1
MAÜCUSE, Julian
Bäder und Badewesen in
Vergangenheit und Gegenwart.
1903.
Bäder und Badewesen
IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART.
EINE KULTURHISTORISCHE STUDIE
VON
Dr. med. JULIAN MARCUSE
CORRESFOND. MITGLIED DER SOCIETE FRANCAISE D'HYGIENE IN PARIS, DER SOCIETE
ROYALE DE MEDECINE PUBLIQUE IN BRÜSSEL.
MIT 22 ABBILDUNGEN.
»
STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1903.
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Handbuch der Praktischen Medicin.
Unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrter
redigiert von
Dr. W. EBSTEIN und Dr. J. SCHWALBE
Geheimer Medicinalrat, o. Professorin Göttingen Herausgeber der Deutschen med. Wochenschrift
herausgegeben von
Fünf Bände. W. EBSTEIN. Fünf Bände.
I. Band. Die Krankheiten der Athmungs- und Kreislaufsorgane.
Bearbeitet vod Geh. Medicinalr.it Prof. Dr. König in Berlin, Prof. Dr. Lenhartz in Hamburg,
Prof. Dr. von Liebermeister in Tübingen, o. Prof. Dr. Romberg in Marburg, o. Prof. Dr. Strllbing
in Greifswald, Prof. Dr. Unverricht in Magdeburg.
Mit 114 Abbildungen, gr. 8°. 1899. Preis geh. M. 24 — ; in Halbfrz. geb. M. 27.—.
II. Band. Die Krankheiten des Blutes, der blutbereitenden
Organe und der Verdauungsorgane.
Bearbeitet von Geh. Medicinalrat Prof. Dr. Braun in Göttingen, Geh. Medicinalrat Prof. Dr.
Ebstein in Göttingen, Prof. Dr. Epstein in Prag, Prof. Dr. Kraus in Graz, Oberarzt Dr. Kümmel I
in Hamburg, Prof. Dr. Laache in Christiania, Prof. Dr. Pel in Amsterdam, Hofrat Prof. Dr.
Pribram in Prag, Privatdocent Dr. Sultan in Göttingen.
Mit 130 Abbildungen, gr. 8°. 1900. Preis geh. M. 26.60 ; in Halbfrz. geb. M. 29.60.
III. Band. 1. Theil. Die Krankheiten der Harnorgane und des
männlichen Geschlechtsapparates. Venerische Krankheiten.
Bearbeitet von Geh. Medicinalrat Prof. Dr. FUrbringer in Berlin, Prof. Dr. Jadassohn in Bern,
Oberarzt Dr. KUmmell in Hamburg, Prof. Dr. Leser in Halle a/S., Prof. Dr. Rosenstein in Leiden.
Mit 226 Abbildungen, gr. 8°. 1900. Preis geh. M. 15.— ; in Halbfrz. geb. M. 18.—.
III. Band. 2. Theil. Krankheiten der Haut. Die sogen. Konstitu-
tionskrankheiten. Krankheiten der Bewegungsorgane.
Bearbeitet von Prof. Dr. Damscll in Göttingen, Geh. Medicinalrat Prof. Dr. Ebstein in Göttingen,
Prof. Dr. Jadassohn in Bern, Geh. Medicinalrat Prof. Dr. Neisser in Breslau, Geh, Medicinalrat
Prof. Dr. J. Rosenbach in Göttingen.
Mit 99 Abbildungen, gr. 8°. 1901. Preis geh. M. 21.— ; in Halbfrz. geb. M. 24— .
IV. Band. Die Krankheiten des Nervensystems.
Bearbeitet von Geheimrat Prof. Dr. Eulenburg in Berlin, Geheimrat Prof. Dr. Jolly in Berlin,
Prof. Dr. Kölliker in Leipzig, Prof. Dr. Nicolaier in Berlin, Prof. Dr. Obersteiner in Wien,
Prof. Dr. Redlich in Wien, Geheimrat Prof. Dr. Schmidt-Rimpler in Göttingen, Prof. Dr. Steinhrügge
in Giessen, Prof. Dr. Ziehen in Utrecht.
Mit 48 Abbildungen, gr. 8°. 1900. Preis geh. M. 21.—; in Halbfrz. geb. M. 24.—.
V. Band. Psychiatrie. Infectionskrankheiten. Zoonosen.
Vergiftungen.
Bearbeitet von Geh. Medicinalrat Prof. Dr. Brieger in Berlin, Prof. Dr. Deliio in Dorpat, Dr. Finlay
in Havanna, Geh. Medicinalrat Prof. Dr. Harnack in Halle, Stabsarzt Dr. Marx in Frankfurt a. M.,
Prof. Dr. Mendel in Berlin, Prof. Dr. Nicolaier in Berlin, Oberarzt Dr. Reiche in Hamburg, Prof.
Dr. Rumpf in Bonn, Prof. Dr. J. Schwalbe in Berlin, Prof. Dr. Sticker in Giessen, Prof. Dr. Unver-
richt in Magdeburg, Prof. Dr. Wassermann in Berlin.
Mit 47 Abbildungen, gr. 8°. 1901. Preis geh. M. 21.— ; in Halbfrz. geb. M. 24.—.
Einbanddecken ä M. 1.60.
Bäder und Badewesen
IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART.
EINE KULTURHISTORISCHE STUDIE
Dr. med. JULIAN MARCUSE
CORRESPOND. MITGLIED DER SOCIETE FRANgAISE D'HYGIENE IN PARIS, DER SOCIETE
ROYALE DE MEDECINE PUBLIQUE IN BRÜSSEL.
MIT 22 ABBILDUNGEN.
STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1903.
Druck der Hoffmann sehen Buchdruckerei in Stuttgart.
HERRN PROF. Dr. 0. LASSAR,
DEM UNERMÜDLICHEN VORKÄMPFER
GEWIDMET.
Vorwort.
Als ich vor einigen Jahren in der „Deutschen Vierteljahrs-
schrift für öffentliche Gesundheitspflege" einen Cyklus von Auf-
sätzen über das Badewesen des Altertums und der Neuzeit ver-
öffentlichte, fand ich für dieses Thema ein so weitgehendes In-
teresse, welches sich in einer Fülle von Anfragen und Wünschen
um Ueberlassung von Separatabdrücken dokumentierte, dass ich
schon damals mich mit dem Gedanken einer Zusammenfassung
dieser zerstreuten, hie und da publizierten Aufsätze trug. Allein
mochte das kulturelle Bild, das ich von dem Badewesen des
Altertums und Mittelalters zu entwerfen suchte, auch Interesse
genug hervorrufen, die Neuzeit mit ihrem sozialen Ringen nach
Verbesserung der Volksgesundheitspflege und Volkswohlfahrt be-
durfte mehr als das, sie verlangte eine aktuelle, auf Statistik und
gesicherte Anschauung basierende Darstellung, sollte sie ein wahres
und getreues Bild des zeitgenössischen Badewesens und damit
den Boden für weitere Arbeit und weiteres Streben vorzeichnen.
Dieses dringende Verlangen konnte ich damals nicht erfüllen:
heute aber, wo inzwischen dank der unermüdlichen Thätigkeit
der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder eine umfassende Statistik
über den Stand des Volksbadewesens in Deutschland vorliegt,
6 Vorwort.
die auf eine absolute und lückenlose Vollständigkeit Anspruch
erheben darf, ist dies Hindernis beseitigt, und das Büchlein kann
seinen Weg in die Welt antreten.
Möge es in einer der elementarsten Fragen der allgemeinen
Gesundheitspflege, wie der Kultur überhaupt, in der Gegenüber-
stellung des „Einst" und des „Jetzt", zu neuem Thun anspornen
und damit der hehren Idee der kulturellen Hebung des Volkes
dienen !
Mannheim, im Januar 1903.
Dr. Julian Marcuse.
Inhalt.
Seite
I. Bäder und Badewesen im Altertum ... 9
1. Altorientalische Völker 9
2. Griechen 12
3. Römer 15
4. Badeeinrichtungen und Badeformen ... 21
5. Zweck der Bäder im Altertum 33
II. Bäder und Badewesen im Mittelalter ... 42
1. Oströmer und Türken 42
2. Westeuropäische Völker im frühen Mittelalter 43
3. Späteres Mittelalter 49
4. Badearten und Badegebrauch 52
5. Badeunsitten und Verfall 62
6. Kurbäder 67
7. Bader und Baderzünfte .... 77
III. Bäder und Badewesen der Neuzeit 81
1. Badewesen zu Anfang des XIX. Jahrhunderts 82
2. Badewesen im Orient 83
3. Osteuropäische Völker . . , 86
4. England 90
5. Frankreich .... 95
6. Deutschland 96
a) Badeanstalten ... 99
b) Volksbrausebäder ... . . 123
c) Fabrikbäder 130
d) Militärbäder 135
e) Schulbäder 136
7. Hygienische und diätetische Bedeutung des Badens 138
8. Badeeinrichtungen der Gegenwart 151
I. Bäder und Badewesen im Altertum.
Der öffentliche Gesundheitszustand eines Volkes hängt von
einer Reihe von Faktoren ab, von denen nicht der mindeste die
Reinlichkeit ist, die sich auf alle Beziehungen und Aeusserungen
des menschlichen Lebens zu erstrecken hat. Während nun aber
für die Reinigung der Städte und der öffentlichen Verkehrswege,
für Kanalisation und Assanierung, für reines und gutes Trink-
wasser in jedem Kulturstaate eine rationelle sozialhygieinische
Gesetzgebung sorgt, existiert für die Reinigung des Körpers kein
administrativer Kodex und einzig und allein die Zivilisationsstufe
des Volkes, seine Sitten und seine sozialökonomischen Verhält-
nisse bestimmen dieselbe. Die Sitte eines Volkes ist der mächtigste
Hebel, sozialhygieinische Massnahmen zur Durchführung zu
bringen, viel mächtiger als jede organisatorische Gesetzgebung,
und was sich den Lebensäusserungen der Menschen als gewohntes
planmässiges Thun einflicht, überdauert Jahrhunderte und wird,
gestützt und geleitet von einer weisen Gesetzgebung, zum Palladium
des Staatswesens.
So hat die antike Hygieine, welche weniger auf wissen-
schaftlichen, theoretischen Grundlagen als auf einer umfassenden
Anwendung alles dessen basierte, was man als heilsam erachtete,
und welche aus dem Empfinden und Denken des Volkes in
Gesetzgebung und Staatsleitung hervorgehend einen weisen
Schützer und Leiter fand, Griechen und Römer auf jene Höhe
der Kultur gehoben, vor der wir noch heute bewundernd stehen,
10 Bäder und Badewesen im Altertum.
und hat vor allem die Pflege des Körpers zu einer unabweis-
baren Pflicht des Lebensregimes gemacht.
Vorbildlich treten auch in unserem Zeitalter die hygieinischen
und diätetischen Massregeln jener alten Völker vor uns, in erster
Reihe ihre fast unerreichbaren Badeeinrichtungen, die zum wahren
Allgemeingut der gesamten Bevölkerung geworden waren.
Der Ursprung des Gebrauches der Bäder verliert sich in die
entfernteste Vorzeit. Schon in den fabelhaften Perioden der
Völkergeschichte findet man Spuren davon. Plato versichert nach
ägyptischen Traditionen, dass auf der grossen atlantischen Insel,
die der Ozean verschlungen haben soll, Bäder von grosser Pracht
und mannigfaltiger Einrichtung vorhanden gewesen wären.
Bei den ältesten Völkern, von deren Sitten und Gebräuchen
die Geschichte zuverlässige Nachrichten aufbewahrt hat, vorzüglich
im ganzen Orient, waren die Bäder seit undenklichen Zeiten ein-
geführt und durch Religionsgesetze geheiligt.
Bei den Indern war es Manu, der in seinem sozialhygieinischen
System durch zahlreiche Waschungen die Gesundheit der Brah-
manen und des Volkes zu sichern suchte. Alle gottesdienstliehen
Handlungen sind für Priester und Volk mit reinigenden Wasch-
ungen verbunden. Jeder Tempel hat seine heiligen Badstellen,
deren mehrfache Benutzung an jedem Tage nicht nur gestattet
ist, sondern als verdienstlich erachtet wird.
Vor dem Essen und vor dem Beten müssen Mundwaschungen
vorgenommen werden. Göttliche Verehrung genoss der Ganges,
in dem man wallfahrend badete. Bei den Persern gab ihr Religions-
stifter Zoroaster die genauesten Anweisungen zur körperlichen
Reinigung. So besteht die einfachste von ihm in der Zend-Avesta
täglich gebotene in einer Abwaschung der Arme bis zum Ellen-
bogen, des Gesichtes bis hinter die Ohren und der Füsse bis an
die Knöchel. Ebenso machte Muhamed das Baden zu einer
religiösen Pflicht. In weiser Fürsorge für das leibliche Wohl
seiner Anhänger erhob er Waschungen zu religiösen Handlungen.
So oft der Moslem durch natürliche oder zufällige Umstände seine
gesetzliche Reinlichkeit verloren hat, muss er sich der Abwaschung
Bäder und Badewesen im Altertum. 1 1
unterziehen. Die Waschung gewisser Körperteile muss er aber
auch vor den fünf täglichen Gebeten vornehmen, auch ohne dass
er sich besonders verunreinigt hat.
Auch in der ägyptischen Hygieine tritt uns als Hauptidee
die Reinheit entgegen, durch welche Gesundheit, Leben und
Dauer erlangt werden sollen. Herodot übermittelt uns die
Reinigungs- und Kleidungsvorschriften: Der König und die
Priester mussten jeden dritten Tag den Bart und den ganzen
Leib scheren , zweimal täglich und zweimal nachts baden , nur
leinene Kleider und Schuhe von Byblos tragen. Auch das Leben
des Volkes gipfelte in dem Bestreben nach Reinlichkeit.
Bei den Juden tritt uns als dominierende Idee in der Hygieine
des Pentateuchs das Prinzip der Reinheit entgegen, dasselbe
welches man in der Hygieine aller anderen altorientalischen
Völker findet. Nur dass ihr Gesetzgeber Moses es in einer Weise
präcisierte und ausdehnte, wie es bei keinem anderen Volke bisher
geschehen war. Bei jedem Gebet, jeder körperlichen Verrichtung,
jeder Berührung unreiner Gegenstände, kranker Menschen oder
deren Kleidungsstücke waren die peinlichsten Waschungen ge-
boten, die mit aller Strenge von ihm durchgeführt wurden. Er
schuf ferner das bekannte System der Mikwaoth, das ist der
Gemeindebäder, zu deren regelmässigen Benutzung er die gläubigen
Israeliten verpflichtete, und auch bei der Krankenbehandlung
spielten Bäder eine bedeutende Rolle. Der Teich Bethesda bei
Jerusalem, der von fünf Hallen resp. bedeckten Gängen umgeben
war, diente den Kranken zum Aufenthalt, welche den Tag über
teils im Wasser, teils in der Luft den entblössten Körper badeten.
Auch die alten Deutschen kannten, wie Tacitus berichtet,
diese Art der Reinigung. Sie waren sehr geschickt im Schwimmen,
badeten sich oft und die Neugeborenen empfing der Rheinstrom,
wie Klaudian singt: natos explorat gurgite Rhenus.
Vor allem aber stand das Wasser, besonders als Bad, bei
den ästhetischen, die Schönheit des Körpers mit Kraft einenden
Griechen im Ansehen. Darum singt schon der alte Homer von
der badenden Nausikaa, von dem badenden Agenor, der Heilung
12 Bäder und Badewesen im Altertum.
des verwundeten Hektors im Xanthos, und Theokrit berichtet
von einem Flussbade von 240 jungen Mädchen. Herkules, später
als göttlicher Beschützer der Thermen angebetet, lässt auf alten
Münzen einen Strahl Wassers aus dem Rachen eines Löwen auf
sich sprühen und bei seinem Gottesdienste goss man Flüssigkeiten
über seine Statue.
Antike griechische Malereien haben häufig die Bereitung
des Brautbades vor der Hochzeit zum Gegenstande und ein Bild
auf einer jetzt im königlichen Museum zu Berlin befindlichen
Vase von Volci beweist, dass den Griechen unsere Douche- oder
Sturzbäder wohl bekannt waren. Symbolisch sollte, wie Homer
(Odyss. XV) sagt, das Bad jeglichen Makel und jede ausser-
gewöhnliche Seelen- oder Gemütsaffektion beseitigen. Am zweiten
Tag der berühmten Eleusinischen Feste in Eleusis mussten die
Einzuweihenden ein Meerbad nehmen ; die Berührung eines
Toten, selbst nur der Aufenthalt in einem Trauerhause gebot ein
darauffolgendes Bad. In der historischen Zeit finden wir die
Kinder, Greise und Jungfrauen der Spartaner in kalte Bäder,
sei es in Flüsse, sei es in das salzreiche „Nerven stärkende" Meer,
getaucht, welche das Gesetz geheiligt hatte. „Alles Uebel wäscht
das Wasser hinweg", sagt ein griechisches Sprichwort und das
„Beste auf Erden ist Wasser" (Pindar). In dem straffen Ab-
härtungssystem, das die sozialhygieinische Gesetzgebung Lykurgs
schuf, mussten die kalten Bäder eine bevorzugte Stelle einnehmen,
aber auch in dem harmonischen Staatsregime des Solon fehlten
nicht die Bäder und Abreibungen, die eng sich an die öffentlichen
Spiele und Leibesübungen anschliessend zum Gemeingut der Athener
wurden. Der Geist der Beobachtung und das Streben zur wissen-
schaftlichen Zusammenstellung des Beobachteten, welche das scharf-
sinnige griechische Volk belebten, erhoben die vormals regellose
Anwendung der Bäder zu einer Kunst und wirkten hierdurch
für alle Zeiten. Hatte schon Pythagoras den Gebrauch der
kalten Bäder aus Aegypten nach Griechenland verpflanzt und
als gesetzmässig seinen Schülern zur Kräftigung des Körpers und
Geistes dringend empfohlen, so war es noch mehr Herodicus, der
Bäder und Badewesen im Altertum. 13
kurz vor dem Peloponnesischen Kriege lebte, der sie in Verbindung
mit kunstmässigen Friktionen zur Erhaltung, Stärkung und Her-
stellung der Gesundheit anriet. Vor allem aber rühren von
Hippokrates die ersten ausgedehnten, unter wissenschaftlichen
Gesichtspunkten geordneten Angaben über ihren Nutzen und
Nachteil sowohl in hygieinischer wie therapeutischer Hinsicht her,
und sie haben den zukünftigen Geschlechtern als Grundlage der
Baineotechnik gedient. Er sprach zuerst die Behauptung aus,
dass kaltes Wasser wärme, warmes kühle, er kannte Begiessungen
und Reibungen und wandte das Wasser in seinen verschiedenen
Temperaturen gegen eine grosse Zahl von Krankheiten und
Störungen des normalen Wohlbefindens an.
Das Badewesen der hellenischen Zeit war folgendermassen
gestaltet: In der älteren Zeit beschränkten sich die Griechen auf
die kalten Bäder in Flüssen und im Meere, die ihnen Lebens-
bedürfnis waren. Früh findet sich deshalb bei ihnen die Kunst
des Schwimmens ausgebildet, für die sie auch eigene Schwimm-
teiche einrichteten. Wenn auch schon in germanischer Zeit
warme Bäder in Wannen üblich waren, so dienten sie doch nur
ausserordentlicher Erquickung. Für den gesunden Körper galt
das warme Bad lange Zeit als Luxus und Weichlichkeit. All-
mählich erst entstanden Badeanstalten, teils als Privatbäder
in den Wohnungen, teils als öffentliche Bäder. Letztere dienten
beiden Geschlechtern, waren aber für dieselben getrennt ein-
gerichtet. Im IV. Jahrhundert vor Chr. wurden öffentliche Bade-
anstalten vom Staate errichtet, die namentlich auch für die
ärmeren Volksklassen bestimmt waren. Die Hauptbestandteile
dieser öffentlichen Anlagen waren zunächst der eigentliche Bade-
raum mit Wanne oder Bassin und einem Becken. Aus diesem
Becken, meist in runder oder ovaler Form' und mit Fuss ver-
sehen, der auf Vasen abgebildet oft beobachtet werden kann,
schöpfte man mit einem Gefäss Wasser, um sich damit zu über-
giessen. Der zweite Raum ist das Salbzimmer, worin der Körper
mit Oel eingerieben und das Haar gesalbt wurde. Namentlich
behebt war das schöne, durch Rosen und andere Pflanzen wohl-
14 Bäder und Badewesen im Altertum.
riechend gemachte sog. attische Oel. Zu diesen beiden tritt zu-
weilen ein dritter Raum, das Auskleidezimmer.
Schon zur Zeit der Vorherrschaft Spartas (IX. bis VI. Jahr-
hundert vor Chr.) waren Schwitzbäder mit nachfolgendem kalten
Voll- oder Uebergiessungsbade in Gebrauch gekommen, die man
nach ihrem Ursprünge lakonische nannte. Mit der zunehmenden
Sittenverfeinerung wurden auch die warmen Bäder allgemeiner.
Ihr Gebrauch, namentlich vor der Hauptmahlzeit, erhob sich zu
einem regelmässigen Bestandteil des griechischen Lebens.
Häufig wurde das Badehaus mit dem Platz für körperliche
Uebungen, dem Gymnasium, vereinigt. Das Ankleidezimmer und
das Salbgemach dienten dann gleichzeitig für das Bad und den
Uebungsplatz. Vielfach fanden sich die Gymnasien wenigstens
in der Nähe eines Flusses, Teiches oder am Meeresstrande, um
nach den Uebungen das Bad nicht entbehren zu müssen. Während
das ältere Gymnasium gewöhnlich nur aus einer Säulenhalle mit
einer Laufbahn bestand, war in den späteren Anlagen die Palästra
auf drei Seiten von den Räumen für geistige Erziehung und
Unterhaltung umgeben; auf der vierten, meist nach Süden oder
Westen gerichteten, befanden sich die Bäder. Der palästrische
Apparat, bestehend aus Salbflasche und Striegel, bildete zugleich
das unentbehrliche Badegerät.
Ausser den künstlichen «tanden auch natürliche Kurbäder
mit heilkräftigen • Quellen, sog. herakleische oder Wildbäder, im
Gebrauch. Das berühmteste Wildbad Griechenlands mit heissen
Schwefelquellen war Adepsos auf der Insel Euböa am Euripus
gelegen. Seine Quellen, die heute noch von Kranken besucht
werden, hatten, wie Plinius erzählt, versteinernde Kraft. Plutarch
erzählt in seinen Tischgesprächen, dass der Aufenthalt dort sehr
angenehm gewesen, und dass sehr viele Kurgäste jedes Jahr dort
zusammengeströmt seien. Ausser diesen gab es noch viele andere
auf dem Festland, sowie auf den Inseln Kythnos, Melos und
Lesbos. Nur Säuerlinge und Stahlquellen waren in Hellas nicht
zu finden. Auf der Insel Lesbos waren es die einst hoch ge-
priesenen Thermen von Mytilene bei dem heutigen Dorfe Thermi.
Bäder und Badevvesen im Altertum. 15
Die von den Inselbewohnern noch jetzt als Krankenbäder benutzten
Ruinen bestehen im Wesentlichen aus zwei innen gewölbten Ge-
bäuden, in denen je ein grosses ausgemauertes Becken das warme
Wasser aufnimmt.
Ausser einigen, den Gymnasien zu Ephesos, Alexandria,
Troas, Hierapolis angehörenden geringen Resten ist von den
griechischen Bädern nichts auf uns gekommen. Die Einrichtung
derselben verpflanzte sich jedoch, wie die gesamte griechische
Kultur, nach den griechischen Ansiedelungen in Italien und wurde
dort zum Vorbild der römischen Thermen, in denen der Geist
des griechischen Gymnasiums schliesslich unterging. Aus den
hier gefundenen Resten — besonders in dem durch den Ausbruch
des Vesuv im Jahre 79 nach Chr. verschütteten und in unserem
Jahrhundert wieder aufgedeckten Pompeji — hat man die Grund-
lage für das Verständnis griechischer und auch der späteren
römischen Bäder gewonnen.
Dem älteren Plinius zufolge waren die Bäder von den
frühesten Zeiten her im römischen Staat eingeführt ; es ist wahr-
scheinlich, dass hier der Einfluss der benachbarten Etrusker, die
sich der Bäder bei ihren Religionsgebräuchen und der Reinlich-
keit wegen bedient haben sollen, mitgewirkt hat. Das Bäder-
nehmen war zunächst zur Zeit des Königtums und der Republik,
wie in der älteren griechischen Vergangenheit sehr primitiv.
Man badete im Meere und in den Flüssen, vornehmlich in dem
Tiber und übte sich im Schwimmen. Im Hause diente das
Waschhaus (Lavatrina), ein dunkler untergeordneter Raum, dem
Bedürfnisse der Reinlichkeit. Es lag neben der Küche, um
Heizung und Wasserabfluss derselben mitbenutzen zu können.
Erst im Anfang des zweiten Jahrhunderts, nach der Erbauung
Roms, scheinen die Römer eigentliche Badeanstalten gehabt zu
haben ; höchstwahrscheinlich wurden sie unter der Regierung des
Königs Lucius Tarquinius Priscus eingeführt. Dabei war aber
immer noch in Rom der Tiber, und zwar im Bezirke des Campus
Martius, Volksbad und Schwimmbad für die Jugend. Mit dem
Wachstum der Stadt und der Einleitung der Kanalisation in den
1(3 Bäder und Badewesen im Altertum.
r S-S-S ./"^/WW
Tiber wurde derselbe aber zum Baden immer ungeeigneter.
Nachdem Appius Claudius im Jahre 305 vor Chr. die erste grosse
Wasserleitung (aqua appia) vollendet hatte, legte man ausserhalb
der Stadtmauer ein zum Volksbad bestimmtes grosses Wasser-
becken (piscina publica) an und speiste es durch das Wasser
jener Leitung. An Stelle des Waschhauses trat später das aus
mehreren Badezimmern bestehende balneum. Am meisten haben
die in Rom lebenden griechischen Aerzte, die als Kriegsgefangene
oder als getaufte Sklaven dorthin kamen — römische Aerzte gab
es bekanntlich in diesen Zeitperioden noch nicht — zur Ein-
führung der Badeanstalten beigetragen. Unter ihnen war es vor
allen Asclepiades aus Prusa in Bithynien, der, obgleich er in
seinen medizinischen Theorien fast ganz von Hippocrates und
dessen Schule abwich, doch im allgemeinen ihre Grundsätze in
Hinsicht auf den diätetischen und klinischen Gebrauch der Bäder
beibehielt und durch seinen Einfluss zur Verallgemeinerung der
Bäder in Rom viel beitrug.
Schon vor ihm waren mit der Vermehrung der Wasser-
zuführung durch drei weitere Leitungen — etwa seit dem zweiten
punischen Krieg — neue öffentliche Bäder entstanden, von
denen man nur drei Arten unterschied: die eigenen Hausbäder
(balnearia), die als Erwerbsquellen errichteten Mietbäder (balneae
privatae) und die öffentlichen Bäder (balneae publicae), die auf
Kosten des Staates und zuweilen auch aus Stiftungen und Schen-
kungen begründet und unterhalten wurden ; für Unterhaltung
und polizeiliche Aufsicht hatten die Aedilen und Censoren zu
sorgen.
Eine weitere Entwicklung erreichten die Warmbäder durch
die im Jahre 89 v. Chr. erfolgte Einführung der von C. Sergius
Orata erfundene Luftheizung, worunter man zunächst die An-
wendung hohler, von den Feuergasen durchzogener Fussböden
zu verstehen hat. Die höchste Vollkommenheit erhielt das heisse
Luftbad sodann durch die bald folgende Herstellung von hohlen
Wänden. Hierdurch wurde der früher zur Erwärmung der Bade-
räume gebräuchlich gewesene Ofen fast vollständig verdrängt und
Bäder und Badewesen im Altertum. 17
die Luftheizung bestimmend für die Einrichtung der späteren
baulichen Anlagen. Obwohl nach wie vor in Verbindung mit
Kaltwasserbädern führen nun die öffentlichen Badanstalten aus-
schliesslich den Namen thermae, vom griechischen thermos, „die
Wärme". In balneis salus, Heil allein im Bade, wurde von nun
an die Devise des römischen Volkslebens. Mit dem Aufschwung,
den Rom unter den Kaisern nahm, beginnt die Blütezeit der
römischen Thermen, von deren Grösse und Pracht uns heute noch
gewaltige Ruinen und kostbare Reste beredtes Zeugnis geben.
Die grossen Thermen, die, an Zahl 15, mit allem versehen waren,
was Luxus und Geschmack jenes Zeitalters forderten, entstanden
anfänglich aus der Idee des griechischen Gymnasiums und waren,
ihrem ursprünglichen Zwecke zufolge, zur Kultur des Geistes und
zu Leibesübungen bestimmt. Hier hatten Redner, Philosophen,
Dichter und andere Gelehrte eigene Versammlungssäle, Biblio-
theken, Sammlungen von Kunstwerken, gegen jede Witterung
geschützte Hallen, anmutige Lusthaine und mit hohen Platanen
bepflanzte Alleen. Hier waren Plätze, wo Knaben Leibesübungen
vornahmen, Plätze zum Wettrennen, zum Ringen, zum Ballspiel,
zum Diskuswerfen und Teiche zum Schwimmen. Auch für Pflege
behaglicher Ruhe, geselligen Lebens und Vergnügungen, sowie
für Essen und Trinken war dort gesorgt. Alt und jung, hoch
und niedrig, arm und reich fanden sich in den Thermen zu-
sammen, ergötzten sich an Wett- und Ballspielen, an Turnübungen
sowie an geistiger Unterhaltung und leiblicher Nahrung. Eine
Trennung der Räume nach Standesklassen gab es nicht; selbst
Kaiser, insbesondere Hadrian und Commodus, suchten durch
öfteren Besuch in den Thermen sich beim Volk beliebt zu machen.
Das Innere der Thermen war mit dem auserwähltesten und über-
schwänglichsten Luxus ausgestattet und von fabelhafter Pracht,
die Wände waren mit den feinsten und seltensten Marmor-,
Granit-, Porphyr- und Jaspisarten ausgelegt, die Fussböden be-
standen oft aus dem kunstvollsten Mosaik oder prächtigen Mar-
morfliessen. Staunenerregende Leistungen der Wölbetechnik,
Kuppeln und Kreuzgewölbe von riesigen Abmessungen über-
Marcuse, Bäder nnd Badewesen. 2
18 Bäder und Badewesen im Altertum.
deckten die Hauptsäle. Meisterwerke der Bildhauerei und Malerei
waren hier vereint; so fand man in den Ruinen der Caracalla-
Thermen den Farnesischen Stier, die Gruppe des Laokoon in
denjenigen des Titus und die Pferdebändiger in den Constantini-
schen, ferner wurden der farnesische Herkules, die Hebe in Neapel,
der Torso von Belvedere und viele andere unvergleichliche Kunst-
werke unter den Trümmern römischer Thermen hervorgezogen.
Die darin vorhandenen Bäder waren von mannigfachster Art:
laue, warme, kalte Wannenbäder, heisse Dunstbäder etc. Ausser-
dem waren noch Zimmer zu besonderen Zwecken bestimmt, z. B.
die Salbestube und das Conisterium, worin die Einger sich salbten,
mit Staub bewarfen etc., ferner Gebäude zu Wohnungen für Auf-
seher, worunter der Gymnasiarch, der Palästrophylax, der Ago-
nistarch, der Gymnast und der Pädotriba die vorzüglichsten
waren. Die Gymnasiarchen waren die ersten Beamten, standen
in grossem Ansehen und entschieden in zweifelhaften Fällen als
Richter. Der Palästrophylax scheint die Aufsicht über die Ge-
bäude und Oekonomie, und der Agonistarch über die athletischen
Uebungen gehabt zu haben. Der Gymnast und der Pädotriba
scheinen in den frühesten Zeiten sehr untergeordnete Dienst-
leistungen geführt und sich mit der Anordnung der palästinischen
Uebungen und mit dem Einsalben abgegeben zu haben. Man
nannte sie auch Alipten oder Jatralipten, weil sie innerhalb ihres
Berufskreises auch Arzneikunst trieben. In späteren Zeiten, be-
sonders nachdem die Medizin mit der Gymnastik verbunden
worden war, waren sowohl der Gymnast wie der Pädotriba Männer
von gründlichen medizinischen Kenntnissen, welche die Leibes-
übungen wie die Bäder in ihren Beziehungen und Wirkungen
zum Organismus beurteilten und dementsprechend individualisierend
einem jeden das richtige Mass und die Arten der Anwendung
vorschrieben. Deswegen rechneten es sich auch hervorragende
Aerzte zur Ehre, die Aufsicht über die Leibesübungen und über
die Bäder in den Gymnasien führen zu dürfen, wie wir dies z. B.
von Galen wissen. Ausser diesen Beamten waren noch eine Menge
von Aufwärtern, meistens aus Sklaven bestehend, in den Bädern,
Bäder und Badewesen im Altertum. 19
z. B. diejenigen, die die Kleider bewachten, Ofenheizer, Bad-
bereiter, die, welche kaltes oder warmes Wasser über den Körper
schütteten etc. Neben diesen grossen Luxus- und Vergnügungs-
badanstalten entstanden Volksbäder, von denen Rom zur Zeit,
als Constantin seine Residenz nach Byzanz verlegte, 856 besass,
und in denen meist unentgeltlich gebadet werden konnte. In
anderen Bädern kostete ein Bad für Männer einen Quadrans —
das waren ungefähr 5 Pfennige, die der Badewärter in Büchsen
sammelte — , während Frauen mehr zu zahlen batten und Kinder
stets frei waren. Kein Volk des Altertums oder der Neuzeit
badete mit solcher Leidenschaft wie die Römer ; kein Volk hat
so Grosses geschaffen und gebaut, um diese Leidenschaft zu be-
friedigen. Rom verbrauchte damals täglich etwa 750 Millionen
Liter Wasser in seinen Thermen und kleineren Bädern.
Von Rom verpflanzte sich der Badegebrauch in die Pro-
vinzen. In den Städten, Dörfern und Kastellen, in den Herbergen
an den römischen Heerstrassen, sowie in den Landhäusern vor-
nehmer Römer war die Anlage von Thermen und Bädern, sowie
die Beschaffung guten Wassers stets eine der ersten Aufgaben.
So erzählt der jüngere Plinius, dass in einem Dorfe nahe bei
seinem Landgute drei öffentliche Bäder gewesen, und er sah es
als eine grosse Bequemlichkeit an, für den Fall unerwarteter An-
kunft oder kurzen Aufenthaltes, der für die Bereitung eigener
Bäder keine Zeit liess . jene benützen zu können. Es scheint
sogar rechtskräftig gewesen zu sein, wie wir aus einer Stelle bei
Ulpian ersehen, dass man nämlich auf einem gemieteten Land-
gute wenigstens ein Dunstbad von dem Eigentümer fordern konnte.
Sogar die auf den Grenzen in Garnison liegenden römischen
Legionen konnten Bäder und Gymnasien nicht entbehren. Dies
beweisen höchst merkwürdige Funde auf dem Hadrianswall, der
gegen die Germanen aufgeführt worden war. Bei dieser im
römischen Reich allgemein verbreiteten Wertschätzung der Bäder
kann man sich nicht wundern, dass auch an solchen Orten, die
warme oder kalte Quellen enthielten. Thermen erstanden. Die
warmen Quellen wurden aus Mangel an physikalischen Kennt-
20 Bäder und Badewesen im Altertum.
nissen sogar als übernatürliche Ereignisse angestaunt, als heilig
angesehen und für göttlichen Ursprungs gehalten. Um sie be-
nützen zu können, legte man Thermen an. Diesen Orten legten
sie den Namen aquae bei, so z. B. Aquae Albulae, Aquae Calidae
(Bagnoles und Vichy), Aquae Sextiae (Aix), Aquae Panoniae (Baden
bei Wien), Aquae Aureliae (Baden-Baden), Aquae Mattiacae (Wies-
baden), Aquae Grani (Aachen) u. a. Die Zahl der im Römer-
reich bekannten Heilbäder betrug etwa 80. Alle diese Bäder
und Quellen kannten und benutzten die Römer, der berühmteste
römische Badeort war jedoch Bajae (früher Aquae Cumanae) am
Golfe von Neapel , das alle Kaiser in seinen Mauern sah , und
dessen Inschrift lautete : „Qui curat non curatur" ; der hier aus
der Erde dringende heisse Schwefeldampf wurde durch Röhren
in die Badezellen geleitet und zu Dampfbädern benutzt. Bajae
besass ausserdem auch Schwefelquellen und zwar in so reichem
Masse, dass sich kein anderes Bad mit ihm messen konnte. Das
weisslich-trübe Wasser war an manchen Stellen so heiss, dass
man bequem darin Fische sieden konnte. Ursprünglich nur
Krankenbad, nahm sein Besuch zum Zwecke des Vergnügens,
des Genusses, und weil es Modebad geworden war, bald zu, ja
derart überhand, dass Seneka, Cicero u. a. den reizenden Ort
einen Sitz der Ueppigkeit und eine Herberge des Lasters nannten.
Das fröhliche Treiben in Bajae überdauerte die Macht- und Glanz-
periode des römischen Kaiserreichs, ja bis über das Mittelalter
hinaus sind die Bäder von Bajae besucht worden. Heute da-
gegen bezeugen nur Trümmerhaufen die Stätten , wo Bajae mit
seinen prächtigen Bädern und Villen gestanden hat : der einst so
belebte Hafen ist versandet, die Umgegend verödet und versumpft,
das Ganze eine Brutstätte der Malaria geworden.
Das Baumaterial, das die Römer bei den Anlagen der Thermen
benutzten, zeugt von den grossen Kenntnissen, die sie im Bauwesen
hatten. Die Infiltration der Mauern und die Korrosion der Ober-
flächen , zwei in den Bädern immer zu bekämpfende Feinde,
nötigten zu besonderen Massregeln. Deshalb machten sie die
Mauern kompakt und undurchdringlich. Dies geschah durch
Bäder und Badewesen im Altertum. 21
umsichtige Benutzung solcher Materialien, welche dazu dienen,
die Bildung sehr beständiger erdiger Hydrosilikate zu beschleunigen.
Sie bedeckten die Mauern mit einem ununterbrochenen Ueber-
zuge. Es ist bekannt, mit welcher Geschicklichkeit sie diese
Bedeckung anlegten und sie entweder mit Marmorplatten oder
kompakten zusammengefügten Steinplatten durch Krampen und
Klammern aus starker Bronze, welche wie doppelte T eng an-
einander hingen, verbanden.
Bei der Anwendung der Massive und Böden aus wasser-
dichtem Grundpflaster bewahrten sie in ihrer Bauart eine her-
vorragende Zweckmässigkeit. Man ist von Bewunderung ergriffen,
wenn man sieht, mit welcher tiefen Kenntnis der Materiahen sie
die Zusammensetzung ihrer Mörtel abzuändern wussten, um die
Infiltration des Innern und die Anfressung der Oberfläche zu
verhüten. In der Subkonstruktion der gallorömischen Thermen
zu Lukon hat man davon ein auffallendes Beispiel. In den
Aristokratenpiscinen ruhten die Decken oder Bekleidungen von
St. Beater weissem Marmor auf einer 12 — 15 cm dicken Schicht
von feinem, grauweissem, sehr dichtem konservierten Mörtel, der
Feldspatkristalle enthielt. Die Bauart aller dieser römischen
Thermen war nicht gleich, wie aus den Ruinen zu ersehen ist.
Indes waren sie alle mit einer hohen im Viereck gebauten Mauer
umgeben, worin zwei kreisförmige konzentrische Mauern drei ver-
schiedene Abteilungen bildeten. Die äussere Abteilung war zu
manigfaltigen Leibesübungen, die mittlere zu Spaziergängen be-
stimmt und in der inneren stand das eigentliche Thermengebäude,
welches mehrere Eingänge hatte. Der nach der Mittagsseite zu
gelegene Eingang hiess Theatridium; hier waren Stufen, auf denen
das Volk, insbesondere die Patrizier, sitzend den Spielen und
Uebungen zusahen. Diese Stufen gingen um das ganze Gebäude
herum, so dass man von ihnen zur Salbstube, zum Conisterium,
zu den Bädern, zur Palästra gelangen konnte. Meistens führte
ein Säulengang zum Sphaeristerium (Ballspielplatz). Die gegen
Norden liegende Seite der Thermen war zum Aufenthalt der
Philosophen, Gelehrten und Künstler aller Art bestimmt. Hier
22 Bäder und Badewesen im Altertum.
herrschte heilige Stille, hier waren schattige Plätze, Terrassen,
Galerien, Springbrunnen etc. In dieser Abteilung der Thermen
trafen alle diejenigen zusammen, die geistige Genüsse liebten.
Hier unterhielten sich Gelehrte, lasen und arbeiteten, hier dekla-
mierten Dichter ihre Poeme und quälten, wie Juvenal in seiner
ersten Satyre versichert, oft unbarmherzig die Ohren der An-
wesenden. Von hier konnte man auch durch die Platanenallee
zur piscina (Schwimmteich), zu den Gesellschaftssälen der Jugend,
zu den Erfrischungszimmern und zu den Bädern gelangen. Die
Seiten der Thermen, die gegen Morgen und Abend lagen, waren
hauptsächlich zu gymnastischen Leibesübungen bestimmt. Man
fand daselbst grosse freie Plätze, im Halbzirkel gebaute Amphi-
theater für Zuschauer und die für die Athleten bestimmten Säle
und Säulengänge. Was die innere Einrichtung der römischen
Badeanstalten betrifft, so bestand das regelmässige Bad, von dem
sehr richtigen Grundsatz ausgehend, dass die Differenzierungen
der Wärmetemperatur nur in allmähliger Stufenfolge dem Orga-
nismus dienlich seien, aus vier Abteilungen: dem Aufenthalt in
erwärmter Luft, dem warmen Wasserbade, dem kalten Wasser-
bade und der Abreibung. Diese vier Badeformen erfordern min-
destens drei Räume: für die dem Wasserbade vorangehende Er-
• wärmung des Körpers das Tepidarium, für das warme Wasserbad
das Caldarium und für das kalte Wasserbad das Frigidarium;
letzteres diente als Aus- und Ankleideraum für diejenigen, denen
es hier nicht zu kalt war, während kranke und empfindliche
Personen, welche die Kleider im Warmen ab- und anlegen wollten,
das Tepidarium hierzu benutzten, in dem man sich auch abreiben
lassen konnte. Bei grösseren Anlagen trat hierzu ein besonderer
Aus- und Ankleideraum, das Apodyterium, und ein weiterer Raum
für die Abreibung (Unctorium). Beide Räume, namentlich der
Abreiberaum, wurden auch für die Palaestra benutzt, um sich in
ersterem für die gymnastischen Uebungen vorzubereiten und in
letzterem nach deren Beendigung mittels des Schabeisens Oel
und Staub vom Körper zu entfernen. Als eine nicht unmittelbar
zum gewöhnlichen Bad erforderliche Einrichtung ist das Laconicum
Bäder und Badewesen im Altertum. 23
zu betrachten. Dies ist das heisse Schwitzbad, das namentlich
in der späteren Zeit vielfach allein oder nur in Verbindung mit
einem darauf folgenden kalten Wasserbade benutzt wurde. Für
das heisse Schwitzbad (auch Sudatorium genannt) waren öfter
mehrere Kammern mit allmählich steigenden Wärmegraden vor-
handen (Fig. 1)*). — Unter den Badezimmern war ein Gewölbe, das
Hypokaustum hiess. Die zum eigentlichen Bade bestimmten Räume
waren meist doppelt vorhanden und in eine Männer- und Frauen -
abteilung geschieden; doch fand sich auch an kleinen Orten die
Einrichtung , dass beide Geschlechter dieselben Baderäume zu
verschiedenen Stunden benutzten. So schreibt die lex metalli
Vipascensis den Frauen das Baden in der Zeit von Sonnenauf-
gang bis zur siebenten Stunde, den Männern von der achten
Stunde des Tages bis zur zweiten Stunde der Nacht vor. Unter
den späteren Kaisern wurde jedoch auch bei Nacht gebadet;
Alexander Sergius stiftete hierfür einen Fond, aus dem Beleuch-
tung bezahlt wurde. Kaiser Tacitus schaffte später aus Furcht
vor nächtlichen Zusammenrottungen diese Unsitte wieder ab. Die
Beleuchtung selbst geschah mittels Oellampen oder Talglichtern.
Die frühere strenge römische Sitte gestattete weder dem Vater
mit dem Sohne, noch dem Schwiegervater mit dem Schwieger-
sohne zu baden. Für Frauen galt es anfänglich überhaupt nicht
für anständig, öffentliche Bäder zu besuchen. Doch schon in
der letzten Zeit der Republik schwinden die strengen Sitten, und
der Besuch der Bäder seitens der Frauen nahm mehr und mehr
zu. Mit der Einführung der griechischen Palästra, die wesent-
lich dazu beitrug, das Schamgefühl zu ersticken, boten die
Thermen Gelegenheit zu Ausschweifungen aller Art. Die Frauen
Hessen sieh im Bade nicht nur vielfach von männlichen Sklaven
bedienen, sondern sie badeten auch gemeinschaftlich mit Männern.
*) Diese sowie eine Anzahl der folgenden Abbildungen, deren Aufnahme
an dieser Stelle durch das liebenswürdige Entgegenkommen der Verlagshand-
lung Arnold Bergsträsser möglich war, stammen aus dem Werke von Felix
Genzmer, Bade- und Schwimmanstalten, Stuttgart 1899, das auch textlich in
vieler Beziehung als Unterlage diente.
