878],  S.  31 8  ff.),  der  eine  aktengemäße  Darstellung  gibt,  vne  Fürst 
K.  Auersperg  in  seiner  Gutmütigkeit  düpiert  wurde,  wobei  ein  Teil 
der  Schuld  aber  auch  den  Zivilkommissär  Grafen  Wrbna  trifft.  Die 
Überrumpelung  erfolgte  am  13.  November  1805  zwischen  10  und 
II  Uhr  vormittags  unter  Mithilfe  eines  Wiener  Bürgers.  Das 
Nichtabbrennen  der  Brücken  war  eine  Bedingung  dafür,  daß  Murat 
Wien  schone. 

459)  Der  Einmarsch  erfolgte  bereits  am  13.  November  1805  nach 
II  Uhr  mittags  (Schimmer,  S.  15 f.;  Geusau,  Tagebuch,  S.  149). 
Was  die  Pichler  von  den  Kaufläden  und  der  Neugier  der  Wiener 
erzählt,  findet  bei  Schimmer,  S.  16  und  Geusau,  S.  150  seine  Be- 
stätigung. Über  die  anfängUche  Besetzung  der  Wachtposten  durch 
die  Bürger  vgl.  Schimmer,  S.  19;  Geusau,  S.  160;  doch  schon  am 
17.  November  wurden  auch  die  Stadttore  vom  französischen  Militär, 
einiger  Exzesse  wegen,  besetzt  (Schimmer,  S.  23;  Geusau,  S.  179). 

*^)  Robert  David  Henri  Bruce  (1755 — 1828),  zwar  erst  seit  1807 
Oberst  und  Befehlshaber  des  5.  holländischen  Infanterieregiments, 
war  seit  1799  Major  beim  i.  Bataillon  der  7.  Halbbrigade,  beteiligte 
sich  am  Feldzug  1805,  wurde  1809  Generalmajor,  wirkte  1809  bei 
der  Konföderation  von  Breda  mit  und  avancierte  18 15  zum  General- 
leutnant, als  welcher  er  Kommandierender  der  Provinz  Seeland  war. 
Vgl.  P.  C.  Molhuysen  en  P.  J.  Blok,  Nieuw  Nederlandsch  Biogra- 
fisch Woordenboek,  I,  (Leiden  191 1),  Sp.  481  f. 

**'^)  Am  2.  Dezember  1805  fand  die  Schlacht  bei  Austerlitz  statt. 

*^*)  Karl  Philipp  Fürst  von  Schwarzenberg  (1771 — 1820),  der 
Sieger  von  Leipzig,  hatte  am  5.  September  1805  um  die  Vereinigung 
der  bayerischen  mit  der  österreichischen  Armee  in  München  beim 
Kurfürsten  angesucht,  war  aber  abgewiesen  worden  (Geusau,  S.  38) 
und  zwar  infolge  seines  hochmütigen  Benehmens  (Lulu  Gräfin 
Thürheim,  M.  L.,  I,  S.  154). 

**^)  Maria  Luigi  Carlo  Cherubini  (1760 — 1842)  schrieb  bereits  im 
Jahre  1780  seine  erste  Oper.  Er  kam  1784  nach  London  und  1787 
nach  Paris.  1805  und  1806  weilte  er  in  Wien,  führte  hier  seine 
Lodoiska  und  Faniska,  sowie  Medea  auf  (vgl.  darüber  Jul.  Wilh. 
Fischer,  Reisen  durch  Österreich,  II,  S.  ii2ff.).  Vor  Kaiser  Na- 
poleon mußte  er  einige  Male  in  Schönbrunn  konzertieren  (Geusau, 
S.  247;  Schimmer,  S.  36).  Mit  diesem  verließ  er  wieder  Wien  und 
ging  nach  Paris,  wo  er  1821  Direktor  des  Konservatoriums  wurde. 
Er  komponierte  viele  Opern  und  Kirchenmusik.  Vgl.  Eitner,  II, 
S.  4i7ff. 

36   C,  p.  I  561 


*"*)  Girolamo  Crescentini  (1766 — 1846),  ein  Kastrat,  weilte' von 
1803 — 1806  in  Wien,  sang  vor  Napoleon  (Geusau,  S.  247),  der  ihn 
für  Paris  engagierte  (Geusau,  S.  288)  und  war  später  (1825)  Gesang- 
direktor am  Musikkollegium  in  Neapel.  Er  war  nicht  nur  ein  aus- 
gezeichneter Sänger,  sondern  auch  Komponist.  Er  gab  eine  Ge- 
sangschule heraus.  Vgl.  Eitner,  III,  S.  loif.  —  Über  sein  Spiel  als 
Romeo  vgl.  oben  S.  323. 

*^)  Über  diesen  konnte  ich  vorderhand  nichts  finden.  —  Über 
die  Einquartierungen  des  Jahres  1805  im  Hause  der  Pichler  vgl.  man 
einen  Brief  an  Schneller  vom  29.  November  1805  Qul.  Schneller, 
Hinterlassene  Werke,  I,  [Leipzig  1834],  S.  264f.). 

*'^)  26.  Dezember  1805.  Österreich  verlor  durch  den  Frieden 
von  Preßburg  Tirol,  Vorderösterreich  und  das  venezianische  Ge- 
biet; der  Friedenstraktat  bei  Geusau,  S.  364ff. 

467)  Friedrich  Julius  Wilhelm  Ziegler,  Der  Tag  der  Erlösung. 
Ein  Originalschauspiel  in  4  Aufzügen.  Wien  1799.  —  Nach  Goedeke 
(V,  S.  291,  Nr.  14:  15)  wurde  das  Stück  am  27.  November  1809 
beim  Abzüge  der  Franzosen  im  Burgtheater  gespielt;  dem  steht 
aber  die  ausdrückliche  Angabe  bei  Geusau,  S.  322,  gegenüber. 

*88)  Über  die  Vorbereitungen  zum  Empfang  des  Kaisers  Franz, 
sowie  über  diesen  selbst  (am  16.  Jänner  1806)  vgl.  man  die  ausführ- 
lichen Angaben  bei  Geusau^  S.  284 ff.,  294  und  328 ff.;  Schimmer, 
S.  51  f.;  Lulu  Gräfin  Thürheim,  M.  L.,  I.,  S.  175 ff.  Der  Kaiser 
kam  aus  Mähren,  von  Holitsch  über  Feldsberg,  und  nicht  von  Un- 
garn, wie  die  Pichler  angibt. 

««)  s.  unten  II,  S.  55f. 

*'")  Sie  wurde  im  Juli  und  August  durchgeführt.  Zuerst  weilten 
sie  in  Linz,  dann  im  Schlosse  Gleink,  von  dort  ging  es  nach  Krems- 
münster und  nach  kurzem  Aufenthalt  über  Scharnstein  zum  Alm- 
see,  wo  Pichler  amtlich  wegen  der  Holzfällung  und  Schwemmung 
zu  tun  hatte.  Die  Rückreise  führte  wieder  nach  Kremsmünster. 
Einige  Tage  verbrachten  sie  dann  in  Linz,  und  hierauf  folgte  ein 
lötägiger  Besuch  in  St.  Florian  (vgl.  Pichlers  Brief  an  Streckfuß 
vom  20.  August  1806  bei  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender 
und  städtisches  Jahrbuch,  XXXII,  [Wien  1894],  S.  398  f.). 

*^i)  Gemeint  ist  Frau  Eleonore  Freiin  von  Sorgenthal,  geb. 
Gräfin  Seeau,  welche  damals  viel  im  Hause  der  Pichler  verkehrte, 
am  Haustheater  1806  mitspielte  (vgl.  Pichlers  Briefe  an  Streck- 
fuß :  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender,  XXXII,  S.  395,  397) 
und  deren  Gemahl  Konrad  Freiherr  von  Sorgenthal  (1735 — 1805), 
Direktor  der  Wiener  k.  k.  Porzellanfabrik,  am  17.  Oktober  1805  in 
Wien  verstorben  war  (Wurzbach,  XXXVI,  S.  21  ff.;  Verlassen- 
schaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  197 
ex  1805).  Eleonore  war  seit  9.  Juni  1796  (laut  Ehekontrakt  in  ihrem 

562  I 


Verlassenschaftsakt)  dessen  zweite  Gattin,  besaß  in  Wien  die  Häu- 
ser Haarmarkt  Nr.  686  und  687  und  starb  am  7.  Oktober  18 10  in 
Hernais  (jetzt  Wien  XVII 5  vgl.  ihren  Verlassenschaftsakt  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  208  ex  1810).  Vgl.  noch 
II,  S.  205. 

472)  Propst  Johann  Michael  Ziegler  (1743 — 1823)  gehörte  dem 
Stifte  St.  Florian  seit  1761  an.  Er  hatte  in  Rom  studiert,  war  ein 
sehr  gelehrter  und  freundlicher  Herr  und  war  1793  Propst  geworden. 
Er  war  es,  der  in  St.  Florian  jene  wissenschaftliche  Richtung  durch 
Heranziehung  junger  Kräfte  begründete,  die  dieses  Stift  mit  Recht 
bis  in  unsere  Tage  bekannt  und  berühmt  machte.  Vgl.  Engelbert 
Mühlbacher,  Die  literarischen  Leistungen  des  Stiftes  St.  Florian 
bis  zur  Mitte  des  19.  Jahrhunderts.  Innsbruck  1905.  S.  99  ff-, 
167  ff.  —  Anläßlich  dieses  Besuches  schreibt  Pichler  in  einem  Brief 
an  Streckfuß  (K.  Glossy,  a.  a.  O.  XXXII,  S.  399):  „Der  Prälat  und 
die  Geistlichen,  jeder  mehr  oder  weniger  gebildet,  aber  alle  gesellig, 
gar  nicht  mönchisch,  zuvorkommend  und  artig,  machten  uns  den 
Aufenthalt  .  .  .  sehr  angenehm." 

*^3)  Franz  Kurz  (1771 — 1843),  aus  dem  oberösterreichischen 
Mühlviertel,  war  1789  in  St.  Florian  eingetreten,  absolvierte  seine 
theologischen  Studien  in  Wien  und  'vvurde  1795  Priester.  Zuerst  als 
Kooperator  verwendet,  übernahm  er  1810  die  Pfarre  St.  Florian; 
seit  1799  war  er  bereits  Archivar.  Propst  Ziegler  hielt  große  Stücke 
auf  ihn  und  leitete  ihn  schon  als  Novize  zu  wissenschaftlichen 
Arbeiten  an.  1805  war  der  erste  Band  seiner  „Beyträge  zur  Ge- 
schichte des  Landes  Österreich  ob  der  Enns"  erschienen,  und  dieser 
Erstlingsarbeit  folgten  eine  Reihe  höchst  wertvoller  historischer, 
teilweise  noch  heute  unüberholter  Arbeiten.  Seinen  wissenschaft- 
lichen Leistungen  widmete  Engelbert  Mühlbacher,  a.  a.  O.  S.  166  ff. 
eine  eingehende  Studie.  —  Im  Sommer  des  Jahres  181 1  weilte 
Kurz  in  Wien  und  verkehrte  viel  im  Hause  der  Pichler,  wo  sein 
geselliges  und  musikalisches  Talent  zur  Geltung  kam;  vgl.  Hormayr, 
Taschenbuch.  1845,  S.  43.  Mit  seiner  wahrheitsgetreuen,  reali- 
stischen Schilderung  Herzog  Rudolf  IV.,  des  Stifters,  war  die  Pichler 
nicht  einverstanden  (Mühlbacher,  S.  216,  Anm.  i).  Sie  benützte 
seine  Arbeiten  zu  ihrem  „Ferdinand  IL"   (vgl.  II,  Anm.  66). 

*^*)  Einen  ganz  ähnlichen  Gedanken  führt  Hormayr,  Taschen- 
buch.  1845,  S.  29  aus. 

*^^)  Über  die  Acta  s.  Floriani  vgl.  man  Mühlbacher,  a.  a.  O. 
S.  iff.;  A.  Potthast,  BibUotheca  historica  medii  aevi.  II,  ^  (Berlin 
1896),  S.  I3i4f.;  Ulysse  Chevalier,  Repertoire  des  sources  historiques 
du  moyen  äge.    I,  2  (Paris  1905),  p.  1529 f. 

*'«)  K.  Pichler,  S.  W.  2  V,  S.  191  ff.  (Brief  23  und  24)  und  331  f., 
Anm.  18  f. 

36*  563 


*")  s.  oben  S.  255. 

*'^  Das  Wiener  Kunst-  und  Industrie- Comp toir  wurde  nach  dem 
Muster  des  Weimarschen  von  Josef  Schreyvogel  am  26.  Mai  i8oi 
in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Jakob  Hohler,  Dr.  Johann  Sigismund 
Rizy,  Michael  Riedl  und  Josef  Sonnleithner  gegründet  und  be- 
schäftigte die  bedeutendsten  Kupferstecher.  Schreyvogels  kauf- 
männische Unerfahrenheit  und  die  mangelnde  Unterstützung 
von  Seite  der  Kunstliebhaber  führten  aber,  trotz  bedeutender 
Leistungen,  am  20.  Februar  1805  zur  Auflösung.  Vgl.  Zedlitz 
in:  Österreichische  Zeitschrift  für  Geschichts-  und  Staatskunde, 
I,  (Wien  1835),  S.  133;  Paul  Friedr.  Walther,  ebd.  II,  (Wien 
1836),  S.  III;  K.  Pichler,  Frankls  Sonntags- Blätter,  II,  (Wien 
1843),  S.  266f. 
*79)  Vgl.  II,  S.  341  mit  Anm.  537. 

***•)  Karoline  Pichler  spielt  hier  auf  ihren  Aufsatz  in  Briefform 
„Über  Musik"  (S.W.»  LIII,  S.  83  ff.)  an,  wo  sie  auf  S.  giff., 
107  ff.  über  die  oben  behandelten  Themen  im  Anschluß  an  Herder 
spricht.  Noch  1842  kommt  sie  bei  Mitteilung  eines  Musikerbriefes 
darauf  zurück  (Frankls  Sonntags- Blätter,  I,  S.  203).  —  Eine  hübsche 
Anekdote  von  Mozart  erzählte  Karoline  Pichler  Anton  Langer 
(Bäuerles  Allgemeine  Theaterzeitung.  Wien  1843,  S.  750),  die  ein 
Beleg  für  ihre  Ansicht  wäre;  denn  als  Mozart  einst  mit  ihr  das 
„Non  piu  andrai"  am  Klavier  mit  Variationen  spielte,  sprang  er 
plötzlich  auf,  setzte  über  Tische  und  Sessel,  schlug"  Purzelbäume 
und  miaute  wie  eine  Katze. 

*8i)  Johann  Michael  Vogl  (1768 — 1840),  bedeutender  Opern- 
sänger und  hervorragender  Interpret  Schubertscher  Lieder.  Er 
hat  Schubert  1821  in  Wien  gemacht,  das  heißt,  dem  großen  Publi- 
kum nahe  gebracht.    Vgl.  Wurzbach,  LI,  S.  172  ff. 

**2)  Schubert  vertonte  drei  Gedichte  der  Pichler:  i.  op.  87,  i 
Der  Unglückliche  (1821);  2.  Lied:  Ferne  von  der  großen  Stadt 
(Nachlaß);  3.  Der  Sänger  am  Felsen  (Nachlaß).  Vgl.  Wurzbach, 
XXXII,  S.  96  und  G.  Nottebohm,  Thematisches  Verzeichnis  der 
im  Druck  erschienenen  Werke  von  Franz  Schubert.  Wien  1874. 
S.  96.  —  Karoline  Pichler  stand  Schubert  und  seinen  Kompositio- 
nen sehr  freundlich  gegenüber  (vgl.  Anselm  Hüttenbrenners  Auf- 
zeichnungen: Otto  E.  Deutsch,  Grillp.  Jb.  XVI,  S.  125). 

*83)  Johann  Peter  Eckermann,  Gespräche  mit  Goethe  in  den 
letzten  Jahren  seines  Lebens.  6.  Aufl.  von  Heinrich  Düntzer.  I, 
(Leipzig  1885),  S.  89,  90  (26.  Februar  1824). 

484)  Elisabeth  Sirani  (1638 — 1665),  eine  Nachahmerin  des  Guido, 
hinterließ  etwa  150  von  ihr  gemalte  Bilder.  Sie  wurde  von  ihrer 
Dienerin  vergiftet.  Vgl.  M.  Bryan,  Dictionary  of  painters  and 
engravers.   II,  S.  503. 

564 


486J  Rosalba  Carriera  (1675 — 1757)}  am  meisten  bekannt  durch 
ihr  Porträt  des  Metastasio,  ist  in  der  Dresdner  Gallerie  durch  zahl- 
reiche Werke  vertreten.  Sie  malte  in  Öl,  war  aber  auch  Miniatu- 
ristin.   Vgl.  Bryan,  I,  S.  242. 

488)  Angelika  Kaufmann  (1741 — 1807)  lebte  lange  Jahre  in  Eng- 
land und  Italien;  in  Rom  starb  sie.  Über  700  Werke  stammen  von 
ihr;  meist  sind  es  Porträts.    Vgl.  Bryan,  I,  S.  723. 

487)  Maria  Louise  Elisabeth  Le  Brun  (1755 — 1842)  war  ein  Lieb- 
ling der  Königin  Maria  Antoinette,  die  sie  von  1779  ab  nicht, 
weniger  als  fünfundzv^anzigmal  porträtierte.  Auf  ihren  Reisen  kam 
sie  auch  nach  Wien.  Bekannt  ist  ihr  Bild  der  Madame  Stael  als 
Corinna.    Vgl.  Bryan,  II,  S.  33. 

488)  Der  Mann  von  vierzig  Jahren.  Lustspiel  in  einem  Aufzug 
nach  dem  Französischen  des  Fayan.  Leipzig  1795  u.  ö.  (Goedeke, 
V,  278:  37).  —  Die  Brandschatzung.  Ein  Lustspiel  in  einem  Akt: 
Almanach  dramatischer  Spiele  zur  geselligen  Unterhaltung  auf 
dem  Lande.  IV.  Berlin  1806  (Goedeke,  V,  S.  283:  120).  —  Dazu 
vgl.  man  auch  die  Bemerkungen  der  Pichler  in  einem  Brief  an 
Streckfuß  vom  16.  Mai  1806,  worin  sie  über  ihre  Rolle  im  zweiten 
Stück,  sowie  von  anderen  zur  Einstudierung  kommenden  Stücken 
spricht  (K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender  und  städtisches 
Jahrbuch,  XXXII,  [Wien  1894],  S.  397). 

489)  Der  Mann  von  Wort.  Schauspiel  in  5  Aufzügen.  Leipzig 
1800  (Goedeke,  V,  S.  269:  46).  Hormayr  gedenkt  noch  in  Briefen 
an  die  Pichler  aus  den  Jahren  1826  und  1831  dieser  Aufführung 
(Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  3 13  f.,  3i7f.),  ebenso  1845  in  seinem 
Pichlernekrologe  (Hormayrs  Taschenbuch,  XXXIV,  S.  127),  nur 
versetzt  er  hier  die  Aufführung  fälschUch  ins  Jahr  1806.  Hier  führt 
er  Karl  von  Kempelen  als  Darsteller  des  Neffen  Friedrich  Maring 
an.  Über  Hormayr  als  Theaterspieler  vgl.  noch  seinen  Brief  vom 
16.  Februar  1815  an  die  Pichler  (K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  273). 

**°)  Andreas  Merian  von  Falkach  (1772 — 1828),  aus  dem  berühm- 
ten Basler  Geschlechte  der  Merian,  wirkte  zunächst  in  England  und 
trat  dann  in  österreichische  Dienste.  Von  1803 — 1805  war  er  Ge- 
sandtschaftssekretär des  fränkischen  Kreises  in  Regensburg  (Hof- 
und  Staats-Schematismus.  1804,  S.  12;  1806,  S.  12),  wurde  1806 
ebenda  Geschäftsträger,  kam  1807  in  gleicher  Eigenschaft  nach 
Karlsruhe  (ebd.  1808,  S.  162),  von  hier  1809  als  Legadonsrat  ins 
Armeeministerium  nach  Wien  (Hormayrs  Archiv  VII,  S.  476,  Anm.) 
und  ging  in  gleicher  Eigenschaft  18 10  nach  Dresden  zur  österreichi- 
schen Gesandtschaft  (H.  St.  Seh.  181 1,  S.  172),  welcher  er  bis  18 12 
angehörte.  Dort  leistete  er  seinem  Vaterlande  181 1  durch  den 
Abschluß  der  Grenzkonvention  mit  Sachsen  wertvolle  Dienste 
(Hermann  Meynert,  Kaiser  Franz  I.    Wien  1872.    S.  146).    18 13 


trat  er  in  russische  Dienste  (oben  S.  421;  Hormayrs  Archiv  VII, 
476,  Anm.),  wurde  Staatsrat  und  Generalsekretär  des  russischen 
Generalgouverneurs  in  Sachsen  Fürsten  Repnin  (Honnayr,  a.  a.  O.); 
18 15  war  er  Abgeordneter  zum  Indemnisationskongreß  in  Paris 
(Joh.  V.  Müller,  Sämmtliche  Werke,  XXVIII,  [Stuttgart  1834], 
S.  306,  Anm.).  Später  lebte  er  in  Paris  —  denn  der  1827  in  einem 
Brief  der  Pichler  an  Therese  Huber  erwähnte  Freund  in  Paris 
(K.  GI0SS7,  Grillp.  Jb. ,  III,  S.  244)  ist  niemand  anderer  als  Merian 
— ,  wo  er  1828  ohne  Nachkommen  auch  starb  (Schweizerisches 
Geschlechterbuch,  I,  [Basel  1905],  S.  290).  —  Durch  Hormayr, 
mit  dem  ihn  eine  innige,  später  aber  in  Brüche  gegangene  Freund- 
schaft (vgl.  Hormayrs  Brief  an  Karoline  Pichler  vom  25.  Oktober 
18 15:  K.  GI0SS7,  Grillp.  Jb.,  XII,  S.  286 f.)  verband,  wurde 
Merian  1807  in  den  Pichlerkreis  eingeführt  (oben  S.  298  f.),  fühlte 
sich  darin  bald  heimisch  und  wurde  1809,  als  er  in  Wien  war, 
dort  allgemein  geliebt.  Als  er  18 10  nach  Dresden  kam,  vermißte 
ihn  die  Pichler  schwer  (oben  S.  369).  Sie  gab  ihren  Gefühlen  in 
einem  Gedichte  „An  F.  A.  v.  M.  Zum  Abschied  im  Frühling  18 10" 
(S.  W.  ^  XVI,  S.  72  ff.)  beredten  Ausdruck.  Sie  blieb  mit  ihm  in 
eifriger  Korrespondenz  (oben  S.  299,  421  f.),  doch  hat  sich  von  den 
Briefen  nichts  erhalten.  Er  empfahl  ihr  1812  Körner  (oben  S.  386f., 
r  388),  dessen  Tod  er  ihr  meldete  (oben  S.  423  f.),  sowie  er  auch  ihr 
Gedicht  auf  Körner  den  Eltern  übermittelte  (II,  S.  8)  und  wies  sie 
auf  Scott  und  Byron  hin  (II,  S.  67  f.),  wodurch  ihre  Scott-  und 
Byronübersetzungen  bedingt  sind.  Merkwürdig  ist  sein  Liebes- 
verhältnis, von  dem  die  Pichler  oben  S.  299  f.  berichtet.  —  Eine 
größere  Anzahl  Briefe  von  und  an  Merian  veröffentlichte  Karl 
von  Nostitz  (Leben  und  Briefwechsel.  Dresden  1848.  S.  I76ff., 
Nr.  5,  6,8,  9,  15,  18,20 — 42),  dessen  väterlicher  Freund  Merian 
war  (Vorwort  S.  3  ff.),  und  der  eine  kurze  Biographie  (S.  176 ff. 
Anm.)  beifügte.  In  den  Briefen  geschieht  Dezember  18 17  auch 
der  Pichler  Erwähnung,  von  der  zwei  Briefe  vor  Merian  lagen, 
die  er  noch  nicht  beantwortete  (S.  269).  Einige  boshafte  Bemer- 
kungen über  Merian  bietet  B.  Kopitar  in  seinen  Briefen  (V.  Jagic , 
IstocniH  dlja  istorii  slav.  filologii,  I,  [St.  Petersburg  1885],  S. 
555,  623). 

490  a^  Pichler  dürfte  wahrscheinlich  das  167.  Sonett  Petrarcas 
im  Auge  haben,  das  Ähnliches  besagt,  die  Stelle  als  solche  aber 
nicht  enthält  (vgl.  F.  Petrarca,  Rime.  Hg.  von  G.  BiagioU.  I, 
[Milano   1823],  p.  143). 

*9i)  Die  Söhne  des  Thaies.  Ein  dramatisches  Gedicht.  Berlin 
i8o3f.  2  Bde.  Eine  2.  Auflage  Berlin  1807,  eine  dritte  Berlin  1823 
(Goedeke  VI,  94  :  2).  Über  die  Aufnahme,  die  dieses  dramatische 
Gedicht  erfuhr,  vgl.  Felix  Poppenberg,  Zacharias  Werner,  Mystik 

566 


und  Romantik  in  den  „Söhnen  des  Thals".  Berlin  1893.  S.  7off.; 
aus  dessen  Auslassungen  geht  hervor,  daß  es  sowohl  bei  den  Roman- 
tikern als  auch  sonst  nicht  viel  Aufsehen  erregte.  Pichlers  Aus- 
führungen sind  Poppenberg  entgangen.  Sie  war  von  den  Söhnen 
des  Thaies  begeistert  (s.  ihren  Brief  an  Streckfuß:  K.  Glossy, 
Wiener  Communal-Kalender  XXXII,  S.  404). 

492)  Über  Lucinde  vgl.  Anm.  553.  —  Alarcos.  Ein  Trauerspiel 
von  Friedrich  Schlegel.  Berlin  1802  (Goedeke  VI,  S.  22  :  22).  — 
Lacrimas,  ein  Schauspiel.  Herausgegeben  von  August  Wilhelm 
Schlegel.    Berlin  1803  (Goedeke  VI,  S.  12  :  23). 

*93)  „Die  Templer  auf  Cypern"  bilden  den  i.  Teil  der  „Söhne 
des  Thaies".  Die  Erzählung  vom  Phosphorus  steht  jedoch  im 
2.  Teil  „Die  Kreuzesbrüder"  (Werner,  Theater  II  [Wien  18 13], 
S.  2i4ff. :  S.Akt,  3.  Sz.),  vgl.  dazu  Poppenberg,  S.  43f.  Sie  ist  der 
Ausdruck  der  Wernerschen  Todessinnlichkeit,  der  Inbegriff  der 
Weisheit  des  Thals  und  wird  vom  Alten  vom  Carmel  gesprochen. 

*9*)  Das  Kreuz  an  der  Ostsee.  Ein  Trauerspiel.  I.  Die  Braut- 
nacht. Berlin  1806.  Eine  2.  Auflage  Berlin  1823  (Goedeke  VI, 
94  :  3).  Beim  Gebet  der  Landsknechte  und  sonst  entzündet  sich 
ein  Flämmchen  auf  dem  Haupt  des  Spiehnanns  (Werner,  Theater  IV 
[Wien  18 13],  S.  94,  154,  222 f.)  5  die  Brautnacht  zwischen  Warmio 
und  Malgona,  in  der  sie  ihre  Keuschheit  bewahrt,  ebda.  IV,  S.  21 1  ff. 
Pichlers  Begeisterung  für  Werner  wurde  durch  das  Lesen  dieses 
Stückes  sehr  herabgestimmt  (Brief  an  Streckfuß :  K.  Glossy,  Wiener 
Communal-Kalender  XXXII,  S.  404). 

*^5)  Martin  Luther  oder  die  Weihe  der  Kraft.  Eine  Tragödie. 
Berlin  1807  (Goedeke  VI,  94  :  4).  Über  dessen  Aufnahme  bei  den 
Zeitgenossen,  die  diesem  Werke  mit  wenigen  Ausnahmen  nicht  ge- 
recht wurden,  vgl.  Jonas  Fränkel,  Zacharias  Werners  Weihe  der 
Kraft.  Hamburg  1904,  S.  125  ff.,  dem  aber  die  Angaben  der 
Pichler  entgingen.  —  Über  Werners  Lieblingsthema  handelt  die 
Pichler  öfter  satirisch,  vgl.  oben  S.  79f.,  174.  —  Die  Szene,  welche 
Pichler  im  Auge  hat,  findet  sich  am  Schlüsse  des  i.  Aktes  (Theater 
III,  S.  71),  doch  steigt  Luther  nicht  von  einem  Wagen  herab, 
sondern  tritt  durch  das  Wittenberger  Tor  auf  einen  freien  Platz, 
um  des  Papstes  Bannbulle  zu  verbrennen.  —  Der  S.  304  von  Pichler 
erwähnte  Tod  der  Therese  ist  die  Voraussetzung  von  Szene  i  des 
S.Aktes  (Theater  III,  S.  2330.).  Therese  ist  eine  der  mißglück- 
testen Gestalten  im  Stück,  sie  ist  die  Vertreterin  des  Glaubens 
und  Werner  vsrußte  sie  selbst  nicht  recht  zu  deuten  (vgl.  Fränkel 
S.  84,  dem  aber  die  Wernersche  Deutung  der  Pichler  gegenüber 
entging). 

*^)  Werner,  der  bereits  sein  Amt  zurückgelegt  hatte,  kam  an- 
fangs Juni  1807  von  Prag  aus  nach  Wien,  wo  er  bis  zum  27.  Sep- 

567 


V. 


tember  blieb.  Er  war  von  Wien  und  den  Wienern,  besonders 
vom  Prater,  dem  Brigitten-  und  Annenfest,  sowie  von  den  hübschen 
Wienerinnen  sehr  entzückt,  wie  ein  Brief  vom  Juli  1807  an  eine 
Berliner  Freundin  ausweist  (Schütz,  Zacharias  Werners  Biographie 
und  Charakteristik  I  [Grimma  1841],  S.  64ff.).  —  Zur  Pichler  kam 
er  am  Montag  nach  dem  9.  Juni,  das  ist  am  1 5 .  Juni  (s.  ihren  Brief  an 
Streckfuß :  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender  XXXII,  S.  404), 
mit  Collin.  Ihre  Schilderung  seiner  äußeren  Erscheinung  steht 
im  Gegensatz  zu  einer  des  Philosophen  H.  Steffens  (bei  Poppen- 
berg, S.  14),  welche  ihn  als  häßlich  erscheinen  läßt.  Über  seine 
Schnupf gewohnheiten  s.  auch  Poppenberg,  S.  14  und  Pichler, 
S.W.  2  L,  S.  22. 

**')  Gemeint  ist  Gellerts  Gedicht  „Der  glückliche  Dichter" 
(Alanus  Chartier),  den  die  Königin,  als  er  eingeschlafen,  obwohl 
er  nicht  schön  war,  küßte,  da  seinem  Munde  so  süße  Reden  ent- 
flossen (vgl.  Kürschners  Deutsche  National- Litteratur  XLIII, 
S.  133,  Nr.  13',  Vers  26  ff.). 

*^8)  Erschien  1807  (vgl.  Anm.  491).  Über  die  Astralisszenen  vgl. 
die  eingehenden  Ausführungen  bei  Poppenberg,  S.  31  ff.  Das  von 
der  Pichler  angeführte  Zitat:  Theater  I,  S.  56  (II.  Akt,  i.  Szene). 

*^^)  Attila,  König  der  Hunnen.  Eine  romantische  Tragödie  in 
5  Akten.  Berlin  1808.  —  Wanda,  Königin  der  Sarmaten.  Eine 
romantische  Tragödie  mit  Gesang  in  5  Akten.  Tübingen  18 10.  — 
Cunegunde  die  Heilige,  Römisch-Deutsche  Kaiserin.  Ein  roman- 
tisches Schauspiel  in  5  Akten.  Leipzig  1815.  —  Vgl.  Goedeke  VI, 
S.  94f.:  5,  7,  13-  _ 

^^)  WahrscheinUch  einem  Brief  der  Artner  an  die  Pichler  ent- 
nommen. 

^^)  Werners  Liebhngsldee,  die  in  allen  seinen  Stücken  zum 
Vorschein  kommt,  war  das  Verfließen  in  das  Unendliche,  das  er, 
gemäß  seinem  eigenen  Charakter  (Gemisch  von  religiöser  Askese 
und  fleischlicher  Lust),  mit  einer  wollüstigen  Askese  umgab.  Dieses 
Verfließen  hat  zwei  Stadien.  Das  erste  Stadium  ist  das  Aufgehen 
in  der  Liebe,  im  Liebesgenuß,  das  zweite  aber  ist  das  völlige  Ver- 
fließen im  Tod.  Was  die  Liebe  nur  auf  kurze  Zeit  gewährt.  Auf- 
geben der  eigenen  Individualität,  bietet  der  Tod  auf  inamer.  Dieser 
ist  die  Vollendung  (vgl.  Poppenberg,  S.  13,  2of.).  Man  begreift 
daraus,  daß  er  es  für  seine  Aufgabe  hielt  (oben  S.  304),  Liebe  zu 
predigen,  sie  zu  suchen  und  zu  verbreiten,  denn  sie  war  ihm  ja 
Mittel  zum  Zweck.  —  In  Pichlers  Originalhandschrift  steht  an- 
schließend noch  folgendes,  das  bereits  öfter  Gesagtes  wiederholt: 
„Er  behauptete:  Die  wahre  Liebe  müsse  das  Werk  eines 
Augenblicks  sein,  ein  Blitz,  der  zugleich  in  zwei  Herzen 
einschlägt,   sie  entzündet  und  reinigend  verzehrt.    Als 

568 


wir  ihm  antworteten,  wahre  Liebe  müsse  auf  Hochachtung  ge- 
gründet sein  und  folglich  könne  sie  nur  nach  längerer  Bekannt- 
schaft entstehn,  behauptete  er,  das  sei  gar  keine  Liebe  zu  nennen, 
jene  wahre  Liebe  entstehe  auf  einmal  und  dauere  ewig.  Er  selbst 
aber,  wie  wir  hernach  erfuhren,  und  auch  aus  seinem,  von  seinem 
Freunde  Hitzig  herausgegebenen  Leben  erheUt,  hat  in  seinem 
Leben  mehr  solche  Ewigkeiten  erlebt,  wovon  vielleicht  oder  viel- 
mehr gewiß  keine  die  rechte  war." 

^  Josef  Ludwig  Stoll  (1778 — 18 15),  Sohn  des  berühmten  Arztes 
Maximilian  Stoll,  dessen  Vermögen  er  bald  durchgebracht  hatte. 
Gab  mit  Leo  Freiherrn  von  Seckendorf  den  „Prometheus"  heraus 
und  hatte  zu  Goethe  Beziehungen.  Vgl.  Goedeke  VI,  S.  1 14, 
Nr.  7;  A.  Sauer,  Goethe  und  Österreich  II  [Weimar  1904],  S.  349  f. 

502a)  Diesen  Brief  von  Werner,  d.  d.  Wien,  den  26.  Septem- 
ber 1807,  veröffentlichte  Karoline  Pichler  1838  (Wiener  Zeitschrift 
für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode.  Wien  1838.  S.  314).  Das 
Original  befindet  sich  heute  in  der  Wiener  Stadtbibliothek.  Werner 
ging  von  Wien  aus  nach  München,  Stuttgart  und  Weimar  und  erst 
viel  später  (1809)  nach  Rom;   Pichler  verschwimmen  die  Daten. 

^3)  Johann  Wilhelm  Ridler  (1772 — 1834),  ein  Deutschböhme, 
kam  1791  nach  Wien,  war  seit  1804  Universitätsprofessor  für  Ge- 
schichte, dann  Prinzenerzieher  und  wurde  18 14  Direktor  der 
Wiener  Universitätsbibliothek,  die  ihm  viel  verdankt.  Als  Historiker 
ist  er  nicht  besonders  bedeutend.  Vgl.  Wurzbach  XXVI,  S.  73  ff. 
und  Hormayrs  scharfe  Urteile  (Taschenbuch  XXXIV,  S.  1255 
K.  GI08S7,  Grillp.  Jb.  XII,  S.  283,  320).  Mit  Karoline  Pichler  ver- 
band ihn  aufrichtige  Freundschaft  (II,  S.  406).  Er  reiste  mit  ihr 
zusammen  im  Sommer  1812  nach  Mariazeil  (oben  S.  395f.,  397f.)- 
Einen  Ausflug  zu  den  Lunzerseen,  den  er  am  4.  Juli  18 12  allein 
während  dieser  Reise  unternahm,  schilderte  er  der  Pichler  in  seinem 
Aufsatze  „Spaziergang  an  die  Lunzerseen"  (Hormayrs  Taschen- 
buch IV  [Wien  1814],  S.  5off.);  er  brachte  ihr  (S.ysf.)  ein  Sträuß- 
chen mit,  daß  er  symbolisch  auslegte  (die  Silene  acaulis  und  die 
Soldanella  beziehen  sich  auf  die  Gleichnisse,  das  Immergrün  auf 
den  Agathokles,  denn  unverändert  wird  Deutschlands  Hochachtung 
für  dessen  Verfasserin  sein).  Ihrem  „Ferdinand  IL"  stand  er  aber 
als  Zensor  unfreundlich  gegenüber,  worüber  sich  Karoline  Pichler 
Hormayr  gegenüber  beschwerte,  was  diesen  zu  Ausfällen  veranlaßte 
(vgl.  II,  S.  53  mit  Anm.  107). 

^  Franz  Michael  Vierthaler  (1758 — 1827),  ein  Oberösterreicher, 
war  1790  Direktor  des  Lehrerseminars  in  Salzburg  geworden,  er- 
hielt 1792  die  Lehrkanzel  für  Pädagogik  an  der  Salzburger  Uni- 
versität, 1803  die  Stelle  eines  Hofbibliothekars  und  reformierte 
als  Schulinspektor  die  Waisenhäuser.    1807  kam  er  als  Direktor  des 

569 


■t. 


Waisenhauses  nach  Wien,  welches  er  auf  eine  hohe  Stufe  hob. 
Er  war  ein  trefflicher  Pädagog  und  versuchte  sich  mit  Glück  als 
philosophisch-historischer  Schriftsteller  (vgl.  Wurzbach  L, 
S.  276 ff.).  —  Zur  Pichler  hatte  er  mannigfache  gesellschaftliche 
Beziehungen,  wohnte  er  doch  in  der  Alservorstadt  (oben  S.  336; 
II,  S.  168,  226,  406).  Er  begleitete  sie  1822  nach  Stockerau  (II, 
S.  153)  und  war  1823  Lottes  Beistand  (II,  S.  171). 

^  Hormayr,  Österreichischer  Plutarch.  20  Hefte.  Wien  1807 
bis  18 14.  —  Er  enthält  die  Biographien  der  österreichischen 
Regenten  von  Rudolf  von  Habsburg  bis  Franz  II.  (Heft  1 — 12), 
die  böhmischen  Regenten  (Heft  13 — 18)  und  die  Babenberger 
(Heft  19  u.  20).  Jedes  Heft  bringt  außerdem  2  Biographien  von 
Staatsmännern,  Feldherrn  oder  Gelelirten  der  entsprechenden 
Periode.  Jede  Lebensbeschreibung  ist  von  einem  Bild  begleitet. 
Von  jenen  Leuten,  die  dem  Greinerschen  Kreise  nahestanden, 
finden  wir :  Michael  Denis  (Heft  5),  Josef  Hilarius  Eckhel  (Heft  6), 
Wolfgang  Amadeus  Mozart  und  Maria  Anna  Adamberger  (Heft  8), 
Ignaz  Edler  von  Born  (Heft  9)  und  Josef  Freiherr  von  Sperges 
(Heft  16).  Auch  Karoline  Pichler  sollte  aufgenommen  werden 
(vgl.  Hormayrs  Brief  vom  13.  August  1806:  K.  Glossy,  Grillparzer 
Jb.  XII,  S.  242),  doch  bUeb  es  beim  Plan,  da  sie  nicht  gerne  ein- 
willigte (Brief  an  Streckfuß  vom  21.  August  1806:  K.  Glossy, 
Wiener  Communal-Kalender  XXXII,  S.  400).  —  Über  den  Ein- 
fluß, den  Hormayr  mit  dem  Plutarch  auf  seine  Zeitgenossen  aus- 
übte, spricht  er  selbst  in  seinen  Briefen  an  C.  A.  Böttiger  (deren 
Herausgabe  von  mir  vorbereitet  wird);  vgl.  überdies  noch"  Anna.  506. 
—  L.  L.  Haschka  schreibt  am  8.  November  1808  an  Reinhold 
über  den  Plutarch:  „Welch  ein  Werk!  Wenn  es  auch  einen  glei- 
chen classischen  Styl  hätte,  so  wäre  es  ein  Meister- Werk"  (Robert 
Keil,  Wiener  Freunde  1784— 1808.    Wien  1883.    S.  99). 

^^)  Über  den  Einfluß,  den  Hormayr  auf  die  österreichischen 
Dichter  ausübte,  wäre  zu  vergleichen:  Jos.  Wihan,  Euphorion. 
Ergänzungsheft  V  (1901),  S.  ii4ff.  (für  Matthäus  und  Heinrich 
von  Collin),  137 ff.  (Weiterbildung  der  Gedanken  Hormayrs  durch 
M.  Collin),  141  f.  Anmerkungen  (Balladen  im  Hormayrschen 
Archiv),  143 ff.  (Einfluß  auf  die  Künstler);  Hormayr,  Taschen- 
buch für  die  vaterländische  Geschichte  XXXV  (Berlin  1846), 
S.  9ff.,  i7ff.;  R.  J.  Binder,  Johann  Nepomuk  Vogl  und  die  öster- 
reichische Ballade.  Prag  1907.  S.  11  ff.;  Ferd.  Laban,  Heinrich 
Joseph  Collin,  Wien  1879,  S.  73 f-,  Anm.  4;  oben  Anm.  406  (Ein- 
fluß auf  die  Pichler). 

^')  Vgl.  die  Schilderung  dieses  Sturmes  in  der  Wiener  Zeitung 
Nr.  80  vom  7.  Oktober  1807,  S.  4647f.  Pichlers  Worte'' stimmen 
an   einigen   Stellen  wörtlich  mit  diesem  Bericht. 

570 


508j  Über  die  Entstehung  des  Olivier,  dessen  Erstdruck  (anonym) 
und  dessen  Aufnahme  vgl.  oben  S.  228 f.  mit  Anm.  383  und  II, 
S.  405.  —  Die  Buchausgabe  (1803)  wurde  nicht  freundlich  begrüßt. 
Besonders  eingehend  ist  eine  ungezeichnete  Anzeige  in  den  „An- 
nalen  der  Literatur  und  Kunst  in  den  österreichischen  Staafen"  II  i 
[Wien  1803],  Sp.  225  ff.,  welche  den  Roman  als  ohne  Interesse  be- 
zeichnet, da  seine  Charaktere  zu  abstrakt  und  seine  Begebenheiten 
weder  neu  noch  interessant  sind;  die  Einführung  der  Elfe,  welche 
zu  wenig  vom  Geisterreich  an  sich  hat,  wird  getadelt,  der  Stil  als 
korrekt  und  zierlich,  aber  kalt,  gedehnt  und  ohne  seelenvolle  Be- 
wegung hingestellt;  gelobt  wird,  als  sehr  natürlich,  die  Abschieds- 
szene und  daran  die  Bemerkung  geknüpft,  daß  überhaupt  die 
kleinen  Erzählungen  der  Dichterin  mehr  angemessen  seien  als  der 
große  Roman,  der  „einen  männlichen,  scharfsehenden,  mit  reicher 
Welt-  und  Menschenkenntnis  bebauten  Verstand"  fordert.  Im 
merkwürdigen  Gegensatze  dazu  steht  eine  Rezension,  die  ein  Jahr 
vorher  in  der  gleichen  Zeitschrift  (Annalen  der  österreichischen 
Literatur  I  [Wien  1802],  Sp.  112)  erschien  und  die  anonyme 
Novelle  „Olivier"  besprach;  der  Verfasser  dieser  Anzeige  soll 
Köderl  gewesen  sein  (Hormayr,  Taschenbuch  XXXIV,  S.  122). 
Dieser  sagt,  die  Erzählung  gäbe  „selbständig  einen  kleinen  Roman, 
der,  die  Elferei,  die  so  füglich  wegbleiben  könnte,  abgerechnet, 
der  natürlichste,  feinste,  zarteste,  schönste  Roman  ist,  der  seit 
Jüngers  Tode  in  Wien  geschrieben  wurde".  Die  Verfasserin  be- 
weise darin,  daß  nur  gebildete  Weiber  Liebe  „in  ihren  tausend- 
fältigen Formen  mit  Wahrheit  und  Delicatesse  malen  können.  Es 
versuche  sich  ein  Mann,  einen  ähnlichen  Roman,  der'  so  wenig 
Handlung  enthält,  und  sich  eben  so  leicht  und  gut  und  mit  immer 
steigendem  Interesse  lesen  ließe,  zu  schreiben;  und  vielleicht 
wird  er  mit  uns  gestehen,  daß  es  kein  Paradoxon  ist,  wenn  man 
behauptet:  unsere  Weiber  sollen  uns  Romane  schreiben  und 
unsere  Romanenschreiber  sollen  Nadel  und  Faden  statt  der 
Feder  in  die  Hand  nehmen.  Wenn  die  Verfasserin  die  Elferei 
weglassen  wollte  (der  Held  könnte  ja  auch  auf  einem  natür- 
lichen Wege  zu  einer  schöneren  Gestalt  gelangen,  seine  Ab- 
kunft könnte  ihm  auf  eine  natürliche  Weise  unbekannt  geblie- 
ben sein),  wenn  sie  hie  und  da  einige  zu  gedehnte  Situationen 
und  Herzensanatomien  etwas  abkürzen  und  nur  ein  wenig 
rascheren  Gang,  nur  etwas  mehr  Handlung  in  die  Geschichte 
bringen  wollte,  so  würde  diese  Erzählung,  ein  allerliebstes 
Dingelchen  werden,  das  man  gewiß  auch  zum  zweiten  Male 
mit  Vergnügen  lesen  würde." 

Schreyvogel  äußerte  Ähnliches  (Tagebücher.  Herausgegeben  von 
K.  Glossy  I  [Berlin   1903],   S.  268)  unterm   13.  Dezember    18 13: 


Olivier  „hat  einen  beinahe  meisterhaften  Gang  der  Handlung.  Das 
ist  eine  Schriftstellerin  wie  ein  Mann". 

Dieser  kleine  Roman  wurde  sowohl  ins  Französische  (Olivier. 
Traduction  libre  de  l'allemand,  d'apres  Mme.  Caroline  Pichler, 
nee  de  Greiner,  par  Mme.  de  Montolieu.  Avec  figure.  2  vols. 
in  12".  Paris  18235  ^S^'  Bibliographie  de  la  France  1823,  S.  4,  Nr.  30) 
als  ins  Holländische  (Amsterdam  1823;  Schindel,  Die  deutschen 
Schriftstellerinnen  des  19.  Jahrhunderts  II  [Leipzig  1825],  S.  116) 
übersetzt. 

^"')  Leonore.  Ein  Gemähide  aus  der  großen  Welt.  2  Theile. 
Wien  1804.  Bey  Anton  Pichler.  S**.  231  und  302  S.;  später 
S.  W.2  I,  II.   Wien  1820.   Mit  je  einem  Kupfer  Qos.  Schmidt  sc). 

Auch  dieser  Roman  fand  keine  allzu  günstige  Aufnahme.  Auf 
Schreyvogel  (Tagebücher  I,  S.  267),  den  die  letzten  Szenen  häus- 
lichen Glückes  rührten,  wirkte  mehr  die  Sache  als  die  Kunst.  Ein 
Rezensent  Gk.  (Göckingk .'')  entwarf  aus  dem  Inhalt  des  Romans 
in  etwas  boshafter  Weise  ein  Bild  der  Verfasserin  (Neue  allgemeine 
Deutsche  Bibliothek  XCI  [Berlin  1804],  S.  96ff.): 

„Madame  P.  ist  eine  weder  hübsche,  noch  häßliche,  recht  leid- 
liche, entweder  kinderlose  oder  doch  nur  mit  einem  Jungen  und 
einem  Mädchen  in  der  Fabrica  maritali  abgefundene  Frau,  die 
sich  nicht  ohne  Geschmack  kleidet,  zugegen  ist,  wenn  die  Kind- 
lein gewaschen  und  gesäubert  werden,  und  nur  in  preßhaften 
Fällen,  und  wenn  die  Presse  (zwey  so  handfeste  Bände  wollen 
geschrieben  und  gedruckt  seyn!)  — drängt,  die  Milchsuppe  und  den 
Mehlbrey  verbrennen  läßt,  —  übrigens  gesellig,  nicht  keifend, 
freundlich,  am  Theetische  redselig,  in  Abendzirkeln  gern  das  Wort 
führend,  ein  wenig  eifer-,  aber  dagegen  nur  mäßig  putzsüchtig  usw." 
Als  Schlußfolgerung  ergab  sich:  „Madame  P.  mag  eine  recht  gute 
Frau  seyn;  sie  hat  einen  höchst  alltäglichen  Roman  geschrieben, 
in  dem  es,  wie  in  gewissen  Familiengeschichten  und  dramatischen 
Werken  recht  bürgerlich  —  nach  Weise  des  sogenannten  Mittel- 
standes hergeht.  Die  große  Welt,  von  welcher  der  Titel  spricht, 
ist  ihr  fremd;  und  das,  was  sie  so  zu  nennen  beliebt,  veranlaßt  zu 
dem  Wunsche:  fern  von  der  großen,  sich  eine  recht  kleine  Welt 
zu  seiner  Umgebung  zu  bilden.  —  Dazu  bedurfte  es  aber  dieses 
Bchlechtgepinselten,  in  einem  geschmacklosen  Rahmen  gefaßten 
Gemäldes  wahrlich  nicht!"  —  L.  L.  Haschka,  der  in  die  Pichler 
„pro  tempore  verliebt"  ist,  verlangte  unterm  5.  März  und  9.  Ok- 
tober 1804  von  Reinhold  ein  Urteil  über  die  Leonore,  ohne  sich 
selbst  darüber  auszulassen  (R.  Keil,  Wiener  Freunde  S.  81).  — 
Ein  Anonymus  nannte  (Annalen  der  Literatur  und  Kunst  in  den 
österreichischen  Staaten  III  2  [Wien  1804],  Sp.  449ff.,  457ff.)  die 
Anlage  des  Romanes  einfach  und  gut,  fand  aber,  daß  die  einzelnen 


Charaktere  zu  sehr  bloße  Skizzen  de«  Verstandes  und  die  Hand- 
lungen, Begebenheiten  und  Verwicklungen  gar  zu  gewöhnliche 
sind,  wofür  er  die  Schuld  der  geringen  Ausbildung  des  gesellschaft- 
lichen Geistes  bei  den  Deutschen  beimißt.  Er  tadelte,  daß  sich 
alles  im  Romane  einer  bestimmten  Lehre  (Leben  der  glänzenden 
Welt  ist  elend)  fügen  müsse,  daß  die  Briefform,  die  möglichste  Ein- 
fachheit der  Handlung  voraussetze,  oft  einen  schleppenden  Gang 
der  Handlung  durch  Wiederholungen  erzeuge  und  auch  die  feineren 
Charakterunterschiede  in  den  Briefen  nicht  zur  Geltung  kommen. 
Wenn  auch  der  Plan  gut  sei,  die  Charaktere  verständig  gegenein- 
andergesetzt  und  berechnet  seien  und  die  Sprache  rein,  gefeilt  und 
warm  sei,  so  erzeuge  der  Roman  im  Detail  doch  Langeweile  und 
sei  keine  angenehme  und  belehrende  Unterhaltung  für  den,  der 
mit  dieser  großen  Welt  vertraut  ist.  Vergleichf:  man  aber  den 
Roman  mit  anderen,  zu  Ruhm  gelangten  Romanen  von  Damen, 
so  verdiene  er  unter  diesen  eine  ehrenvolle  Stellung  und  ein 
ebenso  großes  Publikum.  —  Nach  all  diesen  mehr  oder  weniger 
bissigen  und  absprechenden  Rezensionen  des  1803  entstandenen 
und  Gestalten  der  Wirklichkeit  verwertenden  Romans  (vgl.  II, 
S.  405 ;  Häring  =  Ferdinand  Blum  usw.),  sei  auch  auf  eine  freund- 
lichere Anzeige  (Allgemeine  Literatur-Zeitung.  Halle  1807.  II, 
Sp.  249  ff.)  hingewiesen,  welche  die  Zeichnung  der  Charaktere 
gut,  die  Darstellung  gewählt  und  trefflich  nennt,  wenn  auch  in- 
folge der  Briefform  Wiederholungen  und  Weitschweifigkeiten  ein- 
treten, so  daß  der  2.  Teil  ermüdend  wirkt. 

Von  anderen  Werken  Karoline  Pichlers  waren  damals  noch  er- 
schienen : 

I.  Eduard  und  Malvina.  Wien,  bey  Anton  Pichler,  1805.  8°. 
196  S.  Mit  einem  Kupfer  (Joh.  Kaspar  Weinrauch  fec).  Später: 
S.  W.a  XXVII.  S.  97  ff.  —  Sehr  lobend,  doch  eine  gewisse  Weit- 
schweifigkeit rügend,  spricht  sich  darüber  eine  Anzeige  in  „Jenaische 
Allgemeine  Literatur-Zeitung"  (1806,  II,  Sp.  334f.)  aus.  Lobend 
ist  im  großen  und  ganzen  eine  Rezension  in  „Annalen  der  Literatur 
und  Kunst  in  den  österreichischen  Staaten"  (IV  2  [Wien  1805], 
S.  3i6ff.),  wenn  sie  auch  die  Ereignisse  als  zu  unwahrscheinlich, 
die  Art  und  Verbindung  der  Gegenstände  als  zu  wenig  der  Welt 
entsprechend  und  die  Individualität  der  Personen  nicht  gehörig 
herausgearbeitet  findet,  wofür  aber  die  Naturschilderungen  treff- 
lich sind.  Die  UnWahrscheinlichkeit  mancher  Ereignisse  hebt 
auch  die  Anzeige  in  „Allgemeine  Literatur-Zeitung"  (1807,  II, 
Sp.  252 f.)  hervor,  doch  wird  dies  durch  die  Lebendigkeit  der 
Schilderung  gedeckt.  Garli^b  Merkel,  der  bereits  Pichlers  „Gleich- 
nissen" wohlwollend  gegenüberstand,  findet  (Der  Freymüthige 
III,  I  [Berlin  1805],  S.  305)  in  diesem  Roman  „Szenen  von  einem 

573 


80  zart  rührenden  Charakter,  als  nur  jemals  in  die  Lebensgeschichte 
Heloisens  hineingedichtet  wurden".  Viele  Situationen  und  Szenen 
erscheinen  ihm  „reizend  ausgemalt"  und  der  Vortrag  ist  „blühend 
und  wohlklingend".  —  Der  Roman  als  solcher  schließt  sich  an 
Kotzebues  Schauspiel  „Eduard  in  Schottland"  (nach  Duval;  Drama 
in  3  Akten.  Leipzig  1804:  Goedeke  V,  S.  282  :  103),  und  zwar 
an  dessen  Ende  an,  und  schildert,  wie  sich  die  Sache  hätte  weiter 
entwickeln  können.  —  Von  dieser  Erzählung  erschien  18 13  eine 
Übersetzung  ins  Italienische  (Eduardo  e  Malvina,  romanze  senti- 
mentale trasp.  da  V.  Bondegammi.  Milano  18 13:  Schindel,  Die 
Schriftstellerinnen  .  .  .  III,  S.  227). 

2.  Sie  war  es  dennoch.  Wien,  bey  Anton  Pichler,  1807.  8". 
126  S.  Mit  einem  Kupfer  (Joh.  K.  Weinrauch  fec).  Später: 
S.  W.2  XXVI,  S.  8 1  ff .  —  Diese  Erzählung  wurde  als  unterhaltend, 
belehrend  und  lesenswert  bezeichnet  (Neue  Annalen  der  Literatur 
des  österreichischen  Kaiserthumes  I,  2  [Wien  1807],  S.  2871.),  da 
sie  „voll  feiner  psychologischer  Züge"  ist  (Vaterländische  Blätter 
für  den  österreichischen  Kaiserstaat  I  [Wien  1808],  S.  248). 

^^°)  Minerva.  Taschenbuch  für  das  Jahr  1809  ( — 1833).  Leipzig, 
bey  Gerhard  Fleischer  dem  Jüngeren  (ab  183 1  Friedrich  Fleischer). 
Enthält  folgende  Beiträge  der  Pichler: 

I.  (1809),  ^i ff.:  Stille  Liebe  (Prosa  =  S.  W.*  XXII,  S.227ff.). 
—  Frau  Montolieu  übersetzte  1S13  die  Novelle  als  „Amour  et 
Silence"  ins  Französische  (vgl.  II,  Anm.  297),  J.  Tom.  Novacek 
1836  ins  Cechische  (Welikomyslne  zaprenj  sehe,  aneb  tagnä  laskak. 
Tabor  1836:  Anton  Hansgirg,  Katalog  ceskych  etc.  Prag  1840, 
S.  54b). 

