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Full text of "Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog Bd16 1911"

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BIOGRAPHISCHES JAHRBUCH 

UND 

DEUTSCHER NEKROLOG 

UNTER STANDIGER MITWIRKUNG 

VON 

GUIDO ADLER, F. VON BEZOLD, ALOIS BRANDL, ERNST ELSTER, 
AUGUST FOURNIER, ADOLF FREY, HEINRICH FRIEDJUNG, LUDWIG 
GEIGER, KARL GLOSSY, EDUARD FREIHERRN VON DER GOLTZ, MAX 
GRUBER, SIGMUND GUNTHER, OTTO GUNTTER, EUGEN GUGLLA, 
HYACINTH HOLLAND, ALFRED FREIHERRN VON MENSI, KARL 
OBSER, JOHANN SASS, AUGUST SAUER, BERNHARD SEUFFERT, PAUL 
SCHLENTHER, HERMANN SCHOLLENBERGER, GEORG WOLFF U. A. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

ANTON BETTELHEIM. 

XVI. BAND 
VOM I. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 19II 

MIT DEM BILDNIS VON GUSTAV MAHLER IN HELIOGRAVURE. 




BERLIN 

DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER 

1914. 




^^yhur^M(^O^v 



Vorwort 

Band sechzehn unseres Jahrbuches erschliefit fur eine Reihe be- 
deutender Lebenslaufe die Urquellen: Ernst von Plener gibt — in 
den Nachtragen — die lang erwartete Biographie seines Vaters und 
darin ein wichtiges Kapitel osterreichischer Finanzgeschichte; Graf 
Brandenstein -Zeppelin beschenkt uns mit der Erzahlung der fur 
die Umgestaltung der japanischen Zustande sehr belangreichen Schick- 
sale von Baron Alexander Siebold; Guido Adler hielt es fiir 
seine Freundespflicht, Gustav Mahlers Lebensarbeit gerecht zu 
werden in einer Wiirdigung, die schon Anfang Oktober 1913, geraume 
Zeit vor dem Erscheinen mittlerweile von andrer Hand verfaflter Mahler- 
Studien, derDruckerei zuging; Meyer-Knonau gedenkt Varrentrapps 
in treuer Gesinnung; Edward Schroder charakterisiert Wilmanns, 
Ziekursch Griinhagen, Baron Pirquet den Kinderarzt Escherich, 
Egon Zweig den Lehrer des Staats- und Volkerrechtes Georgjellinek, 
Franz Suefl den Geologen Uhlig, Emil Thomas den Philologen 
Johannes Vahlen, Elias v. Steinmeyer den Germanisten A n t o n 
E. Schonbach. In den Erganzungen findet Reichsbank-Prasident 
Koch durch Riefier, Helfert durch Heinrich Friedjung gezie- 
mende Wiirdigung; Archivrat Krieg sorgt fiir eine Reihe bisher ver~ 
mifiter Nekrologe deutscher Offiziere, zumal fiir die auch diplomatisch 
belangreiche Tatigkeit Werders. 

Von den altesten Freunden und Nothelfern des Biographischen 
Jahrbuchs ist uns 1913 Erich Schmidt entrissen worden; seit den 
ersten Heften der »Biographischen Blatter« hat er den Herausgeber 
mit Rat und Tat gefordert; unser dauernder Dank bleibt ihm gewifi. 
An seiner und an Minors Stelle sind unserem Rufe folgend bereitwillig 



£V Vorwort. 

August Sauer und Bernhard Seuffert in den Kreis der standigen 
Berater eingetreten; fur die deutsche Schweiz durften wir Adolf Frey 
Hermann Schollenberger zugesellen, der seit langerer Zeit unsere 
Bemiihungen eifrig unterstiitzt. 

Einige Hauptartikel (Dilthey, J. V. Widmann usw.) sind mir 
leider erst nach AbschluB des vorliegenden Bandes zugekommen; sie 
werden im folgenden Band zur Veroffentlichung gelangen. 

Die Herren Johann Sass und Holleck-Weithmann haben 
auch diesmal gtitigst die SchluBkorrekturen mitgelesen. 



Anton Bettelheim. 



Inhalt 



Seite 

Vorwort Ill 

Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 1911 1 

Erganzungen und Nachtrage 262 

Alphabetisches Namenverzeichnis I 366 

Alphabetisches Namenverzeichnis II 368 

Totenliste 19 1 1 5* 



DEUTSCHER NEKROLOG 



VOM I.JANUAR BIS 3i. DEZEMBER 



I9II 



Homo liber de nulla re minus quam 

de morte cogitat et ejus sapientia non 

mortis, sed vitae meditatio est. 

Spinoza. Ethices pars IV. Propos. 
LXVII. 



Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 191 1< 



Mahler, Gustav, * Kalischt 7. Juli i860, f Wien 18. Mai 191 1. — Die Ge- 
schichte der Musik enthalt in den Biographien der Tonsetzer, in der Dar- 
stellung ihres Ringens und Kampfens, der Streitigkeiten urn die Geltend- 
machung ihrer Werke, ihrer Eigenart formlich ein Stuck Kriegsgeschichte. 
Die Leidenschaften der Parteien werden auf der musikalischen Arena erhoht 
durch die Ausdrucksarten der Gefuhle und Stimmungen, wie sie aus den Ton- 
werken sich mitteilen, durch die Auffassungsweisen bei der Vorfuhrung der 
Kompositionen verschiedener Richtungen und Stilarten. Seit dem selbstandi- 
geren Hervortreten der Individuality in der Stilperiode der Renaissance, die 
bis auf unsere Tage reicht, seit dem Oberhandnehmen des Subjektivismus in 
der Tonkunst des 19. Jahrhunderts spitzen sich die Fehden immer mehr zu, 
verscharft sich der Antagonismus der Anhanger und Gegner. Besonders hitzige 
Gefechte wurden seit dem 17. Jahrhundert auf dem Gebiete der Oper auf- 
gefuhrt, die Streitaxt ruhte nie, bald wurde sie wegen eines Werkes, eines 
Komponisten, bald wegen einer Sangerin, eines Sangers geschwungen. So ist 
es nicht verwunderlich, wenn die kunstlerisch scharf umrissene Personlichkeit 
Gustav M.s in ihrem hehren Kampfe um Durchsetzung der erhabensten, 
reinsten Ideale der Tonkunst, in dem riicksichtslosen Eintreten fur moglichste 
Vollkommenheit bei der Wiedergabe der Kunstwerke unserer und vergangener 
Zeit auf Widerstande aller Art stiefi. Befremdlich war und ist nur die Art der 
Angriffe, denen der schaffende und reproduzierende Kunstler ausgesetzt war, 
die nur teilweise eine Erklarung, aber keine Rechtfertigung finden in den niederen 
Instinkten, der Gehassigkeit der Widersacher, wie sie auf fast alien Gebieten 
des offentlichen Lebens hervortreten, auf keinem mehr als dem der Tonkunst, 
wo die »Reizsamkeit« unserer Zeit eine schier krankhafte Wendung genommen 
hat. Zum Teil laflt sich der Hitzegrad und die Animositat der Geiferer ver- 
stehen durch die unerbittlich hinansturmende Willenskraft M.s, der weder sich 
noch andere schonte, wenn es gait, das durchzufuhren, was seiner tiefsten und 
hochsten kunstlerischen Cberzeugung entsprach. Fern von der Parteien Gunst 
und Hafi kann heute das menschliche und kunstlerische Bild M.s entworfen 
und der Versuch gemacht werden, sein Werk in den Bildersaal der Geschichte 
einzuordnen. So schwer die Aufgabe sein moge, so nahe wir auch noch dem 
Zeitbilde stehen, das ihn umgab und einschloB, so ist die Moglichkeit nicht aus- 
geschlossen, auf Grund liebevollen Eindringens das Wesen des Kunstlers zu 
erfassen und mit Hilfe historischen Vergleichens die Stellung zu kennzeichnen, 
die er eingenommen hat. Nicht Werturteile sollen in Orakeln vorgelegt werden — 



a Mahler. 

die wechseln nach der Zeiten Lauf und Gunst — f der Kunstler und Mensch in 
seiner Eigenart und in seinen wechselseitigen Verhaltnissen soil aufgedeckt 
und noch besser: sein Werk soil moglichst klar gekennzeichnet werden, in 
knappen Umrissen, denn mehr kann hier nicht gegeben werden. 

Wer die nachfolgende »chronologische Tabelle* (s. S. 37 fg., es ist ratsam, sie 
vorher zu lesen) mit Aufmerksamkeit verfolgt, hat bereits den aufleren Umrifl 
seines Lebens und Schaffens. Die Daten sprechen — das Wort f>saxa loquuntur* 
liefle sich hier auf die starren, diirren, trockenen Jahreszahlen und Tatsachen 
iibertragen, wie sie in formlich gemeifielter Form erscheinen. Fiir mich, der 
das Leben und Wirken M.s in freundschaftlicher Teilnahme begleitet hat, war 
die Zusammenstellung dieser Daten aus Urkunden, Berichten und der Literatur 
wie ein SchattenriC seiner ganzen Erscheinung. Sie mufite leider in ihrer 
physischen Gestalt verschwinden, bevor die reiche Seele sich vollig mitgeteilt 
und ausgesprochen, bevor sein Geist das vollendete, was er der Welt noch zu 
sagen gehabt hatte. Sein ganzes Leben wird durch plotzliches Abbrechen des 
Begonnenen und immer wieder neu Angegangenen zerstuckelt, und nur seine 
gewissermafien riesenhafte Energie brachte es zuwege, dafl er neben einer 
Reihe kleinerer Werke der Moira eine neunzackige Symphonienkrone abge- 
rungen hat. 

Von jungen Jahren an war er darauf angewiesen, sein Brot zu verdienen, 
so sehr seine Eltern darauf bedacht waren, ihm Erleichterung zu verschaffen und 
Unterstiitzung zu gewahren. Sie waren bestrebt, bei aller Kleinheit der Verhalt- 
nisse ihren Kindern eine sorgfaltige Erziehung und gediegene Bildung angedeihen 
zulassen. In Iglau, der national umbrandeten deutschen Sprachinsel, wuchs der 
Knabe heran; erfand reiche musikalische Nahrung in den Volksliedern derbeiden 
Stamme, unter denen er seine Jugend verbrachte. Seine Phantasie wurde angeregt 
durch die sagenumwobene Waldlandschaf t und das muntere Treiben der Garnison, 
deren Signale symbolische Bedeutung bei ihm gewannen. Morgen- und Abend- 
appell, Rufe und Exerziermotive setzten sich bei ihm in Klangbilder um, die 
sich um die Gestalt des alten deutschen Landsknechtes verdichteten. Sie 
tauchen in lebendiger Erfrischung immer wieder auf, auch in Liedern und In- 
strumentalwerken der spateren Zeit, so in »Reveglie«, »Tambour-Geselle«, 
»Der Schildwache Nachtlied«, »Der Gefangene im Turm«, »Wo die schonen 
Trompeten blasen«, im ersten und dritten Satz der dritten, in dem Variationen- 
satze der vierten Symphonic usw. Daraus erklart sich auch M.s Vorliebe fiir 
Marschrhythmen aller Art, die sich in seinen Werken immer wieder finden, 
Freud und Leid begleiten — die schonste Verklarung findend im ersten Satz 
der f unf ten Symphonie, dem leidenschaftlich erregten Trauermarsch in Cis-Moll, 
gleichsam eine Steigerung der Stimmung im gleichartigen Satze der »Eroica« 
von Beethoven. 

Wie ein roter Faden gehen die Eindriicke seiner Jugend durch sein Schaffen 
wahrend des ganzen Lebens. Mit riihrender Anhanglichkeit hielt er daran fest, 
wie er jedem gegeniiber Treue und Dankbarkeit bewahrte, der ihm einmal Gutes 
erwiesen hatte, oder von dem er annahm, daO dem so sei. An seiner Familie 
hielt er in Pietat fest und sorgte nach dem Tode seiner Eltern gleichsam vaterlich 
fiir die Bildung seiner Schwestern. Er selbst war von unermudlichem Bildungs- 
eifer erfullt. Er verschaffte sich Lektiire aller Art, mit besonderer Vorliebe 
dichterische und philosophische. Hatte er doch kurze Zeit daran gedacht, sich 



Mahler. 



5 



ganz der Poesie zu widmen. Der musikalische Unterricht in seiner Heimat 
reichte nicht uber die Grundelemente hinaus. Als er mit 15 Jahren an das 
Konservatorium in Wien kam, brachte er an Begabung mehr mit als an Fertig- 
keit. So gute Lehrer er da im Klavierspiel und Harmonielehre hatte, so war 
doch die Anleitung in den hoheren theoretischen Fachern (in Kontrapunkt und 
Komposition) nichts weniger als tiefgrundig und zweckentsprechend. Das 
Talent rnufite sich uber diese luckenhafteAusbildunghinwegheben, undM. konnte 
erst in viel spateren Jahren diese Mangel durch eisernen FleiB und unent- 
wegtes Selbststudium beheben. Der Junge hatte eine so rasche Auffassung, 
daO der Lehrgang formlich in Sprungen erledigt wurde. Am meisten Gewinn 
zog er von der anfeuernden Tatigkeit des Direktors der Anstalt, denn dieser 
wirkte besonders vorbildlich durch den Vortrag der Kammermusik. Das 
»Hellmesberger-Quartett« beeinfluflte uns mehr als aller Unterricht. Der 
Vortrag der Quartette aus der letzten Periode Beethovens rief tiefere Eindriicke 
hervor, als alles damals in Wien Gebotene und wirkte auch stilistisch auf alle 
Schiiler der Komposition. Dazu kamen die Orchesterubungen des Konserva- 
toriums unter der Leitung des Direktors. Die Atmosphare des »Musikvereins« 
mit seinen geringen Mitteln und dem bewundernswerten Opfermut war forderlich 
in bezug auf Wiedergabe von Tonwerken, und die besten Kapellmeister gingen 
damals aus der Wiener Schule hervor. M. konnte nicht viel horen, da seine 
Mittel mehr als beschrankt waren. Fast alle Opern, die er spater im Dienste 
des Tages dirigieren, »herausbringen« rnufite, so gut es ging, hat er erst in 
eigener Praxis kennen gelernt. So konnte er original bleiben in der Auffassung 
und sich in jedes Werk kraft der ihm eigenen Intuition stilistisch einfuhlen 
und einleben. Den herrlichsten Orchesterklang konnte er in den unendlich 
mannigfaltigen Schattierungen bei den Wiener Philharmonikern kennen 
lerncn — dem Genie genugt auch der rasche, seltene Einblick, und es eroffnet 
sich ihm eine Perspektive ins Unabsehbare. Wenn er in den engsten Kunst- 
gassen kleiner osterreichischer Provinzstadte Opern mit Drittelbesetzung der 
erforderlichen instrumentalen Mittel, bei volligem Mangel der nicht ganz ge- 
wohnlichen Orchesterinstrumente zum Lampenlicht befordern, Stimmen urn- 
schreiben, ubertragen, einrichten muCte, dann lechzte das innere Ohr nach 
Vervollstandigung und ebenmafiiger Darbietung, wie ein Durstender nach 
Wasser. Da lernte er die Not kennen, die so sehr druckt, wie wenn ein Vater 
seine Kinder nicht ernahren kann. Diese Entbehrungen wirkten dann, als M. 
an die Spitze von vollkraftigen, gutsituierten und fundierten Instituten gestellt 
war, insofern nach, als er von den zu Gebote gestellten Kraften das aufierste 
Mafi von Dienstleistung erforderte — denn im Dienste der Kunst, eines Werkes, 
schien ihm keine Forderung zu hoch, um das Erreichbare zu erringen, nicht 
wegen des aufleren Erfolges, nur zur Befriedigung des inneren Triebes und zur 
Erfullung der Pflicht, die ihm heilig war. 