24
Bäder und Badewesen im Altertum.
Trotz wiederholter kaiserlicher Gesetze hielten sich diese mixta
balnea bis tief in die christliche Zeitrechnung hinein.
Bei den Bädern mit getrennten Räumen für Männer und
Frauen befand sich gewöhnlich die Heizanlage, das Hypokaustum,
in der Mitte; sie bestand aus dem Ofen, vor dem die Kammer
zum Heizen liegt. An den Ofen schliessen sich zu beiden Seiten
Bäder und Badewesen im Altertum. 25
die Caldarien an, dann folgen die Tepidarien und schliesslich am
weitesten aussen die Frigidarien. Mit zunehmender Entfernung
vom Feuer vermindert sich die Wärme, die den Caldarien und
Tepidarien durch die unter ihren Fussböden angeordneten Hohl-
räume, suspensurae, zugeführt wird. Das Hypokaustum war in
römischen Privathäusern gewöhnlich zu einem doppelten Zweck
bestimmt, zuerst um das Dunstbad zu heizen, und zweitens, um
bei kalter Witterung die verschiedenen Zimmer des Hauses zu
erwärmen; letzteres war vornehmlich bei den Villen der Fall,
die ausserhalb der Stadt auf Anhöhen lagen und mehr der Kälte
ausgesetzt waren. Alsdann liefen viereckige thonerne Röhren
aus dem Hypokaustum durch die Mauer hinauf und zirkulierten
durch das ganze Gebäude. In jedem Zimmer öffnete sich eine
solche Röhre, die man aber nach Belieben verschliessen konnte.
Die hervorstehende Oeffnung hatte gewöhnlich eine zierliche Ge-
stalt, z. B. die eines Löwenkopfes, eines Delphines etc. Auf diese
Weise wurde durch das Hypokaustum das ganze Gebäude er-
wärmt und das über dem Hypokaustum liegende gewölbte Zimmer
diente zum Dunstbade. Die obere Decke des Hypokaustum
bestand aus sehr dicken Ziegelsteinen, die ohne Kalk und nur
mit Lehm zusammengefügt waren. Auf diesen Ziegelsteinen lag
ein mehr oder weniger dicker Betonestrich , über dem ein Mosaik-
oder Marmorplattenbelag den Fussböden der Cella bildete. Pfeiler
von Ziegelsteinen unterstützten die Decke, die gleichfalls ohne
Kalk verfertigt waren, um bei der grossen Hitze besser zusammen
zu halten. In den Ofen des Hypokaustum wurde durch eine vier-
eckige Oeffnung eine hinreichende Menge Kohlen geworfen, durch
deren Glut das Badezimmer und auch auf die oben beschriebene
Weise das ganze Gebäude erwärmt wurde. Um die Hitze zu ver-
mehren und anhaltender zu machen, legte man auch nach Vitruv
metallene Kugeln zwischen die Kohlen. Die Einrichtung zum
Erwärmen des Wassers bestand meistens aus drei stufenweise
über dem Hauptofen aufgestellten zylindrischen Wasserkesseln.
Der der Feuerung zunächst stehende enthielt, wie es in der Natur
der Sache lag, heisses Wasser; die Dämpfe dieses heissen Wassers
26 Bäder und Badewesen iui Altertum.
erwärmten den zweiten darüber befindlichen Kessel hinlänglich,
um das Wasser darin lauwarm zu erhalten, und etwas höher
stand der dritte Kessel mit kaltem Wasser, aus dem man durch
einen einfachen Mechanismus die unteren Gefässe wieder anfüllte,
wenn das Wasser darin verbraucht worden war. Auf diese Weise
konnte den verschiedenen Baderäumen Wasser von dem für sie
entsprechenden Wärmegrad zugeführt werden.
Um ein Bad zu nehmen betrat man zuerst das Tepidarium,
entkleidete sich hier, falls man dies nicht etwa schon im Frigi-
darium oder in einem Apodyterium gethan hatte. Gewöhnlich
war es von achteckiger Form, sehr geräumig, hell und zuweilen
mit prächtigen Säulengängen geziert. In diesem mit reichlicher
Gelegenheit zum Sitzen ausgestatteten Räume setzte man sich
zunächst um zu schwitzen, liess sich abreiben und salben! Vom
Tepidarium begab man sich in das Caldarium, das eine oder mehrere
Wannen für das Wasserbad enthielt. In älterer Zeit nahm man
letzteres in einer zuweilen für eine Person, zuweilen für mehrere
Personen bestimmten Wanne. Erst später kam das warme
Schwimmbecken in Gebrauch, das öfter in einem besonderen
Raum untergebracht war. Zuweilen waren im Caldarium, das
immer einen grossen Raum darstellte, Abstufungen, deren einige
von der Sonne beschienen werden konnten. Die Wanne, die von
geschmackvoller Form und in grossen Thermen von Porphyr,
Basalt oder einer anderen kostbaren Steinart waren, befanden
sich auf der einen Seite des Caldariums, während auf der anderen,
oft mit einer Nische geschlossenen Seite ein erhöhtes rundes
Becken war, das zu kalten Uebergiessungen diente. Man ver-
wandte hierzu ein flaches Gefäss mit einem Stiel, mittels dessen
man das Wasser aus dem Becken schöpfte.
Die Wannen nannte man Baptisteria; in diesen Baptisteria
wurden auch die neugeborenen Kinder gewaschen. Dem Macro-
bius zufolge geschah dies am achten Tage nach der Geburt mit
den Mädchen und am neunten mit den Knaben. Diesen Tag
nannte man dies lustricus und gab gewöhnlich an ihm dem
Kinde einen Namen. Zur Erwärmung oder auch zur Warm-
Bäder und Badewesen im Altertum. 27
haltung des Wassers in der Wanne hatte man zuweilen eine
eigentümliche Einrichtung. Sie bestand darin , dass sich an die
Wanne eine in der Mauer liegende Höhlung anschloss, deren
Boden vermutlich nur aus einer dünnen Metallplatte bestand, so
dass die unter ihr hindurchführende Wasserleitung auch das
diese Höhlung füllende Wasser der Wanne stets aufs neue er-
wärmte. Diese Einrichtung findet sich z. B. im Caldarium der
Frauenabteilung in den grösseren Thermen zu Pompeji. Auch
ein brauner Ofen, der von der Form des römischen Meilenzeigers
den Namen Miliarium hat, und in dem das Wasser durch Röhren
sich um die Feuerung zog, diente dem gleichen Zweck.
Das Frigidarium enthielt ein Becken (piscina) für das kalte
Bad. In grösseren Thermen waren oft deren mehrere vorhanden.
Wenn das Wasser hier in der geschlossenen Halle zu kalt war,
konnte man das kalte Bad in der allgemeinen Piscina der Palästra
nehmen, die unter freiem Himmel lag und von der Sonne er-
wärmt war. Nach beendetem kalten Bade wurde der Körper in
eine Decke gehüllt, mit leinenen, leicht gewebten Tüchern ab-
getrocknet und dann mit der Abreibung und dem Einsalben
begonnen. Auch vor dem warmen Bade wurden, wie erwähnt,
Abreibung und Einölung vorgenommen. Das Oel wurde aus
dazu bestimmten Fläschchen von Glas, Elfenbein oder Hörn
tropfenweise herausgegossen. Einige liessen sich statt des Salbens
striegeln. Es wurde hierzu eine Striegel von Eisen oder bei Vor-
nehmeren von Silber, Gold oder Elfenbein benutzt. Um die
Wirkung sanfter zu machen, bestrich man sie mit Oel, denn vom
häufigen Gebrauche dieser Striegel wurde die Haut verhärtet,
wund oder mit einer Art Ausschlag behaftet, wie dies beim Kaiser
Nero der Fall war. Sueton erzählt nämlich von ihm, dass er
Verhornungen auf der Brust und allerhand Verunreinigungen
der Haut vom vielen Striegeln herrührend gehabt habe. Bei
Kranken und schwächlichen Personen wurde statt der Striegel
ein Schwamm gebraucht. Strigilis, Oelflaschen, Salbenbüchse,
Kamm und Nadeln, in einem Kästchen vereinigt oder an einem
leicht zu öffnendem Ringe hängend, bildeten das Badezeug der
28 Bäder und Badewesen im Altertum.
Römer, wie wir aus einem völlig erhaltenen pompejanischen
Funde ersehen haben.
Noch ist das heisse Schwitzbad zu erwähnen, das in Rom
durch Agrippa in Mode kam. Während das laue Schwitzbad
im Tepidarium eine Stärkung und Erholung war, war das heisse
Schwitzbad eine angreifende Kur, durch die man die Folgen
übermässiger Tafelgenüsse zu überwinden suchte. Der diesem
Bade dienende Raum Laconicum lag meist neben dem Tepidarium
oder dem Caldarium. Nach Vitruvs Vorschrift war er von kreis-
förmigem Grundriss mit halbkugelförmige m Gewölbe. In ihm
war, wie der jüngere Plinius an Gallus berichtet, ein kleines
Fenster, welches man öffnete, wenn die Hitze zu sehr zunahm.
Nach anderen Nachrichten soll oben an der Wölbung unter einem
runden Deckenlicht eine Art von metallener an einer Kette be-
festigter Scheibe gewesen sein, durch deren Oeffnen man frische
Luft erhalten konnte.
Die Reihe der grossen Thermenbauten in Rom eröffnete
M. Agrippa mit den nach ihm genannten Thermen des Agrippa,
die er in seinem 3. Konsulatjahre 25 v. Chr. errichten liess.
Ihnen verdankt das weltberühmte Pantheon seine Entstehung
Ursprünglich als Laconicium gedacht, entschloss sich Agrippa,
den herrlich gelungenen und für den Gebrauch der Menschen
zu schönen Bau „Allen Göttern" als „Pantheon" zu weihen.
Granitsäulen mit ehernen Kapitalen trugen hier den mit ver-
goldeten Bronceziegeln gedeckten Kuppelbau und der Dachstuhl
ruhte auf Trägern aus vergoldetem Erze. Durch eine in der
oberen Kuppelöffnung angebrachte Bronceplatte von 9 m Durch-
messer sollte die Temperatur des Badesaales reguliert werden.
Sein Bad war das erste Roms mit Schwitzbad und Luftheizung,
er nannte es geradezu „lakonisches Gymnasium". An der Seite
von Agrippas Anlage errichtete Nero seine Thermen mit höchster
Pracht, über welche Martial begeistert ausruft: „Was ist schlechter
wohl als Nero, und was schöner als Neros warme Bäder?" Jeder
folgende Kaiser ehrte seinen Namen durch neue Thermenbauten
oder wenigstens durch Verschönerung und Vergrösserung schon
Bäder und Badewesen im Altertum. 29
_ ■ - . .
bestehender, und immer prunkvollere, immer gigantischere An-
lagen erstanden.
Das Parterre der — teilweise auf den Resten von Neros
„goldenem Hause" aufgeführten — Titusthermen enthielt über
Fig. 2. Thermen des Caracalla zu Rom (Tepidarimn).
30 Bäder und Badewesen im Altertum.
100 Baderäume und ein Riesenwasserbehälter speiste deren Bäder.
An diese Thermen fügte Trajan ausgedehnte Frauenthermen durch
den Baumeister Apollodorus.
Im Jahre 216 n. Chr. erstanden die Thermen des Caracalla,
die an Grösse nur von den Thermen des Diokletian, an Schön-
heit und Pracht aber von keiner Badeanlage der Welt übertroffen
worden sind. (Fig. 2.)
Alexander Severus lugte den Säulenumgang hinzu, mit dem
sie eine Fläche von 124,149 qm bedeckten. 2300 Personen
konnten hier gleichzeitig baden; 1600 Badesessel aus poliertem
Marmor gehörten zu ihrer Einrichtung. Ihr zweigeschossiger
Frontbau enthielt Einzelbäder für Frauen. Das Gewölbe ihres
Tepidariums ward durch Vermittlung ehener Gitterbalken von
14 m hohen Granitsäulen getragen. Der Plan der Caracallathermen
zeigt in typischer Form die geschickte Raumverteilung in ihrer
labyrinthischen Kolossalität , er zeigt die charakteristische, an-
nähernd quadratische Grundform mit ihren drei baulichen Ab-
teilungen; der äusseren mit den Räumen eines Gymnasiums,
den Portiken, Exedren und Sälen für Unterhaltung, akademische
Vorlesungen und Diskussionen, der mittleren mit Plätzen,
Spaziergängen, Parkanlagen oder Alleen, der inneren, dem
Kernbau, mit den eigentlichen Baderäumen in mannigfaltigster
Kombination und Entwicklung.
Von den übrigen grossen Thermenbauten Roms, deren Ruinen
mehr oder weniger erhalten sind , sind zu nennen die Thermen
des Titus, des Diocletian, des Constantin, die sämtlich Anlagen
von höchster Vollkommenheit und Pracht darstellten.
Ueberhaupt herrschte zur Zeit der Cäsaren der ausschwei-
fendste Luxus in den Bädern. Seneka sagt darüber bei Gegen-
überstellung der Sitten seiner Zeitgenossen zu denen der Vorzeit
folgendes : „Jetzt dünkt man sich arm und gering zu sein, wenn
nicht an den Wänden der Bäder grosse, kostbare Marmortafeln
glänzen, wenn nicht zwischen dem alexandrinischen Marmor ge-
malte numidische Steine stehen, wenn nicht dieser Marmor mit
Kunst so gesetzt ist, dass man wahre Gemälde zu sehen glauben
Bäder und Badewesen im Altertum. 31
sollte, wenn nicht ganze Gemächer mit Glas ausgelegt sind, wenn
nicht Steine von Thasus, die man ehedem nur selten in den
Tempeln sah, unsere Teiche umschliessen , in denen wir unsern
durch vieles Schwitzen entkräfteten Körper waschen, und wenn
nicht das Wasser aus silbernen Hähnen läuft!" Kaligula liess
sogar ein grosses Schiff von Cedernholz bauen, das neben Galerien
und Gärten, neben Sälen und zahllosen Gemächern eine Reihe
der verschiedenartigsten Bäder enthielt.
Dass der Luxus in der Ausstattung der römischen Bäder
alles übersteigt, was selbst die reichste Vorstellung sich ausmalen
kann, das lehren die Ueberlieferungen der römischen Klassiker
wie die Kunstwerke, die noch auf unsere Zeiten gekommen sind.
Mit den herrlichsten Reliefdarstellungen geschmückte Wannen
aus Marmor, Basalt, Porphyr, Fussböden aus Mosaik, vergoldete
Arabesken, hervorragende enkaustische Gemälde, Meisterwerke
der Skulptur und vieles andere schmückten diese Räume. (Fig. 3.)
Der Uebermut stieg zur Zeit des älteren Plinius so hoch,
dass seiner Versicherung zufolge manche Damen keine Bade-
zimmer betreten wollten, die nicht mit Silber ausgelegt waren.
Alle Gerätschaften waren aus den kostbarsten Stoffen; so be-
standen z. B. die Giesskannen, worin man Wasser holen oder
aus denen man sich von dazu bestimmten Aufwärtern über-
schütten liess, aus Gold, Silber oder korinthischem Erze und
stachen sehr von den Muscheln, irdenen Gefässen und aus-
gehöhlten Kürbissen, die man in den Zeiten der republikanischen
Einfachheit gebraucht hatte, ab. Heliogabal liess die Bäder des
Nachts durch prächtige Lampen erleuchten; die verschiedenen
Badezimmer erhielten grosse durchsichtige Fenster, die man so
anlegte , dass sie die Sonnenstrahlen aufsaugen konnten. Auch
hatten die meisten Badeanstalten Einrichtungen zum Gebrauch
von Sonnenbädern; diese Art zu baden haben die Römer von
den Griechen gelernt. Letztere setzten sich auf den Söller ihrer
Häuser, auf dem platten Dache, nackt den Strahlen der Sonne
aus und zwar sowohl gesalbt wie ungesalbt. Diese Sonnenbäder
wurden gleich wie die Sandbäder als diätetische wie als Heil-
32
Bäder und Badewesen im Altertum.
mittel angewandt. Auch auf die Lage und Umgebung nahm
man bei der Einrichtung von Bädern Rücksicht. So lag in den
öffentlichen Thermen die Piscina dicht vor den Fenstern und in
Bäder und Badewesen im Altertum. 33
den Bädern, die der jüngere Plinius in seiner Villa Laurentina
hatte, konnte man aus dem zum warmen Bade bestimmten Gemach
eine Aussicht herrlichster Art auf das Meer geniessen.
Die Zwecke der Alten bei dem häufigen Gebrauche der
Bäder waren mannigfacher Art. Zuvörderst waren sie aus Rein-
lichkeitsgründen ihnen unentbehrlich. Die Alten trugen bekannt-
lich keine Hemden. Vornehme, die viele Kleider hatten und
dieselben häufig wechseln konnten, litten darunter weniger wie
die ärmere Bevölkerung. Ueberdies gingen die Alten meist zu
Fuss, und hatten als Schutz für ihre Füsse nur Sandalen. Daher
war es allgemeiner Brauch im Altertum, Gästen bei ihrer An-
kunft Wasser zum Waschen der Füsse zu reichen. Gewöhnlich
wurde aber fremden, besonders vornehmen Personen, die von
einer Reise kamen, "ein Bad zur Reinigung bereitet, und es galt
für einen Mann von besserer Lebensart und guten Sitten für un-
anständig, ohne ein Bad genommen zu haben, die Gesellschaft
aufzusuchen. Ferner badete und salbte man sich vor den Mahl-
zeiten, deswegen waren auch in den Palästen der Reichen die
Badezimmer dicht beim Speisesaale. In den Privatbädern richtete
man sich hinsichtlich der Zeit, in der man badete, nach Lust
und Geschmack, in den öffentlichen hingegen musste man sich
zu einer bestimmten Stunde, die durch ein Glockenzeichen an-
gekündigt wurde, einstellen; wer zu spät kam, lief Gefahr nur
kaltes Wasser zum Baden zu erhalten. Seitdem Kaiser Alexander
Severus die Erlaubnis gegeben, badete man während der schwülen
Sommerszeit auch in der Nacht in den öffentlichen Bädern.
Schwächliche und kranke Individuen pflegten vor der bestimmten
Zeit die ihnen von den Aerzten vorgeschriebenen Bäder, Ab-
reibungen und Leibesübungen zu nehmen. Bei grossen öffent-
lichen Unglücksfällen wurde der Gebrauch der Bäder zuweilen
auf eine Zeitlang als Ausdruck der Volkstrauer untersagt. Nach
jeder körperlichen Ermüdung durch Arbeiten und Leibesübungen
wurde ein Bad genommen, selbst psychische Depressionen suchte
man durch Bäder zu mildern. Homer erzählt schon, dass die
Zauberin Circe den Odysseus hiedurch aufzuheitern versucht
Marcuse, Bäder und Badewenen. 3
34 Bäder und Badewesen im Altertum.
habe. In demselben Sinne empfahlen sie Hippokrates und
Galen.
Ferner wurden Bäder im Altertum vornehmlich des Ver-
gnügens wegen genommen. Das Gefühl von Behaglichkeit und
Erfrischung, das sie verschaffen, entging der scharfen Beobachtungs-
gabe der Alten nicht, und die günstige Einwirkung, die hiedurch
auf die Gemütssphäre zu stände kommt, war ihnen ein Sporn
zur systematischen Anwendung derselben. Homer zählt bereits
die Bäder im VIII. Buch der Odyssee zu den Ergötzungen.
Vornehme Römer hatten geschmackvoll und elegant eingerichtete
Bäder, um das Vergnügen des Badens besser gemessen zu können.
Mannigfache Stellen bei Plinius und anderen Autoren zeugen
von der Wertschätzung der Bäder nach dieser Richtung hin.
Während man jedoch in den ersten Zeiten der Republik nur so
oft badete, als es die Reinlichkeit und Gesundheit erforderten,
wurde, als das römische Volk unter den Cäsaren in Weichlichkeit
und Schwelgerei versunken war, der Gebrauch der Bäder ein
massloser und eine Begleiterscheinung der zeitgenössischen Aus-
schweifungen. Während man in der republikanischen Zeit in
einfacher, naturgemässer Lebensart arbeitete und zwar in harter
Arbeit selbst die Felder bestellte, überliessen die entarteten Nach-
kommen diese Thätigkeit ihren Sklaven, um selbst ein müssiges,
weichliches Leben zu führen. In dem Bestreben, die Zeit auf
jede Weise totzuschlagen, wurden die Bäder zum Gegenstand des
Zeitvertreibes. So wie man die Tempel der Götter besuchte,
seine Gönner in den mit Büsten und Statuen der Vorfahren
prunkenden Vorsälen erwartete, auf dem Forum den gericht-
lichen Verhandlungen beiwohnte, so ging man auch aus lauter
Müssigkeitsdrang in die Bäder und öffentlichen Thermen. Prasser
und Schlemmer missbrauchten die Bäder auf eine andere Weise.
So wie es eine Zeit lang Sitte war, durch Brech- und Abführ-
mittel die überfüllten Verdauungsorgane wieder leer zu machen,
um von neuem sich den Schwelgereien hingeben zu können, war
es Mode in Rom, durch heftiges Schwitzen in den Bädern dies
zu bewirken. Der ältere Plinius rechnet diesen Gebrauch unter
Bäder und Badewesen im Altertum. 35
diejenigen, die zum Verfall des Staates mitgewirkt haben. Selbst
Gastereien üppigster Art wurden in den Bädern veranstaltet und
von hier zur weiteren Folgeerscheinung, der der sexuellen Aus-
schweifungen, wie sie in dem gemeinschaftlichen Baden beider
Geschlechter sowie in der Bedienung von verschiedenem Ge-
schlechte des Badenden sich kennzeichneten , war kein weiter
Schritt ! Schamlosigkeit und Sinneslust triumphierten und feierten
ihre Orgien unter dem Schutz der Gesetze!
Da die Weichlinge Roms auf eine feine, weisse und weiche
Haut einen grossen Wert legten, so suchten sie diese durch
Bäder und allerhand mit dem Baden verbundenen Künsteleien
und Raffinements zu erwerben und die erworbene zu erhalten.
Zu diesem Zwecke war ihnen das krystallhelle, durch Aquädukte
fortgeleitete Wasser zu schwach. Einige gebrauchten statt dessen
Fluss- oder Regenwasser ; Kaiser Nero liess mit grossen Unkosten
Seewasser für seine Bäder herbeischaffen. Seine Gemahlin Poppäa
trieb den Uebermut so weit, dass sie sich in Milch von Eselinnen
badete und wenn sie auf Reisen war, fünfhundert Tiere deshalb
nachtreiben liess. Der sinnliche Luxus stieg so weit, dass das
Badewasser häufig mit' wohlriechenden Stoffen geschwängert
wurde. Heliogabal liess zum Beispiel Safran und wohlriechende
Parfüms dem Badewasser beimischen. So gebrauchte man statt
des gewöhnlichen Oeles dasjenige von Rosen, Safran, Pappeln-
blüten und anderen wohlriechenden Pflanzen; auch Salben
mancherlei Art, wie von Myrrhe, Lavendeln etc. dienten dem
gleichen Zwecke. Diese kosmetischen Spielereien erstreckten sich
auch auf die Pflege der Nägel, der Haare und alles Uebrige.
Der wichtigste Zweck jedoch der Bäder im Altertum war
hygienischerNatur; das auf Grund eingehender Vorschriften
angeordnete und mit Friktionen und Leibesübungen verbundene
Baden machte bei den Alten den vorzüglichsten Teil der ärzt-
lichen Behandlung aus. In prophylaktischer wie therapeutischer
Hinsicht spielten die Bäder eine massgebende Rolle und nahmen
in den physikalisch-diätetischen Behandlungsmethoden der Alten
einen breiten Raum ein. Die ersten zusammenhängenden diäte-
36 Bäder und Badewesen im Altertum.
tischen Systeme findet man in den Hippokratischen Schriften;
ihre allgemeinen Grundsätze, dass jede plötzliche Veränderung
für den menschlichen Körper schädlich sei, und dass man des-
wegen nur allmählich von einer Lebensweise und von jeder Ge-
wohnheit zu einer anderen übergehen dürfte, ferner dass eine ge-
wisse Harmonie in allen zur Lebensordnung gehörigen Verhält-
nissen statthaben müsse und dass jede Unmässigkeit nachteilige
Folgen nach sich ziehe, wandten sie auch auf den Gebrauch der
Gesundheitsbäder an und gaben den Badenden die Vorschrift,
nur in allmählichen Nuancen von einer Wärmetemperatur zur
anderen überzugehen. Ausser diesen vortrefflichen, für das medi-
zinische Denken so folgereichen Grundsätzen scheinen sie freilich
auch zuweilen bei Bestimmung der Anwendung der Bäder die
von den Philosophen der damaligen Zeit aufgestellte Lehre von
den Elementen, den Elementarfeuchtigkeiten im menschlichen
Körper und ihre Veränderung bei Krankheiten zum Regulativ
genommen zu haben. Die vorzüglichsten der in den Hippo-
kratischen Schriften enthaltenen Notizen bezüglich der Bäder
sind folgende: Die betreffenden Autoren bestimmen genau,
was im allgemeinen und in einzelnen Fällen vor und nach dem
Bade zu thun sei, die Zeit, welche man darin zu verweilen, wie
oft man Gebrauch davon machen dürfe. Sie zeigen die Fälle
an, in denen gewöhnliche Wasserbäder, in denen mineralische
oder medikamentöse Bäder vorzuziehen seien. Sie lehren, dass
man weder kurz vor, noch nach dem Essen und Trinken Bäder
nehmen und dass man den nassgewordenen Kopf mit einem
Schwamm trocknen solle. Sie setzen auseinander, wann kalte
und wann warme Bäder passend sind ; vor dem Baden raten sie
im allgemeinen massige Leibesübungen und mehr oder minder
starke Abreibungen mit oder ohne Oel.
Eingehende Beobachtungen über die Anwendung von Bädern
in krankhaften Anlagen wie in wirklichen Krankheitsfällen finden
wir weiterhin bei der Hippokratischen Schule. Fetten Individuen,
die magerer zu werden wünschen, ist das Baden nachteilig, starke
und vollblütige Personen dürfen täglich baden, schwächliche da-
Bäder und Badewesen im Altertum. 37
gegen nur selten. Bei der Epilepsie, bei alten Geschwüren, bei
bestimmten Fieberarten verwarfen sie Bäder ganz , bei Augen-
krankheiten, bei Steinbeschwerden, bei eintägigem Fieber etc.
empfehlen sie dieselben. Auch hinsichtlich der Temperatur des
Wassers werden eine Reihe von Verordnungen getroffen. Sie
verbieten zum Beispiel die warmen Bäder den Kindern, die kalten
allen denen, die an Nervenkrankheiten und Kopfweh leiden.
Hingegen empfehlen sie die kalten Bäder in gewissen Fällen von
hitzigem und hektischem Fieber, von Gelbsucht etc. Mineral-
bäder wurden hauptsächlich bei Wassersüchtigen angewandt.
Welchen Wert man bei den Griechen der richtigen Anwendung
der Bäder in Krankheiten beimass, mag daraus erhellen, dass
die Verfasser der Hippokratischen Schriften es für besser hielten,
sie gar nicht, als zweckwidrig zu gebrauchen und zwar aus Furcht,
die krankhaften Erscheinungen zu steigern, statt sie zu vermindern.
Von den Griechen gingen die Begriffe von dem diätetischen
und klinischen Nutzen der Bäder und der damit verbundenen
Friktionen und Leibesübungen auf die Römer über. Besonders
hat der in Rom praktizierende griechische Arzt Asklepiades zur
richtigen Anwendung derselben viel beigetragen. Asklepiades
scheint im ganzen die Vorschriften der älteren griechischen
Aerzte in Hinsicht auf den diätetischen und klinischen Gebrauch
der Bäder befolgt, sich aber doch nicht sklavisch daran gebunden
zu haben. Er war nicht so ängstlich in ihrer Anwendung wie
jene, berücksichtigte die schon stark im Aufblühen begriffene Ver-
weichlichung seiner Zeit und verband neue diätetische Hilfsmittel
mit ihnen; besonders scheint er der Anwendung der Friktionen
eine grössere Ausdehnung und genauere Bestimmung gegeben zu
haben. Celsus, der das Lehrsystem des Asklepiades teilweise
auch zu dem seinigen machte, hat in einer auf uns gekommenen
Schrift die Maximen seines Vorgängers hinsichtlich des Nutzens
der Bäder, der Friktionen und Leibesübungen wiedergegeben.
Ihm zufolge hat Asklepiades bei Behandlung der meisten Krank-
heiten Bäder und methodische Friktionen allen innerlich ge-
gebenen Arzneien bei weitem vorgezogen.
38 Bäder und Badewesen im Altertum.
Die verschiedenen medizinischen Schulen des Altertums
warfen diese Grundsätze teilweise wieder über den Haufen, immer
aber wieder kamen sie erneut in einzelnen Vertretern der ärzt-
lichen Kunst zum Vorschein. So war es vor allem Aretäus von
Kappadokien, der in scharf erBeobachtung, gepaart mit selbständigem
Denken, eine Reihe von Indikationen für die verschiedenen Arten
von Bädern aufstellte. Er empfiehlt warme Bäder gegen die Me-
lancholie, Schwefelbäder gegen den Aussatz, der damals aus dem
Orient sich in ganz Italien verbreitet hatte. Bei starken Kopf-
schmerzen und Schwindel hält er das Begiessen des Kopfes mit
kaltem Wasser für nützlich ; in hitzigen Fiebern trachtete er durch
warme Bäder die Krisen zu befördern. Ungefähr zu derselben
Zeit war in Rom ein ausübender Arzt, Namens Herodot, der vor-
züglich Leibesübungen, Friktionen und Bäder empfahl. Oelbäder
und Seebäder fand er in einer Reihe von Krankheiten nützlich;
durch heisse Sandbäder suchte er Engbrüstige, Wassersüchtige
und Gichtiker zu heilen.
So wechselten im Laufe der Zeiten die Anschauungen, und
man hatte zur Zeit als Claudius Galenus von Pergamum nach Rom
kam, die erfahrungsmässigen Grundsätze des Hippokrates hin-
sichtlich des Gebrauches der Bäder fast ganz vergessen und man
behandelte, vom Sektengeist und der Modesucht verführt, die
Kranken ohne feste, aus der Erfahrung hergeleitete Regeln. Wie
damals, so hat man auch aus früheren Zeiten prägnante Beispiele,
dass die Herrschaft der Mode auf den Badegebrauch grossen
Einfluss hatte. So wurden z. B. die kalten Bäder allgemein
gepriesenes Modemittel, als durch sie Kaiser Augustus von
einem hartnäckigen Rheumatismus durch Antonius Musa geheilt
worden war, und sie verloren diesen Ruf wieder, als Marcellus,
der Sohn der Octavia, kurz nach Gebrauch derselben gestorben
war. Zur Zeit des Kaisers Nero waren ganz heisse Bäder Mode.
Häufig liess man sich mit kaltem Wasser begiessen, wenn man
diese Bäder verliess, und dies wurde wiederum derart übertrieben,
dass Kaiser Hadrian Verordnungen dagegen erliess.
Der grosse Arzt aus Pergamum, Galen, der die hippo-
Bäder und Badewesen im Altertum. 39
kratischen Erfahrungsregeln wieder in Erinnerung brachte, hat
sich auch um den diätetischen und klinischen Gebrauch der Bäder
und der damit verbundenen Friktionen und Leibesübungen ein
unsterbliches Verdienst erworben. In der Diätetik nahm er keine
allgemein gültigen Sätze an, sondern lehrte auf individuelle Ver-
schiedenheiten, besonders in Hinsicht auf Alter, Klima, Gewohn-
heit und Temperament Rücksicht zu nehmen. Er hielt die
Diätetik und vornehmlich den regelmässigen Gebrauch der Bäder
und Uebungen sowohl zur Erhaltung der Gesundheit wie zur
Verhütung und Heilung der Krankheiten für äusserst wichtig
und trennte sie als eine eigene ärztliche Doktrin von der Gym-
nastik, zu der sie bis dahin gehört hatte. Galen Hess die neu-
geborenen Kinder mit Balz bestreuen, mit Oel einreiben und mit
lauwarmem Wasser waschen. Bei dem Gebrauch der Bäder und
der palästrischen Uebungen nahm er auf die Entwicklung des
Organismus in den verschiedenen Lebensaltern Rücksicht. Er
verbietet z. B. bis zum 21. Lebensjahre die starken Leibesübungen
und das kalte Bad, welch beides er vor der Zeit der organischen
Ausbildung für schädlich hielt, und wandte sich in schärfster
Weise gegen die zu seiner Zeit in Rom wieder zur Mode ge-
wordene schematische Anwendung des kalten Bades.
Man ging sogar so weit, dass man — tout comme chez
nous ä la Kneipp — neugeborene Kinder in kaltem Wasser und
in Flüssen badete und sich hierbei darauf berief, dass die damals
wegen ihrer Grösse, ihrer körperlichen Stärke und ihres Helden-
mutes berühmten Deutschen diese Sitte hätten. Kulturhistorisch,
gerade im Hinblick auf die gleiche vor wenigen Jahren unseres
Zeitalters von dem Kneippianismus inaugurierte Methode, die
neugeborenen Kinder sofort ins kalte Wasser zu stecken, ist es
interessant, wie Galen diese Exzentrizität bekämpfte: „Ich habe",
sagt er, „mein Buch nicht für Deutsche, auch nicht für Bären und
wilde Schweine geschrieben, sondern für Griechen oder wenigstens
für solche Menschen, die griechische Ueberlegung haben. War
es jemals erhört, das kleine, noch von der Gebärmutter warme
Kind in kaltes Wasser zu werfen, als ob es ein glühendes Eisen
40 Bäder und Badewesen im Altertum.
wäre? Kommt das Kind mit dem Leben davon, so mag es dann
sein, dass dadurch seine natürliche Stärke geprüft und noch durch
die Berührung des kalten Wassers vermehrt worden ist. Aber
welch eine vernünftige Mutter, welche nicht ganz eine Skythin
wird, wird an ihrem Kinde einen Versuch wagen, der, wenn er
nicht gelingt, nichts weniger als den Tod desselben zur Folge hat,
um so viel mehr, da aus diesem Versuche gar kein Vorteil er-
stehen kann. Für einen Esel oder ein anderes lasttragendes Vieh
mag es ein Vorteil sein, so einen steinharten Rücken zu haben,
der gegen Kälte und Schmerz gefühllos ist ; aber was nützt dies
dem Menschen?" Aus diesem interessanten Beispiel sieht man
einmal den Cirkulus, den alle therapeutischen Experimente im
Laufe der Zeiten machen, vor Jahrtausenden unter dem Beifall
der Massen mit derselben Emphase auftretend wie heute, und
man sieht ferner die klare und energische Abweisung dieser
gefährlichen Methoden seitens eines klar denkenden Arztes, wie
es Galen war.
Er schuf auf dem Gebiete der Bäderanwendung feste, nutz-
bringende Begriffe und fügte ein System der Bäderbehandlung
der an und für sich schon in der Volksseele vorhandenen hohen
Wertschätzung und Würdigung derselben für die Erhaltung der
Gesundheit und Verhütung der Krankheiten bei. Dieses Bewusst-
sein von der Bedeutung der Bäder für das römische Volk erhellt
wohl am besten aus der Aeusserung des älteren Plinius, dass dieRömer
in den ersten sechshundert Jahren nach Gründung der Republik
statt aller Arzneien sich mit den Bädern allein beholfen hätten,
und dass die Sterblichkeit nicht grösser gewesen sei, als nach
Ankunft und Aufnahme der griechischen Aerzte!
Das Badewesen des Altertums, das das ganze Geflecht der
Sitten und Gebräuche der klassischen Völker durchzog und eine
Blüte erreichte, wie sie ihm seitdem nie mehr geworden ist, hat
trotzdem das Los aller menschlichen Dinge getroffen, indem es
allmählich gänzlich in Verfall geraten ist. Dieselben Ursachen,
die das stolze Rom von seiner weltbeherrschenden Stellung herunter-
rissen, vernichteten auch die so wohlthätigen diätetischen und
Bäder und Badewesen im Altertum. 41
hygieinischen Einrichtungen. Die sinnlose Schwelgerei im Innern,
die Stürme der Völkerwanderung von aussen und endlich die
hereinflutende christliche Askese waren die Totengräber jener Pflege
des Körpers. Thermen und Privatbäder wurden in Schutthaufen
verwandelt, als die Goten unter Alarich Kom einnahmen und
während dreier Tage plünderten und verheerten. Und was von
dem Raubzug der Goten noch übrig geblieben war, wurde bald
nachher von den Vandalen und Longobarden vernichtet. Die
letzten Bäder wurden des Wassers beraubt und geschlossen, ihr
Baumaterial ward mit Gier zur Erbauung von Kirchen verwandt,
ihr kostbarer Marmor kam in die Kalköfen und ihre Riesen-
mauern wurden Steinbrüche. Die Aqua Virgo allein, welche heute
noch fliesst, entging infolge ihrer ausgedehnten unterirdischen
Leitung diesem Zerstörungswerk ! Heute steht der Altar des
heiligen Petrus im Kloster St. Pietro in vinculis triumphierend
über dem Thermen vollbad des Titus, des Zerstörers Jerusalems,
ein Badesaal von Diokletians Thermen ist heute das Hauptschiff
einer Karthäuserkirche, und wir sehen in krassem Gegensatze
das lebensfrohe harmonische Motto der Thermen „Salubritati"
jetzt in das düstere, asketische „Memento mori" verwandelt.
Antike Labra und Badewannen dienen gegenwärtig in Kirchen
als Taufsteine oder Reliquienschreine, künstlerische Badesessel als
Bischofsstühle.
Sic tempora mutantur!
II. Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Das weltumspannende Rom war gefallen und mit ihm die
höchste Blütezeit, die das Badewesen je erreicht hat, dahingesunken :
Auf den Trümmern des römischen Weltreichs spinnt sich der
Faden der Geschichte weiter, und von seinem Abglanz noch er-
hellt, tauchen neue Epochen jener weisen und lebensfrohen Pflege
des Körpers wieder aufl Als Konstantin der Grosse 330 n. Chr.
Byzanz zur Residenz erwählt hatte, suchte er die alte Pracht
der Thermen wieder erstehen zu lassen und schmückte sie mit
den aus Rom geraubten Schätzen. Die folgenden Kaiser eiferten
ihm nach, und so erstanden nicht nur in Konstantinopel, sondern
auch in den Provmzstädten des oströmischen Reiches Bäder,
Wasserleitungen und Thermen. Unter Kaiser Valens wurde im
Jahre 375 eine gewaltige Anlage vollendet, die den Namen seiner
Tochter Carosa trug und dem Volke zur unentgeltlichen Benutzung
überlassen wurde.
Von der Hauptstadt des oströmischen Reiches lassen sich
die römischen Badeeinrichtungen bei ihrer weiteren Weltwanderung
hauptsächlich auf zwei Wegen verfolgen. Der eine dieser Wege
führte nach dem nördlichen Europa, der andere wandte sich
nach Süden, zog um das Mittelmeer herum, gelangte nach Algier
und endigte in Spanien! Die Träger römischen Badewesens auf
diesem letzteren Wege waren die Sarazenen. Mit dem Aufblühen
der medizinischen Wissenschaften bei den Arabern zu Anfang
des VIII. Jahrhunderts fand auch der regelmässige Badegebrauch
bei ihnen Aufnahme. Die römischen Bäder, die sie auf ihren
Bäder und Badeweeen im Mittelalter. 43
Eroberungszügen in Nordafrika und Süditalien vorfanden, waren
ihre Vorbilder ; sie benutzten und entwickelten dieselben auf ihre
Art. Deshalb ist in den maurischen Bädern der Ursprung überall
unverkennbar. Auch die Heizvorrichtungen derselben entsprechen
bis auf den heutigen Tag den altrömischen Vorbildern. In einem
der bedeutendsten Denkmale maurischer Baukunst, der vom
XII. bis XIV. Jahrhundert erbauten Alhambra zu Granada findet
man Räume für die verschiedenen Badeformen, wie wir sie bei
den Römern kennen gelernt haben.
Auf dem nördlichen Wege waren es die Türken, die die
römischen Badeeinrichtungen zu den ihren machten und dank
der weisen Fürsorge ihres Religionsstifters Muhammed Waschungen
und Pflege des Körpers als ein religiöses Gebot ansahen. Von
den römischen Einrichtungen behielten sie das Heissluftbad mit
seiner Hyppokaustenheizung bei; an den Wasserübergiessungen
nach dem Schwitzen hielten sie ebenfalls fest. Das Vollbad und
das Schwimmbad streiften sie ganz ab, ebenso die bei den
Römern mit dem Bade verbundene Gymnastik; einen teilweisen
Ersatz für letztere schufen sie durch Einführung der Massage.
In dieser veränderten Form bürgerte sich das Badewesen überall
ein, soweit die Glaubenslehre des Islam reicht.
Bei den germanischen Stämmen des Altertums findet sich
ursprünglich das kalte Fluss- und Seebad. Sie badeten gemeinsam
mit ihren Frauen (Promiscue in fluminibus perluuntur: Caesar
Bell. Gall. IV) und tauchten gleich den Skythen die Neugeborenen
in kaltes Wasser, um Lebenskraft und künftiges Geschick ihrer
Kinder zu prüfen. Tacitus berichtet, dass sie täglich nach dem
Aufstehen badeten, und teilt ferner mit, dass ihnen auch warme
Bäder nicht fremd waren. Letztere wurden nicht nur in natürlich
warmen Quellen gesucht, sondern auch in Wannen oder Kufen
bereitet. Man erwärmte Wasser in irdenen Geschirren und goss
es dem Badewasser zu oder warf in letzteres heisse Steine. Durch
schlanken Körperbau unterstützt, übten die Germanen der ältesten
Zeit das Schwimmen mit leidenschaftlicher Vorliebe, und die
Markomannen und Quaden, die Marc Aurel in Städte verpflanzte,
44 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
erklärten, sie könnten es hier schon deshalb nicht aushalten,
weil ihnen die Gelegenheit zum Baden im fliessenden Wasser
abgehe. Auch im IV. Jahrhundert n. Chr. werden die Ger-
manen als meisterhafte Schwimmer gepriesen, während ein
römischer Dichter des folgenden Jahrhunderts dem Stamme der
Franken den Preis im Schwimmen vor allen anderen Völkern
zuerteilt. Und so blieb Jahrhunderte hindurch die Liebe für
das Schwimmen erhalten und ein sorgsam gehütetes Gut, wie
wir aus einer Reihe von Schilderungen und Beispielen aus jener
Zeit ersehen. Vor allem sind es drei deutsche Kaiser, die uns
als tüchtige Schwimmer gerühmt werden, Karl der Grosse, von
dem sein Biograph Einhard sagt, es habe sich mit ihm in dieser
Fertigkeit kaum einer messen können, Otto IL, der bekanntlich
nach der Schlacht bei Cotrone durch seine Schwimmkunst der
Gefangenschaft entging, und Friedrich Barbarossa, der seine Lust
am Flussbade mit dem Leben büssen musste. Bekannte deutsche
Sprichwörter waren Optimi natatores saepius submerguntur und
Durum est natare contra impetum fluminis und in dem thü-
ringischen Ritterspiegel finden wir unter den sieben Behendig-
keiten, die der Ritter besitzen müsse, auch folgende aufgezählt:
„Die zweite ist, dass er schwimmen kann,
Dass im Wasser dreist er tauche,
Dass sich krümm' und drehe der Mann
Auf dem Rücken von dem Bauche."
Doch der finstere Geist des Mittelalters, dem jede harmo-
nische Lebensauffassung verhasst, dem jeder körperliche Sport
als eine Schädigung des allein zu erstrebenden Seelenheiles er-
schien, ertötete diese natürliche und gesunde Uebung durch Askese
und Strafen, so dass man zeitweise das kalte Bad als Kastei-
ung und Beschwörungsform beim Exorcismus anwandte. Dem
Pietismus folgte die natürliche Schwester, die abergläubische
Furcht. Und so fing man an, die Anwendung des kalten Wassers
nicht nur aus Gründen des Seelenheils zu verbieten, sondern auch
ihm vermeintliche schädliche Folgen auf den Körper anzudichten.
Wie sehr man damals das kalte Wasser fürchtete, dies beweist
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 45
allein jene Kirchenverordnung vom Jahr 1287, die die ursprüng-
liche Vorschrift zur Vornahme der Taufe dahin abänderte, dass
der Täufling nicht mehr ins kalte Wasser eingetaucht zu werden,
sondern nur mit kühlem übergossem zu werden brauche, und
dass sogar erlaubt wurde, das Wasser im Winter zu erwärmen.
