BIOGRAPHISCHES JAHRBUCH
UND
DEUTSCHER NEKROLOG
UNTER STANDIGER MITWIRKUNG
VON
GUIDO ADLER, F. VON BEZOLD, ALOIS BRANDL, ERNST ELSTER,
AUGUST FOURNIER, ADOLF FREY, HEINRICH FRIEDJUNG, LUDWIG
GEIGER, KARL GLOSSY, EDUARD FREIHERRN VON DER GOLTZ, MAX
GRUBER, SIGMUND GUNTHER, OTTO GUNTTER, EUGEN GUGLLA,
HYACINTH HOLLAND, ALFRED FREIHERRN VON MENSI, KARL
OBSER, JOHANN SASS, AUGUST SAUER, BERNHARD SEUFFERT, PAUL
SCHLENTHER, HERMANN SCHOLLENBERGER, GEORG WOLFF U. A.
HERAUSGEGEBEN
VON
ANTON BETTELHEIM.
XVI. BAND
VOM I. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 19II
MIT DEM BILDNIS VON GUSTAV MAHLER IN HELIOGRAVURE.
BERLIN
DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER
1914.
^^yhur^M(^O^v
Vorwort
Band sechzehn unseres Jahrbuches erschliefit fur eine Reihe be-
deutender Lebenslaufe die Urquellen: Ernst von Plener gibt — in
den Nachtragen — die lang erwartete Biographie seines Vaters und
darin ein wichtiges Kapitel osterreichischer Finanzgeschichte; Graf
Brandenstein -Zeppelin beschenkt uns mit der Erzahlung der fur
die Umgestaltung der japanischen Zustande sehr belangreichen Schick-
sale von Baron Alexander Siebold; Guido Adler hielt es fiir
seine Freundespflicht, Gustav Mahlers Lebensarbeit gerecht zu
werden in einer Wiirdigung, die schon Anfang Oktober 1913, geraume
Zeit vor dem Erscheinen mittlerweile von andrer Hand verfaflter Mahler-
Studien, derDruckerei zuging; Meyer-Knonau gedenkt Varrentrapps
in treuer Gesinnung; Edward Schroder charakterisiert Wilmanns,
Ziekursch Griinhagen, Baron Pirquet den Kinderarzt Escherich,
Egon Zweig den Lehrer des Staats- und Volkerrechtes Georgjellinek,
Franz Suefl den Geologen Uhlig, Emil Thomas den Philologen
Johannes Vahlen, Elias v. Steinmeyer den Germanisten A n t o n
E. Schonbach. In den Erganzungen findet Reichsbank-Prasident
Koch durch Riefier, Helfert durch Heinrich Friedjung gezie-
mende Wiirdigung; Archivrat Krieg sorgt fiir eine Reihe bisher ver~
mifiter Nekrologe deutscher Offiziere, zumal fiir die auch diplomatisch
belangreiche Tatigkeit Werders.
Von den altesten Freunden und Nothelfern des Biographischen
Jahrbuchs ist uns 1913 Erich Schmidt entrissen worden; seit den
ersten Heften der »Biographischen Blatter« hat er den Herausgeber
mit Rat und Tat gefordert; unser dauernder Dank bleibt ihm gewifi.
An seiner und an Minors Stelle sind unserem Rufe folgend bereitwillig
£V Vorwort.
August Sauer und Bernhard Seuffert in den Kreis der standigen
Berater eingetreten; fur die deutsche Schweiz durften wir Adolf Frey
Hermann Schollenberger zugesellen, der seit langerer Zeit unsere
Bemiihungen eifrig unterstiitzt.
Einige Hauptartikel (Dilthey, J. V. Widmann usw.) sind mir
leider erst nach AbschluB des vorliegenden Bandes zugekommen; sie
werden im folgenden Band zur Veroffentlichung gelangen.
Die Herren Johann Sass und Holleck-Weithmann haben
auch diesmal gtitigst die SchluBkorrekturen mitgelesen.
Anton Bettelheim.
Inhalt
Seite
Vorwort Ill
Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 1911 1
Erganzungen und Nachtrage 262
Alphabetisches Namenverzeichnis I 366
Alphabetisches Namenverzeichnis II 368
Totenliste 19 1 1 5*
DEUTSCHER NEKROLOG
VOM I.JANUAR BIS 3i. DEZEMBER
I9II
Homo liber de nulla re minus quam
de morte cogitat et ejus sapientia non
mortis, sed vitae meditatio est.
Spinoza. Ethices pars IV. Propos.
LXVII.
Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 191 1<
Mahler, Gustav, * Kalischt 7. Juli i860, f Wien 18. Mai 191 1. — Die Ge-
schichte der Musik enthalt in den Biographien der Tonsetzer, in der Dar-
stellung ihres Ringens und Kampfens, der Streitigkeiten urn die Geltend-
machung ihrer Werke, ihrer Eigenart formlich ein Stuck Kriegsgeschichte.
Die Leidenschaften der Parteien werden auf der musikalischen Arena erhoht
durch die Ausdrucksarten der Gefuhle und Stimmungen, wie sie aus den Ton-
werken sich mitteilen, durch die Auffassungsweisen bei der Vorfuhrung der
Kompositionen verschiedener Richtungen und Stilarten. Seit dem selbstandi-
geren Hervortreten der Individuality in der Stilperiode der Renaissance, die
bis auf unsere Tage reicht, seit dem Oberhandnehmen des Subjektivismus in
der Tonkunst des 19. Jahrhunderts spitzen sich die Fehden immer mehr zu,
verscharft sich der Antagonismus der Anhanger und Gegner. Besonders hitzige
Gefechte wurden seit dem 17. Jahrhundert auf dem Gebiete der Oper auf-
gefuhrt, die Streitaxt ruhte nie, bald wurde sie wegen eines Werkes, eines
Komponisten, bald wegen einer Sangerin, eines Sangers geschwungen. So ist
es nicht verwunderlich, wenn die kunstlerisch scharf umrissene Personlichkeit
Gustav M.s in ihrem hehren Kampfe um Durchsetzung der erhabensten,
reinsten Ideale der Tonkunst, in dem riicksichtslosen Eintreten fur moglichste
Vollkommenheit bei der Wiedergabe der Kunstwerke unserer und vergangener
Zeit auf Widerstande aller Art stiefi. Befremdlich war und ist nur die Art der
Angriffe, denen der schaffende und reproduzierende Kunstler ausgesetzt war,
die nur teilweise eine Erklarung, aber keine Rechtfertigung finden in den niederen
Instinkten, der Gehassigkeit der Widersacher, wie sie auf fast alien Gebieten
des offentlichen Lebens hervortreten, auf keinem mehr als dem der Tonkunst,
wo die »Reizsamkeit« unserer Zeit eine schier krankhafte Wendung genommen
hat. Zum Teil laflt sich der Hitzegrad und die Animositat der Geiferer ver-
stehen durch die unerbittlich hinansturmende Willenskraft M.s, der weder sich
noch andere schonte, wenn es gait, das durchzufuhren, was seiner tiefsten und
hochsten kunstlerischen Cberzeugung entsprach. Fern von der Parteien Gunst
und Hafi kann heute das menschliche und kunstlerische Bild M.s entworfen
und der Versuch gemacht werden, sein Werk in den Bildersaal der Geschichte
einzuordnen. So schwer die Aufgabe sein moge, so nahe wir auch noch dem
Zeitbilde stehen, das ihn umgab und einschloB, so ist die Moglichkeit nicht aus-
geschlossen, auf Grund liebevollen Eindringens das Wesen des Kunstlers zu
erfassen und mit Hilfe historischen Vergleichens die Stellung zu kennzeichnen,
die er eingenommen hat. Nicht Werturteile sollen in Orakeln vorgelegt werden —
a Mahler.
die wechseln nach der Zeiten Lauf und Gunst — f der Kunstler und Mensch in
seiner Eigenart und in seinen wechselseitigen Verhaltnissen soil aufgedeckt
und noch besser: sein Werk soil moglichst klar gekennzeichnet werden, in
knappen Umrissen, denn mehr kann hier nicht gegeben werden.
Wer die nachfolgende »chronologische Tabelle* (s. S. 37 fg., es ist ratsam, sie
vorher zu lesen) mit Aufmerksamkeit verfolgt, hat bereits den aufleren Umrifl
seines Lebens und Schaffens. Die Daten sprechen — das Wort f>saxa loquuntur*
liefle sich hier auf die starren, diirren, trockenen Jahreszahlen und Tatsachen
iibertragen, wie sie in formlich gemeifielter Form erscheinen. Fiir mich, der
das Leben und Wirken M.s in freundschaftlicher Teilnahme begleitet hat, war
die Zusammenstellung dieser Daten aus Urkunden, Berichten und der Literatur
wie ein SchattenriC seiner ganzen Erscheinung. Sie mufite leider in ihrer
physischen Gestalt verschwinden, bevor die reiche Seele sich vollig mitgeteilt
und ausgesprochen, bevor sein Geist das vollendete, was er der Welt noch zu
sagen gehabt hatte. Sein ganzes Leben wird durch plotzliches Abbrechen des
Begonnenen und immer wieder neu Angegangenen zerstuckelt, und nur seine
gewissermafien riesenhafte Energie brachte es zuwege, dafl er neben einer
Reihe kleinerer Werke der Moira eine neunzackige Symphonienkrone abge-
rungen hat.
Von jungen Jahren an war er darauf angewiesen, sein Brot zu verdienen,
so sehr seine Eltern darauf bedacht waren, ihm Erleichterung zu verschaffen und
Unterstiitzung zu gewahren. Sie waren bestrebt, bei aller Kleinheit der Verhalt-
nisse ihren Kindern eine sorgfaltige Erziehung und gediegene Bildung angedeihen
zulassen. In Iglau, der national umbrandeten deutschen Sprachinsel, wuchs der
Knabe heran; erfand reiche musikalische Nahrung in den Volksliedern derbeiden
Stamme, unter denen er seine Jugend verbrachte. Seine Phantasie wurde angeregt
durch die sagenumwobene Waldlandschaf t und das muntere Treiben der Garnison,
deren Signale symbolische Bedeutung bei ihm gewannen. Morgen- und Abend-
appell, Rufe und Exerziermotive setzten sich bei ihm in Klangbilder um, die
sich um die Gestalt des alten deutschen Landsknechtes verdichteten. Sie
tauchen in lebendiger Erfrischung immer wieder auf, auch in Liedern und In-
strumentalwerken der spateren Zeit, so in »Reveglie«, »Tambour-Geselle«,
»Der Schildwache Nachtlied«, »Der Gefangene im Turm«, »Wo die schonen
Trompeten blasen«, im ersten und dritten Satz der dritten, in dem Variationen-
satze der vierten Symphonic usw. Daraus erklart sich auch M.s Vorliebe fiir
Marschrhythmen aller Art, die sich in seinen Werken immer wieder finden,
Freud und Leid begleiten — die schonste Verklarung findend im ersten Satz
der f unf ten Symphonie, dem leidenschaftlich erregten Trauermarsch in Cis-Moll,
gleichsam eine Steigerung der Stimmung im gleichartigen Satze der »Eroica«
von Beethoven.
Wie ein roter Faden gehen die Eindriicke seiner Jugend durch sein Schaffen
wahrend des ganzen Lebens. Mit riihrender Anhanglichkeit hielt er daran fest,
wie er jedem gegeniiber Treue und Dankbarkeit bewahrte, der ihm einmal Gutes
erwiesen hatte, oder von dem er annahm, daO dem so sei. An seiner Familie
hielt er in Pietat fest und sorgte nach dem Tode seiner Eltern gleichsam vaterlich
fiir die Bildung seiner Schwestern. Er selbst war von unermudlichem Bildungs-
eifer erfullt. Er verschaffte sich Lektiire aller Art, mit besonderer Vorliebe
dichterische und philosophische. Hatte er doch kurze Zeit daran gedacht, sich
Mahler.
5
ganz der Poesie zu widmen. Der musikalische Unterricht in seiner Heimat
reichte nicht uber die Grundelemente hinaus. Als er mit 15 Jahren an das
Konservatorium in Wien kam, brachte er an Begabung mehr mit als an Fertig-
keit. So gute Lehrer er da im Klavierspiel und Harmonielehre hatte, so war
doch die Anleitung in den hoheren theoretischen Fachern (in Kontrapunkt und
Komposition) nichts weniger als tiefgrundig und zweckentsprechend. Das
Talent rnufite sich uber diese luckenhafteAusbildunghinwegheben, undM. konnte
erst in viel spateren Jahren diese Mangel durch eisernen FleiB und unent-
wegtes Selbststudium beheben. Der Junge hatte eine so rasche Auffassung,
daO der Lehrgang formlich in Sprungen erledigt wurde. Am meisten Gewinn
zog er von der anfeuernden Tatigkeit des Direktors der Anstalt, denn dieser
wirkte besonders vorbildlich durch den Vortrag der Kammermusik. Das
»Hellmesberger-Quartett« beeinfluflte uns mehr als aller Unterricht. Der
Vortrag der Quartette aus der letzten Periode Beethovens rief tiefere Eindriicke
hervor, als alles damals in Wien Gebotene und wirkte auch stilistisch auf alle
Schiiler der Komposition. Dazu kamen die Orchesterubungen des Konserva-
toriums unter der Leitung des Direktors. Die Atmosphare des »Musikvereins«
mit seinen geringen Mitteln und dem bewundernswerten Opfermut war forderlich
in bezug auf Wiedergabe von Tonwerken, und die besten Kapellmeister gingen
damals aus der Wiener Schule hervor. M. konnte nicht viel horen, da seine
Mittel mehr als beschrankt waren. Fast alle Opern, die er spater im Dienste
des Tages dirigieren, »herausbringen« rnufite, so gut es ging, hat er erst in
eigener Praxis kennen gelernt. So konnte er original bleiben in der Auffassung
und sich in jedes Werk kraft der ihm eigenen Intuition stilistisch einfuhlen
und einleben. Den herrlichsten Orchesterklang konnte er in den unendlich
mannigfaltigen Schattierungen bei den Wiener Philharmonikern kennen
lerncn — dem Genie genugt auch der rasche, seltene Einblick, und es eroffnet
sich ihm eine Perspektive ins Unabsehbare. Wenn er in den engsten Kunst-
gassen kleiner osterreichischer Provinzstadte Opern mit Drittelbesetzung der
erforderlichen instrumentalen Mittel, bei volligem Mangel der nicht ganz ge-
wohnlichen Orchesterinstrumente zum Lampenlicht befordern, Stimmen urn-
schreiben, ubertragen, einrichten muCte, dann lechzte das innere Ohr nach
Vervollstandigung und ebenmafiiger Darbietung, wie ein Durstender nach
Wasser. Da lernte er die Not kennen, die so sehr druckt, wie wenn ein Vater
seine Kinder nicht ernahren kann. Diese Entbehrungen wirkten dann, als M.
an die Spitze von vollkraftigen, gutsituierten und fundierten Instituten gestellt
war, insofern nach, als er von den zu Gebote gestellten Kraften das aufierste
Mafi von Dienstleistung erforderte — denn im Dienste der Kunst, eines Werkes,
schien ihm keine Forderung zu hoch, um das Erreichbare zu erringen, nicht
wegen des aufleren Erfolges, nur zur Befriedigung des inneren Triebes und zur
Erfullung der Pflicht, die ihm heilig war.
Mit 24 Jahren kam er in Kunstinstitute, die hoheren Anspruchen nach-
kommen konnten: als zweiter Kapellmeister in Kassel, dann in Prag und
Leipzig. Da dirigierte er Opern von Weber, Marschner, Meyerbeer (Kassel),
von Cherubini, Mozart, Beethoven, Wagner, Gluck (Prag), sogar Mozart- und
Wagner-Zyklus (Leipzig). Er studierte die schwierigsten Werke neu ein und
betatigte sich auch als Konzertdirigent, sogar der 9. Symphonie von Beethoven,
mit deren Leitung er in Prag einen so tiefen Eindruck hervorrief (ich wohnte
(J Mahler.
als Professor der deutschen Universitat der Auffuhrung bei), dafl ihm von
akademischen Kreisen (auf Veranlassung des Pathologen Philipp Knoll, eines
politischen Fiihrers der Deutschen in Bohmen) unter Beteiligung der tibrigen
Gesellschaftskreise eine Adresse uberreicht wurde, die der Bewunderung und
Dankbarkeit fur den funfundzwanzigjahrigen Dirigenten denkwiirdigen Aus-
druck gab. Bei einem im vorhergegangenen Sommer in Munden veranstalteten
Musikfest hatte M. auch begeisterte Zustimmung erhalten. Der ehrgeizige
junge Kunstler suchte nach einem grofieren, selbstandigeren Wirkungskreise
und fand diesen als Direktor der Koniglichen Oper in Budapest. Er, der in
zweiter Stellung in Prag (neben Anton Seidl als erstem), in Leipzig (neben
Arthur Nikisch) gewirkt hatte, fuhlte seine Schwingen kraftig genug, um sich
zu einer ersten Stellung emporzuheben. Es war ihm darum zu tun, Werke
dirigieren zu konnen, die seinen Neigungen entsprachen, und die er frei wahlen
konnte. Die Theater in Leipzig und Prag sind Privattheater, werden wohl
subventioniert (von der Stadtgemeinde in Leipzig, von dem Landesausschufi
in Prag als »Kgl. deutsches Landestheater«), allein die Pachter haben mehr
oder minder freies Verfiigungsrecht, besonders in Engagements, und sind ganz
ungebunden in der kunstlerischen Leitung. Angelo Neumann in Prag, Staege-
mann in Leipzig waren geschickte Theaterleiter und wufiten sich zu behaupten,
was in Prag um so schwieriger war, weil in der national zerklufteten Stadt das
deutsche Theater unter der Konkurrenz des tschechischen Nationaltheaters zu
leiden hatte, eine bedeutend geringere Dotation bezog als das tschechische Theater
und ein viel kleineres Publikum hatte, das allerdings sehr theaterfreundlich
war und ist. Das Orchester war nicht erstklassig und konnte nicht in der Weise
gehoben werden, wie dies M. und andern erwiinscht schien. M. konnte in
beiden Stadten die Findigkeiten eines »impresario in angustie* kennen lernen.
Er eignete sie sich nicht an und blieb zeitlebens ein geradliniger, nur kiinst-
lerische Ziele verfolgender Mann. Er hatte es am liebsten mit dem grofien
Haendel gehalten, der als Opernleiter untaugliche Sanger sofort entfernte oder
gar eine unbotmafiige Sangerin zum Fenster hinaushielt, als ob er sie ganz
fallen lassen wollte. Ernste, eifrige Darsteller fanden in ihm den hingebungs-
vollsten Instruktor und Fuhrer. Dies hatte sich schon in seiner bisherigen
Tatigkeit gezeigt. Somit konnte auf eine an mich von dem in Budapest als Pro-
fessor des Cellospieles wirkenden David Popper (einem gebiirtigen Prager)
gerichtete Anfrage (die im Namen mehrerer einflufireichen Pester Kunstler
gestellt wurde, darunter Edmund v. Mihalovich) die beruhigende Auskunft
und sichere Erklarung gegeben werden, dafi M. als Kunstler und Mensch zu
der Stellung eines Opernleiters vollkommen geeignet sei und sein Organisa-
tionstalent sich jedenfalls entfalten werde. Diese meine Oberzeugung bewahr-
heitete sich in glanzendster Weise, und ihr konnte abermals voller Ausdruck
gegeben werden, als M. spater nach Wien kommen sollte und der Intendant
Baron Bezecny diesfalls wegen seiner Zweifel sich an dieselbe Seite wandte.
In Pest gab es schwere Arbeit: die im Jahre 1884 eroffnete koniglich un-
garische Oper — bis dahin waren Oper und Schauspiel im »Nationaltheater«
vereinigt — war Ende 1887 »bei ihrer ersten kunstlerischen und finanziellen
Krise angelangt«. M. machte dem Gast- und Starsystem ein jahes Ende und
suchte mit den dort zur Verfugung stehenden Kraften ein Ensemble zu schaffen,
das dem Statut gemaC in ungarischer Sprache einheitliche Leistungen bieten
Mahler. 7
sollte. In den 21/2 Jahren seiner Wirksamkeit gelang ihm dies soweit, daC er
»das ungeschulte Material zu staunenswerter stilistischer Sicherheit fiihrte*
(Bericht des Dr. B£la Di6sy). Nur im hochdramatischen Fach mufite er aus-
hilfsweise deutsche Sangerinnen heranziehen, die in italienischer Sprache
singen mufiten. So hoch gingen die chauvinistischen Wogen. Das Repertoire
umfafite Opern, die in wurdiger Weise nur ein erstklassiges Institut auszufuhren
imstande ist — deutsche, franzosische, italienische und auch ungarische. »Die
kunstlerische Hohe der Auffuhrungen — in denen auch das phanomenale Regie -
talent M.s in Erscheinung trat — wurde von der koniglichen Oper nie wieder
erreicht.« »Die Darbietungen des Orchesters wurden zu einer bis dahin un-
geahnten Vollendung gebracht.« Das Theater wurde »finanziell saniert, kiinst-
lerisch zur glanzendsten Ara erhoben«. Die besten Musiker der Stadt —
v. Mihalovich, Hubay, KoeBler, v. Herzfeld u. a. — leisteten begeistert Folge,
ebenso wie das Publikum, soweit es nicht aus Anhangern des wncien regime*,
aus gestiirzten einheimischen Grofien bestand oder nur aus chauvinistischer
Opposition gegen den »deutschen« Kunstler Stellung nahm. Die eiserne Energie,
die nur kunstlerische Ziele verfolgende, personliche Ambitionen nicht schonende
eherne Disziplin hatte auch MiBstimmungen zur Folge. Als Regierungs-
kommissar Stephan v. Benicky, der Vorgesetzte des Direktors, der mit Ver-
standnis der aufopferungsvollen Tatigkeit gefolgt war, sein Amt mit dem eines
Obergespans des Pester Komitates vertauschte und der einarmige Klavier-
virtuose und Komponist Graf G^za Zichy, »ein hochfahrender Magnat« zum
Intendanten ernannt wurde und die »Direktionsagenden ganz oder zum Teil
an sich nehmen wollte«, da mufite M. nach einigem Widerstand weichen. Graf
Zichy gestand nachher in freimiitiger Weise, dafi es der grofite Fehler seiner
Tatigkeit gewesen sei, dafi er M. hinausgedrangt habe. Zu spat! Einen be-
sonders kostlichen Erfolg trug M. aus der Magyarenstadt mit sich: die An-
erkennung von Brahms, der wider Willen in eine von M. geleitete Don Juan-
Auffuhrung gezogen wurde. Vor dem Theater sagte er: »Mir macht niemand
den ,Don Juan' recht. Wenn ich ihn geniefien will, lege ich mich aufs Sofa
und lese die Partitur.« Wahrend der Auffuhrung: »Ausgezeichnet! Famos!
Groflartig! Ja, so ist es endlich! Aber das ist ja ein Teufelskerl!« Schon nach
dem ersten Akte muflten ihn KoeBler und v. Herzfeld auf die Biihne ftihren,
wo er dem jungen Leiter um den Hals fiel und ihm strahlend zurief, daB dies die
beste Auffuhrung des »Don Juan« sci, die er gehort habe. Wie oft mogen
wahrend der nachfolgenden Wirksamkeit in Hamburg und Wien Kunstler und
Kunstfreunde mit dem gleichen oder ahnlichen Verstandnisse wie Brahms
solche Wirkung erlebt haben! Das Gestandnis soldier Begeisterung ist nur
von solchen Leuten zu erwarten, die unvoreingenommen und nicht hafi- oder
neiderfullt sind!
An dem Tage, da M. seine Entlassung in Pest nahm, wurde er telegraphisch
von Pollini nach Hamburg berufen. Er wirkte daselbst als erster Kapellmeister
durch sechs Jahre und konnte mit tiichtigen Kraften Musterauffiihrungen
bieten, die ihn in den Augen Hans v. Biilows als Lebenserwecker der Ham-
burger Oper erscheinen lieflen. Eine Kranzwidmung des in ganz Deutschland ge-
fiirchteten kritischen Musikmeisters trug die Aufschrift: »Dem Pygmalion der
Hamburger Oper — Hans v. Biilow.« Als sich Biilow krank und elend fuhlte und
von der Leitung der Abonnementskonzerte der ^Hamburger Musikfreunde«
8 Mahler.
zuriicktrat (1893), wies er auf M. als einen geeigneten Nachfolger, der denn
auch 1894/5 die Leitung fiihrte. Schon 1885 hatte Bulow gelegentlich der
Besetzungsfrage eines Kapellmeisters an der Berliner Oper unter den ihm
geeignet erscheinenden Kandidaten Weingartner, Nicod6, Zumpe auch M.
angeftihrt — den damals 25 jahrigen! (Briefe VI, 359). Indessen auch in Ham-
burg erhoben sich einzelne abweisende Stimmen, wie dies bei einem so stark
eingreifenden und weit ausgreifenden Kiinstler wie M. erklarlich ist. Tiefere
Grunde sind bisher nicht aufgedeckt worden, und es wird wohl schwer halten,
aus den Journalstimmen Fur und Wider ein wahrheitsgetreues Bild zu gewinnen.
Von berufener Seite wurde erklart, dafi »Hamburg unter M. ein Zentrum
musikalisch fortschrittlichen Lebens war*. Die Kiinstler, die ernst arbeiten
wollten, hingen ihm mit Verehrung an, und so folgten ihm denn auch einige
nach, die er an den Ort seiner neuen Wirksamkeit rief: Anna v. Mildenburg,
Bertha Foerster-Lauterer, Leopold Demuth, Erik Schmedes. Sie fanden in
Wien eine Statte, wo sie unter Fuhrung des »artistischen Direktors des k. k. Hof -
operntheaters« zu neuen Taten und zu Siegen gelangten. Durch einige Monate
war M. als Kapellmeister und als Stellvertreter des Direktor Jahn tatig, hierauf
wurde er mit der selbstandigen Leitung betraut. Unter den Solisten fand er
an namhaften Kraften vor: Winkelmann, Reichenberg, Schrodter, Van Dyck,
Ritter, Reichmann, Hesch, von Solistinnen: Renard, Walker, Sedlmair. Kapell-
meister: Hans Richter, Joh. Nep. Fuchs, Ferdinand Hellmesberger, Bayer.
Die ersten drei schieden im Laufe der Jahre aus: Richter trat am 2. Marz 1900
von seinem Amte zuriick und fand in England einen Wirkungskreis, bei dessen
Ausiibung er einem jiingeren Kollegen nicht untergeordnet zu sein brauchte.
Die GrUnde seines Scheidens lagen in den Verhaltnissen, in denen der seit
25 Jahren in Wien wirkende Hofopernkapellmeister sich nicht mehr zurecht-
finden mochte. Die ihm anhangende Partei wurde von einer billigen und ge-
rechten Wurdigung der Leistungen M.s wie von selbst abgeruckt und fand eine
natiirliche Verstarkung durch die im Wiener Rathause zur Herrschaft gelangte
politische Partei, soweit diese sich iiberhaupt um kiinstlerische Angelegenheiten
kiimmerte. Fur diese war nicht das kiinstlerische Moment ausschlaggebend,
sondern das personliche, der blinde Fanatismus, der, da M. bei seiner tJber-
nahme des Hofamtes zum Katholizismus ubergetreten war, sich nicht gegen
die Konfession kehren konnte, sondern gegen die Abstammung. Kostganger
dieser Partei in der Presse und auch einzelne in der liberalen oder pseudo-
liberalen Presse sich betatigende Widersacher, die durch Angriffe solcher Art
sich unabhangig, »parteilos«, gerieren wollten, gesellten sich der kompakten
Gegnerschaft, die bald von dieser oder jener Seite ihre giftigen Pfeile los-
schofi. M. arbeitete riistig und unentwegt weiter, wie bisher. Er gewann
nebst den obgenannten Hamburger Kraften die Kiinstlerinnen Hilgermann,
Gutheil-Schoder, Kittel, Weidt, Forst, Bland, Cahier, Kurz, die Kiinstler
Slezak, Weidemann, Mayr u. a., berief die Kapellmeister Franz Schalk,
Bruno Walter, Spetrino, Lehnert, die erhalten blieben, wahrend Ferd.
Loewe, Brecher, v. Zemlinsky nach kurzer Tatigkeit schieden. Von den
ubernommenen Kapellmeistern schieden Fuchs (1899 durch Tod) und Ferd.
Hellmesberger. Von namhaften Sangern und Sangerinnen schieden im
Laufe der Jahre: Dippel, Renard, Van Dyck, Reichenberg, Naval,
Winkelmann, Ritter, Forster, Sedlmair u. a. Wer mit den Personalien der
Mahler. n
Oper aus dieser Zeit vertraut ist, wird erkennen, dafi das leitende Prinzip fur
Berufungen und Entlassungen die Riicksicht auf die Moglichkeit einer Ein-
ordnung in ein einheitlich organisches Ensemble war. Die Abgange sind zum
Teil aus Unzulanglichkeit einzelner Krafte mit Hinblick auf die besonderen
Leistungen, die erwartet und beansprucht werden mussen, zu erklaren, zum
Teil aus der machtigen Konkurrenz, die amerikanische Biihnen mit ihren
Honoraren den Hofbiihnen der Alten Welt bereiten und zugkraftige Sanger
in ihre Goldkafige einfangen. Nie aber war ein personliches Moment ausschlag-
gebend ; am tiefsten beklagte M. den Abgang Winkelmanns, dieses ernsten und
diensteifrigen Sangers groflen Stils, der in Pension trat. In einzelnen Jahren
von M.s direktoraler Verwaltung war eine erhohte Zahl von Gastspielen notig
(so besonders in der Saison 1902/03), da er sich wegen verschiedener Repertoire -
schwierigkeiten nicht oft entfernen konnte, um geeignete Auswahl zu treffen.
Als er dann auch fur Zwecke von Auffuhrungen seiner Werke ins Ausland, be-
sonders nach Deutschland reiste — keiner seiner Symphonien wurde zu seinen
Lebzeiten eine Erstauffuhrung in Wien zuteil, da er zu vornehm war, seine
Stellung irgend zu personlichen Zwecken zu gebrauchen — hatte er Gelegen-
heit, an verschiedenen Orten die Liicken des Personals zu erganzen. Er tat
dabei ein libriges, um das Ensemble moglichst vollstandig zu haben, jede Neu-
auffiihrung oder Neueinstudierung mit doppelter Besetzung versehen zu konnen
und die unliebsamen Anderungen im festgesetzten Repertoire zu vermeiden.
Mit peinlicher Akkuratesse ging M. in der Erganzung und Neubestellung von
Instrumentisten des Hofopernorchesters vor und sorgte fur die Erhohung ihrer
Beziige. Diesem wie dem Chor und der Komparserie war seine besondere
»soziale« Fursorge zugewendet.
Das Orchester war zur Zeit seiner Obernahme des Direktorates bei aller
Vorzuglichkeit erganzungsbedurftig. Schritt fur Schritt muBte das Terrain
gewonnen, gestarkt und erweitert werden. Die Disziplin war in den letzten
Jahren des Direktorates Wilhelm Jahn gelockert, da dieser erfahrene Theater-
leiter leidend war und die Kapellmeister trotz ihrer kunstlerischen Qualitaten
weder die Befugnisse noch die zureichende Autoritat besafien, um Wandel zu
schaffen. Ein daissez aller, laissez faire« hatte sich eingeschleppt und die
FoJgen waren sogar in den von Hans Richter geleitcten Wagner-Auffuhrungen
unliebsam fiihlbar. So ging denn M. an die Neueinstudierungen und fiihrte die
Wagner-Opern strichlos auf. Nacheinander kamen: »Meistersinger«, »Tristan«,
»Ring«, dann die alteren »Rienzi«, »Hollander«, »Tannhauser«, »Lohengrin«.
Vollige Umwandlungen der bisherigen Auffuhrungen, in neuem, kunstlerischem
Gewande. Hiezu verband er sich mit Alfred Roller, den er im Kreise bildender
Kunstler, die im Hause des Stiefvaters seiner Braut und nachmaligen Gattin,
des Malers Karl Moll verkehrten, kennen gelernt hatte; mit diesen, darunter
Gustav Klimt und Kolo Moser verbanden ihn freundschaftliche und kunst-
lerische Beziehungen. So entstand eine Harmonie der Gesinnungen und Stre-
bungen, die auf dem Gebiete der Szenerie fur die Hofoper bestimmend und
fur das Ausland mit mafigebend wurde. M., der Dirigent, Dramaturg, Szenen-
leiter und Sangerfiihrer, der den Vortrag, die ganze Darstellung bis ins Kleinste
leitete und bestimmte, hatte in Roller einen Genossen gefunden, der das szeni-
sche Bild in einer den kunstlerischen Absichten des obersten Leiters vollkommen
homogenen Weise ausfuhrte. Der bildende Kunstler ordnete sich bald unter,
IO Mahler.
bald zog er den Direktor an seine Seite und vermochte ihn zu tiberzeugen. In
musikalisch-dramaturgischer Beziehung gab es kein Experimentieren, wohl
manchmal Anderungen wahrend des Studierens, in szenisch-malerischer Aus-
fiihrung wurden Versuche gewagt, die, an sich wertvoll, den Weg zu hoherem
Vollenden wiesen. Die von beiden ersehnte Hohe zu erreichen, war ihnen leider
nicht vergonnt, da Roller bald seinen Abschied nahm, als M. gegangen war.
Nur gleichartige Kunstlernaturen vermogen in solchem Dienste Einheitliches
zu schaffen: das Opernhandwerk kann nur durch ideelle Obereinstimmung
aller Beteiligten zur wahren Kunstlerbetatigung geadelt werden. Die De-
korationen im »Tristan« in der vollen Ausgeglichenheit der Farben mit den
Klangfarben der Szenen, der notwendigen Zusammengehorigkeit der raum-
lichen Begrenzung und Ausdehnung mit den dramaturgischen Anforderungen,
mit der Poesie von Wort und Weise waren geradezu von uberwaltigender Wir-
kung, ohne irgend ihre Bestimmung durch Aufdringlichkeit zu storen. Die
Versuche erstreckten sich auch auf die neu einstudierten Mozart-Opern; da
waren die Probleme noch nicht restlos gelost. Musikalisch gehorten diese Auf-
fuhrungen zu den stilreinsten, die je in der Wiener Oper und wohl auch auf
alien Theatern der Welt geboten wurden — soweit die Kenntnis aus unmittel-
barer Beobachtung und den Schilderungen der Zeitgenossen zu gewinnen ist.
Der Historiker kann auch aus den Schilderungen der Vergangenheit nicht eine
hohere Vollendung stilvoller Wiedergabe in den verschiedenen Schulen konsta-
tieren. »Cosi fan tutte% »Zauberflote«, »Entfuhrung«, »Figaro«, »Don Juan« — sie
gelangten der Reihe nach zur Verjiingung, und vorziiglich diese Wiener Auf-
fiihrungen fiihrten die Mozart-Renaissance mit herbei, die in tinserer Zeit der
Ebbe der Opernproduktion als Not- und Jungbrunnen sich erwies. Die Ein-
fiihrung der Gerichtsszene aus Beaumarchais' Drama in den »Figaro« von Da
Ponte verdeutlicht die Handlung im Sinne der Beaumarchaisschen Dichtung. Die
dramaturgische Neueinrichtung der »Euryanthe« scheint mir ein Gewinn zu
sein, wie ich an anderem Orte nachzuweisen suchte (Zeitschrift der Intern.
Musik-Gesellschaft V. Jahrg.). Neu einstudiert wurden ferner Werke von Gluck,
Rossini, Meyerbeer, Hal^vy, Verdi, Goldmark, des weiteren komische Opern,
darunter »Zar und Zimmermann«, »Fra Diavolo«, »WeiCe Dame«, »Lustige
Weiber«, dann »Freisch(itz«, »Falstaff«, »Iphigenie in Aulis«, »Fidelio«.
Letzterer in einer unvergleichlichen Wiedergabe, mit Verlegung der ersten
Szene in eine Stube von Roccos Wohnung, mit der Einlegung der dritten
Leonoren-Ouverture zwischen Kerker- und Schlufiszene, nach dem Duett der
Gatten, wahrend die »Fidelio-Ouverture« am Anfang gespielt wurde.
Mit der letzten Auffiihrung dieser mit Rollerschen Dekorationen (besonders
charakteristisch in der Kleinburgerstube, dem diisteren Gefangnishof und der
f reien Landschaf t) ausgestatteten, mit den feinsten Details der musikalischen Aus-
fuhrung (wie allenthalben bei M.schen Einstudierungen) versehenen und in ihrer
Grofizugigkeit imponierenden, in ihrer Tiefe undGewalt erschlitternden Wieder-
gabe des Beethovenschen Werkes nahm M. Abschied von der Statte seines
Wirkens: am 15. Oktober 1907 dirigierte er zum letzten Male in dem Hause,
in dem er zum ersten Male am 21. Juli 1897 »Lohengrin« dirigiert hatte. Dem
Publikum war es nicht bekannt, dafl M. in der Oper nicht mehr dirigieren werde.
Er wollte jede Demonstration vermeiden. Zwischen der ersten »Lohengrin«- und
der letzten »Fidelio«-Auffuhrung lag ein weiter Zeitraum, innerhalb dessen sich
Mahler. 1 1
nicht die Fahigkeiten und die Meisterschaft M.s geandert hatten, wohl aber
die Wuhlereien und Unterminierungen der Gegner den verstandnislosen und
wankelmiitigen Teil des Publikums fur die Leistungen blind und taub gemacht
hatten. So pflegt es oft und an manchen Orten zu sein. Die Wiener sind in
mancher Beziehung wie die alten Romer: movarum rerum cupidi«. Mit
diesem Umstande der Neuerungssucht hat sowohl die Theater-, wie die oberste
Staatsbehorde zu rechnen. Das Neue an sich scheint begrufienswert, auch
wenn es mit dem Bisherigen in willkurlichster Weise abbricht. Dies geschah
jetzt in der Oper, so mit der wunderherrlichen »Fidelio«-Auffuhrung M.s,
die von der neuen Direktion zerstort und umgebaut wurde! M. hatte aus
dem Schatz des alteren Opernbestandes auch die Aulidische Iphigenie von
Gluck zu bluhendem Leben gebracht. Er hatte weitere Schatze gehoben, wenn
seine Tatigkeit nicht ein vorzeitiges Ende gefunden hatte.
Schwierig gestaltete sich wahrend seiner Wiener Tatigkeit die Wahl von
neuen Werken. Dafi er den richtigen Blick fur w r irksame neue Opern hatte,
bewies er schon in Pest, wo er Mascagnis »Cavalleria rusticana« zum erstenmal
aufierhalb Italiens zur Auffiihrung gebracht hatte. Allein die zeitgenossische
Opernproduktion war damals noch armer als heute. Richard Straufl' >>Feuers-
not«, Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« waren die besten deutschen Opern,
die ihm zur Verfugung standen. »Salome« blieb ihm verwehrt, da die Zu-
stimmung der Hofbehorde damals nicht zu erreichen war, >>Lobetanz«
von Thuille, »Barenhauter« von Siegfried Wagner, »Kriegsgefangene« von
Goldmark, »Donna Diana« von Rezniczek, »Die Abreise« und »Flauto solo«
von D' Albert, »Das war ich« von Leo Blech waren die weitere (magere) Aus-
beute aus den Werken deutscher Kiinstler. Von Slaven kamen daran: Tschai-
kowsky mit »Onegin«, »Jolanthe«, »Pique Dame«, Smetana mit >>Dalibor«,
Rubinstein mit »Damon«. Von italienischen Werken wurden neu gebracht:
»Boheme« von Leoncavallo und auch die von Puccini, »Fedoro« von Giordano,
»Die neugierigen Frauen« von Wolf-Ferrari, und »Madame Butterfly« von
Puccini. Von Franzosen kamen mit Erstauffuhrungen zu Wort: Saint-Saens
(»Samson und Dalila«), Bizet (»Djamileh«), Delibes (»Lakm6«), Charpentier
(»Louise«), Erlanger (»Polnische Jude«), Offenbach (»Hoffmanns Erzahlun-
gen«). Osterreicher: Hugo Wolf (»Corregidor«), Zemlinsky (»Es war einmak),
J. Forster (»Der dot mon«), I. Reiter (»Bundschuh«). Vierzehn neue Ballette
wurden gegeben, und aus dem alteren Operngebiete wurden aufgenommen:
Haydns »Apotheker«, Mozarts »Za'ide«, Lortzings »Opernprobe«. Daneben
gelangte der eiserne Bestand des Opernrepcrtoires, sow r eit Zeit und Umstande
es gestatteten, zur Auffrischung. Weit ausgreifend waren die Plane M.s und
manches Werk mifite er ungern im Repertoire oder empfand schmerzlich die
Unzulanglichkeit des von friiher iibernommenen Standes der Auffiihrung dieser
oder jener Oper. Gluck, Marschner und Weber sollten erganzt werden, Berlioz
zu Worte kommen. Manche Llicke sollte ausgefiillt, der unersattliche Theater-
moloch befriedigt werden. »Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich ge-
traumt, hinterlasse ich Stuckwerk, Unvollendetes: wie es dem Menschen be-
stimmt ist«, sagte M. in (iberbescheidener Weise in seinem Abschiedsschreiben
»an die geehrten Mitglieder der Hofoper«. »Nicht immer konnten meine Be-
muhungen von Erfolg gekront sein. »»Dem Widerstand der Materie«« — »»der
Tiicke des Objekts«« ist niemand so uberantwortet wie der ausiibende Kiinstler.
j 2 Mahler.
Aber immer habe ich mein Ganzes darangesetzt, meine Person der Sache, meine
Neigungen der Pflicht untergeordnet. Ich habe mich nicht geschont und durfte
daher auch von den andern die Anspannung aller Krafte fordern. Im Ge-
drange des Kampfes, in der Hitze des Augenblicks blieben Ihnen und mir nicht
Wunden, nicht Irrungen erspart. Aber war ein Werk gelungen, eine Aufgabe
gelost, so vergaflen wir alle Not und Miihe, fuhlten uns reich belohnt — auch
ohne aufiere Zeichen des Erfolges. Wir alle sind weitergekommen und mit uns
das Institut, dem unsere Bestrebungen galten.* So konnte der Kiinstler im
Hinblick auf Wollen, Konnen und Leisten ruhig sagen.
Welch' niedere Angriffe sind dagegen gerichtet worden! Jede Unbot-
mafligkeit eines Mitgliedes wurde zur »Affare« aufgebauscht, bei der nur die
»Tyrannis«, »Laune«, »Willkiir« des Direktors schuld trugen. »Bedenkliche
Klagen« wurden erhoben — gegen alles, was geschah, gegen Repertoire, An-
nahme von Novitaten, Stellung der Kapellmeister, ktinstlerische Ausbildung
des Personals, Verfall des Balletts. Ich zitiere ipsissima verba, ohne solchen
Leuten die Ehre anzutun, ihre Namen zu nennen. Es wurde ihm die Fahigkeit
abgesprochen, kiinstlerische Personlichkeiten beurteilen zu konnen; es wurde
ihm vorgeworfen, <dafl er ausschliefilich personliche Zicle verfolge Die
Vorwiirfe stiegen ins Ungeheuerlichste. Wenn er die Claque abstellte als eines
ernsten Kunstinstitutes unwurdig, wurden die klatschenden Handflachen ver-
mifit. Als er zur Vermeidung von Storungen das Eintreten wahrend des Spieles
verbot, emporten sich erbgesessene Sperrsitzbesucher. Allmahlich gewann
seine Energie die Oberhand — beim Publikum, seine eiserne Disziplin — beim
Personal. Allein alle »Affaren«, alle Angriffe waren nur Bruchteile des Wider-
standes, der aus kunstlerischen Griinden weder zu verstehen war, noch sich
rechtfertigen liefi — die Sache wurde, wie Max Burckhard sagte, ein »Politi-
cum*. M.s Lust an der Arbeit konnte nicht gebrochen werden, aber ein Ekel
stellte sich ein, der noch verstarkt wurde durch private Einflusse von einer
Scite, von der man hatte erwarten konnen, daC sie mildernd und ausgleichend
wirkte. Denn M.s Schaffen sollte nicht durch neuerliches Einleben in fremde
Verhaltnisse geschwacht werden. Er war in Wien und Osterreich eingewurzelt.
Als universaler Kiinstler hatte er doch das engere Heimatsgefuhl nicht verloren,
und wenn er schon die Statte seines ruhmwurdigen Wirkens verlassen sollte,
so hatte einzig die Zuriickgezogenheit getaugt, die ihm die Moglichkeit geboten
hatte, den Auffuhrungen seiner Werke mehr Zeit zu widmen. In der Tat hat
er wahrend der letzten Zeit seiner direktoralen Wirksamkeit nebst dem Sommer-
urlaub, der vorzuglich der Komposition gewidmet war, sich einigemal im Jahre
auf einige Tage entfernt, um dem Rufe, dort und da eines seiner Werke zu di-
rigieren, Folge zu leisten, um es sich zu Gehor zu bringen. Dies wurde ihm auch
zum Vorwurf gemacht und konnte als Vorwurf gelten, wenn dabei seine Pflicht
vernachlassigt worden ware. In Franz Schalk und Bruno Walter hatte er geeig-
nete Ersatzmanner fur Einzelauffiihrungen, und besonders der letztere tauchte so
tief in M.s Kiinstlerschaft, ordnete sich mit solcher Liebe und Hingebung ein,
daB M. das sporadische Verlassen seines Amtssitzes wohl verantworten konnte.
Zugunsten der Philharmoniker ging er im Fruhjahr 1900 nach Paris und
gab da mit dieser Korperschaft fiinf Konzerte, fiir deren Defizit er mit Hilfe
eines Wiener Kunstmazens aufkommen mufite. Ihre Konzerte in Wien leitete
er in den Saisons 1898/99, 1899/1900 und 1 900/01. Ob sie es ihm zu Dank
Mahler.
13
gewuflt haben, bleibe eine unerorterte Frage. Er verlangte auch da mehr Proben,
als gewohnt, als vorher und nachher. Der grobste Vorwurf, der ihm gemacht
wurde, war die Uberspannung seines Subjektivismus im Vortrage. In der Tat
hat er manches anders »genommen« als andere. Solch eine Individuality wie
M. erheischt die Entfaltung ihrer Eigenart, die mit der gewohnten Auffassung
nicht immer ubereinstimmt. Ich selbst habe manches, diesen oder jenen Satz,
diese oder jene Stelle mir anders gedacht, als ich ihn zu horen bekam. Von
solch machtvoller Personlichkeit, die in ihrer Auffassung nur dem Werke gerecht
werden will, lasse ich mir eine Abweichung ohne weiteres bieten. Ich beuge
mich, urn so mehr da ich erfahren habe, daC ein Werk von einem und demselben
grofien Interpreten in verschiedener Auffassung geboten wird — wie ich dies
bei Rubinstein und Liszt mit Erbeben erlebte. Wir wissen, dafi Beethoven
seine eigenen Werke je nach seelischer Stimmung und geistiger Stellung in ab-
weichender Beleuchtung wiedergab. Zur »Affare« wurde M.s Einrichtung der
neunten Symphonie gemacht. Dem Vorgange Richard Wagners folgend, hatte
M. zur Erzielung der Deutlichkeit, die ihm hochstes Prinzip der Wiedergabe
war, an einzelnen Stellen Holzblaser verdoppelt, ein drittes und viertes Horner-
paar, im letzten Satz eine dritte und vierte Trompete verwendet und ab und zu
neben den Naturtonen der Blechinstrumente, wie sie zur Zeit Becthovens ublich
waren, aus der vollen Skala der Ventilinstrumente die Gange erganzt, die eben
mit Hinblick auf die Naturinstrumente Beethoven nach M.s Ansicht nur liicken-
haft bringen konnte. Ein kiihnes Verfahren, das M. auch unter Hinweis auf
Beethovens Taubheit, auf die Unzulanglichkeit in der Ausfiihrung seiner Ab-
sichten rechtfertigen wollte (in einem offenen Schreiben an die Konzert-
besucher). Die Vervielfaltigung der Streichinstrumente seit Beethovens Zeit
verlange, wie M. hervorhebt, eine Vermehrung der Blaser. Er wollte »fern von
Willkur und Absichtlichkeit, aber auch von keiner Tradition beirrt, den Willen
Beethovens bis ins scheinbar Geringfiigigste nachfiihlen und in der Ausfiihrung
auch nicht das Kleinste von dem, was der Meister gewollt, opfern oder in einem
verwirrenden Tongewiihle untergehen lassen«. »Von einer Uminstrumentierung,
Anderung oder gar »»Verbesserung«« des Beethovenschen Werkes kann natiir-
lich absolut nicht die Rede sein.« Die Absicht ist loblich, allein die Mittel sind
nur insofern zu billigen, als sie der Absicht des Reproduzierenden entsprechen,
ohne irgend Anspruch auf Allgemeingultigkeit erheben zu konnen — ebenso-
wenig wie bei M. so auch nicht bei den Anderungen, die von Wagner vorge-
nommen wurden und von vielen Dirigenten unserer Zeit angenommen sind.
Da das Original Beethovens unantastbar erhalten bleibt, kann daraus kein
dauernder Nachteil entstehen. Ob die Interpretation so weit gehen darf und
soil, ist eine Frage fur sich. Die Unvollkommenheiten in der Ausfiihrung des
dem Tonsetzer vorschwebenden Ideals, das er im Kunstwerk verwirklichen
will, sind dauernde Begleiterscheinungen der Qualitaten eines Werkes. Es ist
nicht sicherzustellen, ob dieses im ganzen durch solche Anderungen, richtiger
Erganzungen, gewinnt. Fur das Publikum, das liberhaupt solche Hinzufiigungen
gar nicht bemerkt, kommt das weniger in Betracht. Es ist eine Sache des Ge-
wissens, und dies kann man ebensowenig Wagner wie M. absprechen. Der
Historiker wird flir die Reinerhaltung der authentischen Vorlagc einzutreten
haben, kann dabei die gutc Absicht der Verdeutlichung anerkennen, ohne ihr
irgend Allgemeingultigkeit zuzuerkennen.
14
Mahler.
Dafi sich M. sowohl bei der Reproduktion in die Werke verschiedenster
Meister und Zeiten vollig einleben konnte, als auch bei der mitschaffenden Er-
ganzung von Fragmenten glanzend bewahrte, zeigt in uberraschender Weise
die Arbeit M.s an den »Drei Pintos« von Weber. Dieser hatte sich in den
Jahren 1816 — 1821 mitder Konzeption beschaftigt undnochin seinem Todesjahr
( 1 826) daran gedacht, die Komposi tion zu vollenden. Einzelne Stiicke, Skizzen und
Fragmente sind nur zu denersten beiden Akten erhalten, fur den dritten mufite
M. ganz eintreten. Er tat dies teils mit Verwendung von Kompositionen Webers,
teils mit Verwertung von Weberschen Gedanken, teils erfand er ganz neu im
Sinne Webers. M.sche Stiicke wurden als »weberisch«, Webersche Nummern
als »mahlerisch« angesehen — so sehr hatte sich der Bearbeiter in den Geist
des Tonewebers eingelebt. Der Enkel Webers hatte den Plan der Erganzung
wieder aufgenommen, nachdem dereinst Meyerbeer, der hiezu gebeten war,
die Skizzen jahrelang bei sich gehabt hatte, ohne an die Ausftihrung des Wun-
sches der Familie zu schreiten. In einzelnen Teilen reizvoll, bleibt das Ganze
hinter dem Weber, wie wir ihn aus »Freischiitz«, »Euryanthe« und »Oberon«
kennen, zuruck. Ftir Theater, in denen die Spieloper kleineren leichteren Genres
eine geeignete Statte findet, ware die neu gewonnene Oper heute noch wirksam.
Fiir das Gesamtbild vonWebers Kiinstlerschaft ist sie nicht so sehr von Bedeutung.
Fur M.s stilistische Einfuhlbarkeit ist sie eine Feuerprobe — denn M. war damals
daran, seinen Eigenstil in den Skizzen zu seiner »Zweiten« zu erreichen. Die
Arbeit zu den»Drei Pintos« war in kurzesterZeit (i4Tage) fertiggestellt und fand
seit der ersten Leipziger Auf f uhrung (20. Januar 1 888) in vielen deutschen Stadten
Beifall und Erfolg. Auch in Wien wurde sie im Januar i889aufgefuhrt. M. trat
bescheiden hinter den Enkel Webers zuruck, der sich beim Textbuch mit be-
tatigt hatte. Als er in Wien Direktor war, fuhrte er dies Werk nicht auf. Er
wollte nicht den Schein erwecken, als ob er die Oper wegen seiner Anteilnahme
an der Arbeit zur Auffuhrung brachte. So hingebend er in Freundschaft war,
so mied er auch da, aus »Freunderlschaft« (ein Wiener Spezifikum) Protektion
zu liben oder sich durch personliche Riicksichten irgend bestimmen zu lassen.
Wohl beriet er sich mit seinen Freunden. Aus seiner ersten Wiener Zeit traf
er noch an: Dr. Emil Freund, den immer getreuen Rechtsanwalt, der jetzt die
angenehme Pflicht erfullte, die »beginnende Vermogensverwaltung« zu uber-
nehmen, den Archaologen Dr. Fritz Loehr und den Dichter Dr. Siegfried Li-
piner, Bibliothekar des Parlaments. Dieser iibte mit seiner tiefen Bildung,
dem Schwung seines Phantasielebens einen machtigen EinfluB auf den Jugend-
freund. Philosophische Themen wurden von den Freunden mit Eifer und tiefem
Eindringen behandelt, die Weltliteratur in ihren machtigsten Erscheinungen
erortert, Religionsfragen mit heiliger Strenge diskutiert.
M. licfl keine freie Minute, die er in seinem harten, schweren Beruf erubrigte,
unbenutzt, um Lektiire zu betreiben. Er studierte zur Erholung Meisterwerke
der Musikliteratur, vertiefte sich in das Studium der Bachschen Werke, die er
vor sich legte, um von des Tages Gewirr sich zu erholen und zu starken. Er
las mit Eifer die »Denkmaler der Tonkunst«, als deren wirkliches Mitglied er
der leitenden Kommission (in Wien) angehorte. Von Freunden aus der ersten
Wiener Zeit lebten noch: Hugo Wolf, der leider einem intimen Umgange nicht
mehr zuganglich war; die Bruder Krzyzanowski (Rudolf der Musiker, Heinrich
der Schriftsteller) waren nach Deutschland gezogen. Hans Rott, der hoch-
Mahler.
15
begabte junge Musiker, der begabteste von uns alien, die wahrend der siebziger
Jahre dem Kreise des Konservatoriums angehorten, war friih gestorben. M.
gewann neue Freunde, und die Zahl der Verehrer mehrte sich gerade aus den
Kreisen Gebildeter und verstarkte sich im Auslande. Von den bildenden
Kiinstlern war schon die Rede. Von Dichtern und Schriftstellern seien genannt:
Gerhart Hauptmann, Hugo v. Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Max Burck-
hard, Hermann Bahr, Felix Salten, Stefan Zweig. Von Musikschriftstellern:
Oskar Bie, Hermann Bischoff, Ernst Decsey, Georg Gohler, Eduard Hanslick,
Julius Korngold, E. O. Nodnagel, R. Piper, William Ritter, L. Schiedermair,
Arthur Seidl, Richard Specht, Paul Stefan, Max Steinitzer u. a. Von Musikern
(in Wien): Bruno Walter, Alexander v. Zemlinsky, Josef V. v. Woss, I. B.
Forster, Arnold Schoenberg, Julius Bittner, Arthur Bodansky, Karl Weigl;
(auswarts): Richard Straufi (in intimer Freundschaft), Hans Pfitzner, Max
Schillings, Oskar Fried, Wilhelm Kienzl, Willem Mengelberg, Buths, Paul
Dukas und eine groCe Reihe von Jungeren. Von Auslandern waren noch be-
sonders zu nennen: Hermann Behn (Hamburg), Paul Clemenceau und Piquart
(der Kriegsminister in Paris).
Diese Liste gibt, so unvollstandig sie besonders mit Hinblick auf die, seinem
hauslichen Kreise angehorenden Frauen ist, ein beilaufiges Bild von dem Kreise,
deren Mitglieder M. mehr oder weniger nahestanden. Sein Verkehr war, so
sehr er sich zuriickzog, entsprechend seinen Beziehungen in fast alien Musik-
stadten von Osterreich, Deutschland, England, Frankreich, Italien, RuCland
ein ungemein ausgedehnter und erstreckte sich in den letzten Jahren auch auf
Amerika. Dorthin ging er zum erstenmal im Dezember 1907 und dirigierte
an der Metropolitan Opera in New York wahrend der Saison 1907/08 Opern von
Mozart und Wagner; er kehrte dreimal wieder dahin, nachdem sich in New York
eine Philharmonic Society gebildet hatte, die Mahler-Konzerte gab. Von Opern-
auffuhrungen hielt er sich immer mehr fern. Fruhjahr, Sommer und einen Teil
des Herbstes verbrachte er in seiner Heimat und dirigierte an einzelnen Orten
eigene und fremde Werke in Konzerten, besonders in Munchen, Amsterdam,
Paris, Rom und in mehreren deutschen Stadten. Seine Honorare waren be-
trachtlich in der Neuen Welt; fur ihn hatte dies keine Anziehung, er sollte
seiner Familie eine breitere materielle Basis schaffen, als dies mittels seiner
Pension und der bisherigen Ersparnisse moglich gewesen ware. Er hatte auch
damit ein ihm genugendes Auskommen finden konnen, besonders da er ofter
berufen wurde, um Konzerte zu dirigieren, deren Leitung ansehnlich honoriert
wurde. Von seinen Werken konnte er auch Ertrag erwarten, einzelne seiner
Symphonien fanden Verleger, die gut bezahlten. Seitdem die »Gesellschaft zur
Forderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Bohmen« dem
Deutschbohmen Gustav M. eine Subvention zur Veroffentlichung seiner Sym-
phonien im Jahre 1898 gewahrt hatte — vorher hatte ein begeisterter Anhanger
die zweite Symphonie zum Stich gebracht — , war die Moglichkeit geboten,
dafl seine Werke weitere Verbreitung fanden. Noch eine andere Moglichkeit
hatte sich ergeben, seinen Wirkungskreis in Wien zu andern und sein Ein-
kommen zu festigen. Das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde
war finanziell bedrangt und hatte durch Eingriffe von verstandnisloser Seite
Anderungen in der Organisation und Besetzung erfahren, die dem Institut
keinesfalls zum Vorteil gereichten. Das Ministerium fur Kultus und Unterricht
1 6 Mahler.
erhohte von Jahr zu Jahr die Subvention. Not tat das Eintreten eines Mannes,
der der Aufgabe gewachsen gewesen ware, Wandel zu schaffen und das Institut
zu jener Hohe zu fuhren, auf der es dereinst gestanden hatte, als wohl die Mittel
noch nicht reich waren, allein das Konnen und die Kiinstlerschaft der Fuhrenden
uber diese aufiere Beschranktheit hinweggehoben hatten. Cber Wunsch des
Ministers von Hartel wurde ein Memorandum ausgearbeitet, in welchem die
Sanierung des Institutes beratschlagt und Vorschlage erstattet wurden (or-
ganisatorischer Art und behufs Berufung geeigneter Krafte). M. sollte zum
obersten Leiter ernannt werden. M. hatte dem Proponenten die Zusage gemacht,
dafi er dies Amt zu iibernehmen bereit sei. Solange er Direktor der Hofoper
sei, wollte er kein Honorar annehmen, nach Abgabe der Opernleitung hatte er
ein entsprechendes (vorher schon bestimmtes) Gehalt zu empfangen. Die Sache
zog sich in die Lange. Die Grunde seien hier nicht erortert. M. hatte dem
Vorschlag gemafl als Vertrauensmann der Regierung das Institut zu uberwachen
gehabt, das vorlaufig noch in der Verwaltung der Gesellschaft der Musikfreunde
geblieben ware. M. hatte die oberste Inspektion zu fuhren gehabt und je nach
Bedarf und Einsicht diese oder jene Aufflihrung zu leiten ubernommen. Mi-
nisterwechsel waren fur Erledigung der Angelegenheit nicht fOrderlich. Als
Dr. Max Graf Wickenburg die Revision des Musikdepartements ubernahm und
von dem Memorandum Kenntnis erhielt, wandte er sich an M. Durch die be-
schamenden Verhaltnisse, die seinen Riicktritt zur Folge hatten, angewidert
und durch unverstandige Einflusse verstimmt, leistete M. dem Lockruf des
Direktors Conried nach Amerika Folge, gab seine Absicht, den ehrenvollen
Antrag ftir Wien anzunehmen, auf und erteilte dem gutigen Intervenienten
einen abschlagigen Bescheid. M. wollte nunmehr Wien verlassen und Wien
wurde von einem guten Genius verlassen, der die alte Musikstadt zu neuem
kraftigen Leben wieder erweckt hatte. Ein Schriftsteller (Hagemann) nannte
(ohne von der Moglichkeit Kennntis zu haben, dafi M. auch ohne Oper fur Wien
hatte erhalten bleiben konnen) dieses Scheiden eine Kulturtragodie. Die
tragische Wirkung blieb nicht aus. Fur M. wurde die zweimalige Wiederholung
der Amerikareise zum Verhangnis, besonders da seine Gesundheit geschwacht
war. Wien hat an den Folgen seines Abganges noch heute schwer zu tragen.
M. hatte nur durch das Beispiel zu wirken gebraucht, und die junge Generation
hatte sich daran gebildet. Denn nicht blofl auf dem Gebiete der reproduktiven
Kunst hatte sein Vorbild nachhaltig wirken konnen. Auch in der produktiven
Kunst gehort M. zu den fuhrenden Geistern seiner Zeit.
Um M.s Art in Produktion und Reproduktion richtig zu verstehen, mufi
man sich seinen Charakter vergegenwartigen — wie bei jedem Kunstler. Schaffen
und Wiedergabe sind Spiegelbilder des seelischen Lebens, noch mehr, die Werke
sind seine Erzeugnisse, sein Niederschlag und in der Wiedergabe der Tonwerke
gibt sich, soweit sie nicht mechanisch, ein Stuck eigenen Lebens des Repro-
duzierenden kund. M.s Seelenart war auf Giite und Energie gegrlindet. Die
Festigkeit seines Willens erhob sich in der gottlichen Mania des Ktinstlers wie
in dem unerbittlichen Drange nach Wahrheit in alien Lebensauflerungen zum
Fanatismus. Wie ein Kind liefi er sich vom Moment hinreifien und sein Tem-
perament schien in solchen Augenblicken fessellos. Trotzdem beherrschte sein
klarer Verstand auch die letzten Ausgange seiner Handlungen. Unbeugsam
gab sich sein Wille, und dabei war sein Gemiit weich. GroBzugig war sein Wesen
Mahler.
17
und kindlich sein Empfinden mit Mitmenschen, mit grofi und klein, mit Er-
wachsenen und Kindern. Ruhrend in der Freundschaft, in der Anhanglichkeit,
offen, rlickhaltlos bis zur Selbstverleugnung. An alien Dingen konnte er
Freude haben, uber die geringste Sache konnte er sich argern, wenn sie seiner
momentanen Stimmung nicht entsprach. Reizbar und reizsarn konnte er die
heftigsten Schmerzen ohne Klage ertragen und im nachsten Augenblick uber
die geringste Unbequemlichkeit ungehalten sein. Vertrauensselig und mitteil-
sam gegenuber Freunden, die er als solche erkannt und envorben, mifitrauisch
und zuriickhaltend gegenuber unliebsamen Menschen, bei denen er kein Ver-
standnis fand, und im nachsten Moment warf er auch diesen die hartesten »Wahr-
heiten« ins Gesicht und verletzte dort und da. Daraus erklaren sich auch
Gegnerschaften, die nicht selten aus gekrankter Eitelkeit entstanden. Er
wollte das Leben in alien Hohen und Tiefen erfassen. Tragik und Heiterkeit
in alien Erscheinungsarten fanden Widerhall in seinem Innern. So erklart es
sich, dafi in seinen Symphonien auf Erhabenheit unmittelbar das Einfachste,
Alltagliche folgt. Die Musik schien ihm auch das letztere zu adeln, oder er
wollte durch die Widerspiegelung der Zufalligkeiten alle Phasen des Lebens
tonlich fassen und innerhalb der Tonwerke in zeitlicher Folge wiedergeben.
Er liefi sich da vom Geflihle leiten und gab sich als klarer Verstandesmensch
daruber Rechenschaft. »Der Verstand irrt, das Gefuhl nicht«, so lautete seine
kunstlerische LJberzeugung. In der Kunst, in kunstlerischen Dingen liefi er
sich vom inneren Triebe, vom Drange leiten: so mufi es sein. So gelangte er
dazu, »kiinstlerisch gar keine Konzessionen zu machen«, wohl aber menschlich.
Der Mensch in ihm war butterweich, der Kiinstler unbeugsam in Verfolgung
des vorschwebenden Ideals.
M. war weder absoluter Pessimist, noch blofier Optimist. Er hielt von
jedem das Beste, so lange er nicht vom Gegenteil uberzeugt wurde. Nur seine
Erfahrungen mit einem Grofiteil der Journalistik und mit einer oder der andern
Konzertgesellschaf t machte ihn skeptisch, nicht befangen oder voreingenommen.
Wohl las er mit Vorliebe Schopenhauer und Nietzsche (von welch letzterem er
sich in der Folge abwandte) und vertiefte sich in die Lekture der Werke
von Dostojewski. Von Jugend an waren ihm die Klassiker der Weltliteratur
vertraut, am nachsten stand ihm spater Goethe, in der Jugend beson-
ders E. T. A. Hoffmann, dessen Kapellmeister »Kreisler« manche Spuren in
M. zuriickliefi, richtiger manche Analogien bot, wie in dem uberreizten Gemiit
und dem Mangel an Phlegma, ferner Holderlin und Jean Paul, dessen »Titan«
der ersten Symphonie das dichterische Geleite gab, anfangs sogar mit der Titel-
bezeichnung. In seinen Symphonien findet man dort und da die Lebensver-
neinung als das Bestimmende, wohl am ausgesprochensten in der »Sechsten«,
genannt »die tragische«, allein auch da gibt es Heiterkeit, wie im Trio des
zweiten Satzes, oder wilde Lustigkeit, auch Schwarmerei und Blicke in geliebte
Gegenden (dritter Satz). Es ist ein Irrtum, zu glauben, daB M. die »kleinen Er-
gotzlichkeiten der Menschheit haCte«. Im Gegenteil, er freute sich kindisch
damit; zur Zeit der schwersten Direktionssorgen schwang er im Freundeshaus
das Tanzbein und spielte im kleinsten Kreise lustige Weisen auf. Voile Lebens -
bejahung spricht aus vielen seiner Symphoniensatze, so auch besonders im
dritten und vierten Satze der funften Symphonie, in der Vierten, in der er die
himmlischen Freuden besingt, wie sie das Volksgemut den irdischen
BiogT. Jahrbuch u. Dcutscher Nckrolog-. 16. Bd. 2
x 8 Mahler.
homogen ersehnt. Die Sinnenfreudigkeit des Wienertums dringt dort
und da durch, vereinigt sich mit der Klangfreude der Musik seiner Heimat
und vertragt sich mit der diisteren Leidenschaftlichkeit, die ganze Strecken
und Satze beherrscht. Ein Mann, der mit solcher Freude arbeitet, der mit
solcher Wucht die Kraft ohne Wanken besingt, wie in der »Siebenten«, hat
einen untilgbaren Fonds von Lebensmut und Hoffnung in sich. Er war zeit-
lebens ein »Gottsucher« und ein Ringer nach Wahrheit. Auch in seinen Kom-
positionen sucht er sich durchzuringen zur Erfassung des Daseins, zur Erfullung
seiner hochsten Ziele. Was ihm die Erkenntnis versagte, suchte er wenigstens
kunstlerisch zu erleben oder wie im Fernbild zu erahnen (um solchen Ausdruck
zu gebrauchen). Er wollte nicht im Kunstwerk philosophieren, nur gute Musik
schreiben, die seinen Stimmungen kiinstlerische Fassung verleiht. Er wurde
angeregt von philosophischen Gedankengangen, ohne philosophisch musizieren
zu wollen (was an sich unmoglich ist). Da er nach dem Vorbilde Beethovens
das Hochste mit seiner Kunst zu ergreifen sucht, so will er in einzelnen Satzen
seiner Werke der Urweisheit letzte Schlusse erfiihlen, erschauen, erspahen —
ohne sie begreifen zu konnen, so wie die Wissenschaft sie nicht erklaren kann.
Nachdem er in der dritten Symphonie (einem »Sommermorgentraum«) vorerst
im ersten Satz das Erwachen der Natur (»Pan erwacht«) belauscht, laOt er in
den folgenden Satzen sich vorerzahlen von den Blumen, den Tieren im Walde,
dem Menschen, den Engeln und dann in einem unvergleichlich herrlichen Adagio
(Schluflsatz) : »Was mir die Liebe erzahlt« oder »Was mir Gott erzahlt« ! Gott
und Liebe sind ihm demnach gleichbedeutend. So denkt und fuhlt nicht ein
Pessimist.
Die Liebe, das Gottlichste im Menschen, besingt er allenthalben, sie bildet
auch das Bindeglied zwischen dem ersten und zweiten Teil der »Achten«,
zwischen dem Hymnus »Veni creator spiritus« und dem Schlufiteil des Goethe-
schen Faust, den beiden textlichen Unterlagen des symphonischen Gebaudes.
Als hochstes Ergebnis aller Weltbetrachtung und kiinstlerischen Wiedergabe in
alien seinen Werken ist die Mitteilung der Liebe in alien Spiegelungen. Wie
das Sonnenlicht sich prismatisch bricht, so teilt sich die Liebe, nicht in sieben,
sondern in unzahlbare, in unendliche Niiancen und Schattierungen. M. meidet
auch nicht, die sentimentale, ans Banale streifende Art wiederzugeben, wie in
dem Posthornsolo des dritten Satzes der »Dritten«, die derbe des Landsknechtes
und Reitersmannes. Bei M. findet sich der monotheistische Glaube, einerlei, ob
er in vielen oder einzelnen Augenblicken Zweifel hegen moge, mit alien kon-
fessionellen Erscheinungsarten der Religion und auch, so paradox dies erscheinen
moge, mit pantheistischen Anschauungen zurecht; er schildert naiv auch Aber-
glauben, ohne daran zu makeln oder ihn zu travestieren oder zu ironisieren.
Die Glaubigkeit als solche wird besungen, wenn darin nur der ungeheuchelte
Aufblick zu Gott erstrahlt und die Liebe sich auf das Weltall, auf Menschen im
Dienste veredelten, verklarten Daseins und erhabener Zweckerfiillung erstreckt.
Mifiverstandnisse tiber die Echtheit und Vornehmheit dieser seiner Gesinnun-
gen sind mit aller Entschiedenheit zurlickzuweiscn und waren iiberhaupt nicht der
Beachtung wert, wenn sie blofi in frivoler Weise von Gehassigen aufgestellt worden
waren. Das Erlebnis der lebendigen Wirkung solcher Stellen, wie etwa im 5. Satze
der »Dritten«, hatte wohl eine solche MiCdeutung nicht aufkommen lassen. Es
ist bedauerlich, daB Teile von Werken einer so tief veranlagtenKiinstlernaturwie
Mahler. I g
der M.s solchen Unterlegungen ausgesetzt sein konnten. Die Ironie macht sich
dort und da in symphonischen Stellen fiihlbar, nie aber bei solchen, die demGott-
lichen oder der Nachstenliebe zugewendet sind. Die ironischen und satirischen
Stellen miissen von den humoristischen geschieden werden. Frivol ist gar nichts.
Cber allem waltet der tiefe sittliche Ernst des Kiinstlers — er steht immer im
Dienste der strengsten Kunstreligion. Alles ist veredelt durch ein klarendes
Ethos. In dem zitierten Satze der »Dritten« erzahlen »die Engek (nach anderer
Bezeichnung »die Morgenglocken«) eine Legende, die mit reinster Naivitat des
Gemiites in Tone gefaflt wird, eine fast kindliche Glaubigkeit. kommt zum
Ausdruck in der tonlichen Fassung des »leiden- und siindenlosen Kinder-
himmels« (Bezeichnung von Wilhelm Kienzl). Wo die Dichtung Glaubigkeit
und Humor vereint, wie im Schlufisatz der »Vierten«, da ergreift der Komponist
das Humoristische auf dem Grunde tiefen Ernstes, wie es dem echten, befreien-
den Humor wesenseigen ist, hier noch obendrein in ungetrtibter musikalischer
Erfassung des Paradiesglaubens, der wohl nach M.s Anschauung mit der hochsten
Erfassung des Ewigen nicht ubereinstimmen moge. M. schreibt, um jedem
MiCverstandnisse zu begegnen, der Singstimme ausdriicklich vor: »Mit kindlich
heiterem Ausdruck, durchaus ohne ParodieU Die Trompeten und Horner des
»gro8en Appells« im SchluBteil der »Zweiten« erklingen wie ein Signal zur Er-
hebung des Geistes in ewige Spharen; der darauf folgende Choral »Auferstehen,
ja Auferstehen« (nach den Worten Klopstocks) wird mit einer Ergriffenheit
sondergleichen angestimmt. Wer mit solcher Inbrunst die Worte singt »Ich
bin von Gott und will wieder zu Gott, der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben,
wird leuchten mir bis in das ewig selig' Leben« (im 4. Satz der »Zweiten«), der
hat das Urwesen der Religion erschaut und erlebt, das auf dem festen Grunde
der Nachstenliebe verankert ist: »Dein ist, was du geliebt«. Nur so konnte sich
M. zu dem Sanger der Freude erheben, als der er von dem Italiener Alfredo
Casella begriifit wurde: »Mahler ist der einzige Musiker, der die wahre Tragweite
der Ode an die Freude erfafit hat.« Der katholisch strengglaubige Franzose
William Ritter apostrophiert M. mit den Worten: »Sie sind die wahre Ode an
die Freude.* Nun, zum Gluck haben wir im reichen Bildersaal der Musik-
geschichte noch andere Klinstler, die in gleicher Weise diese Mission erfullt
haben. DaB aber M. gerade nicht in letzter Reihe steht, ist wohl unleugbar.
An der Ehrlichkeit seiner Gesinnungen, an der Offenheit seines Wesens kann
niemand zweifeln, der seiner faszinierenden Personlichkeit je nahergetreten ist
und seiner Kunst mit Unbefangenheit sich nahert. So wie sein Verstand ein-
drang in die Werke Kants (zur Zeit seiner Wiener Tatigkeit), so erhielt sich
sein Gemut den naiven Marchenglauben, eine schwarmerische Marchenselig-
keit, und er sah mit verklartem Kiinstlerblick in den Himmel, der sich ihm
offnete. Mit der Kindesseele des Volksliedes vermochte er sich dorthin zu er-
heben, wohin nicht Vernunft, nur Phantasie oder Glaube geleiten. Durch fast
alle seine Werke geht eine tiefe Sehnsucht — nach dem Unendlichen, und das
Endliche stort nicht den Seherblick. Er verrichtet seine Andacht in der Natur
und betet in Tonen. Dort und da tritt ein Sehnen nach der Natur hervor, wie
es den kulturmuden Weltwanderer unserer Zeit erfullt. Schiller bezeichnet solch
einen Dichter, der die Natur sucht, als einen »sentimentalen«, den Dichter, der
selbst Natur ist, als den »naiven«. Bei M. wechseln Naivitat und Sentimen-
talitat — sein Wesen war komplex und zeigte Kontraste, die durch sein
20
Mahler.
Temperament verscharft wurden. So treten auch in seiner Kunst krasse
Kontraste auf.
An manchen Stellen seiner Partituren findet sich die Bezeichnung: »Wie
ein Naturlaut.« M. schildert nicht auflerlich die Naturbilder und Geschehnisse,
sondern vertont sie als Erlebnisse; in ihrer kiinstlerischen Wiedergabe liegt
nach dem Beethovenschen Ausspruche »mehr Ausdruck der Empfindungen
als Malerei«. Die Motive werden nach streng musikalischen Stilprinzipien
verarbeitet und erheben sich auf diesem Wege zum Tonbilde der Erlebnisse.
M. ist nicht Programmatiker in aufierlicher Art, er will keine realen Pro-
gramme wiedergeben, immer mehr entfernt er sich von solchen Strebun-
gen, die den Meister der Technik verfuhrerisch auf Wege bringen konnten,
die sich von seinem eigensten Arbeitsgebiete entfernten. Die Titelvignetten,
die die erste und dritte Symphonie als Ganzes und einzelne Satze der
»Dritten« erhalten hatten, entfernte er, da sie Mifideutungen ausgesetzt
waren, gerade so, wie Robert Schumann beim vierten Satz der Es-dur-
Symphonie vorgegangen war, mit der Begrundung: »man soil den Leu ten nicht
das Herz zeigen, ein allgemeiner Eindruck des Kunstwerkes tut ihnen besser,
sie stellen dann wenigstens keine verkehrten Vergleiche an«. M.s Uberschriften,
die nicht der Partiturausgabe beigegeben, nur in den Programmen der ersten
Auffiihrungen explikativ mitgeteilt waren, hatten von Anfang an blofi allgemein
andeutenden Charakter, ohne die Phantasie des Horers irgend binden zu wollen.
Sie waren Schliisselzeichen, die ins Gebaude einfiihren konnten und die bei der
Konzeption die Phantasie des Schaffenden moglicherweise beflugelten, ohne
die Ausgestaltung zu bestimmen. Die Textworte, die einzelnen Teilen beigelegt
wurden, waren nicht von vornherein bestimmcnd fur die Stimmung, den Aus-
drucksgehalt der betreffenden Stucke oder Satze, sondern schienen nur will-
kommen als Assoziationsgenosse der Musik. »Wenn ich ein grofles musikali-
sches Gemalde konzipiere, komme ich immer an den Punkt, wo ich mir das Wort
als Trager meiner musikalischen Idee heranziehen mufi«, schrieb er 1897 an
Arthur Seidl. Er kam nicht immer dazu, im Gegenteil, nach der »Vierten«
verzichtet er dauernd auf die Begleitung von Worten zu seiner Musik (denn
dies ist das wahre, reelle Verhaltnis in den M.schen Symphonien, nicht: Beglei-
tung der Musik zu den Worten), nur in der achten Symphonie, in der er den
Grundplan der zweiten in vollig neuer Weise ausfiihrt, greift er bei beiden
Teilen zum Text. Trotz ihrer aufieren Erscheinung als Kantate ist sie nach
Bezeichnung und innerer Haltung eine Symphonie. Das Formale ist hier das
Mitbestimmende: der erste Satz entspricht ganzlich einem Sonatensatz, wahrend
der zweite Teil eine Synthese von Adagio, Scherzo und Finale ist, ahnlich
wie Liszt in seiner einsatzigen H-moll-Sonate eine solche Zusammenschiebung
vornimmt. Wie J. S. Bach einzelne Kantaten als ^Concerto* bezeichnete, so
konnte M. diese zyklische Komposition als Symphonie, als »Achte«, in die
Welt schicken. Noch eher. Dort ist das »Concerto« (ein Instrumentalgebilde)
nur die begleitende Bezeichnung, denn das Ganze ist entschieden auf dem
Boden der Kantate erwachsen, hier war das Symphonische das Vorausbestim-
mende, wahrend die Worte — so wichtig und bedeutend sie sind — fur die
Komposition das Sekundare, das Begleitende sind. Darin liegt auch der
Wesensunterschied von der Schumannschen Komposition des Goetheschen
Textes, des Schluflteiles des »Faust«, der da den Abschlufi der »Szenen aus
Mahler. 2 1
Faust* bildet. Bei M. ist er die textliche Unterlage des zweiten Symphonie-
teiles, der mehrere Satze umfafit, wie dies schon fruher bei Symphonien M.s der
Fall war. Der Hymnus »Veni creator spiritus« ist vollstandig sonatenmaOig
gegliedert und eingeteilt. Die Form war so bestimmend, dafi dem Kiinstler
wahrend der Komposition Textteile fur den Schlufl fehlten und er nachtraglich
noch die Doxologie heranzog — und dies entsprach sonderbarerweise auch dem
kirchlichen Gebrauch, der liturgischen Verwendungsart bei Psalmen und einzel-
nen Hymnen.
So steht denn das formale Moment im Zentrum der ganzen symphonischen
Produktion M.s, wie in seinen Liedern der Strophenbau. M. hat ebensowenig
die Symphonienform gelockert und zerstort, wohl erweitert und teilweise urn-
gebaut, wie Beethoven, Schubert, Bruckner, Brahms, deren Werke wie darin,
so im allgemeinen die Ahnen seiner Symphonienfamilie sind. Am starksten
schlagt der Atavismus Beethovens durch. Der EinfluO Schuberts ist be-
merkbar im zweiten Satz der >>Zweiten«, im zweiten Thema des ersten Satzes
und im Trio des Scherzos der »Ersten«. Die >>moderne« Haltung und Behand-
lung schlieflt sich anfangs dem Vorgange Bruckners an, sowohl orchestral wie
durch chorale Anklange und die Art kontrapunktischer Behandlung. Spe-
zifisch osterreichische Einschlage machen sich dauernd geltend durch Verwen-
dung von Weisen seiner mahrisch-bohmischen Heimat (wie allenthalben, so
besonders im dritten Satz der »Zweiten« und »Dritten« und noch im zweiten
Satz der »Neunten«), ferner in den Scherzi, in denen Landler und Walzer in
Umbildung und Synthese verarbeitet werden (wie in der »Ersten«, so auch in
der »Neunten« usw.). Die osterreichische Soldateska spielt, wie erwahnt, eine
nicht unwescntliche Rolle.
M.s Kunst ist kein Konglomerat aus diesen Bestandteilen, sondern eine
Neugeburt aus des Kiinstlers Urwesen, aus seiner Eigenanlage. Das Wort
»Eklektizismus« ist auch bei M. angewendet worden, besonders von solchen,
deren Anschauungen aus den Aufstellungen in Chamberlains »Grundlagen des
19. Jahrhunderts« (den schiefen Grundlagen, wo alles Wahre abgleitet) und
ahnlichen literarischen Erzeugnissen gebildet oder richtiger durch diese ver-
bildet sind. M. steht auf dem festen Grunde deutscher Bildung, wie seine ge-
nannten Vormeister. Aus seiner judischen Abstammung liefie sich vielleicht
die stellenweise hervortretende Oberscharfung der Ausdrucksgewalt, die fanati-
sche Ubertreibung in der Wiedergabe seiner seelischen Regungen erklaren.
Ob dies aber wirklich einzig darauf zuriickzufuhren ist, bleibt eine offene Frage,
denn auch bei urdeutschenMeistern ist es bemerkbar. So bei Richard Wagner,
der, wie er »sich nur wohl fiihlte, wenn er aufier sich war«, so den Ausdruck
ins Extreme, ins Extremste steigerte. Und gerade da ist seine Macht am
groGten, wie im »Tristan«. M. als Anhang von Berlioz zu bezeichnen, ist
stilkritisch ein arger Irrtum, sowohl in der Art der Stimmfiihrung, als auch in
der asthetischen Haltung; denn wie ihm das Programmatische fernlag, so sah
er das Klangliche nie als Selbstzweck an und benutzte es alsbloGesMittel; wohl
lernte er auch von diesem Farbenkunstler. Da6 er in koloristischer Meister-
schaft Berlioz gleichkommt, ist eine Folgeerscheinung der Ausdrucksmacht
der M.schen Kunst und des Klangsinnes des Meisters. Sie wendet sich, wie jede
echte Kunst, an alle musikalischen Kulturnationen, die sie auch mahlich zu
erobern vermag. In den Auffuhrungen des »Allgemeinen Deutschen Musik-
2 2 Mahler.
vereins«, in dem besonders Richard Straufi als Vorsitzender, auch Hermann
Kretzschmar dafiir eintrat, hat M. seine ersten Eroberungen gemacht, die von
Dauer waren; in den philharmonischen Konzerten der Deutschen Prags hat er
seine ersten Siege erfochten, in Munchen, Mannheim, Graz, Amsterdam sowie
in andern Stadten hat er dauernde Erfolge errungen, in Wien hat er spater
eine starke Gemeinde erworben. In den beiden erstgenannten Stadten wurden
Mahler-Feiern veranstaltet. »Das Genie Gustav M.s ist reprasentativ im Sinne
der grofien Traditionen deutscher Musik«, sagt Gerhart Hauptmann, und:
»Er hat die Damonie und Feuermoral deutscher Meister«. »Es gibt wohl keinen
deutschen Musiker, der sachlicher lebt als M.«, ruft der Grazer Musikschriftsteller
Ernst Decsey mit Emphase. Vielleicht ist diese Sachlichkeit kein Separatgut
von uns Deutschen. Sicher ist, dafi M.s Melodik auf dem Boden der heimatlichen
Volksmusik erwachsen ist, seine Satzweise sich an der Thematik der obge-
nannten Meister herangebildet hat, dafi seine Lieder schon in sprachlicher Be-
handlung die engste Zusammengehorigkeit des Tonsetzers mit dem Wort-
dichter, bei den von ihm verfaflten und vertonten Gedichten die untrennbare
Einheit deutschen Sprach- und Musikgefuhls offenbart. Wer zudem Wagner,
Beethoven, Mozart, Lortzing u. a. so stilrein auffiihrte wie M., und dies zumeist
ohne aufiere Vorbilder, sondern aus sich heraus, aus Intuition, der ist ein
wahrer deutscher Kunstler, der wie jeder universale Meister die Fahigkeit
besafl, sich auch in andere Stilrichtungen einzuleben.
Im Dirigieren eigener und fremder Werke gab sich die Person des
Leiters und das geleitete Kunstwerk gleicherweise kund. Er vertiefte sich in
das Werk, und dieses zog ihn an sich, so dafi er sich ihm restlos hingab.
Subjekt und Objckt wurden eins. Indem er das Kunstwerk nachbildete, fiihrte
er die mit ihm Wirkenden und von ihm Gefiihrten, seine Gefahrten, mit un-
widerstehlicher Suggestionskraft und zog sie zu seiner Auffassung heran. Er
liefi jedem Mitwirkenden gerade so viel Freiheit, als ohne Verletzung der einheit-
lichen Wiedergabe irgend moglich war. Er holte aus den Spielern das Aufierste
ihrer Leistungsfahigkeit heraus und stellte alle in den Dienst des Werkes. Er
machte sie dabei seinem Willen untertan, und mit Feldherrnblick verteilte er
die Teile der Truppen nach Generalplan, der in dem Musikstiick selbst gelegen,
und nach der Situation, nach den vorhandenen Kraften eingerichtet wurde.
Bei den Proben konnte man beobachten, wie Schritt fur Schritt das Terrain
gewonnen und erobert wurde, wie bei dem minutiosen Ausfeilen der kleinsten
Details der Blick auf den Zusammenhalt des Ganzen gerichtet war. Bald gibt
er eine vergleichende Erklarung, bald blast und geigt er mit Kehle und Lippen
ein Motiv oder einen Gang vor, zeichnet mit Arm und Hand die Linie, die Art
der Bewegung, stofit in die Luft, wachst beim Crescendo zu einem Riesen empor,
verkleinert sich beim Decrescendo zu einem Zwerg, entlockt mit seinen Mienen,
den drauenden Brauen, den bittenden Mundwinkeln, der gefurchten Stirn das
Intimste und die grofite Spannkraft vom pppp bis zum ////. Er ermuntert mit
humoristischen Worten, tadelt in sarkastischer Weise — immer nur, um den
Spieler, den Sanger zu »neuen Taten« anzuspornen. Er erzahlt ein Geschicht-
chen, das die Phantasie neu beleben soil. Die leiseste Mittelstimme im viel-
stimmigen Satz erhorcht und riigt er, wenn sie falsch erklingt; mitten im tosend-
sten Ansturm weist er den Ton eines Instrumentes zurtick, das nicht richtig
angesetzt hat, bemerkt einen Sanger im grofien Chor, der eine Oktave zu tief
Mahler.
23
intoniert, einen Geiger im Tutti, der den Ton richtig, aber auf der ungeeigneten
Saite anstreicht. Aus fur einzelne Auff uhrungen seiner Symphonien und andern
Werken eigens zusammengestellten, richtiger zusammengewiirfelten Orchestern
schafft er in wenigen Proben einheitliche Instrumentalkorper. Bei Klavier-
proben fiir Oper und Konzert meisterte er in vollendeter Weise das Instrument,
mit dessen Klangen er die Sanger begleitete. Er vermochte die Illusion des
Orchesters zu geben und hielt sich dabei in den Grenzen, die den Gesangs-
stimmen gegeniiber eingehalten werden miissen. Im Ensemble von Kammer-
musikstiicken bewahrte er sich als feinfuhliger Genosse seiner Partner — da
zeichnet er mit feinen Linien im Rahmen des Miniaturbildes; Kammermusik-
spiel pflegte er mit Vorliebe. Als Akkompagnateur von Liedern vermochte er
dem Sanger sich anzuschmiegen und zugleich ihn zu f uhren, ohne diese Fuhrung
flihlen zu lassen. In Einzelproben von Blasern, von Streichern suchte er das
Klangverhaltnis zum Gesamtorchester festzuhalten, und jeder Spieler mochte
sich dabei gleichsam als Solist flihlen.
Wie er ganz im Kunstwerk aufgeht bis zum letzten Nerv, so erwartet er
es auch von seinen Mitarbeitern. Er will nicht nachgeben, bis alles erreicht ist,
was ihm erreichbar erscheint. Er verlangt Fortsetzung der Probe, Wieder-
holung und Vermehrung. Da stofit er an des Widerstandes realste Machte —
den Musikern ist des Lebens Erwerb von gleicher Wichtigkeit, die ubervolle
Anspannung unliebsam. Den meisten Menschen erscheint es als unverzeih-
liches Vergehen, ihnen unbequem zu werden — besonders auch gewissen Musi-
kern. Daraus entstanden in Wien Konflikte — nicht in lauter Opposition
sich aufiernd, sondern in wachsendem stillen Grolle, der sich sammelte und in
der Folge in Scherbengerichten Luft machte. Werke, die, obzwar sie ihn am
Anfang nicht sympathisch beriihrten, von ihm zur Auffiihrung angenommen
wurden, sei es, dafi er sich ihnen allmahlich naherte, wie dies z. B. bei Pfitzners
»Rose vom Liebesgarten« der Fall war, sei es, dafl er sich ihnen, durch verschie-
dene Umstande bestimmt, nahebringen mufite — was allerdings ganz ausnahms-
weise geschah — , solche Werke behandelte er mit der gleichen Aufmerksamkeit
und dem gleichen Pflichteifer wie Werke, die Fleisch von seinem Fleische,
Seele von seiner Seele waren, ob sie von andern oder von ihm geschaffen waren.
Nichts hafite er mehr als das Handwerkertum im Reiche der Kunst — nicht
zu verwechseln mit dem Handwerkszeug des Musikers, dem »goldenen Hand-
werk« der Kunst in Schaffen und Nachschaffen. Er konnte sich wie der Jttng-
ling im »Entfesselten Prometheus« erzurnen:
*Handwerker sind sie, die um schnoden Lohn,
Die groBen Vater affend, Kunst erkiinsteln!
Ja, gliiht in ihrer Brust die tiefe Sehnsucht,
Der schmerzensreiche Drang nach ihrer Gottin?
Sie glauben nicht an ihre eigne Sache,
Darum wird ihnen nimmennehr geglaubt!
Sie konnen nicht ergreifen, denn sie selbst
Sind nicht ergriflenl . . . .«
Diese Worte Lipiners waren gleichsam ein Geleitbrief des Wirkens seines
Freundes M. Er konnte ergreifen, weil er selbst tief ergriffen war, im heiligen
Opferdienst seiner Kunst.
24 Mahler.
Wenn der kleine Mann mit den lebhaften Bewegungen sich dem Pulte
naherte, trat Stille ein. Er gruflte mit freundlicher, klarer, sympathischer
Stimme die Musiker, die, sobald er den Taktstock erhob, von seinem Blicke
gebannt, seinem fiihrenden Willen sich ergaben. Aus seinen Ztigen spricht
Ernst und heiliger Eifer, die leuchtenden Augen verbreiten Licht und
Helligkeit, bei mystischen Stellen wie vertraumt dreinblickend; im kraftvollen
Kinn aufiert sich energischer Wille wie in den belebten Flugeln der scharf-
geschnittenen Nase und in der hohen Stirn, in die sich Falten legten, sobald
Zweifel und Zorn sich erhebt, wogegen aus den feinen, schmalen Lippen ein
mildes Lacheln sprechen kann. In allem iiberlegend und (iberlegen Iafit er
sich in seinen Korperbewegungen frei ergehen, manchmal ins Groteske, mit
nervosem Zucken und Aufschlagen des Fufies. Doch seine Bewegungen wurden
im reiferen Alter immer konzentrierter. Die Arme scheinen sich mit der not-
wendigen Angabe von Takt und Tempo begnugen zu wollen, Auge und Miene
bohren sich in die aufmerksam Aufsehenden ein, Handgelenk und Finger-
spitzen leisten mehr als frtiher Arme und Fufle. M.s Dirigieren vergeistigte
sich immer mehr und mehr, und der Wille teilte sich wie in elektrischen Ent-
ladungen mit, die dem Auge des Zuschauers unsichtbar blieben. M.s Arbeit
im Dirigieren und Komponieren verinnerlichte sich stetig. Dies zeigt sich
besonders in der stilistischen Faktur seiner Werke. Die Bogen der Melodien
bleiben weitgespannt, allein die Motivikwird immer komplizierter, das Stimmen-
gewebe intrikater und verdichtet sich stellenweise zu einem fast undurchdring-
lichen Dickicht. Die Stimmungen werden aus den verborgensten Winkeln der
Seele herausgeholt, und alle Regungen und Strebungen werden in der stets
wachsenden Verklitterung zu fassen gesucht. Vielleicht ging er darin zu weit.
Jedenfalls ist er auch darin einer der Stilfuhrer seiner Zeit, ein echter und
rechter Vertreter der »Moderne« des letzten Jahrzehnts des vorigen und des
ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts. Er vermochte sich immer freier zu
entfalten und hielt doch fest an den uberkommenen Formen. Die Mittel ver-
mehrt er, bereichert die Koloristik, intensifiziert den Ausdruck, vervielfaltigt
die harmonischen Reize, bleibt dabei mehr oder weniger auf diatonischer Grund-
lage, so sehr er die leiterfremden Tone verwendet und sie mit den leitereigenen
verbindet — in gleichzeitigem Erklingen, mit kiihnster Benutzung von Ver-
halten (oft gehauft), Antizipationen und Durchgangen. Innerhalb seiner
Diatonik (nicht absolut, nur der Intention nach) sind ubermaflige und ver-
minderte Intervalle, Querstande aller Art verwendet, mit moglichster Ver-
meidung der direkten chromatischen Harmonik, wohl aber mit Anbringung
chromatischer Laufe als klangsteigernder koloristischer Mittel. Dur und Moll
assoziieren sich bei ihm gleichsam in einer und derselben Grundtonart, er bindet
sie nach- und miteinander. Die Folge von Dur-Moll in einem Akkorde (Bei-
behalten von Grundton und Dominante, Wechsel von groOer und kleiner Terz)
ist gleichsam ein Symbol fur Freud und Leid, die im Leben so rasch und un-
mittelbar aufeinanderfolgen, ein tonliches Spiegelbild der Lebenserfassung in
Optimismus und Pessimismus, die in den Werken des Tondichters M. ohne
Tendenz ausschliefilicher Geltung nach der einen oder andern Seite hervor-
treten. Bald kommt eine plotzliche Wendung von Moll zu Dur, wie im zweiten
Satz der »Vierten«, bald bildet der Klang Dur-Moll das Leitmotiv fur eine ganze
Symphonie (»Sechste«) und wieder aufgenommen im zweiten Satz der »Sieben-
Mahler.
25
ten«, schon angeschlagen im ersten Satz der »Zweiten«, von besonderer Be-
deutung im »Lied von der Erde« (erstes, zweites und letztes Stuck, »Abschied«,
das zwischen Moll und Dur schwebt). Dann kombiniert er sie gelegentlich, wie
iibcrhaupt verschiedene Tonarten im gleichzeitigen Erklingen verknupft werden
— eine Wesenseigenschaft des Stiles der Meister unserer Zeit. Harmonische
Steigerungen und Niedergange werden mit Mitteln erreicht, die neu sind und
ebenso der Detailbeschreibung wiirdig waren wie die durch die Verbindung
der Stimmen sich steigernden Kombinationen, die rhythmischen Steigerungen
und Senkungen uberhaupt. In all dem unterscheidet er sich von den Zeit-
genossen und wirkt stilbildend. Er schiebt die Tonarten (auch Kreuz- und
Betonarten), das harmonische und melodische Mollsystem, Dur und Moll in-
einander, auch hier nur dann, wenn das AuBergewohnliche zum Ausdruck ge-
bracht werden soil, wenn die melodischen Eigengange, die zusammengefuhrt
werden, solche harmonische Behandlung als logische Konsequcnz nach sich
Ziehen. Unvermittelt folgen Tonarten aufeinander, in tonlicher Spiegclung des
Oberraschenden, so besonders markant im Scherzo der »Fiinften« (B-dur-D-dur),
im ersten Satz der »Sechsten« (E-moll-C-dur) u. a. In einzelnen Liedern und
Symphonien schlieflt er nicht in der Tonart, in der er begonnen hatte, nicht aus
Skurrilitat, nicht wegen Insuffizienz der Kraft des Zusammenhaltens, wohl
aus psychologischen Motiven, so schon in Liedern des »Fahrenden Gesellen«,
»Ging heut morgens libers Feld« und »Die zwei blauen Augen von meinem
Schatz«. Der Wanderer kommt in eine Richtung, die von der ursprunglich
eingeschlagenen abweicht, die Augen des Schatzleins fiihren wohl seitab. Ebenso
im Zyklus der Symphonic Die »Funfte« beginnt in Cis-moll, endet in D-dur,
die »Siebente« H-moll-C-dur, die »Neunte« D-dur-Cis-moll mit tiefem Sinn, dort
ein Aufschwung, hier ein Sinken, besonders bedeutungvoll in der letzteren, in
deren SchluCsatz der Tondichter gleichsam Abschied nimmt. Alles entstammt
der inneren Not, dem Drange, nicht aus Sucht zu reizen, und nicht in der Ab-
sicht zu blenden. Solche Vorwurfe wurden von Gegnern erhoben, die nach
Wagnerschem Rezept bei andern Effektsucht wittern.
Die rhythmischen Gliederungen vermannigfaltigen sich sowohl in der Linie
der Einzelmelodie durch stellenweise rasch wechselnde Taktarten, auch in der
Verbindung mehrerer Melodien, die dort und da, selbst mit AuOerachtlassung
geregelter Stimmfiihrung, in heterophoner Art aneinanderstoOen — wie die
Widerstande im Leben, wie die Gegensatze der Natur: denn (wie Goethe sagt) in
der Natur ist alles, das Rauhe, Gelinde, das Liebliche und Schreckliche, das Kraft-
lose und Allgewaltige. Man konnte hinzufugen, das Schone und Haflliche. Das
Rauheste findet sich in den Symphonien wiedergegeben, so im zweiten Satz
der »Sechsten«. Der Humor steigert sich manchmal ins Wilde, Groteske (wie
im zweiten Satz der »Funften«).
Die melodischen Gange reibcn sich stellenweise in Sekunden oder Septimen
oder Nonen aneinander, sei es, um die Eigenzugigkeit der hart im Raume sich
stoflenden Stimmen zu wahren, sei es in unerbittlicher Wiedergabe der Unerbitt-
lichkeiten des Lebens, der Kakophonien des Seelenlebens. Dort gehen sie in
Quarten nach Art der alten Niederlander oder in modern koloristischem Dienst,
zur gegenseitigen Klangverstarkung. Auch Quintengange dienen solchem
Zwecke, oder Quinten- und Oktavenparallelen zeigen einen archaisierenden
Charakter, sie sind »organal« gefuhrt in der Art primitiver Musikbehandlung,
26 Mahler.
an der Schwelle derKunst stehend; dann haben sie gelegentlich einen gleichsam
rustikalen Charakter, in bauerlicher Art, wie dies schon in den Villanellen des
17. Jahrhunderts liblich war, besonders drastisch im dritten Satz der »Dritten«.
Die Naivitat solcher Stimmfiihrung, die in altehrwurdige Kirchengebrauche
zuriickleitet, kann die Tondichtung in hohere Regionen geleiten, so im Auf-
erstehungschor der »Zweiten«, im vierten Satz der »Vierten« (»St. Peter im
Himmel sieht zu«) und in hochwichtigen Stellen der »F(inften« und »Achten«.
Mit auffallender Vorliebe stiitzt M. einfache und komplizierte Teile auf
Orgelpunkte, oben, unten, in der Mitte. Von der Moglichkeit, fortsingende
Stimmen in alien Lagen zu bringen, macht er so ausgiebigen Gebrauch wie
wenige Meister. Ganze Teile werden so tonlich gestutzt, so das Trio des zweiten
Satzes der »Zweiten«, der Anfang des zweiten Satzes der »Achten«, da durch
164 Takte das dreigestrichene es in der ersten Violine erklingt, wahrend die
andern Streichinstrumente auf einem Motiv festsitzen, — ein tiefsymbolischer,
unheimlicher Zug des da zum Ausdruck gelangenden Anachoretencharakters.
Orgelpunkt und Ostinato gehen unmerklich ineinander iiber: so schwankt der
»feste« Ton im dritten Satz der »Z\veiten« zwischen E und Es, Basse murmeln
quasi ostinato -Tone, die fast oder wirklich ein Motiv sind, im ersten Satz der
»Zweiten«, im funften Satz der »Dritten«, im zweiten Satz der »Sechsten«.
Oder ein Akkord beharrt mit blodem, torichtem Eigensinn wie ein Verrannter
auf seinem Recht des Erklingens, wie zur Belustigung, unbekummert um das,
was daraus harmonisch entsteht — wie im Leben: Hauptthema des ersten Satzes
der »Siebenten« mit dem rhythmisiertenE-moll- Akkord in der zweigestrichenen
Oktave. Dann gerat ein Ton allmahlich in Bewegung. Der Halteton wird in
rhythmische Unterteile aufgelost, mit Ornamenten und Melismen umschrieben,
in Motive umgesetzt, die mit einer Beharrlichkeit wiederholt werden, die auf
Beethoven weist und besonders auch in Meisterwerken des 17. Jahrhunderts
beliebt war, freilich in anderer Art der Ausfiihrung und aus anderen psychischen
Motiven hervorgegangen. Die polyphone Schreibweise zieht mit wachsen-
der Bedeutung fur die Gesamtstruktur in seinen Stil ein. Von der »Funften«
an werden seine Leistungen darin aufiergewohnlich. Kanons verwendet er nur
selten, wie im zweiten Satz der »Funften« (eine Episode zwischen Holzblasern
und Celli), dagegen ftihrt er die Fugenarbeit in Verbindung mit Sonatensatz
oder Rondo im Sinne des letzten Beethoven weiter, so im dritten Satz der
»Zweiten«, im letzten Satz der »Funften<< (Tripelfuge), in der Durchfiihrung des
ersten Satzes der »Achten« (Doppelfuge), im dritten Satz der »Neunten« (mit
der Aufschrift im Manuskript »an meine Bruder in Apoll'«). Schon im zweiten
Satz der »Zweiten« setzt er einen schlank gewachsenen Gesang des Violoncells,
eine sufie Weise, als Kontrapunkt zum ersten Thema (im doppelten Kontra-
punkt); im ersten Satz erscheint der zweite Teil des ersten Themas vorerst als
Kontrapunkt. Doch steigern sich die Kiinste besonders in der »Fiinften«,
»Sechsten«, »Siebenten<<, in dcren erstem Satze das Hauptthema in gerader
und Gegenbewegung mit dreifacher Engfuhrung erscheint. Doppelte, drei-
fache Augmentationen, Diminutionen stellen sich mehrfach ein, und solcher
Mittel viele. Variationen im eigentlichen Sinne, als selbstandige Form, be-
gunstigt er nicht, der dritte Satz der »Vierten« bringt solche in freier Aus-
fiihrung, als Metamorphosen der Hauptmelodie. Dagegen ist die Variierung
der Themen ein Hauptmittel der Konstruktion und vermannigfaltigt sich in
Mahler.
27
den Werken seit der »Fiinften«. Seine Lehrer diirften darauf zu wenig Gewicht
gelegt haben. Je mehr er sich in die symphonische Arbeit vertieft, je mehr
er in diese eindringt, desto mehr wachst sein Geschick.
Ein kostliches Kleinod gerade in dieser Beziehung ist »Das Lied von der
Erde« — auch auf symphonischem Grunde erbaut. Er zerlegt da die Themen
in ihre Urbestandteile, bildet aus diesen neue Weisen und verteilt das Material
in alle Stimmen. Sein Hauptaugenrnerk ist auf klare Gliederung gerichtet.
So weit er die Bogen spannen moge — die Themen an sich weiten sich in bis
dahin unerhorter Weise (vgl. meinen »Stil in der Musik«) — so sehr ist sein
Augenmerk auf Logik des Ausbaues gerichtet. Auf- und Abstieg der Themen
ist von eindringlichster Plastik. Man sieht manchmal die Themen entstehen —
aus den Eingangsmotiven werden sie vor Aug' und Ohr entwickelt, geboren,
so in den ersten Satzen der »Dritten« und »Sechsten« und in deren Schlufisatz.
Sie werden dann wieder verkleinert, verkurzt, erweitert; einzelne Themen
stehen im naheren und ferneren Verwandtschaftsgrade zueinander, oder Teile
von ihnen sind ahnlich (so im zweiten Satz der »Funften«). Sie kombinieren
sich miteinander, so im ersten Satz der »Siebenten«, Haupt- und Seitenthema.
Manchmal haufen sich die Nebengedanken in einer Art, die selbst den aufmerk-
samen und geubten Horer verwirrt, so im Scherzo der »Funften«, im Finale
der »Sechsten« fast in babylonischer Turmbauart. In andern Fallen eliminiert
er nachtraglich Stimmeneintritte, die ihm unnotig erschienen, so im zweiten
Satz der »Zweiten«. Im Finale der »Siebenten« finden sich innerhalb weniger
Takte die wichtigen Themen vereinigt, ebenso in der Reprise des ersten Satzes
der »Funften«. Die Themen sind so eindringlich, scharf profiliert, dafi ihre
Physiognomie auch unter den Mummereien der Variierungen erkennbar bleibt.
Gewisse Idiotismen stellten sich ein, wie bei jedem Kiinstler von Eigenart;
sie lassen sich von der »Ersten« an verfolgen, auch vom ersten Lied an — M.sche
Wendungen, die besonders auch innerhalb der »F(inften« und »Sechsten« sich
finden, zur Zeit, da M. seinen Eigenstil ganz ausgebildet hat und unwiderleglich
dokumentieren, dafi dieser Meister kein Eklektiker ist. Er beschrankt sich
naturlich nicht darauf, nur in der Exposition das Material einzufiihren, sondern
bringt gelegentlich auch im weiteren Verlauf neue Themen. Schon Beethoven
hat in der Durchfiihrung des ersten Satzes der »Eroica« ein neues Thema
gebracht, und so halt es auch M. im ersten Satz der »Zweiten«. Dem
groflen Meister folgend, enthalt auch in seinen Werken dieser Teil den Hohe-
punkt. In der Reprise werden die Themen oft in anderer Reihenfolge
gebracht; der Stoff wird nach den Vorgangen der seelischen Bewegungen ge-
staltet bei Innehaltung der Hauptforderungen, der Grundpfeiler der betreffenden
Formen. Auch wo freie Episoden, phantasieartige Gcbilde in scheinbar unge-
bundener Gestalt eingeschaltet sind, ordnen sie sich in den Organismus der
Regularform restlos ein. Noch in der »Sechsten«, die der tragischen Lebens-
erfassung in fast schwelgerischer Weise sich ergibt, werden die Exigentien
streng formaler Behandlung so weit beobachtet, dafi sie formlich bestimmend
auch auf den inneren Verlauf wirkten: aufierlich erkennbar durch die sonst
nicht mehr ubliche Wiederholung der Exposition des ersten Satzes.
Als Hilfsmittel behufs Klarheit und Eindringlichkeit dient neben der
Ebenmafiigkeit des formalen Baues, der melodischen Linien die Perspektivik
der Orchestrierung, die, so stark sie scheinen mag, nie die Deutlichkeit der
28 Mahler.
Gruppierung verwischt. »Die Plastik der Instrumentationskunst M.s ist ab-
solut vorbildlich«, sagt Richard StrauB, wohl der berufenste Beurteiler kolo-
ristischer Behandlung. Die Gedanken und Ausdrucksweisen werden ins Klang-
bild umgesetzt. Erstere sind das Primare, die Kolorierung das Sekundare,
wie es das gesunde Verhaltnis ist. DaC sich mit einzelnen Themen die Klang-
farben gewisser Instrumente schon bei der Erfindung verbanden, ist dabei
nicht ausgeschlossen. M. gestand, dafl es ihm oft schwer fiel, die passende
Orchestrierung zu finden — so leicht er sich dies auch hatte machen konnen.
So wurde die »Fiinfte« sogar nach ihrer Veroffentlichung einer griindlichen Urn-
instrumentierung unterzogen, was in diesem Falle mit der Umbildung seines
Stiles von der »Vierten« zur »Fiinften« teilweise zusammenhangt. Auf der
Palette seines Orchesters sind alle Farben, alle Mischfarben der Moderne zu
finden, und er hat sie in nicht unerheblicher Weise vermehrt.
Die ublichen Streich- und Blasinstrumente bilden das Grund- und Haupt-
mittel, wie zur Zeit der Klassiker und Romantiker, nur vermehrt (einzelne
Gruppen verdoppelt, verdreifacht) und mit neuen erganzt, in noch mehr Stimmen
zerlegt, darin in gleicher Weise vorgehend wie manche seiner Zeitgenossen. Die
Es-Klarinette wird vomMilitarorchester ubernommen und war schon von Berlioz
verwendet worden. Ihr Klang ist uberscharf. Celesta, Guitarre, Mandoline sind
schon von andern gebraucht worden, von niemandem in mehr kennzeichnender
Weise als von M. Klavier und Harmonium werden als klangvermittelnde,
bindende Instrumente herangezogen. Die Sologeige wird dort und da umge-
stimmt, wie dies im 17. Jahrhundert nicht selten war und von einzelnen Vir-
tuosen der nachfolgenden Zeit, besonders von Paganini, geubt wurde. Der
Orgelklang in der »Zweiten« und »Achten« ist nichts Ephemeres in der Literatur
und erscheint in diesen Werken M.s durch die poetische Stimmung geboten.
Die Schlaginstrumente hat er in ungeahnter Weise differenziert und darin selbst
Berlioz weit ubertroffen (Pauken, grofle und kleine Trommel, Becken, Tamtam,
Tambourin, Holzklapper, Xylophon); die Besenrute hat schon Mozart ver-
wendet. M. lehrte sie eine Sprache, die fruher unbekannt war; er fullt mit
ihnen Generalpausen und gliedert sie in rhythmischer Weise, er macht sie dem
Zwecke der Oberleitung dienstbar. Sie werden als klangliche Hilfsmittel
und als Begleiterscheinungen seelischer Regungen und Eindrucke verwendet,
z. B. als Gespensterzeichen im ersten Satz der »Dritten«. Im Finale der
»Sechsten« erdrohnt zweimal (an verschiedenen Stellen) ein Hammerschlag
(nach der Vorschrift »kurz, dumpf, machtig hallend von nicht metallischem
Charakter«) als Verstarkung des Orchesterschlages, gleichsam ein dumpfer
Schicksalsschlag. Glocken erklingen als spharische Lebenszeichen oder wie zur
Begleitung von Vorgangen der belebten Natur: im fiinften Satz der »Dritten«,
in den ersten Satzen der »Funften« und »Achten«. Sie ertonen auch aus Kindcr-
mund, wie von Engeln angestimmt — als Himmelsglocken. Diese Nachahmung
von Glockenstimmen findet sich schon in mittelalterlichen Tonstiicken, auch
zur Zeit der Hochbliite der A capella-Musik. Die Herdenglocken in der »Sechs-
ten« erklingen nicht in tonmalerischer Absicht, etwa um eine Kuh- oder Schaf-
herde zu kennzeichnen. M. wollte, wie er erklarte, damit »nur ein ganz aus
der weitesten Feme verhallendes Erdengerausch charakterisieren, das der auf
einsamer Hohe Stehende erlauscht, als Symbol weltfernster Einsamkeit«.
Sie wiederholen sich im zweiten Satz der »Siebenten«. Solche und ahnliche
Mahler.
29
Klangwirkungen sind Ausnahmeerscheinungen im Gesamtklang seiner Werke.
Auch ein Grofimeister der Koloristik macht Versuche, die nicht immer gelingen.
Wenn er einen Irrtum oder Mangel wahrnahm, anderte er, bis das zu Sagende
klar und fafilich im Klangbilde sich mitteilte. Die ungewohnlichen Lagen einzel-
ner Holz- und Blechblasinstrumente dienen gleichem Zwecke wie die zeit-
weilige Vorschrift, dafi sie mit hochgehobenem Trichter geblasen werden sollen
oder dafl die Spieler sich erheben sollen. Wer kann behaupten, dafi darin ein
Zuviel an Verdeutlichung angestrebt sei? Dafi er nicht aus Farbensucht die
Forderungen stellt, erkennt man schon daraus, dafi er fur die »Vierte« weder
Posaunen noch Tuben verlangt. Im Adagietto der »Funften« werden nur
Streicher und Harfen verwendet. Auch die Orchestrierung seiner Lieder zeigt,
wie wahlerisch er im Heranziehen der Klangfarben war und bald mehr, bald
weniger verlangte. Der Vorwurf, dafi seine Instrumentierung zuweilen uber-
laden sei, ist von Verstandigen auch gegeniiber Wagnerschen Partituren, so
besonders der des »Tristan«, erhoben worden. Wer hat recht behalten? Alles
ist nach seiner Art; wenn diese nur etwas sagt und bedeutet, dann mufi man
sie anerkennen und nicht in andere Art umsetzen wollen. Die Anschauung hat
sich an das Objekt zu halten, sie wechselt ohnedies mit jedem Erschauenden,
Erhorenden. Der innerste Lebensnerv der Musik ist und bleibt das melodische
Element. In der Beobachtung dieser Grundthese unterscheidet sich M. gar
sehr von manchem seiner »Bruder in Apoll'«, die neben ihm wirkten oder seine
Kunstiibung fortzufiihren vermeinen. Seine Weisen zeugen immer von Cha-
rakter und wirken uberzeugend fur den, der da kommt, um zu glauben. Sie
sind nicht immer gewahlt, dann will er das Vulgare, das er als Antithese ver-
wendet. Er lafit auch den Plebejer sprechen, stimmt bauerische Weisen an, wie
vor ihm Bruckner. Solche Weisen entbehren nicht selten der Originalitat,
so besonders, wenn er das Philistertum zeichnet, das Liebespaar der Gasse,
den verliebten Postilion, den »Pulcher«, der die Burgmusik begleitet (eine
Wiener Spezialitat), gafiab trodelt und die kostbare Zeit vertrodelt. Die Tri-
vialitaten kann der Symphoniker wiedergeben, wenn sie, wie schon gesagt,
auf dem Grunde ernster Lebensauffassung gelagert sind. Beethoven hat in
seiner Pastorale die Dorfmusikanten geschildert, wie ihnen schlaftrunken der
Ton stecken bleibt und sie erschreckt wieder einfallen. Wie es damals »orts-
ublich* war in der Hinterbruhl, in Gaaden (wohin er sich zuriickziehen wollte),
so hat er es kunstlerisch gefafit und eingeordnet. Der Ton-»Mahler« des vanity
fair hat andere Tone am Markt des Lebens gefunden, aufgelesen. Werden sie in
einem Jahrhundert auch so veredelt klingen, wie heute die Tone der Dorfschenke
bei Beethoven? Melodisch schwach sind z. B. das zweite Thema des ersten
Satzes der »Sechsten«, einige Themen der »Neunten«, wahrend das erste Thema
dieser Symphonic zu seinen schonsten musikalischen Einfallen gehort. M.s
Melodik schwebt zwischen Volkstumlichkeit und hochster Kunstentfaltung.
Im dritten Satz der »Ersten« steht die Bemerkung: »schlicht und einfach wie
eine Volksweise«. Er will damit auch die Naturlichkeit im Vortrage kenn-
zeichnen. Naturweisen werden ins moderne Kunstterrain hinubergezogen, sei
es durch Umbiegung einzelner Tone, wie etwa noch im zweiten Satz der »Sechs-
ten«, sei es durch eine Fassung, die dem Kern eine ganz neue Einhullung gibt.
Septsprunge findet man in osterreichischen Landweisen, die bei M. beliebten
Nonspriinge sind auf dem Eigenboden der stets fortschreitenden Umbildung M.-
30
Mahler.
scher Melodik erwachsen. Die sogenannten Chorale in M.s Symphonien gehoren
oft nur mehr dem Stimmungsgebiet des Chorals an und sind Eigenweisen in
der Melodik des Kunstlers. Als die motivische Synthese seine Technik be-
herrschte (seit der »Funften«), betrat er musikalisches Neuland, so eigen auch
seine Sprache in vorangegangenen Werken im einzelnen sein moge. Dies ist
der naturliche Prozefl in jedem Kiinstler, der »selberaner« geworden ist, wie
Schubert sagte, als man ihn fragte, ob er Mozartianer oder Beethovenianer sei.
M.s Ausdrucksweise wird zur Eigensprache in allmahlichem Ringen nach voller
Entfaltung der Individuality. Dies ist ein organisch notwendiger Vorgang
bei jedem Kiinstler mit eigener Physiognomic.
Waren M.s Jugendwerke erhalten, hatte er nicht mit unerbittlicher Selbst-
kritik alles vernichtet, was er bis etwa 1882 geschrieben hat (Kammermusik,
Opern »Heinrich von Schwaben«, »Argonauten«, »Rtibezahl«, verschiedene
Orchesterwerke, darunter eine »Nordische Suite oder Symphonie«), so konnte
man die erste Periode der Entwicklung dokumentarisch belegen und beschreiben.
Das »Klagende Lied«, komponiert im Alter von 18 — 20 Jahren, erfahrt 1888
eine griindliche Umarbeitung durch Weglassung des dritten Teiles, Zusammen-
ziehung der beiden ersten Teile und Kurzung der instrumentalen Zwischen-
spiele und nach geraumer Zeit eine nochmalige Revision der Instrumentation.
Ihr. Verhaltnis zur ersten Komposition ist nicht sicherzustellen. Es ist
kein Lied, war ursprlinglich als Marchenspiel fur die Biihne gedacht und wurde
als Kantatenstudie ausgefiihrt. Der Text ist von ihm nach einem von Bechstein
erzahlten Marchen gedichtet und scheint mir poetisch mehr beschwingt als die
Musik, die nicht geringe Anforderungen an Soli, Chor und groCes Orchester
stellt. Sie schwebt zwischen Konzert und Theater und kann ihre urspriingliche
Bestimmung fur letzteres nicht verleugnen. Neben einzelnen melodischen
Wendungen zeigt sie Eigenziige: im raschen Tonartenwechsel (Cis-moll-C-dur),
im Gebrauch von harten Septimenakkorden, im raschen Wechsel von /// und
ppp. Da neben diesem Werk aus seiner Jugendperiode nur einigeunter dem Titel
von »Jugendliedern« (1885) erschienene Lieder erhalten sind, kann der Historiker
nicht die erste Periode behandeln, wenngleich er sie als vorhanden annehmen
mufl. Von diesen Liedern lehnt sich eines (»Fruhlingsmorgen«) an Schumann
an, ein anderes steht am Boden des Volksliedes (»Hans und Grete«). In den
nachfolgenden Werken miissen den obigen Ausfuhrungen zufolge zwei Perioden
geschieden werden, wie dies auch von Bruno Walter erkannt wurde: die erste
(im Gesamtgebiete des M.schen Schaffens also die zweite) Stilperiode umfaOt die
Zeit von 1883 — 1900. In ihr entstanden vier Symphonien, als besonders kenn-
zeichnend die »Lieder eines fahrenden Gesellen« (1883) (von ihm auch ge-
dichtet) und die Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn« (1888 — 1 899). M. hatte
diese Sammlung erst im Alter von 28 Jahren kennen gelernt, deren Geist aber
schon vorher (schon in der Dichtung vom »Klagenden Lied«) im Sehnen des
Dichters erspaht; denn, wie Goethe sagt, kennt der Dichter die Welt durch
Antizipation. Diese Sehergabe spielt in M.s Leben eine besondere Rolle: so
schrieb er die Kindertotenlieder, bevor er seine geliebte erstgeborene Tochter
verloren hat. Er komponierte den SchluCsatz des »Liedes von der Erde« und
der »Neunten« als Abschied vom Leben, bevor der Todesengcl ihn gestreift hatte.
Im Lied erreichte er gerade in dieser zwei ten Periode vorerst seine voile Eigen -
art: »Reveglie«, »Der Schildwache Nachtlied« sind der eigenste M., ich mochte
Mahler.
31
sagen, der »echte«, wenn diese Bezeichnung nicht Mifldeutungen gegenuber
andern Werken zur Folge haben konnte. Sie sind so ureigen, wie in der Folge -
zeit, in der folgenden Periode »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, »Um
Mitternacht«, »Die Kindertotenlieder« (tiberhaupt die Riickertlieder) und »Das
Lied von der Erde«, die Spitze der Liederpyramide. Vom »Klagenden Lied«
zum letztgenannten fiihrt eine Weltreise, in volliges Neuland. Dort sind
Spuren, hier die Erfullung. Dieser dritten Schaffensperiode gehoren neben den
Ruckertliedern und dem »Lied von der Erde« des weiteren die folgenden Sym-
phonien (»Fiinfte« bis »Neunte«) an. Der Italiener Casella (in Paris lebend)
und der Franzose William Ritter wollen mit der »Neunten« eine neue Periode
beginnen. Ich wuflte keinen plausiblen Grund hierfiir. Die stilistische Faktur
ist nicht verschieden, nur die Art der Ausfiihrung und Zusammensetzung dem
Stimmungsgehalt entsprechend. M. war von Lied, Kammermusik und Oper
ausgegangen und beackerte in der Folge nur mehr die Gebiete von Lied und
Symphonie. Als einer der gewandtesten Operndirigenten wandte er sich von
der Opernproduktion ganzlich ab: fur diese wurde er ein Fiihrer in der Wieder-
gabe, fiir die Symphonie ein Pfadfinder und seine Werke werden ein Meilen-
zeiger fiir die Zukunft. Diese Abwendung von der Opernproduktion ist in der
Natur M.s tief begriindet. Die Opernmache beherrschte er, wie wohl wenige.
Allein er wollte ganz eintauchen in das Reich der reinen Musik. Seine Diri-
genten- und Direktionstatigkeit bot ihm den Lebenserwerb — er hatte fiir
Mitglieder seiner elterlichen Familie und dann fiir die eigene Familie zu sorgen.
Man nannte ihn den »Sommerkomponisten«. Im Winter fuhrte er ge*
wohnlich das aus, was er im Sommer, wahrend der Ferien, konzipiert hatte. Im
Augenblick, da er die Oper verliefl, gehorte er sich an, kehrte »zu seiner Weise«
ein, wie Beethoven sagte, als er sich von der Oper abwandte. Weltentriickt
schuf er in landlicher Zuruckgezogenheit seine Symphonien. Das Schaffen
war ihm Erholung. Da sang er seine Lieder, die wie Vorhallen zu seinen sym-
phonischen Gebauden erscheinen. Erstere sind die intimen Seelenlandschaften,
letztere die grofien Seelengemalde; Genrebilder neben tondichterischen Dar-
stellungen des Kosmos. Die musikalische Seele, die beide Gattungen belebt,
ist die gleiche und verbindet sie in eins. Wie die Lieder der mittleren Periode
in die Symphonien der gleichen Zeit hiniibergezogen sind (im ersten Satz der
»Ersten« ein Lied des fahrenden Gesellen »Ging heut morgen iibers Feld«,
motivisch im dritten und vierten Satz wiederkehrend, im dritten Satz der
»Zweiten« die »Fischpredigt des hi. Antonius von Padua«, im Scherzo der
»Dritten« »Der Kuckuck hat sich zu Tocle gefallen«), so finden sich alluberall
in seinen Symphonien Beziehungen zu Stellen aus seinen Liedern. Sein letzter
Liederzyklus »von der Erde« ist — ich mOchte sagen — eine Symphonie
im Innern, sogar mit Anlehnung der formalen Behandlung einzelner Teile.
Die »Neunte« ist geradezu die voile symphonische Verarbeitung des im »Lied
von der Erde« enthaltenen tonpoetischen Stoffes, so stimmt besonders der erste
Satz mit dem »Abschied« uberein. Indem er in der Liedkomposition von der
strophischen Behandlung als Grundlage der Vertonung ausgeht, verbindet er
diese mit spezifisch musikalischer Ausarbeitung und gelangt so zu Gebilden,
bei denen die letztere als das Ausschlaggebende, Formbestimmende erscheint,
besonders durch motivische Verarbeitung in Zwischenspielen, wie dies in Liedern
der dritten Periode, vorerst im AnschluC an den Vorgang von Schumann und
32
Mahler.
Brahms, dann in gemeinsamem Vorgehen neben Hugo Wolf, Richard Straufi
u. a., hervortritt. Das ware im einzelnen zu untersuchen und nach-
zuweisen. Seine Lieder werden auch koloristisch ins Orchestergebiet
ubergeleitet. Es sind da instrumentierte Kammerlieder von eigentlichen Or-
chestergesangen zu unterscheiden. Erstere im Sinne der »groflen Kammermusik*
des 17. und der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts, die nicht so sehr fur die
kleine Kammer oder die biirgerliche Stube, als vielmehr fur die grofie furstliche
Kammer der friiheren Zeit geschaffen und wohl fiir den kleinen Konzertsaal
unserer Zeit geeignet ist. Ich mochte die Lieder »Blicke mir nicht in die Lieder «,
»Ich atmet' einen linden Duft«, »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, »Rhein-
legendchen* und den Zyklus der Kindertotenlieder trotz der koloristischen Ge-
wandung als eigentliche Kammermusik ansehen, die andern instrumentierten
Lieder als eigentliche Orchesterlieder, fiir den groflen Konzertsaal bestimmt.
Es sind deren zwolf nebst dem »Lied von der Erde«. Im ganzen hat M. 42 Lieder
komponiert. Die Bezeichnung »symphonische Lieder«, die Philipp Spitta
fiir die Brahmsschen Gesange verwendet, ist im hoheren Sinne fiir die Lieder
von M. anwendbar. Sie umfassen Natur, die Welt der Kinder und GroCen in
den mannigfaltigsten Stimmungen der Liebe, weltlich und heilig, vollste Hin-
gabe in absteigender Linie bis zur Resignation, die in verklartester Weise in
dem unvergleichlichen »Ich bin der Welt abhanden kommen« zum Ausdruck
kommt. Parodistische Wendungen finden sich in einzelnen Liedern, ausdruck-
lich so bezeichnet im »Aus! Aus.U, da der Soldat von seinem Liebchen Abschied
nimmt (im »kecken Marschtempo«) und dieses in den Antworten zu erkennen
gibt, dafi beide sich irgendwie trosten werden. Eine banal travestierende
Wendung ahnlicher Art im »Trost im Ungliick«, dem Zwiegesprach von Husar
und Madchen. Bezeichnungen markanter Art finden sich sowohl in Liedern
wie besonders in Symphonien : im dritten Satz der »Ersten« auch »mit Parodies,
zur Charakterisierung des Bildes der den Leichenzug des Jagers begleitenden
Tiere des Waldes, ein Trauermarsch mit Benutzung des Studentenkanons
»Bruder Martin«. In den Symphonien steigern sich Anweisungen ins Ex-
treme, z. B.: »in grofler Wildheit« (vierter Satz der »Ersten«), »mit grofler
Vehemenz<c (im zweiten Satz der »Funften«), »mit roher Kraft« und »wie ge-
peitscht« in der »Sechsten«. Solche Stellen diirfen im Vortrag ebensowenig
aus dem Rahmen des Ganzen gerissen werden, wie dies der Komponist in for-
maler Behandlung vermeidet. Alles ist eingeordnet, bei den Liedern in das
Grundgerust der textlichen Vorlage. Freilich erlaubt er sich da manche Ande-
rungen — mit Riicksicht auf spezifisch musikalische Momente. Wenn ganz aus-
nahmsweise in der Deklamation eine Abweichung vorliegt, wie etwa im »Ur-
licht« (vierter Satz der »Zweiten<c) beim Worte »abweisen«, so ergibt sich
dies aus dem musikalischen Kontext in natiirlicher, fast zwingender Weise.
Wenn er in vielstrophigen, durchkomponierten Liedern Strophen auslaflt,
geschieht es entweder aus Riicksicht auf die Okonomie des musikalischen Ge-
bildes oder im Hinblick auf die Untauglichkeit, die Ungeeignetheit der be-
treffenden Worte. Wenn er Worte, Satze, Verse einfiigt, z. B. im Auferstehungs-
lied von Klopstock (im Schluflsatz der »Zweiten«), so verlangt dies der musi-
kalische Gedankengang oder es ist die Erfiillung einer poetischen Forderung des
Tondichters. Er schiebt auch gelegentlich zwei Texte in einen Gesang zusammen,
wie im »Wer hat dies Liedlein erdacht ? « oder in der SchluOnummer des »Liedes
Mahler.
33
von der Erde« — damit ist ein Stimmungsbild geschaffen, das etwas ganz Neues
bringt, ein Neuerzeugnis des Wort- und Tonpoeten M., eine Umgiefiung der
beiden Vorlagen. Durch ausnahmsweise Wiederholung von Textstellen gewinnt
die musikalische Stelle an Eindringlichkeit. Die bloBe Sangesfreudigkeit lafit
sich in Melismen ergehen, so in »Wer hat dies Liedlein erdacht?« — ein mit-
reiCender Strom von Koloraturen. Von den 428 Liedern, die Ruckert unter
dem Eindruck des Todes seiner Kinder gedichtet, wahlt M. funf und schafft
einen Zyklus, dessen Stimmung mit erschiitterndem Ausdruck edelste, vor-
nehmste Haltung vereint. Er endet mit eincr Weise, die rhythmisch an ein
Wiegenlied anklingt — die Kinder ruhen in der Erde wie von der Mutter gewiegt!
Der Trost lindert den unsaglichen Schmerz, der eigentlich unstillbar ist! Ein-
heitlicher, noch konzentrierter ist der Zyklus des »Liedes von der Erde« trotz
der einander gegenliberstehenden Stimmungen, die in Gegensatzen aufein-
anderstofien. Diese Macht der Konzentrierung vermag nur die Musik in der
vollendeten Meisterschaft des Kunstlers zu iiben. Die flinf Gesange ruhen auf
einem Grundmotiv (a a g 2 c a ), dessen Tone in alien moglichen Varianten, Urn-
formungen in gerader, umgekehrter, riickgangiger Folge erscheinen. Optimis-
mus und Pessimismus stofien hart im Raume aneinander. Ersterer beson-
ders in Nr. 3 »Von der Jugend«, in Nr. 4 »Von der Schonheit«, deren
Motive sich nahe stehen, letzterer besonders in Nr. 2 »Der Einsame im
Herbst« und Nr. 6 »Der Abschied«, hier in einer wechselseitigen Mischung und
Abfolge, die schon in Nr. 1 »Das Trinklied vom Jammer der Erde« und Nr. 5
»Der Trunkene im Fruhling« Vorganger hat, dort (in Nr. 6) zur Abklarung
gelangt im Bewufitsein, dafi nach dem Tode des einzelnen »die Hebe Erde all-
uberall im Lenze bliiht und aufs neue grunt« und in der Musik zu den Worten
»0 Schonheit, o ewigen Liebens, Lebens trunkene Welt« poetisch und musi-
kalisch ihren Hohepunkt erreicht. Alles ist ins Erhabene gezogen; dies wird
auch nicht gestort durch das Bild des Affen (in Nr. 1), der im Mondschein auf
den Grabern hockt, »eine wildgespenstige Gestalt«, deren Spuk dem Klinstler
und Menschen M. so widerwartig schon im Leben mitgespielt hat! Die Texte
sind der Gedichtsammlung »Die chinesische Flote«, Nachdichtungen chinesischer
Lyrik von Hans Bethge, entnommen und in freier Weise zusammengestellt.
Die Gefiihls- und Stimmungswelt der vier Dichter aus dem achten Jahrhundert,
an deren Spitze Li-Tai-Po steht, ist von dem Tondichtcr in einer Weise erfafit,
dafi ein fast restloses Ineinanderaufgehen alter und neuer Kultur zuwege ge-
bracht ist. t)ber die Grenzen zweier Kunste und uber einen Zeitraum von
1200 Jahren wird eine Verbindung gezogen, als ob »Alt« und »Neu« sich vollig
glichen: mit den Mitteln einer neugeschaffenen, modernen Kunst. Die Ver-
wendung der Fiinftonreihe altchinesischer Musik im dritten und vierten Stuck
und des daraus genommenen Abschnittes im Grundmotiv des Zyklus ist nur
eine begleitende Zufallserscheinung. Die Tenorstimme (bei zwei), Alt oder Bari-
ton (bei vier Gesangen) singen in einem neuen Stil mit den subtilsten Farben-
tonen des Orchesters vereint, als ob es das Ergebnis der Seelenbewegung einer
langstvergangenen Zeit ware. So ist es immer mit den echten Kunstwerken,
die Stoffe alten Kulturen entnehmen und deren allgemein menschlicher Kern-
inhalt in den verschiedenen Kulturperioden der gleiche bleibt.
Wie M. in diesem Zyklus unci in einzelnen Liedern die Lebensprobleme in
verschiedener Weise kunstlerisch fafit und von der tondichterischen Seite sich
Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nelcrolog:. 16. Bd. 3
34
Mahler.
ihnen zu nahern sucht, so sind seine Symphonien von gleichem Inhalt erfiillt —
nur in groBeren Dimensionen und auf ausschliefllich musikalischem Boden
erbaut, dort und da zumWorte, zur menschlichen Stimme greifend, als einer will-
kommenen Verdeutlichung der kiinstlerischen Strebungen und Absichten, als
einer Assoziation des ahnlich oder gleichartig zum Vorschein kommenden
Stimmungs- und Gedankenausdruckes, als einer Vervollkommnung und Be-
reicherung des sinnlichen Klanges im Dienste der Mitteilung des Seelischen.
Dann werden die Phrasen der Instrumentalstimmen iibergangslos von den
Singstimmen ubernommen oder umgekehrt — es ist e i n e Weise, in die sich die
Instrumente und die menschliche Stimme als Instrument teilen — wie in seinem
»Lied von der Erde«, so in seinen Symphoniesatzen mit Gesang. Man sehe sich
darauf hin etwa den vierten Satz der »Dritten« oder die ganze »Achte« an. Ich
mochte diese Symphonien als kosmische Kunstwerke bezeichnen. Natur und
Leben, Werden und Vergehen, Zeit und Ewigkeit, Tag und Nacht werden in
Tonsymbole gefaflt. Die Stimmen der Tiere des Waldes ertonen, die Stimme
des Rufers in der Wuste erschallt, die Schreie, das Stohnen, Kreischen und
Achzen, das Jubeln wird vernehmbar, die »Juchezer« in freier Natur und das
Jubilieren am offenen Markt und Platz, die stillen Heimlichkeiten in engen
Gassen und Raumen. Die Freuden im Diesseits und die ertraumten und im
Glauben ersehnten »himmlischen Freuden« des Paradieses werden besungen
und verklart. In der Mehrzahl seiner Symphonien ringt sich der Kiinstler
durch Kampfe und Trauerklange zur Befreiung vom Leid empor, wie in der
»Ersten«, »Zweiten«, »Dritten«, »Funften«, »Siebenten«. Diese Befreiung ist
verschieden geartet; nur in der »Ersten« gelangt der Weltwanderer zu einem
Siege, zu einem »Triumphale«, in der »Funften« ringt sich der Strebende zum
Ideal empor, das ihm schon im ersten Satz wie verschleiert vorschwebt, in der
»Siebenten« enthiillt sich ihm endlich strahlendes Sonnenlicht. In der »Zweiten«
erreicht der Trauernde nach Verzweiflung und im Sehnen nach Gott und Liebe
den Glauben, nicht im konfessionellen Sinne, wohl den Glauben an die Allmacht
der Liebe. Der hochste Ratselschlufi ist bei M. die reine Liebe zu Gott, Mensch
und Natur, wie im Schlufisatz der »Dritten« des Lebens Harmonie in der Hin-
gabe sich verklart. Die »Achte« bringt gleichsam die Erfiillung der »Zweiten«:
da ist alles auf das »accende lumen sensibus, infunde amorem cordibus« auf Licht
und Liebe, als den Kernpunkt alles Daseins, gerichtet. »Vierte« und »Sechste«
stehen im absoluten Gegensatz zueinander, dort die Freude, Behaglichkeit in
verschiedensten Nuancen und Abstufungen, hier die unerbittliche Tragik, die
zum Untergang fuhrt. In der »Neunten« nimmt der Kiinstler nach wechselnden
Bildern des Daseins von diesem Abschied, sie schliefit »ersterbend«. Cberhaupt
kommen in jeder Symphonie entsprechend dem Wechsel im irdischen Leben,
im Weben und Walten der Natur die mannigfaltigsten, einander ablosenden
Seelenstimmungen zum Ausdruck. Kontraste stofien aneinander, wie in der
Wirklichkeit des Daseins. Eine fast verwirrende Menge von Gesichten wechselt
und schiebt sich aneinander. Sie sind eingegliedert nach den Forderungen
formaler Behandlung und der notwendigen Abwechslung in der Folge der
Satze des Zyklus zu einer Symphonie. Manchmal vertauscht er die ubliche
Folge (so besonders in der »Neunten«, da zwei langsame Satze zwei schnelle
umschlieOen) im Dienste der poetischen Grundidee, die keine realen Forderungen
in programmatischer Beziehung stellt, nur rein musikalisch sich einfugt und so
Mahler. ? e
erkennbar ist. Auch in den duster gehaltenen Satzen tauchen ruhigere Mo-
mente auf in Erfiillung unabweisbarer Forderungen tonkiinstlerischer Be-
handlung. Wollte man jede der neun Symphonien in ihrem seelischen Verlaufe
verfolgen, so miiflte eine Detailanalyse gegeben werden, die das Mafi des hier
zu Bietenden weit iiberschreiten wiirde und vielleicht den, der sich daranwort-
lich hielte, in unnotiger Weise binden und der freien Auffassung Fesseln anlegen
wiirde. Denn die psychische Ausdeutung hat mehrfache Moglichkeiten, fast
unendliche Varietaten, und dies ist ein Vorzug musikalischer Werke. Manchmal
fuhlt sich der das Werk Aufnehmende so gestimmt, wie der Konzipierende
beim Schaffen — ja sogar dieselben Bilder oder Poesien tauchen auf. Allein
solch Zufall kann nicht die Bedingung fur das Verstandnis sein.
Bei den M.schen Symphonien wird das Verstandnis insofern erschwert:
vorerst, weil so sehr jede ftir sich steht, alle mehr oder weniger zusammengehoren,
sich gegenseitig erganzen, sogar in Gruppen einander gegenuberstehend wie die
»Zweite«, »Dritte«, »Vierte« gegeniiber der »Fiinften«, »Sechsten« und »Sieben-
ten«, die erstere Gruppe mehr dem religiosen Gebiet angehorend, wie die »Achte«,
die zweite Gruppe mehr dem Irdischen zugewendet. Ferner weil die Satze der
einzelnen Symphonien in Abteilungen zusammengezogen und endlich weil die
Satze einer und derselben Symphonie miteinander motivisch verbunden sind.
Die tonpoetische Deutung dieser Zusammenhange verlangte Spezialuntersuchun-
gen, die sich auch mit den Grundfragen symphonischen Schaffens zu beschaf tigen
hatten. Gleiche Motive gelangen an verschiedenen Stellen verschiedener Satze
und Symphonien zu mannigfach abwechselnder Bedeutung und stellen doch
einen inneren Zusammenhang her. So stellt sich, um nur noch einen Fall zu
erwahnen (von motivischen Beziehungen der »Dritten« und »Vierten« war
schon die Rede), das Finale der »Fiinften« neben das der »Siebenten«, schon
auflerlich in der Weiterfuhrung der Rondoform. Die Griinde ftir die Zusammen-
ziehung einzelner Satze einer Symphonie in Abteilungen sind teilweise aufiere —
wegen der Ausdehnung eines Satzes und der relativen Kurze anderer — teil-
weise innere, wegen der engen Zusammengehorigkeit. In der »Zweiten« hat
der zweite Satz erst »nach einer Pause von mindest fiinf Minuten« einzusetzen,
und dann gelangt der dritte, vierte, fiinfte fast ohne jede Unterbrechung zur
Auffiihrung. In der »Fiinften« sind drei Abteilungen : die erste (der erste und
zweite Satz thematisch im Zusammenhang) und dritte (der vierte und fiinfte
Satz ebenso thematisch zusammenhangend) umschliefien die zweite Abteilung
(den dritten Satz »Scherzo«). In der »Siebenten« ist der zweite Teil aus drei
Satzen gebildet (den Nachtmusiken), der eingeschlossen wird vom ersten Satz
als erstem und dem letzten Satz (Rondofinale) als drittem Teil. Dies alles ware
aus dem Organismus der Zyklen zu erklaren. In verschiedener Weise sind die
motivischen Verbindungen der einzelnen Satze einer Symphonie hergestellt.
Dies lafit sich bei alien Symphonien nachweisen. Da gelangt ein Thema erst
in einem nachfolgenden Satz zu wahrer Geltung, das Streben und Sehnen gelangt
zu seinem Ziel, dort wird ein Thema in schmerzvoller Erinnerung an Ver-
gangenes angeschlagen, dann verandert es sich, wechselt in Haltung und Cha-
rakter, erscheint wie ein Zerrbild oder in Verherrlichung. Wie dankbar ware
es, dies im einzelnen zu verfolgen und dadurch die hohe Kunst des Musikers
und Seelenmalers klarzulegen. Dariiber lieCe sich ein Buch schreiben, das
sicherlich nicht ungeschrieben bleiben wird. Die Schwierigkeit der Aufnahme
3*
36
Mahler.
der M.schen Symphonien wird endlich noch gesteigert durch ihre Ausdehnung
und die Dauer der Auffiihrung. Es war bis zum Datum der Erstauffuhrung
der »Dritten« wohl nichts Gewohnliches, dafi eine Symphonic zwei Stunden
in Anspruch nimmt (der erste Satz nach Angabe der Partitur allein 42 Minuten
das Finale 22 Minuten). Jede von ihnen (mit Ausnahme der »Ersten«)
kann einen Konzertabend ausfullen (im Durchschnittsmafi von i J / 4 bis i 1 ^
Stunden); einzelne verlangen ihn, so die »Zweite«, »Dritte« und »Achte«. Das
Merkwurdige ist, dafi ich selbst von Gegnern der M.schen Richtung — welche
hatte sie nicht! — nie dariiber klagen horte, dafi sie sich gelangweilt hatten.
Die Werke halten den Horer in Spannung, ob Freund oder Feind. Immerhin
gehoren einige zu den gangbareren, andere zu den schwerer oder schwer erring-
baren Werken der Tonkunst. Ich mochte sie nicht bezeichnen und unter-
scheiden, weil die heute beliebteren in Zukunft die weniger aufgefiihrten sein
konnen und umgekehrt. Dies ist kein seltener Fall in der Geschichte der Musik —
vielleicht sogar der regulare. Die Statistik der Auffiihrungen ergibt bisher
folgende Reihenfolge: »Vierte« (seit 1901) 61 mal, >>Zweite« (seit 1895) 44 mal,
»Erste« (seit 1889) 44 mal, »Dritte« (seit 1896) 33 mal, »Ftinfte« (seit 1904)
22 mal, »Achte« (seit 1910) 21 mal, »Sechste« (seit 1906) 21 mal, »Neunte« (seit
1913) 3 mal, wobei mit Hinblick auf die Daten der Entstehung und Erstauf-
fiihrung die »Vierte« (in einem Jahre allein 17 mal), die »Zweite« (in einem
Jahre 8 mal) und die »Achte« (in einem Jahre 13 mal) besonders hervortreten.
Bei der letzteren, die vom Konzertunternehmer als »Symphonie der Tausend«
(Mitwirkenden) bezeichnet wurde — eine Bezeichnung, die M. nichts weniger
als sympathisch war — , ist also der stark erhohte Anspruch an Mitteln der Ver-
breitung bisher nicht hinderlich gewesen. Die Auffiihrungen erstrecken sich
auf folgende Lander (nach der Reihenfolge der Auff uhrungsziffer) : Deutsches
Reich, Osterreich, Holland, Frankreich, Schweiz, Amerika, England, Finnland,
Rufiland, Italien, Schweden. Das »Lied von der Erde« ist seit 191 1 in den drei
erstgenannten Landern 14 mal aufgefiihrt worden. Die »Achte« wurde in
Deutschland 19 mal, in Osterreich, Holland, Schweiz je einmal aufgefiihrt.
Dieses Verhaltnis rechtfertigt wohl schon aufierlich die Widmung des Werkes
»An die deutsche Nation«.
Die Werke M.s haben sich Schritt fur Schritt das Terrain erobern
miissen. Am Anfang ging es gar langsam vor sich. So sehr seine Muse
ein Kind seiner Zeit war, so sehr aus der Seele seiner Kunst die Gegen-
wart spricht, so ist sie doch fern der Mode. Seine Tonsprache ist eindring-
lich, allein in ihren hochsten und letzten Aufierungen nicht leicht zuganglich.
Die sonderbare Mischung des Naiven und Sentimentalen gibt Ratsel, die nicht
leicht zu losen sind. Seine Kunst wirkt beim ersten Eindruck da anziehend,
dort abstofiend und mufi liebevoll umworben werden. Das Groteske, Bizarre,
Ironische, Parodistische in einzelnen Stellen und Satzen kann leicht mifiver-
standen werden. Das hohe Pathos, der befreiende Humor, die zarte Heiter-
keit heben iiber die Schroffheiten hinweg, die vielleicht einer kommenden
Generation nicht als solche erscheinen. Diese edlen, vornehmen Eigenschaften
sind ein Palladium, eine Schutzwehr gegeniiber der in einzelnen Stellen und
Teilen von manchen bisher empfundenen Uberreizung und dem dort und da
sich geltend machenden, in unserer Zeit im allgemeinen hervortretenden Hyper -
subjektivismus. Nur darf man sich den Symphonien vorerst nicht mit Hilfe
Mahler. 37
des Klaviers nahern wollen: denn was orchestral moglich ist, klingt auf den
Tasten nicht selten befremdlich. Nach dem, dem Kunstwerk entsprechenden
Eindruck in der angemessenen Klangerscheinung lafit sich das weitere Studium
in der ublichen Weise betreiben. Einwande gibt es liberall, und am meisten
dort, wo Neues, Selbstandiges zutage tritt. Und M. hatte Weitblick. Im
organischen Anschlufl an das Cberkommene baute er auf. Seine Produktion
hat neben dem Eigenwerte auch Bedeutung fur die Zukunft. Beethoven,
Schubert, Bruckner, Brahms auf symphonischem Gebiete, Bach in der Poly-
phonie (seit der »Funften«), Wagner, Liszt, Berlioz in orchestraler und ton-
poetischer Beziehung sind die Stiitzen des Aufbaues des M.schen Kunst-
werkes, das auf dem Boden der osterreichischen Volksmusik errichtet ist. Es
reiht sich neben die Werke seiner fortschrittlichen Zeitgenossen, besonders
neben die mehr programmatische Richtung von Richard StrauQ und die mehr
formalistische von Max Reger. Diese drei sind die Haupttrager der Kunst
der Zukunft. M.s Muse ist tonpoetisch die verklarteste und ideell dem Hochsten
zustrebende. Ob und inwieweit eine besondere Schule sich an ihn anschlieBt,
ist gleichgultig. Einen verwandten osterreichischen Einschlag zeigen jiingere,
wie Zemlinsky, Schoenberg, Schreker und jlingste wie E. W. Korngold.
Die letzten Wege von Schoenberg und Anhang fiihren allerdings weit ab von
ihrem Ausgangspunkte. Die Jugend liebt M. und seine Kunst, und so durfte
ihm das Recht auf Zukunft nicht genommen werden. Fiir seine Werke wirken
Dirigenten, die sich an ihm herangebildet haben und in Verehrung sein An-
denken wahren. So wird er der »Welt nicht abhanden kommen« und sein Leben
wird der Nachwelt nicht mit einem unaufgelosten Vorhalt, mit dem »das Lied
der Erde« am Ende schicksalsbange in die Zukunft blickt, sondern mit dem im
Schlufisatz der >>Neunten« von Moll zu Dur sich wendenden, vollen Dreiklang
(in der Tonart der Erhabenheit) nachklingen.
Chronologische Tabelle.
Gcboren 7. Juli i860 in Kalischt, Bohmen, an der mahrischen Grenze, als zweit-
altestes Kind.
Eltern : Bernhard und Maria Mahler (geb. Hermann).
Vater (Kaufmann) * in Kalischt am 2. August 1827, f in Iglau am 18. Februar 1889.
Mutter * am 3. Marz 1837 in Ledec, f am 25. Oktober 1889 in Iglau.
Geschwister : Hans, Justine (verehelicht mit Professor Arnold Rose* in Wien).
Emma (verehelicht mit dem Solocellisten Eduard Ros6 in Weimar).
Das alteste der Geschwister starb im 1. Lebensjahre.
Im Dezember i860 Obersiedlung nach Iglau (Mahren).
1866 erster Musikunterricht bei Theaterkapellmeister Victorin und Lehrer Brosch.
Besuch der Volksschule und seit 1870 der ersten Klassen des Gymnasiums in Iglau
und Prag.
1875 nach Wien, Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Klavier:
Professor Julius Epstein; Harmonielehre: Professor Robert Fuchs; Kontrapunkt
und Komposition: Professor Theodor Krenn (nach den Matrikeln 1876/7). Di-
rektor: Josef Hellmesbergcr; absolviert Juli 1878, preisgekront. Gymnasialstudien
privat fortgesetzt, Matura in Iglau.
1878/9 Besuch der Universitat Wien (philosophische, historische und musikhistorische
Kollegicn).
FrUhwerke vcrnichtet, darunter Quintett fiir Streicher und Klavier (Scherzo
mit erstem Preis gekrbnt), Sonate fiir Klavier und Violine, Oper tHeinrich
von Schwaben*.
38 Mahler.
1878 Klavierauszug der 3. Symphonie von -Anton Bruckner, gewidmet Richard
Wagner (erste Fassung), erschienen bei Bosendorf er und Rattig, WieiL Inniger
Verkehr mit dem Meister t dessen Kolleg iiber Harmonielehre an der Uni-
versitat M. sporadisch besucht.
1879 Sommer, Theaterkapellmeister in Hall (Ober-Osterreich) mit monatlich 30 fl.
Gehalt und 50 Kreuzern *Spielhonorar*, leitet Operetten und Possen.
Herbst, Wien, Klavierstunden; abwechselnder Aufenthalt in Iglau.
1880 »Das klagende Lied*, Dichtung und Musik, angefangen 1878, beendigt
1880 (1. Fassung). Umgearbeitet um 1898, erschienen 1899. Die Instrumentation
revidiert in den Jahren nach 1900.
Oper »Argonauten*, Dichtung (in Stabreimen) und Musik, unvollendet,
vernichtet.
1881/2 Winter, Theaterkapellmeister in Laibach, Ruckkehr nach Wien.
1882/3 Saison, Theaterkapellmeister in Olmiitz, dann Chordirektor einer italieni-
schen Stagione im Karl theater in W i e n.
1882 Marchenspiel »Rubezahl«, Dichtung und Musik (vernichtet).
Verschiedene Ansatze zu Orchesterwerken, darunter >Nordische Sym-
phonie* (vernichtet).
L i e d e r , komponiert vor und um 1883, erschienen 1885 als 1. Heft der »Lieder und
Gesange aus der Jugendzeit*.
R. Leander, *Fruhlingsmorgen«,
„ »Erinnerung*,
Volkslied: »Hans und Grete*,
Tirso de Molina, Serenade aus »Don Juan* 1 _ , , . _
_,, . . — t . ) Gelegenheitskompositionen.
„ „ „ Phantasie aus »Don Juan* J b r
1883 Sommer, Besuch in Bayreuth (»Parsifal«).
1883 Kdniglicher Musikdirektor in K ass el.
1884 Dezember, Lieder eines iahrenden Gesellen, Dichtung und Musik,
erschienen 1897:
Nr. 1 »Wenn mein Schatz Hochzeit macht*,
Nr. 2 »Ging heut Morgen iiber's Feld*,
Nr. 3 »Ich hab* ein gliihend Messer in meiner Brust*,
Nr. 4 »Die zwei blauen Augen von meinem Schatz*.
Sommer 1885, Dirigent des Musikfestes in Munden.
Juli 1885, Probemonat Stadttheater in Leipzig, Verpflichtung fiir die Spielzeit
1886/7 (einstweilen verschoben).
Entwurf der ersten Symphonie (als solche vom Komponisten bezeichnet).
Musik zu lebenden Bildern nach Scheffels »Trompeter* (aufgefiihrt in Kassel,
Mannheim, Wiesbaden, Karlsruhe).
1885 Herbst, Zweiter Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag neben
Anton Seidl (Direktor Angelo Neumann).
1 886 Sommer, Zweiter Kapellmeister im Stadttheater in Leipzig neben
Arthur Nikisch (Direktion Staegemann).
1887 selbstandige Bearbeitung und Einrichtung der Skizzen von Carl Maria von
Webers »Drei Pintos*, erschienen unter dem Titel »Die drei Pintos,
komischc Oper in 3 Aufzugen von C. M. v. Weber, unter Zugrundelegung des gleich-
namigen Textbuches von Th. Hell, der hinterlassenen Entwurfe und ausgewahlter
Manuskripte des Komponisten ausgefiihrt: der drama tische Teil von C. v. Weber
(Sohn), der musikalische von Gustav M.*. Zum erstenmal in Leipzig aufgefiihrt
am 20. Januar 1888 (hierauf in vielen deutschen Stadten, in Wien Januar 1889).
1888 8. Oktober, Direktor der Kbniglich ungarischen Oper in
Budapest mit Kontrakt fur 10 Jahre (Jahresgehalt 10 000 Gulden) (Intendant
Stefan v. Beniczky).
Mahler.
39
lernt »Des Knaben Wunderhorn, alte deutsche Lieder, gesammelt
von L. Achim v. Arnim und Clemens Brentano, 1 806/08 « kennen. Fortlaufend die
Komposition einer Reihe von Gedichten in den nachfolgenden Jahren (bis 1900),
und zwar:
komponiert vor 1S92 (erschienen 1892 als II. und III. Heft der »Lieder und Gesange
aus der Jugendzeit«):
II. 1. »Um schlimme Kinder artig zu machen*; 2. *Ich ging mit Lust durch
einen griincn Wald«; 3. »Aus! ausU; 4. frStarke EinbildungskrafU.
III. 1. »Zu StraBburg auf der Schanz« ; 2. »Ablosung im Sommer<<; 3. »Scheiden
und Meiden*; 4. »Nicht WiedersehenU; 5. »Selbstgefuhl«;
ferner:
»Der Schildwache Nachtlied«,
»Verlorene Muh'«,
»Trost im Ungluck*,
AVer hat dies Liedlein erdacht*,
»Lied des Verfolgten im Turme«,
»Lob des hohen Verstandes«,
»UrlichU (Altsolo aus der 2. Symphonie 1893/4),
»Des Antonius von Padua Fischpredigt« (Scherzo der 2. Symphonie),
»Das irdische Leben«,
v )\Vir genieflen die himmlischen Freuden* (4. Symphonie 1894),
»Rheinlegendchen «,
»Es sungen drei Engcl einen siiCen Gesango (Frauenchor in der 3. Symphonie,
fur eine Singstimme eingerichtet) (1895),
AVo die schonen Trompeten blasen«,
»Reveglie« (1S99, erschienen 1905),
»Der Tambourgesell* (erschienen 1905).
1 888 Vollendungder crstenSymphonie, 1. Auf f uhrung 1 889 im philhar-
monischen Konzert in Pest, erschienen 1898.
1891 13. Marz, verlaflt die Pester Oper. Intendant: der einarmige Klaviervirtuose
und Komponist Graf G6za Zichy. (Rucktrittsvergutung 25 000 Gulden.)
Berufung als Erster Kapellmeister des Stadttheaters in
Hamburg (Direktor Pollini). Antritt: 1. April.
1S92 Sommer, Leitung deutscher Opernauffuhrungen im Drury Lan^-Theater in London.
1893 Sommer, Steinbach am Attersee (auch in den Jahren 1894, 1895, 1896).
1894 Juni, beendigt die zweite Symphonie, deren Anfange sieben Jahre zuruck-
reichen, erschienen 1896, 1. Auff uhrung 1895 in Berlin.
1S95 August, Entwurf der dritten Symphonie beendigt. fertiggestellt Sommer
1896, erschienen 1898, 2. und 3. Satz zum erstenmal aufgefuhrt 1896 Berlin (Wein-
gartner), das ganze Werk 1902 am Tonkiinstlerfest des Allgemeinen Deutschen
Musikvereins in Krefeld.
1 897 1 . Mai, Kapellmeister am k. k. Hofoperntheater in Wien.
21. Juli, betraut mit der Stellvertretung des Direktors Jahn.
8. Oktober, artistischer Direktor des k. k. Hofoperntheaters,
anfangs 24 000, dann 36 000 Kronen Jahresgehalt.
1900 Sommer, Mayernigg am Klagenfurter See, auch die folgenden Sommer bis 1907.
Vierte Symphonie beendigt, begonnen Sommer 1899 in Aussee, erschienen
1901, 1. Auff uhrung 1902 in Munchen (Kaimorchester).
1900/02 Zyklus der»Kindertotenlieder* nach Riickert, das 1., 2. und 3. 1900/01,
das 4. und 5. 1901/02, erschienen 1905:
1. »Nun will die Sonn' so hell aufgehn*,
2. »Nun seh ich wohl, warum so dunkle Flammen*,
3. »Wenn dein Mutterlein*,
40 Mahler.
4. »0ft denk ich, sie sind nur ausgegangent,
5. »In diesem Wetter! 4
zum erstenmal aufgefuhrt 1905 in Wien.
1901/02 Fiinf Lieder nach Ruckert, erschienen 1905 :
1. »Blicke mir nicht in die Lieder ♦,
2. »Ich atmet' einen linden Duft*,
3. »Ich bin der Welt abhanden gekommen*,
4. »Um Mitternacht*,
5. »Liebst du um Schbnheit*.
1902 Fiinfte Symphonie beendigt, begonnen 1901, erschienen 1905, 1. Auf-
fiihrung 1904 in Koln (Gurzenich).
10. Marz, Vermahlung mit Alma Maria Schindler, Tochter des Landschaftsmalers
Jakob Erail Schindler, Stief tochter des Malers Karl Moll.
Kinder: Maria Anna, * 3. November 1902, f 5. Juli 1906;
Anna Justina, * 15. Juni 1904.
1904 Beendigung der sechsten Symphonie, begonnen 1903, erschienen 1905,
1. Auffiihrung 1906 in Essen beim Tonkiinstlerfest des Allgemeinen Deutschen
Musikvereins.
1905 Beendigung der siebenten Symphonie, begonnen 1904, erschienen 1908,
1. Auffiihrung 1908 Prag (Ausstellung).
1906/07 Achte Symphonie, erschienen 1910, 1. Auffiihrung in Miinchen am
12. September 19 10.
1907 Dezember, Riicktritt von der Wiener Oper (ah. EntschlieOung vom 5. Oktober).
Am 15. Oktober dirigierte er zum letztenmal »Fidelio«.
9. Dezember, Antritt der ersten Reise nach Amerika; dirigiert in New York Opern
von Mozart und Wagner, Leitung von Konzerten.
1908 Sommer, in Altschluderbach bei Toblach, auch die folgenden Sommer 1909, 19 10.
Sommer, Vollendung des »Lied von der Erde*. Zum erstenmal aufgefuhrt
November 191 1 (Muncben unter Bruno Walter).
1908/09 Wintersaison, zweiter Aufenthalt in Amerika, Bildung einer Philharmonic Society.
1909 Neunte Symphonie fertiggestellt, begonnen 1908, erschienen 191 2, zum
erstenmal aufgefuhrt Juni 191 2 (in der Wiener Musikwoche unter Bruno
Walter).
1909/10 Skizzen zur Zehnten Symphonie (unvollendet).
1910/11 Saison, dritter Aufenthalt in Amerika, dirigiert 48 von den 65 vereinbarten
Konzerten.
191 1 21. Februar, dirigiert zum letztenmal. Erkrankung. Anfang April Uberfahrt nach
Paris, dann Heimkehr nach Wien.
18. Mai, nachts 11 Uhr, Tod.
Begraben am Friedhof in Grinzing.
Alle Werke von Gustav M. sind im Verlage der ^Universal-Edition* in Wien erschienen
oder sind in ihren Verlag ubernommen worden, mit Ausnahme der 5. Symphonie, die bei
C. F. Peters erschien und in diesem Verlage blieb.
Die Literatur iiber M. ist verzeichnet in der Schrift von Dr. Paul Stefan, »Gustav Mahler,
eine Studie iiber Personlichkeit und Werk«, 3. Auflage, 1912 (Miinchen, R. Piper & Co.), ferner
im »Gustav Mahler- Heft* der »Musik«, Berlin, Schuster & L6ffler, X. Jahrgang, Heft 18 (zu-
sammengestellt von Otto Keller) und in der Erganzung X. Jahrgang, Heft 21, zusammengestellt
von Dr. Arthur Seidl.
Eine Bronzebiiste ist von Auguste Rodin in zweifacher Ausfiihrung angefertigL Eine
Radierung von Fritz Erler, ein Bild von Emii Orlik f die Totenmaske von Karl Moll aufge-
nommen. 22 SchattenriQbilder von Otto Boehler. Unter den Karikaturen erwahnenswert
die Blatter von Oskar Garvens und Lindloff. Im iibrigen ist eine grofle Zahl von Photo-
graphien zu verzeichnen. Reproduktionen findet man u. a. in der »Musik* (Schuster & Ltfffler)
Mahler. Wilmanns. a\
Jahrgang I Heft 7 und 17, Jahrgang IV Heft 4, Jahrgang V Heft i6 t Jahrgang VII Heft 9
und i$ % Jahrgang X Heft 18.
Die dcm vorliegenden Aufsatze resp. der chronologischen Cbersicht zugrunde liegenden
Daten sind mit teilweiser Benutzung der Schrift von P. Stefan, soweit als moglich iiberpruft
und festgestellt nach Mitteilungen der k. u. k. Hoftheaterintendanz in Wien (ubermittelt
durch die Herren Hofrat v. Horsetzky und Regierungsrat A. J. Weltner), des Herrn General-
musikdirektors Bruno Walter (Munchen), der Frau Justine Ros6 (Wien), des Herrn Dr. Bela
Di6sy (Budapest), der ^Universal -Edition* (Direktor Hertzka) und Lektor Hans Daub rawa.
Hierfiir sei auch an dieser Stelle der geziemende Dank erstattet.
Guido Adler.
Wilmanns, Wilhelm, Professor der deutschen Sprache und Literatur
an der Universitat Bonn, * 14. Marz 1842 in Jiiterbog, f 29. Januar 191 1. —
W. ist durch beide Eltern ein Westfale von Abstammung, aber auf dem Boden
der Mark Brandenburg geboren und aufgewachsen, hat er sich stets als Branden-
burger gefuhlt, und so erschien er auch, nach Sprache und Wesensart, seinen
Freunden und Schulern. Er kam als viertes unter zwolf Kindern des damaligen
Kreisbauinspektors Franz Wilmanns in Jiiterbog zur Welt; die Mutter Jose-
phine geb. Eikenbusch gehorte der katholischen Kirche an, aber die Kinder
wurden samtlich im evangelischen Glauben erzogen. Der Knabe besuchte
zunachst die Burgerschule der Landstadt; als dann der Vater nach Berlin
versetzt wurde, trat er 1852 in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster
ein, dessen Schuler er, zuletzt als Alumnus des Internats, bis i860 geblieben ist.
Seine Neigung war zeitweise auf den Beruf des Vaters gerichtet, fur den er als
guter Mathematiker und tiichtiger Zeichner die notige Befahigung mitzubringen
glaubte, aber der alte Wilmanns widerstrebte diescm Wunsche und lenkte den
Sohn, unterstutzt von dessen Lehrern und besonders von dem Direktor J. W.
Bellermann, auf das Studium der Philologie hin. Ostern i860 wurde W. an
der Berliner Universitat immatrikuliert, die er bis zum Abschlufi seiner Studien
nicht verlassen hat. Er hat noch bei dem alten Boeckh gehort, auflerdem
bei Droysen, Trendelenburg, Haupt, Mullenhoff und Hiibner; zu den beiden
letzten trat er in personliche Beziehungen, und gegen Abschlufi seiner
Studienzeit hat er auch die Aufmerksamkeit Moriz Haupts erregt. Er pro-
movierte mit einer philologischen Dissertation »De didascalits Terentianis«,
der aber die versprochene Fortsetzung nicht gefolgt ist; mit einem im gleichen
Jahre erschienenen Aufsatz zur romischen Altertumswissenschaft (Rhein.
Museum f. Philologie, N. F. 19, 528 — 541) hat seine Betatigung auf dem Ge-
biete der klassischen Philologie ihr Endc erreicht.
Schon zwei von den Thesen, welche der Promotionsschrift angefiigt sind,
verraten W.s Hinneigung zu den germanistischen Studien und sein Interesse
fur den deutschen Unterricht. In den nachsten Jahren ist dann ein fester
wissenschaftlicher Mittelpunkt gefunden: die Arbeiten uber Walther von der
Vogelweide und Reinmar von Zweter in der Zeitschr. f. d. Altertum Bd. 13,
217 ff. f 434 ff. zeigen ihn mit den Grundlagen und Aufgaben der Geschichte
des deutschen Minnesanges wie mit der Methode der Forschung wohl vertraut.
Eine Reihe von gehaltvollen und zum Teil umfangreichen Kritiken in der
Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen Bd. 21 ff. liber wissenschaftliche und pada-
gogische Literatur zur deutschen Sprachkunde bezeugt wachsendes Wissen und
gereiftes Urteil.
42 Wilmanns,
Nach Ablegung des Staatsexamens hat W. zunachst von Herbst 1864
bis Ostern 1867 eine Hauslehrerstelle bei dem Baron v. Scheel-Plessen bekleidet
und in dieser auch Gelegenheit zu grofieren Reisen gefunden. Er bewahrte
dem politisch und geistig angeregten Hause des ersten Oberprasidenten von
Schleswig-Holstein zeitlebens eine aufrichtige Dankbarkeit, denn diese Zeit
hatte seinen Blick betrachtlich erweitert und ihm, soweit es sein sprodes Wesen
vertrug, die Weltbildung gegeben, die ihm die engen Verhaltnisse seiner Schul-
und Universitatsjahre vorenthielten.
Ostern 1867 trat er sein Probejahr am Berlinischen Gymnasium an, dessen
Leitung im gleichen Jahre der aus Wien zuruckgekehrte Herm. Bonitz uber-
nahm; Ostern 1868 erhielt er eine Lehrerstelle, und in dieser blieb er an seiner
alten Schule, bis ihn im Herbst 1874 ein Ruf als ordentlichen Professor der
deutschen Philologie an die Universitat Greifswald fiihrte. Der neue Direktor
des »Klosters« hatte rasch die wissenschaftliche Tiichtigkeit, die Pflichttreue
und Lehrfreudigkeit seines jiingsten Mitarbeiters erkannt, er wurde ihm ein
Freund furs Leben und hat sich, als er 1875 als Nachfolger Wieses ins Kultus-
ministerium berufen wurde, gern seines sachkundigen und immer sachlichen
Rates bedient. W.s Verdienste um das Gymnasium zum Grauen Kloster aber
feierte Bonitz in dem letzten Programm das er redigiert hat (Ostern 1875), mit
den Worten: »Die Schule aber ist ihm zu besonderem Danke daftir verpflichtet,
dafl er, trotz seiner umfassenden literarischen Tatigkeit, ein Meister in Be-
nutzung der Zeit, seinem Berufe mit voller Kraft und mit segensreichstem
Erfolg angehorte und das Gesamtergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit
dem Schulunterricht zugute kommen liefi.«
Das lebhafte Interesse fur den Unterricht bekundete W. aufier durch fort-
laufende Besprechungen padagogischer Literatur durch sein Programm »Die
deutsche Sprache und Orthographie als Unterrichtsobjekt in den untersten
Gymnasialklassen« (1870), aus dem spater die »Deutsche Grammatik fur die
Unter- und Mittelklassen hoherer Lehranstalten« (1877, 6. Aufl. 1885 als
»Deutsche Schulgrammatik«) erwuchs; ferner seit 1871 durch seine Betatigung
fiir die orthographische Reform, die er nie anders als unter praktischen Ge-
sichtspunkten angesehen hat. Der Wissenschaft aber schenkte er in diesen
Jahren in seiner kommentierten Ausgabe des »Walther von der Vogelweide«
(1869) ein Buch von dauerndem, in der zweiten Auflage (1883) noch gesteigertem
Werte und bot ihr in den beiden 1873 erschienenen Biichern »Die Entwicklung
der Kudrundichtung« und »Die Reorganisation des Kurfurstenkollegiums
durch Otto IV. und Innozenz 1 1 1. « neue Hypothesen liber vielumstrittene
Fragen, die freilich nicht als Losungen anerkannt wurden, aber doch unleugbar
die Diskussion gefordert haben.
Die ersten Jahre des Universitatsprofessors scheinen literarisch zunachst
weniger fruchtbar als die Gymnasiallehrerzeit. W. hat es alsbald fiir seine
Pflicht erachtet, in seinen Vorlesungen und Obungen das Gesamtgebiet der
deutschen Sprache und Literatur wenigstens mit einer Auswahl von Kollegien
zu umspannen. Und da gab es fiir ihn freilich noch allerlei nachzuholen, in der
Sprachwissenschaft so gut wie in der neueren Literaturgeschichte. Dazu trat
1876 die Arbeit fiir die Berliner Orthographische Konferenz, die gewifi keiner
der Teilnehmer so ernst genommen hat wie er : sein i>Kommentar zur preufiischen
Schulorthographie« (1880), in zweiter Auflage als »Die Orthographie in den
Wilmanns.
43
Schulen Deutschlands« (1887) erschienen, ist unstreitig die wertvollste literari-
sche Frucht dieser oft angefochtenen Verhandlungen.
Ostern 1878 siedelte W., der sich auf dem Greifswalder Katheder audi als
akademischer Lehrer vortrefflich bewahrt hatte, mit seiner jungen Gattin nach
Bonn iiber, wo die deutschen Studien, die unter Simrock und Birlinger hier
mehr als an irgendeiner andern Hochschule in den Hintergrund getreten waren,
durch ihn zu neuem Leben erweckt wurden. Der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-
Universitat ist er dann auch treu gcblieben bis an sein Lebenscnde, an ihr hat
cr eine groBe Anzahl dankbarer Schiiler gefunden, ohne freilich je eine Schule
zu begrunden. Er bewahrte den hoheren Schulen und ihren Interessen .seine alte
Liebe, und ihre zukunftigcn Lehrer mit einem tuchtigen Wissen auszustatten,
ihnen eine auf historisches Verstandnis begrundete Liebe zur deutschen Sprache
und Literatur einzufloflen, erschien ihm als wichtigste Aufgabe seines akademi-
schen Berufes. Freilich gab er seinen Schiilern im Kolleg wie vor allem im
Seminar auch einen griindlichen Einblick in die Arbeit der Wissenschaf t und
liefl sie seine eigene Betatigung miterleben, aber zur Mitarbeit hat er sich nur
wenige seiner Zuhorer erzogen.
In den ersten Jahren hat W. noch, zeitweise mit besonderer Liebe, die Vor-
lesungen iiber neuere Literatur gepflegt, die er in Greifswald begonnen hatte;
eine Reihe von Arbeiten iiber Goethes Singspiele, iiber das »Jahrmarktsfest
von Plundersweilern« und den »Satyros« aus den Jahren 1878 — 1881 geben
davon Kunde. Spater, als die neuere Literaturgeschichte eine besondere Ver-
tretung gefunden hatte, iiberlieC er dies Gebiet dem jungern Kollegen und ver-
mehrte dafur sein Repertoire in anderer Weise: so noch in den letzten Jahren
durch eine Einfuhrung ins Altnordische.
Den Vorrang in seiner literarischen Produktion nimmt wahrend der sieb-
ziger und achtziger Jahre durchaus die Geschichte der altdeutschen Dichtung
ein, in den neunziger Jahren tritt die Sprachwissenschaft in den Vordergrund,
und mehr und mehr gruppiert sich, ohne doch je einseitig zu werden, W.s Haupt-
arbeit um ein grofies grammatisches Lebenswerk, das zu vollenden ihm leider
nicht beschieden gewesen ist.
Man darf wohl sagen, daC ihn in der Geschichte der deutschen Dichtung
von den Anfangen bis ins 14. Jahrhundert hinab alle grofien Probleme und alle
literarischen Mittelpunkte einmal starker beschaftigt haben, wenn er sich auch
nicht zu alien Fragen vor der Offentlichkeit geaufiert hat. Und er blieb nie an
dem einmal gef undenen Ergebnis, an der einmal aufgestellten Hypothese kleben,
sondern war stets bereit, sich belehren zu lassen und sich selbst zu korrigieren.
Zur Kudrun hat er erst 30 Jahre nach seinem ersten kecken Wurfe wieder das
Wort genommen (Gott. Gel. Anz. 1902, S. 767 ff.): vollig frei und unbefangen.
Die Probleme, welche das Nibelungenlied und die Nibelungensage bergen, hat
er immer von neuem gewalzt: von Greifswald aus in den »Beitragen zur Er-
klarung und Geschichte des Nibelungenliedes« (1877), in der Bonner Zeit in
eindringenden Kritiken der Bucher von Busch (1882), Lichtenberger (1892),
Kettner (1898) und zuletzt wieder in einer selbstandigen Schrift »Der Untergang
der Nibelunge in alter Sage und Dichtung» (1903). Seine Auffassung von der
ritterlichen Kultur und Poesie hat sich zwischen der ersten Auflage des kom-
mentierten Walther (1869) und der zweiten (1883), der das umfangreiche, des
Dichters formale Kunst griindlich analysierende Buch »Leben und Dichten
44 Wilmanns.
Walthers von der Vogelweide« (1882) vorausgegangen war, bedeutsam ver-
schoben; und der Versuch einer selbstandigen Anordnung der Gedichte Walthers,
den er mit seiner Textausgabe (1886, wiederholt 1905) machte, geht abermals
uber diesen Standpunkt hinaus. Eine dritte Auflage der groBen Ausgabe war
fest geplant und durch die Vorlesung vom Sommer 1910 vorbereitet.
In W.s gesamter literarhistorischer Tatigkeit beobachten wir einen eigen-
tumlichen Wechsel zwischen solider Grundlegung, ja oft peinlich sauberer Ord-
nung des Materials, und dann wieder kiihner, oft gewaltsamer Hypothese, da,
wo — wirklich oder vermeintlich — die philologischen Kriterien und die me-
thodischen Hilfsmittel nicht ausreichen. Es laflt sich nicht leugnen, dafi die
beiden Bucher iiber die Entwicklung der Kudrundichtung und uber das Kur-
fiirstenkolleg griindlich verfehlt sind: nicht nur in den Ergebnissen, sondern
auch in Voraussetzungen und Methode. Und ebenso darf man wohl das
Schriftchen »Der sogenannte Heinrich von Melk« (1885), das diesen oster-
reichischen Satiriker aus dem 12. ins 14. Jahrhundert und obendrein aus
Deutschland nach Ungarn verlegt, als eine wundersame Verirrung bezeichnen.
Aber in derselben Serie »Beitrage zur altern deutschen Literatur« folgte ein
2. Heft »l)ber das Annolied« (1886), das, ohne sichere Resultate bieten zu
konnen, doch hochst anregend wirkte, und dann Heft 3 »Der altdeutsche Reim-
vers« (1887) und Heft 4 »Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Metrik«
(1888), die methodisch musterhaft und sachlich grundlegend sind.
Jene Wagelust der Hypothese, das Bediirfnis geradezu, einmal die
Enge des sei es ohne Not beschrankten, sei es allzu sicher geglaubten Wissens
zu durchbrechen, hat dem jungenW. die Freundschaft seines LehrersMullenhoff
gekostet; sie war ihm noch im Alter nicht fremd geworden, und er liebte sie
auch bei andern, wenn irgend Geist und Scharfsinn damit im Bunde waren.
Aber f reilich auf einem Gebiet der eigenen Arbeit zog er ihr stets enge Grenzen :
auf dem grammatischen.
W. war von Haus aus kein Sprachgelehrter: auf der Universitat hat er
dieser Disziplin iiberhaupt keine Neigung entgegengebracht. Er ist zum Gram-
matiker geworden auf dem Wege liber den Unterricht, der bei ihm in der Sexta
des Berlinischen Gymnasiums begann und auf den Kathedern von Greifswald
und Bonn endete. Erst legte er sichere Fundamente, dann breitete er sein
Wissen aus, zuletzt vertiefte er es durch grundliches Studium der grofiten
sprachwissenschaftlichen Leistungen unsercr Wissenschaft und stets wiederholtes
Nachprufen ihrer Ergebnisse und Aufstellungen. Und so fiihlte sich der Funfzig-
jahrige, der aufler einem wenige Seiten umfassenden Aufsatz iiber »Die Flexion
der Verba tnon, gdn, stdn« (Zeitschr. f. d. Alt. 33) niemals eine grammatische
Spezialuntersuchung an die Offentlichkeit gebracht hatte, vollauf gerustet, ein
darstellendcs Werk zu schreiben, das nach durchaus eigenem Plane den Stand
der Forschung in ihren gesicherten Resultaten und mit kritischer Auswahl der
Hypothesen wiedergeben sollte. Von dieser »Deutschen Grammatik. Gotisch,
Alt-, Mittel- und Ncuhochdeutsch« erschien die I. Abteilung: »Lautlehre« 1893;
die II. Abteilung: »Wortbildung« 1896; die III. Abteilung »Flexion« folgte 1906
und 1909 in zwei Teilen. Inzwischen war von I und II eine zweite Auflage notig
geworden, eine dritte, verbesserte Auflage von I war im Druck (erschienen 191 1).
Der Beifall war ein absolut einhelliger, der Erfolg des Werkes ubertraf die Er-
wartung derart, dafi eben dadurch der Fortgang aufgehalten wurde. Doch W.
Wilmanns. Escherich. 4c
arbeitete zielbewuBt an Bd. IV, der »Syntax«, weiter, ohne sich freilich den
Verzicht auf anderweitige wissenschaftliche Betatigung aufzuerlegen. Seine
zuvcrlassige Gesundheit, seine einfache und gercgelte Lebensweise, seine friih
bewahrte Meisterschaft in Ausnutzung der Zeit schienen dafiir zu btirgen, dafl
uns der Siebzigjahrige den IV. Band schenken wurde, und dafi es nur von seinem
guten Willen abhinge, ob er auch noch den nicht fest versprochenen, aber doch
in Aussicht genommenen V. Band, die »Geschichte der deutschen Sprache«,
fertigmachte. Schrieb er ihn nicht, das wufiten wir, dann gab es fur ihn andere
Arbeiten, deren Wert fur den heutigen Stand der Wissenschaft er hoher taxierte.
Denn ein Ausruhen war fur ihn undenkbar, und ein langes Leben schien uns
alien wie sclbstverstandlich.
Es ist anders gekommen! Am 29. Januar 191 1, einem Sonntag, kehrte W.
von dem gewohnten Nachmittagsspaziergang nicht heim: die Maschine einer
Lokalbahn, deren Signal er iiberhort haben muC, hatte ihn erfaOt, nieder-
geworfen und getotet. Mit ihm sanken Hoffnungen ins Grab, die unserer wissen-
schaftlichen Literatur gesichert schienen, mit ihm verlor die deutsche Philo-
logie, deren altester akademischer Vertreter er war, einen reinen und festen
Charakter, eine ihrer starksten sittlichen Personlichkeiten.
Literatur: Geschaftl. Mitteilungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen,
191 1, Heft 1 (Gcdachtnisrede von E. Schroder); Zeitschrift f. d. Philologie Bd. 43, S. 435 — 449
(Joh. Franck, mit vollstandigem Verzeichnis der Schriften).
Gottingen. Edward Schroder.
Escherich, Theodor, ordentlicher Professor der Kinderheilkunde an der
Universitat Wien, k. k. Hofrat, * 29. November 1857 in Ansbach, f 15. Februar
191 1 in Wien. — Als Sohn eines Arztes geboren, studierte er in Strafiburg,
Kiel, Berlin, Wurzburg und wurde 1881 in Miinchen zum Doktor promoviert.
Er war zuerst Assistent an der Gerhardtschcn Klinik im Juliusspital in Wurz-
burg, dann bei v. Ranke an der Miinchner Kinderklinik, wo er sich 1886 als
Privatdozent fur Kinderheilkunde habilitierte. Als im Jahre 1890 v. Jaksch
die Professur der Kinderheilkunde in Graz mit der Professur fur innere Medizin
in Prag vertauschte, w r urde E. nach Graz berufen. Im Jahre 1894 wurde er
zum ordentlichen Professor ernannt, eine Stellung, die in der Kinderheilkunde
vor ihm nur Widerhofer in Wien und Heubner in Berlin erreicht hatten. In
Graz verheiratete sich E. mit der Tochter des Physikers Pfaundler; von seinen
beiden Kindern ist der Sohn im ersten Knabenalter an einer akuten Appendizitis
gestorben. Im Jahre 1902 wurde E. nach dem Tode Widerhofers zum Professor
der Kinderheilkunde in Wien ernannt und mit der Leitung des klinischen
St. Anna-Kinderspitales betraut; 1906 wurde ihm der Titel eines k. k. Hof-
ratcs verliehen.
Die wissenschaftlichen Leistungen E.s fur die Padiatrie beginnen mit dem
Jahre 1882. Er bearbeitete als erstes ein Thema, das seinem Lehrer Gerhardt
am Herzen lag, die marantische Sinusthrombose bei der Cholera infantum.
Gleichfalls unter Gerhardts Einflufi entstanden mehrere Arbeiten uber Er-
krankungen des Larynx und der Lunge, liber Diazoreaktion und Sputum-
ferment. Durch Beobachtung der Choleraepidemie in Neapel wurde er im
Jahre 1884 auf das Gebiet gebracht, in dem er seine wichtigsten Werke leisten
sollte, auf die Bakteriologie des Darminhaltes.
46 Escherich.
In seiner ersten diesbeziiglichen Arbeit (Klinisch-therapeutische Beob-
achtungen an der Choleraepidemie in Neapel. Miinchener med. Wochenschr.
1884, 51) beschrankte er sich im wesentlichen noch darauf, die Befunde Kochs
nachzuprufen. Wahrend er Koch in bezug auf die Beschaffenheit der Cholera -
bazillen vollkommen beipflichtet, kann er sich noch nicht dazu verstehen,
von den epidemiologischen Anschauungen seines Miinchener Lehrers Petten-
kofer abzukommen, und bezweifelt die Kontagiositat der Choleradejektionen.
Aber sein Interesse in padiatrischer Richtung war rege geworden: er suchte
nach Cholerabazillen beim Brechdurchfalle der Sauglinge. Er nahm die Sache
mit der grofiten Grundlichkeit auf und widmete sich von 1884 auf 1885 beinahe
ausschliefilich dem bakteriologischen Studium des Sauglingsstuhls.
In der Gesellschaft fur Morphologie und Physiologie in Miinchen gab er
am 17. Dezember 1884 eine neue Methode zur Untersuchung der Sauglings-
fazes an. Auf diese Art konnte er zehn Bazillenarten, flinf Kokken, mehrere
Sarzinen und zwei Sprofipilzarten isolieren.
Diese Mannigfaltigkeit des Befundes fiihrte ihn zu dem Wunsche, die
Versuchsverhaltnisse zu vereinfachen und die Einwanderung eines Bakteriums
nach dem andern in den Darmkanal der Neugeborenen zu beobachten. Es
zeigte sich, dafi das Mekonium steril sei. Aber 14 bis 16 Stunden nach der
Geburt fanden sich schon Keime verschiedener Art. Erst bei noch weiterer
Fortsetzung der Versuche wurde die Flora wieder einheitlich, sobald namlich
der Einflufi der Muttermilch im Stuhle erschien. Er gab nun eine genaue Be-
schreibung der Morphologie und der kulturellen Eigenschaften des Bakteriums,
welches die ausschlaggebende Rolle spielt, und bezeichnete es mit dem Namen:
^Bacterium coli commune*. Ein zweites regelmafiig anzutreffendes Bakterium,
das sich von einem von Hueppe gefundenen Erreger der Milchsauregarung
durch Gasbildung unterschied, nannte er: »Bacterium lactis aerogenes«.
Von den einfachen Verhaltnissen des kindlichen Darms ausgehend, konnte
er dann auch im Kote alterer Kinder und bei Erwachsenen das Bacterium colt
als den Hauptbewohner des Darmes nachweisen.
Wenn er auch nach Injektion der beiden Bakterienarten bei Versuchstieren
Darmsymptome eintreten sah, liefi er sich doch nicht verleiten, die gefundenen
Bakterien als lebenswichtig anzusehen, sondern schatzte sie mit bemerkens-
werter Ntichternheit vollkommen richtig ein »als harmlose Schmarotzer, so lange
die Funktionen des Darmtraktes ungestort ablaufen«. Auch auf die Verdauung,
so schloB er aus eingehenden Versuchen, haben diese Bakterien wenig Einflufi,
der einzige durch sie in nennenswerter Menge veranderte Bestandteil der Nahrung
sei der Milchzucker. (Die Darmbakterien des Neugeborenen und Sauglings.
Vortrag in Miinchen 1885, Fortschritte der Medizin 3, 515, 517, und Mono-
graphic, Enke, Stuttgart 1886.)
Neben diesen wichtigsten, mittels der damaligen kulturellen Methoden
nachweisbaren Darmbakterien — die spatere Forschung hat gezeigt, dafi gerade
beim Brustkinde auch anaerobe Mikroorganismen in grofier Menge vorkom-
men — beschrieb er noch in einer Reihe von Mitteilungen weitere, mehr ak-
zidentelle Befunde: das Helikbakterium, den Vibrio felinus und verschiedene
andere Vibrionen (Munch, med. Wochenschr. 1886).
Mit der Erforschung des Stuhles verband er die bakteriologische Unter-
suchung der Frauenmilch, und zwar tat er dies in Wien, in dem Institute von
Escherich.
47
Kundrat, wo er durch einige Monate im Jahre 1885 arbeitete. Er fand, dafi
die Milch gesunder Frauen steril sei, wahrend bei fiebernden Wochnerinnen
weifle und gelbe Staphylokokken in den Kulturen wachsen; die Beziehung
dieser Kokken zum Puerperalprozesse liefi er dahingestellt (Fortschritte der
Medizin 1885).
Ein Musterstuck der bakteriologischen und gleichzeitig klinischen Unter-
suchung eines Krankheitsbildes war seine Studie liber die Furunkulose des
Sauglingsalters (Munch, med. Wochenschr. 1887). Er wies nach, dafi Staphylo-
kokken von aufien her in die Hautdrusen eindringen, und begrundete mit seinen
bakteriologischen und mikroskopischen Befunden auch das therapeutische,
antiseptische Verfahren.
In den Jahren 1886 — 1888 beginnt E. sich mit einer Reihe von klinisch-
padiatrischen Fragen zu beschaftigen — der Chorea, der Saugbewegung der
Neugeborcnen, den bei Scharlach gefundenen Mikroorganismen, der Verbreitung
des Scharlachs durch Milch — , aber bald kommt er wieder auf sein eigentliches
Gebiet — die Verdauung — zuruck und beginnt nun sein bakteriologisches Wissen
mit den Erfahrungen der Chemikcr und Physiologen zu vereinigen, um daraus
Maximen fur die Kinderheilkunde zu formen.
In seiner zusammenfassenden Arbeit aus dem Jahre 1888 — »Die normale
Milchverdauung des Sauglings«, Jahrb. f . Kinderheilk. 27 — kam er zu Schliissen,
welche den damaligen Ansichten der Padiater iiber die Schadlichkeit des Ei-
weifies der Kuhmilch vollkommcn entgegengesetzt waren.
Er wandte bei der Untersuchung des Stuhles mikrochemische Reaktionen
an. Die Schollen, die er bei einem kiinstlich ernahrten Versuchskinde im Stuhle
fand, erwiesen sich bei Erwarmung mit konzentrierter Schwefelsaure unter dem
Mikroskop als aus Kalkseifen bestehend. »Es gelang mir w r iederholt, in den
wasserigen, quarkahnlichen Stiihlen atrophischer Sauglinge, die ich nach dem
Aussehen und der mikroskopischen Untersuchung als aus unverdauten Kasein-
teilchen bestehend angesprochen hatte, mittels dieser Reaktion die reichliche
Anwesenheit von Fett (bis 60%) nachzuweisen.« »In der Tat fand ich: dafi
nur ein ganz geringer, beim Neutralisieren des salzarmen Auszugs ausfallender
Teil des Eiweifies als unverandertes Kasein oder als ein demselben nahestehender
Korper aufzufassen war. . . . Ich war im ersten Augenblick nicht wenig erstaunt,
bei diesem allgemein fur so unverdaulich gehaltenen Nahrstoffe trotz der un-
mafiigen Zufuhr eine fast ideale Ausnutzung zu finden.« Er ging dann dem
Ursprunge des »Dogmas von der Schwerverdaulichkeit und Schadlichkeit des
Kaseins« nach und fand, dafi es nur auf Grund weniger Verdauungsversuche
mit kunstlichem Magensaft hin sich in der Literatur festgesetzt hatte. Nach
seiner Ansicht beruhte das schlechte Gedeihen der Flaschenkinder auf der
habituellen Uberfiitterung mit Kuhmilch, die bei dem Bestreben des Kindes,
seinem Magen eine bestimmte Flussigkeitsmenge einzuverleiben, durch die hohe
Konzentration der unverdiinnten Kuhmilch eintrate.
Dafi er als wichtigste Ursache bei den Verdauungsstorungen Bakterien
ansieht, wird uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, dafi damals das
Bestreben dahin ging, alle Krankheiten durch Bakterienwirkung zu erklaren.
Aber trotzdem bewahrt er sich in seinen »Beitragen zur antiseptischen
Behandlungsmethode der Magendarmkrankheiten des Sauglingsalters«, Jahrb.
f. Kinderheilk. 1888, ein ruhiges Urteil. Er fiihrt des langeren die Wirkung
48 Escherich.
der loslichen, unloslichen und der im Darme spaltbaren Desinfizienzien, endlich
die mechanische Desinfektion durch Magen- und Darmspiilung an, kommt
aber dann zu dem Schlusse, daB die Desinfizierung des Darmkanals gerade den
Dunndarm, den klinisch und funktionell wichtigsten Abschnitt, nicht erreiche.
»Die dort ablaufenden Garungsvorgange sind nur von einer Seite her mit Sicher-
heit zu beeinflussen, durch die Zufuhr bezw. Entziehung garungsfahigen Ma-
terials in der Nahrung.« Wenn er sagt: »die Entziehung aller Kohlenhydrate,
die sogenannte EiweiBdiat, erscheint daher als ein sicheres Mittel, urn diese
Prozesse zu unterdriicken«, so hat er damit eine therapeutische Richtung ver-
teidigt, die erst kiirzlich nach verschiedenen Irrwegen wieder aufgenommen
wurde, ebenso in seinen andern Worten: »umgekehrt gelingt es, die unter patho-
logischen Verhaltnissen im Darm des Sauglings ablaufende stinkende Eiweifi-
faulnis durch Zufuhr geeigneter Kohlenhydrate zu unterdrucken«. Wir haben
erst kiirzlich nochmals durch Freund gelernt, die Fettseifenstuhle, die jetzt
allerdings nicht mehr als so pathologisch gelten, durch Zuckerzusatz zur Nahrung
zu verandern, und konnen auch heute noch E. beipflichten, wenn er weiter sagt:
»Jedenfalls bietet der gegenwartige antiseptische Heilapparat kein anderes
Mittel, das in ebenso sicherer und rascher Weise die Garungsvorgange zu beein-
flussen imstande ware.«
Im weiteren Ausbau der bakteriologischen Anschauung — Zur Pathogenese
der bakteriellen Verdauunsgstorungen im Sauglingsalter, 1889 — , in dem er
eine Zucker- und Starkedyspepsie voneinander trennte, ist er wohl liber das
Ziel hinausgeschossen.
Auch in dem Ausbau einer grundlegenden Theorie liber Sauglingsernahrung,
die in der Schrift vom Jahre 1886 zum erstenmal geaufiert, 1889 naher ausge-
fiihrt wurde, pflichten wir ihm jetzt nicht mehr ganz bei. Von der richtigen
Idee ausgehend, dafi fur den Saugling an der Mutterbrust ein gewisses Nahrungs-
volumen physiologisch sei, wollte er auch fur das kiinstlich genahrte Kind
beweisen, dafl es mehr auf eine Imitation des dem Alter entsprechenden Vo-
lumens ankame als auf die Menge der Nahrstoffe. Auf Beobachtung stillender
Mutter grundete er so die volumetrische Methode (»Eine neue Methode der
Nahrungsmengenberechnung«, Munch, med. Wochenschr. 1889) mit zahllosen
Abstufungen nach Alter und Korpergewicht, eine Methode, die wegen ihrer
Kompliziertheit wohl niemals grofiere Anhangerschaft fand, auch nicht, als E.
eigene Milchsterilisierapparate dafiir angegeben hatte (1890). Auch die Gartner -
sche Fettmilch, welche auf E.s Prinzipien aufgebaut war, fand trotz seiner
Empfehlung (1894) keine durchgreifende Anerkennung.
In den spateren Jahren hat E. auf die Ausarbeitung theoretischer Systeme
der Ernahrung verzichtet und sich, besonders bei der groBen Organisation der
Milchverteilungsstatten, an die Praxis gehalten: moglichst einfache Darstellungs-
weise, nur wenige verschiedene Verdunnungen, empirische Nahrungsmengen
innerhalb bestimmter Grenzlinien.
Mit dem Jahre 1889 beginnt ein neues Thema in den Mittelpunkt des
Interesses bei E. zu treten, die Diphtheric Er bestatigte die Lofflerschen
bakteriologischen Entdeckungen (Festschrift fur Henoch, 1889), stellte die
Indikationen der damals ganz neuen Intubation fest (1891) und grenzte das
bakteriologische und klinische Bild gegeniiber ahnlichen Erkrankungen der
Mundhohle scharf ab (Uber diphtheritische Rachenerkrankungen, 1893, zur
Escherich.
49
Frage der Pseudodiphtheriebazillen und der diagnostischen Bedeutung des
Lofflerschen Bazillus, 1893). Sehr wichtig waren seine Untersuchungen mit
Klemensiewicz 1893 (Uber einen Schutzkorper im Blute der von Diphtherie
geheilten Menschen), in denen er das Auftreten von Antitoxin nach der spon-
tanen Diphtherie konstatierte, ferner sein spaterer Befund, dafi die passive
Immunisierung vom Darmkanal aus (per os oder rectum) wirkungslos ist, da
auf diese Weise bei alteren Kindern und Erwachsenen keine Spur Antitoxin
in den Blutkreislauf ubergeht. Genaue Studien uber den Diphtheriebazillus
gab er 1894 heraus, und 1895 faflte er die gewonnenen klinischen und bakterio-
logischen Erfahrungen in einem Buche »Diphtherie, Croup, Serumtherapie*
zusammen. Er unterscheidet darin eine allgemeine Disposition und eine Ober-
flachendisposition. Die Personen mit allgemeiner Disposition sind sehr empfind-
lich gegenuber dem vom Bazillus abgegebenen Gifte, sie erkranken an den
schweren Intoxikationen und Lahmungen, wahrend die Menschen mit Ober-
flachendisposition zu der Ausdehnung der diphtherischen Membranen in Nase,
Kehlkopf, Bronchialschleimhaut neigen, ohne deshalb Vergiftungssymptome
zu zeigen.
In dieser Zeit, seiner letzten Mlinchner und ersten Grazer Jahre, hat E.
eine kolossale Arbeitskraft entwickelt: neben all den andern Gebieten fafite er
1890 noch ein neues Thema an, das ihn bis in die letzten Jahre seines Lebens
beschaftigte, die Tetanie. Er war es, der die Tetanie der Sauglinge (welche
nur von der alten franzosischen und englischen Schule klinisch gut beschrieben
worden war) von den anderweitigen Krampfen der Kinder zuerst scharf ab-
grenzte, die ersten elektrischen Untersuchungen vornahm und zeigte, dafi bei
der Tetanie eine elektrische Ubererregbarkeit besteht, die eine vollkommene
Analogie zur Tetanie der Erwachsenen ergibt (Idiopathische Tetanie im Kindes-
alter, 1890). E. zog die wichtige SchluCfolgerung, dafi die Stimmritzenkrampfe
nichts anderes seien als die durch das Alter und die Konstitution der Kinder
bedingtc Erscheinungsweise einer bestehenden Tetanie. Diese Auffassung,
welche er 1890 auf dem internationalen medizinischen Kongresse in Berlin ver-
trat, erfuhr zuerst die nahezu einstimmige Ablehnung der Padiater. Er bedurfte
erst einer Reihe von weiteren Arbeiten, urn seinen Standpunkt zur Geltung zu
bringen. Im Jahre 1896 konnte er sich auf ungefahr 300 eigene Beobachtungen
stutzen; er gab hier eine neue Einteilung des Begriffes Tetanie und unterschied
die Sauglingstetanie als »Tetanie der Rachitiker« von den andern Formen,
wobei er sie allerdings nicht im Sinne von Kassowitz als ein Symptom der Ra-
chitis auffafite, sondern nur die zeitliche Koinzidenz der beiden Krankheiten
betonte, die vielleicht auf eine gemeinsame Ursache zuriickzufuhren seien.
Er bearbeitete die Kindertetanie noch mehrmals und zuletzt 1909 in einer
Monographic, in der er sich der Hypothese anschlofl, dafi die Tetanie durch eine
Insuffizienz der Epithelkorperchen bedingt sei. Sehr gem hatte E. noch in den
letzten Lebensjahren seine voile Kraft und die seiner ganzen Klinik zu einem
grofi angelegten Arbeitsplane uber Rachitis und Tetanie vereinigt — aber er
kam nicht mehr dazu.
In den Jahren 1894 — 1900 hatte er das Bestreben, die Arbeit seiner Schiiler
auf den Ausbau der Bakteriologie des kindlichen Darmes zu richten, und er
selbst brachte noch einige Arbeiten, die aber viel weniger bedeutend waren als
seine ersten auf diesem Gebiete. Er beschrieb eine Spirillengattung bei Diar-
Biojfr. Jalirbuch u. Dcutschcr Nekrolog-. 16. Bd. 4
50
Escherich.
rhoen kleiner Kinder, »blaue Bazillen« und den Pyocyaneus als Ursache von
Darmstorungen. Von dauerndem Wert ist jedoch seine Entdeckung der Coli-
cystitis (»l)ber Cystitis bei Kindern, hervorgerufen durch das Bacterium coli
commune^ 1894). Er zeigte, dafi das gewohnliche Darmbakterium nach Durch -
wanderung der kurzen Harnrohre bei kleinen Madchen haufig eine Blasen-
erkrankung verursacht, die klinisch eine grofie Bedeutung besitzt.
Die Entdeckung der bazillaren Dysenterie ist E. leider nicht gegliickt,
wenn er auch ganz nahe daran war, ihren Erreger zu bestimmen. Er sah die
Dysenteriebazillen, unterschied sie aber nicht von Bacterium coli und glaubte,
pathogen gewordene Kolibakterien verursachten die Erkrankung, die er »Coli-
colitis« nannte (Zur Atiologie der Dysenterie, 1899). Die Streptokokken, die
er als Ursache infektioser Enteritiden beschuldigte (Uber Streptokokken-
enteritis im Sauglingsalter, 1897 — 1899), werden jetzt von den meisten Kinder -
arzten und Bakteriologen nicht als Erreger der Darmstorungen angesehen,
und E. selbst hat wohl in den letzten Jahren seine damalige Ansicht auf-
gegeben.
Wie E. fiir alle neuen Methoden besonders diagnostischer Art stets lebhaftes
Interesse bekundete, war er auch unter denErsten, die Tuberkulin- und Rontgen-
diagnostik erprobten. Er versuchte mit Rontgenstrahlen zu ergriinden, ob der
Lebertran schnellercs Wachstum der Knochenkerne verursache, und konstatierte
cine schmerzstillende Wirkung der Strahlen auf den akuten Gelenkrheumatismus.
Seine Arbeit aus dem Jahre 1894 uber die Wirkung der Kochschen Lymphe,
des Alttuberkulins, bewies in griindlicher Weise an zahlreichen Fallen von Tu-
berkulose des Kindesalters, dafi die ersten Hoffnungen der Tuberkulinara unbe-
rechtigt waren. Die Arbeit enthalt nebenbei auch cinen Hinweis auf die schon
von Epstein bemerkte subkutane Reaktion der Tuberkulosen auf Tuberkulin.
E. gab ihr den Namen »Stichreaktion«. Er selbst vergafi wieder den Befund
und legte ihm keine grofie Bedeutung bei, bis in den letzten Jahren die Spezifitat
der lokalen Tuberkulinreaktion bewiesen wurde. Damit begann er sich wieder
lebhaft fiir Tuberkulose zu interessieren und hat noch im Jahre 1909 sehr wert-
volle Beitrage zur Tuberkulosefrage geliefert. In »Die Infektionswege der
Tuberkulose, insbesondere im Sauglingsalter« stellte er an der Hand von 22
klinisch beobachteten und zur Obduktion gelangten Fallen von Sauglings-
tuberkulose fest, dafi die Infektion fast durchweg in der Lunge erfolge, und stellte
die Theorie auf, dafi es der Schreiakt der Sauglinge sei, der in diesem Alter
besonders die direkte Inhalation von Tuberkelbazillen begunstige. In »Was
nennen wir Skrofulose?« stellte er einen Begriff der Skrofulose auf, der jetzt
vielfache Anerkennung gefunden hat; dafi namlich die Skrofulose eine Re-
aktionsart auf die tuberkulose Infektion bei jenen Kindern sei, welche die kon-
stitutionelle Anomalie des Status lymphaticus (oder der exsudativen Diathese)
an sich tragen. Auch die therapeutische Einwirkung auf Tuberkulose und
Skrofulose hat ihn vielfach beschaftigt (Leysin, als Kurort fiir Tuberkulose,
1909), und er plante ein grofiziigiges Zusammenarbeiten der Kinderkliniken
mit Fursorgestellen und Heilstatten fiir tuberkulos infizierte Kinder.
Damit kommen wir zu jener Richtung im Leben E.s, die neben seinen ersten
bakteriologischen Entdeckungen wohl am meisten bleibende Bedeutung er-
halten wird: die Organisation und Prophylaxe im grofien Stile. E. hatte wenig
Interesse fiir den Einzelfall. Er fand keine dauernde Befriedigung an kleinen
Escherich.
51
Reparaturen der Lebensmaschine. Er war aber einer derjenigen, welche die
grofien prophylaktischen Errungenschaften der letzten 20 Jahre auf die Klinik
ubertrugen, und mehr noch als das, auf das wirkliche Leben, auf moglichst
breite Kreise der Bevolkerung.
Charakteristisch fur seine Tendenz zur groGziigigen Prophylaxe ist, dafi er
schon als ganz junger Doktor in Miinchen den Vorschlag machte, die Stadte
sollten die Milchsterilisation selbst in die Hand nehmen, ein Plan, den er 25 Jahre
spater bis zu einem gewissen Grade praktisch durchfuhren konnte. Die Ver-
besserung der Kinderspitaler, die gegenseitige Verstandigung der fur Kinder
gewidmeten Anstalten und nicht zuletzt das eintrachtige Zusammenwirken
der Kinderarzte untereinander und mit den Vertretern der andern Facher be-
schaftigte ihn immer wieder und besonders in seiner letzten Schaffensperiode
in Wien.
In der Verwirklichung seiner Ideen kam ihm sein ausgezeichnetes Organisa-
tionstalent zustatten. Er war kein Detailkaufmann, der stets weifi, was in alien
Laden ist, auf jede Kleinigkeit sein Auge gerichtet hat, und bei dem der Betrieb
so auf das Auge des Herrn eingerichtet ist, dafi alles stillsteht, wenn einmal
der Herr nicht da ist. Er hatte immer einige wenige Arbeiten und Plane, denen
er sich ganz widmete, der Rest mufite so organisicrt sein, dafi der Betrieb von
selbst weiterging. Ein Plan nach dem andern wurde erwogen, ausgearbeitet,
eingefiihrt und zuverlassigen Leuten ubergeben; diesen vertraute E. dann die
weitere Fortfuhrung an, wandte sich neuen Planen zu und behielt sich tat-
sachlich nur eine gelegentliche Nachschau vor. Eigcntumlich war, dafi er sich
dieser Methode nicht bewufit war: er nahm sich immer wieder vor, alles selbst
zu tun, alles in der Hand zu behalten; aber sein Unterbewufitsein bew r ahrte ihn
vor der Zersplitterung, die die notwendige Folge der Durchfiihrung seines
eigentlichen Wunsches gewesen ware.
Schon in Graz begann er mit der Organisation der Klinik; er hatte ein
kleines Provinzspital vorgefunden und wufite durch stetes Verbessern und Ver-
einigen daraus eine bedeutende wissenschaftliche Anstalt zu formen, die mit
alien Hilfsmitteln der Diagnostik ausgeriistet wurde, an der zahlreiche Schiiler
an der Arbeit waren und die viele Auslander anlockte. Schon von dort aus
gewann er eine solche Popularitat in Amerika, dafi er im Jahre 1904 als einziger
Vertreter der europaischen Kinderheilkunde nach der Weltausstellung von
St. Louis eingeladen wurde.
In Wien kam er in das St. Anna-Kinderspital, das den w T issenschaftlichen
Ruhm und gleichzeitig den baulichen Nachteil hatte, die alteste deutsche Kinder-
klinik zu sein. Er fafite von Beginn an den Plan eines Neubaues, mufite sich
aber dann mit Um- und Anbau begnugen. Zah hing er an dem Gedanken der
Verbesserung und gab sich nicht mit der Moglichkeit einer zukiinftigen all-
gemeinen Veranderung zufrieden. Fast jedes Jahr kam etwas dazu, nach Mafi-
gabe der Geldmittel, die er dafur fliissig machen konnte. Es war seine Haupt-
starke, dafi er Staat, Land, Stadt und die private Wohltatigkeit wcchselweise
in Kontribution zu setzen wufite. So wurde die Verbesserung der Klinik grofien-
teils aus Staatsmitteln bezahlt, die Verbesserung an den andern Teilen des
Krankenhauses vom Spitalverein, und zur Einrichtung einer neuen, ganz
modernen Sauglingsabteilung bediente er sich einer Gesellschaft, die er zu
diesem Zwecke 1904 gegrundet hatte. Hier wurden die unter den gegebenen
52 Escherich.
Umstanden idealsten hygienischen Verhaltnisse praktisch realisiert und die
grofien Couveusen eingebaut, die E. schon in Graz in einem weniger vollkommenen
Modell hatte erstehen lassen. Mit dieser Sauglingsabteilung verband E. die
Schopfung einer Pflegerinnenschule fur spezielle Sauglingspflege, eine In-
stitution, die sich seit ihrer Griindung von Jahr zu Jahr mehr bewahrt hat.
Der beste Typus von E.s Griindungen ist der »Sauglingsschutz«. Auf dem
Boden des Anna-Kinderspitales lafit E. durch einen Verein einen zierlichen
Bau, das Muster einer Miitterberatungs- und Milchverteilungsstelle auffiihren.
Wegen Mangels an Kapital werden die ersten Kosten sorgfaltig verteilt.
Viele Einrichtungsdetails werden von den Firmen zu Reklamezwecken billig
gegeben. Die Arzte des Kinderspitals versehen den Dienst. Dann weifl er
der Gemeinde Wien den eminenten Nutzen fiir die Zwecke der Armenunter-
stiitzung zu demonstrieren und setzt es durch, dafi die Armenverwaltung sich
der finanziellen Erweiterung annimmt und den Sauglingsschutz schliefllich mit
einer jahrlichen Subvention von 35 OOO Kronen tatsachlich als eine stadtische
Wohltatigkeitsanstalt verwendet. Vier Filialen unterstiitzen jetzt die Hauptan-
stalt. Es ist das Muster einer Organisation, weil in dieser Weise die private
Initiative fiir jenen Teil der Arbeit verwendet ist, fur den die Bureaukratie
zu schwerfallig ist. Mit Beamten etwas Neues einzufiihren, ist kostspieliger,
geht langsamer und wird weniger einheitlich, als wenn es nach dem Kopfe
eines einzelnen gemacht werden kann. Ist die Sache einmal fertiggestellt und
im Betrieb, dann ist der Beamte der Richtige, urn die Durchfuhrung zu uber-
nehmen. Und das Schone an diesem Wohltatigkeitswerke ist, dafl es nicht
eine blinde Sentimentalitat zur Basis hat. E. wollte mit dem Sauglingsschutz
eine zielbewuflte Aufklarung der Mutter liber die Art verbinden, wie man die
Kinder am besten pflegt, wollte die Sauglingssterblichkeit durch die Unter-
stiitzung des Stillens bekampfen, gleichzeitig aber auch wissenschaftlichen
Zwecken dienen: der Erforschung der Ernahrungsstorungen, der Rachitis und
Tetanic, der Gewinnung von physiologischen Daten iiber Wachstum, Nahrungs-
menge, Gewichtsprogression im ersten Kindesalter.
Den grofiziigigsten Plan in dieser Richtung hat E. leider nicht mehr voll-
enden konnen: die Organisation der osterreichischen Reichsanstalt fiir Mutter-
und Sauglingsfiirsorge. Auf seinen Vorschlag war es zuriickzufiihren, dafl
die Spenden aus Anlafi des letzten Jubilaumsjahres unter dem Motto: »Fiir
das Kind« gesammelt wurden, und er wirkte dahin, dafi ein betrachtlicher Teil
des gewonnenen Kapitals der Sauglingsfiirsorge zugute kommen wird.
Eine andere grofie Arbeit, der E. gleichfalls vor der Vollendung entrissen
wurde, ist der Bau einer neuen Klinik auf dem Boden des neuen allgemeinen
Krankenhauses. Im Krankenhausbau und speziell dem von Kinderkranken-
hausern schon seit Jahren versiert, hat er alle Erfahrungen und Plane seines
Lebens in diesem Bau verwendet, der tatsachlich gegenwartig die sch&nste
Kinderklinik der Welt darstellt.
Wie E. durch Verbindung der verschiedenen Wohltatigkeitsanstalten grofie,
einheitlich arbeitende Komplexe formieren wollte, so hat er auch, und sehr
erfolgreich, danach gestrebt, die Kinderarzte zu vereinen, zum gegenseitigen
Meinungsaustausch zu bringen und das Interesse der allgemeinen Arzteschaft
fiir padiatrische Fragen zu gewinnen.
Als er nach Wien kam, bestand keine derartige Vereinigung, und eine
Escherich. 5 3
seiner ersten Taten war die Griindung der Wiener padiatrischen Sektion. Auch
das war wieder ein ganz ausgezeichneter Schachzug. Er wufite, dafl die Kinder-
arzte in Wien an sich zu schwach zu einer eigenen Organisation, einem eigenen
Blatte waren, und so setzte er es durch, dafl die Gesellschaft fur innere Medizin
die Kinderheilkunde als beigeordnete Spezialitat in Titel, Sitzung und Journal
aufnahm. An den Sitzungen der Gesellschaft war er unermiidlich als Vorsitzen-
der und als Forderer beteiligt, indem er fast jeden interessanten Fall der Klinik
zur Vorstellung brachte und besprach. Im Jahre 19 10 war er zum
Prasidenten der ganzen Gesellschaft gewahlt worden, nachdem er seit der
Griindung der padiatrischen Sektion im Vorstande gewesen. Er war auch an der
Griindung der osterreichischen Gesellschaft fur Kinderforschung mitbeteiligt. Zu
ihren padagogischenBestrebungen zog ihn vorziiglich die Schularztfrage, welcher
er auch mehrere Arbeiten widmete (Monatsschr. f. Gesundheitspflegei9o8, 5, 6).
Verzeichnis der Arbeiten Escherich s. Die marantische Sinusthrom-
bose bei Cholera infantum. Jahrb. f. Kinderheilk. 19, 1883. — Zur Kasuistik der Bronchitis
fibrinosa. Deutsche med. Wschr. 1883, Nr. 8. — Laryngologische Mitteilungen aus der Klinik
des Herrn Geheimrates Prof. Dr. Gerhardt: a) t)ber respiratorischen und phonischen Stimm-
ritzenkrampf. b) Einige seltsame Formen von Neubildungen des Larynx, c) Zur Kasuistik
der Trachealstenosen. Arztl. Intelligenzbl. (Munch, med. Wschr.) 1883, S. 173, 187. —
Embolie und Lahmung bei Pleurairrigation. Arztl. Intelligenzbl. 1883, Nr. 40, S. 429. —
Zur diagnostischen Bedeutung der Diazoreaktion. Deutsche med. Wschr. 1883, Nr. 45. —
Hydramische Leukozytose. Berl. klin. Wschr. 1884, Nr. 10. — Klinisch-therapeutische Beob-
achtungen aus der Choleraepidemie in Neapel. Arztl. Intelligenzbl. (Munch, med. Wschr.)
1884, Nr. 51, S. 561. — Ober Sputumferment. Archiv f. klin. Med. v. Ziemssen 37, 1885. —
Bakteriologische Untersuchungen iiber Frauenmilch: I. Die Milch gesunder Frauen. II. Die
Milch iiebernder Wochnerinnen. Fortschritte der Medizin 1885, Nr. 5, S. 231. — Methode zur
Untersuchung der Sauglingsstuhle. Mitt. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol, in Miinchen,
Sitzung vom 17. Dezember 1884. — Die Darmbakterien des Sauglings und Neugeborenen.
Fortschritte der Medizin 1885, III, S. 515, 547. — Ober tropho-neurotische Storungen bei
Chorea. Mitt. a. d. med. Klinik zu Wurzburg 2, 1886. — Beitrage zur Kenntnis der Darm-
bakterien: I. Helicobacterium (Klebs). Munch, med. Wschr. 1886, Nr. 1. II. Vibrio felinus.
Munch, med. Wschr. 1886, Nr. 43. III. Ober das Vorkommen von Vibrionen im Darmkanal
und den Stuhlgangen der Sauglinge. Miinch. med. Wschr. 1886, Nr. 46. — Die Darmbakterien
des Sauglings. Stuttgart 1886. — Zur Atiologie der multiplen Abscesse im Sauglingsalter.
Munch, med. Wschr. i886 t Nr. 51 u. 52. — Notiz zur Phosphortherapie der Rachitis. Miinch.
med. Wschr. 1887, Nr. 1. — Ursachen und Folgen des Nichtstillens bei der Bevolkerung Mtin-
chens. Miinch. med. Wschr. 1887, Nr. 13. — Die im Blute und in den Organen Scharlachkranker
gefundenen Mikroorganismen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. i, Nr. 13, 1887. — Ober
Darmbakterien im allgemeinen und diejenigen der Sauglinge im besonderen, sowie die Beziehun-
gen der letzteren zur Atiologie der Darmerkrankungen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 1,
Nr. 24, 1887. — Die desinfizierenden Behandlungsmethoden der Magendarmkrankheiten des
Sauglingsalters. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 2, 1887. — Ober die Saugbewegung beim
Neugeborenen. Miinch. med. Wschr. 1888. — Die normale Milchverdauung des Sauglings.
Jahrb. f. Kinderheilk. 27, 100, 1888. — Ein Fall von Typhus abdominalis mit seltenen Kom-
plikationen (Aphasie — Dementia — Erysipel). Munch, med. Wschr. 1888, Nr. 3, gemeinsam
mit Dr. R. Fischl. — Beitrage zur antiseptischen Behandlungsmethode der Magendarmkrank-
heiten des Sauglingsalters. Therap. Monatshefte, Oktober 1887, und Jahrb. f. Kinderheilk. 27,
126, 1888. — Die Garungsvorgange im kindlichen Darmkanal. (Erwiderung gegen Ba-
ginsky.) Deutsche med. Wschr. 1888, Nr. 24. — Ober die Verbreitung des Scharlachs durch
Milch. Miinch, med. Wschr. 1889, Nr. 31. — Beitrag zur Pathogenese der bakteriellen Magen-
und Darmerkrankungen im Sauglingsalter. Wiener med. Presse 1889, Nr. 41, 42. — Ober
54 Escherich.
kUnstliche Ernahrung und eine neue Methode der Nahrungsmengenberechnung. Miinch. med.
Wschr. 1889, Nr. 23 u. 24. — Zur Frage der Nahrungsmengenbestimmung fiir den Saugling
nach Alter oder nach Kfirpergewicht. (Erwiderung.) Miinch. med. Wschr. 1889, Nr. 19. —
t)ber die Keimfreiheit der Milch nebst Demonstration von Milchsterilisierungsapparaten nach
Soxhletschem Prinzip. Munch, med. Wschr. 1889, Nr. 46. — Bakteriologische Untersuchun-
gen uber Diphtherie. Festschrift ftir Henochs 70. Geburtstag, 1. XII. 1889. — Zur Reform
der kunstlichen Sauglingsernahrung. Wiener klin. Wschr. 1889, Nr. 40. — Die ortliche Be-
handlung der Rachendiphtherie. Wiener klin. Wschr. 1890, Nr. 7, 8, 9, 10. — Zur Atio-
logie der Diphtherie. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 1, 18, 1890. — Entwicklung und
Stellung der neueren deutschen Kinderheilkunde. Wiener med. Wschr. 1890, Nr. 26 — 29. —
Idiopathische Tetanie im Kindesalter. W r iener klin. Wochenschr. 1890, Nr. 40. — t)ber
Milchsterilisierung zum Zwecke der Sauglingsernahrung mit Demonstration eines neuen Ap-
parates. Berl. klin Wschr. 1890, Nr. 43. — Beitrage zur Frage der kunstlichen Ernahrung.
Jahrb. f. Kinderheilk. 32, 1, 231, 1891. — t)ber die Indikationen zur Intubation bei Diphtherie
des Larynx. Wiener chir. Wschr. 1891, Nr. 7, 8. — Zur Frage der Milchsterilisierung zum
Zwecke der Sauglingsernahrung. Miinch. med. Wschr. 1891, Nr. 30. — t)ber perniziose Anamie
im Kindesalter. Vortragim Arzteverein in Graz. Wiener med. Wschr. 1892, Nr. 13 u. 14. —
Die Resultate der Kochschen Injektionen bei Skrofulose und Tuberkulose. Jahrb. f. Kinder-
krankh. 33, 369, 1892. — Ober diphtheroide Rachenerkrankungen. Mitt. d. Ver. d. Arzte in
Steiermark 1893, Nr. 2. Wiener med. Presse 8, 1893. — Zur Frage des Pseudodiphtherie-
bacillus und der diagnostischen Bedeutung des Lofflerschen Bacillus. Berl. klin. Wschr.
1893, Nr. 21. — Uber einen Schutzkorper im Blute der von Diphtherie geheilten Menschen.
(Gemeinsam mit Prof. Klemensiewicz.) Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 13, Nr. 5 u. 6,
1 %93- — Croup. Bibliothek d. ges. med. Wissensch. Abt 1, Bd.: Interne Medizin und
Kinderkrankheiten H. 5, 6, 7. — Vier mit Tizzonis Antitoxin behandelte Falle von Trismus
und Tetanus neanatorum. Wiener klin. Wschr. 1893, Nr. 32. — t)ber Cystitis bei Kindern,
hervorgerufen durch das Bacterium coli commune. Vortrag im Verein der Arzte in Steiermark.
Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1894, Nr. 6. — Zur Pathogenese der Diphtherie. Vortrag t
gehalten beim Kongrefl in Rom, Marz 1894. Wiener klin. Wschr. 1894, Nr. 22. — I. Rap-
porti del Laringospasmo con la rachitide. La Pediatria Fasc. 7, 1894. — Notiz zu dem Vor-
kommen feiner Spirillen in diarrhoischen Dejektionen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 15,
Nr. 12, 1894. — Die Gaertnersche Fettmilch, eine neue Methode der Sauglingsernalirung.
Vortrag, gehalten in der padiatrischen Sektion der 66. Naturforscherversammlung in Wien.
1894, und Wiener klin. Wschr. 1894. — Ein Fall von infantilem Mixodem. Mitt d. Ver.
d. Arzte in Steiermark 1894, Nr. 8. — Atiologie und Pathogenese der epidemischen Diphtherie.
I. Der Diphtheriebacillus. Wien 1894, 294 Seiten. — Diphtherie, Croup, Serumtherapie nach
Beobachtungen an der Universitatskinderklinik in Graz. Carl Prohaska, Wien 1895, 154
Seiten. — Die Bedeutung der Gaertnerschen Fettmilch fiir die Sauglingsernahrung. Separat-
abdruck a. d. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1895, Nr. 1. — Ober die kiinstliche Er-
nahrung mit spezieller Beriicksichtigung der Gaertnerschen Fettmilch. Hebammen-Zeitung
1895, — Rachitis. Separatabdruck a. d. Bibliothek med. Wissensch. I. » Interne Medizin
und Kinderkrankheiten* 2. — Bemerkungen uber denStatus lymphaticus der Kinder. Berl.
klin. Wschr. 1896, Nr. 29. — Die Verwendung des Tanningen bei Diarrh5en der Kinder.
Therap. Wochenschr. 1896, Nr. 10. — Begriff und Vorkommen der Tetanie im Kindesalter.
Berl. klin, Wschr. 1897, Nr. 40. — Promemoria betr. Krankenabteilung der steiermarkischen.
Landesfindelanstalt. Blatter fiir Ammenwesen 1897. — Versuche zur Immunisierung gegen
Diphtherie. Wiener klin. W r schr. 1897, Nr. 36. — Krankheitserreger der SauglingsdiarrhSen
(Streptokokkenenteritis). Wiener klin. Wschr. 1897, Nr. 42. — Tetanie. Extrait du Trait6
des Maladies de TEnfance IV, 1897. — Zur Dysenteriedebatte. Separatabdruck a. d. Mitt,
d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1897, Nr. 3. — Der Keuchhusten, der Bostoksche Sommer-
katarrh. Referat. Sonderabdruck der Wiener klin. Wschr. 1897, Nr. 5. — Ein weiterer
Fall von Pseudotetanus. Sonderabdruck a. d. Wiener klin. Rundschau 1898. — Atiologie
der Magendarmerkrankungen der Sauglinge. Deutsche med. Wschr. 1898, Nr. 40, 41. —
Escherich. 5 5
Resultate der Heilserumtherapie auf der Diphtheriestation des St. Anna-Kinderhospitals in
Graz. Monatsschr. *Die Heilkunde*, W 7 ien 1898. — Die diagnostische Verwertung des Rontgen-
verfahrens bei Untersuchung der Kinder. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1898, Nr. 2. —
Uber Streptokokkenenteritis im Sauglingsalter. Jahrb. f. Kinderheilk. 49, H. 2 u. 3, 1899. —
Uber die kiinstliche Ernahrung mit spezieller Beriicksichtigung der Gaertnerschen Fettmilch.
Hebammen-Zeitung. — Pyocyaneusinfektionen bci Sauglingen. Centralbl. f. Bakt. u. Para-
sitenkde. u. Infektionskrankh. 25, 117, Nr. 4, 1899. — Zur Kenntnis der DarmcolibacilJen
unter physiologischen und pathologischen Verhaltnissen. Verhandl. d. XVII. Kongr. f. interne
Medizin. — Der Borsaureschnullcr, eine neue Behandlungsmethode des Soor. Therap. d.
Gegenw., Juli 1899. — Zur Atiologie der Dysenteric Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 25 T
385, 1899. — R61e des microbes dans les gastro-enterites des nourrisons. Arch, de Medecine
des Enfants, Nr. 12, Decembre 1900. — Die Atiologie der akuten primaren Magen-Darm-
erkrankungen der Sauglinge bakteriellen Ursprungs. Referat, erstattet in der pad. Sektion
des XIII. intern, med. Kongresses. Wiener klin. Wschr. 1900, Nr. 38. — Ober das Vor-
kommen von Ductusgerauschen bei Neugeborenen. International Contributions to medical
Literature. Festschrift fur Jacobi T 1900. — Die Einrichtung der Sauglingsabteilung im
Anna-Kinderspitale nebst Beschreibung einer neuen Brutkammer fur fruhgeborene und lebens-
schwache Kinder. Mitteilungen des Vereins der Arzte in Steiermark 1900. Nr. 3. — Studien
uber die Morbiditat der Kinder in verschiedenen Altersklassen. Jahrb. f. Kinderheilk. 51, 1,
1900. — Zur Kenntnis der Unterschiede zwischen der natiirlichen und ktinstlichen Ernahrung
des Sauglings. Wiener klin. Wschr. 1900, Nr. 51. — Epidemisch auftretende Brechdurch-
falle in Sauglingsspitalern. Jahrb. f. Kinderheilk. 52, 1, 1900. — Beitrag zur Statistik und
Behandlung der Nabelinfektionen. Wiener klin. Rundschau 1900, Nr. 30. — Demonstration
eines Falles von Chondrodystrophia foetalis. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1901,
Nr. 5. — Ein Fall von kongenitaler Dilatation des Kolon. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steier-
mark 1901, Nr. 5. — Vorschlage zur Hintanhaltung der Verbreitung ansteckender Krank-
heiten in den Schulen. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1901, Nr. 5. — Diphtherie (Saku-
larartikel). Berl. klin. Wschr. 1901, Nr. 2. — Die akuten Verdauungsstorungen des Saug-
lingsalters. Deutsche Klinik von E. von Leyden u. F. Klemperer 1901. — Fursorge fur die
tuberkulosegefahrdeten Kinder. Beilage zu den stenogr. Protokollen des n.-6. Landtages,
September 1902. — Die Bekampfung der Tuberkulose im Kindesalter. Annales med. et
Bulletin de Statistique de l'H6pital des enfants Hamidie III, 1902. — Bacterium ccli com-
mune. Handb. d. pathog. Mikroorganismen 1902. — Diskussion uber den gegenwartigen
Stand der Lehre vom Pemphigus. Verhandl. d. V. Deutschen dermatol. Kongresses. — Er-
folge der Serumbehandlung des Scharlacbs. Wiener klin. Wschr. 1903, Nr. 23. — Demonstra-
tion zweier Geschwister mit Bleilahmung. W r iener klin. Wschr., Febr. 1903. — Die tetanoiden
Erkrankungen des ersten Kindesalters. Vortrag. November 1903. — Enteroptose. Mitt. d.
Gesellsch. f. inn. Med. in Wien 1903, Nr. 10. — Bitte an die Wiener Frauen. Broschure, 1903*
— Promemoria in Angelegenheit der Unterbringung der padiatrischen Klinik im Neubau des
Allgemeinen Krankenhauses, 1903. — Die Behandlung der Nabelhernien der Kinder mittels
Parafnnpelotte. Vortrag a. d. intern, med. KongreG in Madrid, Juli 1903. — Kinderklinik
im neuen allgemeinen Krankenhause. »Deutsches Tagblatt«, Juni 1904. — ErofTnungsrede
der Gesellschaft fiir innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien am 4. Februar 1904. W'iener
med. Wschr. — Uber epidemische Ruhr. Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk., Sitzung
11. Februar 1904. Wiener med. Wschr. — Ein Fall von idiopathischer Pulsarrhythmie im
Kindesalter. Sonderabdruck aus Wiener med. Wschr., Sitzung vom 16. Juni 1904. — De-
monstration zweier Falle von Erythema contagiosum. Offizielles Protokoll der k. k. Gesell-
schaft der Arzte in Wien vom 20. Mai 1904 aus Wiener klin. W T schr. — Demonstration zweier
Falle von Angina ulcerosa (Bernheim). Offizielles Protokoll der k. k. Gesellschaft der Arzte
in Wien vom 11. November aus Wiener klin. Wschr. 1904. — Demonstration eines typischen
Falles von Barlowscher Krankheit (infantil Skorbut). Offizielles Protokoll der k. k. Gesell-
schaft der Arzte in Wien vom 11. November aus W T iener klin. W r schr. 1904. — Erythema in-
fectiosum, ein neues akutes Exanthem. Separatabdruck a. d. Monatsschr. f. Kinderheilk.,
56 Escherich.
Oktober/November 1904. — Tetanic »Traite des Maladies de l'Enfance* von Comby-Marfan
1904, — Die Grundlagen und Ziele der modernen Padiatrie. Vortrag in St. Louis am 21. Sep-
tember 1904. Jahrb. f. Kinderheilk. — Ober Sauglingsfursorge mit Besprecbung der Or-
ganisation der Schutzstelle des Vereins »Sauglingsschutz*. Wiener med. Wschr. 1905. —
Antrag auf Einsetzung eines Komitees behufs Ausarbeitung von Vorschlagen zur F6rderung
der Brusternahrung. Wiener klin. Wschr. 1905, Nr. 23. — Padiatrische Reiseeindrucke in
Amerika. Wiener med. Wschr. 1905, Nr. 44. — Die neue Sauglingsabteilung im St. Anna-
Kinderspital in Wien. Verhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., Meran 1906. — Zur Kasuistik
der Hirschsprungschen Krankheit. Wiener klin.-therap. Wschr. 1906, Nr. 3. — Multiple
Leberabszesse (Demonstration in der Gesellschaft f. inn. Med, u. Kinderheilk.). Wiener med.
Wschr. 1906, Nr. 6. — Embolische Prozesse bei postdiphtheritischer Herzschwache (De-
monstration in der Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk.). Wiener med. Wschr. 1906, Nr. 6.
— Durch Thoraxpressung entstandene Veranderungen (Demonstration in der Gesellsch. d.
Arzte). Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 7. — tJber Krankenpflegerinnen^esen in Osterreich
(Gesellsch. <L Arzte). Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 19. — Kindersterblichkeit. IV. intern.
KongreQ f. Armenpflege, Mailand 1906. — t)ber Ursachen und Bekampfung der Sauglings-
sterblichkeit. IV. intern. KongreO f. Armenpflege, Mailand 1906. — Die Verwendung der
Pyozyanose bei der Behandlung der epidemischen Sauglingsgrippe und der Meningitis cerebro-
spinalis. Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 25. — Der Verein Sauglingsschutz auf der hygienischen
Ausstellung in der Rotunde 1906. Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 28. — Ober Isolierung und
Kontaktverhutung in Kinderspital em. Verhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., Stuttgart
1906, — Barlowsche Krankheit (Demonstration in der Gesellsch. d. Arzte). Wiener klin.
Wschr. 1906, Nr. 47. — Studien und Vorschlage zur Forderung des Selbststillens. Osterr.