Mit 24 Jahren kam er in Kunstinstitute, die hoheren Anspruchen nach- 
kommen konnten: als zweiter Kapellmeister in Kassel, dann in Prag und 
Leipzig. Da dirigierte er Opern von Weber, Marschner, Meyerbeer (Kassel), 
von Cherubini, Mozart, Beethoven, Wagner, Gluck (Prag), sogar Mozart- und 
Wagner-Zyklus (Leipzig). Er studierte die schwierigsten Werke neu ein und 
betatigte sich auch als Konzertdirigent, sogar der 9. Symphonie von Beethoven, 
mit deren Leitung er in Prag einen so tiefen Eindruck hervorrief (ich wohnte 



(J Mahler. 

als Professor der deutschen Universitat der Auffuhrung bei), dafl ihm von 
akademischen Kreisen (auf Veranlassung des Pathologen Philipp Knoll, eines 
politischen Fiihrers der Deutschen in Bohmen) unter Beteiligung der tibrigen 
Gesellschaftskreise eine Adresse uberreicht wurde, die der Bewunderung und 
Dankbarkeit fur den funfundzwanzigjahrigen Dirigenten denkwiirdigen Aus- 
druck gab. Bei einem im vorhergegangenen Sommer in Munden veranstalteten 
Musikfest hatte M. auch begeisterte Zustimmung erhalten. Der ehrgeizige 
junge Kunstler suchte nach einem grofieren, selbstandigeren Wirkungskreise 
und fand diesen als Direktor der Koniglichen Oper in Budapest. Er, der in 
zweiter Stellung in Prag (neben Anton Seidl als erstem), in Leipzig (neben 
Arthur Nikisch) gewirkt hatte, fuhlte seine Schwingen kraftig genug, um sich 
zu einer ersten Stellung emporzuheben. Es war ihm darum zu tun, Werke 
dirigieren zu konnen, die seinen Neigungen entsprachen, und die er frei wahlen 
konnte. Die Theater in Leipzig und Prag sind Privattheater, werden wohl 
subventioniert (von der Stadtgemeinde in Leipzig, von dem Landesausschufi 
in Prag als »Kgl. deutsches Landestheater«), allein die Pachter haben mehr 
oder minder freies Verfiigungsrecht, besonders in Engagements, und sind ganz 
ungebunden in der kunstlerischen Leitung. Angelo Neumann in Prag, Staege- 
mann in Leipzig waren geschickte Theaterleiter und wufiten sich zu behaupten, 
was in Prag um so schwieriger war, weil in der national zerklufteten Stadt das 
deutsche Theater unter der Konkurrenz des tschechischen Nationaltheaters zu 
leiden hatte, eine bedeutend geringere Dotation bezog als das tschechische Theater 
und ein viel kleineres Publikum hatte, das allerdings sehr theaterfreundlich 
war und ist. Das Orchester war nicht erstklassig und konnte nicht in der Weise 
gehoben werden, wie dies M. und andern erwiinscht schien. M. konnte in 
beiden Stadten die Findigkeiten eines »impresario in angustie* kennen lernen. 
Er eignete sie sich nicht an und blieb zeitlebens ein geradliniger, nur kiinst- 
lerische Ziele verfolgender Mann. Er hatte es am liebsten mit dem grofien 
Haendel gehalten, der als Opernleiter untaugliche Sanger sofort entfernte oder 
gar eine unbotmafiige Sangerin zum Fenster hinaushielt, als ob er sie ganz 
fallen lassen wollte. Ernste, eifrige Darsteller fanden in ihm den hingebungs- 
vollsten Instruktor und Fuhrer. Dies hatte sich schon in seiner bisherigen 
Tatigkeit gezeigt. Somit konnte auf eine an mich von dem in Budapest als Pro- 
fessor des Cellospieles wirkenden David Popper (einem gebiirtigen Prager) 
gerichtete Anfrage (die im Namen mehrerer einflufireichen Pester Kunstler 
gestellt wurde, darunter Edmund v. Mihalovich) die beruhigende Auskunft 
und sichere Erklarung gegeben werden, dafi M. als Kunstler und Mensch zu 
der Stellung eines Opernleiters vollkommen geeignet sei und sein Organisa- 
tionstalent sich jedenfalls entfalten werde. Diese meine Oberzeugung bewahr- 
heitete sich in glanzendster Weise, und ihr konnte abermals voller Ausdruck 
gegeben werden, als M. spater nach Wien kommen sollte und der Intendant 
Baron Bezecny diesfalls wegen seiner Zweifel sich an dieselbe Seite wandte. 
In Pest gab es schwere Arbeit: die im Jahre 1884 eroffnete koniglich un- 
garische Oper — bis dahin waren Oper und Schauspiel im »Nationaltheater« 
vereinigt — war Ende 1887 »bei ihrer ersten kunstlerischen und finanziellen 
Krise angelangt«. M. machte dem Gast- und Starsystem ein jahes Ende und 
suchte mit den dort zur Verfugung stehenden Kraften ein Ensemble zu schaffen, 
das dem Statut gemaC in ungarischer Sprache einheitliche Leistungen bieten 



Mahler. 7 

sollte. In den 21/2 Jahren seiner Wirksamkeit gelang ihm dies soweit, daC er 
»das ungeschulte Material zu staunenswerter stilistischer Sicherheit fiihrte* 
(Bericht des Dr. B£la Di6sy). Nur im hochdramatischen Fach mufite er aus- 
hilfsweise deutsche Sangerinnen heranziehen, die in italienischer Sprache 
singen mufiten. So hoch gingen die chauvinistischen Wogen. Das Repertoire 
umfafite Opern, die in wurdiger Weise nur ein erstklassiges Institut auszufuhren 
imstande ist — deutsche, franzosische, italienische und auch ungarische. »Die 
kunstlerische Hohe der Auffuhrungen — in denen auch das phanomenale Regie - 
talent M.s in Erscheinung trat — wurde von der koniglichen Oper nie wieder 
erreicht.« »Die Darbietungen des Orchesters wurden zu einer bis dahin un- 
geahnten Vollendung gebracht.« Das Theater wurde »finanziell saniert, kiinst- 
lerisch zur glanzendsten Ara erhoben«. Die besten Musiker der Stadt — 
v. Mihalovich, Hubay, KoeBler, v. Herzfeld u. a. — leisteten begeistert Folge, 
ebenso wie das Publikum, soweit es nicht aus Anhangern des wncien regime*, 
aus gestiirzten einheimischen Grofien bestand oder nur aus chauvinistischer 
Opposition gegen den »deutschen« Kunstler Stellung nahm. Die eiserne Energie, 
die nur kunstlerische Ziele verfolgende, personliche Ambitionen nicht schonende 
eherne Disziplin hatte auch MiBstimmungen zur Folge. Als Regierungs- 
kommissar Stephan v. Benicky, der Vorgesetzte des Direktors, der mit Ver- 
standnis der aufopferungsvollen Tatigkeit gefolgt war, sein Amt mit dem eines 
Obergespans des Pester Komitates vertauschte und der einarmige Klavier- 
virtuose und Komponist Graf G^za Zichy, »ein hochfahrender Magnat« zum 
Intendanten ernannt wurde und die »Direktionsagenden ganz oder zum Teil 
an sich nehmen wollte«, da mufite M. nach einigem Widerstand weichen. Graf 
Zichy gestand nachher in freimiitiger Weise, dafi es der grofite Fehler seiner 
Tatigkeit gewesen sei, dafi er M. hinausgedrangt habe. Zu spat! Einen be- 
sonders kostlichen Erfolg trug M. aus der Magyarenstadt mit sich: die An- 
erkennung von Brahms, der wider Willen in eine von M. geleitete Don Juan- 
Auffuhrung gezogen wurde. Vor dem Theater sagte er: »Mir macht niemand 
den ,Don Juan' recht. Wenn ich ihn geniefien will, lege ich mich aufs Sofa 
und lese die Partitur.« Wahrend der Auffuhrung: »Ausgezeichnet! Famos! 
Groflartig! Ja, so ist es endlich! Aber das ist ja ein Teufelskerl!« Schon nach 
dem ersten Akte muflten ihn KoeBler und v. Herzfeld auf die Biihne ftihren, 
wo er dem jungen Leiter um den Hals fiel und ihm strahlend zurief, daB dies die 
beste Auffuhrung des »Don Juan« sci, die er gehort habe. Wie oft mogen 
wahrend der nachfolgenden Wirksamkeit in Hamburg und Wien Kunstler und 
Kunstfreunde mit dem gleichen oder ahnlichen Verstandnisse wie Brahms 
solche Wirkung erlebt haben! Das Gestandnis soldier Begeisterung ist nur 
von solchen Leuten zu erwarten, die unvoreingenommen und nicht hafi- oder 
neiderfullt sind! 

An dem Tage, da M. seine Entlassung in Pest nahm, wurde er telegraphisch 
von Pollini nach Hamburg berufen. Er wirkte daselbst als erster Kapellmeister 
durch sechs Jahre und konnte mit tiichtigen Kraften Musterauffiihrungen 
bieten, die ihn in den Augen Hans v. Biilows als Lebenserwecker der Ham- 
burger Oper erscheinen lieflen. Eine Kranzwidmung des in ganz Deutschland ge- 
fiirchteten kritischen Musikmeisters trug die Aufschrift: »Dem Pygmalion der 
Hamburger Oper — Hans v. Biilow.« Als sich Biilow krank und elend fuhlte und 
von der Leitung der Abonnementskonzerte der ^Hamburger Musikfreunde« 



8 Mahler. 

zuriicktrat (1893), wies er auf M. als einen geeigneten Nachfolger, der denn 
auch 1894/5 die Leitung fiihrte. Schon 1885 hatte Bulow gelegentlich der 
Besetzungsfrage eines Kapellmeisters an der Berliner Oper unter den ihm 
geeignet erscheinenden Kandidaten Weingartner, Nicod6, Zumpe auch M. 
angeftihrt — den damals 25 jahrigen! (Briefe VI, 359). Indessen auch in Ham- 
burg erhoben sich einzelne abweisende Stimmen, wie dies bei einem so stark 
eingreifenden und weit ausgreifenden Kiinstler wie M. erklarlich ist. Tiefere 
Grunde sind bisher nicht aufgedeckt worden, und es wird wohl schwer halten, 
aus den Journalstimmen Fur und Wider ein wahrheitsgetreues Bild zu gewinnen. 
Von berufener Seite wurde erklart, dafi »Hamburg unter M. ein Zentrum 
musikalisch fortschrittlichen Lebens war*. Die Kiinstler, die ernst arbeiten 
wollten, hingen ihm mit Verehrung an, und so folgten ihm denn auch einige 
nach, die er an den Ort seiner neuen Wirksamkeit rief: Anna v. Mildenburg, 
Bertha Foerster-Lauterer, Leopold Demuth, Erik Schmedes. Sie fanden in 
Wien eine Statte, wo sie unter Fuhrung des »artistischen Direktors des k. k. Hof - 
operntheaters« zu neuen Taten und zu Siegen gelangten. Durch einige Monate 
war M. als Kapellmeister und als Stellvertreter des Direktor Jahn tatig, hierauf 
wurde er mit der selbstandigen Leitung betraut. Unter den Solisten fand er 
an namhaften Kraften vor: Winkelmann, Reichenberg, Schrodter, Van Dyck, 
Ritter, Reichmann, Hesch, von Solistinnen: Renard, Walker, Sedlmair. Kapell- 
meister: Hans Richter, Joh. Nep. Fuchs, Ferdinand Hellmesberger, Bayer. 
Die ersten drei schieden im Laufe der Jahre aus: Richter trat am 2. Marz 1900 
von seinem Amte zuriick und fand in England einen Wirkungskreis, bei dessen 
Ausiibung er einem jiingeren Kollegen nicht untergeordnet zu sein brauchte. 
Die GrUnde seines Scheidens lagen in den Verhaltnissen, in denen der seit 
25 Jahren in Wien wirkende Hofopernkapellmeister sich nicht mehr zurecht- 
finden mochte. Die ihm anhangende Partei wurde von einer billigen und ge- 
rechten Wurdigung der Leistungen M.s wie von selbst abgeruckt und fand eine 
natiirliche Verstarkung durch die im Wiener Rathause zur Herrschaft gelangte 
politische Partei, soweit diese sich iiberhaupt um kiinstlerische Angelegenheiten 
kiimmerte. Fur diese war nicht das kiinstlerische Moment ausschlaggebend, 
sondern das personliche, der blinde Fanatismus, der, da M. bei seiner tJber- 
nahme des Hofamtes zum Katholizismus ubergetreten war, sich nicht gegen 
die Konfession kehren konnte, sondern gegen die Abstammung. Kostganger 
dieser Partei in der Presse und auch einzelne in der liberalen oder pseudo- 
liberalen Presse sich betatigende Widersacher, die durch Angriffe solcher Art 
sich unabhangig, »parteilos«, gerieren wollten, gesellten sich der kompakten 
Gegnerschaft, die bald von dieser oder jener Seite ihre giftigen Pfeile los- 
schofi. M. arbeitete riistig und unentwegt weiter, wie bisher. Er gewann 
nebst den obgenannten Hamburger Kraften die Kiinstlerinnen Hilgermann, 
Gutheil-Schoder, Kittel, Weidt, Forst, Bland, Cahier, Kurz, die Kiinstler 
Slezak, Weidemann, Mayr u. a., berief die Kapellmeister Franz Schalk, 
Bruno Walter, Spetrino, Lehnert, die erhalten blieben, wahrend Ferd. 
Loewe, Brecher, v. Zemlinsky nach kurzer Tatigkeit schieden. Von den 
ubernommenen Kapellmeistern schieden Fuchs (1899 durch Tod) und Ferd. 
Hellmesberger. Von namhaften Sangern und Sangerinnen schieden im 
Laufe der Jahre: Dippel, Renard, Van Dyck, Reichenberg, Naval, 
Winkelmann, Ritter, Forster, Sedlmair u. a. Wer mit den Personalien der 