Ut caveatur periculum baptisandi, lautet nämlich der Beschluss
des Konzils, non mergatur caput pueri in aqua, sed sacerdos
super verticem pueri ter infundat aquam. Und als man im
16. und 17. Jahrhundert begann, in dem Nackten etwas Unsitt-
liches und Obscönes zu sehen, da wurde vollends dem frohen
Treiben der Jugend durch Polizeimassregeln das Lebenslicht aus-
geblasen. War also von Natur aus den Germanen die Anwendung
warmen Wassers zum Badegebrauch fremd, so lernten sie doch das-
selbe gleich wie die Gallier von den Römern kennen; Tacitus
berichtet, dass die Männer in Friedenszeiten sich zu später Morgen-
stunde von der Nachtruhe erhoben und alsdann ein warmes Bad
genommen hätten. Besondere Badestuben oder Badehäuser gab
es bereits zur Zeit der Abfassung der Volksrechte (VI. Jahrhundert
und ff.), wie aus dem Alemannischen Rechtsbuch hervorgeht,
auch wird im Gesetz der Bayern der balnearius, Badmeister, er-
wähnt. Von hervorragenden, den Gebrauch der'warmen Bäder illu-
strierenden historischen Episoden und Persönlichkeiten sei der
Tod des Langobarden Helmichis, dem aus dem Bade steigend
seine Gattin Rosamunde einen vergifteten Trank reicht, erwähnt,
ferner Karl der Grosse, der häufig in Gesellschaft seiner Anver-
wandten in Aachen badete, Ludwig der Fromme etc. Von wesent-
lichem Einfluss auf die Entwicklung des Badewesens war die
Kirche. Infolge jener unbegrenzten Vorliebe der Römer für warme
Bäder sahen sich die Erben der Siebenhügelstadt, in der noch
bis ins X. Jahrhundert acht aus klassischer Zeit stammende Bäder
sich erhalten hatten, die Päpste, veranlasst, ausschliesslich für
Personen geistlichen Standes bestimmte Baderäume zu erbauen.
Diesem Beispiele folgend gestatteten auch die Ordensregeln der
Klöster ihren Insassen massigen Gebrauch der warmen Bäder.
Vor allem war es Benedikt, der Stifter des angesehensten Mönchs-
46 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
ordens des Abendlandes, der dies erlaubte, und seine Jünger, die
sich über den ganzen Occident verbreiteten, trugen den Gebrauch
warmer Wasserbäder selbst nach Landstrichen, in welche Römer
nie gedrungen waren. Manche dieser Klöster wurden in der Nähe
warmer Mineralquellen errichtet, und dann fand man oft Arme
und Reiche an solchen vor Klöstern vorbeifliessenden warmen
Quellen, deren Pflege den Mönchen oblag. Wo solche Quellen
fehlten, und dies war selbstverständlich bei dem grössten Teil
der Klöster der Fall, dort wurde, um erwärmtes Wasser stets zur
Hand zu haben, das Bad neben der Küche erbaut. In Klöstern
nördlicher Länder wurde wenigstens bis gegen die Mitte des
XII. Jahrhunderts von der Badeerlaubnis Benedikts nur massiger
Gebrauch gemacht. Man badete dort nur vor hohen Festtagen,
so vor Weihnachten, Ostern, Pfingsten, in manchen auch vor der
heil. Kommunion. Jegliches Baden mieden die Anachoreten des
Morgenlandes, die den Gipfelpunkt der Askese anstrebten. Dem
Laienpublikum der ersten christlichen Jahrhunderte war der Be-
such öffentlicher Bäder, insofern diese der Förderung der Gesund-
heit und nicht der Ueppigkeit dienten, freigegeben. Ja durch
das Vorbild der Taufe Christi und durch das Sakrament der
Taufe erhielt das Baden eine gewisse Weihe, ein Umstand, der
auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass man die Badekufen
— Badzuber genannt — gleich denen der Taufbecken kreisför-
mig gestaltete. Enthaltung vom Bade wurde als eine Art kirch-
licher Strafe auferlegt, denn Pönitenten wurde der Genuss des
Bades untersagt. Aus gleichem Grunde enthielt man sich
während der Zeit der Fasten, als einer Zeit der Busse und Trauer,
gleich wie in der Karwoche, des Bades, und noch in späterer
Zeit war es Badenden untersagt, ihre Bäder des Freitags zu
heizen. Die Ueberlieferung verzeichnet eine grosse Reihe von
„heiligen" Männern, Fürsten und Fürstinnen, die aus Askese das
Baden gemieden haben sollen, bei dem überwiegenden Teil der
Frommen jener Jahrhunderte jedoch übte die alttestamentarische
Ansicht, dass die durch das Element des Wassers vollzogene
Reinigung des Leibes ein Symbol und Förderungsmittel geistiger
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 47
Reinheit sei, ihren entscheidenden Einfluss. Sie spricht sich in
dem vor Festtagen genommenen Bade, wie in jenem vor Erhalt
des Ritterschlages wie nicht minder in der Sitte des Waschens
der Toten aus. In diesem Sinne liess der h. Corbinian sein Ende
herannahen fühlend ein Bad sich bereiten und Haupt- und Barthaar
scheren. Gleiches wissen wir von Burchard, Bischof zu Worms.
Diese religiösen Anschauungen des Mittelalters im Verein mit der
angeborenen Neigung, der Berührung mit der Kultur der Römer,
dem Eindringen des mit morgenländischer Sitte und Anschauung
untermischten Christentums, vor allem aber mit der durch die
Kreuzzüge des XII. Jahrhunderts gepflegten unmittelbaren Ver-
bindung mit dem Orient, trugen wesentlich dazu bei, die Sitte
des Badens unter den germanischen Stämmen und im ganzen
nördlichen Europa zur allgemeinsten Ausbildung zu bringen, wo-
von uns besonders die poetischen Darstellungen jener Zeiten
sprechende und anziehende Beweise überliefert haben. Es wurde
direkt zu einer Pflicht der Gastfreundschaft, dem ermüdeten Gaste
ein Bad zu bieten, von einer Reise Heimkehrende badeten gleich-
falls, und ebenso erquickte man sich nach mühe- oder entbehrungs-
voller Zeit durch ein Bad; so die aus Waffenkampf oder aus
Gefangenschaft Zurückkehrenden. Besonders finden wir auf den
Ritterburgen, die in Deutschland zuerst ein häusliches Leben in
behaglicherer Fülle entwickelten, das warme Bad als den unent-
behrlichsten und erquickendsten Genuss des Hauses dargestellt.
„Man schuf ihm gut Gemach von Kleidern, Speis und Bade"
heisst es an manchen Stellen im Iwein und Tristan und im
Biterolf:
Und C-itmther dann die Helden bat,
Dass sie nach Haus sich Hessen laden,
Er wollte schön sie heissen baden!
Und ihnen schenken seinen Wein!
Der von der Greifeninsel glücklich heimgekehrte Hagen er-
weist sich gegen die mit ihm geretteten „drei Jungfrauen" be-
sonders aufmerksam und ausser kostbaren Kleidern lässt er ihnen
auch häufig Bäder bereiten. So lässt auch der alte Gurnemanz
48 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
de Graharz seinem Parzival am Morgen ein Bad bereiten und
die Badekufe in das Schlafzimmer bringen. Das Wasser ist mit
Rosenblättern bestreut. (S. die Darstellung des Jakob von Warte
in der Pariser Minnesinger Handschrift ; Hagen, Bildersaal T. XI).
Sobald der junge Ritter in der Kufe sitzt, kommen zwei Jung-
frauen, die ihn waschen, als sie ihm aber das Badelaken anbieten,
schämt er, der junge, unerfahrene, sich doch und „die Juncfrouwen
muosen gen". Auf einem Bilde, welches die berühmte, manes-
sische Liederhandschrift enthält, sitzt ein Ritter ganz nackt in
einer Wanne, seine Brust und das Wasser sind mit Blumen be-
streut, ein Jungfräulein will ihm einen Kranz aufsetzen, ein an-
deres kredenzt ihm den Becher. Zu den Füssen der Wanne
hängt ein Kessel mit dem warmen Wasser über dem Feuer, das
ein Badeweib mit dem Blasbalg anfacht. (Es war das etwas ganz
gewöhnliches, dass Mädchen die Ritter beim Baden bedienten.)
Wahrscheinlich hatten die Männer, ehe sie ins Bad stiegen, eine
Art Badehose angelegt, die wir uns vielleicht ähnlich denken
dürfen wie die Schamgürtel, welche die Schacher auf den Dar-
stellungen der Kreuzigung um die Hüften befestigt haben. Es
ist dies die Queste, deren öfter gedacht wird. Ja, die Damen
nahmen nicht Anstand, mit den Herren gemeinsam zu baden ;
sie schmückten sich dann nur mit dem schönsten Kopfputz. Aus
den früheren Jahrhunderten haben wir darüber keine bildlichen
Darstellungen, die erste finden wir in einem Codex des Valerius
Maximus aus dem Jahre 1470. In einem grossen Zimmer sind
da Badekufen aufgestellt, in denen immer gegenüber je ein Mann
und eine Frau sitzt; zwischen ihnen liegt ein Brett, auf dem Er-
frischungen stehen. Die Männer tragen jene oben schon erwähnte
Schambinde, die Frauen dagegen sind ganz nackt, haben aber
die hohen Hennins auf und tragen goldene Halsketten. Beson-
dere Badestuben gab es in den Burgen anfänglich nicht; sondern
man bereitete das Bad in einer Wanne, die man auf den Burgen
im Schlafzimmer oder in einem Saal, in den Klöstern in einer
Zelle oder sonst einem geeigneten Räume aufstellte. Später wur-
den auf den Burgen besondere Baderäume eingerichtet. Im
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 49
„Herzog Ernst" wird uns ein solches Badezimmer beschrieben ;
es ist mit grünem Marmor getäfelt, gewölbt, hat aber kein Wasser-
bassin, sondern zum Baden sind zwei Wannen bestimmt, in welche
warmes und kaltes Wasser hineingeleitet wurde. Ein Abzugs-
kanal aus grünem Marmor lässt das überschüssige Wasser ab-
fliessen; staut man ihn, so kann man die ganze Burg abspülen.
Wir erfahren dies ferner aus einer dem XV. Jahrhundert an-
gehörenden Beschreibung der Burg Thiersberg in der Ortenau.
Dort hatte das jüngere der beiden auf der Burg vorhandenen
Wohngebäude im Erdgeschoss neben der Backstube eine Bade-
stuben-Kemnate. Als man in den Klöstern zur Anlage eigent-
licher Baderäume überging, legte man diese meist, um warmes
Wasser bequem bei der Hand zu haben, neben die Küche, so
u. a. im Kloster St. Gallen, wo das Bad an die Küche stiess, die
zwischen der Kirche und dem Refektorium lag. Jedoch finden
sich auch vereinzelt Baderäume mit selbständiger Heizvorrich-
tung. Ein Beispiel hierfür ist uns im Kloster Maulbronn erhalten
geblieben. Ueber einem mit starken Mauern umschlossenen ge-
wölbten Räume, der als Heizkammer anzusehen ist, befindet sich
ein kleines Zimmer ; die im gewölbtem Räume durch Verbrennen
von Holz erzeugte heisse Luft wurde mittels Löcher durch die
Wölbung in das obere Zimmer geleitet, das vermutlich gleich-
zeitig als Schwitz- und Baderaum gedient hat. In der Nähe der
Badstube befindet sich meist ein Ziehbrunnen.
Mit dem Aufblühen des bürgerlichen Lebens wurde auch in
den Städten der Gebrauch des Bades ein allgemeiner und zur
Lebenssitte. Das Badelaken, das grosse Tuch, das man beim
Verlassen des Bades umnahm, gehört schon im Sachsenspiegel
(um 1230) zur Brautausstattung und bereits Vincenz von Beauvais
(t 1264) giebt Vorschriften über die Anlage von Hausbadstüblein,
die „ebenso der Belustigung wie der Gesundheit dienen". Ein mittel-
alterliches Sprichwort sagt: „Wiltu ein Tag fröhlich sein? Gehe ins
Bad. Wiltu ein Wochen fröhlich sein? Lass zur Adern. Wiltu ein
Monat fröhlich sein? Schlacht ein Schwein. Wiltu ein Jahr
fröhlich sein? Nimm ein jung Weib." Das Baden galt gewisser-
Marcnse, Bäder und Badewesen. 4
50 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
massen als eine Volksbelustigung. Wie in späteren Jahrhunderten
etwa ein Freitheater, so gab man in früheren bei festlichen Ver-
anlassungen ein Freibad zum besten. Unser heutiges „Trinkgeld"
führte in jener Zeit den Namen „Badegeld", bei Hochzeiten be-
kam das Gesinde, bekamen Arbeitsleute, Handwerker etc. Bade-
geld. In der ursprünglichen Zeit war das Baden noch auf hohe
Festtage und wichtige Ereignisse des Lebens beschränkt; so
badeten Bräutigam und Braut vor der Hochzeit 1 ), man badete
am Vorabend hoher Kirchenfeste, wie Weihnachten, Ostern,
Pfingsten, auch vor der Kommunion etc. Diese Hochzeitbäder
wurden mit solchem Aufwand — ein zahlreiches Gefolge be-
gleitete das Paar, kostbare Badewäsche wurde an die Gäste ver-
teilt, üppige Zechgelage schlössen sich an — gehalten, dass die
Obrigkeiten dagegen einschritten und dieselben entweder ganz
verboten oder genau festsetzten, wieviel Badegäste das Brautpaar
laden und wieviel Gerichte es aufsetzen dürfe. An anderen Orten
schloss man die Hochzeit und andere Festlichkeiten auch mit
einem allgemeinen Bade, das man den Gästen gab, und das man
„ausbaden" nannte.
Späterhin, mit der festen Einbürgerung der Badesitte, be-
schränkte man sich nicht bloss auf Fest- und Feiertage, sondern
man suchte mindestens wöchentlich einmal die Badestube auf.
Diese Nachfrage bestimmte das Erstehen zahlreicher öffentlicher
Badestuben in Stadt und Dorf gegenüber der bisherigen primi-
tiven Form des Hausbadestübleins oder der gewöhnlichen Bade-
kufe. Der Tag der Woche, an dem vornehmlich gebadet wurde,
war der Samstag als Vorabend des Sonntags. Bei vielen Hand-
werkern erhielten die Gesellen des Samstags ein besonderes Bade-
geld, das sie bei Nichtanwendung dem Meister zurückgaben. In
der freien Reichsstadt Frankfurt a. M. bekamen sogar der Herr
Bürgermeister und andere städtische Beamte alle Sonnabend eine
Zahl Pfennige, welche Badeheller genannt wurden. Am Freitag
') Bekanntlich zählte auch bei den Griechen das Baden sowohl der Braut
wie des Bräutigams in dem Wasser eines Flusses oder Quelle zu den Hoch-
zeitsgebräuchen. (Pauly, Real-Encycl. 5, 778.)
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 51
zu baden, war den Christen verboten, den Juden war dieser Tag
freigegeben; letztere errichteten sich jedoch vielfach aus ritualen
Gründen eigene Bäder. Die zunehmende Ausbreitung der öffent-
lichen Bäder liess sie auch allmählich ergiebig für eine Steuer-
belastung erscheinen, und so zog die Landesherrlichkeit die Bad-
stube gleich der Schenke, Schmiede und Mühle in ihre Regalien
ein. Die Errichtung neuer Bäder wurde von der obrigkeitlichen
Erlaubnis abhängig gemacht, selbst Privatgebäude, wenn zu diesem
Zwecke Wasser aus einer Mineralquelle dahin geleitet werden
sollte, unterlagen dieser. Diese öffentlichen, konzessionierten
Bäder führten die Bezeichnung die ehehaften (d. h. die gesetz-
lichen, die privilegierten). Bei Städtegründungen oder bei Er-
hebung von Orten zu solchen verlieh man diesen mit den anderen
Ehehaften auch das Recht, Badestuben errichten oder besitzen zu
dürfen, und diese Bäder waren städtische. Die Städte wiederum
verpachteten ihre Bäder an Unternehmer, die sogenannten Bader,
die sich zu Zünften zusammenschlössen und später oder an ein-
zelnen Orten die Badeanstalten als Erblehen zuerteilt erhielten,
resp. sie in Privatbesitz hatten.
Im XVI. Jahrhundert finden wir sowohl in jedem einiger -
massen behaglich eingerichteten städtischen Bürgerhause wie auf
jedem grösseren Bauernhof eigene Badestüblein. Häuser, welche
besondere Badestuben nicht haben konnten, besassen wenigstens
zwei hölzerne Wannen, die übereinander gestellt und oben mit
Stroh gedeckt wurden, oder in Gestalt eines hölzernen Schrankes
gezimmert waren. Das Badestüblein bildete gewissermassen den
Salon des Hauses. Dahin lud man seine guten Freunde, badete
und trank mit ihnen, ohne auf den Unterschied des Geschlechtes
Rücksicht zu nehmen. „Wann mancher, der sonsten nichts zu
thun hat, nicht weiss was er anfangen solle, lässt er ihm ein
Schweiss-, Dampff- oder Vollbad zurichten, darin er etwan mit
seinem Weib oder sonsten einem guten Freund sitzet und ein
Kändel drey, vier Wein neben guten Sträublen ausleeret." So
zu lesen im Guarinonius 1610. Essen und Trinken während des
Bades war überhaupt häufig und beliebt und galt, da man sehr
52 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
lange im Bade blieb, dem Körper zur Stärkung unentbehrlich.
Auch von denen, die Badestüblein hatten, wurden die geräumigeren
öffentlichen Bäder gern aufgesucht. Ihre Bedeutung für die da-
malige Zeit geht am besten aus ihrer grossen Anzahl hervor;
so zählte Mainz im XIV. Jahrhundert 4 öffentliche Badestuben,
Würzburg um 1456 deren 8, in Ulm werden gegen das Ende des
Mittelalters 11 angeführt (im ganzen, d. h. einschliesslich der
Privatbäder 168), in Nürnberg 12, in Wien 29, in Frankfurt 15.
Zu den wesentlichen Momenten, die die Badestuben in die
Wohnhäuser des Mittelalters einführen halfen, kann man ausser
der allgemein verbreiteten Badelust die durch die Kreuzzüge ver-
mittelte Bekanntschaft des Orients zählen, ferner die während
Epidemien angeordnete Schliessung der Bäder, während massiges
Baden im Hause gestattet war, und nicht zum mindesten die seit
Ausbruch der Syphilis allgemein auftretende Furcht vor Ansteckung.
So kamen eine Reihe von Faktoren zusammen, die die Ausbrei-
tung der Badestuben begünstigten und mit ihr den Genuss des
Badens zu einem allgemeinen Lebensbedürfnis machten. Kultur-
historisch ist es von Interesse, dass die Kalender jener Zeit unter
den hygienischen Monatsregeln auch die günstige oder ungünstige
Zeit für Dampf- und Wasserbäder auf Grund astrologischer Speku-
lationen angaben. Dürftige und Sieche wurden von Frommen
eigenhändig gebadet, Armenbäder, in denen Arme unentgeltlich
Aufnahme und Verpflegung fanden, errichtet und aus Vermächt-
nissen, meist jährlich am Sterbetag des Stifters, an Arme Bäder
verabreicht. Solche Bäder nannte man Seelbäder, denn die
durch ein Bad und meist auch durch ein Mahl erquickten Armen
gedachten an jenem Tage der Seele des Stifters. In Nürnberg
hatte im Anfang des XVI. Jahrhunderts die Zahl der gestifteten
Seelbäder bereits eine solche Höhe erreicht, dass man beschloss,
fernere derartige Stiftungen anderen wohlthätigen Zwecken zu-
zuwenden.
Die Form des ursprünglichen Bades war die des Schwimm-
bades in der Piscina und des Vollbades in Wannen aus Holz
oder gemauerten Becken. Diese Voll- oder Wannenbäder waren
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 53
einfache oder medikamentöse, in letzterem Falle setzte man ihnen
Kräuter zu. Beide Arten von Bädern wurden auch von den
damaligen Aerzten überaus häufig zu Heilzwecken herangezogen.
Gegen Lähmungen, Epilepsie, Katarrhe, Nierenleiden und viele
andere Krankheiten werden sie ärztlicherseits empfohlen und
neben ihnen auch Wein-. Oel-, Milch- und andere Arten künst-
licher Bäder angewandt. Ueberdies kommen auch medikamentöse
Kopf- und Fussbäder im damaligen Arzneischatz vor. Natürliche
Mineralbäder, sogenannte Badbrunnen, Heil- und Wildbäder, kennt
das Mittelalter ebenfalls in grösserer Zahl. Wie die Kreuzzüge
zur Verallgemeinerung des Badegebrauchs wesentlich beitrugen —
die nach dem gelobten Lande ziehenden Pilger gewöhnten sich
im Orient an häufiges Baden und wollten, in die Heimat zurück-
gekehrt, dieser Gewohnheit nicht mehr entsagen — , so übten sie
auch einen geradezu revolutionierenden Einfluss auf die Art des
Badens aus. Denn in ihrem Gefolge erschien der unheimliche
Gast, die arabische Lepra, im Abendlande und heftete Schrecken
und Furcht an ihre Spuren. Dieses Umsichgreifen der Seuche
veranlasste die erschreckten Gemüter, vom Wasserbad als schäd-
lich sich abzuwenden und im Schwitz- oder Dampfbad allein
das Schutz- und Hilfsmittel gegen diese Krankheit zu sehen. So
wurde ersteres vollständig verdrängt und dem Schwitzbad eine
Ausdehnung und Verbreitung gegeben , die es geradezu zum
typischen Bade des Mittelalters gestempelt hat. Schwitzbäder,
in denen Schweissentwicklung durch erhitzte Luft hervorgerufen
wurde, bediente man sich in Deutschland neben Wasserbädern
schon in früheren Jahrhunderten ; aus den romanischen Ländern
eingeführt, gaben sie zum Teil die Einrichtung der altrömischen
Caldarien wieder; Schwitzbäder jedoch, in denen man Schweiss-
absonderung durch heisse Dämpfe hervorrief, werden erst Ende
des XIII. Jahrhunderts erwähnt und scheinen von den slavischen
Völkerschaften her nach Deutschland sich verbreitet zu haben.
Erzählt doch Nestor vom Heidenapostel Andreas, der längs des
Dnjepr zu den Slaven kam: „Er sah die Sitte der dortigen Leute,
wie sie sich in Bädern waschen und mit Badequästen schlagen
54 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
und wunderte sich darüber. Nach Rom gelangt, erzählt er dort:
Ich sah hölzerne Bäder und darin steinerne Oefen, die sie scharf
herzten; in diese Bäder gehen sie und ziehen sich ganz nackt
aus. Dann begiessen sie sich mit lauem Wasser und nehmen
Ruten oder zarte Baumzweige und fangen an, sich damit zu
peitschen, giessen indes Wasser auf die [Steine und peitschen
sich so arg, dass sie kaum lebendig herauskriechen. Beim Heraus-
gehen begiessen sie sich mit kaltem Wasser. Das thun sie alle
Tage." Diese Dampfschwitzbäder kamen, jedoch mit Weglassung
der kalten Uebergiessimgen, wahrscheinlich durch deutsche Kauf-
leute , die mit Russland in Handelsbeziehungen standen , nach
Deutschland und wurden am frühesten in Schlesien gebraucht.
Die rasche Verbreitung, die sie gewannen, und an der nicht zum
geringsten die Furcht vor der Lepra beitrug, illustriert am dra-
stischsten einer der kompetentesten Beurteiler jener Zeit, Guarino-
nius, Arzt des Frauenstiftes Hall, in seinem 1610 erschienenen
Werke ; er sagt : „Durch gantz Teutschland ist nichts gemeineres,
nichts bekandtres, nichts geübteres, als diese Leib Ringerung durch
den Schweiss — das schweiss- und dampffbaden — darauf? der
gemein Böffel und viel ansehenliche Burger dermassen steif und
stark halten, dass sie vermeyneten viel verloren zu haben, wann
sie nit alle Sambstag vor dem Sontag oder alle Feyerabend vor
den Fest- und Feyrtägen in das gemeine Feil- oder besondere
Schweissbad gehen, schwitzen, sich reiben, fegen, butzen und ab-
waschen lassen." Die Deutschen waren überhaupt grosse Freunde
stark geheizter Wohnstuben und Anton Guaineri (gestorben in
Pavia um 1440) bemerkt, sie hätten nicht vom übermässigen
Trinken, wie viele wähnen, zerkerbte Augenlidränder (oculos scar-
pellatos), dieses rühre vielmehr von ihrem Aufenthalt in den
geheizten Wohnstuben her. Ein anderer Autor, Erasmus, beschreibt
eine deutsche Wirtshausstube, in der man Reisende aller Klassen
zusammengepfercht findet: „Stark wird der Ofen gefeuert, auch
wenn draussen die Sonne warm scheint. Sie halten es für etwas
besonders gutes, wenn alle von Schweiss triefen. Und verträgt
einer den Qualm nicht und öffnet das Fenster, so rufen alle : zu-
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 55
gemacht!" Neben öffentlichen fanden in Deutschland auch Privat-
schwitzstuben allgemeine Verbreitung, auf Burgen wie in Häusern
der Bürger, und da, wo die besondere Badestube fehlte, half man
sich mit dem strohgedeckten oder zusammengestülpten Zuber
und legte erhitzte Steine hinein. Diese Steine • wurden auch,
wenn man Heilzwecke verfolgte, in einer überdeckten Wanne
mit Kräuterabkochungen übergössen. In den Kalendern, den
Volks- und Hausbüchern jener Zeiten waren stets unter den
Gesundheitsregeln in jedem Monat auch die günstigen und un-
günstigen Zeiten für Wasser- und Schwitzbäder mit apodiktischer
Bestimmtheit bezeichnet. In einem solchen heisst es:
Januar: kühl erlaube ich dir zu paden.
Hornung: warin päd die seint dir gut.
März: du magst auch warm paden wol.
Hewmon: vor slaf und vor paden
hiit dich, wenn es thut schaden.
Augustus: hab nit gir zu paden.
So teilte man also die Schwitzbäder in zwei Hauptarten ein :
in jene, wo man einzig durch erhitzte Luft, und in jene, in
welchen man durch heisse Dämpfe erhöhte Schweissabsonderung
zu erzielen suchte. Letztere waren entweder einfache, wo man
gewöhnliches Wasser in Dämpfe verwandelte, oder zusammen-
gesetzte, wo man zur Entwicklung des Dampfes heisses Wasser
auf Kräuter etc. goss. In Italien bediente man sich auch der
Dämpfe mineralischer Quellen. Ferner wurde auch der Backofen
sowohl zu Dampf- als Luftschwitzbädern benutzt; man goss zu
ersterem Zwecke Wasser in den noch heissen Backofen, oder man
schob den Kranken (meist Wassersüchtige), nachdem abgebacken
war, in den Backofen, wobei der Kopf ausserhalb der Einschiess-
öffnung zu liegen kam. Alle diese Schweissbäder nannte man
stubae (stuphae), aestuaria, mitunter auch stubae balneales, ohne
dass jedoch immer aus der Anwendung einer der Beziehungen
mit Sicherheit auf die Art des Badens zu schliessen wäre. Die
Vorgänge bei einer solchen Schwitzbadprozedur hat uns in aus-
führlichster Weise Seifried Helbling, ein österreichischer Spiel-
56 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
mann, in seinen Satiren, die gegen Ende des XIII. Jahrhunderts
gedichtet sind, überliefert. Da der Bader nicht alle Tage das
Bad offen hielt und heizte — ausser Samstag gewöhnlich nur
Montag und Donnerstag — , gab er mit einem Hörn das Zeichen,
dass man bei ihm baden könne. Und zwar geschah dies in früher
Morgenstunde, denn die Stunden des Vormittags wurden ärztlich
als die dem Badegebrauch entsprechenden anempfohlen. Anderswo
gingen auch Knaben durch die Gassen und schlugen mit einem
Klöppel auf eine kupferne Pfanne oder es schrieen, wie von Paris
berichtet wird, eigens bezahlte Ausrufer es aus. Dies letztere
war eine in früherer Zeit so gewöhnliche Art und Weise sich
bekannt zu machen, dass man Quacksalber aller Art unter dem
Kollektivnamen Schreyer zusammenfasste.^ Auf dieses Zeichen
entkleideten die gewöhnlichen Leute sich zu Hause bis auf die
unerlässlichste Hülle und verfügten sich in grossem Negligee über
die Gasse in die Badestube. So klagt noch Guarinonius: „dass —
wohl erzogene Burger und Burgerinnen sich in ihren Häusern
entblössen und also nackend über die öffentlichen Gassen bis
zum Badhaus — gehen. Ja wie vielmal läuft der Vater bloss von
Haus mit einem einzigen Untergewand über die Gassen samt
seinem entblössten Weib und blossen Kindern dem Bad zu".
Diese geringe Verhüllung, in der man zum Bade ging, dürfte sich
nicht bloss aus Bequemlichkeit, sondern auch als Vorsichtsmass-
regel gegen Badediebe eingeführt haben, denen man dadurch
die Versuchung, sich an wertvollen Gewandstücken zu vergreifen,
von vornherein aus dem Wege räumte. Dass es im Mittelalter
nicht an unrechtmässigen Aneignungen fremden Gutes in den
Badestuben fehlte, das beweisen mannigfache Stellen. Angehörige
der höheren Gesellschaftsklassen begaben sich jedoch angekleidet
ins Badehaus. Für Badewäsche war in den Badehäusern vor-
gesorgt, doch meist nur für Arme und Reisende; Wohlhabendere
nahmen sich ihr eigenes Badehemd oder Badelaken mit, das in
keinem Inventar vermögender Häuser fehlen durfte. Jedes besser
eingerichtete Bad hatte zweifelsohne ein Auskleidezimmer. Im
Schwitz- wie Wasserbade selbst befand man sich meist in völliger
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 57
Nacktheit, wie dies Abbildungen im Sachsenspiegel, in der Bibel
des K. Wenzel, in Kalendern etc. wiedergeben. Der Bader er-
scheint mit einem Lendenschurz bedeckt. Dagegen findet man
Badegäste aus den wohlhabenderen Klassen zuweilen auch mit
einem Schurz, die Frauen mit einem weit ausgeschnittenen
Badelaken bekleidet. In Baden bei Wien Hessen häufig Frauen
dem Saume ihres Baderockes, um etwaiges Emporbauschen zu
verhüten, Bleistücke einnähen. Bildliche Darstellungen Badender
zeigen diese bis in XIV. Jahrhundert barhaupt, vom XV. Jahr-
hundert an machen sich als Kopfbedeckung beider Geschlechter
flachrunde schirmlose Bademützen (Hauben, Käppiein) bemerkbar.
Es scheinen die häufigen Kopfbäder, die in jener Zeit in Schwung
waren, teils die dadurch gesteigerte Furcht vor Erkältung des
Kopfes den Gebrauch der Bademützen gefördert zu haben.
Beim Eintritt in die Schwitzstube bot der Badewirt dem
Gaste mehrere, meist aus Birken- oder Eichenlaubreisern gebundene
Büscheln dar, Wadel, auch Quasten genannt. Eine solche Bade-
quaste an einer Stange durchs Fenster ausgehängt galt an
manchen Orten auch als das Aushängezeichen der Badestuben.
Diese Quasten gehörten zu den unentbehrlichsten Utensilien jeder
Badestube und dienten dazu, sich zur Erhöhung der Hautthätig-
keit mit ihr zu peitschen oder nach minder strenger Observanz
sich mit ihr als mit einer Art Blätterpinsel mit lauwarmem Wasser
zu besprengen. Die Verbreitung der Dampfbäder in Deutschland
findet auch kulturhistorisch ihren Ausdruck in den interessan-
ten Thatsachen, dass Dichter und bildende Künstler in ihren
Darstellungen des Sündenfalles Adam und Eva statt mit einem
Feigenblatt mit einer Badequaste versehen wiedergeben, und dass
man überall, wo man dies findet, auf Werke deutscher Kunst
schliessen kann.
Die Schwitzstube war mit terrassenförmig auf gestellten Bänken
versehen, auf denen man sich — den Kopf auf ein Holzkissen
gestreckt — hinlegte. Die oberste Bank führte den Namen „Pfahl" ;
Bänke und Dielen wurden der Reinlickheit halber vor jedesmaligem
Gebrauch abgewaschen. „Ein weibel viel gelenke", eine gewandte
58 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Bademagd — die Dienerschaft im Innern der Badestube war
meist eine weibliche und nur mit einem Hemd bekleidet —
bringt im Scheffel Wasser „weder zu kalt noch zu warm", be-
giesst den Badenden damit und streicht ihm nun mit der Quaste
Rücken, Füsse und Arme. Diese Eingangspräzedur soll zur
Oeffnung der Poren durch Entfernung des Schmutzes etc. dienen.
Nun werden zwei Scheffel Wasser an die heissen Steine gegossen
— wissen wir doch schon aus Nestor, dass die Dampfentwicklung
durch Begiessen heisser Steine mit warmem Wasser bewerkstelligt
wurde, — dass der aufqualmende Dampf das Gemach, das ohnehin
nur durch kleine Fenster dürftig erleuchtet wird, vollständig ver-
finstert, in den Ofen wird zur Steigerung der Temperatur noch
Holz nachgelegt, und der Badegast schwingt schwitzend den
Wedel auf seinen Leib. Nachdem man tüchtig geschwitzt hat,
steigt man von der Bank herab und lässt sich auf der Diele,
wo gemässigte Temperatur herrseht, nieder. Dort wird man nun
wieder begossen, von der Bademagd geknetet und gerieben, wie
ein Linnenstück in die Wäsche genommen, in Seifengischt be-
arbeitet und zuletzt nochmals mit klarer Lauge übergössen.
Namentlich erfolgte auch ein gründliches Waschen des Haupt-
und Barthaares. Dem Bade folgte zunächst das Scheren durch
einen „ Scher knecht" — in Klöstern war es umgekehrt, da ging
das Scheren dem Baden voran — und nachdem dies erfolgt war,
setzte sich der Badende auf eine „fürbanc" (wahrscheinlich eine
in der Vorstube befindliche Bank) und wird beim Herausgehen
nochmals mit lauwarmem Wasser begossen. In einer Kammer
legt er sich dann auf ein Ruhebett und bringt dort 1—2 Stunden
zu, nicht bloss um sich zu erholen, sondern auch, wie Savonarola
bemerkt, um dadurch den Uebergang aus der hohen Temperatur
des Bades in die freie Luft zu vermitteln. Nun erst kleidet man
sich an — Vornehmere werden von ihren mitgebrachren Dienern
angekleidet — , reicht den Badeleuten ihren Lohn und verlässt
unter dem frommherzlichen Grusse derselben, dass Gott, der
alle Dinge zu lohnen vermag, den Gast lange leben lasse, das
Badehaus.
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 59
Im gewöhnlichen Wasserbade war der, Hergang ein ähnlicher.
Auch hier peitschte man sich mit dem Reiserbüschel, liess sich
gründlich abreiben und nachher auch rasieren und scheren.
Ebenso legte man sich auch nach dem Wasserbade eine Zeit
lang auf ein Ruhebett zur Rast.
Doch mit allem diesem war nicht immer die Operation zu
Ende, sondern manche Gäste pflegten, ehe sie die Badestube ver-
liessen, noch Speise und Trank zu sich zu nehmen und wohl
auch sich schröpfen zu lassen. Das Essen und Trinken fand bei
den blossen Wasserbädern, wie bei dem gemeinschaftlichen Ge-
brauch der Mineralbäder auch wohl während des Badens selbst
statt und die mehrerwähnten bildlichen Darstellungen zeigen uns
oft Badende in einer Wanne, denen von Frauen Speise und
Trank gebracht werden oder welche diese auf einem zwischen
ihnen befindlichen Brette stehen hatten. Zappert führt aus dem
Jahre 1441 sogar ein Vermächtnis für Bier an, welches den
Nonnen eines Klosters nach dem Bade zugeteilt werden solle.
Was die Anlage der Badestuben anbetrifft, so dienten zur Er-
zeugung der Wärme in denselben grosse Kachelöfen. Das Wasser
wurde in kupfernen Kesseln erwärmt und dem Badewasser zu-
geschüttet. Ofen und Kessel waren also wesentliche Bestandteile
der Badestube. Doch scheint zuweilen der ummauerte Kessel mit
einem Wasserhahn versehen gewesen zu sein, der das Mauerwerk
durchbrach, so dass man das heisse Wasser unmittelbar in die
dicht an den Ofen geschobene Badewanne abzapfen konnte. Die
letztere — kreisrund — war mit den schon oben erwähnten
terrassenförmig angebrachten Bänken das Hauptmeublement einer
Badestube, die als Inventar ausserdem noch Kübel und Becken,
Schwämme, Badekappen, Seife, Tücher zum Abtrocknen, Kämme
etc. enthielt. Der Dampf in den Schwitzbädern wurde, wie schon
erwähnt, dadurch erzeugt, dass man auf dem Ofen Kieselsteine
erhitzte und sie mit Wasser übergoss. Dem Wasser wurde zu-
weilen ein Kräuterabsud zugesetzt, und diese medikamentösen
Bäder nannte man auch „Steinbäder". Röhrenleitungen bestanden
in den öffentlichen Bädern nicht. Aber nicht immer scheint der
60
Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Dampf auf die soeben beschriebene Weise erzeugt worden zu
sein. Konrad Kyeser giebt im Jahre 1405 in seinem „Bellifortis"
Damdfbäder an, bei denen wir ein auf Pfählen errichtetes Gebäude
sehen, unter dem sich ein gemauerter Ofen befindet. Auf diesem
Ofen steht ein retortenähnliches, vermutlich kupfernes Gefäss,
dessen Hals durch den Boden des Gebäudes hindurch in letzteres
hineingeführt ist und so den im Kessel erzeugten Dampf un-
Fig. 4. Dampfbad im Mittelalter.
mittelbar in die Schwitzkammern leitete. Im First des Daches
ist eine Oeffnung angebracht, aus der der überflüssige Dampf
entweichen konnte. Bei demselben Autor finden wir auch ein
als „Wannenbad" bezeichnetes Bauwerk, das seiner Aehnlichkeit
nach mit dem obigen jedenfalls eine Kombination von Wannen-
und Dampfbad dargestellt hat. (Fig. 4 u. 5.)
Werfen wir einen Rückblick auf das bisher Erwähnte, so
Bäder und Badewesen im Mittelalter.
61
stellt sich uns der Gebrauch kunstwarmer Wasser — wie Schwitz-
bäder im Mittelalter als ein in allen Schichten der Gesellschaft
weithin verbreiteter dar, der zu einer festen Volkssitte geworden
war und seine höchste Blüte gegen Ende des Mittelalters erreichte.
Den Beweis hierfür bietet die Einbeziehung der Badestuben in
die landesherrlichen Regale, die Verabreichung von Badegeld als
einer Art von Trinkgeld, die zahlreichen in grossen wie kleinen
Fig. 5. Wannen- und Dampfbad im Mittelalter.
Orten bestehenden öffentlichen Badeanstalten und Hausbade-
stuben, die Sitte Badegewänder als Geschenke zu verteilen, das
sorgfältige Anmerken der günstigen Badezeit in den in aller
Händen befindlichen Kalendern. Auch in der Gesetzgebung
bekam diese Sitte feste Formen : In manchen Orten besassen die
Badestuben eine Art Asylrecht, nord- wie süddeutsche Stadtrechte
führen die Badestube in gleicher Bedeutung wie Markt und
62 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Kirche als ständig frequentierte Orte auf, die mit zur Notdurft
des Lebens gezählt werden ; so wurde im Jahre 1369 einer
Bürgerin in Regensburg als Strafe auferlegt, ein ganzes Jahr
nicht aus ihrem Hause gehen zu dürfen ausser zur Beichte, zu
Gottes Leichnam und nach ihrer Notdurft ins Bad; so musste
ein Mörder ein ganzes Jahr den Verwandten des Erschlagenen
auf der Gasse, dem Kirchgange und an den vier ehehaften Orten
(Wirtshaus, Badestube, Mühle und Schmiede) ausweichen etc.
Baden war ein derart unentbehrliches Bedürfnis geworden, dass
nicht wenige, besonders in nördlichen Ländern, ohne Bad nicht
leben zu können vermeinten, und dass mancher Orten der Bader
unter Strafandrohung für den Unterlassungsfall zweimal wöchent-
lich das Bad zu heizen hatte, dass es ferner Exkommunizierten
als ein Teil der Busse galt, sich des Bades enthalten zu müssen,
wie auch dass es als ein hoher Grad der Askese angesehen wurde,
freiwillig darauf zu verzichten.
Aber dieser häufige Gebrauch der Schwitzbäder stieg all-
mählich zu einem solchen gesundheitsgefährdenden Uebermass,
dass man zuerst ärztlicherseits ihm entgegentrat. Man warf ihm
vor, dass er weichlich mache, dass er Kopfschmerz verursache,
dass er schädlich auf das Sehorgan wirke und für Podagra wie
für Kontagien den Körper empfänglich mache. Martin Ruland
wies in seiner Schrift vom Wasserbaden (1568) darauf hin, dass
gewissen Körperkonstitutionen das Schwitzbad geradezu schädlich
sei, und der um die Volksbelehrung vielfach verdiente Franziskus
Rapard spricht sich in folgender Stelle über die Nachteile über-
mässigen Badegebrauches aus: ,.Durch richtigen Gebrauch von
Bädern werden viele Krankheiten verhütet und gehoben, durch
Missbrauch derselben aber entstehen auch viele Uebel." Ferner
rügte man die hohe Temperatur der Schwitz- wie Wasserbäder
als gesundheitsschädlich, ebenso das lange Verweilen im Bade —
manche blieben vier Stunden lang darin — , nicht minder den
Unfug, den Bader durch unmässiges Applizieren von Schröpf-
köpfen vielerorts trieben. Die Anwendung der Schröpfköpfe
scheint aus Italien nach Deutschland gekommen zu sein, ohne
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 63
dass sie sich hier in ärztlichen Kreisen, die den Aderlass bevor-
zugten, stark einbürgern konnte. Um so eifriger sehen wir die
Bader sich damit befassen ; denn da zur Förderung der Wirk-
samkeit der Schröpfköpfe der Patient zuerst ein Bad nehmen
musste, kam es von selbst, dass die Badestube die Hauptstätte
des Schröpfens wurde, dass der Schröpfkopf auch die Bezeichnung
„Baderskopf" und in Niedersachsen der Bader selbst die Be-
zeichnung „Kopfsetzer" erhielt. Es waren also , wenigstens in
Deutschland, vorzugsweise Bader, denen sich dadurch eine neue
Erwerbsquelle öffnete, sie waren es, die dem Schröpfen Eingang
im Volke zu verschaffen suchten, und zwar mit solchem Erfolge,
dass bereits in der Mitte des XV. Jahrhunderts bei Männern wie
Frauen das Schröpfenlassen zu den am häufigsten angewandten
Präservativ- und Heilmitteln gehörte. Kalender und diätetische
Volksschriften bemächtigten sich auch dieses Unfugs und gaben,
gleichwie beim Baden und Aderlass, auch hier die günstigste
Zeit für das Schröpfen an. Vor des Baders Schröpfkopf war
keine Stelle am ganzen Körper sicher (Guarinonius) und schliess-
lich stieg die Zahl, welche den Badenden appliziert wurden, zu
einer solchen blutigen Höhe, dass das von schnöder Gewinnsucht
geleitete Verfahren der Bader in den ärztlichen Kreisen heftigen
Widerspruch erfuhr. Den Impuls zum Kampfe gegen die gesund-
heitsschädliche Anwendung der Schwitzbäder und der mit ihnen
verquickten Prozeduren gaben die Aerzte Italiens, die in Wort und
Schrift den Missbrauch, der mit den Schwitzbädern getrieben
wurde, bekämpften und an deren Stelle zur Förderung der
Schweissabsonderung gymnastische Uebungen als heilsamere Mass-
nahmen und weiterhin kalte Uebergiessungen als therapeutische
Agentien empfahlen.
Neben den gesundheitsschädlichen übten die öffentlichen
Badestuben einen sittenverderblichen Einfluss aus. In ihrem Ent-
stehen Anstalten zur Förderung der Gesundheit, entarteten sie
allmählich zu Herbergen des Lasters. Diese Sittenlosigkeit scheint
sich zunächst unter dem Einfluss der Kreuzzüge entwickelt und
von Frankreich und Italien nach Deutschland verbreitet zu haben.