Sanitatswesen 1906, Nr. 37. — Festrede zur Enthiillung der Biiste Widerhofers in der Aula
der Universitat Wiener klin. Wschr. 1907, Nr. 48. — Rapport: Question g£ne*rale du con-
gres intern, de la protection de l'enfance a Bruxelles, Sept. 1907. — Zur Organisation der Saug-
lingsfursorge mit spezieller Berucksichtigung der Wiener Schutzstelle. Berl. klin. Wschr.
1907, Nr. 48. — Geschlechtskrankheiten im Kindesalter. Wiener klin. Wschr. 1907, Nr. 51. —
Zur Kenntnis der tetanoiden Zustande des Kindesalters. Munch, med. Wschr. 1907, Nr. 42. —
Hirnembolie im Verlaufe der postdiphtherischen Herzschwache. Wiener med. Wschr. 1907,
Nr. 10. — Diskussionsbemerkung zum Vortrag Pirquets iiber Blatternexanthem. Wiener
klin. Wschr. 1907, Nr. 9. — Entwicklung und Leistungen der Kinderheilkunde in den letzten
25 Jahren. Verh. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., K6ln 1908. — Ein Fall von chronischer Tetanie
im ersten Kindesalter. Wiener med. Wschr. 1908, Nr. 49. — Diskussion zum Vortrag Dr.
Jehles, Entgegnung auf Chvostek. Wiener klin. Wschr. 1908, Nr. 52. — Ober die hypo-
plastische Konstitution und ihre Bedcutung. Wiener med. Wschr. 1908, Nr. 33. — De-
monstration eines Kindes mit Fettdiarrhtfe und Ekzema seborrh. W T iener med. Wschr. 1908,
Nr. 3. — Die Bedeutung des Schularztes in der Prophylaxe der Infektionskrankheiten. Monats-
schrift f. Gesundheitspflege 1908, Nr. 5. — Allgemeine Bemerkungen zur Schularztfrage.
Monatsschr. f. Gesundheitspflege 1908, Nr. 6. — Ober Sauglingsernahrung. Osterr. Arzteztg*
1908, Nr. 21 — 24. — Die Tetanie der Kinder. Wien 1909. Alfred Holder. 268 S. — Leysin
als Kurort fur Tuberkulose. Wiener med. Wschr. 1909, Nr. 29. — Die Infektionswege der
Tuberkulose, insbesondere im Sauglingsalter. Wiener klin. Wschr. 1909, Nr. 15, S. 514. —
Der gegenwartige Stand der Lehre von der Skrofulose. Deutsche med. Wschr. 1909, Nr. 38. —
Was nennen wir Skrofulose ? Wiener klin. Wschr. 1909, Nr. 7. — Beitrag zur Kasuistik der
Pneumonie des Kindesalters. Wiener med. Wschr. 19 10, Nr. 5. — Ober Indikationen und
Erfolge der Tuberkulin-Therapie bei der kindlichen Tuberkulose. Wiener klin. Wschr. 1910,
Nr. 20.
Quellenverzeichnis zur Biographie: M. Pfaundler, Nekrolog in der Munchner med. Wschr.
191 1, 12. — Fr. Hamburger, Wiener med. Wschr. 1911,9. — C. v. Pirquet, Zeitschr. U
Kinderheilk. 1911 und Wiener med, Wschr, 1911, 12.
C. v. Pirquet
Ktfnig. 57
Konig, Richard, Dr. Preiherr von und zu Warthausen,* 6. Februar 1830,
f 4. Januar 191 1. — Seine erste wissenschaftliche Bildung erhielt K., Majorats-
erbe, von dem von ihm hochverehrten spateren Dekan Landerer und dann auf
dem Gymnasium in Ulm; nach abgelegter Maturitatsprufung besuchte er die
Universitat Tubingen, die Forstakademie Tharand und die landwirtschaftliche
Akademie Hohenheim. In der Wahl dieser Bildungsstatten kam die ausge-
sprochene Neigung fur die Naturwissenschaf ten zum Ausdruck, die ihn von frtiher
Jugend an erfiillte.
Die aufieren Verhaltnisse gestatteten ihm, von der Annahme irgendeiner
staatlichen Stelle abzusehen und ganz seinen Neigungen zu leben. In mehreren
kleineren Reisen trat der junge Freiherr besonders in Beziehungen zu hervor-
ragenden Ornithologen Deutschlands. In weit zuriickliegende Zeiten fuhren
uns diese Erinnerungen. Mit dem alten Brehm, Naumann, Homeyer, Finsch,
Baldamus u. a. stand K. in regem brieflichen und personlichen Verkehr. Es
war die grofie Zeit der Ornithologie in Deutschland; begeisterte Anhanger hatte
die Wissenschaft der Vogelkunde in der ersten Halfte und in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts besonders in Deutschland in alien Kreisen; es wurde in
groB angelegten und grofizugig durchgefiihrten Monumentalwerken der Boden
vorbereitet fur die Detailforschung spaterer Jahre. Zu den klangvollen Namen,
die auch heute noch fest eingeschrieben stehen im Buch der Wissenschaft,
gesellte sich bald auch K.
Sein besonderes Interesse wandte er dem Studium der Eierkunde, der
Oologie, zu, dem im ganzen wenig gepflegten Zweig der Vogelkunde; zum Teil
unter Aufwendung bedeutender Mittel legte er eine Eiersammlung an, deren
Reichhaltigkeit sie im Lauf der Jahre zu einer der bedeutendsten Privatsamm-
lungen machte. Das Interesse von K. an der Zoologie beschrankte sich aber
nicht nur auf Eier und ausgestopfte Vogel, sondern als feinsinniger Beobachter
stellte er sich von fruh an die Aufgabe, das Leben der Vogel zu studieren, An-
kunft und Abzug der Zugvogel genau festzustellen, die Lebensweise zu beob-
achten, und mit zahlreichen Notizen full ten sich im Lauf der Jahre die Tage-
biicher, wobei K. die Freude hatte, in seinen Kindern das gleiche Interesse
heranwachsen zu sehen, welches ihn beseelte und besonders in seinen Beob-
achtungen und deren Verarbeitung von einer seiner Tochter unterstlitzt zu
werden.
Bei all diesen Studien wurden dem Forscher, der das Gluck hatte, inmitten
einer reichen Natur zu leben, die Tiere, besonders die Vogel, seine Freunde,
und nichts konnte ihn mit gerechterem Zorn erfullen, als unnlitze Verfolgung
der Tiere, Aasjagerei und Pramienschiefierei. Energisch betonte er das Recht
eines jeden Lebewesens auf seine Existenz, und zu einer Zeit, in der noch lange
nicht von Naturschutz die Rede war, protestierte er gegen die bis zur Ausrottung
gehende Verfolgung einzelner Tiere, selbst wenn sie sich dem Menschen in
seinem Besitztum schadlich erweisen sollten. Warmen Herzens und mit scharfen
Worten trat er fur die verfolgte Tierwelt ein, und manche Gesetzesvorlage in
der wurttembergischen Standekammer, welcher er als ritterschaftlicher Abge-
ordneter von 1862 bis 1894 angehorte, gab ihm Gelegenheit, eine Lanze fur
seine gefiederten Freunde einzulegen. Es war selbstverstandlich, dafi K. als
Autoritat in alien Fragen des Vogelschutzes gait.
Wenn K. auch keine grofleren ornithologischen Arbeiten verfafite, so war
58 KiSnig.
doch seine mannigfache Betatigung auf dem Gebiete der Ornithologie nach
verschiedenen Richtungen hin eine so erspriefiliche, dafl die naturwissenschaft-
liche Fakultat der Universitat Tubingen ihn mit Recht durch Verleihung des
naturwissenschaftlichen Doktors h. c. auszeichnete.
Neben der Vogelwelt hatten es ihm besonders die Mollusken angetan, und
die heimische Molluskenfauna, in erster Linie naturlich die Oberschwabens,
hat K. im Lauf der Jahre vollstandig gesammelt.
Es ist selbstverstandlich, dafl ein Mann mit solch ausgepragtem natur-
wissenschaftlichen Sinn und Verstandnis eine Rolle spielen mufite im Verein
fiir vaterlandische Naturkunde in Wtirttemberg. Schon im Jahre 1853 tr at
er dem Verein als Mitglied bei und , wurde 1898 zum Ehrenmitglied desselben
ernannt. Zahlreich sind die Veroffentlichungen aus seiner Feder in den Jahres-
heften des Vereins fiir vaterlandische Naturkunde, besonders sind ihm die
»Naturwissenschaftlichen Jahresberichte« zu danken, in welchen er in erster
Linie uber ornithologische Vorkommnisse, sodann aber uber allgemeine zoo-
logische Beobachtungen berichtete, sowohl auf Grund eigener Feststellungen
wie auf Grund von Mitteilungen anderer Naturfreunde, mit denen er zu diesem
Zweck eine ausgedehnete Korrespondenz pflog. Leider haben diese »Natur-
wissenschaftlichen Jahresberichte« bis jetzt keine Fortsetzung gefunden.
Besonders eng war K. mit den naturwissenschaftlichen Kreisen Ober-
schwabens verbunden. Freunde der Geologie und Palaontologie, die in den
Ablagerungen Oberschwabens manch schones Stuck fanden, hatten sich zu dem
»Molasseklub« zusammengetan ; im Mai 1874 schlofi sich der Klub dem Verein
fiir vaterlandische Naturkunde als »Oberschwabischer Zweigverein« desselben
an und K. ubernahm als Vorstand seine Leitung. Alljahrlich am Lichtmefi-
feiertag versammeln sich die Mitglieder des »Oberschwabischen« zu dem Jahres-
tag in Aulendorf, und wer Gelegenheit hat, dieser fast stets von etwa 100 Freun-
den der Naturwissenschaft in Oberschwaben von weither besuchten Versamm-
lung beizuwohnen, wird sich des regen Interesses freuen, welches unter der
Leitung von K. immer eine eifrige Pflege fand. Bis zum Jahre 1898 stand K.
an der Spitze des Oberschwabischen Zweigvereins ; zunehmende Altersbe-
schwerden notigten ihn, die Leitung der Geschafte in jungere Hande zu legen;
aber bis in die letzten Wochen seines Lebens bewahrte er das regste Interesse
fiir alles, was mit dem vaterlandischen Verein und seinem Zweigverein zu-
sammenhing. Schon schwer leidend erkundigte sich der liebenswurdige Schlofi-
herr uber alle Vorgange des Vereins, liber Personen und Dinge bei dem Verfasser
dieser Zeilen, der wieder einmal den Burgberg hinaufgestiegen war zu dem
gastlichen Schlofi, in welchem er und so viele andere in anregendem Gesprach
schOne, in dankbarer Erinnerung verbleibende Stunden verlebt haben.
Die Eigenart des Besitzers dieses stolzen Schlosses trat dem Besucher sofort
entgegen. Auf machtige Findlinge, die eine feme Eiszeit in oberschwabische
Gefilde getragen, fiel der erste Blick, eine Mauer aus den verschiedensten errati-
schen Kieseln aufgebaut, deren mannigfache Farbung besonders hiibsch bei
Regenwetter hervortrat, umgab einen Teil des Gartens; den Zugang des Hauses
bewachten franzosische Geschutze, eine Erinnerung an die grofie Zeit, an welcher
auch K. teilgenommen, indem er als Ritter des Johanniterordens Verpflegungs-
zlige nach Frankreich fuhrte und hierfiir mit dem Eisernen Kreuz am weifien
Bande geehrt wurde. In den weiten Gangen des Schlosses und in den hohen
Konig. v. Tttmpling. eg
Zimmern bewunderte der Gast in prachtigen Schranken und kostbarem Por-
zellan nicht minder das feine Verstandnis des Schloflherrn fur die Erzeugnisse
aus der Bliitezeit des deutschen Kunstgewerbes wie den Erfolg einer unermud-
lichen und verstandnisvollen Sammeltatigkeit. Diese ausgesprochene Neigung
fur Sammeln liefi K. auch im Verein mit seiner von dem gleichen Interesse
beseelten Schwester eine Siegelstocksammlung zusammenbringen, die an Voll-
standigkeit kaum ihresgleichen hat.
So hinterliefl K. Sammlungen ganz eigener Art, die noch lange zeugen werden
von dem forschenden Geiste des Dahingeschiedenen, den zahlreiche Freunde
an dem sonnigen Wintertag des 7. Januar zu der einsamen Ruhestatte im Park
begleiteten, in dem er so oft die Natur beobachtet und seinen Blick hinaus-
schweifen liefi liber die weite Ebene seines geliebten Oberschwabens.
Nach den Jahresheften f. vaterl. Naturkunde in Wurttemberg.
L a m p e r t.
V. TiimpHng, Luise, geb. v. Boyen, * Berlin 26. Mai 1852, f Jena 3. Juli
191 1. — Als einziges Kind des Generals der Infanterie und General -Adju tan ten
Wilhclms I., Hermann v. Boyen und der Fanny geb. Prinzessin Biron von
Kurland, empfing sie durch Lehre und Beispiel in allem Edlen und Guten
eine vornehme und gediegene Erziehung. Besonders tiefen Eindruck brachte
auf ihr Gemiit der Religionsunterricht hervor, der 1869 mit der Konfirmation
durch den bekannten Prediger Mullensiefen in Berlin seinen Abschlufl fand.
Fast jeden Sommer verbrachte sie auf dem Schlosse Lobichau in Sachsen-
Altenburg, dessen Besitzerin, die feinsinnige Herzogin Johanna von Acerenza-
Pignatelli geb. Prinzessin Biron von Kurland, eine Tante ihrer Mutter, groflen
Einflufi auf sie gewann. Auch Italien lernte sie frlihzeitig kennen und lieb-
gewinnen, und in Rom war es, dafi sie sich 1878 mit dem damaligen Kaiser-
lichen Legationssekretar und Koniglich PreuBischen Rittmeister a. D. Wolf
v. Tumpling verlobte. Ihr Tagebuch liber diesen Aufenthalt in Italien hat sie
fur Freundeskreise drucken lassen (»Eine Reise nach Italien 1877 — 1878.«
Bern 1879. 188 Seiten in 8°). Mullensiefen vollzog am 19. Juni 1878 in Berlin
mit einer Rede uber Josua 24, 15 (»Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn
dienen«) die Trauung. Kaiser Wilhelm I., welcher sie als Pate einst uber der
Taufe gehalten hatte, war damals von Verbrecherhand verwundet und liefi
sich durch den Kronprinzen bei der Feier vertreten.
Sie verlebte zunachst einige Monate mit ihrem Gemahl auf seinem Gute
Thalstein bei Jena und folgte ihm dann in seine verschiedenen diplomatischen
Stellungen nach Bern, Brussel, wiederum Bern und dem Haag. Mit Wurde
und Takt vertrat sie uberall die deutschen Interessen und rief in Bern den
»Deutschen Frauen-Hilfsverein« ins Leben. Als ihr Gemahl nach dem Tode
seines Vaters, des kommandierenden Generals Wilhelm v. Tumpling, 1884
seinen Abschied als Legationsrat genommen hatte, wurde der Thalstein ihr
dauernder Wohnsitz. Sie pflegte ihn aber jahrlich ein paar Monate lang mit
Lobichau zu vertauschen, nachdem ihr beim Tode ihrer Mutter (1888) dieses
schone, durch Erinnerungen an die letzte Herzogin Dorothea Biron von Kurland
geweihte Besitztum zugefallen war. In ihren beiden behaglich und kunstlerisch
ausgeschmlickten Heimen entwickelte sich eine edle und anregende Geselligkeit,
durch die ihr Salon ein bevorzugter Mittelpunkt geistiger Aussprache wurde.
60 v. TUmpling.
Ihre Hauptarbeit aber gait der Linderung fremder Note und Leiden, und
sie fand darin ein weites Feld zur Betatigung christlicher Nachstenliebe. Mit
heiligem Ernst erfaOte sie jede Aufgabe, die sie sich stellte, und setzte ihre
ganze Personlichkeit ein fur das Durchfuhren der begonnenen Werke. Da sie
im Auslande die Bedrangnisse der Evangelischen aus eigenster Anschauung
kennen gelernt hatte, wurde sie eine warme Freundin der Gustav-Adolf-Sache.
So griindete sie 1888 in Jena einen Gustav-Adolf-Frauenverein, dem sie bis zu
ihrem Tode vorstand, und schrieb manche Aufsatze fur den »Boten des Gustav-
Adolf-Vereins fur Th(iringen«. Auch fur das Evangelisationswerk in Spanien
hatte sie immer ein warmes Herz, und Fritz Fliedner, mit dem ihr Gemahl
von seiner Madrider Zeit her befreundet war, weilte oftmals auf dem Thalstein.
Von der Verehrung, die ihr infolge ihres wohltatigen Schaffens zuteil wurde, legte
1903 die Feier der silbernen Hochzeit in Lobichau ein sprechendes Zeugnis ab.
Ihr Wirken im Dienste der Nachstenliebe kronte sie dadurch, daC sie, die
kinderlos geblieben war, mit Zustimmung ihres Gemahls, Vorstandsmitgliedes
der Deutschen Adelsgenossenschaft, im Jahre 1907 ihr Schlofl und Rittergut
Lobichau der genannten Deutschen Adelsgenossenschaft zur Errichtung eines
adeligen evangelischen Damenstifts schenkte. Am 2. Mai 1907 gab sie ihre
dahingehende Erklarung zu Protokoll, am 30. August erteilte Herzog Ernst I.
von Sachsen-Altenburg seine landesherrliche Genehmigung dazu, und am
10. August 1908 konnte die Stiftung im Beisein der Herzogin Adelheid von
Sachsen-Altenburg eroffnet und eingeweiht werden. Sie erhielt den Namen
»Evangelisches Johanna-Luisen-Stift«, zur Erinnerungan die Herzogin Johanna
von Acerenza-Pignatelli und an die Grafin Luise von Hohenthal-Konigsbriick
(eine Schwester der Frau v. Boyen), deren Vorname zugleich auch den der
Stifterin wiedergibt. Nach den Satzungen vom 11. Februar 1908 hat das Stift,
das unter dem Schutze der Herzogin von Sachsen-Altenburg und unter der
Leitung einer Abtissin sowie eines Kuratoriums steht, den Zweck, gebildeten
adeligen evangelischen Witwen und Jungfrauen, die dessen bedurftig sind,
im Schlosse Lobichau ein sorgenfreies Dasein zu gewahren. Von den Stifts-
stellen sind sechs voile Freistellen, auf welche die Angehorigen der Familien
v. Tumpling und Biron von Kurland das erste Anrecht haben; fur die ubrigen
Stellen haben die Inhaberinnen jahrlich 600 M. zu entrichten. Die Stiftsdamen
sollen sich an gemeinnutziger Arbeit und christlicher Liebestatigkeit beteiligen.
Die Adelsgenossenschaft hat dem Stifte eine wirtschaftliche Frauenschule
angegliedcrt, die ihren Sitz in dem alteren Lobichauer SchloBchen hat und
einer padagogisch gebildeten Vorsteherin unterstellt ist. Diese Frauenschule
begann schon einige Monate vor der Eroffnung des Stiftes, namlich am 26. Mai
1908, den ersten ihrer Unterrichtskurse, die immer ein Jahr lang dauern. Seit-
dem zahlt die Schule alljahrlich eine stattliche Menge von jungen »Maiden«
zu ihren Schiilerinnen. Der erste Jahrgang (1910) der »Lobichauer Maiden-
zeitung« brachte auch einen Aufsatz der Stifterin Ciber Lobichaus Vergangen-
heit. In dem Gedeihen dieser Anstalten fand Frau v. T. den besten Lohn
ihrer Hochherzigkeit, aber es ward ihr auch von allerhochster Stelle eine An-
erkennung zuteil, indem Kaiser Wilhelm II. ihr im Oktober 1908 den Luisen-
orden verlieh.
Im Fruhjahr 191 1 weilte Frau v. T. mit ihrem Gemahl, wie schon oftmals
vorher, in Italien und kehrte gegen Ende des Monats Mai froh und frisch nach
v. Tiimpling. Salomon. 6 1
dem Thalstein zuruck. Da zeigten sich bei ihr nach wenigen Wochen plotzlich
Anfange einer ernsten Erkrankung, die rasch eine schlimme Wendung nahm.
Mit hohem Mut und glaubiger Ergebung ertrug sie alle Schmerzen und ver-
schied nach zehntagigem Leiden in der Klinik zu Jena. Bei der Leichenfeier,
die am 6. Juli auf dem Thalstein erfolgte, sprach der Generalsuperintendent
Z). Lohoff aus Altenburg nach den Bestimmungen der Verstorbenen iiber den
einstigen Trautext, den er auch schon 1903 seiner Rede bei der silbernen Hochzeit
zugrunde gelegt hatte. Im Thalsteiner Park fand Frau v. T., die letzte aus dem
Geschlechte der Boyen, ihre Ruhestatte, tief betrauert von alien, die ihren
groflen Charakter, ihren frommen, idealen Sinn, ihr edles, aufrichtiges Herz
und ihre gesegnete Wirksamkeit kennen gelernt hatten.
\V. v. Tiimpling, Geschichte des Geschlechts v. Tiimpling. 2. Bd. (Weimar 1892)
S. 720 — 723 mit Bildnis und Stammtafel. — Derselbe, Erinnerungen aus dem Leben des Ge-
nerated] utanten H. v. Boyen (Berlin 1898), S. 107, 126, 227, 230, 236. — Rede des General-
superintendenten J). Lohoff in der Kirche zu GroG-Stechau am 19. Juni 1903 bei der Silber-
hochzeitsfeier (Jena 1903). — Rede desselben auf dem Thalstein am 6. Juli 191 1 bei der Be-
erdigung (Jena 191 1). — Zum Gedachtnis von Frau v. Tiimpling geb. v. Boyen, mit Bildnis
(Jena 191 1). — Nachruf im »Deutschen Adelsblatt« t 29. Jahrg. Nr. 28 vom 9. Juli 191 1. —
»Bote des Gustav-Adolf-Vereins fur Th(iringen«, 64. Jahrg. Nr. 8 (August 191 1) S. 113, und
65, Jahrg. Nr. 2 (Februar 1912), S. 19 — 26, mit Bildnis. — »L6bichauer Maidenzeitung*,
2. Jahrg. (19 1 2) S. 1 — 7, mit Bildnis. — Satzung fur das Evangelische Johanna-Luisen-Stift
zu SchloB Lobichau, veroffentlicht von der Deutschen Adelsgenossenschaft (Neudamm 1908). —
0. Schreiner in den ^Thiringer Monatsblattenu 20. Jahrg. Nr. :o(Januar 1913) S. 130.—
Lebensgrofies Kinderbildnis von Frz. X. Winterhalter, aus dem Jahre 1856, im Festsaal auf
dem Thalstein. — Relief bildnis in karrarischem Marmor, aus dem Jahre 1908, im Johanna-
Luisen-Stift zu Lobichau.
Weimar. Paul Mitzschke.
Salomon, Ludwig, Dr % phil., Dichter, Journalist, Literar- und Kultur-
historiker, * in Gorden bei Elsterwerda 25. November 1844, f 19. November 191 1
in Dornburg bei Jena. — Er entstammte einer alten hallischen Gelehrten-
familie, und wenn er auch in einem kleinen Walddorfe im Kreise Merseburg
als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren wurde, so betrachtete er doch
die Stadt Halle als seine eigentliche Heimat. Denn da waren seine Vorfahren
seit Jahrhunderten seflhaft gewesen, und da war es auch, wo er selbst seine
akademischen Studien vollendete und den Grund zu seiner schriftstellerischen
Tatigkeit legte. Seine erste Veroffentlichung war ein Buch Hallescher Geschich-
ten, »Unter dem Halbmond«, so betitelt, weil die Stadt Halle einen Halbmond
im Wappen fiihrt. Bald aber wandte er sich dem Journalismus zu und trat
1 87 1 in den Redaktionsverband der »Elberf elder Zeitung« ein, dem er bis Ende
1873 angehorte. Dann ubernahm er die Chefredaktion des »Taglichen Anzeiger
fur Berg und Mark« in Elberfeld, die er bis zum Fruhjahr 1875 fiihrte. Um
diese Zeit grlindete er einen eigenen Herd und fiihrte eine Hausfrau heim, die
mit Verstandnis und feinem Empfinden ihm auch oft eine kluge Beraterin in
literarischen Dingen wurde. Mehrere Jahre war er Redakteur der illustrierten
Zeitschrift »Das Buch fur alle« in Stuttgart, lebte dann aber von 1879 ab, um
sich ungeteilt seinen Studien widmen und die inzwischen begonnene ^Geschichte
der deutschen Nationalliteratur des 1 9. Jahrhunderts« vollenden zu konnen,
in Dornburg bei Jena, um schliefilich Anfang 1882 wieder an die Wupper
62 Salomon.
zuriickzukehren und wiedcr die Chefredaktion der amtlichen Zeitung der Stadt
Elberfeld zu ubernehmen, die er bis zum Jahre 1906 leitete. Ein fur eine In-
dustriestadt auBergewohnlich reges literarisches Leben herrschte in jener Zeit
in Elberfeld, an dem S. regen und anregenden Anteil nahm. Dem Poeten-
kreise, in dem er verkehrte, gehorten Emil Rittershaus, Fritz Roeber, Reinhard
Neuhaus, Ernst Scherenbcrg, Ludwig v. Lilienthal, Albert Roffack an. Auch
Johannes Fastenrath in Koln hatte Beziehungen zu ihnen. Bei den von Fasten -
rath gestifteten Kolner Blumenspielen war S. von 1899 bis 1906 Preisrichter.
Nach seiner Literaturgeschichte veroffentlichte er von kulturgeschichtlichen
Werken »Aus der Kunstlervvelt der Rokokozeit« und »Deutschlands Leben und
Streben im 19. Jahrhundert«. Nebenher entstand eine ganze Reihe fein-
erfundener Novellen, und den Roman »Agnes von Lilien« von Katharina
v. Wolzogen hat er neu herausgegeben (1881). Sein Hauptwerk aber, die Frucht
einer dreifligjahrigen emsigen Forscherarbeit, das er selbst als sein Lebcnswerk
bezeichnete, ist die dreibandige »Geschichte des deutschen Zeitungswesens von
den ersten Anfangen bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches« ? ein
Unternehmen, in dem dieser weitschichtige Stoff zum erstenmal zusammen-
hangend und abgeschlossen behandelt wurde, und das so eineempfindlicheLiicke
des deutschen Schrifttums ausflillte. Nicht eine Aufzahlung der Titel der
ungeheuren Massen von Zeitungen bietet dieses Werk, sondem ein erfreulich
lesbares Buch, das eine bis dahin verschiittete und schwer zugangliche Quelle
deutschen Kulturlebens crschlieGt. Und nicht nur seinen engeren Zunftgenossen
vom deutschen Journalismus hat er damit ein den ganzen Stand ehrendes
Denkmal gesetzt, aus dem die grofiartige kulturelle Bedeutung der Presse uber-
zeugend hervortritt, auch dem gesamten gcbildeten, insbesondere dem zeitung-
lesenden deutschen Volke hat er damit ein Geschcnk gemacht, das eine Fiille
von AufschluB auf einem von vielen kaum gekannten Felde bietet. Aufler in
diesem Hauptwerke behandelte er denselben Stoff in knapperer Form, jedoch
unter Hineinbeziehung der Presse der ganzen Welt in dem Werke »Allgemeine
Geschichte des Zeitungswesens«, die in der Goschenschen Sammlung erschien.
Seine letzte Arbeit auf diesem Gebiete war der Aufsatz »Zeitungen«, der im
achten Bande der dritten Auflage des »Handworterbuches der Staatswissen-
schaften« gedruckt wurde. — Nahezu dreifiig Jahre seines Lebens hat S. in
Elberfeld zugebracht, also dafi ihm die Wupperstadt gleich seinem Freunde,
dem Swinemiinder Ernst Scherenberg, fast zur zweiten Heimat geworden war.
Da aber zog es ihn, als er, seiner geschwachten Gesundheit wegen, sein Redak-
teuramt niederlegte, wieder nach dem idyllischen Dornburg bei Jena. Bei
seinem Austritt aus dem praktisch-tatigen Journalistentum wurde ihm der
preuCische Rote Adlerorden verliehen, und bei seinem Abschiede von Elberfeld
ernannte ihn die Literarische Gesellschaft in Elberfeld, deren Vorstand er ange-
horte, zu ihrem Ehrenmitgliede. Funf freundliche Jahre waren ihm noch in
dem von ihm selbst geschaffenen »Bergnest« in Dornburg beschieden, einmal
unterbrochen durch eine langere Reise nach Italien, das er auch vorher mehrere
Male besucht hatte. Zuruckgekehrt, krankelte er ernstlicher, und am 19. No-
vember 191 1 schied er, 67jahrig, infolge eines Schlaganfalles aus einem liberaus
arbeitsamen Leben, tiefbetrauert von der Gattin und der einzigen Tochter,
denen er durch seinen Hingang zum ersten Male Schmerz bereitete, wehmutig
betrauert auch von seinen vielen Freunden, denn er war selbst ein treuer Freund,
Salomon, v. Baerndorff. 63
immer heiter und voll goldenen Humors, und ein aufiergewohnlich liebenswtirdi-
ger Mensch.
W e r k e : Unter dem Halbmond. Nov. 1870. — Verwehte Spuren. Nov. 1873. — Hell-
dunkeL Nov., 2. Aufl. 1877. — Geschichte einer Geige. Nov. 1877. — Geschichte der deut-
schen Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts 1881, 2. Aufl. 1887. — Aus der Kiinstlerwelt
der Rokokozeit, 1891. — Deutsches Leben und Streben im 19. Jahrhundert. 1894. — Signora
Francesca. Nov. 1896. — Spaziergange in Siiditalien. 1897. — Geschichte des deutschen
Zeitungswesens von den ersten Anfangen bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches.
I 1900, II 1902. Ill 1906. — Allgemeine Geschichte des Zeitungswesens. 1907. — Die
Bluchertrompete. Nov. 1909. — Sieben Harzgeschichten. Nov. 19 10. — Unter italienischem
Himmel. Nov. 191 1. — Berliner Schlofi- und Stadtgeschichten. Nov. 1912.
Nekrologe : Kolnische Zeitung, 24. Nov. 191 1, zweite Morgenausgabe. — Jenaische
Zeitung, 24. Nov. 191 1, zweites Blatt. — Taglicher Anzeiger fur Berg und Mark (Elberfeld),
22. Nov. 1911, 1. Beilage, und 24. Nov. 1911, 1. Beilage. — Bergisch-Markische Zeitung (Elber-
felder Zeitung), 21. Nov. 1911, Abendausgabe. — Berliner Neueste Nachrichten, 24. Nov.
191 1, Unterhaltungsbeilage. — Berliner Morgenpost, 22, Nov. 191 1. — ■ Badische Presse (Karls-
ruhe), 21. Nov. 1911, Abendausgabe. — Danziger Zeitung, 23. Nov. 191 1, Abendausgabe. —
Zuricher Post, 26. Nov. 191 1. — St.-Petersburger Zeitung, 12./25. Nov. 191 1. — Jahrbuch der
Kolner Blumenspiele, XIV, S. 61. Koln 191 2; ebenda X, S. 56: Bild. — Selbstbiographie in
»Fur unser Heim, Spenden deutscher Dichter und Denker fur das Schriftstellerheim in Jena«,
herausgegeben von Dr. Timon Schroeter, Leipzig (J. J. Weber), ohne Jahr.
Koln. Fritz Zilcken.
Baerndorff, Auguste v., verw. Jaksch v. Wartenhorst, geb. Bauerhorst,
kaiserlich russische Hofschauspielerin a. D., Ehrenmitglied des Koniglichen
Hoftheaters zu Hannover, * zu Berlin am 11. Mai 1823, j- zu Rom am 8. Marz
191 1. — Einer alten markischen Familie entsprossen, Tochter eines fruheren
Gutsbesitzers und spateren preufiischen Postbeamten, wurde B. schon in jungen
Jahren Schiilerin der Tragodin Auguste Crelinger in Berlin, wo sie auch zuerst
auftrat. Gegen Ende der vierziger Jahre erhielt sie ein Engagement an dem
damals in hoher Bllite stehenden (spater, unter Alexander III., aufgelosten)
Kaiserlichen Deutschen Theater in St. -Petersburg, das sie im Jahre 1857 mit
einer Anstellung am Hoftheater zu Hannover vertauschte, das zu jener Zeit
mehrere der bedeutendsten deutschen Dirigenten, Sanger und Schauspieler —
u. a. Heinrich Marschner, Bernhard Scholz, Albert Niemann, Marie Seebach,
Karl Porth, Karl August Devrient — zu seinen Mitgliedern zahlte. Nach dem
Ubergange des Theaters in die Verwaltung der preufiischen Krone verblieb B.
nur noch bis zum 12. Marz 1868 in ihrer Stellung, unternahm wahrend der
beiden folgenden Jahre langere erfolgreiche Gastspielreisen in den Vereinigten
Staaten und zog sich alsdann, nach ihrer Verheiratung mit dem Universitats-
professor Dr. Anton Jaksch v. Wartenhorst in Prag, von der Buhne zuriick.
Kaiser Wilhelm I. verlieh ihr am 8. April 1870 eine lebenslangliche Pension
sowie am 19. Dezember 1881 den Titel eines Ehrenmitgliedes des Hoftheaters
Hannover. Im Jahre 1887 Witwe geworden, lebte B. zuletzt in Baden-Baden
und starb auf einer Erholungsreise in Rom. — Im iibereinstimmenden Urteile
der Zeitgenossen erscheint B., was Wiirde und Vornehmheit der aufieren Er-
scheinung, glanzvolle Mittel und kunstlerische Intelligenz anbetrifft, als eine
der bedeutendsten Darstellerinnen groCen Stils, die ihr Spiel wie ihre Rede
uberail mit dem Hauche des warmsten Lebens zu durchdringen wufite. Ihre
64 v - Baerndorff. Gtftz.
bedeutendsten Leistungen lagen auf dem Gebiete des klassischen und nach-
klassischen Trauer- und Schauspiels, des hoheren Lustspiels und des vornehmen
Intriguenstuckes; aus der grofien Zahl ihrer Rollen seien folgende hervor-
gehoben: Eboli,Orsina, Adelheid, Iphigenie, Jungfrau von Orleans, Lady Milford,
Maria Stuart, Konigin Elisabeth, Lady Macbeth, Grafin Terzky, Porzia, Brun-
hild, Adrienne Lecouvreur, Minna v. Barnhelm, Donna Diana, Herzogin Marl-
borough, Grafin von Autreval. — Ein lebensgrofies Bildnis B.s, von Rosa
Petzel, befindet sich im Museum zu Hannover, zwei Kostumbilder — Milford
und Iphigenie — von derselben Malerin, in Strafiburger Privatbesitz (Kopien
im Museum zu Hannover); Grabdenkmal mit Reliefportrat, von Seebock, auf
dem protestantischen Friedhofe am Monte Testaccio in Rom.
Q u e 1 1 e n : Nachgelassene Papiere B.s; Sammlung zeitgenossischer Kritiken; Mitteilun-
gen der Kgl. Intendantur des Hoftheaters zu Hannover und der Kgl. Hofschauspielerin Augustc
Diakono in Dresden.
Martin Berger.
GStz, Wilhelm. Am 22. Juni d. J. wurde im Luitpoldpark zu Munchen
im Beisein zahlreicher Freunde und Verehrer das Denkmal des am 26. Marz 191 1
verstorbenen Geographen Dr. Wilhelm Gotz in feierlicher Weise enthiillt. In
einen etwas iiber 3 m hohen Gedenkstein aus frankischem Muschelkalk ist das
vorziiglich gelungene Bronzerelief des verewigten Forschers und Gelehrten ein-
gefiigt, einfach und schlicht, entsprechend dem ganzen Wesen des Heimgegange-
nen. Geboren am 27. Juli 1844 zu Schnabehvaid in Oberfranken als der Sohn
eines Pfarrers, hatte G. als Lebensberuf zunachst das Studium der Theologie
erkoren. Er studierte auf den Universitaten Erlangen, wo er sich der Burschen-
schaft Bubenruthia anschlofl, und in Leipzig und fand nach sehr gut bestande-
ner theologischer Prtifung zu Ansbach als Gefangnisgeistlichcr in Sulzbach
(Oberpfalz) und Lichtenau (Mittelfranken) Verwendung. Korperliche Ver-
haltnisse haben aber G. genotigt, von diesem Berufe abzugehen und sich den
Realwissenschaften zuzuwenden. Dies tat G. im Jahre 1874, wo er die staat-
liche Lehramtsprufung ftir Realien (Deutsch, Geographie und Geschichte) mit
bestem Erfolg ablegte. An der kgl. Kreisgewerbeschule Kaiserslautern war
seine erste Anstellung im neuen Berufe, im Jahre 1877 kam er als Hauptlehrer
an die stadtische Handelsschule in Munchen. Das Jahr 1890 brachte dann
seine Beforderung zum kgl. Gymnasialprofessor fur Erd- und Naturkunde,
nachdem er sich vorher auch, 1886, an der Technischen Hochschule mit der
Arbeit »Die persische Reichspoststrafie in Vorderasien« habilitierte. 1900
erfolgte seine Ernennung zum Honorarprofessor an der Technischen Hoch-
schule. Im Herbst 1909 trat er von seiner Lehrtatigkeit am Kadettenkorps
zuruck, so dafi er von da ab nur mehr an den beiden Hochschulen (Kriegs-
akademie und Technische Hochschule) weiterwirkte. Dies tat er bis zu jenen
Tagen, wo die schwere Krankheit und der nahende Tod ihn zwangen, davon
abzustehen. Ruhrend ist, wie einige Tage vor seinem Tode der Verewigte
schriftlich seinen Vorstand von der Kriegsakademie, Oberst Schoch, noch er-
suchte, man moge doch nicht die ihm liebgewonnene Arbeit in fremde Hande
ubergehen lassen, man solle ihm vielmehr eine kurze Spanne Zeit zur Erholung
gonnen ; dann — so hoffe er — werde er mit doppelter Arbeitsleistung das Ver-
saumte wieder einholen konnen.
Gotz.
65
1st nicht in diesen Worten schon der hohe Ernst ausgesprochen, den G.
als Lehrer fur seinen Beruf hatte? Auch durch zahlreiche Vortrage in wissen-
schaftlichen und gemeinniitzigen Vereinen, ferner in den jahrlichen Ferien-
kursen fiir Gymnasial- und Reallehrer wirkte er aufierst fruchtbar flir sein Fach.
Sein Vortrag war wenig rhetorisch; aber die schmucklose, durch die Selb-
standigkeit der Auffassung fesselnde Einfachheit der Darstellung liefi das Ge-
horte nur um so fester haften. So wenig jemand seine imposante Gestalt leicht
aus dem Gedachtnis verlieren wird, so wenig wird, wer seine Kollegien je besucht
hat, Art und Inhalt seines Vortrages vergessen.
Seinen bedeutendsten Ruf erwarb sich G. aber durch seine literarische
Tatigkeit. Infolge Raummangels konnen wir hier leider nur die Richtung
derselben charakterisieren und eine kleinere Anzahl von Belegen anfiihren. Die
Wirtschafts- und Handelsgeographie beschaftigte ihn bald nachseinemUbertritt
in das Lehram t, sicherlich angeregt durch seine Tatigkeit an der Munchner Handels -
schule. Seine erste bedeutende Arbeit war hier >>DasDonaugebietmitRiicksicht auf
seine Wasserstrafien« (Stuttgart 1882), sein grofitesWerk dasBuch »DieVerkehrs-
wege imDienste desWelthandels« (Stuttgart 1888). Auf demGebietedermodernen
Landerkunde schenkte er aufier zahlreichen kleineren Arbeiten seinem V^ter-
lande zwei vorzligliche Bucher, sein »Geographisch-historisches Handbuch von
Bayern« (Munchen, I. Bd., 1895, S. 1 — 900; 2. Bd., 1898, S. 1 — 1158) und sein
»Frankenland« (Bielefeld-Leipzig 1909). Auch ein erfolgreicher Forderer der
»Historischen Erdkunde« war G., welchem Wissenszweig er durch seine »Histori-
sche Geographie« (Leipzig und Wien 1904) neue Grundlinien gab. In der physi-
kalischen Geographie beschaftigte ihn am meisten das Problem des »Diluviums«.
Durch seine vergleichenden Besichtigungen (Bayern, Balkan, RuBland, Finland,
Schweden, Norddeutschland, Vogesen usf.), die er auf seinen zahlreichen Reisen
anstellte, ist er auf diesem Gebiete ein bedeutender Kenner geworden. Seine
bekanntesten Arbeiten sind nach dieser Richtung »Die Frage der Vergletscherung
des Zentralbalkan« (Ztschr. f. Erdkunde zu Berlin 1900) und »Der Verlauf der
diluvialen Eiszeit in Schwaben« (Verh. d. Deutsch. Geographentages in Berlin
1901). Sehr rege war G. endlich auch auf dem Gebiete der Schulgeographie
tatig. Hier sind seine wichtigsten Arbeiten: »Schulwandkarte von Bayern
und Siiddeutschland« (Munchen 1903), »Geographie fiir die bayerischen Gym-
nasien« (Bamberg 1889), »Geographie fiir die technischen Lehranstalten
Bayerns« (zusammen mit S. Giinther), Bamberg 1889/91, 97. In der »Real-
enzyklopadie fiir protestantische Theologie und Kirche« und in »The new Ency-
clopedia of Religions knowledge^ New York and London war er standiger und
eifriger Mitarbeiter.
Im Dienste der Wissenschaft standen auch die zahlreichen Reisen, die G.
gemacht hat. In den Jahren 1882/83, 1886/87 und 1895 besuchte er den Balkan,
1897 un d 1899 Ost- und Siidrufiland, 1905 die Ardennen und 1910 Lappland
und Mittelschweden. Bei letzterer Reise scheint er den Keim zu seiner Krank-
heit, die ihn nach einem halben Jahre dahinraffte, geholt zu haben. Die nacht-
lichen Freilager und die grofien Touren waren sicher fiir den Sechsundsechzig-
jahrigen zu anstrengend gewesen.
Einen guten Teil seiner Zeit und seines Interesses widmete Professor G.
endlich dem Vereinsleben. Der Geographischen Gesellschaft Munchen gehOrte
der Verstorbene seit 1882, dem Ausschufi seit 1 896 an. Fiir seine ertragreichen
Biogr. Jahrbuch u. Dcutscher Nckrolog-. 16. Bd. 5
66 Gtftz. Buschbeck.
Forschungsreisen und fur seine hervorragenden Bemiihungen um die bayerische
Landeskunde erhielt er von der Gesellschaft die silbcrne »Prinz-Ludwig-Medaille«.
G. war auch ein eifriges Mitglied der Zentralkommission fiir wissenschaftliche
Landeskunde in Deutschland, ferner wirkte er durch Wort und Schrift aufierst
befruchtend in dem 1893 gegrundeten »Kanalverein« und in dem mit ihm ins
Leben gerufencn »Donauverein«. In der Munchner Kolonialgesellschaft war
er zweiter Vorstand, voran aber stand ihm stets der grofie Verein fiir die Er-
haltung des Deutschtums im Ausland, in dessen Zweigverein Munchen sowie
dem Landesverband Bayern er als erster Vorstand eine unverdrossene und
zielbewuBte Tatigkeit ausubte. Zum Danke hierfur stehen auch auf dem Denk-
mal im Luitpoldpark aufier den von seinen Freunden und Verehrern gewidmeten
Worten »dem erfolgreichen Forderer der bayerischen Landeskunde« die vom
letztgenannten Verein gewidmeten Zeilen: »und dem kraftigen Verteidiger
des Deutschtums*.
Mit G. ist in Bayern und besonders im geistigen Leben Munchens eine
markante Personlichkeit dahingegangen. Wie hoch er in der Achtung jener
stand, die beruf lich und durch inneres Geistesleben mit ihm zu tun hatten, das zeigte
sich.bei seinem grofiartigen Leichenbegangnis vor zwei Jahren und erst wieder
vor wenigen Tagen bei der Enthullung seines Denkmals. Noch heute ist die
grofie Lucke nicht ausgefiillt, die der unermudliche, aufrechte Mann im geistigen
Leben Munchens hinterliefl.
Ein ausfiihrlicher Nekrolog findct sich (von S. Giinther) im Jahresbericht der Kgl. Techni-
schen Hochschule zu Munchen fur das Studienjahr 1910/11 (Munchen 191 2).
Dr. Jos. R e i n d 1.
Buschbeck, Hermann, kgl. Professor und Maler, Vorstand des Kostum-
und Requisitenwesens der Miinchener Hofbuhnen, * 17. Oktober 1855 zu Prag,
f II. April 191 1 zu Munchen. — In B. vereinigten sich in seltenem Grade zwei
ganz verschiedene kunstlerische Anlagen: halb war er Maler, halb Schauspieler.
Das Leben selbst fiihrte ihn dazu, beide Anlagen nacheinander auszubilden
und zu verwerten, bis zuletzt die eine siegreich bis zu seinem fruhen Ende blieb.
B. war in Prag als der Sohn eines Grofikaufmanns geboren, der aus Deutsch-
land, aus Gotha, dorthin ubergesiedelt war und sich darauf in Osterreich hatte
naturalisieren lassen. In Prag selbst und in Schnepfental genofi B. seine erste
Schulbildung. Als sich aber sein Talent zu den bildenden Kunsten unver-
kennbar bemerkbar machte, ging er nach Munchen an die Akademie, um sich
dort der Malerei zu widmen. Es dauerte nicht lange, bis er sich in den Bann
einer andern Kunst gezogen sah. Als fleifiiger Besucher des Hoftheaters liefi
er sich immer mehr fiir die Schauspielerei begeistern, und insbesondere Possart,
dessen Ruhm damals im Aufsteigen begriffen war, hatte es ihm angetan.
B. wurde sein Schuler und betrat dann als jugendlicher Held in Hamburg
unter Pollini zum ersten Male die Bretter. Seine schlanke Gestalt, sein feuriges
Temperament und sein klangvolles Organ sicherten ihm bald die schonsten
Erfolge als Mortimer, Max Piccolomini, Don Carlos, Romeo usw. Gastspiele
fiihrten ihn nach Berlin und an die Mannheimer Hofbiihne, wo er seine spatere
Frau, Rosa Swoboda, kennen lernte, die kurz vorher ihre Laufbahn als Sangerin
begonnen hatte. Nur sechs Jahre war B. an der Buhne gewesen, als er kurz
Buschbeck. Frankel.
67
entschlossen heiratete und mit seiner Frau die Buhne verlieB, um sich in Paris
energisch wieder dem Studium der Malerei zu widmen. Das junge Paar uber-
siedelte hierauf nach Munchen, wo er nun als Portrat- und Landschaftsmaler
auftrat und sich spater ein kleines Anwesen in Arlaching am Chiemsee erwarb.
Dort sowohl wie in Munchen selbst lebte er in standiger Fiihlung mit der
Kiinstlerschaft und machte sich bald durch sein iiberaus liebenswiirdiges und
offenes Wesen, aber auch insbesondere durch seine stets hilfsbereite und aufier-
ordentlich geschickte Mitarbeit an alien kiinstlerischen Veranstaltungen und
Festen beliebt. Seine beiden Talente als Kiinstler wie als Schauspieler stellte
er u. a. auch in den Dienst jenes glanzenden Festes, mit dem das neuerbaute
Miinchener Kiinstlerhaus eroffnet wurde. Als bildender Kiinstler half er die
prunkvolle Szenerie aufbauen, als Darsteller verkorperte er den »Jungling« in
Benno Beckers Festspiel. An diesem Tage und spater als getreuer kiinst-
lerischer Assistent Lenbachs und Rudolf Seitz' bei alien kiinstlerischen Unter-
nehmungen machte er sich bekannt und beliebt. Inzwischen war Ernst Possart
nach dem Tode Freiherrn v. Perfalls Intendant der Miinchener Hofbuhnen
geworden, und als der Kostumier des Hoftheaters, Professor Fluggen, starb,
erinnerte sich Possart seines einstigen Schulers. Wer ware besser geeignet
gewesen, das Kostiim- und Requisitenwesen eines Theaters in die Hand zu
nehmen als B., der von friiher her auf der Biihne zu Hause war und als Maler
jene kiinstlerischen Eigenschaften besafl, die zu diesem Amt erforderlich sind.
Am 1. November 1903 iibernahm er sein neues Amt, und von diesem Augenblick
an hat er seine ganze Kraft, seinen ganzen jugendlichen Enthusiasmus seiner
schonen Aufgabe gewidmet. Zahlreiche Neuausstattungen: des Rings des
Nibelungen, der »Feen« Richard Wagners, von Glucks Maienkonigin, von
Pfitzners Rose vom Liebesgarten, der Mozart- und Wagner-Festspiele, der
Aida usw. sind sein Werk. Sein letztes Schaffen, das schon friiher durch den
Titel Professor ausgezeichnet worden war, gait der Neuinszenierung der »Manon«
Massenets. Da war er schon ein kranker Mann: ein tuckisches Darmleiden
hatte den erst 55 jahrigen Mann jah uberfallen. Eine schwere Operation konnte
ihn nicht mehr retten; er uberlebte sie zwar, sein Herz jedoch war ilir nicht
mehr gewachsen gewesen. In schonen kiinstlerischen Traumen und Phantasien
schwand er dahin. Sein Tod zerrifl ein gliickliches Familienleben, beraubte die
Miinchener Hofbuhne eines ihrer gliicklichsten Heifer und Berater und seine
Freunde eines liebenswerten Menschen und Kiinstlers, dessen Andenken wie
dessen Ideen und Taten sicher noch lange nachwirken werden.
Munchen. Alfred Frhr. v. Mensi.
Frankel, Bernhardt Med. Doctor, Geheimer Medizinalrat, Professor fiir
Laryngo-Rhinologie an der Berliner Universitat, Direktor der Universitats-
Poliklinik fiir Hals- und Nasenkrankheiten in Berlin, * 17. November 1836
als Sohn eines praktischen Arztes in Elberfeld, f 12. November 191 1 in Berlin. —
F. war einer der bedeutendsten Laryngologen; als erster hat er sich im Deut-
schen Reiche die Laryngo-Rhinologie zu seinem Fache erwahlt, und bald ge-
wann er einen grofien Ruf, der sich iiber die Grenzen seines Vaterlandes hinaus
verbreitete. — Fr. studierte in Wiirzburg und Berlin. Auf seine geistige Ent-
wicklung nahmen hervorragende Manner Einflufi, und zu seinen Lehrern zahlten
u. a. Johannes Miiller, Traube, Virchow und Langenbeck. i860 wurde er in
5*
68 Frankel.
Berlin zum Doktor der Medizin promoviert und bald darauf lieB er sich als
praktischer Arzt in Berlin nieder. Er machte die Feldzuge in den Jahren 1864
und 1866 und im Jahre 1870 den Deutsch-Franzosischen Krieg als Arzt mit.
Fiir seine Tatigkeit im Felde erhielt er das Eiserne Kreuz.
1872 erfolgte seine Habilitierung als Privatdozent fiir Laryngo-Rhinologie
an der medizinischen Fakultat der Berliner Universitat und seine Bestallung
als dirigierender Arzt am Augusta-Hospital, wo er bis zum Jahre 1875 wirkte.
Gerade als F. seine medizinischen Studien vollendet hatte, begann die von
den Wiener Gelehrten Turck und Czermak inaugurierte laryngologische Wissen-
schaft praktische Bedeutung zu gewinnen; insbesondere trug Czermak durch
seine zahlreichen Reisen, die er behufs Abhaltung von Vortragen und Bekannt-
machung des Kehlkopfspiegels unternahm und die ihn auch nach Berlin
fuhrten, viel dazu bei, das Interesse F.s fiir die laryngoskopische Untersuchungs-
methode zu wecken. F., der schon vorher verschiedene Aufsatze und Mit-
teilungen aus der arztlichen Praxis publiziert hatte, wandte sich nunmehr
dem neuen Fache zu. Nach verschiedenen Richtungen gab es da vielver-
sprechende Aussichtspunkte. Seine Arbeiten beschaftigen sich mit dem Ausbau
der physikalischen Untersuchungsmethoden und mit anatomischen und klini-
schen Studien. Fruhzeitig umgrenzte er das klinische Bild der »Ozaena% und
im Jahre 1 88 1 war F. Referent uber das Thema »Ozaena« auf dem internatio-
nal medizinischen Kongrefi in London. Er studierte die von der Nase aus-
gehenden Reflexneurosen, insbesondere das Symptomenbild des nasalen Asthmas;
er zeigte, dafl bei den reflektorisch ausgelosten nervosen Erscheinungen eine ge-
wisse nervose Disposition eine wichtige Rolle spielt. Durch physiologische Unter-
suchungen, Abkiihlungsversuche des Nervtis recurrens, die er gemeinsam mit Gad
unternommen hatte, gab er dem Semon-Rosenbachschen Gesetz eine machtige
Stlitze, indem er nachwies, dafl die Nervenfasern des M. crico-arytaenoideus
posticus empfindlicher sind und einem Insulte friiher erliegen als die Antagonisten.
Er beschaftigte sich mit der Pachydermie des Kehlkopfes, dem Kehlkopfkrebs;
und alle seine Arbeiten, von denen ein kleiner Bruchteil am Schlusse angefiihrt
werden soil, tragen den Stempel einer ausgesprochenen Individuality, eines
originellen Geistes und scharfen Verstandes; alle zeugen von seiner bis in Details
gehenden allgemeinen medizinischen Bildung, ohne welche eine gedeihliche
Tatigkeit auch auf spezialistischem Gebiete einseitig bleibt und unfruchtbar ist.
1887 wurde in Berlin die Konigliche Universitats-Poliklinik fiir Hals- und
Nasenkranke gegriindet und F. zu ihrem Vorstande bestellt; dann kam seine
Ernennung zum auflerordentlichen Professor, und er erhielt auch eine klinische
Abteilung im Charit6-Krankenhaus. Spater wurden Abteilung und Poliklinik
in einem eigenen Gebaude vereinigt und F. im Jahre 1893 zum Direktor der
Klinik ernannt. Hier entfaltete er fast durch zwei Jahrzehnte hindurch eine
fruchtbare Tatigkeit als Arzt, Forscher und namentlich als Lehrer. Aus aller
Herren Landern kamen Arzte, um Laryngo-Rhinologie zu studieren und sich
in diesem Fach auszubilden, wobei ihm eine anschauliche und glanzende Vor-
tragsweise sehr zustatten kam. Der Unterricht war ihm Lebensfreude und
Lebenszweck. Im Jahre 191 1 legte er jedoch diese Stelle infolge andauernder
Krankheit nieder.
Unter F.s Mitwirkung wurde im Jahre 1894 die Berliner laryngologische Ge-
sellschaft gegriindet; F. wurde zum Vorsitzenden derselben gewahlt, und bis
Friinkel.
69
zu seinem Tode leitete er die Sitzungen in objektiver und wohlwollender Weise.
Anlafilich seines 50 jahrigen Doktorjubilaums wurde er zum Ehrenprasidenten
der Gesellschaft gewahlt.
In dasselbe Jahr fallt die Griindung des »Archivs fur Laryngologies durch
F., einer vornehmen Zeitschrift, welche sich einer grofien Verbreitung erfreut.
Sein besonderes Augenmerk hatte F. fruhzeitig auf die Bekampfung der
Tuberkulose gewendet; schon seine ersten Arbeiten beschaftigten sich mit
dieser Krankheit; er unternahm in Gemeinschaft mit Cohnheim eine Reihe
von Tierversuchen, aus denen hervorging, dafi es sich bei der Tuberkulose urn
ein spezifisches Virus handle, und nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus
durch Koch vervollkommnete er die Technik der Sputumuntersuchung auf
Tuberkelbazillen. F. trat gleich im Beginn mit Nachdruck fiir den Wert des
Tuberkulins bei der Diagnose und Therapie der Tuberkulose ein, trotzdem er
nach dieser Richtung hin viele und gewichtige Widersacher hatte, und er behielt
Recht. Er gehorte mit zu den leitenden Personlichkeiten und Grundern, als
sich im Jahre 1895 das Deutsche Zentral- Komi tee zur Errichtung von Heil-
statten fiir Lungenkranke konstituierte; die segensreiche Tatigkeit dieser
Schopfung ist jetzt allgemein anerkannt. Gemeinsam mit Althoff und v. Leyden
rief er den Berlin -Brandenburger Heilstatten-Verein ins Leben, der die muster-
giiltige Institution in Belzig schuf. Auf F.s Antrag fand im Jahre 1899 in Berlin
der I. Internationale Tuberkulose -KongreB statt, der einen glanzenden Verlauf
nahm und den eigentlichen Anstofi zur Volksbewegung gegen die Tuberkulose
gab; er erkannte als einer der ersten die soziale Bedeutung der Tuberkulosen-
frage, indem er auf die fruhzeitige Erkennung der Tuberkulose und die Fest-
stellung tuberkuloser Familien (Anzeigepflicht) das grofite Gewicht legte, und
trat besonders fiir die Schaffung von Asylen und fiir die Isolierung vorge-
schrittener Tuberkuloser ein; er war auch Mitherausgeber der Zeitschrift fiir
Tuberkulose.
Er besuchte die meisten wissenschaftlichen Kongresse und nahm regsten
Anteil insbesondere an den Vorarbeiten fiir den I. Internationalen Laryngo*
Rhinologen-Kongrefl im Jahre 1908 in Wien und leitete den Internationalen
Laryngo-Rhinologen -KongreB in Berlin im Jahre 191 1 trotz Kranklichkeit
mit Umsicht und Energie.
F. hat neben seiner spezialistischen Tatigkeit als Arzt und Lehrer, als
Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften auch noch Zeit gefunden, literari-
schen und kunstlerischen Studien zu obliegen, und er publizierte eine seinem
speziellen Gebiet fernliegende Arbeit: »Uber des jungen Goethe schwere
Krankheit«.
Bis ins hohe Alter bewahrte er sich seine geistige Elastizitat, sein gutes Herz
kam den Kranken gegenuber stets voll zur Geltung. Im Beginn etwas ver-
schlossen, wurde er bei naherer Bekanntschaft liebenswurdig und entgegen-
kommend. Er besafl viel Humor und war ein angenehmer Kauseur.
In seinen letzten Lebensjahren litt F. an Arterienverkaltkung und steno-
kardischen Anfallen, und er erlag der Krankheit in einem solchen Anfall von
Angina pectoris.
F. veroffentlichte mehr als 200 Arbeiten, und von seinen hervorragenden
Publikationen seien folgende erwahnt: Abhandlung iiber Skrofulose und Tuber-
kulose, in Gerhardts Handbuch der Kinderheilkunde; Die allgemeine Diagnostik
70
Frankel. Cloetta.
und Therapie der Krankheiten der Nase und des Nasenrachenraumes, des
Rachens und des Kehlkopfes, in Ziemssens Handbuch; Differentialdiagnose
zwischen Pachydermie und Krebs des Kehlkopfes; Gefrierdurchschnitte zur
Anatomie der Nasenhohlen; Studien zur feineren Anatomie des Kehlkopfes;
Zur Anatomie des Stimmbandes; Cber den Zusammenhang zwischen Asthma
nervosum und Krankheiten der Nase; Uber adenoide Vegetationen; Die An-
wendung des Kokains; Natur und Behandlung der Ozaena] Erste zur Heilung
fiihrende Ausrottung eines Larynxkankroids per vias natur ales \ Uber die von
der Nase ausgehenden Reflexneurosen; Uber die Beschaftigungsschwache des
Stimmorganes: Mogiphonie; Uber das Empyem der Oberkieferhohle; Teilweise
geheilte Basedowsche Krankheit durch Kauterisation der Nasenmuscheln; Zur
Histologic der Stimmbander; Der Kehlkopfkrebs, seine Diagnose und Behand-
lung; Erkrankungen der oberen Luftwege im Gefolge von Influenza; Demonstra-
tion einer exstirpierten Epiglottis; Der Prolaps des Morgagnischen Ventrikels;
Entwicklung der Lehre von der Ozaena; Zur Regeneration exstirpierter Stimm-
lippen; Differentialdiagnose zwischen Tuberkulose, Karzinom und Syphilis;
Die infektiosen Erkrankungen des Rachens; Die Laryngologie und Rhinologie
vom allgemeinen medizinischen Standpunkte: Unterricht undPriifung in diesem
Gegenstand in den verschiedenen Staaten; Laryngologie und Otologie: keine
Vereinigung, sondern Trennung; Die Zukunft der Laryngologie.
L. R6thi.
Cloetta, Wflhelm, Universitatsprofessor fur romanische Philologie, * 16. No-
vember 1857 in Triest, f 24. September 191 1 in Strafiburg. — Obwohl in Triest
geboren, war C. seiner Nationalist nach Schweizer; seine Familie stammte aus
Graubiinden. Von Ostern 1872 ab verbrachte er denn auch seine Schuljahre
auf dem Gymnasium von Zurich, wo er Herbst 1876 die Reifeprufung bestand.
Nach kurzem Aufenthalt an der Zuricher Universitat begab er sich 1877 nach
Paris, wo er sich funf Semester lang aufhielt. An der Ecole des Hauies Etudes,
der Ecole des Chartes } dem College de France wurde er von G. Paris, P. Meyer,
L. Gautier, A. Darmesteter und E. Picot eingefuhrt in das Studium der romani-
schen Sprachen und Literaturen. Daneben beschaftigte er sich mit Latein,
Sanskrit und Hebraisch. Seine romanischen Studien setzte er in einem sechs-
semestrigen Aufenthalt in Berlin unter der Leitung A. Toblers und A. Gasparys
fort und erganzte sie durch eine Studienreise nach den Bibliotheken von London
und Oxford. 1883 promovierte er in Gottingen, blieb 1884 — 1885 wieder in
Paris und begab sich 1885 nochmals nach Oxford, dann nach Italien. Die erste
Frucht seiner Studien und Reiscn war die kritische Ausgabe eines wallonischen
Textes aus dem Anfang des 13. Jahrhundert, des Poeme moral, das er, mit einer
grundlichen, sorgfaltigen Einleitung, 1886 im 3. Bande der »Romanischen
Forschungen« herausgab. In demselben Jahre wurde C. Assistent am romanischen
Seminar zu Gottingen und habilitierte sich da im Jahre 1889. Es begann nun
fur ihn ein ziemlich bewegtes Leben: Eine Vertretung fuhrte ihn 1 891 nach
Greifswald. In demselben Jahre habilitierte er sich nach Berlin um, kam
gleich darauf als Vertreter Gasparys wieder nach Gottingen, kehrte noch 1892
nach Berlin zuruck und folgte 1893 einem Rufe als Extraordinarius nach Jena.
Zum 1. November 1895 wurde er daselbst Ordinarius. Zum 1. Oktober 1909
kam er als Nachfolger Grobers nach Strafiburg. Nur ein Jahr durfte er da
Cloetta. Loes. 7 1
tatig sein. Da zwang ihn schwere Krankheit, sein Amt niederzulegen. Einige
Monate spater raffte den 54 jahrigen sein Leiden dahin, ohne dafi es ihm moglich
geworden, das voile Mafi seines Wissens und Konnens zu geben. Literatur-
geschichte und Textausgaben sind die beiden Hauptgebiete seiner Forschung;
auch da hat er sich enge Grenzen gesteckt. Zunachst waren es die ersten Ent-
wicklungen der dramatischen Literatur speziell Frankreichs, die ihn beschaftig-
ten. Es entstanden seine »Beitrage zur Literaturgeschichte des Mittelalters
und der Renaissance^ deren erster Band die »Komodie und Tragodie im Mittel-
alter« (1890), der andere »Die Anfange der Renaissancetragodie« (1892) be-
handelten. In denselben Zusammenhang gehort noch ein Aufsatz, der sich
mit einigen der Hauptvertreter der Arrasischen Dichterschule beschaftigt (»Zu
Jean Bodel [Adam de la Halle und Baude Fastoul]« im Archiv f. d. Stud, der
neueren Sprachen und Literaturen Bd. 91, 1893) und die Ausgabe des alten
latein-franzosischen Sponsus-Mysteriums (Romania Bd. 22, 1893). Dann aber
wandte sich C einem ganz andern Gebiete zu: die schwierigen, fesselnden Pro-
bleme des sudfranzosischen Epenkreises, um Guillaume d'Orange herum kri-
stallisiert, nahmen seine Aufmerksamkeit gefangen und hielten ihn fest bis zu
seinem Lebensende. Aufier kleineren Aufsatzen, in denen er einzelne Punkte
aus jenem vielverzweigten Gebiete herausgriff und untersuchte, und die er in
Gelegenheitsschriften veroffentlichte, in den Sammelbanden fur Tobler, Foerster,
Mussafia, Chabaneau, sind auch mehrere grofiere Publikationen aus diesen
Studien hervorgegangen : eine Untersuchung liber »Die beiden altfranzosischen
Epen des Montage Guillaume* (Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr. u. Lit. 93,
1894 und 94, 1895) und uber »Die Stellung des Prosaromans in der Uber-
lieferung des Moniage Guillaume« (ibid. Bd. 98, 1897); eine Studie uber »Die
Enfance Vivien. Ihre Uberlieferung. Ihre zyklische Stellung« (Eberings
Roman. Studien Bd. 4, 1898), endlich sein Hauptwerk »Les deux redactions
en vers du Moniage Guillaume* (in den Schriften der Soc. des one. textes franf.),
deren erster Band (1906) den kritischen Text, der zweite (1911) die ausfuhrliche
Einleitung enthalt. Eben hatte er die letzten Bogen revidiert, als der Tod ihm
die Feder aus der Hand nahm. Krankheit und friihes Ende erklaren es leider
nur zu leicht, warum seine literarische Tatigkeit eine verhaltnismaGig be-
schrankte geblieben ist. Aber auch die Art der Ausfuhrung kann es erklaren,
denn C. arbeitete mit peinlichster Sorgfalt und Grundlichkeit. Er war von
grofier wissenschaftlicher Ehrlichkeit und streng gegen sich wie gegen die andern.
Damit verband er ein vorsichtiges, sorgsam abwagendes Urteil, das ihn wohl
auch zu allzu grofler Zuruckhaltung verleitete. Auf denjenigen Gebieten aber,
auf denen er sich betatigte, hat er durch seine gewissenhaften und eindringenden
Untersuchungen die Erforschung der altfranzosischen Literatur ganz wesentlich
gefordert und die Kenntnisse davon durch sichere Ergebnisse erheblich be-
reichert. E. Hoepffner.
Logs, Karl, Senatsprasident, * 7. Januar 1844 in Oberowisheim bei
Bruchsal, f 22. Mai 191 1 in Karlsruhe. — L. war seit dem Jahre 1871 als Richter
im badischen Justizdienste tatig. In den letzten zwolf Jahren seines Lebens
gehorte er als Senatsprasident dem Oberlandesgericht zu Karlsruhe an. Er
war ein Mann, der mit einem klaren, stets auf das Praktische und ZweckmaCige
gerichteten Blick eine seltene Milde und Ruhe des Urteils verband. Neben
72
Loes. Mottl.
seinem Berufe hat er eine weitgehende und segensreiche Tatigkeit auf dem
Gebiete gemeinnutziger, namentlich charitativer, Bestrebungen entfaltet.
Heydweiller.
Mottl, Felix, Geh. Hofrat, kgl. bayrischerHofoperndirektorundersterDirektor
an der kgl. bayrischen Akademie der Tonkunst, * 24. August 1856 in Unter
St. Veit bei Wien, f 2. Juli 191 1 in Mlinchen. — M.s Entwicklungsgeschichte
stand in erster Reihe unter dem machtigen Einflufl Richard Wagners. Er
erinnerte sich selbst ganz genau, wie bestimmend eine Auffuhrung des Lohengrin
in Wien in seiner Knabenzeit auf ihn eingewirkt hatte. Seine Eltern — der
Vater war Hausverwalter der Furstin Palm — dachten an einen gelehrten
Beruf flir den reichbegabten, geistig friih entwickelten Knaben, aber sein hervor-
ragendes musikalisches Talent und sein eigener heifler Wunsch wiesen auf
andere Wege hin. Nachdem er um seiner schonen Stimme willen in seinem
zehnten Jahre Sangerknabe in der k. k. Hofkapelle des Lowenburgischen Kon-
viktes geworden, trat er im Jahre 1870 in das Wiener Konservatorium ein.
Ein Besuch des Schottengymnasiums war ohne den gewiinschten Erfolg ge-
blieben. Auch im Konservatorium war er kein Musterschiiler nach dem Sinne
seines Klavierprofessors, trotz seines unbestrittenen grofien Talentes. Die
Proben eines Schulerorchesters und eine Pauke oder Trompete schienen ihm
»wichtiger und wertvoller zu sein als alle in Europa gebauten Klaviere«, und
er spielte lieber »mit ebenso grofier Empfindung als schlechtem Fingersatz
Isoldens Liebestod als Cramersche Et(iden«. Ein Pianist im gewohnlichen Sinne
des Wortes ist er auch nie geworden. Aber er wuflte wie kein anderer die grofiten
Meister durch sein Spiel in ihrem eigensten Wesen wiederzugeben.
Schon vor der Konservatoriumszeit hatte er sich alle Wagnerschen Werke,
v5llig zu eigen gemacht. Er versaumte nie die Auffuhrungen des Hollander,
Tannhauser, Lohengrin und der Meistersinger. Den damals noch nicht aufge-
fiihrten Tristan studierte er aus dem Bulowschen Klavierauszug. Der Tristan
war, wie er selbst sagte, »seine musikalische Jugendliebe«, und er ist ihr zeit-
lebens treu geblieben. Schon der Gedanke, sich wieder mit dem geliebten Werk
beschaftigen zu konnen, verursachte dem Jungling Herzklopfen. Es war aber
damals nicht das rein Musikalische, was ihn so zu Wagners Werken hinzog,
sondern »der poetische Zauber und die gliihende Empfindungswelt, die daraus
sprachen«. Seine musikalischen Kenntnisse waren noch zu gering, als dafi er
den Musiker Wagner ganz hatte fassen konnen. Das wurde ihm spater klar, als
er erkannte, auf welch bedeutungsvollem symphonischem Aufbau jener poetische
und dramatische Zauber beruht. Unter seinen Lehrern hatte einer den grofiten
Einflufl auf seine musikalische Ausbildung: Anton Bruckner, der vielgewaltige
Orgelspieler und Komponist, der in Wien damals Aufsehen erregte, viel ge-
priesen und noch viel mehr geschmaht wurde. Bruckner unterrichtete M. in
der Harmonielehre und im Kontrapunkt. Und Bruckner war fur Wagner be-
geistert und sprach bei jeder Gelegenheit seinen Schiilern von seinem Meister. —
Wagners Aufruf zur Unterstiitzung der Festauffiihrung des Nibelungenringes
in Bayreuth fand in diesem Schiilerkreis den empfanglichsten Boden. Die
jungen Leute grundeten sofort den akademischen Wiener Wagner-Verein,
veranstalteten musikalische Auffuhrungen und Vorlesungen, und M. wurde
Dirigent des Vereinschors. Ein warmes Dankschreiben Wagners, dem sie die
Mottl.
73
Griindung angezeigt, rief helles Entzucken hervor. Und nun kam Wagner
nach Wien, um Konzerte zu Gunsten des Bayreuther Fonds zu dirigieren, und
M. war hingerissen von der Art, wie er die Eroica und Bruchstucke aus Tristan
und aus dem Nibelungenring vorfuhrte. Er ist von nun an fur M. »der herr-
lichste und uberzeugendste Dirigent, der je gelebt hat«. Dazu kam bei M. die
personliche Verehrung fiir Wagner. »Seine ganze Art«, so erzahlt M., »mit
uns jungen Leuten, die wir anbetend zu ihm hinaufsahen, zu verkehren, war so
entziickend und freundlich, daB sich bei uns zu der Begeisterung fiir den
Kunstler auch noch die groBte Liebe fur den Menschen Wagner gesellte.«
Mittlerweile war M. Korrepetitor am Wiener Opernhause geworden. Wah-
rend er eine Klavierprobe hielt — es war im Mai 1876 — trat Kapellmeister
Hans Richter ein und erklarte, M. miisse sofort nach Bayreuth reisen. Wagner
hatte telegraphisch die Hilfe des jungen Musikers bei den Festspielproben verlangt.
Schon friiher, bei einem zweiten Aufenthalt Wagners in Wien, war M. zu ihm und
seiner Aufgabe in nahere Beziehung getreten. Am 22. Mai, Wagners Geburtstag,
traf M. in Bayreuth ein. In seinen »Bayreuther Erinnerungen« erzahlt er von
clieser wunderbaren Zeit, von dem begeisterten Arbeiten unter der Leitung des
Meisters, der auch oft, wenn etwas nicht nach seinem Sinn war, leidenschaftlich
dreinfahren konnte, von der Gute, mit der er den Geknickten wieder aufrichtete,
von den herrlichen Stunden, wahrend deren er sich im Gesprach erging. — Das
Herausarbeiten des inneren Zusammenhanges zw f ischen dem Orchester und
der dramatischen Dichtung, die Moglichkeit, in dieser Weise auch solche innere
Vorgange auszusprechen, die im Gegensatze zu dem gleichzeitig gesprochenen
Wort und dem Buhnenvorgang stehen, wurde M. unter Wagners Leitung in
unvergeBlicher Weise lebendig. Er erkannte, wie gerade dadurch tiefe tragische
Konflikte zum Ausdruck gebracht werden: so wenn in der Gdtterdammerung
Hagen mit den Worten »Heil Siegfried! Teurer Held!« diesen begriiBt, beim
Eintritt Siegfrieds aber Alberichs Fluchmotiv im Orchester ertont, oder wenn
Isolde als Liebeszeichen die Fackel ausloscht und das Todesmotiv gleichzeitig
erklingt. Bei den Spezialproben in Wagners Haus, in welchen M. abwechselnd
mit Joseph Rubinstein die Klavierbegleitung zu ubernehmen hatte, horte er,
wie Wagner seine Sanger zur Gestaltung ihrer Rollen anwies, und da er keine
Biihnenprobe versaumte, war er auch Zeuge der schauspielerischen Anweisungen
des Meisters, der, ein Schuler Shakespearcs und Lessings, auf moglichste Ein-
fachheit und Sparsamkeit der Bewegung drang und Bewegung iiberhaupt nur
dann verlangte, wenn damit etwas auszudrucken war. M. lernte damals, was
»ein begeisterter Schuler von dem groflten Meister lernen kann«. Sein eigenes
geniales Erfassen eines Kunstwerks gewann jetzt vollige Macht uber die Aus-
drucksmittel.
Im Jahre 1878 wirktc er kurze Zeit als Kapellmeister am Ringtheater
in Wien, ja, auch cinmal als Sanger. Denn als er eine Operette dirigieren sollte
und der Tenor in letzter Stunde absagte, gab er seinen Dirigentenstab dem
ersten Gciger und spielte und sang die Rolle — er hatte einen Schulmeister dar-
zustellen — mit einer Vollendung und einem Humor, die ihresgleichen suchten. —
Gar mannigfach war damals der junge Musiker bewegt. Neben dem Streben
nach weiterer Ausbildung regte sich in ihm auch die Schaffcnslust. Er arbeitete
an einer Oper »Agnes Bernauer«, deren Text er nach dem Drama Hebbels selbst
verfaBte. Schon in friiher Jugend hatte sich sein Kompositionstalent an
74
Mottl.
Liedern, einem Violinkonzert, einer Messe versucht. Im Jahre 1880 wurde
seine Oper auf Veranlassung Liszts in Weimar unter M.s eigener Leitung mit
grofiem Beifall aufgefiihrt. Dazu trug wohl auch die Personlichkeit des jungen
Kiinstlers bei, der bezaubernd liebenswiirdig war, und da wo es sich um seine
Kunst handelte, die Naivitat, das Einfache, Selbstverstandliche echter Kiinstler-
schaft besafl; dabei einen sieghaften Mut, ja Obermut, dem geistvolle, feinge-
schnittene Ziige und eine gewisse Vornehmheit der Haltung einen charakteristi-
schen Ausdruck gaben. Ernst v. Wolzogen erzahlt davon, wie Liszt den jungen
Musiker damals ganz ins Herz geschlossen, und wie beide eines Nachmittags in
einem befreundeten Hause in glucklicher, lachender Heiterkeit Schuberts
Militarmarsch in Liszts Arrangement in einer Weise vierhandig gespielt, dafl die
Horer die Stimmen eines ganzen Orchesters, mit rhythmischer Gewalt und
mit glorreichem Schwung zu vernehmen glaubten.
Trotz des Weimarer Erfolges seiner Oper war M. spater zu einer noch-
maligen Auffuhrung nicht zu bewegen. Seiner wachsenden Einsicht geniigte
offenbar sein Werk nicht mehr. Er erzahlte in Karlsruhe mit heiterem Humor,
dafi einer seiner friiheren Lehrer ihm geraten, seine Agnes Bernauer auch in
die Donau zu werfen. Eine Reihe spaterer Kompositionen, ein Festspiel zur
Feier der silbernen Hochzeit des GroCherzogs von Baden, Graf Eberstein (Text
von Putlitz, auf Grundlage der Uhlandschen Ballade), eine einaktige Oper
»Fiirst und Sanger«, mit dem persischen Dichter Firdusi als Helden (Text von
Widmann nach einem Plan M.s), ein Tanzpoem »Pan im Busch« von Bier-
baum mit Musik von M. wurden in den Jahren 1885, 1893 und 1900 in Karls-
ruhe aufgefiihrt. Die anmutige, vornehme musikalische Sprache, die charak-
teristische Art der dramatischen Deklamation, die den Einflufi Wagners zeigt,
die farbenreiche Instrumentation dieser Schopfungen, sie hatten doch nichts von
jener zwingenden Eigenart, die sich einen dauernden Platz in der musikalischen
Welt erobert. M. besafi nur als reproduzierender Kiinstler jene gewaltige Kraft,
die ihn zum Dolmetscher hochster Kunst machte. Das hat er wohl auch selbst
gefiihlt, und er hat aufier einigen tief empfundenen Liedern und trefflichen musi-
kalischen Bearbeitungen kaum etwas drucken lassen.
Von Kapellmeister Dessoff und von Weimar aus empfohlen, wurde M. im
Jahre 1880 ans Hof theater in Karlsruhe als erster Kapellmeister berufen, und
Karlsruhe wurde wieder unter ihm, wie einst unter Levi, zu einem derZentren
deutschen Musiklebens. Die Intendanten Gustav zu Putlitz und Dr. Albert
Burklin lieBen dem jungen Kapellmeister fast vollig freie Bahn, und es wahrte
nicht sehr lange, so stand Karlsruhes Musikleben auf einer Hohe, dafl man nach
Karlsruhe fast wie nach Bayreuth pilgerte, um den Ring der Nibelungen oder
den Tristan zu horen. Die friiheren Werke Wagners waren in Karlsruhe ein-
gebiirgert, aber bei dem Ring und dem Tristan gait es, alles neu zu schaffen
und M. setzte seine ganze Kraft dafiir ein. Mit den verhaltnismafiig kleinen
Mitteln des Karlsruher Hoftheaters wuflte er Grofies zu leisten. Seine flam-
mende Begeisterung begeisterte alle Mitwirkenden und hob sie weit iiber ihre
gewohnlichen Krafte hinaus, sein unermiidlicher Fleifi ruhte nicht, bis das
Kunstwerk im Sinne Wagners lebendig wurde. Fur den Tristan allein hielt er
selbst iiber 70 Proben. Das dramatische Element in dieser Seelentragodie kam
dabei mit einer so gewaltigen Leidenschaft, das mystische Element in ihr mit
so geheimnisvollem Zauber zur Geltung, dafl jede andere Tristanauffiihrung
Mottl.
75
matt dagegen erschien. »Das macht ihm keiner nach«, sagte Levi, als er einer
Tristanauffiihrung in Karlsruhe beigewohnt hatte. Einzelne hervorragende
Kiinstler, wie Joseph Hauser, spater Fritz Planck, standen M. in Karlsruhe
zur Seite. Aber einen grofien Teil seiner Sanger erzog er sich selbst. Unter
seiner Leitung wuchs die mit einer herrlichen, unendlich ausdrucksfahigen Stimme
begabte Sangerin Pauline Mailhac zur groflten musikalischen Tragodin heran,
und unter seiner Leitung entwickelte ihre Nachfolgerin Zdenka Fafibender ihr
grofizugiges dramatisches Talent. Vor der ersten Auffiihrung der Gotter-
dammerung fiihrte M. mit Pauline Mailhac dem Wagnerverein im Foyer des
Hoftheaters die Szene vor, wie Briinhilde zur Leiche Siegfrieds schreitet. Der
Trauermarsch leitete die Szene ein, und unter M.s Handen wuchs der Flugel zum
vielsprachigen Orchester und erhob sich der Gesang der Walkure zu einer Hohe
der Weltentragik, die fur die Horer die wundervollste Einfiihrung in die Nibe-
lungentragodie bedeutete. — Auch Szenen aus dem Parsifal fiihrte M. im Phil-
harmonischen Verein auf, einem Chorverein, dessen Dirigent er war, und in den
Proben sang er die Solostellen mit seiner nicht eben grofien, aber sehr edlen
Tenorstimme so wunderschon und mit solch charakteristischer Wahrheit, dafi
keiner der Bayreuther Sanger ihn darin iibertraf. Bei den Worten, mit welchen
Parsifal den Gral zu enthiillen gebietet, war es, als ob eine hohere Macht zu den
Menschen niedersteige. — Im Jahre 1886 wurde M. zum erstenmal als Dirigent
nach Bayreuth berufen. Der Schliler Wagners gesellte sich jetzt als Ebenbiirtiger
den ersten dortigen Dirigenten zu und leitete bis zum Jahre 1907 ganz im Sinne
seines verehrten Meisters nach und nach alle dort aufgefuhrten Werke. Als nach
mannigfachen Wandlungen in Bayreuth die Namen der Dirigenten ungenannt
blieben, war es doch fur die mit M.s Art Vertrauten unverkennbar, wenn er am
Dirigentenpult safi. Er hatte etwas so Grofizugiges, er hob das Charakteristische
der Gestalten und Situationen so machtig hervor, wufite das Empfindungsleben
von dem leisesten Erbeben bis zur gew r altigsten Ergriffenheit so unmittelbar und
wahr darzustellen, zeigte eine so durchsichtige Klarheit bei der Wiedergabe
von Massenszenen, dafi die Werke Wagners die monumentale Plastik gewannen,
wie sie sich ihr Schopfer gedacht haben mufi.
Wahrend seiner Karlsruher Tatigkeit liefl M. sich's angelegen sein, neben
Wagner auch Berlioz zu Gehor zu bringen. Er fiihrte alle dessen Opern auf,
zum Teil in Neueinstudierungen, zum Teil, wie die zweiteilige grofie Tragodie
»Die Trojaner« (1890), zum erstenmal. Franzosische Zeitungen zollten der
Wiedergabe dieses bedeutendsten Berliozschen Werkes eine begeisterte An-
erkennung. Die liebenswiirdige Oper »Der Barbier von Bagdad« von Peter
Cornelius brachte M. zum erstenmal in der von ihm und Levi geschaffenen Be-
arbeitung, und nachdem Levi in Miinchen vorangegangen, fiihrte M. auch den
»Cid« von Cornelius auf. Im Konzertsaal war neben Berlioz unter seiner
Leitung auch Liszt in seinen Hauptwerken vertreten, und nicht in letzter
Reihe Bruckner und Richard Straufi.
M.s musikalische Entwicklungsgeschichte tragt einen eigentumlichen Cha-
rakter. Wenn sich seine jugendliche Begeisterung an Wagner zuerst ent-
flammte, so war er doch, ebenso wie Wagner selbst, zu sehr Musiker, als dafi er
nicht einem Bach, einem Beethoven, einem Mozart, einem Schubert die tiefste
Verehrung entgegengebracht hatte. Aber als er nach Karlsruhe kam, war er
am Dirigentenpult in Wagners Werken am meisten zu Hause, und erst all-
76
Mottl.
mahlich, bei wachsender Vertiefung in seine Aufgaben, erreichte er bei der
Wiedergabe einer Bachschen Passion, einer Beethovenschen Symphonie die
Grofle, die solche Auffiihrungen unter ihm zum Feste machten. Vor seinem
Abgang von Karlsruhe fiihrte er die Matthauspassion ohne Striche mit einer
Zwischenpause von zwei Stunden auf, und die Beteiligten und der groflte Teil
des Publikums waren dabei in der begeistertsten Stimmung. Die neunte Sym-
phonie gab er fast ganz in dem Sinne, wie Wagners Programm dies vorschreibt,
und mit einer ziindenden Wirkung. Mozarts Opern hatten besonders zu Anfang
von M.s Dirigententatigkeit einen leidenschaftlicheren, stiirmischeren Cha-
rakter, als die Kapellmeisteruberlieferung ihn meist zeigt; erst in spateren
Jahren hatte M.s Wiedergabe, besonders die Wiedergabe der Zauberflote, bei
allem Feuer eine hohe Abgeklartheit. In einer Rede beim Salzburger Musik -
fest 1904 sagte er, er habe nie begreifen konnen, dafi man bei Mozart »immer
nur von Heiterkeit und von der gewissen SchonheiU spreche, als ob Mozart
nur die Oberflache der Erscheinungen beriihrt habe, wahrend er doch »der
tiefste, innigste Mensch gewesen sei, der je gelebt«. »Es gibt«, sagt er weiter,
»eine Wehmut in der Heiterkeit, es gibt einen Schmerz in der Freude, der die
Menschen in Hohen fuhrt, von denen herab nur die Gottlichsten zu uns armen
Menschen sprechen konnen. Auf dieser Hohe ist Mozart gestanden.« Und
in diesem Sinne suchte M. in seiner Reifezeit ihn wiederzugeben.
Auch die verschwenderisch reiche Welt Schuberts, der einer seiner Lieb-
linge war, mufite ihm fast alle ihre Schatze fur den Konzertsaal, ja, auch fur die
Buhne leihen. Er studierte den »Hauslichen Krieg« neu ein, fiihrte die Oper
»Alphonso und Estrella« zum erstenmal in Karlsruhe auf, arrangierte zu Rai-
munds Zauberposse »Die gefesselte Phantasie« Schubertsche Musik, zumeist
Motive aus der Oper »Rosamunde«, brachte im Konzertsaal Szenen aus dem
»Lazarus« — und Schubertsche Symphonien, Kammermusik und Chorwerke
bildeten einen standigen Teil seiner Konzertprogramme. Ihn Schubertsche
Lieder begleiten zu horen, seine Klavierbegleitung iiberhaupt, gehorte zu den
erlesensten Geniissen. Das Klavier sang unter seinen Handen mit. Zur Feier
von Webers hundertstem Geburtstag fiihrte M. im Philharmonischen Verein
die selten gehorte Kantate »Kampf und Sieg« auf und erneuerte die Feier, die
einst Wagner im Jahre 1844 veranstaltet hatte, als die Reste Webers von
England nach Deutschland gebracht und in Dresden bestattet wurden.
Zu Brahmsschen Werken ist M. nie in ein naheres Verhaltnis getreten,
er wufite nach seinem eigenen Gestandnis nichts damit anzufangen, und seinen
wenigen Brahms-Auffuhrungen merktc man das zu ihrem Nachteil an. Seine
Abneigung gegen Brahms stand auch wohl im Zusammenhang mit seinen Be-
ziehungen zu Bayreuth, zu Wagner und zu Liszt. DaG er sonst im grofien und
ganzen bestrebt war, das Bedeutende jeder Richtung gelten zu lassen, dafiir
spricht seine ganze Dirigententatigkeit mit ihrem unendlich vielseitigen Pro-
gramm, das auch der Musik der Gegenwart gerecht wurde. M. war einer
der ersten, der alle Werke von Richard StrauC auffiihrte. In einem kurzen
Aufsatz liber »Klassische und moderne Musik«, in welchem er sich mit Recht
gegen den MiCbrauch beider Bezeichnungen wendet, sagt er: »Wir sollen uns
vor allem Wahren und Lebendigen ehrfurchtsvoll verneigen, sei es vor zwei-
hundert Jahren oder gestern erst geschaffen worden, sowie wir das Unwahre
und Verwelkte unbeachtet lassen m(iflten.«
Mottl. yj
Im Sommer 1903, nach Zumpes plotzlichem Tode, wurden von Munchen
aus Unterhandlungen mit M., der damals eine Reise nach Amerika unternahm,
eingeleitet. Schon Levi hatte ihn zum Nachfolger haben wollen, damals aber
ging M. darauf nicht ein. Jetzt lockte ihn doch wohl das grofiere Schaffens-
gebiet, und im Sommer 1904 gehorte er Munchen an. Einer Berufung nach Wien
im Jahre 1907, die immer der Traum seines Lebens gewesen, konnte er nicht
Folge leisten, wcil er an Munchen gebunden war und man ihn nicht frei gab.
Damals wurde er Hofoperndirektor, eine Stellung, die ihm eine groflere Macht-
sphare gewahrte, als sie bisher ein Miinchener Hofkapellmeister besafi. Der
Titel eines Generalmusikdirektors war ihm schon fruher verliehen worden, und
spater erhielt er den eines Geheimen Hofrates. Im Grunde bedeuteten derlei
Auszeichnungen nur insofern etwas fur ihn, als sie es ihm leichter ermoglichten,
in seinem Beruf nach eigenem kunstlerischen Ermesscn zu handeln. — Sein
achtjahriges Wirken in Munchen war eine Zeit angespanntester Tatigkeit.
Nicht nur die erste Kapellmeisterstelle und die Leitung der, Akademiekon-
zerte, auch die Leitung der Akademie der Tonkunst war ihm iibertragen. Dazu
kamen in stetig wachsender Zahl Berufungen nach auswarts. Munchen war
stolz, dafi es nun »den ersten Kapellmeister der Welt« besafi, und den Miinchener
Festspielen kam M.s Wirken in unvergleichlicher Weise zugute. Die glanzend-
sten Mittel unterstiitzten seine glanzende Fuhrung, und Munchen wurde zu
einem zweiten Bayreuth. Gleichwohl war seine Dbersiedlung nach Munchen,
wohin er nun sein ganzes Karlsruher Programm brachte, im allgemeinen nicht
nach alien Seiten hin seiner Tatigkeit giinstig. Sein Wirken war kein so unge-
hemmtes wie dort, wo er in erster Jugendkraft sein gewaltiges Dirigententalent
entfaltete, wo junge Krafte unter seiner Leitung heranwuchsen, wo keine
BuhnengroGe ihm in kurzsichtiger Weise Widerstand leistete, wo ihm nicht
immer seine Kunstler durch Gastreisen entzogen wurden. Und noch anderes
lastete auf ihm. Eine im Jahre 1893 geschlossene Ehe warf allmahlich immer
tiefere Schatten uber sein Leben und schuf dem sonst so Arbeitsfreudigen eine
immer schwerere Arbeitslast. Gehassige, grundlose Angriffe gaben ihm zeit-
weise das Gefuhl, »dafi er nur eine fremde Pflanze auf diesem Boden sei«, und
die glanzendste Rechtfertigung, die ehrlichsten, begeistertsten Huldigungen,
die ihm wurden, vermochten ihm nicht immer die fruhere frohe, unbekummerte
Schaffensfreude zu geben. Nur dann, wenn er mit seinen erprobtesten Kiinst-
lern, mit dem hervorragenden Miinchener Orchester, mit den glanzenden Miinche-
ner Inszenierungsmitteln in seiner Weise schalten konnte, wenn die Auffiihrung
eines seiner Lieblingswerke ganz seinem Sinn entsprach, fuhlte er sich wieder
auf der Hohe des Daseins. Dann kam seine Ktinstlerschaft zu einem uber-
waltigenden Ausdruck.
In seiner letzten Lebenszeit wollte er sein personliches Leben neu gestalten
und nach der Scheidung seiner Ehe (ein Sohn aus dieser Ehe blieb bei dem
Vater) einen neuen Lebensbund schliefien. Das war ihm nur fiir kurze Augen-
blicke noch vergonnt. Fiir »seine musikalische Jugendliebe«, den Tristan, nahm
er zum letzten Mai den Dirigentenstab in die Hand. Er mufite ihn bald
nach Beginn der Vorstellung niederlegen. Ein schweres Herzleiden, das durch
allzu grofie Anstrengungen und wiederholte starke Aufregungen gesteigert
worden war, machte seinem Leben ein allzu friihes Ende. Auf dem Sterbe-
lager wurde er mit Zdenka Fafibender getraut. Kurze Zeit darauf geleiteten
ihn die Klange des Liebestodes zur letzten Ruhe.
78 Mottl. HBlscher.
Miinchen und die ganze Musikwelt verlor Unersetzliches an ihm. Wenn
so manches »Allzumenschliche« in seinem personlichen Leben in ungunstigem
Sinne beurteilt worden ist, so mag darauf hingewiesen werden, daO gerade eine
gewisse Liebenswurdigkeit seiner Natur, ein Bediirfnis, mit andern in gutem
Einvernehmen zu bleiben, ein momentanes Nachgeben, das spater nicht aufrecht
zu erhalten war, manche Mifiklange in sein Leben brachte. Aber der Zauber
und der Reichtum seiner Personlichkeit, eine immer wieder hervorbrechende
Herzensgiite wog vieles auf, und seinen kunstlerischen Idealen ist er stets treu
geblieben.
Briefliche und mundliche AuBerungen Mottls. Dessen »Bayreuther Erinnerungen*. Auf-
satze und Berichte in Zeitungen und Zeitschriften. Wagner- Jahrbuch 1912. Pcrsonliche Er-
innerungen. Busten Mottls modellierten Professor Beringer und Bildhauer Hans Hemmes-
berger in Miinchen.
Karlsruhe. A. E 1 1 1 i n g e r.
HBlscher, Herrmann WiDielm Heinrich, Kirchenrat, D. theol, Pfarrer;
* 22. April 1845 in Norden (Ostfriesland), f 11. Marz 191 1 in Leipzig. — H. war
Sohn des Notars und Advokaten Uvo Adolf H. in Norden und seiner Frau
Hilke Margarete geb. Hattermann. Die Vorf ahren beider Eltern waren samtlich
friesisch-nordwestfalischen Stammes. In der kleinstadtischen Heimat verlebte
der Knabe in zahlreichem Geschwisterkreise seine Kindheit bis zum 15. Lebens-
jahre, kam dann fur drei Jahre auf das Osnabrucker Gymnasium, wo er durch
den Direktor Abeken nachhaltige Einflusse empfing, und bezog 1863 die Uni-
versitat Tubingen. Seine vielseitige Begabung aufierte sich in einem anfang-
lichen Schwanken zwischen den Fachern der Medizin, Mathematik und Theo-
logie; den Ausschlag fur die Theologie gab vor allem der Eindruck der warm-
herzigen Personlichkeit Becks. Bedeutsamer als die drei Tiibinger Semester
wurden fur seine theologisch-philosophische Ausbildung ein Semester in Berlin
und zwei Semester in Gottingen, in denen er besonders Dorner und Schoberlein
nahetrat. Auf die Studienzeit folgten 1866 — 187 1 fiinf Hauslehrer jahre bei
dem Reichsgrafen von Medem in Kurland, reich an inneren und aufieren Er-
lebnissen. Diese Jahre, so bedeutsam fur die Geschicke der hannoverschen
Heimat und des grofieren deutschen Vaterlandes, wurden durch den Einblick
in viel neue, grofie und mannigfache Verhaltnisse fur die Entwicklung seiner
Personlichkeit und seiner Anschauungen von bestimmendem EinfluO. Er
legte hier den Grund zu seinen spateren kirchengeschichtlichen Kenntnissen.
Um diese zu vertiefen und dann den akademischen Beruf zu ergreifen, reiste
er in Begleitung eines nahen philologischen Freundes 1 871 nach Italien; da
aber die damaligen politischen Verhaltnisse Studien dieser Art am Vatikan
unmoglich machten, warf er sich in diesem italienischen Halbjahr ganz auf die
Kunstgeschichte, in der er sich fachmannische Kenntnisse erwarb. Den
Gedanken an die akademische Laufbahn liefi er, 1872 heimgekehrt, fallen —
auch mehrfache Berufungen zu Professiyen haben ihn spater nicht dahin zuruck-
gelockt — und widmete sich ganz dem Beruf des praktischen Geistlichen. An
der Norder Kirche, an der einst sein GroBvater 62 Jahre lang amtiert hatte,
wurde er 3. Geistlicher. Seiner kirchlichen und politischen Stellung nach
gehorte er schon damals zur Rechten, ohne doch eine gewisse seiner fein-
sinnigen Natur und seinen Kenntnissen entsprechende Weitherzigkeit je zu
Holscher. Dingelstad. 70
verleugnen. 1876 heiratete er die Tochter eines Arztes, Sophie Steinbomer;
der Ehe entstammen drei Sohne und eine Tochter. 1880 wurde er als
Studiendirektor an das Predigerseminar des Klosters Loccum bei Hannover
berufen, wo er nunmehr Gelegenheit fand, seine reichen Kenntnisse fur
den Unterricht jiingerer Theologen nutzbar zu machen. Eine voile Betatigung
seiner umfassenden Gaben jedoch brachte erst seine lange Wirksamkeit als
Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche 1885 — 191 1. Er besafi in seltenem Mafie
die Vereinigung aufiergewohnlicher Kenntnisse auf den verschiedensten Ge-
bieten und praktischer Befahigung zum Verkehr mit alien Schichten der Be-
volkerung. So war er Seelsorger in den Palasten der Reichen und in den Stiib-
chen der Witwen. Weithin bekannt war seine Begabung fur den Jugendunter-
richt, durch den seine Konfirmandenstunden einen Namen in der Stadt hatten.
Infolgedessen wurde er Leiter des katechetischen Seminars der Universitat, das
er bis 1910 verwaltete. 1886 verlieh ihm die Leipziger Fakultat den theologi-
schen Doktor. Seit 1887 saS er im Kollegium der Leipziger Heidenmission,
seit 1897 a ls stellvertretender Vorsitzender; als solcher unternahm er 1903 zur
Ordnung schwieriger Verhaltnisse eine Reise nach Ostindien. Dem Haupt-
vorstande der Leipziger Inneren Mission gehorte er seit 1885 an und wurde
1896 deren Vorsitzender; sein Werk vor allem ist das Frauenheim in Borsdorf.
Auch dem Gustav-Adolf-Verein gehorte er in den verschiedensten Funktionen
an. In weitesten theologischen Kreisen war sein Name bekannt als Herausgeber
der (Luthardtschen) Evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung (bis 191 1) und
des Theologischen Literaturblattes (bis 1 909). Seine besonnene und fur andere
Auffassungen verstandnisvolle Art, verbunden mit umfassender Sachkenntnis
und praktischem Blick, verschafften ihm in all diesen Stellungen nicht nur
weitreichenden Einflufl, sondern haben den Arbeiten dieser Vereine, speziell
auch der von ihm geleiteten Kirchenzeitung, in den Jahren seiner Leitung
den Charakter gegeben. Mitten heraus aus reichster Wirksamkeit warf den
riistigen Mann eine tiickische Influenza auf das Krankenbett, von dem er nicht
wieder aufstand.
Eine Biographie von der Hand seines altesten Sohnes erschien (anonym) unter dem Titel :
D. Wilhelm Hfllscher, ein Lebensbild. Mit einem Portrat; Leipzig, J. C. Hinrichssche Buch-
handlung 1912.
G. H 6 1 s c h e r.
Dingelstad, Hermann, Bischof von Munster; * 2. Marz 1835 in Bracht,
f 6. Marz 191 1. — Als Sohn einfacher, frommer Landleute zu Bracht im Kreise
Kempen am Niederrhein, im rheinischen Anteile des Bistums Munster, geboren,
empfing der talentvolle Knabe den ersten Unterricht in der Volksschule seines
Heimatdorfes, wo ihn ein eifriger Kaplan in die Anfangsgriinde des humanisti-
schen Bildungsganges einfuhrte. Die mittleren und oberen Klassen des Gym-
nasiums wurden an der bischoflichen Unterrichts- und Erziehungsanstalt zu
Gaesdonck durchgemacht, unter der Leitung von Weltpriestern, an deren
Spitze der verdienstvolle spatere Domdechant Dr. Perger stand. Nach glanzend
bestandenem Maturitatsexamen trat D. in das Collegium Borromaeum, ein
bischofliches Konvikt fur angehende Theologen, und studierte drei Jahre Philo-
sophic und Theologie an der damaligen Akademie, jetzigen Universitat zu
80 Dingelstad.
Miinster. Es folgte die Aufnahme in das Priesterseminar, Herbst 1858, und die
Priesterweihe am 22. Juni 1859. Schon zwei Monate darauf als Hilfslehrer in
das Collegium Augustinianum zu Gaesdonck berufen, nahm er im Herbst 1862
das akademische Studium wieder auf, betrieb zu Bonn und Miinster altklassische
Philologie, erwarb hier, Herbst 1865, den Doktorgrad in der Philosophic mit
Auszeichnung und bestand, Ostern 1866, ebenso das Staatsexamen fiir das
hohere Lehramt an den Gymnasien. Nach Gaesdonck zuruckgekehrt, war er
vorzugsweise in den oberen Klassen als tiichtiger, beliebter Lehrer tatig, bis
infolge des preuflischen »Kulturkampfes« diese bischofliche Anstalt staatlicher-
seits geschlossen wurde, Herbst 1873. Das Sehnen des Professors D. stand
immer noch nach Tatigkeit in der einfachen Seelsorge. Darum nahm er seine
theologischen Studien wieder auf und legte im Sommer 1874 das Pfarrexamen
ab. Auf Wunsch seines Bischofs Dr. Johann Bernhard Brinkmann ging er aber
nicht in die Seelsorge, sondern begleitete als Mentor einen Sohn des Grafen
v. Hoensbroech-Haag, bei Geldern am Niederrhein, an das Gymnasium zu
Vechta im Groflherzogtum Oldenburg. Hier liefi sich D. dauernd fur dieses
Gymnasium als Lehrer gewinnen und blieb ihm treu, selbst als ihm die Stelle
eines Direktors fiir ein anderes Gymnasium angeboten wurde. Seiner iiberaus
segensreichen Wirksamkeit zu Vechta machte, ihm selbst ganz unerwartet,
seine am 15. August 1889 durch das Domkapitel erfolgte Wahl zum Bischof
von Miinster ein Ende. Am 30. Dezember 1889 im geheimen Konsistorium
von Leo XIII. prakonisiert, wurde D. am 24. Februar 1890 im Dom zu Miinster
konsekriert und bestieg den Stuhl des h. Ludgerus als dessen 66. Nachfolger.
Seine Hauptaufgabe war zunachst, die Wunden zu heilen, die der ver-
wiistende »Kulturkampf« unter seinem Vorganger, dem schon erwahnten Bischof
Bernhard, dem Bistum geschlagen hatte. Bischof Hermann, eine reich begabte,
fein gebildete, kirchlich treue und bei aller prinzipiellen Festigkeit milde und
friedliebende Personlichkeit von imponierender auflerer Erscheinung war der
von der Vorsehung ausersehene Mann, der diese Aufgabe mit Hingabe seiner
ganzen Kraft, in unermudlich treuer Arbeit, unter moglichster Vermeidung
alles aufieren Aufsehens trefflich gelost hat. Als konziliante Natur suchte er
die Beziehungen zur Staatsregierung zum Segen seiner Kirche zu pflegen, was
ihm die inzwischen veranderte preuflische Kirchenpolitik, in der die Duldung
und das diplomatische Geschick Leo XIII. wenigstens einen »Zugang zum
Frieden« moglich gemacht hatte, wesentlich erleichterte. Im Aufbau der kirch-
lichen Verhaltnisse gait das Augenmerk des Bischofs vor allem der Heranbildung
eines wissenschaftlich und sittlich hochstehenden Klerus. Es gelang ihm, die
dem Kulturkampf zum Opfer gefallene Gaesdoncker Anstalt zu neuer Blute
zu bringen. In Miinster erbaute er ein prSchtiges Haus fur angehende Theo
logen, das Collegium Ludgerianum, und sorgte dafiir, dafl an verschiedenen
Gymnasien des Bistums Konvikte unter geistlicher Leitung errichtet wurden,
in denen neben den Schiilern, die die Neigung zum Priesterberufe in sich fiihlten,
auch andere, den Berufskreisen des Laienstandes zugewandte Jiinglinge vor-
trefflichen Schutz gegen sittliche Gefahren und Anleitung zu regem Studium
finden. Als treffliche Mitarbeiter auf dem weiten Felde der Seelsorge hegte und
pflegte der Bischof auch klosterliche Orden und Genossenschaften jeder Art
und sorgte fiir eine ganze Reihe neuer Niederlassungen von Ordensleuten,
Mannern wie Frauen, die sich teils dem kontemplativen, teils dem tatigen Leben,
Dingclstad. Pacher. 3 j
insbesondere aber der Aushilfe in der Seelsorge und charitativen, sozialen und
erzichlichen Aufgaben weihen.
So kamcn fur die Aushilfe in der Seelsorge Franziskaner nach Stuckenbusch
bei Recklinghausen, Dominikaner nach Mackinghofen und nach Vcchta, Kapu-
ziner nach Sterkrade, Benediktiner nach Gerleve bei Coesfeld; Trappisten nach
Maria-Veen zur Urbarmachung von Heideland und zum Schutze arbeit-
suchender, der Bettelei und Landstreicherei verfallender Manner, Barmherzige
Briider zur Pflege von Fallsiichtigen nach Maria-Lindenhof bei Dorsten, Franzis-
kanerbruder von Waldbreitbach fiir eine Arbeiterkolonie nach Baal am Nieder-
rhein. Von kontemplativen Orden kamen Klarissen nach Bocholt und Kevelaer,
Heimsuchungsschwestern nach Uedem. Fiir studierende Ordensfrauen wurde
das bliihende Collegium Marianum gestiftet, fiir soziale Bedurfnisse gesorgt
durch das Liebfrauenstift und Agnes- Stift zum Schutze und zur religiosen
Pflege dienender Madchen, durch ein grofies Arbeiterhospiz, das zugleich als
Exerzitienhaus fur Arbeiter und Rekruten dient, durch die Gnindung zahl-
reicher Hauser, Vereine und Kongregationen fiir Lehrlinge, Gesellen, Arbeiter,
Bergarbeiter, fiir Erziehung von Waisen und Verwahrlosten.
Entsprechend der raschen Zunahme der Katholiken im Bistum wurden
die Hilfsseelsorgerstellen fast in alien Gemeinden vermehrt und 50 Pfarrstellen
neu gegriindet und ausgestattet. Drei besonders segensvolle Veranstaltungen,
die durch die Hirtensorgfalt des Bischofs zustande kamen, verdienen besondere
Erwahnung. Zunachst die 1891 erfolgte Einfiihrung des sogenannten Ewigcn
Gebetes zur Forderung der Verehrung des Allerheiligsten Altarssakramentes
durch eine von Tag zu Tag, von Gemeinde zu Gemeinde fortschreitende und
das ganze Jahr umfassende Anbetungsfeier, die wie ein Segensstrom ununter-
brochen durch die Gemeinden des Bistums geht, iiberall mit Begeisterung auf-
genommen und eifrig gepflegt; sodann die Abhaltung einer feierlichen Diozesan-
synode (1897), als deren reife Frucht die inhaltlich wie formell hervorragenden,
das ganze Gebiet der modernen Seelsorge beleuchtenden Synodalstatuten
(1898) erschienen; endlich die Hebung des religiosen Sinnes des Volkes durch
glanzende Jubilaumsfeierlichkeiten an den Hauptwallfahrtsstatten des Bistums
Miinster, zu Kevelar (1892), zu Telgte (1904) und zu Billerbeck (1909). In dem
zuletztgenannten Jahre feierte das Bistum mit warmster Teilnahme das Doppel-
fest des noojahrigen Gedachtnisses des Todes des h. Ludgerus, des Begriinders
der Stadt und des Bistums Miinster, und des goldenen Priesterjubilaums seines
66. Nachfolgers, Hermann D.s. Nicht ganz zwei Jahre spater, am 6. Marz
191 1, setzte der Tod dem edlen Wirken des Bischofs ein unerwartet rasches
Ende. Er war eine durch und durch edle Priesternatur, unermudlich hinge-
geben an sein h. Amt, einfach in seiner Lebensweise, alien in Liebe dienend,
hochherzig und freigebig, ein besonderer Freund der Kinder und der Armen,
ein Bischof nach dem Herzen Gottes. H ii 1 s.
Pacher, Ferdinand, Genre- und Landschaftsmaler, * 20. Februar 1852 in
Reichenhall, eines Brandinspektors Sohn, f 14. Mai 191 1 zu Miinchen. Sein
Weg ging aus der Schule zu Buchbinderei- und Portefeuillearbeiten, iiber die
Militarzeit in die Kunstgewerbeschule und in die Akademie, wo er bei Wilhelm
v. Lindenschmit ein ausgezeichnetes Interieur von Otto Pils sah, welches zu
Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog". 16. Bd. 6
82 Pacher.
ahnlichen Versuchen, aber mit gehoriger Staffage weckte. Und da das nette
Ding gefiel und Kaufer fand, folgten mehrere seinesgleichen mit gesteigertem
Behagen nach. Immer neuerfundene, frisch dem Leben abgelauschte Vor-
gange, die durch Warme der Nachempfindung und subtile Vortragsweise lohnen-
den Anklang fanden. So z. B. zwei blutjunge Briefleserinnen, welchen man
beim ersten Anblick schon wohlgeneigt werden konnte. Mit einem Katz-
lein im Stall, ein paar Studienkopfen konnte er Interesse erregen, was oft
ein anderer mit groflem Aufwand nicht vermag. Das Bildnis einer blassen
jungen Frau in braunem Kleide erzahlt eine ganze, anmutende Biographic
Ein im Walde scheinbar »Verlassenes Kind«, womit Mutter und Schwester
»Verstecken« spielten. Aus den frohlich aufstrahlenden Madchenaugen
leuchtete die Freude eines »Ostermorgen«. Er schildert das gllickliche Heim
einer jungen Bauerin, welche dem aus der Stadt kommenden angenehmen
»Besuch« ihr herziges Kindlein zeigt, wobei ein Blick durch das offene Fenster
in eine lachende Fruhlingslandschaft mit der im Stiibchen waltenden Stimmung
in harmonischer Weise ungesucht zum Ausdruck kommt (als doppelseitiger
Holzschnitt in Velhagen & Klasings »Monatsheften«, Juli 1891). Auch die
Ankunft einer schwabischen, ihre Kleiderstoffe auslegenden und zu »Gelegen-
heitskau£« anpreisenden Handlerin bringt keinen Mifiton; die in einer Schenke
schakernde »Leichte Reiterei« beeintrachtigt nicht die sonntagliche Ruhe.
Aus solch' immer ihrer »Mache« wegen gern gesehenen Idyllen nahm der Maler
plotzlichen Aufschwung in romantische Hohen: ein ganz allein im Rupee eines
Eilzuges sitzender Fahrgast scheint kaum ein dankbarer Vorwurf fur einen
Maler, aber der Kiinstler offenbart uns dessen geheimsten Gedanken: sinnend
verweilen sie bei den Erlebnissen in der verlassenen Stadt; in den rastlos
vorbeijagenden Rauchwolken gestaltet sich ein langer Zug von gaukelnden
Erinnerungen an eine lustige Ballnacht mit holden Frauen, weinseligen Freun-
den, abschiedwinkenden Handen und Tuchern — wahrlich eine dankenswerte
Attraktion fur das Schaufenster einer Kunsthandlung. Mit unerschopflicher,
witzspruhender Phantasie gestaltete P. die selbst einen Herbert Konig oder
Karl Reinhardt uberbietenden komischen Einfalle: »Der Kufi im Monde« f den
»Bierspuk«, »Nebelreigen« und >>Abschiedsgedanken«.
Ein gluhender Wintersonnenuntergang bot AnlaB zu einer neuen Spe-
zialitat. P. malte denselben des leuchtenden Effektes wegen auf Glas. Und
das Diaphanbild war fertig. Allerlei Finessen mit doppelten Platten wurden
versuchsweise verwendet, erprobt und machten Gliick in ihrer leuchtenden
Pracht. So entstanden, da an passenden Motiven kein Mangel war, ein Ausblick
vom Stift Bogenhausen auf den »Englischen Garten« mit Mlinchen im Hinter-
grunde; eine Mondscheinszene aus dem »Nymphenburger Park«, mit einem
magischen Lichtschimmer in Luft und Wolken, die freilich eine eigene Technik
erheischten (vgl. Beil. 26 zu A. W. Keims »Mitteilungen fur Malerek, 1. Novem-
ber 1886), welche doch teilweise eine Schattenseite hatte, z. B. in der schwer-
falligen Transportfahigkeit des dazu verwendeten Materials. Alsbald erfolgten
Bestellungen, auch nach auswarts, z. B. nach Mailand, fur ein grofies Re-
staurant, fur das die Darstellung der bayerischen »Konigsschlosser« Neuschwan-
stein, Herrenchiemsee und Linderhof gewiinscht wurde. Die Reitschule des
Reichsrats v. Poschinger in Frauenau (bei Zwiesel) dekorierte P. mit Aufsehen
erregenden Transparenten. Sogar in der Kirchenmalerei wurden ihm mit
Pacher. Holmberg. 83
>>Madonnen« und »Olberg«-Darstellungen viele zur vollsten Zufriedenheit er-
ledigte Auftrage erteilt.
Obwohl der Vielbeschaftigte als geschatzter Lehrer an einer Gewerbeschule
waltete, erubrigte er doch noch Zeit, die heiteren Feste der »Kiinstler-Gesellige-
Vereinigung« mit plastischen Oberraschungen in Staunen zu versetzen, darunter
eine »Sprechende Sphinx«, ein »Dreikopfig-bellender Cerberus«, ein »Universal-
Riesengrammophon<c. Auch der zum steten Gaudium der Gaste in dem von
Gabriel Seidl zu Berlin erbauten Palast der »Munchener Spatenbrauerei« jeden
neuen »Faflanstich« mit Gebnill ankiindende Lowe war sein Werk. Zur Voll-
endung dieses Kunstlerportratkopfes gehorte noch seine Pflege des Flugproblems.
Anerkennende Zuschriften von Fachleuten wiirdigten seine Arbeiten auf dem
Gebiete der Aeronautik. Ob sie fur die Praxis Bedeutung haben? Jedenfalls
wurden die sorgfaltigen Zeichnungen und Modelle dem »Deutschen Museum«
uberwiesen. Unverheiratet lebte P. im Kreise seiner Geschwister, stets auf-
geraumt, lieder- und saitenspielkundig. Eines Morgens fand man ihn tot auf
seinem Lager.
Vgl. Fr. v. Botticher: Malerwerke 1901, II, 211. — Nekr. in Nr. 239 »Neueste Nach-
richten* 22. Mai 191 1 u. Nr. 21 »Allgemeine Zeitung* vom 27. Mai 1911. — Kunstvereins-
bericht f. 1911, S. 20.
H. H o 11 a n d.
Holmberg, August, Genre- und Portratmaler, Professor und Galeriedirektor;
* I. August 185 1 in Munchen, f 7. Oktober 191 1 daselbst; sollte nach dem Willen
des Vaters, eines angesehenen Goldschmiedes, dessen Beruf erwahlen; dem
Wunsche, Maler zu werden, stand ein unbedingtes Veto entgegen. Nur der
Fursprache des Historienmalers Michael Echter, welcher das Talent des intelli-
genten und begabten Knaben richtig erkannte, verdankte dieser endlich die
ungern gegebene Einwilligung zum Studium der Bildhauerei. Sechzehnjahrig
in die Akademie aufgenommen, arbeitete derselbe ohne Lust und Liebe in der
Bildhauerklasse; dann aber zog es ihn so machtig zu Farbe und Palette, dafl er
trotzbietend vorerst in die Zeichnungsschule des auf Formbildung und Linien-
flufi so streng achtenden Alexander Strahuber iibertrat, dessen Rat und Hilfe
dem wagelustigen Jiingling die weiteren Wege ebnete. In der Malklasse von
Wilhelm Diez fand H. eine Anzahl hochbegabter Genossen, darunter der ihm
vielfach verwandte Ludwig Lofftz (vgl. Biogr. Jahrbuch 1913, XV, 148 ff.),
G. Kuehl, Viktor Weishaupt, Ernst Zimmermann (ebendas. 1901, VI, 213 ff.)
und andere artistische, hohen Zielen nachstrebende Argonauten. Schon sein
erstes Bild mit einer bei sturmbewegten Wolken stramm arbeitenden »Wind-
miihle« 1873 machte Gliick, noch mehr die mit Klaus Meyer und P. F. Messer-
schmitt wetteifernden, durch immer anziehende Staffagen doppelt ansprechend
ausgestatteten Interieurs einer »Klosterbibliothek«, in welcher weiGe Zisterzien-
ser ihrem Patronatsherrn die auf Neubauten beziiglichen Plane erklaren und
unterbreiten (vgl. Alfred v. Wurzbach in Nr. 389 »Wiener Allgem. Ztg.«, 10. Marz
1881). Er fiihrt uns in die Apsis von San Miniato, wo wahrend eines rauschenden
Hochamts die Chorherren inzensiert werden, hochst charakteristische Gestalten,
welche in Erinncrung an Ludovico Passinis wunderbar detaillierte Aquarelle,
trotz den kaum erbsengrofien Portratkopfen, doch den Beschauer wie ein bio-
graphisches Lexikon interessieren (Rad. v. Forberg bei Liitzow, 1883, XVIII,
84 Holmberg. Goldberg.
104). Noch anziehenderen Reiz iibten jene Seelenstimmungen: Vor dem
offenen Fenster eines holzvertafelten, gobelinbespannten Gemachs blickt ein
holdselig blondes Kopfchen tiefeinatmend in den prangenden Friihling, vor sich
eine Laute. Notenblatter und als ihr Ebenbild eine Rosenknospe: wie eine
bildgewordene Novelle Paul Heyses. Dann ein mit zahllosem Gewirr von Werk-
zeug ausgeriistetes Goldschmiedatelier mit dem ein kostlich Kleinod tauschieren-
den jungen Meister Rudolf Seitz (»Vom Fels zum Meer«, Juli 1885). Nebenbei
gingen mit gleicher Detailbehandlung reizende Stilleben, auch ein junger, in
das Studium einer neuentdeckten Handschrift ganz vertiefter Monch oder ein
seinFundstuckentratselnderMunzforscher, zur Abwechslung auch ein Kavalier
in kuhler »Vorbereitung zum Duelk. Bei der Vorliebe fur psychische Studien
gestalteten sich seine Bildnisse zu wahren Monographien. Darunter Prinz-
regent Luitpold im malerischen Hubertusritterkostum (in der Neuen Pina-
kothek, Miinchener Rathaus, Universitat Wiirzburg) und des Kiinstlers eigenes
Konterfei aus jungen und mittleren Jahren, ein trotz kleiner, aber zierlicher
Gestalt stets durch heiteren Witz iiberraschender Geist. Ebenso trug der
immer amiisante Inhalt seiner Bilder dazu bei, die Wertschatzung des Publi-
kums zu steigern, so dafi »Ein hoher Besuch«, die »Schachpartie«, das »Tobak-
kolleg Konig Friedrich Wilhelm I«, eine hollandische, »Siesta« betitelte Szene
zu den bekanntesten Nummern neuerer Malerei gehoren. Fur die Kirche in
Obernberg (am Main) malte H. ein grofles Altarbild. Die Auswahl seiner
Bilder schmiickte eine ganze Saalwand im Glaspalast 191 2. Ehren und Aus-
zeichnungen wurden ihm viele zuteil, auch bekleidete er die Stelle eines ersten
Konservators der Staatsgalerien, Direktors der K. Neuen Pinakothek (deren
mustergliltig redigierter, reich ausgestatteter Katalog schon in 8. Auflage
vorliegt). — Seine reiche Sammlung von Kupferstichen, Antiquitaten, Plasti-
ken und Schnitzwerken aller Art, Mobel, Email, Majoliken, Krugen und der
ganze artistische Nachlafl von eigenen Bildern, Skizzen, Handzeichnungen
nebst Werken seiner Zeitgenossen wurde im Mai 191 2 durch Helbing in einer
Auktion aufgelost.
Vgl. Singer 1878, 11,245. — Fr. v. B6tticher, Malerwerke, 1895. 1,565. — Das geistige
Deutschland. 1898, S. 321. — Nekr. in Nr. 41 tAllgem. Ztg.« vom 14. Oktober 191 1. —
Kunstvereinsbericht 191 1, S. 19 (E. v. St.).
H. Holland.
Goldberg, Gustav Adolf, Portrat- und Historienmaler, * 19. Juni 1850 zu
Krefeld (Rheinland), f 8. Mai 191 1 in Munchen. — Einer zahlreichen Arbeiter-
familie entstammend, war er seit dem 13. Jahre auf sich angewiesen, griff zum
Wanderstab, zeichnete fiir Briisseler Fabriken Spitzen- und Jacquardmuster,trieb
sich in Petersburg und Moskau, schliefilich in Munchen umher, wo er fiir Photo-
graphen aquarellierte, und durch eine Komposition »Mein Reich ist nicht von
dieser Welt« Wilhelm v. Kaulbachs Aufmerksamkeit erregte, welcher ihn an
die Akademie verwies. Hier erwarb er unter Arthur v. Ramberg, Karl v. Piloty,
Alexander v. Wagner und zuletzt bei Andreas Muller, unter den bittersten Ent-
behrungen arbeitend und schaffend, durch riesigen Fleifi 1873 die bronzene und
goldene Medaille. In Ol- und Pastelltechnik malte G. eine Reihe charakteristi-
scher Portrats: eines jungen Mannes, eines graubartigen Pelztragers, das von
weifier Mahne umflatterte Haupt des Historikers und Professors Dr. J. N. Sepp
Goldberg. 85
(vgl. »Biogr. Jahrbuch« 1912, XIV, 201), des tiefsinnigen, grandiosen Dichters
Hermann Lingg (ebendas. 1907, X, 185), des Historienmalers Andreas Mliller
(ebendas. 1904, VI, 155), des Generals und Militarschriftstellers v. Scherff,
Staatsminister Graf Crailsheim; fur die Ahnengalerie des Kgl. Hof theaters
die Bildnisse des Schauspielers Richter, des Maschinenmeisters Lautenschlager,
des Kammersangers Klopfer, anziehend geschriebenen Biographien vergleichbar,
immer den ganzen Mann gebend. Aber auch schone Damen, z. B. die in Gluck
und Jugend prangende Prinzessin Josepha von Braganza, Herzog Karl Theodors
Gemahlin; eine Dame im gelben Kleide; das Idealportrat der verstorbenen Frau
Fleischl; daneben hehre Frauenbilder, z. B. eine >>Judith«, einReigen der»Klugen
und tdrichtenjungfrauen«, eine »Spanische Tanzerin« und die mandolinspielende
»Ninette«, das an den siiflen Zauber von Gabriel Max erinnernde reizende
Pastell der »Elektra«, »Astraa«, »Semele« und eine allegorische Inkarnation
der »Elektrizitat«: eine von wallenden Schleiern umspielte jungfrauliche Gestalt,
welche in der emporgehaltenen Rechten eine Schale mit dem ausstrahlenden
Blitzlicht tragt. Im Wetteifer mit Bocklins »Meerminnen« entstand der >>Kampf
zweier Kentauern um ein Weib« (Photographie bei Ferd. Finsterlin). Also
iiberall echte Mtinchener Kunst im besten Sinne des Wortes. Der Herzog von
Sachsen-Altenburg erwarb eine »Belehnung Ottos von Wittelsbach mit dem
Herzogtum Bayern« (Photographie bei Hanfstangl) und den fur einen nacht-
lichen Oberfall etwas zu figurenreich ausgestatteten »Sachsischen Prinzen-
raub«. Als Besitzer des von seinem Schwiegervater, dem Juwelier Schwabe
geerbten Hauses zum sogenannten »Lintwurm-Eck« (am alten »Marienplatz«)
freskotierte er die Fassade desselben mit der Darstellung einer alten stadtischen
Tradition aus der durch einen Brunnendrachen entstandenen Pestzeit, ein Bild,
welches beim erweiterten Aus- und Umbau des Rathauscs freilich nur zu bald
wieder verschwand, aber bei Hauberrissers Pietat fiir die volkstlimliche Sage
mit neuem figiirlichen plastischen Schmuck- und Zierwerk ersetzt wurde. Durch
das Olbild »Tristans Tod« (Holzschnitt in Nr. 1965 »Illustr. Ztg.« Leipzig 26. Fe-
bruar 1881) erregtc G. die Aufmerksamkeit Konig Ludwigs II., welcher den
Maler zum Kopieren alterer Erzeugnisse nach Italien, Spanien und Frankreich
sendete und mit eigenen Kompositionen fiir die Schlofibauten im »Linderhof«
und »Herrenchiemsee« (darunter ein »Festmahl in Versailles unter Ludwig XIV.«)
betraute, auch mit Aquarellreproduktionen von M. Echters Fresken zu Wagners
»Ring des Nibelungen«. In die von Albert Schmidt 1896 erbaute protestantische
»Lukas-Kirche« stiftete G. drei Altarbilder. — Noch 1910, als schon das tiicki-
sche Leiden an seinem Lebensmark zehrte, veranstaltete G. in seinem an der
AmalienstraGe befindlichen, prachtigen, mit reichen Kunstschatzen ausge-
statteten, eine eigene Sehenswlirdigkeit bildenden Atelier eine Exposition von
Bildnissen, darunter jencs des Fursten von Thurn und Taxis, gemalt fiir das
Offizierkasino in Regensburg. So hat G. die verschiedensten Erscheinungen
seiner Zeit spiegelnd umfaflt und getreu wiedergegeben.
Vgl. Fr. v. Botticher, Malenverke 1895, J » 793- — ^ as geistige Deutschland, 1898, S. 237.
— Nekrolog in Nr. 20 »AUgemeine Zeitung« 10. Mai 191 1. — M. Kunstvereinsbericht f. 191 1,
S. 17.
H. Holland.
86 Gogarten. Heyden.
Gogarten, Heinrlch, Landschaftsmaler, * 23. August 1850 zu Linz a. Rhein,
f 16. November 191 1 in Miinchen, Sohn eines Oberpostsekretars, bezog nach dem
Gymnasium die Dusseldorfer Akademie, zuletzt Schiiler von Oswald Achenbach,
lebte 1874 — 1877 in Paris, dann in Hamburg, wo er fur dortige Patrizier und
den graflichen Kunstmazen Julius von Andrassy mit Vorliebe Winterbilder
malte. Infolge eines Besuchs mit dem Marinemaler Dirks in Miinchen (1880)
iibersiedelte G. mit seiner jungen Familie nach dieser Stadt (1889), wo er im
Hochgebirge und Zugspitzgebiet, im Isartale, am Chiemsee, zu Schleiflheim
und in Dachau arbeitete, wohin er, spater auch nach dem einsamen Karlsfeld
verzog. Indessen brachen viber den immer schaffensfreudigen und lebens-
lustigen Mann schwere Schicksalsschlage und der Tod seiner Frau herein. Als
die Wolken endlich sich lichteten, entwickelte sich rasch ein inneres Leiden,
wogegen die notwendig werdende Operation sich als verspatet erwies. Zu
seinen besten Leistungen zahlen die »Adolfsbriicke in Hamburg* (1880),
»Winterlandschaften aus Zons« (1881), Holstein und Ostfriesland und dem siid-
lichen Schweden, in wechselnden Mondschein- und Sonnenuntergang-Stimmun-
gen (1883), ein Herbsttag auf der beruhmten »Garchinger-Heide«, meist mit
sorgsam gewahlten Staffagen, ein Blick in das Loisachtal und ein prachtvoller
»Alpensee« (1895), die »Rotschwaige« (1900), »Vorfrtihlingsabend« (1903), ein
Motiv »Am Riesersee« (1908) und das Stilleben mit »Verbliihten Disteln«
(191 1). Auch betatigte sich G. mit kunstgewerblichen Entwurfen, z. B. bei
der artistischen Ausstattung des groflen Kaufhauses von Hermann Tietz.
Vgl. Autobiographische Notizen in »Das geistige Deutschland*, Leipzig 1898, S. 236. —
Fr. v. Botticher, Malerwerke 1891, I, 393. — Mtinchener Kunstvereinsbericht 1911, S. 17.
H. Holland.
Heyden, Hubert v., Tiermaler, * 13. September i860 zu Berlin, f 20. Januar
191 1 in Miinchen. — Ein Sohn des Historienmalers, grofien Kostiimkenners
und Fachschriftstellers August v. Heyden, war in fruhester Jugend eine liber-
lustige Range, aufgelegt zu toll-mutwilligen Streichen, dafl die eigene Mutter
zu sagen pflegte, ihn vor Lachen nie strafen zu konnen. Im ersten Dezennium,
befiel ihn eine lebensgefahrliche Krankheit, an deren Folgen er lange zart und
schwachlich blieb und also geschont werden muflte, dafi sogar der Schulbesuch
eine Weile unterblieb, was jedoch seinem heiteren Temperament keinen Eintrag
tat. Ohne offenkundige Begabung, iiberraschte der Sechzehnjahrige seine
Eltern plotzlich mit der Erklarung, Tiermaler werden zu wollen, und bestand
darauf so hartnackig, dafl der Vater ihn an der unter Anton v. Werners Direktion
neu aufbliihenden Akademie anmeldete, welche das unscheinbare Jiingelchen
als in eine Kleinkinderbewahranstalt gehdrig ablehnen wollte. Nur probeweise
angenommen, machte er sich bei Lehrern und Eleven so beliebt, dafl er dem
Meisteratelier Paul Meyerheims zugeteilt wurde, welcher ihn bald fur seinen
besten Schiiler erachtete, wo er von 1876 — 1884 verblieb. Da der Vater einen
bei Berchtesgaden gelegenen Besitz erwarb, kam Hubert im Herbst 1885 auch
nach Miinchen, wo es ihm so wohl gefiel, dafl er in die Radierschule bei Professor
Johann Leonhard Raab eintrat. Damit begann sein eigentliches Leben unter
zuverlassigen Freunden, die ihm verstandnisinnig gaben, was er langst suchte
und brauchte; er wurde und blieb ein froher, gliicklicher Mensch. Den Sommer
Hey den. 87
verbrachte er bis 1889 auf dem vaterlichen Landsitz, dann in Osternberg (bei
Braunau am Jnn) auf dem malerisch gelegenen Gute des Herrn Hugo v. Preen;
im Kreise der dort sommerfrischelnden und anregenden Kunstgenossen Ludwig
Herterich, Wilhelm Durr, Franz Stuck, Julius Exter, Max Kiichel, Heinrich
Schlitt, Alfons Spring und Becker-Gundahl erweiterte sich sein malerischer
Gesichtskreis; bald entstanden jene frischen Freilichtbilder, womit er in kurzer
Zeit Ruf und Ansehen erwarb. Der Osternberger Gegend entnahm H. bis an
sein Lebensende viele Landschaften und Tiermotive. Seltsamerweise begann
er mit, entweder in ganzen Herden oder einzeln sattsam kauenden, ihren
Familienpflichten an behaglich sich nahrenden jungen Ferkeln obliegenden
Mutterschweinen. Wahrend die fruheren Niederlander diese Tiere hochstens
nur als Staffage bei winterlichen Schlachtfesten zuliefien, brachte er diese
feisten Beaster in die Kunstausstellungssalons, wo selbe ebenso von der Kritik
emphatisch bejubelt wie ihrer ungewohnlichen Zulassung wegen scharfe Riige
fanden. Dagegen stieflen seine oft ruppig-keck hingesetzten Garten- und
Stimmungsstudien mit dem blauen »Eisenhut«, das drollige Konterfei eines
»Pinschers« nebst seinen Tierbildern in grofien Dimensionen nie auf Wider-
spruch. Sein Federvieh behandelte er weniger im Sinne eines Melchior de
Hondecoeter, denn als realistisch beobachtender Ornithologe, ihre Natur und
Psyche belauschend und mit charakteristischer Behaglichkeit wiedergebend.
Ein wunderbares Beispiel wurde aus der Internationalen Ausstellung 1897 der
Neuen Pinakothek einverleibt: In der humoristischen Assemble schlagt ein
charmierender Truthahn ein Rad vor seiner sproden Dulzinea, daneben eine
Menge gackernder Hinkel, im Vordergrunde zwei Tauben und eine schnatternde
Ente! Eine Fulle von Modellen entdeckte H. im Miihlenhofe des bei Starnberg
gelegenen movenreichen Maisinger Sees, wo das piepsende, glucksende, flugel-
schlagende Federvieh zu seinen Diensten stand; ein ganzes Korps von watschligen
Enten, hell schnarrenden Gansen, trippelnden Htihnern, trompetenden »Chante-
claires* harrten auf das eintragliche, nahrhafte Gluck, von seinem Pinsel por-
tratiert zu werden und behagliches Frefimaterial als Honorar gierig entgegen-
zunehmen. Der Maler war immer ein gern gesehener Gast, welchem befliigelte
Herzen zum Willkomm entgegenschlugen und -eilten. Nach individueller
Veranlagung der Originale erhielten die Bilder ihre treffenden Benennungen,
wie »Zufriedenheit«, »Hinter dem Zaune«, ein »Zartliches Verhaltnis«, »Morgen-
toilette« oder gar Raufbolde »Vor dem Duell« und »Zwei Philosophen« als
Storche. Doch machte sich der Maler auch ausnahmsweise an soziales Raub-
vdgelpack oder hoher hinauf an grofle Potentaten, wie Tiger und Lowen, deren
einen die Sezessionsgalerie in gehorigen Ehren halt. Auch ein impertinent
hochnasiges Nilpferd. Haufig vertauschte der vielseitige Kunstler Palette und
Pinsel mit der Radiernadel und Xylographie, auch hier die malerische Wirkung
betonend. Eine reiche Reihe von Rohr- und Sumpfgefliigel, Marabus, Tauben,
Pfauhennen und handelsiichtig bespornten Kalekuten, aber auch von Hunden
und anderweitigen Vierfiifilern vereinte die Sezessionsexposition 1910. So
arbeitete H. als »Peintregraveur« an den unzahligen Blattern seines »Werkes«,
welches hoffentlich bald als selbstredendes Denkmal seines Schaffens erscheinen
diirfte, das durch einen plotz lichen Schlaganfall im Atelier, vielleicht durch
Unvorsichtigkeit bei Atzung der Platten, ein so jahes Ende erlitt.
88 Heyden. Erdtelt.
Vgl. Fr. von Btftticher, Malerwerke 1895, I, 527. — Nr. 4 >Allgemeine Zeitungc
28. Januar 1911. — M. Kunstvereinsbericht 191 1, S. 18. — Nr. 33 »Neueste Nachrichten*
21. Jan. 191 1 u. Nr. 24 vom 16. Januar 1912. — Nr. 20 >Augs burger Postxeitung*
2. Febr. 1912.
H. Holland.
Erdtelt, Alois, Portrat- und Genremaler, * 5. November 185 1 zu Herzogs-
walde (bei Grottkau in Schlesien), f 18. Januar 191 1 in Miinchen, stammte von
einfachen Landleuten, die schon wunder was meinten, als sie den Knaben bei
einem biederen »Haus- und Zimmermaler« unterbrachten, bei welchem iibrigens
der funfzehnjahrige, vollig autochthone Junge das Bildnis seiner Mutter malte,
in demselben Lebensalter wie ehebevor der Goldschmiedelehrling Albrecht
Diirer sein »eigen pild nach dem spiegell« konterfeite. E.s friihreife Leistung
kam nachmals 1906 in den Miinchener Kunstverein, wobei ein Kritiker die
boswillige Parole gab, »das Wunderkind sei den fruher angeregten Hoffnungen
spater weniger gerecht geworden«! Der erste Fliigelschlag brachte die gliick-
liche Folge, daC der Besitzer eines benachbarten Herrenhofes dem Knaben die
Wege ebnete nach Berlin zu Meister Steffeck, von wo sich der Obergang zu
Wilhelm Diez nach Miinchen von selbst ergab. Hier errang E. mit Portrats
und heiteren Genrestucken, wie ehebevor Franz Xaver Winterhalter, bald einen
bemerkbaren Namen, darunter ein vergnuglich sein Pfeiflein schmauchender
Alter und die humoristische Bude eines »Flickschneiders« (spater in Nr. 11
»Daheim« 1892, S. 165) — eine ganz an Gottfried Kellers »Grunen Heinrich«
erinnernde ergotzliche Szene, in welcher der billardtuchfarbige Groflvaterrock
dem armen Enkel auf den zum Nachwachsen wartenden Leib angemessen wird.
Lustig empfunden und gegeben war das Bild eines nackten Kindes, das einen
Apfel zum Austeilen bereit in der Hand tragt und darum »Paris« betitelt ist.
In dieser Zeit wurzelt auch der »Verweigerte KuC« eines dicken Bengels an sein
kosendes Kindermadchen (Nr. 2443 »IUustr. Ztg.«, Leipzig, 26. April 1890).
Grofiere Kompositionen oder erzahlende Genrestiicke liebte er nicht, wenn er
gleichwohl mal ein »Bacchanale« wagte. Dagegen blieben prachtvoll durch-
gefuhrte Halbakte und Bildnisse seine Domane. Davon zeugt eine lange Reihe
von mehr oder minder traumerisch-grofiaugigen, in die Welt schauenden,
blumenbekranzten, von hellem Sonnenlicht oder reizendem Lampenschein
beleuchteten Madchenkopfen, die auf Alt- oder Neu-Miinchnerinnen oder auch
Dachauerinnen und dergleichen getauft, neben ehrwiirdigen Matronen, wackeren
Hausfrauen und Herrenbildnissen erschienen; darunter das von treuer Eltern-
liebe zeugende Bild des Vaters und der Mutter des Kiinstlers, des Professors
und Kupferstechers Johann Leonhard Raab und anderer bekannter Personlich-
keiten. Ruhmenswert war die mit der Farbe gleichsam wetteifernd zeich-
nende Durchbildung, ein warmes, teilweise schweres oder zu Zersplitterung
geneigtes Kolorit, wogegen zuweilen die psychologische Charakteristik nicht
gleichen Schritt hielt. Seine Leistungen fanden auf den Wanderzugen durch die
Vereine und Kunstausstellungen vielfache Freunde und Pramien, so zu Nlirnberg
(1882), Antwerpen (1885 und 1891), Berlin (1886), London (1889), Miinchen (1896
und 1901), Wien (1897), Paris (1900), St. Louis (1904) usw., wahrend die nicht
immer idealen, aber hochst charakteristischen, Kinder- Madchen- und Damen-
kopfstudien in verschiedenen Nuancen als Farbendruckschmuck in illustrierten
Erdtelt. Cxachorski. 89
Zeitschriften und Monatsheften (Velhagen u. Klasing) ein weiteres dankbares
Publikum erwarben. — E. war mit der Professur an einer Kunstschule betraut;
welches Ansehen er nicht allein durch seine Lehrtatigkeit errang, trat zutage
bei seinem Begrabnis, wo ihm die Spitzen der Miinchener Klinstlerschaft,
darunter Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen als »dankbarer Schiiler«, das
letzte Ehrengeleit erwiesen. Bei der folgenden Jubilaums-Ausstellung der
»Miinchener Genossenschaft« (im Glaspalast 191 1) erschienen dreifiig Werke
seiner Hand.
Vgl. Pecht, Miinchener Kunst 1888, S. 360. — Fr. v. Botticher, Malerwerke 1895, I,
276. — Autobiographische Skizze in »Das geistige Deutschland*, Leipzig 1898, S. 163. —
Nekrologe in Nr. 39 »Miinchener Neueste Nachrichten* 25. Jan. 191 1. Nr. 4 »Allgemeine
Zeitung* 28. Januar 191 1. *Zeitschrift des Kunstgewerbe-Vereins* 191 1, Bd. 6i, S. 211.
Kunstvereinsbericht 191 1, S. 16.
H. Holland.
Czach6rskl, Wladislaus v., Genremaler, * 22. September 1850 in Lubin als
Sohn eines Gutsbesitzers, f 12. Januar 191 1 zu Munchen. — Kam uber Warschau
nach Dresden, wo er das Gymnasium absolvierte und zuerst der Kunst oblag,
hospitierte in Munchen die Akademie unter Anschutz, Alexander v. Wagner
und Karl v. Piloty. — Bei seinen kleinen, immer minutios ausgefiihrten Salon -
bildern befand man sich stets in bester, feinster Gesellschaft. Ohne gequalt
oder geangstigt zu werden, bewegte sich sein Vortrag in angeborener Freiheit
und Grazie trotz strengster Formgebung. Er konnte sich nie genug tun, ebenso
wie der meist in entgegengesetzter Atmosphare sich bewegende und darin sich
wohlfiihlende Leibl. Hier ritterliche Courtoisie und Frauendienst, dort ergotz-
liche Dorfgeschichte. So standen sich, obwohl alle Vergleiche hinken, ehedem
der sprachlich-melodische Minnesanger Gottfried von Strafiburg und der un-
geschlachte Neidhardt von Reuenthal mit seinen strampfenden Bauerlichkeiten
einander gegeniiber. Jeder ein Virtuos im Malen von Stoffen und zupassender
Umgebung von Salon und Hutte. Hier Seide und Samt — dort Leder und
Lodenstoff; junge, liebliche, holdselig lachelnde Frauengestalten und gramlich
verbohrte Bauerngesichter. — Mit der weltfliichtigen »Einkleidung einer Nonne«
(»Meisterwerke der HolzschneidekunsU 4. Bd., Tafel LXXVI) introduzierte
sich C. riihmlichst und blieb dann immer dem Stilleben getreu, ein liebens-
wiirdiger, geistreicher Causeur mit dem Pinscl. Auch wenn er »Hamlet und
die Schauspieler« in Szene setzt (1875). Ein mit dem Riicken gegen die Be-
schauer gewendetes Damchen »Am Klavier« ist veritabler Chopin; gemalte
Musik. Das »Sie konnten zusammen nicht kommen, sie hatten sich viel zu
lieb« (»Illustr. Welt« 1897, S. 665) betitelte Bild lautete wie ein ganzes Finale
in Farben: ein Seelenspiegel von tiefstem Leid, trotz kostbarster Seide, unter
Orchideen, Palmen und Blattpflanzen. Auch die Freude an dem »Neuen
Schmuck«, an einer »Perle« — auch ihre Tragerin ist ein unschatzbares Juwel —
wiegt bis in die kleinsten psychischen Nuancen gleichwertig. Wie kannte er
die von einem Gerard Dow oder Frans Mieris und Ter-Borch gefeierte Seligkeit
eines stillen Rauchers (»Die Kunst unserer Zeit« 1905, I, 127). Nie kokettierte
der Maler mit flotten Pinselstrichen, dafur wahrte er eine unbedingte Sicherheit
und Frische bei aller Subtilitat. Form und Farbe erganzten sich in vollkomme-
ner Einheit. Man fuhlte jedoch eine gewisse feinschmeckerische Freude am
90
Czachorski. Baer.
Motiv, das stets der gemessenen Vornehmheit seiner eigenen Personlichkeit
entsprach. Er hatte Rasse und eine von seinem ganzen Wesen, nicht nur
dem kunstlerischen, unzertrennliche Eleganz. Wie eine zierliche Novelle
wirkt das »Im Boudoir« eine iiberraschende Blumenspende beantwortende
Damchen, ein vornehmes »Frauenbildnis« gibt Anlafl zu gleich holdseligen
»Erinnerungen am Kamin«. Diese in lassig weicher Grazie auf schwellen-
den Fauteuils mit echt adligen Alluren tandelnd hingeschmiegten Komtessen,
im Atlas- und echten Spitzenschimmer ihrer Gewander: das alles zu malen in
immer reizenden Varianten war ihm die sichtbare Aufgabe und wahrer Lebens-
genufi, wozu das ganze stumme Inventar und Material im Atelier aufgespeichert
wartete: Rokokospiegel und Kommoden mit blitzenden Metallbeschlagen,
Palisander, mit Elfenbein tauschiert, Ebenholzkastchen, blitzende Waffen aller
Arten und Zeiten, eine ganze Rustkammer, Porzellan, Nippes und anderes, »Herz,
was willst du noch mehr?«; Bilder, Skizzen, vorratige Ideen zu kiinftigen Dich-
tungen; alles ubergossen vom goldgleiflenden Geflimmer spielender Lichter im
vollen Pleinar, ein »Milieu«, wie man jetzt mit wanzenhaft eklig eingenistetem
Sprachgebrauch zu schreiben liebt. Eines Tages alles aufgeraumt durch eine
Auktion. Nach zweijahrigem Aufenthalt in Warschau erfolgt abermalige Riick-
kehr nach Mtinchen, mit neuem Sammeleifer und Findergliick auf neuen Fahrten.
Diese immer frischen Schopfungen jene anmutende artistische Tugendlichkeit
bewahrend. Buchstablich *>media in vita* fand man den Maler schlagflufi-
beriihrt, tot, im Atelier. — Die xylographischen Anstalten von J. Weber in
Leipzig und R. Bong in Berlin wetteiferten mit treuer Wiedergabe der in Rufi-
land, England und Amerika vielbegehrten Originale. Auch Prinzregent Luitpold
erwarb ein solches Stilleben 1893 und verlieh dem Maler den Professortitel.
Auf der dritten internationalen Kunstausstellung zu Wien 1894 hatte C. die In-
szenierung des deutschen Saales geleitet (vgl. den Artikel in Nr. 1 1 1 »Miinchener
Neueste Nachrichten« vom 8. Marz 1894): ein vollendetes Muster von Vornehm-
heit und Eleganz.
Vgl. H. A. Muller, Lexikon 1882, S. 121. — Pecht, Miinchener Kunst 188S,
S. 423. — Fr. v. Botticher, 1895, I, 195. — Nr. 3 »Allgemeine Zeitung* 21. Januar 191 1. —
Munchener Kunstvereinsbericht 191 1, S. 15 (Alex. Braun). — Thieme, Ktinstlerlexikon,
Leipzig 1913, VII f 236.
H. Holland.
Baer, Christian Max, Genre- und Stillebenmaler, * 24. August 1852 in
Nurnberg, f 31. Januar 191 1 zu Mtinchen. — Sohn des Stadtpfarrers bei St.
Sebald, absolvierte das humanistische Gymnasium, erhielt die erste kunstlerische
Ausbildung bei Karl Raupp daselbst, bezog die Munchener Akademie als Schuler
von Alexander von Wagner, wo er durch die PortrSts eines »Blonden Madchens<t
(1875) und einer »Alten Frau« (1877) durch Medaillen ausgezeichnet wurde.
Weitere Stilleben und Genrebilder folgten. Grofie Anerkennung erzielte seine
in grofiem Format und mit kulturhistorischem Wissen durchgebildete Kom-
position, wie »Martin Behaim«, der von Konig Johann II. von Portugal ob
seiner an der Westkiiste von Afrika 1484 unternommenen Seereise und Ent-
deckerfahrt zum Ritter geschlagene Kosmograph, seinen 1492 zu Nurnberg
gefertigten (noch vorhandenen) »Erdapfel« (Globus) den groflgiinstigen Freunden
und Ratsherren Gabriel Nutzel, Paul Volkhamer und Niklas Groland erklart
Bacr. Le Feubure. Keller.
91
und vorzeigt. Dieses streng wissenschaftlich in Kostiim und Bildnissen durch -
gebildete, brillant gemalte Werk wurde unbegreiflicherweise in der »alten
Noris« nicht angekauft, wohl aber durch Konig Carol von Rumanien (1883)
erworben. Als Kolorist schlofi B. sich in der Folge innig an Leibl und Trubner,
bald auch an Karl Haider und Alfred Zimmermann (»Jahrbuch« 1913,
XV, 168) an. Aufierdem zierte B. Speisesale und Schlofiraume mit wahr-
haften Jagitrophaen, lebensgrofien Hirschen, Rehen, Gefliigel aller Art, auch
mit Kiicheninterieur, darunter eine Fischhandlerin mit ihrer glanzenden Ware,
ohne die Bildnismalerei und kleineres Genre zu vernachlassigen, z. B. »Rast
nach der Jagd« (1888), »Gemiisegarten« mit der Staffage einer schonen Frauen-
gestalt (1889); »Fastenzeit« (1894), ein »Fischgcwolbe« (1901); »Chiemsee-
Fergen« an der Fangarbeit, Gerate und Netze strickend oder bessernd; eine
»Violinspielerin« (1901), »Bauernmadchen aus dem Chiemgau« — Arbeiten,
die vielfach auf den Ausstellungen im Glaspalast mit Medaillen ausgezeichnet
wurden, ob ihrer Farbenfrische und strahlenden Lichtfiille.
Vgl. H. A. Mullers Lexikon 1882, S. 25. — Fr. v. Botticher, Malerwerke 1891, I, 48. —
Miinchener Kunstvereinsbericht 191 1, S. 73. — Thieme, Kunstlerlexikon, Leipzig 1909,
II, 341.
H. Holland.
Le Feubtire, Carl, Landschaftsmaler, * 1. Januar 1847 zu Munchen, f 2. De-
zember 191 1 in Bad Tolz, ein Sohn des um die artistische Leitung der Kgl.
Porzellanmanufaktur hochverdienten gleichnamigen Inspektors und Malers;
erlernte anfangs dieselbe Technik, wendete sich aber durch seinen Schwagcr
Ludwig Sckell ganz zur Landschaftsmalerei und erwarb auf diesem Gebiete
bald anerkennende Auszeichnungen und im Kriege 1870/71 das Verdienstkreuz
mit den Schwertern. Aus seinem Atelier gingen zahlreichc landschaftliche
Stimmungsbilder aus der Schweiz und Altbayerti hervor, welche in den Kunst-
vereinen und bei den Badegasten als Souvenirs steten Willkomm fanden, z. B.
die »Kirchsteinalpe bei Tolz« (1888 in Wien), zwei iiberraschend frische kleine
Landschaften aus dem »Isartal« (1899), ein »Morgen am Konigssee« und »Abend
am Klonthalersee«, eine farbensatte Herbststimmung »Im Ellbacher Moos«,
ein an M. v. Schwind gemahnendes »Erwachen des Morgcns«, wo die in wunder-
lichen Formen vom Boden aufsteigenden Nebel einen gespenstigen Reigen zu
schlingen scheinen, wahrend ein Arbeiter im Vordergrunde mit seinem Werkzeug
uber der Achsel seinem Tagwerk entgegeneilt.
Vgl. Fr. v. Botticher, Malerwerke 1895, I, 824. — Miinchener Kunstvereinsbericht 191 1,
S. 16.
H. Holland.
Keller, Gustav, Zeichner und Malcr, * 20. Oktober i860 in Etzenhausen,
f 18. August 191 1 in Munchen; bewies schon in friihester Jugend sein auf diplo-
matischer Wiedergabe beruhendes Talent. Fiir seinen ersten, als Eleve der
Akadcmie gelieferten »Weiblichen Akt« erhielt er die goldene Medaille. Neben
weiteren Studien bei Defregger, Seitz und Herterich entstanden friihzeitig
wissenschaftliche Illustrationen zu Zittel, »Handbuch der Palaontologie« (1867),
zu den geologischen Werken des Prof essors August Rothpletz, spater fur die ana-
tomischen Publikationen von Ruckert und Mollier, zu Johannes v. Rankes pra-
Q2 Keller. Grilnhagen.
historischer Anthropologic und Schadelmessungen und Hertwigs zoologischen
Forschungen. Professor Jesonick berief ihn an das Krankenhaus nach Giefien
und betraute ihn mit mikroskopischen Reproduktionen. Fiir Ammon zeichnete
K. Petrcfakten und vorsintflutliche Tiere zu Andres Kompendien. Unter
solchen Leistungen trauerte seine selbstschaffende Muse, die mit eigenen Kom-
positione 1 an der Ateliertlir wartete. Eine grofie Anzahl solcher feinziigigen,
immcr im Linienflufi scharf durchdachten, mythologisch-historischen Ent-
wurfe kam erst nach seinem Tode zutage. Er hatte an seiner Gattin, der
Wiener Malerin Marie Hermann, eine gute Beratung und Mithilfe gefunden. —
Trotz seiner robusten Gesundheit, die er auch als freier Turner und Feuerwehr-
mann bei jedem Anlafi betatigte, untergrub ein tiickisches Leiden seine rastlose
Arbeit, wofiir ihm der auCerordentliche Ehrentitel eines »Universitatszeichners«
verliehen wurde. Aufier cinem kurzen Nachruf im Munchener Kunstvereins-
bericht fiir 191 1, S. 20, scheint des hochverdienten, eigengearteten Meisters
Name unverdienterweise wenig beachtet geblieben zu sein; nur die nicht jedem
Geographen bekannte Heimat bereitete ihm ein stillverborgenes Grab.
H. Holland.
Griinhagen, Colmar, Professor der Geschichte an der Universitat Breslau,
Kgl. preufiischer Archivdirektor, Geheimer Archivrat, Dr. phil. f * 2. April
1828 zu Trebnitz in Schlesien, f 27. Juli 191 1 zu Breslau. — G.s Jugend stand
unter den gleichen Eindriicken wie die seines nur wenige Jahre alteren grofien
schlesischen Landsmannes Gustav Freytag, des Sohnes der von Trebnitz nicht
weit abgelegenen Stadt Kreuzburg; das polnische Sprachgebiet reichte da-
mals noch nahe genug an G.s Vaterstadt heran, um auch in ihm ein lebendiges
deutsches Nationalgefuhl zu wecken und ihm die Bedeutung des preufiischen
Staates fiir die deutsche Kultur und den Protestantismus in Schlesien vor
Augen zu fuhren. In gleicher Richtung wie die Erlebnisse der Knabenzeit
wirkten die Erfahrungen der spateren Jahre; G. gehorte zu dem gliicklichen
Geschlecht, dessen Jiinglings- und Mannesjahre in die Zeit von 1848 bis 1871
fielen; er betrachtete infolgedessen die Ereignisse der Gegenwart wie der Ver-
gangenheit von demselben Standpunkte wie Gustav Freytag: der Stolz auf sein
deutsches Volk, die Freude an der hehren Grofie des preufiischen Staates und
der Glaube an die kulturelle Cberlegenheit des Protestantismus fiihrten ihm
stets die Feder.
Von 1 84 1 bis zum Herbst 1847 besuchte er in Breslau das Gymnasium,
dann studierte er in Jena, Berlin und das letzte Semester in Breslau Geschichte
und klassische Philologie; am 21. Dezember 1850 promovierte er in Halle mit
der Dissertation: Vitae Urbani II. pontificis Romani particula prima; im Marz
1 85 1 bestand er in Breslau das Oberlehrerexamen. Ostern 1853 wurde er als
Hilfslehrer, wenige Monate spater als ordentlicher Lehrer am Breslauer Frie-
drichsgymnasium angestellt. Das fur den Unterhalt seines jungen Hausstandes
unzureichende Gehalt von 350 Talern zwang ihn, sich durch Privatstunden
an einer Madchenschule, Turnunterricht usw., einen Nebenverdienst zu ver-
schaffen; fiir wissenschaftliche Studien blieben so nur wenige Mufiestunden
librig. Es zeugt von einem starken Willen und viel wissenschaftlichem Eifer,
dafi G. unter solchen Umstanden 1854 eine zweite Schrift veroffentlichen konnte:
»Adalbert, Erzbischof von Hamburg, und die Idee eines nordischen Patri-
GrUnhagen. g?
archats«; schon im nachsten Jahre erschien seine Habilitationsschrift: »Otfrid
und Heliand. Eine historische Paralleled Am 26. Mai 1855 habilitierte er sich
als Privatdozent fur Geschichte an der Breslauer Universitat. Seine Ernennung
zum Nachfolger Wattenbachs als Leiter des schlesischen Provinzialarchivs am
11. Marz 1862 erlaubte ihm das Ausscheiden aus dem Schuldienste, das Fallen -
lassen jener Nebenbeschaftigungen und die vollige Hingabe an seine Wissen-
schaft. Am 18. Dezember 1866 wurde er zum aufierordentlichen Professor
befordert, am 10. November 1873 erhielt er den Titel Archivrat, am 8. Dezember
1885 den Charakter eines Geheimen Archivrates. Die Direktion des Staats-
archivs legte er am 1. April 1901 nieder; seine Vorlesungen setzte er bis wenige
Wochen vor seinem Tode fort.
Bald nach seiner Habilitation wahlte er sich die Pflege der Heimatsge-
schichte zur Lebensaufgabe; er fand hierfur recht glinstige Arbeitsbedingungen.
Denn der 1854 verstorbene Begriinder der neueren schlesischen Geschichts-
forschung, G. A. H. Stenzel, und der 1862 von Breslau scheidende Wattenbach
hatten durch ihre treff lichen Quellenpublikationen und tief bohrenden kriti-
schen Untersuchungen ein unerschutterliches Fundament fiir die Geschichts-
schreibung iibcr das schlesische Mittelalter gelegt; in ihre Fufistapfen konnte
jetzt G. treten. In dem um 10 Jahre jungeren Hermann Markgraf fand er einen
Mitarbeiter, wie er ihn sich nicht besser wiinschen konnte. Der Verein fur
Geschichte Schlesiens, dessen tatsachliche Leitung schon in den sechziger Jahren
in die energischen Hande G.s kam, gab ihm die Mittel zur Durchfiihrung und
Veroffentlichung seiner Arbeiten. Als Direktor des Provinzialarchivs besafi er
die Moglichkeit, die andern in dem MaBe fehlt, in dem archivalischen Gestein
nach Herzenslust zu schiirfen, um zu erkunden, wo die Arbeit am lohnendsten
einsetzen kann.
Diese gunstigen Verhaltnisse wufite aber auch G. auszunutzen. Er ver-
offentlichte eine stattliche Reihe von Urkundenpublikationen und Regesten-
werken, die eine Fulle wertvollsten Materials zur schlesischen Geschichte liefer-
ten, z. B. i860 die Rechnungsbucher der Stadt Breslau von 1299 — 1358, den
Henricus pauper genannt, 1864 im Verein mit G. Korn die Regesta Episcopatus
Vratislaviensis, 1865 zusammen mit Wattenbach das Registrum St. Wenceslai,
ferner mehrere Bande Regesten zur schlesischen Geschichte usw. Wenn auch
die altesten Regestenbande — an den spateren hat K. Wutke starken Anteil —
dem gegenwartigen Stande der Urkundenlehre nicht gentigen, so darf man
billig nicht vergessen, daC die gewaltige methodische Entwicklung der histori-
schen Hilfswissenschaften doch recht neuen Datums ist; das erste Beispiel
fiir moderne monographische Behandlung einzelner Urkundengruppen lieferte
in Frankreich L. Delisle und in Deutschland im AnschluC an die franzosische
Schule Th. Sickel in den acta regum et imperatorum Karolinorum seit 1867. Viele
Jahre muBten vergehen, ehe die neue Methode allenthalben angenommen und
ihre Technik vollig durchgebildet wurde. G. hatte sich, bisweilen unter Watten-
bachs Anleitung, in der Hauptsache als Autodidakt Ende der funfziger Jahre
in die historischen Hilfswissenschaften eingearbeitet; die bekannten Schwachen
eines Autodidakten hat er niemals ganz uberwinden konnen.
Neben und zum Teil infolge dieser Publikationen entstanden einige recht
griindliche Spezialuntersuchungen, wie die vom Schlesischen Geschichtsverein
der Breslauer Universitat zu ihrem fiinfzigjahrigen Jubilaum gewidmete Schrift:
94 Grtlnhagen.
»Breslau unter den Piasten als deutsches Gemeinwesen« und »Die Hussiten-
kampfe der Schlesier«, denen G. in den Scriptores Return Silesiacarum Bd. VI
»Geschichtsquellen der Hussitenkriege« hatte vorausgehen lassen. Sehr bald
wandte sich G, auch der neueren schlesischen Geschichte zu; 1864 erschien die
Schrift: »Friedrich der GroBe und die Breslauer in den Jahren 1740 und I74i«,
1 88 1 die beste Monographic aus G.s Feder: die zweibandige »Geschichte des
ersten schlesischen Krieges«, die auf archivalischen Studien in Berlin, Han-
nover, Dresden, Breslau, Wien und London beruht und fur die politische Ge-
schichte der epochemachenden Jahre 1740 — 42 unentbehrlich bleiben wird.
So grofi aber auch die Zahl dieser der Forschung gewidmeten Arbeiten G.s
ist, so wird man trotzdem mit der Behauptung nicht fehlgreifen, daB seine
starkste Begabung auf dem Gebiete der Darstellung lag, daB er hier zum minde-
sten seine groBten Erfolge erzielte. Er gehorte noch halb und halb in das
philosophisch-asthetische Zeitalter der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts;
starke literarische Interessen waren ihm zu eigen; es diirfte kein Zufall sein,
dafi er sich in einer seiner ersten Arbeiten mit Otfrid und Heliand und in seinen
letzten Vortragen mit »Goethe in Schlesien« und »Schlesischen Erinnerungen an
Gustav Freytag« befaflte. Er verfligte iiber die bekannte schlesische Reim-
kunst, die er dem Kreise seiner Freunde und der Geselligkeit in seinem Hause
gern dienstbar machte; seinen Gymnasiasten erklarte er in den fiinfziger Jahren
immer wieder, daB jeder das Verseschmieden lernen konne und musse. Ihm
war eine beneidenswerte Leichtigkeit der Feder gegeben. So entflossen ihr
zahllose Aufsatze in den Feuilletons der Breslauer Zeitungen, in den PreuBi-
schen Jahrbiichern, der Zeitschrift fur preufiische Geschichte und Landeskunde,
der Zeitschrift des Vereins fur Geschichte Schlesiens, die er von 1864 — 1905
herausgab, den Publikationen der Schlesischen Gesellschaft fur vaterlandische
Kultur, der Zeitschrift der Historischen Gesellschaft der Provinz Posen usw.
Noch als Student schrieb er seine ersten Beitrage fur die Grenzboten. Er besafl
eine starke journalistische Aden Seine historischen Aufsatze dienten zumeist
als Vorarbeiten fur seine zweibandige Geschichte Schlesiens bis 1740 und ihre
Fortsetzung, das gleichfalls zweibandige Werk iiber Schlesien unter Friedrich
dem GroBen. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich den Vorstudien
fur ein unvollendet gebliebenes Buch iiber Schlesien unter Friedrich Wilhelm II.
Zur Charakteristik seiner Arbeitsweise greifen wir das Werk: »Schlesien unter
Friedrich dem GroBen« heraus. Es ware ein Irrtum, wenn man glauben wollte,
er hatte hierfiir die Bestande des von ihm verwalteten Schlesischen Archivs
voll ausgenutzt; Jahrzehnte angestrengtester Arbeit ohne jede Ablenkung
durch andere Berufspflichten waren hierzu notig gewesen. So begniigte er sich
mit dem Einblick in einen Teil der Generalakten; er stiitzte sich in erster Linie
auf das gedruckte Quellenmaterial und die vorhandene Literatur, als Weg-
weiser diente ihm stellenweise das Buch des preuBischen, in Schlesien ange-
stellten Verwaltungsbeamten aus den Tagen Friedrichs des Grofien von Kloeber:
Von Schlesien vor und seit dem Jahre 1740. Aus diesem Material schuf er eine
leicht lesbare Darstellung. Die Probleme der Verfassungs- und Wirtschafts-
geschichte lagen ihm fern. Das Grundmotiv aller seiner Schriften bildet der
Hinweis darauf, wie Schlesien deutsch wurde und trotz aller von der Slaven-
welt drohenden Gefahren deutsch blieb, wie es zu einem groBen Teile protestan-
tisch wurde und seinen Glauben erfolgreich verteidigte, und endlich, wie es durch
Grtinhagen. Baumgartner. gr
die preuflische Eroberung der Entwicklung entgegengefiihrt wurde, die seiner
geographischen Lage, seinen nationalen und religiosen, kulturellen und wirt-
schaftlichen Verhaltnissen am besten entsprach. So wurde G. in diesen Schriften
fur Schlesien zum Verkunder der kleindeutsch-preufiisch-protestantischen
historisch-politischen Weltanschauung, die im Zeitalter Bismarcks der deut-
schen Geschichtschreibung aufgepragt wurde; und seine Wirkung reichte weit,
er wurde und wird in seiner Heimatprovinz eifrig gelesen. Dadurch hat er
historischen Sinn und die Freude an der Beschaftigung mit der Heimatsge-
schichte in weite Kreise getragen. Dauernde wissenschaftliche Geltung wird
seine Schlesische Geschichte und ihre Fortsetzung nicht behalten, dazu fehlt
das monumentum aere perennius, die rucksichtslose kritische Forscherarbeit, die
nach alien Richtungen bis auf den Grund zu dringen sucht, wie sie z. B. fur
die bayrische Territorialgeschichte Siegmund Riezler geleistet hat. Dazu kam,
dafi G. manchmal durch allzu starke Beschrankung auf sein Arbeitsgebiet die Fiih-
lung mit den Ergebnissen der allgemeinen deutschen Geschichtsforschung verlor.
Als Leiter des Schlesischen Archivs sorgte er fur die Ordnung der Akten
und Urkunden, ihre Benutzung erleichterte er durch eine Reihe von Hilfs-
mitteln, wie die Anlegung eines schlesischen Glossars, eines Realindex, von An-
nalenzetteln usw. Vor allem, er brach mit der bisher herrschenden Obung
und machte die Schatze des Archivs jedem Benutzer, der ernstes wissenschaft-
liches Streben zeigte, leicht zuganglich, und er ermunterte zahlreiche jiingere
Krafte zu archivalischen Studien.
Ober seiner akademischen Tatigkeit waltete ein ungiinstiger Stern; grofiere
Horerkreise auf die Dauer zu fesseln, war ihm nicht gegeben. Schwer litt er
unter dem Druck dieser bitteren Erfahrung, aber er war eine viel zu gesunde,
ausgepragte und selbstbewuCte Personlichkeit, als dafl er uber solche Ent-
tauschungen nicht hinweggekommen ware. Zugleich war er ein liebenswiirdiger
Mensch mit starken gesclligen Talenten; nicht scharfer Witz und bissige Spott-
sucht waren ihm zu eigen, sondern der gemiitliche, weit ausladende schlesische
Humor. Wie er denn uberhaupt in seiner Art ein guter Typus des schlesischen
Volkes war, daher stammt auch wohl seine starke Liebe zur Heimat, der er seine
Lebensarbeit widmete. Die Heimat wird den treuen Sohn so leicht nicht
vergessen.
Vgl. den Aufsatz von O. Meinardus »Zu Colmar Grunhagens Gedachtnis* in d. Zeitschr.
d. Ver. f. Gesch. Schles. Bd. 46, S. 1 ff. Daselbst S. 54 — 65 das Verzeichnis seiner Schriften.
Breslau. J. Ziekursch.
Baumgartner, Peter, Genremaler, * 24. Mai 1834, f ^ Dezember 191 1 in
Miinchen. — Der Weg zur Kunst ging damals haufig uber die Polytechnische
Schule, wo bei Jofef Anton Rhomberg (der letzte Auslaufer des weiland Bre-
genzer Graf en d'Aspremonie) eine gute, artistische Grundlage zu holen war,
zu dem akademisch steifen Hermann Anschutz, welcher wieder die Zugbrucke
bildete zu einem andern, der dann erst den Stempel der koloristischen Weihe
auf die Neophyten dnickte. Am schnellsten gliickte dieses Experiment bei
Piloty, der die wunderbare Gabe besafi, einem jeden die GliedmaCen einzu-
renken, indem er mit voller Freiheit der jeweiligen Individualitat den Zauber
seiner Palette handgerecht zu machen wuflte. Hieher kam rechtzeitig unser
frohlicher Scholar (1857), welcher nach kaum zweijahriger Praxis mit seinem
g6 Baumgartner.
»Die sieben Schwaben in der Schmiede« behandelnden Werke (1839) den ersten
Meisterwurf zur Selbstandigkeit glanzend bewahrte. Wenn damals ein bisher
Unbekannter, am ersten Tage seines Auftretens im Kunstverein, von einem
Kunsthandler mit tausend Gulden honoriert und auf gut Gluck mit einem be-
liebigen Thema betraut wurde, so konnte ein solches Ereignis wohl als gutes
Prognostikon gelten, welches B. auch mit einem vor seiner angebeteten Dulcinea
knienden »Don Quixote« in uberraschender Weise quittierte. Sein Fleifi ermog-
lichte auch mit kleineren, auf gleiche Humoristik gestimmten Bildern der er-
wiinschten Nachfrage zu dienen, darunter ein »Gestortes Mittagsmahk, ein
wachsamer »Vorposten« oder »Invalidenhaus« (1861), ohne mit grofleren skur-
rilen Leistungen, wie der von einem ergiebigen RegenguO uberraschte »Bitt-
gang« (1863) oder der mannhafte Kampf der »Sieben Schwaben« gegen das
grausige Untier (1865) im Riickstande zu bleiben. Auch verlegte der Maler den
Schauplatz seiner erheiternden Darstellungen gern in seelsorgerliche Raumlich-
keiten, wie »Vormittags in der Pfarrkuche«, wo der Hausherr mit Vergniigen
das Rupfen eines Festbratens inspiziert, »Nachmittags« den Verdauungsbe-
schwerden oder andern »Nachwehen« obliegt. Auch ein »Brautexamen« a la
Ludwig Knaus und Benjamin Vautier oder das Unheil mit einer langersehnten, aber
allzu zah befundenen »Martinsgans« wurden beliebt; sollte denn nicht auch die
Geduld eines Laien aus den Fugen weichen, wenn das unschuldige Kocherl
einen antediluvialen Enterich oder mit allzu englischem Hautgout belastete Reb-
hiihner den Gasten aufzutischen das Ungluck hatte. An Material war kein
Mangel. Man brauchte ja nur aus der wohl assortierten Ateliergarderobe
die passenden Kostiime auszuwahlen, an physiognomischen Modellen aus Pack-
tragerkreisen war genug Vorrat. »Honny soit qui mal y penseh Mit ahnlichen
Schwerenotereien haben nachmals Meister Mathias Schmid, Eduard Grutzner,
Alois Gabe u. a. Furore gemacht und ihren Ahnherrn bald liberflugelt. —
Zur Erganzung kamen hubsche Dachauerinnen mit ihren »Schatzen« beim
Photographen, botanisierende »Naturforscher« und junge, kollegiale »Maler
auf der Alm«, auch ein rundlicher Eheherr, der zum iibel verhaltenen Ver-
drufle seiner Gattin mit der schmucken Sennerin ein Tanzchen wagt; allerlei
kindliche Ereignisse »Auf dem Wege zur Schule«, ein »Kinderkarneval« (1886),
lauernde Wilderer und echte Waidgesellen auf dem Anstand, »Heimkehr vom
Markte« (1888), kurz: novellistische Szenen aus dem bayerischen Volksleben,
die alle gute Zugkraft in das Ausland, nach England und Amerika ubten, aber
allmahlich doch trotz aller Kraft der Charakteristik und Talent der Farbe t
teilweise eine flihlbare Ermiidung verspuren lieCen. Da legte B. rechtzeitig
das verdiente solium cum dignitatem geniefiend, Palette und Pinsel nieder,
immer noch im Besitz eines guten Namens und frischen Humors, bis er
wenige Tage vor seiner goldenen Hochzeit, nach kurzer Krankheit, aus dem
Leben schied. Eine reiche Reihe reizender, selbstredender Landschaften,
wahre »Lieder ohne Worte« und hochvollendeter Interieurs, die alle als Veduten
auf Beseelung durch passende Staff age warteten, die im Kunstverein als NachlaB-
Ausstellung erschienen, bewiesen, welch heitere Oberraschungen noch auf
Vorrat standen.
Vgl. Fr. Pccht, MUnchner Kunst 1888, S. 251. — Thieme, Ktinstlerlcxikon 1909, III, 85.
Nr. 51. — >Allgcmeine Zeitung« 23. Dezember 1911, — M. Kunstvercins-Berichtf. 1912, S. 14,
H. Holland.
Conrader. Csiizy von Csui. gy
Conrader, Georg, Historienmaler, * 18. Mai 1838 zu Mtinchen, f 2. Januar
191 1 in dem einsamen Flecken Cantrida bei Zamet im Osterreich. Kustenland
(Abbazia), trat, kaum neunzehnjahrig, in die Akademie zu dem als Lehrer
damals vielgesuchten Philipp Foltz von Bingen, aus dessen Mai- und Komponier-
schule der Weg zu Karl v. Piloty fiihrte. Hier machte er sich 1857 — 60 durch
ein ganz in der Methode seines Meisters flott gemaltes Bild, »TilIy am Vorabend
der Schlacht von Breitenfeld (am 6. September 1631) der Sage nach im Hause
des Totengrabers einquartiert«, rasch einen guten Namen. Das Werk wurde
von der Hamburger Kunsthalle nicht allein angekauft, sondern der junge Autor
erhielt auch (gleichzeitig mit Franz Lenbach) eine ehrenvolle Berufung an die
neuorganisierte Kunstschule in Weimar, welche C. jedoch nach zweijahriger
Tatigkeit wieder verlieB, um im Auftrage Konig Max II. ein grofies Olbild
(>>Zerstorung Karthagos durch Scipio«) fur das Maximilianeum und ein die
»Stiftung der Munchener Gelehrtenakademie durch Kurfurst Maximilian III.«
darstellendes Fresko in der Historischen Galerie des Bayerischen National -
Museums auszufuhren. Fur die bei Jos. Albert erscheinende »Sammlung von
Bildnissen schoner Frauen« zeichnete C. die Furstin Maria von Rumanien,
Mile Montoland und Jacinthe Deponte. Auch lieferte C. einige Genrestiicke,
wie einen flotten »Falkonier«, die Szene, wie »Charlotte Corday im Kerker por-
tratierU wird; die »Ermordung des Sangers Riccio«, wie damals iiberhaupt
Anekdoten aus dem Leben der Maria Stuart bei den Piloty -Schiilern ein be-
liebtes Paradepferdreiten bildeten; das »Blumenorakel« eines zierlichen Rokoko-
damchens (1877) nebst etlichen Bildnissen. Unvorsichtigerweise wagte sich C.
ohne feste Bestellung an grofie, figurenreiche Kompositionen, in der sicheren
Voraussetzung, dadurch ein dankbares Publikum in Osterreich zu finden: Die
»Zusammenkunft Kaiser Josef II. mit Papst Pius VI. zu Wien« (1782); »Kaiser
Josef II. auf dem Sterbebett von alien Standen betrauert«, die ziemlich kuhle
Aufnahme fanden und einen ungeheuren Zeitaufwand von portrat- und kultur-
historischen Studien erforderten. Eine Darstellung der »Kronung des Kaiser
Franz Josef zum Konig von Ungarn« wurde vom Museum zu Budapest endlich
erworben. C. war in jungen Jahren furchtlos und wacker ausgezogen, das Gluck
zu suchen und hatte es gefunden; ob es ihm gelang, die Fliichtige bleibend fest-
zuhalten? Auch Abbazias blaue Sommertage wechselten mit winterlichcn Sturmen.
Die ewige Ruhe und der Nachruf eines redlichen Strebens ist ihm zuteil geworden.
Vgl. v. Spruner, *Die Wandbilder im Bayer. Nat. -Museum « 1 868, S. 210. — Lutzows
»Kunstchronik« 1877, XII t 678 u. Neue Folge 191 1, XXII, 211. — Pecht, »Miinchner KunsU
1888, 256. — Fr. v. Botticher, »Malerwerke€ 1895, !» x 7 6 - _ Nr. 2 »Allgemeine Zeitung« 14. Jan.
191 1, — Thieme, »Kiinstler-Lexikon« f Leipzig 1912, VII, 316.
H. Holland.
Csuzy von Csiiz, Karl, Stilleben- und Landschaftsmaler, * 1. April 1843
zu Komorn, f 15. Februar 191 1 in Venedig; im Wiener Theresianum erzogen,
absolvierte er zur Obnahme der vaterlichen Guter die landwirtschaf tliche Schule
in Hohgenheim; unternahm 1872 aus Wissensdrang und Reiselust die erste
Weltfahrt, liber deren Ergebnisse, insbesondere auch als Jager und Sportsmann in
den Tropen erzielte Resultate in Fachzeitungen er Berichte erstattete. Im
Jahre 1874 besuchte er abermals Indien, um dort in den Dschungeln der Ele-
phanten-, Tiger- und Panterjagd zu obliegen, wovon C. nicht allein Trophaen,
BiogT. Jahrbuch u. Deutschcr Nckrolog-. 16. Bd. 7
gg Csiizy von Csuz. Palmi£.
sondern auch ethnographisch-kulturhistorische Altertumer zuruckbrachte, aber-
mals als Jagdherr im Tiroler Hochgebirge zu Waidring waltend und seine langst
geiibte Vorliebe zur artistischen Wiedergabe des Erlebten auszubilden. Dieser
Wunsch fur grundliches Studium fiihrte ihn auf die Akademie nach Venedig
und spater nach Munchen, wo er bei Nikolaus Gysis und Alexander Wagner
fruhere Saumnisse mit der ihm eigenen Energie nachholte und in freier Selb-
standigkeit bewahrte. Seit 1888 mit der hochachtbaren Wiener Malerin Lud-
milla v. Flesch-Brunningen vermahlt und von dieser Kollegin machtig gefSrdert,
trat er doch nur auf seinem engeren Heimatboden, welchem er immer trotz der
langjahrigen Abwesenheit die treueste Liebe bewies, nie auf deutschen Aus-
stellungen hervor. Erst nach seinem Tode erschien im Munchner Kunstverein
eine uber vierzig Nummern umfassende Kollektion von Landschaften, eigenen
historischen Kompositionen, Bildnissen, Genre- und Blumenstucken, darunter
ein wundervolles Stilleben, darstellend eine mit Seltsamkeiten, Nippsachen und
Quincaillerien aller erdenklichen Art angefullte Glasetagere, ein wahres Unikum
und Kabinettstiick ausdauernden Fleifies, wahrend alle seine sonstigen Bilder
eines freien Striches und breiten Vortrags sich erfreuten. Seine artistischeTatig-
keit sicherte ihm in derOffentlichkeit eine weit uber den Dilettantismus gehende
Einschatzung.
Vgl. Mttnchner Kunstvereins-Bericht 191 i t S. 14. H H o 1 1 an d
Palmig, J. Charles, Landschaftsmaler, * 22. Oktober 1863 in Oschersleben
am Harz, f *4- Juli 1911 zu Munchen. — Schwere Pfade und harte Wege fiihren
oft genug nach den geahnten und ersehnten Gefilden des Lebens in Wissenschaft
und Kunst. Wie der nachmals geadelte Historienmaler Karl Ritter v^Blaas und
nachdem er noch als Hirtenknabe die ehernen Grabwachter am Kaiser-Maxi-
milian-Denkmal zu Innsbruck geschaut hatte, mit einem alten Nagel und
Steinhammer die ersten Bildnerversuche in einem Hause wieder nachzumeifieln
versuchte, so trieb auch ein dunkler Drang den kaum zwolfjahrigen P., eine
weiOe Fensterwand des elterlichen Hauses mit Mondscheinlandschaften und
Windmuhlen auszustatten und in Ermangelung weiterer Flachen seine ersten
Schopfungen wieder auszuloschen und gleichsam als »Codex rescriptus« den alten
Raum mit frischem Eifer neu zu beleben. Infolge davon wurde ihm durch den
Besitzer einer Kegelbahn der erste Auftrag, diese seine Raumlichkeiten aus-
zustatten. Listig verschaffte er sich trotz der abmahnenden Eltern die Mittel
zur Anschaffung seines diirftigen Materials, band kranzartig die Farbentopfe
um ein Dreirad und fuhr seelenvergniigt unter dem Lachen der Begegnenden
nach dem neuen Wirkungskreis. Nun wunschte auch ein Gastwirt solchen
Schmuck fiir sein Gartenhaus und zwar ohne Honorarvereinbarung. Ob
solcher Beeintrachtigung vom Gewerbeneid gerichtlich verklagt, ging der kleine
Knirps straflos aus und hatte die Lacher auf seiner Seite. Aus der Bude eines
Anstreichers und Tapezierers ging es schon vorwarts bei einem tuchtigen De-
korationsmaler in Chemnitz; hier verdiente er sich seinen freisprechenden Lehr-
brief. Wohlwollende Burger vermittelten den Eintritt bei dem Hoftheatermaler
Rieck zu Dresden; von da ermoglichte sich dieAufnahme an die Akademie und
der Obergang zu August Fink und Josef Willroider nach Munchen (1884). Sein
crstes Bild »Nach dem Gewitter im Hochgebirg« erwarb der Herzog von Nassau
fiir das SchloD Hohenburg bei Lenggries (1 886). »Ein schwerer Beruf« (der
Palmie. 99
Versehgang eines Priesters auf steilen Schluchten zum letzten Troste eines
Sterbenden) reproduzierte in Holzschnitt die Zeitschrift »Ober Land und Meer«
1888. Weitere Ergebnisse seiner soramerlichen Studienfahrten in Altbayern,
Tirol, auch aus der groBartigen Eifel fanden bereitwillige Aufnahme in Kunst-
vereinen und Ausstellungen. Nun eroffnete sich P.s weiterer Ausblick fur die
Schonheit der Ebene, besonders in den Talgelanden der Altmiihl, Wornitz
und Donau. Auch die Lausitz mit der Spree, den vielen Teichen und grofl-
zugigen Schilfpartien begeisterte ihn, zumal der Kommerzienrat Hermsdorf
die Dekoration seines dortigen Schlosses Kauppa dem jungen Maler ubertrug,
dem auf den Expositionen goldene Medaillen und Ankaufe von Museen und
Galerien in Magdeburg, Niirnberg, Wien, Budapest und Miinchen (»An der
W 6rnitz« auf der VII. Internationalen Ausstellung 1897, fur die Neue Pinakothek)
zuteilwurden. Ein bleibendes Heim hatte er kurz nach seiner Vermahlung
mit Marie Kapferer aus Innsbruck 1895 zu Miinchen gegrundet. Fur seine edle
Empfindung zeugt, dafi er nach schwerer Schadigung durch einen Atelierbrand,
doch ein Bild fur charitative Zwecke spendete. Hatte P. bisher dem Pleinaire
gehuldigt, so geriet er durch allerlei Luft- und Licht-, Schnee- und Nebelstudien
auf das experimentierende Terrain von physikalischen Gesetzen und Strahlen-
brechungen, welche er nun in vollster Impression mit jubelnder Virtuosi -
tat auf alien weiteren Schopfungen inszenierte. In diese seine neugewonnene,
wirklich graue Theorie kleidete er alle seine mit figurlichen Staffagen selten
ausgestatteten landschaftlichen und architektonischen Aufnahmen, das eben-
maBig universale, weiBkreidige Palettenrezept iiber alle in rastloser Eile ent-
stehenden Skizzen giefiend. Vielleicht hatte selbst der Golf von Neapel oder
Palermo dieselbe Signatur eines polaren Nebels und Schneegestobers erhalten.
Sein ophthalmischer Magnet deklinierte, gleichsam als ein wirklicher Fehl
der Sehkraft. P. wurde ebenso emphatisch erhoben wie unter den wahren Wert
seines Strebens gesetzt. So verkundete P. in zahlreichen, meist im gleichen
Format gehaltenen Zyklen die Resultate seiner monatelangen Sitzungen auf
dem Turme der Peterskirche mit Aufnahmen aus der Vogelperspektive iiber
die Stadt und Umgegend Munchens. Auch Frucht- und Blumenstucke in
gleich weiBkreidiger Uniformierung wirkten ermiidend, den Beschauer zu
Schnupfen und Erkaltung reizend. Man erinnerte sich lieber der duftigen
Mondnachtstudien von Lichtenheld, Morgenstern, Knut Baade oder Iwan
Aivasovski, zu deren hochpoetischen Leistungen unser P. sich in schroffsten,
unuberbriickbaren Gegensatz stellte. — Ob der seltsame Meister schon am
Abschlufl seiner Bestrebungen war oder diese noch in weitere Phasen gelenkt
hatte, bleibt wohl eine offene Frage. — Kurz nachdem er seiner Mutter das
letzte Ehrengeleit zum Grabe gegeben, entriB ihn ein unerwartet plotzlicher
Schlaganfall einer fieberhaft aufregenden, beispiellosen, jetzt im ganzen Umfange
noch nicht vollig objektiv abschatzbaren Tatigkeit.
Autobiogr. Notizen in »Das geistige Deutschlandc 1898, S. 505. — Fr. v. Botticher, >Maler-
wcrkec 1898, 11,213. — Nekr. inNr. 29 »AUgemeineZeitung«22. Julii9ii t S.499. — Nachlafi-
Ausstellung im Kunstverein. — Nr. 523 »Neueste Nachrichtcn« 9. November. — Nr. 261 »Miinch-
ner Zeitungc 9. November. — A. Wurm in Nr. 253 »Agsbr. Pstztg.c 8. November 191 1.
H. Holland.
1 00 Pernat.
Pernat, Franz Sales, Genre- und Portratmaler, * 4. Juli 1853, t 20 - Februar
191 1 in Miinchen. — Versah schon frlihzeitig die kalligraphischen Adressen
und Diplome seines gleichnamigen Vaters mit selbsterfundenen Arabesken und
Randzeichnungen, die ihn zum Eintritt in die Akademie ermutigten, wo er
bei Lindenschmit, Freiherrn Arthur v. Ramberg und W. Diez rasche Forderung
fand. Als vielversprechender Schuler derselben bezeigte er seinen Beruf
mit kleinen Portrat- und Genrebildern, darunter die neckischen »Geheimnisse«
(1874), eine »Kredenzende Dame« (1877) und ein mit koloristischem Raffinement
behandelter, den Schadel Yorks apostrophierender »Hamlet«. Ein Gedenkblatt
zum »Wittelsbacher Jubilaum« (1886) und eine Grisaille auf Kaiser Wilhelm I.
(1888) brachten den Namen des Malers in den Kunsthandel. Seit 1883 machte
er sich mit einem Bildnis des Fraulein Julie Heffner im Glaspalast bemerklich.
Da der vorherrschende Grundton dunkel blieb, so wurde P. kein mit Vorliebe
gesuchter Frauenmaler, obwohl er die Bildnisse einiger junger Damchen ge-
schickt zu einer anmutenden »Parkszene« zu gestalten wufite. Dafur erschienen
im Kunstverein und in den Jahresausstellungen des Glaspalastes die Portrats
des streitbaren Historikers Dr. Sepp (1889, vgl. »Biogr. Jahrbuch« 1912,
XIV, 205), Fr. v. Poschinger (1891), Regisseur Karl v. Brulliot (nebst zwei
andern der Galerie des kgl. Hoftheaters einverleibten Biihnenkunstlern), welches
den Beifall des Konigs Carol von Rumanien in so hohem Grade errang, daG er P.
wiederholt nach Bukarest lud, um sich malen zu lassen; des Herzogs Ernst von
Sachsen-Altenburg, Professor Dr. Bauer, der junge Baron von Preuschen(i897);
im folgenden Jahre brachte der Maler eine ganze Kollektion erlesener Werke
zur Ausstellung; 1900 S. K. Hoh. Prinzregent Luitpold (als Holzschnitt in
Nr. 3010 »Illust. Ztg.«, Leipzig, 7. Marz 1901); dann folgten Kriegsminister
Frhr. v. Horn, der Maler Anton Mangold, S. K. Hoheit Prinz Rupprecht in
Generalsuniform (bei Heinemann 1909); Reichsrat Frhr. v. Soden-Frauenhofen
u. a. Alle in einheitlich ruhiger Geschlossenheit nach dem fuhlbaren Vorgang
von Van Dyck, Rubens, Velasquez und Franz Hals, welchen er sicher nach-
strebte. Auch in der Plastik versuchte sich P. mit einer trefflichen Lenbach-
Biiste, welche auf der Nachlafi-Ausstellung erst 191 1 bekannt wurde. In
seiner feinen Empfindung bewies er sich, in oft schw T eren Kampfen immer als
Optimist, ebenso wie im Leben als Gentleman. Jeder Portratist iibt in seiner
Weise den Beruf eines Biographen: das jeweilige Objekt nicht nach einem
etwa photographischen Moment, sondern in ganzer Individuality zu erfassen
und als Psychologe zu rekonstruieren. Der Maler ist somit immer auf ein
doppeltes, auch retrospektives Studium angewiesen, wozu Zeit und tiefere
Erkenntnis des jeweiligen Objekts unabweisbares Erfordernis bleibt. Ein
momentaner psychischer Barometerstand kann zwar gliickliche Fingerzeige
geben; verlangt aber fortgesetzte Beobachtung und grundliches Arrangement
der blitzartig gewonnenen Eindrucke. Von solchem Gesichtspunkte aus er-
weisen sich viele von P.s Bildern als wahre Muster- und Meisterleistungen. —
In gleich schwieriger Situation befindet sich ein Nekrologist, welcher das Fazit
eines kiinstlerischen Schaffens gewissenhaft zu taxieren versucht. Jedenfalls
ware unser Maler in einer hoheren Rangstufe einzuschatzen, als demselben im
oberflachlichen Durchschnitt zuteil geworden. Das ihm am Rande des Grabes
erwiesene Ehrengeleit zeigte von seiner langst und schwerverdienten Aner-
kennung und Wiirdigung. »Platz fur alle hat die Erde« — freilich manchmal
erst, wenn einer unter derselben seine letzte Rast gefunden hat!
Pernat. Rose. Scheuermann. 10 1
Vgl. Fr. v. BOtticher, »Malerwerkec 1898, II, 237. — Nekr. in Nr. 92 »Neueste Nachrichten*
24. Februar 191 1. — Nr. 9 »AHgemeine Zeitung* 4. Marz 191 1. — Kunstvereins-Bericht f.
19", S. 23.
H. Holland.
Rose, Julius, Landschaftsmaler, * 24. Oktober 1828 zu Konigsbruck bei
Dresden, f 23. Oktober 191 1 in Miinchen, wurde seines Zeichnungstalents wegen
zu einem Bildhauer in die »Lehre« gegeben, kehrte aber aus Heimweh in die
Familie zuriick, um willig neben seinem in Diensten des Grafen Hohenthal als
Schloflgartner stehenden Vater Grabscheit und Hacke zu schwingen. Als aus-
gelernter Gartner ubte er sich aber neben seinem Beruf fleiflig im Zeichnen und
Malen, wodurch er die Aufmerksamkeit der kunstsinnigen Grafin von Hohenthal
erregte und Zutritt in ihre Galerie erhielt, um nach Herzenslust zu kopieren.
Seine Leistungen fanden Beifall und zeitigten den Entschlufi, sich zu Dresden
ganz der Kunst zu widmen. Immer noch als Autodidakt arbeitend, gewann er
durch weitere Kopien die Mittel zu Reisen nach der Schweiz, nach Italien,
wo er, ganz der Landschaft obliegend, treffliche Studien sammelte und zu
eigenen Arbeiten verwertete. In Miinchen seit 1836 angesiedelt, gait er bald
als geschatzter Hochgebirgsmaler, und seine Bilder gingen durch die Kunst-
handlung Wimmer (Humplmayer) in die weite Welt. Auf fortwahrenden Wande-
rungen, besonders nach Schweden und Norwegen, jiingte und frischte er sich.
Die Reihenfolge seiner Motive ist jetzt schon unmoglich und kaum andeutungs-
weise erreichbar. Am kostlichsten blieben seine kleineren, jedoch immer sorgsam
durchgebildeten »Skizzen« nach nordischen Fjorden und Meereskusten insbe-
sondere gesucht, obwohl er im Salzkammergut, in der Schweiz, im Taunus
ebenso seine standige Domane hatte. Da er in vorausahnender Angst des
»t)berlebtseins« rechtzeitig den Pinsel niederlcgte, entschwand er dem jiingeren
Nachwuchs, ebenso alien Wiederholungen abgeneigt wie etwaigen Reproduk-
tionen in Farbendruck, Stich und Photographic Sein NachlaC verschwand
rasch in den Kabinetten der Sammler.
Vgl. Fr. v. Botticher, »Malerwerkec 1898, II t 467. — Kunstvereins-Bericht f. 1911, S, 22.
H. Holland.
Scheuermann, Ludwig Gustav Wilhelm, Landschaftsmaler, * 18. Oktober
1859 zu Burghersdorf in Siidafrika als Sohn eines dort beguterten Kaufherrn,
f 1. September 191 1 zu Herrsching am Ammersee (Bayern). Zweijahrig verlor
er den Vater; die Mutter kehrte nach Augsburg zuruck. Hier absolvierte Sch.
Lateinschule und Gymnasium, bezog 1880 die Munchner Akademie als Schuler
von Alexander Straehuber Benezur und Ludwig v. Lofftz (vgl. Bettelheim,
»Jahrbuch« 19 13, XV, 148 ff.). Sein Wander trieb fuhrte ihn zu Bouguereau
und Julian nach Paris und auf eine lange Studienreise durch Algier und Nord-
afrika, seine reichen Eindrucke zu Genre- und Landschaftsbildern zu Miinchen
verwertend, wozu weitere abermalige Ausfluge nach Frankreich und Italien
neuen Stoff boten. Mit »Arabische Tanzerinnen«, einer lautespielenden »My-
riam«, schachspielenden Moslims (in Nr. 18 »Ober Land und Meer« 1890, LXIII,
372), Kaffeehausszenen und einer ganzen Reihe von anziehenden orientalischen
landschaftlichen Gemalden bewies er seine vielseitige Begabung. Auch im
Jagerportratfach, als Radierer und SchwarzweiBzeichner in heiteren Illustratio-
102 Scheuermann. Van der Venne.
nen in den »Fliegenden Blattern* und witzigen Karikaturen im Kreise der
»Allotria« beschaftigt sich Sch. vielseitigst. Mehrere Jahre verwaltete er das
Ehrenamt als Vorsitzender des »Munchner Kunstler-Unterstutzungsvereins«,
sein sprichwortlich »goldenes Herz« reichlich bewahrend. Eine Ausstellung von
32 Oltempera, Gouachebildern undZeichnungen mit Motiven aus Franken, Bayern,
Frankreich und dem Orient bewies seine vielseitige artistische Sattelfestigkeit,
darunter eine kriegerische Szene, »Ersturmung Kufsteins durch die Bayern*
(im bayrischen Armee -Museum). Seit 1887 in glticklicher Ehe mit D6sir6e
Stolberg aus Riga, f and der auch Segelsportkundige Wanderlustige nach langem
schweren Leiden die letzte Rast unter den alten Baumen seines schonen Land -
sitzes zu Herrsching.
Vgl. Autobiogr. Not in »Das geistige Deutschland* 1898, S. 598. — Nekr. in Kunstvereins-
Bericht f. 191 1, S. 23,
H. H o 1 1 a n d.
Van der Venne, Adolf, Tier-, Genre- und Landschaftsmaler, einer aus Brussel
eingewanderten Familie entstammend, * 16. April 1828 in Wien, f 23. Sep-
tember 191 1 zu Schweinfurt. — Wie die norddeutschen Maler, insbesondere
die Hamburger, gern nach Miinchen und liber die Berge von Altbayern und
Tirol nach dem italienischen Siiden gingen, so zog es die Wiener nach Ungarn:
Heidebilder, Puszten, »Krug«-Szenen, Pferde, Chikos, Chdrdas mit Zigeunern
und Slovaken, Geiger und Bettler auf ihre Leinwand zu bannen, nach Vorgang
August Pettenkofers, welcher jedoch das Soldatenbild ganz in sein Repertoire
zog. Mit offenen Augen wandernd, fand V. d. V. unbewuflt die Kunst. Die
Natur gait ihm als hohe Schule, der malerische Drang als Lehrmeister. Zu
Anfang der funfziger Jahre hatten seine Bilder schon einen guten Namen,
mit Pferden »An der Tranke«, Jagd- und Reiterszenen, Schiffziigen und »t)ber-
fahrt an der Maros« — die auch Franz Adam zu einem Prachtbilde begeisterte.
Meist leitete unseren Maler wie den Hamburg-Miinchner Heinrich Marr (1808
bis 1 871) und den Pfalzer Heinrich Burkel (1802 — 69) ein etwas knurriger
Humor. Das bezeugte die Darstellung eines behabig offenen Wirtswagelchens,
dessen storriger Traber bei iiberraschter Begegnung mit einem landlaufigen
Barentreiber und dessen zottigem Zogling alle Fassung verliert und kopfiiber
durchgeht. Oder die Heilung einer behexten Stallrosinante. Vieles dieser Art
wurde in Wien und Pest durch Lithographie popular gemacht. Nach anderthalb
Dezennien ubersiedelte der Maler gen Miinchen und errang hier ein dankbares
Publikum nebst der Stelle eines Zeichnungslehrers am Kgl. Kadettenkorps. —
»Gartenlaube«, »Daheim« und »t)ber Land und Meer« reproduzierten gern in
Holzschnitt seine meist fremdlandisch angehauchten und heiter staffierten Stim-
mungsbilder, wie die »Heimkehr vom Jahrmarkt«, ein »Umgeworfener Schlitten«
mit zertrummerter Hafnerware; Riickfahrt mit reicher Jagdbeute und heiOmutig
dahinstiirmenden Rossen; Wallachische Schmuggler; ein KQnstler portratiert
einen Langohr, wobei der zuschauende Schmid als »Kritiker« mit seiner Meinung
assistiert; wandernde »Dultschmiere« & la Spitzweg; Heimfahrt von einer ungari-
schen Hochzeit mit sausendem Fiinferzug; Vorbereitung zur pTable d'hdte* —
im Kuhstall mit dem obligaten Geiflbock; Zigeunerrast im Zeltlager mit sonnen-
glastendem, walddurchklingendem Fiedelspiel, eine wahre VerkSrperung von
Lenaus Poesie; auf der »Hutweide bei Njuarad*; ^Danya- Brands usw. Der
Van der Vcnne. Weiser.
103
immer mit gleichsam rudernder Armbewegung stetig dahinhastende Mann,
welcher die frohen Feste in den Kiinstlergilden der »Cassandra«, »Allotria« und
»Alt-Miinchen« zu verschonern mithalf, hielt sich lange in elastischer Frische,
brachte noch 1895 achtungsvolle Leistungen zur Ausstellung in den Glaspalast
und fand erst im Krematorium zu Gotha die letzte Rast.
Vgl. Wurzbach, »Osterreich. Lexikon* 1884, 49, 251. — Fr. v. B5tticher 1901, II,
922. — Nr. 40 »Allgemeine Zeitungc 7. Oktober 191 1.
H. Holland.
Weiser, Josef, Genremaler, * 10. Mai 1847 zu Patschkau in Schlesien,
f 15. April 191 1 in Miinchen, hat sich gleich seinen Landsleuten Wilhelm Hau-
schild, Eduard Schwoiser (vgl. Bettelheim, »Jahrbuch« 1905, VII, 418) und
Eduard Griitzner, auf schweren Wegen, durch eigene Kraft, riihmlich zur
Malerei durchgerungen. Wie Goethe »dem Miitterchen die Frohnatur und
Lust zum Fabulieren« verdankt, so berief sich auch W. auf »die gleichgeartete
Mutter und die herrliche Umgebung seiner Vaterstadt«. Schon als Kind zeigte
er Freude zum Formen, Bilden und Sinnieren mit landschaftlichem Hinter-
grund. Obwohl zum Kaufmann bestimmt, folgte er doch dem Drange, nach
Miinchen zu kommen, wo er kurze Zeit im Antikensaal »ohne besondere Freude
an dem kalten Gips zu finden«, zeichnete und auf eigene Faust malte. Hin-
reichend mit Technik ausgestattet, nach Hause zuriickgekehrt, begann W.,
»recht und schlecht ehrsame Biirger« zu portratieren und eigene Gedanken,
darunter ein »Die letzten Tage der schonen Konigin Luise zu Hohenzieritz« dar-
stellendes Bild zu skizzieren. Von 1868 — 72 malte er wieder in Miinchen
fleifiig, hier und da etwas bei einem Kunsthandler anbringend oder fur Verleger
illustrierend — darunter die meisterhaften Croquis »Aus unserem Jahrhundert«
mit Szenen aus Napoleons Leben und die Zeit des Wiener Kongrefi, auch
fur Hallbergers Schiller- und Goethe -Ausgaben. Dann nahm ihn der jungen
Kraften so warm entgegenkommende Wilhelm Diez in seine Schule, sein frisches
Talent einrenkend. Die »Weiser-Bilder« brachen bald Bahn und Weg; z. B.
die »Freisprechung« eines von ihren Angehorigen im Gerichtssaal freudig be-
griifiten Madchens, allerlei Trinkbriider und Zecher: »Volle Glaser, warme
Kopfe«, die »Verteidigung eines Klosters« — vielleicht angeregt durch Scheffels
»Ekkehard«, nur vom zehnten Jahrhundert in die Zeit des Dreifligjahrigen
Krieges transponiert; da W. den kulturhistorischen Roman »Simplicissimus«
des urkraftigen Grimmelshausen unbegreiflicherweise ebensowenig kannte wie
sein damit doch geistverwandter Lehrmeister W. Diez, welcher doch den lokalen
Farbenton und alle Vorziige dieses unerschopflichen Quellenwerkes in geistiger
Verwandtschaft so wunderbar traf. Auch W.s »Schnapphahne« (angekauft
1884 fur die Galerie des Miinchner Kunstvereins) atmen dieselbe Lust des land-
sturzenden »Springinsfeld«. Die alte Klage, dafi die Herren Maler meist so wenig
des Buchstudiums pflegen und lieber ihrer Phantasie und Eingebung folgen!
In Summa ist nur der Umstand mafigebend, dafi sie doch Gluck machen,
wie W. mit den zwei geizigen, dem Kastellan »Das fatale Trinkgeld« zahlenden
Peruckenkavalieren, mit dem »Fldtenstandchen«, dem heimlich rauchenden
»Damen-Kranzchen«, den schOnen »Nichten des Kardinals«, welchen wieder
fahrende »Kriegsknechte« folgten, die in einer Scheune iiber dem Auswiirfeln
ihrer kostbaren Beute in Streit geraten. Dann wieder »Feldwachen« und
104 Weiser. Volte.
»LautenspieIer«. Traun: der Dichter hat voiles Recht zu der Frage: AVoher
ich dies und das gewonnen ? Was geht's euch an, wenn es nur mein ward. Fragt
ihr, ist das GebSude vollkommen, woher gebrochen jeder Stein ward!«
Den gliicklichsten Wurf tat W. durch seine mit fast lebensgrofien Gestalten
in hinreifiender Dramatik aufgebaute »Unterbrochene Trauung« — ein auch
im auflerordentlichen Format und exzellenter Durchfuhrung pochendes Genre-
stuck, ein wahrer Knalleffekt dla Birch -Pfeiffer. Es machte zuerst im Munchner
Kunstverein (1888), dann bei der Jubilaums-Ausstellung im Glaspalast glanzen-
des Furore, fand aber erst nach langer Wanderfahrt — vergleichbar einer uberall
ob ihrer faszinierenden Schonheit bewunderten Frau, die doch keiner heiraten
will — endlich 1892 in C. W. Schusters Sammlung zu New York eine bleibende
Statte. Die aufregende Szene spielt in der Apsis einer perspektivisch erfafiten
Barockkirche; lichterglanzender Altar, grofle Assemblee von Klerus und hoch-
nasiger Aristokratie. Es handelt sich um ein bildschones Kind, welches als
letzter Rettungsanker einer sinkenden Familie einem reichen alten Nabod aus-
geworfen werden soil, welcher rot befrackt in gleifiender Ordenspracht, ein
echter Rou6, kuhl seines Opfers harrt: da sturmt nach langer, abgehetzter
Fahrt, offenbar direkt vom Eisenbahnzuge, der von weit iiber das Meer, gerade
noch vor dem entscheidenden Wort, eingetroffene erste Herzensfreund herein,
ein sichtlich jetzt gemachter Mann, sein Hut fliegt auf den Boden und die holde
Getreue in seine ausgebreiteten Arme. Hier hochster Jubel und Sieg der Treue,
dort starres Embarras und stiller Hohn auf vielen Gesichtern. »Habeanth Eine
prachtiges Finale. Das Bild schlug sieghaft ein und gab nach langer Arbeit
unzahligen Stoff zu nutzlichen Konjekturen und zu des jungen Malers Ruhm.
Darauf folgten der heitere »Faschingsrummel im Madchenpensionat« und das
Impromptu mit dem »Am Aschermittwoch« rlickkehrenden Schalksnarren,
welchem sein inzwischen glucklich angekommener kleiner Weltburger pra-
sentiert wird (Nr. 3476 »Illustrierte Zeitung«, Leipzig, 10. Februar 1910). —
W. blieb iibrigens auch ernsteren Szenen nicht abhold, mit zeremoniosen Hoch-
zeitsgratulationen, Einsegnung einer weltentsagenden Nonne, eine Kopulation
mitten im Feldlager, Verhaftung eines aristokratischen Brautigams durch
Konventsoldaten, Uberraschung eines nachtlich hazardierenden Ehegatten
durch die junge Gemahlin; Rekrutierung im Elsafi; Kaiser Wilhelm an der Wiege
seines Urenkels; Ausfuhrung des Buchhandlers Joh. Fr. Palm zur Richtstatte
durch franzosische Grenadiere; die »Letzten Tage von Pompejk usw. Bereit-
willig jungte W. seine zu Helldunkel neigende Palette durch italische Studien-
reisen, wobei er selbst Vineas Einflufi sich nicht verschlofi.
Vgl. Fr. Pecht t »Munchner KunsU 1888, S. 356. — Fr. v. Botticher, »Malerwerke« 1901,
II, 987. — »Das geistige Deutschland« 1898, S. 731. — Nekr. in Nr. 17 »Allgemeine Zeitung*
20. April 191 1. — M. Kunstvereins-Bericht f. 1911, S. 26 (Alex Braun).
H. Holland.
Voltz, Ludwig, Tier- und Landschaftsmaler, * 28. April 1825 in Augsburg,
t 26. Dezember 191 1 zu Munchen. — Sein Vater Johann Michael V. (* 16. Ok-
tober 1784 in Nordlingen, f daselbst 17. April 1 858) war gleichzeitig mit seinem
nachmals so beruhmten Fach- und Heimatgenossen Albrecht Adam 1807
nach Munchen gewandert, ihr beiderseitiges Heil suchend. Wahrend Adam
dem Adler des korsischen Imperator folgend, auf den osterreichischen Schlacht-
Voltz,
105
feldern zum Maler promovierte und mit zahlreichen Portrats und Olbildern
durch Auftrage vollauf in Anspruch genommen wurde, arbeitete V. immer fiir
Buchhandler und Verleger, die sein illustratives Talent fur kriegerische Aktio-
nen, militarische und andere Kostumbilder, Trachten und Volksszenen vollauf
in Anspruch nahmen. Mit staunenswerter vielseitiger Leichtigkeit lieferte er
Bilder zu den deutschen Klassikern, zu den beliebtesten Opern und Dramen,
mit meist kolorierten Blattern und »Ktipferchen« zu »Damenkalendern« im
Miniaturformat, heitere »Krahwinkeladen« wie selbe fast gleichzeitig auch
Moriz v. Schwind fur seine Wiener ubte, ideale Episoden aus den deutschen Be-
freiungskriegen, Bilderbogen und -biicher fiir Kinder, Burger, Bauer und
Landmann: alles erfreulich und unterrichtend, heute noch der Nachwelt als
Fundgrube dienend und deshalb jetzt von alien graphischen Sammlern, emsigen
Bibliophilen und Kulturhistorikern erwunscht, woriiber Dr. Karl Hagen in einer
besonderen Monographic (Stuttgart 1863) uber 4000 Nummern verzeichnete
und die Beziehungen des Kiinstlers zur Zeitgeschichte der ersten Halfte des
neunzehnten Jahrhunderts beleuchtete — ein Buch, ebenso verdienstvoll wie
C. Jahns diplomatischer Katalog uber das ganze Lebenswerk des Malers und
Kupferstechers Johann Adam Klein (Miinchen 1863), Joh. Fr. Hoffs liber
Ludwig Richter und Adolf Stolls Monographic Ludwig Emil Grimm (Leipzig
191 1). — Dieser zerstreuenden Vielseitigkeit des Vaters gegeniiber nahm sein
altester Sohn Friedrich V. (* 31. Oktober 1817 zu Nordlingen) die Palette auf,
erwarb zu Hause wie spielend die handsame Fertigkeit der Zeichnung, iibtc in
Albrccht Adams Atelier, wetteifernd mit dessen Sohnen Benno, dem genialen
Franz und dem sinnigen Eugen die Maltechnik nach dem lebenden Tiermodell
mit charakteristisch scharf geschautem Erfassen; hospitierte zum weiteren
Figurenstudium die Akademie, ging aber dann auf sommerlichen Streifziigen
in die freie Natur der nahen Alpen und deren Seegelande, am liebsten zu Bern-
ricd bei Starnberg, Tierbild und Landschaft zu bukolischen Idyllen gestaltend
und vereinend, und erreichte mit diesen seinen eigengearteten Nachdichtungen
einen friihreifen, wirklich internationalen Ruf, der ihm weit uber sein am 25. Juni
1886 erfolgtes Ableben immer getreu blieb, so daO »ein echter Friedrich Voltz«
heute noch als ein wahres Juwel in jeder Galerie geschatzt wird. — Dieses ganze
Archiv und Aggregat von Erfahrungen gereichte unserem vorgenannten jungeren
Bruder Louis V. gleichsam als Vorbild und Erbe. Besondere Forderung bot
die lustige Malerkolonie zu Eberfing (nachst Weilheim), woselbst, langst vor
den heutigen »Dachauern«, eine wahre Hochschule fur Landschaftsmalerei sich
etablierte, unter dem Presidium Albert Zimmermanns und dessen kurzweg
als »Zimmerleuten« notierten Namensbriidern und -vettern, wie Kotsch, die
beiden Seidel, Rosenthal, Ebert, Eberle »e tutti quanti% welche nach ernster
Tagesarbeit mit heiterstem Humor ihres jungfrischen Lebens pflagen, wozu mit
allzeit bereitwilliger Laune Louis V. die Zielscheibe bot. Obwohl derselbe, wie
ehe bevor sein Bruder Friedrich und f ruher Albrecht Adam, viele »Pf erdeportrats«
in den Gestiiten des Fiirsten von Thurn und Taxis und von Wallenstein aufnahm,
so mied er doch sorgfaltig die Domane seines briiderlichen Lehrers und erwahlte
als eigenes Revier, freilich kein wilder Nimrod, als kundiger Jiinger das edle
Weidwerk zu verherrlichen : auslugende Gemsen, hitzige Gabler, Spiefler und
Damschaufler, fluchtige Rehe, augende Fiichslein, allerlei Federwild, aber auch
mifimutig limmende Eber; die ganze Familie der in ihrem philosophischen Sinn
106 Volte. Umbeck. Fischer-Benzon.
immer unberechenbaren »Dackel« zahlte zu seinem Repertoire, wodurch der
Maler die verstandnisinnige Gonnerschaft der kgl. Hoheiten des Prinzregenten
Luitpold, des Prinzen Leopold, der Grafen v. Arco-Zinneberg und Steppberg
und anderer Hubertusritter gewann. Viele Beitrage steuerte V. zu den welt-
bekannten »Munchner Bilderbogen« der Firma Braun und Schneider, zuletzt
auch manches Brauchbare aus dem kolossalen Nachlafl seines Vaters (in den
Nummern 225 und 236) verwendend. Das Stoffgebiet, das er sich als Maler
wahlte, ist, wie oben angedeutet, genau begrenzt, aber in der Auswahl der Motive
tritt grofle Mannigfaltigkeit zutage. Hochbetagt blieb er immer seiner Kunst
getreu, brachte sogar noch einen stolzen Zwolfender, der auch einen Kaufer
fand, in den Kunstverein. Dann spann er sich ein in der Stille seines Heims
und im Anblick seiner eigenen und fremden Bilder. Er hatte durch Kauf und
Tausch eine gewahlte Galerie seiner besten Zeitgenossen zusammengehamstert :
einige sorgsam gehutete Schatzstucke seines neidlos verehrten Bruders. Dann
Werke von Ludwig Hartmann, Mali, Habenschaden, Horschelt, Heinrich Lang
und Julius Lange, Casar Metz, Franz v. Pausinger, Philipp Roth, Schmitz-
berger usw. Sie wurden am 27. November 191 2 zur Freude neuer Besitzer
durch eine Helbing-Auktion zerstreut. Er hatte sich daran erwarmt und
gefreut, auch als die Schatten jener Tage, die uns so selten gef alien, iiber seinen
Pfad zogen. Es ist nicht immer erfreulich, unter den Palmen eines hohen Alters
zu wallen. Erst versagten die Fufie den Dienst, dann zerrann in Luft der
dunngesponnene Faden des Denkens. Der Rest ist Schweigen. »Wenn auch
Leib und Seele scheiden, bleibt der gute Name noch!«
H. Holland.
Umbeck, Philipp Valentin, von 1898— 191 1 Generalsuperintendent der
Rheinprovinz, * 13. November 1842 zu Vallendar a. Rhein, f den 4. Februar
191 1 zu Koblenz. — Studierte Theologie von 1861 — 1865 zu Halle und zu
Utrecht, bestand die theologischen Priifungen 1865 und 1867 zu Koblenz, wurde
am 20. Oktober 1868 ordiniert und wirkte als Pfarrer und Rektor zu Rees am
Niederrhein von 1868 — 1877, als Pfarrer zu Windesheim von 1877 — 1886, als
Pfarrer zu Kreuznach von 1886 — 1898. Im Jahre 1884 zum Superintendenten
der Kreissynode Kreuznach gewahlt, stand er von 1893 — 1898 als Prases an
der Spitze der rheinischen Provinzialsynode, bis er im Jahre 1898 zum General -
superintendenten der Rheinprovinz ernannt wurde.
Eine kraftvolle Personlichkeit, vor allem mit der Gabe der Leitung und
Ordnung ausgerlistet, hat U. durch vielseitiges Wirken im Umfang der Provinz,
besonders auch im weiteren Kreise als Mitglied der preufiischen Generalsynode
sich viel Anerkennung und Liebe erworben. Die Arbeiten der inneren Mission
in der Rheinprovinz, besonders das unter seiner Mitwirkung begrundete zweite
Diakonissen-Mutterhaus zu Kreuznach, verdanken ihm reiche Forderung.
Schriftstellerisch ist er nicht hervorget r eten, wiewohl ihm ein reiches Wissen
zu Gebote stand. Er wurzelte ganz in der Eigenart der evangelischen Kirche
des Rheinlands, in deren Dienst er sich verzehrt hat. Klingemann.
Fischer-Benzon, Rudolf Jacob Dietrich von, Landesbibliothekar der
Provinz Schleswig-Holstein, * 2. Februar 1839 zu Westermuhlen bei Hohn
(Kreis Rendsburg), f 18. Juli 1911 in Wyk auf Fohr. — Seine Gymnasial-
Fischer-Benzon.
107
bildung erhielt F.-B. auf der Domschule in Schleswig, die er 1857 verliefi.
Nach zweijahrigem Besuch von Otto Jessens polytechnischer Vorbildungs-
anstalt in Hamburg bezog er im Herbst 1859 die Universitat Kiel, um Ma-
thematik und Naturwissenschaften zu studieren. 1865 promovierte er zum
Dr. phiL und habilitierte sich gleichzeitig an der Christiana Albertina. Nachdem
er 1866 Norwegen und Schweden bereist hatte, hielt er sich wahrend der beiden
folgenden Jahre als Hauslehrer im Furstlich Lievenschen Hause in Kurland auf.
Im Herbst 1869 gab er die akademische Laufbahn auf und trat zum Lehrer-
beruf uber, dem er sich 23 Jahre hindurch mit grofiter Hingebung und ebenso
grofiem Erfolge gewidmet hat. Er wirkte an den Gymnasien in Meldorf, Haders-
leben, Husum und zuletzt seit 1878 in Kiel, wo er 1889 den Professortitel erhielt.
Im Juli 1893 mufite er seiner angegriffenen Gesundheit wegen in den Ruhestand
treten. Es folgten zwei schwere Leidensjahre, in denen F.-B. trotz aller korper-
lichen Beschwerden doch unablassig wissenschaftlich tatig war. Nachdem sein
Zustand sich wesentlich gebessert hatte, wurde er am 1. November 1895 zum
Landesbibliothekar der Provinz Schleswig-Holstein ernannt und gelangte damit
im Alter von 56 Jahren gewissermafien erst zu seinem endgiiltigen Beruf, in
dem er Grofies geleistet und dessen Aufgaben und Pflichten er bis zuletzt mit
vorbildlicher Treue erfiillt hat. »Er hat die Verwaltung der Landesbibliothek
im Jahre 1895 ubernommen und seitdem ihre Ausgestaltung und Erweiterung
als seinen Lebenszweck angesehen. Mit hervorragender Sachkenntnis und un-
ermtidlichem Eifer hat er eine Sammlung zusammengebracht und geordnet,
die fur die Geschichte unserer Provinz von der groBten Bedeutung ist und in
lhrer Art einzig dasteht.« Mit diesen Worten charakterisierte der Vorsitzende
des Provinzialausschusses in seinem Nachruf die Tatigkeit des verstorbenen
Landesbibliothekars. Sofort nach Antritt seines neuen Amtes begann F.-B.,
von bewahrten Fachmannern beraten, die Katalogisierung der Landesbibliothek
und konnte schon 1898 den ersten liber 1000 Seiten starken Katalogband
herausgeben. 1907 erschien der zweite, ebenso starke Band, der auch das
alphabetische Register brachte. 1 ) Damit hat F.-B. ein in jeder Beziehung
mustergiiltiges Werk geschaffen, das jetzt die sichere Grundlage fur alle landes-
geschichtlichen Forschungen bildet und dem Historiker einen unvergleichlichen
wissenschaftlichen Apparat darbietet und erschliefit. Besonders verdienstvoll
war es, dafl F.-B., ein gnindlicher Kenner der danischcn Sprache und Wissen-
schaf t und Dbersetzer einer ganzen Reihe von Arbeiten danischer Mathematiker,
bei der Erganzung der Bucherbestande auch die danische historische Literatur
in umfassender Weise heranzog.
Seit 1898 versah F.-B. auch das Amt des Sekretars der Gesellschaft fur
schleswig-holsteinische Geschichte, zu dem er wie kaum ein zweiter berufen
war. Auch hier hat er w r eithin anregend gewirkt und neue Krafte zum Leben
geweckt, wovon die 13 Bande der Zeitschrift der Gesellschaft, die unter seiner
Fuhrung erschienen, ein glanzendes Zeugnis ablegen. Mit vollem Rechte riihmt
das erste Blatt des nach seinem Tode herausgegebenen Bandes den heim-
gegangenen Schriftfuhrer, »der als kenntnisreicher Berater, Sammler und Ge-
lehrter um unsere Gesellschaft wie um die Geschichte Schleswig-Holsteins sich
J ) Katalog der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Hauptwerk. Schleswig 189 S.
1. Nachtrag fiir 1898 — 1906; ib. 1907.
1 08 Fischer-Benzon.
wohlverdient gemacht und sich ein unausloschliches Andenken unter uns
gestiftet hat.«
F.-B.s wissenschaftliche Entwicklung nahm ihren Ausgang von den Natur-
wissenschaften, speziell von der Geologie, der seine ersten Arbeiten galten.
Bereits in den siebziger Jahren wandte er sich dann mit lebhaftem Interesse
der Botanik zu, die er durch zahlreiche griindliche Untersuchungen gefordert
hat. Mehr und mehr aber gewann das Historische den Vorrang in seinem
Denken und Forschen. Entwicklungsgeschichtliche und prahistorische Pro-
bleme beschaftigten ihn. Er war einer der ersten, der den Gedanken einer Ge-
schichte des Landschaftsbildes scharf erfafit und seine Durchfiihrung fur
Schleswig-Holstein angebahnt und begonnen hat. Seine »Altdeutsche Garten -
flora. Untersuchungen uber die Nutzpflanzen des Mittelalters, ihre Wanderung
und ihre Vorgeschichte im klasssichen Altertum« (Kiel und Leipzig 1894) wird
nach Fr. Kauffmanns Urteil »unter den vorbildlichen und mafigebenden, streng
fachmafligen Arbeiten zur deutschen Volkskunde allezeit einen vornehmen
Rang behaupten.« In das Gebiet der Prahistorie gehort die gleichfalls hochst
wertvolle Publikation »Die Moore der Provinz Schleswig-Holstein. Eine ver-
gleichende Untersuchung«. Hamburg 1891. (Abhandlungen, hrsg. vom
Naturwissenschaftl. Verein in Hamburg, Bd II, Heft 3). Alle Arbeiten F.-B.s
zeigen, dafi er stets die strengsten Anforderungen an sich und seine Wissen-
schaft stellte, um die Wahrheit zu ergriinden und die historischen Zusammen-
hange aufzudecken. Er war nicht nur ein grundlicher Gelehrter, sondern eine
durch und durch wissenschaftliche Personlichkeit, und eben diese Eigenschaft
ist es wiederum, die ihn zu einem so hervorragenden Bibliothekar werden liefi,
einem Bibliothekar, der darum das ihm anvertraute kostbare Gut so wohl zu
verwalten und zu mehren wufite, weil er sich bei allem seinem Tun von dem
starken Gef uhl der wissenschaftlichen Verantwortung
leiten liefi.
F.-B.s Tod hat in dem wissenschaftlichen Leben Schleswig-Holsteins eine
Lucke hinterlassen, die sich nicht so bald schliefien wird. Und auch fur seine
Freunde bedeutet sein Hingang einen unersetzlichen Verlust. Wer dem durch
und durch vornehmen Menschen, der liber harte Leidenskampfe zu tief har-
monischer Resignation gelangt war, personlich nahetreten und den durch -
geistigten Zauber seines Wesens erleben durfte, dem wird sein Gedachtnis un-
vergessen und eine stete Mahnung zu allem Guten sein. Auf dem Friedhof
Eichhof in Kiel hat F.-B. seine letzte Ruhestatte gefunden. Auf seinem Grab-
stein steht das Wort: Nichts halb zu tun ist edler Geister Art.
Vgl. besonders P. v. Hedemann-Heespen, Prof. Dr. R. v. F.-B., Eine Erinnerung. (Die
Heimat. Monatsschr. d. Vereins z. Pflege d. Natur- u. Landeskunde in S.-H. Jg. 22, 1912,
S. 33 — 39; 59 — 67. Bildnis.) — Ferner: Zeitschr. d. Gesellschaft f. Schlesw. -Hoist. Geschichte
Bd 41, 1911, S. I — XII (F. Kauffmann), mit Bildnis u. Schriftenverzeichnis von 0. Agricola. —
Kieler Zeitung 2. Februar 1909, Morg.-Ausg. (70. Geburtstag); 1911: 18. Juli f Ab.-Ausg M 20.
Juli, Morg.-Ausg., 22. Juli, Morg.-Ausg. (Die Adelsfamilie von F.-B.) t Ab.-Ausg. (Nachruf d.
Pro^nzial-Ausschusses). — Alberti, Schriftstellerlexikon, 1829 — 1866, 1, S. 215; 1866 — 1882,
1, S. 182/183. — Jahrbuch d. Deutschen Bibliotheken Jg. 9, 1911, S. 88.
Johann Sass.
Uhlig. IOQ
Uhlig, Viktor, Professor der Geologie an der Universitat Wien, * 2. Januar
1857 zu Karlshutte-Leskowitz (Schlesien), *f 4. Juni 191 1 in Karlsbad. —
U. war ein Sohn des Hiittenverwalters, nachmaligen erzherzoglichen Bergrates
Karl U. Damals leitete noch Ludwig Hohenegger die erzherzoglichen Eisen-
werke in Teschen. Dieser um das osterreichische Eisenwesen so hochverdiente
Mann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die armen Eisenerze der damals
noch geologisch ganzlich unbekannten schlesischen Forste systematisch aus-
zubeuten und erkannte den Zusammenhang der Toneisensteinhorizonte mit
gewissen Ammonittypen.
U.s Vater war spater Amtsnachfolger Hoheneggers in Teschen, und der junge
Gymnasiast, dessen Schulzeugnisse uns ein Bild geben von regem Eifer und
Begabung, war schon mit Hoheneggers Studien bekannt und auch durch den
Beruf seines Vaters fur naturwissenschaftliche Studien angeregt worden.
Seine Universitatssudien begann er 1874 in Graz und war schon im vierten
Semester daselbst als Demonstrator an der damals vereinigten Lehrkanzel fur
Mineralogie und Geologie bei C. F. Peters beschaftigt. Die spateren Studien -
jahre verbrachte er in Wien und wurde hier insbesondere durch die Vorlesungen
von E. SueO und M. Neumayr gefesselt. Zu seinen liebsten Erinnerungen zahlten
die Reisen, die er wahrend seiner Studienzeit unter Fiihrung seiner Lehrer nach
Italien, Salzburg, Sudtirol, Bohmen und andere Gebiete unternehmen konnte.
Als Assistent Neumayrs in den Jahren 1877 — 1883 wurde er im taglichen Ver-
kehr mit diesem an strenge Arbeit gewohnten Lehrer eingefuhrt in das Studium
der Fossilien, die sorgfaltigste Beobachtung ihrer Merkmale und die Verwertung
der genauen Artbestimmung fur die Stratigraphie und die Systematik. Neu-
mayr, ein Schliler Albert Oppels, hatte von diesem die Methoden aus der Tra-
dition des Erforschers des schwabischen Juras und grofien Ammonitenkenners
Friedrich August Quenstedt in Tubingen iibernommen und pflanzte nun den
exakten Forschergeist der beriihmten Schule fort auf U.
Neumayr selbst, einer der ersten Kenner der Juraformation und lange
mit der Stratigraphie des Jura der karpathischen Klippen beschaftigt, lenkte
seinen Schuler zunachst auf ihm naheliegende Fragen. So behandelte U.s
Erstlingsarbeit und Doktordissertation (1878) den Nachweis und den Fossil -
inhalt der Kelloway-Stufe, neben den bisher bekannten Horizonten des oberen
Jura an einigen karpathischen Klippen sudlich von Neumarkt in Galizien.
Es folgten Jahre intensivster Betatigung auf palaontologischem Gebiete.
Die Beschaftigung mit zahlreichen Fossilsuiten des Jura und der Kreide aus
verschiedenen Gebieten machten U. zu einem der grundlichsten Kenner des
Formenreichtums dieser Formationen.
Aus der stattlichen Reihe groBerer Abhandlungen und kleinerer Notizen
aus dieser Zeit seien hier nur genannt die Beschreibung der Juravorkommnisse
der Umgebung von Brunn (1881), ferner die umfangreiche, mit Neumayr ge-
meinsam verfaflte Monographic der Hilsammoniten : U. war hier mitbeteiligt
an den fur die Schaffung einer Ammonitensystematik grundlegenden Arbeiten,
an sie schlofl sich die Beschreibung der karpathischen Wernsdorfer Schichten,
durch welche die grundliche Durchforschung der schlesischen Kreideformation
angebahnt wurde.
Inzwischen hatte U. im Jahre 1881 die Venia legendi fur allgemeine Pala-
ontologie an der Wiener Universitat erworben; im selben Jahre wurde er als
1 10 Uhli e-
freiwilliger Mitarbeiter von der Direktion der k. k. Geologischen Reichsanstalt,
damals unter Hofrat Franz v. Hauer, an den geologischen Aufnahmen beteiligt;
1883 wurde er zum Praktikanten und 1887 zum Assistenten an dieser Anstalt
ernannt.
Der Aufnahmedienst entzog ihn zwar zeitweise seinen so erfolgreich be-
gonnenen palaontoiogischen Studien, fiihrte ihn zunachst auch in kein dank-
bares Gebiet, in dem weittragende Entdeckungen zu erwarten gewesen waren,
er blieb aber ftir ihn, wie ftir so viele andere spatere Lehrer unserer Wissen-
schaft, die wertvollste Schulung fur das Studium der Geologie im Felde.
Zusammen mit Bergrat C. Paul bereiste er im ersten Sommer ausgedehnte
Strecken der reizlos einformigen, baumarmen, oft steppenartigen Lofiebenen
nordlich von Lemberg und ostlich von Przemysl, nahe der russischen Grenze.
Spater riickten seine Aufnahmen westwarts vor in die karpathischen Sandstein-
zonen. Die Gewissenhaftigkeit, welche er auch diesem unfruchtbaren Gebiete
widmete, bezeugen die eingehenden Berichte und die Fulle von Detailbeob-
achtungen, sowohl aus der westgalizischen Tiefebene als auch iiber die ein-
formigen Flyschgebiete westlich von Przemysl mit ihren kretazischen Auf-
bruchszonen.
Willkommener war ihm die Aufnahmstatigkeit in seinen heimatlichen
Gebieten: in den schlesischen Beskiden. Hier konnte er an die Aufnahmen
Hoheneggers anknupfen, und er entschlofi sich, die grofie Arbeit einer Gliederung
des unter den Kreidebildungen Osterreichs an Fossilreichtum und Mannig-
faltigkeit einzig dastehenden Schichtkomplexes der schlesischen Unterkreide
in Angriff zu nehmen.
Die umfangreichen Berichte iiber die Sandsteinzone zwischen dem pienini-
schen Klippenzug und dem Nordrande der Karpathen (1888) und iiber den
pieninischen Klippenzug (1890) sind auserlesene Muster sorgfaltigster Beob-
achtung und exakter Darstellung.
So hatte U. wahrend seiner zehnjahrigen Arbeitszeit im Dienste der Geo-
logischen Reichsanstalt bis zum Tode seines Lehrers M. Neumayr und bis zu
seiner Berufung an die Lehrkanzel fiir Mineralogie und Geologie an der deut-
schen Technischen Hochschule in Prag, als Nachfolger Wilhelm Waagens, im
Jahre 1891 — ein gewaltiges Stuck Arbeit geleistet und war zu einem der ersten
Kenner der Karpathengeologie und zugleich der Stratigraphie der Jura- und
Kreideformation vorgeruckt. Bald nachdem er 1893 einen Ruf an die Uni-
versitat Breslau abgelehnt hatte, wurde er zum ordentlichen Professor in Prag
ernannt.
Immer vielseitiger gestaltete sich U.s Tatigkeit im folgenden Jahrzehnt
seines Aufenthaltes in Prag. Neben seinem Lehrberufe fiihrte er die Studien
in den Karpathen fort, nunmehr im Auftrage der Akademie der Wissenschaften.
Schon fruher hatte er diese Studien auf die Hohe Tatra ausgedehnt. Grofiere
palaontologische Arbeiten wurden um diese Zeit teils fertiggestellt, teils be-
gonnen; so wurde die Bearbeitung der grofien Jurasuiten des Himalaya zu
Anfang der Neunziger Jahre von U. in Angriff genommen. Auflerdem war er
als Referent der Erdbebenkommission der Akademie der Wissenschaften fur
die deutschen Gebiete Bohmens tatig, und die Bergwerksgebiete Bohmens
gaben ihm haufig Gelegenheit, in Fragen der praktischen Geologie seinen Rat zu
erteilen; ich erwahne hier nur seine Beteiligung an den kommissionellen Ar-
beiten, betreffend den Schutz der Karlsbader Heilquellen.
Uhlig. Ill
Unter den verschiedenen Arbeiten dieser Jahre war aber die bedeutendste
die Herausgabe einer neuen Auflage von Neumayrs Erdgeschichte (1895).
und in den Jahren 1897 und 1900 legte er der Akademie der Wissenschaften
seine Berichte iiber das Tatragebirge vor.
Im Jahre 1900 kehrte er als Nachfolger Wilhelm Waagens an die Statte
seiner ersten Tatigkeit, an die Lehrkanzel fur Palaontologie an der Universitat
in Wien, zuriick; aber ihn fesselten in hoherem Mafle stratigraphisch-tektonische
als entwicklungsgeschichtliche Probleme. So ubernahm er mit Freuden schon
im Jahre 1901 die durch das Scheiden E. Suefl' aus dem Lehramt erledigte
Lehrkanzel fur Geologic Hier beschaftigten ihn immer grofiere Aufgaben;
das Feld seiner Tatigkeit wurde stets erweitert durch die zahlreichen, sich heran-
drangenden Schuler, die er in den verschiedensten Teilen der Monarchic zu
selbstandiger Arbeit mit regster Anteilnahme an deren Aufgaben und Fort-
schritten anleitete.