Mahler. n 

Oper aus dieser Zeit vertraut ist, wird erkennen, dafi das leitende Prinzip fur 
Berufungen und Entlassungen die Riicksicht auf die Moglichkeit einer Ein- 
ordnung in ein einheitlich organisches Ensemble war. Die Abgange sind zum 
Teil aus Unzulanglichkeit einzelner Krafte mit Hinblick auf die besonderen 
Leistungen, die erwartet und beansprucht werden mussen, zu erklaren, zum 
Teil aus der machtigen Konkurrenz, die amerikanische Biihnen mit ihren 
Honoraren den Hofbiihnen der Alten Welt bereiten und zugkraftige Sanger 
in ihre Goldkafige einfangen. Nie aber war ein personliches Moment ausschlag- 
gebend ; am tiefsten beklagte M. den Abgang Winkelmanns, dieses ernsten und 
diensteifrigen Sangers groflen Stils, der in Pension trat. In einzelnen Jahren 
von M.s direktoraler Verwaltung war eine erhohte Zahl von Gastspielen notig 
(so besonders in der Saison 1902/03), da er sich wegen verschiedener Repertoire - 
schwierigkeiten nicht oft entfernen konnte, um geeignete Auswahl zu treffen. 
Als er dann auch fur Zwecke von Auffuhrungen seiner Werke ins Ausland, be- 
sonders nach Deutschland reiste — keiner seiner Symphonien wurde zu seinen 
Lebzeiten eine Erstauffuhrung in Wien zuteil, da er zu vornehm war, seine 
Stellung irgend zu personlichen Zwecken zu gebrauchen — hatte er Gelegen- 
heit, an verschiedenen Orten die Liicken des Personals zu erganzen. Er tat 
dabei ein libriges, um das Ensemble moglichst vollstandig zu haben, jede Neu- 
auffiihrung oder Neueinstudierung mit doppelter Besetzung versehen zu konnen 
und die unliebsamen Anderungen im festgesetzten Repertoire zu vermeiden. 
Mit peinlicher Akkuratesse ging M. in der Erganzung und Neubestellung von 
Instrumentisten des Hofopernorchesters vor und sorgte fur die Erhohung ihrer 
Beziige. Diesem wie dem Chor und der Komparserie war seine besondere 
»soziale« Fursorge zugewendet. 

Das Orchester war zur Zeit seiner Obernahme des Direktorates bei aller 
Vorzuglichkeit erganzungsbedurftig. Schritt fur Schritt muBte das Terrain 
gewonnen, gestarkt und erweitert werden. Die Disziplin war in den letzten 
Jahren des Direktorates Wilhelm Jahn gelockert, da dieser erfahrene Theater- 
leiter leidend war und die Kapellmeister trotz ihrer kunstlerischen Qualitaten 
weder die Befugnisse noch die zureichende Autoritat besafien, um Wandel zu 
schaffen. Ein daissez aller, laissez faire« hatte sich eingeschleppt und die 
FoJgen waren sogar in den von Hans Richter geleitcten Wagner-Auffuhrungen 
unliebsam fiihlbar. So ging denn M. an die Neueinstudierungen und fiihrte die 
Wagner-Opern strichlos auf. Nacheinander kamen: »Meistersinger«, »Tristan«, 
»Ring«, dann die alteren »Rienzi«, »Hollander«, »Tannhauser«, »Lohengrin«. 
Vollige Umwandlungen der bisherigen Auffuhrungen, in neuem, kunstlerischem 
Gewande. Hiezu verband er sich mit Alfred Roller, den er im Kreise bildender 
Kunstler, die im Hause des Stiefvaters seiner Braut und nachmaligen Gattin, 
des Malers Karl Moll verkehrten, kennen gelernt hatte; mit diesen, darunter 
Gustav Klimt und Kolo Moser verbanden ihn freundschaftliche und kunst- 
lerische Beziehungen. So entstand eine Harmonie der Gesinnungen und Stre- 
bungen, die auf dem Gebiete der Szenerie fur die Hofoper bestimmend und 
fur das Ausland mit mafigebend wurde. M., der Dirigent, Dramaturg, Szenen- 
leiter und Sangerfiihrer, der den Vortrag, die ganze Darstellung bis ins Kleinste 
leitete und bestimmte, hatte in Roller einen Genossen gefunden, der das szeni- 
sche Bild in einer den kunstlerischen Absichten des obersten Leiters vollkommen 
homogenen Weise ausfuhrte. Der bildende Kunstler ordnete sich bald unter, 



IO Mahler. 

bald zog er den Direktor an seine Seite und vermochte ihn zu tiberzeugen. In 
musikalisch-dramaturgischer Beziehung gab es kein Experimentieren, wohl 
manchmal Anderungen wahrend des Studierens, in szenisch-malerischer Aus- 
fiihrung wurden Versuche gewagt, die, an sich wertvoll, den Weg zu hoherem 
Vollenden wiesen. Die von beiden ersehnte Hohe zu erreichen, war ihnen leider 
nicht vergonnt, da Roller bald seinen Abschied nahm, als M. gegangen war. 
Nur gleichartige Kunstlernaturen vermogen in solchem Dienste Einheitliches 
zu schaffen: das Opernhandwerk kann nur durch ideelle Obereinstimmung 
aller Beteiligten zur wahren Kunstlerbetatigung geadelt werden. Die De- 
korationen im »Tristan« in der vollen Ausgeglichenheit der Farben mit den 
Klangfarben der Szenen, der notwendigen Zusammengehorigkeit der raum- 
lichen Begrenzung und Ausdehnung mit den dramaturgischen Anforderungen, 
mit der Poesie von Wort und Weise waren geradezu von uberwaltigender Wir- 
kung, ohne irgend ihre Bestimmung durch Aufdringlichkeit zu storen. Die 
Versuche erstreckten sich auch auf die neu einstudierten Mozart-Opern; da 
waren die Probleme noch nicht restlos gelost. Musikalisch gehorten diese Auf- 
fuhrungen zu den stilreinsten, die je in der Wiener Oper und wohl auch auf 
alien Theatern der Welt geboten wurden — soweit die Kenntnis aus unmittel- 
barer Beobachtung und den Schilderungen der Zeitgenossen zu gewinnen ist. 
Der Historiker kann auch aus den Schilderungen der Vergangenheit nicht eine 
hohere Vollendung stilvoller Wiedergabe in den verschiedenen Schulen konsta- 
tieren. »Cosi fan tutte% »Zauberflote«, »Entfuhrung«, »Figaro«, »Don Juan« — sie 
gelangten der Reihe nach zur Verjiingung, und vorziiglich diese Wiener Auf- 
fiihrungen fiihrten die Mozart-Renaissance mit herbei, die in tinserer Zeit der 
Ebbe der Opernproduktion als Not- und Jungbrunnen sich erwies. Die Ein- 
fiihrung der Gerichtsszene aus Beaumarchais' Drama in den »Figaro« von Da 
Ponte verdeutlicht die Handlung im Sinne der Beaumarchaisschen Dichtung. Die 
dramaturgische Neueinrichtung der »Euryanthe« scheint mir ein Gewinn zu 
sein, wie ich an anderem Orte nachzuweisen suchte (Zeitschrift der Intern. 
Musik-Gesellschaft V. Jahrg.). Neu einstudiert wurden ferner Werke von Gluck, 
Rossini, Meyerbeer, Hal^vy, Verdi, Goldmark, des weiteren komische Opern, 
darunter »Zar und Zimmermann«, »Fra Diavolo«, »WeiCe Dame«, »Lustige 
Weiber«, dann »Freisch(itz«, »Falstaff«, »Iphigenie in Aulis«, »Fidelio«. 
Letzterer in einer unvergleichlichen Wiedergabe, mit Verlegung der ersten 
Szene in eine Stube von Roccos Wohnung, mit der Einlegung der dritten 
Leonoren-Ouverture zwischen Kerker- und Schlufiszene, nach dem Duett der 
Gatten, wahrend die »Fidelio-Ouverture« am Anfang gespielt wurde. 

Mit der letzten Auffiihrung dieser mit Rollerschen Dekorationen (besonders 
charakteristisch in der Kleinburgerstube, dem diisteren Gefangnishof und der 
f reien Landschaf t) ausgestatteten, mit den feinsten Details der musikalischen Aus- 
fuhrung (wie allenthalben bei M.schen Einstudierungen) versehenen und in ihrer 
Grofizugigkeit imponierenden, in ihrer Tiefe undGewalt erschlitternden Wieder- 
gabe des Beethovenschen Werkes nahm M. Abschied von der Statte seines 
Wirkens: am 15. Oktober 1907 dirigierte er zum letzten Male in dem Hause, 
in dem er zum ersten Male am 21. Juli 1897 »Lohengrin« dirigiert hatte. Dem 
Publikum war es nicht bekannt, dafl M. in der Oper nicht mehr dirigieren werde. 
Er wollte jede Demonstration vermeiden. Zwischen der ersten »Lohengrin«- und 
der letzten »Fidelio«-Auffuhrung lag ein weiter Zeitraum, innerhalb dessen sich 



Mahler. 1 1 

nicht die Fahigkeiten und die Meisterschaft M.s geandert hatten, wohl aber 
die Wuhlereien und Unterminierungen der Gegner den verstandnislosen und 
wankelmiitigen Teil des Publikums fur die Leistungen blind und taub gemacht 
hatten. So pflegt es oft und an manchen Orten zu sein. Die Wiener sind in 
mancher Beziehung wie die alten Romer: movarum rerum cupidi«. Mit 
diesem Umstande der Neuerungssucht hat sowohl die Theater-, wie die oberste 
Staatsbehorde zu rechnen. Das Neue an sich scheint begrufienswert, auch 
wenn es mit dem Bisherigen in willkurlichster Weise abbricht. Dies geschah 
jetzt in der Oper, so mit der wunderherrlichen »Fidelio«-Auffuhrung M.s, 
die von der neuen Direktion zerstort und umgebaut wurde! M. hatte aus 
dem Schatz des alteren Opernbestandes auch die Aulidische Iphigenie von 
Gluck zu bluhendem Leben gebracht. Er hatte weitere Schatze gehoben, wenn 
seine Tatigkeit nicht ein vorzeitiges Ende gefunden hatte. 

Schwierig gestaltete sich wahrend seiner Wiener Tatigkeit die Wahl von 
neuen Werken. Dafi er den richtigen Blick fur w r irksame neue Opern hatte, 
bewies er schon in Pest, wo er Mascagnis »Cavalleria rusticana« zum erstenmal 
aufierhalb Italiens zur Auffiihrung gebracht hatte. Allein die zeitgenossische 
Opernproduktion war damals noch armer als heute. Richard Straufl' >>Feuers- 
not«, Pfitzners »Rose vom Liebesgarten« waren die besten deutschen Opern, 
die ihm zur Verfugung standen. »Salome« blieb ihm verwehrt, da die Zu- 
stimmung der Hofbehorde damals nicht zu erreichen war, >>Lobetanz« 
von Thuille, »Barenhauter« von Siegfried Wagner, »Kriegsgefangene« von 
Goldmark, »Donna Diana« von Rezniczek, »Die Abreise« und »Flauto solo« 
von D' Albert, »Das war ich« von Leo Blech waren die weitere (magere) Aus- 
beute aus den Werken deutscher Kiinstler. Von Slaven kamen daran: Tschai- 
kowsky mit »Onegin«, »Jolanthe«, »Pique Dame«, Smetana mit >>Dalibor«, 
Rubinstein mit »Damon«. Von italienischen Werken wurden neu gebracht: 
»Boheme« von Leoncavallo und auch die von Puccini, »Fedoro« von Giordano, 
»Die neugierigen Frauen« von Wolf-Ferrari, und »Madame Butterfly« von 
Puccini. Von Franzosen kamen mit Erstauffuhrungen zu Wort: Saint-Saens 
(»Samson und Dalila«), Bizet (»Djamileh«), Delibes (»Lakm6«), Charpentier 
(»Louise«), Erlanger (»Polnische Jude«), Offenbach (»Hoffmanns Erzahlun- 
gen«). Osterreicher: Hugo Wolf (»Corregidor«), Zemlinsky (»Es war einmak), 
J. Forster (»Der dot mon«), I. Reiter (»Bundschuh«). Vierzehn neue Ballette 
wurden gegeben, und aus dem alteren Operngebiete wurden aufgenommen: 
Haydns »Apotheker«, Mozarts »Za'ide«, Lortzings »Opernprobe«. Daneben 
gelangte der eiserne Bestand des Opernrepcrtoires, sow r eit Zeit und Umstande 
es gestatteten, zur Auffrischung. Weit ausgreifend waren die Plane M.s und 
manches Werk mifite er ungern im Repertoire oder empfand schmerzlich die 
Unzulanglichkeit des von friiher iibernommenen Standes der Auffiihrung dieser 
oder jener Oper. Gluck, Marschner und Weber sollten erganzt werden, Berlioz 
zu Worte kommen. Manche Llicke sollte ausgefiillt, der unersattliche Theater- 
moloch befriedigt werden. »Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich ge- 
traumt, hinterlasse ich Stuckwerk, Unvollendetes: wie es dem Menschen be- 
stimmt ist«, sagte M. in (iberbescheidener Weise in seinem Abschiedsschreiben 
»an die geehrten Mitglieder der Hofoper«. »Nicht immer konnten meine Be- 
muhungen von Erfolg gekront sein. »»Dem Widerstand der Materie«« — »»der 
Tiicke des Objekts«« ist niemand so uberantwortet wie der ausiibende Kiinstler. 



j 2 Mahler. 

Aber immer habe ich mein Ganzes darangesetzt, meine Person der Sache, meine 
Neigungen der Pflicht untergeordnet. Ich habe mich nicht geschont und durfte 
daher auch von den andern die Anspannung aller Krafte fordern. Im Ge- 
drange des Kampfes, in der Hitze des Augenblicks blieben Ihnen und mir nicht 
Wunden, nicht Irrungen erspart. Aber war ein Werk gelungen, eine Aufgabe 
gelost, so vergaflen wir alle Not und Miihe, fuhlten uns reich belohnt — auch 
ohne aufiere Zeichen des Erfolges. Wir alle sind weitergekommen und mit uns 
das Institut, dem unsere Bestrebungen galten.* So konnte der Kiinstler im 
Hinblick auf Wollen, Konnen und Leisten ruhig sagen. 