64 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Durch den längeren Aufenthalt der Kreuzfahrer im Orient wurden
die Abendländer mit der verweichlichenden Ueppigkeit des
Morgenlandes und seiner Bäder bekannt und übertrugen diese
Ausschweifungen in die Heimat, wo unter dem Einfluss erhöhten
Wohlstandes vielfach die frühere einfache Lebenssitte einer ge-
steigerten Genusssucht wich. Aber dieses äusseren Umstandes
bedurfte es eigentlich nicht; lag doch in dem bisherigen Cha-
rakter der Badestuben schon genügend Untergrund, um der
Sittenlosigkeit Vorschub zu leisten ; dies war die totale Mischung
der Geschlechter! Nicht nur dass die Bedienung, wie schon er-
wähnt, meist eine weibliche und zwar eine mehr wie leicht-
geschürzte war, so trat auch im Bade selbst in vielen Fällen
keine Trennung der Geschlechter ein. Dass Gatte und Gattin
zusammen in einer Badewanne sassen, war selbstverständlich und
entbehrt wohl auch nach unseren Begriffen keiner stärkeren An-
fechtung : Allein auch jegliches andere, nicht zueinander gehörige
Menschenvolk badete ungeniert zusammen. In früheren Zeiten
des Mittelalters war das gemeinschaftliche Baden beider Ge-
schlechter durch kirchliche Gesetze verboten; seit der Zeit der
Kreuzzüge aber setzte man sich mit Leichtigkeit darüber hinweg,
und an vielen Orten wurde das gemeinsame Baden förmlich zur
Sitte. Zappert berichtet z. B., dass zu Basel dies bis 1431 in den
meisten Badestuben, sowie im Rheingau noch später der Fall
war, und dass damals zu Baden in der Schweiz Männer und
Frauen der unteren Volksklassen mit einander ganz nackt,
Männer und Frauen höheren Standes, jene mit einem Schurz,
diese mit einem weitausgeschnittenen Badelaken zusammen sich
badeten, und dabei auch den Blicken anderer, welche von einer
Galerie herab zusahen, sich preisgaben. Endlich hatten viele
Badestuben nur ein einziges Auskleidezimmer, welches von beiden
Geschlechtern zugleich benutzt wurde. Aus diesem Grunde ward
auch um 1550 in der Badeordnung für das Glotterthal vor-
geschrieben, dass jeder Mann sein Beinkleid und Hemd und jede
Frau oder Jungfrau ihr Hemd nicht eher als an der Badewanne
selbst ablegen solle. Doch noch 1591 lesen wir in einer Chronik
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 65
Stuttgarts , dass in der Esslinger Vorstadt achtzehn Personen
männlichen und weiblichen Geschlechts einen ganzen Tag und
eine ganze Nacht mit einander im Bade gewesen seien. So galten
um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts die öffentlichen Bade-
stuben in den deutschen und in den niederländischen Städten
ziemlich allgemein als die Gelegenheiten, die „am meisten zur
Anreizung der Unkeuschheit erbauet sein", und da half kein
Eifern und Zetern von kirchlicher Seite her, kein Beichtspiegel und
keine Bussordnung gegen diese Missstände. Eine wirkliche Abhilfe
sollte erst von anderer Seite herkommen! Ehe wir diese be-
trachten, müssen wir noch kurz bei der sozialen Stellung des
Badergewerbes, wie sie von diesen eben geschilderten Umständen
beeinflusst wurde, verweilen. Im Zusammenhang mit der mehr
und mehr zunehmenden Gefährdung der Sitten in den Bade-
stuben sanken auch deren Besitzer, die Bader, in der allgemeinen
Achtung. Man zählte sie zu den „anrüchigen" Leuten, deren
Gewerbe als unehrlich angesehen wurde. Die Statuten der
Bruderschaften schlössen sie von der Mitgliedschaft aus, sie
konnten nicht in den Rat der Stadt aufgenommen werden,
kurzum Ehrenämter oder die Zugehörigkeit zu besonderen Ver-
einigungen waren ihnen verschlossen. Von den italienischen
Badern sagt Thomas Garzoni, dass man wenige finde, die nicht
Kuppler und Gelegenheitsmacher seien, die nebenbei Kammern
zu erotischen Zusammenkünften herleihen. Als anrüchigen Leuten
ward ihnen an manchen Orten das Tragen der Waffen verboten,
in Geburtsscheinen bezeugte man, dass der Betreffende ehrlicher
Leute Kind und nicht von Badern, Spielleuten etc. herstamme.
Sie rekrutierten sich zuweilen aus der Reihe verkommener Stu-
denten, die sich mehr auf Völlerei als auf das Studium gelegt
hatten ; diese ziehen nachmals , wie Johann Geyler 1498 sie
schildert, „inn dem land herumb, der ein wird ein Gauckler, oder
spilmann, der dritt ein Teryackskremer, der viert ein bader".
Neben diesen Hauptmomenten des inneren Wesens der Bade-
stuben war noch ein Umstand, der zu Beargwöhnungen Ver-
anlassung gab, das war der, dass man sie als Stätten politischer
Marcuse, Bäder und Badewescn. 5
(36 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Zusammenkünfte von Unzufriedenen und Neuerungssüchtigen
ansah und in jener geistig so sehr bewegten Zeit, zu Ausgang
des fünfzehnten und zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, in
ihnen die Brutstätten — und nicht mit Unrecht — politischer
und religiöser Umwälzungen vermutete. „Dort sitzen sie im
Badestüblein" , heisst es in einer Predigt aus der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts, „und reden ketzerisch wider Gott
und den Kaiser."
Traten nun unter dem Einfluss der ärztlichen Bedenken
wie der zunehmenden geistlichen Bekämpfung der Sittenlosigkeit
in den Badestuben auch Spuren verminderten Badebesuches auf,
so war es doch vor allem ein äusseres Moment, das im Verein
mit den oben erwähnten Nebenumständen dem plan- und ziel-
losen Badeunfug ein Ende setzte, das war das Hereinbrechen der
Volksseuche im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert! Die
Lepra, die den Schwitzbädern als vermeintliche Panacee eine
universelle Verbreitung geschaffen hatte, war erloschen und an
ihre Stelle die Syphilis getreten. Im Jahre 1509 wurde zu Nürn-
berg das Franzosenhaus erbaut. Wurden gegen Lepra Schweiss-
bäder empfohlen, so mahnte man jetzt die von Syphilis Befallenen
nicht bloss vom Gebrauche derselben ab, sondern warnte über-
haupt vor dem Besuche öffentlicher Badestuben und untersagte
an manchen Orten den Badern unter Strafandrohung derartigen
Kranken den Eintritt in ihre Badestuben zu gestatten. Diese
begründete Furcht vor Ansteckung entzog den öffentlichen Bade-
stuben einen nicht geringen Teil besonders der vermögenderen
Besucher. Und als nun die Pest im Laufe desselben Jahrhunderts
zu wiederholten Malen ihren Schreckenslauf durch die euro-
päischen Gefilde nahm, da wurden die öffentlichen Badestuben
seitens der Obrigkeit völlig geschlossen, und als man sie nach
Erlöschen derselben wieder öffnete, war der Reiz geschwunden
und das Publikum wagte aus Furcht, sich darin zu beflecken,
sich nicht mehr hinein. So verödeten die Badestuben, zumal
noch ein rein wirtschaftlicher Umstand den Ruin derselben mit
herbeiführen half. Durch eine masslose Raub Wirtschaft war der
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 67
Bestand der Wälder im sechzehnten Jahrhundert derart gelichtet,
dass eine enorme Preissteigerung des Holzes eintrat. Dieser, den
Badern unentbehrliche Brennstoff veranlasste durch seine Teuerung
auch ein Steigen der Preise für die Bäder, und als sich dies mehr-
fach wiederholte — die Badestübner Berlins erhöhten z. B. das
Badegeld auf acht gute Pfennige und verlangten ausserdem noch
Trinkgeld, so dass die Kosten auf zwei Groschen (gegenüber
einigen Pfennigen, die es früher kostete) sich belief — , blieben
auch die unteren Klassen der Bevölkerung fort, und so geschah
es, wie Zappert bemerkt, dass „die Axt, welche die Urwälder
niederlegte, auch die Reihen des Badepublikums lichten half".
Mit der Abnahme des Gebrauches der öffentlichen Bade-
stuben treten wir in eine neue Phase des mittelalterlichen Bade-
wesens, in die sich von Jahr zu Jahr steigernde Frequenz des Auf-
suchens naturwarmer Quellen, im Gegensatz zu kunstwarmen
Bädern Wildbäder genannt. Die Römer hatten bekanntlich
bereits zur Kaiserzeit einen übertriebenen Kultus der Mineral-
bäder getrieben und ihre Badeorte zu Städten rauschender Ver-
gnügungen und lebensfroher Lustbarkeiten gemacht. Mit dem
Hingang der römischen Weltherrschaft war der äussere Glanz der
Bäder geschwunden, nichtsdestoweniger erfreuten sie sich auch
die ganze weitere Zeit hindurch eines lebhaften Badegebrauches,
wurden vielfach besungen und von den Aerzten Italiens, den
Vätern der Balneographie , mannigfach beschrieben. Erst in
späterer Zeit nahmen die italienischen Aerzte auch von deutschen
Mineralquellen Notiz. Hier, in Deutschland, waren, wie Aachen
und die althochdeutschen Ortsnamen Badun (Baden), Wisibadun
(Wiesbaden) zeigen, Mineralquellen schon in der Frühzeit nicht
unbekannt, allein ihre Benützung als Heilquellen kamen erst in
späteren Jahrhunderten in Aufnahme. Des späterhin so zahl-
reich besuchten Pfeffers gedenkt bereits eine Urkunde König
Heinrichs III. im Jahr 1050, am Ende des XIII. Jahrhunderts
war Plummers (Plombieres) im Wasgau von Badenden vielfach
besucht, und von nun an mehrte sich die Zahl der dem allge-
meinen Gebrauch anheimgeführten Mineralquellen , zumal die
68 Bäder und Badeweseu im Mittelalter.
Aerzte die Wirkungen derselben zu studieren und bald enthu-
siastisch zu verehren begannen. Viele Mineralwässer waren infolge
der häufigen Verbindungen der Bäder mit Kirchenbauten und
der praktischen Thätigkeit vieler Mönchsorden im Besitztum von
Klöstern. Vorzugsweise war es der viel verbreitete Benediktiner-
orden, den wir im Besitze von Warmbädern finden. Die Thermen
von Arles wurden 786 sein Eigentum, gleichzeitig waren dies
auch wohl die von Burtscheid, die später in den Besitz einer
reichsunmittelbaren Nonnenabtei übergingen. Die Saline von
Kissingen wurde 823 dem Benediktinerorden in Fulda geschenkt,
Benediktiner vermieteten gegen 1 1 40 das Rippoldsauer Bad meh-
rere Jahrhunderte hindurch. Eine Reihe balneologischer Ab-
handlungen der italienischen Aerzte gaben Verhaltungsmassregeln
über den Gebrauch der Heilquellen, vor allem war es Savonarola,
der eingehend ihre Anwendung und Wirkung schilderte und unter
dem Einflüsse der damaligen Geistesrichtung eine Reihe von Vor-
schriften aufstellte, die die Aerzte Deutschlands, die klimatische
Verschiedenheit beider Länder völlig ausser Augen lassend, blind-
lings acceptierten. So empfiehlt er den Frühlingsmonat Mai als
günstigsten Bademonat, dasselbe wiederholen trotz der proble-
matischen Wärme dieses Monats in nördlichen Ländern deutsche
Baderegeln und Kalender, und von da an gelten Maibäder, womit
man auch überhaupt Wasserbäder im Gegensatz zu Schwitzbädern
bezeichnet, als besonders heilkräftig und erquickend. So wird
der Wein von einem seiner poetischen Verehrer „Du suess meyen-
pad meiner Zungen" genannt, und ähnliche Hinweise finden wir
allerorts. Diese Maienbäder wurden zum Volksbrauch — werden
selbst auch heute noch in weiten Volkskreisen sogenannte „Mai-
kuren 1 ' vorgenommen — bei dem man sich gegenseitig Geschenke
machte. Wenn die Aerzte Italiens vom Gebrauch der Bäder im
Juli abraten, so beeilen sich die Deutschen, diesen Monat gleich-
falls in Acht und Bann zu thun, so zum Beispiel „Julius — alles
päd ist ungesundt".
Das Beispiel Italiens übte jedoch nicht nur auf die Bade-
regeln, sondern überhaupt auf den lebhafteren Besuch der Heil-
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 69
quellen einen bestimmenden Einfluss; die dort studierenden, der
Arzneiwissenschaft beflissenen Deutschen brachten den Enthusias-
mus für den Gebrauch der Heilbäder in die Heimat mit. Man
proklamierte diese als Universalmittel, als Panacee gegen alle
Krankheiten, und in einer weit verbreiteten Schrift jener Zeit
heisst es: „Es sind derjenigen nit wenig, welche dafür halten, es
seye der Saurbrunn und andere Bäder gleichsam eine Panacea,
das ist eine solche Artzney, die alle gebrechen des Leibes heilen
könne." Auch National- wie Lokalpatriotismus und Eigeninter-
essen spielen mit, um den deutschen Mineralquellen ein zahl-
reiches Publikum gewinnen zu helfen. So verbreitet sich durch
Anempfehlung der Aerzte, sowie der Universitätslehrer, vor allem
auch durch das Beispiel des grenznachbarlichen Lothringen, der
Gebrauch deutscher Heilquellen, von Westen nach Osten vor-
schreitend, unter allen Klassen der Gesellschaft. So unternahm
Abt Albert von St. Emmeram bereits im Jahre 1352 eine Bade-
reise; als 1376 Meister und Konvent des heiligen Geisthospitales
zu Ulm eine neue Präbendenmesse stifteten, ward bestimmt, dass
der jeweilige Inhaber dieser Pfründe alljährlich auf zwanzig Tage
in ein Mineralbad ziehen könne. Fürsten und Könige unter-
nahmen Badefahrten, so benützte Friedrich III. 1473 die Heil-
quellen zu Baden-Baden, ebenso Kaiser Max 1517, 1539 zog Herzog
Ludwig von Bayern unter glänzendem Pomp nach Gastein, und
in derbdrastischer Ausdrucksweise schreibt 1545 Herzog Ulrich
von Württemberg seinem im Wildbad im Schwarzwald zur Kur
befindlichen Sohne: „Wenn auch das Bad zum allerbesten ge-
riete, so ist keine andere Vermutung, als dass du nach solchem
Bad so feist werdest, wie eine Mastsau." Selbst Arme besuchten
Badeorte. So wurden in Nürnberg kranke Arme, die sich nach
solchen Heilquellen verfügen wollten, mit einem Wildbad-Almosen
beschenkt; das grosse Bad zu Baden-Baden war (1480) von „alter
her armen eilenden menschen umb Gotteswillen allweg fry".
Allein nicht die wirklich oder eingebildete heilkräftige Wir-
kung der Mineralquellen war es allein, die im mittelalterlichen
Badewesen die Aera der Badefahrten anbahnte, vielmehr trug
70 Bärler und Badewesen im Mittelalter.
dazu weltliche Lust, die die Kurorte zu den lockersten Vergnü-
gungsorten umgestaltete, ein gross Teil bei und Hess geradezu
einen Taumel nach Badereisen, der sich allen Gesellschafts-
schichten mitteilte, vom Beginn des 16. Jahrhunderts ab ent-
stehen.
Mit Hintansetzung aller ärztlichen Vorschriften wurde in diesen
Badeorten geprasst und geschlemmt, Exzesse in Baccho et in
Venere gehörten zur Tagesordnung und ein raffiniertes Genuss-
und Wohlleben füllte die Zeit des Kuraufenthaltes aus. Bis an
den lichten Morgen — so berichten uns zahllose Sittenschilderer
der damaligen Zeit — wurde gezecht, gespielt und gebuhlt, während
des Badens gegessen und getrunken, kurzum ein Leben geführt,
das jedem vernunftgemässen Kurgebrauche Hohn sprach. Auf
Abbildungen in Kalendern und Badeschriften sehen wir Badende
mit mächtigen Flaschen und Bechern im Bade sitzend, in einem
grossen geographischen Werke der damaligen Zeit eine bildliche
Darstellung des sogenannten Frauenbades in Baden bei Wien,
in dessen Mitte eine Badende, in der Rechten ein Stempelglas,
in der Linken einen mit roter Flüssigkeit gefüllten Humpen
haltend, sich dem Beschauer bemerkbar macht. Rechts lehnt
auf dem Legbrett ein bescheidenes Kändlein, während links eine
Dienerin eine stattliche Pastete herbeiträgt. Man scheint, wie
folgende Reime verraten, Versündigungen gegen die Badeord-
nung alsogleich mit Wein im Bade gebüsst zu haben.
„Nimm mit dir ein voll wein kandel
Und bekommst du in päd einen Handel
>So sei stäts willig und bereit
Zu bussen mit dem Kandel deine tumpheit."
Auch scheint man mit den Versen
„Aussig Wasser inne Wein
Lasst uns alle frölich sein"
einander im Bade zugetrunken zu haben.
Ausser Gastgebereien, Vergnügungen aller Art etc., die mit
den „Badefahrten" verbunden waren, war es auch Sitte, Bade-
geschenke zu geben. Sie bestanden aus Lebensmitteln, Geld,
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 71
silbernen Trinkgeschirren und wurden von Verwandten und
Freunden dem, der eine solche Fahrt antrat, gespendet. Ein
Modebad allerersten Ranges war Baden in der Schweiz, zu dem
Tausende und Abertausende jahraus jahrein pilgerten. Fürsten
und Herren, die dorthin kamen, wurden von der Obrigkeit in
Zürich mit derlei Geschenken begrüsst, ja man ging so weit,
auch den eigenen im Bade befindlichen Magistratspersonen und
vornehmeren Geistlichen von Obrigkeitswegen Geschenke an Geld
und Silbergegenständen zu senden. Noch aus dem Jahre 1665
wird uns von einer grossartigen Schenkung an Geld und Lebens-
mitteln aller Art (Hirsch, Wildschwein, Eier, Semmeln, Nasch-
werk etc.) berichtet. Mit der Zeit schrumpfte diese Freigebigkeit '
auf das Zusenden von einigem Backwerk ein, wie es noch im
18. Jahrhundert üblich war. Vor allem war es der weibliche
Teil der bemittelten Klassen der Gesellschaft, der auf den Besuch
solcher Kurplätze im höchsten Grade erpicht war, so dass sie,
wie Guarinonius sich höchst ungalant ausdrückt, „viel weniger
als die Gänns und Enten des Wassers geraten können und jede
irgend eine Krankheit vorzuschützen wisse, um vom häuslichen
Heerd nach einem Badeort zu entschlüpfen, damit sie dort lustig
ihren Ehemännern eine waxene Nase träen künden". Da auch
einzelne Badeorte in den Geruch kamen, die Unfruchtbarkeit zu
heilen, so war dies ein Grund mehr für das Zuströmen von Ehe-
frauen, die in dem Gebrauch der Bäder Abhilfe gegen die
Conceptionsunfähigkeit suchten. Hierin stand Bad Gastein in
erster Reihe, auch Baden bei Wien wurde nach dieser Richtung
hin empfohlen. Auch als kosmetisches Mittel, jugendliches Aus-
sehen zu erhalten und wiederzugeben, wurde das Mineralbad
angesehen. Da nun „herzlose" Ehemänner aus guten Gründen
sich zuweilen derartigen Badefahrten ihrer Ehehälften zu wider-
setzen wagten, so Hessen sich Bräute des XVIII. Jahrhunderts, um
sich solcher tyrannischer Willkür zu entziehen, die Genehmigung
zu einer alljährlichen Badereise ehekontraktlich sicherstellen,
namentlich die Frankfurter Bräute den Besuch von Schwalbach.
Diese Vorsicht erscheint um so erklärlicher, als sich die öffent-
72 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
liehe Meinung mehrfach gegen diese dem Eheglücke und Familien-
wohlstande — denn Reisen und Aufenthalt in den Kurorten
waren sehr kostspielig — wenig förderlichen Badefahrten der
Art unliebsam aussprach, so dass bereits in einer der zweiten
Hälfte des XVII. Jahrhunderts angehörenden, von Kupferstichen
begleiteten Schrift über die deutschen Mineralquellen eine dieser
Abbildungen, die das Gebaren der weiblichen Gäste in Kurorten
veranschaulicht, durch die Verse
Der Mann schafft Tag und Nacht, badet in seinem Schweiss,
Alles die Frau verzehrt in ihrem Bad mit Fleiss"
illustriert erscheint. Viel besser als die Frauen mögen die Männer frei-
lich auch nicht gewesen sein. Schon im XV. Jahrhundert muss der
Frankfurter Rat häufig und regelmässig den angesehenen Beamten,
wie dem Stadtschultheiss, den Dorfamtmännern etc. Urlaub zu
Badereisen gewähren, und im XVI. Jahrhundert sehen wir Geist-
liche und Laien in grosser Zahl nach den besuchtesten Bade-
orten — Baden bei Zürich, Baden bei Wien, Baden-Baden, und
wie sie alle heissen mochten — wallfahren, weniger um Heilung
von Gebrechen, als um Vergnügungen aller Art zu suchen. Eine
Schilderung des Treibens in diesen mittelalterlichen Modekurorten,
seinen Lustbarkeiten und Freuden hat uns der Humanist Joh.
Franz Poggio aus Florenz (1380 — 1459) hinterlassen, der den
Papst Johann auf die Kirchenversammlung zu Konstanz begleitete
und von dort aus, um sein Chiragra zu heilen, Bad Baden bei
Zürich besuchte. In einem Briefe, den er im Jahre 1417 an seinen
Freund Nicolo Nicoli von hier aus richtete, der in seinen Werken
zuerst abgedruckt und seither öfter mitgeteilt worden ist — am
besten hat ihn Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deutschen
Vergangenheit wiedergegeben — findet sich folgende ausführliche
und teilweise recht laseive Schilderung : ,, Hier im Bade", schreibt
er jenem Freunde, „gewährt die Lage des Ortes der Seele keine
oder doch nur sehr geringe Ergötzung ; alles andere aber hat so
unendlichen Reiz, dass ich mir öfters träumen konnte, Cypria
selbst und was sonst die Welt Schönes in sich fassen mag, sei
in diesen Wäldern zusammengekommen , so sehr hält man hier
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 73
auf die Gebräuche dieser Göttin, so sehr findest du da ihre
Sitten und losen Spiele wieder.
„Ungefähr eine Viertelstunde von der Stadt, dicht am Flusse,
hat man zum Gebrauch der Bäder einen schönen Hof angelegt,
in dessen Mitte sich ein grosser Platz befindet, ringsum von
prächtigen Gasthäusern umgeben, die eine Menge Menschen fassen
können. Jedes Haus hat sein eigenes Bad, dessen sich nur die-
jenigen bedienen, die in demselben wohnen. Die Zahl der öffent-
lichen Privatbäder beläuft sich zusammen wohl auf dreissig. Für
die niedrigste Klasse des Volkes sind zwei besondere, von allen
Seiten offene Plätze bestimmt, wo Männer, Weiber, Jünglinge
und Jungfrauen, kurz alles, was vom Volke zusammenströmt,
zugleich badet. In diesen befindet sich eine die beiden Geschlechter
absondernde Scheidewand, die jedoch nur Friedfertige abhalten
können, und lustig ist es anzusehen, wie zugleich alte Mütterchen
und junge Mädchen nackend vor aller Augen hinabsteigen und ihre
Reize den Augen der Männer preisgeben. Mehr als einmal hat mich
dies köstliche Schauspiel belustigt, die Spiele der Flora in Rom
sind mir dabei eingefallen, und ich habe bei mir selbst die Ein-
falt dieser guten Leute bewundert, die dabei nicht das mindeste
Arge denken oder reden.
„Die besonderen Bäder in den Gasthöfen sind sehr schön
ausgeschmückt und beiden Geschlechtern gemein. Zwar werden
dieselben durch ein Getäfel getrennt, aber verschiedene Ablass-
fensterchen sind darin angebracht, durch die man miteinander
trinken und sprechen und sich also gegenseitig nicht bloss sehen,
sondern auch berühren kann, wie das häufig alles geschieht.
Ausserdem sind in der Höhe Gänge angebracht, wo sich Männer
zum Plaudern einfinden, und wohlverstanden steht jedem frei
in das andere Bad einen Besuch zu machen, zu scherzen und
sein Gemüt zu erheitern und beim Eintritt wie beim Aussteigen
schöne Frauen entblösst zu schauen. Keine Posten bewachen
hier die Zugänge, keine Thür und vor allem keine Furcht vor
Unanständigem verschliesst sie. In mehreren Bädern treten sogar
beide Geschlechter durch denselben Eingang ins Bad und nicht
74 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
selten trägt es sich zu, dass der Mann einer Frau begegnet.
Doch binden die Männer eine Art von Schurz um, und die Weiber
haben ein Linnengewand an, welches von oben bis in die Mitte
oder an der Seite offen ist, so dass weder Hals, noch Brust, noch
Arme, noch Schultern bedeckt sind. In dem Bade selbst speisen
die Frauen häufig von allseitig zusammengetragenen Gerichten
an einem Tisch, der auf dem Wasser schwimmt, wobei sich
natürlich auch die Männer einfinden. In dem Hause, wo ich
badete, wurde auch ich eines Tages zu einem solchen Fest ein-
geladen. Ich gab einen Beitrag, ging aber trotz allen Zuredens
nicht hin und zwar nicht aus Schüchternheit, die man hier für
Faulheit und bäuerisches Wesen hält, sondern weil ich die Sprache
nicht verstand, denn es kam mir abgeschmackt vor, dass ein des
Deutschen unkundiger Welscher einen ganzen Tag zwischen
Schönen im Bade stumm und sprachlos bloss mit Essen und
Trinken zubringen sollte. Zwei meiner Freunde hingegen fanden
sich wirklich ein, assen, tranken, tändelten, sprachen durch einen
Dolmetsch mit den Frauen , wehten ihnen mit einem Fächer
Kühlung zu, kurz, belustigten sich sehr. Ich sah alles von der
Galerie, die Sitten und Gewohnheiten dieser Ehrenleute, ihr gutes
Essen, ihren angenehmen zwanglosen Umgang.
„Mancher besucht täglich drei bis vier solcher Bäder und
bringt dort den grössten Teil seines Tages mit Singen, Trinken
und nach dem Bade mit Tanzen zu. Selbst im Wasser setzen
sich einige hin und spielen Instrumente. Nichts aber ist reizender
zu sehen oder zu hören, als wenn aufblühende oder erblühte
Jungfrauen mit dem schönsten offensten Gesicht, an Gestalt und
Benehmen Göttinnen gleich, zu diesen Instrumenten singen, dann
schwimmt ihr leichtes zurückgeworfenes Gewand auf dem Wasser
und jede ist eine andere Göttin der Liebe. Dann haben sie die
artige Sitte, wenn Männer ihnen von oben herab zusehen, sie
scherzweise um ein Almosen zu bitten; man wirft ihnen kleine
Münzen zu, die sie mit der Hand oder mit dem ausgebreiteten
Linnengewand auffangen. Ebenso wirft man ihnen auch aus
allerhand Blumen geflochtene Kränze hinab, mit denen sie sich
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 75
das Köpfchen schmücken. Diese vielfältige Gelegenheit, das
Auge zu erfreuen und den Geist zu ermuntern, hatte einen grossen
Reiz für mich, dass ich nicht nur selbst täglich zweimal badete,
sondern auch die übrige Zeit mit Besuch anderer Bäder zubrachte
und ebenfalls Münzen und Kränze hinunterwarf wie die anderen.
Denn unter diesem immerwährenden Geräusch von Klang und
Sang war da weder zum Lesen noch zum Denken Zeit, und
hier allein weise sein wollen, wäre die grösste Thorheit gewesen,
zumal für einen, dem nichts menschliches fremd ist. Zur höchsten
Lust freilich mangelte noch die Unterhaltung durch Gespräche,
die denn doch vor allen die vorzüglichste ist. Mir blieb also
nichts übrig, als die Augen an den Schönen zu weiden, ihnen
nachzugehen, sie zum Spiel zu führen und wieder zurückzugeleiten.
Ausser solchem Genuss gab es noch andere von nicht geringem
Reiz. Hinter den Höfen, allernächst an dem Flusse, liegt näm-
lich eine grosse, von vielen Bäumen beschattete Wiese. Hierher
kommt nach dem Essen jedermann und belustigt sich mit Ge-
sang, Tanz und mancherlei Spielen. Die meisten spielen Ball;
aber nicht wie bei uns, sondern Männer und Frauen werfen
einander, jeder dem, den er am liebsten hat, einen solchen Ball
zu, worin viele Schellen sind. Alles läuft zu, ihn zu haschen;
wer ihn bekommt, hat gewonnen und wirft ihn wieder seiner
Geliebten zu ; alles streckt die Hände empor, ihn zu fangen, und
wer ihn hält, thut, als ob er ihn bald dieser, bald jener Person
zuwerfen wolle. Unzählbar ist übrigens die Menge der Vor-
nehmen und Gemeinen , die nicht sowohl der Kur als des Ver-
gnügens wegen von hundert Meilen weit hier zusammenkommen.
Alle, die lieben, alle, die heiraten wollen, oder wer sonst das
Leben im Genüsse findet, alle strömen hierher, wo sie finden,
was sie wünschen. Viele geben körperliche Leiden vor und sind
nur am Herzen krank. Da sieht man hübsche Frauen in Menge,
die ohne ihren Mann, ohne Verwandte, nur in Begleitung zweier
Mägde und eines Dieners hier anlangen oder etwa eines alten,
alten Mütterchens von Muhme, die sich leichter hintergehen als
bestechen lässt. Jede aber zeigt sich so viel als möglich in Gold
76 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
Silber und Edelstein, so dass man denken sollte, sie wären nicht
ins Bad, sondern zu der prächtigsten Hochzeit gekommen. Auch
Nonnen, Aebte, Mönche, Ordensbrüder und Priester leben hier in
noch grösserer Freiheit als alle übrigen ; letztere baden sich wohl
gar mit den Frauenzimmern, schmücken ihr Haar mit Kränzen
und vergessen alles Zwanges ihrer Gelübde. Alle nämlich haben
einerlei Absicht, Traurigkeit zu verbannen, Vergnügen zu suchen,
keine Gedanken zu haben, als wie sie des Lebens und seiner
Freuden gemessen mögen. Keiner bemüht sich, der Gesellschaft
etwas zu entziehen, vielmehr sucht jeder sein Besonderes all-
gemein zu machen. Und zum Erstaunen ist es , wie bei der
grossen Menge (es mögen immerhin an die tausend Menschen da
sein), bei so verschiedenen Sitten, in einem so freudetrunkenen
Gemisch keine Händel , kein Zwist , kein Schimpfwort , kein
Murmeln, keine Beschwerde des einen über den anderen entsteht.
Da sehen Männer, wie mit ihren Weibern getändelt wird, das
alles bewegt sie nicht, sie wundern sich über nichts."
Soweit die Darstellung des italienischen Staatsmannes, die
uns einen Blick in das Milieu eines solchen mittelalterlichen Bades
werfen lässt, und von der Gustav Frey tag mit Recht bemerkt,
„was der fremde Mann berichtet, ist noch nicht so arg, als die
Art, wie er es erzählt". Etwa 100 Jahre später scheint das Be-
wusstsein von der Sittenlosigkeit dieses Treibens in weitere Kreise
gedrungen zu sein, denn in einem Bericht über das obige Baden aus
der Mitte des XVI. Jahrhunderts von Dr. Pantaleon, Arzt, Pro-
fessor und zeitweiliger Rektor der Universität Basel, lesen wir,
dass ehrbare Frauen diese Bäder mieden. Der Hauptreiz dieser
Bäder bestand eben in dem ungenierten Zusammenbaden der
Geschlechter, das übrigens — durch Badekleider gemildert — in
einzelnen Badeorten bis in unser Jahrhundert hinein üblich war.
Der Hauptunterschied der Badegewohnheit war das übermässig
lange Verweilen im Bade, das dazu nötigte, im Wasser zu essen
und zu trinken. Man steigerte die Badezeit gewöhnlich von einer
Stunde bis auf sechs Stunden des Tages, die man dann auf Vor-
und Nachmittag verteilte. Ausserdem verband man mit den
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 77
Badekuren eine Reihe von therapeutischen Massnahmen: Man
nahm Abführmittel, liess sich zur Ader, und gebrauchte innerlich
eine Reihe von Arzneimischungen. Dies natürlich nur seitens der
wirklich Kranken, während der grosse Tross, der die Bäder des
Vergnügens und der Lust wegen aufsuchte, wie wir oben gesehen
haben, nur diesen beiden Zwecken uneingeschränkt lebte. In
einem Holzschnitt von Dürer findet man Badeattribute, die der
Ausdruck jenes Freudelebens sind, nämlich musikalische Instru-
mente, Trinkgefässe, Blumen und den sogenannten „Krätzer", ein
Instrument, das man zu Friktionen des Körpers benutzte. In Tirol
hatte man je nach der Art des betreffenden Bades eigene Bezeich-
nungen für dasselbe, in denen sich Volksanschauung und Volksspott
ausdrückte. So nannte man die wegen ihrer Heilkraft in Wert stehen-
den und nur aus diesem Zweck besuchten Mineralquellen „Badl"
ohne weiteren Zusatz, die, deren Ruf nicht sehr gross war, „Krätzen-
badl" und die schliesslich, in denen nach dem dem obigen Beispiel
zu Baden in Aargau eine Kur Nebensache war, „Fressbadl 1 '.
Das Badewesen des Mittelalters schuf, wie wir oben des näheren
gesehen haben, ein eigenes Gewerbe, den Bader, unter dem wir
uns ursprünglich nichts anderes vorzustellen haben, als den Besitzer
oder Leiter einer Badestube. Die Geschichte der Baderzunft, die später
so eng mit der Kulturgeschichte der Menschheit im allgemeinen und
mit der Geschichte der Medizin und öffentlichen Gesundheitspflege
im besonderen verknüpft war, verdient eine nähere Betrachtung der
Entwicklung dieses Gewerbes und seiner Stellung im Staate.
Wir sahen, dass mit dem Baden meist zugleich ein Scheren
des Kopfes verbunden war, das in den Badstuben von Knechten
der Badewirte, sogenannten Scherknechten, ausgeführt wurde.
Aus diesen Scherknechten entstand im Laufe der Zeiten das Ge-
werbe der Scherer und mit ihrer zünftlerischen Organisation
beginnt der wirtschaftliche Kampf zwischen den Badern und
Scherern einerseits und der der medizinischen Fakultäten mit
beiden und dem Heere der Quacksalber, deren Nährväter jene
beiden Zünfte waren, andererseits. Aus der eigentümlichen Stel-
lung, aus der der Scherknecht als Arbeitnehmer des Baders zu
78 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
einem selbständigen Gewerbetreibenden herauswuchs, erklärt sich
das unklare Verhältnis, das zwischen beiden lange Zeit bestand.
Die eigentliche Geburtsstätte der Scherer waren die Klöster, wo
das Scheren des Hauptes und das Anlegen der Tonsur eine be-
sondere Fertigkeit in der Handhabung des Rasiermessers — denn
dieses benutzte man dazu — notwendig machte. In manchen
Klöstern mögen Mönche einer dem anderen die Tonsur geschoren
haben, aber in den meisten fanden sich besondere Rasores vor,
und als die Mönche des Benediktinerordens und seiner Zweige
stets auch das Kinn sich glatt zu scheren begannen, führte sich
für den Scherer die Bezeichnung Barberius und in Deutschland
das ihm nachgebildete Barbierer (ineist Balbierer gesprochen und
geschrieben) ein. So wurde das Kloster zur eigentlichen Schule
der Barbierer. Ferner waren die Mönche auch gehalten, zu be-
stimmten Zeiten sich zur Ader zu lassen, eine Thätigkeit, die
ebenfalls auf die Barbiere in den Klöstern, die meistens Laien-
brüder waren, überging. Somit fanden sich daselbst Individuen,
die ausser im Rasieren auch Fertigkeiten in kleinen chirurgischen
Eingriffen sich aneigneten, und es gab zweifelsohne solche, die
den Rasor und Minutor , d. i. der , der zur Ader Hess , in einer
Person vereinigten. Als nun ein glattgeschorenes Kinn auch in
der Laienwelt, wahrscheinlich durch das Beispiel des höheren
Klerus veranlasst, Eingang fand, erweiterte sich auch die Kund-
schaft der Barbiere und mit dieser auch die Veranlassung, dass
sich mehr Leute diesem Geschäfte widmeten. Wir finden nun
unter den Personen des Gesindes fürstlicher Höfe auch Leib-
barbiere. Schon vor der Verbreitung der Rasur im Volke gab
es Aderlasser und ähnliche Individuen, die kleinere chirurgische
Handleistungen ausführten, auf Grund dessen, dass ja vor Stiftung
der Universitäten die Ausübung der Heilkunde völlig frei war
und von jedem getrieben werden konnte. Als man nun später-
hin der Pflege des Haupt- und Barthaares grössere Sorgfalt zu-
wandte und solche Scherer sich durch ihre Stellung zu Herrschern
und Fürsten eines gewissen Ansehens erfreuten, sammelte sich
der ganze Tross dieser kleinen Chirurgen unter dem Namen
Bäder und Badewesen im Mittelalter. 79
Rasor, Scherer oder Barbier. Einzelne von ihnen erwarben sich
Badstuben, vertauschten ihren auf blosser Handfertigkeit beruhen-
den Titel mit dem auf Besitz gegründeten, mit dem eines Baders,
und nun wurden die Badestuben zu direkten wundärztlichen
Verrichtungsstätten. Jene Scherer, die durch den Erwerb einer
Badestube in die Baderzunft übertraten, wurden Badermeister,
durften Lehrlinge halten, bildeten Baderknechte heran, die eine
grössere chirurgische Gewandtheit erlangten, als jene, die bei
blossen Badern ihre Lehrzeit durchmachten. Denn, um es
noch einmal zu wiederholen, die frühmittelalterlichen Bader
hatten nur hauswirtschaftliche Obliegenheiten in den Bade-
stuben und Hessen die von den Gästen gelegentlich des Badens
gewünschten diätetischen oder hygienischen Proceduren durch
Scherknechte, Minutoren etc. ausführen. Die Badestube war in
vielen Fällen die Herberge mancher Scherer, die zu unbemittelt,
um eine eigene Stube zu halten, hier unter dem Patronat
des Baders ihre Fertigkeiten ausübten. Dieser Uebergang vom
Scherer zum Bader bildete jedoch immer noch eine Ausnahme,
im grossen und ganzen waren die Funktionen zünftlerisch von-
einander getrennt und beide Berufsarten bildeten eigene Zunft-
vereinigungen. Wie immer im Zunftwesen konnte es auch hier
nicht ausbleiben , dass Streitigkeiten über die Grenzgebiete der
einzelnen Verrichtungen entstanden und die beiden Zünfte sich
feindlich gegenübertraten. Diese Fehden wurden verschiedenartig
seitens der Städte geschlichtet : So durften die Bader zu Frank-
furt a. M. scheren, jedoch ohne Becken auszuhängen, in Lübeck
nur an den Badetagen und nur ihren Badegästen Bart und Haar
abschneiden etc. Die im Laufe der Zeiten eintretende Zunahme
der Scherer, welche sich Badestuben erwarben und Baderknechte
heranbildeten, welche ihrerseits wieder diese an sich brachten,
veranlasste allmähliche Erweiterung des Kreises der hilfs-
ärztlichen Thätigkeit seitens der Bader und zwar in einem
solchen Masse, dass er schliesslich gänzlich mit dem der Scherer
oder, wie sie später hiessen, der „Barbierer" zusammenfiel und
beide Zünfte in eine verschmolzen. An einzelnen Orten geschah
80 Bäder und Badewesen im Mittelalter.
dies schon in den ersten Dezennien des XV. Jahrhunderts. Wir
sehen jetzt die Bader gleich den Barbieren scheren, Köpfe
waschen, zur Ader lassen, Schröpf köpfe setzen, Verwundete ver-
binden. Doch auch sie verschwinden vom Schauplatz der öffent-
lichen Thätigkeit mit dem Augenblicke, wo die Universitäten die
Ausbildung der Chirurgen in die Hand nehmen. Nun erlischt
die Bezeichnung „Bader" in dem durch Jahrhunderte hindurch
gebräuchlichen Sinne. Die Badehalter werden auf ihr eigenstes
Gebiet, aus dem sie ursprünglich hervorgegangen, auf die Ver-
waltung der Badehäuser zurückgedrängt, und der operativ ge-
übte Teil derselben geht in die Körperschaft der Wundärzte auf.
Das Badewesen des Mittelalters hat das klassische Altertum
mit seinem souveränen Kultus der Pflege des Körpers nie
erreicht: Die stolzen, unvergänglichen Zeugen jener Blütezeit
antiker Hygiene sind im Mittelalter einsam auf ihrer Höhe ge-
blieben. Nach wie vor sind sie die fast unerreichbaren Vorbilder,
die heute noch nach Jahrtausenden in ihrer gewaltigen, blenden-
den Ausführung, in ihrer Vereinigung von Schönheit und Pracht,
von Lebensfreude und wohlthätiger Sorge vor uns stehen und
uns fast mit Neid erfüllen. Demgegenüber waren die Schöpfungen
des Mittelalters armselig und dürftig, waren Anlage und Bade-
gebrauch primitiv und reizlos. Und doch hat auch das Mittel-
alter in einer Geschichte des Badewesens seinen Platz, denn zum
zweitenmal in der Entwicklung der Menschheit sehen wir, wenn
auch dem Geist und Geschmack der Zeit nur allzusehr unter-
worfen, eine Epoche auftreten, in der das Baden zu den unent-
behrlichsten Bedürfnissen des alltäglichen Lebens gehört, in der
es zum Allgemeingut aller Klassen der Gesellschaft wird. In
diesem Punkte tritt es für den Hygieniker und Kulturhistoriker,
befreit von seinen sonstigen mannigfachen Schlacken, als kultu-
relle Errungenschaft hervor und lehrt uns, dass selbst in einem
Zeitalter, in dem Mystizismus und Askese das Heil des Körpers
einem falsch verstandenen Heile der Seele opferten, der Sinn
für die praktische Gesundheitspflege doch nicht ertötet war!
III. Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Im Leben der Völker entstehen und vergehen die Errungen-
schaften der Kultur, Neues löst das Alte ab, und oft genug ist
es nur ein matter Wiederschein unerreicht gebliebener Schöpfungen.
Dem blühenden Zeitalter der Antike mit ihrer lebenswarmen und
künstlerisch erhabenen Pflege des Körpers folgte die Vernichtung
aller auf das Irdische gerichteten Gedanken durch das herein-
brechende Mittelalter. Allein auch die düstere und lebensfeind-
liche Askese verfällt dem ewigen Naturgesetz und im Dämmer-
licht der mittelalterlichen Zeit erwacht neues Leben, ein neuer
Trieb zur Pflege des Körpers. Die gewaltigen, Kunst und Har-
monie in einzig schöner Art verbindenden Thermen werden ab-
gelöst von den primitiven Badestuben und Badehäusern des
Mittelalters, Gymnastik und die methodische Schulung des Leibes
sind allerdings aus dem Kreis der Badesitten geschwunden, das
kalte Wasser zurückgedrängt in ein kaum ans Tageslicht
kommendes Dasein — allein ein wahrhaft volkstümlicher Drang
lässt auch in diesen Jahrhunderten die so ungemein wohlthätigen
Einrichtungen blühen und gedeihen und macht das Baden zu
einem feststehenden Gebrauch, zu einer Sitte, die sich allen
Klassen der Gesellschaft mitteilt. Mag auch manches Störende
und Hässliche im Laufe der Zeiten erstehen, manche im Geiste
und Charakter der Zeit liegende Unzucht die hygienischen Stätten
zu Quellen der Sittenverderbnis umwandeln, eines bleibt jedoch
als Grundcharakter dieser Jahrhunderte bestehen, das ist das alle
Schichten der Bevölkerung durchflutende Lebensbedürfnis zu
Marcuse, Bäder und Badewesen. ft
82 Bäder und Badewesen der Xeuzeit.
baden, ein Moment, das in dem sonst so finsteren und jedes
Kulturfortschrittes abholden Zeitalter leuchtend uns entgegentritt
und mahnend unsere hochentwickelte Neuzeit, das Jahrhundert,
das so gern als das der Naturwissenschaften bezeichnet wird, an
ihre noch nicht erfüllten Pflichten erinnert!
Nachdem das Badewesen im 14. und 15. Jahrhundert noch
einmal den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht und im
17. Jahrhundert unter der Einwirkung der mannigfachsten, ge-
schilderten Faktoren wieder in Nacht und Nebel versunken war,
verschwand das Baden als Volksgebrauch, und in jener Zeit
wurde die verhängnisvolle Grundlage geschaffen, an deren Folgen
wir heute noch kranken — die Entfremdung weiter Massen von
der Badegewohnheit, die Ausmerzung des Badens als allgemeine,
zur Lebenshaltung unentbehrliche Sitte. So bietet das Bade-
wesen am Ausgang des 18. Jahrhunderts ein trübes Bild. Das
moderne westliche Europa hatte mit den Ueberlieferungen aus
dem Altertum sowohl wie aus dem Mittelalter vollständig ge-
brochen. Das kalte Baden in den Flüssen war in diesem Jahr-
hundert verpönt. Die Sittenpolizei schritt dagegen ein, „weil das
Baden der jungen Menschen und Buben Sommerszeit sehr ärger-
lich und viel Schlimmes nach sich ziehet". Im Jahre 1736
wurde in Baden durch Schulverordnung den Lehrpersonen be-
fohlen, ihre Schüler „vor dem so gemeinen als höchst gefähr-
lichen und ärgerlichen Baden zu warnen und die Uebertreter zu
bestrafen". Selbst Goethe nennt 1770 das öffentliche Baden eine
„Verrücktheit der Enthusiasten für den Naturzustand". Das
Schwimmen lag infolgedessen völlig darnieder, Flussbäder für
das Volk gab es nicht , es fehlte kurzum an jeder Fürsorge für
eine Pflege der Volksgesundheit. Nur einzelne Philosophen und
Philantropen erhoben ihre Stimme für das Baden und Schwimmen
als Förderungsmittel der Gesundheit, aber sie blieben ungehört.
Auch die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts wiesen nennens-
werte Einrichtungen nicht auf. Man begnügte sich mit einigen
irgendwo aufgestellten Wannen, ohne sie häufig zu benutzen,
und nach wie vor galt das Baden als ein Luxus, den sich nur
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 83
der reiche Mann gestatten konnte. Oeffentliche Stadtbäder ge-
hörten zu den Seltenheiten, die man ausnahmsweise in den
grossen Hauptstädten Paris und London antraf. Sie enthielten
nur Wannenbäder, solche mit Schwimmhallen gab es überhaupt
nicht. Ausschliesslich für die wohlhabenden Klassen bestimmt,
entbehrten sie jeden Anspruchs, Volksbäder zu sein, und da es
derartige nirgends gab, so war auch jede Möglichkeit dem Volke
zu baden genommen. Dies war der Stand des Badewesens nahezu
im gesamten Westen Europas, anders dagegen gestaltete sich die
Entwicklung im Osten und vor allem im Orient. Die Völker des
Islam unterlagen durch die Gebote ihres Religionsstifters Muha-
med einer peinlichen Sauberkeit, die sich in Waschungen,
Bädern etc. geltend machte und als religiöse Handlung angesehen
wurde. Diese Bedeutung, die Muhamed der Reinhaltung des
Körpers gab und die wohl mit veranlasst durch das heisse Klima
der Länder des Islam als eine ausserordentlich weise hygienische
Massregel angesehen werden muss, zwang die moslemitischen
Herrscher, in erster Linie für Herbeischaffung guten und reich-
lichen Wassers zu sorgen, das nach den grossen Städten meist
durch meilenlange Leitungen herbeigeholt und dann in geeigneten
Behältern aufbewahrt werden musste. So entstanden, namentlich
in der Türkei, teilweise unter Benutzung der aus dem Altertum
und der Zeit der griechischen Kaiser herrührenden Bauten Wasser-
versorgungssysteme für die grossen Städte, so vor allem die so-
genannten Suterasi oder hydraulischen Pyramiden, die im Gegen-
satz zu den brückenartigen Aquädukten der Römer das Wasser
nach dem Grundgedanken der kommunizierenden Röhren von
einem Thalrande zum anderen führen. Dies sind gemauerte
Bauwerke, gewöhnlich in Form einer abgestumpften Pyramide
oder eines Obelisken.