II.  (1810),  S.  i59ff. :  Cremsmünster.  Eine  Legende  (Gedicht 
=  S.  W.2  XVI,  S.  256ff.).  —  Nachdrucke:  Der  Sammler.  Wien 
1810.  S.  5ff.;  Hormayrs  Archiv  1810  (vgl.  II,  Anm.  678a  ß);  Franz 
Sartoris,  Mahlerisches  Taschenbuch  für  Freunde  interessanter  Ge- 
genden III  (Wien  18 14),  S.  125.  —  K.  Pichler  war  im  Juli  1806 
längere  Zeit  in  Kremsmünster  (oben  Anm.  470).  —  Diese  Legende 
„beurkundet  bei  vieler  Anmut  eine  mehr  als  weibliche  Darstel- 
lungskraft" (Annalen  der  Literatur  und  Kunst  des  In-  und  Aus- 
landes I  [Wien  1810],  S.  124). 

m.  (i8ii),S.  23ff.:Zuleima  (Prosa  =  S.  W.« XXVII,  S.  261  ff.). 
Die  Geschichte  ist  nach  einer  mündlichen  Erzählung  Denons 
(Anm.  599)  gearbeitet  und  in:  Der  Sammler  II  (Wien  1810),  S.  608  ff. 
611  ff.  und  61 5  f.  (Nr.  150 — 152  vom  15. — 20.  Dez.  18 10)  nach- 
gedruckt. Am  6.  März  18 10  war  sie  von  der  Zensur  zurückgelangt 
(Hormayr  an  Pichler,  7.  März  18 10:  K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  XII, 
S.  248).  —  Eine  Übersetzung  ins  Französische  von  Marquis  H.  de 
Chauteaugiron   erschien    1825    (Zuleima.     Par   Caroline   Pichler 

574 


imite  de  rallemand  par  H.  de  C.  Paris  1825)  in  100  Exem- 
plaren den  Mitgliedern  der  französischen  Bibliophilengesellschaft 
und  des  Roxburg-Clubs  zugeeignet  (Bibliographie  de  la  France 

1825,  P-  S3h  Nr.  4456). 

IV.  (1812),  S.   iff.:  ArgaHa  (Prosa  =  S.W.«  XXV,  S.  233  ff.). 

V.  (1813),  S.  75ff.:  Der  Bade-Aufenthalt  (Prosa,  Briefform 
=  S.  W.8  XXIV,  S.  79  ff.). 

VI.  (1814),  S.  4iff.:  Mathilde.  Eine  tragische  Oper  in  3  Auf- 
zügen (=  S.W.2XX,  S.  155 ff.).— Vgl.  dazu  II,  S.8f.,  35,418  :22,24. 

VII.  (1815),  S.  357ff. :  Das  befreite  Deutschland.  Eine  Cantate 
in  2  Abtheilungen  (=  S.  W.«  XIX,  S.  239ff.).  —  Vgl.  dazu  II, 
S.  8,  417  :  19  und  Nachtrag  zu  Anm.  19. 

VIII.  (18 16),  S.  iff. :  So  war  es  nicht  gemeint  (Prosa,  in  Briefen 
=  S.  W.8  XXVIII,  S.  3  ff.).  —  Wurde  1820  ins  Norwegische  über- 
setzt (Saaledes  var  det  ikke  meent.  Fortalling.  Overs.  af  en  Dame 
og  udg.  af  M.C.Hansen.  Christiänia  1820.  8".  64  S.:  Mart. 
Nissen,    Norsk    Bog-Fortegnelse    1814 — 1847.     Kristiania    1848, 

5.113). 

IX.  (18 17),  S.  169  ff.:  Der  Husarenoffizier  (Prosa  =  S.W.«  XXIX 

S.  i57ff-)- 

X.  (1818),  S.  249  ff.:  Die  Berggeister  (An  meine  Freundin  Theone: 

Gedichte  =  S.  W.«  XVI,  S.  I49ff.).  —  Dazu  II,  S.  423,  Anm.  37. 

XI.  (1819),  S.  I93ff. :  Rüdiger  der  Normann,  erster  Graf  von 
SiciUen  (Prosa  =  S.  W.«  XVII,  S.  171  ff.). 

XII.  (1820),  S.  161  ff.:  Die  frühe  Verlobten.  Nach  einer  neapoli- 
tanischen Sage  (Prosa  =  S.  W."  XXIV,  S.  5  ff.). 

XIII.  (1821),  S.  239ff. :  Das  Kloster  auf  Kapri.  Nach  einem 
Gemälde  von  Catel  [im  Besitze  der  Frau  Baronin  von  Pereira, 
geb.  Freiin  v.  Arnstein]  (Prosa  =  S.W.«  XXVI,  S.  5ff.).  —  In 
dieser  Erzählung  hat  das  Verhältnis  zwischen  Lotte  Pichler  und 
Prokesch  Spuren  hinterlassen  (vgl.  II,  S.  158). 

XIV.  (1822),  S.  I99ff. :  FreundschaftUche  Briefe  (Prosa:  Als  ich 
gestern  von  Ihnen  nach  Hause  ging  .  .  .  =  S.  W.  «  L  III,  S.  1 1 1  ff: 
Über  Bescheidenheit  und  Seelenruhe). 

XV.  (1823),  S.  89ff. :  Freundschaftliche  Briefe.  Fortsetzung 
(Prosa :  Amalie  an  Lucinden :  Welche  Neuigkeit  habe  ich  Ihnen  .  .  . 
=  S.  W.  «LIII,  S.  9ff.:  Über  weibliche  Erziehung). 

XVI.  (1824),  S.  io7ff.:  Quintin  Messis  (Prosa  =  S.  W.«  XXXI, 
S.  iff.).  Diese  Künstlernovelle  erlebte  mehrere  Übersetzungen, 
so  ins  Französische  (Guido  Reni  et  Quintin  Metsys  ou  Revers 
et  prosperite.  Par  M.  Abbema  et  Mme.  Caroline  Pichler.  In  12". 
Paris  1838:  Bibliographie  de  la  France  1838,  p.  28,  Nr.  277),  ins 
Englische  (i.  Quentin  Matsys,  or  the  Blacksmith.  From  the  Ger- 
man.  London  1845;  2.  Beauties  of  German  Literature.  As  exempli- 

575 


fied  by  the  works  of  Pichler  [„Quentin  Matsys"  and  „Johannes 
Schoreel"].  In:  Chandos  Classics.  London  1868.  —  Katalog  des 
Britischen  Museums)  und  ins  Tschechische  (Kwintin  Messis.  Prel. 
Jar.  Pospjssil.  Prag  1835:  Anton  Hansgirg,  Katalog  ceskych  knih 
od  1.  1774  az  do  konce  r.  1839.  Prag  1840.  S.  51b).  —  S.  387!!.: 
Über  Wahrheit  im  Erkennen,  Denken  und  Empfinden  (Prosa: 
Was  ist  Wahrheit,  so  fragte  . .  .  =  S.  W.  ^  fehlend). 

XVII,  (1825),  S.  457ff.:  Freundschaftliche  Briefe  (Prosa:  Aurelie 
an  Cölestinen :  Sie  sind  auf  dem  Lande  .  .  .  =  S.  W.*  L  III,  S-  83  ff. : 
Über  Musik).  |.-^' 

XIX.  (1827),  S.  I  ff- :  Johannes  Schoreel  (Prosa  =  S.  W.^  XXXII, 
S.  5  ff.).  Über  eine  Übersetzung  ins  Englische  (1868)  vgl.  unter 
„Quintin  Messis". 

XXI.  (1829),  S.  iff.:  Die  Freunde  (Prosa  =  S.W.*  XXXIII, 
S.  259ff.).  j,j 

XXII.  (183 1),  S.  iff.:  Das  Turnier  zu  Worms  (Prosa  =  S.  W.» 
XXXIII,  S.  i65ff.).  —  Vgl.  dazu  II,  S.  261  f.  mit  Anm.  436. 

^^)  Taschenkalender  (später:  Taschenbuch)  für  Damen  auf  das 
Jahr  1799  ( — 1822).  Tübingen,  in  der  J.  G.  Cotta'schen  Buchhand- 
lung 1799 ff.  —  Von  der  Pichler  folgende  Beiträge: 

a)  1808,  S.  13 Iff.  Das  vergebliche  Opfer  (Prosa  =  S.  W.^XXVI, 
S.  163  ff.).  —  Diese  Erzählung  war  von  Karoline  Pichler  ursprüng- 
lich für  das  „Journal  für  Frauen",  das  Rochlitz  herausgab,  be- 
stimmt, dann  überließ  sie  selbe'^aber  Cotta  (vgl.  ihre  Briefe  an 
K.  Streckfuß  vom  31.  Jänner  und  9.  Juni  1807:  K.  Glossy,  Wiener 
Communal-Kalender XXXII,  S.401,  405).  EinKritiker  sagt(Vater- 
ländische  Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat  I  piVien^i8o8], 
S.  248),  diese  Erzählung  „kann  in  Beziehung  auf  Anlage  und  Aus- 
führung für  diese  Gattung  als  Muster  aufgestellt  werden." 

b)  i8io,S.  9ff.  Falkenberg  (Prosa  =  S.  W.« XXIV,  S.  18 iff.).— 
Madame  Montolieu  bearbeitete  diese  Erzählung  französisch  (Fal- 
kenberg ou  l'Oncle,  imite  de  l'allemand  de  Mme.  Pichler,  par 
Mme.  Isabelle  de  Montolieu.  2  vols.  Paris  18 12:  Bibliographie 
de  la  France  1812,  p.  627,  Nr.  4032).  Eine  Übersetzung  erfolgte 
ins  Dänische  (Falkenberg,  En  romant.  Skildring,  overs.  af  JensKragh 
Hoest.  Kjoebenhavn  1815:  Chr.  V.  Bruun,  Bibliotheca  Danica  IV 
[Kjoebenhavn  1902],  Sp.  468). 

c)  181 1,  S.  48 ff.  Alt  und  neuer  Sinn  (Prosa,  Briefform  =  S.  W.* 
XXVI,  S.  23 iff.).  —  Über  die  Entstehung  vgl.  oben  S.  371  mit 
Anm.  623.  Das  Vorbild  zu  Blankenwerth  ist  Graf  Heinrich  Wil- 
helm III.  von  Haugwitz,  vgl.  oben  S.  153. 

d)  1813,  S.  160 ff.  Die  Geschwister  (Prosa  =  S.  W.«  XXIII, 
S.  77ff.).  —  Von  Madame  de  Montolieu  ins  Französische  übersetzt, 
vgl.  II,  Anm.  297. 


e)  1814,  S.  i8ff.  Das  gefährUche  Spiel  (Prosa  =  S.  W.2  XXIII, 
S.  24iffO*  —  Eine  autobiographische  Erzählung,  worin  Karoline 
Pichler  ihr  Verhältnis  zu  Eberl  bespricht  (vgl.  oben  S.  154,  490 
:  284a). 

f)  1815,  S.  lögff.  Der  entwendete  Schuh  (Prosa  =  S.W.«  XXIII, 
S.  i65ff.). 

g)  1816,  S.  148  ff.  Schloß  Wiernitz  (Prosa  =  S.  W.2  XXVIII, 
S.  175  ff.).  —  Beruht  auf  einer  wahren  Begebenheit,  die  man  ihr 
in  ihrer  Jugend  oft  erzählte  (S.  W.2  XXVIII,  S.  177). 

h)  18 17,  S.  28  ff.  Abderachmen  (Prosa  =  5.  W.^XXIX,  S.  65  ff.). 

i)  18 18,  S.  271  ff.  Der  schwarze  Fritz  (Prosa  =  S.  W.2  XXX, 
S.  I  ff.).  —  ijat  die  Erlebnisse  des  Räubers  Grasel  zur  Voraussetzung 
und  steht  unter  Schillerschen  und  Grillparzerschen  Einflüssen  (vgl. 
II,  S.  88  mit  Anm.  164  und  166).  —  Wurde  als  „Öerny  Bad  rieh" 
durch  A.  Cepeläka  ins  Tschechische  übersetzt  (Prag  1844;  vgl. 
Wurzbach,  XXII,  S.  248  a). 

j)  1819,  S.  6iff.  Der  Einsiedler  auf  dem  Monserrat  (Prosa 
=  S.  W.2  XXX,  S.  179 ff.). 

k)  1820,  S.  202  ff.  Erste  Liebe  (Prosa  =  S.  W.2  XXVII,  S.  5ff., 
mit  geändertem  Titel:  Der  Amethyst). 

1)1821,  S.  iff.  Der  junge  Maler  (Prosa  =  S.  W.  2  XXII, 
S.  iiiff.).  —  Behandelt  das  Thema,  „wie  Eitelkeit  und  Hochmut 
das  beste  Gemüt  verderben  können",  und  zwar  nach  Erfahrungen, 
die  sie  selbst  (an  Prokesch)  machte;  vgl.  zwei  Brief  stellen  an  die 
Huber  (K.  Glossy,  Grillp.  Jb.  III,  S.  296,  300,  304  [Coradelli]). 
Die  Kupfer  dazu,  die  Pichler  sehr  gefielen  (Glossy  III,  S.  300), 
zeichnete  Ludw.  Ferdinand  Schnorr  von  Carolsfeld. 

m)  1822,  S.  loff.  Wahre  Liebe  (Prosa  =  S.  W.«  XXV,  S.  7ff.). 
—  Ebenfalls  auf  das  Verhältnis  ihrer  Tochter  Lotte  zu  Prokesch 
Bezug  nehmend,  vgl.  II,  S.  158  mit  Anm.  170. 

^^)  Gerhard  Fleischer  (1770  bis  nach  1838)  aus  Frankfurt  a.  M., 
eröffnete  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  in  Leipzig  ein  Verlags- 
und Sortimentsgeschäft.  Er  verlegte  vieles.  1829  zog  er  sich 
zurück,  den  Verlag  seinem  Sohn  Ernst  Gerhard  überlassend. 
1838  gründete  er  in  Dresden  ein  neues  Geschäft;  in  der  Zvnschen- 
zeit  war  er  nach  Pichler  in  der  Schweiz.  Vgl.  Kelchner  in:  Allge- 
meine Deutsche  Biographie  VII,  S.  113  und  unten  II,  S.  261.  — 
Die  Briefe  von  ihm  an  die  Pichler,  die  1816  ihren  „Ferdinand  IL" 
bei  ihm  verlegte  (II,  S.  430),  sind  im  Pichlernachlaß  der  Wiener 
Stadtbibliothek  nicht  enthalten,  dafür  aber  ein  Brief  der  Pichler 
an  ihn  (vom  17.  Februar  1827). 

^^^)  Therese  Huber  (1764 — 1829),  die  Tochter  des  Göttinger 
Philologen  Heyne,  war  seit  1785  mit  Georg  Forster  verheiratet 
und   ehelichte  nach  dessem  Tod  (1794)   seinen   Freund   Ludwig 

37    C.  P.  I  577 


Ferdinand  Huber  (1764 — 1804),  der  für  sie  bereits  nach  der  Flucht 
aus  Mainz  treulich  gesorgt  hatte,  im  Jahre  1794.  Sie  übersetzte 
viel,  schrieb  einige  treffliche,  durch  Würde  ausgezeichnete  Romane, 
und  wurde  die  Biographin  ihrer  Männer  (Goedeke  V,  S.  48 1  ff.). 
Ludwig  Geiger  widmete  ihr  eine  feinsinnige  Biographie  (Therese 
Huber.  Stuttgart  1901).  —  Karoline  Pichler  hatte  die  Absicht, 
eine  Erzählung  (Der  Steckbrief)  der  Huber  zu  dramatisieren,  doch 
gab  sie  den  Plan  wieder  auf  (vgl.  ihren  Brief  vom  20.  Dezember 
1820:  K.  Glossy,  Grillparzer  Jahrbuch  III,  S.  339). 

^^*)  Es  sind  18  Briefe  der  Pichler  an  die  Huber  erhalten,  die 
K.  Glossy  (Jahrbuch  der  Grillparzer-Gesellschaft  III  [Wien  1893], 
S.  269ff.)  herausgab,  und  19  Briefe  der  Huber  an  die  Pichler,  die 
L.  Geiger  (ebd.  XVII  [Wien  1907],  S.  i9off.)  zugänglich  machte. 
Eine  Mitteilung  darauä  zieht  die  Pichler  II,  S.  246  heran. 

^^^)  Theresia  Huber  hatte  zu  Ende  des  Jahres  18 16  die  Redaktion 
des  Cottaschen  „Morgenblattes  für  gebildete  Stände"  übernom- 
men und  führte  selbe  mit  großem  Geschick  und  Verständnis.  Da 
sie  aber  als  Redakteurin  unbekannt  bleiben  wollte,  so  ergaben 
sich  daraus  für  sie  manche  Verlegenheiten  und  mancher  Verdruß, 
denn  Cotta  ließ  sie  nicht  frei  schalten,  sondern  behielt  sich  eine 
Art  Oberleitung  vor  (vgl.  L.  Geiger,  Therese  Huber.  S.  281  ff.). 
Über  ihren  Kopf  hinweg  berief  Cotta  den  Dichter  A.  Müllner 
zum  Redakteur  des  Literaturblattes,  und  als  Huber  einen  Aufsatz 
desselben  ablehnte,  schmähte  Müllner  sie  öffentlich  und  privat 
(Geiger,  S.  297 ff.).  Ende  1823  wurde  der  Bruch  mit  Cotta,  der 
sich  1828  endgültig  vollzog,  offenkundig  (Geiger,  S.  299ff.).  Noch 
1825  bedauerte  die  Pichler  in  einem  Briefe  an  die  Huber  diese 
wegen  der  Redaktionsverdrießlichkeiten  (K.  Glossy,  Grillparzer  Jb. 
III,  S.  336).  —  Wenn  die  Pichler  davon  spricht,  daß  sie  nie  eine 
Rezension  schrieb,  so  vergaß  sie,  daß  sie  eine  solche  über  Grill- 
parzers  Sappho  ins  Morgenblatt  (18 18,  Nr.  117),  wenn  auch 
anonym,  einrücken  ließ  (vgl.  Glossy,  Grillparzer  Jb.  III,  S.  348  ff., 
Anm.  6). 

51«)  Vgl.  oben  S.  3i6ff.  mit  Anm.  528 ff. 

^i')  Anne  Louise  Germaine  Baronin  von  Stael-Holstein  (1766 
bis  18 17),  die  Tochter  des  französischen  Finanzministers  Jakob 
Necker,  heiratete  1786  den  schwedischen  Gesandten  Erich  Magnus 
Baron  von  Stael,  von  dem  sie  sich  1796  trennte,  1798  aber  wieder 
zu  ihm  zurückkehrte  und  bis  zu  seinem  Tode  (1802)  bei  ihm  ver- 
blieb. Bereits  1786  erschien  ihre  erste  Schrift.  1792  flüchtete  sie 
vor  der  Revolution  aus  Paris,  lernte  in  Coppet  1794  Benjamin 
Constant  kennen,  kehrte  1797  nach  Paris  zurück,  wurde  aber  1803 
von  Napoleon  politischer  Konspirationen  wegen  aus  Paris  ver- 
bannt.   Sie  reiste  nunmehr  nach  Deutschland  (Berlin,  Weimar^, 

578 


lernte  in  Berlin  A.  W.  Schlegel  kennen,  der  sich  ihr  anschloß,  und 
ging  1805  nach  Italien.  Eine  Frucht  der  italienischen  Reise  ist 
ihr  berühmtes  Werk  „Corinne  ou  l'Italie"  (Paris  1807).  1808  kam 
sie  von  Weimar  nach  Wien  (vgl.  Anm.  519),  lernte  hier  auch  die 
Pichler  kennen  und  hatte  flüchtigen  Verkehr  mit  ihr.  Ihre  An- 
sichten über  Deutschlands  Zustände  auf  dem  Gebiete  der  Philo- 
sophie, der  Sitten  und  Literatur  faßte  sie  in  dem  Werke  „De 
rÄllemagne"  (18 10)  zusammen,  das  bei  seinem  Erscheinen  auf  Be- 
fehl Napoleons  beinahe  gänzlich  vernichtet  wurde  und  ihr  eine 
neuerliche  Verbannung,  und  zwar  aus  ganz  Frankreich  zuzog. 
Sie  lebte  nun  in  Coppet  in  der  Schweiz,  reiste  18 12  nach  Moskau, 
St.  Petersburg  und  Stockholm,  18 13  nach  England,  und  erst 
Napoleons  Sturz  gab  sie  der  Heimat  wieder,  aus  der  sie  bei  Napo- 
leons Rückkehr  1815  noch  einmal  floh,  um  jedoch  bald  wieder 
zurückzukehren  und  bis  an  ihr  Lebensende  in  Paris  zu  verbleiben. 
Vgl.  Lady  Blennerhassett,  Frau  von  Stael,  ihre  Freunde  und  ihre 
Bedeutung.    3  Bde.    Berlin  1888  f. 

5^8)  Über  das  Denkmal,  seine  Herstellung  und  Ausführung  durch 
den  Bildhauer  Franz  Zauner  vgl.  Jos.  Ellmaurer,  Le  monument 
de  Joseph  II.  Vienne  1807.  —  Die  Enthüllung  fand  am  24.  Novem- 
ber 1807  statt;  über  die  dabei  stattgehabten  Festlichkeiten  berichtete 
die  Wiener  Zeitung  Nr.  94  vom  25.  November  1807,  S.  5467 f. 
(e3  waren  etwa  6000  Zuseher  anwesend;  12  Uhr  wurde  das  Denk- 
mal enthüllt,  die  Sonne  trat  aus  den  Wolken).  —  Franz  Zauner, 
Edler  von  Falpatann  (1746 — 1822)  war  seit  1766  in  Wien,  seit  1784 
Professor  an  der  Akademie  der  bildenden  Künste  und  seit  1806 
deren  Direktor,  außerdem  Hofstatuar  (vgl.  Wurzbach  LIX, 
Ssl.  20  ff.). 

®^^)Frau  von  Stael  kam  nach  den  Berichten  der  Wiener  Polizei, 
die  sie,  weil  man  eine  Spionin  in  ihr  vermutete,  bis  auf  die  kleinste 
Kleinigkeit  beobachten  ließ,  anfangs  Januar  1808  nach  Wien  (der 
erste  Polizeibericht  ist  vom  13.  Januar  1808),  wohnte  zunächst 
im  Gasthof  zum  „Weißen  Schwan",  zog  dann  ins  Haus  Nr.  2  der 
Plankengasse  und  gab  hier  jeden  Donnerstag  Gesellschaften,  an  denen 
Aristokraten  und  Gelehrte  (Retzer,  Hammer,  Hormayr,  Collin  u.  a.) 
teilnahmen  (Bericht  vom  8.  Februar  1808).  Sie  selbst  verkehrte 
viel  in  vornehmen  Gesellschaften,  beteiligte  sich  auch  an  Hof- 
festlichkeiten, was  die  Polizei  für  Zudringlichkeit  hielt,  konnte 
sich  aber  nicht  viel  Freunde  machen,  da  man  an  ihr  alles  für 
Intrige  ansah  (Bericht  vom  8.  Februar  1808),  weil  sie  auch,  wie 
die  Polizei  meint,  „bei  ihrem  bekannten  Geist  die  Kunst  nicht 
verstehe,  die  Herzen  oder  das  Zutrauen  der  Menschen  zu  ge- 
winnen" (ebd.).  Sie  war  in  Wien  gar  nicht  beliebt,  und  selbst 
Unbekannte  sprachen  an  öffentlichen  Orten  von  ihr  als  einer  ver- 

37*  579 


haßten  Person  (ebd.).    Die  Polizei  vermutete  auch,  daß  sie,  weil 
man  ihr  Spionage  nicht  nachweisen  konnte,  den  Zweck  habe,  eine 
bedeutende  Rolle  zu  spielen,  als  Gelehrte  zu  glänzen  und  deswegen 
die  große  Welt  um  sich  versammle  (Bericht  vom  27.  Februar  1808). 
Vgl.  über  die  Polizeiberichte  Alex.  Hajdecki,  Österreichische  Rund- 
schau II  (Wien  1905),  S.  225  ff.  —  Was  die  Pichler  über  die  Teil- 
nahme der  Frau  von  Stael  an  der  Enthüllung  des  Kaiser- Josef- 
Denkmals  sagt,  ist  nicht  richtig,  da  diese  damals  nicht  in  Wien 
war;  vgl.  auch  einen  Brief  der  Pichler  an  Streckfuß  (Glossy,  Wiener 
Communal- Kalender  XXXII,  S.  406),  worin  es  heißt,  Stael  sei  seit 
dem  neuen  Jahr  (1808)  in  Wien.   In  diesem  Briefe  gibt  die  Pichler 
auch  Nachricht  über  die  unfreundlichen   Gerüchte,  welche  in 
Wien  über  Frau  von  Stael  kursieren  und  die   Gründe,    welche 
diese  Gerüchte  hervorriefen,  denn  „daß  sie  Geist  hat  und  ohne 
Prät«nsion  ist,  daß  sie  häßlich  ist  und  doch  den  meisten  Männern 
gefällt,    das  können  ihr  die  Weiber  —  daß  sie   von  Geburt  eine 
Bürgerliche  an  den  Hof  geht  —  die  Emigrierten  und  der  Adel 
nicht  verzeihen  —  und  hinc  illae  lacrymae  —  sage  ich  Ihnen  ins 
Ohr,   denn   laut  würde  ich  als  Weib   keinen  lateinischen   Text 
zitieren"  (ebd.  S.  4o6f.).    Pichler  fühlte  sich  durch  das  Betragen 
der  Frau  v.  Stael  angezogen  und  wurde  ihr  herzlich  geneigt  (ebd. 
S.  407).   Frau  v.  Stael  verließ  Wien  am  22.  Mai  1808  mit  Schlegel 
und  ging  über  Prag  nach  Weimar  (Hajdecki  a.  a.  O.  il,  S.  232).  — 
Über  Staels  Wiener  Aufenthalt  berichtet  diese  selbst  kurz  in  „De 
l'Allemagne"  (Paris  1862.    S.  43  f.,  45  ff.),  wobei  sie  nur  die  Hoch- 
zeitsfeierlichkeiten des  Kaisers  hervorhebt,  desto  eingehender  aber 
über  die  Wiener  Gesellschaft  plaudert.  Was  Lady  Blennerhasset  (Frau 
von  Stael  III,  S.  191  ff.)  darüber  berichtet,  ist  nicht  sehr  eingehend. 
520)  Über  die  Corinne  der  Frau  v.  Stael:    Morgenblatt  für  ge- 
bildete Stände  I  (Tübingen  1807),  S.  ii53f.  und  ii57f.  (Nr.  289 
und  290  vom  3.  und  4.  Dezember  1807)  =  S.  W.^  XVII,  S.  33ff.  — 
Die  Stellen,  worauf  die  Pichler  anspielt,  bringt  sie  in  ihrem  Auf- 
satze selbst  (Morgenblatt  I,  S.  1157=  S.  W.^  XVII,  S.  4if.);  sie 
sind  aus  Corinne  ou  i'Italie  II  (Paris  1807),  p.  60  (Il  avoit  pour 
eile  .  .  .   rassuree  par  lui)  und  II,  p.  186  (Ah,  ne  faut-il ...   et 
protegees).    Die  Pichler  meint  in  diesem  Aufsatz,  und  da  hat  sie 
sich  selbst  vor  Augen,  daß  jede  Frau  ihren  Geist  ausbilden  könne, 
ohne  ihre  häuslichen  Pflichten  zu  vernachlässigen  und  ohne  sich 
über  den  Mann  zu  erheben.    Außerdem  beanstandet  sie,  daß  die 
Religion  bei  Corinne  als  Aberglauben  erscheine.    HäusUchkeit  und 
ReUgion,   die  beiden  Steckenpferde  der  Pichler  erscheinen  also 
bereits  hier.  —  Über  Staels  schwächliche  Helden  äußert  sich  die 
Pichler  auch  sonst,  vgl.   II,   S.  161;    Staels  Schrei  nach  Unter- 
ordnung auch  II,  S.  311. 

580 


521)  August  Freiherr  von  Steigentesch  (1774 — 1826),  General- 
major und  dramatischer  Dichter,  war  seit  seinem  fünfzehnten 
Lebensjahr  in  österreichischen  Kriegsdiensten^  klomm  rasch  die 
militärische  Stufenleiter  hinan  und  wurde  vielfach  zu  diplomati- 
schen Sendungen  verwendet.  1809  befehligte  er  ein  Wiener  Land- 
wehrbataillon (oben  S.  332).  Pichler  traf  ihn  wiederholt  in  Gesell- 
schaft (oben  S.  315;  II,  S.  219).  Als  Lustspieldichter  wendete  er 
sich  gegen  die  falsche  SentimentaÜtät  und  die  Gefühlskarikatur. 
Vgl.  Wurzbach  XXXVIII,  S.  7ff.  und  Goedeke  V,  S.  296. 

522)  August  Wilhelm  von  Schlegel  (1767 — 1845),  ein  hannovera- 
nisches  Dichterkind,  verdiente  sich  in  Göttingen  unter  Bürgers 
Einfluß  seine  ersten  dichterischen  Sporen,  warf  sich  aber,  selbst 
nicht  besonders  produktiv,  bald  auf  die  Kritik  (vgl.  auch  oben 
S.  301).  Seit  1796  verheiratet,  wohnte  er  bis  1801  in  Jena  und 
führte  dann  bis  18 18,  wo  er  Professor  der  Literatur  in  Bonn  wurde, 
ein  Wanderleben,  das  ihn  im  Gefolge  der  Frau  v.  Stael,  die  er^i8o3 
in  Weimar  kennen  gelernt  hatte,  über  Paris  und  Coppet  nach 
Wien,  Dänemark,  Italien  usw.  führte.  Als  Dichter  nur  dem  For- 
mellen Genüge  leistend,  erwarb  er  sich  durch  seine  Übersetzungen, 
durch  seine  Vorlesungen  und  durch  seine  Arbeiten  auf  dem  Ge- 
biete der  indischen  Philologie  bedeutende  Verdienste.  Vom  Wesen 
händelsüchtig  und  eitel,  führte  er  zeitlebens  eine  große  Anzahl 
Fehden  mit  mehr  oder  minderem  Geschick  durch.  Vgl.  Goedeke 
VI,  S.  5 ff.  und  Franz  Muncker  in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie 
XXXI,  S.  3  54  ff.  Über  seine  Beziehungen  zu  Frau  v.  Stael  vgl.  Lady 
Blennerhasset  a.  a.  O.  III,  S.  555  Reg.  —  Schlegel  verkehrte  wäh- 
rend seines  Wiener  Aufenthaltes  (Januar  bis  22.  Mai  1808)  einige 
Male  bei  der  Pichler  (oben  S.  312,  320),  auch  traf  sie  ihn  sonst 
(oben  S.  315,  326),  besonders  in  seinen  Vorlesungen,  denen  sie 
beiwohnte  (oben  S.  325);  aber  trotz  seiner  Artigkeit  war  sie  von 
ihm,  seines  eiteln  Wesens  wegen  nicht  eingenommen  (oben  S.  312, 
327f.  mit  Anm.  555).  Schlegel  spielte  in  Wien  im  intimen  Kreise 
auch  Theater  in  Staelschen  Stücken  (oben  S.  324).  Pichlers  „Hein- 
rich von  Hohenstaufen"  und  „Rudolf  von  Habsburg"  folgen 
Schlegelschen  Anregungen  (II,  S.  413  :  i;  419  :  28). 

^^)  Ganz  gleiche  Gedanken  äußerte  Karoüne  Pichler  bereits  in 
ihrem  Brief  an  K.  Streckfuß  vom  8.  März  1808  (K.  Glossy,  Wiener  . 
Communal-Kalender  XXXII,  S.  407);  auch  hier  heißt  es,  daß  die 
Frauen  eine  gewisse  Melancholie  an  ihm  wahrgenommen  haben 
wollten  und  ein  zärtliches  Mitleid  mit  ihm  haben,  da  er  durch 
seine  abhängige  Situation  gebeugt  sei,  während  Karoline  dem- 
gegenüber bemerkte,  „es  käme  nur  auf  ihn  an,  diese  goldne  Sklaverei 
mit  einer  beschränkten,  aber  freien  Existenz  zu  vertauschen,  die 
einem   Manne   vöe   Schlegel  nirgends  in   Deutschland   entgehen 

581 


könnte".    Sie  fand  keine  Spur  von  Anomalie  an  ihm,  vielmehr 
etwas  Launenhaftes,  Ungleichartiges,  und  obwohl  er  ein  sehr  artiger 
Mann  war,  ^o  fühlte  sie  sich  durch  sein  Betragen  „eher  abgestoßen 
als  angezogen". 

624^  Frau  von  Nuys  aus  Bremen,  bei  der  Karoline  Pichler  Frau 
Stael  traf  (oben  S.  314)  und  mit  der  sie  auch  sonst  öfter  in  Gesell- 
schaft zusammenkam,  so  bei  Frau  Flies  (oben  S.  326),  ist  mir  sonst 
unbekannt.  Hormayr  spricht  in  einem  Briefe  an  die  Pichler 
(i.  März  1808:  K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  243 f.)  von 
der  soliden  Anschauung  dieser  Frau. 

524  a)  Diese  klavierspielende  Freundin  dürfte  mit  Antonie  von 
Kempelen  identisch  sein,  von  deren  trefflichem  Klavierspiel  die 
Pichler  auch  sonst  berichtet  (vgl.  oben  S.  251,  283). 

^26)  In  einem  Briefe  an  Streckfuß  vom  8.  März  1808  schildert 
Karoline  Pichler  auch  Frau  von  Stael  (K.  Glossy,  Wiener  Com- 
munal-Kalender  XXXII,  S.  406).  Sie  nennt  sie  häßlich,  was  ja 
allgemein  bekannt  sei,  aber  auch  sehr  liebenswürdig,  ohne  alle 
Prätension,  freundlich  und  mitteilend,  beinahe  herzlich,  was  den 
meisten  unbekannt  sei.  Sie  glaubt  aber  in  ihr  eine  gevnsse  Eitel- 
keit zu  finden,  da  sie  an  allen  Festlichkeiten  teilnimmt.  Noch  1820 
äußert  sich  Karoline  Pichler  in  einem  Briefe  an  die  Huber  (vom 
19.  Juni  1820:  K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  III,  S.  300)  an- 
läßlich der  Lektüre  der  Staelbiographie  der  Albertine  Adrienne 
Necker  de  Saussure,  deren  panegyrisches  Lob  sie  ablehnt,  über 
Stael:  sie  „war  gewiß  als  Mensch  und  Schriftstellerin  so  edel  und 
groß,  daß  eine  einfache  Darstellung  ihrer  Tugenden,  Verdienste 
und  Handlungen  der  erhabenen  Frau  gewiß  würdiger  und  ihrem 
Geiste,  der  nun  von  so  manchem  Irrtum  befreit,  mit  hellerem  Blicke 
auf  die  Erde  und  ihre  Freunde  niederschaut,  angenehmer  gewesen 
wäre." 

^26)  Albert  Baron  Stael  wurde  1792  zu  Coppet  in  der  Schweiz 
geboren,  verblieb  während  der  ersten  Reise  seiner  Mutter  nach 
Deutschland  (1803)  in  Paris,  sah  sie  1804  (Mai)  in  Zürich  Nieder, 
lebte  dann  mit  ihr  in  der  Verbannung  und  spielte  bereits  1806 
zu  Genf  den  Engel  in  Staels  „Agar",  eine  Rolle,  die  er  1808  in 
Wien  wieder  agierte  (oben  S.  323).  Da  seine  Erziehung  in  Deutsch- 
land durchgeführt  werden  sollte,  reiste  Frau  Stael  im  Dezember 
1807  nach  Weimar,  kam  von  dort  mit  Tochter  und  Sohn  nach 
Wien,  wo  er  in  Theaterstücken  von  ihr  und  anderen  auf  Privat- 
theatern auftrat  (oben  S.  323,  324;  Thürheim,  M.  L.  I,  S.  243) 
und  im  April  in  der  Militärschule  untergebracht  wurde.  Später 
wieder  in  Coppet,  begleitete  er  seine  Mutter  1 8 1 2  auf  ihrer  Flucht 
nach  Rußland,  trat  hierauf  in  schwedische,  bald  hernach  in  russische 
Militärdienste  und  blieb  im  Juli   18 13  in  einem  Duell.    Er  war 

582 


leichtsinnig  und  aufbrausend.  Vgl.  Blennerhassett,  Frau  v.  Stael  II 
(Berlin  1888),  S.  145  und  III  (1889),  S.  36if.,  558  Reg.;  Thür- 
heim,  M.  L.  I,  S.  239. 

527)  Albertine  Baronin  Stael  wurde  am  13.  Oktober  1797  zu 
Coppet  als  Frucht  des  Verhältnisses  ihrer  Mutter  mit  Benjamin 
Constant  geboren,  genoß  eine  sorgfältige  Erziehung,  begleitete 
ihre  Mutter  auf  ihren  Wanderfahrten  und  vermählte  sich  am 
20.  Februar  18 16  zu  Pisa  mit  dem  Herzog  Achille  Leonce  Victor 
Charles  de  Broglie  (1785 — 1870),  welches  Ereignis  A.  W.  von 
Schlegel  durch  ein  Gedicht  feierte  (Goedeke  VI,  S.  13  :  43).  Sie 
starb  in  jungen  Jahren  1838.  Vgl.  Blennerhassett  II,  S.  309, 
III,  S.  449 ff.,  485 f.  —  Über  ihr  Theaterspiel  in  Wien  vgl.  oben 
S.  322,  324. 

528)  Maria  Ludovica  Beatrix  von  Este,  Kaiserin  von  Österreich 
(1787 — 1816),  seit  6.  Januar  1808  die  dritte  Gattin  Kaiser  Franz  L, 
war  eine  glühende  Feindin  Napoleons  und  1809  und  später  Haupt 
der  Kriegspartei.  Sie  war  anmutig,  geistvoll  und  stets  geschmack- 
voll gekleidet  (vgl.  oben  S.  373,  375),  mochte  aber  des  Kai,sers 
vulgäre  Umgebung  nicht  leiden,  so  daß  bald  Unstimmigkeiten 
auftraten.  Die  ursprüngliche  Liebesheirat  hielt  nicht,  was  sie  ver- 
sprochen (vgl.  Ed.  Wertheimer,  Die  drei  ersten  Frauen  des  Kaisers 
Franz.  Leipzig  1893.  S.  göf.).  Daß  ihre  Mutter,  Erzherzogin 
Maria  Beatrix  Riccarda  von  Este,  sie  ursprünglich  für  das  Kloster 
bestimmte  (Pichler,  oben  S.  316),  davon  berichten  die  Quellen 
nichts  (E.  Guglia,  Kaiserin  Maria  Ludovica  von  Österreich.  Wien 
1894.  S.  188).  Goethe  schätzte  die  Kaiserin  hoch.  Vgl.  Wurz- 
bach VII,  S.  535  Guglia  a.  a.  O.;  Wertheimer,  S.  77ff.;  Lulu 
Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  225  ff. 

529)  Ygi  oben  S.  374f.  und  Anm.  233 f.  Dazu:  Ed.  Wertheimer, 
Die  drei  ersten  Frauen  des  Kaisers  Franz.    Leipzig  1893.    S.  iff. 

^^)  Maria  Theresia  von  Neapel,  Kaiserin  von  Österreich  (1772 
bis  1807),  seit  1790  mit  Kaiser  Franz  verehelicht,  hatte  etwas 
sonderbare  Allüren,  sodaß  es  öfter  zu  Differenzen  mit  ihrem 
Gemahl  kam.  Sie  war  sehr  fromm  und  häuslich  und  hinterließ 
bei  ihrem  frühen  Tod,  der  Kaiser  Franz  sehr  nahe  ging,  eine  große 
Kinderschar.  Vgl.  Wurzbach  VII,  S.  8if.;  Lulu  Gräfin  Thür- 
heim, Mein  Leben  I,  S.  125 ff.;  Ed.  Wertheimer,  Die  drei  Frauen 
usw.,  S.yyii.j  Schönholz,  Traditionen.  Herausgegeben  von 
G.  Gugitz  I  (München  19 13),  S.  65  ff. 

^^^)  Diese  glänzend  besuchte  Freiredoute  —  es  waren  an  4000  Ein- 
ladungen ausgegeben  worden,  —  fand  am  10.  Januar  1808  in  den 
neu  und  geschmackvoll  dekorierten  „Redoutensälen"  statt.  Der 
Hof  blieb  bis  1 1  Uhr,  der  Ball  dauerte  bis  in  den  Morgen  hinein. 
Die    Gäste   wurden   die   ganze   Nacht   hindurch   bewirtet.     Die 

3  ° :» 


„Wiener-Zeitung"  (1808,  S.  178)  berichtet,  daß  eine  Gesellschaft 
von  Kavalieren  und  Damen  maskiert  ihren  Einzug  in  den  Saal 
hielt,  eine  persische  Hochzeit  darstellte  und  dann  Tänze  auf- 
führte. Es  wurde  aber  vielmehr  eine  Gesandtschaft  aus  Indien 
vorgestellt,  mit  dem  Großmogul  an  der  Spitze,  die  ihre  Huldigung 
darbrachte.  Vgl.  Guglia,  S.  31  f.;  Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein 
Leben  I,  S.  228;  Arnold- Wagner,  Achtzehnhundertneun.  Wien 
1909.  S.  291  ff.;  Aug.  Wilh.  von  Schlegel,  Sämmtliche  Werke  IX 
(Leipzig  1846),  S.  285ff. 

^^2)  August  Wilhelm  von  Schlegel,  der  eine  genaue  Beschreibung 
dieses  Festes  lieferte  und  alle  mitwirkenden  Damen  beschrieb 
(Sämmtliche  Werke  IX,  S.  287),  sagt  von  der  Führerin  des  Zuges: 
„Man  bewunderte  die  Fürstin  von  CoUoredo,  die  als  indostanische 
Kaiserin  in  ihrer  Gestalt  und  Haltung  ganz  die  hohe  Würde  hatte, 
welche  der  Führerin  eines  solchen  Zuges  zukam."  —  Philippine 
Karoline  Fürstin  Colloredo-Mansfeld,  geb.  Gräfin  von  Oettingen- 
Katzenstein-Baldern  (1776 — 1842),  war  seit  1794  mit  dem  Prinzen 
Rudolf  Josef  von  Colloredo-Mansfeld  (1772 — 1843),  der  seit  Ok- 
tober 1807  Fürst  war,  vermählt.  Infolge  einer  Liebesirrung  der 
Frau,  die  auch  trefflich  Theater  spielte,  wurde  die  Ehe  zeitweise 
getrennt.  Vgl.  Lulu  Gräfin  von  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  228, 
242!;  Gothaischer  genealogischer  Hofkalender  1843,  S.  251;  1844, 
S.  281. 

^  Graf  Woyna,  der  damals  bereits  15  Jahre  zählte,  hieß 
Eduard  und  nicht  Arthur.  1793  geboren,  widmete  er  sich  dem 
Militärdienst,  wurde  1840  Generalmajor  und  schUeßlich  Feld- 
marschalleutnant.  Zuletzt  war  er  Gesandter  am  schwedischen  und 
belgischen  Hof.  Er  starb  1850.  Vgl.  Wurzbach  LVIII,  S.  136; 
Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  134,  228. 

^^)  Collins  Gedicht  „Blumenstrauß"  erschien  als  Einzeldruck 
und  später  abweichend  in  seinen  Werken;  vgl.  R.  F.  Arnold  und 
Karl  Wagner,  Achtzehnhundertneun.  Die  politische  Lyrik  des 
Kriegsjahres.  Wien  1909.  S.  lof.,  289ff.  Die  überreichten  Blumen 
waren:  Lilie,  Viole,  Rose,  Veilchen,  Myrte,  Hyazinthe,  Reseda, 
Fühlkraut,  Maßlieb,  Dornen,  Nelke,  Rosmarin,  Sonnenblume, 
Pfirsichblüten,  und  konnten,  wie  man  sieht,  nicht  nach  den  An- 
fangsbuchstaben der  Kaiserin  gewunden  sein  (oben  S.  318),  son- 
dern hatten  rein  symbolische  Bedeutung. 

53*a)  Der  Aschermittwoch  des  Jahres  1808  fiel  auf  den  2.  März.  — 
Franz  Gräffer  hat  Frau  Stael  und  Frau  Pichler  in  einen  nicht 
Übeln  Zusammenhang  gebracht  (Frankls  Sonntags-Blätter  II  [Wien 
1843],  S.  152):  „Es  gäbe  zwei  vollkommene  Schriftstellerinnen: 
Frau  V.  Stael  mit  dem  schönen  Gemüt  und  der  ethischen  Rein- 
heit der  Frau  Pichler;  Frau  Pichler  mit  dem  Geist  und  der  Welt- 

C8/L 


Tournure  der  Frau  v.  Stael.  Die  Deutsche;  die  Französin!"  — 
Franz  Gräffer  verkehrte  mit  Karoline  Pichler,  wie  ein  Brief  von 
ihr  an  ihn  (Ludwig  Stern,  Die  Varnhagen  von  Ensesche  Samm- 
lung in  der  kgl.  Bibliothek  zu  Berlin.  Berlin  191 1.  S.  594)  und 
verschiedene  Züge,  die  er  über  die  Pichler  in  seinen  Werken  mit- 
teilte, beweisen. 

635)  Gemeint  ist  das  12.  Kapitel  der  ersten  Abteilung:  Von  der 
deutschen  Sprache  in  ihren  Beziehungen  mit  dem  Geiste  der 
Unterhaltung  (Stael,  Deutschland  I,  i  [Berlin  1814],  S.  86ff.  =  De 
l'Allemagne,  Paris  1862,  S.  64ff.). 

536)  Karoline  de  la  Motte  Fouque,  Über  deutsche  Geselligkeit 
in  Antwort  auf  das  Urtheil  der  Frau  von  Stael.  Berlin  18 14.  S'*. 
36  S.  (Goedeke  VI,  S.  132  :  15). 

537)  Flora  Gräfin  Wrbna,  geb.  Gräfin  Kageneck  (1779 — 1857), 
die  Frau  des  Grafen  Eugen  Wrbna  (seit  1798),  glänzte  durch  ihre 
schauspielerischen  Talente  in  der  Wiener  Gesellschaft  (vgl.  De  la 
Garde,  ed.  Gugitz  I,  S.  226;  Lulu  Thürheim,  Mein  Leben.  Her- 
ausgegeben von  Rene  van  Rhyn  I  [München  1913],  S.  131,  133, 
243;  II,  S.  iii)  nicht  minder  als  durch  ihre  Schönheit.  Zur 
Kongreßzeit  gefeiert,  soll  sie  mit  Zar  Alexander  eine  verfängliche 
Wette  eingegangen  sein  (Thürheim  II,  S.  ii7f.).  Später  versah 
diese  mit  schönen  Augen  und  einem  klaren  Verstand  versehene 
Frau  die  Rolle  einer  Hausrepräsentantin  bei  Metternich,  dessen 
Cousine  sie  war  (vgl.  Gugitz  a.  a.  O.  I,  S.  226,  Anm.  3).  Ihre 
letzten  Jahre  verbrachte  sie  halberblindet  in  Ischl.  Vgl.  Wurz- 
bach LVIII,  S.  i87f. 

537  a)  Von  Karoline  Pichlers  organisiertem  Piano  berichtet  1808 
auch  Joh.  Friedr.  Reichardt  (Vertraute  Briefe,  geschrieben  auf 
einer  Reise  nach  Wien  I  [Amsterdam  18 10],  S.  195  f.),  der  damals 
bei  ihr  eingeführt  wurde,  mit  den  Worten :  „Sie  (Pichler)  Ist  auch 
musikalisch  und  setzte  sich  gleich  aus  freiem  Antriebe  an  ihr 
Orgelfortepiano,  mir  etwas  vorzuspielen."  —  Vgl.  über  dieses 
Piano  noch  oben  S.  283,  356. 

^  Sophie  Gräfin  Zamoyska,  geb.  Prinzessin  Czartoryska  (1778 
bis  1837),  seit  1798  die  Frau  des  polnischen  Senatspräsidenten 
Stanislaus  Grafen  ZamoyskI,  war  eine  polnische  Schönheit,  groß 
und  blond,  mit  blendendem  Teint  (De  la  Garde  I,  S.  72;  oben 
S.  324).  Zur  Zeit  des  Wiener  Kongresses  spielte  sie  eine  große 
gesellschaftliche  Rolle.  'Sie  war  eine  gute  Sängerin  und  hatte  auch 
schauspielerische  Talente  (De  la  Garde  I,  S.  235;  oben  S.  324), 
die  sich  in  einer  kleinen  Intrige  gegen  Karl  Wilhelm  Lord  Stewart 
1814  ebenfalls  entfalteten  (De  la  Garde  II,  S.  42 ff.).  —  Über  die 
Pracht  ihrer  Wohnung  (oben  S.  322),  die  in  der  Jägerzeile  lag, 
vgl.  noch  De  la  Garde  II,  S.  42. 

.     585 


^^)  Agar  dans  le  desert.  Scene  lyrlque,  composee  en  1806: 
Mme.  la  baronne  de  Stael,  Oeuvres  completes  XVI  (Paris  1821), 
S.  iff.  —  Frau  v.  Stael  hatte  dieses  Stück  bereits  1806  auf  ihrem 
Dilettantentheater  in  Genf  zur  Darstellung  gebracht,  wobei  die 
Zuschauer  zu  Tränen  gerührt  waren.  Vgl.  Blennerhassett  III, 
S.  167;  Aug.  Wilh.  von  Schlegel,  Sämmtliche  Werke  IX  (Leipzig 
1846),  S.  277 f.  (ähnliche  Bemerkungen  wie  bei  der  PichJer),  — 
Lulu  Gräfin  Thürheim  (Mein  Leben  I,  S.  234f.)  fand  die  Verse 
bei  der  Aufführung  im  Hause  der  Gräfin  Zamoyska  kalt  und 
mittelmäßig;  dem  Vortrag  mangelte  jede  Grazie,  die  Deklamation 
war  zu  heftig  (vgl.  auch  Pichler,  S.  323),  die  Figur  der  Tragödin, 
die  sich  zu  stark  gehen  ließ,  zu  häßlich.  —  Die  Aufführung  bei 
der  Gräfin  Zamoyska  fand  am  8.  März  1808  statt  (K.  Pichler  an 
K.  Streckfuß:  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender  XXXII, 
S.  406). 

^°)  Le  legs.  Comedie  en  un  acte  par  Pierre  Carlet  de  Chamblain 
de  Marivaux.  Die  erste  Aufführung  erfolgte  1736  zu  Paris  in  der 
Comedie  fran?aise.  Vgl.  G.  Lanson,  Histoire  de  la  litterature 
frangalse.    Paris  1896.    S.  645. 

^^)  Karl  Josef  Fürst  Clary  und  Aldringen  (1777 — 183 1),  ein 
Enkel  des  Fürsten  de  Ligne,  betätigte  sich  als  Schriftsteller  und 
Zeichner,  organisierte  1809  ein  Landwehrbataillon  und  mimte 
wiederholt  auf  Privattheatern  mit  Talent  (Lulu  Gräfin  Thür- 
heim, Mein  Leben  I,  S.  133;  oben  S.  324).  Er  überbrachte  1810 
Kaiser  Napoleon  den  ersten  Brief  seiner  neuangetrauten  Gemahlin 
Maria  Luise  nach  Compiegnes  (Thürheim,  I,  S.  332 f.).  Er  hatte  den 
Spitznamen  „Lolo",  war  heiter,  originell  und  liebenswürdig,  dabei 
aber  sehr  kapriziös  und  störrisch  (ebd.  II,  S.  145).  Er  schrieb 
Denkwürdigkeiten,  die  noch  ungedruckt  sind.  Vgl.  Wurzbach  II, 
S.  38if. 

^  Johann  Fürst  Liechtenstein  (1760 — 1836),  k.  k.  Feldmar- 
schall und  Großkreuz  des  Maria-Theresienordens,  einer  der  aus- 
gezeichnetsten und  tapfersten  österreichischen  Militärs,  seit  1805 
regierender  Fürst,  ein  eifriger  Mäcen  der  Künste  und  Wissen- 
schaften (Wurzbach  XV,  S.  148  ff.),  unterhielt  in  seinem  Palais  in 
der  Herrengasse  (19 13  demoliert)  ein  Haustheater,  auf  dem  wieder- 
holt Vorstellungen  stattfanden  (vgl.  Thürheim,  Mein  Leben  I, 
S.  234,  242!). 

^^)  Genevieve  de  Brabant.  Drame  en  trois  actes  et  en  prose, 
composee  en  1808:  Mme.  la  baronne  de  Stael,  Oeuvres  com- 
pletes XVI  (Paris  1821),  S.  21  ff.  Der  ältere,  hinzugedichtete  Sohn 
der  Genovefa  heißt  Adolf.  —  Auch  diesem  Stücke  wohnte  Gräfin 
Lulu  Thürheim  bei  (Mein  Leben  I,  S.  235);  ihre  Kritik  des  Äußeren 
der  Stael  stimmt  mit  der  Auffassung  der  Pichler  überein. 

586 


5**)  August  Wilhelm  von  Schlegel  hielt  im  Saale  des  Hoftraiteurs 
Jann  15  Vorlesungen  über  Dramaturgie  (vgl.  Intelligenzblatt  der 
Annalen  der  Literatur  des  Österreichischen  Kaiserthumes  1808, 
Sp.  259)5  die  in  3  Bänden  in  Heidelberg  von  1809 — 181 1  als  „Über 
dramatische  Kunst  und  Literatur;  Vorlesungen"  im  Druck  er- 
schienen (Goedeke  VI,  S.  izf.  :  32).  Eine  treffliche  Analyse  dieser 
Vorlesungen,  welche  gegen  die  Franzosen  als  Dramatiker  losgehen 
und  ihnen  die  Griechen,  Spanier  und  Engländer  gegenüberstellen, 
bietet  Jakob  Minor,  Zeitschrift  für  die  österreichischen  Gymnasien 
XXXVIII  (Wien  1887),  S.  594ff.  Die  Vorlesungen  als  solche,  die 
sich  mit  Ideen  Hormayrs  berührten  (Wihan,  Euphorion.  V.  Er- 
gänzungsheft. S.  121  f.),  waren  glänzend  besucht,  waren  doch 
ca.  300  Hörer  und  Hörerinnen  anwesend,  und  erhielten  viel  Bei- 
fall, sodaß  die  vom  Kaiser  ausnahmsweise  erteilte  Erlaubnis  nicht 
erfolglos  war  (vgl.  Joh.  Friedr.  Reichardt,  Vertraute  Briefe,  ge- 
schrieben auf  einer  Reise  nach  Wien  II  [Amsterdam  1810],  S.  lygü.; 
Rob.  Keil,  Wiener  Freunde-  Wien  1883,  S.  102  [Haschkas  Bericht]). 
Karoline  Pichler  selbst  äußerte  sich  über  die  Vorlesungen,  zu  denen 
man  25  fl.  Eintritt  zahlen  mußte,  wie  folgt:  „Schlegels  münd- 
licher Vortrag  ist  nicht  angenehm,  er  spricht  nicht  geläufig,  er 
stottert  zuweilen  und  ist  um  den  Ausdruck  verlegen,  dann  sieht 
er  wieder  in  das  geschriebene  Blatt,  liest  einige  Zeilen  heraus, 
spricht  dann  wieder  auswendig,  bis  er  stecken  bleibt  usw.  Was  er 
aber  sagt,  ist  höchst  anziehend,  besonders  über  manche  Gegen- 
stände, z.  B.  die  Romantische  Poesie,  die  Wirkungen  der  Christ- 
lichen Religion  auf  die  Umstaltung  der  menschlichen  Denkart,  der 
Charakter  der  Spanischen  Nation,  der  Römischen,  über  die  Deut- 
sche Literatur  usw.,  besonders  über  die  bald  ganz  verlorene  Deutsch- 
heit. Ich  kann  sagen,  daß  ich  die  Vorlesungen  mit  großem  Ver- 
gnügen besucht  habe"  (Brief  der  K.  Pichler  an  K.  Streckfuß  vom 
22.  Mai  1808:  K.  Glossy,  Communal-Kalender  XXXII,  S.  408!.). 
Marianne  von  Eybenberg  schrieb  am  11.  Mai  1808  im  Gegensatze 
dazu  an  Goethe  (A.  Sauer,  Goethe  und  Österreich  I  [Weimar  1904], 
S.  193):  „Das  Gute,  was  er  uns  gesagt,  war  nicht  neu,  und  das 
Neue  nicht  besonders  gut,  das  Ganze  auf  der  erbärmlichsten  Weise 
vorgetragen."  Den  gleichen  Standpunkt  nehmen  auch  Jonathan 
Flowen  (=  Josef  Schreyvogel;  Das  Sonntagsblatt.  Herausgegeben 
von  Thomas  West  II,  i  [Wien  1808],  S.  243 ff.;  II,  2,  S.  21  ff., 
47ff.,  57ff.,  i22ff.,  I77ff.)  und  Bretschneider  (Briefe  an  Nicolai 
vom  9.  April  und  16.  Mai  1808:  R.M.Werner,  Österreichisch- 
Ungarische  Revue.  Neue  Folge  VIII  [Wien  1890],  S.  284f.)  ein, 
wovon  ersterer  in  5  Briefen  die  Vorlesungen  sehr  unfreundlich 
kritisierte,  hatte  er  doch  keinerlei  Nutzen  daraus  gezogen  (II,  2, 
S.  22)  und  bei  manchen  Langeweile  gespürt  (II,  2,  S.  23),  während 


letzterer  zwar  zugibt,  daß  Schlegel  Aufsehen  machte,  befand  sich 
ja  selbst  Sonnenfels  unter  den  Zuhörern,  aber  doch  nicht  umhin 
kann,  boshaft  zu  bemerken:  „Er  (Schlegel)  ist  ein  elender  Knabe, 
dem  auch  das  Äußerliche  fehlt,  weder  Stimme,  noch  Anstand, 
noch  Deklamation." 