Nach Vollendung des ersten Teiles seiner grofien Arbeit iiber die Fauna
der Spiti shales des Himalaya verfafite er eine allgemeine Cbersicht des Kar-
pathengebietes unter dem Titel »Bau und Bild der Karpathen«, und zwar im
Rahmen des Gesamtwerkes : »Bau und Bild Osterreichs«, das bestimmt war,
am Geologenkongresse in Wien 1903 zu erscheinen. Mehr als die andern Teile
des Werkes, iiber die bdhmische Masse, iiber die Alpen und iiber die Ebenen,
entsprach die Darstellung der Karpathen einem Bedurfnisse; denn hieriiber lagen
noch keine grofiere Zusammenfassungen vor, und die Literatur iiber das strecken-
weise wenig bekannte Gebiet war zerstreut und gehorte zum Teil alteren For-
schungsepochen an. Vor allem aber verleiht die grundliche Kenntnis ausge-
dehnter Gebietsteile, welche der Verfasser teils bei seinen Arbeiten im Dienste
der Geologischen Reichsanstalt, teils auf besonderen Reisen sich erworben hatte,
dem Werke einen hervorragenden Wert.
Am meisten aber trat U. in den folgenden Jahren seiner vielseitigen Tatig-
keit in den Vordergrund durch seine verschiedene Stellungnahme zur neuen
Lchre vom Deckenbau der Kettengebirge. Es war dies eine weitere Fort-
fuhrung der Lehre von der Entstehung der Kettengebirge durch einseitigen
Schub, die schon fruh an die Stelle der alteren Vorstellungen einer zentralen
Hebungsachse der Gebirge getreten war. Gestutzt auf die Erkenntnis grofier
flacher Oberschiebungen in den schottischen Gebirgen, in Belgien, in Skandi-
navien, war die neue Lehre insbesondere in den Westalpen von schweizerischen
und franzosischen Geologen weiter ausgebaut worden. Man erkannte, dafi diese
Gebirge aus einer Folge von 80 — 100 km weit flach iibereinandergeschobenen
Decken bestehen.
Die Obertragung dieser grofizugigen Vorstellungen auf die Ostalpen war
ein weiterer notwendiger Schritt. Die Grenze zwischen den beiden verschieden
gebauten Halften der Alpen im Osten und im Westen des Ratikon war schon
fruher, als grofie Oberschiebungslinie erkannt worden. Lugeon (Lausanne),
Termier (Paris) und Haug (Paris) haben zurZeit des Geologenkongresses 1903
in Wien die kuhne Synthese aufgestellt, dafi die ganzen ostlichen Kalkalpen in
einer Lange von 480 km vom Ratikon bis zum Wiener Becken als ortsfremde
Deckscholle dem tieferen Gebirge aufruhen. Die Decke oder Summe von
Decken, welche unter dem Namen der Ostalpen zusammengefafit wird, liegt
auf den tieferen westalpinen Decken.
1 1 2 Uhlig.
Nicht plotzlich hat sich der Umschwung der Meinungen vollzogen. Ein
grofler Teil der Geologen verhielt sich zuruckhaltend oder ablehnend gegen-
iiber der neuen Lehre. Der Reihe nach aber sah man die fuhrenden Autoritaten,
wie Heim (Zurich), Rothpletz (Miinchen), Steinmann (Bonn), Hoernes (Graz)
u. a. sich ihr zuwenden.
Endlich folgte U. mit der Umdeutung der Tektonik der Karpathen.
Im Jahre 1903, wahrend des internationalen Geologenkongresses in Wien,
war der Kampf der Meinungen am lebhaftesten, und so auch in der Diskussion,
nachdem Lugeon in einem Vortrag iiber die »Nappes de recouvrement des Alpes
Suisses« die neue Deutung der Ostalpen dargelegt hatte. Noch vor dem Kon-
gresse hatte unter U.s Fiihrung die denkwiirdige Exkursion nach den karpathi-
schen Klippen stattgefunden. Die lebhaften Kontroversen zwischen U. und
Lugeon waren der Schmuck dieses Ausfluges und hielten die Teilnehmer in an-
regender Spannung. Eine Einigung der durchaus gegensatzlichen Vorstellungen
konnte in der kurzen Zeit, welche der Ausflug wahrte, nicht erwartet werden,
und die beiden Forscher kehrten mit unversohnten Meinungen nach Wien zuriick.
Aber Eindrucke und Argumente wirken in der Stille nach. Allmahlich
lost sich das Netz der alten gewohnten Gedankenbahnen; allmahlich treten die
neuen Beziehungen der Begriffe immer scharfer und klarer hervor. U. war
ebensowenig ein blinder Nachbeter wie ein Streber nach neuen Effekten. Erst
nach sorgfaltiger Prufung aller Griinde und Gegengriinde hat er sich der neuen,
friiher von ihm selbst bekampften Auffassung, dann aber mit vollster Ent-
schiedenheit zugewendet. Er gab hiermit ein leuchtendes Beispiel eines offenen
und ehrlichen Bekenners der Wahrheit, den nicht Eigenliebe festhalt an seinen
eigenen Schopfungen, sobald er das Bessere erkannt hat.
Eine von seiner friiheren ganzlich verschiedene Vorstellung iiber den Bau
und die Bildungsgeschichte legte U. in seiner denkwurdigen Abhandlung im
Jahre 1907 »t)ber die Tektonik der Karpathen« der Akademie der Wissen-
schaften vor.
Die genauen kartographischen Darstellungen und Beschreibungen U.s
haben die neue Erkenntnis in alien Stucken vorbereitet.
Die in so eigentiimlicher Weise gruppierten verschiedenen Ausbildungs-
formen (Fazies) der Formationen werden zu verschiedenen Decken. So liegt
in der Sandsteinzone iiber der auBeren subbeskidischen die innere beskidische
Decke. Die merkwurdige Klippenzone der Karpathen stellt nicht mehr die
Reste eines autochthonen Gebirges dar, sondern die Kopfteile einer oder mehrerer
emporgestauter Decken. Die granitischen Kerngebirge sind nicht mehr als alte
Inseln im mesozoischen Meere aufzufassen. Auch sie sind Teile einer gemein-
samen Decke, die auf eine fremde Unterlage von Siiden vorgeschoben wurde.
Die sonderbaren Enklaven der sogenannten hochtatrischen Fazies der mesozoi-
schen Formationen, welche die Kerngebirge umranden, friiher als Untiefen im
mesozoischen Meere aufgefaCt, erklaren sich nun als in Aufwolbungen blofi-
gelegte Teile einer gemeinsamen tieferen Decke, ummantelt von der hoheren
Decke mit subtatrischen Fazies der mesozoischen Sedimente.
Diese wenigen Angaben sollen nur ein Hinweis sein auf die umsturzende
Bedeutung der neuen Hypothese vom Bau der Karpathen. Auf die weitere
Fulle neuer Feststellungen, auf die oft recht schwierigen Deduktionen, welche
die mannigfachsten geologischen Tatsachen miteinander in Beziehung bringen,
Uhlig. I y 3
auf viele neue sich eroffnende Gesichtspunkte kann hier naturlich nicht ein-
gegangen werden.
Die wichtigste Sttitze fur die neue Deutung der Karpathentektonik und
fur die Annahme, dafi die Faziesgruppen, welche ganze Formationen umfassen,
nicht an Ort und Stelle, sondern in weit voneinander geschiedenen Regionen
entstanden sind, ist der von U. erbrachte Nachweis der Analogie der einzelnen
karpathischen Decken mit den Decken der Ostalpen.
An die Stelle der isolierten Hebungszentren der fruheren Vorstellung tritt
eine einheitliche grofie Bewegung, und die zerstuckelten Umrisse vereinigen
sich zu einem einheitlichen Bilde, welches Alpen und Karpathen gleichzeitig
umfaflt.
Es ist eine Notwendigkeit alles wissenschaftlichen Fortschrittes, dafi die
Losung eines Problems zumeist an das zufallige Zusammentreffen gewisser
aufierer Umstande oder Gedankenreihen gebunden ist, welche oft unvermutet
dem Beobachter die Augen offnen. Nicht selten muflte man das Hauptverdienst
an einer neuen Erkenntnis jenen zuschreiben, welche den Baum gepflegt und
durch sorgfaltige Sammlung und Klarung der Beobachtungen die Frucht zum
Reifen gebracht haben. Zufall ist es oft, wem gerade die reife Frucht einer Ent-
deckung oder Erfindung in den Schofl fallt. In den Karpathen hat U. selbst
gesat und auch selbst noch geerntet.
Nicht selten wird man bei Verfolgung einzelner Theorien in der Geschichte
der Naturwissenschaften bemerken, dafi ein Beobachter gegeniiber einer uner-
schopflichen und schwer iibersehbaren Fiille von Erscheinungen allzu leicht
sein Augenmerk unwillkiirlich jenen zuwendet, welche ihm die herrschenden
Theorien nahelegen, wahrend Erscheinungen, welche nicht in den Rahmen
der ihm gelaufigen Auffassung sich fugen wollen, leicht iibersehen werden.
Dies gilt durchaus nicht fur U.s Arbeiten. Keine einzige Beobachtungstatsache,
keine einzige der oft schwierigen, stratigraphischen Feststellungen, kein einziges
Fallzeichen muflte geandert werden, um sie der neuen, ganzlich umstiirzenden
Auffassung anzupassen. Die beobachteten Profile sind vollig unverandert ge-
blieben. Was sich geandert hat, sind, mit U.s eigenen Worten, nur jene Ver-
bindungslinien, durch welche das beobachtete Bild nach oben und unten, in
die Luft und in das Innere hinein erganzt wird. Hier kann ihm die voile Aner-
kennung und Wiirdigung auch der nicht versagen, der die Grenze zwischen dem ,
was erkannt und was erschlossen wurde, zwischen Beobachtung und Hypo-
these, anders ziehen wurde als U.
In der vollen Objektivitat gegeniiber den Beobachtungstatsachcn offenbart
sich der wahre Naturforschcr; aber auch ebenso in dem entschlossenen und
radikalen Aufgeben des eigenen Gedankenbaues, sobald der Zeitpunkt hierzu
gekommen ist und der Entwicklungsgang der Forschung einen besseren Ersatz
gebracht hat: in der edlen Selbstiiberwindung im Dienste der Wahrheit, ebenso
wie in der Unverzagtheit, gegeniiber der Grofie der Erscheinungen in der Natur.
Das nicht zu uberschauende Feld spannender Fragen und Aufgaben, welche
die Deckenlehre in den Alpen eroffnete, muflte U. veranlassen, seinen regen For-
schungseifer, nachdem er den Bau der Karpathen in Hauptumrissen erschlossen
hatte, nun dem zweiten, grofleren unserer Gebirge, den Ostalpen, zuzuwenden.
Um U.s Verdienste um die Wissenschaft wahrhaft und voll zu wurdigen,
genugt es nicht, sich auf die Werke seiner Feder, auf die Liste seiner Publikatio-
Bio£i. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. o
114 Uhli *-
nen zu beschranken. Man miifite zunachst sein Wirken als Lehrer und seinen
Anteil an den Arbeiten seiner Schiiler mit ins Auge fassen. Als Lehrer wuflte U.
nicht nur griindliche Kenntnisse und Methodik der Forschung zu vermitteln,
sei es in der Beobachtung im Felde, sei es in der Verwertung des Sammlungs-
materiales; er wuflte auch zu selbstandigem Denken und Forschen anzuleiten
und das regste Interesse einzufloflen. Die Kiihnheit, mit welcher er seine
Schiiler an die umstrittensten und spannendsten Probleme heranf iihrte, lohnten
sie ihm mit dem lebhaftesten jugendlichen Eifer. Viele von ihnen wurden bald
seine Mitarbeiter und scharten sich gerne um ihn, als ein freiwilliges und be-
geistertes Gefolge seines Strebens. Eine Schule, auf die er gewifl mit berechtig-
tem Stolze blicken durfte.
Was kann man sich auch Schoneres fur die Jugend denken, als auf frischen
Wanderungen durch einen verehrten und mit seinem Wissen freigebigen Lehrer
eingefiihrt zu werden in die Ratsel unserer herrlichen Berge. Ihm war der
frohliche Humor und Sang und Klang, mit dem die Jugend sich den Ernst der
Arbeit zu wurzen vermag, ein herzerwarmendes Ergotzen.
So waren denn die Alpen fiir viele seiner Schiiler das Feld der ersten T&tig-
keit, und gern lenkte er sie auf Gebiete, von denen entscheidende Aufschliisse zu
erwarten waren.
Einige seiner Schuler vereinigte er um sich, um gemeinsam mit Professor
Becke eines der schwierigsten Gebiete der Zentralalpen, die Radstadter Tauern,
zu erforschen. Es war ihm nicht gegonnt, die Fertigstellung dieser groflen Arbeit
zu erleben. Seine ersten Berichte geben uns schon einen Begriff von der aufler-
ordentlichen Komplikation des Gebirgsbaues, die vielfachen, nachtraglichen,
verwickelten Faltungen, Schuppen oder Teildecken, mit welchen die mesozoi-
schen Tauerndecken iiber das Hochalmmassiv hinweg, nord warts unter die Grau-
wackenzone an der Basis der ostalpinen Decke hinabtauchen.
Durch ein eigentumliches Zusammentreffen der Umstande wurde U. in der
letzten Zeit seines Daseins wieder zu der Aufgabe zuruckgefiihrt, welche ihn in
den allerersten Jahren seiner wissenschaftlichen Tatigkeit beschaftigt hatte,
namlich zu der Erforschung der Zustande unseres Planeten an der Grenze der
Kreide- und Juraformation. *
Die Beschreibung einer grofien Fossilsammlung aus dem Zentralhimalaya
hatte ihn durch viele Jahre neben den tektonischen Studien beschaftigt. Die
Beziehungen der Wiener Lehrkanzel zu Indien sind schon alteren Datums und
zugleich ein Ruhmesblatt in der Geschichte der osterreichischen Geologen-
schule. F. Stoliczka und C. L. Griesbach, W. Waagen, spater A. Krafft v.
Dellmensingen waren von Wien aus in indische Dienste gegangen. Die ersteren
beiden hatten dort leitende Stellungen erreicht.
Die Verbindungen der Wiener geologischen Kreise mit Indien kommen vor
allem zum Ausdrucke in der Mitarbeiterschaft an der Palaeontologia indica, wohl
der groflten palaontologischen Zeitschrift der Gegenwart. Neben W. Waagen,
E. v. Mojsisovics und C. Diener fiel hier U. eine Hauptrolle zu. Er hatte die
ubernommene Bearbeitung der reichen Sammlung der Spiti shales vollendet,
und der AbschluO der Drucklegung der umfangreichen Monographic in Calcutta
riickte heran.
Diese grofle Arbeit, naturgemafi verbunden mit ausgedehnten vergleichen-
den Studien, muflte ihn zu allgcmeinen Ergebnissen fuhren. Dieselben Fragen
Uhlig.
"5
tauchen hier auf, welche bereits im Jahre 1883 Neumayr in einer beriihmt
gewordenen Abhandlung zu losen versuchte, mit der Unterscheidung klimati-
scher Zonen wahrend der Jura und Kreidezeit. Auf Neumayrs Abhandlung
sind viele neue Beobachtungen gefolgt. Manche Autoritaten hatten sich gegen
Neumayr ausgesprochen und wenigstens fur die Meere des Jura ein gleich-
formiges Klima als erwiesen angesehen.
Niemand war mehr als U. geeignet, die von Neumayr angeregten Fragen
von der Verbreitung und den klimatischen Verhaltnissen der Meere in diesem
Abschnitte der Erdgeschichte neuerdings zu prufen. Er unternahm es, und das
letzte Jahr seines Lebens war der Abfassung eines durch bewunderungswiirdige
Beherrschung des weiten Stoffes ausgezeichnete Arbeit, iiber die marinen Reiche
der Jura und Unterkreide, gewidmet.
In Karlsbad auf dem Krankenbette, wenige Tage vor seinem Tode, hat er
noch seine letzten Krafte an die Zusammenfassung des Ergebnisses gewendet.
Es besagt, daB Neumayr in der Abtrennung klimatischer Zonen zu weit ge-
gangen ist, dafl aber auch seine Gegner nicht das Ziel getroffen haben. Es ist
allerdings nach U. um diese Zeit eine arktische Zone in den Meeresfaunen er-
kennbar, die im westlichen Nordamerika und im europaischen Rufiland ziemlich
weit gegen Siiden greift, aber sudlich von dieser Zone verschwimmt alles in
einem sehr breiten aquatorialen Giirtel, in dem nur durch sekundare Merkmale
abzugrenzende Provinzen unterscheidbar sind.
U. war vielseitig und ein gewiegter Spezialforscher zugleich; durchaus kein
weltabgeschiedener Gelehrter. Neben seinen theoretischen Studien fehlte ihm
durchaus nicht der Sinn fur das reale Leben, und ohne einseitige Oberschatzung
war er tief durchdrungen von der Bedeutung der VVissenschaft von der Erde
fur die allgemeine Weltanschauung sowohl, wie fur zahlreiche Bedurfnisse des
praktischen Lebens. So erhob er denn im Jahre 1907 den Ruf nach einem Zu-
sammenschluB aller an der Geologic interessierten Kreise, nach der Schaffung
einer Statte fur die freie Diskussion iiber alle Richtungen der Geologie und fur
den Austausch der Erfahrungen von Theorie und Praxis. Der Aufruf sprach
aus, was viele gefuhlt hatten, und fand lebhaften Widerhall. Bei der Grundung
und spater bei der Leitung der geologischen Gesellschaft in Wien konnte man
U.s nimmermude Tatkraft und Umsicht, sein gewinnendes Wesen, seine Fahig-
keit, Beziehungen anzuknupfen und Gegensatze auszugleichen, ganz besonders
schatzen lernen. Hier fand er seine liebste Horerschaft, vor der er neben seinen
groBeren theoretischen Anschauungen, wie iiber den Bau der Ostalpen und
der Karpathen, auch praktische Fragen entwickeln konnte. Er betrachtete das
Gedeihen der Gesellschaft mit vollem Rechte als einen der schonsten Erfolge
seines Lebens.
U. war von fruhester Jugend auf an ernsten Lebenskampf und harte Arbeit
gewohnt. Schon wahrend der Studienzeit war er genotigt, was ihm zum Lebens -
unterhalte geboten werden konnte, durch eigene Kraft zu erganzen. In spateren
Jahren erzahlte er gern mit Humor von den primitiven Zustanden und Quartier-
verhaltnissen seiner galizischen Aufnahmsgebiete, die dem Forscher mehr Ent-
behrung auferlegen konnten als manche Reise in entlegene Weltteile.
Manchen schweren Schicksalsschlag hatte U. erlitten; so den Tod seiner
ersten Frau (1894) und wenige Jahre spater den Tod seines kleinen Sohnes (1897).
Im Jahre 1899 war ihm ein Trost geworden in der zweiten Ehe mit Louise
8*
Il6 Uhlig. Weitbrecht.
Freiin v. Pechmann, die ihm eine stete treue Begleiterin war, auch auf fast
alien seinen Reisen.
Von den zahlreichen aufieren Ehren, mit denen ihn nicht nur sein Vater-
land, sondern auch Deutschland, Ungarn und Rumanien ausgezeichnet haben,
die sich zu den wissenschaftlichen Erfolgen gesellten, sei hier nur genannt seine
Wahl in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, der er seit 1894
als korrespondierendes, seit 1901 als wirkliches Mitglied angehorte.
U. ist nur 54 Jahre alt geworden. Sein Haar war zwar weifi geworden,
aber seine mittelgrofie, ebenmaflige Gestalt bewahrte bis in die letzten Tage
eine Elastizitat und Lebhaftigkeit der Bewegungen, welche bei mancher Ge-
legenheit, so beim Obersetzen eines Baches oder beim Aufstieg iiber eine Stein -
bruchhalde, seinen Begleitern erfreulich auffiel. Er war von einer so natiir-
lichen Liebenswiirdigkeit des Benehmens, dafi niemand im Verkehr bemerkte,
einen wie beruhmten Gelehrten er vor sich hatte. Er kannte keinen Dtinkel
und kein Besserwissen, keinen uberlegenen Ton, auch nicht im Verkehr mit
seinen Schiilern. Er kanpte kein zahes Festhalten an vorgefafiten Meinungen,
er war nach besserer Einsicht stets riickhaltlos tiberzeugbar. Seinem Vortrage
konnte man oft entnehmen, dafi er sich mit der Bescheidung des wahren Ge-
lehrten stets selbst auch als Lernender fuhlte. War er aber seiner Sache sicher,
so wuflte er sie auch, wie manche polemische Schriften zeigen, mit Energie
und nicht ohne Scharfe zu verfechten.
Seine publizistische Tatigkeit war begiinstigt durch eine gliickliche Gabe
der Darstellung, durch eine rasch und leicht laufende Feder.
Als Lehrer war er stets freigebig mit Rat und Belehrung, nach aller Moglich-
keit bemliht, dem Arbeitseifer seiner Schliler in alien Stucken entgegenzu-
kommen. Er liebte grofiziigiges Streben, alle kleinlichen Hemmnisse waren ihm
verhafit. Ein Hauptzug seines ganzen Wesens war aber unermiidlicher Drang
nach Erweiterung seines Wissens und nach Betatigung, der ihn zur Ausdauer
und Anspannung aller Krafte zwang, wenn es gait, etwas zu Ende zu fuhren
und die ihm keine Mufie und Beschaulichkeit gestattete; kaum noch voile Rast
auf dem letzten Krankenbette.
Gekurzt und abge&ndert nach dem Nekrolog in den Mitteilungen der Geol. Gesellschaft
in Wien Bd. Ill, 191 1. Das. auch Verzeichnis der Schriften V. U.s.
F. E. Suefi.
Weitbrecht, Richard, Dr., evangelischer Stadtpfarrer in Wimpfen am Berg,
* 20. Februar 1851 in Heumaden bei Stuttgart, f 1. Mai 191 1 in Heidelberg. —
Geboren als Sohn eines Pfarrers und Bruder des am 10. Juni 1904 verstorbenen
Dichters und Literaturhistorikers Karl W., vorgebildet in den Lateinschulen zu
Kirchheim und Efilingen und im Seminar zu Blaubeuren, studierte W. 1869 — 74
in Tubingen Theologie, Geschichte und Germanistik, promovierte mit einer Arbeit
iiber den Verfasser des Nibelungenliedes, war dann Vikar und Repetent am
theologischen Seminar in Urach und wurde 1878 als Pfarrer in dem kleinen
Dorfe Mahringen bei Ulm angestellt, wo er 15 Jahre in landlicher Stille ver-
brachte, seine Mufiezeit reicher literarischer Betatigung widmend. 1893 wurde
er durch seinen Landsmann, den Geheimen Kirchenrat Dr. Kostlin, in den
hessischen Kirchendienst gezogen und verlebte die letzten 18 Jahre seines
Lebens als erster Geistlicher der hessischen Gemeinde Wimpfen, die eine Enklave
VVeitbrecht.
117
im wurttembergischen Gebiete, ganz in der Nahe von Heilbronn, bildet, zugleich
auch als Lehrer der Geschichte und Literatur an der hoheren Tochterschule
daselbst. Ein schweres Unterleibsleiden notigte ihn im Friihjahr 1911, die
Heidelberger Universitatsklinik aufzusuchen, in der er nach erfolgloser Opera-
tion gestorben ist. W. war ein reichbegabter, vielseitiger Geist, in dessen Lebens-
fuhrung und literarischer Betatigung scheinbar disparate Gebiete harmonisch
sich verschwisterten : ein Pfarrer durch und durch, an dem seine Gemeinden
in Predigt, Seelsorge und Jugendunterricht viel gehabt haben, und doch ein
Weltkind von liebenswiirdiger, offener Weltweite; ein scharf kritischer Verstand
und eine bliihende, reichgestaltende Phantasie; tiefer, heiliger Ernst und schalk-
haft froher Humor; hellblitzende Kampfesfreude und lauterste Friedfertigkeit;
kernfestes Schwabentum in Denkart, Sprache und Schrift und heilig gliihendes
Deutschtum. Literarisch am bekanntesten wird sein Name bleiben als fein-
sinniger schwabischer Dialektdichter. Er war mit seinem Bruder Karl
einer der ersten, der die neue Epoche moderner mundartlicher Dichtung aufs Schwa-
bische anwandte. Schon 1877 erschienen die »Gschichte-n aus-m Schwobaland*
und 1882 »Nohmol Gschichte-n aus-m Schwobaland« von Karl und Richard W.;
ihnen gesellte Richard allein im Lauf der Jahre noch bei »Allerhand Leut,
Schwobegschichte« (1888), »Neue Schwobegschichte* (6 Bandchen, 1893 — 99),
»Verzwickte Gschichte, luschtige Schwobegschichte« (1901). Manche dieser
Geschichten haben in seinem Heimatland eine klassische Beruhmtheit erlangt,
so: D'Stadtjompfer; So a Beck (auch aufgenommen in das Hausbuch schwabi-
scher Erzahler, 191 1); Oinawcag; A Goischt; D'Oberzwerch; D'Pfarrmagd;
sie zeigen, dafi er mit alien Fasern seines Wesens wurzelte im Heimatboden des
Schwabenlandes, das ihn geboren und grofigezogen hat, und dafi er wie wenig
andere einzudringen wufite in die Tiefen schwabischen Volkstums und Volks-
gemuts, insbesondere einzudringen in die harte, nach aufien schwer sich offnende
Schale des schwabischen Bauerntums, das doch manch edlen Kern von Treue
und Biederkeit in sich birgt. Und noch sein letztes, ein halbes Jahr vor seinem
Ende erschienenes Werk »Bohlinger Leute, ein schwabischer Bauern- und
Pfarrerroman« (19 10) ist ein Stuck edelster schwabischer Heimatkunst, ein
iiberaus wertvoller Beitrag zur heimatlichen Kulturgeschichte, namentlich auf
dem Gebiete der religiosen Geistesrichtungen. Zum Preis der schwabischen
Heimat hat er mit Gust. Neuffer eine Sammlung schwabischer Dialektdichtun-
gen: »'s Schwobaland in Lied und Wort« herausgegeben, (1885), mit demselben
auch 1889 — 1892 den volkstumlichen Kalender: »Ulmer Donaubote«. Aber auch
die eigentlich geschichtliche Erzahlung grOfieren Stils war seine
Domane, auf der er seine reichen historischen, insbesondere kirchen- und
literarhistorischen Kenntnisse aufs schonste mit den Ranken der dichtenden
Phantasie umspann. Hierher gehoren: »Ein kiihner Reiteroberst« (Herzog
Magnus von Wurttemberg, in Karl Flemmings vaterlandischen Jugendschriften
Bdch. 74); »Gotz von Berlichingen« fur die Jugend erzahlt; »Der Prophet von
Siena*, Erzahlung aus dem Zeitalter der Reformation (1881); »Feindliche
Machte«, geschichtliche Erzahlungen aus 17 Jahrhunderten (1883); »Der Bauern-
pfeifer«, eine Weltfahrergeschichte (1887); »Ketzergerichte, neue geschichtliche
Erzahlungen* von der Unduldsamkeit des religiosen Fanatismus in beiden
Kirchen von 1559 — 1776 (1891, 3. Aufl. 1913); »Die letzten Ritter« (in »Sturmi-
sche Zeiten«, Erz. aus der Zeit des Faustrechts von R. Scipio, R. W., A. Ohorn,
1 1 8 WeitbrechU
A, Kleinschmid) ; »Der lange Fahnrich« (in »Aus schwabischen Gauen<t, zwei
Erzahlungen aus Schwabens Vergangenheit von R. W. und Paul Lang); »Der
Einsiedler von Scharfenbach, eine Geschichte aus dem Zillertal* (1899, auch
ins Polnische ubersetzt); »Deutsche Art, drei vaterlandische Erzahlungen«
(1900); »Der Leutfresser und sein Bub, eine Landsknechtsgeschichte aus der
Zeit Georgs v. Frundsberg« (1905); »Prinz Eugen und seine Getreuen« (1908).
Hierher mag noch gerechnet werden: »Kaiser und Reich, goldene Blatter aus
den Taten und Worten Kaiser Wilhelms I. und seines Reichskanzlers Bismarck*
(1884). — Auch als dramatischer Dichter hat er sich zwei mal mi t Glue k
versucht: »Im Wechsel der Zeiten« (1903) und »In Treuen fest«, Festspiel zum
400.GeburtstagPhilippsdesGroBmutigen (1904). Tiefgrundig waren seine Studien
und Kenntnisse auf dem literaturgeschichtlichen Gebiete. Hierher ge-
horen: »Geschichte der deutschen Dichtung von den Anfangen bis zur Gegenwart,
fiir Frauen und Jungfrauen« (1880); »Deutsches Heldenbuch« ftir die Jugend;
»Joh. Fischart als Dichter und Deutscher« (Neue Volksbibliothek III, 6);
»Fischarts Ehezuchtbiichlein«, neu bearbeitet (1881); »das Gudrunlied in neu-
hochdeutschen Versen nachgedichtet« (1884); »Klopstocks Messias«, ausgewahlt
(1885); »Simplicius Simplicissimus« (1885); »Deutscher Humor neuerer Zeit,
Beitrage zur Kultur- und Sittengeschichte von der Mitte des 18. bis in die
dreifiiger Jahre unseres Jahrhunderts« (gemeinsam mit Heinr. Mertens, 1881);
^Religiose Lyrik« (1898). Auf seinem eigentlich beruf lichen Gebiete, dem der
Theologie, sehen wir ihn tatig in »Das Christenbuch«, ein evangelischer Haus-
schatz in Morgen- und Abendandachten, Predigten und Liedern, gemeinsam
mit Ad. Bilfinger und Rud. Pfleiderer (1902). Diesleiteendlich uberzu seiner PreB-
tatigkeit fiir den Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch protestanti -
schen Interessen. Von 1887 — 191 1 war er Vorstandsmitglied des wiirttem-
bergischen Hauptvereins desselben und hat 1892 bis zu seinem Tode die Schrift-
leitung der »Wurttembergischen Bundesblatter«, des Vereinsorgans desselben,
wie schon 1889 — 93 die des »Protestantischen Familienblatts« gefiihrt mit dem
ganzen Einsatze seiner warmherzigen, begeisterten, temperamentvollen Per-
sonlichkeit, mit reicher Kenntnis der literarischen Stromungen der Gegenwart
und, wenn's nottat, eine scharfe Klinge f uhrend gegen Unduldsamkeit und Ober-
griffe, gegen alles Schlechte und Unreine. Von besonderen Schriften gehoren
hierher: »Die deutsche Literatur in romischer Beleuchtung«; ^Protestantische
Biicherschau«, ein Fiihrer und Ratgeber fiir die Mitglieder des Evangelischen
Bundes (1889); »Verzeichnis dramatischer Spiele zu Auffuhrungen fiir das
evangelische Volk« (1897, 3. Aufl., 1906); »Angriff und Abwehr zur Geschichte
der konfessionellen Polemik im 19. JahrhunderU (Flugschriften des Evangeli-
schen Bundes Nr. 65/66 und 69/70, 1892); »Konfessioneller Literaturbetrieb«t
(Flugschriften 240, 1906); »Wie gewinnen wir unser Volk fiir den Evangelischen
Bund?* (1902). Endlich ist er ungezahlten Tausenden ein alljahrlich lieber
Hausfreund geworden als Herausgeber (1897 — 191 1) des Evangelischen Bundes-
kalenders, des ^Evangelischen Volksboten«, in dem er besonders seine Gaben
volkstumlicher Erzahlung vielfach betatigte. So ist es ein in literarischer Arbeit
reich ausgefiilltes Leben, das R. W. gelebt hat und das fiir seine Freunde viel
zu fruh geendet hat. Wenn er in seinem letzten, Weihnachten 1910 erschienenen
Buch ^Bohlinger Leute«, in dem er in harmlos-scherzhafter Weise auch des
»Pfarrers Richard*, d. h. sich selbst auftreten laflt, die Heldin der Geschichte
Weitbrecht. Brenner.
119
von demselben sagen laflt: »Er ist halt auch ein Pfarrer geworden, aber kein so
glaubiger wie sein Vater; und dann hat er allerlei Geschichten geschrieben, auch
(iber uns Bauern, aber keine extra christlichen. Im Hessischen drunten sei er
gestorben — vielleicht lebt er aber auch noch«, so mag der vorletzte Satz aus
einer dunklen Vorahnung des nahen Erdenziels ihm aus der Feder geflossen sein;
der letzte aber gilt von seinen Werken und gilt von den Herzen seiner Freunde.
Er lebt noch im dankbaren Gedachtnis von Tausenden und Abertausenden,
denen er geistiger Fiihrer und Lehrer war, gut schwabisch, echt deutsch, treu
evangelisch. Dr. Hermann Mosapp.
Brenner, Ernst Dr., schweizerischer Bundesrat, * Basel 9. Dezember 1856,
t n. Marz 191 1, Menton. — Einer alten Basler Burgerfamilie entstammend, Sohn
eines Kaufmanns, der jiingste von vier Geschwistern. Halbjahrig, verlor er
seine Mutter durch den Tod. Die Stiefmutter, die er erhielt, ersetzte sie ihm;
sie war eine vortreffliche Frau, an der B. zeitlebens mit grofier Liebe und Ver-
ehrung hing; ein bitterer Schmerz war es fur die neunzigjahrige Greisin, daB
sie den Hinschied des so hochgestiegenen geliebten Sohnes noch erleben mufite.
Ernst war ein mehr in sich gekehrter Knabe; er las viel und dachte viel;
doch kein weltabgewandter Sonderling; vielmehr wurde er ein frohlicher Jung-
ling, der mitgeturnt und mitgesungen hat. Die juristischen Studien begann er
in Basel, wo er, als aktives Mitglied der Studentenverbindung Helvetia, auch
oft zur Mensur angetreten ist. Vollendet hat er die Studien, denen er dann
mit groflem Eifer oblag, in Munchen und in Leipzig. Sein Onkel war
Dr. Karl B., der unerschrockene und hochangesehene Fiihrer der Basler
Radikalen in den sttirmischen vierziger Jahren und in den f unfziger und sechziger
Jahren. Die beiden standen in einem intimen Verhaltnisse, und der Feuereifer
des Onkels ist auf den Neffen ubergegangen, der schon als Student an politischen
Bewegungen teilgenommen hat. Nach bestandenem Doktor- und Anwalts-
examen im Jahre 1879 hat B. die Anwaltspraxis ausgeubt, bis er 1884 in den
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt gewahlt wurde, nachdem schon seit
einiger Zeit das Augenmerk der Basler Freisinnigen auf den regsamen und
energischen jungen Mann sich gerichtet, und er als der kommende Mann gegolten
hatte. »Er ist unsere spes« hat ein bedeutender Basler Gelehrter Anfangs 1884
einmal zum Schreibenden gesagt. Dem Groflen Rate hatte er schon seit 1881
angehort. Fast wahrend der ganzen Zeit der Mitgliedschaft des Regierungs-
rates hat B. das Justizdepartement verwaltet, erst im letzten Jahre, 1896/97,
noch das Erziehungsdepartement. Als Justizdirektor hat er das Gerichtswesen
in einer, wie allgemein anerkannt wurde, sehr zweckmafligen Weise reorgani-
siert. In den Jahren 1887/88 und 1894/95 war er Prasident des Regierungs-
rates. Langere Zeit hat er dem weitern Burgerrate angehort. Von 1887 — 97
war er Vorsteher der Safranzunft. Er war auch Prasident des eidgenossischen
Turnvereins, Prasident des eidgenossischen Sangervereins, Prasident des von
der Regierung bestellten Komitees fur das grofle St. Jakobsfest von 1894.
Es wiirde zu weit fuhren, alle Amter aufzuzahlen, die er bekleidete. Er war
eben der Mann in Basel, an den man sich fur die Leitung grOfierer Veranstaltun-
gen zu wenden pflegte. — Der Redaktor der Basler »Nationalzeitung«, der B.s
Wirksamkeit als baslerischer Regierungsrat geschildert hat, ruhmte an ihm das
rasche Erfassen der Tragweite der gesetzgeberischen Probleme und der Regie-
1 20 Brenner.
rungsmafinahmen, das sichere Unterscheiden zwischen Erreichbarem und Un-
erreichbarem, die freisinnige, humane Lebensanschauung.
Im Jahrei887 wurde B. in denschweizerischenNationalrat (eine der beiden
Kammern der Bundesversammlung, d. h. des schweizerischen Parlamentes) ge-
wahlt. Er nahm da bald eine sehr geachtete Stellung ein und gehorte fast alien
wichtigeren Kommissionen als Prasident oder als Mitglied an. Im Jahre 1894 hat
er dem Nationalrat als dessen Prasident vorgestanden. Von B. war im National-
rat." die Motion auf Revision des eidgenossischen Eisenbahnhaftpflichtgesetzes
gestellt worden. Wahrscheinlich war es das schreckliche Eisenbahnungliick
von Monchenstein bei Basel, 14. Juni 1891, welches ihn insbesondere zur Stellung
der Motion veranlafite. Diese wurde erheblich erklart, und die postulierte Gesetzes-
anderung kam zustande, aber erst im Jahre 1905. Sie brachte eine Abklarung
verschiedener Fragen und eine Ausdehnung der Haftpflicht. — Zeitweise hat
B. als ihr gewahlter Leiter an der Spitze der schweizerischen freisinnigen Partei
gestanden. Von 1891 — 97 war er Ersatzmann des Bundesgerichts.
Im Marz 1897 mufite fur den zum Direktor des internationalen Tele-
graphenbureaus ernannten Herrn E. Frey eine Ersatzwahl in den Bundesrat (die
aus sieben Mitgliedern bestehende Regierung des schweizerischen Bundesstaates)
getroflen werden. Die radikaldemokratische (freisinnige) Fraktion der Bundes-
versammlung erkor B. zu ihrem Kandidaten. Vom liberalkonservativen Zentrum
wurde Prof. Dr. Paul Speiser, der im Basler Regierungsrate B.s Kollege gewesen
war, portiert; von der auflersten demokratischen Linken Nationalrat Thcodor
Curti, der gegenwartige Direktor der Frankfurter Zeitung; beides Manner von
hervorragender geistiger Begabung und langjahriger parlamentarischer Er-
fahrung. Der Wahlkampf (25. Marz) war ein heifler. B. wurde gewahlt, aber
erst im 4. Skrutinium, dann mit 96 Stimmcn, bei einem absoluten Mehr von
90 Stimmen. Am 27. Marz wurde der Gewahlte in der Vaterstadt Basel, unter
der Begeisterung des ganzcn Volkes, feierlich empfangen. Die Wahl war nicht
nur eine bestrittene gewesen, sondern sie wurde audi, unter Emporhebung der
unterlegenen Gegenkandidaturen, noch wahrend einiger Zeit scharf kritisiert.
Als B. unmittelbar nach der Wahl deren Annahme erklarte, ftigte er bei, dafi
er seinen politischen Oberzeugungen treu bleibcn werde; »aber ich werde niemals
vergessen, dafi uber den Parteien das Vaterland steht, dessen Wohlfahrt zu
fordern unser allgemeines Bestreben sein mufi«. Bald erkannte man, dafi der
neue Bundesrat diese Worte zur Richtschnur seines Handelns nahm. Die an-
fangliche Kritik verstummte nicht nur, sie verwandelte sich in eine warme und
allgemeine Anerkennung. Bei den periodischen Erncuerungswahlen (alle drei
Jahre) erfolgte die Wiederwahl B.s jcweilcn fast cinstimmig; ebenso die Wahl
zum Bundesprasidenten f ur das Jahr 1901 und diejcnige fur das Jahr 1908.
Die Wiederwahl vom Dezember 1905 begleitete ein politisch gegnerisches Blatt,
ein Hauptorgan des Zentrums, die Gazette de Lausanne, unter Bezugnahme auf
die besonders grofie Stimmenzahl B.s, mit folgenden Worten: le plus jeune
des Conseillers federaux, M. Brenner, Chef du Departement de Justice tt Police \
dont la tenue excellente, le jugement droit et la fertnete sont trh-remarques, un
laborieux aussi, qui ne laisse Hen au hasard et posskde dans le detail toutes les
affaires, petites et grandes, qui reinvent de sa direction (Der jiingste der Bundesrate,
Hr. B., dessen ausgezeichnete Haltung, gerades Urteil und Festigkeit sehr be-
achtet sind; auch ein Arbeiter, der nichts demZufall iiberlafit, und alle Geschaf te,
grofie und kleine, die seiner Direktion unterstehen, im Detail beherrscht).
Brenner. X 2 1
Im Bundesrate fiel dem tiichtigen Juristen B. das Justiz- und Polizei-
departement zu. In dieser Stellung lagen ihm die Behandlung der zahlreichen
Rekurse, zumeist staatsrechtlicher Natur, und die Gesetzesarbeiten ob. Unter
seiner Leitung kamen, aufier dem schon erwahnten Eisenbahnhaftpflichtgesetz,
zustande die Gesetzesrevisionen betreffend das Patentwesen, die Erwerbung des
Schweizerburgerrechts, den Versicherungsvertrag, die Muster und Modelle.
Mit der Revision des Gesetzes uber die Organisation der Bundesrechtspflege,
den Vorarbeiten fiir die Einfuhrung eines Verwaltungsgerichts, der jeweiligen
Vorbereitung der Mitwirkung der Schweiz bei den Haager Konventionen, hat
er sich eingehend befaflt. Die Leistung von grofitem und dauerndem Wert
aber lag auf dem Gebiete der Rechtsunifikation. Mit dem Zivilgesetz ist
B.s Name fiir immer verknupft. Ihm ist neben dem Redaktor Prof. Huber ein
Hauptverdienst am Zustandekommen beizumessen. »Das Portrat Louis
Ruchonnets« sagte B. bei der 1906 in Lausanne erfolgten Einweihung des Denk-
mals dieses hochverehrten Magistraten, »hangt uber meinem Pult; sein wohl-
wollender Blick scheint den Nachfolger zu ermutigen, das Werk zu vollenden,
das er so gut begonnen.« B. ist in der Tat auf der vonRuchonnet gezeichneten
Bahn riistig vorangeschritten. Im November 1898 wurde die Verfassungs-
revision, welche dem Bunde die nun uneingeschrankte Gesetzgebungskompetenz
fiir das Zivilrecht und die fur das Strafrecht ubertrug, vom Volk und den Kan-
tonen angenommen. Fur das Zivilrecht lagen die Entwiirfe zum Teil schon vor,
zum Teil wurden sie vor Ende des Jahres 1900 fertiggestellL Fiir das Strafrecht
bestand ein Entwurf. Gemafi dem Antrage B.s wurde die Prioritat dem Zivil-
rechte eingeraumt. Vom Herbst 1901 bis zum Fruhjahr 1903 haben die Be-
ratungen der grofien Expertenkommission stattgefunden; sie dauerten im ganzen
14 Wochen. Vermoge scharfen Verstandes, vollstandiger Sachkenntnis und
Energie konnte B. die Prasidialleitung in klarster Weise besorgen; er tat es auch
in der verbindlichsten Form. Dem klugen diplomatischen Geschicke der beiden
Manner, Brenner und Huber, die die komplexeMaterie grundlich beherrschten,
gelang es, dieverschiedenen sich oft widerstrebendenAnsichten und die Postulate
weitgehender Berucksichtigung kantonaler Rechte in verhaltnismafiig kurzer
Zeit unter einen Hut zu bringen. Einen ahnlichen Verlauf nahm die Sache in
der gesetzgebenden Behorde, der Bundesversammlung, wo die Beratung noch
im Jahre 1904 ihren Anfang nahm. Im Natiqnalrate funktionierte als Referent
Huber selber, von den franzosischen Korreferenten, den jetzigen Bundesrichtern
Gottofrey und Rossel, wirksam unterstiitzt. Im Standeratereferierte, ebenfalls mit
grofitem Erfolge, Arthur Hoffmann, der gegenwartige Bundesrat (u. Bundesprasi-
dentfur 1914). DieOberleitunghatte B. als Ressortminister. Am 10. Dezember 1907
wurde das Gesetz in beiden Raten einstimmig angenommen. Vom Rechte des
Volksreferendums wurde nicht Gebrauch gemacht. Am 1. Januar 191 2 trat das
Gesetz in Kraft. Nebenher hatte B. die Revision des seit 1883 bestehenden
Obligationenrechts, das nun dem Zivilgesetz einverleibt wurde, geleitet. Der
Abschlufi erfolgte aber erst in der wenige Wochen nach B.s Tode eiijsetzenden
Session der Bundesversammlung. An der beginnenden Beratung des eidgenossi-
schen Strafrechtes, fiir die er sich vorbereitet hatte, konnte B. nicht mehr teil-
nehmen.
In den Jahren 1901 und 1908 mufite B. als Bundesprasident ex officio dem
politischen Departement vorstehen und damit die auswartigen Angelegenheiten
122 BrcDner. Varrentrapp.
besorgen. Es erscheint als geradezu selbstverstandlich, dafi er auch hier am
rechten Platze war. Er hat die auswartigen Beziehungen sachlich unbefangen
studiert, wufite die Interessen auf beiden Seiten zu erfassen und bloflzulegen,
Mittel und Wege ausfindig zu machen, um ein gewolltes Ziel zu erreichen oder
ihm moglichst nahe zu kommen. Mehrmals, z. B. beim Handelsvertrage mit
Deutschland 1904, hat er durch die Findung einer gliicklichen Redaktion die
rasche Verstandigung liber einen strittigen Punkt herbeigefiihrt. Der Verkehr
mit den fremden Gesandten war bei seinem Takt und seiner Klugheit ein kor-
rekter und gewandter. Nie konnte es vorkommen, dafi er ein uniiberlegtes Wort
hatte fallen lassen.
Bundesrat B. hat sich keine Schonung auferlegt. Wie manchen Abend
des Monats hat er bis um Mitternacht gearbeitet! Wahrend der Krankheit im
Sommer 19 10 hat er im wesentlichen die Geschafte des Departements von
seiner Wohnung aus besorgt, wo auch des oftern Sitzungen des Bundesrates
stattgefunden haben.
B. war ein guter Redner, auch Volksredner, wobei das sonore Organ und
die stattliche Erscheinung forderlich waren. »Der wahre Patriotismus«, sagte
er im Vaterlandstoaste am eidgenossischen Schutzenfeste in Luzern 1901, »ist
nicht die vorlibergehende Erregung der nationalen Eigenliebe, sondern das
standige BewuStsein dessen, was man seinem Lande schuldet«. Man weifi,
dafi B. diese Theorie nicht nur verkundet, sondern durch sein Leben unaus-
gesetzt betatigt hat.
Von seinem gluckstrahlenden hauslichen Leben sei nur erwahnt, dafi er
die Sonntage der Familie zu widmen pflegte und auf langeren Spaziergangen
als liebevoller Vater die hoffnungsvollen Kinder aufzuklaren und zu belehren
sich bemiihte.
B.s Krankheit war ein Nieren- und Venenleiden; Ende September 1910
hatte er sich zu einem Erholungsaufenthalt nach Montreux begeben, Ende
November nach Menton. Es war scheinbar Besserung eingetreten, da ist er
in den Spatstunden des 1 1. Marz 191 1, erst 54 Jahre alt, plotzlich und uner-
wartet einer Embolie erlegen. Als die Nachricht kam, da ist uberall in der
Schweiz ein Gefiihl tiefen Bedauerns eingezogen. Die Leichenfeier im Berner
Munster war eine wirkliche Trauerfeier. Das Volk wufite, dafi hier ein Leben
vorzeitig erlosch, das in selbstloser Weise und mit unermudlichem Fleifie
seinem Wohle gewidmet war, und von dem es noch viel Gutes erwarten durfte.
B. war gerecht, wohlwollend, leutselig, von warmem sozialen Empfinden und,
bei aller Wahrung der Wiirde seiner Stellung, bescheiden; treu den Freunden,
treu den Grundsatzen und den Pflichten; es war unbedingter Verlafi auf ihn.
Als ein solcher Mann war er gekannt und verehrt. Prof. Huber hat nicht zu
viel gesagt, wenn er den Nachruf, den er im »Bund« vom 13. Marz 191 1 dem
eben entschlafenen Freunde widmete, mit den Worten begann: »Die Eidgenossen-
schaft hat einen ihrer besten Staatsmanner verloren.«
Bern. J o h. Winkler.
Varrentrapp, Konrad, Professor der Geschichte, * 17. August 1844 in Braun-
schweig, f 28. April 191 1 in Marburg. — Aus dem 1908 veroffentlichten Buche
Werner Konstantin v. Arnswaldts, »Aus der Geschichte der Familie Varrentrapp*,
geht hervor, dafi Westfalen deren Heimat ist. Von da geschah in der Mitte
Varrentrapp. j 2 ^
des 17. Jahrhunderts die t)bersiedlung nach Frankfurt am Main, und hier er-
scheint nun vom 18. Jahrhundert an der Name mit einem angesehenen Verlags-
geschafte verbunden. Nach dem Buchhandler Franz waren Nachkommen in
dritter Generation die Briider Johann Georg, der 1886 verstorbene Arzt, der
sich um seine Vaterstadt so grofie Verdienste erwarb x ), und der Chemiker Franz.
Durch Liebig empfohlen, kam dieser 1841 nach Braunschweig, wohin ihn der
neu begriindete Gewerbeverein berufen hatte; dann aber gewann die Regierung
die vorziigliche Lehrkraft ftir die anatomisch-chirurgische Lehranstalt. Als
Wardein bezog er die Amtswohnung in der Miinze, und hier wurde ihm sein
Sohn Konrad geboren. Spater trat der Vater in die Buchhandlung Vieweg
als Teilhaber ein und half dem grofien naturwissenschaftlichen Verlage zu
seinem Rufe. Schon ftir den Knaben war es von fordernder Bedeutung, dafi
der Vater mit Hermann Baumgarten, den Vieweg 1848 ftir die Redaktion der
in seinem Verlage erscheinenden Deutschen Reichszeitung gewann, sich eng
befreundete, und der lebhafte Anteil, der im Elternhause im nationalen Sinn
an den bewegenden politischen Fragen genommen wurde, mufite auf die Auf-
nahmsfahigkeit des begabten Sohnes anregend wirken.
V. bezog nach Vollendung der Gymnasialstudien in Braunschweig 1862
die Universitat Gottingen und empfing da bei Waitz in den historischen Ubungen
die sichere Grundlage fur die kritische Erfassung und Durchfuhrung geschicht-
licher Arbeit. Mit dem Sommersemester 1864 kam er nach Bonn, und hier
gewann der Verfasser dieses Artikels die Freundschaft des um ein Jahr jungeren
Fachgenossen. Was ihm noch fur die letzten Jahre nachgeruhmt wurde, spru-
delnde Lebendigkeit, helle Begeisterung fur alles Schone und Ideale, Feinheit
und Liebtenswurdigkeit des Charakters, heiterer Frohsinn, gepaart mit sitt-
lichem Ernst und riihrender Selbstlosigkeit: all das hat ihn schon damals aus-
gezeichnet, und eine Pfingstreise an die Mosel, gleich nach Beginn der Bekannt-
schaft durch vier Kommilitonen unternommen, ist alien Teilnehmern eine nie
erloschende schone Erinnerung geblieben. Heinrich v. Sybel war es, der den
Studenten nach Bonn gezogen hatte, und nachdem imHerbst 1864 die rheinische
Universitat mit Berlin vertauscht worden war, geschah nach einem Semester
die Ruckkehr des Studierenden nach Bonn. Hier folgte im Dezember 1865 mit
der Verlegung eines ersten Stiicks der Commentatio de Christiano archiepiscopo
Maguntino als Dissertation, die Promotion und 1868 die Habilitation. Noch
enger als schon vorher schlofi sich der Privatdozent an seinen Lehrer an, und
wie 1869 das Register zu den ersten zwanzig Banden der Historischen Zeit-
schrift durch V. ausgearbeitet wurde, so ubertrug Sybel an den verstandnis-
vollen Gehilfen zuletzt die ganze Besorgung der Redaktionsgeschafte. Freilich
in den Monaten des Krieges 1870 und 1871 trat eine Unterbrechung ein; denn
in freudiger Hingabe an die mit ganzem Herzen ergriffene grofle Sache war V.
als Fuhrer einer Kolonne von Krankentragern beim zweiten Sanitatsdetache-
ment des dritten Armeekorps in Frankreich tatig, war Zeuge der Schlacht von
Vionville, dann vor Metz, beim Marsch an die Loire und wahrend der dortigen
Kampfe tatig und brachte das eiserne Kreuz als Anerkennung mit: vom 28. Marz
war ein Brief, wieder aus Braunschweig, datiert, mit der Meldung, dafi am 14.
Orleans verlassen worden sei, »nachdem ich meine letzten Strohsacke, Gabeln,
VgU AHgem- Deutsche Biogr., XXXIX, S. 500 ff.
1 24 Varrentrapp.
Teller usw. usw, der Mairie (iberliefert hatte«. 1873 folgte die Beforderung
zum Extraordinarius. Aber 1874 nahm auf Ostern V. den Ruf als Ordinarius
nach Marburg an, und nach Ernst Hermanns Riicktritt iibernahm er mit dem
Wintersemester 1877/78 die Leitung des historischen Seminars. Doch mit
Ostern 1890 wurde er der Nachfolger Baumgartens in Strafiburg. Schon in
seinem Brief e vom Marz 1871 hatte er geschrieben: »Du begreifst, mit welch
freudigen Gefuhlen ich heute durch den Elsafi fuhr«, und so war es wirklich
ein aus dem Bewufltsein der Pflicht entstandener Entschlufl, an der im Reichs-
lande wieder geschaffenen geistigen Statte zu wirken, auch aus eigener Kraft
zur Knupfung engerer Verbindung mitzuarbeiten, der ihn nach dem Elsafl
fuhrte. Aber im Herbst 1901 kam er gern wieder nach Marburg zur tick, wo er
seine Arbeit auf ihm liebgewordenem Boden neu aufnahm.
V. hat als Forscher und Darsteller eine ausgebreitete literarische Betati-
gung entfaltet. Wie schon seine Dissertation zeigt, ging er von der Geschichte
des Mittelalters aus. Das Thema, das er dort an die Hand genommen hatte,
fuhrte er 1867: »Erzbischof Christian I. von Mainz« (Berlin) zu einem Buche
aus, und ein so scharfer Kritiker, wie Scheffer-Boichorst war — auf angrenzen-
dem historischen Gebiete heimisch, schatzteerV., neben dem er in Berlin biblio-
thekarische Studien gemacht hatte — , anerkannte in alien Hauptsachen die bis
dahin vernachlassigte Lebensbeschreibung des vierten der grofien Erzbischofe,
die in Kaiser Friedrichs I. Zeit dem Reiche gedient hatten. Noch 1882 wurde
dann in der Historischen Zeitschrift in einer langeren, an die Besprechung des
Giesebrechtschen Werkes sich anschlieOenden Abhandlung ein Thema der mitt-
leren Geschichte behandelt, doch mit dem Hinweis am Schlusse, daC, je unzu-
langlicher die Auskunft sei, die uns unsere Quellen iiber Motive, Entschliisse,
Taten der Kaiserzeit gewahren, um so mehr zu deren Verstandnis als wunschens-
wert erscheine, durch das Studium von Kunst- und Literatur-, von Kirchen-
und Kultur-, Rcchts- und Wirtschaftsgeschichte eine deutliche Vorstellung
von den Zustanden der Menschen dieser Zeit zu schaffen. So wandte sich die
Arbeitskraft des Historikers vom Mittelalter weg der neueren Zeit zu, wie denn
auch schon sein Lehramt in StraGburg sich auf die neuere Geschichte bezog.
Ein erstes groBeres Werk, »Ein Beitrag zur deutschen Reformations-
geschichte«, war 1878 aus der rheinischen Geschichte genommen: »Hermann
v. Wied und sein Reformationsversuch in Koln« (Leipzig); die in der zweiten
Abteilung des Bandes angehangten »Quellen und Erorterungen« zeigen, auf
ein wieviel ausgebreiteteres, sorgsam gesammeltes Material der Verfasser sich,
gegenuber friiheren Bearbeitungen des so interessanten Stoflfes, stiitzen konnte.
Dagegen war 1889 das umfassende Buch: » Johannes Schulze und das hohere
preufiische Unterrichtswesen in seiner Zeit« (Leipzig) einer Personlichkeit des
19. Jahrhunderts gewidmet: ausgehend von einem im Vorwort eingefugten
Urteil Kopkes, dafi keiner mehr als Schulze unter den gesinnungsverwandten
Raten des Ministers geradezu »das Ministerium Altenstein« unter Friedrich
Wilhelm III. gewesen sei, schilderte da V., zumal aus den Akten des Kultus-
ministeriums, diese auCerst forderliche Tatigkeit des vortragenden Rates fur
die Hebung der preufiischen Gymnasien und Universitaten, und es ist ihm dabei
in vorziiglicher Weise gelungen, auf dem Hintergrunde der allgemeinen Verhalt-
nisse, der politischen Umrahmung die individuelle Leistung zur Anschauung
zu bringen.
Varrentrapp. 1 2 5
Allein neben diesen grofieren literarischen Schopfungen steht eine reiche
Fulle auBerst nennenswerter Einzelarbeiten. Schon in einer These seiner Dis-
sertation hatte der Kandidat einen Ausspruch Dahlmanns herangezogen, dafi
es nicht geraten sei, Hochschulen aus kleineren Stadten in Reichshauptstadte
zu verpflanzen, und so hat er als Professor auf dem Boden der Geschichte aufier-
halb Berlins bluhender Universitaten, denen er seine Lehrbegabung widmete,
eifrig gearbeitet. Zuerst gab er 1868 zur Stiftungsfeier der preufiischen Uni-
versitat Bonn als Festschrift »Beitrage zur Geschichte der kurkolnischen Uni-
versitatBonn«; in der Jubilaumsrede von 1904: »Landgraf Philipp von Hessen
und die Universitat Marburg*, in der Abhandlung: »Die Strafiburger Universitat
in der Zeit der franzosischen Revolution* (1898), in der Erinnerung an den
Humanisten Nikolaus Gerbel, den ersten Professor der Geschichte in StraCburg
(1901), aber auch in der Ausfuhrung: »Straflburgs Einwirkungen auf Goethes
historische Anschauungen« (1899) kamen die hessische und die elsassische
Universitat zur Beriicksichtigung. Aber iiberhaupt lag Marburg, wo er die
schonste Zeit seines Lebens und Arbeitens genofl, V. besonders am Herzen,
und so blieb auch die Stellung des hessischen Landes innerhalb Deutschlands
ein Thema, das ihn notwendigerweise in Anspruch nahm: 1905 erschien in der
Historischen Zeitschrift sein in Marburg gehaltener Vortrag: »Meinungen in
Kurhessen uber das deutsche Kaisertum in den Jahren 1848 und i849«. Dafi
den Geschichtslehrer, der schon als Jungling, lange vor 1866, von der politischen
Mission Preuflens uberzeugt war, besonders auch die Zeit des Grofien Kur-
fiirsten anzog, war eine gegebene Sache. So schenkte er diesem Hauptabschnitt
brandenburgischer Geschichte seine besondere Aufmerksamkeit. Zu Kaisers
Geburtstag hielt er 1894 in Strafiburg die Rede: »Der grofie Kurfiirst und die
Universitaten*; den hervorragenden Publizisten Pufendorf stellte er in der
1893 und 1894 in der Historischen Zeitschrift veroffentlichten Sammlung von
Briefen, sehr interessanten Dokumenten, die man noch kurz zuvor schmerzlich
vermiflt hatte, unter Voraussendung einer instruktiven Einleitung, in helleres
Licht; die 1880 erschienene Abhandlung: »Der Prinz von Homburg in Ge-
schichte und Dichtung« gab den Anstofi zu noch weiterer Beschaftigung mit
dem Dichter Heinrich v. Kleist. Doch ganz vorziiglich erwies sich V.s herzens-
warme Pietat auch in jder Art und Weise, wie er sich zum Andenken an her-
vorragende Reprasentanten der von ihm selbst so ruhmlich vertretenen histori-
schen Wissenschaft stellte. Auf das engste hat er sich in seiner ganzen Lebens -
arbeit an Heinrich v. Sybel angeschlossen, und so ergab es sich von selbst, dafi
er nach des Meisters Hinschied 1897 in Band III der Historischen Bibliothek
der Redaktion der Historischen Zeitschrift zu den abgedruckten »Vortragen
und Abhandlungen* die biographische Einleitung verfaCte, von der ein berufener
Beurteiler mit Recht sagte, diese Erstlingsbiographie gebe besser als alle anderen,
vielleicht freier und unbefangener urteilenden, die eigene frische Anschauung,
die Lebenswarme, das unmittelbare Echo der Personlichkeit bei seinen Zeit-
genossen wieder. Aber mit nicht geringerem Verstandnis kehrte der in der Auf-
findung und Edition wichtiger brieflicher Zeugnisse nie ermudende Kenner der
besten Fundorte stets wieder zu dem Altmeister, zu Leopold v. Ranke, zurlick.
In dem Aufsatze der Historischen Zeitschrift von 1907: »Rankes historisch-
politische Zeitschrift und das Berliner Politische Wochenblatt« ist das fur das
Verstandnis der Tatigkeit des Geschichtsschreibers so unentbehrlich wichtige
126 Varrentrapp.
Kapitel des politischen Schriftstellers, nach eindringender Forschung, zur
Darstellung gebracht; eine Einzelstudie behandelte Rankes religiose Anschauun-
gen; Brief e an Ranke wurden nacheinander in der Historischen Zeitschrift ver-
offentlicht, eine letzte Gruppe 191 1, als der Einsender, der noch die Korrektur
besorgt hatte, schon nicht mehr zu den Lebenden zahlte. Einen dritten Politiker
und Historiker, den er nicht mehr personlich kannte, dem er aber die aufrichtigste
Hochschatzung entgegenbrachte, dem Vorganger Sybels an der Bonner Hoch-
schule, Dahlmann, stiftete V. in einer 1885 gehaltenen Rede und in der 1886
veroffentlichten Sammlung »Kleine Schriften und Reden« ein Denkmal, und
ebenso gab er 1887 dessen »politische Erstlingsschrift«, aus dem Marz 1814,
heraus, die dem Biographen Dahlmanns, Springer, unbekannt geblieben war,
uber die letzten Schicksale der deutschen Untertanen Danemarks und ihre Hoff-
nungen von der Zukunft. Indessen wurden auch noch Briefe aus friiheren Jahr-
hunderten, von Wimpfeling, von Melanchthon, mit zahlreichen literarischen
Hinweisen ausgestattet, ein Aufsatz uber die 1539 aus Sebastian Brants Nachlafl
durch Kaspar Hedio herausgegebene Beschreibung Deutschlands, andere
kleinere Arbeiten uber Gneisenau, uber die Konigin Luise, veroffentlicht.
Als akademischer Lehrer war V. seinem ganzen Wesen nach vorziiglich
geeignet, seine Zuhorer zu fesseln, Schule zu machen. Es wird bezeugt, da6 die
in ungebrochener Kraft, aus innerer Anteilnahme quellende, von sittlichem Ernst
getragene Rede lebhaften Reiz habe empfinden lassen, daG im Seminar die
fruchtbarste Anregung, besonders die Anleitung zu erschopfender Benutzung
allerheranzuziehendenLiteratur, wieer selbstsie in seinenJArbeiten iibte, geboten
worden sei, was ja ubrigens auch in den von ihm unermudlich geforderten Dis-
sertationen zutage trat.
Noch trug sich V. mit einem grofien literarischen Plan, einer Geschichte der
deutschen Geschichtschreibung. Da zwang eine schwere Krankheit ihn bis
zum Jahre 1909 nicht nur seine Lehrtatigkeit aufzugeben, sondern auch auf
die Vollendung dieser Arbeit Verzicht zu leisten. Besonders bei der schweizeri-
schen Heilquelle von Baden im Aargau fand er vorubergehende Besserung, und
durch eine gluckliche Fiigung war es 1907 dem Verfasser dieses Artikels ver-
gonnt, mit dem alten Freunde dort zusammenzutreffen. In der hingebendsten
Weise durch seine Frau, mit der er sich 1877 zur Begrundung einer glucklichen
Ehe verbunden hatte, Lilly Beneke, Tochter des Professors der Medizin in
Marburg, verpflegt, zeigte er da, trotz aller korperlichen Behinderung, noch die
unverminderte geistige Frische und gemutliche Warme. Eine ihn lebhaft er-
freuende Ehrung brachte ihm, dem neben der Liebe zum Vaterlande die zur
evangelischen Sache stets voranstand, 1909 die theologische Ehrenpromotion
von der ihre Jubelfeier begehenden Universitat Leipzig, ihm dargebracht als
»einer Zierde der Wissenschaft, die durch ihre historischen Untersuchungen
auch der kirchengeschichtlichen Arbeit wirksamste Anregung und Forderung
zuteil werden liefi«. Ein letzter Lichtblick in dem erloschenden Leben war
die ehrenvolle Vollendung der Studien des einzigen Sohnes Franz, der als Jurist
in seiner von berufenster Seite anerkannten Dissertation: »Rechtsgeschichte
und Recht der gemeinen Marken in Hessen« die historische Bahn des Vaters
mit Gliick neu betritt.
VgL die Artikel von Goswin von der Ropp (Historische Zeitschrift Bd. CVIIj 2. Heft)
und von Karl Wenck (Historische Vierteljahrsschrift Jg. XVI, 2. Heft).
G. Meyer v. Knonau.
Seltmann.
127
Seltmann, Karl, Domkapitular und ordentlicher Honorarprofessor an der
Universitat, * 2. April 1842 in Neustadt O.-S., f 7- Oktober 191 1 in Breslau. —
Einer Biirgerfamilie in Neustadt (Oberschlesien) entstammend, besuchte S. zu-
nachst die Volksschule seiner Vaterstadt, die ihm in der Oberklasse auch die
Anfangsgrunde von Latein und Franzosisch vermittelte, dann das Gymnasium
im benachbarten Neisse. 1862 bezog er die Universitat Breslau, um katholische
Theologie zu studieren. Nach Empfang der Priesterweihe (1866) war S. in ver-
schiedencn Seelsorgestellen tatig. Seit Oktober 1870 wirkte er als Missions -
pfarrer in Wittstock, zu dessen weit ausgedehntem Missionssprengel auch Neu-
Strelitz gehorte; die Verdienste, die sich S. damals durch die Fiirsorge fur die
katholischen Mannschaften der Garnison und die daselbst internierten kriegs-
gefangenen franzosischen Soldaten erwarb, wurden durch die Verleihung der
Kriegsdenkmunze seitens des GroCherzogs von Mecklenburg-Strelitz aner-
kannt. Nachdem S. dann seit Oktober als Pfarrer von Eberswalde segensreich
gewirkt hatte, wurde ihm im Jahre 1884 auf Presentation der kgl. preuBischen
Staatsregierung ein Kanonikat an der Breslauer Kathedrale verliehen. Bis zu
seinem Tode hat er dieser Korporation, in den letzten Jahren als Canonicus
seholasticus, angehort. Wie ublich, war S. daneben in der Bistumsverwaltung
als Rat des Generalvikariatamtes und des Konsistoriums sowie als Prokurator
verschiedener milder Stiftungen tatig, auch als Domprediger wirkte er bis kurz
vor seinem Tode. Seit 1895 fuhrte er zudem die Redaktion des »Schlesischen
Pastoralblattes«, das der vielseitig verdiente August Meer (f 15. Juni 1895)
begrundet hatte. 1896 verlieh ihm die theologische Fakultat der Universitat
Freiburg im Breisgau die theologische Doktorwiirde, und seit dem Dezember 1905
gehorte er als ordentlicher Honorarprofessor dem Lehrkorper der Breslauer
Universitat an. Die beiden letztgenannten Ehrungen wurden ihm auf Grund
seiner schriftstellerischen Tatigkeit zuteil. Seine Produktivitat ist in Anbetracht
seiner vielseitigen amtlichen Tatigkeit eine bedeutende gewesen. Seine Ar-
beiten, die von seinen reichen Kenntnissen ein ruhmliches Zeugnis ablegen,
tragen freilich zumeist keinen streng wissenschaftlichen Charakter; am meisten
ist dies noch der Fall bei dem Buch (iber »Angelus Silesius und seine Mystik«
(Breslau, 1896), in welchem er ein Lebensbild des Verfassers des »Cherubinischen
\Vandersmanns« und der »Heiligen Seelenlust« entwirft und dann mit Aufgebot
eines reichen Apparates von Zitaten aus der hi. Schrift und den Kirchenvatern
im einzelnen den Nachweis versucht, daC die Mystik desselben in ihren Haupt-
gedanken mit der Lehre der Schrift und der Kirche ubereinstimmt. So bedeutet
seine schriftstellerische Tatigkeit nicht eine Forderung wissenschaftlicher Er-
kenntnisse, sondern dient mehr der Vermittlung der Resultate wissenschaftlicher
Forschung an weitere Kreise sowie erbaulichen Zwecken; letzteres gilt nament-
lich von seiner Ausgabe des Buchleins des hi. Johannes Chrysostomos »Vom
Priestertum« (1887) und der Ubersetzung des »Triumphes des Kreuzes« (1898)
des grofien Dominikaners Savonarola.
Aber weder die bisher genannten Schriften noch seine ausgedehnte beruf-
liche Tatigkeit haben S.s Namen in weitere Kreise getragen. Was ihn bekannt
machte und was es rechtfertigt, dafi sein Andenken durch das »Biographische
Jahrbuch« wachgehalten wird, sind seine Bemuhungen um die Wiedervereinigung
der getrennten Christen. Darin hat S. wohl seine eigentliche Lebensaufgabe
gesehen, und diese Bestrebungen geben seiner Personlichkeit das besondere
1 28 Seltmann.
Geprage. Schon in Eberswalde gab S. seit 1879 die Monatsschrift heraus *>Ut
omnes unum. Auf dafi alle eins seien. Korrespondenzblatt zur Verstandigung
und Vereinigung unter den getrennten Christen. Unter Mitwirkung hervor-
ragender Manner aus beiden Konfessionen.« Nachdem dieses Blatt dann im
Oktober 1901 durch Kauf in den Besitz des Herausgebers der »Friedensblatter«,
des damaligen Kaplans Bernhard Strehler in Lahn, ubergegangen und mit
dieser gleiche Tendenzen verfolgenden Zeitschrift verschmolzen worden war,
faflte S. die Gedanken, die er bislang in seinem Organ vertreten hatte, in einem
grofieren Werk zusammen: Zur Wiedervereinigung der getrennten Christen
zunachst in deutschen Landen, Breslau 1903, X und 391 Seiten. Eine Erganzung
und Auseinandersetzung mit den Beurteilungen, welche dieses Werk gefunden
hatte, bot dann eine weitere Schrift: Kritiken und Neues zur Wiedervereinigung
der getrennten Christen. Breslau 1906. 146 Seiten. »Es erschien mir von jeher«,
so beginnt das Vorwort der ersten Schrift, »als eine grofie Ungeheuerlichkeit
und war mir stets ein widerwartiger Greuel, dafi diejenigen, welche denselben
christlichen Namen tragen, durch die verschiedenen Glaubensbekenntnisse in
Parteien gespalten sind und infolgedessen im privaten wie im offentlichen Leben
vielfach nicht blofi wie Feinde im einzelnen und im kleinen, sondern wie feind-
liche Heerlager im ganzen und im groflen einander gegeniiberstehen
Der fortwahrende Schmerz nun uber eine getrennte Christenheit hat mich schon
vor vielen Jahren dahin gefiihrt, mich unablassig mit der Frage zu beschaftigen,
ob dieser beklagenswerte Zustand der Trennung nicht irgendwie noch einmal
wieder geheilt werden konne «
S. wendet sich an die Christen, »welche vornehmlich durch die deutsche
Reformation von uns getrennt sind«, und von diesen wieder an die, »welche
wenigstens an die Gottheit Christi und an die Gottlichkeit der Bibel glauben*.
In seinen Darlegungen nimmt die Behandlung der Rechtfertigungslehre be-
greiflicherweise einen breiten Raum ein, »da die deutsche Reformation mit dem
Streit liber die Rechtfertigung begonnen und diesen Punkt zum articulus stantis
et cadentis ecclesiae gemacht hat« und da »die Frage: Wie erhalte ich einen gnadi-
gen Gott? fur jeden Menschen iiberhaupt stets von der fundamentalsten Be-
deutung bleibt«. Besonders einlafllich beschaftigt sich S. mit der Augsburgischen
Konfession, da die protestantischen Theologen, wie er — falschlich — meint,
auf dieselbe vereidigt werden, um aus der Confessio Augnstana und daneben
auch den andern Bekenntnisschriften festzustellen, »wieweit unsere Oberein-
stimmung noch eine wirkliche geblieben ist, und wie sie wieder zur anerkannt
wirklichen werden kann«. Aus der vergleichenden Betrachtung der Bekenntnis-
schriften mit der katholischen Kirchenlehre ergibt sich ihm, »dafi eine Oberein-
stimmung zum grofien Teil entweder bereits vorhanden ist oder bei rechtschaffe-
nem und festem Willen doch so weit hergestellt werden kann, dafi eine Wieder-
vereinigung unter uns getrennten Christen mit Gottes Hilf e nicht zu den Unmoglich -
keiten gehort. Das Nahere wurden die mundlichen Verhandlungen ergeben*
(S. 389). — Es kann sich nicht darum handeln. im einzelnen diese Bestrebungen
zu wiirdigen, nur einige Bemerkungen seien angefugt. Im allgemeinen haben
die beiden Schriften S.s eine freundliche Aufnahme gefunden, freundlich wenig-
stens insofern, als die gute Absicht des Verfassers und der vornehm sachliche Ton
seiner Erorterungen anerkannt wurde. Und darin hatten seine Kritiker recht;
wer ihn personlich gekannt hat, weifl, dafi die Lauterkeit seiner Absichten
Seltmann. Milliner.
129
nicht anzuzweifeln war, und dafi der vermutungsweise geaufierte Verdacht
»theologischer Bauernfangerei« (Tschackert, Modus Vivendi 15) grundlos ist.
Aber seine hochfliegenden Hoffnungen auf greifbare Erfolge seiner Anregungen
hat wohl niemand so recht zu teilen vermocht. Das kann nicht wundernehmen.
Es wird wohl vornehmlich aus dem Mangel an tieferer historischer Bildung und
an dem Vermogen, mit unbeirrbar niichternem Blick die Tatsachen der ge-
schichtlichen Entwicklung in ihrer ganzen Bedeutung zu wtirdigen, zu erklaren
sein, dafi S. sich von Unionsversuchen auf der von ihm gewahlten Grundlage
Erfolg versprach. Sonst konnte es ihm nicht verborgen bleiben, dafi protestanti-
scherseits von einem Festhalten am Wortlaut und vollem Inhalt der Bekenntnis-
schriften keine Rede mehr ist, dafi das Zeitalter der protestantischen Orthpdoxie
langst sein Ende erreicht hat. Sonst ware ihm auch, von der spateren Ent-
wicklung ganz abgesehen, die Confessio Augustana nicht als Grundlage der
Einigung geeignet erschienen, da sie den Umstanden ihrer Entstehung gemafi
ja nicht offen erkennen lafit, wie grofl schon damals die Gegensatze geworden
waren; sollte sie doch zeigen, dafi die protestierenden Stande, als deren Bekennt-
nis sie vorgelegt wurde, noch auf dem Boden der alten Kirche stunden, so dafi
Luther iiber das Verschweigen, das Dissimulieren wichtiger Gegensatze in der-
selben sein Mifibehagen auflerte und urteilte: Plus satis cessutn est. — Trotzdem
wird man S.s wohlgemeinten Bestrebungen nicht alien Wert und alles Verdienst
absprechen dlirfen, denn der Gedanke einer Wiedervereinigung der chxistlichen
Kirchen, der zu alien Zeiten edlen Geistern eifrigster Bemuhung wert erschien
— nur Leibniz sei genannt — , darf auch in der Gegenwart nicht in Ver-
gessenheit geraten, und die Trennung darf nicht als etwas Gegebenes und Selbst-
verstandliches betrachtet werden, sondern auch furder mufl die Wiedervereini-
gung als ein hohes, erstrebenswertes Ziel erscheinen, wenn wir auch jetzt mit
unserem Blick, der nur eine Spanne reicht, nicht die erfolgverheifienden Wege
sicher zu erkennen vermogen. Es gibt Gedanken, die wie ein kostlich Kleinod
geschutzt werden mussen, bis einst ihre Stunde gekommen ist; sie ist manchmal
naher, als Menschenwitz vermeint. Wer will sagen, dafi mit der Wiedervereini-
gung der christlichen Kirchen es nicht so sein konnte. — Und etwas anderes
konnte S.s Tatigkeit wirken: die ruhige Sachlichkeit, das Bemuhen, den Gegner
zu verstehen, der irenische Zug seiner Schriften, sie sollten als Vorbild wirken
bei der Behandlung konfessioneller Differenzen, damit stets bei aller Uberzeugt-
heit von der Richtigkeit des eigenen Standpunktes der Ansicht des Gegners mit
Achtung begegnet werde, damit alles Verbitternde und Verletzende als ebenso
ungebildet wie unchristlich verbannt bleibe. Wurde das allenthalben beachtet,
so ware wahrlich schon viel gewonnen.
Lit Nachruf von A. Ktfnig in der Chronik der Kgl. Universitat zu Breslau XXVI (1911/12),
222 — 226.
Breslau. Franz Xaver Seppelt.
Milliner, Laurenz, Professor der Philosophic an der Wiener Universitat,
* 29. Juli 1848 zu Grofigrillowitz in Mahren, f 28. November 191 1 in Meran. —
M. absolvierte das Gymnasium zu Nikolsburg und wandte sich dann dem Stu-
dium der Theologie zu. Er trat zunachst in das Priesterseminar seines engeren
Heimatlandes in Brunn ein, verliefi dieses jedoch sehr bald wieder, da die auch
schon damals unter den Studierenden scharf ausgepragten nationalen Gegensatze
Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nckrolo^. 16. Bd. 9
130
Mttllner.
ihm den Aufenthalt verleideten, und wurde in das f ursterzbischofliche Alumnat in
Wien auf genommen. Derbedeutende Kenner und geistvolle Interpret der mittel-
alterlichen Philosophic, Karl Werner, war sein Lehrer und Ubte auf den begabten
Adepten der Theologie einen bestimmenden Einflufl aus, der durch das ganze
Leben anhielt. 1871 wurde M. zum Priester geweiht und wirkte nun bis 1875
als Kooperator in der Landstadt Marchegg. Noch in seinen spateren Jahren
hat sich M. sehr gern an diese Zeit erinnert, wo er, gefSrdert durch den Frieden
eines idealen Pfarrhoflebens, Seelsorge und philosophische Studien harmonisch
verbinden konnte. Vorziiglich mit Schelling und dem Miinchner Wilhelm
Rosenkrantz hat er sich in diesen Jahren beschaftigt. 1875 berief ihn das
Wiener Ordinariat auf die Pfarre zu St. Leopold im zweiten Bezirk, wo er
trotz der gesteigerten Anforderungen der Seelsorge seine Studien unermudlich
fortsetzte. Wie in Marchegg, so war M. auch in Wien als warmer, gemiitvoller
Verkiinder des Evangeliums sehr geschatzt. Von der Bedeutung seelsorgerlicher
Tatigkeit dachte M. stets sehr hoch, und das schone Wort Friedrichs v. Schlegel:
»Geistlich wird umsonst genannt, wer nicht Geistiges erkannU, das er so gern
vor den neu eingetretenen Horern der Theologie anfuhrte, war ihm selber Leit-
stern. Am 30. November 1876 wurde M. an der Universitat zu Innsbruck
zum Doktor der Philosophic promoviert. In seiner Dissertation hatte er das
auf Schelling fuBende System von Wilhelm Rosenkrantz behandelt, das zugleich
eine neue Grundlegung der Scholastik erstrebte. Die Abhandlung erschien in
den Jahrgangen 1876 und 1877 der »Zeitschrift fur Philosophic und philosophi-
sche Kritik«. Der erste Teil derselben wurde in einem Sonderabdruck bei
Heinrich Kirsch in Wien 1877 herausgegeben. Die in aller Warme eines jugend-
lichen, fast romantischen Enthusiasmus abgefafite Schrift ist von einer grofien
Begeisterung fur die Gedankenwelt Schellings getragen und verkiindet mit
einer ergreifenden, priesterlichen Glut das Ideal der grofien, alle Momente der
Wahrheit hegenden, alle irdischen Bestrebungen segnenden Weltkirche. »Dem
hohen Sinne der Weltkirche darf nichts fremd bleiben, was ideell die Welt bewegt,
und wie ihr Kultus nur das Nachbild der heiligen Weltliturgie, des geheimnis-
vollen Betens aller Wesen ist, so soil die Predigt der Kirche alle Lichtstrahlen,
die der ewige Logos, >>der jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt«,
von den Urzeiten her in die Geister der Menschen gesandt, wie in einem Brenn-
punkte sammeln, und auch in dieser Beziehung aussprechen, »was vom An-
beginn der Welt verborgen war« (S. 14 und 15). Von diesem Bilde der Kirche
als der zentralen Macht geistiger Kultur erfullt, begann M. 1881 seine akademi-
sche Tatigkeit mit Vortragen uber philosophisch-theologische Propadeutik an
der theologischen Fakultat in Wien. Zu Ende des Jahres 1883 wurde er zum
auficrordentlichen, am 2. November 1887 zum ordentlichen Professor der christ-
lichen Philosophic ernannt. Seine Aufgabe war durch die kirchlichen Bestim-
mungen, die seit dem Rundschreiben des Papstes Leo XIII. »Aeterni patriw
aus dem Jahre 1879 das System des Thomas von Aquino als Grundlage des
philosophischen Unterrichts an den theologischen Lehranstalten vorschrieben,
genau umgrenzt. Im wesentlichen betrachtete denn M. auch in den Jahren
seiner Tatigkeit auf der theologischen Fakultat (188 1 — 96) die Darlegung des
thomistischen Gedankensystems in Anlehnung an Konstantin Gutberlets Hand-
buch als seine Hauptaufgabe. Aber ein geistvoller Lehrer vermag auch im
anscheinend cngen Rahmen der Interpretation eines philosophischen Systems
Milliner.
131
vielerlei AnlaB zu finden, um auf die Fragen der Gegenwart Riicksicht zu
nehmen, die wichtigsten Erscheinungen neuerer Zeit zu wurdigen und sie in
einen groflen Zusammenhang hineinzustellen. Seine umfassende und ein-
gehende Belesenheit in der theologischen und philosophischen Literatur wie
nicht minder in den Dichtungen aller Kulturvolker stand M. bei seinem aufier-
ordentlich gliicklichen Gedachtnis stets rasch zu Gebote und belebte seinen
Vortrag. Von Unkirchlichkeit konnte bei M.s Art, die ihm fiir die Erziehung des
Klerus iibertragene Aufgabe zu losen, wohl fur niemanden die Rede sein, es
miifite denn liberhaupt eine Denkweise, die von der Wirksamkeit der Kirche
einen sehr hohen Begriff hat und ein Erstarren des kirchlichen Lebens in phari-
saischer Enge zu verhiiten trachtet, fiir unkirchlich gelten. Doch haben sich
die Anklager gegen M.s Lehrwirksamkeit gefunden. Es ist jetzt noch nicht an
der Zeit, diese Episode in der Geschichte der Wiener theologischen Fakultat
aktenmaOig darzustellen. Erfreulich war es, dafi die Denunziation in Rom
mit einem fur M. durchaus gunstigen Resultate endete. Im Winter 1886/7 hielt
er sich in Rom auf und konnte vor dem Papste Leo XIII. seine Lehrweise dar-
stellen und begrunden. M.s Praxis, vor den Theologiestudierenden auch die
Stromungen und Erscheinungen der neueren Zeit zu beriicksichtigen und sie,
immerhin am Leitfaden der thomistischen Systematik, in deren Verstandnis
einzufiihren, fand Leos Billigung mit den Worten: »Hoc laudo et approboA An
der Sapienza horte M. in diesem romischen Winter mehrere Vorlesungen iiber
die thomistische Philosophic Das giinstige Urteil des Papstes war fur M.
eine gewaltige Ermunterung und befestigte seine Stellung, wenn auch die freilich
nur leise geaufierten Bedenken einiger enger Seelen im Wiener Klerus nie ganz
verstummten. Im Studienjahre 1891/92 war M. Dekan der theologischen
Fakultat, 1894/95 Rektor der Universitat. Die Inaugurationsrede stellte Galilei
in seiner Bedeutung fur die Philosophic dar und gab die Grundlinien eines groBe-
ren Werkes liber den unsterblichen Italiener, das leider nicht zur Vollendung
gekommen ist. In der Zeit des Rektorats sammelte M. eine Auswahl seiner
Studien iiber literarische Gegenstande und Beitrage zur Erlauterung bedeutender
Werke der Malerei und gab sie unter dem Titel »Literatur- und kunstkritische
Studien. Beitrage zur Asthetik der Dichtkunst und Malerei« bei W. Brau-
muller (Wien, 1895) heraus. Es spricht aus ihnen eine hohe, vornehme Welt-
auffassung, die sich mit grofler Feinheit in das innere Leben der kunstlerischen
Individualitaten versenkt. Hier sei nur erwahnt, da6 sich in diesem Buch auch
der Essai Milliners iiber die »Aspasia« von Robert Hamerling, der seinerzeit in
den Spalten des »Vaterland« erschienen war, abgedruckt findet. Bekanntlich
hat Hamerling dem verstandnisvollen Beurteiler seiner Schopfung in den
»Stationen meiner Lebenspilgerschaft« hierf ur gedankt. Weithin bekannt wurde
M. in seinem Rektoratsjahr durch sein Auftreten im niederosterreichischen
Landtage, wo er gegen Angriffe der damals eben im starksten Vormarsch bc-
griffenen Christlichsozialen die Autonomic der Universitat und die Unabhangig-
keit der wissenschaftlichen Forschung verteidigte. In einem klerikalen fran-
zosischen Blatt nahm damals der spaterhin als Bekampfer der Strafiburger
katholisch-theologischen Fakultatsidee bekanntgewordene Chauvinist Kannen-
gieser Anlafi, sich in alien Tonen des Entsetzens iiber den in Osterreich noch
immer nicht ausgestorbenen Josephinismus zu aufiern!
Sehr gern ist M. in dem seinem Rektorat folgenden Jahre zur philosophischen
9*
1^2 Milliner.
Fakultat iibergegangen, an die er mit Allerhochster Entschlieflung vom 29. Mai
1896 berufen wurde. Erst die grofiere Bewegungsfreiheit, die er immer ersehnt
hatte und die ihm nun beschieden war, liefi seine reiche Personlichkeit zur vollen
Entfaltung kommen. Die Darstellung der grofien Meister des mittelalterlichen
Denkens war ihm auch in der zweiten Periode seiner akademischen Lehrtatig-
keit eine Herzenssache. Die Gedankenwelten des Thomas und des Bonaventura
waren ihm nicht die Krone und der Abschlufi des Denkens, aber als die groO-
artige Leistung mittelalterlicher Philosophic und den treuen Ausdruck
des tiefsten Strebens des Mittelalters wiirdigte er sie warm und eingehend.
Seine stets wieder von neuem aus den Originaltexten sich erfrischende und
erganzende Kenntnis der Systeme war sehr tiefgehend; verbunden mit seinem
asthetischen Feingefuhl, befahigte sie M. vor allem zur Erklarung der »Divina
comtnedia« f deren grandiose Welt ihn besonders etwa im letzten Dezennium
seines Lebens beschaftigte. Doch nicht geringer war seine Kenntnis der antiken
und der neuzeitlichen Systeme.
Dafi er an den Fragen, die die neuzeitliche Entwicklung dem Christentum
und der Kirche stellt, nicht gleichgiiltig vorliberging, versteht sich von selbst.
In seinen Vorlesungen ging er auch auf diese Probleme ein, wenn er auch nicht
in eigenen Schriften dazu Stellung nahm. Der Pontifikat des Papstes Pius X.,
des Nachfolgers Leo XIII., brachte eine Reihe von kirchlichen Erlassen und
Entscheidungen, die jeden Vertreter der Wissenschaft aufforderten, Stellung
zu nehmen. Die ganze geistige Art M.s war nicht so beschaffen, dafi er etwa
irgendwie mit den bedeutenderen Vertretern des sogenannten »Modernismus«
engere Fiihlung gehabt hatte und mit ihnen zusammen genannt werden konnte.
Die praktischen Mafiregeln des papstlichen Rundschreibens »Pascendi dominici
gregis« hat er wohl wegen der engen Auslegung, deren sie fahig sind, bedauert
und den vom Motu proprio »Sacrorum antisttiunt« geforderten Eid, den soge-
nannten Modernisteneid, nicht unterfertigt, aber dem Ideale der Kirche, wie er
es einst in seiner Jugendschrift gezeichnet hatte, wollte er doch die Treue
wahren, und so empfand er es in den letzten Jahren seines Lebens tief schmerz-
lich, dafi die ernste Wirklichkeit das mit Liebe erfafite Bild erbleichen liefl.
M. wollte vor allem Lehrer sein, auf literarische Betatigung in grofierem
Umfange hat er bewufit verzichtet. Er sah seine Aufgabe darin, die grofien
Systeme der Lebensbedeutung zu wiirdigen und die Jugend, die sich von Jahr
zu Jahr zahlreicher um sein Katheder scharte, mit Verstandnis fur die wichtig-
stenLosungsversuchezuerfullen. Um diese Aufgabe in der besten Weise erfullen
zu konnen, wollte er vor allem ein grlindlich belesener Kenner der wichtigsten
Zeugnisse menschlichen Ringens auf alien Gebieten sein. Aus einer tiefen und
zugleich umfassenden Einsicht in den Reichtum der geistigen Schopfungen
sowie in die Leistungen und Versuche der exakten Wissenschaf ten heraus wollte
er seinen Schulern ein Fiihrer zum Verstandnis der grofien Kulturwerte sein.
Daruber mufite die literarische Tatigkeit zurucktreten.
Gem trat M. seinen Schulern personlich naher und widmete den Streb-
samen unter ihnen ohne Kargen viel von seiner Zeit. Trafen sich in seiner
Wohnung hervorragende Gelehrte und Kiinstler, so war er andererseits auch dem
bescheidenen Anfanger gegenuber von gewinnender Gute und Herzlichkeit,
wie er denn auch die Lebenswege seiner Schiiler mit warmer Anteilnahme ver-
folgte.
Milliner. Brtthl.
133
M.s Gesundheit war nie sehr stark gewesen. Schon als Seelsorger hatte er
an sehr unangenehmen Herzaffektionen zu leiden. Spater machte ihm Gelenk-
rheumatismus wiederholt zu schaffen. Am 6. Februar 191 1 erkrankte er neuer-
lich daran, und dieser Anfall fuhrte nach einem langen, sehr schmerzlichen
Siechtum am 28. November desselben Jahres in Meran zum Tode. Am 3. De-
zember 191 1 wurde M. auf dem Friedhofe zu Dobling beigesetzt. Der Rektor
der Universitat, Professor Dr. Oswald Redlich, hielt dem Lehrer und Priester
einen warmen Nachruf, Professor Adolf Stohr dem Philosophen, Minister a. D.
Graf Wickenburg dem eifrigen Mitgliede der Grillparzer-Gesellschaft. Wenn
Professor Redlich von dem Dahingegangenen als treuem Sohne der Kirche
sprach, so war dies vom Redner als die innere Anhanglichkeit an die groBen
Gedanken des katholischen Kulturideals gemeint und konnte von alien, die M.
naher kannten, auch nur so verstanden werden, denn ebenso fest wie die Treue
gegen die Grundideen des Christentums stand bei ihm die Absage an jede Form
des Ultramontanismus. Hierin war er mit F. X. Kraus, dem bedeutenden Frei-
burger Kirchenhistoriker, der ihn so manchesmal in Wien aufsuchte, vollig eins.
Das Grab des feinen Reprasentanten eines echten Gelehrtenlebens schmiickt
ein wtirdiger, dunkler Marmorstein mit der kiinstlerisch ausgefuhrten Dar-
stellung des Gekreuzigten und dem vielsagenden Worte: »Vollbracht.« Dieses
Denkmal erscheint als das angemessene Siegel auf ein Leben ernsten und oft
nicht freudevollen Ringens nach Klarheit in den wichtigsten Lebensfragen.
Literatur : Fr. Jodl imBericht (iber die feierliche Inauguration desRektors fur das Studienjahr
1912/13. Wien 1912. S. 29 fL — Derselbe: Zum Andenken an L. M. Gedenkworte. N. Fr. Pr.
29. November 191 1. — Anonym in derselben Nummer ein warmer Nachruf, der vor allem
die persSnliche Art M.s schildcrt. — E. Reich : Osterreich. Rundschau vom 15. Dezember 191 1. —
O. Ewald: L. M., Eine Silhouette. N. Fr. Pr. vom 5. Dezember 1911. — H. Eibl: Prof. L. M.
als Lehrer. Reichspost, 2. Dezember 191 1. — Handschriftlich lag mir ein Essai von einem
treuenSchiiler des Verstorbenen, F. H. Tippmann, Bibliothekar an der Bibliothek der Tech -
nischen Hochschule in Wien, vor. Ein anderer Schtiler M.s, E. N. Pohorilles, bereitet eine
eingehende Darstellung der Denkerpersonlichkeit M.s vor.
Bilder: Eine Radierung von W. linger aus Milliners Rektoratsjahr 1894/95, reproduziert
z. B. als Titelbild des Jahrb. d. Univ. Wien fur 1894/95, Wien 1896. — Photographic M,s
aus dem Atelier Adele, Wien I, Graben.
Wien. Dr. Josef Prenner.
Brtihl, Julius Wflielm, Professor der Chemie an der Universitat Heidel-
berg, * 13. Februar 1850 zu Warschau, f 5- Februar 191 1 in Heidelberg. —
B., der Sohn eines wohlhabenden Industriellen, wurde als russischer Untertan
geboren, seine Vorfahren stammten jedoch aus Danzig. Er war der alteste von
funf Geschwistern und muBte fruhzeitig sein Elternhaus verlassen, um in
Gnadenberg in Schlesien erzogen zu werden. Ehe er die dortige Schule voll-
standig absolviert hatte, erkrankte sein Vater schwer, und Julius sollte rasch
die Handelsschule in Berlin absolvieren, um dann moglichst bald das Geschaft
des Vaters iibernehmen zu konnen. Bevor dies moglich war, starb sein Vater,
und der junge B., der far den kaufmannischen Beruf wenig Neigung zeigte,
kam 1868 ans Polytechnikum nach Zurich, um auf Anraten seines Onkels,
des Zuckerfabrikanten Bamberg, Chemie zu studieren. Bei Ausbruch des
Deutsch-Franzosischen Krieges verliefi er Zurich, um nach kurzem Aufenthalt
bei seiner Mutter in Dresden sich nach Berlin zu wenden, wohin ihn die unter
134
Brtthl.
A. W. Hofmann aufbliihende organische Chemie zog. In Berlin studierte er
auch mathematische Physik bei G. Quincke und legte so den Grund zu seiner
umfassenden physikalisch-chemischen Bildung. Wie bald A. W. Hofmann
den talentierten jungen Chemiker schatzen lernte, geht daraus hervor, daB er
ihm 1872 eine Stellung an der neugegrundeten Universitat in Tokio verschaffen
wollte, was B. jedoch ablehnte. Als ihm aber ein Jahr spater ein Assistenten-
posten bei Landolt in Aachen angeboten wurde, konnte er dieser Versuchung
nicht widerstehen und habilitierte sich daselbst, noch ehe er den Doktorgrad
erworben hatte. Zum Doktor promovierte er 1875 in Gottingen. Die Zeit, die
er in Aachen verbrachte, war von ausschlaggebender Bedeutung fur sein ganzes
Leben und ist er der bedeutendste Schuler Landolts geworden. Nachdem er
noch ein aus Berlin stammendes, rein organisches Thema vollendet hatte, wandte
er sich unter dem Einflusse Landolts physikalisch-chemischen Problemen zu,
und zwar vor allem der Erforschung des Zusammenhanges zwischen physi-
kalischen Eigenschaften und Konstitution eines Korpers. In jene Zeit fallt auch
seine wichtige Entdeckung, daB mehrfache Bindungen im Molekul auf die
Molrefraktion einen gesetzmafiigen EinfluB ausuben. Dem experimentellen
Ausbau dieser Erkenntnis war ein grofier Teil seines ganzen Lebens gewidmet.
Im Jahre 1879 trug B. zum erstenmal seine Entdeckungen auf der Natur-
forscherversammlung in Baden-Baden vor und wurde bald darauf ans Poly-
technikum nach Lemberg berufen, wo er 1880 Ordinarius wurde. In dieses
Jahr fallt auch seine Vermahlung mit Lili Bamberger, die er im Hause Landolts
kennen gelernt hatte. Die t)bernahme des Ordinariates in Lemberg brachte
fur B. enorme Anstrengungen, die er nur mit Aufbietung aller Krafte und der
ihm innewohnenden auflergewohnlichen Energie bewaltigen konnte. Dazu kam
noch, daB er in der ihm ungewohnten polnischen Sprache vortragen mufite,
weshalb seine Vorlesungen noch mehr Zeit als gewohnlich zu ihrer Vorbereitung
erforderten. Trotzdem brachte er es noch immer fertig, an seinen Unter-
suchungen weiterzuarbeiten, allerdings nur mit Aufopferung eines Teiles seines
Schlafes. Dieser Oberburdung war aber der ohnehin nicht sehr robuste Korper
nicht gewachsen, und im Fruhjahr 1882 warf ihn eine schwere Lungenblutung
nieder. Damals hielt man ihn bereits fur verloren, doch langsam, sehr langsam
erholte er sich wieder. Jahrelang dauerte es, bis er, gekraftigt durch den Auf-
enthalt in mildem Klima, wieder seine Tatigkeit aufnehmen konnte; und zwar
wandte er sich nach Freiburg im Breisgau, wo er von 1884 — 87 blieb, weiter am
Ausbau seines Arbeitsgebietes schaffend. Das Jahr 1888 flihrte B. nach Heidel-
berg, wo er die Lehrkanzel Bernthsens ubernahm, der daselbst ein Privatlabora-
torium geleitet hatte. Es war schon lange der Wunsch B.s gewesen, sich in
Heidelberg niederzulassen, er sollte auch bis an sein Lebensende dort verbleiben.
In die nun folgenden Jahre fallt wohl das Schwergewicht seiner wissenschaft-
lichen Tatigkeit. In erster Linie war es wieder die organische Spektrochemie,
der sein Wirken gait, es erschienen aber damals auch zahlreiche andere Arbeiten
von ihm, wie iiber thermo-chemische Probleme, Streifzuge ins Gebiet der rein
organischen Chemie, Notizen iiber praktische Laboratoriumsapparate usw.
Aber auch in diesen Jahren blieb er nicht von tiickischen Krankheiten verschont,
die ihn durch sein ganzes Leben begleiteten, langsam, aber sicher seine wertvolle
Arbeitskraft unterminierend. 1892 wurde er von einer schweren Magenblutung
heimgesucht, von der er sich verhaltnismaflig rasch erholte, und 1898 erkrankte
Brtihl.
135
er derart von neuem, dafi es ihm unmoglich war, sein Institut weiter zu leiten.
Nun gab er seine Stellung auf und richtete sich in seinem Hause ein Labora-
torium ein, in dem er mit einigen Assistenten weiterarbeitete, der schleichenden ,
immer mehr vordringenden Krankheit trotzend. Dazu kam noch das bittere
Geftihl, seine Arbeiten von den Fachgenossen nicht in dem Mafie anerkannt
zu sehen, wie sie es verdienten. 1st es doch das Schicksal so vieler Forscher,
dafi ihre Entdeckungen lange Zeit brauchen, bis sie allgemein anerkannt sind
und sich gegen alle Kritik durchgesetzt haben. Geistige Grofitaten, wie die
von B. geschaffene organische Spektrochemie, entstehen auch nicht plotzlich
in alien Details vollendet und harmonisch abgerundet, sondern der suchende
Forscher gerat nur allzu leicht auf Irrwege, und die Erkenntnis der Wahrheit
mufi mit bitteren Irrtiimern und vergeblicher Muhe erkauft werden. Doppelt
schwer wird das von einem Charakter wie B. empfunden, der in unerschiitter-
lichem Glauben an die Bedeutung und den Wert seiner Entdeckungen manchmal
die gewohnte Vorsicht vergifit, sich uber die Grenzen des experimentell Be-
wiesenen hinauswagt und sich dann der in diesem Falle berechtigten Kritik
nicht erwehren kann. Andrerseits mufitensich doch seine bedeutenden Arbeiten
Bahn brechen, und England war der erste Staat, der B.s Verdienste in ent-
sprechender Weise wiirdigte. 1904 wurde er zum Ehrenmitgliede der Royal
Institution of Great Britain ernannt und bald darauf zum Doctor of science in
Cambridge und Dublin erhoben. Auch die Akademie der Wissenschaften in
Krakau ernannte ihn zum Mitglied und der Physikalische Verein in Frankfurt
zum Ehrenmitglied. 1904 trat sein Kampf mit der Krankheit in ein
neues, aussichtsloses Stadium und machte ihm das experimentelle Arbeiten
unmoglich. Vier Jahre spater ist jede Hoffnung geschwunden, sich noch einmal
im Laboratorium betatigen zu konnen; er lost sein Privatlaboratorium auf und
schenkt die Einrichtung und Apparate der Universitat Heidelberg. Er mufi
zusehen, wie die Krankheit immer weiter an seinem Lebensnerv nagt, und fuhlt
die Gefahr des drohenden Wahnsinns. Trotzdem arbeitet er noch am Schreib-
tisch weiter. Den letzten Lichtblick bildet sein 60. Geburtstag; die zahlreichen
ehrenden Gratulationen zeigen ihm, dafi er nicht umsonst gelebt und bleibende
Werke geschaffen hat. Dann folgt ein grauenhafter Todeskampf. Eine Niere
mufi exstirpiert werden, doch ist der Untergang nicht mehr aufzuhalten. Am
5. Februar 191 1 gibt er sich selbst den Tod. Die von ihm ausdriicklich ver-
langte Sektion ergab, dafi die Krankheit bereits das Gehirn ergriffen hatte,
Wahnsinn ware binnen kurzer Zeit die unausbleibliche Folge gewesen. So
schlofi das Leben eines Helden, der bis zum aufiersten gekampft hatte.
Die wissenschaftliche Bedeutung B.s ausfuhrlich zu besprechen, ist bei
dem hier gebotenen Raume ausgeschlossen, ja es ist nicht einmal moglich, die
Titel seiner einzelnen Veroffentlichungen — es sind deren uber 150 — hier anzu-
fiihren. Es kann also nur das Allerwichtigste, fast nur in Schlagworten ange-
geben werden. Der leitende Grundgedanke, der sich durch samtliche Arbeiten
hindurchzieht, ist, Gesetzmafligkeiten zwischen physikalischen Eigenschaften
der Korper, wie Molekularrefraktion, -dispersion, Dichte, Schmelz- und Siede-
punkten u. a. und ihrer chemischen Struktur zu ermitteln. Die Auffindung
solcher Gesetzmafligkeiten ist von enormer Tragweite fur die Konstitutions-
aufklarung, da alle analytischen und synthetischen Methoden infolge der dabei
oft spontan auftretenden Atomumlagerungen einen Grad von Unsicherheit in
I36 Briihl. Schrbtter.
sich haben. B. spricht selbst den wichtigen Satz aus, der ihm furs ganze Leben
ein Leitstern blieb: »Die Erforschung der Konstitution der Korper zu ermog-
lichen, ohne deren Beschaflfenheit zu andern, das hiefie eine Richtung einschlagen,
welche frei 1st von den Fehlerquellen, die jenen Methoden anhaften und ihre
Ergebnisse mehr oder weniger unsicher machen mussen«. Den Beginn seiner
Untersuchung machte er mit dem Studium der Molrefraktion, und bald konnte
er den wichtigen Satz aufstellen, dafi das Refraktionsinkrement einer Verbindung
der Anzahl von Doppelbindungen im Molekiil proportional ist. Bald darauf zeigt
er, dafi zwischen den Atomrefraktionen des einfach und doppelt gebundenen
Sauerstoffes ein grofier Unterschied besteht, ermittelt das empirische Refrak
tionsaquivalent des dreifach gebundenen Kohlenstoffes und findet, dafi Ring
bildung im allgemeinen ohne Einflufi auf die Molrefraktion ist. Er verschaffl
der Lorenz- und Lorentzschen Refraktionsformel Geltung und leitet eine Dis
persionsformel ab, die sich bis heute als die zweckmafligste erwiesen hat. Nach
dem die spektrochemischen Verhaltnisse der stickstofffreien Korper so wei
geklart waren, beginnt er mit der Schaffung einer Spektrochemie des Stick
stoffes. Auch rein chemischen Untersuchungen wendet er sich manchmal zu,
und hat er insbesondere fur die Chemie des Kamphers und der Terpene manchen
wertvollen Beitrag geliefert. Seine thermochemischen Veroffentlichungen
verdienen auch heute noch voiles Interesse. Bezuglich seiner Arbeiten uber
das Tautomerieproblem sei nur erwahnt, dafi die heute in der organischen
Chemie so gebrauchlichen Ausdrucke wie Enol, Enolisierung, Ketisierung u. a.
von B. eingefuhrt wurden. Von grofier Bedeutung sind auch seine Studien
liber den Einflufi des Losungsmittels auf die geloste Substanz. Zum Biicher-
schreiben ist B. wenig gekommen; diesbezuglich sei nur seine Fortsetzung des
grofien Lehrbuches der organischen Chemie von Roscoe-Schorlemmer erwahnt,
die er gemeinsam mit O. Aschan und F. Hjelt unternahm.
Wer sich naher fur die Werke des Schopfers der organischen Spektrochemie interessiert,
der sei auf den in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. 44, S. 3757 (191 1)
erschienenen Nachruf von K. Auwers verwiesen.
E. P h i 1 i p p i.
SchrStter, Hugo, Professor der Chemie an der Universitat Graz, * 11. Sep-
tember 1856 zu Olmiitz, f 7. Juli 191 1 in Graz. — Sch. entstammte einer hoch-
gebildeten, wohlhabenden Familie und genofi eine sorgfaltige Erziehung. Nach
Vollendung seiner Mittelschulstudien kam er an die Universitat Wien, um im
II. Chemischen Institute bei Lieben Chemie zu studieren. In Wien wirkte auch
an der Technischen Hochschule sein Grofionkcl, der beruhmte Chemiker
A. Schrotter. Aus dem II. Chemischen Institute stammt seine erste Arbeit:
Dber eine Base imFuselol. Im Jahre 1879 kam er nach Bonn zu Kekul6. Hier
war der richtige Boden fur Sch. War doch gerade damals durch die Kekul^sche
Benzoltheorie ein neues Zeitalter fiir die organische Chemie herangebrochen.
Das ganze ungeheure Gebiet der zyklischen Verbindungen war plotzlich einer
fruchtbaren Bearbeitung zuganglich geworden, und in jenen Jahren erfolgte
ein nie geahnter Aufschwung der organischen Chemie. Nachdem er zuerst
unter der Leitung Kekul6s eine kleinere Arbeit uber die Umwandlung von
Propylbromid in Isopropylbromid vollendet hatte, wandte er sich dem Studium
des Kamphers zu und publizierte mehrere Arbeiten uber dieses Thema, die von
Schrtftter.
137
grofier Bedeutung fiir die spatere Aufklarung der Konstitution dieses Korpers
waren. Auf Grund dieser Arbeiten promovierte er 1882 in Halle und war kurze
Zeit bei Volhard daselbst Assistent. Dann fuhrte ihn sein Lebensweg nach
Erlangen, wo er bei E. Fischer Assistent wurde. Damals arbeitete er zusammen
mit E. v. Gerichten uber Morphin und Kodein und verbffentlichte in Gemein-
schaft mit diesen drei Abhandlungen uber dieses Thema. Als aber 1883 bei
Kekul6 in Bonn eine Assistentenstelle frei wurde, zog es ihn doch wieder zu
seinem hochgeschatzten Lehrer hin, wo er bis 1885 blieb. In diesem Jahre
habilitierte er sich fiir organische Chemie und wurde 1892 zum aufierordent-
lichen Professor in Graz ernannt, wo er bis zu seinem Tode blieb. Die letzten
zehn Jahre seines Lebens bildeten einen fCirchterlichen Kampf mit einem stets
fortschreitenden Ruckenmarksleiden. Nicht mehr fahig, allein zu stehen oder
sich auch nur einen Schritt vorwarts zu bewegen, kannte er dennoch kein Inter-
esse als seine Wissenschaf t, und kam es fast nie vor, dafl er seine Vorlesung trotz
der grafilichsten Schmerzen absagte. Bis wenige Monate vor seinem Tode
arbeitete er auch noch experimentell mit seinen Schulern im Laboratorium.
Wer Sch. nur aus seinen nicht allzu zahlreichen und bedeutenden Arbeiten
kennt, wird ihn gerade nicht als einen der hervorragendsten Vertreter seiner
Wissenschaft einschatzen, wer aber, wie Schreiber dieser Zeilen, das Gluck hatte,
ihm nahertreten zu durfen, und sich zu seinen Schulern zu zahlen, der muflte
ein ganz anderes Bild von diesem seltenen Manne gewinnen. Charakteristisch
fur Sch. war es, dafl er sich zur Bearbeitung immer gerade die schwersten Ge-
biete aussuchte, obwohl er stets von Pech verfolgt wurde. So verwandte er
Jahre auf das so schwierige Studium der Albumosen. Wer jemals auf dem
Gebiete der EiweiCchemie gearbeitet hat, der wird die Miihe und Arbeit zu
schatzen wissen, die aus den Veroffentlichungen Sch.s iiber dieses Thema
spricht. Und wieviele vergebliche Versuche mag er zur Ergriindung des
schwefelreichen, unbekannten EiweiBkernes unternommen haben, die er iiber-
haupt nicht publizierte. Sein zweites Arbeitsgebiet war die Erforschung des
Cholesterins. Fast ein Jahrzehnt arbeitete er daran; da schien es endlich, als
sei die richtige Spur gefunden. Es gelang ihm, aus Cholesterin, Cholalsaure,
Kampher und Terpentinol das namliche Abbauprodukt zu gewinnen, und
schon glaubte er den Beweis fiir die Zugehorigkeit des Cholesterins zu den
Terpenen erbracht und damit zum erstenmale einen Vertreter dieser Korper-
klasse als tierisches Produkt nachgewiesen zu haben, aber leider muflte er bald
erkennen, daC er sich getauscht hatte und dafl er nur eine durch sekundare Re-
aktion entstandene Polykarbonsaure des Benzols in Handen hatte. Und dennoch
war all seine Muhe nicht umsonst gewesen, denn seine Arbeiten bieten doch
manchen wichtigen Hinweis fiir die Struktur des Cholesterins, wie die Forschun-
gen von Pregl und von Fiirth ergaben. Noch ein Jahr vor seinem Tode, als
sein Leiden schon einen bedenklichen Hohegrad erreicht hatte, begann er noch
zwei Arbeiten, die auf seine alten Lieblingsthemen, den Kampher und das
Eiweifl, Bezug hatten, doch war es ihm nicht mehr vergonnt, dieselben zu voll-
enden, und ist ihm auch hierbei der Erfolg, wie so oft in seinem Leben, versagt
geblieben. Wenn schon der unbezwingbare Optimismus Sch.s und sein Cha-
rakter, der vor keiner Schwierigkeit des Themas zuruckwich, ihm fast stets
mehr Enttauschung als Erfolge brachte, so machte ihn doch eben diese Eigen-
schaft zu einem bewunderungswurdigen Lehrer. Wenn ihn sein Leiden auch
Ij8 Schrtftter. Braun.
noch so qualte: in der Vorlesung, da vergafi er all sein Elend. Da leuchtete
sein Auge, wenn er irgendeine interessante Synthese, einen Strukturbeweis
vortrug, und nach der Vorlesung, da gab es fast stets noch eine Fortsetzung
und ein Konsilium im engeren Kreise mit seinen Schiilern. Da wurden neue
Probleme erortert und chemische Luftschlosser gebaut, und welch eine Summe
von Anregungen und Ideen war da zu schOpfen. Nur manchmal glitt ein weh-
mutiger Zug iiber sein Gesicht, wenn er namlich dachte, dafi ihm die physische
Kraft fehlte, auch nur einen Bruchteil seiner Ideen auszufuhren.
Wenn Sch. in seinem letzten Werke, dem trefflichen Nachruf auf Zdenko
H. Skraup, mit den Worten schliefit: »Skraup war eben ein Liebling der Gotter«,
so kann man wohl einen Nachruf auf Sch. nur schliefieh mit den Worten: er
war eben ein Stiefkind des Gliickes. P h i 1 i p p i.
Braun, Gustav Adolf Theodor, D., Generalsuperintendent der Niederlausitz
und Neumark, Wirkl. Ober-Konsistorialrat, Pastor an St. Matthaus in Berlin,
* 5. Februar 1833 in Mollbergen, Amt Hausberge, Kreis Minden, f 18. Februar
191 1 in Mentone (Frankreich). — Der Vater August Friedrich B. war Volks-
schullehrer in Mollbergen, die Mutter Karoline Sophie Grohne, Tochter des
Unterforsters in Todemann, Kreis Rinteln. 1836 zog er mit den Eltern nach
Eisbergen (Kreis Minden) bei Todemann. Er wuchs dort heran in schoner und
erhabener Gegend zwischen der Weser und den bewaldeten Hohen des Weser-
gebirges inmitten fruchtbarer Garten, Wiesen, Felder, unter rein evangelischer,
kerndeutscher Bevolkerung. Er lernte fruh in der Schule des Vaters. Seit
Ostern 1843 besuchte er das Gymnasium zu Rinteln, seit Herbst 1848 das zu
Herford. Ostern 1852 ging er ab mit Dispensation vom mlindlichen Examen
und vorziiglichem Zeugnis. Ein Mitschiiler bezeugt: »Er iiberragte uns alle.«
In Bonn studierte er Theologie infolge ernster Zukehr zu Gott, horte sonderlich
Rothe und Dorner, studierte fiir sich die Symbole der verschiedenen Kirchen,
las philosophische Werke, »um zu erkennen, ob die von ihm ergriffene lutherische
Lehre oder die philosophische auf Wahrheit beruhe«. In Halle, wo er von
Ostern 1853 ab zwei Jahre war, suchte er »andere Gedankengebaude, im einzel-
nen konkret, bestimmt, alles aus letztem Prinzip entwickelt«. Ihn fesselten
sonderlich die Kollegien von Julius Mliller und Hofmanns Schriftbeweis. Der
Wingolf war ihm viel. In Westerenger, wohin sein Vater 1848 versetzt wurde,
suchte er seine theologischen Studien zu revidieren, ob er alles fur das Pfarr-
amt Notige beherrsche und klar habe, sich klar zu werden iiber Rechtfertigung
und freiste, umfassendste Lebensanschauung. Am 14. Oktober bestand er in
Munster das erste theologische Examen, »im ganzen vorziiglich gut«. 1. Advent
wurde er Pastor Hoffmanns Hilfsprediger an der Neumarktkirche zu Halle.
Er flihrte aus, was er schon in Westerenger sich vorgenommen hatte: 1. sonn-
taglichen Kindergottesdienst, 2. Abendgottesdienst, 3. wochentliche Bibel-
stunde im Winter, 4. Erweiterung des Armenvereins, 5. seelsorgerische Ein-
wirkung auf bisher unzugangliche Kreise. Kaum hatte er diese vielfache Arbeit
an Elenden, die an Leib und Seele litten, einige Zeit getan, da hatte er auch
die des schwer erkrankten P. Hoffmann zu ubernehmen. Das griff ihn, der
auf Gymnasium und Hochschule viel an schwachem, oft krankem Korper litt,
so an, dafi seine Eltern ihm Herbst 1856 langeres Bleiben in dieser Tatigkeit
verboten. Das westfalische Konsistorium sandte ihn als Vikar des erkrankten
Braun.
139
P. Huchgenneier nach Schilderche. Nach Absolvierung des Seminarkursus
in Petershagen, mit dem er padagogische Studien verband, ubernahm er dort
Predigt, Seelsorge, Konfirmandenunterricht, suchte Klarheit uber das Amt
der Kirche wie iiber deren Wesen in Halle, bearbeitete die Aufgaben zum zweiten
theologischen Examen. Nach dessen »vorzuglich gutem« Bestehen ging er als
Badeprediger nach Oeynhausen, Friedrich Wilhelm IV. spendete Mittel dafur,
ubernahm die Redaktion der »Evangelisch-lutherischen Zeugnisse«. 1. Oktober
sandte ihn das Konsistorium als Prediger an das Gefangnis auf dem Sparenberge
bei Bielefeld. Dort, wie in Oeynhausen zundeten seine Predigten, er lebte ganz
den Gefangenen. Am 15. November 1857 wurde er in tier Altstadterkirche
ordiniert. Seine Predigt uber 2. Mose 4, 17 zeigt die reife und ernste Auffassung
vom Predigtamt, die er stets in steigendem Mafie erfiillt hat. Er hielt Bibel-
stunden im Krankenhause von Bielefeld, erzahlte einem Kreise ernster Christen
von der Mission.
6. Oktober 1859 begann er sein ungemein bedeutendes Wirken am Evan-
gelischen Gymnasium in Gutersloh, wohin ihn dessen Kuratorium berief —
zunachst als theologischen Hilfslehrer zu Predigt, Religions- und anderem
Unterricht, als Vertrauensmann der Schliler. Auf diese wie die Lehrer gewann
er durch Predigt, Unterricht, personlichen Verkehr gleich solchen Einflufi, dafi
die Primaner, die er nicht unterrichtete, von ihm Bibelstunden erbaten und
dafi Schiiler wie Lehrer die von ihm eingerichteten Abendgottesdienste freiwillig
treu besuchten. Da er als theologischer Hilfslehrer nur zwei Jahre in dieser
Tatigkeit bleiben durfte, bestand er auf Grund friiherer philosophischer, histori-
scher, altklassischer und deutscher Studien am 15. November 1861 die Prufung
fur das Hohere Schulfach mit der Befahigung fur alle Klassen in Religion, He-
braisch, Deutsch, fur die mittleren in Latein und Griechisch. Die geistvolle
Priifungsarbeit iiber das Wort des Aratus: »In Ihm leben, weben und sind
wir« ist aufgenommen in »Bleibende Furcht«. Zu gleicher Zeit entwarf er das
209 Spriiche enthaltende Heft, das neun Auflagen erlebte, auch an andern
Schulen gebraucht wurde. Er wurde schon damals oft als Prediger auf Missions -
feste berufen.
Ein Ruf als Pfarrer nach Hasserode am Harz und gleichzeitig als Re-
ligionslehrer am Gymnasium in Wernigerode, Januar 1863, wurde Anlafi, dafi
seine nur personliche pastorale Arbeit am Gymnasium zu Gutersloh amtlich
geregelt wurde. Wie er jene geistesmachtig, selbstverleugnend, taktvoll, ein-
sichtig gestaltet hatte, so wurde sie bestimmt, doch wegen Schwierigkeiten,
die von der kirchlichen Gemeinde erhoben wurden, erfolgte seine Einfiihrung
als Anstaltsgeistlicher erst am 21. August 1866.
Schon 1864, da ich sein Mitarbeiter wurde, schrieb ich: »B. ist die Seele
der Schule durch seine Gottesdienste und seinen Verkehr mit den Schiilern;
er ist, wie ihr Vater, alle haben Freude am Gottesdienst.« 1884 war im Synodal -
vorstand Geh. Rat Wiese gegen seine Berufung nach Berlin, »weil er am Gym-
nasium in Gutersloh unersetzlich sei.« Herzensbedurfnis war ihm diese person-
liche und unterrichtende wie pastorale Wirksamkeit. So empfingen viele von
ihm »Anstofi zu ewiger Bewegung«, so bildete er viele Theologen. Uber das
Gymnasium hinaus erstreckte sich sein Einflufi auf einen grofien Kreis der
Giitersloher Gemeinde. Seit 1864 war er Mitglied des Gymnasial-Kuratoriums;
Anliegen an dieses trugen Kollegen ihm gern vor. Die Berufung von zwei Di-
rektoren und mehreren Lehrern war sein Werk.
I40 Braun. Oettli.
Diese ungemein reiche, angespannte Arbeit leistete der teure Mann trotz
steter korperlicher Schwachheit und haufiger ernster Erkrankung. Vordem
3. Advent erlitt er Blutspeien. Die Besorgnis, nur kurz daure sein Leben,
hatte ihn getrieben, es so fruchtbar wie mSglich durch Predigten auch in
den Ferien zu machen. Es dauerte seine Herstellung sehr lange, aber er
wurde wieder so spannkraftig, dafl die oberste Kirchenbehorde ihn 1884
nach Berlin als Pastor an St. Matthaus und als Generalsuperintendent fur
die Niederlausitz und die Neumark berufen konnte. Staunenswert ist, welches
Obermafi von Arbeit B. bewaltigte, als Pastor von St. Matthaus, als Ober-
hirte fur die Neumark und Niederlausitz, als Mitglied des Oberkirchenrates
und des Brandenburgischen Konsistoriums, als Vorsitzender der Kuratorien
der Gossnerschen Mission und des Elisabeth -Krankenhauses, als Examinator und
Ordinator vieler theologischer Kandidaten, als Leiter der Ephorenkonferenz und
des Weifien Kreuzes. Diese seinen eigensten Neigungen wie Gaben entsprechende
Tatigkeit stahlte zehn Jahre hindurch seinen zarten Korper und war sehr erfolg-
reich. In der Matthai-Gemeinde schlofi sich ein fester Stamm so treu an ihn an,
dafl gleich die ersten Kirchenwahlen durchaus seinen Wunschen en tsprachen. Pa-
trone der Neumark ermoglichten Generalvisitationen, die Konferenz in Kustrin
scharte sich um ihn. Aber brachen kraftige Manner wie Kogel und Barkhausen
unter der vielseitigen, aufreibenden Berliner Arbeit zusammen, so warf Predigen
trotz Influenza Neujahr 1894 den schwachlichen Mann in sehr schwere korper -
liche und seelische Note; diese wurden nie vollig gehoben, nur gemindert, er
hatte sich durch unsagliche Angst durchzukampfen. Aber rieten Freunde zum
Ausscheiden aus dem Amte, so hielt ihn Treue darin fest; er durfte bezeugen,
dafl er seine ganze Arbeit treu, auch die anderer ubernommen habe. Die Ver-
einsamung durch den Tod seiner einzigen Schwester (2. November 1907), die
dem Nichtverheirateten stets den Haushalt fuhrte, wurde gemildert durch be-
harrliches Weiterarbeiten. Doch Palmarum 1909 hielt er seine Abschieds-
predigt, ging in die Stille von Bethel bei Bielefeld. Aber seine Kraft war er-
schopft, sein Nerven- und Ohrenleiden drtickte schwer und stets. In Men tone,
wo er Warme suchte, starb er an Luthers Todestag. Er hatte stets an der
Landeskirche lutherische Wahrheit bezeugt, wie er schon 1857 erstrebte. Die
Bestattung in Glitersloh neben seinen Eltern und seiner Schwester, die er
bestimmt hatte, erfolgte sehr feierlich unter grofler Beteiligung alter Schiller,
hoher Kirchenbehorden, wie der Giitersloher Gemeinde. Die Ansprachen von
Exzellenz D. Dryander, den Generalsuperintendenten Kefller und Zollner,
Missionsdirektor Kausch und P. D. Moller sind erschienen bei Bertelsmann in
Giitersloh 191 1; ebenda »Gedichte« von ihm und unter dem Titel »Bleibende
FruchU von ihm fruher einzeln veroffentlichte Predigten, Ansprachen, Abhand-
lungen, erbauliche Behandlung des aronitischen Segens.
Wohl alle Kirchenzeitungen, auch »Kreuzzeitung« und »Reichsbote«, brachten sehr
warmen Nachruf. »Erinnerungen an D. B.< (gebd. 2,50 M.) schrieb der Unterzeichnete. Ein
gutes Bild haben diese, ein anderes, » Bleibende Frucht* — ein sehr freundliches aus der ersten
Berliner Zeit ist bei Loscher und Petsch in Berlin zu haben.
Professor emer. Zander.
Oettli, Samuel, Dr. } Professor fur alttestamentliche Wissenschaft an der
Universitat Greifswald, * 29. Juli 1846 in St. Gallen, f 23. September 191 1 in
Oettli. ! 4I
Illenau in Baden. — Oe. stammte aus einer einfachen schweizerischen Burger -
f amilie, in der eine schlichte und klare, reformierte Frommigkeit gepflegt wurde.
Sein Vater Heinrich Oe., von Haus aus Handwerker, war nach wechselreichen
Wanderfahrten unter Christian Heinrich Zeller in Bruggen Armenerzieher
geworden und wirkte nun in St Gallen als Vorsteher der dortigen Rettungs-
anstalt; seine Mutter Wilhelmine geb. Schmid wird als eine stille, feine Frau
geschildert. Zusammen mit Samuel wuchs ein alterer Bruder und eine jtingere
Schwester auf, die auch im spateren Leben in herzlicher Liebe mit ihm ver-
bunden blieben; der Bruder starb als Kaufmann in Brasilien, die Schwester,
die dem jungen Pfarrer in den ersten Jahren den Haushalt fuhrte und auch,
als sie aus Indien als Missionsfrau zuruckkehrte, langere Zeit in der Nahe des
Berner Professors geweilt hatte, lebt noch in der Schweiz. Nach dem fruhen
Tode der Mutter fanden die drei Kinder an Fraulein Luise Schlatter eine treu
sorgendeFreundin, derenHaus ihnen fortan als eine zweiteHeimstatteerschien. —
Nachdem Oe. die Kantonsschule in St. Gallen mit Auszeichnung durchlaufen
hatte, wandte er sich dem Studium der protestantischen Theologie zu und be-
suchte 1866 — 70 die Universitaten Basel, Zurich und Gottingen. Der Rationalis-
mus, der damals an den schweizerischen Hochschulen herrschte, scheint dem
jungen Studenten keine Erschtitterung seines Innenlebens gebracht zu haben;
die Einwirkungen des bibelfesten Kreises, in dem Oe. herangewachsen war,
erwiesen sich in diesen Wanderjahren vielmehr als so nachhaltig, dafl es zu
keinem Bruche kam: der Zwanzigjahrige war bereits ein in seiner Glaubens-
iiberzeugung gefestigter Mann. Dagegen haben die Weltaufgeschlossenheit,
mit der Oe. spater dem ganzen Gebiete der Geisteswissenschaften mit ihren
wechselvollen Neuerscheinungen gegenliberstand, und die vorbildliche Weit-
herzigkeit, die ihm bei der Beurteilung anderer Forschungsarbeit eigentiimlich
war, gewifi in jener Richtung zum grofien Teil ihre Wurzeln. Entscheidend fur
Oe.s Lebensarbeit wurden jedoch nicht die schweizerischen Universitaten,
sondern Gottingen; denn hier fand er in Heinrich Ewald, dem geistvollen Er-
klarer alttestamentlicher Schriften und feinsinnigen Darsteller der Geschichte
Israels, einen Lehrer, der ihn zu selbstandigem Forschen anregte und ihm damit
die Wege fur seine kiinftige Laufbahn wies. Unter Ewalds Anleitung erwarb
Oe. in Gottingen eine grtindliche Kenntnis der orientalischen Sprachen, nament-
lich des Syrischen und Arabischen, und hier gewann er jene innerlich freie
Stellung zu den grofien Problemen der Religionsgeschichte, die seine spateren
Schriften auszeichnet; die Auseinandersetzung mit den grundsttirzenden Lo-
sungsversuchen eines K. H. Graf und Abraham Kuenen, die die uberlieferte An-
schauung von der Entstehung des alttestamentlichen Schrifttums so ziemlich
auf den Kopf stellten, war damals bereits in vollem Gange; noch 1870 habili-
tierte sich Wellhausen in Gottingen, auf dessen Greifswalder Lehrstuhl Oe.
25 Jahre spater berufen wurde.
Anders als Wellhausen, dessen Drang nach freier, wissenschaftlicher Be-
tatigung ihn gerades Wegs in die akademische Welt hineinfiihrte, wandte sich
Oe. zunachst jedoch der praktischen Wirksamkeit zu, ohne freilich die stille,
wissenschaftliche Arbeit zu unterbrechen. Er wurde Vikar an der Peterskirche
in Zurich und 1872 Pfarrer in der Gemeinde Roggwil im Thurgau nahe bei
St. Gallen. Schon hier erwies er sich als ein Mann von unbeugsamem Cha-
rakter, als eine heftige Fehde um das apostolische Glaubensbekenntnis die
142
Octtli.
thurgauischen Gemeinden erregte; Oe. trat mit einer kleinen Schutzschnft
fur den kirchlichen Gebrauch des alten Bekenntnisses in die Schranken und
legte, als die Behorde die Verwendung des Apostolikums im Gottesdienste
trotzdem untersagte, zusammen mit drei andern Pfarrern sein Amt nieder (1875) •
Allein schon nach wenigen Monaten fand er in der zurcherischen Gemeinde
Wangen eine neue Heimat, und hier fuhrte er Anna Diethelm aus St. Gallen
als Gattin heim, deren Mutter Frau Dr. Diethelm er auch seine gesammelten
Abhandlungen »Ideal und Leben« widmete. Ein gluckliches Familienleben f
das auf einer wahrhaft christlichen Grundlage gefiihrt wurde, war fur Oe. fortan
eine Quelle des Segens; eine stattliche Kinderschar, vier Sohne und eine Tochter,
wurde im Laufe der Jahre die Freude der Eltern.
Inzwischen waren weitere Kreise auf den wissenschaftlich tiichtigen und
charaktervollen Pfarrer aufmerksam geworden, und so erfolgte schon 1878
eine Berufung Oe.s auf den Lehrstuhl fiir alttestamentliche Wissenschaft an
der Universitat Bern. Fast 17 Jahre hindurch hat er hier eine reiche Wirksam-
keit entfaltet in der Studierstube, im Horsaal und auf der Kanzel. Mit groBer
Sorgfalt hat er in diesen Jahren seine Kommentare zu neun alttestamentlichen
Buchern geschrieben, denen er eigenartige, feine und fruchtbare Gedanken ab-
zugewinnen wuBte. In seiner Erklarung des Deuteronomiums setzt er sich
bereits eingehend mit der Graf-Kuenen-Wellhausenschen Pentateuchhypothese
auseinander, und zwar weist er hier nach, dafi das deuteronomische Laiengesetz
sich mit priesterlichen Verordnungen bekannt zeigt, und betont energisch die
erst von der neuesten Forschung anerkannte Tatsache, dafl neben der volks-
tumlichen Gesetzgebung in Israel seit alters eine besondere priesterliche Ge-
setzesiiberlieferung einherging. Bei der Erklarung der geschichtlichen Bucher
Josua, Richter, Esra-Nehemia und Chronik fesselt ihn neben den quellen-
kritischen Problemen namentlich auch die Frage nach der Glaubwiirdigkeit
der alten Berichte; bereitwillig erkennt er die sagenhaften Ziige, die sich aus der
notwendigen Annahme einer langen, mundlichen Oberlieferung von selbst er-
geben, an; die »Jagd nach Tendenzprodukten« erscheint ihm im alteren Schrift-
tum dagegen als eine »unkritische Verirrung«, und auch den Quellenwert mancher
Nachrichten der Chronik schatzt er weit hoher ein, als es in der Wellhausenschen
Schule gemeinhin geschieht. AuCer den schon genannten Buchern bearbeitete
er noch das Hohelied, das er als ein Melodrama auffaGte, Esther, das Btichlein
Ruth und die Klagelieder; alle Kommentare erschienen in dem von Strack und
Zockler herausgegebenen Kommentarwerk (Miinchen 1889 — 93). Die fein-
sinnige Schrifterklarung, die in diesen Arbeiten niedergelegt ist, veranlaBte die
theologische Fakultat in Greifswald 1890, den Verfasser zum Ehrendoktor zu
ernennen; 1891 unternahm Oe. zusammen mit Schlatter eine langere Orient -
reise, die ihn kreuz und quer durch Palastina fuhrte und von der er, neu gestarkt
an Leib und Seele, mit reichen Anregungen heimkehrte. Die Erinnerung daran
tritt auch in einigen Aufsatzen des Sammelbandes »Ideal und Leben« zutage,
dessen einzelne Abhandlungen sich im ubrigen mit religiosen und literarischen
Fragen mannigfacher Art beschaftigen (1894), Bisweilen schien es freilich
schon in Bern, als wolle sich eine unsichtbare, dunkle Hand auf Oe.s Leben
legen; aber schliefilich gelang es dem willensstarken Manne doch immer wieder,
die dumpfe Niedergeschlagenheit und aufreibende Schlaflosigkeit, die ihn je
und dann iiberfiel, niederzuzwingen. Gern folgte er darum einem Ruf in die
Octtli.
143
Ferae, der ihm eine willkommene Erweiterung des Wirkungskreises ermoglichte:
1895 wurde er als Nachfolger Bathgens auf die Lehrkanzel fiir alttestamentliche
Theologie nach Greifswald berufen. Die theologische Fakultat in Greifswald
stand damals noch in voller Blute und zahlte nahezu 300 Studenten, die, nament-
lich durch Hermann Cremers Personlichkeit angezogen, vor allem aus West-
und Siiddeutschland herbeistrSmten. Hier gab es reiche, herzerhebende Arbeit.
Im Horsaal erschien Oe.s ruhige, rein sachliche Gedankenentwicklung, die jede
Rhetorik verschmahte und das Fiir und Wider sorgfaltig abwog, manchem
vielleicht zu kiihl und unpersonlich, wie auch seine Personlichkeit bei der ersten
Beriihrung etwas Abweisendes hatte; allein der Ernst und die Klarheit, mit
der hier die Exegese betrieben und die tiefsinnigen Gedanken des Alten Testa -
mentes fruchtbar gemacht wurden, liefien im Verein mit der edlen, wohllauten-
den Sprache den Horer nicht los, und bald sammelte sich aus der groflen Schar
der Kollegbesucher auch ein kleiner Kreis von Verehrern, die in ein naheres Ver-
haltnis zu ihrem Lehrer traten. Die in Greifswald herrschende Gastlichkeit,
der freundschaftliche Verkehr mit einigen Kollegen und deren Familien, die
Wanderungen durch die pommerschen Buchenwalder und die erfrischenden
Seefahrten trugen dazu bei, dem fast Fiinfzigjahrigen das Einleben in die neue
Heimat leicht zu machen. Wie grofies Vertrauen dieser sich in kurzem auch
auBerhalb des akademischen Kreises erwarb, ergibt sich aus der Tatsache, da6
der reformierte Schweizer bald zum ordentlichen Mitgliede des Koniglichen
Konsistoriums in Stettin ernannt wurde, an dessen Beratungen er dann regel-
mafiig teilzunehmen pflegte.
In der wissenschaftlichen Arbeit beschaftigte ihn jetzt vor allem die Frage
nach dem Ursprung und der Entwicklung der israelitischen Religion. In ent-
schiedenem Gegensatze zur Wellhausenschen Theorie lehnte er die Annahme ab t
als hatten wir im Alten Testament ein Beispiel geradliniger Religionsentwick-
lung vom primitiven Nomadengott bis zum rein geistigen Monotheismus vor
uns, und die neuere Erschliefiung des alten Orients, insbesondere die Forschun-
gen des Assyriologen Hugo Winckler, gaben ihm darin recht, dafi die Religions-
stiftung Moses' auf einem viel hoheren Kulturniveau erwachsen ist als die
altere, lediglich an dem arabischen Beduinenideal orientierte Auffassung be-
hauptet hatte. Die Ergebnisse der Orientforschung hat Oe. daher auch mit
grofier Freude in seine Geschichtsbetrachtung aufgenommen, wahrend er die
astralmythologischen Spekulationen fur verfehlt hielt, und den Begriff der Ent-
wicklung wuflte er auf sehr feine Weise vermittelst des Gedankens einer stufen-
weise fortschreitenden Erziehung mit der Vorstellung von einem geschicht-
lichen Offenbarungswalten Gottes in Israel zu vereinigen, das ihm auf Grund
seines Christenglaubens unerschutterlich feststand. In diesem Sinne schrieb er
iiber den »Kultus bei Amos und Hosea« in den Greifswalder Studien (1895),
iiber den »gegenwartigen Kampf um das Alte Testament« (1896), iiber »Jahve
und Baak (1898), »Amos und Hosea. Zwei Zeugen gegen die Anwendung der
Evolutionstheorie auf die Religion Israels« mit einem textkritischen Anhang
(1901), »Der religiose Wert des Alten Testaments« (1903), »Die Autoritat des
Alten Testaments fiir den Christen« (1906) u. a. m., und auf jener Grundlage
ruht auch sein bedeutendstes und reifstes Werk: »Die Geschichte Israels bis auf
Alexander den Gro6en« (1905). Andere Arbeiten beschaftigen sich mit dem
Babel- Bibel -Problem und den Beziehungen des Hammurabi -Gesetzes zur
144 Oettli.
Thora Israels (1903), das Buch Hiob erlauterte er fiir Bibelleser, wobei er das
Ratsel des Leidens in groflen Ziigen behandelte (1908), mancherlei Aufsatze aus
Oe.s Feder brachte die »Reformation«, und zahllose Rezensionen schrieb er fur
den »Theologischen Literaturbericht« und die »Neue Preuflische (Kreuz-)
Zeitung«.
Eine weitgreifende Wirksamkeit entfaltete Oe. aber auch durch seine Vor-
trags- und Predigttatigkeit, und schon die aufiere Erscheinung dieses Redners
machte auf viele einen tiefen Eindruck: eine geschlossene, majestatische Gestalt,
eine kiihn gewolbte Stirn, ein freundliches, durchdringendes Auge, das Antlitz
von weifiem Barte umrahmt, dazu eine Sprachgewalt, der man trotz der wohl-
abgemessenen Worte die gebandigte Leidenschaft anmerkte, das alles drangte
zu dem Vergleich mit einem Patriarchen. Auch Cremer und v. Nathusius
waren bedeutende Kanzelredner; wenn aber Oe. einmal im akademischen Gottes-
dienst predigte, dann kamen auch viele in die Jakobikirche, die sonst ganz andere
Wege gingen, und die tiefe Lebensweisheit, mit der dieser Prediger die Fragen
des Schicksals zu behandeln wufite, hat manche reiche Frucht getragen. Zwolf
seiner akademischen Predigten erschienen unter dem Titel, »Wir haben geglaubt
und erkannU 1902. Auch sonst ist Oe. im Leben der Universitat wiederholt in
den Vordergrund getreten. Als ihn das Konzil zum Rektor wahlte, sah sich der
geborene Universitatsrektor freilich zu seinem Schmerze genotigt, die Wahl
abzulehnen, da ihm sein altes Nervenleiden gerade viel zu schaffen machte;
dagegen wird alien Teilnehmern an der 450. Jubelfeier der Universitat Greifswald
im August 1906 die Festansprache unvergefllich sein, mit der Oe. vor der glanzen-
den Festversammlung in der machtigen Nikolaikirche das Jubilaum einleitete.
Sursum cordal Die Herzen empor! Das war der Grundton seiner Rede, und das
war auch der Grundton seines Lebens. Und doch traf ihn wahrend der reichen
dreizehn Jahre in Greifswald das schwerste Leid, um den starken Mann schliefi-
lich zu zerreiben. Nach langem Siechtum starb 1901 seine geliebte Frau; schon
damals meinte er, dafi das Leben nun fiir immer seine Freuden fiir ihn verloren
habe. Die Kinder zogen nacheinander in die Welt hinaus, und so wurde es in
dem geraumigen, gastlichen Hause in der Wilhelmstrafie allmahlich leer; eine
Reihe von Jahren stand eine alte Freundin der Frau dem Hauswesen vor,
aber auch sie muflte ihm fiir immer Lebewohl sagen; dem altesten Sohne seiner
Schwester, der soeben in Greifswald studiert, wie ein Sohn in Oe.s Hause gelebt
hatte und ganz plotzlich starb, hielt er in Basel noch die Grabrede iiber den
werborgenen Gott«, dann war es auch mit seiner Kraft zu Ende. Die Schlaf-
losigkeit, die ihn in gewissen Zwischenraumen schon des ofteren gepeinigt hatte,
wurde immer driickender; die Lust am Schaffen und die stille Lebensfreude,
die trotz allem noch aus seinem Auge leuchtete, und auch in seinem kostlichen
Humor gelegentlich zum Ausdruck kam, machte allmahlich einer zehrenden
Trauer, Verzagtheit, Hoffnungslosigkeit Platz, die zu dem sicheren Auftreten
der Herrschergestalt in eigentumlichem Gegensatz stand; alle Versuche, durch
einen Wechsel des Aufenthaltsortes und der Lebensweise Heilung herbeizu-
fiihren, schlugen fehl, und schliefilich notigte die nervose Schwermut den zer-
miirbten Mann, seine akademische Tatigkeit, die er trotz der Unterbrechungen
immer noch wieder aufgenommen hatte, ganzlich einzustellen und in einer
Nervenheilanstalt zu Illenau in Baden Linderung zu suchen. Fast drei Jahre
lang hat Oe. hier noch mit dunkeln Zweifelsfragen gerungen; schon im November
Oettli. Begas.
145
1910 schrieb er an seinen Freund Hauflleiter: »Auf Wiedersehen in Jerusalem«,
aber erst in der Fruhe des 23. September 191 1 kam der Tod als Freund zu ihm.
Zur Erinnerung an D. S. Oc. (mit Portrat), Bern, Stampfli, 1911. — D. S. 0e M Ein Gedenk-
wort von Prof. Dr. Wilke-Wien. Neue PreuB. (Kreuz-) Zeitung 191 1, Nr. 553 (mit Verzeichnis
seiner Schriften).
Wicn. Fritz W i 1 k e.
Begas, Reinhold, Bildhauer, * 15. Juli 1831 zu Berlin, f 4. August 1911 zu
Berlin. — B. erhielt seine Ausbildung zum Bildhauer 1846 — 51 auf der Ber-
liner Kunstakademie bei D. Christian Rauch; vervollstandigte und vertiefte
sie wahrend seines romischen Aufenthaltes 1856 — 58. 1861 wurde er als Pro-
fessor an die Weimarer Kunstschule berufen; eine Stellung, die er aber schon
1863 wieder auf gab und nach Berlin zuruckkehrte. In Berlin erhielt er die
Professur fur Bildhauerkunst an der Akademie, und in Berlin schuf er auch
seine namhaftesten Werke: 1865 — 71 das Schillerdenkmal, seine beruhmten
Portratbiisten: Kaiser Wilhelm, Kaiser Friedrich III., Bismarck, Moltke,
Menzel; Sarkophag Kaiser Friedrichs III.; die Figuren im Hofe der Ruhmeshalle
in Berlin; 1 89 1 Schloflbrunnen in Berlin; 1893 — 97 Nationaldenkmal Kaiser
Wilhelms I. in Berlin und 1901 Nationaldenkmal fur den Furs ten Bismarck in
Berlin. B. war der dritte Sohn des als Portratmaler sehr geschatzten Karl B.
Das vaterliche Haus »Am Karlsbad« bildete einen Mittelpunkt geselligen kunst-
lerischen Lebens im damaligen Berlin. Gleichsam symbolisch erscheint es uns
heute, dafi drei Freunde des Vaters und alle drei gefeierte Berliner Kunstler,
die Bildhauer Christian Rauch, Gottfried Schadow und Ernst Wichmann,
Reinhold B.s Taufpaten waren. Mit Rauch, dem geistvollen Vertreter der
klassizistischen Kunstrichtung in der Plastik, die noch bis zur Vollendung
des Denkmals Friedrichs des GroBen 1859 in Berlin herrschte und auch B.s Ent-
wicklung beeinfluflte, verbinden ihn seine ersten Studienjahre; von Schadow
konnte er die kraftigsten Anregungen und Impulse zu einer seinem Wesen und
Temperament nahestehenden realistischen Kunstrichtung empfangen; fast
spurlos gingen an ihm die Einwirkungen der ersten Lehrjahre bei Wichmann
voriiber. Dagegen wird sein romischer Aufenthalt von ausschlaggebender Be-
deutung fur sein ganzes spateres Schaffen. In Rom empfing B. die starksten
Anregungen fiir seine bildnerische Tatigkeit von Malern. In der Gefolgschaft
von A, Bocklin, Feuerbach und Lenbach bildete er sein »malerisches Auge«.
Von nun an begleitet »malerisches Sehen« ihn auch bei seiner Arbeit als
Bildhauer. Und er belebt nicht nur die Modellierung durch malerische Technik
und betont im malerischen Sinne den stofflichen Charakter der Oberflache, son-
dern er bevorzugt auch in der Komposition eine freiere malerische Gestaltung
von Gruppen mit lebhaftcn Bewegungsmotiven. Wie stark der Maler in ihm
war, zeigt ein Blick in seine Skizzenbiicher. Der Entwurf zu einem Theater -
vorhang lafit in der Art der Anordnung der Figuren zu Gruppen, in der male-
rischen Behandlung des Vorder- und Hintergrundes deutlich dieselben male-
rischen Elemente erkennen, wie sie in der Komposition seiner grofien Denk-
maler wiederkehren. Ebenso besteht ein inniger Zusammenhang zwischen
seinen gemalten Portrats und seinen Portratbiisten. Es war daher ganz natiir-
lich, dafi ein so malerisch veranlagtes plastisches Talent wie B. in die natura-
listische Stromung hineingeriet. Jene Werke, die B.s Ruf begriindeten und die
Biogj. Jahrbuch u. Deutschcr Nekrolog-. 16. Bd, 10
I46 Begas.
auf die Berliner Bildhauerschule grofien Einflufl ausiibten, sind mit alien Vor-
ziigen und auch Mangeln jener naturalistisch-malerischen Plastik behaftet.
Aus der Zeit seines ersten romischen Aufenthaltes stammen von zarter, fast
weiblicher lyrischer Empfindung beseelte Werke: »Pan trostet Psyche*; »Pan
als Lehrer des Flotenspiels« und der in seiner Lebensfulle fast antik anmutende
»Bacchusknabe«. In diesen Zusammenhang gehoren auch noch die iiberaus
liebenswiirdig empfundene Gruppe »Venus und Amor«, die in Berlin entstand;
die Gruppe »Merkur und Psyche« und eines seiner reifsten und schonsten Werke:
»Susanna«. Ein Nachklang an die erste Zeit seines romischen Aufenthaltes,
entsprang auch diese Schopfung um 1869 einem zweiten romischen Aufenthalt;
es liegt ein eigener Zauber iiber ihr: ein Abglanz antiker Lebensfulle und Schon-
heit. Und es sind nicht nur diese Vorziige, welche diese Statue so wertvoll
machen, sie ist zugleich ein Meisterwerk der Marmorskulptur. Ein von edler
Empfindung gemafiigter und gebandigter Naturalismus spricht aus dem Modell
zum Strousbergschen Grabmal (1874). Auch die beiden fur das Budapester
Schlachthaus ausgefiihrten Tiergruppen zeigen einen statuarisch gefestigten
naturalistischen Stil, der sich dann in seinen dekorativen Figuren im Hofe der
Ruhmeshalle: den beiden Kriegergestalten und in der »Borussia« wurdig den
Schliiterschen Plastiken anreiht. In all diesen Schopfungen treten die Eigen-
tiimlichkeiten von B.smalerisch-naturalistischem Stil im Detail der Formgebung,
hauptsachlich bei der Behandlung von Haaren und Gewandung, in einer die
Skulptur angenehm belebenden Weise hervor; sie liefien ihn vollends in der
folgerichtigen Anwendung auf das Bildnis einen bisher in der modernen Skulptur
nicht erreichten Ausdruck von Lebendigkeit erreichen, um so mehr, als auch
bei den besten dieser Arbeiten, in den Biisten von Menzel, Bismarck, Moltke,
eine treffende individuelle Charakteristik dazukommt, die Lebendigkeit des
Ausdrucks noch zu erhohen und zu steigern. B. erschien darum wie geschaffen
zur Ausfuhrung von Portratstandbildern, wie sie die damalige Denkmaler-
plastik forderte. Sein erstes Werk, das Schillerdenkmal in Berlin, zeigt ihn in
der Hauptfigur noch ganz im Geleise der durch Rietschel angebahnten Portrat-
denkmalerplastik, die den Gefeierten im Zeitkostiim darstellt. Wir begreifen
heute gar nicht mehr, dafl man sich 1865 iiber den darin zutage tretenden Realis-
mus erregen konnte. Viel starker tritt dieser in den Sockelfiguren hervor, die
in ihrer naturalistischen Entkleidetheit uns auch heute noch wenig monumental
anmuten. Aber das Ganze steckt doch noch tief im Schema der Rauch- und
Rietschelschen Konvention deutscher Denkmalerplastik. Auch das 1883 ge-
schaffene Humboldt-Denkmal bringt darin keinen Fortschritt. Im Gegenteill
In der Darstellung einer sitzenden Figur ist es viel vveniger gut als die von Rauch
und Rietschel geschaffenen Denkmaler Max Josefs I. in Miinchen und Konig
Alberts in Dresden. Dagegen ist der Kopf ausgezeichnet modelliert, und damit
scheint auch nachtraglich die erste Skizze, die ein Hermendenkmal beabsichtigte,
gerechtfertigt. Die nachste Etappe zur grofien Plastik, die auf freiem Platz
aufgestellt ist, bildet der Schlofibrunnen. Und hier treten auch schon die
negativen Seiten dieser malerischen Plastik so augenfallig hervor, dafi sie jedes
fur Raumgestaltung und Grofiplastik gescharfte Auge erkennt. Schon die
Komposition leidet an einem hochst bedenklichen Mangel statischer Festigkeit,
es fehlt ihr durchaus das architektonische Gerust, das auch noch die verwegen-
sten italienischen Barockschopfungen aufweisen, und mit diesem Mangel an
Begas. Jellinek. \ai
architektonischer und statischer Bedingtheit gebricht es der ganzen Erschei-
nung an Ruhe und Geschlossenheit und damit auch an monumentalem Ausdruck
und Grofie. Wir konnen uns des Vergleichs mit einem vergrofierten Tafel-
aufsatz nicht erwehren, und verstarkt wird dieser Eindruck noch durch die
Ftille kleiner naturalistischer Details und einer Menge genrehafter Einzelztige,
die den Gesamteindruck immer wieder durchkreuzen und storen. Und nicht
anders ergeht es uns auch vor B.s Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I., das
mit seiner kolossalen Haufung von Motiven, Gruppen, Einzelfiguren, Emblemen
und Dekorationen wie eine auf einer Schaubuhne arrangierte Apotheose an-
mutet. Diese im Sinne von Buhnenfestspielen arrangierte Architektur- und
Denkmalerplastik ist allerdings im Geschmacke der Zeit, die fiir die Losung
solcher monumentaler Aufgaben noch nicht reif war. Auch B. entging nicht
dem Verhangnis, das die grofien Gelegenheitsaufgaben unseren Kiinstlern be-
reiten. Auch er stand diesen grofien monumentalen Aufgaben mit den unzu-
langlichen Ausdrucksmitteln malerischer Plastik gegeniiber. Eine spatere
Zeit wird daher Schopfungen wie das Kaiser -Wilhelm-Nationaldenkmal und
das Bismarck-Denkmal nur als Aufierungen monumentaler Bildkunst einer
Zeit verstehen, welcher die grofie Tradition verloren gegangen war. Das kiinst-
lerische Streben und Wollen des Bildhauers B. wird am besten erkannt und
gewurdigt werden konnen in den lebensvollen Bildnisbusten, die er von seinen
grofien Zeitgenossen geschaffen hat, und in seinen mit plastisch-malerischem
Esprit modellierten Gruppen und Einzelfiguren. B.s Name gehort bereits der
Geschichte der deutschen Plastik an. Er fugt sich ihr ein als der dritte grofie
Bildhauer, der die Plastik nach Schadow und Rauch weiterfiihrte, in einer dem
modernen franzosischen Realismus ahnlichen naturalistisch-malerischen Rich-
tung. A. H e i 1 m e y e r.
Jellinek, Georg, Grofih. Bad. Geheimer Hofrat, Professor der Rechte an
der Universitat Heidelberg, * 16. Juni 1851 zu Leipzig, f 12. Januar 191 1 zu
Heidelberg. — Die ersten Lern- und Lehrjahre hat J. in Osterreich verbracht,
seine Meisterjahre haben dem Deutschen Reich gehort. Der Vater, ein ange-
sehener Kanzelredner, Gelehrter und Schriftsteller, wurde im Jahre 1857 von
Leipzig als Prediger der israelitischen Kultusgemeinde nach Wien berufen.
Hier oblag Georg, sein Altester, den Gymnasialstudien und bezog zum Winter-
semester 1867 die Universitat, an der er bis Ostern 1 870 als Horer der Rechte
immatrikuliert war. Die Fakultatswahl ist dem vielseitig begabten und inter-
essierten Jungling nicht leicht geworden. Zahl und Art der Vorlesungen, die
er besuchte, weisen auf ein friih entwickeltes Bildungsbedurfnis, das uber die
rechts- und staatswissenschaftlichen Berufsfacher hinaus philosophische, histori-
sche und kunstgeschichtliche Disziplinen umspannt. Das denkwurdige Sommer-
semester 1870 durfte er in Heidelberg verleben, und es war eine vorbedeutungs-
volle Fiigung, dafi Bluntschli als Prorektor den Neunzehnjahrigen, welcher
einst sein Nachfolger im Lehramt werden sollte, unter die Horer der Ruperto-
Carola aufnahm. An Bluntschlis hundertstem Geburtstag hat J. in dankbarer
Riickschau des Mannes gedacht, der dem Werdenden Mut und Kraft verlieh,
in den Kampfen der Gegenwart den richtigen Weg zu finden.
»Von dem unbezwingbaren Triebe nach umfassenderer und vertiefterer
Bildung ergriffen« — wie J. spater in seinem Habilitationsgesuch sagt — , ging
10*
I48 Jellinek.
er nach Leipzig, und die Jahre, die er dort, mannigfach und nachhaltig durch
die Beruhrung mit Gleichstrebenden gefordert, philosophischen, geschichtlichen
und nationalokonomischen Studien gewidmet hat, sind ihm in der Erinnerung
stets als die glucklichsten und fruchtbarsten seiner Jugendzeit erschienen. In
Leipzig erwarb er 1872 mit einer Dissertation iiber die Weltanschauungen
Leibniz' und Schopenhauers den philosophischen, an der Wiener Universitat
im Friihjahr 1874 den juristischen Doktorgrad, kehrte dann fiir kurze Zeit
nach Deutschland zuriick und trat im Dezember 1874 bei der niederosterreichi-
schen Statthalterei in den Verwaltungsdienst, den er jedoch bald verliefl, um
seine ungeteilte Kraft der Vorbereitung fiir die akademische Laufbahn zuzu-
wenden. Er war sich darliber klar geworden — es sind wieder seine eigenen
Worte — , dafi die juristischen Grundbegriffe einer gemafi dem Umschwung
der philosophischen Denkweise zu vollziehenden Revision bedurfen, und nichts
geringeres war das Programm seiner 1878 veroffentlichten Untersuchung »Die
sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe«. Als sie dreiBig
Jahre spater in zweiter Auflage erschien, durfte der Verfasser sagen, sie habe
mitgeholfen, von dem spekulativen Problem in das realistische hiniiberzufiihren,
und ein Kritiker hat das Buch als den Ausdruck rechtsphilosophischer Prin-
zipien bezeichnet, die Gemeingut der Wissenschaft geworden sind. Die Wiener
Juristenfakultat von 1878 war mehr Sibylle als Prophetin. Sie vermochte, als
der Habilitationswerber ihr die Schrift vorlegte, nicht die Oberzeugung zu ge-
winnen, »dafi er bereits jenes Mafi juristischer Reife und Bildung besitze, das
vom Professorenkollegium als eine unerlaflliche Vorbedingung fiir eine Dozentur
betrachtet wird«. Seither sind die Dozenten haufiger geworden, die Jellineks
freilich seltener.
Aufgrund einer — erst nach dem Tode des Autors gedruckten — Ab-
handlung iiber die Klassifikation des Unrechts wurde J. im Juni 1879 zur Probe-
vorlesung zugelassen und bald als Privatdozent fiir Rechtsphilosophie an der
juristischen Fakultat in Wien bestatigt. 1880 liefi er unter dem Titel »Die
rechtliche Natur der Staatenvertrage« einen Beitrag zur juristischen Konstruktion
des Volkerrechts, zwei Jahre spater »Die Lehre von den Staatenverbindungen*
erscheinen. Im Mai 1882 erlangte er kraft einhelligen Fakultatsbeschlusses
die Erweiterung der venia legendi auf das Gebiet des allgemeinen Staats- und
des Volkerrechts, und Karl Menger gab als Dekan in der an das Ministerium
gerichteten Eingabe der Zuversicht Ausdruck, dafi J. »nach seinen wissenschaft -
lichen Leistungen und seinen bisherigen Prazedenzien als Dozent auch in seinem
ausgedehnten Wirkungskreise sicherlich in jeder Beziehung seinen Pflichten
Geniige leisten wird«. An seinem zweiunddreifligsten Geburtstag erhielt er
das Dekret, laut dessen er zum auBerordentlichen Professor des Staatsrechtes
an der Universitat in Wien ernannt und »bis auf weitercs« verpflichtet wurde,
in jedem Wintersemester ein Kolleg iiber Volkerrecht abzuhalten. Er mochte
nicht ahnen, daB dieses »bis auf weiteres« den Anfang einer langen Kette von
Demiitigung und Feindseligkeit bilden sollte. In den Verhandlungen der Fakul-
tat iiber seine Beforderung zum Ordinarius spielte die Gretchenfrage nach der
Religion eine immer starker betonte Rolle, unwurdige Treibereien und Ge-
hassigkeiten, deren Ziel und Ursprung zum Teil fernab vom akademischen Boden
lag, traten hinzu, und als der Kultusminister wiederholter Zusagen uneingedenk
die Lehrkanzel des Volkerrechts mit Cbergehung J.s besetzte, blieb diesem —
Jellinek. \^g
es war im August 1889 — nur der Verzicht auf die akademische Stellung ubrig.
Der Minister, von der herrschenden Parteien Gunst verwirrt, beeilte sich, er-
leichterten Gemuts die Demission anzunehmen und so die Wiener Hochschule
einer ihrer schonsten und starksten Hoffnungen zu berauben. Es war freilich
derselbe Staatsmann, dem der Bureaukratenwitz das schnode Wort von der
»aktiven geistigen Handelsbilanz Osterreichs« eingegeben hat.
Aus schmerzlichster Erfahrung heraus hat J. spater von dem Bangen und
Kampfen um eine sichere Stellung gesprochen, das so manchem die besten Jahre
jugendfroher Tatigkeit vergallt, hat er die herbe Klage erhoben, dafi man in
Osterreich zu alien Zeiten an leitender Stelle die Kunst besessen habe, den Wert
der heimischen Talente grundlich zu verkennen. Dafi er mit dem Kainszeichen
der Begabung vaterlandfluchtig werden mufite, hat er nie ganz verschmerzt.
Immer wieder brach es wie ein heifier Strom der Erbitterung aus ihm her-
vor, wenn auf jene akademische Tragikomodie die Rede kam. Er hatte da-
mals Leistungen aufzuweisen, die heutigentags reichlich fiir ein halbes Dutzend
Ordinarien langen miiOten. Von kleinen Schriften uber Verfassungsgerichtsbar-
keit in Osterreich, uber das rechtliche Verhaltnis Kroatiens zu Ungarn, uber
parlamentarische Wahlprufung zu schweigen, hatte er im Jahre 1886 seine —
Joseph Unger zugeeignete — Monographic »Gesetz und Verordnung« veroffent-
licht, die zum erstenmal auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender
Grundlage die Kategorien staatlicher Willensbildung untersuchte und ihren
Verfasser in die vorderste Reihe der deutschen Publizisten einriicken liefi. Aber
alle Dokumente einer selbst den Gegnern imponierenden wissenschaftlichen
Erscheinung konnten ein einziges Dokument nicht ersetzen, dessen Mangel
J. zwang, ein neues Feld fiir Dasein und Arbeit zu suchen. Er habilitierte sich
an der Berliner Universitat fiir Staats- und Volkenxcht und ist vierzehn Tage
dort Privatdozent gewesen. Noch ehe seine Lehrtatigkeit wirklich begonnen
hatte, traf ihn die Berufung als Ordinarius nach Basel. Hier hat er noch den
Kreis derer um Nietzsche gefunden, kniipfte mannigfache personliche Be-
ziehungen, durfte sich namentlich dcs Umgangs mit Jakob Burckhardt erfreuen.
Heimisch ist er freilich dort nicht geworden. Basel war seinem Empfinden
nach doch nur ein Obergang, und es war ihm und der Wissenschaft zum Segen,
dafi dieses Empfinden ihn nicht getrogen hat. Im November 1890 erging an
ihn der Ruf, die durch Bulmerincqs Tod erledigte Professur des offentlichen
Rechts an der Universitat Heidelberg zu ubernehmen. Im Friihling 1891 trat er
sein neues Lehramt an, das er zwanzig Jahre lang, reich an Gliick und Ehre, mit
Erfolg und Freude verwalten sollte. Als den einstigen Schiiler der Ruperto-
Carola das Universitatsjubilaum des Jahres 1886 wieder in die Stadt gefuhrt
hatte, die auch ihm seit Jugendtagen ins Herz geschrieben stand gleich einer
Braut, konnte er nach Hause berichten, dafi sein Name nicht nur den engeren
Fachgenossen bekannt sei und dafi er nicht als ein, sondern als der Vertreter
des Staatsrechts aus Osterreich betrachtet werde. Jetzt war er, ein anerkannter
Fuhrer seiner Wissenschaft, berufen, das alteste Katheder des Naturrechts in
Deutschland zu besteigen, ruhmvolle Oberlieferungen zu hiiten und zu mehren,
die stolze Reihe fortzusetzen, die von Pufendorf uber Robert Mohl zu Bluntschli
leitet. Nach entnervenden inneren und aufieren Kampfen hat er in Heidelberg
sich selbst wiedergefunden. Hier durfte er in Wissenschaft und Leben seine
Vollkraft entfalten und die Gipfelpunkte seines Schaffens erreichen, die vor
1 50 Jellinek.
allem und fiir immer durch das noch in Basel begonnene »System der subjek-
tiven Sffentlichen Rechte« und die »Allgemeine Staatslehre« bezeichnet sind.
Die alte hohe Schule wufite, was sie an ihm besafi, und stellte ihn fiir das Stu-
dienjahr 1907/08 als Prorektor an ihre Spitze. Mit einer gedankenreichen Rede
liber den Kampf des alten Rechts mit dem neuen, in deren Feierklang Wissen
und Gesinnung zusammentonen, ubernahm er das Amt, das ihm reichen Anlafi
bot, die Vorziige seines Wesens bei groflen Gelegenheiten wie in den Geschaften
des akademischen Alltags zu bewahren. In jedem Sinn bedeutete dieses Jahr
die Hohe: es hat den Aufstieg gekront und den Abstieg eingeleitet. Eine lange
im Verborgenen schleichende Krankheit trat hervor, in ihren Vernichtungs-
zeichen jedem erkennbar, zum Gliick nicht dem Todgeweihten selbst, der,
umhegt von zarter Sorge, durch ein riihrendes Einverstandnis der Lieben und
der Freunde in wohltatiger Tauschung iiber das Unabwendbare befangen blieb.
Am Spatabend des 12. Januar 191 1 tat dieses heifle und giitige Herz seinen
letzten Schlag.
Das herrliche Geleitwort, das Wilhelm Windelband dem literarischen
Nachlafl J.s mitgegeben hat, riihmt an dem in Wahrheit Friihvollendeten die
zusammenschauende Kraft, die er in der Bewaltigung des gelehrten Materials
erwies, den Reichtum seiner intellektuellen Interessen und die Weite des Blicks,
mit dem er jedes Problem in die fruchtbarsten Beziehungen zu bringen wufite.
Bestimmt und selbstsicher hat sich diese Begabung schon in den ersten philo-
sophischen Versuchen J.s angekundigt, die eine universalistische Denkverfassung
im Verein mit einer unvergleichlichen Starke der wissenschaftlichen Apperzep-
tion offenbaren. J.s geistiger Habitus stellt eine Verschmelzung und Aus-
gleichung der drei Weltauffassungen dar, deren Definition sich in einer An-
merkung seines Notizbuchs aus den Siebzigerjahren findet: der theoretischen,
welche die Wahrheit sucht, der ethischen, der die Begriffe gut und bose als
oberstes Einteilungsprinzip gelten, und der asthetischen, deren Anschauung
sich nach der Schonheit oder Hafllichkeit der Gegenstande abstimmt. Es weist
auf die harmonische Folgerichtigkeit seiner Entwicklung, dafi schon die Doktor-
schrift in der Auseinandersetzung zwischen Optimismus und Pessimismus sich
zu Leibniz bekennt, dem Philosophen, dessen Werk und Personlichkeit durch
das Streben nach Universalitat gekennzeichnet wird. Jene friihreife Klarheit
iiber sich selbst liefl J. nach den ersten tastenden Schritten Stil und Methode
seiner wissenschaftlichen Aufgabe zu bleibendem Besitz gewinnen, ohne dafl
irgendeine schulmaflige Verwandtschaft oder Abhangigkeit festzustellen ware.
Er war nie Schuler und gleich Meister. Deshalb mochte er darauf verzichten,
den Leser, wie dies neuestens Brauch, mit auf- und zudringlichen Enthiillungen
iiber den »Charakter seines Erkennens« zu behelligen; vielmehr durfte er eben
kraft einer vornehmen Sachlichkeit um so gewisser auf das Erkennen seines
Charakters rechnen.
Um J. die gebiihrende Stelle in der Entwicklung der deutschen Rechts-
und Staatslehre anzuweisen, mufi man sich gegenwartig halten, dafl zur Zeit
seines Eintritts in den Bannkreis gelehrten Schaflfens der grofie Umbildungs-
prozefi des mitteleuropaischen Staatensystems zu Ende und damit wissenschaft-
licher Behandlung der neuen politischen Daseinsformen der Boden bereitet war.
So konnte er schon in der »Lehre von den Staatenverbindungen« mit festen
geschichtlichen Groflen operieren und bereits in diesem Buch das Problem zur
Jellinek. I c I
Erorterung stellen, das ihn eigentlich nicht mehr freigegeben hat: die Scheidung
zwischen juristischer und politischer Betrachtungsweise. Er will der von der
zivilistischen Jurisprudenz erarbeiteten Methode den Forschungsbereich des
offentlichen Rechts erschlieBen und versucht so in gewollter Abkehr von den
»dynamischen« Elementen seines Stoffes eine Rechts theorie der Staatenver-
bindungen aufzubauen, die sich ihm, sofern eine bleibende Regelung zwischen -
staatlicher und staatlicher Verhaltnisse ihr Zweck, in dem Gegensatz von
Staatenbund und Bundesstaat erschopfen. Der Fortgang der Dinge hat freilich
dem damals von Schaeffle erhobenen Einwand recht gegeben, dafi es fur die
Ziele der praktischen Politik nahezu unfruchtbar ist, die zusammengesetzten
Staaten immer wieder auf das Prokrustesbett jenes juristischen Gegensatzes
hinzuwerfen. Das haben ja zur Genuge die mufiigen, weil aussichtslosen Dis-
kussionen uber die Rechtsnatur der osterreichisch-ungarischen Monarchic ge-
zeigt. Auch mit »Gesetz und Verordnung« stellt sich J. bewufit und ausdriick-
lich in den Dienst der Aufgabe, das Staatsrecht aus dem flussigen Element einer
schwer zu begrenzenden Kunde vom Staat dauernd hiniiberzufiihren in den
festen Aggregatzustand einer juristischen Disziplin. Das war ihm nicht etwa
gleichbedeutend mit irgendeiner Art juristischen Offenbarungsglaubens oder
rnit der Befriedigung eitler Lust an dialektischer und konstruktiver Mache.
Er erkannte, dafi eine Untersuchung der durch die konstitutionelle Ordnung
geschaffenen Formen, in denen der Staatswille sich aufiert, eine grundliche
und vergleichende Kenntnis des Gewordenen und Gegebenen zur notwendigen
Voraussetzung hat. Diesem methodologischen Leitsatz ist der bis auf den
heutigen Tag weder ubertroffene noch auch nur erreichte historische Teil des
Buches zu danken, der — um bloB einiges aus der Fulle herauszuheben — die
Geschichte des konstitutionellen Gesetzes in Frankreich, des englischen und des
belgischen Budgetrechts, des Rechtes der Staatenvertrage aus den Quellen mit
souveraner Beherrschung einer fast uniibersehbaren Literatur darstellt.
Vierzig Jahre, nachdem Gerber den ersten Versuch unternommen hatte,
das Gebiet der offentlichen Rechte des Einzelnen von rein staatsrechtlichen
Prinzipien aus systematisch zu bearbeiten, hat sich J. diesem Problem zu-
gewendet, das in der Zwischenzeit von der Theorie beinah vollig, wohl nicht
ohne Absicht, vernachlassigt worden war. Es kam in besonderem Mafi seinem
wissenschaftlichen Interesse entgegen, lag durchaus in der Richtung einer Denk-
arbeit, die sich seit langem muhte, feste Punkte fur die Bestimmung des Ver-
haltnisses zwischen dem Individuellen und dem Oberindividuellen zu gewinnen,
um so die hieher gehorigen Erscheinungen und Tatsachen der Rechtswelt
allgemeineren Zusammenhangen einzuordnen. Hat er doch einmal die richtige
Grenzbestimmung zwischen dem Ich und der Gesamtheit als das hochste Pro-
blem bezeichnet, welches denkende Betrachtung der menschlichen Gemein-
schaft stellt. Vielleicht ist deshalb das >>System der subjektiven offentlichen
Rechte« das Lieblingswerk des Verfassers geblieben, der die entscheidenden
Ziige seiner geistigen Physiognomie hier in deutlichster Pragung wiederfand
und in dem Buch seine reifste, starkste, ihm selbst eigentumlichste Schopfung
sah. Als es binnen kurzer Frist die zweite Auflage erlebte, durfte er sagen,
dafi es eine prinzipielle Losung bedeutet, zu der jeder, der gleiches versucht,
Stellung nehmen mufi, mag er auch auf anderem Boden stehend anderen Re-
sultaten zustreben. In der Tat hat von dem Buch eine umfassende kritische
152 Jellinek.
Erorterung den Ausgang genommen und dem »System« im wissenschaftlichen
Erkenntnisprozefl den Platz gesichert, den der Autor fiir sein Werk erhofft
und erwartethat: dafi es namlich nicht sowohl durch seine bleibenden Ergebnisse
als vielmehr durch das Mafi vorwSrtstreibender Kraft, das es hegt, Wert und
Wirkung gewinne.
Um die Jahrhundertwende gab J. eine Selbstrechenschaft seines wissen-
schaftlichen Lebenswerks: er liefi als ersten Teil eines »Rechts des modernen
Staates« die »Allgemeine Staatslehre« erscheinen, die jedoch ihrer ganzen Anlage
nach und gemafi dem Plan ihres Urhebers als eine in sich geschlossene und ab-
schliefiende Behandlung des Gegenstandes gelten mufi. Es ist ohne Frage nicht
nur seine, sondern iiberhaupt die groflte Leistung, welche die Lehre vom Staat —
keineswegs blofi jene der Deutschen — in der Zeit nach der Reichsgrundung
hervorgebracht hat. Abgesehen von dem Reichtum neuer Problemstellungen
und -losungen, von der wahrhaft kunstlerischen Architektonik des stofflichen
Aufbaus, von der im besten Sinn gemeinverstandlichen Klarheit des Vortrags
ist das Buch entwicklungsgeschichtlich eine Urkunde von heut noch gar nicht
abzuschatzender Bedeutung fiir die Wahl der Wege, die kunftig die Staatsrechts-
wissenschaft zu suchen oder zu meiden hat. Um die fortschreitende »Politi-
sierung der Staatsrechtslehrer« zu erweisen, hat sich in jiingster Zeit Walther
Schiicking auf J.s Werk berufen, dessen Erscheinen ihm den allgemeinen Um-
schwung in der Rechtswissenschaft und das Erwachen einer mehr philosophi-
schen Betrachtung staatsrechtlicher Dinge anzeigt. Auch er weifl freilich nicht
zu sagen, wie die unleugbaren Errungenschaften der juristischen Schule fest-
zuhalten sind, wie dogma tische und dynamische Betrachtung in der Staats-
rechtslehre getrennt werden sollen, damit der Eifer fiir individuell erwiinschte
rechtspolitische Ziele die Erkenntnis des geltenden Rechts nicht trube. J.
selbst war des Glaubens, dafi der stete Hinblick auf die Wirklichkeit des politi-
schen Lebens die staatsrechtliche Theorie von Abirrungen frei erhalt — ein
frommer Glaube, der angesichts mancher Gesinnungsexzesse zuschanden ge-
worden ist. Auch in das noch so ehrlich gemeinte Bemiihen, die politische Re-
alitat methodisch zu erfassen und wissenschaftlich zu fixieren, drangen sich
Momente des subjektivistischen Wertempfindens ein, welche den Erfolg und
Ertrag solcher Versuche allzusehr dem personlichen parteimafligen Urteil des
Betrachters anheimgeben. Zwischen dieser und der andern Gefahr: das Leben
der Gegenwart mit und an den Kategorien der Vergangenheit zu messen, wird
die Staatsrechtslehre, wenn ihr Name nicht Schall und Rauch sein soil, ihre
Bahn zu finden haben. J. hat ihr hiezu mit seinem Buch das »novwn organon*
geschaffen; in gemessenem Abstand wohl auch in dem Sinn, den Francis
Bacon fiir seine grofle Erneuerung in Anspruch nahm: als das Ende und die
Grenze des Irrtums.
J. hat freilich der so beliebten Selbsttauschung iiber die Fortschritts-
moglichkeiten der Wissenschaft keinen Raum gegeben, sich vielmehr zu der
Einsicht resigniert, dafi das Symbol des Wissens vom Menschen nicht die Gerade
ist, die ins Unendliche f uhrt, sondern der Kreis, der in sich zuriickkehrt. Diesen
Kreis — soweit er Recht und Staat umfafit — hat er nach alien Richtungen
hin mit Erkennerfreude und Entdeckergliick ausgeschritten. Neben und
zwischen seinen grundlegenden systematischen Arbeiten sind Parerga ent-
standen, die in engerem Rahmen Fragen der Rechtsphilosophie, des offent-
Jellinek. j c -i
lichen Rechts, der Verfassungsgeschichte behandeln und deren Klarung
um ein gutes Stiick gefordert haben. Aus ihrer grofien Zahl seien der
Vortrag iiber das Recht der Minoritaten, die scharfsinnigen Ausfuhrungen uber
Staatsfragmente, die staatsrechtlich-politische Untersuchung »Verfassungs-
anderung und Verfassungswandlung«, endlich die Schrift uber die Erklarung
der Menschen- und Burgerrechte herausgegriff en : letztere vor allem, weil sie
in zahlreiche Kultursprachen ubersetzt wurde und von ihrem Erscheinen bis
zum heutigen Tag im Mittelpunkt einer dem Anschein nach nicht zu erschopfen-
den literarischen Auseinandersetzung steht. Als Mitbegrunder der Heidel-
berger »Staats- und Volkerrechtlichen Abhandlungen«, des Sammelwerkes
»Das offentliche Recht der Gegenwart« nebst dessen Erganzung, »Jahrbuch
des offentlichen Rechts«, endlich — seit 1908 — als Mitherausgeber des »Archivs
fur offentliches Recht« erwarb sich J. um den juristischen Gesamtbetrieb
unserer Tage unvergessene Verdienste.
Sein Bestes, Echtestes hat er aber dort gegeben, wo er ohne das Medium
der Druckerschwarze er selber sein und auf Werdende wirken konnte: in Horsaal
und Seminar. Zeitlebens hatte er eine starke Meinung von Ehre und Wurde
des deutschen Professors, dem — nach einem guten Wort Gustav Freytags —
das eigene Leben wenig bedeutet im Dienste der Wissenschaft. Solche Ein-
schatzung der gelehrten Mission schuf ihm das lebendige Gefiihl der Verant-
wortlichkeit, einer geistigen Haftpflicht fur das, was er als Organ der grofien
deutschen Wissensgemeinschaft den Lernenden zu bieten hatte, um vor ihnen
und vor sich selbst jene hohe Meinung dauernd zu rechtfertigen. Dafl jedes
neue Semester immer weitere und dichtere Kreise von Schtilern um ihn zog,
hat ihn tief begliickt und ihm Genugtuung gewahrt fur manche Stunde des
Zweifels und der inneren Not. Er hat wie kaum einer vor und anscheinend
auch keiner nach ihm eine wirkliche Schule des offentlichen Rechts begrundet,
die in ihrer raumlichen Ausbreitung, in ihrer Internationalist den heutigen,
auf Durchdringung grofier Zusammenhange gerichteten Stand der Wissenschaft
spiegelt, das Abbild des Lehrers also lebensvoll bewahrt und es fast noch deutlicher,
als dies seine Schriften vermogen, kommenden Geschlechtern (iberliefert. Dafi
auch seine akademische Arbeit nach dem Thema von der Freiheit des einzelnen,
von dem unverbruchlichen Recht der Personlichkcit orientiert war, ist fiir den
einheitlichen Aufbau seines geistigen Werkes charakteristisch und bedeutsam.
Er ward nicht miide, seine Schuler durch Mahnung und Beispiel zum Respekt
vor dem Urrecht wissenschaftlicher Erkenntnis- und Bekenntnisfreiheit, zur
mitverstehenden Einfiihlung in die Gedankengange anderer zu erziehen. Er
selbst hat dem Behagen am polemischen Ausfall im Fortgang seines Schaffens
immer mehr abgesagt, und die wachsende Einsicht in die Relativitat aller
menschlichen Wahrheitswerte liefi ihn bei ungeminderter Scharfe der kritischen
Urteilskraft zu einer ruhigeren Wurdigung gegnerischer Standpunkte gelangen.
Die ungewohnliche geistige und seelische Reizsamkeit des Mannes ermoglichte
ihm, zwang ihn sogar, neuen Stromungen der intellektuellen Bewegung, mochte
auch nur ihr Nebenarm auf sein eigentliches Arbeitsfeld leiten, mit innerer Teil-
nahme, nicht selten mit werktatiger Parteinahme zu folgen. Fur das Gipfel-
chen freilich, welches sich vermifit, dafi es allein der Erde nicht entschossen,
fur die Altklugheit, die, kaum der juristischen Berlitzschule entwachsen, gleich
den letzten Fragen von Recht und Staat sozusagen aus dem Handgelenk
1 54 Jellinek. Sicbold.
Antwort weifi, fur die unfreiwillige Ideenaskese endlich und die marktschreie-
rische Begriffsakrobatik, die sich jetzt im Gebiet der Staatsrechtslehre breit
macht, hatte J. nur ein Lacheln mitleidiger Geringschatzung gefunden, im
besten Fall das gem zur Abwehr und Abfertigung gebrauchte Dante -Wort:
Non ragionam di lor, ma guarda e passa.
All dies ausgreifende und vielfaltige Tun in Forschung und Lehre, dieser
Staatsdienst in einer, man darf wohl sagen, verklarten Bedeutung des Wortes
war erfiillt und gebunden durch den schonen Ernst des personlichen Wesens,
dessen Trager sich in rast- und schonungsloser Selbstprufung uber manche
Klippe des Temperaments hinweg zu mildem Gleichmafi emporgekampft hatte
und, um wieder mit ihm zu reden, Meister in der schweren Kunst geworden war,
Fuhlen und Denken ganzlich auseinanderzuhalten. Flir J.s Genossen und
Freunde war dieses stille Wirken lauternder Energien ein Schauspiel von hohem,
ergreifendem Reiz, aber zugleich die Quelle, aus der ihrem eigenen Dasein Licht
und Warme zustromte. Wer ihn erlebt hat, bewahrt es als ein kostliches Schick-
salsgut, dafi er ihn erleben durfte, Zeuge, Bewunderer und Geniefier so ver-
edelter Menschlichkeit, steter Hilfsbereitschaft, opfervoller Treue und eines
seltenen Einklangs von Talent und Charakter werden konnte. In Goethes Sinn
haben, die ihm nahestanden, sein Scheiden aus dem Kreis der Sterblichen
als eine AVandlung zu hoheren \\andlungen« empfunden.
Egon Zweig.
Siebold, Alexander Georg Gustav Freiherr v., kaiserlich japanischer Lega-
tionsrat, * 16. August 1846 zu Leyden, Holland, f 23. Januar 191 1 zu Pegli,
Italien.
Die Siebold sind ein altes Geschlecht vom Niederrhein. Karl Caspar v. S. war
von seinen Zeitgenossen Chirurgus inter germanos princeps genannt worden. Sein
Sohn Georg Christoph wirkte bis 1798 als Professor der Medizin und Chirurgie
am Julius-Spital in Wiirzburg. Dessen Sohn Philipp Franz studierte an der
Universitat Wiirzburg Medizin und Naturwissenschaften und erwarb sich dort
1820 die Doktorwiirde. Philipp Franz unternahm 1822 im Auftrage der Sencken-
bergischen naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt eine Reise nach Nieder-
landisch-Indien. Er bewarb sich dazu um eine Anstellung als Militararzt und
wurde 1822 zum Chirurgyn -Major in der niederlandisch-indischen Armee
ernannt. In Java wurde ihm von dem Generalgouverneur Baron van der
Capellen angeboten, die neue, nach Japan gesandte Mission zu begleiten und
bei der hollandischen Faktorei als Arzt zu bleiben, dort wissenschaftliche Stu-
dien zu treiben, um damit hollandischem Einflufi und Handel etwas mehr in
dem vollig abgeschlossenen Inselreiche Eingang zu verschaffen. Am II. August
1823 erreichte S. den Hafen von Nagasaki. Japanische Schiiler und Freunde
scharten sich um ihn und waren ihm bald bei seinen wissenschaftlichen Forschun-
gen behilflich. Durch Verrat erhielt die Regierung im Dezember 1828 Kenntnis,
dafi S. Kartenmaterial aus Yedo erhalten hatte. Eine peinliche Untersuchungs-
haft wurde uber ihn verhangt, viele seiner Freunde wurden ins Gefangnis ge-
worfen. Obgleich keine Beweise fur den angeblichen Landesverrat erbracht
werden konnten, gelang es erst im Herbst 1829 Philipp Franz v. S., die Freiheit
zu erwirken. Am 2. Januar 1830 verliefi er Japan, aus dem er fur ewig verbannt
war. Bei Leyden, auf seiner Besitzung Nippon, bearbeitete Philipp Franz v. S.
Siebold.
155
die Forschungen und Beobachtungen, die er wahrend seines uber sechsjahrigen
Aufenthaltes in Japan angestellt hatte. Dorthin brachte er auch 1845 seine
junge Frau, >Helene Ida von Gagern, und dort wurde Alexander v. S. am
16. August 1846 geboren.
Schon bald siedelte v. S. mit Frau und Kind nach dem alten Kloster
St. Martin bei Boppard a. Rh. uber. Das Ziel, auf das der Vater Alexanders
v. S. damals hinarbeitete, brachte er in einem Schreiben vom 9. Marz 1853
an den Prinzen Heinrich der Niederlande zum Ausdruck: »Die friedliche Er-
offnung Japans fur den Weltverkehr unter Aufrechterhaltung der alten Vor-
rechte und der bevorzugten Stellung Hollands in den japanischen Gewassern«.
Diesem Zwecke diente auch eine Reise nach St. Petersburg 1853. Er war
dorthin vom Minister des Aufleren berufen worden, »afin de dormer des ren-
seignements sur une question que nul autre Europeen etait d mime de donner«.
Seine Hoffnungen, Rufiland zum Ankniipfen freundschaftlicher Beziehiingen
mit Japan von Norden aus veranlassen zu konnen, ehe andere Machte Gewalt-
mafiregeln gegen Japan ausflihren konnten, wurde durch den Ausbruch des
Kximkrieges und den Tod des Kaisers Nikolaus vereitelt. Russische Expan-
sionsgeluste wurden dadurch auf Jahre hinausgeschoben. Inzwischen aber
hatten die Bestrebungen der Amerikaner unter Commodore Perry 1853 — 1854
zur Offnung einiger Hafen, Shimoda und Hakodate, gefuhrt. England und
Holland erhielten ahnliche Konzessionen in Nagasaki und Hakodate.
1858 wurden Vertrage mit England, Frankreich, Rufiland und den Vereinig-
ten Staaten von Amerika und Preufien abgeschlossen, wonach einige weitere
Hafen dem Weltverkehr geoffnet werden sollten; die Fremden durften sich dort
niederlassen und 40 km im Umkreise sich bewegen. Gesandtschaften und
Konsuln wurden zugelassen, denen die Gerichtsbarkeit iiber ihre Untertanen
zustand. Die Anhanger des christlichen Glaubens wurden nicht mehr verfolgt.
Fremder Handel wurde gegen einen gleichmafiigen Einfuhrzoll von 5% gestattet.
Dabei wurde auch auf diplomatischem Wege das Verbannungsurteil gegen Philipp
Franz v. S. aufgehoben. Sofort beschlofl v. S. nochmals nach Japan zu reisen.
Die hollandische Regierung trug Bedenken, ihn sogleich in diplomatischer
Eigenschaft nach Japan zu senden. Aber die Niederlandische Handels Maat-
schappj bot ihm die Stellung eines Adviseurs bei ihrer dort neu zu errichtenden
Handelsagentur an. Den 63 jahrigen Mann sollte sein 12V2 jahriger Sohn
Alexander begleiten.
Alexander v. S. hatte bis dahin in Boppard eine Volksschule, dann die
Privatschule von Fischer in Bonn besucht. 1857 kam er auf das Gymnasium
zu Bonn, konnte aber dort 1858 nicht die Versetzungsreife fur die IV. Klasse
erlangen. Er sollte sich nunmehr in der Pension van der Meulen in Leyden
zum Eintritt in die hollandische Marine vorbereiten. Die Reise nach Japan
liefi diesen Plan jedoch nicht zur Ausfiihrung kommen.
Anfangs April 1859 verliefien Vater und Sohn Bonn und fuhren uber Paris
nach Marseille. Von hier ging die Fahrt an Bord des englischen Postdampfers
»Tiger« nach Alexandrien. Ober Land ohne Aufenthalt in Kairo ging es weiter
nach Suez, von wo die Fahrt liber Aden, Singapore nach Batavia fortgesetzt
wurde. Nach einigem Aufenthalte dort und in Buitenzorg, der Residenz des
Gouverneurs, ging es weiter nach Shanghai. In dem hollandischen Konsulat
war der junge Alexander v. S. Zeuge eines Auf stands der Chinesen, welcher sich
1 5 6
Siebold.
gegen die Fremden richtete und der durch kaiserlich chinesische Truppen
niedergeschlagen werden mufite.
Im August 1859 landete Philipp. Franz v. S. mit seinem Sohne Alexander
in Nagasaki. Auf der Reise hatte Alexander v. S, Malayisch lernen mussen,
eine Sprache, die in wenig Monaten von Europaern zu erlernen sein soil. Jetzt
begann der Unterricht im Japanischen und in der chinesischen Schriftsprache.
Shuzo, ein Adoptivsohn des Arztes Ninomiya Keisak, der hollandisch sprach,
wurde der eifrige Lehrer des jungen Alexander, dessen weitere Tatigkeit im
Pflanzentrocknen und Ausbalgen von Vogeln und andern Handlangerdiensten
bestand. Bei einer Audienz beim Gouverneur von Nagasaki, Okabe Surugano
Kami, erhielt v. S. die Erlaubnis, mit seinem Sohne in dem Tempel von Hon-
renji Aufenthalt zu nehmen, der, hoch liber der Stadt gelegen, eine prachtvolle
Aussicht auf die ganze Bucht von Nagasaki bot. Der junge v. S. mufite hier
nun auch die japanische Schriftsprache schreiben lernen. Sie besteht aus
einem Gemisch von chinesischen und japanischen Zeichen. Die Katakana-
und Hirakana-Schrift beherrschte v. S. mit derZeit, schwerer fiel ihm die in alien
wissenschaftlichen und amtlichen Werken untermengten chinesischen Zeichen
zu erlernen, von denen ein gebildeter Mensch einige tausend kennen mufi.
1 86 1 begleitete A. v. S. seinen Vater uber Yokohama nach Yedo. Dorthin
war Philipp Franz berufen worden, um europaische Wissenschaften zu lehren.
Im Palais Akabane nahmen sie Wohnung. Wachen von 300 Mann wurden
ihnen gestellt, denn es garte in der Bevolkerung, deren Hafi sich gegen alles
Fremde richtete. Am 4. Juli 1861 wurde durch Ronin des Fiirsten von Mito
ein tJberfall auf die englische Gesandtschaft in Yedo unternommen, die in
dem Tempel Tozenji Wohnung genommen hatte. Sir Rutherford Alcock
entkam nur durch einen Zufall, zwei Herren wurden verwundet. Das Shogunat
hatte namlich zunachst aus eigener Machtvollkommenheit die Zulassung der
Fremden dekretieren wollen, aber die Furcht vor den Folgen hatte den Shogun
veranlafit, vorher beim Mikado die Erlaubnis dazu erst einzuholen. Als dessen
ablehnende Antwort nun aber ignoriert wurde, hatte diese Auflehnung gegen
das Kaisertum in Verbindung mit der durch die vorherige Anfrage selbst doku-
mentierten Angst und Schwache die alten Fiirstengeschlechter derartig auf-
gebracht, dafi sie den Sturz des Shogunats erstrebten, um die Herrschaft dem
Mikado zuruckzugeben. Diese Erhebung der Landesfursten hatte zwar zunachst
Erfolg, der Shogun fiel, die alte Kaiserherrschaft kam aber nicht wieder —
sondern uber das alte Feudalsystem hinweg entstand eine neue Kaiserg&walt,
die den modernen Staat schuf, vom alten nur die Dynastie behielt. An diesem
Werdegang des Japanischen Reiches haben nur wenige Europaer teilgenommen.
Aus eigener Anschauung konnte A. v. S. sich iiber die Entstehung des modernen
Japan klar werden.
i860 sollte er Kadett in der kaiserlich russischen Marine werden. Admiral
Likhatcheff, der damals in den chinesischen Gewassern mit einem kleinen
Geschwader kreuzte, hatte den jungen v. S. angenommen. Juni 1861 war die
kaiserliche Ernennung eingetroffen mit der Ordre, sich im Dezember in Hakodate
beim Kommandanten Birileff zu melden. Jedoch die Mutter in der fernen
Heimat erhob dagegen Einspruch; der Sohn sei zu schwachlich zum seemanni-
schen Berufe. Es sollte sich auch bald etwas anderes finden. November 1861
bekam der hollandische Generalkonsul Bedenken, seinen Schutzbefohlenen v. S.
Siebold. icy
noch immer in Yedo zu wissen. Auch die japanische Regierung glaubte wohl
nicht mehr sicher genug zu sein, um v. S. zu schutzen. Sie legte ihm nahe,
Yedo zu verlassen, nicht ohne ihn vorher noch mit Geschenken, darunter einem
Ehrensabel des Shoguns, zu bedenken. Die Zeit bis zum Eintritt des jungen
Alexander in die russische Marine verbrachten Vater und Sohn in Yokohama.
Mr. Edward Clarke, der portugiesische Honorarkonsul, uberraschte damals auf
einem Spaziergang den Jungen mit der Frage, ob er wohl in den Dienst der
groflbritannischen Regierung bei der Gesandtschaft in Japan treten wolle.
Alexander v. S. war sofort bereit, und als er einige Tage darauf die offizielle
Anfrage mit dem Angebot der Ernennung zum aufleretatsmafligen Dolmetscher
der japanischen Sprache mit 6000 M. Gehalt, Dienstwohnung und freier Sta-
tion im Hause des Gesandten erhielt, da war zwar der Vater etwas tiberrascht,
gab aber schliefllich seine Einwilligung. Der englische Gesandte Sir Rutherford
Alcock nahm den kaum 15 jahrigen Alexander v. S. sehr freundlich auf, so dafl
der alte Vater nach wenigen Wochen bei seiner Abreise von Japan seinen altesten
Sohn in einer sicheren Laufbahn verlassen konnte. Alexander sollte seinen
Vater, der bis zum Tode seine ganze Kraft fiir Verbreitung der Kenntnis von
dem Lande der aufgehenden Sonne widmete, nicht mehr sehen. Philipp Franz
starb am 18. Oktober 1866 in Miinchen.
Die Stellung Alexanders v. S. war dienstlich zunachst keine leichte. In
Japan war die diplomatische Sprache damals die hollandische. Bei offiziellen
Besprechungen wurde also zunachst durch den Dolmetscher der englische Aus-
spruch des Gesandten ins Hollandische, dieses wieder ins Japanische ubertragen.
Dadurch biiflte die damals sehr gebotene klare, scharfe Ausdrucksweise vieles
ein. Anlafllich einer Konferenz des Gesandten mit dem Gorojiu, dem regieren-
den Staatsrat, iiber die Unsicherheit der Europaer, bedurfte es zunachst einer
kleinen List, um die japanischen Minister davon zu iiberzeugen, dafl v. S.
direkt vom Englischen ins Japanische zu ubertragen vermochte. Das Gesprach
wurde auf Taschenuhren gebracht, und siehe — die an der andern Seite des
Gemaches am Boden sitzenden Japaner verstanden die Erklarungen, welche
ihnen der junge v. S. gab, ausgezeichnet und waren bald in ein Gesprach mit
ihm verwickelt. Damit hatten sie die Sprache des jungen v. S. anerkannt,
der nunmehr der Dolmetscher fiir die Wunsche des englischen Gesandten war.
Leicht war auch dies fiir v. S. nicht, denn er konnte damals, als er angestellt
wurde, noch kaum Englisch. Der Gesandte sprach allerdings auch franzosisch.
Mit dem 16. Jahre meldete sich v. S. zur Ablegung des englischen Staats-
examens, was vorher nicht moglich war. Seine Kenntnisse bedurften sehr der
Nachhilfe, die er fleiflig bei den Geistlichen der verschiedenen Missionen, nament-
lich bei einem Jesuitenpater, suchte, der bereitwillig dem jungen Pfotestanten
Unterricht erteilte, ohne je einen Versuch zu machen, die eigenen Glaubens-
lehren ihm beizubringen. Das fiir den englischen Zivildienst vorgeschriebene
Examen bestand v. S. Er erhielt am 21. August 1863 dariiber ein Honorar-
diplom, wonach er definitiv zum Dolmetscher und Obersetzer ernannt wurde.
Noch war das Shogunat nicht gesturzt, und die kaiserliche Partei ging daher
gegen die Fremden, welche durch die Gegenpartei ins Land gekommen waren,
allerorten vor. So wurde am 26. Juli 1862 ein Angriff auf die englische Gesandt-
schaft gemacht, bei deren Verteidigung v. S. lebhaften Anteil nahm. Die eng-
lische Gesandtschaft und die amerikanische wurden dabei niedergebrannt. Es
158
Siebold.
beweist dies, wie wichtig die erste japanische Gesandtschaft war, welche im
Januar 1862 Japan verlassen hatte, um an den Hofen der Vertragsmachte
einen Aufschub fur die Eroffnung des Landes an die Fremden zu erwirken.
Damals hatte das Bestehen auf der Eroffnung von Yedo und von fiinf andern
Vertragshafen den Ausbruch einer allgemeinen Fremdenverfolgung bedeutet.
Daher haben die Machte den Aufschub auch zugestanden. 1862 war ein Eng-
lander Richardson von dem Gefolge des Shimatsu Saburo, des Bruders des
Daimios von Satsuma, erschlagen worden, weil er durch eine Lucke in ihrer
Marschkolonne durchgeritten war. Als die Auslieferung des Shimatsu Saburo
verweigert wurde, lieOen die Englander durch Admiral Kuper im August 1863
Kagoshima, die befestigte Hafenstadt des Fiirstentums Satsuma, beschiefien.
v. S. war mit dem englischen Geschaftstrager Oberst Neale an Bord des Flagg-
schiffs Euryalus, auf dem wahrend des Gefechts u. a. der Kommandant Kapitan
Joslin und der zweite Kommandant Commander Wilmott fielen. Der Ausbruch
eines Taifun zwang die Flotte zum Abbruch des Gefechts, setzte sie aber in
der Nacht der Gefahr aus, unterhalb der feindlichen Forts zu stranden. Der
Erfolg war, dafi Satsuma um Frieden bat, die geforderte Entschadigung von
25 000 £ zahlte und auch das Shogunat ioo 000 £ Suhne Ieistete. Dadurch
war die Stellung des Shogunats aber noch mehr erschiittert. Die Vermittlung
von Matsudaira Katamori, Furst von Aizu, einem Anhanger des Shoguns,
erreichte, dafi der Kaiser 1865 den Vertrag von 1858 mit den fremden Machten,
den das Shogunat gegen seinen Willen abgeschlossen hatte, anerkannte. War
auch dadurch anscheinend ein Einverstandnis erreicht, so nahmen doch die
Sudclane, Satsuma, Choshiu, Hisen und Tosa den Kampf von neuem auf. Hs
zeigte sich dabei, dafi die Kraft der Shogunatstruppen der Tokugawa erlahmt
war. In dieser fur die Fremden hochst gefahrlichen Lage hatte A. v. S. anlafilich
von Flottendemonstrationen im November 1865 den Auftrag erhalten, wichtige
Depeschen in Osaka ans Land zu bringen. Die Brandung war derart stark und
gefahrlich, dafi das Boot fur diesen Zweck nur mit Freiwilligen besetzt wurde.
Der erst 19 jahrige v. S. kam glucklich an Land und erhielt von der Konigin
von England eine Belobigung und Belohnung fur diese Dienstleistung.
1866 trat eine bedeutende Umwalzung im japanischen Regierungsstreite
ein. Der Shogun und der Kaiser starben bald hintereinander. Der Nachfolger
des Shoguns wurde nun ein dem Kaiser nahestehender Sohn des Fiirsten von
Mito, Tokugawa Yoshinobu, auf den kaiserlichen Thron kam Mutsuhito. Der
Shogun stand nun vor der Wahl zwischen Fortfuhrung der von der kaiserlichen
Hofpartei noch immer mifibilligten aufieren Politik, was einen Burgerkrieg
bedeutete, oder Aufgeben derselben. Er hatte die Notwendigkeit seiner Politik
erkannt und wollte diese nicht durch einen Entscheidungskampf aufs Spiel
setzen. Daher legte er im November 1867 durch ein Handschreiben die voile
Regierungsgewalt, die fast 700 Jahre durch den Shogun ausgelibt worden war,
in die Hande des Kaisers zuruck. Damit war der Streit der letzten Jahre im
allgemeinen beendet. Durch diesen wichtigen Schritt gewannen die Beziehungen
Japans zu den Fremdmachten einen ganz andern Ausdruck. Der junge
Kaiser zeigte den fremden Gesandten seinen Regierungsantritt an und sprach
dabei den Wunsch aus, im Frieden mit den auswartigen Machten zu leben.
Diesem Zwecke diente auch 1868 der Besuch eines Bruders des Taikun, Prinz
Mimbutaiho, an den Hofen von Paris, London, Florenz, Brussel, im Haag und
Siebold.
159
in Bern, auf dem er von A. v. S. begleitet wurde. Diese Reise gab dem jungen
v. S. Gelegenheit, fiir die Bedeutung der japanischen Dynastie und ihre neue
Wirksamkeit in Europa Stimmung zu machen. November 1868 kehrte v. S.
nach Japan zuruck. Dort wurde ihm die Vertretung des ersten Dragomans
der englischen Gesandtschaft und die Leitung der Studien der Dolmetscher-
eleven ubertragen.
Als im Jahre 1869 eine osterreichisch-ungarische handelspolitische Mission
unter Admiral Baron Petz nach Japan kam, wurde v. S. ihr offiziell zugeteilt.
Die Arbeiten kamen am 18. Oktober 1869 zu einem sehr giinstigen AbschluB,
der namentlich A. v. S. wegen seiner genauen Kenntnis japanischer Sitten
zu verdanken war. Der Kaiser von Osterreich verlieh ihm dafiir am 18. Februar
1870 den erblichen osterreichischen Freiherrnstand.
Die Stellung im englischen Dienste bot fiir v. S. nur wenig Aussichten
fiir die Zukunft. Seine Land- und Sprachkenntnis ware wohl stets nur fiir den
Dienst in Japan ausgenutzt worden. Die Neuordnungen des ganzen japanischen
Regierungsapparates, die durch die kaiserliche Verordnung von 1868 ange-
kiindigt worden war, schien die Moglichkeit zu bieten, im japanischen Dienste
mehr Nutzen von seinen Kenntnissen zu ziehen; auflerdem bot sich ihm dabei
die Aussicht, nach Europa zuriickzukehren. Er nahm daher ein Angebot der
japanischen Regierung an und erbat seine Entlassung aus koniglich groB-
britannischen Diensten, die ihm am 1. August 1870 gewahrt wurde.
v. S. trat am 15. August 1870 in den japanischen Dienst uber. Es war
ihm zuerst die Stellung als Attach^, Shussi, in dem neugebildeten Ministerium
fiir Kommunikationswesen ubertragen worden. Uber seine organisatorische
Tatigkeit in diesem Ressort sind in den bis jetzt zugangigen Quellen keine
Nachrichten enthalten. Bald wurde er als Sekretar dem japanischen Spezial-
kommissar Uyeno zugeteilt, den er bei seiner finanzpolitischen Mission
nach London begleitete. In England studierte damals eine groBe Anzahl
junger Japaner. Ihr Schutz und ihre Beaufsichtigung wurde A. v. S. uber-
tragen, wahrend er in Europa noch weitere Missionen auszufuhren hatte. So
war er mit der Beschaffung von Papiergeld fiir die japanische Regierung betraut
worden. In Frankfurt a. M. liefi er 300 Millionen Stuck drucken und ver-
senden. Dann hatte er uber die groCe Wiener Ausstellung und die Moglichkeit
der japanischen Beteiligung zu berichten. Aufgaben, in denen v. S. fast ganz
selbstandig war und ohne besondere Instruktionen der japanischen Regierung
auf eigene Verantwortung handeln muBte. Japan fing damals erst an, sich ein
eigenes Urteil uber europaische Verhaltnisse zu bilden. Seine Vertreter konnten
sich nur schwer in die europaischen Gepflogenheiten des diplomatischen und
offentlichen Verkehrs hineinfinden. v. S. muBte daher beratend, ausgleichend
und haufig warnend bei Handlungen eintreten, die das europaische Taktgefiihl
hatten verletzen mussen. Damals regte v. S. auch die Schaffung einer japani-
schen Ordensauszeichnung an. In Wien wurde von ihm mit dem bekannten
Heraldiker Heyer v. Rosenfeld eine Ordensdekoration entworfen, die auch
zur Ausfiihrung kam: die japanische Chrysanthfeme mit der Paulownia vereint.
1871 sehen wir v. S. am englischen Hofe anlafllich einer Audienz des japani-
schen Prinzen Higashi Fushimi no Miya. 1872 hatte v. S. in England eine japani-
sche Sondergesandtschaft zu empfangen. Sie w r ar nach Europa gesandt worden,
urn eine Revision der Handelsvertrage von 1858 herbeizufuhren. Dieser Zweck
l60 Sicbold.
ist damals nicht erreicht worden. Der nachmalige Furst Ito war dieser Ge-
sandtschaft, die Iwakura fuhrte, beigegeben. Mit ihm hatte v. S. Unter-
redungen iiber die Entwicklung der offentlichen Arbeiten, Wege-, Bahn- und
Telegraphenbauten, die 1872 so weit gefordert waren, dafi die Bahnlinie Yedo-
Yokohama und der Telegraph bis Nagasaki fertiggestellt waren. Auch iiber die
Ausnutzung der Kohlengruben in Japan hat v. S. damals mit Englandern ver-
handelt.
v. S. war im November 1872 nach Japan zuruckgekehrt und dem Finanz-
ministerium uberwiesen worden. Nachdem die Vorarbeiten fur die Beteiligung
an der Wiener Ausstellung in Japan getroffen waren, mufite er wieder nach Wien
mit dem Kommissar Sano Tsunetami zuruckkehren. Sano ging als japanischer
Ministerresident nach Wien, und v. S. war als Honorarlegationssekretar bei
dieser neuen Gesandtschaft ernannt. Die Beteiligung Japans an der Wiener
Weltausstellung war ein grofier Erfolg. Japanischer Gewerbefleifi wurde da-
durch weitesten Kreisen bekannt, und die Handelsbeziehungen zwischen Japan
und Europa wurden ganz wesentlich gefordert. Im Oktober 1873 wurde v. S.
die diplomatische Vertretung Japans in Rom ubertragen, bis er April 1874
nach Japan zuriickberufen wurde, wo er zunachst dem Staatsrat, Sei'n, attachiert
wurde. 1874 erstattete v. S. einen interessanten Bericht iiber Korea, in dem
er auf die Schwierigkeiten aufmerksam macht, die sich ergeben werden, wenn
Japan in Korea mit Waffengewalt Fufi faflt. Ein Konflikt mit Rufiland liefie
sich dann nicht vermeiden, denn es miisse Rufilands Bestreben sein, sich einen
Weg auf dem asiatischen Kontinent nach Siiden zu erwerben.
1875 wurde v. S. in das Finanzministerium berufen. Dort war seine
Tatigkeit auf die Reorganisation dieses Ministeriums gerichtet. Seine Arbeiten
iiber Kassen- und Rechnungswesen, die Grund- und andern direkten Steuern,
das landwirtschaftliche Kreditwesen stiitzten sich auf die in Deutschlands
kleineren Staaten gemachten Erfahrungen und wurden fur Japan nutzbringend
verwertet. Die wichtigste der von ihm ausgehenden Mafinahmen war die
Erhaltung des hohen Adels. Die kaiserliche Regierung hatte sich als alleinige
Eigentumerin der verschiedenen Landschaften erklart und damit alle Fiirsten
und Herren ihrer Herrschaft und ihrer Einkiinfte entsetzt. An ihre Stelle war
eine Rente von Staats wegen getreten. Das kaiserliche Edikt von 1868 spricht
dabei direkt aus, dafi alle Unterschiede zwischen oberen und unteren Klassen
des Volkes beseitigt werden sollen. Dies hatte zu volligem Verschwinden des
Adels gefiihrt, der wohl in jedem Lande eine geschichtliche Bedeutung und
politische Stellung hat. Die radikale Partei in Japan hatte dies mit Freuden
begriifit. v. S. kannte aber aus Deutschlands Geschichte, wie wertvoll Fa-
milientradition und Familienansehen fur den Thron sind. Er beantragte daher
eine Kapitalisierung der Jahresrenten und Auszahlung derselben an die Fa-
milien, denen die Hoheitsstellungen genommen waren. Dadurch erhielt sich
die Einrichtung der hohen Adelsfamilien als Stutze der Monarchic Den Adel
suchte v. S. auch heranzuziehen, um die Schaden zu heilen, welche durch Krieg
entstehen. Der Auf stand von Satsuma 1877 gab ihm den Gedanken, nach Art
der deutschen Ritterorden eine Gesellschaft des Adels zu grunden. Er wurde
Sano zugeteilt, um ein Sanitatskorps zu organisieren. Dies fuhrte zur Griin-
dung der japanischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, zunachst unter dem
Namen Hakuaisha, Gesellschaft der Menschenliebe, woraus der Eintritt Japans
in die Genfer Konvention 1886 folgte, welchen v. S. sehr eifrig betrieb.
Siebold. jgj
Als v. S. 1877 aus Anlafl des Todes seiner Mutter nach Europa reisen muflte,
erhielt er vom Finanzminister den Auftrag, Fragen der Finanzverwaltung zu
studieren und daruber zu berichten. v. S. arbeitete zunachst in Weimar in
der dortigen Finanzverwaltung, wozu der Groflherzog Karl Alexander ihm die
Ermachtigung erteilt hatte. Dann wandte er sich nach Wien und berichtete
iiber osterreichisches Staatsrechnungswesen. In Berlin wurde Finanzrat
Scholtz beauftragt, v. S. in die technischen Verhaltnisse einzuweihen. Oktober
1877 erstattete er einen vom Finanzminister Okuma Shigenobu geforderten
Bericht iiber die russischen Finanzen, aus denen das Interesse hervorgeht, das
Japan schon damals an der Entwicklung seines Nachbarn nahm. 1878 begleitet
v. S. den Vizefinanzminister und spateren Premierminister Matsukata auf seinen
Reisen in Europa, als er als President der japanischen Ausstellungskommission
zur Weltausstellung in Paris dorthin gekommen war. v. S. war selbst zum
Ehrenmitgliede dieser Kommission ernannt worden. Er hielt dem Minister
Vortrage iiber Finanzangelegenheiten, entwickelte auch ein Finanzsystem, das
sich auf groflen Kapitalbesitz des Staates grundet. Seine Idee war dabei,
diesen Besitz entweder aus Aktien zusammenzusetzen oder ihn durch eine
zwangsweise Kapitalabgabe bei jedem Erbanfall zu erhalten. Dabei sollten die
Erben von ihrer Abgabe von Staats wegen einen ganz geringen Zins erhalten,
der durch seine groCe Sicherheit und ohne Verwaltungskosten von den meisten
Japanern hoher bewertet werden diirfte als ein leicht verlorenes mobiles Kapital.
Die gewinnbringende Verwendung dieser Kapitalien muflte hohere Zinsen
tragen, und damit konnte die Steuerlast verringert werden. Mit dem franzOsi-
schen Finanzminister wird die Reform des Grundsteuerwesens besprochen,
Handelskammern und grofle industrielle Anlagen werden gemeinsam besucht,
so dafi der spatere Premierminister von europaischem Fleifi eine genaue Kenntnis
erhielt.
Im Januar 1879 wurde v. S. zum Honorarlegationssekretar bei der japani-
schen Gesandtschaft in Berlin ernannt, als Aoki dort zum erstenmal Gesandter
war. Den Berliner Aufenthalt benutzte v. S., um juristische und staatsrecht-
liche Vortrage an der Universitat zu horen. Er schrieb damals in englischer
Sprache »t)ber den preuBischen Staatsrat« und »t)ber den Kulturkampf in
Deutschland«. Seine Studien gaben ihm die notige Vorbildung zu seiner Stellung
im Auswartigen Amt 188 1, wohin er anlafilich der internationalen Konferenz
zur Revision der Handelsvertrage berufen worden war. Er war als Privat-
sekretar des Ministers Inouye Koaru {chef du cabinet particulier) Mitglied des
Protokolls. Die alten Handelsvertrage mit Japan hatten sich iiberlebt, sie
boten dem aufstrebenden Staate nicht mehr geniigende Aquivalente. Die
Bestimmungen der Exterritorialit&t und die Zollfestsetzungen belasteten die
Handelsbeziehungen sehr schwer. Aber es gelang nicht, fur Japan die Auf-
hebung der alten Abmachungen iiber Gericht- und Zollsachen zu erreichen.
v. S. ist damals fur die Toleranz des Christentums eingetreten mit der Begriin-
dung, dafi das Christentum eine Stiitze des Thrones sein werde; es gab damals
200 000 Christen in Japan. Die Bemuhungen v. S.s wurden von der japani-
schen Regierung durch eine Dotation von 10 000 Yen anerkannt.
Nach Berlin auf seinen fruheren Posten zuruckgekehrt, betrieb v. S. eifrig
Studien iiber Privat- und Kirchenrecht, iiber die er Ito, dem spateren Premier-
minister, besondere Vorlesungen hielt. Damals suchte v. S. Deutschland zu
Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog. 16. Bd. H
1 62 Siebold.
besseren Beziehungen mit Japan zu bringen. Eifrig unterstiitzt wurden diese
Bestrebungen durch den deutschen Gesandten v. Eisendecher in Japan. Unter-
redungen mit Busch und Graf Herbert Bismarck bereiteten den Boden fur
Deutschlands gunstige Haltung bei den spateren Verhandlungen in der Re-
visionsfrage. Um weitere Kreise fur die japanischen Verhaltnisse zu inter-
essieren, schlug v. S. 1883 die Einrichtung eines offiziellen Pressebureaus in
Japan vor. 1884 wurde v. S. nach Rom versetzt, wo Tanaka Gesandter war.
Von dort wurde er telegraphisch April 1885 wieder nach Japan berufen, um an
den neuen Revisionsverhandlungen als Legationsrat teilzunehmen. Er schlug
vor, die Eroffnung des ganzen Landes gegen Aufhebung der Konsulargerichtsbar-
keit anzubieten. Auch diese Verhandlungen scheiterten, obgleich namentlich
Deutschland viel Entgegenkommen zeigte. September 1885 empfing der Kaiser
von Japan den papstlichen Abgesandten Monsignor Osouf zur Oberreichung
eines papstlichen Handschreibens. . v. S. als Protestant fiel es zu, die kaiser-
liche Antwort darauf zu redigieren; er hat sich auch fur einen japanischen Ge-
sandten beim Vatikan ausgesprochen, ohne daB dies damals moglich geworden
ware. Die vielseitigsten Fragen wurden von v. S. gepriift und mit den ent-
scheidenden Ministern besprochen; so auflerte er sich damals uber die Not-
wendigkeit eines japanischen Finanzagenten in Europa und die Ernennung
eines geheimen Prefiagenten fur das Nachrichtenbureau des Auswartigen Amtes.
Die Reform des Regierungssystems und die Schaffung der Stellung eines Mi*
nisterprasidenten besprach v. S. mit Ito anfangs Dezember 1885. Am 22. De-
zember wurde Ito zum Ministerprasidenten ernannt! Die Zulassung von Aus*
landern am japanischen Hofe wurde bearbeitet, die Befestigung des deutschen
Ausfuhrhandels und die unbedingt notwendige deutsche Ursprungsbezeichnung
von v. S. gefordert.
Die Eroffnung der neuen Konferenz, auf der Deutschland durch den Ge-
sandten v. Holleben vertreten sein sollte, mufite nochmals bis Oktober 1886
verschoben werden. In der Zwischenzeit machte v. S. interessante Reisen
nach Yezzo, ins Innere und auf die Kurilen. Damals wurde ihm eine Professur
fur japanische Sprache an dem Orientalischen Seminar in Berlin angeboten.
Anfangs war v. S. nicht abgeneigt, diesem Rufe Folge zu leisten, aber schliefllich
erhoffte er doch in seiner bisherigen Laufbahn Wertvolleres leisten zu konnen.
Die Bedingung fiir seine Verwendung auf einem hoheren diplomatische nPosten
in Europa sollte aber seine Naturalisation als Japaner sein. Damit hatte v. S.
aber seine Eigenschaft als deutscher Staatsburger aufgeben mussen, ein Ver-
zicht, zu dem er sich nicht entschliefien konnte, obgleich Inouye und Aoki
ihm sehr dazu rieten. Nach Beginn der neuen Verhandlungen in Tokio wurde
eine lange Reihe von v. S.s Bemuhungen zum Abschlufi gebracht: am 16. No-
vember 1886 wurde das Gesetz veroffentlicht, durch das Japan der Genfer
Konvention beitrat. Tags darauf eroffnete die japanische Kaiserin in euro-
paischer Kleidung das neue Rote-Kreuz-Hokuaisha-Krankenhaus, an dem
deutsche Arzte, Dr. Baelz und Dr. Scriba, tatig waren. Aber trotz eifrigster
Bemuhungen scheiterten im Juli 1887 auch diesmal die Vertragsverhandlungen.
v. S. kehrte darauf nach Europa zuruck in eine Stellung, die ihm manche
Selbstandigkeit bot. Er wurde keiner Gesandtschaft attachiert, sondern war
direkt dem Minister der Auswartigen Angelegenheiten unterstellt. An diesen
berichtete er uber alle Fragen von allgemeinem politischen oder besonderem
Siebold.
163
Interesse. 1887 machte er erneut auf die Gefahr aufmerksam, die Japan durch
die Tatigkeit Rufllands in Ostasien drohte, besonders durch die des russischen
Vertreters Weber in Korea seit 1885. Auch weiterhin widmete er sich den
Vertragsverhandlungen. Er ist der Ansicht, dafl die agyptischen gemischten
Gerichtshofe fur japanische Verhaltnisse nicht anwendbar seien, und schlagt
aber als Mittelweg vor, in Kriminalsachen die Auslander einem Schwurgericht
zu unterwerfen, das zur Halfte aus Auslandern zusammengesetzt ist. Als nach
alien vergeblichen Verhandlungen zu Vertragsabschliissen in Japan 1892 die
Verhandlungen in Europa zunachst mit England allein gefiihrt wurden, ging
er mit dem Gesandten Aoki nach London, der ihm 1890 geschrieben hatte: »Ihr
Auftrag ist es, Downing Street zu uberzeugen, daB das japanische Volk nicht
langer die Bevormundung der europaischen Machte ertragen will. 4 Diese
kategorische Aufierung war nicht zum wenigsten darauf gegrundet, dafl 1890
in Japan das Volk durch Einftihrung der parlamentarischen Verfassung zu
einem politischen Mitbestimmungsrecht gelangt war, ein Faktor im Osten
Asiens geworden war, mit dem die Westmachte rechnen muBten. v. S. hatte
auch den Boden fur die japanischen Wunsche so vorbereitet, daB es gelang,
den Vertrag am 16. Juli 1894 zu unterzeichnen. 1896 konnte auch der AbschluB
mit dem Deutschen Reiche erfolgen.
1894 sehen wir v. S. in England die Verhandlungen fiihren, welche infolge
der Zerstorung des englischen Dampfers Kowshing durch Japan kurz vor
Ausbruch des Chinesisch- Japanischen Krieges in Korea notig geworden waren.
Die japanischen Ansprliche auf Korea waren mit China bereits 1885 vertraglich
festgelegt worden. Dieser Vertrag bedeutete nach v. S.s Ansichten bereits ein
gemeinschaftliches Protektorat uber Korea, v. S.s Tatigkeit war dem weiteren
Ausbau dieser Beziehungen, die durch die japanischen Waffenerfolge noch vor-
teilhafter fur Japan gestaltet werden konnten, und ihrerVertretung in Europa,
besonders in England, bis zum Frieden von Shimonoseki gewidmet. Er hatte
eine russische Intervention wegen der Bestimmungen uber die Liaotung-Halb-
insel vorausgesagt, Japan konnte und muflte also damit rechnen, daB dieser
Besitz ihm nicht verbleiben wurde, Auch Deutschland und Frankreich setzten
sich gegen diese Bestimmungen ein, und eine Geldentschadigung von 30 Millionen
Taels muflte daher von Japan statt des Besitzes von Port Arthur angenommen
werden. DaB RuBland den chinesischen Widerstand gegen Japan von Anfang
an warm unterstiitzt, nach v. S.s damals niedergelegten Ansichten sogar heraus-
gefordert hat, muflte Japan daran merken, daB am 27. Oktober 1895 in der
Times die Nachricht erschien, Port Arthur sei an Ruflland abgetreten worden.
Tatsachlich ist es 1898 von RuBland in Pacht genommen worden.
Im Friihjahr 1895 schrieb v. S. : »Deutschlands Eintreten fur russische
Interessen in China vermeidet jetzt eine Explosion (sc. zwischen Japan und
RuBland) und fiihrt dafUr ein langsames Verbrennen des Zundstoffes herbei,
wodurch schlimmstenfalls der Krieg lokalisiert wird.« Diese Kenntnis der
deutschen diplomatischen Tatigkeit hatte v. S. wahrend seines Aufenthaltes in
Berlin 1895 erwerben konnen. Ofters hatte er Besprechungen mit dem Reichs-
kanzler Fursten Hohenlohe, dessen Ansicht, dafl ein handelspolitisches Aufbluhen
Japans kein unerwiinschtes Moment sein muflte, v. S. warm bestatigte. In
die Zeit der neunziger Jahre fallen v. S.s Arbeiten uber eine Reform der Ko-
lonialpolitik und seine Bestrebungen, Japan neue Kolonisationsgebiete zu
11*
1 64 Siebold.
eroffnen. So betreibt er die Frage einer japanischen Nord- Borneo -Gesellschaft.
In den nachsten Jahren bis zum Ausbruch des Russisch- Japanischen Krieges
ist v. S. mit dem Studium und der Berichterstattung an das Auswartige Mini-
sterium liber koreanische und russische Fragen beschaftigt. Daneben gehen
seine Bemiihungen, eine eigene japanische Presse in Europa zu haben, die
leider erst bei Kriegsausbruch den Erfolg hatten, daB ihm damals der Auftrag
zuteil wurde, die Ansichten und Nachrichten des offiziellen Japans in Europa
zu verbreiten. Er wurde mit weitgehendsten Vollmachten fur die Beeinflussung
der europaischen und japanischen Presse versehen. v. S. kamen dafiir seine
Beziehungen in alien Grofistaaten zugute. Die Tatigkeit v. S.s wahrend des
Krieges von 1904/05 ist im einzelnen nicht moglich, kurz zu schildern. Seine
Erfolge, um die offentliche Meinung fur Japan zu erwarmen — das Drohen
einer gelben Gef ahr durch die bereits wesentlich europaische Kulturanschauungen
aufnehmenden Japaner ist von ihm stets bestritten worden — , wurden von
den japanischen Staatsmannern in warmen Briefen anerkannt. Nach dem
Kriege hatte er auch iiber Handelssachen zu berichten; die Sondierungen iiber
Unterbringung japanischer Anleihen in Deutschland wurden ihm ubertragen.
Zur Annahme eines selbstandigen Konsulatspostens konnte sich v. S. nicht
verstehen.
In der vielseitigsten Weise sprechen sich seine Berichte an das Auswartige
Amt iiber politische, industrielle und organisatorische Fragen aus. Wenn
aber friiher die Stimme v. S.s bei jeder wichtigeren Sache gehort wurde, so
sind jetzt seine Ratschlage nicht mehr so erwiinscht. Eine Emanzipation der
japanischen Vertreter machte sich geltend. Das Bediirfnis, ganz auf eigenen
Fiifien zu stehen, brachte es wohl auch dazu, dafi der Gesandte Inouye 1905
den von v. S. angebotenen Verzicht auf den Titel eines japanischen Legations -
rates weitergab. Allerdings war v. S.s Stellung schon weit iiber diesen Rang
hinausgewachsen. Ein Zugestandnis auf mehr war aber von den Japanern
nicht mehr zu erwarten, denn seit 1906, als eine Reihe von Gesandtschaften in
Botschaften umgewandelt wurden, war Japan als GroOmacht noch freier von
europaischer Hilfe geworden. v. S. war eben ein deutscher Mann geblieben.
Seine Berichterstattung an das Auswartige Amt wurde dadurch nicht beruhrt.
Seine angegriffene Gesundheit, eine zunehmende Abnahme der Sehkraft
erschwerte ihm seine Tatigkeit sehr. Trotzdem widmete er sich in ganz energi-
scher Weise seit 1 906 einem neuen Gedanken: Zur Herbeifiihrung besserer
englisch-deutscher Beziehungen sollte ein englisch-deutsches Verstandigungs-
komitee ins Leben gerufen werden. Exzellenz v. Holleben trat an die Spitze,
v. S. war 1. Vizeprasident dieses Unternehmens, das wohl geeignet war, die
aufleroffiziellen Beziehungen beider Lander besser zu gestalten. Dies konnte
nur dann gelingen, wenn auch die Regierungen sich dafiir einsetzten. Als daher
der Sozialist Green auf dem Weltfriedenskongrefl 1908 in London ein Vorgehen
h n e die Regierungen fordert, trat v. S. energisch gegen diese Zumutung auf.
Er stand auf dem Boden, dafl nur mit den Regierungen Erspriefiliches von
Dauer zu leisten sei.
Eifrig verfolgte v. S. alle Tagesfragen. Sein frischer Geist liefl ihn sofort
den Kernpunkt jeder Sache erkennen. Es war hochinteressant, mit ihm iiber
das zu sprechen, was auf der ganzen Erde vorging. Oberall war er bekannt,
war er zu Hause. Und so fand sein 40 jahriges Dienstjubilaum, das er am
Siebold.
165
15. August 1910 feiern konntc — 40 Jahre als Europaer im japanischen Staats-
dienst — auch allseitige Beachtung. Der Kaiser von Japan verlieh ihm das
Grofikreuz des Ordens vom heiligen Schatzc, der Kaiser von Deutschland den
preuOischen Kronenorden II. Klasse.
Gewifi ist es wenig Menschen vergonnt, ein so vielseitiges Leben zu fuhren,
solche Entwicklungen von weltgeschichtlicher Bedeutung zu erleben, wie Japan
sie seit 1859, als v. S. dort zum erstenmal landete, durchgemacht hat. Die
Eindriicke eines langen Lebens niederzuschreiben war die Aufgabe, die sich
v. S. selbst noch gestellt hatte. Schwere Erkrankung und der Tod am 23. Januar
191 1 HeBen seine Absichten nicht mehr zur Ausfuhrung kommen. In Pegli,
an der sonnigen Riviera, die wohl in manchem an einzelne Gestade Japans
erinnern mag, liegt v. S. zur letzten Ruhe bestattct.
Als Mensch war v. S. ein guter Christ und ein wahrer Edelmann. Er trat
fur Verwandte und Freunde mit seiner ganzen Person sofort ein, wenn er
erkannt hatte, daO Hilfe not tat. Seine eminenten Fahigkeiten werden noch
deutlicher hervorgehoben, wenn man sich vor Augen stellt, dafi v. S. seit dem
12. Jahre keinen regelmaBigen Unterricht mehr genossen hat. Er hat als Auto-
didakt sich aber Kenntnisse erworben, und die Schule des Lebens hat ihn mit
Erfahrungen bereichert, um die ihn viele beneiden konnten. Das Urteil eines
hohen Diplomaten liber ihn lautete einst: Es gibt keinen Besseren fur jede Art
des diplomatischen Dienstes. Allein seine Sprachgewandtheit ist bewunderns-
wert. Neben den Sprachen des Ostens, Japanisch und Malayisch, beherrschte
er vollig das Deutsche, Englische und Franzosische, sprach und schrieb gelaufig
hollandisch und sprach und las sehr gut italienisch. Auch seine Schriften
bezeugen, dafi es fur ihn ganz ohne Bedeutung war, in welcher dieser Sprachen
er seine Meinung niederlegen sollte. Seinem ritterlichen Sinne und einem
Hang zur Romantik ist es wohl auch zuzuschreiben, dafl er ein Burgenfreund
und -kenner war. Die Burg Proszels in Siidtirol erstand er 1874, baute sie mit
viel Verstandnis aus; sein rastloser Geist konnte damals aber noch nicht seBhaft
sein. 1888 erwarb er das alte HohenzollernschloB Colmberg bei Ansbach.
Auch hier hatte er Erstaunliches geleistet, um die alte Bewohnbarkeit wieder
herzustellen. Die GroBe dieser Burg schreckte ihn aber auf die Dauer ab, er
verkaufte auch sie wieder. Leipheim a. d. Donau wurde von ihm 1897 erworben
und hergerichtet. Es war einige Jahre sein Wohnsitz, von dem ihn nur seine
angegriffene Gesundheit wieder vertrieb.
1889 hatte er sich mit Elisabeth Grafin v. HaBlingen-SchickfuB vermahlt,
die ihm aber schon am 18. Februar 1898 durch den Tod entrissen wurde.
Drei Tochter und ein Sohn sind seiner Ehe entsprossen.
Als die Deutsch-JapanischeGesellschaft in Berlin, Wa doku kai, am 21. Fe-
bruar 191 1 eine Gedachtnisfeier fur v. S. hielt, liefi der japanische Botschafter
am Berliner Hofe, Exzellenz Baron Chinda, einen Nachruf verlesen, aus dem
nur folgendes hervorgehoben sein soil: »Der Mann, der am langsten unserer
Regierung treu gedient, der sich vollig seinem teuren Japan geweiht hatte,
der die intimste Fiihlung mit unserem Seelenleben gehabt hat, das war Alexander
Freiherr v. S. Es durfte uberfliissig sein, alle die wertvollen Dienste aufzu-
fuhren, die er unserem Vaterlande erwiesen hat. Aber eine Tatsache darf ich
nicht iibergehen: die Tatsache, daB v. S. die Halfte seines Lebens an ein hohes
und weitschauendes Ziel gesetzt hat, das nichts anderes war als die Bande
1 66 Siebold. Burckhardt-Finsler.
herzlicher Freundschaft, die schon zwischen Japan und Deutschland bestanden,
noch fester zu kniipfen und die wohlbegrundeten, vertraulichen Beziehungen
zwischen den beiden Landern noch inniger zu gestalten. Und seine Bemuhungen
waren nicht vergebens dabei gewesen. In Japan wird fur immer die Erinnerung
fortleben an die treue Mitwirkung des Freiherrn Alexander v. S.«
W e r k e : The Prussian Council of State (Ober den preufi. Staatsrat). Leyden 1884. —
Chwch and State in Germany (Ober den Kulturkampf in Deutschland). Tokyo 1886. — Die
bayerischen Steuergesetze. — Ober europaische Systeme des Bodenkredits (in japanischer
Sprache!). — Der kaiserliche Hof von Japan einst und jetzt. Deutsche Revue 1895. — Denk-
wurdigkeiten aus dem Leben und Wirken Philipp Franz v. Siebolds. Wurzburg 1896. — Die
Flottenfrage in ihrer Beziehung zu Deutschlands Weltpolitik. Wiirzburg 1897. — Der ewige
Krieg und die Friedenskonferenz. Miinchen 1899. — Der Eintritt Japans in das europaische
Volkerrecht. Berlin 1900. (Auch englisch, London 1901.) — Rundschau am politischen Hori-
zont Ostasiens. 1900. (Anonym.) — Philipp Franz v. Siebolds letzte Reise nach Japan
1859/62. Berlin 1902. — Persdnliche Erinnerungen an den Fursten Ito Hirobumi. Deutsche
Revue 1910. (Auch englisch erschienen.) — Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Deutsche Revue 191 1. — Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan von Philipp Franz
v. Siebold. 2. Aufl. Bearbeitet von seinen Sohnen Alexander und Heinrich Freiherrn v. Sie-
bold. (Heinrich Freiherr v. Siebold war viele Jahre im ftsterreichischen diplomatischen Dienst
in Japan; siehe Biogr. Jahrb. XIII, S. 215). WOrzburg 1897. — Viele Aufsatze in Tages-
zeitungen und periodischen Erscheinungen, u. a. in der Monatsschrift »Ostasien«. Berlin,
auch unter dem Pseudonym Narutaki.
Q u el 1 e n : Tagebiicher von 1867 — 191 1. — Hinterlassene Korrespondenzen 1859 bis
1910. — Philipp Franz v. Siebolds letzte Reise nach Japan 1859/62. Berlin 1902. — »Ost-
sien«, Monatsschrift, Berlin 1899 — 1910. — » Japan und China*, Monatsschrift, Berlin 191 1.
Alexander Graf v. Brandenstein-Zeppelin.