Welch' niedere Angriffe sind dagegen gerichtet worden! Jede Unbot- 
mafligkeit eines Mitgliedes wurde zur »Affare« aufgebauscht, bei der nur die 
»Tyrannis«, »Laune«, »Willkiir« des Direktors schuld trugen. »Bedenkliche 
Klagen« wurden erhoben — gegen alles, was geschah, gegen Repertoire, An- 
nahme von Novitaten, Stellung der Kapellmeister, ktinstlerische Ausbildung 
des Personals, Verfall des Balletts. Ich zitiere ipsissima verba, ohne solchen 
Leuten die Ehre anzutun, ihre Namen zu nennen. Es wurde ihm die Fahigkeit 
abgesprochen, kiinstlerische Personlichkeiten beurteilen zu konnen; es wurde 

ihm vorgeworfen, <dafl er ausschliefilich personliche Zicle verfolge Die 

Vorwiirfe stiegen ins Ungeheuerlichste. Wenn er die Claque abstellte als eines 
ernsten Kunstinstitutes unwurdig, wurden die klatschenden Handflachen ver- 
mifit. Als er zur Vermeidung von Storungen das Eintreten wahrend des Spieles 
verbot, emporten sich erbgesessene Sperrsitzbesucher. Allmahlich gewann 
seine Energie die Oberhand — beim Publikum, seine eiserne Disziplin — beim 
Personal. Allein alle »Affaren«, alle Angriffe waren nur Bruchteile des Wider- 
standes, der aus kunstlerischen Griinden weder zu verstehen war, noch sich 
rechtfertigen liefi — die Sache wurde, wie Max Burckhard sagte, ein »Politi- 
cum*. M.s Lust an der Arbeit konnte nicht gebrochen werden, aber ein Ekel 
stellte sich ein, der noch verstarkt wurde durch private Einflusse von einer 
Scite, von der man hatte erwarten konnen, daC sie mildernd und ausgleichend 
wirkte. Denn M.s Schaffen sollte nicht durch neuerliches Einleben in fremde 
Verhaltnisse geschwacht werden. Er war in Wien und Osterreich eingewurzelt. 
Als universaler Kiinstler hatte er doch das engere Heimatsgefuhl nicht verloren, 
und wenn er schon die Statte seines ruhmwurdigen Wirkens verlassen sollte, 
so hatte einzig die Zuriickgezogenheit getaugt, die ihm die Moglichkeit geboten 
hatte, den Auffuhrungen seiner Werke mehr Zeit zu widmen. In der Tat hat 
er wahrend der letzten Zeit seiner direktoralen Wirksamkeit nebst dem Sommer- 
urlaub, der vorzuglich der Komposition gewidmet war, sich einigemal im Jahre 
auf einige Tage entfernt, um dem Rufe, dort und da eines seiner Werke zu di- 
rigieren, Folge zu leisten, um es sich zu Gehor zu bringen. Dies wurde ihm auch 
zum Vorwurf gemacht und konnte als Vorwurf gelten, wenn dabei seine Pflicht 
vernachlassigt worden ware. In Franz Schalk und Bruno Walter hatte er geeig- 
nete Ersatzmanner fur Einzelauffiihrungen, und besonders der letztere tauchte so 
tief in M.s Kiinstlerschaft, ordnete sich mit solcher Liebe und Hingebung ein, 
daB M. das sporadische Verlassen seines Amtssitzes wohl verantworten konnte. 

Zugunsten der Philharmoniker ging er im Fruhjahr 1900 nach Paris und 
gab da mit dieser Korperschaft fiinf Konzerte, fiir deren Defizit er mit Hilfe 
eines Wiener Kunstmazens aufkommen mufite. Ihre Konzerte in Wien leitete 
er in den Saisons 1898/99, 1899/1900 und 1 900/01. Ob sie es ihm zu Dank 



Mahler. 



13 



gewuflt haben, bleibe eine unerorterte Frage. Er verlangte auch da mehr Proben, 
als gewohnt, als vorher und nachher. Der grobste Vorwurf, der ihm gemacht 
wurde, war die Uberspannung seines Subjektivismus im Vortrage. In der Tat 
hat er manches anders »genommen« als andere. Solch eine Individuality wie 
M. erheischt die Entfaltung ihrer Eigenart, die mit der gewohnten Auffassung 
nicht immer ubereinstimmt. Ich selbst habe manches, diesen oder jenen Satz, 
diese oder jene Stelle mir anders gedacht, als ich ihn zu horen bekam. Von 
solch machtvoller Personlichkeit, die in ihrer Auffassung nur dem Werke gerecht 
werden will, lasse ich mir eine Abweichung ohne weiteres bieten. Ich beuge 
mich, urn so mehr da ich erfahren habe, daC ein Werk von einem und demselben 
grofien Interpreten in verschiedener Auffassung geboten wird — wie ich dies 
bei Rubinstein und Liszt mit Erbeben erlebte. Wir wissen, dafi Beethoven 
seine eigenen Werke je nach seelischer Stimmung und geistiger Stellung in ab- 
weichender Beleuchtung wiedergab. Zur »Affare« wurde M.s Einrichtung der 
neunten Symphonie gemacht. Dem Vorgange Richard Wagners folgend, hatte 
M. zur Erzielung der Deutlichkeit, die ihm hochstes Prinzip der Wiedergabe 
war, an einzelnen Stellen Holzblaser verdoppelt, ein drittes und viertes Horner- 
paar, im letzten Satz eine dritte und vierte Trompete verwendet und ab und zu 
neben den Naturtonen der Blechinstrumente, wie sie zur Zeit Becthovens ublich 
waren, aus der vollen Skala der Ventilinstrumente die Gange erganzt, die eben 
mit Hinblick auf die Naturinstrumente Beethoven nach M.s Ansicht nur liicken- 
haft bringen konnte. Ein kiihnes Verfahren, das M. auch unter Hinweis auf 
Beethovens Taubheit, auf die Unzulanglichkeit in der Ausfiihrung seiner Ab- 
sichten rechtfertigen wollte (in einem offenen Schreiben an die Konzert- 
besucher). Die Vervielfaltigung der Streichinstrumente seit Beethovens Zeit 
verlange, wie M. hervorhebt, eine Vermehrung der Blaser. Er wollte »fern von 
Willkur und Absichtlichkeit, aber auch von keiner Tradition beirrt, den Willen 
Beethovens bis ins scheinbar Geringfiigigste nachfiihlen und in der Ausfiihrung 
auch nicht das Kleinste von dem, was der Meister gewollt, opfern oder in einem 
verwirrenden Tongewiihle untergehen lassen«. »Von einer Uminstrumentierung, 
Anderung oder gar »»Verbesserung«« des Beethovenschen Werkes kann natiir- 
lich absolut nicht die Rede sein.« Die Absicht ist loblich, allein die Mittel sind 
nur insofern zu billigen, als sie der Absicht des Reproduzierenden entsprechen, 
ohne irgend Anspruch auf Allgemeingultigkeit erheben zu konnen — ebenso- 
wenig wie bei M. so auch nicht bei den Anderungen, die von Wagner vorge- 
nommen wurden und von vielen Dirigenten unserer Zeit angenommen sind. 
Da das Original Beethovens unantastbar erhalten bleibt, kann daraus kein 
dauernder Nachteil entstehen. Ob die Interpretation so weit gehen darf und 
soil, ist eine Frage fur sich. Die Unvollkommenheiten in der Ausfiihrung des 
dem Tonsetzer vorschwebenden Ideals, das er im Kunstwerk verwirklichen 
will, sind dauernde Begleiterscheinungen der Qualitaten eines Werkes. Es ist 
nicht sicherzustellen, ob dieses im ganzen durch solche Anderungen, richtiger 
Erganzungen, gewinnt. Fur das Publikum, das liberhaupt solche Hinzufiigungen 
gar nicht bemerkt, kommt das weniger in Betracht. Es ist eine Sache des Ge- 
wissens, und dies kann man ebensowenig Wagner wie M. absprechen. Der 
Historiker wird flir die Reinerhaltung der authentischen Vorlagc einzutreten 
haben, kann dabei die gutc Absicht der Verdeutlichung anerkennen, ohne ihr 
irgend Allgemeingultigkeit zuzuerkennen. 



14 



Mahler. 



Dafi sich M. sowohl bei der Reproduktion in die Werke verschiedenster 
Meister und Zeiten vollig einleben konnte, als auch bei der mitschaffenden Er- 
ganzung von Fragmenten glanzend bewahrte, zeigt in uberraschender Weise 
die Arbeit M.s an den »Drei Pintos« von Weber. Dieser hatte sich in den 
Jahren 1816 — 1821 mitder Konzeption beschaftigt undnochin seinem Todesjahr 
( 1 826) daran gedacht, die Komposi tion zu vollenden. Einzelne Stiicke, Skizzen und 
Fragmente sind nur zu denersten beiden Akten erhalten, fur den dritten mufite 
M. ganz eintreten. Er tat dies teils mit Verwendung von Kompositionen Webers, 
teils mit Verwertung von Weberschen Gedanken, teils erfand er ganz neu im 
Sinne Webers. M.sche Stiicke wurden als »weberisch«, Webersche Nummern 
als »mahlerisch« angesehen — so sehr hatte sich der Bearbeiter in den Geist 
des Tonewebers eingelebt. Der Enkel Webers hatte den Plan der Erganzung 
wieder aufgenommen, nachdem dereinst Meyerbeer, der hiezu gebeten war, 
die Skizzen jahrelang bei sich gehabt hatte, ohne an die Ausftihrung des Wun- 
sches der Familie zu schreiten. In einzelnen Teilen reizvoll, bleibt das Ganze 
hinter dem Weber, wie wir ihn aus »Freischiitz«, »Euryanthe« und »Oberon« 
kennen, zuruck. Ftir Theater, in denen die Spieloper kleineren leichteren Genres 
eine geeignete Statte findet, ware die neu gewonnene Oper heute noch wirksam. 
Fiir das Gesamtbild vonWebers Kiinstlerschaft ist sie nicht so sehr von Bedeutung. 
Fur M.s stilistische Einfuhlbarkeit ist sie eine Feuerprobe — denn M. war damals 
daran, seinen Eigenstil in den Skizzen zu seiner »Zweiten« zu erreichen. Die 
Arbeit zu den»Drei Pintos« war in kurzesterZeit (i4Tage) fertiggestellt und fand 
seit der ersten Leipziger Auf f uhrung (20. Januar 1 888) in vielen deutschen Stadten 
Beifall und Erfolg. Auch in Wien wurde sie im Januar i889aufgefuhrt. M. trat 
bescheiden hinter den Enkel Webers zuruck, der sich beim Textbuch mit be- 
tatigt hatte. Als er in Wien Direktor war, fuhrte er dies Werk nicht auf. Er 
wollte nicht den Schein erwecken, als ob er die Oper wegen seiner Anteilnahme 
an der Arbeit zur Auffuhrung brachte. So hingebend er in Freundschaft war, 
so mied er auch da, aus »Freunderlschaft« (ein Wiener Spezifikum) Protektion 
zu liben oder sich durch personliche Riicksichten irgend bestimmen zu lassen. 
Wohl beriet er sich mit seinen Freunden. Aus seiner ersten Wiener Zeit traf 
er noch an: Dr. Emil Freund, den immer getreuen Rechtsanwalt, der jetzt die 
angenehme Pflicht erfullte, die »beginnende Vermogensverwaltung« zu uber- 
nehmen, den Archaologen Dr. Fritz Loehr und den Dichter Dr. Siegfried Li- 
piner, Bibliothekar des Parlaments. Dieser iibte mit seiner tiefen Bildung, 
dem Schwung seines Phantasielebens einen machtigen EinfluB auf den Jugend- 
freund. Philosophische Themen wurden von den Freunden mit Eifer und tiefem 
Eindringen behandelt, die Weltliteratur in ihren machtigsten Erscheinungen 
erortert, Religionsfragen mit heiliger Strenge diskutiert. 

M. licfl keine freie Minute, die er in seinem harten, schweren Beruf erubrigte, 
unbenutzt, um Lektiire zu betreiben. Er studierte zur Erholung Meisterwerke 
der Musikliteratur, vertiefte sich in das Studium der Bachschen Werke, die er 
vor sich legte, um von des Tages Gewirr sich zu erholen und zu starken. Er 
las mit Eifer die »Denkmaler der Tonkunst«, als deren wirkliches Mitglied er 
der leitenden Kommission (in Wien) angehorte. Von Freunden aus der ersten 
Wiener Zeit lebten noch: Hugo Wolf, der leider einem intimen Umgange nicht 
mehr zuganglich war; die Bruder Krzyzanowski (Rudolf der Musiker, Heinrich 
der Schriftsteller) waren nach Deutschland gezogen. Hans Rott, der hoch- 



Mahler. 



15 



begabte junge Musiker, der begabteste von uns alien, die wahrend der siebziger 
Jahre dem Kreise des Konservatoriums angehorten, war friih gestorben. M. 
gewann neue Freunde, und die Zahl der Verehrer mehrte sich gerade aus den 
Kreisen Gebildeter und verstarkte sich im Auslande. Von den bildenden 
Kiinstlern war schon die Rede. Von Dichtern und Schriftstellern seien genannt: 
Gerhart Hauptmann, Hugo v. Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Max Burck- 
hard, Hermann Bahr, Felix Salten, Stefan Zweig. Von Musikschriftstellern: 
Oskar Bie, Hermann Bischoff, Ernst Decsey, Georg Gohler, Eduard Hanslick, 
Julius Korngold, E. O. Nodnagel, R. Piper, William Ritter, L. Schiedermair, 
Arthur Seidl, Richard Specht, Paul Stefan, Max Steinitzer u. a. Von Musikern 
(in Wien): Bruno Walter, Alexander v. Zemlinsky, Josef V. v. Woss, I. B. 
Forster, Arnold Schoenberg, Julius Bittner, Arthur Bodansky, Karl Weigl; 
(auswarts): Richard Straufi (in intimer Freundschaft), Hans Pfitzner, Max 
Schillings, Oskar Fried, Wilhelm Kienzl, Willem Mengelberg, Buths, Paul 
Dukas und eine groCe Reihe von Jungeren. Von Auslandern waren noch be- 
sonders zu nennen: Hermann Behn (Hamburg), Paul Clemenceau und Piquart 
(der Kriegsminister in Paris). 