^  Eleonore  FUes,  geb.  Eskeles,  aus  Wien,  war  an  einen  Kauf- 
mann verehelicht,  weilte  i8  Jahre  im  Auslande  (Berlin,  vgl.  Brief- 
wechsel zwischen  KaroUne  v.  Humboldt,  Rahel  und  Varnhagen. 
Herausgegeben  von  Albert  Leitzmann.  Weimar  1896.  S.  20)  und 
kam  um  1802  wieder  nach  Wien.  Sie  versammelte,  ähnlich  wie  die 
ihr  verwandten  Frauen  Eskeles  und  Arnstein,  einen  Kreis  ge- 
bildeter Menschen  um  sich  (oben  S.  325,  411).  Zu  ihren  wöchent- 
lichen Abenden  lud  sie  auch  Karoline  Pichler,  die  ihr  bereits  als 
Mädchen  bekannt  war,  und  bei  dieser  ihrer  mütterUchen  Freundin 
lernte  diese  A.  W.  Schlegel,  Denon,  den  Grafen  A.  de  la  Borde, 
Varnhagen,  Ernst  von  Pfuel  u.a.  kennen  (oben  5.325!.,  355, 
361  f.,  414).  Mit  ihr  zusammen  war  sie  1809  im  Schönbrunner 
Schloß theater,  um  Napoleon  zu  sehen  (oben  S.  358,  359),  und 
durch  sie  wurde  Pichlers  Briefwechsel  mit  Goethe  vermittelt. 
Kannte  doch  Frau  E.  Flies  seit  1808  Goethe  und  besorgte  ihm 
verschiedene  Gefälligkeiten  (oben  S.  392f.  mit  Anm.  669).  Frau 
E.  Flies  starb  am  20.  August  18 12  in  Wien  (Nr.  1209  in  der  Stadt) 
am  Schlagfluß,  60  Jahre  alt  (vgl.  oben  S.  392  und  Totenprotokoll 
der  Stadt  Wien,  18 12,  Buchst.  F,  Fol.  35  b);  ihr  Nachlaß  war  nicht 
sehr  beträchtlich  (16  018  fl.  40  kr.  C.  M.  und  5050  fl.  W.  W.:  Ver- 
lassenschaftsregister im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  18 12, 
Buchst.  F,  Fol.  171 ;  der  Akt  [Fasz.  II,  Nr.  2576  ex  1812]  fehlt). 
Ein  kurzer  Nachruf  (Allgemeine  Literatur-Zeitung.  Halle  18 12. 
III,  Sp.  279)  sagt  von  ihr,  daß  sie  „eine  Freundin  der  Künste 
und  Wissenschaften,  sowie  eine  besondere  Gönnerin  und  Beschütze- 
rin talentvoller,  gebildeter  Männer"  war,  und  daß  man  „in  ihrem 
Hause  oft  einen  Kreis  von  in-  und  ausländischen  Gelehrten"  fand, 
„die  bei  ihr  stets  die  beste  Aufnahme  fanden".  Goethe  war  vom 
Abscheiden  der  Frau  Flies,  die  ihn  durch  ihre  Gefälligkeiten  und 
Aufmerksamkeiten  als  Schuldner  hinterließ,  schmerzlich  berührt 
(vgl.  seinen  Brief  an  Baronin  Eskeles  vom  26.  November  18 12: 
A.  Sauer,  Goethe  und  Österreich  I,  S.  286f.).  —  Karoline  Pichler 
beklagte  deren  Verlust  Goethe  gegenüber  (Brief  vom  9.  November 
18 12:  A.  Sauer  a.a.O.  I,  S.  28if.)  mit  folgenden  Worten,  die 
manches  mit  den  „Denkwürdigkeiten"  Gemeinsame  haben:  „Was 
ich  an  ihr  [Frau  Flies]  verloren,  können  Sie,  der  Sie  sie  näher  ge- 
kannt und  ihrer  Sitten  Freundlichkeit  erfahren  haben,  leicht  er- 
messen, wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  sie  seit  den  ersten  Kinderjahren, 
in  welche  ich  zurückdenken  kann,  eine  warme  Freundin  meiner 

588 


Eltern  gewesen;  daß  eine  18jährige  Entfernung  nichts  an  dieser 
Gesinnung  geändert  hat,  und  daß  sie  vor  allem  mir  mit  wahrhaft 
mütterlicher  Neigung  zugetan  war.  In  ihrem  Hause  habe  ich 
manche  frohe  Stunde  genossen  und  ihr  verdanke  ich  endlich  das 
Vergnügen  eines  schriftlichen  Verkehrs  mit  Ihnen  und  Ihr  Urteil 
über  Agathokles." 

5*8)  Bernhard  Freiherr  von  Eskeles  (1753 — 1839),  ein  Wiener 
Jude,  der  dem  Glauben  seiner  Väter  treu  blieb,  hatte  mit  20  Jahren 
das  Großhandlungshaus  Arnstein  und  Eskeles  begründet,  das  er 
zu  ungeahnter  Höhe  brachte.  Er  beteiligte  sich  1816  an  der 
Gründung  der  Nationalbank,  später  an  der  der  Wiener  Sparkasse 
und  war  der  finanzielle  Ratgeber  der  Kaiser  Josef  IL  und  Franz  I. 
Vgl.  Wurzbach  IV,  S.  78  f.  —  Seine  Frau  Cäcilia  (vgl.  Anm.  670) 
verstand  es,  ihren  Salon  zur  Kongreßzeit  berühmt  zu  machen. 

547)  Der  Glanz  des  Arnsteinschen  Hauses  wurde  durch  Fanni 
Freiin  von  Arnstein  (1758 — 1818),  einer  Tochter  des  Berliner 
Bankiers  Itzig,  begründet.  Nicht  nur  durch  Schönheit  und  Geist 
glänzte  diese  Frau,  die  Kaiser  Josef  II.  hochschätzte  und  van 
derentwillen  manches  Duell  sich  entspann,  sondern  auch  durch 
feine  Sitten,  und  der  Salon  dieser  geistvollen  Jüdin  war  nicht 
nur  zur  Kongreßzeit,  sondern  auch  sonst  der  Vereinigungspunkt 
alles  dessen,  was  Name  und  Rang  hatte.  Vgl.  Wurzbach  I,  S.  69 f.; 
De  la  Garde,  ed.  Gugitz  I,  S.  350  mit  Bild;  Gräfin  L.  Thürheim, 
Mein  Leben  I,  S.  40;  II,  S.  263;  Aug.  Fournier,  Die  Geheimpolizei 
auf  dem  Wiener  Kongreß.  Wien  1913.  S.  491  Reg.;  J.  B.  Alxinger, 
Neueste  Gedichte.  Wien  1794.  S.  41  =  Sämmtliche  Werke  VIII  , 
(Wien  18 12),  S.  127  (ein  Lobgedicht).  —  Ihr  Mann,  seit  1774,  war 
der  schwedische  Generalkonsul  -Nathan  Adam  von  Arnstein 
(1743 — 1838),  Mitchef  des  Hauses  Eskeles  und  Arnstein,  und 
Schwager  des  Barons  Eskeles;  er  wurde  1795  geadelt  und  erhielt 
1798  den  Freiherrnstand  (Weimarer  historisch-genealoges  Taschen- 
buch des  gesamten  Adels  jehudäischen  Ursprunges  I  [Weimar  1912], 
S.  97).  Er  besaß  in  Baden  das  Haus  Theresiengasse  Nr.  38  (jetzt 
Nr.  2;  Herrn.  RoUett,  Neue  Beiträge  zur  Chronik  der  Stadt  Baden 
bei  Wien,  IX  [Baden  1896],  S.  67),  in  dem  K.  Pichler  während 
ihres  Badener  Aufenthaltes  wiederholt  verkehrte  (II,  S.  158  f.). 
Er  war  äußerst  wohltätig  (II,  S.  125)  und  nahm  1829  am  Aus- 
fluge nach  Merkenstein  an  Pichlers  Geburtstag  teil  (II,  S.  254). 

^  Die  einzige  Tochter  des  Nathan  und  der  Fanni  von  Arn- 
stein war  Henriette  (1780 — 1879),  ^^^  ^^  Berlin  geboren  wurde 
und  1802  in  Wien  Heinrich  Pereira  (1773 — 1835)  ehelichte,  der 
von  seinem  Schwiegervater  adoptiert  und  18 10  für  sich  und  seine 
Nachkommen  den  Freiherrnstand  mit  dem  Prädikate  Pereira-Arn- 
stein  erhielt   (Weimarer  historisch-genealoges  Taschenbuch  usw. 


I,  S.  98,  193).  sie  war  eine  rassige  Schönheit  (De  la  Garde,  ed. 
Gugitz  II,  S.  256  mit  Bild),  bei  der  Karoline  Pichler  in  Wien, 
Baden,  Schwarzenau  und  sonst  oft  verkehrte  (vgl.  oben  S.  411; 

II,  S.  127,  158,  175,  2i3f.,  268,  295),  hatte  deren  Salon  doch  viel 
Ähnlichkeit  mit  dem  Pichlerschen  (II,  S.  124).  Fröhliche  Unge- 
zwungenheit herrschte  hier,  Tanz,  Musik  und  Vorlesen  boten  eine 
köstliche  Abwechslung  und  die  besten  Köpfe  trafen  sich  im  un- 
gezwungenen Beisammensein  (II,  S.  I24f.).  Grillparzer  und  Wolf- 
gang Menzel  verkehrten  in  diesem  Kreise  (II,  S.  130,  262);  Thor- 
valdsen,  Felix  Mendelssohn-Bartholdy  und  Adelheid  Reinbold 
lernte  Pichler  bei  der  Pereira  kennen  (II,  S.  146,  159,  160),  die 
auch  Theodor  Körner  fördernd  zur  Seite  stand.  Baronin  Pereira 
war  äußerst  wohltätig  (II,  S.  125),  und  stand  dem  Marienspital  in 
Baden  vor,  wobei  sie  Andreas  Pichler  als  Beirat  unterstützte  (II, 
S.  126). 

^  Friedrich  Schlegel  veröffentlichte  bereits  1802  „Alte  Ge- 
dichte aus  dem  Spanischen"  im  „Musen-Almanach"  seines  Bruders 
(Goedeke  VI,  S.  11  :  16)  und  August  Wilhelm  folgte  1803  und 
1809  mit  seinem  Buche  „Spanisches  Theater"  (Goedeke  VI, 
S.  12  :  21),  das  Calderonsche  Dramen  enthielt. 

^  Die  Fehden  mit  Kotzebue  und  dem  Kritiker  Garlieb  Merkel 
(1769 — 1850:  Goedeke  VI,  S.  381  ff.),  der  die  romantische  Schule 
heftig  angriff  und  auch  Karoline  Pichlers  Gleichnisse  zu  ihr  in 
Gegensatz  gestellt  hatte  (vgl.  oben  S.  228  und  Anm.  380),  be- 
gannen 1800  mit  der  „Ehrenpforte"  von  A.  W.  Schlegel  und 
setzten  sich  in  heftiger  Weise,  wobei  Schrift  und  Gegenschrift 
einander  rasch  folgten,  bis  1806  fort  (Goedeke  V,  S.  279  :  58; 
VI,   S.  10  :  12;    12  :  29). 

551)  K.  Pichler,  Agathokles.  3  Bde.  Wien  1808.  Bey  Anton 
Pichler.  Später:  S.  W.^  III— V,  Wien,  Pichler,  1820  (mit  je 
einem  Kupfer).  Hier  und  in  der  Ausgabe  von  1815  (S.  W.^  III 
bis  V),  zuerst  eine  Vorrede  (III,  S.  III  ff.),  worin  Pichler  über  die 
Entstehung  des  Romans  berichtet  und,  auf  eine  Bemerkung  Rasoris 
(vgl.  II,  Anm.  299)  zurückkommend,  mitteilt  (III,  S.  Vif.),  daß 
ihr  und  Chateaubriands  Roman  „Les  martyrs"  zwar  den  gleichen 
Gegenstand  behandeln,  dieselben  Tendenzen  haben,  aber  vonein- 
ander völlig  unabhängig  seien,  um  so  mehr,  als  Chateaubriands 
Roman  später  erschien;  das  zufällige  Zusammentreffen  freue  sie 
aber  sehr. 

Der  „Agathokles",  aus  Widerspruch  gegen  Gibbons  Ansichten 
über  die  christliche  Religion  entstanden  (oben  S.  255,  291 ;  II, 
S.  407;  S.  W.2  III,  S.  III),  wurde  bereits  1804  geplant  (oben 
S.  255)  und  erhielt  seine  Märtyrertendenz  durch  ein  Bild  des 
hl.  Stephanus,  das  Pichler  im  Schreyvogelschen  Industriekomptoir 

S9P 


sah  (oben  S.zgii.).  Betreffs  der  Larissa  schwebte  ihr  Maria 
Theresia  von  Heß  und  deren  Mutter  vor  (oben  ,S.  135).  Dem  Ge- 
danken folgte  bald  die  Ausführung,  und  schon  im  Mai  1806  schrieb 
Karoline  Pichler  fleißig  am  „Agathokles",  wie  ihre  Briefe  an 
Streckfuß  ausweisen  (K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender 
XXXII,  S.  396),  faßte  im  Juli  durch  Zufall,  um  eine  Neckerei 
gegen  den  Historiker  Franz  Kurz  in  St.  Florian  auszuüben,  die 
Aufnahme  der  Florianus-Legende  ins  Auge  (oben  S.  289  ff.)  und 
hatte  Ende  August  den  i.  Teil  beinahe  fertig  (Glossy  a.  a.  O. 
S.  399)5  machte  sich  dann  an  die  Abschrift,  und  wollte  Ende 
Oktober  den  2.  Teil  beginnen  (ebd.  S.  399),  von  dem  im  Januar  1807 
ein  Viertel  fertig  vorlag  (ebd.  S.  400).  Im  März  1808  hatte  sie 
den  „Agathokles"  vollendet,  er  gefiel  ihr  aber  nicht  recht,  trotz 
des  Guteil,  das  darin  lag  (ebd.  S.  405).  Sie  wollte  das  Urteil  der 
Welt  erwarten,  doch  fürchtete  sie,  es  werde  ihr  „in  diesen  Zeiten 
literarischer  Gärung  so  gehen,  wie  es  den  Moderantisten  überall 
ergeht  —  sie  stoßen  bei  jeder  Partei  an  und  befriedigen  keine"  (ebd. 
S.  405).,  Ihr  Plan  war,  da  ihr  Mystik  ebenso  widerstrebte  wie  Ver- 
standeskälte, „die  geoffenbarte  Religion  ohne  Mystizismus  in  ihrer 
pathetischen,  moralischen  und  segenreichen  Größe  darzustellen, 
den  Einfluß  zu  schildern,  den  sie  auf  die  Menschheit  hatte,  das 
Charakteristische,  wodurch  sie  sich  von  der  heidnischen  auszeich- 
net," darzulegen,  obwohl  sie  im  voraus  wußte,  „daß  die  Mystiker 
mich  viel  zu  kalt  und  die  Vernunftmenschen  mich  viel  zu  närrisch 
finden  werden"  (ebd.  S.  405).  Im  Mai  1808  lag  der  Agathokles 
endlich  gedruckt  vor  (ebd.  S.  409)  und  die  Kritik  bemächtigte 
sich  seiner. 

Eine  der  eingehendsten  Rezensionen  erschien  1809  anonym 
(Annalen  der  Literatur  und  Kunst  in  dem  österreichischen  Kaiser- 
thume.  Wien  1809.  I,  S.  90  ff.).  Diese  bezeichnete  die  Idee,  einzelne 
Menscliengeschicke  in  eine  große  Zeit  zu  stellen  und  in  deren 
Leben  auf  historischem  Hintergrunde  gleichsam  das  Leben  der 
ganzen  Zeit  zu  schildern,  als  eine  glückliche.  Die  Notwendigkeit 
der  christlichen  Religion  soll  gezeigt  werden,  also-  liege  ein  Ver- 
standeszweck vor,  aber  da  die  Religion  pache  des  Herzens  sei,  so 
verbinde  sich  der  poetische  Zweck  sogleich  damit.  Der  Dichterin 
ist  es  gelungen,  die  Heilsamkeit  des  Christentums  anschaulich  zu 
machen,  wobei  sie  gute  und  edle  Christen  schildert.  Die  Personen 
sind  bis  auf  Konstantin  erdichtet,  und  letzterer  in  seinem  Charakter 
trefflich  gezeichnet.  Auch  Agathokles,  in  dessen  Wesen  Vernunft 
und  Gefühl  in  schönem  Bunde  stehen,  ist  gut  gedacht  und  durch- 
geführt. Dem  Kritiker  scheinen  zu  viele  Liebschaften  im  Romane 
zu  sein,  und  der  überflüssigsten  eine  die  Episode  von  Florianus 
und  Valeria  (S.  92),  die  ja  tatsächlich  (vgl.  oben)  nur  einem  Zufall 


ihre  Aufnahme  verdankte.  Larissa  fesselt,  „nur  sollte  sie  in  der 
Todesstunde  ihres  Mannes  nicht  platonisieren" ;  neben  Larissa  ge- 
fällt Junia  Marcella  dem  Rezensenten  am  besten.  Die  Ereignisse 
haben  größtenteils  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  die  Handlungen 
und  Begebenheiten  sind  „gut  ineinander  verschlungen  und  die 
Entwicklung  geht  mit  Ordnung  und  Klarheit  vor  sich",  so  daß 
das  Werk  „von  einem  verständigen,  kunst erfahrnen  Geist"  zeuge. 
Die  Briefform  war  am  Platze,  nur  läßt  sich  in  ihr  das  Bild  der 
alten  Zeit  nicht  rein  ausprägen.  Die  Sprache  ist  rein  und  schön, 
den  einzelnen  Charakteren  entsprechend.  Die  Briefe  der  Larissa 
sind  besonders  durch  ihre  Verbindung  von  Naturschilderung  mit 
Gemütsstlmmung  gelungen. 

Allmählich  setzte  sich  „Agathokles"  durch.  L.  L.  Haschka  war 
begeistert  davon  und  schrieb  seinem  Freunde  Reinhold  (12.  No- 
vember 1808:  Robert  Keil,  Wiener  Freunde  1784 — 1808.  Wien 
1883.  S.  98):  „Und  nun  werde  ich  Dir  ein  Buch  nennen,  zwar 
nur  einen  Roman,  zwar  nur  von  einer  Frau  geschrieben,  den  aber 
gelesen  zu  haben,  sich  ein  Mann  von  meinem  Alter  und  ein  Philo- 
soph von  Deinem  Range  nicht  nur  allein  nicht  schämen  darf,  son- 
dern sich  sogar  rühmen  mag:  es  ist  Agathokles  .  .  ."  Goethe,  wenn 
auch  gegen  die  Tendenz  und  betreffs  der  Frauen  Larissa  und 
Calpurnia  anderer  Meinung,  versagte  seine  Anerkennung  nicht 
(oben  S.  393  f.  mit  Anm.  673).  August  Graf  von  Platen-Haller- 
münde  schrieb  18 13  in  sein  Tagebuch  (Die  Tagebücher  des  Grafen 
August  von  Platen.  Herausgegeben  von  G.  v.  Laubmann  und  L.  v. 
Scheffler  I  [Stuttgart  1896],  S.77)  folgende  bemerkenswerte  Worte: 
„Ich  habe  heute  den  ,Agathokles'  der  Karoline  Pichler  gekauft. 
Wenn  ein  Roman  in  Hinsicht  auf  Inhalt,  Ausführung,  Moralität 
und  Darstellung  gerühmt  zu  werden  verdient,  so  ist  es  dieser.  Der 
Stil  hat  alle  Vorzüge.  Die  Verfasserin  weiß  uns  noch  dadurch  be- 
sonders an  das  Interesse  ihres  Helden  zu  fesseln,  da  die  Größe 
seiner  Tat  noch  durch  die  Folgen  erhöht  wird,  deren  wohltätige 
Wirkung  gleichsam  auf  uns  noch  übergeht.  Die  einfach  richtige 
Entwickelung  des  Lebens  der  Alten,  die  Gegeneinanderstellung 
zweier  weiblicher  Charaktere,  mit  so  viel  Feinheit  und  Menschen- 
kenntnis gezeichnet  und  die  reine,  christliche  Moral,  die  das  Ganze 
durchzieht,  sind  große  Vorzüge  dieses  Buches.  Die  Briefform  wird 
für  den  Roman  immer  die  beste  bleiben,  da  sie  uns  in  das  Innerste 
des  Herzens  sehen  läßt  und  wir  die  handelnden  Charaktere  besser 
erkennen,  als  in  der  weitläufigsten  Schilderung  des  erzählenden 
Stils."    Heinrich  von  Collin  ist  voll  des  Lobes  (vgl.  Anm.  436). 

„Agathokles"  wurde  Pichlers  berühmtester  Roman.  Madame 
Montolieu  übersetzte  bzw.  bearbeitete  ihn  in  französischer  Sprache 
(vgl.  II,    S.  175  f.   mit  Anm.  297)5  ihre  Ausgabe  erlebte  4  Auf- 

592 


lagen  (Agathocles  ou  Lettres  ecrites  de  Rome  et  de  Grece  au 
conimencement  du  quatrieme  siecle.  4  vols.  Paris  18 12;  *  Paris 
18 13;  'Paris  1817;  *3  vols.  Paris  1826,  —  Vgl.  Bibliographie  de 
la  France  1812,  S.  290,  Nr.  198 1;  1813,  S.  328,  Nr.  2166;  1817, 
S.  690,  Nr.  4051;  1826,  S.  915,  Nr.  6775).  Nach  dieser  Bearbeitung 
übersetzte  den  Roman  Giovanni  Rasori  18 12  ins  Italienische 
(II,  S.  176  mit  Anm.  299).  Jens  Ernst  Wegener  übertrug  ihn  ins 
Dänische  (Agathokles.  3  Bde.  Kjoebenhavn  1820 — 1821:  Chr. 
V.  Bruun,  Bibliotheca  Danica  IV  [Kjoebenhavn  1902],  Sp.  469)  und 
Dorothea  Dunckel  verarbeitete  ihn  zu  einem  Drama  (Agathokles. 
Sorgespei  i  fem  Handlingar;  efter  Fru  C.  Pichlers  roman  af  samma 
namn.  In:  Dramatiska  och  Lyriska  Försök.  Heft  i.  Götheborg 
1828:  Katalog  des  Britischen  Museums).  1817  erschien  ein  anony- 
mes Gedicht  „Die  Geisterstimme  des  Agathokles"  (Abendunter- 
haltungcn  für  den  Winter,  Wien  18 17.  S.  396  ff.*),  das  an  eine 
Episode  des  Romans  (Agathokles  verspricht  Theophania  ihr  aus 
der  Geisterwelt  Nachricht  zu  geben:  Brief  45  in  Band  III, 
[Wien  1813],  S.  309)  anknüpft. 

Was  Erzherzogin  Sophie  von  Österreich  1827  Karoline  Pichler 
über  den  „Agathokles"  in  das  von  ihr  gespendete  Album  schrieb 
(II,  S.  243),  das  war  die  Ansicht  der  großen  Menge  der  Leser, 
von  denen  Pichler  viele  Zuschriften  erluelt,  welche  erzählten,  daß 
„manches  leidende  Gemüt  Trost,  manches  zweifelnde  Ruhe"  dar- 
aus schöpfte  (vgl.  II,  S.  410).  Wer  das  Werk  las,  der  war  „mit  der 
innigsten  Hochachtung  und  Dankbarkeit  gegen  die  würdige  Ver- 
fasserin für  die  aus  demselben  geschöpfte  Beruhigung  und  Befesti- 
gung im  materiellen  Gange  des  Lebens  und  Vertrauens  zu  der 
höhern  Weltenhand  erfüllt"  (Hormayrs  Archiv  XIX  [Wien  182S], 
S.  542).  Karoline  Pichler  selbst  schilderte  in  einem  Briefe  an 
Matthisson,  der  ebenfalls  ein  sehr  vorteilhaftes  Urteil  über  den 
Agathokles  fällte,  am  26.  März  1829  den  Eindruck,  den  der  „Aga- 
thokles" machte  (Friedrich  von  Matthissons  Literarischer  Nachlaß 
nebst  einer  Auswahl  von  Briefen  seiner  Freunde  IV  [Berlin  1832], 
S.2i6ff.): 

„Diesem  ,Agathokles*  habe  ich  manches  angenehme  Gefühl, 
manche  lohnende  Anerkennung,  wenngleich  wenig  so  ehrenvolle 
wie  die  Ihrige  zu  danken.  Er  hat  mir  in  der  Ferne  unbekannte 
Herzen  genähert,  und  mir  wohlwollende  Gesinnungen  bei  völlig 
Fremden,  die  ich  nie  sah  und  nie  sehen  werde,  erweckt.  Schon 
darum  mußte  dieß  mein  fast  ältestes  Kind  nur  auch  eins  der  lieb- 


•)  In  diesen  „Abendunterhaltungen"  steht  auch  der  Erstdruck 
von  K.  Pichlers  Novelle  „Carls  des  Großen  Jugendliebe"  (S.  130 ff, 
=  S.  W.2  XXVIII,  S.  245 ff.). 

38  c.  p.  I  593 


sten  sein,  wenn  es  nicht  auch  sonst  so  manche  Gesinnung,  manche 
Ansicht  in  ernsten  Dingen  enthielte,  welche  ich  mit  Liebe  und 
Fleiß  darin  niedergelegt  habe.  Mit  großem  Eifer  habe  ich  an  diesem 
Werke  gearbeitet,  und  meine  besten  Stunden  dabei  genossen,  wie 
denn  überhaupt,  die  Zeit  ausgenommen,  welche  ich  meiner  Familie 
und  namentlich  jetzt  mit  den  lieblichen  Kindern  meiner  Tochter 
hinbringen  kann,  meine  seligsten  Stunden  immer  die  am  Schreib- 
tische waren  und  sind.  Freilich  würde  der  ,Agathokles',  wenn  er 
jetzt  erschiene,  vielleicht  die  günstige  Aufnahme,  die  ihm  vor 
zwanzig  Jahren  wurde,  nicht  finden.  Man  macht  jetzt  ganz  andere 
Forderungen  an  den  geschichtlichen  Roman,  er  soll  nicht  bloß 
keinen  Verstoß  gegen  den  Geist  der  Zeit,  in  welcher  die  Hand- 
lung vorgeht,  enthalten,  er  soll  ein  lebhaftes  und  treues  Gemälde 
jener  Zeit,  ihrer  Sitten,  Denkart  und  der  Charaktere  sein,  welche 
sie  hervorbrachte.  Das  alles  ist  freilich  der  ,Agathokles'  nicht  und 
vielleicht  wird  es  überhaupt  keiner  Frau  geUngen,  einen  solchen 
geschichtlichen  Roman  zu  schreiben,  wie  wir  sie  aus  Männer- 
händen jetzt  mehrfach  empfangen  haben." 

Was  KaroUne  Pichler  mit  dem  letzten  Satze  voraussah,  erfüllte 
sich.  Der  einst  so  vielgefeierte  und  gelesene  Roman  geriet,  da  er 
kein  eigentlich  historischer  Roman  im  Sinne  Scotts,  sondern  ein 
Tendenzroman  war,  immer  mehr  in  Vergessenheit,  und  heute 
bietet  er  nur  mehr  historisches  Interesse.  Schon  Charlotte  Schiller 
hatte  1815  die  Schwäche  des  Agathokles,  „ein  wundersames  Ge- 
misch von  Altem  und  Neuem",  erkannt  (Briefe  von  Schillers 
Gattin  an  einen  vertrauten  Freund.  Herausgegeben  von  Heinrich 
Düntzer.  Leipzig  1856.  S.  237)  und  in  den  dreißiger  Jahren  be- 
gann das  Ablehnen '  dieses  Romans.  Zwar  Wolfgang  Menzel,  der 
sonst  Karoline  Pichler  nicht  freundüch  gesinnt  war  (vgl.  II, 
Anm.  437f.),  lobte  ihn  1836  noch,  da  er  ja  selbst  zu  dieser  Zeit  be- 
reits Reaktionär  war,  aber  im  gleichen  Jahre  äußerte  sich  J.  Seid- 
litz  (Jeitteles)  dahin,  daß  er  heute  nur  mehr  als  Bekenntnis  einer 
Christin  Aufsehen  erregen  würde.  Heinrich  Laube  degradierte 
ihn  1840  zur  Damenunterhaltung  und  1861  nannte  ihn  Rudolf 
von  Gottschall  einen  „FamiUenroman  zur  Erbauung  edler  Ge- 
müter", der  zwar  einzelne  treffliche  Reflexionen  und  eine  gute 
Technik  aufweise,  der  aber  im  ganzen  genommen  doch  nichts 
anderes  als  „eine  erbauliche  Vorlesung  mit  verteilten  Rollen,  ein 
apologetischer  Brief  dialog,  keine  geschichtliche  Theodicee"  sei  (vgl. 
die  Zusammenstellung  all  dieser  Urteile  bei  Wurzbach  XXII, 
S.  25if.). 

552^  Friedrich  von  Schlegel  (1772 — 1829)  traf  von  Dresden  aus 
am  22.  Juni  1808  in  Wien  ein  und  stieg  Landstraße  Nr.  213  ab 
(Vaterländische  Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat.  Wien 

594 


'',M 


i8o8.  S.  126);  seine  Frau  folgte  ihm  am  31.  Oktober  (F.  Muncker 
in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XXXI,  S.  375),  —  Ursprüng- 
lich für  den  Handelsstand  bestimmt,  ging  er  1788  zur  Wissen- 
schaft über  und  hielt  bereits  1800/ 1801  in  Jena  philosophische 
Vorlesungen.  Er  suchte  die  einzelnen  Dichter  als  nationale  Er- 
scheinungen aufzufassen,  die  in  ihrem  Volke  und  ihrer  Zeit  wur- 
zeln, und  schuf  mit  seiner  „Lucinde"  die  Sinnlichkeitsphilosophie 
der  Romantik.  1802  zog  er  mit  Dorothea  Veit  nach  Paris,  eheUchte 
sie  dort,  kam  über  Köln  und  Dresden  1808  nach  Wien,  nachdem 
er  KathoÜk  geworden,  erhielt  in  Wien  eine  diplomatische  An- 
stellung (vgl.  Anm.  557),  nahm  am  Kriege  des  Jahres  1809  im 
Hauptquartiere  teil,  verfaßte  die  meisten  Proklamationen,  gab 
1810  den  „Österreichischen  Beobachter"  heraus  (Anm.  558)  und 
wurde  Oktober  18 15  österreichischer  Legationsrat  beim  Bundes- 
tag in  Frankfurt  a.  M.  1818  nach  Wien  zurückgekehrt,  redigierte 
er  seine  Schriften  und  arbeitete  an  kritischen  Aufsätzen,  auch 
hielt  er  Vorlesungen  (Wien  1828).  Während  einer  solchen  starb 
er  im  Januar  1829  in  Dresden  (vgl.  auch  II,  S.  246).  Vgl.  Goedeke 
VI,  S.  I7ff.  —  Durch  5  Jahre  Karolinens  Hausgenosse  (oben  II, 
S.  171,  181)  hatte  Schlegel  mannigfache  Beziehungen  zur  Pichler. 
Nicht  nur,  daß  sie  seine  Wiener  Vorlesungen  1812  und  1828  be- 
suchte (oben  S.  387,  415;  II,  S.  347!.),  teilweise  auch  in  ihrem 
Ferdinand  II.  berücksichtigte  (II,  S.  25),  seinen  etwas  seltsamen 
Alarcos  las  und  zitierte  (oben  S.  302 ;  II,  28 1  f.),  seine  berüchtigte 
Lucinde  vornahm  (oben  S.  302,  327),  wiederholt  in  seiner  Gesell- 
schaft, sei  es  in  seinem,  in  ihrem  (II,  S.  185)  oder  in  Frau  von 
Matts  Haus  (oben  S.  409)  war,  sondern  sie  schrieb,  obwohl  sie  ihn 
als  Dichter  unproduktiv  fand  (oben  S.  301),  für  seinen  „Beobach- 
ter" (unten  Anm.  558)  und  für  sein  „Deutsches  Museum"  (4  Bde. 
Wien  1812,  1813:  Goedeke  VI,  S.  24ff.;  H.  H.  Houben,  Zeit- 
schriften der  Romantik.  Berlin  1904.  Sp.  216 ff.)  Aufsätze  und  zwar: 

I.  (Wien  1812),  S.  loiff. :  Johann  Hunniady  Corvin  (Gedicht 
=  S.  W.2  XVI,  S.  228  ff.).  Vgl.  noch  Anm.  678  c,  a.  —  III.  (Wien 
1813),  S.  i4off. :  Scenen  aus  dem  Trauerspiel  Germanicus  (II.  Akt, 
Sz.  5;  IV.  Akt,  Sz.  1,2).  Vgl.  Anm.  682.  —  IV.  (Wien  1813), 
S.  175 f.:  Vor  dem  Gemähide  des  Herrn  Peter,  in  der  Kunstaus- 
stellung der  k.  k.  Akademie  zu  Wien:  Kaiser  Maximilian  der  Erste, 
wie  er  seine  Braut,  Maria  von  Burgund,  zu  Gent  empfängt  (2  So- 
nette =  S.  W.2  XVI,  S.  95  f.).    Vgl.  Anm.  67%^,  a. 

^  Lucinde.  Ein  "Roman  von  Friedrich  Schlegel.  Erster  (ein- 
ziger) Theil.  Berlin  1799.  Das  Buch  löste  eine  große  Anzahl 
Schriften  für  und  wider  und  Nathahmungen  aus  (Goedeke  VI, 
S.  2if.,  Nr.  20).  Die  darin  gepredigte  freie  Liebe  erregte  Auf- 
sehen (vgl.  noch  oben  S.  302). 

38*  595 


"*)  Dorothea   Schlegel   (1763— 1839),   die   Tochter   des  Philo- 
sophen Moses  Mendelssohn,  heiratete  frühzeitig  (1778)  den  Kauf- 
mann Simon  Veit,  verließ  ihn  aber  1798  Friedrich  Schlegels  wegen 
den  sie  1804  in  Paris  heiratete  und  mit  dem  sie  in  Paris,  Köln 
und  Wien  lebte.    Sie  war  über  den  Protestantismus  (1804)  1808 
Katholikin  geworden.  Von  i8o8 — 1830  (September)  weilte  sie  mit 
Ausnahme  zweier  Jahre  (April  18 18  bis  Juli  1820),  die  sie  in  Rom 
bei  ihrem  Sohne  Philipp  Veit  verbrachte,  in  Wien,  still  und  fromm, 
in  angenehmer  Häuslichkeit.   Sie  versammelte  in  ihrem  Hause  die 
Spitzen  der  geistigen  Aristokratie  und  unterhielt  zu  dem  Klemens 
Hoffbauer-Kreis  rege  Beziehungen.     Die  Schriftstellerei,   die  sie 
früher  gepflegt  (vgl.  auch  II,  S.  183),  übte  sie  nicht  mehr  aus, 
sondern  widmete  sich  ganz  der  Häuslichkeit,  was  die  Pichler  be- 
sonders an  ihr  zu  loben  fand  (oben  II,  S.  iSzf.,  189^),  und  der 
Liebe  zu  ihrem  Gatten,  der  ihr  aber  nicht  immer  Treue  mit  Treue 
vergalt  (oben  II,  S.  182;  Pichler,  S.  W.2  LIII,  S.  231,  232).    Sie 
kränkelte  auch  wiederholt.   Nach  dem  Tode  ihres  Gatten  (11.  Ja- 
nuar 1829),  der  ihr  sehr  nahe  ging  (oben  II,  S.  248  f.),  übersiedelte 
sie   September   1830  zu  ihrem   Sohn  Philipp  Veit  nach  Frank- 
furt a.  M.,  wo  sie  ihre  Tage  beschloß.  Sie  war  in  Wien  eine  heitere, 
hingebende,  gütige,  unschöne,  aber  geistreiche  Frau,  die  mit  der 
sinnlich  leidenschaftlichen  „Lucinde"  eigentlich  nichts  mehr  zu 
tun  hatte.    Vgl.   Franz  Muncker  in:  Allgemeine  Deutsche  Bio- 
graphie XXXI,   S.  372 ff.;   Goedeke  VI,   S.  27f.;   S.  Hensel,   Die 
Familie  Mendelssohn.   I  ^°  (Berlin  1900),   S.  42ff.   (mit  manchen 
irrigen  Daten);  Ludwig  Geiger,  Dichter  und  Frauen  I  (Berlin  1896), 
S.  128  ff.    Über  Dorothea  Schlegel  in  Wien  handelt  eingehender, 
wobei  auch  K.  Pichler  benützt  wird,  Margareta  Hiemenz  (Dorothea 
V.  Schlegel,  Freiburg  i.  B.   191 1.    S.  109 ff.). 

556)  Der  Mediziner  Karl  Friedrich  Burdach  schildert  18 10  Fried- 
rich Schlegel  mit  (Rückblick  auf  mein  Leben.  Leipzig  1848.  S.  43): 
„fettes,  glänzendes  Gesicht  mit  der  pfäffischen  Salbung,  von  wel- 
cher er  zu  triefen  schien."  Das  stark  Einseitige  für  religiöse  Meinun- 
gen hebt  181 1  auch  Wilhelm  von  Humboldt  an  Friedrich  von 
Schlegel  hervor  (Ansichten  über  Ästhetik  und  Literatur.  Heraus- 
^gegeben  von  F.  Jonas.  Berlin  1880.  S.  124),  doch  spricht  er  ihm 
Tiefe  und  Originalität  zu,  während  er  an  Wilhelm  August  Schlegel, 
der  in  allem  um  die  Sache  herumgeht,  den  Mangel  an  Tiefe  und 
Originalität  festlegt.  Nach  Haschka  (Robert  Keil,  Wiener  Freunde 
1784 — 1808.  Wien  1883.  S.  102)  gebärdete  sichWilhehn  in  Gesell- 
schaft vornehm,  einsilbig,  absprechend  und  pedantisch,  während 
Friedrich  Schlegel  (S.  103),  den  Karl  Friedrich  Freiherr  Kübeck- 
von  Kübau  (Tagebücher  I  [Wien  1909],  S.  271)  bis  1809  für  einen 
sinnlichen  und  feigen  Menschen  hielt,  dem  er  aber  später  ein 

596 


Ringen  nach  Überzeugung  und  Wahrheit  zubilligt,  als  gesetzt, 
anspruchslos  und  wirklich  gründlicher  und  vielseitiger  Gelehrter 
hingestellt  wird,  der  „seine  Meinung  offen  und  frei,  ohne  Dreistig- 
keit, ohne  Rechthaberei,  ohne  irgendeine  Zudringlichkeit"  sagt. 
Haschka  sagt  weiter:  „In  meinem  Leben  hätte  ich  in  diesem 
ernsten,  ordentlichen,  gesitteten  Menschen  nicht  den  Verfasser 
der  Lucinde  vermutet."  Eine  Charakteristik  beider  Brüder,  die 
mit  der  obigen  (S,  312  und  Szyf.)  übereinstimmt,  gibt  K,  Pichler 
bereits  früher  in  ihrem  Nekrolog  der  Dorothea  Schlegel  (S.  W.^ 
LIII,  S.224f.). 

556^  Eine  ganz  ähnliche  Charakteristik  der  Dorothea  v.  Schlegel 
entwarf  Karoline  Pichler  im  Nekrolog  auf  sie  (S.  W.^  LIII,  S.  225  f.). 
Auch  deren  gesellschaftliche  Talente  (oben  S.  329)  hob  sie  in  diesem 
Aufsatze  bereits  gehörig  hervor  (S.  W.^  LIII,  S.  227)  und  gelangte 
zum  Schlüsse,  daß  Frau  Schlegel  „die  liebenswürdigste  Frau  vom 
Hause  war,  die  man  finden  kann".  Karoline  Pichler  war  Dorothea 
in  langjähriger,  aufrichtiger  Freundschaft  zugetan,  trotzdem  diese 
eine  norddeutsche  Frau  und  Schriftstellerin  war  (II,  S.  28),  die 
Karoline  sonst  haßte,  denn  Dorothea  hatte  den  großen  Reiz  der 
Häuslichkeit,  den  Karoline  so  sehr  liebte,  an  sich.  (II,  S.  189 f.; 
S.  W.2  LIII,  S.  227f.),  und  war  ihr  völlig  gleichgesinnt  (oben 
S.  402).  Auch  Dorotheas  frommer  Sinn  zog  sie  an,  und  als  Karo- 
linens  Tochter  1824  nach  Prag  übersiedelt  war  und  Schlegels  in 
Pichlers  Haus  einzogen, "da  klammerte  sich  Karoline  mit  ganzer 
Seele  an  Dorothea,  die  ihr  Trost  zusprach,  verbrachte  beinahe 
jeden  Abend  bei  ihr  und  lernte  sie  nun  völlig  kennen  und  verstehen 
(II,  S.  181,  i82f.,  221;  S.  W.2  LIII,  S.  229f.).  Schon  181 1  hatte 
Dorothea  den  Sommer  in  Karolinens  Nähe  verbracht  (oben  S.  381, 
382;  S.  W.*  LIII,  S.  229)  und  waren  hier  beide  einander  nahe- 
gekommen. Nach  ■  Friedrich  Schlegels  Tod  (Januar  1829)  über- 
siedelte Dorothea  zu  Klinkowström  (II,  S.  251  mit  Anm.  424)  und 
im  September  1830  zu  ihrem  Sohne  Philipp  Veit  nach  Frankfurt. 
Ein  Briefwechsel  zwischen  Karoline  und  Dorothea  entspann  sich, 
und  als  letztere  1839  starb,  da  erhielt  erstere,  die  dieser  einen  war- 
men Nachruf  widmete  (II,  Anm.  311),  testamentarisch  Dorotheas 
Kommunionbuch  (Pichler,  S.  W.^  LIII,  S.  223). 

^^)  Friedrich  von  Schlegel,  seit  dem  Sommer  1808  in  der  Staats- 
kanzlei in  Preßangelegenheiten  beschäftigt,  wurde  am  28.  März  1809 
zum  Hofsekretär  in  der  Staatskanzlei  ernannt  (J.  M.  Raich,  Doro- 
thea Schlegel  I  [Mainz  188 1],  S.  331,  341).  —  Der  Abendgesell- 
schaften bei  der  Schlegel  gedenkt  Karoline  Pichler  auch  sonst  noch 
(II,  S.  182 f.;  S.  W.*  LIII,  S.  230),  lernte  sie  doch  hier  viele  Leute, 
darunter  besonders  die  Humboldts  (Karoline,  Wilhelm  und  Alexan- 
der) kennen  (oben  S.  384,  413;  II,  S.  26,  83,  225). 

597 


"*)  Der  Österreichische  Beobachter  für  das  Jahr  1810.  Wien. 
2  Bde.  Zuerst  (1810)  von  Friedrich  Schlegel,  später  von  Pilat 
redigiert;  es  nahmen  Friedrich  von  Gentz,  Adam  Müller,  Hülse- 
mann u.  a.  vperktätigen  Anteil  daran.  Zunächst  neben  der  Politik 
auch  die  Literatur  pflegend,  segelte  die  Zeitung  später  ganz  im 
politischen  Fahrwasser  der  auswärtigen  Kanzlei  Metternichs.  Der 
erste,  unter  Schlegels  Redaktion  erschienene  Jahrgang  enthielt 
literarische  „Beilagen";  in  diesen  veröffentlichte  (Nr.  5)  Karoline 
Pichler  ihren  Nekrolog  auf  Josef  Köderl.  Der  zweite  Jahrgang 
brachte  ein  Gedicht  der  Pichler  (vgl.  Anm.  620).  Über  Schlegels 
Beteiligung  am  „Österreichischen  Beobachter"  vgl.  man  L.  Geiger, 
Jahrbuch  der  Grillparzer- Gesellschaft  XVI.  (Wien  1906),  S.  295  ff. 
—  Dem  Beobachter  ging  1809  in  52  Nummern  vom  24.  Juni  bis 
16.  Dezember  1809  die  ebenfalls  von  Schlegel  gegründete  „Öster- 
reichische Zeitung"  voran  (Geiger  a.  a.  O.  XVI,  S.  295). 

"*)  Preußen  war  am  14.  Oktober  1806  in  der  großen  Doppel- 
schlacht bei  Jena  und  Auerstädt  vernichtend  aufs  Haupt  geschlagen 
worden  und  der  Friede  von  Tilsit  (7. — 9.  Juli  1807)  raubte  ihm 
einen  großen  Teil  seines  Landbesitzes. 

**")  Über  Collins  „Lieder  Österreichischer  Wehrmänner"  (Wien 
1809)  haben  R.  F.  Arnold  und  Karl  Wagner  (Achtzehnhundert- 
neun. Wien  1909,  S.  321  ff.)  alles  Wissenswerte  in  eingehender 
Weise  zusammengestellt.  Bemerkt  sei  nur,  daß  der,  von  der  Pichler 
erwähnten  öffentlichen  Aufführung  am  2.  April  (Ostersonntag)  im 
Redoutensaale  bereits  am  25.  und  28.  März  Aufführungen  voran- 
gegangen waren  (Arnold-Wagner,  S.  334ff.),  während  am  16.  April 
die  letzte  Aufführung  folgte  (ebd.  S.  337).  Karoline  Pichler  war 
von  den  Liedern  zu  Tränen  gerührt  (oben  S.  190). 

^^)  Das  Patent  zur  Organisation  der  Landwehr  für  Österreich 
erging  bereits  am  9.  Juni  1808  und  Ende  August  war  die  Organisie- 
rung vollendet.  Erzherzog  Johann  stand  an  der  Spitze,  der  Adel 
und  die  Bürger  drängten  sich  um  die  Fahnen,  ein  guter  Geist  und 
Begeisterung  herrschten  allenthalben.  Am  3.,  4.  und  5.  März  1809 
stellten  sich  die  6  Wiener  Landwehrbataillone  in  der  Stärke  von 
ca.  6000  Mann  zur  Musterung  auf  das  Glacis,  vom  6. — 8.  März  er- 
hielten sie  Gewehre  und  zwei  Feldpater,  am  9.  März  fand  die 
Fahnenweihe  bei  St.  Stephan  statt,  wobei  die  Kaiserin  Maria 
Ludovica  anwesend  war,  und  am  10.  März  erfolgte  der  Abmarsch 
über  Klosterneuburg  und  Korneuburg  zur  Armee;  vgl.  (Alois 
Edler  von  Bergenstanam)  Materialien  zur  Geschichte  der  Öster- 
reichischen Landesvertheidigung,  insbesondere  der  Landwehr. 
Wien  1809.  S.  49 ff.;  Geusau,  S.  41  ff.;  Wertheimer,  S.  9ff.;  Glossy, 
S.  42ff.;  Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  267ff.  — 
Karoline  Pichlers  Aufsatz   „Über  den  Volksausdruck  in  unserer 

598 


Sprache:  Ein  ganzer  Mann.  1809"  (Vaterländische  Blätter  für 
den  österreichischen  Kaiserstaat.  Wien  1809.  S.  175 ff.  =  S.W.* 
XVII,  S.  I46ff.)  ist  ein  begeisterter  Ruf  an  die  Bürger,  Soldaten, 
an  die  Soldaten,  Bürger  zu  sein,  daß  alle  ganze  Männer  seien. 
Sie  wendet  sich  darin  gegen  die  stehenden  Heere,  da  ihr  nur  das 
Volksheer  (die  Miliz)  das  Richtige  zu  sein  scheint,  um  ganze  Män- 
ner hervorzubringen.  —  Außerdem  enthalten  die  „Vaterländischen 
Blätter"  noch  von  Karoline  Pichler:  i.  1809,  S.  81 — 83:  Die  Tropf- 
steinhöhle zu  Blasenstein  (=  S.  W.^  XVII,  8,45  ff.).  —  2.  1809, 
S.  103  f.  Kaiser  Ferdinand  der  Zweyte  (Nachdruck;  vgl.  Anm.  565). 
—  3.  1810,  S.  192 ff. :  Über  die  Bildung  des  weiblichen  Geschlechtes 
(=  S.  W.2  XVII,  S.  i58ff.).  —  4.  1810,  S.  286ff.:  Joseph  Köderl 
(Nachdruck;  vgl.  Anm.  558). 

582)  Johann  Ernst  Graf  von  Hoyos-Sprinzensteln  (J779 — 1849), 
Feldmarschalleutnant  und  Ritter  des  goldenen  Vließes,  trat  1809 
in  die  österreichische  Landwehr,  wurde  bald  Kommandant  des 
von  ihm  ausgerüsteten  Bataillons  und  ging  18 15  als  Oberst  zur 
Armee.  Seit  1821  Geheimer  Rat,  wurde  er  1848  Befehlshaber 
der  Wiener  Nationalgarde,  war  aber  als  solcher  in  seinen  Hand- 
lungen nicht  glückUch.    Vgl.  Wurzbach  IX,  S.  346  f. 

563)  Maximilian  Josef  Freiherr  von  Somerau-Beeckh  (i  769 — 18  5  3), 
der  letzte  seines  Stammes,  war  der  Sohn  der  Clara  von  Summern 
und  des  Gottfried  Wilhelm  von  Somerau-Beeckh,  diente  zuerst 
bei  der  Kavallerie,  wurde  1797  Priester  und  war  dann  Koopefator 
in  Pillichsdorf,  Hernais,  Matzleinsdorf  und  auf  der  Wieden;  1809 
wurde  er  Feldpater  der  drei  ersten  Wiener  Landwehrbataillone 
und  hielt  bei  deren  Fahnenweihe,  da  er  ein  glänzender  Redner 
war,  die  Festrede.  18 10  Pfarrer  der  Leopoldstadt,  18 13  Domherr 
in  Olmütz,  1827  Propst  der  Stadtpfarre  daselbst,  1831  Dompropst 
geworden,  erwählte  ihn  das  Domkapitel  1836  zum  Fürsterzbischof 
von  Olmütz.  Er  erwarb  sich  als  solcher  große  Verdienste  um  die 
Verwaltung  seiner  Diözese  und  um  seine  Diözesanen,  welches 
Wirken  von  Kaiser  und  Papst  anerkannt  wurde.  1850  wurde  er 
zum  Kardinal  ernannt.    Vgl.  Wurzbach  XXXV,  S.  265  ff. 

5^)  Das  Dragonerregiment  Nr.  8  (Dampierre)  übte  sein  Regi- 
mentsprivilegium,  mit  klingendem  Spiel  durch  die  Stadt  in  die 
Burg  zu  reiten  und  dort  das  Werbezelt  aufzuschlagen,  zum  letzten- 
mal am  8.  März  1809  aus;  Erzherzog  Karl  ritt  damals  an  dessen 
Spitze  durch  die  Stadt.  Aus  diesem  Anlaß  wurden  mehrere  Ge- 
legenheitsgedichte, darunter  auch  eines  von  der  Pichler,  in  Druck 
gelegt  und  unter  die  Mannschaft  verteilt.  Vgl.  Eduard  Freiherr 
von  Tomaschek,  Geschichte  des  k.  k.  Dragoner-Regiments  Nr.  8. 
Wien  1889.  S.  293 f.;  Geusau,  S.  39 f.  —  Wenn  Karoline  Pichler 
(oben  S.  333)  von  zwei  Prinzen  Liechtenstein  berichtet,  die  sich 

599 


anwerben  ließen,  so  dürfte  dies  nicht  ganz  richtig  sein,  denn  Lulu 
Gräfin  Thürheim  (Mein  Leben  I,  S.  267)  meldet,  daß  nur  der 
junge  Prinz  Karl  Liechtenstein  (1790 — 1865),  später  General  der 
Kavallerie,  Geheimer  Rat  und  Obersthofmeister  (Wurzbach  XV, 
S.  163  ff.)  nebst  einem  andern  Edelmanne  sich  bei  den  Werbern 
einfand. 

^  Kaiser  Ferdinand  der  Zweyte.  Als  am  8.  März  1809  das 
Cavallerie-Regiment  Hohenzollern  durch  die  Stadt  über  den  Burg- 
platz zog.  Von  Carolina  Pichler,  gebornen  von  Greiner.  Wien  1809. 
8".  4  ungezeichnete  Blätter  (Stadtbibliothek).  —  Danach  gedruckt: 
Pichler,  S.  W.«  XVI,  S.  213  ff.;  Tomaschek  a.a.O.,  S.  775  ff.; 
Arnold-Wagner,  Achtzehnhundertneun.  Wien  1909.  S.  io2ff., 
Nr.  62  und  362 ff.  (Erläuterungen);  vgl.  nochAnm.  561  und 678a,  a). 
—  Karoline  Pichler  berichtet  in  diesem  Gedichte  von  der  Rettung 
Kaiser  Ferdinand  IL  durch  das  Regiment  Dampierre,  ein  Er- 
eignis, das  sie  später  in  ihrem  Theaterstück  „Ferdinand  IL"  ver- 
wertete (vgl.  II,  S.  431,  Anm.  70).  Ihre  Quelle  war  Hormayrs 
Plutarch  (Arnold-Wagner,  S.  364)  und  mündUche  Tradition  (vgl. 
II,  S.  38). 

^^)  Der  Direktor  des  geheimen  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchivs 
Josef  Freiherr  von  Hormayr  hatte,  seitdem  Tirol  an  Bayern  ab- 
getreten worden  war,  eine  fieberhafte  Tätigkeit  in  Wort  und 
Schrift  entfaltet,  um  zu  beweisen,  daß  Tirol  zu  Österreich  gehöre 
und  um  das  Anhänglichkeitsgefühl  seiner  Landsleute  an  die  Habs- 
burger wach  zu  erhalten.  1808  führte  er  die  geheimen  Verhand- 
lungen mit  den  Tiroler  Führern  und  entwarf  den  Plan  zur  Be- 
freiung Tirols.  Er  wurde  Erzherzog  Johann  als  administrativer 
Oberleiter  für  Tirol  beigegeben  und  verfaßte  als  solcher  die  meisten 
Manifeste  und  Proklamationen.  Daß  der  Aufstand  in  Tirol  so 
glänzend  gelang,  ist  ein  Hauptverdienst  Hormayrs.  Vgl.  K.  Th.  Hei- 
gel in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XIII,  S.  I3if.  —  Der 
Karfreitag  des  Jahres  1809,  an  dem  Hormayr  von  Wien  abging 
(oben  S.  333),  fiel  auf  den  31.  März. 

^^')  Die  Kriegsandachten,  die  am  17.  April  begonnen  hatten, 
waren  am  24.  April  1809  mit  einer  feierlichen  Prozession,  die  von 
St.  Augustin  über  alle  Stadtkirchen  zu  St.  Stephan  unter  Führung 
des  Wiener  Erzbischofs  und  unter  Beisein  der  Kaiserin,  des  Kron- 
prinzen, einiger  Erzherzöge,  der  Spitzen  des  Stadtmagistrats  ging, 
abgeschlossen  worden  (A.  Ritter  v.  Geusau,  Historisches  Tagebuch 
aller  merkwürdigen  Begebenheiten,  welche  sich  vor,  während  und 
nach  der  französischen  Invasion  der  k.  k.  Haupt-  und  Residenz- 
stadt in  dem  Jahre  1809  zugetragen  haben.  Wien  1810.  S.  57f., 
60 f.;  Tagebuch  des  M.  Perth:  K.  Glossy  in:  Wiener  Neujahrs- 
Almanach  1900,  S.  53f.,  55;  Briefe  der  Dorothea  Schlegel:  J.  M. 

600 


Raich,Dorotheav.  Schlegel I  [Mainz  1881],  S.344, 349;  K.A.  Schim- 
mer, Die  Französischen  Invasionen  in  Österreich  und  die  Franzosen 
in  Wien  in  den  Jahren  1805  und  1809.  Wien  1846.  S.  67,  243  f.). 
Alles  war  guter  Dinge,  war  doch  am  selben  Tag  die  Nachricht  von 
einem  Siege  eingetroffen  (Eduard  Wertheimer,  Zur  Geschichte  Wiens 
im  Jahre  1809.  Wien  1889.  S.  14).  Doch  bald  folgte  das  Dementi, 
man  erfuhr  von  den  Niederlagen  bei  Abensberg  (20.  April),  Lands- 
hut (21.  April),  Eckmühl  (22.  April)  und  Regensburg  (23.  April). 
Tiefe  Niedergeschlagenheit  trat  ein  und  von  allen  Pfarren  Wiens 
und  der  Umgebung  fanden  am  28.  April  feierliche  Prozessionen 
unter  Vorantragung  des  Hochwürdigsten  zur  Stephanskirche  statt 
(Geusau,  S.  69;  Schimmer  S.  72;  Wertheimer  S.  15),  welche  um 
Sieg  flehten. 