Burckhardt-Finsler, Albert, Dr. jur. et phiL h. c, Lehrer am Gymnasium,
ao. Professor der Schweizer Geschichte an der Universitat, Konservator des
Historischen Museums, Regierungsrat in Basel, * 18. November 1854, f 2. August
191 1. — B. entstammte einer im Jahre 1490 aus dem badischen Schwarzwalde
in die aufbliihende Stadt Basel eingewanderten Familie, die im Laufe der Jahr-
hunderte ihrer Heimat eine ganze Reihe hervorragender Manner geliefert hat.
Unter B.s Ahnen finden sich Vertreter gelehrter Berufsarten und Handwerker,
und sein Vater, ein ernster und tiichtiger, auch mannigfachen geistigen Inter -
essen zugewandter Mann betrieb an der Freien Strafie in Basel den Beruf eines
Pastetenbackers. Ein liebevolles Verstandnis fur den Handwerkerstand ist
der Denk- und Anschauungsweise B.s zeitlebens eigen geblieben. Der Vater
legte dem Wunsche der beiden Sohne, sich den gelehrten Studien zu widmen,
kein Hindernis in den Weg, und so bezog B., nachdem er mit gutem Erfolge
die Basler Schulen durchlaufen hatte, im Friihjahr 1873 als Studiosos juris die
Universitat Basel. Schon am oberen Gymnasium hatte er den feinsinnigen
Geschichtsunterricht Jakob Burckhardts genossen, und auch an der Universitat
wurden neben den juristischen Vorlesungen die historischen und kunstgeschicht-
lichen Kollegien des groflen Meisters nicht vernachlassigt. Als Mitglied des
schweizerischen Zofingervereins pflegte B. mit besonderer Vorliebe die Freund-
schaft mit den Schweizern anderer Kantone und lernte so schon friihe uber die
kantonalen Grenzpfahle hinauszuschauen. Mit spruhendem Humor und Witz
wurzte er manchen frohlichen AnlaC, ohne dafi dabei die ernste Arbeit zu kurz
kam, und manches gute vaterlandische Wort fand schon in jenen Jugendjahren
Burckhardt-Finsler. 1 67
eine gute Statte. Nachdem B. seine juristischen Studien in Leipzig namentlich
bei Binding fortgesetzt hatte, erwarb er im Jahre 1878 mit einer Dissertation
uber die Gaugrafschaft im Sisgau die Wiirde eines Doktors der Rechte. Aber
die Rechtswissenschaft vermochte nicht, ihn dauernd zu fesseln, und so folgten
statt der Aufnahme beruflicher juristischer Tatigkeit zwei weitere Studien -
semester in Zurich, wo B. unter der Leitung von Georg v. Wyfi, Gerold Meyer
v. Knonau und Rudolf Rahn seine historischen und kunsthistorischen Kennt-
nisse erweiterte und den festen, schulgemafien Grund fur seine spateren Arbeiten
auf diesen Gebieten legte. In Zurich lernte er auch seine spatere Gattin kennen.
Als er im Jahre 1879 die Stelle eines Sekretars an der Universitatsbibliothek
Basel erhielt, verabschiedete er das fur ihn »schreckliche Gespenst einer Ad-
vokaturstube« auf Nimmerwiedersehen. Die Stellung an der Bibliothek lieB
ihm genugend freie Zeit, um sich fur das Fach der Schweizer Geschichte an der
Universitat zu habilitieren. Zugleich begann B. im Jahre 1881 seine erfolg-
reiche Tatigkeit als Lehrer der Geschichte und Geographie am Gymnasium,
und mit Leichtigkeit wurde der Doktor der Rechte auch dieser Aufgabe Meister.
Sein Unterricht zeichnete sich durch Lebendigkeit, Frische und Anschaulichkeit
aus; ein sonniger, frohlicher Ton herrschte in seinen Stunden, ohne dafi darunter
die Disziplin auch nur je einen Moment Schaden gelitten hatte. B. verstand
es trefflich, vergangene Zeiten lebendig zu machen, und verfugte mit souveraner
Meisterschaft uber das gesprochene Wort. Bei der Behandlung der Schweizer
Geschichte gelang es ihm, die Quellen in einer auch fiir den Schuler von 14 bis 16
Jahren verstandlichen Weise reden zu lassen und so ein (iberaus farben- und
lebensfrohes Bild namentlich der grofien Jahrhunderte der Eidgenossenschaft
zu entwerfen. In einer Zeit, da der offizielle Betrieb des Heimatschutzes noch
zu den unbekannten Dingen gehorte, ging er bereits mit grofiem Geschick und
besonderer Vorliebe darauf aus, seinen Schiilern die Heimat und ihre Art, ihre
Bau- und Kunstdenkmaler vertraut und lieb zu machen und opferte manchen
Sonntag freiwilligen Ausfliigen in die nahere und fernere Umgebung Basels.
An der Universitat habilitierte sich B. im Jahre 1880 auf Grund zweier
Neujahrsblatter uber die Geschichte Basels im Dreifiigjahrigen Kriege; seine
Vorlesungen umfaflten anfanglich die gesamte Schweizer Geschichte, spaterhin
kamen dazu Kollegien uber kirchliche Baukunst, Altertiimer, Waffenkunde
und Glasmalerei. Mit der Zeit trat die altere Schweizer Geschichte mehr in den
Hintergrund, so dafi B. der Geschichte der Schweiz von 1798 bis 1848 eine immer
breiter und eingehender werdende Behandlung widmen konnte. Eine starke Liebe
zum geeinigten Vaterlande sprach aus diesen Vorlesungen. Am 8. Februar
1890 erhielt B. Titel und Rechte eines aufierordentlichen Professors, und diese
Anerkennung seiner Tatigkeit spornte ihn an zu weitergehenden Leistungen,
zur Abhaltung von Obungen und Repetitorien. Eine Reihe von Dissertationen
wurde unter seiner Leitung bearbeitet, und es bildete sich um ihn ein Kreis
von Schiilern und jiingeren Freunden, der im Laufe der Jahre als Frucht gemein-
samer Arbeiten unter B.s Leitung drei Bande Basler Biographien publizierte.
Die zunehmende Belastung durch die Regierungsgeschafte notigte B. im Jahre
1905, auch auf diesen Teil seiner Lehrtatigkeit zu verzichten, nachdem er
25 Jahre lang der Universitat treu und uneigenniitzig gedient hatte.
Im Jahre 1883 wurde B. weiterhin zum Konservator der durch Wilhelm
Wackernagel begriindeten und durch seinen Nachfolger Moritz Heyne weiter-
1 68 Burckhardt-Finsler.
gefiihrten mittelalterlichen Sammlung ernannt, und auch diesem Institut
leistete er im Laufe der Jahre hervorragende Dienste. Neben der Aufnung und
Beschreibung der Sammlung war B. nachdriicklich darauf bedacht, dieselbe
der Benutzung durch Kunstler, Handwerker, Kunstfreunde und Schulen zu
erschlieCen und zuganglich zu machen. Er leitete im Jahre 1894 mit Ge-
schmack und Geschick die Obersiedlung und Neuaufstellung der urspriinglich
in den Nebenraumen des Munsters untergebrachten Sammlung in der restau-
rierten Barfiiflerkirche. Fur den Aufschwung, den das Institut unter seiner
Leitung nahm, spricht wohl am besten die Tatsache, dafi bei seinem Amtsantritt
im Jahre 1883 sich die Summe der jahrlich verfligbaren Gelder auf 4000 bis
6000 Franken belief, wahrend bei B.s Rticktritt im Jahre 1902 das aus der
mittelalterlichen Sammlung hervorgegangene Historische Museum iiber die
respektable Summe von 45 000 Franken jahrlich verfiigen konnte. Von hervor-
ragenden Ankaufen, die unter B.s Leitung durchgefuhrt wurden, sei nur an
den Altar von St. Maria Calanca und die Glasgemalde der Douglas'schen Samm-
lung auf SchloB Langenstein erinnert. Als sich die Geschafte am Museum
immer mehr hauften, muBte B. im Jahre 1892 zu seinem und der Schule Leid-
wesen von seiner Stellung als Lehrer zurucktreten.
Mit politischen Fragen beschaftigte sich B. seit der Studienzeit gern, und
die Beschaftigung mit der neueren und neuesten Schweizer Geschichte loste
ihn innerlich immer mehr von den konservativen Traditionen, in denen er auf-
gewachsen war. Eifrig verfocht er seit seinen Studentenjahren den Gedanken
der Wiedervereinigung der im Jahre 1833 im Streite voneinander geschiedenen
Kantone Baselstadt und Baselland und brachte stets der Landschaft viel Liebe
und Verstandnis entgegen. B.s eigentliche politische Tatigkeit begann im
Jahre 1893 mit seiner Wahl in den GroBen Rat, in welcher Behorde er nament-
lich den Erziehungsfragen seine Aufmerksamkeit widmete. Im Jahre 1902
erfolgte seine Wahl in den Regierungsrat, wo ihm das Erziehungswesen iiber-
tragen wurde. Die Universitat verdankt seiner Leitung die Vermehrung der
Lehrstuhle, die ErhShung der Besoldungen und die Vermehrung der Kredite
der offentlichen Bibliothek und der chemischen Anstalt. An den unteren
Schulen liefi er sich vorziiglich die Fursorge fur diejenigen Kinder, deren Eltern
mit Gliicksgutern nicht gesegnet sind, angelegen sein und trachtete danach,
Sonnenschein in ihre Schulzeit zu bringen. Dagegen blieb ihm die Durch -
fiihrung der groBen im Wurfe liegenden Revision des Basler Schulgesetzes
versagt. B. ging in der Verwaltung nie restlos auf und verstand es trefflich,
den Kanton nach aufien zu vertreten. Der schonste Moment seiner Amtszeit
war wohl der Tag, da er die neuerbaute steinerne Rheinbrucke in formvoll-
endeter und gedankenreicher Rede als Regierungsprasident dem Verkehr
iibergab.
Mit der amtlichen Betatigung war aber B.s Wirkungskreis zu keiner Zeit
umschrieben. Er war der Mittelpunkt seiner Familie und eines grofien Freundes-
kreises und liefl keine Gelegenheit unbenutzt, um seinen Verwandten und
Freunden eine Freundlichkeit zu erweisen. Bei vielen Gelegenheiten stellte er
sein reiches Wissen der Belehrung seiner Mitblirger in Vortragen zur Verfugung,
und die Zahl seiner gedruckten Arbeiten und wichtigeren Zeitungsartikel
erreicht die respektable Hohe von 69 Nummern. B.s literarische Produktion
war mit wenigen Ausnahmen der Vaterstadt Basel gewidmet; in dieser ihrer
Burckhardt-Finsler. Struck. 1 60
Bodenstandigkeit und in der lebendigen personlichen Schreibweise B.s liegt
ihr Reiz und ihre bleibende Bedeutung. Mit seinem Freunde Rudolf Wacker-
nagel nahm sich B. im Jahre 1882 des verwaisten Basler Jahrbuchs an, und
beide Herausgeber gestalteten es im Laufe der Jahre immer reicher aus zu einem
sprechenden Dokument ftir Basels gesamte geistige Kultur um die Wende
des 20. Jahrhunderts.
Der Allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz diente B.
als Vizeprasident des Gesellschaftsrates, der Bundesrat ubertrug ihm den
Vorsitz im Aufsichtsrate der schweizerischen Schiller- Stiftung, ein Amt, wozu
ihn sein warmes Mitgefiihl und seine liebenswurdige Art vorziiglich befahigten.
Der schweizerischen Vereinigung fur Heimatschutz gehorte B. seit ihrer Grun-
dung an und leitete sie als erster Obmann. Die Vereinigung verdankt es seiner
liberlegenenundkonzilianten Leitung und seiner Geschicklichkeit, mit den Schwei-
zern aller Kantone zu verkehren, dafl die ersten Jahre, wo naturgemafi die
Meinungen am hartesten aufeinanderstiefien, glucklich uberwunden wurden,
und dafi sie heute gekraftigt und gefestigt ihren Platz im nationalen Leben
einnimmt. B. war fur dieses Amt recht eigentlich der gegebene Mann; von
einer Landschaft, die ihm gefallen sollte, verlangte er eine harmonische Ver-
bindung von Natur und menschlicher Kultur.
Zum tiefen Leidwesen aller, die ihn kannten, erwies sich B.s Gesundheit
all diesen Pflichten, die er vielfach nur allzu willig auf sich nahm, nicht als ge-
wachsen. Im Juni 19 10 traf ihn ein Schlaganfall, der sich am 2. August 191 1
wiederholte und seinem reichen Leben allzufriih ein Ziel setzte.
Vgl. den Aufsatz des Verf. im Basler Jahrbuch 191 2 S. 1 — 39, wo auch ein Verzeichnis
der literarischen Arbeiten B.s gegeben wird.
Zurich. Hans Barth.
Struck, Adolf Hermann,* 18. Januar 1877 zu Konstantinopel, f 14. Sep-
tember 191 1 in Mainz. — Str. war der Sohn deutscher El tern, sein erst im
vorigen Jahre verstorbener Vater stand als Arzt im turkischen Heeresdienst.
In Volo und Salonik verlebte St. seine fruheste Kindheit, spater sandten ihn
die Eltern zu Verwandten nach Berlin, damit er eine bessere Schulbildung
erhalte. 1894, 17 Jahre alt, kehrte er von dort nach Salonik zuruck und trat
bald darauf in den Dienst der Orientbahnen. Nach einigen Jahren jedoch
zwangen ihn Nachstellungen von seiten der Bulgaren wegen seiner Veroffent-
lichungen, Salonik zu verlassen, und nach kurzem Aufenthalt in Konstantinopel
und Kleinasien trat er Herbst 1905 als Bibliothekar am deutschen Archao-
logischen Institut in Athen ein. In dieser Stellung verblieb er bis zu seinem Tode.
In einem langeren Aufenthalt in Deutschland hoffte er Genesung von einem
schweren Herzleiden zu finden, aber die Heimat konnte ihm nur noch die letzte
Ruhestatte bieten. In Mainz, der Heimat seiner Gattin, ist er im 35. Lebens-
jahre seinen Leiden erlegen.
Die grofie Vergangenheit von Salonik-Thessalonice, speziell die griechi-
sche und byzantinische Periode, die Denkmaler iiber und unter der Erde
in weitem Umkreis gaben dem jungen Str. die erste Anregung und waren fur die
Richtung seiner kunftigen Arbeiten mafigebend. Warmherzige Forderung fand
er vor allem an dem deutschen Generalkonsul Mordtmann, der durch seine
wissenschaftliche Tatigkeit, spater in Smyrna und Konstantinopel, alien Ge-
170
Struck,
lehrten, vorzuglich den Archaologen, vertraut ist. Kaum 20 jahrig, veroffent-
lichte Str. seine ersten Arbeiten; rasch streift er die anfangliche Unsicherheit ab
und behandelt in einer langen Reihe von Aufsatzen bis zu seiner Obersiedlung
nach Athen eine erstaunliche Fiille verschiedener Gebiete, die er alle auch bis
zuletzt weiterpflegte: antike Topographie und Ausgrabungen ; Volkskunde, Ge-
schichte, Verkehrswesen u. a. — alles unterstiitzt durch Beigabe selbstgefertigter
Karten und Photographien. Seine amtlichen und wissenschaftlichen Reisen
fiihrten ihn kreuz und quer durch Mazedonien. Die Lander waren ja unerschopf-
lich fur den, der so unermudlich und mit offenen Augen um sich sah. Dabei
befahigten ihn seine grofle Sprachkenntnis und seine Gabe, sich dem Milieu
anzupassen, uberall mehr herauszuholen, als es seinen Vorgangern gelungen war.
Die reifste Arbeit seiner Saloniker Jahre waren die zwei Hefte »Makedonische
Fahrten«, die gerade jetzt von den griechischen Gelehrten, den neuen Herren
von Mazedonien, als Grundlage der antiken Topographie dankbar begriiflt
werden wird.
In Athen f and Str. Anregung im Institut und in der umf angreichen Bibliothek,
die er verwaltete. Gleichzeitig wandte er sich grofieren Arbeiten zu. Aus
einer der Reisen, die er im Auftrage des Archaologischen Instituts unternahm,
entstanden »Mistra« (1910) und »Vier byzantinische Kirchen der Argolis«.
»Mistra« ist ein Fiihrer von der Geschichte zu den Denkmalern dieses »byzan-
tinischen Pompeji«, in dem naturgemafl der Architekt uberwiegt, und gibt nach
einer sehr ausfiihrlichen, geschichtlichen Einleitung eine gute, systematische
Beschreibung aller Baudenkmaler. Sein nachster Plan, der ihn auf lange hinaus
beschaftigt hatte, war ein groOes Werk iiber Griechenland, das in vier Banden
Attika, Nord- und Mittelgriechenland, Peloponnes und dielnseln umf assen sollte.
Wie Mistra sollte es fiir die Gebildeten ein breiter angelegter Fiihrer durch Ge-
schichte und Topographie des Landes werden. Dieses Unternehmen lag seiner
Begabung besonders — um so trauriger, dafi es ein Torso geblieben ist, den
schwerlich jemand vollenden wird. Nur der erste Band, der aber das Wich-
tigste umfaflt: »Athen und Attika« (191 1) ist erschienen. Da auch das mittel-
alterliche und moderne Athen und die nachste Umgebung behandelt sind,
bietet das Buch in seinem fliissigen Stil und mit den ausgezeichneten Abbildun-
gen eine unentbehrliche Erganzung zu dem Fiihrer von E. Petersen.
Str.s wertvollste, wenn auch nicht popularste Arbeit ist wohl die letzte,
die er uns geschenkt, und deren Erscheinen er selber nicht mehr erleben sollte:
»Zur Landeskunde von Griechenland« (191 2). Es gilt nur dem modernen
Griechenland und behandelt die geographischen, ethnographischen, verkehrs-
und handelspolitischen Verhaltnisse. Darunter befinden sich Gebiete, die in
dieser griindlichen Ubersichtlichkeit noch nicht behandelt sind, wie die Land-
wirtschaft und die Geschichte der Eisenbahnen, Str.s Lieblingsthema, das er
1902 schon einmal fiir Griechenland und 1903 fiir Montenegro bearbeitet hatte.
Nur durch langen Aufenthalt im Lande und erstaunliche Belesenheit konnte,
trotz der noch so schwankenden statistischen Grundlagen, diese Fiille von
Material herbeigeschafft werden. Das Buch ist fiir den gebildeten Reisenden
ebenso wichtig wie fiir den Statistiker oder Kaufmann.
Es fiihrt uns vor Augen, wieviel Griechenland an Str. verloren hat. Seine
Starke war die Vielseitigkeit, mit der er in gleichem Mafie die Naturwissen-
schaften, die technischen Wissenschaften, Archaologie, Geschichte und Politik
Struck. Ladenburg. 1 7 j
heranzog. Dafl er auch imstande war, auf beschranktem Gebiet in die Tiefe
zu schiirfen, beweisen seine byzantinischen Arbeiten. Und alles war im wesent-
lichen nur das Produkt der Freistunden, die ihm seine Stellung am Archao-
logischen Institut iibrig liefl. Was er dort geleistet hat, bis hinein in die letzte
schwerkranke Zeit, weifi nur der, der Gelegenheit hatte, ihn zu beobachten
oder mit ihm zu arbeiten. Und trotz der Oberfulle der Arbeit die stets gleiche
Liebenswiirdigkeit und geduldige Hilfsbereitschaft, die besonders dem jungen,
im Lande noch fremden Gelehrten zugute kam. Die wenigen, die Str. ganz
nahe treten konnten, haben ihm fur treu gehaltene Freundschaft zu danken.
Seine glucklichsten Jahre waren die letzten, in denen er an der Seite seiner
Gattin den in der Fremde doppelt empfundenen Segen der eigenen Hauslich-
keit und der Familie fand. Wie das deutsche Archaologische Institut, so darf
auch Griechenland, dem er aufrichtig zugetan war, Str. zu den Seinen zahlen.
Nachruf von Georg Karo in den Mitteilungen des Archaolog. Institutes in Athen XXXVI,
1911, S. Ill, und von Hugo Grothe in dem erw&hnten Buch »Zur Landeskunde von Griechen-
land*. Daselbst auch Bibliographic
Walter Muller.
Ladenburg, Albert, Universitatsprofessor der Chemie, * 2. Juli 1842 zu
Mannheim, j- 15. August 191 1 zu Breslau. — L. entstammte einer wohlhaben-
den und angesehenen Bankiersfamilie — sein Vater selbst war Rechtsanwalt — f
die wohl viel Interesse fur Kunst, insbesondere fur Musik besaB, jedoch fur
Wissenschaften und gar fur Naturwissenschaften kaum etwas iibrig hatte.
Daher kam es wohl auch, daB der junge L. nicht auf die damals ausschliefiliche
Vorschule der Gelehrten, das Gymnasium, geschickt wurde, sondern seine erste
Ausbildung an einer Art Realgymnasium in seiner Vaterstadt erhielt. Den
Sinn und die Freude fur die Naturwissenschaften empfing er wohl aus sich selbst,
sein Vater war ein mehr auf das praktische Leben bedachter Mensch und konnte
sich fur die fruhzeitig zutage tretende Neigung seines Sohnes zur reinen Wissen-
schaft kaum erwarmen, wenn auch L. infolge der sehr gunstigen Vermogenslage
der Familie hierin nennenswerte Schwierigkeiten nicht bereitet wurden. Mit
15 Jahren ubersiedelte L. an die technische Schule in Karlsruhe. Dort wuflte
er durch eisernen Fleifl nicht nur den Lehrplan der Anstalt durchzuarbeiten,
sondern auch manche Liicken seines Wissens, speziell auf humanistischem Ge-
biete, auszuftillen.
i860, nach Absolvierung der Karlsruher Schule, war L. entschlossen, sich
der wissenschaftlichen Laufbahn zu widmen. Er bezog die Universitat Heidel-
berg und befafite sich zunachst intensiv mit den mathematischen Vorlesungen
Hesses. Wiewohl er diese Studien eifrigst betrieben hat, was ihm ubrigens
auch in seiner spateren chemischen Tatigkeit von grofitem Nutzen gewesen ist,
so konnte ihn doch die Mathematik nicht ganz fesseln. Begeistert war er von
der Vorlesung Bunsens, und L. selbst fuhrte seinen endlichen EntschluB, sich
der Chemie zuzuwenden, auf diesen seinen Lehrer zuriick, dem er bis ins spate
Alter tiefste Dankbarkeit bewahrte. DaB auch die Vorlesung des beruhmten
Kirchhoff nicht vernachlassigt wurde, versteht sich von selbst. Das Winter-
semester 1862/63 verbrachte L. in Berlin. Dort trieb er hauptsachlich andere
Studien, unter anderem Physik bei Magnus, Geschichte und Kunstgeschichte.
Im Fruhjahr 1863 kehrte er nach Heidelberg zuriick und wurde dort sumtna
cum laude zum Doktor promoviert.
\J2 Ladenburg.
Wahrend L. durch Bunsen vorzugsweise in die anorganische Chemie ein-
geftihrt worden war, horte er bei Carius und Erlenmeyer organische Chemie.
Bei Carius fuhrte er auch seine erste wissenschaftliche Arbeit aus, eine neue
Methode der Analyse organischer Substanzen, die insofern Interesse verdient,
als es durch sie moglich tet, den sonst blofl aus der Differenz zu errechnenden
Sauerstoffgehalt durch direkte Messung zu bestimmen. So war er denn in die
organische Chemie hineingeraten, und um sich in diesem Fach weiter auszu-
bilden, wandte er sich naturgemafl an die Statte, wo der damals bekannteste
Vertreter dieser Wissenschaft, August Kekul6, wirkte, nach Gent. Die kurze
Zeit, die er dort verbrachte, Friihjahr 1865, war fur L. aufierordentlich fruchtbar.
Hatte Kekul6 eine Formel des Benzols und damit eine Theorie der aromatischen
Verbindungen, uber deren ungeheure Tragweite fur die Chemie wohl nicht erst
gesprochen werden muB, aufgestellt, so lag es an L. und seinem Freunde Korner,
dessen Bekanntschaft er in Gent gemacht hatte, eine Reihe von Beweisen zur
Stiitze dieser Formel und zur Entwicklung aller ihrer Konsequenzen zu fiihren.
Wie wir spater sehen werden, ist die eine grofle Periode von L.s Wirken gerade
durch die Beschaftigung mit diesem Thema ausgefiillt.
Nach einem kurzen Besuch in England bei dem beruhmten Chemiker
Frankland ging L. mit einer Empfehlung Kekul^s zu Berthelot nach Paris.
Jedoch hielt es ihn dort nicht lange. Die ganz unzureichende Einrichtung des
Instituts, der vollige Mangel an Kollegen bewog L., zu Wurtz zu tibersiedeln,
wo er, schon mit Rucksicht auf die Empfehlungen Kekutes, freundlichst auf-
genommen wurde. Hier machte er eine Reihe wertvoller Bekanntschaften
und schlofi sich insbesondere an Ch. Friedel (nachmals Professor der organi-
schen Chemie an der Sorbonne) an, mit dem er dann in die £cole des mines iiber-
siedelte, wo die weiter unten besprochenen Arbeiten uber organische Silicium-
verbindungen entstanden. DaB die zweijahrige gemeinsame Arbeit auch ein
naheres personliches Verhaltnis zur Folge gehabt hat, ist nur naturlich, und
die Freundschaft ist bis zu Friedels Tode bewahrt geblieben, wenn auch das
Jahr 1870 eine kleine Trubung hervorgerufen hat. Auch sonst dachte L. stets
mit grofier Freude an die schonen Pariser Tage zuruck, und es ist begreiflich,
dafi ihm die im Jahre 1909 erfolgte Ernennung zum Mitglied der Pariser Aka-
demie viel Stolz und Freude bereitet hat.
Im Jahre 1867 kehrte L. nach Heidelberg zuruck, um sich dort fur Chemie
zu habilitieren. Bunsen war einverstanden und wies ihn an Kopp, der mit L.
vereinbarte, daO die erwahnte Arbeit uber organische Analyse als Habitations -
arbeit einzureichen sei. Inzwischen reiste L. nach Berlin, wo er diesmal in eine
sehr fruchtbare Epoche der Chemie geriet. Damals wurde eben die deutsche
chemische Gesellschaft gegrundet, der L. bald beitrat, und der er viele sehr an-
regende Bekanntschaften verdankte. Der Aufenthalt muBte jedoch jah unter-
brochen werden, da L. nach Heidelberg zuruckberufen wurde. Bunsen war mit
der Habilitationsarbeit nicht einverstanden, weil sie eine von Bunsen selbst
angegebene analytische Methode enthielt, die nicht vollkommen genau war.
Zwar war die Genauigkeit fur den vorliegenden Zweck vollig ausreichend,
allein Bunsen liefi sich nicht uberzeugen, willigte jedoch endlich ein, daO L.
ohne Vorlegung einer besonderen Habilitationsschrift, bloB auf Grund seiner
samtlichen Publikationen habilitiert werde. Die erste Vorlesung des jungen
Privatdozenten behandelte die Entwicklungsgeschichte der Chemie im 19. Jahr-
Ladenburg. 1 73
hundert, die im Jahre 1868 von Vieweg in Buchform unter dem Titel »Vor-
trage iiber die Entwicklungsgeschichte der Chemie in den letzten hundert
Jahren« verlegt und spater durch einige Vortrage von L. erganzt wurde. Das
ausgezeichnete Buch ist in die meisten fremden Sprachen ubersetzt worden
und hat bis zu L.s Tode vier Auflagen erlebt.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris zur Fortsetzung der Arbeiten
mit Friedel ging L. im Herbst 1868 daran, sich ein Laboratorium einzurichten.
Damals muBten alle Heidelberger Privatdozenten sich ihre Arbeitsstatte auf
eigene Kosten schaffen und erhalten, begreiflicherweise ein Obelstand, um
dessen Abschaffung L. im Namcn aller Kollegen beim badischen Ministerium
ansuchte. Die Intervention L.s war nicht nur erfolglos, sondern hatte auch noch
fur ihn die unangenehme Folge, dafi er anstatt der ublichen drei Jahre deren vier
auf das Extraordinariat warten mufite und erst 1872 zum Professor ernannt
wurde.
Kurz nach seiner Ernennung erhielt L. vom preuflischen Kultusministerium
den Antrag, das Ordinariat fur Chemie in Kiel zu ubernehmen. Nach einigen
Bedenken nahm L. unter der Bedingung an, dafi er ein neues Institut erhalte
und dem Rufe erst in einem Jahre Folge leisten musse. So war es ihm moglich,
alle Arbeit in Heidelberg abzuschliefien, und Ostern 1873 ubersiedelte er nach
Kiel. Die 16 Jahre, die er in dieser Stellung verbracht hat, sind fur L. Jahre
angestrengtester Tatigkeit gewesen. Nicht nur, dafi die wissenschaftliche
Arbeit riistig fortschritt, auch die laufenden Angelegenheiten der Fakultat
gaben viel zu schaffen, und L.s Pflichttreue vertrug es nicht, dafi irgendeine
ihm zugewiesene Aufgabe vernachlassigt wurde. Dazu kamen die Arbeiten fur
den Neubau des chemischen Institutes, das mit einiger Verspatung im Herbst
1878 eroffnet wurde. Zu Anfang der achtziger Jahre begann L. sich mit der
Herausgabe seines Handworterbuchs der Chemie zu beschaftigen, das — dreizehn-
bandig — selbstverstandlich unter Heranziehung einer Reihe von Mitarbeitern
in 14 Jahren, im Jahre 1896, fertiggestellt war. 1884 wahlte ihn die Universitat
Kiel zum Rektor.
In diese Zeit fallt auch seine Verehelichung. 1875 fuhrte cr die Tochter
des berlihmten Pflanzenphysiologen Pringsheim, Margarete, heim. Diese Ehe,
der drei Sohne — samtlich in Kiel geboren — entstammten, war uberaus gluck-
lich, denn L.s Frau hatte es verstanden, sich ganz in die Tatigkeit ihres Mannes
hineinzuleben, so dafi sie ihm in mancher literarischen Arbeit hilfreich zur Seite
stehen konnte. Eine fruchtbare und erfolgreiche Tatigkeit, ein schones und
geselliges Heim, in dem sich das Musikleben der Stadt konzentrierte — L. war
ein uberaus gebildeter und feinsinniger Musiker — , dafi so die Kielcr Zeit fur L.
sehr glucklich verlief, lafit sich denken. Trotzdem nahm er im Jahre 1889 einen
Ruf nach Breslau an, weil er sich dort einen grofieren Wirkungskreis versprach.
Leicht war es fur ihn nicht, von Kiel zu scheiden; allein er hatte sich bald auch
in die neuen Verhaltnisse eingelebt, und der neue Freundeskreis wuchs rasch.
Zu ihm gehorten nicht nur viele Kollegen, wie Felix Dahn, sondern naturgemafi
auch die musikalische Gesellschaft, und da L. hier in Breslau auch offentlich
hervortrat — er wurde Stadtverordneter — , trat er auch mit diesen Kreisen
in Beriihrung.
Bei seiner Obersiedlung war L. ein neues Institut versprochen worden,
jedoch stiefi dieses Projekt auf finanzielle Schwierigkeiten, und L. mufite sich
1 74 Ladenburg.
damit begniigen, das alte Laboratorium zu modernisieren und es durch einen
Zubau zu vergroflern. Dadurch waren die wichtigsten Anforderungen, die
man insbesondere vom Standpunkte des Unterrichts stellen konnte, befriedigt,
und 1897 konnte das umgebaute Haus feierlich eroffnet werden. Zum modernen
Hause gehorte aber auch ein moderner Betrieb, und L., der zwar theoretisch
mit der physikalischen Chemie vertraut war, aber in diesem jungeren Wissens-
zweig nicht uber grofie praktische Erfahrung verfiigte, berief zunachst Kiister
und nach ihm R. Abegg als Abteilungsvorstande fiir physikalische Chemie an
sein Institut. Bis dahin hatte er alles selbst besorgt, nicht nur seine Vorlesung
bis ins kleinste Detail vorbereitet, wobei er den grofiten Wert auf das Experimen-
tieren legte, sich auch mit jedem Praktikanten, deren es in Breslau sehr viele
gab, selbst beschaftigt. Dafi er sich in dieser Tatigkeit bei Assistenten und
Studenten grofler Beliebtheit erfreute, dafiir zeugt die aufierordentlich herzlich
verlaufene Feier seines 60. Geburtstages im Jahre 1902.
In diesem Jahre forderte van t'Hoff, der zum Prasidenten fiir die 1903 in
Kassel stattfindende Naturforscherversammlung designiert war, L. auf, den
ersten Vortrag in der allgemeinen Sitzung zu iibernehmen. L. nahm an und
wahlte zum Thema den Einflufl der Naturwissenschaften auf die Weltanschau-
ung. Van t'Hoff, der naturlich nur den Titel kannte, war einverstanden.
Der Vortrag — er ist in den von L. 1908 herausgegebenen »Naturwissenschaft-
lichen Vortragen« abgedruckt — begann mit den Worten: »Im I. Buche Mosis
steht zu lesen: Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Hell in den
Kopfen ward es aber erst, als die Heiligkeit der Bibel bezweifelt und sie, wie
alle Bticher, als Menschenwerk angesehen wurde.« Das alte und das neue
Testament sei Menschenwerk und nicht gottlichen Ursprungs, wenn auch poeti-
sche Schonheit und ethischer Wert der Bibel nicht angezweifelt werden solle;
es gebe keine wissenschaftlich verbiirgte Tatsache, auf die sich der Unsterblich-
keitsglaube berufen konne; kurz, er sprach mit grofiem Freimut (iber das sehr
heikle Thema religioser Fragen. Dieser Vortrag entfesselte die heftigsten An-
griffe in Zeitungen und Broschuren. Personliche Schmahungen gegen L. waren
an der Tagesordnung; sie gipfelten in dem Vorwurf, dafi L. uber das Christen-
tum nicht zu sprechen habe, da er getaufter Jude sei. (Er war als Jude geboren
und schon als reifer Mann zum Christentum ubergetreten.) War das schon
fiir L. aufierordentlich peinlich, so bedruckte ihn weit mehr noch der Umstand,
dafl auch die Mehrzahl der Kollegen sich von ihm abwandte. L. sagt selbst:
»An der Universitat waren fast alle gegen mich, und die wenigen Freunde,
Dahn, Chun, Mikulicz, brachten keinen Trost. Mikulicz hatte nur das Wort:
»Strafe hast Du verdient«. Auch van t'Hoff war mit L.s Vortrag nicht ein-
verstanden, was L. zu dem iibrigens ungerechtfertigten Vorwurf bewog, van
t'Hoff habe sich als ein schwacher Charakter erwiesen. In Wirklichkeit war
van t'Hoff nur der Meinung, dafi das Thema bei diesem Anlafl unpassend
gewesen sei.
Diese heftige Polemik, an der L. naturlich nur passiv beteiligt war, hatte
ihn und seine Familie tief schmerzlich beriihrt. Aber ein giinstiges Geschick
bereitete ihm schon im folgenden Jahre Genugtuung. 1904 fand die Natur-
forscherversammlung in Breslau statt, und L. war zum Geschaftsfiihrer aus-
ersehen, da der Vorstand der Versammlung sich fiir ihn entschieden hatte.
Dort begriiflte er zahlreiche Freunde und Kollegen, und ein froher Abend fuhrte
eine grofle Zahl von Fachgenossen in seiner behaglichen Villa zusammen.
Ladenburg. 1 75
Bis zu dieser Zeit war L.s Leben glucklich und erfolgreich verlaufen, gerade
in seinen letzten Jahren traf ihn Schlag auf Schlag. Eine kleine Wunde am
Fufie, die absolut nicht heilen wollte, zwang, nachdem wiederholte kleine Opera -
tionen keine Besserung gebracht hatten, die Arzte, zur Amputation des rechten
FuBes und eines groCen Teils des Beines zu schreiten. Mikulicz selbst fiihrte
die Operation aus, die glucklich verlief, und L. erholte sich trotz seines hohen
Alters noch leidlich. Er nahm sogar seine Vorlesungen wieder auf, die er fur
eine Zeit Abegg hatte uberlassen miissen, aber zur Ruhe konnte er nicht mehr
kommen. Auch andere Leiden qualten ihn, dann begann sich am linken FuB
ein ahnlicher Prozefi zu entwickeln, so daB man arge Befurchtungen hegen
mufite. Dazu traf ihn Pfingsten 1908 ein hartes Ungliick, sein Sohn Erich,
Privatdozent der Physik in Berlin, ertrank bei einer Segelpartie auf einem
der Havelseen. Am schlimmsten aber war es fur ihn, als im Marz 1909 seine
Frau durch eine jah verlaufende Kehlkopferkrankung plotzlich hinweggerafft
wurde. Von diesem Schlage hat sich L. nicht mehr erholt, er erkrankte so schwer,
dafl er 1909 sein Lehramt niederlegen muflte. Zu seinem Nachfolger wurde
,E. Buchner bestellt, der heute noch an dieser Stelle wirkt.
Das letzte, was L. blieb, war die Liebe zur Chemie. Er las aufmerksam
die neu erscheinende Literatur und befafite sich auch noch selbst mit der Arbeit.
Aber seine korperlichen Krafte verfielen immer mehr. Eine letzte grofie Freude,
die Verlobung seines Sohnes Rudolf, sollte er noch erleben. In der Nacht vor
der Hochzeit, am 15. August 191 1, verschied er.
An aufleren Auszeichnungen hat es L. nicht gefehlt. Schon im Jahre 1886
ernannte ihn die Chemical Society in London zum Ehrenmitgliede. 1889,
gelegentlich seiner Obersiedlung nach Breslau, erhielt er den Titel eines Ge-
heimen Regierungsrates, 1909 wurde er Mitglied der Pariser und Berliner Aka-
demien, er war iiberdies korrespondierendes Mitglied einer Reihe wissenschaft-
licher Korperschaften.
Die wissenschaftlichen Leistungen L.s in dem hier knapp bemessenen
Raume verdientermafien zu besprechen und zu wurdigen, ist nicht leicht. Hat
er doch mehr als 250 Experimentalarbeiten und noch einige Bucher und Bro-
schiiren veroffentlicht.
Sehen wir von den Erstlingsarbeiten, die besonderes Interesse wohl nicht
in Anspruch nehmen, ab, so kann wohl als das erste grofie Arbeitsgebiet L.s
die Chemie der organischen Siliciumverbindungen angesehen werden, Arbeiten,
die, wie erwahnt, groBtenteils mit Ch. Friedel ausgefiihrt worden sind. Ebenso
wie der Kohlenstoff das Grundelement der organischen Welt ist, ist das Silicium,
das nach dem Sauerstoff auf der Erde verbreitetste Element, das der anorgani-
schen Natur. Beide Elemente stehen einander chemisch insofern sehr nahe,
als sie derselben Reihe des periodischen Systems angehoren. Es kann also nicht
wundernehmen, daB bald der Gedanke auftauchte, ob nicht ahnlich der Syn-
these von Kohlenstoffverbindungen auch solche der Siliciumverbindungen
durchfuhrbar seien, ob nicht der Kohlenstoff glatt durch Silicium vertretbar
sei. Diese Ideen haben L. und Friedel in die Wirklichkeit iibergesetzt, sie
haben eine Reihe von reinen Siliciumverbindungen und solchen, in denen Kohlen-
stoff und Silicium gemeinsam vorkommen, dargestellt, Verbindungen, die viel-
fach in ihrem chemischen Bau vollige Analoga der reinen organischen Verbindun-
gen sind. Diese Arbeiten sind schon deshalb hoch einzuschatzen, weil sie teil-
I76 Ladenburg.
weise grofie experimentelle Schwierigkeiten bieten. Ihr endlicher Zweck ist
allerdings insofern nicht erreicht worden, als sich herausgestellt hat, dafi das
Silicium die marchenhafte Verbindungs- und Verkettungsfahigkeit des Kohlen-
stoffs nicht besitzt.
Das nachste Gebiet, das L. eingehend bearbeitet hat, und zu dem ihn nicht
nur die Aktualitat, sondern auch der Verkehr mit Kekul£ in Gent angeregt hat,
war die Theorie der Benzolderivate. Kekul6 hatte eine Formel fur das Benzol
aufgestellt, die es als regelmafiiges Sechseck darstellte, in dem einfache und
doppelte Bindungen zwischen den einzelnen Kohlenstoffatomen alternieren.
Demzufolge sollten alle Wasserstoffatome des Benzols gleichwertig sein. L. hat
diesen Beweis in eleganter Weise geflihrt und so fur die Theorie der aromati-
schen Verbindungen einen wertvollen Grundstein gelegt. Auch die Struktur
des Mesitylens, des symmetrischen Trimethylbenzols, konnte er auf kom-
pliziertem Wege, durch miihsame praparative Arbeit beweisen. Jeder solche
Strukturbeweis war fur die damalige Zeit von fundamentaler Bedeutung, weil
von der einen Verbindung auf die andere zuruckgeschlossen werden konnte, und
weil es vor allem nur auf diees Weise moglich war, die ganze Theorie auf ihre
Richtigkeit zu priifen. Man unterschatzt nur allzu leicht derartige Forschung.
Uns sind alle diese Kenntnisse selbstverstandlich, damals muflten sie durch
miihsame Arbeit errungen und gesichert werden.
Gewisse Schwierigkeiten, die in der Kekul6schen Formel lagen und die ja
zu zahlreichen Diskussionen und zur Aufstellung einiger neuer Formeln gefiihrt
haben, suchte L. durch eine andere Versinnbildlichung des Benzols zu iiber-
winden. Er verlegte die sechs Kohlenstoffatome in die Ecken eines sechs-
seitigen Prismas und konnte so wirklich vieles erklaren und manches Bedenken
zerstreuen. Indessen hat L. diese Prismenformel spater selbst nicht aufrecht-
erhalten konnen, da sie fur viele kompliziertere aromatische Verbindungen,
wie etwa fur das Naphthalin, nicht mehr moglich war. Den Kern all dieser Ar-
beiten und die einschlagigen theoretischen Spekulationen hat L. in der 1876
erschienenen Theorie der aromatischen Verbindungen niedergelegt. Aber auch
spater hat er noch oft in die Diskussion uber die Konstitution des Benzols, die
ja bis heute noch nicht abgeschlossen ist, eingegriffen.
Der groflte Erfolg, der L. zuteil ward, liegt auf dem Gebiete der Chemie
der Alkaloide und des Pyridins, das ja den Stammkorper sehr vieler Pflanzen-
basen bildet. Zunachst befafite er sich mit dem Atropin, dem Alkaloid der Toll-
kirsche, und stellte dasselbe partiell synthetisch aus seinen beiden Komponenten,
dem Tropin und der Tropasaure, dar. Auch die Tropas&ure konnte L. bald
auf kiinstlichem Wege herstellen, schwieriger gestaltete sich die Aufklarung
der Konstitution und die Synthese des zweiten Bestandteiles, des Tropins.
L. hat eine Reihe wertvoller Beitrage zu dieser Frage geliefert, die allerdings
endgultig erst in neuerer Zeit durch Willstatter gelost worden ist.
Die Beschaftigung mit dem Tropin fuhrte L. zum Studium des Pyridins.
Auch auf diesem Gebiete hat er sich unvergangliche Verdienste erworben. In
erster Linie hat er fiir diese Reihe ein neues Reduktionsverfahren, die Ein-
wirkung von Natrium und Alkohol, angegeben. Mit Hilfe dieser Methode gelang
es ihm, das Tetra- und Pentamethylendiamin zu synthetisieren, deren Identitat
mit dem als Faulnisprodukte naturlich vorkommenden Putrescin bezw. Ca-
daverin nachgewiesen wurde. Das Cadaverin insbesondere war fiir den Aufbau
Ladenburg. \yj
des Pyridins wichtig, da sein salzsaures Salz beim Erhitzen unter Abspaltung
von Ammoniumchlorid in Piperidin ubergefuhrt und das Pyridin nach dem eben
erwahnten Reduktionsverfahren von L. gleichfalls glatt in Piperidin verwandelt
werden konnte. Da auch das Piperidin anderseits durch Oxydation in Pyridin
verwandelt werden kann, so ist damit eine Synthese dieses aufierordentlich
wichtigen Korpcrs gegeben und seine Konstitution mit voller Sicherheit bewiesen.
Die Hauptquelle fur die Bereitung des Pyridins und seiner Homologen
bildet der durch Destination der Knochen gewonnene Teer, jedoch bereitet die
Trennung und Isolierung der einzelnen einander sehr ahnlichen Korper erheb-
liche Schwierigkeiten. L. hat nicht nur Methoden hiezu ausgearbeitet, sondern
auch einige dieser Homologen synthetisiert. So konnte er z. B. das a- und 7-
Picolin durch Erhitzen des Pyridin jodmethylats bereiten, wobei eine Atom-
verschiebung eintritt. Das ot-Picolin (d. i. Methylpyridin mit der Methylgruppe
in Nachbarstellung zum Pyridinstickstoff) lafit sich, wie L. fand und fur seine
Homologen generalisieren konnte, mit Aldehyden kondensieren. Fuhrt man
diese Kondensation mit a-Picolin und Acetaldehyd aus, und reduziert man das
Reaktionsprodukt mit Natrium und Alkohol, so resultiert das cc-Propylpiperidin,
welches die gleiche chemische Zusammensetzung wie das Alkaloid des Schier-
lings, das Coniin, besitzt. Allerdings besteht noch ein fundamentaler Unter-
schied. Das natiirlich vorkommende Coniin ist namlich optisch aktiv, wahrend
das von L. synthetisch hergestellte inaktiv, ein gleichteiliges Gemisch beider
optisch aktiver Formen ist. L. konnte jedoch die Synthese vollenden, indem
er sein Kunstprodukt mit Zuhilfenahme der weinsauren Salze in die beiden
Komponenten zerlegte. Damit war das erste Alkaloid synthetisch gewonnen.
Die Synthese war jedoch noch nicht ganz vollstandig. Das naturliche
Coniin zeigte namlich konstant ein etwas kleineres Drehungsvermogen als das
von L. auf die eben beschriebene Weise kunstlich bereitete. L. erklarte diesen
merkwurdigen Umstand damit, daB dem Naturprodukt eine zweite Base,
das Isoconiin, beigemengt sei, die diesen kleinen Drehungsunterschied pro-
voziere. Nun war aber die Existenz eines solchen Isoconiins nach der bisherigen
Theorie unmoglich. Das Coniin enthielt blofi ein asymmetrisches Kohlenstoff-
atom (d. h. ein Kohlenstoffatom, welches mit seinen vier Valenzen an vier ver-
schiedene Atome oder Atomgruppen gebunden ist) und konnte also bloB drei
Isomere geben, ein rechtsdrehendes, ein gleichstark linksdrehendes und ein
inaktives Produkt. L. gab nun der Ansicht Ausdruck, dafl die grofiere Zahl
von Isomeren durch die Asymmetrie des Stickstoffes zu erklaren sei. Das war
und ist ein Novum. Denn ist auch die Asymmetrie und die dadurch hervor-
gerufene optische Aktivitat beim flinfwertigen Stickstoff moglich und mannig-
faltig erwiesen, so ist sie es doch nicht bei der dreiwertigen Form dieses Ele-
ments, wie sie beim Coniin vorliegt. L. hat zahlreiche Versuche mit andern
Korpern ausgefiihrt, um eine Stutze fur diese Ansicht zu erhalten. Sie waren
vergeblich und, wenn auch die Frage bis heute nicht mit aller Sicherheit gelost
worden ist, so kann man doch mit mehr Wahrscheinlichkeit annehmen, dafi
L.s Meinung nicht zutrifft. Die Erklarung fur die eingangs genannte merk-
wurdige Tatsache ist wohl in der Beimengung einer Verunreinigung zu suchen,
welche die optische Aktivitat herunterdriickt, jedenfalls in der Beimengung
der inaktiven Form.
Von L.s Vielseitigkeit zeugen seine Arbeiten, die er auf anorganisch-chemi-
Biogr. Jahrbuch u. Deuttcher Nckrolog". 16. Bd. 12
I78 Ladenburg. Hitzig.
schem Gebiet ausgeflihrt hat. Die wichtigste und eleganteste ist vvohl die
Untersuchung des Ozons. L. konnte feststellen, daB diese interessante Modi-
fikation des Sauerstoffes sich von demselben durch das anderthalbmal
so grofle Molekulargewicht unterscheidet, und daB man demnach, da das
Sauerstoffmolekul als zweiatomig anzunehmen ist, das Ozon als dreiatomigen
Sauerstoff betrachten muB.
Von den zahlreichen Biichern L.s haben wir bereits die »Vortrage uber die
Entwicklungsgeschichte der Chemie in den letzten hundert Jahren« erwahnt.
Sie behandelte zunachst die Geschichte der Chemie seit Lavoisier, also seit der
Begriindung einer rationellen Chemie in unserem Sinne, und befaBt sich in aus-
gezeichnet kritischer Weise mit alien wichtigen Fragen der Chemie. Bei jeder
neuen Auflage muBte naturgemaC ein neuer Aufsatz hinzugefiigt werden, der
der neuen Zeit Rechnung trug. Der Titel des Werkes wurde spater umge-
andert in »Entwicklungsgeschichte der Chemie von Lavoisier bis zur Gegen-
wart«. Hervorzuheben ist, daB die groBe Spezialisierung der Chemie, die sich in
den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entwickelt hat, es einem
einzelnen Menschen nicht leicht machen konnte, alle Teile gleichmaflig zu be-
handeln. L.s Vielseitigkeit hat es verstanden, dieser Schwierigkeit Herr zu
werden.
Das umfangreiche Handworterbuch der Chemie stellt ein ausfuhrliches
Lexikon dar, das fur Nachschlagezwecke dienen sollte. Wie alle diese Werke
in einer sich rasch entwickelnden Wissenschaft, hat es natiirlich heute nur mehr
historischen Wert. AuBerdem waren die »Naturwissenschaftlichen Vortrage in
gemeinverstandlicher Darstellung« (Leipzig 1908) zu erwahnen, in denen auch
der ausfuhrlich besprochene Vortrag uber den EinfluB der Naturwissenschaften
auf die Weltanschauung abgedruckt ist; letzterer ist 1903 auch schon selbstandig
gedruckt worden. SchlieBlich sei noch der 1912, ein Jahr nach seinem Tode,
erschienenen »Lebenserinnerungen« gedacht.
Benutzt wurde der ausfuhrliche Nekrolog ^Albert Ladenburg* (Verf. Prof. W. Herz)
Breslau, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. 45, S. 3597 ff. ex 1912. Mit Bild!
Wien. Dr. Ernst Zerner.
Hitzig, Hermann Ferdinand, ordentlicher Professor des romischen Rechts
an der Universitat Zurich, * 25. Januar 1868 zu Burgdorf, f 26. Juli 1911 zu
Zurich. — Das Geschlecht der H., das aus dem Grofiherzogtum Baden stammt,
hat der Universitat Zurich drei ausgezeichnete Professoren geschenkt. Der
GroBvater, der bekannte alttestamentliche Exeget und Orientalist Ferdinand H.,
war 1833 von Heidelberg weg an die eben erst gegrundete Universitat Zurich
berufen worden, wo er bis zum Jahr 1861 lehrte, um dann w r ieder nach Heidel-
berg zuruckzukehren; der Vater, Hermann H., w r irkt noch jetzt in hohem An-
sehen als Ordinarius fiir klassische Philologie an der Ziircher Hochschule; der
Sohn, Hermann Ferdinand H., erwarb sich als Lehrer des romischen Rechts
einen weit iiber die Grenzen der Schweiz hinaus geschatzten Namen. Mutter-
licherseits entstammte H. dem zurcherischen Geschlecht der Steiner, in dem
kunstlerische Sinnesart und wissenschaftliche Geistespflege rege Hiiter hatten
und haben.
Geboren wurde H. in Burgdorf im Kanton Bern, wo sein Vater als Gym-
nasiallehrer amtete. Mit des letzteren Berufung als Professor an die Berner
Hitzig. iyg
Hochschule siedelte die Familie nach Bern uber, und hier durchlief H. das
Gymnasium. Nach Ablegung seines Abiturientenexamens war er noch zu
jung, um sich an einer schweizerischen Universitat immatrikulieren zu konnen;
er ging daher vorerst nach Montpellier, um sich, neben dem Erlernen des Fran-
zosischen, mit besonderem Eifer dem ihm schon vertrauten Studium der alten
Sprachen zu widmen. Zuruckgekehrt nahm H. das Studium der Rechte an der
Universitat Bern auf; hier gewann namentlich der Pandektist Baron auf ihn
Einflufl, so dafi er seinetwegen a'uch noch in Bern blieb, als die Familie den
Wohnsitz nach Zurich verlegte. Zur Fortsetzung seiner Studien begab sich H.
alsdann nach Leipzig und trat daselbst in nahe personliche Beziehungen zu
seinen Lehrern Binding, Sohm, Wach und Windscheid. Doch schlofi er sein
Studium im Januar 1891 in Zurich ab; seine lateinisch geschriebene Dissertation
»De magistratuum et judicorum Romanorum assessoribus« gab er spater auch
deutsch heraus mit dem Titel »Die Assessoren der romischen Magistrate und
Richter«.
Der Wunsch, das Recht in seiner praktischen Anwendung kennen zu lernen,
veranlaflte H., vorerst als Substitut in das bekannte Rechtsanwaltsbureau
Forrer & Curti in Winterthur einzutreten, wo seinen hervorragenden Fahig-
keiten das glanzendste Zeugnis ausgestellt wurde. Er selbst blickte stets mit
Dankbarkeit und groBer Genugtuung auf diese anderthalb Jahre im Dienst der
angewandten Jurisprudenz zuruck; den hier gewonnenen Erfahrungen schrieb
es der Gelehrte nicht zum geringsten Teil zu, dafl ihm die Augen fur die prakti-
schen Erfordernisse des Rechtslebens dauernd geoffnet blieben.
Allein die Neigung zog H. doch zur akademischen Laufbahn, und so habili-
tierte er sich im Juni 1892 als Privatdozent fur romisches Recht an der Uni-
versitat Zurich mit der Antrittsvorlesung »Die Stellung des Kaisers Hadrian
in der romischen Rechtspflege«. Schon im Jahr 1895 wurde H. zum aufier-
ordentlichen, 1897 — neben Albert Schneider — zum ordentlichen Professor
des romischen Rechts gewahlt. AuBer den eigentlichen Disziplinen seines
Fachs — Institutionen, Pandekten, romische Rechtsgeschichte — las er auch
uber franzosisches Privatrecht. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens wandte er
sich ferner mit besonderem Interesse dem neuen schweizerischen Privatrecht zu;
als Mitglied der groflen Expertenkommission fiir das Schweizerische Zivilgesetz-
buch hatte er Gelegenheit, von Anfang an dessen Wexden aufs genauste zu
verfolgen.
Von 1898 bis 1900 bekleidete H. das Amt des Dekans der juristischen
Fakultat, und fiir die mit dem Jahr 19 12 beginnende Periode stand ihm in
sicherer Aussicht die Anwartschaft auf das Rektorat der Ztircher Universitat.
Der seltene Fall, da6 in seiner Person die dritte Generation zu diesem Amt
vorgeriickt ware, machte ihm, dem uberhaupt bei aller vornehmen Einfachheit
das Geflihl fUr auOere Wurde nicht fehlte, besondere Freude.
Die Lehrtatigkeit war H. auBerordentlich ans Herz gewachsen, und sein
padagogisches Talent war unbestreitbar, wenn es sich auch mehr unbewuflt —
als bezwingende Mitteilung einer in jeder Faser wahren und vornehmen Per-
sonlichkeit — geltend machte. Seinen Schiilern brachte H. von vornherein
Wohlwollen und Interesse entgegen, und um das Gefuhl fruchtbaren Wirkens zu
haben, bedurfte er des personlichen Kontaktes mit seinen Horern. Das Be-
denken, daB ihm dieser bei einer Lehrtatigkeit an einer groBeren Fakultat ent-
180 Mtzig.
gleiten konnte, war mit unter den Griinden, die ihn Berufungen ins Ausland
wiederholt ablehnen liefien.
Die Gesinnungen, die H. seinen Studenten entgegenbrachte, wurden von
ihnen durch aufrichtige Anhanglichkeit erwidert; seinetwegen kamen viele
junge Juristen zum Studium nach Zurich, und bald gehorten seine Kollegien
zu den meistbesuchten der juristischen Fakultat. Allem Prunkenden abhold,
suchte H. nicht durch grofien rhetorischen Aufwand auf seine Zuhorer zu wirken,
sondern sie durch die aufierordentliche Klarheit einer naturlichen Beredsamkeit
fur das Vorgetragene zu interessieren. Eine sehr sorgfaltige Vorbereitung und
ein beneidenswertes Gedachtnis ermoglichten ihm, von schriftlichen Aufzeich-
nungen in seinen Vorlesungen ganz abzusehen und ihnen dadurch den Reiz
des Unmittelbaren zu wahren. Einer seiner Kollegen und fruheren Schiiler,
Professor Max Huber, schreibt uber H.s Lehrtatigkeit: »Durch die Sicherheit
und Ruhe, mit der er vortrug, durch die lichtvolle Klarheit und plastische An-
schaulichkeit, mit der er den Stoff behandelte, vermochte er alien Horern etwas
zu bieten, alien sichere Kenntnisse zu vermitteln, seine Leute an den Schwierig-
keiten nicht vorbei-, sondern an diese heranzubringen, Interesse fiir das Fach
und Lust zu weiterem Eindringen zu erwecken. . . . Weil der Romanist H.
nicht im Antiquarischen aufging, und weil er nicht mit der Logik das Leben
unter die Herrschaft toter Satzungen und Begriffe zwingen wollte, vielmehr
das Recht als im Flusse der Entwicklung befindlich betrachtete, vermochte er
seinen Schulern nicht nur durch einen historisch abgeschlossenen Stoff eine
formelle Verstandesbildung zu geben, sondern sie auch unmittelbar in den Geist
des heutigen Rechts hineinzufiihren.«
Neben H.s Lehrtatigkeit her ging eine reiche literarische Betatigung, die
zwar kein einzelnes Werk von grofiem Umfang hervorgebracht hat, wohl aber
in zahlreichen Abhandlungen grofieren oder kleineren Umfangs, namentlich in
Zeitschriften, sich zerstreut findet. H.s fiir einen Juristen ganz ungewohnliche
Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen liefien ihn Rechtsgebiete mit
Erfolg betreten, die sich naturgemaG den meisten andern verschliefien; nur
wenige diirften daher auch uber diese ureigenste Arbeitsdomane H.s zu einem
fachmannischen Urteil befahigt sein. Schwer entwirrbare Fragen des alt-
griechischen Rechts fanden in ihm einen ebenso gelehrten als scharfsinnigen
Interpreten: so das Pfandrecht, der Fremdenprozefi, die Staatsvertrage uber
Rechtshilfe usw. Seine romisch-rechtlichen Forschungen erstreckte er auch auf
das Strafrecht und beteiligte sich mit einer Reihe einschlagiger Artikel an
Pauly-Wissowas »Realenzyklopadie des klassischen Altertums«.
Die Beschaftigung mit dem im Werden begriffenen, fur die ganze Schweiz
einheitlich zu regelnden Privatgesetzbuch wurde ihm zum Anlafl, auch Pro-
bleme des modernen Rechts mit gewohnter Meisterschaft zu behandeln. In
diesem Zusammenhang sind zu nennen die Aufsatze »Die Grenzen des Erb-
rechts*, »Das Familienvermogen im schweizerischen Vorentwurf eines Zivil-
gesetzbuches«, »Die Grunddienstbarkeit im Vorentwurf eines schweizerischen
Zivilgesetzbuches*, »Der Arbeitserwerb des Kindest Seine enge Beruhrung
mit dem Theater, von der noch zu sprechen sein wird, liefi ihn in den letzten
Jahren auch Fragen des Theaterrechts in den Kreis seiner Betrachtung ziehen.
Hierher gehoren die Aufsatze »Buhnenengagementsvertrag und Theatergesetz*,
»Ein neues Problem des Theaterrechts (Das deutsche Stellenvermittlungsgesetz
Hitzig. l8l
und seine Bedeutung fur die Biihnen der Schweiz)« und »Schriftsteller-Pseudo-
nym und Biihnenname«.
Selbstverstandlich lenkten H.s Erfolge als Dozent und seine literarischen
Arbeiten verhaltnismaflig friih die Aufmerksamkeit der groBen deutSchen Uni-
versitaten auf ihn und verschafften ihm innerhalb weniger Jahre drei Berufungen.
Im Jahr 1907 wollte ihn Breslau, im Jahr 1909 Strafiburg fur einen Lehrstuhl
gewinnen; beidemale lehnte H. nach kurzer Bedenkzeit ab. Schwer dagegen
wurde ihm der EntschluB, als im Sommer 191 1 die Frage an ihn erging, ob er
eine Berufung nach Leipzig annehmen wurde. Die Aussicht, hier, wo er selbst
die starksten wissenschaftlichen Anregungen empfangen hatte, seinerseits zu
lehren, lockte ihn sehr, und fast schien es ihm eine Pflicht der Dankbarkeit
fur reich Empfangenes, dem Ruf Folge zu leisten. Allein reifliche Oberlegung
fiihrte ihn auch in diesem Fall schlieBlich zum Verzicht; neben der Anhanglich-
keit an die gewohnte Tatigkeit an der Zurcher Hochschule und neben der offen
ausgesprochenen Befurchtung, dafi er hier nicht leicht zu ersetzen sein wurde,
bestimmten ihn zur Ablehnung namentlich personliche Rlicksichten, sowie eine
in der Zuruckhaltung seiner Natur begrundete Scheu, sich noch in neue Verhalt-
nisse einzuleben.
Die Freude, die in Zurich tiber seinen entsagungsvollen EntschluB herrschte,
sollte freilich von kurzer Dauer sein; denn wenige Wochen nachher erlag er den
Folgen einer Operation, die bestimmt war, ihn von einem seit Jahresfrist fiihlbar
gewordenen Leiden zu befreien.
Grofie Befriedigung fand H. auch in der Betatigung in einem Nebenamt,
aus der er reiche Anregung ftir seine Lehrtatigkeit schopfte, da sie ihm die Mog-
lichkeit einer anhaltenden Fiihlung mit der Praxis gewahrte. Ungefahr ein
Jahrzehnt gehorte er namlich als Mitglied dem obersten Gerichtshof des Kantons
Zurich, dem Kassationsgericht, an, wo sein klar abwagender Verstand ebenso
wie sein ausgepragtes Gefiihl fiir Billigkeit die groBte Anerkennung verdiente
und fand.
Von einer Betatigung auf politischem Gebiet, wie sie ihm gelegentlich
nahegelegt wurde, hielt sich H. fern, da er hierzu weder Beruf noch Neigung
fiihlte. Um so groBere Genugtuung fand er in dem Gedanken, in einer anderen
Stellung ebenfalls im Dienst der Offentlichkeit zu wirken: als Mitglied und
spater als Prasident der Theater-Aktiengesellschaft Zurich, welche das dortige
Stadttheater und eine ihm angegliederte Schauspielbiihne betreibt. Wahrend
mehr als zehn Jahren widmete H. den groflten Teil der freien Zeit, die ihm die
peinlich gewissenhafte Erfullung seines wissenschaftlichen und seines Lehrberufs
ubrig lieB, diesem Unternehmen. Namentlich in den fiinf Jahren seiner Pra-
sidentschaft verging kaum ein Tag, ohne daB H. im Theater vorsprach, um
Kleinem und GroBem mit gleicher Genauigkeit nachzugehen. Mit einer ein-
dringlichen Sorge um das finanzielle und das kiinstlerische Gedeihen des Theaters
verband er ein tiefes Wohlwollen gegenuber alien beim Theater angestellten
Personen; mit besonderem Interesse verfolgte er den kiinstlerischen Werdegang
jugendlicher Krafte und trat — wie zu seinen Studenten — zu strebsamen
Kunstlern gem in personliche Beziehungen. Sein billig abwagendes Urteil
und sein strenger Gerechtigkeitssinn erzeigten sich um so wertvoller, als gerade
in der Zeit von H.s Prasidentschaft jene Bewegung starker einsetzte, die auch
im Theaterbetrieb soziale Forderungen durchzusetzen bestrebt ist, wie sie in
1 82 Hitzig. Meyer-Frauenfeld.
andern Gebieten schon lange erhoben werden. Es entsprach H.s Natur, billigen
Forderungen so weit als moglich entgegenzukommen; aber energisch widersetzte
er sich gelegentlichen Anlaufen, die Zurcher Btihne als Versuchsfeld fur ander-
warts noch unerprobte Mafinahmen vorzuschieben. Das Jahrfiinft, wahrend
dem H. das Presidium innehatte, bedeutet fiir das Zurcher Theater nach auCen
eine Periode kunstlerischen Aufschwungs, nach innen eine solche ausgedehnterer
Fursorge zugunsten der am Institut angestellten Personen.
DaC H. aus dieser Nebenbeschaftigung viel Muhe und mancher Verdrufl
erwuchs, ist selbstverstandlich; aber wenn sie ihn auch gelegentlich nieder-
driickten, vermochten sie sein Interesse am Theater doch nicht dauernd zu
lahmen. Einerseits empfand er diese Tatigkeit bewufit als anregende Ab-
wechslung von seiner wissenschaftlichen Arbeit und als Umschaltung seiner
geistigen Spannung; anderseits — und wohl mehr unbewuGt — empfing seine
auf Ausgeglichenheit und Harmonie aller in ihr liegenden seelischen Krafte
eingestellte Natur mit dieser Betatigung in einem nach der Kunst orientierten
Betrieb erst ihre voile Abrundung.
So wenig H. darauf ausging, in seinem Kolleg oder in seinen Schriften zu
glanzen, so wenig lag ihm daran, sich gesellschaftlich bemerkbar zu machen.
Aber wie dort der innere Wert und die gediegene Form tiefer wirkten, als es
geistiges Feuerwerk getan hatte, so empfingen im rein menschlichen Verkehr
auch Fernstehende bei aller Zuruckhaltung H.s den Eindruck eines Charakters
von grofiter Lauterkeit und einer Natur voll tiefer Giite. Er pflegte sich nicht
vielen zu erschliefien; aber die wenigen, die er in seine Freundschaft aufge-
nommen hatte, wufiten, dafi er ihnen in unwandelbarer Treue zugetan blieb.
Aufs engste verbunden fuhlte sich H., der unvermahlt geblieben war, den
Seinigen, mit denen er in Hausgemeinschaft lebte; mit seinem Vater traf er
sich aufierdem auf weiten Strecken gemeinsamer wissenschaftlicher Interessen.
Quellen: f Prof. Dr. jur. Hermann Ferdinand Hitzig. Ein Gedenkblatt. (Separat-
abdruck aus dem Freistudentischen Zentralblatt der Schweiz.) — Fleiner, Fritz: Zum Ge-
dachtnis Hermann Hitzigs (Neue Zurcher Zeitung vom i. August 191 1). — Huber, Max:
Hermann Ferdinand Hitzig (Schweizerische Juristen-Zeitung, VIII. Jahrg., Heft 4/5 vom
1. September 191 1). — Schuler, Hans: Professor Dr. H. F. Hitzig (Beilage zum Rechenschafts-
bericht 1910/11 der Theater -Aktiengesellschaft Zurich). — Derselbe: Hermann Ferdinand
Hitzig (Wissen und Leben. IX. Bd. t S. 441).
Zurich. Hans Schuler.
Meyer-Frauenfeld, Johannes, Z>., * n. Dezember 1835 zu Riidlingen im
schweizerischen Kanton Schaffhausen, f 8. Dezember 191 1. — Der jlingste
Sohn einer wenig begiiterten, aber kinderreichen Lehrersfamilie. Seine Gym-
nasialbildung empfing er am Schaffhauscr Gymnasium, wo er unter der
Leitung tiichtiger Lehrer, wie R. A. Morstadt, K. Knies, L. Frauer u. a., sich
fiir philologische und historische Studien begeisterte. In Basel, wo er in den
Jahren 1856 und 1857 studierte, lieC er sich durch W. Wackernagel fur Ger-
manistik gewinnen, horte aber nebenbei philosophische, philologische, historische
und rechtshistorische Vorlesungen bei Steffensen, Gerlach, Girard, Vischer,
Koch und Heusler. Vor allem aber war deutsche Sprache und Dichtung, deut-
sches Recht und deutsche Geschichte Gegenstand seiner eifrigen Studien, wobei
er Jakob Grimm und M. W. Gotzinger neben den Obengenannten sich zum
Meyer-Frauenfeld. 1 83
Vorbilde nahm. Als erste Frucht seiner Studien erschien noch wahrend seines
Aufenthaltes in Basel 1857 der Schaffhauser Richtebrief von 1291.
Mangel an Subsistenzmitteln zwang ihn, schon nach vier Semestern die
Hochschule zu verlassen und das Gelernte praktisch zu verwerten. Doch hatte
er seine Zeit so gut genutzt, dafi ein hinlanglich fester Grund gelegt war, auf
dem er weiterbauen konnte und, da er das carpe diem sich zur Richtschnur
seines Lebens machte, gelang es ihm nicht nur, vorhandene Liicken seines
Wissens auszufiillen, sondern auch am Ausbau seiner Wissenschaft sich aktiv
zu beteiligen.
Nach Abgang von der Universitat erhielt M. eine Lehrstelle an der Schmidt-
schen Lehranstalt zu Fellin in Livland, wo er vier Jahre (1858 — 1862) blieb.
Dann begab er sich liber Berlin, wo er J. Grimm aufsuchte, nach Paris, indem
er hoffte, dort ein Arbeitsfeld zu finden, das ihm gestatten wiirde, sich der
Fortsetzung seiner Studien auf den dortigen grofien Bibliotheken zu widmen.
Auch diese Hoffnung ward zu Wasser, und nach wenigen Monaten muflte er
nach Hause zuruckkehren.
Um sein Leben zu fristen, sah er sich gezwungen, mit Neujahr 1863 die
Redaktion des Schaffhauser Tagblatt zu ubernehmen. Er fuhrte eine gewandte
Feder und wurde popular; seine Heimatgemeinde und die Stadt Schaffhausen
wahlten ihn gleichzeitig in den Grofien Rat. Doch schuf er sich durch seinen
Freimut auch einfluflreiche Gegner, wurde in PreOprozesse verwickelt und war
schliefilich froh, als er der dornenvollen Laufbahn eines politischen Redakteurs
entsagen und im Herbst 1864 eine Lehrstelle an der stadtischen Realschule
ubernehmen konnte. Die Hoffnung, mit der Zeit eine Professur am kantonalen
Gymnasium zu bekommen, scheiterte am Widerstand einiger Erziehungsrate,
welche den Gelehrten entgelten liefien, was der Politiker gesiindigt hatte.
Im Herbst 1869 wurde er als Lehrer fur Deutsch und Geschichte am Ober-
gymnasium der thurgauischen Kantonsschule in Frauenfcld berufen und hatte
damit das Ziel seiner Wtinsche erreicht. 39 Jahre lang hat er dies Amt mit
Auszeichnung versehen, bis die Abnahme des Gehors den 72 jahrigen zwang,
in den wohlverdienten Ruhestand zu treten. 1873 ubernahm er das Amt eines
Konrektors und von 1875 — 1878 das eines Rektors der Kantonsschule.
Von 1880 bis zu seinem Tode besorgte er uberdies im Nebenamte die Ver-
waltung der thurg. Kantonsbibliothek und des Kantonsarchivs.
In seinem Unterricht hielt sich M. an gesunde, altbewahrte Grundsatze.
Vor allem war es ihm darum zu tun, die Selbsttatigkeit seiner Schuler zu wecken.
Er sah es gern, wenn seine Schuler Quellenstudien machten, und munterte sie
in jeder Weise dazu auf. Er verlangte viel von ihnen; sic sollten das Lernen
nicht als Spiel betreiben; sie sollten lernen, sich zu konzentrieren, ohne einseitig
zu werden.
Was er ihnen gab, war griindlich vorbereitet und wohl durchdacht, wie
seine bis ins einzelne ausgearbeiteten Lehrgange beweisen. Um seinen Schulern
eincn Einblick in die historische Entwicklung der deutschen Sprache zu geben,
fuhrte er das Studium des Althochdeutschen ein. Aller Halbheit abhold,
begnugte er sich dabei nicht mit eincm kurzen Oberblick, sondern machte seine
Schuler mit der Grammatik des Althochdeutschen bekannt und mutete ihnen
dabei mehr Arbeit zu, als manche derselben zu leisten willig waren. Als dann
die Aufsichtsbehorde den Unterricht im Altdeutschen aus Mangel an hierzu
1 84 Meyer-Frauenfeld.
verfiigbarer Zeit aufhob und den Lehrer anhalten wollte, sich mit dem des
Mittelhochdeutschen zu begntigen, verzichtete M. auch auf dieses Fach und be-
schrankte sich von da an auf den Unterricht im Neuhochdeutschen, da er sich
sagte, dafi ein richtiges Verstandnis des Mittelhochdeutschen ohne Kenntnis
des Altdeutschen nicht zu erreichen sei. Er gab von da an denjenigen Schulern,
welche das Studium der deutschen Sprache als Fachstudium wahlten, Privat-
unterricht im Alt- und Mittelhochdeutschen.
M. wollte auch auf der Primarschulstufe den Sprachunterricht im Schrift-
deutschen auf dem Grunde der Mundart erteilt wissen — siehe Deutsches Sprach-
buch fur hohere allemannische Volksschulen 1866 Schaffhausen — , konnte aber
damit nicht durchdringen.
Auch den Unterricht in der Geschichte gab M. mehr mit Riicksicht auf solche,
welche die Geschichte als Fachstudium zu betreiben gesonnen waren. Er griff
einzelne Partien aus der Weltgeschichte heraus und behandelte sie mit aller
Grundlichkeit, wie z. B. das Reformations -Zeitalter, den Siebenjahrigen Krieg,
die Franzosische Revolution, wogegen andere Partien nur in kurzem Oberblick
gestreift wurden, nach dem Grundsatz »non tnulta, sed multum^ So reichen Ge-
winn aus solchem Geschichtsbetrieb diejenigen zogen, die sich durch ihn in
das Studium der Geschichte einfuhren lieflen, so kamen doch dabei diejenigen
nicht zu ihrem Recht, welche die Kenntnis der Weltgeschichte nur als Be-
standteil der allgemeinen Bildung, wie sie das Obergymnasium vermittelt, be-
trachteten.
Immerhin konnten auch diejenigen, welche mit seiner Lehrmethode nicht
durchweg einverstanden waren, dem sicheren Takt und der Herzensgute des
verdienten Lehrers und Gelehrten ihre warme Anerkennung nicht versagen,
und diejenigen diirften bald gezahlt sein, welche ihm nicht auch nach Verflufl
ihrer Gymnasiastenzeit ein dankbares und ehrenvolles Andenken bewahrten.
Neben seiner Lehrtatigkeit einher ging bei M. eine ununterbrochene, eifrig
betriebene Arbeit im Dienste der Wissenschaft, die er an seinem Teil zu fordern
unablassig bemtiht war. Im germanischen Altertum, zumal in der Geschichte
seiner engeren und weiteren, allemannisch-schwabischen Heimat, war er zu
Hause wie wenige, und durch eine ganze Reihe sehr verdienstvoller und,
weil auf griindlicher Quellenforschung beruhend, auch bleibenden Wert bean-
spruchender Spezialuntersuchungen hat er redlich mitgeholfen, um Licht zu
bringen in das Dunkel, das iiber manchen Partien ihrer Geschichte lag.
Als eifriges Mitglied des Historischen Vereins fur den Kanton Thurgau
sowie des Vereins fur Geschichte des Bodensees und Umgebung, in deren Vor-
stand er viele Jahre sa6, und deren Vereinsschriften unter seiner Schriftleitung
sich einen geachteten Namen machten, hat er nicht nur der Lokalgeschichts-
forschung manche neue Kraft zugeflihrt, sondern es namentlich auch verstanden,
das Interesse fur heimatliche Geschichte in weiteren Kreisen der Gebildeten
wachzuerhalten, indem er stets bestrebt war, die Friichte seiner gelehrten
Forschungen den Lesern in genieBbarer Form darzubieten. Auch war er nach
Kraften bemiiht, durch freundschaftliche Beziehungen zu deutschen Gesin-
nungsgenossen das BewuOtsein gemeinsamer Abstammung der Schwaben
rechts und links des Rheins zu wecken, unbeschadet der historisch gewordenen
Zugehorigkeit zu zwei verschiedenen Staatsverbanden.
Auf SchluO des Schuljahres 1907/08 trat M. in den wohlverdienten Ruhe-
Meyer-Frauenfeld. Van 't Hoff. 185
stand in der Absicht, mit mehr Mufle die Arbeit am Thurgauischen Urkunden-
buch und andern literarischen Projekten, mit denen er sich trug, wieder auf-
zunehmen. Korperliche Beschwerden, welche er iibrigens mit der Ruhe des
Weisen und vorbildlicher Geduld ertrug, triibten indes seinen Lebensabend
und lahmten seine Arbeitskraft, und nach langerem Leiden starb er den 8. De-
zember 191 1.
Im personlichen Umgang von gewinnender Liebenswiirdigkeit und an-
spruchsloser Bescheidenheit, verfiigte er, wenn es sein muflte, doch uber eine
scharfe Feder, und in dem, was er einmal als richtig erkannt, lieC er sich nicht
beirren. Wo es gait, seine Grundsatzlichkeit zu wahren, da blieb er fest. Im
ubrigen war er eine stille Gelehrtennatur, ruhig und zuvorkommend, als Freund
von unwandelbarer Treue, eine in sich abgeklarte, harmonische Personlichkeit.
In Anerkennung seiner Verdienste um die Geschichtsforschung verlieh ihm
die philosophische Fakultat der Universitat Zurich im Jahre 1883 den Ehren-
doktor.
Als Hauptwerke Meyers sind zu nennen die zweibandige »Geschichte des schweizerischen
Bundesrechtes*, Winterthur 187-; u. 1878 und das »Thurgauische Urkundenbuch*, von dem
erin den Jahren 1882 — 1885 vier Hefte (von 1000 — 1246) herausgab. Aus der groflen Zahl
seiner ubrigen Publikationen, welche gegen 100 Nummern umfassen, heben wir die folgen-
den heraus: Der »Unoth«, Zeitschrift fur Geschichte und Altertum des Standes Schaffhausen,
1868. »Schweizerische Schulzeitung* Jahrg. I u. II, 1871 u. 1872. In der »Alemannia« sind
von ihm u. a. erschienen: Bd. V »Das Stadtbuch von Schaffhausen «, Bd. IV »Das Urbar
des Klosters Rheinau*. Bd. XV u. XVI »Der Briefwechsel zwischen J. v. Lassberg und J. A.
Pupikofer*.
Weiter sind zu nennen: *Die drei Zelgen*, Kantonsschulprogramm 1880. »J. A. Pupi-
kofer, Beitrage zu seiner Lebensbeschreibung« in »Thurg. Beitrage zur vaterlandischen Ge-
schichte« H. 31, 35 — 37; 39 u. 40. frZur Geschichte der thurg. Burgen u. Schl6sser« f ebenda
H. 28, 31, 43. ^Salomon Fehr und die Entstehung der thurg. Restaurationsverfassung von
1814*, ebenda H. 50 u. 51. — In den »Schriften des Vereins fur Geschichte des Bodensees
und Umgebung* erschienen aus seiner Feder u. a. : H. XXX ^Geschichte der deutschen Be-
siedelung des Hegaus und Klettgaus von 298 — 1050*. H. XXXV »K6nigin Hortense und
Prinz Ludwig Napoleon*. Sp&ter auch separat erschienen unter dem Titel: »Die frtiheren Be-
sitzer von Arenenberg*. Frauenfeld, 3. AufL, 1910. Ferner: H. XXXIX »Aus Michel Mon-
taignes Reise durch die Schweiz*. Endlich: H. XL »Dr. Max Wilhelm Gdtzinger, ein deutscher
Sprachforscher«. Ein biographisches Denkmal, das er seinem einstigen Lehrer setzte, dessen
•Liedergarten*, 3. AufL, Aarau 1882, und dessen »Anfangsgrunde der deutschen Sprachlehre
in Regeln und Aufgaben* er in 13. und 14. Auflage vermehrt und verbessert Aarau 1881 und
1898 herausgab.
Eine biographische Skizze M.s aus der Feder seines langjahrigen Freundes und Kollegen
Prof. Gustav Biieler in Frauenfeld mit vollstandiger Bibliographic seines gedruckten und
handschriftlich vorhandenen Nachlasses erschien in den oben genannten Beitragen Heft 52.
Einen ausfuhrlichen Nekrolog auf den Verstorbenen aus der Feder des Unterzeichneten brachten
die Schriften des Ver. f. G. d. B. u. U. Heft XLI.
F. Schaltegger.
Van 't Hoff, Jacobus Henricus, Universitatsprofessor der Chemie, * 30.
August 1852 zu Rotterdam, f 1. Marz 191 1 zu Berlin. — H. ist der Abkomm-
ling einer alten hollandischen Familie, deren Stamm sich bis ins 17. Jahrhundert
zuruckverfolgen lafit. Sein Vater, der Arzt Jacobus Henricus van 't Hoff und
seine Mutter Alida Jacoba Kolff, Tochter eines Kaufmannes, die ihrem be-
riihmten Sohne nur ganz kurz im Tode vorausgegangen sind, haben an ihm stets
1 86 Van't Hoff.
das Iebhaf teste und auch vorteilhaf teste Interesse genommen. Alskleiner Knabe
muBte H. zur Grofimutter mutterlicherseits nach Middelharnis in Pflege kommen,
da man ihm wegen eines schweren Riickenmarkleidens seines Schwesterchens
im Elternhause nicht geniigende Aufmerksamkeit zuwenden konnte. Nach
dem Tode der Schwester zuruckgekehrt, kam H. zunachst in den Kindergarten
des Fraulein Tours, dann in die Privatschule des Herrn Delfos, wo er sich durch
besondere Begabung fiir Mathematik auszeichnete. Sehr friih war in dem
Knaben nicht nur die Liebe zur Natur, sondern auch eine ausgezeichnete Be-
obachtungsgabe erwacht und, da H. fiir den Verwaltungsdienst und zum Be-
amtenberuf gar keine Lust hatte, entschied sich der Vater dafiir, ihn vorlaufig
in die hohere Burgerschule zu schicken, die etwa unserer Oberrealschule an
die Seite zu stellen ist. Bis auf Sprachen, — was (ibrigens nicht hinderte, daB
spater H. Franzosisch, Deutsch und Englisch neben seiner Muttersprache
vollig beherrschte — hat H. sehr gute Fortschritte gemacht, er war der Zweite
seiner Klasse, vom ersten Platz konnte er seinen nachmaligcn Schwager G. J.
Mees nicht verdrangen. In dieser Zeit erhielt er auch den ersten chemischen
Unterricht durch Dr. Hubrecht, dann durch S. Hoogewerff, der spater als
Professor an das Delfter Polytechnikum kam. Dieser Unterricht hat auf H.
tiefen Eindruck gemacht. Zahlreiche Versuche, die im geheimen angestellt
wurden, waren die Folge und, als die Schule davon erfuhr und sie verbot, wurden
sie zu Hause vor Zuschauern gegen Eintrittsgeld fortgesetzt, das zur Neu-
anschaffung von Apparaten und Chemikalien verwendet wurde. 1869, noch
nicht ganz 17 Jahre alt, bestand H. die Abgangspriifung mit gutem Erfolg
und wandte sich dann nach Delft ans Polytechnikum, urn sich dort fiir einen
praktischen Beruf auszubilden. Am meisten fesselte ihn der chemische
Unterricht, den Oudemans ertcilte, wenn auch die andern Facher, insbesondere
Physik, nicht vernachlassigt wurden. Die ersten Sommerferien benutzte er
dazu, sich in der praktischen Tatigkeit eines Fabrikchemikers umzusehen und
machte die Kampagne in einer Zuckerfabrik mit. H. sah jedoch, daD hier
fiir ihn nichts zu suchen sei und er sich einen andern Lebensberuf wahlen miisse.
Die wissenschaftliche Forschung zog H. machtig an, aber erst nach einigem
Zogern entschied sich sein Vater, nachzugeben und nur unter der Bedingung,
dafi zuerst das polyt(jchnische Studium beendet werde. Das geschah denn auch
in der kiirzesten Zeit, und im Herbst 1871 bezog H. die Universitat Leiden.
Lange war seines Bleibens dort nicht. Die richtige Anregung fiir seine chemi-
sche Ausbildung konnte er dort nicht empfangen, und der Ort als solcher war
H. nicht angenehm. So iibersiedelte er dcnn, nachdem er 1872 noch sein
erstes Examen bestanden hatte, nach Bonn, um bei Meister Kekul6 in die
Schule zu gehen.
Schon um diese Zeit zeichnete sich H. nicht nur durch reiche Kenntnisse
in den Naturwissenschaften, sondern auch durch eine ganz vorzugliche allge-
meine Bildung aus. Er las viel, sah gem und hatte ein ausgezeichnetes und
originelles Urteil. Mit schwarmerischer Liebe hing er an Byron, und er trug sich
damals noch ein wenig mit dem Gedanken, sich der Dichtkunst zu widmen.
Ernst Cohen, H.s Schiiler, erzahlt in dem umfangreichen und ausgezeichneten
Buch, in dem er seines Lehrers Leben und Wirken behandelt, dafl der um diese
Zeit einem befreundeten alteren Literaten seine Gedichte zur Beurteilung iiber-
reicht habe. Die nicht sehr giinstige Antwort hatte H. fiir die Chemie gerettet.
Van 't Hoff.
I8 7
Kekutes Personlichkeit und der Aufenthalt in Bonn haben auf H. machtigen
Eindruck geubt. Nichtsdestoweniger aber wollte H. sich nicht bestimmen lassen,
ein Thema Kekul6s zu bearbeiten. Seiner selbstandigen Individuality ging
jede Art von Bevormundung wider den Strich, und H. zog es vor, sich mit einem
selbstgewahlten Gegenstand zu beschaftigen. Die daraus entstandene Arbeit
hat zwar zum Erfolge gefuhrt, aber besondere Bedeutung wohnt ihr nicht inne,
da sie sich in den Bahnen der damaligen Chemiker bewegt. — Bevor H. sich
entschlofi, weiterzuwandern, absolvierte er noch das Doktoralexamen nach
kurzem Aufenthalt in Utrecht und wandte sich dann nach Paris, wo durch
Wurtz' Tatigkeit eine ausgezeichnete Schule der Chemie gegrundet war. Er
fiihrte dort zwar keine Arbeit aus, urn so eifriger lauschte er den Lehren des
Meisters. Und da8 die Wunder der Stadt Paris auf einen kunstlerisch ver-
anlagten Mann wie H. tiefen Eindruck rnachen mufiten, versteht sich von selbst.
Wertvolle Bekanntschaften wurden damals angekniipft, bei Wurtz lernte H.
auch Le Bel kennen, dessen Name spater unzertrennlich mit dem seinen genannt
werden sollte. Allein allzu lange durfte H. nicht verweilen, da sein Vater, der
doch endlich des Sohnes Studium beendet sehen wollte, drangte, und so kehrte
H. 1874 nach Utrecht zuruck, um dort den Doktorhut zu erwerben.
Bevor H. jedoch so weit war, liefi er noch eine kurze Schrift unter einem
sehr langen Titel erscheinen: »Vorschlag zur Ausdehnung der gegenwartig in
der Chemie gebrauchten Strukturformeln in den Raum nebst einer damit zu-
sammenhangenden Bemerkung uber die Beziehung zwischen dem optischen
Drehungsvermogen und der chemischen Konstitution organischer Verbindungen.*
Diese Broschure des erst 22 jahrigen Junglings hat den organischen Chemikern
eine neue Welt geschaffen. Friiher namlich hatte man die einzelnen Atome
der organischen Verbindungen in einer Ebene liegend angenommen. H. lehrte,
dafi man sich die Atome im Raume gelagert zu denken habe. Das Kohlenstoff-
atom wird durch ein regulares Tetraeder reprasentiert, in dessen vier Ecken
die an jedes Kohlenstoffatom gebundenen Atome oder Gruppen zu liegen
kommen. Man sieht bei Betrachtung eines Modells leicht, dafi fiir den Fall
eines sogenannten asymmetrischen Kohlenstoffatoms, d. h. flir den Fall, dafi
die vier an ein Kohlenstoffatom gebundenen Atome oder Atomgruppen durch-
weg verschieden sind, man zwei Tetraeder konstruieren kann, die einander sym-
metrisch, aber nicht miteinander kongruent sind. Das reprasentiert nun die
optischen aktiven Verbindungen, das sind diejenigen, welche die Ebene des
polarisierten Lichtes drehen, oder mit andern Worten: Jede optisch aktive
Verbindung mufl ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthalten. Es wurde
zu weit fiihren, auf alle die Konsequenzen dieses Lehrsatzes und der uber die
sogenannte doppelte Bindung ausgesprochenen Ansichten einzugehen. Es
geniige, dafi alle die hier gesagten Lehren der »Stereochemie« bis zum heutigen
Tage sich als absolut giiltig und richtig erwiesen haben. Ihren schonsten Tri-
umph haben sie wohl bei der Chemie der Zucker gefeiert, die von E. Fischer
geschaffen worden ist.
Kurz nach der Publikation dieser Schrift hat auch der Franzose Le Bel
ganz ahnliche Ansichten in einer der Pariser Akademie uberreichten Abhand-
lung unabhangig von H. ausgesprochen. Fiir bcide ist es ein ehrendes Zeichen,
dafi niemals unter ihnen irgendein Streit um die Prioritat gefuhrt worden ist.
Es ist nur gerecht, wenn man die eben skizzierte Theorie die Theorie von H.
1 88 Van't Hoff.
und Le Bel nennt, und die Royal Society hat dem, lange spater, Ausdruck ge-
geben, indem sie 1893 beiden die Davymedaille iiberreichte.
Allzu rasch hat sich diese Theorie natiirlich nicht durchgerungen. Die
Publikation H.s war zunachst ganz verborgen geblieben, und erst die Wieder-
holung derselben in einer Note an die Pariser Akademie hatte sie weiteren
Kreisen zuganglich gemacht. Immerhin ware sie wahrscheinlich noch lange
unbeachtet geblieben, wenn sie nicht glucklicherweise zwei machtige Gegner
gefunden hatte. Der eine, der nicht einverstanden war, war Berthelot. Ins-
besondere flihrte er das Styrol ins Treffen, das optisch aktiv war, ohne ein
asymmetrisches Kohlenstoffatom zu besitzen. H. konnte zeigen, dafl diese
Aktivitat nur auf eine beigemengte Verunreinigung zuruckzufiihren sei. Viel
heftiger war der Angriff des Marburger Professors Kolbe. Wislicenus namlich,
der von H.s Arbeit Kenntnis erlangt und auflerordentlichen Gefallen daran ge-
funden hatte, wandte sich an diesen mit der Bitte, seinem Assistenten Dr. Her-
mann zu gesattten, dafl er die Schrift ins Deutsche ubersetze, er selbst werde
ein Vorwort dazu schreiben. Das geschah auch, und 1877 wurde die Arbeit
unter dem Titel »Die Lagerung der Atome im Raum« in Buchform heraus-
gegeben. Kolbe nun zog gegen das Buch los. Es machte sich in neuerer Zeit
eine gewisse triviale Naturphilosophie in der Chemie breit, so habe auch ein
Herr van 't Hoff den Pegasus bestiegen, den er wohl der Tierarzneischule
entlehnt habe (H. war, wie wir gleich sehen werden, damals an der Utrechter
Tierarzneischule angestellt), und es musse tief bedauert werden, dafl ein Mann
wie Wislicenus sich in die Reihe dieser Naturphilosophen begeben habe, usw.
H. hat sich in eine Polemik, wie es seine Art uberhaupt war, kaum eingelassen;
er hat Kolbe nur ganz kurz erwidert, und seiner Theorie hat das nicht geschadet,
die Angriffe muflten bald von selbst verstummen, und die Stereochemie blieb
Siegerin.
Wir haben H. verlassen, als er eben seine epochale Arbeit uber die Lagerung
der Atome im Raume fertiggestellt hatte. Kurz nachher, 1874, erwarb er den
Doktorhut in Utrecht mit einer Dissertation, die ein Shnliches Thema wie die
in Kekutes Laboratorium ausgefiihrte Untersuchung behandelt. Fur eine Zeit
zog er sich ins Elternhaus zuriick und benutzte diese Mufle, um seine erwahnten
Ansichten in Buchform herauszugeben. 1875 erschien das Buch, von dessen
spaterer Obertragung ins Deutsche wir schon gesprochen haben, unter dem
Titel: »La chimie dans Vespace*. Unterdessen bewarb sich H. um einige Lehr-
stellen an Mittelschulen, alle Bewerbungen schlugen fehl. So entschlofl er sich
denn, auf gut Gliick nach Utrecht zu tibersiedeln, gab zunachst Privatstunden
und erhielt 1876 eine Anstellung als Dozent der Physik an der Tierarzneischule
zu Utrecht. In diese Zeit fallt auch ein Besuch von Dom Pedro, Kaiser von
Brasilien, der bekanntlich ein eifriger Forderer der Naturwissenschaften war,
und den man auf H. aufmerksam gemacht hatte. Lange sollte H. nicht in
Utrecht bleiben. 1877 wurde er zum Lektor der Chemie an die Universitat
Amsterdam berufen, 1878 zum ordentlichen Professor ernannt. Schweren
Herzens war H. von Utrecht geschieden; schreibt er doch an seine Mutter:
»Wenn ich an das verlorene Utrecht zurtickdenke, so hangt an der Spitze des
Doms eine grofle Trauerfahne«.
Die nun erreichte Lebensstellung setzte H. in die Lage, seinen eigenen Haus-
stand zu gninden. Am 27. Dezember 1878 fuhrte er Jenny Mees, die Tochter
Van 't Hoff. ! 89
eines Rotterdamer Grofihandlers, heim. Dieser iiberaus gliicklichen Ehe sind
vier Kinder entsprossen.
Die Amsterdamer Zeit bildet den Hohepunkt von H.s Schaffen, hier sind
seine allerbedeutendsten Werke geschaffen worden. Bevor wir zu ihrer Be-
sprechung ubergehen, wollen wir nur ganz kurz auf die Antrittsvorlesung hin-
weisen, die erst durch das schon erwahnte Buch Cohens weiteren Kreisen zu-
ganglich geworden ist und ihrer auflerordentlichen Originalitat wegen Interesse
verdient. Anknupfend an Kolbes riiden Angriff, der ja die Phantasterei in der
Wissenschaft perhorresziert, meint H., dafi ohne Phantasie in der doch eigentlich
ganz praktischen Wissenschaft nichts geschaffen werden konne. Sie sei not-
wendig bei der Wahl des Augenblicks oder des Beobachtungsobjektes, bei der
beliebigen Anderung des Beobachteten, beim Auffinden der Hilfsmittel, die die
Beobachtung erleichtern, beim Beobachten einer Obereinstimmung bezw. eines
Unterschiedes, bei dem Aufstellen der Hypothese. Durch sie und nur durch sie
sei alles Grofie geschaffen worden, und wenn ihr auch viele Irr turner zuzu-
schreiben seien, so habe doch die Illusion und der durch sie hervorgerufene feste
Glaube an dies und jenes, trotz des Irrtums, der Wissenschaft unendlichen Wert
gebracht. Beweis dafiir sei, dafl die groflen Forscher stets Phantasie besessen
haben, was H. durch ihren Kunstsinn zu beweisen sucht und durch die aus
mehr als 200 Biographien gesammelten Erfahrungen belegt.
1878 wurden die »Ansichten iiber organische Chemie« herausgegeben, denen
1 88 1 ein zweiter Band folgte. Das Werk bemuht sich, gewissermaflen in Fort-
setzung der fruher iiber den Zusammenhang zwischen optischer Aktivitat, also
einer physikalischen Eigenschaft, und Konstitution, d. h. Bau des Molekuls,
geauflerten Ansichten auch einen Zusammenhang zwischen den chemischen
Eigenschaften und der Verkniipfung der Atome im Molekiil zu ermitteln.
H. selbst hat diesem Werke keine besondere Bedeutung beigelegt. Es hat sie
dennoch, insbesondere dadurch, dafl es bereits zu dem nachsten Hauptwerk
hiniiberleitet, zu den »Etudes de dynamique chimique*.
Dieses 1884 erschienene Werk, das als ein Fundament der physikalischen
Chemie zu bezeichnen ist, befaflt sich zunachst mit der Reaktionsgeschwindig-
keit, d. i. mit dem Ausdruck fiir die in der Zeiteinheit bei einer chemischen
Reaktion umgesetzten Stoffmengen. Schon durch das sogenannte Massen-
wirkungsgesetz, das von den Schweden Guldberg und Wage entdeckt worden
war, war dieser Begriff in mathematische Form gebracht worden. H. rechnet
zunachst, statt mit der Zahl der reagierenden Stoffe, mit der Zahl der reagieren-
den Molekule, eine Auffassung, die sich als ausgezeichnet bewahrt und bis heute
erhalten hat. Dann wird der Einflufl der Temperatur auf die Reaktionsge-
schwindigkeit und die chemische Affinitat untersucht und mathematisch formu-
liert. Es werden ferner diejenigen Systeme erortert, auf die der Druck ohne
Einflufl ist, H. nennt sie kondensierte Systeme, in welchen Gleichgewicht
nur bei einer bestimmten Temperatur herrschen kann, beim sogenannten
Umwandlungspunkt. Diese SchluOfolgerungen werden an dem Beispiel der
Umwandlung des rhombischen in den monoklinen Schwefel gepriift und
richtig befunden. Endlich wird der Einflufl der Temperatur auf das Gleich-
gewicht zwischen reagierenden Stoffen zu dem beruhmten Satze vom beweg-
lichen Gleichgewicht {principe de Vequilibre mobile) zusammengefafit, dafl das
Gleichgewicht zwischen zwei Systemen durch Temperaturerniedrigung sich in
dem Sinne desjenigen Systems verschiebt, dessen BildungWarme entwickelt.
190
Van 't Hoff.
Im engen Zusammenhange mit diesem Werke steht das andere Haupt-
werk H.s, das zuerst 1885 in den Archives Neerlandaises unter dem Titel tL'equi-
libre chimique dans les systimes gazeux ou dissous & I'etat dilue* erschien und das
man kurz als die Arbeit iiber den osmotischen Druck bezeichnen kann. Geloste
Stoffe iiben einen gewissen Druck aus, der allerdings erst dann mefibar wird,
wenn man mit einer sogenannten halbdurchlassigen Wand arbeitet. Bringt
man namlich in einen Tonzylinder, den man mit einer halbdurchlassigen Wand
versehen hat, so dafi wohl das Losungsmittel, nicht aber der geloste Stoff durch -
diffundieren kann, eine Losung und aufien die reine Fltissigkeit, verschliefit man
ferner diesen Tonzylinder mit einem Kork, durch den man ein Glasrohr fvihrt,
so steigt infolge des osmotischen Druckes der Losung Fltissigkeit in dem Glasrohr
auf. Der Pflanzenphysiologe Pfeffer hatte diese Experimente, die ja natur-
gemafi fiir das Studium des Saftaustausches der Pflanzen, in welchen die Zell-
membranen solche natiirliche semipermeable Wande darstellen, aufierordentlich
wichtig sind, messend an einer Zuckerlosung verfolgt und gefunden, dafi die
Steighohe proportional war der Konzentration der Zuckerlosung. Etwa um die
gleiche Zeit hatte auch der Franzose Raoult gezeigt, dafi aquimolekulare Losun-
gen gleiche Gefrierpunktserniedrigungen aufweisen. H., der durch seine Kol-
legen, den Botaniker Hugo de Vries gelegentlich eines Spazierganges iiber
Pfeffers Experimente unterrichtet worden war, klarte durch eine schopferische
Eingebung diese experimentell gefundene Tatsache auf. Er bewies, dafi die
Substanzen in Losungen (allerdings gilt dieser Satz nur fiir sehr verdiinnte
Losungen) sich so verhalten, wie wenn sie in Gasform den gleichen Raum er-
fiillen wiirden. Auch fiir sie gelten die einfachen Gasgesetze von Boyle-Mariotte
und Gay-Lussac, welche sich am prazisesten durch die Gleichung wiedergeben
lassen: pv = RT.
Allerdings war diese Gleichung nur fiir einen Teil der Losungen richtig.
Bei einer grofien Zahl muflte man statt dieser die Form pv = iRT einfiigen,
wobei i eine Zahl bedeutet, die grofler als 1 ist. Die wahre Bedeutung des i
hat nicht H., sondern der Schwede Arrhenius in seiner Lehre von der elektro-
lytischen Dissoziation aufgeklart, und so haben diese beiden Genien eine Theorie
der verdunnten Lbsungen geschaffen, die anfanglich insbesondere von den
alteren konservativen Chemikern beinahe verabscheut, nunmehr, nicht zuletzt
durch das Eingreifen W. Ostwalds, zu einem wichtigen, wenn nicht dem wichtig-
sten Besitz der Chemie geworden ist.
Auch das auflere Leben H.s in Amsterdam ist nicht ereignislos verlaufen.
Die Zahl der Schuler, unter denen insbesondere Cohen, Meyerhoffer, H. Gold-
schmidt und Bredig zu nennen sind, vermehrte sich stetig. 1885 begann die
Bekanntschaft mit Arrhenius zunachst brieflich, spater auch personlich, da
dieser 1888 eine Zeit in H.s Laboratorium arbeitete. 1887 war der Lehrstuhl
fiir physikalische Chemie durch den Cbergang Wiedemanns zur Physik ver-
waist. H. erhielt eine Berufung und fuhr auch nach Leipzig, die Heimatsliebe
siegte jedoch, und er lehnte ab. Zum Danke dafiir bewilligte ihm der Amster-
damer Stadtrat ein neues Institut, das 1892 bezogen werden konnte. 1890
lernte H. Wilhelm Ostwald kennen, der zugleich mit ihm, Arrhenius und Raoult
von der British Association eingeladen war, in Leeds an einer Diskussion iiber
die Theorie der Losungen teilzunehmen, die mit einem vollen Erfolg fiir die
Anhanger der Dissoziations theorie endete. Noch zweier Ereignisse sei hier ge-
Van't Hoff. I9I
dacht, der Grundung der Zeitschrift fur physikalische Chemie, bei der H. Pate
gestanden ist, und des Beginns der Beziehungen zu Meyerhoffer. Dieser traf
1888 in Amsterdam ein und blieb von da bis zu seinem allzu friihen Tode (1906)
ein treuer Freund und Mitarbeiter H.s.
H. war in dieser Zeit schon ein beriihmter Mann geworden, der sich allge-
meiner Verehrung erfreute. Dafiir zeugt nicht nur die schmeichelhafte Berufung
nach Leipzig, sondern auch die andern zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteil
wurden. 1889 wurde er Ehrenmitglied der deutschen Chemischen Gesellschaft,
1892 Mitglied der schwedischen Akademie, 1893 verlieh ihm die Royal Society
die Davy-Medaille, 1894 ernannte ihn die franzosische Regierung zum Ritter
der Ehrenlegion.
1894 traf Max Planck in Amsterdam ein und bat um die Erlaubnis, eine Vor-
lesung H.s horen zu diirfen. Dieser Besuch war nicht blofiem Interesse zuzu-
schreiben, es lagen ihm ernstere Motive zugrunde. August Kundt, der Lehrer
der Physik an der Berliner Universitat, war gestorben, und die Fakultat dachte,
H. gewinnen zu konnen. Allein auch diesmal konnte er sich noch nicht ent-
schlieflen, die Heimat zu verlassen, und lehnte neuerlich die Berufung ab. Die
hollandische Regierung verlieh ihm zwar zum Dank dafiir den Lowenorden, aber
in anderer Beziehung kam sie ihm durchaus nicht entgegen, H.s Tatigkeit war
allmahlich so anstrengend und zeitraubend geworden, dafi er zu eigener Arbeit
kaum mehr Zeit finden konnte. Die druckenden Lehrverpflichtungen, insbe-
sondere die Unzahl von Priifungen, begannen H. unertraglich zu werden, und
der Gedanke, sein Lehramt zu verlassen, reifte begreiflicherweise allmahlich
heran. Zudem hatten es die Berliner noch nicht aufgegeben, H. doch noch zu
gewinnen, und uber Betreiben Emil Fischers, der durch den aufierordentlich
umsichtigen und weitblickenden Dezernenten des preufiischen Kultusmini-
steriums, Althoff, gefordert war, gelang es doch endlich, eine Stelle fiir H. zu
schaffen, die er im Interesse der Erhaltung seiner Arbeitsfahigkeit annehmen
muflte. Die hollandische Regierung erwies sich zudem in den Verhandlungen
mit H. von einer so kurzsichtigen Kleinlichkeit, dafi H. Ende 1895 seinen Ab-
schied nahm. Die Verhandlungen mit Berlin wurden indes vollig geheim
gefuhrt und gelangten zu gliicklichem Abschlufi. H. wurde zum Mitglied der
preufiischen Akademie der Wissenschaften ernannt, bekam ein Laboratorium,
jedoch ohne Lehrverpflichtung, er hatte blofi eine wochentlich einstiindige
Vorlesung an der Universitat zu halten, und konnte sich sonst vollig seiner
Forscher tatigkeit widmen. Diese ganz auBerordentlichen Bedingungen, die
noch dazu einem Auslander gewahrt wurden, haben begreiflicherweise in ferner-
stehenden Kreisen viel Aufsehen erregt, aber man kann nur sagen, dafi sie dem
Weitblick der preufiischen Unterrichtsverwaltung das ruhmlichste Zeugnis
ausstellen.
H.s Entlassungsgesuch war bereits am 2. Mai uberreicht und durch eine
Indiskretion sehr rasch publik geworden, ohne dafi man iibrigens wuflte, welche
Stellung er dafiir eintauschen wiirde. Um dem vielen Gerede auszuweichen
und sich von der starken Uberarbeitung zu erholen, ging H. mit den Seinen auf
die Wanderschaft. Der Sommer wurde im Schwarzwald, der Herbst in Weesen
verbracht, und zu Anfang des Winters zog die Familie nach Lugano. Den
Unterricht der Kinder mufiten die El tern natiirlich selbst fiihren. Am 30. De-
zember erfolgte die Entlassung in Amsterdam, am 30. Januar 1896 fand die
192
Van f t Hoff.
definitive Abstimmung in der Berliner Akademie statt. Nach kurzem Aufent-
halte in der Heimat tibersiedelte H. im Friihjahr 1896 nach Berlin, wo er bis
zu seinem Tode geblieben ist.
Die Berliner Zeit ist fur H. sehr glucklich verlaufen. Er war hier wieder
ein freier Mann geworden, der seinen Neigungen nachgehen konnte. Friiher
war es ihm schwer gewesen, Reisen zu machen, Kongresse zu besuchen, Be-
kanntschaften anzuknupfen; er war an die Scholle gebunden. Hier konnte
er sich frei bewegen, zumal er in Meyerhoffer einen ausgezeichneten Vertreter
in der Leitung seines kleinen Laboratoriums besaC. Kein Wunder, dafl hier
der alte Humor und die alte Liebenswurdigkeit wiedererwachten.
In die Berliner Zeit fallen eine Menge Reisen, die Naturforscherversamm-
lung wurde regelmaflig mitgemacht, alljahrlich auch der Heimat und den Eltern
ein Besuch abgestattet. 1898 sandten ihn die preufiische Akademie und die
Berliner Univecsitat nach Stockholm zur Feier des funfzigjahrigen Todestages
von Berzelius, 1899 feierten Freunde und Schiiler H.s sein 25 jahriges Doktor-
jubilaum in Rotterdam, wo er eben zum Besuche seiner Eltern weilte.
Sehr bewegt sollte sich das Jahr 1901 gestalten, in welchem H. auch als
President der deutschen Chemischen Gesellschaft fungierte. H. war von dem
amerikanischen Gelehrten Nef eingeladen worden, zur Feier des zehnjahrigen
Bestandes der Universitat Chicago dort einige Vortrage zu halten. Er nahm
gern an. Der Urlaub wurde von den Berliner Behorden bereitwilligst gewahrt,
die Obsorge uber die Kinder der altesten Tochter, das Laboratorium Meyer-
hoffer ubergeben, und Ende Mai schifften sich H. und Frau Yenny ein. Der
Aufenthalt in Amerika — es liegt ein ausfiihrliches Tagebuch dariiber vor —
hat H. viel Freude und Nutzen gebracht. Einige grofiere amerikanische Stadte
wurden besucht, viele neue Bekanntschaften gemacht. In Chicago hielt H.
dann die Vortrage, die sich grofitenteils mit Problemen der physikalischen
Chemie befassen und in deutscher und englischer Sprache in Buchform erschie-
nen sind.
Das Jahr 1901 brachte H. noch eine ganz besondere Ehrung. Am 10. De-
zember wurde zum erstenMale der Nobelpreis verteilt, und die schwedische Aka-
demie der Wissenschaften verlieh H. den Preis fur seine Entdeckung der Gesetze
der chemischen Dynamik und des osmotischen Druckes in Losungen. Noch
zwei deutsche Gelehrte wurden damals in gleicher Weise ausgezeichnet: der
Physiker Rontgen und Behring, der Entdecker des Diphtherieserums.
Auch in den folgenden Jahren wurden viele Reisen unternommen. Zur
Zentenarfeier der Atomtheorie (1903) fuhr H. nach Manchester, wo ihm die
Victoria- University zun Doctor in Sciences ernannte. 1904 wurde das neue
physikalisch-chemische Institut in Utrecht eroffnet, das H. zu Ehren van t'Hoff-
Institut genannt wurde. Im gleichen Jahre fuhr H. zum zweiten Male, diesmal
in Begleitung seiner altesten Tochter, nach Amerika, um dem in St. Louis statt -
findenden internationalen Kongrefl fiir Ktinste und Wissenschaften beizu-
wohnen. 1906 verbrachte er einige schone Tage in Wien, im Fruhjahr reiste
er nach Neapel, um den Vesuv in Tatigkeit zu sehen. Dort traf H. die ihn tief
erschiitternde Nachricht vom Tode Meyerhoffers, der einem langwierigen Herz-
leiden erlegen war.
Die letzten Lebensjahre, uber die H. ein kurzes Tagebuch niedergeschrieben
hat, sind erfullt von Todesahnungen. Ein Lungenleiden, das vielfacher Be-
Van *t Hoff.
193
handlung trotzte, liefi ihn nicht mehr dauernd zur Ruhe kommen. Zwar war
er zeitweilig ganz frisch, aber bald stellten sich die bosen Anzeichen der Krank-
heit, Fieber, Heiserkeit, auch Atemnot wieder ein und zwangen ihn, die Arbeit
ganz einzustellen oder doch sehr einzuschranken. Mehrmals, zuerst im Jahre
1907, war H. genotigt, ein Sanatorium aufzusuchen, ohne dafi doch dauernde
Genesung eingetreten ware. Viele seiner Freunde starben ihm gerade in dieser
Zeit, und immer fragt er sich, wann er selbst drankommen werde. Dem Be-
grabnis der Mutter und der Feier des 25 jahrigen Jubilaums der Theorie vom
osmotischen Druck konnte er nicht mehr beiwohnen. Am I. Marz 191 1 verschied
er sanft und schmerzlos in Steglitz bei Berlin.
Die Zeit H.s in Berlin ist ausgefullt durch seine Arbeiten uber die ozeanische
Salzablagerung. Diese Arbeiten, die etwa ebenso viele Jahre als die ersten
Werke Tage und Wochen in Anspruch genommen haben, konnen doch nicht
vielleicht gerade darum als H.s Meisterwerk bezeichnet werden, wenn sie auch
zweifelsohne von grofiter Bedeutung sind. Ostwald erzahlt, dafi H. selbst dieser
Ansicht gewesen sei. Um uber die Entstehung der grofien Salzbergwerke, wie
des Stafifurter Bergwerkes, Klarheit zu gewinnen, sollte festgestellt werden,
welche Salze sich ausscheiden, wenn man die in den Stafifurter Bergwerken
vorkommenden Einzelsalze in Wasser lost und die Losung bei konstanter
Temperatur konzentriert. Die experimentelle Aufklarung dieser Frage ist des-
halb sehr schwer, weil die Ausscheidung der Salze nicht sofort erfolgt, sondern
sogenannte Cbersattigungserscheinungen eintreten. H. konnte dieser Schwie-
rigkeiten Herr werden. Es wurde konstatiert, dafi der Druck ohne Einflufi ist,
dafi hingegen die Temperatur eine grofie Rolle spielt. Je nach der verschiedenen
Temperatur kommt es zur Ausscheidung der verschiedenen Salzmineralien, so
dafi man umgekehrt aus dem Vorhandensein des einen und des andern Minerals
auf die Temperatur zuruckschliefien kann, die seinerzeit dort geherrscht hat,
man kann gewissermafien ein geologisches Thermometer konstruieren.
Diese Arbeiten, welche H. zum grofien Teil auch deshalb durchgefiihrt hat,
weil er so seinem zweiten Vaterlande, Deutschland, seinen Dank abstatten
konnte, haben bald das grofie Interesse nicht nur der gelehrten Mineralogen
und Geologen, sondern auch der mit diesem Wissenszweig beschaftigten Tech-
niker erregt, und es kam zur Griindung des Verbandes zur wissenschaftlichen
Erforschung'deutscher Kalisalzlagerstatten, dessen erste erfolgreiche Tatigkeit
H. noch mitansehen konnte.
Das letzte grofie Problem, das H. beschaftigte, war das Studium der syn-
thetischen Enzymwirkung vom Standpunkte der Thermodynamik. Zur An-
stellung der Experimente hatte H. ein kleines Versuchslaboratorium auf der
kaiserlichen Domane in Dahlem erbaut. Allein der unerbittliche Tod hat ihm
den Triumph nicht gegonnt, dieses Werk zuende zu fiihren.
Fassen wir H.s Wirken, auf das naher einzugehen der knappe Raum nicht
erlaubt, noch einmal zusammen, so konnen wir sagen, dafi jedes einzelne seiner
Meisterwerke, die Begrundung der Stereochemie, die Lehre von der Reaktions-
geschwindigkeit und vom beweglichen Gleichgewicht, endlich die Theorie der
verdiinnten Losungen, allein geniigt hatte, seinem Namen die Unsterblichkeit
zu sichern. Wir konnen seine Tatigkeit nicht klarer prazisieren als durch die
Worte, die seine Schuler ihm unter das Bild setzten, welches sie ihm nach seiner
Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. '3
Iqa Van 't Hoff. Eppinger.
Ernennung zum Ehrenmitglied der deutschen Chemischen Gesellschaft iiber -
reichten: Physicam chemiae adiunxit.
Literatur: Ernst Cohen: Jacobus Hcnricus van *t Hoff, scin Lcben und Wirken. Leipzig
19 1 2. Dort alle erforderlichen Literaturangaben und mehrere Bilder.
Wien. Dr. Ernst Zerner.
Eppinger, Karl, Dr. } osterreichischer Politiker, * 6. Januar 1853 in Braunau
in Bohmen, f ! 5- J ul i x 9 ri in Salzburg. — »Ich, Karl E., bin am 6. Janner
1853 als sechstes und letztes Kind aus der Ehe meines Vaters Heinrich Vin-
zenz E., k. k. Notar in Braunau i. B., mit meiner Mutter Albina zu Braunau i. B.
geboren worden, besuchte die Volksschule und das Untergymnasium
meiner Vaterstadt, frequentierte sodann in den Jahren 1866 bis 1870 das Ober-
gymnasium in Prag auf der Kleinseite, bezog im Oktober 1870 die Prager Uni-
versitat, an welcher ich die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien im
Juli 1874 absolvierte und erwarb am 16. Oktober 1877 den Grad eines Doktors
samtlicher Rechte an der Prager Universitat.« Mit diesen Worten leitete E.
eine Chronik seiner Familie ein, die leider unvollendet geblieben ist. Er wirkte
als Konzipient bei seinem altesten Bruder in seiner Vaterstadt, absolvierte die
vorgeschriebene Gerichtspraxis bei dem Kreisgerichte in Koniggratz und wurde
am 9. November 188 1 in die Liste der Advokaten mit dem Amtssitze in Niemes
eingetragen. Da Dr. Karl E. auch seiner Militardienstpflicht in einem Prager
Regimente Genuge leistete, verlebte er seine ganze Jugend im Konigreiche
Bohmen, zu dessen vielgenanntem Politiker er spater werden soilte. In Niemes
gelang es Dr. E. nicht nur, eine ausgedehnte und eintragliche Advokaturs-
praxis zu erwerben, sondern auch die Blicke seiner deutschen Landsleute auf
sich zu Ziehen. Von frtih auf bestrebt, fiir das allgemeine Wohl zu wirken, brachte
er den offentlichen Vorgangen reges Interesse entgegen. Dabei leitete ihn
mehr das Pflichtgefuhl als der Ehrgeiz. So kam es, dafl er nicht pfeilgeschwind
in die Hohe stieg, sondern allmahlich von Posten zu Posten vorruckte. Im
Jahre 1883 wurde er in den Ortsschulrat von Niemes gewahlt, in dem er ver-
dienstlich tatig war. Das Jahr 1890 brachte Dr. Karl E. ein Gemeinderats-
mandat; bald nachher wurde er Mitglied des Stadtrates von Niemes. Dort
gehorte er der Rechts- und Finanzsektion an und entfaltete eine reiche Arbeit-
samkeit, die seine Begabung und Uneigenniitzigkeit in das beste Licht riickte.
Deshalb wurde er im Jahre 1896 in die Bezirksvertretung entsandt; vorher aber,
im November 1895, war er bereits zum Landtagsabgeordneten von Niemes und
Zwickau gewahlt worden.
Das Vertrauen, das sich Dr. E. im kleinen Kreise erworben hatte, wurde
noch gesteigert, als er auf einem groBeren Felde schaffen konnte. Im bohmi-
schen Landtage zog E. schnell die Aufmerksamkeit seiner deutschen Kollegen
auf sich, und auch die Tschechen lernten in ihm einen durch Wissen, Ruhe
und Sachlichkeit ausgezeichneten Gegner kennen. So gewohnte man sich denn
allgemach, in Dr. Karl E. den kiinftigen Fiihrer der deutschen Fortschritts-
partei in BShmen zu sehen. Zeiten voll schwerer Kampfe kamen iiber Oster-
reich; die Deutschen mufiten all die Leiden durchmachen, die Graf Badeni mit
seinen Sprachenverordnungen vom Jahre 1897 iiber sie heraufbeschworen hatte.
In diesen Tagen der Not bewahrte sich E. aufierordentlich. Dr. Schlesinger,
der erprobte Fiihrer der Deutschfortschrittlichen, hatte im Verein mit Dr. E.
I Eppinger. 1 95
I
p und den iibrigen deutschen Abgeordneten im bohmischen Landtage einen
Antrag eingebracht, der die Aufhebung der Badenischen Sprachenverordnungen
entschieden verlangte. Da das Parteioberhaupt erkrankt war, erhielt Dr. Karl E.
den ehrenden Auftrag, die Forderung zu begriinden. Er tat dies am 21. Januar
1898 in einer Rede, die — wie die »Bohemia« schrieb — durch ihre auBerordent-
lich klare und meisterhafte Behandlung des Problems »nicht nur samtliche
deutschen Abgeordneten zu lebhaften Beifallsauflerungen hinrifi*, sondern auch
einem hervorragenden nationalen Gegner, dem Abgeordneten Kaizl, die Aner-
kennung entlockte, daB sich Dr. Karl E. als der »gefahrlichste« Bekampfer des
tschechischen Standpunktes erwiesen habe. Wohl hatten die Ausfuhrungen
keinen unmittelbaren sachlichen Erfolg; aber dem Redner war ein Meisterstiick
gegllickt, und er stand nun in der vordersten Reihe seiner Parteifreunde. Nach
dem Tode Dr. Schlesingers ging die Fuhrerschaft auf E. uber; am 3. November
1901 erfolgte seine Wahl zum Obmann der deutschfortschrittlichen Landtags-
abgeordneten von Bohmen. Da Dr. E. noch immer in Niemes wohnte, ergaben
sich bei der Leitung der Parteigeschafte vielfache Schwierigkeiten. Deshalb
traten die Gesinnungsfreunde an ihn mit der Bitte heran, das Opfer einer Ober-
siedlung zu bringen und in Prag standig Aufenthalt zu nehmen. Fur den viel-
beschaftigten Advokaten war es kein leichter Entschlufl, dem Wunsche Folge
zu leisten. Als Dr. Karl E. aber im Juli 1902 auch zum Beisitzer des Landes-
ausschusses im Konigreich Bohmen gewahlt wurde, vollzog er seine Wohnungs-
anderung. Er verlegte seine Kanzlei nach Prag, wo er als Vertreter mehrerer
deutscher Kreditinstitute wirkte.
Nun konnte er sich im Zentrum der bohmischen Politik mit um so grofierem
Eifer dem Dienste fur die Offentlichkeit widmen. Das Amt eines Partei-
fuhrers faBte Dr. Karl E. nicht als einen Ruheposten auf; er bemuhte sich
vielmehr, der deutschen Fortschrittspartei neues Leben einzuhauchen. An
den Beratungen des Landtages nahm E. fleiflig teil; seine Haupttatigkeit wurde
jedoch durch die Geschafte des Landesausschusses in Anspruch genommen.
Er hatte die Leitung des siebenten Departements inne, dem das gesamte Landes-
1 finanzwesen unterstellt war. Ferner muBte er sich mit der Verwaltung des
Feuerwehrfonds und der Zwangs- und Besserungsanstalten beschaftigen.
Auflerdem iibte Dr. E. das Amt eines Intendanten des deutschen Landes-
theaters aus. Die Aufgaben, die des Landesfinanzreferenten in Bohmen harrten,
waren nicht gering. 1st es an sich schon schwer, sich mit der verwickelten Materie
des Finanzwesens vertraut zu machen, so wird die Position im Konigreiche noch
durch die besonderen nationalen Verhaltnisse erschwert. Dr. E. hatte im
Landesausschusse blofl einen deutschen Kollegen an seiner Seite {Dr. Werunsky).
Sonst sah er sich nur Tschechen gegeniiber. Dennoch (iberraschte Dr. E. bald
durch seine Sachkenntnisse und durch die Geschicklichkeit, mit der er das
Amt flihrte. Als die Deutschen im September 1908 mit der zahen Obstruktion
im bohmischen Landtage einsetzten, wurde die Stellung des deutschen Landes-
finanzministers recht unbequem. Dr. E. beabsichtigte, zuriickzutreten, aber
seine Volksgenossen veranlafiten ihn, auszuharren. E. wollte in die Wirt-
schaftsgebahrung des Kronlandes gewissenhaft Ordnung bringen. Dafi er dieses
. Ziel nicht erreichte, war nicht seine Schuld. Hing doch die Regelung des
' Landeshaushaltes innig mit der Finanzreform des Staates zusammen. Dr. E.
1 konnte nicht gegen das zweifache Obel der Obstruktion in Bohmen und der
i 13*
I96 Eppinger.
Arbeitsunlust im Reichsrate ankampfen. Aber selbst die Tschechen muBten
seinen guten Willen anerkennen.
Der Fiihrer der deutschen Fortschrittspartei in Bohmen bewarb sich
auch um einen Sitz im Wiener Parlamente. Allein er unterlag in harten Wahl-
kampfen gegen den deutschradikalen Politiker K. H. Wolf. Nach der
grofien Wahlreform vom Januar 1907 wurde Dr. E. in das Herrenhaus des Reichs-
rates berufen. Dort schlofi er sich der Verfassungspartei an, und die Wert-
schatzung, deren er sich in Bohmen erfreute, verlieh seinen Worten im Herren-
hause besonderes Gewicht. Erwahnt seien seine Rede vom 29. Dezember
1 908, mit der er in die Budgetdebatte der ersten Kammer eingriff und seine
Ausfuhrungen vom 25. Juni 19O9, in denen er sich mit den Landesfinanzen
beschaftigte.
E. war ein Qberzeugter Liberaler, und in den trubsten Zeiten hielt er treu
zu seiner Partei. Als die andern die Fahnenflucht ergriffen und bei der deut-
schen Volkspartei, bei den Schonerianern oder spater bei der Agrarpartei und
bei den Deutschradikalen Heil suchten, wankte er nicht. Ihn erftillte vielmehr
die Zuversicht, dafi den Deutschfortschrittlichen noch eine schone Zukunft
bevorstehe. Auf dem ersten Parteitage, dem er als Fiihrer beiwohnte — im
Juni 1902 — , hielt er eine Ansprache, die durch ihre prachtige Rhetorik eine
ungewohnliche Wirkung ausloste. Von Absatz zu Absatz steigerte sich die
Begeisterung der Versammlung, und inmitten der Rede bereiteten die Zuhorer
dem Sprecher Ovationen von seltener Innigkeit. In groBen Zugen entrollte
Dr. E. das Programm der Fortschrittspartei, und seinen Worten war nichts
von Kleinmutigkeit anzumerken. Seine Oberzeugung wirkte uberzeugend.
E. hatte den berechtigten Ruf eines vorziiglichen Sprechers, eines Mannes,
der sein Auditorium zu fesseln verstand. Zur Volkstiimlichkeit im weitesten
Sinne konnte er es freilich nicht bringen, weil er ein zu gewissenhafter Mensch
war, alle Demagogie scheute und niemandem schmeichelte. Nie betrat er die
Tribune unvorbereitet; meistens arbeitete er seine Ansprachen bis ins Detail
aus, jeden Gedankengang wohl erwagend, jedes Wort (iberpriifend. Wahrend
andere um die Gunst der Menge selbstvergessen buhlten, gab Dr. E. seine Wurde
niemals preis. Folgende Szene ist fur ihn charakteristisch. Als alter Burschen-
schafter erschien er gem unter den Prager deutschen Studenten. Einmal rief
er in einer Festrede treuherzig aus: »Noch eines, Kommilitonen, das Wichtigste!
Studieren Sie, werden Sie etwas, dann konnen Sie Ihrem Volke dienen! Unser
Volk braucht keine verbummelten Studenten.« Solche Mahnungen waren die
Jiinglinge nicht gewohnt. Mit eisiger Stille nahmen sie zuerst die Worte hin.
Dann aber sprang ein Beherzter auf und rief: »Ja, wir wollen es!« und nun erst
brach heller Jubel aus. Doch Dr. E. bewahrte sich nicht blofl auf der Tribune.
Er schrieb als Politiker viele Artikel und Aufsatze, die alle Sachlichkeit, Ernst
und doch eine gefallige Form als Merkmal haben.
Der deutsch-bohmische Parteifiihrer war natiirlich von den nationalen
Kampfen seines Heimatlandes ganz ergriffen. In Dr. E. besafien die deutschen
Burger einen treuen, unverzagten Anwalt, einen Kampfer ohne Furcht und
Tadel. Dennoch gehorte er nicht zu den Fanatikern des Hasses, nahm er die
Bestrebungen, die den Frieden in Bohmen herbeifiihren sollten, immer ernst.
Als sein Programm konnte gelten, was er an Forderungen auf dem deutsch-
fortschrittlichen Parteitag zu Leipa im Oktober 1900 entwickelte. »Wir wollen
Eppinger. 1 97
vor allem« — sagte er — »eine nationale Abgrenzung der Gerichtssprengel, so
dafi, abgesehen von einigen ganz geringfugigen Ausnahmen, jedem Gerichts-
sprengel nur Gemeinden ein und derselben Nationalist zugeteilt werden, und
dafi diese gleichartig gemachten Gerichtssprengel die Grundlage fur die gleich-
falls national abgegrenzten Verwaltungsgebiete und die Wahlbezirke abzugeben
haben. Wir verlangen ferner die Zerlegung der obersten staatlichen Gerichts-
und Verwaltungsbehorden im Lande in je eine deutsche und tschechische Ab-
teilung bei gleichzei tiger Unterordnung der sprachlich abgegrenzten Verwal-
tungsbezirke unter die ihnen korrespondierende Abteilung. Weiter verlangen
wir eine den gegenwartigen Zeitverhaltnissen Rechnung tragende Reform der
Wahlordnung fiir den Landtag bei gleichzeitiger Errichtung der Nationalkurien
mit Vetorecht in nationalen Fragen.« Die autonomen Behorden im Lande
sollten — abgesehen von der Landeshauptstadt, die als gemischtsprachig zu
gelten hatte — die eine oder die andere Landessprache als Amts- und Ver-
handlungssprache festsetzen und nur in dieser selbstgewahlten Sprache ver-
kehren. Anderssprachige Eingaben miiflte der Landesausschufl unentgeltlich
ubersetzen lassen. Bei den staatlichen Behorden sollte der Charakter der
deutschen Sprache als der einer allgemeinstaatlichen Vermittlungssprache aus-
drucklich anerkannt werden; im ubrigen hatte der Gedanke der nationalen
Sonderung zur Anwendung zu kommen, so dafi bei den deutschen Gerichten nur
deutsch, in der Landeshauptstadt samt Vororten und in den gemischten Gebieten
dagegen in beiden Landessprachen voll kommen paritatisch zu verhandeln ware.
E. nahm an den vielen nationalen Ausgleichsversuchen, die von den Regierungen
Korber bis Bienerth angebahnt wurden, hervorragend teil; zuletzt war er noch
an den Verstandigungsbemtihungen im Herbst und Winter 1910 beteiligt. Die
Ausgleichskommission des bohmischen Landtages hatte ihn in das Komitee
entsendet, das sich mit der Reform der Landesordnung beschaftigte. Dr. E.
ist wohl einer der griindlichsten Kenner des ganzen Ausgleichsmaterials gewesen.
Er wufite, was die Deutschen zum Schutze ihres nationalen Eigenlebens brauch-
ten, und er kannte als Finanzreferent des Landesausschusses ganz besonders die
Schaden, die der Streit der beiden Nationen dem Staate, dem Lande und den
Volkern verursachte. Deshalb bemuhte er sich eifrig im Dienste des Friedens,
soweit er dies ohne Nachteil fiir seine Nation tun konnte.
Die Sache des Fortschritts besafi in E. einen Vorkampfer, der nie zauderte,
nie allzu angstlich zuruckwich. Als Osterreich von einer machtigen Bewegung
zugunsten des allgemeinen, gleichen Stimmrechts fiir das Parlament erfafit
wurde, trat E. entschieden auf die Seite derer, die sich fiir das Volksstimmrecht
einsetzten. Die Rede, die er im Dezember 1905 im Deutschen Hause in Prag
hielt, ist fiir die Erkenntnis seines Denkens sehr lehrreich. »Nationale Riick-
sichten allein, so meinte er, konnen fiir uns kein Hindernis sein, uns einer Stro-
mung anzuschliefien, die wir als freiheitlich und fortschrittlich Gesinnte nur
begriifien und fordern konnen.* Offen legte er dar, dafi das Kurienwahlrecht
den Deutschen keinen Vorteil geboteri habe, dafi also auch das nationale Moment
nicht herangezogen werden durfe. Half E. ehrlich mit, das Parlament auf
demokratischer Grundlage aufzubauen, so wollte er freilich nicht zulassen, dafi
das allgemeine, gleiche Stimmrecht in den Landtagen zur Einfuhrung gelange.
Dabei berief er sich auf die Verhaltnisse in Deutschland und auf die besonderen
Aufgaben der 6sterreichischen Landtage. Bei keiner Gelegenheit versaumte er
Ig8 Eppinger. Schewitsch-Racowitza.
jedoch, daran zu erinnern, dafi es fur die Landesparlamente nicht angehe, bei
ihrer Exklusivitat zu beharren. Sie miifiten, betonte er, in einer allgemeinen
Wahlerklasse all denen das Stimmrecht gewahren, die bisher auf die Landes-
politik ohne EinfluO geblieben seien.
Ganz plotzlich, wie es sich Dr. E. einmal in einem Gesprache mit einem
Bekannten gewunscht hatte, wurde er vom Tode ereilt. Auf dem Salzburger
Bahnhofe brach er am 15. Juli 191 1 um 10 Uhr nachts zusammen; ein Schlag
hatte ihn niedergestreckt, eben als er den Zug besteigen wollte, der ihn nach
Wien zu einer Parteisitzung bringen sollte. Ein selbstloser, gewissenhafter
Politiker, ein kraftvoller, arbeitsamer Mann, ein treuer Sohn des deutschen
Volkes und ein fortschrittlich denkender Mensch: das ist Dr. E. immer gewesen.
Er war kein Sturmer und Dranger — in keiner Hinsicht; er erwog, er iiberlegte.
Aus dem burgerlichen Milieu stammend, vertrat er zuerst die Interessen des
Burgertums, ohne fur die sozialen Kampfe der unteren Schichten teilnahmslos
zu sein. Aber der biirgerliche Zug in seiner Politik und die Ablehnung des
phrasenhaften Radikalismus hinderten ihn, zum Fuhrer der breiten Massen zu
werden, uneingeschrankte Popularitat zu erlangen. Dr. E. hatte jedoch seinen
Anhang und ubte auf die deutsch-bohmische Politik einen starken Einflufi aus.
Der Nachfolger Dr. Schmeykals und Dr. Schlesingers war seiner Vorganger
wiirdig, ihnen in vieler Hinsicht ahnlich.
E. hatte sich im Jahre 1882 vermahlt; nach I7jahriger glticklicher Ehe
starb seine Gattin. Vier Tochter und zwei Sohne entstammten dem Bunde.
Als Quellen wurden die von der Familie Dr. E.s freundlichst zur Verfugung gestellten
Aufzeichnungen, dann die deutsch-bohmischen Zeitungen und die Protokolle des bohmischen
Landtages und des bsterreichischen Herrenhauses benutzt.
Richard Charmatz.
Schewitsch (Racowitza), Helene v., geb. v. Donniges, * 21. Marz 1845 zu
Mtinchen, f I- Oktober 191 1 daselbst. — In ihren Glanztagen eine fast in ganz
Europa gefeierte und vergotterte goldhaarige Schonheit, dann vorzeitig ver-
gessen, bis sie nach schweren korperlichen und seelischen Leiden der Tragodie
ihres Lebens selbst ein Ende setzte. Ihr Vater Wilhelm v. D. (f als kgl. baye-
rischer aufierordentlicher Gesandter zu Rom am 4. Januar 1872 an den Blattern),
der »dieGlutidee derTrias« zlindend indie Welt schleuderte, einige Jahre hindurch
der vertraute Ratgeber des Konigs Max II. von Bayern, hatte die Berufungen
auswartiger Gelehrter und Dichter nach Miinchen veranlafit. Mit ihm war seine
geistvolle Frau Franziska (f am 8. Marz 1882 zu Rom) der gesellschaftlicheMittel-
punkt der geistigen Koryphaen Miinchens zu jener Zeit. 1857 wurde der Vater
als Gesandter nach Turin berufen. Als zwolfjahriges fruhreifes Kind nahm das
»rote Nixlein«, um dessen Erziehung sich die Eltern blutwenig bekummerten,
an den farbigen Festen der Erw r achsenen teil und wurde von ihrer Mutter in
unbegreiflicher Verblendung mit einem 42 jahrigen Festungskommandanten
aus Alessandria verlobt. Doch verabschiedete Helene ein paar Jahre darauf
den alternden Brautigam, als sie im »Sonnen-Jugendrausch« der ersten Liebe
zu einem russischen Offizier schwelgte. Diesem Erlebnis war ein anderthalb-
jahriger Aufenthalt bei ihrer Grofimutter in Berlin zu Bildungszwecken voraus-
gegangen. Sie lernte leicht und spielend fremde Sprachen (Franzosisch, Eng-
lisch, Italienisch und Russisch) und empfing auch Unterricht im Deutschen,
Schewitsch-Racowitza. 1 99
in der Literatur und in der Musik. Doch niemand zugelte ihre ausschweifende
Phantasie und lenkte ihre grofle Willensschwache in die rechten Bahnen. Schon
damals befestigte sich in ihr die Idee der »Manngleichheit im Liebesrecht des
Weibes*.
Nach kurzem Aufenthalt in Nizza setzte sie 1862 ihre Studien in Berlin
wieder fort. Ihre wunderbare Schonheit und ihre geistspriihende Lebhaftigkeit
bezauberten die Mannerwelt. Ein junger rumanischer Student aus »fiirstlichem
GebliiU, Yanco v. Racowitza, bewirbt sich ernsthaft um sie. Ihrem »Mohren-
pagen«, wie sie ihn nannte, bleibt sie freundschaftlich zugetan. Doch seine
Gestalt verblafit, als der 39 jahrige Lassalle in ihr Leben tritt. Die Geschichte
dieses kurzen, jah endenden Liebestraumes erzahlt sie selbst mit seltenem Frei-
mut in dem Buche »Meine Beziehungen zu Ferdinand Lassalle« (1879). Schon die
erste Begegnung entschied iiber das Schicksal der beiden. »Aug' in Aug' standen
sie regungslos einander gegeniiber wie Tristan und Isoldes Die Einwilligung der
El tern Helenens zur ehelichen Verbindung glaubte der sorglose Agitator leicht
erringen zu konnen. In Genf, wo ihr Vater damals als Gesandter weilte, ent-
deckte sich Helene dem Elternpaar und entfesselte dadurch wahre Wutaus-
briiche des jahzornigen Vaters. Der Antrag des Freiers wird unter rohen Be-
schimpfungen abgelehnt, Helene von dem tobenden, mit einem Hirschfanger
bewaffneten Vater an den Haaren nach Hause geschleift und dort Wochen lang
wie eine Gefangene gehalten. Der korperlich und seelisch Gebrochenen diktiert
der eigene Vater einen emporenden Absagebrief an Lassalle. Der schwer ge-
krankte Freier fordert D. zum Zweikampf; Racowitza tritt fiir diesen in die
Schranken. Lassalle wird todlich getroffen und stirbt am 31. August 1864.
Helene bezeichnet den Vater offen als den Morder ihres Geliebten. Durch
jenen war der harmlose Yanco zum Duell gezwungen worden. Eine vollige
Apathie hatte sich der Armsten bemachtigt, und sie verlebte »Schreckens-
monate« bei den ihr nun ganzlich verhafiten Eltern. Daher widerstand sie dem
Werben Yancos nicht langer und vermahlte sich im Friihjahr 1865 mit ihm, dem
Morder Lassalles, dem »dennoch Unschuldigen«. Diesen psychologisch hochst
befremdlichen Schritt sucht sie durch ihre innere und aufiere Haltlosigkeit zu
erklaren. Der brustkranke Yanco starb schon am 12. Dezember des gleichen
Jahres zu Bologna, ohne ihr auch nur das Geringste von seinen groflen Reich-
tiimern zu hinterlassen. In ihren auch stilistisch vortrefflichen Memoiren
»Von anderen und mir« (1909) zeichnet sie mit riickhaltloser Offenheit die ver-
schiedenen Stufen ihres abenteuerlichen Lebensganges. Nach Yancos Tode
fuhlte sie sich »vogelfrei«, ohne Halt an der Familie, von der sie sich losgesagt
hatte. »Bei dieser Leere in mir, dieser Abgestorbenheit jedes wahren Gefiihls,
ein nicht zu unterdriickendes Temperament, das auf alle Sinneseindriicke auf
das starkste reagierte; ein Fahrzeug auf dem Meere des Lebens — alien Sturmen
preisgegeben, ohne Steuermann.« Bei manchen Einzelheiten, die sie von ihrem
Leben berichtet, scheint Wahrheit und Dichtung ineinanderzufliefien. In
Nizza sucht man sie fiir die Plane der Jesuiten, in Berlin als diplomatische Agen-
tin Bismarcks vergeblich zu gewinnen. In der preufiischen Hauptstadt bereitete
sie sich auf ihre zukunftige Biihnenlaufbahn vor und fand in Spielhagen, Auer-
bach, Rodenberg und namentlich in Paul Lindau verstandnisvolle Freunde.
1868 vermahlte sie sich mit dem Schauspieler Siegwart Friedmann, dem hoch-
begabten Schiiler Dawisons. Im Hoftheater zu Schwerin errang sie als Maria
200 Schcwitsch-Racowitza.
Stuart, Grafin Orsina und in andern ahnlichen Rollen bedeutende Buhnen-
erfolge. Aber auch in Wien und auf ausgedehnten Gastspielreisen feierte sie
infolge ihres temperamentvollen Spiels und ihrer rassigen Schonheit groGe
Triumphe. Nach funfjahriger Ehe wollte sie sich von Friedmann scheiden
lassen und erfuhr dabei, daC ihre Ehe staatsrechtlich ungultig gewesen sei. Doch
blieb ihr ehemaliger Gatte einer ihrer treuesten Freunde.
Wiederum stand sie fast vollig mittellos in der Welt. Ihre bescheidenen
Einkunfte als Schauspielerin boten dem friih verwohnten Gluckskinde wenig-
stens das Notdtirftigste zum Leben. Dabei war sie von einem heifien Gliicks-
hunger erfiillt, von einem sonnigen, leichten Sinn. »Herzenssucherin« nannten
sie oft ihre vertrautesten Freunde. In Wien verdankte sie reiche Forderung
ihres Talents dem Verkehr mit Heinrich Laube. Schatzbare Anregungen gaben
ihr auch Sonnenthal, Wilbrandt, Scaria, Makart u. a. Zu dem Verstehen fur
Menschen und Menschliches verhalfen ihr — nach ihrem eigenen Bekenntnis —
damals Richard Wagners Tonschopfungen am meisten. In Kissingen lernte sie
ihren nachmaligen Gatten Serge v. Schewitsch kennen, einen »iiberzeugtesten
Sozialisten«, der auch in der Literatur von Deutschland, Frankreich, RuBland,
England und Italien sehr gut beschlagen war. Ihn traf sie auch wieder in
Petersburg, wohin sie zur Kraftigung ihrer erschutterten Gesundheit gegangen
war. Hier umwogte sie das eigenartige skrupellose Leben der russischen hoheren
Gesellschaftskreise, das sie spater in zwei Romanen vortrefflich abkonterfeite.
Der erste, »Grafin Vera« (1882), schildert in spannender Weise und mit leiden-
schaftlicher Empfindung die Enttauschungen einer ideal veranlagten Frauen-
natur, die um ihres Liebsten willen Gatten und Kind verlafit und in schweren
Herzenskampfen ihre Schuld buflen mufl. Nicht wenige personliche Erlebnisse
wob Helene v. Sch. hier und in ihren andern (umfanglicheren) Roman hinein,
»Ererbtes Blut« (1892). Voll Unbefangenheit schlagt sie auch hier das Thema
von der freien Liebe an. Der erste Teil des Romans spielt zumeist in Peters-
burg, der zweite in Paris, Mtinchen und Amerika, und die Heldin dieses Ab-
schnittes, Tamara, tragt mehrfache Ztige von Helene, wahrend in dem Maler
Franz Rolander zweifellos Franz v. Lenbach portratiert ist.
Mit Serge versuchte sie nun ihr Heil in Amerika. Am 1. Marz 1877 kamen
beide in New York an. Schewitsch trat in den Redaktionsverband der New
Yorker Zeitung »World«; auch ward er mit der Zeit einer der bekanntesten
Volksredner in der Union. Helene gab in den ersten Jahren ihres Aufenthaltes
jeden Winter und Friihling langere Gastspiele an den deutschen Theatern des
Westens, namentlich in San Franzisko. Spater widmete sie sich der Schrift-
stellerei. Ihr schon erwahnter Roman »Grafin Vera« erschien zuerst im New
Yorker »Puck«. Sie wurde auch standige Mitarbeiterin der St. Louis »West-
lichen Post* und Theaterkritikerin der »New Yorker Volkszeitung«.
Eine Russin Helena Petrowna Blawatzki gab ihrem Dasein neues Interesse,
indem sie ihr die uralteWeisheitslehre der Inder mnter dem neuen Gewande der
Theosophie« uberlieferte. Ausfiihrlich erzahlt Helene v. Sch. davon in dem
Buche »Wie ich mein Selbst fand«. Als Frucht ihrer theosophischen Studien
erschienen noch 1904 »Praktisch-theosophische Winke von einer Okkultistin«.
An der New Yorker Frauenuniversitat warf sie sich nun vier Jahre lang mit
groCtem Eifer auf das Studium der Medizin. Doch unmittelbar vor der Pro-
motion befiel sie eine monatelange Krankheit. Schweren Herzens muflte sie
Schewitsch-Racowitza. Frescnius. 20 1
nun ihrer Lieblingsidee entsagen; allein sie laCt dieselbe im Schlufikapitel des
Romans »Ererbtes Blut« zur holden Wirklichkeit aufspriefien.
Im Fruhling 1890 kehrten die beiden v. Sch. nach Europa zuriick und
erwahlten Riga als Wohnort. Aber im September 1891 muflte sich Helene in
Berlin einer lebensgefahrliehen Operation unterziehen und blieb fortan eine
»sieche Frau«. Da der Zar Serge v. Sch. wieder in all seine Vermogensrechte
eingesetzt hatte, verbrachte das Ehepaar die folgenden sechs Jahre grofitenteils
auf Reisen in der Schweiz und Italien. Nur der Herbst fiihrte es meist nach
Munchen zuriick, das von 1897 an ihr standiger Aufenthaltsort ward. v. Sch.
beteiligte sich zuerst an der Herausgabe des »Simplizissimus«. Dann loste er
das Verhaltnis zum Verlag. Er schrieb (unter anderem Namen) erfolgreiche
Dramen, ferner fur grofie Zeitungen Novellen und politische Artikel.
Die Freundschaft mit Bjornson, mit Helene Bohlau und andern bedeuten-
den Menschen waren noch Lichtblicke im letzten Jahrzehnt ihres sturmbe-
wegten Daseins.
Allmahlich wurde es einsamer um die beiden Gatten, und die bittere Not
klopfte zuletzt oft an ihre Tur. Ende September starb v. Sch. Scherzend hatte
einst Lassalle sein »Goldfiichslein«, wie er Helene nannte, gefragt, was sie tun
wurde, wenn er zum Tode verurteilt wurde. Ohne langes Besinnes hatte sie
damals erwidert: »Ich wurde Gift nehmen.« Nun, nach dem Hinscheiden ihres
Gatten v. Sch., schien ihr auch kein anderer Ausweg offen; darum nahm sie
den erlosenden Todestrank. Am 3. Oktober 191 1 wurde sie auf dem Munchener
Ostfriedhofe in der denkbar einfachsten Weise in einem armlichen Grabe neben
ihrem Gatten bestattet. Nur wenige Personen gaben ihr das letzte Geleite.
Eine ergreifende Lebenstragodie war zu Ende gegangen.
Dr. A. D r e y e r.
Fresenius, August, Dichter und Obersetzer, * 5. Marz 1834 zu Frankfurt
a. M., f 3. Juli 191 1 zu Munchen. — Nach dem friihen Tode der Eltern widmete
sich F. dem kaufmannischen Berufe, der ihm jedoch gar nicht zusagte. Daher
betrieb er 1859 an den Universitaten zu Munchen und Heidelberg das Studium
der deutschen und franzosischen Literatur. Wahrend seines achtjahrigen Auf-
enthaltes in Paris (von i860 bis 1867) versenkte er sich in die franzosische
Sprache und Literatur, namentlich in die Werke Moli&res und der neueren
franzosischen Lustspieldichter. Schon 1862 verdeutschte er zwei heitere fran-
zosische Einakter aufs beste: »Der Roman einer Stunde« von Francois Benoit
Hoffmann und »Die beiden Witwen« von F&icien Mallefille. 1868 nahm er seinen
standigen Wohnsitz in Munchen und lebte hier seiner schriftstellerischen Tatig-
keit, als Mitarbeiter von Zeitschriften, wie der nur kurz bestehenden »Pro-
pylaen«, und insbesondere als gewandter und geistvoller Verdeutscher fran-
zosischer Lustspiele und Possen. Von Eugfene Labiche iibertrug er vier wirk-
same Schwanke: »Ein gefahrlicher Freund« (1870), »Die Hohle des Lowen«, »Die
Lebensretter«, »Das Hebe Ich«. Das crste dieser Stiicke fand bei seiner Urauf-
fuhruiig im Wiener Burgtheater 1869 verdienten Beifall. Diese und seine fol-
genden tJbersetzungen spiegeln vortrefflich den blendenden Esprit und tandeln-
den Humor der franzosischen Originale. Auf Fs.' Talent wurde auch Konig
Ludwig II. von Bayern aufmerksam, der damals in seiner beginnenden Men-
schenscheu den Entschlufi faflte, erlesene dramatische Werke in eigenen Auf-
202 Fresenius. Zipperer.
fuhrungen zu genieBen. Den Reigen dieser Vorstellungen, die fast bis zum Tode
des ungliicklichen Monarchen wahrten, eroffnete am 20. Mai 1871 ein grazioses
Lustspiel des alteren Dumas »Eine Heirat unter Ludwig XV.« in wohl-
gelungener Obertragung von F. Von diesen Separataufftihrungen erzahlt F.
in einer farbigen Studie in der Beilage zur Allg. Ztg. (1893, Nr. 95 — 98). Wie
von seinen »Hofdichtern« (Herm. v. Schmid und K. v. Heigel), verlangte Lud-
wig II. auch von dem Obersetzer F. strengste Befolgung mancher von ihm
vorgeschriebenen szenischen Anordnungen. Von historischen Dramen, die F.
ubersetzte, seien noch genannt: »Das Alter eines grofien Konigs« (Ludwigs XIV.)
und »Ein Minister unter Ludwig XV.«, von den ebenfalls aus dem Franzosischen
stammenden Lustspielen: »Allzu scharf macht schartig«, »Falsche Locken«,
»Vollblut«, »Nach dem Ball«, »Ein schlimmer Handel« u. a. m. In stark vorge-
riicktem Alter iibernahm er noch das Amt eines Dramaturgen am Munchener
Volkstheater und erwarb sich hier durch liebevolle Einstudierung alterer, langst
vom Repertoire der Biihnen abgesetzter Stucke (z. B. von Halms »Sohn der
Wildnis«), namentlich aber durch die ebenso pietatvolle als dramatisch liberaus
geschickte Neubearbeitung des Trauerspiels »Evchen Humbrecht« von H. L.
Wagner, das bei seiner ersten Neuauffuhrung im Munchener Volkstheater Ende
April 1904 tiefen Eindruck hervorrief.
In den letzten Jahren seines Lebens zog sich F. von der Aufienwelt fast
ganz zuriick und fiihrte das Dasein eines merkwiirdigen Sonderlings. Seine
Leiche wurde von Miinchen zur Einascherung in das Krematorium nach Ulm
uberfuhrt. Dr. A. D r e y e r.
Zipperer, Wilhelm, Oberstudienrat und Rektor des humanistischen Gym-
nasiums in Wurzburg, altbayerischer Mundartdichter, * 18. Dezember 1847 in
Miinchen, f 9. Oktober 191 1 in Wurzburg. Er war der Sohn des bekannten
Munchener Buchhandlers und Antiquars Paul Z. Nach beendigtem humanisti-
schen Studium widmete er sich an der Universitat seiner Vaterstadt zunachst
dem Studium der Theologie, doch ging er bald zur klassischen Philologie iiber.
Dank seinem ungewohnlichen Gedachtnisse eignete er sich griindliche Fach-
bildung an, daneben aber auch eingehende literarhistorische Kenntnisse, die er
durch spatere eifrige Studien noch erheblich erweiterte. 1873 bestand er als
erster den Staatskonkurs und wurde kurz darauf als Lehramtsassistent an die
Studienanstalt Wurzburg berufen. 1875 promovierte er in Wurzburg mit der
Abhandlung »De Euripidis Phoenissarum versibus suspectis et inter polatis«. Im
August des gleichen Jahres erhielt er ein Reisestipendium von 1200 Gulden zum
Besuche der archaologischen Institute in Rom und Athen.
Nach seiner Ruckkehr war er wieder am Neuen Gymnasium in Wurzburg
als Lehrer und Professor tatig. 1898 wurde er zum Rektor des Gymnasiums
in Munnerstadt (Unterfranken) ernannt, 1905 in gleicher Eigenschaft an das
Neue Gymnasium in Wurzburg versetzt. Als Lehrer verstand es Z. vortrefflich,
anregend auf seine Schiller zu wirken; dabei hatte er aber auch ein feines Emp-
finden fur die soziale Aufgabe seines Berufes. Schon als Schulvorstand in Mun-
nerstadt sah er an Sonn- und Feiertagen haufig armere Studenten als Gaste bei
sich und fiihrte sie auch ins Theater. Auch in Wurzburg verwendete er einen
Teil seines Einkommens zur werktatigen Hilfe fur unbemittelte Schuler. Als
ihn 1906 in der zweiten bayerischen Standekammer ein Abgeordneter wegen
Zipperer. Riehl. 203
angeblicher bureaukratischer Verordnungen gegen die Gymnasiasten heftig
angriff, da ruhmte ihn der damalige Kultusminister Wehner als eine »ganz vor-
treffliche Kraft«, als »einen wahren Vater seiner Schiiler in und auCerhalb der
Schule«. Im Mai 1907 veranstaltete Z. in Wurzburg eine in schauspielerischer
und musikalischer Hinsicht wohlgelungene Schulerauffiihrung von Sophokles'
»Antigone«, ein wirkliches »Ereignis« fiir die Metropole Frankens.
Ein durchaus glaubiger Christ, warZ. trotzdem keinFreund des»politischen«
Katholizismus, und hielt sich auch zeitlebens von dem politischen Parteigetriebe
fern. Als unentwegter Idealist gliihte er voll Begeisterung flir alles Edle und
Schone in Kunst und Literatur; darum konnte er sich fiir die moderne Richtung
auf diesen Gebieten nicht erwarmen. Die Bestrebungen der Volkskunde suchte
er nach Kraften zu fordern. Trotz weiter Reisen in fast alle Kulturlander
Europas blieb er doch ein Freund des Heimischen in Sitte, Sage und Brauch,
voll von Bewunderung der deutschen Vergangenheit, aber auch der Er-
rungenschaften des neuen Deutschen Reiches. Seine Liebe zur Natur und zu
den Bergen trieb ihn alljahrlich in die bayerischen und Tiroler Alpen, und hier
sammelte er die Stoffe zu seinen derbfrischen »Gedichten in obcrbayerischer
Mundart«, die er 1905 veroffentlichte. Den Dialekt seiner altbayerischen Heimat
beherrscht er meisterhaft, und die Zeichnung lebenswahrer Typen seines Volks-
stammes gelingt ihm recht gut. Ein paarmal wendet er in diesen Gedichten —
nach Hebels Vorbild — mit Gliick den Hexameter an. Der alpinen Sache
brachte er reges Interesse entgegen, und er half auch die heute stolz bluhende
Alpenvereinssektion Wurzburg mitbegrunden. Seit 1909 litt er an einem heim-
tiickischen, sarkomartigen Obel, das seine so kraftige Natur untergrub. Am
1. September 191 1 trat er »unter Anerkennung seiner vorziiglichen Dienst-
leistung« in den verdienten Ruhestand; doch schon am 9. Oktober des gleichen
Jahres erloste ihn der Tod von seinem qualvollen Leiden. Dr. A. D r e y e r.
Riehl, Berthold, Professor der Kunstgeschichte an der Universitat Munchen,
* 10. Juni 1858 zu Munchen, f 5. April 191 1 daselbst. In der Vollkraft der
Jahre, inmitten aus einem arbeitfreudigen Leben, das insbesondere fiir die baye-
rische Kunstgeschichte wertvolle Bausteine herbeitrug, entriB ihn der Tod.
Von seinem Vater, dem von Konig Max II. von Bayern 1854 nach Munchen
berufenen Kulturhistoriker und Novellisten Wilhelm Heinrich R., hatte er die
Gabe geerbt, die Entwicklung und die eigenartigen Merkmale einer bestimmten
Kulturgattung im Zusammenhang mit Land und Leuten zu erfassen und zu
verstehen. Diese Betrachtungsweise wendete er auf das von ihm erwahlte
Spezialfach, die Kunstgeschichte, an. Im Elternhause lernte er aufier Kory-
phaen der Wissenschaft und Dichtkunst auch die bedeutendsten Miinchener
Meister der bildenden Kunst kennen, so vor allem Kaulbach, und mit mehreren
derselben trat er in freundschaftliche Bcziehungen. Von den alteren Kiinstlern,
die zum Aufschwung der bayerischen Hauptstadt das Ihre redlich beitrugen,
erzahlte ihm der geistvolle, kunstfreudige Vater, der auf den Werdegang des
Knaben und Jiinglings bedeutsamen EinfluC ausubte. Nach Vollendung der
humanistischen und Hochschulstudien promovierte R. an der Miinchener Uni-
versitat mit der Abhandlung »St. Michael und St. Georg in der bildenden Kunst«
(1883), worin er einen Zusammenhang fiir die bildliche Gestaltung des Drachen
mit der romisch-griechischen Kunst entschieden abweist. Schon im nachsten
204
Riehl.
Jahre habilitierte er sich an der Universitat seiner Heimatstadt mit der kraftvoll-
eigenartigen Studie uber die »Geschichte des Sittenbildes in der deutschen Kunst
bis zum Tode Pieter Brueghel des Alteren«, die nicht allein schatzbare, licht-
volle Einblicke in die ersten unscheinbaren Anfange dieser langsam erwachsenen
Kunstgattung und in ihr Emporbliihen vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert,
sondern auch in das Volks- und Kulturleben dieser Zeitabschnitte eroffnet.
Zwar vertieft er sich auch ferner noch mit voller Seele in bemerkenswerte Ent-
wicklungsstufen der deutschen Kunstgeschichte; allein viel haufiger drangt es
ihn, die frlihesten Spuren und die allmahlichen Fortschritte der bayerischen
Kunst in scharfe Beleuchtung zu riicken. Sein erstes Werk auf diesem Gebiete,
»Die altesten Denkmale der bayerischen Malerei« (1885) , spricht auch das Ziel
seiner kunftigen Forschertatigkeit aus: die Kunst des bayerischen Stammes
in ihrem eigenartigen Charakter, in ihrem Zusammenhange mit dem Wesen des
deutschen Volkes zu erforschen und darzustellen. Eine Erganzung zu diesem
Buche bildet sein Werk »Denkmale fruhmittelalterlicher Baukunst in Bayern,
Bayerisch-Schwaben und der Pfalz« (1888). Hier weist er auf den innigen Zu-
sammenhang der Baukunst und ihrer Entwicklung mit Land und Leuten hin.
Der einheitliche Charakter der Kunstdenkmale eines Stammes ist einerseits in
der Art des Landes und dem Volkscharakter, anderseits in geschichtlichen und
kunstgeschichtlichen Verhaltnissen begrundet. Zum ersten Male werden hier auch
die auswartigen Einfliisse auf die bayerische Baukunst gebiihrend benick-
sichtigt. Zu Reproduktionen von Gemalden von Dlirer und Wohlgemut von
Sigmund Soldan (1887) schrieb R. die verstandnisvolle Erlauterung. 1887
ward er auch als Dozent fur Kunstgeschichte und Asthetik an die Akademie
der bildenden Kiinste in Mlinchen berufen. 1890 wurde er zum aufierordent-
lichen und 1896 zum ordentlichen Professor der Kunstgeschichte an der Uni-
versitat Mlinchen ernannt. Im Jahre 1894 vermahlte er sich mit Marie Petri
aus Kassel, und dieser Ehe entsprofl eine Tochter (Berta). Reisen in Italien hatten
seinen Blick fur die charakteristischen Merkmale der alteren und neueren
Kunstdenkmaler gescharft, und auf zahlreichen Wanderungen studierte er aufs
grundlichste die Erzeugnisse bayerischen Kunstsinnes in Dorfern, Markten und
Stadten. Im Juni 1887 ordnete das bayerische Kultusministerium die Inven-
tarisierung samtlicher offentlicher Kunstdenkmaler an und betraute vor allem R.
mit dieser Aufgabe. Seine eingehende Durchforschung gait zunachst demKreise
Oberbayern. Alle Orte mit Kirchen wurden hier besucht, alle Beschreibungen
an Ort und Stelle vorgenommen, desgleichen auch verschiedene photographische
Aufnahmen. Als Frucht dieser miihsamen Arbeit veroffentlichte R. 1893 im
Verein mit Gustav v. Bezold »Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirks Ober-
bayerns (vom n. bis 18. Jahrhundert)«. Dadurch wurde ein weites, von der
Kunstforschung bisher wenig beachtetes Gebiet allgemein bekannt gemacht.
In Nachahmung des Historikers K. Th. v. Heigel, der in geistspruhenden, auf
tiefen Quellenstudien fuGenden Essays denkwiirdige geschichtliche Ereignisse
und Personen mit sicherem Griffel zeichnete, suchte R. das Verstandnis weiter
Kreise fur die Kunst der Vergangenheit durch volkstumliche Vortrage, aber
auch durch farbenfrische Aufsatze, die zumeist in der Beilage zur Allg. Ztg.
und im >>Kunstgewerbeblatt« erschienen, zu wecken und zu fordern. Neun dieser
Skizzen gab er 1893 unter dem Titel »Deutsche und italienische Kunstcharak-
tere«c heraus und widmete das Buch seinen Eltern. Die Gegensatze zwischen der
Riehl. 205
Kunst diesseits und jenseits der Alpen und den EinfluS der einen auf die andere
zu schildern, das schwebte ihm hier als Leitmotiv vor. In den ersten drei Essays
iiberwiegt das historische, in den folgenden das kiinstlerische Interesse. Be-
zeichnende Ausschnitte aus der Fruhzeit des bayerischen Kunstlebens bieten
auch R.s Arbeiten aus den Jahren 1894 und 1895: »Die bayerische Kleinplastik
der fruhromanischen Periode« (in Reinhardstottners »Forschungen zur Kultur-
und Literaturgeschichte Bayerns«) und »Studien zur Geschichte der bayerischen
Malerei des 15. Jahrhunderts« (in Bd. 49 des »Oberbayer. Archivs«). Die Ergeb-
nisse kunsthistorischer kritischer Forschungen auf wiederholten Fufiwanderungen
durch das Unterinntal, uber den Brenner und durch das Etschland bis Trient
umschlieCt sein Buch »Die Kunst an der Brennerstrafie« (1898, 2. Aufl. 1908),
ein wohlgelungener Versuch, den Kunstfreund zu bewegen, deutsche Kunst
vor allem in deutschen Landen und nicht in Museen zu studieren. Hier nennt
er als Aufgabe des Kunsthistorikers, den gegenseitigen internationalen An-
regungen und deren Wirkungen nachzuspiiren, die bei der Verschiedenheit der
Lebensbedingungen und der Ktinstlerindividualitaten auch erheblich vonein-
anderabweichen. Seit 1898 gehorte R. auch der Munchener Akademie der
Wissenschaften an, und in den »Abhandlungen« dieser gelehrten Gesellschaft
erschienen schatzbare Bausteine zumeist zur bayerischen und deutschen Kunst-
geschichte, so: »Von Diirer bis Rubens, eine geschichtliche Studie uber die
deutsche und niederlandische Malerei des 16. Jahrhunderts« (1900); ^Geschichte
der Stein- und Holzplastik vom 12. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts« (1902);
»Die Munchener Plastik in der Wende des Mittelalters zur Renaissance* (1904);
» Internationale und nationale Ziige in der Entwicklung der deutschen Kunst«
(1906); »Studien iiber Miniaturen niederlandischer Gebetbiicher des 15. und
16. Jahrhunderts im Bayerischen Nationalmuseum und in der Hof- und Staats-
bibliothek zu Miinchen« (1907). Ein recht anziehendes Stadtbild vom Stand -
punkte des Kunsthistorikers aus entwarf er in der Studie »Augsburg« (1903,
in der Sammlung »Beruhmte Kunststatten« Nr. 22), die das Verstandnis flir
die grofie kiinstlerische Vergangenheit der ehemaligen freien Reichsstadt wach-
zurufen sucht. Sein letztes Werk, »Bayerns Donautal; tausend Jahre deutscher
Kunst« (mit 72 Abbildungen) gab sein Schuler Ph. M. Halm nach R.s Tode
mit einer tief empfundenen Biographie 191 2 heraus. Eine ungeheure Fiille des
Stoffes ist hier zum ersten Male im Zusammenhang und in groCziigiger, vornehm-
kunstlerischer Weise behandelt. Das Werk bildet einen der wichtigsten Bei-
trage zur bayerischen Kunstgeschichte.
R. verstand es meisterlich, »Leben und Wissenschaft in Einklang« zu bringen.
Wie in seinen Schriften, so strebte er in seinen Vorlesungen nach einer klaren,
gemeinverstandlichen Darstellung, die doch von einem leichten poetischen
Hauche durchweht war. Das Werden und Reifen grofier Meister und Kunst-
Werke der Vergangenheit wuCte er durch sinn- und stimmungsvolle Vergleiche
mit dem Schaffen der Gegenwart plastisch zu veranschaulichen. Dabei hatte
er ein scharfes Auge fiir die Eigenart alterer und neuerer Maler und Bildner und
ein kiinstlerisches Feingefuhl fur ihre Werke, deren charakteristische Merk-
male er aus den jeweiligen Kulturverhaltnissen zu erklaren suchte. Unbeirrt
von der gerade herrschenden Kunstrichtung ging er seine eigenen Wege. In
der Polemik gegen Andersmeinende hielt er sich stets maflvoll. Die allzu groBe
»Eingemeindung« der Kunstdenkmaler in ein Museum billigte er nur dann,
206 Riehl. HeiB.
wenn diesen die Gefahr der Vernichtung drohte. Sein Wesen atmete wohltuende
Schlichtheit und Herzensgute; bescheidenen Sinnes blieb er auch dann noch,
als seinem verdienstlichen Wirken auf dem Gebiete der deutschen und besonders
der bayerischen Kunstgeschichte stets wachsende Anerkennung folgte.
Dr. A. D r e y e r.
HeiB, Karl, Kreisschulinspektor und Grunder des Bayerischen Volksschul-
lehrervereins, * 10. August 1827 zu Starnberg bei Munchen, f 18. April 191 1
zu Niirnberg. — Als der al teste Sohn eines Lehrers erblickte H. zu Starnberg
das Licht der Welt. Mit sieben Geschwistern verlebte er zu Vilsbiburg (Nieder-
bayern) eine sorglose Kindheit und Jugend. Zunachst besuchte er die Latein-
schule zu Munchen, darauf das Lehrerseminar zu Straubing und bestand 1848
die Anstellungspriifung fur den Volksschuldienst mit bestem Erfolge. Bald
nach seiner Anstellung als Lehrer zu Gerzen bei Vilsbiburg (185 1) vermahlte
er sich zum ersten Male. Zwei Jahre spater wurde er als erster Lehrer nach
Achdorf bei Landshut versetzt und wirkte dort bis 1867. Zu Beginn der sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte er auch die Redaktion der Bayerischen
Schulzeitung ubernommen, die er bis zu seinem Wegzug von Achdorf beibehielt.
Die berechtigten Klagen seiner bayerischen Kollegen iiber mangelhafte Besol-
dung und Vorbildung gingen ihm zu Herzen, und er erkannte, dafi nur durch
engen Zusammenschlufi der Lehrer Bayerns tatkraftige Abhilfe geschaffen
werden konne. Am 16. August 1861 erlieO er einen Aufruf zur Grundung eines
bayerischen Lehrervereins. Am dritten Weihnachtsfeiertage des gleichen
Jahres wurde der Verein zu Regensburg begrundet und H. zum ersten Vor-
sitzenden desselben gewahlt. Dem neuen Verbande traten zunachst kaum iiber
IOO bayerische Lehrer bei, doch nach Jahresfrist war die Mitgliederzahl desselben
bereits auf iiber 1500 und zehn Jahre darauf auf beinahe 10 000 angewachsen,
wahrend sie jetzt das Doppelte betragt. Als Lehrervereinsvorstand entfaltete H.
eine ebenso umsichtige wie zielbewuCte Tatigkeit, und seinem kraftigen Ein-
treten verdankte die bayerische Lehrerschaft schon damals eine wesentliche
soziale und materielle Forderung. 1867 wurde er als Lehrer nach Augsburg
berufen und gehorte einige Jahre hindurch dem dortigen Gemeindekollegium
als Mitglied an. Im gleichen Jahre wurde er auch mit der Leitung der neu-
begrundeten Bayerischen Lehrerzeitung betraut; doch 1874 legte er dieselbe
nieder, ebenso das Amt eine ersten Vorstands des Bayerischen Lehrervereins.
1869 starb seine erste Gattin; 1872 vermahlte er sich zum zweiten Male, doch
1895 wurde er wieder Witwer. Unter seiner Vorstandschaft entstand die segens-
vollste Einrichtung des Bayerischen Lehrervereins, die Grundung eines Lehrer -
waisenstiftes, das seither den Hinterbliebenen der Lehrer namhafte Unter -
stiitzungen zuwendete. 1872 wurde H. als Oberlehrer an die Petersschule in
Munchen berufen und bald darauf zum Inspektor an der Munchener Simultan-
schule I befordert. 1878 wurde ihm die Stelle eines Kreisschulinspektors in
Augsburg bei der Regierung von Schwaben und Neuburg ubertragen. In seinen
verschiedenen Stellungen, als Lehrer wie als Schulaufsichtsbeamter, kam ihm
neben einem reichen Wissen auch ein grofles padagogisches Geschick zustatten.
Ein hochgradiges Nervenleiden zwang ihn vorzeitig, um seine Ruhestandsver-
setzung nachzukommen, die ihm am 1. April 1890 in anerkennendster Weise
seiner Dienstleistungen gewahrt wurde. Nun ubersiedelte er wieder nach
Heifi. Greif. 207
Miinchen, doch schon drei Jahre nachher kehrte er nach Augsburg zuriick und
ubernahm die Verwaltung des Bayerischen Lehrerwaisenstiftes. Die zu-
nehmenden Beschwerden des Alters veranlaflten ihn 1904 zum Rticktritt von
diesem Amte; hierauf wahlte er Starnberg als Wohnsitz. 19 10 zog er nach
Niirnberg, wo er am Morgen des 18. April einem wiederholten Schlagan-
fall erlag.
H. war eine gerade, biedere, pflichttreue Personlichkeit und als solche in
weiten Kreisen beliebt und geschatzt. Seinem Wunsche gemafi wurde seine
Leiche in Augsburg beerdigt. Als »Vater« des Bayerischen Lehrervereins genoB
H. auch noch in spateren Jahren hohes Ansehen in den Kreisen der Lehrer
Bayerns. Dr. A. D r e y e r.
Greif, Martin, (Pseud, fur Friedrich Hermann Frey), Lyriker und Dramati-
ker, * 18. Juni 1839 zu Speyer, f 1. April 191 1 zu Kufstein. — Von seiner iiber-
aus gliicklichen, von sorgsamen Eltern treu behliteten Jugendzeit erzahlt der
Dichter erinnerungsfroh in Nr. 24, 25, 27 und 30 der Allg. Ztg. Sein Vater
Maximilian F., damals Regierungsrat in der pfalzischen Kreisstadt, spater Re-
gierungsdirektor in Bayreuth, war ein pflichttreuer, lauterer Charakter. Von
seiner Mutter Adelheid, der Tochter eines Strafiburger Jugendfreundes von
Goethe [Dr. Joh. Christ. Ehrmann), erbte G. die sinnige Naturbetrachtung
und die unerschopfliche Herzensgute. Nach dem Besuch des Ludwigsgym-
nasiums in Miinchen trat er 1857 in die bayerische Armee ein und wurde zwei
Jahre darauf zum Artillerieleutnant befordert. Allein der eintonige Garnisons-
dienst widerte den jungen Offizier bald an, der wegen seiner nervosen Empfind-
lichkeit einen Helm aus Pappendeckel tragen mufite. Willkommene Abwechs-
lung brachten Urlaubsreisen nach Frankreich, Belgicn und England, wo er mit
Freiligrath zusammentraf, sowie 1865 nach Spanien (auf den Spuren des ver-
schollenen Nurnberger Professors J. L. Hoffmann).
Die Lust zum Fabulieren hatte sich schon friih in ihm geregt. Die ersten
Gaben seiner damals noch von fremden Vorbildern (von Riickert, Uhland,
Goethe, Eichendorff u. a.) ziemlich abhangigen Muse liefi er noch unter seinem
Familiennamen erscheinen: »Gedichte« (i860), »Berta und Ludwig* (eine Romeo-
und -Julia-Tragodie 1861), »Die Schlacht von Leipzig«, eine epische Dichtung
(1863), von der Riickert ruhmt, dafi der Verfasser »mit grofier Redegewandtheit
und Gedankenschwung alles Mogliche geleistet habe, was moderne Poesie mo-
dernen Schlachten abgewinnen kann«; »Friihlingssturmlieder« (1864) und das
spater ganz umgearbeitete dramatische Gedicht »Hans Sachs« (1865). Im allge-
meinen blieben diese dichterischen Versuche fast ganz unbeachtet, und sein
Vortrag einiger Gedichte als Gast bei dem Munchener Dichterbund der »Kroko-
dile« vermochte nicht besonders zu erwarmen. Schon hatte er ein neues Band-
chen Lieder bereit, welche trotz mancher Mangel ein tiefes, traumverlorenes
Sichversenken in die Natur und eine durch den friihen Tod der geliebten Braut
hervorgerufene elegische Grundstimmung offenbarten. Zaghaft brachte er
(1865) diese Bluten Geibel, dem hilfsbereiten Forderer junger Munchener
Dichter; doch dessenAusspruch: »Zur Poesie habenSie keinen Beruf« schmetterte
ihn vollig nieder.
Ed. Morike hob sein Selbstvertrauen wieder, und 1868 erschienen die noch
sorgfaltig gefeilten Gedichte bei Cotta unter dem Autornamen Martin Greif,
208 Greif.
den er seither beibehielt und seit 1882 mit landesherrlicher Genehmigung neben
seinem biirgerlichen Namen fiihren durfte. Die Liicken in seinem Bildungs-
gange suchte er nun durch eifrige Studien in Munchen, insbesondere als Horer
bei dem Literarhistoriker M. Bernays, sowie durch den Umgang mit wohlge-
sinnten, hochgebildeten Freunden (Adolf Bayersdorfer, Karl du Prel und Oskar
Eisenmann) zu erganzen, die sein der herrschenden literarischen Geschmacks-
richtung entgegengesetztes Talent mit seltenem Scharfblick erkannten und ihm
die Wege ebneten. Als weitere Freunde gesellten sich noch dazu: der Kom-
ponist Hornstein, der Theosoph Adolf Oppel, der Asthetiker Julius Klaiber, der
Alpenschilderer Heinrich Noe und der Archivar Joseph Fernbacher, der ihn
Lingg zufiihrte. Doch bahnte sich zwischen beiden in ihrem Schaffen grund-
verschiedenen Dichternaturen kein naheres Verhaltnis an.
Die erste Lanze fiir G.s Lyrik mit ihrem unvergleichlichen Stimmungs-
zauber brach Bayersdorfer in seiner heute noch beachtenswerten Schrift »Ein
elementarer Lyriker« (1872). Scharf kennzeichnet er hier die plastische, laut-
malerische Kunst des Dichters, die »bei Vermeidung des Leidenschaftlichen den
individuellen Charakter einer Erscheinung auch unter der Masse des Ober-
flachlichen herausfiihlt« und lyrische Bilder schafft, die verwandte Saiten in
unserer Seele anschlagen. Der von ihm gepragte Ausdruck »Empfindungs-
f ragmen te« kehrt bei spateren G.-Biographien haufig wieder. Speidel nannte
ihn schon 1870 »den ersten Lyriker der Gegenwart«. Auf den Werdenden iibte
besonders du Prel nachhaltigen EinfluB aus, der mit ihm frohe Tage in einsamer
Bergwelt und auf ausgedehnten Wanderfahrten verlebte, die die beiden Freunde
1874 bis nach Rom fiihrten. In seiner »Psychologie der Lyrik« (1880) hebt der
erstere ausdrlicklich hervor, daO G.s Gedichte aus der unbewufiten Phantasie
wie ein frischer Quell entspringen, an denen »die kiinstlerische Besonnenheit des
Dichters nur den geringsten Anteil« habe.
Inzwischen hatte G. als Berichterstatter der Wiener »Presse« das deutsche
Heer auf seinem Siegeszuge nach Frankreich 1870/71 begleitet. Die Enthullung
einer Gedenktafel an dem vermeintlichen Geburtshause Walters von der Vogel-
weide bei Waidbruck (1874) begeisterte ihn zu einem sinnigen Festspiele »Walters
Riickkehr in die Heimat«, das bei seiner Auffuhrung am Innsbrucker Stadt-
theater mit reichem Beifall bedacht wurde und dem Dichter mehrere Tiroler
Freunde und Gonner gewann (J. V. Zingerle, Ch. Schneller, A. v. Schullern,
A. und L. v. Hormann, Ambros Mayr, Adolf Pichler, S. M. Prem u. a.).
Otto Ludwigs »Shakespeare-Studien« (1872) reizten ihn, neuerdings die
Bahn des Dramas zu betreten. Sein historisches Trauerspiel »Korfiz Uhlfeldt,
der Reichshofmeister von Danemark« (1875), das sich auf die von Joh. Ziegler
ins Deutsche ubertragenen Memoiren von Uhlfeldts Gattin stutzt, wurde auf
Laubes Betreiben 1875 im Wiener Stadttheater zwolfmal nacheinander erfolg-
reich gegeben. Es ist eine Tragodie der Herrschgier und zugleich (wie Lud-
wigs »Erbforster«) des starren Rechtsbewufltseins, die den Helden zum Kampfe
gegen das Vaterland und dadurch zum Untergange drangen. Der Charakter
des Haupthelden ist scharf und folgerichtig gezeichnet; die ubrigen Personen
dagegen erscheinen etwas zu schablonenhaft.
Laube, der den Dichter damals fiir den Schillerpreis vorgeschlagen hatte,
verhalf auch seinem nachsten fiinfaktigen Trauerspiel »Nero«, dieser Tragodie
der sittlichen Schwache, im Wiener Stadttheater (1876) zu verdienter Aner-
Greif.
209
kennung. Das von verschiedenen Dramatikern (von Lohenstein bis Wilbrandt)
behandelte uberaus schwierige Neroproblem wufite G. verhaltnismafiig am
besten zu losen; darum halten angesehene Kritiker G.s »Nero« fur seine bedeu-
tendste dramatische Schopfung. L. Krapp meint: »Seit Grillparzers »Goldenem
Vlies« ist an dramatisch Leidenschaftlichem und doch maflvoll Gebandigtem
nichts Gleiches mehr geschrieben worden, wie der 3. Akt, die Schilderung des
Muttermordes Neros«. Max Koch zahlt dieses Stuck zu den besten Dramen
der letzten zwanzig Jahre: »Im »Nero« sehen wir den Dichter auf dem Gipfel
seiner Kunst.« Der »satanische Einflulk Poppaas treibt nach G.s Darstellung
den »groflen Komodianten auf dem Throne« zu seinen Schandtaten. Dann aber
ergreifen ihn die Furien der Reue, dann umkrallt ihn der Verfolgungswahn.
Wie Grillparzers »Libussa« und Hebbels »Nibelungen« blinkt auch hier die
Morgenrote des Christentums in die Nacht der sinkenden heidnischen Welt.
G. war schon 1875 auf einige Jahre nach Wien ubergesiedelt und hier mit be-
deutenden Mannern, mit Ludwig Speidel, Hugo Wittmann, Daniel Spitzer,
Johs. Brahms usw. f namentlich aber mit Anselm Feuerbach, in freundschaft-
liche Beziehungen getreten. Auch in Miinchen weilte er mit Vorliebe im Kreise
von Kunstlern (Hans Thoma, Wilhelm Trubner, Oberlander, Leibl u. a.).
Sein Aufenthalt in Italien reizte ihn zu zwei Dramen an, die auf diesem
Boden spielen, zu »Marino Falieri« und »Francesca da Rimini« (beide 1878 ent-
standen). Das erstere, ein Intriguenstiick, in welchem sich der Held, der Racher
seiner Familienehre, zum Fuhrer seines unterdrucktenVolkes erhebt, wird trotz
seines blihnengerechten Aufbaues und der Schonheit der Sprache, die freilich —
wie auch in andern Dramen G.s hie und da durch Trivialismen beeintrachtigt
ist — durch Byrons gleichnamiges Drama in den Schatten gestellt. Ein weit
besserer Wurf gliickte ihm dagegen — trotz Heyse und d'Annunzio — in der
Liebestragodie von der schonen Francesca, wozu ihm Boccaccio den Stoff bot.
Nach Kilianis Urteil sind Anlage und Aufbau in den drei ersten Akten auflerst
glucklich. Gleiches Lob verdient der Schlufiakt; nur der 4. Aufzug steht in
keinem organischen Zusammenhang mit den andern. Oberall pulsiert tiefe
Leidenschaft und dramatisches Leben.
Turmhoch iiber seinem romantischen »Mantel- und Degenstuck* »Liebe uber
allesi steht sein vaterlandisches Schauspiel »Prinz Eugen« (1879), das bei seinen
Auffiihrungen im Burgtheater zu Wien (1880) und an andern osterreichischen
Buhnen jubelnde Begeisterung ausloste, in Miinchen aber (1883) kaum mehr
als einen Achtungserfolg errang. »Prinz Eugen«, das »die strafTste Struktur«
aufweist, ist nicht blofi ein »in treuen Farben gemaltes Lebensbild des tapferen
Savoyers«, sondern auch ein anschauliches Hof- und Kriegsstiick, ja ein echt
deutsches Kulturgemalde aus der Zeit derTurkennot und Tiirkensiege, das in einigen
aufleren Einzelheiten fliichtig an Kleists »Prinzen von Homburg« gemahnt.
Ein kostlicher, fein abgestufter Humor durchflutet das Stuck, aus welchem —
wie auch aus G.s andern Dramen — das lyrische Element des Ofteren glanzvoll
hervordringt. (1904 wurde das Drama von H. Miiller ins Franzosische tiber-
tragen.)
Nach 14 jahriger Pause war eine Neuauflage von G.s Gedichten notig
geworden. Aus seinem mittlerweile reich angewachsenen Liederschatze fiigte
der Poet nicht wenige schimmernde Perlen hinzu, aber auch geringwertige
Liederblumen, wahrend er manches bedeutsame Lied aus der urspriinglichen
Bioffr. Jahrbuch u. Deutscher Nekroloy. 16. Bd. *4
210 Greif.
Sammlung ausschied. Dieser Mangel an richtiger Selbstkritik offenbart sich
ebenso in seinem zweiten Gedichtbande »Neue Lieder und Maren« (1902).
Die zweite Auflage seiner Gedichte (1881) und noch mehr die dritte Auflage
(1883) erweiterte den Kreis seiner Verehrer ganz erheblich und erweckte dem
Dichter neue Lobredner (Muncker, Conrad, Max Bernstein, Fritz Lemmermayer,
Max Koch, Klaus Groth, Alfred Meiflner, Rudolf Gottschall, Wilhelm Scherer
u. a.). Resigniert sang der Dichter einst von sich selber:
»Ich steh' im Schatten meiner Zeit
Und warte auf Unsterblichkeit. «
Nun schien die von ihm ausgestreute Saat allmahlich zu reifen; doch Mifi-
gunst und Scheelsucht schiitteten manche Giftbliiten darunter. Wenn mir
der sonst so maflvolle Dichter von den Anschlagen jener Neidgesellen erzahlte,
dann brauste er heftig auf. Die Vertreter der Bildungslyrik, namentlich der
Geibel-Heyse-Kreis, sahen geringschatzig auf G.s »lyrisches Gestammek herab.
Das »Mlinchener Dichterbuch« (1882) liefi ihn nicht zu Worte kommen. Im
Prolog zu seinen Satiren und Epigrammen zog Paul Schonfeld wider die »Sipp-
schaft« los, welche »Herrn Martin Greifs Stottern als klassisch auskreische*.
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bildete sich eine »Liga
ftihrender Schriftsteller« zur Unterdriickung G.s, die in Berlin, Wien und
Munchen Bundesgenossen warb, bis die Presse dieses schmahliche Treiben an
den Pranger stellte. Als jedoch der Lyriker G. sich Bahn gebrochen hatte,
suchte man wenigstens den Dramatiker moglichst tief herabzuwiirdigen, und
gedankenlose Kritik plapperte dies Verdammungsurteil bis zum heutigen Tage
nach. Der Dichter aber bricht in die humorvolle Klage aus:
aFreund, was ratst du mir nun? Seitdem ich zum Drama mich wandte,
Gelt' ich, sonst niemals genannt, plotzlich als lyrische Kraft. *
Nach mehrjahriger Pause bebaute G. neuerdings das Feld der dramatischen
Dichtung. Diesmal wagte er sich an eine groBe Aufgabe, an eine Hohenstaufen-
Trilogie, deren einzelne Teile (»Heinrich der Lowe«, »Die Pfalz im Rhein«, »Kon-
radin«) r887 — 1889 erschienen und bei ihren Auffuhrungen, hauptsachlich am
Munchener Hoftheater, verdienten Beifall errangen. Diese Trilogie wird aber
durch G.s engen Anschlufi an die Geschichte (wie manches seiner spa^eren
Dramen) in der einheitlichen Fortfuhrung der Handlung empfindlich geschadigt.
Der Gang der Geschehnisse ist durch vielfachen Szenenwechsel zerstiickelt.
In den beiden ersten Hohenstaufendramen sind Sprossen dieses ruhmreichen
Geschlechtes nur die Gegenspieler; als Haupthelden erscheinen hier die Welfen
(Heinrich der Lowe und sein alterer Sohn Heinrich). In »Heinrich dem Lowen«
schlagt G. das Thema von der Auflehnung des machtbewuBten Vasallen wider
Gebot und Ruf seines Kaisers an. Der Titelheld biifit seine Schuld zwar nicht
mit dem Leben, aber mit dem Verlust seiner Macht. Die »Pfalz im Rhein« ist
der menschlich-versohnende »lyrische SchIuBakkord« zu diesem gewaltigen
Ringen um die Macht. Wie die alten Titanengeschlechter der griechischen
Tragodie, so entrinnt auch das von hochfliegendem Ehrgeiz beseelte Hohen-
staufengeschlecht seinem Verhangnis nicht. Sein tragisches Geschick reizte eine
Reihe von Dichtern zur dramatischen Gestaltung. Im Kranze der Konradin-
Dramen nimmt G.s Stiick, das auch manchen sagenhaften Zug geschickt hinein-
verwebt, eine hervorragende Stelle ein. Seinen »Konradin« bezeichnet Kosch als
die »Tragodie der Nationalitat«; die Schilderung »des deutschen Helden« in seinem
Greif. 2 1 I
Kampf mit dem Auslande: das ist der Kernpunkt des Stiickes. Im Prolog zur
Hohenstaufentrilogie halt G. dem Dichter Ibsen, dem erbittertsten Gegner seiner
vaterlandischen Dramen, u. a. vor:
♦Soil des Daseins kummerliche Not,
Kein grofi Geschick mehr unser Herz bewegen
Und wiirdig sein des vollen Mitgefiihls,
Das Leid, aus Schuld geboren, neu erweckt?*
Von alien Stiicken G.s wurde wohl sein »Ludwig der Bayer«, das Drama der
deutschen Treue, am volksttimlichsten, obwohl hier — allerdings nicht so sehr
wie bei Uhlands gleichnamigem Schauspiel — das dramatische Element hinter
dem epischen erheblich zuriicktritt. Es fehlt an einemstarkenseelischen Konflikt,
an einer tieftragischen Schuld des Helden oder seines Gegenspielers. Die Sprache
schmiegt sich der volkstumlichen Ausdrucksweise glucklich an. »Ludwig der
Bayer« kam nicht auf einer Kunstbiihne, sondern in einem von Biirgern des
Marktes Kraiburg (nahe dem Schlachtfelde von Ampfing) eigens erbauten
Schauspielhause, und zwar durchKraiburgerselbst, 1892, 1894 und 1904 zur ab-
gerundeten Darstellung und lockte viele Besucher an. Dieser Vorgang wirkte
aneifernd, und seither schossen lokalgeschichtliche Volksdramen in alien Gauen
Deutschlands hervor.
Echt volkstiimlich ist auch G.s »Agnes Bernauer«, mit dem Untertitel »Der
Engel von Augsburg« (1894), die Tragodie »der irrenden Liebe eines schonen
Weibes«. Den dankbaren Stoff gossen schon Torring (1780), viel spater M. Meyr,
Otto Ludwig, Hebbel u. a. in dramatische Form. Der letztere folgt den Spuren
der Geschichte, G. den Pfaden volkstiimlicher romantischer Uberlieferung. Darum
ist seine Heldin (nach Mensi) »von einer Gloriole echtester und deutscher Poesie
umflossen«. Die liebliche, hoheitsvolle Frauengestalt ist die beste weibliche
Figur des Dramatikers G. Von dem wirksamen Hilfsmittel transzendentaler
Erscheinungen macht hier G. zu ausgiebigen Gebrauch, und die rasche Urn-
stimmung Albrechts, der, heimgekehrt, Agnes auf Anstiften seines Vaters er-
mordet und begraben findet, diesen mit einem »Versohnungsku6« begrufit, nur
weil die engelhafte Verblichene es wollte, lafit sich psychologisch nicht recht-
fertigen. Adam Muller-Guttenbrunn schlug das Stuck, allerdings vergeblich,
fur den Grillparzer-Preis vor.
Das 400jahrige Geburtsjubilaum des groCten Meistersingers (1894) bewog
G. zu einer volligen Umarbeitung seines 1863 gedichteten vaterlandischen
Schauspiels »Hans Sachs«, wobei cr sich auf treffliche Quellenwerke, namentlich
auf Wagenseils Geschichte der Meistersinger, stiitzte. In Hans Sachs, dem
lange schnode verkannten und endlich zu Ehren gelangten Poeten, entwirft G.
ein kleines Selbstbildnis. Das Kolorit der Zeit (des ausgehenden Mittelalters)
und des reichsstadtischen Lebens und Treibens ist vorzuglich getroffen; daher
fand dieses Stuck in Miinchen, Nurnberg und Weimar ungeteilte Anerkennung.
Ernstere Tone schlagt er in seinem vaterlandischen Drama »General York«
an. Es verherrlicht die kuhne Tat des unerschrockenen preuOischen Haudegens,
die das Vorspiel zu den Freiheitskriegen bildet. Das Stuck biirgerte sich auch
(in der Ausgabe von Theodor Stromberger) in den preufiischen Schulen rasch
ein. Der Titelheld ist »ein wurdiger Nachfolger des »Prinzen von Homburg«.
G.s letzte dramatische Arbeit ist nichtsGeringeres als ein Erganzungsversuch
von Schillers »Demetrius« (1903). Dem Biihnenfragment schlieCt sich ein er-
14*
212 Greif.
greifendcs Nachspiel in Schillers Sterbezimmer an. Dann erscheint die tragischc
Muse und erzahlt den Fortgang und Schlufi der Handlung, die durch lebende
Bilder veranschaulicht wird. Das gliicklich erdachte Nachspiel klingt in eine
begeisterte Huldigung fiir den Lieblingsdichter der deutschen Nation aus.
Mit Ausnahme des »Hans Sachs«, der in Knittelversen geschrieben ist,
wendete G. fiir seine Dramen den ftinffufiigen reimlosen Jambus an, auch fiir
seine gediegenen Festspiele zum 80. Geburtstage Bismarcks (»Das erste Blatt
im Heldenkranz«, 1895) und zum 78. bezw. 80. Geburtstage des Prinzregenten
Luitpold von Bayern (»In Treue fest«, 1899, und »Heimatstolz«, 1901). In seinen
Dramen iiberwiegen vaterlandische StoflFe. Doch halt sich G. im wohltuendcn
Gegensatze zu andern Dramatikern, die bedeutsame Ereignisse aus der deut-
schen Geschichte verherrlichen, von dem aufdringlich wirkenden Hurrapatriotis-
mus fern. Daher ist es um so bedauerlicher, dafi man ihn so selten von der
Buhne aus zum Volke sprechen lafit. Auch in der ihm zur zweiten Heimat
gewordenen bayerischen Hauptstadt, in der er den grofiten Teil seines Lebens
verbrachte, sind Auffiihrungen von G.schen Dramen nicht haufig. »Heute halt
er als einziger den Typus des klassischen Dramas hoch« (Krapp). Eine edle,
aus dem Geiste der Zeit geschopfte Sprache und eine wirkungsvolle Gliederung
der einzelnen Szenen sind unleugbare Vorzuge seiner Stiicke. Auf die Charakter-
zeichnung legt er das Hauptgewicht nicht in demMafie, wie die modernen Biihnen-
schriftsteller; daher behauptet Jos. Ettlinger mit einiger Ubertreibung: »Ein
Mangel an Charakteristik ist zugleich der charakteristische Mangel des Dra-
matikers G.« Ettlinger erhebt wider ihn auch den nicht ganz unbegrundeten
Vorwurf, dafi G. fiir seine Biihnenwerke (infolge der haufigen Anwendung des
Monologs, des Beiseitesprechens und melodramatischer Effekte) oft ein »zu
naives Publikum« voraussetze; doch gesteht er ihm in der dramatischen Technik
eine sichere Hand und ein kluges Abwagen zu. W. Kosch bezeichnet ihn als
einen »der fahigsten Nachfahren Shakespeares in Deutschland«.
In dem Lobe des Lyrikers G. sind die berufensten Beurteiler heute vollig
eins. Seine erste Gedichtsammlung gliedert sich in Lieder, Naturbilder (doch
ist die Scheidung hier nicht streng durchgefuhrt), Balladen und Romanzen,
(in der zweiten Sammlung Balladen und Maren), Deutsche Gedenkblatter,
Widmungen, Sinngedichte. Die »Neuen Lieder und Maren« enthalten aufier-
dem Epigramme.
Reiche Anregungen schopfte er aus dem Volksliede, daneben auch aus der
Lyrik Goethes, Morikes und Eichendorffs, w T ahrend ihm fiir die Balladendichtung
Uhland vielfach vorbildlich ward.
Seine Muse offenbart die tiefe Innigkeit des deutschen Volksgemiites, ohne
in die tranenreiche Empfindsamkeit eines Matthisson und anderer gefiihlsuber-
schwenglicher Dichter zu verfallen; sie hat etwas »Stilles, Leidenschaftabge-
kl&rtes« an sich. Ihre Grundstimmung ist (nach Bernstein) »das halbgeschlossene,
sinnende Auge, das die aufiere Welt am liebsten im Widerschein der inneren
Welt« betrachtet:
'Halb wach' ich, halb lieg* ich im Traum.'
Wie das Volkslied, so deutet auch er eine Empfindung oder eine Handlung
nur leise an und uberlafit die vollstandige Ausmalung derselben der Phantasie
des Lesers oder Horers. Alfred Biese driickt dies mit den Worten aus: »Unaus-
sprechliches andeuten, leise an die Saiten unseres Inneren ruhren, so dafi sie
mitklingen und nachzittern, darin ist der Dichter Meister.«
Greif.
213
Kosch hebt mit Recht die Anschaulichkeit der G.schen Lyrik stark hervor,
und Adolf Bartels stellt ihn als »Naturdichter« am hochsten. Wie die Bilder
Hans Thomas, so umftiefit die kleinen, scharf geschauten und scharf umrissenen
poetischen Genre- und Stimmungsbilder herbe Naivitat. Der Lakonismus, die
Wortkargheit, die oft verbliiffende Knappheit des Ausdrucks bei G. erregte die
Bewunderung objektiver Kritiker. Wilhelm Weigand lafit sich folgendermaOen
vernehmen: »Er erzielt seine Wirkung mit den allereinfachsten Mitteln, mit den
Mitteln des Volksliedes, ohne Rucksicht auf technische Kunsteleien. Ein solch
kleines Gebilde gibt den Stimmungszauber tausendmal getreuer als die Prosa
eines Beschreibers aus der Schule Zolas, der nicht genug Einzelheiten anhaufen
kann«. Himmelbauer halt G.sganzeinzigdastehende Knappheit fur einen »durch-
aus modernen Zug«. Gottschall riihmt an diesen Liedern die »Pragnanz und
Innigkeit« und erwahnt, dafi »die hingehauchten Weisen die musikalische
Fassung herauszufordern scheinenc G.sche Lieder wurden von hervorragenden
Komponisten vertont, so von Weingartner, Hausegger, Hornstein, Pembaur,
Rich. StrauC, K. Reinecke, Max Zenger u. a. Muncker weist darauf hin, dafi
die meisten seiner Gedichte — wie die altesten und innigsten Volkslieder —
einen ernsten, fast traurigen Charakter tragen. Dasselbe gilt von seinen Natur-
bildern, den Stimmen und Gestalten, sowie den Balladen, die auch aus alten
Volkssagen schopfen. (»Das zerbrochene Kriiglein«, »Der Morgentrunk«, »Das
kranke Magdlein« u. a. m.). Unter den zyklischen Dichtungen G.s nimmt »Das
klagende Lied« die erste Stelle ein. Von Uhland hat G. auch die Vorliebe fur
den Monolog und Dialog in seinen balladenartigen Gedichten; Goethe dagegen
ward sein Vorbild fur die Gestaltung der freien Rhythmen (»Hymnus an den
Mond«, »Gewitterhymnus« usw.), in denen sich wieder seine »ungewohnlich feine
Kiinstlerhand* verrat.
In den »Deutschen Gedenkblattern« zeigt sich (nach Koch) »der sonst
traumerische Dichter« als »ein begeisterter Verehrer der realistischen Grofitaten
des eisernen Jahrhunderts«. Insbesondere bekennt er sich auch hier als einen
begeisterten Bismarckverehrer. Seine Sinngedichte enthalten satirische Aus-
falle auf literarische und soziale Fragen; doch gebricht ihnen manchmal die
epigrammatische Scharfe.
Wie stetig der Kreis der Anhanger seiner Muse wuchs, ergab sich deutlich
bei der Feier seines 50., 60. und 70. Geburtstages. Mannigfache Ehrungen
iiberraschten an letzterem Gedenktage den schon krankelnden Dichter. Die
Munchener Universitat verlieh ihm die Wiirde eines Ehrendoktors der Philo-
sophic; Prinzregent Luitpold ernannte ihn zum Hofrat. Im gleichen Jahre
(1909) erschien eine zweibandige Ausgabe seiner lyrischen und epischen Dichtun-
gen, von der der erste Band die »Gedichte« und die »Neuen Lieder und Maren«,
der zweite »Epische Klange und Feierstimmen« umschlofi. Die zweite Auflage
(1909 — 19 1 2) unter dem Titel »Gesammelte Werke« wuchs auf funf Bande an.
Band 3 und 4 enthalten die Dramen, Band 5 die »Nachgelassenen Schriften«
(Selbsterlebtes — Novellen — Skizzen), letzterer besorgt durch den unermiid-
lichen verdienstvollen Greif- Biographen W. Kosch. Dieser gab auch 191 1
eine vortreffliche Auswahl aus des Dichters Lyrik heraus (»Martin Greif s Lieder-
traum«). Ein so tiefes und liebevolles Erfassen von G.s dichterischer Eigenart
bekundete keiner der bisherigen Biographen des Dichters als Kosch in seiner
ausgezeichneten Monographic »Martin Greif in seinen Werken« (1907, 2. Aufl.
214
Greif. Uhde.
1909), die auch im Anhang die hauptsachliche Literatur iiber G. enthalt. An
einer umfanglichen G.-Bibliographie arbeitet Wladimir Schindler in Berlin.
Als G. sein Ende herannahen fiihlte, begab er sich im Marz 191 1 in das
Krankenhaus zu Kufstein (Tirol). Hier verschied er am 1. April 191 1 morgens
gegen 9 Uhr. Auf seinen ausdriicklichen Wunsch wurde seine Leiche nach
Palmberg (in der Nahe des Schlachtfeldes von Ampfing) iiberfuhrt und unter
Beteiligung zahlreicher Freunde auf dem dortigen Friedhofe am 4. April be-
stattet. Bildhauer Hermann Lang, der Schopfer von G.s Grabdenkmal, sowie
eines Reliefportrats G.s, nahm dem Dichter auch die Totenmaske ab.
Eine treffliche G.-Buste fertigte Bildhauer Prof. Georg Busch, Olbildnisse
G.s stammen von Hans Thoma, Wilhelm Triibner und Eggena, ein radiertes
Portrat ist von Joseph Uhl. Sein literarischer Nachlafi wurde der Universitats-
bibliothek in Miinchen iiberwiesen.
Die »Times« widmete dem »letzten Wahrer der groCen Traditionen der deut-
schen Lyrik« einen warmen Nachruf. Einer seiner altesten Freunde, M. G.
Conrad, sagte schon 1883 prophetisch voraus: »Die Zeit wird nicht mehr fern
sein, wo das deutsche Volk, soweit es dem hehren Dienste des Ideals . . . treu
geblieben, den Namen dieses Sangers als der besten und liebwertesten einer
in das Herz schlieBen wird.« Dr. A. D r e y e r.
Uhde, Fritz v., Historien- und Genremaler, * 22. Mai 1848 zu Wolkenburg
(Sachsen), f 25. Februar 191 1 in Miinchen. — Der Vater, ein bekannter Jurist,
stand als Verwaltungsbeamter im Dienste des evangelisch-lutherischen Landes-
konsistoriums (f 1883 als Geheimrat und President dieses Amtes); die Mutter
entstammte der franzosischen Emigrantenfamilie Nollain. Beide trieben mit
Eifer und Talent die Pastellmalerei; auch die Schwestern malten. So zeichnete
denn Fritz am Gymnasium zu Zwickau und Dresden, begeistert von Menzels
Illustrationen zum Leben Friedrichs d. Gr.; Proben, welche zufallig W. v. Kaul-
bach vorgelegt wurden, erregten dessen hochstes Mififallen. Die Lust, den Krieg
kennen zu lernen, hatte den Jungling 1866 beinahe nach Osterreich gefuhrt;
1867 trat U. als Avantageur zu den sachsischen Gardereitern, wurde Fahnrich
und 1868 Leutnant, kam in der Kaserne in Fiihlung mit dem Maler Ludwig
Albrecht Schuster (einem Schliler von Horace Vernet) zusammen. Ohne Notiz-
und Skizzenbuch zog er nach Frankreich, war bei St. Privat; einquartiert zu
Auet bei Paris im Atelier des Tiermalers Jacques, hinterliefl er demselben ein
mit dessen Farben gemaltes kollegiales Andenken, dessen Werkstatte durch
heiteren Anschlag des »General Uhde« der Schonung deutscher Soldaten emp-
fehlend. Als Brigadeadjutant beurlaubt, malte U. den »Angriff des Regiments
Plotho bei Wien i683« (fur das Kasino der sachsischen Gardereiter) — eine
kiihne, an Jos. v. Brandt und Franz Adam erinnernde Leistung. In Wien
elektrisierten ihn die Bilder Makarts, w r elcher ihn an Piloty wies; U. nahm
seinen Abschied, gcsellte sich zu Miinchen mit dem an gleichen artistischen
Borkenschmerzen laborierenden Zeichner Ludwig v. Nagel. Von Herrn v. Schack
an Lenbach empfohlen, malte U. in kiihner Verkiirzung zwei standartentragende
Reiter im Kostiim des Dreifiigjahrigen Krieges (im Besitze des Prinzen Leopold
von Bayern). Durch den sachsischen Gesandten v. Fabrice an Munkdcsy
empfohlen, introduzierte sich U. den Parisern mit der derben »Chanteuse« f einer
novellistischen Szene aus dem »Leben der Landstiirzerin Courage«, welche be-
Uhde. 215
kanntlich eine Art Nebenmond zu Grimmelshausens Roman des universellen
»Simplizissimus« bildet. Damals brachte U. auch die »Chiens savants« und das
»Familienkonzert« aus Paris mit. Wahrend die Miinchener sich freuten, wie in-
nig der Maler inMunkacsys »Milton« sich versenkt habe, ging U. in der Pinakothek
schon den Fahrten des Frans Hals nach, wovon das »Lachende Weib mit dem
Bierkrug« vorlaufig zeugte, urn dann kurzweg nach Max Liebermanns Vorgang
die Hollander in ihrer Heimat selbst aufzusuchen. Hier entstanden die»Nahe-
rinnen« und der in zwei Varianten auftretende »Leierkastenmann«, das »Altleut-
haus in Zandwoort« und die »Fischerkinder«, womit U., selbstbewuBt genug, die
letzten Reste der bisherigen Rezeptiertradition iiber Bord warf. Das beweisen
die nach seiner Ruckkehr gemachten staubigen »Trommler« (1883), welche am
Obcrwiesenfelder Exerzierplatz als gehorqualende Fellrafller mit schrecklichem
Eifer der Ausiibung ihrer Pflicht obliegen. Denselben kreidigen Ton behielt
U. bei den nachfolgenden, den neubiblischen Evangelien entnommenen Dar-
stellungen, die er mit hartestem Anachronismus in ein den heutigen armlichen
Handwerkerkreisen entnommenes Kostiim kleidete.
Dasselbe hatten bisher die Kunstler aller Perioden getan: Benozzo Gozzoli
erzahlte seinen Aufzug der hi. drei Konige ebenso in Florentiner Mundart wie
der deutsche Hans Memling seinen Flamen, Albrecht Diirer seinen lieben Niirn-
bergern, Tizian den stolzen Venetianern, Rubens seinen sinnenfrischen Lands -
leuten, Rembrandt den stolzierenden Mynherren, die wieder das Vorbild ergaben
fur die spateren Passionsspieler des Rokoko und der Zopfzeit. Wahrend uns
Heutigen eine solche Naivitat mangelt. Wir konnten keine Iphigenie a la Pompa-
dour mehr ertragen. Hochstens V06' »Siebenzigstcn Geburtstag« in Kiipferchen
von Chodowiecki, doch nimmer eine Dorothea desselben Meisters. Und nun
kam einer mit dem vollsten Pleinair wie aus Herrenhut und Gnadau mit
Zinzendorfs nuchternster Glaubigkeit und Gottvertrauen, wahrend gleichzeitig
im Drama eine hektische Nervositat, Spittel- und Karbolatmosphare die welt-
bedeutenden Bretter durchsauselte. Auf alien bisherigen Sinnenkult verzich-
tend, brauchte einer doch nur eine Grundtiefe von Empfindung, einen uner-
schopflichen Fond.
Es schien ein artistisches Steeple-chase mit unnehmbaren Hindernissen.
Aber der leichte Reiter, der im Feldzuge manche Attacke mitgemacht, safi in
kurzer Frist ebenso fest im Sattel seiner Kunst. Ein wahrhaftes »Veni } vidi,
viciU.
Nach dem Vortritt der Adolf Menzel, Max Liebermann, K. Fr. Eduard Geb-
hardt und Ernst Zimmermann, ein vollstandiger Inkamminat, woran er nichts
mehr in seiner Technik, nur in der Wahl seiner Themata zu andern oder zu
wechseln hatte, erschien schon 1884 seine epochemachende, in doppelter, neuer
Fassung durchgearbeitete Darstellung »Komm' Herr Jesus, sei unser Gastk
Ebenso emphatisch begruflt, wie ob des extrem naturalistischen Stils prinzipiell
leidenschaftlich angegriffen und verhohnt. U. zeigt den Eingeladenen in einer
hart abgearbeiteten, kinderreichen, Holzschuhe tragenden Handwerkerfamilie,
beim karglichen Milchmahl, Platz nehmend am diirftigen, ungedeckten Tisch,
unter einer Petroleumlampe. Aber was sie bieten, kommt aus ehrfurchtsvollen,
guten, friedfertigen Herzen. — In uberraschender Produktion folgten der
»Abendgang« und die Szene des »Brotbrechens in Emmaus«, eine Berg- und
Schiffpredigt, ein »Laflt die Kleinen zu mir kommen«, in eine landliche Kinder-
216 Uhde.
bewahranstalt verlegt, mit den zutraulich, neugierig oder storrisch sich an-
stellenden Madchen, Knaben und dem altsachsischen Lehradjunkten. Auf
starkeren Widerspruch, insbesondere von orthodoxen Kampfnaturen, stiefi das
»Grofie Abendmahl« (1886), wobei dem Maler, in dessen Hause soviel geistlicher
Liederklang und Gebet erhoben wurde, sogar der Vorwurf der Blasphemie
nicht erspart blieb. Er hatte freilich ziemlich fragwurdige Gestalten in die
apostolische Jungerschaft aufgenommen. In Summa eine natiirliche Reaktion
gegen die friiher beliebten, in nagelneuen Kostiimen mit verwickelten Drapierun-
gen und wohlgesalbten Lockenhaaren und Gabelbarten stolzierenden Typen
der »Nazarener« und gegen die franzosischen Beduinen und Afrikaner. Wenn
U. fur »Die heilige Nacht« die altertiimliche Triptychonform wahlte, so schuf
er seine Gemalde nicht als erbauliche Zier des Familienhauses, auch nicht fur
Liturgie- und Kirchenschmuck, sondern als Prunkstiicke fur namhafte Nabobs
und Staatsgalerien. Er wahlte seine Modelle aus Starnberger Fischern, Vor-
stadtbewohnern und akzentuierten Durchschnittsmenschen, fur seinen Heiland
kein Ideal, sondern hustelnde, neurasthenische Reiseprediger und Methodisten. —
Beruf ene und uberhebende Bewunderer verschoben manchen Tatbestand, wenn sie
beispielsweise die unbehilfliche Weise riihmten, womit der bisher des Fliegens
unkunde Mann sich zu seiner bevorstehenden Himmelfahrt rliste. Einem ahnlichen
Naturalismus unterlag auch im Ausklang der italischen Kunstbliite Caravaggio,
der jedoch in seinen betruglichen Falschspielern und Gaunern ein erfrischendes
Surrogat bot, wahrend die neuestens weit iiberschatzten El Greco und der
Deutsche Matthaus Grunewald nur zur Verrohung beitrugen. Unseres Erachtens
sehr richtig klagte in betreff U.s sein wohlmeinender Zeitgenosse Fr. Pecht,
dafi »diese nichts weniger als naive, sondern im Gegenteil sehr absichtliche
Kunstrichtung trotz unbestreitbaren Talents doch an dem Fehler ungeniigenden
Konnens leide, ihre schlottrige Formgebung, bald reizlose, noch haufiger graue
und unerfreuliche Malerei, weit entfernt von der meisterhaften Beherrschung
der Darstellungsmittel sei, wie sie uns ahnliche Szenen des Murillo oder Rembrandt
so bewunderungswurdig macht.« »Diese mangelnde Beherrschung des Hand-
werks der Kunst scheint demnach ebenso erbliche Krankheit bei diesen Natura-
listen, wie sie bei den romantischen Klassizisten war, nur daB diese das Malen,
wie jene das Zeichnen, nie bewaltigen lernen wollten, denn hier steht U. auch
hinter dem ihm sonst, vorab in der schlichten Wahrheit der Figuren verwandten
Ed. v. Gebhardt in Dtisseldorf entschieden zuriick.« Nach mehrfachen weiteren,
gleichgestimmten Bearbeitungen solch biblischer Stoffe, darunter das Herberg-
suchen in der schneetiefen Landschaft zu Bethlehem, einem Ritt und der An-
kunft der »Drei Konige«, einer dusteren »Flucht nach Agypten«, einer Szene mit
den um den ungenahten Rock wurfelnden Landsknechten, einem »Ostermorgen«
und »Verkundigung an die Hirten« verliefi U. das ihn sichtbar doch langweilende
Gebiet. Den Cbergang bildet eine Atelierszene mit halb aufgeputzten, kunstlich
beflugelten Engelmodellen, mit einem muden, alten Hirten und einer jungen,
ihr Baby beschwichtigenden Mutter, ebenso ein Ausschnitt einer Iandlichen
Prozession mit weiblicher Schuljugend und Kindergruppen, wozu Erlebnisse
aus der Spiel- und Lernstube seines Tochterchens im eigenen Heim und Fa-
milienleben folgten, treffliche Waldwildnisse mit durchblinkenden zitterigen
Sonnenlichtern, auch der Einblick in einen herbstlichen Dachauer Biergarten
mit leeren Tischen und Banken. Mit gleichem Interesse erfaflte er das Portrit,
Uhde. Meyer. 2 1 7
sein eigenes Abbild, dann aber, ein wahres biographisches Meisterstiick, seines
Freundes Max Liebermann als eminente Charakter- und Seelenmalerei, dann
seines Freundes, des Hofschauspielers A. Wohlgemuth, sowohl im einsamen
Studium seine Rolle ausarbeitend wie in posierender Wirkung als Konig
Richard III.
U. bewies sich in der kurzen Arbeitszeit von kaum drei Jahrzehnten als ein
unermudlicher, immer sattelgerechter Ktinstler von unermudlicher Tatigkeit;
die Gesamtausstellung der Sommersezession 1912 fiillte samtliche Sale. Ob er
noch neue Probleme zu bebauen willens gewesen, ist eine unnotige Frage. U.
bildet ein noch lange nachwirkendes Glied in der unendlichen Kette der Malerei,
der er ein neues Territorium zufuhrt, dessen weiterer Ausbau getrost der Nach-
welt anheimfallt. Auszeichnungen und Ehrungen waren ihm vollauf zuteil
geworden.
Aus der fast unubersehbaren Literatur sei hier nur verwiesen auf Franz v. Reber, »Kunst
filr Alle« 1 886, S. 211 ff., Fr. Pecht, Miinchener Kunst 1888, S. 390 und die Monographien
von R. Graul (Graph. Kiinste 1892, XV, 105 ff.), Franz Herm. Meifiner, O. J. Bierbaum, 1893,
Fritz v. Ostinis, 1902, Georg Jakob Wolf (in Nr. 3531 »IUustr. Ztg.*, Leipzig, 2. Marz 191 1
und iKunst fur Alle« 1911, XXVII, 289 ff.)-
Hyac. Holland.
Meyer, Christian Friedrich, Superintendent und Geheimer Kirchenrat,
D. theol, * 20. Oktober 1840 in Annaberg (Sachsen), f 23. August 191 1 in
Zwickau. — M. war der Sohn eines Seidenfarbers, welcher spater in mifiliche
Vermogensverhaltnisse geriet; seine Mutter war eine treffliche Frau von aufier-
ordentlicher Willenskraft. Nachdem er die Furstenschule zu St. Afra in MeiCen
besucht und in Ehren verlassen hatte, studierte er Theologie in Leipzig, wo
besonders Bruckner sein Lehrer wurde. Nach wohlbestandener erster Prufung
wurde er Oberlehrer an der Realschule in Chemnitz. Nach Ablegung der zweiten
Prufung kam er 1862 als Diakonus nach Meerane und 1870 als Oberpfarrer nach
Dohna. Um dem Ausbau der eben geschaffenen Kirchenvorstands- und Synodal -
ordnung zu dienen und das Verstandnis fur die damit erwachsenen neuen Auf-
gaben in weitesten Kreisen zu wccken, grundete M. am I. Januar 1870 mit einer
Anzahl Freunden ein »Kirchliches Gemeindeblatt. Evangelische Stimmen aus
der Gemeinde. Zugleich Organ fur die Kirchenvorstande im Konigreich Sachsen«.
Dasselbe, welches 1875 sein Erscheinen einstellte, stand in scharfem Gegensatze
zu dem »Sachsischen Kirchen- und Schulblatt« und zu dem »Pilger aus Sachsen«.
In den darin 1871 veroffentlichten »Romischen Brief en« unterzog M. die eben ins
Leben getretene Landessynode einer scharfen Beurteilung und machte sich
dadurch manche zu Gegnern. 1876 wurde er nach Chemnitz als Sulzes Nach-
folger zum Pfarrer von St. Pauli und Garnisonpfarrer berufen, 1887 wurde er
Stadtpfarrer und Superintendent in Zwickau, wo seine grofiziigige Tatigkeit
begann, welche ihm bald in Sachsen und im ganzen evangelischen Deutschland
Bewunderung erwarb. Auf Grund des Wortes Jesu : »Wer nicht mit mir sammelt,
der zerstreut«, hatte er das Thema seiner Antrittspredigt dahin gefafit: »Die
Aufgabe des geistlichen Amtes heiflt Sammlung und wird gelost durch das Wort
von Christ us«, und in diesem Satze ist Richtung und Inhalt seiner ganzen Lebens-
arbeit trefflich gekennzeichnet. Mit unermudlicher Ausdauer und vollendetem
kunstlerischen Geschmack erneuerte er die Marienkirche, eines der machtigsten
2 1 8 Meyer. Funke.
Gotteshauser, deren Inneres sich in trostlosem Zustande befunden hatte. Seine
meisterhaften Predigten zeigten, dafi ihm die Stromungen der Zeit nicht fremd
waren, und in weitherziger Art setzte er sich mit ihnen auseinander. Immer
wieder klingt der Gedanke durch, dafi Deutschtum und Evangelium untrennbar
zusammengehoren. Ein grofies Arbeitsgebiet fand M. in dem »Evangelischen
Bunde zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen«, dessen Sache er
von Anfang an in seinem Vaterlande vertreten hatte. Nachdem er 1889 an die
Spitze des »Sachsischen Landesvereins« getreten war, wurde er 1892 in den
Zentralvorstand gewahlt, in welchem er bis an sein Ende tatig war. In Wort
und mit der Feder, in Flugschriften und Zeitungsartikeln hat er dessen Sache
schlagfertig und geistesmachtig vertreten. Nach dem Fall von $ 2 des Jesuiten-
gesetzes hat er die Kirchenpolitik des Reichskanzlers Fiirsten Biilow scharf
beleuchtet. Viele grofiere und auch kleinere Stadte Deutschlands haben ihn
als Redner kennen gelernt, und (iberall hat er sich, als echter Volksmann, dem
auch die Gabe des Humors nicht fehlte, und der in so mancher Beziehung an
Luther erinnerte, die Herzen gewonnen. Vor allem aber ist sein Name
unlSsbar verknupft mit der »Los von Rom«- oder »Evangelischen Bewegung« in
Osterreich. M. ist es zu verdanken, dafi diese nicht, wie ihr heute noch in der
ultramontanen Presse falschlich nachgesagt wird, in das politische Fahrwasser
einlief, sondern eine religiose Erneuerung fiir die evangelische Kirche Osterreichs,
welcher sie viele Tausende neuer und eifriger Bekenner zufuhrte, wurde. M. ist
der Leiter und Forderer dieser Bewegung gewesen, deren viele Arbeiten auf
seinen ohnehin schon belasteten Schultern lagen: er mufite die vielen Vikare
beraten und anleiten, er mufite Umschau nach geeigneten Kraften unter den
jungen evangelischen Theologen Deutschlands halten, er mufite die Schaffung
neuer evangelischer Gemeinden erwagen und vorbereiten, er mufite reiche
Mittel fur diese umfassenden Aufgaben allenthalben zu gewinnen suchen. Hier
zeigte er sich als grofiartiger Organisator. Er rief das Wochenblatt »Die Wart-
burg* ins Leben, welche in Osterreich und in Deutschland iiber diese evangelische
Bewegung unterrichten und fiir sie begeistern will. Nachdem ihn schon im
Jahre 19 10 ein leichter Schlaganfall getroffen hatte, erlag er am Morgen des
23. August 191 1 einer Lungenentzlindung. Der Philosoph Rudolf Eucken in Jena
hat iiber M. geurteilt: »Er war eine Personlichkeit, der unser geistiges Leben,
im besonderen der deutsche Protestantismus die bedeutsamste Forderung
verdankt. Fiir Tausende ist er ein Fiihrer gewesen, und unter seiner Fiihrung
ist das Werk gewaltig gefordert worden.« — Neben zahlreichen, im Verlage des
Evangelischen Bundes zu Berlin erschienenen Flugschriften und Ansprachen
seien besonders seine Predigtsammlungen »Durch Christus zum Vater« (Leipzig
0. J.), »Im Lichte des Evangeliums« (ebenda 1898), »In Gottes Welt« (Miinchen
1902) und »Aus dem letzten Amtsjahre« (Zwickau 191 2) erwahnt.
Franz Blanckmeister, Friedrich Meyer. Ein Leben im Dienste der Kirche. Leipzig o. J .
Carl Fey.
Funke, Dr. Alois, Edlerv.Elbstadt,6sterreichischer Politiker, * 5. Januar 1834
in Leitmeritz, f 23. Januar 191 1 in Leitmeritz. — In Nordbohmen stand F.s
Wiege; dort wurde er auch vom Tode ereilt. An der deutsch-tschechischen
Sprachgrenze verlebte er die Jahre seiner Jugend, seines Mannesalters und die
Zeit, da er bereits von seinen jungen politischen Freunden den Beinamen »Vater
Funke.
219
Funke« erhielt. Durch das Milieu wurde das Interesse des Dr. v. F. bestimmt.
Seine politische Sorge gait hauptsachlich den nationalen Kampfen des deutschen
Volkes, in denen er sich als aufrechter, unbeugsamer Mann bewahrte. Dabei
hielt er es nie mit den Radikalsten, wie er auch nicht von dem krankhaften Ehr-
geiz anderer befallen war, sich der Mode des Tages zu unterwerfen. Dr. v. F.
trat als Liberaler in das politische Getriebe ein und blieb bis zu seinem Lebens-
ende ein Liberaler alteren Schlages. Diese Standhaftigkeit war fur ihn charak-
teristisch. Kein groflziigiger, richtunggebender Politiker, kein anregender, hin-
reifiender Fiihrer, sondern ein verlafllicher Streiter in den ersten Reihen seines
Volkes!
F. erblickte im Hause seines Grofivaters in der Langen Gasse in Leitmeritz
das Licht der Welt. Sein Vater war ein Getreidehandler, der aus der Boden-
bacher Gegend kam, seine Mutter gehorte einer angesehenen Leitmeritzer
Familie an. Als der jiingste unter vier Brudern besuchte Alois die Volks-
schule und das Gymnasium in seinem Heimatsorte; dann ging es an die Uni-
versitaten von Wien und Prag. In der bohmischen Hauptstadt wurde er im
Juli 1 86 1 zum Doktor samtlicher Rechte promoviert.
Nach der Riickkehr in seinen Geburtsort nahm der junge Konzipient an
dem sachte aufbluhenden Vereinsleben rege teil. Er griindete in den sechziger
Jahren den Deutschen Turnverein und die Freiwillige Feuerwehr; auch be-
tatigte er sich in der Leitmeritzer Sparkasse, deren Direktor er spater wurde
und bis zu seinem Tode blieb. Im Jahre 1864 wurde F. in die Gemeindever-
tretung seiner Vaterstadt gewahlt; am 1. August 1893 (ibernahm er das Amt
eines Biirgermeisters, das er bis zu seinem Lebensende inne hatte. An der
Spitze der Gemeindevertretung entfaltete er eine eifrige Tatigkeit; er fiihrte
verschiedene Neubauten durch, sorgte fur die Kanalisierung der Stadt und
fur die Errichtung einer Wasserleitung. F., der im Jahre 1869 seine eigene
Advokaturskanzlei eroffnete, wurde spater auch in die Bezirksvertretung
entsendet.
Seine politische Laufbahn begann aber eigentlich erst im Jahre 1880, als
er von den Stadten Leitmeritz und Lobositz ein Mandat fur den bohmischen
Landtag erhielt. Der Name F.s ist mit der ersten gcwalttatigen Obstruktion
verkniipft, die es in Osterreich gab, und die im Prager Landtage wiitete. Nach
dem Abschlusse des spater verungliickten deutsch-tschechischen Ausgleiches
vom Jahre 1890 wurde F. in die bohmische Abgrenzungskommission entsendet,
als deren Berichterstatter er am 17. Mai 1893 iiber die Errichtung eines Kreis-
gerichtes in Trautenau zu referieren hatte. Die Jungtschechen bekampften mit
aller Macht die inWien zustande gekommenen nationalen Abmachungen, und ihre
Leidenschaft steigerte sich zu einem Sturme der Kampfeswut, alsF. an jenemMai-
tage im bohmischen Landtage die Rednertribiine betrat. Ein ungeheurer Tumult
entstand; die Sitzung muGte unterbrochen und wieder ergebnislos geschlossen
werden. Die wiisten Szenen klangen auch aufierhalb des Landtagsgebaudes
nach; sie fanden in den StraCen Prags ihre Fortsetzung. Um 11 Uhr nachts
wurde vom Statthalter bekanntgegeben, dafi die Session des Landtages ge-
schlossen sei. Die Jungtschechen hatten also erzwungen, was sie erreichen
wollten.
In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates kam Dr. v. F. im Jahre 1894
als Vertreter seiner Vaterstadt. Er schlofi sich hier der vereinigten deutschen
220 Funke.
Linken an. Als diese zerfiel, trat er dem deutschen Fortschrittsklub bei, in
dessen Vorstand er dann wirkte. Aus der Masse der ubrigen Abgeordneten hob sich
Dr. v. F. erst heraus, als die heftigen nationalen Kampfe, die durch die Sprachen-
verordnungen des Grafen Badeni entfesselt wurden, ganz Osterreich erschiitter-
ten. Ehe der Ministerprasident Graf Badeni seine ungliickseligen Ordonnanzen
eigenmachtig erliefi, um sich die Gunst der Tschechen zu sichern, berief er einige
deutsche Abgeordnete zu sich. F., der sich unter den Eingeladenen befand,
warnte den Ministerprasidenten offenherzig: »Das ist der Aufruhr, den Sie
nach Deutschbohmen tragenl« Am 6. April 1897 gaben die deutschen Abge-
ordneten, die mit dem Grafen Badeni in Fiihlung getreten waren, eine Er-
klarung ab, in der sie die von ihnen vertretene Auffassung darlegten. Fast
gleichzeitig tiberreichte F. im Parlamente einen Dringlichkeitsantrag, der in
dem Satze gipfelte: »Das Haus wolle beschliefien: Die Regierung wird aufge-
fordert, ihre beiden Verordnungen sofort aufier Kraft zu setzen.« Immer hoher
gingen die Wogen der Aufregung; die Regierung wurde des Verfassungsbruches
bezichtigt, und die Deutschen forderten im Abgeordnetenhause, dafl gegen
das Ministerium die Anklage erhoben werde. In der bewegten Debatte, die
hieruber im Mai entbrannte und drei Tage in Anspruch nahm, ergriff F. das
Wort, um die Anklage wider die Minister zu begriinden.
Auch auBerhalb des Parlaments gerieten die Gemuter in einen Zustand
fieberhafter Erregung. Grofie Kundgebungen fanden allerorten statt, und als
am 12. Juli 1897 in der Wallenstein-Stadt Eger ein imposanter Volkstag abge-
halten wurde, bei dem der bertihmte »Schwur von Eger« geleistet ward, hielt
Dr. v. F. eine begeisternde Ansprache. Im Herbst erreichte die Notwehr der
Deutschen ihren Hohepunkt; das Parlament erlebte gegen Ende November jene
denkwurdige ernste Obstruktion, die in den Strafien Wiens und anderer Stadte
Widerhall fand und den Sturz des Grafen Badeni zur Folge hatte. In den
Tagen der leidenschaftlichen parlamentarischen Kampfe wurde mancher sonst
gelassene Politiker zum Streiter, zum zahen Verteidiger des mit Fuflen getrete-
nen Rechts. Dr. v. F. stellte wahrend der Obstruktion redlich seinen Mann;
damals hielt er eine Dauerrede, die sechs Stunden wahrte, und die ihm, als er
nachher in seine Vaterstadt heimkehrte, mit einem festlichen Empfange und
mit der Verleihung der Ehrenbtirgerschaft gelohnt wurde. An den Verhandlun-
gen der deutschen Abgeordneten mit dem Nachfolger des Grafen Badeni, dem
Ministerprasidenten Freiherrn v. Gautsch, nahm F. wiederholt teil. Die Spra-
chenverordnungen der Regierung Gautsch, die eine Abschwachung der Badeni -
schen Ordonnanzen bedeuteten, ohne jedoch den Deutschen zu geniigen, wurden
von dem Leitmeritzer Abgeordneten heftig bekampft. Dem Ministerium Thun
stand er gleich seinen ubrigen nationalbewufiten Volksgenossen in heftigster
Opposition gegenuber. Das Zustandekommen einer Grundlage fiir die prakti-
sche deutsche Gemeinburgerschaft, das seinerzeit vielgenannte »Pfingstpro-
gramm« vom Mai 1899, war nicht zum geringsten Teile dem zielbewuBten Eifer
des Dr. v. F. zugute zu halten. Die Regierung Clary schuf endlich wieder jenen
Rechtszustand, der vor der Erlassung der Badenischen Sprachenverordnungen
geherrscht hatte. Die Deutschen siegten also zuletzt, und sie konnten zu einer
ruhigen politischen Betatigung zuruckkehren. Erwahnt sei noch, dafl F. in
dem Ausschusse, der sich mit der Abschaffung des beruchtigten § 14 beschaftigte,
Obmannstellvertreter war. Er brachte einen Dringlichkeitsantrag ein, um die
Funke. Menger. 221
sofortige Beratung des Ausschufiberichtes im Parlament zu ermoglichen. Dr.
v. F. bezeichnete den Mifibrauch des Notverordnungsrechtes durch die Re-
gierungen >>als das Grab der Freiheit und als den Fluch der Verfassung«. Der
Abgeordnete, der sein Mandat trotz so vieler tiefgreifender Verschiebungen im
Parteileben behauptete, fungierte dreimal als Altersprasident der Volksver-
tretung.
Im Jahre 1909 wurde der Biirgermeister und Parlamentarier in den Adels-
stand erhoben; er wahlte das Pradikat »Edler v. ElbstadU. Der Tod uber-
raschte ihn am 23. Januar 191 1 ganz plotzlich, rifi ihn fast vom Schreibtisch
weg. F. war eben trotz seines Alters immer riistig gewesen.
Siehe die Nekrologe in den verschiedenen Wiener Zeitungen vom 24. Januar 1911 und
die Nummern der »Leitmeritzer Zeitung* vom 25. und 28. Januar 191 1. Aufierdem: Dr.
Gustav Kolmer, )>Parlament und Verfassung in Osterreich*, Bd. 5, 6 u. 7.
Richard Charmatz.
Menger, Dr. Max, Edler v. Wolfensgriin, osterreichischer Politiker, * 10. Sep-
tember 1838 in Neu-Sandec, f 30. August 191 1 in Mondsee. — Drei Bruder
haben den Namen M. in Osterreich bekannt gemacht. Anton wirkte als bedeu-
tender Rechtslehrer an der Wiener Universitat, Karl gereichte dieser Hochschule
als Nationalokonom zur Zierde. Der alteste der Bruder, Max, war ein ange-
sehener Politiker. Er verlebte seine Jugend in Biala, wo sein Vater als Advokat
tatig war. Im Jahre 1848 verlor die kinderreiche Familie ihr Oberhaupt. Die
Mutter, die nur ein sehr bescheidenes Vermogen besafi, liefi es sich trotzdem
nicht nehmen, ihren Knaben eine kostspielige hohere Erziehung zuteil werden
zu lassen. Max besuchte die erste Gymnasialklasse in Rzeszow und setzte seine
Studien in Teschen fort. Er zeichnete sich unter seinen Mitschiilern durch Fleifi
und Begabung aus, und das Maturitatszeugnis lobte besonders seinen deutschen
Aufsatz, der »Scharfe und Grundlichkeit in der Auffassung, lichtvolle Anord-
nung in der pragmatischen Durchfiihrung, logische Korrektheit, edle Wiirde,
Neuheit und Lebhaftigkeit des Ausdrucks« aufwies. An der Wiener Universitat
oblag Max mit groBem Eifer den juridischen Studien. Nach der iiblichen Kon-
zipiententatigkeit liefi er sich in der alten Kaiserstadt im Jahre 1871 als Advokat
nieder. Seiner Kanzlei fehlte es nicht an Erfolgen, und die gunstigen Ein-
kommensverhaltnisse schufen dem Advokaten jene materielle Unabhangigkeit,
die fiir den Politiker von so hohem Wert ist.