Diese Liste gibt, so unvollstandig sie besonders mit Hinblick auf die, seinem 
hauslichen Kreise angehorenden Frauen ist, ein beilaufiges Bild von dem Kreise, 
deren Mitglieder M. mehr oder weniger nahestanden. Sein Verkehr war, so 
sehr er sich zuriickzog, entsprechend seinen Beziehungen in fast alien Musik- 
stadten von Osterreich, Deutschland, England, Frankreich, Italien, RuCland 
ein ungemein ausgedehnter und erstreckte sich in den letzten Jahren auch auf 
Amerika. Dorthin ging er zum erstenmal im Dezember 1907 und dirigierte 
an der Metropolitan Opera in New York wahrend der Saison 1907/08 Opern von 
Mozart und Wagner; er kehrte dreimal wieder dahin, nachdem sich in New York 
eine Philharmonic Society gebildet hatte, die Mahler-Konzerte gab. Von Opern- 
auffuhrungen hielt er sich immer mehr fern. Fruhjahr, Sommer und einen Teil 
des Herbstes verbrachte er in seiner Heimat und dirigierte an einzelnen Orten 
eigene und fremde Werke in Konzerten, besonders in Munchen, Amsterdam, 
Paris, Rom und in mehreren deutschen Stadten. Seine Honorare waren be- 
trachtlich in der Neuen Welt; fur ihn hatte dies keine Anziehung, er sollte 
seiner Familie eine breitere materielle Basis schaffen, als dies mittels seiner 
Pension und der bisherigen Ersparnisse moglich gewesen ware. Er hatte auch 
damit ein ihm genugendes Auskommen finden konnen, besonders da er ofter 
berufen wurde, um Konzerte zu dirigieren, deren Leitung ansehnlich honoriert 
wurde. Von seinen Werken konnte er auch Ertrag erwarten, einzelne seiner 
Symphonien fanden Verleger, die gut bezahlten. Seitdem die »Gesellschaft zur 
Forderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Bohmen« dem 
Deutschbohmen Gustav M. eine Subvention zur Veroffentlichung seiner Sym- 
phonien im Jahre 1898 gewahrt hatte — vorher hatte ein begeisterter Anhanger 
die zweite Symphonie zum Stich gebracht — , war die Moglichkeit geboten, 
dafl seine Werke weitere Verbreitung fanden. Noch eine andere Moglichkeit 
hatte sich ergeben, seinen Wirkungskreis in Wien zu andern und sein Ein- 
kommen zu festigen. Das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde 
war finanziell bedrangt und hatte durch Eingriffe von verstandnisloser Seite 
Anderungen in der Organisation und Besetzung erfahren, die dem Institut 
keinesfalls zum Vorteil gereichten. Das Ministerium fur Kultus und Unterricht 



1 6 Mahler. 

erhohte von Jahr zu Jahr die Subvention. Not tat das Eintreten eines Mannes, 
der der Aufgabe gewachsen gewesen ware, Wandel zu schaffen und das Institut 
zu jener Hohe zu fuhren, auf der es dereinst gestanden hatte, als wohl die Mittel 
noch nicht reich waren, allein das Konnen und die Kiinstlerschaft der Fuhrenden 
uber diese aufiere Beschranktheit hinweggehoben hatten. Cber Wunsch des 
Ministers von Hartel wurde ein Memorandum ausgearbeitet, in welchem die 
Sanierung des Institutes beratschlagt und Vorschlage erstattet wurden (or- 
ganisatorischer Art und behufs Berufung geeigneter Krafte). M. sollte zum 
obersten Leiter ernannt werden. M. hatte dem Proponenten die Zusage gemacht, 
dafi er dies Amt zu iibernehmen bereit sei. Solange er Direktor der Hofoper 
sei, wollte er kein Honorar annehmen, nach Abgabe der Opernleitung hatte er 
ein entsprechendes (vorher schon bestimmtes) Gehalt zu empfangen. Die Sache 
zog sich in die Lange. Die Grunde seien hier nicht erortert. M. hatte dem 
Vorschlag gemafl als Vertrauensmann der Regierung das Institut zu uberwachen 
gehabt, das vorlaufig noch in der Verwaltung der Gesellschaft der Musikfreunde 
geblieben ware. M. hatte die oberste Inspektion zu fuhren gehabt und je nach 
Bedarf und Einsicht diese oder jene Aufflihrung zu leiten ubernommen. Mi- 
nisterwechsel waren fur Erledigung der Angelegenheit nicht fOrderlich. Als 
Dr. Max Graf Wickenburg die Revision des Musikdepartements ubernahm und 
von dem Memorandum Kenntnis erhielt, wandte er sich an M. Durch die be- 
schamenden Verhaltnisse, die seinen Riicktritt zur Folge hatten, angewidert 
und durch unverstandige Einflusse verstimmt, leistete M. dem Lockruf des 
Direktors Conried nach Amerika Folge, gab seine Absicht, den ehrenvollen 
Antrag ftir Wien anzunehmen, auf und erteilte dem gutigen Intervenienten 
einen abschlagigen Bescheid. M. wollte nunmehr Wien verlassen und Wien 
wurde von einem guten Genius verlassen, der die alte Musikstadt zu neuem 
kraftigen Leben wieder erweckt hatte. Ein Schriftsteller (Hagemann) nannte 
(ohne von der Moglichkeit Kennntis zu haben, dafi M. auch ohne Oper fur Wien 
hatte erhalten bleiben konnen) dieses Scheiden eine Kulturtragodie. Die 
tragische Wirkung blieb nicht aus. Fur M. wurde die zweimalige Wiederholung 
der Amerikareise zum Verhangnis, besonders da seine Gesundheit geschwacht 
war. Wien hat an den Folgen seines Abganges noch heute schwer zu tragen. 
M. hatte nur durch das Beispiel zu wirken gebraucht, und die junge Generation 
hatte sich daran gebildet. Denn nicht blofl auf dem Gebiete der reproduktiven 
Kunst hatte sein Vorbild nachhaltig wirken konnen. Auch in der produktiven 
Kunst gehort M. zu den fuhrenden Geistern seiner Zeit. 

Um M.s Art in Produktion und Reproduktion richtig zu verstehen, mufi 
man sich seinen Charakter vergegenwartigen — wie bei jedem Kunstler. Schaffen 
und Wiedergabe sind Spiegelbilder des seelischen Lebens, noch mehr, die Werke 
sind seine Erzeugnisse, sein Niederschlag und in der Wiedergabe der Tonwerke 
gibt sich, soweit sie nicht mechanisch, ein Stuck eigenen Lebens des Repro- 
duzierenden kund. M.s Seelenart war auf Giite und Energie gegrlindet. Die 
Festigkeit seines Willens erhob sich in der gottlichen Mania des Ktinstlers wie 
in dem unerbittlichen Drange nach Wahrheit in alien Lebensauflerungen zum 
Fanatismus. Wie ein Kind liefi er sich vom Moment hinreifien und sein Tem- 
perament schien in solchen Augenblicken fessellos. Trotzdem beherrschte sein 
klarer Verstand auch die letzten Ausgange seiner Handlungen. Unbeugsam 
gab sich sein Wille, und dabei war sein Gemiit weich. GroBzugig war sein Wesen 



Mahler. 



17 



und kindlich sein Empfinden mit Mitmenschen, mit grofi und klein, mit Er- 
wachsenen und Kindern. Ruhrend in der Freundschaft, in der Anhanglichkeit, 
offen, rlickhaltlos bis zur Selbstverleugnung. An alien Dingen konnte er 
Freude haben, uber die geringste Sache konnte er sich argern, wenn sie seiner 
momentanen Stimmung nicht entsprach. Reizbar und reizsarn konnte er die 
heftigsten Schmerzen ohne Klage ertragen und im nachsten Augenblick uber 
die geringste Unbequemlichkeit ungehalten sein. Vertrauensselig und mitteil- 
sam gegenuber Freunden, die er als solche erkannt und envorben, mifitrauisch 
und zuriickhaltend gegenuber unliebsamen Menschen, bei denen er kein Ver- 
standnis fand, und im nachsten Moment warf er auch diesen die hartesten »Wahr- 
heiten« ins Gesicht und verletzte dort und da. Daraus erklaren sich auch 
Gegnerschaften, die nicht selten aus gekrankter Eitelkeit entstanden. Er 
wollte das Leben in alien Hohen und Tiefen erfassen. Tragik und Heiterkeit 
in alien Erscheinungsarten fanden Widerhall in seinem Innern. So erklart es 
sich, dafi in seinen Symphonien auf Erhabenheit unmittelbar das Einfachste, 
Alltagliche folgt. Die Musik schien ihm auch das letztere zu adeln, oder er 
wollte durch die Widerspiegelung der Zufalligkeiten alle Phasen des Lebens 
tonlich fassen und innerhalb der Tonwerke in zeitlicher Folge wiedergeben. 
Er liefi sich da vom Geflihle leiten und gab sich als klarer Verstandesmensch 
daruber Rechenschaft. »Der Verstand irrt, das Gefuhl nicht«, so lautete seine 
kunstlerische LJberzeugung. In der Kunst, in kunstlerischen Dingen liefi er 
sich vom inneren Triebe, vom Drange leiten: so mufi es sein. So gelangte er 
dazu, »kiinstlerisch gar keine Konzessionen zu machen«, wohl aber menschlich. 
Der Mensch in ihm war butterweich, der Kiinstler unbeugsam in Verfolgung 
des vorschwebenden Ideals. 

M. war weder absoluter Pessimist, noch blofier Optimist. Er hielt von 
jedem das Beste, so lange er nicht vom Gegenteil uberzeugt wurde. Nur seine 
Erfahrungen mit einem Grofiteil der Journalistik und mit einer oder der andern 
Konzertgesellschaf t machte ihn skeptisch, nicht befangen oder voreingenommen. 
Wohl las er mit Vorliebe Schopenhauer und Nietzsche (von welch letzterem er 
sich in der Folge abwandte) und vertiefte sich in die Lekture der Werke 
von Dostojewski. Von Jugend an waren ihm die Klassiker der Weltliteratur 
vertraut, am nachsten stand ihm spater Goethe, in der Jugend beson- 
ders E. T. A. Hoffmann, dessen Kapellmeister »Kreisler« manche Spuren in 
M. zuriickliefi, richtiger manche Analogien bot, wie in dem uberreizten Gemiit 
und dem Mangel an Phlegma, ferner Holderlin und Jean Paul, dessen »Titan« 
der ersten Symphonie das dichterische Geleite gab, anfangs sogar mit der Titel- 
bezeichnung. In seinen Symphonien findet man dort und da die Lebensver- 
neinung als das Bestimmende, wohl am ausgesprochensten in der »Sechsten«, 
genannt »die tragische«, allein auch da gibt es Heiterkeit, wie im Trio des 
zweiten Satzes, oder wilde Lustigkeit, auch Schwarmerei und Blicke in geliebte 
Gegenden (dritter Satz). Es ist ein Irrtum, zu glauben, daB M. die »kleinen Er- 
gotzlichkeiten der Menschheit haCte«. Im Gegenteil, er freute sich kindisch 
damit; zur Zeit der schwersten Direktionssorgen schwang er im Freundeshaus 
das Tanzbein und spielte im kleinsten Kreise lustige Weisen auf. Voile Lebens - 
bejahung spricht aus vielen seiner Symphoniensatze, so auch besonders im 
dritten und vierten Satze der funften Symphonie, in der Vierten, in der er die 
himmlischen Freuden besingt, wie sie das Volksgemut den irdischen 

BiogT. Jahrbuch u. Dcutscher Nckrolog-. 16. Bd. 2 



x 8 Mahler. 

homogen ersehnt. Die Sinnenfreudigkeit des Wienertums dringt dort 
und da durch, vereinigt sich mit der Klangfreude der Musik seiner Heimat 
und vertragt sich mit der diisteren Leidenschaftlichkeit, die ganze Strecken 
und Satze beherrscht. Ein Mann, der mit solcher Freude arbeitet, der mit 
solcher Wucht die Kraft ohne Wanken besingt, wie in der »Siebenten«, hat 
einen untilgbaren Fonds von Lebensmut und Hoffnung in sich. Er war zeit- 
lebens ein »Gottsucher« und ein Ringer nach Wahrheit. Auch in seinen Kom- 
positionen sucht er sich durchzuringen zur Erfassung des Daseins, zur Erfullung 
seiner hochsten Ziele. Was ihm die Erkenntnis versagte, suchte er wenigstens 
kunstlerisch zu erleben oder wie im Fernbild zu erahnen (um solchen Ausdruck 
zu gebrauchen). Er wollte nicht im Kunstwerk philosophieren, nur gute Musik 
schreiben, die seinen Stimmungen kiinstlerische Fassung verleiht. Er wurde 
angeregt von philosophischen Gedankengangen, ohne philosophisch musizieren 
zu wollen (was an sich unmoglich ist). Da er nach dem Vorbilde Beethovens 
das Hochste mit seiner Kunst zu ergreifen sucht, so will er in einzelnen Satzen 
seiner Werke der Urweisheit letzte Schlusse erfiihlen, erschauen, erspahen — 
ohne sie begreifen zu konnen, so wie die Wissenschaft sie nicht erklaren kann. 
Nachdem er in der dritten Symphonie (einem »Sommermorgentraum«) vorerst 
im ersten Satz das Erwachen der Natur (»Pan erwacht«) belauscht, laOt er in 
den folgenden Satzen sich vorerzahlen von den Blumen, den Tieren im Walde, 
dem Menschen, den Engeln und dann in einem unvergleichlich herrlichen Adagio 
(Schluflsatz) : »Was mir die Liebe erzahlt« oder »Was mir Gott erzahlt« ! Gott 
und Liebe sind ihm demnach gleichbedeutend. So denkt und fuhlt nicht ein 
Pessimist. 

Die Liebe, das Gottlichste im Menschen, besingt er allenthalben, sie bildet 
auch das Bindeglied zwischen dem ersten und zweiten Teil der »Achten«, 
zwischen dem Hymnus »Veni creator spiritus« und dem Schlufiteil des Goethe- 
schen Faust, den beiden textlichen Unterlagen des symphonischen Gebaudes. 
Als hochstes Ergebnis aller Weltbetrachtung und kiinstlerischen Wiedergabe in 
alien seinen Werken ist die Mitteilung der Liebe in alien Spiegelungen. Wie 
das Sonnenlicht sich prismatisch bricht, so teilt sich die Liebe, nicht in sieben, 
sondern in unzahlbare, in unendliche Niiancen und Schattierungen. M. meidet 
auch nicht, die sentimentale, ans Banale streifende Art wiederzugeben, wie in 
dem Posthornsolo des dritten Satzes der »Dritten«, die derbe des Landsknechtes 
und Reitersmannes. Bei M. findet sich der monotheistische Glaube, einerlei, ob 
er in vielen oder einzelnen Augenblicken Zweifel hegen moge, mit alien kon- 
fessionellen Erscheinungsarten der Religion und auch, so paradox dies erscheinen 
moge, mit pantheistischen Anschauungen zurecht; er schildert naiv auch Aber- 
glauben, ohne daran zu makeln oder ihn zu travestieren oder zu ironisieren. 
Die Glaubigkeit als solche wird besungen, wenn darin nur der ungeheuchelte 
Aufblick zu Gott erstrahlt und die Liebe sich auf das Weltall, auf Menschen im 
Dienste veredelten, verklarten Daseins und erhabener Zweckerfiillung erstreckt. 