Die Notwendigkeit häufiger Waschungen behufs Erfüllung
der religiösen Pflichten gab ferner Veranlassung, nicht nur die
Moscheen, sondern auch alle Stadtteile mit Brunnen zu versehen.
Die Errichtung derartiger Brunnen gilt als fromme Stiftung und
wird für ebenso verdienstvoll als eine Pilgerfahrt nach Mekka
84 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
gehalten. Vielfach sind die Brunnen mit einem Pavillon ver-
bunden, in dem Derwische zu jeder Tageszeit frisches Wasser an
die Vorübergehenden verteilen. Bei so vollkommenen Wasser-
versorgungseinrichtungen war auch die Anlage der Bäder keine
schwierige, zumal Araber wie Türken ihre Bäder zunächst in den
altrömischen Badeanstalten, die sie bei ihren Eroberungen vor-
fanden, einrichteten. Von den römischen Einrichtungen behielten
sie das Heissluftbad mit seiner Hypokaustenheizung bei. An den
Wasserübergiessungen nach dem Schwitzen hielten sie ebenfalls
fest. Dagegen streiften sie das Vollbad und das Schwimmbad
fast ganz ab, ebenso die bei den Römern mit dem Bade ver-
bundene Gymnastik. Das arabische oder türkische Bad bildet
neben dem Kaffeehaus den Lieblingsaufenthalt des Moslem. Die
Hammäms sind Volksbäder. Viele sind von Grossen und Reichen
erbaut, um ein frommes Werk zu thun. Ihre Zahl ist ungeheuer
gross ; sie fehlen in keiner Stadt, keinem Dorf des Orients, Kon-
stantinopel allein hat nach der amtlichen Statistik vom Jahre
1885 169 öffentliche Bäder. Dieselben werden beständig geheizt
und sind für die Geschlechter getrennt. Wo dies räumlich nicht
durchführbar ist, tritt eine zeitliche Trennung ein, so baden die
Frauen an einzelnen Orten am Tage, die Männer des Nachts.
Die besseren Bäder der Städte, namentlich diejenigen für Frauen,
sind mit verschwenderischem Luxus ausgestattet. Maurischer
Stil und Farbenreichtum, Teppiche und kostbarer Marmor im
Innern, Springbrunnen und schattige Gärten ringsherum zeichnen
die Hammäms aus, deren prächtigste die in Damaskus sein
sollen. Für die Eingeborenen ist das Bad zuweilen unentgelt-
lich; auch findet man in den Höfen der sog. Abwaschungen
der Moscheen eine oder mehrere Kammern mit gemauerten,
auscementierten Wannen zum unentgeltlichen Bade für die
Armen. Wo das Bad nicht frei ist, wird kein fester Preis ge-
fordert, sondern jeder zahlt nach seinem Vermögen. Die Bäder
sind hauptsächlich Heissluftbäder ; sie bestehen in Schwitzung,
Begiessung mittels kalten oder warmen Wassers, in Abseifen und
Massage. Das Irrationelle dieser Methode leuchtet ein : Während
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
85
wohlweislich die Völker des Altertums mit dem heissen Bade
die Gymnastik verbanden, um einer Erschlaffung vorzubeugen,
fehlt dieser Ausgleich in den Bädern der Orientalen, und sie be-
gnügen sich mit einer in ihrer physiologischen Wirkung kaum
nahekommenden Massage.
Das Badekleid besteht aus einer Schürze von Seide oder
Leinwand, die von roter oder blauer Farbe ist, an den Füssen tragen
sie Holzsandalen, weil der heisse steinerne Fussboden barfüssig
nicht betreten werden kann. Ein Hammäm besteht aus folgenden
Räumen (Fig. 6): Zuerst gelangt man durch einen winkligen
Fig. 6. Grundriss eines arabischen Bades.
Gang, dessen Anlage den Zweck hat, den Einblick in das Innere
des Bades zu verhindern, in den Auskleideraum (Meschlah), der
aus zwei Teilen besteht, einem mittleren, worin Unbemittelte sich
auszukleiden pflegen, und den diesen umgebenden besseren Aus-
kleidegemächern. In der Nische dieses Raumes ist gewöhnlich
eine kleine Bude aufgeschlagen, in der Scherbet, Kaffee und
andere Erfrischungen ausgeschänkt werden. Vom Meschlah
gelangt man zum Bet-el-auel, einem massig erwärmten Raum,
der ungefähr dem römischen Tepidarium entspricht. Die Er-
wärmung erfolgt hier mittels Hippokausten , wie wir sie bei den
86 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Römern kennen lernten. Von hier aus gelangt man in den dritten
und Hauptraum des Bades, dem Harära, der mit seinem Kuppel-
gewölbe den architektonischen Kern der Bauanlage bildet. Er ist
reichlich erwärmt, mit Wasserdämpfen meist ganz angefüllt und
hat eine Temperatur von 44 bis 48 ° C. In diesem Raum lässt
man sich auf ausgebreiteten Leintüchern nieder, um zu schwitzen;
hat man genügend geschwitzt, so wird man vom Badewärter am
ganzen Körper gerieben und massiert und begiebt sich dann in
eine die Harära umgebende kleinere Zelle, in denen die Tem-
peratur noch höher ist als in ersterer. Die Zellen sind teils mit
Wannen, teils ohne Wannen eingerichtet; jedoch haben beide
Arten Marmorbecken zum Waschen mit Wasserhähnen für kalte
und warme Begiessungen. Hier begiesst man sich nach Belieben
mit kaltem oder warmem Wasser, dann erscheint der Badewärter
wieder, zieht einen kleinen Sack aus Ziegenhaar oder Filz über
die Hand und reibt den Körper gründlich ab. Dann seift er
mittels einer Quaste aus Palmrindenfasern den Badegast mit
wohlriechendem Seifenschaum vom Scheitel bis zur Sohle ein,
worauf erneute Abspülung mit Wasser von immer abnehmender
Wärme erfolgt. Damit ist die Badeprozedur beendet : Man wechselt
die Badewäsche, und streckt sich jetzt im ungeheizten Meschlah
oder in einem besonderen Ruhesaal hin, schlürft einen Scherbet
oder Kaffee, raucht einen Nargileh (Wasserpfeife) und empfindet
die äusserste Behaglichkeit und Erquickung. Das ganze Bad
dauert in der Regel 2 — 3 Stunden. Der Orient besitzt auch eine
Zahl Kurbäder ; die berühmtesten, heute noch in Gebrauch befind-
lichen, sind die Bäder von Brussa, dem alten Prusa am Flusse
des Olymp in Kleinasien. Sie standen schon im Altertum im
hohen Ansehen und wurden namentlich von den byzantinischen
Kaisern viel besucht. (Fig. 7.)
Anders war die Entwicklung des Badewesens bei den ost-
und nordeuropäischen Völkern, unter denen die Finnen wohl die
älteste Form des Dampfbades ihr eigen nennen können. Seit
uralten Zeiten sind in Finnland Dampfbäder in Gebrauch, für
die man fast bei jedem Wohnhaus ein eigenes Häuschen errichtet
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
87
Fig. 7. Meslakh des öffentlichen Bades von Sultan Mo'ayyad an Cairo.
hat. Das Badehaus gilt dem Finnen als Heiligtum. Hier sucht
er Heilung für Krankheit, hier wird jedes Kind des finnischen
Bauern geboren, denn hierher wird noch heute, wie ehedem, die
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Wöchnerin geführt, hier badet er in paradiesischer Nacktheit und
Unschuld mit seiner ganzen Familie vom neugeborenen Kind im
Arm der Mutter bis zum 80jährigen Greis während der Erntezeit
gewöhnlich jeden Abend, sonst, auch im Winter, ein- bis zweimal
wöchentlich. Dieses Bad ist des Finnen höchster Lebensgenuss.
Er geniesst darin mit vollen Zügen die mit Rauch und Dampf
angefüllte Atmosphäre — die Temperaturen sind nach Reise-
beschreibungen ungeheuer hohe — , peitscht sich mit Birkenreisern
und übergiesst sich von Zeit zu Zeit mit kaltem Wasser. Das
Badehaus ist entsprechend der primitiven Art und Weise des
Badegebrauches ein aus meist nur roh bearbeiteten Stämmen
gezimmertes Blockhaus, das einen grossen, aus Feldsteinen auf-
gebauten Ofen ohne Schornstein, sowie einen hochgelegenen
Hängeboden aus Brettern, die Schwitzbank, enthält. Ausser der
Thür hat es 2 — 3 kleine Luken, durch die Rauch und Dampf
abgelassen werden können, sonst aber keine Oeffnungen. Der
Dampf wird erzeugt, indem Wasser eimerweise auf den Haufen
erhitzter Steine, die den oberen Teil des Ofens bilden, geschüttet
wird. In ganz Skandinavien und auf Island war dieses Dampf-
bad ebenfalls bis in die Neuzeit hinein verbreitet. Auch hier
wurden für dasselbe neben den Wohnhäusern, wie wir dies bei
den Finnen sahen, eigene Gebäude aus Holz aufgeführt. Sowohl
die Einrichtung der Badestube, wie die Art, das Bad zu nehmen,
entsprechen ganz der finnischen. Die Verwandtschaft beider ist
unverkennbar. Die finnische Badestube findet sich noch heute
in modernisierter Form in vielen Orten, namentlich in den Gar-
nisonstädten Skandinaviens. In der königlichen Kriegsmarine-
station zu Stockholm ist der Gebrauch des dort vorhandenen
„finnischen Dampfbades" im Winter für die Matrosen der Kriegs-
marine sogar vorgeschrieben. Auch in den russischen Dampf-
bädern ist das alte finnische Bad leicht zu erkennen. Die Dampf-
bäder sind in Russland bekanntlich sehr verbreitet. Die Badestube
findet sich häufig in den Häusern der Wohlhabenden, aber auch
jedes Dorf besitzt mindestens eine solche. In bescheideneren Ein-
richtungen auf dem Lande und in kleinen Städten wird der
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 89
Wasserdampf noch nach alter Art erzeugt, indem auf der glühenden
Platte eines Ofens Kieselsteine ausgebreitet und von Zeit zu Zeit
mit Wasser übergössen werden; die dadurch erzeugten Dämpfe
erreichen eine Temperatur von 50 bis 60 ° C. An den Wänden
des Dampfbades sind stufenförmige Holzbänke angebracht, auf
denen die Badenden je nach der von ihnen gewählten Höhelage
das Bad von geringeren oder höheren Wärmegraden gemessen.
Schroffe Wechsel zwischen heissem Dampfbad und kalter Brause
oder Vollbad, wofür in Nebenräumen Gelegenheit geboten ist,
ist bei den Russen sehr beliebt. Dieser Wechsel wird mehrfach
wiederholt. Neben dem Peitschen mit Birkenreisern, Einseifen,
Reiben mit Bürsten und dergl., zur Erhöhung der Hautthätigkeit,
ist auch die Massage gebräuchlich. Die modernen russischen
Bäder sind prächtig, aber auch zugleich praktisch eingerichtet,
und die gebildeten Russen wissen in diesem gesundheitsstärkenden
Mittel wohl Mass und Ziel zu halten.
Werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf die Kultur-
völker im Osten Asiens, so sind es vor allem die Japanen, die
von einem lebhaften Gang zur Reinlichkeit beseelt eine uralte
Kultur des Badewesens besitzen. Jeder Japaner, ob hoch oder
niedrig, nimmt, wenn irgend möglich, täglich mindestens ein
Bad, dessen Wasser 38 bis 45 ° C. hat. Wer im Winter friert,
geht in das Bad, das immer heiss ist und nur in dieser Form
zu den landesüblichen Gewohnheiten und Volkssitten gehört.
Jede japanische Stadt hat eine grosse Zahl öffentlicher Bäder,
die im wahrsten Sinne des Wortes Volksbäder sind. So zählt
die Stadt Tokio etwa 800 öffentliche Badeanstalten, in denen
täglich etwa 300000 Menschen baden. Die Form des Bades ist
ausschliesslich die des Wasser- oder Vollbades als künstliches
Bad in Wannen und als natürliches Bad in den warmen Quellen.
Ganz im Gegensatz zu den Japanern kennt das Volk der Chinesen
kein Bedürfnis nach Reinigung des Körpers durch Bäder und
verfügt infolgedessen nicht einmal über Rudimente einer Ent-
wicklung eines Badewesens.
Die Invasion der Dampfbäder in die westlichen Staaten
90 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Europas knüpft sich an zwei politische Ereignisse : Die finnischen,
resp. russischen Dampfbäder brachten Napoleons Scharen nach
dem Süden Russlands, wo sie den Charakter opulenter und tech-
nisch vollendeter Anstalten annahmen, und von wo sie sich rasch
bei dem Mangel jeglicher Konkurrenz und bei der Leichtigkeit
und Einfachheit ihrer baulich-technischen Einrichtung über den
Westen Europas verbreiteten. Dies geschah in den 30er Jahren
des 19. Jahrhunderts. Kaum aber hatte sich das Dampfbad in
obiger Form eingebürgert, als auch nach dreizehnhundertjähriger
Vergessenheit das antike römische Heissluftbad wieder erstand
und bald einen dominierenden Einfluss in den Badegewohnheiten
der westlichen Völker gewann. England verdanken wir sein
Wiederaufleben: Der orientalische Feldzug der Engländer gegen
Russland machte diese mit den hohen wirtschaftlichen und sani-
tären Vorteilen der römisch-türkischen Bäder bekannt und als
reife Frucht verpflanzten sie dieselben nach Albion. Der eng-
lische Reisende David Urquhart erstattete den ersten Bericht,
auf dessen Anregung hin der irische Arzt Dr. Richard Barther
im Jahre 1856 in St. Anns Hill bei Cork in Irland das erste
„römische Bad" im Westen Europas errichtete. Dies ist die Ur-
sache, dass sie in ihrer erneuerten Form allgemein unter dem
Namen „römisch-irische Bäder" erscheinen, im Grunde genommen
aber nur eine Wiedergabe des antiken Bades mit einer Modi-
fikation desselben darstellen. Barthers Neuerung besteht in der
Kombination des Heissluftbades mit warmen und kalten Brausen,
eine Verbindung, die an den orientalischen Gebrauch erinnert,
nach der Schwitzung den Körper mit Wasser von allmählich
abnehmenden Wärmegraden zu begiessen , während die Römer
nur kalte Uebergiessungen kannten. Die fortgeschrittene Technik
ermöglichte nach dem System von Meissner eine gut regulierte
Ventilation, beziehungsweise eine Vermischung der heissen Luft
vor ihrem Eintritt in das Schwitzbad mit frischer Luft. In diesem
ist nur höchst wenig und unsichtbarer Dampf vorhanden, doch
wird gerade die notwendige geringe Feuchtigkeit wie im alt-
römischen Caldarium durch Verdunstung von Wasser in aufgestellten
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 91
Becken erhalten. Diese römisch-irischen Bäder, auch vielfach
türkische Bäder genannt, verbreiteten sich in England rasch, und
heute hat fast jede Stadt des Inselreiches ihr Schwitzbad. Sie
sind oft mit anderen Bädern vereinigt, finden sich aber auch als
selbständige Badeanstalten. In London, Paris und später auch
in Ofen erstanden mit märchenhaft orientalischer Pracht aus-
gestattete Hammäms, die entsprechend ihrer ganzen luxuriösen
Anlage und der teilweise raffinierten Durchführung der Bade-
prozeduren nur zur Benutzung der wohlhabendsten Klassen der
Gesellschaft dienen können.
Die Initiative zu einer volkstümlichen Gestaltung des Bade-
wesens durch Errichtung von öffentlichen Bädern ging, wie nahe-
zu auf allen Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege, von
England aus. Die ersten englischen Anstalten entsprangen dem
allseits und gleichzeitig hervorgetretenen Bedürfnisse nach öffent-
lichen Waschanstalten und Volksbädern. So entstand die erste
Bade- und Waschanstalt für die arbeitende Klasse in Liverpool,
die im Jahre 1842 eröffnet wurde. Dem Liverpooler Beispiel
folgte unmittelbar London mit zwei durch Privatkapital gegrün-
dete Wasch- und Badeanstalten, in denen das Bad einen Penny
(10 Pfennig) und die einmalige Benutzung eines Waschstandes
V 4 Penny kostete. Philanthropische Gesellschaften hatten den
Impuls gegeben, und man erkannte die dringende Notwendigkeit
von Badegelegenheiten für die dicht bevölkerten Industriecentren ;
ausser der Philanthropie ward daher auch die Selbsterhaltung'
ein mächtiger Hebel zur Förderung des Zweckes. Auf Anregung
einer im Jahre 1844 unter dem Vorsitz des Lordmayors im Man-
sionhouse abgehaltenen Versammlung entstand die epochemachende
Parlamentsakte vom 26. August 1846, in der die Errichtung öffent-
licher Bade- und Waschhäuser empfohlen resp. angeordnet wird,
und die nach dem Manne, dessen Eintreten hauptsächlich der
Erfolg zu verdanken ist, die Sir Henry Dukinfields Act genannt
wird. Diese Akte ermächtigt Kommunen und Kirchspiele, wenn
auf Anregung von 10 Gemeindemitgliedern der Gemeinderat oder
die Kirchspielversammlung mit Zweidrittelmehrheit die Anlage
92 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
eines Bade- und Waschhauses beschlossen hat, eine Verwaltungs-
kommission von 3 bis 7 Bürgern einzusetzen, welche die Aus-
führung unter Verwendung von Steuergeldern, eventuell unter
Ausschreibung besonderer Umlagen, oder mit Beiziehung von
Kapitalien aus den Fonds der Armenverwaltung nach bestimmten
Prinzipien und unter gewisser Kontrolle des Staatsministeriums
zu leiten habe. Die wichtigsten Bestimmungen dieser Akte waren
folgende :
Nach Artikel 4 sind die Einnahmen aus den Waschhäusern
und Bädern dem Gemeindefond zu überweisen, der Gemeinderat
hat darüber gesonderte Rechnung zu führen.
Nach Artike] 18 dienen etwaige Ueberschüsse zum Besten
der Armenfonds.
Nach Artikel 23 soll Verwaltung, Betrieb und Oberaufsicht
in den Stadtgemeinden dem Stadtrate, in Kirchspielen den Kom-
missaren zustehen.
Nach Artikel 24—27 werden den Gemeinden beziehungs-
weise den Kommissionen Expropriationsrechte eingeräumt.
Artikel 28 legt den Wasserwerkskompagnien eine unentgelt-
liche oder möglichst billige Wasserlieferung ans Herz.
Nach Artikel 36 müssen für die arbeitende Klasse min-
destens doppelt so viel Bäder vorhanden sein als für eine höhere
Klasse.
Artikel 37 endlich schreibt die Prinzipien der Verwaltung
und Benützung der Bäder vor, so die Einsetzung fest angestellter,
mit Instruktion versehener Beamter, die Trennung der Bäder für
Männer und für Knaben über 8 Jahre von jenen für Frauen und
für Kinder unter 8 Jahren, dann die Maximalpreise und zwar
für ein Warm- oder Dampfbad 2 Penny (0,20 Mark), für ein
kaltes Bad oder kaltes Regenbad 1 Penny (0,10 Mark) einschliess-
lich Handtuch, bei höheren Klassen nicht über das Dreifache
jener. In offenen Badeplätzen zahlt die Person x / 2 Penny. Das
Kirchspiel St. Martins in the field in London war das erste,
welches 1849 von der Parlamentsakte Gebrauch machte und fünf
Jahre darauf waren bereits 13, grösstenteils mit Schwimmhallen ver-
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 93
sehene Bade- und Waschanstalten nach dem Tenor des Gesetzes
entstanden. Dieselben sind stets einem Unternehmer in Entre-
prise gegeben; Regieverwaltungen giebt es nicht, wohl aber zeit-
weilige Inspektion durch die Behörden. Die Preise richten sich
nach öffentlichen Tarifen und die Klassen unterscheiden sich ledig-
lich durch elegantere Ausstattung der Baderequisiten. Die grossen
Schwimmbassins in den gedeckten Hallen besassen anfänglich
noch primitive Einrichtungen, z. B. einfache Bänke anstatt Aus-
kleidekabinen, Uebelstände, welche bei der mächtig wachsenden
Beliebtheit der Bassinbäder jedoch bald verschwanden.
Neben den Gemeindebädern im Sinne der Parlamentsakte
existieren jetzt in England noch folgende drei, vom Gesetze un-
beeinflusste Methoden der Gründung von Bädern:
1. Allgemeine Aktienunternehmungen.
2. Subskriptionsunternehmungen mittels freiwilliger Beiträge.
3. Klubbäder mit begrenzter Aktionärzahl und Ballotage über
die Teilnehmerzahl,
welche einesteils den Zweck freier Bewegung in der geschäft-
lichen und wirtschaftlichen Behandlungsweise, sowie das Eigen-
interesse, andernteils die Befriedigung des englischen Klubgeistes
im Auge haben.
Die Gentleman-Klubbäder sind durchaus keine Volksbäder,
gemessen aber bei dem Sinn der Engländer für das Klubwesen
grosse Sympathien und breiten sich infolgedessen immer mehr
aus. In diesen Klubbädern giebt es nur Jahresabonnements, das
für die Aktionäre je nach Zahl der Aktien nur 20 bis 40 Mark,
aber auch für Nichtaktionäre nur 45 Mark und 20 Mark Eintritts-
geld beträgt. Es sind musterhafte Anlagen, welche Wannen-,
Schwitz- und Sturzbäder enthalten, besonders aber das Schwimm-
bad bevorzugen, ausserdem mit Gesellschafts-, Turn-, Lese-, Bil-
lardsälen etc. ausgestattet sind. Zweckmässigkeit und Körper-
pflege stehen in erster Linie, körperliche Bewegungen, Schwimmen
und Turnen, werden ausserordentlich gepflegt, so dass man in
gewissem Sinne in diesen Anstalten die Ideen der altrömischen
Thermen wiederfindet. Grossen Einfluss auf die Badelust üben
94 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
bei der den Söhnen Albions angeborenen Liebe zur Körpergym-
nastik die im ganzen Inselreich verteilten Schwimmvereine aus,
an denen London allein eine überaus grosse Zahl besitzt. Keine
englische Stadt entbehrt heute eines Winterschwimmbades, und
in allen Volksschulen ist der Schwimmunterricht obligatorisch.
Ein besonderes Interesse beanspruchen die Waschhäuser
Englands, die sich dort des allgemeinsten Zuspruches erfreuen,
während der Versuch, der in den 50er Jahren gemacht wurde,
sie auch in Deutschland einzuführen, völlig missglückte. Die
Waschhäuser bieten Gelegenheit zum Waschen und Trocknen von
Leibwäsche und anderen Waschgegenständen. Der Maximalpreis
eines Waschstandes, d. h. des Gebrauchs eines Waschkübels,
Siedekessels, Spültroges, des heissen und kalten Wassers, des
Dampfes und des Trockenapparates beträgt pro Stunde 1 Penny
(0,10 Mark), für zwei aufeinanderfolgende Stunden 3 Penny
(0,30 Mark). Für Waschhäuser der höheren Klassen ist der Tarif
der Verwaltung, d. h. in Stadtgemeinden dem Stadtrate, in Kirch-
spielen den Kommissaren anheimgestellt. Schon wenige Jahre
nach ihrer gesetzlichen Errichtung bestanden in London 7, in
Liverpool 3 und in 24 anderen Städten wenigstens eine solche
Anstalt. Ueberall werden in England die Waschapparate und
Waschstände vermietet, nirgends findet Lohnwäscherei in eigener
Regie statt. In welcher Gunst und öffentlichen Pflege die Wasch-
häuser in England stehen, geht allein schon daraus hervor, dass
sie Schulräume für die Kinder der armen Waschfrauen enthalten,
um die Kleinen während der Wascharbeit ihrer Mütter nicht
ohne Aufsicht und Belehrung zu lassen; zum öfteren findet
man sie mit den Arbeiterkolonien vereinigt. Die nicht unerheb-
lichen Baukosten werden meist von den Gemeinden durch Kapitals-
aufnahme zusammengebracht. In London existiert durchschnitt-
lich für je 50000 Seelen eine Waschanstalt. London allein be-
sitzt mehr als 70 Hallenschwimmbäder und 17 Badanstalten für
geschlossene Klubs. Dem Beispiele Englands folgend brachen
sich nunmehr öffentliche Badehäuser auch in anderen Ländern
Bahn, zunächst in Frankreich. Das legislative Vorgehen Eng-
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 95
lands spornte auch die französichen Gesetzgeber zu selbständigem
Handeln an und unter der Präsidentschaft Napoleon Bonapartes
gelangte im Jahr 1850, nachdem ein amtlicher Bericht seitens
einer hierzu designierten Enquetekommission über die öffentlichen
Bade- und Waschhäuser Englands eingelaufen war, ein Gesetz-
entwurf zur Annahme, welcher folgende Bestimmungen enthielt:
Art. 1. In Anbetracht der Vorteile, welche in England
durch Errichtung von Bädern mit niederen Tarifen und von
Waschhäusern mit raschem und vollkommenem Betriebe zum
Nutzen der Arbeiterklasse errungen wurden, wird dem Minister
für Landwirtschaft und Handel pro 1850 ein Kredit von
600000 Frs. eröffnet, um auf diese Weise zur Schöpfung muster-
giltiger Bäder und Waschhäuser in Paris, Lyon und anderen
Städten, welche Verlangen darnach haben, unter Beobachtung
herabgesetzter und durch Administrativverordnung geregelter
Tarife aufzumuntern.
Art. 2 und 3 bestimmten, class diejenigen Städte, die Staats-
beihilfe zum Bau solcher Anstalten beanspruchen, verpflichtet
seien, zwei Drittel der Gesamtkosten selbst aufzubringen, Pläne,
Kostenanschläge und die Tarife für die Benutzung der Ge-
nehmigung des Ministers zu unterwerfen, und dass durch Ver-
ordnung der öffentlichen Verwaltung festgesetzt werden solle, in
welcher Weise bei Gründung, Leitung und Beaufsichtigung der
Anstalten auf die Benutzung derselben durch die niederen Volks-
klassen Rücksicht zu nehmen sei.
Allein diese Massnahmen hatten bei weitem nicht den
Erfolg wie in England, und namentlich das Schwimmbad blieb
und bleibt auch heute noch in Frankreich ein Stiefkind. Dennoch
verdient es Anerkennung, dass fast jede französische Stadt ihr
Bade- und Waschlokal besitzt und dass diese Einrichtung in den
Nachbarländern, so in der Schweiz, Luxemburg und in Belgien
viele Nachahmung gefunden hat. Eine besondere Entwicklung
haben in Frankreich die öffentlichen Waschanstalten genommen,
die infolge der grossen Beliebtheit, deren sie sich erfreuen, eine
weite Verbreitung gefunden haben und bei der Kombination von
96 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Bade- und Waschanstalten, wie sie in Uebereinstimmung mit
englischen Beispielen häufig vorkommt, gewöhnlich den Haupt-
teil für sich in Anspruch nehmen.
In Deutschland resp. den deutschen Nachbarländern war es
zuerst die Stadt Wien, die, gleichzeitig von Osten beeinflusst, dem
englischen Beispiel in Bezug auf Erbauung grösserer öffentlicher
Badeanstalten, wenn auch nicht eigentlicher Volksbäder, folgte
und zwei Bäder, das Diana- und das Sophienbad, erhielt. Ersteres,
schon im Jahre 1804 gegründet, wurde im Jahre 1842 völlig
umgebaut, durch Hinzufügen einer grossen Schwimmhalle be-
deutend erweitert und hiermit erst dem grösseren Publikum
nutzbar gemacht. Dreizehn Jahre später folgte in Wien die Er-
richtung des ersten eigentlichen Volksbades in Verbindung mit
einer öffentlichen Waschanstalt. In Deutschland waren es Ham-
burg und Berlin, die in den ersten fünfziger Jahren die ersten
grösseren öffentlichen Badeanstalten erhielten, es folgten sodann
in langsamem Tempo Leipzig, Magdeburg, Hannover, Karlsruhe
und andere Städte. Die Gesetzgebung wie der Staat haben sich
bei uns der Sache überhaupt nicht angenommen und auch die
Gemeinden und Vereine haben die Aufgabe, das Badewesen im
Interesse der öffentlichen Gesundheit und Reinlichkeit, im Hinblick
auf die Heranziehung einer körperlich und geistig lebensfrischen
Jugend zu fördern, erst mit Beginn der achtziger Jahre in die
Hand genommen.
Rühmlich ist dabei die Thätigkeit des Deutschen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege, wie des Niederrheinischen Vereins
für Gesundheitspflege anzuerkennen, die beide in Wort und
Schrift für die Hebung des Badewesens eintraten.
Unabhängig von dieser oft recht schneckenhaften Entwicklung
in der Anlage von öffentlichen Badeanstalten hat sich in Deutsch-
land das Fluss- resp. Schwimmbad entwickelt. 1817 führte
General von Pfuel, der mit Recht der Vater der heutigen Schwimm-
kunst genannt wird, das Schwimmen in der preussischen Armee
ein, indem er die heute noch nach ihm benannte erste grosse
Militärschwimmanstalt in der Spree erbauen liess. Die Anstalt
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 97
war auch für nicht dem Militär angehörige Personen geöffnet
und wurde für andere Anstalten vorbildlich. Es folgte Breslau
1837 mit einer Schwimmanstalt für Herren und einem Schwimm-
bassin für Damen — beide begründet durch den Kandidat der
Theologie G. Kallenbach ; nichtsdestoweniger blieb es längere
Zeit bei diesen schwachen Anfängen und erst in den siebziger
Jahren kam wieder ein flotteres Tempo hinein. Es wurde durch
eine Verordnung des Kultusministeriums das Schwimmen in allen
preussischen Schullehrerseminaren sowie auf der Turnlehrer-
bildungsanstalt eingeführt. War mit der methodischen Uebung
des Schwimmens der erste entscheidende Fortschritt über die
Leistungen des Altertums im Badewesen gemacht, so blieb nur
noch der zweite Schritt übrig: Die Uebung des Schwimmens
musste wie das Turnen von den Einflüssen der Witterung und
Jahreszeit unabhängig gemacht und mit dem ganzen Badeapparat,
soweit er gesundheitsfördernde oder gesundheitserhaltende Kraft
besitzt, vereinigt allen Schichten der Bevölkerung zugänglich
gemacht werden, Diese Aufgabe löst das moderne Hallen-
schwimmbad. Auch ihr Ursprung ist in England zu suchen, wo
die s. Z. vom Staat inaugurierten Bade- und Waschanstalten aus
praktischen Gründen in Schwimmbäder umgewandelt wurden,
die eine grössere Menge von Menschen gleichzeitig abbaden lassen
und eine einfachere Handhabung ermöglichen. Nur zögernd griff
diese neue Badebewegung auf Deutschland über; die erste Schwimm-
halle erhielt Berlin, und erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist
ein erfreulicher Fortgang zu konstatieren, so dass wir jetzt bei
uns, dank wiederum der aufrüttelnden Thätigkeit der Vereine
für öffentliche Gesundheitspflege, über 77 Hallenschwimmbäder
verfügen, während 12 weitere im Bau resp. Vorbereitung begriffen
sind. Zum Schlüsse dieser geschichtlichen Betrachtung haben
wir noch einer der neuesten Zeit angehörenden Gruppe der Stadt-
bäder zu gedenken, denen keine Landeseigentümlichkeit anhaftet,
sondern die sich in einheitlicher Gestalt in einem Jahrzehnt fast
über ganz Europa, die Vereinigten Staaten und einige andere
Länder mit europäischer Kultur verbreitet haben. Dies sind die
Marcuse, Bäder und Badewesen. 7
98 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
warmen Volksbrausebäder. Sie vereinigen in sich eine Reihe von
Vorzügen, die dem Zweck, dem sie dienen sollen, gerecht werden.
In einfachster, am wenigsten kostspieliger Form ermöglichen sie
eine Reinigung des Körpers bei bequemster Zugänglichkeit und
geringster Wassermenge. Es ist wesentlich das Verdienst von
Professor Dr. 0. Lassar in Berlin, diese Badeart in geeigneter
Anwendungsweise zur Geltung gebracht zu haben. Auf der Aus-
stellung auf dem Gebiete der Hygiene und des Rettungswesens
in Berlin 1882 — 1883 zeigte Lassar ein Volksbrausebad seines
Systems, das auf seine Anregung hergestellt und in Betrieb gesetzt
worden war. Das Badehaus war ganz aus Eisenwellblech errichtet
worden.
Die Brause als Reinigungsbad in grösserem Umfange war
in einzelnen Fällen schon früher angewendet worden, vornehmlich
in Kasernen, und die Ergebnisse waren so günstig, dass die
preussische Armeeverwaltung die Anlage solcher Brausebäder bei
Neu- und Umbauten von Kasernements verfügte. Im Jahre 1S86
fand das Brausebad als Massenbad eine weitere eigenartige An-
wendung, indem die Stadt Göttingen auf Veranlassung ihres
Oberbürgermeisters Merkel eine solche Badeeinrichtung inner-
halb der Volksschulen in das Leben rief. Dieses Göttinger
Beispiel hat in vielen deutschen Städten Nachahmung gefunden.
Ferner haben Grossindustrielle die Zweckmässigkeit der Brause-
bäder für ihre Betriebe erkannt und zum Wohle ihrer Arbeiter
auf ihren Werken Einrichtungen dieser Art getroffen; besonders
sind hier die Bergwerksverwaltungen zu nennen. Mit allen diesen
Anlagen ist jedoch immer nur einer beschränkten Anzahl von
Personen die Gelegenheit zum Baden geboten worden. Der von
Lassar auf der Hygieneausstellung ausgesprochene Gedanke,
den weitesten Kreisen des Volkes eine bequeme, wenig zeit-
raubende und billige Badegelegenheit zu schaffen , fand erst in
den für jedermann zugänglichen, an offener Strasse errichteten
Volksbädern seine Verwirklichung. Das erste derartige Volks-
brausebad wurde im Herbst 1887 durch die städtische Verwaltung
zu Wien errichtet. Es folgten die Anstalten des Berliner Vereins
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 99
für Volksbäder, und dann weiterhin eine grosse Reihe deutscher
Städte mit Anlagen gleicher Art.
Gehen wir nun nach dieser historischen Betrachtung der
Entwicklung des Badewesens der Neuzeit zu den Formen desselben,
wie sie sich in der Gegenwart repräsentieren, über, so sind in
erster Reihe die Privatbäder zu erwähnen, d. h. Bäder, die aus-
schliesslich für die Bewohner des betreffenden Hauses bestimmt
und Bestandteile der Wohnungen selbst sind. In den meisten
Fällen beschränken sich diese Bäder auf eine Wannen- oder
Brausebad einrichtung, die in einem „Badezimmer' aufgestellt
sind. Wenngleich besonders in Deutschland in dem letzten Jahr-
zehnt eine sehr erhebliche Zunahme der Anlage von Badezimmern
in Privatwohnungen zu konstatieren ist, so werden dieselben
dennoch immer auf einen ganz geringen Bruchteil der Bevölkerung
beschränkt bleiben und des Charakters einer gemeinnützlichen
Institution ermangeln. Dass aber die moderne Bauart bereits
mit der Anlage von Badezimmern als einem notwendigen Korrelat
rechnet und in den Wohnungen für die besser bemittelten
Klassen von Jahr zu Jahr in zunehmender Zahl dieselben erbaut,
verdient immerhin als ein Fortschritt bezeichnet zu werden. Ist
erst das Bedürfnis des häuslichen Bades allgemein vorhanden
und zu einem unabweisbaren geworden, so werden dem auch die
Bauinteressenten entgegenkommen müssen. Je billiger die hierfür
notwendigen Anlagen sich stellen , um so leichter wird dies ge-
schehen. In Häusern mit kleinen und kleinsten Wohnungen
wären Etageneinrichtungen, zum mindesten für Kaltwasserbäder,
zum gemeinschaftlichen Gebrauch anzulegen, gemeinnützige Bau-
gesellschaften und Kommunen, die für ihre Beamten und Arbeiter
Wohnhäuser erstellen, hätten hier bahnbrechend vorzugehen.
Nie darf die Verbreitung des häuslichen Badens unter der Propa-
ganda für öffentliche Badeeinrichtungen notleiden. Das Wannen-
bad ist aber auch der Typus des öffentlichen Bades, der Bade-
anstalt in ihrer einfachsten Form , wie sie uns in einer grossen
Reihe von Städten, vor allem in allen mittleren und kleinen,
gegenübertritt. Mit dem Wannenbad als Warmwasserbad wird
100 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
hauptsächlich der Zweck der Körperreinigung zu erreichen gesucht
und zwar, abgesehen von dem Dampfbad, in ausreichendster und
bequemster Form. Jede Wanne bedarf der Zuführung kalten
und warmen Wassers, um jede gewünschte Temperatur herstellen
zu können; die Mischung des kalten und warmen Wassers soll
durch Vereinigung der Zuleitungsröhren vor dem Eintritt in die
Wanne erfolgen, das gemischte Wasser soll nicht von oben in die
Wanne stürzen, sondern vom Boden aus aufsteigen. Eine Ver-
besserung ist die Mischung des kalten Wassers mit heissem
Wasserdampf unmittelbar vor der Badezelle, so dass die Zu-
führung von warmem Wasser entbehrlich ist. Die Grösse der
Wannenbaderäume schwankt gewöhnlich zwischen 1,80 m Breite
zu 1,80 m Länge und 2,50 m Breite zu 4 m Länge. Das zuerst
angegebene Mindestmass darf nicht unterschritten werden, während
das angegebene grösste Mass zuweilen noch überschritten wird.
Ein gutes mittleres Mass für eine Zelle ist 2,50 m Breite, 3 m
Tiefe (Länge) und 3 m Höhe. Die Einteilung der Wannenbäder
in mehrere Klassen empfiehlt sich selbst bei kleineren Anstalten,
weil die Ansprüche an Bequemlichkeit der verschiedenen Be-
völkerungsklassen zu weit auseinander gehen. Auf alle Fälle
müssen die für billigere Preise zu benutzenden Bäder der minder-
bemittelten Klassen eher vorhergesehen sein, als diejenigen der
höheren Klasse, für deren Benutzung auch ein höherer Preis ge-
fordert werden kann. Das Verhältnis der Anzahl der ver-
schiedenen Klassen richtet sich natürlich nach der Zusammen-
setzung der Bevölkerung und wird in jedem einzelnen Fall er-
wogen werden müssen. Das Wannenbad — allein vorhanden —
stellt, wie gesagt, die primitivste Form der Badeanstalt dar, aber
auch bei ihm sind alle diejenigen Postulate zu erfüllen, die vom
sanitären Standpunkt erhoben werden müssen, das heisst vor
allem eine tadellose Wasserbeschaffenheit, ferner Luft und Licht
und schliesslich eine peinliche Sauberkeit der Badezelle und alles
dessen, was zum Bade gehört. Das gewöhnliche Badewasser muss
klar, rein und weich sein. Hartes, also stark kalkhaltiges Wasser
ist besonders deshalb unzweckmässig, weil es in den Kesseln und
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 101
Rohrleitungen viel Kesselstein erzeugt. Das Wasser muss ferner
frei von pathogenen Mikroorganismen, frei von grösseren Bei-
mischungen organischer Stoffe, frei endlich von Giften und Farb-
stoffen, wie sie im Abwasser chemischer Fabriken und Färbereien
oft mitgeführt werden, sein. Das Wasser stagnierender Teiche
und Seen, das stark mit Wasserpflanzen durchsetzt ist, sowie das
Gletscherwasser mit seiner niedrigen Temperatur sind zum Baden
gleich ungeeignet. Wo reines Wasser nicht leicht zu beschaffen
ist, wird man zur Reinigung desselben mittelst Sandfilter schreiten
müssen.
Die nächste höhere Form der Badeanstalten ist die, wo wir
Wannenbäder vereinigt mit einem Schwimmbad vorfinden, eine
Form, welche als die rationellste und vom hygienischen Stand-
punkte aus als die beste angesehen werden muss. Das Schwimm-
bad ist die ursprünglichste aller Badeformen, wenigstens im Sinne
des gemeinsamen Badens vieler Personen in einer grösseren
Wassermenge. Es gestattet dem Badenden freie Bewegung nach
jeder Richtung und gilt zur körperlichen Kräftigung mit Recht
als das geeignetste Bad. Schwimmen ist Turnen und vereinigt,
wie wir später sehen werden, in fast idealer Form alle gesund-
heitlichen Vorteile einer ausgiebigen gymnastischen Uebung in
sich. Der Schwimmbaderaum oder die Schwimmhalle ist in der
Regel der grösste aller Baderäume, er bildet den Kern der Bau-
anlage und muss hoch, hell und luftig angelegt sein. Die Grösse
des Schwimmbeckens richtet sich nach der Zahl der Personen,
die gleichzeitig darin baden sollen , wobei in der Regel darauf
zu rechnen ist, dass zwei vom Hundert der Bevölkerung täglich
baden können. Die Wasserwärme im Schwimmbecken sojl 20
bis 22° C. betragen. Diese Temperatur muss stets gleichmässig
erhalten werden ; man erreicht dies, indem man dem kalten Zu-
flusswasser warmes beimischt oder an geeigneter Stelle Dampf
unmittelbar in das Becken einlässt. Um das Wasser rein und
frisch zu erhalten , muss es stets erneuert und bewegt werden
und innerhalb 24 Stunden muss die völlige Erneuerung beendet
sein. Zu einer Schwimmhalle gehören auch als unentbehrliche
102 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Requisiten eine Reihe von Aus- und Ankleidekabinen, deren Ein-
richtung wesentlich einfacher ist als die der Wannenbaderäume.
Die Schwimmhallen werden heutzutage fast durchweg heizbar
eingerichtet, da die Zahl derjenigen, die auch im Winter das
Schwimmbad benutzen, erheblich gestiegen ist. Die Temperatur
soll 16 — 20 ° C. betragen. Als Nebenraum zur Schwimmhalle ist
ein entsprechendes Gelass für die Reinigungsbäder in den meisten
Anstalten vorhanden. Dieser Reinigungsraum, der mit Brausen,
Fuss wannen und allenfalls noch mit Wannen ausgestattet ist,
hat den Zweck, dass jeder Badende ohne Ausnahme seinen Körper
einer Reinigung unterzieht, bevor er in das gemeinsame Schwimm-
becken geht. Die schönsten Schwimmhallen in Deutschland
finden sich im Volksbad zu Stuttgart, im Augusta- Viktoriabad zu
Wiesbaden, im Friedrichsbad zu Baden-Baden, im Städtischen
Schwimmbade zu Frankfurt a. M. , im Müller'schen Volksbad in
München, im Kaiser Wilhelmbad sowie in den Badeanstalten des
Vereins der Wasserfreunde in Berlin, im Hallenschwimmbad zu
Breslau, im Vierordtbad zu Carlsruhe. Wannen- wie Schwimm-
bäder enthalten ausserdem eine Reihe Brausen und Duschen, die
in kleineren Anstalten in Wannenbaderäumen selbst aufgestellt,
in grösseren in einem eigenen Duscheraum vereinigt sind. Zu
erwähnen wären noch die Flussbäder mit ungedeckten Schwimm-
bassins — eine Musteranlage dieser Art ist die Badeanstalt Alster-
lust in Hamburg — als einfachste und allgemein verbreitete An-
lage unter freiem Himmel.