Schon friih wandte sich Dr. M. dem offentlichen Leben zu. Er trat in Oster-
reich als Apostel der Schulze-Delitzschschen Ideen auf und suchte dem durch
den Aufstieg der Industrie gefahrdeten Kleingewerbe durch die organisierte
Selbsthilfe verstarkte Behauptungsmoglichkeiten zu verschaffen. Als gegen
Ende der sechziger Jahre das neue Vereins- und Versammlungsgesetz der
politischen Tatigkeit zu einem Aufschwunge verhalf, bemiihte sich Dr. M., die
Arbeiterschaft fiir die Lehren Schultze-Delitzsch' zu gewinnen und sie dem
Liberalismus zuzufiihren. Doch schon waren die Anhanger Lassalles auf den
Plan getreten, und es entspann sich in Wien ein harter Kampf zwischen den
beiden Richtungen, in dem M. mehrmals als Redner hervortrat. Die Freunde
der Selbsthilfe beriefen am 1. Dezember 1867 die erste grofie Arbeiterversamm-
lung ein, die Wien in der nachrevolutionaren Zeit sah. Am Anfang des nachsten
Jahres erlitten sie jedoch eine empfindliche Niederlage. Sie hatten die Arbeiter-
222 Menger.
schaft der Hauptstadt in das »Universum« gerufen, und etwa 3000 Personen
waren dahin gefolgt. Max M. fuhrte das Referat. Aber die Anhanger Lassalles
gewannen die uberwiegende Mehrheit fur sich, und die Abstimmung der Ver-
sammlung fiel zu ihren Gunsten aus. Das Prinzip der Staatshilfe erwies sich
als zugkraftiger. Doch beide Stromungen bestanden in der Arbeiterschaft fort,
und es dauerte noch manches Jahr, ehe die »Selbsthilfler« ganz verdrangt wurden.
Dr. M. nahm auch an den Kampfen des deutschen Burgertums gegen das Mini-
sterium Hohenwart rege teil. Er gehorte zur radikaleren Gruppe innerhalb
des Liberalismus, zu der Fortschrittspartei, zu den »Jungen«, die mit den Alt-
liberalen in Fehde lebten. Seinem organisatorischen Geschicke gelang es,
den Deutschen Verein in Wien zu begriinden und dadurch ftir geraume Zeit
einen Sammelpunkt zu schaffen. Dr. M. lieB es sich auch angelegen sein, der
Fortschrittspartei ein wirkungsvolles journalistisches Sprachrohr zu verschaffen.
Die Wiener »Deutsche Zeitung« verdankte nicht zuletzt seiner Initiative ihr
Entstehen.
Die parlamentarische Laufbahn begann mit der Wahl in den Schlesischen
Landtag. In diese Korperschaft wurde Dr. M. schon im Jahre 1870 von der
Troppauer Handels- und Gewerbekammer als Abgeordneter entsandt, und er
behielt sein Mandat durch mehr als dreieinhalb Jahrzehnte (bis 1907). Vielerlei
Anregungen gingen von Dr. M. aus, und es gelang ihm, manche Reform durch-
zufiihren. In nationaler Hinsicht suchte er die Interessen der Deutschen bei
mehreren Anlassen zu wahren; der Landesfinanzwirtschaft wandte er sein
besonderes Augenmerk zu. Fur die Erschlieflung neuer Bildungsmoglichkeiten
trat Max M. mit vieler Energic ein; ebenso forderte er die sozialpolitischen und
humanitaren Einrichtungen des Landes und die Ausgestaltung des Bahnwesens
in Schlesien.
In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates kam Dr. M. bei den Notwahlen
des Jahres 1871. Der bohmische Landgemeindenbezirk Eger-Karlsbad iiber-
trug ihm ein Mandat, das Dr. M. jedoch bald wieder zurucklegte. Im Jahre 1874
wurde er von dem schlesischen Stadtebezirke Jagerndorf in das Parlament
gewahlt, und der Wahlkreis blieb ihm durch Jahrzehnte erhalten, bis die all-
deutsche Bewegung einen Umschwung herbeifiihrte. Vom Jahre 1897 bis 1907
safi Dr. M. als Vertreter des Wahlbezirkes Mahrisch-Ostrau im Parlament.
Er war einer der fleiCigsten Besucher der Sitzungen und ein liberaus tatiger Ab-
geordneter. Als die Deutschen in den achtziger Jahren in die Opposition
gedrangt wurden, bemuhte sich Dr. M. nicht ohne Erfolg, ihre durch Parteiungen
zersplitterten Krafte wenigstens im Parlament zusammenzufassen. Er setzte
sich ftir den ZusammenschluB der deutschen Abgeordneten, fur die Begriindung
»der vereinigten Linken« ein; spater suchte er zwischen dem Deutschen Klub
und dem Deutsch-osterreichischen Klub durch einen gemeinsamen Vollzugs-
ausschuO eine Brticke zu schlagen. In den neunziger Jahren war er Vorstands-
mitglied der »Vereinigten deutschen Linken«. Dr. M. hatte eine hohe Auffassung
von den Pflichten eines Abgeordneten. Im Jahre 1875 unterbreitete er dem
Parlamente den Entwurf eines Inkompatibilitatsgesetzes. In der Rede, die M.
zur Begriindung dieses Schrittes hielt, fuhrte er aus, dafi die Anregung nicht
»ein Kind der wirtschaftlichen Krise« sei, sondern »einer tief ethischen Idee«
entspringe. Die Grundlage des Konstitutionalismus bilde das Pflichtgefiihl, und
um dieses bei den Abgeordneten von alien schadlichen Einwirkungen freizu-
Menger. 223
halten, sollen Gewissenskonflikte ausgeschlossen werden, die entstehen miissen,
wenn ein Abgeordneter zwischen den Pflichten seines offentlichen Mandats und
den Pflichten eines Verwaltungsrates zu entscheiden hat. Der Vorschlag fiihrte
zu keinem praktischen Ergebnisse. Noch heute fehlt in Osterreich ein Inkom-
patibilitatsgesetz. Dr. M. beteiligte sich im Laufe der Jahrzehnte an vielen
Debatten, seine Reden wiirden Bande fullen. Aber ebenso eifrig widmete er
sich der sachlichen Arbeit in den Ausschtissen, und oft war er berufen, dem
Abgeordnetenhause Referate zu erstatten. Im Jahre 1891 wurde er zum Ob-
manne des Steuerausschusses gewahlt, so dafi sich unter seiner Leitung die ein-
gehende Beratung der Steinbach-Plenerschen Steuerreform vollzog. M. gehorte
ferner der Quotendeputation und der osterreichischen Delegation an.
Fruhzeitig hatte er durch seine volkswirtschaftlichen Kenntnisse Aufsehen
erregt. In Budget-, Wirtschafts- und Steuerfragen war er eine anerkannte
Autoritat; er gait lange Zeit neben Josef Neuwirt als einer der besten Kenner
der Finanzwirtschaft des Staates. Die Ziffernreihen des Budgets belebten sich
ihm. »Aus dem Etat eines Staates« — sagte er in einem Vortrage — »laCt sich
auf dessen Vergangenheit und Gegenwart, auf die Klassen des Volkes, die mafi-
gebenden Einflufl auf die Regierung erlangten, endlich auf die Ziele, die das
Staatsleben verfolgt, und auf die Art, wie diese Ziele erreicht werden, ein SchluB
ziehen.« In die groCen Budgetdebatten, die das osterreichische Parlament der
Vergangenheit erlebte, griff Dr. M. gern ein. Es waren die richtigen Gelegen-
heiten zu politischen Abrechnungen, zu Riick- und Ausblicken. In alien Steuer-
angelegenheiten wurde Dr. M.s Urteil sehr beachtet und erwogen, ohne daO
deshalb seine Vorschlage Beriicksichtigung fanden. Doch gelang es ihm bis-
weilen auch, einzelne seiner Gedanken durchzusetzen. Dr. M. hatte sich bereits
an den Beratungen der sechs Steuervorlagen beteiligt, mit denen De Pretis
hervorgetreten war, und er nahm von da ab auf alle Verhandlungen von Steuer-
gesetzentwiirfen durch Wort und Schrift Einflufl. Die Erhohung der indirekten
Steuern, die Dunajewski in den achtziger Jahren durchfiihrte, wurde von
Max M. bekampft. Bei der Debatte iiber die Branntweinvorlagen erklarte er:
»Wir wollen dem Kaiser von Osterreich Steuern zahlen, nicht aber einigen
hundert herrschaftlichen Branntweinbrennern in Galizien.« Im Jahre 1885
stellten Dr. Herbst und Dr. M. den Antrag, die Verzehrungssteuer in den ge-
schlossenen Orten und auf dem flachen Lande umzugestalten. Die Ungleich-
mafligkeit der Belastung der einzelnen Platze und der verschiedenen Bevolke-
rungsklassen sollte beseitigt werden. Vom Verzehrungssteuerausschusse auf-
gefordert, stellte Dr. M. das statistische Material fiir die Reform zusammen,
das im Jahre 1887 in einer 158 Seiten umfassenden Schrift im Verlage der
Staatsdruckerei in Wien veroffentlicht wurde.
Alle Fragen der Wirtschaftspolitik interessierten Dr. M. sehr. Er wies die
industriefeindlichen Regungen zuruck und nahm sich fortgesetzt des Gewerbe-
standes an. Seiner Initiative entsprang die staatliche Gewerbeforderung in
Osterreich, die seither einen betrachtlichen Umfang angenommen hat. Durch
die Ausgestaltung des gewerblichen Schulwesens suchte er dem Handwerke
geistig und technisch aufzuhelfen. Als in den siebziger Jahren der Kampf
zwischen den Freihandlern und Schutzzollnern intensiv gefuhrt wurde, stand
M. auf Seite derer, die den Zollschutz fur die Industrie forderten. Seine zoll-
politischen Ansichten beleuchtet jedoch, was er einmal im Parlamente
224 Menger.
sagte: »Das Schutzzollsystem erheischt notwendig eine gute Finanzwirtschaft.
Der Schutzzoll kann nie als etwas anderes aufgefafit werden als ein Obergang,
wahrend dessen der Staat seine Krafte sammelt und die geschutzte Industrie
oder Landwirtschaft sich starkt. . . . Wenn aber in einem Lande eine solche
Finanzwirtschaft gefuhrt wird, dafi sich gar kein Kapital ansammeln kann,
dafi jede entstehende Industrie ruiniert wird, . . . dann nutzt der Schutzzoll
gar nichts, dann ist der Zollschutz eine Kriicke, und zwar eine verderbliche
Krucke.« Den Bau neuer Eisenbahnen bemuhte sich Dr. M. allerorten zu
fordern, um der Volkswirtschaft neue Verkehrswege zuganglich zu machen.
Der Errichtung des Donau-Oder-Kanals sprach er wiederholt das Wort.
Durch die Einfiihrung des Kuriensys terns und durch den hohen Steuer-
zensus war der Wert des Mitbestimmungsrechtes fur die Bevolkerung herab-
gedriickt und der Kreis der Vollbiirger sehr eingeengt. Bereits am 20. Juni 1870
trat Dr. M. fur die damals noch aktuelle Loslosung des Parlaments von dem
Willen der Landtage und fur die »Beseitigung des gegenwartigen Gruppen-
systems« ein. Als in der Aera Taaffe der Wahlzensus auf funf Gulden herab-
gesetzt, den sogenannten Fiinfguldenmannern der Weg zur Urne ermoglicht
wurde, fand diese Reform Dr. M.s Zustimmung. Er unterstiitzte auch die
Errichtung der fiinften Kurie mit dem allgemeinen, gleichen Stimmrechte in
der Zeit des Ministeriums Badeni. Wohl wurden, so meinte er, die Deutschen
einen grofien Verlust an Mandaten erleiden, doch es sprachen sozialreforma-
torische, wirtschaftliche und politische Griinde dafiir, dafi sich die Liberalen
fur die Erweiterung des Stimmrechts entscheiden, denn die 72 Abgeordneten
des allgemeinen neuen Wahlrechts miifiten sich fur freiheitliche Einrichtungen
einsetzen und gegen die reaktionaren Bestrebungen auftreten. Im Oktober 1905
hatte das osterreichische Abgeordnetenhaus eine bedeutungsvolle Wahlreform-
debatte. Damals fiihrte Dr. M. aus, dafi er das allgemeine, gleiche Stimmrecht
in Osterreich erst dann gutheiflen konnte, wenn die Vorbedingungen geschaffen
waren, die eine Schadigung der deutschen Interessen ausschlossen. Nicht un-
erwahnt moge bleiben, dafi Dr. M. wiederholt sozialpolitische Mafinahmen
beftirwortete und den Ausbau des Versicherungswesens empfahl.
Als Sohn des deutschen Volkes bemuhte er sich immer und iiberall, fiir die
nationalen Bedtirfnisse seiner Stammesgenossen einzutreten. Die ubertriebe-
nen Anspruche der Tschechen wies er energisch zuriick. Im Jahre 1892 kam
es im Parlamente zu einem heftigen Zusammenstofie Dr. M.s mit Prof. Dr.
Masaryk. Dr. M. rief erregt aus: »Wir kennen keinen bohmischen Staat. Ich
halte es fiir Hochverrat, von einem bestehenden bohmischen Staate zu sprechen.
Hochverrater sind Sie, wenn Sie vom bohmischen Staate sprechen .« Diese
gegen Prof. Masaryk gerichteten Satze hatten einen formlichen Tumult zur
Folge, und der President mufite die Sitzung vorzeitig schliefien. Am nSchsten
Tage erklarte Dr. M., dafi er nur seiner Erregung Ausdruck gegeben habe und
dafi es nicht seine Absicht gewesen sei, jemanden zu kranken. Der Sturmlauf
der Deutschen gegen die Badenischen Sprachenverordnungen rief auch ihn
auf den Plan. Am 5. April 1897 schleuderte Dr. M. wuchtige Vorwurfe gegen
die Regierung. »Das sind die Grtinde« — schlofi er seine Darlegungen — , »wes-
halb wir die Ministeranklage erheben. Wie die gegnerischen Parteien darliber
entscheiden mogen, das lasse ich dahingestellt, eine Ehre wird es fiir keinen sein,
wenn er seine Stimme fiir Rechtsbruch und Rechtsvergewaltigung abgibt.
Menger. 225
Ober uns steht die Gcschichte, und diese wird iiber uns entscheiden.« Die Rede
erschien als Broschiire und wurde in mehreren tausend Exemplaren verbreitet.
Das Ministerium Thun fand in M. gleichfalls eincn heftigen Widersacher; er
nahm an der Obstruktion teil, bis das Unrecht, das an den Deutschen veriibt
war, ausgemerzt wurde. Einen ihm am 2. Dezember 1898 verliehenen Orden
wies er mit der Motivierung zuriick, dafi er ftir die Gnade des Monarchen Dank
wisse, aber eine Auszeichnung nicht annehmen konne, die ubcr Vorschlag eines
Ministeriums erfolgt sei, gegen das er sich in entschiedener Opposition befinde.
Als das Konkordat noch, wenngleich bereits durchlochert, in Kraft war,
verlangte Dr. M. dessen restlose Aufhebung. Nachher wandte er sich mit un-
verminderter Energie gegen alle Eingriffe der Kirche in die Politik und gegen
die reaktionaren Bestrebungen, die in Schwung kamen. Im Februar 1880
forderte der bohmische Episkopat die Wiederherstellung der konfessionellen
Schule. In einer scharfen Interpellation nahm Dr. M. gegen dieses Ansinnen
Stellung. Die konfessionelle Unduldsamkeit wurde von ihm schroff zuriick-
gewiesen, und deshalb bekampfte er auch die antisemitische Stromung.
So vielgestaltig war die parlamentarische Tatigkeit, die Dr. M. entfaltete,
dafi es ein vergebliches Bemuhen ware, auf engem Raume mehr als einige mar-
kante Ziige bieten zu wollen. Aber seine Arbeitsamkeit entwickelte sich nicht
blofl im osterreichischen Abgeordnetenhause und im Schlesischen Landtage,
sondern kam auch dem Wiener Gemeinderate zugute, dem er in der Zeit von
1882 bis 1885 als Vertreter des ersten Wahlkorpers der Leopoldstadt angehorte.
Im Rathause beschaftigte sich Max M. vornehmlich mit Steuer- und Appro-
visionierungsangelegenheiten. Die tjberbiirdung mit Geschaften zwang ihn,
der Tatigkeit im Gemeinderate zu entsagen. Wiirde er sie aufrechterhalten
haben, dann hatte er gunstige Chancen gehabt, Vizeburgermeister oder gar
Burgermeister zu werden, denn er erfreute sich im Kreise seiner Gemeinderats-
kollegen einer aufierordcntlichen Schatzung.
Dr. M. war ein gewiegter Debatter, ein Redner, dem das Wort leicht zuflog.
Er hat jedoch auch als Schriftsteller fur seine Ideen gekampft, sein reiches,
vielseitiges Wissen zur Geltung gebracht. Zahlreiche Zeitungsartikel trugen
seinen Namen, viele inhaltsreiche Essays entstammten seiner Feder. Seine
Beitrage ftir das »Finanzarchiv« seien besonders hervorgehoben. Von seinen
Schriften fuhren wir an:
»Die auf Selbsthilfe gestutzten Genossenschaften im Handwerker- und Arbeiterstande*.
Wien 1866. — »Die Wahlreform in Osterreich.* Wien 1873. — »Die direkten Steuern in
Osterreich und die Versuche, sie zu reformieren*, ein Vortrag. Wien 1881. — »Triester Fragen.«
Separatabdruck aus der Allgemeinen Zeitung. Munchen 1890. — »Die Reform der direkten
Steuern in Osterreich «. Wien 1895. — »Staatskrise und Staatsstreichenthusiasten.« Wien
1901. — Viel benutzt und grundlegend ist das Buch »Der bohmische Ausgleich*, das 1891
bei Cotta in Stuttgart erschien.
Dr. M. war ein Mann von hervorragender und umfassender Bildung; ihm
kam ein gutes Gedachtnis und eine seltene Arbeitskraft zustatten. Aufler-
ordentliche Sprachkenntnisse verschafften ihm eine Cbersicht uber die ver-
schiedensten Literaturen. Dr. M. beherrschte neben seiner Muttersprache noch
die lateinische, franzosische, englische, italienische, polnische und tschechische
Sprache. Er war ein Charakter, unbeirrbar durch Gunst und Mifigunst; nichts
konnte ihn von dem Wege abbringen, den er als richtig erkannte. Er buhlte
Biogr. Jahrbucli u. Deutscher Nck.ro log-. 16. Bd. I 5
226 Menger. Grober.
nicht um Gunst und fand in dem Gefuhle der erfullten Pflicht voile Befriedigung.
Dabei war er ein Kampfer, der auch den Gegner achtete und jedes niedrige
Mittel verabscheute. Die gute Form wollte er in der Politik nicht missen. Durch
seine Parteizugehorigkeit wurde er meistens zur Opposition gedrangt; doch
selbst in der Ablehnung suchte er »positiv-produktiv« zu wirken.
Vom Jahre 1907 ab zog sich Dr. M. vom offentlichen Leben zuruck, nachdem
er schon friiher seine Advokaturspraxis aufgegeben hatte. Wahrend seines
Sommerurlaubs wurde er am 30. August 191 1 in Mondsee vom Schlage geriihrt.
Ein arbeitsreiches, mit Erfolgen und innerer Befriedigung gesegnetes Dasein
war dadurch plotzlich zum Abschlufl gebracht. Dr. M. lebte in gliicklicher,
aber kinderloser Ehe.
Nach Mitteilungen des Herrn Hofrats Prof. Dr. Karl Menger, Mitglied des Bsterreichi-
schen Herrenhauses, der Frau Marie Menger und des Herrn Dr. Sigmund Goldberger. Aufier-
dem: Dr. Gustav Kolmer, »Parlament und Verfassung in Osterreich« f Bd. 2 — 7 ; Julius Deutsch,
•Geschichte der 6sterreichischen Gewerkschaftsbewegung«; die verschiedenenWiener Zeitungen
vom 30. und 31. August 191 1; stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses und die
Schriften Dr. Max Mengers.
Richard Charmatz.
Grober, Gustav, Universitatsprofessor der romanischen Philologie, * 4- Mai
1844 in Leipzig, f 6. November 191 1 in StraBburg. — Er erhielt seine erste Aus-
bildung in Leipzig, wo er das Gymnasium absolvierte, nachdem er einige Zeit
im Buchhandel gewesen war und romanische und klassische Philologie studierte.
Er promovierte bei Ebert im Jahre 1869 auf Grund einer bedeutenden Arbeit
uber »Handschriftliche Gestaltungen der Chanson de geste von Fierabras«.
Nachdem er ein Jahr lang als Hauslehrer bei einem Grafen Waldstein in Bohmen
gewesen war, wurde er 1870 besoldeter Privatdozent, 1871 Extraordinarius fur
romanische Philologie in Zurich. 1874 wurde er Ordinarius in Breslau und
folgte 1880 einem Rufe nach Strafiburg als Nachfolger Bohmers. Trotz eines
glanzenden und sehr verlockenden Rufes nach Leipzig, seiner Vaterstadt, als
Nachfolger seines Lehrers Ebert (1890) blieb er bis an sein Lebensende der
Kaiser-Wilhelms-Universitat treu. Eine schmerzliche, lastige Krankheit zwang
ihn 1909 seinen Abschied zu nehmen. Er siechte noch bis zum 6. November 191 1
dahin, wo ihn der Tod erloste.
G. ist vor allem ein Enzyklopadiker und Organisator ersten Ranges ge-
wesen. Die Zeitschrift fiir romanische Philologie, die er 1877 grundete, der er
die wichtigste bibliographische Hilfsquelle der Romanistik, die bekannten
»Supplementhefte« angliederte sowie die »Beihefte« zugesellte, der GrundriQ fiir
romanische Philologie (1. Band 1888, 2. Auflage 1904 — 1906; 2. Band 1897 bis
1902), ein grofiartiges Werk, in dem er eine Menge Gelehrter des In- und Aus-
landes um sich vereinigte, ein Werk, in dem er zum ersten Mai ebenso klar wie
weitsichtig auseinandersetzte, welches die Aufgaben, die Ziele und Ideale der
Romanistik sein sollten, endlich die Bibliotheca romanica, eine Sammlung
romanischer Texte in mustergultigen, jedem zuganglichen Ausgaben, reden in
dieser Hinsicht eine deutliche Sprache.
Die Arbeiten, die G. im Grundrifi veroffentlichte, sind teils historischer,
teils methodischer, teils literarischer Art. Es sind im 1. Bande die »Geschichte
derromanischenPhilologie«(i — 185), die »AufgabeundGliederung der romanischen
Grtfber. Brosi. 227
Philologie« (186 — 202), die miindlichen Quellen (254 — 266), dieMethodik und Auf-
gaben der sprachwissenschaftlichen Forschung (267 — 317), die Einteilung und
auflere Geschichte der jomanischen Sprachen (535 — 563), im 2. Bande I. die Ober-
sicht iiber die lateinische Literatur (97 — 432) und die Altfranzosische Literatur
(433 — 1247). An sonstigen Arbeiten hat G. vor allem herausgegeben: Alt-
franzosische Romanzen und Pastourellen 1872, Liederhandschriften der Trouba-
dours 1877, die vulgarlateinischen Substrate romanischer Worter in Wolfflins
Archiv fur lateinische Lexikographie (1884 — 1892), Wahrnehmungen und Ge-
danken (Aus der Zeit, Fur die Zeit, Zur Klarung 1875 — 1910, StraBburg, Heitz
und Miindel, eine Sammlung von Aphorismen).
G. ist als Gelehrter und Lehrer auBerordentlich anregend gewesen. Seine
erste textkritische Arbeit hat fur die Folgezeit die Richtschnur angegeben,
seine Theorie der Ausbreitung der romanischen Sprachen von gewissen Sprach-
zentren aus hat die Sprachgeographie befruchtet, seine im GrundriB ausge-
sprochenen Ansichten liber Ortsnamenforschung und Syntax haben eine Menge
von Arbeiten gezeitigt. Wahrcnd seiner Breslauer und StraBburger Wirksam-
keit hat G. 93 Dissertationen angeregt, und zwar iiber die allerverschiedensten
Themata. Eine grofie Anzahl der Romanisten an deutschen Universitaten sind
seine Schuler gewesen.
G.s altfranzosische Literaturgeschichte im GrundriB ist die erste in Deutsch-
land erschienene, die nur wissenschaftlichen Zwecken diente, eine wahre Bene-
diktinerarbeit, das Ergebnis langer, gewissenhafter Arbeit, eine Fundgrube fur
jeden, der sich mit der Literatur Altfrankreichs beschaftigt, ein unentbehrliches
Hilfsmittel fur die Wissenschaft. Und nicht etwa eine ^Compilation, sondern
ein durchaus originelles Werk, das iiber viele schwierige Fragen, so iiber die
Entstehung des altfranzosischen Epos und der Lyrik, seine ganz eigenartigen
Gedanken enthalt. Es gibt uberhaupt wenige Fragen der romanischen Philo-
logie, zu denen G. nicht das eine oder andere Mai Stellung genommen hatte.
Sein regcr Geist interessierte sich fur alles, auch fur die modernste Literatur.
Freilich war sie ihm nicht sympathisch, und oft auBerte er sich scharf iiber die
Hervorkehrung der Elendsgefiihle im franzosischen Naturalismus, iiber den
Materialismus, der den Menschen erniedrige statt ihn zu erheben. G. war
eine ideal gerichtete Natur. Mit eiserner Energie kampfte er alles nieder, was
nach seiner Ansicht die Seele des Menschen knechtete. Sich selber gdnnte er
keine Ruhe. Er war hart gegen sich. Er hatte etwas Asketisches. Dagegen
war er von der groBten Giite seinen Schiilern gegeniiber. Freigebig und selbstlos
stellte er ihnen die Schatze seines ungeheuren Wissens und seine tatkraftige
Hilfe zur Verfiigung. So hat er sich denn auch bei seinen Schiilern der groBten
Anhanglichkeit erfreut. Er wird ihnen unvergefilich sein. Die Romanistik
wird ihn aber stets als einen ihrer GroBten verehren.
Bonn. Heinrich Schneegans.
Bros!, Albert, * 7. April 1836, f 8. Mai 191 1. — B., heimatberechtigt in
der solothurnischen Gemeinde Mumliswil, spater auch in der Stadt Solothurn,
geboren und aufgewachsen in Olten (Kanton Solothurn), besuchte die Primar-
(Volks-)schulen und die Bezirks-(Sekundar-)schule seiner Geburtsstadt. Die
Vorbildung fur das Universitatsstudium holte er sich von 1850 bis 1856 am
Gymnasium der kantonalen »Hohern LehranstalU, der jetzigen Kantonsschule,
15*
228 Brosi -
in der Kantonshauptstadt Solothurn. Nachdem B. die Maturitatsprufung
vorziiglich bestanden hatte, begann er seine juristischen Studien mit einem
Aufenthalt im franzosisch-schweizerischen Sprachgebiet, an der (damaligen)
Akademie (nun Universitat) Genf, um im Fruhjahr 1857 die Universitat Heidel-
berg zu beziehen, wo er zweimal einen Preis der Fakultat sich errang, bei
allem eifrigen Studienbetrieb aber ein lebensfroher ajcademischer Burger war
und sich unter seinen Kommilitonen, besonders seinen Landsleuten, manchen
Freund furs Leben erwarb. Das Jahr 1859/60 verbrachte B. an der Univer-
sitat Berlin. Hier wie in Heidelberg war es ihm vergonnt, auf Grund seiner
ungewohnlichen juristischen Begabung mehreren seiner akademischen Lehrer
naherzutreten. Die Briefe, die der junge Solothurner wahrend seiner vier
Universitatsjahre an seinen vaterlichen Freund, den Kantonsschul-Prafekten
Jose£ Hartmann in Solothurn, schrieb, und die nach B.s Tode durch den
Bundesrichter a. D. Dr. Leo Weber in Auswahl veroffentlicht worden sind
(»Aus Briefen eines solothurnischen Universitatsstudenten«, Olten 1912), geben
Zeugnis sowohl von der ernsten Auffassung, die der okonomisch schwach
dotierte Student von seiner Aufgabe hatte, als auch von dem scharfen Urteil,
mit dem er das offentliche und akademische Leben zu zeichnen und zu
wurdigen verstand; sie beweisen, dafl B. griindlich in die Disziplinen der
Rechtswissenschaft eingedrungen war und ernstlich die Frage, ob er sich
dem Beruf des Universitatslehrers widmen sollte, erwagen durfte. Auf diese
Laufbahn, wie auf die Erwerbung der juristischen Doktorwurde verzichtete er
aus finanziellen Bedenken.
In Solothurn bereitete sich B. 1860/61 auf das Advokatenexamen vor.
Nach der einjahrigen Betatigung als Rechtspraktikant bestand er mit Aus-
zeichnung die Staatspriifung, gestutzt auf welche ihm das Patent als Fiirsprech
(Rechtsanwalt) und Notar erteilt wurde. Mit Neujahr 1862 begann B. die
Ausiibung des Anwaltsberufes in Solothurn. Er blieb ihm treu bis zu Ende
des Jahres 1874 und kehrte zu ihm spater, nach seinem Austritt aus der Re-
gierung, 1882, zuriick. Die juristische Bildung, die Arbeitskraft und Gewissen-
haftigkeit B.s sicherten seinem Advokaturbureau bald einen Ruf auch uber die
Grenzen des Heimatkantons hinaus. Seine Rechtsschriften galten als Muster
streng logischen Aufbaues und biindiger Fassung. Als Anwalt des Staates war
ihm als dem Meister des Zivilprozesses des ofteren die Wahrung offentlicher
und fiskalischer Interessen in wichtigen Rechtsstreitigkeiten anvertraut; dem
gesuchten Verteidiger B. sicherte die Gabe glanzender und klarer Beredsamkeit
auch vor dem Schwurgericht manchen Erfolg.
Der burgerliche Beruf erschopfte aber das Leben schon des jungen Ad-
vokaten nicht. Als ein in sich abgeklarter, uberzeugungstreuer, freisinniger
Mann betrat er das Gebiet der Politik, in dem er dem Kanton und der Eid-
genossenschaft wahrend Jahrzehnten wertvolle Dienste leisten sollte.
In den kantonalen Parteikampfen zu Ende der sechziger Jahre des letzt-
verflossenen Jahrhunderts finden wir Fiirsprech Albert B. als Fiihrer in der
vordersten Reihe. Im Jahre 1856 war im Kanton Solothurn durch die von
Wilhelm Vigier geleitete Verfassungsrevisionsbewegung das alte liberale System
gestiirzt worden. Gegen die neue Regierung aber erhoben sich bald Stromungen
der Unzufriedenheit; man warf ihr eine ungesunde Finanzverwaltung, zu starke
Berlicksichtigung der politischen FarbebeiStellenbesetzungenvor. Diezunehmen-
Brosi.
229
de Erstarkung der Opposition fuhrte in den Jahren 1867 bis 1869 zu einemerbitter-
tenKampfezwischenderregierenden Partei, densogenannten»Roten«, und den An-
hangern der neuen Oppositionspartei, den sogenannten »Grauen«. Den beiden, in
der eidgenossischen Politik gemeinsam die freisinnige Richtung vertretenden
kantonalen Parteien fehlte die geschlossene Zusammensetzung. Die Geistlichkeit
sympathisierte damals mit dem bestehenden Regiment, dessen Fuhrung Land-
ammann Vigier innehatte. In der Oppositionspartei der »Grauen« standen an
der Spitze Albert B. und der ihm in juristischer Scharfe wie in politischer Be-
gabung kongeniale Rechtsanwalt Leo Weber, der spatere Nationalrat, eid-
genossische Justizsekretar und Bundesrichter. In leidenschaftlicher Fehde
bekampften sich beide Parteien. Das Steuergesetz und das Beamtenbesoldungs-
gesetz kamen zu Fall. Indes vermochten die Schlappen, welche das herrschende
System durch den Fall von Gesetzesvorlagen erlitten hatte, nicht, seine Macht
zu brechen, und die bedenkliche Ausschliefllichkeit, die gegenseitige personliche
Befehdung dauerten fort. Die Partialrevisionen der kantonalen Staatsver-
fassung von 1867 und 1869 brachten wohl Erweiterungen der Volksrechte, aber
keine bessere Staatsverwaltung.
Weltgeschichtliche Ereignisse traten ein. Der Dcutsch-Franzosische Krieg
lenkte von dem kantonalen Parteizwist ab; der gemcinsame militarische Grenz-
dienst naherte die leitenden Personen. Die Erklarung der papstlichen Unfehlbar-
keit rief die Freisinnigen auch des Kantons Solothurn ohne Riicksicht auf person-
liche Spannungen zum Aufsehen. Dem nach dem negativen Volksentscheid vom
12. Mai 1872 fortlebenden groOen Gedanken der Revision der schweizerischen
Bundesverfassung huldigten beide Fraktionen der Solothurner Liberalen, die
der Regierung freundlich gesinnte und die oppositionelle. Das alles wirkte mit,
daC in der denkwiirdigen Versammlung zu Langenthal vom 19. Mai 1872 endlich
die feindlichen Briider, die »Roten« und die »Grauen«, sich die Hand zur Ver-
sohnung reichten zu einer einzigen »weiflen« liberalen Partei mit dem Programm,
den Kanton Solothurn in eidgenossischen Fragen dem Bund als freisinnigen Stand
zu erhalten, in kantonaler Beziehung ihn immer mehr der fortschrittlichen
Entwicklung zuzufuhren und endlich der »schwarzen« Partei, den Ultramontanen
oder Konservativen, gegenuber entschieden und vereint Front zu machen. Be-
kraftigt wurde die »Langenthaler Bleiche«, wie die Gegner der freisinnigen
Politik diesen Zusammenschlufl geringschatzig nennen zu diirfen glaubten,
durch eine gewaltige Volksversammlung zu Olten am 20. Oktober des gleichen
Jahres. Auf Seite der »Roten« kam Vigier, auf derjenigen der »Grauen« neben
Leo Weber vornehmlich B. das Verdienst der Einigung zu, auf deren Grundlage
eine erspriefiliche Politik zum Wohle des Kantons sich entwickeln konnte.
Der kantonalen gesetzgebenden Behorde, dem Kantonsrat, gehorte B.
von 1869 bis 1874 und von 1882 bis 1896 an. Ebenso entsandte ihn das Volk
in den Verfassungsrat von 1875 und 1887, aus welchen Raten die neuen Grund-
gesetze des Kantons hervorgingen. Im Plenum des Rates wie in den Aus-
schiissen (Kommissionen) war B.s Votum stets von Bedeutung, vielfach aus-
schlaggebend. Viermal wurde er fur je ein Jahr zum Prasidenten des Kantons-
rates ernannt: 1874, 1887, 1890 und 1896.
Das Jahr 1875 fuhrte den gewandten Advokaten und feurigen Volksredner
in den Regierungsrat, die vollziehende Behorde des Kantons. Hier war er vorab
Chef der Justizverwaltung, des Innern und des Eisenbahnwesens (1875 bis 1876).
230
Brosi.
Sodann leitete er die Justizverwaltung und das Erziehungswesen (1877 bis 1882).
Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen sind wahrend seiner Vorsteherschaft
aus diesen Departementen, deren letzteres den Chef besonders durch die Menge
laufender Geschafte stark in Anspruch nimmt, hervorgegangen. Als Vorsteher
des Erziehungsdepartementes lag ihm die Entwicklung der Kantonsschule
(Gymnasium und Realschule, heute auch Lehrerseminar und Handelsschule
umfassend) am Herzen; nach innen suchte er sie durch die Wahl tuchtiger Lehr-
krafte zu starken, wahrend er die befriedigenden aufieren Voraussetzungen
sicherte durch die Schaffung des neuen Schulgebaudes. Besondere Hingabe
und Warme empfahl der Erziehungsdirektor B. den Volksschullehrern in bezug
auf den konfessionslosen Sittenunterricht, der — als Gegenstuck zu dem eben-
falls im Stundenplan beriicksichtigten spezifisch konfessionellen Religions-
unterricht der Geistlichen — in den solothurnischen Primarschulen als Be-
standteil des Lehrplans in neutralem Sinne durch die Lehrer zu erteilen ist.
Als Landammann (Regierungsprasident) ftihrte Regierungsrat B. dreimal
den Vorsitz in der Regierung: 1875, 1877, 1882.
Im Kampfe gegen das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes war B. 1871
voran gestanden. In den folgenden Jahren hatte er die christkatholische (alt-
katholische) Reformbewegung tatkraftig gefordert. Er leitete die National -
synode; unter seinem Presidium fand 1876 die Wahl des ersten christkatholi-
schen Bischofs der Schweiz statt.
Vor seinem Eintritt in die Regierung stand B. ununterbrochen im Vorder-
treffen des solothurnischen »Kulturkampfes«. Er unterstiitzte die Vorlagen
des Regierungsrates betreffend die obligatorische periodische Wiederwahl der
Geistlichen, die Aufhebung mehrerer Kollegiat-Stifte und des Benediktiner-
Klosters Mariastein, die Amtsentsetzung des renitenten Bischofs der Diozese
Basel, Eugenius Lachat Auf eine die Staatshoheit und die biirgerlichen
Freiheitsrechte wahrende Regelung der kirchlichen Fragen zielte er vor allem
ab, als er in Volksversammlungen und Behorden die Revision der Bundes-
verfassung forderte, als er mithalf, die eidgenossische Revisionsbewegung
durch den Volkstag von Solothurn (15. Juni 1873), jene machtige Kund-
gebung der freisinnigen Schweiz, in Gang zu bringen. Der Tag fiihrte zur
Schaffung und Annahme der heute in Kraft stehenden Bundesverfassung vom
29. Mai 1874. B. blieb seinem Standpunkte auch als Mitglied der kantonalen
Regierung treu, schutzte namentlich als Erziehungsdirektor die Schule gegen
Eingriffe der Kirche und wehrte Ubergriffen einzelner Geistlicher in die staat-
liche Rechtssphare.
Um die Mitte des Jahres 1882 schied B. aus der solothurnischen Kantons-
regierung aus. Familienrucksichten veranlafiten ihn, schon nach siebenjahriger
Amtstatigkeit die karglich besoldete Staatsstelle wieder an die den Lebens-
bediirfnissen besser gerecht werdende Advokatur zu vertauschen, in deren
Ausiibung er zu den fruheren zwolf Jahren noch weitere neunzehn Jahre er-
spriefllichen Wirkens fligte.
Mit Regierungsrat Wilhelm Vigier, dem »Landammann« und vielver-
dienten, wahrend dreiflig Jahren einflufireichsten Volks- und Staatsmanne
des Kantons, blieb B. auch nach dem Austritt aus der Regierung an der
Spitze der freisinnigen Partei. Als im Jahre 1886 nach dem Tode Vigiers Fur-
sprech Oskar Munzinger in den Regierungsrat eintrat, ging auch die oberste
Brosi. 231
Fuhrung der Partei mehr und mehr an den in der Exekutive wirkenden Partei-
freund iiber. Doch blieb B., der wieder dem Kantonsrat angehorte, in der
Parteileitung. Er stellte seine Erfahrung und seine Einsicht zur Verfugung,
besonders als es gait, den Finanzhaushalt des Staates neu zu ordnen, nachdem
dieser an zwei Bankinstituten, deren Verwaltung die leitenden Manner in ver-
trauenswiirdigen Handen glaubten, durch unvorsichtige Kreditierungen ge-
waltige Verluste erlitten hatte. Die Aufregung und die MiBstimmung im Volke
iiber diese Vorkommnisse hatten die Ultramontanen und eine Anzahl fron-
dierender Liberalen zu ciner kraftigen und regen Oppositionspartei zusammen-
gefiihrt. Es mufite der Gefahr begegnet werden, dafl die Opposition auf
Grund der weit verbrciteten Unzufriedenheit Oberwasser erhalte, obgleich
die freisinnige Partei als solche gegeniiber den beklagenswerten Vorfallen integer
dastand. Die Verfassungsrevisionsbewegung von 1886/87 endete nach heftigen
Kampfen in den abschliefienden Volksabstimmungen und -Wahlen mit einem ent-
schiedenen Siege der Freisinnigen. Doch schien es angezeigt zu sein, der
konservativen Partei im Hinblick auf ihre verhaltnismafiige Starke sofort einen
Sitz im funfkopfigen Regierungsrat einzuraumen, ganz abgesehen davon, daB
die neue Verfassung vom 23. Oktober 1887 den Grundsatz der Vertretung
der Minderheiten in den Behorden allgemein ausgesprochen hatte. Das Volk
stimmte dieser weisen Konzession zu. Die Notwendigkeit, dem Staate neue
Mittel zur Verfugung zu stellen, leitete nach einigen Jahren zu einer Verstandi-
gung der Parteien liber, die in der Partialrevision der Verfassung von 1895
ihren Ausdruck fand; sie enthielt das Recht des Volkes zur Initiative auf Par-
tialrevision der Verfassung, den Grundsatz des Proportionalverfahrens fur die
Wahl des Kantonsrates und derGemeinderate, sowie die Einfiihrung einer direk-
ten Staatssteuer. Nach dem Abschlufi dieser Bewegung, im Jahre 1896, als
der Kantonsrat zum erstenmal nach dem von B. grundsatzlich nicht gutge-
heiCenen, doch angesichts der Lage angenommenen »Proporz« zu wahlen war,
erklarte B. unter Hinweis auf seine gesundheitlichen Verhaltnisse, daB er sich
nicht mehr portieren lasse. Zuerst fiinf, dann vierzehn Jahre lang hatte er
verschiedene Wahlkreise im kantonalen Parlament vertreten.
Seine eidgenossischeLaufbahn begann B. 1872 mit der Wahl in den National -
rat, die nach der Bevolkerungszahl und zufolge eidgenossischer Vorschrift durch
direkte Volkswahl gebildete Kammer des Bundesparlamentes. Der Eintritt
in die solothurnische Regierung zwang ihn Ende 1874 zur Niederlegung des
Nationalratsmandates. Schon in diesem Jahre war der neue solothurnische Ab-
geordnete in der Bundesversammlung derart akkreditiert, daB seine Wahl in
das durch die Bundesverfassung von 1874 zur standigen Institution erhobene
Bundesgericht in Aussicht genommen war und erfolgt ware, hatte nicht B. zu-
gunsten des Solothurners Blasi verzichtet. Von 1875 an gehorte Regierungs-
rat B. wahrend seiner ganzen kantonalen Amtszeit, bis 1882, dem schweizerischen
Standerat an, d. h. der Kammer, in der jeder Stand (Kanton) eine gleiche,
in einzelnen Kantonen durch die Legislative, in den andern durch die
Stimmberechtigten direkt ernannte zweikopfige Vertretung besitzt. 1882
kehrte B. in den Nationalrat zuruck. Das Jahr 1892 brachte ihm die Ehre,
den Nationalrat als President zu leiten.
B. genoB in der Bundesversammlung bei seinen Parteifreunden sowohl als
bei den andern Fraktionen groBes Ansehen. In zahlreichen Kommissionen wie
im Rate selbst betatigte er sich als aufierst fruchtbares Mitglied. Vor allem in
232
Brosi.
juristischen Fragen, insbesondere in staatsrechtlichen Materien waren seine
klaren, wohldurchdachten Voten von entscheidendem EinfluC. Als Kommis-
sionsberichterstatter in ernster Angelegenheit internationaler Politik fand er
das gemessene, der Wiirde des Landes entsprechende Wort. Der im Gebiete
des Privatrechts durch Studium und Anwaltspraxis bestfundierte langjahrige
Parlamentarier nahm regen Anteil auch an der Beratung des schweizerischen
Zivilgesetzbuches; durch das eidgenossische Justizdepartement war B. bereits
in die zur Vorbereitung der Kodifikation bestellte Expertenkommission be-
rufen worden.
SechsunddreiGig Jahre hatte B. dem schweizerischen Parlament angehort.
Er gait als eines seiner hervorragendsten Mitglieder. Zunehmende korperliche
Gebrechlichkeit bestimmten 1908 den ergrauten, doch geistig jugendfrisch ge-
bliebenen Politiker, eine erneute Wiederwahl anlaBlich der Integralerneuerung
abzulehnen, zum Bedauern seiner Parteifreunde nicht blofi, sondern auch der
Bundesversammlung.
B. verbrachte seine letzten Jahre nicht ohne Arbeit. Mit seinem Sohne,
dem Teilhaber und Nachfolger im Advokaturbureau, wirkte er in diesem weiter,
sich nach Bediirfnis entlastend. Gern liefi er sich von Behorden, die sein sicheres
Urteil schatzten, mit Gutachten betrauen. Mehr und mehr aber kamen fur den
Alt-Nationalrat B. Tage beschaulicher Ruhe; er verlebte sie mit seiner Gattin
in einem trauten Heim vor den Toren Solothurns.
B.s Hinschied kam nicht unerwartet. Eine Nervenlahmung war voraus-
gegangen, Stunden der Schmerzen waren gefolgt.
Ein scharfer Denker, ein klarer Jurist, ein erfolgreicher Rechtsanwalt, ein
glanzender Volksredner, ein arbeitsfreudiger Verwaltungsmann, ein bedeutender
Parlamentarier ist mit Albert B. geschieden. Sein Leben in alien Phasen ist
das des Politikers, wie es durch den Gang und die Entwicklung der schweize-
rischen Demokratien bedingt und gefordert wird: des Politikers als Privat-
mann, wie im Staatsdienst. Und ein politischer Kampfer und Arbeiter fur die
von ihm als gut und gerecht erkannte Sache. Ein Politiker, den viele nach dem
aufieren Eindruck, besonders zu Zeiten wilder politischer Fehden, als schroff
und einseitig bezeichnen mochten, dessen Wesen aber im Fanatismus des Wahren
und Guten seine Begrundung und Rechtfertigung fand. Die Uberzeugungs-
treue verlieh ihm das Recht zu »goldener Rucksichtslosigkeit«.
»Der Dank der freisinnigen Schweiz gebuhrte ihm; denn ein Fahnentrager,
ein Vorkampfer des Freisinns ist er gewesen von Jugend an. Mit dem Dichter
Georg Herwegh mochte der Politiker Albert B. von sich sagen:
'Ich hab' gewahlt, ich habe mich entschieden,
Und meinen Lorbeer flechte die ParteiP*
In diesen Worten des Biographen B.s, seines Jugendfreundes und politi-
schen Kampfgenossen, Alt-Bundesrichter Dr. Leo Weber in Bern (»Albert Brosi,
sein Leben und Wirken«. Solothurn 191 1. 1. und 2. Aufl.), liegt die zutreffende
Charakteristik des Mannes, dessen Bedeutung fur den Kanton Solothurn und die
schweizerische Eidgenossenschaft sein Leben uberdauert.
Unter den freisinnigen Staatsmannern der zweiten Halfte des 19. Jahr-
hunderts wird B.s Name als der eines weitblickenden, uberzeugungsstarken
und energischen Fuhrers bleibend der politischen Geschichte seines Heimat-
kantons und des Bundes angehoren.
Solothurn. Hans Kaufmann, Regierungsrat.
Schneider.
233
Schneider, Richard, Dr. jur., groflherzoglich badischer Wirklicher Geheim-
rat, Oberlandesgerichtsprasident a. D., * 2. Mai 1823 als Sohn eines Arztes in
Ettenheim, f im hohen Alter von uber 88 Jahren am 3. November 191 1 in Karls-
ruhe. — Nachdem Sch. einige Jahre die Volksschule seiner Vaterstadt besucht
hatte, war er 1833 bis 1838 Schuler des Gymnasiums in Offenburg, 1838 bis 1840
des Lyzeums in Rastatt, widmete sich dem Studium der Rechtswissenschaft
1840 bis 1842 auf der Universitat Freiburg, 1842 bis 1844 auf jener in Heidel-
berg. Im Jahre 1845 bestand er das juristische Staatsexamen mit bestem
Erfolg. Schon die vorzuglichen Zeugnisse, die er sich in der Gymnasialzeit und
in der juristischen Priifung erwarb, bekundeten seinen Fleifi und seine hohe Be-
gabung. Auch in dem nun folgenden praktischen juristischen Vorbereitungs-
dienst wurde von seinen Vorgesetzten ubereinstimmend sein unermudlicher
Eifer, sein reiches Wissen, sein klares und sicheres Urteil, seine strenge Gewissen-
haftigkeit ruhmend hervorgehoben. Alle diese Eigenschaften lieflen ihn von
vornherein in hervorragender Weise zum Berufe eines Richters befahigt er-
scheinen. In diesem Berufe, dem er sich mit vollster Hingebung widmete, und
in dem er seine hochste Befriedigung fand, ist er denn auch in rascher Folge
von Stufe zu Stufe bis zur Stelle des hochsten richterlichen Beamten seines
badischen Heimatlandes, bis zum Vorsitzenden des obersten Gerichtshofes ge-
stiegen. Im Jahre 1849 erfolgte seine erste landesherrliche Anstellung als As-
sessor bei dem Oberamt Lahr, von wo er 1852 zum Stadtamt Freiburg versetzt
wurde. 1854 wurde er zum Hofgerichtsassessor in Konstanz, zwei Jahre spater
zum Hofgerichtsrat daselbst ernannt. Schon 1864 bei Einfiihrung der neuen
badischen Gerichtsorganisation finden wir ihn in leitender Stellung als Direktor
des Kreisgerichts Waldshut. Es folgte 1869 seine Ernennung zum Direktor
bei dem Kreis- und Hofgericht Konstanz, 1877 seine Berufung als Vizekanzler
in den obersten badischen Gerichtshof, das damalige Oberhofgericht, 1879 bei
Einfiihrung der Reichsjustizgesetze seine Ernennung zum Senatsprasidenten
in dem Oberlandesgericht zu Karlsruhe. 1892 wurde er zum Prasidenten dieses
Gerichtshofs ernannt. Bis in sein 76. Lebensjahr hat er dieses hohe und wichtige
Amt in unverminderter geistiger Frische und Arbeitskraft bekleidet. Im Jahre
1899, anlafllich der Einfiihrung des deutschen Burgerlichen Gesetzbuches ist er
nach einer uberaus reich gesegneten Dienstzeit von uber 54 Jahren in den Ruhe-
stand getreten.
In seltener Weise waren in seiner Personlichkeit die Voraussetzungen zur
fiihrenden Stelle im Richteramte vereinigt. Wie er an sich die strengsten An-
forderungen stellte und bis zum auflersten gewissenhaft in deren Erfullung war,
so hielt er auch auf genaue und piinktliche Pflichtleistung bei denen, die seiner
Leitung unterstellt waren, und denen er durch seinen vorbildlichen Eifer und
seine rastlose Arbeit voranleuchtete. Aber er war auch von so ausgepragtem
Gerechtigkeitsgefuhl, dafl er niemals eine zuweitgreifende Forderung gestellt
hatte, vielmehr hatten wohl alle die wohltuende Empfindung eines vaterlichen
Wohlwollens, das er jedem entgegenbrachte.
Ganz besonders lieb war ihm das uber 20 Jahre von ihm bekleidete Amt
des Vorsitzenden der Prufungskommission fur das zweite juristische Examen.
Welch hoher Wertschatzung er auch in Ausiibung dieses verantwortungsvollen
Amtes durch seine wohlwollende Milde und doch gerechte Art sich erfreuen
durfte, fand seinen Ausdruck in einer Gluckwunschadresse, welche ihm anlafllich
234 Schneider. Hlilskamp.
seines 70. Geburtstags von nahezu 500 seiner ehemaligen Examinanden ge-
widmet wurde.
Nach der Ernennung zum Prasidenten des obersten Gerichtshofes wurde
Sch. durch das Vertrauen seines Landesherrn auch als Mitglied in die erste
Kammer der Landstande berufen. Auch hier durf te er sich der hochsten Achtung
und des Vertrauens aller Mitglieder ohne Unterschied der Parteistellung erfreuen.
Dafl seinem verdienstvollen Wirken auch die aufleren Auszeichnungen
und Ehren nicht fehlten, bedarf keiner weiteren Ausftihrung. Er wurde im
Jahre 1892 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt. Bei seinem Eintritt in den
Ruhestand wurde ihm in besonderer Anerkennung der hohen Verdienste, welche
er sich an der Spitze des hochsten Landesgerichts um die Rechtspflege und um
die Justizverwaltung erworben, die goldene Kette zum Grofikreuz des Ordens
vom Zahringer Lowen verliehen. Wegen seines vielseitigen juristischen Wissens
erteilte ihm die juristische Fakultat der Universitat Heidelberg die Wurde eines
Ehrendoktors.
Bei alien Huldigungen und Ehrungen blieb er aber der einfache, schlichte,
anspruchslose Mann, dem alles aufiere Wesen fern lag. Mit seiner stillen Be-
scheidenheit ist er nur wenig in die Offentlichkeit getreten, er war ein in sich
harmonisch geklarter, zufriedener Charakter, der seinen Frieden auf jeden aus-
strahlte, dem es vergonnt war, ihm nahezutreten. Sein strenges Pflichtgefiihl
in seinem Berufe ging im hauslichen Kreise iiber in treue, innige Gatten- und
Vaterliebe. Seine Hauslichkeit war das Muster eines herzlichen Familienlebens,
und er selbst das Beispiel eines treu besorgten Hausvaters.
In dem Nachruf, welchen Sch. im Jahre 1892 am Sarge seines Vorgangers
im Amte, des Prasidenten des Oberlandesgerichts, sprach, hatte er ausgefuhrt:
»Tiefes und umfassendes Wissen auf alien Gebieten des Rechtes, strengste
Gewissenhaftigkeit und Objektivitat und ein bis zur hochsten Feinheit ent-
wickelter Rechtssinn verliehen seiner Amtsfuhrung ein Geprage, wodurch er
fur uns das leuchtende Vorbild eines Richters geworden ist.
Aber dieses Bild des Heimgegangenen ware doch nur ein unvollkommenes,
wollte ich nicht noch einer andern Eigenschaft gedenken; ich meine jene schlichte
Einfachheit und wahrhaftige Bescheidenheit, welche ihm so ganz eigen war.
Sie ist ein untriiglicher Prufstein des inneren Wertes eines Menschen, sie erst
kennzeichnet den vollendeten Mann, der, um Ansehen zu gewinnen, nicht iiber
andere sich zu erheben braucht, dessen geistige und moralische Oberlegenheit
vielmehr je gerauschloser desto machtiger auf die Umgebung wirkt.
Und wenn es gestattet sein mag, um das Lebensbild in seinen allgemeinsten
Ziigen zu vollenden, auch das Privatleben des Verewigten mit einem Blick zu
streifen, so diirfen nicht unerwahnt bleiben jene echt menschlichen, uns alien
wohlbekannten Tugenden, welche nicht nur seine stille Hauslichkeit verkl£rten,
deren Strahlen auch in weite Kreise der Gesellschaft gedrungen sind und ihm
hier uberall ungezahlte Verehrer und Freunde erworben haben.«
In diesen herrlichen, dem Vorganger gewidmeten Worten hat Sch. wahrlich
selbst in zutreffendster Weise das Bild seiner eigenen harmonischen Personlich-
keit gegeben. B u j a r d.
Hiilskamp, Franz, * 14. Marz 1833 in Essen (Oldenburg), f 10. April 191 1
zu Munster i. W., katholischer Schriftsteller. — Der Sohn eines armen Webers
Httlskamp. 235
besuchte, vom Ortsgeistlichen vorbereitet, von 1849 bis 1852 das katholische
Gymnasium zu Osnabriick. Nach Beendigung der Studien in Munster, Miinchen
und Bonn wurde er Hilfsgeistlicher in Munster, wo er zeitlebens verblieb. Zuerst
beteiligte er sich an der Umarbeitung der franzosischen Kirchengeschichte
von Rohrbacher, einem weitlaufigen Werk (1. bis 3. Band). Wohl war der
theologische Lehrstuhl des jungen Priesters Ziel, aber das Leben machte aus
ihm einen Schriftleiter, literarischen und politischen Organisator.
Seither fehlte es an einem (ibersichtlichen, wohlfeilen katholischen Literatur-
blatt, frei von schwerfalliger Gelehrsamkeit, fur weitere Kreise. Mit der Griin-
dung des »Literarischen Handweisers« (1862) durch H. und seinen fruh ver-
storbenen Freund Hermann Rump, einen tiichtigen Gelehrten (Allg. Deutsche
Biographie 29, 661 — 62), wurde eine sichtliche Liicke ausgefullt. Dieses Blatt,
erst 10-, dann 12-, dann 18- und schliefilich 24 mal jahrlich erscheinend,
erwarb sich bald groCes Ansehen, nicht nur in katholischen Kreisen. So nennt
es der Protestant Kliipfel (>>Wegweiser durch die Literatur der Deutschen«,
4. Aufl., 1870) »einen ausgezeichnet praktisch angelegten Literaturbericht,
welcher den katholischen Standpunkt mit Mafi und Vernunft anwendet«. Fritz
Reuter schreibt an Gisbert von Vincke am 10. Februar 1868 (Nachgelassene
Schriften II, 243): »Vor einigen Tagen habe ich eine rechte Freude gehabt:
denke Dir! von allerkatholischster Seite aus Munster hat der dort erscheinende
»Literarische Hand\veiser« eineauBerordentlichgunstige Rezensionmeiner Schrif-
ten gebracht, Diese Anerkennung von katholischer Seite ist mir um so wert-
voller, als die Evangelischen oder — wie bei uns die Leute sagen — die Evange-
listen anfangen, Hengstenberg an der Spitze, mich als Heiden zu denunzieren.«
H. besprach namentlich Schriften allgemeinen, biographischen, biblio-
graphischen und literargeschichtlichen Inhalts und verfaflte Nekrologe, teilweise
von grofiem Wert. Fur die Zeit von 1862 bis 1872 ist der »Literarische Hand-
weiser« eine wichtige Geschichtsquelle. Am 1. Januar 1870 wurde H. vom
Bischof zum Leiter des »Heerde-Kollegiums« (Alumnat fur Gymnasiasten)
ernannt, einer bescheidenen, aber viel Mufie gewahrenden Pfriinde. Dazu war
er lange Vorstandsmitglied verschiedener gemeinniitziger und wissenschaftlicher
Vereine in Munster. Ferner gchorte H. zu den Grundern der Zentrumspartei,
deren Wahlaufrufe grofltenteils von ihm herriihren. Einen Sitz in der Volks-
vertretung hat er nie erstrebt. Auf den Katholikentagen und besonders der seit
1876 bestehenden Gorres-Gesellschaft war H. ein unermudlicher Bcrater. Er
besafi ein feines Gefiihl fur das, was der katholischen Literatur fehlt, seinen An-
regungen ist manches schone Werk zu verdanken. Zudem war er findig in
Entdeckung junger Talente, liefi es an Aufmunterung nicht fehlen und wufite
auch stets Quellen zur materiellen Unterstiitzung zu erschlieCen. Von seltener
Geschicklichkeit der Technik des literarischen Betriebs hatte er ein geiibtes
Auge fur die Mangel in der Schreibart und im Aufbau. Auch in der nicht-
katholischen Literatur fand er fruhzeitig edle Talente heraus, so hatte er schon
1870 die Bedeutung von W. Raabe erkannt. Aber H. kam nie dazu, ein grofieres
Werk abzufassen, die Kronung seiner vielen Kritiken, Anregungen und eigenen
groCen Belesenheit. GroBe Verbreitung fand sein Pius-Buch (3. Aufl., 1873).
Einige meist namenlose Flugschriften behandeln kirchliche Zeitfragen und
werden ktinftigen Geschichtsschreibern unentbehrlich sein. H. gehorte auch
zu den Grundern des »Augustinus-Vereins« fiir die katholische Presse und der
236 Hulskamp. Vahlen.
vielgelesenen Familicnzeitschrift »Hausschatz« (Regensburg, Pustet). Daneben
begann er die Herausgabe der »Meisterwerke unserer Dichter fur Schule und
Haus«, welche spater von anderen fortgesetzt wurden. Wer zahlt die katholi-
schen Theologen, sonstigen Gelehrten, Schriftsteller, PreBleute auf, welche dem
kleinen, ruhrigen Manne naher traten ? Nicht sei vergessen, dafi H. auch den
weitverzweigten katholischen Studentenverband »Unitas« (1858) stiften half.
Es ist eine journalistische Redeblume, man habe diesen Mann von einer Hoch-
schulprofessur fiir Kirchengeschichte geflissentlich ferngehalten. Dazu fehlte
ihm nicht alles, aber vieles. Bei H. zeigt sich wenig eine aufsteigende Ent-
wicklung, er war schon zu fruh gereift. Wohl hatte er Verstandnis fur gelehrte
Arbeit, aber der sammelnde, sichtende, scharf prufende, in der Durcharbeitung
des Kleinsten das GroGe findende Geist war ihm versagt. Kein Schade! Auch
so hat H. redlich mit seinem Pfunde gewuchert und war gerade an der rechten
Stelle, oft in schwerer Zeit. Es liegt in der Natur der Sache, dafi ein Mann
in seiner kaum angezweifelten literarischen Stellung sich schliefilich zum Dik-
tator der katholischen Literatur aufwarf, dabei war er sich in seiner Treuherzig-
keit gar keines Diinkels bewufit. Viele folgten seinem Spruch, einige gingen
andere, mitunter ganz andere Wege. Hieriiber sowie uber vieles zur Zeit-
geschichte sollten seine Denkwiirdigkeiten berichten, die aber der unruhige
Mann mit ins Grab nahm.
Dies ist zu bedauern, denn wie viele und wie vieles hat der Mann in schlichter
Stellung nicht im Vorder-, sondern im Hintergrund, im Entstehen und Wachsen
der kirchlichen und politischen Zeitlaufte gesehen! Im Jahre 1886 bekam H.
den Rang eines papstlichen Geheimkammerers, spater den eines Hauspralaten,
aber ein hoheres kirchliches Amt hat er nie bekleidet. Ebenso ging er weltlicher
Auszeichnungen, wie Orden, leer aus.
Quellen: r Literarischer Handweiser" 191 1, 481 — 90. (Der Vermerk „Forts. folgt u ist
offenbar ein Druckfehler.)
„Hochland" VIII, 2 (191 1) 64—65.
„Katholik« 1911, 2. 385—87.
Kuckhoff, O. „ Geschichte der Unitas, Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen
Studentenkorporationen Deutschlands". DUsseldorf 1908.
Bachem, K. ^Joseph Bachero . . . Beitrag zur Geschichte der katholischen Presse u .
3. (noch zu erscheinender Band).
Berlin. Ernst Sartorius.
Vahlen, Johannes, Universitatsprofessor der klassischen Philologie, * 27. Sep-
tember 1830 in Bonn, f 30. November 191 1 in Berlin. — Seine Eltern waren
Dominikus Ignatius V. (* 1795, f 1871), Handwerksmeister in Bonn, und Anna
Maria V., geb. Fafibender (* 1799, f 1874). Er hatte drei Geschwister, auBer
einer Schwester und einem als Student der Philologie in Bonn verstorbenen
Bruder den spateren Inhaber eines angesehenen, namentlich juristischen Verlags
in Berlin, Franz V., der auch einige seiner Schriften verlegte. Die Familie be-
kannte sich zum katholischen Glauben. Seit seinem zwolften Lebensjahre
besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt und verlieC es im Herbst 1848
mit dem Zeugnis der Reife, um Philologie zu studieren. Unter seinen Lehrern
war es namentlich der Professor und spatere Direktor des Gymnasiums, L. Scho-
pen, zugleich auch Professor der Philologie an der Universitat, der seine groCe
Vahlen.
237
Befahigung fur philologische Studien erkannte und forderte. In Bonn, einer
Hauptstatte philologischer Forschung und Lehre, blieb V. auch wahrend seiner
ganzen vierjahrigen Studienzeit. Seine akademischen Lehrer waren besonders
Ritschl, Welcker und Schopen — diesen dreien widmete er spater seinen En-
nius — , daneben Ritter, Brandis, der jugendliche J. Bernays, Loebell, Knoodt
und Delius. An den Obungen des philologischen Seminars unter Ritschl und
Welcker nahm er drei Jahre lang als ordentliches Mitglied teil, die letzten drei
Semester als Senior. Er stand in freundschaftlichem Verkehr mit dem ihm
schon von der Schule her befreundeten J. Brandis, dem Assyriologen und spate-
ren Sekretar der Kaiserin Augusta, und andern Mitgliedern einer unter Ritschls
Auspizien begriindeten philologischen Vereinigung, in deren Namen er im Juli
1854 Ritschl zu seinem 25 jahrigen Doktorjubilaum durch eine Festschrift, eine
Bearbeitung der Fragmente von Navius' Bellum Punicum, begrufite. Die
Losung einer von Ritschl gestellten Preisaufgabe uber die Annalen des Ennius,
die auch gegeniiber den anerkannt tuchtigen Arbeiten zwcier Mitbewerber den
Vorrang behauptete, lieB ihn am 11. August 1852 seine Universitatsstudien
durch die Promotion mit hochster Auszeichnung abschliefien. Schon im Herbst
desselben Jahres trat er nach bestandenem Examen pro facilitate docendi sein
Probejahr am Bonner Gymnasium an und blieb auch weiter kommissarisch
beschaftigt dort. Sein alter Lehrer Schopen vertraute ihm gleich Homer- und
Horaz-Lekture in den obersten KJassenan, auflerdemerteilteerlateinischen Unter-
richt in Sexta, Quinta und Tertia, deutschen in Tertia und Untersekunda. Nach
dem Erscheinen seiner groflen Ennius- Ausgabc habilitierte er sich im Jahre 1854,
eine ihm angebotene Gymnasiallehrerstelle in Dusseldorf ausschlagend, auf
Ritschls Rat trotz anfanglicher eigener Bedenken an der Bonner Univcrsitat.
Ermoglicht wurde es ihm, der schon als Student einen Teil seiner Zeit dem
Erwerbe hatte widmen mussen, durch die Ubernahme einer Hauslehrerstelle
bei dem Bankier Deichmann in Bonn, dessen drei Sohne er unterrichtete, und
mit dessen Familie er auch weiterhin freundschaftlich verbunden blieb. Nur
wenige Semester dauerte seine Tatigkeit als Bonner Privatdozent. Bereits zum
Winter 1856 erhielt er einen Ruf als aufierordentlicher Professor nach Breslau,
wo er mit J. Bernays wieder zusammentraf und zu Th. Mommsen, damals
Ordinarius der juristischen Fakultat, in personliche Beziehungen trat. Nach
weiteren drei Semestern ubernahm er im Friihjahr 1858 ein Ordinariat in Frei-
burg i. Br., aber noch in demselben Jahre folgte er einem Rufe als Ordinarius,
Direktor des philologischen Seminars und Mitglied der wissenschaftlichen
Prufungskommission nach Wien. Hier wurde er im Jahre i860 korrespon-
dierendes, 1862 wirkliches Mitglied, Ende 1869 Sekretar der philosophisch-
historischen Klasse der Kais. Akademie der Wissenschaften. Ferncr wurde er
1862 zum Dekan seiner Fakultat, 1873 zum Rektor der Universitat erwahlt,
1870 zum Regierungsrat, 1873 zum Hofrat ernannt. In Wien blieb er 16 Jahre,
lange (bis 1867) im Verein mit dem ihm auch personlich nahestehenden H. Bonitz,
in einer allgemein anerkannten Wirksamkeit, deren Segen nach sachkundigem
Urteil noch nach Jahrzehnten zu spiiren gewesen ist, wahrend der letzten Jahre
auch als Mitglied des niederosterreichischen Landesschulrats. Einen Ruf nach
Kiel hatte er im Jahre 1872 ausgeschlagen, und auch als 1874, wahrend seines
Rektorats, der ehrenvolle Ruf auf den Lehrstuhl Moriz Haupts an ihn erging,
lehnte er zunachst ab. Erst einem erneuten Rufe entschloO er sich zu folgen.
238
Vahlen.
Er siedelte als ordentlicher Professor, Direktor des philologischen Seminars und
Mitglied der wissenschaftlichen Prufungskommission, der er mit Unterbrechun-
gen bis 1909 angehorte, nach Berlin uber und begann dort mit dem Winter-
semester 1874/75 seine Lehrtatigkeit, die er 37 Jahre lang bis an sein Lebensende
ausubte. In dieser Zeit wurde er 1877 zum Dekan, 1886 zum Rektor der Uni-
versitat gewahlt, nachdem er 1882 zum Geheimen Regierungsrat ernannt worden
war. Noch vor Ablauf des Jahres 1874 erfolgte auch seine Ernennung zum
ordentlichen Mitgliede der Konigl. PreuBischen Akademie der Wissenschaften,
bei der er 1893 als Nachfolger von E. Curtius zum bestandigen Sekretar der
philosophisch-historischen Klasse erwahlt wurde, ein Amt, das er erst wenige
Monate vor seinem Tode an G. Roethe abgab. Der Weggang von Wien war
ihm schwer geworden, und auch spater dachte er manchmal mit einer gewissen
Sehnsucht dorthin zuruck. Manche alten Freunde fand er in Berlin wieder,
vor allem Bonitz und Mommsen. Von Hause aus auch grofierem geselligen
Verkehr keineswegs abgeneigt, wurde er spater durch mancherlei hausliches
Leid und zunehmende Kranklichkeit veranlaBt, sich mehr und mehr davon
zuruckzuziehen. Besonders gern gehorte er bis in sein hohes Alter der »Graeca*
an, einer Gesellschaft, deren Mitglieder schon Spalding, Ideler, Schleiermacher,
Buttmann, Bekker und Lachmann gewesen waren (s. Hertz, K. Lachmann,
1851, S. 210 ff.), und in der er im Laufe der Jahre mit Bonitz, Kirchhoff,
Wilmanns, J. Schmidt, Sachau, Kekule v. Stradonitz, Harnack, Bardt, Schroe-
der, Stengel, Ziehen, Reinhardt u. a. zu gemeinsamer Lekture und geselligem
Verkehr sich zusammenfand. Zu einem leuchtenden Abendrot seines Lebens
gestaltete sich sein 80. Geburtstag, ein Tag reich an Ehren. Wahrend er sich
der Feier seines 70. Geburtstages (1900) und seines goldenen Doktorjubilaums
(1902), bei dem ihm die Berliner juristische Fakultat ihre Doktorwiirde honoris
causa verlieh, durch Reisen entzogen hatte, liefl er sich bestimmen, diesmal
personliche Gluckwunsche und die Oberreichung einer Ehrengabe, seiner von
Professor Adolf Brutt in Marmor meisterhaft ausgefiihrten, die feinen, durch -
geistigten Ziige lebensvoll wiedergebenden Biiste, zu deren Widmung sich
gegen 800 Spender, Freunde, Schiiler und Verehrer aus dem In- und Auslande,
vereint hatten, entgegenzunehmen. Zur Gratulation erschienen im Kreise der
Familie der Kultusminister Exzellenz v. Trott zu Solz, von der Universitat zahl-
reiche Kollegen unter der Fuhrungdes Rektors Erich Schmidt und der Dekane der
philosophischen und juristischen Fakultat, Roethe und Kohler, als Vertreter
der Akademie deren Sekretare Waldeyer und Diels, ferner Professor M. Nie-
meyer aus Potsdam, der als einer der altesten Berliner Schiiler zur Uberreichung
der Biiste ausersehen war, Vertreter des philologischen Seminars und des Akad.-
philologischen Vereins, Professor Ad. Brutt und eine Anzahl weiterer Freunde
und Schiiler. Der osterreichische Unterrichtsminister Graf Stiirgkh gratulierte
telegraphisch und teilte die Verleihung des osterreichischen Ehrenzeichens fur
Kunst und Wissenschaft mit. Diese hohe Auszeichnung kam zu den preufiischen
hinzu, die V. besafi, dem Orden Pour le Merite, dem Kronenorden II. Klasse mit
dem Stern und dem Roten Adlerorden II. Klasse mit Eichenlaub, zu dem der
Stern ihm bei diesem feierlichen Anlafl ebenfalls verliehen wurde. Bald darauf
beteiligte er sich auch mit regem Interesse an dem eindrucksvollen 100 jahrigen
Jubilaum der Berliner Universitat. Aber im nachsten Fruhjahr erlitt er einen
Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr ganz erholen konnte. Mit eiserner
Vahlen. 239
Energie kampfte er gegen die Krankheit an. Er begann auch noch im Winter-
semester seine Vorlesungen und Seminarubungen, mufite sie dann aber absagen
und verstarb nach kurzem Krankenlager. Verheiratet war er dreimal, die
beiden ersten Frauen waren Schwestern, Tochter des ehemaligen Breslauer
Professors Ambrosch, die dritte war Frau v. Ziehlberg, geb. v. Nolting, die er um
etwa drei Jahre uberlebte. Er hinterlieB drei Sohne und eine verheiratete
Tochter, samtlich von seiner zweiten Frau. Eine Tochter von seiner ersten Frau
hatte er im Kindesalter verloren, ein erwachsener Sohn und eine erwachsene
Tochter von seiner zweiten Frau waren ihm durch erschiitternde Ungliicksfalle
entrissen worden. Eine Stieftochter, Frl. Ch. v. Ziehlberg, seit langem in
seinem Hause, war die sorgsame Pflegerin und Begleiterin seiner letzten Jahre.
Seine wissenschaftlichen Anschauungen, Bestrebungen und Ziele hat V.
am eingehendsten in seiner Berliner Rektoratsrede »tJber den philologischen
Sinn« (1886) entwickelt. Ihre Grundgedanken sind, moglichst in seinen eigenen
Worten, etwa folgende. Philologischen Sinn, eine besondere Richtung geistiger
Tatigkeit, kann keine Wissenschaft entbehren, die an den Quellen literarischer
Denkmaler zu schopfen hat, auch Medizin und Naturwissenschaft nicht, und
um so weniger, je ausgebildeter der geschichtliche Sinn ihrer Vertreter ist.
In besonders lebendiger Wechselwirkung stehen Geschichte und Philologie: sie
haben auf weite Strecken dieselben Arbeitsfelder zu durchlaufen, philologische
Bewaltigung literarischer Quellen bildet den Untergrund fur historische Unter-
suchungen. Die Sprache ist der Schlussel fur alles Weitere und ist erstes und
nachstes Objekt der Betrachtung. Sprachkenntnis ist zum Sprachgefuhl zu
steigern. Zu untersuchen ist die geschichtliche Geltung der Worter und die tat-
sachliche Verwendung der Formen, wahrend ein Zurtickgehen auf ihre letzten
Griinde Sache der Sprachwissenschaft ist. Historische Erkenntnis der Sprache
und auch Kenntnis und Untersuchung der Sachen ist der Erforschung der
Literaturdenkmaler zuzuwenden, deren Verstandnis erst voll ist, wenn sie in
ihrer sprachlich-stilistischen, bei Dichtungen auch in ihrer metrischen Eigenart,
in ihrem Werdeprozefi und alsGlieder ihrer Gattung erkannt sind. Zualledemge-
hort aber, dafi man sich des Objekts versichert hat, dafi man die Oberlieferung
gepriift, bei mehrfacher Oberlieferung in einer Art Zirkelbewegung, nach dem
Verstandnis die Quellen w r ahlend und aus den Quellen das Verstandnis be-
richtigend, einer urkundlichen Textgestaltung sich genahert hat, dafi man die
mannigfachen Schaden, wie sie Zufall und Willkiir im Laufe der Zeit mit sich
bringen, erkannt und nach Moglichkeit das Urspriingliche wiederhergestellt hat,
ja, dafi man bis zur Werkstatt des Schriftstellers selbst vorgedrungen ist, umdie
Entstehung seiner Schrift oder Schriftenreihe zu erforschen. Vom Einzelnen
zum Ganzen strebend, ruht am Ende der durchmessenen Bahn der philologische
Sinn in der Anschauung der gesamten Literaturentwicklung eines Volkes aus.
Das ergabe, wenn es auch nicht ausdriicklich ausgesprochen wird, die Auf-
fassung der Philologie als Literaturwissenschaft. Daneben aber gebraucht V.
hier auch gelegentlich den Ausdruck »die Wissenschaft vom klassischen Alter-
tum«; wie er gewifi in seinen Wiener Vorlesungen liber Enzyklopadie der Philo-
logie der Wolfschen, spater von Boeckh und Ritschl im einzelnen abgewandelten
Grundanschauung von der klassischen Philologie als Altertumswissenschaft in
seiner Weise gefolgt sein wird, so hat er diese Anschauung offenbar nie etwa
ganz aufgegeben. In dem Streit um Wort- und Sachphilologie hegt er die t)ber-
24O Vahlen.
zeugung, dafi die Wissenschaft unermefiliche Aufgaben stelle, der Mensch in
seinem beschrankten Dasein seinem Forschen engere Grenzen ziehen mtisse,
und dafi die Scheidung der Ziele auf gemeinsamem Boden dem Ganzen der
Wissenschaft nicht abtraglich sei. Er hatte, seiner Neigung und Begabung
gemafi, sich vorwiegend der »hermeneutischen Kunst«, wie er in seiner Berliner
akademischen Antrittsrede sagt, wobei er die Kritik als ihr dienstbar mit ein-
begreift, zugewendet. Die grofie Gelehrsamkeit, wie sie ein Meister dieser Kunst
besitzen mull, eignete er sich in unablassiger Arbeit, vor allem in ebenso aus-
gebreiteter wie eindringender, immer erneuter Lekture der alten Schrifts teller
an. Auch urn treffende Parallelen aus der neueren Literatur war er nicht ver-
legen. Reiche Erkenntnis auf den Gebieten der Sprache, des Stils, der ganzen
schriftstellerischen Kunst wird ihm verdankt, auch mancher nicht leicht zu
gewinnende Baustein historischer Wissenschaft. Zusammenfassende historische
Darstellung hat er sich als Schrifts teller nur ausnahmsweise zur Aufgabe ge-
macht. Meisterhaft ubte er philologische Methode, als deren Geheimnis er
schalkhaft in der Rektoratsrede die auf die besondere Aufgabe gerichtete An-
wendung des gesunden Menschenverstandes bezeichnet, die aber auch, wie es
treffend in der Adresse der Berliner Akademie zu V.s 50jahrigem Doktor-
jubilaum (Sitzungsber. 1902, S. 998 ff.) heifit, nichts ist als die unermiidliche
und unerbittliche Betatigung des Wahrheitssinnes. Diesen Sinn hat V. auch
in prinzipiellen Fragen gegeniiber seinen Fiihrern und Meistern betatigt, so in
der hoheren Kritik der Ovidischen Heroiden Lachmann, in der Tibull-Kritik
Ritschl gegeniiber. Seine Schriften zeichnen sich aus durch sorgfaltig gefeilte
Form und durch kunstvolle Anlage, die ihre Lekture zum Genufi machen. In
der Polemik war er mafivoll und mied das Personliche; war er gereizt worden,
so konnte er freilich auch scharf und schneidend werden. So bescheiden er oft
von seinen Arbeiten spricht, fur die Grofie und Hoheit der Wissenschaft, der zu
dienen sie bestimmt waren, hatte er das lebhafteste Gefiihl und zog aus ihm
seine Kraft. Mit grofier Beredsamkeit hat er in seiner Wiener Rektoratsrede
(>> Wiener Zeitung« 1873, Nr. 234, auch in Separatabdruck) die Einheit und
den notwendigen Zusammenhang aller Wissenschaft betont. Naturlich war
auch ihm der Irrtum des Strebenden nicht erspart, und er hat sich nicht selten
aus besserer Einsicht berichtigt, aber er brachte wohl je langer je mehr Un-
anfechtbares, wie denn auch Fr. Bticheler in einer Besprechung der Op use id a
academica (Berl. philol. Wschr. 1907, Sp. 577 ff.) erklart hat, das meiste in
diesen Abhandlungen sei fur ihn uberzeugend.
In V.s Personlichkeit war der akademische Lehrer und der philologische
Forscher und Schriftsteller in voller Harmonie vereinigt. Wir beginnen, da
doch geschieden werden mufi, mit einer Schilderung seiner Lehrtatigkeit. Wenn
Ernst Curtius in der Erwiderung auf seine Berliner Antrittsrede in der Akademie
V. als »den geborenen Philologen« bezeichnet hat, so durfen wir mit gleichem
Rechte ihn als »den geborenen akademischen Lehrer* bezeichnen. Sehr zustatten
kam ihm bei seinem Lehramt seine ungemeine Gewandtheit im mundlichen
Ausdruck, fur die sein Wiener juristischer Kollege Unger das Wort gepragt hat,
das im eigentlicheren Sinne auch auf seine zierliche Schrift paflte, er habe seine
Satze stets wie gestochen herausgestellt. Und zwar gait das »utraque lingua*.
Denn der glanzende lateinische Stil, der seinen Schriften eigen ist, stand ihm
auch fur die miindliche Rede zu Gebote. In seinen Vorlesungen erzwang er
Vahlen.
241
sich, zunachst mit leiser Stimme zusammenfassend und vorbereitend und erst
allmahlich die Stimme verstarkend, die Aufmerksamkeit auch einer zahlreichen
Zuhorerschaft fiir seinen streng sachlichen, dabei aber auch warmen und innerlich
belebten Vortrag. In seiner Fruhzeit las er auch systematische Fachkollegien,
so in Bonn romische Literaturgeschichte, in Freiburg Einleitung in die griechisch-
romische Mythologie, in Wien Geschichte und Enzyklopadie der Philologie,
Kritik und Hermeneutik, Geschichte der griechischen Rhetorik, lateinische
Grammatik, Grundziige der lateinischen Laut- und Formenlehre und Einleitung
in die romische Epigraphik, antike Metrik, Metrik der romischen Dichter, uber
Ciceros Leben und Schriftstellerei. Uberwiegend aber hielt er von jeher Inter -
pretationskollegien, denen er eine in der Ankiindigung nicht immer ausge-
driickte allgemeinere Einleitung sachlicher, literarhistorischer oder metrischer
Art beizugeben pflegte. Dafi es an einer iiberlieferungsgeschichtlichen Ein-
flihrung nie fehlte, versteht sich von selbst. So erklarte er in der vorberliner
Zeit Homers Ilias und Odyssee (beides mit einer kritischen Geschichte der
Homerischen Gedichte), Homerische Hymnen (mit besonderer Rucksicht auf
Mythologie und Kunst), Hesiod (nebst Geschichte der Hesiodischcn Dichtungen),
Aristophanes' Frosche (nebst Geschichte der griechischen Komodie), Sophokles'
Elektra, Euripides' Cyklops (nebst Geschichte des griechischen Satyrdramas),
griechische Bukoliker, Theokrit (nebst Geschichte der alexandrinischen Dichtung),
Platos Phadrus, Aristoteles' Nikomach. Ethik, Rhetorik und Poetik (dazu: Lehren
der Alten von der Kunst), Demosthenes' Rede vom Kranze (nebst Geschichte der
attischen Beredsamkeit), Lykurgus' Rede gegen Leokrates, Plautus' Menachmen
(nebst Geschichte der antiken oder der romischen Komodie oder Plautinischer
Prosodie und Metrik), Catull, Horaz' Oden, Satiren und Episteln. In Berlin
las er von der erstgenannten Art nur uber die grammatische Literatur der
Romer, sonst interpretierte er in der vorbezeichneten Weise, und zwar Aristo-
phanes' Ritter (nebst Geschichte der griechischen Komodie), Sophokles' Elektra
(auch Sophokles' und Euripides' Elektra), Euripides' Heraklcs, Callimachus'
Hymnen und Epigramme, Theokrit (auch Theokrits und Callimachus' Ausge-
vvahlte Gedichte), Platos Phadrus (nebst Geschichte der alteren Rhetorik und
Beredsamkeit der Griechen), Aristoteles' Poetik (mit besonderer Rucksicht auf
die Entwicklung der griechischen Dichtgattungen), Plautus' Menachmen
(nebst Geschichte des romischen Dramas ), Terenz'Eunuchus (nebst Metrik des
romischen Dramas), Catull (auch Catulls Elegien nebst Callimachus' Hymnen),
Horaz' Satiren, Episteln, Romische Elegiker: Tibull, Properz, Ovid, Ciceros De
legibus (mit besonderer Rucksicht auf romisches Sakral- und Staatsrecht).
Ubungcn hielt V. seit Breslau ab. In Wien leitete er das philologische Seminar
gemeinsam mit Bonitz und Em. Hoffmann, seit 1867 mit letzterem allein, seit
1872 leitete sein Wiener Schuler Hartel daneben ein Proseminar. V. liefi im
Seminar meist romische Schriftsteller erklaren, Terenz, Cicero (meist Briefe),
Horaz, Livius, Quintilian, Tacitus, aber auch Ilias, Euripides, Plato, Lykurgus,
Aschines. Dazu kam die Leitung von Disputationen und die Besprechung
von Arbeiten. Auch aufierhalb des Seminars hielt er gelegentlich lateinische
Stilubungen und metrische Obungen. Die Geschichte des Berliner philologischen
Seminars hat V. selbst beschrieben bei Lenz, Gesch. d. Konigl. Fr.-Wilh.-Uni-
versitat zu Berlin, III. (1910), S. 208 ff. In die Leitung teilte er sich mit Ad.
Kirchhoff so, dafi diesem stets die griechischen, ihm selbst die lateinischen
Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolop. 16. Bd. 16
242
Vahlen.
Interpretationsubungen zufielen, wahrend fiir die Leitung der Disputationen
und die Besprechung der Arbeiten ein Wechsel vereinbart wurde. Als Kirchhoff
infolge von Krankheit 1902 von der Leitung der Disputationen, seit Juni 1905
von der Seminarleitung uberhaupt sich entbinden lassen mufite, wurde die Lage
fur V. f der zunachst das Seminar allein fortfuhrte, auf die Dauer unhaltbar.
Es war eine gluckliche Losung der Schwierigkeiten, daC im Wintersemester
1906/07 die Leiter der seit 1897 als Proseminar, aber unabhangig vom Seminar,
am Institut fiir Altertumskunde bestehenden philologischen Abteilung (s. daruber
U. v. Wilamowitz-Moellendorff bei Lenz a. a. O. Ill, S. 216 ff.), v. Wilamowitz-
Moellendorff, Diels und Norden, sich bereit fanden, in die Leitung des philo-
logischen Seminars einzutreten. Dabei wurde vereinbart, dafi V. die lateinischen
Interpretationen verbleiben, die genannten Herren aber die sonstigen Obungen
abwechselnd leiten sollten. Zugleich wurden die Mitglieder der obersten Stufe
am Institut als ordentliche Mitglieder in das Seminar ubernommen. Im Seminar
hat V. Plautus, Terenz (nebst Vita), Lucrez, Vergil, Horaz, Ovid, Juvenal,
Persius, Cicero, Livius, Tacitus interpretieren lassen. Auch in Berlin hielt er
langere Zeit — vom Sommer 1876 bis zum Winter 1892/93 mit gelegentlichen
Unterbrechungen — aufier dem Seminar privatissime Obungen ab, fiir die er
gern andere Stoffe wahlte, so den Culex, Lygdamus, Statius Silvae, von Cicero
die Schrift De re publico,, Seneca Episttdae morales, Suetonius De grammaticis,
auch Griechisches, wie Pseudolonginus De sublimitate, Dionysius von HalikarnaB
De imitatione. Hier, in Seminar und Obungen, wo regelmaflig in lateinischer
Sprache verhandelt wurde, zeigte sich V.s auOerordentliche Lehrgabe in beson-
ders hellem Lichte. Er wufite die Teilnehmer zu strengem Denken zu erziehen,
den Trieb zu selbstandiger Forschung in ihnen zu wecken und zu pflegen. Zu
freundlicher Anerkennung gern bereit, konnte er doch auch heftig werden, ja, die
Sitzung kurzerhand abbrechen, wenn er gewissenhafte Vorbereitung vermifite.
Es deutete auf Sturm, wenn er in solchem Falle Deutsch zu sprechen begann.
Seine Schuler blickten in Verehrung und Dankbarkeit zu ihm auf, und als mit
dem zunehmenden Alter die Zeit der Jubilaen kam, nahmen sie gern die Ge-
legenheit wahr, ihm ihre herzliche Anteilnahme zu bezeugen. Zum 70. Ge-
burtstage wurde ihm eine Festschrift gewidmet, die im Jahre 1900 im Verlage
von G. Reimer in Berlin erschien. Sie enthalt 35 Abhandlungen. Die mannig-
fachen Stoffe erstrecken sich von Homer bis zu den lateinischen Dramen Frank -
reichs aus dem 16. Jahrhundert und der Aulularia des Plautus in einer siid-
slawischen Umarbeitung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die letztgenannte
Abhandlung hatte den ehrwiirdigen V. Jagi6, einen der altesten Wiener Schuler
V.s, zum Verfasser. Und ein anderer, W. v. Hartel, damals osterreichischer
Unterrichtsminister, schrieb das schone Vorwort mit einer lebendigen Charak-
teristik des Gefeierten. Als nach zwei Jahren V.s SOjahriges Doktorjubilaum
herankam, war ein Album mit den Bildern ehemaliger Schuler — mehr als zwei-
hundert aus den verschiedensten Generationen hatten sich daran beteiligt — die
ganz personliche Festgabe. Die Gegengabe fiir jeden einzelnen war eine Photo -
graphie mit der faksimilierten Unterschrift: blmaginem pro imagine reddit bene-
ficii mentor L VahlettA Als einige Jahre danach die vielfach gewiinschte Samm-
lung der ProSmien Schwierigkeiten begegnete, wurde sie durch Subskription
im Kreise der Schuler, besonders unter den friiheren Mitgliedern des Berliner
Akademisch -philologischen Vereins, gesichert. Auch fiir die bereits erwahnte
Vahlen.
243
Stiftung der Bliste zur Feier des 80. Geburtstages des damaligen Seniors der
Philologen war die Anregung, die bei Freunden und Verehrern so erfreulichen
Anklang fand, von dem Schulerkreise ausgegangen. Er selbst hegte fur seine
Schiiler warmes Interesse, behielt sie in treuem Gedachtnis und verfolgte ihre
Entwicklung und ihr spateres Schicksal mit lebendiger Teilnahme.
V.s Tatigkeit als Forscher und Schriftsteller stand mit seiner Lehrtatigkeit
in innigen Wechselbeziehungen, andererseits wurde sie auch durch seine Stellung
als Akademiker stark beeinfluBt. Als solcher betatigte er sich gern auch im
Dienste groBerer wissenschaftlicher Unternehmungen der beiden Akademien,
denen er angehorte. So war er es, der im Jahre 1863, durch Ritschl bestimmt,
der einer Anregung von Bernays folgte (s. Ribbeck, F. W. Ritschl, II, 188 1,
S. 289), in der Wiener Akademie beantragte, ein Corpus scriptorum ecclesiasti-
corum latinorum nach streng philologischer Methode zu schaffen, der den Plan
aufstellte, den Fortgang des Unternehmens uberwachte und dariiber regelmaBig
berichtete, und in Berlin gehorte er einer ganzen Reihe von Kommissionen fur
Unternehmungen auf klassisch-philologischem Gebiete, sowie der Kant-Kom-
mission an (s. Harnack, Gesch. d. Kgl. Preufl. Akad. d. Wiss. zu Berlin I, 1900,
S. 1029 ff.).
Die Anregung zu seinem ersten literarischen Werke erhielt V., wie bereits
bemerkt, wahrend seiner Studienzeit durch eine Preisaufgabe seines Lehrers
Ritschl, der, um die altlateinische Literatur und um die Begriindung einer
historischen Grammatik des Lateinischen besonders bemiiht, verlangt hatte,
*praemissa de Q. Ennii vita arte et scriptis disputatione eius annalium fragmenta
disponerentur emendarentur illustrarentur*. In einem ausfiihrlich begriindeten
Gutachten Ritschls (s. jetzt Ennius* S. CXXXIV f.) wurde V.s Bearbeitung
als einem uonsiderati indicii studiorumque maturitatis insigne documentwn* der
Preis zugesprochen. Zunachst erschien im Jahre 1852 nur ein kleiner Teil der
Prolegomena als Dissertation mit dem Titel Quaestiones Ennianae criticae t nach
weiteren anderthalb Jahren dann umgearbeitet und zu einer Gesamtausgabe
erweitert das Ganze als Ennianae poesis reliquiae 1854 bei Teubner in Leipzig.
Mit diesem ersten wissenschaftlichen Werke hatte V., wie es in der erwahnten
Jubilaumsadresse der Berliner Akademie heifit, zugleich sein Meisterstiick
gemacht. Der Ennius blieb auch in der Folge sein Hauptlebenswerk. Nachdem
er in der Zwischenzeit immer wieder in Zeitschriften, Universitatsproomien,
Akademieschriften (s. Ennius 3 S. CXXXVI) Ennius-Probleme behandelt hatte,
war es ihm 1903, nahezu ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Erscheinen,
vergonnt, seinen Ennius unter tatkraftiger Mitarbeit von 0. Plasberg (s. ebd.
S. CXXXVII) zu erneuern. Die allgemein mit bewundernder Anerkennung
aufgenommene Neuausgabe war nicht nur in alien Teilen aufs sorgfaltigste
durchgearbeitet, sie brachte auch zu den alten Prolegomena de libris Ennianis }
in denen Stoff und Komposition der Werke des Ennius behandelt wurden,eine
sehr umfangreiche Historia Ennii, die eine Lebensgeschichte des Dichters, eine
Geschichte des Fortlebens seiner Werke nebst Charakteristik der Schriftsteller,
die uns Fragmente aus ihnen bewahrt haben, und einen Oberblick uber die bis-
herigen Ausgaben und uber die wissenschaftlichen Hilfsmittel seiner neuen
Ausgabe enthalt, sie brachte ferner einen sorgfaltigen Index testium zu dem Index
sermonis und im kritischen Apparat zahlreiche sachliche und sprachliche Er-
lauterungen mit knapper Begriindung. Der ersten Ausgabe des Ennius folgten
i6«
244 Vahlen.
Bearbeitungen von Resten des Navius (1854) und des Ulpianus (1856). Spater
veroffentlichte V. noch aus seinenVorlesungen erwachsene und fur ihre Bedurf-
nisse bestimmte, zum Teil wiederholt aufgelegte kritische Ausgaben von Aristote-
les' Poetik (1867, M874, 31885), v ° n Ciceros De legibus (1871, '1883) und von
Plautus' Menaechmi (1882). Wahrend er im Plautus absichtlich nicht viel mehr
als einen knappen, aber sorgsam ausgewahlten Apparat gibt, sind die beiden
andern Ausgaben durch die teils — im Aristoteles seit der zweiten Auflage —
hinter dem Text beigegebenen, teils — im Cicero — in den Apparat einge-
fugten, meist durch Beispiele belegten Erlauterungen Fundgruben feiner Be-
obachtung. Alle seine Ausgaben sind ausgezeichnet durch die peinlich genaue
Zurtistung der kritischen Grundlage, besonders auch durch die gewissenhafte
Benutzung der alteren Drucke, die es ihm ermoglicht, jedem das Seine zu geben.
Aber V. liefi seine Herausgebertatigkeit auch den Werken anderer, die er
in seine Obhut nahm, zugute kommen. Wie er sich in Berlin von vornherein als
Fortsetzer derLachmann-Hauptschen Uberlieferung fiihlte, so nahm er sich gern
ihrer literarischen Hinterlassenschaft an. Er gab den Torso des Lachmannschen
Lucilius heraus (1876) und veranlafite zur Erganzung F. Harders ausfiihrlichen
Index Lucilianus (1878), spater auch Harders Index copiosus zu Lachmanns
Lucrez-Kommentar (1882). Im gleichen Jahre (1876) erschien ferner V.s Samm-
lung von Lachmanns kleineren Schriften zur klassischen Philologie ( = Kleinere
Schriften II. Bd.). Schliefilich gab er noch (1892) Lachmanns Briefe an Haupt
mit Erlauterungen heraus. Wiederholt erneuerte er Haupts niedliche Taschen-
ausgaben des Horaz (zuletzt 51908) und des Catull, Tibull, Properz (zuletzt
7 1 91 2 aus V.s Nachlafi von R. Helm zum Drucke gebracht). Ein Freundes-
dienst war die Sorge fur H. A. Kochs hinterlassene Ausgabe von Senecas Dialogen
(1879), muhsam und insofern wenig dankbar, als nach wenigen Jahren die auf
besseren Kollationen beruhende Ausgabe von Gertz erschien. Die f einen Bei-
trage V.s in der Vorrede behalten naturlich ihren Wert. Erfreulicher war die
Erneuerung von O. Jahns Ausgabe des Pseudolonginus De sublimitate, die mit
reichem Gewinne fur die Sicherung des Textes vorzunehmen ihm seit 1887 drei-
mal, zuletzt 1910, vergonnt war. Er hatte schon an der ersten Jahnschen Aus-
gabe (1867) Anteil gehabt, da sie auf einer von ihm selbst im Jahre 1861 vor-
genommenen genauen Vergleichung der Pariser Handschrift beruhte.
Sehr grofi ist die Zahl von V.s wissenschaftlichen Abhandlungen grofleren
und kleineren Umfangs, die fast durchweg in Zeitschriften sowie in Universitats-
und Akademieschriften erschienen sind. Die sehr erwlinschte Sammlung des
zerstreuten und, soweit Sonderabdriicke im Buchhandel zu haben gewesen waren,
meistens langst vergriffenen Materials hat er zum grofien Teil noch selbst aus-
fiihren konnen. In der vorwiener Zeit veroffentlichte er gesondert In M. Terentii
Varronis saturarum Menippearum reliquias coniectanea (1858), wozu ihn die
lebensvolle Wiederherstellung einzelner Varronischer Satiren in Mommsens
damals eben erschienener Romischer Geschichte, wohl auch der personliche
Verkehr mit diesem in Breslau, angeregt hatte; ferner in der ersten Wiener Zeit
(Ende 1859) seine Analecta Noniana, vorwiegend zu Varro und Lucilius, als
Gratulationsschrift zu Welckers 50 jahrigem Professorjubilaum. Im iibrigen
kommt fur die Wiener Zeit, wahrend deren er von 1867 bis 1873 auch Mit-
herausgeber der »Zeitschrift fur die osterreichischen Gymnasien« war, haupt -
sachlich in Betracht die von ihm selbst veranstaltete, 191 1 erschienene Samm-
Vahlen.
245
lung mit dem kennzeichnenden Titel: »Gesammelte philologische Schriften von
J. V., Mitglied der Akademien der Wissenschaften zu Wien und Berlin, I. Teil,
Schriften der Wiener Zeit, 1858 bis i874«. Hier finden sich die philologischen
Aufsatze, vor allem aus den Sitzungsberichten, allerdings mit Ausnahme der
besonders wichtigen »Beitrage zu Aristoteles' Poetik« I — IV (1865 bis 1867) und
»Laurentii Vallae opuscula tria« (1869), weil diese wegen ihres groBeren Umfanges
bei einer Erneuerung auch fur sich bestehen konnten, dann aber auch aus Zeit-
schriften und aus der Festschrift »Symbola philotogorum Bonnensium in honorem
Fr. Ritschelii* (1864/67), in sachlicher Anordnung, was mit sich brachte, dafl
einige altere, seit 1854 erschienene, und einige erst der Berliner Zeit angehorige
Zeitschriftenartikel verwandten Inhalts mit aufgenommen wurden. Das meiste
und bedeutendste gehort zu Aristoteles, zu dessen eingehendem Studium V.
schon auf der Universitat durch J. Bernays die Anregung empfangen und auf
den sich mehrere seiner Promotionsthesen bezogen hatten. Fiir die Interpre-
tation Aristotelischer Schriften, insbesondere der Poetik und Rhetorik, wurden
unverruckbare Grundlagen gelegt, Sprache und Stil mit liebevoller Versen-
kung in den Stoff erforscht. Hervorzuheben ist, wie aus der Rhetorik die fiir
die Literaturgeschichte damals verschollene Personlichkeit des Rhetors Alki-
damas in helles Licht geriickt ward. Anderes bezieht sich auf Plato, Ennius,
Plautus, Horaz, Varro, Cicero, Livius, Valerius Maximus, Seneca rhetor, Minu-
cius Felix, Fronto. Auch mehrere gehaltvolle Rezensionen und der Plan fur
das Wiener Corpus scriptorum ecclesiasticorum sind zugehorigen Ortes eingefugt.
Aufierhalb dieses Bandes stehen die wichtigen Arbeiten uber den feinsinnigen
und weitblickenden Humanisten Lorenzo Valla. Sein Leben und seine Schriften
hat V. in einem glanzenden, auf eindringenden Quellenstudien beruhenden
Akademievortrage aus dem Mai 1864 (Almanach d. Kais. Akad. d. Wiss. XIV,
S. 181 ff., l Berlin 1870) geschildert, und hat dann drei seiner Schriften (s. oben)
mit Einleitung und umfangreichen literar- und zeitgeschichtlichen Exkursen erst-
malig bekannt gemacht. Auch sind einige Gedachtnisreden auf verstorbene
Akademiemitglieder, darunter besonders eine auf 0. Jahn (1870), zu nennen.
Als V. nach Berlin ging, ubernahm er die Verpflichtung, gleich seinem Vor-
ganger M. Haupt das lateinische Vorlesungsverzeichnis regelmafiig mit einer
wissenschaftlichen Abhandlung einzuleiten, und er ist dieser Verpflichtung vom
Sommer 1875 bis zum Sommer 1906 nachgekommen, bis dann die Ausgabe
lateinischer Indices lectionum ganz eingestellt wurde. Diese 63 Proomien hat
erals » Opuscula academical inzweistattlichen Banden vereinigt (1907/08). Eigen-
artig war nach dem Herkommen die auOere Form solcher Abhandlungen: Rektor
und Senat sind es, die durch den Mund des in Berlin nicht einmal mit Namen
genannten Programmatarius sich an die Kommilitonen wenden. Fur diese soil
das dargebotene Beispiel wissenschaftlicher Forschung Wegweisung und Antrieb
zu eigener Betatigung werden, sie werden nicht selten direkt angeredet und
ermahnt. Aber kein Stuck ist darunter, aus dem nicht auch die reifsten Fach-
genossen hatten lernen konnen und gelernt haben. Sie behandeln Aristophanes,
Sophokles (nebst den Argumenta), Euripides, Plato, Aristoteles (nebst Scholien
und dem Anonymus de comoedia), Callimachus, Theokrit, Pseudolonginus De
sublimitate, Lukian, Plautus, Ennius, Pacuvius, Terenz, Accius, Lucrez, Catull,
Vergil, Properz, Horaz, Ovid, Juvenal, Cicero, Livius, Valerius Maximus,
Tacitus, Sueton, Minucius Felix, und ein Blick in die Register zeigt, wie weite
246 Vahlcn.
Gebiete der antiken Literatur nicht bloB zu Erlauterung und Begrundung herbei-
gezogen, sondern auch in sehr zahlreichen Fallen selbst direkt gefordert werden.
Manche Proomien haben sich allgemeinere Aufgaben gestellt, so das (iber die
Interpunktion und ihren Nutzen fiir die Kritik (XI), uber gewisse Stileigentiim-
lichkeiten bei romischen Dichtern (XXIV), uber eine bestimmte Art der Ver-
gleichung bei Griechen, Romern und auch beiNeueren (XLII), liber einen eigen-
tlimlichen Gebrauch des Fragesatzes bei Griechen und Romern (LV). Es sind
das durchweg Glanzstiicke, und hier sei auch besonders auf das von Ciceros Ver-
fahren bei Anflihrungen aus altromischen Dichtern handelnde (X) hingewiesen.
Eine andere Gruppe philologischer Abhandlungen, die 38 in den Sitzungen
der Berliner Akademie der Wissenschaften gelesenen und meist in deren Schrif-
ten — nur zwei im »Hermes« — gedruckten, werden nach V.s Willen, chrono-
logisch geordnet, den II. Teil der »Gesammelten philologischen Schriften« bilden,
der nebst Registern zu beiden Teilen in Vorbereitung ist. Sie betreffen zunachst
folgende Autoren: Sophokles, Euripides, Callimachus, Theokrit, Aristoteles,
Plato, Alciphron, Plautus, Ennius, Terenz, Porcius Licinus, Lucrez, Catull,
Tibull, Properz, Horaz, Ovid, Juvenal, Livius. Im Gegensatze zu den ent-
sprechenden Arbeiten der Wiener Periode herrscht hier durchaus die Beschafti-
gung mit poetischen Stoffen vor. So wurde das gegenseitige Verhaltnis von
Sophokles' und Euripides Elektra in wichtigen Punkten klargestellt. Die Neu-
bearbeitungen des Ennius und der romischen Lyriker lieflen manche Frucht
tiefgegriindeter und weitgreifender Forschung reifen. Durch behutsame Er-
klarung groCerer Abschnitte urid ganzer Gedichte ward unbedachter Hyper -
kritik der Boden entzogen. Gern wurden die Faden verfolgt, die von romischer
zu griechischer Dichtung hiniiberfuhren, das Verstandnis der alexandrinischen
Dichtwerke selbst gefordert und insbesondere ihre historischen Beziehungen
gepruft. Als die inschriftlichen Sakularfestakten in Rom ausgegraben worden
waren, bemuhte V. sich im Wetteifer mit Th. Mommsen, sie fur die Aufhellung
des Horazischen Sakulargedichts zu verwerten. Das schwierige Problem der
Abfassung des Lucrezischen, unvollendet hinterlassenen Gedichts, die Heroiden-
frage bei Ovid brachte er der Losung naher. Mehrere Stiicke behandeln vers-
technische Fragen der altromischen Komodie.
Neben diesen philologischen Abhandlungen stehen Festreden, die V. seit
1893 als bestandiger Sekretar der Akademie gehalten hat, und die in ihren
Sitzungsberichten gedruckt sind. Sie beleuchten die Personlichkeiten ftirstlicher
Gonner und verdienter Mitglieder. Die zeitlich erste, die Jahrhundertrede auf
K. Lachmann (1 893), ist ein gewichtiges Denkmal der Pietat. Andere behandeln
Leibniz als Schriftsteller (1897), Erinnerungen an Leibniz (1905), Leibniz und
Schleiermacher (1909), Friedrich d. Gr. und d'Alembert (1899), die Beziehungen
der Fridericianischen Akademie zu Herder (1895), Wilhelms II. und Friedrichs II.
Gedanken uber ihren koniglichen Beruf (1903).
Von philologischen Arbeiten der Berliner Zeit, in derV. von 1875 bis 1 88 1
auch bei der Herausgabe des »Hermes« mitwirkte, steht noch manches auflerhalb
der genannten Gruppen. So einige Enniana im »Hermes« (Bd. XII), die ein-
gehende Besprechung der » Philologischen Untersuchungen, hrsg. v. A. Kiefi-
ling und U. v. Wilamowitz-Moellendorff, II: Zu Augusteischen Dichtern [von
F. Leo und A. Kiefiling]« in der »Deutschen Literaturzeitung« II. (1881), S. 1694 ff.,
die Aufsatze in den »Commentationes philologae in honor em Th. Mommsenw (1877,
Vahlen. Krttner. 247
S. 663 ff., De Taciti dialogo) und in den »Beitragen zur alten Geschichte und
griechisch-romischen Altertumskunde, Festschrift zu O. Hirschfelds 60. Geburts-
tage« (1903, S. 484 ff. Ad Ciceronis Pisonianam), namentlich aber die reich-
haltigen, griechischen und romischen Schriftstellern zugewendeten »Varia« im
»Hermes« (in Bd. X bis XLV eingestreut). In diesem Zusammenhang ist der
Wunsch wohl naheliegend und berechtigt, daO die Sammlungen V.scher
Schriften mit der Zeit noch erweitert werden mochten.
Fiir die Entwicklung der Philologie seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts
war V. eine der bestimmenden Personlichkeiten, bestimmend insbesondere fiir
die methodische Behandlung und Erklarung antiker Texte, selbst eine philo-
logische Arbeit und Grundlage aller philologischen Arbeit. Seiner Fiihrung
vor allem schreibt die mehrerwahnte Akademieadresse von 1902 die Abwendung
der Wissenschaft von der »konjekturalen Fixigkeit« zur »hermeneutischen
Richtigkeit« zu. Wenn ein Fr. Biicheler in der genannten Besprechung der
Opuscula academica erklart, er gehore zu den Ungezahlten, die durch V.s Arbeiten
auf Fehler, eigene und fremde, aufmerksam gemacht seien und Belehrung aller
Art daraus empfangen haben, wenn ein Vertreter der historisch-darstellenden,
aber auch der kritisch-hermeneutischen Philologie, wie U. v. Wilamowitz-Moellen-
dorff, seine akademische Gedachtnisrede ausklingen lafit in demRuhm von dem,
was der Lehrer und Erzieher V. fiir die Wissenschaft getan habe und durch seine
Schriften weiter tun konne und solle, und bekennt, er habe seit fernen Tagen mit
Ehrfurcht zu ihm emporgesehen, wie zu einem Lehrer, dann wird auch das starke
Wort in der Tabula gratulatoria der Berliner philosophischen Fakultat zu V.s
80. Geburtstage bestehen: Ioannis Vahleni nomine ex philologiae historia sublato
ipsius philologiae nomen oblitterari.
Vgl. Konst. v. Wurzbach, Biograph. Lexikon des Kaisertums Osterreich XLIX (1884),
S. 191 ff., mit einem Schriftenverzeichnis (geht auf Mitteilungen V.s zuriick, die frei ver-
arbeitet sind). — J. Fdr. in der »Leipz. Illustrierten Zeitungc v. 7. Dez. 1911, Bd. CXXXVII,
S. 1078. — S. Frankfurter, Worte der Erinnerung an Johannes Vahlen (vom 18. Dez. 191 1),
in den »Mitteilungen des [Wiener] Vereins der Freunde des humanist. Gymnasiums* H. XIII
(1912) S. 12 ft. — J. J. Hartman, Parenialia, in der ^Mnemosyne* N. S. XL (1912), S. Ill f.
— U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Gedachtnisrede auf Johannes Vahlen (vom 4. Juli 191 2)
in den »Sitzungsberichten der Berliner Akad. der Wissensch.« 191 2, S. 617 ff. — Fiir
manche personliche Auskunft bin ich Herrn Kdnigl. Bibliothekar Dr. A. Vahlen zu Danke
verpflichtet.
Was Bildnisse V.s betrifft, so befindet sich die genannte Marmorbiiste von Ad. Briitt
im Besitze der Familie; eine Photographie von ihr war dem Verzeichnis der Stifter, das diesen
zugegangen ist f beigegeben. Ein Gemalde von Hamacher befindet sich als Geschenk der
Familie im Philol. Seminar der Berliner Universitat. Ein Bild aus V.s mittleren Jahren ent-
halt die Leipz. Illustr. Ztg a. a. O. S. 1080. Die erwahnte Gegengabe vom Jahre 1902 war die
Erneuerung einer alteren Aufnahme von Leyde & Co. in Berlin. Die letzten wohlgelungenen
Photographien in grSOerem Format sind nach zwei Aufnahmen im Jahre 19 10 von Rud. Duhr-
koop in Berlin hergestellt. Im Familienbesitz befindet sich noch eine Anzahl anderer Bilder,
darunter auch ein Jugendbildnis.
Berlin -Charlottenburg. Emil Thomas.
KrSncr, Adolf v^ Verlagsbuchhandler, * 26. Mai 1836, f 29. Januar 191 1
in Stuttgart. — K.s Lebensbild bietet uns die Geschichte eines der Manner,
die durch eigene Tatkraft und Befahigung zur Hohe aufgestiegen sind. Er
248
Krfiner.
wuchs unter bescheidenen biirgerlichen Verhaltnissen in Stuttgart auf, wo
sein Vater Verwalter des Biirgerhospitals war, und besuchte das Eberhard-
Ludwig-Gymnasium bis zur Erlangung des Reifezeugnisses. Schon in dieser
Zeit trat seine hohe kunstlerisch-literarische Befahigung hervor, und in seinem
Freundeskreise, dem u. a. der spatere Dichter und Germanist Wilhelm Hertz
sowie der nachmalige Liederkomponist Robert v. Hornstein angehorten, erfreute
er seine Genossen durch packende Klavier- und Gesangsvortrage. Diese Be-
gabung schien ihm auch bei der Berufswahl den Lebensweg zu weisen. K. ent-
schied sich dafiir, Opernsanger zu werden, und reiste am 29. April 1853 nach
Paris ab zu dem Zwecke, am dortigen Konservatorium Gesang zu studieren.
Er verliefl aber Paris wieder im Jahre 1854, reiste am 23. Mai desselben Jahres
nach Leipzig, um dort die praktische Biihnenlaufbahn zu beginnen, und setzte
seine Ausbildung vom Juli bis Dezember 1854 in Weimar fort, wohin Franz
Liszts Stern ihn gezogen hatte. Hier aber entschlofl er sich, von der
Biihnenlaufbahn Abstand zu nehmen, und zu seinem Glucke wahlte er, geleitet
durch seine literarischen Neigungen, einen Beruf, der ihn zu ungeahnter GroBe
fiihren sollte: den Buchhandel. Schon am 1. Januar 1855 trat er in die Buch-
und Kunsthandlung von Wilhelm Bach in Stuttgart ein, wo ihm eine abge-
kiirzte Lehrzeit bewilligt wurde, arbeitete dann einige Wochen in Bosheuyers
Buchhandlung in Cannstatt und ging am 1. Oktober 1856 als Gehilfe (mit einem
Monatsgehalt von 36 Gulden!) in die Riegersche Universitatsbuchhandlung in
Miinchen. Dort lebten auch seine Freunde W. Hertz und R. v. Hornstein und
ftihrten den jungen Buchhandler in den Kreis der Munchner Dichterschule ein,
der sich unter Fiihrung von Emanuel Geibel und Paul Heyse um Konig Maxi-
milian II. geschart hatte. Die Stunden, die K. nun unter den »Krokodilen«
am »heiligen Teiche« verleben durfte, waren fur ihn ebenso genuflreich wie
segenbringend. Ihnen verdankte er eine Reihe personlicher Beziehungen, die
fur die Entwicklung seiner spateren Verlagstatigkeit bestimmend sein sollten.
Zunachst aber sehen wir ihn vom I. Oktober 1857 ab wieder in Stuttgart, und
zwar in der Artistischen Anstalt von F. Malte, als Buchhalter tatig. Bald
jedoch schritt der schaffensfreudige junge Mann dazu, sich selbst Haus und
Herd zu begriinden. Er vermahlte sich im Jahre 1859 m ^ Amalie Mantler
(f 1905), der Tochter des Besitzers der »K. Hof- und Kanzlei-Buchdruckerei
Gebriider Mantler« und fiihrte den Betrieb dieser Offizin vom Friihjahr 1859 ab
fur eigene Rechnung unter der alten Firma »Gebriider Mantler« fort. Das
Unternehmen war freilich ein recht bescheidenes: die Druckerei, die einst des
jungen Schillers Zeitschrift »Nachrichten zum Nutzen und Vergnugen« heraus-
gegeben hatte, besafi blofi eine Handpresse und beschaftigte nur 3 Setzer,
I Drucker und 1 Lehrling; daneben war noch ein junger Mann vorhanden,
der gleichzeitig als Packer und Schreiber fungierte und in der Folge K.s Unter-
nehmungen bis ins hohe Alter treu blieb.
Zu diesem Druckereigeschaft fugte der Dreiundzwanzigjahrige schon einige
Monate spater, am 15. November 1859, wenige Tage nach der Hundertjahr-
feier von Friedrich Schillers Geburt, ein eigenes Verlagsgeschaft unter der
Firma »A. Kroner« hinzu, und von da an begann ein Emporbluhen und Wachsen
seiner geschaftlichen Unternehmungen zu einem Umfange, wie ihn der deutsche
Verlagsbuchhandel noch nicht gekannt hatte. K.s erster erfolgreicher Verlags-
artikel, >>DerWiirttembergische Sekretar«, war allerdings nur ein dem prakti-
Krttner.
249
schen Bedurfnis des Biirgers dienendes Buch. Aber nicht lange nachher, 1862,
ftihrten ihm seine Freunde das von Em. Geibel herausgegebene »Miinchener
Dichterbuch« zu, und es folgten Einzelwerke von Autoren wie Wilhelm Hertz,
Paul Heyse, Hans Hopfen, Melchior Meyr u. a. Neben der belletristischen
Literatur wurde der Verlag guter Jugendschriften gepflegt und eine Reihe
kunstlerisch hervorragender Prachtwerke mit ausgezeichneten Holzschnitten
geschaffen. Die Druckerei aber entwickelte sich bald zu einer solchen Leistungs-
fahigkeit, dafi sie auch fur andere Stuttgarter Verlagshandlungen die Her-
stellung einer Reihe hervorragender illustrierter Prachtwerke tibernehmen konnte.
Auch auf politischem Gebiete betatigte K. sich erfolgreich, indem er als
Herausgeber der »Schwabischen Volkszeitung« fiir den nationalen Gedanken
eintrat und den Kampf mit den Vertretern des wurttembergischen Partikularis-
mus energisch aufnahm.
Bei dem stetig wachsenden Umfange seiner Geschafte hatte K. das Gluck,
zwei seiner Briider zu seiner personlichen Unterstiitzung heranziehen zu konnen.
Sein jiingerer Bruder Paul (* 13. November 1839, f 25. Februar 1 900), der sich
allmahlich zu einem hervorragenden Fachmann auf den technischen Gebieten
der Buchherstellung entwickelte und spater auch in Verlagsangelegenheiten
dem temperamentvollen Adolf K. als bedachtiger Geschaftsmann niitzlich und
erganzend zur Seite stand, wurde 1864 zunachst Mitarbeiter, 1867 Teilhaber
der Druckerei, 1877 auch des Verlages. Auflerdem trat auch der altere Bruder
Karl K. am 1. Juli 1877 * n das Verlagsgeschaft als Teilhaber ein, schied aber
am 1. Juli 1883 wieder aus.
Schon nach einigen Jahren der Selbstandigkeit betrat K. den Weg, auf dem
er dann neben der eigenen Verlagstatigkeit seine Unternehmungen stetig ver-
groflerte, namlich den des Ankaufs anderer Verlagsgeschafte. Am 27. Februar
1867 wurde der groflte Teil von Adolf Bechers Verlag (Gustav Hoffmann) er-
worben, am I. Mai 1870 der Verlag von Adolph Krabbe angekauft. Die letztere
Firma wurde bis zum I. Januar 1873 gesondert weitergefuhrt. Am I. Januar
1877 wurden die K.schen Unternehmungen zu einem Geschaft unter der
Firma »Gebruder Kroner, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei« vereinigt.
Die Zunahme der Druckarbeiten fiihrte dann Ende der siebziger Jahre zur
pachtweisen Obernahme, 1886 zum Ankauf der Cottaschen Buchdruckerei,
und eine Frucht der so geschaffenen engen Beziehungen zwischen K. und dem
Freiherrn Karl v. Cotta, dem damaligen Besitzer der Cottaschen Buchhandlung,
war die auf K.s Anregung geschaffene und im gemeinsamen Verlage der Firmen
Cotta und Kroner von 1882 ab erscheinende »Bibliothek der Weltliteratur«,
in der die deutschen und fremden Klassiker in guter Ausstattung zu dem damals
noch unerhort billigen Preise von einer Mark fiir den hiibsch gebundenen Band
geboten wurden.
Der Aufstieg ging weiter. Am I. Januar 1884 erwarben Adolf und Paul K.
das von Ernst Keil hinterlassene Verlagsgeschaft, das sie unter der Firma
»Ernst Keils Nachfolger« in Leipzig fortfuhrten, und Adolf K. ubernahm per-
sonlich die Herausgeberschaft der »Gartenlaube«, die er mit seltenem Geschick
und unbestrittenem Erfolge bis zum Jahre 1903 behielt. Unter seiner Leitung
wuchs die Auflage der »Gartenlaube« gewaltig; sie war das beliebteste deutsche
Familienblatt, und die Art, wie ihre Redaktion gefuhrt wurde, erwarb ihr all-
gemeine Anerkennung.
2 cq Kroner.
Einen weiteren Zuwachs des Verlages bildeten im Jahre 1886 die Jugend-
schriften von R. Chelius in Stuttgart. Zwei Jahre spater, am 1. Mai 1888, er-
warben die beiden Briider die grofie Verlagshandlung und Buchdruckerei von
Hermann Schonlein in Stuttgart — illustrierte populare Zeitschriften und
Lieferungswerke — , die vorerst unter der Firma »Hermann Schonleins Nach-
folger« als besonderes Geschaft erhalten blieb. Und schon wenige Monate spater,
am 1. Januar 1889, ging die Perle des Stuttgarter Verlages, die altberuhmte
Cottasche Buchhandlung, in den Besitz von Adolf und Paul K. uber.
Solch' grofiartige, bis dahin im deutschen Buchhandel ungewohnte Unter-
nehmungen konnten naturlich nicht ohne Heranziehung finanzieller Krafte
durchgefiihrt werden. Dies fand seinen Ausdruck durch die am 1. Januar 1890
erfolgte Begrundung der Aktiengesellschaft »Union, Deutsche Verlagsgesell-
schaft«; in ihr wurden die Geschafte von »Gebruder Kroner « und »Hermann
Schonleins Nachfolger« vereinigt, ihr aufierdem aber noch der grofiartige Verlag
von Wilhelm Spemann zugeflihrt. Adolf K. wurde Vorsitzender des Aufsichts-
rats der neuen Aktien-Gesellschaft, die beiden offenen Handelsgesellschaften
»Ernst Keils Nachfolger« und »J. G. Cottasche Buchhandlung« wurden ihr
finanziell angegliedert; in die letztere traten Wilhelm Spemann (vom 22. Juli
1891 bis 1897) und Adolf Kroners alterer Sohn Alfred (vom 1. Januar 1892 bis
I. Januar 1898) neben Adolf und Paul K. als Teilhaber ein.
Die »Union« bewahrte sich auch finanziell dauernd als eine aufierst solide
und gut geleitete Grundung. Das Gesellschaftskapital verblieb bisher im festen
Besitz eines kleines Konsortiums. Als gemeinschaftliches Geschaftshaus aber
fur »Union« und »Cotta« wurde auf dem umfangreichen Grundstiick in der
Hauptstatterstrafie ein grofier Neubau aufgefuhrt, in dem aufier den beiden Ver-
lagsgeschaften auch die machtige Druckerei, eine neu begrundete Grofi-Buch-
binderei und eine Anzahl anderer buchgewerblichen Betriebe untergebracht
und im ganzen uber 800 Angestellte und Arbeiter beschaftigt wurden!
Auch die Firmen »Keil« und »Cotta« nahmen unter K.s Oberleitung einen
neuen, grofien Aufschwung. Auf die Anfiihrung von Einzelheiten miissen wir
hier des beschrankten Raumes wegen leider verzichten; nur auf e i n Ruhmes-
blatt in der neueren Geschichte der Cottaschen Buchhandlung sei mit wenigen
Worten hingewiesen: War es einst Johann Friedrich Cotta gelungen, die Namen
von Schiller und Goethe sowie vieler anderer Dichter und Gelehrten fur immer
mit seiner Firma zu verkniipfen, so war es das unvergangliche Verdienst K.s, den
Fiirsten Bismarck zur Abfassung seiner »Gedanken und Erinnerungen« fur
den Cottaschen Verlag zu gewinnen! Der Veroffentlichung dieses kostbaren Ver-
machtnisses, das einen aufierordentlichen Absatz fand, folgten dann weiter in
demselben Verlage »Bismarcks Brief e an seine Braut und Gattin« sowie der
>>Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen«, und eine umfangreiche Bismarck-
Literatur schlofi sich an. Wie der friihere Kronersche Verlag, so wurde auch der
Cottasche unter K.s Oberleitung durch grofie Ankaufe bedeutend erweitert.
So wurden ihm aus dem Verlage von F. & P. Lehmann in Berlin 1891 Hermann
Sudermanns Werke zugeflihrt, am 23. Januar 1899 wurde das Verlagsgeschaft
von A. G. Liebeskind mit ihm vereinigt, am 24. August 1901 erfolgte der Ankauf
der Firma Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) in Berlin, wodurch der
Verlag um die samtlichen Werke von Paul Heyse und Gottfried Keller, eine
Reihe von Biichern Theodor Fontanes sowie eine grofie Anzahl anderer wert-
Kroner.
251
voller belletristischer und wissenschaftlicher Werke bereichert wurde. Im An-
schlufl hieran wurde im Herbst 1901 in Berlin eine Zweigniederlassung der
Cottaschen Buchhandlung errichtet.
Am 1. Januar 1898 war die Firma Ernst Keils Nachfolger, ebenso am
I. Januar 1899 die Firma J. G. Cottasche Buchhandlung der aufleren Form
nach in eine Gesellschaf t mit beschrankter Haf tung umgewandelt worden ; beide
Geschafte verblieben, ebenso wie die Union, nach wie vor unter K.s Oberleitung.
Aber einige Jahre spater, in einem Alter, wo viele andere schon ganzlich der
Ruhe pflegen, spiirte er doch das Bediirfnis nach einiger Entlastung. Der
Verlag der zugleich mit der Cottaschen Buchhandlung erworbenen »Allgemeinen
Zeitung« war schon 1895 an eine G. m. b. H. in Miinchen abgetreten worden;
nun legte K. im Jahre 1903 die Herausgabe der »Gartenlaube« nieder, und ihr
Verlag ging in den Besitz des Scherlschen Konzerns liber. Im Mai 1904 ver-
zichtete er dann auch auf den Vorsitz im Aufsichtsrat der »Union«, den sein
Schwiegersohn Heinrich Beck iibernahm. Dagegen ging die Cottasche Buch-
handlung gleichzeitig unter Auflosung der G. m. b. H. in seinen alleinigen
Besitz uber, und er widmete ihr nun seine ganze Arbeitskraft und Liebe bis in
die letzten Lebenstage.
Der aufiergewohnlichen Grofie und Bedeutung, zu der K. seine geschaft-
lichen Unternehmungen binnen weniger Jahrzehnte von kleinen Anfangen aus
gebracht hatte, entsprach auch die aufierordentliche Wertschatzung und Ver-
ehrung, die er sich personlich durch seine kluge, energische und erfolgreiche
Beteiligung an der Behandlung der den deutschen Buchhandel als Gesamt-
organismus allgemein interessierenden Fragen erworben hat. Die Unsitte
ubermafiiger Rabattgewahrung an das Publikum seitens einzelner Buchhandler
— urspriinglich in den Zeiten des buchhandlerischen Tauschhandels durch die
Oberfullung der Lager mit billig erworbenen Werken hervorgerufen — war
schon in fruherer Zeit als Mifistand empfunden worden. Mit der Zunahme des
Verkehrs und der Publizitat, mit der Einfiihrung des billigeren Brief- und Paket-
portos, andererseits auch mit der durch die Gewerbefreiheit geforderten groflen
Zunahme der Buchhandlungen und buchhandlerischen Wiederverkaufer wurde
das Obel immer schlimmer, besonders auch, weil eine Anzahl grofler Berliner
und Leipziger Sortimentshandlungen unter der Ausnutzung der ihnen
gebotenen lokalen Vorteile und des neueingefuhrten 50-Pfennig-Portos fiir
5-Kilo-Pakete sich darauf verlegte, das ganze Gebiet des deutschen Buchhandels
mit ihren Schleuderofferten zu (iberschwemmen, und dadurch auch Sortimenter
an andern Orten zur Nachfolge zwang. Preisunterbietungen bei Biichern
sind aber fiir den Detailhandel weit gefahrlicher als bei vielen anderen Waren,
bei denen die Fragen der Qualitat, der Mode, der Auswahl, des Geschmackes
des Verkaufers usw. neben dem Preise wesentlich in Betracht kommen. So
wurde denn in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Cbelstand
ein dermafien druckender, dafi der ganze deutsche Sortimenterstand nach
Abhilfe rief. Aber die Ansichten uber die L6sung der Frage gingen weit aus-
einander.
Als Zentralverein fur den deutschen Buchhandel war im Jahre 1825 der
BSrsenverein der Deutschen Buchhandler zu Leipzig gegriindet worden. Er
hatte sich zu grofier Bedeutung entwickelt und namentlich fiir die Ordnung
der Abrechnungsgeschafte, die Verfolgung des Nachdrucks, den Ausbau der
252
Krtfner.
Literargesetzgebung usw. Wertvolles geleistet. Aber die Einwirkung auf die
geschaftlichen Beziehungen zwischen den Sortimentern und dem Publikum
lag aufierhalb seiner statutarischen Zwecke. Jetzt wurden Stimmen laut, die
vom Borsenverein Abhilfe des Cbels verlangten; andere erklarten ihn fiir un-
fahig, auf diesem Gebiete einzuschreiten, andere wiederum gingen noch weiter
und forderten ganzliche Aufhebung der Ladenpreise als einzige Abhilfe; noch
andere sprachen sich fur Aufhebung der Gewerbefreiheit und Wiedereinfiihrung
des Konzessionszwanges fiir den Buchhandel aus. Der BSrsenverein konnte
sich endlich der allgemeinen Bewegung nicht langer verschliefien und berief
fiir den September 1878 nach Weimar eine Konferenz zur Beratung dieser
Fragen ein. K. nahm an den Besprechungen als 2. Schriftfiihrer des Borsen-
vereins teil, und seine Ausfiihrungen beeinflufiten alsbald wesentlich den Gang
der Beratung. Er sprach sich dahin aus, dafi ein Zwang auf die Verleger seitens
des Borsenvereins nicht ausgeiibt werden konnte, empfahl vielmehr die Aus-
bildung des buchhandlerischen Vereinswesens durch weitere Griindung von
Orts-und Kreisvereinen sowie das Hand-in-Hand-gehen dieser Vereine mit den
Verlegern, die sich aus freier Entschliefiung bereitfinden wurden, sie bei der
Bekampfung der Schleuderei zu unterstutzen. Der Borsenverein solle Griin-
dung und Tatigkeit dieser Vereine mit Rat und Tat unterstutzen. Auf dieser
Grundlage baute K. in der Folge sein Programm immer weiter aus, und in zehn-
jahrigem Kampfe gegen rechts und links von ihm stehende Gegner verhalf er
seinen Ideen uber die Reform der buchhandlerischen VerhSltnisse zu einem
glanzenden Siege. Zun&chst wurde auf seine Anregung eine Kommission zur
Enquete liber die Mifistande und zur Belebung des Vereinswesens eingesetzt.
Eine Anzahl neuer Orts- und Kreisvereine wurde gegrundet, so dafi bald kein
Landesteil ohne Organisation und Vertretung blieb, und gelegentlich der Oster-
messe 1879 trat eine erste Konferenz der Delegierten dieser Vereine zusammen.
Infolge des Berichtes der vorgenannten Kommission aber beschlofi der BSrsen-
verein auf Antrag seines Vorstandes, in eine Statutenrevision einzutreten, und
setzte zu diesem Zwecke eine grofie Kommission ein. Zur selben Zeit wurde K.
zum 2. Vorsteher des Borsenvereins gewahlt.
Die Statutenrevisionskommission tagteam 16. bis 20. September 1879 * n
Stuttgart, und K. vertrat standhaft und beredt sein nun ausfiihrlicher und be-
stimmter gewordenes Programm. Der Borsenverein solle u. a. auch die Anbahnung
und Feststellung allgemeingiiltiger geschaftlicher Normen sowohl im Verkehr
der Buchhandler untereinander als mit dem Publikum unter seine Zwecke
aufnehmen, eine organische Verbindung mit den Orts- und Kreisvereinen
behufs Bekampfung der Schleuderei herstellen und zur Durchfiihrung der
erforderlichen Maflnahmen einen standigen Hauptausschufi einsetzen. Nach
heiflen Kampfen nahm die Kommission die Kronerschen Vorschlage mit 19
gegen 14 Stimmen an, aber mannigfache Wechselfalle fiihrten schliefilich dazu,
dafi die Hauptversammlung des BQrsenvereins zu Kantate 1880 nur einem viel
bescheidener gewordenen neuen Statut zum Siege verhalf. Die Bekampfung
der Schleuderei wurde nicht unter die Aufgaben des Borsenvereins aufge-
nommen, die organische Eingliederung der Orts- und Kreisvereine verworfen.
Aber K. setzte u. a. doch wenigstens durch, dafi »die Vertretung der Interessen
des deutschen Buchhandels im allgemeinen und seiner Angehorigen im weite-
sten Umfange« als einer der Zwecke des Bdrsenvereins bezeichnet wurde. Dies
Kroner. 253
war eine Grundlage, auf der spater weitergebaut werden konnte. Aufierdem
wurde auch zugelassen, dafi je 6 auswartige Buchhandler sich bei den Ab-
stimmungen in den Hauptversammlungen des Borsenvereins (aufler bei Satzungs-
anderungen) durch ein anderes Mitglied vertreten lassen konnten. Hierdurch
wurde das Obergewicht der Leipziger und Berliner beseitigt.
Die Bestrebungen des Buchhandels zur Bekampfung der Schleuderei
gingen weiter, und zwar zunachst auf Betreiben des im Jahre 188 1 gegriindeten
»Verbandes der Provinzial- und Lokalvereine im deutschen Buchhandel«.
1882 wurde K. zum 1. Vorsteher des Borsenvereins gewahlt, und er begann von
neuem fiir die Durchfiihrung seines Programms innerhalb des Borsenvereins
zu wirken, und mit Erfolg. Die Kantate-Versammlung von 1884 beschlofl nach
einer glanzenden und eindrucksvollen Rede K.s auf seinen Vorschlag, eine
Siebenerkommission zur Entscheidung von Beschwerden uber Schleudereifalle
einzusetzen und die Verleger zur freiwilligen Abgabe einer Erklarung aufzu-
fordern, wonach sie sich verpflichteten, den von der Siebenerkommission schuldig
Befundenen ihren Verlag entweder gar nicht oder nur mit vermindertem Rabatt
zu liefern. Viele Verleger entsprachen dieser Aufforderung, aber die Erfahrung
der nachsten Jahre zeigte, dafl eine grlindliche Unterdriickung der Schleuderei
ohne durchgreifende Anderung der Statuten des Borsenvereins unmoglich sei.
Zur Ostermesse 1886 beschlofl der Vorstand, eine solche zu beantragen, und
beauftragte seinen 1885 wiedergewahlten I. Vorsteher K. mit der Ausarbeitung
der Abanderungsvorschlage. An demselben Kantatesonntag konnte K. die
ersten drei Hammerschlage bei der Grundsteinlegung des neuen Deutschen
Buchhandlerhauses fiihren, dessen Errichtung im Jahre vorher auf Antrag des
Vorstandes beschlossen worden war.
Das Jahr 1887 brachte K. endlich die voile Erfullung seiner Wiinsche.
Er veroffentlichte seine Abanderungsvorschlage und begriindete sie nach voraus-
gegangenem schweren Kampfe innerhalb des Vorstandes durch eine eingehende
und wirkungsvolle Rede in der Hauptversammlung. Diese schenkte seinen
Gesichtspunkten ihren Beifall und beschlofl die Einsetzung der Statuten -
revisionskommission; aus ihrer Arbeit, die sich im wesentlichen auf Grundlage
der K.schen Vorschlage aufbaute, gingen die neuen Satzungen des Borsen-
vereins hervor, die bestimmt waren, Wandel zu schaffen und es auch griindlich
getan haben. Sie wurden in einer auflerordentlichen Hauptversammlung des
Borsenvereins am 25. September 1887 in Frankfurt a. M. mit iiberwaltigender
Majoritat angenommen, nachdem K. noch einmal die leitenden Prinzipien in
glanzender, mit Begeisterung aufgenommener Rede dargelegt hatte.
Am Kantatesonntag 1888 traten die neuen Satzungen in Kraft. Noch in
der alten Buchhandlerborse in der RitterstraBe zu Leipzig brachte der deutsche
Buchhandel seinem Fiihrer Adolf K. den Dank in einer Reihe von Ovationen
dar. Dann fand unter seinem Vorsitz und in Gegenwart des Konigs von Sachsen
die feierliche Einweihung des neuen Deutschen Buchhandlerhauses statt. Un-
vergefllich blieb jedem Teilnehmer an dieser glanzenden Versammlung die ge-
winnende Wurde und auBerordentliche Gewandtheit, mit der K. die zahllosen
Begliickwunschungen fiir den Borsenverein entgegennahm und erwiderte. Es
war ein Festtag fiir den Buchhandel, aber auch ein wohlverdienter Triumph
fiir K., der nach hartem zehnjahrigen Kampfe gegen die verschiedensten, ihm
entgegenstehenclen Meinungen durch unverruckbares Festhalten an seinen
254
Kroner.
Prinzipien, glanzende und immer sachlich bleibende Beredsamkeit sowie durch
aufierordentliches Geschick bei Fiihrung und Leitung der Verhandlungen das
gesteckte Ziel nun endlich erreicht hatte.
Die neuen Satzungen des Borsenvereins enthielten die Neuerung, dafi er auch
zur Feststellung der geschaftlichen Bestimmungen fiir den Verkehr der Buch-
handler mit dem Publikum berufen sei, und im Anschlufl hieran die Verpflich-
tung der Buchhandler zur Einhaltung der Ladenpreise bezw. der mit Genehmi-
gung des Borsenvereins aufzustellenden Verkaufsbestimmungen der Orts- und
Kreisvereine. Die letzteren sowie die drei Verlegervereine und der Verein
Leipziger Kommissionare wurden zu Organen des Borsenvereins gemacht und
erhielten ihre Vertretung im Vereinsausschufi, der fortan uber die Schleuderei-
falle zu befinden und die Sperre gegen die Schuldigen bezw. ihre Ausschliefiung
aus dem Borsenverein zu beantragen hatte. Die Durchfuhrung der Lieferungs-
sperre blieb auch fernerhin der freiwilligen Entschliefiung der Verleger iiber-
lassen, aber es zeigte sich bald, dafi sich hierzu fast alle in Betracht kommenden
Verleger verpflichteten.
Den Satzungen entsprechend legte K. am Kantatesonntag 1888 sein Amt
als I. Vorsteher nach sechsjahriger Tatigkeit nieder. Sein Nachfolger war der
bisherige 2. Vorsteher, Paul Parey, der schon wahrend der Beratungen in den
letzten Jahren uber K.s Vorschlage hinausgehende Forderungen aufgestellt
hatte und nun, entgegen dem von K. stets empfohlenen weisen Mafihalten in
Anwendung der satzungsgemafien Befugnisse des Borsenvereinsvorstandes, die
MiOstande im Rabattwesen mit einem Schlage durch Zwangsmafiregeln zu
beseitigen suchte. Sein Plan mifilang, hauptsachlich infolge des durch die tat-
sachlichen Verhaltnisse hervorgerufenen Widerstandes der Berliner und Leip-
ziger Handlungen, und damit war das eben erst zum Abschlufi gelangte Reform -
werk aufs ernstlichste gefahrdet. In dieser Not kannte der deutsche Buch-
handel nur einen Retter: Adolf K. Er folgte dem Rufe seiner getreuen
Anhanger noch einmal, und als zum dritten Male gewahlter 1. Vorsteher sicherte
er in den Jahren 1889 bis 1892 seinem Werke Lebensfahigkeit und allgemeine
Anerkennung. Und als er dann, aus Riicksichten auf seine Gesundheit und
seine geschaftliche Inanspruchnahme, eine weitere Wiederwahl ablehnend, im
Jahre 1892 sein Amt niederlegte, durfte er es getrost seinem Nachfolger in dem
Bewufltsein tibergeben, dafi die weitere Entwicklung gemafi der von ihm auf-
gestellten Grundsatze erfolgen werde.
Von dieser Zeit an konnte K. sich ausschliefilich den grofiartigen geschaft-
lichen Unternehmungen widmen, deren wir schon vorstehend gedacht haben.
Seine Berufsgenossen hatten ihm den Ehrennamen eines »Bismarck des Buch-
handels« beigelegt; nicht geringerer Verehrung erfreute er sich in der groflen
Gemeinde der Schriftsteller, die mit ihm als Autoren der von ihm geleiteten drei
grofien Verlagsinstitute und als Mitarbeiter der in ihrem Verlage erscheinenden
Zeitschriften in Verbindung standen. Eiserne Willenskraft und Konsequenz,
starke Impulsivitat und Klarheit des Geistes, eine ungewohnliche Begabung
fiir den Gebrauch des Wortes in Rede und Schrift, dabei aber auch weise Mafii-
gung in alien Situationen, in denen es darauf ankam, das Erreichbare durch
vorlaufiges Zuruckstellen weitergehender Ziele zu sichern, haben ihm im geschaft-
lichen und 6ffentlichen Wirken ungewohnliche Erfolge bereitet. Auch mit andern
reichen Gaben hatte die Natur ihn vollauf beschenkt; seine hohe, kraftige
Krflner.
255
Gestalt war das auflere Ebenbild seines hohen Sinnes, der durchdringende Blick
seines Auges zeugte von der Scharfe seines Verstandes und der Unabanderlich-
keit seines Willens. K. war eine Gewaltnatur, und wer sich seinen Ansichten
und Wunschen nicht unterwarf, hatte schwer mit ihm zu kampfen; er war fur
seine Autoren kein bequemer Verleger, der ihre Werke ohne Kritik hinnahm, und
fur seine geschaftlichen Mitarbeiter kein leicht zu befriedigender Chef. Aber
alle, denen es vergonnt war, in nahere Beziehungen zu ihm zu treten, wuflten,
dafl es ihm stets nur um die Sache zu tun war, und sie sahen, dafl er ihnen in
treuer Pflichterfullung voranleuchtete. Im personlichen Verkehr entziickte er
durch eine gewinnende Liebenswtirdigkeit und edle Ritterlichkeit, die frei war von
jeder Vornehmtuerei; er konnte im Eifer zuweilen hitzig, ja hart werden wie
der deutsche Heros, den er aufs tiefste verehrte, aber dann war es fast immer
sein Bestreben, dies nachtraglich durch verdoppelte Freundlichkeit wieder
gut zu machen. Auch nachdem er zu Reichtum und Wurden gelangt war, blieb
seine ganze Lebensweise einfach und natiirlich. Er war kein Frcund von luxuri-
osen »Gesellschaften«, aber er liebte es, in seinem Hause oder in seinem, nahe der
Solitude gelegenen Landsitz »Berkheimer Hof« einen kleinen Kreis ihm kon-
genialer Manner zu versammeln und mit ihnen bei gutem Wein unter anregen-
der, der Literatur und Kunst gewidmeter Unterhaltung schone und vertraute
Stunden zu verleben.
Zwei Schlaganfalle, die ihn 1886 und 1892 trafen, konnten ihn nicht be-
zwingen. Der erste beraubte ihn eines Auges wahrend der Grundsteinlegung
des neuen Buchhandlerhauses, ohne dafl er die Versammlung etwas merken liefl,
der zwcite schwachte ihn nur voriibergehend fur einige Zeit. Sein starker Korper
siegte beidemal, aber die Arterienverkalkung machte allmahlich Fortschritte;
ein Herzleiden trat hinzu, und am 29. Januar 191 1 rief der Tod den fast Funf-
undsiebzigjahrigen aus dem Leben ab, das kostlich gewesen, weil es Miibe und
Arbeit war.
Am 1. Februar 191 1 fand auf dem Pragfriedhof zu Stuttgart die Feuer-
bestattung statt, und die allgemeine Verehrung, die K. besonders aus der Schrift-
stellerwelt und dem Buchhandel dargebracht wurde, kam durch eine Anzahl
aus der Mitte der groflen Trauerversammlung gehaltener Anreden zum er-
greifenden Ausdruck.
Aufleren Ehren jagte K. nie nach, aber sie wurden ihm vollauf zuteil,
namentlich auch gelegentlich des Jubilaums seiner 40 jahrigen Selbstandigkeit,
1899, und des im Jahre 1909 gefeierten Doppeljubilaums seiner 50 jahrigen
Selbstandigkeit und des 250 jahrigen Bestehens der Cottaschen Buchhandlung.
Er war Geheimer Kommerzienrat und besafl zahlreiche Orden, u. a. das Ehren -
kreuz der Wurttembergischen Krone, mit dem bisher der personliche Adel ver-
kniipft war. Die Stadt Leipzig ernannte ihn zu ihrem Ehrenbiirger und be-
nannte nach seinem Tode eine Strafle nach ihm; die philosophische Fakultat zu
Tubingen und die staatswirtschaftliche Fakultat zu Munchen machten ihn zum
Ehrendoktor. Der dankbare Borsenverein der Deutschen Buchhandler aber
verlieh ihm die Ehrenmitgliedschaft und beschlofi, sein Bildnis im Festsaale
des Deutschen Buchhandlerhauses zu Leipzig anzubringen.
Von seinen Sohnen hat der altere, Alfred K., schon im Jahre 1897 in Stutt-
gart ein eigenes, hochangesehenes Verlagsgeschaft begriindet, das er seit dem
Jahre 1906 in Leipzig fortfuhrt; die Cottasche Buchhandlung aber befindet sich
nunmehr im Alleinbesitz seines zweiten Sohnes, Robert K.
256 Kroner. SchOnbach.
Literatur: Die wichtigsten Reden und Schriftstiicke K.s zur buchh&ndlerischen Reform-
frage sind abgedruckt in M Publikationen des Borsenvereins der deutschen Buchh&ndler"
Bd. 6 und n — 13. — K.s Artikel: »Die Memoiren des Fiirsten Bismark* in der »Allge-
meinen Zcitungt 1898 Nr. 280 und im »B6rsenblatt f. d. Deutschen Buchhandel* 1898.
Nr. 237.
Vgl. auch Geschichte des Deutschen Buchhandels Bd. 4. Von Johann Goldfriedrich.
Leipzig 191 3. — Adolf Kroner (Nekrolog mit Bildnis), im Adrefibqch des Deutschen Buch-
handels, 74. Jahrg., 19 1 2, Leipzig. Ferner zahlreiche, gelegentlich von K.s Jubilaen und Tod
in der deutschen Presse erschienene Artikel (vielfach mit Bild) v namentlich im Borsenblatt f. d.
Deutschen Buchhandel, 191 1, Nr. 25 ff. und Schwabischer Merkur 1911, Nr. 48 ff.
W. K o e b n e r.
Schtfnbach, Anton Emanuel 1 ), * am 29. Mai 1848 in dem durch seine Leinen-
industrie bekannten, der sachsischen Grenze benachbarten nordbohmischen
Stadtchen Rumburg, f 25. August 191 1 zu Schruns (Vorarlberg). — Sch. war
das alteste der vier Kinder des Uhrmachers Joseph Sch., welcher als quieszierter
Oberingenieur der Elisabeth -Westbahn 1900 gestorben ist. Zu Wien empfing
er seinen ersten Unterricht in einer Volksschule des Bezirks Neubau, besuchte
seit 1859 das Piaristengymnasium in der Josephstadt und liefi sich zum Herbst
1867 an der dortigen Universitat immatrikulieren. Anfanglich Historiker, ging
er bald unter Scherers EinfluC zur Germanistik iiber, horte jedoch auch klassisch-
philologische Kollegien bei Vahlen. Nach seiner im Mai 1871 stattgefundenen
Promotion nahm er, um Mullenhoffs Unterweisung zu geniefien, fur zwei Se-
mester Aufenthalt in Berlin. Er habilitierte sich am 30. Oktober 1872 zu Wien
mit einer Ausgabe der Reimprosa von der hi. Caecilia (ZfdA. 16, 165) und einer
ungedruckt gebliebenen Antrittsrede, die der Entwicklung der Gralsage gait.
Im folgenden Wintersemester ruhte, weil Scherer damals nach Strafiburg (iber-
siedelte, die Vertretung der alteren deutschen Literatur auf seinen Schultern
allein. Schon zum Sommer 1873 erhielt er als Nachfolger Heinzels ein Extra-
ordinariat in Graz ubertragen; drei Jahre spater folgte die Befbrderung zum
Ordinarius. Rufe nach Greifswald 1877, nach Prag 1899 schlug er aus, Hoff-
nungen auf Freiburg und Wien verwirklichten sich nicht: so hat er an der
steirischen Hochschule bis zu seinem Ende gewirkt und um ihre wachsende Bliite
hohe Verdienste sich erworben, obwohl er Burden und Wurden der Verwaltung
abzulehnen pflegte. Mancherlei Zeichen der Anerkennung wurden ihm zuteil:
1 88 1 der Titel eines Regierungsrats, 1900 der eines Hofrats, 1898 der Orden der
eisernen Krone, 1905 das Ehrenzeichen fiir W 7 issenschaft, 1895 die Wahl zum
korrespondierenden, 1903 zum wirklichen Mitgliede der Wiener Akademie;
1906 erkor ihn auch die Berliner Akademie zum Korrespondenten. Erst 1903
schloB er einen spaten Ehebund mit Anna Poltl, die seine letzten Lebensjahre
treu behiitete. Spuren von Diabetes hatten sich seit 1 901 gezeigt; dieser Krank-
heit erlag er zu Schruns in Vorarlberg, wo seine Sommerferien zu verbringen
er ein voiles Vierteljahrhundert gewohnt gewesen war. Auf dem Grazer Fried -
hofe liegt er bestattet.
Sein Leben, so ruhig und glucklich es scheinbar verlief, war ein auflerst
muhseliges. Im Alter von drei Jahren befiel ihn zu Prag ein Typhus: davon
') Beider Vornamen hat er sich seit 1883 regelmaOig bedient, weil seine mit A. S. unter-
zeichneten Artikel nicht selten Arnold Schrder oder Anton Schlossar beigelegt worden waren.
Schttnbach.
257
blieb dauernd eine Verkiirzung und Atrophie des rechten Beines zuriick, welche
zum Tragen eines eigens konstruierten Stiefels und einer gewichtigen Maschine
zwang, deren diffizile Natur haufige Reparaturen und auf alien Reisen die Mit-
fiihrung eines Ersatzstiickes verlangte. Er konnte nur mit Hilfe von StOcken
sich fortbewegen, ausgedehntere Gange waren daher mit grofler Anstrengung
verbunden. Bei Glatteis oder Schnee sah er sich oft wochenlang genOtigt, ftir
die kurze Strecke von seiner Wohnung zum Auditorienhaus einen Wagen zu
benutzen. Fast wunderbar mutet es an f dafi unter solchen Hemmnissen die
Heiterkeit seines Gemiits fast niemals litt; in jiingeren Jahren wenigstens fand
man ihn immer frOhlich und bei guter Laune.
Da dies kbrperliche Gebrechen den Knaben von den Spielen der Alters-
genossen ausschlofi, so gab er seit seinem vierten Jahre sich einer unersattlichen
Vielleserei hin, an der er zeitlebens festgehalten hat. Ausgestattet mit rascher
Auffassungsgabe, reger Phantasie, phanomenalem Gedachtnis, auch musikalisch
veranlagt, besafi er zugleich ein schier unerschopfliches Mitteilungsbediirfnis:
aus der Fiille seiner Lekture verstand er, iiber die heterogensten Materien an-
ziehend und belehrend zu sprechen; uberall fand er Ankniipfungspunkte, nir-
gends war er um Auskunft verlegen. Sein Erzahlertalent fesselte fast Abend
fur Abend in Schruns die grofie Tafelrunde des goldenen Lowen dermaflen, dafl
sie stundenlang wie verziickt an seinen Lippen hing. Obwohl inzwischen 42 Jahre
verflossen sind, kann ich mich noch deutlich meiner ersten Begegnung mit ihm
im Berliner Borsengarten entsinnen: uns kiihlen und zuriickhaltenden nord-
deutschen Germanisten, die wir nur Fachgesprache zu fuhren gewohnt waren,
imponierte die Weite seines Interessenkreises, die Sicherheit seines Urteils, die
Leichtigkeit seiner Konversation, die Lebhaftigkeit seines Temperaments ge-
waltig; ich kam mir neben ihm unendlich klein vor und begriff nicht, als er mich
zum Besuch auf f orderte, was er von mir sich versprechen mochte. Und Mullenhoff
war von ihm geradezu fasziniert. Kraft dieser Eigenschaften ist er, der schon
als Student reichlichen Unterricht erteilt hatte, nachmals ein ausgezeichneter
Dozent und anregender Seminarleiter geworden und hat Generationen dank-
barer Mittelschullehrer herangezogen. Aber ihm geniigte die Wirkung durch
das lebendige Wort nicht; dem Beispiel Scherers folgend war er bestrebt, mit
der Feder auf weiteste Kreise zu wirken. So hat er zahllose Referate, Feuilletons
und Essays geschrieben (verschiedene, doch nicht immer die besten, sind in
seinen »Gesammelten Aufsatzen zur neueren Literature 1900 vereinigt), die mit
deutschen, englischen und amerikanischen Zustanden und Personlichkeiten
sich beschaftigen, auch der amerikanischen Politik Aufmerksamkeit schenken:
gerade die nordamerikanischen Freistaaten hatten es ihm angetan, weil er ihr
junges, klar vor Augen liegendes Schrifttum zur Erklarung des Ursprungs der
germanischen Poesie verwerten zu k6nnen vermeinte; gelegentlich trug er sich
sogar in triiben Stunden mit der Absicht einer Auswanderung nach Amerika.
Vom Publikum besonders beif&llig aufgenommen wurde sein Buch iiber »Lesen
und Bildung«. Nur in seiner urspriinglichen Gestalt von 1888 paflt der Inhalt
zum Titel; jede der folgenden sieben Auflagen ist mit literarhistorischen Zutaten,
AufsStzen iiber Ibsen, iiber die neue deutsche Dichtung usw. beschwert worden,
die kaum irgendwelchen Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema bekunden
und besser selbstandig hatten erscheinen sollen. Fur grdfiere Leserkreise hat er
Bioffr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolo?. 16. Bd. 1 7
258
Schtfnbach.
auch aus dem Stoffbereich der altdeutschen Philologie geschopft: dahin gehort
seine dreimal aufgelegte Walther-Biographie, der vermutlich sein unvollendet
gebliebenes Wolfram -Buch geahnelt haben wiirde, dahin seine Schilderung der
friihmittelalterlichen Literatur Osterreichs in der prachtig ausgestatteten »Ge-
schichte der Stadt Wien«. Allen diesen popularisierenden Arbeiten sind klare
Disposition, gefallige Darstellung, ansprechende Gedanken gemein.
Seine fachwissenschaftliche Schriftstellerei geht gleichfalls teils von den
Eindrucken, die wahrend der bildsamen Jahre seiner Jugend auf ihn wirkten,
teils von Anregungen Scherers aus. In strengglaubiger Umgebung herange-
wachsen, frlih mit alien Gebrauchen der katholischen Kirche vertraut, ein
haufiger und gern gesehener Gast der Benediktiner von Melk, Seitenstetten und
dem Wiener Schottenkloster muflte Sch. bei seinem scharf ausgepragten histori-
schen Sinn dem Wandel der Dogmen, der Entwicklung des Heiligenkults, der
Geschichte der homiletischen Kunst lebhaftes Interesse zuwenden. Speziell auf
die geistliche Poesie wiesen ihn dann Scherers Exkurse zu den »Denkmalern«
und dessen Rat, mit einer Edition von Wernhers Marienliedern sich die wissen-
schaftlichen Sporen zu verdienen. Sie kam zwar nicht zustande, doch ging aus
ihren Vorarbeiten das Buch iiber die Marienklagen und die Beschaftigung mit
den Oster- und Passionsspielen hervor. Es beruht entschieden auf Selbst-
tauschung, wenn Sch. zu wiederholten Malen als seinen eigentlichen Lehrer
Mullenhoff bezeichnet hat. Wahrend des Berliner Jahres stand er allerdings
mit ihm im engsten Verkehr und versenkte sich in die ganze Welt der Probleme,
mit denen dieser grofie Forscher rang: aber in seiner eigenen Arbeitsweise ge-
mahnt nichts, weder die Hast seiner Produktion noch die behagliche Breite
seiner Deduktion noch die Methode seiner Kritik, an Mullenhoff mit seiner
schwerfliissigen, sich niemals Genuge tuenden, tiefbohrenden und wortkargen
Art. Eher war es der Ausdruck eines latenten Gegensatzes, wenn Sch. sich
vornahm, dem Lebenswerk des Meisters ein Buch zur Seite zu stellen, das der
Bedeutung des Christentums fur die Bildung des deutschen Nationalcharakters
gerecht werden sollte: die fast religiose Verehrung, mit der Mullenhoff zu dem
heidnischen Germanentum emporsah, empfand er eben als einseitig und der Er-
ganzung bediirftig. Wohl aber lernte sich Sch. in Berlin als Anhanger einer
wissenschaftlichen Partei fiihlen und sog sich mit allerhand schulmafligen Dok-
trinen und Vorurteilen voll, an denen er zaher und langer festgehalten hat als
die meisten unter uns. Mit dem unbedingten Respekt, den ihm Miillenhoffs
Herrschernatur einflofite, verband sich zugleich unausloschlichc Dankbarkeit
fur dessen fast vaterliche Giite: denn nur Miillenhoffs warm empfehlendes Fur-
wort verhalf ihm zu seinem raschen Aufstieg und iiberwand Scherers anfangliche
Bedenken.
Man mufi sich fragen, ob solche Bedenken der Berechtigung entbehrten t
und ob Sch. nicht vorzeitig zu Professur und verantwortlicher Fachvertretung
gelangte. So gut er namlich auf literarhistorischem Gebiete beschlagen war, so
wenig war er es beim Beginn seiner akademischen Laufbahn auf sprachlichem.
Und zur Sicherheit weder in grammatischen noch in metrischen Dingen, die
nun einmal das Riickgrat der deutschen Philologie bilden, hat er es jemals
gebracht. Ober diese seine Schwache gab er sich selbst keiner Tauschung hin.
Nach wenigen mifllungenen Ansatzen stand er daher von alien ferneren Versuchen
ab, umfanglichere mhd. Denkmaler sauber aus dem Wuste der Cberlieferung
Schtfnbach.
259
herauszuschalen und kritisch herzustellen, beschrankte sich vielmehr auf Textab-
driicke mit sparlichen Emendationen. So blieben Ausgaben, die zum Teil schon
weit gediehen waren, unvollendet liegen, beispielsweise wie bereits erwahnt,
Wernhers Maria, der Melker Strieker, Gundacker von Judenburg, Diemers Arz-
neibuch und der Wigalois, dessen Handschriften er mehrere fordernde Studien
gewidmet hatte. Auch der erste der drei Bande seiner »Altdeutschen Predigten*
kann nicht den Namen einer kritischen Ausgabe beanspruchen, weil er, mit der
Wiedergabe des Lipsiensis sich begnugend, die Varianten der sonstigen Kodizes,
ohne sie fur die Textgestaltung auszunutzen, nur unter dem Strich verzeichnet.
Ich bezweifle jedoch, ciaO Sch., wenn er minder fruhzeitig in ein Amt eingeruckt
ware, das ihn mit unausgesetzter Kollegarbeit belastete, die Lucken ausge-
glichen haben wiirde, welche nach der formalen Seite hin seiner Vorbildung
anhafteten. Denn Unrast beherrschte sein Wesen von Jugend auf: nichts ging
ihm flink genug von der Hand, er konnte niemals den Abschlufi erwarten,
immer beschaftigten ihn mehrere Plane zu gleicher Zeit, und seine Feuilletons
schoben sich mitten zwischen die wissenschaftlichen Untersuchungen. Ihm
fehlte straffe Konzentration und Ausdauer, er ergab sich, um einen beruhmt
gewordenen Ausspruch Lachmanns anzuwenden, nicht willig, sondern lieO sich
vielfach von ersten Eindriicken bestimmen. Fluchtigkeitsvcrsehen liefen ihm
nicht selten unter, die dann von seinen Gegnern, mitunter recht klaglichen
Gesellen, weidlich wider ihn ausgebeutet wurden. Dafi auch Konjektural-
kritik seine Sache nicht war, zeigen recht deutlich die Besserungsvorschlage
zum Reinhart Fuchs (ZfdA. 29).
Diesen Mangeln seiner Veranlagung standen glanzende Vorziige gegenubcr:
eiserner FleiS, ausgebreitete Gelehrsamkeit, prasentes Wissen, gluckliche Kom-
binationsgabe. Zahllose Manuskripte gingen ihm durch die Hand und wurden teils
auf gelehrten Reisen, teils in der Studierstube von seiner nimmermuden Feder
kopiert. Dabei gelangen ihm wichtige Funde, die zur Bereicherung unserer
Kenntnisse wesentlich beigetragen haben. Abgesehen von alten Bruchstucken
der Kaiserchronik und des Tobiassegens (ZfdA. 19) seien hervorgehoben die
wertvollen Mitteilungen aus den S. Lambrechter Breviarien der Grazer Biblio-
thek (ZfdA. 20) das S. Pauler Neidharts-Spiel (ZfdA. 40), die von Innsbrucker
Buchdeckeln abgelosten Fragmente des Waltharius und eines kolnischen Ge-
dichts aus dem 12. Jahrhundert liber Christi Geburt (ZfdA. 33, 35), endlich die
Juliana des Priesters Arnold (Wiener Sitzungsberichte 1882). Neue Namen
mit bisher unbekannten Schriften traten in das Gesichtsfeld der mittellateini-
schen und der deutschen Literaturgeschichte, so Gutolf von Heiligenkreuz,
Hermann v. Reun, Andreas Kurzmann und der Verfasser der Vorauer Novelle.
Auch (iber einen andern Zisterzienser, Caesarius v. Heisterbach, verbreiteten
drei von den acht Heften der auBerordentlich lehrreichen Studien zur Er-
zahlungsliteratur des Mittelalters (Wiener Sitzungsberichte 1898 — 1909) helles
Licht. Innerosterreich speziell gingen an die Sammlung cler steirischen und
karntnischen Taidinge (1881 zusammen mit Bischoff herausgegeben), das neue
Bruchstiick des Edolanz (ZfdA. 25), die Bemerkungen zur Krone Heinrichs
v. d. Turlin (Beiti. 33) und namentlich die Forschungen iiber Ulrich v. Lichten-
stein (ZfdA. 26, AfdA. 29, Biogr. Bll. 21 ,1), welche zwischen Wahrheit und
Dichtung in dessen Frauendienst zuerst unterschieden. Im AnschluB hieran
will ich nicht verabsaumen, auf das groGe Verdienst hinzuweisen, das sich Sch.
260 Schtfnbach.
durch die (hoffentlich endgiiltige) Widerlegung der Tiroler Hypothese von
Walthers Heimat auf dem Layener Ried erwarb (AfdA. 4).
Durchdrungen von der in seinen oben angedeuteten Jugendeindrucken
wurzelnden Oberzeugung, dafi Latein und Kirche die beherrschenden Machte
des Mittelalters waren, wahrend die Literatur in den Volkssprachen nur einen
-recht bescheidenen Bruchteil des geistigen Lebens ausmachte, hat Sch. ener-
gischer als jemals ein Germanist nach grundlicher Kenntnis der klassischen und
der patristischen Autoren getrachtet: liefl er sich doch die Miihe nicht ver-
driefien, samtliche 222 Bande von Mignes Series latina nicht etwa durchzu-
blattern, sondern genau zu studieren. Auf Grund dieser ausgebreiteten Lektiire
gelangen die Quellennachweise zu den »Altdeutschen Predigten«, konnte der
Einflufl der Philosophia mot alls und der Philosophia mundi des Wilhelm v. Con-
ches auf das Lehrgedicht Wernhers v. Elmendorf (ZfdA. 34) und auf Thomasins
Walschen Gast (Anfange des Minnesangs, 1898) festgestellt und gezeigt werden,
dafi die Versus de poeta (die zweite der sogenannten Vorreden zum Heliand)
ganz unter dem Banne der gangbaren lateinischen Schulschriftsteller stehen
(Drei Proomien fur Gurlitt, 1 904). Ferner erwies sich, dafi Otfrids Evangelien-
buch nur solche biblischen Abschnitte verwertet, die das kirchliche Perikopen-
system an die Hand gab, und dafi seine Dedikationen durchaus dem Stil und
der Phraseologie der lateinisch schreibenden Zeitgenossen nachgebildet sind
(ZfdA. 38, 39). Ohne Zweifel hat auch der Arbeit liber Hartmann von Aue
(1894) die starke Heranziehung der Kirchenvater zum Vorteil gereicht und
namentlich manche Partien des Gregor erst dem vollen Verstandnis erschlossen.
Als reifste Frucht dieser Studien erscheint mir aber die Schrift »Ober einige
Evangelienkommentare des Mittelalters« (Wiener Sitzungsberichte 1904), welche
darlegt, dafi weder Beda den Matthaus und Johannes noch Hraban den Jo-
hannes kommentiert hat. Indessen barg die langjahrige Beschaftigung mit
der kirchlichen Latinitat auch Gefahren in sich. Sie verleitete Sch. ofters dazu,
Gedanken selbstverstandlicher oder gar trivialer Natur, die jedermann kommen
konnen, ohne dafi er von irgendeiner Seite her beeinflufit zu sein braucht, auf
geistlichen oder gelehrten Ursprung zuruckzuflihren: deshalb lassen seine Bei-
trage zur Erklarung altdeutscher Dichtwerke (4 Hefte, Wiener Sitzungsberichte
1899 — 1904) die Bildung unserer alteren Minnesanger weit allseitiger erscheinen,
als sie tatsachlich gewesen ist. Er schadigte die Beweiskraft seiner Quellen-
belege durch Aufnahme massenhafter halbihnlicher Zitate, die mangels vollig
adaquater Parallelen nur darzutun bezweckten, dafi gewisse Vorstellungen
der kirchlichen Anschauung nicht fremd seien: darunter litt insonderheit die
zweite seiner Otfrid- Studien (ZfdA. 38, 39). Ob die mehrmals begonnene, niemals
vollendete Quellenanalyse des Heliand (die Benutzung des Juvencus sollte hier
zur Sprache kommen) und der angelsachsischen biblischen Dichtungen anders
ausgefallen ware, weifi ich nicht. Vollig ergebnislos blieb der Versuch, die
christlichen Elemente volkstumlicher Poesie flir deren Kritik auszunutzen.
In dem Buch »Das Christentum in der altdeutschen Heldendichtung« (1897)
besteht jedes der vicr von den Nibelungen, der Klage, der Kudrun und Alpharts
Tod handelnden Kapitel aus zwei zusammenhangslosen Teilen, einem ge-
schmackvollen und umsichtigen Bericht iiber die Stellung, welche Sch. den Er-
gebnissen der bisherigen Kritik gegenuber einnimmt, und einer Sammlung der
religiosen Formeln: will man sich uberzeugen, ein wic dunner Faden beide ver-
Schonbach. 26 1
binden mufl, so vergleiche man nur S. 216 mit 233. Ahnlich steht cs ubrigens
um die kurz nachher (1898) erschienenen »Anfange des Minnesangs«: mit be-
sonnenen Ausfuhrungen uber Genesis und Charakter der deutschen Liebeslyrik
verquickt sich die wenig glaubhafte Hypothese, die romanische Minnepoesie
sei nicht bloO auf dem Wege uber die Rheinlande, sondern auch iiber die Lom-
bardei, Friaul und Karnten nach Deutschland gedrungen, und die zweifellos ver-
fehlte Behauptung, Thomasin v. Zirclaria habe mit Walther von der Vogelweide
langjahrige Beziehungen unterhalten.
Einen andern in das Bereich der geistlichen Literatur einschlagigen Plan,
mit dem er sich mindestens seit 1880 getragen, fur den er reiches, nunmehr den
Bestanden des Gieflner volkskundlichen Vereins einverleibtes Material zu-
sammengebracht und von dem er eine vorlaufige Probe 1893 veroffentlicht hatte,
konnte Sch. leider nicht mehr ausfuhren, die Herausgabe namlich eines Corpus
der lateinischen und deutschen Segensformeln. Sehr bedauerlich ist auch, dafl
er den Schlufiband seiner >>Altdeutschen Predigten« ungeschrieben liefl, der das
gegenseitige Verhaltnis der in den ersten drei Banden abgedruckten Homilien-
sammlungen erortern und eine Geschichte des deutschen Predigtwesens bis auf
Berthold v. Regensburg in ihren Hauptziigen entwerfen sollte. Aber dieses
geistesmachtigen Franziskaners Leben und Wirken hat er fast voile drei De-
zennien hindurch, von den groflen Rezensionen im AfdA. 7 und 10 an uber die
Festschrift von 1 890 hin bis zu den sieben Abhandlungen der Jahre 1900 bis 1907,
zum Gegenstand eindringendster Untersuchungen gemacht und in ganz neue
Beleuchtung geriickt. MOgen auch einzelne Striche des Bildes, das er zeichnete,
spater einmal Abanderungen erfahren — ich personlich bezweifle, dafl der
Minorit die Magdeburger Ordenshochschule besucht und dort die Vorlesungen
des Bartholomaeus Anglicus (Mitteilungen des Instituts fur osterreichische
Geschichtsforschung 27) gehort habe — , jedenfalls werden die Berthold-Studien,
wie sie den Hohepunkt seiner wissenschaftlichen Tatigkeit bilden, so die Grund-
lage fur alle klinftige Forschung abgeben. Zu wunschen steht, dafl ein letzter
Auslaufer dieser Arbeiten, die schon zum Druck hergerichtete Publikation des
»Geistlichen Baumgartens<<, uns nicht vorenthalten bleibe.
Mancher hier nicht erwahnten Einzelheit gedenken die vorzUglichen Nekrologe von
B. Scuff ert, Deutsche Arbeit 11,4 (191 1), 218 — 224, und von J. Seemuller, Almanach der
Wiener Akademie 62 (1912), 397 — 406 (mit gutem Bilde). Vom Standpunkte des dankbaren
SchUlers ist J. Ranftls Nachruf geschrieben t Hist.-poL Bll. 148 (191 1), 593 — 608. Der Artikel
von M. E(ttUnger) im Hochland 9, 1 (1911), 130 bespricht nur die Beziehungen zwischen Sch.
und dieser Revue. In der Illustrierten Zeitung 137 (1911), 406 begleiten ordnungslos gehaufte
BUchertitel ein (ibelgeratenes Bild.
Erlangen. Elias v. Steinmeyer.
Erganzungen und Nachtrage.
Plencr 1 ), Ignaz v*, Staatsmann, * Wien 21. Mai 1810, f Wien 17. Februari9o8.
— Fur den Sohn ist es immer schwer, iiber den eigenen Vater zu schreiben. Die
subjektive Befangenheit sowie die natiirliche Zuruckhaltung in rein personlichen
und intimen Dingen legt ihm mehr Schranken auf als dem fremden Biographen,
der seinen Vorwurf ganz gegenstandlich behandelt. Aber auf der andern Seite
hat der Nachststehende doch die beste Kenntnis von der zu schildernden Per-
sonlichkeit, und bei einiger Selbstdisziplin mag es auch ihm gelingen, ein wahr-
heitsgetreues Bild zu schaffen, das darum nicht weniger zutreffend zu sein
braucht, weil es von den Gefuhlen des Verfassers die Warme des Tons erhalt.
Ignaz v. P. wurde am 21. Mai 1810 in Wien geboren, sein Vater war Be-
am ter der Hofkammer, ein tiichtiger und fester Mann, der im Jahre 1809 gegen
die Franzosen im Felde gestanden hatte. Dessen Vater war Professor gewesen,
ein warmer Anhanger der Josefinischen Aufklarungsara, von dem ein paar
philologische Arbeiten herruhrten. Die fniheren Vorfahren stammten aus
dem Elsafi. Der Vater meines Vaters war ein eifriger Leser guter Biicher und
verkehrte mit Schubert und Grillparzer, der meinem Vater ein Exemplar seiner
»Ahnfrau« mit einer eigenhandigen Widmung schenkte. Die Mutter, eine
Ungarin, eine geborene Mikos v. Tarrodhiza aus einer heute noch bluhenden
g^n/ry-Familie, war eine aufierordentlich begabte Frau voll Energie und Willens-
kraft, die bis in ihr sehr hohes Alter ihre Fahigkeiten bewahrte, fur die sie von
alien Seiten bewundert wurde, noch in ihren letzten Jahren von Beust unci
Tegetthoff.
Die Schulen der franziszeischen Zeit scheinen nicht so schlecht gewesen
zu sein, mein Vater erlangte eine solide Kenntnis der lateinischen Sprache und
ein dauerndes Streben nach allgemeiner Bildung. An der Universitat hatte er
eine Reihe grofler osterreichischer Juristen als Lehrer: Dolliner, Winiwarter
und Kudler, deren Vortrage ihm dauernden Nutzen brachten; wie die meisten
begabten juristischen Kandidaten trat er in die Kammer- (spater Finanz-)
Prokuratur ein, wo er der Kollege von Alexander Bach, dem jungeren Wini-
warter und Muhlfeld war. Die vorwiegend juristischen Arbeiten in der Pro-
kuratur waren eine treffliche Schule und haben sicherlich seinen guten klaren
Stil geformt. 1836 heiratete er Pauline v. Schuster, deren Familie urspriinglich
Industrielle waren, die die niederosterreichische Landstandschaft und das
Gut Schwarzenau besessen, aber in den Krisen der napoleonischen Kriege
grofle Vermogenseinbufien erlitten hatten. Meine Mutter war eine schlanke,
grofie Frau, sanft und liebenswurdig, mein Vater war der lebhaftere und ener-
Totenliste 1908, Bd. XIII, 73*.
v. Plener. 263
gischere Teil, die Ehe, aus Liebe geschlossen, war auCerordentlich glucklich.
Die Existenz meiner El tern in Eger, wo ich 184 1 geboren wurde, war eine sehr
angenehme, im Sommer wohnten wir auf dem Lande in der Nahe von Franzens-
bad, fuhren viel herum in der Umgebung, mein Vater war lebhaft und heiter
und genofi das frische Leben mit Humor und Behagen. In Eger verkehrte er
viel mit Rat Griiner, der bekanntlich mit Goethe in Briefwechsel gestanden hatte.
Als junger Beamter war er schneidig und eifrig, dabei hatte er einen offenen Blick
fur allgemeine Verwaltungsfragen und fur die Lage der Bevtflkerung. Im
Wiener Finanzministerium liegt ein Bericht von seiner Hand aus Hirschen-
stand uber den Notstand im Erzgebirge und die eventuellen Mittel zur Abhilfe,
unter denen er angesichts der Kartoffelmifiernte ein temporares Getreideausfuhr-
verbot empfahl. 1844 wurde er zum Kameralrat in Eger ernannt, in den Akten
heiflt es, dafi »er wegen seiner vorzuglichen Befahigung und vielseitigen Aus-
bildung als der ausgezeichnetste angesehen werden mufl und dafi ihm keiner
der Mitbewerber an die Seite gestellt werden kann«. Das Jahr 1848 brachte
auch in die kleine Stadt Eger eine Bewegung, eine Art Nationalgarde wurde ver-
sucht zu schaffen, mein Vater nahm aber an den popularen Demonstrationen
keinen Teil. Im Herbst des Jahres 1848 wurde er nach Prag zur Landesdirektion
versetzt, wo er als Zollreferent eine einflufireiche Stellung gewann. Er wurde,
was damals fur einen Verwaltungsbeamten sehr selten war, zum Mitglied der
staatswissenschaftlichen Staatsprufungskommission und 1 851 zum Ober-
finanzrat wieder auflertourlich ernannt. Das Leben in Prag war viel weniger
angenehm als in Eger, meine Eltern hatten wenig Verkehr und saflen abends
viel miteinander. Da starb ganz unerwartet meine Mutter (September 1 850).
Der Tod der jungen Frau, der vermoge seiner Plotzlichkeit noch eindrucksvoller
war, hatte eine auCerordentlich tiefe Wirkung auf meinen Vater, er war ganz
niedergebrochen, ging lange Zeit hindurch taglich an das Grab der Verstorbenen,
und seine Heiterkeit war fiir lange dahin. Sein ganzes Wesen war erschiittert,
die Vereinsamung fiihrte ihn zur Lekture philosophischer Biicher und wissen-
schaftlicher Werke, aber die geistige Anregung konnte ihm seine alte Stimmung
und Heiterkeit nicht so bald zuriickgeben, um so weniger, als ihn im nachsten
Jahre ein neuer Schlag treffen sollte, indem seine kleine Tochter im Alter von
6 Jahren vom Krupp dahingerafft wurde. Unter diesen Umstanden war es ein
Gliick fiir ihn, als er durch die Berufung nach Ofen an die Seite des Grafen
Moriz Almasy, des Leiters der neuen Finanzverwaltung in Ungarn, aus der
Prager Existenz und deren traurigen Erinnerungen herausgerissen wurde
(August 1851).
Die Einfuhrung der osterreichischen Verwaltung in Ungarn ist bekanntlich
vielfach angegriffen worden. Der hauptsachlichste und wirksamste Grund
ihrer Bekampfung lag in ihrem absolutistischen Ursprung, Hatte man nach
Niederwerfung der Revolution verfassungsmafiige Zustande eingefuhrt, so
waren die Anspriiche der Gesamtmonarchie auch von Ungarn anerkannt, die
moderne Verwaltung ware richtiger eingeschatzt worden und die allgemeine
Unzufriedenheit ware nicht so weit gediehen, die nach dem Kriege von 1866
zu den bekannten weitgehenden Zugestandnissen gefiihrt hat. Ein anderer
Fehler war die unterschiedslose Aufzwingung der deutschen Sprache nicht blofi
im Amts-, sondern auch im Parteienverkehr, das muflte boses Blut machen.
Die materiellen Leistungen der neuen Verwaltung waren im ganzen gute, es
264 v " p l ener -
kam wieder Ordnung in das Land, der bureaukratische Apparat war allerdings
schwerfallig, aber frei von Korruption. Die Grundentlastung, eine der groflten
sozialen Reformen, wurde durchgefiihrt, Grundsteuerkataster und Grundbucher
wurden angelegt, gute Straflen gebaut u. a. In dieser Zeit seines ersten Auf-
enthalts in Ungarn handelte es sich nur urn die ersten Grundzuge der neuen
Organisation und um die Einfuhrung einer grofien Anzahl osterreichischer
Steuergesetze in Ungarn. Die meisten dieser Gesetze wurden im Jahre 1867
nach Wiederherstellung der ungarischen Verfassung vom ungarischen Reichstag
im Gesetzeswege rezipiert. Ihre erste Einfuhrung war keine leichte Arbeit an-
gesichts des Mangels eingeborener Beamten und der passiven Resistenz eines
grofien Teiles der Bevolkerung. Mit Graf Almasy stand P. auf einem sehr
guten Fufie und zugleich erwarb er sich das Vertrauen und die Anerkennung
des Erzherzogs Albrecht, des damaligen Gouverneurs von Ungarn. Nach einem
Aufenthalt von mehr als einem Jahre ging er wieder nach Prag zuriick, von wo
er aber im Marz 1854 als Hofrat und Vorstand der Finanzlandesdirektions-
abteilung in Preflburg wieder nach Ungarn zuruckkehrte. Seine dortige Tatig-
keit erfiillte ihn mit grofier Befriedigung, er hatte unzweifelhaft ein organisa-
torisches Talent und eine bedeutende Leitungsgabe, die neuen Amter ins
Leben zu rufen, ihren Dienst zu leiten und zu uberwachen, entsprach ganz
seiner Anlage und seinem Temperament, das eine nach aufien wirksame Leistung
hoher schatzte als die eigentlichenBureauarbeit, er bereiste wiederholt das
grofie Verwaltungsgebiet, das sich von der Donau bis zu den Karpathen an
die galizische Grenze erstreckte. Dabei war er in der Auffassung seines Berufs
reifer geworden, die ubermaflige Schneidigkeit, die er in seinen jiingeren Jahren
in Eger an den Tag gelegt hatte, war einer ruhigen Festigkeit gewichen, die eine
billige Rucksicht fur die Verhaltnisse der Steuertrager gel ten liefi. Dies in Zu-
sammenhang mit seinen guten Umgangsformen war wohl auch der Grund dafiir,
dafi er trotz der allgemeinen Unbeliebtheit des zentralistischen Regimes
personlich unzweifelhaft Sympathien in verschiedenen Kreisen der Bevolkerung
erwarb, so war er sehr befreundet mit Baron Walterskirchen und Graf Dezasse,
die der unter seinem Vorsitz tagenden Grundsteuerkommission angehorten.
Die aufieren Lebensbedingungen in Prefiburg waren sehr angenehme, eine
kleine, saubere, damals ganz deutsche Stadt in sehr hubscher Lage, mit den
erfrischenden Badern im Donaustrom und einem kleinen Waldgebirge auf der
Nordseite. So beschaftigt er auch war, setzte er seine Privatlektiire eifrig fort.
Jenefiinfziger Jahre sahen den Aufstieg der neuen deutschenMaterialisten: Vogt,
Moleschott, Biichner. Mein Vater liefi mich trotz meines jugendlichen Alters
diese Bucher auch lesen und unterhielt sich mit mir uber diese Dinge, wahrend
er auf meine Schularbeiten keinen EinfluG nahm. Aber er blieb bei den gerade
in der Mode befindlichen Schriftstellern nicht stehen, er suchte weiter in strenge-
ren Werken einen besseren Halt, namentlich in Lotzes Mikrokosmus, dessen
edle Weltanschauung und idealistischer Pantheismus ihn lebhaft anzogen. Seine
Vorliebe fur Naturwissenschaften brachte ihn mit mehreren jiingeren Pro-
fessoren dieses Faches, insbesondere mit Dr. Kornhuber, einem sehr tuchtigen
Geologen, in nihere Beriihrung, mit dem er die Bucher von Lyell, Rofi-
mafiler, Burmeister u. a. eifrig las und den er auf mancher geologischen
Exkursion begleitete. So entstand der Gedanke, zur weiteren Forderung
naturwissenschaftlicher Arbeiten einen Verein zu griinden. Zwei Jahre
v. Piener. 265
dauerte es unter den damaligen Verhaltnissen, bis die behordliche Ge-
nehmigung erteilt wurde. Mein Vater wurde zum Prasidenten des neuen Vereins
gewahlt, der heute noch besteht und ganz interessante Publikationen heraus-
gegeben hat. Sein intensives Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen
betatigte er lebhaft wahrend seiner Vereinsleitung, und als er von Preflburg
abging, feierte er in seiner Abschiedsrede die Bedeutung und den Wert der Natur-
wissenschaft. »Die schone Farbe, der liebliche Geruch unserer Blumen ergotzt
auch den Nichtkenner, es ist dies die naivste Form des Naturgenusses und der
Eindruck der Pflanzenwelt auf jedes nur irgendwie empfangliche GemUt ein
wohltuender; doch mit welch andern Augen betrachtet dieselbe der Freund der
botanischen Studien, der mit den merkwurdigen Gesetzen ihres Baues, ihrer
Metamorphose, ihres physiologischen Verhaltens vertraut ist, ganz besonders
aber jener, der das Bild kennt, das dem staunenden Auge das Mikroskop enthiillt.
In den Kreis von all diesem Schonen und Herrlichen tritt auch die reichliche
Fiille des Nutzlichen wohlberechtigt ein. In ihrem groBen Berufe hebt die
Naturwissenschaft mit nicht leichter Arbeit manch verborgenes Pfand, um es
fruchtbringend und fur die Menschheit segensreich zu machen, sie geht hierbei
aber keine »K6nigsbahn«, sondern den harten Weg des miihevoll dienenden
Fleifles und der endlich siegenden Ausdauer. Sie zeigt ferner, wie vielleicht in
keinem andern Zweige der menschlichen Bildung, den unermcBlichen Fort-
schritt der Gegenwart gegen das Altertum und erkampft mit den Waffen des
Friedens stets neue Siege und weitere Kreise.« Er hatte damals iiberhaupt die
richtige Freude am intellektuellen Genufi. Selbst an poetischer Literatur hatte
ergrofiesGefallen, er war ein Bewunderer derGedichte von Heine, von denen er
viele auswendig wufite, und las alle damals neuen Dichter wie Geibel, Kinkel,
Redwitz, Dingelstedt, Morike u. a. Ebenso war er ein grofier Freund des
Theaters.
Nachdem er sich in der Organisierung der neuen Behorden in Ungarn
bewahrt hatte, berief ihn Finanzministcr Bruck, der grofle Stticke auf ihn hielt,
nach Lemberg an die Spitze der Finanzverwaltung von Ostgalizien und der
Bukowina, um dort auch etwas reformatorisch zu wirken (Spatsommer 1857).
Er verlieB schweren Herzens PreBburg, wo er eine sehr angenehme Zeit ver-
bracht hatte. In Galizien war manche schwere Arbeit zu tun, die allgemeinen
Verhaltnisse des Landes und der Beamtenschaft waren damals ziemlich riick-
standig, und es bedurfte einer starken personlichen Initiative und bestandiger
Aufsicht und Aufmerksamkeit, um den Verwaltungsapparat gut funktionieren
zu machen. Mit dem Statthalter Grafen Goluchowski, der ihn anfanglich als
ein von Wien bestelltes Oberwachungsorgan mit MiBtrauen angesehen hatte,
kam er bald in sehr gute Beziehungen. Das strenge Pflichtgefuhl, die Loyalitat
und die Fahigkeiten des neuen Ankommlings verschafften ihm bald Respekt
und Anerkennung. Mit dem Vizeprasidenten der Statthalterei Josef Freiherrn
v. Kalchberg, einem ausgezeichneten Verwaltungsbeamten, der die Grund-
entlastung in Galizien mit Erfolg durchgefiihrt hatte und spater in Wien als
Leiter des Handelsministeriums eine gute Rolle spielte, befreundete sich P.
rasch. Auch in seiner neuen Stellung kam es ihm moglichst darauf an, die
Dinge durch eigene Anschauung kennen zu lernen und durch persOnliches Ein-
greifen zu ordnen, so unternahm er zahlreiche Reisen im Lande, auf einigen von
welchen ich ihn begleiten durfte. Er war damals aufierordentlich frisch und
266 v * Planer.
kraftig und erstaunte alle Welt durch seine Ausdauer und Unermiidlichkeit,
stieg in alle Salzbergwerke hinab, durchstreifte zu Pferde die Walder der Buko-
wina, empfing alle moglichen Deputationen und machte abends noch ausfiihr-
liche Aufzeichnungen. Dabei war er ein Feind bureaukratischer Vielschreiberei,
er wollte zur Vereinfachung der Geschafte die Bezirksdirektionen als uberfliissige
Zwischeninstanzen aufgehoben wissen, dafur die unteren Amter mit grofieren
Befugnissen und starkerer persOnlicher Verantwortlichkeit ausstatten. So
zuriickhaltend auch die polnische Gesellschaft gegen die osterreichischen Be-
amten war, so hatte mein Vater doch eine ganz gute soziale Stellung, wenn er
auch mehr mit Beamten und hoheren Offizieren verkehrte, von denen damals
die Generale Graf Schlick und Benedek in Lemberg waren.
Nur etwa zwei Jahre blieb P. in Lemberg. Goluchowski war nach dem
Rucktritt Bachs Minister des Innern in Wien geworden, und wahrscheinlich
nicht ohne dessen Zutun wurde P. im Oktober 1859 nach Wien in den standigen
Reichsrat berufen. Dieser war ein Staatsrat oder richtiger der Rat des Kaisers
fur dessen Beurteilung der ihm von den Ministern vorgeschlagenen Maflregeln.
In der erste'n Halfte der fiinfziger Jahre, namentlich unter der Leitung Kiibecks,
hatte sich der Reichsrat iu einer politisch sehr einfluflreichen Korperschaft ent-
wickelt, die fur die Minister nicht immer bequem war. Wenn auch seit dem
Kabinettsschreiben vom 21. August 1 85 1 keine konstitutionelle Verantwort-
lichkeit der Minister bestand, die Gesetze nur nach »Vernehmen« des Minister-
rats und nicht, wie friiher, auf dessen »Antrag« erlassen wurden und ihre Gegen -
zeichnung durch die Minister nur die formelle Korrektheit der Beschlieflung
bezeugen sollte, so trugen die Minister nach auflen doch die moralische Verant-
wortung fur alle Gesetze und Mafiregeln, wahrend der Reichsrat abgeschlossen
von aller Offentlichkeit doch auf alles Einflufl nahm, Abanderungen an den Ent-
wiirfen der Minister herbeifuhrte, ohne aufierlich fiir seine Tatig;keit einzutreten.
Und diese Tatigkeit war nicht eng begrenzt. Alle Gesetzentwiirfe, administra-
tive und finanzielle Mafiregeln, Systemisierung neuer Beamtenstellen und
damit in Zusammenhang auch deren Besetzung, Eisenbahnkonzessionen und
infolge von Majestatsgesuchen Steuererleichterungen, Stiftungsangelegenheiten
und zahlreiche Einzelf alle wurden seiner Begutachtung unterzogen. Die kleinen
Falle wurden in kleinen Komitees erledigt, die grofieren kamen in die Vollbe-
ratung, immer waren zwei oder drei Referenten bestellt, die schriftliche Re-
ferate ausarbeiteten, aber in den Sitzungen miindlich ihren Standpunkt ver-
traten. Ober jede Verhandlung wurde ein Vortrag an den Kaiser gerichtet,
welcher sehr ausfuhrlich den ganzen Hergang der Verhandlung berichtete und
am Schlufi einen motivierten Antrag des Prasidenten enthielt fiir die kaiserliche
Entschliefiung iiber die betreffende Angelegenheit. Der Reichsrat bestand
damals aus folgenden Mitgliedern: Baron Salvotti, der von den Carbonari -
prozessen her bekannte, in alien Rechtsfragen als Autoritat angesehene Jurist,
Szogyenyi, ein grofler Kenner ungarischer Verwaltungszustande, Geringer,
nach der Revolution Zivilgouverneur von Ungarn, Lichtenfels, der bekannte
angesehene Jurist, Philipp Kraufi, der Finanzminister von 1848 bis 1851, dann
Graf Karl Wolkenstein, friiher Landesgerichtsprasident in Briinn, sehr klerikal
und konservativ, Graf Moriz Almdsy, der mit meinem Vater zugleich in Ungarn
in der Finanzverwaltung gedient hatte, dann Haimberger, Ftirst Salm, Graf
Mercandin, und Baron Degrazia. Als President fungierte Erzherzog Rainer,
Plener.
267
der mit grofier Gewissenhaftigkeit, Sachkenntnis und Unparteilichkeit die Ver-
handlungen leitete und seine Meinung mit grofier Offenheit aufierte. Mein Vater
ergriff seine neue Tatigkeit mit seinem gewohnlichen Eifer und Fleifi, aber zu-
gleich war er zu sehr von der Erkenntnis durchdrungen, dafi der Minister,
dem einmal die Verwaltung anvertraut ist, auch eine gewisse Bewegungsfreiheit
haben miisse und dafi das Regierungsgeschaft nicht vom Ministerium und
Reichsrat zugleich betrieben werden konne, als dafi er eine Befriedigung in
kleinlicher, norgelnder Kritik von Verwaltungsmafiregeln finden konnte. Da
er in der Regel finanzielle Referate im Reichsrat zu flihren hatte, stellte er sich
gleich von Anfang auf den besten Fufi mit dem Finanzminister Bruck, der ihn
iibrigens in Wien mit den Worten begriifit hatte: >>Sie werden mein Nachfolger
sein.« In der kurzen Zeit seiner Mitgliedschaft referierte er iiber zahlreiche
Gegenstande, so unter anderen iiber die Stabilitat der Zollsatze, die nach seiner
Meinung mindestens 5 Jahre unverandert zu bleiben hatten, iiber die Neu-
emission von 20 Millionen Gulden Partial-Hypothekenanweisungen, iiber die
Ausgleichung der Steuerlast in Ungarn, wo er den nichtfiskalischen Standpunkt
der vollen Riickvergiitung von zu viel gezahlten Steuern vertrat, iiber Zucker-
steuer und -Ausfuhrvergiitung, Vereinfachung der Staatsschuldenverwaltung,
iiber Weinsteuer, die auch damals in der durch das Gesetz vom Mai 1859 geschaffe-
nen Form in der Bevolkerung vielen Widerspruch erfahren hatte, so dafi man
gewisse Erleichterungen und in manchen Landesteilen auch Ermafiigungen
empfahl. Als Finanzminister Bruck das ganze auf Grund der kaiserlichen Ver-
ordnung vom 29. April 1859 aufzunehmende Lotterieanlehen von 200 Millionen
Gulden begeben wollte, um den durch die Emission von 5 Gulden-Banknoten
entstandenen Vorschufi von 133 Millionen Gulden an die Nationalbank zuriick-
zahlen, um eincn Teil des Defizits zu decken und endlich um das National-
anlehen auf die planmafiige Summe von 500 Millionen Gulden zuriickzufiihren
und die bekannte beklagenswerte Mehremission wenigstens teilweise aus der
Welt zu schaffen, wollte Baron Kraufi nur einen Teilbetrag ftir Defizitzwecke
begeben lassen, wahrend mein Vater ftir die Vorschlage des Finanzministers
und insbesondere fur den Beginn einer Valutareform, durch Abzahlung der
Bankschulden des Staates eintrat. Leider mifllang damals bekanntlich die
Emission dieses Anlehens, und die grofien Zwecke der geplanten Finanzopera-
tion blieben unerfiillt. Fur meinen Vater waren die sechs Monate Reichsrats-
tatigkeit eine gute Schule, er hatte sich mit allgemeinen Verwaltungsfragen
und auch mit solchen Finanzangelegenheiten zu beschaftigen, die er in der
Landesverwaltung nicht gehandhabt hatte. Gleich zu Beginn wurde er an
Stelle des verstorbenen Barons Wildschgo als Vertreter des standigen Reichsrats
in die Immediatkommission fur Reform der direkten Besteuerung delegiert.
Der ungliickliche italienische Krieg hatte in der offentlichen Meinung nach
alien Seiten tiefgehende Wirkungen. Man erhob Vorwiirfe gegen das politische
System, gegen die Fiihrung der Armee und gegen die Militarverwaltung. Im
Verpflegswesen der Armee wurden Unterschleife entdeckt, zu deren Verfolgung
eine strafgerichtliche Untersuchung eingeleitet wurde, zunachst gegen Feld-
marschalleutnant Baron Eynatten, gegen den Direktor der Kreditanstalt
Richter und gegen den Triester Grofihandler Revoltella. Mit diesem letzteren
hatte der Finanzminister Bruck von seiner Triester Zeit her Beziehungen, und
seine Einvernehmung in der Voruntersuchung wurde verfiigt, obwohl er mit
268 v - Plener.
der Armeeverpflegung eigentlich gar nichts zu tun gehabt hatte. Das gab
Anlafl zu verschiedenen boshaften Geriichten iiber seine angebliche Verwicklung
in der Unterschleifaffare, und da er aufierdem in manchen einfluBreichen Kreisen
als Protestant und Nichtosterreicher Anfeindung fand, war bald ein ganzer
Rattenkonig ubeln Leumundes beisammen. In dieser peinlichen Situation
sprach Bruck am 19. April in der Ministerkonferenz selbst den Wunsch aus,
der Staatsgeschafte sich zeitweilig enthoben zu sehen, infolgedessen er durch
kaiserliches Handschreiben vom 22. April auf sein Ansuchen in den zeitlichen
Ruhestand versetzt und der Reichsrat P. mit der Leitung des Finanzmini-
steriums provisorisch betraut wurde. In der darauf folgenden Nacht endete
Bruck durch Selbstmord, er hatte offenbar in einem Moment der groflten Auf-
regung die unheilvolle Tat begangen, die erst recht den verleumderischen Ge-
riichten Nahrung bot. Mein Vater, der fur Bruck immer eine groBe Verehrung
und Sympathie hatte, war durch das schreckliche Ereignis tief erschlittert,
und als die Wiener Zeitung wenige Tage nach dem Todesfall ein Communique
brachte, wo durch einen angeblichen Druckfehler Bruck als Mitbeschuldigter
im Prozefi Eynatten erschien, war er emport. Die Richtigstellung erfolgte zwar,
aber meinem Vater genugte sie nicht, er setzte sich mit allem Nachdruck fur
die Ehrenrettung Brucks ein, es gelang ihm schliefilich, nach einem Jahr, eine
auBerordentliche Pension fur die Witwe zu erwirken, aus welchem Anlafl er
einen langen Brief an sie richtete (4. Mai), in dem er konstatierte, dafl »die mit
groBer Offenheit und ohne jede Riicksicht auf Personen gefiihrten Prozeflver-
handlungen geeignet waren, die offentliche Meinung voilstandig aufzuklaren
und jedem unbefangenen Beurteiler die Oberzeugung zu verschaffen, dafi die
Integritat des Charakters und die Reinheit der Amtsfuhrung des gewesenen
Finanzministers von dem Gegenstande jener Verhandlungen ganzlich unberuhrt
geblieben sind. Gleichzeitig war mir als Amtsnachfolger des Freiherrn v. Bruck
haufig die Gelegenheit geboten, die von ihm geleiteten Staatsgeschafte einer
eingehenden Priifung zu unterziehen und mir hierbei die begriindete Ober-
zeugung von der vollkommen aufrechten und nur durch die Interessen des
Staates geleiteten Dienstesgebarung des Verblichenen zu verschaffen. Von
diesen Betrachtungen geleitet, habe ich es fur eine Gewissenspflicht erachtet,
Schritte in der Richtung zu tun, damit die Makellosigkeit des Namens des ver-
storbenen Finanzministers durch eine tatsachliche Kundgebung von seiten
der Regierung wiederhergestellt werde« usw. Diese ganze Aktion machte
meinem Vater nur alle Ehre. Sein loyaler Sinn vertrug es nicht, daB ein Makel
auf dem Namen des ungliicklichen Verstorbenen verbleiben sollte, und nach
Oberwindung mancher Hemmnisse gab er offen Zeugnis fur die Wahrheit der
Sachlage sowie ftir die Ehre Brucks, der, wenn er auch nicht alien seinen schweren
Aufgaben vollig gerecht werden konnte, doch einer der bedeutendsten Staats-
manner der funfziger Jahre gewesen war.
Die Obernahme des Finanzportefeuilles war keine leichte Aufgabe, seine
beiden Vorganger waren Nichtbeamte, Baumgartner Professor der Physik,
Bruck Kaufmann gewesen. P. war ein tiichtiger Finanzverwaltungsbeamter,
aber mit allgemeinen Budget-, Bank- und Wahrungsfragen war er bis dahin
berufsmaBig nicht befaBt gewesen. Die Finanzlage war nach dem italienischen
Kriege besonders ungunstig, die Valuta entwertet, der Staatskredit gesunken,
die nachtragliche einbekannte Mehremission von 1 1 1 Millionen Nationalanleihe
Plener.
269
tiber die gesetzlich fixierte Anlehenssumme hinaus hatte das Mifltrauen in die
Finanzwirtschaft begreiflicherweise nur vermehrt. Das im Mai 1859 ernannte
Ministerium sollte nach alien Richtungen neue Ordnung schaffen, war aber im
April i860 mit seiner Aufgabe nicht sehr weit gekommen. Ministerprasident
war der Minister des AuBern Graf Rechberg, der aber auf die innere Politik
wenig Einftufi nahm. Das damalige Kabinett hatte uberhaupt keinen einheit-
lichen politischen Charakter. Die einzelnen Ressorts arbeiteten ziemlich fiir
sich und unterstanden mehr der Kontrolle der Krone als jener des Kabinetts-
chefs. Mafigebend fiir die innere Politik sollte Graf Goluchowski sein, der,
obwohl er jahrelang Statthalter unter dem Bachschen System gewesen war,
jetzt an standische Vertretungen dachte und uberhaupt den autonomistischen
Standpunkt hervorkehrte, dem sich mein Vater unmoglich anschlieflen konnte.
P. entwickelte sich damals erst als Politiker. Er war vor allem Zentralist und
hielt in Fragen der Staatseinheit zu den Ideen der funfziger Jahre. Die traurige
Finanzlage hatte aufierdem bei ihm wie bei vielen andern die Oberzeugung
von der Notwendigkeit verfassungsmafiiger Einrichtungen wachgerufen, ohne
welche eine Besserung des Staatskredits nicht zu erwarten war. So kam er auf
dem Wege seines amtlichen Berufs zu der festen Meinung, dafi an die Stelle
des absoluten Regimes verfassungsmafiige Institutionen zu treten haben, die
er sich als einheitlich fiir das ganze Reich dachte. Vermoge seiner allgemeinen
Bildungs- und Geistesrichtung war er auch den allgemeinen Bestrebungen der
liberalen Ideen zuganglich, aber der politische Einheitsgedanke war starker
bei ihm als der liberale Einschlag.
Die politische Lage drangte zu einer Wendung. Als erster Schritt auf der
neuen Bahn erfolgte die Einberufung einer Notabelnversammlung, die unter
dem Namen des >>verstarkten« Reichsrats eine Reihe hervorragender Manner
aus alien Teilen des Reiches mit den Mitgliedern des standigen Reichsrats unter
dem Vorsitz des Erzherzogs Rainer vereinigte. Seit 1848 war es wieder die
erste Versammlung, in der vor der ganzen Offentlichkeit die politische und
finanzielle Lage diskutiert wurde. Im Saale der niederosterreichischen Statt-
halterei wurden die Sitzungen abgehalten, zu denen auch die Erzherzoge Leopold
und Wilhelm erschienen. Es war ein kleines Parlament von rund 60 Mitgliedern;
wenn der neue Reichsrat auch kein gewahlter Vertretungskorper war und seine
Mitglieder auch vermoge ihrer sozialen Stellung und ihrer Bildung zu den
Gemafiigten gehorten, so machte sich doch der lange verhaltene Unmut iiber die
Zustande des Absolutismus Luft, man horte gerechte und ungerechte Klagen,
Obertreibungen, hastige Generalisierung einzelner Beschwerdefalle, und zugleich
kamen die beiden Tendenzen, welche die osterreichische innere Politik durch-
ziehen, der Einheitsgedanke und die autonomistische oder foderalistische
Richtung, als bewuflte gegensatzliche Grundanschauungen zum Ausdruck.
Die Stellung des Ministeriums war keine leichte, einmal hatte es selbst keine
einheitliche Politik, dann sollte es eine Reihe von Riicksichten beobachten,
den Systemwechsel nicht grundsatzlich einbekennen und weder der einen noch
der andern Parteirichtung Recht oder Unrecht geben. Mein Vater begriff die
Bedeutung der neuen Institution als der Vorlauferin konstitutioneller Ein-
richtungen, er wollte ihre Aktions- und Redefreiheit nicht nur nicht einschranken,
sondern erweitern und regte im Laufe der Session die Erlassung eines kaiser-
lichen Handschreibens an, wonach kiinftig, aufler im Kriegsfalle, die Einfiihrung
270
v. Plener.
neuer Steuern, dieErhohung der bestehenden Abgaben und dieAufnahme neuer
Anlehen nur mit Zustimmung des verstarkten Reichsrates angeordnet werden
sollten (17. Juli i860). Das war der zweite Schritt zur Herauffuhrung ver-
fassungsmafiiger Zustande, und es wird in der Verfassungsgeschichte Osterreichs
immer ein Verdienst P.s bleiben, diese erste Anerkennung des parlamen-
tarischen Steuer- und Anlehenbewilligungsrechtes herbeigefuhrt zu haben.
Die Finanzlage war nichts weniger als befriedigend, P. hielt aber eine unge-
schminkte Darlegung der Verhaltnisse fur richtiger als eine Beschonigung oder
Vertuschung. Schon am 30. Juni hatte er einen Vortrag iiber den Staats-
voranschlag fur das Jahr 1861 an den Kaiser gerichtet, und am 31. Juli erfolgte
ein neuer Vortrag an den Kaiser iiber die allgemeine Finanzlage. Das Defizit
fiir i860 nahm er mit 95,3 Millionen Gulden an, dem als ordentliche Bedeckungs-
posten eventuelle Mehreingange an Steuern und einige Ersparungen im Betrage
von 39,5 Millionen gegeniiberstiinden, so dafl ein unbedeckter Rest von 55,8
bliebe. Nun waren durch die lombardische Staatsschuldentschadigung, Aus-
gabe von schwebenden Schuldscheinen, raschere Einzahlungen auf das Lotterie-
und andere Anlehen, Restzahlungen usw. 76,5 Millionen zu erwarten, so dafl
20,7 Millionen disponibel wurden, die entweder auf 1862 zu iibertragen oder
fiir die voraussichtlichen Mehrerfordernisse der Militarverwaltung zu reservieren
waren. Fiir 186 1 schatzte er das Defizit auf 39 Millionen. Weitere Einzahlun-
gen der lombardischen Staatsschuldentschadigung wurden eine Verminderung
des Munzverlustes um 5 Millionen herbeifiihren, somit bliebe ein Abgang von
34 Millionen, der durch die weiteren italienischen Zahlungen und Restzahlungen
auf das Lotterieanlehen von i860 bedeckt wurde, wobei auch die fiir i860
emittierten Partialhypothekaranweisungen (schwebende Schuldscheine) zu
tilgen waren. Wenn die Gebarung sich so zwar rechnungsmaflig decke, so
diirfe nicht iibersehen werden, dafl die angefuhrten hauptsachlichsten Deckungs-
posten Kapitaleinzahlungen seien, die nun fiir ein Jahresbediirfnis in Anspruch
genommen werden und ein Teil von ihnen als Anlehenseinzahlungen ein dauern-
des Mehrerfordernis an Zinsen und Tilgung von rund 10 Millionen begriinden.
Infolge davon und anderer Maflregeln seien fiir 1862 43 Millionen und fur 1863
49 Millionen Defizit zu erwarten, wobei man bedauerlicherweise die im italieni-
schen Kriege aufgelegten auflerordentlichen Steuerzuschlage als fortdauernde
regelmaflige Einnahme weiter heranziehen mufl. Neue Steuererhohungen seien
nicht moglich, wohl aber werde eine Reform der direkten Steuern vorbereitet.
Ersparungen werden sich voraussichtlich durch Einfuhrung der Selbstver-
waltung ergeben, aber es miiflte auflerdem noch in der Zivil- und Militarver-
waltung gespart werden. Cber die Bank behielt er sich fiir spater besondere
Antrage vor und sprach die Hoffnung aus, dafl »bei der durch gliickliche innere
politische Institutionen bedingten Wiedergewinnung des allgemeinen Ver-
trauens« auch die finanziellen Verhaltnisse zwischen Staat und Bank befriedi-
gend geordnet und die Herstellung der Valuta angebahnt werden konne. Dieser
letzte Satz wurde in der Offentlichkeit sehr beifallig aufgenommen und vielfach
kommentiert, weil man darin die Ankiindigung verfassungsmafliger Einrichtun-
gen erblickte. Cberhaupt war der allgemeine Eindruck trotz der wenig giinsti-
gen Ziffern ein guter, man schatzte die Offenheit, mit der zum ersten Male der
Leiter der Finanzen das Land iiber die finanzielle Lage aufklarte, man verglich
seinen Vortrag mit jenem bekannten compte rendu von Necker am Vorabend
Plener.
271
der franzosischen Revolution, und auch im Reichsrat wurde die freimiitige
Sprache P.s vidfach anerkannt, der sich im ganzen trotz mancher tadelnden
Kritik einzelner Mifistande der Finanzverwaltung eine gute Stellung zu machen
wufite. Von alien Ministern sprach er weitaus am haufigsten; obwohl bis dahin
an die Offentliche Rede nicht gewohnt, und obwohl er einigen sehr guten Red-
nern gegeniiberstand, von denen viele, namentlich die Ungarn, eine grofle
parlamentarische Gewandtheit besaflen, fand er sich ziemlich bald in die neue
Aufgabe hinein. In der allgemeinen Debatte iiber die politischen Antrage unter-
nahm er es, den Vorwiirfen und Angriffen insbesondere des Grafen Heinrich Clam
gegen das Regime der letzten Jahre, dem dieser Redner ubrigens gedient hatte,
mit Entschiedenheit entgegenzutreten, er wies auf die groflen Reformen dieser
Periode, wie die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Grundent-
lastung, und schliefilich wies er, wie in seinem Vortrag, auf die Notwendigkeit
zeitgemafler politischer Institutionen hin, damit es besser werde, nicht bloC
im Vergleich mit den letzten 10 Jahren, sondern auch besser im Vergleich mit
der Zeit vor 1848. Zumeist hatte er selbstverstandlich finanzielle Fragen zu
behandeln und sein Ressort zu verteidigen, das zu jener Zeit auch die damals
noch sehr ausgedehnten Forsten, Domanen und Bergwerke sowie infolge der
Aufhebung des Handelsministeriums auch die Post- und Telegraphenverwaltung
umfaflte. In der Steuerdebatte bezeichnete er als Reformzielpunkte die Ein-
fiihrung der Fabrikatsteuer von Zucker und Branntwein. Er hatte auch die
kleine Genugtuung, dafi der Reichsrat die von Goluchowski gegen seinen Ein-
spruch verfligte Streichung des Budgetpostens fur die geologische Reichsanstalt,
fiir die sich mein Vater von der Zeit seines Preflburger naturwissenschaftlichen
Vereins her sehr warm interessierte, wieder auf hob und damit deren Selb-
standigkeit gewahrleistete. Wahrend der Reichsratssession hatte der Leiter
der Finanzen auch eine Kontroverse mit der Staatsschuldenkontrollkommission
zunachst wegen einer Rechnungsdifferenz iiber die Gesamtziffer der Staats-
schuld, dann hatte die Kommission eine zwangsweise Konvertierung aller ver-
schiedenen Anlehen in eine Sperzentige Schuld angeregt, und da diese Opera-
tion dem Staate voraussichtlich erhebliche Kosten verursachen wurde, sollte
die gesetzlich zugesicherte y 2 perzentige jahrliche Tilgung eben der 5 perzentigen
Obligationen suspendiert werden. Der Leiter der Finanzen, der sich iiberhaupt
gegen eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission tiber ihre statutarischen
Schranken wehrte, wies auch ihren Konversionsvorschlag als ganz vag und nicht
positiv ausgearbeitet zuriick, er hielt den Zeitpunkt fiir eine so grofie Operation
iiberhaupt als nicht geeignet, die die Gewohnheiten und Liebhabereien gewisser
auslandischer Staatsglaubiger, namentlich der Hollander, auBer acht lasse,
die die alten 2% perzentigen Metalliques besonders begiinstigten, und erklarte
die Suspension der jahrlichen Tilgung fiir einen Wortbruch, den er im Interesse
des Staatskredits niemals befurworten wurde. Die Angelegenheit wurde auch
im Reichsrat diskutiert, der dem Leiter der Finanzen recht gab und in welchem
der President der Kommission (Fiirst Colloredo) selbst zugab, dafl der Vorschlag
zurzeit nicht opportun sei.
Der Versuch des Oktoberdiploms, die Monarchic auf Grundlage der Ma-
joritatsantrage des verstarkten Reichsrats zu rekonstruieren, scheiterte be-
kanntlich, es trat wieder eine Wendung mehr im Sinne der Staatseinheit cin,
wozu die Vorgange in Ungarn nicht wenig beitrugen. Dort hatte die infolge
272
v. Plener.
des Oktoberdiploms wiederhergestellte Komitatsautonomie eine heftige Agita-
tion gegen die Wiener Zentralregierung enttesselt und dadurch den Widerspruch
der mafigebenden Wiener Kreise gegen zu weitgehende Selbstandigkeit der
Lander hervorgerufen. So fiel Goluchowski, und Schmerling wurde berufen.
Mein Vater, der bei der im Oktober auf Grundlage des Diploms erfolgten Re-
konstruktion des Ministeriums nicht definitiver Minister werden wollte, sondern
an seiner bisherigen blofien Leitung des Finanzportefeuilles festhielt I ) l wurde
jetzt erst (14. Dezember i860) zugleich mit der Ernennung Schmerlings zum
Staatsminister zum wirklichen Finanzminister ernannt. Damit war seine
politische Stellung markiert. Die Ernennung Schmerlings, dessen Name von
Frankfurt her, wo er nicht bloB Mut gegen die Aufstandischen, sondern gegen -
iiber dem ganzen Parlament die personliche Uberlegenheit gezeigt hatte und
dann seit seiner Ministerschaft mit Stadion in grofiem Ansehen stand, die er
beim Wiedereinsetzen der Reaktion im Januar 1 85 1 unter ehrenden Umstanden
aufgegeben hatte, erregte grofie Hoffnungen in Wien und den deutschliberalen
Kreisen, es war eine lebhafte Bewegung zugunsten einer modernen konstitutio-
nellen Verfassung im Gange, auf eine Rundfrage, die der Finanzminister iiber
die Valutareform an die Handelskammern und andere wirtschaftliche Korpora-
tionen erlassen hatte, gingen neben den sachlichen Antworten sehr bestimmte
Kundgebungen fur freiheitliche Institutionen und fur ein Reichsparlament ein.
In Ungarn dagegen organisierte sich der W : iderstand auf der ganzen Linie, iiber
dessen Kraft und Nachhaltigkeit man sich in Wien nicht genug Rechenschaft
gab. Die Zeit drangte, und man mufite an die Ausarbeitung der Verfassung
gehen, Rechberg, der die Ernennung Schmerlings uberhaupt nicht gern gesehen
hatte, hielt sich zuriick, und der Staatsminister machte sich mit Lasser, Pra-
tobevera (damals noch nicht Minister, sondern Hofrat am Obersten Gerichts-
hof), meinem Vater und dem hervorragenden Publizisten Hofrat Perthaler an
die Arbeit, die nicht leicht war. Perthaler war die eigentliche Feder, nach einer
vielbemerkten Schrift »Palingenesis« iiber die Verwaltungsreform, die eine
starke Anlehnung an Gneistsche Ideen zeigte, hatte er eine Broschiire »Neun
Briefe iiber Verfassungsreform in Osterreich« herausgegeben, in der er ein
Reichsparlament verlangte, dessen Abgeordnetenhaus aus den Mitgliedern aller
Landtage bestehen sollte, die wieder aus der Wahl der Kreisvertretungen, der
Gemeindeausschusse und der Handelskammern hervorgehen sollten. Viele
seiner Ideen gingen in den neuen Verfassungsentwurf iiber, so die Wahl des
Abgeordnetenhauses durch die Landtage aus deren verschiedenen Gruppen,
man wollte damit nicht bloB eine Interessenvertretung nach wirtschaftlichen
Gruppen schaffen, sondern zugleich dem deutschen biirgerlichen Element eine
seiner Bedeutung und Steuerleistung entsprechende bevorzugte Stellung sichern,
indem man auBerdem die Zahl der stadtischen Vertrcter im Verhaltnis zur Be-
volkerungszahl viel holier ansetzte als fur die Vertretung der landlichen Wahl-
kreise. Der Grundgedanke des Entwurfs war, den Staat in seiner ganzen Einheit
in konstitutionelle Formen hiniiberzufiihren, darum sollte auch Ungarn fur
Wehrangelegenheiten, Finanzen, Handelspolitik und die obersten Grundsatze
des Kommunikationswesens im Gesamtreichsrat vertreten sein, wahrend fur
x ) Sz£csen hatte versucht, meinen Vater zur Unterzeichnung des Oktoberdiploms ru
bewegen, was dieser aber entschieden ablehnte.
v. Plener.
273
die ubrigen Angelegenheiten die Vertreter der nichtungarischen Lander den
engeren Reichsrat bilden sollten. Die konstitutionellen Rechte des Reichsrats
waren allerdings enger gefaflt als in manchen andern Verfassungen, so fehlte
das jahrliche Rekruten- und Steuerbewilligungsrecht, die Steuern sollten nach
den bestehenden Gesetzen erhoben werden, bis diese nicht verfassungsmafiig
abgeandert wurden, Aber es ist begreiflich, dafi der Staat zur Zeit des Ober-
gangs zu verfassungsmafiigen Einrichtungen, der sich unter den schwierigsten
Verhaltnissen vollzog, die Fortfiihrung seiner Geschafte unter alien Umstanden
sichern wollte. Neben diesen staatlichen Vorbehalten brachte auch die Auto-
nomic der Lander, die man mit Rucksicht auf Ungarn, auf die Versprechungen
des Oktoberdiploms und auf gewisse, auch in einzelnen westlichen Provinzen
bestehende Stromungen wahren wollte, grundsatzliche Einschrankungen der
einheitlichen Verfassung mit sich, vor allem durch das schon erwahnte Zuge-
standnis der Wahl der Abgeordneten durch die Landtage, und es gelang nur mit
grofler Schwierigkeit, im Laufe der Beratungen gegen den Widerspruch der
ungarischen Minister Vay und Sz^csen die Bestimmung durchzusetzen, dafl im
Falle der Nichtbeschickung des Reichsrats durch einen Landtag direkte Wahlen
angeordnet werden sollen.
Im Dezember i860 hatte mein Vater als Zeuge in dem Sensationsprozefl
Richter zu erscheinen, der mit der Bestechungs- und Unterschleifsanklage gegen
den inzwischen durch Selbstmord weggefallenen General Baron Eynatten zu-
sammenhing und in den man bekanntlich auch den Finanzminister Bruck hatte
verwickeln wollen. Aufler den Bestechungen und qualitatswidrigen Lieferungen
fur die Armee wurde Richter und indirekt auch Bruck ein Devisenkauf zur
Deckung von im Ausland bestelltem Zwillich, bei dessen Abwicklung nach dem
Kriege bei fallenden Wechselkursen ein Verlust fur die Kreditanstalt und ein
Ersatzanspruch derselben gegen das Arar entstanden war, ferner ein anderes
Devisengeschaft mit der Kreditanstalt zur Last gelegt, wodurch diese ebenfalls
zu Schaden gekommen sei. Mein Vater entband den als Zeugen einvernomme-
nen Ministerialrat Freiherrn v. Brentano von dem Amtsgeheimnis, mm nicht
nur iiber die Anklagepunkte, sondern auch uber alles Antwort zu geben, was
ihm in bezug auf den verstorbenen Finanzminister Freiherrn v. Bruck bekannt
war, dessen Name in der Anklageschrift in einer fur alle, die dessen Andenken
verehren, hochst bedauerlichen Weise genannt ward« x ). Brentano wies nach,
dafi Bruck bei den Deckungsdevisen ganz korrekt vorgegangen sei und dafi der
Anspruch der Kreditanstalt berechtigt war, ohne Rucksicht darauf, dafi ein
Teil der Devisen aus dem Privatbesitz Richters herruhrte. Das andere Geschaft
war eine Valutaspekulation im guten Sinne zur Herabdriickung der fremden
Wechselkurse und zur Hebung der Kurse der osterreichischen Staatspapiere,
woraus sich allerdings leider auch ein Verlust ergeben habe, der dann in der
Zeit der Amtsfiihrung meines Vaters durch ein Abkommen zwischen der Kredit-
anstalt und dem Finanzministerium ausgeglichen worden war. Mein Vater
stellte zugleich dem Angeklagten, den er von seiner amtlichen Wirksamkeit
in Bohmen her kannte, ein gutes Leumundszeugnis aus und lehnte bezuglich
Bruck alle verfanglichen Insinuationen ab. Die Anklage brach bekanntlich
zusammen, und der lange Prozefi, der vorgeblich die offentlichen Zustande
*) Gerichtsverbandlung wider F. Richter m a., BeiL zur Wiener Z. S. 133.
Biogr. Jahrbuch u. Dcutscher Nekrolog. 16. Bd. 1 8
274
v. Plener.
von Korruption reinigen solltc unci ein ungeheures Aufsehen erregt hatte, das
dem osterreichischen Namen nicht zum Nutzen gereichte, endete schliefilich
mit der Verurteilung Richters zu einer Kerkerstrafe von einem Monat wegen des
Geschenkes an Eynatten, wahrend er von den ubrigen Anklagepunkten teils
absolut teils, wie die Formel des damaligen Strafprozesses lautete, »wegen
Unzulanglichkeit der Beweise« freigesprochen wurde, ebenso wurden die Mit-
beschuldigten ganzlich freigesprochen. Mein Vater, der uberhaupt eine starke
Empfindung gegen Verhetzung und Ungerechtigkeit besafi, hatte einen be-
sonderen Wert darauf gelegt, auch vor diesem Forum fur die Unanfechtbarkeit
des Vorgehens seines Amtsvorgangers einzutreten.
Die Hoffnungen, die man wahrend der Session des verstarkten Reichsrats
auf eine Besserung der Finanzen gehegt hatte, crfiillten sich nicht, in Italien
war nach dem Erfolge Garibaldis in Sizilien nun auch Konig Viktor Emanuel
in die Aktion getreten, hatte den Kirchenstaat besetzt und die papstlichen
Truppen bei Castelfidardo geschlagen, die Moglichkeit eines italienischen An-
griflfs auf Venetien riickte immer naher, unsere Armee in Italien mufite neuerdings
verstarkt werden. Die Kaiserbegegnung in Warschau hatte keine Beruhigung
herbeigefiihrt, man liefl, wenn auch vielleicht widerwillig, die den revolutio-
naren Nationalitaten forderliche Nichtinterventionspolitik Napoleons III. un-
angetastet und damit Italien freie Hand fur seine Einheitsbestrebungen. Die
europaische Lage schien sehr unsicher, in Ungarn wurden infolge des politischen
Umschwungs und der Zuriickziehung der kaiserlichen Beamten fast keine
Steuern mehr gezahlt, und das Silberagio in Wien stieg auf 40 hoher als wahrend
des italienischen Krieges. So mufite die Finanzverwaltung eine Reihe von pein-
lichen Mafiregeln zur Beseitigung der dringendsten Not treffen, es mufiten fur
1 2 Millionen Gulden Miinzscheinezu 10 Kreuzern emittiert werden, weil wegen des
hohen Silberagios selbst die Scheidemunze aus dem Verkehr verschwand (^.No-
vember i860). Um das Rlickstromen der schwebenden Schuldscheine, der soge-
nannten Partialhypothekaranweisungen, aufzuhalten, wurdc am 23. November
ihr Zinsfufi von 5 auf $y 2 % erhoht, am 27. Dezember die Zahlung der Zinsen
des Nationalanlehens nicht mehr in Silber, sondern mit Auf geld in Noten ver-
fugt, und eine andere Verordnung vom selben Tage sprach den Zwangskurs der
osterreichischen Banknoten auch in Lombardo -Venetien aus, das sich bisher
die Silberzirkulation zu erhalten gewufit hatte, und zwar sollten die Steuern
in Bankvaluta ohne Aufgeld gezahlt werden, woraus fiir die Steuertrager
ein erheblicher Vorteil und fiir den Staat ein namhafter Verlust entstand.
Diese beiden ungliicklichen Mafiregeln wurden iibrigens im Fruhjahr 1 86 1
wieder aufgehoben. Um den dringenden finanziellen Bediirfnissen entgegen-
zukommen, wurde durch kaiserliche Verordnung vom 18. Januar 1861 ein An-
lehen von 35 Millionen Gulden zum Kurse von 88 zur Subskription aufgelegt,
das in 5 Jahren zuruckgezahlt und dessen Titres zum vollen Nennwert bei
Steuerzahlungen angenommen werden sollten. Die Emission wurde damit be-
gnindet, dafi »die Voraussetzungen des im Juli v. J. veroffentlichten Staats-
voranschlags durch den mit dem Schutze der Reichsgrenzen verbundenen hoheren
Heeresaufwand sowie durch das Zuruckbleiben der Einnahmen aus Ungarn eine
Anderung erfahren haben, deren Wirkung sich in der Schmalerung des Standes
der verfiigbaren Bedeckungsmittel aufiert<<.
Mit diesem schmcrzlichen Eingestandnis beginnt das lange Miihsal seiner
v. Plener. 275
Finanzverwaltung, die fortan durch die bedrohliche auflere Lage, durch die
Schwierigkeiten der inneren Politik und durch wirtschaftliche Krisen bedrangt
wurde. Im Februar 1861 veroffentlichte das Finanzministerium die Ergebnisse
des Verwaltungsjahres i860 mit einem Abgang von 64,8 Millionen Gulden
gegen 280,9 Millionen im Vorjahre, das allerdings das Kriegsjahr gewesen war.
Nachdem uber die Prasidentschaft des neuen Ministeriums wegen der
Rivalitat zwischen Rechberg und Schmerling keine Einigung erzielt wurde,
uberraschte die Ernennung des Erzherzogs Rainer zum Vorsitzenden im Mi-
nisterrat die ganze Offentlichkeit (4. Februar 1861). Unter den gegebenen Urn-
standen war die Wahl begreiflich, Ministerverantwortlichkeit gab es gesetzlich
nicht, ein Prinz an der Spitze des Ministeriums liefi den Obergang vom Ab-
solutismus zur konstitutionellen Regierungsform nicht als einen Umsturz,
sondern als eine die Traditionen schonende Entwicklung erscheinen, dabei besafi
der Erzherzog personlich ausgezeichnete Eigenschaften, er war ein ernster,
gewissenhafter, charaktervoller, tuchtiger Mann, seiner politischen Gesinnung
nach Zentralist und aufgeklart. Die bedeutendste Personlichkeit des Ministeri-
ums war Schmerling, der damals eine grofle Popularitat genoB, er war ein ge-
mafligter Liberaler der alten Schule, aber kein Doktrinar, er sah in den kon-
stitutionellen Formen ein notwendiges und nutzliches instrumentum regni.
Einen breiten, volkstumlichen Zug hatte er nicht, auch nicht viel Schwung, aber
er hatte Charakter, Festigkeit und Mut. Er konnte nie in ein intimes Verhaltnis
zu seinem Kollegen Rechberg kommen, der der neuen Kombination sein Mi-
nisterprasidium opfern muBte und dessen konservative Gesinnung eine vielleicht
nicht ganz gerechtfertigte Scheidewand zwischen ihm und seinem Kollegen zog.
Die Kunst, die Menschen zu gewinnen, hatten beide nicht, und so konnten sie
auch einander nicht naher kommen, Rechberg war empfindlich, Schmerling
selbstgefallig, so gab es mehr Friktionen, als gut war. Rechbergs Fahigkeiten
werden heute viel gerechter beurteilt, er war ein gemafiigter Konservativer,
kein beschrankter Reaktionar, in der deutschen Politik wollte er den Konflikt
mit Preuflen vermeiden, weil er Osterreich fur einen Krieg mit zwei Fronten
(die andere nach Italien) nicht stark genug hielt. Pratobevera war ein guter
Jurist, Sohn eines noch grofleren Juristen, mit den guten Eigenschaften der
vormarzlichen Liberalen. Eine bedeutendere Figur war Lasser, der schon im
Reichstag von 1848 eine Rolle gespielt hatte, erfahren und geschaftsgewandt,
unliebenswiirdig, schlau, aber entschieden ein politischer Kopf. Von geringerer
Bedeutung waren Wickenburg fur Handel, der sich als Statthalter in Steiermark
ziemlich gut bewahrt hatte, aber von seinem neuen Ressort nicht viel verstand,
Mecsery, der die Polizei hatte, ein steifer Bureaukrat, und Graf Degenfeld,
dem dann die auflerst schwierige Aufgabe zufiel, das Kriegsbudget gegenuber
den streichlustigen Abgeordneten zu vertreten, was er ubrigens mit aller Ge-
wissenhaftigkeit und Sachkenntnis tat. Die beiden ungarischen Minister waren
eigentlich wie Fremdkorper im Kabinett, Vay ein sehr bedeutender ungarischer
Politiker, der im Handumdrehen die osterreichische Beamtenschaft aus Ungarn
entfernt hatte, zwar den Altkonservativen nahestehend, aber in staatsrechtlichen
Dingen doch den Liberalen entgegenkam, der ubrigens nur kurze Zeit im Mini-
sterium Schmerling verblieb. Etwas mehr Fuhlung mit seinen osterreichischen
Kollegen hatte Graf Sz6csen, der auch das Februarpatent mitunterschrieben
hatte, er war ein ungarischer Patriot, hatte aber als junger Mann unter dem
18*
276
v. Plener.
Einflufi Metternichs gestanden und war gesamtstaatlichen Ideen zuganglich,
personlich war er ein besonders angenehmer Mann voll Geist und Bildung.
Mein Vater stand mit ihm sehr gut, wie er auch mit Baron Vay gute Beziehun-
gen hatte.
Mein Vater war von der Handelskammer in Eger in Erinnerung an die Zeit
seines dortigen Aufenthalts in den bohmischen Landtag und von diesem in das
Abgeordnetenhaus gewahlt worden, aufler ihm waren von den Ministern noch
Schmerling, Lasser und Pratobevera im Besitz von Abgeordnetenmandaten.
Im Mai 1 861 wurde der Reichsrat mit einer schwungvollen Thronrede unter dem
Jubel der Wiener Bevolkerung eroffnet. Mein Vater war an jenem Tage ganz
gliicklich, und sein lebhafter Sinn liefl ihn damals die schonsten Hoffnungen
fur die Zukunft fassen. Die Stimmung des Abgeordnetenhauses war im ersten
Teil der Session dem Ministerium giinstig, so lange die Anspruche auf Vermeh-
rung der konstitutionellen Garantien noch nicht zum Streitpunkt geworden
waren. Die Beratungen waren zunachst mit AdreCdebatten, Verhandlungen
liber die Geschaftsordnung, Lehengesetz, Gewerbefragen und Gemeindegesetz
ausgefiillt, der Finanzminister hatte nur einige Interpellationen zu beant-
worten, was er meistens unter dem Beifall des Hauses tat, er machte einige
Ankiindigungen uber die Reform der direkten Steuern, sprach sich gegen die
Fortdauer der Maischraumsteuer und fur Einfiihrung der Produktensteuer
und der Branntweinbesteuerung aus. Aber schon damals zeigten sich die
ersten Symptome der Meinungsverschiedenheit der Regierung und insbesondere
der Finanzverwaltung einerseits und des Abgeordnetenhauses anderseits uber
die Verfugungsrechte der Exekutive. Der Finanzminister lehnte es ab, die
Riickwirkung der verfassungsmaflig dem Reichsrat zustehenden Genehmigung
der Veraufierung von Staatseigentum auf die in den fiinfziger Jahren der Bank
als Pfand und zum eventuellen Verkauf ubergebenen bohmischen Staats-
domanen anzuerkennen, ebenso lehnte er die Vorlage der neuen Sudbahnkon-
zession ab, weil darin wesentlich nur vorher schon erworbene Rechte festgestellt
wurden, wahrend er zugleich mit Nachdruck die Existenz geheimer Artikel in
Abrede stellte. Man mufi sich iiberhaupt die gegenseitige Auffassung klar-
machen, auf der einen Seite stand die Regierung, welche zwar das konstitutio-
nelle System in voller Anerkennung seines Wertes fiir die staatlichen Interessen
eingefuhrt hatte, aber doch ihre alte Gewalt nicht allzu leicht aus der Hand
geben wollte, auf der andern Seite das Abgeordnetenhaus, welches in vielen Be-
stimmungen der neuen Verfassung und noch mehr in der Praxis der Verwaltung
eine Einschrankung seines Rechts erblickte und darum das Ausmafl seiner ver-
fassungsmaCigen Befugnisse moglichst zu erweitern strebte. Diese gegen -
satzliche Auffassung hat sich iibrigens in alien Landern zu Beginn des kon-
stitutionellen Lebens gezeigt und in Osterreich wie anderswo eine Reihe von
Konflikten herbeigefuhrt, welche die allgemeine politische Entwicklung emp-
findlich storten.
Dazu kam noch im Jahre 1 86 1 fiir Finanzangelegenheiten eine besondere
staatsrechtliche Schwierigkeit, nach der Verfassung war fiir die Erledigung
des Budgets und alle Finanzfragen iiberhaupt der gesamte Reichsrat berufen,
d. h. jener, der die Abgeordneten aller Lander, also auch Ungarns, umfassen
sollte. Nun weigerte sich der ungarische Landtag, den Reichsrat zu beschicken,
und der im Mai nach Wien einberufene Reichsrat war daher nur ein sogenannter
v. Plener.
277
engerer, also fiir Finanzfragen nicht kompetent. Nach langerem Zogern und
nachdem noch die direkten Steuern fur das Jahr 1862 durch kaiserliches Patent
vom 18. Oktober gerade so wie im Vorjahre, als es noch keine Verfassung gab,
ausgeschrieben worden waren, was der Finanzminister am 4. November vor dem
Abgeordnetenhause rechtfertigte, entschlofi sich die Regierung im Dezember
1 861, trotz der Unvollstandigkeit des Reichsrats, ihm dennoch den Staatsvor-
anschlag fiir 1862 vorzulegen. Offenbar wollte man einmal Ungarn beweisen,
dafl man sich durch dessen Abstinenz nicht einschuchtern und von dem Fort-
schreiten auf einheitlicher konstitutioneller Bahn nicht abdrangen lassen wolle,
dann wollte man dem Wiener Reichsrat den guten Willen zur verfassungs-
mafligen Behandlung des Budgets zeigen, endlich war wohl auch das Motiv
maBgebend fiir neue Anlehen durch ein parlamentarisches Votum bessere Be-
dingungen zu erzielen.