ä^)  Am  24.  April  1809  rückte  Erzherzog  Karl  mit  dem  Gros 
seiner  Armee  im  Angesichte  des  Feindes,  unter  dem  Schutze  der 
Artillerie  und  Kavallerie  bei  Regensburg  über  die  Donau  und  zog 
sich  nach  Böhmen  zurück.  Dadurch  war  für  Napoleon  der  Weg 
nach  Österreich  und  Wien  offen,  denn  der  abgeschnittene  linke 
Flügel  unter  Hiller  war  zu  schwach,  erfolgreichen  Widerstand 
zu  leisten,  um  so  mehr,  als  die  beabsichtigte  Vereinigung  mit 
Erzherzog  Karl  bei  Linz  unterblieb  und  Hiller  bei  Ebelsberg  ge- 
schlagen wurde.  Vgl.  Schimmer,  S,  68 ff.;  Wertheimer,  S.  15 f; 
Geusau,  S.  66  f. 

569)  Jeremias  31,9:  Ich  will  sie  leiten  an  den  Wasserbächen  (mit 
Trost  göttlichen  Worts).  —  Die  Gedanken,  welche  K.  Pichler  hier 
über  den  Stephansdom  ausspricht,  treten  uns  auch  in  einem  ihrer 
Gedichte  entgegen  (vgl.  II,  Anm.  409). 

5^°)  Ein  Teil  der  kaiserlichen  Familie  reiste  bereits  am  29.  April 
nach  Ungarn  ab,  ebenso  ging  am  gleichen  Tage  ein  großer  Teil 
der  Hofschätze  ab;  das  Gefecht  bei  Ebelsberg  (3.  Mai)  veranlaßte 
am  4.  Mai  die  Kaiserin  Maria  Ludovica,  mit  der  Erzherzogin 
Maria  Luise  Wien  zu  verlassen,  und  am  7.  Mai  wurden  das  Haus-, 
Hof-  und  Staatsarchiv,  das  Archiv  des  Hofkriegsrates,  die  Staats- 
kassen und  die  Kasse  des^  magistratischen  Depositenamtes  nach 
Ungarn  geführt.  Vgl.  Schimmer,  S.  72,  73,  76 f.;  Geusau,  S.  69, 
82,  83,  93;  Glossy,  S.  57. 

^'^)  Erzherzog  MaximiUan  hatte  es  schon  Ende  April  beim 
Kaiser  durchgesetzt,  die  Stadt  Wien  bis  zum  Eintreffen  der  Haupt- 
armee zu  verteidigen.  Obwohl  der  Magistrat  und  Erzherzog 
Rainer  dagegen  waren,  da  sich  diese  von  einer  überhasteten  Ver- 
teidigung nur  Schaden  versprachen,  blieb  der  Kaiser  fest  und 
Erzherzog  Maximilian  erließ  am  4.  Mai  eine  Proklamation  an  die 
Wiener,  worin  er  sie  aufforderte,  an  der  Verteidigung  teilzu- 
nehmen und  eine  Art  Landwehr  zu  organisieren.   Bis  zum  10.  Mai 

601 


wiirde  in  fieberhafter  Hast  gearbeitet,  der  Hauptwall  befestigt, 
die  Burgbastei  mit  Kanonen  versehen,  die  Vorstädte  preisgegeben, 
die  Zugbrücken  der  einzelnen  Tore  instand  gesetzt,  einzelne  Donau- 
brücken abgebrannt  und  die  Verteilung  der  Truppen  und  Bürger- 
miliz vorgenommen.  Vgl.  Schimmer,  S.  74ff.;  Geusau,  S.  85  ff., 
9off.;  Wertheimer,  S.  i6ff.;  Glossy,  S.  58 ff. 

^'^)  Gemeint  ist  Josefa  Sölnwanger,  die  Mutter  der  Frau  Kem- 
pelen,  welche  am  Breitenfelder  Grund  das  Haus  Nr.  12  besaß, 
auf  das  sie  am  i.  November  18 14  satzweise  von  Frau  v.  Greiner 
500  fl.  C  M  aufnahm  (vgl.  den  Verlassenschaftsakt  der  letzteren 
im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  12  ex  1815). 
Nach  dem  Tode  der  Antonie  von  Kempelen  (t  18 14)  übernahm 
sie  die  Erziehung  von  deren  Sohn  Ludwig  (vgl.  Anm.  405).  Sie 
selbst  starb  am  27.  August  1824  zu  St.  Polten,  wo  sie  auf  Besuch 
bei  ihrer  Enkelin  Wilhelmine  Czerny,  geb.  Rotter  (vgl.  über  diese 
Jul.  Schneller,  Hinterlassene  Werke,  I,  [Leipzig  1834],  S.  272;  II, 
S.  13)  war  (vgl.  den  Verlassenschaftsakt  der  Frau  Sölnwanger  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II,  Nr.  5053  ex  1824). 
Frau  Sölnwanger,  Witwe  nach  einem  k.  k.  Oberkommissär  mit  dem 
Titel  Regierungsrat,  wohnte  die  letzten  15  Jahre  ihres  Lebens  in 
der  Leopoldstadt  (ebd.).  —  Ihre  zweite  Tochter  war  Josefa  von 
Rotter,  die  1824  als  Hauptmannswitwe  im  Verlassenschaftsakt  ihrer 
Mutter  figuriert;  Schneller  (a.  a.  O.,  I,  S.  269)  nannte  sie  1812 
eine  schöne  Seele. 

^'^)  KaroUne  Pichler  spielt  hier  auf  das  Verhältnis  der  Frau 
V.  Kempelen  zu  Karl  von  Kurländer  an  (vgl.  darüber  oben  Anm. 
405).  —  Von  „eben  jene"  bis  „gefunden  hatte"  nur  in  der  Hand- 
schrift. 

^'*)  Über  Pichlers  Roman  „Die  Belagerung  von  Wien",  vgl.  II, 
S.  175  mit  Anm.  296  und  II,  S.  228. 

*'^)  Über  Josefa  Freiin  von  Richler  s.  oben  Anm.  422;  über 
deren  Schwestern  Katharina  und  Nanette  Porta  vgl.  oben  Anm.  422 
und  unten  Anm.  644.  Über  ihren  Mann  Leopold,  der  1809  Kom- 
mandant des  I.  Landwehrbataillons  des  Viertels  unterm  Wiener- 
wald war,  vgl.  Anm.  422. 

6'6)  Über  Anna  Maria  Baronin  Engelhardt,  deren  Mann  Franz 
Xaver  und  deren  Stiefsohn  Alexander  vgl.  oben  Anm.  426  und  II, 
Anm.  102.  Über  den  Bruder  Eugen  Freiherrn  von  Bretton  und 
die  Schwester  Maria  Ernestine  der  Frau  Engelhardt  vgl.  man  II, 
Anm.  194. 

^")  Die  Franzosen  hatten  am  10.  Mai  1809  mit  Tagesanbruch 
von  Schönbrunn  aus  die  Vorstadt  Mariahilf  besetzt  und  verbreiteten 
sich  von  hier  aus  weiter.  Zweimal  wurde  Erzherzog  Maximilian 
von  Seiten  der  Franzosen  zur  Übergabe  der  Stadt  aufgefordert, 

602 


doch  er  gab  eine  hochmütige  Antwort  und  ließ  die  Vorstädte 
heftig  beschießen,  so  daß  man  zur  Vermeidung  von  Unannehm- 
lichkeiten gezwungen  war,  die  Kranken-  und  Versorgungshäuser 
in  den  Vorstädten  durch  schwarze  Fahnen  vor  den  Freunden  zu 
schützen  (Schimmer,  S.  84;  oben  S.  34of.).  Die  Beschießung  wurde 
am  II.  Mai  fortgesetzt  und  dabei  besonders  die  Hof  Stallungen 
beschädigt.  Nachdem  die  Franzosen  bereits  um  2  Uhr  nachmit- 
tags gegen  die  Burgbastei  geschossen  hatten,  begannen  sie  abends 
um  9  Uhr  das  allgemeine  Bombardement.  Vgl.  Schimmer,  S.  79 ff.; 
Geusau,  S.  105 ff.;  Wertheimer,  S.  igf.;  Glossy,  S. 64ff.  —  Haupt- 
mann Lorenz  Barchetti,  der  mit  seiner  Kompagnie  vom  zweiten 
Bürgerregiment  gegen  die  Löwelbastei  zu  stand,  wurde  in  der 
Nacht  vom  11.  zum  12.  Mai  durch  eine  Granate  schwer  verwundet 
(vgl.  Schimmer,  S.  89;  Geusau,  S.  129),  starb  aber  nicht  noch  diese 
Nacht,  wie  die  Pichler  meint,  sondern  erst  am  15.  Mai.  Er  war 
bürgerlicher  Bandfabrikant  in  Oberneustift  Nr.  88,  seit  12.  Sep- 
tember 1803  mit  Katharina  Mattei  verehelicht  und  hinterließ 
seinen  vier  Kindern  (Anton,  4  Jahre;  Katharina,  3  Jahre;  Karl, 
2  Jahre  und  Franziska,  ^1^  Jahre)  ein  Vermögen  von  6709  fl.  57  kr. 
(vgl.  seinen  Verlassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener  Landes- 
gerichtes, Fasz.  II,  Nr.  3636  ex  1809),  Sein  Leichenbegängnis 
fand  am  17.  Mai  in  feierlicher  Weise  statt,  selbst  Franzosen  be- 
teiligten sich  daran  (Schimmer,  S.  89,  Anm.;  Geusau,  S.  129).  Er 
■wurde  am  Schmelzer  Friedhof  beerdigt,  wo  heute' noch  (Novem- 
ber 19 12)  sein  Grabstein  (Haupteingang,  rechts)  mit  folgender 
Inschrift  zu  sehen  ist: 

Dem  tapfern  Herrn 
Lorenz  Barchetti 
Hauptmann  im  zweyten  Wiener- 
Bürger-Regiment 

gewidmet  ; 

von  seinen  Cameraden. 


Errichtet  am  11.  May  1847. 


Die  Gemeinde  benannte  ihm  zu  Ehren  im  13.  Bezirke  eine  Straße 
mit  „Barchettigasse"  (Friedrich  Umlauft,  Namenbuch  der  Straßen 
und  Plätze  von  Wien.  Wien  1905.  S.  8).  —  Außer  Barchetti 
fielen  dem  Bombardement  noch  16  Menschenleben  zum  Opfer 
(Schimmer,  S.  89f.;  Geusau,  S.  i29f.). 

^^^)  Über  die  Beschießung  Wiens  in  der  Nacht  vom  ii.  zum 
12.  Mai  1809,  die  um  9  Uhr  abends  von  den  Hof  Stallungen  aus 
(Spittelberg)  begann  und  infolge  Munitionsmangels  um  I/23  Uhr 
früh  aufhörte,  sowie  über  die  Zerstörungen,  die  sie  bewirkte,  und 

603 


über  die  Feuersbrünste,  die  in  der  Stadt  ausbrachen,  vgl.  man 
Geusau,  S.  izöff.;  Schimmer,  S.  86ff.;  Wertheimer,  S.  20; 
J.  A.  Freiherr  von  Helfert  in :  Die  Kultur  IX  (Wien  1908),  S.  45 1  ff. 

*'^)  Die  Franzosen  hatten  es  verstanden,  zu  gleicher  Zeit,  als 
sie  Wien  bombardierten,  beim  Lusthaus  im  Prater  eine  Brücke 
zu  schlagen;  alle  Bemühungen  der  Österreicher,  sich  dieser  Brücke 
zu  bemächtigen,  schlugen  fehl,  und  so  entschloß  sich  Erzherzog 
Maximilian,  um  nicht  abgeschnitten  zu  werden,  mit  seinen  Truppen 
Wien  über  die  Taborbrücke  zu  verlassen,  und  gab  dem  Platz- 
kommandanten General  Oreilly  um  ^24  Uhr  morgens  den  Befehl, 
eine  vorteilhafte  Kapitulation  abzuschließen.  Da  der  Magistrat, 
die  Hofkommission  und  die  in  Wien  verbliebenen  Generäle  dafür 
waren,  so  leitete  Oreilly  mit  Andreossy  die  Verhandlungen  ein 
und  eine  Bürgerdeputation  erschien  bei  Napoleon  in  Schönbrunn, 
der  ihr  die  größte  Schonung  Wiens  versprach.  Die  Unterzeich- 
nung der  Kapitulation  erfolgte  am  12.  Mai  abends,  die  Aussteckung 
der  weißen  Fahnen  auf  den  Wällen  war  bereits  um  2  Uhr  nachts 
vollzogen  worden.  Vgl.  Geusau,  S.  131  ff.;  Schimmer,  S.  goff.; 
Wertheimer,  S.  21  ff.;  Glossy,  S.  66 f.  —  Ähnliche  Gedanken  wie 
die  Pichler  betreffs  der  Nutzlosigkeit  der  Verteidigung  Wiens 
hatten  auch  andere,  welche  die  ganze  Sache  als  Gaskonade  usw. 
bezeichneten,  vgl.  Wertheimer,  S.  25  f. 

*^)  Am  13.  Mai  um  7  Uhr  früh  marschierten  die  französischen 
Grenadiere  des  Oudinotschen  Korps  als  erste  in  Wien  ein  (Geusau, 
S.  138;  Schimmer,  S.  93;  Glossy,  S.  68;  Helfert  a.  a.  O.  IX,  S.  454). 
—  Die  Mißhandlung  des  Parlamentärs  (Oberst  Lagrange),  und 
nur  diese  kann  Karoline  Pichler  im  Auge  haben,  erfolgte  bereits 
vor  der  Übergabe  der  Stadt  am  Morgen  (7  Uhr)  des  10.  Mai  1809, 
und  zwar  beim  Burgtor.  Über  die  dabei  obwaltenden  Umstände, 
seine  Gefangennahme  und  Verwundung  vgl.  Geusau,  S.  108 f.; 
Schimmer,  S.  80;  Wertheimer,  S.  19;  J.  M.  Raich,  Dorothea 
V.  Schlegel  I,  S.  358.  Schönholz  (Traditionen.  Herausgegeben  von- 
G.  Gugitz  I  [München  19 13],  S.  205)  setzt  dies  Ereignis  auf  den 
14.  Mai,  also  wie  die  Pichler  nach  der  Kapitulation  Wiens,  läßt 
aber  fälschlich  den  Parlamentär  töten.  Ganz  verworren  ist  die 
Darstellung  im  Tagebuche  des  M.  Perth  (Glossy,  S.  6if.).  Zur 
einzig  richtigen  Mitteilung  bei  Geusau  stimmt  die  Biographie 
des  Obersten  Ange-Fran?ois  Le  Lievre  de  Lagrange  in  „Nouvelle 
Biographie  generale  (XXVIII  [Paris  1859],  Sp.  843). 

681)  Der  Brotmangel  hing  damit  zusammen,  daß  die  Bäcker  täg- 
lich 58  000  Portionen  an  die  französische  Armee  abliefern  mußten 
(Geusau,  S.  142;  Schimmer,  S.  94).  Betreffs  der  Einquartierungen 
erschien  am  15.  Mai  1809  ein  vernünftiger  Befehl  des  Platzkom- 
mandanten Generals  Razout  (Geusau,  S.  I47ff.);  die  Hausinhaber 

604 


hatten  nach  Verordnung  vom  14.  Mai  die  Bequartierten  ent- 
sprechend ihrem  Range  zu  verköstigen  (Geusau,  S.  143  f.,  152; 
Schimmer,  S.  göf.).  Vom  16.  Mai  ab  zeigte  sich  neben  dem  Brot- 
mangel noch  Mangel  an  Fleisch  und  Milch  (Geusau,  S.  150,  153, 
i54f.;  Schinlmer,  S.  97f.)k 

582)  Nach  den  Siegen  bei  Pordenone  (15.  April)  und  Sacile 
(16.  April)  schlug  Erzhepog  Johann  am  28.  April  1809  den  Vize- 
könig Eugene  Beauharnais  und  die  italienische  Armee  bei  Caldiero 
entscheidend  aufs  Haupt,  doch  konnte  er  den  Sieg  wegen  der 
schlechten  Nachrichten  von  der  Hauptarmee  nicht  ausnützen  und 
mußte  den  Rückzug  antreten  (vgl.  Hans  von  Zwiedineck-Suden- 
horst,  Erzherzog  Johann  von  Österreich  im  Feldzuge  von  1809. 
Graz  1892.    S.  4 ff.). 

583)  Kaiser  Napoleon  hielt  am  14.,  15.  und  16.  Mai  Revuen  auf 
der  Schmelz  ab  (Geusau,  S.  153).  Einer  dieser  Revuen  wird  Karo- 
line Pichler  beigewohnt  haben,  wahrscheinlich  der  am  16.  Mai, 
die  besonders  glänzend  war  (C.  Bernd,  in:  Der  Wiener  Zuschauer. 
Herausgegeben  von  J.  S.  Ebersberg.  Wien  1846.  S.  1172,  nach 
einem  hds.  Tagebuch,  das  mit  dem  Rosenbaums  identisch  sein 
dürfte). 

584)  Der  Tod  des  Obersten  Freiherrn  von  Engelhardt  erfolgte 
im  Hause  der  Pichler  am  8.  Mai  1809  (vgl.  oben  Anm.  426),  also 
zu  einer  Zeit,  wo  die  Franzosen  noch  nicht  in  Wien  waren,  er 
konnte  daher  nicht  deren  Kriegsgefangener  sein  (Pichler,  S.  345). 
Die  Franzosen  rückten  erst  am  Tage  des  Leichenbegängnisses 
(iQ.  Mai)  in  die  Vorstädte  ein  (Geuseu,  S.  107),  also  auch  nicht 
am  Tage  Christi  Himmelfahrt  (11.  Mai),  wie  die  Pichler  (S.  346) 
meint,  denn  an  diesem  Tage  begann  bereits  das  Bombardement. 

585)  Über  die,  zwei  Tage  währende  (21.  und  22.  Mai  1809) 
Schlacht  bei  Aspern,  wo  Napoleon  zum  erstenmal  besiegt  wurde, 
vgl.  die  eingehende  Darstellung  bei  Moritz  Edlen  von  Angell, 
Erzherzog  Carl  von  Österreich  als  Feldherr  und  Heeresorganisator 
IV  (Wien  1897),  S.  287  ff.  Daß  der  Sieg  nicht  ausgenützt  wurde, 
hatte  keine  geheimnisvollen  oder  anderen  Gründe,  wie  Pichler 
(S.  348)  und  viele  andere  (Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I, 
S.  3oof.,  3ioff.)  meinten,  sondern  war  darin  begründet,  daß  die 
Eigenart  des  Terrains  eIne.Vernichtung  der  Besiegten  nicht  zuließ, 
waren  doch  die  Donauarme  hoch  angeschwollen,  und  daß  Napoleon 
noch  über  eine  starke  Reserve  verfügte,  während  die  Österreicher 
ihre  ganze  Armee  ins  Treffen  gebracht  hatten  und  außerdem 
keine  Munitionsreserve  hatten  (vgl.  Angeli  IV,  S.  3 63 f.);  ein  ge- 
planter Überfall  auf  die  Lobau  in  der  Nacht  vom  23.  auf  den 
24.  Mai  mußte,  da  er  nicht  genügend  vorbereitet  war,  unter- 
bleiben (Angeli  IV,  S.  365  ff.).   Da  Napoleon  wieder  rührig  wurde, 

605 


so  wurde  am  25.  Mai  die  gefährliche  Stellung  bei  der  Lobau  ver- 
lassen und  die  österreichische  Armee  hinter  dem  Riißbache  auf- 
gestellt (Angeli  IV,  S.  SÖjff.).  —  Über  die  Anteilnahme  der 
Wiener  an  dieser  Schlacht,  die  auf  die  Basteien  beim  Rotenturm- 
und  Stubentor,  sowie  auf  Dächer  und  Türme  eilten,  um  etwas 
zu  hören  oder  zu  sehen,  vgl.  Geusau,  S.  164.  Napoleon  verheim- 
lichte den  Wienern  den  Sieg  der  Österreicher  und  das  10.  fran- 
zösische Armeebulletin  vom  24.  Mai  sprach  von  ungeheuren  Ver- 
lusten der  Österreicher,  aber  von  ganz  geringen  der  Franzosen, 
was  direkt  lächerlich  war,  nachdem  seit  dem  23.  Mai  ununter- 
brochen französische  Blessierte  eingebracht  wurden;  doch  er- 
fuhren die  Wiener  den  wahren  Sachverhalt  schon  am  24.  Mai; 
vgl.  Glossy,  S.  73ff.;  Schimmer,  S.  103 ff.;  Wertheimer,  S.  3of.; 
C.  Bernd  in:  Der  Wiener  Zuschauer.  1846.  S.  11 79 ff.;  Helfert 
a.  a.  O.  IX,  S.  459  ff. 

^^)  Franz  Weber  von  Treuenfels,  seit  1808  Feldmarschalleutnant, 
wurde  am  22.  Mai  tötlich  verwundet,  geriet  in  Kriegsgefangen- 
schaft, wurde  über  eigenes  Verlangen,  nachdem  er  mit  Napoleon 
darüber  gesprochen  hatte,  nach  Wien  transportiert  und  starb  hier 
am  23.  Mai  1809.  Sein  Leichenbegängnis  (25.  Mai)  fand  mit  miU- 
tärischen  Ehren  statt.  Vgl.  Geusau,  S.  ijöf.;  Schimmer,  S.  106 f. 

^'')  Antoine  Fran^ois  Graf  Andreossy  (1761 — 1828),  seit  1781 
in  Militärdiensten,  wurde  von  Napoleon  zum  Leiter  des  Artillerie- 
und  Geniewesens  und  zum  Divisionsgeneral  ernannt.  Von  1807 
bis  1809  war  er  Gesandter  in  Wien,  und  als  diese  Stadt  1809  von 
Napoleon  in  Besitz  genommen  wurde,  deren  milder  Gouverneur. 
Später  war  er  Gesandter  in  Konstantinopel,  zog  sich  aber  unter 
den  Bourbonen  ins  Privatleben  zurück  und  veröffentlichte  eine 
größere  Anzahl  historischer  Werke,  die  ihm  1826  die  Wahl  in 
die  Akademie  brachten.  Vgl.  Nouvelle  Biographie  generale  II, 
Sp.  583 f.;  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  315. 

^  In  den  Spitälern  befanden  sich  am  12.  Juni  ca.  20  000  Ver- 
wundete, eine  sehr  große  Anzahl  auch  in  Privathäusern  (vgl. 
Geusau,  S.  216).  —  Am  24.  Juli  brachten  viele  Schiffe  Viktualien 
nach  Wien  (Geusau,  S.  276)  und  am  28.  Juli  hörte  der  empfind- 
liche Brotmangel  auf  (Geusau,  S.  279;  Glossy,  S.  102). 

^^)  Über  die  Schlacht  bei  Wagram  (5.  und  6.  Juli  1809)  vgl.  den 
eingehenden  Bericht  bei  Angeli  a.  a.  O.  IV,  S.  476  ff.  —  Über 
die  vielen  Verwundeten  (oben  S.  350),  die  vom  6.  Juli  an  nach 
Wien  gebracht  oder  in  Mauer,  Mariabrunn  und  anderen  Orten 
untergebracht  wurden,  vgl.  Geusau,  S.  256f.,  260,  262,  265,  275, 
281,  285;  Glossy,  S.  93;  Schimmer,  S.  124 f.;  Helfert  IX,  S.  476 ff, 

590J  Wrede  nahm  am  zweiten  Tage  (6.  Juli)  mit  seinen  Truppen 
an  der  Schlacht  bei  Wagram  teil  und  zwar  im  Zentrum.   Er  trieb 

606 


die  Österreicher  anderthalb  Stunden  weit  zurück,  wodurch  der 
Erfolg  des  österreichischen  rechten  Flügels  aufgehoben  wurde. 
Ihm  wurde  ein  Pferd  erschossen,  er  selbst  verwundet.  Vgl.  Johann 
Heilmann,  Feldmarschall  Fürst  Wrede^  Leipzig  1881.  S.  i56ff.  — 
Über  das  unhöfliche  Benehmen  dieser  Bayern  in  Wien  vgl.  Glossy, 

S.  93-     . 

591)  Die  moderne,  objektive  Forschung  hat  unter  Berücksichti- 
gung alles  für  und  gegen  Erzherzog  Johann  Sprechenden  gezeigt, 
daß  dieser  gar  nicht  früher  als  am  6.  Juli  nachmittags  nach  Ober- 
Siebenbrunn  kommen  konnte,  da  ihm  die  Befehle  zum  Vorrücken 
zu  spät  zukamen  und  diese  zu  wenig  präzis  waren,  um  seinen  Vor- 
marsch ohne  Rücksicht  auf  die  Kraft  seiner  Truppen  und  seiner 
Artillerie  zu  forcieren.  Als  er  am  Schlachtfeld  eintraf,  da  war  der 
Feldmarschalleutnant  Franz  Fürst  Rosenberg  mit  dem  linken 
Flügel  bereits  im  Zurückweichen  und  feine  Vereinigung  mit  diesem 
unmöglich,  da  Napoleon  Davoust  gegen  Rosenberg  gesendet  hatte 
und  Davoust  nun  zwischen  Erzherzog  Johann  und  Rosenberg 
stand.  Vgl.  die  eingehende  Schilderung  und  aktenmäßige  Dar- 
stellung bei  Hans  von  Zwiedineck-Südenhorst,  Erzherzog  Johann 
von  Österreich  im  Feldzuge  von  1809.  Graz  1892.  S.  136 ff., 
bes.  S.  I46f.,  149,  150,  i52ff.  —  Den  Zeitgenossen,  nicht  nur 
der  Pichler  (oben  S.  350),  war  das  Verhalten  Erzherzog  Johanns 
ein  Rätsel  (Gräfin  Lulu  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  312). 

698)  Über  den  Tod  Josef  von  Kurländers  vgl.  man  oben  Anm.  386. 

*9^)  Strophe  IV  des  Gedichtes  „Die  nächtliche  Heerschau"  von 
J.  Chr.  Freiherrn  von  Zedlitz  (Gedichte.  Stuttgart  1832.  S.  16) 
mit  einigen  Abweichungen:  i.  kalten  [tiefen;  2.  Wohl  unter 
[Erstarrt  in. 

6'*)  Am  14.  August  vormittags  ^2^°  ^^^  explodierte  infolge  der 
Unvorsichtigkeit  einiger  Artilleristen  das  Pulverlaboratorium  auf 
der  Schottenbastei,  wobei  mehrere  zerplatzte  Granaten  bis  in  die 
Stadt  flogen.  Der  große  Stadel  auf  der  Bastei  brannte  ab  und 
eine  Anzahl  von  Franzosen  (ca.  120)  verloren  ihr  Leben.  Vgl. 
Xeusau,  S.  286;  Schimmer,  S.  128;  Glossy,.  S.  1 12 ff.;  Helfert 
a.  a.  O.  X,  S.  57. 

"'*)  Über  die  allgemeine,  den  Bürgern  anbefohlene  Illumination 
am  Abend  des  15.  August  1809,  sowie  über  das  am  Glacis  vor 
den  kaiserlichen  Stallungen  abends  abgebrannte  Feuerwerk,  vgl. 
man  Geusau,  S.  286ff.;  Schimmer,  S.  130;  Wertheimer,  S.  37f. 
und  Glossy,  S.  ii4ff.;  Helfert  a.a.O.  X,  S.  58f.  —  Die  von 
Karoline  Pichler  erwähnte  Inschrift  wird  sonst  in  der  Form  „Zur 
Weihe  An  Napoleons  Geburtstag"  (=  Zwang)  überliefert  und  soll 
nach  den  einen  in  Mariahilf  (Schimmer,  S.  130),  nach  den  anderen 
m  der  Stadt  beim  roten  Turm  zu  sehen  gewesen  sein   Qulius 

607 


Leisching,  Aus  dem  Tagebuche  eines  alten  Wieners.  Wien  1907. 
S.  60  =  Glossy,  S.  120). 

^^*)  Jean  Baptiste  Nompere  de  Champagny,  Herzog  von  Cadore 
(1756— 1834),  1789  Deputierter,  1801  Gesandter  in  Wien,  1804 
Minister  des  Innern  und  1807  Minister  des  Äußern  in  Paris,  1808 
Herzog  von  Cadore,  1809  Friedensunterhändler  in  Wien  und 
18 10  Vermittler  in  Napoleons  Eheangelegenheit.  18 11  als  Minister 
•entsetzt,  aber  zum  Senator  und  18 14  zum  Pair  ernannt.  Vgl. 
Nouvelle  Biographie  generale  IX,  Sp.  620  ff. 

5^')  Clemens  Lothar  Wenzel  Fürst  Metternich-Winneburg 
(1773 — 1859),  ^^^  bekannte  und  vielfach  verkannte  österreichische 
Staatsmann,  von  1809 — 1848  Minister  des  Äußern  und  unum- 
schränkter Herr  von  Österreich,  war  seit  i8oi  im  diplomatischen 
Dienst  Österreichs  zunächst  in  Berlin  und  dann  in  Paris  (1806 
bis  1809).  1809  behandelte  ihn  Napoleon  als  Gefangenen  und 
erst  nach  der  Schlacht  bei  Aspern  erlangte  er  die  Freiheit.  Er  und 
Champagny  unterhandelten  vom  17.  August  ab  in  Deutsch- Alten- 
burg viele  Wochen,  ohne  besonderen  Erfolg.  Metternich  war 
Napoleons  grimmer  Feind  und  trug  viel  zu  dessen  Sturz  bei. 
Vgl.  Wurzbach  XVIII,  S.  23ff.  —  Später  (1815)  lernte  Pichler 
Metternich  aus  Anlaß  der  Zensurschwierigkeiten  ihres  Stückes 
„Ferdinand  II."  persönlich  kennen  (II,  S.  52 f.);  sie  war  1829 
•über  den  Tod  seiner  Gattin  Antonie  betrübt  (II,  S.  250). 

^88)  Der  Waffenstillstand  wurde  nach  dem  Gefechte  bei  Znaim 
(11.  Juli  1809)  in  dieser  Stadt  am  12.  Juli  1809  auf  einen  Monat 
abgeschlossen.  Das  betreffende  Instrument  enthielt  9  Artikel;  vgl. 
Geusau,  S.  266ff.  —  Betreffs  des  Friedens  herrschte  in  Wien  zu 
Ende  des  Juli  1809  große  Ungewißheit,  die  einen  glaubten  daran, 
andere  nicht  (Glossy,  S.  102  f.),  ebenso  war  es  zu  Anfang  des 
August  (Glossy,  S.  108,  iio,  122).  Die  eigentlichen  Friedensver- 
handlungen begannen  am  16.  August,  denn  an  diesem  Tage  reiste 
der  Minister  Champagny  zum  Friedenskongreß  nach  Deutsch- 
Altenburg  (Geusau,  S.  291;  Schimmer,  S.  131  f.;  Glossy,  S.  120), 
doch  wurde  der  Friede  erst  am  14.  Oktober  1809  in  Wien  geschlos- 
sen und  um  4  Uhr  nachmittags  sowie  am  folgenden  Morgen  mit 
je  100  Kanonenschüssen  verkündet  (Geusau,  S.  313;  Schimmer, 
S.  137;  Glossy,  S.  141).  Der  Friedenstraktat,  aus  18  Artikeln  be- 
stehend (Geusau,  S.  321  ff.),  bestimmte  in  §  3,  daß  Salzburg  und 
Berchtesgaden,  ein  Teil  von  Oberösterreich,  Görz,  Monfalcone, 
Triest,  Krain,  der  Villacher  Kreis  in  Kärnten,  die  Länder  rechts 
der  Save,  Teile  von  Böhmen  und  Westgalizien  an  Frankreich  und 
seine  Verbündeten  abzutreten  seien.  —  Am  16.  Oktober  verließ 
Napoleon  um  2  Uhr  nachmittags  Schönbrunn  und  reiste  nach 
Frankreich  (Geusau,  S.  314;   Glossy,  S.  142;  Schimmer,  S.  138). 

608 


:m 


Am  25.  Oktobefr  wurde  der  Friedenstraktat  allenthalben  in  Wien 
angeschlagen  (Geusau,  S.  320;  Glossy,  S.  145;  Schimmer,  S.  140), 
699)  Dominique  "V^vant  Denon  (1747 — 1825),  Maler  und  Kimst- 
historiker,  war  ursprünglich  unter  dto  Bourbonen  Diplomat  und 
dilettierte  nebenbei  als  Maler.  Ein  Älfenthalt  in  Neapel  führte 
ihn  zur  Kupferstecherkunst.  Nach  dem  Ausbruch  der  Revolution 
kehrte  er  nach  Paris  zurück  und  schloß  sich  als  Maler  Napoleons 
ägyptischer  Expedition  an.  Napoleon  ernannte  ihn  später  zum 
Generaldirektor  der  Museen  und  er  hatte  seines  Herrschers  künst- 
lerische Verherrlichung  zu  besorgen  und  zu  leiten.  Er  war  ein 
gewandter  Weltmann,  geistreicher  Causeur  und  der  „verständigste, 
sachkundigste  Dieb  Napoleons",  wie  ihn  Karl  Friedrich  Freiherr 
Kübeck  von  Kübau  (Tagebücher  I  [Wien  1909],  S.  164)  nennt, 
denn  er  hatte  in  den  eroberten  und  besetzten  Gebieten  die  Kunst- 
schätze für  die  Pariser  Sammlungen  auszuwählen.  Aus  Wien 
wurden  damals  (im  August  1809)  eine  große  Anzahl  Bücher  und 
Handschriften  der  Hofbibliothek,  sowie  Gemälde  der  kaiserlichen 
Gemäldegalerie  nach  Paris  geschickt  (Schimmer,  S.  132).  Vgl. 
Nouvelle  Biographie  generale  XIII,  Sp.  650  ff.  —  Karoline  Pichler, 
bei  der  Denon  verkehrte,  traf  ihn  auch  bei  Frau  Flies  (oben  S.  362), 
und  er  verschaffte  ihr  Zutritt  ins  Schönbrunner  Schloßtheater 
(oben  S.  358).  Außerdem  verdankte  sie  ihm  den  Stoff  zu  einigen 
Erzählungen  (oben  S.  356),  und  zwar  besonders  zu  Zuleima  (S.W.^ 
XXVII,  S.  261  ff.,  besonders  S.  264). 

^  Alexandre  Louis  Joseph  Marquis  De  Laborde  (1774 — 1842), 
der  Sohn  des  1794  in  Paris  hingerichteten  französischen  Staats- 
mannes Jean  Joseph  De  Laborde,  kam  1789  nach  Wien,  wo  er  in 
österreichische  Kriegsdienste  trat  und  gegen  Frankreich  kämpfte. 
1797  nach  Paris  zurückgekehrt,  unternahm  er  weite  Reisen,  überall 
Kunststudien  treibend  und  in  großen  Werken  die  Ergebnisse  seiner 
Studien  niederlegend.  Auch  über  seinen  Aufenthalt  in  Österreich 
schrieb  er  ein  großes,  reich  illustriertes  Buch  (Voyage  pittoresque 
en  Antriebe.  Paris  1821),  dessen  zweiter  Band  Wiens  Kunst-  und 
andere  Merkwürdigkeiten,  aber  keine  Persönlichkeiten  behandelt, 
obwohl  er  in  Wien  nicht  nur  bei  der  Pichler  (oben  S.  356),  sondern 
auch  bei  Frau  Flies  u.  a.  verkehrte  (oben  S.  355,  362).  Unter  den 
Bourbonen  wurde  er  Deputierter  (1822),  beteiligte  sich  an  der 
Julirevolution  und  bekleidete  eine  Zeitlang  das  Amt  eines  Seine- 
präfekten.  1841  zog  er  sich  von  allem  zurück.  Er  war  ein  frei- 
mütiger und  geistreicher  Mann.  Vgl.  Nouvelle  Biographie  generale 
XIII,  Sp.  38off.  —  Wenn  K.  Pichler  (oben  S.  355)  behauptet, 
daß  die  Franzosen  1809  die  Bäume  Im  Tiergarten  fällen  ließen 
und  verkauften,  so  stimmt  dies  nicht  mit  den  Tatsachen.  Denn 
es  war  der  Wiener  Pöbel,  der  im  August  den  Tiergarten  gewaltsam 

39    C.  P.  I  609 


erbrach  und  im  Verein  mit  reicheren  Gewerbeleuten  die  Bäume 
fällte  und  wegführte,  mit  der  Ausrede,  daß  Napoleon  diesen  Raub 
gestattet  hätte.  Am  9.  Oktober  verbot  daher  die  französische 
Regierung  alle  Arten  von  Holzfuhren  aus  dem  Tiergarten  bei 
Strafe  (vgl.  Geusau,  S.  292 f.,  308  f.). 

^^)  Frangois  Rene  vicomte  de  Chateaubriand  (1768 — 1848), 
der  berühmte  französische  Dichter,  nebenbei  auch  Staatsmann, 
seit  1798  positiver  Christ,  schrieb  1802  sein  Werk  „Genie  du 
christianisme",  eine  poetische  und  ästhetische  Apologie  des  Christen- 
tums, ein  Vorläufer  seines  Romans  „Les  martyrs",  der  1802  be- 
gonnen wurde  und  1809  erschien.  Dieser  Roman  berührt  sich 
vielfach  mit  Karoline  Pichlers  „Agathokles",  worauf  Rasori  zuerst 
hinwies  (vgl.  II,  Anm.  299),  doch  sind  beide  voneinander  unab- 
hängig (vgl.  oben  Anm.  551). 

^°2)  Karoline  Freiin  de  la  Motte  Fouque,  Das  Heldenmädchen 
aus  der  Vendee.  Ein  Roman  (2  Bde.  Leipzig  18 16;  Goedeke  VI, 
S.  132  :  23). 

^  Napoleon,  ein  großer  Liebhaber  des  Theaters  (vgl.  August 
Fournier,  Historische  Studien  und  Skizzen  II  [Wien  1908],  S.  206  ff.) 
ließ  zweimal  in  der  Woche  in  Schönbrunn  Opern  aufführen 
(Glossy,  S.  III;  Schönholz,  Traditionen.  Hg.  von  G.  Gugitz.  I, 
S.  229  f.),  aber  auch  Schauspiele  wurden  hier  gegeben.  Wir  wissen 
von  einer  großen  Aufführung  der  Phädra  am  31.  JuU  (Teuber- 
Weilen    II,  2,    i,    S.  180),    der    Schweizerfamilie   von   Weigl   am 

4.  August  (Glosjy,  S.  106)  usw.  Am  18.  August  beschenkte  Napo- 
leon alle  Schauspieler,  Tänzer  und  Operisten  der  Wiener  Hof- 
theaterdirektion, die  in  Schönbrunn  gespielt  hatten,  reichlich 
(Geusau,  S.  291).  Noch  am  i.  September  wurde  in  Schönbrunn 
gespielt,  und  ein  Zeitgenosse  berichtet,  daß  es  freie  Eintritts- 
billetts gab,  und  die  Besucher  auf  kaiserHche  Kosten  bewirtet 
wurden;  wenn  Napoleon  in  seine  Loge  trat,  so  begrüßte  er  „alle 
Anwesenden    mit    Freundlichkeit    und    Herablassung"     (Glossy, 

5.  127).  _ 

^  Michel  Duroc,  Herzog  von  Friaul  (1772 — 18 13),  einer  der 
treuesten  und  anhänglichsten  Generäle  Napoleons,  dessen  Adjutant 
er  1796  war.  Stets  um  Napoleon,  war  er  einer  von  dessen  Ver- 
trauten, und  als  er  bei  Markersdorf  in  der  Nähe  von  Bautzen  18 13 
durch  eine  Kanonenkugel  tötlich  verwundet  wurde,  ging  dies 
Napoleon  sehr  nahe.  Vgl.  Nouvelle  Biographie  generale  XV, 
Sp.  470  ff. 

^^)  Sargines  ou  l'eleve  de  l'amour,  comedie  lyrique  en  quatre 
actes.  Text  von  Jacques  Monvel,  Musik  von  Nicolas  Dalayrac 
(vgl.  F.  Clement  et  P.  Larousse,  Dictionnaire  des  operas.  Paris, 
o.  J.,  S.  1005). 

610 


608)  Friedrich  Stapps  (1792 — 1809),  ein  Predigerssohn  aus  Erfurt 
und  früher  ein  glühender  Anhänger  Napoleons,  wollte  diesen  am 
II.  Oktober  1809  in  Schönbrunn  erdolchen.  Doch  kam  es  nicht 
zur  Ausführung  der  Tat,  denn  bereits  früher  fiel  Stapps  durch 
sein  Wesen  auf  und  wurde  ergriffen.  Napoleon  kam  ihm  mit 
Milde  entgegen,  doch  der  Schwärmer  wollte  den  Tod,  und  so 
wurde  er  denn  am  13.,  nach  anderen  am  15.  oder  17.  Oktober 
erschossen.  Vgl.  Geusau,  S.  3iof.;  Schimmer,  S.  135 f.;  Glossy, 
S.  138 ff.;  J.  Alex.  Freiherr  von  Helfert,  Maria  Louise,  Erzherzogin 
von  Österreich,  Kaiserin  der  Franzosen.  Wiei^  ^873.  S.  52ff.,  390, 
Anm.  17;  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  3i9.Jf 

Der  glühende  Haß,  den  Karoline  Pichler  gögen  Napoleon  hatte, 
ist  auch  sonst  bemerkbar  (vgl.  oben  S.  345,  359,  361).  Einige 
Briefstellen  bieten  zu  S.  359 ff.  Parallelen,  so  an  Huber  (29.  Ok- 
tober 1822:  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  III,  S.  324):  „Ich  habe 
Napoleon  nie  geliebt  und  nur  Weniges  an  ihm  bewundert,  ja  es 
war  eine  Zeit,  wo  ich  seine  Ermordung  für  einen  der  Menschheit 
geleisteten  Dienst  angesehen  hätte.  Seit  seiner  Verbannung  habe 
ich  ihn  bedauert  (vgl.  oben  S.  359f.),  und  seit  dem  31.  März  1814 
über  vieles  anders  zu  denken  angefangen.  Tempora  mutantur  — ." 
In  einem  Briefe  an  Frankl  (Album  usw.  Wien  1845,  S.  81)  meint 
sie,  Napoleon  war  kein  Verfechter  der  Freiheit,  für  welchen  ihn 
nun  die  Jüngeren  halten,  die  sich  ein  Ideal  aus  ihm  schaffen, 
das  nie  bestand  (vgl.  dazu  oben  S.  330).  Am  21.  August  1806 
(Brief  an  Streckfuß:  K.  Glossy,  Wiener  Communal- Kalender 
XXXII,  S.  400)  nennt  sie  Napoleon  einen  Unhold,  den  Gott 
zur  Strafe  des  sündigen  Menschengeschlechts  auf  die  Welt 
sandte. 

*"')  Manzonis  Ode  auf  den  Tod  Napoleons  „II  cinque  maggio", 
1821  gedichtet  und  1822  im  Druck  erschienen,  erregte  überall 
lebhaftes  Aufsehen. 

^^)  Charles  de  Villers  (1765 — 1815),  ein  Lothringer,  kam  1792 
nach  Deutschland  und  wurde  hier  germanisiert.  Er  brachte  seinea 
Landsleuten  deutsches  Wesen  und  deutschen  Geist  näher  und 
erschloß  ihnen  Kant.  Vgl.  Sander  in:  Allgemeine  Deutsche  Bio- 
graphie XXXIX,  S.  708  ff.  —  Über  Grausamkeiten,  die  Napoleon 
1805  und  1809  in  Österreich  begangen  haben  soll,  vgl.  Lulu 
Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  i8of.,  314^  —  Von  Villers 
und  Friedr.  Jakob  Christ.  Saalfeld  gibt  es  ein,  18 14  anonym  er- 
schienenes Buch  „Hundert  und  etliche  Fanfaronaden  des  Corsikar 
nischen  Abentheurers  Napoleon  Buona-Parte  Ex-Kaisers  der  Fran- 
zosen" (Cum  notis  variorum.  Leipzig  1814:  Goedeke  VII, 
S.  862  :  198),  dem  der  von  der  Pichler  angezogene  Au?spruch  über 
Napoleon  entnommen  sein  könnte. 


■#■ 


39* 


611 


«»)  Karl  August  Varnhagen  von  Ense  (1785— 1858:  O.  F.  Walzel 
in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie  XXXIX,  S.  j6gii.),  der  viel- 
geschäftige Historiker  und  Biograph,  war  1809  auf  den  Aufruf 
Österreichs  hin  nach  Österreich  geeilt,  um  als  Freiwilliger  in  Erz- 
herzog Karls  Armee  einzutreten.  Am  21.  Juni  traf  er  in  Wagram 
ein,  am  25.  wurde  er  als  Fähnrich  im  Regiment  Vogelsang  einge- 
stellt, machte  die  Schlacht  bei  Wagram  mit,  in  der  er  leicht  ver- 
wundet wurde.  Am  14.  August  kam  Varnhagen  als  französischer 
Kriegsgefangener  nach  Wien  und  wurde  in  verschiedene  jüdische 
Salons  eingeführt,  so  bei  Arnsteins,  Eskeles,  Pereira  und  Flies. 
Am  23.  September  reiste  er,  da  er  inzwischen  ausgewechselt  wurde, 
zur  Armee  nach  Ungarn,  wo  er  bis  Ende  November  blieb,  um  hier- 
auf nach  Wien  zurückzukehren.  Vgl.  Denkwürdigkeiten  des  eignen 
Lebens  I,  2^  (Leipzig  1871),  S.  196,  204,  217,  253,  254ff.,  305.  — 
Bereits  Varnhagen  (Denkwürdigkeiten  1, 2,  S.  265)  wies  nach,  daß 
Karoline  Pichlers  Angabe  (oben  S.  361  f.)  über  seinen  Besuch  bei 
Frau  E.  Flies,  soweit  sie  die  Zeit  betrifft,  irrig  sei,  denn  dieser  fiel 
nicht  in  die  Zeit  nach  dem  Friedensschluß  (14.  Oktober),  sondern 
in  den  August  oder  September.  —  Als  Varnhagen  1841  in  Kissingen 
die  Frau  des  Sir  Charles  Morgan  traf,  da  erinnerte  ihn  diese  in 
etwas  an  Dorothea  Schlegel  und  Karoline  Pichler  (Tagebücher  ^  I 
[Leipzig  1863],  S.  313).  Letztere  las  seine  Aufsätze  mit  Interesse 
(oben  S.  413). 

*^'*)  K.  A.  Varnhagen  von  Ense,  Die  Schlacht  von  Deutsch- 
Wagram  am  5.  imd  6.  Juli  1809.  (Aus  persönlichen  Denkwürdig- 
keiten.) In:  Historisches  Taschenbuch.  Herausgegeben  von  Fried- 
rich von  Raumer  VII  (Leipzig  1836),  S.  iff. 

*^i)  Am  20.  November  mittags  verließen  die  letzten  französischen 
Truppen  Wien,  die  zurückbleibenden  Verwundeten  und  Kranken 
wurden  in  eigenen  Spitälern  untergebracht  (Geusau,  S.  339 f.; 
I^chimmer,  S.  141;  Glossy,  S.  150).  Am  26.  November  rückten 
in  Wien  nach  langer  Zeit  wieder  österreichische  Truppen  ein 
(Geusau,  S.  343 f.;  Schimmer,  S.  142 f.). 

^^)  Rudolf  Graf  Wrbna-Freudenthal  (1761 — 1823),  österreichi- 
scher Staatsmann,  der  seit  frühester  Jugend  große  Vorliebe  für 
das  Montanfach  hatte  und  1785  auch  als  Hofsekretär  bei  der 
montanistischen  Hofstelle  in  den  Staatsdienst  trat.  In  diesem 
Fache  erwarb  er  sich  große  Verdienste.  1805  wurde  er  Landes- 
Hofkommissär,  ebenso  1809,  und  entwickelte  als  solcher  eine 
äußerst  rege  und  ersprießliche  Tätigkeit.  Später  war  er  Oberst- 
kämmerer und  intimer  Ratgeber  des  Kaisers.  Vgl.  Wurzbach 
LVIII,  S.  i9off. 

613^  Wrbna  weilte  seit  19.  Oktober  in  Wien  (Geusau,  S.  317) 
und  Heß  am  27.  November  2  Uhr  nachmittags  eine  Kundmachung, 

612 


daß  der  Kaiser  Franz  am  selben  Tage  nach  Wien  zurückkehre, 
anschlagen  (Geusau,  S.  345;  Schimmer,  S.  143).  Um  4  Uhr  langte 
der  Kaiser  unter  großem  Jubel  der  Bevölkerung,  die  nicht,  wie 
die  Pichler  (S.  363)  meint,  unvorbereitet  v?ar,  an  und  nun  ent- 
wickelten sich  jene  oben  S.  363  f.  beschriebenen  Szenen.  Die  Be- 
leuchtung besichtigte  der  Kaiser  abends  selbst.  Vgl.  Geusau, 
S.  345 ff.;  Glossy,  S.  151  f. 5  Schimmer,  S.  144. 

61*)  Theodor  Körner  „Auf  dem  Schlachtfelde  von  Aspern", 
Str.  III,  9f.:  Nein!  Germanien  ist  nicht  gesunken.  Hat  noch 
einen  Tag  und  einen  Mann. 

615)  Goethe,  Torquato  Tasso,  IV.  Aufzug,  Z.Auftritt,  Vers  136 
bis  140  (nur  140  erzv?ingen  [erringen). 

616)  KaroUne  Pichler  hat  hier  die  Gesetze  der  Volkstribunen 
Licinius  Stolo  und  L.  Sextius  im  Auge,  die,  376  v.  Chr.  zuerst 
gestellt,  367  durchdrangen  und  wovon  das  erste  Gesetz  bestimmte, 
daß  von  den  zwei  alljährlich  zu  wählenden  Konsuln  einer  stets 
ein  Plebejer  sein  müsse,  womit  der  endÜche  Ausgleich  der  Stände 
erreicht  und  Roms  Machtstellung  begründet  war  (Theodor 
Mommsen,  Römische  Geschichte  I*  [Berlin  1903],  S.  295 f.). 

61')  Karl  Edler  von  Kirchstättern,  Karoline  Pichlers  Jugend- 
bekannter, starb  am  20.  Dezember  1809  und  hinterließ  nebst 
seiner  Frau  fünf  Töchter  (vgl.  oben  S.  475,  Anrii.  222). 

618)  Moritz  Gomez  de  Parientos  (1744 — 18 10),  Feldmarschall- 
leutnant, ein  Holländer  und  Zögling  der  Wiener  Neustädter 
Militärakademie,  nahm  an  den  Türkenkriegen  hervorragend  teil, 
wurde  1794  Oberst  und  1800  Generalmajor  und  Direktor  des 
Kriegsarchivs  in  Wien,  wo  er  sehr  verdienstvoll  wirkte,  die  Öster- 
reichische militärische  Zeitschrift  mitbegründen  half  und  das 
chalkographische  Bureau  des  Generalstabes  einrichtete.  1808  vnirde 
er  Feldmarschalleutnant,  kam  1809  als  Generalquartiermeister  an 
die  Spitze  der  ungarischen  Insurrektion,  fiel  aber  im  Januar  18 10 
in  Ofen  dem  Typhus  zum  Opfer.  Vgl.  Wurzbach  V,  S.  265 f.; 
Annalen  der  Literatur  und  Kunst.    Wien  1810.    IV,  S.  339ff. 

®^^)  Karoline  Pichlers  aufrichtiger  Schmerz  über  den  Tod  des 
Zensors  Josef  Köderl  kam  in  ihrem  Nekrolog  (Der  österreichische 
Beobachter  18 10,  Beilage  Nr.  5)  zum  Ausdruck.  Über  ihre  Be- 
ziehungen zu  Köderl  vgl.  oben  Anm.  434. 

*^)  Pichler,  Die  Grafen  von  Hohenberg.  2  Bde.  Neue  ver- 
besserte Auflage.  Wien  1820,  bei  Anton  Pichler  =  S.  W.*  VI, 
VII.  Mit  2  Kupfern  (Dav.  Weiß  sc).  —  Vorher  in  2  Bänden. 
Leipzig.  18 II,  bei  G.  Fleischer;  2.  Aufl.,  Wien  1813  =  S.  W.^VI, 
VII,  bei  Anton  Strauß.  Mit  2  Kupfern  (K.  Rahl,  sc).  —  An 
Übersetzungen  erschien  eine  dänische:  Greverne  Hohenberg.  En 
FortaelUng.    Overs.  ved  L(udv.)  J.   Flamand.    2  Del.    Kjoeben- 

613 


havn  1829  (vgl.  Chr.  V.  Bruun,  Bibliotheca  Danica  IV  [Kjoeben- 
havn  1902],  Sp.  469). 

An  kritischen  Stimmen  über  dieses  Werk  der  Pichler  sind  mir 
nur  wenige  untergekommen.  Bemerkenswert  ist  eine  Äußerung 
des  Dichters  August  Grafen  von  Pkten-Hallermünde,  der  18 15  in 
sein  Tagebuch  schrieb  (Tagebücher.  Herausgegeben  von  G.  v.  Laub- 
mann und  L.  V.  Scheffler  I  [Stuttgart  1896],  S.  2i7f.): 

„Wer  den  ,Agathokles'  dieser  Schriftstellerin  gelesen  hat,  wird 
erstaunen,  in  den  ,  Grafen  von  Hohenberg'  beinahe  einen  gewöhn- 
lichen Ritterroman  zu  finden,  mit  welcher  Gattung  wir  ohnehin 
so  sehr  überschwemmt  sind.  Von  der  Verfasserin  des  großen 
Agathokles  kann  man  mit  vollem  Rechte  sagen. 

Daß  sie  die  Herzen  erhebt,  wenn  sie  die  Herzen  zerreißt. 
In  den  Grafen  von  Hohenberg  aber  werden  viele  edle  Gemüter 
zugrunde  gerichtet,  ohne  einen  moralischen  Zweck,  bloß  durch 
die  blinde  Hand  des  Zufalls,  dessen  Geschöpfe  sie  sind.  Auch 
fällt  die  Briefform  weg,  die  der  Karoline  Pichler  so  wohl  gelang. 
Sie  liebt  besonders  unwiderruflich  traurige  Situationen,  wo  das 
Unglück  keiner  Milderung  fähig  ist." 

Hormayr  wollte  bereits  18 10,  noch  vor  Erscheinen  des  Werkes 
auf  dasselbe  in  den  „Vaterländischen  Blättern"  hinweisen  (Brief 
an  die  Pichler:  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  250),  was  er 
auch  tatsächlich  anonym  in  Nr.  19  vom  6.  März  181 1  (Vaterlän- 
dische Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat  181 1,  S.  115) 
besorgte,  dabei  gleichzeitig  das  kleine  Lied  „Es  irret  ein  Pilger 
durch  Berg  und  Tal"  (dazu:  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  250) 
daraus  als  würdiges  Gegenstück  zu  Theklas  Geisterstimme  ab- 
druckend; schon  vorher  war  ein  anderes  Lied  dieses  Romanes 
(Anm.  622)  veröffentlicht  worden  (Österreichischer  Beobachter. 
Wien  181 1.  S.  44).  Im  Eingange  seiner  Anzeige  weist  Hormayr 
auf  das  große  Verdienst  hin,  daß  sich  Karoline  Pichler  durch  ihre 
Schriften  um  die  Bildung  des  weiblichen  Geschlechts  erwirbt. 

"^^)  Vgl.  die  Zusammenstellung  all  dieser  Reisen  oben  S.  500. 

«22)  Pichler,  S.  W.2  VII,  S.  270  ff.  Pichler  zitiert  oben  S.  370  f. 
nur  einzelne  Bruchstücke  des  12  strophigen  Liedes;  vgl.  noch 
Anm.  620  über  den  Erstdruck. 

*23)  jjAlt  und  neuer  Sinn"  erschien  zuerst  Ende  18 10  (vgl.  oben 
S.  488  :  279).  Die  Erzählung  verwertet  in  der  Schilderung  Blan- 
kenwerths  persönliche  Erinnerungen  an  den  Grafen  Heinrich 
Wilhelm  III.  von  Haugwitz  (oben  S.  153).  Sie  gelangte  am  6.  März 
1810  zur  Zensurierung,  die  Hormayr  besorgte,  der  noch  am 
selben  Tage  das  Admittitur  gab  und  sie  an  den  Zensor  Franz 
Sartori  weiterleitete  (Hormayr  an  die  Pichler,  7.  März  18 10: 
K.  Glossy,   Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  248). 