Mifiverstandnisse tiber die Echtheit und Vornehmheit dieser seiner Gesinnun- 
gen sind mit aller Entschiedenheit zurlickzuweiscn und waren iiberhaupt nicht der 
Beachtung wert, wenn sie blofi in frivoler Weise von Gehassigen aufgestellt worden 
waren. Das Erlebnis der lebendigen Wirkung solcher Stellen, wie etwa im 5. Satze 
der »Dritten«, hatte wohl eine solche MiCdeutung nicht aufkommen lassen. Es 
ist bedauerlich, daB Teile von Werken einer so tief veranlagtenKiinstlernaturwie 



Mahler. I g 

der M.s solchen Unterlegungen ausgesetzt sein konnten. Die Ironie macht sich 
dort und da in symphonischen Stellen fiihlbar, nie aber bei solchen, die demGott- 
lichen oder der Nachstenliebe zugewendet sind. Die ironischen und satirischen 
Stellen miissen von den humoristischen geschieden werden. Frivol ist gar nichts. 
Cber allem waltet der tiefe sittliche Ernst des Kiinstlers — er steht immer im 
Dienste der strengsten Kunstreligion. Alles ist veredelt durch ein klarendes 
Ethos. In dem zitierten Satze der »Dritten« erzahlen »die Engek (nach anderer 
Bezeichnung »die Morgenglocken«) eine Legende, die mit reinster Naivitat des 
Gemiites in Tone gefaflt wird, eine fast kindliche Glaubigkeit. kommt zum 
Ausdruck in der tonlichen Fassung des »leiden- und siindenlosen Kinder- 
himmels« (Bezeichnung von Wilhelm Kienzl). Wo die Dichtung Glaubigkeit 
und Humor vereint, wie im Schlufisatz der »Vierten«, da ergreift der Komponist 
das Humoristische auf dem Grunde tiefen Ernstes, wie es dem echten, befreien- 
den Humor wesenseigen ist, hier noch obendrein in ungetrtibter musikalischer 
Erfassung des Paradiesglaubens, der wohl nach M.s Anschauung mit der hochsten 
Erfassung des Ewigen nicht ubereinstimmen moge. M. schreibt, um jedem 
MiCverstandnisse zu begegnen, der Singstimme ausdriicklich vor: »Mit kindlich 
heiterem Ausdruck, durchaus ohne ParodieU Die Trompeten und Horner des 
»gro8en Appells« im SchluBteil der »Zweiten« erklingen wie ein Signal zur Er- 
hebung des Geistes in ewige Spharen; der darauf folgende Choral »Auferstehen, 
ja Auferstehen« (nach den Worten Klopstocks) wird mit einer Ergriffenheit 
sondergleichen angestimmt. Wer mit solcher Inbrunst die Worte singt »Ich 
bin von Gott und will wieder zu Gott, der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, 
wird leuchten mir bis in das ewig selig' Leben« (im 4. Satz der »Zweiten«), der 
hat das Urwesen der Religion erschaut und erlebt, das auf dem festen Grunde 
der Nachstenliebe verankert ist: »Dein ist, was du geliebt«. Nur so konnte sich 
M. zu dem Sanger der Freude erheben, als der er von dem Italiener Alfredo 
Casella begriifit wurde: »Mahler ist der einzige Musiker, der die wahre Tragweite 
der Ode an die Freude erfafit hat.« Der katholisch strengglaubige Franzose 
William Ritter apostrophiert M. mit den Worten: »Sie sind die wahre Ode an 
die Freude.* Nun, zum Gluck haben wir im reichen Bildersaal der Musik- 
geschichte noch andere Klinstler, die in gleicher Weise diese Mission erfullt 
haben. DaB aber M. gerade nicht in letzter Reihe steht, ist wohl unleugbar. 
An der Ehrlichkeit seiner Gesinnungen, an der Offenheit seines Wesens kann 
niemand zweifeln, der seiner faszinierenden Personlichkeit je nahergetreten ist 
und seiner Kunst mit Unbefangenheit sich nahert. So wie sein Verstand ein- 
drang in die Werke Kants (zur Zeit seiner Wiener Tatigkeit), so erhielt sich 
sein Gemut den naiven Marchenglauben, eine schwarmerische Marchenselig- 
keit, und er sah mit verklartem Kiinstlerblick in den Himmel, der sich ihm 
offnete. Mit der Kindesseele des Volksliedes vermochte er sich dorthin zu er- 
heben, wohin nicht Vernunft, nur Phantasie oder Glaube geleiten. Durch fast 
alle seine Werke geht eine tiefe Sehnsucht — nach dem Unendlichen, und das 
Endliche stort nicht den Seherblick. Er verrichtet seine Andacht in der Natur 
und betet in Tonen. Dort und da tritt ein Sehnen nach der Natur hervor, wie 
es den kulturmuden Weltwanderer unserer Zeit erfullt. Schiller bezeichnet solch 
einen Dichter, der die Natur sucht, als einen »sentimentalen«, den Dichter, der 
selbst Natur ist, als den »naiven«. Bei M. wechseln Naivitat und Sentimen- 
talitat — sein Wesen war komplex und zeigte Kontraste, die durch sein 



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Mahler. 



Temperament verscharft wurden. So treten auch in seiner Kunst krasse 
Kontraste auf. 

An manchen Stellen seiner Partituren findet sich die Bezeichnung: »Wie 
ein Naturlaut.« M. schildert nicht auflerlich die Naturbilder und Geschehnisse, 
sondern vertont sie als Erlebnisse; in ihrer kiinstlerischen Wiedergabe liegt 
nach dem Beethovenschen Ausspruche »mehr Ausdruck der Empfindungen 
als Malerei«. Die Motive werden nach streng musikalischen Stilprinzipien 
verarbeitet und erheben sich auf diesem Wege zum Tonbilde der Erlebnisse. 
M. ist nicht Programmatiker in aufierlicher Art, er will keine realen Pro- 
gramme wiedergeben, immer mehr entfernt er sich von solchen Strebun- 
gen, die den Meister der Technik verfuhrerisch auf Wege bringen konnten, 
die sich von seinem eigensten Arbeitsgebiete entfernten. Die Titelvignetten, 
die die erste und dritte Symphonie als Ganzes und einzelne Satze der 
»Dritten« erhalten hatten, entfernte er, da sie Mifideutungen ausgesetzt 
waren, gerade so, wie Robert Schumann beim vierten Satz der Es-dur- 
Symphonie vorgegangen war, mit der Begrundung: »man soil den Leu ten nicht 
das Herz zeigen, ein allgemeiner Eindruck des Kunstwerkes tut ihnen besser, 
sie stellen dann wenigstens keine verkehrten Vergleiche an«. M.s Uberschriften, 
die nicht der Partiturausgabe beigegeben, nur in den Programmen der ersten 
Auffiihrungen explikativ mitgeteilt waren, hatten von Anfang an blofi allgemein 
andeutenden Charakter, ohne die Phantasie des Horers irgend binden zu wollen. 
Sie waren Schliisselzeichen, die ins Gebaude einfiihren konnten und die bei der 
Konzeption die Phantasie des Schaffenden moglicherweise beflugelten, ohne 
die Ausgestaltung zu bestimmen. Die Textworte, die einzelnen Teilen beigelegt 
wurden, waren nicht von vornherein bestimmcnd fur die Stimmung, den Aus- 
drucksgehalt der betreffenden Stucke oder Satze, sondern schienen nur will- 
kommen als Assoziationsgenosse der Musik. »Wenn ich ein grofles musikali- 
sches Gemalde konzipiere, komme ich immer an den Punkt, wo ich mir das Wort 
als Trager meiner musikalischen Idee heranziehen mufi«, schrieb er 1897 an 
Arthur Seidl. Er kam nicht immer dazu, im Gegenteil, nach der »Vierten« 
verzichtet er dauernd auf die Begleitung von Worten zu seiner Musik (denn 
dies ist das wahre, reelle Verhaltnis in den M.schen Symphonien, nicht: Beglei- 
tung der Musik zu den Worten), nur in der achten Symphonie, in der er den 
Grundplan der zweiten in vollig neuer Weise ausfiihrt, greift er bei beiden 
Teilen zum Text. Trotz ihrer aufieren Erscheinung als Kantate ist sie nach 
Bezeichnung und innerer Haltung eine Symphonie. Das Formale ist hier das 
Mitbestimmende: der erste Satz entspricht ganzlich einem Sonatensatz, wahrend 
der zweite Teil eine Synthese von Adagio, Scherzo und Finale ist, ahnlich 
wie Liszt in seiner einsatzigen H-moll-Sonate eine solche Zusammenschiebung 
vornimmt. Wie J. S. Bach einzelne Kantaten als ^Concerto* bezeichnete, so 
konnte M. diese zyklische Komposition als Symphonie, als »Achte«, in die 
Welt schicken. Noch eher. Dort ist das »Concerto« (ein Instrumentalgebilde) 
nur die begleitende Bezeichnung, denn das Ganze ist entschieden auf dem 
Boden der Kantate erwachsen, hier war das Symphonische das Vorausbestim- 
mende, wahrend die Worte — so wichtig und bedeutend sie sind — fur die 
Komposition das Sekundare, das Begleitende sind. Darin liegt auch der 
Wesensunterschied von der Schumannschen Komposition des Goetheschen 
Textes, des Schluflteiles des »Faust«, der da den Abschlufi der »Szenen aus 



Mahler. 2 1 

Faust* bildet. Bei M. ist er die textliche Unterlage des zweiten Symphonie- 
teiles, der mehrere Satze umfafit, wie dies schon fruher bei Symphonien M.s der 
Fall war. Der Hymnus »Veni creator spiritus« ist vollstandig sonatenmaOig 
gegliedert und eingeteilt. Die Form war so bestimmend, dafi dem Kiinstler 
wahrend der Komposition Textteile fur den Schlufl fehlten und er nachtraglich 
noch die Doxologie heranzog — und dies entsprach sonderbarerweise auch dem 
kirchlichen Gebrauch, der liturgischen Verwendungsart bei Psalmen und einzel- 
nen Hymnen. 

So steht denn das formale Moment im Zentrum der ganzen symphonischen 
Produktion M.s, wie in seinen Liedern der Strophenbau. M. hat ebensowenig 
die Symphonienform gelockert und zerstort, wohl erweitert und teilweise urn- 
gebaut, wie Beethoven, Schubert, Bruckner, Brahms, deren Werke wie darin, 
so im allgemeinen die Ahnen seiner Symphonienfamilie sind. Am starksten 
schlagt der Atavismus Beethovens durch. Der EinfluO Schuberts ist be- 
merkbar im zweiten Satz der >>Zweiten«, im zweiten Thema des ersten Satzes 
und im Trio des Scherzos der »Ersten«. Die >>moderne« Haltung und Behand- 
lung schlieflt sich anfangs dem Vorgange Bruckners an, sowohl orchestral wie 
durch chorale Anklange und die Art kontrapunktischer Behandlung. Spe- 
zifisch osterreichische Einschlage machen sich dauernd geltend durch Verwen- 
dung von Weisen seiner mahrisch-bohmischen Heimat (wie allenthalben, so 
besonders im dritten Satz der »Zweiten« und »Dritten« und noch im zweiten 
Satz der »Neunten«), ferner in den Scherzi, in denen Landler und Walzer in 
Umbildung und Synthese verarbeitet werden (wie in der »Ersten«, so auch in 
der »Neunten« usw.). Die osterreichische Soldateska spielt, wie erwahnt, eine 
nicht unwescntliche Rolle. 

M.s Kunst ist kein Konglomerat aus diesen Bestandteilen, sondern eine 
Neugeburt aus des Kiinstlers Urwesen, aus seiner Eigenanlage. Das Wort 
»Eklektizismus« ist auch bei M. angewendet worden, besonders von solchen, 
deren Anschauungen aus den Aufstellungen in Chamberlains »Grundlagen des 
19. Jahrhunderts« (den schiefen Grundlagen, wo alles Wahre abgleitet) und 
ahnlichen literarischen Erzeugnissen gebildet oder richtiger durch diese ver- 
bildet sind. M. steht auf dem festen Grunde deutscher Bildung, wie seine ge- 
nannten Vormeister. Aus seiner judischen Abstammung liefie sich vielleicht 
die stellenweise hervortretende Oberscharfung der Ausdrucksgewalt, die fanati- 
sche Ubertreibung in der Wiedergabe seiner seelischen Regungen erklaren. 
Ob dies aber wirklich einzig darauf zuriickzufuhren ist, bleibt eine offene Frage, 
denn auch bei urdeutschenMeistern ist es bemerkbar. So bei Richard Wagner, 
der, wie er »sich nur wohl fiihlte, wenn er aufier sich war«, so den Ausdruck 
ins Extreme, ins Extremste steigerte. Und gerade da ist seine Macht am 
groGten, wie im »Tristan«. M. als Anhang von Berlioz zu bezeichnen, ist 
stilkritisch ein arger Irrtum, sowohl in der Art der Stimmfiihrung, als auch in 
der asthetischen Haltung; denn wie ihm das Programmatische fernlag, so sah 
er das Klangliche nie als Selbstzweck an und benutzte es alsbloGesMittel; wohl 
lernte er auch von diesem Farbenkunstler. Da6 er in koloristischer Meister- 
schaft Berlioz gleichkommt, ist eine Folgeerscheinung der Ausdrucksmacht 
der M.schen Kunst und des Klangsinnes des Meisters. Sie wendet sich, wie jede 
echte Kunst, an alle musikalischen Kulturnationen, die sie auch mahlich zu 
erobern vermag. In den Auffuhrungen des »Allgemeinen Deutschen Musik- 



2 2 Mahler. 

vereins«, in dem besonders Richard Straufi als Vorsitzender, auch Hermann 
Kretzschmar dafiir eintrat, hat M. seine ersten Eroberungen gemacht, die von 
Dauer waren; in den philharmonischen Konzerten der Deutschen Prags hat er 
seine ersten Siege erfochten, in Munchen, Mannheim, Graz, Amsterdam sowie 
in andern Stadten hat er dauernde Erfolge errungen, in Wien hat er spater 
eine starke Gemeinde erworben. In den beiden erstgenannten Stadten wurden 
Mahler-Feiern veranstaltet. »Das Genie Gustav M.s ist reprasentativ im Sinne 
der grofien Traditionen deutscher Musik«, sagt Gerhart Hauptmann, und: 
»Er hat die Damonie und Feuermoral deutscher Meister«. »Es gibt wohl keinen 
deutschen Musiker, der sachlicher lebt als M.«, ruft der Grazer Musikschriftsteller 
Ernst Decsey mit Emphase. Vielleicht ist diese Sachlichkeit kein Separatgut 
von uns Deutschen. Sicher ist, dafi M.s Melodik auf dem Boden der heimatlichen 
Volksmusik erwachsen ist, seine Satzweise sich an der Thematik der obge- 
nannten Meister herangebildet hat, dafi seine Lieder schon in sprachlicher Be- 
handlung die engste Zusammengehorigkeit des Tonsetzers mit dem Wort- 
dichter, bei den von ihm verfaflten und vertonten Gedichten die untrennbare 
Einheit deutschen Sprach- und Musikgefuhls offenbart. Wer zudem Wagner, 
Beethoven, Mozart, Lortzing u. a. so stilrein auffiihrte wie M., und dies zumeist 
ohne aufiere Vorbilder, sondern aus sich heraus, aus Intuition, der ist ein 
wahrer deutscher Kunstler, der wie jeder universale Meister die Fahigkeit 
besafl, sich auch in andere Stilrichtungen einzuleben. 