In Ungarn war im Laufe des Sommers der Konflikt besonders bosartig
geworden, der Landtag wurde infolge seiner die Gesamtverfassung ablehnenden
Adressen aufgelost, an Stelle von Vay und Sz^csen traten Forgach und Moritz
Esterhdzy, Graf Moriz Palffy wurde zum Statthalter in Ungarn ernannt, eine
Beschickung des Reichsrats war fiir absehbare Zeit nicht zu erwarten. Merk-
wurdigerweise fiihrte Schmerling in seiner Rede am 17. Dezember als Grund
warum der Reichsrat bisher nicht als Gesamtreichsrat angesehen werden konnte,
nicht die politischen Ereignisse in Ungarn, sondern den Umstand an, dafi dem
siebenbiirgischen Landtag wegen der Verzogerung seines Zusammentritts die
Aufforderung zur Beschickung des Reichsrats noch nicht zukommen konnte.
Nun konne man aber nicht langer warten, und nachdem der Kaiser das ihm
unter den gegebenen Umstanden verfassungsmafiig zustehende Recht der Er-
lassung des Budgets auf Grund des Notparagraphs (§13) nicht ausuben wolle,
lege die Regierung den Staatsvoranschlag dem Hause vor.
Daraufhin hielt der Finanzminister sein Expos6. Er teilte zuerst die Ge-
barungsresultate des Jahres i860 (das Finanzjahr lief damals vom I. November
bis 31. Oktober) mit, dessen Abgang mit 65 Millionen Gulden durch die lom-
bardische Staatsschuldentschadigung und verschiedene Kreditoperationen
gedeckt worden war, ferner die provisorischen Ergebnisse des Jahres 1861, die
sehr ungiinstig waren, statt des urspriinglich auf 40,5 Millionen veranschlagten
Defizits ergab sich ein Gesamtabgang von 109,5 Millionen, die Heeresausgaben,
die mit IOO Millionen veranschlagt gewesen waren, uberschritten diesen Anschlag
um 50,5 Millionen, ebenso ergab sich bei der Marine ein Mehraufwand von
7,5 Millionen, bei Subventionen, Zinsengarantien Mehraufwand von 1,5, Kapital-
anlagen, Vorschiissen an den ungarischen Grundentlastungsfonds wegen Nicht-
bezahlung der dort falligen Zuschlage 3,5 Millionen, also nicht praliminierter
Mehraufwand nach Abschlag einiger Minderverwendungen von 59 Millionen,
Der Ausfall an Steuern in Ungarn betrug 1 1,6 Millionen Gulden. Das Defizit
wurde gedeckt durch Restzahlungen der lombardischen Schuld, einen Teil-
betrag der i860 er Lose, dann durch das Steueranlehen von 1861, Emission von
Partialhypothekaranweisungen, von Miinzscheinen und eine schwebende Schuld
in Form von Depotgeschaften. Fiir die ohne Zustimmung des Reichsrats vor-
genommenen Finanzmafiregeln legte der Finanzminister eine besondere Denk-
schrift dem Abgeordnetenhause vor. Der Staatsvoranschlag fiir 1862 erforderte
mit dem Friedensaufwand von Heer und Marine 354,6 Millionen, die Einnahmen
278
Plener.
wurden mit 296,6 Millionen veranschlagt, somit ein Abgang von rund 58 Millio-
nen. Damit sei aber der unbedeckte Abgang nicht abgeschlossen, dieErhaltung
der italienischen Armee auf dem Kriegsfufl erforderte weitere unbedeckte Aus-
gaben von 45, die Marine solche von 7,2, zusammen 52,2, so dafl sich ein Ge-
samtabgang von no Millionen Gulden ergabe. Diese Ankundigung machte
einen peinlichen Eindruck auf das Haus und auf die Offentlichkeit, der noch
dadurch verstarkt wurde, dafl ihr keine positiven Deckungsvorschlage ange-
schlossen waren. Es wurde zwar ein Gesetzentwurf iiber Einfuhrung der Pro-
duktensteuer auf Branntwein eingebracht, sonst enthielt das Expos£ nur die
Bemerkung, dafl ein Teil des Defizits durch neue Einnahmen gedeckt werden
miisse. Der Grund dieser unbestimmten Haltung lag in der alten Verquickung
der beiden Fragen: Defizit und Valuta. Im zweiten Teil seiner Rede, der viel
kraftiger gehalten war, entwickelte der Finanzminister bereits die Grundsatze
seines Bankplanes, der unter andern auch bei Regelung des Schuldverhaltnisses
des Staates zur Bank iiber die bei ihr hinterlegten Staatspapiere neue Be-
stimmungen enthalten wurde. Da aber das Ubereinkommen mit der Bank
zur Zeit des Exposes noch nicht abgeschlossen war, konnte iiber den Betrag
von i86oer Losen, welche aus der bevorstehenden Transaktion dem Staate
zufallen sollten und daher auch iiber die einzelnen Defizitdeckungsposten noch
nichts Bestimmtes gesagt werden.
Nachdem das Ubereinkommen mit der Bank zustande gekommen war
(wenn auch noch ihr letztes Votum ausstand), konnte der Finanzminister am
5. Februar 1862 das erwShnte Versaumnis nachholen und dem Hause eine Mit-
teilung iiber seinen Plan zur Bedeckung des Defizits machen, den er dann in
den darauf folgenden Wochen durch Vorlage einer Reihe einzelner Gesetz-
entwiirfe detailliert vor das Haus brachte. Der im Kriegsjahr 1859 au ^ die
direkten Steuern gelegte auflerordentliche Zuschlag sollte erhoht und zwar bei
der Hausklassen- und Erwerbsteuer verdoppelt, die Grundsteuer von 24 auf
28 %, die Einkommensteuer von 6 auf 7 % erhGht werden, mit einem Gesamt-
mehrertrag von 18,6 Millionen, von einer Erhohung der Salz- und Zuckersteuer
wurden 6 Millionen, der Gebiihren 10 Millionen erwartet, diese Erhohungen
wurden rund 34 Millionen Mehreinnahme ergeben, wozu noch die neue Stempel-
gebiihr von Promessen und die Branntweinsteuer in geschlossenen Stadten, die
entsprechend dem legalen Steuersatze der neuen Produktensteuer eingehoben
werden wurde, sowie eine Reform der Wein- und Fleischsteuer hinzukamen.
Zugleich machte der Finanzminister dem Hause die Mitteilung, dafl im ersten
Quartal des Finanzjahres 1862 sich an Militarausgaben eine Ersparung von
15 Millionen ergeben habe, wodurch das veranschlagte Defizit auf 95 Millionen
vermindert wurde.
Der Staatsvoranschlag selbst war wie die meisten alteren deutschen Bud-
gets eine Kombination von Netto- und Bruttobudget, daher erklaren sich auch
die verhaltnismaflig niedrigen Gesamtziffern, namentlich der Einnahmen, weil
hier Erhebungs-, Anschaffungs- und Betriebskosten von der Bruttoeinnahme
abgezogen wurden, auch in den einzelnen Ausgabeetats wurden die eigenen Ein-
nahmen des betreffenden Verwaltungszweiges vorweggenommen und nur der
um sie verminderte Betrag als Erfordernis eingestellt. Gleichwohl wurden im
speziellen Teil des Voranschlags diese Abzugsposten ihren Gegenposten gegen-
iibergestellt, um so aus der Vergleichung der Bruttoziffern die Nettoziffern
v. Plener.
279
zu gewinnen. Die Beratung des Budgets war aufierordentlich langsam und
schwerfallig, am 17. Dezember 1861 war es eingebracht worden, der aus 48 Mit-
gliedern bestehende Ausschufl brachte erst im Mai 1862 seine ersten Teilberichte
vor das Plenum, die mit einer Umgehung der gesetzlichen Vorschrift sodann
einzelweise nacheinander an das Herrenhaus geleitet wurden. Mit geringen Unter-
brechungen dauerte die Beratung im Abgeordnetenhause* bis Oktober 1862.
Die Behandlung im Ausschufl war sehr eingehend und oft auch kleinlich, es
war aber das erste Mai, dafi eine konstitutionelle Korperschaft das Budget
beriet, die Vorlage an den verstarkten Reichsrat hatte nur den Charakter einer
Begutachtung gehabt. Grofiere Abstriche wurden vorgenommen am Heeres-
budget von 8 Millionen, fur das man fur die Zukunft ein Friedensbudget von
92 Millionen in Aussicht nahm, aber auch in verschiedenen Verwaltungszweigen
wurden Abstriche beschlossen, so bekanntlich eine Reduzierung der Bezuge
des Botschafters in Rom (mit einer personlichen Spitze gegen Alexander Bach),
und von einer Reihe kleiner Beamtenposten, unter anderem auch die heute
allgemein beklagte Aufhebung der Wiener Porzellanfabrik. Die minutiosesten
und strengsten Kritiker waren die Abgeordneten Taschek, Herbst, Skene, sie
erhoben laute Klagen uber die schlechte Finanzlage, brachten die verschieden-
sten Beschwerden gegen die Verwaltung vor, allein eine andere positive Finanz-
politik vermochten sie jener der Regierung nicht gegeniiberzustellen. Die
Spezialdebatte brachte oft erregte Szenen, und der Finanzminister hatte einen
schweren Stand. Die ganze Beratung hatte keinen praktischen Wert, da das
Finanzjahr schon zum groflen Teil abgelaufen war. Da die Abgeordneten
namentlich im Anfang keine Lust zur Votierung von Steuererhohungen zeigten,
so muflte fiir die dringenden Bedurfnisse vorgesorgt werden, und so brachte
der Finanzminister am 28. Mai 1862 eine Vorlage ein, um 50 Millionen Gulden
durch vorlaufige Verauflerung von bei der Bank erliegenden Obligationen des
i86oer Lotterieanlehens oder sonst im Kreditwege zu beschaffen. Das Ab-
geordnetenhaus erweiterte diese Ermachtigung, dafi womoglich der ganze
Betrag jener Obligationen zur Verauflerung gebracht werden konne und dafl
der uber die Deckung des Defizits eriibrigende Erlos zur Abtragung der Schuld
des Staates an die Bank zu verwenden sei. Das Anlehen wurde im Juni durch
ein Bankenkonsortium im Betrage von 83 Millionen zum Kurse von 94, mit Ab-
rechnung der Provision und eines zweimonatlichen Zinsengenusses netto 92,
begeben, ein Funftel sollte durch offentliche Subskription aufgebracht werden,
diese hatte keinen giinstigen Erfolg, wahrend die Zeichnung bei den Banken
bedeutende l)berzeichnungen aufwies. Vom Erlos wurde nach Verwendung
von 50 Millionen fiir die Staatsfinanzen der Rest zur Abzahlung auf die Schuld
des Staates an die Bank bestimmt. Der Finanzminister machte am 16. Juni
dem Hause Mitteilung iiber die geschehene Finanzoperation.
An die Steuervorlagen wollte das Abgeordnetenhaus in der Sommersession
nicht recht heran. So sonor das Verlangen nach einem umfassenden Finanz-
plan klang, so schreckten die Abgeordneten doch sofort zuriick, ergiebige Steuer-
erhohungen pder neue Steuern zu bewilligen, und ohne neue Einnahmen war
eine solche Haltung nichts als eine Anweisung auf Aufnahme teurer Schulden.
Von den eingebrachten Steuervorlagen wurde im Sommer 1862 nur die Ein-
fiihrung der Produktenbesteuerung fiir Branntwein und eine damit in Zusammen-
hang stehende Regelung der Branntweinsteuer in geschlossenen Stadten definitiv
280 v - Planer.
erledigt. Damit war gegeniiber der alten Maischraumsteuer eine rationelle
und gerechte Besteuerungsart geschaffen, die ein wirkliches Verdienst des
Finanzministers war, die aber leider durch das nachfolgende Ministerium auf-
gehoben wurde und zu der man erst nach Jahrzehnten wieder zuriickkehrte.
Die Erhohung der Zuckersteuer wurde beraten, aber statt des fixen Zuschlags
wollte das Abgeordnetenhaus eine nach dem Agiostande gleitende Skala ein-
fuhren. Der Zuckerfabrikant Skene wehrte sich gegen die Erhohung der Steuer,
wurde aber vom Finanzminister durch den Hinweis auf die riesigen Gewinne
der Zuckerfabrikanten in den letzten Jahren schlagend widerlegt. Im Herren-
hause wurde der fixe Zuschlag wieder hergestellt, aber etwas niedriger, als die
Regierungsvorlage beantragt hatte, der definitive BeschluO kam erst Ende
Oktober 1862 zustande. Fur den Wein wollte der Finanzminister den Ver-
brauch mit der Einkellerung als Grundlage weiterbilden, der Widerstand der
landlichen Bevolkerung gegen dieses richtige, seit 1859 eingefiihrte Prinzip
wurde im Abgeordnetenhause lebendig, und dieses beschlofl die Wiederkehr
zur blofien Versteuerung des KleinverschleiBes, danach war das Gesetz seiner
Bedeutung entkleidet, und schliefllich kam nur eine kleine Modifikation der
Steuersatze fur Wein und Fleisch zustande (August 1862). Die beantragte Er-
hohung der direkten Steuern wurde nach einer ziemlich unbedeutenden Debatte
durch einen Vertagungsantrag fur das laufende Jahr beseitigt. Das Verhaltnis
zwischen Finanzminister und Abgeordnetenhaus wurde nicht besser durch die
Verhandlung uber die seit Erlassung des Oktoberdiploms ohne Zustimmung
des Reichsrats vorgenommenen Finanzmafiregeln. Das Haus mufite die Zwangs-
lage, welche die Regierung zu jenen MaBregeln (S. 274) notigte, anerkennen,
kniipfte jedoch an einzelne Punkte eine abfallige Kritik.
Mitten in der Spezialberatung des Voranschlags fur 1862 legte die Regierung
das Budget fur 1863 vor ( J 7- J u ^ 1862), um wenigstens fur das kommende Jahr
das Finanzgesetz rechtzeitig zustande zu bringen. Die Regierung konnte die
bisher vom Abgeordnetenhause fur 1862 beschlossenen Abstriche und Wiinsche
schon deshalb im Budget fiir 1863 nicht alle berticksichtigen, weil der Vor-
anschlag von 1862 noch nicht vollst&ndig beraten und beschlossen war und weil
die Fertigstellung des Budgets fiir 1863 zum grofien Teil auch schon friiher
abgeschlossen werden muflte. Das Kriegsbudget wies zwar im Ordinarium die
gewiinschte Ziffer von 92 Millionen aus, erforderte aber daneben ein Extra -
ordinarium von 35 Millionen, doch waren beide Posten zusammen um 20 Millio-
nen niedriger als die Anforderung im Vorjahre. Die Gesamtsumme des Er-
fordernisses ohne das Extraordinarium des Kriegsbudgets betrug 362,5 Millionen,
um 3,8 mehr als im Vorjahre, namentlich wegen der Verzinsung und Tilgung
der Staatsschuld. Die Einnahmen waren mit 304,3 Millionen um 3,2 Millionen
hoher als im Vorjahre veranschlagt. Der Abgang betrug 58,2 und sollte durch
ErhShung der direkten Steuern und einiger indirekter Abgaben im Betrage
von 33,6 und der Rest von 24,6 Millionen durch Veraufierung von 60 er Losen
bedeckt werden. Das Extraordinarium des Kriegsbudgets wurde auflerdem
auf Anlehen verwiesen. Die Vorlage enthielt nicht bloB die ziffernmafligen Vor-
anschlage, sondern stellte ein Finanzgesetz voran, das die Hauptziffern zu-
sammenfaOte und die Bedeckungsmafiregeln bestimmte. Damit war die Form
fiir alle kunftigen Finanzgesetze vorgezeichnet und geschaffen. Der Ton des
Exposes war viel kraftiger und bestimmter als jener des Vorjahres, der Finanz-
v. Plener, 28 1
minister sprach die Erwartung aus, dafi der Reichsrat sich nicht bloB auf die
Negation, auf die Nichtbewilligung oder Reduzierung der Erfordernisziffern
beschranken, sondern auch eine positive Aktion durch Bewilligung hbherer
Steuern leisten werde, ohne diese gebe es keinen Finanzplan.
Die Stimmung im Abgeordnetenhause war so gereizt, daB es einen Augen-
blick schien, als ob das Haus das Budget fur 1863 uberhaupt nicht in Beratung
ziehen werde. Es waren nicht blofl die staatsrechtlichen Einwande der Fodera-
listen gegen die Kompetenz des engeren Reichsrats in allgemeinen Finanz-
angelegenheiten, auch in der Verfassungspartei machte man Schwierigkeiten,
weil der neue Voranschlag die bisherigen Abstriche nicht beriicksichtige, weil
die Spezialbeilagen weniger umfangreich seien und weil man die Session der
Landtage einberufen sehen wollte. Nur mit einer Stimme Majoritat konnte
der vorberatende Ausschlufi den Antrag auf Beratung des Budgets vor das
Haus bringen, das denselben nach einer erregten Debatte, in welcher der Ab-
geordnete Giskra eine heftige Rede gegen den Finanzminister hielt, schlieBlich
annahm und sich bald darauf auf 6 Wochen vertagte.
Bei der Wiederaufnahme der Session zeigte sich mehr Arbeitswilligkeit
als friiher. Am 18. Oktober 1862 machte der Finanzminister einige giinstige
Mitteilungen uber die Finanzlage. In den ersten 10 Monaten des Verwaltungs-
jahres 1862 ergaben die Steuern eine Mehreinnahme von 34 Millionen, wesentlich
wegen der energischeren Steuereintreibung in Ungarn, welche nach Abzug der
Riickstande eine Nettomehreinnahme von 20 Millionen bedeuteten. Ebenso
seien Minderausgaben zu verzeichnen, infolge davon ist das herabgeminderte
Defizit von 74 durch die bisherigen Kreditoperationen bedeckt, und die Kassen-
bestande haben sich um 22 Millionen vermehrt. Fur 1863 wird infolge verander-
ter Ausgabeziffern und in Erwartung der Steuererhohungen sich ein Abgang
von 50,6 Millionen ergeben, der durch Verkauf von 60 er Losen (dritter Emission)
bis auf 18,6 Millionen gedeckt wird, die im Kreditwege zu beschaffen waren.
Zugleich legte der Minister einen Gesetzentwurf uber die Erhohung der direkten
Steuern fiir drei Jahre vor, und zwar Erhohung der aufierordentlichen Zu-
schl&ge bei der Grundsteuer auf s /it un d bei der Hausklassen-, Erwerbs- und Ein-
kommensteuer auf das Doppelte, bei der Couponsteuer von 5 auf 7 %. Das im
Juni eingebrachte Gebiihrengesetz wurde im Oktober mit unwesentlichen Ande-
rungen angenommen, es bedeutete eine Erhohung der Perzentualgebuhren,
dann die Einfiihrung relativ niedriger fixer Gebuhren fiir Rechnungen und der-
gleichen, ebenso eine ErhShung der Skalen. Der Gesamtmehrertrag wurde auf
9 Millionen veranschlagt, wovon 7,5 fiir das Jahr 1863 anzunehmen waren.
Auflerdem hatte das Abgeordnetenhaus vorher das Gesetz uber den Promessen-
stempel angenommen. Das waren schon kleine Fortschritte. Die Beratung
des Budgets 1863, gegen die man sich anfangs so ereifert hatte, schritt im Aus-
schufl schnell vorwarts, und nachdem am 3. Oktober endlich das Finanzgesetz
fiir 1862 verabschiedet wurde, begann am 25. November bereits die Plenardebatte
uber das Budget fiir 1863, die mit anerkennenswerter Kurze und Raschheit
gefiihrt wurde. Im Kriegsbudget mufite sich die Regierung allerdings zu be-
deutenden Reduktionen verstehen, erst 8, dann 6 Millionen, so dafi die Gesamt-
bruttoerfordernisziffer auf 112,8 Millionen herabgemindert wurde, welche nach
Abzug der eigenen Einnahmen mit 107 Millionen ins Budget eingestellt wurden.
Damals war das gesamte Heereserfordernis nur mit einer Ziffer ins Budget
282 v « Plcner.
eingestellt, innerhalb welcher dem Kriegsminister das Virement zustand, wah-
rend die Ausgaben der Zivilverwaltung bis in kleine Unterabteilungen spezi-
fiziert waren. Die gesamten Auslagen wurden mit 367 Millionen, die Einnahmen
mit 304,6 Millionen festgesetzt. Zur Deckung des Defizits beantragte der Finanz-
ausschufi in erster Linie, den aufierordentlichen Zuschlag auf die direkten
Steuern auf die Dauer des nachsten Jahres bei alien Steuergattungen zu ver-
doppeln; das ging beziiglich der Grundsteuer und der Hauszinssteuer noch
uber die letzte Vorlage des Finanzministers hinaus. Dieser Beschlufi war ein
grofier Erfolg des Finanzministers, aber auch des Abgeordnetenhauses, das
nunmehr den Mut gefunden hatte, die immer unpopulare Erhfthung direkter
Steuer zu genehmigen. Der Mehrertrag dieser Steuererhohung wurde mit
15,5 Millionen angenommen, dazu jener der erwahnten GebiihrenerhShung,
dann Verauflerung von Obligationen zum grofiten Teil infolge des abzuschliefien-
den Banklibereinkommens pr. 24,7 Millionen, so dafl schliefilich ein Defizit von
1 1 Millionen ubrig blieb, das im Kreditwege zu decken war. Die ganze Budget-
debatte war in vier Sitzungen beendet.
Neben den Budgetberatungen war die andere grofle finanzpolitische Auf-
gabe des Jahres 1862 die Verhandlung iiber die Bankakte. Bald nach seiner
ersten Ernennung hatte der Finanzminister mit groflem Nachdruck vor der
Offentlichkeit auf die Notwendigkeit der Valutareform hingewiesen. Er hatte
eine Umfrage bei den Handelskammern und verschiedenen anderen Korpora-
tionen veranlafit, die Hohe des Agios, 40 %, war eine unertragliche Last fur
Handel und Verkehr, verteuerte alle Waren und belastete den Stand schwer
mit dem Miinz- und Wechselverlust bei alien in Silber zu leistenden Zahlungen
(12 Millionen Gulden). Am 17. Dezember 1861 brachte der Finanzminister in
seinem Budgetexpos6 die Grundziige seines Planes vor das Abgeordnetenhaus
und die Offentlichkeit. Er schilderte die Nachteile der zerrutteten Landes-
wahrung, bezeichnete die Notenemission zu staatlichen Zwecken als eine der
Hauptursachen der Entwicklung, das ungliickliche Kreditverhaltnis zwischen
Staat und Bank musse aufhoren, die Schuld bis auf einen Rest von 80 Millionen
zuriickgezahlt werden, und die Bank musse die ihr ins Eigentum iibergebenen
Effekten veraufiern, wozu sie nach den friiheren Abmachungen nicht verpflichtet
war, die Banknotendeckung musse verstarkt und die Unabhangigkeit der Bank
hergestellt werden. Wenn man diese Rede liest, so sieht man, dafi eigentlich
alle die in ihr enthaltenen Grundsatze in der spateren Bankakte verwirklicht
wurden. Der leidenschaftliche Kampf und die teilweise Niederlage der Finanz-
verwaltung in den spateren Verhandlungen betrafen nur Detailbestimmungen,
die aber zur Hohe von grofien Prinzipienfragen hinaufgeschraubt wurden. Im
Laufe der Wintermonate verhandelte der Finanzminister mit der Bank, die im
grofien und ganzen seine Propositionen annahm, und am 13. Marz 1862 legte
er das Ubereinkommen mit der Bank samt den neuen Bankstatuten dem Ab-
geordnetenhause vor. Das Privilegium sollte von 1866 bis Ende 1890 verlangert
werden, die Schuld des Staates an die Bank bis Ende 1870 zuriickgezahlt werden.
Dieser etwas lange Termin wurde wegen der Notlage der Finanzen gew&hlt,
welche einen Teil (*/,) des Erloses der bei der Bank verpfandeten Obligationen
des Anlehens von i860 beanspruchten, wodurch allerdings eine leidige Ver-
quickung der Bankfrage mit der Deckung des Defizits entstand. Fur die Noten-
deckung wurde die seit 1858 vorgeschriebene Dritteldeckung mit der Erweite-
v. Plener.
283
rung vorgesehen, dafl diese nur bis zu einem Notenumlauf von 330 Millionen
zu gelten habe, dafi dariiber hinaus bis zu 440 Millionen die Halfte und Oberschufi
uber 440 voll metallisch bedeckt sein miissen. Die Aktiven der Bank miissen
mobilisiert werden, Effektenbesitz und Einkassierung von Coupons seien keine
Bankgeschaf te, der Notenumlauf miisse vermindert werden, von dem damaligen
Umlauf von 463 Millionen wurden durch die Abwicklung der Riickzahlungs-
und Veraufierungsoperationen ungefahr 188 Millionen No ten eingezogen, so
dafi eine Zirkulation von ungefahr 275 Millionen fur die Zukunft in Aussicht
zu nehmen war. Als Preis des Privilegiums blieb eine Restschuld des Staates
an die Bank im Betrage von 80 Millionen, die mit 2 % zu verzinsen und von
1886 an riickzahlbar ware. Die Finanzverwaltung hatte die Verzinslichkeit
dieses Darlehens nach langen Verhandlungen mit der Bankverwaltung endlich
zugestanden, als Gegenleistung fur die Veraufierungspflicht der eigenen Ef-
fekten der Bank und fur die der Bank aus der von ihr zu besorgenden Einlosung
der 1 Gulden- und 5 Gulden -No ten in Silber entstehenden Kosten.
DerEindruck in derOffentlichkeit war kein gunstiger, es herrschte eine Mifl-
stimmung gegen die Bank, der man eine eigenniitzige, engherzige Politik vor-
warf, die sich jederzeit zu den Schuldgeschaften mit dem Staate herbeigelassen,
ein ungesundes Lombardgeschaft begunstigt habe, das nur unsolide Effekten-
spekulationen grofigezogen und die angeblich einer kleinen Zahl von befreunde-
ten Bankkunden unverhaltnismaflige Kredite gewahrt habe, die diese zu Valuta-
spekulationen benutzt hatten. In der publizistischen Diskussion sprach man
von der Notwendigkeit der Liquidation der Bank, eventuell von Wiederausgabe
von Staatspapiergeld und dergleichen mehr. Im Finanzausschufi war man
anfangs unklar, erst wollte man das Cbereinkommen mit der Bank ganz ab-
lehnen, dann sah man das Unsinnige eines solchen Beschlusses ein und wollte
wenigstens wesentliche Anderungen. Hier setzte Dr. Herbst ein, sein Scharf-
sinn und sein Fleifi hoben ihn iiber die andern, und seine ubelwollende Natur
und sein Streben nach Popularitat fanden in der schonungslosen Kritik gegen
Finanzverwaltung und Bank eine gleichmafiige Befriedigung. Er konzentrierte
seinen Angriff auf zwei Punkte: die Riickzahlungen an die Bank und ihren Ge-
schaftsgewinn, wie (iberhaupt finanzielle Detailfragen seine Liebhaberei und
Starke waren, eigentliche Bank- und Wahrungspolitik lag ihm nicht so nahe.
Um die Aufnahme der Barzahlungen naher zu riicken und die Einziehung der
Noten zu beschleunigen, drang er darauf, den Ruckzahlungstermin fUr die
Schulden des Staates an die Bank von 9 auf 4 Jahre herabzusetzen. Das war
ganz schon und energisch, legte aber den notleidenden Finanzen und, da die
Ruckzahlung durch Aufnahme von Anlehen erfolgen mufite, dem schwachen
Staatskredit uberaus grofie Lasten auf, namentlich in den letzten zwei Jahren
der Riickzahlungsfrist. Um dem weitverbreiteten Unmut gegen die Bank
Ausdruck zu geben, wurde zunachst die Dauer des neuen, von 1866 an laufenden
Privilegiums statt auf 24 auf 10 Jahre (also bis 1876) herabgesetzt. Es war
mehr eine Demonstration, denn an eine baldige Liquidation der Bank dachte
mit Ausnahme einiger Journalisten und Projektenmacher kein ernsthafter Finanz-
mann. Ein Hauptpunkt war der Streit um den Wert des Bankprivilegiums,
ffir dessen Erneuerung die Bank ein Entgelt an den Staat entrichten sollte.
Herbst berechnete ubertriebenerweise den Gewinn der Bank nach der Regierungs-
vorlage auf 16 bis 19%, was nur dadurch mdglich war, dafi er das Kapital der
284 v ' Plener -
Hypothekarabteilung von der Grundlage der Berechnung ausschied, wahrend
dieses doch geradeso wie der eigentliche Bankfonds fur die Verbindlichkeiten
des Institutes haftete, daher als Teil des Gesamtkapitals nicht vom gemeinschaft-
lichen Genufi des Ertragnisses ausgeschlossen werden konnte. Der Finanz-
ausschufi nahm zwar als Entgelt das Darlehen an den Staat im Betrage von
80 Millionen an, beseitigte aber fur die Zeit vor der Aufnahme der Barzahlungen
dessen Verzinsung, die erst nachher und zugleich mit einer halftigen Gewinn-
beteiligung des Staates nach Erreichung einer 6 perzentigen Dividende und
nach Hinterlegung von V4 des Restes in den Reservefonds eintreten sollte. Die
Notendeckung war gleichfalls ein grofler Differenzpunkt. Hier spielte in der
publizistischen und parlamentarischen Diskussion eine urspriinglich vom
Finanzministerium veranlaflte Denkschrift von K. v. Meyer eine gewisse Rolle,
welche nach Analogie der englischen Bankakte 250 Millionen als sich von selbst
im Verkehr haltend ohne metallische, ja selbst ohne bankmaflige Deckung
und dariiber hinaus voile Metalldeckung vorgeschlagen hatte. Die Regierungs-
vorlage ging, wie fruher erwahnt, von einer Minimaldritteldeckung aus, liefl
diese graduell steigen und beantragte von 440 Millionen Umlauf voile Metall-
deckung, naherte sich also jenem Plan auflerlich bei dieser Obergrenze, die
aber voraussichtlich nicht erreicht werden wiirde. Der Ausschufl beantragte
200 Millionen als nichtmetallisch gedecktes Kontingent, dariiber hinaus voile
Deckung, akzeptierte aber zugleich den Satz aus der Regierungsvorlage, wonach
die Bankdirektion fur ein solches Verhaltnis des Metallschatzes zur Noten -
emission Sorge zu tragen hat, welches geeignet ist, die vollstandige Einlosbar-
keit der Noten zu sichern, was prinzipiell ein Widerspruch gegen jenes fixe
unbedeckte Kontingent war.
Da die Bank in weiten Kreisen unpopular war, so fanden diese Antrage,
namentlich jene (iber die Abkurzung des Privilegiums und die Unverzinslich-
keit der Bankschuld, vielfache Zustimmung. Auf der andern Seite vertrat
Adolf Wagner, der damals Professor an der Wiener Handelsakademie war, die
Grundgedanken der Regierungsvorlage, namentlich die durchgangige bank-
maflige Deckung der Noten im Gegensatze zu dem von Meyer empfohlenen,
blofl durch das Umlaufsbediirfnis gehaltenen, metallisch unbedeckten Kon-
tingent, und hob die ganze Polemik durch Heranziehung der Kontroverse zwischen
Geld- und Kredittheorie auf ein hoheres Niveau. Die Bank vertrat ihren Stand-
punkt in mehreren Denkschriften und drohte mit der Verwerfung der neuen
Bestimmungen. In der Plenardebatte hatte der Finanzminister einen schweren
Stand, er hielt es selbst nach den ermiidenden Ausschuflverhandlungen dennoch
fur seine Pflicht, den Hauptinhalt seiner Vorlage auch im Plenum zu ver-
treten. In der Privilegiumfrage proponierte er als Vermittlungsvorschlag eine
Dauer von 14 Jahren. Die Verzinslichkeit der Bankschuld wollte er nicht
fallen lassen, war aber bereit, von 8 % Dividende an eine Gewinnbeteiligung
anzunehmen. Cber diesen Punkt entspann sich die heftigste Debatte, hier
kam die Animositat des Abgeordnetenhauses gegen die Bank recht zum Aus-
druck, hier fiel auch das Wort des Staatsministers Schmerling: Hier sind 100
Personen, in der Generalversammlung der Bank sind IOO Personen, die die
Beschlusse des Abgeordnetenhauses auch ebenso gut ablehnen konnen. Dariiber
entstand begreiflicherweise grofle Aufregung im Abgeordnetenhause. Schliefl-
lich beschlofl man die Unverzinslichkeit des Darlehens und beseitigte die
v. Plener.
285
Gewinnbeteiligung, um dem Staate keinen Einflufi auf die Bankverwaltung
zu gewahren. Der Finanzminister hielt seine durchgangige bankmaflige Deckung
(Metall und leicht realisierbare Forderungen an Private) aufrecht, machte nur
in der Endziffer der vollen Metalldeckung eine kleine Konzession und wandte
sich namentlich gegen Herbst, der in kritischen Zeiten keine weitere Noten-
emission zulassen wollte, wies nach, wie die Bank von England zweimal sus-
pendiert werden mufite, um in Krisen dem Markte zu helfen, und wie eine solche
Hilfe in kritischer Zeit nicht mit einer Inflation zu Beginn einer Spekulations-
periode zu verwechseln sei. Im Abgeordnetenhause war aber die Stromung,
welche die Valutaherstellung wesentlich durch Restriktion der Umlaufmittel
herbeifiihren wollte, vorherrschend, und so wurden die Ausschufiantrage an-
genommen. Die spatere Entwicklung hat nicht diesen Anschauungen, sondern
jenen des Finanzministers recht gegeben. Im Jahre 1873 mufite man die
Bankakte suspendieren, und im Jahre 1 887 wurde das ganze Deckungssystem
durch Einfuhrung der indirekten Kontingentierung mit Notensteuer iiber die
200 Millionen und einer parallelen perzentualen ( a / 5 ) Metalldeckung, und 191 1
auch noch durch die Erhohung des metallisch unbedeckten Kontingents um
die Halfte geandert, gerade so, wie die Erleichterungen des Geschaftsverkehrs
der Bank durch das Gesetz von 1868 auch eine Abkehr von der allzu rigorosen
Auffassung des Finanzausschusses von 1862 und zugleich eine Widerlegung der
ursprunglichen Berechnungen iiber die Gewinnmoglichkeiten der Bank be-
deuteten. Im Herrenhause versuchte man einen Mittelweg in der Deckungs-
frage, aber in der gemischten Kommission, welche die definitive Entscheidung
brachte, wurden die Beschliisse des Abgeordnetenhauses angenommen, dagegen
wurde bezuglich des Darlehens von 80 Millionen ein Kompromifi zwischen Re-
gierungsvorlage und Beschlufi des Abgeordnetenhauses vereinbart, wonach
eineVerzinsung derSchuld, und zwar in derHohe von einer Million, aber nur zu
dem Zweck stattfinden soil, um die Bankdividende auf 7 % zu erganzen. Die
Bank gab ihren Widerstand auf, und so kam endlich die Bankakte zustande
(Ende Dezember 1862). Das Abgeordnetenhaus schrieb sich einen Sieg zu,
weil es den Widerstand der Bank nicht ernst genommen und in wesentlichen
Punkten seinen Willen durchgesetzt hatte, der Finanzminister konnte auch
zufrieden sein, dafi der Grundgedanke seiner Vorlage, die Regelung des Kredit-
verhaltnisses zwischen Staat und Bank, die Herstellung der Unabhangigkeit
des zentralen Zettelinstituts zur Wirklichkeit wurde, und die Bezeichnung
Plenersche Bankakte, welche ihr die Nachwelt gegeben hat, zeigt, dafi man die
vom Finanzminister vorgeschlagenen Grundlagen als das dauernde und kon-
stitutive Element ansah und nicht jene Detailpunkte, auf welche das Ab-
geordnetenhaus mit so viel Heftigkeit bestanden hatte.
Am Ende dieser Session erledigte der Reichsrat auch die Vorlage iiber
Einsetzung einer reichsratlichen Staatsschulden-Kontrollkommission. Die
Regierungsvorlage hatte den beiden Hausern eine paritatische Vertretung
eingeraumt, der AusschuG des Abgeordnetenhauses beantragte eine Vertretung
der beiden Hauser im Verhaltnis von 3 : 6, aber im Plenum wurde dieser Antrag,
nachdem mehrere Redner und der Finanzminister dagegen gesprochen, abge-
lehnt und die Paritat der Regierungsvorlage wiederhergestellt. Der AusschuG
hatte ferner beantragt, dafi wenn im Sinne des § 13 der Verfassung (Notpara-
graph) auGerordentliche FinanzmaGregeln beabsichtigt werden, die Kontroll-
286 v - Plener.
kommission vorlaufig daruber anzuhoren sei. Der Finanzminister und mehrere
Abgeordneten wandten sich gtfgen einen solchen konsultativen Charakter der
Kommission, welcher weder mit der Ministerverantwortlichkeit und der Stellung
der Exekutive noch mit der blofi kontrollierenden Tatigkeit der Kommission
vereinbar sei, und das Haus beschlofi danach, dafi die Kommission von solchen
Finanzmafiregeln blofi in Kenntnis zu setzen sei. Damit wurde jenes parlamen-
tarische Organ geschaffen, das in der Folge eine Reihe von Kontroversen und
Konflikten iiber die Staatsschuldenverwaltung mit dem Finanzminister haben
sollte.
Das Jahr 1862 war fur meinen Vater sehr anstrengend gewesen, lange,
aufregende Sitzungen in Ausschiissen und im Abgeordnetenhaus, die grofie
Arbeit im Ministerium selbst, wo er oft bis spat in die Nacht iiber den Akten
safi, und die vielen zeitraubenden Empfange, die ein Minister schliefilich nicht
ganz einstellen kann, alles das zusammen war eine starke Anspannung, aber
er hielt die Miihen gut aus, war dabei gesund und verhaltnismafiig heiter.
Das Finanzministerium war damals sehr gut zusammengesetzt. Der Unter-
staatssekretar Franz Kalchberg beherrschte das direkte Steuerwesen in tiber-
legener Weise. Nach dessen Riicktritt berief mein Vater seinen Schwager
Holzgethan als Ministerstellvertreter, der sich aber in der neuen Stellung nicht
zurechtfinden konnte. Fur Bank- und Kreditangelegcnheiten war Freiherr
v. Brentano eine ausgezeichnete Kraft, der fruher Bankier in Frankfurt gewesen
und unter Bruck in den osterreichischen Staatsdienst getreten war; dann war
Hock eine Zierde des Finanzministeriums, eine Autoritat in Zoll- und Handels-
vertragssachen, zugleich ein hervorragender finanzwissenschaftlicher Schrift-
steller, Hofken sehr fahig, aber etwas unbotmafiig, Dessary ein Fachmann fiir
indirekte Steuern, auch unter den ubrigen Beamten waren tiichtige und ge-
wissenhafte Manner, sie alle hatten eine grofie Anhanglichkeit an ihren Chef,
der sie, wo er konnte, forderte. Als auswartige Hilfskraft diente ihm mit groflem
Eifer der Statistiker Czornig, der auf des Finanzministers Anregung das fiir
die damalige Zeit ausgezeichnete grofie Werk iiber das osterreichische Budget
und eine kleinere Arbeit iiber Budgetrecht und Rechnungskontrolle herausgab.
Die statistische Zentralkommission trat wesentlich auf Betreiben des Finanz-
ministers 1863 ins Leben.
Der Anfang des Jahres 1863 liefl sich finanziell etwas besser an, die Riick-
zahlungen an die Bank erfolgten regelmaflig, das Agio, das Anfang 1862 auf 38
gestanden hatte, schwankte imerstenHalbjahr l863zwischen 14 und 10, Holland
begann wieder osterreichische Papiere zu kaufen, die Begebung der restlichen
40 Millionen der Sechziger Lose erfolgte im April zum Kurs von 102,5, nach
Abschlag der Zinsen und Provision ungefahr V2 % iiber Pari. Dieser Kurs
war ein grofier Erfolg und erregte grofies Aufsehen, mein Vater hatte daruber
eine grofie Freude, Rothschild hatte diesen hohen Emissionskurs zugestanden,
weil sich Pereire, den die Pariser Rothschilds bekanntlich nicht mochten, auch
um das Anlehen bewarb und es den Rothschilds vor allem darauf ankam, ihm
eine Niederlage zu bereiten und ihn in Wien finanziell nicht Fufi fassen zu lassen.
Zu jener Zeit unternahm der Finanzminister eine grofie Reform des ganzen
Budgetwesens. Die Budgetperiode, die bis dahin als sogenanntes Kameral-
oder Militarjahr vom 1. November bis 31. Oktober lief, wurde auf das Kalender-
jahr verlegt, das Budget selbst sollte ein Bruttobudget sein, die Vorwegnahme
v. Plencr.
287
der Einnahmen einzelner Verwaltungszweige wurde abgeschafft und die
Ausgaben wurden in ordentliche und aufierordentliche in den einzelnen Ver-
waltungszweigen unterschieden. Die Verordnung (publiziert erst im Oktober
1863) enthalt eingehende Bestimmungen iiber die Gebarung mit den bewilligten
Krediten, iiber die Behandlung der Uberschreitungen, der Nachtragskredite,
iiber die Grundsatze der Verrechnung, die Abfassung der Rechnungsabschlusse
usw. Sie ist heute noch die Grundlage der Budgetgebarung, die in andern
Landern durch sogenannte Staatsrechnungsgesetze geordnet ist. Mein Vater
hat diese Reform immer als eine seiner besten Leistungen angesehen, die aber
begreiflicherweise in der groBen Offentlichkeit nicht die Beachtung erfuhr, die
ihr eigentlich wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes zukam.
Im Jahre 1863 brachte der Finanzminister das auf neuer Grundlage auf-
gebaute Budget fur die 14 monatige Periode bis Ende 1864 ein, es war ein
Bruttobudget in Kapitel, Titel und Paragraphen geteilt und schuf die Form
fur alle nachfolgenden Budgetvorlagen. Ausfuhrliche Spezialvoranschlage und
Erlauterungen waren der Vorlage beigegeben. Die Anschlage waren etwas
giinstiger als im Vorjahre, fur die 14 monatige Periode war ein Abgang von
49,6 Millionen veranschlagt, wovon 16 Millionen durch eine auflerordentliche
Personal-, Klassen- und Luxussteuer gedeckt werden sollten, so daC 33 Millionen
im Wege des Kredits zu beschaffen gewesen waren. Nach der Vertagung des
Reichsrats iiber den Spatsommer brachte der Finanzminister am 5. Oktober
1863 die neuen Steuervorlagen ein. Die Reform der direkten Steuern hatte
das Finanzministerium in den vorausgegangenen Jahren wiederholt beschaftigt,
im Jahre 1859 war eine sogenannte Immediatkommission zum Studium der
Steuerreform eingesetzt worden, die ersten Antrage des Ministeriums (noch
unter Bruck) gingen fur die Grund- und Gebaudesteuer auf Einfuhrung eines
Wertkatasters im Gegensatze zum alten Parzellenertragskataster, doch fiel die
SchluOfassung nicht zugunsten dieser Neuerung, wohl aber einigte man sich
fur das System der Repartition fur Grund- und Erwerbssteuer. Nachdem
schon 1 861 die Revision des Parzellenkatasters vorbehalten wurde, hatte der
Finanzminister 1 862 einen darauf beziiglichen Entwurf im Abgeordnetenhaus
eingebracht, der aber nicht erledigt wurde. Jetzt (1863) legte der Finanz-
minister ein grofies Reformprojekt fur alle direkten Steuern vor. Dieses griff
auf den Vorschlag eines Wertkatasters nicht zuriick, sondern wollte den stabilen
Parzellenkataster revidieren, aber nicht nach Gemeinden, sondern nach Bezirken
und Kulftirgattungen. Die Grundsteuer sollte eine Repartitionssteuer werden
mit einer Hauptsumme fur das Reich, die dann auf die Lander und Bezirke
unter Mitwirkung der Steuertrager aufgeteilt werden sollte. Bei dem ganzen
Projekt mufite auf Ungarn Riicksicht genommen werden, wo die alten Steuern
nicht gleichmafiig eingefiihrt worden waren. Die Hauszinssteuer wurde fiir
Ungarn, so wie es in Osterreich schon der Fall war, auf alle vermieteten Hauser
ausgedehnt, die Hausklassensteuer erhielt einen neuen Tarif nach Ortsklassen
und dem jahrlichen Nutzwert der Zimmer und Kammern. Die Erwerbsteuer
sollte nach preuCischem Muster auf Steuergesellschaften gelegt werden mit
einem variablen elastischen Tarif mit Minimalsatzen, die Gesamtsteuer eine
Repartitionssteuer sein. Die Rentensteuer wird als Abzug vom Coupon der
Papiere ohne Fassion erhoben. Alle Ertragssteuern sollten also reformiert
werden, aber damit begnugte sich das Reformprojekt nicht, zum Unterschiedc
288 v. Plener.
von der Immediatkommission, welche wohl die Ertragsteuern reformieren,
teilweise erhohen, aber iiber ihr System nicht hinausgehen wollte, stellte das
Reformprojekt iiber die Ertragssteuern eine Erganzungssteuer in der Form
einer Personal- und Klassensteuer. Damit war der Gedanke einer Personal-
einkommensteuer dem ganzen Steuersystem eingefiigt, und alle spateren Ein-
kommensteuerentwlirfe haben ihren Ursprung in den Entwiirfen des Jahres
1863. Zunachst war diese Personalbesteuerung als eine aufierordentliche Mafi-
regel fur die Deckung des Defizits gcdacht. Die Personalsteuer hatte nach
Analogie der in Ungarn bestehenden Personalerwerbsteuer den Charakter einer
ziemlich rohen Kopfsteuer. Die Klassensteuer sollte die Einkommen iiber
600 Gulden mit einer Degression in den unteren Stufen treffen und war mit
einem niedrigen Perzent (2 %) vom Einkommen gedacht, fiir sie soil ten Fassio-
nen eingefiihrt werden und die Steuerhauptsumme vorweg ausgesprochen
werden, Abzug der Schuldenzinsen wurde gestattet, und der Wohnungsaufwand
sollte einen wesentlichen Behelf fiir die Einschatzung gewahren. Schliefllich
war eine Luxussteuer auf Dienerschaft, Wagen und Pferde angefugt.
Das Abgeordnetenhaus zeigte wenig Lust, in die Beratung der Steuervor-
lagen einzugehen. So sehr die oppositionellen Abgeordneten im allgemeinen
gegen die Schuldenpolitik wetterten, so fiigte man doch im November dem
neuen Anlehensgesetz, das zur teilweisen Deckung des Defizits und des Not-
standskredits fiir das durch eine verheerende Durre getroffene Konigreich
Ungarn bestimmt war, den die Majoritat in wenig groflherziger Weise um
10 Millionen gekiirzt hatte, noch die Ermachtigung hinzu, die 16 Millionen,
welche durch die neue Einkommensteuer hatten aufgebracht werden sollen,
auch noch im Kreditwege zu bedecken, also neue Schulden statt der neuen
Steuern. Der Ausschufi liefl die Steuervorlagen liegen, erst im Dezember 1863
beantragte er die Ablehnung aus nichtssagenden Griinden und nahm von dem
ganzen Reformprojekt nur die ganz unbedeutende Luxussteuer auf, die das
Haus auch tatsachlich votierte, die aber die Regierung schliefllich mit Recht
im Herrenhause zuriickzog. Einen staatsrechtlichen Straufi hatte der Finanz-
minister noch iiber die Forterhebung der im Vorjahre bewilligten verdoppelten
Zuschlage zu den direkten Steuern und anderer Zuschlage zu einigen indirekten
Abgaben fiir die Monatc November und Dezember zu bestehen. Der Finanz-
ausschufi dehnte die neue Beschlufifassung auf die direkten Steuern iiberhaupt
aus, als ob diese mit dem vorjahrigen Finanzgesetz erloschen waren. Der Finanz-
minister wies an der Hand des § 10 des Staatsgrundgesetzes, das die Forter-
hebung der bestehenden Steuern nicht von der jahrlichen Bewilligung des
Reichsrats abhangig macht, nach, dafl der Beschlufi des Abgeordnetenhauses
nur die letztjahrigen Erhohungen zum Gegenstand haben konne. Taschek,
Giskra und Demel vertraten die Anschauung des Ausschusses, der gegen den
Wortlaut der Verfassung ein jahrliches Steuerbewilligungsrecht des Reichsrats
schaffen wollte, Waser und diesmal auch Herbst traten fiir den Regierungs-
entwurf ein, der auch im Plenum gegen den Ausschuflantrag angenommen wurde.
Infolgedessen erfolgte auch in einem spateren Gesetze die Bewilligung der er-
hohten Zuschlage fiir die Monate Januar bis April 1864 in demselben Sinne.
Ferner hatte der Ausschufi beantragt, dafl selbst vor Zustandekommen des
Finanzgesetzes die im Laufe der parlamentarischen Beratung vorgenommenen
Abstriche schon im laufenden Jahre von den anweisenden Behorden beriick-
v. Plener.
289
sichtigt werden sollten. Dem Finanzminister gelang es im Plenum, auch diesen
Antrag, der jeder gesetzgeberischen Ordnung widersprach, zu Fall zu bringen.
Finanziell bot die Session nichts Bedeutendes, eine Novelle zum Gebuhren-
gesetz wurde angenommen, und in der Budgetberatung wurden die Abstriche
fortgesetzt, im Kriegsbudget wurden 4,3 Millionen gestrichen, in einzelnen
Zweigen der Zivilverwaltung wurden Abstriche an den kleinsten Detailposten
vorgenommen, der Finanzminister wehrte sich dagegen, so gut er konnte, und
erklarte, dafl viele vom Ausschufi beschlossene Reduktionen gar nicht zur Aus-
fiihrung gebracht werden konnten. Die Stimmung hatte sich im Abgeordneten-
hause nur verschlechtert, da der liberale Ausbau der Verfassung auf Schwierig-
keiten seitens des Ministeriums stiefi. Zugleich war die auswartige Lage eine
Quelle der Unzufriedenheit, der Miflerfolg des deutschen Fiirstentages und
gleich darauf die mit Preuflen gemeinschaftlich unternommene Exekution in
Schleswig-Holstein hatten eine grofie Verstimmung erregt. Auch im Schofle
des Kabinetts machten sich diese Dinge fuhlbar, Schmerling vertrat den Stand -
punkt der Furstentagspolitik, Rechberg wollte den Konflikt mit Preuflen ver-
meiden, mein Vater neigte in dieser Frage mehr zu Rechberg als zu Schmerling.
Im Abgeordnetenhause waren heftige Debatten iiber die schleswig-holsteinische
Frage, die Exekutionskosten wurden von 10 auf 5,3 Millionen herabgestrichen,
dazu kam der Auf stand in Russisch-Polen mit seinen Riickwirkungen auf
Galizien, so schlofl die Session im Februar 1864 hochst unbefriedigend.
Die Finanzen litten unter dem Zuruckbleiben der Steuern infolge des
ungarischen Notstandes, und unter diesen wenig verheifiungsvollen UmstSnden
muflte der Finanzminister zur Aufnahme von Anlehen schreiten. 109 Millionen
sollten aufgebracht werden. Die Lage der Geldmarkte war sehr ungiinstig.
Zuerst (Februar 1864) emittierte der Finanzminister ein unverzinsliches Pra-
mienanlehen von 40 Millionen zum Kurs von 96, das war noch verhaltnismaflg
ein guter Kurs. Die weiteren Operationen begegneten groflen Schwierigkeiten.
Auf dem Wiener Markte herrschte eine Verstimmung gegen den Finanzminister
wegen dessen strenger Behandlung der subventionierten Eisenbahnen, er wollte
die Garantiebetrage nicht ohne Prufung der Bau- und Betriebsrechnungen
auszahlen und dem Wunsche der Bahnen nicht nachkommen, die Einkommen-
steuer nur von dem aus dem Betriebe sich ergebenden Reinertrag, also noch vor
dessen Erg&nzung durch die Staatsgarantie, zu zahlen. Die Kontroverse nahm
grofie Dimensionen an, die Gesellschaften richteten eine Beschwerde an den
Kaiser, der sie naturlich wieder an den Finanzminister zuruckverwies. Erst gegen
Ende des Jahres kam ein Kompromifi zustande, im Friihjahr 1864 aber spielte
die Frage eine grofie Rolle auf dem Wiener Markt. Aber auch die auslandischen
MSrkte boten wenig gunstige Aussichten, der danische Krieg, der ungewShnlich
hohe Bankzinsfufi in London, ein bevorstehendes grofies russisches Anlehen
und die Kreditnot der Vereinigten Staaten, die sich in Europa zu den driickend-
sten Bedingungen verstanden, waren fur eine osterreichische Emission keine
guten Vorzeichen. Zun&chst nahm der Finanzminister einen Vorschufi von
3 Millionen auf das zu emittierende Anlehen auf, und als man dieses im Nominal-
betrage von 70 Millionen Gulden ausbringen wollte, war der Zinsfufi der Bank
von England auf 9 % gestiegen, und die Subskription mifilang. Es wurden nur
23,5 Millionen zum Kurs von 77 gezeichnet. Zur Begebung des Restes wurde
ein Syndikat gebildet, das aber auch nur sehr langsam verkaufen konnte, so-
Biogr. Jahrbuch u* Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. 1 9
290
v. Plener.
dafl zuletzt der Nominalbetrag des Anlehens reduziert werden mufite. Die
ganze Operation war ein Mifierfolg. Von den nicht begebenen Stucken ver-
pfandete die Finanzverwaltung in der Folge einen Teil in Depotgeschaften,
was zu sehr unangenehmen Kontroversen mit der Staatsschuldenkontroll-
kommission und dem Abgeordnetenhaus fuhrte. Der Rest der durch das Fi-
nanzgesetz von 1864 aufzubringenden Schuldsumme wurde im November durch
ein 5 jahriges 5 perzentiges Steueranlehen zum Kurse von 87 aufgebracht.
Die vielen Widrigkeiten und die grofle Arbeit hatten bis dahin die innerlich
heitere Gemutsverfassung meines Vaters nicht wesentlich getriibt, wenn er sich
auch keine Illusionen iiber den allmahlichen Niedergang des Ministeriums
machte. Er hielt sich im ganzen frisch und gesund. Im Sommer wohnten wir
in diesen Jahren in Baden bei Wien, einem sehr angenehmen Aufenthalt, da-
zwischen ging mein Vater fur ein paar Wochen nach Gastein oder auf eine Tour
ins Hochgebirge, fiir das er immer eine grofle Liebhaberei hatte. Im November
1864, als der Friedenschlufi mit Danemark unmittelbar bevorstand, trat der
Reichsrat wieder zusammen. Kurz vorher hatte Graf Rechberg seine De-
mission gegeben und war durch Graf Mensdorff ersetzt worden. Rechbergs
Stellung war durch die deutschen Ereignisse crschiittert, er hatte den Frank-
furter Fiirstentag nicht gebilligt, wollte keinen ernsten Konflikt mit PreuBen,
fand aber trotzdem bei diesem in der Frage der Zolleinigung mit Osterreich
eine ablehnende Haltung, die deutschen Mittelstaaten fuhlten sich durch ihn
verletzt, die populare deutsch-nationale Stromung war mit seiner Politik in
der Herzogtiimerfrage unzufrieden, im Abgeordnetenhause war er deshalb den
starksten Angriffen ausgesetzt, fiir Galizien vertrat er aus Rucksichten fiir
Rufiland die Fortdauer des Belagerungszustandes, die alte Rivalitat mit Schmer-
ling hatte immer bestanden, er selbst hatte die Empfindung der Unhaltbarkeit
seiner Stellung. Mein Vater hatte sich ihm in einzelnen Fragen der auswartigen
Politik im Interesse der Erhaltung des Friedens genahert und schatzte ihn per-
sonlich hoch. Rechberg war es, der, soviel ich mich erinnere, selbst den Grafen
Mensdorff zu seinem Nachfolger vorschlug. Ein feiner, unentschlossener Mann,
der eigentlich gar kein Politiker war und fur das heikle Verhaltnis zu PreuBen
kein Programm mitbrachte, dadurch wuchs der Einflufl von Moriz Esterhizy
auf die auswartige Politik. Die Krise hatte sich ziemlich lange hingezogen und
das Ansehen des Ministeriums nicht erhoht, das angesichts der oppositionellen
Haltung des Abgeordnetenhauses in der Kampfperiode der neuen Session eine
Verstarkung seiner Autoritat bedurft hatte. Am 17. November legte der Finanz-
minister zunachst denRechnungsabschlufifur 1862 vor, der nicht allzu ungiinstig
lautete, der praliminierte Abgang von 97,8 Millionen war infolge besserer Steuer-
eingange auf 74,9 Millionen gesunken. Das Budget fiir 1865, das gleichzeitig
eingebracht wurde, veranschlagt die Gesamtausgaben mit 548,7 Millionen
(wovon 60 Millionen Schuldentilgung, davon 39 Millionen an die Bank), die
Einnahmen mit 518,2, Abgang 30,5 Millionen, zu dessen Deckung in ersterLinie
die danische Kriegsentschadigung im Betrage von 18 Millionen heranzuziehen
ware. Gleichzeitig legte der Finanzminister ein neues grofies Reformprojekt
fiir die direkte Besteuerung des Reichsrats vor. Die Grundsteuer sollte zwar
das Prinzip der Parzellenertragsschatzung nach Kulturen und Klassen beibe-
halten, aber im ganzen eine Repartitionssteuer werden mit starker Heranziehung
der Steuertrager zu den Veranlagungskommissionen. Ebenso sollte die Erwerbs-
v. Plener.
29I
steuer eine Repartitionssteuer werden, der fixe Tarif sollte entf alien, die durch -
schnittliche Ertragsfahigkeit sollte in Klassen mit Minimalsatzen festgestellt
und die Steuer nach Feststellung der geforderten Hauptsumme auf die Steuer-
pflichtigen verteilt werden. Die Rentensteuer sollte eine Kapitalzinssteuer
mit mafligem Steuersatz werden. Das Hauptgewicht aber legte der Finanz-
minister auf die Einfuhrung einer allgemeinen Einkommensteuer neben den
Ertragssteuern. Soweit die Staatsbedtirfnisse durch Steuererhohungen gedeckt
werden sollten, sei die einfache Erhohung der Objektsteuern, welche nicht genug
Rticksicht auf die individuelle Wirtschaftsfuhrung und -Ergebnisse der
Steuerpflichtigen nehmen, nicht empfehlenswert, man musse vielmehr dafur
eine elastische Personaleinkommensteuer mit Beriicksichtigung aller individuellen
Momente, namentlich der Schuldzinsen, neu einfuhren. Zu diesem Behuf
beantragte er eine allgemeine Klassensteuer fiir Einkommen zwischen 365 und
1500 Gulden und eine Einkommensteuer fiir Einkommen von 1 500 Gulden
aufwarts mit einer maBigen Progression von 1 bis 2 % des Einkommens. Auch
fiir diese Steuern sollte im jahrlichen Finanzgesetz eine Kontingentsumme
ausgesprochen werden und danach die Verteilung erfolgen. Dies war ein grofler
Schritt in der Reform der direkten Besteuerung, und wenn auch dieses Projekt
geradeso wie sein Vorganger parlamentarisch nicht erledigt wurde, so bildet es
mit seinen ausgezeichnet gearbeiteten Motivenberichten einen Denkstein in
der Geschichte unserer Steuerreform, die sich schliefllich in den dort vorge-
zeichneten Bahnen bewegte.
Die politische Spannung zwischen dem Ministerium und den Fuhrern des
Abgeordnetenhauses nahm gleich zu Beginn der Session scharfe Formen an, als
Schmerling es ablehnte, ein Gesetz iiber die Ministerverantwortlichkeit einzu-
bringen. Die darauf folgende AdreBdebatte war einfach ein Frontangriff
gegen die Regierung. Die auswartige Politik, der unbefriedigende Stand der
ungarischen Krise, die ablehnende Haltung der Regierung gegenuber den weit-
gchenden Forderungen nach dem freiheitlichen Ausbau der Verfassung, die
schlechten Finanzen, alles das und noch manches kleinere Detail hielten die
Redner als Siindenregister der Regierung vor. Dafi die Minister gereizt ant-
worteten, war begreiflich. Mein Vater hatte sich insbesondere gegen eine heftige
Rede Dr. Herbsts zu verteidigen, der an der Hand der aufierordentlichen Ein-
nahmen, wie Staatsguterverkauf und Anlehensreste, ein viel hoheres Defizit
berechnete, als es im Expos6 des Finanzministers dargestellt war, worauf dieser
nicht mit Unrecht auf die Unlust des Abgeordnetenhauses gegen jede energische
Finanzreform im Wege von Steuererhohungen oder Einfuhrung neuer Steuern
sowie auf die aufierordentliche Last hinwies, die die Riickzahlung der Bankschuld
dem Staat auferlegte, 140 Millionen in Zeiten finanzieller Beengung und wirt-
schaftlicher Depression binnen vier Jahren zuriickzuzahlen, sei eine ganz unge-
wohnliche Mehrbelastung des Staatsschatzes, die man bei einer allgemeinen
Beurteilung der Finanzen wohl in Betracht ziehen musse. Die uble Laune
des Abgeordnetenhauses zeigte sich gleich darauf, indem dasselbe die von der
Regierung fiir die ersten sechs Monate des Jahres 1865 geforderte Bewilligung
der Fortdauer der aufierordentlichen Steuerzuschlage zunachst nur fur drei
Monate zugestand. Der Belagerungszustand in Galizien und die strafgericht-
liche Verfolgung des Abgeordneten Rogawski durch das Lemberger Militar-
gericht gaben Anlafi zu einer neuen gereizten Debatte im Abgeordnetenhause.
19*
292
v. Plener.
Nun kamen die Antr&ge der Staatsschuldenkontrollkommission, die mit der Finanz-
verwaltung fortwahrend in Streit lag, zur Beratung, ihre Antrage enthielten
eine Reihe von scharfen Tadelsvoten gegen den Finanzminister, von denen
die meisten von dem zu ihrer Beratung eingesetzten Ausschufl des Abgeord-
netenhauses aufgenommen wurden. Drei Tage dauerte die Debatte iiber die
einzelnen Punkte, der Finanzminister ergriff fast zu jedem das Wort zu seiner
Verteidigung, unterlag aber regelmSfiig. Er bestritt der Staatsschulden-
kontrollkommission das Recht, zu beurteilen, ob eine bestimmte Anlehensform
zweckmaflig, ob der erzielte Kurs giinstig oder ungiinstig gewesen sei, sie habe
nur die Durchfiihrung der Anlehensgeschafte zu uberwachen und nur iiber diese
Kontrollfunktionen ihre etwaigen Wahrnehmungen an das Abgeordnetenhaus
zu berichten. Die materielle Rechtfertigung der Anlehensoperationen habe der
Finanzminister erst bei Vorlage des Rechnungsabschlusses zu geben. Ebenso
bekampfte er die Behauptung, dafl die Schuldurkunde iiber das a conto des
englischen Anlehens abgeschlossene Vorschuflgeschaft der Kontrollkommission
hatte zur Kontrasignatur vorgelegt werden sollen, diese habe nur wirkliche
Anlehensobligationen, die im Druck angefertigt werden, zu kontrasignieren.
Der Hauptstreit drehte sich um die Depotgeschafte, das waren Vorschufl-
geschafte gegen VerpfSndung von nicht begebenen Obligationen schon be-
willigter Anlehen, wozu die Finanzverwaltung angesichts der Lage des Staats-
kredits und des Geldmarktes zur Aufbringung dringend benStigter Mittel
wiederholt schreiten muflte. Die Kontrollkommission und das Abgeordneten-
haus wollten in jedem Depotgeschaft ein selbstandiges Anlehensgeschaft er-
blicken, das der Kontrolle der Kommission unterstehe, wahrend einige so weit
gingen, sie iiberhaupt als ungesetzlich anzusehen. Der Finanzminister gab zu,
dafl ein Vorschuflgeschaft, welches die Staatsschuld vermehrt, der Kontrolle
unterliege, die Depotgeschafte auf Grund von im Besitz des Staates befind-
lichen Effekten aber gehorten dem inneren Kassendienst an und konnten nicht
in den Bereich der Staatsschuldenkontrolle gezogen werden. Die Debatte war
sehr gereizt, und nachdem die BeschlUsse gegen den Finanzminister gefaflt
waren, erklarte dieser ganz ruhig, dafl die Regierung solche BeschlUsse in Er-
wagung ziehen werde, ihnen aber dartiber hinausgehende maflgebende Wirkung
nicht einraumen konne. Daniber grofle Bewegung, und in der darauf folgenden
Sitzung stellte Giskra den Antrag, einen eigenen Ausschufl iiber diese die Rechte
und das Ansehen des Abgeordnetenhauses verletzende Erklarung einzusetzen.
Der Antrag wurde angenommen, der Ausschufl wurde gewahlt, hat aber niemals
einen Bericht erstattet. So blieb der Zwischenfall zwar ohne Folgen, aber die
Verbitterung war gestiegen. Der Finanzminister hatte im Laufe der Session
einen Gesetzentwurf eingebracht, durch welchen die unteren Stufen der in
Siebenburgen bestehenden Personalsteuer, einer Art Kopfsteuer, angesichts
der Armut der untersten Steuerpflichtigen und der tatsachlichen Uneinbring-
lichkeit dieser Steuersatze ermSfligt werden sollten. Herbst und Brestel be-
kampften auch diese Vorlage und wandten sich namentlich dagegen, dafl der
etwa 400000 Gulden betragende Ausfall von den Obrigen Landern getragen
werden sollte, diesmal gelang es jedoch dem Minister und den siebenbiirgischen
Abgeordneten, die Vorlage gegen diese kleinliche Opposition zu retten.
Um fiir die Budgetberatung, die sich bisher immer in das schon laufende
Finanzjahr hineinzog, endlich auch einmal vor Beginn der Gebarungsperiode
Plener.
293
Raum zu schaffen, entschloG sich die Regierung, wahrend noch das Budget
fur 1865 in Beratung stand, auch noch das Budget fur 1866 einzubringen. Der
Finanzminister unterbreitete die Vorlage am 18. Februar 1865, die Gesamt-
ausgaben waren mit 542,5 Millionen Gulden angesetzt, darunter 66 Millionen
Schuldentilgung, die durch VerauGerung von Staatseigentum und Anlehens-
reste gedeckt werden sollten, die Gesamteinnahmen wurden mit 512,9 Millionen
veranschlagt, Abgang 29,6 Millionen. Zugleich sprach der Finanzminister im
Namen der Regierung die Bereitwilligkeit zu weiteren Ersparungen aus gegen
Einraumung einer groGeren Bewegungsfreiheit innerhalb der bewilligten Kredite.
Das Haus nahm diese vorzeitige Vorlage des nachstjahrigen Budgets unwillig
auf und sah darin einen unkonstitutionellen Hinterhalt und eine Storung der
schon im Gange befindlichen AusschuGberatung des Budgets fur 1865. Hier
hatte sich eine kleine innereKrise abgespielt. Im Januar hatte der AusschuG be-
schlossen, der Regierung das Budget mit der Aufforderung zunickzustellen,
umfassende Ersparungen vorzunehmen, die er mit 22 Millionen in Aussicht
nahm. Graf Vrints bemuhte sich in guter Absicht, einen Ausweg aus dieser
unmoglichen Situation zu finden, er vvollte Verhandlungen zwischen Regierung
und FinanzausschuG einleiten, welche Pauschalabstriche an Stelle der ruck-
sichtslosen Einzelabstriche bei den verschiedensten Positionen setzen sollten.
Die Regierung lehnte es ab, im vorhinein sich ziffermaflig zu binden, und stellte,
in Ubereinstimmung mit der AuGerung des Finanzministers in seinem Expos6,
die Gegenforderung auf Gestattung von Virements in einzelnen Hauptposten
der Verwaltung und auf Sicherung, dafi es fiir die nachsten zwei Jahre bei den
zu vereinbarenden Abstrichen auch wirklich sein Bewenden habe. Da der
AusschuG darauf nicht eingehen wollte, erschienen die Minister fiir einige Zeit
nicht mehr im Ausschusse. Zuletzt scheiterten alle Ausgleichsversuche, der
Antrag Vrints wurde abgelehnt, und die AusschuGberatung des Budgets fiir
1865 ging ihren Weg weiter mit ihren groGen und kleinen Abstrichen bei den
einzelnen Posten. Keine neuen Steuern und keine Anlehen war die Parole,
die Abstriche betrugen 26,8 Millionen, davon 17,8 bei der Armee und 1,7 bei
der Marine, wahrend die Regierung fiir die Armee nur 1 1 Millionen zugestehen
wollte. Der Mannschaftsstand war in den letzten Jahren bedeutend vermin -
dert worden, zuletzt war infolge der Abstriche die osterreichische Kavallerie
um ein Drittel reduziert. Der AusschuGbericht beantragte, in mehreren Teilen
des Budgets das Virement innerhalb der einzelnen Kapitel zu gestatten, ohne
Riicksicht auf die Unterteilung in Paragraphen. GewiG ein fiir die Ordnung
im Staatshaushalt schlechtes System, wie es auch ein Mangel der damaligen
Budgetierung war, die Kosten der Armee in einer Gesamtziffer in den Vor-
anschlag einzustellen (nach dem AusschuGantrag Armee 89,9). Die Minister
versuchten in der Spezialdebatte, die Abstriche zu bekampfen, hatten aber
keinen Erfolg, die AusschuGantrage wurden fast alle angenommen. Bald darauf
folgte die Debatte iiber den Handelsvertrag mit dem Zollverein. Hier hatte
der Finanzminister einen entschiedenen rednerischen Erfolg. Der Regierungs-
vertreter Freiherr v. Hock, ein ausgezeichneter Fachmann, aber etwas doktrinar,
provozierte eine Reihe ungegrundeter Angriffe gegen seine Person, seine Nerven
lieGen ihn im Stich, und er bat im offenen Haus um die Erlaubnis, die Vertretung
des Vertrags niederlegen zu durfen. Da trat der Finanzminister mit einer impro-
visierten Rede ein (20. Mai 1865), legte den Fortschritt, der selbst in diesem Ver-
294
v. Plener.
trag lag, nachdriicklich dar, geifielte die Inkonsequenz jener, welche vor kaum
zwei Jahren die voile Zolleinigung mit dem Zollverein aus deutschnationalen
Griinden verlangt hatten, in welchem Falle gar keine Zollschranken zwischenOster-
i eich und dem Zollverein bestanden haben wiirden und welche jetzt die schu tzzoll -
nerischen Argumente gegen den Vertrag vorbrachten. Wenn der Vertrag nicht
so giinstig ausgef alien sei, alswie es alle wiinschten, so lag das an demvorher ab-
geschlossenen franzosischen-preufiischen Handelsvertrag, der die ganze Handels-
politik des Zollvereins prajudiziert und die Geltendmachung unserer Interessen
erschwert habe. Der Vertrag wurde schliefllich mit Majoritat angenommen,
nachdem die Vertagungsantrage, fiir welche die Fiihrer der Opposition, Herbst,
Giskra, Berger, Skene, gestimmt hatten, abgelehnt worden waren. Aber es
ging abwarts mit dem Ministerium. Die zunehmende Opposition im Abge-
ordnetenhause hatte seine Stellung nach oben erschuttert, und als erstes Sym-
ptom eines Systemwechsels wurde eine Kaiserreise nach Budapest zum Besuch
einer landwirtschaftlichen Ausstellung unternommen und dort in einer kaiser-
lichen Ansprache die Einberufung des Landtags in baldige Aussicht gestellt.
Die offentliche Meinung sah darin nicht mit Unrecht eine Abkehr vom zentra-
listischen System Schmerlings und eine Annaherung an Ungarn. In Wien
stieg die Finanznot. Die Beschaffung der Mittel fiir Deckung der Maicoupons
hatte schon grofie Schwierigkeiten verursacht, und der in der Bankakte vor-
gesehene Staatsguterverkauf war jetzt die grofite Sorge der Finanzverwaltung.
Auf den der Bank iiberwiesenen Staatsgiitern hafteten 45 Millionen und aufier-
dem noch der Ruckersatz der aus allgemeinen Staatsmitteln fiir die Bankschuld
vorgeschossenen 1 1 Millionen, zusammen 56 Millionen. Die sogenannten Bank-
giiter wurden auf 40 — 46 Millionen, die freien Domanen auf 15 Millionen ge-
schatzt. Fiir die Abwicklung des Geschaits hatten sich zwei Konsortien gemeldet,
eins gefiihrt von dem damals noch aufrechten Langrand-Dumonceau, das
andere: Deutsche Diskontogesellschaft (Hansemann), Osterreichische Kredit-
anstalt und einige franzosische Hauser; doch waren ihre Angebote nicht giinstig,
sie wollten sich nur zur fixen Zahlung von 30 Millionen herbeilassen und sich
fiir den Vorschufi des Restes die Option vorbehalten, dabei bestand der Plan,
Aktien und Obligationen auszugeben, welche der Staat zu einem gewissen Kurs
an Zahlungsstatt zu ubernehmen hatte. Der Finanzminister wollte auf diese
Bedingungen nicht eingehen und entschlofi sich zu einer groflen Kreditvorlage,
welche sowohl fiir die Staatsguterschuld als fiir die allgemeinen Staatsbediirf-
nisse fiir 1865 und 1866 Vorsorge treffen sollte und die er am 8. Juni im Abge-
ordnetenhause einbrachte. Die Vorlage enthielt eine Reihe von Krediter-
machtigungen im Gesamtbetrage von 116,8 Millionen. Diese grofie Ziffer
wirkte wie eine Bombe auf das Abgeordnetenhaus und die offentliche Meinung;
doch wenn man naher zusah, mufite man erkennen, dafl dieser grofle Kredit-
bedarf nichts Aufierordentliches und nichts Ungerechtfertigtes enthielt. Vor
allem betraf er 63 Millionen fur die Staatsgiiteroperation, um die Domanen
nicht zu verschleudern, und um die Staatsguterschuld an die Bank zu bezahlen,
mufite ein Kreditgeschaft in Aussicht genommen werden, sei es durch freie Be-
gebung eines Anlehens oder durch ein Abkommen mit einem Konsortium iiber
den kommissionsweisen Verkauf der Giiter. Die Staatsgtiterschuld an die
Bank betrug 44,9 Millionen, und zugleich wurde die Kreditermachtigung auch
auf die sogenannten freien Domanen ausgedehnt, deren eventueller Erlds,
v. Plener. 295
18 Millionen, schon in den Voranschlag als Einnahme eingestellt worden war,
deren Realisierung aber nicht erfolgen konnte, so dafl fur den auf ihnen haftenden
Betrag anderweitig vorgesorgt werden mufite. Damit schieden also schon
63 Millionen als bekannte Posten aus. Die iibrigen 53,4 Millionen enthielten
zum grofiten Teil auch altere Posten. Einmal wurden 16,8 Millionen fur Ein-
ziehung von Partialhypothekaranweisungen und 4 Millionen fur Einziehung von
Miinzscheinen gefordert, die allerdings friiher aus andern Mitteln hatten be-
stritten werden sollen. Dann war zu refundieren eine fruhere, aus Staatsmitteln
vorgeschossene Domanenschuldrate von 1 1 Millionen und zu bedecken ein
Kaufschillingsrest aus friiheren Giiterverkaufen von 1,5. Neu war die Forde-
rung von 7 Millionen zur Abzahlung einer Schuld an die Kreditanstalt, die im
Jahre 1865 fallige Steuerwechsel eskontiert hatte, es waren daher Einnahmen
des Jahres 1865 vorweggenommen worden, um Abgange des Jahres 1864 zu
decken, und diese Schatzoperation war dem Reichsrat nicht mitgeteilt worden,
dies war der anfechtbarste Punkt der Vorlage, schliefllich wurden 10 Millionen
fur die Defizite von 1864 und 1865 sowie ein Nachtrag zu Eisenbahngarantien
von 3,4 Millionen verlangt, diese drei letzten Posten betrugen 20,4 Millionen
fur drei Jahre, wahrend urspriinglich fur zwei Jahre 1865 und 1866 ein im
Kreditwege zu deckender Abgang von 60 in Aussicht genommen war. Die
Erklarung der einzelnen Posten enthalt unzweifelhaft auch eine Rechtfertigung,
aber der schlechte Gesamteindruck blieb, die offentliche Meinung gab sich nicht
die Miihe, die Natur der einzelnen Posten zu untersuchen, sie hielt sich an die
aufierordentlich hohe Gesamtziffer, die scheinbar auf einmal aufgebracht
werden mufite, was beziiglich der Staatsgiiterschuld, die mehr als die Halfte
des Gesamtbetrags ausmachte, bekanntlich nicht der Fall war. Kliiger ware
es allerdings gewesen, bei Einbringung des Budgets fiir 1866 die offentliche
Meinung auf diese Anspriiche vorzubereiten und sie vielleicht in Teilvorlagen
zu zerlegen.
Nun ging es Schlag auf Schlag weiter. Einige Tage spater f and die Beratung
des Antrags Berger iiber eine neue gesetzliche Interpretation oder vielmehr
Abanderung des § 13 der Verfassung (staatliches Notverordnungsrecht) statt.
Schmerling wehrte sich mit aller Macht gegen die Antrage des Ausschusses,
welcher die Fortdauer der Giiltigkeit solcher Verordnungen von der nachtrag-
lichen Genehmigung des Reichsrats abhangig machen wollten, erzielte aber
gar keinen Erfolg. Die Abstimmung hatte ganz den Charakter eines politischen
Mifltrauensvotums gegen die Regierung, welche mit 44 gegen 107 Stimmen
unterlag. Im Anschlufi an diese Debatte iiber den § 13 sprach das Abgeord-
netenhaus ein Tadelsvotum gegen die Regierung wegen der auf § 13 erlassenen
Begiinstigungen finanzieller und anderer Art fiir die neue osterreichische Boden-
kreditanstalt und die bohmische und ungarische Hypothekenbank aus, die
Regierung hatte im Anschlufi an jene kaiserliche Verordnung ganz korrekter-
weise ein Gesetz iiber die zu gewahrenden Begiinstigungen eingebracht, um
den Vorgang zu legalisieren, das Haus nahm das Gesetz an, votierte aber gleich-
wohl seine Miflbilligung iiber die Nichtbeobachtung der gesetzlichen Voraus-
setzungen des § 13. Unterdessen wurde in Ungarn der gesetzliche Wirkungs-
kreis der Statthalterei wiederhergestellt, die Militargerichte wurden aufge-
hoben und mehrfache Anderungen im Personal der Komitatsvorstande vor-
genommen. Das Wiener Abgeordnetenhaus sah diese Anzeichen des kommenden
296 v - Plener.
Systemwechsels nicht oder wollte sie nicht sehen, ihm war es nur um den Kampf
gegen das Ministerium Schmerling zu tun. Der Finanzausschufi des Abge-
ordnetenhauses beschlofi nach einer sehr heftigen Debatte, in die allgemeine
Kreditbewilligung so lange nicht einzugehen, als nicht die Finanzgesetze fur
1865 und 1866 in verfassungsmafliger Weise zustande gekommen seien, und
nur fiir die Erfiillung der Verpflichtungen des Staates im nachsten Monat einen
Kredit von 13 Millionen zu bewilligen, mit der Klausel, dafl alle dariiber aus-
gestellten Urkunden der Kontrasignatur der Staatsschuldenkontrollkommission
unterzogen werden mussen, ohne welche sie rechtsunwirksam seien. Am 21. Juni
begann dariiber die Pleharberatung. Vorher kamen noch einige Beanstandungen
der Staatsschuldenkontrollkommission iiber nicht rechtzeitige Abwicklung von
Depotgeschaften und iiber einige formelle Gebrechen bei Vorschufigeschaften,
die zur Abzahlung der Bankschuld kontrahiert worden waren. Der Finanz-
ausschufl machte sich selbstverstandlich die Antrage der Kontrollkommission
zu eigen, der Finanzminister bemerkte in seiner Rede, dafl manche Differenzen
zwischen Kontrollkommission und Finanzministerium hatten vermieden werden
kSnnen, wenn der Ton der Auflerungen der ersteren ein anderer gewesen ware.
Die Antrage wurden angenommen. Dies war nur das Vorspiel zur Debatte
iiber die Kreditvorlage, der Berichterstatter Herbst begrundete die Ausschufl-
antrage in einer langen Rede, die eine Reihe von Vorwiirfen gegen den Finanz-
minister enthielt und die friiher angefiihrten schwachen Seiten der Regierungs-
vorlage, die eigentlich mehr taktische Fehler waren, scharf kritisierte. Der
Finanzminister replizierte gut, wies auf die groflen Steuerriickstande der letzten
Jahre hin, die es ihm unmdglich machten, alien Bestimmungen der friiheren
Finanzgesetze nachzukommen und ebenso auf seine Verpflichtung, die Rtick-
zahlungen an die Bank unter alien Umstanden zu leisten, wodurch die Lasten
der ohnedies nicht giinstigen Finanzlage aufierordentlich gesteigert worden seien,*
die vorgeschlagenen 13 Millionen reichten nicht einmal fur die allernachsten
Bediirfnisse aus, welche schon wegen der aus den Kassebestanden fiir Teile der
Bankschuld und Einlosung von Miinzscheinen vorgeschossenen Zahlungen
einen grofieren Betrag beanspruchen wurden. Die Mehrheit nahm die Ausschufl-
antrage, die einer Ablehnung der groflen Kreditvorlage gleichkamen, an. Der
Finanzminister stellte am nachsten Tage dem Erzherzog Rainer und dem Mi-
nisterrat sein Portefeuilie zur Verfugung, die indes auf eine partielle Minister -
krise nicht eingingen, da sich die allgemeine Krise als unmittelbar bevorstehend
ankiindigte. Mein Vater behielt in diesen kritischen Tagen seine Ruhe und
schrieb mir ausfiihrliche Briefe iiber seine parlamentarischen Kampfe und
zugleich iiber alle Details meines Pariser Aufenthaltes. Am 24. Juni brach die
Ministerkrise aus. Infolge der angekiindigten Ernennung Georg v. Maj laths
zum ungarischen Hofkanzler und des damit kundgegebenen Entschlusses,
Ungarn gegeniiber eine andere Politik einzuschlagen, gaben Erzherzog Rainer,
Schmerling, der Finanzminister, Lasser, Mecsery und Hein ihre Entlassung,
welche angenommen wurde, und Graf Beleredi wurde zur neuen Kabinetts-
bildung berufen. Der Erzherzog reiste sogleich, zunachst, wie es genannt wurde,
auf Urlaub ab, und die ubrigen Minister wurden dringend aufgefordert, die
Geschafte bis nach SchluB der Reichsratssession fortzufiihren. Dafl sie sich
dazu entschlossen, war eine grofle Selbstaufopferung, sie hatten die peinliche
Situation im Abgeordnetenhause noch voile vier Wochen fortzusetzen, muflten
v. Plcner.
297
fur ihre Nachfolger die formelle Ordnung der Budgetbeschlieflung besorgen und
bewahrten so diese vor der unangenehmen Aufgabe, selbst noch im Reichsrat
zu erscheinen, wodurch ihnen erst recht freie Hand fiir die folgende parlament-
lose Zeit gewahrt wurde. Im Herrenhause war noch ein kleines Nachspiel, dort
gab der Finanzminister am 23. Juni einen Ruckblick auf die Zeit seiner Ver-
waltung, er wies nach, dafi er bisher schon 63 Millionen an der Bankschuld
getilgt habe und wie sich trotz der Riickwirkungen des Notstandsjahres 1863
die regelmaflige Gebarung gebessert habe. Und in der Tat war trotz aller An-
griffe und trotz der wiederholten Geldklemme des Staatsschatzes unzweifelhaft
ein Fortschritt zu konstatieren, zu Beginn des Jahres 1 86 1 notierten Met alii que s
62 und das Agio stand auf 50, im Juni 1865 war der Kurs der Metalliques 70
und das Agio war auf 7% gef alien. Eine erhebliche Vermehrung der Einnahmen
scheiterte an dem Widerwillen des Abgeordnetenhauses gegen jede direkte
Steuerreform, und in der letzten Zeit wurde sogar sowohl im Abgeordnetenhaus
als im Herrenhause versucht, die rationelle Produktensteuer auf Branntwein
wieder zu verlassen und auf die fiir die Finanzen schadliche Pauschalsteuer
zuriickzukommen. Grofle Steuerreformen waren mit diesem Reichsrat iiber-
haupt nicht zu machen. In bezug auf das Kriegsbudget hatte die Finanz-
kommission des Herrenhauses in Obereinstimmung mit der Haltung der Re-
gierung nur einem Abstrich von II Millionen zugestimmt und setzte die Ziffer
wieder um 5 Millionen holier. Nun geschah das Unerwartete. Graf Belcredi
hatte als eine Bedingung seines Eintritts in die Regierung die Forderung gestellt,
den vollen Abstrich des Abgeordnetenhauses anzunehmen, und so mufite der-
selbe Kriegsminister, der wochenlang im Abgeordnetenhause gegen jenen Ab-
strich gekampft hatte, erklaren, dafi er beauftragt sei, ihn nunmehr anzu-
nehmen. So erschien das noch nicht einmal gebildete neue Ministerium in der
popularen Rolle der Ersparungspolitik, und das Odium, ihr widerstanden zu
haben, fiel auf das demissionierte Kabinett. Unter diesen Umstanden einigten
sich beide Hauser bald iiber das Budget von 1865, auch die Herabsetzung des
Dispositionsfonds wurde konzediert, und die abgetretenen Minister muflten
noch ihren Namen unter das iiber ihren Kopf getroffene Abkommen setzen.
Die Wiener offentliche Meinung war anfanglich geteilt iiber den Ausgang
der Krise. Die Einsichtigen beklagten den Riicktritt des Ministeriums und
das Scheitern des ersten konstitutionellen Versuches, den Staat auf einheitlicher
Basis zu konsolidieren, die iibrigen, und sie waren im Anfang in der Mehrheit,
meinten hinwiederum, das Ministerium habe seinen Sturz wegen seiner illibe-
ralen Haltung verdient, die Opposition habe in ihrem Kampfe gegen das Kabinett
recht gehabt, man brauche auch fiir die nachste Zukunft nicht allzu besorgt
zu sein. Als aber das Septembermanifest die Sistierung der Verfassung brachte,
begann ein deutlicher Umschwung, und man sah die Fehler der liberalen Partei
ein, die im Resultat nur fiir die Verfassungsgegner gearbeitet hatte. Mein
Vater war begreiflicherweise sehr verstimmt, er zog sich zuriick, las viel, was
er in seiner Ministerzeit nicht tun konnte, aber er wollte nicht auf eine weitere
Offentliche Tatigkeit verzichten. So ging er im November zum behmischen
Landtag. Er trat zunachst nicht in den Parteiverband, sein letzter Gegensatz
zu Herbst hielt ihn von naheren Beziehungen ab, aber eine eigentliche RankQne
lag nicht in seinem Charakter, seine politische Cberzeugung stellte ihn auf
die Seite der Staatseinheit und gegen den Foderalismus, und dieser folgte er,
298 v « Plener.
lible personliche Erfahrungen und Verstimmungen gering achtend. Er stimmte
ebensowohl gegen die von Graf Nostitz beantragte Einsetzung eines Ausschusses
anlafilich der Erlassung des September-Patents als gegen den Zusatzantrag
Herbsts, weil er den Landtag uberhaupt nicht als kompetent fur die Reichs-
politik ansah, geradeso, wie es Schmerling im niederosterreichischen Landtage
hielt. Die letztere Abstimmung erregte ein gewisses Aufsehen, er kehrte sich
aber nicht daran, ebensowenig seine Wahler. Erst als der fdderalistische Aus-
schufiantrag iiber die Adresse dem Landtag vorlag, erschien er in der Partei-
versammlung der deutschen Abgeordneten und regte dort den Obergang zur
Tagesordnung iiber die Adresse an. Diese Anregung fand allgemeine Zustim-
mung, und Herbst erklarte, dafl es nur zwei Personen gebe, die diesen Antrag
stellen konnten, Fiirst K. Auersperg oder Plener. Darauf stellte Plener im
Laufe der Debatte diesen Antrag, fur den alle Deutschen und die verfassungs-
treuen Grofigrundbesitzer stimmten. Im weiteren Verlauf der Session sprach
er gegen einen Adressenantrag Clam, der eigentlich auf eine Oktroyierung einer
neuen Wahlordnung hinzielte, mit grofiem Beifall. So hatte er parlamentari-
schen Boden und die Sympathien der deutschen Abgeordneten gewonnen.
Die neue Regierung trat mit grofiem Selbstbewufitsein auf, kam aber
nicht vorwarts. In der ungarischen Frage hatte sie kein bestimmtes Programm.
Belcredi war ein etwas beschrankter Doktrinar, der den Zentralismus be-
kampfen wollte, aber sein Foderalismus war unklar und unpraktisch. Der
neue Finanzminister Graf Larisch debutierte mit der Abschaffung der Pro-
duktensteuer auf Branntwein, die er selbst im Herrenhaus als die rationelle
Steuerform erklart hatte, und fiihrte eine Pauschalsteuer nach der Leistungs-
fahigkeit des Garraumes, ebenso auch ein Pauschalsystem fur die Zuckersteuer
nach der Leistungsfahigkeit der Werkvorrichtungen ein, wodurch die Ertrags-
fahigkeit beider Steuern empfindlich benachteiligt wurde. Dann schlofi er in
Paris ein Anlehen von 90 Millionen zu den ungtinstigsten Bedingungen (fakti-
scher Erlos 6 1 Vi fur 100 nominal) ab. Als die Staatsschuldenkontrollkommis-
sion in ihrem Berichte einige tadelnde Bemerkungen iiber diese Kreditoperation
aufierte, veroffentlichte der Finanzminister einen Vortrag zu seiner Recht-
fertigung (8. Juni 1866), in dem er auch gegen seinen Vorganger einige Vor-
wiirfe erhob, der ihm leere Kassen iibergeben hatte. Das Defizit von 1865 sei
viel grofier gewesen, als es im Finanzgesetz angegeben war, der Staatskredit
habe durch die friiheren Anlehen und Vorschufigeschafte gelitten, so dafl den
Nachfolger keine Schuld trafe. Derselbe Finanzminister hatte kurz zuvor die
Banknoten zu I und 5 Gulden zu Staatsnoten erklart, wodurch die Bankakte
in ihrem Wesen gebrochen, das staatliche Papiergeld wieder eingefiihrt und die
Regelung der Valuta fur lange Zeit unmoglich gemacht wurde (Stand des
Silberagio infolge dieser Mafiregel Juni 1866 33%). Kurz vorher hatte er das
fur die Finanzen sehr onerose Domanenanlehen mit der Bodenkreditanstalt
abgeschlossen. Es war jedenfalls eine starke Verkennung der eigenen ungliick-
lichen Hand, in einem solchen Augenblick Vorwiirfe gegen seinen Vorganger
zu erheben. Mein Vater, der gegen offiziose Zeitungsangriffe ahnlicher Art
nicht reagiert hatte, nahm diesmal die Sache ernster und verfafite eine finan-
zielle Denkschrift, um die Angriffe seines Nachfolgers zuriickzuweisen. Um
die Oberflachlichkeit jener Anwiirfe zu beweisen, brauchte er nur auf seine
grofle Kreditvorlage hinzuweisen, die die Bediirfnisse der Finanzen offen und
Plener.
299
vollstandig dargelegt hatte und wesentlich deshalb vom Abgeordnetenhaus
nicht in Beratung gezogen wurde, weil die von diesem beschlossenen Ersparun-
gen im Milit&retat damals noch nicht durch die Zustimmung der Regierung
sichergestellt waren. Er zeigte, dafi die Anlehenskurse, die er in Zeiten des
wirtschaftlichen Notstandes in Osterreich und des ganz ungewohnlichen hohen
europaischen Zinsfufies erzielte, noch immer wesentlich gunstiger waren als
das mit Recht so getadelte Pariser November -Anlehen des Grafen Larisch,
verbreitete sich dann uber mehrere Detailfragen und verwahrte sich dann am
Schlufi gegeri ein Vorgehen, das zur Abwehr eines von dritter Seite (der Staats-
schuldenkontrollkommission) vorgebrachten Tadels Beschuldigungen gegen den
Amtsvorganger, der sich ganz zurlickgehalten habe, erhebt und das so in wenig
neidenswerter Weise von der traditionellen Haltung aller bisherigen Finanz-
minister, ja iiberhaupt aller Staatsmanner Osterreichs abweiche. Mein Vater
iiberreichte diese Rechtfertigungsschrift Seiner Majestat und stellte zugleich
deren Veroffentlichung in Aussicht. Er gab sie auch in Druck, der sich etwas
verzSgerte, unterdessen war der Krieg ausgebrochen, die traurigen Nachrichten
von den bohmischen Schlachtfeldern hatten einen so erschutternden Eindruck
auf alle gemacht, dafl mein Vater in einer solchen von der allgemeinen Not
des Vaterlandes erfiillten Lage von der Veroffentlichung einer schliefllich doch
personlichen Beschwerde absah.
Als guter osterreichischer Patriot litt er buchstablich unter den Ereignissen
des Sommers 1866. Im Oktober kam er fur ein paar Wochen nach Paris, urn
mich zu besuchen. Der Pariser Aufenthalt und die neuen Eindrucke taten ihm
gut. Von dort ging er nach Prag zum bohmischen Landtag. In der dortigen
Adrefldebatte brachte Graf Heinrich Clam unter anderem auch Vorwiirfe gegen
die fnihere Finanzverwaltung im Sinne des erwahnten Larischschen Vortrages
vor. Mein Vater replizierte ziemlich gereizt, sprach auch von seiner dem
Kaiser uberreichten Denkschrift und von den Griinden, warum er sie nicht
publiziert habe. Er hatte grofien Beifall, und das Komische in der Sache war,
dafi Herbst in seiner darauf folgenden Rede die Finanzverwaltung meines
Vaters, die er im Wiener Abgeordnetenhause so scharf kritisiert hatte, nunmehr
gegen die Angriffe Clams verteidigte. Solche Vorkommnisse gemeinsamen
Kampfes gegen einen gemeinsamen Gegner bringen immer eine Annaherung
der auf derselben politischen Linie stehenden Manner mit sich, und so sprach
mein Vater bei dem Parteibankett der deutschen Abgeordneten unter groflem
Beifall schon als einer ihrer anerkannten Wortfiihrer. Die Landtage waren An-
fang Januar 1867 aufgelost worden, um die Konstituierung eines auflerordent-
lichen Reichsrates zu ermoglichen. Aber der Plan wurde rasch zunichte, Bel-
credi mufite abtreten, der ungarische Ausgleich wurde abgeschlossen und die
Rtickkehr zum verfassungsmafiigen Reichsrat verkundet. Infolge der Krise
wurde der bohmische Landtag zweimal aufgelost, die Wiederwahl Pleners in
der Egerer Handelskammer erfolgte mit einer grofien Vertrauenskundgebung,
und ebenso wahlte ihn der zweite bohmische Landtag, in dem diesmal die Ver-
fassungstreuen die Mehrheit hatten, ins Abgeordnetenhaus. Mein Vater hatte
sich in diesem parlamentarischen Treiben bald zurechtgefunden und gait als
eine anerkannte Respektsperson in der Partei. Beust, der nach dem Sturz
Belcredis auch die ganze innere Politik in der Hand hatte, suchte Ankniipfung
mit einfluflreichen Abgeordneten. Mein Vater kam bald in einen ziemlich regen
3oo
v, Plener.
Verkehr mit dem Minister, der alle Liebenswiirdigkeit und alle moglichen
politischen Versprechungen aufbot, um die Abgeordneten fur die Annahrae
des ungarischen Ausgleichs gUnstig zu stimmen. Die meisten der alten Zentra-
listen sahen ein, dafi ein Kampf gegen die vollzogene Tatsache des Dualismus
aussichtslos und unpolitisch gewesen ware, aber es blieb begreiflicherweise ein
Geflihl der Bitterkeit namentlich bei solchen zurilck, welche, wie er, die als
Kompensation gebotenen liberalen Errungenschaften der neuen Staatsgrund-
gesetze nicht so hoch einschatzten als das verlorene Gut der Reichseinheit.
Das kam zum Beispiel sehr deutlich zum Ausdruck in seiner Rede in der
Adrefidebatte (3. Juni 1867), in der er beklagte, dafi der Ausgleich in Ungarn
abgeschlossen wurde, ohne vorher dem Reichsrat zur Zustimmung vorgelegt
worden zu sein, Im weiteren Verlauf dieser Debatte polemisierte er mit uber-
legener Ironie gegen den Finanzminister Becke (4. Juni), der in seiner frivolen
Art sehr optimistisch uber die Finanzlage sprach und dabei einige Rekrimina-
tionen iiber die Vergangenheit vorbrachte. P. hielt ihm nun das gerade von
ihm negoziierte klagliche Pariser Anlehen und alle die ungHicklichen Finanz-
maflregeln der Sistierungsperiode unter dem Beifall des ganzen Hauses vor,
als Improvisation war die Rede ein grofier Erfolg. Er wurde, aufier in ver-
schiedene Ausschusse, in die Deputation gewahlt, welche mit der parallelen
ungarischen Deputation iiber die Beitragsleistung zu den gemeinsamen Aus-
gaben und Uber die Staatsschuld zu verhandeln hatte. Das von der osterreichi-
schen Regierung vorgelegte Material war liickenhaft und teilweise unrichtig,
Finanzminister Becke oberflachlich und unverlafilich, Beust verstand von
Finanzen nichts, ihm war es nur darum zu tun, dafi iiberhaupt etwas zustande
komme. Mein Vater arbeitete ein Memorandum aus, in dem er die Steuer-
vorschreibung und nicht die Steuerabstattung als Grundlage der Leistungsfahig-
keit beider Teile nahm und auch den Bevolkerungsschliissel heranziehen wollte.
Er gehSrte in der Deputation iiberhaupt zu der unnachgiebigeren Gruppe,
stimmte aber schliefilich der Vereinbarung von 70 : 30 zu. Dagegen war er in
der Staatsschuldfrage nicht zu bewegen, den schliefilichen Abmachungen der
beiden Regierungen zuzustimmen, er war das einzige Deputationsmitglied, das
dagegen stimmte. Im November kamen die Ausgleichsgesetze vor das Ab-
geordnetenhaus. Seine Rede iiber die Delegationen wurde viel beachtet, sie
enthielt eine scharfe Kritik dieses staatsrechtlichen Unikums, kam aber doch
zum Schlufi, dafi, wie die Dinge einmal liegen, nichts anderes iibrig bleibe, als
das Gesetz iiber die gemeinsamen Angelegenheiten anzunehmen. Noch posi-
tiver fur den Ausgleich war seine Rede iiber die Quote und das Zoll- und Han-
delsbiindnis (10. Dezember 1867), er wandte sich gegen die kleine Gruppe,
welche dagegen Opposition machte, aber doch nicht den Mut hatte, die Ver-
werfung zu beantragen, in schweren Zeiten miisse man die Verantwortlichkeit
auf sich nehmen, um endlich zu einer Konsolidierung der Monarchic zu kommen.
Der Annahme der Ausgleichsgesetze war die Beschliefiung der neuen Staats-
grundgesetze vorhergegangen, an deren Diskussion sich P. nur bei dem Gesetz
iiber die Reichsvertretung beteiligte, indem er vom Standpunkte der Februar-
Verfassung und der Staatseinheit den § II kritisierte, der nur eine taxative
Aufzahlung der Kompetenzgegenstande des Reichsrats aussprach und alles
iibrige den Landern iiberliefi. An den Debatten uber konfessionelle Angelegen-
heiten und Aufhebung der Todesstrafe nahm er keinen Teil. Die Annahme aller
v. Plener.
301
neuen Verfassungsgesetze hatte nun die neue politische Situation geschaffen,
der durch Berufung eines parlamentarischen Ministeriums nunmehr der formelle
Ausdruck gegeben werden sollte. Mit geringen Schwierigkeiten gelang es Beust,
der damals alle Faden in der Hand hatte, das neue Kabinett unter dem Vorsitz
des Fiirsten Karl Auersperg zustande zu bringen. Das neue Kabinett war aus
hervorragenden Parlamentaricrn gebildet, hatte aber innerlich keinen rechten
Zusammenhalt. Fiirst Auersperg hielt fest zur einheitlichen Verfassung und
war ein entschiedener Gegner der foderalistischen Bestrebungen und des b6hmi-
schen Staatsrechts. Sein Selbstbewufltsein vertrug die Patronanz Beusts
nicht, dabei war er ungeschickt in der Behandlung der Menschen und trieb
durch seine Schroffheit viele Anhanger der Verfassung im bohmischen Adel ins
gegnerische Lager. Von den Abgeordneten, die in das neue Ministerium ein-
traten, waren Giskra und Herbst unzweifelhaft ganz aufiergewohnlich begabte
Manner, aber zu Ministern waren sie beide nicht geeignet. Giskra, ein impetuoser
Redner, der eigentlich noch von der Phraseologie des Jahres 1848 erfullt war,
besafi eine groBe Gewandtheit und Raschheit der Auffassung, wenn notig, war
er auch ein intensiver Arbeiter, wie er dies in seinen Ausschufiberichten uber
das Militarbudget gezeigt hatte, aber unstet und nervos, er konnte ebenso liebens-
wiirdig als hochst unangenehm sein. Herbst, ein durchdringender Verstand,
scharfer Dialektiker, ausgezeichneter Redner, wenig konstruktiv, grofie Arbeits-
kraft, dabei aber ohne eigentlichen politischen Mut, er wollte nie zuerst eine
Verantwortung ubernehmen und lavierte oft lange, bis er zur Feststellung seiner
Haltung kam. Seine Stellung war im Lauf der Jahre aufierordentlich gewachsen,
imSommer hatte er selbst an das Ministerprasidium gedacht, ohne darum seine
Haltung in der Konkordatsfrage aufzugeben, zuletzt hatte er vielleicht lieber
die Finanzen genommen und war nun uber das Justizportefeuille nicht sehr
erfreut. Beide waren von dem Bestreben nach Popularitat ganz erfullt, und
ihr intimer Verkehr mit der Journalistik brachte manche Unzukommlichkeiten
mit sich. Brestel, ein braver, tiichtiger Mann, der Ordnung und Sparsamkeit
als die Hauptrichtschnur seiner Finanzverwaltung aufstellte. Hasner, ein
feiner Kopf, liberaler Doktrinar der guten Art, mehr Gelehrter als Politiker.
Berger von ungewohnlicher Begabung, allzu kritisch, der nicht blofi die Fehler
der Gegner, sondern auch die Schwachen der eigenen Partei erkannte. Der
Ackcrbauminister Graf Potocki ein liebenswurdiger polnischer Grandseigneur
ohne politische Klarheit, Graf Taaffe damals noch sehr jung und anfanglich
ganz unter dem Einflufi Beusts. Mein Vater, der das Handelsministerium
ubernommen hatte, hegte gleich von Anfang an Zweifel daruber, ob das neue
Kabinett seine Einigkeit erhalten und das Vertrauen des Kaisers gewinnen
werde. Er warf sich mit groflem Eifer auf sein neues Ressort, von dem ihn in
erster Linie die Eisenbahnangelegenheiten am meisten anzogen. Er wollte
zunachst eine Herabsetzung derTarife herbeifuhren, verhandelte daruber sowohl
mit den alten Bahnen als den in der Sistierungsperiode konzessionierten, deren
Konzessionen noch immer nicht parlamentarisch anerkannt waren, erreichte
aber im Wege der Vereinbarung kein rechtes Resultat. An zwei Vorlagen der
fniheren Regierung liber die bohmische Nordwestbahn (Prag — Komotau —
Eger) und die osterreichische Nordwestbahn nahm er wesentliche Ande-
rungen vor, erweiterte die Konzessionsbedingungen, um eine Konkurrenz
von Offerenten herbeizufiihren. Im Abgeordnetenhaus und noch mehr in der
302
Plener.
Presse arbeiteten die verschiedenen Konzessionswerber fur ihre Plane mit
alien moglichen Mitteln. Der Handelsminister hatte einen schweren Stand,
namentlich gegenuber der machtigen Gruppe der Staatseisenbahngesellschait,
er liefi sich auch durch gehassige Zeitungsangriffe nicht irre machen und verlieh,
nachdem er die Gesetzentwiirfe in seinem Sinn durchgebracht hatte, die eine
Konzession an die Buschtiehrader Bahn, die andere an ein Konsortium Haber-
Salm. Um seinen Bestrebungen fur Tarifermafligungen eine gesetzliche Waffe
zu sichern, brachte der Handelsminister einen Gesetzentwurf ein, wonach
Maximaltarifsatze gesetzlich festzustellen und Verhandlungen mit den Gesell-
schaften iiber tunlichste Herabsetzung der Tarife einzuleiten waren. Sollte
binnen einer bestimmten Frist keine Vereinbarung dariiber zustande kommen,
so habe die Regierung ihre Vorschlage dem Reichsrat vorzulegen. Eisenbahnen,
deren Tarife so im Gesetzgebungswege festgestellt wurden, haben Anspruch auf
billige Entschadigung, sofern ihre Einnahme infolge der Tarifermafligung den
Durchschnitt der letzten 7 Jahre nicht erreicht, iiber die Hohe der Entschadigung
habe ein Schiedsgericht zu entscheiden. Der Entwurf, der vom privatrecht-
lichen und individualistischen Standpunkt aus einigen Widerspruch fand,
wurde von der groflen Mehrheit des Hauses angenommen, begegnete aber im
Herrenhause grofiem Widerstand, Schmerling erklarte ihn fur eine Verletzung
erworbener Rechte und der wirtschaftlichen Freiheit, er gehftre zur Kategorie
der behordlichen Preistaxen usw. Der Handelsminister verteidigte den Entwurf
mit grofier Warme, wies auf den gemeinwirtschaftlichen Charakter der Eisen-
bahnen, deren privilegierte Stellung nur durch offentliche Leistungen zu recht-
fertigen sei, und auf die Pflicht des Staates gegenuber dem ubermachtigen
Kapital, fur die Interessen der Allgemeinheit einzutreten. Herbst unterstiitzte
ihn sehr gut, aber trotzdem wurden die Abanderungsantrage Schmerlings ange-
nommen, welche sowohl durch die Bestimmungen iiber die Entschadigung als
durch die alternative Eroffnung des ordentlichen Rechtsweges die Bedeutung
des ganzen Gesetzes wesentlich abschwachten, was wohl auch der Grund sein
wird, warum das Gesetz nicht sanktioniert wurde. Ein Gesetz iiber die Handels-
kammer, das heute noch die Grundlage dieser Institution ist, wurde unter all-
gemeiner Zustimmung angenommen. Ebenso legte der Handelsminister den
neuen Handelsvertrag mit dem Zollverein vor, der ohne Anfechtung votiert
wurde. Ende Juni schlofi die Session, die fur das neue Ministerium erfolgreich
verlief, die konfessionellen Gesetze hatten allgemeinen Beifall, und die Herren-
hausdebatte dariiber gab Anlafl zu einer groflartigen Demonstration in Wien.
Der Sommer liefi sich weniger gunstig an, der Episkopat lief Sturm
gegen die kirchenpolitischen Gesetze, in Bohmen, wo die Czechen eine wilde
Opposition machten, wurde der Ausnahmezustand verhangt, und in Galizien
fiihrte die auf grofiere Autonomie abzielende Landtagsresolution und das
gescheiterte Projekt einer Kaiserreise zu einer ernsten Verwicklung. Fiirst
Auersperg, der iiberhaupt schon unzufrieden und mit der Einfiihrung der
polnischen Gerichtssprache durch Herbst nicht einverstanden war, wobei
ihm der Handelsminister zustimmte, gab seine Entlassung, namentlich als
Beust einen dilettantischen Ausgleichsversuch in Prag auf eigene Faust
unternommen hatte. Er schlug seinen Bruder Adolf als Nachfolger vor, den
die iibrigen Minister nicht akzeptierten. Daraufhin wurde Taaffe provisorisch
mit dem Vorsitz im Ministerrat betraut. Der Hauptgegenstand der Winter-
v. Plcner.
303
session (1868/69) war das neue Wehrgesetz, das von einem kleinen, aber von
Dr. Sturm sehr gut gefuhrten Teil der Verfassungspartei bekampft wurde.
Herbst fiirchtete fiir seine Popularitat und gab plotzlich seine Entlassung, die
iibrigen Minister hatten die groflte Miihe, ihn wieder davon abzubringen. Der
Handelsminister brachte im Marz 1869 eine grofie Vorlage uber ein ganzes Netz
neuer Bahnen ein, die Wunsche der Abgeordneten gingen aber so vielfach
auseinander und noch uber die Vorlage hinaus, dafi sie nicht zustande kam,
nur einige Linien wurden beschlossen: Ausbau der Franz- Josef -Bahn (Gmtind-
Prag), Przemysl-Lupkow, Villach-Franzensfeste, St. Peter-Fiume u. a. Aufier-
dem erhielt der Handelsminister die Ermachtigung, nicht garantierten Bahnen
eine 30 jahrige Steuerbefreiung zu gewahren und so im administrativen Wege
neue Linien ins Leben zu rufen. Eine sehr langwierige und unangenehme Ver-
handlung war die Angelegenheit der sogenannten englischen Nachtragskon-
vention. Das Sistierungsministerium hatte im Jahre 1865 einen Handels-
vertrag mit England abgeschlossen, der durch das Zoll- und Handelsbundnis
mit Ungarn gesetzlich rezipiert wurde und der bestimmte, dafi die osterreichi-
schen Gewichtszolle die englischen Importe mit nicht hoher als mit 25 % und
ab 1870 mit 20 % des Wertes der Ware treffen sollten. Zur erforderlichen
Durchrechnung des Tarifs wurde eine Kommission eingesetzt, die begreiflicher-
weise auf die groflten Schwierigkeiten stiefl, so dafi (8. September 1867) Beust
und Becke eine neue Vereinbarung trafen, wonach fiir Baumwoll- und Schafwoll-
waren die britischen Importeure die Wahl haben sollten, statt der Gewichts-
zolle Wertzolle von 15 bis 20% bei Baumwolle und 15 % bei Schafwolle zu
entrichten. Dies sollte nun in Form einer Nachtragskonvention als Zusatz
zum Vertrag von 1865 formell festgelegt werden. Das osterreichische Ministerium
weigerte sich, diesem Vorschlag zuzustimmen, der Handelsminister arbeitete
selbst eine Denkschrift aus und wies nach, dafi alsdann alle wohlfeilen Waren
nach dem Wertzoll behandelt werden mufiten. Die Englander genossen jetzt
schon die ermafligten Satze des neuen Zollvereinsvertrags, hatten daher keinen
Grund zur Beschwerde. In industriellen Kreisen und im Abgeordnetenhaus
gab sich eine grofie Opposition gegen die Konvention kund, auf der andern Seitc
wollte Beust um jeden Preis sein Wort gegenuber England einlosen. Der Han-
delsminister vertrat den Standpunkt, dafi, wenn er die Nachtragskonvention
dem Hause vorlege, er nicht dafiir eintreten werde, und wollte es ruhig auf
ihre Verwerfung ankommen lassen. Das machte auf die bis dahin unnach-
giebigen Englander doch einen gewissen Eindruck, es fanden neue Verhandlun-
gen statt, der Handelsminister proponierte eine Herabsetzung der GewichtszOlle
des Vertragstarifs auf Baumwollwaren und fiir gewalkte Schafwollwaren erst
18 Gulden, ab 1872 15 Gulden. Diese Propositionen wurden vom Abgeordneten -
hause zugleich mit der formellen Ablehnung der Nachtragskonvention ange-
nommen, so dafi den Englandern nichts ubrig blieb, als sie in einem neuen
Vertrag auch anzunehmen. So endete diese unerquickliche Angelegenheit mit
einem Erfolg unsererseits. Im April 1869 vollzog sich im Schofie des Kabinetts
eine interessante Personalveranderung.
Anlafilich der Verhandlung des Verfassungsausschusses uber die galizische
Resolution entstanden Differenzen im Ministerium, ein Teil, Taaffe und Berger
waren mit Zustimmung Beusts fiir ein Entgegenkommen, wahrend namentlich
Giskra einen ablehnenden Standpunkt vertrat. Diese internen Zerwiirfnisse
304
v. Plener.
setzten sich wahrend der Osterferien in einer gereizten Zeitungspolemik fort,
Organe, welche angeblich dem Minister des Innern nahestanden, griffen Taaffe
heftig an, so dafi dieser plotzlich seine Demission gab, die der Kaiser nicht an-
nahm, weil er Taaffe als Ministerprasidenten wGnschte. In einem Ministerrat
unter Vorsitz des Kaisers, dem Taaffe nicht beiwohnte, sprachen sich alle Mi-
nister, einschliefilich Giskra, fiir das Verbleiben und die eventuelle Prasident-
schaft Taaffes aus. Der Handelsminister beantragte jedoch, um eine definitive
Klarung der Situation herbeizufuhren, eine vorausgehende Abmachung mit
Taaffe, insbesondere beziiglich der bohmischen Frage. Es wurde dabei folgendes
festgestellt. I. Beseitigung jeder einseitigen Aktion des Ministerprasidenten in
Fragen der inneren Politik und Vorbehalt der ErOrterung und Beschluflfassung
des Ministerrats fiir diese Angelegenheiten. 2. Voile Kenntnis des Ministerrats
fiir die Benihrungen des Ministerprasidenten mit dem Reichskanzler und dem
ungarischen Ministerium. 3. Ablehnung jeder staatsrechtlichen Sonderstellung
Bohmens, Aufrechterhaltung des Gleichgewichts beider VolksstSmme, Fort-
setzung der landtaglichen Tatigkeit auch bei fortdauernder Abstinenz der
Czechen, Sanktionierung der letzten Landtagsbeschliisse (Trennung der techni-
schen Hochschule u. a.). 4. Annaherungsversuche beider Parteien in BOhmen
seien nicht auszuschliefien, allein die loyale Losung der bOhmischen Frage konne
nur auf dem Boden des Landtags erfolgen, dann konne eine Anderung der Wahl-
ordnung in Verhandlung genommen werden. 5. Kundgebung des politischen
Standpunktes der Regierung in der Thronrede am Schlufi der Session. 6. Noch
einige Punkte in betreff der Staatspolizei und Preflleitung. Der Handelsminister
fiihrte die ganze Verhandlung, auch jene mit Taaffe, erstattete dem Kaiser
daruber Vortrag, und so erfolgte am 17. April 1869 die Ernennung Taaffes zum
Ministerprasidenten. Der Kaiser war iiber das Resultat sehr befriedigt, aber
auch Giskra und Herbst gaben sich zufrieden, sie sahen schliefilich ein, dafl
unter den gegebenen Verhaltnissen jeder von ihnen als Ministerprasident un»
moglich gewesen ware und dafl Taaffe andrerseits nicht ein leitender Minister-
prasident sein wurde, jeder Dritte aber nur eine StSrung verursacht hatte.
Am 15. Mai 1869 wurde die Session mit einer Thronrede geschlossen, welche
nach anerkennender Aufzahlung der groflen Leistungen der fast zweijahrigen
Session am Schlufi die Verfassung als den einzig richtigen und legalen Boden
fiir alle Verstandigungsversuche bezeichnete, die Minister wurden dekoriert,
und so schien fiir einen Moment die Lage des Ministeriums befestigt. Der Han-
deslminister versuchte damals staatliche Verwaltungsrate in die Eisenbahn-
gesellschaften zu bringen, weil die landesfiirstlichen Kommissare zur Wahrung
der staatlichen Interessen ganz ungeniigend waren. Die Bahnen waren be-
greiflicherweise dagegen, aber in der groflen Offentlichkeit wurde der Plan gut
aufgenommen. In volkswirtschaftlicher Beziehung war damals ein grofler
Aufschwung, allerdings begann auch eine grofle Spekulation in alien Papieren.
Der Eisenbahnbau schritt vorwarts, und der Handelsminister konnte zu seiner
groflen Genugtuung bereits sechs Konzessionen an ungarantierte Bahnen nur
mit Steuerbefreiung verleihen. Im Sommer iibernahm er in Abwesenheit
Brestels auch die Leitung des Finanzministeriums. Im Juli machte er eine
kleine Reise nach Tirol, um den Brenner und Arlberg zu besichtigen, als er
bei dieser Gelegenheit den schlechten Zustand der Stilfser Jochstrafle, die durch
den Krieg von 1866 so sehr gelitten hatte, sah, veranlaflte er die vollige Wieder-
v. PleDer.
305
herstellung dieser schonsten Gebirgstrafle. Unterdessen fand der Prozefl gegen
den Linzer Bischof Rudigier und dessen rasche Begnadigung statt. Als mein
Vater zum Eisenbahnkongrefi nach Wien zuriickkehrte, wurde die Frage der
Auflosung des verfassungstreuen bohmischen Landtags aufgeworfen, aber von
Herbst, Giskra, Hasner und P. auf das entschiedenste abgelehnt. In der bohmi-
schen Frage war mein Vater immer unbeugsam, er verwarf alle unklaren Aus-
gleichsideen. Ende August besuchte er mich in London, ging nach Hastings
ins Seebad und machte dann mit mir eine kleine Exkursion nach Schottland,
nach alien Anstrengungen tat ihm die Erholung wohl, und die neuen Eindriicke
interessierten ihn auflerordentlich. Ich ging in Urlaub mit ihm nach Wien
zuriick, wo die Orientreise des Kaisers zur Feier der Eroffnung des Suezkanals
vorbereitet wurde. Der Reichskanzler Beust, der ungarische Ministerprasident
Graf Andrassy und der osterreichische Handelsminister wurden zur Begleitung
Seiner Majestat berufen. Er sowie alle Teilnehmer waren entztickt uber die
wechselnden Bilder dieser schonen Reise, auf der er den Plan zur Erwerbung
Korfus fiir Osterreich faflte, aber leider hierfur kein Verstandnis fand.
Das Ministerium war durch den dalmatinischen Aufstand erschiittert,
aber noch mehr Schwierigkeit brachte die Frage der Wahlreform. Im Kabinett
herrschte Zwiespalt dariiber; wahrend die verfassungstreue Mehrheit fiir die
direkten Reichsratswahlen eintrat, wollte die Minderheit (Taaffe, Potocki,
Berger) sie nur in Verbindung mit politischen Konzessionen an die Foderalisten
gewahren. Mit grofler Miihe wurde die Thronrede festgestellt, welche die beiden
verschiedenen Strdmungen tiberbriicken sollte, aber den Standpunkt der Ver-
fassung scharf betonte. Der Kaiser sah den Zwiespalt im Ministerrat mit Un-
zufriedenheit und drangte auf eine Klarung der Situation. Daraufhin verfafite
die Majoritat (Herbst, Hasner, Giskra, Plener, Brestel) ein Memorandum, in dem
sie, wohl etwas uber die versohnliche Sprache der Thronrede hinausgehend, die
Notwendigkeit der Erhaltung der einheitlichen Verfassung in die allererste Linie
stellte und sich gegen Konzessionen an den Faderalismus aussprach, aber auch
vor kleineren Maflregeln warnte, welche entweder die Macht in die Hande der
Foderalisten legen oder nur uber die Verlegenheiten des Augenblickes hinweg-
helfen wurden. Am Schlusse stellten die Unterzeichner des Memorandums
Seiner Majestat ihre Portefeuilles zur Verfiigung. Der Kaiser gab dieses Me-
morandum der Minoritat zur AuOerung, die, von Berger verfaflt, sehr gereizt
ausfiel und mehr eine Polemik und Vorwurfe als ein klares Gegenprogramm
enthielt. Die MinoritStsminister wollten ihre Zustimmung zu den direkten
Reichsratswahlen von Zugestandnissen an die nationale Opposition abh&ngig
machen, ohne diese aber irgendwie zu bezeichnen. Am Schlusse baten auch sie
im Interesse einer einheitlichen Politik um ihre Entlassung (26. Dezember 1869).
Angesichts dieses Zwiespalts war die Krone in schwieriger Lage, fiir den Moment,
hiefl es, sollte die Adreflverhandlung in beiden Hausern abgewartet werden,
sowohl im Herrenhaus als im Abgeordnetenhause lagen Adrefientwiirfe im
Sinne der Majoritat des Ministeriums vor, nun wurde zunSchst, um dem even-
tuellen Austritt der Minoritat einen etwas besseren politischen Anschein zu
geben, in beiden Hausern daran gearbeitet, die parlamentarische Minderheit
etwas zahlreicher zu gestalten, was nattirlich wieder eine Gegenaktion der
andern Seite hervorrief, die den Minoritatsministern das Abschwenken von der
Verfassung vorwarf. Um sich gegen diese Vorwiirfe zu rechtfertigen, drangte
Biogr. Jahrbuch u. Dcutichcr Nekrolog. x6. Bd. 20
306
v. Plener.
nun die Minoritat auf die Veroffentlichung der Memoranden, ein Schritt, den
mein Vater in einem seiner Brief e an mich als eine Herabsetzung jeder Re-
gierungsautoritat bezeichnete, ,,der uns alle unmoglich macht" (12. Januar
1870). Die Memoranden wurden publiziert, bevor die Adrefldebatten in beiden
Hausern beendigt waren, und bildeten begreiflicherweise den Hauptgegenstand
aller Redner, welche mit Behagen die Polemik der Minister nunmehr par-
lamentarisch vor der Offentlichkeit weiterspannen. Angesichts der Haltung der
Mehrheit beider Hauser nahm die Krone das Entlassungsgesuch der Minoritats-
minister an und beauftragte den Handelsminister, Vorschlage zur Rekonstruk-
tion des Ministeriums zu machen. Mein Vater hatte in den nun folgenden Be-
sprechungen mit seinen Kollegen nur unangenehme Eindriicke, Giskra und
Herbst waren eigensinnig und unvertraglich und dabei abhangig von allerlei
journalistischen Ratschlagen. Schliefllich einigte man sich, den Oberland-
marschall von Bohmen, Fiirst Adolf Auersperg, zum Ministerprasidenten vor-
zuschlagen. Dieser verlangte die Entfernung Giskras vom Ministerium des
Innern, fur welches er Lasser vorschlug, und erklarte auflerdem, dafl er mit
meinem Vater nicht zusammengehen konne, weil dieser im Jahre 1868 beim
Riicktritt seines Bruders, des Fursten Karl Auersperg, sich ganz entschieden
gegen seine Kandidatur ausgesprochen habe. Mein Vater leugnete dies auch
gar nicht, da erdamalsdiese Berufung fur nicht empfehlenswert angesehen habe,
und erklarte, dafi er unter diesen Umstanden der neuen Kombination fern-
bleiben werde. Unterdessen aber hatten die ubrigen Minister die Forderungen
Auerspergs abgelehnt, und damit war diese Episode beseitigt. Die Minister be-
schlossen nun, den Prasidenten nur aus sich zu wahlen, die Beratungen iiber die
Kirchenpolitik und iiber Bohmen brachten nur unangenehme Auseinander-
setzungen, die meinem Vater immer mehr die Oberzeugung bestarkten, dafl
,,mit seinen Kollegen eine gedeihliche Regierung nicht moglich sei" (Brief vom
26. Januar 1869), Nun wurde Hasner als President, Graf Wrbna als Ackerbau-
minister, Glaser als Unterrichtsminister und Unger als Minister ohne Porte -
feuille proponiert. Wrbna lehnte sofort ab, die beiden letzteren verlangten
als Bedingung ihres Eintritts ein definitives Abkommen mit Beust, damit die
bisherigen inneren Kampfe aufhoren sollten, ferner hielten sie Giskra und Herbst
wegen ihrer Heftigkeit uberhaupt, den ersteren aber fur das Ministerium des
Innern als besonders ungceignet und wollten daher in kein Kabinett mit diesen
beiden eintreten. So blieb nichts iibrig als ein letztes Flickwerk, Stremayr
erhielt den Unterricht und Bauhaus den Ackerbau. Die Krone gab zwar ihre
Zustimmung zur Wiedereinsetzung der Minister, bewilligte schliefllich auch die
Cbertragung der Polizei an das Innere, sah aber die ganze neue Kombination
nur als ein der Stimmungder Majoritat beider Hauser zugestandenes kurzfristiges
Auskunftsmittel an, das noch die Votierung des Budgets ermoglichen sollte.
Mein Vater hielt schon damals die Partie fur verloren. Ein Verstandigungs-
versuch mit den Czechen scheiterte, die Schwierigkeiten in der Wahlreform
brachten die Resignation Giskras, der dieselben eigentlich mehr als einen
guten Anlafl benutzte, um aus seiner unhaltbaren Stellung herauszukommen.
Die Regierung brachte noch das Budget, der Handelsminister im Verein mit dem
Justizminister ein Arbeiterkoalitionsgesetz durch, dann legte er noch einige
Eisenbahnprojekte Beskid-Stryj und Predilbahn vor, aber das Schicksal des
Ministeriums war besiegelt, im Abgeordnetenhause herrschte die groflte Un-
v. Plener.
307
einigkeit uber die direkten Wahlen, so dafi an eine Zweidrittelmehrheit dafilr
nicht zu denken war, die Polen, Slovenen, Tiroler verlieflen den Reichsrat,
die Krone verhielt sich gegen Ministerium und Wahlreform zuriickhaltend, und
als sie den Antrag auf AuflSsung der renitenten Landtage ablehnte, gab das
Ministerium endlich am 3. April 1870 seine Entlassung.
Graf Potocki, der unter der Agide Beusts das neue Kabinett bildete, forderte
meinen Vater wiederholt auf, in dasselbe einzutreten, er bot ihm das Finanz-
portefeuille mit der Leitung des Handelsministeriums an. Mein Vater lehnte ab,
wenn er auch den guten Willen Potockis, an der Verfassung festzuhalten, nicht
verkannte, so waren ihm seine unklaren Ausgleichsgedanken antipathisch, ins-
besondere aber der Eintritt Petrinos, eines der heftigsten Gegner der bestehenden
Verfassung. Darauf kam Beust und Taaffe mit derselben Einladung, und um
meinen Vater starker zu beeinflussen, bot man ihm zugleich die Kanzlerstelle
des Leopoldordens an, er blieb fest und lehnte wieder ab. Noch einmal kam der
Generaladjutant des Kaisers, Bellegarde, um ihn zu iiberreden, erhielt aber
dieselbe Antwort. Die unangenehmen personlichen Erfahrungen, die er in der
letzten Zeit mit seinen Parteigenossen gemacht hatte, vermochten doch nicht
seine feste politische Cberzeugung und seinobjektivesUrteil uber die Richtigkeit
einer verfassungsmafligen, staatseinheitlichen Politik zu erschuttern. Trotz
seiner Ablehnung blieb er mit Beust, Potocki und Taaffe auf gutem FuBe,
wahrend er 1865 mit Beleredi gar keinen personlichen Verkehr pflegte.
Potocki, der urspriinglich den bohmischen Landtag nicht auflosen wollte,
gab schliefllich dem Drangen der Czechen und des konservativen Grofigrund-
besitzes nach und loste ihn doch auf. Mein Vater, der kurze Zeit mit mir in
Blankenberghe war, ging nach Eger und wurde dort wieder gewahlt. Der nun
in seiner Mehrheit foderalistische Landtag wiederholte den staatsrechtlichen
Standpunkt der Deklaration und wollte hochstens eine auficrordentliche Reichs-
ratsbeschickung zum Zwecke der Abanderung der Verfassung in dem Sinne zu-
gestehen, dafi die Delegation unmittelbar aus dem Landtag zu wahlen sei. Auf
Ersuchen der deutschen Partei gi-ng mein Vater nach Wien, um Potocki den
Ernst der Lage zu schildern, fand jedoch bei ihm sowie bei Beust und Taaffe
vollige Ratlosigkeit, hochstens direkte Notwahlen im Falle der Nichtbeschickung
des Reichsrats wollte man in Aussicht nehmen. In der Adrefldebatte sprach
mein Vater fiir die Beschickung des Reichsrats und gegen den staatsrechtlichen
Standpunkt der Majoritat. Die Verhaltnisse in Prag warcn ihm wegen der
neuen undisziplinierten Elemente weniger angenehm als fruher. Der Landtag
wurde vertagt und direkte Notwahlen ausgeschrieben. So sehr ihn der deutsch-
franzosische Krieg beschaftigte, trieb er daneben wissenschaftliche Lekture,
Gindelys Dreifiigjahrigen Krieg und Haeckels natiirliche Schopfungsgeschichte
las er im Sommer 1870, anlafilich des letzteren Buches schrieb er unter anderem:
,,Naturwissenschaftliche Forschungen sind eine gute Korrektur der abstrakten
Ausschweifungen mancher Philosophen, sie bringen aber die Gefahr, die Ent-
wicklung des Menschen sowohl im einzelnen als im ganzen weniger aufmerksam
zu betrachten, und doch ist der Fortschritt der Menschheit in der historischen
Zeit, ja die Wandlung und Klarung, die der einzelne von seiner Jugend durch
die verschiedenen Lebensalter bis ins Alter durchmacht, zum mindesten ebenso
interessant als der Entwicklungsgang von der Qualle bis zum Wirbeltier".
Ein anderes Mai schrieb er mir: ,,In den Vorstellungen ,,Allgemeines" unci ,,Bc-
308
v. Plener.
sonderes" liegen die allein praktischen Kardinalpunkte zum leidlichen Philo-
sophieren. Zumeist siegt das Allgemeine, manchmal kommt das Besondere zum
Siege und wird dann selbst zum Allgemeinen, so im Staate, bis wieder durch
Demokratie ein neues Allgemeines sich durchsetzt. Selbst gegeniiber der Natur
sind es oft Einzelpotenzen, welche die grofie Naturkraft bemeistern, so bei
Erfindungen, werden diese Gemeingut, so treten sie in die Kategorie des Allge-
meinen. Durch die Welt geht der dunkle Drang, das Allgemeine zu verehren,
der einzelne dankt ihm so manches Gute, dafi er ihm auch die grofiten Opfer
bringt." Die direkten Notwahlen brachten ihn wieder ins Abgeordnetenhaus,
wo er Obmann des Finanzausschusses wurde. Das Ministerium war mit seinen
gutgemeinten, aber unklaren Ausgleichsplanen gescheitert, Potocki gab im
November 1870 seine Demission, die zunachst nicht angenommen wurde,
mehrere Rekonstruktionsversuche mifilangen, meinem Vater wurde neuerlich
das Finanzministerium und die Vizeprasidentschaft im Ministerrat angeboten,
die er ablehnte.
In der Delegation sprach er (Januar 1871) fur den Frieden und Neutralitat,
er mifibilligte die Abstrichantrage seiner Parteigenossen am Kriegsbudget und
die gehassige retrospektive Kritik der Politik Beusts, er hielt es dem Ansehen
der Monarchic fur schadlich, nachtraglich alle begangenen Fehler aufzurollen,
ebenso fand er keinen Geschmack an den Angriffen Herbsts gegen Beust wegen
dessen angeblicher Einmischung in die innere Politik. Die Haltung der liberalen
Fuhrer in der Delegation machte auf die Krone den unglinstigsten Eindruck,
so dafi die Versuche Beusts, ein Ministerium Koller-Plener zu ermoglichen,
ganz erfolglos blieben und ohne dessen Wissen plotzlich die Kombination
Hohenwart erschien. Mein Vater war nicht sogleich im Anfang fur eine
Stofitaktik gegen das neue Ministerium, die nicht zu dessen Sturz, wohl
aber zur Auflosung des Abgeordnetenhauses und vermutlich zu einer fodera-
listischen Mehrheit gefiihrt haben wurde. Er meinte, das Ministerium werde an
seinem eigenen unmoglichen Programm der Erweiterung der Landerautonomie
in Verbindung mit der Erhaltung der Verfassung scheitern und dann durch
ein gemafiigtes, verfassungstreues Kabinett abgelost werden. Da er die Partei -
taktik, sich gleichzeitig mit alien zu verfeinden, nicht billigte, wollte er eine
Annaherung an die Polen herbeifiihren und unterstiitzte gegen die Majoritat
der Verfassungspartei das galizische Eisenbahnprojekt Beskid-Stryj. Aui
Ersuchen Hohenwarts fand bei meinem Vater eine vertrauliche Besprechung
statt (18. Marz 1871), zu der Lasser, Herbst und Brestel erschienen. Hohenwart
erklarte, keineswegs den Konflikt zu suchen, eventuell gar keine autonomisti-
schen Vorlagen einzubringen, wenn er fur die laufenden Staatsgeschafte der
Unterstiitzung des Abgeordnetenhauses sicher ware, eine Auflosung beab-
sichtige er nur im Falle der Rekruten- und Budgetverweigerung, im ganzen
machte er den Eindruck der Unklarheit, die Besprechung hatte kein praktisches
Resultat. In der Partei herrschte Uneinigkeit, die einen wollten den Kampf
auf der ganzen Linie, die andern, darunter mein Vater, empfahlen eine Politik
der Defensive. Die Steuern wurden schliefilich monatsweise bewilligt, ebenso
auch die Rekrutenaushebung. Aber die Ungeduld wuchs in der Partei, Herbst
hatte sich zuerst sehr energisch gegen die Erlassung einer Adresse ausgesprochen,
plotzlich sattelte er um und befiirwortete unter dem Einflufi seiner journalisti-
schen Ratgeber nunmehr einen solchen Schritt, der gar keine Wirkung erzielte.
v. Plener.
309
Nun kam es zur Budgetberatung. Der FinanzausschuB, dessen Obmann mein
Vater war, beantragte durch seinen Berichterstatter Brestel die Annahme des
Finanzgesetzes. In der Linken, die durch die kiihle Antvvort auf die Adresse
irritiert war, wurde der Plan aufgeworfen, das Budget zu verweigern. Mein
Vater, der iiberhaupt mit der Fuhrung der Partei durch Herbst sehr unzu-
frieden war und der von seinem allgemeinen gouvernementalen Standpunkt
einen solchen Schritt nicht gern sah, in jenem Moment aber entschieden als
verfrtiht erklarte, sprach sich in der Parteiberatung dagegen aus, weil er Hohen-
wart nicht den Anlafi zur Auflosung und zu Neuwahlen bieten wollte, man
miisse das Abgeordnetenhaus in seiner gegenwartigen Zusammensetzung er-
halten, um jede Zweidrittelmehrheit zugunsten einer Verfassungsanderung zu
verhindern. Nun wurde eine grofie Pression auf ihn ausgeiibt, sich der Partei
anzuschlieflen, auch von einigen seiner Wahler erhielt er die Aufforderung, in
diesem Sinn vorzugehen. So peinlich ihm diese Lage war, so hielt er es doch fiir
das Ehrenhafteste, bei seiner einmal ausgesprochenen Meinung zu bleiben, sie
ftffentlich zu vertreten und vor der Abstimmung sein Mandat niederzulegen.
So hielt er es auch. In der Debatte beantragte F. Grofl, derzeit in die Budget-
beratung nicht einzugehen. Mein Vater wandte sich in seiner Rede zuerst
scharf gegen die Politik Hohenwarts, bezeichnete aber dann den Vertagungs-
antrag als eine platonische Steuerverweigerung, wolle man die Bevolkerung
zur Steuerverweigerung treiben, dann mufite man den Mut haben, dies auch
offen auszusprechen, so aber wurde die Regierung auch nach Annahme jenes
Antrags ruhig die Steuern weiter einheben und den Reichsrat schliefien. Der
Antrag wurde abgelehnt, gegen ihn stimmte die Rechte, der verfassungstreue
Groflgrundbesitz, Lasser, Chlumecky u. a. Der Berichterstatter Brestel ent-
fernte sich bei der Abstimmung, und bei der dritten Lesung des Finanzgesetzes
stimmte er ruhig fiir das Budget. Die Haltung meines Vaters wurde allgemein
als korrekt anerkannt, er beugte sich nicht der Parteidisziplin, bekannte offen
seine Cberzeugung und nahm die Folgen seines Vorgehens auf sich. Er ver-
sandte eine nicht fiir die grofie Offentlichkeit bestimmte Denkschrift an seine
Wahler, die nicht so sehr eine personliche Rechtfertigung war als eine Darstellung
der allgemeinen Lage und eine Kritik der Parteileitung. Er ging dann ins Seebad
nach Blankenberghe, wo wir zusammentrafen, in der Folge einige Zeit in Reichen-
hall zubrachten und unter anderem miteinander den Dachstein bestiegen. Die
Wiedereinberufung des bohmischen Landtages und die nunmehr offenkundige
verfassungswidrige Politik Hohenwarts fiihrte ihn zuerst nach Eger, wo er sich
mit seinen Wahlern in vollkommen befriedigender Wcise auseinandersetzte,
und dann nach Prag, wo alsbald das Reskript an den Landtag erlassen wurde
(September 1871), welches das bohmische Staatsrecht anerkannte und fiir
Bohmen die geltende Verfassung iiberhaupt als nicht definitiv zu Recht bestehend
erklarte. Dieser direkte Angriff gegen die Verfassung fand meinen Vater sofort
in der ersten Linie der Gegner, er war es, der in der Parteiversammlung den
Antrag stellte, die Deutschen mogen mit einem Protest gegen den staatsrecht-
lichen Inhalt des Reskriptes den Landtag verlassen und an dessen weiteren
Verhandlungen nicht mehr teilnehmen. Der weitere Verlauf ist bekannt, die
vom czechischen Grofienwahn eingegebenen Fundamentalartikel erregten einen
allgemeinen Sturm, der das Ministerium Hohenwart wegfegte und zur Ein-
setzung eines verfassungstreuen Ministeriums Auersperg fiihrte.
3io
v. Plener.
Im Dezember 187 1 wurde mein Vater wieder ins Abgeordnetenhaus gewahlt,
wo er wieder Obmann des Finanzausschusses wurde. Aufierdem war er um den
Gesetzentwurf uber die Erwerbs- u. a. Wirtschaftsgenossenschaften bemtiht,
den er schon 1869 als Handelsminister eingebracht hatte, der aber jetzt erst zur
Verabschiedung gelangte. An dem Manover uber die galizische Resolution
nahm er nicht teil. Nach Auflosung des bohmischen Landtags war er in VVahl-
angelegenheiten wiederholt in Prag, wie er denn immer an den deutsch -bohmi-
schen Dingen das starkste Interesse nahm und auch in Wien in dem Notstands-
komitee anlafilich der grofien Wasserschaden in Bohmen tatig war. Er war
auch Obmann der Finanzsektion der Wiener Weltausstellung, deren Gebarung
ihm aber nicht gefiel. Als der neue bohmische Landtag ihn wieder ins Abge-
ordnetenhaus gewahlt hatte, liefi er sich nicht mehr in die Delegation wahlen,
die Haltung Herbsts in dieser KOrperschaft war ihm zu antipathisch. Im
Sommer war er mit mir langere Zeit auf Helgoland, von dort gingen wir nach Tirol,
wo er mich ein grofies Stuck auf den Ortler begleitete. Im Dezember 1872
gelang es ihm, im bohmischen Landtag einen bedrohlich aussehenden Konflikt
zwischen der deutschen Partei und dem verfassungstreuen Groflgrundbesitz tiber
die Schulaufsicht durch die in den Ortsschulrat gewahlten Geistlichen beizu-
legen. Im Winter 1872 fanden bei Minister Lasser vertrauliche Konferenzen
liber die Reichsratswahlreformen statt, bei denen mein Vater den Plan der Re-
gierung auf gleichzeitige Vermehrung der Sitze des Grofigrundbesitzes gegen
Herbst unterstutzte, alle iibrigen Deutschbohmen schlossen sich gleichfalls dieser
Ansicht an, Herbst und Giskra blieben ganz isoliert und gaben dann in einigen
Wochen nach. Schliefilich ging die Wahlreform mit den direkten Reichsrats-
wahlen glatt durch, der Reichsrat war damit von der Abhangigkeit von den
Landtagen befreit, woriiber mein Vater sehr erfreut war. Im Marz 1873 nahm er
an der Abwehrbewegung gegen ein ungarisches Projekt einer Emission von zur
Zirkulation bestimmten Kassescheinen durch eine ungarische Bank teil, wo-
durch die Einheit der Wahrung bedroht worden ware. Im Friihjahr ging er
nach einer Parteiversammlung in Prag zum Parteitag nach Teplitz, wo zu seinem
grofien Mifivergniigen die sogenannten „Jungen 41 einen Vorstofl gegen die
deutschbohmische Parteileitung unternahmen, aber keinen Erfolg erzielten.
Das Abgeordnetenhaus war inzwischen aufgelost worden, mein Vater
bewarb sich um keine Wiederwahl mehr, verwendete vielmehr all seinen Einflufl,
um meine Wahl an seiner Stelle durchzusetzen. Er selbst wurde im Oktober
l873insHerrenhausberufen und war ganz zufrieden, aus den ihm unangenehmen
Parteiverhaltnissen des Abgeordnetenhauses loszukommen, im bohmischen
Landtag blieb er noch einige Jahre bis zum Ablauf von dessen Wahlperiode.
Das Herrenhaus war ihm sehr angenehm, die individuelle Meinungsauflerung
hat dort viel mehr Freiheit, und kein Cliquenwesen beeintrachtigte die par-
lamentarische Betatigung. Im Dezember 1873 sprach er zugleich mit Schmerling
sich gegen die infolge des Krachs popular gewordene Hetze gegen die B6rse
Iiberhaupt aus und wies auf deren Zusammenhang mit der Industrie, dem Ver-
kehrswesen und der allgemeinen Volkswirtschaft hin. Im ganzen sprach er nicht
oft im Herrenhaus, das damals iiberhaupt wenig grdflere Debatten fiihrte, in
den Kommissionen war er sehr tatig und verfolgte iiberhaupt alle politischen
Vorg&nge mit grofler Aufmerksamkeit, zugleich nahm er das grofite Interesse
an dem Beginn meiner parlamentarischen Laufbahn, die er mit lebhafter Teil-
v. Plener.
311
nahme begleitete. Im Jahre 1877 kam im Herrenhaus ein vom Abgeordneten-
haus beschlossener Gesetzentwurf iiber eine partielle Reform des Ehegesetzes
zur Beratung, der die Ehehindernisse der Religionsverschiedenheit und der
Priesterweihe aufhob und fiir solche von Katholiken geschlossenen Ehen das
protestantische Eherecht mit Auflosbarkeit des Ehebundes eintreten lassen
wollte; dieser widerspruchsvolle Entwurf wurde durch die Kommission des
Herrenhauses gesetzgeberisch noch mehr entstellt, indem sie sich auf die Auf-
hebung des Ehehindernisses der Priesterweihe beschrankte, so dafi alle Welt
damit unzufrieden war. Mein Vater trat fur eine Resolution ein, die den Ent-
wurf ablehnte und eine allgemeine materielle Reform des Eherechts verlangte
und die auch von der grofien Mehrheit des Hauses angenommen wurde. Die
Erneuerung des ungarischen Ausgleiches fiihrte ihn wieder in die Deputation,
wo er den osterreichischen Standpunkt energisch vertrat, in der Vollberatung
sprach er sich in einer sehr wirksamen Rede gegen den Bankdualismus, nament-
lich gegen die t)berlassung der Kreditgewahrung an die beiden Direktionen aus,
wobei noch fiir Ungarn ein fixes Kreditkontingent festgesetzt werden sollte,
ebenso wandte er sich in einer Rede iiber die Quote, im Juni 1878, nicht gegen
den politischen Dualismus, aber gegen die Instabilitat des finanziellen und wirt-
schaftlichen Verhaltnisses zu Ungarn. Die neue Verzehrungssteuerrestitutions-
berechnung sei eine Mehrbelastung Osterreichs, die man als Preis gegen die Zu-
stimmung Ungarns zu einer Stabilitat des ganzen Verhaltnisses gewahren
konnte, aber ohne diesen Zusammenhang nur eine Verschlechterung des ohne-
dies unbefriedigenden status quo bedeute. Das Regime Taaffe brachte ihn und
Schmerling in eine allgemeine oppositionelle Haltung. Im Mai 1880 war eine
grofie Budgetdebatte im Herrenhaus, in der mein Vater eine politische Opposi-
tionsrede gegen Taaffe, gegen dessen System der nationalen Konzessionen und
gegen die bohmische Sprachenverordnung hielt. Im Mai 1 88 1 sprach er sehr
wirkungsvoll gegen die provisorische Regelung der Grundsteuer, wodurch den
begiinstigten Landern vor Entscheidung der Reklamationen sofort Nachlasse
gewahrt wurden, wahrend die ubrigen Lander und der Staatsschatz empfindlich
geschadigt wurden. Die Mehrheit war aber schon nicht mehr gegen die Re-
gierung vorhanden, einen kleinen Erfolg erreichte er noch gegen das Mini-
sterium mit dem Antrag auf Vertagung der Beratung des Kredits fiir die bohmi-
sche Universitat bis zur Beschlieflung des Universitatsgesetzes selbst, bald aber
hatten neue Ernennungen und die Bildung der Mittelpartei die Mehrheit des
Herrenhauses umgewandelt. Bei Beratung der Verstaatlichung der Westbahn
verlangte er neue Verhandlungen mit der Gesellschaft, um die Option auf Gold-
prioritaten aus dem Obereinkommen zu entfernen (Dezember 1881). Im Februar
1883 sprach er gegen das reaktionare Gewerbegesetz und den Befahigungs-
nachweis, wie er denn iiberhaupt immer eine liberale Wirtschaftspolitik vertrat.
Nachdem er schon friiher gegen das Sperrgesetz fiir Kaffeezolle und iiber den
Petroleumzoll gesprochen hatte, hielt er im Mai 1888 eine grofle Rede iiber den
Zolltarif und die Getreidezolle, in der er gegen die Obertreibung der Schutzzfille
warnte. Als der Justizminister eine neue Sprachenverordnung erliefi, wodurch
praktisch die czechische Sprache in den inneren Dienst des Prager Oberlandes-
gerichts eingefiihrt wurde, brachte Schmerling einen Antrag dagegen ein, und
in der darauf folgenden grofien Debatte, an der die besten Redner des Herren-
hauses teilnahmen (Mai 1887), hielt auch mein Vater eine langere Rede nicht
312
v. Plener.
blofl gegen jenen Erlafl, sondern auch gegen das ganze Regierungssystem und
gegen die Zuruckdrangung des Deutschen in Bohmen. Noch als Achtzigjahriger
brachte er (im Mai 1890) eine mit allgemeinem Beifall aufgenommene Ver-
wahrung gegen die von dem Obmann des Polenklubs im Abgeordnetenhaus
erhobenen Angriffe gegen die friiheren osterreichischen Beamten in Galizien vor t
welche dort zuriickzuweisen die Regierung unterlassen hatte x ).
In den folgenden Jahren sprach er nur selten in der Vollversammlung,
woran auch eine zunehmende SchwerhOrigkeit schuld trug, dagegen war er bis
zu seiner letzten Krankheit fleifiig und eifrig in den Kommissionen, er besafi
ein grofies Talent zur Leitung von Ausschuflverhandlungen, seine personliche
Autoritat und der allgemeine Respekt gaben ihm eine beinahe einzige Stellung,
und sowohl friiher im Abgeordnetenhaus als spater im Herrenhaus liefien sich
die Kommissionsmitglieder von ihm manche sehr stramme Handhabung der
Prisidialgewalt ruhig gefallen, die sie von einem andern nicht so leicht hinge-
nommen hatten.
Als tiichtiger Beamter begann er seine Laufbahn, hatte dann als Finanz-
minister unter den ungtinstigsten Verhaltnissen schwere Zeiten durchzumachen,
verlor aber dabei nicht seine Laune, das spatere parlamentarische Leben regte
ihn an, und seine zweite Ministerschaft gab ihm, was sein Ressort betraf, ange-
nehme Genugtuung, fiir den volkstiimlichen Parteimann war er nicht geschaffen,
dazu war er zu sehr von der staatlichen Autoritat erfiillt und lernte die Schwachen
des Parteilebens zu genau und immer mehr erkennen, trotzdem blieb sein Inter-
esse an offentlichen Dingen bis zuletzt wach. Als Politiker war er ein uner-
schiitterlicher Anhanger der Staatseinheit, iiber die er kein Transigieren zuliefl,
ein aufgeklarter Altosterreicher mit josefinischem Einschlag, ein aufrichtiger
Forderer des Konstitutionalismus, den er als im Interesse des Staates
gelegen ansah.
Seine Lebensfuhrung war hochst einfach und bescheiden, er war nicht
ungesellig, er verkehrte leicht mit Bekannten, nahm oft Einladungen an, ging
gern ins Burgtheater und hatte eine Vorliebe fiir alte Wiener Stiicke, namentlich
fur jene von Raimund. Der Aufenthalt an der See oder im Gebirge war fiir ihn
nicht bloB eine korperliche Erholung, sondern auch ein allgemeiner GenuB,
namentlich hatte er eine Passion fiir Bergtouren und unternahm noch im hoch-
sten Alter von Gastein und Windischgarsten ganz respektable Besteigungen.
Seine Gesundheit war immer gut, seine Vitalitat, die er wohl von seiner Mutter
geerbt hatte, mufl auBerordentlich groB gewesen sein, da wenige Menschen,
die seine Altersstufe erreichen, eine ahnliche Kraft und Elastizitat aufweisen.
Er las gern und viel, philosophische und religionswissenschaftliche Biicher
noch bis in die letzten Jahre, frtiher hatte er auch Naturwissenschaften getrieben,
theoretische NationalSkonomie weniger, wohl aber viel Geschichte. Auch
deutsche Dichter gefielen ihm in friiheren Jahren. In seiner Weltanschauung
war er, wie wir alle, zum groflen Teil das Produkt seiner Zeit, seine ernste Lek-
tiire begann mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften in den funfziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts, und seine spatere philosophische Lektiirekorri-
gierte die mechanistische Auffassung jener Periode, eine gewisse pantheistische
x ) Ober diesen Zwischenfall und tibcr die Stellung PLs tibcrhaupt im Herrenhaus eine
sehr gute Bemerkung in Ameth, Aus meinem Leben, II, 556.
v. Plener. Friedberg. 313
Auffassung von der Grofle, Einheit und GesetzmaBigkeit der Natur, die aber,
wie bei Lotze, durch den geistigen Inhalt des Kosmos einen idealistischen Zug
erhielt, blieb dann lange bei ihm zurtick. Die erhabene Gestalt des Stifters
der christlichen Religion war ihm stets ein Gegenstand der Verehrung und der
Bewunderung, und das groCe geschichtliche Ereignis der Eroberung der zivili-
sierten Welt durch das Christentum ein Lieblingsthema seiner Betrachtung
und Studien.
Er war nicht gerade eine weiche Natur, er hing mit groBer Liebe an seiner
Frau und an seinem Sohne, fur dessen Entwicklung und Laufbahn zu sorgen
er als Lebensaufgabe betrachtete. Fur Fremde war er im Verkehr artig, fur
Hilfesuchende bereitwillig, aber nicht fur jedermann zuganglich. Gerade in
seinem hochsten Alter wurde er popular, die aufrechte Gestalt des Neunzig-
jahrigen, seine k5rperliche und geistige Frische hatten alle Sympathien.
In den letzten zwei Jahren ward der bis dahin kraftige und gesunde Mann
von einer peinlichen Krankheit heimgesucht, deren Beschwerden er mit Geduld
und ohne Klagen trug, selbst in dieser letzten reduzierten Existenz hing er noch
am Leben und hatte den kleinen Ehrgeiz gehabt, auch noch das hundertste
Jahr zu erreichen, aber es war ihm nicht beschieden, am 17. Februar 1908 ver-
schied er in seinem 98. Lebensjahre, umgeben von Kundgebungen der allgemeinen
Teilnahme, fiir die der President des Herrenhauses in den folgenden Worten
seines Nachrufs einen treffenden Ausdruck fand: ,,Der Senior unseres Hauses,
Ignaz v. Plener, eine allgemein hochgeachtete, ehrwiirdige Gestalt unseres dffent-
lichen Lebens, die fast ein Jahrhundert vaterlandischer Geschichte miterlebt
hat, ist heimgegangen. Die Last der Jahre schien ihm leicht, und gem erinnern
wir uns des Neunzigjahrigen, der mit Gesinnungstreue und unbeugsamem
Pflichtgefuhl seinen Platz voll und ganz auszuflillen sich entschlossen zeigte,
bis schwere Krankheit ihn hinderte, in unserer Mitte zu erscheinen."
E. Plener.
Friedberg, Emil x )» * 22 - Dezember 1837 in Konitz in Westpreuflen, f 7- Sep-
tember 1910 in Leipzig. — F. wurde geboren als Sohn des Stadt- und Landrichters
Adolf F. (Der Bruder seines Vaters war der preuflische Justizminister Heinrich
F.) Er studierte in Berlin und Heidelberg, wurde 1862 in Berlin Privatdozent,
1865 aufierordentlicher Professor in Halle, 1868 ordentlicher Professor in Frei-
burg und folgte 1869 einem Rufe nach Leipzig. Bis zu seinem Tode hat er dort
als Lehrer des Kirchenrechts, des Handelsrechts, des deutschen Rechts, des
Staatsrechts und des Volkerrechts eine segensreiche Tatigkeit entfaltet. Allen,
die^das Gluck gehabt haben, zu seinen FuBen zu sitzen, wird sein lebendiger,
formgewandter, witzspriihender, nicht selten auch sarkastischer Vortrag un-
vergessen bleiben. Seine erste grflBere wissenschaftliche Leistung war die
Herausgabe der Pandekten seines Lehrers Keller, so daB man damals einen
kiinftigen Lehrer des romischen Rechtes in ihm erblickte. Aber diese roma-
nistische Arbeit blieb ganz vereinzelt. Seine schriftstellerische Tatigkeit er-
streckte sich, abgesehen von einigen handelsrechtlichen Arbeiten sowie ver-
schiedenen Schriften zur Geschichte der Universitat und der juristischen
Fakultat Leipzigs, auf die hier nicht niher eingegangen werden soil, ganz tiber-
Totcnlistc 1910, Bd. XV, 27*.
314 Friedberg.
wiegend auf diejenige Disziplin, zu der ihn seine besondere Neigung hinzog, und
zu welcher er zusammen mit andern, wie z. B. den inzwischen auch verewigten
Otto Mejer, Paul Hinschius und Richard Dove, wesentlich durch Aemilius
Ludwig Richter hingefiihrt worden war.
Abgesehen von seiner Teilnahme an den sachsischen Landessynoden ist er
im offentlichen Leben persOnlich nicht hervorgetreten. Aber seine scharfe Feder
hat er oft genug fur Offentliche Fragen zur Verfugung gestellt. Er war ein
energischer Vork&mpfer der Rechte des Staates gegenuber der Kirche. Bereits
in seiner Inauguraldissertation »De finium inter ecclesiam et civitatem regun-
dorum judicio quid medii aevi doctor es et leges statuerinU (Leipzig 1 861) hatte er
die Rechte des Staates gegenuber der Kirche verfochten. Die in dieser Schrift
erorterten theoretischen Fragen sollten gar bald praktische Bedeutung gewinnen,
und es kam die Zeit, wo dem Staate wissenschaftliche Vertreter seiner Rechte
bitter nottaten, die mit dem Wesen und dem Rechte des Gegners durch griind-
liche Studien vertraut waren. Ein solcher war F.
Aus dieser Epoche stammen, um von kleineren Aufsatzen (wie z. B. dem
Offenen Brief an Bischof Ketteler) ganz zu schweigen, seine Schriften »Das
Veto der Regierungen bei Bischof swahlen« (Halle 1869), »Die Geschichte der
Zivilehe« (Berlin 1870), »Der Staat und die katholische Kirche im Grofiherzog-
tum Baden« (Leipzig 1871; 2. Auflage 1873), »Das Deutsche Reich und die
katholische Kirche« (Leipzig 1872), »Die Grenzen zwischen Staat und Kirche
und die Garantien gegen ihre Verletzung« (3 Bde., Tubingen 1872), »Sammlung
der Aktenstiicke zum Vatikanischen Konzil« (Tubingen 1872), »Die preuflischen
Gesetzentwiirfe iiber die Stellung der Kirche zum Staate« (Leipzig 1873), «Der
Staat und die Bischof swahlen in Deutschland« (Leipzig 1874), »Johann Baptista
Baltzer« (Leipzig 1875), »Aktenstucke, die altkatholische Bewegung betreffend«
(Tiibingen 1876) usw.
F. ist bisweilen als der Vater der preuflischen Mai-Gesetzgebung bezeichnet
worden. Das ist zum mindesten irrefiihrend. Er hat an diesen Gesetzen direkt
gar keinen Anteil gehabt. Es ist allerdings nicht zu leugnen, dafl er mit andern
dem preuBischen Staate das historische und gelehrte Riistzeug fur seinen Streit
geliefert und durch seine Schriften den Kampf und die Stellungnahme des
Staates wesentlich beeinflufit hat. F. war kein Anhanger der volligen Trennung
von Staat und Kirche; die Kirchen sollten sich eines gebuhrenden Mafles von
Selbstandigkeit erfreuen, vom Staate einerseits privilegiert, aber andererseits
auch in besonderer Weise beaufsichtigt sein; das Individuum sollte in kirch-
licher Beziehung frei sein, nicht aber die kirchliche Gesellschaft. So hat F.
im Gegensatze zu der Ausgestaltung, wie sie das Prinzip der Freiheit der Kirche
in der preuflischen Verfassungsurkunde durch die Praxis erhalten hatte, seine
Anschauungen wiederholt formuliert.
Wenn wir heute iiber diese kirchenpolitischen Vorgange vielleicht etwas
anders denken als die Zeitgenossen und auch F. selbst, so schm&lert dies doch
seinen Ruhm als eines der bedeutendsten Vorkampfer des Staates nicht. In
jener bewegten Zeit war F. eine der markantesten Personlichkeiten im neuen
Reiche geworden, und die Auditorien Leipzigs vermochten damals die Zahl
seiner Zuh8rer kaum zu fassen.
Beschaftigen sich die vorstehend genannten Schriften mehr oder weniger
Friedberg. o I 5
mit politischen und andern Tagesfragen, so tragen seine andern Arbeiten einen
rein wissenschaftlichen Charakter.
Ich nenne hier zunachst seine eherechtlichen Studien. Schon 1 86 1 hatte er
im 1. Bande der von Dove begriindeten Zeitschrift fur Kirchenrecht eine Serie
von Artikeln aus der Geschichte der Eheschliefiung begonnen. Ihnen folgte
1864 sein umfangreiches Werk »Das Recht der Eheschliefiung in seiner geschicht-
lichen Entwicklung«, welches die Grundlagen geschaffen hat fur alle eherecht-
lichen Forschungen der spateren Zeit. Er hatte zu diesem Werke grofie wissen-
schaftliche Reisen, namentlich auch nach England, unternommen. So war er
denn auch besonders berufen, als durch Sohm die Fragen des deutschen Ehe-
schlieBungsrechts erst zur eigentlichen wissenschaftlichen Diskussion gestellt
wurden, das Wort zu ergreifen. (Verlobung und Trauung. Leipzig 1876, worauf
Sohm durch »Trauung und Verlobung« replizierte.) Dieser interessante wissen-
schaftliche Streit hat zwar direkt nicht alle aufgerollten Fragen zum Austrage
gebracht, aber er hat aufierordentlich befruchtend gewirkt, er hat die reiche
eherechtliche Literatur der jiingeren Kanonistenwelt hervorgerufen.
Verschiedene Schriften iiber die Zivilehe folgten. Eherecht blieb stets
eine besondere Lieblingsmaterie F.s. In seinem Nachlasse fanden sich Auf-
zeichnungen, inhalts deren er zu den neuesten papstlichen eherechtlichen Er-
lassen Stellung nehmen wollte.
Ein »Herculeum opus«, eine Leistung, die Hinschius 1865 in der Zeitschrift
fiir Rechtsgeschichte IV, Heft 3 als eine »die Krafte vieler erfordernde und be-
deutsame Mittel in Anspruch nehmende« bezeichnet hatte, bewaltigte F. mit
seiner kritischen Ausgabe des Corpus iuris canonici (Leipzig 1879 — 1881).
F. versuchte hier den echten Text Gratians kritisch festzustellen; in den De-
kretalensammlungen wiederholte er zwar den Text der Editio Romana, tibte
aber in den Anmerkungen Textkritik aus, eine Methode, die haufig mifiver-
standen worden ist, aber, solange die Editio Romana den offiziellen Gesetzes-
wortlaut darstellt, als die allein richtige bezeichnet werden mufi.
Dieser gewaltigen, alle fruheren Editionen in den Schatten stellenden
Ausgabe folgten die kleineren, fiir unsere Kenntnis des kanonischen Rechts
ebenfalls hochst bedeutsamen Editionen der »Quinque compilationes antiquae«
(Leipzig 1882), und der Kanones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard
von Pavia (Leipzig 1897).
Ein neues Kapitel des Kirchenrechts rollte F. auf mit seinem protestanti-
schen Verfassungsrecht. Nachdem er durch das grofle Werk »Die geltenden
Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen«. Freiburg i. Br.
1885 (mit mehreren Erganzungsbanden), die Grundlagen gesammelt hatte, gab
er in »Das geltende Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Deutsch-
land und Osterreich« (Leipzig 1888) die erste zusammenfasscnde juristische
Behandlung dieses Stoffes. Wenn auch die Wissenschaft seitdem in manchen
Punkten, namentlich in Fragen der Konstruktion, iiber seine Ergebnisse hinaus-
gekommen ist, so bleibt F. doch das ungeschmalerte Verdienst, den Grund
gelegt zu haben, auf welchem alle Spateren aufgebaut haben und noch viele
Jahre aufbauen werden.
Endlich nenne ich noch sein Lehrbuch des katholischen und protestanti-
schen Kirchenrechts, welches mit Recht als das fiihrende Lehrbuch unserer Zeit
316 Friedberg.
bezeichnet wird, bereits sechs Auflagen erlebt hat und u. a. auch in das Ita-
lienische iibersetzt worden ist.
Die zahllosen kleineren Schriften F.s, die in den verschiedensten Zeit-
schriften verstreut sind, k6nnen hier nicht einmal aufgezahlt, geschweige denn
irgendwie gewiirdigt werden.
Es hat kaum eine Frage unserer Wissenschaft gegeben, zu der F. nicht
irgendeinen scharfsinnigen Beitrag geliefert hatte. So verfolgte er auch den
Erneuerungsprozefi, dem das mittelalterliche Recht unter der gegenwartigen
romischen Regierung unterworfen werden soil, mit sorgsamstem Auge, welches
gescharft war durch tiefe Kenntnis des alten Rechtes, ohne welche nattirlich
auch das Werdende niemals voll begriffen werden kann.
Ein groBes Verdienst erwarb sich F. durch die Mitherausgabe der Zeitschrift
fiir Kirchenrecht. Zunachst hat er von 1864 ab zusammen mit Dove die Zeit-
schrift herausgegeben, ist aber als Herausgeber neben Dove nicht sonderlich
hervorgetreten. Erst als Dove zurucktrat und F. zusammen mit dem Unter-
zeichneten die Redaktion iibernahm, hat er sich in aufierordentlicher Weise um
die Hebung der Zeitschrift bemiiht. Er hat neben zahlreichen Abhandlungen
allein die Abteilung der Literaturiibersicht und der Quellen bearbeitet. Was
fiir eine Arbeit er speziell in der Literaturiibersicht in seinen scharfsinnigen
und gelehrten Anzeigen und Besprechungen in den 20 Banden bewaltigt hat,
ist geradezu erstaunlich zu nennen.
Was sollen wir bei dieser aufiergewohnlichen Produktivitat mehr bewun-
dern ? Die gewaltige Arbeitskraft und Arbeitslust, die fast bis zu seinem letzten
Atemzuge ungeschwacht war, oder die tiefe Gelehrsamkeit, die sich alluberall
kundtut, oder die Scharfe und Klarheit des Urteils, die eminent-juristische
Durchdringung des Stoffes oder die leichte und angenehme Art der Darstellung,
die selbst den sprodesten Stoff zu meistern verstand ?
F. war ein iiberzeugter Anhanger der historischen Schule, deren Grundsatze
seit Karl Friedrich Eichhorn und seinem Lehrer Aemilius Ludwig Richter auch
fiir das Kirchenrecht herrschend geworden waren. Bei alien seinen Arbeiten
stand ihm vor allem ein grofles Ziel vor Augen: die Wissenschaft des Kirchen-
rechts zu einer streng juristischen zu gestalten, ihr einen ebenbiirtigen Platz
neben den juristischen Schwesterdisziplinen zu verschaffen, sie >>aller Romantik
und Mystik« zu entkleiden und, von alien fremden Zutaten befreit, ihren niichter-
nen, juristischen Gedankeninhalt herauszuschalen.
Wahrheit und Klarheit waren die Grundlagen seines Denkens und Fiihlens
als Gelehrter und auch als Mensch. Fiir ihn gab es keine Halbheit der Emp-
findungen. Wer aber etwa von der Polemik in seinen Schriften und von seiner
scharfen — bisweilen vielleicht etwas zu scharfen — Art, iiber Menschen und
Dinge zu urteilen, auf seinen Charakter geschlossen und ihn fiir einen kalten
Verstandesmenschen gehalten haben wiirde, der wiirde ihn ganz falsch beurteilt
haben. Wer ihm naher treten durfte, ihn im Verkehr mit seiner Familie und
seinen Freunden beobachten konnte, dem offenbarte sich die ganze Tiefe seines
innigen, bisweilen geradezu kindlichen Gemiits (das er selbst oft kunstlich hinter
einer sprSden, kiihlen Form zu verbergen trachtete) und seiner schlichten, allcm
Scheinwesen und aller Phrase abholden Gesinnungsart. Kein Wunder daher,
dafl auch seine naheren Schiiler mit solcherVerehrunganihmhingen. Unddamit
kommen wir zu einem weiteren Punkt fiir die Wertschatzung F.s. F. hat nicht
Friedberg. v Kleist. 3 [ y
nur Schiiler, sondern eine Schule hinterlassen. Nicht nur in Deutschland,
sondern auch in Italien und in Griechenland. Insbesondere ist die machtig auf-
bliihende junge Kanonistenschule Italiens wesentlich durch F. beeinfluCt worden.
So konnten denn an seinem 70. Geburtstage (an welchem ihn die theologische
Fakultat zu Leipzig zu ihrem Ehrendoktor ernannte, eine Auszeichnung, die dem
mit aufieren Ehrungen iiberreich Bedachten eine ganz besondere Freude bereitet
hat) nicht weniger als 13 Lehrer an deutschen und aufierdeutschen Hochschulen
ihm als ihrem Lehrer und Meister den schuldigen Tribut der Dankbarkeit
entrichten. Ihr Wunsch, dafi es dem Meister beschieden sein moge, »noch viele
Jahre in gleicher ungeschwachter Kraft und Frische das leuchtende Vorbild
und den Stolz der Schiiler zu bilden«, sollte leider nicht in Erfullung gehen. Denn
am 7. September 1910 verstarb F. plotzlich an einem Schlaganfalle. Mit den
Worten »Jetzt kann ich nicht mehr arbeiten« entsank ihm mitten in einer Arbeit
fur die Deutsche Zeitschrift fur Kirchenrecht die Feder; seiner Wissenschaft
getreu bis in den Tod. E. S e h 1 i n g.
Kleist, Ewald Christian Leopold v. 1 )} koniglich preufiischer General der
Infanterie, * 25. Marz 1824 zu Stolp in Pommern, f 29. Dezember 1910 in Pots-
dam. — Ein tapferer und verdienstvoller Bataillons- und Regimentsfiihrer
auf den Schlachtfeldern Bohmens und Frankreichs, noch unter Wilhelm I.
kommandierender General eines Armeekorps, ist K. aus dem namlichen Hause
seines stark verzweigten, uradeligen Geschlechtes hervorgegangen, dem der
Sieger von Nollendorf angehorte. Des Feldmarschalls Grofivater und Ewalds
Urgrofivater waren Briider. Ewalds Vater, ein Bruder des Dichters Heinrich
v. K., ubernahm, nachdem er bei der Garde gestanden hatte und als Major ver-
abschiedet war, die Postmeisterstelle in Stolp. Dort als jiingster von vier
Brudern geboren, verlor Jung-Ewald als Kadett in Kulm 1837 plotzlich den
Vater, der im Beisein des gerade in Stolp weilenden Kronprinzen Friedrich
Wilhelm und an dessen Seite sitzend infolge eines Schlaganfalles auf der Stelle
verschied. Der Gattin hinterliefi er die Sorge fur neun Kinder.
Aus dem Berliner Kadettenkorps trat Ewald v. K. im August 1 841 als
Sekondleutnant in das I. Garde-Regiment z. F. ein. Der spatere Feldmarschall
v. Herwarth und der nachherige General v. Zastrow waren, der eine als Ba-
taillonskommandeur, der andere als Kompagniechef, Ewalds nachste Vorge-
setzte und Erzieher.
Sein erstes kriegerisches Erlebnis waren die Berliner Marztage 1848. Leut-
nant v. K. war dabei, als zwei Bataillone des 1. Garde-Regiments nach der
Hauptstadt herbeigerufen wurden. 1856 zum Hauptmann befordert, erhielt er
zunachst die 12. Kompagnie, dann die Leibkompagnie.
Nach dem Ableben Friedrich Wilhelms IV. stellte die letztere Kompagnie
die Wache im Marmorsaal des Schlosses von Sanssouci und war — am 4. Januar
1 86 1 — die erste Truppe unter dem Gewehr, auf der das Auge des nunmehrigen
Konigs Wilhelm nach der Vereidigung des Heeres ruhte. Nach des Konigs eige-
ner Schilderung wirkte es auf ihn erschiitternd, als ihm die Leibkompagnie,
mit dem Trauerflor an der Fahne, auf seinem Wege zur nebenan aufgebahrten
Leiche des Bruders die koniglichen Honneurs erwies. »Mir brachen die Kniee,«
Totenliste 1910, Bd. XV, 46*.
3 18 v - Klcist.
hat er selbst erzahlt, »v. K., der mir die Hand kiissen wollte, mufite mich halten,
so dafl ich nicht umsank. Von ihm gestiitzt, wankte ich ins Nebenzimmer . . . «
»Kleist, das werde ich nie vergessen«, hatte er geiuflert, als er den Hauptmann
zu sich heranrief.
Nach zeitweiliger Abkommandierung zur Leitung der Unteroffizierschule
in Potsdam trat er 1863 ^ s Major ins Regiment zuruck. In der Adjutantur
des Oberkommandos der verbiindeten Armee nahm er 1864 am Sturm auf
Duppel und am Obergang nach Alsen teil und erwarb sich den Roten Adlerorden
4. Klasse mit Schwertern.
Im April 1866 an die Spitze des 1. Bataillons seines Regiments gestellt,
fiihrte er diese Truppe nach Bohmen. Als im Morgengrauen des 14. Juni der
Konig jedem Bataillon ein Abschiedswort mitgab, reichte er dem Major v. K.
mit dem Ausdruck der Hoffnung die Hand, das Bataillon werde unter seiner
Fiihrung dem alten Namen des Regiments Ehre machen. Diese Erwartung
des obersten Kriegsherrn hat das Bataillon v. K. an den Ruhmestagen von
Soor-K&niginhof und Koniggratz glanzend erfUllt. Bei der Ersturmung von
Chlum, dem SchlUsselpunkte der osterreichischen Stellung, entwickelte Major
v. K., seinem Bataillon stets voran, eine Tapferkeit und Umsicht, der durch die
Verleihung des pour le mtrite die verdiente Anerkennung zuteil wurde.
Ende 1866 zum Oberstleutnant befordert, im nachsten Jahre zum Kom-
mandeur des Lehr-Infanterie- Bataillons ernannt, wurde er im Dezember 1866
mit dem Kommando iiber das grofiherzoglich mecklenburgische Grenadier -
Regiment Nr. 89 betraut. Der Aufgabe, das aus drei selbstandigen Bataillonen
gebildete Regiment zu einer Einheit zusammenzuschweiflen, war er vollauf ge-
wachsen. Sofort — so berichtet die Geschichte der 89 er — und in den weiteren
Ausbildungsabschnitten immer mehr wurde klar, dafl der neue Kommandeur
hohe, bisher weder gekannte noch erreichte Anforderungen stellte. Ebenso
klar wurde aber auch bald, dafl das Regiment einen Lehrmeister bekommen
hatte, den die vollkommene Beherrschung jedes Dienstzweiges, praktisches
Konnen und bestimmtes Auftreten befahigten, sein hochgestecktes Ziel zu
erreichen. Von groflem Wohlwollen gegenuber seinen Offizieren beseelt, griff er
doch auch, wenn es n6tig war, energisch ein. Den Mannschaften widmete er
unermudliche Fursorge. Off en and ehrenwert von Charakter, war er ein Vor-
gesetzter, der Vertrauen zu wecken und zu erhalten wuflte.
Das Band, das K. mit dem Regiment verknupfte, festigten die Feldzugs-
tage in den Gefilden Frankreichs. Anfanglich muflte das Regiment fast un-
tatig an der Ostseekuste verbleiben. Dann erlebte der Oberst — der war er
1869 geworden — im Verbande der 17. Division (v. Schimmelmann, dann
v. Tresckow) die Einschlieflungen von Metz, Toul und Paris, vor allem die
hartnackigen und strapazenreichen Kampfe an der Loire, von Dreux bis Le
Mans. Ebenso ruhig als entschieden und stets im richtigen Augenblick ver-
stand der Oberst einzugreifcn. In personlicher Unerschrockenheit leuchtete er
seiner Truppe voran; wiederholt, doch stets vergebens, wurde er gebeten, beim
Besichtigen von Vorposten oder im Gefecht, mehr an sich selbst zu denken.
Bei Dreux verlor er dicht hinter der Schutzenlinie des II. Bataillons sein bestes
Pferd. »Dabei«, erzahlt die Regimentsgeschichte, »war der Oberst v. K. von
groflter Anspruchslosigkeit fur seine Person. Eine Erholung war es oft fur ihn, im
kleinen Kameradenkreise am einfachen Konservenmittagessen mit Punsch
v. Kleist. v. Werder. 310
aus Liebesgabenzusendungen teilzunehmen; hier verstand der sonst so ernste
Mann eine gemiitliche, frohliche Tonart anzuschlagen, welche die Herzen nur
noch warmer fiir ihn schlagen liefl.« Es war ein besonderer Festtag fur das
Regiment, als sein Kommandeur sich mit der I. Klasse des Eisernen Kreuzes
schmiicken durfte.
Nach dem Feldzug erhielt K., 1873 zum Generalmajor befordert und fUr
kurze Zeit zu den Offizieren von der Armee versetzt, noch im gleichen Jahre die
41. Infanterie- Brigade in Mainz, 1880 als Generalleutnant die 1. Garde -Division,
im Juni 1885 das I. Armeekorps. Vier Jahre als kommandierender General
in Ostpreuflen tatig, stieg er 1886 zum General der Infanterie auf, im folgenden
Jahre zum Chef der 44 er, des Regiments Graf Donhoff. Voiles Vertrauen
verband das Korps mit seinem General.
Im Mai 1889 nahm er seinen Abschied, und noch mehr denn zwei Jahrzehnte
waren ihm im Ruhestande beschieden. — Als an den Hochbejahrten das Er-
suchen herantrat, fiir die Spalten dieses Jahrbuchs sich uber den ihm von Jugend
auf eng freundschaftlich verbundenen Kameraden vom 1. Garde-Regiment
Lothar v. Schweinitz, den nachmaligen General und Botschafter, zu auBern,
da hat er gern und gewissenhaft, wennschon mit zittriger Handschrift, seine
Erinnerungen dargeboten.
Im 87. Lebensjahre ist der alte Held entschlafen.
v. Glasenapp, Die Generate der deutschen Armee 1864 — 1874, Blatt 228. — Militar-
Wochenblatt 1909, Nr. 75. — Berliner Miiitar-Zeitung 191 1, Nr. 2 (Beilage 1). — Tagliche
Rundschau vom 1. Januar 191 1 (General Graf Pfeil). — Handschriftlicher Lebensabrift, vom
Oberleutnant im Infanterie- Regiment Nr. 44 v. Wussow verfaflt (1911) und durch den Sohn t
den Generalmajor, General a la suite und Kommandeur der 1. Garde- Infanterie- Brigade
Friedrich v. Kleist, zur Verfugung gestellt. — v. Kessel, Geschichte des 1. Garde- Regiments
z. F., Berlin 1881, S. 16 (vgl. Hohenzollern-Jahrbuch 1909, S. 74), 81 fL, 306. — Freiherr
v. Langermann und Erlencamp und v. Voigts-Rhetz, Geschichte des grofiherzoglich mecklen-
burgischen Grenadier- Regiments Nr. 89, Schwerin 1895, S. 225 ff., 433 **• — Brief e des Generals
Ewald v. Kleist an den Verfasser.
Koburg. Archivar Dr. K r i e g.
Werder, Franz Wilhelm Bernhard v. 1 ), koniglich preufiischer General der
Infanterie und Generaladjutant, * 27. Februar 1823 in Potsdam, f 19. Marz
1907 in Berlin. — Der Hohepunkt seines Soldatenlebens war die ruhmvolle
Fiihrung der Garde-Fiisiliere bei Soor und Koniggratz. Als Ganzes gewiirdigt,
gipfelte sein Dasein in dem ungewohnlichen Vertrauensverhaltnis zu drei russi-
schen Kaisern und in dem seinem Vaterland erspriefllichen Wirken, das sich
hieraus ergab. t)ber seine Petersburger Tatigkeit schweigen noch die Archive;
vieles mag nie einen schriftlichen Niederschlag gefunden haben noch im Ge-
sprach und in der Mitteilung uber seine Lippen gekommen sein.
Als Garde- Fusilier zog W. nach Bohmen aus. Aber das war nicht die Truppe,
in der er seine militarische Laufbahn begann. Gleich seinem Vater, dem General
Karl v. W., ging Bernhard aus dem 1. Garde -Regiment z. F. hervor. In dessen
Reihen hatte v. -W. -Vater, * 1788, bei GroOg^rschen die Feuertaufe empfangen;
zuletzt General der Infanterie und kommandierender General, Chef eines Regi-
ments und Ritter des Schwarzen Adlerordens, beschlofl er sein Leben 1869-
») Totenliste 1907, B& XII, 92*.
320 v - Werder.
Aus dem Kadettenkorps trat v.-W.-Sohn 1840 beim 1. Garde -Regiment
ein, verliefl es fur die Jahre 1854 bis 1857, wahrend deren er, seit 1855 als Haupt-
mann, die Adjutantengeschafte bei der 1. Garde- Inf an terie- Brigade versah,
und trat dann als Kompagniechef zum Regiment zuruck.
Als kurz vorher, Ende 1856, wegen der Neuenburger Frage ein Waffengang
mit der Schweiz in Aussicht gewesen war, hatte der damals im 29. Lebensjahre
stehende Prinz Friedrich Karl, dem fiir den Ernstfall eine Infanterie-Division
zugedacht war, seinem kommandierenden General Grafen v. d. Groeben die
Bitte vorgetragen, »die etatsmafiige 1. Adjutantenstelle der mobil zu machenden
Garde-Division dem Hauptmann v. W. des I. Garde-Regiments zu verleihen.*
»Werder«, hatte er geschrieben, »ist mein Jugendgefahrte, hat unter mir ge-
standen, als ich Kompagniechef war, und bei den ManOvern bei mir adjutan-
tiert, so auch vergangenen Sommer und Herbst. Ich halte grofle Stiicke auf ihn.«
Da jedoch wider Erwarten die Spannung beseitigt wurde, so war diese Ver-
wendung W.s nicht zustande gekommen.
Aus der Leitung der Schulabteilung, nachherigen Unteroffizierschule in
Potsdam heraus wurde W. im Oktober 1857, am Tage des 50. Dienstjubilaums
KOnig Friedrich Wilhelms IV., zu dessen Person kommandiert. Es war gleich-
zeitig Stiftungsfest des 1. Garde-Regiments. Kaiser Alexander II. von Rufiland,
dem W. nachmals so nahe treten sollte, weilte auf der Riickkehr von Stuttgart
nach Petersburg einige Tage zum Besuch in Sanssouci, und K6nig Friedrich
Wilhelm zeigte frohe, aufgeraumte Stimmung. Aber am Tage nach W.s Kom-
mandierung kam seine Krankheit zu ihrem ersten Ausbruch. Seit 1858 Fltigel-
adjutant und 1859 zum Major befordert, hatte W. sich in jene Rolle hineinzu-
finden, die sein Kamerad in der Adjutantur, Prinz Kraft zu Hohenlohe, dahin
zusammenfaflte, dem jeweilig diensttuenden Adjutanten habe es obgelegen,
»Wachter, Hiiter, Leiter und zugleich Dolmetsch« des Konigs zu sein. Er ver-
brachte auf solche anstrengende Art die schweren nachsten Jahre in der un-
mittelbaren Umgebung, oft auch im Reisegefolge des immer krankeren Monar-
ches Er erlebte mit Hohenlohe und andern, der trotz aller Bitternis wunderbar
aufrechten Konigin zur Seite, die »ergreifende, erschtitternde und doch wieder
erhebende« Nacht, in der das Leben des kOniglichen Dulders erlosch.
Von Konig Wilhelm als Flugeladjutant ubernommen, von Oktober 1 861
ab Fuhrer des Garde- Jager-Bataillons und seit 1863 Oberstleutnant, erhielt W.
im Mai 1866 die Garde -Fiisiliere. Und diese flihrte er, im Juni zum Obersten
ernannt, in verwegenem Vorgehen, bei den Sturmangriffen von Soor ebenso
an der Spitze wie bei denen von Chlum, zum Siege. Der pour le mfrite brachte
die verdiente Anerkennung.
Die idealen Seiten des Kriegshandwerks standen fiir ihn, obwohl er spater
noch soviel grOfleres Elend im russisch-tiirkischen Kriege schaute, stets im
Vordergrund. Eine Anschauung, wie sie sein Brigadekommandeur Konstantin
Alvensleben 1866 ihm gegeniiber aufierte — man begrub die Gefallenen am Tage
nach Soor, und Alvensleben meinte: »Der Krieg ist doch ein schlechtes Dingk —
eine solche Anschauung war ihm unverstandlich und wurde, als er dem Ver-
fasser dieses Lebensiiberblickes sein Wissen iiber seinen Vetter Alvensleben
erschlofl, unter KopfschQtteln wiedererzahlt.
Der entscheidende Wendepunkt in der Weiterentwicklung seiner Geschicke
trat im November 1869 ein: KOnig Wilhelm ernannte den Obersten und Flugel-
v. Werder. 32 1
adjutanten v. \V. zum Militarbevollmachtigten am kaiserlich rus^ischen Hofe.
Zar Alexander II. hatte schon seinen Vater kennen gelernt, als dieser bei der
polnischen Erhebung von 1863 vier Korps an der Grenze unter seinem Ober-
befehl vereinigte; er empfing den Sohn auf das Freundlichste. Als der russische
Kaiser in demselben Jahre 1869 beim hundertjahrigen Stiftungsfeste des Georgs-
Ordens dem Konig von Preuflen die I. Klasse dieses Ordens verlieh und ihn tele-
graphisch hiervon benachrichtigte, fugte er die Mitteilung hinzu, er habe die
4. Klasse dem Flugeladjutanten v. W. gegeben. Aufler einigen Mitgliedern des
preuflischen Konigshauses und einer Anzahl Veteranen aus den Befreiungs-
kriegen besafi diesen Orden damals kein Offizier der preuflischen Armee.
Es kam der grofle Krieg gegen Frankreich und mit ihm im Juli 1870 W.s
Beforderung zum Generalmajor und General a la suite Seiner Majestat. Der
eifrige Feldsoldat und bewahrte Flihrer von 1866 mufite hier freilich, von Haus
aus in der Petersburger Stellung belassen, mit der untatigen Rolle eines zeit-
weiligen Zuschauers im grofien Hauptquartier vorlieb nehmen — wahrend
August v. W., sein Vetter im dritten Grade, sich vor Straflburg und an der
Lisaine mit Ruhm bedeckte. Augusts, des nachherigen Grafen, Groflmutter und
Bernhards Groflvater waren Geschwister gewesen; hierdurch bestand zwischen
den beiderseitigen Enkeln nahere Verwandtschaft, als dies sonst der Fall gewesen
ware, da sie im librigen verschiedenen, ziemlich weit auseinander gehenden
Linien angehorten. Wie mag General Bernhard v. W. die kriegerische Be-
tatigung herbeigesehnt haben, als ihm am 9. Oktober Konig Wilhelm uber seine
herzzerreiflenden und doch erhebenden Eindrucke beim Zusammentreffen mit
dem III. Korps am Tage nach Vionville schrieb und dabei besonders des Generals
v. Alvensleben gedachte, der sich am 16. August in einem achtstundigen Allein-
kampfe gegen fast die ganze Bazaine-Armee geradezu geopfert habe! Im
nachsten Monat erwahnt »Buschchen« den General v. W. f »einen langen Herrn
mit dunklem Schnurrbart«, als Bismarcks Tischgast in Versailles, mit dem sich
der Bundeskanzler iiber die Verstandigung mit Bayern, uber die Bombarde-
mentsfrage, iiber teure Lebensverhaltnisse in Petersburg angeregt unterhielt.
Das Eiserne Kreuz 2. Klasse begleitete W. nach Ruflland zuruck.
Beinahe 17 Jahre hindurch versah Bernhard v. W., 1875 zum General -
leutnant, 1884 zum General der Infanterie befordert und dazwischen 1876
zum Generaladjutanten ernannt, die Stellung des der Person des Zaren beige-
gebenen Militarbevollmachtigten, wobei es ihm gelang, namentlich zu Zar
Alexander II. ein aufiergew5hnliches Verhaltnis herzustellen und auch inmitten
ernster Schwankungen der deutsch-russischen Beziehungen aufrechtzuerhalten.
Dafl er sich die Zuneigung des Kaisers, aber auch die der ubrigen Mitglieder des
russischen Herrscherhauses und der ihm verwandten Fiirstlichkeiten zu er-
werben wufite, dafl er bei den Hofwurdentragern, bei den BehOrden, beim Of-
fizierkorps und in der ganzen Gesellschaft sich aufrichtiger Hochachtung und
Freundschaft erfreute, entsprang nicht allein seinen gewandten Umgangsformen,
seinem weltmannischen Gehaben; die tiefere Begrundung lag in seinem riickhalt-
losen Freimut. Da er immer seine Meinung sagte, unbekummert darum,
ob sie gefiel oder nicht, so wuflte jedermann in Ruflland, dafl von ihm Intriguen
oder Obergriffe nicht zu besorgen waren. So hat er oft zur Ausgleichung von
Meinungsverschiedenheiten und Beseitigung von Schwierigkeiten beigetragen,
was einer mehr diplomatisch angelegten Natur vielleicht weniger gut gelungen
Biogj. Jahrbuch u. Deutschcr Nckrolog-. j6. Bd.J 21
322
v. Werder.
ware, und obwohl er bei Hofe drei Generationen an sich voriibergehen sah f so
haben doch die Sympathien, die man ihm entgegenbrachte, alle Wechsel uber-
dauert. Alexander II. gewohnte sich bald derart an ihn, dafi er ihn zu alien
seinen Reisen mitnahm und ihn ungern fur langere Zeit vermifite. Bei mili-
tarischen Obungen, Paraden und Festlichkeiten pflegte W. im Gefolge des
Kaisers zugegen zu sein, und des Abends liebte es Zar Alexander, den General
zum Whist hinzuzuziehen. Er verkehrte mit ihm stets in deutscher Sprache und
gab sich vollkommen wie ein preufiischer Offizier. Zuletzt stellten Vorfalle pein-
licher Art die beiderseitige Freundschaft auf eine harte Probe. In den Zeiten,
in denen Alexander II. ohne Rucksicht auf seine Gemahlin vertraute Bezichun-
gen zu ihrer Hofdame Fiirstin Dolgoruki unterhielt, stellte sich \V. entschieden
auf die Seite der in ihrer Frauenehre bitter gekrankten Kaiserin, und als der
Kaiser wenige Wochen nach deren Tode jene Dame heitatete, trat W. der nun-
mehrigen Fiirstin Jurjewska im Gedenken an die verewigte Kaiserin in scharf
abweisender Form gegenuber, mitunter in Gegenwart ihres kaiserlichen Gatten,
der zwar tief davon beriihrt wurde, es aber den General nicht empfinden liefi.
Cberhaupt konnte W., bei allem aufrichtigen Fiihlen fvir Rufiland und russische
Personlichkeiten, riicksichtslos offen sein. Der Schwachen des russischen Reiches
und der russischen Gesellschaft war er sich sehr wohl bewufit und von einer
kritiklosen Uberschatzung der russischen Armee weit entfernt. Auch dachte
er nicht daran, seiner Stellung als preufiischer General oder seinem deutschen
Patriotismus irgend etwas zu vergeben. Als er einmal mit einem fruheren
preufiischen, dann in russischen Diensten stehenden Offizier ein Schlachten-
panorama besuchte, trat General Skobelew ein, der gerade Hetzreden gegen
Deutschland gehalten hatte. Er kam auf beide zu, reichte W.s Begleiter die
Hand, fand aber keine Moglichkeit, diesen selbst zu begriifien, da W. beharrlich
ihm den Rucken zukehrte und mit grofier Aufmerksamkeit eine Schlachten-
szene besah.
Vorgange von grofier politischer Tragweite zogen W. voriibergehend in
Verhaltnisse hinein, die dem Leiter der deutschen Politik erheblich nahe gingen.
Was mit der Stellung eines preufiischen Militarbevollmachtigten am russischen
Hofe zusammenhing, war Bismarck nicht immer angenehm. Seit den Zeiten
Friedrich Wilhelms III. und Alexanders I. berichteten die Militarbevollmach-
tigten in Petersburg nicht, wie andere, durch das Auswartige Amt, sondern
unmittelbar in eigenhandigen Briefen an den Konig. Eine AbSnderung dieser
alten Gewohnheit konnte Bismarck, so unbequem sie ihm nach seinem Gestand-
nis auch war, nie erlangen. Der Militarbevollmachtigte meldete, wie Bismarck
erzahlt, in solchen Briefen »alles, was der russische Kaiser Uber Politik in dem
gewohnheitsmafiigen vertraulichen Verkehr am Hofe mit ihm gesprochen hatte,
und das war nicht selten viel mehr, als Gortschakow mit dem Botschafter
sprach. . . . Die diplomatischen Verhandlungen zwischen beiden Kabinetten
haben ihren Schwerpunkt ... 6ft und lange mehr in den Berichten des Militar-
bevollmachtigten als in denen der amtlich akkreditierten Gesandten gefunden«.
Zwar versaumte Kaiser Wilhelm niemals, seine Korrespondenz mit W. dem
Kanzler mitzuteilen; doch vollzog sich die nachtragliche Obermittlung des
Inhalts solcher Immediatbriefe »oft zu spat«. Ganz auflerhalb aller Gewohn-
heiten aber lag es, dafi im Herbst 1876 der Reichskanzler ein chiffriertes Tele-
gramm W.s aus Livadia erhielt, worin dieser im Auftrage des Kaisers Alexander
v. Werder.
323
cine Aufierung dariiber verlangte, ob Deutschland neutral bleiben wurde, wenn
Rufiland mit Osterreich in Krieg geriete. Nach Bismarcks Oberzeugung ver-
steckten sich hinter dieser Anfrage die Bestrebungen Gortschakows, die guten
Beziehungen des Deutschen Reiches zu Kaiser Alexander und besonders des
Reichskanzlers personlich vortreffliches Verhaltnis zu ihm zu triiben. Aus-
weichende Riickaufierungen hatten wiederholte neue Befragungen durch W.sche
Telegramme zur Folge. Bismarck bat seinen kaiserlichen Herrn, den General
v. W., der in Livadia »diplomatisch gemifibraucht werde, ohne sich dessen er-
wehren zu konnen«, telegraphisch zu sich zu berufen und ihm die Obernahme
von politischen Auftragen zu untersagen; dergleichen gehore dem russischen,
aber nicht dem deutschen Dienste an. Kaiser Wilhelm ging auf diesen Wunsch
nicht ein, und da Kaiser Alexander endlich eine Aussprache unter Beteiligung
der russischen Botschaft verlangte, so blieb nichts iibrig als auf die bisherige
Zuriickhaltung zu verzichten; Bismarck liefi durch den Botschafter v. Schweinitz
nach Livadia eine Antwort uberbringen, die gleichbedeutend mit einer Ab-
lehnung des Versprechens der Neutralitat im Fall ernes russisch-osterreichischen
Krieges war — worauf »das russische Gewitter von Ostgalizien sich nach dem
Balkan hin verzog« und Rufiland sich vielmehr die Neutralitat Osterreichs bei
einem Kriege mit den Turken sicherte.
In diesen Krieg von 1877/78 folgte der Militarbevollmachtigte seinem kaiser-
lichen Freunde. Nach den Mifierfolgen bei Plewna rifi allgemeine Kriegsmiidig-
keit ein. Nur W. liefi sich hiervon nicht erfassen; fur ihn schien das, was die
russischen Offiziere als beschwerlich empfanden, nicht vorhanden zu sein. Ein
kaiserlicher Fliigeladjutant hat erzahlt, W. habe dem ganzen Hauptquartier
ein Beispiel gegeben; wenn andere den Kriegssitten nachgaben und sich im
Anzug, Benehmen oder sonst gehen liefien, so habe ein Blick W.s genugt, sie
zurechtzuweisen.
Es kamen die schweren Zeiten nach dem Berliner Kongrefi, in denen das
deutschfreundliche Auftreten des Zaren nahe daran war, sich ins Gegenteil zu
wandeln. Es kam das nihilistische Attentat von 1881, dem Alexander II. zum
Opfer fiel; als der Kaiser besinnungslos in sein Palais getragen wurde, kuflte W.
dem Sterbenden zum letzten Male die Hand.
Auch der sonst so wenig zugangliche und von Haus aus gar nicht deutsch-
freundliche Zar Alexander III. widmete dem General sein uneingeschranktes
Vertrauen und bewahrte es trotz zunehmender Verschlechterung seiner person -
lichen Stellungnahme gegenuber dem Nachbarreich. W.s Haltung in der fur
den damaligen Grofifursten-Thronfolger uberaus schmerzlichen Dolgoruki-
Angelegenheit hatte dieses Zutrauen vertieft. Und im ubrigen stand W. jeder-
zeit vollig aufierhalb der Storungen im Einvernehmen beider Lander.
Im August 1886 verliefl Generaladjutant v. W. den Newastrand, um Gouver-
neur von Berlin zu werden; im September 1888 wurde er, unter Stellung d la
suite des Garde-Fusilier-Regiments, zur Disposition gestellt.
Noch einmal rief die vaterlandische Pflicht den nunmehr fast Siebzig-
jahrigen nach Petersburg zuriick. Ende 1892 verliefi General v. Schweinitz,
der wie sein Regimentskamerad W. Soldaten- und Diplomatentum in seiner
Laufbahn miteinander vereinigt hatte, als Militarbevollmachtigter W.s Vor-
ganger, als Botschafter sein Mitarbeiter war, den russischen Posten. Alsbald
wunschte Alexander III. W., an dem er die seiner eigenen Natur entsprechende
21*
324
v. Werder.
Zuverlassigkeit und Geradheit schatzte, als Nachfolger. W. selbst hat sich
zu dem Botschafterposten nichts weniger als gedrangt; nach dem Zeugnis eines
Wissenden lag es ihm durchaus fern, eine politische Rolle spielen zu wollen.
Auch scheinen Gegenstromungen sich bemerkbar gemacht zu haben. Die
Feder des dritten Reichskanzlers hat verzeichnet, Schweinitz habe um den
Wunsch des Zaren gewufit, aber einen andern empfohlen, angeblich weil er nicht
wollte, dafi sein Nachfolger eine bessere Stellung bei Hofe habe als er. Sei dem f
wie es wolle, das Begehren Alexanders III. drang durch, und von 1892 bis 1895
hat Botschafter v. W. seines neuen und schwierigen Amtes gewaltet.
Als Alexander III. 1894 das Zeitliche gesegnet hatte, ubertrug Zar Nikolaus II.
die Gesinnung seines Vaters und Groflvaters auf den diplomatischen Ver-
treter des Deutschen Reiches. Aber schon in den Anfangen seiner Regierungszeit
trat der Botschafter zuruck. In der russischen Gesellschaft, in der W. so beliebt
war, wurde die Abberufung von vielen wie eine Art Krankung empfunden.
Wie zu den Zeiten des alten Kaisers, so entzieht sich auch unter Wilhelm II.
W.s schaffendes und vermittelndes Verdienst im einzelnen fast ganz unserer
Kenntnis. Seinen Anteil an der Besserung der Beziehungen zum danischen
Kdnigshause, an der Riickgabe des Welfenfonds hat er selbst zugegeben. Auch
im endgultigen Ruhestande ging er noch wiederholt in auflerordentlicher
Sendung nach Ruflland, um Verstimmungen zu begegnen. Fiir die Berliner
Regierung bedeutete er lange Jahre das einzige Zwischenglied, mit dessen Hilfe
es moglich war, abgerissene Faden nach Petersburg hin wieder anzuspinnen.
Der Schwarze Adlerorden und der Andreas-Orden waren ihm als hochste
Auszeichnungen zuteil geworden. Nach dem Ableben des Feldmarschalls
Blumenthal wurde er 1901 noch Chef des reitenden Feldjagerkorps.
Als Hagestolz war er durchs Leben gegangen. Auch am Greis durfte, wer
seine auffallend einfach eingerichtete Berliner Wohnung betrat, die fast jugend-
liche Riistigkeit bewundern, die der hohen, schlanken Erscheinung mit dem
soldatischen Charakterkopf und dem weiflen, buschigen Schnurrbart eigen war,
das liebenswiirdig-vornehme Auftreten, die Gabe lebhafter, scharf charakteri-
sierender und aus dem Born uberreicher Erinnerungen schopfender Unter -
haltung. Denkwurdigkeiten hat er nicht hinterlassen; er sprach ich selbst
gelegentlich dahin aus, niemals werde von ihm etwas an die Offentlichkeit
kommen, was irgendwie als Vertrauensbruch ausgelegt werden konnte.
Vorzugsweise der Fiirsorge fiir andere gait die letzte Lebenszeit. Zumal
dem »Kaiser-Wilhelm-Dank« widmete er zehn Jahre als 1. Vorsitzender seine
Kraft. »Am liebsten«, heifit es in einem Nachruf, »weilte er bis zuletzt bei seinem
ehemaligen Regiment, mit dem ihn so ruhmliche Erinnerungen verbanden, und
wenn seine bis zuletzt ungebeugte Gestalt eintrat, war die Freude »allgemein.«
Im kaum begonnenen 85. Lebensjahre wurde Bernhard v. W. an einem
Marztage 1907 abgerufen. Des Kaisers Majestat schritt hinter seinem Sarge.
v. Glasenapp, Die Generate der deutschen Armee 1864 — 1874, Blatt 145. — IUustrierte
Zeitung vom 18. September 1886, vom 7. Januar 1893, v ° m 28. Mftrz 1907. — Berliner Lokal-
anzeiger vom 26. Februar 1903, M.-A. (Dr. G., Beim General v. Werder). — Milit&r-Wochenblatt
1907, Nr. 40 (v. Bremen). — T&gliche Rundschau vom 20. M&rz 1907, M.-A. (Graf Pfeil,
Generaladjutant v. Werder am russischen Hofe). — Foerster, Prinz Friedrich Karl von Preuflen,
Denkwiirdigkeiten aus seinem Leben, Stuttgart und Leipzig 1910, 1. Bd. f S. 153. — Prinz
Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben, 2. Bd. f Berlin 1905, S. 95, 231/232. —
VVerder. v. Hartrott.
325
v. d. Mtllbe, Das Garde- Ftisilier- Regiment, 2. (fortgefuhrte und neu bearbeitete) Auflage,
Berlin 1901, S. 93 fT. — Louis Schneider, Aus dem Leben Kaiser Wilhelms, 2. Bd., Berlin
1888, S. 87/88. — Heft 19 der Generate tabs- Einzelschrif ten : Konig Wilhelm auf seinem Kriegs-
zuge in Frankreich 1870 von Mainz bis Sedan, Berlin 1897, S. 33. — Moritz Busch, Tagebuch-
bl&tter, Leipzig 1899, 1. Bd., S. 414 ff. — FUrst v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen,
Stuttgart 1898, 2. Bd., S. 21 1 ff., 232. — Denkwiirdigkeiten des FQrsten Chlodwig zu Hohenlohe-
Schillingsftirst, Stuttgart und Leipzig 1907, 2. Bd., S. 494. — Mitteilungen aus dem Kreise
ehemaliger deutscher Diplomaten und preufiischer Milit&rattaches in Petersburg, unter andern
des Reichskanzlers a. D. Fiirsten v. Billow und des Staatsministers z. D. Freiherrn v. Thiel-
mann; perstmliche Erinnerungen des Verfassers.
Koburg. Archivar Dr. K r i e g.
Hartrott, Ludwlg Eugen v. «), koniglich preufiischer General der Kavallerie,
* 21. Februar 1829 in Aschersleben, Provinz Sachsen, f 24. Marz 1910 in Ballen-
stedt am Harz. — Ludwig v. H. beansprucht eine besondere Beachtung wegen
seiner Zusammengehorigkeit mit Albrecht v. Roon, dem er in ruhmvollen
Zeiten Adjutant, Kabinettschef und Heifer gewesen ist. Nicht als hatte H,
ein hervorstechendes Mafi von Geistesgaben oder selbstandigen Leistungen auf -
zuweisen gehabt. Auch hatte er bei seinem etwas schuchternen und vor allem
uberbescheidenen Wesen es nie gewagt, gegenuber Roon ungefragt auch nur zu
reden, geschweige denn eigene Ansichten oder Vorschlage zu aufiern. Aber
kaum ubertreffbar waren die Arbeitsamkeit und Sorgfalt, mit der er alle Auf-
trage nach den gegebenen Weisungen ausftihrte; sein ganzes Interesse gait dem
Dienste; durch seine Punktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit
hat er dem Kriegsminister die wesentlichsten und nutzlichsten Dienste geleistet,
wie auch dieser sich auf die selbstlose Treue und Hingebung seines H. unbe-
dingt verlassen konnte. Roons »langjahrigsten, sehr treuen, unermtidlich tatigen
und umsichtigen Gehilfen bei den Arbeiten des Kriegsministeriums« nennt ihn
der alteste Sohn des Feldmarschalls in den Denkwiirdigkeiten aus dem Leben
seines Vaters.
Die trefflichen Dienste dieses Untergebenen hat Roon jederzeit aufs
warmste anerkannt. Aber auch ihm »pers6nlich« hat H., so berichtet der
Herausgeber der »Denkwiirdigkeiten«, »sehr nahe gestanden«. Roon liebte
den edlen, guten Menschen in ihm vaterlich, und seine Sohne hingen an H. wie
an einem alteren Bruder. Beiderlei Wertschatzung, die dienstliche wie die
allgemein menschliche, klingt aus so mancher der an H. gerichteten Zuschriften
heraus, die in jener kostbaren Sammlung von Briefen, Schriftstlicken und Er-
innerungen mitenthalten sind. ». . . herzlichsten und warmsten Dank, mein
lieber und getreuer Freund, fur alles! — «, heifit es einmal am Schlufi einer
Antwort des in Lugano weilenden Kriegsministers auf H.sche dienstliche und
hausliche Berichte von 1867. Ein halbes Jahr spater denkt der Leidende von
Bordighera aus uber seinem »Nichtstun«, wie er sich gegenuber H. ausdriickt f
mit Beschamung an die »Wurdigen, welche mit preufiischer Energie daheim an
dem Staatswagen ziehen: an Bismarck und Podbielski, Sie und meine iibrigen
fleifiigen Freunde, die mir jahrelang so getreulich und erfolgreich geholfen
haben«. An eine Empfehlung des »treuen H.«, die er in einem Feldzugsbriefe
von 1870 der Gattin ausrichtet, kniipft er die Worte: ». . . und wer verdiente
TotenUste 1910, BdL XV, 34*.
326
v. Hartrott.
mehr als er empfohlen zu werden ? «. Im weiteren Verlauf des Krieges schreibt
er nach Hause von der riihrenden Sorgfalt, mit der namentlich H. sich seiner an-
nehme: »Kaum eine zSrtliche Frau kOnnte mehr fiir ihren Mann tun.« Weh-
miitig lafit er im Ruhestande 1875 verlauten: »Ich sShe Sie gern wieder, Sie
alter lieber treuer Gefahrte auf so vielen gemeinschaftlich zuriickgelegten
Dornen- und Freudenpfaden!« Und ein Jahr darauf versichert er: »Sie wissen,
lieber und erprobter Freund, dafi ich namentlich Ihrer Hingebung und An-
hanglichkeit die wohlverdiente Anerkennung nimmer versagen kann und dafl
ich mich jeder Gelegenheit freue, die mich veranlaflt, dies immer zu wieder-
holen.«
Diese Ausziige aus dem Roonschen Gedenkbuch, denen sich unten noch eine
weitere Brief stelle anreihen wird, greifen dem voraus, was hier iiber den Lebens-
gang Ludwig v. H.s mitgeteilt werden soil.
Als General Roon im Juni i860 den damaligen Rittmeister H. ins Kriegs-
ministerium rief, bekleidete dieser die Stellung eines Adjutanten der 1. Ka-
vallerie- Brigade in Konigsberg. Sohn eines Bergwerksbesitzers, war er ur-
sprunglich, 1848/49, Einjahrig-Freiwilliger bei den 10. Husaren gewesen.
Energisches und selbsttatiges Auftreten bei Unruhen in Bernburg (1849) —
H. war zuf allig auf Urlaub anwesend und zog rechtzeitig seine Schwadron heran —
half dazu, die Ordnung wiederherzustellen, und die ihm zuteilgewordene
Anerkennung wirkte bestimmend mit bei seinem Entschlufi, auf Beforderung
weiterzudienen. 1850 trat er als Leutnant bei dem 27. Infanterie- Regiment
ein und wurde ein Jahr darauf zu den 8. Ulanen versetzt, bei denen er von 1853
bis 1858 Dienst tat: des weiteren, wie gesagt, Brigadeadjutant, trat er dem
Chef des I. Armeekorps, Obersten Konstantin v. Alvensleben, dem nach-
maligen Fiihrer der Brandenburger im Deutsch-Franzosischen Kriege, dadurch
naher, dafi er sein Tischnachbar im Hotel sein konnte. Der Empfehlung dieses
von ihm hochverehrten Offiziers, der zur selben Zeit ins Kriegsministerium
iiberging, hatte er, nach seinem eigenen Bekenntnis, die Berufung nach Berlin
zu verdanken.
Im Kriegsministerium, dem H. ununterbrochen 25 Jahre angehorte, wurde
er furs erste als Dezernent der Zentral- und Remonteabteilung zugeteilt, trat
aber im Oktober des namlichen Jahres i860, unter Beibehaltung dieser Ob-
liegenheiten und unter Stellung d la suite des I. Garde-Ulanen-Regiments, als
Adjutant an die Seite Roons. Diese Adjutantur versah er bis 1869, jahrelang
allein; erst 1865 erhielt der Minister einen zweiten Adjutanten. Neben den Ad-
jutanturgeschaften 1867 mit der Leitung der Zentralabteilung beauftragt,
behielt er 1869, bei der Entbindung von der Adjutantur, diesen Auftrag bei
und nickte im Juli 1870 endgiiltig zum Chef auf.
Welch eine gewaltige Arbeitslast ruhte in dieser Werdezeit des neuen
Deutschen Reiches auf den Schultern Roons! H. hat sie nach Kraften mit
getragen. Den Abschlufl der Heereserneuerung nebst den langwierigen Kampfen
mit der Volksvertretung, die Schaffung des Norddeutschen Bundes und des
Deutschen Kaisertums mit den Anforderungen, die fiir das Kriegsministerium
daraus entsprangen, die Feldziige von 1864, J 866 und 1870/71, das hat er in
enger Arbeitsgemeinschaft mit Roon erlebt.
Das Vertrauensverhaltnis zu Roon bahnte sich nicht zuletzt dariiber an,
dafl der Kriegsminister in der Konfliktszeit mit Unwillen wahrnahm, wie seine
v. Hartrott.
327
Erklarungen in der Landtagskommission durch die Presse haufig falsch wieder-
gegeben wurden, dafl er daher eines zuverlassigen Mannes bedurfte, der die
Aufierungen durch Kurzschrift festlegen konnte — wozu er seinen steten Be-
gleiter H. sich erkor. Seit 1866 Major, wurde H. 1870 Oberstleutnant und be-
gleitete den Kriegsminister als Chef seines mobilen Stabes ins Feld. In Friedens-
zeiten liefen alle Faden des Kriegsministeriums bei der von H. geleiteten Zentral-
abteilung zusammen. Daneben hatte deren Chef die gesamten Personalange-
legenheiten dieses Ministeriums, auch die der ganzen preuflischen Armee-
intendantur, zu bearbeiten. Alle Eingange sah der Chef durch und verteilte
sie an die Departements und Abteilungen; alle im Hause gefertigten Arbeiten,
die eine Kenntnisnahme oder Genehmigung durch den Minister erforderten,
unterzog zunachst H. seiner Priifung. Solchen Anforderungen konnte am
gewohnten, mehr als zehnstundigen Arbeitstage nur die angespannteste T&tig-
keit genugen. Jahrelange Obung befahigte H. auch als Chef des mobilen
Stabes, einen erheblichen Teil der Geschafte seiner Abteilung im Gang zu er-
halten. Im Felde waren allerdings seine Aufgaben insofern mehr eingeschrankt,
als dem mobilen Kriegsminister die Berliner BehOrde zur Seite stand. Nur die
grundsatzlichen Fragen, fur die der Minister verantwortlich blieb, und die An-
gelegenheiten, die sich auf das mobile Heer bezogen, gelangten in das Haupt-
quartier, und zu ihrer Erledigung standen H. drei mobile Offiziere zur Ver-
fugung. Er leitete die Geschafte in dem Sinne, dafl sein Chef moglichst ent-
lastet wurde. Wie ein Sohn dem Vater suchte er dem alten Herrn die Schwierig-
keiten zu erleichtern, erhielt ihm aber den Uberblick und hiitete ihn korperlich.
Unermudlich im Arbeiten, wie in Berlin, geleitete er den Minister stets auf
den Marschen zu Wagen, im Gefecht zu Pferde, und als Roon in Versailles schwer
erkrankte, iibernahm er seine Pflege. Nicht zum wenigsten hielt er die Ver-
bindung mit der Umgebung Bismarcks (Keudell, Bismarck- Bohlen) und Moltkes
(Verdy, Bronsart), immer darauf bedacht, dafl Miflverstandnisse rechtzeitig
beseitigt wurden. Beide Eiserne Kreuze brachte Oberstleutnant H. aus Frank-
reich heim; zum Berliner Einzugstage erwirkte ihm Roon den erblichen Adel.
t)ber Roons Amtszeit hinaus blieb v. H., 1872 zum Obersten befordert,
Abteilungschef, bis er 1876 das Militar-Okonomiedepartement, das heutige
Armee-Verwaltungsdepartement, iibernahm. Als er 1877 die Ernennung zum
Generalmajor erhielt schrieb ihm der greise Feldmarschall Roon, aus dem
Inhalt der letzten Beforderungsliste habe ihn nichts so sehr erfreut als die
Namen des jtingsten Generals und des jungsten Obersten (seines altesten
Sohnes) — »Ich dachte alter Zeiten, wie ich Sie mir von Konigsberg geholt und
'wie Sie dann, in Ihrer Tuchtigkeit, Gesinnungstreue und Anhanglichkeit fiir
mich erkannt, von Stufe zu Stufe aufsteigend, Ihre tiichtige Kraft, Ihre un-
ermudliche Wirksamkeit in immer hoheren und wichtigeren Kreisen geltend
zu machen wufiten. Ich sagte mir, dafl ich ohne Ihre treue, immer unver-
drossene Untersttitzung nimmer zu Leistungen gelangt ware, die man befriedi-
gend nennen konnte und nennen muflte; dafl ich mehr als dies, auch Ihre herz-
lichen Sympathien und einen Freund an Ihnen gewonnen hatte. Ihnen dies aus-
zudriicken — was ein Telegramm nicht vermochte — habe ich bisher unterlassen,
weil ich, der Miiflige, Ihnen, dem Vielbeschaftigten, nicht die Unbequemlichkeit
einer Antwort auferlegen wollte , . . «
Nach dem Kriegsminister Kameke war General H. noch unter Bronsart I
328
v. Hartrott.
aktiv, nahm aber, seit 1882 Generalleutnant, 1885 seinen Abschied. Kurz vor
dem Rucktritt beging er, wenn auch fern von Berlin, die Feier seiner 25 jahrigen
Zugehorigkeit zum Kriegsministerium. In seinem Gluckwunschschreiben
brachte General v. Bronsart die Anschauung zum Aus'Jruck: »Jeder von uns
vielen, denen es vergonnt war, als Untergebener, Gleichgestellter oder Vor-
gesetzter mit Ihnen gemeinsam zu wirken, wird die angenehme Erinnerung
bewahren, dafi selten Pflichttreue, Diensterfahrung und Wohlwollen sich in
e i n e m Manne so voll vereinigt fanden, als wir es im dienstlichen und aufler-
dienstlichen Verkehr mit Ihnen stets empfunJen haben.« Das Kriegsmini-
sterium schenkte ihm die Biiste des »ehrwiirdigen Herrschers, unter dessen tat-
sachlichem Regiments, schrieb Bronsart weiter, »Sie 25 Jahre in der groOen
Heeresschmiede wacker gearbeitet haben. . . . Etwas Besseres wuBten wir nicht
zu finden.« Nicht lange vor der Verabschiedung hatte ihm sein Konig durch
die Ernennung zum Mitglied des Staatsrats eine fiir einen Offizier seltene Aus-
zeichnung widerfahren lassen. Bei der Genehmigung des Abschiedsgesuches
wunschte der oberste Kxiegsherr die »warme Anerkennun?« der »treuen Dienste«
H.s in Erinnerung an seine »langjahrige (eigenhandiger Zusatz: 25 jahrige)
ehrenvolle und erfolgreiche Tatigkeit im Kriegsministerium, im Kriege und im
Frieden«, noch besonders dadurch zu betatigen, dafi er ihm den Roten Adler-
orden 1. Klasse mit Eichenlaub verlieh. Bei Wilhelm I. war H. von jeher per-
sonlicher Wertschatzung begegnet; seine unubertreffliche Pflichttreue hatte in
dem Herzen des Monarchen lebhaften Widerhall gefunden.
Im Ruhestande lebte H. anfanglich in Frankfurt a. O., darauf in Ballen-
stedt, ganz still und verborgen. Die Enthiillung des Roon-Denkmals in Gorlitz —
1895 — sa h ihn noch, aber zur gleichen Feier 1904 nach Berlin zu gehen, ver-
mochte er sich nicht mehr zu entschliefien. Gelegentlich des hundertjahrigen
Geburtstages Kaiser Wilhelms I. war ihm noch der Charakter als General der
Kavallerie zuteil geworden.
Mit der Gattin, die er 1863 gewonnen und die ihm einen Sohn und zwei
Tochter geschenkt hatte, lebte er in innigem Einvernehmen. Jene Treue, die
den Kern seiner Eigenschaften bildete und die in ihm gegeniiber Gott, Konig
und Vaterland lebendig war, auflerte er in vollendeter Weise auch im Umkreis
seiner Familie. »Wie waret Ihr sein ganzes Gluck!«, durfte nachmals der
Geistliche an seinem Sarge ausrufen. »Vor allem«, hat dieser Kenner seiner Art
hinzugefiigt, »die nachgeborene Generation. Wie bist du, Friedel, des Grofi-
vaters Sonnenschein gewesen! Wie hellte sich sein Auge auf, das doch oft genug
so trube blicken konnte, da er die Welt und ihre Wege oft so schwer nahm,
wenn er von dir erzahlte, der Kleinsten, der Jungsten!« —
Auf religioser Grundlage baute sich sein Dasein auf. »Mit Gott fang an,
mit Gott hor auf, das ist der beste Lebenslauf !«, hat er einmal als Denkspruch
niedergeschrieben. Im 82. Jahre eines nach solcher Richtschnur hingebrachten
Lebens ist er heimgegangen.
Militar-Wochenblatt 1910, Nr. 42 (General v. Blume). — Berliner Militftr-Zeitung 1910,
Nr. 15. — v. Loebells Jahresberichte Ober das Heer- und Kriegswesen, 37. Jahrg. (1910),
S. 444. — Handbuch fur Heer und Flotte (v. Altens Enzyklopadie der Kriegswissenschaften),
4. Bd., Berlin usw. 1912, S. 647/48. — Konservative Monatsschrift 1910, S. 849 — 851 (General
v. Lettow-Vorbeck). — 75 Jahre des 1. Garde-Ulanen- Regiments (1819 — 1894), Berlin 1898,
5. 442. — Denkwtirdigkeiten des Generalfeldmarschalls Kriegsministers Grafen v. Roon,
v. Hartrott. von der Burg. 329
besonders II, S. 16, und III, S. 22, 60, 186, 191, 420, 429/30, 434/3S (nach der 4. Auflage
1897 angefiihrt). — Mitteilungen des Generals v. Hartrott an den Verfasser; Papiere aus dem
Besitz seiner Witwe; Auskunftedes Generalleutnants z. D. Graf en v. Roon und des f Generals
der Infanterie z. D. v. Lettow-Vorbeck.
Koburg. Archivar Dr. K r i e g.
Burg x ), Ernst von der, koniglich preuGischer General der Infanterie,
*24. April 1831 in Luckenwalde, f 3- November 1910 in Charlottenburg. — Dem
General v. d. B. darf als Soldaten und als Charakter erhebliche Bedeutung
zugesprochen werden. Ein hoher Offizier, der im Rufe strenger, mit dem Lobe
kargender Urteilsweise steht, lafit dem ehemaligen Kameraden und Vorgesetzten
diese wohlerwogene Bewertung angedeihen: »Ich habe ihn hochgeschatzt und
fiir einen recht gebildeten Mann von selbstandigem und furchtlosem Wesen
gehalten. Aller Phrase, Schmeichelei und Unterwiirfigkeit abgeneigt, war er
ein tuchtiger Soldat, besafl ein gutes Urteil, Entschlossenheit, und wiirde im
Ernstf alle als selbstandiger Truppenfiihrer jede Schwierigkeit iiberwunden haben.«
In vielfach wechselnden Wirkungskreisen, in der Truppe, im Generalstabe,
auf diplomatischem Felde verwendet, focht er unter franzosischer Fahne in
Mexiko und beteiligte sich in zunehmend gewichtigen Stellungen an den deut-
schen Einigungskampfen in Schleswig-Holstein, Bohmen und Frankreich.
Aus der Artilleriewaffe hervorgegangen, beschlofl er seine Laufbahn als kom-
mandierender General eines Armeekorps.
Was ihm aus Kriegs- und Friedenszeiten mitteilenswert erschien, hat er
an seinem Lebensabend zu einem uberaus fesselnd geschriebenen Druckwerk
zusammengetragen. Allerdings war es hierbei, wie er zum Eingang bemerkt
hat, nicht seine Absicht, Geschichte oder Memoiren fiir die Offentlichkeit zu
schreiben. »Ich ergreife«, auflerte er sich, »die Feder lediglich, um dem Wunsche
der Meinen zu entsprechen.« Dafl dieser stattliche Quartband als Handschrift
gedruckt und nur einzelnen zuganglich gemacht wurde, darf bei aller Aner-
kennung der Beweggrunde, die fiir den Verfasser ausschlaggebend waren, leb-
haft bedauert werden. Denn die lebensvollen Schilderungen kriegerischer Be-
gebenheiten, die von scharfer Beobachtungsgabe zeugenden Charakteristiken
von Landern und Leuten, die Fulle heller Streiflichter, die, oft unter Ein-
flechtung anekdotischer Ziige, auf Trager bekannter Namen fallen, der schlichte
Ton, in dem der Erzahler, frei von Oberhebung und doch der erzielten Erfolge
sich froh bewuflt, iiber sich selbst berichtet, all diese in anziehender Schreib-
weise dargebotene Mannigfaltigkeit von Tatsachen und Stimmungen berechtigt
zu dem Dafurhalten, daC hier eine unserer besten militarischen Autobiographien
vorliegt.
Als der General seine Niederschrift beendete, mit dem Ausdruck dankbarer
Verehrung fiir den ersten Kaiser und seinen Sohn, da durfte er bekennen:
»Wenn ich auf meine mehr denn 42 jahrige Dienstzeit unter vier Konigen
zuriickblicke, habe ich alien Grund, mit derselben zufrieden zu sein. Was nur
wenigen beschieden, habe ich erreicht. Auf mich selbst angewiesen, ohne Ver-
mogen, trat ich in die Armee. Mich wacker, ohne Schulden, durchschlagend,
gelangte ich bald in Stellungen, deren Einkommen vor Not schtitzte. Als das
«) Totenliste 1910, Bd. XV, 17*.
33O von <* er Burg.
Gliick sich mir nahte, erfafite ich's und hielt es fest. Treu blieb es mir im Frieden
wie in vier Kriegen. . . . Das Richtige zu tun war ich stets bestrebt; absichtlich
habe ich nie verletzt und geholfen, wo ich konnte. . . . «
Das Geschlecht dieses ausgezeichneten Mannes entstammt den spanischen
Niederlanden ; ein Angehoriger fliichtete bei der Verfolgung der Protestanten
durch Alba auf bergisches Gebiet. Einer der zwei SOhne dieses Engelbert v. d. B.
kaufte ein Gut bei Leipzig. Beide wurden 1658 durch Leopold von Ungarn
und Bohmen in die Gemeinschaft und Zahl der Edlen des Konigreichs Ungarn
aufgenommen, da sie sich schon in den iibrigen und auswartigen Herrschaften
und Provinzen der Adelsrechte erfreuten.
Als unmittelbarer Nachkomme jenes Leipziger Johann v. d. B. wurde
Ernst in den markischen Landen geboren. Er erwahlte als Nachstliegendes den
Soldatenberuf seines Vaters. Dieser hatte 1813 als Sechzehnjahriger im Biilow-
schen Korps, bei Dennewitz, eine schwere Wunde davongetragen, wahrend der
Groflvater 1806 auf dem Marktplatz in Lubeck gef alien war; er hatte, als er
die Nachhut des Bliicherschen Korps deckte, dreimal abgelehnt, sich zu ergeben,
und war nach vierfacher Verwundung durch eine Kugel in die Brust getotet
worden.
An die Kadettenjahre in Potsdam und Berlin bewahrte v. d. B. dankbare
Erinnerungen. Ein Ausmarsch der Kadetten nach dem Schlofl in der Nacht
zum 19. Marz 1848 — gegen Morgen erfolgte die Einschiffung nach Potsdam —
war das erste Kriegsbild in seinem Leben.
Mit einem monatlichen Gehalt von 16 Talern 22 Silbergroschen 6 Pfennigen
trat er Ende April 1849 als aufieretatsmafliger Sekondleutnant bei der Garde-
Artillerie- Brigade ein. Vom Dienst bei einer Festungskompagnie in Spandau
ging er 1852 endlich zur Feldartillerie in Berlin iiber. Jetzt erst lernte er die
Kameraden kennen. »Welch ausgezeichnetes Of fizier korps «, schreibt er in
seiner Rtickschau, »welche Kameradschaft, welche Ansammlung von Talenten,
Geist und Kenntnissen!« Drei kommandierende Generale — v. d. B., Graf
Waldersee, v. Lewinski, zwei Generalinspekteure — v. Bulow, v. Voigts-Rhetz — f
die Generale Prinz Kraft Hohenlohe, Furst Anton Radziwill sind aus dem
damaligen Kameradenkreise hervorgegangen.
Wiewohl v. d. B. der Frontdienst sehr zusagte, war er auch auf seine ander-
weitige Fortbildung bedacht und widmete namentlich viel Zeit der Vervoll-
kommnung im Franzosischen. Seine Vorliebe fur diese Sprache veranlaflte
ihn — 1 86 1 war er Hauptmann geworden — , das Kommando nach Paris zu
erstreben, wohin alle zwei Jahre drei Offiziere zur Erlernung der franzosischen
Sprache kommandiert wurden. Sein damaliger Kommandeur Prinz Wilhelm
von Baden half wesentlich dazu, dafi er vom I. April 1862 an das erwiinschte
Kommando erhielt.
Infolge der Empfehlung desselben Prinzen wurde v. d. B. zur Audienz bei
Kaiser Napoleon befohlen, von dem er den Eindruck bestrickender, aber be-
rechneter Gutmutigkeit gewann. Im Salon der Kaiserin, an den Montag-
abenden, trat der preufiische Offizier mit grofler Sicherheit auf. Die Armee
gait als die erste der Welt.
Ungiinstige Nachrichten waren iiber die franzosische Kriegf uhrung in Mexiko
eingetroffen, und bedeutende Verstarkungen sollten dahin abgehen. Da
entschlofi sich v. d. B., der schon mehrere Monate in Paris war und vom Pariser
von dcr Burg. 33 1
Leben genug hatte, sich urn eine Verwendung auf dem mexikanischen Kriegs-
schauplatze zu bemiihen.
Gegenliber dem Militarattach6 Major v. Stein, der ihm wegen des gelben
Fiebers den Gedanken auszureden versuchte, betonte der Hauptmann seinen
festen Willen, die sich darbietende Gelegenheit kriegerischer Betatigung zu
benutzen. Ein Zuhorer, der preufiische Gesandte, der wahrenddem schweigend
auf und ab gegangen war, blieb plotzlich vor v. d. B. stehen, schuttelte seine
Hand und sagte: »Sie haben recht, versuchen Sie Ihr Gliick.« Das war Bis-
marck! Aber erst die Vermittlung Prinz Wilhelms von Baden bei Napoleon
selbst erzielte, dafl Hauptmann v. d. B. dem Stabe des Befehlshabers der
Artillerie des Expeditionskorps zugeteilt wurde, und sein Konig erteilte ihm
nicht nur die Erlaubnis hierzu, sondern kommandierte ihn dienstlich nach
Mexiko und stellte die erforderlichen Gelder zur Verfugung.
Nach langer, zuletzt stiirmischer Seefahrt von Cherbourg her setzte v. d. B.
im Oktober 1862 in Vera Cruz den Fufi auf amerikanischen Boden. Strenge
Lebensweise erhielt ihn, wahrend die Kameraden vom Fieber befallen wurden,
gesund.
Durch das Fehlen von Transportmitteln zunachst unmoglich gemacht,
begann erst im Dezember der Vormarsch nach Orizaba. Offenen Auges schaute
und schilderte v. d. B. die herrliche Vegetation, deren Bilder sich ihm auf dem
heiflen und anstrengenden Marsch erschlossen. Die Mexikaner hatten ihre
Hauptkrafte in und um Puebla versammelt, wo sie den ersten energischen
Widerstand mit regularen Truppen zu leisten gedachten. Im Rucken der Fran-
zosen nahm die Zahl der Guerillascharen zu, und oft sah v. d. B. die schrecklich
entstellten Kadaver aufgekniipfter Guerillas im Mondschein pendeln. Unter
kleinen Scharmutzeln ging das Jahr 1862 zu Ende, doch ohne dafi Hauptmann
v. d. B. sich personlich hatte betatigen konnen. Nach mehr als zweimonatiger
Ruhe drang General Forey im Februar 1863 auf Puebla vor; nachdem die Ein-
schliefiung dieser eigentlich offenen, aber nach Moglichkeit befestigten Stadt
bald nach Mitte Marz beendet war, begann endlich der formliche Angriff. Beim
Eroffnen des Feuers der franzosischen Batterien, erzahlt v. d. B., habe er ge-
wufit, dafl die Augen der Herren des Hauptquartiers auf ihn gerichtet waren,
um zu sehen, wie sich der preufiische Offizier mit den Kanonenkugeln abfinden
werde. »Da blieb mir denn nur iibrig, etwas zu renommieren. Wahrend rechts
und links die Kugeln der Vierundzwanzigpfunder einschlugen und Granaten
platzten, ging ich in langsamem Schritt 800 bis 900 m auf dieser Strafie bis zu
den Batterien. «
Am 29. Marz wurde unter geringeren Verlusten, als befiirchtet war, das
erste Fort von Puebla im Sturm genommen. Bei Tage konnte man sich nur
in den Gebauden aufhalten, weil das sie umgebende Gelande aus nachster Nahe
bestrichen wurde; infolgedessen war es dringend geboten, so bald als moglich
festen FuB in Puebla selbst zu fassen und zu diesem Zwecke das gegeniiber-
liegende Kloster Guadalupita von San Davier aus zu sturmen. Der Artillerie
gelang es nicht, die Bresche durch Geschutzfeuer herzustellen, da nach ihrem
Dafurhalten das feindliche Gewehrfeuer aus dem Turm des Klosters es nicht
zuliefi. v. d. B., der hingeschickt war, um zu erfragen, warum das Feuer nicht
beginne, gab nach seiner Riickkehr dem General Neigre die Ansicht kund, die
Bresche konne gelegt werden, erklarte sich auch bereit, die Unternehmung zu
332 von der & UT g'
leiten. Tatsachlich liefi er einen Vierpfiinder in das obere Stockwerk des Ge-
fangnisgebaudes schaffen, einigte sich mit dem franzosischen Artillerieoffizier,
sie wollten beide das Geschiitz allein bedienen, jener solle laden und abfeuern,
er, v. d. B., wurde richten, und wirklich wurden solche Schieflerfolge gegen-
uber der Kuppel des Klosters erzielt, daO der Gegner, ehe die Kuppel zum Falle
kam, das Feld raumte. Wahrend der Franzose das Feuer in dieser Weise fort-
setzte, brachte sein preufiischer Kamerad in der Sakristei der Kirche den Zwolf-
pfCinder in Gang und gab die ersten Schusse selbst ab, kurzum, nach zweistiindi-
ger Tatigkeit war eine gangbare Bresche fertig. Aufrichtigen Dank zollten dem
Hauptmann die franzosischen Artillerieofiiziere, noch mehr* die zum Sturm
bestimmten Chasseuroffiziere; General Neigre aufierte: »Sie haben sich grofle
Verdienste erworben; ich werde nun das Weitere tun.« Abends gelang der
Sturm, die Franzosen drangen in Guadalupita ein und besetzten den angrenzen-
den Hauserbereich. Nun war man in Puebla — ohne dafi jedoch der Wider-
stand der Besatzung gebrochen gewesen ware. v. d. B. wurde in Foreys Armee-
befehl besonders belobt, wegen seines sehr bemerkenswerten Muts, »en ri hesitant
pas & saisir une occasion de miler son sang & celui des enfants de la Frances Bei
einer Tischeinladung zum Oberbefehlshaber fand er unter seiner Serviette die
Ehrenlegion.