614 


624)  Im  Archiv  des  Kriegsministeriums  konnte  nur  gefunden 
werden,  daß  in  der  Schlacht  bei  Raab  sieben  Offiziere  fielen, 
doch  sind  deren  Namen  in  den  Akten  nicht  vermerkt.  Gemeint 
ist  Gräfin  Amalie  Clary-Aldringen  (1778 — 1838),  eine  geborene 
Gräfin  Nadäsdy,  Sternkreuzordensdame,  die  seit  Juni  1803  mit 
dem  Grafen  Albert  Clary-Aldrlngen,  der  am  25.  Juni  1809  wahr- 
scheinlich an  den  Wunden,  die  er  bei  Raab  (14.  Juni  1809)  erhielt, 
starb,  verehelicht  war.  Sie  besaß  die  k.  k.  priv.  Glasfabrik  Gstetten- 
hof  zwischen  Türnitz  und  Annaberg,  die  im  Oktober  18 16  samt 
den  dazugehörigen  Gründen  Abt  Ladislaus  Pyrker  von  Lilienfeld 
für  sein  Stift  um  140  000  fl.  W.  W.  erwarb.  Vgl.  Paul  Tobner, 
Lilienfeld  1202 — 1902.  Wien  1902.  S.  452f.  und  Topographie 
von  Niederösterreich  V,  S.  961b;  Genealogisches  Taschenbuch 
der  deutschen  gräfUchen  Häuser  X  (Gotha  1837),  S.  i^9j  XIII 
(1840),  S.  572;  Lulu  Gräfin  Thürheim,  Mein  Leben  I,  S.  310.  — ■ 
Die  Reise  nach  Lilienfeld  und  Mariazeil,  während  der  Karoline 
Pichler  die  Gräfin  Clary  kennen  lernte,  erfolgte  1812  (vgl.  oben 

S.394ff-)- 

624  a)  Ähnliche  Gedanken  äußert  die  Pichler  öfter,  so  II,  S.  410 
und  in  einem  Briefe  an  Matthisson  (Matthissons  Literarischer 
Nachlaß  IV,  S.  216)  über  den  Erfolg  des  Agathokles. 

625)  Alexandre  Berthier,  Fürst  und  Herzog  von  Neuchätel  und 
Valangin,  Fürst  von  Wagram  (1753 — 1815),  französischer  Marschall, 
war  1795  Chef  des  Generalstabs  der  italienischen  Armee  geworden. 
Er  befreundete  sich  hier  mit  Napoleon,  dessen  Aufstieg  auch  ihn 
in  die  Höhe  brachte,  so  daß  er  1807  Fürst  von  Neuchätel  und 
kaiserlicher  Prinz  wurde.  Stets  Generalstabschef,  nahm  er  an  allen 
großen  Unternehmungen  mit  Auszeichnung  teil.  Nach  Napoleons 
Sturz  schloß  er  sich  dem  neuen  Regiment  an.  Vgl.  über  ihn 
Derrecagaix,  Le  marechal  Berthier,  prince  de  Wagram  et  de 
Neuchätel.  2  Bde.  Paris  I904f.,  besonders  II,  S.  36off.  (Gesandt- 
schaft nach  Wien). 

®26)  Schon  zu  Ende  des  Jahres  1809  hatte  der  Wiener  Hof  eine 
Verbindung  mit  Napoleon,  wahrscheinlich  über  Vorschlag  Metter- 
nichs  ins  Auge  gefaßt,  und  bereits  am  7.  Februar  18 10  hatte  Napo- 
leon in  seiner  ungestümen  Hast,  unter  Zurücksetzung  alles  höfischen 
Herkommens,  den  Ehevertrag  in  Paris  geschlossen  Q.  Alex.  Frei- 
herr von  Helfert,  Maria  Louise,  Erzherzogin  von  Österreich, 
Kaiserin  der  Franzosen.  Wien  1873.  S.  905  Ed.  Wertheimer, 
Archiv  für  österreichische  Geschichte  LXIV  [^en  1882],  S.  505  ff.). 
Zuerst  war  die  Bevölkerung  von  diesem  Projekte  nicht  sehr  er- 
baut, doch  bald  waren  die  Wiener  darüber  freudig  erregt,  wenn 
sie  auch  verschiedentliche  Witze  rissen  (Helfert,  S.  95ff.,  iiof.; 
Lulu    Gräfin    Thürheim,    Mein   Leben    I,    S.  330;    Wertheimer 

615 


S.  502,  522  ff.).  Die  freudige  Stimmung  der  Wiener  zeigte  sich 
besonders  bei  der  Ankunft  Berthiers,  die  am  4.  März  erfolgte; 
am  5.  hielt  er  seinen  feierlichen  Einzug  in  Wien,  am  8.  war  die 
feierliche  Werbung  und  am  9.  März  die  Renunziation  der  Braut, 
dazwischen  gab  es  Bälle  und  Theatervorstellungen;  am  12.  März 
reiste  Berthier  ab  (vgl.  Derrecagaix  a.  a.  O.  II,  S.  363 ff.;  Helfert, 
S.  III ff.;  Wertheimer,  S.  524f.;  Ed.  Gachot,  Marie-Louise  in- 
time I  [Paris  191 1],  S.  27  ff.  und  Joh.  Bapt.  Skall,  Die  Vermählung 
der  Erzherzogin  Maria  Luise.    In:  Die  Kultur  IX  [Wisn  1908], 

s.  338«;). 

627)  Über  die  am  Abend  des  11.  März  1810  stattgefundene 
Trauung  in  der  Augustinerkirche  vgl.  man  Derrecagaix  a.  a.O.  II, 
S.  SÖ/ff.,  Helfert,  S.  113  und  Gachot  I,  S.  29f.  Berthier  hatte 
in  einer  feierlichen  Audienz  Erzherzog  Karl,  der  große  Freude 
bezeugte,  am  8.  März  um  Übernahme  der  Prokuratur  gebeten 
(Gachot  I,  S.  28;  Wertheimer,  S.  525).  Die  Wiener  illuminierten 
am  Hochzeitsabend  zu  Ehren  der  Braut  (Wertheimer,  S.  530; 
Helfert,  S.  114). 

628J  Dieser  Freiball  in  den  k.  k.  Redoutensälen  fand  am  Abend 
des  6.  März  statt.  Eine  Beschreibung  der  Saaldekoration  und  des 
Balles,  der  von  etwa  6000  Personen  besucht  war,  s.  Wiener-Zeitung 
Nr.  20  vom  10.  März  1810  und  Derrecagaix  a.  a.  O.  II,  S.  364^ 

62^)  Albert  Kasimir  Herzog  von  Sachsen-Teschen  (1738 — 1822), 
kaiserlich  österreichischer  Feldmarschall,  gehörte  seit  1766  durch 
seine  Frau  (Anm.  630)  dem  österreichischen  Hofe  an.  Er  be- 
kleidete wichtige  militärische  Ämter  und  war  ein  großer  Förderer 
von  Kunst  („Albertina")  und  Wissenschaften.  Vgl.  Wurzbach 
XXVIII,  S.  32  ff. 

*^)  Marie  Christine,  Erzherzogin  von  Österreich  (1742 — 1798), 
eine  Tochter  der  Kaiserin  Maria  Theresia,  war  seit  1766  mit 
Albrecht  von  Sachsen  vermählt.  Sie  war  eine  hübsche,  geistreiche 
und  wohltätige  Frau.  Vgl.  Wurzbach  VI,  S.  I57f.;  oben  S.  54, 
123  f. 

*^a)Am  13.  März  18 10  verließ  Maria  Luise  Wien,  am  16.  fand 
bei  St.  Peter  am  Hart  in  Oberösterreich  die  Übergabe  an  die 
Franzosen  statt  und  am  selben  Tag  traf  sie  in  Braunau  ein,  wo  sie 
ihre  österreichische  Toilette  in  die  französische  umwandeln  lassen 
mußte  (vgl.  Helfert,  S.  119,  121).  Daß  sich  Maria  Luise  ge- 
schmacklos als  Erzherzogin  kleidete,  geht  auch  aus  einem  anderen 
zeitgenössischen  Bericht  hervor  (Wertheimer,  S.  515  f.).  —  Über 
den  Besuch  der  Exkaiserin  Maria  Luise  in  Lilienfeld  s.  II,  Anm.  144. 

^^)  Karl  Philipp  Fürst  Schwarzenberg  (1771 — 1820),  der  Sieger 
von  Leipzig,  Feldmarschall,  war  seit  Ende  des  Jahres  1809  öster- 
reichischer Botschafter  am  französischen  Hofe,  wo  er  besonders 

616 


die  Verhandlungen  wegen  Napoleons  zweiter  Ehe  führte.  Am 
I.  Juli  1810  gab  er  zu  Ehren  Marie  Luisens  jenes  große  Fest,  das 
durch  Brand  ein  frühes  und  schreckliches  Ende  fand  und  bei  dem 
seine  Schwägerin  Pauline  zugrunde  ging.  Seine  diplomatische 
Stelle  versah  er  bis  zum  Juni  18 12,  dann  trat  er  wieder  in  die 
militärische  Laufbahn  ein.    Vgl.  Wurzbach.  XXXIII,  S.  94ff. 

832)  K.  A.  Varnhagen  von  Ense,  Das  Fest  des  JFürsten  von 
Schwarzenberg  zu  Paris,  im  Jahre  1810.  Historisches  Taschenbuch. 
Herausgegeben  von  Friedrich  von  Raumer  IV  (Leipzig  1833), 
S.  iff.,  besonders  S.  38ff.  (über  das  Auffinden  der  Leiche  der 
Fürstin  Schwarzenberg).    Vgl.  noch  Helfert  a.a.O.  S.  148 ff. 

833)  Pauline  Fürstin  Schwarzenberg,  geb.  Herzogin  von  Aren- 
berg (1774 — 1810),  war  seit  Mai  1794  mit  Josef  Johann  Nepomuk 
Fürsten  von  Schwarzenberg  vermählt.  Sie  wohnte  mit  ihrem 
Gatten  am  i.  Juli  18 10  dem  Ballfeste  bei,  das  ihr  Schwager  Karl 
Philipp  zu  Ehren  des  Kaisers  Napoleon  und  dessen  Gattin  Maria 
Luise  in  seinem  Botschaftshotel  gab.  Als  das  ausgebrochene  Feuer 
mit  rasender  SchnelUgkeit  um  sich  griff,  suchte  sie  ihre  dreizehn- 
jährige Tochter  Pauline  (t  1821),  spätere  Fürstin  Schönburg- Wai- 
denburg zu  retten.  Schon  nahe  dem  Ausgange,  trennte  sie  ein  un- 
glücklicher Zufall,  die  Fürstin  eilte  in  den  Saal  zvurück  und  fand 
dort  ihren  Tod.    Vgl.  Wurzbach  XXXIII,  S.  118  ff. 

83*)  Vgl.  II,  S.  423,  Anm.  37  (Die  Rettung). 

835)  Hormayr  handelte  über  „Die  Martinswand"  im  Jahre  1820 
(Taschenbuch  für  die  vaterländische  Geschichte  I  [Wien  1820], 
S.  208  ff.)  und  sprach  auf  S.  220  f.  seines  Aufsatzes  die  Vermutung 
aus,  daß  die  Nichterwähnung  des  Abenteuers  im  Theuerdank  aus 
„des  herrlichen"  Maximilians  Charakter  zu  erklären  sei,  denn  „das 
Abenteuer  an  der  Martinswand  hatte  ihn  wie  mit  einer  höheren 
Hand  ergriffen  und  eine  religiöse  Scheu  eingeflößt  vor  aller  Er- 
wähnung desselben  zu  weltlicher  Freudigkeit  und  Lust".  —  Da- 
gegen sieht  Karl  Kirchlechner  (Über  Maximilian  als  Jäger  und 
im  besonderen  über  das  Abenteuer  des  Kaisers  auf  der  Martins- 
wand. Progr.  Realschule  Linz  1885,  S.  22ff.)  im  20.  Abenteuer 
des  Theuerdank  den  Kern,  aus  dem  sich  die  Sage,  die  bereits  1572 
vöUig  ausgebildet  ist,  entwickelte.  Dieser  Ansicht  tritt  aber  Arnold 
Busson  (Die  Sage  von  Max  auf  der  Martinswand  und  ihre  Ent- 
stehung. Wien  1888)  entgegen,  der  nachweist,  daß  erst  Sebastian 
Franck  1538  die  Hauptbestandteile  für  die  spätere  Sage  lieferte 
(vgl.  S.  3  3  ff.),  die  in  Maximilians  Leben  keinen  Untergrund  hat. 

®38)  Karoline  Pichler  hat  eine  Rezension  der  „Geschichte  des 
trojanischen  Krieges"  von  Joh.  Uschold  (1836)  des  Rezensenten  113 
(Blätter  für  literarische  Unterhaltung.  Leipzig  1836.  Nr.  359  vom 
24.  Dezember  1836,  S.  1501 — 1503)  im  Auge.   Der  Rezensent  gibt 

617 


darin  einen  kurzen  Überblick  von  Uscholds  skeptischen  Aufstel- 
lungen. 

^  David  Friedrich  Strauß,  Das  Leben  Jesu.  Kritisch  bearbei- 
tet,   2  Bde.    Tübingen  1835/36.    4.  Aufl.  Tübingen  1840  usw. 

*^)  Joh.  Uschold,  Geschichte  des  Trojanischen  Krieges.  Mit 
Beilagen  über  die  älteste  Geschichte  Griechenlands  und  Trojas. 
Ein  historischer  Versuch.    Stuttgart  1836. 

•^®)  Barthold  Georg  Niebuhr,  Römische  Geschichte.  3  Teile. 
BerUn  18 12,  1832.    P,  11«  Berlin  1827,  1830.    P  Berlin  1828. 

****)  Die  gleichen  Gedanken  sprach  KaroUne  Pichler  bereits  oben 
Ij  S.  6"/  aus. 

"^)  Diese  beiden  Absätze  nur  in  der  Handschrift.  Der  Druck 
hat  dafür  (II,  S.  195):  „Schon  im  März  ward  es  durch  ein  merk- 
würdiges Ereignis  bezeichnet,  die  Geburt  des  damaligen  Königs 
von  Rom,  bei  uns  später  Herzog  von  Reichstadt  genannt." 

***)  Der  österreichische  Major  und  Botschaftskavalier,  spätere 
badische  Generalleutnant  Karl  Freiherr  von  Tettenborn  (1778 
bis  1845;  vgl.  Wurzbach  XLIV,  S.  39  ff.)  kam  in  der  Nacht  vom 
24.  auf  den  25.  März  181 1  um  12  Uhr  mit  der  Botschaft  nach 
Wien,  nachdem  er  Paris  am  20.  März  um  2  Uhr  nachmittags  ver- 
lassen hatte.  Er  legte  also  den  Weg  nicht  in  8  oder  9  Tagen  zurück, 
wie  die  Pichler  S.  381  meint,  sondern  in  4  Tagen  und  10  Stunden. 
Vgl.  Wiener-Zeitung  Nr.  25  vom  27,  März  181 1. 

**^)  Philipp  Veit  (1793 — 1877),  ein  bedeutender  deutscher  Maler, 
stammte  aus  der  ersten  Ehe  der  Dorothea  v.  Schlegel  mit  dem 
Berliner  Bankier  Simon  Veit  und  war  nach  der  Trennung  der 
Ehe  längere  Zeit  bei  der  Mutter  verblieben.  Seit  181 1  war  er 
dauernd  in  Wien,  nahm  am  Befreiungskriege  teil  und  übersiedelte 
1815  nach  Rom.  Von  hier  wurde  er  1830  als  Direktor  an  das 
Städelsche  Institut  nach  Frankfurt  a.  M.  berufen,  dem  er  lange 
Jahre  (bis  1843)  trefflich  vorstand.  Seine  Mutter  lebte  bei  ihm. 
1853  trat  er  an  die  Spitze  der  Gemäldegalerie  in  Mainz.  Er  ist 
ein  hervorragender  Nazarener.  Vgl.  Veit  Valentin  in:  Allgemeine 
Deutsche  Biographie  XXXIX,  S.  546 ff.;  M.  Spahn,  Philipp  Veit. 
Bielefeld  1901,  bes.  S.  i6ff.  (Wiener  Aufenthalt).  —  Über  diese 
Gartenspiele  vgl.  noch  Pichler,  S.  W.  ^  LIII,  S.  229. 

^  Nanette  (Anna)  Porta,  eine  Heidelbergerin,  war  in  Straß- 
burg im  selben  Kloster  wie  die  Gräfin  Marie  Josefa  von  Salm- 
Reifferscheid-Krautheim  erzogen  worden  (Hormayr  an  die  Pichler : 
K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  293),  welch  letztere  noch 
Gedichte  der  Porta  aus  dieser  Zeit  besaß.  Sie  kam  mit  ihrer 
Schwester  Katharina  zu  ihrer  verehelichten  Schwester  Josefa 
Baronin  Richler  nach  Wien,  bei  der  sie  lebte  (oben  S.  249).  Im 
Kempelenschen  Hause  hatte  sie  Karoline  Pichler  1802  kennen  ge- 

618 


lernt  (oben  S.  249)  und  nun  entspann  sich  ein  reger,  freundschaft- 
licher Verkehr  (vgl.  S.  249,  276).  Im  Pichlerschen  Hause  wird 
Nanette  Karl  von  Kurländer  kennen  gelernt  haben,  der  sie  später 
wegen  der  schönen  Frau  Kempelen  aufgab  (vgl.  oben  S.  381;  II, 
S.  I55f0-    Diese  Kränkung  ging  ihr  zu  Herzen  und  am  16.  August 

18 11  starb  sie  in  Ober-Döbling  bei  Wien,  Nr.  55,  32  Jahre  alt,  an 
Abzehrung  (Totenprotokoll  der  Pfarre  Döbling  [Wien  XIX],  t.  I, 
fol.  147).  Sie  war  eine  leidenschaftliche  Verehrerin  der  Lafontaine- 
schen  Romane  gewesen  (vgl.  II,  S.  32if.). 

"*)  Heinrich  von  Collin  starb  am  28.  Juli  181 1  morgens  um 
7  Uhr  an  einem  Nervenfieber;  bereits  Ende  Juni  war  er  unpäßUch 
geworden  (vgl.  Ferdinand  Laban,  Heinrich  Joseph  Collin.  Wien 
1879.  S.  77  f.).  Die  Trauer  um  seinen  Tod  war  in  Wien  auf- 
richtig und  äußerte  sich  nicht  nur  in  einer  größeren  Anzahl  von 
Gedichten  (Laban,  S.  79,  Anm.  i),  darunter  eines  der  Pichler 
(Bey  Anhörung  des  Mozartschen  Requiem  zu  Collins  Todten- 
feyer  1811.  Hormayrs  Archiv  II  [1811],  8.429=  S.W.«  XVI, 
S.  76  ff.),  sondern  auch  in  2  großen,  in  Wien  am  15.  Dezember  181 1 
und  am  3.  April  18 12  stattgefundenen  Gedenkfeiern  (Laban,  S.  79), 
welche  die  von  Grafen  Moritz  Dietrichstein  in  Musik  gesetzte 
Pichlersche  „Klage  auf  den  Tod  H.J.Edlen  von  ColUn"  (Ge- 
dichtet von  Caroline  Pichler  gebornen  von  Greiner.  In  Musik 
gesetzt  vom  Grafen  Moriz  von  Dietrichstein.  [Wien  18 12.]  8°, 
16  S.  [Wien,  Stadtbibliothek]  =  Der  Sammler  III  [Wien  181 1]. 
S.  617  =  S.  W.2XVI,  S.  89  ff.)  ebenfalls  am  Programm  hatte.  Bei 
der  ersten  Aufführung  sangen  Antonie  Laucher  und  Joh.  Mich. 
Vogl,  bei  der  zweiten  Anna  Milder  und  Leopold  Pfeiffer  die  Solo- 
partien dieser  „Klage",  während  die  k.  k.  Hofharfenmeisterin 
Johanna  Müllner  die  Harfenbegleitung  besorgte  (vgl.  Der  Sammler 
III  [Wien  1811],  S.  610;  IV  [1812],  S.  174). 

***)  Die  Stelle  zwischen  den  Strichen  nur  in  der  Handschrift. 

**')  Charles  Maurice  Prinz  von  Talleyrand-Perigord,  Fürst  von 
Benevent  (1754 — 1838),  berühmter  Diplomat,  ursprünglich  Geist- 
licher und  Bischof,  seit  1799  Napoleons  vertrauter  Ratgeber, 
1806  Fürst  von  Benevent.    1808  fiel  er  in  Ungnade,  schloß  sich 

1812  den  Bourbonen  an  und  feierte  am  Wiener  Kongreß  Triumphe 
(Prinzip  der  Legitimität). 

®**)  Vgl.  über  Karoline  von  Humboldt  und  ihr  späteres  freund- 
licheres Verhältnis  zur  Pichler  II,  S.  426,  Anm.  50. 

"^)  Henriette  Herz  (1764 — 1847),  geborene  De  Lemos,  eine  der 
weniger  geistreichen  Berliner  Jüdinnen,  seit  1779  mit  dem  be- 
kannten Philosophen  und  Arzt  Marcus  Herz  verehelicht,  war  eine, 
mannigfachen  Angriffen  ausgesetzte  Schönheit,  die  aber  fleckenlos 
blieb  und  mit  den  bedeutendsten  Männern  ihrer  Zeit  in  Seelen- 

619 


freundschaft  verbunden  war.  Ihr  Haus  war  ein  Mittelpunkt  der 
Geselligkeit.  Sie  war  stets  bemüht,  sich  auszubilden  und  ein  tätiges 
Leben  zu  entfalten.  Wie  ihre  Freundin  Dorothea  Schlegel  ver- 
fiel auch  sie  dem  Banne  des  Christentums  und  trat  1816  in  aller 
Stille  zur  protestantischen  Religion  über.  Ihre  letzten  Tage  wären 
in  Not  verflossen,  wenn  ihr  nicht  Alexander  von  Humboldt  eine 
Gnadengabe  verschafft  hätte.  Vgl,  J.  Fürst,  Henriette  Herz.  Ihr 
Leben  und  ihre  Erinnerungen.^  Berlin  1858;  Briefwechsel  des 
jungen  Börne  und  der  Henriette  Herz,  Herausgegeben  von  Lud- 
wig Geiger.  Oldenburg  (1905),  S.  5 ff.;  Jugenderinnerungen  von 
Henriette  Herz.  In:  Mittheilungen  aus  dem  Litteraturarchive 
in  Berlin  I.  (Berlin  1897),  S.  141  ff.  (geschrieben  1823).  —  Im 
Jahre  18 11  besuchte  sie  Wien  und  ihre  Freundin  Schlegel.  Bei 
dieser  lernte  sie  die  bedeutendsten  Wiener  Größen  kennen,  doch 
befriedigte  sie  die  Wiener  Gesellschaft  nicht,  da  selbe  zu  stark 
das  leibliche  Wohlbehagen  betonte,  dabei  aber  in  geistiger  Armut 
befangen  war.  Nur  Karoline  Pichler  allein  hinterließ  in  ihr  eine 
angenehme  Erinnerung,  denn  diese  war  zwar  „äußerlich  häßlich, 
aber  angeregt  und  sehr  anregend,^  und  dabei  gemütlich  und  ein- 
fach" (Fürst,  S.  66).  Über  die  Beziehungen  der  Herz  zur  Schlegel 
vgl.  Jugenderinnerungen  a.  a.  O.  I,  S.  165  f. 

^  Über  den  Kometen  des  Jahres  181 1  und  über  dessen  poetische 
Verwertung  durch  Karoline  Pichler  vgl.  II,  Anm.  238.  —  Lulu 
Gräfin  Thürheim  (Mein  Leben  I,  S.  369)  nennt  diesen  Kometen 
einen  der  schönsten,  den  sie  je  sah. 

^^)  Theodor  Körner  (1791 — 1813),  Held  und  Freiheitssänger, 
kam  im  Sommer  181 1  (26.  August),  reichlich  mit  Empfehlungen 
ausgestattet,  nach  Wien,  wo  er  sich  dichterisch  auslebte,  Gedicht 
auf  Gedicht  und  Theaterstück  auf  Theaterstück  in  etwas  zu  jugend- 
licher Hast  schrieb.  Gleich  nach  seiner  Ankunft  wollte  er  Karoline 
Pichler,  an  die  er  ein  Empfehlungsschreiben  von  Merian  hatte 
(oben  S.  387)  besuchen,  und  schon  am  31.  August  18  n  (Samstag) 
schrieb  er  an  seinen  Vater  (Augusta  Weldler-Steinberg,  Theodor 
Körners  Briefwechsel  mit  den  Seinen.  Leipzig  1910.  S.  147),  daß 
er  vergangenen  Donnerstag  (29.  August)  bei  Friedrich  Schlegel 
war  und  dieser  ihm  versprach,  ihn  zur  Pichler  zu  führen.  Doch 
kam  Körner  nicht  dazu,  trotzdem  ihn  am  21.  Oktober  181 1  sein 
Vater  brieflich  mahnte  (Weldler-Steinberg,  S.  151  f.),  die  Merian- 
sche  Empfehlung  doch  endlich  bei  der  Pichler  abzugeben.  Unter- 
dessen wurden  seine  ersten  Stücke  Qanuar  18 12)  in  Wien  aufge- 
führt, Toni  wurde  gegeben  (17.  April  18 12)  und  Friedrich  Schlegel 
hatte  seine  Vorlesungen  begonnen  (27.  Februar  1812),  bei  der  die 
Pichler  Körner  zum  erstenmal  sah,  aber  nicht  sprach  (oben  S.  387). 
Seine  gesellschaftliche  Ungezogenheit  vertrug  sie  nur  schwer,  dä- 

620 


her  ließ  sie  ihn  durch  August  v.  Kurländer  auffordern,  ihr  wenig- 
stens Merians  Brief  zu  senden  (oben  S.  388),  und  nun  kam  Körner 
nach  dem  17.  April  18 12  („Toni")  endlich  zu  ihr,  eroberte  sich 
ihre  Gunst  und  Freundschaft  im  Fluge  (oben  S.  261,  388  f.)  und 
besuchte  nun  wiederholt  das  Pichlersche  Haus.  Seine  neuesten 
Werke  las  er  oft  bei  der  Pichler  vor  (oben  S.  389),  so  am  i8.  Novem- 
ber 18 12  die  „Rosamunde"  (oben  S.  390),  was  Karoline  Pichler 
veranlaßte,  darüber  einen  begeisterten  Brief  zu  schreiben,  den 
Körner  mit  einem  Sonett  beantwortete  (oben  S.  390  mit  Anm.  661). 
Die  übrige  Wiener  Gesellschaft  nahm  Körner  ebenfalls  freundlich 
auf  und  bei  Baronin  Pereira  und  deren  Verwandten  verkehrte 
der  neuernannte  Burgtheaterdichter  Qänner  18 13)  fleißig.  Für 
diesen  Kreis  hatte  er  im  Dezember  18 12  die  zwei  Erzählungen 
„Die  Tauben"  und  „Die  Rosen"  erdacht  (Weldler-Steinberg, 
S.  209),  welche  18 19  Karoline  Pichler  nach  der  mündlichen  Er- 
zählung der  Baronin  Pereira  für  diese  schriftlich  fixierte  und  die 
nun  in  dieser  Form  in  Körners  Werke  (S.  W.  Herausgegeben  von 
K.  Streckfuß.5  Berlin  1858.  S.  697ff.)  Eingang  fanden.  Kömers 
Jägerlied  wurde  bei  Pichler  eines  schönen  Abends,  als  die  Wogen 
der  Begeisterung  hochgingen,  abgesungen  (oben  S.  405).  Am 
15.  März  1813  verließ  Körner,  seine  Braut  Toni  Adamberger 
zurücklassend,  Wien  (oben  S.  406),  trat  am  19.  März  18 13  ins 
Lützowsche  Freikorps,  wurde  im  Juni  verletzt,  lebte  hierauf  einige 
Zeit  in  Karlsbad  (oben  S.  423)  und  fiel  am  26.  August  1813  bei 
Gadebusch.  Pichler  erhielt  die  Todesnachricht,  die  sie  tief  be- 
wegte, auf  sonderbare  Weise  durch  Merian  (oben  S.  423  f.).  Körners 
Andenken  widmete  sie  ein  Gedicht  und  führte  ihn  in  ihre  Kantate 
„Das  befreyte  Deutschland"  ein  (II,  S.  8).  Noch  1832  erinnerte 
sie  sich  in  Baden  seines  Geburtstages  (II,  S.  294^  295)  mit  Rüh- 
rung. —  Über  Körners  Wiener  Aufenthalt  vgl.  man  Emil 
Peschel  und  Eugen  Wildenow,  Theodor  Körner  und  die  Seinen  I 
(Leipzig  1898),  S.  29off.;  sonst  Goedeke  VII,  S.  838ff.  —  Ka- 
roline Pichler  besaß  von  Körner  ein  Bild  in  Zivilkleidung, 
das  er  ihr  vor  seinem  Weggang  von  Wien  gab  und  das 
große  Ähnlichkeit  besaß.  Man  bezweifeltet  seine  Echtheit  (Hans 
Krticzka  Freiherr  v.  Jaden,  Theodor  Körner  und  seine  Braut, 
Dresden  1896,  S.  76 ff.).  Den  Echtheitsbeweis  erbringen  aber 
A.  Langer  in  seinem  Aufsatz  über  einen  Besuch  bei  Karoline 
Pichler  (Bäuerles  Theater-Zeitung.  Wien  1843.  S.  749)  und 
L.  A.  Frankl  (Erinnerungen,  Hg.  von  St.  Hock.  Prag  1910. 
S.  106).  Die  Miniatur  ist  derzeit  im  Besitze  des  Dr.  Hans 
Freiherrn  von  Jaden  in  Wien  (vgl.  dessen:  Theodor  Körner. 
Neue  Körner  -  Erinnerungen  in  Wort  und  Bild.  Wien  1913, 
S.  7  ff.  mit  Bild). 

621 


**')  Die  beiden  Körnerschen  Lustspiele  „Die  Braut"  und  „Der 
grüne  Domino",  beide  einaktig,  fanden  am  17.  Januar  1812  im 
Wiener  Burgtheater  ihre  Erstaufführung  und  erhielten  viel  Bei- 
fall, woran  den  Hauptanteil  die  Darstellung,  darunter  auch  Frl. 
Adamberger,  gehabt  haben  soll  (vgl.  Der  Sammler  IV  [Wien  1812], 
S.  36).  Bei  der  Generalprobe  dieser  Stücke  lernte  Körner  seine 
Toni  kennen,  vgl.  Peschel-Wildenow  a.  a.  O.  I,  S.  311,  3 14  ff.  und 
A.  Arneth,  Aus  meinem  Leben  I  (Wien  189 1),  S.  68  ff.  —  Toiii 
Adamberger  spielte  im  „Grünen  Domino",  die  Rolle  der  Marie 
(vgl.  Jaden,  Körner  und  seine  Braut,  S.  38,  66f.). 

*^)  Der  Hof  Sekretär  Friedrich  Schlegel  erhielt  im  Juli  181 1  von 
Kaiser  Franz  die  Erlaubnis  „über  die  neuere  Literatur"  eine  An- 
zahl Vorlesungen  gegen  Honorar  dem  Publikum  halten  zu  dürfen 
(Vaterländische  Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat  18  n, 
S-  557)'  Die  Vorlesungen  wurden  aber  erst  am  27.  Februar  18 12 
begonnen  (J.  M.  Raich,  Dorothea  Schlegel  II,  S.  66;  vgl.  über 
diese  noch  oben  S.  415  und  unten  Anm.  712)  und  erschienen  18 15 
in  Wien  als  „Geschichte  der  alten  und  neuen  Litteratur.  Vor- 
lesungen, gehalten  zu  Wien  im  Jahre  18 12"  im  Druck  (Goedeke  VI, 
S.  24  :  32).  Körner,  der  sie  anhörte,  berichtet  seinen  Eltern 
(A.  Weldler-Steinberg,  a.  a.  O.  S.  178  und  186 f.),  daß  die  letzte 
Vorlesung  am  30.  April  stattfand,  daß  sie  sehr  trefflich  waren,  aber 
man  durch  Schlegels  ewige  Anspielungen  auf  die  Religion,  sowie 
durch  seinen  Haß  gegen  den  Protestantismus  widrig  gestört  wurde. 
Schlegel  soll  nach  dem  Urteile  seiner  Frau  (Raich  II,  S.  70  f.)  vor- 
trefflich gelesen  und  mit  Wohllaut  gesprochen  haben.  Der  Be- 
such war  stark  (ca.  200  Personen)  und  „eine  Fülle  von  neuen  und 
äußerst  scharfsinnigen  Gedanken  und  Ansichten,  verbunden  mit 
einer  reinen  und  kräftigen  Sprache,  besonders  aber  die  äußerst 
gute  Gesinnung,  die  aus  jedem  Wort  hervorgeht",  machten  sie 
zu  einem  „vorzüglichen"  Werk  (Philipp  Veit  an  seinen  Vater 
Simon  Veit:  Raich  II,  S.  69). 

®^*)  Johanna  Franul  von  Weißenthurn  (1773 — 1847),  geb.  Grün- 
berg, ein  Schauspielerkind,  erhielt  1787  ihr  erstes  Engagement 
in  München  und  kam  1789  ans  Wiener  Burgtheater,  dem  sie  bis 
zu  ihrer  Pensionierung  (1842)  angehörte.  1791  hatte  sie  sich  ver- 
ehelicht. Sie  spielte  zunächst  erste  Liebhaberinnen,  später  gemüt- 
liche Mütter.  1809  trat  sie  in  Schönbrunn  vor  Napoleon  auf, 
dem  sie  sehr  gefiel.  Als  Dichterin  pflegte  sie  das  Familienrühr- 
stück  und  hatte  beim  Publikum  große  Erfolge.  Vgl.  Wurzbach  IV, 
S.  34if.;  Goedeke  1 III,  S.  Sioff.;  Teuber-Weilen  II  2,  2,  S.  283 
Reg.  —  Karoline  Pichler  verkehrte  um  18 12  der  beiderseitigen 
Kinder  wegen  (oben  S.  390)  viel  bei  der  Weißenthurn  und  schätzte 
deren  Häuslichkeit  sehr  (II,  S.  28,  409).     1822  traf  Karl  Maria 

622  * 


von  Weber  Pichler  in  deren  Gesellschaft  (II,  Anm.  259).  Die 
Weißenthurn  sprach  1814  den  Prolog  des  „Heinrich  von  Hohen- 
staufen"  (II,  S.  4f.)  und  1827  wohnte  Karoline  Pichler  einer  Vor- 
stellung der  Weißenthurnschen  „Adelheid,  Markgräfin  von  Burgau" 
in  Pest  bei  (II,  S.  236).  Als  Karoline  Pichler  ein  Gedicht  „An 
Frau  von  Weißenthurn  zum  Geburtstage  1812"  verfaßte,  da  pries 
sie  zwar  die  Dichterin  und  Schauspielerin,  hauptsächlich  stellte 
sie  aber  die  häusliche  Frau  Weißenthurn  in  den  Vordergrund, 
welche  die  Nadel  führt,  beim  Herde  waltet  und  ihre  Tochter  zur 
Kunst  erzieht  (Pichler,  S.  W.  2  XVI,  S.  85  ff.).  Dagegen  feierte  die 
Weißenthurn  Karoline  Pichler  18 13  in  ihrem  Gedicht  „An  meine 
verehrte  Freundinn  Caroline  v.  Pichler"  (Wiener  Hof-Theater 
Taschenbuch  auf  das  Jahr  1814.  Herausgegeben  von  Ign.  F.  Ca- 
stelli  XI  [Wien  18 13],  S.  153  f.)  als  Hohe,  der  sie  nicht  nahen 
könne,  denn  der  Pichler  enthüllte  sich  das  Höchste,  da  sie  dem  Ge- 
meinen entschwebte: 

„Schwebst  —  und  ich  weile,  ich  schmachte  im  Tale, 
Reiche  die  Hand  Dir  —  erreiche  Dich  nicht. 
Siehe  —  da  neigst  Du  Dich  liebend  zur  Tiefe, 
Tröstend  mir  rufend  —  Ich  komme  zu  Dir." 
*^)  Antonie  Adamberger  (1790 — 1867),  eine  Wienerin,  betrat 
nach  dem  frühzeitigen  Tode  ihrer  Eltern,  von  Heinrich  von  Collin 
vorgebildet,  bereits  1807  die  Bühne  des  Wiener  Burgtheaters,  zu 
deren  Zierden  sie  bald  gehörte.  18 12  wxirde  sie  Körners  Braut, 
der  für  sie  die  Toni  in  „Toni"  schrieb  (oben  S.  3  87  f.),  und  sie  auch 
sonst  zur  Heldin  seiner  Stücke  machte  (oben  S.  390,  391).  Nach 
dessen  Tod,  der  noch  in  ihren  letzten  Lebensjahren  in  ihrem 
Innern  schmerzlich  nachwirkte,  verließ  sie  das  Haus  ihrer  Tante 
und  zog  zu  ihrer  Schwester  Luise  in  die  Alservorstadt  (II,  S.  92). 
Schon  früher  bei  der  Pichler  verkehrend,  wurde  sie  jetzt  vielfach 
in  deren  Kreis  gezogen  und  lernte  bei  dieser  Josef  Arneth  kennen 
(vgl.  II,  S.  93ff.),  verlobte  sich  mit  ihm  im  Mai  1817  und  ehelichte 
ihn  am  19.  Juni  18 17,  gleichzeitig  die  Bühne  zum  Schmerz  aller 
Theaterfreunde  verlassend,  wobei  ihr  Pichler  einen  Epilog  zur 
Schlußvorstellung  dichtete  (II,  S.  95).  Karoline  Pichler  schildert 
Toni  Adamberger  als  höchst  sittliches,  ausgezeichnetes  Mädchen 
(oben  S.  387,  406;  II,  S.  85,  92),  das  allgemein  beliebt  war,  dem 
das  Publikum  bei  seiner  Verehelichung  aber  aus  Zorn  etwas  übel 
mitspielte  (II,  S.  94).  Ihr  hatte  Karoline  Pichler  mehrere,  Rollen 
auf  den  Leib  geschrieben,  so  die  Margarethe  in  „Heinrich  von 
Hohenstaufen"  (II,  S.  5,  84),  Marianne  in  „Wiedersehen"  (II, 
S.  34)  und  Maria  Hofkirchen  in  „Ferdinand  IL",  welch  letztere 
Rolle  aber  Toni  nur  bei  einer  Vorlesung  im  Hause  der  Pichler 
tragierte  (II,  S.  84 f.).    Wie  vor  ihrer  Verehelichung  im  Hause 

623 


der  Tante  (II,  S.  85),  dann  im  Hause  der  Pichler  selbst,  so  blieb 
auch  nach  der  Rückkehr  aus  Genf  der  Verkehr  mit  der  Pichler 
aufrecht  (II,  S.  163,  185).  So  besorgte  sie  1822  der  Pichler  die 
Wohnung  in  Baden  (II,  S.  157),  während  diese  ihr  1834  die  brief- 
liche Annäherung  an  Theodor  Körners  Mutter  Minna  vermittelte 
(Alfred  Ritter  v.  Arneth,  Aus  meinem  Leben  II,  S.  62).  Über 
Toni  Adamberger  vgl.  die  feinfühlige  Biographie  von  Hans  Krticzka 
Freiherrn  von  Jaden  (Theodor  Körner  und  seine  Braut.  Dresden 
1896.  S.  32  ff.),  welche  besonders  ihre  Bühnentätigkeit  eingehend 
schildert,  sowie  Teuber- Weilen  II  2,  2,  S.  268  Reg. 

•^)  Hedwig,  ein  Drama  in  3  Akten,  von  Theodor  Körner,  wurde 
am  II.  Januar  18 13  zum  erstenmal  im  Burgtheater  gegeben  (vgl. 
über  das  Stück  Peschel-Wildenow  I,  S.  37Sf.)  und  Körner  fand 
es  in  seinen  Briefen  selbst,  was  den  Inhalt  betrifft,  gräßlich.  Von 
Seiten  der  Pichler  dürfte  aber,  da  sie  ja  Körner  (S.  388)  bereits  18 12 
kennen  lernte,  ein  Irrtum  vorliegen;  was  sie  mit  „Hedwig"  be- 
zeichnet, ist  vielmehr  „Toni",  zuerst  am  17.  April  1812  am  Burg- 
theater unter  großem  Beifall  aufgeführt  und  Ende  Januar  18 12 
nach  Heinrich  von  Kleists  Novelle  „Die  Verlobung  auf  St.  Do- 
mingo" verfaßt;  obwohl  damals  Körners  Verhältnis  zu  Toni  Adam- 
berger noch  kein  erklärtes  war,  so  ist  ihr  doch  die  Titelrolle  zuge- 
dacht (vgl.  Peschel-Wildenow  I,  S.  3 18  ff.). 

*^')  Zacharias  Werners  „Der  vierundzwanzigste  Februar"  er- 
schien erst  18 15  (Goedeke  VI,  S.  95  :  12),  fällt  also  später  als 
Kömers  „Toni".  —  Adolf  Müllners  „Die  Schuld"  erschien  erst 
18 16,  wurde  aber  bereits  im  April  18 13  in  Wien  aufgeführt  (Goe- 
deke VIII,  S.  302  :  15)  und  Herbst  1812  gedichtet  (vgl.  Anm.  689). 

*^)  Theresia  Edle  von  Kirchstättern,  1796  in  Wien  als  Tochter 
des  mit  Pichler  befreundeten  Karl  Edlen  von  Kirchstättern  ge- 
boren (vgl.  oben  I,  S.  475,  Anm.  222),  war  um  18 12  eine  Art  Ge- 
sellschafterin bei  der  Pichler  und  heiratete  am  27.  April  18 15 
den  kontrollierenden  Wirtschaftsbeamten  der  k.  k.  Staatsherrschaft 
Schwadorf,  Franz  Xaver  Knoch  (laut  Heiratsvertrag  im  Verlassen- 
schaftsakt ihres  Vaters  im  Landesgerichtsarchiv  in  Wien,  Fasz.  V, 
Nr.  268  ex  1809),  der  später  Kontrollor  des  Wiener  Versorgungs- 
hauses war.  1835,  beim  Tode  ihrer  Mutter  Elisabeth,  war  sie 
noch  am  Leben  (vgl.  I,  Nachtrag  zu  Anm.  222). 

•^^)  Körners  Eltern  kamen  mit  Dora  Stock  und  Emma  Körner 
anfangs  August  18 12  nach  Wien  und  verkehrten  hauptsächlich 
bei  Humboldts,  Baronin  Pereira-Arnstein,  Pichler  u.  a.  Wien, 
besonders  die  Sehenswürdigkeiten,  die  Umgebung  und  die  Theater 
gefielen  ihnen  gut.  Die  Rückreise  nach  Dresden  erfolgte  am  5.  Sep- 
tember (Peschel-Wildenow  I,  S.  372ff.  unter  Anziehung  der  Pich- 
lerschen  Stelle;  Wilhelm  von  Humboldt,  Ansichten  über  Ästhetik 

624 


und  Literatur.  Herausgegeben  von  F.  Jonas.  Berlin  1880.   S.  181; 
Fritz  Jonas,  Christian  Gottfried  Kömer.    Berlin  1882.    S.  245  ff.). 

«60)  Diese  Vorlesung  der  „Rosamunde"  erfolgte  am  18.  Novem- 
ber 18 12  bei  der  Pichler  (vgl.  Anm.  661).  Das  Trauerspiel  Rosa- 
munde entstand  vom  26.  Oktober  bis  8.  November  18 12  und  ist 
nach  der  englischen  Ballade  „Fair  Rosamond"  unter  Benützung 
der  historischen  Rosamunde  Clifford,  der  Geliebten  Heinrichs  II. 
von  England,  und  des  Aufstands  der  Söhne  Heinrichs,  verfaßt; 
es  wurde  von  vielen  (Pichlers,  Korns,  Weißenthurns,  Kurländer), 
mit  Ausnahme  der  Humboldts,  dem  „Zriny"  vorgezogen;  seine 
Aufführung  fand  am  3.  Dezember  1812  am  Theater  an  der  Wien 
statt  (vgl.  Peschel-Wildenow  I,  S.  374,  3  77  ff.  unter  Anziehung 
der  Pichlerstelle  und  Verwertung  von  deren  Brief). 

*6i)  Dieser  von  Karoline  Pichler  in  ihrer  Begeisterung  über 
„Rosamunde"  geschriebene  Brief  ist  erhalten  (Rudolf  Brockhaus, 
Theodor  Körner.  Leipzig  1891.  S.  82ff.).  Er  ist  am  18.  November 
abends  und  am  19.  November  18 12  morgens  geschrieben,  dankt 
zunächst  für  den  Genuß,  den  die  Vorlesung  bereitete,  sowie  dafür, 
daß  sie  durch  dieses  Gebilde  „wie  durch  einen  Spiegel  in  Ihr  Ge- 
müt sehen  durfte  und  den  heiligen  Sinn  für  Recht,  Pflicht  und 
Tugend  drinnen  erkannte,  der  die  Achtung,  welche  Sie  mir  von 
jeher  einflößten,  noch  Viel  vermehrt,  und  mich  Ihre  Mutter  nicht 
ohne  geheimen  Neid  betrachten  läßt.  Wahrlich,  Ihre  Eltern 
können  und  müssen  glücklich  sein  durch  solche  Kinder!"  Daran 
schließen  sich  einige  Vorschläge,  wie  sie  die  Figur  König  Hein- 
richs II.  in  einigen  Punkten  gestaltet  sehen  möchte.  Nochmals 
dankt  sie  für  ein  Werk,  daß  „so  schön,  so  ergreifend  ist,  daß  einige 
Momente  desselben  noch  heute  In  meiner  Brust  nachbeben  und 
die  Überzeugung  in  mir  hervorgebracht  haben,  daß  Ich  nie  Im- 
stande sein  würde,  etwas  so  lebendiges,  feuriges,  tiefeindringen- 
des zu  dichten,  wie  dieß  Stück  oder  wenigstens  wie  die  3  ersten 
Akte  desselben  —  und  ein  Teil  des  fünften."  Sie  sagte  dies  auch 
Ihrem  Manne.  Unvergeßlich  bleibt  ihr  die  Schlußszene  des  2,  Akts, 
die  Szene  zwischen  Heinrich  und  Rosamunde  Im  3.  und  Richards 
Unterwerfung  im  5.  Akt.  —  Körner  antwortete,  mit  dem  Sonett 
„An  Caroline  Pichler.  Nach  Vorlesung  der  Rosamunde"  (Körner, 
S.  W.5  Herausgegeben  von  K.  Streckfuß.  Berlin  1858.  S.  172), 
worin  er  K.  Pichler  auf  des  Tempels  Schwelle  treten  und  Ihm 
den  Pfad  zur  Bergeshöhe  zeigen  läßt. 

**2)  Körners   „Zriny",   ein    Spiegelbild   der   Zeltbestrebungen, 
wurde  am  3.  Juni  1812  begonnen,  am  24.  Juni  in  Döbllng  voll-  . 
endet  und  am  18.  Juli  einem  Abschreiber  übergeben;  vorher  fielen 
die  Vorlesungen  bei    Humboldts,    Schlegels    (3.  Juli)   und    Frau 
von  Weißenthurn.    Quelle  war  Körner  hauptsächlich  Hormayrs  ' 

40  c.  p.  I  '  t  625 


Plutarch  (nach  der  Chronik  des  Budina),  daneben  verwertete  er 
einzehies  aus  den  Zrinydramen  des  Cl.  F.  Werthes  (1790)  und 
des  J.  L.  Pyrker  (18 10).  Helene  war  für  Toni  Adamberger  ge- 
schrieben. Vgl.  Heinrich  Bischoff,  Theodor  Körners  „Zriny". 
Leipzig  1891.  S.  z/ff.,  54ff.;  Theodor  Herold,  Friedrich  August 
Clemens  Werthes  und  die  deutschen  Zriny-Dramen.  Münster  i.  W. 
1898.  S.  118 ff.,  126 ff.  (beide  verwerten  auch  die  Pichlerstelle: 
Bischoff,  S.  61;  Herold,  S.  146);  Peschel-Wildenow  I,  S.  3S3ff. 

®^)  Johanna  Franul  von  Weißenthurn  hatte  aus  ihrer  Ehe  mit 
dem  Großhandlungskassier  Alois  Franul  von  Weißenthurn 
(t  29.  November  18 17  in  Wien)  zwei  Kinder;  einen  Sohn  Nikolaus, 
der  beim  Tode  seines  Vaters  beim  Marinedepartement  in  Venedig 
angestellt  war,  und  eine  Tochter  Franziska,  die  18 17  zweiund- 
zwanzig Jahre  zählte  (vgl.  den  Verlassenschaftsakt  des  Vaters 
im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  195  ex  18 17). 
Letztere  lebte  1847,  als  die  Mutter  starb,  nicht  mehr  (vgl.  deren 
Verlassenschaftsakt,  ebd.,  Fasz.  V,  Nr.  94  ex  1847). 

*^)  Die  Erstaufführung  des  „Zriny"  erfolgte  am  30.  Dezem- 
ber 18 12  im  Theater  an  der  Wien.  Wie  die  zeitgenössischen 
Kritiken  erkennen  lassen, .  war  das  Interesse  beim  4.  Akt  etwas 
abgeflaut  und  nur  das  Feuerwerk  am  Schluß  des  Stückes  beschwich- 
tigte die  Unbehaglichkeit  des  Publikums,  die,  wie  Körner  in  einem 
Briefe  vom  i.  Januar  18 13  selbst  zugibt,  hauptsächlich  durch  den 
Tod  Helenens,  der  den  meisten  zu  fürchterlich  war,  hervorgerufen 
wurde.  Die  Vorstellung  dauerte  bis  -^/aii  Uhr  abends.  Vgl. 
Bischoff,  S.  58ff.  und  88,  Anm.  4;  Herold,  S.  122 ff.;  Peschel- 
Wildenow  I,  S.  3 57 ff. 

^^)  Über  Franz  Josef  Maximilian  Ferdinand  Reichsfürsten 
von  Lobkowitz  vgl.  H,  S.  415,  Anm.  13.  Über  seine  Beziehungen 
zu  Theodor  Körner  vgl.  Peschel-Wildenow  II,  S.  263  Reg. 

^^  Christian  Gottfried  Körner  (1756 — 183 1),  Schillers  Freund, 
war  seit  1782  Konsistorialadvokat  in  Leipzig,  trat  später  in  den 
Staatsdienst,  wurde  Appellationsgerichtsrat  und  geheimer  Referen- 
dar, 18 15  Staatsrat  in  Berlin  und  18 17  im  BerHner  Kultusministe- 
rium Geheimer  Oberregierungsrat.  Er  schrieb  ästhetische  und 
politische  Schriften.  Vgl.  Goedeke  V,  S.  499f.;  Fritz  Jonas. 
Christian  Gottfried  Körner,  Berlin  1882.  Karoline  Pichler  lobt 
sein  Klavierspiel  in  ihrem  Hause  (oben  S.  391  f.).  —  Er  war  seit  1785 
mit  Anna  Maria  Jakobine  (Minna)  Stock  (1762 — 1843)  vermählt; 
sie  besaß  schöne  Anlagen  für  Malerei  und  Musik  und  war  von 
gewinnendem  Liebreiz  und  großer  Schönheit;  der  Verehelichung 
hatten  sich  anfangs  bedeutende  Schwierigkeiten  in  den  Weg  ge- 
stellt. Vgl.  über  sie  Peschel-Wildenow  I,  S. -I7ff.;  Jonas  a.a.O., 
passim.   Sie  stand  mit  Charlotte  von  Schiller  in  regem  Briefwechsel, 

626 


vgl.  Ludwig  Urlichs,  Charlotte  von  Schiller  und  ihre  Freunde  III 
(Stuttgart  1865),  S.  32ff.  samt  Bildnis.  Ihr  widmete  Karoline 
Pichler  nach  Theodor  Körners  Tod  ein  Gedicht  (II,  S.  8, 417!.  :  20). 

867)  Johanna  Dorothea  (Dora)  Stock  (1760^1832),  die  Freundin 
Schillers  und  eine  begabte  Malerin,  lebte  im  Hause  ihres  Schwagers 
Körner  und  ist  auch  in  der  Familienruhestätte  zu  Wöbbelin  be- 
erdigt. Vgl.  Ludwig  Urlichs,  a.  a.  O.  III.  S.  3ff.  mit  Bild;  Peschel- 
Wildenow  II,  S.  269  Reg. 

888)  Emma  Sophie  Körner,  1788  in  Dresden  geboren,  eine  be- 
gabte Dilettantin  auf  dem  Gebiete  der  Malkunst,  war  Körner 
sehr  zugetan.  Nicht  lange  nach  seinem  Tode  erkrankte  sie  im  März 
18 15  an  den  Masern,  zu  denen  sich  ein  Nervenfieber  gesellte, 
und  am  15.  März  18 15  starb  Emma.  Sie  wurde  in  Wöbbelin  an 
der  Seite  ihres  Bruders,  dessen  Soldatenbildnis  von  ihr  herrührt, 
bestattet.  Vgl.  Jonas,  Christian  Gottfried  Körner,  S.  66,  338  ff., 
3 80 ff.;  Peschel-Wildenow  II,  S.  262  Reg. 

88^)  Dieser  Brief  Goethes  an  Frau  Flies  ist  aus  Karlsbad  und 
mit  30.  August  18 12  datiert  (Abgedruckt  bei  Aug.  Sauer,  Goethe 
und  Österreich  II  [Weimar  1904],  S.  276ff.).  Er  traf  vor  dem 
7.  September  18 12  in  Wien  ein,  an  welchem  Tage  J.  L.  S.  Bar- 
tholdi  (1779 — 1825)  im  Namen  seiner  Tante  Eskeles  Goethes  Brief 
dahin  beantwortete,  daß  Frau  El.  Flies  vor  einigen  Tagen  starb, 
Frau  Eskeles  den  Brief  eröffnete  und  las  und  das  Angenehme 
und  Schmeichelhafte,  das  über  Frau  Pichler  darin  stand,  dieser 
sogleich  mitteilte  (Sauer,  ebd.  II,  S.  280).  —  Frau  Flies  hatte 
Goethe  im  Sommer  1808  in  Karlsbad  kennen  gelernt  und  sah  ihn 
im  Juni  181 1  dort  wieder  (Sauer  II,  S.  388f.,  390  :  5),  Von  Frau 
Flies  sind  3  Briefe  an  Goethe  erhalten  (Sauer  II,  S.  252  :  i  [1809], 
253  :  2  [18 10];  272  :  6  [18 12]),  von  Goethe  zwei  (Sauer  II,  268  :  4 
[1812];  276  :  7  [1812];  andere  gingen  verloren:  ebd.  II,  S.  389). 

8™)  Cäcilia  Freiin  von  Eskeles  (1760 — 1836),  eine  Berlinerin, 
Schwester  der  Fanni  Arnstein  und  Rebekka  Ephraim,  Tochter 
des  bekannten  Berliner  Bankiers  Daniel  Itzig,  später  Hitzig  (1722 
bis  1799),  war  die  Gattin  des  Bernhard  Freiherrn  von  Eskeles 
(Anm.  546).  Vgl.  Weimarer  historisch-genealoges  Taschenbuch  des 
gesamten  Adels  jehudäischen  Ursprunges  I  (Weimar  1912),  S.  125, 
385.  —  Ihr  Salon  war  zwar  weniger  glänzend  als  der  ihrer  Schwester 
Fanni  Freiin  von  Arnstein,  aber  ihr  Haus  in  Hietzing  sah  die  vor- 
nehmsten und  berühmtesten  Leute,  die  sie  mit  gutmütigem  Wohl- 
wollen empfing.  Sie  stand  auch  mit  Goethe  in  Verkehr,  den  sie 
1808  in  Karlsbad  kennen  lernte  und  mit  dem  sie  einen  Brief 
wechselte  (vgl.  A.  Sauer  a.  a.  O.  II,  S.  LV,  284  :  10,  388  f.).  Karo- 
line Pichler  verkehrte  oft  im  Eskelesschen  Hause  (oben  S.  326, 
II,  S.  i24f.). 