Die dritte Form der Badeanstalten ist die, wo ausser Wannen-,
Schwimmbädern noch Dampf- resp. römisch-irische Bäder vor-
handen sind. Das russische Dampfbad ist ein feuchtes Heissluft-
bad, wo feuchte Dämpfe in Temperaturen von ca. 50 ° C. auf den
Körper einwirken. Da das Bad wirksamer ist, wenn es in all-
mählich steigender Temperatur aufgesucht wird, so finden sich
meist zwei Zimmer mit steigenden Temperaturen hintereinander
vor, oder in einem Räume zwei bis drei stufenartige Erhebungen,
so dass der Badende durch Aufsuchen einer höheren Lage sich
der Einwirkung der grösseren Wärme aussetzen kann. Ausserdem
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 103
findet sich in jedem Dampfbadezimmer eine Holzpritsche , die
zum Liegen und Kneten oder Massieren dient. Das russische
Dampfbad in der beschriebenen Form hat sich bei uns nicht ein-
bürgern können und die an sich schon nicht häufigen Anlagen
desselben sind in neuerer Zeit noch durch zwei andere Bäder-
arten verdrängt worden, nämlich durch das Kastendampfbad und
durch das sogenannte deutsche Schwitzbad. Das Kastendampf-
bad unterscheidet sich vom Zimmerdampfbad dadurch, dass der
Badende sich in ruhender Lage befindet und der Kopf vom Bade
ausgeschlossen ist. Letzterer ragt aus dem Kasten heraus. Das
deutsche Schwitzbad ist auch ein feuchtes Heissluftbad, allein die
feuchte heisse Luft wird im Gegensatz zum russischen Dampf-
bade nicht durch Dampf, sondern durch ein anderes, von dem
Badeinspektor Bloch in Elberfeld zuerst angegebenes Verfahren
erzeugt. Es gelingt damit, die Luft statt mit 85°/ Feuchtigkeit,
wie beim Dampfbade, bis zu 95 % Feuchtigkeit zu sättigen, trotz-
dem die Temperatur des Raumes niedriger wie im Dampfbade
gehalten wird, nämlich 42—45 " C. Durch einen besonderen Auf-
bau leitet man bei diesem Verfahren ständig frische heisse Luft
an verschiedenen Stellen durch heisses Wasser, welches kaskaden-
artig von Schale zu Schale niederplätschert und zerstäubend die
heisse Luft mit Feuchtigkeit sättigt. Bei diesem Vorgange bleibt
die Luft klar. Das irisch-römische oder trockene Heissluftbad
dagegen ist gegenüber dem russischen Dampfbad in neuester Zeit
ein unentbehrlicher Bestandteil unserer öffentlichen Badeanstalten
geworden. Es wirkt in milderer Form als das Dampfbad und
wird deshalb auch von gesunden Menschen gern genommen.
Das Bad besteht gewöhnlich aus zwei verschieden warmen Räumen,
einem Tepidarium mit ungefähr 40 — 50 ° C. und einem Cal-
darium oder Sudatorium mit 60—70° C. Während das feuchte
Heissluftbad von 50° bereits sehr angreifend und teilweise sehr
unangenehm ist, verursacht das Luftbad von gleicher Temperatur
grosses Behagen undjässt sich selbst noch mit höheren als den
angegebenen Wärmegraden ertragen. Unbedingt notwendig ist,
dass ein ständiger Zufluss von absolut trockener heisser Luft
104 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
nach dem Baderaum hin stattfindet und dass für die Absaugimg der
durch die Ausatmung un d Schweissverdunstung der Badenden feucht
werdenden Luft peinlich Sorge getragen wird. Allen Schwitzbädern
gemeinschaftlich ist ein Auskleide- und Ruheraum, ein Duschraum
mit kaltem und temperierbaren warmen Duschen der verschiedensten
Art, ferner ein Massage- oder Knetraum und ein Abtrockenraum.
Ausser diesen drei skizzierten Formen der Badeanstalten
finden sich noch Anstalten, die alles umfassen, was an Bade-
formen besteht, und die sich vorzugsweise an Weltkurorten, wie
Wiesbaden, Baden-Baden etc. finden, für die Allgemeinheit aber
weniger in Frage kommen.
Noch ein paar Worte über Bauart und Konstruktion. Die
Badeanstalten sind in hervorragendem Masse gemeinnützige An-
lagen. Sie sind deshalb als öffentliche Bauten zu betrachten und
haben schon in ihrer äusseren Erscheinung diese Eigenschaft
zum Ausdruck zu bringen. Bei reichlichen Mitteln müssen sie als
Monumentalbauten hergestellt werden; aber auch solche Anlagen,
die mit bescheidenen Mitteln errichtet werden müssen, sind in
solidester Weise und in, wenn auch einfachen, aber charakter-
vollen Formen auszugestalten. Hierbei ist nicht aus dem Auge
zu lassen, dass Badeanstalten Nu tzlichkeits bauten sind, die starker
Abnutzung unterworfen werden, und dass insbesondere die reich-
liche Verwendung von Wasser in denselben beste Konstruktion
und allersorgfältigste Ausführung erfordert. Das Innere der Bäder
soll hell und freundlich sein, Luft und Licht in reichstem Masse
beherbergen, solid und zweckmässig ausgebaut sein und als
höchsten Schmuck Reinlichkeit sein eigen nennen. Dieser wahr-
haft ästhetische Schmuck kann schon durch Anwendung zweck-
mässiger Konstruktion, geeigneter Formen und entsprechender
Farben ausserordentlich gefördert werden, während unzweckmässige
Konstruktion, ungeeignete Form und Farbe die Reinlichkeit ge-
radezu hindern können.
Im Nachstehenden wollen wir an einigen Beispielen einzelne
Typen für die verschiedenen Arten der Anstalten schildern (Fig.
8 und 9).
Biider und Badewesen der Neuzeit.
105
106
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Das städtische Vierordtbad zu Karlsruhe ist im Wesentlichen
ein Wannenbad, dem jedoch auch Dampf- und warme Luftbäder
beigesellt sind. Dasselbe ist in den Jahren 1870—73 durch den
Architekten Durm aus einer Schenkung Heinrich Vierordts und
aus städtischen Mitteln erbaut und im Jahre 1900 bedeutend er-
weitert worden. Das Gebäude enthält in einem als Kuppel aus-
gestalteten schmucken Mittelbau den Wartesaal mit Kasse und
Büffet. Zu beiden Seiten schliesst sich hieran je ein T-förmig
Fig. 9. Schwimmbassin im Vierordtbad.
gestalteter Flügel. Der links liegende enthält die Wannenbäder
für Männer, der rechts liegende diejenigen für Damen. Jede
Abteilung hat 16 Zellen, ein Doppelbad und ein Salonbad, ferner
ein Weisszeugbad und die nötigen Aborte. Die Eckpavillons der
Flügel enthalten in ihrem Obergeschoss Wohnungen für den
Verwalter und den Bademeister. Auf der Mittelachse des Kuppel-
raumes südlich sind die Räume für die Beissluft und Dampf-
bäder, sowie für die elektrischen Lichtbäder. Diese Abteilungen
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 1()7
umfassen nebst den Ruheräumen zusammen 42 Zellen. Die grosse
Schwimmhalle ist hinter den beiden Seitenabteilungen gelegen.
Der luftige Raum ist mit Spiegelgewölbe überdeckt, hat ein
grosses Oberlicht, reichliches Seitenlicht, weist 42 Einzelauskleide-
zellen auf und besitzt neben den Reinigungsräumen, Fussbädern,
Duschen etc. auf der Galerie gemeinschaftliche Auskleideräume.
Das Bassin hat bei 28,70 m Länge, 10,70 m Breite, eine geringste
Tiefe von 0,80 m, welche allmählich bis 2,80 m steigt.. Das
Wasser hat ständigen Zufluss und kann vorgewärmt werden.
Die elegante und doch so zweckdienliche Einrichtung des ganzen
Bades macht einen vorzüglichen Eindruck.
Das Beispiel einer Badeanstalt mit Bevorzugung des Schwimm-
bades giebt die städtische Badeanstalt zu Barmen, die 1881 — 82
erbaut, zwei Schwimmbäder, 14 Wannen- und ein römisch-irisches
Heissluftbad enthält.
Die Badeanstalt hat eine langgestreckte Gestalt. Die
Schwimmhalle für Männer ist 31,00 m lang, 18,80 m breit
und 13,00 m hoch; sie hat im Erdgeschoss 16 Auskleidezellen
und auf einer Galerie deren 40. Auf letzterer befindet sich
ferner ein gemeinsamer Auskleideraum für 60 Schüler. Die Halle
hat äussere und innere Umgänge. Das Schwimmbecken ist
24,75 m lang, 11,50 m breit und 0,80 bis 2,80 m tief. An diesen
Hauptraum der Anstalt schliesst sich die kleinere Damenschwimm-
halle in polygonaler Form an. Die Einrichtung ist der ersteren
ähnlich ; jedoch fehlt die Galerie. Es sind 18 Auskleidezellen
vorhanden; letztere fehlen unten an drei und oben an einer
Seite. Das Becken ist 9,30 m breit, 12,30 m lang und 0,80 bis
1,80 m tief. Beide Hallen enthalten die üblichen Brausen. An
der Nordseite der Hallen liegen dem Eingang zunächst im Erd-
geschoss sieben Wannenbäder für Damen, im I. Obergeschoss
ebensoviele für Herren, von denen je zwei I. Klasse sind. Jede
Zelle ist 3,20 m lang und 2,37 m breit. Die Wannen sind aus
Gusseisen und innen emailliert. An die Zellenbäder schliesst
sich an derselben Seite der Hallen das römisch - irische Bad
an; es besteht aus dem Ruheraum mit 8 Kojen, dem massig
108 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
warmen Schwitzraum, dem heissen Schwitzraum und dem Brause-
raum.
Zur Wasserversorgung wurde ursprünglich auf dem Grund-
stück selbst ein Brunnen angelegt, aus dem das Wasser mittelst
Dampfstrahl-Elevatoren und Pulsometer gefördert wurde; später
ist die Anstalt an die städtische Wasserleitung, die ihr Wasser
aus der Ruhr bezieht, angeschlossen worden. Dem Herrenschwimm-
becken von 450 cbm Wasserinhalt werden mittelst ständigen Zu-
flusses stündlich 25 cbm frisches Wasser zugeführt. Der Bauplatz
kostete 50000 Mark; die Gesamtbaukosten beliefen sich auf etwa
340000 Mark.
Das Badewesen der Rheinprovinz zeigt überhaupt einen
Stand der Entwicklung, der nach vielen Richtungen hin für die
übrigen Teile Deutschlands als vorbildlich bezeichnet werden
kann. Schwimmende Badeanstalten bildeten Jahrzehnte lang die
einzige und vornehmste Gelegenheit zum Baden und in ihrer
natürlichen Lage am Rhein eine unversiegbare Quelle der Er-
frischung und Stärkung. Erst in den achtziger Jahren fanden
Warmbäder mit Schwimmhallen Eingang in die Rheinlande, rasch
hatten die thatkräftigen und wirtschaftlich so ausserordentlich
regsamen Kommunen die Bedeutung zeitgemässer Badeeinrich-
tungen für Gesundheits- und Körperpflege des Volkes erkannt,
und nun folgte eine nach der anderen mit mustergültigen Anlagen.
Die erste städtische Unternehmung auf diesem Gebiete leistete
Essen, welches 1882 eine Anstalt mit einem Schwimmbade, etwa
20 Wannenbädern und einem russischen Dampfbade errichtete.
Bemerkenswert ist, dass das Schwimmbassin aus Schmiedeeisen
hergestellt wurde, um die infolge des Bergbaues etwa vorkommenden
Bodensenkungen für die Dichtigkeit des Bassins unschädlich zu
machen. Dann kam die oben beschriebene Barmer Anstalt, der
übrigens eine zweite grösssre bereits gefolgt ist, es folgte Köln
mit seinem Hohenstaufenbad, das durch spätere Einfügung eines
Volksbassins einen besonders gemeinnützigen Charakter ange-
nommen hat, die Städte Elberfeld, Krefeld, Düsseldorf, München-
Gladbach mit seinem stattlichen Kaiserbad, Duisburg und viele
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
109
andere. Der starke Antrieb zur Förderung der Reinlichkeit,
Körperpflege und Gesundheit , den die in den 80 er Jahren er-
richteten Stadtbäder gegeben hatten, der steigende Besuch der-
selben und die fortschreitende Notwendigkeit erheblicher Ver-
grösserungen der vorhandenen Anstalten liessen alsbald die
Errichtung neuer, gross angelegter Badehäuser als ein dringendes
Bedürfnis hervortreten, und zur Befriedigung desselben steht man
seit kurzem im Rheinland wiederum in einer Bauperiode be-
Fig. 10. Müller'sches Volksbad in München. (Ansicht von der Isar.)
deutender Badeanstalten, welche die vorhergehende der 80 er
Jahren zu übertreffen verspricht. Von besonderem Interesse ist
es, dass bei einer Reihe dieser Anlagen der ausgesprochene Zweck
auf die Schaffung von Volksbadeanstalten mit vollkommenen
Einrichtungen aller Badeformen gerichtet und damit die Volks-
gesundheit der breiten Massen in hygieinische Bahnen ge-
lenkt ist.
Das von Dr. Wolff 1894—96 erbaute städtische Schwimmbad
110
Bader und Badewesen der Neuzeit.
in Frankfurt a. Main ist eine Anlage mit drei Schwimmbädern,
vierzig Wannenbädern und einem römisch-irischem Bade.
Das Badehaus zerfällt in drei Gruppen : rechts liegt das
Männerschwimmbad I. Klasse, in der Mitte befindet sich das
Männerschwimmbad IL Klasse, dahinter die Wannenbäder und
links das Frauenschwimmbad. Unter den Wannenbädern liegt
die Wäscherei und über denselben im Obergeschoss das römisch-
11. Schwimmbassin des Müller'schen Volksbads.
irische Bad. Das Obergeschoss enthält ferner zu Seiten der
Schwimmbäder noch je 4 Wannenbäder für Männer und Frauen.
Die Kosten haben sich auf 850000 Mark ausschliesslich
Grunderwerb belaufen. Hiervon entfallen 175000 Mark auf die
maschinelle Einrichtung, 127000 Mark auf das Vorderhaus,
83000 Mark auf Mobiliar und Wäsche und der Rest von
515000 Mark auf den Bau des Badehauses.
Weitere hervorragende gemeinnützige Anstalten in Deutsch-
land sind das Müller'sche Volksbad in München (Fig. 10, 11, 12),
Bäder und BadeAvesen der Neuzeit.
111
die öffentliche Badeanstalt in Bremen, Eigentum des Vereins für
öffentliche Bäder, das städtische Schwimmbad zu Dortmund, das
Stuttgarter Schwimmbad und das im Jahre 1897 in Breslau eröffnete
Breslauer Hallenschwimmbad. Die ebenso schöne und künstlerische
' •*■«« Hl j*^.
Fig. 12. Doucheraum im Mülier'schen Volksbad.
wie praktische Herstellung desselben, die der gemeinnützigen
Opferwilligkeit weiter Kreise der Stadt Breslau ihre Entstehung
zu verdanken hat, möge es rechtfertigen, wenn ich an dieser
Stelle eine kurze Beschreibung anfüge. Die Anstalt darf mit
Recht zu den schönsten Deutschlands gezählt werden; sie stellt
112 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
einen künstlerisch ausgeführten Monumentalbau dar mit charak-
teristischer Fassade und vortrefflicher Raumbenutzung', luftig und
hell in allen ihren Teilen, solide und zweckmässig in ihren
Einrichtungen. Der ganze Verkehr in der Anstalt ist in dem
Hauptvestibül konzentriert. Von da aus sind sämtliche Bäder
unmittelbar auf getrennten Wegen zu erreichen, ebenso die
Waschküche, der Maschinenraum, die Bureauräume der Betriebs-
leitung etc. Im Erdgeseboss befinden sich die Schwimmhalle,
die Räume für die Wäscherei, maschinelle Einrichtung etc., im
ersten Hauptgeschoss die Schwitzbäder, im zweiten die Wannen-
bäder*).
Das Hallenschwimmbad stellt eine weite, lichtdurchflutete
dreischiffige Halle dar, zu deren beiden Seiten sich in den beiden
übereinanderliegenden Geschossen die Auskleidezellen hinziehen
zwischen Granitsäulen, welche durch Rundbögen unter sich und
mit den Wänden verbunden die Gewölbe der Seitenschiffe und
die mächtige Wölbung des Mittelschiffes mit einem grossen Ober-
licht tragen. Die Halle hat eine Gesamtlänge von 25,5 m, eine
Gesamtbreite zwischen den Umfassungswänden von 18,7 m. Die
Auskleidezellen — an Zahl 75 — sind durch einen breiten Gang
und ein schmiedeeisernes Geländer von dem Bassin getrennt und
liegen zu beiden Seiten in zwei Geschossen übereinander. Vom
Bassin aus ist der Zugang in die Zellen nur für Badende gestattet,
während ein zweiter Gang hinter den Zellen beim Betreten der
Anstalt zu benutzen ist. Diese Anordnung der zwei Gänge vor
und hinter den Auskleidezellen hat den doppelten Zweck, dass
der dem Schuhwerk anhaftende Strassenschmutz von dem Bassin
ferngehalten und die lästige Berührung von an- und ausgekleideten
Menschen vermieden wird. Vor Aufsuchen des Bassins muss ein
*) Wir entnehmen die folgende Beschreibung dem im Verlage von Wilh.
Gottl. Korn erschienenen Werke von Dr. Kabierske : Das Breslauer Hallen-
schwimmbad. Seine Entstehungsgeschichte und Einrichtungen nebst einem
geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung des Badewesens und des
Schwimmens und Abhandlungen über die gesundheitliche Bedeutung von Baden,
Schwimmen und Schwitzbädern. Breslau 1896.
Bader und Badewesen der Neuzeit.
. .-
113
<u o
rt B äj
"5 "" sc
«§\£
& h -
|| 5
hS2
«S5
~ S 'S
SS" 8
z «^
^' « -
,'*
Hl
•Sei
* £.£
.M Ph «
w C tl
- - r
a .SP £
5 *o '-n
Marcuse, Bäder und Badewesen.
114 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
in einem Seitenflügel sich anschliessender Dusch- und Reinigungs-
raum aufgesucht werden, der 12 temperierbare (35 — 18 °C.) Brausen
enthält, um den Körper zunächst zu reinigen. Für die Waschung
der Füsse sind 8 kleine unterhalb der Fenster angebrachte Fuss-
waschbecken , die mit Seife , Bürste und Zulauf von warmem
Wasser versehen sind, vorhanden. In der Umgebung des Bassins
befinden sich ferner noch ein Vorerwärmungsraum (1,90:4,26 m),
der im Winter zur Anwärmung des strassenkalten Körpers und
an Volksabenden als Schwitzbad benutzt wird, ferner 2 Klosett-
räume für angekleidete Personen — nur vom hinteren Gang der
Schwimmhalle aus zugängig — und auf der gegenüberliegenden
Seite 2 Bideträume für Frauen. Für die Bedürfnisse der ent-
kleideten Badegäste sorgen mehrere von der Schwimmhalle aus
zugängige Klosetts. Das obere Geschoss des Seitenflügels ist zu
einem Auskleideraum für Schüler hergerichtet; rings an den
Wänden und in der Mitte des Raumes sind Holzbänke mit Rück-
lehnen aufgestellt, die 128 Schülern einen Platz von je 41 cm
Breite gewähren.
Das Bassin hat eine Länge von 21 m, eine Breite von 11 m,
also einen Flächenraum von 231 qm, ist mit einem Sprunggerüst
mit mehrfachen Abteilungen versehen, fasst ungefähr 450 cbm
Wasser, welches durch ständigen Zufluss warmen bezw. kalten
Wassers auf einer Temperatur von 23 ° C. gehalten wird. Das
überschüssige Wasser fliesst durch 8 Ueberlauf Öffnungen, welche
in den Seitenwänden des Bassins angebracht sind, in die Kanali-
sation ab. Fussboden und Wände des Bassins sind bis zum
Wasserspiegel mit blauen, darüber mit weissen glasierten Wand-
platten bekleidet. Die Schwimmhalle ist mit ihren sämtlichen
Nebenräumen an die allgemeine Lüftungsanlage angeschlossen;
die Luft wird einmal in der Stunde erneuert. Die Beleuchtung
der Halle wie der Auskleidezellen erfolgt durch Bogen- resp.
Glühlampen.
Die im zweiten Hauptgeschoss befindlichen Wannenbäder —
in der Herrenabteilung 10 Zellen erster und 8 Zellen zweiter
Klasse, in der Frauenabteilung je 8 Zellen erster und zweiter
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
115
116 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Klasse, im ganzen 34 Badezellen — enthalten in den Fussboden
versenkte Wannen mit temperierbaren Brausen , haben eine ge-
fällige und solide Ausstattung, einen sehr schönen Vor- resp.
Warteraum etc.
Die Schwitzbäder sind in erste und zweite Klasse eingeteilt,
jedoch sind die eigentlichen Baderäume für beide Klassen ge-
meinsam, nur die Auskleideräume sind von einander getrennt
verschieden ausgestattet. In dem Ruheraum ist das Zellensystem
durchgeführt. Man gelangt zuerst in den Duschraum, in dem
in zwei Nischen zwei verschieden temperierte Vollbäder — von
18° C. bezw. 35° C. — angelegt sind; er enthält ferner 11 ver-
schiedenartige Duschen und eine Sitzwanne mit regulierbarer
Wassergebung. Von dort aus gelangt man in den Massagesaal
mit 2 Massierpritschen, einer temperierbaren Brause etc. und sich
dem anschliessend in das feuchte Heissluftbad resp. deutsche
Schwitzbad mit 45" 0. Innentemperatur und im übrigen nach der
schon oben erwähnten Blochschen Methode angelegt. An den
Längswänden des Raumes sind polierte Marmorbänke in zwei
Etagen aufgestellt, keilförmige Marmorsteine dienen als Kopf-
unterlage. Auf der anderen Seite des Massageraumes befindet sich
das trockene Heissluftbad; dasselbe besteht aus einem grösseren
(5,60 : 5,50 m) warmen Raum mit 65° C. und einem kleineren
heissen Raum (3,70 : 2,74) mit einer Temperatur von 82° C.
Vorzügliche maschinelle Einrichtungen , unter denen vor
allem die Kläranlage anzuführen ist, vervollständigen den nach
jeder Richtung mustergültigen Aufbau der Anstalt. Die be-
treffende Kläranlage ist von besonderem Interesse, weil sie neben
der Anlage in Münster i. W. die einzige ist, welche Kondens-
wasser für Badezwecke benutzbar macht. Der Reinigungsgang
ist folgender: Nachdem das Wasser sechs Entölungskammern
passiert hat, wird es nach einem geringen Zusatz von schwefel-
saurer Thonerde auf einem längeren, mehrfach gewundenen Wege
in einem 2 m tiefen Bassin von den schweren Sinkstoffen befreit,
um dann mittelst zweier Kiesfilter gereinigt in völliger Klarheit
dem Sammelbassin zuzufliessen. Eine im hygieinischen Institut
H8 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
der Universität Breslau vorgenommene wiederholte bakteriologische
Untersuchung ergab das ausserordentlich günstige Resultat, dass
die Anzahl der Keime selbst nach dreitägiger Badezeit noch nicht
der durchschnittlichen Anzahl derselben des Oderwassers vor
Eintritt in Breslau oder des Rheinwassers vor Eintritt in Köln
entsprach. Dabei wird das Badewasser dreimal in der Woche
völlig erneuert und täglich die halbe Wassermenge frisch zu-
geführt.
Die Gesamtkosten der Anstalt beliefen sich auf 748 364 Mark.
Dieselbe ist im Besitz einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft,
in der Vorstand und Aufsichtsrat ehrenamtlich arbeiten und die
Aktionäre im Höchstfalle eine Verzinsung von 4 1 /., % ihrer Ein-
lagen erhalten sollen. Es wurden 250000 M. durch Aktien von
1000, 500 und 250 M. und 350 000 M. als 4prozentige Prioritäts-
obligationen ä 500 M. aufgebracht; dies war die ursprüngliche
Feststellung des notwendigen Gesellschaftskapitals, nämlich
(300 000 M. Die Ueberschreitung der Bausumme wurde gedeckt
durch weitere 80000 M. , die hypothekarisch in Anteilen zu
10000 M. aufgebracht wurden, durch den jährlichen Zuschuss
der Stadt — dieselbe giebt pro Jahr 10 000 M. — und der Rest
wurde als freie Schuld aufgenommen. Mit der Stadt wurde ein
Vertrag abgeschlossen, der von dem Gedanken geleitet war. die
Anstalt baldmöglichst in städtischen Besitz überzuführen. Dem-
zufolge übernahm die Stadt 30 Aktien zu 1000 M., gewährte einen
jährlichen baren Zuschuss von 10000 M. und ausserdem Ver-
günstigungen bei der Entnahme von Gas und Wasser aus den
städtischen Betriebswerken. Hingegen wurde ihr die Genehmigung
der Bauzeichnung zugestanden, die Kontrolle des Baues durch
einen Bauausschuss, die Genehmigung der Bilanz, das Bewilligungs-
recht bei Aufnahmen von neuen Geldmitteln etc. Die 10000 M.
sind nur zur Verzinsung von Obligationen bestimmt, falls die
Betriebsüberschüsse zur Verzinsung derselben nicht ausreichen
und sollen im anderen Fall zur Auslosung von Aktien dienen.
Auch die Ueberschüsse der Gesellschaft sind nach dem Vertrage
zum Ankauf von Aktien zu verwerten und muss die Anstalt nach
Biider und Badewesen der Neuzeit. Hl)
Auslosung der letzten Aktien mit allen Aktiven und Passiven in
den Besitz der Stadt Breslau übergehen.
Dies der Entwicklungs- und Werdegang einer der jüngsten
deutschen gemeinnützigen Badeanstalten, der nach mancher Rich-
tung hin belehrend und nachahmenswert sein dürfte.
Eine Betrachtung über die gegenwärtigen Musteranstalten
Deutschlands wäre unvollkommen, wollte man nicht der hervor-
ragendsten unter allen, des Stuttgarter Schwimmbades, Erwähnung
thun. 1889 eröffnet, 1893 wesentlich erweitert, stellt es heute
in seiner Anlage, Einrichtung und Ausdehnung auf alle Arten
von Bädern und Badeformen wohl die bestgeleitete und bestfundierte
dar, denn, ohne irgendwelche öffentlichen Mittel in Anspruch zu
nehmen, prosperiert sie, und die Stuttgarter Bevölkerung ist mit
Recht stolz auf ihr ebenso praktisch wie elegant eingerichtetes
Schwimmbad. Die gemeinnützigen Erfolge, denen sich das
Stuttgarter Bad in Bezug auf die zielbewusste Entwicklung des
Badewesens weit über die Grenzen der engeren Heimat hinaus
erfreut, werden erwiesen durch die Frequenzziffern, die seine
Volkstümlichkeit im besten und höchsten Sinne darthun, durch
die Leistungen der Anstalt, die, was die Vollständigkeit der dar-
gebotenen Badeformen anbetrifft, von keiner zweiten erreicht
werden, durch die Entwicklung, zu der es dem Frauenbaden und
besonders dem Schülerbaden verholfen hat, kurzum durch eine
Reihe von Faktoren, die jeder einzelne für sich von wertvollster
Bedeutung sind. Man könnte sie fast eine Hochschule für Baden
und Schwimmen nennen, werden doch alljährlich über 200 Kinder,
Schüler und Schülerinnen der Volksschulen, unentgeltlich in der
Schwimmkunst, dem Tauchen und besonders auch im Retten Er-
trinkender unterrichtet und den in öffentlicher Prüfung Be-
stehenden Diplome gegeben, kurzum auf allen Gebieten des
Badewesens geht sie bahnbrechend voran. Von der Ueberzeugung
ausgehend, dass zur Durchführung reformatorischer Bestrebungen
auf diesem Gebiete vor allem die Jugend der Verweichlichung
entrissen und dem Bade wiedergewonnen werden müsse, dies
aber bei den bestehenden Verhältnissen ohne die Autorität und
Biider und Badewesen der Neuzeit.
Fig. lü. Stuttgarter Schwimmbad: Fa<;ade.
Mithilfe der Schule nicht durchführbar ist, ist die Anstalt behufs
Einführung eines systematischen, womöglich obligatorischen
Schulklassenbadens unter Aufsicht der Lehrer mit den Schul-
Bilder und Badewesen der Neuzeit.
121
Fig. 17. Stuttgarter Schwimmbad: Frauenschwimmbail.
vorständen in Verbindung getreten und hat auf diese Weise eine
Beteiligung sämtlicher Unterrichtsanstalten Stuttgarts von der
122
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Fig. 18. Stuttgarter Schwimmbad: Herrendampfbad (Uuhesaal).
Volksschule bis hinauf zum Gymnasium erzielt. Fürwahr ein
Erfolg, auf den allein das Institut stolz sein kann ! (Fig. 13, 14, 15.) *)
*) Die Abbildungen sind dem Büchlein „Bäder in alter und in neuer
Zeit" von Leo Vetter, dem verdienstvollen Begründer und Leiter des Stutt-
garter Schwimmbades, entnommen.
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 123
Dass in einem derartig organisierten Institut mustergültige
Badeeinrichtungen vorherrschen, ist wohl selbstverständlich, allein
die höchsten Erwartungen und der verwöhnteste Geschmack
werden doch noch durch die Wirklichkeit übertroffen. Nicht
nur, dass die luft- und lichtreichsten Schwimmhallen, die kom-
fortabelsten Wannen- und Dampfbäder, alle Arten von medi-
zinischen Bädern, Licht- und elektrische Bäder vorhanden, dass
Packungen, Güsse, Inhalationen in einem besonderen Inhalations-
raume vorgenommen werden können, ist dem ästhetischen Ge-
schmack soweit Rechnung getragen, dass die Räume sich ebenso
geschmackvoll und elegant wie praktisch darbieten. Die deko-
rative Ausstattung vornehmlich des Frauenschwimmbades wie der
Ruhesäle nach den Dampfbädern ist von einer so vornehmen
Pracht, wie sie kaum anderswo wohl mehr zu finden ist und
dem Ganzen den Charakter des harmonisch Schönen aufprägt.
Um sich von der Grösse der Anlage ein Bild zu machen, seien
folgende Zahlen aufgeführt : Das Bassin des Herrenschwimmbades
ist 24 m lang und 14 m breit, das des Frauenscliwimmbades
18,5 m lang und 12 m breit, an Auskleidezellen hat jede Abteilung
60, offene Auskleideplätze ausserdem 200. Wannenbäder sind im
ganzen 125 vorhanden, die Dampfbäder weisen insgesamt 60 Aus-
kleidezellen und 50 Ruhebetten auf. Die Frequenz ist so stark,
dass im Vergleich mit Köln und Frankfurt Stuttgart mit allen
Arten von Bädern an der Spitze marschiert, trotzdem beide Städte
fast die doppelte Einwohnerzahl und drei Schwimmhallen haben.
Die modernen Bestrebungen, den breitesten Schichten der
Bevölkerung soziale Rechte einzuräumen, die Schäden, die sie in
ihrem Dasein treffen, möglichst auszugleichen, haben auch dazu
beigetragen, die fundamentale Bedeutung einer wirklichen Volks-
gesundheitspflege mehr und mehr erkennen zu lassen. Auf
Grund dessen ist man vor allem der Frage näher getreten, auf
welche Weise man dem Volk eine zweckmässige, bequeme und
billige Badegelegenheit verschaffen könne. So erstanden in den
verschiedenen Städten die verschiedenen Vereine zur Beschaffung
von Volksbädern, so begann vor allem auf Grund der befruchtenden
124 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Anregung seitens des unermüdlichen Vorkämpfers für Volksbäder,
Prof. Dr. 0. Lassar in Berlin, die Erbauung von Volksbrause-
bädern, Reinigungsanstalten, welche unter knappster Form, be-
quemer Zugänglichkeit und Erreichbarkeit alles für eine um-
fassende Körperreinigung Notwendige gegen ein geringes Entgelt
zu bieten vermögen. Um für diejenigen Bevölkerungklassen,
denen sie in erster Linie dienen sollen, das ist für den Arbeiter-
stand, leicht erreichbar zu sein, müssen sie möglichst in Ar-
beitervierteln resp. auf den Hauptverkehrswegen der Arbeiter-
schaft angelegt werden. Derartige Volksbrausebäder, wie sie
jetzt eine überaus grosse Reihe deutscher Städte, vor allem die
Centren der Industrie, besitzen, enthalten für gewöhnlich ca.
14 — 20 Brausen, um den Betrieb nicht zu teuer zu gestalten und
nicht zu erschweren. Die maschinelle Einrichtung beschränkt
sich bei den Brausebädern auf einen Kessel , der durch Röhren
mit einem etwas erhöht aufzustellenden Wasserbehälter verbunden
ist. Letzterer wird mit Wasserstandszeiger und Thermometer
versehen. Aus diesem Wasserbehälter füllen sich über jeder
Brause angebrachte kleine Wasserkasten mit etwa 35 1 Inhalt,
die das Wasser, nachdem ein vom Badenden in Bewegung zu
setzendes Ventil geöffnet ist, der Brause zuführen. Man hat
mehrfach, um der Wasservergeudung vorzubeugen, die Einrichtung
getroffen, dass sich diese Kasten, nachdem sie geleert sind, nicht
alsbald wieder füllen. Die Praxis hat aber gelehrt, dass eine
nennenswerte Vergeudung nicht vorkommt, und man ist deshalb
auch vielfach dazu übergegangen , nicht nur die letztgenannte
Einrichtung, sondern auch die Kasten selbst fortzulassen, so dass
den Brausen das Wasser unmittelbar aus dem gemeinsamen
grossen Wasserbehälter zufliesst. Hierdurch wird die Installation
der Bäder erheblich vereinfacht. Die Ventile sind jedoch stets
so einzurichten, dass sie sich jedesmal selbstthätig schliessen,
sobald der Badende die Hand davon nimmt.
Das ursprünglich Lassar'sche Modellvolksbrausebad (Fig. 19)
ist ein achteckiger Bau, der auf einer Seite die getrennten Eingänge
für Männer und Frauen enthält, zwischen denen sich der Kassen-
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
125
räum C befindet. Die beiden gleich grossen, für die Geschlechter
getrennten Abteilungen a und b enthalten je 7 Badezellen und
einen Abort f. Jede Zelle ist durch einen wasserdichten Vor-
hang p in zwei Teile getrennt und durch eine Schiebethür t nach
dem Umgang abschliessbar. Der dem Umgang zunächst liegende
Teil der Zelle dient als Auskleideraum. Er enthält einen Sitz s,
einen Kleiderhalter r und einen Spiegel nebst Kammkasten g.
Die andere, hinter dem wasserdichten Vorhang liegende Abteilung
enthält die Brausen und zwar ausser einer schräg gestellten festen
für warmes Wasser eine Schlauchbrause für kaltes Wasser. Der
in diesem Teil etwas vertiefte und mit Abfluss versehene Fuss-
Fig. 10. Modell-Yolks-Brausebad.
boden ist mit einem Holzrost o belegt ; an der Wand ist ein
Seifenbecken n angebracht. Im Umgange befinden sich vier
Schränke u zur Aufbewahrung von reiner Badewäsche, Seife und
dergl. Hinter dem Kassenraum, und sowohl von der Männer- als
auch von der Frauenabteilung' zugänglich, ist die Waschküche e
angeordnet, in der die Badewäsche gereinigt und zugleich ge-
trocknet werden kann. Sie enthält das grosse Wasch- und
126
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Spülgefäss d und die sonstigen für das Waschen und Trocknen
erforderlichen Einrichtungen. Im achteckigen Mittelraum ist
ausser einer Zentrifuge g zur Entfernung des Wassers aus der
gewaschenen Wäsche die Einrichtung für die Beschaffung des
warmen Wassers untergebracht ; sie besteht aus dem Warmwasser-
kessel M und einer Hochdruckheizschlange i. Ueber diesen Kessel
Fig. 20. Volksbrausebad zu Breslau.
ist der Warm Wasserbehälter k von 1,20 m Länge, 1,10 m Breite
und 1,20 m Höhe aufgestellt.
Eine besonders geschmackvolle Anlage ist das von Plüdde-
mann 1893 — 94 erbaute Volksbrausebad in Breslau (Fig. 20). Das-
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 127
selbe enthält im Erdgeschoss 2 Warteräume für Männer und Frauen,
dahinter eine Kasse, ferner 18 Badezellen für Männer und G Bade-
zellen für Frauen, Aborte und Wäscherei. In dem nur teilweise
ausgebauten Obergeschoss befinden sich die Wohnung des Bade-
wärters und die Wäschetrockenkammer nebst Drehrolle ; die
Wasserbehälter stehen in dem thurmartig ausgebildeten Treppen-
haus. Nur ein geringer Teil des Gebäudes ist unterkellert, um
hier den Dampfentwickler und das Kohlenlager unterzubringen.
Die Baukosten betrugen 53000 Mark, von denen 34000 Mark auf
das Gebäude und 19000 Mark auf die Badeeinrichtung entfallen.
Als ein Mittelglied zwischen den vorbeschriebenen Volksbrause-
bädern und den grösseren Volksbädern allgemeiner Art sind An-
lagen anzusehen, die ausser Brausen auch Wannenbäder enthalten,
so unter anderen das 1891 — 92 erbaute Volksbad zu Mainz, die
Volksbäder in Cassel, Dresden, Giessen und vielen anderen Städten,
die durch den Berliner Verein für Volksbäder 1884 — 85 erbauten
Volksbadeanstalten in der Gartenstrasse und Wallstrasse zu Berlin.
Die Stadtverwaltung unterstützte das Unternehmen durch un-
entgeltliche Hergabe der in Parkanlagen gelegenen Baustellen
und durch einen Barzuschuss von 108000 Mark. Beide Anstalten
sind vollständig gleichartig eingerichtet und enthalten Wannen-
und Brausebäder, die in zwei Klassen geteilt sind.
Die Bäder liegen im Erdgeschoss; sie zerfallen in zwei ge-
trennte Abteilungen für Männer und Frauen. Durch eine kleine
Flurhalle mit Kasse gelangt man links zunächst in einen Warte-
raum für Männer, von dem aus die Bäder zugänglich sind. Ins-
gesamt sind 4 Wannenbäder I. Klasse und 12 solche II. Klasse
vorhanden , die in einer gemeinsamen Halle untergebracht und
durch etwa 2,20 m hohe Scheidewände voneinander getrennt
sind. Zur Männerabteilung gehören ferner die im Mittelbau be-
findlichen Brausebäder, wovon 9 Stück I. Klasse mit je einer Aus-
kleidezelle und 5 Stück IL Klasse vorhanden sind. Für Frauen
sind ebenfalls durch ein Wartezimmer zugänglich — rechts von der
Flurhalle — 4 Brausen mit je einer Auskleidezelle und 8 Wannen-
bäder II. Klasse, sowie 4 Wannenbäder I. Klasse angelegt.
128 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Die Wannenbadezellen enthalten je eine gusseiserne, innen
emaillierte Badewanne von einer Form, die es ermöglicht, be-
reits mit 225 1 Wasser ein vollständiges Bad herzustellen. Die
Wannen sind zur leichteren Reinigung der Zellen nicht mit den
Zu- und Abflussleitungen fest verbunden, über jeder Wanne be-
findet sich eine Brause. Die Brausebäder haben kleine gusseiserne
Behälter, denen das warme Wasser aus einem im Kesselhaus
befindlichen Warmwasserbehälter von 3,5 kbm Inhalt zufliesst.
Die Gesamtkosten beider Anstalten inklusive Inventar haben
sich auf 225000 Mark belaufen.
Inzwischen ist die Zahl der städtischen Badeanstalten in
Berlin auf sechs gestiegen, zu denen noch in gleicher Verwaltung
befindliche sieben Flussbäder kommen. Für die städtischen Volks-
badeanstalten ist nach dem Stadthaushalt auf das Jahr 1902 eine
Einnahme von 458000 Mark angenommen, während die Ausgaben
auf 477000 Mark bemessen sind. Einen in sozialer Hinsicht
ausserordentlich interessanten Versuch hat die Stadt Magdeburg
durch Errichtung eines Volksbades in Kombination mit einer
öffentlichen Lesehalle und Bücherei gemacht. Die erste Idee
einer derartigen Vereinigung zweier allgemeinen Kulturinteressen
dienenden Faktoren geht von der Bezirksgemeinde Shoreditch in
London aus. In England sind, wie schon Eingangs dieses Ab-
schnittes ausgeführt, durch ein besonderes Gesetz (Bath and
Washhouses Act 1846) die Gemeinden zur Errichtung öffentlicher
Badeanstalten angeregt und ermächtigt worden, für diesen Zweck
besondere Gemeindesteuern zu erheben. Eine grosse Anzahl von
Badeanstalten, darunter mustergültige Anlagen, verdankt diesem
Umstand ihre Entstehung. Diese englischen Volksbadeanstalten,
die unter sich in einer merkwürdigen Weise übereinstimmen,
zeigen eine grundsätzliche Abweichung von unseren Bädern.
Zunächst darin, dass die Schwimmbecken nur für den Sommer-
gebrauch eingerichtet sind. Im Winter werden sie geschlossen,
die Becken werden durch besondere Vorrichtungen in Höhe des
Umgangs abgedeckt und der so gewonnene grosse Saalraum wird
für Volkskonzerte , Versammlungen etc. benutzt. Eine zweite
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 129
•^s-j-ssvs
Eigentümlichkeit der englischen Volksbäder ist das Fehlen von
Brausebädern, eine dritte die, dass stets eine öffentliche Wasch-
anstalt damit in Verbindung steht. In Shoreditch, wo das grosse
Schwimmbecken für die Umwandlung in einen Konzertsaal, das
kleine für die Umwandlung in eine Turnhalle eingerichtet ist,
ist nun mit der grossartig eingerichteten Bade- und Waschanstalt
eine Volksbücherei umfassendsten Stiles verbunden, die circa
26000 Bände, Leseräume, Jugendlitteratur etc. enthält. Diese
Vereinigung einer Volksbadanlage mit einer Lesehalle hat auch
in gesundheitlicher Hinsicht vieles für sich, vermindert sie doch
die nicht unerhebliche Erkältungsgefahr, die im Winter beim
unmittelbaren Uebergang aus den warmen, wasserdampfgefüllten
Baderäumen ins Freie vorhanden ist.
In Magdeburg hat man dieses englische Beispiel nun nach-
geahmt, indem man bei der Errichtung eines Volksbades im
nördlichen Stadtteil, der sogenannten „Nordfront", gleichzeitig
eine öffentliche Bibliothek, verbunden mit einer Lesehalle be-
gründete und damit zum erstenmal in Deutschland diesen in
sozialer Beziehung dankenswerten Schritt unternahm. Der Schwer-
punkt planmässiger Verbreitung des Badewesens und seiner er-
zieherischen Einflüsse liegt heutzutage weniger in den Gross-
städten, die mehr oder minder durch die moderne wirtschaftliche
Entwicklung gezwungen sind, soziale Kommunalpolitik zu treiben,
wie in den kleineren und mittleren Gemeinden, die abseits von
der Heerstrasse der Kultur liegen und in ihrer patriarchalischen
Abgeschiedenheit nur wenig von den Wellen der sozialen Bran-
dung berührt werden. Hier ist eine systematische Propaganda,
eine thatkräftige Einwirkung auf die kommunalen Verbände, die
Gemeinden und alle in Betracht kommenden Kreise dringend am
Platze, hier muss jeder zum Ziele führende Weg beschritten werden.
Dass die Anfänge hierfür an den verschiedensten Ecken des deut-
schen Reiches gemacht sind, dafür nur einige wenige Beispiele.
In Neustadt a. d. Haardt in der Rheinpfalz, das 17000 Ein-
wohner zählt , ist 1899 ein Volksbad errichtet worden , dessen
Baukosten sich auf 130000 M. beliefen. Die Form desselben ist
Marcuse, Bäder und Badewesen. 9
130 Bäder und ßadewesen der Neuzeit.
eine Aktiengesellschaft nur mit Stammanteilen, das Grundstück
wurde von der Stadtgemeinde zur freien Benutzung gestellt. Die
Anstalt enthält 12 Wannenbäder, 12 Brausebäder und ein Schwimm-
becken und wurden im ersten Betriebsjahr an 163 Betriebstagen
35 163 Bäder abgegeben. Die Anstalt ist ein ausserordentlich
schmuckes Gebäude, das jeder Grossstadt Ehre machen würde,
die Begründer derselben sind von den gemeinnützigsten Absichten
beseelt.
Als kleinstes Volksbad stellt sich das im Jahre 1893 in der
nur 200 Seelen zählenden Stadt Weissenhorn in Schwaben be-
gründete dar, das nur etwas über 4000 Mark kostete und in
seiner Errichtung wie Anlage für kleine Verhältnisse völlig aus-
reichend erscheint. Es wurde unter der Aegide des dortigen
Arztes ein Verein gegründet, jedes Mitglied zahlte eine Minimal-
summe von 100 Mark ein, die eingezahlten Beiträge wurden zu
3% verzinst, doch erhalten die Mitglieder den Zins immer in
Badebilleten, welche im Laufe des Betriebsjahres benützt werden
müssen. Die Anstalt ist ein massives Gebäude und enthält zwei
Wannenzellen , zwei Brausezellen , einen Heizraum , Abort und
Wartezimmer. Der Bauplatz wurde von der Stadtgemeinde un-
entgeltlich hergegeben. Diese kleine und doch völlig zweck-
mässige Anlage verdient ihrer richtigen Fundierung wie ihrer
praktischen Einrichtung wegen besondere Beachtung.
Den Volksbrausebädern und Volksbädern mit dem aus-
schliesslichen Zweck, den arbeitenden Klassen der Bevölkerung
eine billige und ausreichende Badegelegenheit zu schaffen, reihen
sich die Arbeiterbäder in Fabriken, Bergwerken und anderen
industriellen oder fiskalischen Etablissements an. Auf diesem
Wege sind eine Reihe von Musterstätten persönlicher Fürsorge
von Arbeitgebern für ihre Geschäftsangehörigen entstanden, so die
Arbeiterbäder der Glasfabrik zu Corbetha, der Molkereigenossen-
schaft in Lüdinghausen, der Jutespinnerei in Herford, der Huf-
eisenfabrik in Minden, der Anilinfabrik in Mainkur bei Cassel
mit 314 einzelnen Badehütten, der Fabrikwerke vormals Meister,
Lucius & Brüning zu Höchst a. Main (Fig. 21) mit 130 Wannenbädern,
Bäder nnd Badewesen der Neuzeit.