Der Kampf in Puebla nahm taglich an Hartnackigkeit zu; Schlappen
blieben nicht aus und erregten die Gemuter. Beim Angriff auf das sehr feste
Kloster Santa Inez hatte der Stab der Artillerie fortwahrend Befehle an die
exponiertesten Batterien zu uberbringen. Auf einem solchen Befehlsgang kam
v. d. B. in eine Barrikade, in der plotzlich eine gegnerische Kanonenkugel der
richtenden Nummer den Kopf wegrifi, wahrend die iibrige Bedienung durch
Granaten verwundet wurde. Da zog der Hauptmann das Geschiitz, um es nicht
dem Demolieren auszusetzen, mit zwei franzosischen Artillerieoffizieren aus
der Scharte hinter die Brustwehr. Mit Erde bedeckt, aber unverwundet, ver-
liefien die drei Offiziere die wahrend dieser Tatigkeit mit Geschossen aller Art
uberschuttete Batteriebarrikade. Der Sturm der Zuaven scheiterte; panischer
Schrecken griff um sich, so dafl weitere Angriffsversuche unterblieben.
Wahrend eine fieberhafte Tatigkeit entwickelt wurde, um neue Geschutze
und Munition heranzuschaffen und die Einschlieflung immer mehr zu verdichten,
freute sich v. d. B., an einer Unternehmung teilnehmen zu diirfen, die darauf
hinzielte, mexikanische Entsatztruppen zu uberfallen. In finsterer Nacht er-
folgte der Aufbruch, vor Tagesbeginn stiefi General Bazaine auf den Feind, der
nach glanzendem Gefecht in die Flucht geschlagen wurde. v. d. B. empfand
das Fechten im freien Felde, nach sechs Wochen Belagerungskrieg und StraBen-
kampf, als angenehme Abwechslung. Er verrichtete mit Major v. Stein Or-
donnanzdienste bei Bazaine, nachdem dessen Generalstabsoffizier gefallen und
der Adjutant verwundet vom Pferde gesunken war.
Am 17. Mai kapitulierte endlich die mexikanische Armee, da auf Entsatz
nicht mehr zu rechnen, die Aussicht, sich durchzuschlagen, sehr schwach, der
Mangel an Lebensmitteln grofi war.
Im Juni zog v. d. B. imGefolge Foreys inMexiko ein und war dannZeuge, wie
man aus der Republik ein Kaiserreich machte und fur den Habsburger Maximilian
als Inhaber des Thrones stimmte. Hier erhielt er auch von seinem KOnige den
Roten Adler-Orden mit Schwertern. Als bis zum Herbste nichts Besonderes
von der Burg. 333
vorfiel und Ende Oktober Marschall Forey zuruckberufen wurde, benutzte
v. d. B. diese Gelegenheit, um iiber Kuba-New York-Lissabon heimzukehren.
Beim Scheiden aus dem Tal von Mexiko konnte er sich von dem grofiartigen
Anblick der Natur kaum trennen. »Es ist ja ein herrliches Land«, hat er beim
Zuriickdenken niedergeschrieben, »nur schade, dafl seine Bewohner meist elende
Gesellen sind.«
Alsv. d. B. im Januar 1864 sich beim Konig in Berlin meldeteunddanachvor-
hatte, nach Paris zuruckzukehren, erhielt er seine Versetzung in den General -
stab, als Generalstabsoffizier der 1. Division; unter diesen Umstanden horte
das Kommando nach Frankreich auf.
Sobald nach dem Ausbruch des Krieges mit Danemark General Hindersin
zur Leitung des Artillerie- und Pionierangriffs gegen Diippel beordert wurde,
bat der Konigsberger Generalstabler um Verwendung und wurde erhort. Moltke
gab, wie er Blumenthal schrieb, dem Artilleriegeneral den Hauptmann v. d. Burg
ausdrlicklich deshalb mit, weil dieser in Mexiko gute Erfahrungen vor dem Feinde
gesammelt und einen ebenfalls wesentlich artilleristischen Angriff auf Puebla
mitgemacht hatte. Jetzt begann eine ahnliche Tatigkeit wie gegeniiber jener
mexikanischen Stellung. Trotz eines im Gelande vor Schanze IV am 14. April
erhaltenen Prellschusses im rechten Unterschenkel und starken Schwellens des
Beines war v. d. B. entschlossen, den Sturm mitzumachen, und wenn er, wie er sich
ausdriickte, hatte auf Kriicken gehen mussen. Er hatte sein Bein wickeln lassen,
bewegte sich mit Hilfe eines Stockes und erlebte so bei seinem Artilleriegeneral
das Weitere. Nach Diippel ging er als Berichterstatter fur Moltke ins grofle
Hauptquartier zu Wrangel, hatte da aber keine Gelegenheit mehr, kriegerischen
Unternehmungen beizuwohnen. Die Wunde wurde schlimmer und erforderte
langere Behandlung in Berlin und Teplitz.
Der Verleihung des Kronenordens 3. Klasse mit Schwertern gesellte sich
im Juni 1 864 die Versetzung in den Generalstab des vom Kronprinzen Friedrich
Wilhelm befehligten II. Armeekorps, mit dem Sitz in Berlin. Das Verhaltnis
zum Kronprinzen war ein prachtiges. Hauptmann v. d. B. stellte fest, es war
iiberraschend, wie schnell der fiirstliche Herr beim Vortrag alles erfaflte. Es
kam zu den politischen Verstimmungen, die den Kronprinzen dem leitenden
Staatsmanne mehr und mehr entfremdeten. Der hohe Herr unterhielt sich mit
dem Generalstabsoffizier liber seine Lage in der offensten Weise, und dieser
durfte glauben, durch offene Erwiderungen, die der Kronprinz ruhig anhftrte,
ihm manchen Dienst erwiesen zu haben. Oft nahm er damals auch an Unter -
haltungsabenden bei Prinz Friedrich Karl teil.
DieVerwicklungen mit Osterreich mehrten sich in Besorgnis erregenderWeise.
Anfang 1866 zum Major befordert, erhielt B. am 26. Marz den Befehl, am
nachsten Tage nach Italien abzureisen, zur Berichterstattung iiber die dortige
Armee. Im Ministerium des Auswartigen gab ihm Bismarck in seiner drasti-
schen Weise ein Bild der Sachlage, aus dem er entnahm, dafl der Krieg sicher
sei, und unterrichtete ihn, wie er sich in Italien zu verhalten habe. Nach Er-
ledigung des Dienstes kam das Gesprach auf das Verhaltnis zum Kronprinzen;
v. d. B. erkannte, dafl die beiderseitigen Verstimmungen lediglich aus Mifi-
verstandnissen erwachsen waren, es war ihm daher moglich, den Kronprinzen
aufzuklaren und zur Herstellung guter Beziehungen beizutragen.
Ober Paris, wo er Depeschen Bismarcks beim Gesandten abgab, reiste er
ii4 von der Burg.
nach Florenz. Der preuBische Gesandte Usedom, ein geistreicher, hochgebildeter
Herr, machte ihn mit Lamarmora und andern bekannt, Viktor Emanuel empfing
ihn gnadig. Anfang Mai war die Mobilmachung der italienischen Armee in
vollem Gange. Als v. d. B. in Berlin anfragte, ob er den Krieg bei den Italienern
mitmachen solle, erhielt er eine verneinende Antwort, dampfte am 8. Mai von
Florenz ab und traf nach Erledigung von Auf tragen zu Paris in Berlin wieder ein.
Mit v. Verdy, v. Hahnke und v. d. Hude trat Major v. d. B. in den Stab
der II. Armee Kronprinz ein, die sich in Schlesien sammelte.
Blumenthal drangte zur Offensive. Der Aufgabe, iiber das Riesengebirge
vorzudringen, mufiten sich die einzelnen Korps raumlich getrennt unterziehen,
unter AusschluB gegenseitiger Unterstutzung. Als Major v. d. B. in Gorlitz
den Prinzen Friedrich Karl aufsuchte, um sich iiber die dortigen Absichten zu
unterrichten und die der II. Armee mitzuteilen, wies der Prinz darauf hin,
Friedrich dem Groflen sei diese Operation nicht gelungen, und fragte: »Trotzdem
wollt Ihr sie ausfiihren?« »Ja, Konigliche Hoheit, vielleicht haben wir mehr
Gluck«, lautete die zuversichtliche Antwort des Majors.
Am 27. Juni begann die II. Armee ihre kriegerische Vorwartsbewegung.
Bei Trautenau hatte Major v. d. B. Anlafi, die Autoritat des Oberbef ehlshabers zu
benutzen, als er einen Divisionskommandeur ersuchte, die Avantgarde, die die
starke Stellung des Feindes nicht in der Front zu nehmen vermochte, zu ver-
starken. Dieses Anriicken von Verstarkungen hatte denn auch den gewiinschten
Erfolg. Leider ging das Korps Bonin schliefilich zunick. v, d. B. hatte bei
dem kommandierenden General vergeblich gegen das Zuruckgehen Verwahrung
eingelegt; sein Versuch, die Garde-Division, deren Hilfe Bonin abgelehnt hatte,
zur Umkehr zu veranlassen, konnte nicht zur Durchfiihrung gelangen, weil jene
Truppen abends zu erschopft waren, als dafl weitere Leistungen hatten verlangt
werden konnen. Major v. d, B. griff also mehrfach selbsttatig ein, sorgte auch
dafur, noch nachts, beim Kronprinzen und Blumenthal, dafi an das Gardekorps
ein Befehl fur den nachsten Morgen abging.
In der Friihe des 28. schickte ihn der Kronprinz nach Trautenau, um zu
sehen, wie dort die Sache stehe. So machte der Major das gliickliche Gefecht
bei Soor mit. Durch die Nachricht hiervon wurde der Kronprinz, schon in
froher Stimmung iiber Skalitz, hoch begliickt und umarmte den Kunder dieses
neuen Erfolges mit den Worten: »Diese beiden Tage werde ich Ihnen im Leben
nie vergessen.«
Beim Vormasrch des Kronprinzen auf Koniggratz erhielt v. d. B. den Auftrag,
zur I. Armee zu reiten und sich mit dem Gang der Schlacht bekannt zu machen.
Wahrend dieses Ritts befand er sich, nach seiner Ausdrucksweise, »wie ein Hase
im Kessel«; »wie ich durchkam, weifi ich heute noch nicht «. Vor 12 Uhr traf
er bei der im Waldgefecht aufgelosten Division Fransecky ein. Er rief den
Leuten zu: »Der Kronprinz kommt.U Das wirkte und gab neuen Mut. Nach
Verabredung mit dem Generalstabsoffizier Major v. Krenski beschlofi er, den
Spitzen des Gardekorps und VI. Korps entgegenzureiten, deren Marsch die
Richtung zu geben und ihn womoglich zu beschleunigen. Es gait, auf dem
Wege zuriickzureiten, auf dem er gekommen war. v. d. B. zogerte keinen
Augenblick und jagte wieder los. Eine Schutzenlinie iiberraschend durch-
reitend, stiefl er auf eine Husarenpatrouille von der Avantgarde des Gardekorps.
Durch diesen Mann gefuhrt, erreichte er nach kurzer Zeit in vollem Laufe den
von dcr Burg. 11 c
General v. Alvensleben an der Spitze der im Vormarsch befindlichen Avant-
garde. Er setzte ihm die miflliche Lage der Division Fransecky auseinander,
die dringend der Hilfe bedurfe; ein Stofi auf Maslowed werde die feindliche
Flanke treffen. Dann ritt er querfeldein in der Richtung, aus der das VI. Korps
kommen muflte, schilderte auch hier die Lage Franseckys und forderte zur
Eile auf. »Sein Vollblutpferd«, erzahlt ein Mitglied des Stabes des VI. Korps,
das den Major heranjagen sah, »hatte die Niistern weit offen und schlug mit den
blutenden Flanken. Major v. d. B. selbst war ganz aufler Atem . . . « »Nehmen
Sie vor, Exzellenz«, legte er dem General v. Mutius nahe, »was Sie an Artillerie
nur heranbringen konnen. Lassen Sie feuern und feuern, und ware es nur, damit
unsere Leute merken, dafi endlich Hilfe erscheint.« Dieser dringenden An-
regung wurde stattgegeben; unaufhaltsam ging das schlesische Korps vorwarts.
Der Major begleitete die Schlesier im Anfang ihres Gefechts, suchte dann
den Kronprinzen vergeblich und folgte fernerhin der Bewegung der Garde -
truppen, wobei er Zeuge eines Teils der Heldentaten der Garde an diesem Tage
wurde. Er erlebte die Begegnung des Kronprinzen mit Friedrich Karl auf
der Hohe von Chlum, dann die ruhrende Begriifiung zwischen dem koniglichen
Vater und seinem sieggekronten Sohne.
Im Hauptquartier des Kronprinzen nahm er des weiteren teil an dem Vor-
marsch gegen Wien bis zum Waffenstillstand. »Alles wie ein Traum«, schrieb
er daruber, dafi er so rasch sich wiedcr in Berlin befand; »doch erinnerte mich
der Orden pour le merite ... in angenehmer Weise an die Wirklichkeit.«
Im Marz 1867 erhielt v. d. B. den Auftrag, als Militarattache der Nord-
deutschen Gesandtschaft nach Frankreich zu gehen. Als solcher erlebte er die
preufiischen Besuche bei der Pariser Weltausstellung. 1869 zum Oberstleutnant
befordert, wurde er im Januar 1870 zur Ubernahme der Geschafte eines Chefs
des Stabes in Konigsberg beordert. Die drei Jahre in Paris, in denen die »Re-
vanche pour Sadowa* in der Luft lag, waren fur den Militarattache schwierig
gewesen, da man jetzt alles getan hatte, ihn zu tauschen und die wahren Ab-
sichten zu verschleiern.
Das Verhaltnis zu dem mifitrauischen General Manteuffel, der zunachst
gern andere auf dem Posten des Stabschefs gesehcn hatte, wurde bald ganz gut;
Manteuffel merkte, dafl sein Gehilfe keinen Sonderbestrebungen nachging, den
Dienst vielmehr ganz objektiv betrieb.
Als Gencralstabschef des zur Armee Steinmetz gehorigen mobilen I. Armee-
korps trat Oberstleutnant v. d. B. am 5. August 1870 die Fahrt nach dem
Westen an.
In berechtigter Selbsttatigkeit improvisierte die Avantgarde des VII. Korps
am 14. bei Colombey einen Kampf, der dem Abzug Bazaines den ersten Stein
in den Weg legte. v. d. B. hatte Gelegenheit, am 15. friih Konig Wilhelm und
Moltke uber den Gang der Schlacht zu berichten und die Notwendigkeit des
Angriffs trotz des Verbotes zu begrunden. Der Konig war einverstanden, und
Moltke meinte, die Friichte werde man in den nachsten Tagen auf dem andern
Moselufer ernten.
Weitcre schwere Schlachttage forderten und vollendeten die EinschlieBung
der franzosischen Armee in Metz. Manteuffel sollte auf dem rechten Moselufer
den Durchbruch verhindern. Ein solcher ernster Versuch des Feindes fuhrte
zu den Kampfen bei Noisseville. Diese Schlacht erklart v. d. B. in seinen
336 von der Surg.
Denkwiirdigkeiten fur »cins der schonsten Blatter in der Geschichte des
I. Korps«. Mit schwachen Kraften wurde der Durchbruch unmoglich gemacht.
Der Generalarzt des Korps wartete vergeblich auf den Augenblick, wo, wie er
zu v. d. B. meinte, dessen Nerven versagen wiirden. Allerdings stand der Oberst-
leutnant fast jede Nacht auf, wenn die Schiefierei bei den Vorposten begann,
und kam dann erst nach einigen Stunden zuriick. Er sagte dem Arzt, seine
Nerven wiirden hoffentlich so lange halten, bis Metz und die Rhein -Armee in
deutschen Handen seien. Zeitweilig hatte der Stabschef sogar den komman-
dierenden General, der — sein Pferd fiel — den Kncichel eines Fufles gebrochen
hatte, auf dem Gefechtsfelde zu vertreten.
Am 27. Oktober kapitulierte Metz. Manteuffel erhielt hernach den Befehl
uber die I. Armee, General v. Bentheim trat einstweilen an seine Stelle.
Das I. Korps verblieb noch in Metz. Alsdann wandte sich Manteuffel, auf
die Nachricht, dafi bei Amiens 15 OOO Franzosen sttinden und Verstarkungen
heranzogen, gegen diesen Feind. Auf die Kampfe bei Amiens folgte ein durch
Monate sich erstreckender Aufenthalt in Rouen.
Oberstleutnant v. d. B. erhielt nachst den ihm zuteil gewordenen Eisernen
Kreuzen 2. und 1. Klasse das Eichenlaub zum pour le tnerite; Ende Juli 1871
kehrte er nach Ostpreufien zuriick.
Im Oktober 1871 wurde er, nach der Augustbeforderung zum Obersten,
zum Chef des Stabes der Okkupationsarmee in Frankreich ernannt. In Nancy
traf er wieder mit Manteuffel zusammen. Seine Ansicht ging dahin, das Land
so spat wie moglich zu verlassen, um die Reorganisation der franzosischen
Armee aufzuhalten. Leider fand seine Auffassung keinen Anklang. Im Sep-
tember 1873 wurde das Oberkommando der Okkupationsarmee aufgelost. In
Berlin erhielt v. d. B. den Roten Adlerorden 2. Klasse, »was noch nie einem
Obersten passiert war«, mit einer sehr anerkennenden Kabinettsordre.
Im Herbst desselben Jahres 1873 wurde der Oberst dem Niederrheinischen
Fusilier-Regiment Nr. 39 iiberwiesen. Ein Infanterie-Regiment zu komman-
dieren wurde ihm nicht schwer; als Generalstabschef muflte er ja alle Waffen
kennen. »Meine Fusiliere«, schreibt er, »waren willig, aber doch ganz andere
Leute als die der Garde, Preuflen und Pommern. Sehr bald bemerkte ich,
dafi der Sammethandschuh eine eiserne Faust bekleiden miisse.« Seine Mittel
bewahrten sich.
Im Mai 1876 erhielt er die 16. Inf an terie- Brigade. Dazu, dafi er noch im
selben Monat zum Generalmajor aufstieg, hat er bemerkt: »Da ich kurz vorher
45 Jahre alt geworden war, gait ich fur einen sehr jungen General. « Der Stab
der Brigade lag in Erfurt, und ein genialer Soldat, v. Blumenthal, war v. d. B.s
kommandierender General. »Er [General v. d. B.] hat sich ein bedeutendes
Renommee erworben«, stellte 1879 der damalige Merseburger Husar v. Versen
fest, als er einer Besichtigung der 16. Brigade beiwohnte.
In dem zuletzt genannten Jahre wurde Manteuffel Statthalter von Elsafl-
Lothringen und gleichzeitig Kommandierender des XV. Armeekorps; sogleich
beantragte er v. d. B. wieder als Chef des Stabes. Im Februar 1880 erfolgte
dessen Versetzung nach Strafiburg. Es war das dritte Mai, dafi er Stabschef
bei Manteuffel wurde, uber den er sich dahin aufiert: »Ich kannte ihn wie seine
Eigentiimlichkeiten ganz genau.« Der Kaiser hatte ihm empfohlen, alle mili-
tarischen Geschafte dem Statthalter abzunehmen, damit sich dieser der Re-
von der Burg. -soy
gierung ganz widmea konne. Mit Manteuffels allzu entgegenkommendcr, von
den Franzosen als Schwache ausgelegter Art war v. d. B. ganz und gar nicht
einverstanden. »Einc stramme, gerechte Regierung, die nicht nach Popularitat
hascht, mit fester Hand die Klerikalen und die Sozialdemokraten niederhalt,
wiirde das beste Resultat erzielen, namlich Ruhe und Ordnung. Weiteres ist
vorlaufig nicht zu erreichen; man sollte es deshalb auch nicht erstreben und es
geduldig der Zeit uberlassen, das Ubrige zu tun« — das war seine Meinung auch
noch 1903, als er sich (er redet gelegentlich von 32 seit 1871 verflossencn Jahren)
mit seinen autobiographischen Aufzeichnungen beschaftigte.
v. d. B. f berichtet Frau v. Puttkamer, die Gattin des damaligen Unter-
staatssekretars in Elsafl-Lothringen, »war einer der Generale mit internationaler
Bildung und einer interessanten Vergangenheit. , . . eine sehr charakteristische
Erscheinung, mit kraf tiger Adlernase und scharfblickenden Augen, sehr aufrecht
und martialisch von Haltung«. Der Hinweis darauf, dafl er derb-offen und
sarkastisch sein konnte, stimmt zu dem schon hervorgehobenen Freimut, der
sein Auftreten uberhaupt kennzeichnete.
General v. d. B. lebte gern in Strafiburg und war nicht sehr erfreut, als er
im September 1881 als Kommandeur der 11. Division nach Breslau versetzt
wurde. Doch gewann er Land und Leute bald lieb. v. Tumpling, dann v. Wich-
mann waren seine kommandierenden Generale.
Im Herbst 1884 kehrte der General als Gouverneur nach Strafiburg zuruck.
Im Januar 1887 folgte die Beauftragung mit der Ftihrung des II. Armeckorps,
dessen Bezirk damals eine ungeheure Ausdehnung hatte; er reichte von Stral-
sund bis iiber das rechte Weichselufer bei Graudenz und Thorn. Schon im ersten
Jahre seiner Wirksamkeit in Pommern hatte das II. Korps Kaisermanover.
Als der alte Kaiser bei der Abfahrt von Stettin sagte: »Burg, Sie ahnen nicht,
welche Freude Sie mir mit dem II. Korps gemacht haben«, wufite der tief Er-
griffene, er werde seinen kaiserlichen Herrn nicht wiedersehen. Eine letzte Be-
gegnung mit Kaiser Friedrich, der ihn dabei wiederholt kufite, nannte er die
>>schmerzlichste Erinnerung seines Lebens«.
Vom jungen Kaiser erhielt er die Beforderung zum General der Infanterie
(im April 1888) und das Grofikreuz des Roten Adler-Ordens mit Eichenlaub
und Schwertern. Zu Konferenzen iiber eine Reorganisation der Armee wurden
alle kommandierenden Generale nach Berlin befohlen. Die erste, erzahlt
General v. d. B., fand an dem ominosen 18. Marz 1890 statt und brachte eine
schmerzliche Oberraschung. Der Kaiser empfing die Generale mit einer An-
sprache, die sich nicht mit der Armeereorganisation befafite, sondern mitteilte,
dafl Furst Bismarck nicht mehr Reichskanzler und Caprivi sein Nachfolger sei.
»Dafi dieser Fall*, urteilt v. d. B., »einmal eintreten mufite, ist begreiflich, aber
zu bedauern war die Art der Trennung.« Ein begeisterter Anhanger des groflen
Kanzlers, hat der General nachmals, 1895, an einen jungen Historiker geschrieben :
»Ihr patriotischesHerz wird sich iiber die grofienEhrungen freuen, welche unserem
Bismarck aus alien Gauen Deutschlands dargebracht werden. Moge die Zahl
derer immer kleiner werden, welche als richtige tiles carries mit Gleichmut das
Vaterland in Gefahr bringen, wenn sie nur ihr vermeintliches Recht behaupten
konnen.«
Nach Vollendung des 60. Lebensjahres — er war inzwischen einer der alte-
sten kommandierenden Generale geworden, einer der wenigen, die noch vom
BiogT. Jahrbuch u. Deutscher Nckrolog-. x6. Bd. a2
238 von der Burg. Olbrich.
alten Kaiser ernannt waren — bat er im September 1891 um seine Verabschie-
dung und erhielt die Bitte am 20. Oktober genehmigt unter Stellung d la suite
des I. Garde-Feld-Artillerie-Regiments, in dem er vor 42 Jahren seine »so
erfolgreiche und ehrenvolle« militarische Laufbahn begonnen hatte.
Im Ruhestand wechselte er wiederholt mit seinem VVohnort. Nach der
preuOischen Hauptstadt ubergesiedelt, ging er hernach nach Wiesbaden (»ich
hoffe«, schrieb er 1896, »daC es mir hier besser gef alien wird als in dem gerausch-
vollen Berlin«), kehrte dann nach Berlin zuriick und lebte zuletzt in Char-
lottenburg. »Mit 71 Jahren«, reflektierte er brieflich 1902, »hat man einen langen
Riickblick, und wenn ich bedenke, dafi ich im Jahre 1862, fast vor 40 Jahren,
in den Krieg nach Mexiko zog, dem dann unsere drei Kriege 1864, 66, 70/71
folgten, so erscheint es mir oft wunderbar, dafi das alles so weit zuriickliegt:
die Zeiten haben sich gewaltig geandert, doch das ist gut, denn Stillstand ware
Zuruckgehen, und Deutschland mufi immer mehr vorwarts kommen.« »Mit
Interesse«, betonte er am Schlufi seines Memoirenwerks, »verfolge ich, wenn
jetzt auch unbeteiligt, alle Vorgange, halte nicht krampfhaft an dem Alten
fest, sondern begreife, dafi jede Generation berechtigt ist, das zu tun, was sie
fiir richtig halt. . . . «
Es war das reich gesegnete Leben eines kernhaften deutschen Mannes, das
im 80. Daseinsjahre zu Ende ging.
Illustrierte Zeitung vom 5. November 1887. — Militar-Wochenblatt 1909, Nr. 89. —
Berliner Militar- Zeitung 1910, Nr. 46 (Beilage 1). — v. Loebells Jahresberichte uber das
Heer- und Kriegswesen, 37. Jahrg. (1910), S. 441. — Erinnemngen aus Krieg und Frieden,
von v. d. Burg, General der Infanterie (272 Seiten in 4 ), als Handschrift gedruckt, Berlin 1903.
— Moltkes militarische Korrespondenz 1864, Berlin 1892, S. 128, 137/38. — 1866: Graf
Frankenberg, Kriegstagebucher von 1866 und 1870/71, Stuttgart usw. 1896, S. 49; Margareta
v. Poschinger, Kaiser Friedrich, 2. Bd., Berlin 1899, S. 179 fT. (»Aus meinem Tagebuch im
Feldzuge i866«); v. Verdy du Vernois, Im Hauptquartier der Zweiten Armee 1866, Berlin
1900, S. 34/35* 96, 149; v - Bremen, Denkwurdigkeiten des Generals v. Fransecky, Bielefeld
und Leipzig 1901, S. 379; Tagebiicher des Generalfeldmarschalls Graf v. Blumenthal aus den
Jahren 1866 und 1870/71, Stuttgart und Berlin 1902, S. 27; Krieg, General Konstantin v. Al-
vensleben, Berlin 1903, S. 65; Foerster, Prinz Friedrich Karl von PreuGen, Denkwurdigkeiten
aus seinem Leben, 2. Bd., Stuttgart und Leipzig 1910, S. 36/37, 40. — Freiherr v. Werthern,
General v. Versen, Berlin 1898, S. 139. — Alberta v. Puttkamer, Die Aera Manteuflel, Stuttgart
und Leipzig (1904), S. 49/$o. — Briefe des Generals v. d. Burg an den Verfasser; Mitteilungen
des Generals der Infanterie z. D. v. Lentze.
Koburg. Archivar Dr. Krieg.
Olbrich 1 ), Maria Josef, Architekt, * 22. Dezember 1867 zu Troppau,
f 8. August 1908 zu Darmstadt. — O. ist als Sohn einfacher, aber nicht unbe-
mittelter Burgersleute — sein Vater Edmund war Lebzelter — geboren und
hatte zwei Briider. Er absolvierte in Troppau das Untergymnasium und kam
von da an die Wiener Staatsgewerbeschule, wo er unter Professor Deininger
den ersten Grund zu seinem spateren Berufe legte. Von 1890 bis 1893 war er
an der Wiener Kunstakademie Karl Hasenauers Schuler, wo er neben andern
Preisen auch den Rompreis erhielt, der ihm eine zweijahrige Studienreise durch
Italien ermoglichte. Noch vor Beginn dieser Reise trat O. fur einige Monate
in das Atelier Otto Wagners ein, in das er dann nach Vollendung seiner Reise
Totenliste 1908, Bd. XIII, 68*.
Olbrich.
339
wieder zuruckkehrte, um mehrere Jahre hier zu verweilen. Ohne Zweifel vollzog
sich erst in dieser Zeit und unter dem Einflusse seines Chefs, der damals die
Wiener Stadtbahnbauten ausfiihrte, die entscheidende Entfaltung in O.s kiinst-
lerischer Natur. Denn weder Hasenauer noch dieEindrucke Italiens konnten in
ihm den Keim gerade jener Kunstuberzeugung legen, der er durch sein ganzes
Leben mit Treue anhing, der fortschrittlichen ,,Moderne 44 der neunziger Jahre.
Andrerseits freilich darf O.s fleifiiges Studium der italienischen Kunst nicht
unterschatzt werden; vielmehr blieb etwas von dieser abgeklarten Kunstweise
zeitlebens seinem Schaffen eigen und bewahrte ihn vor so manchem Abwege.
O.s erstes selbstandiges Werk war der Bau der Wiener ,,Sezession 44 . ,,Mit
Freuden gebar ich dieses Werk 44 , so schrieb er damals im ,,Architekt 4 * zu einer
Publikation des Gebaudes — , und wirklich tragt dieses Werk so ganz den
Stempel urspriinglicher, aus der Tiefe herausgeholter Schopferkraft, daB es,
wie vielleicht kein zweiter Bau jener Tage, sogleich den heftigsten Widerspruch
aller derjenigen hervorrief, die sich die Baukunst lediglich in den Bahnen der
Uberlieferung wandelnd vorstellen konnen. Dem Sezessionsgebaude folgten die
Villa Friedmann in der Hinterbrtihl, die Villa Bahr in Ober-St. Veit und die
Villa Stift, durchaus Bau ten, deren Charakter in'manchen der spateren Darm-
stadter Villen O.s in gelauterter Gestalt abermals zutage trat.
Da kam das Jahr 1899 und mit ihm die grofie Entscheidung auf dem Lebens-
wege O.s. : seine Berufung nach Darmstadt durch den GroBherzog Ernst Ludwig
von Hessen.
,, Durch die ihm von Anbeginn bis zu seinem Tode erwiesene auflergewohn-
liche Gunst und Freundschaft des GroBherzogs 44 — so berichtete nach O.s Tode
dessen Witwe in einem Briefe — ,,nahm er in der Stadt eine auBergewohnliche
Stellung ein. Samtliche Behorden und Ministerien verkehrten mit ihm, wie
ihn denn auch bei jeder offentlichen Gelegenheit die ganzen Jahre hindurch
der GroBherzog auffallig auszeichnete und freundschaftlich mit ihm verkehrte.
Er hatte jederzeit Zutritt und privaten Empfang beim GroBherzog. 44
Dieser ausgezeichneten Stellung entsprach auch O.s kiinstlerische Be-
schaftigung. Sein erstes und grofites Werk, dasselbe, das die eigentliche Ver-
anlassung zu seiner Berufung nach Darmstadt bildete, war die ,,Kunstler-
kolonie 44 mit den standigen Villen, darunter des Kiinstlers eigenes Wohnhaus,
sowie den damaligen provisorischen Bauten. Diesem Werke folgten die ,,Drei-
hausergruppe 44 , der sogenannte ,,Hochzeitsturm 44 mit dem Ausstellungshause
und andere Ausstellungsbauten, viele groflere Villen, zwei Brunnen auf dem
Luisenplatze und eine auBerordentlich reiche Anzahl von Innenausstattungen,
endlich eine wahre Legion kunstgewerblicher Arbeiten * Dazu gesellten sich in
der letzten Lebenszeit O.s, als dessen Bedeutung immer mehr erkannt wurde,
auch eine Reiheauswartiger Auftrage, so z. B. in den Rheinlanden, flir die Aus-
stellungen in Koln und Mannheim, endlich der gewaltige Millionenbau des Waren-
hauses Tietz in Dusseldorf, dessen Vollendung der Kunstler aber nicht mehr
erlebte.
Wenn wir nun horen — und Otto Wagner hat es uns ja in seinem Nekrolog
gesagt — , dafl trotz all dieser reichen Tatigkeit in der neuen Heimat O. der
alten Heimat nicht vergessen konnte, sondern mit Freuden wieder nach Wien
gekommen ware, sofern man ihm nur jene Stellung geboten haben wiirde, die
seiner Bedeutung entsprach, so mufi uns diese Treue des Kiinstlers mit tiefer
22*
340
Olbrich.
menschlicher Sympathie fur ihn erfiillen, zumal wir wissen, dafi ihn seine Sehn-
sucht nach der Heimat bis in den Tod begleitet hat.
O.s Tod trat, wenn audi nicht plotzlich, so doch unerwartet fruh ein. Eine
tuckische Krankheit, von der es keine Heilung gibt, Leukamie, hatte den bis
dahin kraftigen und gesunden Mann befallen. Wie der Maler Clarenbach be-
richtet hat, traf er O. am Morgen des 3. August 1908 ,,als gealterten Mann,
der eben dabei war, sich mit Aufbietung aller Krafte muhselig anzukleiden und
auf alle Fragen nur leise Antworten lispelte, eines aber noch durchaus wollte —
arbeiten. 41 Doch schon am Sonnabend den 8. August starb der Kiinstler. „ Jetzt,
da der Tod diese Riesenkraft gebrochen" — mit diesen Worten schliefit Wagners
schoner Nekrolog — ,,kann die Welt crfahren, dafi des Kiinstlers Ehrgeiz und
sein Arbeitseifer mafilos waren, und dafi er kurz vor seiner Erkrankung sagte,
dafi all* seine Arbeit bis jetzt nur ein winziger Bruchteil dessen sei, was er noch
leisten werde, leisten miisse. u
Trotz dieses kraftvollen, impetuosen Grundzuges in seinem Charakter war
O. von ungewohnlich stillem, zuriickhaltendem Wesen. Eine starke Menschen-
verachtung sagten ihm diejenigen nach, die ihn nicht naher kannten. Er
,,brauchte 44 keine Menschen und suchte sie deshalb auch niemals auf. Am
glticklichsten war er allein bei seiner Arbeit. Alles Gesellschaftsleben und kon-
ventionelle Treiben war ihm verhafit. Aber fiir sich selbst, sein Haus und seine
Familie liebte er vornehme, ja luxuriose Lebensfuhrung. Glanz und Reichtum
mufite ihn umgeben. Edles Metall, Steine, Perlen, Seide, schone Blumen,
Fruchte und Kunstwerke, vor allem aber Farbe verlangte er stets um sich zu
sehen. 0. war auch durch und durch Kulturmensch im besten, man konnte
sagen, im antiken Sinne des Wortes. Daher war ihm alles sogenannte Boh^me-
tum widerwartig, zum wenigsten hatte er keinerlei Verstandnis dafur. Nebst
seiner Kunst liebte er am meisten die Musik, auch das Theater, und er war ein
begeisterter Schwarmer fiir Richard Wagner. Von den historischen Kunstlern
seines Fachs verehrte er am hochsten Michelangelo; von modernen Bau-
ktinstlern schatzte er Berlage, den Erbauer der Amsterdamer Borse, sehr hoch,
von den modernen Malern Walter Crane und Toorop, diesen als dekorativen
Maler. Eine nationale Uberzeugung in der Kunst gab es fiir O. nicht, er war
vielmehr von der internationalen Giiltigkeit der Kunst durchdrungen. Soge-
nannte Heimatskunst, Denkmalpflege und ahnliches belachelte er als Zeichen
kiinstlerischer Unfruchtbarkeit. In seiner politischen Gesinnung war er demo-
kratisch. Fiirstentum nahm er nicht ernst; Beamtendiinkel verachtete er.
Sehr gem hatte er dagegen einfache Leute auf dem Lande und fand besonders
an deren Hausern und Garten groflen Gef alien. Oberhaupt: in O. vereinigte
sich der einfachste, gemiitsvollste Naturmensch mit dem vollendetsten Lebens-
kiinstler, der fiir die raffiniertesten Kulturfeinheiten vollstes Verstandnis hatte.
Dafi ein Talent von solch moderner Pragung wie O. auch tief erfiillt war
von der Giiltigkeit des Kunstglaubens seiner Zeit, dafi er also die Architektur,
wie sie die neunziger Jahre verstehen wollten, keineswegs fiir eine blofie Kunst
des Uberganges hielt, sondern von ihrer Lebensfahigkeit und Endgiiltigkeit
iiberzeugt war, bedarf kaum erst der Versicherung. Aber dieser kiinstlerische
Glaube O.s wurzelte ausschliefilich in seiner Phantasie. Theoretisch ist er dem
Problem der Baukunst, zumal der modernen, nicht naher getreten. Hielt er
doch gar nichts vom Nachdenken iiber die Kunst, war er doch iiberzeugter An-
Olbrich. Messel. 34 1
hanger des intuitiven, nicht reflektierenden Schaffens. Alles Kunstgelehrtentum
— obgleich er es ja bedingungsweise gelten liefl — erachtete er in seiner Ge-
samtheit nur fur eine Gefahr fur das Volk, ftir das natiirliche, einfache, gerade
Empfinden verderblich. Und er wurde in dieser Meinung sicherlich von jenem
gesunden, kiinstlerischen Gefiihl geleitet, das — alles in allem gefafit — das
vielleicht wesentlichste Merkmal seiner ganzen Eigenart ausmacht
Prof. F. v. F e 1 d e g g.
Messel *), Alfred, Architekt, Regierungsbaumeister und Professor, * 22. Juli
1853 zu Darmstadt, f 24. Marz 1909 zu Berlin. — In Darmstadt besuchte M.
gemeinschaftlich mit Ludwig Hoffmann, dem derzeitigen Berliner Stadtbaurat,
das Gymnasium. Die Schulfreundschaft ward eine Freundschaft ftir Lebenszeit.
Und es benihrt schon, dafi der Freund des Freundes letztes Werk, den Monu-
mentalbau des Museums, nach dessen Tode zu Ende fuhrte.
Nach bestandenem Examen kam M. (1873) zwanzigjahrig als Baueleve
auf die Kunstakademie in Kassel. Im Jahre 1874 ist er in Berlin, wo er als
Schiiler der Bauakademie ein vierjahriges Studium absolvierte. Von seinen
Lehrern sind hier besonders der Geh. Hofbaurat Strack (der Erbauer der Ber-
liner Nationalgalerie) zu nennen; und weiter Lucae, Botticher, Ende. Nach
Abschlufl der Studienzeit kam die fiinfjahrige Baufuhrerzeit. Schon hier macht
sich sein Talent bemerkbar beim Siege in der Konkurrenz um den Schinkelpreis
1 881 (an der er sich als Mitglied des Architektenvereins zu Berlin beteiligte). —
1883 sehen wir M. in Italien, das er als Schinkelpreistrager durchstreifte. Weitere
grofiere Studienreisen flihrten ihn nach Spanien und Frankreich. Hier scharfte
er seine Empfindungskraft und drang er in das Wesen der alten Meister und
ihrer Kunst ein. Sie war ihm allezeit vorbildlich bei seinem Schaffen, das nie-
mals — wenigstens soweit es sich nicht um ganz neue Probleme handelte —
den Boden der Tradition verliefi. Als Regierungsbaumeister war er bis zum
Jahre 1888 im Staatsdienst.
Neben seiner Tatigkeit als Privatarchitekt entfaltete er lange Jahre hin-
durch eine ersprieflliche Lehrtatigkeit. 1885 — ^93 als Assistent der kgl. techni-
schen Hochschule Berlin, 1893 — 1896 als Leiter der Klasse fiir innere Dekora-
tion an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. 1894
wurde er zum Professor ernannt. Von weiteren aufleren Auszeichnungen sind
zu erwahnen: seine Ernennung zum Mitgliede der Akademie der Kiinste, die
Verleihung des Titels eines Dr. ing. honoris causa und schliefilich unter Berufung
zum Architekten der Koniglichen Museen die Ernennung zum Geheimen
Regierungsrat.
Langwierige Krankheit verhinderte ihn, seine letzten Bauten selbst zu
Ende zu fiihren, so das Wohnhaus Schone im Grunewald, die Brommy-Brucke
sowie das Kaiserin- Augusta- Viktoria-Haus in Berlin. In Regierungsbaumeister
Edmund May hatte er wahrend dieser trostlosen Zeit einen Mitarbeiter, dessen
Auge und Sinn eingestellt war auf seine Intentionen. Grofier Schmerz mag
ihn erfiillt haben, dafi er den Museumsneubau, ein Werk idealer Bestimmung —
wie es nur selten einem Architekten vergonnt ist — , nur in den ersten Anfangen
seiner Gestaltung hat erleben konnen. Sein treuer Freund, der Berliner Stadt-
Totenliste 1909, Bd. XIV, 60*.
342
Messel.
baurat Ludwig Hoffmann, trat hier fur ihn ein. — Bei der gemeinsamen hohen
Begeisterung beider Meister und ihrer stetigen engen Beziehung kann man zu
der Personlichkeit Ludwig Hoffmanns gewifl voiles Vertrauen haben bei Aus-
fuhrung des groBen Werkes.
M. war nicht von vornherein der Kiinstler mit dem so grofi klingenden
Namen. Er war kein Revolutionar in der Baukunst. Sein ganzes Leben ist
Entwicklung; ja, manche Bauten tragen die Entwicklungsspuren deutlich an
der Stirn.
In der 1 886 beginnenden Periode kunstlerischen Bauschaffens ist M. noch
ganz von Tradition und Schule getragen. Kayser und v. Groszheim, MaxGriese-
bach u. a. bestimmten damals die bauliche Asthetik Berlins. Deutsche Re-
naissance beherrschte das Berlinertum der achtziger Jahre. Von dieser Be-
wegung wurde M. fortgetragen. Aber man kann nicht sagen, dafi diese Be-
wegung etwas Ungesundes hatte — zu dieser fliichtigen Kritik neigen gerade
die Jungen. Es war durchaus deutsch, mit den Mitteln der Tradition dem
gewaltigen Problem des fiinfgeschossigen Mietshauses, das tiber Nacht kam,
gerecht werden zu wollen. Die Wohnhauser im Hansaviertel, in der Lessing-
strafie, die Volkskaffeehauser in der Chausseestrafie und der Neuen Schonhauser-
strafie gehoren dieser Periode an, insbesondere aber die Hausergruppe am
Kurfurstendamm in der Nahe der Kaiser- Wilhelm-Gedachtnis-Kirche. Der
Charakter dieser dekorativ stets reizvollen, nie (iberladenen Wohnhauser mit
ihren deutschen Renaissancegiebeln ist — das muC man sagen — der Metropole
durchaus entsprechend und jedenfalls befriedigender als der der heutigen Miets-
hausarchitektur, die in dem kastenmafiigen Nichts nur Armut beweist. Man
wiinschte, dafi man sich in den Strafien, die M. mit dem Wohlklang seiner
Stadthauser erfullte, letztere mehr zum Vorbilde genommen hatte.
Bei M.s spateren Bauten sehen wir diese Anknupfung an die Tradition
zu einem selbstschopferischen Empfinden aus altem Geiste sich verdichten.
Aus der Grundform eines Stils gelangte er allmahlich durchweg zu eigenen und
ausgesprochen personlichen Leistungen.
Mannigfaltig waren die Aufgaben, die M. gestellt wurden. Vom Landhaus
bis zum Monumentalbau — uberall wufite er den dem besonderen Charakter
des Bauwerks entsprechenden Ausdruck zu finden. In seinen Landhausern
offenbart sich reine Empfindungskunst, malerischer Sinn und hochgebildetes
Naturgefuhl. Aus der langen Reihe derselben seien hier nur aufgefiihrt: das
Schlofl Schonrade, die Villa Dotti mit ihrem poesievollen Pfortnerhaus, die
Villa Springer, weiter das Landhaus Wilhelm Wertheim, Braun, Bock, P. von
Mendelssohn in Bornicke bei Bernau, Dr. Oppenheim in Wannsee, Dr. Oster-
mann in Darmstadt. — In den stadtischen Wohnhausern (zu denen in weiterem
Sinne auch die Wohnhauser im Grunewald rechnen, wie das fur S. Exzellenz
Schone) dagegen steht er unter einem gewissen monumentalen Zwange. Das
Haus der Metropole mufi monumental sein. So gelangt er ganz naturlich zu
einem Schaffen im Geiste des Barocks, das Berlin und insbesondere Potsdam
in mannigfachen Modifikationen den Charakter gegeben hatte. Gerade fur
Potsdam fuhlte M. auch stets eine grenzenlose Begeisterung, weil Potsdams
Architektur ihn preufiischer anmutete wie der strenge Klassizismus Schinkels.
So treffen wir bei M.s Berliner Bauten fast durchgehends den Pfeilerbau mit
seiner so ausdrucksvollen Patrizierwurde.
Mcsscl. 343
Schon im Hause Tauentzienstrafie 14 befolgte er diese Tendenz. Bald
folgt das Haus der Handelsgesellschaft am Gendarmenmarkt, das er im Gegen-
satze zur uberladenen Prachtarchitektur sonstiger Bankhauser als Bureauhaus
behandelte. Es ist von wahrhaft palladiesker GroOe und tritt als Inbegriff
handelsherrlicher Reprasentation in die Erscheinung. Der Sockel in seiner
beredten Steinsprache erinnert an die burgartige Kraft des Palazzo Pitti in
Florenz. — Im Gebaude der Landesversicherungsanstalt am Kollnischen Park
(aus dem besonders deutlich die auf Sachlichkeit und Materialgerechtigkeit
gerichtete Baugesinnung der Zeit spricht) macht er den strengen Ernst des
staatlichen Bureaugebaudes durch die aus dem Erdboden wachsenden Pfeiler
kenntlich. Im Bureaugebaude der Allgemeinen Elektrizitatsgesellschaft steigert
er die burgartige Kraft — der Reprasentation einer industriellen Grofimacht
entsprechend — ins Gewaltige, Drauende. — Auch die Wohnhauser Felix Simon
in der Matthaikirchstrafie und Eduard Simon in der Viktoriastrafie gehoren
in diesen Zusammenhang. Letzteres ist sogar als Hauptwerk M.s anzusehen,
weil es als Rahmen fiir die uberaus wertvollen Sammlungen eines passionierten
Kunstfreundes M.s auflerordentliche Gabe des Sich-Einfiihlens in historische
Stilarten und selbstschopferischen Weiterentwickelns am klarsten zeigt, in der
Fassade dagegen die hier besonders edle Rhythmik des Pfeilerbaus, der die
Mannigfaltigkeit des Interieurs nach aufien ruhig abschlieflt. —
Den ersten groflen Schritt zur Eigenpersonlichkeit machte M., als er vor
das Problem des Geschaftshauses gestellt wurde. — Das Werderhaus am
Werderschen Markt in Berlin ist noch voller Konvention. Die Architektur
steht noch in keiner naturlichen Beziehung zu der praktischen Bestimmung
des Baus. Und das gleiche gilt von dem Geschaftshaus in der KrausenstraOe.
Erst im Wertheim-Bau in der OranienstraOe kommt er dem durch
seine Bestimmung gegebenen Charakter des Geschaftshauses naher. Hier wird
die Konstruktion fiir den Bau mafigebend; in der Leipziger StraOe
beherrscht sie vollends souveran die Architektur, dieser eine neue Form schaf-
fend. Und diese Konstruktion war bestimmt durch die fiir die gewaltigen
Geschaftsraume erforderlichen Lichtmengen. — Das Neue der Form bestand
in einem System schmaler Pfeiler, in denen die Massivdecken verankert liegen;
als Rest blieben die breiten und hohen Fenster, welche obendrein vor die Pfeiler
schaukastenformig herausgezogen wurden. — Reichliches Licht war die Haupt-
bedingung beim aufieren wie inneren Aufbau. Daher ergab sich auch die Anlage
eines glasuberdeckten Lichthofes wie von selbst. Hier konnte der Kunstler
seine Fahigkeit zu groflzugiger, raumkunstlerischer Gestaltung voll entfalten.
Diese Architektur war von typenbildender Kraft; aber sie war nicht Ausdruck
eines neuen Geistes, sondern nur eines neuen Zweckes. Sie ist lehrhaft deutlich
wie eine gotische Konstruktion, die am tektonischen Gedanken ihre Freude hat.
— Zweck in Schonheit — das war dem Schlufistein dieses Wertheimbaus, dem
Hallenbau am Leipziger Platz vorbehalten.
Der Wertheimbau machte M. mit einem Schlage beruhmt. Hatte er doch
die formenschopferische Auf gabe einer modernen Auf gabe erfaflt und ausge-
bildet, hatte er doch gezeigt, wie aus dem Zweck allein neue Form entstehen mufl.
Schon in der Fassade des Erweiterungsbaus in der Voflstrafle aber wufite
M. den Eindruck des rein Geschaftshausmafiigen zu mildern zugunsten eines
ausgesprocheneren Stilgefuhls. Auf die hier zutage tretende gotisierende
344
Messel.
Charakteristik der Bauglieder gelangte er durch das BewuBtsein der Verwand:-
schaft zwischen modernem Konstruktionsstil und alter gotischer Konstruk-
tionsart. In die gleiche Periode fallt derBau der Filiale in der Rosenthaler StraBe,
der streng und feierlich wie eine englische Kathedrale das steinerne Meer des
nordlichen Berlins beherrscht.
Noch weiter ging M. in der Fassadengestaltung am Leipziger Platz. Hier
standen ringsum die groBen, reprasentierenden Palaste, die die Grunflache
umsaumen. Hier war also ein KompromiB zu finden zwischen einer Geschafts-
hausfassade — wie sie an der Leipziger StraBe errichtet worden war — und der
Grofiartigkeit der vorhandenen Architektur des Platzes, iiberhaupt des Platzes —
eines der prachtigsten Berlins. So kam er zu der offenen Halle im ErdgeschoD.
Die Schaufenster der Platzseite liegen — dem Auge versteckt — im Schatten
der Ruckwand. Das ObergeschoB dagegen scheint aufgelost durch ein System
hoher, breiter, durch schmale Pfeiler getrennter Fenster, die den groBen Teppich-
saal andeuten. Der Eindruck ist aber von innen wie von auflen der einer ge-
schlossenen Flache, durch das wie bei gotischen Kirchenfenstern verwendete
Buntglas. Dadurch wird die raumkiinstlerische Wirkung so gesteigert. In
diesem Eckbau ist alles unmittelbare Schonheit. Nichts ist von reiner Zweck-
maBigkeit zu spliren. Im Gegenteil, die hier angebrachte Plastik — Architektur-
plastik im wahrsten Sinne des Wortes — uberstreut in reicher Fiille alle Fassaden-
flachen, lost sie in sinngemaBen Schmuck fast auf. Wie wachst hier die Plastik
mit dem Stein zusammen, ist Bestandteil des Gefiiges! M. war der erste, der
an diesem Bau das Wesen der Architekturplastik neu klarte, der wieder den
strengen, logischen, baumeisterlichen Gedanken der Gotik — die Plastik der
Architektur dienen zu lassen. — zur Durchfuhrung brachte. Die Monumen-
talitat des Zwecknaturalismus steigert sich an diesem Bau zu reprasentativer
Monumentalitat. Wir stehen vor einer Schopfung, die in die wahre Sphare der
Kunst reicht, wo Notwendigkeit zur Freiheit wird, wo das Gesetz des Stoffes
sich auflost in festlichen Zauber. —
Mit deip eigentlichen Zweck des Warenhauses hat die Schonheit des Eck-
baus allerdings nichts zu tun. Auch ist sie kein Dokument souveraner Schopfer-
kraft oder gar Geniegrofie. Was an dem Eckbau so entziickt, ist die gewaltige
Schonheit der Formen als solcher, deren Anklange an gotische Kathedralen.
Es ist eine Weiterentwicklung eines alten Stils — in allerdings unerhort schoner
Verwendung. —
Es ist iibrigens fiir die Kunstbetrachtung von ungemein seltenem Reiz,
hier die stufenweise Entwicklung des kunstlerischen Phanomens M. aus kon-
struktiv-theoretischen Anfangen (an der Leipziger Strafie) bis zu den letzten
Konsequenzen der Raumkunst sowie der bildenden Kunst (am Eckbau) zu
verfolgen. In der Tat eine Entwicklung wie bei den groBen Kirchenbauten
des Mittelalters nur in die Zeit eines Jahrzehnts gespannt.
Ahnlich wie am Wertheimbau veranschaulicht sich M.s kiinstlerische Ent-
wicklung an einem anderen Monumentalbau idealer Bestimmung, dem Grofi-
herzoglichen Museum in Darmstadt. 1892 begonnen, erforderte der Neubau
nicht weniger als 13 Jahre — in dem Turm an der Siidostseite den letzten
Akzent erhaltend. Ein Bau, der nach MaBgabe der vorhandenen Mittel in
Etappen fortgefuhrt, so eine Situation zur Anbahnung kunstlerischer Steige-
rung des Baugedankens schaffte. Im Gegensatz zum Wertheimbau aber aus
Messel. 245
eincm GuQ geschaffen; da M. hier ja die Hauptmittel auf die Fassade als solche
als letztes am Bau warf. Und im Innern des Museums brachte er dann zum
Ausdruck, was audi fur die Berliner Museumsbauten ein Hauptgedanke sein
sollte (und was schon das Wohnhaus Simon zeigte): kunstlerische Einheit
zwischen Ausstellungsraum und Ausstellungsgegenstand. Verwiesen sei nur
auf den kleinen mittelalterlichen Hof mit dem malerisch anheimelnden Erker. —
Auch in Ms monumentalen Raumschopfungen spiegelt sich die Steigerung
seiner kunstlerischen Entwicklung wieder. 1st er im Thronsaal des Palazzo
Caffarelli in Rom und im Ministerzimmer des PreuBischen Abgeordnetenhauses
noch vollig im Bann der Renaissance, ringt er sich im Sitzungssaal der National -
bank (der ganz in Holz ausgebaut ist) sowie der Handelsgesellschaft und weiter
imOnyxsaal mit dem Spiegelbrunnen imWertheim-Anbau nachderVoflstraBe zu
freiererGestedurch, um imgrandiosenLichthof desEckbaus zu leuchtenderHohe
aufzusteigen. Dieser einzigartig schone Lichthof mutet wie die Erflillung dessen
an, was die phantastische Kopffassade dem vom Platze Nahenden verheiflt,
insbesondere wenn abends zauberprachtig die hohen Buntglasfenster leuchten.
M.s letzte Bauten entfernen sich mehr und mehr von allem, was originell
personlich sein konntc. Der formale Ausdruck seiner Bauwerke wird immer
knapper, die Kunst — mit wenigem viel zu sagen — immer reifer.
M. geht in der Beschrankung der auBeren Mittei allmahlich auf die Richtung
zu, welche das Berlin um 1800, das Berlin Gillys, Gentzens und Langhanscns
bereits eingeschlagen hatte. Man spurt eine immer groflere Vertiefung in den
Geist dieser Zeit, eine Anknupfung an die beste Berliner Tradition, die vor
Schinkels reinem Klassizismus markischc Unmittelbarkeit voraus hatte, weil
sie lebendiger noch in der letzten Stilkonvention, im Spatbarock, ihre Wurzel
hat. Diese Tendenz kann man am Bau der Nationalbank, aber noch klarer
am Haus Schulte unter den Linden verfolgen, dessen Fassade M. leise an Alt-
berliner Bauformen anklingen laflt. Dabei entspricht jedoch dieser Bau ganz
und gar dem Charakter der Weltstadthauptstrafie, der sich hier auf teurem
Grund und Boden entwickelnden Geschaftsstrafle. —
Dieses Wesensprinzip macht sich dann am meisten bemerkbar in M.s
Projekt fur das Kunstforum auf der Museumsinsel, das, neben Schinkels Museum
gestellt, frei und selbstandig zwischen diesem und etwa demGeiste des Branden-
burger Tores vermittelt, dessen Idee aufleben lassend.
Das ist ja gerade fur M.s Werk charakteristisch, dafi er nie daran dachte,
Kunstrevolutionar zu sein. Gerade infolge seiner akademischen Bedingtheit,
die den sicheren Boden fur sein Schaffen abgab, die dem Zeitinstinkt entsprach,
war er zur Forderung groBstadtischer Architektur berufen, zum Werkzeug
fortschreitenden Gesamtwillens. M.s Bedeutung besteht darin, dafi er den
Eklektizismus seiner Zeit bis zur Wurzel verjungte, dafi er das akademisch
Cberlieferte modernisierte, dafi er Modernitat innerhalb einer sicheren, historisch
gewordenen Form wollte. Die eigentlichen Traditionskeime, die er in der Kunst
der unmittelbaren Vorganger Schinkels sah, erkannte er und zog daraus die
praktische Folge fur seine Zeit.
Und deshalb ist seine Kunst so entwicklungsfahig, wie es diejenige Schinkels
war. Deshalb ist er der Meister, der Schule machte, der mit seiner Lebensarbeit
auf die Kunstanschauung unserer Zeit einen so veredelnden EinfluB ausubte. —
Ein seltsam tragisches Geschick war es, dafi der Tod Alfred M. vor der
346
Mcssel. Helfert.
Formwerdung seines grofiten Monumentalbaus, der ihn mit hochster Schopfer-
wonne erfiillte, vor der Kronung seines Werkes dahinraffte.
Dr. Kurt Pallmann.
Helfert 1 ), Joseph Alexander Freiherr v., * 3. November 1820, f 16. No-
vember 1 910. Osterreichischer Historiker. — Freiherr v. H. war der Sohn
des Professors des romischen und des kanonischen Rechts an der Prager Uni-
versitat, Joseph H., der von 1790 bis 1847 lebte. Der Vater erzog ihn, wie er
in seinen Erinnerungen »Aus dem Elternhaus« erzahlte, streng, aber liebevoll,
und fafite fiir ihn die diplomatische Laufbahn ins Auge. Der junge H. war
jedoch mehr fur die Tatigkeit des Gelehrten geboren; er machte seine Studien
zu Prag, erlangte daselbst 1842 das juristische Doktorat und wurde im Jahre
darauf Assistent an der Lehrkanzel seines Vaters. Fiir kurze Zeit vertauschte er
diese Stelle 1847 mi ^ der eines Assistenten an der Lehrkanzel fiir romisches
und kanonisches Recht am Theresianum in Wien; nochim selben Jahre erfolgte
dann seine Ernennung zum supplierenden Professor jenerFacher anderUniversi-
tat zu Krakau. Er ware wohl, da er mehrere Schriften juristischen Inhalts ver-
offentlichte und auch das Handbuch seines Vaters uber Kirchenrecht aufs neue
herausgab, noch weiter Jurist, besonders des kanonischen Rechtes, geblieben,
wenn das Revolutionsjahr 1848 nicht auch in seinem Leben Epoche gemacht
hatte. Der deutschbohmische Wahlkreis Tachau entsendete ihn in den
osterreichischen Reichstag, in dem er sich mit jugendlichem Eifer betatigte.
Nach Erziehung und Neigung war er streng konservativ und monarchisch
gesinnt, dabei ein glaubiger Katholik, wenn auch gegen anders Denkende nicht
unduldsam; so warf er sich der herrschenden Stromung entgegen und ging in
der Verfechtung der Staatsautoritat wider die Revolution so entschieden vor
wie irgend jemand. Er hielt es auch fiir unrecht, bei der auch von ihm ge-
billigten Aufhebung der den Bauern obliegenden Fronden und Giebigkeiten
die Grundbesitzer zu benachteiligen, und trat am 24. August in nachdrucklicher
Rede fiir deren Entschadigung ein. Die Feindseligkeit der demokratischen
Linken, die er sich auch sonst durch seine Haltung, so durch seine Rede gegen
Ungarn am 19. August, zuzog, beantwortete er mit gleicher Miinze. Eben-
dadurch lenkte er aber auch die Aufmerksamkeit der Manner auf sich, die
ihren Beruf in der Wiederherstellung der Staatsautoritat sahen, besonders des
Grafen Franz Stadion, der die Seele der neuen Organisation des Reiches im
Innern zu werden bestimmt war. Stadion ubernahm im Kabinett Schwarzen-
berg das Ministerium des Innern und die Leitung des Unterrichts; gleichzeitig
erfolgte die Ernennung H.s zum Unterstaatssekretar im Unterrichtsmini-
sterium (13. November 1848). Es war fiir den erst 28 jahrigen Mann ein un-
erwartet rascher Aufstieg. Er blieb aber auch weiter Mitglied des Reichstags
und bekampfte als solcher in einer Rede vom 16. Januar 1849 die vorgeschlagene
Fassung der Grundrechte, besonders die Abschaffung des Adels, und am 3. Marz
die Trennung des Staates von der Kirche.
Als Unterstaatssekretar hatte H. Anteil an der Vorbereitung zur Reform
des osterreichischen Unterrichtswesens; doch geht auch aus seinen »Erlebnissen
und Erinnerungen« hervor, dafl der eigentliche Trager zumal der Reformen
1) Totenliste 191 o, Bd. XV, 36*.
Helfert.
347
der Universitaten, Franz Exner, sein ehemaliger Lehrer der Philosophic an
der Prager Hochschule gewesen ist. Anfangs hatten die leitenden StaatsmSnner
die Absicht gehabt, H. das Ministerium des Unterrichts zu ubertragen, und
er selbst hegte die Hoffnung, es werde dazu kommen. Indessen lenkte sich die
Aufmerksamkeit der Regierung auf den Graf en Leo Thun, der am 28. Juli 1849
zum Minister fur Kultus und Unterricht ernannt wurde. Thun trat mit einem
gewissen Vorurteil gegen H. ins Amt, so dafi dieser beinahe befiirchtete, seine
Stellung ware erschuttert. Exner aber sprach H. warm das Wort, so dafi Thun
ihn schatzen lernte; so bahnte sich das wiinschenswerte Verhaltnis zwischen dem
Minister und seinem Unterstaatssekretar an. —
Zunachst bearbeitete H. die kirchenpolitischen Angelegenheiten, wofur
ihm als friiherem Lehrer des kanonischen Rechts die Kenntnisse zur Verfiigung
standen. Dabei nun zeigte es sich, dafi er, so treu er auch zur katholischen
Kirche hielt, nicht im Sinne hatte, die Rechte desStaates preiszugeben. Damals
verlangten die Bischofe von der Regierung in Eingaben, die in der Hauptsache
von dem spateren Kardinal Rauscher herruhrten, die vollstandige Aufgebung
der von Joseph II. erlassenen kirchenpolitischen Gesetze; sie bekampften besonders
das Placetum regium, dann die Beschrankung der geistlichen Gerichtsbarkeit
wie des Klosterwesens. H., dem das Referat in dieser bedeutsamen Angelegen-
heit ubertragen war, legte seine Ansicht in mehreren Denkschriften dem Unter-
richtsministerium dar (November, Dezember 1849). Darin willfahrte er wohl
bezuglich des Unterrichtswesens den Bischofen; dagegen empfahl er betreffs
der geistlichen Gerichtsbarkeit, des Klosterwesens und des Placetum regium
einen Mittelweg. Am wichtigsten war, dafi er die Kundmachung von papst-
lichen Bullen und bischoflichen Hirtenbriefen nicht vollig freigeben wollte,
sondern daran festhielt, dafi sie vor ihrer Veroffentlichung der Staatsbehorde
vorgelegt werden mufiten. Es sollte von der bisher notwendigen Erlaubnis
der Regierung abgesehen werden, aber ihr ein Veto vorbehalten sein. Es scheint,
dafi der Minister sich damals im Einverstandnisse mit seinem Referenten befand,
aber unter der Einwirkung Rauschers und des Kardinals Schwarzenberg wandte
er sich immer mehr der streng kirchlichen Richtung zu. H. sah seine Gut-
achten beiseite geschoben, und durch die Kaiserliche Verordnung vom 18. und
23. April 1850 wurde die josephinische Gesetzgebung vollstandig aufgehoben; so
wurde der Weg zum Abschlusse des Konkordats von 1855 frei gemacht. Es
scheint, dafi H. dieser letzten Wendung fern stand. In seinen »»Erlebnissen
und Erinnerungen« hob er 50 Jahre spater hervor, dafi er 1849 die Rechte des
Staates scharfer wahren wollte, und er legte auch sonst Wert darauf, dafi seine
einen mittleren Weg empfehlenden Gutachtfcn nicht vergessen wurden x ).
Wie sich diese Dinge immer verhalten mogen, jedenfalls war H. weiterhin
im Ministerium fur Kultus und Unterricht vorzugsweise auf einem andern
Gebiete, dem der Volksschule, tatig, widmete sich ihrer Verwaltung aufs eifrigste
und veroffentlichte daneben 1859 — 1861 das dreibandige Werk »System der
osterreichischen Volksschule«, welches die Geschichte dieser Institution seit
Maria Theresia, deren Statistik, wie die einschlagigen Gesetze und Verordnun-
gen enthalt. Am 21. Oktober trat die wichtige Anderung ein, dafi, um
den ungarischen und slawischen Gegnern der Staatseinheit zu gefallen, das
*) H. Friedjung, »Ostcrreich von 1848 — i86o« t 2. Bd., 1. Abt. (3. Aufl.), S. 489.
348 Helfert.
Ministerium fiir Kultus und Unterricht als Reichsbehorcle aufgelost und seine
Cisleithanien betreffenden Angelegenheiten dem Staatsministerium zugewiesen
wurden. An die Spitze des also gebildeten Departements wurde am 21. Oktober
i860 H. gestellt mit dem Titel eines »Leiters des Ministeriums fiir Kultus und
Unterricht<<. In dieser Stellung blieb er unter den Staatsministern Goluchowski
und Schmerling bis zum Jahre 1863. Unterdessen machte die liberate Stromung
grofie Fortschritte, eine neue Ordnung der Dinge bereitete sich vor, die spater
in der freisinnigen Verfassung der Volksschule von 1869 verwirklicht wurde.
H. stand als Fursprecher des Einflusses der Kirche auf die Schule im Wege,
und er war auch nicht der Mann, sich gegen seine Oberzeugung dem Liberalismus
anzuschmiegen, dem er religios wie politisch abgeneigt war. Bei der neuen Or-
ganisation der Leitung des Unterrichtswesens 1863 schied er daher aus dem
Ministerium. Wohl wurde er im selben Jahre zum Prasidenten der Zentral-
kommission fiir Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale ernannt, aber
seine Tatigkeit in der Staatsleitung war damit zu Ende, obwohl fiir eine Kraft
wie die seinige zum Besten der Verwaltung eine Stelle hatte gefunden werden
sollen. Seine Verdienste waren ubrigens dadurch anerkannt worden, dafl er
1854 in den Freiherrnstand erhoben und 1861 zum Geheimen Rat ernannt
wurde.
57 Jahre blieb er dann in losem Verbande mit der Staatsverwaltung, und
dieser lange Zeitraum war vornehmlich geschichtlichen Studien und Arbeiten
gewidmet. Noch im Amte befindlich, hatte er auf diesem Gebiete einiges ver-
offentlicht, so die beiden anonym erschienenen Biicher »Mailand und der lom-
bardische Auf stand Marz i848« (Prag 1854), dann »Aus Bohmen nach
Italien Marz i848« (Wien 1861), ferner eine Studie tiber »Hufl und Hierony-
mus« (Prag 1853). In der letzteren ist seine Stellung zur bohmischen Frage
im Keime erkennbar. Er nimmt an dem nationalen Aufschwunge der Tschechen
und ihrer Literatur sympathischen Anteil, wenn er sich auch nicht zu ihnen
zahlt, warnt aber dabei vor Ubertreibungen und vor Wiedererweckung der
revolutionaren Erinnerungen aus der Hussitenzeit. Auch hatte er eine Schrift
»t)ber Nationalgeschichte und den gegenwartigen Stand ihrer Pflege in Oster-
reich« (Prag 1853) herausgegeben, in der er einige Anregungen zum Betrieb
der historischen Forschung in Osterreich gab. Als er i860 zum Prasidenten des
osterreichischen Volksschriftenvereins gewahlt wurde, hatte er Gelegenheit,
fiir die praktische Ausfuhrung dieser seiner Ideen zu wirken; er gab hier die
Anregung zur Schaffung einer ^Osterreichischen Geschichte fiir das Volk«,
fiir welche er das Programm entwarf und deren Ausarbeitung er iiberwachte.
Nach seinem Entwurf wurde diese osterreichische Geschichte zwischen 1864
bis 1882 in 20 Banden herausgegeben. Er selbst schrieb fiir die Sammlung
den Schluflband, der die Zeit der Befreiung von der Herrschaft Napoleons 1812
bis 181 5 umfafite. Trotz der guten Absicht gelang es jedoch nicht, ein popu-
lares Werk hervorzurufen, was schon durch dessen grofien Umfang ausgeschlossen
war. Auch wufiten die wenigsten der gelehrten Mitarbeiter den Ton furs Volk
zu treffen, wobei Manner wie Huber und Krones, Gindely und ZeiOberg an
Sachkunde nichts zu wiinschen iibrig liefien.
Daneben widmete H. seine Kraft eigenen Werken auf zwei Stoffgebieten,
vor allem tiber die Osterreichische Revolution von 1848. Diese Biicher waren es,
die ihm einen allseits geachteten Namen verschafften. Sein Bienenfleifi ist ebenso
Helfert.
349
anzuerkennen wic sein Streben, iiber die Vorgange in alien politischen und
nationalen Lagern Licht zu verbreiten. Er selbst hatte die Zeit als tatiger
Mitarbeiter miterlebt, kannte nahezu alle Personen, die in Osterreich an den
Ereignissen teilgenommen hatten und sparte nicht Zeit noch Muhe, sich bei
ihnen Rat und Kenntnis zu holen. Er selbst besafi eine uberaus reichhaltige
Sammlung von Biichern, Broschuren, Gedichten, Kupferstichen, Bildern, Zeit-
schriften iiber die Geschichte seiner Zeit, eine der grofiten Kollektionen, die von
einem Privaten in Osterreich zusammengebracht worden ist; er erstattete
iiber sie in seiner Schrift »Sammlung Helfert« (Wien 1898) willkommenen
Bericht. Auch kam ihm zugute, dafl ihm, der Exzellenz, amtliche Quellen,
besonders die Akten des Ministeriums des Aufieren, zur Verfugung standen,
die anderen Forschern noch lange verschlossen blieben. Ebenso eroffneten
ihm viele aristokratische Familien ihre Archive, im Vertrauen auf seine hohe
soziale Stellung wie auf seine konservative Gesinnung. So entstand sein Haupt-
werk »Geschichte Osterreichs vom Ausgange des Wiener Oktoberaufstandes
i848«, welches, wiewohl es nur vom Oktober 1848 bis Marz 1849 reicht, sechs
Bande umfaflt; die politischen und die nationalen Kampfe wie die MaBregeln
der Regierung werden bis in die Einzelheiten erzahlt. Der erste Band »Die
Belagerung und Einnahme Wiens Oktober i848« und der zweite »Die Revolution
und Reaktion im Spatjahr l848» erschienen im Jahre 1869. Der dritte,
1872 veroffentlicht, enthalt »Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Josef I.«;
der vierte Teil (in drei Bande zerfallend, von 1875 bis 1886 erschienen) benennt
sich »Der ungarische Winterfeldzug und die oktroyierte Verfassung«. Er selbst
crklart es in der Einleitung des letzten Bandes fiir unmoglich, voile Unparteilich-
keit walten zu lassen, wo das Herz mitbeteiligt ist; er bekennt sich zu dem
Urteile eines ihm wohlwollenden Kritikers, dafl die ihn »erfullende kaiserliche
Parteiansicht auch iiberall in seinem Werke zutage tritt«. Er ist schwarz-gelb
bis ins Innerste und steht auf seiten derjenigen, die es verstanden haben, die tief
erschiitterte Kaisergewalt nach den Sturmen der Revolution wieder aufzurichten,
Windisch-Gratz und Jellaiid, Schwarzenberg und Stadion sind seine Helden,
auf die er wohl allzuviel Licht fallen lafit. Den Mannern der Revolution da-
gegen ist er oft nicht gerecht geworden, und so wohlwollend auch seine Per-
sonlichkeit war, so klingt aus seinen eigenen Erfahrungen manche Bitterkeit
nach. Er war aber keineswegs ein Schmeichler, wie besonders aus dem Bande
hervorgeht, in welchem er den Winterfeldzug der kaiserlichen Armee in Ungarn
schildert, wobei er die unzureichendcn MaBregeln des Fursten Windisch-Gratz
und eines Hauptquartiersbeleuchtet. DieFamilie des Feldmarschalls war damit
unzufrieden, und es ergaben sich Schwierigkeiten wegen der ferneren Benutzung
ihres Archivs. Dies wie andere Umstande bestimmten H., die Erzahlung, die
er urspriinglich bis zur Niederwerfung des ungarischen Aufstandes August 1849
hatte fiihren wollen, friiher zu schlieflen. In seiner Gesamtauffassung ist H.
nicht etwa ein grundsatzlicher Gegner der Revolution von 1848, sondern erkennt
an, dafl eine Staatsumwalzung unumganglich notwendig war, um an die Stelle
der feudalen Staatsordnung eine moderne zu setzen. In der bereits er-
wahnten, 1886 erschienenen Einleitung des Schluflbandes schrieb er die Worte
nieder: »Die Hauptgrundlagen der neuen Gestaltung der Dinge, die aus den
Wirren und Kampfen des Jahres 1848 hervorgegangen waren, sind doch in der
kurzen Zeit des Riickstauens nie ganz vemickt worden, bis sie nach einer neuen
350
Helfert
Schule des Ungliicks zu abermaliger und nun hoffentlich dauernder Geltung
gelangten.« Deshalb hielt er auch die 185 1 verfugte Aufhebung der Verfassung
flir einen Fehler, bezeichnete diese Maflregel im vertrauten Gesprach als »den
ersten Wortbruch« und zog es, um iiber die Reaktion nicht die Verurteilung
aussprechen zu miissen, wohl vor, iiber die Epoche von 1849 bis i860 nur ge-
legentlich zu schreiben.
Jenes umfangreiche Werk steht im Mittelpunkt einer grofien Anzahl von
Veroffentlichungen, die dem Revolutionsjahr galten. Es lag eine Art Huldigung
fur dieses Ereignis darin, dafi er es nach alien Seiten literarisch auszuschopfen
bemiiht war. Zunachst seien zwei selbstandige Publikationen erwahnt, die ver-
dienstvollen Bucher »Die Wiener Journalistik im Jahre l848« (Wien 1877) und
»Der Wiener Parnafi im Jahre i848« (Wien 1882), das letztere eine Sammlung
von Zeitgedichten, die spater in Geschichtsblichern wie in Zeitungen stets aufs
neue benutzt wurde, ohne immer zitiert zu werden. Diese und andere Ver-
offentlichungen gingen neben einer schier endlosen Reihe von Aufsatzen her,
die er in Zeitschriften, Almanachen und Jahrbuchern drucken lieC. Sie erschie-
nen in friiheren Jahren gewohnlich im »Osterreichischen Volks- und Wirtschafts-
kalender« und in den »Abendstunden«, bis er im Jahre 1877 die Redaktion des
vom Osterreichischen Volksschriftenverein herausgegebenen ^Osterreichischen
Jahrbuches« ubernahm; bis an sein Lebensende wurde das Jahrbuch so ziemlich
in jedem Bande mit seinenumfangreichen Beitragenbereichert, diedannmeistens
auch im Separatabdruck erschienen sind. Es lag in der Natur der Sache, dafi
mit fortschreitenden Jahren die Art seiner Darstellung weniger lebendig wurde,
zumal da es ihm vor allem um die Veroffentlichung des Stoffes zu tun war,
der ihm aus dem Nachlasse seiner absterbenden Zeitgenossen zuflofi. Wichtiges
und weniger Wichtiges ist mit gleicher Ausfuhrlichkeit behandelt, so dafi der
Gewinn fur unsere Geschichtskenntnis nicht im Einklange mit dem Umfange
dieser Schichten steht. Doch verdienen die Abhandlungen iiber »Die konfessio-
nelle Frage 1848 in Osterreich« (Osterreichisches Jahrbuch 1882 — 1889), dann
die »Skizzen aus dem Leben des Grafen Thun« (Osterreichisches Jahrbuch
1891 — 1894), die aber leider nur bis zur Ministerschaft Thuns reichen, ferner
die Biographie des Statthalters Alois Fischer (W 7 ien 1885) Beachtung. Frisch
und anschaulich dagegen sind die »Erlebnisse und Erinnerungen« geschrieben,
die noch spater zu erwahnen sind.
Da er also auch iiber die Zeit vom Marz bis Oktober 1848, die seinem ge-
nannten Hauptwerke vorherging, so viel gesammelt hatte, fafite er im hochsten
Greisenalter den Entschlufl, die vielen Dutzende von Biichern, Aufsatzen und
Feuilletons zu einem einheitlichen Werke zusammenzufassen, welches die Zeit
bis zum Oktober schildern sollte. Er war 87 Jahre alt, als er den ersten Band
der »Geschichte der osterreichischen Revolution« (Freiburg und Wien 1907)
erscheinen liefi. Er nahm urspriinglich an, mit zwei Banden auszukommen;
aber der zweite, 1909 erschienene, reicht nur bis zu den Ereignissen des Mai.
In der Einleitung zu diesem Buche sagt der ins 90. Lebensjahr gehende Ver-
fasser, er gedenke noch einen dritten Band herauszugeben und fiigt hinzu:
»Vorbereitet ist nahezu alles, ausgearbeitet der weitaus grofite Teil ,
notig ist dazu freilich die Erhaltung meines Augenlichtes, mit dem es leider
nicht zum besten bestellt ist Vorlesenlassen und Diktieren kommen bei
meiner Art zu arbeiten nicht in Betracht.« Indessen nahm, bevor das Werk
Helfert. 35 1
vollendet war, der Tod ihm die Feder aus der unermudlichen Hand. VVenn
sich nun H. auch in diesem seinem letzten Werke nach allem, was er geschrieben
hatte, ofters wiederholt, so wird das von ihm gebotene Material nicht unter-
schatzt werden durfen. Das Buch ist mit einer fur sein hohes Alter uberraschen-
den Lebhaftigkeit geschrieben und ist in dem Urteil uber die demokratische
Partei und ihre Mitglieder milder als manches frlihere. Man mochte glauben,
er habe das Bedurfnis verspiirt, auch ein versohnendes Wort iiber Manchen zu
sagen, mit dem er in fruheren Jahren streng ins Gericht gegangen war.
Das zweite Arbeitsgebiet, auf dem sich H. als Historiker betatigte, war
die Zeit des ersten Napoleon, immer mit Beziehung auf Osterreich und dessen
Kaiserhaus. Auch hier ist es vor allem der fleiCig gesammelte Stoff, durch den
seine Bucher Wert erhalten. Am frischesten ist das erste der Bucher dieser
Gruppe geschrieben »Maria Louise, Erzherzogin von Osterreich, Kaiserin der
Franzosen« (Wien 1872). Aus der Einleitung erfahrt man, daB er sich mit der
Absicht trug, eine Geschichte des Wiener Kongresses zu schreiben, wozu es
jedoch nicht gekommcn ist. In der Arbeit »Der Rastadter Gesandtenmord«
(Wien 1874) verteidigt er die osterreichische Regierung gegen den Vorwurf der
Mitschuld an diesem Verbrechen. In seinen Arbeiten iiber Maria Karolina,
die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, versuchte er das Bild dieser Konigin
von den auf ihm haftenden Flecken zu reinigen, was ihm allerdings nur zum
Teil gelungen ist. Dahin gehoren die umfangreichen Bucher »Konigin Karolina
von Neapel und Sizilien im Kampfe gegen die franzosische Weltherrschaft
1790 — i8i4« (Wien 1878), dann »Fabrizio Ruffo. Revolution und Gegen-
revolution von Neapel November 1798 bis August I799« (W T ien 1882), endlich
die Untersuchung »Maria Karolina von Osterreich, Konigin von Neapel und
Sizilien. Anklagen und Verteidigung« (Wien 1884). An diese Rcihe schliefit
sich dann »NapoleonsFahrtvonFontainebleau nach Elba« und » Joachim Murat.
Seine letzten Kampfe und sein Ende«. Eine etwas spatere Pcriode behandeln
die Bucher: »Gregor XVI. und Pius IX. Okt. 1845 bis Nov. i846« und dasebenso
ganz aus den Akten geschopfte Werk »Kaiser Franz I. von Osterreich und die
Stiftung des lombardo-venetianischen Konigreiches«, ersteres 1895, letzteres
1901 erschienen. Diese Liste wiirde auf das Drei- oder Vierfache anschwellen,
sollten auch die in Zeitschriften und Jahrbuchern erschienenen umfangreicheren
Aufsatze H.s aufgezahlt werden. Er hat ubrigens auch seiner Vaterstadt Prag
und f erner Bohmen manche historische Studie gewidmet. H.s Werke und Schrif ten
bilden zusammengenommen eine stattliche Bibliothek; und dabei hat er, wenn
im einzelnen auch Irrtumer nicht ausgeschlossen sind, nie oberflachlich gear-
beitet, auch nicht mit fremdem Wissen geprunkt; nur ist er zu oft uberflussig
in die Breite gegangen. Liest man vieles auch mit geringerem Nutzen, so wird
dem Autor Anerkennung nicht versagt werden durfen.
Nun konnte man glauben, H. hatte, in seine historischen Studien ver-
graben, die Gegenwart aus den Augen vorloren. Das ist aber nicht der Fall.
Er verfolgte die politischen Vorgange in Osterreich aufmerksam und legte seine
Ansichten iiber sie in einer grofien Anzahl von Schriften nieder. In seinem
Gegensatze zum Liberalismus hielt er sich zu der Partei des Grafen Hohenwart
und beteiligte sich 1870 und 1 871 lebhaft an den Unterhandlungen, durch
welche mit Hilfe der Tschechen eine Mehrheit im Reichsrate gebildet werden
sollte. Dadurch kam er in Gegensatz zu den um ihre Sprache und Nationalist
352
Helfert.
schwer ringenden Deutschen Bohmens; deshalb und weil er spater wahrend
des Ministeriums Taaffe den slawisch-klerikalen »Eisernen Ring der Rechten*
in jeder Weise unterstutzte, war er durch Dezennien Gegenstand haufiger
Angriffe. Er selbst war der Abstammung nach ein Deutscher und hatte die
tschechische Sprache nur so weit inne, um ein einfacheres Gesprach flihren und
die Literatur verfolgen zu konnen; wie er selbst sagte, war er nicht imstande,
sich tschechisch schriftlich gut auszudriicken. Aber sein national-deutsches
Gefuhl war ebenso schwach wie sein osterreichischer Patriotismus lebendig.
Sein einziger Sohn war mit einer Dame aus tschechischer Familie verheiratet,
die nach dem fruhen Tode ihres Gatten die drei Enkel des Historikers in der '
tschechischen Nationalist erzog, zu der sie sich auch weiter bekennen. Das ist
der Weg, den nicht wenige deutsche Familien in Bohmen gegangen sind, darunter
auch manche aristokratischen Hauser. Im Herrenhause, zu dessen lebenslang-
lichem Mitgliede H. 1881 ernannt wurde, gehorte er der Rechten an; deren Kern
wird vom tschechisch -feudalen Hochadel gebildet, dessen Politik von H. immer
unterstiitzt wurde.
Die Vielseitigkeit seiner politsichen Interessen ist schon aus den Titeln
seiner einschlagigen Schriften ersichtlich, von denen nur die etwas umfang-
reicheren genannt sein mogen: »Osterreich und die Nationalitaten« (Wien 1850),
»Episteln eines Narren und Rat eines Klugen« (anonym) (Wien 185 1 ), »Nach
dem Reichsrate« (anonym) (Miinchen i860), »Die sprachliche Gleichberechti-
gung in der Schule und deren verfassungsmafiige Behandlung« (Prag 1861),
»Ruflland und Osterreich« (Wien 1870), »Ausgleich und Verfassungstreue 1871
bis i873« (Leipzig 1873), »Die bohmische Frage in ihrer jiingsten Phase « (Prag
1873), »Revision des ungarischen Ausgleichs« (Wien 1875), »Bosnisches« (Wien
1878), »Trias« (Wien 1884), »Zur Reform der rechts- und staatswissenschaft-
lichen Studien in Osterreich« (Wien 1887), »Zur Klarung der bohmischen Frage«
(Wien 1900). Diese Schriften haben nicht durchgeschlagen, vielleicht wegen
des Fehlens von Leidenschaft in Auffassung und Schreibwcise, oft auch wegen
ihrer Ausfiihrlichkeit. Ohne tief einzudringen, zeigt der Autor doch eine ver-
standige, niichteme Art, sich die Probleme zurechtzulegen ; seine Vaterlands-
liebe leuchtet immer durch. Dieser Teil seiner Schriftstellerei wird ihn jedoch
kaum iiberleben und wohl nur von Forschern iiber die Geschichte seiner Zeit
zu Rate gezogen werden, selten wohl von Politikern und Publizisten.
Seine zahlreichen Amter und Ehrenstellen versah H. mit gewissenhaftem
Ernst. Das ist auch durch Jahrzehnte der »Zentralkommission fur Er-
forschung und Erhaltung der Baudenkmale« zugute gekommen, bis ihn sein
hohes Alter verhinderte, deren umfassenden Aufgaben in alien Teilen zu folgen.
In die lange Zeit seiner Prasidentschaft (1863 bis 1910) fallen — ich folge hier
der Aufzahlung in dem Nachrufe Josef Hirns — die Aktionen zur Restau-
rierung von Osterreichs beruhmten Denkmalern: Stefansdom, Veitsdom, Triester
Dom, Stiftskirche Klosterneuburg, Kreuzgang in Brixen und Millstatt, Burg
Karlstein usw., ferner die Ausgrabungen auf den alten romischen Kulturstatten
Aquileja, Brigantium, Carnuntum, Potovio und in erster Linie des beruhmten
Kaiserpalastes in Spalato. »Unter seiner redaktionellen Oberleitung«, fahrt
Hirn fort, »erschienen durch fast 50 Jahre die grofien, gehaltreichen Schriften-
serien der Zentralkommission: Jahrbiicher, Mitteilungen, Archivberichte u. dgl.
In die Diskussion iiber die wichtigsten, in die Denkmalpflege einschlagigen
Helfcrt.
353
Fragen griff er ein mit seinen Abhandlungen liber »Staatliche Fiirsorge fiir
Denkmale der Kunst und des Altertums«, iiber »Osterreichische Kunsttopo-
graphie«, iiber »Staatliches Archivwesen«, iiber »Offentliche Obsorge fiir Gegen-
stande der Kunst und des Altertums nach dem neuesten Stande der Gesetz-
gebung in den verschiedenen Kulturstaaten«, iiber »Die Herstellung des Riesen-
tores von St. Stefan und die Wiener Sezession«, in seinem mit dem witzigen
Titel versehenen Buche »Eine Geschichte von Toren« und in seiner Festschrift
anlafllich des fiinfzigjahrigen Wirkens der Zentralkommission. Denselben
hohen Zielen dienten seine Darlegung iiber die »Aktion des Herrenhauses in An-
gelegenheit des staatlichen Archivwesens« und seine im Herrenhause einge-
brachten Gesetzentwiirfe, betreffend den »Schutz der Baudenkmale und den
Schutz des Diokletianischen Palastes.«
Viel verdankt ihm die Wiener Leo -Gesellschaft, die sich zum Mittelpunkte
des wissenschaftlichen Lebens unter den glaubigen Katholiken Wiens cnt-
wickelt hat. Er war einer ihrer Griinder und zugleich seit 1892 bis zu seinem Tode
ihr erster President. Dafl er in der Gesellschaft nicht zu den Eiferern, sondern
zu den vermittelnden Personlichkeiten gehorte, geht aus dem Nachruf hervor,
der im Tatigkeitsbericht des Vereinsvorstandes fiir das Jahr 1910 dem ver-
dienten Prasidenten gewidmet ist. Es heiflt dort u. a. : »Sein weitgespannter
Blick und sein versohnlicher Geist waltete bei der Leitung ihrer Geschafte
mit Sachkenntnis und mit jener Milde, die auch Widerstrebende gewinnt. . . .
H. war kein stiirmischer Vorwartsdranger, ihm lag besser die ruhig, aber rastlos
voranstrebende Arbeit, die an Erfolgen fast weniger wie an der Arbeit selbst
sich erfreut: das war auch der Sinn, wie er seine leitende TStigkeit hier wie ander-
warts erfaflte und.ausubte.« Die eigentlichen Ultramontanen konnen an seiner
Auffassung des Verhaltnisses von Staat und Kirche, wie sie oben geschildert ist,
kein Gefallen gefunden haben. Seine unabhangige Gesinnung geht auch aus
dem Aufsatze hervor, den er im Jahre vor seinem Tode dem Philosophen Bernard
Bolzano widmete (in den Publikationen der Bohmischen Gesellschaft der Wissen-
schaften 1909). Hier stellt er aus den Akten die eigentliche Ursache der Ver-
folgung Bolzanos, des edlen katholischen Priesters und Professors an der Prager
Universitat, fest. Bolzano zog sich den Unwillen des Pfarrers an der Wiener
Burgkapelle, Frint, zu, weil er sich in seinen Vorlesungen iiber Religionsphilo-
sophie nicht an das Lehrbuch Frints hielt und, darob zur Rechenschaft gezogen,
an diesem Buche freimiitige Kritik iibte. Vergebens war die Fiirsprache des
Erzbischofs von Prag und anderer sonst maflgebender Personlichkeiten, die
fiir die Rechtglaubigkeit und Frommigkeit Bolzanos einstanden. Frint, der
Gewissensrat des Kaisers Franz, bestimmte diesen zur Absetzung Bolzanos,
dem auch verboten wurde, irgend etwas drucken zu lassen. Dafl gerade H.
all dies aktenmaflig belegte, dafl er mafivoll in der Form, aber bestimmt in der
Sache ein Urteil abgab, dem jeder Feind staatlichen und kirchlichen Despotis-
mus beistimmen wird, gereichte dem 89jahrigen Greise zu hoher Ehre.
H. starb fast 90jahrig nach einer Krankheit von wenigen Tagen ; seine
Riistigkeit bis ins hochste Alter war ebenso bewunderungswiirdig wie seine
Arbeitslust. Sah man ihn in offentlichen Bibliotheken oder in Archiven arbeiten,
so bot er das Bild geistiger Konzentration und der Hingabe an die Sache. Seine
Beweglichkeit in Rede und Gebarden tat der Wiirde seines Auftretens keinen
Eintrag. In den konservativen und klerikalen Kreisen genofl er die hochste
Kxogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. x6. Bd. 23
354
Helfert. Koch.
Verehrung, aber auch seine politischen Gegner, mit denen er in fruheren Jahren
oft zusammengeraten war, waren in der ehrenden Anerkennung seines Cha-
rakters, zu dessen Zierden Bescheidenheit gehorte, durchaus einig. Bemerkens-
wert war auch das Wohlwollen und die selbstlose Unterstiitzung, die er den
historischen Arbeiten von Mannern zuwendete, die ganz andern Anschauungen
huldigten als er; die meisten der osterreichischen Forscher iiber die Geschichte
des 19. Jahrhunderts sind ihm zum Danke verpflichtet. Auch war er in der lite-
rarischen Polemik nie verletzend, stets uberwogen die sachlichen Gesichtspunkte.
Sein Gebiet war die Detailforschung, immer leitete ihn strenge Wahrheitsliebe.
Was der Wirkung seiner Biicher im Wege stand, das war ihre Ausfuhrlichkeit,
die Uberladung mit Einzelheiten, von denen er keine unter den Tisch fallen zu
lassen sich entschlieBen konnte. Das wirkte um so nachteiliger, als er einen
lebhaften Stil schrieb, auch gut charakterisierte; er war pedantisch nur in der
Stoffuberfiille, nicht etwa in der Form der Darstellung. Er nimmt in der Ge-
schichte der deutschen Historiographie eine bescheidene Stelle ein, dagegen
einen bemerkenswerten Platz in der osterreichischen Kulturgeschichte seiner
Zeit. Bezeichnend fur ihn ist seine hohe Schatzung der Bedeutung der Marz-
revolution von 1848, aber auch seine strenge Verurteilung der Ausschreitungen,
zu denen es seit dem Sommer dieses Jahres kam. Sobald die Bewegung an
Thron und Altar ruhrte, wurde sie ihmtief antipathisch. Seine Freunde nannten
ihn einen »Patriarchen« der Revolution, sein Herz gehorte jedoch den
Bandigern dieser Erhebung.
H. hat in dem Aufsatze »Im Elternhause« (Wiener Zeitschrift »Die Kultur* Jahrg. 1906,
S. 451 — 465) seine Knabenzeit geschildert und seinem Vater in Klars Jahrbuch »Libussa«
(Prag 1856) eine Biographie gewidmet. — Seine »Erlebnisse und Erinnerungen* (»Die Kultur*
Jahrgange 1900 — 1905) umfassen die Zeit vom Oktober 1848 bis Ende 1850. — Daneben ent-
halten alle seine Bucher iiber die Wiener Revolution auch Beitrage zu seiner eigenen Wirk-
samkeit, besonders der 3. Band der ^Geschichte Osterreichs vom Ausgange der Oktober-
revolution«. Endlich ist das von ihm herausgegebene Heft mit den Daten aus seinem Leben
zu erwahnen »Sechzig Jahre im Staatsdienst und in der Literatur 1841/42 — 1901/02. Als MS.
fur Freunde*.
Der dsterreichische Volksschriftenverein gab in seiner fr Bucher ei« als 1. Heft heraus
»Dem Andenken Helferts* (Brixen 191 1, Tyrolia). Darin besonders »Helferts Wirken und
Schaffen* von Hofrat Universitatsprofessor Dr. Josef Hirn. — Der knappe, H. in der Leo-
Gesellschaft gehaltene Nachruf findet sich in der »Kultur« t Anhang zum Jahrg. 191 1.
H. hat bei seinen Lebzeiten Vorsorge fur seinen literarischen NachlaO getroffen. Auf
seine Bitte gestattete Kaiser Franz Josef, daB H.s Papiere nach seinem Tode der kaiserlichen
Fideikommifi-Bibliothek zur Aufbewahrung iibergeben werden soil ten, was auch geschehen ist.
Gemafi seiner Verfiigung darf der handschriftliche Nachlafi erst 10 Jahre nach seinem Tode
der Benutzung zuganglich gemacht werden. Er enthalt u. a. seine Tagebucher und seine
sorgfaltig aufbewahrte Korrespondenz, so daB daraus wichtige Beitrage zur 6ster-
reichischen Geschichte seiner Zeit zu erwarten sind.
Heinrich Friedjung.
Koch x )> Richard, * 15. September 1834 zu Kottbus, f 15. Oktober 1910. —
K. bezog bereits im April 1 850, also mit noch nicht 17 Jahren, die Universitat
Berlin. Hier hat er flinf Semester und damit, da er vom sechsten Semester
seitens des Justizministeriums befreit wurde, seine ganze Studienzeit verbracht,
Totenliste 1910, Bd. XV, 4
-•
Koch.
355
ohne jedoch, wie er selbst noch vor kurzem in der Liebmannschen Festschrift
zum hundertjahrigen Jubilaum der Universitat hervorhob, »in ein naheres
Verhaltniszu ihr zu gelangen«. Es fehlte ihm hier, wie er sagte, an der Poesie,
»welche sonst die Universitatszeit und manche schonen Platze zu verklaren pflegt.
Berlin war und blieb Lern -Universitat. Der Ernst der Arbeit beherrschte alles«.
Besonderes Vertrauen faBte er zu Rudolf Gneist und zu Homeyer f der seinen
Studenten »sonntaglich in seiner Wohnung ein Privatissimum uber den Sachsen-
spiegel zu lesen pflegte*. Nachdem er mit 19 Jahren (2. November 1853)
Auskultator am Kreisgericht seiner Vaterstadt Kottbus und zwei Jahre spater
Appellationsgerichtsreferendar geworden war auf Grund einer Priifungsarbeit,
die man zensierte als eine »vorziigliche Arbeit, die selbst einem geubten Praktiker
zur Ehre gereichen wurde«, wurde er mit 23 Jahren (21. Mai 1858) Gerichts-
assessor und, »nach einem kurzen Intermezzq bei der Staatsanwaltschaft in
Frankfurt a. 0.«, Hilfsrichter bei den Appellationsgerichten in Ratibor und
demnachst in Halberstadt, wo er jeweils gleichzeitig bei dem Straf- und dem
Zivilsenat tatig war. Mit 27 Jahren (27. Marz 1862) wurde er zum Richter bei
dem Stadt- und Kreisgericht in Danzig ernannt, wo er kurz darauf (Januar
1865) auch Mitglied des mit der Regierung verbundenen landwirtschaftlichen
Spruchkollegiums geworden ist; dann kam er im Oktober 1865, kurz nach seiner
Verheiratung, als Richter zum Stadtgericht nach Berlin. Auf Grund seiner bereits
1863 begonnenen literarischen Tatigkeit auf den Gebieten des Konkurs-, Zivil-
prozefl- und Verkehrsrechts berief man den jungen Stadtgerichtsrat mit dem
Beginn des Jahres 1868 zum Schriftfiihrer der »Kommission zur Ausarbeitung
einer gemeinsamen Zivilprozeflordnung fur die Staaten des Norddeutschen
Bundes«, und zwar gleichzeitig mit Dr. Struckmann, dem nachmaligen Kolner
Oberlandesgerichtsprasidenten, der aus einer altbewahrten Beamten- und Ge-
lehrtenfamilie stammte. Eine Frucht der damaligen gemeinsamen Arbeit beider
Manner war der bekannte Struckmann-Kochsche Kommentar zur ZivilprozeC-
ordnung, der 1910 in 9. Auflage erschienen ist.
Die schon mit der Berufung in die Zivilprozefikommission unterbrochene
richterliche Tatigkeit K.s wurde nach Auflosung dieser Kommission durch ein
Ereignis beendet, das fur seinen kiinftigen Lebensgang entscheidend war. In
Nancy, wohin er im Kriege 1870 einen Sanitatszug des Roten Kreuzes geleitet
hatte, erhielt er zu seiner Oberraschung die Aufforderung, als Hilfsarbeiter in
das Bankdirektorium der Preuflischen Bank einzutreten, deren President
v. Dechend wohl wesentlich durch K.s Schriften auf ihn aufmerksam geworden
war. Ein Jahr spater, am 24. Marz 1871, wurde der Siebenunddreifligjahrige
zum Mitglied und Justitiar dieser Behorde ernannt, um dann an dem Tage,
an dem die Reichsbank ins Leben trat, also am 1. Januar 1876, Mitglied und
Justitiar des Reichsbankdirektoriums zu werden, in dem er 1887 die neu ge-
schaffene Stelle eines Vizeprasidenten erhielt. Am 23. Mai 1890 ist er dann
President des Reichsbankdirektoriums geworden und hat dieses wichtige und
verantwortliche Amt fast 18 Jahre, bis zum 31. Dezember 1907, bekleidet.
Die Ziele und die Eigenart seiner Aufgaben und seiner Tatigkeit in dieser
Stellung lassen sich kaum verstehen ohne eine kurze Hindcutung auf die Ver-
haltnisse, die im Munz-, Geld- und Notenbankwesen bestanden, als K. in der
Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Studien begann, und auf diejenigen,
welche er beim Eintritt in das Bankdirektorium vorfand.
23*
356
Koch.
Im Jahre 1850, als K. die Universitat Berlin bezog, bestanden, was noch
bis zum Anfang der siebziger Jahre dauerte, nicht weniger als sieben Miinz-
systeme in den deutschen Staaten, die, mit Ausnahme des in Bremen geltenden,
durchweg auf der Silberwahrung beruhten; der durch die sieben MQnzsysteme
entstandene Wirrwarr war um so grofier, als kein Staat verpflichtet war, die
Miinzen eines andern deutschen Staates zuzulassen. Eine fast noch grofiere
Unordnung herrschte auf dem Gebiete des Papiergeldes. Oberall gab es soge-
nannte »Wilde Scheine«, die man auflerhalb ihres Gebietes schwer und nur mit
Verlust anbringen konnte, und die man doch bestandig wiedererhielt; lediglich
die sechs kleinsten Lander des staatenreichen Deutschlands hatten kein Papier-
geld ausgegeben. Dazu kam noch das von Eisenbahngesellschaften und sonsti-
gen Korporationen auf Grund besonderer Privilegien ausgegebene Papiergeld
und seit der Mitte der funfziger Jahre der gewaltige Betrag ungedeckter Bank-
noten der Privatnotenbanken, von denen damals allein in Preufien neun be-
standen, und die in immer grofierer Zahl, schon als aufiererAusdruck der Finanz-
hoheit der vielen deutschen Souverane, in den einzelnen deutschen Staaten kon-
zessioniert wurden. Noch im Jahre 1873, als K. schon bei der Preufiischen
Bank war, erfreute sich das Deutsche Reich des Daseins von nicht weniger als
140 Arten papierner Wertzeichen (Banknoten und Papiergeld), die mehr und
mehr das Hartgeld aus dem Verkehr gedrangt hatten.
Die Bevolkerung Deutschlands betrug um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts nur etwa 35 Millionen Kopfe, also ungefahr ebensoviel als die Frank-
reichs; das Kapitalvermogen wurde um diese Zeit in Preufien nur auf 720 Mark
auf den Kopf der Bevolkerung geschatzt, wahrend man ungefahr um dieselbe
Zeit auf die englische Bevolkerung bereits etwa den vierfachen Betrag be-
rechnete.
Immerhin waren aber seit 1834 durch die Begrundung des Deutschen Zoll-
vereins, der ein einheitliches Wirtschaftsgebiet und eine einheitliche Wirtschafts-
politik ermoglicht hatte, die Vorbedingungen flir einen wirtschaftlichen Auf-
schwung geschaffen, der auch damals bereits in teilweise erheblicher Weise
einsetzte, begiinstigt durch eine endliche Ansammlung von Kapitalien, die eine
in Deutschland ungewohnt lange mehr als 30 jahrige Friedensara (1815 bis 1848)
gestattet hatte, und beschleunigt durch einen BevOlkerungszuwachs, der gerade
in dieser Epoche noch starker war als in der Zeit von 1865 bis 1895.
K. hatte aus seiner friiheren Tatigkeit grofie praktische Erfahrungen auf
dem Gebiete des Verkehrs nicht mitbringen k5nnen. Als er im Jahre 187 1
nach etwa achtjahriger richterlicher Tatigkeit und nicht unerheblicher wissen-
schaftlicher Betatigung seine zunachst nur juristische, dann aber bald immer
mehr finanzpolitische Tatigkeit in der Preufiischen und demn&chst in der Reichs*
bank begann, hatte sich bereits die wirtschaftliche Struktur des Staates und
Reiches in bekannter Weise wesentlich geandert. Die Bevolkerung war auf
iiber 40 Millionen angewachsen, von denen schon etwa 36 Prozent in den Stadten
wohnten, und es gab bereits acht Stadte mit mehr als 100 OOO Einwohnern,
von w r elchen Berlin allein damals 774 OOO Einwohner z&hlte. Unter dem tiefen
Eindruck der endlich erreichten Einigung des deutschen Volkes im Deutschen
Reiche und unter Mitwirkung eines wirtschaftlichen Danaergeschenks, der allzu
rasch und allzu reichlich in den Verkehr gebrachten franzosischen Kriegsent-
schadigung von 5 Milliarden Franken, sowie des gewaltigen jSLhrlichen Bevolke*
Koch. 357
rungszuwachses hatte sofort eine geradezu fieberhafte Entwicklung der deut-
schen Industrie begonnen. Ihr fiel die nationale Aufgabe zu, zusammen mit der
Landwirtschaft dem Bevolkerungszuwachs Nahrung und Beschaftigung zu ver-
schaffen und zugleich den ungeheueren Vorsprung einzuholen, den das Ausland
seit langer Zeit auf den wichtigsten Gebieten wirtschaftlicher Betatigung ge-
wonnen hatte. Man versuchte jetzt mit Siebenmeilenstiefeln in wenigen Jahren
einzuholen, was man in Jahrhunderten versaumt hatte, und was man mangels
nationaler und wirtschaftlicher Geschlossenheit und ausreichender Kapital-
anlage nicht einmal ernstlich hatte anstreben ktinnen.
Das junge Deutsche Reich konnte und durfte den stiirmischen Entwick-
lungsdrang der wirtschaftlichen Kreise nicht niederhalten. Aber es gait, ihn
in mtfglichst ungefahrliche Bahnen zu leiten, das Miinz-, Geld- und Banknoten-
wesen in einheitlicher und sicherer Weise zu ordnen, das gesamte Wirtschafts-
leben, insbesondere die Schwankungen der Handels- und Zahlungsbilanz sowie
der Kreditanspruche des Verkehrs, von hoher Warte aus standig zu beobachten
und einen starkcn Regulator der vielen auseinanderstrebenden Krafte des Wirt-
schaftslebens zu schaffen. Eine solche Einrichtung sollte in der am I. Januar
1876 ins Leben getretenen Reichsbank getroffen werden, der im § 12 des Bank-
gesetzes vom 14. Marz 1875 d* e hohe und schwierige Aufgabe gestellt wurde:
»den Geldumlauf im gesamten Reichsgebiete zu regeln, die Zahlungsausgleichun-
gen zu erleichtern« und, was in die zweite Linie gestellt wird, »fur die Nutzbar-
machung verfiigbaren Kapitals zu sorgen«.
In einem Wirtschaftsgebiet mit stiirmischen Entwicklungsbedurfnissen,
also gewaltigem Kapitalbedarf, aber verhaltnismaflig geringem Kapitalvorrat
muflte es besonders schwer werden, ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem
Bedarf und den zu seiner Deckung zur Verfugung stehenden Umlaufsmitteln
herzustellen. Ebenso schwierig war es, die Art und den Umfnag dieser Urn-
laufsmittel so dehnbar zu gestalten, dafi sie den wechseinden und schwankenden
Bediirfnissen jederzeit zu entsprechen vermochten. Die Erfullung beider Auf-
gaben wurde nicht nur durch die bestandig wechseinden Kreditbediirfnisse des
Inlandes, sondern auch durch die an der Golddecke zerrenden Anforderungen
des Auslandes erschwert, die beide mitunter, so im Jahre 1907, in sturmischster
Weise gleichzeitig sich meldeten.
Man ging zunachst, unter hervorragender Mitwirkung K.s, daran, neben
einer Ordnung des Verhaltnisses der Reichsbank zu den bestehenden, jedoch
unter dem Druck der Verhaltnisse und der Gesetzgebung in immer grofierer
Zahl eingehenden Privatnotenbanken, die Grundlage der gesamten Geld- und
Kreditorganisation durch Einfuhrung der Goldwahrung in immer festerer und
sicherer Weise zu gestalten. Aber jeder Schritt auf diesem Gebiete kostete
schwere Kampfe gegeniiber den im Besitz der politischen Macht befindlichen
Vertretern des Bimetallismus, die etwa zehn Jahre lang im Reichstag die Mehr-
heit hatten. Im Jahre 1871 ordnete man die Auspragung von Reichsgold-
miinzen an, denen man die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels bei-
legte; man ermachtigte den Reichskanzler zur Einziehung der bisherigen groben
Silbermiinzen der Bundesstaaten und untersagte auch die weitere Auspragung
der letzteren. Von da ab bis zu dem Gesetz vom 1. Juli 1900, das die all-
mahliche Einziehung der noch mit gesetzlicher Zahlkraft ausgestattet gewesenen
Taler beschleunigte, und bis zu der fast sakramentalen Formel des § I des MQnz-
358
Koch.
gesetzes vom I. Juli 1909: »Im Deutschen Reiche gilt die Goldwahrung«, waren
vor und hinter den Kulissen erbitterte Schlachten zu schlagen, die, angesichts
der Macht der Gegner, nur ein so zaher, von seiner Oberzeugung getragener
Mann, wie es K. gewesen ist, siegreich bestehen konnte. Es ist nicht unmoglich,
dafl selbst Bismarck unter dem Einflufl dieser Gegner K.s mitunter, namentlich
beim Ubergang vom Freihandel- zum Schutzzollsystem, geneigt sein mochte,
jenen Gegnern auch auf dem Gebiete des Bimetallismus Zugestandnisse zu
machen. Es mag auch, angesichts der lange bestehenden bimetallistischen
Mehrheit im Reichstage, durch die an sich die Stellung K.s ungemein erschwert
und zweifellos oft bedroht war, nicht immer leicht gewesen sein, die spateren
Reichskanzler Caprivi und Hohenlohe von der Notwendigkeit unbedingter Fest-
haltung an der Goldwahrung zu uberzeugen, mit der das Vertrauen auf jeder-
zeitige vollwertige Einlosung unserer Banknoten und der Kredit der deutschen
Valuta auch im Auslande untrennbar zusammenhangt. Was speziell die Bank-
noten betrifft, so ist die Reichsbank nach § 18 des Bankgesetzes verpflichtet,
ihre Noten dem Inhaber gegen deutsche Goldmunzen einzulosen, und zwar bei der
Berliner Zentrale sofort bei Vorzeigung, bei den Zweiganstalten, soweit es deren
Barbestande und Geldbediirfnisse gestatten; sie mufi also einen angemessenen
Goldvorrat bereithalten, um derartigen Einlosungsforderungen jederzeit nach-
kommen zu konnen.
Nachdem so wichtige und grofie Staatsgebiete, wie Osterreich, Ruflland,
Italien, Argentinien und die Vereinigten Staaten, zur Goldwahrung iiberge-
gangen waren, haben die Gegner den Kampf als vorlaufig aussichtslos so ziemlich
eingestellt. In der Frage der Goldwahrung gab es fur K. ebensowenig ein Nach-
geben wie in der damit zusammenhangenden Frage der Verstaatlichung, die aus
taktischen und politischen Griinden von den gleichen Gegnern in immer er-
neutem Ansturm gefordert wurde.
Aber auch der President der Reichsbank kann Geld nicht aus der Erde
stampfen. K. war sich daruber klar, dafl gerade infolge der seit 1870 durch die
Gesetzgebung geforderten Gewohnung der friiher mit Papiergeld ubersattigten
deutschen Wirtschaftskreise an den Hartgeldverkehr das Gold im deutschen
Verkehr weit iiber die — stets notwendigen — Goldreserven hinaus festgehalten
wurde. Jedes Goldstiick aber, das unnotigerweise festgehalten wird, geht
naturgemafl dem Kreditverkehr veiloren, den die Reichsbank mit geringen
Goldvorraten und mit Banknoten allein auf die Dauer nicht bewaltigen kann.
Hier setzte nun K.s reformatorische Tatigkeit besonders ein; es gait in
erster Linie, Einrichtungen zu schaffen, die in moglichst weitem Umfange den
Gebrauch baren Geldes ersparen, um auf diese Weise nicht nur den Zahlungs-
ausgleich zu erleichtern, sondern auch dem Kreditverkehr weitere Unterlagen
zu verschaffen. Zu diesem Zweck gestaltete er zunachst, was sein eigenstes
Verdienst ist, den schon im Statut der Preufiischen Bank erwahnt gewesenen
Giroverkehr, der dort nur ein toter Buchstabe geblieben war, zu einer lebens-
fahigen Einrichtung. Diese sollte den Kunden der Reichsbank die Moglichkeit
gewahren, ihre gegenseitigen Forderungen und Schulden, ohne Gebrauch baren
Geldes, auf dem Wege kostenfreier Ab- und Zuschreibungen in den Buchern
der Reichsbank zu erledigen, und zwar bei jeder der Zweigstellen der Reichsbank,
die unter seinem Presidium ungemein vermehrt wurden. In solcher Weise ist
fur diese unentgeltlichen Fernubertragungen ganz Deutschland ein einheitlicher
Koch.
359
Giroplatz geworden. Auf der andern Seite wurde auf diesem Wege auch fiir die
Reichsbank selbst der grofie Vorteil erzielt, dafi die durch die Einzahlungen der
Girokunden oder Dritter fiir deren Rechnung ihr zufliefienden Gelder als Noten-
deckung im Sinne des Bankgesetzes galten, so dafi jede Erweiterung des Giro-
verkehrs zugleich eine Vermehrung des Banknotenumlaufs, also wiederum eine
starkere Unterstutzung des Kreditverkchrs ermoglichte.
Gleichzeitig kampfte K. sowohl im Wege organischer Reichsbankeinrichtun-
gen als literarisch fiir eine Einburgerung des in Deutschland, im Gegensatze zu
England, noch sehr im argen liegenden Scheckverkehrs und fiir ein den Ver-
kehrsbediirfnissen entsprechendes populares Scheckgesetz. Dabei war er durch -
drungen von dem zweifellos richtigen Gedanken, daC der Scheck, der sowohl
den Bargeldgebrauch als bis zu einem gewissen Grade auch den Banknoten -
umlauf beschranken soil, nur dann seinen Zweck wirklich erfiillt, wenn seine
Einlosung nicht in bar, sondern durch Abrechnung erfolgt.
Um nun die Erlcdigung des Scheckverkehrs in immer groCerem Umfange
statt durch Bareinlosung im Wege der Verrechnung zu ermoglichen und dadurch
gleichzeitig wieder den Scheckverkehr selbst zu heben, wurde unter energischer
Mitarbeit K.s im Jahre 1883 eine groQere Anzahl von Abrechnungsstellen nach
dem Muster der Clearing houses in London und New York sowohl in Berlin wie
an sonstigen grofien deutschen Platzen geschaffen. Die Mitglieder dieser Ab-
rechnungsstellen verpflichteten sich, unter Beteiligung und Leitung der Reichs-
bank die von ihnen und gegen sie zu erhebenden Forderungen aus Wechseln,
Schecks und Anweisungen nicht durch Bargeld, sondern im Wege der Abrechnung
zu tilgen. Etwa dabei verbleibencle Restbetrage zugunstcn oder zu Lasten
eines Teilnehmers werden durch Gutschrift oder Belastung auf dem Reichsbank-
girokonto des Teilnehmers ausgeglichen, so dafi jede Barzahlung ausgeschlossen
ist. Auch hier wieder suchte K. gleichzeitig durch literarische Arbeiten die Ein-
fiihrung und die Popularisicrung der neuen Einrichtung zu fordern, so insbe-
sondere durch die Abhandlung: »Abrechnungsstellen in Deutschland und deren
Vorganger« (1883).
Ferner suchte man im Jahre 1906, wahrend bis dahin Banknoten nur in
Betragen von nicht unter 100 Mark ausgegeben werden durften, durch Schaffung
kleiner Banknoten von 50 und 20 Mark der namentlich bei kleinen Gehalts- und
Lohnzahlungen im Verkehr hartnackig festgehaltenen Gewohnheit der Gold-
zahlung entgegenzuwirken. Ganz gegen alle Vorhcrsagungcn hat man auch in
der Tat diesen Zweck in einem groCen Umfange erreicht, da schon in sehr kurzer
Zeit der Verkehr nicht weniger als rund 300 Millionen Mark von diesen kleineren
Banknoten aufnahm und festhielt.
Endlich hat man in letzter Zeit auf K.s eigenste Anregung hin eine Hypo-
thekenausgleichsstelle bei der Reichsbank, zunachst in Berlin, geschaffen, um
die gewaltigen Betrage an Hypothekengeldern und -zinsen, die meist gerade an
den infolge der Miets-, Gehalts-, Pramien- usw. Zahlungen ohnehin schlimmsten
Terminen fallig sind, im Wege der Verrechnung, also unter moglichster Ver-
meidung von Barzahlungen, zu erledigen.
Ungeachtet aller dieser Bemiihungen waren es namentlich die Jahre 1906
und 1907, in denen neben gewaltig angewachsenen Kreditanforderungen von
Handel und Industrie gleichzeitig ein starker Ansturm des Auslandes, namentlich
Amerikas, auf den Goldschatz der Reichsbank erfolgte, was die Reichsbank-
36O Koch
verwaltung zu besonders energischen Schutzmafiregeln veranlafite. Der durch-
schnittliche Diskontsatz der Reichsbank, also der Zinsfufl, zu dem sie den von
ihr verlangten kurzfristigen Kredit (in erster Linie durch Diskontierung kurz-
fristiger Wechsel) gewahrt, und der in den Jahren 1876 bis 1895 nur 3,88 Prozent
betragen hatte, stieg im Jahre 1906 auf 5,15 Prozent, im Jahre 1907 auf 6,03
Prozent; das fiihrte dann auch naturgemafl eine entsprechende Erhohung des
Zinssatzes im gesamten Verkehr herbei.
Hieraus und aus der starken Verschlechterung des Reichsbankstatuts, die
sich namentlich an den sogenannten »schweren Terminen* beobachten liefl,
wurde vielfach gefolgert, die Reichsbank sei den Kieditbediirfnissen der Ver-
kehrskreise, namentlich der Banken, zu sehr entgegengekommen ; sie habe es
Uberdies nicht verstanden, durch andere Mittel als durch Hinaufsetzen des Dis-
konts diese Kreditanspruche und die Goldentziehungen durch das Ausland
rechtzeitig zuruckzudammen. Zu diesen andern Mitteln seien namentlich zu
rechnen: die Erhohung des Grundkapitals der Reichsbank, die Erhohung des
steuerfreien Notenkontingents, also des Banknotenbetrages, den die Reichsbank,
ohne in eine Steuer zu geraten, ausgeben darf, ferner die Verstarkung der Gold-
einkaufe, die Einfuhrung der Goldpramienpolitik, welche sich in Frankreich be-
wahrt habe, und schliefilich eine erhebliche Verstarkung der Ankaufe von aus-
landischen Golddevisen, durch deren rechtzeitigen Verkauf man einen Druck auf
die Wechselkurse ausiiben, also mindestens die Ausfuhr von Gold verhiiten k6nne.
Statt dessen habe die Reichsbankverwaltung, die den Kreditanspriichen der
Handels-, Bank- und Industriekreise viel zu sehr entgegengekommen sei, lediglich
denDiskont ohne Not erheblich hinaufgesetzt und ihn, was noch viel bedenklicher
sei, ohne zwingende Notwendigkeit in dieser H6he bestehen lassen, was die
Interessen weitester Kreise, insbesondere auch die des Gewerbes, des Hand-
werks und der Landwirtschaft, schwer geschadigt habe. Man verlangte und
erreichte die Einsetzung einer Bankenquetekommission, die zur Untersuchung
dieser Fragen am 1. Mai 1908 zusammentrat.
Es ist hier nicht der Ort, des naheren auf die interessanten und uberaus
grundlichen Verhandlungen dieser Kommission einzugehen, aber es darf gesagt
werden, daB sie in ihrer weit uberwiegenden Mehrheit zu folgenden Ansichten
gelangt ist:
Die der Reichsbank empfohlene Goldpramienpolitik, also der Grundsatz,
zur Erhaltung des Bankschatzes Gold nur gegen eine besondere Pr&mie her-
zugeben, ist fur Deutschland an sich mit Riicksicht auf den namentlich fttr
unseren auslandischen Handel unentbehrlichen Schutz unserer Valuta im Aus-
lande und auf die Sicherheit unserer Banknoten nicht angebracht; sie ist auch
von Frankreich selbst, ungeachtet seiner von den deutschen vollig abweichenden
wirtschaftlichen und finanziellen Verhaltnisse, so gut wie aufgegeben.
Den erhohten Kreditanforderungen des Verkehrs an den »schweren Ter-
miner konnte sich, nach Ansicht der Mehrheit der Kommission, die Reichsbank
urn so weniger entziehen, als es sich gerade hier meist um vollig legitime, unseren
Verkehrssitten entsprechende und unaufschiebbare Forderungen handelt, die
noch dazu fast durchweg auf dem Wege des von der Reichsbank unbedingt zu
pflegenden kurzfristigen Wechsel- und Lombardkredits befriedigt werden miissen.
Das Betriebskapital einer Notenbank liegt in erster Linie in ihrem Notcn-
kapital; eine Erhohung des Grundkapitals ist daher in gewShnlichen und in
Koch.
36l
gunstigen Zeiten nicht erforderlich, in besonders ungvinstigen, wo ein grofies
Kapital schwer verzinst werden kann, unter Umstanden sogar beschwerlich.
Die Mehrheit der Kommission glaubte daher hochstens eine weitere und all-
mahliche Verstarkung der Reserven vorschlagen zu diirfen, die dann auch im
Gesetz vom 1. Juni 1909 angeordnet worden ist.
Dagegen wurde allseitig eine kraftige Forderung der Devisenpolitik, wie
sie schon vor dem Zusammentritt der Kommission seitens des neuen Reichsbank-
prasidenten eingeleitet worden war — der Devisenbestand war von 44 1/ 2 Millionen
Mark im Jahre 1907 auf fast 80 Millionen Mark 1908 gestiegen — , fiir dringend
wiinschenswert erachtet.
Das Anziehen der sogenannten Diskontschraube erachtete die weit iiber-
wiegende Mehrheit der Kommission als das behufs Eindammung ubermafliger
Kreditanspriiche und Goldentziehungen sowie zur Verhiitung aufierordentlicher
Goldexporte mindestens in der Regel wirksamste Mittel, dessen schwere Schatten-
seiten deshalb in Kauf genommen werden mufiten. Dabei wurde die Moglich-
keit zugegeben, dafl, wie es im Jahre 1907 tatsachlich vorgekommen ist, das
Ausland unter Umstanden, wenn es gezwungen sei, Gold an sich zu ziehen,
davon auch durch einen noch so hohen Diskont sich nicht werde abschrecken
lassen.
Die Frage der Verstaatlichung der Reichsbank war aus den Erorterungen
ausgeschaltet worden, nachdem der Reichskanzler zu Beginn der Verhandlun-
gen hatte erklaren lassen, dafi grundsatzlich Anderungen in der Organisation
der Reichsbank nicht in Frage kommen konnten. K. selbst hat sich im Interesse
der Unabhangigkeit der Gebarung der Reichsbank von der Regierung und den
jeweils herrschenden Parteien in der Deutschen Revue vom April 1908 Uber
diesen Gedanken mit ernsten Worten dahin geauflert: »Die Reichsbank ist die
letzte Geldquelle des Landes. Ihr System zu andern wiirden wir durch kolossale
Verluste bezahlen, und schliefllich wurde man doch zu der alten Methode zuriick-
kehren mussen. Moge der gute Stern Deutschlands uns vor einem solchen
Schicksal bewahren!«
Seitens der Gegner wurde im Verlaufe der Verhandlungen der Enquete-
kommission — im Gegensatze zu fruher lange festgehaltenen Behauptungen —
anerkannt, dafi die Landwirtschaft infolge der Lange des landwirtschaftlichen
Produktionsprozesses naturgemifi mehr auf langfristigen Kredit angewiesen sei,
dafi aber die Reichsbank mit Riicksicht auf ihre Pflicht, ihre taglich falligen
oder kurzfristigen Verpflichtungen durch entsprechend billige Anlagen zu decken,
jenen Kredit in der Regel weder auf dem Wege der Diskontierung langfristiger
Wechsel, noch in einer sonstigen Form gewahren konne. (Jberdies hatte im Jahre
1896 der erste Prasident der Preufiischen Zentral-Genossenschaftskasse, Freiherr
v. Huene, auf dem Allgemeinen Landwirtschaftlichen Vereinstage zu Stettin
anerkannt, dafi die Reichsbank fiir den Personalkredit der Landwirte alles ihrem
Wesen nach Mogliche tue.
Als Ergebnis der Verhandlungen der Bankenquetekommission kann fest-
gestellt werden, dafi die weit uberwiegende Mehrheit dieser Kommission die
Uberzeugung erlangt hat, dafl die der Reichsbank anvertraute Regelung des
Geldumlaufs und des Zahlungs- und Kreditverkehrs sowie die Aufrechterhaltung
unserer Goldwahrung von Anfang an in guten und sicheren Handen gewesen
sei und dafi ohne die vorgekommenen Diskonterhohungen aller Voraussicht nach,
362 Koch.
infolge der uberaus starken industriellen Anforderungen und des stflrmischen
Goldverlangens des Auslandes, eine noch viel starkere Verschlechterung des
Status und, teilweise wenigstens, ein noch weit erheblicherer Goldabflufl ein-
getreten sein wurde. Man war deshalb der Ansicht, dafi der Reichsbankver-
waltung besonderer Dank dafiir gebuhre, dafi sie durch ihre Diskontpolitik
und zugleich durch ein weites Entgegenkommen in den schweren Krisen der
Jahre 1901 und 1907 in erster Linie dazu beigetragen hatte, den Geldmarkt
und die Gesamtwirtschaft Deutschlands vor weiteren Zusammenbruchen und
vor Erschiitterungen schwerster Art zu bewahren. In dieser Beziehung sei
daran erinnert, dafi die Reichsbank wahrend der Krisis von 1901 in einer einzigen
Woche, namlich der schweren Juniwoche, rund 400 Millionen Mark dem Markte
im Wege der Kreditgewahrung zur Verfugung gestellt hat, um ein Weitergreifen
der durch die Dresdener und Leipziger Zusammenbruche entstandenen bedroh-
lichen Krisis zu verhindern.
Am 31. Dezember 1907, kurz vor dem Zusammentritt der Bankenquete-
kommission, deren Gesamtergebnis ohne Zweifel ein entschiedenes Vertrauens-
votum flir die Verwaltung der Reichsbank darstellt, war K. aus dem Amte
ausgeschieden, das er fast 18 Jahre mit soviel Wiirde, Gewissenhaftigkeit und
Erfolg bekleidet hatte. Bei diesem Anlafi und schon einige Jahre zuvor, als er
am 2. November 1903 den 50. Jahrestag seines Eintritts in den Staatsdienst
feierte, kam die Anerkennung und Dankbarkeit weitester Kreise in fast elemen-
tarer Weise zum Ausdruck fur den Mann, der mit der logischen Scharfe des Ju-
risten die angeborene praktische Begabung des Finanzpolitikers und die organisa-
torische Befahigung des Verwaltungsbeamten in glucklichster Weise vereinigte.
An aufieren Ehren hat es ihm an diesen Tagen und auch sonst nicht gefehlt.
Nachdem er schon im Jahre 1886 von der Universitat Heidelberg bei ihrem
Jubilaum zum Ehrendoktor der Rechte ernannt worden war, liefi ihm die
Universitat Straflburg an jenem 2. November 1903 das Diplom als Doktor der
Staatswissenschaften tiberreichen, die Universitat Miinchen (spater 1903) das
eines Doktors der philosophischen Fakultat; auch zum Ehrenbiirger seiner Vater-
stadt Kottbus war er ernannt worden. Schon 1 891 wurde er Kronsyndikus und
Mitglied des Herrenhauses, in welchem er selten eine Gelegenheit versaumt hat,
fur seine Oberzeugung off en und riickhaltslos einzutreten. Im Jahre 1895 war
er zu den Staatsratsverhandlungen behufs Prlifung der Vorschlage zur Be-
seitigung oder Milderung des Notstandes der Landwirtschaft zugezogen worden,
wo er wohl zu den energischsten Gegnern des damaligen Antrages Kanitz gehort
haben durfte. Vom 16. bis 23. Juli 1 903 fuhrte er den Vorsitz in der von Mexiko
und den Vereinigten Staaten von Amerika angeregten internationalen Wahrungs-
konferenz mit grofier Ruhe und unparteiischer Sachlichkeit.
K.s Vielseitigkeit war erstaunlich; es ist kaum ein Gesetz auf dem Verkehrs-
gebiet in den letzten Jahrzehnten beraten worden, bei dem er nicht maflgebend
mitgewirkt hatte, so bei den Beratungen iiber den leider in wesentlichen Teilen
noch heute nicht zum Gesetz gewordenen Entwurf eines Warrantgesetzes, iiber
dessen Bedurfnis und Inhalt er sich auch literarisch geauflert hat, ferner bei der
gesamten Bank- und Munzgesetzgebung der letzten Jahrzehnte, die er in einer
im Jahre 1910 in sechster Auflage erschienenen Ausgabe in meisterhaft knapper
Sprache kommentiert hat. Er war der Verfasser des ersten Scheckgesetzent-
wurfs, der 1882 dem Reichstage zuging, aber nicht erledigt wurde, und hat
Koch. 363
wesentliches Verdienst an der Einbringung und an der Gestalt des heutigen
Scheckgesetzes. Er war der unermtidliche, mafigebende, aber stets mafivolle
Leiter der Borsenenquetekommission (6. April 1892 bis 11. November 1893),
wahrend er weder durchweg mit der gesetzgeberischen Verwaltung ihrer Be-
schliisse, noch weniger aber mit der spateren extensiven Auslegung des Begriffs
der BSrsentermingeschafte durch die Judikatur einverstanden gewesen ist, was
er mir mundlich und schriftlich erklart hat.
Fast auf alien Gebieten der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft, des
privaten und offentlichen Rechts literarisch tatig, ist K. doch immer, und zwar
sowohl in seiner wissenschaftlichen wie in seiner praktischen Tatigkeit, in erster
Linie Jurist geblieben, ohne aber jemals Begriffs- oder Formaljurist zu werden.
War er auch vielleicht nicht »Gegenwartsjurist« in dem nicht durchweg klaren
modernen Sinne dieses Wortes, so war er mehr: er war ein feiner Kenner des
Rechts und ein unbestechlicher Feind jeder Rechtsverletzung, ein weitblickender
Pionier des werdenden Rechtes, bemuht, durch eine Vertiefung und praktische
Ausgestaltung der Rechtsgedanken und der wirtschaftlichen Richtungen der
Gegenwart einer verheifiungsvollen Zukunft die Wege zu ebnen. Ein solcher
Mann hatte das ihm angebotene Amt eines Justizministers mit ganz besonderer
Auszeichnung bekleidet, aber leider ist es dazu nicht gekommen.
In der lateinischen Begrundung des Ehrendoktordiploms der Universitat
Heidelberg findet sich eine Stelle, die sein Wesen und seine Tatigkeit in beson-
ders treffender Weise kennzeichnet : »Semperque doctrinam cum usu feliciter
conjunxit.« In der Tat: als ein Meister der Theorie, hat er ohne jemals eigent-
licher Forscher zu sein, stets dahin gestrebt, dafi sich die Theorie nicht allzu
weit von den praktischen Bedurfnissen und von dem praktisch Erreichbaren
entferne, und, mitten in der Praxis stehend, hat er diese vertieft und gehoben
durch Untersuchung und Aufdeckung ihrer theoretischen Grundlagen, ohne
deren genaueste Kenntnisse der Praktiker niemals belehrend oder reformierend
auftreten sollte. Der uber die Theorie sich erhaben dunkende Praktiker ist
eine ebenso unerquickliche Erscheinung wie der einseitige Theoretiker, der in
ungetrubtem Doktrinarismus die Bediirfnisse und harten Notwendigkeiten des
praktischen Lebens nicht kennt und deshalb unterschatzt. K. lehrte, schrieb
und forderte nichts, was er nicht vorher in bezug auf seine praktische Durch-
fuhrbarkeit genau gepriift, und er setzte nichts in die Praxis um, was er nicht
zuvor auf Grund seines groCen Wissens bis in alle Einzelheiten theoretisch
durchdacht hatte. Darin besteht denn auch das Geheimnis seiner Erfolge
sowohl in der Theorie als in der Verwertung seiner Reformgedanken im Betriebe
der Reichsbank, deren fur die praktische Handhabung bestimmten Formulare
er in richtiger Wiirdigung ihrer Bedeutung fast durchweg selbst entworfen und
dann in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veroffentlicht hat.
Aber nicht allein das, was er leistet, macht den Menschen, sondern auch,
und zwar in erster Linie, das, was er ist.
K. ist schlicht und bescheiden geblieben trotz aller Ehrungen, die ihm
zuteil geworden, trotz aller Erfolge, die er vbllig aus eigener Kraft errungen
hatte. Wohlwollend, giitig und freundlich war er gegeniiber den Mitarbeitern
und den Untergebenen, gegeniiber alien, bei denen er Streben und Ernst voraus-
setzte, stets bemuht, den Strebenden, den er vom Streber mit fast unfehlbarer
Sicherheit zu unterscheiden wufite, mit Rat und Tat zu unterstiitzen.
3^4
Koch.
Nichts Menschliches war ihm fremd, nicht die Kunst, nicht die Musik, die
er selbst von Jugend auf pflegte, nicht die literatur, die er in weiten Gebieten
beherrschte, auch nicht der Menschen Freude und der Menschen Leid. Er liebte
die Geselligkeit, hatte von friiher Jugend an haufig bei Trios als Klavierspieler
und bei Dilettantenauffuhrungen ofters als Regisseur oder Verfasser von Pro-
logen gern mitgewirkt.
Als Richter, als Verwaltungsbeamter, als Praktiker, Schriftsteller und
Regierungsvertreter hatte er Leben und Menschen von den verschiedensten
Seiten, in den Hohen und in den Niederungen, kennen gelernt, war viei und schroff
und ungerecht angefeindet worden; aber er, der seinen Goethe kannte wie seine
Bibel, hatte doch auch unsympathischen und gehassigcn Menschen gegenliber
die Dichterworte stets in Erinnerung: »Das ist als das Hochste zu achten, die
Menschen kennen und sie nicht verachten.«
Vornehm in seinem Denken und Handeln, in Wort und Schrift. unparteiisch
und sachlich in seinem Urteile, wie er es als Richter gewohnt war, unabhangig
in seinem Wirken sowohl nach oben als, was haufig schwerer ist, nach unten,
war er in seiner unbegrenzten Gewissenhaftigkeit, Cberzeugungstreue und
Liebe zur Wahrheit nicht nur ein geborener Richter, sondern zugleich auch ein
geborener Anwalt des Rechtes. Die grofiere oder geringere Heftigkeit, mit der
ein Mensch gegen das reagiert, was ei als Unrecht oder als Rechtsverletzung
empfindet, scheint mir vor allem bezeichnend ftir seinen Charakter und be-
stimmend fur seine innere Entwicklung und seinen aufleren Lebensgang. K. war
ein begeisterter Apostel des Rechts und der Wahrheit. Was er einmal als recht
und wahr erkannte, das vertrat er, unbekiimmert um die Folgen, mit Zahig-
keit — wo es anging, versohnlich in der Form, aber immer scharf und unbeugsam
in der Sache. Kompromisse vermochte er hier nicht zu schliefien. Er mag
denn auch wohl gerade deshalb im Parlament so heftige Gegner gef unden haben,
denen er meist ohne jede taktische oder diplomatische Zuriickhaltung oder
Verhullung seine ungeschminkte Meinung zum Ausdruck brachte. Er ist eben
nie ein eigentlicher Politiker gewesen, wie er, schon infolge seines nicht weit-
tragenden Organs, aber auch aus sonstigen Grunden, kein eigentlicher Redner
gewesen ist. Aber da ihm die kostliche Gabe feiner Ironie und nicht verletzender
Satire in hohem Grade eigen war, zwang seine Rede und die Oberzeugungskraft,
die sie beseelte, den Horer fast immer in seinen Bann.
Im Amte, in der Arbeit, im Schaffen stellte er an niemanden grdfiere An-
forderungen als an sich selbst; seine Arbeitslust und Arbeitskraft war fast un-
erreichbar und schien unerschopflich, ihr kamen nur sein starkes Verantwort-
lichkeitsgefuhl und seine Gewissenhaftigkeit auch in kleinen und kleinsten
Dingen gleich.
In dem hohen Amte, zu dem er gelangt war, kam ihm seine grofie Sach-
und Fachkenntnis, seine juristische Durchbildung, die ihn mit fast unfehlbarer
Sicherheit stets das Wesentliche von dem Unwesentlichen rasch unterscheiden
liefl, seine Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, sein praktischer Blick und
sein fester und lauterer Charakter, kurz eine Summe von Eigenschaften zu-
statten, die sich seiten bei einem Menschen vereint finden. An jeder Stelle aber
hat er die Eigenschaften betatigt, die vor allem fdhrenden Mannern, auf welchen
Platz sie auch das Leben gestellt hat, eigen sein sollten: seine heifieste Liebe
gait dem Vaterlande, und sein hochstes Gesetz war das Gemeinwohl. Dauerndes
Koch. 365
aber unci Vorbildliches konnte er in hervorragender Stellung deshalb schaffen,
weil er nicht lediglich klug und erfahren, sondern zugleich ein Charakter war
und eine harmonische Personlichkeit.
In der schweren t)bergangszeit, in der wir leben, die bis zum Rande angefiillt
ist mit neuen Aufgaben und neuen Problemen, mit auf- und abwogenden, oft
noch unklaren und unreifen Entwicklungstendenzen und Interessenkonflikten,
hatte unser Vaterland das Gliick, in K. einen zuverlassigen wirtschaftlichen
Berater zu besitzen, einen finanziellen Generalstabsschef von mafivoller Ruhe,
weitem Blick und mutiger Entschlieflung.
Er war ein Mensch im besten Sinne des Wortes, da er ein Kampfer war,
wie er bis zum letzten Atemzuge ein Kampfer gewesen, weil er stets ein Mensch
geblieben ist, treu seinen Zielen, treu dem Vaterlande und seiner Oberzeugung.
Nach der »Grenzboten« Heft 14, 1911, zuerst gedruckten Gedenkrede.
Professor R i e 6 e r.
I. Alphabetisches Namenverzeichnis
zum
Deutschen Nekrolog vom I. Januar bis 31, Dezember 19 1 1.
Name
Baer, Christian Max
Baemdorff, Auguste v.
Baumgartner, Peter
Begas, Reinhold
Braun, Gustav Adolf
Theodor
Brenner, Ernst
Brosi, Albert
Brtihl, Jul. Wilh.
Burckhardt-Finsler,
Albert
Buschbeck, Hermann
Verfasser
//. Holland
M. Berger
H. Holland
A. Hcilmeycr
Zander
J. Winkler
H. Kaufmann
E. Philippi
H. Earth
A. Frh. v. Mensi
Cloetta, Wilhelm E. Hoepffner
Conrader, Georg H. Holland
Czachorski, Wladisl. v. H. Holland
Cziizy v. Cziiz, Karl H. Holland
Dingelstad, Hermann Huh
Eppinger, Karl R, Charmatz
Erdtelt, Alois H. Holland
Escherich, Theodor C. v. Pirquet
Fischer-Benzon,
Rud. v.
Frankel, Bernhard
Fresenius, August
Funke, Alois v.
J. Sass
L. Rcthi
A. Dreyer
R. Charmatz
Gotz, Wilhelm 7. Reindl
Gogarten, He in rich H. Holland
Goldberg, Gust. Ad. H. Holland
Seite
90
63
95
145
138
119
227
133
166
66
70
97
89
97
79
194
88
45
106
67
201
218
64
86
84
Name
Greif, Martin
Grober Gustav
Grlinhagen, Colmar
Heifl, Karl
Heyden, Hubert v.
Hitzig, Herm. Ferd.
Htflscher, Hermann
Hoff, van 't, Jacobus
Holmberg, August
Httlskamp, Franz
Jellinek, Georg
Verfasser Seite
A. Dreyer
H, Schneegans
J. Ziekursch 92
A. Dreyer
H. Holland
H Schuler
G. Holscher
E. Zerner
H Holland
E. Sar tortus
E. Zweig
Keller, Gustav H m Holland
Ktfnig, Richard, Frei-
herr v. Warthausen Lampert
Kroner, Adolf v. W. Koebner
Ladenburg, Albert
Le Feubure, Carl
Loes, Karl
E. Zerner
H. Holland
Heydweiller
Mahler, Gustav G. Adler
Menger, Max v. R. Charmatz
Meyer,ChristianFriedr. Carl Fey
Meyer-Frauenfeld,
Johannes F, Schaltegger
Mottl, Felix A. Ett linger
Milliner, Laurenz J, Prcnner
207
226
Oettli, Samuel
F. Wilke
206
86
178
79
185
83
234
147
9i
57
247
171
9'
7i
3
221
217
182
72
129
140
Alphabetisches Namenveneichnis.
367
Name
Verfasser
Seite
Pacher, Ferdinand
H.
Holland
81
Palmi£, J, Charles
H.
Holland
98
Pernat, Franz S.
H
Holland
100
Riehl, Berthold
A.
Dreyer
203
Rose, Julius
H
Holland
101
Salomon, Ludwig F. Zilcken
Scheuermann, Ludwig
G. W. H. Holland
Schewitsch-Racowitza,
61
101
Helene v.
A. Dreyer
198
Schneider, Richard
Bujard
233
Schonbach, Anton E
. E . v. Steinmeyer
256
Schrtftter, Hugo
PhUippi
136
Seltmann, Karl
F. X. Seppelt
127
Siebold, Alexander
Freiherr v.
GrafA.v.Branden-
stein-Zeppelin
154
Name Verfasser Seite
Struck, Adolf Hermann W, Muller 169
Ttlmpling, Luise v. P. Mitzschke 59
Uhde, Fritz v. H Holland 214
Uhlig, Victor F. E. Suess 109
Umbeck, Philipp V. Klingemann 106
Vahlen, Johannes E. Thomas 236
Varrentrapp, Konrad G.Meyer v. Knonau 122
Venne, van der, Adolf H. Holland 102
Voltz, Ludwig H. Holland 104
Weiser, Josef H. Holland 103
Weitbrecht, Richard H. Mosapp 116
VVilmanns, VVilhelm E. Schroeder 41
Zipperer, VVilhelm A. Dreyer 202
II. Alphabetisches Namenverzeichnis
der
Erganzungen und Nachtrage.
Name
Verfasscr
Seite
Name
Verfasser
Seite
Burg, Ernst v. d.
Krieg
329
Koch, Richard
Riefier
354
Friedberg, Emil
E. Sthling
313
Messel, Alfred
K. Pallmann
341
Hartrott, Ludwig v.
Krieg
3^5
Olbrich, Maria Josef
F. v. Fcldegg
338
Helfert, Jos. Freiherr v
\H. FrUdjung
346
Plener, lgnaz v.
E. Plener
262
Kleist, Ewald v.
KrUg
317
Werder, Bernhard v.
Krieg
319
TOTENLISTE
1911.
Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog-. 16. Bd. 24
Ein Stern (*) vor dem Namen bezeichnet, dafi das Biographische Jahrbuch dem Toten
cinen eigenen Nekrolog gewidmet hat, auf den mit BJ unter Angabe von Band- und Seiten-
xahl verwiesen ist; die am Schlusse jedes Artikels der Totenliste angefiihrte Literatur ver-
zeichnet die Quellen des Bearbeiters und gibt auch weitere, zum Teil aus zweiter Hand ge-
schopfte Hinweise; W deutet dabei an, dafi dort ein Verzeichnis der Werke des Verstorbenen,
P f dafi ein Portrat beigegeben ist, N, dafi sich ein ausfuhrlicher Nekrolog an der betreffenden
Stelle findet.
Andere Abkiirzungen sind:
AD = Das akademische
Deutschland. Biogr. -bib -
liogr. Handbuch f. d. Uni-
versitaten d. Deutschen
Reiches. Leipzig 1905 — 06.
ADB = Allgem. Deutsche
Biographic
AF = Arbeiterfreund.
AL = Alberti, Lexikon d.
Schlesw. - Holstein-Lauen-
burg. u. Eutin. Schrift-
steller von 1829 — 66 u.
1866—82.
AMZ = Allg. Musikzeitung.
ASG — Anzeiger f. Schwei-
zer. Geschichte.
BB = Bdrsenblatt.
BKW = Berliner Klinische
Wochenschrift.
BMW = Boetticher, Maler-
werke d. 19. Jahrh.
BR = Briimmer, Lexikon d.
deutschen Dichter u. Pro-
saisten d. 19. Jahrh. 6.
Aufl. 19 1 3.
BT = Briefadelig. Taschen-
buch.
BZ = Dietrich, Bibliogra-
phic d. Zeitschriften-Lite-
ratur.
DAG = Deutsch-Amerikan.
Geschichtsblatter.
DBZ = Deutsche Bauzeitung.
DE = Deutsche Erde.
DJZ = Deutsche Juristen-
Zeitung.
DKB = Deutsches Kolonial-
blatt.
DKZ = Deutsche Kolonial-
zeitung.
DMW = Deutsche Medizin.
Wochenschrift.
DRG = Deutsche Rundschau
f. Geogr. u. Statistik.
DZL = Deutsches Zeitge-
nossen-Lexikon.
EG = Ludw. Eisenbergs
Grofies Biogr. Lexikon d.
Deutschen Biihnen i. 19.
Jahrh.
EL = Eckart, Lexikon d.
Niedersachsischen Schrift-
steller. 1891.
ELK = Allg. Evang.-Luth.
Kirchenzeitung.
FT = Freiherrl. Taschen-
buch.
FZ = Frankfurter Ztg.
GA = Geogr. Anzeiger.
GK = Geographen-Kalender.
GT = Grafliches Taschen-
buch.
GZ = Geogr. Zeitschrift.
HA = Handbuch f . d. Preufi.
Abgeordnetenhaus.
HBL = A. Hirsch, Biogr.
Lexikon d. hervorragenden
Arzte aller Zeiten u.V6lker.
HC = Hamburgischer Corre-
spondent.
HH = Handbuch f. d. Preufi.
Herrenhaus.
HK = Gothaischer Hofka-
lender.
HL = Hessenland.
HP A = Hirths deutscher
Parlaments-AlmanaclL
HV = Historische Viertel-
jahrsschrift.
JAW = Jahresberichte iiber
d. Forstchritte d. klass.
Altertumswissenschaft.
JB = Jahrbuch d. deutschen
Bibliotheken.
JSG = Jahresberichte d.
Schles. Gesellschaft f. va-
terl£nd. Kultur.
JSTG = Jahrbuch d. Schiffs-
bautechnischen Gesellsch .
IZ = Leipz. Illustrierte Zei-
tung.
K = Kukula, Bibliogr. Jahr-
buch d. Deutschen Hoch-
schulen.
Kchr = Kunstchronik.
KFA = Kunst f. Alle.
KJ = Kirchliches Jahrbuch,
KL — Kiirschner, Deutsch.
Literatur- Kalender.
KM = Konservative Mo-
natsschrift.
KR = Keiters Kathol. Lite-
ratur- Kalender.
KTH = Kalender d. Techni-
schen Hochschulen.
KVZ = Kolnische Volkszei-
tung.
KW = Kunstwart.
L = Leopoldina.
LA = Limans Militar-Al-
manach.
LE = Literarisches Echo.
LJ = Lebells Jahresberichte.
LZ = Literar. Zentralblatt,
MAZ = Munch. Allgemeine
Zeitung.
M. d. A. = Mitglied d. Preufi.
Abgebrdnetenhauses.
M. d. H. = Mitglied d. Preufi.
Herrenhauses.
Totenliste 191 1 : Achenbach — Aschenborn.
6*
M. d. R. = Mitglied d.
Reichstag es.
MMW = Munch. Medizin.
Wochcnschrift.
MS = Muller-Singer, Allgem.
KOnstler-Lexikon.
M W = Militar - Wochen-
blatt.
MWB = Musikal. Wochen-
blatt.
MZ = Militarzeitung, Berlin.
NFP = Neue Freie Prcsse.
NMZ = Neue Musikzeitung.
NR = Naturwissenschaftl.
Rundschau.
NS = Niedersachsen.
NT A = Neuer Theater-Al-
manach.
NZ = Nationalzeitung.
0A= Deutscher Ordens- Al -
manach.
OR = Osterreichische Rund-
schau.
PBL = Pagel, Biogr. Lexi-
kon hervorragender Arzte
d. 19. Jahrh.
PF — Poggendorff, Biogr. -
literar. HandwSrterbuch z.
Geschichte d. exakten
Wissenschaften.
PM = Petermanns Mittei-
lungen.
PY = Pataky, Lexikon deut-
scher Frauen d. Feder.
R = Riemann, Musiklexikon.
7. Aufl. 1909.
RH = Reichstags-Handbuch
SE = Stahl u. Eisen.
SKL = Spemanns Kunst-
Lexikon.
T = Tag, 111. Teil.
TB = Thieme-Becker, All-
gem. Lexikon d. bildenden
Kunstler.
TL = Totenliste.
TR = Tagliche Rundschau.
TRU = Tagliche Rundschau.
Unte rhaltungsbeilage.
U = Oberall.
UK = Aschersons Universi-
ty ts-Kalender.
UT = Uradeliges Taschen-
buch.
VZ = Vossische Zeitung.
VZT = Vossische Zeitung,
Totenliste.
W = Woche.
WGK = Wippermanns Deut-
scher Geschichts-Kalender.
WI = Wer ist's?
WJ = Wurttemberg. Jahr-
biich. f. Statistik u. Landes-
kunde.
WMW = Wiener Medizin.
Wochenschrift.
ZB = Zentralblatt d. Bau-
verwaltung.
Berlin.
Dr. Hollcck-Wcithmann.
191 1.
Achenbach, Gustav, Pfarrer u. Superint. d.
Diocese Siegen, Kenner u. Forscher d.
Siegerland. Geschichte, Mitgl. d. Haupt-
vorst. d. Gustav-Adolf-Vereins u. d. Ev.
Bundes; * Crombach i. Siegerland 1847;
t Siegen 21. III. — KJ 38, 654.
Ackermann, Theodor, Hofbuchh., lange Jahre
Vors. d. Bayer, u. d. Munch. Buchh.-
Vereins; * Dessau 29. I. 1827; f Miinchen
10. VI. — W 1911, 990; WI 4, 4/5.
AHschiiler, Moritz Jakob, Dr. phil, Rab-
biner, Schriftst., Red. d. Vierteljahrsschr.
f. Bibelkde., talmud. u. patrist. Studien;
* Nowo-Grudek, Russ.-Polen 1869; f Wien
22. III. — Allg. Zt. d. Judent. 1911,
184/85 (P); KLi9U,i9(W); WI 4, 16 (W).
Anderegg, Felix, Prof. i. Bern, namhafter
landwirtsch. Schriftst.; * Rothenbach 21.
VI. 1834; f Bern 8. V. — VZT; KL 1911,
22 (W).
Anders, Ernst, Bildnismaler, langj. Mitgl. d.
Diisseld. Malkastens; * Magdeburg 26. III.
1845; f Molln i. Lauenburg Ende Okt. —
Kchr N. F. 23, 53; KFA 27, 147; MS
Nachtr., 5; TB 1, 433; BMW 1, 23.
Appel, Wilhelm Frh. von, Wiener Dichter,
Chef red. d. *Muskete«; * Wien 11. IX.
1875; f das. 22. XI. — VZT; OR 30, 159;
FT 1909, 16; KL 1911, 29.
Arentsschlldt, Wilhelm von, Generallt. z. D.,
zul. Kommand. d. 66. Inf. -Brig., Ritter d.
Eis. Kr. 2. KL, 1896 z. D.; * Hildesheim
29. III. 1840; f Hannover 2. X. — VZ
11. X. M.-A.; OA 1908/09, 25; BT 191 1, 15.
Arnlm, Hans von, Gen. -Major a. D., zul.
Kommand. d. 34. Kav.-Brig.; * Crieven
n. II. 1855; f Hannover 21. VII. —VZT;
OA 1908/09, 27.
Arnold, Engelbert, Geh. Hofrat, Dr. ing. %
o. Prof. f. Elektrotechnik a. d. Techn.
Hochsch. i. Karlsruhe; * 7. III. 1856;
f Karlsruhe 16. XI. — WI 4, 30; 6 TL.
Arnold, Johann Wilhelm, Wirkl. Geh. Ob.-
Reg.-Rat, 1894 — 1910 Ober-Verw.-Ger.-
Rat, Syndikus d. Techn. Hochsch. i. Berlin;
* Stolp i. P. 14. V. 1838; f Berl.-Wilmers-
dorf 8. XL — VZT; WI 4, 30; Bericht d.
Techn. Hochsch. Berl. 1911/12, 1.
Aschenborn, Oskar Wilhelm, Dr. med. t Geh.
Mediz.-Rat, Hilfsarb. in d. Mediz. Abt.
24*
Totenliste 191 1: Auer — Bcndt.
d. Minist. d. Innern; * Berlin 16. VII.
1 851; f das. 20. X. — VZ 21. X. A.-A.;
PBL 53.
Alier, Joseph, Pfarrer, kirchl. Schriftst. u.
Komponist; * Staudach 4. II. 1855; f
Osterwaal, Nied.-Bay. 1. III. — KR 191 1,
15 (W); 1912 TL.
Backhaus, Leo, hervorr. Ingenieur, Direkt.
d. Ges. Harkort i. Duisburg; * Leipzig
9. III. 1849; f Duisburg 7. XII. — SE
32, i, 88 (P).
Baedeker, Karl, friih. Inhaber d. bek. Verl.
i. Essen; * Essen 1837; f Heiland b. EB-
Hngeni2. V. — LE 13, 1279; GK 1912,57;
PM 57, 303-
*Baer, Christian Maximilian, Stilleben-, Por-
trat- u. Historienmaler; * Nlirnberg 24.
VIII. 1852; f Miinchen 31. 1. — BJ XVI,
90 (H. Holland); IZ 136, 339; Kchr N. F.
22, 246; KFA 26, 288.
*Baerndorff, Auguste von, verw. Jaksch
v. Wartenhorst, geb. Bauerhorst, kais.
russ. Hofschausp. a. D. f Ehrenmitgl. d. Kgl.
Hof theaters zu Hannover; * Berlin 11. V.
1823; f Rom 8. III. — BJ XVI, 63 (M.
Berger).
Birwinkel, Richard, Dr. theol. et phil., Super-
int. u. Pfarrer, Verf. zahlr. apolog. anti-
materialist. Schriften; * Dallmin b. Perle-
berg 3. VII. 1840; f Erfurt 12. VII. —
VZ 14. VII. M.-A.; ELK 44, 695; KJ 39,
431; KL 191 1 1 62 (W); WI 4, 44 (W).
Banse, Franz, Direkt. d. Continental Telegr.-
Comp.; * Schleusingen 14. XL 1839;
f S. Remo 15. I. — VZ 16. I. A.-A.; BB
Nr. 19 v. 24. I.
Barlow, Amalie, hat sich um d. Musikleben
Mllnchens dadurch d. grdflten Verdienste
erworben, dafl sie in hervorr. Weise Hof rat
Keim bei d. Griindung e. Orchesters u. d.
Erbauung d. Tonhalle unterstiitzte, die
Erhaltung d. Konzertvereins-Orchesters
ermoglichte u. in ihrem Testament e den
von ihr gegriind. Konzertverein mit J /»
Million M. bedachte; * Bremen 1840; f
Miinchen 10. II. — NMZ 32, 243.
Bauer, Ludwig, Dr. med. f Privatdoz. f. Hy-
giene a. d. Techn. Hochsch. i. Stuttg., bed.
Mitgl. d. Wurtt. Landt., Hospitant d. freis.
Volksp., Vertr. d. Rassenhygiene; f Stutt-
gart-Ostheim 7. X. f 47 J. alt. — MMW
58, 2200, 2278; Hilfe 191 1, 643/44 (Th.
HeuB); WJ 191 1 Nekr.; Wurtt Staatsanz.
Nr. 234; Schwab. Kron. Nr. 468; Med.
Korresp.-BL 52.
Baumbach, Philipp von, seit 1908 Reg.-Pras.
i. Breslau; * Kassel 14. XII. i860; f Breslau
19. IX. — VZ 20. IX. A. -A.; OA 1908/09,
66; JSG 1911 Nekr., 2/3; HL 25, 291;
Schlesien 5, 40; UT 191 1, 55.
*Baumgartner, Peter, Genremaler; ♦Miin-
chen 24. V. 1834; f das. 12. XII. — BJ
XVI, 95 (H. Holland).
Baur, Karl von, ehem. Pras. d. Leopoldin.-
Carolin. Akad. d. Naturforscher i. Halle;
* 25. XL 1836; f Degerloch b. Stuttg.
20. L — VZ 24. I. A. -A.; GK 1912, 57;
PM57, i35;WJi9ii Nekr.; Wurtt. Staats-
anz. Nr. 19; Schwab. Kron. Nr. 34.
Beck, Karl, bed. deutsch-amerik. Chirurg,
genialer Operateur, fruchtb. mediz. Schrif t-
steller; * NeckargemCInd 4. IV. 1856; f
Palham Heights b. New York 8. VI. —
VZ 1. VII. A.-A.; MMW 7 58, 1488, 1628
(A. Alleman); BKW 48, 1312; KL 191 1,
80 (W).
Becker, Johann A 1 b r e c h t , Kgl. Baurat,
bed. Architekt; * Rostock 22. II. 1840;
f Gut Mallenzin 11. X. — ZB 1911, 551/52
(^Knoblauch).
*Begas, Reinhold, Wirkl. Geh. Rat, Prof.,
bed. Bildhauer; * Berlin 15. VII. 1831;
t das. 4. VIII. — BJ XVI, 14S (A. Heil-
meyer); VZ 4. VIII. A.-A.; f 183 (P);
W 1911, 1330, 1338 (P); MAZ 114, 480
(A. G. Hartmann, Z. 80. Geburtstag); IZ
137, 292/93; WI 4, 78; DZL 73/74; Hilfe
191 1» 509/10 (Th. Heufi); KW 191 1 Bd. 1,
H. 3 (R. Wintzer, Erinnerungen an R. B.);
Kchr N. F. 22, 545— 49 (M. Ofsborn]);
KFA 26, 574/75 (P); Kunst u. KOnstler
9, 650; MS 1, 93/94; TB 3, 183—87 (P.
Kiihn); SKL 84; Cicero 3, 643; Universum
Beil. 191 1, 315 (P. Lothringer); Berl.
Miinzbl. 32, Nr. no (Ph. Lederer, B. als
Medailleur).
Behrmanri 9 Christian KonradGeorg, Dr. theoL,
Senior u. Hauptpastor an St. Michaelis i.
Hamburg, ausgez. Prediger u. Kenner d.
oriental. Sprachen, fruchtb. Schriftst.;
* Hamburg 15. XL 1846; f Lockstedt
10. XII. — HC 10. VII. A.-A., 11. VII.
M.-A.; ELK 44, 695; KJ 39, 432; D. alte
Glaube 12, Nr. 48 u. 49 (Detlevsen); Hamb.
Nachr. 12. X. 1904 2. M.-A. (12. X. 1879 bis
1904); HC 12. X. 1904 M.-A. (Z. 25 jahr.
Jubilaum), A. -A. (D. Jubilaumsfeier d.
Senior D. B.), 1 5. X. M.-A. (Erinnerungen);
AL 1866—82. 1, 42.
Bendelf Ferdinand August, Schweizer. Hi-
storiker, Lehrer a. d. Madchenrealsch. i.
Schaflhausen, bearb. mit Walter u. Baech-
told d. Urkundenregister f. d. Kant.
Schaflh.; * Schaflhausen 19. I. 1846; f das.
22. I. — ASG 44. 370; Schaffh. TagfcbL
Nr. 20 (W. Uftzinger]).
Bendt f Franz, Ingenieur, Fach- Schriftst.,
J ) Irrttimlich schon in die TL f. 1910
aufgenommen.
Totenliste 191 1: Berger^Braun.
10*
langj. Mitarb. d. Voss. Zt.; * Kiel 21. II.
1855; f Berlin 26. III. — VZ 31. III. A. -A.;
KL 1911, 95 (W).
Berger 9 Ludwig, Geh. Justizrat, einer d. anges.
Bresl. Rechtsanw., Vorst.-Mitgl. d. An-
waltskamm., Aufsichtsr. u. Syndikus meh-
rerer AktiengM., vermachte f. d. Interessen
s. Standesgenossen mehrere Millionen; *
Freystadt 2. I. 1837; f Breslau 18. VII. —
VZ 29. VII. M.-A.; OA 1908/09, 94-
Berger, Paul, Kommerzienr., Seniorchef d.
weltbek. Farbenfabriken Berger u. Wirth
i. Leipzig; * Leipzig i860; f Bansin 22.
VIII. - IZ 137, 345 (P).
Berger, Wilhelm, Komponist, herzogl. sachs.
Hofkapellm., Mitgl. d. kgl. Akad. i. Berlin;
* Boston 9. VIII. 1861; f Jena 15. I. —
VZ 16. I. A. -A.; IZ 136, 190 (R. Gerner m.
P); AMZ 191 1 1 105 (Schwers m.P); R 129;
NMZ 32, 218/19 (C. Droste m. P); WI
4, 92; W 1911, 167 (P); DZL 88.
Bidcel, Ludwig, Gen.-Major z. D., friih. Kom-
mand. d. 33. F. -Art. -Brig., Ritter d. Eis.
Kr. 2. KL; * Darmstadt 16. II. 1853; f
das. 26. III. — VZ 29. 111. M.-A.; Wl 4,
106/07.
BbdlOff, Felix, Konsul, Fabrikbes., hochverd.
urn d. Werkzeugsstahlerzeugung; * Aachen
6. II. 1835; f Duisburg q. V. — SE 31, 1,
871 (P).
Bbchoff, Karl, Vr. pkiL, Prof., ausgez. Che-
miker, schrieb e. anerkanntes Werk lib.
feuerfeste Tone; * Bonn 15. V. 1825; f
Wiesbaden 11. VIIL —VZ 22. VIII. M.-A.;
Tdpfer- u. Ziegler-Zt. v. 23. VIII.
Blende, Emil, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat,
Dr. phil. h. c, friih. Pras. d. kgl. preufi.
statist. Landesamts, hervorr. Statistiker;
* Magdeburg 22. XII. 1832 ; f Berl.-Lichter-
felde 4. X. — VZ 7. X. M.-A.; W 1911, 1718,
1725 (P); KL 1911, 142 (W); WI 4, iai;
DZL 121; GK 1912, 57; Zeitschr. d. kgl.
preufi. statist. Landesamts 51, 323 (G.
Evert).
Bleystebier, Georg, (Pseud.: Wilhelm Hoff-
mann), Schriftst. u. Kritiker; * NUrnberg
13. III. 1865; t Leipzig 23. IV. — KL 1911,
143 (W); 1912 TL.
Bhlhm, Maximilian, Gen.-Major z. D. t zul.
Abt.-Chef b. d. Art.-PrQf.-Komm.; * Ma-
rienwerder 6. Vii. 1844; t Berlin 4. VIII. —
VZT; OA 1908/09, 129.
Blum, Emil, Dr. ivg. h. /*., Geh. Baurat, Ge-
neraldir. d. Berlin -Anhalt. Maschinen-
Aktien-Ges., neben Borsig u. Loewe einer
d. Mitbegr. d. Berlin. Maschinenbau-Grofi-
industrie; * Frankfurt a. M. 17. IV. 1844;
t Berlin 29. X. — VZ 30. X. A. -A.; IZ
137, 989 (P).
Bhtme, Edmund, Portrat- u. Genreraaler;
* Halberstadt 21. VII. 1844; f Altaussee
14. VI. — MAZ 114, 424.
Bktmhardt, Oskar, Ministerialrat, Techn. Ref.
i. Minist. f. Els.-Lothr.; * Ulm 30. X. 1851 ;
t Strafiburgi. E. 26. II. —VZ 1. III. M.-A.;
WJ 191 1 Nekr.; Schwab. Merk. Nr. 99.
Bfigel, Heinrich, ehem. Hofoperns anger a*
Hofth. i. Darmstadt, bed. Bariton; * Darm-
stadt 28. VI. 1835; f das. 16. X. — NTA
1913* i5°-
B8hm 9 Adolph P., Komponist von Liedern
u. d. symphon. Dichtungen »Haschisch« u.
♦Der Friede*; f Berl.-Charlottenburg 19.
XL 32 J. alt. — VZ 20. XI. M.-A.; Musik
1. Dez.-H., S. VI.
Bfihmer, Paul, Dr. inr. % Unterstaats-Sekr. i.
Reichs-Kolonialamt, vorh. BUrgerm. v.
Metz; * Gammertingen i. Hohenz. 30. IX.
1864; t Berlin 23. IX. — VZ 23. IX. A. -A. ;
T 226 (P); DKZ 28, 651/52.
Botmenberg, Emil, Wirkl. Geh. Ob.-Finanzrat,
vortr. Rat i. Preufi. Finanzminist, Pras. d.
General-Lotterie-Direktion, auf d. Geb. d.
Zoll- u. Steuergesetzgeb. literar. tatig;
* Sterkrade, Kr. Ruhrort 1. VI. 1854;
t Berlin 7. IV. — VZ 7. IV. M.-A.; WI 4,
145; Bursch. Bl. 25, 251; DZL 146.
Borgmann, Hermann, Kaufm. i. Berlin, seit
1908 M. d. A., Sozialdemokr. ; * Schkeuditz,
Reg.-Bez. Magdeburg 14. XL 1855; f
Berlin 16. IV. — VZT; HA 1908, 363,
S25 <P).
Bornemarai, Wilhelm, Dr. phi!., Red. zahlr.
deutsch. Zeitung., zul. Feuilleton-Red. u.
Theater-Kritiker d. Nordd. Allgem. Ztg.;
* Hannover 14. V. i860; f Berlin 17. I. —
VZT; LE 13, 762; KL 1911, 175; WI 4,
150; BR 1, 303.
Bote, Emil Hermann, Prof. u. Direkt. d.
Physik. Inst. a. d. Univ. La Plata, vorh.
ao. Prof. a. d. Techn. Hochsch. i. Danzig;
* Bremen 20. X. 1874; f La Plata i. Mai. —
VZ 30. V. M.-A.; PF 4, 1, 161 (W).
Boysen, Otto, Guts- u. Muhlenbes. i. Kleszo-
wen, Kr. Darkehnen, 1880 — 88 u. seit 1893
konserv. M. d. A.; *ltzehoe 26. VII. 1842;
f Berlin 2. II. — VZ 6. 11. A. -A.; WI 4.
156; HA 1908, 363, 479 (P).
Braun, August, Geh. Postrat, vortr. Rat i.
Reichs-Postamt; * Hersfeld 1857; f Berlin
30. XII. — VZ 31. XII. M.-A.
Braun, Gebhard, 1890—98 M. d. R., Zentr.;
* Retterschen 4. I. 1843; t Ravensburg
8. XL — VZ 8. XL A. -A., 9. XL M.-A.;
RH 1890, 150; WJ 191 1 Nekr.
Braun, Gustav von, Hofrat, Dr. med., Prof,
a. d. Univ. Wien, hervorr. Gynakologe;
* Zistersdorf b. Wien 28. V. 1829; f Wien
8. II. — VZ 8. II. A.-A., 9. II. M.-A.;
NFP 8. II. A.-Bl.; DMW 37, 556 (Halbau
II*
Totenliste 191 1: Braun — Buchholz.
12'
m. P); MMW 58, 391; WMW 6i f 477
(Fischer); PBL 231/32 (P); HBL 1, 562/63.
♦Braun, Gustav Adolf Theodor, Dr. theol. et
phil. % Wirkl. Oberkonsistorialrat, frtih. Ge-
neralsuperint. d. Neumark u. Nicdcrlaus.;
* Mollbergen, Westf. 5. II. 1833; f Mentone
18. II. — B J XVI, 138 (Zander); VZ 21. II.
M.-A.; T 46 (P); OA 1908/09, 176; KJ 38,
655/56; ELK 44. 214, 230/31, 733/34
(L. Schneller); Reformation 191 1, 202/03
(E.Vowinckel), 203/04 (W. Philipps), 205/06
(H. Wilms), 362/64 (A. Petri).
Braun, Heinrich, Geh. Mediz.-Rat, Dr. rned. %
Prof. u. Direkt. d. chirurg. Klinik a. d.
Univ. Gflttingen; * Beerfelden i. Groflh.
Hessen 18. II. 1847; t Gdttingen 10. V. —
VZ 10. V. A.-A. ; IZ 136, 1018 (P); DZL 169;
WI 4, 165 (W); AD 3, 199/200 (W); DMW
37. 1037/38 (V. Czeray m. P.); MMW 58,
1361 (Borchard); HBL i, 563; PBL 232/34
(W); Chronik d. Univ. Gdttingen 1911, 5/6.
BffUlTO, Hermann, Kommerzienrat u. In-
genieur, Vors t -Mitgl. d. Vereins deutsch.
Eisenhuttenleute seit s f Begriindung, 1885
bis 1902 Vors. d. Stadtverord.-Kolleg. i.
Dortmund, 1886 — 1903 Pras. d. Handelsk.,
Mitgl. d. Prov.-Landt. i. Westf.; * Forst-
haus Selzerthurm b. Uslar i. Soiling 19. X.
1838; f Eisenach 5. VI. — SE 31, 1033/34
Braunschweig, Geofg von, General d. Inf.
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt.,
b. Nachod verwundet, 70 Adj. b. Ober-
Komm. d. 1. Armee, dann b. d. 60. Inf.-
Brig., 93 Kommand. d. Augusta-Reg. f
94 — 96 Fltigeladj. d. Kaisers, 97 Kommand.
d. 29. Inf. -Brig., dann d. 10. Div., 1902 d.
17. Korps; * Lissowitz i. Westpr. 26. VIII.
1845; f Blankenburg a. H. n. VIII. —
VZ 11. VIII. A.-A.; HC 12. VIII. M.-A.;
WI 4, 167; W 191 1, 1374, 1376 (P); DZL
173; MZ 1911, 472.
Bremschefd, Matthias von f (Pseud.), s. Lay,
Matthias.
♦Brenner, Ernst, Dr., schweizer. Bundesrat;
* Basel 9. XII. i8«tf; f Menton 11. III. —
BJ XVI, 119 (J.Winkler).
Brinckmann, Ernst, Gen. -Major z. D., zul.
Komm. d. 21. Kav.-Brig. f Ritter d. Eis. Kr.
2. KL; * Celle 2. 1. 1847; f Neukolziglow
19. I. — VZ 22. I. M.-\.; OA 1908/09, 188.
*Brosi, Albert, Advokat, bed. schweizer. Po-
litiker, langj. Parlamentarier, Fiihrer d.
freis. Partei, frtih. Mitgl. d. Regierung d.
Kant Solothurn; * Olten, Kant. Solo-
thurn 7. IV. 1836; f Solothurn 8. V. —
BJ XVI, 227 (H. Kaufmann).
Brack, Felix Friedrich, Geh. Justizrat, Dr.
ttir., ao. Prof. f. StrafprozeO u. Rechts-
enzyklop., bek. als Vork. f. d. Deportation
nach SQdwestafrika; * Breslau 19. V. 1843;
f das. 5. XI. — VZ 9. XL M.-A. f 10. XL
A. -A.; Schles. Zt. 9. XL M.-A.; WI 4, 181
(W); AD 2, 42/43 (P); DJZ i6 f 1485; W
191 1, 2051 (P); Bursch. Bl. 26, 105; Chronik
d. Univ. Breslau 26, 227 — 32 (Gretener);
K 86.
Briihl, Ferdinand Graf von, Gen.-Major z. D. f
zul. Komm. d. 13. Kav.-Brig., Vors. d.
Adelsgenoss.; * Pfdrten 3. V. 1851 ; f Berlin
13. II. — VZ 14. II. M.-A.; OA 1908/09,
196; GT 191 1, 163.
Briihl, Friedrich Franz Graf von, freier
Standesherr auf Forst u. Pfdrten, M. d. H.;
* Pfdrten 8. VIII. 1848; f das. 11. VII. —
VZT; WI 4, 182; OA 1908/09, 196; HH
1907, 297; GT 1911, 162.
Briihl, Hanns Moritz Graf von, Gen.-Lt z. D. t
zul. Komm. d. 9. Kav.-Brig.; * Pf6rten t
Kr. Sorau 31. XII. 1849; f Glogau 3. II. —
VZ 4. II. M.-A.; WI 4, 182; GT 191 1, 162.
♦Briihl, Julius W r ilhelm, Dr. phiL h. r., Prof,
d. Chemie a. d. Univ. Heidelberg, Verf. d.
bek. LehrbOcher ttber Chemie; * Warschau
13. II. 1850; f Heidelberg 5. II. — BJ
XVI, 133 (E. Philippi); VZ 10. II. M.-A.;
PF 4, 1, 192 (W); UK S.-S. 1911, i, 320;
Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Jg. 44,
3757—94 (K. Auwers).
Bliihbnann, Hans, begabter Maler von bedeut.
Konnen i. monumentalem Stil; * Amriswil
i. Thurgau 25. II. 1878; f Stuttgart 29. IX.
— FZ 2. X. A.-B1.; WI 4, 182; Kchr N. F.
2 3» 4/5 (Jul. Baum); Zs. f. bild. Kunst N. F.
21, 295—299 (H. Hildebrandt m. 111.);
KFA 27, 100; TB 5, 105; Wissen u. Leben
5, 125 (H. Kaiser).
Bninck, Heinrich von, Dr. phiL, Geh. Kom-
merzienrat, einer d. bed. Industriellen
Deutschlands, der sich groBe Verdienste urn
d. chem. Industrie, bes. urn d. Bad. Anilin-
u. Sodafabrik i. Ludwigshafen erworben
hat; * Winterborn 26. III. 1847; f Lud-
wigshafen 3. XII. — WGK 191 1, 2, 228;
AF 49, 480; D. chem. Industrie Jg. 34,
765—71 (0. N. Witt); Zeitschr. f. angew.
Chemie Jg. 24, 2517 (P. Julius).
Brurmer, Julius Alhard, Dr. phil, U\Xg\. <L
Allg. Gesch.-forsch. Ges. d. Schweiz, d.
Ziircher Antiqu. Ges. u. d. Hist. Ges. d.
Kant. Aargau, Prorektor a. Gymn. in
Zurich, Mitgl. d. Zii richer Erziehungsrats,
Mitarb. a, Ztiricher Urkunden-Buch;
* Kufinacht b. Zurich 5. X1L 1842 ; f Zii rich
25. 1. — ASG 44. 370/71 (W); Neue ZUrch.
Ztg. 26. I. 1. M.-BL, 2. A.-Bl. (R. H[oppe-
ler]); Schaflh. Intelligenzbl. Nr. 22 (W.
Wfettstein]); Progr. d. Kantonsch. Ziirich
19x1, S. 92--96(H. Wire).
Buchholz, Friedrich, Gen.-Major z. D., zul.
13*
Totenliste 191 1: Buchner — Colmar-Meyenburg.
14'
Komm. von Glatz, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl.,
zuerst 11 J. i. d. hannov. Armee; * Hameln
29. IX. 1835; t Wiesbaden 13. II. — VZ
18. II. M.-A.; OA 1908/09, 202.
Buchner, Adolf, Dr. theoL, frtfch. Pras. d. hess.
Oberkonsist. ; * Dannstadt 31. X. 1829;
t das. 12. II. — FZ 13. II. A.-BL; OA
1908/09, 203; ELK 44, 190; KJ 38, 656.
Bttnau, Rudolf Graf von, Gen.-Lt. z. D., zul.
Insp. d. Jager u. Schtttzen, Ritter d. Eis.
Kr. 2. KL; * Halbendorf b. Oppeln 30. IX.
1852; t Weimar 18. I. — VZ 20. I. M.-A.;
GT 1911, 173-
Btifger, Hugo, (Pseud.), s. Lubliner, Hugo.
Bullerian, Rudolf, bed. Dirigent; * Berlin
13. I. 1858; f Moskau i. Jan. — NMZ 32,
203 (A. Laser); R 199.
*Burckhan!t-Finsler, Albert, Dr. itvr. el phil.
h. r., Mitgl. d. Allg. Gesch.-forsch. Ges.
d. Schweiz, seit 1895 ihr Vizepras., Mitgl.
d. Basl. Histor. u. Antiqu. Ges., ao. Prof,
f. Gesch. a. d. Univ. Basel, 1887—94
Konserv. d. mittelalterl. Samml., Mitgl. d.
Reg.-Rats, 1905 Reg.-Pras., Mitred, d.
Basl. Jahrb., Pras. d. Schweiz. Schiller-
Stiftung; * Basel 18. XL 1854; f das -
2. VIII. — BJ XVI, 166 (H. Barth); ASG
44, 371; Basl. Nachr. ion, Nr. 211.
Burgers, Franz, einer d. hervorr. Vertr. d.
deutsch. Hochofenindustrie, Vorst. -Mitgl.
d. Gelsenkirch. Bergwerks-Aktien-Ges.;
* Geldern 14. X. 1845; f W T iesbaden 29. III.
— SE 31, 1, 625/26 (P).
*Buschbeck, Hermann, Prof., Costumier d.
Munch. Hof theater, erst Schausp., spater
Theatermaler; * Prag 17. X. 1855; f Mtin-
chen 11. IV. — BJ XVI, 66 (A. Frh. v.
Mensi); VZ 19. IV. M.-A.; NTA 1912, 160.
Butscher, August, Wurtt. Volksschriftst.,
schrieb etwa 70 Romane; * Ottmarsreuteb.
Tettnang 29. III. 1845; f Illerrieden i.
Wurtt. 19. XL — LE 14, 440; BR 1, 399
(W); Das Land Jg. 20, 171 (0. Frederich).
Caeiranerer, Rudolf von, Gen.-Lt. z. D., bek.
Milit.-Schriftst, bes. auf d. Geb. d. Stra-
tegic, zul. Komm. d. 26. Div., Ritter d.
Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt., 70 Ob.-Lt., 73 i.
Generalst., spater Lehrer a. d. Kriegsakad.,
83 Major, 90 Oberst, 93 Gen. -Major, 97
Gen.-Lt., 1900 z. D.; * Koblenz 25. VI.
1845; t Schdneberg 18. IX. — VZ 19. IX.
M.-A.; IZ 137, 513; Wl 4, 208 (W); BT
1910, 100; OA 1908/09, 224; DZL 218;
MZ 191 1, 542; LJ 38, 444/45; MW 191 1,
2809/10; LA 1, 15/16 (W). •
Canstatt, Oskar, Kolonialdirekt. a. D., Schrift-
s teller, Leiter d. Zweigauskunftsst. f. Aus-
wanderer i. Wiesbaden; * Ansbach 30. X.
1842; f BadTiefenbachi. Algau 12. VIII. —
Kol. Rundsch. 1911, 634/35; GK 1912,
57; WI 4, 211; DKZ 28, 563/64; DRG
34, 4i.
Canstrill, Ernst Raban Frh. von, Dr. phil,
Landesokonomierat, seit 1883 Mitgl. d.
Dtsch. Landwirtsch. Ges., hochverd. bes.
um d. Wander-Ausst. ; * Berlin 20. III.
1840; f Berlin 24. VII. — Mitt. d. Dtsch.
Landwirtsch. Ges. 26, 417; FT 1912, 124.
Canstein, Raban Frh. von, Dr. iur., Hof rat,
o. Prof. f. Csterr. Zivilproz.-, Handels- u.
Wechselrecht a. d. Univ. Graz, Vizepras. d.
rechtshist. Staatspriif.-Kommiss.; * Lem-
berg 25. VIII. 1845; t Graz 14. VIII. —
VZ 15. VIII. M.-A.; WI 4, 211 (W); KL
1911, 243 (W); UK W.-S. 1912/13, 2, 526;
FT 191 2, 123; Allgem. Osterr. Gerichtsztg.
191 1, 265 (H. Sperl); Zeitschr. f. d. ges.
Handelsr. Bd. 579 (0. Frankl); K 106.
CftSpary, Julius, Dr. med. % Geh. Mediz.-Rat,
Prof., anges. Dermatologe u. Syphilido-
loge; * Pr.-Holland 1. XII. 1836; f Konigs-
bergi. Pr. 19. X. — VZ 19. X. A. -A., 21. X.
A. -A.; PBL 1910/11 (P); HBL 1, 677;
Bursch. Bl. 26, 77; K 108.
Casper, Ferdinand, langj. Konzertm. d.
steierm. Musikvereins i. Graz, bed. Lehrer
d. Geigenspiels; * Hochbetschb. Briix 1828;
f Graz 10. XII. — Ncue Zs. f. Musik 78, 720.
ChalybaeilS, Heinrich Franz, Dr. theol. etiur.,
Wirkl. Geh. Rat, friih. Pras. d. Landes-
konsist. i. Hannover, friih. Kurator d.
Univ. Kiel; * Kiel 5. V. 1840; f das. 27.
XII. — VZ 29. XII. M.-A.; Kieler Ztg.
28. XII. Vorabd.-BL; KJ 39, 433; DZL 222;
WI 4, 218 (W); AL 1829—66, 1, 120;
1866 — 82, 1, 102.
i)Clasen-SchmJd, Mathilde, (Pseud. : v.Wilden-
fels), Schriftst., schrieb Romane u. No-
vellen, Begr. u. langj. Vors. d. Leipz.
Schriftstellerinnen-Verb.; * Wildenfels i.
KOnigr. Sachsen 4. V11I. 1834; f Leipzig
6. XII. — VZT; KL 191 1, 255 (W); DZL
228 (W); Wl 4, 226; BR 1, 423 (W).
^CloStta, Wilhelm, Dr. phil. % bis vor kurzem
o. Prof. d. roman. Philologie u. Dir. d.
roman. Sem. a. d. Univ. Strafib. i. E.;
* Triest 16. XL 1857; t Straflburg i. E.
24. IX. — BJ XVI, 70 (E. Hoepffner); VZ
26. IX. M.-A.; KL 191 1, 259 (W); WI 4,
228 (W); Stiftungsfest d. Univ. Strafib.
1912, 8; K 114.
^Colmar-Meyenburg, Karl Hermann Axel
von, Rittergutsbes., bis 1899 Reg.-Pras. i.
Liineburg, wegen s. Abstimm. i. Landt.
in d. Kanalvorl. z. D. ges t ell t, Kammerh.,
M. d. H., friih. M. d. R. u. M. d. A.;
* Schwedt a. O. 21. XII. i8jo; f Ztitzen b.
l ) Irrtiimlich schon in die TL f. 1910
aufgenommen.
15*
Totenliste 1911: Colomb — Detlefsen.
16*
Schwcdt 23. XII. — VZ 24. XII. M.-A.;
RH 1899/1900, 218; HA 1899, 218; HH
1907, 300; OA 1908/09, *39.
Colomb, Karl von, Gen. -Major z. D. v zul.
Komm. d. 25. Kav.-Brig. ; * Neifle 29. VIII-
1831; f Darmstadt 14. X. — VZ 18. X.
M.-A.; OA 1908/09, 239; BT 1911, 139.
"ConrSder, Georg, Historienmaler, Prof. a. d.
Munch. Kunstakad., friih. a. d. Wcim.
Akad., SchUler Pilotys; * Miinchen 18. V.
1838; f Cantrida b. Zamet 2. 1. — B J XVI,
97 (H. Holland); Kchr N. F. 22, 211; MS
1, 276; TB 7, 316/17 (H. Holland); BMW 1 ,
176; MAZ 114, 32.
x )Conrat (eigentl.: Cohn), Max, Dr. iur. t bis
1907 Prof. f. r6m. Recht a. d. Univ. Amster-
dam, rechtsgescbichtl. u. dogm. Schriftst.;
* Breslau 16. IX. 1848; f Heidelberg 12.
XII. — VZ n. XII. A. -A.; KL 191 1,
265/66 (W); WI 4, 233 (W); DZL 234;
HV 15, 152; Zeitschr. d. Savigny-Stiftung
f. Rechtsgesch. Romanist. Abt. Bd. 33,
417 — 83 (H. U. Kantorowicz).
Contze, Heinrich, Dr. phil. % Prof., Oberl. i.
Herford, seit 1897 M. d. R., nationallib. ;
* Werdohl i. Westf. 4. HI. 1870; t Herford
10. XII. — VZT; HR 1908, 232, 490 (P);
WI 4, 234.
CorOfiy, Blanda, Schriftst. u. Musikref. a.
Hallischen General anzeiger; * Wien 1841;
f Halle a. S. 26. XII. —VZ 27. XII. A.-A.,
BR 1, 440 (W), 8, 167.
CrtlU, Friedrich, Dr. med. et phil. h. *., Alter-
tumsforscher u. Heraldiker; * Wismar 19.
X. 1822; f das. 4. VI. — KL 191 1, 273 (W),
191 2 TL.
Csokor, Johann, Hofrat, Dr. med., Prof. d.
pathol. Anatomie a. d. Tier&rztl. Hochsch.
i. Wien; * 1849; t Mddling b. Wien 7. I. —
OR 26, 328; DMW 37, 128; WMW 61, 220;
Tierarztl. Zentralbl. 1911, 74 (R. Hartl);
Wiener klin. Wochenschr. Jg. 24, 217
(A. Hartl); K 124.
♦Csiizy v. Csfiz, Karl, Stilleben- u. Land-
schaftsmaler; * Komorn 1. IV. 1843; fVe-
nedig 15. II. — BJ XVI, 97 (H. Holland).
*Czadl6rdd 9 Wladislaus von, Genremaler;
* Lubin 22. IX. 1850; f Mtinchen 12. I. —
BJ XVI, 89 (H. Holland).
DaOer, Balthasar von, Dr. theoL, Pralat,
Rektor d. Pries terlyzeums i. Freising,
bayer. Landt.-Abg., Vors. d. bayer. Zentr.-
Fraktion; * Gasteig b. Niklasreuth 22. I.
1835; t Freising 3. 111. — VZ4. III. M.-A.;
KVZ 4. III. M.-A.; T 56 (P); 1Z 136. 472
(P); MAZ 114, 156—58 (Von e. bayer. Po-
x ) lrrtamlich schon in die TL f. 1910
aufgenommen.
litiker); WI 4, 248; KR 191 1, 76; DZL
244/45.
Dorpe, Franz, Dr. phil., Prof., Gymn.-Direkt.,
Altphilol. u. Historiker; * Warendorf 25.
IX. 1842; * Coesfeld, Westf. 24. IV. —
KL 191 1, 283/84 (W), 1912 TL; WI 4, 253
(W); KR 1911, 77 (W>
Decken, Hieronymus v. d., Geh. Ob.-Justiz-
rat, friih. Landger.-Pras. i. Hannover;
* Laack 24. IV. 1827; f Hannover 24. 1. —
VZT; OA 1908/09, 259.
Deigendesch, Karl, Seminar-Oberl. t fruchtb.
Komponist von Kirchenmusik u. M&nner-
chforen; * Violau 7. VI. 1839; f Lauingen
i. Schwab. Bay. 14. IV. — KR 1911, 79 (W);
191 2 TL; C&cilienvereinsorgan Jg. 46, 151
(J. N. Ahle).
Defiles, Adolf von, Gen. d. Kav. u. General-
adjut. d. Kaisers, 1867 Einj.-Freiw., 71 Lt. f
76 Ob.-Lt. i. Generalst., 78 Hauptm.,
81 z. Tilrk.-Griech. Grenzreg. kom., 85
Milit.-Att. i. Madrid, 88 Flugel-Adjut. d.
Kaisers, 90 Oberstlt, 92 Oberst, 94 Ober-
Gouvern. d. Sohne d. Kaisers, 96 Gen.-
Major, 99 Generallt., 00 Kom. d. 21. Div.,
02 kom. Gen. d. 8. A.-K., 06 z. D.,; * Hanau
30. V. 1845; f Frankfurt a. M. 17. XI. —
VZ 18. XI. A. -A.; W 191 1, 1979 (P); DZL
253*. WI 4, 260; MZ 1911, 665; LJ 38, 445;
U 14, 250; HL 25, 344.
Dentianl, Hans, Geh. Reg. -Rat, vortr. Rat
b. d. Generaldir. d. Kgl. Kunstsamml. i.
Dresden, bed. F6rderer d. s&chs. Kunst-
pflege, der sich als Samml. u. Schriftst.
einen Nam en gemacht hat: bes. s. Zinn-
kollektion ist von ber. Quahtat; * Leipzig
11. VII. 1857; f Dresden 26. II. — Kchr
N. F. 22, 295.
Dernburg, Friedrich, Journalist u. Schriftst.,
Feuilleton.-Red. d. Berl. Tagebl., friih.
Chefred. d. Nationalztg., 1871— 81 M. d. R.,
nationallib.; • Mainz 3. X. 1833; f Berl.-
Grunewald 3. XII. — VZ 4. XII. M.-A.;
T 286 (P); W 191 1, 2068 (P); WI 4, 264; KL
191 1» 295 (W); EL 14, 479/8o, 517; IZ 137,
1186/88 (Th. Kappstein), 121 2 (P); HPA
1874 2. Ausg., 23; Hilfe 191 1, 789/90 (P.
Harms).
Detlefsen, SSnnich Detlef Friedrich, Geh. Reg.
Rat, Prof., Dr. phil. % Plinius-Forscher u.
Lokalhistoriker. Bereiste 1861 — 62 i. Auf-
trage Napoleons III. zum Zwecke von
C&sar-Studien d. Bibliotheken Italiens. 1865
Lehrer a^. Gymn. i. Gltickstadt, dessen
Direkt. er 1879 wurde. Trat 1904 in d.
Ruhestand. Krit. Ausg. von C. Plinii
historia naturalis. T. 1 — 6. Berolini
1867 — 82. D.s histor. Hauptwerk ist d. aus-
ger. iGeschichte d. holstein. Elbmarschen«.
Bd. 1, 2. GlUckstadt 1891—92. Auch d.
17'
Totenliste 191 1: Diefenbach — Duden.
18*
Gliickst. Museum von Altertumern d. Elb-
marschen ist seine Griindung; * Neuen-
deich b, Ctersen i. Hoist. 25. IX. 1833; f
Gltickstadt 21. VII. — HC 20. X. 1904
M.-A., 23. VII. 1911 M.-A.; Kieler Ztg. 23.
VII. M.-A.; Bl. f. hbher. Schulwes. 28, 302;
GK 1912, 57; Al 1829— 1866. 1, 156/57;
1866 — 1882. i t 126; Jahresber. d. Gymn. z.
Gluckstadt, Ostern 1905, S. 9; Ostern 19 12,
S. 8 — 12 (J. Krumm, Rede bei d. Trauer-
feier 2. VIII. 1911); Die Heimat. Monats-
schr. d. Vereins z. Pflege d. Natur- u.
Landeskunde in Schlesw.-Holst., Jg. 22,
1912, S. 161 — 65 (R. Hansen m. P); Zeit-
schr. d. Ges. f. Schlesw.-Holst. Geschichte
Bd. 43. 1913, S.411— i8(R. Hansen m.W).
Diefenbach, Johann, Pfarrer u. geistl. Rat,
Schriftst. auf d. Geb. d. Apologetik u. Ge-
schichte; * Wirges, Hess. -Nass. 25. 1. 1832;
f Eltville 28. XL — KR 1911, 83 (W);
1912 TL.
Dfcrgardt-Rotandy Daniel Frh. von, Ritter-
gutsbes., Kpt.-Lt. a. D., frfih. M. d. A.;
* Viersen 30. III. 1852; f Assuan 18. II. —
Schles. Ztg. 21. II. M.-A.; Scblesien 4,
347/48; FT 1909, 136.
Dlest, Gustav von. Wirkl. Geh. Rat, Dechant
d. Domkapitels zu Merseburg, 1876 — 94
Reg.-Pras. i. Merseburg, M. d. H., 1871 — 73
M. d. R., auch literar. tatig, schrieb Reise-
beschr. u. Erinn.; * Posen 16. Vlll. 1826;
f Merseburg 27. II. — VZ 28. II. A. -A.;
WI 4. 273; OA 1908/09, 275; HH 1Q07,
301; HPA 1 87 1, 174/75; DZL 263.
Dilthey, Wilhelm, Geh. Reg. -Rat, Dr. phil. %
Prof. d. Philos. u. Asthetik a. d. Univ.
Berlin, Ritter d. Ordens »Pour le m6rite«;
* Biebrich 19. XI. 18^3; f Bozen 3. X. —
VZ 4. X. M.-A.; T 235 (P); FZ 10. X.
1. M.-Bl. (B. Groethuysen); NFP 8. X.
M.-BL (M. Dessoir); IZ 137, 608/09, 612
(P); DZL 267/68; WI 4, 277 (W); W 19",
1725 (P); LE 14, 183, 219; KW 25. 1.
273 — 76 (F. Kuntze); Sozialist. Monatsh.
15, 3, 1429 (K. Grelling); Eckart 1911/12,
154—61 (H. Zeeck, Im Druck erschien.
Schriften), 267—73 ( H - M. Elster); Archiv
f. Kulturgesch. 9, 273—78; Monatsbl. d.
Commenius-Ges. N. F. Bd. 3, H. 5 (Ed.
Spranger); Logos 3, 1 (M. Frischeisen-
Kdhler, W. D. als Philosoph); Ed. Spranger,
W. D. Gedachtnisrede, Berl. 191 2; Erd-
mann, Gedachtnisrede auf W. D. Berl. 1912.
(Aus Abh. d. preuB. Akad. d. Wiss.); Chro-
nik d. Univ. Berlin 25, 7; Archiv d. Ge-
schichte d. Philos. Bd. 25, 143—53 ( A - T "-
markin); Deutsche Rundsch. Jan.-H. 19 13,
69 — 92, Febr.-H., 249 — 70 (B. Groet-
huysen); K 139.
*DlQgebted, Hermann, Dr. theol et phil..
Bischof v. Munster i. W., papstl. Haus-
pralat u. Thronassistent; * Bracht 2. III.
183s; f Munster 6. III. — BJ XVI, 79
(Hiils); VZ 6. III. A. -A.; NFP 7. HI.
M.-Bl.; KVZ 6. III. A.-A.; KR 1911, 85;
WI4, 278; DZL 269; Akad. Monatsbl. 21,
89.
Doebner, Richard, Dr. phil., Geh. Archivrat,
bis 1910 Direkt. d. kgl. Staatsarchivs i.
Hannover, Historiker, namentlich bewan-
dert auf d. Geb. d. Hannov. Landesge-
schichte; * Meiningen 18. IV. 1852; f das.
29 . XI. — VZ 30. XI. A. -A., 2. XII. M.-A.;
HV 15, 152; KLi9u,3i6(W);Wl4, 282.
Doertenbach, Karl von, Geh. Kommerz.-Rat,
Seniorchef d. Vereinigt. Eisenhandl. Zahn
u. Co. u. Friedr. Nopper i. Stuttgart;
* Stuttgart 15. II. 184^;; f das. 22. XI. —
SE 31, 2, 2036 (P).
Domeier, Anna, (Pseud. : A. Dom), Roman-
schriftst., die sich wahrend e. 30 jahr. Auf-
enthalts in London mannigfache Verdienste
um d. Deutschtum erworben hat; * Halber-
stadt 3. III. 1847; f Godesberg 2. IV. —
VZ 19. IV. M.-A.; KL 191 1, 320 (W); BR
2. 44 (W).
Donner VOII Rlchter, Otto, Prof., Historien-
maler u. Radierer, der sich auch schrift-
stellerisch betatigt hat; * Frankfurt a. M.
10. V. 1828; f das. 12. XL — VZ 13. XL
A. -A.; WI 4, 288; Kchr N. F. 23, 92; KFA
27, 196; MS 1, 354; BMW 1, 233; Wiener
Almanach Jg. 20, 97 — 102 (Muller).
Drasch, Otto, Dr. med., Prof. u. Direkt. d.
Inst. f. Histologic u. Embryologie a. d.
Univ. Graz;*30. IV. 1849; f Graz9. 111. —
UK S.-S. 1911, 2, 518; DMW 37, 510;
Anatom. Anzdger Bd. 39, 377-82 (J. Schaf-
fer); K 147.
Dreger, Hans, (Pseud.: Hans Hochfeldt),
Schriftst., schrieb Dram. u. Rom. sowie ub.
Volkswirtsch., war frUher Offizier; * Pots-
dam 11. IX. 1856; f Berl.-Wilmersdorf 29.
IV. — KL 1911, 329 (W); 1912 TL; BR
8. 174 (W).
Dubsky vonTrzcbonrysIetz, Adolf Graf, Wirkl.
Geh. Rat, Pras. d. Unionbank, Mitgl. d.
osterr. Herrenh., 1867—97 Mitgl. d. osterr.
Abg.-Hauses, gehdrte d. verfassungstr.
Grundbes. an; * Wien 6. 111. 1833; f das.
2. VIII. — NFP 2. Vlll. \.-A,; WI 4, 297;
GT 1911, 254.
DtlCkart, Rudolf, Ob.-Justiz-Rat a. Reichs-
milit.-Gericht; * Bautzen 17. II. 1S53;
t Berlin 24. IX. — VZ 25. IX. M.-A.; OA
1908/09, 302; WI 4, 297.
Dudetl, Konrad, Dr. phil, Geh. Reg. -Rat,
Prof., Sprachforscher u. Germanist, hoch-
verd. um d. Festsetzung e. einheitl. deutsch.
Rechtschreibung; * Gut Bossigt b. Wesel
i 9 "
Totenliste 1911: Dflvcll — Escherich.
2CT
3. I. 1829; f Wiesbaden 1. VIII. — VZ
1. VIII. A.-A M 12. VIII. A. -A. (Persdn-
liches von D.); T 181 (P); IZ 137, 226 (P);
WI 4, 298; KL 1911, 335 (W); Bursch. BL
25, 2, 271 ; BL f. hdher. Schulwesen 28, 324.
DQveO, Fritz, Schriftst. u. Feuilletonist;
* Bremen 24. V. 1877; f Berlin 30. VII. —
KL 1911, 341 (W); 1912 TL.
Dtmcker, Albert, Wirkl. Geh. Kriegsrat, vortr.
Rat i. Kriegsminist. a. D.; * Osterburg 14.
IV. 1850; f Marburg 17. VI. — VZ 20. II.
M.-A.; OA 1908/09, 304.
Eberl, P. Angelicus, Kapuziner, Philos. u.
hist. Schriftst.; * Egmatingen i. Bay. 10.
111. 18S6; f Miinchen 23. II. — KL 191 1,
343 (W); 1912 TL; KR 191 i t 96 (W).
Eberrnayer, Gustav von, Dr. Uchn. *cunt. h. c,
einer d. hervorr. bayer. Beamten, Staatsrat,
1895 Generaldirekt. u. techn. Leiter d. ges.
Eisenbahnwes. i. Bayem, Mitgl. d. kgl.
preuB. Akad. d. Bauwes.; * Nenzenheim i.
Mitt.-Fr. 1. IV. 1839; f Miinchen 4. II. —
VZ 7. II. M.-A.; OA 1908/09, 310; DZL
294; DBZ 45. 481—84 (P); ZB 1911, 89/90;
WI 4, 306/07; Organ f. d. Fortschritte d.
Eisenbahnwes. i. techn. Bezieh. 191 1, 107.
Egerer, P. Gislar, Benediktiner, Gymn.-Prof.,
Schriftst. auf d. Geb. d. Homiletik u. Philo-
logie; * Tepl i. Bdhm. 31. III. 1844; f
Salzburg is. 1. — KR 1911, 98 (W); 1912
TL.
Eggeling, Heinrich von, Wirkl. Geh. Rat,
Dr. phil. et med. h. r., ehem. Kurator d.
Univ. Jena, Ehrenburger d. Stadt; * Helm-
stedt 15. II. 1838; f Jena 2. III. — VZ
2. III. A. -A.; Bursch. BL 25, 290; WI 4,
313; DZL 303.
Eickmann, Heinrich, Rad. u. Maler; * Nien-
husen b. Liibeck 13. VI. 1870; f Berlin
29. I. — VZ30. I. A.-A.;T30(P);W 191 1,
340 (P); IZ 136, 339; Kchr N. F. 22, 246/47;
KFA 26, 288; MS Nachtr., 82.
EDers, Gustav, Prof., Rad. u. Kupferst.,
Mitgl. d. Berl. Akad. d. Kunste, Vors.
d. Vereins f. Original radierung i. Berlin;
* Konigsberg 2$. VII. 1834; f Berlin 27. I.
— VZ 28. I. A.-A.; WI 4, 320; DZL 312;
Kchr N. F. 22, 229; KFA 26, 288; MS 1,
392; BMW 1. 259; SKL 245.
Eftzetl, Friedrich Wilhelm, Kaufmann, Inh.
d. Firma Eitzen u. Co. i. Hamburg, Schrift-
s teller auf d. Geb. d. Handel swesens;
* Bremen 16. X. 1856; f Hamburg 5.
VIII. - KL 1911, 365 (W); 1912 TL; WI 4,
323 (W).
Ebaner, Karl, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat,
Abt-Direkt. i. Reichs-Postamt, auch auf
d. Geb. d. Wohlfahrtspflege verdienstvoll;
* Herzogenrath 29. VI. 1822; f Berlin 17.
111. - VZ 18. III. M.-A.; OA 1908/09, 330.
EftUtiert, Emil, Prof., bek. Augenarzt, Doz.
d. Augenheilkde. ; * Bern 1. XII. 1844;
t das. 10. X. — VZ 11. X. M.-A.; HBL 2,
283; PBL 457; UK S.-S. 1912, 2, 535;
K 169.
Ende, Ludwig am, Generallt. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. I. Kl., zul. Komm. d. 37. Inf.-Brig.;
* Koblenz 20. IV. 1833; f Wiesbaden
15. XL — VZ 18. XL M.-A, OA 1908/09,
332.
Eflgel, Heinrich, Pastor a. D., Chef red. d.
»Reichsboten«; * Holzheim b. GieBen 15.
XII. 1834; t Berlin 5. IX. — VZ 5. IX.
A. -A.; LE 14, 73; IZ 137, 513; KL 191 1,
375; WI 4, 330; Reformation 191 1, 622 — 24
(E. Bunke); KJ 39, 434; Hilfe 191 1, 579
(M. Wenck); Positive Union Jg. 8, 309
(Dietrich); Monatsschr. f. innere Mission
19^, 3 — 12 (H. Oestreicher, H. E. u. <L
Innere Mission).
Engelbrechten, Maximilian von, Generallt.
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm.
d. 36. Inf.-Brig.; * Neustadt a. R. i. Han-
nov. 2. VII. 1851; f Hannover 12. II. —
VZ20. II. A.-A.;WI 4,330; MZ 191 1, 121;
BT 1910, 183.
♦Epplnger, Karl, Dr. iur., Advokat, Fuhrerd.
deutsch-fortschrittl. Partei i. Bohmen,
Landt.-Abg., Mitgl. d. Reichsr. u. d.
Herrenh., Intend, d. Deutschen Landes-
theaters i. Prag; * Braunau 6. 1. 1853;
t Salzburg 15. VII. — BJ XVI, 194 (R-
Charmatz); NFP 16. VII. M.-Bl., 17. VII.
Nachm.-Bl. (A. Fournier); NTA 1912,
171; WI 4, 333.
*Erdtelt, Alois, Portr^t- u. Genremaler;
* Herzogswalde i. Schles. 5. XL 1851;
t Miinchen 18. I. — BJ XVI, 88 (H. Hol-
land); Kchr N. F. 22, 211; KFA 26, 264
(P); MS 1, 403; SKL 259; DZL 326; Schle-
sien 4, 311.
Erier, Franz Christoph, Bildhauer; * Kitz-
biihel 5. X. 1829; f Wien io. I. — OR 26,
328; Hist.-polit. Bl. 147, 439 — 444 (K.
Fuchs); Kchr N. F. 22, 198; KFA 26, 240;
MS 1, 403.
*Escherich, Theodor, k. u. k. Hofrat, Dr. med.,
o. Prof. d. Kinderheilkde. a. d. Univ. Wien;
* Ansbach 29. XL 1857; f Wien 15. II. —
BJ XVI, 45 (C. v. Pirquet); VZ 17. II.
M.-A.; IZ 136, 326 (P); W 191 1, 425 (?);
OR 27, 77; DMW 37, 604/05 (Finkelstein
m. P); WMW 61, 497—500 (Zappert);
HBL 6, 754; PBL 471/72; WI 4, 338;
DZL 333; BZ 28, 129 [Osterr. Arzteztg.
191 1, 67 (J. Hamburger); Arztl. Zentralztg.
23, 100; Korrespond.-Bl. f.. Schweizer
Arzte 41, 471 (Bernheim-Karrer); Mediz-
Klinik 7, 517 (R. Neurath); Wiener klin.
Rundsch. 25, 160 (A. v. Reufi); Wiener
2T
Totenliste 191 1: Ewald— -Franke.
22*
klin. Wschr. 24, 263 — 66 (J. Hamburger);
Klin.-therap. Wochenschr. 18, 232 (L.
Jehle)]; K 178.
Ewald, Paul, Dr. theol. et phil., o. Prof. d.
neutestamentl. Exegese u. Lciter d. neutest.
Abt. d. Thcol. Sem. a. d. Univ. Erlangen;
* Leipzig 13. I. 1857; f Erlangen 26. V. —
VZ 1. VI. M.-A.; WI 4, 345 (W); KL 1911,
394 (W); ELK 44, 55o/5i; KJ 39, 435;
DZL 340; AD 1, 36 (W); K 185.
Exner, Moritz, Oberstlt. z. D., Ritter d. Eis.
Kr. 2. KL, Milit.-Schriftst., zul. Vorst. d.
kgl. sachs. Kriegsarchivs; * Zittau 3. X.
1845; t Dresden 16. II. — MZ 1911, 134;
OA 1908/09, 350; L J 38, 446.
Falk, Max, Generalchefauditeur, Sektionschef
i. Kriegsminist. ; * Wien 1859; f Klagen-
furt 29. VIII. — NFP 30. VIII. M.-Bl.
(Nachr. e. Freundes).
Falkttiann 9 Rudolf, Senatspras. a. Kammer-
ger., Mitbegr. u. Mithrsg. d. •Rechtspr. d.
Oberlandesgerichte auf d. Geb. d. Zivil-
rechts*; f Berlin 6. IX. — VZ 9. IX. M.-A.;
DJZ 16, 1 140.
Fastetiau, E., Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat,
1 881 — 92 Gen.-Kommiss.-Pras. i. Hannover;
*Dornum4.XII. 1835; fGr.-Tabarz 17. VI.
— VZT; OA 1908/09, 357.
Fellitzscll, Ferdinand Frh. von, bayer. Gen.-
Major z. D.; zul. Chef d. bayer. Gend.-
Korps; * Trogen 26. 1. 1843; t das. 3. X. —
VZT; OA 1908/09, 359; FT 1909, 215;
Bayerland 23, 20 (P).
FeM, Otto, Maler, bes. feins. Landschaftsm.,
Mitgl. d. Berl. Sezession; * Breslau 1861;
f Neubabelsberg b. Potsdam 23. III. —
Schlesien 4, 223/24 (S. Mehring m. 111.).
Ferno, Arthur von, Generally z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 40. Inf.-
Brig.; * Hagen i. Pomm. 8. XII. 1846;
f das. 2. X. — VZ 6. X. M.-A.; Schles. Ztg.
5. X. M.-A.; Schlesien 5, 123/24.
Ftlke, Max, Prof., kgl. Musikdirekt. u. Dom-
kapellm. i. Breslau, Komp. bes. auf d. Geb.
d. kathol. Kirchengesanges; * Steubendorf
Kr. Leobschutz 5. X. 1855; f Breslau 9, X.
— Schles. Ztg. 10. X. M.-A.; AMZ 1911,
981; R 405; Musik 1. Nov.-H. S. VIII;
KR 191 1, 117 (W); Schlesien 5, 90/91 (A.
Gebauer); Chronik d. Univ. Breslau 26,
226/27 (Kinkeldey).
Ffalky Christian, Prof., Musiklehrer a. Sem.
zu Efilingen, Musikdirekt. u. Organist a. d.
Hauptkirche, Komponist von Orgel- u.
kirchl. Gesangswerken ; * Dattingen i.
Wiirtt. 9. VIII. 1 831 ; f Efilingen 5. IX. —
Musik 1. Okt.-H. S. VIII; Neue Zs. f.
Musik 78, 521; R 408; NMZ 32, 449 (M.
Koch m. P); DZL 357.
* Fbcber-Benzon, Rudolf von, Dr. phil, Prof-,
Landesbibl. v. Schlesw. -Hoist.; * Wester-
miihlen i. Schlesw.-H. 2. II. 1839; f Wyk
a. F. 18. VII. — BJ XVI, 106 (J. Sass);
VZ 20. VII. M.-A.; HC 18. VII. A. -A.;
KL 191 1, 424.
Fllnzer, Fedor, Prof., Zeichner u. Illustrator,
illustrierte tib. 100 Kinderbiicher, verf. e.
Lehrbuch ub. Zeichenkunst; * Reichenbach
i. V. 4. IV. 1832; f Leipzig 13. VI. — VZ
15. VI. A. -A.; IZ 136, 1317 (P); W 1911,
1238 (P); WI 4, 276 (W); KL 1911, 430/31
(W); DZL 371; Kchr N. F. 22, 474; MS
1, 453; BMW 1, 313; SKL 292.
Forster, Johannes, Kommerz.-Rat, General -
direkt. d. A.-G. Seidel u. Naumann i.
Dresden, organisierte zuerst d. Fabrikation
von Schreibmaschinen i. Deutschland;
* Eibenstock 11. IX- 1859; f Dresden 18.
III. — IZ 136, 520 (P).
FSrster, Luise, (Pseud. : Ada Linden), Lehre-
rin, schrieb eine Reihe von Jugendschriften
u. Volkserzahlungen; * Grube Gliicksthal
b. Adenau i. d. Eifel 1. X. 1 847 ; f Wickrath-
berg Ende Nov. — LE 14, 517; BR 2, 242
(W).
♦Frfinkel, Bernhard, Geh. Mediz.-Rat, Dr.
med., Prof. d. Laryngologie a. d. Univ.
Berlin; * Elberfeld 17. XL 1836; f Berlin
12. XL — BJ XVI, 67 (L. R6thi); VZ
13. XL M.-A.; FZ 14. XL 2. M.-BL; IZ
137. 968 (P); w 191 i f 1932, 1938 (P); WI
4| 383; AD 3, 287 (W); HBL 2, 421 ; PBL
536/37 (P); DZL 383; Chronik d. Univ.
Berlin 25, 7; BKW 48, 2097, 2282/83 (G.
Killian); 49, 237 — 39 (A. Rosenberg, Ge-
dachtnisrede b. d. Gedenkfeier d. Laryngo-
log. Gesellsch.); MMW 59, 29/30 (Finder);
BZ 29, 117 [Mediz. Reform 19, 472 (R.
LennhofT); Tuberkulosis 10, 437 — 46 (A.
Kayserling); Zs. f. Krankenpfl. 33, 361
(P. Jacobsohn); Zs. f. LaryngoL, Rhinol.
u. Grenzgebiete 4, 232 (F. Blumenfeld)] ;
K 215.
Francois, Alfred von, Gen. -Major z. D., Ritter
d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. v. Thorn,
durchquerte zweimal Siidwestafrika. Seine
Berichte an d. Ausw. Amt hatten zur Folge,
dafi d. Kolonie trotz Caprivi d. Reiche er-
halten blieb; * Luxemburg 2. XII. 1849;
f Gttrlitz 22. VI. — VZT; OA 1908/09, 390;
WI 4, 385; DKZ 28, 509 (B. v. Besser);
UT 1910, 211.
Frank, Wilhelm, Domherr u. geistl. Rat i.
Breslau, M. d. R. t Zentr.; * Ziilkowitz, Ob.-
Schles. 16. VI. 1858; f Breslau 23. VIII. —
VZ 24. VIII. M.-A.; OA 1908/09, 390;
RH 1908, 255, 471 (P); KR 1911, 125 (W);
Schlesien 5, 68.
Fr&flke, Karl, Hofschausp. a. Hoftheater i.
Weimar; * Weimar 18. VIL 1847; f das.
Totenliste 191 1: Fresenius — Gerstner.
24'
9. VII. — NTA 1912, 169; EG 278; WI 4,
386.
♦Fresenius, August, Buhnenschriftst., difchtete
Lustsp., Schwanke u. Possen u. bearb. u.
(ibertrug franz5s. Stiicke; * Frankfurt
a. M. 5. III. 1834; f Munchen 3. VII. —
BJ XVI, 201 (A. Dreycr); NTA 1912, 169;
BW 13, 2, 428 (L. Frankel); KL 1911, 452;
Wl 4. 39i; BR 2, 265/66 (W).
Fretldenberg, Johann Philipp, deutsch. Kon-
sul f. Ceylon, Kaufmann, Vizepras. d.
Ceylon Brit. Royal Asiatic Society, iibers.
deutsche u. holl. Schriften lib. Ceylon ins
Engl.; * Raubacher Hutte 18. II. 1843;
t Colombo 2. I. — VZ 3. II. M.-A.; T 30
(P); GK 1912, 58; PM 57, 135; DKZ 28,
in; W 191 1, 220, 225 (P).
Frey, Friedrich Hermann, s. Greif, Martin.
Frey f Wilhelm, Prof., Galeriedirekt., geschatz-
ter Tiermaler; * Karlsruhe 24. VI. 1836;
f Mannheim 7. II. — IZ 136, 541; Kchr
N. F. 22, 246; KFA 26, 288; MS 1, 478;
BMW 1, 324; SKL 318; DZL 389.
Friedemann, Martha, Schriftst., Vorst. -Mitgl.
d. Lyceum-Klubs u. Vors. d, Schrift-
stellerinnen-Vereins, verf. Lustsp. u. Opern-
texte; * Berlin 18. IV. 1847; t das - *■ XIL
— VZ 1. XII. A. -A.; KL 191 1, 459; BR
S, 194 (W).
Friedenberg, Friedrich Wilhelm Ludwig,
Prof., einerd. Mitbegr. d. Kronberger Maler-
kolonie; * Frankfurt a. M. 30. VI. 1845;
t Kronberg 1. 111. — VZ 2. HI. M.-A,;
WI4, 398; MS Nachtr. 98.
*) FlledrlchS, Wilhelm Hermann, rhein. Dich-
ter u. Schriftst., schrieb Gedichte, Novellen
u. Romane, von 1884 ab Leiter d. Magazins
f. d. Lit. d. In- u. Auslandes, int. Freund
Liliencrons, dessen Briefwechsel mit ihm
verdffentlicht wurde; * St. Goar 14. VI.
1854; f das. 4. XII. —VZ 10. XII. M.-A.;
T 292 (P); KL 191 1, 466 (W); DZL 397;
WI 4, 402; BR 2, 287/88 (W); 8, 195;
KFA 26, 71/72 (P).
FuctlS, Friedrich, (Pseud.: Skamandros), Dr.
phil. et med., ao. Prof. f. mediz. Physik a. d.
Univ. Bonn, Arzt f. Nervenkranke a.
Krankenh. d. Barmherz. Brtider i. Bonn,
auch Lyriker; * Frechen b. Koln 10. II.
1840; f Ktfln-Lindenthal 4. II. — KL 191 1 ,
475/76 (W); 1912 TL; WI 4, 409 (W);
UK S.-S. 1911, i, 320; Chronik d. Univ.
Bonn 36, 10 — 14 (Kocks); BR 2, 299/300
(W).
Fuld, Salomon, Dr. iur. % Geh. Justizrat, friih.
Rechtsanw. a. Oberlandesger. i. Frankfurt
l ) Irrtiimlich schon in die TL f. 1910
aufgenommen.
a. M.; * Frankfurt a. M. 18. XII. 1825;
t das. 31. X. — VZ 3. XI. M.-A.
*Flinke, Alois von Elbstadt, Dr., Mitgl. d.
ttsterr. Abg.-H., Pras. d. deutsch-osterr.
Stadtetages; * Leitmeritz 5. 1. 1S34; f das.
23. I. — BJ XVI, 218 (R. Charmatz);
NFP 24. 1. A.-BL; IZ 136, 282 (P); W 191 1 ,
134; OR 26, 488.
GMnstacher, Josef, Prof., Nestor d. Wiener
Gesanglehrer u. Stimmbildner, Liederkom-
ponist u. vorzugl. Cellospieler; * Wien
6. X. 1829; f das. 4. VI. — NFP 6. VI.
Nachm.-BL; Musik 40, 64; NMZ 32, 384;
WI 4, 4i7.
Gagern, Maximilian Frh. von, Wirkl. Geh.
Rat, hess. Kammerh., hess. Ges. i. Berlin;
* Monsheim b. Worms 9. X. 1844; f Berlin
3. I. - VZ 3. L A.-A.; T 5 (P); WI 4, 419;
DZL 416; FT 1909, 241.
GarthailS, Franz, Dr. phil, Red. erst d. Schles.
Volksztg., dann d. Zentrums-Parl.-Korresp.
u. spater d. Germania; * Rulle i. Hannov.
21. X. 1852; f Berlin 29. X. — KVZ 31. X.
M.-A.; KR 191 1, 134/35-
Gehrke, Albert, Dr. phtL, Prof., Sprecher d.
freireligiSsen Gemeinde i. Berlin, friih. 23
Jahre Lehrer d. Geschichte u. Germanistik
a. Fiirstl. Gymn. zu Rudolstadt; * Straufi-
berg i. d. Mark 25. III. 1840; f Berlin 18.
VI. — VZ 20. VI. M.-A.; BR 2, 334 (W).
Gelling, Hans, Grofih. Weim. Intendanzrat,
Oberregiss. d. Schausp. a. Hoftheater, friih.
Direkt. d. vereinigt. Stadttheater i. Essen -
Dortmund, auch literarisch tatig; * Kassel
14. X. 1858; f Weimar 10. IV. —VZ 10. IV.
A.-A.; NTA 191 2, 160; EG 314; BW 13,
2, 260; KL 191 1, 504 (W); WI 4, 434 (W);
DZL 432; HL 25, 120; BR 2, 342/43 (W).
Genet, Ottilie, in d. soer u. 6oer Jahren
1 . Soubrette d. Friedrich Wilhelmst. Thea-
ters, damals e. Liebling d. Berl. Publikurns,
spater Leiterin d. Deutsch, Theaters i.
S. Francisco; * Dresden 4. VIII. 1834;
f Eberswalde 14. XI. — BW 14, 1, 259;
DZL 433; NTA 1913, 152/53.
Germar, Christian, Dr. iur. h. c. % Wirkl. Geh.
Rat, friih. Ministerialdirekt. d. Abt. f. d,
Etats- u. Kassenwesen i. Preufi. Finanz-
minist., 1906 a. D.; * Heide i. Hoist. 1837;
f Berl.-Charlottenburg 13. V. — VZ 17. V.
M.-A.; OA 1908/09, 447; WI 4, 439; Kieler
Ztg. 19. V. M.-A.
Gerschelt Hugo, Dr. iur., Fabrikdirektor, seit
1905 M. d. A., Mitgl. d. freis. Volksp.,
Mitgl. d. Handelskamm. Berlin, d. Ausscri.
d. Deutsch. Handelstages u. d. Staats-
schulden-Kommission; * Liegnitz 10. III.
1854; t Berl.-Witmersdorf 28. XI. —
VZT; HA 1908, 381, 509 (P).
Gerstner, Theodor, Dr. iur., Wirkl Geh. Ob.-
Totenliste 191 1 : Gerth — Greif.
26*
Reg.-Rat, bis 1903 vortr. Rat i. Reichs-
eiscnbahn-Amt, schriftst. tatig auf d. Gcb.
d. internat. Eisenbahnfrachtrechts; * Karls-
ruhe 15. XII. 1830; f Berl.-Wilmersdorf
24. VI. — VZ 27. M.-A.
Gerth, Bernhard, Dr. phil., Prof., Ob.-Stud.
Rat, Rektor a. Konig-Albert-Gymn. i.
Leipzig, Altphilologe, Mithrsg. d. Neuen
Jahrb. d. klass. Altert.; * Dresden 5. IV.
1844; f Leipzig 1. II. — KL 1911, 514 (W);
1912 TL; WI 4, 444 (W).
Gilbert, Otto, Dr. phiL, Prof., Geh. Reg.-Rat,
fruh. Direkt. d. Univ.-Bibl. i. Greifswald,
bed. Forscher auf d. Geb. d. rom. Gesch. u.
Geogr.; * Ratzlingen i. Hannov. 25. IX.
1839; t Goslar 22. VI. — VZ 23. VI. A.-A.;
24. VI. M.-A.; IZ 137, 21; KL 191 1, 518
(W); WI 4. 448 (W); UK W.-S. 1912/13,
1, 332; DZL 448/49 (W).
Gimdt, Otto, Schriftst., schrieb humorist.
Erz. u. Lustspiele; * Landsberg a. W. 6. II.
1835; t Sterzing i. Tirol 4. VII. — VZ 7.
VII. M.-A.; NTA 1912, 168/69; LE 13
1569; IZ 137, 149; BR 2, 372/73 (W).
Girschner, Wilhelm, Lokal- u. Literarhist. ;
* Wolkramshausen 17. VI. 1829; f Nord-
hausen 11. I. — KL 191 1, 520 (W); 1912
TL.
Gteim, Franz, Rentner i. Melsungen, seit 1889
M. d. A., nationallib., Mitgl. d. Kreisaussch.
u. d. hess. Kommunal-Landt.; * Melsungen
16. VI. 1842; f das. 2. VII. — VZT; WI
4, 452; HA 1908, 382, 502 (P).
Gloeckler, Ludwig, Pfarrer i. Stotzheim i.
Els., els. Historiker; * Niederbronn i. Els.
18. III. 1831; f Stotzheim 26. XII. — KR
1911, 145 (W); 1912 TL.
Goethe, Rudolf, Landes6konomie-Rat, erste
Autoritat auf d. Geb. d. Obst- u. Wein-
baues, friih. Direkt. d. Kgl. Lehranst. f.
Obst-, Wein- u. Gartenbau i. Geisenheim,
auch literar. tatig; * Naumburg 13. IV.
1843; f Darmstadt 16. I. — IZ 136, 190
(E. Ihne m. P); W 191 1 , 297 (P); KL 191 1 ,
540; DZL 465; Mitt. d. Deutsch. Landw.-
Gesellsch. 26, 35; BZ 28, 160 [Gartenflora
191 1, 66 — 71 (L. Wittmaack); Gartenwelt
191 1, Nr. 5 (M. Hesd6rfer); Deutsch. land-
wirtsch. Presse 1911, Nr. 7]; K 268.
*Goetz, Wilhelm, Dr. phiL, Prof. d. Geogr.
a. d. bayer. Militarbild.-Anst. u. a. d.
Techn. Hochsch. i. Munchen; * Schnabel-
waid i. Oberfrank. 27. VIII. 1844; t Miin-
chen 26. 111. — BJ XVI, 64 (J. Reindl);
VZ 28. III. M.-A.; MAZ 114, 213; KL
1911, 544 (W); WI 4, 461 (W); GK 1912,
58/59; DZL 470; PM 57, 191; Bayerland
22, 534; DE 10, 65 (W. Rohmeder m. P);
DRG 33, 391—^3 (J- Reindl m. P); GA
191 1, 97 (Kugler).
♦Gogarten, Heinrich, Landschaftsmaler;
* Linz a. Rh. 23. V1IL 1850; f Munchen
16. XI. — BJ XVI, 86 (H. Holland).
♦Goldberg, Gustav Adolf, Historien- u. Por-
tratmaler; * Krefeld 19. VI. 1850; f Mun-
chen 8. V. — BJ XVI, 84 (H. Holland);
Kchr N. F. 22, 410/11; KFA 26, 431;
MS 2, 68.
Goflcer, Julius, Fachlehrer a. d. Burgerschule
i. Klagenfurt, naturhist. Schriftst.;
* Tultschnigg b. Klagenfurt 8. VIII. 1885;
f Klagenfurt 9. X. — Carinthia 191 1, 2,
1 94/9 5 ( H - Sabidussi).
Gradlnger, Eroil, bayer. Gen. -Major a. D.,
zul. Komm. d. 16. lnf.-Brig.; * Munchen
5. IV. 1853; f das. 24. VI. — VZT; OA
1908/09, 479.
Grawltz, Ernst, Dr. med. % Prof., leit. Arzt d.
inner. Abt. d. Krankenh. d. Stadt Char-
lottenburg auf West end, Privatdoz. a. d.
Univ. Berlin; * Mittelhagen b. Stettin
18. III. i860; f Berl.-Charlottenburg n.
VII. — VZ 12. VII. M.-A.; IZ 137, 149;
W 1911, 1204, 1208 (P); AD 3, 87 (W);
PBL629;DM\V37, 1360; BKW 4 8,2, 1359,
1494/95 (A. Dietrich); Chronik d. Univ.-
Berlin 25, 8; Folia haematologica Jg. 11 ,
422 (W. Schultz).
♦Grelf, Martin, (eigentl.: Friedrich Hermann
Frey), Dr. phil. h. c, bayer. Hofrat,
Dichter; * Speyer 18. VI. 1839; f Kuf stein
1. IV. — BJ XVI, 207 (A. Dreyer); VZ
1. IV. M.-A., 7. IV. M.-A. (R. W. Polifka,
Persdnl. Erinnerungen an M. G.); T 80
(P); KVZ 1. IV. A. -A.; NFP 1. IV. A.-B1.;
FZ 1. IV. A.-Bl. (E. Kalkschmidt),
7. IV. 1. M.-Bl. (M. G. Conrad); MAZ 114,
228/29 (J. Weifl); IZ 136, 627 (P), 632 (A.
Braun);W 1911,562, 568 (P); KL1911, 556
(W); WI 4, 476; DZL 480; Deutsch-Evan-
gelisch Jg. 2, H. 5 (H. A. Kriiger); Christl.
Welt Jg. 25, 397 — 401 (G. Heine); Eckart
1910/11, 503 — 08 (A. Biese), 580 — 82
(W. Kosch, Persdnl. Erinnerungen); KM
68, 836—39 (H. Stegemann); TUrmer Jg.
13, H. 8 (K. Storck); NTA 1912, 559/60
(P); LE 13, 1105—08; BW 13, 2, 240—44
(M. G. Conrad, Szenischer Prolog z. Ge-
dachtnisfeier f. M. G.); KW 24, 3, 104/05;
Bayerland 22, 414, 464 — 66 (S. Sieber,
M. G.s Alpenlyrik); BZ 28, 161 [Borro-
maeus-Blatter 191 1, 141 — 47 (Chr. Flas-
kamp); D. christl. Frau Jg. 9, 271 (M.
Speyer, Frau i. Liede); Gegenwart 191 1,
Nr. 15 (H. Benzmann); Hochland Mai-H.,
242 (C. Flaskamp, Aus Gesprachen m. G.);
Pfalz. Museum 1911, 21 (M. Pfeiffer);
Wartburg 191 1, Nr. 25 (Markwart)] 29,
141 [D. Schone Lit. 191 1, 153 (C. Taesler);
Mitt. d. deutsch. u. dsterr. Alpenvereins
2 7 '
Totenliste 191 1: Greiner — Haase-Schtinhoff.
28*
1911, 238 (A. Dreyer, G. als Hochlands-
dichter)].
Greiner, Hugo, (Pseud.: Fricdrich v.d. H8he),
Obcrpfarrer von St. Moritz i. Halle a. S.,
Verf. zahlr. Volksschausp. ; * Rudolstadt
13. III. 1864; t Halle a. S. 30. III. — VZ
31. III. A. -A.; KL 1913, 557 (W).
♦Groeber, Gustav, Dr. phiL, Prof. d. roman.
Philolog. a. d. Univ. Strafiburg, Hrsg. d.
Kjrundrifl d. roman. Philologieo, Begr. d.
»Zs. f. roman. Philolog.*; * Leipzig 4. V.
1844; f Strafiburg 6. XL — B J XVI, 226
(H. Schneegans); VZ 8. XL M.-A.; WI 4,
(480 W); Bl. f. hfcher. Schulwes. 28, 482;
DZL 485; Zs. f. roman. Philolog. 36, 1— IV
(P); Stiftungsfest d. Univ. Strafiburg 1912,
8; K 282.
Gropper, Karl von, bayer. Generallt. z. D M
zul. Komm. d. 6. Inf. -Brig.; * Bamberg
2. VIII. 1823; | Muncben 25. III. — MW
191 1, 1362; OA 1908/09, 495.
GroBhehn, Karl von, Geh. Baurat, Pras. d.
Akad. d. Kiinste, bed. Architekt ; * Lubeck
15. X. 1841; t Berlin 5. II. — VZ 6. II.
A.-A.,7.H.M.-A.;T33(P),68(P);Wi9ii,
220, 225 (P); Kchr N. F. 22, 245/46; KFA
26, 288 (P); DZL 488; DBZ45, 1.329— 3*
(P)i ,338— 42; ZB 191 1, 86—88 (P); Berl.
Architekturwelt Jg. 14, 1461 (H. Schliep-
mann).
♦GrUnhagetl, Colmar, Dr. phil., ao. Prof. d.
Geschichte a. d. Univ. Breslau, Geh. Ar-
cbivrat, 1862 — 1901 Direkt. d. Staats-
archivs i. Breslau, 1864 — 1905 Hrsg. d.
»Zs. d. Vereins f. Geschichte u. Altert.
Schlesiens«; * Trebnitz 2. IV. 1828; f
Breslau 27. VII. — BJ XVI, 92 (J.
Ziekursch); HV 14, 599; W 191 1, 1363
(P); KL 191 1, 573 (W); WI 4. 487 (W);
Bursch. Bl. 25, 2, 270/71; JSG 1911 Nekr.
4 — 8 (Ziekursch); Chronik d. Univ. Breslau
26, 211 — 15 (Ziekursch); Schlesien 4,
614/15 (F. Krebs m. P); K 288.
Griinwald, Josef, Dr. phil, ao. Prof. d. Math,
a. d. deutsch. Univ. in Prag; * Prag 11. IV.
1876; f das. 1. VII. — VZ 2. VII. M.-A.,
3. VII. A. -A.; UK W.-S. 1912/13, 2, 526.
Grtiters, August, Prof., langjahr. Dirigent d.
Frankf. Cacilienvereins, Brahms-Fcrderer;
* Urdingen a. Niederrh. 7. XII. 1841; f
Frankfurt a. M. 30. I. — VZ 30. 1. A. -A.;
DZL 494.
Gruscha, Anton, Dr. theol., Kardinal, Fiirst-
erzbischof von Wien; * Wien 3. XL 1820;
f Schl. Kranichberg i. Weichselgebiet 5.
Vlll. — NFP 6. VIII. M.-A.; VZ 6. VIII.
M.-A.; KVZ 10. VIII. M.-A.; IZ 138, 268
(P), 270; vvi 4, 490; w 1911, 1330, 1336
Giihler, Erich, Konteradm., Fiihrer d. Kreu-
zergeschwaders i. Ostasien; * Bunzlau 6. II.
1859; f Hongkong 20. 1. — VZ 21. I. A.- A.;
IZ 136, 210 (P); W 1911, 134, H2 (P);
t) 13, 414, 494; Schlesien 4, 263/64.
Gfimbely Karl Ludwig, Dr. theol. h. c, bayer.
Gymn.-Prof., Vors. d. Verb. d. protest.
Arbeiter-Vereine d. Pfalz; * Kusel 1. VIII.
1842; f Speyer 13. IX. — WI 4, 491 ; 6 TL.
GUnther, Agnes, Romanschriftst., die erst
durch den nach ihrem Tode verdffentl.
bedeut. Roman »Die Heilige u. ihr Nam
bekannt geworden ist, sonst ist aufier Frag-
menten e. unvollend. Romans »Von d.
Hexe, die eine Heilige war*, nichts von ihr
in d. Offentlichkeit gelangt; * Stuttgart
21. VII. 1863; f Marburg i. H. 16. II. —
MAZ 117, 75/76 (A. Frh. v. Mensi).
Gunzert, Wilhelm, Dr. iur., ehem. Mitgl.
d. Staatsr., 1. Vizepras. d. Landesaussch.
u. Pras. d. unterelsass. Bezirkstages;
* Weifienburg 27. III. 1834, f StraOburg
26, II. — VZ 1. III. M.-A.; OA 1908/09,
512.
Gufimann, Ernst Friedrich von, Dr. med.,
Mediz. Direkt., Ehrenmitgl. d. Mediz.-Kol-
legiums i. Stuttg., Mitgl. d. Reichs-Ge-
sundheitsrats; f Stuttgart 21. L, 69 J.
alt. — DMW 37, 1, 224; WJ 191 1 Nekr.;
Schwab. Kron. Nr. 37; Mediz. Korresp.-Bl.
Nr. 19, 305-
Haake, Hermann, Dr. med. y Privatdoz. f.
Frauenheilkde. a. d. Univ. Leipzig; * 14-
III. 1835; f Leipzig 9. HI. — DMW 37,
i, 560; UK W.-S. 1912/13, 1, 332; K 300.
Haarntaim, Gustav, Dr.med., Ob.-Burgerm.
v. Witten, seit 1908 M. d. A., 1884—90
M. d. R.; * Witten 30. VIII. 1848; f Berlin
5. V. — VZ 6. V. M.-A.; WI 4, 502; HA
1908, 386, 502 (P); HPA 1887, 160.