40" 


627 


*'^)  Dieser  Brief  Goethes  an  die  Pichler,  mit  Weimar,  31.  März 
1812  datiert  („Ich  darf  meinen  lebhaften  Dank"...),  enthält 
Goethes  Dank  für  Autographen,  welche  ihm  Karoline  Pichler  mit 
Schreiben  vom  28.  November  181 1  über  Vermittlung  der  Frau 
Flies  sandte  (A.  Sauer,  Goethe  und  Österreich  II,  S.  255  :  3).  Es 
waren  Autographen  von  Josef  Haydn,  Nelson,  Max.  Hell  und 
Bemerkungen  und  Verbesserungen,  die  Denis  und  Mastalier  an 
ihren  ersten  jugendlichen  Arbeiten  machten.  Den  Brief  Goethes 
an  sie  brachte  Karoline  Pichler  selbst  1838  in  einem  Aufsatze 
„Briefe  von  Goethe  und  Werner"  (Wiener  Zeitschrift  für  Kunst, 
Literatur,  Theater  und  Mode.  Wien  1838.  S.  3i3f.)  zum  Abdruck; 
er  weicht  in  zwei  Kleinigkeiten  von  A.  Sauer  (II,  S.  271  :"5;  vor- 
her: C.  A.  H.  Burkhardt  in:  Die  Grenzboten  XXXIV,  i  [Leipzig 
1875],  S.  48if.  [Goethes  Konzept];  Mich.  Bernays  in:  Im  neuen 
Reich  V,  i  [Leipzig  1875],  S.  578  =  M.  Bernays,  Zur  neueren  und 
neuesten  Litteraturgeschichte  I  [Leipzig  1893],  S.  243  f.  [Original- 
brief]) ab.  Sowohl  aus  Goethes  Antwort,  als  auch  aus  Pichlers 
Schreiben  geht  hervor,  daß  sie  Autographen  von  Mozart  nicht 
auftreiben  konnte  (Sauer  II,  S.  256,  271),  womit  sich  ihre  An- 
gabe (oben  S.  393)  berichtigt.  —  Schon  in  diesem  ihrem  ersten 
Schreiben  an  Goethe  gab  Karoline  Pichler  ihrer  Freude  darüber 
Ausdruck,  daß  ihr  Agathokles,  wie  sie  von  Frau  Flies  und  von 
ihrem  Arzte  Türkheim  erfuhr,  sich  eines  günstigen  Urteils  von 
Seiten  Goethes  erfreue.  Anschließend  daran  teilte  sie  Goethe  mit, 
welchen  unauslöschlichen  Eindruck  seine  Werke  (Werther,  Götz, 
Stella)  bereits  in  ihrer  Jugend,  wo  ihr  Stellen  daraus  zur  Belohnung 
ihres  Fleißes  von  ihrem  Lehrer  vorgelesen  wurden  (vgl.  oben  S.  50), 
auf  sie  machten,  und  daß  sie  später  im  Betrachten  der  Meister- 
werke (Iphigenie,  Tasso,  Egmont)  ein  stilles  Glück  fand,  sich  vor 
allem  aber  „vor  dem  hohen  reinen  Geist,  der  in  Iphigenien  waltet", 
neigte  (Sauer  II,  S.  267  f.).  Dieser  Brief,  mit  Wärme  geschrieben, 
wurde  von  Goethe  ebenfalls  seiner  Autographensammlung  ein- 
gereiht (Sauer  II,  S.  270,  271),  entlockte  ihm  jedoch  keine  Äußerung 
über  den  Agathokles,  die  Pichler  so  gerne  gehabt  hätte,  denn  er 
begnügte  sich,  zu  versichern,  daß  er  an  ihren  Produktionen  teil- 
genommen und  dadurch  veranlaßt,  wiederholt  daran  dachte,  über 
sie  und  ihre  „Schwestern  in  Apoll  ein  heiteres  Wort  zu  sagen" 
(Sauer  II,  S.  272,  390  :  5).  Als  Karoline  Pichler  Goethes  Brief 
erhielt,  soll  sie  „außer  sich  vor  Freude"  gewesen  sein  (Flies  an 
Goethe,  25.  Mai  18 12:  Sauer  II,  S.  273),  was  dem  oben  S.  393 
Gesagten  widersprechen  würde.  Betreffs  eines  persönlichen 
Umganges  äußerte  die  Pichler  in  einem  Briefe  an  die  Huber 
(vom  29.  Oktober  ^822:  K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  III, 
S.  323  f.),    daß    sie    daran    nicht   Gefallen   finden  könnte,    da  sie 

628 


Goethes  Indifferenzpunkt  von  jeder  traulichen  Annäherung  ab- 
halten würde. 

672^  Vgl.  über  die  Übersetzung  des  Agathokles  durch  Baronin 
Montolieu  II,  S.  175  f.  Über  den  Agathokles  selbst  vgl.  oben 
Anm.  551. 

673)  Goethe  hatte  Pichlers  „Agathokles"  in  Karlsbad  vom  18.  bis 
20,  August  1812  gelesen  (Tagebücher  IV  [Weimar  1891],  S.  3i2f.) 
und  am  30.  August  übermittelte  er  Frau  Flies  ein  Blatt  über  den 
„Agathokles",  „womit  Sie  unserer  lieben  Pichler  einen  Spaß 
machen  sollten".  Darin  sagte  er  (Sauer  a.  a.  O.  I,  S,  277 ff.;  vorher: 
C.A.H.  Burkhardt  in:  Die  Grenzboten  XXXIV,  i  [Leipzig  1875], 
S.  482  ff.),  daß  er  das  Werk  „mit  Aufmerksamkeit  und  vielem  Ver- 
gnügen" las,  daß  die  Zeichnung  der  Charaktere,  die  Anlage  und 
Durchführung  derselben,  ebenso  die  Fabel,  die  „in  einer  prägnanten 
Zeit  und  auf  eii^m  breiten  bedeutenden  Lokal  sich  so  reich  als 
faßUch  ausdehnt",  seinen  Beifall  fandeuj  so  daß  er  „über  diesem 
Uebenswürdigen  Natur-  und  Kunstwerke  ganz  vergaß",  wie  wenig 
ihm  „sonst  jenes  Jahrhundert  und  die  Gesinnungen,  die  darin 
triumphierend  auftreten,  eigentlich  zusagen  können.  Ja,  unsere 
Freundin  wird  es  sich  hoch  anrechnen,  daß  ich  nicht  im  mindesten 
verdrüßlich  geworden  bin,  wenn  sie  meinen  Großoheim  Hadrian 
und  sein  Seelchen  und  meine  übrige  heidnische  Sippschaft  und 
ihre  Geister  nicht  zum  besten  behandelt  (Agathokles.  I.  Band, 
9.  Brief:  M.  Bemays,  Zur  neueren  und  neuesten  Litteraturge- 
schichte  I  [Leipzig  1893],  S.  246;  Sauer  I,  S.  391).  Die  innere 
Konsequenz  des  Werkes  hat  mich  mit  allem  einzelnen,  was  mir 
sonst  hätte  fremd  bleiben  müssen,  wirkUch  befreundet."  Obwohl 
er  den  Plan  hier  und  da  umdenken,  „einem  Charakter  eine  andere 
Richtung,  einer  Begebenheit  eine  andere  Wendung"  erteilen  wollte, 
so  wurde  er  doch  immer  durch  die  Verfasserin  in  der  Folge  selbst 
bekehrt  und  „auf  ihren  eigenen  Sinn  zurückgebracht",  so  daß  er 
die  Arbeit  in  jedem  Sinn  gegen  jede  Einwendung  in  Schutz  neh- 
men könnte.  Er  wollte  gerne  dem  Publikum  gegenüber  die  liebens- 
würdige Calpurnia  als  Hauptperson  erklären,  ihr  alle  anderen 
Personen  unterordnen  und  alle  Begebenheiten  auf  sie  beziehen, 
um  auf  diese  Weise  „die  Harmonie  dieser  Komposition  aufs  neue 
recht  anschaulich"  zu  machen.  Karoline  Pichler  wendete  sich  in 
ihrem  Brief  vom  9.  November  18 12  (A.  Sauer  a.  a.  O.  I,  S.  282  f.) 
gegen  die  Ansetzung  der  Calpurnia  als  Hauptperson,  die  übrigens 
auch  der  Fürst  Ligne  gerne  als  solche  sehen  wollte.  Sie  war  be- 
treffs der  Meinung  über  Calpurnia  betrübt,  denn  es  dünkte  sie, 
daß  Larissa  Calpurnia  doch  an  „innerm  Gehalt  und  echt  weib- 
licher Tugend"  weit  übertreffe.  Larissa  entsprach  eben  ihrem 
Ideal  von  der  Frau,  während  die  Männer  an  der  freieren  Calpurnia 

629 


mehr  Gefallen  fanden,  was  Pichler  ahnte,  da  sie  die  Frage  auf- 
warf: „Sollte  diese  (Larissa)  wirldich  so  wenig  liebenswürdig  für 
das  andre  Geschlecht  sein?"  Daß  Karoline  Pichler  Goethes 
„Spaße"  so  liebenswürdig  aufnahm,  dafür  ließ  er  ihr  am  26.  No- 
vember 18 12  durch  Frau  Cäcilia  v.  Eskeles  seinen  Dank  über- 
mitteln (Sauer  I,  S.  287).  Damit  schÜeßen  Goethes  Beziehungen 
zur  Pichler,  wenn  er  sich  auch  September  1823  ihrer  freundlich 
erinnerte  (Sauer  I,  S.  392,  Nr.  11).  Außer  dem  „Agathokles"  las 
Goethe  18 12  noch  Pichlers  Roman  „Sie  war  es  dennoch"  (Tage- 
bücher IV,  S.  320:  12.  September). 

®'*)  Goethes  Torquato  Tasso,  I.  Aufzug,  i.  Auftritt,  Vers  loi : 
„Du  hast  sie  [die  Bildung]  doch  und  bist's  am  Ende  doch."  — 
Karoline  Pichler  zitiert,  wie  gewöhnlich,  ungenau. 

*'^)  Johann  (Klostername  Ladislaus)  Pyrker  de  Felsö-Eör  (1772 
bis  1847),  ^^^  Ungar,  trat  Oktober  1792  ins  Zisterzienserstift 
LiUenfeld  ein.  1795  legte  er  die  feierliche  Profeß  ab  und  Dezem- 
ber 1796  erhielt  er  die  Priesterweihe.  1797  ist  er  Stiftsökonom, 
1799  Kämmerer  und  Waldmeister,  1807  Pfarrer  in  Türnitz  und 
am  15.  Juli  181 1  Prior  im  Stifte.  Letzteres  war  ein  sorgenvolles 
Amt.  Im  Juli  18 12  zum  Abt  seines  Stiftes  erwählt,  war  seine 
Prälatenzeit  für  das  Stift  eine  segensreiche.  Nicht  nur,  daß  er 
durch  Beschaffung  von  Geldmitteln  die  Brandschäden  beseitigte, 
er  legte  auch  verschiedene  naturhistorische  und  andere  Sammlungen 
an,  vergrößerte  den  Besitz  des  Stiftes  und  wahrte  dessen  Rechte. 
Daneben  war  er  vielfach  dichterisch  tätig.  Infolge  seiner  Tüchtig- 
keit wurde  er  im  August  18 18  Bischof  von  Zips,  1820  Patriarch 
von  Venedig  und  1827  Erzbischof  von  Erlau,  wo  er  die  neue 
Kathedrale  erbaute.  Dem  Stifte  Lilienfeld  blieb  er  auch  weiter- 
hin in  Liebe  zugetan  und  fand  seine  letzte  Ruhestätte  dort.  Von 
seinen  groß  angelegten  Epen  sind  „Rudolf  von  Habsburg"  und 
die  „Tunisias"  besonders  hervorhebenswert.  Vgl.  P.  Tobner, 
Lilienfeld  1202 — 1902.  Wien  1902.  S.  443 ff.;  Wurzbach  XXIV, 
S.  115 ff.;  Goedeke  -^  III,  S.  769 ff.,  1253.  —  Karoline  Pichler 
wurde  mit  Ladislaus  Pyrker,  obwohl  sie  ihn  schon  früher  flüchtig 
gesehen  hatte  (oben  S.  395),  1812  knapp  vor  der  Abtwahl  (8.  Juli 
1812)  in  Lilienfeld  bekannt  (oben  S.  395,  397f.).  Nun  entwickelte 
sich  zwischen  beiden  ein  reger  persönlicher  und  schriftlicher  Ver- 
kehr. Noch  im  Herbst  18 12  besuchte  Pyrker  die  Pichler  in  Wien 
(oben  S.  398),  während  diese  in  den  folgenden  Jahren  (18 15,  18 16, 
1818)  wiederholt  nach  Lilienfeld  kam  (II,  S.  79f.,  89f.,  ii8ff.). 
Sie  verwendete  sich  1822  für  den  Druck  einiger  Gesänge  der 
Rudolfias  bei  Therese  Huber  (II,  S.  419  :  28),  da  ihr  dieses  Werk 
gefiel  (II,  S.  9).  Als  sie  ihm  Fouques  „Zauberring"  als  Dank  für 
die    gastfreundliche    Bewirtung   in    Lilienfeld    übermittelte,    be- 

630 


gleitete  sie  diese  Sendung  mit  einem  Gedicht  (An  den  Herrn 
Abten  Ladislaus  von  Lilienfeld,  bey  Übersendung  des.  Zauber- 
ringes: S.  W.2  XVI,  S.  I33f.)5  in  dem  sie  auf  Pyrkers  Tunisias 
hinwies.  Zum  Andenken  an  den  Ausflug  auf  die  Klosteralpe  (1818) 
schenkte  sie  ihm  ein  Exemplar  des  Nibelungenliedes  mit  poetischer 
Widmung  (vgl.  II,  Anm.  260).  Über  eine,  zu  Pyrkers  Ehren  statt- 
gehabte Soiree  bei  der  Pichler  (ca.  1835)  vgl.  L.  A.  Frankl,  Eine 
Soiree  bei  Caroline  Pichler.  In:  Die  Presse,  XV,  (Wien  1862), 
Nr.  31  =  Erinnerungen.  Hg.  von  St.  Hock,  Prag  1910,  S.  io4ff.; 
der  Aufsatz  dürfte  aber  nur  Fiktion  sein. 

676^  Neuere  Forschungen  ergaben,  daß  bereits  1322  Herzog 
Albrecht  II.  der  Lahme  mit  seinem  Bruder  Leopold  dem  Glor- 
würdigen  das  Gelübde  tat,  wenn  der  Kampf  gegen  Ludwig  den 
Bayer  günstig  ausgehe,  ein  Kloster  zu  Gaming  zu  errichten  (vgl. 
Josef  Lampel  in ;  Topographie  ■  von  Niederösterreich  III  [Wien 
1893],  S.  272  f.). 

^")  Johann  Martin  Fischer  (1740 — 1820),  Bildhauer,  stammte 
aus  Schwaben  und  war  seit  1760  in  Wien,  wo  er  die  Akademie  • 
der  bildenden  Künste  besuchte,  an  der  er  später  als  Professor  (1786) 
und  Direktor  wirkte.  Sein  „Mutlus  Scävola"  Ist  heute  noch  in 
Schönbrunn  zu  sehen.  Bedeutender  Ist  aber  Fischer  als  Anatom. 
Vgl.  Wurzbach  IV,  S.  244f. 5  Kabdebo  in:  Allgemeine  Deutsche 
Biographie  VH,  S.  79  f. 

^'^)  Erster  Druck:  Archiv  für  Geographie,  Historie,  Staats-  und 
Kriegskunst.  Herausgegeben  von  Hormayr  IV  (Wien  18 13),  S.  519: 
Gaming.  Dann  S.  W.^  XVI,  S.  241  ff.  Die  historischen  Daten  zu 
diesem  Gedichte  lieferte  Hormayr  unterm  18.  August  18 12  brief- 
Uch  der  K.  Pichler  (K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  251). 

Hier  seien  Karoline  Pichlers  übrige  Beiträge  zu  Hormayrs 
„Archiv"  und  „Taschenbuch",  das  sie  16.  März  1820  (Brief  an 
die  Huber:  K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  III,  S.  296)  zwar  für 
gehaltvoll,  aber  stilistisch  verfehlt  hält,  verzeichnet : 

a)  Archiv  I  (18 10);  a)  S.  141:  Kaiser  Ferdinand  II.  =  S.W.* 
XVI,  S.  213;  vgl.  noch  Anm.  565. 

ß)  S.  329:  Historischer  Frauenspiegel  (Prosa.  Zu  einem  Auf- 
satz Im  Archiv  I,  S.  32iff. :  Bredows  historischer  Frauenspiegel) 
=  S.  W.2  XVII,  S.  103  ff. :  Erinnerung  an  einige  merkwürdige 
Frauen.  Am  Zustandekommen  dieses  Aufsatzes  hatte  Hormayr 
durch  Lieferung  von  Quellenmaterial  werktätigen  Anteil  (vgl.  seine 
Briefe  an  die  Pichler  vom  7.  März  1809,  Januar  1810,  7.  März  1810: 
K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  245—248).  Der  Aufsatz 
selbst  hatte  ihn  „in  Wahrheit  freudig  überrascht"  und  seine  „hohe 
Idee  von  Ihrer  historischen  Darstellungsgabe  aufs  neue  beurkundet" 
(ebd.  XII,  S.  246). 

631 


y)  S.  341 :  Cremsmünster,  Legende  =  S.  W.'  XVI,  S.  256;  ein 
Nachdruck:  vgl.  I,  Anm.  510  und  Hormayrs  Brief  an  die  Pichler 
vom  Januar  18 10  (K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  247). 

b)  II  (181 1);  d)  S.  288:  Der  Markgräfin  Schleyer  =  Hormayrs 
Taschenbuch  für  die  vaterländische  Geschichte.  Wien  181 1.  S.  3 
=  S.  W.a  XVI,  S.  219. 

ß)  S.  429:  Bey  Anhörung  des  Mozartschen  Requiem  zu 
Collin's  Todenfeyer  (Am  6.  August  181 1)  =  S.  W."  XVI,  S.  76.  — 
Nachdruck:  Urania.  Taschenbuch  für  Damen  auf  das  Jahr  1815. 
Leipzig  (18 14).    S.  73  ff. 

y)  S.  557:  Maria  Zell  =  S.  W.»  XVI,  S.  201.  —  Ein  Nach- 
druck; zuerst  1806,  vgl.  Anm.  447. 

c)  III  (1812);  a)  S.  189:  Johann  Hunniady  Corvin  =  S.  W.«  XVI, 
S.  228.  —  Ein  Nachdruck;  zuerst  18 12,  vgl.  Anm.  552. 

ß)  S.  249:  Herzog  Albrechts  Rache,  1536=  Hormayrs  Ta- 
schenbuch 1812,  S.  207  =  S.  W.2  XVI,  S.  249.  —  Quelle:  Österr. 
Plutarch,  II.  Heft,  im  Leben  Albrechts  des  Lahmen;  Joh.  v.  Müller, 
Schweitzerhistorie. 

d)  IV  (1813),  S.  519:  Gaming  =  S.  W.2  XVI,  S.  241.  —  Gleich- 
zeitig: Taschenbuch  18 13,  S.  3  ff. 

e)  V  (1814);  a)  S.  161:  Kaiser  Maximilian  L,  wie  er  seine  Braut, 
Maria  von  Burgund,  zu  Gent  empfängt  (Vor  dem  Gemähide  des 
Herrn  Peter  in  der  Kunstausstellung  der  k.  k.  Akademie  zu  Wien) 
=  S.  W.2  XVI,  S.  95.  —  Zuerst  18 13,  vgl.  Anm.  552. 

ß)  S.  249 :  Philippine  Weiserinn,  entlehnt  aus  Selam  =  S.  W.^ 
XVI,  S.  267. 

f)  VII  (18 16);  a)  S.  9:  Kaiser  Maximilians  Zweykampf,  1495 
=  S.  W.a  XVI,  S.  289.  —  Vgl.  noch  II,  S.  281  mit  Anm.  436 
über  die  Prosabearbeitung.  —  Hormayr  nennt  dieses  Gedicht 
„köstlich"  (Brief  an  die  Pichler  vom  25.  Oktober  18 15:  K.  Glossy, 
Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  287,  vgl.  noch  S.  292  f.). 

ß)  S.  24iff. :  Reise  von  Kremsmünster  nach  Spital  am  Pyhm 
(Prosa)  =  S.  W.2  XVII,  S.  239ff.  —  Nachdruck:  Album  aus  Öster- 
reich ob  der  Enns.  Hg.  zum  Besten  der  durch  den  Brand  am 
26.  Oktober  1841  verunglückten  Bewohner  von  Spital  am  Pyhm  in 
Ober- Österreich.  Linz  1843,  S-  I2ff.  —  Die  Vermittlung  zu  diesem 
Nachdruck  ging  von  Frankl  aus  (vgl.  K.  Pichlers  Brief  an  ihn  vom 
21.  XII.  1842:  Frankls  Sonntags-Blätter,  III,  [Wien  1844],  S.  80). 

y)  S.  531 :  In  das  Stammbuch  des  Freyherrn  von  Hormayr  1808 
=  S.  W.2  XVI,  S.  70.  Vorher:  Der  Sammler  II  (Wien  1810), 
S.  257:  In  das  Stanmibuch  eines  vaterländischen  Geschichts- 
forschers. 

g)  VIII  (18 17);  a)  S.  17:  Markgraf  Leopold  der  Erlauchte 
=  S.  W.2  XVI,  S.  234.  —  Vorher:  Taschenbuch  1814,  S.  3 ff. 

632 


ß)  S.  153:  Hohenfurth  =  S.  W,«  XVI,  S.  275.—  Zuerst  1816 
als  Einzeldruck:  Goedeke  VI,  S.  577  :  87  :  3. 

h)  XII  (1821),  S.  241:  Die  Freunde,  i.  Salm;  2.  Rogendorf 
=  S.  W.a  XVI,  S.28iff.=  Taschenbuch  1820,  S.  XXXVII ff.; 
vgl.  noch  II,  Anm.  185. 

6'8)  Am  13.  September  1810  zwischen  3  und  4  Uhr  nachmittags 
war  der  stiftliche  Meierhof  in  Brand  geraten,  das  Feuer  griff  rasch 
um  sich  und  binnen  fünf  Stunden  waren  alle  Stiftsgebäude  und 
die  Kirche  ein  Raub  der  Flammen  geworden  (Paul  Tobner,  Lilien- 
feld 1202 — 1902.  Wien  1902.  S.  436).  Ladislaus  Pyrker  war  da- 
mit beauftragt,  die  Herstellungsarbeiten  zu  leiten,  doch  scheiterte 
vieles  am  Mangel  an  Geld,  so  daß  das  Refektorium,  das  Dormitorium 
und  die  Sebastianikapelle  zugrunde  gingen  (Tobner,  S.  441  ff.).  — 
Die  von  der  Pichler  erwähnte  (S.  397)  Überschwemmung  fand 
erst  am  24.  August  und  13.  September  1813,  also  ein  Jahr  später 
statt  (Tobner,  S.  448). 

^^)  Am  8,  Juli  18 12  wurde  der  Prior  Ladislaus  Pyrker  mit 
24  Stimmen  infolge  seiner  Verdienste,  die  er  sich  bereits  raoa.  das 
Stift  erwarb,  zum  Abt  des  Stiftes  Lilienfeld  erwählt,  am  selben 
Tage  noch  installiert  und  am  22.  Juli  infuliert  (Tobner,  S.  446f.). 

**^)  Über  Germanicus  Caesar  vgl.  man  die  Biographie  von 
A.  Zingerle  (De  Germanigo  Caesare,  Drusi  filio.  Progr.  Gymnasium 
Trient  1867),  welcher  die  gan'ze  in  Betracht  kommende  Literatur, 
besonders  des  Tacitus  Annalen  ;(lib.  I  und  II)  verwertet. 

*^2)  Die  Erstaufführung  «erfolgte  am  12.  Dezember  18 12  anonym 
im  Wiener  Burgtheater,'  worüber  S.  Eckler  eine  lange  Anzeige 
verfaßte  (Bäuerles  Theater-Zeitung  18 12,  S.  4o5f.).  Das  Trauer- 
spiel ist  zwar  nach  ihm  kein  glänzendes,  aber  ein  „dem  Kenner- 
blick genügendes  Meteor  an  Melpomenens  Horizonte".  Da  der 
Stoff  als  solcher  undankbar  und  leer  ist,  so  ist  der  Gang  der  Hand- 
lung in  den  ersten  drei  Akten  etwas  schleppend,  doch  fesselt  jede 
Szene,  sei  es  durch  die  blühende  Darstellung  eines  reinen  Patriotis- 
mus und  echt  römischer  Bürgertugend,  sei  es  durch  den  mit 
herrlichen  Zügen  gezeichneten  Seelenzustand  des  Germanicus. 
Die  Katastrophe  ist  glücklich  gewählt,  der  Dialog  wohlverbunden 
und  malerisch,  „das  Ganze  atmet  geläuterte  politische  Ansichten 
und  reinen  Natursinn".  Die  Kostüme  und  die  Dekorationen  waren 
passend,  die  Darsteller  (s.  unten)  trefflich,  besonders  ragte  Frl. 
Adamberger  hervor,  bei  der  es  schien,  als  ob  der  Dichter  nur 
an  sie  gedacht  habe.  —  Die  dritte  Vorstellung,  die  am  21.  Dezem- 
ber 18 12  bei  vollem  Hause  vor  sich  ging,  fand  eine  kritische  Würdi- 
gung in  „Der  Sammler"  (IV  [Wien  18 12],  S.  630).  Der  Rezensent 
nennt  die  Diktion  des  Trauerspiels  edel  und  elegant,  nur  vielleicht 
etwas  zu  wenig  erhaben,  die  weiblichen   Charaktere,  besonders 

633 


Plancina,  die  der  historischen  -Wahrheit  gegenüber  stark  veredelt 
ist,  vortrefflich,  und  begnügt  sich,  einige  kleine  Einwände  betreffs 
der  Vorgänge  beim  Tode  der  Plancina  und  betreffs  des  sterbenden 
Germanicus  zu  machen.  Die  Darstellung,  Koberwein  als  Germani- 
cus.  Ziegler  als  Piso,  Krüger  als  Publius  Hortensius,  Koch  als 
Athenodor,  Madame  Weißenthurn  als  Agrippina  und  DUe.  Adam- 
berger  als  Plancina,  vi^ar  trefflich,  —  Das  Stück  erlebte  vom  12.  De- 
zember 18 12  bis  zum  4.  Januar  18 13  fünf  Aufführungen  am 
Wiener  Burgtheater  (vgl.  Hds.  J  c  40  428  der  Wiener  Stadtbiblio- 
thek, S.  69)  und  hatte,  wie  die  Anzeigen  lehren,  Erfolg,  womit 
sich  Teuber- Weilen  II,  2,   i,  S.  190 f.  berichtigt. 

Der  Text  erschien  18 13  im  Druck  (Germanicus,  ein  Trauerspiel. 
Wien,  bey  Ant.  Strauß  1813=  S.  W.2  XIX,  S.  5ff.),  nachdem 
einzelne  Szenen  bereits  früher  erschienen  waren  (vgl.  Anm.  552), 
und  war  dem  Erzherzog  Karl  mit  einer  Widmung  (S.  W.^  XIX, 
S.  9 ff.)  zugeeignet  (unterzeichnet:  Wien,  im  März  18 13).  Darin 
ist  ausgeführt,  daß  Pichler  bereits  1801 — 1803  beim  Lesen  der 
römischen  Geschichte  in  Germanicus  einen  passenden  Stoff  für 
ein  Trauerspiel  sah,  besonders  als  sie  eine  Ähnlichkeit  zwischen 
diesem  und  Erzherzog  Karl  fand. 

^^^)  Über  Karoline  Fürstin  Lobkowitz  vgl.  II,  Anm.  212. 

**^)  Über  Erzherzog  Rudolf  von  Österreich  vgl.  II,  418,  Anm.  23. 

^^)  Über  die  Teilnahme  der  österreichischen  Truppen  am  rus- 
sischen Feldzug  Napoleons  unter  dem  Fürsten  Karl  Philipp  von 
Schwarzenberg  vgl.  man  Ludwig  Freiherr  von  Weiden,  Der  Feld- 
zug der  Österreicher  gegen  Rußland  im  Jahre  18 12.  Wien  1870. 
S.  4ff.  Das  Auxiliarkorps  bestand  vom  10.  Juni  1812  bis  gegen 
Ende  Februar  18 13,  beteiligte  sich  an  verschiedenen  Gefechten 
und  war  vom  29.  Dezember  18 12  ab,  wo  es  bei  Pultusk  kan- 
tonierte,  untätig. 

^^)  Fedor  Graf  Rostoptschin  (1765 — 1826),  russischer  General 
und  Gouverneur  von  Moskau,  bereitete  nach  der  Schlacht  bei 
Borodino  (7.  September  18 12)  alles  vor,  um  Moskau  beim  Ein- 
marsch der  Franzosen  in  Brand  zu  setzen.  Am  14.  September 
verließ  er  die  Stadt,  gleichzeitig  drangen  die  Franzosen  ein  und 
in  der  Nacht  vom  15.  auf  den  16.  September  brach  der  verheerende 
Brand  aus.  Vgl.  darüber  A.  comte  de  Segur,  Vie  du  comte  Rostop- 
chine,  gouverneur  de  Moscou  en  1812.  Paris  1871.  S.  2i8ff.  — 
K.  Pichler  verwertete  den  Brand  von  Moskau  in  ihrer  Kantate 
„Das  befreyte  Deutschland"  (Wien   1819.  S.   12). 

^^)  Johannes  Büel  (1761 — 1830),  aus  Stein  am  Rhein  im  Kanton 
Schaff  hausen  gebürtig,  studierte  Theologie  und  war  seit  1784 
Helfer  in  Hemmishofen.  Hier  erwarb  er  sich  durch  einige  päda- 
gogische Schriften  einen  guten  Namen.    1782  lernte  er  Luise  von 

634 


Auleben  in  Schaffhausen  kennen  und  ehelichte  sie  bald  danach. 
Als  sie  1802  starb,  ging  er  aus  Schmerz,  die  Ehe  war  überaus  glück- 
lich gewesen,  nach  Gotha,  wo  er  durch  seine  Frau  Beziehungen  hatte. 
Hier  wurde  er  Bibliothekar,  als  welcher  er  später  den  Hofratstitel 
erhielt.  Bereits  im  Frühjahre  1803  verließ  er  aber  als  Reisebegleiter 
eines  Grafen  Gotha  wieder  und  wendete  sich  nach  Wien,  wurde 
Erzieher  im  Hause  des  Grafen  Browne- Camus  und  leitete  die  Er- 
ziehung des  Grafen  Moritz,  der  sich  voll  Dank  in  Büels  Stammbuch 
über  ihn  äußerte  (vgl.  Jak.  Bächtold,  Zürcher  Taschenbuch  auf 
das  Jahr  1892.  NF.  XV,  [Zürich  1892],  S.  167).  Er  machte  mit 
seinem  Zögling  und  allein  viele  Reisen  und  verkehrte  in  den  besten 
und  bedeutendsten  Kreisen,  worüber  seine  Stammbücher,  die  Jak. 
Bächtold  auszugsweise  veröffentlichte  (a.  a.  O.,  S.  132 ff.),  interes- 
sante Aufschlüsse  bieten.  In  Wien  lernte  er  auch  Karoline  Pichler 
kennen,  bei  der  er  nicht  nur  ein  gern  gesehener  Gast  war  (vgl.  I, 
S.  482),  sondern  dem  sie  ihr  volles  Vertrauen  schenkte  und  den  sie 
als  geistlichen  Freund  wiederholt  zu  Rate  zog  (H,  S.  iii).  Nicht 
nur,  daß  er  viele  Leute  von  Namen  bei  ihr  einführte,  so  18 13  Frau 
von  Wolzogen  und  Frau  Humboldt  (II,  S.  27),  18 14  den  Grafen 
Stolberg  (II,  S.  39;  vgl.  noch  dessen  Stammbucheintrag  bei  Bächtold 
S.  149  vom  31.  Oktober  18 14),  den  Schweizer  Peter  aus  Winterthur 
(II,  S.  84)  und  später  brieflich  den  Gesandten  Effinger- Wildegg 
(II,  S.  113,  227),  sondern  er  machte  auch  1816  gemeinsam  mit  der 
Pichler  und  anderen  eine  Reise  nach  Lilienfeld  und  Maria-Zeil 
(II,  S.  88  ff.)  und  stand  ihr  1809  während  der  schweren  Kriegszeit 
gesellig  bei,  worüber  ein  prosaischer  Eintrag  der  Pichler  vom  August 
1809  in  seinem  Stammbuch  Aufschluß  gibt  (Bächtold,  S.  142 f.). 
Als  er  18 14  eine  Reise  in  seine  Heimat  unternahm,  da  schrieb  ihm 
Karoline  Pichler  ein  Lobgedicht  auf  die  Berge  in  das  Stammbuch 
(Bächtold,  S.  143 f.:  Wien,  21.  September  1814.  —  Erster  Druck: 
Morgenblatt  für  gebildete  Stände  18 15,  Nr.  15,  S.  60:  An  Johannes 
Büel  [unterzeichnet:  Wien,  i.  November  18 14];  darnach:  S.  W.^ 
XVI,  S.  io4ff.).  Als  18 17  Graf  Moritz  Browne  seine  Studien  vol- 
lendet hatte  und  in  Militärdienste  trat,  da  verHeß  Büel  im  Juni 
Wien  (vgl.  II,  S.  iiof.)  und  kehrte  in  die  Schweiz  zurück,  wo  er  in 
Zürich  bei  seinem  Freunde,  dem  Pfarrer  Salomon  Vögelin  als 
Privatmann  lebte.  Verschiedene  Reisen,  worunter  ihn  eine  auch 
wieder  nach  Wien  führte  (vgl.  II,  S.  112),  unterbrachen  sein,  dem 
Studium  gewidmetes  Leben.  Ein  reger  Briefwechsel  mit  Karoline 
Pichler  hielt  die  alten  Beziehungen  warm  (vgl.  II,  S.  112 f.;  Pichlers 
Briefe  werden  in  Zürich  bewahrt:  Bächtold,  S.  142;  Büels  Briefe 
sind  zum  Teil  in  der  Wiener  Stadtbibliothek,  zum  Teil  in  Privat- 
besitz). 1829  übersiedelte  Büel  in  seine  Vaterstadt  Stein  und  starb 
hier  am  7.  Oktober  1830  an  einem  Schlagfluß  (vgl.  II,  S.  276).  Eine 

635 


Stiftung  hält  in  seiner  Heimat  seinen  Namen  lebendig.  Vgl.  über 
Büel  die  Biographie  von  J.  Böschenstein  Qohannes  Büel.  Schaff- 
hausen 1872). 

***)  Über  Müllners  Schuld  und  Zacharias  Werners  Vierundzwan- 
zigsten Februar  vgl.  Anm.  657  und  689.  —  »Der  neunundzwan- 
zigste Februar",  ein  Trauerspiel  in  einem  Akt  von  Adolf  Müllner, 
erschien  18 12  in  Leipzig  und  wurde  ebenda  am  7.  August  18 12 
zum  erstenmal  aufgeführt;  es  erlebte  verschiedene  Nachahmungen 
und  Parodien  (vgl.  Goedeke  VIII,  S.  301:  ii;  Jakob  Minor,  Die 
Schicksals-Tragödie  in  ihren  Hauptvertretern.  Frankfurt  a.  M., 
1883,  S.  I2off.). 

^^^)  Über  Müllners  Schuld,  deren  Entstehung  (Herbst  18 12)  und 
deren  Aufnahme  in  Wien  (erste  Aufführung  27.  April  18 13)  vgl. 
man  Jakob  Minor,  a.  a.  O.,  S.  131  ff.  und  Goedeke  VIII,  S.  302  :  15. 
—  Die  von  der  Pichler  angezogene  Szene  ist  Akt  II,  Szene  4,5 
(A.  MüUner,  Die  Schuld.   Wien  18 17.  S.  52  ff.). 

^^)  J.  Rudolf  Graf  Chotek  (1748 — 1824),  österreichischer  Staats- 
und Konferenzminister,  damafe-ftSi  3)  Präsident  der  Hofkommission 
in  politischen  Gesetzsachen.    Vgl.  Wurzbach  II,  S.  362 f. 

*'^)  Theodor  Körners  Stück  „Die  Sühne",  in  Wien  nicht  zur 
Aufführung  gelangt,  erzielte  in  Weimar  gute  Erfolge.  Körner 
hielt  das  Stück  trotz  des  gräßlichen  Stoffes  ebenso  wie  sein  Vater 
für  gelungen.  Vgl.  Peschel-Wildenow  I,  S.  32if.  —  Über  den 
Einfluß  Schillers  auf  Körner,  auf  den  Karoline  Pichler  hinweist, 
vgl.  man  R.  Stagl,  Theodor  Körner  als  Dramatiker  mit  besonderer 
Berücksichtigung  Schlllerschen  Einflusses.  Progr.  Realgymnasium 
Stockerau  1900,  besonders  S.  6ff.,  wo  dargelegt  wird,  daß  nebst 
Kotzebue  (Verwechslungsszene)  hauptsächlich  Schiller  mit  den 
„Räubern"  und  der  „Braut  von  Messina"  auf  „Die  Sühne"  ein- 
wirkte. Eine  ins  einzelne  gehende  Untersuchung  dieses  Einflusses 
bietet  auch  Gustav  Edgar  Reinhard  (Schillers  Einfluß  auf  Theodor 
Körner.  Diss.  Neu-Ruppin  1899),  der  in  der  „Sühne"  Kömers 
nebst  dem  Einfluß  der  „Braut  von  Messina"  noch  Elnvnrkungen 
von  Schillers  „Fiesko"  und  „Wallenstein"  sieht  (a.  a.  O.  S.  49 f.). 

692^  Wenn  Liegende,  was  sie  längst  hätten  sollen.  Empor  sich 
endlich  raffen,  nennt's  Empörung!  (F.  Rückert,  Gesammelte 
poetische  Werke  I  [Frankfurt  a.  M.  1882],  S.  13,  Nr.  14,  Str.  I,  3, 4). 

®^)  Ernst  Friedrich  Georg  Otto  Freiherr  von  der  Malsburg 
(1786 — 1824),  bekannt  als  Übersetzer  spanischer  Literatur  und 
Dichter,  war  von  1810 — 1813  Sekretär  bei  der  westfälischen  Ge- 
sandtschaft in  Wien,  stand  also  in  französischen  Diensten.  Später 
wirkte  er  als  kurhessischer  Geschäftsträger  in  Dresden  und  war 
mit  Tieck  sehr  befreundet.  Vgl.  Josef  Kürschner  in:  Allgemeine 
Deutsche  Biographie  XX,  S,  148. 

636 


' 


«9*)  Im  Text  der  ersten  Ausgabe  ist  fälschlich  (II,  S.  224)  als 
Komponist  der  Weise  „Auf,  auf,  ihr  Brüder,  und  seid  stark" 
Schubert  angeführt,  doch  stammt  dieses  Lied  sowohl  dem  Text 
als  der  Weise  nach  von  Christ.  Friedrich  Daniel  Schubart  (vgl. 
Hoffmann-Prahl,  Unsere  volkstümlichen  Lieder.  *  Leipzig  1900. 
S.  20,  Nr.  78).  Das  Körnersche  Jägerlied  „Frisch  auf,  ihr  Jäger, 
frei  und  flink!"  zieht  Pichler  auch  sonst  heran  (oben  S.  432). 

*8^  Am  20.  März  i8ii  war  Napoleon  II.,  der  König  von  Rom, 
als  Zangengeburt  zur  Welt  gekommen;  das  Leben  der  Mutter 
war  in  Gefahr  gewesen  und  Napoleon  hatte  um  8  Uhr  früh  den 
Befehl  gegeben,  dieses  auf  Kosten  des  Kindes  zu  retten.  Vgl. 
Helfert,  Maria  Louise,  S.  188  ff. 

«9«)  Über  die  zahlreiche  dichterische  Literatur  der  Freiheits- 
kriege vgl.  man  Goedeke  VII,  S.  855ff.  :  42ff.;  Oskar  Richter, 
Die  LieblingsvorsteUungen  der  Dichter  des  deutschen  Befreiungs- 
krieges.   Diss.    Leipzig  1909,  besonders  S.  VII  f. 

*")  Ernst  Raupach  (1784 — 1852),  dramatischer  Dichter,  lebte 
damals  (1804 — 1822)  in  Rußland  in  verschiedenen  Stellungen  und 
war  18 14  mit  seinem  dramatischen  Gedicht  „Timoleon  der  Be- 
freyer"  hervorgetreten.  Seine  Erfolge  als  Dramatiker  fallen  erst 
nach  18 19.  Vgl.  Goedeke  VIII,  S.  646  ff.  —  Karoline  Pichler 
schrieb  einen  Aufsatz  über  Raupachs  „Tassos  Tod"  (Trauerspiel. 
Hamburg  1835.  Aufgeführt  am  Wiener  Burgtheater  achtmal, 
und  zwar  vom  4.  November  1834  bis  zum  13.  Mai  1840:  vgl. 
GoedekeVIII,S.665  :  58;  Hds.  Je  40  428  der  Wiener  StadtbibUothek, 
S.  173),  den  sie  am  Wiener  Burgtheater  sah  und  der  ihr  sehr  ge- 
fiel (S.  W.^  L,  S.  69  ff.)  und  knüpfte  moralische  Betrachtungen 
daran,  so  daß  Strenge  kein  Heilmittel  sei,  sondern  mit-Milde  mehr 
zu  erreichen  ist  usw.  Ebenso  machte  später  sein  Stück  „Vormund 
und  Mündel"  großen  Eindruck  auf  sie  (II,  263). 

*^)  Elisabeth  Freiin  von  Matt,  geb.  von  Humelauer,  war  die 
Gemahlin  des  niederösterreichischen  Regierungsrates  Franz  von 
Matt,  der  zu  Klopstock  in  Beziehungen  stand.  Sie  besaß  das 
Haus  Nr.  874  in  der  Großen  Schullerstraße  und  versammelte 
schon  in  der  josefinischen  Zeit  größere  Gesellschaften  um  sich. 
Wir  finden  sie  1786  und  1787  unter  den  Subskribenten  der  Ge- 
dichte des  Karl  Julius  Fridrich  (Situationen.  Wien  1786.  S.  255; 
Lieder  der  Liebe  und  der  Freude.  Wien  1787.  S.  6  b).  Sie  starb 
am  I.  März  18 14  in  ihrem  Hause  in  Wien,  52  Jahre  alt,  an  der 
Brustwassersucht  (Totenprotokoll  der  Gemeinde  W^en  im  Kon- 
skriptionsamt, 1814,  Buchst.  M,  fol.  14a;  Verlassenschaftsakten  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  V,  Nr.  42  ex  1814).  Sie 
besaß  eine  Privatsternwarte  und  veröffentlichte  einige  astrono- 
mische Arbeiten  (Wurzbach  XVII,  S,  112  mit  fehlerhaften  Daten). 

637 


—  Hormayr  gedenkt  in  seinen  Briefen  an  die  Pichler  einige  Male 
der  Gesellschaften  bei  der  Baronin  Matt,  wo  er  am  28.  Februar  1812 
zum  letztenmal  weilte  und  Rothkirchs  Gedicht  „Deutsche  Sprache,, 
deklamierte   (K.  Glossy,   Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  259,  307). 

*^')  Über  Adam  Müller  vgl.  II,  Anm.  423. 

™°)  Johann  Baptist  Rupprecht  (1776 — 1846),  aus  Preußisch- 
Schlesien,  wirkte  lange  Jahre  als  Kaufmann  in  Wien,  wo  sein 
botanischer  Garten  in  Gumpendorf  eine  Sehenswürdigkeit  war. 
Er  war  auch  k.  k.  Bücherzensor,  als  solcher  zienalich  strenge  und 
engherzig,  wofür  ihn  Grillparzer  in  Epigrammen  gehörig  hernahm. 
Als  Dichter  wenig  bedeutend,  schuf  er  sich  als  Übersetzer  aus 
dem  Englischen  und  als  Hortologe  Verdienste.  Hormayr,  an  dessen 
Archiv  Rupprecht  mitarbeitete,  wohnte  eine  Zeit  in  seinem  Hause. 
Vgl.  Wurzbach  XXVII,  S.  272 ff.;  Goedeke  VI,  S.  557f. 

701^  Franziska  Freiin  Hormayr  zu  Hortenburg,  verehelichte  Freiin 
Kreß  von  Kressenstein  (vgl.  über  sie  II,  Anm.  414),  ist  tatsächlich 
am  7.  März  (1807)  geboren  worden  (Genealogisches  Taschenbuch 
der  Freiherrlichen  Häuser  III  [Gotha  1853],  S.  216). 

'°^)  Franz  Graf  Szechenyi  (1754 — 1820),  der  sich  dem  politischen 
Fach  gewidmet  hatte,  war  bereits  1785  Obergespan  des  Agramer 
Komitats,  legte  aber  noch  im  selben  Jahre  seine  Würden  nieder, 
lebte  einige  Jahre  im  Ausland  und  trat  1798  wieder  in  den  poli- 
tischen Dienst.  Für  seine  patriotischen  und  treuen  Dienste  erhielt  er 
1808  den  Orden  des  Goldenen  Vließes.  18 11  legte  er  indessen  aus 
Gesundheitsrücksichten  alle  Ämter  nieder,  zog  sich  nach  Wien  zurück 
und  dürfte  zu  dieser  Zeit  durch  Hormayr,  dem  er  stets  ein  wohl- 
wollender Gönner  war  (vgl.  Hormayrs  Briefe  an  K.  Pichler : 
K.  Glossy,  Grillparzer- Jahrbuch  XII,  S.  259,  281),  bei  der  Pichler 
eingeführt  worden  sein  (oben  S.  410),  die  wiederholt  in  seinem 
Hause  verkehrte  (oben  S.  410;  II,  S.  219)  und  18 14  sein  Gast  auf 
dem  Gute  Zinkendorf  war  (II,  S.  13  ff.).  Unsterbliche  Verdienste 
erwarb  er  sich  durch  die  Gründung  des  ungarischen  National- 
museums in  Pest.  Vgl.  Wurzbach,  XLI,  S.  246 ff.  —  Karoline 
Pichler  widmete  ihm  1812  ihr  Gedicht  „Johann  Huniady  Corvin" 
(S.  W.2  XVI,  S.  228ff.;  zuerst   1812  erschienen,  vgl.  Anm.  552). 

"'^)  Über  Hormayrs  Einfluß  auf  Karoline  Pichler  vgl.  oben 
Anm.  406. 

'"*)  Hans  Christoph  Ernst  Freiherr  von  Gagern  (1766 — 1852), 
seit  1786  Präsident  der  Landesregierung  von  Nassau-Weilburg, 
1801  Gesandter  in  Paris  und  infolge  eines  napoleonischen  Edikts 
i8n  gezwungen,  den  nassauischen  Staatsdienst  zu  verlassen,  kam 
181 1  nach  Wien,  verband  sich  mit  Hormayr,  nahm  an  der  Grün- 
dung des  Alpenbundes  teil,  wurde  aber  diesertwegen  aus  Öster- 
reich 1813  verbannt  (vgl.  auch  oben  S.  412).    Er  zog  sich  in  die 

638 


Schweiz  zurück,  wurde  bald  danach  leitender  Minister  der  vier 
oranischen  Fürstentümer,  betätigte  sich  am  Wiener  Kongreß  er- 
folgreich für  die  Niederlande  und  war  ein  eifriger  Verfechter 
des  deutschen  Bundesstaates.  Seit  1820  lebte  er  im  Ruhestand. 
Er  war  ein  freisinniger,  kerndeutscher  Mann,  der  auch  als  poli- 
tischer Schriftsteller  stets  offen  und  ehrlich  war.  Vgl.  K.  Wipper- 
mann, Allgemeine  Deutsche  Biographie  VIII,  S.  303  ff.  —  Hor- 
mayr  spricht  über  Gagern  von  Brunn  aus  wiederholt  in  seinen 
Briefen  an  die  Pichler,  zur  Zeit  als  Gagern  beim  Wiener  Kongreß 
anwesend  war  (Glossy,  Grillparzer  Jahrbuch  XII,  S.  254,  256, 
257f.,  259,  275,  283f.).  Dieser  besuchte  1815  auch  die  Pichler 
(ebd.  Xll,  S.  275)  und  besprach  in  seinem  damals  (1814)  anonym 
erschienenen  Buche  „Beiträge  zur  Zeitgeschichte  I"  (Am  Rhein, 
0.  J.)  die  Hormayr- Affäre  (vgl.  Hormayr  an  Pichler:  K.  Glossy, 
a.  a.  O.  XII,  S.  254,  2571),  wobei  er  freiUch  sich  selbst  etwas  zu 
sehr  in  den  Vordergrund  stellte.  Über  Gagern  als  Kongreßmitglied 
vgl.  August  Fournier,  Die  Geheimpolizei  auf  dem  Wiener  Kongreß. 
Wien  19 13,  S.  497,  Reg. 

"'^)  Der  berühmte  Historiker  Johannes  von  Müller  (1752 — 1809) 
war  Hormayrs  väterlicher  Freund  und  hatte  durch  zwölf  Jahre 
in  Wien  im  politischen  Dienst  und  seit  1800  als  Direktor  der  Hof- 
bibliothek gewirkt  (vgl.  Wegele  in:  Allgemeine  Deutsche  Bio- 
graphie XXII,  S.  587ff.). 

™6)  Über  die  Familie  Piquot  vgl.  II,  Anm.  218. 

'"^  Bereits  zu  Ende  des  Jahres  18 12  beschäftigte  sich  Erzherzog 
Johann  mit  dem  Plan,  eine  Volkserhebung  in  Tirol  und  Vorarlberg 
mit  englischem  Gelde  zur  Abschüttelung  des  französisch-bayrischen 
Joches  zu  inszenieren.  Da  die  Ereignisse  zu  Beginn  des  Jahres  18 13 
gegen  Napoleon  waren,  so  fand  am  11.  Februar  abends  die  erste 
Sitzung  des  „Alpenbundes"  statt,  dem  eine  zweite  am  14.  Februar 
folgte.  Hormayr,  der  Appellationsrat  -Anton  Schneider  (1777 
bis  1820:  Wurzbach  XXX,  S.  11  ff.)  und  Kreishauptmann  Anton 
Leopold  von  Roschmann  (1777 — 1830:  Wurzbach  XXVI,  S.  3S2f.), 
ein  Freund  Hormayrs,  waren  die  Hauptteilnehmer,  denen  sich 
noch  Gagern  zugesellte.  Bereits  um  den  20.  Februar  herum  wußte 
aber  die  Polizei  von  der  Sache,  Roschmann  spielte  den  Verräter, 
und  am  7.  März  wurden  Hormayr,  Schneider  und  Roschmann 
abends  in  des  ersteren  Haus  verhaftet;  die  beiden  ersten  wurden 
nach  Munkacz  und  Brunn  deportiert,  Roschmann  bald  entlassen 
und  für  seine  Verdienste  belohnt,  doch  bereits  18 19  infolge  Un- 
fähigkeit in  den  Ruhestand  versetzt.  Vgl.  die  eingehende  Dar- 
stellung über  den  Alpenbund  und  dessen  eigentUche  patriotische 
Ziele  bei  Franz  Ritter  von  Krones,  Tirol  18 12 — 18 16  und  Erz- 
herzog Johann  von  Österreich.  Innsbruck  1890.   S.  58  ff.    Über  die 

639 


Verhaftung  und  Roschmanns  Verräterrolle  ebd.  S.  72  f.,  75  ff.  (nach 
Hormayrs  und  anderen  Berichten);  Eduard  Wertheimer,  Wien  und 
das  Kriegsjahr  1813.    Wien  1893.    S.  Sff.,  zgff. 

"*)  Alexander  von  Humboldt  (1769 — 1859),  ^^^  berühmte  Natur- 
forscher, weilte  im  Jahre  181 1  zum  Besuche  seines  Bruders  Wilhelm 
in  Wien.  Er  wollte  sich  vor  Antritt  seiner  geplanten,  aber  dann 
nicht  zur  Ausführung  gelangten  Reise  nach  Ober-Indien,  von 
Wilhelm  verabschieden  (vgl.  Karl  Bruhns,  Alexander  von  Hum- 
boldt II  [Leipzig  1872],  S.  73).  Seine  Ankunft  in  Wien  erfolgte 
am  21.  Oktober  181 1  abends  (Der  österreichische  Beobachter. 
Wien  181 1.    S.  1185). 

"")  Josef  Hartl  Edler  von  Luchsenstein  (1760 — 1822),  ein  durch 
sein  humanistisches  Wirken  sehr  verdienstvoller  Mann,  gründete 

1802  die  Pottendorfer  Spinnfabrik,  war  von  1808 — 18 11  Direktor 
der  beiden  Hoftheater  in  Wien,  von  1803 — 1806  Referent  der 
Hofkommission  zur  Regulierung  der  Wohltätigkeitsanstalten,  wurde 

1803  Regierungsrat  und  18 15  Hofrat.  Vgl.  Wurzbach  VII,  S.  405  f. 
Seine  Nichte,  vielmehr  Adoptiv-  bzw.  natürliche  Tochter  war 

Anna  (Nina)  Schiffenhuber-Hartl,  eine  fanatische  Katholikin  des 
Clemens  Hoffbauer-Kreises,  die  seit  1809  im  Hause  Schlegel 
heimisch  war,  sich  eng  an  Dorothea  angeschlossen  hatte  und  bei 
den  Schlegelschen  Abendgesellschaften  die  Stelle  einer  Haustochter 
versah.  18 13/14  machten  sich  die  Anzeichen  eines  Brustleidens 
bei  ihr  bemerkbar,  sie  übersiedelte  daher  im  Herbst  18 14  nach 
Pisa,  ging  1816  nach  Florenz  und  1817  nach  Rom,  wo  sie  sich  in 
den  Maler  Friedrich  Overbeck  verliebte  und  diesen,  falls  man 
den  Worten  der  Luise  Seidler  trauen  darf,  auf  schlaue  Weise  ein- 
fing, so  daß  am  18.  Oktober  18 18  deren  Hochzeit  in  Rom  erfolgte. 
Sie  war  damals,  nach  der  Seidler  „eine  zarte,  sentimentale,  beinahe 
weichliche  Schönheit;  mit  großer  Begabung  zur  Intrige  verband 
sie  reiche  Bildung,  wußte  die  italienischen  Dichter  auswendig  und 
schwärmte  für  die  Kunst".  Sie  war  ihrem  Manne  Friedrich  (1789 
bis  1869),  der  sie  18 18  als  Ruth  porträtiert  hatte,  eine  aufopfernde, 
treue  Gattin.  Sie  starb  am  23.  Juni  1853.  Vgl.  Marg.  Howitt, 
Friedrich  Overbeck  I  (Freiburg  i.  B.  1886),  S.  427  ff.  und  II, 
S.  442  Reg.  (I,  429 f.  die  Pichler-Stelle  zitiert);  Erinnerungen  und 
Leben  der  Malerin  Louise  Seidler.  Herausgegeben  von  Herrn. 
Uhde.  Berlin  1874.  S.  237ff.;  Julius  Schnorr  von  Carolsfeld, 
Briefe  aus  Italien.    Gotha  1S86.    S.  548  Reg. 

'i*')  Ernst  Heinrich  Adolf  von  Pfuel  (1779 — 1866),  ein  Freund 
des  Dichters  H.  v.  Kleist,  trat  1797  als  Fähnrich  in  die  preußische 
Armee  ein,  nahm  1803  und  1807  seine  Entlassung,  wirkte  dann  in 
Dresden  als  Lehrer  und  ging  am  13.  Mai  1809  als  Kompagnie- 
führer zur  fränkischen  Legion.     Später  (18 10)  in  österreichische 

640 


Dienste  übernommen,  gründete  er  in  Prag  die  militärische  Schwimm- 
anstalt und  wurde  im  November  1811  zum  Kriegsarchiv  nach  Wien 
versetzt.  In  Wien  verkehrte  er  mit  Körner  und  betätigte  sich 
schriftstellerisch.  Im  Mai  18 12  nach  Prag  zurückversetzt,  verließ 
er  Ende  Juli  18 12  den  österreichischen  Dienst  und  trat  in  die 
russische  Armee.  Später  wurde  er,  nachdem  er  sich  wiederholt 
auszeichnete,  preußischer  General  der  Infanterie  (1848),  Minister- 
präsident und  Kriegsminister.  Vgl.  Wippermann  in:  Allgemeine 
Deutsche  Biographie  XXV,  S.  70511. 

'")  Über  Sophie  Müller  von  Nittemdorf  vgl.  II,  Anm.  420. 