Im Dirigieren eigener und fremder Werke gab sich die Person des 
Leiters und das geleitete Kunstwerk gleicherweise kund. Er vertiefte sich in 
das Werk, und dieses zog ihn an sich, so dafi er sich ihm restlos hingab. 
Subjekt und Objckt wurden eins. Indem er das Kunstwerk nachbildete, fiihrte 
er die mit ihm Wirkenden und von ihm Gefiihrten, seine Gefahrten, mit un- 
widerstehlicher Suggestionskraft und zog sie zu seiner Auffassung heran. Er 
liefi jedem Mitwirkenden gerade so viel Freiheit, als ohne Verletzung der einheit- 
lichen Wiedergabe irgend moglich war. Er holte aus den Spielern das Aufierste 
ihrer Leistungsfahigkeit heraus und stellte alle in den Dienst des Werkes. Er 
machte sie dabei seinem Willen untertan, und mit Feldherrnblick verteilte er 
die Teile der Truppen nach Generalplan, der in dem Musikstiick selbst gelegen, 
und nach der Situation, nach den vorhandenen Kraften eingerichtet wurde. 
Bei den Proben konnte man beobachten, wie Schritt fur Schritt das Terrain 
gewonnen und erobert wurde, wie bei dem minutiosen Ausfeilen der kleinsten 
Details der Blick auf den Zusammenhalt des Ganzen gerichtet war. Bald gibt 
er eine vergleichende Erklarung, bald blast und geigt er mit Kehle und Lippen 
ein Motiv oder einen Gang vor, zeichnet mit Arm und Hand die Linie, die Art 
der Bewegung, stofit in die Luft, wachst beim Crescendo zu einem Riesen empor, 
verkleinert sich beim Decrescendo zu einem Zwerg, entlockt mit seinen Mienen, 
den drauenden Brauen, den bittenden Mundwinkeln, der gefurchten Stirn das 
Intimste und die grofite Spannkraft vom pppp bis zum ////. Er ermuntert mit 
humoristischen Worten, tadelt in sarkastischer Weise — immer nur, um den 
Spieler, den Sanger zu »neuen Taten« anzuspornen. Er erzahlt ein Geschicht- 
chen, das die Phantasie neu beleben soil. Die leiseste Mittelstimme im viel- 
stimmigen Satz erhorcht und riigt er, wenn sie falsch erklingt; mitten im tosend- 
sten Ansturm weist er den Ton eines Instrumentes zurtick, das nicht richtig 
angesetzt hat, bemerkt einen Sanger im grofien Chor, der eine Oktave zu tief 



Mahler. 



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intoniert, einen Geiger im Tutti, der den Ton richtig, aber auf der ungeeigneten 
Saite anstreicht. Aus fur einzelne Auff uhrungen seiner Symphonien und andern 
Werken eigens zusammengestellten, richtiger zusammengewiirfelten Orchestern 
schafft er in wenigen Proben einheitliche Instrumentalkorper. Bei Klavier- 
proben fiir Oper und Konzert meisterte er in vollendeter Weise das Instrument, 
mit dessen Klangen er die Sanger begleitete. Er vermochte die Illusion des 
Orchesters zu geben und hielt sich dabei in den Grenzen, die den Gesangs- 
stimmen gegeniiber eingehalten werden miissen. Im Ensemble von Kammer- 
musikstiicken bewahrte er sich als feinfuhliger Genosse seiner Partner — da 
zeichnet er mit feinen Linien im Rahmen des Miniaturbildes; Kammermusik- 
spiel pflegte er mit Vorliebe. Als Akkompagnateur von Liedern vermochte er 
dem Sanger sich anzuschmiegen und zugleich ihn zu f uhren, ohne diese Fuhrung 
flihlen zu lassen. In Einzelproben von Blasern, von Streichern suchte er das 
Klangverhaltnis zum Gesamtorchester festzuhalten, und jeder Spieler mochte 
sich dabei gleichsam als Solist flihlen. 

Wie er ganz im Kunstwerk aufgeht bis zum letzten Nerv, so erwartet er 
es auch von seinen Mitarbeitern. Er will nicht nachgeben, bis alles erreicht ist, 
was ihm erreichbar erscheint. Er verlangt Fortsetzung der Probe, Wieder- 
holung und Vermehrung. Da stofit er an des Widerstandes realste Machte — 
den Musikern ist des Lebens Erwerb von gleicher Wichtigkeit, die ubervolle 
Anspannung unliebsam. Den meisten Menschen erscheint es als unverzeih- 
liches Vergehen, ihnen unbequem zu werden — besonders auch gewissen Musi- 
kern. Daraus entstanden in Wien Konflikte — nicht in lauter Opposition 
sich aufiernd, sondern in wachsendem stillen Grolle, der sich sammelte und in 
der Folge in Scherbengerichten Luft machte. Werke, die, obzwar sie ihn am 
Anfang nicht sympathisch beriihrten, von ihm zur Auffiihrung angenommen 
wurden, sei es, dafi er sich ihnen allmahlich naherte, wie dies z. B. bei Pfitzners 
»Rose vom Liebesgarten« der Fall war, sei es, dafl er sich ihnen, durch verschie- 
dene Umstande bestimmt, nahebringen mufite — was allerdings ganz ausnahms- 
weise geschah — , solche Werke behandelte er mit der gleichen Aufmerksamkeit 
und dem gleichen Pflichteifer wie Werke, die Fleisch von seinem Fleische, 
Seele von seiner Seele waren, ob sie von andern oder von ihm geschaffen waren. 
Nichts hafite er mehr als das Handwerkertum im Reiche der Kunst — nicht 
zu verwechseln mit dem Handwerkszeug des Musikers, dem »goldenen Hand- 
werk« der Kunst in Schaffen und Nachschaffen. Er konnte sich wie der Jttng- 
ling im »Entfesselten Prometheus« erzurnen: 

*Handwerker sind sie, die um schnoden Lohn, 
Die groBen Vater affend, Kunst erkiinsteln! 
Ja, gliiht in ihrer Brust die tiefe Sehnsucht, 
Der schmerzensreiche Drang nach ihrer Gottin? 
Sie glauben nicht an ihre eigne Sache, 
Darum wird ihnen nimmennehr geglaubt! 
Sie konnen nicht ergreifen, denn sie selbst 
Sind nicht ergriflenl . . . .« 

Diese Worte Lipiners waren gleichsam ein Geleitbrief des Wirkens seines 
Freundes M. Er konnte ergreifen, weil er selbst tief ergriffen war, im heiligen 
Opferdienst seiner Kunst. 



24 Mahler. 

Wenn der kleine Mann mit den lebhaften Bewegungen sich dem Pulte 
naherte, trat Stille ein. Er gruflte mit freundlicher, klarer, sympathischer 
Stimme die Musiker, die, sobald er den Taktstock erhob, von seinem Blicke 
gebannt, seinem fiihrenden Willen sich ergaben. Aus seinen Ztigen spricht 
Ernst und heiliger Eifer, die leuchtenden Augen verbreiten Licht und 
Helligkeit, bei mystischen Stellen wie vertraumt dreinblickend; im kraftvollen 
Kinn aufiert sich energischer Wille wie in den belebten Flugeln der scharf- 
geschnittenen Nase und in der hohen Stirn, in die sich Falten legten, sobald 
Zweifel und Zorn sich erhebt, wogegen aus den feinen, schmalen Lippen ein 
mildes Lacheln sprechen kann. In allem iiberlegend und (iberlegen Iafit er 
sich in seinen Korperbewegungen frei ergehen, manchmal ins Groteske, mit 
nervosem Zucken und Aufschlagen des Fufies. Doch seine Bewegungen wurden 
im reiferen Alter immer konzentrierter. Die Arme scheinen sich mit der not- 
wendigen Angabe von Takt und Tempo begnugen zu wollen, Auge und Miene 
bohren sich in die aufmerksam Aufsehenden ein, Handgelenk und Finger- 
spitzen leisten mehr als frtiher Arme und Fufle. M.s Dirigieren vergeistigte 
sich immer mehr und mehr, und der Wille teilte sich wie in elektrischen Ent- 
ladungen mit, die dem Auge des Zuschauers unsichtbar blieben. M.s Arbeit 
im Dirigieren und Komponieren verinnerlichte sich stetig. Dies zeigt sich 
besonders in der stilistischen Faktur seiner Werke. Die Bogen der Melodien 
bleiben weitgespannt, allein die Motivikwird immer komplizierter, das Stimmen- 
gewebe intrikater und verdichtet sich stellenweise zu einem fast undurchdring- 
lichen Dickicht. Die Stimmungen werden aus den verborgensten Winkeln der 
Seele herausgeholt, und alle Regungen und Strebungen werden in der stets 
wachsenden Verklitterung zu fassen gesucht. Vielleicht ging er darin zu weit. 
Jedenfalls ist er auch darin einer der Stilfuhrer seiner Zeit, ein echter und 
rechter Vertreter der »Moderne« des letzten Jahrzehnts des vorigen und des 
ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts. Er vermochte sich immer freier zu 
entfalten und hielt doch fest an den uberkommenen Formen. Die Mittel ver- 
mehrt er, bereichert die Koloristik, intensifiziert den Ausdruck, vervielfaltigt 
die harmonischen Reize, bleibt dabei mehr oder weniger auf diatonischer Grund- 
lage, so sehr er die leiterfremden Tone verwendet und sie mit den leitereigenen 
verbindet — in gleichzeitigem Erklingen, mit kiihnster Benutzung von Ver- 
halten (oft gehauft), Antizipationen und Durchgangen. Innerhalb seiner 
Diatonik (nicht absolut, nur der Intention nach) sind ubermaflige und ver- 
minderte Intervalle, Querstande aller Art verwendet, mit moglichster Ver- 
meidung der direkten chromatischen Harmonik, wohl aber mit Anbringung 
chromatischer Laufe als klangsteigernder koloristischer Mittel. Dur und Moll 
assoziieren sich bei ihm gleichsam in einer und derselben Grundtonart, er bindet 
sie nach- und miteinander. Die Folge von Dur-Moll in einem Akkorde (Bei- 
behalten von Grundton und Dominante, Wechsel von groOer und kleiner Terz) 
ist gleichsam ein Symbol fur Freud und Leid, die im Leben so rasch und un- 
mittelbar aufeinanderfolgen, ein tonliches Spiegelbild der Lebenserfassung in 
Optimismus und Pessimismus, die in den Werken des Tondichters M. ohne 
Tendenz ausschliefilicher Geltung nach der einen oder andern Seite hervor- 
treten. Bald kommt eine plotzliche Wendung von Moll zu Dur, wie im zweiten 
Satz der »Vierten«, bald bildet der Klang Dur-Moll das Leitmotiv fur eine ganze 
Symphonie (»Sechste«) und wieder aufgenommen im zweiten Satz der »Sieben- 



Mahler. 



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ten«, schon angeschlagen im ersten Satz der »Zweiten«, von besonderer Be- 
deutung im »Lied von der Erde« (erstes, zweites und letztes Stuck, »Abschied«, 
das zwischen Moll und Dur schwebt). Dann kombiniert er sie gelegentlich, wie 
iibcrhaupt verschiedene Tonarten im gleichzeitigen Erklingen verknupft werden 
— eine Wesenseigenschaft des Stiles der Meister unserer Zeit. Harmonische 
Steigerungen und Niedergange werden mit Mitteln erreicht, die neu sind und 
ebenso der Detailbeschreibung wiirdig waren wie die durch die Verbindung 
der Stimmen sich steigernden Kombinationen, die rhythmischen Steigerungen 
und Senkungen uberhaupt. In all dem unterscheidet er sich von den Zeit- 
genossen und wirkt stilbildend. Er schiebt die Tonarten (auch Kreuz- und 
Betonarten), das harmonische und melodische Mollsystem, Dur und Moll in- 
einander, auch hier nur dann, wenn das AuBergewohnliche zum Ausdruck ge- 
bracht werden soil, wenn die melodischen Eigengange, die zusammengefuhrt 
werden, solche harmonische Behandlung als logische Konsequcnz nach sich 
Ziehen. Unvermittelt folgen Tonarten aufeinander, in tonlicher Spiegclung des 
Oberraschenden, so besonders markant im Scherzo der »Fiinften« (B-dur-D-dur), 
im ersten Satz der »Sechsten« (E-moll-C-dur) u. a. In einzelnen Liedern und 
Symphonien schlieflt er nicht in der Tonart, in der er begonnen hatte, nicht aus 
Skurrilitat, nicht wegen Insuffizienz der Kraft des Zusammenhaltens, wohl 
aus psychologischen Motiven, so schon in Liedern des »Fahrenden Gesellen«, 
»Ging heut morgens libers Feld« und »Die zwei blauen Augen von meinem 
Schatz«. Der Wanderer kommt in eine Richtung, die von der ursprunglich 
eingeschlagenen abweicht, die Augen des Schatzleins fiihren wohl seitab. Ebenso 
im Zyklus der Symphonic Die »Funfte« beginnt in Cis-moll, endet in D-dur, 
die »Siebente« H-moll-C-dur, die »Neunte« D-dur-Cis-moll mit tiefem Sinn, dort 
ein Aufschwung, hier ein Sinken, besonders bedeutungvoll in der letzteren, in 
deren SchluCsatz der Tondichter gleichsam Abschied nimmt. Alles entstammt 
der inneren Not, dem Drange, nicht aus Sucht zu reizen, und nicht in der Ab- 
sicht zu blenden. Solche Vorwurfe wurden von Gegnern erhoben, die nach 
Wagnerschem Rezept bei andern Effektsucht wittern. 

Die rhythmischen Gliederungen vermannigfaltigen sich sowohl in der Linie 
der Einzelmelodie durch stellenweise rasch wechselnde Taktarten, auch in der 
Verbindung mehrerer Melodien, die dort und da, selbst mit AuOerachtlassung 
geregelter Stimmfiihrung, in heterophoner Art aneinanderstoOen — wie die 
Widerstande im Leben, wie die Gegensatze der Natur: denn (wie Goethe sagt) in 
der Natur ist alles, das Rauhe, Gelinde, das Liebliche und Schreckliche, das Kraft- 
lose und Allgewaltige. Man konnte hinzufugen, das Schone und Haflliche. Das 
Rauheste findet sich in den Symphonien wiedergegeben, so im zweiten Satz 
der »Sechsten«. Der Humor steigert sich manchmal ins Wilde, Groteske (wie 
im zweiten Satz der »Funften«). 