131
Fig. 21. Arbeiterbad der Farbwerke zu Höchst a. M. (Obergeschoss).
a) Wannenbäder für Arbeiter, c) Wannenbäder für Aufseher, d) Wannenbäder für Beamte.
f) Römisch-irisches Bad. g) Aborte, i) Wasserbehälter.
Brausen und römisch-irischen Bädern, das Arbeiterbrausebad der
Gebrüder Heyl & Comp, in Charlottenburg, die Fabrikbäder in
132 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Duisburg, Mühlheim a. d. Ruhr, Kalk und vielen anderen Orten.
In erster Reihe sind es natürlich alle diejenigen Betriebe che-
mischer Natur, bei denen es zu starken Gas- und Dämpfe-
entwicklungen während der Arbeit kommt, und wo also schon
aus eigenstem Interesse des Arbeitgebers peinlichste Körper-
reinigung seitens der Angestellten zur Verhütung von gewerb-
lichen Schäden verlangt wird. So sind in den Betrieben der
nahezu 6000 Personen beschäftigenden Badischen Anilin- und
Sodafabrik zu Ludwigshafen am Rhein sämtliche Arbeiter in
den Farbenfabrikationen gehalten , vor dem Verlassen der
Fabrik sich gründlich zu reinigen. Es existieren zu diesem
Zwecke im Anschluss an die Betriebe 45 Wasch- und Bade-
anstalten mit insgesamt 483 Duschezellen, deren Benutzung auch
den nicht mit Farbe beschäftigten Arbeitern zu bestimmter Zeit
freisteht. Die Badezeit fällt unter die Arbeitszeit. Jeder Arbeit-
nehmer hat in einer dieser Badeanstalten seinen bestimmten
Platz zum Aus- und Ankleiden und zum Aufhängen seiner Kleider;
an demselben vertauscht er vor Antritt der täglichen Arbeit den
Strassenanzug mit den Arbeitskleidern. Seife und Handtuch er-
hält er unentgeltlich von der Fabrik geliefert.
Eine weitere Wohlfahrtseinrichtung hat dieselbe Fabrik
dahin getroffen, dass sie im Jahre 1893 im Bereiche der von
ihr begründeten Arbeiterwohnungskolonie auch eine Bade-
anstalt für die Frauen und Kinder ihrer Arbeiter errichtete.
Dieselbe umfasst neben den Räumlichkeiten für die Warte-
frau und dem Kesselhaus mit Reservoirs zur Erwärmung des
Badewassers auf 35 ° C. einen Baderaum von 225 qm Flächen-
inhalt. In letzterem befinden sich 6 Kabinen mit Wannen und
18 Duschezellen. Die Anstalt ist jeden Werktag zur unentgelt-
lichen Benutzung für die oben benannten Kategorien geöffnet.
Im Jahre 1900 betrug die Frequenz 38910, d. i. durchschnittlich
pro Tag 130 Bäder. Auf den Krupp 'sehen Werken sind ins-
gesamt 223 Brausen, 23 Wannenbäder und 376 Aus- und An-
kleidezellen vorhanden, abgesehen davon, dass die Zechen und
Hüttenwerke ihre eigenen Badeeinrichtungen haben.
Bäder und Radewesen der Neuzeit. 133
Wie mit kleinen Mitteln und wenig verfügbarem Terrain
demnach ein zweckmässiges Fabrikbad hergestellt werden kann,
diese Frage hat ebenso praktisch wie ingeniös die Firma Zeiss
in Jena gelöst. Auf einem Terrain von nur 45 qm erhebt sich
die Badeanstalt, die sechs Brausebäder, drei Wannenbäder, ein
medizinisches Bad , sowie ein Dampfbad enthält und im ganzen
nur 15000 Mark Kosten beansprucht hat. Trotzdem ist diese
Badeanstalt im stände, 936 Bäder j)ro Woche zu verabfolgen, das
dürfte sowohl nach dem eingenommenen Quadrat- wie Kubik-
raum die stärkste Benutzung sein, die möglich ist. Jedem Arbeiter
ist wöchentlich während der Arbeitszeit eine halbe Stunde frei-
gegeben, die er für das Bad verwenden kann. Das ist natürlich
sehr genau organisiert und ein bestimmter Turnus für jede Ab-
teilung festgesetzt.
Volksbäder in demselben Sinne finden sich ferner bei ein-
zelnen Eisenbahnverwaltungen, hier allerdings lange noch nicht
in dem Masse, wie es erforderlich wäre, in Schlachthäusern und
staatlichen Betriebsstätten. So hat vor allem die Munitionsfabrik
in Spandau einen exakt durchgeführten Badebetrieb; sie beschäf-
tigt ca. 750 männliche und 2355 weibliche Kräfte, die zusammen
im Jahre 1898 über 44000 Wannen- und Brausebäder genommen
haben, das macht pro Person und Jahr 14,2 Bäder. Die 1650
Arbeiter der Geschützgiesserei benutzten 1500 Wannen- und 24240
Brausebäder (15,6 Bäder). Auf die 2100 männlichen und 250
weiblichen Beschäftigten des Feuerwerklaboratoriums entfallen
60000 Bäder (25,1). Das Baden findet während der Arbeitszeit
und ohne Lohnabzug statt. In den Spandauer Werkstätten müssen
alle Arbeiter, welche mit gesundheitlich bedenklichen Stoffen in
Berührung kommen (wie Blei, Zink, Quecksilber etc.), wöchentlich
mindestens zweimal baden. Bäder nebst Seife und Handtuch
erhalten sie umsonst. Der von einzelnen Unternehmern oft vor-
gebrachte Einwand, dass ein Privatmann nicht in der Lage sei,
den Arbeitern während der Arbeitszeit ohne Lohnabzug Gelegen-
heit zum Baden zu geben, wird — so sagt der Bericht — für
Stücklohnarbeiter dadurch widerlegt, dass bei den genannten
134
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Werkstätten ein Eückgang des Arbeitsverdienstes durch die für
das Baden gegebene freie Zeit nicht eingetreten ist.
Besondere Erwähnung verdienen noch die in den 90 er
Jahren bei dem Steinkohlenwerk Zauckerode und seinen ver-
Fig. 22. Entkleidungsraum im MannBchaftsbad zu Zauckerode.
(Nach einer Anfnabme aus dem Atelier Schaul, Hamburg.)
Die Kleider der Badenden werden mittels einer sinnreichen Schnur-
vorrichtung in die Höhe gezogen und desinfiziert.
schiedenen Schachten zur Einführung gelangten Mannschafts-
bäder, die von der gesamten Belegschaft täglich benutzt werden.
Die Bergarbeiter haben die Bäder nicht nur als eine Annehmlich-
keit erkannt, sondern vor allem als einen Faktor, der die Ge-
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 135
sundheit in günstigstem Masse beeinflusst und die von dem
Werkschaftsarzt bearbeitete Morbiditätsstatistik zeigt, dass die
Erwartungen, welche man an die Mannschaftsbäder stellte, sich
voll und ganz erfüllt haben. Trotz Zunahme der Belegschaft
hat die Zahl der Erkrankungsfälle abgenommen und ebenso ist
die Zahl der Erkrankten im Vergleich zur Zahl der Belegschaft
eine geringere geworden. Bei einzelnen Erkrankungen, insbeson-
dere bei denjenigen, welche anerkanntermassen von Erkältungen
beeinflusst, wenn nicht indirekt hervorgerufen werden, fällt es auf,
dass sich bei ihnen eine beachtenswerte Abnahme feststellen lässt.
Eine eigene Entwicklung haben die Brausebäder in der
Armee genommen. Während das Baden beim Militär bis in
die 70 er Jahre hinein wesentlich nur als ein Faktor der
militärischen Ausbildung betrachtet und dem zufolge in erster
und vornehmster Reihe das Baden und Schwimmen in freien
Flussbädern gepflegt wurde, ist von diesem Zeitpunkte an mit
der Herstellung eigener Baderäume innerhalb der Kasernements
selbst, der obligatorischen Einführung periodischer Badeproze-
duren für die Mannschaften begonnen worden. Die erste An-
regung hierzu gab 1878 Oberstabsarzt Dr. Münnich in Berlin,
auf dessen Veranlassung in einer dortigen Kaserne Brausen mit
erwärmtem Wasser zur Anwendung gelangten. Jede der 18 Bade-
zellen enthielt eine Douche, welche schräg gestellt war, damit
der Kopf des Badenden nicht gedoucht zu werden brauchte. In
einer Stunde wurden 300 Mann abgefertigt, von denen auf jeden
15 — 20 Liter Wasser kamen. Die Gesamtkosten der Anlage be-
liefen sich auf 4000 Mark, die Kosten eines Bades auf nur einen
halben Pfennig. Schon sehr bald darauf erschien eine Verord-
nung, welche die Anlage von Brausebädern bei allen Neu- und
Umbauten von Kasernen vorschrieb und durch eine vier Jahre
später erschienene Verfügung wurden weitere Einzelheiten für
Kasernenbäder festgesetzt und 50—60 qm Bodenfläche für 10—12
Brausen pro Bataillon, Abteilung Artillerie und Regiment Kaval-
lerie vorbehalten. Da diese Vorschriften nunmehr überall durch-
geführt sind, ergiebt sich ein Vorhandensein von über 8500 Brausen
136 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
im deutschen Heere. Jeder Mann badet vorschriftsmässig einmal
wöchentlich im Winter unter der Brause, so dass auf eine Brause
im Durchschnitt 45 — 50 Bäder kommen. Selbst die Sommer-
baracken der grossen Truppenübungsplätze enthalten derartige
Anlagen, so dass für das stehende Heer die Frage der Errichtung
von Brausebädern gelöst zu sein scheint.
Ausser den eigentlichen Volksbädern sind der Vollständig-
keit halber noch zu erwähnen Badeanlagen, die nur als Zubehör
zu einer im übrigen anderen Zwecken dienenden Anstalt gehören,
dies sind die Bäder in Krankenhäusern, Waisenhäusern, Gefäng-
nissen und vor allem in Schulen. Die Wichtigkeit der letzteren
rechtfertigt eine nähere Betrachtung. Es ist noch nicht lange
her, dass gegenüber einer zuerst in Göttingen im Jahre 1886 ein-
geführten Badeeinrichtung in den Volksschulen geltend gemacht
wurde, das Baden gehöre nicht in die Schule, dies sei Sache des
Hauses und der Familie! Dieser Standpunkt darf wohl heute
als endgültig aufgegeben betrachtet werden: Eine wirkliche Schul-
gesundheitspflege verlangt in erster Reihe die Förderung des
Badens unter der Jugend und reiht die letztere an die Aufgaben
der Schule an. So finden wir eine wenn auch langsame, so doch
stete Fortentwicklung des Schulbadewesens und eine mehr und
mehr wachsende Erkenntnis, dass die Schule auch die Erziehung
zur Reinlichkeit zu leiten habe. Ist diese doch die Basis für
jedwede Pflege der Gesundheit und ein unveräusserliches Gut
kultureller Gesittung. Von diesen Gesichtspunkten geleitet finden
wir heute in einer grossen Reihe von Städten Schulbrausebäder
und bei allen grösseren Neubauten von grösseren Schulgemeinden
in Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, Dänemark u. a. sind
Anlagen hierfür geschaffen worden. Am weitesten auf dieser
Bahn fortgeschritten sind Aachen, München und Nürnberg, wo
im Laufe der letzten Jahre in bezw. 10, 16 und 10 Schulgebäuden
Brausebäder den Kindern zugänglich gemacht wurden. Alle
Berichte, die seit dem Jahre 1888 als dem Anfangsjahr aus den
verschiedensten Orten vorliegen, stimmen darin überein , dass
die Einrichtungen sich glänzend bewährt und in hygienischer
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 137
wie erziehlicher Hinsicht ausserordentlich förderlich gewirkt
hätten.
Die Badeanlage eines solchen Schulbades, wie es zum Bei-
spiel von Genzmer 1896—97 für eine Volksschule von 1440 Kna-
ben in Wiesbaden erbaut worden ist, ist folgende:
Sie besteht aus zwei Bäumen. Das kleinere zum Auskleiden
dienende Gelass ist mit ringsum laufenden Bänken versehen, über
denen in entsprechender Höhe Kleiderleisten mit Haken ange-
bracht sind. Der grössere Baderaum, der durch ein mittels Glas-
verschlag abgeschlossenes Stück des Flurganges — die Bade-
einrichtung ist im hohen Sockelgeschoss des Gebäudes unter-
gebracht — mit dem vorigen verbunden ist, enthält 8 Brausen.
Unter jeder Brause ist eine muldenartige Vertiefung im Fussboden
hergestellt. Von einer Trennung der einzelnen Bäder oder Brause-
stände ist abgesehen worden. Der Auskleideraum ist so gross
bemessen, dass stets 2 Abteilungen dort Platz finden. Es kann
also, während die erste Abteilung badet, eine zweite Abteilung
sich auskleiden.
Die Fussboden bestehen aus Cementstrich ; auch die Mulden
unter den Brausen sind im Zusammenhang mit den Fussboden
aus Cement hergestellt. Die Wassererwärmung erfolgt in einem
im Nebenraum aufgestellten Badeofen, mit dem ein im Dach-
geschoss untergebrachter Kaltwasserbehälter von 1,2 cbm Inhalt
und ein neben dem Badeofen hängender Boiler verbunden sind.
Die Einrichtung hat 2900 Mark erfordert.
Das Brausebad einer Volksschule in Köln ist ein Beispiel
für eine Anlage, bei der man entgegen der Wiesbadener Ein-
richtung eine Trennung der einzelnen Bäder durch Scheidewände,
bezw. das Verlegen der Brausen in abgesonderte Zellen ange-
wandt hat.
Die Anlage besteht aus zwei Auskleideräumen mit je 16 Plätzen,
die durch kurze Scheidewände von einander getrennt sind, und
dem mit 16 Brausezellen versehenen Baderaum. Unter den Brausen
sind auch hier muldenartige Vertiefungen im Fussboden her-
gestellt, die in etwas schräg gestellter Lage angeordnet sind. Sie
138 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
werden mit lauwarmem Wasser angefüllt und bieten Gelegenheit
zum Waschen. Ausser den bereits erwähnten Auskleideplätzen,
die zum Ablegen der Oberkleider dienen, ist jeder Brause eine
abgeschlossene Auskleidezelle vorgelegt, wo sich die Kinder völlig
der Kleider entledigen. Im Baderaum befindet sich auch ein Abort.
Die Absicht, in grossen Zügen ein Bild des gegenwärtigen
Badewesens in seiner inneren und äusseren Gestaltung mit be-
sonderer Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse zu geben,
die Aufgaben, die erfüllt sind, zu würdigen, diejenigen, die noch
der Erfüllung harren, zu skizzieren, begreift auch in sich eine
Betrachtung der hygieinischen und kulturellen Gesichtspunkte,
die dem Baden eine so universelle Bedeutung verleihen. Dieser
hygieinisch diätetische Gesichtspunkt scheidet die Bäder, je nach-
dem sie kalt oder warm sind, in solche, die auf rein physiologischem
Wege eine Kräftigung des Gesamtorganismus und dadurch wiederum
in prophylaktischer Hinsicht einen Schutz gegen die Invasion von
Krankheiten herbeiführen, und solche, die von vornherein durch
die Entfernung der Schlacken, durch die Reinigung der Haut
mehr prophylaktisch wie diätetisch wirken. Doch ist diese
Erklärung nicht rein schematisch aufzufassen, da zwischen beiden
Bäderanwendungen rege Wechselbeziehungen statthaben und der
Endeffekt in vielem zusammenfällt. Wenn wir uns die sanitäre
Bedeutung des Badens klar machen wollen, so müssen wir uns
physiologisch das Wesen und die Wirkungen dieser Prozeduren
auf den menschlichen Körper zu erklären suchen, Prozeduren,
die der Kindheitszustand der Menschheit mit seinem natürlichen
Instinkt schon vor Jahrtausenden als wohlthätig und segensreich
erkannt hatte.
Der Angriffspunkt des Wassers ist beim Bad in erster Reihe
die Bedeckung des Menschen, die Haut, die bekanntlich eine
Anzahl der wichtigsten Funktionen zu erfüllen hat. Zunächst
die respiratorische Funktion : Die Hautatmung bildet eine der
Lungenatmung analoge und dieselbe ergänzende Verrichtung;
Wasser und Kohlensäure werden von ihr abgegeben und zwar
in der Weise, dass von ersterem fast zweimal so viel durch die
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 139
Haut verdunstet, wie durch die Lungen, von letzterer nur täglich
zwei bis drei Gramm, welcher Betrag etwa dem hundertsten Teil
der zur Verdunstung gelangenden Lungenkohlensäure entspricht.
Erhöhung der Temperatur der umgebenden Luft, körperliche
Anstrengung und verschiedene andere Umstände, vor allem der
jeweilige Füllungszustand der Blutgefässe in der Haut steigern
jenen Betrag der ausgeschiedenen Kohlensäure sowie die Wasser-
abgabe in hohem Grade.
Bei dieser Steigerung oder wenn die Ausdunstung durch
undurchgängige Kleidung, Bedeckung und dergleichen beschränkt
oder verhindert wird, erfolgt Schweissabsonderung. Die Ab-
sonderung von Schweiss und Hauttalg aus den Millionen von
Seh weiss- und Talgdrüsen , die die Haut durchziehen , ist ihre
sekretorische Funktion. Durch Schweiss und Verdunstung ver-
liert der Körper eines arbeitenden Menschen innerhalb 24 Stunden
bis 1400 gr Flüssigkeit, das ist die gleiche Menge wie durch die
Nieren. Dieselbe enthält bis 5 °| anorganische Stoffe und zwar
vornehmlich Chloralkalien, Harnstoff, Fett und Fettsäuren, auch
steht die Ausscheidung von aromatischen und Fäulnisprodukten,
von Toxinen und bakteriziden Organismen nach den neuesten
Untersuchungen ausser Zweifel. Diese Drüsenthätigkeit der Haut
kann auf dem Wege zentraler und reflektorischer Erregung mittels
der zahllosen Nervenfasern, die in der Haut endigen, durch
mannigfache Faktoren gesteigert oder herabgesetzt werden. Unter
den sensiblen Reizen spielen die thermischen bei der Schweiss-
sekretion eine besondere Rolle. Wärmereize relativ niedrigen
Grades sind bereits kräftige Erreger des Schweisses; Muskel-
bewegung, mechanische Reizung der Haut, Wärmezufuhr sowie
Wärmestauung, Verhinderung des Wärmeverlustes steigern die
Schweissabsonderung umsomehr, wenn sich mehrere dieser Fak-
toren kombinieren. Dabei ist zu bedenken, dass mechanische
Reizung, wie sie durch Frottieren, Anwendung schweisstreibender
Prozeduren und dergl. zu stände gebracht wird, eine Abstossung
von Epidermisschuppen in grösseren Mengen, eine Maceration,
ein Aufquellen der obersten Hornschichten vermöge ihrer hygro-
140 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
skopischen Eigenschaft bewirkt, Umstände, welche die Schweiss-
sekretion ungemein fördern. Dieselbe kann in Form geeigneter
diaphoretischer Methoden in dieser oder jener Form enorm gesteigert
werden und entfaltet ihrerseits wiederum mächtige nähere und
entferntere Wirkungen auf Strömungsgeschwindigkeit, Verteilung,
Druck- und Spannungsverhältnisse des Blutes und mittels dieser
Einflüsse auf die Lebensvorgänge in den Geweben und Organen.
Dies leitet uns zu einer der wichtigsten Funktionen der Haut
über, die mit der Schweissabsonderung in innigstem Zusammen-
hang steht, zur Wärmeregulierung, die in einer wechselnden
Wärmeabgabe und Wärmebildung besteht. Unerlässlich
für das Verständnis der Bäderwirkung ist das Eingehen auf diese
physiologischen Funktionen, die wir kurz betrachten wollen.
Die Wärmeregulierung, ihre Anpassung an die verschiedenen
Veränderungen in den äusseren Bedingungen steht mit der Be-
schaffenheit der Hautnerven und zwar sowohl ihrer Endorgane
als der Leitung zu den Central apparaten in innigster Verbindung.
Diese Vermittlung geschieht durch die Funktion der Haut als
Sinnesorgan. Das ganze Wesen aber der Wärmeregulierung
seitens der Haut können wir am besten bei der Behandlung des
Körpers mit kaltem Wasser erkennen.
Wenn wir Wasser von wesentlich kälterer Temperatur auf
die Haut bringen, so erfolgt eine Zusammenziehung der Musku-
latur der Hautgefässe, dieselben verengen sich, das Blut wird aus
der Haut verdrängt, die Wärmeabgabe an die Aussenwelt sinkt,
es findet eine Fluxion zu den inneren Organen, zuerst zu der
der Haut benachbarten Muskelschicht statt. Dadurch wird, wie
von Winternitz, dessen ausgezeichneten Arbeiten wir den grössten
Teil unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete verdanken, festgestellt
ist, eine Erhöhung der Temperatur in der von reichlicheren
Blutmassen durchströmten Muskelschicht bewirkt, dann erfolgt
auch ein vermehrter Zufluss nach den mehr nach innen gelegenen
Organen. Es bedingen also diese Cirkulationsveränderungen un-
mittelbar nach dem hydriatischen Eingriff zunächst eine Erhöhung
der Achselhöhlentemperatur, ebenso wird die Temperatur im
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 141
Mastdarm vorerst eher um ein wenig erhöht als herabgesetzt.
Die Wirkung auf das Herz äussert sich in einer erheblichen Zu-
nahme der Pulsfrequenz und der arteriellen Spannung. Trotzdem
die Innentemperatur in diesem Stadium eher gesteigert als ver-
mindert ist, empfindet das Individuum ein der Abkühlung der
Haut entsprechendes Kältegefühl.
Mit einem Schlage ändert sich das ganze Bild , sobald die
Reaktion eintritt, d. h. wenn die kontrahierten Gefässe in der
Haut sich nicht nur zur Norm, sondern wahrscheinlich unter
dem Einfluss einer Erregung der Hemmungsnerven über dieselbe
hinaus mächtig erweitern. Jetzt tritt wohliges Wärmegefühl ein,
die Temperatur in der Achselhöhle und im Mastdarm sinkt, weil
die Passage durch das abgekühlte Hautorgan frei ist und das
Blut in raschem Tempo durch die mächtig erweiterten Haut-
gefässe strömt, hier seine Wärme zum teil an die kühlere Aussen-
welt abgiebt und abgekühlt zu den inneren Organen zurückkehrt.
Gleichzeitig sinkt die Pulsfrequenz, während die erhöhte Span-
nung im arteriellen System bestehen bleibt. Diese Reaktion ist
ein physiologischer Vorgang , der bei gesunden , in Bezug auf
ihre Cirkulationsorgane und ihr Nervensystem normalen Indi-
viduen glatt eintritt, bei kranken Individuen durch die Kombi-
nation mit mechanischen Reizen hervorgerufen werden muss.
So regeln Steigen und Sinken der Wärmeabgabe die Temperatur-
gleichheit des Körpers, die noch von einem zweiten Faktor, der
Wärmebildung, erhalten wird.
Auch diese, welche in der Hauptsache durch Verbrennungs-
vorgänge in den Muskelgebilden erfolgt, hängt von der Haut und
zwar von der Thätigkeit der Hautnerven ab, wie wir oben gesehen
haben. Durch den Wechsel der Blutströmung, durch die Steigerung
des Blutlaufes in den inneren Organen, durch eine Menge sich
schon aus unserer seitherigen Betrachtung ergebender Momente
werden Ernährung und Stoffwechsel wesentlich beeinflusst und
nimmt man die schon eingangs erwähnten exspiratorischen und
sekretorischen Funktionen der Haut hinzu, so wird es klar, welch
grossartiges, vielgestaltiges Vermittlungsorgan sie darstellt, und
142 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
welche Bedeutung in hygieinischer und diätetischer Hinsicht eine
rationelle Hautpflege hat.
Das erste Erfordernis dieser Hautpflege ist Reinigung mittels
Waschungen oder Bäder, Reinigung von Schweiss, Hauttalg, Staub
und Schmutz, der in unserem kulturellen Leben eine so viel-
gestaltige Entstehungsmöglichkeit, eine so schwerwiegende Be-
deutung hat, hat man doch in 50 kg schmutziger Wäsche allein
2 kg davon gefunden.
Weiterhin dient das Bad und zwar vornehmlich das kalte
Bad dazu, den Körper abzuhärten, das ist wissenschaftlich aus-
gedrückt, die Regulierung von Wärmebildung und Wärmeabfluss
soviel wie möglich der Selbstthätigkeit des Körpers zu überlassen
und diese P'ähigkeit durch Kühlhalten der Haut unter Anwendung
anderer geeigneter Faktoren so zu entwickeln, dass selbst erheb-
liche Temperaturunterschiede auch ohne Aenderung in der Klei-
dung gut ertragen werden. Welche Bedeutung diese Abhärtung
für die Erkältungskrankheiten hat — mag man nun letztere auf
neuropathologischem Wege oder auf dem der chemischen Blut-
veränderung entstanden sich erklären — brauche ich wohl kaum
zu erwähnen, während der Einfluss des kalten Bades und
zwar als Schwimmbad auf die verschiedensten Organe und
Lebensäusserungen unseres Körpers eingehender Betrachtung
bedarf.
Der volksgesundheitliche Wert des Schwimmens wird in
seiner vollen und umfassenden Bedeutung erst klar, wenn wir
die physiologische Wirkung des Schwimmbades uns zu deuten
suchen. Das Schwimmbad wirkt thermisch und mechanisch
durch die Temperatur und den Druck des Wassers auf unseren
Körper. Das Wasser des Schwimmbades, das wir im Mittel in
einer Temperatur von 23 ° C, wie es dem Badewasser der Hallen-
bäder entspricht, annehmen, ist ein Kältereiz, auf den die Haut
zunächst durch Verengerung ihrer Gefässe reagiert. Das verdrängte
und in seiner Wärmeabgabe behinderte Blut staut sich, wie wir
schon oben ausgeführt haben, in den benachbarten Muskel-
schichten, überwärmt diese und steigert den Stoffwechsel, das
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 143
heisst die Verbrennungsvorgänge in ihnen — wie es scheint —
auf Kosten der Zuckerstoffe und Fette.
Zu dieser Kaltwasserwirkung, welche in jedem kalten Bade
eintritt, addiert sich beim Schwimmen die Muskelarbeit des
Schwimmers. Sie facht die Verbrennungsvorgänge noch ener-
gischer an, so dass der andauernde Wärmeverlust — durch den
Ausgleich der Hautwärme mit dem kühleren Wasser — durch
eine mächtig gesteigerte Wärmebildung ersetzt wird. Der geübte
Schwimmer empfindet das Gefühl der Kälte nicht, ja mancher
erhitzt sich dabei bis zum Schwitzen. Der Wärmeverlust ist ein
grosser, da das Wasser ein vortrefflicher Wärmeleiter ist. Schon
im gewöhnlichen Badewasser von 25 ° C. beträgt der Wärme Ver-
lust das dreifache des normalen mittleren Verlustes. Beim
Schwimmen ist er um so grösser, einmal weil die Wärmeproduk-
tion noch mehr gesteigert ist, und ferner weil die Bewegungen
die Bildung einer ausgleichenden Wärmeschicht um den Körper
ständig hindern und darum das Wasser in stets gleicher wärme-
entziehender Temperatur an den Körper herantritt. Die Energie,
mit welcher sich der Körper gegen das Eindringen der Kälte
verteidigt, und die wir Reaktionskraft nennen, ist wechselnd;
sie schwankt mit der Konstitution und Disposition des Körpers,
mit seiner Anpassungsfähigkeit und der Stärke und Dauer des
Kältereizes. Daraus erklären sich manche bekannte Beobachtungen.
Blutreiche Menschen mit gesunder Konstitution und gutem Fett-
polster ertragen das Schwimmen besser wie blutarme, schlecht
genährte Menschen. Die Reaktionskraft, mittels deren mehr
Körperwärme gebildet wird, hält bei ersteren lange noch vor,
wenn sie bei letzteren bereits im Sinken ist. Dauerndes Frösteln
und Frieren im Wasser ist davon das Zeichen ; es giebt an, dass
der Körper die Wärmeentziehung mit seinen letzten Mitteln mit
Muskelzuckungen bekämpfen muss, welche den Vorgang leb-
haftesten Wärmeverlustes stets begleiten. Auch nervenschwache,
schlaffe Individuen vertragen deshalb das Schwimmen schlecht,
ebenso wie alte Leute, deren Reaktionskraft herabgesetzt ist, doch
lässt sich diese durch regelmässige Uebungen wesentlich erhöhen,
144 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
eine Thatsache, die ja auf dem gesamten Gebiete der funktionellen
Anpassung wiederkehrt. Wir lernen unseren Körper, sich kühleren
Temperaturen anzupassen und somit die Disposition für Erkältungen
zu vermindern. Dies kann man bei jedem selbst noch in der
Entwicklung begriffenen Organismus durchführen, in extremster
Form sehen wir es beim regelrechten Schwimmsport, dem Wett-
schwimmen, verwirklicht.
Doch auch die Reaktionskraft hat eine Grenze, und sie er-
lahmt um so früher, je geringwertiger die körperliche Konstitution
ist. Uebertriebene Anforderungen, die an den Körper gestellt
werden, können auf diese Weise Erscheinungen einer allgemeinen
Erfrierung des Körpers (Zittern, Frösteln, tonische und klonische
Krämpfe etc.) auslösen.
Die physiologische Nachwirkung des Schwimmens dagegen
lässt die Hautgefässe sich erweitern, die Körperwärme steigt an,
da die gesteigerte Wärmebildung noch fortdauert und von der
Luft schlechter wie durch das Wasser absorbiert wird, den
Schwimmer überkommt das bekannte behagliche Wärmegefühl.
Die Dauer des Schwimmens und Badens ist demnach nach der
Reaktionskraft des Körpers zu bemessen. Bleibt der Körper
nach jedem Schwimmbad blass und fröstelnd , so war dessen
Dauer zu lang oder der Körper ist zu schwach und kann sich
der Temperatur des Wassers nicht anpassen.
Die Forschungen der letzten Jahre haben als überraschende
Thatsache festgestellt, dass unter dem Einfluss des kalten Wassers
eine mächtige Vermehrung der Blutzellen stattfindet. Die Anzahl
der weissen Blutkörperchen vermehrt sich um das Dreifache und
auch die Zahl der roten Blutkörperchen zeigt sich im Kubik-
millimeter um 1,800000 gesteigert; dem entspricht der Hämo-
globingehalt, welcher eine Zunahme bis 14% aufweist. Diese
Veränderungen, mit welchen das Blut zugleich eine höhere
Alkaleszens und damit eine sich steigernde bakterientötende
Kraft gewinnt, sind allerdings keine dauernden, doch gehen sie
erst nach annähernd zwei Stunden zurück. Bei manchen, be-
sonders anämischen und chlorotischen Individuen bleibt indessen
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 145
eine gewisse Vermehrung der roten Blutkörperchen, deren Zahl
durch die Muskelbewegung des Schwimmens gesteigert wird,
dauernd und erklärt uns die Heilung dieser Krankheiten mittelst
kurzer, kalter Schwimmbäder durch die dadurch geschaffenen
günstigeren Ernährungsbedingungen. Vorbedingung für diese
Einwirkung ist indessen der Eintritt der oben geschilderten Reaktion,
Rötung der Haut und Wärmegefühl. Diese Milliarden scheinbar
neuer Blutzellen sind jedenfalls Reservezellen, welche durch die
mächtige Anregung der Zirkulation durch die vermehrte Spannung
der Muskeln und Gewebe in den Blutstrom hineingedrängt werden
und dabei, wenn auch nur vorübergehend, in Arbeit treten. Der
vermehrte Säftestrom ist aber ein Kräftestrom und die zahllosen roten
Blutkörperchen sind Sauerstoffträger, welche dem Körper neues
Brennmaterial, die Kraftquelle zu neuer Arbeitsleistung zuführen.
Aber noch mehr! Der Kältereiz des Wassers beeinflusst
auch auf das mächtigste die wichtigsten Organe unseres Lebens,
Nerven, Herz und Atmung. Die Nervenreize, welche die Körper-
oberfläche erhält, wirken nicht nur auf diese allein, sie werden
nach den nervösen Zentralorganen weitergegeben und veranlassen
eine Vertiefung der Atmung, bei welcher mehr Sauerstoff ein-
geatmet und mehr Kohlensäure ausgeschieden wird. Das Herz
arbeitet rascher und kraftvoller, der nervöse Apparat wird lebhaft
angeregt, kurzum eine allgemeine vorteilhafte Einwirkung kommt
zu stände und gestaltet das Schwimmbad zu einer hygienisch-
hydrotherapeutischen Prozedur ersten Ranges, zu einem körperlichen
Erziehungsmittel für die Jugend, das von keinem anderen über-
troffen werden dürfte. „Wer in der Jugend das Glück gehabt,"
schreibt Rohr*), „an seinem eigenen Körper zu empfinden,
welche Gesundheitsfülle und herrliche Kraft ein regelmässiges
Bad zu verleihen im stände ist, wer aus eigener Anschauung be-
obachten konnte, wie schwächliche Kinder mit schmaler Brust,
blassem und müdem Aussehen durch fortgesetztes Schwimmen mit
der Zeit zu kräftigen Gestalten mit breiter Brust und vollem
*) Dr. A. Rohr, Ein Beitrag zur Erbauung eines Schwimmbassins. 1895.
Mar cuse, Bäder und Badewesen. 10
146 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
pulsierendem Leben in körperlicher Frische und geistiger Munter-
keit heranwuchsen, wie sie abgehärtet wurden, Wind und Wetter
zu ertragen, wie sie seltener und dann nur leichter erkrankten,
wird mir aus voller Seele beistimmen, dass derjenige, welcher
regelmässig vernünftig badet und schwimmt, kräftiger, leistungs-
und widerstandsfähiger, energischer an Geist und Körper wird,
als derjenige, der dies verabsäumt und sich um Körperpflege
nicht kümmert." Und neben diese wahrhaft goldenen Worte
möchte ich den Ausspruch des früheren Kultusministers von
Gossler stellen, der einen offenen Sinn für alle Wohlfahrts-
bestrebungen auf dem Gebiete der Erziehung hatte, und der da
lautete: „Was das Schwimmen anbelangt, so ist es in meinen
Augen das Ideal der Ideale für die harmonische Ausbildung des
Körpers. Es giebt keine körperliche Uebung, welche einem gut
geleiteten Schwimmen sich vergleichen lassen könnte."
Eine weitere, wenn auch gegenüber der obigen mehr unter-
geordnete Einwirkung der Schwimmbäder ist ihre mechanische
Wirkung. Der Druck des Badewassers auf den Körper ist geeignet,
die Thätigkeit der Herz- und Blutbewegung und der gesamten
Atmungsorgane zu steigern. Bei der Atmung ist die Last der
Wassersäule, die dem Brustkorb und dem Leibe aufliegt, mit zu
überwinden, die Einatmung muss daher beim Schwimmen mit
grösserer Kraft ausgeführt werden und muss mit der Zeit zu einer
Kräftigung der Atmungsmuskulatur und der Lungen führen.
Letztere werden auch durch den Reiz des frischen Wassers und
das zeitweilige Verhalten der Atmung beim Tauchen und Springen
zu besonderen Anstrengungen angetrieben. Wird die Einatmung
behindert, so wird die Ausatmung durch den Wasserdruck unterstützt
und vergrössert und dadurch schliesslich die ganze Atmung vertieft.
Dass auch das Herz, sowie der ganze Gefässapparat zur Ueber-
windung des Wasserdruckes und bei der vielfach wechselnden
Atmung tüchtiger arbeiten und eine vorteilhafte Kräftigung er-
fahren müssen, liegt auf der Hand.
Das Schwimmen ist aber auch eine gymnastische Uebung;
Schwimmen, und hierzu gehört Springen und Tauchen, ist Turnen
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 147
im Wasser *). Es ist vielleicht die vollendetste der Turnübungen,
da sie alle Muskeln des Körpers in Anspruch nimmt und in
staubfreier Luft ausgeführt wird. Alle Vorteile des Badenden
empfindet der Schwimmer in verstärktem Masse. Zu der Kräftigung
der Atmung, der Blutbewegung, des Nervenlebens und Stoff-
wechsels gewinnt er noch hinzu die allseitige Ausbildung der
Muskulatur, mit ihr eine Steigerung der Blutmenge und der
elastischen Kraft der Gefässe, durch Schwimmen und Tauchen
aber Mut und Beherztheit, Ausdauer und Willenskraft.
So ergiebt sich aus der kurzen Betrachtung der physiolo-
gischen Wirkungen des Kaltbadens und Schwimmens eine ausser-
ordentlich grosse Reihe hygieinischer und diätetischer Momente,
die als direkte Folgeerscheinungen jener Wasseranwendungen
und in prophylaktischer Hinsicht als das beste Schutzmittel gegen
die Invasion von Krankheiten zu bedachten sind. Die Kom-
bination des mechanischen Momentes, welches durch die kräftigen
Muskelbewegungen gegeben ist, mit dem thermischen Einfluss des
Kaltwasserbades ist es, das so vorteilhaft auf die Thätigkeit des
Herzens und der Lungen, sowie auf das Nervensystem und den
gesamten Stoffwechsel einwirkt, und das damit zu einem wesent-
lichen Faktor der Volksgesundheit wird.
Liegt somit der Hauptwert des kalten resp. Schwimmbades
in der Kräftigung und Stärkung des Gesamtorganismus und
dadurch weiterwirkend in der Steigerung der natürlichen Schutz-
kräfte desselben gegenüber der Invasion von krankheitserregenden
Ursachen, so äussert sich der Nutzen eines warmen Bades in
einer direkten Pflege der Haut im speziellen und einer damit zu-
sammenhängenden Vernichtung von Mikroparasiten , von An-
steckungsstoffen von Mensch auf Mensch resp. von Tier auf
Mensch übertragbarer Krankheiten. Auf unserem Körper lagert
sich in steter Folge der Staub der Luft ab , die Räume , in
welchen wir arbeiten, die Gegenstände, welche wir berühren,
lassen ihre Spuren auf uns zurück. Diese Verschmutzung der
*) F. Kabirsche, Das Breslauer Hallenschwimmbad. Breslau. 1899.
148 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
Haut wie der Schleimhäute des Körpers steigert sich ins Enorme,
da wo zahlreiche Menschen auf engem Räume zusammenleben
und arbeiten, wo die Luft stockt, die Sonne nicht einstrahlt mit
reinigender Kraft, wo der Betrieb als solcher eine Staubentwick-
lung in höchstem Masse verursacht, wo kurzum Schmutz und
Staub mit jedem Atemzug dem Körper einverleibt, bei Ruhe wie
bei Bewegung alle sichtbaren Teile der Hautoberfläche bedecken.
Eine solche Verunreinigung wirkt nicht nur ekelhaft, sie schädigt
vor allem unser Wohlbefinden, weil sie die normale Thätigkeit
der Haut verhindert. Millionen Schweiss- und Talgdrüsen durch-
ziehen die Haut des Menschen und sondern die schon oben er-
wähnten Stoffe und Fäulnisprodukte ab. Zahllose Nervenfasern
endigen in ihr, und sie trägt ein so ungeheures Netz von Ge-
fässen in ihrem elastischen Fasergewebe, dass in einer mächtig
geröteten Haut nahezu -|:i der gesamten Blutmasse des Körpers
Platz finden. Bleibt nun das Gemisch von selbsterzeugtem Schweiss
und Hauttalg und von hinzugetretenem Staub auf der Haut liegen,
so werden nicht nur die wichtigen physiologischen Aufgaben der
Haut beeinträchtigt, ihre Schutzkraft gegen äussere Einflüsse
geschwächt, sondern auch durch Verstopfung der Drüsenöffnungen
ihr Wachstum und ihre Ernährung gestört und die Veranlassung
zu Erkrankungen der Haut gegeben. Dieses Gemisch fällt weiter-
hin, wie alle organischen Substanzen, der Zersetzung anheim.
Wir bemerken die Wirkung dieser Zersetzungsvorgänge beim
Eintritt in dicht bevölkerte Lokale, vor allem in Schulen bei
schlechter Ventilation oder unreinlichem Verhalten der Kinder,
sowie in den Aufenthaltsräumen unreinlicher Menschen schon an
dem Geruch. Die Zersetzungs Vorgänge wirken auf die Verderbnis
der Luft in derartigen Lokalen zurück. Die gesamten Lebens-
vorgänge werden somit durch eine mangelnde Hautpflege be-
einträchtigt. Jene in Zersetzung begriffenen Massen nehmen der
Haut, die in normalem Zustande einen Panzer der* Gewebe
gegen die Aussenwelt bildet, ihre Schutzkraft und öffnen Thür
und Thor dem Eindringen organisierter Keime. Durch körper-
liche Berührung werden sie übertragen, im Körperschmutze finden
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 149
sie den günstigsten Nährboden für ihre Entwicklung und Ver-
mehrung und werden ahnungslos herumgeschleppt, bis sie uns
selbst einmal oder unserer Umgebung Krankheit und Tod bringen.
Von allen diesen Stoffen nun befreien wir uns wirksam allein durch
ein warmes Bad, in welchem freilich Seife und Bürste nicht
fehlen dürfen. Dieses Bad kann ein Wannen- oder Brausebad
sein; bei letzterem, das als bequeme und rasch zu vollführende
Prozedur häufig, besonders bei beruflich verunreinigter Haut,
dem ersteren vorzuziehen ist, tritt noch eine erfrischende und
bei der Kombination mit einer massig kühlen oder kalten Be-
rieselung sogar eine direkt anregende und stärkende Wirkung
hinzu.
Das Schwitzbad endlich ist diejenige Badeform, die von
allen Badearten die mächtigste Einwirkung auf unseren Körper
ausübt. Vergegenwärtigt man sich die mannigfachen Prozeduren,
wie sie zum Schwitzbad gehören, also Bäder, Duschen, ferner die
mechanische Bearbeitung des Körpers durch seifen, bürsten,
massieren , frottieren , so wird man sich von vornherein sagen
müssen, dass damit alles nur Erdenkbare in Anwendung gebracht
wird, um den Körper zu reinigen. Der gesamte Organismus
wird nacheinander jeder uns bekannten Reinigungsart unterworfen,
in zuverlässigster Weise jeder Schmutz, jede Hautausscheidung,
jede Hautschuppe entfernt und jede Behinderung der Hautthätig-
keit wirksam behoben. Die Annahme lässt sich ferner nicht ab-
weisen, dass die hohen Wärmegrade der Schwitzräume schädliche
Mikroorganismen vernichten, die in den Falten oder Poren der
Haut, in den behaarten Teilen des Körpers, besonders in Kopf-
und Barthaaren, ja in den Schleimhäuten der oberen Luft- und
Speisewege haften. Eine erhöhte Bedeutung hat diese Frage
der Einwirkung heisser Luft in hohen Temperaturen auf Bakterien
durch die Untersuchungen der letzten Jahre gewonnen, die die
schon lange behauptete Ausscheidung von Bakterien durch den
Schweiss bestätigt haben. Man hat Eiterkokken, Tuberkelbazillen
und andere Mikroben im Schweisse gefunden und hat sogar die
Anzahl der durch den Schweiss ausgeschiedenen Keime quanti-
] 50 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
tativ festgestellt. Man zählte die Keime des Badewassers vor
und nach einem gewöhnlichen Reinigungsbade; damit vergleichend
zählte man die Keime eines Bades, in welchem ein aus dem
Schwitzkasten kommender schweisstriefender Mann 5 Minuten
verweilt hatte. Im ersten Fall waren es 32 Millionen, im letzteren
104 Millionen — die Berechnung geschieht auf Grund der Unter-
suchung von einem Kubikzentimeter des Badewassers — , welche
im Bade mehr abgegeben waren. Die reinigende Kraft des
Schwitzbades zu der des einfachen Bades verhielt sich demnach
wie 104 : 32, wobei die Zahl 104 selbstredend um vieles zu klein
anzusehen ist, da Millionen von Keimen mit dem Schweiss ab-
geflossen und auch im Badelaken des Schwitzkastens geblieben
waren.
Jedenfalls besitzen wir zur Zeit kein Mittel, welches den
Körper nur annähernd so gründlich zu reinigen gestattet, wie
das Schwitzbad, keines, welches in gleicher Weise mit der Kraft
eines mächtigen Desinfektionsmittels den Körper auch von Mi-
kroben zu befreien imstande ist. Wird das anerkannt , so muss
die prophylaktische Anwendung des Schwitzbades, welches des-
halb beibeginnenden Erkältungskrankheiten, Schnupfen, Katarrhen,
Halsentzündungen etc. von vielen instinktiv aufgesucht wird, noch
eine ganz andere Verbreitung finden. Sie gewinnt unter anderem
Bedeutung für zu operierende Kranke, für Aerzte und Pflege-
personal, sie gewinnt vor allem Bedeutung für unsere gesetzlich
angeordneten Desinfektionsmassregeln nach ansteckenden Krank-
heiten, nach denen Sachen und Gegenstände wohl desinfiziert,
die pflegenden Menschen aber und ihre Kleider unbeachtet
bleiben und dadurch oft genug im Bart- und Kopfhaar (durch
Anhusten bei Diphtheritis , Keuchhusten etc.) haftende Keime
weitergetragen werden. Nächst dieser hygienischen Bedeutung
der Schwitzbäder ist auch eine mächtige physiologische Ein-
wirkung derselben auf unseren Organismus zu konstatieren; in
wenigen Worten lässt dieselbe sich dahin resümieren, dass eine
durch Tage dauernde gesteigerte Oxydation eintritt, bei welcher
nach Berechnung der mehr gebildeten Wärme nicht nur stick-
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 151
stoffhaltige Substanzen, sondern vor allem Fettsubstanzen, die
hauptsächlichen Wärmebildner, verbrannt werden.