'")  Adam  Müller  hatte  im  Mai  18 12  die  Erlaubnis  erhalten, 
15  Vorlesungen  über  das  Verhältnis  der  Beredsamkeit  zur  Poesie 
gegen  ein  Honorar  von  12  fl.  W.W. pro  Person  zu  halten  (Vater- 
ländische Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat.  18 12,  S.  354) 
und  begann  diese  Vorlesungen  am  15.  Mai  (J.  M.  Raich,  Dorothea 
Schlegel  II,  S.  79).  —  Ähnlich  wie  Karoline  Pichler  (S.  4i4f.) 
äußert  sich  auch  Wilhelm  Humboldt  in  einem  Briefe  vom  i.  Juli 
18 12  über  die  Vorlesungen  Friedrich  Schlegels  und  Adam  Müllers 
(Ansichten  über  Ästhetik  und  Literatur.  Herausgegeben  von 
F.  Jonas.  Berlin  1880.  S.  131);  er  sagt,  daß  diese  Vorlesungen 
eine  sophistische  Rhetorik,  die  einseitig  Philosophie  und  Kunst  in 
eine  bestimmte  Form  zwingen  wollte,  auszeichnete,  wobei  sich 
Schlegel  durch  die  Kraft  der  Gedanken,  Müller  durch  die  künst- 
liche Behandlung  der  Sprache  hervortat.  Überhaupt  schätzt 
Humboldt  (a.  a.  O.  S.  124)  Müller  nicht  tief  ein,  da  dieser  kein 
gründlicher  Erforscher  der  Gegenstände  ist.  Theodor  Körner 
äußert  sich  in  einem  Brief  an  seinen  Vater  vom  24.  Mai  18 12 
(Augusta  Weldler-Steinberg,  Theodor  Kömers  Briefwechsel  mit 
den  Seinen.  Leipzig  1910.  S.  191)  über  diese  Vorlesungen,  die 
angingen  und  worin  Müller  Schiller  nicht  als  Dichter,  sondern 
nur  als  ersten  Redner  gelten  ließ,  folgendermaßen :  „Noch  dieselbe 
Oberflächlichkeit,  Geziertheit,  künstliche  und  gewählte,  aber  nicht 
minder  interessante  Art  zu  sprechen."  Dorothea  Schlegel  (Raich  II, 
S.  79 f.,  88)  ist.  von  diesen  Vorlesungen,  die  sie  als  „Nachlesungen" 
bezeichnet,  nicht  sehr  erbaut,  da  sie  den  Eindruck  der  Vorlesungen 
ihres  Mannes  verwischten;  sie  berichtet,  daß  Erzherzog  Maximilian, 
Prinz  von  Ligne  u.  a.  anwesend  waren  und  Müller  viele  Dukaten 
und  Geschenke  erhielt.  —  Das  Schlegelsche  Journal,  für  das 
Adam  Müller  damals  schrieb,  war  das  „Deutsche  Museum"  (vgl. 
H.  H.  Houben,  Zeitschriften  der  Romantik.  Berlin  1904. 
Sp.  2i6ff.,  besonders  461a  sub  Müller;  Johannes  Bobeth,  Die 
Zeitschriften  der  Romantik.  Leipzig  191 1.  S.  423  Reg.),  in  das 
auch  Karoline  Pichler  zweimal  Aufsätze  gab  (Bobeth,  S.  277; 
oben  Anm.  552). 

41  c.  p.  I  641 


'13)  Heinrich  von  Kleist  hatte  durch  Adam  Müller,  mit  dem 
er  vom  Oktober  bis  Dezember  1810  in  Berlin  die  Berliner  Abend- 
blätter herausgegeben  hatte,  die  hysterische  Frau  Henriette  Vogel 
in  Berlin  kennen  gelernt,  die  glaubte,  sie  sei  unheilbar  erkrankt 
und  sich  deshalb  töten  wollte.  Nachdem  ihr  Kleist  einst  ver- 
sprochen hatte,  ihr  den  größten  Freundschaftsdienst  zu  leisten, 
60  verlangte  sie,  daß  er  sie  töte.  Kleist  tat  dies  und  erschoß  seine 
Freundin  und  sich  am  21.  November  181 1  am  Ufer  des  Wannsees 
bei  Berlin.  Vgl.  Felix  Bamberg  in:  Allgemeine  Deutsche  Bio- 
graphie XVI,  S.  14s  ff. 

'i^a)  Schon  18 12  war  ein  großer  Teil  der  Bevölkerung  dagegen, 
daß  man  Napoleon  gegen  Rußland  Hilfe  leiste  und  wollte,  daß 
man  an  Napoleon  den  Krieg  erkläre,  ein  Ziel,  das  auch  der  „Alpen- 
bund" verfocht.  Als  dieser  im  März  18 13  sein  jähes  Ende  fand, 
da  war  die  Kriegspartei,  soweit  die  oberen  Schichten  in  Betracht 
kamen,  vernichtet,  aber  das  niedere  Volk  zeigte  seinen  Haß  gegen 
Napoleon  offen.  Als  es  im  April  hieß,  Metternich  habe  eine  neue 
Allianz  mit  Napoleon  geschlossen,  da  brach  in  Wien  in  allen 
Schichten  die  Leidenschaft  aus  und  es  kam  zu  erregten  Auftritten 
gegen  Metternich.  Die  Regierung  wirkte  beruhigend  und  auf- 
klärend durch  ihre  Agenten.  Nun  schlug  aber  im  Juni  die  Stim- 
mung vollständig  um,  denn  als  die  Kriegsvorbereitungen  getroffen 
wurden,  da  war  völlige  Mutlosigkeit,  und  die  Regierung  mußte 
diese  durch  patriotische  Broschüren  bekämpfen.  Man  lehnte  den 
Fürsten  Schwarzenberg  als  Oberkommandanten  ab  und  wollte  als 
solchen  Erzherzog  Karl  (vgl.  auch  oben  S.  43 1).  Die  drückende 
Ungewißheit  und  Angst  hörte  mit  der  Veröffentlichung  des  Kriegs- 
manifestes am  19.  August  (nicht  am  17.  August,  wie  es  oben  S.  420 
heißt)  auf,  das  begeisternd  wirkte.  Vgl.  Ed.  Wertheimer,  Wien 
und  das  Kriegsjahr  18 13.    Wien  1893.    S.  loff. 

'")  Die  Schlacht  bei  Großgörschen  (bei  Lützen)  fand  am  2.  Mai, 
die  bei  Bautzen  am  20.  und  21.  Mai  zwischen  den  Preußen  und 
Franzosen  statt.  In  beiden  behaupteten  letztere,  wenn  auch  mit 
großen  Verlusten,  das  Feld. 

'1^)  Henriette  Ephraim,  eine  Tochter  der  Rebekka  Ephraim 
(II,  Anm.  427),  geboren  in  Berlin,  scheint  lange  ledig  geblieben 
zu  sein.  Sie  konvertierte  zum  katholischen  Glauben  und  heiratete 
den  Handelsmann,  kgl.  preußischen  Kommerzialrat  und  Ritter  des 
roten  Adlerordens  Anton  Tichy,  einen  Katholiken,  der  früher  in 
Triest  vrirkte  und  dann  nach  Wien  übersiedelte;  sie  war  dessen 
zweite  Frau  und  ihre  Ehe  blieb  kinderlos.  Sie  starb  am  18.  No- 
vember 1850  in  Wien  (Stadt  Nr.  390),  58  Jahre  alt,  am  Schlag- 
fluß, während  ihr  Gatte  sie  überlebte  (lebt  1864  noch);  vgl.  die 
Verlassenschaftsakten  ihrer  Mutter  Rebekka  Ephraim  im  Archiv 

642 


des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II,  Nr.  1113  ex  1846  und  Toten- 
protokolle der  Stadt  Wien  im  Konskriptionsamt,  1850,  Buchst.  T, 
Fol.  2 ib.  —  Karoline  Pichler  war  mit  Henriette  Ephraim  und 
deren  Mutter  Rebekka  wiederholt  in  Gesellschaften  beisammen 
(vgl.  II,  S.  125,  158,  175);  1825  trafen  sie  sich  in  Schwarzenau 
(II,  S.  214)  und  1829  in  Baden,  wo  Henriette  bei  einem  Ausflug 
nach  Merkenstein  ein  Gedicht,  das  Adam  von  Weingarten  Karöline 
Pichler  zu  Ehren  gedichtet  hatte,  vortrug  (II,  S.  255). 

'16)  Marianne  Saaling,  eine  geistreiche  Berliner  Jüdin,  die  aber 
später  zum  KathoUzismus  konvertierte  (S.  Hensel,  Die  Familie 
Mendelssohn  1 1"  [Berün  1900],  S.  70),  wurde  ca.  1786  in  Berlin 
geboren  (Ludwig  Geiger,  Dichter  und  Frauen  II  [Berlin  1899], 
S.  158).  Sie  war  eine  Schwester  der  Dichterin  Regine  Frohberg, 
die  in  Wien  lebte,  und  eine  Nichte  der  Fanni  von  Arnstein,  bei 
der  sie  die  Jahre  18 12 — 18 14  in  Wien  verbrachte  (Albert  Leitz- 
mann,  Briefwechsel  zwischen  Karoline  von  Humboldt,  Rahel  und 
Vamhagen.  Weimar  1896.  S.  220  Reg.;  Ludvrig  Freiherr  v.  Wol- 
zogen,  Memoiren.  Leipzig  185 1.  S.  275).  Von  auffallender  Schön- 
heit, vereinte  sie  innere  Bildung  mit  allen  Vorzügen  der  glatten 
Außenwelt  (Theodor  Körner  an  seinen  Vater,  19.  Dezember  18 12: 
Augusta  Weldler-Steinberg,  Theodor  Körners  Briefwechsel  mit 
den  Seinen.  Leipzig  1910.  S.  208).  1812  malte  sie  Philipp  Veit 
in  Wien  Q.  M.  Raich,  Dorothea  von  Schlegel  I  [Mainz  1881], 
S.  68,  90)  und  Juli  18 13  lernte  sie  Brentano  im  Hause  der  Pereira 
zu  'Hietzing  kennen;  dieser  schreibt  in  einem  Briefe  an  die  Rahel 
(Wien,  28.  Juli  1813:  Vamhagen  von  Ense,  Biographische  Porträts. 
Leipzig  1871.  S.  95)  von  ihr:  Sie  ist  „ein  Hebes,  anmutig  be- 
redetes Wesen,  aber  sie  müßte  eine  Liebe  und  ein  Kind  haben, 
denn  sie  gewöhnt  sich  bereits  an  allgemeine  Anbetung  und  ihre 
Natur,  gezwungen  zu  jungfräulicher  Haltung,  schwängert  sich 
selbst,  ohne  Geburt;  sie  muß  kalt  und  eine  Figur  werden,  und  der 
Mensch  kann  nur  eine  Natur  werden  oder  ein  Geist  in  der  modernen 
Zeit,  die  Antiken  sind  erschöpft,  wie  die  Heiligung  der  Nacktheit." 
Zur  Zeit  des  Wiener  Kongresses  verlobte  sie  sich  in  Wien,  doch 
starb  ihr  Bräutigam  während  der  Vorbereitungen  zum  Hochzeits- 
fest (Raich  II,  S.  68,  Anm.  2).  1822  unternahm  sie  eine  Reise  in 
die  Schweiz  (Hensel  I,  S.  124).  1830  fand  sie  FeHx  Mendelssohn- 
Bartholdy  (Briefwechsel  mit  Legationsrat  Karl  Klingemann  in 
London.  "Herausgegeben  von  Karl  Klingemann.  Essen  1909. 
S.  78)  ruhiger  und  natürlicher  als  früher,  und  im  Mai  1834  verlobte 
sie  sich,  sie  wohnte  damals  in  Berlin  bei  ihrem  Schwager  Heyse, 
mit  Vamhagen  von  Ense,  doch  ging  dieses  Verlöbnis  bald  in 
Brüche,  da  beide  zu  eigensinnige  Charaktere  waren,  außerdem  noch 
verschiedene  Mißverständnisse  sich  geltend  machten  (vgl.  Vam- 


41' 


643 


hagens  eingehende  Schilderung:  Denkwürdigkeiten  des  eignen 
Lebens.^  I,  5  [Leipzig  1871],  S.  206  ff.).  Marianne,  die  Felix 
Mendelssohn- Bartholdy  noch  1840  ganz  hübsch  nennt  (Brief- 
wechsel mit  Klingemann,  S.  249),  stand  bis  an  ihr  Lebensende 
an  der  Spitze  zahkeicher  Wohltätigkeitsunternehmungen  na  Berlin 
und  starb,  84  Jahre  alt,  1869  in  Berlin  (David  Aug.  Rosei^hal, 
Convertitenbilder  aus  dem  19.  Jahrhundert.*  I,  i  [Schaf fhauseJ 
1871],  S.  391,  Anm.  2).  Vgl.  noch  Paul  Heyse,  Jugenderinnerungen 
und  Bekenntnisse.^    BerUn  1900.    S.  9  f. 

'")  Clemens  Brentano  (1778— 1842:  Goedeke  VI,  S.  52ff.),  der 
große  Romantiker,  lebte  seit  18 11  in  Prag,  wo  er  seine  Gründung 
Prags,  dieses  echt  romantische  Werk  verfaßte,  und  mit  Ludwig 
Tieck  im  Juni  und  anfangs  Juli  18 13  zusammen  war  (Reinhold 
Steig,  Achim  von  Arnim  und  Clemens  Brentano,  Stuttgart  1894. 
S.  315).  Dieser  gab  ihm,  als  Brentano  am  6.  Juli  18 13  nach  Wien 
reiste,  Briefe  an  Collin  und  die  Pichler  mit  (Steig,  S.  316).  Bren- 
tano wohnte  in  Wien,  Erdberggasse  98,  fand  sich  rasch  in  das 
Wiener  gesellschaftUche  Leben  und  Treiben,  verkehrte  bei  Pereiras, 
Schlegels  und  anderen,  wurde  bald  beliebt  und  schrieb  Rezensionen 
über  das  Wiener  Theaterwesen;  seine  „Valeria"  (Ponce  de  Leon) 
wurde,  aber  ohne  Beifall,  in  Wien  aufgeführt  und  so  vmrde  er 
schließlich  mißvergnügt  und  verließ  Ende  August  18 14  diese  Stadt 
(Steig,  S.  316,  317,  319,  333,  339).  In  Wien  vollendete  er  auch 
die  Bühnenbearbeitung  der  Libussa  und  begann  den  Druck  des 
ganzen  Werkes  (Steig,  S.  329,  332,  336).  Vgl.  über  seinen  Wiener 
Aufenthalt  noch  Joh.  Bapt.  Diel,  Clemens  Brentano,  I,  (Freiburg 
i.  B.  1877),  S.  388  ff.  —  Im  Hause  der  Pichler  lernte  Brentano  den 
Schauspieler  Hasenhut,  der  ihn  in  die  „Rebhühnergesellschaft" 
(Josefiner)  einführte,  und  Theodor  Körner  kennen  (Diel,  I,  S.  396, 
404).  —  Über  eine  Äußerung,  die  damals  Brentano  der  Pichler 
gegenüber  über  die  Juden  machte,  vgl.  II,  S.  210.  —  Unter  den 
von  Karoline  Pichler  (oben  S.  424  f.)  erwähnten  fremden  Damen 
aus  Breslau,  die  Brentano  bei  ihr  einführte,  befand  sich  sicher  Frau 
V.  Bräunersdorf  aus  Breslau,  mit  der  er  am  8.  August  1813  einen 
Ausflug  machte  (vgl.  seine  Briefe  an  die  Rahel  bei  Varnhagen 
V.  Ense,  Biographische  Porträts.    Leipzig  187 1.    S.  96,  103). 

"8)  Ludwig  Tieck  (1773— 1853:  Goedeke  VI,  S.  28  ff.)  kam  am 
I.  August  1808  von  Dresden  aus,  es  begann  sein  Wanderleben, 
nach  Wien  und  wohnte  auf  der  Landstraße  Nr.  84  (Vaterländische 
Blätter  für  den  österreichischen  Kaiserstaat.  Wien  1808.  S.  220). 
Er  verkehrte  hier  mit  den  beiden  Collin,  Hormayr  und  Karoline 
Pichler,  die  er  „angenehmer  als  ihre  Romane"  fand  (R.  Köpke, 
Ludwig  Tieck  I  [Leipzig  1855],  S.  34of.).  Der  Schauspieler  Josef 
Lange  fesselte  ihn  und  Heinrich  Collin  wollte  Tieck  für  das  Wiener 

644 


Burgtheater  gewinnen,  doch  bereits  im  Herbst  reiste  er  nach 
München  (Köpke,  S.  340  f.).  Am  9.  Oktober  1808  hatte  er  sich 
noch  in  Hofrat  Büels  Stammbuch  eingetragen  Q.  Bächtold,  Zürcher 
Taschenbuch  auf  das  Jahr  1892.  N.  F.  XV,  [Zürich  1892],  S.  142). 
—  Über  Tiecks  Ähnlichkeit  mit  Lenau  vgl.  noch  II,  S.  310;  daß 
er  Weber  an  die  Pichler  empfahl,  findet  sich  auch  II,  S.  149  f.  — 
Karoline  Pichler  stand  mit  Tieck  in  Briefwechsel.  Zwei  ihrer 
Briefe,  die  seine  Erzählung  „Der  Gelehrte",  welche  die  Pichler 
„lebhaft  und  tief  zugleich  ansprach",  betreffen,  sind  gedruckt 
(Briefe  an  Ludwig  Tieck.  Herausgegeben  von  Karl  v.  Holtei  III 
[Breslau  1864],  S.  74 — 76:  datiert  vom  10.  Mai  1828  und  vom 
21.  Juni  1830).  Im  zweiten  Brief  (Holtei,  S.  75),  den  sie  durch 
Frau  V.  Schlegel  überschickte,  sagt  sie  von  ihren  Zeilen:  „Sie 
sollen  Ihnen  sagen,  wie  sehr  mich  jedesmahl  Ihre  gütige  Er- 
innerung, Ihre  freundliche  Theilnahme  erfreut  hat,  wenn  mir 
ein  Gruß,  eine  ehrenvolle  Meinung  von  Ihnen  wurde,  und  sie 
sollen  Ihnen  für  so  manche  schöne  Stunden  danken,  die  Ihre 
neuesten  Arbeiten  mir  gewährt." 

'")  Sophie  Bernhardi  (1775 — 1833),  Tiecks  Schwester,  wurde 
1799  die  Frau  von  Tiecks  Freund,  August  Ferdinand  Bernhardi 
(1769 — 1820),  der  zuerst  Professor,  dann  seit  1808  Direktor  des 
Friedrich- Werderschen  Gymnasiums  in  Berlin  war,  sich  als  Sprach- 
philosoph betätigte  und  ironische  Aufsätze  in  Tiecks  Manier  ver- 
faßte (vgl.  Goedeke  VI,  S.  45f.).  1802  trennte  sich  Sophie  von 
ihrem  Manne,  lebte  in  Weimar  und  zog  dann  mit  ihren  Kindern 
nach  Rom.  1804  wurde  ihre  Ehe  geschieden  und  18 10  heiratete 
sie  den  Estländer  Johann  Ludwig  von  Knorring  (1769 — 1837), 
mit  dem  sie  in  Rom,  Wien,  München  und  schließlich  in  Estland 
lebte.  Sie  schrieb  romantische  Gedichte  und  Märchen.  Vgl. 
Goedeke  VI,  S.  46;  VII,  S.  491. 

^  Johann  Ludwig  von  Knorring  (1769 — 1837),  ein  Estländer, 
studierte  in  Deutschland,  heiratete  18 10  Sophie  Bernhardi,  mit 
der  er  zunächst  verschiedene  Reisen  unternahm,  hierauf  aber  nach 
Estland  zurückkehrte,  wo  er  mit  Ausnahme  der  Jahre  18 19  und  1820 
bis  an  sein  .Lebensende  auf  seinen  Gütern  weilte.  Er  war  nieder- 
ländischer Vizekonsul  und  verfaßte  ein  Lustspiel,  das  1815  erschien. 
Vgl.  Joh.  Friedr.  v.  Recke  und  K.  E.  Napiersky,  Allgemeines  Schrift- 
steller- und  Gelehrten- Lexikon  der  Provinzen  Livland,  Esthland 
und  Kurland  II  (Mitau  1829),  S.  4675  Nachträge  I  (Mitau  1859), 
S.  312. 

''^^)  Karoline  Pichler  meint  ihren  Aufsatz  „Über  die  Allgemein- 
heit der  Bezeichnungen"  (Wiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur, 
Theater  und  Mode  1838,  S.  357ff.  =  S.  W.^  fehlend),  worin 
sie  gegen  die   Maniriertheit  der  modernen   Schriftsteller,  keine 

645 


präzisen  Ausdrücke  zu  verwenden,  wobei  ihnen  Goethe  als  Muster 
dienen  könne,  sondern  nur  Umschreibungen,  wodurch  das  Ver- 
ständnis eines  Werkes  wesentlich  erschwert  werde,  auftritt.  —  Über 
das  schlechte  Verständnis  der  modernen  Schriftsteller  ihrerseits 
vgl.  noch  II,  S.  248,  390. 

'*^)  „Die  Gründung  Prags.  Ein  historisch-romantisches  Drama" 
von  Clemens  Brentano  erschien  18 15  in  Pest  (Goedeke  VI,  S.  60:27). 
Über  das  Drama  als  solches,  seine  Quellen,  die  Mystik  und  Mythe, 
die  darin  in  Form  von  Hexen,  Zauberwesen,  Aberglauben,  mytho- 
logischen, christlichen  und  volkstümlichen  Einzelheiten  verwendet 
werden,  vgl.  man  Emanuel  Grigorovitza,  Libussa  in  der  deutschen 
Litteratur.  Berlin  1901,  S.  27ff.  —  Die  Vorlesung  bei  Karoline 
Pichler  fand  am  23.  Juli  18 13  statt  (Diel,  I,  S.  396  Anm.).  An  ihr 
nahm  auch  Johann  Nepomuk  von  Ringseis  teil,  der  vom  Septem- 
ber 18 12  bis  zum  September  18 13  in  Wien  weilte  (Ringseis,  Er- 
innerungen. Herausgegeben  von  Emilie  Ringseis  I  [Regensburg 
1886],  S.  137 ff.)  und  in  der  Alservorstadt  wohnte;  er  berichtet 
darüber  (I,  S.  148):  „Die  Schriftstellerin  (Pichler)  zeigte  Unwillen, 
weil  er  darin  vor  ihrer  Tochter  Ohr  Dinge  gebracht,  die  für  ein 
junges  Mädchen  ungeeignet  seien;  nicht  minder  unwillig  ver- 
teidigte sich  der  Verfasser,  seine  höchst  ehrbaren  Schwestern  hätten 
keinen  Anstoß  genommen."  Brentano  rächte  sich  in  seiner  Satire 
„Mäcenas",  worin  er  von  den  Pichlerschen  Dramen  sagt  (Diel,  I, 
S.  399): 

Und  die  Pichler  ist  wohl  würdig, 

Immer  wieder  sie  zu  sehn. 

Dem  Cothurne  ebenbürtig 

Kann  sie  den  Pantoffel  drehn. 
—  Über  die  unsinnlich  gehaltene  Lichtgestalt  Trinitas  vgl.  Gri- 
gorovitza, S.  66. 

'23)  Deutsche  Gedichte  von  Freimund  Raimar  [Friedrich 
Rückert],  o.  O.  (Heidelberg)  18 14.  Den  zweiten  und  vierten  Teil 
davon  bilden  44  „geharnischte  Sonette".  Vgl.  Goedeke  VIII, 
S.  150  :  5.  —  Ein  Zitat  daraus  oben  S.  405. 

'**)  Max  von  Schenkendorf,  Sämmtliche  Gedichte.  Berlin  1837. 
S.  i23ff. :  Die  Deutschen  an  ihren  Kaiser.  Julius  1813.  —  Die 
von  der  Pichler  angeführte  i.  Strophe  ist  nicht  ganz  genau  wieder- 
gegeben; im  Original  heißt  es  Zeile  3:  deiner  Völker. 

'2^)  Schenkendorf  a.  a.  O.  S.  I37ff. :  Die  Preußen  an  der  kaiser- 
lichen Grenze.  August  18 13.  —  Die  Pichler  zitiert  Str.  I  (im 
Original  heißt  es:  3  Böhmenland;  4  O  Heer;  5  Sieg  und  Heil), 
III  (Original:  6  hoch  [stark),  V,  i — 3  und  VIII,  4— 6.  —  Zitate 
aus  diesem  Gedicht  kehren  auch  sonst  wieder,  vgl.  Anm.  729,  740 
und  II,  Anm.  18. 

646 


726^  Theodor  Körner  war  vom  30.  Juni  bis  14.  Juli  18 13  in  Karls- 
bad (vgl.  Theodor  Körners  Tagebuch  und  Kriegslieder  aus  dem 
Jahre  18 13.  Herausgegeben  von  W.  Emil  Peschel.  Freiburg  i.  B. 
1893.    S.  35 f.). 

'27)  Weder  Karl  Streckfuß  (Theodor  Körners  Sämmtliche 
Werke.«  Berlin  1858.  S.  749ff.)  noch  Goedeke  (Grdr.  VI,  S.  459f. 
unter  Apel),  noch  Wurzbach  (XII,  S.  259)  und  Emil  Peschel  (Kör- 
ner-Bibliographie. Leipzig  1891,  S.  46ff.)  verzeichnen  ein  Gedicht 
von  Apel,  der  zwar  zu  Körner  Beziehungen  hatte  (vgl.  Adolf 
WolflF,  Theodor  Körners  Leben  und  Briefwechsel.  Berlin  1858, 
S.  193,  209),  auf  Körners  Tod.  Sollte  sich  Karoline  Pichler  irren? 

'^'a)  Die  Stimmung  über  Körners  Tod  in  Wien  bringt  am  deut- 
lichsten ein  Gedicht  von  Florian  Pichler  (Der  deutsche  Geist. 
Wien  18 14.  S.  31  ff.)  zum  Ausdruck.  Vgl.  noch  Hans  K.  Freiherr 
von  Jaden,  Theodor  Körner  und  seine  Braut.  Dresden  1896. 
S.  89 ff. 

'28)  Gemeint  ist  das  Epigramm  „Mittel  gegen  die  Hochmut 
der  Großen"  (G.  A.  Bürger,  Werke.  Herausgegeben  von  Ed.  Grise- 
bach«  [Berlin  1894],  S.  146;  im  Original  Zeile  i  oft  [stets). 

'29)  Str.  III,  4  des  Gedichtes  „Die  Preußen  an  der  kaiserlichen 
Grenze"  (18 13)  von  Schenkendorf;  vgl.  oben  Anm.  725. 

'^)  Über  dieses  Stück  tmd  dessen  Aufführung  vgl.  II,  S.  3  ff.  mit 
Anm.  I — 15. 

'31)  Psahn  125,  5-  , 

'32)  Christian  Eduard  Pohl,  ein  Leipziger,  erwarb  sich  auf  Grund 
seiner  Arbeit  „Dissertatio  inauguralis  medica  sistens  expositionem 
generalem  anatomicam  organi  auditus  per  classes  animalium" 
(Vindobonae  1818.  Typis  Antonii  Pichler.  4".  IV,  48  S,  u.  5  Ta- 
feln) das  Doktordiplom  der  Medizin  und  Chirurgie  der  Universität 
Wien.  Am  2.  September  18 18  verteidigte  er  öffentlich  seine 
17  Thesen  an  der  Universität.  Seit  18 19  gehörte  er  der  medizini- 
schen Fakultät  an  und  wohnte  in  der  Wollzeile  857  (Hof-  und 
Staatsschematismus  1820,  II,  S.  118);  1834  übersiedelte  er  in  die 
Himmelpfortgasse  955  (tbd.  1835,  I^j  S-  ^^S)  ^^^  "^^^  '^^  den 
Studienjahren  1831/32  und  1835/36  Prokurator  der  sächsischen 
Nation  an  der  Universität  (ebd.  1832,  II,  S.  84;  1836,  II,  S.  86). 
18 15  war  er  beinahe  täglich  bei  Pichlers  (II,  S.  48f.)  und  18 18 
weilte  er  in  Italien  (vgl.  Brief  der  Pichler  an  Grillparzer  vom 
19.  Mai  18 19:  A.  Sauer,  Grillparzers  Werke  III,  i  [Wien  19 13] 
S,  188).  Er  verheiratete  sich  am  15.  Januar  1820  in  Wien  mit  Anna 
Schwarzleithner  (Ehevertrag  in  seinem  Nachlaß  s.  unten).  Mit 
Grillparzer  von  der  Pichler  aus  bekannt,  erkundigte  sich  dieser  18 19 
von  Italien  aus  wiederholt  nach  Pohl  (Glossy- Sauer,  Grillparzers 
Briefe  I,  S.  37;  Sauer,  Grillparzers  Werke  III,  i,  S.  179,  185).   Pohl 

647 


starb  am  i8.  August  1840  In  Währing  (jetzt  Wien  XVIII)  Nr.  106 
während  des  Sommeraufenthaltes,  55  Jahre  alt,  seine  Frau  und 
vier  Kinder  (Emilie,  18  Jahre;  Pauline,  16  Jahre;  Mathilde, 
13  Jahre;  Eduard,  11  Jahre)  zurücklassend  (vgl.  seinen  Verlassen- 
schaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II, 
Nr.  5354  ex  1840). 

'^)  Dr.  Gustav  Adolf  Fich'tner,  ca.  1787  in  Rostock  geboren, 
studierte  an  der  Universität  Würzburg  Medizin  und  promovierte 
18 10  an  dieser  Universität  zum  Doktor  der  Medizin.  Er  über- 
siedelte hierauf  nach  Wien,  wo  er  mit  Dr.  Pohl  bekannt  und  bei 
der  Pichler  eingeführt  wurde.  Am  16.  August  1813  als  Oberarzt 
beim  Feldspital  Nr.  20  in  Kaaden  eingeteilt,  weist  ihn  die  Standes- 
liste dieses  Spitals  bereits  im  Oktober  als  „auswärts  krank"  aus 
und  am  14.  November  18 13  verschied  er  am  Nervenfieber  zu  Asch 
in  Böhmen.  Er  war  unverehelicht.  (Laut  freundlichen  Mitteilun- 
gen der  Direktion  des  k.  und  k.  Kriegsarchivs  in  Wien.) 

'34)  Beim  Angriff  auf  Dresden  wurden  am  27.  August  18 13  dem 
Sieger  von  Hohenlinden,  dem  ehemaligen  französischen  General 
Jean  Victor  Moreau,  der  18 13  aus  der  nordamerikanischen  Ver- 
bannung über  Einladung  Alexanders  I.  von  Rußland  zurückgekehrt 
war,  um  gegen  Napoleon  zu  kämpfen,  beide  Beine  zerschmettert; 
den  schrecklichen  Wunden  erlag  Moreau  am  2.  September  18 13 
zu  Laun  In  Böhmen.  —  Die  Schlacht  an  der  Katzbach  fand  am 
26.  August  18 13  statt;  Blücher  siegte  hier  über  Macdonald. 

'35)  Ludwig  Hermann  Friedländer  (1790 — 185 1),  ein  Königs- 
berger, studierte  In  Königsberg  Medizin,  hatte  schon  damals  reges 
Interesse  an  Literatur  und  Philosophie  und  trat  zu  Schenkendorf 
in  ein  Freundschaftsverhältnis.  18 12  ging  er  nach  Berlin,  machte 
18 13  den  Feldzug  nach  Paris  mit,  nahm  18 14  den  Abschied,  kam 
über  Karlsruhe  nach  Wien  und  reiste  von  hier  mit  seinem  Freund 
Philipp  Veit  nach  ^llen.  18 17  kehrte  er  nach  Deutschland 
zurück,  veröffentlichte  18 18  seine  vielgelesenen  „Ansichten  von 
Italien"  (im  Besitze  der  Pichler;  Nr.  19  Ihres  Bücherverzeichnisses 
im  Verlassenschaftsakt),  habilitierte  sich  in  Halle  für  Medizin  und 
wurde  18 19  Extraordinarius,  1823  Ordinarius  der  Inneren  Medizin 
ebenda.  Er  gehörte  der  romantischen  Richtung  als  Dichter  an  und 
machte  sich  um  die  Geschichte  der  Medizin  verdient.  Vgl.  A.  Hirsch 
in:  Allgemeine  Deutsche  Biographie  VII,  S.  397f.  —  Karoline 
Pichler  widmete  ihm  Im  Februar  18 16,  als  er  bereits  in  Rom  war, 
ein  Gedicht  „An  Herrn  Doctor  Friedländer  In  Rom  18 16"  (S.  W.' 
XVI,  S.  128 ff.;  ursprünglich  „An  einen  Freund  in  Rom":  Wiener 
Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur,  Theater  und  Mode  1816,  S.  171  f.), 
worin  sie  des  fröhlichen  Zusammenseins  und  seines  trefflichen 
Gesanges  gedenkt. 

648 


'38)  Die  offizielle  Nachricht  von  dem  Sieg  bei  Kulm  langte  am 
2.  September  in  Wien  ein,  vgl.  Erste,  Zweyte  und  Dritte  außer- 
ordentliche Beylage  zur  Wiener-Zeitung  Nr.  105  vom  Donnerstag 
den  2.  September  18 13  und  Nr.  106  vom  Samstag  den  4.  Septem- 
ber 1813.  —  Der  Oberstleutnant  und  Generaladjutant  Graf 
Johann  Bapt.  Paar  zog  am  4.  September  18 13  mit  dert  Sieges- 
zeichen, von  30  Postillionen  begleitet,  unter  dem  Jubel  des  Volkes 
in  Wien  ein  (Wiener-Zeitung  18 13,  Nr.  107,  S.  443).  Er  ritt 
zu  Pferde,  die  eroberten  Fahnen  wurden  zu  seiiler  Seite  ge- 
tragen (ebd.).  —  Graf  Johann  Bapt.  Paar  (178C5 — 1839)  diente 
seit  1797  beim  Militär,  war  von  18 12 — 18 14  Flügeladjutant 
des  Fürsten  Schwarzenberg,  wurde  18 14  Maria-Theresienordens- 
ritter  und  trat  1820  als  Oberst  aus  der  Armee  (Wurzbach  XXI, 
S.  143  f-)- 

'37)  Dominique  Joseph  Vandamme,  Graf  von  Hüneburg  (1771 
bis  1830),  französischer  Feldherr,  der  von  der  Pike  auf  diente,  es 
in  rascher  Folge  zum  General  brachte,  1805  sich  bei  Auster- 
litz  auszeichnete,  sonst  aber  durch  Grausamkeit  gegen  die  Be- 
siegten bekannt  ist.  Am  30.  August  18 13  mußte  er  sich  bei 
Kulm  mit  10  000  Mann  ergeben.  Über  seine  Niederlage  bei 
Kulm  vgl.  man  A.  du  Casse,  Le  general  Vandamme  et  sa  corre- 
spondance  II  (Paris  1870),  p.  5 13  ff.  (eine  ausführliche,  dokumen- 
tarische Darstellung). 

'^)  Alexander  Iwanowitsch,  Graf  Ostermann-Tolstoi  (1772 
bis  1857),  russischer  Generalleutnant,  tat  sich  schon  in  den  Kriegen 
gegen  die  Russen  und  Polen  hervor.  Besonders  zeichnete  er  sich 
1812  aus.  18 13  hatte  er  am  29.  und  30.  August  den  Befehl  über 
das  russische  Gardekorps  bei  Kulm,  besiegte  Vandamme  und 
wurde  selbst  verwundet  (linker  Arm  zerschmettert).  Später  m^r 
er  (1815)  Gesandter  in  Paris;  schließlich  unternahm  er  (1831)  eine 
Orientreise  und  wohnte  von  1837  bis  zu  seinem  Tode  am  Genfersee. 
Vgl.  Nouvelle Biographie  generale  XXXVIII  (Paris  1862),  S.  922.  — - 
Über  seinen  Aufenthalt  in  Wien  vgl.  II,  S.  25,  —  Für  seine  Tätig- 
keit bei  Kulm  erhielt  er  das  Kommandeurkreuz  des  Maria-There- 
sienordens  (Wiener-Zeitung  1813,  Nr.  109,  S.  453;  J.  Hirtenfeld, 
Der  Militär-Maria-Theresien-Orden  und  seine  Mitglieder  III 
[Wien  1857],  S.  Ii29f.). 

'^)  Über  Katzbach  (26.  August  18 13)  vgl.  Anm.  734.  —  Bei 
Dennewitz  wurde  am  6.  September  18 13  durch  Bernadotte  in 
Verbindung  mit  den  Preußen  Marschall  Ney  geschlagen  und  so 
die  Einnahme  Berlins  verhindert.  —  Über  Kuhn  vgl.  Anm.  737. 

'*")  Str.  III,  5,  6  (aber  im  Original:  6  schön  [frei)  des  Schenken- 
dorfschen  Gedichtes  „Die  Preußen  an  der  kaiserlichen  Grenze" 
(1813)  vgl.  oben  Anm.  725. 

649 


'*^)  Ungenau;  richtig:  Doch  Brüder  sind  wir  allzusamm  (Str.  Uli 
vom  „Jägerlied":  1813  in  „Leyer  und  Schwert".  Wien  0.  J. 
S.  43  =  Werke  I  [Leipzig  1912],  S.  27). 

'*2)  Der  Generahnajor  Adam  Albrecht  Graf  Neipperg  hielt  am 
Sonntag  den  24.  Oktober  18 13  nachmittags  2  Uhr  in  Begleitung 
von  26  Postillionen  seinen  Einzug  in  Wien  unter  dem  Jubel  des 
Volkes  (vgl.  Wiener-Zeitung  1813,  Nr.  143,  S.  679).  Die  Freude 
der  Wiener  war  eine  unbändige;  eine  Illumination  fand  statt, 
tolle  Lust  und  Ausgelassenheit  herrschten  (vgl.  Eduard  Wert- 
heimer,  Wien  und  das  Kriegsjahr  1813.  Wien  1893.  S.  22f.).  — 
Adam  Albrecht  Graf  Neipperg  (177S — 1829)  war  seit  1793  General- 
stäbler, machte  als  solcher  die  meisten  französischen  Kriege  mit 
und  wurde  1801  Maria-Theresien-Ordensritter;  im  Jahre  1821 
vermählte  er  sich  mit  der  Ex-Kaiserin  Maria  Luise  von  Frank- 
reich, deren  Ehrenkavalier  er  war  (vgl.  Wurzbach  XX,  S.  i46ff.). 

'*')  Darüber  findet  sich  bei  Eduard  Duller  (Erzherzog  Carl  von 
Österreich.    Pest  1859)  nichts. 


IlllllllllllllllllllllltllllllllUtlllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllltllllUlllllllllllllUIIIIIUUlllllllllllllllllllllllllllllllllll 


650 


y 


NACHTRÄGE  ZU  DEN  ANMERKUNGEN 


■  ■IIHiUIHIIUIIIHIIIIIIIIItullllll||U|n||||||||||||||||||||||||||||,||„„„H„„„„„„„„„„„,„„„„„„„„„„„„|„|,t,|,„, 


^  Anna  Katharina  Greiner  war  am  26.  April  1697  als  jüngstes 
Kind  des  Jakob  Schwärzl,  Remanenzers  des  Wiener  magistratischen 
Oberkammeramtes  (t  20.  Dezember  1720,  67  Jahre  alt:  Toten- 
protokoll der  Pfarre  Schotten  [Wien  I],  t.  IV,  fol.  75  b)  und  der 
Maria  Elisabeth  Schwärzl  (tu.  Oktober  1730,  64  Jahre  alt:  ebd. 
t.  VI,  fol.  19  b)  geboren  worden  (Taufprotokoll  der  Pfarre  Schotten, 
t.  XX,  fol.  174  b)  und  hatte  sich  am  22.  Oktober  1726  mit  dem 
damaligen  Raitoffizier  Franz  Josef  Greiner  vermählt  (Hochzeits- 
buch der  Pfarre  Schotten,  t.  XXIV,  fol.  50a). 

*)  Franz  Sales  von  Greiner  wurde  am  2.  Februar  1732  (nicht 
1730)  geboren  (Taufprotokoll  der  Pfarre  Schotten,  Wien  I,  t.  XXX, 
fol.  178  a).  Er  war  ein  „geschworner  Feind  der  Gleisnerei  und 
Bigotterie"  (Ign.  Feßler,  Rückblicke  auf  seine  siebzigjährige  Pilger-r 
Schaft.  Breslau  1824.  S.  138)  und  „ein  glatter,  gutdenkender, 
einsichtsvoller,  tätiger  und  verehrungswürdiger  Mann,  Beförderer 
der  Wissenschaften  und  der  Aufklärung  und  warmer  Freund  all 
jener,  die  sich  durch  Talente  und  Geschicklichkeit  auszeichnen" 
(Rautenstrauch,  Oesterreichische  Biedermanns-Chronik.  Wien 
1784.  S.  66  f.).  Er  bemühte  sich  im  November  1775  sehr  um  das 
Zustandekommen  einer  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
(Jos.  Feil,  Versuche  zur  Gründung  einer  Akademie  der  Wissen- 
schaften unter  Maria  Theresia.  Wien  1860.  S.  66,  87!),  widmete 
der  Einrichtung  der  Volksschulen  unter  Maria  Theresia  einen 
großen  Teil  seiner  Kraft  Qosef  Alexander  Freiherr  von  Helfert, 
Die  österreichische  Volksschule  I  [Wien  1860],  S.  653  Reg.),  war 
in  religiösen  Fragen  freigeistig  (Cölestin  Wolfsgruber,  Christoph 
Anton  Kardinal  Migazzi,  Fürsterzbischof  von  Wien.  Saulgau  1890. 
S.  897  Reg.),  ging  jedoch  1785  in  der  Angelegenheit  des  Franzis- 
kaners Franz  X.  Paradeiser  selbst  Kaiser  Josef  zuweit,  so  daß  er 
eine  Nase  erhielt  (Sebastian  Brunner,  Der  Humor  in  der  Diplomatie 
und  Regierungskunde  des  18.  Jahrhunderts  II  [Wien  1872],  S,  199 f.). 
Er  bewährte  sich  als  denkender  Freimaurer,  der  den  Freimaurereid 
für  die  minderen  Grade  aufgehoben  und  für  die  höheren  umge- 
ändert wissen  wollte  (vgl.  seinen  Aufsatz :  Über  den  Freymaurereid. 
Journal  für  Freymaurer  I,  2  [Wien  1784],  S.  138 ff.;  danach  mit 
Glossen  bei  [Leopold  Alois  Hoffmann],  Die  zwo  Schwestern  p*** 
[Prag]  und  W***  [Wien]  oder  neu  entdecktes  Freymaurer-  und 
Revolutionssystem  [Wien]  1796,  S.  76ff.).  Ein  weiterer  Beleg  für 
seine  dichterische  Tätigkeit  (oben  S.  47  mit  Anm.  78)  ist  die  Über- 

653 


Setzung  eines  Gedichtes  von  P.  Metastasio  (Die  allgemeinen 
Wünsche  für  die  Kaiserin  Königin  vorgetragen  . . .  Übersetzt  von 
F.  S.  G.[reinerJ.  [Wien]  1766.  4").  Fleißig  unterstützte  er  auch 
gemeinsam  mit  seiner  Gattin  verschiedene  bei  ihm  verkehrende 
Dichter  durch  die  Subskription  ihrer  Werke,  so  K.  J.  Fridrich 
(Lieder  der  Liebe  und  der  Freude.  Wien  1787.  S.  5b;  Situationen. 
Wien  1786.  S.  254),  A.  Blumauer  (vgl.  unten  Nachtrag  zu  Anm. 
^53)-  Joh.  Bapt.  Alxinger  widmete  ihm  seinen  „DooUn  von 
Maynz"  (Ein  Rittergedicht.  Wien  1787,  S.  3  ff.)  mit  einfer  sehr 
schmeichelhaften  Zueignungsschrift.  Er  dagegen  machte  manch- 
mal, wie  Hormayr  boshaft  erklärt,  die  Leute  durch  Vorlesen 
seiner  eigenen  Verse  und  Lieder  unglücklich  (Taschenbuch. 
XXXIV,   S.  115). 

*^)  und  ^)  Dem  ungarischen  Freund  Rousseaus  ist  kürzlich  von 
Ludwig  Räcz  eine,  alle  Verhältnisse  klarlegende,  eingehende  Studie 
gewidmet  worden  (Ungarische  Rundschau  für  historische  und 
soziale  Wissenschaften  I  [München  19 12],  S.  9 12  ff.).  Demnach 
hieß  er  Ignaz  Sauttermeister  de  Sauttersheim  (1738 — 1767),  war 
der  Sohn  des  Ofner  Bürgermeisters  Emanuel  von  Sauttersheim, 
wurde  1760  Honorarkonzipist  der  Preßburger  Hofkanmier,  stürzte 
sich  aber,  wozu  die  vielen  Fahrten  nach  Wien,  der  Charlotte 
Hieronymus  wegen,  ebenfalls  beitrugen,  in  Schulden,  so  daß  Kaiserin 
Maria  Theresia  aus  diesem  Grunde  gegeü  eine  beabsichtigte  Heirat 
mit  der  Hieronymus  war.  Da  sein  Vater  für  die  Schulden  nicht 
aufkommen  wollte,  zerwarf  er  sich  mit  seiner  Familie  und  flüchtete 
im  Dezember  1762  in  die  Schweiz.  Im  März  1763  kam  er  nach 
Motiers  zu  Rousseau  und  nun  entwickelte  sich  das  oben  in  Anm.  30 
geschilderte  Freundschaftsverhältnis.  Bereits  anfangs  Juli  1763  ver- 
ließ Sauttersheim  Motiers,  blieb  also  nicht,  wie  Rousseau  angibt 
(Anm.  30),  zwei  Jahre  und  ging  nach  Straßburg,  wo  er  die  Ehe- 
bruchsgeschichte hatte.  Im  Mai  1764  berichtete  er  von  Paris  aus 
Rousseau  über  sein  vergangenes  Leben.  Seine  letzten  Lebensjahre 
verbrachte  er  in  Besan9on  Quli  1764),  Straßburg  Qanuar  1765), 
Benfeld  (April  1765),  Straßburg,  wo  er  sich  als  Jurist  an  der  Uni- 
versität immatrikulieren  ließ,  Paris  (August  1765),  wo  ihn  Rousseau 
im  Dezember  traf,  Montmorency  (1766)  und  Straßburg,  wo  er 
am  15.  Dezember  1767  sein  ruheloses  Leben  beschloß. 

^)  Greinerscher  Hausbesitz.  —  Das  Haus  Nr.  318  (241;  234) 
stammte  vom  Vater  der  Katharina  Greiner,  von  Jakob  Schwärzl; 
es  war  dem  Hofspital  zinspflichtig.  Auf  Jakob  Schwärzl  folgten 
Katharina  Greiner,  dann  ab  1778  Franz  Sales  von  Greiner  und 
nach  dessen  Tod  gemeinsam  Karoline  und  Franz  Xaver  von 
Greiner  und  Karoline  Pichler  als  Besitzer,  welch  letztere  im 
November   1802  das  Haus  an  den  bürgerlichen  Wagnermeister 

654 


Jakob  Kautzner  und  dessen  Gattin  Theresia  um  28  000  fl.  ver- 
kauften (vgl.  Grundbuch  der  Stadt  Wien,  t.  VI,  fol.  594a;  Grund- 
buch Nr.  563,  fol.  45  b,  47b  f.  und  Grundbuch  Nr.  564,  fol.  4b; 
alle  im  Wiener  Stadtarchiv).  —  Das  Haus  Nr.  319  (240;  233) 
erbten  Katharina  und  Franz  Sales  Greiner  im  August  1765  nach 
Franz  und  dessen  Tochter  Theresia  Lautter;  Katharina  trat  ihre 
Haushälfte  ihrem  Sohn  ab,  so  daß  dieser  alleiniger  Besitzer  des, 
dem  Magistrat  zinspflichtigen  Hauses  wurde.  In  dem  sich  seit  1734 
das  Lampenfüllungsgewölbe  und  das  Quartler  des  Stadtübergehers, 
sowie  ein  offen  zu  lassender  Durchgang  zum  Unterkämmereramt 
befanden.  Nach  seinem  Tod  ging  das  Haus  an  seine  Frau  und 
Kinder  über;  Karoline  von  Greiner  überließ  später  ihre  Haus- 
hälfte ihrer  Tochter,  so  daß  Karoline  Pichler  im  Juli  18 13  darauf 
allein  vergewährt  wurde.  Diese  verkaufte  dann  im  Juni  1825  ihren 
Besitz  an  Theresia  Mayer  (Grundbuch  der  Stadt  Wien,  t.  VI, 
Fol.  593b;  Grundbuch  Nr.  31,  Fol.  413;  Nr.  36,  Fol.  356b  und 
Nr.  38,  Fol.  270a  im  Wiener  Stadtarchiv). 

*")  Über  die  Einrichtung  der  Hofquartlere^vgl.  noch  die  ein- 
gehenden Bemerkungen  von  Josef  Feil  (Versuche  zur  Gründung 
einer  Akademie  der  Wissenschaften  unter  Maria  Theresia.  Wien 
1860.  S.  78  ff.). 
'^)  Hier  Haschkas  Gedicht  auf  die  Frau  von  Grelner: 
Der  I  edlen  Greinerinn  j  gesungen  ]  am  dritten  Wintermonats,  ] 
1777. 1'von  I  Haschka.  ]  (Rosette)  |  (Doppelstrich)  |  WIEN,  1  Druckts 
Joseph  V.  Kurzböck.  —  gr.8".,  4  BÜ.,  signiert )(  2, )(  3;  Bl.  ib  weiß; 
Bl.  la,  2a — ^4b  je  mit  einer  Umrahmung  versehen;  am  Beginn  und 
Schluß  des  Gedichtes  gleiche  Rosette  wie  am  Titelblatt.  (Im  Be- 
sitze von  Herrn  Josef  Wünsch  in  Wien.) 

[2  a]    Auch  war  es  Ahnenbrauch  mit  Sang'  und  Klang 
Die  Tage  zu  bezeichnen,  wann  sich  zwo 
Der  bessern  Seelen  trafen  freundschaftlich. 
So  wars  der  dritte  Winterabend,  den 
Sein  Mond  heut  wiederum  zurückerollt. 
Da,  Seltne!  du  mich  stillen  Haynesohn, 
Den  Unbekannten  seiner  Vaterstadt, 
Und  der  Ich  sang!  =  Zwar  Wien,  was  achtet  die 
Der  Llejder,  ha!    Gold,  Namen,  Körper,  und 
Die  Seihe,  was  die  ausschäumt,  schätzet  Wien!  = 
In  deinen  Gastsaal,  welcher  wimmelte 
Von  Feyrern,  die  mit  Wünschen  dir  den  Tag, 
Der  deinen  Namen,  o  Karlina!  sprach. 
Herangeleiteten,  beschiedst.    Dein  Aug 
Kohr  vom  Gewimmel  mich  heraus,  und  schoß 
Der  Unterscheidung  Blick  mir  in  das  Herz, 


/ 


[zb]    Ha!  das,  als  ich  zum  ersten  male  dich 

Ersah,  schlug  hoch  empor,  und  ahnte  schön 
Der  Frauen  Einzige,  wie  dich  ein  Jahr 
Geprüftes  Umgangs  voll  mir  auch  bewährt. 

Und  diesen  Tag,  der  deinen  Namen  spricht, 
Sang'  ich  an  diesem  Abend  nicht,  als  ich 
Dich,  Einzige!  zum  ersten  mal'  ersah? 
Ja!  singen  will  ich,  daß  mein  Lied  "umher 
Durch  alle  Widerhalle  meiner  Gau 
Ertöne!  daß  vielleicht  zu  edlerem 
Wetteifer  manche  Nickerinn  erwacht! 

Dieser  schönen  Wintermorgendämmrung 
Glich,  Karlina!  deine  Jugend:  eine 
Sonne,  stralte  dir  dein  Herz  im  Busen; 

Aber  Nebel  barg  es. 
[3a]    Nicht  der  Wüste  Nebel!  denn  im  Goldsaal' 
Hinter  Fürsten  gieng  dein  Wandeln.    Eine 
Sonne,  stralte  dir  dein  Herz  im  Busen; 

Aber  Nebel  barg  es. 
Nicht  des  Kenners  Blicken  undurchdringlich, 
Stäts  dem  Klügling  doch  ein  Räthsel!    Mährchen 
Warst  Du  der  Gespielinn  selbsten,  hätte 

Sie  dein  Herz  errathen! 
So  vergab  man  dir,  daß  du  so  gut  warst! 
Ließ  mit  deiner  Seele  dich  in  deiner 
Kammer  einsam!    Unterm  Hofgetümmel 

Lerntest  du  die  Weisheit, 
Die's  noch  dann  ist,  wann  die  Federbuschen 
Umgestürzt  sind,  wann  der  Thorheit  Schellen 
Sind  zertreten,  wann  die  schmucke  Wang'  in 

Staub  ist  hingesunken! 
[3b]    Jene  Weisheit,  die  =  Karlina!  diesem 
Hellen  Wintermittag  gleichst  du,  welcher 
Jezt  in  vollem  Glänze  niederstralet, 

Alles  übergoldet!  = 
Die  den  Edlen,  welcher  dich  verdiente. 
Neben  dir  so  glücklich  macht,  die  Pfänder 
Eurer  Liebe  zwoen  Welten  bildet. 

Alle  Tugendfreunde 
Dir  gewinnt!    Wiebald  nach  deinen  Gatten 
Du  nun  hießest,  so  zerriß  der  Nebel: 
Eine  Sonne,  brach  dein  Herz  in  jeder 

Handlung  aus  dem  Busen! 

656 


Deß  nahms  billig  alle  Dreyschrittseher 
Höchlich  Wunder!    Doch  du  giengst  gelassen 
Deiner  Pflichten  steile  Bahn  zu  treten, 

Jeden  Tritt  auf  steiler! 
[4  a]    Tritt  sie  lange,  treue  Gattinn!  edle 

Freundinn!  wahre  Mutter!  —  O!  verzeiht  ihr 
Diese  Eine  Leidenschaft,  mit  der  sie 

Hänge  an  ihren  Kindern! 
Tritt  sie  lange  diese  Bahn,  und  streue 
Deines  Beispiels  Saamen  in  der  Weiber 
Herzen!    Eitelkeit  und  Scheelsucht  haben,  " 

Leider!  sie  versteinert! 
Und  wann  einst  dein  Leben  sich  zu  seinem 
Abend  neiget,  dann,  Karlina!  gleicht  es 
Diesem  Sternenhimmel,  rings  mit  goldnen 

Thaten  durchgewirket. 

Lottchen!*)  dieß  ist  der  Umriß  von  deiner  erhabenen 

Mutter, 
Leicht  gezeichnet,   wie  Lieder  es  können!    du  wirst   einst, 

das  hoff  ich, 
[4b]  Durch  dein  Leben  vollenden  dieß  Bild!  und,  wie  du  von  ihr  den 
Namen  erbtest,  von  ihr  auch  alle  die  Tugenden  erben! 
Ja!  das  wirst  du!  die  zärtUche  Mutter  gab  keiner  verlaufnen, 
Gallischen  Dirne  dich  Preis.    So  wie  sie  dich  selber  gestillet. 
Bildet  sie  deine  Jugend  auch  selber:  du  blühest  an  ihrem 
Herzen  empor!  und,  Fräulein!  dieß  Herz  ist  gut,  und  edel! 
Hab'  es,  und  weis*  es  in  Thaten!  dann  sing'  ich  auch  dich 

einst,  wie  je  und 
Deine  Mutter  ich  sang  in  unverdächtige  Saiten. 
Über  dieses  Gedicht  sind  zwei  Besprechungen  erschienen.  Die 
eine  von  R.-ch-r  (Realzeitung  der  Wissenschaften,  Künste  und 
Kommerzien.  Wien  1777.  II,  33.  Stück  vom  11.  November,  S.  516) 
besagt:  „Diese  Karolina,  die  uns  der  Herr  Verfasser  durch  das 
ganze  Lied  mit  so  erhabenen  und  edlen  Zügen  schildert,  ist  die 
GemahHn  unsers  würdigen  und  verdienstvollen  Hofrathes  v.  Grei- 
ner. —  Er  sang  es  ihr  an  ihrem  Namenstage  aus  warmem  Herzen 
mit  deutscher  Redlichkeit,  und  alle,  die  diese  vortreffUche  Frau 
in  der  Nähe  kennen,  sagen  zu  den  aufrichtigen  Wünschen  des 
Dichters:  Amen."  Eine  zweite  findet  sich  im  Leipziger  Musen- 
almanach 1779,  S.  12  (vgl.  P.  Hofmann  von  Wellenhof,  Denis 
S.  352,  Anm.  4). 


•)  Ihr  achtjährig  Töchterchen. 

42  c.  p.  I  657 


Karoline  Pichler  widmete  Haschka  und  der  Aufschrift  „Er- 
kenne dich  selbst"  über  seiner  Studierstube  in  ihrem  Alter  einen 
längeren  Aufsatz  (S.  W.*  L,  S.  /ff.),  worin  sie  auch  dessen  Eigen- 
heiten berührt. 

"')  Maffei  war  ursprünglich  Jesuit  und  lehrte  1771/72  am  Wiener 
Theresianum  Architekturzeichnen  (Max  Freiherr  von  Gemmel- 
Flischbach,  Album  des  k.  k.  Theresianimas,  1746 — 1880.  Wien  1880. 
S.  15),  Von  1778  ab  unterrichtete  er  den  Feldmarschall  Josßf 
Grafen  Colloredo  in  der  Mathematik,  Mechanik  und  Physik 
(A.  von  Weingarten,  Östreichische  militärische  Zeitschrift.  Wien 
1819.  IV,  S.  79).  Bereits  1789  war  er,  der  aus  Görz  stammte, 
bei  der  Stückgießerei  angestellt  (Giuseppe  Volriggi,  Lettere  Vien- 
nesi.  Vienna  1789.  S.  100).  Er  hatte  Beziehungen  zu  Jakob  Ca- 
sanova (vgl.  Ravä-Gugitz,  Casanovas  Briefwechsel.  München  1913, 
S.  2^%i.,  Anm.  3).  —  Er  leitete  die  Pichler  in  manchem  an  (oben 
S.83). 