Haase, Friedrich, Geh. Hofrat, Hof-Schausp.,
Ehrenmitgl. d. Gesellsch. deutsch. Buhnen-
angehdriger; * Berlin 1. XL 1825; f das*
17. III. — VZ 17. III. A. -A.; FZ 17. HI.
A.-B1. (E. Heilborn); T 67 (P); W 1911,
476, 479 (P); NTA 191 2, 62—66, 158 (P);
EG 376—78; DZL 509; IZ 136, 525/26
(P); BW 13, 2, 1—6 (H. Stiimcke); KW
24, 3, "i— 13 (F- Diisel); KL 191 1, 5^9*1
WI4, 503; Deutsche Revue Marz-H. 1912,
352—65 (P. v. Ebart, F. H. als Leiter d.
Kob.-Goth. Hof theaters); Jahrb. d. deutsch.
Shakespeare-Gesellsch. Bd. 48, 155 — 62
(A. Winds).
Haase-Sch5nhofl 9 Elise, ehem. Schausp.,
Gattin Friedr. Haases, 1851 — 54 Mitgl. d.
Wiener Hofburgtheaters, spielte an d.
Hoftheatern i. Berlin, Dresden u. St Pe-
tersburg, wo sie ihren spateren Gatten
kennen lernte. Mit ihm betatigte sie sich
noch gemeinsam a. Hoftheater i. Berlin
29
Totenliste 191 1: Habermas — Heintz.
30*
u. zog sich Mitte d. 70er Jahre von d. BUhne
zuriick; * Braunschweig 8. IX. 1838; f
Berlin 14. IV. — NTA 1912, 161 ; EG 378;
BW 13, 2, 130 (P); W 191 1 1 646, 653 (P).
Habermas, Friedrich, Pastor, Semi nardirek tor
i. Gummersbach, schrieb iib. Relig., Musik
u. Padag.; * Neuendorf b. Eisenach 30. 111.
i860; f Gummersbach b. K6ln 7. IV. —
KL 1911,591 (W); 1912 TL;WI 4, 504 (W).
Hadwiger, Viktor, Prager Dichter; * Prag
1879; f das - 4. X. — VZ 5. X. A.-A.; LE
14, 219; Deutsche Arbeit 11, 398 — 400
(P. Leppin); BR 8, 208 (W).
Haeberlln, Karl, Prof., Historienmaler; * Ob.-
Efilingen 16. XII. 1832; f Stuttgart 13.
IV. — WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz.
Nr. 87 ; Schwab. Kron. Nr. 1 74; OA 1908/09,
521.
Haeseler, Ernst, Geh. Hofrat, Prof. f. Eisen-
bahn- u. Briickenbau a. d. Techn. Hochsch.
i. Braunschweig; * Andreasberg 25. V.
1844; f Braunschweig 3. IV. — VZ 4. IV.
M.-A., 5. IV. M.-A.; WI 4, 508; DZL 537;
DBZ 45, 240; ZB 1911, 206/07 (W. Schlink
m. P); Programm d. Techn. Hochsch.
Braunschweig 1911/12, 80; K 304.
Hagen, Hugo von, Gen.-Major z. D., zul.
Komm. v. Kiistrin, Ritter d. Eis. Kr.
2. Kl.; * Wiesbaden 30. IIL 1835; f Hildes-
heim 28. IX. — VZT; OA 1908/09, 525;
UT 1910, 296.
Hamel, Friedrich, Oberbaurat, Oderstrom-
Baudirekt., hervorr. Wasserbauer; * Qued-
linburg 17. IV. 1845; f Breslau 19. VI. —
Schles. Zt. 20. VI. M.-A.; JSG 191 1 Nekr.
8 — 10; ZB 191 1, 331 (P); Schlesien 4,
588/89.
Hanausek, Eduard, Prof., Schulrat, Senior
d. Lehrk6rpers d. Wiener Handelsakad.,
Vorst. d. Warenlaborat., Doz. a. d. Fort-
bild.-Schule f. Eisenbahnbeamte, Direkt.
d. Drechslerschule; * Weitwcrt, Salzb. 27.
VII. 1 851 ; f Wien 20. III. — NFP 22. III.
M.-Bl.; KL 191 i f 605 (W); WI 4, 519 (W).
Hansen, Georg, Dr. theol., Oberhofpred., 50
Jahre kob. Hofgeistl., als Offizier d.
schlesw. -hoist. Armee im Gefecht b. Idstedt
verwundet; * Niebiill b. Rendsburg 6. IX.
1826; f Koburg 17. I. — KJ 38, 659.
Hartmarui, Ernst, bed. Hofburgschausp.;
♦Hamburg 8. I. 1844; t wien 10. X. —
NFP 10. X. A.-A. (A. Frh. v. Berger),
11. X. M.-Bl., 23. X. Nachm.-Bl. (H. Bet-
telheim-Gabillon, E. H., Ein Erinnerungs-
blatt); W 1911, 1770 (P); IZ 137, 656/57
(P); BW 14, 44. 70—76 (A. Lindner); NTA
1913, H9/ISO <?); EG 3?6/97; Ton u. Wort
1, H. 10; WI 4, 528; OR 29, 168—71 (J.
Minor); Jahrbuch d. deutsch. Shakespeare-
Gesellsch. Bd. 48, 163—68 (H. Richter).
Hartmann 9 Johannes, Dr. theol. et iur. can.,
Prof. f. Kirchenrecht a. d. Univ. Munster,
papstl. Hauspralat u. Domkapitular;
* Herbigshagen i. Eichsfeld 3. X. 1829;
f Munster 14. XII. — KR 1911, 172/13
(W); 1912 TL; Chronik d. Univ. Munster
1911/12, 16; WI 4, 529; DZL 534.
Haselbach, Hans, Prof., Lehrer a. d. Staats-
Oberrealsch. i. Klagenfurt, auf naturhist.
Gebiet, bes. dem d. Chemie literar. vielfach
tatig, hat auch Gedichte u. Novellen ver-
Sffentlicht; * Hermagor i. Karnten 11. IV.
1873; t Klagenfurt 5. IV. — Carinthia 191 1 •
2, 1—7 (F. Lex m. W); GK 1912, 59.
HatzfeW-Wildenburg, Alfred Fiirst von, M. d.
H.; * Dusseldorf 9. V. 1825^ das. 2. VI. —
VZ 3. VI. A. -A.; 4. VI. M.-A.; WI 4, 535 J
HH 1907, 311.
Hayek, Gustav von, Reg.-Rat, Dr. phil..
Prof., Zoologe u. Ornithologe; * Brunn
1836; f Wien 11. I. — NFP 12. I. A.-B1.;
IZ 136, 146; OR 26, 328.
Hedeberg, Egon, ehem. groOh. oldenb. Hof-
schausp., zul. a. Dusseld. Stadttheater,
auch Buhnenschrif tst. ; * Augsburg 1857;
f Badenweiler 13. IX. — NTA 1912, 172.
Hedrich, Eduard, ehem. Opernsang. u. Regiss.,
lange eines d. beliebtest. Mitgl. d. Kroll-
schen Sommeroper i. Berlin unter Engel;
* Darmstadt 18. VI. 1846; f Magdeburg 23.
VII. — NTA 1912, 170.
Hehl, Christoph, Geh. Reg.-Rat, Prof. d.
Architektur a* d. Techn. Hochsch. i. Char-
lottenb., bek. Kirchenerbauer; * Kassel
11. X. 1847; f Berl.-Charlottenburg 18. VI.
— VZ 20. VI. M.-A., 21. VI. A.-A.; IZ 136,
1379; DBZ 45. 426; ZB 191 1, 347/50 (F.
Genzmer m. P); Bericht d. Techn. Hochsch.
Charl. 1910/11, 5 — 7; DZL 556; Berlin.
Architekturwelt Jg. 14, 167 (H. Schliep-
mann).
HeilgerSy Josef, Pfarreri. Roisdorf, Rheinpr.,
Schriftst auf d. Geb. d. Moral theolog., As-
kese, popular. Philos. u. Lyrik. ; * Buscher-
heide 11. VI. 1841; f Roisdorf 15. V. —
KR 1911, 177 (W); 1912 TL.
Heinecdus, Benno von, Gen.-Major z. D.,
zul. Komm. d. 1. Hess. F. -Art. -Reg., Ritter
d. Eis. Kr. 1. KL; * Ldwenberg 7. I. 1830;
f Berl.-Charlottenburg 19. X. — VZ 20. X.
A. -A.; BT 191 1, 389-
Heitllchen, Wilhelm, Pras. d. Landeskonsist.
i. Hannover, Kurator d. Klosters Loccum;
* Hannover 16. IV. 1856; f das. 18. XII. —
ELK 44, 1246/47; KJ 37, 436.
Heintz, Wilhelm, friih. Organist au d. Petri-
kirche in Berlin, bekannt durch s. analyt.
Arbeiten iib. Wagners Musikdramen u.
durch s. 2- u. 4handigen Paraphrasen ub.
Themen Wagners; * Eberswalde 21. 111.
31'
Totenliste 1911: Heifl — Hermann.
32'
1822; t Berlin 14. VL — VZ 16. I. M.-A.;
AMZ 191 1 f 671 (0. LeBmann); R 588;
Musik 2. Juli-H. S. VII.
*HelB, Karl, Kreisschulinsp. u. Griinder d.
Bayer. Volksschullehrervereins; * Starn-
berg b. Munchen 10. VIII. 1827 ; f Nurnberg
18. IV. — BJ XVI, 206 (A. Dreyer).
HetinJg, Karl, Geh. Med. -Rat, Dr. med., ao.
Prof. d. Frauenheilkde. a. d. Univ. Leipzig;
* Dresden 9. XII. 1825; f Leipzig 15. V. —
DM\V37,992;AD3,i53/54(W);PBL 7 i9;
HBL 3, 157; KL 191 1, 662; WI 4, 564;
DZL 572/73; K 337.
Hermes, Emil, Prof., Dr. phtl., 1873 — 1905
Oberl. a. Gymn. i. Mors, Schriftst., griindl.
Kenner Senecas; * Elberfeld 21. IV. 1847;
f Bonn 7. VII. — JAW Biogr. Jahrb. 191 2,
97/98 (K. Hirschberg).
Herms, Franz, Geh. Ob.-Justiz-Rat, frUb.
Landger.-Pras., Ehrenbiirger d. Stadt
Prenzlau, verd. Fordererd. Heimatschutzes;
f Prenzlau 4. XII., 86 J. alt. — VZ 6. XII.
M.-A.
Herzog, Ernst von, Dr. phil. % friih. Prof. d.
klass. Philolog. a. d. Univ. Tubingen,
Mitgl. d. Aussch. d. Reichslimeskommiss. ;
* EClingen 23. XL 1834; f Tubingen 16.
XL — VZ 18. XL M.-A.; Bl. f. h6her.
Schulwes. 28, 482; HV 15, 152; DZL 586;
WI 4, 576 (W); WJ 191 1 Nekr.; Wtirtt.
Staatsanz. Nr. 270; Schwab. Kron. Nr. 538;
K 347.
HeTZOg, Wilhelm, Hrsg. d. »Korrespondenz
Herzog«; * 25. V1I1. 1846; f Wien-D6bling
30. VIII. — NFP 30. VIII. A.-B1.
♦Heyden, Hubert von, bed. Tiennaler, Mitgl.
d. Munch. Sezession; * Berlin 13. IX. i860;
f Munchen 20. I. — BJ XVI, 86 (H. Hol-
land); VZ 21. I. M.-A.; IZ 136, 380; Kchr
N. F. 22, 211; KFA 26, 264 (P); 27, 276/77;
MS Nachtr., 137; SKL 434.
Hibler, Emanuel von, Dr. med., ao. Prof. f.
patholog. Anatomie a. d. Univ. Innsbruck;
* 1865; f Innsbruck 23. VI. — DMW 37,
1280; UK W.-S. 1912/13, 2, 526.
Hflle, Georg, Dr. phil., Geh. Archivrat, Direkt.
d. Staatsarchivs zu Schleswig; * Liepe,
Kr. Westhavelland 17. XL 1841; f Schles-
wig 8. VI. — Zs. d. Gesellsch. f. Schlesw.-
Holst. Geschichte Bd. 41, 188—208 (Miise-
beck m. W); WI 4, 588.
HiflflillS, Anna, geb. Bornemann, (Pseud.:
A. Norden), Romanschrif tst. ; * Potsdam
11. II. 1848; f Wiesbaden 1. 1. — KL 191 1,
095 (W); 1912 TL; WI 4, 590 (W); BR 3,
219 (W).
Hfppauf, Hermann, Schulrat u. Kreisschul-
insp. a. D., als Padagoge auch literar. tatig;
* Rawitsch 8. VI. 1835; f Breslau 2. II. —
JSG 191 1 Nekr. 10/11.
Hirsdl, Marie, (Pseud. : Adalbert Meinhardt),
eine d. feinsinn. Schriftst. Hamburgs;
* Hamburg 12. III. 1848; f das. 17. XL —
VZ 24. XL M.-A.; HC 24. XL A. -A. (R.
Huldschiner); LE 14, 439, 478/79; Die
Frau 19, 177; NS 17, 187; BR 3, 224/25
(W); KL 1911, 699 (W); WI 4, 593 (W);
DZL 611/12.
Hittmalr, Anton, Dr. phil., Direkt. d. Inns-
bruck. Univ.-Bibl.; * Mattighofen i. Ob.-
Osterr. 1 1 . VI. 1858; f i. Hinteren Padastcr-
tal 3. VI. — VZ 9. VI. M.-A.; UK W.-S.
1912/13, 2, 526; KL 191 1, 704; WI4, 596;
KR 1911, 194 (W); Zs. d. dsterr. Ver. f.
Bibliothekswes. 1911, 134 (Himmelbauer).
*Hitzig, Hermann Ferdinand, Prof. f. rom.
Recht a. d. Univ. Zurich; * Burgdorf i.
Kant. Bern2vL 1868; f Zurich 26. VII. —
BJ XVI, 178 (H. Schuler); VZ 27. VII.
M.-A., 29. VII. M.-A.; IZ 137, 250 (P);
KL 191 1, 704/05 (W); WI 4, 596; UK W.-
S. 1912/13, 2, 526; Schweizer Jurist.-Ztg.
Jg- 8, 53 (M. Huber).
Hochfelden, Brigitta, Schriftst., Schriftleite-
rin d. »Deutsch. Modenztg.o; * Biickeburg
16. VIII. 1843; f Berl.-Wilmersdorf 25. IV.
— KL 191 1, 706 (W); 1912 TL; WI 4,
598 (W).
Hocker, Gustav, Romanschriftst.; * Eilen-
burg 28. IX. 1832; f Breslau 13. X. —
VZ 13. X. A.-A.; LE 14, 220; KL 1911,
707/08 (W); WI 4, 599 (W); BR 3, 237.
H6he, Fried rich von der t (Pseud.) s. Greiner,
Hugo.
HdMer, Eduard, Dr. twr., Geh. Hofrat, Prof,
f. r6m. Recht i. Leipzig; * Stuttgart 27. XI.
1847; t Baden-Baden 14. IV. — VZ 16.
IV. M.-A.; BB Nr. 89 v. 19. IV. (W);
AD 2, 8 (W); DZL 634; WI 4, 601 (W);
KL 1911, 721; IZ 136, 1018; WJ 191 1
Nekr.; Schwab. Merk. Nr. 176; DJZ 16,
631/32 (Strohal); D. Recht 15, 290 (H.
Reichel); HV 14, 463; K 365; Schweizer
Jurist.-Ztg. 191 1, 374 (H. F. Hitzig); Leipz.
Zeitschr. f. Handels-, Konkurs- u. Vers.-
Recht 191 1, 362 (E. Jaeger).
♦Hoebcher, Hermann Wilhelm Heinrich, Dr.
theol. y Kirchenrat, Pfarrer a. d. Nikolai -
kirche i. Leipz., Hrsg. d. Allg. Ev.-Luth.
Kirchenztg. u. d. Theol. Lit.-Bl. ; * Norden,
Ostfriesl. 22. IV. 1845; t Leipzig 1 1. HI. —
BJ XVI. 78 (Holscher); VZ 15. III. M.-A.;
WI 4, 601; ELK 44, 240, 262; 45, Nr.
11— 18; KL 191 1, 724; KJ 38, 659.
Hdrmann, Karl, Dr. tried., Privatdoz. f. Gyna-
kologie, seit 1900 Assist, a. d. Univ.-
Frauenklinik i. MUnchen; * Neuburg a. D.
24. II. 1875; f MUnchen 9. XII. — Chronik
d. Univ. Munchen 1911/12, 6; AD 3, 158
(W); UK S.-S. 1912, 1, 324.
33'
Totenliste 191 1 : van 't Hoft* — Huber.
34*
* Hoff, Jacobus Hcnricus van 't, Dr. phil. y med. f
iur. et ing. h. c.„ Prof. d. Chemie a. d. Univ.
Berlin, Mitgl. d. Akad. d. Wiss., Ritter d.
Ordens Pour le m^rite; * Rotterdam 30.
V1IL 1852; f Berl.-Steglitz 1. III. — BJ
XVI, 185 (E. Zerner); VZ 2. 111. A.-A.;
T 55 <P); W iqii, 392, 398 (P); 1Z 136, 472
(E. Cohen m. P.); FZ 4. HI. A.-Bl. (W. Ost-
wald); KL 1911, 709; WI 4, 604/05 (W);
DZL 621/22; Chronik d. Univ.-Berlin 24, 8;
NR 26, 244—47 (A. Coehn); DMW 37, 464;
MMW 58, 803/04 (H. Schade); PF 3, i f 644
(W); 4, 2, 1553/54 (W); SoziaHst Monatsh.
15, 2, 1 1 18 (B. Borchardt); Marz 191 1, 1,
552; BZ 28, 177 [Chemikerztg. Jg. 35* 289;
Zeitschr. f. Elektrochemie u. angew.
physikal. Chemie Jg. 17, 210; Ernahrung
d. Pflanze Jg. 7, 93 (Krische); Kali, Zs. f.
Gewinn. d. Kalisalze Jg. 5, 113 — 18 (H.
Precht); Zeitschr. f. angew. Chemie Jg. 24,
1074—87 (G. Bredig); Zeitschr. f. physikal.
Chemie Bd. 76, 641 ; Zeitschr. f. d. physik.
u. chem. Unterr. Bd. 24, 176], 29, 156
f Bench te d. deutsch. chem. Gesellsch.
]g. 44, 2217 (Gedachtnisfeier), 2219 — 52
(W. Ostwald)], 30, 163 [Abhandl. d. Akad.
d. Wiss., Berl. Physikal. Klasse Jg. 191 1
(E. Fischer, Gedachtnisrede, 16 S.); Al-
manach d. k. Akad. d. Wiss., Wien Jg. 61,
382; Chemikerztg. Jg. 36, 665 (E. Cohen);
Lotos Bd. 59, 91 (H. Milrath); Zukunft
Bd. 79, 43i (E. Cohen, H. i. Deutschland)],
31, 165 [Germania Beil. Nr. 52 (A. Gockel);
BKW 49, 1870 (B. Laquer); Ernahrung d.
Pflanze Jg. 8, 209—13 (R. Marc)].
Hoffmann, Alfred, Pfarrer, schriftst. tatig
auf d. Geb. d. Philos.; * Wien 11. X. 1865;
f Nordheim b. Heilbronn 4. VI. — Protest.
Monatsh. 15, 309—13 (R. Zeller).
Hoffmann II, Christoph, Vorsteher d. Deutsch.
Tempelgesellsch. i. Jerusalem, der sich
grofle Verdienste um d. deutsche Kolonisa-
tion i. Palastina erworben hat; * Ludwigs-
burg 9. XII. 1847; f Jerusalem 10. I. —
DE 10, 193 — 95 (F. Lorch m. P).
Hoffmann, Ferdinand, Dr. phil., Realgymn.-
Prof. i. Gera, Schriftst. auf d. Geb. d.
Kulturgesch., Germanistik u. klass. Philo-
logie; * Uftrungen 2. IX. 1849; f Gera
31. III. — KL 1911, 710/11 (W); 1912
TL.
Hoffmann, Wilhelm, (Pseud.), s. Bleysteiner
Hugo.
Hoffmarm-Scholtz, Friedrich, Generallt. z. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Chef d. Re-
montierungs-Abt. i. Preufi. Kriegsminist. ;
* Liegnitz 16. VI. 1842; f Schadewalde b.
Marklissa 11. VI. — VZ 14. VI. A.-A.;
OA 1908/09, 634.
Hofmann, Johann Michael Heinrich,
Biogr. Jahrbuch u. Deutschcr Nekrolog. 16. Bd.
Prof., Historienmaler, Mitgl. d. Akad. d.
bild. Kunste i. Dresden; * Darmstadt 19.
III. 1824; t Dresden 1. VII. — Kchr N. F.
22, 501; KFA 26, 504; MS 2, 193; BMW
i» 557/58; SKL 1440; DZL 627; WI 4, 609.
HoMer-Egger, Oswald, Geh. Reg.-Rat, Prof.,
Mitgl. d. Zentraldirekt. d. Monumenta
Germaniae historica; * Bischofswerder i.
Westpr. 19. Vlll. 1851; f Berlin 1. XI. —
VZ 4. XI. M.-A., A.-A.; FZ 7. XI. 1. M.-Bl.
(K. Hampe); HV 15, 127/28 (B. Schmeid-
ler); WI 4, 614 (W); DZL 635; K. Zeuner,
O. H.-E. Ein Nachruf. Hannover 1912.
(A us: Neues Archiv d. Gesellsch. f. altere
deutsche Geschichtskunde S. 823 — 54 m.
♦Holmberg, August, Prof., Konservator u.
Galerie-Direkt., Maler; * Munchen 1. VIII.
1851 ; f das. 7. X. — BJ XVI, 23 (H. Hol-
land); VZ 8. X. M.-A.; Kchr N. F. 23, 24;
KFA 27, 100 (P); DZL 639; WI 4, 616;
Bayerland 23, 53 (P).
Holthof, Ludwig, Dr. phil % Schriftst., Ger-
manist, Theaterreferent a. >Schwab. Mer-
kur*; * K6ln 24. Vlll. 1840; f Stuttgart
24. VI. — VZ 26. VI. A.-A.; LE 13, 1496;
1Z 137, 79; NMZ 32, 403; KL 1911, 725
(W); WJ 19 1 1 Nekr.; Schwab. Kron.
Nr. 289.
Holtz, Julius, Dr. med. f Kommerz.-Rat f
einer d. fiihrenden Manner d. deutsch. -
chem. Industrie, langjahr. Leiter d. Chem.
Fabrik Schering, Vors. d. Vereins d. Chem.
Industrie, Mitgl. d. Reichsgesundheits-
amts; * 2. IX. 1836; f Berlin 8. VI. —
VZ 9. VI. A.-A.; T 137 (P); Berichte d.
deutsch. Chem. Gesellsch. Jg. 44, 3395
(G. Kraemer).
Holtzstamm, Waldemar, ehem. Schausp., d.
letzte Oberlebende aus d. Glanzzeit d.
Friedrich-Wilhelmstadt. u. d. Viktoria-
Theaters i. Berlin; * Berlin 19. XI. 1826;
f das. 29. IV. — NTA 1912, 162.
Horion, Peter von, Wirkl. Geh. Rat, 1878 bis
1900 Abt.-Chef i. wiirtt. Kriegsminist.;
* 27. XI. 1836; f Stuttgart 24. II. — WJ
191 1 Nekr.; Schwab. Kron. Nr. 92; OA
1908/09, 653.
Horn, Karl, 1891 — 1901 Reg.-Pras. i. Marien-
werder; * Halberstadt 24. X. 1833; t
G6ttingen 7. X. — VZ 10. X. M.-A.; OA
1908/09, 654; BT 191 1, 45&
Hoyermann, Gerhard, Fabrik- u. Gutsbes. i.
Hannov., 1893 — 1 9°3 M. d. A., nationallib. ;
* Hoheneggelsen b. Hildesheim 30. XI.
1835 ; t Burgwedel Lohne b. Hannov. 9. VI.
— VZ 12. VI. A.-A.; HA 1899, 256; WI
4. 626.
Huber, Paul, Dr. phil., Verlagsbuchh., Chef
d. Kdselschen Buchh., hat 1901 mit Karl
25
o5
Totenliste 191 1 : Httlskamp — Jellinek.
?6*
Muth d. »Hochlanck gegriindet; * Kempten
2. VI. 1875; f das. 13. VII. — KVZ 14. VII.
Mitt.-A.; KR 191 1, 207; Akad. Monatsbl.
Jg. 23, 182 (K. Hoeber).
*HiQskatnp, Franz, Dr. theol, Konviktspras.
u. papstl. Hauspralat, Literarhist. ; * Essen
i. Oldenb. 14. HI. 1833; f Miinster i. W.
10. IV. — BJ XVI, 234 (E. Sartorius);
VZ 10. IV. A.-A.; KVZ 10. IV. A. -A.,
25. IV. Mitt.-A. (M. Herbert, Eine Er-
innerung an d. f Pralaten H.); LE 13,
1133; KL 1911, 746 (W); WI 4, 630 (W);
Katholik Jg. 91. 4- F. Bd. 7, 385— $7; KR
191 1, 209 ^W); Literar. Handweiser Jg. 49,
481 (A. Pdllmann).
HttrHnuutn, Josef Dr. med. h. r., Arzt u.
Historiker, Mitgl. d. Zuger Kant.- u.
Erzieh.-Rats, Pras. d. Obergerichts, viel-
fach literar. tatig; * Zug 4. VIII. 1851;
f Unterageri 22. 1. — ASG 44, 370; Zuger
Volksbl. 191 1, Nr. 1012; Zuger Nachr.
191 1, Nr. 11 — 13; Geschichtsfreund Bd. 66,
XXI; Jahrb. d. Schweiz. Gesellsch. f.
Schulgesundheitspflege Jg. n f 485 — 91
(C. Arnold); Zuger Neujahrsbl. 19 12,
3—9-
Hug, Friedrich, Geh. Finanzrat, kathol. Stifts-
verw. i. Konstanz, seit 1890 M. d. R., Zentr.;
* Aulfingen a. d. Baar i. Bad. 15. 111. 1839;
f Konstanz 13. VIII. — KVZ 14. VIII.
M.-A.; WI 4, 631; RH 1907, 295, 454 (P).
Hugo, Konrad von, Gen. d. Inf. z. D., Ritter
d. Eis. Kr 2. KL, 1862 Lt., 66 z. Stabs-
wache d. Konigs komm.,- 69 Ob.-Lt., 71
Lehrer a. d. Kriegssch. i. Neifie, 73 Haupt-
mann, 84 Major, 90 Oberstlt., 93 Oberst u.
Komm. d. Gren.-Reg. 2, 96 Gen. -Major u.
Komm. d. 56. Inf.-Brig., 99 Gen.-Lt. u.
Komm. d. 7. Div., 02 komm. Gen. d. 13.
A.-K., 07 z. D.; * Wohlau i. Schles. 20. I.
1844; f Stettin 24. I. — VZ 25. I. A.-A.;
T 24 (P); WI 4, 632; MZ 1911, 70; LJ 38,
446; DZL 658/59; Schlesien 4, 263.
Hundrieser, Emil, Prof., Bildh., Mitgl. d.
Akad. d. Kiinste, Direkt. d. Rauch-Mus.;
• K6nigsberg 13. III. 1846; f Charlotten-
burg 30. I. — VZ 30. I. A. -A.; T 27 (P): \V
1911, 176, 182 (P); WI 4, 634; Kchr N. F.
22, 245; KFA 26, 288; MS 2, 219; SKL450;
DZL 663/64.
Hussak, Franz Eugen, deutsch. Mineraloge,
lebte seit 1887 i. Brasilien, entdeckte
manche neuen Erze, wies in vielen Gegen-
den d. Vorhandensein von Edelmetallen
u. Diamanten nacb u. ver&ffentl. e. Reihe
von naturwiss. Abh. ; * Wildon i. Steierm.
10. III. 1856; t Caldas i. Bras. 15. IX. —
VZT; GK 191 2; PF 4, i, 677/78 (W).
Jacobs von Kantstein, Karl Frh., k. k. Feldm.-
Lt. i. R.; * Neu-Gradiska 10. IX. 1850;
t Mahr.-W T eiflkirchen 25. VIII. — FT
1909, 367; 1912, 961.
Jaeoteetl, Emil, Dr. phil. % Chemiker, humo-
rist. Schriftst., wiss. Beirat d. Schering-
schen Chem. Fabrik, Freund Stindes,
Trojans u. Seidels; * Danzig; f BerL-
Charlottenburg 11. II. — VZ 14. II. A.-A.;
T 40 (P); Chem. Industrie Jg. 24, Nr. 5;
Bursch. Bl. 25, 2, 37 (E. Krischnick m.
P); Berichte d. deutsch. Pharmazeut. Ges.
Bd. 21, 153—59 (H. Thorns).
Jacobskotter, Johannes Karl Wilhelm, Schnei-
derm. u. Stadtverordn. i. Erfurt, frilh.
M. d. A. u. M. d. R., konserv.; * Erfurt
27. VII. 1839; f das. 24. I. — VZT; WI
4, 644; RH 1898, 207; HA 1904, 324, 14
(P)-
Jaenecke, Max, Dr. phih % Mitbes. d. Hannov.
Couriers, Vors. d. Vereins deutsch. Zeitungs-
verl., 1903 — 04 M. d. R. u. M. d. A., natio-
nally.; * Hannover 28. VIII. 1869; f das.
26. XI. — VZ 27. XI. A. -A.; WI 4, 647;
IZ 137, 1074 (P), 1086; HA 1904, 325, 1 15
(P); RH 1903, 249; KL 1911, 762; WI 4.
647 (W).
Jaffe, Max, Dr. med., Geh. Mediz.-Rat, o.
Prof. f. Arzneimittellehre u. mediz. Chemie
a. d. Univ. Kflnigsberg; * Griinbergi. Schl.
25. VII. 1 841 ; f Konigsberg 25. X. — VZ
25. X. M.-A.; WI 4, 647; AD 3, 61 (W);
DMW 37, 2048, 1359/60 (Lichtheim, Z. 70.
Geburtstage m. P); MMW 59, 92/93 (R.
Cohn); BKW 49, 381—84 (A. Ellinger, Ge-
denkrede, geh. i. Verein f. wiss. Heilkde. i.
K6nigsberg); PBL 814 (P); HBL 3, 376:
DZL 668; K 399; Archiv f. experim. Pathol,
u. Pharmakol. Bd. 66, Beil. (Naunyn).
Jaffe, Robert, Mitarb. d. Deutsch. Tagesztg.,
Schriftst., schrieb Romane u. Trauersp.;
* Gnesen 7. II. 1870; f Berl. -Wilmersdorf
20. VI. — VZT; KL 1911, 759; BR 3.
333 (W).
Jaidzewski, Ludwig von, Dr. theol, Prof.,
papstl. Hauspralat u. Stiftspropst i. Zduny,
seit 1873 M. d. A., 1872—74, 1878—87 u.
1890— 1906 M. d. R., Pole; * Posen 10. II.
1838; f Berlin 23. I. — VZ 23. 1. A.-A.;
W T I 4, 654; RH 1903, 250; HA 1908, 395,
523 (P).
Jeep, Ludwig, Geh. Reg.-Rat, Dr. phil., o.
Prof. f. klass. Philolog. a. d. Univ. Konigs-
berg; * Wolfenbuttel 12. VIII. 1846; f
Konigsberg 4. I. — VZ 10. I. M.-A.; UK
S.-S. 1911, 1, 320; DZL 675 (W); JAW
Biogr. Jahrb. 1912, 121 — 133 (J. Tolkiehn
m. W); K 404.
♦Jellinek, Georg, Geh. Hofrat, Dr. iur. el
phil., Prof. f. Staatsr., VSlkerr. u. Politik
a. d. Univ. Heidelberg; * Leipzig 16. VI.
1 85 1 ; f Heidelberg 12. I. — BJ XVI, 147
37*
Totenliste 191 1: Jena— Kekule von Stradonitz.
38*
(E. Zweig); NFP 13. I. A.-BL, 14. I.
M.-B1. (E. Zweig — F. Klein — L. Vogler),
15. I. M.-Bl. (L. Spiegel); FZ 21. I. M.-BL
(R. Piloty); Jurist. Liter.-Bl. Bd. 23, Nr. 2
(H. v. Frisch); Osterr. Zs. f. Strafr. Jg. 2,
H. 1/2 (Laffler); Archiv f. Offentl. Recht
Bd. 27, H. 3; HV 14, 304; DJZ 16, 196—98
(Anschtitz); Frauenbewegung 17, 20 (E. v.
Langsdorff); Hilfe 1911, 34; 1Z 136, 108
(P); AD 2, 57 (W); KL 1911, 770 (W);
WI 4, 654 (W); K 404.
Jena, Eduard von, Gen. d. Inf. z. D., Ritter
d. Eis. Kr. 1. KL, 1866 Oberlt., 70 Hauptm.,
85—88 Oberst u. Komm. d. Inf.-Reg. Nr. 24,
88 — 91 Insp. d. Infanterieschulen, 96 — 99
Gouv. v. Straflburg i. E.; * Dobbernitz
28. III. 1834; t Eberswalde 21. III. —
VZ 23. III. M.-A.; OA 1908/09, 685; MZ
1911, 193M; DZL 675.
Jensen, Wilhelm, Dichter; * Heiligenhafen
15. 11. 1837; t Miinchen 24. XI. — VZ
24. XI. A.-A.; NFP 24. XL A. -A.; T 278
(P), 285 (K. Freye); Kieler Ztg. 25. XL
M.-A. (G. Hoffmann); HC 15. II. 07 (A.
Hagemann, W. J., Zu s. 70. Geburtst.);
Flensburg. Nordd. Ztg. 15. II. 07 (W. Roth-
barth, W. J. u. Flensburg); Kieler Ztg. 15.
u. 16. II. 07 M.-A. (G. Hoffmann, Unser
Landsmann W. J. Zu s. 70. Geburtst.);
Hamb. Nachr. 13. II. 07 A.-A. (H. Grube,
Z. 70. Geburtst. W. J.s); TRU 1907, Nr. 39
(W. J M Zu s, 70. Geburtst.); Nord u. Sad
Dez.-H. 191 1 (A. F. Krause); Bayerland
Jg. 23, 211 (P); IZ 137, 1020 (P); MAZ
114, 840/41 (Th. v. Sosnosky, Ein Ver-
kannter. E. Nachr.); TRU Nr. 279 (W. Ar-
minius, W. J., Ein letzter FreundesgruB),
191 2, Nr. 102 (P. Heyse, An W. J. Verse
gespr. b. d. Gedachtnisfeier i. Miinch.
KUnstlerhause); KW 25, i, 427—28 (Ave-
nanus); KL 191 1, 77*/73 (W); LE 14, 43 8 i
477/78; BR 3, 352—54 (W); WI 4, 655/56
(W); DZL 675/76 (W); W 191 1. 2023 (P);
AL 1866—82. 1, 326—332 (W); BZ 29, 162
[Gartenlaube Nr. 49 (A. Biese); KM Dez.-
H. 318—24 (W. Rath); Allgem. deutsche
Lehrerztg. 1911, 569 (E. Linde, E. Skizzen-
buch)].
Direr, Emma, eine d. altesten u. tatkraf tigsten
Agitatorinnen d. sozialdemokr. Partei, rief
d, gewerkschaftl. Organisation d. Heim-
arbeiterinnen ins Leben, Leiterin d. Ver-
bandsorgans »D. Blumenarbeiter*; * Glatz
3. I. 1857; f Berlin 8. I. — AF 47, 128;
Sozialist. Monatsh. 15, 1, 114 — 17 (W.
Zepler m. P).
Joel, Arthur Eugen, Dr. med. % Spezialarzt f.
Hals-, Ohren- u. Nasenkrankh., Leiter d.
Romplerschen Heilanst. i. Breslau, Fach-
schriftst.; * Greiffenberg 29. IX. 1873;
t Breslau 27. III. — JSG 191 1 Nekr.
11— 13 (F. Birke).
Jung, Arnold, Kommerz.-Rat, GrUnder u.
Inh. d. Jungenthaler Lokomotivfabrik,
Vors. d. Aufsichtsr. d. A.-G. Bremerhatte,
Mitgl. d. Prov.-Verb. d. nationallib. Partei;
• Jungenthal b. Kirchen a. d. Sieg 8. I.
1859; f das. 8. I. — SE 31, 1, 456 (P).
Jungheim, Emil, M. d. A., nationallib.;
* Hanau 5. VIII. 1850; f Meran 20. VII.
— WGK 1911, 2, 223; WI 4, 666.
Jungnickel, Friedrich, Wirkl. Geh. Ob.-
Baurat, Eisenbahn-Direkt-Pras. a. D.,
Fachschriftst., hat sich groBe Verdienste
um d. Einfuhrung d. Einheitszeit in
Deutschland erworben, verdffentlichte 19 10
e. Biographie d. Eisenb. -Ministers v. May-
bach; * Breslau 1. VIII. 1839; f Altona
I. VIII. — WGK 1911, 2, 223; DZL 689;
ZB 191 1, 407/08 (O. Sarrazin m. P); WI 4,
666; Zeitschr. d. Vereins deutsch. Eisenb.-
Verwalt. Jg. 51, 978.
Kablerske, Eugen, Dr. med., Sanitatsrat,
Griinder d. Bresl. Hallenschwimmbades,
hat sich um d. hygien. Verhaltnisse Breslaus
verdient gemacht; * Breslau 2. II. 1855;
t das. 30. III. — JSG 191 1 Nekr. 13/14
(C. Partsch); Schlesien 4, 404.
Kaiser, Eduard, Generaldirekt. d. Buderus-
schen Eisenwerke i. Wetzlar, Pras. d. dorti-
gen Handelsk., Mitgl. d. Kreist. u. Kreis-
aussch., stellvertr. Mitgl. d. Landeseisen-
bahnrats; * Witten 4. I. 1855; f Wetzlar
27. VI. — SE 31, 2, 1203 (P).
Kakksteln, Michael von, Rittergutsbes. i.
Klonowken, 1871 — 77, 1881 — 98 M. d. A.,
Pole; * Klonowken 3. VII. 1830; f das.
Mitte Sept. — VZT; RH 1893, 188; UT
191 1, 349-
Kallmann, Prof., Privatdoz. f. Elektrotechn.
a. d. Techn. Hochsch. Berl.-Charl.; * Nakel
4. VI. 1867; f Berlin 29. XL — Bericht
d. Techn. Hochsch. Berl. -Chariot tenburg
1911/12, 1/2.
Kap6, Robert, Opernregiss. u. Tenorbuffo,
bis 1908 a. Stadttheater i. Straflburg i. E.;
♦ Hamburg 24. XII. 1847; f Straflburg
II. III. — NTA 1912, is8; EG 497.
Kekule von Stradonitz, Reinhard, Dr. phil. f
Geh. Reg.-Rat t Prof. f. Archaologie a. d.
Univ. Berlin, Direkt. d. antiken Skulp-
turensamml. d. kgl. Museen, MitgL d.
Akad. d. Wiss. f Lehrer Kaiser Wilhelms II. ;
* Darmstadt 6. 111. 1839; f Berlin 22. III.
— VZ 24. III. M.-A.; Bayreuth. Blatter 34,
180/81 (H. Thode); IZ 136, 592 (J. Fender
m. P); JAW Biogr. Jahrb. 1912, 1 — 40
(H. Schrader m. W); Kchr N. F. 22,
324/25; WI 4, 687 (W); W 191 1, 518 (P);
KL 191 1, 819; K 428; Jahrb. d. kgl. preufl.
25*
39*
Totenliste 191 1: Keller — Knabenbaucr.
40'
Kunstsamml. Bd. 32, 1 — 8 (H. Winne-
feld); Almanach d. k. Akad. d. Wiss., Wien
Bd. 61, 453—58 (E. Reisch).
Keller, Adam, Dr. theol., Dekan, geistl. Rat
u. papstl. Hauspralat, Stadtpf. i. Wies-
baden, padagog. Schriftst., Mitred, d.
»Samml. d. bedeutendst. padagog. Schrif-
ten«; * Horbach 11. VIII. 1839; f Wies-
baden 31. V. — KL 1911, 820 (W); 1912
TL; WI 4, 687 (W); KR 1911, 230 (W).
Keller, Adolf, Geh. Oberbaurat i. Preufi.
Arbeitsminister., bed. Wasserbauer, Mitgl.
d. Akad. d. Bauwes.; * Dillenburg i. Nass.
25. VII. 1832; f Berlin 20. XII. — ZB
1912, 12/13 (H. Keller m. P).
♦Keller, Gustav, Zeichner u. Maler; * Etzen-
hausen 20. X. i860; f Miinchen 18. VIII. —
BJ XVI, 91 (H. Holland).
KeDner, Oskar, Geh. Hofrat, Prof., Direkt.
a. d. landwirtsch. Versuchsstation M 6c kern;
* Tillowitz i. Schles. 13. V. 1 851; f Karls-
ruhe 22. IX. — VZ 23. IX. M.-A.; IZ 137,
587/88 (J. Volhard m. P); WI 4, 691;
W 191 1, 1752 (P); Oberschlesien 10, 337;
Mitt. d. deutsch. Landwirtsch. -Gesellsch.
26. 541; BZ 29, 176 [Chemikerztg. Jg. 35,
1 1 57 (J. K6nig); Ernahrung d. Pflanze
Jg- 7. 145 (P- Kriesche); Friihlings land-
wirtsch. Ztg. Jg. 60, 681 ; Monatsschr. f.
Landwirtsch. Jg. 4, 231; Deutsche land-
wirtsch. Presse 191 1, Nr. 77; D. land-
wirtsch. Versuchsstationen Bd. 76, III bis
XL IV (E. Honcamp); Zeitschr. f. d. land-
wirtsch. Versuchswes. i. Osterr. Jg. 14,
1 1 43 — 49 ( Bersch) ; Wiener landwirtsch.
Ztg. 191 1, 897].
Kerschner, Ludwig, o. Prof. d. Histologic a. d.
Univ. Innsbruck; * 27. II. 1859; f Inns-
bruck 22. V. — DMW 37, 1088; UK
191 2/13, 2, 326; K 433; Wiener klin.
Wochenschr. Jg. 24, 1691 — 98 (H. Rabl).
Key), Heinrich Bruno, Prof. u. kgl. sachs.
Kammermus., 1851 — 91 Mitgl. d. Dresdn.
Kgl. Kapelle, bed. Kontrabafi- Virtuose,
Begr. e. eigenen hervorr. Lehrmethode,
Komponist v. Romanzen u. Konzert-
stiicken f. Kontrabafi; * Molbis b. Leipzig
27. VII. 1829; t Berl.-Steglitz 31. III. —
NTA 1912, 159.
Kinel, Albert, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat,
friih. Dirig. i. Reichsamt f. d. Verw. d.
Reichseisenb., 1895 — *9 01 Pras - d. Preufi.
Akad. d. Bauwes.; * Rosenberg i. Ob.-
Schles. 21. IV. 1825; f Berlin 9. 11. —
Schles. Ztg. 23. II. A.-B1.; ZB 1911, 101
(L. Kriesche m. P).
Kirchbtch, Eugen von, Gen. d. Kav. z. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d.
32. Div. t 96 z. D. ; * Cunersdorf b. Kdnig-
stein 1. Xll. 1835; f Dresden 10. II. —
VZ 12. II. M.-A.; MZ 1911, 107; OA
1908/09, 741; BT 1911, 5*4-
Kircher, Robert, Kaufmann, Ehrenburger d.
Stadt Fulda, 1 893—^98 M. d. A., Zcntr.;
* Fulda 1. XII. 1852; t das. 27. VIII. —
KVZ 30. VIII. M.-A.; HA 1894, 265.
Kirn, Otto, Dr. theol. et phil., o. Prof. f.
system. Theol. u. Direkt. d. theol. Sem.
a. d. Univ. Leipzig; * Heslach b. Stuttgart
23. I. 1857; f Leipzig 18. VIII. — VZ
20. VIII. M.-A.; AD 1, 41 (W); WI 4, 704
(W); KL i 9 n f 842; DZL 733/34; KJ 39,
436; ELK 44, 8i5;WJi9ii Nekr,; WOrtt.
Staatsanz. Nr. 194; Schwab. Merkur
Nr. 387; K442; Neues sachs. Kirchenbl.
191 1, Nr, 46 (K. Thieme); Sachs. Kirchen-
u. SchulbL 1911, Nr. 40 (H. Preufi).
Kimig, Alois, Landschaftsmaler; * Prag 1840;
fdas. 25. I. — VZ27. I. M.-A.; MS 2, 343;
BMW 1, 687.
KifSCh, Theodor, Geh, Justizrat u. Amtsger.-
Rat i. Dusseldorf, M. d. R. u. M. d. A.,
Zentr.; * Dusseldorf 17. IV. 1847; f das.
31. V. — VZ 31. V. A.-A.; WI 4, 705; KR
1911, 240; HA 1908, 398, 517 (P); RH
1907, 301/02, 476 (P).
Klapp, Ludwig, Pastor i. Hamburg, Mitarb.
d. Protest. Kirchenztg., lange Jahre
Wanderprediger d. Protestantenvereins,
Mitbegr. d. Goethebundes u. Mitgl. seines
Vorst., Grofimeister d. Provinzialloge i.
Hamburg; * 27. X. 1835; f Hamburg 13.
IV. — HC 15. IV. A. -A.; Protest. Monatsh.
15, 243/44 (J. Websky).
Klebs, Richard, Dr. phil. % Prof., wiss. Beirat
d. kgl. Bernsteinwerke i. Kdnigsberg,
Landesgeologe a. D., bek. durch zoolog.
u. palaontolog. Untersuchungen iib. d.
Bernstein; * Susczan b. Lyck 30. III.
1850; f Kdnigsberg i. Pr. 20. VI. — HC
23. VI. M.-A.; IZ 136, 1379; PF 4, i,
754 (W).
Klein-Hattingen, Oskar, Historiker, Autodi-
dakt, schrieb e. Biogr. Bismarcks u. Napole-
ons vom lib. Standpunkt u. e. Geschichte
d. Liberalismus; * Elberfeld 8. IX. 1861;
t Berl.-Friedenau 2. X. — VZ 3. X. A. -A.;
In: Kl.-H., Geschichte d. Liberalismus
Bd. 2, 658-61 (F. Naumann m. P); KL
1911, 851; BR 4, 617.
KleblhatlS 9 Karl, Generallt. z. D., alter kur-
hess. Offizier, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. f
zul. Komm. d. 7. Inf. -Brig., 1893 2 * D«?
* Neuhof, Kr. Fulda 15. XII. 1836; f Mar-
burg 27. I. — VZ 30. I. A. -A.; HL 25, 47;
OA 1908/09, 752.
Knabenbauer, Joseph, S. J., Dr. theol h. c. %
Prof. d. Exegese i. Dilton Hall u. Balken-
burg, Mitbegr. d. »Stimmen aus Maria
Laach«; * Deggendorf i. Niederbay. 19. III.
41'
Totenliste 191 1 : Knapp — Kbpcke.
42'
1839; "f Maastricht 12. XL — Stimmen aus
Maria Laach 81 f H. 5; Katholik 91, 4. F.
Bd. 8, 466; KR 191 1, 246 (W).
Kfiapp, Hermann Jakob, Prof. d. Augen-
heilkde. a. d. Columbia-Univ. i. New York,
Begr. d. »Archivs f . Augen- u.Ohrenheilkde.*;
* Dauborn i. Hessen-Nassau 17. III. 1832;
t New York 2. V. — DMW 37, 1179/80
(P); MMW 58, 1 168; PBL 870; HBL 3,
502 ; BZ 28, 200 [Zentralbl. f. prakt. Augen -
heilkde. Jg. 35, 129—34 (J. Hirschberg);
Klin. Monatsbl. f. Augenheilkde. Jg. 49,
725 (W. Uhthoff)], 29, 181 [Verhandl. d.
naturhist.-mediz. Vereins zu Heidelberg
N. F. Bd. 11, 160—65 (Th. Lebor); Zeitschr.
f. Ohrenheilkde Bd. 63, I (O. Kflrner)].
Knaudt, Otto, Kommerz.-Rat, Vorst.-Mitgl.
d. A.-G. Schulz-Knaudt i. Essen, Mitgl.
d. Deutsch. Dampfkessel-Normen-Kom-
miss., viele Jahre Vors. d. Techn. Kommiss.
d. Verb. Deutsch. Groflblech-Walzwerke,
Mitgl. d. Stadtverordn.-Kolleg. i. Essen;
* Duisburg 13. VI. 1855; f Essen 12. V. —
SE 31, i, 912 (P).
Knesebeck, Bodo v. d., Wirkl. Geh. Rat, Dr.
med. h. c, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., Vize-
oberzeremonienm. u. Kammerh. d. Kaise-
rin, Einfuhrer d. diplom. Korps, Vors. d.
Volksheilstatten -Vereins v. Roten Kreuz,
stellvertr. Vors. d. Deutsch. Zentral-
Komitees z. Bekampfung d. Tuberku-
lose, Sekretar d. Schwarz. Adler-Ordens;
* MUnchen 9. IV. 1851 ; f Kassel 6. V1I1. —
VZ 7. VIII. A.-A., 8. VIII. M.-A.; WI 3,
723; W 1911, 1330. 1336 (P); AF 49, 376;
DMW 37, 1488; UT 1910, 418; D. rote
Kreuz Jg. 29, 783 (Rothe).
Kliorr, Georg, E Hinder d. Knorr-Bremse,
Grunder u. Leiter d. Knorrbremse A.-G.
i. Boxhagen-Rummelsburg; f Davos 15.
IV. — VZ 19. IV. M.-A.; Organ f. d.
Fortschr. d. Eisenbahnwes, i. techn. Bez.
191 1, 181; Verkehrstechn. Woche Jg. 5,
Nr. 31.
*) KlMWT, Thomas, Mitinh. d. Verlags d. Munch.
Neuest. Nachr., hat sich groBe Verdienste
um d. Sache Rich. Wagners u. um d.
Munch. Kunstleben erworben; * 9. VIII.
1851; f MUnchen 13. XII. — VZ 13. XIL
A.-A.; IZ 137, 1249/50 (A. Sonntag m. P);
AMZ 191 2, 87 (P. Marsop); Bayerland 23,
266 (P); WI 4. 725-
KnOTZ, Ludwig, Geh. Reg.-Rat, Dr. iur. %
Direkt. d. Hess. Landesversich.-Anst.,
Ehrenmitgl. d. Hess. Stadtetages, Mitgl.
d. Ges.-Vorst. d. Hess. Geschichtsver. ;
* Marburg 1 847 ; f Kassel 1 2. IV. — HL 25 1
l ) Irrtiimlich schon in d. TL f. 1910 auf-
genommen.
120/21; Zeitschr. d. Vereins f. hess. Gesch.
u. Landeskde. Jg. 45, 297 (Woringer).
Koblinski, Eugen von, Gen. -Major z. D. f
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. f zul. Komm. d.
9. Kav.-Brig.; * Luxemburg 23. VIII.
1847; f Berlin 29. XI. — VZ 30. XL A.-A.;
OA 1908/09, 773-
Koehler, Philipp, Landwirt, 1897— 1906 BUr-
germ. i. Langsdorf, Mitgl. d. hess. Landt.,
seit 94 Vors. d. mitteldeutsch. Bauernver-
eins, der 1904 in d. Bund d. Landwirte
aufging, Mitbegr. d. Bauernztg. ^Deutsche
Volkswacht*, M. d. R., wirtschaftl. Ver-
einigg.; * Langsdorf i. d. Wetterau 6. VIII.
1859; f das. 10. I. — HC 12. I. M.-A.; IZ
136, 120; RH 1907, 303, 466 (P).
Koehler, Rudolf Albrecht, Dr. med., Geh.
Mediz.-Rat, Prof., Generaloberarzt a 1. s.
d. Sanitatskorps, Prof. d. Kriegsheilkde.
a. d. Kaiser- Wilhelm-Akad. ; * Berlin 22.
XIL 1841; f das. 5. VII. — VZ 6. VII.
M.-A.; PBL 883/84 (P); WI 4, 732; BKW
48, 1312.
*K8nlg von u. zu Warthausen, Karl Wilhelm
Richard Frh. f Dr. h. c. d. Naturwiss.
i. Tub., kgl. Wiirtt. Kammerh., bed. Orni-
thologe; * Warthausen 6. II. 1830; f Stutt-
gart 4. I. — BJ XVI, 57 (Lampert); VZ
6. I. M.-A.; WJ 1911 Nekr.; Wiirtt. Staats-
anz. Nr. 9; Schwab. Kron. Nr. 8; Aquila
XVIII, 191 1, 437—395 FT 1909, 405;
Jahreshefte d. Vereins f. vaterland. Natur-
kunde i. WOrtt. Jg. 67, XLIV (Lampert);
Journal f. Ornithologie Jg. 59, 613 — 19
(W. Baumeister).
KSnigshofer, Oskar, Dr. med., Geh. Hofrat,
Prof. d. Augenheilkde. a. d. Tierarztl.
Hochsch. u. Privatdoz. a. d. Techn. Hoch-
schule i. Stuttgart; * Kaiserslautern 4. XII.
1851; f Stuttgart 10. IV. — VZ 11. IV.
A. -A.; MMW 58, 879; WI 4, 735 (W); WJ
19 1 1 Nekr.; WOrtt. Staatsanz. Nr. 87;
Schwab. Kron. Nr. 174; Mediz. Korrespon-
denzbl. d. Wurtt. arztl. Vereins Jg. 81 ,
423.
KSnigSWald, Gustav von, Amerikaforscher;
* Kopenhagen 24. VI. 1863; f Karlsruhe
13. XL - WI 4, 736 (W); 6 TL.
Kfaneritz, Hans Frh. von, kgl. sachs. Wirkl.
Geh. Rat, 1864—66 Ges. i. Manchen u.
Stuttg., 66—73 Oes. a. Berlin. Hofe,
73 — 9i Oberhofmarschall; * Hdsterwitz b.
Dresden 20. VI. 1820; f Dresden 9. IV. —
VZ 12. IV. M.-A.; WI 4, 736; DZL 777/78;
OA 1908/09, 790; FT 191 2, 408.
KSpCke, Klaus, Dr. tng., Geh. Reg.-Rat,
Autoritat auf d. Geb. d. Bnicken- u.
Eisenbahnbaues, ao. Mitgl. d. PreuB. Akad.
dL Bauwes., Fachschriftst. ; * Borstel i.
Hannov. 28. X. 1831 ; f Dresden 21. XL —
43'
Totenliste 191 1: Koerber — Krzyranowski.
44'
VZ 24. XL M.-A.; IZ 137, 1095 (P); W
1911, 2093 (P); WI 4f 737; DZL 778; DBZ
45, 810/11; ZB 1911. 630/31 (P).
Koerber, Johannes, Dr. theoL, Domkapitular,
o. Prof. d. Kirchengesch., Katechetik u.
Homiletik a. Lyzeum i. Bamberg; * Stetten
i. Ob.-Franken 7. II. 1842; f Bamberg
8. IV. — KL 191 1, 892 (W); 191 2 TL;
KR 191 1, 255 (W); Wl 4, 734 (W).
Koll, Otto, Prof., Geh. Ob.-Finanzrat u.
vortr. Rat i. preufl. Finanzminist., in d.
8oer Jahren Lehrer d. Geodasie a. d. land-
wirtsch. Akad. i. Poppelsdorf; * Hohen-
westedt, Kr. Rendsburg 29. IX. 1851; t
Berlin 21. III. — VZ 23. III. A. -A.; HC
27. III. A. -A.; GK 1912, 59; DZL 769/70;
Zcitschr. f. Vermessungswes. Bd. 40,
358-63 (C. MOllcr).
Kolltach, Karl, Schulrat u. Kreisschulinsp.,
Schriftst. auf d. Geb. d. Naturwiss., Geogr.
u. Padagog.; * Mtihlbeim a. Rh. 5. X.
1858; f Remagen 27. VI. — KL 191 1, 883
(W); 1912 TL; KR 191 i f 252/53 (W); WI
4, 744 (W>
KoDer, Karl, Mitgl. d. Literar. Bureaus i.
Wien, fruh. Red. d. »Vaterlands«; * Prefi-
burg 5. XI. 1852; f Wien 26. X. — WI 4,
744; 6 TL.
Komorzynski, Johann von, Dr. phil., Reg.-
Rat, ao. Prof. d. Nationalttkon. a. d. Univ.
Wien, hat im politischen Leben Osterreichs
als Deutschnationaler eine Rolle gespielt;
* Wien 12. VI. 1843; t Gmunden 31. VIII.
— NFP 1. IX. A,-A. ; BB Nr. 206 v. 5. IX. ;
IZ 137, 448; UK W.-S. 1912/13, 2, 526;
KL 191 1, 885 (W); WI 4, 745 (W); K 4 79-
Kosdehkl, Josef Tbeodor Martin von, Ritter-
gutsbes., M. d. H., 1889— -98 M. d. R., Pole;
* Schl.-Sluzewo i. Polen 9. XL 1845; t Gut
Miloslaw, Kr. Konitz 22. VII. —VZ 23. VII.
M.-A.; MAZ 114, 509; HH 1907, 320; RH
1893, 193; WI 4t 750-
Kowarzlk, Joseph, Frankf. Bildhauer u.
Kleinplastiker, 1905 — 08 Lehrer a. St&del-
schen Inst., bes. hervorr. als Medailleur;
* Wien 1. III. i860; f Cannes 14. 111. —
FZ 15. III. A.-B1.; Kchr N. F. 22, 312;
KFA 26, 360; MS Nachtr. 171; Alt-
Frankfurt 3, 33—42 (F. Dessoff, K. als
Medailleur).
Kazlowskl, Thomas von, Rittergutsbes.,
1874—78 M. d. R., Pole; ♦ 21. XII. 1839;
f Hohensalza 13. 11. — VZ 13. II. A, -A.;
HPA 1877, 183. .
KnuiB, Karl Frh., k. u. k. Sektionsrat i.
Obersthofmarschall-Amt; * Wien 28. IX.
i864;fdas.29.V. — FT 1909,416; 1912,962.
Krefi von Kressemtein, Georg Frh., Dr. phil.
h. c, Justizrat, in d. 8oer Jahren einer d,
Ftihrer d. bayer. nationallib. Landespartei;
* Nurnberg 20. IV. 1840; f das. 2. III. —
VZT; MAZ 1 14, 135/36; FT 191 2, 420; WI
4, 761 ; OA 1908/09, 816; Herald, -genealog.
Blotter f. adelig. u. biirgerl. Geschlechter
7, 90 (H. v. Kohlhagen).
Krieg, Cornelius, Dr. theoL, Prof. d. Theol.
a. d. Univ. Freiburg i. B.; * Weisenbach
i. Murgtal 14. IX. 1839; f Freiburg 24. I. —
VZ 25. I. M.-A.; KVZ 25. I. M.-A.; UK
S.-S. 1911, 1, 320; AD 1, 76 (W); WI 4,
763 (W); DZL 808; KL 1911, 916 (W);
KR 191 1, 263/64 (W); K 500.
Kroeck, Hermann, Kartograph, Assist, a.
Geogr. Sem. d. Univ. Heidelb., Red. -Assist,
d. Geogr. Zs.; * Bockenheim 7. V. 1880;
t Heidelberg 12. VIII. — GK 1912, 59;
Geogr. Zs. 17, 9, 481.
*Kr5ner, Adolf von, Dr. phil. h. c. t Geh.
Kommerz.-Rat, Seniorchef d. Cottaschen
Verl., Ehrenmitgl. d. Borsenver.; * Stutt-
gart 26. V. 1836; f das. 29. L — BJ XVI,
247 (W. Koebner); VZ 30. I. A.-A.; T 28
(P); BB Nr. 25 v. 31. I. u. Nr. 26 v. 1. II.;
W 1911, 176, 182 (P); IZ 136, 195 a (P);
LE 13, 761; WI 4. 764; WJ 191 1 Nekr.;
Wttrtt. Staatsanz. Nr. 25; Schwab. Kron.
Nr. 48.
Krdner, Johann Christian, Prof., Tier- u.
Jagdmaler; * Rinteln 3. II. 1838; f Dussel-
dorf 16. X. — VZ 17. X. M.-A.; T 246 <P);
W 1911, 1762, 1770 (P); IZ 137, 865 (A.
Drossong m. P u. 111.); WI 4, 764; DZL
811; Kchr N. F. 23, 35; KFA 27, 124; MS
2,396; BMW 1, 772— 74; SKL 539; HL 25,
318 (P); NS 17, 510—13 (H. Kraeger m. P
u. HI.).
Kroenlg, Georg, Dr. med., Prof. a. d. Univ.
Berlin, dirig. Arzt d. inner. Abt. d. stftdt.
Krankenh. a. Friedrichshain; * Potsdam
22. IV. 1856; f Berlin 15. VI. — VZ 15.
VI. A. -A., 16. VI. M.-A.; W 191 1, 1032,
1036 (P); UK S.-S. 1911, 2, 518; AD 3, 86
(W); Chronik d. Univ. Berlin 25, 8; PBL
915/16 (P); D. Hygiene 191 1, 137 (Gra-
witz); DMW 191 1, 1457 (Furbringer).
Kropttschek, Alfred Ritter von, Feldzeugm.,
friih. General-Art-Insp., Erflnder, Kon-
strukteur u. Organisator von Weltruf,
Sch&pfer d. neuen Feldgeschiitzes i. Oster-
reich; * Biehtz 30. I. 1838; f Lovrana 2. V.
- NFP 3. V. M.-BL; IZ i 3 6 f Nr. 354N
V1I/VIII (P); LJ 38, 446/47; Mitteil. Ob.
Gegenst&nde d. Art.- u. Geniewesens 1,
477—85.
Krzyianowikl, Rudolf von, Hofkapellm. a,
Weimar. Hof theater, bek. Wagner-Ding.;
* Eger 5. IV. 1862; f Graz 21. VI. — NTA
1912, 166; Musik 2. Juli-H. S. VIII; Ncue
Zs. f. Musik 78, 433; NMZ 32, 403 (A.
Richard); W r l 4, 772; DZL 816.
45'
Totenliste 191 1: Kuebne — Leopold.
46*
Kuehne, Karl, Generallt. z. D., zul. Komm.
d. 86. Inf. -Brig.; * Berlin 13. II. 1847; f
Hamburg 5. 11. — VZ 8. II. M.-A.; OA
1908/09, 838.
Kulpe, Wilhelm, Geh. Hofrat, Vorst. d. Be-
hdrden-Bibl. i. Dessau, 1864 — 94 Lehrer d.
neuer. Spr.; * Bernburg 11. XI. 1840;
f Dessau 25. IX. — JB 9, 102; 10, 149.
Ktlfltze, Oskar Theodor, Oberbtirgerm. v.
Plauen, Ehrenfcurger d. Stadt, schrieb
volkswirtschaftl. Schriften u. verf. Lieder;
* Grimma 30. XI. 1827; f Plauen 7. II. —
VZ 7. II. A. -A.; KL 191 1, 936.
Kurtechob, Georg, Intendanzrat, Leiter d.
Neuen Stadttheaters i. Liibeck; * Neurode
25. X. 1859; f LUbeck 10. VI. —VZ 14. VI.
M.-A.; Schles. Ztg. 17. VI. A.-Bl.; Musik
1. Juli-H. S. IX; Schlesien 4, 589; W 1911,
990; WI 4, 784.
Kuzminy, Karl M., Kunstschriftst. u. Kriti-
ker, friib. Germanist, Ref. £. osterr. Kunst
in d. »Kunst fur Alle«, Auss tell. -Ref. d.
Zeitschr. »Kunst u. Kunsthandwerk*, Voll-
ender d. v. Hevesi begonn., v. Unter-
richtsminist. brg. Monogr. lib. Rud. v. Alt;
* Wien 1867; t das. 25. XI. — Kchr N. F.
23, 118; KFA27, 196 (P); OR 30, 159.
Lacomi, Gustav, Dr. ing. h. c. % Wirkl. Geh.
Ob.-Finanzrat, 1896 — 1910 vortr. Rat i.
Preufi. Finanzminist. ; * Berlin 21. XII.
1849; t das. 10. 11. — VZ 11. II. M.-A.,
12. II. M.-A.; OA 1908/09, 851.
*Ladenburg, Albert, Dr. phtL et med., Geh.
Reg. -Rat, o. Prof. <L Chemie a. d. Univ.
Breslau, Hrsg. d. grofien Handwdrterb. d.
Chemie; * Mannheim 2. Vll. 1842; f Breslau
15. VIII. — BJ XVI, 171 (E. Zerner);
VZ 15. VIII. A.-A., 16. VI11. M.-A.;
Schles. Ztg. 16. VIII. M.-A., 18. VIII.
A.-A. (Beisetzung); Chronik d. Univ.
Breslau 26, 216 — 21 (W. Herz); Schlesien
4, 674 (P); PF4, 1. 825/26 (W); KL1911,
943; WI 4, 786/87; DZL 829; K 515.
Ladendorf, Otto, Dr. phil., Gymn.-Oberl.,
Schriftst. auf d. Geb. d. deutsch. Lit. u.
Spr., Mithrsg. d. tZs. f. d. deutsch. Unter-
richt«; * Dresden 13. VI. 1873; f Leipzig
31. VII. — Zs. f. deutsch. Wortforschung
13, 244 (F. Kluge); KL 191 1, 943 (W>
Labner 9 Andreas, Dr. theol. et phil., Dom-
kapitular u. Sekr. d. erzbischofl. General -
vikariats Bamberg, Kirchenhist. ; * Lichten-
fels i. Bay. 21. XII. 1836; f Bamberg
25. VI. — KR 1911, 272; 1912 TL.
Landftberg, Berohard, Gymn.-Prof., Schriftst.
auf d. Geb. d. Naturgesch., Mithrsg. d.
Monatsh. f. d. naturwiss. Unterricht;
* Mehlkemen i. Ostpr. 9. IV. 1856; f Kdnigs-
berg 17. 1. — KL 191 1, 949 (W); 1912 TL.
Uflge, F. A., Holzhandler, d. letzte Offizier
d. ehem. schlesw. -hoist. Marine, einer d.
bek. Helden d. schlesw. -hoist. Freiheits-
kampfes von 1848/51, der damals cin
kleines Kanonenboot kommandierte, das
er 1850 vor LUbeck in d. Luft sprengte,
als es, auf Grund geraten, in Gefahr war,
den Danen in d. Hande zu fallen; * Apen-
rade 9. X. 1825; f Altona 10. I. — Kieler
Ztg. 11. I. A.-A.
Lange 9 Samuel de, bed. Komponist, friih. bes.
ausgez. Orgelvirtuose, hielt auch a. Stuttg.
Konserv. musikgeschichtl. Vorlesungen,
1900 — 08 Direkt. d. Konserv., Chor- u.
Orchester-Dirig. ; * Rotterdam 22. II.
1840; f Stuttgart 7. VII. — Zs. d. intern.
Musikges. 12, 324; Musik 1. Aug.-H. S. VI;
Neue Zs. f. Musik 78, 446; NMZ 32, 423;
R 308; W J 191 1 Nekr.; Wtirtt. Staatsanz.
Nr. 152; Schwab. Kron. Nr. 312.
Langefeld, Willy, Opernsanger a. Stadt-
theater i. Wurzburg; * Kassel 24. XII.
1867; fW0rzburg2. II. — NTA 1912, 157.
Lautetein, August, papstl. Hauspralat, kathol.
Marine-Oberpfarrer u. Garnisonpfarrer i.
Kiel; * Nittritz, Kr. Gninberg 5. IX. 1845;
f Kiel 25. II. — Schlesien 4, 375/76.
*Le Feubure, Karl, Landschaftsmaler; * Miin-
chen 1. 1. 1847; t Bad T6lz 2. XII. — BJ
XVI, 91 (H. Holland).
LeftraiUl, Salomon, o. Prof. f. Sanskrit u.
altind. Kultur- u. Lit.-Gesch.; * Telgte
i. Westf. 25. XII. 1831 ; t Heidelberg 16. I.
— UK S.-S. 1912, 1, 324; WI 4, 809/10
(W); DZL 853; K 532.
Ldtetlberger, Otto Franz, Schriftst. u. Dichter;
♦ Aussig L B6hm. 16. VIII. 1847; f Wien
22. VII. — KVZ 30. VII. M.-A.; KR 1911,
280 (W).
Lengerke, Karl von, Gen.-Major a, D., Ritter
d. Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d. 78. lnf.-
Brig., 1883 a. D.; * Marburg 12. X. 1827;
f Weimar 26. XII. — VZ 29. XII. M.-A.;
MZ 1912, 23; HL 26, 31.
Lent, Eduard, Dr. tned., Geh. Sanitatsrat,
Prof., Begr. d. »Zentralbl. f. allgem. Ge-
sundheitspflege<, Mitbegr. d. »Deutsch.
Vereins f. bffentl. Gesundheitspflege* u. d.
•Deutsch. Arztevereins-Bundew; * Wesel
16. XI. 1831; f Koln 25. IV. — VZ 28.
IV. M.-A.; DMW 37, 848, 940/41 (Prib-
sting m. P); MMW 58, 1253 (M. Pistor);
PBL 986; HBL 3, 670; BKW 48, 827;
BZ 28, 216 [Zentralbl. f. allgem. Gesund-
heitspfl. 30, 177 (Stlibben-Reichenbach);
Mediz. Klinik 7, 872 (L. Bleibtreu)]; 29,
198 [Deutsche Vierteljahrsschr. f. Sffentl.
Gesundheitspfl. 43. I— IV].
Leopold Christian Gerhard, Dr. med. % Prof.,
Geh. Mediz.-Rat, einer d. bed. deutsch.
Frauenarzte, Direkt. d. Frauenklinik i.
47"
Totcnliste 191 1: Lessing — Lueger.
48*
Dresden; * Meerane i. Sa. 24. II. 1846;
f Ob.-Beerenburg b. Kipsdorf i. Erz-
gebirge 12. IX. — VZ 14. IX. A.- A.; IZ
137, 538/39 <P); DMW 37, 1853/54 (Marsch-
ner m. P); MMW 58, 2222/23 ( E - Vogt);
BKW 48, 1870/72 (Th. Lcisentz); W 1911,
1588, 1592 (P); PBL 988 (P); HBL 3, 674;
BZ 29, 198 [Archiv f. Gynakol. 95, I— IV;
Zentralbl. f. Gynakol. 35, Nr. 42 Beibl.;
Mediz. Klinik 7, 1717 (Brandenburg);
Monatsschr. f. Geburtshilfe u. Gynakol.
34, VII— XIV (A. Richter); Zeitschr. f. d.
ges. Hebammenwes. 3, 193; Handb. d.
Neurologie 2, 715].
Lessing, Karl Robert, Geh. Justizrat, Land-
ger.-Direkt a. D., Bes. d. Voss. Ztg., Grofi-
neffe Gotth. Eph. Lessings; * Poln.-Warten-
berg 1 1. IX. 1827; f Berlin 28. I. — VZ 28.
I. A. -A.; IZ 136, 190 (P); W 191 1, 182 (P);
LE 13, 761; DJZ 16, 267; JSG 191 1 Nekr.
16—21 (R. Salinger).
Letocha, Paul, Geh. Justizrat, fruh. M. d. R.
u. M. d. A., Zentr.; * Radzionkau i. Ob.-
Schles. 17. I. 1834; f Ziegenhals 5. II. —
VZ 6. II. A.-A.; T 34 (P); HA 1899, 274;
RH 1898, 222.
Llebermann von Sonnenberg, Max Hugo, seit
1890 M. d. R., Mitbegr. d. deutsch-sozialen
Partei, Begr. d. »Deutsch. Volksztg.* u. d.
tDeutschsozial. Blatter*, fruh. Offizier,
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., schrieb s. Erinne-
rungen an d. Krieg 1870/71 u. d. Tit. »Aus
d. Glilckszeit meines Lebens«; * Weifi-
wasser i. Westpr. 21. VIII. 1848; f Berl.-
Schlachtensee 18. IX. —VZ 19. IX. M.-A.;
T 222 (P); W 1911, 1588, 1592 (P); RH
1907, 3i4/i5. 466 (P); KL 191 1, 993; WI
4, 833; Akad. Blatter 26, 219 (E. Hunkel).
Linden, Ada, (Pseud.), s. Forster, Luise.
LIppert, Julius, Dr. phil, Prof., Lehrer f.
Haussa, Ful u. Arabisch a. Oriental. Sem.,
Bibliothekar d. Sem. u. Direkt.-Assistent;
* Stameitschen, Kr. Gumbinnen 9. IX.
1866; f Berlin 21. VI. — VZ 25. VI. M.-A.;
KL 191 1, 1010 (W).
Loeben, Konrad von, Gen. -Major a. D. t
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Kommand.
d. 92. Inf. -Reg.; * Pulsberg 16. I. 1852;
t Ballenstedt 4. IV. — VZ 8. IV. M.-A.;
OA 1908/09, 911.
*LoSs, Karl, Senatspras. a. Oberlandesger.
zu Karlsruhe; * Oberdwisheim b. Bruchsal
7. I. 1844; f Karlsruhe 22. V. — BJ XVI,
71 (Heydweiller).
LSwenhardt, Felix, Dr. med. f bed. Urologe,
verf. zahlr. Schriften; * Brandenburg
a. H.; f Breslau 28. X. — JSG 19 11 Nekr.
21—23.
Loga, Hermann von, Rittergutsbes., M. d. H.;
* Wichorsee i. Westpr. 18. XL 1859;
fdas. 6. XL —VZ 9. XL M.-A.; HHi907 f
323; WI 4. 855.
Lohmaim, Albert, Jusitzrat, 1893—95 M. d.
A., Zentr.; * Brilon 29. IV. 1832; f das.
11. VI. — VZ 14. VI. M.-A.; KVZ 13. VI.
A. -A.; HA 1894, 278.
Lohmeyer, Karl Ferdinand, Dr. med. % Geh.
Mediz. -Rat, ao. Prof. d. Chirurgie a. d.
Univ. G6ttingen; * Gfittingen 26. XII.
1826; f das. 4. HI. — VK S.-S. 1911, i f
320; DMW 37, 510; Chronik d. Univ.
Gdttingen 1910, 8/9 (A. Cramer); PBL
1040; K 565.
Lorenz V. LIbernau, Josef Ritter von, Dr. phil.,
friih. Sektionschef i. Ackerbauminist., bek.
als Klimatologe u. Bodenkundler; * Linz
1825; f W f ien 13. XL — GK 1912, 60.
1 )Lubllner f Hugo, (Pseud.: Hugo Burger),
bek. Lustspieldichter; * Breslau 22. IV.
1846; t BerHn *9- XII. — VZ 19. XII.
A. -A.; T 300 (P);W 191 1, 2190 (P);1Z 138,
20/21 (Th. Kappstein), 40 (P); LE 14, 587;
BW 14, 1, 302; NTA 1913* 154; KL 1911,
1032 (W); DZL 903/04.
Lucadou, Paul Arm and von, Generallt.
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, friih. Adjut.
d. Kronprinzen Friedrich WilheJm u. Kaiser
Wilhelms L, 1875 — 84 Komm. v. Frank-
furt a. M.; * Berlin 15. VI. 1826; f Baden-
Baden 23. IX. —VZ 26. IX. M.-A.; Schles.
Ztg. 27. IX. M.-A.; MZ 1911, 554; LJ
38, 447.
Lltcae, August, Dr. med., Geh. Med.-Rat,
Prof. u. Direkt. d. Ohrenklinik a. d. Univ.
Berlin; * Berlin 24. VIII. 1835; f Berl.-
Grunewald 17. III. — VZ 18. III. M.-A.;
W 191 1, 554 (P); WMW 61, 991; Chronik
d. Univ. Berlin 24, 8; HBL 4, 54; PBL
1050/51 (P); AD 3, 273/74 (W); WI 4,
861 (W); DZL 904; K 570; BZ 28, 220
[Archiv f. Ohrenheilkde 85, I— XII (B.
Heine); Mediz. Klinik 7, 557 (Claus); Mo-
natsschr. f. Ohrenheilkde. u. Laryngo-
Rhinol. 45, 369 (F. Grofimann)]; 29, 202
[Beitr. z. Anat., Phys., Pathol, u. Ther. d.
Ohren ... 4, V— X (F. Grofimann); Zeit-
schr. f. Ohrenheilkde. 63, III (H. Claus)].
Lucke, Hans von, Landschaftsdirekt. d. G5r-
litzer Furstent.-Landsch., Mitgl. d. Prov.-
Aussch. u. nichtstand. Mitgl. d. Reichs-
vers.-Amts, 1879 — 85 u. seit 1908 M. d. A.,
konserv.; * Muckenhain b. Rothenburg
O.-L. 16. X. 1842; f das. 16. II. — VZ
17. II. M.-A.; OA 1908/09, 926.
Lueger, Otto, Dr. ing. h. c. % Prof. d. Wasser-
baues a. d. Tcchn. Hochsch. i. Stuttg..
Hrsg. d. fLexikons d. ges. Technik«;
*) Irrtumlich schon in d. TL f. 19 10 auf-
genommen.
49'
Totenliste 191 1: Liippertz— May de Madiis.
50*
* Thengen i. Baden 1 3. IX. 1 843 ; f Stuttgart
2. V. — VZ 2. V. A.-A.; IZ 136, 1018 (P);
DBZ 45, 1, 320; WJ 191 1 Nekr.; Schwab.
Kron. Nr. 201; DZL 908; K 575; Gesund-
heitsingenieur 34, 365.
Luppertz, Wilhelm, BaGbariton a. Stadt-
theater i. Leipzig u. hervorr. Oratorien-
sanger; * Krefeld 28. VII. 1877; f Leipzig
17. III. — NTA 1912, 158,
Lyon, Otto, Dr. phil., Prof., Stadtschulrat,
Hrsg. d. »Zs. f. d. deutsch. Unterricht«;
* Spittewitz b. MeiGen 10. I. 1853; f Dres-
den 12. VII. — WI 4, 871 (W); 6 TL; KL
1911, 1043/44-
Mager, Bernhard, Dr. iur., Geh. Ob.-Reg.-
Rat, Vizepras. d. Berl. Prov.-Schul-Kolleg.;
* Stralsund 8. 1. 1857; f Berlin 2^/26. XII.
— VZ 27. XII. A.-A.; Blatter f. h6her.
Schulwes. 29, 2.
MagntlS, Rudolf, Dr. med. % Schriftst. auf
d. Geb. d. Biologie, Philos. u. Mediz.;
* Hamburg 18. V. 1874; t Berlin 29. IV.
— KL 1911, 1049 (W); 191 2 TL.
'Mahler, Gustav, ber. Komponist u. Dirigent,
friih. Direkt. d. Wiener Hofoper; * Iglau
7. VII. i860; t Wien 18. V. — BJ XVI, 3
(G. Adler); VZ 19. V., 21. V. M.-A. (Th.
Spiering, 2 Jahre mit G. M. i. New York);
NZ 20. V. (P. Bekker); T 119 (P), 125 (E.
Bienenfeld); HC 19. V. A.-A. (M. Loewen-
gard); NFP 19. V. M.-Bl. (1. Korngold—
H. Gregor — A. Frh. v. Berger); WI 4,
879; DZL 919; W 1911, 861 (O. Keller m.
P); MAZ 114, 346/48 (P. Busching); IZ
136, 1169/70 (A. Smolian m. P); AMZ ign,
588/89 (P. Schwers m. P), 1230/31 (E.
Schmitz, MUnch. Gedenkfeier f. G. M.);
NMZ 32, 349/50 (P. Stefan u. L. Andro
m. P); Neue Zs. f. Musik 78, 357 (L. Fran-
kenstein); Zs. d. intern. Musikgesellsch. 12,
293; NTA 191 2, 57—61 (P. Stefan m. P);
KW 24, 3. 313—16 (R. Batka); BW 13, 2,
299—301 (J. Reitlerm.P); Deutsche Arbeit
1 1 , 30—38 (F. Adler m. P); OR 27, 406—08
(Bach); Siidd. Monatsh. 9, i, 488—96
(£. Kilian, M.s Karlsruher Erinnerungen);
Marz 19 1 1, 3, 384 (F. St6ssinger); Sozialist.
Monatsh. 15, 2, 800/01 (H. Leichtentritt);
Hilfe 191 1 , 329/30 (Zschorlich m. P); R 859;
BZ 28, 226 [Daheim 47, 38 (F. Pfohl);
Signale f. d. musikal. Welt 191 1, 783
(A. Spanuth); Gegenwart 191 1, Nr. 22
(A. Schreiber, M. in memoriam)]; 29, 209
[D. Aar Juli-H. 477 (M. Hermann); Hoch-
land Juli-H. 480 (E. Schmitz); Turmer
Juli-H. 553—62 (K. Storck); Westerm.
Monatsh. Juli-H. 764 (W. Paetow); Xenien
191 1, 20 (P. Riesenfeld); Musik Jg. 10,
Aug.-H. 143 — 53 (E. Decsey, Stunden m.
M.); Signale f. d. musikal. Welt 191 1,
1027 (J. Stransky), 1685 (Gedachtn.-
Feier)].
Malotki, Hermann von, Generallt. z. D. v
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d.
4. Inf. -Brig.; * Friedrichsfelde 24. XII.
1830; f Naumburg 14. IX. — VZT; OA
1908/09, 945; MZ 1911, 542.
Marmhardt, Heinrich Emil, bek. Vertr. d.
amerik. Deutschtums, deutsch-amerik. Ge-
schichtsforscher, Hrsg. d. deutsch-amerik.
Geschichtsbl., Schriftf. d. D.-A. Hist. Ges.
v. Illinois, friih. lange Zeit Red. d. grofien
Chicagoer Sonntagsblatts; * Danzig 22. II.
1841; f Chicago 18. IV. — DAG n, 124—
128 (P); DE 11, 33/34 (P).
Manz, Wilhelm, Geh. Hofrat, friih. Prof. d.
Augenheilkde. a. d. Univ. Freiburg i. B.;
* Freiburg i. B. 29. V. 1833; f das. 21. V. —
VZ 21. IV. A. -A., 22. IV. M.-A.; DMW 37,
1317/18 (Th. Axenfeld m. P); MMW 58,
1 3 13— 15 (Th. Axenfeld); PBL 1088/89
(P); HBL 4, 121; IZ 136, 827, 830 (P);
DZL 926/27; K 583.
Marcus, Viktor Wilhelm, Dr. iur. t Senator,
1907 Pras. d. Senats, reg. Burgerm. v.
Bremen; * Koln 9. VII. 1849; f Dresden
(Weifi. Hirsch) 16. XL — VZ 18. XL M.-A.;
W 1911, 1979 (P); IZ 137, 1044 (W. Ehlers
m. P); WI 4, 6.
Marcuse, Siegbert, Dr. wed., San.-Rat, Stabs-
arzt a. D., bes. verdient um d. Standes-
interessen d. Arzteschaft, 2. stellvertr.
Vors. u. 1. Schriftf. d. Berl.-Brandenb.
Arztekammer; * 30. V11I. 1844; f Berlin
24. VII. — DMW 37, 1408; OA 1908/09,
952.
Marschall, Godfried, Dr. theol. % Weihbischof ;
* Neudorf i. Nieder5sterr. 1. X. 1840;
t Wien 23. III. - KVZ 23. HI. A.-A.;
W191 1,^18 (P);IZ 136, 592 (P);OR 27,249.
Marx, Heinrich, Dr. theol. % Weihbischof i.
Breslau; * Antonia, Kr. Oppeln 3. 1. 1835;
t Breslau 25. V1I1. — Schles. Ztg. 28. VIII.
A. -A.; Schlesien 5, 96; WI 4, 894.
MaaaMek, Franz, Schriftst. u. Feuilletonist;
* Wien 4. X. 1840; f das. 6. IV. — KL 191 1 ,
1068; 1912 TL.
Masillg, Berthold, Direkt. d. Schiffswerft
»Kette« i. Obingau b. Dresden, auf der er
d. 1. staatlich untersttitzte Versuchsstation
schuf, die d. deutsch. SchirTb. v. grofiem
Nutzen war; * Mustel auf d. Insel Osel i.
Gouv. Livland 3. X. 1849; f Dresden 25.
IV. — JSTG 13, 88—90.
May de Madiis, Alexis Frh., bed. Geologe, der
grofie Verdienste um d. Bergbau i. Karnten
hat, Griinder d. »Carinthia-Gewerkschaft«;
* Schl.-SchMtland b. Bern 13. XL 1852;
f Villach 20. HI. — Carinthia 1911, 2,
195 — 98 (R. Canaval).
5'"
Totenliste 191 1: Mayr — Michaelis.
52*
Mayr, Heinrich, Dr. phil. et oec. publ., Prof. f.
Forstwiss. a. d. Univ. MOnchen, bes. Kenner
d. Japan, u. Nordamerik. Waldungen, bc-
gleitete 1902 d. Prinzcn Rupprccht v.
Bayern auf s. Reise um d. Erde; * Lands-
berg a. Lech 29. X. 1854; f Munchen 24. I.
— VZ 1. II. M.-A.; Chronik d. Univ. MOn-
chen 1910/11, 9; UK S.-S. 1911, 1, 320;
BZ 28, 230 [Zentralbl. f. d. ges. Forstwes.
37 1 2 39 (Schupfer); Forstwiss. Zentralbl. 33,
241 — 47 (L. Fabricius); Allgem. Forst- u.
Jagdztg. 8i, 215 (Bauer); Deutsche land-
wirtsch. Presse 191 1 , Nr. 9], 29, 214 (Mitteil.
d. dendrolog. Gesellsch. 191 1, 451 (P. v.
Schwerin)].
Mayreder, Julius, Wiener Architekt, Erbauer
d. Kreuzherrenhofes auf d. Wieden, hat
e. Projekt f. e. Generalregulierungsplan
von Wien ausgearbeitet; * i860; f Wien
16. I. — OR 26, 405; IZ 136, 146; DBZ
45, 1, 52; Zeitschr. d. 8sterr. Ingen.- u.
Architekten-Vereins 63, Nr. 10 (A. Kirstein).
Meier, Ernst von, Dr. iur. et phil., Geh. Ob.-
Reg.-Rat, 1888—94 Kurator d. Univ. G6t-
tingen, friih. a. d. Univ. Marburg, staats-
wiss. u. jurist. Schriftst., am bed. sind s.
Forschungen lib. d. Stein -Hardenb. Re-
form u. iib. d. EinfluB d. franzds. Revolu-
tion auf Stein; * Braunschweig 12. X.
1832; f Berlin 21. IV. — VZT; KL 1911,
1084 (W); OA 1908/09, 975-
Meinhardt, Adalbert, (Pseud.), s. Hirsch,
Marie.
Meinke, Ernst, Geh. Reg.- u. Schulrat a. D.,
Pfarrer d. ev.-ref. Gem. i. Frankfurt a. O.,
als Padagoge u. Psychologe von Bedeutung,
bek. ist s. Lehrbuch d. Relig.-Unterrichts
an Seminaren, Mithrsg. d. Jahrb. »Aus
Hdhen u. Tiefen«; * C6rlin 29. VI. 1844;
t Frankfurt a. 0. 16. V1I1. — KJ 39, 438;
KL 1911, 1088 (W).
*Menger, Max, Edler v. Wolfensgriin, Dr.
iur., Hof- u. Gerichts-Advokat, 1874 — 1901
Reichsr.-Abg., 1870 — 95 MitgL d. Schles.
Landt., schrieb iib. d. Wahlrefonn von 1873
u. iib. d. B6hm. Ausgleich; * Neu-Sandec
i. Galizien 10. IX. 1S38; t Mondsee 30. VIII.
- BJ XVI, 221 (R. * Charmatz); NFP
30. VIII. A.-BL, 31. VIII. M.-A.; KL 1911,
1095; WI 4, 191 4.
MetlSingy Franz, Vizeadm. z. D., zul. Komm.
v. Helgoland, 1894 z.D.; * Buckeburg
6. XII. 1843; t Wiesbaden 23. IV. — VZ
24. IV. A. -A.; W 191 1, 690, 692 (P); 13,
625; OA 1908/09, 983.
Merguet, Hugo, Dr. phil., Gymn.-Prof. a. D. f
Schriftst. auf d. Geb. d. klass. Philol. u.
vergl. Sprachwiss.; * Pillau 1841; f Dre&~
den-Striesen 1. VII. — KL 1911, 1098
(W); 1912 TL.
Merk, Karl H., Ingenieur i. Rostow a. Don,
hervorr. Techniker, auch schriftst. hervor-
getreten; * Thengen i. Bad. 26. VII. 1875;
t Neuenahr 20. VII. — JSTG 13, 99-
Merkl, Rudolf Frh. von, k. u. k. Geh. Rat,
Feldzeugm. i. R.; * Wien 28. III. 1831;
f das. 22. I. — OR 26, 488; FT 1909, 527.
Merkl (Merkl v. Reinsee), Thaddaus Frh.,
k. u. k. Reichsger.-Rat u. Pras. d. nieder-
6sterr. Handels- u. Wechselger. a. D.;
* Kremsier 23. IX. 1812; f Wien 24. VIII.
— FT 1909, 528; 1912, 963-
Messerschmidt, Leopold, Dr. phil., Kustos d.
Vorderas. Abt. d. Kgl. Museen; * Berlin
29. VIII. 1870; t das- 10. HI. — VZ
15. III. M.-A.; KL 191 1, 1101 (W).
Meyer, Adolf Bernhard, Dr. med., bis 1906
Direkt. d. kgl. Zoolog. u. Anthropolog.-
Ethnogr. Mus. i. Dresden, Forscher auf d.
Geb. d. Zoolog., Autoritat i. Fragen d.
Museums technik; * Hamburg 11. X. 1840;
f Berlin 5. II. — VZ 8. II. M.-A.; GK
1912, 60; PM 57, 135; DRG 33> 394; KL
191 1, 1105/06 (W); WI 4, 922 (W>
♦Meyer, Christian Friedrich, Dr. theol, Geh.
Kirchenrat, Superint, einer d. Fahrer d.
Ev. Bundes; * Annaberg i. Sa. 20. X.
1840; t Zwickau 23. VIII. — BJ XVI, 217
(C. Fey); VZ 23. VIII. A. -A.; T 207 (A.
Brausewetter); W 1911, 1458, 1466 (r);
Bursch. BI. 26, 26 (P); ELK 44, 839;
KJ 39, 438; WI 4, 924 (W); KL 191 i f
1 1 08; DZL 957; Neues sachs. Kirchenbl.
191 1, Nr.41 (H. Guthe), Nr.36 (N); Evang.
Kirchenztg. f. Osterreich 1911, 279; Re-
formation 1911, Nr. 42 (W. Bgenstein).
Meyer, Friedrich, Malerm. i. Bielefeld, Vors.
d. Handwerkskam., seit 1903 M. d. A.,
konserv.; * Steinhagen i. Westf. 24. X.
1840; t Bielefeld 8. I. — VZT; Reforma-
tion 1911, 668/69 (W. Bgenstein); OA
1908/09, 998; HA 1908, 411, 486 (P).
♦Meyer-FrauenfeW, Johannes, Dr. phil. h. c,
Kantonsarchivar u. Bibliothekar, Lehrer
d. deutsch. Spr. u. Gesch. a. d. Kantons-
schule i. Frauenfeld, Pras. d. Hist. Vereins
d. Kant. Thurgau, Schriftl. d. Vereins f.
Gesch. d. Bodensees; * Riidlingen, Kant.
Schaffhausen 11. XII. 1835; f Frauenfeld
8. XII. — BJ XVI, 182 (J. Schaltegger);
ASG 44, 372; Thurg. Beitr. z. vaterl. Gesch.
H. 52 (G. Btieler m. W); Wachter 191 1,
Nr. 284; Neue Zur. Ztg. Nr. 343, 4. M.-Bl.
(J. Walli).
Mkhaelh, Wilhelm, Dr. phil., Prof., bet
Chemiker u. Forscher, dem d. Wiss. u.
Technik d. Zementindustrie ihre Grundlage
verdanken; * Magdeburg 15. X. 1840;
t 13./14. V. — SE 31, 1, 907 (H. Passow
m. P).
53'
Totenlistc 191 1: Michel — MottL
54"
Michel, Julius von, Dr. med., Geh. Med. -Rat,
o. Prof. d. Augenheilkde. u. Direkt. d.
Augenklinik a. d. Univ. Berlin; * Franken-
thal i. d. Pfalz 5. VII. 1843; t Berlin 28.
IX. — VZ 29. IX A. -A., 30. IX. M.-A.;
T 232 (P); IZ 137* 561 (P); W 191 1, 1676
(P); AD 3, 251 (W); Wl 4. 93* (W); KL
191 1, 1 1 19 (W); DZL 966; Chronik d. Univ.
Berlin 25, 6; PBL 1134/35 (P); HBL4, 234;
DMW 37, 1856, 2047/48 (Helbron m. P);
MMW 58, 2277/78 (Vollert); BKW 48.
1958/59 (L. Bach); K 618; BZ 27, 217
[Mediz. Klinik 7, 1601 (C. Adam); Zentralbl.
f. prakt. Augenheilkde. 35, 290 — 95; Klin.
Monatsbl. f. Augenheilkde. 49, 661 fTh.
Axenfeld); Zeitschr. f. Augenheilkde. 26, I.
(Kuhnt)].
Mkkolelt, Kurt, (Pseud.: A. K. T. Tielo), Dr.
phil., Schriftst. u. Lyriker; * Tilsit 11.
VIII, 1874; t Berl.-Pankow 24. VIII. —
VZ 24. VIII. A -A.; Schles. Ztg. 26. VIII.
M.-A. (Ein Heimatdichter); T 201 (P);
LE 13, 1783; 14, 45; KL 1911, 1121;
DZL 966.
MMdeMorf, Willi, kgl. Baurat, Baudirekt d.
Emscher Genoss. i. Essen, ftihrte d. Em-
scherregulierung durch; * Eickel b. Wanne
19. III. 1858; t Essen 24. VIII. — DBZ
45, 600; ZB 191 1, 447 (Unger m. P).
Mkg, Mathieu, ehem. Groflindustr. i. Mulheim
i. E., Mitbegr. d. dortig. »Industriellen Ge-
sellschaft* u. insbes. Forderer des von d.
Ges. unterhaltenen vaterland. Museums,
auch auf anderen Gebieten d. Volkswohl-
fahrt sehr ruhrig; f Miilhausen i. E. 1. I.
62 J. alt. — AF 49, 128.
MikllSCh-Buchberg, Viktor von, Gen. d. Inf.
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt,
70 Generalst.-Offizier b. 7. A.-K., bis 88
i. Generalst., 1889/90 Komm. d. 2. G.-G.-
Rcg., 90 Oberquartierm. i. Generalst., dann
Komm. d. 8. Div., 98 komm. General d.
7. A.-K., 1900 z. D.; * Rawitsch 18. X.
1842; t Baden-Baden 15. VIII. — VZ
21. VIII. M.-A.; MZ 1911, 486; AF 49, 448.
MJtscherllch, Alfred, Dr. med., Geh. Sanitats-
rat, Oberstabsarzt a. D., frtih. Prof. a. d.
Univ. Berlin; * Heidelberg 1832; f Berlin
3. VII. — VZ3. VII. A-A.; W1911, 1 1 16.
MSOer, Timm, stellvertr. Chefred. a. d. Alto-
naer Nachr., vide Jahre 1. Vors. d. Freis,
Volksp. i. Altona; * Kellinghusen 2. XI.
1851; f Altona 25. XII. — VZ 28. XII.
M.-A.
MUhttlsen, Hermann, Wirkl. Geh. Rat,
1898— 1903 Direkt. d. Verkehrsabt. i. Preufi.
Minist. d. dffentl. Arbeiten, seitdem Auf-
sichtsrat bei d. Berlin. Straflenb.-Ges.;
• Kdslin 19. X. 1846; fSterzing 1. VIII. —
Reichsanz. Nr. 1S1 v. 3. VIII.; OA 1908/09,
1017; Zeitschr. d. Vereins deutsch. Eisenb.-
Verw. Jg. 51, 977.
Mohll, Paul, Prof., friih. Direkt. d. Berl.
Kunstschule, Illustrator v. Marchen- u.
Kinderbuchern in d. Art Ludw. Richters,
dessen Schwiegersohn er war; * Meiften
17. XI. 1842; f Berlin 21. II. — IZ 136,
380; KW 24, 2, 414/15 (Avenarius); Kchr
N. F. 22, 260; KFA 26, H. 13, Beil., VII;
MS 3, 221 ; BMW 2, 64/65.
MOflSChaw, Rudolf Ritter u. Edler von,
Gutsbes., 1882—92 M. d. A., Zentr.;
* Scheuern 25. II. 1825; f Goch 30. III. —
VZT; OA 1908/09, 1019; HA 1886, 253.
Montb£, Alban von, sachs. Gen. d. Inf., Ritter
d. Eis. Kr. 1. KL, 1839 Eintritt in d. Armee,
66 Generalst. -Of fizier, 70/71 Oberst u.
Generalm., 73 Komm. d. 24. Div., 85 z. D.;
* Dresden 6. III. 1821; f das. 28. I. —
VZ 30. I. A. -A.; Schles. Ztg. 1. II. M.-A;
MZ 1911, 79; LJ 38, 448; MW 1911, 579/8o;
DZL 981/82.
MOSCT-Steinitz, Marie von, geb. Moser, ehem.
Opernsangerin, bes. hervorr. als Wagner-
Sangerin, 1873 — 80 a. Prager Landesthea-
ter, vermahlt mit d. Gen. d. Inf. Ed. Ritter
v. Steinitz; * Wien 1848; f das. 17. V. —
NTA 1912, 163; EG 693; Neue Zs. f. Musik
78, 37i.
Mosfcr, Karl Friedrich, Dr. med. % Geh. Mediz.-
Rat, Prof. a. d. Univ. Greifswald, 1864—99
Direkt d. Mediz. Klinik; * Ortenberg
8. III. 1831; f Greifswald 8. I. — DMW
37, 128; Chronik d. Univ. Greifswald 25,
8—10; PBL 1162/63; HBL 4, 292; K 631;
Mediz. Klinik 7, 247 (Peiper).
M06SC, Emil, ZeitungsverL, frtih. langj.
Mitinh. u. Mitleiter d. Fa. Rud. Mosse,
Mitgl. d. Vorst. d. Berl. Kaufleute u. ln-
dustriellen; * Posen 1. II. 1854; f Berlin
14. II. — IZ 136, 326 (P); Allg. Ztg. d.
Judent. 1911, 87 (P); W 1911, 306, 310 (P).
♦Mottl, Felix, Geh. Hofrat, kgl. bayer. Gene-
ralmusikdirekt. i. Miinchen, hervorr. Diri-
gent, Schiiler u. Mitarb. R. Wagners;
* Unter-St-Veit b. Wien 24. VIII. 1856;
t Miinchen 2. VII. — BJ XVI, 72 (A. Ett-
linger); VZ 3. VII. M.-A.; T 154 (K.
Krebs), 155 (P); MAZ 114, 457/58 (P.
Busching), 477/78 (F. M. i. Karlsruhe);
IZ 137, 14 (A. Smolian m. P); W 1911,
1 1 16, 1 122; T 1912, 178 (v. Vignau, Persdnl.
Erinnerungen an F. M.); OR 28, 184—86
(H. Frh. v. d. Pfordten); Tilrmer Jg. 17,
H. 11 (K. Storck); Marz 191 1, 2, 83/84 (H.
Scholz); Sozialist. Monatsh. 15, 2, 997/98
(H. Leichtentritt); KW 24, 4, 159—62
(R. Batka); NTA 191 2, 168 (P); Bayreuther
BL 34, 272 (H. v. Wolzogen), 273/74 (A.
HCfler, Erinnerungen an F. M.s erstes
55*
Totenliste 191 1: Muller— Neldel.
56*
Wirken i. Wiener akad. Wagner-Verein);
BW 19, 2, 380/81 (G. Schauraberg m. P);
AMZ 1911, 742; Musik 40, 109/110 (E.
lstel), 179 — 81 (M.-Nekrologie); Zs. d.
Intern. Musikges. 12, 323/24; Neue Zs. f.
Musik 78, 422/23 (W. Goetz m. P), 451—54
(Erinnerungen an F. M.); NMZ 32, 409 — 12
(A. Richard), 412 (Trauerfeier i. Munchen —
Feuerbestattung i. Ulm), 413/14 (L. Pohl,
Anekdotisches aus F. M.s Leben); Siidd.
Monatsh. Aug.-H. 254 (W. Braunfels),
Jan.-H. 1912, 488—96 (E. Kilian); R.-
Wagner- Jahrbuch 4, 202 — 09 (W. Krienitz).
Miiller, Eugen von, General d. Art., langj.
Fliigel- u. Generaladjut. d. Groflh. Friedrich
v. Baden, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., 1864 Lt.,
68 Ob.-Lt., 70 — 72 auf d. Kriegsakad.,
73 — 75 i. Gr. Generals t, 75 Hauptm.,
77 Lehrer a. d. Art.- u. Ing.-Schule, 84
Major u. Flugeladjut. d. GroBh. v. Baden,
90 Oberstlt, 93 Oberst, 97 Generalm.,
1900 Generallt. u. Generaladjut., 04 Gen. d.
Art, 08 z. D.; * Pforzheim 2. VI. 1844;
t Karlsruhe 7. I. — VZ 10. 1. M.-A.; W
191 1 • 168 (P); WI 41 958; DZL 994-
Miiller, Georg, Prof., Landschaftsmaler;
* Breslau 5. IX. 1856; f Schmiedeberg i. R.
20. X. — Schles. Ztg. 21. X. A. -A.; Kchr
N. F. 23, 53; KFA 27, 148; MS 3, 268
BMW 2, 109; Schlesien 5, 142 — 44 (P).
MUBer, Karl Friedrich, Dr. phil, Prof., Gymn.-
Oberl. i. Kiel, Reuterforscher, auch auf d.
Geb. d. klass. Philol. vielfach literar. tatig,
hat sich auch um d. Pflege d. Musiklebens
u. um d. Einrichtung von Volksunterhalt.-
Abenden mannigfache Verdienste erwor-
ben; * Aurich 28. VII. 1844; t Kiel 18. IV.
— VZ 19. IV. M.-A.; LE 13, 1207; KL
191 1, 1 148 (W).
♦Milliner, Laurenz, Dr. phil. % Prof. d. Philos.
u. Asthetik a. d. Univ. Wien; * GroB-
Grillowitz i. Mahr. 29. VII. 1848; f Meran
2 8. XL. — BJ XVI, 129 (J. Prenner);
VZ 29. XL A. -A.; KL 1911, 1163; KR 1912,
369 (W); Wl 4, 966.
MOnsterberg, Emil, Dr. twr., Stadtrat, Leiter
d. Berlin. Armenwesens, frUh. Burgerm.
v. Iserlohn, Reorganisator d. Hamburg.
Armenwesens; * Danzig 13. VII. 1855;
f Berlin 25. I. — VZ 25. I. A. -A.; T 24
(P); DJZ 16, 266 (Kohne); Hilfe 191 1, 66;
AF 49, 126/27; KJ 38, 663; KL 1911, 1166
(W); P. Felisch, Gedachtnisrede auf Stadtr.
Dr. E. M. Leipzig 191 1 ; Blatter f. Hamburg.
Armenwes. 1911, 11; Concordia Jg. 18, 69
(A. Levy); Mediz. Reform 19, 53 (R. Lenn-
hoff); Volkswohl 191 1, Nr. 7; Zeitschr. f.
Armenwes. Jg. 12, 34—39-
Muetch, Leo, Bildhauer, bes. bekannt s.
Jubilaums-Brunnen i. Elberfeld u. s. Peter-
Cornelius- Bnlnnen i. Diisseldorf ; * Diissel-
dorf 26. II. 1846; t das. 6. 1. — KFA 26, 240;
MS 3, 268.
Mutt, Christian, Dr. phil. % Geh. Reg.-Rat,
Prof., Rektor d. Kgl. Landesschule Pforta
u. o. Hon. -Prof. f. Padag. u. klass. Philol.
a. d. Univ. Halle, ausgez. Schulmann;
* Treffurt a. d. Werra 14. VIII. 1841; f
Naumburg 6. IV. — VZ 7. IV. M.-A.; IZ
136, 696 (P); KL 191 1, 1143/44 (W); KJ
38, 662; WI 4, 968 (W); Chronik d. Univ.
Halle f. 1911/12, 6 — 10; Humanist. Gymn.
22, 99—103 (G. Uhlig); Neue Jahrb. f. d.
klass. Altert. 28, 457 — 74 (Br. Kaiser);
JAW Biogr. Jahrb. 19 12, 145 ff.; Ecce d.
Kgl. Landesschule Pforta f. Chr. M. Naum-
burg a. S. 191 1 ; Pahncke, Ein Gedenkbl.
auf Chr. M.s Grab. Predigt o. O. u. J.;
Fr. Polack, Erinnerungen an einen Unver-
geBlichen. Gedenkbl. auf d. Grab d. Dr.
Chr. M. o. O. u. J.
Munzinger, Karl, Dr. phil., Ding. d. Berner
Liedertafel, d. Cacilienvereins u. d. Musik-
gesellsch., Direkt. d. Musikschule i. Bern,
Komponist von Chorwerken, hochverdient
um d. Entwicklung d. Berner Musiklebens;
* Balsthal, Kant. Solothurn 23. IX. 1842;
t Bern 10. VIII. — Musik 1. Sept.-H. S.VII;
Neue Zs. f. Musik 78, 507; R 963.
Nagel, Wilibald, Dr. med. et rer. not., Prof. u.
Direkt d. Physiolog. Instituts a. d. Univ.
Rostock; * Tubingen 19. VI. 1870; f Ro-
stock 13. I. — DMW 37, 176, 461/62 (W.
Trendelenburg m. P); BKW 48, 366/67
(R. du Bois-Reymond); UK S.-S. 19",
1, 320; AD 3, 39; DZL 1005/06; Wiener
klin. Wochenschr. 24, 217 (Durig).
Nagele, Anton, Realschul-Direkt. a. D. v
Feuilletonist u. Schriftst. auf d. Geb. d.
Geschichte, Polit. u. Padag.; * Bozen
1. XL 1 851; f Innsbruck 28. I. —
KR 1911 334 (W); 1912 TL; KL 1911,
1173.
Natzmer f Friedrich Ernst von, Gen.-Lt.
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm.
d. 13. Div. i. Munster, 06 z. D.; * Raden
27. II. 1852; f Berl.-Charlottenburg 3. XII.
— VZ 4. XII. A.-A., 5. XII. M.-A.; OA
1908/09, 1055 .
Negelein, Max von, Geh. Reg.-Rat u. Landrat,
seit 1898 M. d. A., konserv.; * Gr.-Strehlitz
29. IX. 1852; f Marburg 17. IV. — VZ
18. IV. M.-A.; OA 1908/09, 1058; HA 1908,
413, 487 (P).
Nebchel, Adalbert, Dr. phil. t bayer. Major
2u D., bek. Hshlenforscher; * MOnchen 12.
IV. 1853; f Nurnberg 13. 1. — IZ 136, 146;
Bayerland 22, 229 (A. Sieghardt m. P);
PM 57, 81; GK 1912, 60.
NeJdel, Karl, BaObuffo a. Stadttheater L
57"
Totenliste 191 1 : Nefller — Papke.
58*
Koln; * Hannover 22. V. 1863; f Koln
20. VI. — NTA 1912, 165; EG 712.
Nefller, Henry, Generalm. a, D., Ritter d. Eis.
Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 162. Inf.-Reg.;
* Berlin 25. I. 1851; f Liibeck 16. I. —
VZ 18. I. M.-A.; OA 1908/09, 1061.
Neumann, Johann Adalbert von, Ritterguts-
bes., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, seit 1879
M. d. A., konserv.; * Hanseberg 9. V. 1839;
f das. 8. I. — VZ 9. I. A. -A.; OA 1908/09,
1064; HA 1908, 414, 487 (P).
Neumann, Julius, ehem. bad. Hofschausp.,
bed. Heldendarst.; * Alt-Ofen 4. VI. 1827;
t Wiesbaden 7. VIII. — NTA 1912, 171/72.
Niemeyer, Max, Dr. phtL h. c, Verlagsbuchh.;
* Halle a. S. 2. VL 1841 ; f das. 17. VI. —
VZ 18. VI. M.-A.; DZL 1023/24; Beitrage
z. Gesch. d. deutsch. Spr. u. Lit. Bd. 37,
341—47 (W. Braune); BB v. 21. VII.
Nlethammer, Friedrich Frh. von, Wirkl. Geh.
Rat, bayer. Reichsrat, Kamm. u. Stadtrat,
Gesandter a. D.; * Milnchen 26. I. 1831;
t Schl.-Tunzenberg b. Mengkofen i. Nied.-
Bay. 4. VII. — VZT; OA 1908/09, 1075;
DZL 1025/26; FT 1909, 561.
Norman-Neruda (Hall6), Wilma, geb. Neruda,
ausgez. Geigerin, einc d. bed. Virtuosinnen
d. Gegenwart; * Brttnn 29. III. 1839;
f Berlin 15. IV. — VZ 18. IV. M.-A.; AMZ
191 1, 458/59 (O. Lefimann); NMZ 32,
335/36 (E. Honold m. P); Musik 1. Mai-H.
S. VII; R 984.
Nostitz-Rletieck, Karl Erwein Graf, erbl.
Mitgl. d. osterr. Herrenh., k. u. k. Karnmerh.
u. Geh. Rat; * Smeczna 22. VI. 1850;
t Schl.-Plan b. Marienbad 2. X. — NFP
4. X. M.-BL; GT 191 1, 46.
Oberl&nder, Heinrich, Prof., kgl. Schausp. a.
Schauspielh. i. Berlin, bed. dram. Lehrer;
* Landeshut 22. IV. 1834; f Berlin 30. I. —
VZ 30. I. A.-A.; T 27 (P); W 1911, 176, 182
(P); Schlesien 4, 292 (P); BW 13, Nr. 10;
NTA 1912, 156/57 (P); WI 4t 1003; KL
1911, 1212 (P); DZL 1036.
Oberlinder, Philipp von, osterr. Grofiindustr.,
bek. Jager, bes. Tropenjager u. Jagd-
schriftst.; * Hronov 1865; t Lavalle b.
Chartum i. Sudan 3. II. — OR 27, 171;
T 66 (P).
Oertzen, Anton, Grofih. Mecklb. Oberforstm.
a. D., 1887—92 M. d. R., konserv.; * Rog-
gow 7. XL 1836; f Rostock 28. II. — VZT;
OA 1908/09, 1 100; HPA 1887, 199; UT
1914, 614.
Oertzen, Gustav von, friih. deutsch. General -
konsul i. Havre; * Kittendorf 23. I. 1836;
t Dresden 22. XI. — VZ 6. XL A.-A.;
UT 1914, 631.
Oertzetl, Karl von, Gen.-Lt., Komm. d. 22.
Div.; * Stralsund 8. 111. 1852; f Kassel 12.
XL — VZT; OA 1908/09, 1099; UT 1914,
621.
•Oettll, Samuel, Dr. theol. h. c. % Geh. Kon-
sistorialrat, bis 1908 Prof. d. Theol. a. d.
Univ. Greifswald; * St. Gallen 29. VII.
1846; f Dlenau i. Bad. 23. IX. — BJ XVI,
140 (F. Wilke); VZ 28. IX. M.-A.; ELK
44. 935; Reformation 191 1, 778 — 81 (0.
Procksch, Gedachtnisrede); KJ 39, 439;
Chronik d. Univ. Greifswald 26, 6/7 (0.
Procksch); WI 4, 1000 (W); KL 1911, 1236;
DZL 1057.
Oncken, August, Dr. phil. t bis 1909 o. Prof.
d. Nationalokonomie a. d. Univ. Bern;
* Heidelberg 10. IV. 1844; f Schwerin i. M.
10. Vll. — IZ 137, 149; WI 4. 1015; KL
191 1, 1223 (W); DZL 1046; K 672.
Osten-HOdebrandt, Rosa von der, geb. Rosa
Hildebrandt, friih. kgl. sachs. Hofschausp.,
Gattin d. bek. Heldendarst Emil v. d.
Osten; * Braunschweig 27. X. 1850; f
Dresden 8. VII. — NTA 1912, 169; EG
433/34.
Otzen, Johannes, Dr. phil., Prof. d. Architek-
tur a. d. Techn. Hochsch. i. Berlin, Mitgl.
d. kgl. Akad. d. KOnste; * Sieseby i.
Schlesw. 8. X. 1839; f Berlin 8. VI. —
VZ 8. VI. A. -A., 9. VI. M.-A. (L. Pietsch);
T 134 (P)i IZ 136, 1274 (P); W 191 1, 990,
992 (P); Kchr N. F. 22, 473/74; ZB 1911,
321 (Vollmer m. P); Bericht d. Techn.
Hochsch. zu Berlin 1910/11, 4/5; WI 4,
1025; KJ 39, 440; DZL 1058; K 679;
Berlin. Architekturwelt 14, 125 (H. Schliep-
mann); Neudeutsche Bauztg. Jg. 11, 329
(F. Seesselberg, E. Gedenkwort); Heimat
191 2, 10 (J. Vollmer).
Pahst von Ohaln, Rudolf, Gen.-Lt. z. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. von
Spandau, 1906 z. D.; * Berlin 6. XII. 1846;
t Naumburg 27. VIII. — VZ 29. VIIL
M.-A.; OA 1908/09, 1 1 1 1 ; MZ 191 1, 500;
DZL 1061/62.
*Pacher, Ferdinand, Genre- u. Landschafts-
maler; * Reichenhall 20. II. 1852; f MOn-
chen 14. V. — BJ XVI, 81 (H. Holland);
Antiquitaten-Ztg. 191 1, 299 (P.s Gemalde).
*PalmIf f Charles J., Landschaftsmaler;
• Oschersleben 22. X. 1863; t Munchen
14. VII. — BJ XVI, 98 (H. Holland);
VZ 16. II. M.-A.; T 168 (P); Kchr N. F. 22,
519; KFA 26, 552 (P); MS 3, 364; SKL
703; WI 4, 1030; DZL 1063.
Pabnii, Henry, Kommerzienrat, Mitinh. d.
Bankh. Gunther u. Rudolph i. Dresden,
gehbrte d. Verw. zahlr. sachs. u. aufler-
sachs. A.-G. an; * Merseburg 1. V. 1844;
t Dresden 21. IV. — JSTG 13, 88.
Papke, August, Direkt. d. Deutsch- Sudameri-
kan. Operettentourn^e, ursprgl. Kapitan*
59"
Totenliste 191 1: Pappers — Portig.
60*
brachte 1906 Jos6 Ferenczys Ensemble d.
Berliner Zentraltheaters nach Siidamerika
und bildete hier nach Ferenczys Tode
mit Josefine Tuscher eine eigene Gesellsch.,
mit der er bahnbrechend f. d. deutsche
Btihnenkunst i. Siidamerika wirkte; * KOslin
5. I. 1843; f Antofagasta i. Chile 5. VIII.
— NTA 1912, 171.
Pappers, Josef, Red. d. »Volkswart« i. Kdln,
Belletrist. u. padagog. Schriftst. ; * Aachen
10. VII. 1877; t K6ln 22. VI. — KR 1911,
353 (W); 1912 TL.
Paschen, Karl, Admiral z. D., besuchte 1853
d. osterr. Marineschule, trat 1867 in d.
deutsche Marine ein, wo er zuletzt Chef d.
Marinestation d. Nordsee war, 91 z. D.;
* Schwerin 9. VI. 1235; f Kiel 24. II. —
VZ 25. II. A. -A.; T 51 (P); 13, 488 (P);
OA 1908/09, 1 1 16; WI 4, 1034; LA 77 (W).
Pekrun, Otto, Fabrikdirekt. i. Coswig, dessen
Erfindergabe d. Nahmaschinenfabrikation
eine grofie Anzahl neuartiger Arbeits-
maschinen verdankt, Erfinder d. »Pekrun-
getriebe*; * Dresden 1850; f Coswig 22. 1. —
JSTG 13, 85/86.
Perger, Richard von, Komponist, Musik-
schriftst. u. Padagoge, Generalsekretar d.
Gesellsch. d. Musikfreunde; * Wien 10. I.
1854; f das. 11. I. — IZ 136, 120; AMZ
191 1, 85; NMZ 32, 203; Neue Zs. f. Musik
78, 42; R 1067; WI 4, 1043.
*Pernat, Franz, Bildnismaler, Schuler von
Diez u. Lindenschmit; * Munchen 4. VII.
1853; t das. 20. II. — BJ XVI, 100 (H.
Holland); Kchr N. F. 22, 276; KFA 26, 336;
MS 3, 406; SKL 723; MAZ 114, 147 (H.
Holland); DZL 1081/82.
Peschmaim, Max, s. Waldenburg.
PctCT, Bruno, Dr. phil. % ao. Prof. f. prakt.
Astronom. u. 1. Observator a. d. Univ.-
Sternwarte i. Leipzig; * Weida i. Sa.-W.
11. XII. 1853; f Leipzig 21. II. —VZ 22. II.
M.-A.; GK 1912, 61; PM 57, 136; PF 4, 2 t
1144 (W); UK S.-S. 1911, 1, 320; WI
4, 1047.
Peter, Gustav Jakob, Mitgl. d. Allgem. Gesch.-
forsch. Gesellsch. d. Schweiz, d. Antiqu.
Gesellsch. i. Zurich, Privatdoz. f. Schweiz.
Verf.-Gesch. u. Zurcher Gesch. a. d. Univ.
Zurich; * Aesch b. Brimensdorf 23. VIII.
1872; f Zurich 19. VI. — ASG 44, 371;
Neue Zurch. Ztg. 1911, Nr. 1702 M.-B1.
(F. Zollinger]).
Pfaff, Hermann, Dr. iur., Pras. d. ev. Ober-
kirchenrats i. Osterr., Mitgl. d. Herrenh.
u. Sektionschef; * Grafenort i. PreuQ.-
Schles. 1854; f Karlsbad 12. IV. — OR
27, 498; Schles. Ztg. 19. IV. A.-B1.; Evang.
Kirchenztg. f. Osterreich 1911, 136.
Pkhler, Fritz, Dr. phil, Prof. u. Vorst. d.
epigr.-numism. Kabinetts a. d. Univ. Graz,
Mitgl. d. Berlin. Archaolog. Ges., auch
Lyriker u. Balladendichter; * Klagenfurt
7. VII. 1834; f Graz 1 1. XI. — VZ 13. XL
M.-A.; HV 15, 152; GK 1912, 61; KL 1911,
1278 (W); WI 4, 1060 (W); K 704.
Pletsch, Ludwig, Prof., Schriftst. u. Zeichner,
bek. Kunstref., langj. Mitarb. d. Voss. Ztg.;
* Danzig 25. X1L 1824; f Berlin 27. XL —
VZ 27. XL A. -A., 28. XL M.-A. {M. Rot-
heit, Kaiser Wilhclm u. L. P. — P. Meyer-
heim, Ein Abschiedswort), 29. XL M.-A.
(A. v. Werner, Meine Erinnerungen an
L. P.); IZ 137, 1026 (P. Lindenberg m. P);
W 191 i, 2023 (P); LE 14, 349» 479; KL
191 1, 1280 (W); WI 4, 1061 (W); DZL
1102/03; KW 25, 1, 444; Kchr N. F. 23,
107; KFA 27, 196; MS 3, 437/38; BMW
2, 268; SKL 739; Zs. L bild. Kunst Okt.-H.
191 1, 26 — 37 (H. Mackowsky, L. P. als
Zeichner m. 111.); Heimatland 191 1, 37;
! 9 I2 » 55 (Beziehungen d. Schriftst. L. P.
z. Eichsfelde); Nord u. Slid Jan.-H. 1912,
67—72 (A. Klaar).
Pltner, Maximilian Frh. von, k. u. k. Geh.
Rat, osterr. Admiral i. R.; * Graz 16. XII.
1833; t das. 21. X. — VZT; WGK 19",
2, 226; FT 1909, 611.
Pltfier, Hermann, Prof., Maler; * Schw.-
Gmund 5. IV. 1863, f Stuttgart 6. 1. —
IZ 136, 120; Hilfe 191 1, 30 (Th. Heu0);
Kchr N. F. 22, 197/98; KFA 26, 240 (P);
MS 3, 455; WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staats-
anz, Nr. 6; Schwab. Kron. Nr. 9 u. 13.
Polllf Robert, hervorr. Ingenieur, Obering.
b. d. Hapag- u. b. d. Deutsch-Ostafrika-
Linir, Sachverst. d. Seemaschinisten-Pruf.-
Komm., i. Seeamt u. i. d. Handelsk. tatig;
* Insterburg 22. I. 1846; f Gliicksburg a.
Ostsee 31. 111. — JSTG 13, 86/87.
Pollack, Heinrich, Dr. iur., Geh. Justizrat,
Landger.-Rat a, D.; * Gr.-Glogau 14. IV.
1844; f Berl.-Charlottenburg 6. X. — KL,
1911, 1294 (W); 1912 TL.
Poktorff, Karl, Geh. Reg. -Rat, ao. Prof. d.
pharmaz. Chemie a. d. Univ. GSttingen;
* Kirchdorf a. Deister 4. III. 1846; f G6t-
tingen 3. VI. — VZ 9. VI. M.-A.; UK W.-S.
191 2/13, 1, 332; Chronik d. Univ. Gtfttingen
1911, 6—8; K 713.
Polte, Eugen, Dr. ing. h. c. % Kommerz.-Rat,
Gninder d. Polteschen Armaturen- u. Pa-
tronenfabrik i. Magdeburg, die er auch
durch mehrere Erfindungen fdrderte;
* Magdeburg 12. VII. 1849; f das. 27. V.
- IZ 136, 1270, 1274 (P); JSTG 13, 95-^97-
Portig, Gustav, Hofrat, Dr. theol et phiL %
Schriftst; * Leipzig 1. VI. 1838; f Stutt-
gart 2. XII. — WJ 191 1 Nekr.; Schwab.
Kron. Nr. 565; WI 4, 1081 (W).
6i*
Totenliste 191 1: Poschinger — Remak.
62*
Poschinger, Heinrich von, Dr. iur. t Geh. Reg.-
Rat, bek. Bismarck-Forscher; * Munchen
31. VIII. 1845; t La Bollfcne 10. VIII. —
VZ 10. V1I1. A. -A.; NFP 27. VIII. M.-Bl.
(A. Kohut, Erinnerungen an H. v. P.);
LE 13, 1713; IZ 137, 268; KL 1911, 1300.
PregCT, Theodor, Gymn.-Prof. a. Max-Gymn.
i. Munchen, gediegener Forscher, bes. auf
d. Gebiete d. Archaolog. u. Inschriftenkde. ;
* Munchen 24. V. 1866; f das. 18. XII. —
JAW Biogr. Jahrb. 1912, 134 — 43 (0. Hey
m. W).
Prietze, Hermann, Geh. Bergrat, 1901 — 03
M. d. R., nationallib. ; * Berge, Kr. Oster-
burg 8. VIII. 1839; f Goslar 10. II. —
VZ 11. II. A. -A.; RH 1898, Nachtr. 1902,
17.
PrSlB, Johannes, Dichter u. Literarhist,
1880—89 Feuilleton-Red. d. Frankf. Ztg.,
spater Beirat d. Verlagsges. »Union«, einige
Jahre auch Red. d. »Gartenlaube«; * Dresden
4. VI. 1853; f Degerloch 20. IX. — VZ
21. IX. A. -A.; IZ 137, 513; NTA 1912, 172;
LE 14, 145; KL 1911, 13M/15 (W); WI
4, 1092 (W); WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt.
Staatsanz. Nr. 221 ; Schwab. Kron. Nr. 441.
Puchsteln, Friedrich David, Dr. med. % Geh.
Sanitatsrat; * Cammin i. Pom. 7. IV. 1844;
f Berlin 19. VI. — VZT; GK 1912, 61;
PM 57, 192; OA 1908/09, 1 172.
Puchsteln, Otto, Dr. med. y Prof., Generalsekr.
d. Deutsch. Archaol. Ins ti tuts; * Labes
i. Pom. 6. VII. 1856; f Berlin 8. III. —
VZ 10. III. A. -A.; T 64 (P); FZ 16. III.
1. M.-Bl. (M. Maas); MAZ 114, 177 (Fr. W.
v. Bissing); Kchr N. F. 22, 311/12; DRG
33, 442; KL 1911, 1317/18 (W); WI 4,
1094/95); Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur
5, 47 — 52 (O. Winnefeld).
Pilckler, Heinrich Graf von, Kammerh.,
Rittergutsbes., Erbherr auf Burkersdorf,
sehr verdient um d. Wohltatigkeitspflege
i. Schlesien; * Ob.-Weistritz 25. IV. 1851;
t das. 15. I. — VZT; OA 1908/09, 1172;
GT 1911, 718.
Quatldt, Emil, Dr. theol, Superint. a. D.,
vorm. Direkt. d. Prediger-Sem. i. Witten-
berg, zeitweil. Pastor d. deutsch. Gemeinde
im Haag, hervorr. Prediger; * 1835;
t Berlin-Lichterfclde 26. I. — KJ 38, 663;
Pastoralbl. f. Predigt, Katechetik u. kirchl.
Unterweisung Jg. 53, 449 (An Dr. E. Q.s
Bahre).
Radecke, Albert Martin Robert, Dr. phil.,
Prof., frith. Vorst. d. Kgl. Instituts f. Kir-
chenmusik, Komponist, Pianist, Orgel-
spieler u. Dirigent; * Dittmannsdorf, Kr.
Waldenburg 31. X. 1830; t Berlin 21. VI. —
VZ 21. VI. A. -A.; Schles. Ztg. 22. VI.
M.-A.; IZ 137, 35 (A. Smolian m. P); W
191 1, 1074, 1081 (P); NTA 1912, 167; AMZ
191 1, 718/19 (Misch m. P); Musik 2. Juli-H.
S. VII; NMZ 32, 403; Neue Zs. f. Musik
78, 408 (L. Frankenstein); R 11 37; D.
Stimme 5, 344 (W. Hastung).
Randow, Hermann von, Gen.-Lt. z. D. f
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d.
24. Inf. -Brig., 1903 z. D., auch Schriftst,;
* Naucke, Kr. Ols 29. 1. 1847; t Bad Nau-
heim 6. VIII. — VZ 9. VIII. M.-A.; OA
1908/09, 1 185; Schlesien 4, 646; KL 191 1,
1329.
Recke von der Horst, Eberhard Frh. von
der, Dr. phil. h. c. f friih. preufi. Minister
d. Innern, Oberpras. von W r estfalen, Kura-
tor d. Univ. Munster, Chef d. Dortmund-
Ems- Kanalverwaltung; * Berlin 2. IV.
1847; t Munster 16. II. — KVZ 17. II.
M.-A.; T 43 (P); IZ i36 f 326 (P); SE 31,
*■ 372 (P); AF 49, 128; Chronik d. Univ.
Munster 1910/11, 7; WI 4, 1114; DZL
1151/52; FT 1912, 606.
Reckendor!, Alois, Prof., Lehrer f. Klavier-
spiel u. Theorie a. Leipz. Konserv.; * Tre-
bitsch i. Mahr. 10. VI. 1841; f Leipzig i.
April. — Musik 1. Mai-H. S. VII; R 1150.
Regekberger, Ferdinand, Dr. iur., Geh.
Justizrat, Prof. a. d. Univ. Gottingen;
* Gunzenhausen 10. IX. 1831; f G6ttingen
2. III. — VZ 3. III. M.-A.; UK S.-S. 191 1,
1, 320; AD 2, 4 (W); WI 4, mo; KL 1911,
1337 (W); DZL 1153/54; Chronik d. Univ.
Gottingen 1910, 9/10; DJZ 16, 523/24
(Kipp); Zur Rechtspflege i. Bayern 191 1,
6 (v. d. Pfordten); K 733; Schweizer Ju-
risten-Ztg. 191 1, 373 (H. F. Hitzig);
Iherings Jahrb. 2. F. Bd. 24, 1 — 37
TKnocke); Akad. Monatsh. 27, 90.
Rachel, Wilhelm, Kommerz.-Rat, Verl. <L
Augsb. Allgem. Ztg., 1900 — 04 lib. Landt-
Abg., Mitgl. d. Handelsk. u. d. Gemeinde-
kolleg.; * Augsburg 11. III. 1849; f Parten-
kirchen 29. IX. — VZT; OA 1908/09, 1203.
Reidelbach, Hans, Dr. phil., Prof., Hofrat,
Realschull., schrieb patriot. Literatur u.
vaterl. Geschichte; * Oberriedenberg 8. III.
1847; f Munchen 24. IV. — Bayerland 22,
535.
ReiflJnger, Karl, Mitgl. d. 6sterr. Landt.,
deutsch-national, Pras. d. Handelsk. i.
linz; * Wien; f Karlsbad 30. VII. —
NFP 31. VII. A.-B1.
Remak, Ernst Julius, Dr. med., Geh. Med.-
Rat, Nervenarzt, Prof. a. d. Univ. Berlin;
* Berlin 26. V. 1849; f Wiesbaden 24. V. —
VZ 27. V. M.-A.; DMW 37, 1230 (T. Cohn
m. P); BKW 48, 1020, 1067 (M. Bern-
hardt); Chronik d. Univ. Berlin 25, 8;
AD 3, 166 (W); PBL 1362/63 (P); HBL
4, 703; WI 4, "28; KL 1911, 1354 (W);
6 3 *
Totenliste 191 1: Reufl — Rudolph*
64*
K 739; Zeitschr. f. mediz. Elektrologie
Bd. 13, 33.
RetlB, Eduard, Prof. u. Lehrer a. kgl. Konserv.
zu Dresden, bek. Wagner- Schriftst., Schuler
von Liszt, treffl. Pianist; * New York 16.
IX. 1851; t Dresden 18. II. — VZ 18. II.
A. -A.; IZ 136, 326/27 (P); W 1911, 426 (P);
Bayreuther Blatter 34, 146 (H. v. Wol-
zogen); AMZ 1911, 367/68 (P. Marsop);
1 Neue Zs. f. Musik 78, 141/42 (K. Mey); NMZ
32, 257 (O. Urbach m. P).
ReuB, F r i e d r i c h Wilhelm Ludwig, Dir.
d. Gymn. i. Wesel, erfolgr. Schulmann, ge-
diegener Forscher, der seine wiss. Tatigkeit
bes. d. griech. u. rom. Geschichtsschreibung
gewidmet hatte; * Lohrhaupten i. Spessart,
Kr. Gelnhausen 9. II. 1853; f Wesel 16. II.
— JAW Biogr. Jahrb. 1912, 108—117 (U.
Hoefer m. W).
ReuB j. L. f Heinrich XVIII. Prinz, General
d. Kav., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1867 Lt. t
72 Ob.-Lt., 77 Rittm., 83 Flugeladjut
Kaiser Wilhelms I., 88 Oberstlt. u. Komm.
d. 17. Drag.-Reg., 90 Oberst, 93 Generaim. t
97 Gen.-Lt. u. Komm. d. 14. Div., 02 Gen.
d. Kav.; * Leipzig 14. V. 1847; f auf der
Eisenbahnfahrt zw. Schweinfurt u. Wurz-
burg 15. VIII. — VZT; IZ 137, 306 (P);
WI 4, A, 28; HK 1914, 72.
ReuB, Heinrich XXV. Prinz; * Jankendorf
27. VIII. 1856; f Gr.-Krausche 25. VIII. —
VZT; WI 4, A, 28; HK 1914, 72.
Richter, Balduin, Maler, Kustos d. herzogl.
Lindenau-Mus. i. Altenburg; * Altenburg
24. IX. 1846; t das. 23. V. — VZT; WI
4. 1 139.
Richter, Paul, Gymn. -Prof. i. Quedlinburg,
Geologe, Verf. d. »Beitrage z. Flora d.
Kreide*; * Gr.-Luja b. Spremberg 12. XII.
l8 53; t Quedlinburg 9. X. — GK 1912, 61 ;
PM 1911, 2, 341; Geolog. Magaz. 8 t 11, 528.
Richthofen, Ludwig Frh. von, Geh. Justizrat,
friih. Korpsauditeur d. G.-Korps; * Lesch-
nitz 5. V. 1837; f Warmbrunn 8. X. —
VZ 12. X. M.-A.; Schles. Ztg. 11. X. M.-A.;
OA 1908/09, 1229; FT 1909, 670.
Ricketlbach, P. Heinrich, Benediktiner, theol.
Schriftst.; * Arth, Schwyz 20. II. 1831;
t Einsiedeln, Schwyz 19. IV. — KR 1911,
389/90 (W); 191 2 TL.
*Rlehl, Berthold, Dr. phil, Prof. d. Kunst-
geschichte a. d. Univ. Munchen, Sohn d.
ber. Kulturhist.; * Munchen 10. VI. 1858;
t das. 5. IV. — BJ XVI, 203 (A. Dreyer);
VZ 6. IV. A. -A.; MAZ 114, 333/34 (W. Zils,
Nachtragliches lib. B. R.); IZ 136, 696 (P);
Kchr N. F. 22, 346; DBZ 45, 1, 244; Bayer-
land 22, 534/35; Chronik d. Univ. Munchen
1910/11, 14/15; HV 14, 463; WI 4, "45
(W); KL 191 1, 1369; K 749.
Riensberg, Karl, techn. Direkt. d. Briicken-
bau Flender-A.-G., montierte d. grofie Elb-
briicke b. Hamburg, d, Levensauer Hoch-
briicke, d. Hamb. Hauptbahnhof, d. 1.
Luftschiflhalle i. Friedrichshafen u. a. m.;
* Rugenwalde i. Pom. 25. X. 1861; f Frei-
burg i. B. 15. VIII. — JSTG 13, 99/ioo;
SE31, 2, 1652 (P).
Rleth, Otto, Prof., Architekt, fnih. Prof, a,
Berl. Kunstgewerbemus. ; * Stuttgart 9. VI.
1858; t das. 10. IX. — VZ 19. A.-A.; T 223
(P); Kchr N. F. 23, 5; DBZ 45* 662/63;
WJ 1911 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 213;
Schwab. Kron. Nr. 422; Architekton.
Rundsch. 28, 13 (Dellinger, O. Rieth als
Architekt, Maler u. Bildhauer).
Rieve, Johannes, Konteradmiral u. 2. Ad-
miral d. 1. Geschwaders; * 24. IX. 1862;
t Berlin 26. X. — VZ 28. X. M.-A.; D 14,
188; w 191 1 ; 1923 (P).
Ritter, Josef, ehem. Hofopernsanger i. Wien,
bed. Mozart- Sanger; * Salzburg 3. X.
1859; f das. 21. VI. — NTA 1912, 166/67;
EG 834/35; IZ 137, 21; Musik 2. Juli-H.
S. VIII.
Rohrscheidt, Paul von, Generalm. z. D., Ritter
d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 83. Inf.-
Brig.; * Striegau 10. V. 1850; f Berlin
16. VI. — VZ 17. VI. A. -A.; Schlesien 4,
562; OA 1908/09, 1251.
Roon, Ludwig von, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-
Rat, fruh. Senatspras. a. Oberverw.-
Gericht; * Dusseldorf 2. IX. 1834; f das.
9. VIII. — VZ 10. VIII. M.-A.; OA 1908/09,
1255-
*Rose, Julius, Landschaftsmaler; * Konigs-
briick b. Dresden 24. X. 1828; f Munchen
23. X. — BJ XVI, 101 (H. Holland).
Rosenberg, Hermann, Grofih. Bad. Kammer-
sanger, Vertr. d. Bel canto a. d. Karlsr.
Hofbuhne; * Bukarest 15. XII. 1849;
t Karlsruhe 18. V. —NTA 1912, 163; EG
847; NMZ 32, 363.
Rosenstelner, Hans, Musikdirekt., bis vor
kurzem artist. Direkt. d. steiermark. Musik -
vereins i. Graz; * Baden b. Wien 1. X.
1862; f Wien 2. IX. — NMZ 33, 20; Neue
Zs. f. Musik 48, 535.
Rothschild, Albert Frh. von, Chef d. Wiener
Hauses; * Wien 29. X. 1844; f das. 11. II. —
NFP 11. II. A.-B1., 12. II. M.-B1.; T 39
S>); W 191 1, 264, 266 (P); IZ 136, 326 (P);
R 27, 77; Ost u. West 1911, 222/53 (P);
FT 1909, 694; Osterr. Volkswirt 191 1, 385;
D. Welt 191 1, 139 (J. Loewy).
Rudolph, Ferdinand, kgl. preufi. Opernsanger
u. Schausp. a. D., gleich bed. als Schausp.
wie als Sanger, 1872 — 1904 a. Hof theater i.
Wiesbaden; * Koburg 17. V. 1840; f Wies-
baden 23. V. — NTA 1912, 164; EG 854.
65*
Totcnliste 191 1: Rttdt von Collnberg — Schede.
66*
Riidt VOfl Collenberg, Eduard Frb. f Generalm.
a. D. t Ritter d. Eis. Kr. 2. KI. f zul. Komm.
d. Landw.-Bez. Hannover; * Mannheim
11. VII. 1849; f SchL-Eberstadt i. Bad.
12. II. — VZ 18. II. A. -A.; OA 1908/09,
1274; FT 1912, 668.
Rtlge, Hans, Dr. med., Prof., Privatdoz. d.
inneren Mediz. u. Balneologie a. d. Univ.
Berlin; * Berlin 3. I. 1867; t das- 8. XI. —
VZ 10. XL M.-A.; DMW 37, 2144; Chronik
d. Univ. Berlin 25, 9; AD 3, 88 (W).
Rltmmel, Anton von, WUrtt. Generalm. z. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d.
125. Inf.-Reg.; * Ulm a. D. 13. VIII. 1841;
t Miinchen 10. IV. — VZT; OA 1908/09,
1276; WJ 191 1 Nekr.
Rumpf, Anton Karl, Bildhauer, Schuler
Schillings; * Frankfurt a. M. 24. III.
1838; f das. 9. V. — VZ 10. V. M.-A.;
Kchr N. F. 22, 411; MS 4, 134.
Rundnagel, Karl, Hof organist u. Kammermus.
a. D., vorziigl. Bratschespieler, Komponist;
* Hersfeld 4. IV. 1835; t Kassel 2. II. —
HL 25, 59/60 (J. Lewalter).
Runge, Paul, Hrsg. d. » Sangesweisen d. Col-
marer Hs.«, der »Gesange d. Geister d. Pest-
jahres 13494 u. d. Lieder d. Hugo v. Mon-
fort u. d. Melodien d. Burk Mangold;
* Heinrichsfeld i. Pos. 2. I. 1848; f Colmar
i. E. 4. VII. — Zs. d. Intern. Musikges.
12- 323; NMZ 32, 442; Neue Zs. f. Musik
78, 456; R 1217/18.
Saalfeld, Gunther, Dr. phiL, Mitbegr. u.
Vorst-Mitgl.d.Allgem. deutsch. Sprachver.,
Verf. eines Fremd- u. Verdeutschungs-
Worterbuches, friih. Oberlehrer; * Hamburg
10. IV. 1852; f Berlin-Friedenau 2. II. —
VZ 3. II. A. -A.; Zs. d. Allgem. deutsch.
Sprachver. Jg. 26, 69/70 (H. Dunger);
LE 13, 840; WI 4, 1 188 (W); KL 191 1,
1417/18 (W).
Sabel, Robert, Rektor, schles. Dialektdichter,
sammelte auch Marchen u. Sagen d. Hei-
mat; * Lindenau, Kr. Grottkau 4. V. i860;
t Breslau 19. IX. — Oberschlesien io,
336/37 (R. Kndtel); Schlesien 5, 35—37
(P); BR 6, 95 (W).
* Salomon, Ludwig, Dr. phil., Dichter, Jour-
nalist, Literar- u. Kulturhist, friih. Chefred.
d. Elberf elder Ztg.; * Gorden b. Elster-
werda 25. XL 1844; f Dornburg b. Jena
19. XL — BJ XVI, 61 (F. Zilcken); VZ
21. XL A.-A.; LE 14, 439; HV 15, 152;
KL 1911, 152; WI 4, ii95 (W); BR 3,
385 (W).
1 )Saba U. Ucttenau, Hermann Frh. von, kgl.
sachs. Gen. -Major a 1. s. d. Kdnigs,
*) IrrtUmlich schon in d. TL L 1910 auf-
genommen.
Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog". 16. Bd.
sachs. Militarbevollm. i. Berlin; * Dresden
3. IX. 1858; f Berlin 15. XII. — VZ 16.
XII. M.-A.; MW 1912, 463; FT 1912, 670.
SartKBCh, Siegfried, Schriftst. u. Journalist.,
30 J. lang Red. d. »Nationalztg.«; * Breslau
1. III. 1846; f Berlin-Wilmersdorf 18. I. —
VZ 19. I. A. -A.; LE 13, 761; IZ 136, 210;
KL 191 1, 1426 (W); W 4, ii97 (W); BR
3, 387 (W).
SartortllS, Otto, Gutsbes. i. MuBbach, 1903
bis 1906 M. d. R., Mitgl. d. freis. Volksp.;
* Darmstadt 16. L 1842; f Mufibach 24. I.
— VZT; RH 1903, 308; Ber. lib. Best. u.
Wirken d. hist Vereins zu Bamberg Bd. 69,
260 (C. Spielmann).
Sauer, Karl Theodor von, General d. Art,
Au tori tat auf d. Geb. d. Festungskrieges,
Schriftst, 1853 Lt, 63 Ord.-Offizier KGnig
Maximilians, 64 — 73 Fliigeladjut Ludwigs
II., 76 Komm. d. 2. Fufi-Art.-Reg., 82
Generalm. u. Komm. v. Germersheim, 88
Gouv. u. Generallt v. Ingolstadt, 93 Gen.
d. Art, 95 z. D.; * Innsbruck 20. XII. 1834;
t Miinchen 19. V. — VZ 21. V. M.-A.; MZ
19H,304;LJ38,449;MW 1911, 1601—05;
Artillerist Monatsh. Juni-H.; Bayerland
22, 618/19 (K. v. Landmann m. P); OA
1908/09, 1293; DZL 1235.
Sayn-Wlttgensteln-Berleburg, Otto Prinz,
Gen.-Lt. a 1. s. d. GroBh. v. Sachsen;
* Darmstadt 23. XL 1842; f Rottach 9.
V. — WI 4, 1205; HK 1914, 194.
Schall, Karl von, Dr. iur. f Wirkl. Staatsr.,
Mitgl. d. WUrtt. 1. Kammer; * Waldsee,
Wurtt 26. V. 1843; t Stuttgart 20. II. —
VZT; WJ 191 1 Nekr.; Wurtt Staatsanz.
Nr. 43 u. 46; Schwab. Kron. Nr. 86 u. 91;
WI 4, 1209.
Schaper, Hermann, Kirchen- u. Historien-
maler, auch an d. AusschmUckung d.
Kaiser Wilhelm-Gedachtniskirche beteiligt;
* Hannover 3. X. 1853; f das. 12. VI. —
VZ 13. VI. M.-A.; KVZ 14. VI. Mitt-A.;
IZ 136, 1324; DBZ 45. I, 4o8; ZB 191 1,
309/10; MS Nachtr., 250; BMW 2, 533;
KJ 39, 440; WI 4, 121 1.
Schatte, Karl Frh. von, Bayer. Ob.-Landes-
Gerichts-Rat a. D.; * 29. VIII. 1837;
t Traunstein 13. III. — FT 1909, 721;
191 2, 964.
Schaimburg~Lippe, Georg Fiirst, Edler Herr
zur Lippe, Graf zu Schwalenberg u. Stern-
burg, preufi. Gen. d. Kav.; * Buckeburg 10.
X. 1846; f das- 29. IV. — VZ 1. V. M.-
A.; T 103 (P); IZ 136, 869 (P). 870; MZ
1911,263; 13, 614; W i9ii,733(P);HK
1914. 89.
Schede, Ludwig, Generalm. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. n. Fufi-
Art-Brig.; * Greifswald 25. III. 1842;
26
67*
Totenliste 191 1: Scheidlein — Schmitt.
68'
f Rhcydt 6. III. — VZ 9. III. M.-A.;
OA 1908/09, 1308.
Scheidlein, Casar Edler von, Schriftst. u.
Dichter, verf. Romane, Gedichte u. Humo-
ristika, Hrsg. d. Zs. »Naturlichere Heil-
methoden*; * Wien 24. IV. 1842; f &**•
5. II. — KL 1911, 1451 (W); 1912 TL.
Schenck, Hermann von, Gen.-Lt. z. D. t
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d.
21. Div. i. Diisseldorf; * Potsdam 17. III.
1824; t Berlin 4. H- — VZ 5. II. M.-A.;
OA 1908/09, 1313.
Schepers, Friedrich, Dr. iur. h. c, Gen. Ob.-
Justiz-Rat, Senatspras. a. Kammergericht,
stellvertr. Vors. d. Prtifungs-Komm. ;
t Berlin 20. VI. 64 J. alt. — VZ 22. VI.
M.-A.
Scherft,Wilhelm Jonkheer von, General d. Inf.,
bed. Milit.-Schriftst., Ritter d. Eis. Kr.
1. KL, 1852 Lt., 57 — 59 auf d. Kriegsschule,
60 Adjut., 64 Hauptm., 66 i. Generalst.,
69 Major, 75 Chef d. 1. Abt. d. Grofi.
Generalst., 78 Komm. d. 29. Inf.-Reg., 82
Chef d. S tabes d. 11. A.-K., 83 General m.,
84 Komm. d. 41. Inf. -Brig., 88 Generallt.
u. Komm. d. 33. Div., 89 Komm. d. 18.
Div., 91 z. D. als General d. Inf.; * Frank-
furt a. M. 16. II. 1834; f Naumburg 16. IV.
— VZ 22. IV. A. -A.; MZ 191 1, 241/42 (W);
LJ 38, 449/5o; MW 191 1, 1287—91; OA
1908/09, 131 6; LA 92/93 (W).
♦Scheuermann, Ludwig Gustav Wilhelm,
Landschaftsmaler; * Burghersdorf i. Siid-
afrika 18. X. 1859; f Herrsching a. Ammer-
see 1. IX. — BJ XVI, 101 (H. Holland).
*SctiewitsCh 9 Helene, verw. Racowitza, geb.
v. Dbnniges, Schausp. u. Schriftst.;
* Miinchen 21. III. 1845; f MUnchen 1. X.
— BJ XVI, 198 (A. Dreyer); VZ 3. X.
A.-A.; LEi4,2i9;Wi9ii v i67od(P);NTA
1913,149; KL 1911, 1458 (W); DZL1140.
SchOl, Adolf, Prof., Maler u. Architekt, Lehrer
a. d. Dusseldorfer Kunstakad., Autoritat
auf kunstgewerbl. Gebiet; * Stuttgart 14.
V. 1848; f Dusseldorf 10. XL — VZ 11.
XI. M.-A.; MS 4, 198; BMW 2 t 557; DBZ
45, 800; WJ 191 1 Nekr.; Schwab. Kron.
Nr. 533; DZL 1 26 1.
Schiller, Mathilde Freifrau von, geb. v. Al-
berti, Witwe von Schillers Enkel, d. letzte
Namenstragerin d. geistigen Dynastde, ver-
dient um d. Marbacher Schiller- Haus u. d.
Schiller- Museum; * Hohenasperg 30. XL
1835; f Stuttgart 5. IL — Blatter f,
htiher. Schulwes. 28, 95/96; W 191 1, 220,
225 (P); WJ 191 1 Nekr.; WiirtL Staatsanz.
Nr. 30; Schwab. Kron. Nr. 59; FT 1909,
732 ; D. alte Glaube Jg. 12, Nr. 25 (R. Schae-
fer, D. letzte Tragerin d. Schillernamens).
Schindler, Josef, Dr. theoL, Hofrat, fnih. Prof.
<L Kirchengeschichte a. d. deutsch. Univ.
Prag; * Lachowitz, Kr. Eger 23. VI. 1835;
t Prag 22. II. — VZ 23. II. A.-A.; Wl 4.
1226; UK S.-S. 1912, 518; Deutsche Arbeit
io, 542-52 (J. Rieber m. P); K 807; Mitteil.
d. Vereins f. Gesch. d. Deutsch. i. Bdhmen
Bd. 49, 389—95 (G. C. Laube>
Schlnzlnger, Albert, Or. mtd., Geh. Hofrat,
frtih. Prof. d. Chirurgie a. d. Univ. Freiburg
i. B.; * Freiburg i. B. 2. II. 1827; f das.
Ende Juli. — DMW 37, 1448; UK W.-S.
1912/13. 332; AD 3, 197 (W); Wl 4. 1226
(W), K 807.
Schksuig- Hobtein- Sonderburg-Gliicksburg,
Johann Prinz zu, Dr. phil., dan. Generalm.;
* Gottorp 5. XIL 1825; f Kopenhagen
27. V. — VZT 191 1 ; Wl 4, A 61.
Schleitsener, Georg, bek. Kirchendichter, friih.
Archidiakonus a. d. Schloflkirche i. Witten-
berg, Mitbcgr. d. Paul Gerhard- Stifts, zul.
Superintend, i. Kochstedt, feinsinn. Lyri-
ker; * Kamberg b. Wittenberg 6. V. 1841;
t Halle a. S. 20. IV. — VZ 22. IV. M.-A.;
LE 13, 1207; KL 1911, 1472 (W); BR 3,
430/31 (W); Wl 4. 1230 (W).
Schmidt Andreas, Dr. theol. % papstl. Haus-
pralat, o. Prof. d. Pastoral theol., Homiletik,
Liturgie u. Katechetik a. d. Univ. Miinchen;
* Zaumberg 9. L 1840; f Immenstadt 23.
IV. — KL 191 1, 1478 (W); 1912TL; Bayer-
land 22, 535; Chronik d. Univ. Munchen
1910/11, 12—14; K 812; Akad. Monatsbl.
2 3» ! ^5 (J« E. Scheuermann).
SchmWmann, Adolf, Dr. med. % Wirkl. Geh.
Ob.-Rcg.-Rat, Kurator d. Univ. Marburg,
bis 19 10 vortr. Rat i. Kultusminist., Vors.
d. deutsch. Vereins f. Volkshygiene, d.
Vereins f. oflentl. Gesundheitspflege i.
Berlin, Mitgl. d. Reichsgesundheitsamts u.
d. Zentralstelle f. Volkswohlfahrt; * Wafi-
mutshausen, Reg.-Bez. Kassel 13. II. 1851;
f Marburg 21. V. — VZ 23. V. M.-A.;
DMW 37, 1229/30 (R. Abel m. P); BKW
48, 1020; PBL 1513; DZL 1287; Mitteil.
d. Kgl. Prufungsanst. f. Wasserversorgung
H. 15, I— IV; Vierteljahrsschr. f. gerichtl.
Mediz. u. offentl. Sanitatswes. 3. F. Bd. 42,
I— IV.
Schmidt, Albrecht, Dr. iur. et theoL h. c,
Wirkl. Geh. Rat, fruh. Pras. d. Konsist d.
Prov. Brandenburg; * Laasphe i. Westf.
19. VII. 1829; f Berlin 27. XII. — VZ 28.
XIL M.-A.; KJ 39, 440/41; DZL 1278/79.
Schmidt-Burgk, Johannes, Dr. iur. el med.h.c,
Geh. Ob.-Reg.-Rat, Chef d. groflh. sachs.
Gendarmerie, Vors. d. Statist Bureaus;
* S6tern 23. XL 1846; f Weimar 2. II. —
Bursch. Bl. 25, 242/43.
Schmitt, Heinrich, Schriftst. auf d. Geb. d.
Sozialpolitik u. Hygiene; * St. Johann
69*
To ten] is te 191 1: Schneider — Schulenburg.
70*
a. d. S. 27. VIII. 1876; f Bitburgi. d. Eifel
20. III. — KL 191 1, 1497 (W); 191 2 TL.
Schlldder, Karl August, Geb. Kommerz.-Rat,
1881—84 M. d. R., nationallib.; * Tauber-
bischofsheim 27. X. 1837; f Karlsruhe 15. I.
— VZ 17. I. M.-A.; Nationallib. Parlamen-
tarier 1866 — 1909, 1909, S. 78/79.
♦Schneider, Richard, Dr. iur., Grofih. bad.
Wirkl. Geh. Rat, Oberlandesger.-Pras.
a. D.; * Ettenheim 2. V. 1823; f Karlsruhe
3. XL — BJ XVI, 233 (Bujard).
Schneider, Rudolf, klass. Philologe, bis 1903
Oberl. a. Konigst&dt. Gymn. i. Berlin, be-
schaftigte sich vor allem mit d. Kriegswes.
d. Griechen u. R6mer, mit Casar u. Sopho-
kles, wirkte bahnbrechend auf d. Geb. d.
antik. Geschutzkunde u. d. C&sarkritik;
* Muhlberg a. E. 12. VIII. 1852; f Heidel-
berg 9. V. — JAW Biogr. Jahrb. 1912,
99 — 104 (H. Meusel m. W).
Schoen, Theodor, Hofrat, Kunstschriftst. u.
Genealoge; * Hamburg 14. IV. 1855;
t Stuttgart 8. XL — VZ 9. XL A.-A.; KL
1911, 1513/14 (W); Wurtt. Staatsanz.
Nr. 265; Schwab. Kron. Nr. 524; WJ 191 1
Nekr.
*Schoentadl, Anton Emanuel, Dr. pkil., Prof,
d. Gennanistik a. d. Univ. Graz; * Rum-
burg i. Nordbohm. 29. V. 1848; f Schruns i.
Vorarlb. 25. VIII. — BJ XVI, 256 (E. v.
Steinmeyer); VZ 26. VIII. A.-A., 27. VIII.
M.-A.; FZ 30. VIII. A.-Bl. (A. Ritter);
NFP 26. VIII. A. -A.; LE 13, 1783; 14, 44?
HV 14, 599; OR 28, 395/96; KL 1911, 1 514
(W); WI 4, 1257 (W); K 825.
Sch&lfeld, Franz, Dr. phil., Kommerz.-Rat,
Inh. d. weltbek. Kiinstlerfarben-Fabrik
Schonfeld u. Co. i. Diisseldorf, dem d.
Kunstlerfarbentechnik zahlreiche wichtige
Neuheiten verdankt; * Diisseldorf u. VIII.
1834; f das. 6. I. — VZ 8. 1. M.-A.; W 1911,
212 (P); DZL 1301/02.
Schotten, Alfred von, Gen.-Lt. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d. 6. Inf.-Brig.,
91 z. D.; * Berlin 26. I. 1832; f Luzern
2. IX. — VZ 7. IX. M.-A.; MZ 191 1, 513;
OA 1908/09, 1367.
Schottlinder, Julius, Ehrenburger d. Stadt
Mtinsterberg, Bes. umfangr. Giiter u. grofier
industr. Unternehmungen, der aus Anlafi
s. 70. Geburtstages d. Stadt Breslau 3 Mill.
M. zu wohltatig. Zwecken spendetr ; * Mlin-
sterberg 22. III. 1835; f Gut Hartlieb b.
Breslau 1. 1. — VZ 2. I. A. -A.; Schles. Ztg.
2. I. A. -A.; Allg- Ztg. d. Judent. 1911,
Nr. 1, Beil. 2; Schlesien 4, 263.
Schrader, Heinrkh, Prof., herzogl. Musik-
direkt., Hof- u. Domorganist, Kompo-
nist von Orgelstiicken u. Mannerchdren;
* Jerxheim 13. VI. 1844; f Braunschweig
30. VII. — VZ 1. VI11. M.-A.; IZ 137, 250;
Musik 2. Aug.-H. S. VIII; Neue Zs. f.
Musik 78, 497; R 1 27 1.
Schrdber, Richard, Geh. Bergrat, Begr.
d. Kartells d. deutsch. Kaliindustrie;
♦ Schocken 9. I. 1840; f Berl.-Schlachten-
see 17. IX. — W 1911, 1632, 1638 (P);
OA 1908/09, 1380.
Schrdber, Rudolf von, Wirkl. Geh. Rat, bis
1909 Ober-Reg.- u. Ministerialrat i. Bayer.
Minist. d. Innern, verdffentlichte eine
Handausg. d. Gewerbeordnung u. schrieb
auch lib. Bankwesen; * Ansbach 1. VII.
1848; f Landh. Seeheim a. Starnberger See
22. VI. — Bursch.- Blatter 26, 90—92 (S.
Giinther m. P); MAZ 114, 417; Kali Jg. 5,
451 (P. Krische).
Schreiner, Moritz Ritter von, Dr. iur., MitgL
d. osterr. Herrenh., einstiger Fiihrer d.
lib. Partei i. Steierm.; * Graz 1824; f das.
17. III. — NFP 17. IIL A.-B1.; OR 27, 249.
*Scliroetter, Hugo, Prof. d. org. Chemie a. d.
Univ. Graz; * Olmiitz 11. IX. 1856;
t Graz 7. VII. — BJ XVI, 136 (E. Philippi);
VZ 8. VII. M.-A.; WI 4, 1272; KL 1911,
1534; PF 4, 2, 1356 (W); K 835.
Schubert, Hermann, Dr. phil. % Prof., Dozent
f. hohere u. niedere Mathem. i. Vorlesungs-
wesen d. OberschulbehOrde i. Hamburg,
fruh. langj. Lehrer a. d. Gelehrtenschule d.
Johanneums, entwickelte eine umfangr,
schriftst. Tatigkeit; * Potsdam 22. V. 1848;
t Hamburg 20. VII. — HC 21. VII. A.-A.;
KL 191 1 1536 (W).
l ) Schuchardt, Bernhard, Dr. med., Geh. Reg.-
Rat u. Ob.-Mediz.-Rat, Ehrenvors. d.
allgem. Srztl. Vereins f. Thiiringen, Ehren-
mitgl. d. kgl. preufi. Akad. f. gemeinniitzige
Wiss. zu Erfurt, Fachschrif tst. ; * Teichhof
b. Kassel 22. V. 1823; t Gotha 9. XII. —
VZ 10. XII. M.-A.; IZ 138, 2i f 40 (P);
DMW 37, 2344; PBL 1537/39 (P u- W).
Schuchmann, Heinrich Frh. von, Oberst a. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, Generalsekr. d.
Schles. Vereins f. Pferdezucht u. Pferderen-
nen, erwarb sich grofie Verdienste um d.
schles. Pferdezucht; * Auras 9. II. 1851;
t Breslau 25. VIII. — Schles. Ztg. 26. VIII.
A.-A.; FT 1909, 757.
Schtiler, Edmund, Generalm. z. D., hervorr.
Techniker, zul. Chef d. techn. Abt. i.
Waffendepart. d. Kriegsminist. ; * Magde-
burg 2. VI. 1837; t Steglitz 5. I. — VZ
8. I. M.-A.; OA 1908/09, 1394.
Schulenburg, Dietrich Graf von der, M. d. H.,
Vors. d. Brandenburg. Provinzial-Landt.,
Landrat a. D., Ehrenkommendator u.
x ) Irrtiimlich schon in d. TL f. 1910 auf-
genommen.
7?
Totenliste 191 1: Schulenburg-Beetzendorf — Siebold.
72'
Werkmeister d. Johannitcrordens; * Schl.-
Lieberose 15. VIII. 1849; f das. 17. I. —
VZ 18. I. M.-A.; HH 1907, 341; GT 1911,
828; WI 4, 1278; DZL 1318.
Schuknburg-BeetzendcMi, Ernst Friedrich
Werner Graf von der, M. d. H. f Mitgl. d.
konstit. u. d. Nordd. Reichst., Erb-
kuchenmeister d. Kurmark Brandenburg;
* Beetzendorf, Kr. Salzwedel 1. IV. 1829;
f das. 5. I. — VZT; IZ 136, 120; KJ 38,
664; HPA 9. Ausg. 1871, 256; GT 1911,
831; OA 1908/09, 1393; WI 4, 1279.
Schtlhe, Ewald, (Pseud.: E. Wald), Dr. phil,
Schriftst, langj. Hrsg. d. »Nordmark-
Korrespondenz«; * Magdeburg 27. I. 1857;
t Kiel 25. V. — VZ 27. V. M.-A.; KL 1911,
1553.
Schumacher, Hubert, Stadtmissionar i. Wa-
rendorf, Westf., Schriftst., Obers. u.
Dichter; * Hagen, Westf. 4. IX. 1845;
f Warendorf, Westf., 16. VI. — KR 191 1,
452 (W); 191 2 TL.
Schweinkhen, Constantin von, Major a. D. v
Genealoge, Verf. d. umfangr. Werkes:
♦Das Geschlecht derer von Schweinichen«;
* Wasserjentsch, Kr. Breslau 17. Vlll. 1842;
| Bad Altheide 7. VII. — Schlesien 4, 589.
Scbwentfeger, Otto, Oberjustizrat, Oberamts-
richter a. D., 1908 — 10 Vors. d. Leipz.
Schiller-Vereins, verdient um d. Schiiler-
Literatur durch Anlegung eines Katalogs
d. Schiller- Bibliothek i, Schillerhauschen
zu GohHs; * Leipzig 19. V. 1833; j- das.
1. VIL - IZ 137, 79.
Schwfeger, Meinrich, Dr. ing. y Geh. Baurat,
Direkt. d. Eisenb.-Abt. d. A.-G. Siemens
& Halske; * Quedlinburg 12. V. 1846;
t Wiesbaden 16. IX. - WGK 191 1, 2,
225; DBZ 45, 658; ZB 1911, 494/95 (Kem-
mann m. P).
Seckendorff, Max Gebhard Graf, hervorr.
Journalist, Vertreter d. *New York Tri-
bune*; * Briissel 1. XII. 1852; f Frankfurt
a. M. 28. VIII. — VZ 30. VIII. M.-A.; GT
1911, 858; OA 1908/09, 1426.
Seebach, Wilhelmine, hervorr. Schausp. u.
grofie Wohltaterin, Ehrenmitgl, d. Genoss.
d. Buhnen-Angehdrigen, Stifterin d. Maria-
Seebach-Stifts i. Weimar, d. Maria- Seebach-
Stiftung f. arrae Schauspielerkinder »Kin-
derhort* u. d. Seebach-Schule i. Berlin,
die d. Kgl. Schauspielhause angegliedert
Xst u. in der von tiichtigen Kr&ften unent-
geltlich unterrichtet wird; * Berlin 4. VI.
1832; f das. 19. V. — VZ 20. V. M.-A.;
W 1911, 862, 866 (P); IZ 136, 1 1 76 (P);
NTA 1912, 67—69; BW 13, 9, 218; 14, 1,
53 — 69 (F. Deibel, W. S.s Autobiographic);
WI 4, 1305; DZL 1345; EG 954.
Seeberger, Georg, Kirchenrat u. Dekan i.
Bamberg, Mitgl. d. Generalsynodal-Aus-
schusses d. bayer. iSteuersynode*, Verf. d.
»Handbuchs d. Amtsfuhrung f. d. protest.
Geistlichen i. Kgr. Bayern*; * Leopoldsgrun
x. Fichtelgebirge 1848; f Bamberg 1. XII. —
KJ 39, 44i.
Sdsetlberger, Michael, Dr. theoL, gebtl. Rat,
Lyzeal-Prof. a. D. f. Exegese d. Neuen
Test., Hermeneutik u. bibl. Arch&ologie;
* Eberspoint 17. XL 1832; f Freising i.
Bay. 2. VIII. — KL 1911, 1586 (W); 1912
TL; KR 191 1. 462 (W); WI 4. 13*3 (W).
♦Scltmann, Karl, Dr. theol, Domkapitular,
o. Hon. -Prof. d. Theol. a. d. Univ. Breslau;
* Neustadt i. Schles. 2. IV. 1842; f Breslau
7. X. — BJ XVI, 127 (F. X. Seppelt);
VZ 7. X. A. -A.; Schlesien 5, 124; WI 4,
1316 (W); KL 1911, 1590 (W); KR 1911,
463 (W).
Semper, Emanuel, Prof., Bildh., hervorr.
Portratist, Sohn Gottfried S.s; f Dessau
16. XL — VZ 16. XL A.-A.; Kchr N. F.
23, 107.
Senator, Hermann, Dr. nud. t Prof., Geh.
Mediz.-Rat, o. Prof. f. Gynakologie a. d.
Univ. Berlin; * Gnesen 6. XII. 1834;
t Tegel 14. VIL — VZ 14. VII. A.-A.; T
165 (P); Allg. Ztg. d. Judent. 191 1, 341,
364/65 (Scherbel); Jud. Presse 191 1, 379;
Sozialist. Monatsh. 15, 2, 1058 (B. Chages);
Aus d. Posener Lande Okt.-H. 191 1 (S.
Scherbel); Chronik d. Univ. Berlin 25, 7;
W 191 1, 1204, 1209 (P); WI 4, 1317 (W);
KL 191 1, 1591 (W); PBL 1585/86 (P);
HBL 5, 362; AD 3, 83/84 (W); DZL 1358;
DMW 37, 1444 — 47 (A. Goldscheider m.
P); MMW 58, 1733 (A. Wolff-Eisner); BKW
48 f 1406—07 (H. Straufl), 1961—68 (Gold-
scheider, Ged&chtnisrede); K 862; BZ 29,
291 [Berlin. Arztekorresp. Jg. 16, 145 (X.
Rosin); Allgem. mediz. Zentralztg. 80, 406;
Arztl. Standesztg. Jg. 15, 385(Koritschan);
Mediz. Klinik Jg. 7, 11 84 (Mosse); Mediz.
Reform Jg. 19, 290 (R. Lennhoff); Zeitschr.
f. Krankenpflege Jg. 33, 261 (P. Jacob -
sohn)], 30, 294 [Ver6ffentl. d. Hufeland-
schen Gesellsch. i. Berlin 1912, in].
Serpenthien 9 Klaudius, Musiklehrer, Cello-
virtuose u. Liederkomponist, Teilnehmer
a. Befreiungskampfe Schleswig-Holsteins
1848; * Rendsburg 13. II. 1825; f San
Bernardino i. Paraguay 17. XII. — Kieler
Ztg. 24. IX. M.-A. (Enking).
Seyfrkd, Hugo, Gen.-Lt. z. D., Ritter d. Eis.
Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 18. Div. i. Flens-
burg, 92 z.D.;* Mainz 4. IV. 1838; f Kurh.
Tegel 12. III. — VZ 14. III. M.-A.; OA
1908/09, 1443.
*SItbold, Alexander Frh. von, japan. Bot-
schaftsrat a. D., Vizepras. d. deutsch-engl.
73'
Totenliste 191 1: Sieffert — Steinmann.
74*
Vers tandigungs- Komi tees; * Leyden 16.
VIII. 1846; f Pegli b. Genua 23. I. —
BJ XVI, 154 (A. Graf v. Brandenstein-
Zeppelin); IZ 136, 380; FT 1909, 779.
Sieffert, Friedrich Anton Emil, Dr. theol. et
phil., Geh. Konsistorialrat, o. Prof. d.
system. Theol. u. d. neutest. Exegese a. d.
Univ. Bonn; * Kflnigsberg 24. XII. 1843;
f Bonn 31. X. — VZ 3. XL M.-A.; WI 4,
1325 (W); ELK 44, 1102; KJ 39, 441;
Chronik d. Univ. Bonn 37, 6/7 (H. Boeh-
mer); KL 1911, 1600 (W); DZL 1367;
Ref. Kirchenztg. 191 1, Nr. 49 (Lang);
Kirchenmusikal. Jahrbuch Jg. 24, 441.
Singer, Paul t einfluBr. sozialdemokr. Fuhrer,
seit 1884 M. d. R., Berlin. Stadtverordn. ;
* Berlin 16. I. 1844; f das. 31. I. — VZ
31. L A. -A.; T 28 (P); W 191 1, 176 (P);
IZ 136, 238 (P); MAZ 114, 73-75 (P-
Busching); Hilfe 191 1, 82/83 ( F - Nau-
mann); AF 49, 128; RH 1907, 371, 512
(P); Neue Zeit 29, 1, 649—52 (Mehring);
Sozialist. Monatsh. 15, 1, 159 — 62 (M.
Schippel m. P); WI 4, 1331.
Smollan, Arthur, Prof., bek. Musikschriftst.,
zul. Musikref. d. Leipz. III. Ztg., auch
Komponist; * Riga 3. XII. 1856; f Leipzig
5. XL — VZ 6. XL A. -A.; IZ 137, 909
(W. Niemann m. P); AMZ 1911, 1158;
Musik 2. Nov.-H. S. VIII; NMZ 33, 94;
R 1322; KL 1911, 1614 (W); Signale f. d.
musikal. Welt 1911, 1565 (W. Niemann).
Sohmen, Felix, Prof, d indogerm. Sprach-
wiss. a. d. Univ. Bonn; * Schneidemuhl
14. VII. 1865; f Mehlem b. Bonn 13. VI. —
VZ 14. VI. A.-A.; IZ 136, 1324; Chronik d.
Univ. Bonn 37, 2 — 6 (Jacobi); Aus d.
Posener Lande Okt. 191 1 (Fr. Rheinsberg);
KL 1911, 1618 (W); WI 4, 1338.
Soltau, Franz, Dr. theol., Geh. Konsistorial-
rat, seit 24 Jahren Superintend, von Lauen-
burg u. Mitgl. d. Konsist.; * 27. VIII.
1847; f Ratzeburg 30. IV. — ELK 44, 454.
Speck V(M1 Sternburjg, Maximilian Alexander
Frh., bek. Kunstsamml.; * Leipzig 6. XL
1 821; f Liitzschena b. Leipzig 28. IV. —
Kchr N. F. 22, 392; FT 1909, 791.
Sperber, Eduard, Geh. Reg.-Rat, Reg.- u.
Schulrat a. D., bed. Padagoge, bes. i.
Religionsunterr., fur den er mehrere aner-
kannte Lehrbucher schrieb; * Merseburg
5. III. 1834; f Breslau 23-/24. I. — Schle-
sien 4, 264.
Spfelhagen, Friedrich, Dichter u. Schriftst.;
♦Magdeburg 24. II. 1829; f Berlin 25. II. —
VZ 25. II. A. -A.; Berl. Tagebl. 25. II.
A.-A. (P. Schlenther); NFP 26. II. M.-Bl.
(St. Hock); T 50 (P); W 191 1. 345—46
(K. Frenzel), 351 <F); IZ 136, 379/80 (P);
MAZ 114, 146/47; Hilfe 191 1, 141 (H.
Kienzl); KW 24, 2, 392/93; LE 13, 913, 953
-956; KL1911, 1630 (W); BR 6, 477/78;
WI 4. 1349 (W); DZL 1393/94; Bursch.
Blatter 25, 272/73; Bl. f. hoher. Schulwes.
28, 139/140 (H. Sudermann an d. Bahre
F. S.s); Sozialist. Monatsh. 15, 1, 349;
Westerm. Monatsh. Mai 191 1, 356* — 60 (E.
Mensch, Erinnerungen), April 191 1, 276
(F. Dfusel] m. P); Velh. u. Klas. Monatsh.
Mai 191 1, 124 — 28 (v. Zobeltitz, Persdnl.
Erinnerungen); BZ 28, 310 [Gartenlaube
191 1, Nr. 12 (A. Heilborn); Hochland
April-H. 48 — 61 (M. Behr); Heimgarten
35, 608 — 15 (Briefe von F. S. an d. alten
Heimgartner); Masken v. 13. III. (A. W.
Kahle); Tiirmer April-H. 48 (K. Storck)],
30, 300 [Grenzboten 191 2 f Nr. 5 (V. Klempe-
rer)], 31, 292 [Bursch. Bl. Jg. 27, 67 (R.
Eickhotf, F. S. u. K. Schurz); Mitt. d.
literarhist. Gesellsch. Bonn 7, 129 — 149
(A. M. Morisse)].
Staack, Claudine, Hamb. Schriftst., schrieb
Nov. u. Era.; * Suderheistedt, Dithm.
30. I. 1 859 ; f Hamburg 12. IV. — VZ
20. IV. M.-A.; Kieler Ztg. 13. IV. A. -A.;
KL 191 1, 1635; BR 7, 13/14.
Staack, Dora, Hamb. Schriftst.; * Krumstedt
b. Meldorf i. Hoist. 9. XL 1855; f Hamburg
2. I. — HC 3. I. M.-A.; Kieler Ztg. 13. IV.
A. -A.; KL 1911; 1635; BR 7t *3/i4-
Stangen, Karl Friedrich, Schriftst. u. Begr.
d. K. Stangenschen Reisebureaus; * Ziegen-
hals 5. V. 1833; t Berl.-Lichterfelde 21. XL
— VZ 22. XL M.-A.; IZ 137, 1095 (P);
W 1911, 2023 (P); KL 191 1, 1639 (W);
WI 4, 1355; DZL 1400/01; BR 7, 21 (W).
Stegemann, Friedrich, Dr. iur. % Mecklb.
Minist.-Rat, vortr. Rat i. Minist d. Inn.,
Vors. d. Mecklb. Landes- u. Indus trieausst.
i. Schwerin, Staatskommiss. d. Mecklb.
Hypotheken- u. Wechselbank; * Parchim
23. II. 1867; t Schwerin 25. VI. — VZT;
WI 4, 1360.
Steiflbach, Gustav, Dr. iur. % Journalist, Red.
d. Neuen Fr. Presse i. Wien, hist.-polit.
u. staatswiss. Schriftst.; * Pressburg
18. II. 1848; t Meran 6. XII. — NFP
7. XII. A.-BL; KL 191 1, 1651 (W).
Steinberg, Ernst Friedrich Graf von, Kam-
merh. u. M. d. H.; * Hannover 8. VIIL
1848; f Schl. Bruggen, Prov. Hannover
29. XII. — VZ 30. XII. M.-A.; HH 1911,
346; FT 1909, 901.
Steinert, Hans, Dr. med. % ao. Prof. a. d. Univ.
u. Oberarzt d. mediz. Klinik u. d. stadt.
Krankenh. i. Leipzig; * Dresden 10. IV.
1875; t Leipzig 3. XL — VZ 6. XL A. -A.;
UK S.-S. 191 2, 324; DMW 37, 2096; WI
4, 1366 (W).
Stdnmarm, Maximilian von, Gen.-Lt. z. D.
75*
Totenliste 191 1: Stcmrich — Tautenhayn.
7<r
Ritter <L Eis. Kr. 2. Kl. f zul. Komm. d.
80. Inf.-Brig.; * Baumgarten 9. XII. 1842;
t Wiesbaden 5. IV. — VZ 8. IV. M.-A.;
OA 1908/09, 1489.
Stemrich, Wilhelm, Wirld. Geh. Rat f Unter-
staatssekr. i. Ausw. Amt, vorher Gesandter
i. Teheran; * Miinster 18. III. 1852;
t Berlin 19. X. — VZ 19. X. A. -A.;
WI 4, 1368.
Stern, Jakob, (Pseud.: Kurt Adelfeld),
Schrifttt. auf d. Geb. d. Philos., Politik u.
Sozialpolit., ehem. Rabbiner v. Butten-
hausen, dann einer d. Fiihrer d. Wtirtt.
Sozialdemokratie; * Niederstetten 28. V.
1843; t Stuttgart 4. IV. — WJ 191 1 Nekr.;
Schwab. Kron. Nr. 158; Schwab. Tag-
wacht Nr. 79 u. 81 ; Neue Zeit 29, 2, 25—60
(K. Zetkin); KL 191 1, 1664 (W); WI 4,
1370/71 <W); BR 7l 64/65.
Stern, Kurt, Regisseur u. Schausp. a. Deutsch.
Landestheater i. Prag; * Berlin 19. IV.
1871; t das. 27. X. — NTA 1913, 151.
Stern, Ludwig, Dr. phil. % Prof., Direkt. d.
Hs.-Abt d. Kgl. Bibliothek i. Berlin; * Hil-
desheim 12. VIII. 1846; f Berlin 9. X. —
VZ 11. X. M.-A.; Zentralbl. f. Bibliotheks-
wes. 29, 26—31 (E. Jacobs); JB 9, 132;
io, 150.
Stern, Richard, Dr. med. t Prof. u. Direkt. d.
mediz. Poliklinik a. d. Univ. Breslau;
* Breslau 3. IX. 1865; f das. 1. II. — VZ
3. II. M.-A.; Schles. Ztg. 1. II. A.-A. f
Q. IV. M.-A.; Schlesien 4, 291/92; JSG
191 1 Nekr. S. 29 — 32 (Schmid); Chronik
d. Univ. Breslau 25, 207 — 11 (Schmidt m.
W); UK S.-S. 191 1, i, 320; AD 3, 96 (W);
Monatsschr. f. Unfallheilkde. Jg. 18, I
(C. S. Freund).
Stiehl, Karl, Prof., Musikschriftst, Dirig. d.
Musikver. u. d. Singakad. i. Liibeck,
Musikref. d. Ltibecker Ztg., Kustos d.
musikal. Abt. d. Ltibecker Stadt-Bibl.,
deren Katalog er herausgab; * Liibeck
12. VII. 1826; t das. 1. XII. — VZ 2. XII.
M.-A.; LE 14, 517; KL 1911, 1670 (W);
AMZ 191 1, 1272; Zs. d. Intern. Musikges.
13, 148; NMZ 33, 142; Musik 2. Dez.-H.
S. VII; R 1359.
Stfllfried U. Rattonitz, Raimund Frh. von,
Maler, einer d. ersten Vork. d. Photogr.,
bes. bek. durch seine Interieurs i. d. Wiener
Hofburg u. i. Schtfnbr. Schlofi, friiher
Offizier, Seemann, Kanzler u. japan. Prof.;
* Komotau i. Bohm. 6. VIII. 1839; t Wien
13. VIII. — VZ 14. VIII. M.-A.; OR 28,
484; MS Nachtr. 267; WI 4, 1374/75; FT
1912, 783.
Stdhr, Phihpp, 0. Prof. u. Direkt. d. anatom.
Anst a. d. Univ. Wurzburg; * Wurzburg
13. VI. 1849; f das. 5. XI. — VZ 6. XL
M.-A., 9. XI. M.-A.; DMW 37, 2096; MMW
58, 2747 (Sobotta); PBL 1658; HBL 5,
546; Chronik d. Univ. Wurzburg 1912,
24/25; Bayerland 23, 179 (P); KL 1911,
1675; WI 4, 1377; AD 3, 25 (W); DZL
1419/20; K 902; Anatom. Anz. Bd. 40,
551 — 56 (O. Schultze); Verhandl. d. physik.-
mediz. Gesellsch. Wurzburg 42, 1 — 12;
Vierteljahrsschr. d. naturforsch. Gesellsch.
i. Zurich 56, 558.
Stoetzer, Hermann, Dr. phil, Oberland-
forstm., Direkt. d. Forstakad. i. Eisenach;
* Wasungen i. Sa.-Mein. 22. V. 1840;
t Eisenach 14. XI. — VZ 14. XL A. -A.;
W 1911, 2051 (P); WI 4, 1379; KL 1911,
1680 (W); DZL 1423.
♦Struck, Adolf Hermann, Dr. phiU h. c, BibL
d. Deutsch. Archaolog. Inst. i. Athen; * Kon-
stantinopel 18. I. 1877; t Mainz 14. IX.
— BJ XVI, 169 (W. Miiller); VZ 20. IX.
M.-A.; DRG 34, 139; GK 1912, 62; Zeitschr.
f. bild. Kunst N. F. Jg. 23, 223 (G. Her-
mann).
Stttve, Gustav, Dr. iur., Wirkl. Geb. Ob.-Reg.-
Rat, Reg.-Pras. i. Osnabriick, friih. Pras.
d. Reichs-Patentamts, 1888—91 M. d. A.,
Freikonserv., schrieb mehrere Werke ub.
s. Oheim, d. hannov. Staatsmann Johann
Karl Bertram StUve; * Osnabriick 2. V.
1833; f das. 26. XL — VZ 27. XL A. -A.;
WI 4, 1396; OA 1908/09, 1521; DZL 1445.
Suphan, Bernhard, Geh. Hofrat, Prof., Dr.
phil., langj. Direkt. d. Goethe- u. Schiller-
Archivs i. Weimar; * Nordhausen 18. L
1845; f Weimar 9. II. — VZ 10. II. M.-A.;
NFP 12. II. M.-Bl. (St. Hock); LE 13,
840; HV 14, 304; Bl. f. hSher. Schulwes.
28, 96; W 191 1, 312 (P); KL 1911, 1701
{W)\ WI 4, 1402 (W); Chronik d. Wiener
Goethe-Vereins Bd. 25, 4 (St Hock);
Goethe- Jahrb. 31, 1 — 6 (L. Geiger), 33,
231 (L. Geiger).
Slipper, Otto, Dr. iur., Finanzrat, Kollegial-
mitgl. d. Generaldirekt. d. Wurtt. Staats-
eisenbahnen, Schriftst. auf d. Geb. d. Ver-
kehrswiss.; *G6ppingen 14. II. 1861 ; f Stutt-
gart 13. VI. — WJ 191 1 Nekr.; Wurtt.
Staatsanz. Nr. 137; Schwab. Kron. Nr. 269;
OA 1908/09, 1522; KL 191 1, 1701 (W).
Taglloni, Auguste, ehem. Schauspielerin a.
Kgl. Schauspielh. i. Berlin, d. letzte Mitgl.
d. bek. Kunstlerfamilie; sie u. ihre Schwester
Marie, d. spatere Furstin Windisch-Gratz,
waren d. Lieblinge Kaiser Wilhelms I.;
* Berlin 1832; f das. 8. VI. — NTA
1912, 166.
Tautenhayn, Joseph, friih. Prof. d. Akad. d.
bild. Kiinste i. Wien, einer d. hervorr.
Plastiker Osterreichs; * Wien 5. V. 1837;
f das. 3. IV. — OR 27, 411; WGK 191 1,
IT
Totenliste 191 1: Tebbe— Uhde.
78*
i, 226; Kchr N. F. 22, 346; MS 4, 385;
SKL 927.
Tebbe, Heinrich, Gymn.-Prof. i. Munster,
Schriftst. auf d. Geb. d. klass. Philolog. u.
Lit.-Gcsch.; * Herbern, Kr. Liidinghausen,
23. IX. 1858; f Munster 30. VIII. — KR
191 1. 493 (W); 1912 TL.
TeBmar, Hugo, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat,
Direkt. i. PreuB. Minist. d. offentl. Arbeiten;
* 17. XI. 1855; f Berlin 18. XL — Reichs-
anz. Nr. 280 v. 28. XI.
Teste, Karl, deutsch. Delegierter b. d. Turk.
Staatsschuldenverw., friih. Ministerresid. i.
Tanger, hervorr. Kenner d. tiirk. Verhalt-
nisse; * Konstantinopel 9. V. 1840; f das.
1. L — Schles. Ztg. 6. 1. M.-A.; OA 1908/09
1534.
Theuerkaut, Gottlob, Prof. u. Privatdoz. a. d.
Techn. Hochsch. i. Berlin, Landsch.-Maler,
Lithogr. u. Ulustr., auch hess. Dialekt-
dichteru. Komponist; * Kassel 21. I. 1833;
t Berlin 5. 111. — HL 25, 92/93.
Thoemes, Nikolaus, Dr. phiL, Schriftst auf
d. Geb. d. Theolog., Philolog., Sozialwiss.,
Rechtswiss. u. Gesch.; * Ruckweiler,
Rh.-Prov. 1. 111. 1846; t Munster 13. IV. —
KR 1911, 497 (W); 1912 TL.
Tiburtius, Henrietta die erste Zahnarztin
Deutschlands, Vors. d. Vereins z. Erziehung
schulentlassener Madchen f. d. Hauswirt-
schaft, verdient um d. deutsche Frauen-
bewegung; * 1834; f Berl.-Marienfelde
25. VIII. — VZ 27. VIII. M.-A.; W 1911,
1458, 1466 (P); AF 49, 376; Frauenbewe-
gung 17, 144; Neue Bahnen 46, 151/52;
Frauen-Rundsch. 12, 450; D. Frau 19,
56/57 (H. Lange); Daheim Jg. 48, Nr. 8
(F. Tiburtius); D. deutsche Frau 1912, Nr. 3
(F. Tiburtius).
Tiede, August, kgl. Baurat, Prof., bes. bek.
als Erbauer d. Naturhist. Museums u. d.
Landwirtsch. Hochsch. i. Berlin; * Berlin
4. VI. 1834; f das. 14. V. — VZ 17. V.
A.-A.; DBZ 45, 344; ZB 1911, 271/72 (C.
Weber m. P).
TIetze, Ottokar, Magistrats-Baurat, der 1887
bis 1892 in Japan tatig gewesen ist;
* Protowitz i. O. -Schles. 31. X. 1858;
t Berlin 27. IX. — DBZ 45, 688.
Treskow, Hans von, Generalm. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d. 13. Kav.-
Brig.; * Quedlinburg 3. I. 1840; f Wies-
baden 30. V. — VZ 2. VI. M.-A.; OA
1908/09, 1559.
Trotz, Hermann, kgl. Hofschausp. a. D. i.
Stuttgart; * Lodz 13. VII. 1846; f Stutt-
gart 30. XII. — NTA 1913. 154/55; EG
1051.
Ttehackert, Paul, Dr. theol. et phil, Geh. Kon-
sistorialrat, Prof. d. Kirchengesch. a. d.
Univ. Gottingen; * Freystadt i. Schles.
10. 1. 1848; f Gottingen 7. VII. — VZ
8. VII. A. -A.; HV 14, 464; ELK 44. 670/71 ;
KJ 99* 441/42; Chronik d. Univ. G6ttingen
1911, 8/9; AD i, 24 (W); WI 4, 1442 (W);
DZL 1479; K 936.
Tschischwitz, Wilhelm von, Gen.-Lt. z. D. f
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d,
10. Inf.-Brig., 1888 z. D.; * Brieg 25. IV.
1831; f Hirschberg 19. VII. — Schles. Ztg.
20. VII. A.-B1.; Schlesien 4, 646.
TschudJ, Hugo von, Geh. Reg.-Rat, Prof.,
Dr. phil. % Direkt. d. Bayer, staatl. Ge-
maldegalerien, vorh. Direkt. d. Berlin.
Nationalgalerie; * Gut Jakobshof i. Nieder-
osterr. 7. II. 1851; t Val 1 b. Kannstadt
23. XI. — VZ 24. XL A. -A.; NFP 24. XL
A. -A.; T 278 (P), 279 (E. Heilbut); IZ
137, 1020/21 (P); W 191 1, 2023 (P); Hilfe
191 1, 781/82 (P. Schubring); KL 191 1,
1748; WI 4, 1443 (W); DZL 1482; MAZ
114, 839/40 (H. Cosserat); KW, 25 1, 443/44
(Avenarius); HV 15, 152; Marz 191 1, 4,
426 — 31 (H. Uhde-Bernays); SQdd. Mo-
natsh. 9, 1, 559/60 (W. Heymel, T.s Toten-
feier); Bayerland 23, 179 (P); Kchr N. F.
23, 97 — 100 (W. Bayersdorfer), 131/32
(W. v. Seydlitz); KFA 27, 164 (P); Cicerone
3i 905; Gegenwart 191 1, Nr. 51 (E. Thoma);
Guldenkammer 2, 224 (G. Pauli); Jahrb.
d. kgl. preufl. Kunstsamml. 33, I — IV
(W. Bode); Kunst u. Kunstler io, 179
(M. Liebermann); Museumskde 8, 45 — 50
(W. Graff); Repertor. f. Kunstwiss. Bd. 34,
473 (H. Thode); Wissen u. Leben 191 2,
499 (H. Trog); Kunst u. Kunstler 10,
379—88 (H. Uhde-Bernays).
♦TUrnplJng, Luise, geb. v. Boyen; * Berlin
26. V. 1852; t Jena 3. VII. — BJ XVI, 59
(P. Mitzschke).
Uettzen, Wilhelm, Pastor em. i. Rostock, erst
Insp. d. Lehrer-Sem. i. Hannover, dann
Pastor i. Gr.-Heere b. Hildesheim, ver-
weigerte 1866 d. Huldigungseid u. wurde
abgesetzt, gab spater d. »Kirchenbiatt f.
Braunschweig* heraus, ^Tirde in Hannover
wegen Majestatsbeleidigung zur Festungs-
haft verurteilt und aus s. Amte entfernt,
77 in Mecklenburg wieder angestelit, wo
er bis 97 im Dienst blieb, verf. theol.
Schriften u. Predigt-Sammlungen; * 1825;
f Rostock 17. XII. — KJ 39, 442.
*Uhde, Fritz von, Maler, Pras. d. Munch.
Sezession; * Wolkenburgi. Sa. 22. V. 1848;
t Munchen 25. II. — BJ XVI, 214 (H.
Holland); VZ 25. II. A.-A.; T 50 (P), 52
(J. Elias); Berl. Tagebl. 25. II. A.-A.
(F. Stahl); NFP 7. III. M.-Bl. (H. Uhde-
Bernays); KVZ 5. III. (H. Reiners); FZ
5. III. 1. M.-Bl. (F. Haack); W 1911, 347
79"
Totcnlistc 191 1 : Uhlig — ViUaume.
80*
(A. G. Hartmann), 353 (P); MAZ 114,
145/46 (H. Cosserat); Hilfe 1911, 141 (Th.
Heufi); Marz Jg. s, 525—35 (W. Hausen-
stein); WI 4, M48 (W); ^ZL i486; MS
4, 461; BMW 2, 906—08; SKL 968; KJ
38, 665; 13, 493; ELK 44, 214, 439—41
(J. Leipoldt); Protestantenbl. 44, 339 — 42
(Kuhner); K\V 24, 2, 365/66 (Avenarius
m. 111.); Christl. Freiheit 27, Nr. 11; Grenz-
boten 70. Bd. 1, 543 (B. Haendckc);
Wcstcrm. Monatsh. April 191 1 , 287/88
(P); Turmer 13, H. 7 (K. Storck); Hoch-
land Jg. 8, H. 7 (K. WeiB, F. v. U. als
Kindermaler); Kunst u. Kunstler 9, 366;
Kchr N. F. 22, 305—311 (P. Schumann);
BZ 28, 334 [Deutsche Blatter f. erziehl.
Untenr. 1911, Nr. 25 (E. Oppermann);
Cicerone 3, 189; Daheim Jg. 47, Nr. 28
(R. Burckhardt); KFA April-H. 489 (G. J.
Wolf); Korrespond.-Blatt d. Gesamt-
vereins d. deutsch. Gesch.- u. Altert.-
Vereine April-H. 17 (G. Muschner); Pro-
testantenbl. 1911, Nr. 14 (Kuhner); Neue
Rundsch. 1911, 538 — 45 (J. Elias); Wart-
burg 191 1, Nr. 14 (A. Troll); Geisteskampf
d. Gegenw. 1911, 148 (Kuhner); Christl.
Kunstbl. f. Kirche, Schule u. Haus 1911,
113 (Totenfeier f. U. i. Munchen); Monats-
schr. f. Gottesdienst u. kirchl. Kunst 191 1,
no (G. Lasch, U. als religioser Maler)],
30, 324 [D. alte Glaube 13, Nr. 35 (Hubener,
Wie urteilen wir heute lib. U. ?)].
"Uhlig, Viktor, Prof. d. Geolog. a. d. Univ.
Wien; * Karlshutte-Leskowitz, Ost.-Schles.
2. I. 1857; t Karlsbad 4. VI. — BJ XVI,
109 (F. E. Suefi); VZ 6. VI. M.-A., 7. VI.
M.-A.; Schles. Ztg. 8. VI. M.-A.; NFP
6. VI. Nachm.-Bl. (E. SueB, Z. Erinnerung
an V. U.); IZ 136, 1317 (P); DRG 33, 4»9;
34, 40/41 (E. Spengler m. P); GK 191 2, 62;
PM 191 1, 2, 24; PF 4, 2, 1534 (W); WI 4,
1449; UK W.-S. 1912/13. 2, 526; K 941;
Verhandl. d. k. k. geolog. Reichsanst. 1911,
209 (O. Ampferer); Osterr. Zeitschr. f.
Berg- u. Huttenwes. 49, 727; Zeitschr. d.
deutsch. Geolog. Gesellsch. Bd. 63, Beibl.,
3 8 5— 96 (W. Branca); Geolog. Mitteil. 42,
243—58 (F. Schafarzik); Lotos 59, 217
(A. Liebus); Geogr. Jahresber. aus Oster-
reich 8, III.
♦Umbeck, Philipp Valentin, Dr. theol h. c 9
Wirkl. Konsistorialrat, Generalsuperint. d.
Rheinprov.; * Vallendar a. Rh. 13. XL
1842; t Koblenz 4. H. — BJ XVI, 106
(Klingemann); VZ 5. II. M.-A.; ELK 44,
166; Protestantenbl. 44, 193; KJ 38, 665.
Uphlies, Josef, Prof., Bildhauer; * Sassenberg
i. Westf. 23. V. 1850; f Berl.-Wilmersdorf
2. I. — VZ 2. I. A.-A.; T 3 (P); IZ 136,
6>/66 (P); KFA 26, 239 (P); Kunst u.
Kunstler 9, 256; MS 4, 466; SKL 971;
WI 4, 1454; DZL 1492.
♦Vahletl, Johannes, Geh. Reg.-Rat, Dr. pkil.
et iur. h. c. % Prof. a. d. Univ. Berlin, MitgL
d. Akad. d. Wiss., Ritter d. Ordens Pour
le meVite; * Bonn 27. IX. 1830; f Berlin
30. XL — BJ XVI, 236 (E. Thomas);
VZ 30. XL A. -A.; HV 15, 152; IZ 137,
1078 (P); Blatter f. hoher. Schulwes. 28,
518; JSG 191 1 Nekr. S. 34—35; Chronik
d. Univ. Berlin 25, 7; W 191 1, 2064 (P);
KL 1911, 1762; DZL M93/94; WI 4, 1457
(W); K 347.
Valentin, Adolf, Dr. med. % Prof. d. Oto-
Laryngologie a. d. Univ. Bern; * 28. IX.
1845; t Bern 17. V. — DMW 37, 1136;
UK W.-S. 191 2/13, 2, 526; K 948.
Valob, Karl Frh. von, Major z. D. u. kgL
Kammerh., Vors. d. Ver. z. Fdrderung d.
Museums vaterland. Altert, Ehrenkonser-
vator d. Landesarmeemus. ; * Mannheim
9. IV. 1857; f Stuttgart 15. IX. — WJ
1911 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 216;
Schwab. Kron. Nr. 432; FT 1909, 875; OA
1908/09, 1 581.
♦Van fcr Vetine, Adolf, Tier-, Genre u. Land-
schaftsmaler; * Wien 16. IV. 1828;
t Schweinfurt 23. IX. — BJ XVI, 102
(H. Holland).
"Vairentrapp, Konrad, Geh. Reg.-Rat, bis
1909 Prof. d. Geschichte a. d. Univ. Mar-
burg; * Braunschweig 17. VIII. 1844; f Mar-
burg 28. IV. — BJ XVI, 122 (G. Meyer
v. Knonau); VZ 30. IV. M.-A.; Chronik d.
Univ. Marburg 25, 4 — 6 (v. d. Ropp); KL
191 1, 1765; WI 4, H6i (W); DZL 1496;
K 949.
Verschner, Friedrich Wilhelm Frh. von, d.
letzte Hofmarschall d. letzten hess. Kur-
fursten'^Friedrich Wilhelm; * Kassel 26.
VII. 1827; f Munchen 13. XII. — HL 25,
364; FT 1909, 884.
Vfflaret, Albert Heinrich, Dr. med. % General-
arzt, zul. Insp. d. 2. Sanitats-Insp., schrieb
lib. Hygiene u. Sanitats-Statistik, bes. ub.
Milit-Sanitatswes., Hrsg. eines Hand-
worterb. d. Medizin; * Emmerich 28. IL
1847; t Eisenach 10. V. — DMW 37,
1178/79 (Paalzow m. P); PBL 1772; WI
4, 1467/68 (W); KL 191 1, 1772 (W); DZL
1502.
VfOaume, Hermann von, General d. Art. z. D.,
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1865 Eintritt in
d. Armee, 1889 Major i. Milit.-Kabinett,
1892 Abt.-Chef, 97 Flttgeladjutant, spater
General m. u. General a 1. s. d. Kaisers, 1901
Direkt. d. Kriegsdep. i. Kriegsmini6t.,
03 z. D. f 09 Charakter als Gen. d. Art.;
* Potsdam 13. VI. 1846; f Berlin 18. XI. —
VZ 20. XL A. -A.; OA 1908/09, 1588.
8i*
Totenliste 191 1: Vitzthum v. Eckst&dt— Weifl.
82*
Vitzthum v. EckstSdt, Paul Graf, kgl. sachs.
Gen.-Lt. r u. Komm. d. 1. Sachs. Div.;
* Ober-Lichtenau 5. VII. 1850; f Dresden
5. VIII. — VZ 8. VIII. M.-A.; WI 5, 1522;
GT 1911, 989.
Voekker, Karl, Gen.-Lt. z. D., zul. Komm. d.
56. Inf.-Brig., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl.;
* Ulm 19. IX. 1848; f Berlin 10. VI. —
VZ 13. VI. M.-A.; OA 1908/09, 1596.
Vogel, Heinrich, Geh. Kommerzienrat, Mit-
begr. u. Seniorchef d. Schokoladenfabrik
Hartwig u. Vogel, Vors. d. Exportvereins
f. d. Kgr. Sachsen; * Herreth i. Oberfr.
31. X. 1844; f Dresden 11. VI. — IZ 136,
1317 (P); W 19x1, 1036 (P>
Vogel, Paid Johannes, Dr. phil, Prof., Rektor
d. Kdnigin Carola-Gymn. i. Leipz., Alt-
philologe; * Plauen i. V. 27. IV. 1856;
t Bad Kissingen 10. VII. — KL 1911, 1776
(W); 1912 TL; WI 4, H7i <W>
VogCS, Otto, Dr. phil., seit 1893 innerpolit.
Red. d. Voss. Ztg., vorher Chef red. d.
•Kieler Tageblatts*; * Berlin 29. VII. i860;
t das. 6. VII. — VZT; DKZ 28, 477; WI
4, 1472.
Voigt, Karl von, Gen.-Lt z. D., Ritter d. Eis.
Kr. 2. Kl., zul. Komm. d. 16. Kav.-Brig.;
* Mainz 12. III. 1841; f Honnef 3. IX. —
VZ 8. IX. M.-A.; OA 1908/09, 1594.
*Vottz, Ludwig, bek. Munch. Tier- u. Land-
schaftsmaler; * Augsburg 28. IV. 1825;
t Miinchen 26. XII. — BJ XVI, 104 (H.
Holland); VZ 28. XII. M.-A.; IZ 138, 78;
Kchr N. F. 23, 181 ; MS 5, 34; BMW 2, 950.
VopeUus-Sukbach, Richard von, HUttenbes.,
M. d. H., seit 1876 freikonserv. M. d. A.,
Mitgl. d. Direktor. d. Zentralverb. deutsch.
lndustrieller; * Sulzbach 19. X. 1843;
t St. Blasien 16. VIII. — VZ 17. VIII.
A. -A.; W 191 1, 1491 (P); HH 1907, 350;
HA 1894, 33i; WI 4, 1480; DZL 1516.
VoB, Maximilian von, Dr. tur., Ob.-Reg.-Rat
a. D., Rittergutsbes. i. Berkenbrugge, Kr.
Arnswalde, seit 1907 konserv. M. d. A.;
* Halle a. S. 10. I. 1847; f Berkenbrugge
18. XII. — VZT; HA 1908, 439, 49i (P).
Wagener, Bruno, Dr. phil, Schriftst., bis vor
kurzem Chef red. d. »Strafiburger Post*;
* Amoy i. China 27. V. 1866; f Baden-
weUer i. Juli. — VZ 19. VIII. A.-A.; WI
4, 1487.
Waltz, Karl, Dr. phil, Hon.-Prof. d. Physik
u. Astronomie a. d. Univ. Tubingen, bek.
Schriftst. auf physik. u. meteorolog. Gebict;
* Marburg 19. 1. 1853; f Tubingen 12. IX. —
VZ 15. IX. M.-A.; GK 1912, 62; WJ 191 1
Nekr.; Wtirtt. Staatsanz. Nr. 213; Schwab.
Kron. Nr. 430; WI 4, 1491 (W); PF4, 2,
1588 (W).
Wald, E., (Pseud.), s. Schulze, Ewald.
Biogr. Jahrbuch u. Deuttcher Nekrolog*. 16. Bd.
WaUenburg, Max, (wirkl. Name: Max Pesch-
mann), Schles. Dialektdichter; * Walden-
burg 1852; f das. 1. XII. — Schlesien 5,
175 (0. Ludwig).
Wanjura, Gustav, Dr. theol, Pralat u. Dom-
propst, Senior d. Posener ErzdiGzese,
1859— -67 Reg.- u. Schulrat; * Stollarzo-
witz 9. IV. 1827; f Posen 22. IV. — Schles.
Zt 24. IV. A.-B1.
Waser, Maurus, Prof., Pfarrer i. Schwyz, ver-
dienstvoller Lokalhistoriker, Mitgl. d. All-
gem. Gesch.-forsch. Ges. u. d. Hist. Vereins
v. Schwyz; * Schwyz 12. VII. 1847; t das.
1. XII. — ASG 44, 372; Bote d. Urschweiz
191 1, Nr. 95/96; Schwyzer Ztg. Nr. 96,
1. BL; Ncue Zurch. Ztg. Nr. 226, 1. Bl. u.
Nr. 328 M.-Bl.
Watter, Hermann Frh. von, Gen.-Lt. z. D.,
1892 — 1900 wurttemb. Milit.-Bevollm. i.
Berlin, fruh. Flugeladjut. u. General & 1. s.
d. Konigs v. Wiirttbg.; * Ludwigsburg
17. I. 1848; t Stuttgart 8. III. — VZ 9. III.
A. -A.; OA 1908/09, 1622; MZ 191 1, 163;
WJ 191 1 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 57;
Schwab. Kron. Nr. 113.
Weber, Georg Viktor, Mitgl. d. Mainzer Dom-
kapitels, der letzte aus d. Mainzer Kreis von
Kettelers Mitarb., Griinder u. Leiter d.
Mainzer Domchores; * 1838; f Mainz 24.
IX. — Katholik Jg. 91. 4. F. Bd. 8, 393/94.
Weiler, Johann August, Dr. phil, Prof.,
bis 1880 Oberl. a. Realgymn. i. Mannheim,
Mathem., Geogr. u. Astronom.; * Mainz
31. V. 1827; f Mannheim 10. X. — WGK
191 1, 2, 226; DRG 34, 137; PF 3. 2, 1425
(W); 4, 2, 161 1 (W); Astronom. Nachr.
Bd. 189, 367 (H. Kobold).
Weinwurm, Rudolf, Prof., Univ. -Musi kdirekt.
i. Wien, Griinder d. Akad. Gesangvereins,
fruh. Dirig. d. Wiener Singakad. u. d.
Wiener Mannergesangvereins, veroffent-
lichte musikp'adagog. Schriftcn; * Scheidel-
dorf b. Waidhofen a. d. Thaya 3. IV. 1835;
t Wien 27. V. — Musik 2. Juni-H. S. VIII;
NMZ 32, 384; OR 28, 79; R 1536.
*Wetoer f Josef, Prof., Historien- u. Genre-
maler, Ehrenmitgl. d. Miinch. Kunstakad.;
* Patschkau i. Schles. 10. V. 1847; j* Mun-
chen 15. IV. — BJ XVI, 103 (H. Holland);
VZ 18. IV. A. -A.; Kchr N. F. 22, 392;
KFA 26, 408; MS 5, 73; MAZ 114, 282/83
(H. Holland); Schlesien 4, 480.
WeiB, Eduard ehem. Schausp., einer d.
letzten Vertreter d. alten Berlin. Posse,
in d. 70er Jahren wohl d. popul^rste Komi-
ker Berlins u. d. starkste Magnet d. Kroll-
schen Theaters unter d. »alten Engel^;
* Berlin 19. XL 1836; f Miinchen 10. I. —
NTA 1912, 156.
WeiB, Karl, Schausp. u. Theater-Direkt, fruh.
27
83*
Totcnliste 191 1: Weitbrecht— Wilbrandt.
84*
Direkt, d. Berliner Carl WeiB-Theaters u. d.
alten Ostendtheaters, popularer Komiker;
* Berlin 30. IX. 1850; f Monte Carlo
31. III. — VZ I. IV. A. -A.; W 1911, 562,
568 (P); NTA 1912, 159; EG 1107; BW
13, 2, 131 (P); WI 4, 1522.
Weitbrecht, Gottlieb von, Dr. iheol, Pralat,
Stiftsprediger, Red. d. »Christenboten«
u. d. »Jugendblatter«, bek. christl. Volks-
schriftst.; * Calw i. W. 4. VI. 1840; f Stutt-
gart 31. V. — VZ3. VI. A.-A.; BB Nr. 126
v. 2. VI.; ELK 44. 55i; KJ 39, 44*/43;
WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz. Nr. 124;
Schwab. Kron. Nr. 247; KL 191 1, 1845 (W).
♦Wdtbrecht, Richard, Dr. theol., 1. ev. Stadt-
pfarrer i. Wirapfen a. N., Literarhist.,
volkstiiml. Schriftst.; * Heumaden b.
Stuttgart 30. II. 1 851 ; f Heidelberg 1. V. —
BJ XVI, 1 16 (H. Mosapp); FZ 8. VI. 2. M.-
Bl.; Eckart 5, io, 664—74 (K. Berger);
LE 13, 1422; KL 1911, 1845 (W); BR 4,
312 (W); WI 4, 1525; KJ 39, 443; DZL
1552/53; WJ 1911 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz.
Nr. 126; Schwab. Kron. Nr. 249.
Weitzel von Mudersbach, Reinhard Ludwig,
1898 — 1903 konserv. M. d. R.; * Gr.-Wege-
nitz i. d, Altmark 18. II. 1853; f Osterwein,
Kr. Osterode 26. IV. — VZ 4. V. M.-A.;
RH Nachtr. 1903, 78; BT 191 3, 859.
Wetldt, Otto von, Prof. £. bUrgerl. Recht a.
d. Univ. Tubingen, Vertr. d. Univ. in d.
1. Kammer, Hrsg. d. frArchivs f. zivilist.
Praxis* ; * Rostock 27. III. 1 846; f Tubingen
30. VIII. — VZ 31. VIII. A.-A.; IZ 137,
448; DJZ U34/35 (Ceib); WJ 191 1 Nekr.;
Wiirtt. Staatsanz. Nr. 203; Schwab. Kron.
Nr. 405; KL 191 1, 1851 (W); WI 4, 1529
(W); AD 2, 12 (W); K 997; Archiv f. d.
zivilist. Praxis* 108, 1, 3 — 39 (M. RUmelin).
Wenker, Georg, Dr. phil., Prof., Oberbiblio-
thekar a. d. Univ. Marburg, d. bedeutendste
Vertr. d. deutsch. Mundartenforschung;
* Dusseldorf 25. II. 1852; f Marburg 17. VII.
— IZ 137, 250 (P); GK 19 1 2, 62; DRG 33,
585; HL 25, 233/34; V JB 9, 137; io, 150;
KL 191 1, 1853 (W); WI 4, 1530 (W).
Wenzel, Johannes, geistl. Rat u. Domvikar
in Bamberg, 1887 — 98 M. d. R. u. d. Zentr.;
* Bamberg 9. L 1843; f das. 16. L — VZT;
RH 1893, 254.
Wemer-SchWBrzburg, Albert, Bildhauer, Leh-
rcr a. d. Kunstschule i. Breslau, langj.
Vors. d. Bresl. Ktinstlervereins, schuf d.
Giebel reliefs a. d. Berlin. Kaiser- Wilhelm-
Gedachtniskirche; * Gosselbrunn, Fiirst.
Schwarzb. 14. X. 1857; f Breslau 28. XII.
— VZ 29. XII. M.-A.; WGK 191 1, 2, 228;
JSG 19M Nekr. 37—39; MS Nachtr. 284;
Schlesien 5, 251.
Wever, Hermann, Dr. med. h. c. Wirkl. Geh.
Rat, 1909 — 10 Unterstaatssekr. i. PieuB.
Minist. d. geistl. u. Unterr.-Angelegenheiten;
* Cleve 27. XIL 1853; f Berlin 1. VI.
— VZT; WI 4, 1539; IZ 136, 1270, 1274
(P); OA 1908/09, 1661.
!) Wfckenburg, Albrecht Graf, feinsinn. Dich-
ter; * Graz 4. XIL 1838; f Wien 18. XIL
— VZ 18. XIL A.- A.; NFP 18. XIL
Nachm.-Bl.; LE 14, 587; OR 30, 69 — 70;
WI 4, i54i (W); KL 1911, 1869; BR 7,
426 (W); GT 1911, 1034; Heimgarten 36,
364 — 70 (A. Graf v. W. u. s. Dichtergenossin).
Wldmann, Bohuslav Adalbert Frh. von,
k. u. k. Geh. Rat, bis 1890 Statth. v. Tirol,
Ehrenbiirger v. Innsbruck, Mitgl. d. Reichs-
rats; * Olmutz 12. III. 1836; f Wien 9. VI.
— NFP 10. VI. M.-A.; FT 1909, 926.
Wldmann, Joseph Viktor, Dichter, Schriftst
u. Publizist, Red. d. Berner Ztg. fDer
Bund*; * Nennowitz i. Mahr. 20. II. 1842;
t Bern 6. XL — VZ 7. XL M.-A., 20. II.
1912 A. -A. (Ed. Korrodi); T 267 (P);
Deutsch. Tagesztg. Beil. »Zeitgeist* Nr. 265
(E. Zahn); NFP 12. XL M.-Bl. (A. Bettel-
heim, Biographisches von J. V. W.); IZ
137, 989 (P); W 1911, 1890, 1897 (P);
OR 29, 327—30 (W. Kosch); 30, 147/48
(M. Necker, 2 Briefe von J. V. W.); WI 4,
1543 (W); DZL 1565/66; KW 25, 1, 327— 44;
D. Brenner Jg. 2, H. 12 (E. Dallago);
Wissen u. Leben v. 15. Nov. 191 1 (H. Trog);
Sch6ne Iiteratur Jg. 12, Nr. 25 (F. E.
Willmann); Eckart 1911/12, 445 — 55 (E.
Eschmann); NTA 1913, 151; LE 14, 365;
J. Frankel, J. V. W. Eine Gedachtnisrede.
Munch. 191 2; In: A. Bettelheim, Bio-
graphenwege, Reden u. Auf satze. Berl. 1 9 1 3 ;
Raschers Jahrb. 3, 314 — 20 (Korrodi);
Schweizer. padagog. Zeitschr. 191 1 , 309—19
(R. Hunziker); Heimgarten 36, 284 (K.
Bienenstein); Deutsche Rundsch. Jan.-H.
191 2, 140 (E. Korrodi); Sudd. Monatsh.
Juni-H. 191 2, 320 (Hof miller); Westerm.
Monatsh. Juni-H. 191 2, 503 (A. Beetschen,
Aus Briefen).
Wlelemarms, Edkr v. Montetorte, Alexander,
Architekt, Oberbaurat, Ehrenmitgl. d.
Akad. d. bild. Kunste i. Wien, sein Haupt-
werk ist der 1876 — 81 erbaute Wiener
Justizpalast; * Wien 4. II. 1843; f Dornbach
7. X. — Kchr N. F. 23, 24/25; DBZ45, 708.
Wilbrandt, Adolf, Dr. phiL, Dichter, Ehren-
btirger von Rostock; * Rostock 24. VIII.
1837; f das. 10. VI. — VZ 13. VI. M.-A. (Er-
innerungen an A. W.); NFP 11. VI. M.-BL,
13. VI. M.-Bl. (A. Frh. v. Berger— B. Bau-
meister — E. Hartmann); T 137 (P), 138 (J.
l ) IrrtUmlich in d. TL f. 19 10 aufge-
nommen.
85*
Totenliste 191 1: Wildenfcls — Woermann.
86*
Hart); HC 12. VI. A. -A. (P. Burg, A. W.s
lctztes Buch); MAZ 114, 10/11 ; IZ 136, 1270
(P); DZL 1573; WI 4, 1548/49 (W); BR 7,
442/43 (W); KL 1911, 1878/79 (W); LE 13,
1385-1387; KW 24, 4, 29/30; Hilfe 1911,
383 (H. Kienzl);OR 28, 73—75 (V, Klempe-
rer); BW 13, 2, 378/79 (V. Klcmperer);
NTA 1912, 165 (P); Hochland Jg. 8, H. 11
(M. Behr, A. W. u. d. Grundlagen seines
Schaffens); Gartenlaube 191 1, Nr. 28 (H.
Landsberg); D. Rampe 191 2 (H. Eulenberg).
Wfldenfeb, (Pseud.), s. Clasen-Schmid.
Wflke, Richard, Dr. iur. % Geh. Justizrat, friih.
Justitiar d. Preufi. Seehandl., Ehrenmitgl.
d. Deutsch. Anwaltvereins; * 31. XII. 1830;
t Potsdam 6. III. — VZ 8. III. M.-A.;
Jurist. Wochenschr. 40, 257.
WUle, Richard, Generalm. z. D., einer d. bed.
Milit&rschriftst., friih. Direkt. d. Art.-
Werkst&tten i. Spandau, namentl. auf d.
Geb. d. Waffentechnik ganz hervorr. tatig;
* Spandau 26. II. 1841; f Charlottenburg
4. IV. — VZ 5. IV. A.-A.; 1Z 136, 696 (P);
MZ 191 1, 207; LJ 38, 450/51; KL 1911,
1883/84 (W); WI 4, 1553/54 (W); Zeitschr.
f. d. ges. Schiefl- u. Sprengstoffwes. 191 1,
161; LA 118 (W).
Wibn, Nicolai von, bek. Tonktinstler u.
Komp., auch Verf. e. Bds. Gedichte; * Riga
4. III. 1834; f Wiesbaden 20. II. — VZ
21. II. M.-A.; AMZ 191 1, 230; NMZ 32, 257
nr. Canstatt m. P); R 1552; IZ 136, 386 (P).
♦WflmamiS, Wilhelm, Dr. phil, Prof. f.
deutsche Spr. u. Lit. a. d. Univ. Bonn;
* Jiiterbog 14. III. 1842; f Bonn 29. I. —
BJ XVI, 41 (E. Schroder); VZ 30. I. A.-A.,
31. I. A. -A.; KVZ 1. II. A.-A. (Schiller);
HV 14, 304; Chronik d. Univ. Bonn 36,
5—10 (Franck); KL 1911, 1886 (W); WI
4, 1555 (W); LE 13, 762; Zeitschr. d. Allg.
deutsch. Sprachvereins Jg. 26, 70 — 75
(P. Pietsch); Zeitschr. f. deutsch. Wort-
forschung 13, 80 (F. Kluge); K 1020.
WlfKkel, Franz von, Dr. med. % Geh. Rat u.
kgl. sachs. Ob.-Mediz.-Rat, einer d. bed.
Gyn&kologen d. Gegenwart, o. Prof. u.
Direkt. d. Frauenklinik a. d. Univ. Munchen;
* Bereburg i. Westf. 5. VI. 1837; f Mun-
chen 31. XII. — IZ 138, 78; Bayerland
23, 305 (P); DZL 1580/81; AD 3, 156 (W);
Chronik d. Univ. Munchen 1911/12, 7 — 11;
MMW 59, 260/62 (L. Seitz); PBL 1861/02
(P); HBL 6, 290/91; K 1020; Sexualpro-
bleme 191 2, 112; Archiv f. Gyn&kologie
Bd. 96, I— XXIV (M. Stumpf); Mediz.
Klinik 191 2, 88 (A. Diihrssen); Monatsschr.
f. Geburtsh. u. Gyn&kologie 35, 125 — 35
(A. Martin); GynSLkol. Rundsch. 6, 93.
WiflCkel, Heinrich, Generalm. z. D M Ritter
d. Eis. Kr. 2. Kr., zul. Komm. d. Inf. -Reg.
99; * K6ln a. Rh. 14. VII. 1835; f Wies-
baden 29. III. — VZT; OA 1908/09, 1678.
Winterer, Landelin, PrSLlat, Stadtpf. i. Mulh.
i. E., 1874— 1902 M. d. R., Mitgl. d. Staatsr.
u. d. Landesausschusses; * Ob.-Sulzbach
28. II. 1832; f Mulhausen i. E. 29. X. —
KVZ 31. X. M.-A.; RH 1898, 282; KR
191 1, 544 (W).
Wiflternltz, Leopold, (Pseud.: Walter Lindau),
Dr. med. n Arzt, schrieb auch Lustsp. u.
Operettentexte; * Jindrichowitz i. Bohro.
26. I. 1833; f Wien 3. XII. — KL 191 1,
1896 (W); 1912 TL.
Wippermann, Karl, Dr. tur., Prof., 1877— 1905
Mitgl. d. literar. Bureaus d. Staats-
ministeriums i. Berlin, Geschichtsforscher
u. Biograph, Hrsg. d. »Deutsch. Ge-
schichtskalenders*; * Rinteln 14. III. 1831;
t Berl.-Lichterfelde 24. II. — VZT; HL 25,
75/76; KLi9ii,i896/97(W);Wl4,i56i(W).
Wirth, Hermann, Geh. Kommerzienrat, Mit-
begr. u. langjahr. Vors. d. Bundes d. In-
dustriellen; * Toben i. Oberfr. 5. V. 1837;
t Berlin 20. V. — IZ 136, 11 74, 11 76 (P).
Wlskott, Max, Dr. phil. h. c. % Chef d. Finna
E. P. Wiskott, Graph. Kunstanst., ausgez.
Enthomologe, Ehrenmitgl. d. Schles. Ge-
sellsch. f. vaterland. Kultur; * Breslau
16. III. 1840; t das. 2. V. — Schles. Ztg.
3. u. 4. V. M.-A.; Schlesien 4, 460; JSG
191 1 Nekr. 40 — 42 (R. FSrster).
Wlttcke, Friedrich, Generalm. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. v. Diedenhofen,
1 89 1 z. D.; * Pasewalk 4. IX. 1833; f Stolp
i. Pomm. 24. IV. — VZ 28. IV. M.-A.; OA
1908/09, 1686.
Wittenberg, Hans, Pastor an Gethsemane i.
Berlin, Novellist u. volkswirtschaftlicher
Schriftst; * Ratzebuhr 5. II. 1858; f Arco
i. Tirol 2 5. IV. — KL 191 1,1902 (W);i9i2TL.
Wrttenburg, Rudolf von, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.
Rat, ehem. Pr&s. d. Ansiedlungs-Kommiss.
f. Westpr. u. Posen, 1901 a. D.; * Schlog-
witz, Ob.-Schles. 17. VI. 1842; f Berl.-
Grunewald 14. V. — VZ 16. V. M.-A.;
W 191 1, 981 (P); DE 10, 145/46 (M. Loese-
ner m. P); Schles. Ztg. 16. V. M.-A.; Schle-
sien 4, 561/62; Oberschlesien 10, 142.
Wittkowsky, Karl, Kaufmann, Verf. kleiner
humorist -satir. Dichtungen, Erzahl. u.
Episteln, Lebens- u. Gesellschaftsbilder,
bed. Kunstsammler; * 1852; f Berlin 7. IV.
— VZ 9. IV. M.-A. (L[udw.] P[ietsch]>
WoerttUUm, Adolf, Chef d. Woermann-Linie u.
d. bek. Rhedereifirma C. W., 1884 — 90
M. d. R., nationallib., Vors. d. Hamb.
Handelsk.; A. W. u. s. Finna sind f. d.
Entwicklung d. deutsch. Kolonien i. Afrika
von bahnbrechender Bedeutung gewesen;
* Hamburg 10. XII. 1847; f das- 4- V. —
8 7 *
Totenliste 1911: Woerner — Zipperer.
88*
VZ 4. V. A.-A.; HC 4. V. A. -A.; T 107
(P); MAZ 191 1, 306/07 (P. Busching); IZ
136, Nr. 3541. VI, VIII (P); W 1911, 774,
776 (P); DKZ 191 1 f 354/55 <P); Kolon.
Rundsch. 1911, 465 — 71 (F. Dernburg);
DRG 33, 489; AF 49, 256; JSTG 13, 91/92;
WI 4, 1570; Deutsche Export-Revue 3,
Nr. 19; Gartenlaube 1911, Nr. 16 (Tb.
Hubbe, D. konigl. Kaufmann),.
Woenier, Ulrika Carolina, Dichterin u.
Schriftst., Schwester d. Lit. -Hist. Roman
W.; * Bamberg 7. VIII. 1865; f Freiburg
i. B. 14. I. — VZ 26. I. M.-A. (H. Mauth-
ner); LE 13, 689; IZ 136, 146; KL 1911,
1924; BR 8, 44 (P); Frauenzukunft 2, 135
— 142 (A. v. Lieben); Neue Bahnen 191 1,
no (A. Lenzmann).
Wfrtlleifl, Artur, Verwaltungsdirekt. d. deut-
schen Buchdruckerei-Vereins i. Leipzig,
Schriftl. d* »Archivs f. Buchgewerbe*,
leitete d. buchgewerbl. Gruppe auf d. Welt-
ausst. i. Paris, St. Louis u. Briissel; * 13. I.
1863; t Leipzig 1 2.;XIL— VZT; WI4, 1570.
Wrede, Alfred Fiirst von, bayer. Kammerh.;
* Mondsee 2. VII. 1844; f IschL 1. X. —
VZT; HK 1914, 487.
Wurmb, Robert von, Gen.-Lt. z. D., Ritter d.
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. v. Koblenz u.
Ehrenbreitstein, 95 z. D. ; * Sondershausen
12. V. 1835; t Biebrich a. Rh. 18. IX. — VZ
21. IX. M.-A. ; MZ191 1 , 554; OAi9o8/o9,i7o6.
Xylatlder, Emil Ritter von, bayer. General-
oberst, 1851 Kadett, 54 Unterlt, 63 Oberlt.,
67 Rittm., 70 i. Generalst, 74 Major, 77
Oberstlt, 84 — 90 Milit-Bevollm. i. Berlin,
90 Gen.-Lt. u. Komm. d. 5. Div., 95 — 1905
Kom. d. 2. A.-Korps, 191 1 Generaloberst;
* Frankfurt a. M. 20. II. 1835; f Munchen
7. X. — VZ 9. X. A. -A.; MZ 1911, 583;
LJ 38, 45i; W 191 1, 1725 (P); Bayerland
23. 53 (P); OA 1908/09, 1709.
Zachadas, Eduard, Dr. phil. % Prof., Direkt.
d. botan. Staatsinstituts i. Hamburg;
* Berlin 16. V. 1852; f Hamburg 23. III. —
VZ 25. III. M.-A.; HC 24. III. A.-A., 10. IV.
A. -A. (E. Marberg); Mitt. d. deutsch.
Landw.-Gesellsch. 26, 182; KL 191 1, 1935;
WI 4, 1589; Archiv f. Hydrobiologie 6,
358 (0. Zacharias); Gartenflora 191 1, 251
(Brick); Berichte d. deutsch.. botan. Ge-
sellsch. 29. G.-V. 26 — 48 (Brick); Jahresber.
d. Vereinigg. f. angew. Botanik 8, I.
Zacher, Albert, Schriftst., Rom. Korresp. d.
Frankfurter Ztg.; * Bonn 20. II. 1861;
t Rom 12. V. — VZ 13. V. A.-A.; LE 13,
1280; KL 1911, 1936 (W); WI 4, 1589 (W>
Zahfl, Wilhelm, Oberpfarrer i. Tangermiinde,
Forscher auf d. Geb. d. altmark. Geschichte;
* Rehfeld b. Torgau 25. VII. 1848; f Tan-
germiinde 23. IV. — VZT ; KL 1 9 1 1 , 1 938 (W).
Zddler, Jakob, k. k. Prof., Direkt-Stellvertr.
d. Prufgs.-Kommiss. f. d. Lehramt f. Frei-
handzeichnen u. f. d. Lehramt d. Musik,
Mitgl. d. Prufgs.-Kommiss. f. hdhere Han-
delsschulen; * Wien 13. IX. 1855; f Moi-
ling 21. VIII. — OR 29, 90; WI 4, 1595
(W); Monatsbl. d. Vereins f. Landeskde.
i. NiederSsterr. io, 347—50 (J. W. Nagl).
Zeisler, Moritz, Mitgl. d. Kgl. Schauspielh. i.
Berlin, Prof. a. d. Marie-Seebach-Schule;
* Freiberg i. Mahr. 3. XII. 1856; t Berl.-
Charlottenburg 25. V. — VZ 26. V. A. -A.;
W 1911, 906, 910 (P); NTA 1912, 164;
EG 1 158; WI 4. 1595; DZL 1608.
Zembsch, Otto, Kapitan z. S. z. D., ao. Ges.
u. bevollm. Minister, 1886 — 88 i. lima,
1888 — 1900 Ges. i. Ecuador; * Kempen 31.
V. 1841 ; t Berlin 2. III. — VZT; 13, 488.
Zenger, Max, Prof., Komponist, friih. Opern-
u. Chordirigent; * Munchen 2. II. 1837;
f das. 18. XI. — MAZ 114, 821; Bayerland
23. 179 (P); WI 4, 1596; AMZ 1911, 1214,
1 231 (M. Steinitzer, Eine Erinnerung an M.
Z.);NMZ33,n8;Musiki.Dez.-H.VI;Ri587.
ZgHnitzki, Paul von, General d. Art z. D. f
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. t 1870/71 Adjut.
d. Prinzen Karl v. Preuflen, 74 Komm. d.
1. G.-F.-Art.-Reg., 77 Komm. d. 9. F.-
Art.-Brig., 83 Insp. d. 1. F.-Art.-Insp.,
85 Gen.-Lt, 88 z. D., 91 Gen. d. Art.;
* Posen 15. III. 1830; t Dresden 18. II. —
VZ 20. II. A. -A.; MZ 191 1, 134; WI 4,
1598; DZL 161 1.
Ziegler, Paul, Dr. med. % bed. Chirurg, Privat-
doz. a. d. Univ. Munchen; * Munchen 29. I.
1864; f das- 26. VII. — UK W.-S. 1912/13,
1, 332; Chronik d. Univ. Munchen 1911/12,
6; MMW 59, 313 ( R - Grashey); AD 3,
216/17 (W).
Zl nu ner ma im, Athanasius, S. J., Historiker;
* Betra 5. XI. 1839; f Valkenburg 12. III.
— KL 1911, 1955 (W); 1912 TL; WI 4,
1603 (W); KR 1911, 556 (W).
Zlnmierniailfl) Heinrich Edler von, Red. d.
♦Leipziger Ztg.«, verf. eine Erg. z. Schiller-
schen Demetrius, ein Trauersp. tSchubcrtf,
zahlr. Lustsp., Festsp., Nov. u. Ged.; * Graz
18. II. 1847; f Leipa 27. VII. — LE 13*
1713; BR 8, 96/97 (W); KL 1911, 1956 (W).
Zlmmermann, Karl Johann Christian, Hamb.
Baudirekt. f. Hochbau, Schdpfer d. Kran-
kenh. i. Eppendorf u. d. KunstgewerbemuS. ;
* Elbing 8. XI. 1 831 ; f Wandsbeck 18. III.
— DBZ 45. i» 243/44; ZB 1911, 169 (A.
Erbe m. P).
♦Zipperer, Wilhelm, Dr. phil., Ob.-Studienrat,
Gymn.-Rektor, Philologe u. Dialektdichtcr;
* MUnchen 18. XII. 1847; t Wurzburg
9. X. — BJ XVI, 202 (A. Dreyer); KR
I9ii f 558 (W); 1912 TL.
Verlag von Georg Reimer Berlin W. 10
Carl Schurz, Lebenserinnerungen
Band I. Bis zum Jahre 1852. Mit einem Bildnis: Schurz und Kinkel
Preis geheftet M. 7. — , gcbundcn M. 8. —
Band II. Von 1852 bis 1870. Mit einem Bildnis von Schurz
Preis geheftet M. 9. — , gebunden M. 10. —
Band III. Briefe und Lebensabrifi
Preis geheftet M. 8. — , gebunden M. 9.—
Volksausgabe des I.Bandes: Junglingsjahre in Deutschland
Preis geheftet M. 2.50, gebunden M. 3.—
Wilhelm Foerster
Lebenserinnerungen und Lebenshoffnungen
(1832 bis 1910) Preis geheftet M. 6.—, gebunden M. 7.—
Hermann Htiffer, Lebenserinnerungen
Herausgegeben von Ernst Sieper. Mit einem Portrat Htiffers.
Preis geheftet M. 9. — , gebunden M. 10. —
Ludwig Bamberger, Erinnerungen
Herausgegeben von Paul Nathan. Mit einem Portrat Bambergers
Preis geheftet M. 7.50, in Halbfranz gebunden M. 9.50
Moritz Lazarus, Lebenserinnerungen
Bearbeitet von Nahida Lazarus und Alfred Leicht. Mit einem
Portrat Lazarus'. Preis geheftet M.12. — , in Halbfranz gebunden M.14. —
Gustav von Mevissen
Ein rheinisches Lebensbild 1815 — 1899 von Joseph Hansen. 2 Bande
mit drci Portrats
Preis geheftet M. 20. — , in 2 Halbfranzbande gebunden M. 25. —
Ernst Moritz Arndt
Ein Lebensbild in Brie fen. Nach ungedruckten und gedruckten
Originalen herausgegeben von Heinrich Meisner und Robert Geerds
Preis geheftet M. 7. — , in Halbfranz gebunden M. 8.75
Graf Alexander Keyserling
Ein Lebensbild aus seinen Briefen und Tagebuchern zusammengestellt
von seiner Tochter Freifrau Helene von Taube von der Issen.
)GRAPHISCHES JAHRBUCH
UNO
:UTSCHER NEKROLOG
FRttHER ERSCHIENEN DIE BANDE:
I. DIE TOTEN DES JAHRES 1896
MIT DEN BILDNISSEN VON H. VONTREITSCHKE
UND E. DU BOIS-REYMOND
II. DIE TOTEN DES JAHRES 1897
MIT DEN BILDNISSEN VON JAC. BURCKHARDT
UND JOH. BRAHMS
III. DIE TOTEN DES JAHRES 1898
MIT DEN BILDNISSEN VON TH. FONTANE UND
C. F. MEYER
IV. DIE TOTEN DES JAHRES 1899
MIT DEM BILDNIS VON R. W. BUNSEN
V. DIE TOTEN DES JAHRES 1900
MIT DEM BILDNIS VON FRIEDR. NIETZSCHE
VI. DIE TOTEN DES JAHRES 1901
MIT .M BILDNIS VON ARNOLD BOCKLIN
VII. DIE TOTEN DES JAHRES 1902
MIT DEM BILDNIS VON RUDOLF VIRCHOW
VIII. DIE TOTEN DES JAHRES 1903
MIT DEM BILDNIS VON THEODOR MOMMSEN
IX. DIE TOTEN DES JAHRES 1904
MIT DEM BILDNIS VON FRIED RICH RATZEL
X. DIE TOTEN DES JAHRES 1905
MIT DEM BILDNIS VON ERNST ABBE
XI. DIE TOTEN DES JAHRES 1906
MIT \>EM BILDNIS VON CARL SCHURZ
Xil. JIE TOTEN DES JAHRES 1907
MIT DEM BILDNIS GROSSH. FRIEDRICHS I. VON BADEN
XIII. DIE TOTEN DES JAHRES 1908
MIT DEM BILDNIS VON WILHELM BUSCH
XIV. DIE TOTEN DES JAHRES 1909
MIT DEM BILDNIS VON THEODOR BARTH
XV. DIE TOTEN DES JAHRES 1910
MIT DEM BILDNIS VON GOTTLIEB KARL PLANCK
REGISTER ZUM I. bis X. BAND (1896-1905)
PREIS DES JAHRBUCHS PRO BAND BROSCHIERT M. 12.— j
IV FKINKM HAI.RKRANZRAND M. 14 |
EIS DES REGIS ,50 J
{LAG VUN OtUKO KfclMfcK,BfcKLI^