Das Baden, in welcher Form nun auch es vorgenommen
werden mag, hat aber nicht nur vom Gesichtspunkte der
Hygiene, sondern ebensosehr auch in allgemein kultureller
H i n s i c h t eine grosse Bedeutung. In welcher Ausdehnung Krank-
heiten und Epidemien durch Unreinlich keit begünstigt und en-
demisch werden, lässt sich auch heute noch und nicht nur bei
der Pest und Cholera ermessen und überall, wo wir in der Gegen-
wart oder Vergangenheit eine Vernachlässigung der Körperpflege
finden, gewahren wir ein Darniederliegen der Kultur, sei es all-
gemein bei ganzen Völkern, sei es wenigstens bei breiten Schichten
derselben, aus denen als Ausnahmen nur wenige bevorzugte
Bevölkerungsklassen mit luxuriösen Badefahrten hervorragen.
Von diesem Gesichtspunkte aus treten wir an die Frage
heran : entsprechen die Badeeinrichtungen Deutschlands den vom
kulturellen wie hygienischen Standpunkte aus berechtigten An-
forderungen, und ist das Bewusstsein von der hohen sanitären
Bedeutung des Badens zum Allgemeingut des Volkes geworden?
Um vor allem die erstere Frage beantworten zu können, sind wir
genötigt, eine Begrenzung des Begriffes „Badeeinrichtungen" vor-
zunehmen, insoweit sie nämlich der Allgemeinheit dienend auch
zu wirklichen Volksbadeanstalten, die die obigen Anforderungen
erfüllen, und damit zu einer sozialhygienischen Institution werden.
Nicht zu berücksichtigen sind also bei den folgenden Betrach-
tungen Badeeinrichtungen in Privathäusern, die nur einem ver-
schwindend kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen,
ferner Badeeinrichtungen in öffentlichen Gewässern, deren Aus-
dehnung am weitesten vorgeschritten ist, sei es nun, dass die
Anstalten von gemeinnützigen Gesellschaften oder öffentlichen
Korporationen erstellt und betrieben werden, sei es, dass
die private Unternehmerlust auf eigenes Risiko dieselben ge-
schaffen hat.
Mit Badeeinrichtungen in Privathäusern kann die Mehrzahl
der Haushaltungen sich selber nicht helfen, sie ist angewiesen
152 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
auf öffentliche Anstalten; mit solchen in öffentlichen Gewässern
ist nur für die Sommerszeit, das ist also für vier Monate oder
unter günstigsten klimatischen Verhältnissen und in warmen Jahren
für höchstens fünf Monate Vorkehr getroffen und dann auch nur
für gesunde, kräftige Personen. Es bleiben also einzig und allein
geschlossene Badeanlagen, die das bieten können, was
das Bedürfnis erheischt. Für die Beurteilung der thatsächlichen
Verhältnisse nach dieser Richtung hin kann die Grundlage nur
eine statistische Kenntnis bilden. Eine solche hat zum ersten-
mal im Jahre 1886 Lassar 1 ) durch eine Enquete, die er per-
sönlich anstellte, geschaffen und im Jahre 1895 G. H. Schmidt 2 ),
zur damaligen Zeit Vorstand des statistischen Amtes der Stadt
Mannheim, in rationeller Weise weiter ausgebildet.
Lassar ging davon aus, dass ein warmes Reinigungsbad per
Woche ungefähr das Mass desjenigen darstellt, was zur Popu-
larisierung der körperlichen Reinigung erstrebt werden darf und
muss, ein Gebrauch, der bei anderen Nationen längst zur Volks-
gewohnheit geworden ist. Damit aber jeder Einwohner eines
Bezirkes, beispielsweise von 1000 Einwohnern, wöchentlich ein-
mal warm baden könne, müsste ausreichende und bequem er-
reichbare Gelegenheit gegeben sein, um jährlich 52 000 Bäder zu
verabreichen. Als Durchschnittsannahme müsste für den Zweck
eines wöchentlichen Durchschnittsbades für je 1000 Einwohner
eine Badeanstalt verlangt werden; das wäre bei einer Bevölke-
rung von etwa 44 — 45 Millionen, um jedem Deutschen einmal
wöchentlich ein warmes Bad zu gewähren, im ganzen 44 — 45 000 An-
stalten.
Die Eingänge der Enquete bezogen sich auf eine Bevölke-
rung von ca. 31 1 j i Millionen Einwohnern; für diese bestanden
nachweislich im ganzen nur 1060 oder prozentualisch auf etwa
30000 Personen statt 30 nur eine Warmwasserbadeanstalt. Von
') Siehe Deutsche Viertel jahrsschrift für öffentliche Gesundheitpflege,
XIX, 1887, Seite 23.
-) Statistisches Jahrhuch deutscher Städte. Sechster Jahrgang. Bres-
lau 1897.
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 153
diesen 1060 entfielen noch 25 auf Krankenhäuser und 24 auf
Kurhäuser, so dass in Wirklichkeit nur 1011 der Allgemeinheit
zugängliche Anstalten verblieben.
Im Königreich Preussen kamen auf höchstens 38 000 Ein-
wohner je eine Badeanstalt, die aber alle nur in den Städten
sich befanden, in zwei Dritteln des preussischen Königreichs behalf
sich die gesamte Landbevölkerung durchweg ohne jedwede Warm-
wasserbadeanstalt. Von den 268 Kreisen der deutschen Staaten
ausser Preussen waren 80, das Wohnungsgebiet von etwa 2,4 Mil-
lionen Menschen, jeder öffentlichen Badeeinrichtung bar. Kom-
men hierzu noch 96 Kreise gleicher Lage in Preussen, so waren
notorisch in zwei Dritteln des Reiches über 5 Millionen, also
mindestens ein Sechstel der Einwohnerschaft, gänzlich ausser
stände, jemals ein warmes Reinigungsbad zu nehmen. Lassar
musste damals auf Grund dieser Ergebnisse zu dem Resume ge-
langen, dass die Anzahl der in Deutschland vorhandenen Bade-
anstalten in auffallendem, man darf wohl sagen beschämenden
Missverhältnisse zu der vorhandenen Einwohnerzahl stehe und
dass selbst da, wo ausreichende Einrichtungen existieren, die-
selben nicht im entferntesten ausgenützt würden. Die Statistik
von Schmidt berücksichtigte in erster Reihe die Frequenz der
Badeanstalten und zwar für das Jahr 1895, wobei einmal zu be-
rücksichtigen ist, dass sich die statistische Zusammenstellung nur
auf die von öffentlichen Korporationen oder gemeinnützigen Ver-
einen ins Leben gerufenen und betriebenen Warmbäder be-
schränken musste, da aus Privatanstalten sich genaue Angaben
nicht gewinnen liessen und fernerhin, dass auch die von ersteren
eingeholten Erhebungen auf völlige Genauigkeit keinen Anspruch
machen konnten. Die Ziffern sind somit nur als Minimalzahlen
anzusehen. Nichtsdestoweniger waren sie im Vergleich zu den
von Lassar 9 Jahre vorher gewonnenen sehr lehrreich und
gaben uns wenigstens von einzelnen deutschen Städten ein an-
schauliches Bild des Standes des gegenwärtigen Volksbadewesens.
Die verdienstvollen Arbeiten von Lassar und Schmidt waren
bis vor kurzem die einzigen Unterlagen, die wir über den Stand
154 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
des Badewesens hatten, aber sie mussten lückenhaft bleiben, da
sie mehr oder minder privater Natur und dadurch nur auf das
Entgegenkommen der in Betracht kommenden Kreise angewiesen
waren. Seit dem Jahre 1900 hat sich dies Bild wesentlich ge-
ändert: Von diesem Zeitpunkte an besitzen wir eine absolut zuver-
lässige und umfassende amtliche Statistik und damit das wichtigste
Glied in der Reihe der Beweise von der Unzulänglichkeit der modernen
Badeeinrichtungen. Auf Veranlassung der „Deutschen Gesellschaft
für Volksbäder" wurde staatlich erseits eine Enquete vorgenom-
men, die fussend auf amtlichen Berichterstattungen aus sämt-
lichen Stadt- und Landkreisen des Deutschen Reiches nunmehr
eine absolute und lückenlose Uebersicht über den in Frage stehen-
den Gegenstand darbietet. Das von dem Direktorialassistenten am
Statistischen Amt in Berlin, Dr. E. Hirschberg, bearbeitete
Material wurde im IV. Heft der Veröffentlichungen obiger Ge-
sellschaft publiziert und bildet die Grundlage für die Erkenntnis
der gegenwärtigen Verhältnisse wie für alle sich daran knüpfenden
Bestrebungen und Reformen. Im ganzen Deutschen Reiche
wurden 2918 Warmbadeanstalten ermittelt, das ist eine auf
18000 Einwohner (nach der Volkszählung von Ende 1895). Unter
den preussischen Provinzen zeigt Brandenburg die verhältnis-
mässig grösste Zahl von Anstalten, Ost- und Westpreussen die
geringste. Im übrigen ergiebt sich (im Vergleich mit 1886, dem
Jahr der Lassarschen Statistik):
Es kommt eine Warmbadeanstalt auf Personen:
in Brandenburg ohne Berlin auf 16 000 (35 000),
„ Hannover ,16 000 (24 000),
„ Hessen-Nassau . . . ., 20 000 (48 000),
„ Schleswigs-Holstein . . . „ 20 000 (34 000),
„ Pommern „ 21000 (29 000),
„ Sachsen „21000 (33 000),
„ Schlesien „27 000 (31000),
„ Westfalen ,27 000 (36 000),
„ Posen „ 30 000 (45 000),
Bäder und Badewesen der Neuzeit.
155
in Rheinprovinz
„ Ostpreussen
„ Westpreussen
auf 30 000 (53 000),
„ 31000 (56 000),
„ 36 000 (47 000).
Im ganzen hatten die 2918 Anstalten 19258 Badewannen,
7343 Brausezellen und 251 Schwimmbassins und es kamen in
den einzelnen deutschen Staaten auf 100000 Einwohner Bade-
vorrichtungen :
Staaten
Schwimm-
bassins
Bade-
wannen
Brause-
zellen
Preussen
Bayern
Sachsen
Württemberg . . .
Baden
Hessen
Thüringen . . . .
Mecklenburg-Schwerin
Mecklenburg-Strelitz .
Oldenburg . . . .
Braunschweig . . .
Anhalt
Waldeck
Lippe-Detmold . . .
Schaumburg-Lippe
Hamburg
Lübeck
Bremen
Elsass-Lothringen . .
Reich
0,4
0,5
0,8
0,6
1,2
0,2
0,7
0,2
1,0
0,8
1,2
0,7
0,7
0,4
1,5
0,5
28,7
27,7
67,0
53,0
83,1
24,2
59,7
27,1
31,5
18,2
45,6
50,5
358,2
47,5
43,7
52,4
36,0
121,7
52,5
0,5
36,8
10,2
25,4
14,8
20,7
28,8
12,5
24,2
5,2
17,7
9,4
20,5
83,2
55,4
1,5
3,5
16,8
19,3
8,2
14,0
Hier zeigen sich die grössten Unterschiede. Die wenigsten
Badewannen auf 100000 Einwohner hatte Oldenburg (18,2), die
meisten Waldeck (358,2). Es folgte Bremen (127,7), Baden (83,1),
Sachsen (67,0). In Anhalt sind die Brausezellen besonders ver-
156 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
treten. Geht man in der Statistik noch weiter auf die kleineren
Verwaltungsbezirke, insbesondere des Königreichs Preussen, ein,
so zeigen gerade einige östliche und einige westliche Regierungs-
bezirke die kleinsten Ziffern. Im Regierungsbezirk Münster
standen nur 48, im Regierungsbezirk Stade nur 29 Badewannen
und 5 bezw. 21 Brausezellen sowie 2 bezw. 1 Schwimmbassin
zum öffentlichen Gebrauch und es kamen auf 10000 Ein-
wohner nur 8,1 Badewannen, im Regierungsbezirk Stade nur
8,2, Aachen nur 8,8, Coblenz 4,8 und aus dem Osten im Re-
gierungsbezirk Marienwerder 8,0, Gumbinnen 9,6, Posen 12,4.
Im übrigen Reich fanden sich so niedrige Ziffern, wie sie einzelne
preussische Regierungsbezirke aufweisen, nicht wieder, während
andererseits die preussischen Maximalzahlen vielfach übertroffen
werden. So steht besonders hoch der Kreis Dresden (132,0), der
Neckarkreis (86,9), die Landes kommissariate Freiburg i. Br. und
Karlsruhe, Schwarzburg und Waldeck. Die Ursachen dieser
merkwürdigen Verschiedenheit sind durch Ortsgebrauch, Klima,
soziale und wirtschaftliche Verhältnisse bedingt. Vielfach hat
das Vorhandensein von Kurorten oder Kuranstalten, von See-
bädern einen offenbaren Einfluss auf die Zahl der Warmbade-
anstalten gehabt. Mehr für die Kurgäste bestimmt, dienen sie
doch zugleich der Bevölkerung im allgemeinen. Auch religiöse
Gebräuche sind von Einfluss auf das Vorhandensein von Bade-
anstalten, und es wird aus einer Anzahl von Orten des östlichen
Preussens berichtet, dass diese Anstalt — oft die einzige — auch
dem Publikum im allgemeinen zugänglich ist. Wo die Bevölkerung
wesentlich aus Arbeitern zusammengesetzt ist, kommen die von
den Grossbetrieben getroffenen Badeeinrichtungen in Betracht,
obwohl sie nicht wirkliche Warmbadeanstalten darstellen. An
mehreren Orten wird die Bevölkerung als Bädern überhaupt ab-
geneigt geschildert, so die polnische Bevölkerung in Ost- und
Westpreussen, aber auch in gewissen Distrikten von Bayern. In
anderen Fällen scheitert der Wunsch nach Warmbädern an den
schwierigen Wasserverhältnissen. So zeigt sich, dass das Fehlen
geeigneter Badegelegenheit in mannigfachen Ursachen begründet
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 157
ist, welche jedenfalls einen Sohluss auf die Intensität des Rein-
lichkeitsbedürfnisses von vornherein nicht zulassen.
Es kommt nun weiter in Frage — und das war eine der
vornehmsten Aufgaben der Statistik von 1900 — ein wie grosser
Teil des deutschen Volkes durch das Fehlen jeder Badegelegen-
heit in der Ausübung der Reinlichkeit und der Hautpflege nach
dieser Richtung hin überhaupt beschränkt ist. Wenig mehr
als ein Drittel aller Einwohner des Reichs leben in
Orten mit öffentlichen Warmbadeanstalten, von 1000
Einwohnern nur 370, in Preussen nur 358, in Bayern nur 290,
im Grossherzogtum Hessen nur 280. Am besten steht das König-
reich Sachsen mit 564 auf 1000. Unter den grösseren Verwaltungs-
bezirken Preussens nimmt, nach Ausscheidung von Berlin, der
Bezirk Düsseldorf die höchste Stelle ein, wo 599 Einwohner von
1000 in Orten mit öffentlichen Warmbadeanstalten lebten; es
folgen die Bezirke Potsdam, Köln, Hannover, Schleswig, Erfurt.
Am niedrigsten stehen Stade, Gumbinnen, Marienwerder, Wies-
baden, Trier. Innerhalb der übrigen Staaten sind es die säch-
sischen Kreise Leipzig und Dresden, wo je 632 pro Mille der
Bevölkerung am Orte des Wohnsitzes oder doch in dessen Nähe
Gelegenheit zu warmen Bädern hatten. Hoch stehen auch das
Herzogtum Anhalt, der Bezirk Oberbayern, Kreis Karlsruhe,
Sachsen - Altenburg , Coburg- Gotha, Braunschweig und niedrig
Niederbayern, die Kreise Waldshut, Mannheim, Oberhessen, Olden-
burg und zu unterst Lippe-Detmold und der Kreis Mosbach in
Baden, aber auch Waldeck-Pyrmont mit 120 pro Mille. Letzteres
ist auch deswegen bemerkenswert, weil Waldeck-Pyrmont in der
Verteilung der Wannen auf die Einwohner die günstigste Stellung
unter allen Bezirken einnahm, bei dieser Betrachtungsweise aber
die ungünstigste. Es kommt das daher, weil von den 58000 Ein-
wohnern des Fürstentums nur etwa 7000 in Orten mit öffent-
lichen Bädern wohnen, hier aber eine für die kleine Bewohner-
zahl verhältnismässig so grosse Anzahl solcher Einrichtungen sich
vorfand, dass ihre Verteilung auf die gesamte Bevölkerungszahl
schon eine hohe Ziffer ergab. Man erkennt hieraus, dass es
158 Bäder und Badewesen der Neuzeit
weniger Nutzen bringt, die Badeanstalten auf einen Ort zu kon-
zentrieren oder sie an einem Orte besonders umfangreich zu ge-
stalten, dass es vielmehr darauf ankommt, kleinere Bade-
anstalten über das Land hin zu verteilen, um so möglichst
auch der Landbevölkerung Gelegenheit zur Befriedigung des Be-
dürfnisses nach warmen Bädern zu gewähren.
Nach der Hirschfeldschen Statistik entbehren von den
545 preussischen Kreisen noch 133 überhaupt öffentlicher Bade-
anstalten, darunter 5 Orte mit über 25000 Einwohnern, 55 Orte
mit einer Einwohnerzahl von 10000 bis 25000, worunter 17 in
der Rheinprovinz, 13 in Westfalen. Ausserhalb Preussens waren
an Orten mit über 10000 Einwohnern nur zwei ohne öffentliche
Bäder, nämlich Lechhausen in Oberbayern und Oschatz in
Sachsen, so dass von den mehr als 400 Orten mit über 10000
Einwohnern im Deutschen Reich nur 62 keine öffentlichen Bäder
hatten. An Orten mit 3000 bis 10 000 Einwohnern waren in
Preussen 495 mit 3 184373, im ganzen Reich 721 mit 4 191 848 Ein-
wohnern als solcher Einrichtungen entbehrend namhaft gemacht.
Wenn also auf der einen Seite eine erfreuliche Zunahme
der Volksbäder an sich in den letzten Decennien zu konstatieren
ist, so ist auf der anderen Seite unzweifelhaft festgestellt worden,
dass ein überwiegend grosser Teil der Bevölkerung jeder Mög-
lichkeit und Gelegenheit entbehrt, warme Wannen- oder Brause-
bäder zu nehmen. Fast das ganze platte Land und die Mehrzahl
der Städte sind entweder jeder Einrichtung für Volksbäder gänz-
lich bar oder besitzen im Vergleich zu der Zahl der Einwohner
nur verschwindend geringfügige Anstalten. Auch auf diesem
Gebiete konzentriert sich wieder eine wirklich umfassende ge-
meinnützige Thätigkeit in den Grossstädten, und was einzelne
von diesen für das Badewesen der Gegenwart gethan, mögen
folgende kurze Betrachtungen illustrieren.
Frankfurt a. Main, dessen vorzügliche städtische Bade-
anstalt im Jahre 1896 vollendet wurde, hat für die Jahre 1898
bis 1900 als Durchschnittsjahreszahl 437385 Bäder abgegeben,
von denen 329865 auf die Schwimmhalle entfallen.
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 159
Breslau nach Eröffnung seines mustergültigen Hallen-
schwimmbades 263961 Bäder, davon 195 623 im Hallenschwimmbad.
Karlsruhe in seinem Vierordtbad 153598 Bäder, davon
105510 Schwimmbäder.
Elberfeld in den städtischen Anstalten 398376 Bäder,
davon 278078 im Schwimmbad.
Köln weist vier städtische Badeanstalten auf, von denen
zwei geschlossene, zwei offene Rheinbäder sind.
Das Hohenstauf enbad , welches alle Arten von Bädern in
sich vereinigt und teilweise sehr luxuriös ausgestattet ist, hat im
Jahre 1900 425906 Bäder abgegeben, das sind im Durchschnitt
täglich 1196.
Das Volksbad, das Wannen- und Brausebäder enthält, ist
von 109821 Bädern im Jahre 1898 auf 123364 im Jahre 1900
gestiegen, das sind durchschnittlich pro Tag 347.
Die Rheinbäder endlich sind in diesem Jahr von 59380
Personen besucht worden.
Die Gesamtzahl der in den geschlossenen Anstalten ab-
gegebenen Bäder belief sich also im Durchschnitt pro Jahr auf
548305.
Berlin besitzt 16 städtische Flussbadeanstalten mit 21 Bassins,
sieben geschlossene Volksbadeanstalten, von denen fünf im
städtischen und zwei in gemeinnützigem Betrieb mit städtischer
Subvention (sie sind Besitz des „Berliner Vereins für Volksbäder")
stehen.
München, das bis zum Jahre 1889 nur je ein Männer-
und Frauenfreibad zur Verfügung hatte, zählt jetzt ausser diesen
beiden neun in den verschiedensten Stadtteilen befindliche Volks-
brause- bezw. Wannenbäder, das prächtige, im Jahre 1901
vollendete Müller'sche Volksbad sowie ein städtisches Schwimm-
bad und 22 Schulbrausebäder. Insgesamt wurden im Jahre 1900
rund 425000 Brause- und 114000 Wannenbäder genommen.
Rechnet man noch die Schulbrausebäder mit durchschnittlich je
30000 verabreichten Bädern hinzu, so ergiebt sich eine Gesamt-
ziffer von 1100000 Bädern.
160 Bäder und Badewesen der Nevizeit.
Dresden besitzt drei Volksbadeanstalten, in denen Wannen-
bäder mit Brausen kombiniert sind; die erste wurde 1897 eröffnet
und hatte im dritten Jahre ihres Bestehens bereits eine Frequenz
von 156598 Bädern aufzuweisen.
Stuttgart mit seiner in Deutschland wohl hervorragendsten
Schöpfung auf dem Gebiete des Badewesens hat als Durch-
schnittszahl der drei Jahre 1898—1900 552 418 Bäder abgegeben
und dabei ist der Tarif für Wannenbäder billiger als in drei be-
kanntesten rheinischen Volksbadeanstalten Barmen, Elberfeld und
Köln. Die abgegebenen Bäderarten und -formen sind auf alle
erprobten und wissenschaftlich anerkannten Methoden ausgedehnt
worden: So werden ausser kalten, warmen, Dampfbädern etc.
Fichtennadel-, Schwefel- und Sodabäder, kohlensaure Bäder,
Lohtanninbäder, Fangobäder, Lichtbäder verabreicht, die Anstalt
besitzt weiterhin einen elektrischen Heissluftapparat, einen In-
halationsraum etc. und steht im Begriff, eine Filiale ihrer ge-
meinnützigen Einrichtungen in einer im Umkreis gelegenen, vor-
zugsweise von Arbeitern bewohnten Stadt zu errichten. Selbst
ein Hundebad, in dem im Jahre 1901 5271 Hunde gebadet
wurden, gehört zu der nach jeder Richtung hin vorzüglich ge-
leiteten Anstalt.
In Augsburg wird in kürzester Zeit ein der Vollendung
entgegengehendes Stadtbad eröffnet, welches mit Schwimm-
bassins für Männer und Frauen, Dampf- und Wannenbädern in
zahlreicher Menge ausgestattet ist und in Anlage wie Einrichtung
idle Errungenschaften der Neuzeit aufweist.
Dies in grossen Zügen der gegenwärtige Stand des Bade-
wesens in Deutschland. 1886 gelangte Las sar in seiner Enquete
zu dem betrübenden Resultat, dass im Deutschen Reiche auf etwa
30000 Personen eine einzige Warmwasserbadeanstalt käme, und
er schloss damals seine bemerkenswerten Ausführungen mit den
Worten : „Soviel steht fest, auf dem Felde des öffentlichen Bade-
wesens ist fast Unendliches zu thun. Was nicht brach liegt,
krankt an Teilnahmlosigkeit. Und diese zu brechen ist die
nächste Aufgabe. In Flugschriften und Vorträgen, in Vereinen
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 161
und durch Wanderlehrer, namentlich aber in beispielgebendem
Vorgehen einzelner Vergesellschaftungen sollten die massgebenden
Kreise für eines der vornehmsten Interessen praktischer Gesund-
heitspflege gewonnen werden. Dann kann allmählich die Zeit
herannahen, wo im entlegensten Winkel des Vaterlandes auch
der Armselige und Beladene unsere Bestrebungen segnen wird."
Inzwischen sind über V/2 Jahrzehnte dahingegangen und wir
sind verpflichtet, uns Rechenschaft zu geben, was in dieser Zeit-
spanne geschehen ist, um dieser Frage höchster praktischer Be-
deutung für die Gesundheitspflege des Volkes näher zu kommen.
Da ist vor allem zu konstatieren, dass die Schulbrause-
bäder, eine Institution, die noch 1886 mannigfache Opposition
selbst seitens grosser Gemeinwesen Deutschlands erfuhr, ihren
Einzug in fast alle Kommunen gehalten und zu einer segens-
reichen stabilen Einrichtung erstarkt sind. In Berlin z. B. wird
keine neue Gemeindeschule mehr gebaut, ohne sie mit Schul-
bädern nach dem Brausesystem auszustatten und in vielen anderen
Städten wird die gleiche Praxis geübt. Die Schulbrausebäder
haben eine hohe kulturelle Bedeutung. Sie dienen nicht nur, wie
jedes Bad, der augenblicklichen körperlichen Reinlichkeitspflege,
sie erfüllen ausserdem noch einen höheren Zweck, indem sie die
Jugend zur Reinlichkeit und zum Baden, als einem unentbehr-
lichen menschlichen Bedürfnis, erziehen. Darin liegt der Schwer-
punkt ihrer Bedeutung !
Mit der Schule Hand in Hand ist die Armee gegangen,
auch sie hat sich der Brausebäder als einer zur Schulung des
Körpers notwendigen Einrichtung bemächtigt und heute sehen
wir keine Kaserne erstehen, ohne dass nicht Brauseanlagen in
ihr vorhanden wären. Auf diesen beiden Gebieten ist also ein
entschiedener Fortschritt zu konstatieren, und es darf nicht ver-
gessen werden, dass die befruchtende Initiative zu dieser Art von
Bädern von dem damaligen Oberbürgermeister von Göttingen,
Merkel, ausgegangen ist.
Auch das weitere und in seinen praktischen Konsequenzen
noch bedeutsamere Ziel, Einrichtungen gleicher Art auch für alle
Marcuse, Bäder und Badewesen. 11
1G2 Bäder und Badewesen der Neuzeit.
anderen Perioden des Lebens und alle anderen Klassen der Be-
völkerung zu beschaffen, ist in den vergangenen sechzehn Jahren
erheblich gefördert worden. Volksbrausebäder sind in den grös-
seren Städten in zahlreichen Mengen erstanden, Anstalten mit
Schwimmbassins von Kommunen und gemeinnützigen Vereinen
ins Leben gerufen, Badestätten von Arbeitgebern für ihre An-
gestellten angelegt worden, kurzum ein reges Streben, das ist
nicht zu leugnen, ist auf der ganzen Linie entbrannt, die Geister
sind, wie Lassar es 1886 in seinem „Ruf zu den Waffen" aus-
sprach, aufgerüttelt worden.
Ein unleugbares Verdienst hierfür gebührt der „Deutschen
Gesellschaft für Volksbäder", welche von Lassar 1899 ins Leben
gerufen ist, die ihre Mitglieder in allen Teilen Deutschlands hat
mit dem ausschliesslichen Zweck der Förderung und Hebung des
Badewesens im ganzen Deutschen Reich; hervorragende Männer
aller Gesellschaftsklassen, Vertreter der Wissenschaft, Kunst etc. etc.
haben sich in ihr zu gemeinsamer Agitation und praktischer
Arbeit vereinigt. In Berlin existiert ein selbständiger, für die
lokalen Verhältnisse gegründeter „Berliner Verein für Volks-
bäder", dessen erfolgreicher Arbeit in der Gründung von Volks-
badeanstalten wir bereits unter Berlin gedacht haben. Allein
wenn auch in erspriesslicher Weise und an den verschiedensten
Punkten im Sinne der Durchführung dieser hohen Idee gekämpft
und manches erreicht worden ist, unendlich viel bleibt noch zu thun,
soll auch nur im entferntesten die Möglichkeit einer allgemeinen
Bäderbenutzung seitens des Volkes geschaffen werden. So viel
zu thun, dass man fast das vergisst, was geschehen ist, und
allenthalben immer nur noch Lücken auf dem Gebiete des Bäder-
wesens vor sich sieht. Nicht nur dass die geschaffenen Anlagen
in vielen Städten unzureichend sind, dass sie der Nachfrage nicht
entsprechen und in ihrer geringen Zahl das Bedürfnis der Be-
völkerung nicht befriedigen können, dass Anstalten mit gedeckten
Bassins nur in einer kleinen Reihe besonders bevorzugter Kom-
munen vorhanden sind, während die übrigen die Frage nur durch
Errichtung von Brausebädern gelöst zu haben glauben, entbehrt
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 163
die überaus grösste Mehrzahl aller kleineren Orte wie wohl
nahezu das ganze platte Land systematischer Badeanlagen voll-
ständig !
Der Förderung gegenüber, die vom Standpunkte der Hy-
giene wie der nationalen Wohlfahrt erhoben werden muss und
welche lautet „Jedem Menschen wöchentlich ein Bad", stehen
wir also noch fern, und ihre praktische Durchführung ist und
bleibt noch immer ein Gebot der weitesten Zukunft. Und dies
trotzdem die Erkenntnis dessen, dass uns die saubersten Strassen,
dass uns lichte und luftige Wohnungen, Schulen und Kasernen,
dass uns alle sanitären und Desinfektionsmassregeln gegen Epi-
demien etc. nichts nützen , wenn wir nicht gelernt haben,
dass Reinlichkeit der eigenen Person der Ausgangspunkt für alles
weitere Wohlbefinden ist, in die weitesten Volskskreise gedrun-
gen ist!
Nach zwei Richtungen hin werden sich vornehmlich die
Ziele zu erstrecken haben, das Badewesen zu einem volkstümlichen
zu gestalten und ihm in der öffentlichen wie privaten Gesundheits-
pflege die massgebende Stellung, die es in jedem kulturellen
Staatswesen einzunehmen hat, zu verschaffen, das ist einmal
in der Errichtung von Brausebädern und zweitens in der
Anlage von Anstalten mit gedeckten Bassins. Die weiteste Indi-
kation finden die Brausebäder, die vermöge ihrer billigen Her-
stellung, ihrer einfachen, wenig Raum in Anspruch nehmenden
Anlage, ihrer geradezu idealen Zweckerfüllung als Reinigungs-
anstalten, welche unter knappster Form, bequemer Zugänglichkeit
und Erreichbarkeit alles für die umfassende Körperreinigung
Nötige gegen ein mininales Entgelt zu bieten vermögen, fast
überall am Platze sind; so in den Grossstädten mit industrieller
Bevölkerung, in deren Centren sie vorzugsweise gelegen sein
müssen, in allen kleineren Gemeinden, ja selbst auf den Dörfern.
Als einfachste rationellste Anlage werden sie das wirkliche Rein-
lichkeitsbedürfnis vollauf befriedigen können. Ihre Errichtung
wird in erster Reihe von den Gemeinden zu erfolgen haben, und
nur wo die Lasten hierfür seitens derselben nicht zu tragen sind,
164 Bäder und Badewesen der Neuzeit,
wird es die Aufgabe gemeinnütziger Gesellschaften sein, die Sache
in die Hand zu nehmen. Das geringe erforderliche Kapital —
ein einfaches Volksbrausebad für 10 Personen kostet ca. 6500 Mk.,
ein solches in vollendeter Ausführung und in grossen Dimensionen
20000 Mk. — ist in Form von Anteilsscheinen in allen nur
einigermassen gut fundierten Bevölkerungsklassen aufzubringen;
die weitgehendste Unterstützung des Staates wie der Gemeinden
ist ja in allen diesen Fällen von vornherein sicher. Selbstver-
ständlich muss der Preis eines Brausebades ein durchaus minimaler
sein, das Maximum wären 10 Pfg. pro Bad, um auch dem Aermsten
die Benutzung desselben zu gestatten.
In zweiter Linie sind es Anstalten mit Hallenschwimm-
bassins, deren Erbauung in jedem grösseren Gemeinwesen anzu-
streben ist ; denn mit der Schöpfung derselben dienen wir nicht
nur Reinlichkeitszwecken, sondern wir heben damit die körper-
liche und geistige Gesundheit des Volkes und die wirtschaftliche
Kraft desselben. Unendlich gross erscheint von diesem Gesichts-
punkte aus der Nutzen der Hallenbäder, und Staat wie Gemeinden
erwächst die Pflicht, diese Aufgabe der öffentlichen Gesundheits-
pflege, deren Bedeutung nicht hoch genug erfasst werden kann,
zu lösen.
In erster Reihe sind es auch hier die Gemeinden, die diese
Anstalten zu kreieren haben, wie es auch schon von einer Reihe
von Kommunen geschehen ist; an eine Inanspruchnahme des
Staates ist bei uns in Deutschland wenigstens wohl kaum auf dem
Gebiete des Badewesens zu denken. Musterstätten solcher städtischer
oder wenigstens mit thatkräftiger Unterstützung der Stadt er-
richteter Anlagen besitzen wir bereits heute in Frankfurt a. Main,
Stuttgart, Köln, Breslau, Bochum, Düsseldorf, München, Barmen,
Krefeld, Karlsruhe und vielen anderen Städten.
Das Badewesen der Neuzeit hat mit den vergangenen Kultur-
epochen wenig gemein: Weder erreicht es nur im Entferntesten
die gewaltigen, ewig denkwürdigen Vorbilder des Altertums, noch
kommt es dem badefrohen und badefreien Treiben des Mittel-
alters nahe. Im Dämmern des 19. Jahrhunderts beginnt die
Bäder und Badewesen der Neuzeit. 165
längst vergessene Idee von der Wohlthätigkeit des Wassers für
den menschlichen Körper wieder wach zu werden und langsam,
aber stetig gewinnt sie an Kraft, gestützt und genährt von der
mehr und mehr zunehmenden Bedeutung der öffentlichen Gesund-
heitspflege.
So erblicken wir heute eine Schöpfung vor uns, die in
kräftiger Entwicklung im Aufblühen begriffen ist, und sich an-
schickt zum Gemeingut des Volkes zu werden. Dass sie dies
werde, dass die grosse sanitäre Bedeutung, die in dem Baden
liegt, den weitesten Kreisen des Volkes zu teil werde, dafür
mögen die berufensten Vertreter der Durchführung öffentlicher
Gesundheitsmassregeln, Staat und Gemeinden, Sorge tragen.
Dann wird das 20. Jahrhundert eine Blüte der Entwicklung des
Badewesens heranreifen sehen, die als eins der kostbarsten Güter
der Kultur nicht wie bei den alten Römern mit dem Niedergang
der Volkskraft, nicht wie im Mittelalter mit Zuchtlosigkeit und
Sittenverfall einhergehen, sondern die Gesundheit und Kraft stählen
und die natürlichen Faktoren der Volksgesundheit hilfreich unter-
stützen wird. Die Grundlage jeder Reform auf gesundheitlichem
Gebiete bildet die Reinlichkeit : Für dieses wichtigste Gut mensch-
licher Gesittung kämpfen wir, wenn wir das allgemeine Bewusst-
sein zu gemeinsamem Thun für eine der vornehmsten Pflichten
praktischer Gesundheitsgflege aufrütteln !
Litteratur.
Felix Genzmer, Bade- und Schwimmanstalten. Stuttgart 1899.
Hugo Marggraaf, Badewesen und Badetechnik der Vergangenheit. Berlin
1881.
Marquardt und Mommsen, Handbuch der römischen Altertümer, 2. Auf-
lage. Leipzig 1886.
Hermann Göll, Kulturbilder aus Hellas und Rom. Leipzig 1878.
Bernhard Hirschel, Hydriatica. Leipzig 1840.
Engelbert Wichelhausen, Ueber die Bäder des Alterturas. Mannheim
1807.
B. M. Lersch, Geschichte der Balneologie. Würzburg 1863.
Alfred Nossig, Einführung in das Studium der sozialen Hygieine. Deutsche
Verlagsanstalt 1894.
De balneis omnia quae extant apud Graecos, Latinos et Arabas. Venetiis 1553.
Zappert, Ueber das Badewesen mittelalterlicher und späterer Zeit. Archiv
für Kunde österreichischer Geschichtsquellen. Bd. XXI, 1859.
Falke, Die Badestuben im Mittelalter. Westermanns deutsche illustrierte
Monatshefte. Bd. XI, 1861.
Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Leipzig 1867.
Kriegk, Deutsches Bürgertum im Mittelalter. Neue Folge. Frankfurt a. M.
1871.
Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger. Leipzig 1879.
Bintz, Die Leibesübungen des Mittelalters. Gütersloh 1880.
S a c h , Deutsches Leben in der Vergangenheit. Halle 1890.
Ueber öffentliche Badeanstalten. Referat von A. Meyer und Robertson
(Hamburg), sowie Verhandlungen des deutschen Vereins für öffentliche
Gesundheitspflege in Stuttgart. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffent-
liche Gesundheitspflege. Bd. XU, Heft 2, 1880.
Stubben, J., Das Badewesen in alter und neuer Zeit. Centralblatt für
allgemeine Gesundheitspflege, 1883.
Litteratur. 167
Las aar und Merkel, Ueber Volks- und Schulbäder. Deutsche Viertel jahrs-
schrift für öffentliche Gesundheitspflege. Bd. XIX, Heft 1, 1887.
Marggraf, Moderne Stadtbäder. Deutsche Zeit- und Streitfragen, 163/164.
Berlin 1882.
O. Lassar, Kulturaufgabe der Volksbäder. Berlin 1889. Derselbe, Die Thätig-
keit des Berliner Vereins für Volksbäder. Berlin 1896.
G. H. Schmidt, Oeffentliche Bäderstatistik. Statistisches Jahrbuch deutscher
Städte, VI. Jahrgang 1897.
Kabierske, Das Breslauer Hallenschwimmbad. Breslau 1899.
Leo Vetter, Bäder in alter und in neuer Zeit. Stuttgart.
Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder. Bd. I,
Heft 1—7. 1902.
Kühner, Die Haut in physiologischer, diätetischer und therapeutischer Be-
ziehung. Leipzig 1891.
Friedländer, Beiträge zur Anwendung physikalischer Heilmethoden. Wies-
baden 1896.
Verlag von FERDINAND ENKE i n Stuttgart.
Marcuse,Dr.med. J., Diätetik im Altertum. £äiSS£j
Vorwort von Geh. Medizinalrat Professor Dr. E. von Leyden. 8 .
1899. geh. M. 1.60.
Marcuse, Dr. med. J M Hydrotherapie im Altertum.
Eine historisch-rnedicinische Studie. Mit einem Vorwort von Professor
Dr. Winternitz. 8°. 1900. geh. M. 2.—.
Ebstein, Geh. Rat Prof. Dr. W^Die^esTdes Thuky-
HiflPS ( Die Attisehe Seuehe.) Eine geschichtlich -naedicinische
Studie. Mit 1 Kärtchen, gr. 8°. 1899. geh. M. 2.-.
Fasbender, Prof. Dr. E, Entwickelungslehre, Ge-
burtshilfe und Gynäkologie in den hippo-
kratischen Schriften, e^ ^ * e studie . #.**. mi.
geh. M. 10. — .
Glax, Prof. Dr. J., Lehrbuch der Balneotherapie.
Zwei Bände. Mit 99 Abbildungen, gr. 8°. 1897—99. geh. M. 24.—.
1. Bd.: Allgemeine Balneotherapie. Mit 99 in den Text ein-
gedruckten Abbildungen, gr. 8°. 1897. geh. M. 10.—.
IL Bd.: Spezielle Balneotherapie, gr. 8°. 1899. geh. M. 14.—.
Hirsch, Prof. Dr. A., Handbuch der historisch-geo-
graphischen Pathologie, zweite vollständig neue Be-
— £ 2 arbeitung . Drei Abteilungen.
gr.8°. 1881— 1886. geb. M. 38.— . I. Abteilung: Die allgemeinen akuten
Infektionskrankheiten. 1881. geh. M. 12.—. U. Abteilung: Die chro-
nischen Infektions- und Intoxikationskrankheiten. Parasitäre Krankheiten,
infektiöse Wundkrankheiten und chronische Ernährungs-Anomalien. 1883.
geh. M. 12.— . III. Abteilung: Die Organkrankheiten. Nebst einem
Register über die drei Abteilungen 1886. geh. M. 14. — .
Moll, Dr. med. A., Aerztliche Ethik. Die Pflichten de8 Ar7tes
in allen Beziehungen
seiner Thätigkeit. gr. 8°. 1901. geh. M. 16.—, in Leinwand geb. M. 17.40.
Neubnrger, Poe. Dr. Max, Die historische Ent-
wickelung der experimentellen Ge hirn- und
Kückenmarksphysiologie vor Floure "s. «-. isw. ge h.
Accession no. oo^Ql
Author Marcu
Bäder und Badewes
Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Soeben erschienen:
Berendes, p™!;, Des Pedanios Dioskurides
aus Anazarbos Arzneimittel lehre mJS.
Uebersetzt und mit Erklärungen versehen, gr. 8° 1902. geh. M. 16. — .
Bickel, D p A. ) UntersuchungeniiberdenMecha-
nismus der nervösen Bewegungsregu-
lation. Mit 14
Abbildungen. 1903. gr. 8°. geh. M. 6 .— .
Biedert, D p y° P f n . und Fischl, jg*g Lehrbuch der
Kinderkrankheiten. z ^^ S^SSS. u nd
Mit2farbigenTafelnund73AbbildungenimText. gr.8°.1902.geh.M. 18— ;
elegant in Leinwand geb. M. 19.60.
Jahrbuch der praktischen Medicin.
Kritischer
Jahres-
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Herausgegeben
von Prof. Dr. J. Sehwalbe. Jahrgang 1902. gr. 8°. geh. M. 10.— ;
in Leinwand geb. M. 11.—.
Robert, E™1, Lehrbuch der Intoxikationen.
Zweite, durchweg neubearbeitete Auflage. Zwei Bände. I. Band:
Allgemeiner Teil. Mit 69 Abbildungen im Text. gr.8°. 1902. geh. M. 7.— .
Kröhnke, ff- und Müllenbach, ffi Das gesunde
TT $1 litt Ein Führer und Berater bei der Wahl und Errichtung der
* Wohnstätte nach den Grundsätzen der modernen Gesund-
heitspflege. Mit 527 in den Text gedruckten Abbildungen, gr. 8. 1902.
geh. M. 14. — ; in Leinwand gel). M. 15.40.
Nassauer, Max, Doktorsfahrten. A ZSche™ d
kl. 8°. 1902. geh. M. 2.80 ; elegant geb. M. 3.60.
Orschansky, D p r ro j„ Die Vererbung im ge-
sunden und im krankhaften Zustande
und die Entstehung des Geschlechts heim Menschen. Mit 41 in den
Text gedruckten Abbildungen, gr. 8°. 1903. geh. M. 10.—.
Neuester Verlag von FERDINAND ENKEin Stuttgart.
Rosinsky, D ?° e B? Die Syphilis in der Schwanger-
CfllSl'P'f" ^'* 7 chromolithographischen Tafeln und 17 Textfiguren
m ndii. ^ 8 „ 1903 geh M 10 _
Stratz, C P H , Die Körperformen in Kunst und
Leben der Japaner. ™! .y, 2in den Te f f c ^ kte "
*r Abbildungen und 4 farbigen
Tafeln, gr 8 IJ . 1902. geh. M. 8.00; in Leinwand geb. M. 10.—.
Stratz, c ? h.. Die Rassenschönheit des Weibes.
Dritte Auflage. Mit 233 Textfiguren und einer Karte in Farbendruck.
gr. 8". 1902. geh. M. 12.80; elegant in Leinwand geb. M. 14.—.
Wullstein, Pr £ at L d ? c Die Skoliose in ihrer
Behandlung- und Entstehung-. ^^
experimentellen Studien. (Sonderabdruck aus „Zeitschrift für ortho-
pädische Chirurgie", X. Bd.) Mit 115 Abbildungen im Text. gr. 8".
geh. M. 7.60.
v. Zeissl, Pro M. Pr ' Lehrbuch der venerischen
li i". n Mi <»H<-n (Tripper, Venerisches Geschwür, Syphilis.)
IVI.IIIKIH IHM Mit 50 Textabbik , ungon . gr . 8 ». geh. M. 10.-;
in Leinwand geb. M. 11.20.
Han d Wörter buch
der
Gesamten Medicin.
Herausgegeben von
I>r\ A. Villaret,
Kgl. Preuss. Generalarzt.
Zweite, gänslich neu bearbeitete Auflatje.
'Zrw&i. Bände.
gr. 8°. geh. M. 56.60; in Halbfranz gebunden M. 62.60.
Das Handwörterbuch ist, wie schon in seiner ersten Auflage, auch in
seiner recht umfassenden Neubearbeitung von der Kritik durchweg ausser-
ordentlich günstig aufgenommen worden und wird allgemein als ein praktisches
Nachschlagebuch bezeichnet und empfohlen. Dasselbe ist ausserdem von
allen ähnlich gearteten Unternehmungen das kompendiöseste und billigste
und sollte daher in keiner ärztlichen Bibliothek fehlen.
HOFFMANN 0TUTTGART
3 9002 02842 5040
Accession n( X}mC,Q r l
Author Marcuse
B'äder und Badewesel
-
_^M