*"*)  Klopstock  kommt  in  einem  Brief  an  die  Greiner  vom 
I.  März  1783  ebenfalls  auf  diesen  Angriff  Nicolais  zurück;  dai'aus 
geht  auch  hervor,  daß  sich  Nicolai  bei  Greiners  brieflich  ent- 
schuldigte und  angab,  daß  er  nicht  der  Verfasser  der  Note  gegen 
die  kleine  Karoline  sei  (Wiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur, 
Theater  und  Mode  1838,  S.  130).  Nicolai  selbst  hatte,  als  er  in 
Wien  war,  das  Greinersche  Haus  gemieden  (ebd.  S.  122).  Klop- 
stock erwähnt  in  anderen  Briefen  ebenfalls  mehrere  Male  der 
kleinen  Karoline  (ebd.  S.  138,  139),  nach  der  er  sich  bei  verschie- 
denen Reisenden  erkundigte :  „so  bekomme  ich  allerhand  zu  hören, 
das  mir  gefällt,  und  das  hat  denn  so  seine  Folge  fürs  Herz"  (S.  139: 
20.  Februar  1788).  An  einer  anderen  Stelle  (S.  138:  18.  Oktober 
1786):  „Ich  habe  so  oft  und  so  viel  Gutes  von  Ihrer  Tochter 
gehört,  daß  Sie  ihr  in  meinem  Namen  notwendig  einen  Kuß  geben 
müssen." 

^"^  Die  Verwandtschaft  der  Frau  Rosine  von  Häring  mit  den 
Greiners  leitet  sich  daraus  her,  daß  deren  Mutter  Anna  Maria 
Katharina  von  Lackner  eine  geborene  Schweizer  war  (vgl.  Ludwig 
Schiviz  von  Schivizhoffen,  Der  Adel  in  den  Matriken  der  Stadt 
Graz.  Graz  1909.  S.  150,  unter  Häring),  demnach  so  hieß  wie 
die  Kousine  der  Greiners  (vgl.  Anm.  75). 

1«")  Johann  Baptist  von  Häring  spielte  im  Musikleben  Wiens 
eine  nicht  unbedeutende  Rolle.  So  begründete  er  im  November 
1807  die  „adeligen  Liebhaberkonzdrte"  in  Wien,  die  zuerst  im 
Saale  „zur  Mehlgrube"  (jetzt  Hotel  Krantz),  dann  im  Universitäts- 
gebäude abgehalten  wurden;  er,  als  geübter  Geiger,  führte  das 
aus  Dilettanten  gebildete  Orchester  zunächst  selbst  an;  da""  aber 
infolge  seines  unverträglichen  Temperaments  Streitigkeiten  ent- 

658 


standen,  so  trat  er  bald  zurück  und  im  Mai  1808  ging  das  Unter- 
nehmen wieder  ein  (vgl.  Eduard  Hanslick,  Geschichte  des  Concert- 
wesens  in  Wien,  I  [Wien  1869],  S.  76!.,  wo  aber  der  Name  fälsch- 
lich „Herring"  geschrieben  ist).  Seit  18 15  führte  er  bei  den  Auf- 
führungen der  Gesellschaft  der  Musikfreunde  in  Wien  die  zweiten 
Geigen  an  (Richard  v.  Perger  und  Robert  Hirschfeld,  Geschichte 
der  k.  k.  Gesellschaft  der  Musikfreunde  in  Wien,  I  [Wien  19 12], 
S.  33).  Johann  Friedrich  Reichardt  (Vertraute  Briefe,  geschrieben 
auf  einer  Reise  nach  Wien,  II  [Amsterdam  1810],  S.  ii9f.)  hörte 
ihn  1809  Haydnsche  Quartette  mit  Geschmack  und  Präzision 
spielen.  KaroUne  Pichler  hat  seine  schulmeisterlichen  Allüren 
und  sein  Verhältnis  zu  ihr  1803  im  Roman  „Leonore"  (vgl.  Anm.  509) 
verwertet,  denn  Ferdinand  Blum,  der  seine  Braut  Leonore  (=  Ka- 
roline) beständig  schulmeistert,  ist  niemand  anderer  als  Joh.  Bapt. 
von  Häring. 

"^)  Anna  Maria  Eva  Katharina  von  Häring  wurde  am  7.  Ok- 
tober 1752  in  Graz  als  Tochter  des  Kommerzialsekretärs  Franz 
Anton  von  Häring  und  seiner  ersten  Frau,  Anna  v.  Lackner  ge- 
boren (vgl.  Ludwig  Schiviz  von  Schivizhoffen  a.  a.  O.,  S.  1 50). 
Die  Daten,  welche  in:  „Genealogisches  Taschenbuch  der  adeligen 
Häuser  X  (Brunn  1885),  S.  481  über  Katharina  von  Häring  ge- 
boten werden,  sind  mehrfach  falsch.  —  Ignaz  Edler  von  Schwab 
starb  nicht  181 1  (Wurzbach),  sondern  am  12.  Februar  18 12  (Ver- 
lassenschaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V, 
Nr.  17  ex  18 12). 

"^)  Meißners  „Skizzen"  gehörten  auch  zur  Jugendlektüre  der 
Gräfin  Lulu  Thürheim  (Mein  Leben,  I,  S.  77  f.). 

^^®)  Über  Leopold  von  Braunschweig  und  dessen  Tod,  der 
mannigfach  von  Dichtern  besungen  wurde,  vgl.  man  die  ein- 
gehende Studie  von  Michael  Bernays  (Zur  neueren  Literatur- 
geschichte II  [Leipzig  1898],  S.  I37ff.). 

^  Pichler  besaß  von  Tasso  die  „Rime"  in  der  Venetianer- 
Ausgabe  von  1608  (Nr.  242  des  Verzeichnisses  ihrer  Bücher  im  Nach- 
laß).  Außerdem  die  Übersetzung  von  Streckfuß  (Nr.  312  ebenda). 

2^)  Von  Ariosts  Orlando  furioso  hatte  die  Pichler  eine  Aus- 
gabe, die  1603  in  Venedig  erschien  (Nr.  106  ihres  Bibliotheks- 
verzeichnisses). 

"")  Karoline  Pichler  besaß  die  Voßsche  Übersetzung  der  Odyssee 
(Hamburg  1781;  Nr.  289  ihres  Bibliotheksverzeichnisses). 

*")  Nebst  Denis'  „Ossian  und  Sineds  Lieder"  (Wien  1784; 
Nr.  249  des  Bibliotheksverzeichnisses)  hatte  Karoline  Pichler  noch 
eine  italienische,  von  A.  B.  Melchior  Cesarotti  besorgte  Ausgabe 
des  Ossian  (Padua  1763;  Nr.  243  des  Bibliotheksverzeichnisses)  in 
ihrem  Besitz. 

42*  659 


***)  Frau  Elisabeth  von  Kirchstättern  starb  am  8,  März  1835, 
67  Jahre  alt,  in  Wien.  Bei  ihrem  Tode  lebten  alle  Kinder  noch; 
vier  davon  waren  verheiratet,  und  zwar  Anna  (verwitwete  Hosp, 
k.  k.  Kammerdienerin  bei  Erzherzogin  Sophie;  vgl.  II,  Anm.  404), 
Franziska  (WejTinger,  Landwirtschaftsbesitzersgattin  auf  der  Wie- 
den  [Wien  IVJ),  Maria  (Gropmayer,  Versorgungshausverwalters- 
gattin in  St.  Andrä  a.  d.  Traisen,  Niederösterreich)  und  Theresia 
(Knoch,  Kontrollorsgattin,  im  Wiener  Versorgungshaus),  während 
Antonia  ledig  war  und  als  Erzieherin  beim  Grafen  von  Orschitz 
in  Agram  wirkte.  Vgl.  den  Verlassenschaftsakt  der  Mutter  im 
Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  46  ex  1835.  — 
Kirchstättern  selbst  findet  sich  1786  unter  den  Subskribenten 
der  „Situationen"  (Wien  1786,  S.  255)  von  Karl  Julius  Fridrich. 
**')  Das  Gedicht  ist,  entgegen  der  Mitteilung  Karoline  Pichlers 
(oben  S.  130),  doch  gedruckt,  und  zwar  mit  der  falschen,  der  Hand- 
schrift widersprechenden  Datierung  1796  (Nachtgedanken  1796. 
In:  Oesterreichischer  Musen- Almanach  1840.  Herausgegeben  von 
Andreas  Schumacher.  Wien  [1839].  S*  288  f.).  Dieser  Druck  zeigt 
der  Handschrift  gegenüber  folgende  Abweichungen: 

Str.  I  stimmt  zu  oben  S.  130,  gegen  S.  479,  Anm.  247,  Str.  I. 
Str.  II,  7:  Eilt  aus  . . . 

Str.  111,3:  Die  süßen  Worte,  trunknen  Blicke.  —  4:  heißer 
[falscher.  —  6:  Bin  der  Enttäuschung  mir  bewußt. 

Str.  IV,  i:  mildes  [blaues.  —  4:  So  einsam  sahst  du  sonst  mich 
nicht.  —  5 :  Da  hing  an  .  . .  —  6 :  Ein  zweiter  Blick  voll  Zärtlich- 
keit. —  7:  Da  wähnt  ich.  Hochbeglückte,  nimmer  —  8:  Kann  sie 
entfliehn,  die  goldne  Zeit. 

*'^)  K.  Pichler  besaß  Herders  „Ideen"  in  der  Rigaer  Ausgabe 
(i784ff.;  s.  Verzeichnis  ihrer  Bücher  im  Nachlaß  Nr.  248).  Außer- 
dem war  Herder  noch  vertreten  durch:  a)  Zerstreute  Blätter. 
6  Teile.  Gotha  1785  (Nachlaßverzeichnis  Nr.  250);  b)  Adrastea. 
6  Teile.  Leipzig  1801  (Verzeichnis  Nr.  251);  c)  Die  älteste  Ur- 
kunde des  Menschengeschlechtes.  Riga  1774  (Verzeichnis  Nr.  290). 
*•")  K.  Pichler  besaß  die  travestierte  Aeneis  Blumauers  (Wien 
1784;  Bücherverzeichnis  im  Nachlaß  Nr.  22),  wahrscheinlich  aus 
dem  Nachlasse  ihres  Vaters,  der  ja  ebenso  wie  seine  Gattin  unter 
den  Subskribenten  aufscheint  (Blumauer,  \^gils  Aeneis  travestirt  I 
[Wien  1784],  S.  [9];  II  [Wien  1785],  S.  [14]).  Auch  Blumauers  Ge- 
dichte (2  Teile.  Wien  1787)  waren  in  ihrem  Besitz  (Verzeichnis 
Nr.  257). 

***)  Maria  Josefa  von  Ravenet  wurde  am  19.  Oktober  1768  in 
Wien  als  fünftes  Kind  des  Dr.  phil.  et  med.  Franz  von  Ravenet 
und  der  Maria  Helene  von  Ravenet  geboren  und  am  20.  Oktober 
getauft  (Taufprotokolle  der  Pfarre  Schotten,  t.  XXXVII,  Fol,  62  b). 

660 


Die  mißlichen  Vermögensverhältnisse  ihres  Vaters,  der  am  23.  Juni 
1786  in  Konkurs  geraten  war,  brachten  es  mit  sich,  daß  seine 
minorennen  Kinder  bei  verschiedenen  bekannten  Familien  unter- 
gebracht wurden.  So  kam  Josefine  ins  Haus  des  Regierungsrates 
Heß.  Als  der  Vater  am  19.  Mai  1790,  63  Jahre  alt,  an  Lungen- 
entzündung starb,  da  hinterließ  er  so  wenig,  daß  er  auf  Kosten 
des  Armeninstituts  begraben  vsrurde  (Totenprotokolle  der  Stadt 
Wien  im  Stadtarchiv.  Bd.  118  II,  Buchst.  R,  Fol.  24b;  Verlassen- 
schaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  73 
ex  1790).  Josef a  blieb  weiterhin  im  Hause  des  Regierungsrates 
Heß,  dem  sie  bis  an  ihren  Tod  ein  dankbares  Gedenken  bewahrte, 
wie  aus  §  10  ihres  Testamentes  (vom  3.  Juli  1835;  Archiv  des 
Wiener  Landesgerichtes,  Testamente,  Nr.  449  ex  1849)  hervorgeht, 
wo  sie  sich  auch  der  „frommen"  Theresia  von  Heß,  geb.  v.  Leporini 
und  ihrer  drei  Pflegegeschvnster  dankbar  erinnert.  Nach  dem 
Tode  ihres  Pflegevaters  (1804)  wurde  sie  Erzieherin  und  heiratete 
1824  Johann  Schödelberger,  dem  sie  in  inniger  Liebe  zugetan  war; 
sagt  sie  doch  in  ihrem  Testament,  daß  sie  die  Aufsetzung  ihres 
letzten  Willens  immer  und  inuner  verschob,  denn  „der  Gedanke 
an  die  Trennung  von  meinem  inniggeliebten  Gemahl  war  meinem 
Herzen  immer  all  zu  schmerzUch".  Sie  überlebte  ihre  Jugend- 
freundin Karoline  Pichler  um  einige  Jahre.  Im  Alter  von  80  Jahren 
raffte  sie  am  30.  Juni  1849  der  Tod  infolge  Entkräftung  aus  ihrer 
Wohnung  in  der  Josefstadt  Nr.  6  hinweg  (Totenprotokolle  der 
Stadt  Wien  im  Konskriptionsamt  1849,  Buchst.  S,  Fol.  53b;  Ver- 
lassenschaftsakt im  Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  II, 
Nr.  5296  ex  1849). 

^2)  Dieses,  in  K.  Pichlers  S.  W.  nicht  aufgenommene  Gedicht 
auf  Kaiser  Leopold  IL  Leichenbegängnis  findet  sich  als  Einzel- 
druck in  der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  A.  Figdor  in  Wien,  der 
mir  die  Einsichtnahme  und  Veröffentlichung  gütigst  gestattete. 
Der  Druck  umfaßt  2  Blätter,  im  Format  19  X  23  cm: 

[Bl.  la]  Bey  dem  | ,  Leichengepränge  j  Leopold  des  Zweyten.  | 
(Strichmuster)  |  von  |  C.  v.  G.  |  Kupferstich,  9X7  cm  (ein  in 
Wolken  schwebender  Engel  mit  halbverhülltem  Haupte  preßt  beide 
Hände  auf  die  Augen;  links  ein  Teil  eines  pyramidalen  Grabmauso- 
leums sichtbar)  |  (langer  Strich)  |  The  Spider's  most  attenuated 
Thread  j  Is  Cord,  is  Cable,  to  Man's  tender  Tie  |  On  earthly  Bliss;| 
it  breaks  at  ev'ry  Breeze  |  Young.  |  (langer  Strich)  |  Wien,  1792. 
Bei  Joseph  Edlen  von  Kurzbeck,  |  k.  Hofbuchdrucker,  Gross-  und 
Buchhändler. 

[Bl.  ib]  (Langer  Doppelstrich.) 

Welch  eine  Nacht  I    Von  allen  Thürmen  hallet 
Der  Glocken  feyerlicher  Grabgesangj 

661 


Aus  der  durch  Fackeln  hellen  Ferne  wallet 
Der  Leichenzug,  und  tief  erschütternd  schallet 
Bedeckter  Trommeln,  heis'rer  Flöten  Klang*). 

Der  Zug  kommt  näher.    Langsam  rollt  der  Wagen 
Mit  seiner  theuern  Last  zur  Fürstengruft. 

O  Du,  zu  früh  zur  letzten  Ruh  getragen! 

Du  hörst  nicht  mehr  des  armen  Volkes  Klagen, 
Da»  dem  entrissnen  Vater  weinend  ruft! 

Zwey  Jahre  sind's,  —  Wo  sind  sie  hingeschwunden?  — 

Seit  wir  so  freudig  Dir  entgegensahn. 
Wir  hofften**)  Heilung  unsrer  tiefen  Wunden, 
Wir  sahn  Dich  im  Gefolge  bessrer  Stunden, 

Zu  unserm  Heil,  den  deutschen  Grenzen  nahn. 
[Bl.  2a]  (Kurzer  Doppelstrich.) 

Du  kamst,  und  jedes  Herz  schlug  Dir  entgegen. 

Mit  väterlicher,  ungesehner  Hand, 
Gleich  der  Natur  auf  still  verborgnen  Wegen, 
Verbreitetest  Du  Völkerglück  und  Segen, 

Und  dankbar  ehrte  Dich  das  Vaterland. 

Es  ruhte  voll  Vertrau'n  in  Deinen  Händen: 

So  ruht  der  Säugling  in  der  Mutter  Schooss; 
Ihm  jede  gute  Gabe  auszuspenden. 
Die  drohende  Gefahr  von  ihm  zu  wenden. 
War  keine  Müh,  kein  Opfer  Dir  zu  gross. 

Es  gieng  der  Frieden  aus  von  Deinem  Throne ; 

Und  ungeblendet  von  des  Ruhmes  Glanz, 
Zufrieden  mit  der  stillen  Eichenkrone, 
Entsagtest  Du  dem  stolzen  Heldenlohne, 

Dem  reitzenden,  dem  blut'gen  Lorbeerkranz. 

Auch  schien  sich  Erd'  und  Himmel  Dein  zu  freuen, 
Sie  öffnete  den  lang  verschlossnen  Schooss; 

Da  schwoll  die  Saat,  von  Wachsthum  und  Gedeihen, 

Da  standen  dicht  der  schweren  Halme  Reihen, 
Auf  die  der  Himmel  reichen  Segen  goss. 
[Bl.  2b]  (Kurzer  Doppelstrich.) 

Wir  träumten  schöne,  goldne  Träume  wieder. 
Und  sie,  die  uns  nie  ganz  verlassen  kann. 


•)  Im  Druck:  Ton. 
*•)  Im  Druck:  hoften. 


662 


Die  Hoffnung,  Hess  auf  schimmerndem  Gefieder 
Sich  doppelt  schön  aus  lauen  Lüften  nieder, 
Und  eine  heitre  Zukunft  lacht'  uns  an. 

O  Menschenglück!  du  schwebst  an  einem  Haare, 
Und  diess  zerreisst  des  Windes  kleinster  Hauch. 

Sie  sind  dahin,  die  Träume  bessrer  Jahre, 

Ach  an  des  besten  Fürsten  früher  Bahre, 
Verweht,  verstoben,  wie  ein  leichter  Rauch! 

Nein  Österreich  —  sie  sind  noch  nicht  verschwunden, 
'Noch  lebt  Sein  Sohn  —  O  lass  zu  Ihm  uns  fliehn! 
Er  selbst  empfand  den  Schmerz,  den  wir  empfunden, 
Es  wird  Erinnerung  an  gleiche  Wunden, 
Den  Vaterlosen  zu  den  Waisen  ziehn. 

Wir  flehn  zu  Dir  gleich  früh  verwais'ten  Kindern: 

O  thu  an  uns  wie  ältre  Brüder  thun! 
Du  kannst  allein  des  Volkes  Jammer  lindern, 
Den  Schmerz  um  Ihn,  den  wir  verloren,  mindern; 
Du  warst  uns  Bruder,  sey  uns  Vater  nun! 
(Ein,  in  der  Mitte  verdickter  Strich.) 
^^)  Über  Josef  von  Dürfeid  erschien  bald  nach  seinem  Tode 
ein  warm  gehaltener  Nachruf  in:  Vaterländische  Blätter  für  den 
österreichischen  Kaiserstaat  1812,  S.  izöf. 

®^^)  und  '^)  Über  Martinovics  und  die  Jakobinerverschwörung 
in  Wien  wäre  noch  Schönholz,  Traditionen.  Hg.  von  G.  Gugitz, 
I,  S.  28  ff.  zu  vergleichen. 

^''*)  Zwei  Briefstellen  der  Pichler  beschäftigen  sich  ebenfalls  mit 
Barchetti;  so  fragte  sie  im  Februar  1805  bei  Schneller  in  Linz  nach 
Barchettis  Gesundheit  nach  (Schneller,  Hinterlassene  Werke,  I, 
[Leipzig  1834],  S.  261  f.)  und  im  März  1807  teilte  sie  Streckfuß  mit, 
daß  Barchetti  eine  Linzerin  zu  heiraten  gedenke  (K.  Glossy, 
Communal-Kalender,  XXXII,  S.  403). 

375)  über  den  Aufenthalt  Lafontaines  in  Wien  (18 11)  bietet 
Julius  Leisching  (Aus  dem  Tagebuche  eines  alten  Wieners.  Wien 
1907.  S.  70)  einiges.  Es  heißt  da  u.  a. :  „In  Gesellschaft  raufte 
man  sich  beinahe  um  ihn."  Karoline  Pichler  (Brief  an  K.  Streckfuß 
vom  10.  September  181 1:  K.  Glossy,  Wiener  Communal-Kalender 
XXXII,  S.  410  f.)  bemerkt,  daß  sich  Lafontaine  fast  nirgends  in 
Wien  aufführen  ließ,  denn  „sein  ganzes  Sein  war  im  Prater  bei 
den  Ringelspielen  und  Wirtshäusern". 

378)  Die  Gleichnisse  „Das  Wäldchen"  (26.  =  XXXIII)  und  „Der 
Berggipfel"  (21.  =  XXVI)  wurden  18 10  in  „Der  Sammler"  (II, 
S.  269 f.)  nachgedruckt. 

663 


•™)  über  Otto  Wiser  vgl.  man  noch  die  Biographie  in  (A. 
Kerschbaumer),  Jubileums-Catalog  des  Bisthums  St.  Polten.  St. 
Polten  1884,  S.  287.  Hier  sind  auch  (S.  288,  289,  304)  die  oben 
S.  517  Anm.  351  erwähnten  Piaristen  Stephan  Becker  (1755  bis 
1825)  und  Franz  Barger  (1769 — 1843)  biographisch  behandelt. 

^^)  Der  Arzt  Dr.  med.  Boer  in  Trebitsch  ist  mit  dem  außerordent- 
lichen Professor  für  Frauen-  und  Kinderkrankheiten  an  der  Uni- 
versität Wien  Dr.  Heinrich  Franz  Xaver  Boer  identisch,  der,  laut 
Heiratskontrakt,  seit  dem  24.  Jänner  1799  mit  Barbara  von  Kur- 
länder verehelicht  war  und  seit  1808  an  der  Wiener  Universität 
wirkte^  (vgl.  seinen  Verlassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes,  Fasz.  II,  Nr.  1390  ex  1821;  Th.  Puschmann, 
Die  Medicin  in  Wien,  S.  201,  305).  Er  schrieb  ein  Werk  über  den 
Kinderorganismus  (Versuch  einer  Darstellung  des  kindlichen 
Organismus.  Wien  18 13).  Er  starb  nach  sechsmonatlicher  schwerer 
Erkrankung  in  Hietzing  (jetzt  Wien  XIII)  am  18.  Juli  1821  (Ver- 
lassenschaftsakt; F.  H.  Böckh,  Wiens  lebende  Schriftsteller,  S.  9 
u.  541).  Seine  Bücher  (375  Nummern)  wurden  in  seiner  Stadt- 
wohnung Qudenplatz  Nr.  404)  versteigert,  worüber  ein  Katalog 
(liegt "dem  Verlassenschaftsakt  bei)  erschien  (Verzeichniß  einer 
Sammlung  größtentheils  medizinischer  Werke,  welche,  den  29.  No- 
vember 1821  angefangen,  täglich  ....  öffentlich  versteigert  werden. 
Wien,  gedruckt  bey  J.  G.  Binz.  4».  IV  und  28  S.),  der  bei  Karl 
Kupfer  (in  der  oberen  Breunerstraße)  um  6  kr  zu  haben  war.  Unter 
den  Büchern  befand  sich  auch  Pichlers  „Olivier"  (Wien  1803; 
Verzeichniß  S.  5,  Nr.  86),  der  um  i  fl.  30  kr  wegging.  Boers 
Ehe  mit  Barbara  Kurländer  war  kinderlos. 

^^)  Der  wirkliche  Hofrat  und  Referendarius  der  kgl.  ungarischen 
Hofkanzlei  in  Wien  Michael  von  Wlassics  war  zweimal  verehelicht. 
Seine  erste  Frau  war  Josefa,  geb.  Redl  von  Rottenhausen,  die  am 
6.  September  1789  in  Wien  (Franziskanerplatz  Nr.  949)  unter  Hin- 
terlassung der  Töchter  Josefa  (geb.  28.  Oktober  1778)  und  Anna 
(geb.  15.  Juni  1789)  starb  (vgl.  ihren  Verlassenschaftsakt  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes.  Fasz.  V,  Nr.  99  ex  1789).  Er  heiratete 
dann  Anna  v.  Adda,  die  ihm  zwei  Söhne,  Johann  Baptist  (geb. 
2.  Oktober  1793)  und  Karl  (geb.  19.  Dezember  1795),  schenkte; 
er  selbst  starb  am  10.  Oktober  1799  in  der  Neuschottengasse  Nr.  108 
der  Vorstadt  St.  Ulrich  (vgl.  seinen  Verlassenschaftsakt,  ebd., 
Fasz.  V,'Nr.'i34  ex  1799). 

Der .  Schwiegersohn  der  Frau' Anna  von  Wlassics  ist  Josef  v. 
Wlassics,  der  1804  Hofkonzipist  in  der  kgl.  ungarischen  Hofkanzlei 
war  und  in  der  Adlergasse  Nr.  141  am  Alsergrund  wohnte  (Schema- 
tismus inclyti  regni  Hungariae.  Budae  1805,  Sp.  123).  1809  wurde 
er  Hofsekretär  in  der  Hofkanzlei  und  zugleich  erster  Assessor  der 

664 


Preßburger  Gerichtstafel  (ebd.  1810,  S.  102).  Er  starb  jedoch 
bereits  am  21.  November  1813  in  Wien  (im  Bürgerspital  Nr.  iioo) 
unter  Hinterlassung  von  vier  Kindern  (Anton,  geb.  28.  Mai  1804; 
Juliana,  geb.  14.  November  1805;  Benedikt,  geb.  2.  Februar  1807, 
und  Elisabeth,  geb.  28.  Februar  18 13)  und  seiner  Frau  Josefa,  ge- 
bornen  von  Wlassics  (vgl.  seinen  Verlassenscliaftsakt  im  Archiv 
des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V,  Nr.  200  ex  18 13).  Als  diese 
am  18.  Mai  1837  zu  Alland  bei  Baden  starb,  da  lebten  von  den 
Kindern  nur  mehr  Anton  (Konzeptspraktikant  der  k.  k.  Hof- 
kammer) und  Julie,  die  in  der  Alservorstadt  (Rotes  Haus)  wohnte 
(vgl.  den  Verlassenschaftsakt  der  Josefa  von  Wlassics  im  Lan- 
desgerichtsarchiv, Fasz.  V,  Nr.  116  ex  1837).  Aus  letzterem 
geht  auch  hervor,  daß  der  Stiefbruder  Karl  der  Frau  Josefa  von 
Wlassics  1837  Hauptmann  bei  Bakonyilinieninfanterie  (Nr.  33)  in 
Mailand  war. 

**>^)  Faßbender,  den  Joh.  Friedr.  Reichardt  (Vertraute  Briefe, 
geschrieben  auf  einer  Reise  nach  Wien,  I  [Amsterdam  1810], 
S.  234)  als  rechtlich  und  uneigennützig  hinstellt  und  dessen  Unter- 
haltung er  mit  verständig  und  angenehm  bezeichnet,  war  Fried- 
rich V.  Schlegels  Gönner  (ebd.  II,  S.  45).  Als  er,  43  Jahre  alt, 
starb,  widmete  ihm  die  „Wiener-Zeitung"  (1809,  Nr.  23,  S.  i3iof.) 
einen  warmen  Nachruf.  Vgl.  noch  Schönholz,  Traditionen.  Hg. 
von  G.  Gugitz,  I,  S.  160 f.,  3i4f. 

*23)  Karl  Unger  wohnte  in  Pichlers  Nähe,  beim  Auge  Gottes 
in  der  Josefstadt  (Nr.  22),  wo  ihn  A.  W.  Böttiger  einigemale  be- 
suchte (A.  H.  Lier,  Grillp.  Jahrb.  XIII.  S.  138,  139;  F.  H. 
Böckh,  Wiens  lebende  Schriftsteller  usw.,  Wien  1822,  S.  53). 
Ungers  oben  S.  249  erwähnte  Frau  hieß  Anna,  wie  aus  dem  Ver- 
lassenschaftsakt (Archiv  des  Wiener  Landesgerichtes,  Fasz.  V, 
Nr.  122  ex  1808)  ihrer,  am  7.  Juni  1808  in  der  Alservorstadt 
Nr.  17  verstorbenen  Mutter  Barbara,  verwitweten  Freiin  von  Kar- 
winsky,  geb.  Freiin  Mladota  von  Solopisk,  hervorgeht. 

*^  Außer  dem  Arzt  Thomas  Franz  Closset  gab  es  noch  einen 
zweiten  Arzt  dieses  Namens  in  Wien,  den  aus  Malmedy  in  d^r 
Rheinprovinz  stammenden  Dr.  med.  Nikolaus  Closet,  der  ebenfalls 
außerhalb  der  Wiener  medizinischen  Fakultät  stand.  Dieser,  der 
auf  der  Mölkerbastei  Nr.  91  wohnte,  starb  am  27.  September 
1824  in  Wien,  70  Jahre  alt,  als  Junggeselle  und  überaus  reicher 
Mann  und  wurde  am  Währinger  Allgemeinen  Friedhof  beigesetzt 
(vgl.  seinen  Verlassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener  Landes- 
gerichtes, Fasz.  II,  Nr.  321  ex  1824;  E.  M.  Hampeis,  Chrono- 
logische Epigraphik  der  Friedhöfe  Wiens,  I,  [Wien  1833],  S.  87, 
Nr.  568).  Karoline  Pichler  wird,  ihrer  Namensschreibung  zufolge, 
Nikolaus  Closet  meinen. 

665 


44*a)  Josef  SchrcTvogel  nennt  die  „Ruth"  der  Pichler  ein  ziem- 
lich unbedeutendes  Gedicht  (Tagebücher.   Hg.  von  K.  Glossy.  I.  , 
[Berlin  1903],  S.  269  unterm  12.  Dezember  18 13). 

494)  und  *®®)  Als  Eduard  Bauernfeld  im  Dezember  1841  Werners 
„Das  Kreuz  an  der  Ostsee"  und  „Wanda"  wieder  las,  fand  er, 
daß  doch  noch  niemand  auf  der  ganzen  Welt  so  hirntolles  Zeug 
geschrieben  habe  (Aus  Bauernfelds  Tagebüchern.  Hg.  von  K.  Glossy. 
I.  [Wien  1895],  S.  95  Nr.  347). 

***)  Die  Schönheit  der  Frau  von  Nuys,  von  der  die  Pichler 
(oben  S.  314)  spricht,  begeisterte  Vater  Gleim  zu  folgendem  Ge- 
dicht (Apollonion.  Ein  Taschenbuch  zum  Vergnügen  und  Unter- 
richt auf  das  Jahr  1809.  Wien  1809,  S.  74;  fehlt  in:  J.  W.  L. 
Gleim,  Sämmtliche  Werke.  Hg.  von  W.  Körte.  Leipzig  181 1 
big  18 13.    7  Bände): 

Inpromptu   bey   dem   unvermutheten   Besuche   der   Frau 
'  von  Nuys  aus  Bremen. 

Erscheinung  wärst  du  mir  erschienen 

Mit  aller  Lieblichkeit  in  deinen  holden  Mienen, 

Als  noch  mein  lockig  Haar  um  meine  Schultern  hing, 

Ich  Graff,  des  Mahlers,  Lob  empfing: 

Tyrtäus  war'  ich  nicht  geworden. 

Getreten  war'  ich  nur  in  Amors  Ritterorden; 

Und  hätte  dann  dein  Herz  mein  Flehen  nicht  erweicht, 

Petrarka  war'  ich  jetzt  vielleicht. 

^')  Besonders  glänzte  Flora  Gräfin  Wrbna-Kageneck  in  lebenden 
Bildern.  Josef  von  Hammer  widmete  ihrer  Magdalena  in  einem 
Tableau  nach  Correggio  ein  höchst  lobendes  Gedicht  (An  die  Frau 
Gräfin  Flora  v.  W.  Als  Magdalena  in  einem  Tableau  nach  dem 
Gemähide  des  Correggio :  Apollonion.  Ein  Taschenbuch  zum  Ver- 
gnügen und  Unterricht  auf  das  Jahr  1809.    Wien  1809,  S.  $8  f.). 

^  Über  A.  W.  Schlegels  Wiener  Vorlesungen  bringt  noch 
einiges  Karl  Wagner  (Archiv  für  österreichische  Geschichte,  CIV, 
I  [Wien  1913],  S.  203  Anm.  i,  210  Anm.)  bei. 

^1)  Den  Nachweis,  daß  die  italienische  Agathoklesübersetzung 
von  Rasori  nach  der  französischen  der  Madame  Montolieu  gear- 
beitet sei  (oben  S.  593;  II,  S.  176  mit  Anm.  299),  erbrachte  J.  B. 
Bolza  in  seiner  „Rivista  Viennese"  (II,  [Wien  1838],  S.  248  ff.), 
der  den  i.  Brief  des  „Agathokles"  deutsch,  französisch  (Montolieu) 
und  itahenisch  (Rasori)  gegenüberstellte,  außerdem  eine  wörtliche 
itaHenische  Übersetzung  aus  seiner  Feder  beifügte. 

^^3)  Der  von  Karoline  Pichler  S.  3Sif.  (vgl.  noch  II,  S.  270) 
gewürdigte  französische  Leutnant  Raymond  hieß  Joseph  Esprit. 
Er  war  am  14.  Mai  178 1  zu  Aix  (Bouches  du  Rhone)  geboren  und 

666 


trat  am  5.  Dezember  1803  ah  Schüler  in  die  Ecole  Polytechnique. 
1805  wurde  er  Unterleutnant  im  25.  Infanterieregiment  und 
1807  Leutnant  und  Personaladjutant  des  Generals  Petit.  1809 
kam  er  nach  Wien  und  war  jedenfalls  vor  der  Schlacht  bei  Wagram 
(6.  Juli  1809)  bei  der  Pichler.  einquartiert.  In  dieser  Schlacht 
wurde  er  als  Kapitän  des  100.  Infanterieregiments  verwundet 
und  starb  am  30.  Juli  1809  an  seinen  Verletzungen  in  Wien  (Freund- 
liche Auskünfte  des  „Bureau  des  Archives  Administratives"  des 
„Minist^re  de  la  Guerre"  in  Paris).  Karoline  Pichler  ahnte  nicht, 
daß  diesen  lebhaften  und  geistreichen  jungen  Mann  so  bald  das 
Verhängnis  traf  und  ihn  Wiener  Erde  deckte. 

«"5)  Je  ein  Akt  von  „Sargines"  mit  folgendem  Ballett  wurde 
in  Schönbrunn  am  6.  VIII.  und  4.  IX.  1809  aufgeführt  (Wiener 
Hof-Theater  Taschenbuch  auf  das  Jahr  18 10,  S.  60,   61). 

'^)  Über  Toni  Adambergers  Verkehr  bei  der  Pichler  in  späteren 
Tagen  vgl.  noch  L.  A.  Frankl,  Erinnerungen.   Prag  19 10,  S.  106  f. 

™')  A.  W.  Böttiger  fand  bei  seinem  Besuche  in  Wien  (18 11) 
Nina  Hartl-Schiffenhuber  liebenswürdig  (A.  H.  Lier,  Grillp.  Jahrb. 
XIII.  S.  133). 

')  Laut  freundlicher  Mitteilung  des  hochw.  Herrn  Feldsuperiors 
E.  Kemeny  des  k.  u.  k.  Feldsuperiorats  des  9.  Korps  in  Temesvär 
(Ungarn)  enthält  die  Matrik  des  Infanterieregiments  Nr.  29  über 
die  Geburt  der  Charlotte  Hieronymus  folgende  Eintragung:  „16. 
Aprilis  1739  baptisata  est  Charlotha.  Parentes:  D.  Vexilifer 
Augustus  Siegfridus  (1)  Hyeronimus  et  Anna  Elisabetha.  Patrini: 
D.  Simon  Fischer  vexilifer  et  Ursula  uxor  ejus,  Brodae  in  Slavonia." 

"')  Laut^  Heiratsprotokoll  im  k.  u.  k.  Kriegsarchiv  in  Wien 
heiratete  Oberstleutnant  Ferdinand  Freiherr  v.  Kempelen  im 
Februar  1803  Katharina  von  Josef owitz. 

^  Von  Karl  v.  Kirchstättern  heißt  es  (Taschenbuch  für  die 
Schaubühne  auf  das  Jahr  1793.  Gotha,  S.  72),  daß  er  in  Schröder- 
schen  Rollen  auf  dem  Privattheater  der  Gräfin  Stockhammer  in 
Wien  einer  der  besten  Privatschauspieler  war,  denn  er  spielte  „mit 
so  viel  Wahrheit  und  Feuer,  daß  es  Momente  gibt,  da  man  den 
großen  Schröder  zu  hören  glaubt.  Sein  schlanker  Wuchs,  sein 
Gebärden-  und  Mienenspiel,  sein  hohler,  Schröders  Stimme  ähn^ 
lieber  Ton  kommen  ihm  darin  trefflich  zu  statten"  (ebd.  S.  75). 
Als  er  und  seine  Frau  1793  am  gleichen  Theater  im  Stücke  „Der 
Bürgermeister"  von  F.  A.  Grafen  von  Brühl  mitwirkten,  da  hieß 
es  von  ihrem  Spiel  (ebd.  1794,  S.95f.),  es  war  „Frau  v.  Kirchstetter 
als  Mutter,  was  sie  seyn  sollte;  und  Hr.  v.  Kirchstetter  als  Bettler 
mehr,  als  vielleicht  noch  irgend  ein  Schauspieler  in  dieser  RoUe 
war.  In  der  Szene,  in  welcher  er  dem  Bürgermeister  seine  Leiden 
erzählt,  litt  und  weinte  alles  mit  ihm  ....    Mit  einem  Worte  1 

667 


er  spielte,  daß  wir  über  die  Natur  seines  Spiels  der  Kunst  vergaßen 
und  zuletzt  froh  waren,  daß  es  Kunst  sey  und  er  im  Grunde  lebe. 
Meister  und  'Kenner  der  Kunst,  die  gegenwärtig  waren,  zollten 
dem  Künstler,  als  sie  aus  ihrer  Täuschung  erwachten,  ein  leises: 
das  ist  viel  mehr,  als  ich  je  gesehen!"  —  Auch  im  Stücke  von 
Spieß  „Folgen  einer  einzigen  Lüge"  am  gleichen  Theater  spielte 
Frau  v.  Kirchstättern  trefflich,  während  Herr  v.  Kirchstättern 
als  Major  „einzig"  war  (ebd.  1794,  S.  97).  Am  Schrämbischen 
Privattheater  spielten  beide  1793  ebenfalls  ausgezeichnet,  besonders 
aber  Herr  v.  Kirchstättern  in  Kotzebues  „Kind  der  Liebe"  (ebd. 
1794.  S.  99). 

^  Ein  zweiter  Bericht  über  das  Greinersche  Privattheater  im 
Jahre  1791  findet  sich  im  „Taschenbuch  für  die  Schaubühne  auf 
das  Jahr  1793"  (Gotha,  S.  78);  er  folge  hier:  „Herr  Hofrath  v. 
Greiner,  dieser  bekannte  würdige  Staatsmann,  scheint  das  Vor- 
urtheil  wider  Privat-Schauspiele  und  Schauspieler  nicht  nur  von 
sich  geworfen,  sondern  sich  öffentlich  für  dieselben  erklärt  zu  haben, 
da  er  seiner  FamiHe  im  eignen  Hause  eine  Schaubühne  errichten 
ließ,  worauf  einige  Monathe  hindurch  —  nämlich  wenn  das  Stock- 
hammerische Theater  pausirt  —  mit  Zuziehung  einiger  Freunde 
und  Bekannten  gespielt  wird.  Nebst  seinem  Hrn.  Sohn  und  Fräu- 
lein Tochter,  nebst  dem  berühmten  Hrn.  v.  Alxinger  spielen 
einige  von  der  Stockhammerischen  Gesellschaft  mit.  Von  einem 
Manne,  wie  Alxinger,  und  einem  Fräulein,  wie  Karoline  von  Grei- 
ner ist,  läßt  sich  vermuthen,  daß  sie  nur  richtig  spielen  können. 
Hr.  v.  E  .  .  .  1  [Eberl]  ist  ganz  Anstand.  Hr.  Joseph  Li ...  1  [Lissel] 
ist  in  niedrig  komischen  Rollen  glücklich." 

Josef  Lißl,  der  mit  dem  Herrn  L**  (oben  S.  476,  Anm.  224) 
identisch  ist,  war  damals  (1792)  Accessist  im  Expedit  des  k.  k. 
Direktoriums  (Hof-  und  Staatsschematismus,  1793,  S.  20)  und 
wohnte  in  der  Himmelpfortgasse  1355  bei  seinem  Vater  Ignaz 
Ferdinand  Lißl,  der  Grundbuchamtsverwalter  der  k.  k.  Staats- 
güteradministration war  (ebd.  1793,  S.  151).  Er  besaß  ein  Privat- 
theater (oben  S.  489,  Anm.  282),  an  dem  Eberl  wirkte,  den  die 
Schwester  Maria  Anna  liebte.  Josef  starb  als  pens.  Hofsekretär 
am  27.  Mai  1828  in  Hadersdorf  (Landesgerichts- Archiv,  Fasz.  II, 
Nr.  1402   ex   1828). 

^')  Noch  1840  schrieb  Karoline  Pichler  in  einem  ihrer  Briefe 
an  L.  A.  Frankl  (Frankls  Sonntags-Blätter,  III,  S.  79)  über  die  Stoa 
und  das  Christentum,  daß  diese  nicht  entgegengesetzt  seien, 
sondern  nur  verschiedene  Wege  wandelten,  das  höchste  Gut  zu 
suchen. 

^  Das  Gedicht  „Der  junge  Eichbaum  und  die  Weide.  Eine 
Fabel"  erschien  zuerst  1838  in  der,  von  J.  B.  Bolza  herausgegebenen 

668 


„Rivista  Viennese"  (I,  [Wien  1838],  S.  224 f.)  mit  einer  italienischen 
Übersetzung  von  Professor  Ab.  Nicola  Negrelli.  Diese  Zeitschrift, 
welche  den  Italienern  die  deutsche  und  den  Deutschen  die  italieni- 
sche Literatur  in  Originalen  nebst  Übersetzungen  vermitteln 
wollte,  enthielt  auch  noch  eine  Übertragung  der  Pichlerschen 
Novelle  „Das  Turnier  zu  Worms"  als  „II  torneo  di  Worms"  (IV, 
[Wien  1838],  S.  351  ff.);  als  Übersetzer  zeichnete  G.  O.  Weiters 
findet  sich  hier  der  Erstdruck  ihres  Gedichtes  „Die  Rückkehr  des 
Kreuzfahrers"  (I,  S.  3  60  ff,),  dem  das  itaHenische  Original  (II 
ritorno  del  crociato)  des  Dichters  Paride  Zajotti  di  Trento  bei- 
gegeben ist. 

^2)  Über  Eberl  als  Schauspieler  finden  sich  noch  einige  Angaben 
im  „Taschenbuch  für  die  Schaubühne  auf  das  Jahr  1794"  (Gotha 
1794).  Er  spielte  1793  den  Brizstein  im  Stück  „Der  Bürgermeister" 
vom  Grafen  F.  A.  von  Brühl  am  gräflich  Stockhammerschen  Theater 
und  zwar  (S.  96)  „wie  gewöhnlich  sehr  gut.  Schade,  daß  er  wohl 
lau,  aber  selten  warm  vrird  und  überhaupt  ihm  am  Feuer  fehlt, 
was  er  am  Anstände  zu  viel  hat".  Von  seinem  Spiel  in  „Pyramus 
und  Thisbe"  heißt  es  (S.  97):  „war  zu  viel  französischer  Akteur 
und  niemahls  kam  ihm  seine  Physiognomie  übler  zu  Statten  als 
hier."  Gelobt  vrird  sein  Siknik  in  den  „Folgen  einer  einzigen 
Lüge"  von  C.  H.  Spieß  (S.  97). 

^^*)  KaroUne  Pichler  berichtet  (oben  S.  156)  über  ein  Freund- 
schaftsverhältnis zwischen  A.  B.  Eberl,  einem  Grafen  und  einer 
Gräfin  und  meldet,  daß  Eberl  sogar  einige  Jahre  Hausgenosse  der 
Gräfin  war.  Unter  Berücksichtigung  von  Eberls  Wohnungen  und 
der  betreffenden  Hausbesitzer  kam  ich  (oben  S.  492,  Anm.  285  a) 
auf  die  Vermutung,  daß  eine  Gräfin  Salmour  gemeint  sei.  Diese 
Annahme  erweist  sich  aber  als  falsch.  Die  richtige  Lösung  ergibt 
sich  vielmehr  aus  devq.  kurzen  Bericht  eines  Unbekannten  (Taschen- 
buch für  die  Schaubühne  auf  das  Jahr  1794.  Gotha,  S.  98),  der 
über  das  Haustheater  der  Gräfin  von  Sinzendorf  in  Wien  zum 
Jahre  1793  meldet,  daß  ihm  die  Herrn  E  .  .  1  (Eberl)  und  AI .  .  ger 
(Alxinger)  als  ausgezeichnete  Mitglieder  angehören,  neben  denen 
noch  Graf  und  Gräfin  Ku  .  .  stein  (Kuefstein)  hervorragen.  Von 
letzterer  heißt  es,  siel  sei  „eine  der  belesensten  und  liebenswürdig- 
sten Damen  unsrer  Stadt",  übertreffe  „in  der  Richtigkeit  der  Dekla- 
mation und  Empfindung  die  ersten  Schauspielerinnen  unsrer 
Nationalbühne"  und  ihr  diesjähriges  (1793)  Meisterstück  sei  „die 
gute  Tochter"  gewesen.  Diese  Gräfin  Kuefstein,  die  mit  Maria 
Theresia  Gräfin  Kuefstein,  gebornen  Gräfin  Colloredo  (1763  bis 
1800),  gleichzusetzen  ist,  war  die  Freundin  Eberls.  Mit  dem 
Vizepräsidenten  der  niederösterreichischen  Regierung,  Musik- 
liebhaber und   Hofmusikgrafen  Johann   Ferdinand   (III.)   Grafen 

669 


Kuefstein  (1752 — 1818;  Wurzbach,  XIII,  S.  3i7f.)  seit  1781 
vermählt,  wohnte  Gräfin  Maria  Theresia,  die  dem  Hofstaate  der 
Kaiserin  Maria  Theresia  (von  Neapel)  angehörte,  in  den  Jahren 
1797 — 1800  im  Hause  Dorotheergasse  1183  (Hof-  und  Staats- 
schematismus, 1798,  S.  372;  1799,  S.  379),  in  welchem  Hause 
auch  Eberi  von  1797 — 1800  seine  Wohnung  hatte  (ebd.  1798, 
S.  35;  1800,  S.  46).  Hier  starb  auch  die  Gräfin  am  14.  März  1800 
(vgl.  ihren  Veriassenschaftsakt  im  Archiv  des  Wiener  Landes- 
gerichtes, Fasz.  V,  Nr.  45  ex  1800),  also  vor  Anna  Maria  Lißl 
(gest.  1804)  und  nicht  später,  wie  Pichler  (oben  S.  156)  meint. 
Sie  vermachte  Eberl,  der  sowohl  das  Testament  vom  i.  März  1800, 
als  dessen  Kodizill  vom  3.  März  1800  als  erbetener  Zeuge  unter- 
fertigte, „zu  einem  Angedenken  meine  Sackuhr,  die  ich  bei  meinen 
Lebzeiten  getragen  habe"  (§10  des  Testaments:  Archiv  des  Wiener 
Landesgerichtes,  landrechtliche  Testamente  Nr.  33  ex  1800).    '■■■-  * 

^  Zu  der  Zusammenstellung  der  Dienstreisen  des  Regierungs- 
rates Andreas  Pichler  (oben  S.  500)  wäre  noch  beizufügen,  daß  er 
im  Juni  1808  in  Oberösterreich  war,  denn  am  14.  Juni  kam  er  von 
Enns  nach  Wien  zurück  (Vaterländische  Blätter  für  den  österr. 
Kaiserstaat.  1808,  S.  105).  Für  die  Reise  nach  Linz  und  Lilienfeld 
im  Jahre  18 15  (II,  S.  79  ff.),  die  fünf  Wochen  dauerte  und  während 
der  Karoline  Pichler  sehr  schöne  Gegenden  sah  und  „manche 
Idee,  manchen  Stoff  zu  neuen  Arbeiten"  faßte,  vgl.  noch  eine 
Stelle  in  einem  Brief  an  Streckfuß  vom  6.  November  18 15  (K. 
Glossy,  Wiener  Communal-JCalender,  XXXII,  S.  411). 

871)  Der  Vollständigkeit  halber  sei  auf  ein  soeben  erschienenes 
Feuilleton  von  Franz  Kerschbaumer  „Die  Alserstraße"  (Alt  Wiener 
Erinnerungen:  Deutsches  Volksblatt  Nr.  8938  vom  22.  November 
19 13  [Wien],  Morgenausgabe)  verwiesen,  in  dem  auch  das  Haus  der 
Pichler,  sowie  diese  selbst  gewürdigt  wird.  Die  meisten  Angaben 
sind  aber  völlig  falsch;  betreffs  des  Hauses  sei  bemerkt,  daß  Prof. 
Oppolzer  dasselbe  1858  nicht  neu  baute,  sondern  nur  einen  dritten 
Stock  aufsetzte. 

8'2)  Johann  Ritter  de  Carro  hatte  1796  in  Wien  Maria  Anna 
von  Kurzböck  (geb.  1775)  geehelicht,  die  aber  bereits  am  9.  Jänner 
1800  an  der  Schwindsucht  starb  (vgl.  Memoires  du  Chevalier  Jean 
de  Carro.  Carlsbad  1855,  S.  17;  A.  Mayer,  Wiens  Buchdrucker- 
geschichte.   II,  S.  50  Aiim.  205).    Diese  ist  oben  S.  221  gemeint. 

609)  Rezensent  Gk.  (S.  572)  ist  in  den  Jahren  1802 — 1806  Re- 
gierungsrat von  Rohr  in  Berlin  (vgl.  Gust.  Parthey,  Die  Mit- 
arbeiter an  Friedrich  Nicolais  Allgemeiner  Deutscher  Bibliothek. 
Berlin  1842,  S.  22,  41). 

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIMIIIIIIIIIIIUIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIilllllllllllllllllll 


VERZEICHNIS  DER  BILDBEIGABEN 


iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiniiiiiiiniiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiilirninniiMiiiniiniiininiiiiiiiiimnimiimninninin 


Im  ersten  Band: 

•i.  Karoline   von   Grelner,    Pastellbildnis   von 

Gabriele  Beyer  (1786) Vor  dem  Titel 

2.  Kaiserin  Maria  Theresia.    Unsigniertes  Pastell- 
gemälde.  Vor  S.    17 

•3.  Charlotte    von    Greiner.     Anonyme    Bleistift- 
zeichnung   Vor   S.    25 

4.  Franz  Sales  von  Greiner.   Stich  von  J.  E.  Mans- 

feld Vor  S.  33 

5.  Josef  Anton  Steffann.  Anonyme  Silhouette  .    .  Vor  S.  41 

6.  Franz  Josef  V.  Ratschky.  Stich  von  Friedrich  John  Vor  S.  49 

7.  Lorenz  Leopold  Haschka.  Silhouette  von  Hiero- 

nymus  Löschenkohl Vor  S.    57 

8.  Gottlieb    Leon.     Silhouette   von    Hieronymus 
Löschenkohl .    Vor  S.    81 

9.  Karoline  von  Greiner.     Qu.  Mark  del.  et.  sc.    Vor  S.    97 
10.  Johann  Baptist  von  Alxinger.  Stich  von  E.  Henne    Vor  S.  113 

•11.  Karoline  und  Franz  Xaver  von  Greiner.  Un- 
signiertes Ölgemälde  (ca.  1785) Vor  S.  129 

•12.  Karoline   von    Greiner   (?).     Pastellbildnis   von 

Gabriele  Beyer  (1786) Vor  S.  145 

13.  Gabriele    Baumberg.     Gemälde    von    Heinrich 

Füger Vor  S.  153 

14.  Josef  Anton   Gall.    G.  Monsomo  ad  vivum,  C. 

Pfeiffer  sc Vor  S.  161 

15.  Ignaz  Karl  Graf  Chorinsky.  C.  Sales  pinx.,  B.  de 
Schrötter  lith Vor  S.  177 

16.  Maria  Theresia  von  Paradis.    Wachsbüste     .    .    Vor  S.  193 

17.  Allgemeines  Wiener  Aufgebot  des  Jahres  1797. 
Kolorierter  Stich  von  Josef  Eder,  nach  Joh.  Ada- 

mek Vor  S.  201 

•18.  Franz  Sales  von  Greiner.  Ölgemälde  von  Hubert 

Maurer Vor  S.  209 

19.  Michael  Denis.   C.  Caspar  pinx.,  C.  Kohl  sc. .    .    Vor  S.  225 

20.  Josef  von  Sonnenfels.  F.  Mesner  pinx.,  J.  Jacobe 

sc , Vor  S.  233 

•  Bisher  unveröffentlichte  Originale. 

43  c.  p.  I  673 


21.  Karoline  Ungher-Sabatier.    Lithographie  von  J. 
Kriehuber  (1839) ^°^  S.  249 

22.  Heinrich  von  CoUin.    J.   Lange  pinx.,  Friedr. 

John  sc Vor  S.  257 

23.  Julius  Schneller.    Unsignierte  Lithographie  .    .    Vor  S.  265 

24.  Maria  Luigi  Carlo  Cherubini.   Anonymer  Stich 
jjFriedr.Johni') Vor  S.  273 

25.  Girolamo  Crescentini.   Stich  von  Friedrich  John    Vor  S.  281 

26.  Franz  Kurz.    Leopold  Schulz  pinx.,  Friedrich 

Leybold  lith Vor  S.  289 

27.  Therege  Huber.    Unsignierte  Miniatur  ....    Vor  S.  305 

28.  Anne  Louise  Germaine  baronne  de  Stael.    A. 

Maurin  pinx.,  de  Villain  lith Vor  S.  321 

•29.  Antonie  von  Kempelen.    Unsignierte  Miniatur   Vor  S.  337 
30.  K.  A.  Varnhagen  von  Ense.   Lithographie  von 

Loeillot  de  Mars Vor  S.  361 

•31.  ^^ener  Porzellan   aus   Karoline  Pichlers  Besitz   Vor  S.  369 

32.  Karoline  Pichler.  Anonymer  Stich  (Quirin  Mark  ? 

oder  Friedr.  John  ?) Vor  S.  377 

33.  Toni  Adamberger  als  Emilie   Galotti.    Photo- 
graphie nach  einem  Gemälde  von  Jos.  Lange  .    Vor  S.  393 

34.  Josef  Freiherr  von  Hormayr.   Stich  von  Thomas 
Benedetti Vor  S.  409 

35.  Clemens  Brentano.  Anonymer  Stich  nach  L.  E. 
Grimm,    1837.   (vgl.  Zeitschrift   für    Bücher^ 

freunde.    IX.  i,  S.  196) Vor  S.  425 


llltltlltlllllllHIIIIIIIIIIllllllllllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllltlllllllllllllllllllinilllllllMHIII 


674 


aMIIIIIUniMlllllllllllllltnilllUlllllllllllllMIIIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIHMIIIIHIIIIIMMIIIIIIIIIIMMIillllllinirillllHIHIIMItll^ 


DKUCKFEHLERBERICHTIGUNG 

Zum  ersten  Band 

S.     73,  Z.  2  von  oben  lies:  **^) 

S.  178,  Z.  9  von  unten  lies:  hatte 

S.  202,  Z.  3  von  oben  lies:  niemand 

S.  271,  Z.  3  von  oben  lies:  Straße  in 

S.  280,  Z.  7  von  oben  lies:  Tagen,  um  an ... . 

S.  291,  Z.  5  von  oben  lies:  zugeschrieben 

S.  297,  Z.  12  von  unten  lies:  Hofrät  Wallnau 

S.  302,  Z.  4  von  oben  lies:  Lacrimas 

S.  438,  Z.  7  von  oben  lies:   1732 
Z.  8  von  oben  lies:  1730 

S.  444,  Anm.  40,  Z.  2  lies  ,dem'  statt  ,der' 

S.  476,  Anm.  224,  Z.  8  statt  , Leon'  lies  ,Lißr 

S.  484,  Z.  10  von  oben  lies:   11 1  nicht  III 

S.  487,  Anm.  273^  Z.  i  lies:  Giuseppe 


INHALTSVERZEICHNIS 

,  Seite 

Einleitung VII 

Erstes  Buch  (1769 — 1798) i 

Zweites  Buch  (1798— 1813) 213 

Anmerkungen 435 

Nachträge  zu  den  Anmerkungen    . 651 

Verzeichnis  der  Bildbeigaben 671 

Druckfehlerberichtigung 675 


1  -» 


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Gedruckt  von  der  Spamerschen  Buchdruckerei  in  Leipzig.  Buch- 
ausstattung von  Paul  Renner.  Einhundertfünfzig  Exemplare 
wurden  auf  holländisches  Bütten  abgezogen   und  in  Ganzleder 

gebunden.