Die melodischen Gange reibcn sich stellenweise in Sekunden oder Septimen 
oder Nonen aneinander, sei es, um die Eigenzugigkeit der hart im Raume sich 
stoflenden Stimmen zu wahren, sei es in unerbittlicher Wiedergabe der Unerbitt- 
lichkeiten des Lebens, der Kakophonien des Seelenlebens. Dort gehen sie in 
Quarten nach Art der alten Niederlander oder in modern koloristischem Dienst, 
zur gegenseitigen Klangverstarkung. Auch Quintengange dienen solchem 
Zwecke, oder Quinten- und Oktavenparallelen zeigen einen archaisierenden 
Charakter, sie sind »organal« gefuhrt in der Art primitiver Musikbehandlung, 



26 Mahler. 

an der Schwelle derKunst stehend; dann haben sie gelegentlich einen gleichsam 
rustikalen Charakter, in bauerlicher Art, wie dies schon in den Villanellen des 
17. Jahrhunderts liblich war, besonders drastisch im dritten Satz der »Dritten«. 
Die Naivitat solcher Stimmfiihrung, die in altehrwurdige Kirchengebrauche 
zuriickleitet, kann die Tondichtung in hohere Regionen geleiten, so im Auf- 
erstehungschor der »Zweiten«, im vierten Satz der »Vierten« (»St. Peter im 
Himmel sieht zu«) und in hochwichtigen Stellen der »F(inften« und »Achten«. 
Mit auffallender Vorliebe stiitzt M. einfache und komplizierte Teile auf 
Orgelpunkte, oben, unten, in der Mitte. Von der Moglichkeit, fortsingende 
Stimmen in alien Lagen zu bringen, macht er so ausgiebigen Gebrauch wie 
wenige Meister. Ganze Teile werden so tonlich gestutzt, so das Trio des zweiten 
Satzes der »Zweiten«, der Anfang des zweiten Satzes der »Achten«, da durch 
164 Takte das dreigestrichene es in der ersten Violine erklingt, wahrend die 
andern Streichinstrumente auf einem Motiv festsitzen, — ein tiefsymbolischer, 
unheimlicher Zug des da zum Ausdruck gelangenden Anachoretencharakters. 
Orgelpunkt und Ostinato gehen unmerklich ineinander iiber: so schwankt der 
»feste« Ton im dritten Satz der »Z\veiten« zwischen E und Es, Basse murmeln 
quasi ostinato -Tone, die fast oder wirklich ein Motiv sind, im ersten Satz der 
»Zweiten«, im funften Satz der »Dritten«, im zweiten Satz der »Sechsten«. 
Oder ein Akkord beharrt mit blodem, torichtem Eigensinn wie ein Verrannter 
auf seinem Recht des Erklingens, wie zur Belustigung, unbekummert um das, 
was daraus harmonisch entsteht — wie im Leben: Hauptthema des ersten Satzes 
der »Siebenten« mit dem rhythmisiertenE-moll- Akkord in der zweigestrichenen 
Oktave. Dann gerat ein Ton allmahlich in Bewegung. Der Halteton wird in 
rhythmische Unterteile aufgelost, mit Ornamenten und Melismen umschrieben, 
in Motive umgesetzt, die mit einer Beharrlichkeit wiederholt werden, die auf 
Beethoven weist und besonders auch in Meisterwerken des 17. Jahrhunderts 
beliebt war, freilich in anderer Art der Ausfiihrung und aus anderen psychischen 
Motiven hervorgegangen. Die polyphone Schreibweise zieht mit wachsen- 
der Bedeutung fur die Gesamtstruktur in seinen Stil ein. Von der »Funften« 
an werden seine Leistungen darin aufiergewohnlich. Kanons verwendet er nur 
selten, wie im zweiten Satz der »Funften« (eine Episode zwischen Holzblasern 
und Celli), dagegen ftihrt er die Fugenarbeit in Verbindung mit Sonatensatz 
oder Rondo im Sinne des letzten Beethoven weiter, so im dritten Satz der 
»Zweiten«, im letzten Satz der »Funften<< (Tripelfuge), in der Durchfiihrung des 
ersten Satzes der »Achten« (Doppelfuge), im dritten Satz der »Neunten« (mit 
der Aufschrift im Manuskript »an meine Bruder in Apoll'«). Schon im zweiten 
Satz der »Zweiten« setzt er einen schlank gewachsenen Gesang des Violoncells, 
eine sufie Weise, als Kontrapunkt zum ersten Thema (im doppelten Kontra- 
punkt); im ersten Satz erscheint der zweite Teil des ersten Themas vorerst als 
Kontrapunkt. Doch steigern sich die Kiinste besonders in der »Fiinften«, 
»Sechsten«, »Siebenten<<, in dcren erstem Satze das Hauptthema in gerader 
und Gegenbewegung mit dreifacher Engfuhrung erscheint. Doppelte, drei- 
fache Augmentationen, Diminutionen stellen sich mehrfach ein, und solcher 
Mittel viele. Variationen im eigentlichen Sinne, als selbstandige Form, be- 
gunstigt er nicht, der dritte Satz der »Vierten« bringt solche in freier Aus- 
fiihrung, als Metamorphosen der Hauptmelodie. Dagegen ist die Variierung 
der Themen ein Hauptmittel der Konstruktion und vermannigfaltigt sich in 



Mahler. 



27 



den Werken seit der »Fiinften«. Seine Lehrer diirften darauf zu wenig Gewicht 
gelegt haben. Je mehr er sich in die symphonische Arbeit vertieft, je mehr 
er in diese eindringt, desto mehr wachst sein Geschick. 

Ein kostliches Kleinod gerade in dieser Beziehung ist »Das Lied von der 
Erde« — auch auf symphonischem Grunde erbaut. Er zerlegt da die Themen 
in ihre Urbestandteile, bildet aus diesen neue Weisen und verteilt das Material 
in alle Stimmen. Sein Hauptaugenrnerk ist auf klare Gliederung gerichtet. 
So weit er die Bogen spannen moge — die Themen an sich weiten sich in bis 
dahin unerhorter Weise (vgl. meinen »Stil in der Musik«) — so sehr ist sein 
Augenmerk auf Logik des Ausbaues gerichtet. Auf- und Abstieg der Themen 
ist von eindringlichster Plastik. Man sieht manchmal die Themen entstehen — 
aus den Eingangsmotiven werden sie vor Aug' und Ohr entwickelt, geboren, 
so in den ersten Satzen der »Dritten« und »Sechsten« und in deren Schlufisatz. 
Sie werden dann wieder verkleinert, verkurzt, erweitert; einzelne Themen 
stehen im naheren und ferneren Verwandtschaftsgrade zueinander, oder Teile 
von ihnen sind ahnlich (so im zweiten Satz der »Funften«). Sie kombinieren 
sich miteinander, so im ersten Satz der »Siebenten«, Haupt- und Seitenthema. 
Manchmal haufen sich die Nebengedanken in einer Art, die selbst den aufmerk- 
samen und geubten Horer verwirrt, so im Scherzo der »Funften«, im Finale 
der »Sechsten« fast in babylonischer Turmbauart. In andern Fallen eliminiert 
er nachtraglich Stimmeneintritte, die ihm unnotig erschienen, so im zweiten 
Satz der »Zweiten«. Im Finale der »Siebenten« finden sich innerhalb weniger 
Takte die wichtigen Themen vereinigt, ebenso in der Reprise des ersten Satzes 
der »Funften«. Die Themen sind so eindringlich, scharf profiliert, dafi ihre 
Physiognomie auch unter den Mummereien der Variierungen erkennbar bleibt. 
Gewisse Idiotismen stellten sich ein, wie bei jedem Kiinstler von Eigenart; 
sie lassen sich von der »Ersten« an verfolgen, auch vom ersten Lied an — M.sche 
Wendungen, die besonders auch innerhalb der »F(inften« und »Sechsten« sich 
finden, zur Zeit, da M. seinen Eigenstil ganz ausgebildet hat und unwiderleglich 
dokumentieren, dafi dieser Meister kein Eklektiker ist. Er beschrankt sich 
naturlich nicht darauf, nur in der Exposition das Material einzufiihren, sondern 
bringt gelegentlich auch im weiteren Verlauf neue Themen. Schon Beethoven 
hat in der Durchfiihrung des ersten Satzes der »Eroica« ein neues Thema 
gebracht, und so halt es auch M. im ersten Satz der »Zweiten«. Dem 
groflen Meister folgend, enthalt auch in seinen Werken dieser Teil den Hohe- 
punkt. In der Reprise werden die Themen oft in anderer Reihenfolge 
gebracht; der Stoff wird nach den Vorgangen der seelischen Bewegungen ge- 
staltet bei Innehaltung der Hauptforderungen, der Grundpfeiler der betreffenden 
Formen. Auch wo freie Episoden, phantasieartige Gcbilde in scheinbar unge- 
bundener Gestalt eingeschaltet sind, ordnen sie sich in den Organismus der 
Regularform restlos ein. Noch in der »Sechsten«, die der tragischen Lebens- 
erfassung in fast schwelgerischer Weise sich ergibt, werden die Exigentien 
streng formaler Behandlung so weit beobachtet, dafi sie formlich bestimmend 
auch auf den inneren Verlauf wirkten: aufierlich erkennbar durch die sonst 
nicht mehr ubliche Wiederholung der Exposition des ersten Satzes. 

Als Hilfsmittel behufs Klarheit und Eindringlichkeit dient neben der 
Ebenmafiigkeit des formalen Baues, der melodischen Linien die Perspektivik 
der Orchestrierung, die, so stark sie scheinen mag, nie die Deutlichkeit der 



28 Mahler. 

Gruppierung verwischt. »Die Plastik der Instrumentationskunst M.s ist ab- 
solut vorbildlich«, sagt Richard StrauB, wohl der berufenste Beurteiler kolo- 
ristischer Behandlung. Die Gedanken und Ausdrucksweisen werden ins Klang- 
bild umgesetzt. Erstere sind das Primare, die Kolorierung das Sekundare, 
wie es das gesunde Verhaltnis ist. DaC sich mit einzelnen Themen die Klang- 
farben gewisser Instrumente schon bei der Erfindung verbanden, ist dabei 
nicht ausgeschlossen. M. gestand, dafl es ihm oft schwer fiel, die passende 
Orchestrierung zu finden — so leicht er sich dies auch hatte machen konnen. 
So wurde die »Fiinfte« sogar nach ihrer Veroffentlichung einer griindlichen Urn- 
instrumentierung unterzogen, was in diesem Falle mit der Umbildung seines 
Stiles von der »Vierten« zur »Fiinften« teilweise zusammenhangt. Auf der 
Palette seines Orchesters sind alle Farben, alle Mischfarben der Moderne zu 
finden, und er hat sie in nicht unerheblicher Weise vermehrt. 

Die ublichen Streich- und Blasinstrumente bilden das Grund- und Haupt- 
mittel, wie zur Zeit der Klassiker und Romantiker, nur vermehrt (einzelne 
Gruppen verdoppelt, verdreifacht) und mit neuen erganzt, in noch mehr Stimmen 
zerlegt, darin in gleicher Weise vorgehend wie manche seiner Zeitgenossen. Die 
Es-Klarinette wird vomMilitarorchester ubernommen und war schon von Berlioz 
verwendet worden. Ihr Klang ist uberscharf. Celesta, Guitarre, Mandoline sind 
schon von andern gebraucht worden, von niemandem in mehr kennzeichnender 
Weise als von M. Klavier und Harmonium werden als klangvermittelnde, 
bindende Instrumente herangezogen. Die Sologeige wird dort und da umge- 
stimmt, wie dies im 17. Jahrhundert nicht selten war und von einzelnen Vir- 
tuosen der nachfolgenden Zeit, besonders von Paganini, geubt wurde. Der 
Orgelklang in der »Zweiten« und »Achten« ist nichts Ephemeres in der Literatur 
und erscheint in diesen Werken M.s durch die poetische Stimmung geboten. 
Die Schlaginstrumente hat er in ungeahnter Weise differenziert und darin selbst 
Berlioz weit ubertroffen (Pauken, grofle und kleine Trommel, Becken, Tamtam, 
Tambourin, Holzklapper, Xylophon); die Besenrute hat schon Mozart ver- 
wendet. M. lehrte sie eine Sprache, die fruher unbekannt war; er fullt mit 
ihnen Generalpausen und gliedert sie in rhythmischer Weise, er macht sie dem 
Zwecke der Oberleitung dienstbar. Sie werden als klangliche Hilfsmittel 
und als Begleiterscheinungen seelischer Regungen und Eindrucke verwendet, 
z. B. als Gespensterzeichen im ersten Satz der »Dritten«. Im Finale der 
»Sechsten« erdrohnt zweimal (an verschiedenen Stellen) ein Hammerschlag 
(nach der Vorschrift »kurz, dumpf, machtig hallend von nicht metallischem 
Charakter«) als Verstarkung des Orchesterschlages, gleichsam ein dumpfer 
Schicksalsschlag. Glocken erklingen als spharische Lebenszeichen oder wie zur 
Begleitung von Vorgangen der belebten Natur: im fiinften Satz der »Dritten«, 
in den ersten Satzen der »Funften« und »Achten«. Sie ertonen auch aus Kindcr- 
mund, wie von Engeln angestimmt — als Himmelsglocken. Diese Nachahmung 
von Glockenstimmen findet sich schon in mittelalterlichen Tonstiicken, auch 
zur Zeit der Hochbliite der A capella-Musik. Die Herdenglocken in der »Sechs- 
ten« erklingen nicht in tonmalerischer Absicht, etwa um eine Kuh- oder Schaf- 
herde zu kennzeichnen. M. wollte, wie er erklarte, damit »nur ein ganz aus 
der weitesten Feme verhallendes Erdengerausch charakterisieren, das der auf 
einsamer Hohe Stehende erlauscht, als Symbol weltfernster Einsamkeit«. 
Sie wiederholen sich im zweiten Satz der »Siebenten«. Solche und ahnliche 



Mahler. 



29 



Klangwirkungen sind Ausnahmeerscheinungen im Gesamtklang seiner Werke. 
Auch ein Grofimeister der Koloristik macht Versuche, die nicht immer gelingen. 
Wenn er einen Irrtum oder Mangel wahrnahm, anderte er, bis das zu Sagende 
klar und fafilich im Klangbilde sich mitteilte. Die ungewohnlichen Lagen einzel- 
ner Holz- und Blechblasinstrumente dienen gleichem Zwecke wie die zeit- 
weilige Vorschrift, dafi sie mit hochgehobenem Trichter geblasen werden sollen 
oder dafl die Spieler sich erheben sollen. Wer kann behaupten, dafi darin ein 
Zuviel an Verdeutlichung angestrebt sei? Dafi er nicht aus Farbensucht die 
Forderungen stellt, erkennt man schon daraus, dafi er fur die »Vierte« weder 
Posaunen noch Tuben verlangt. Im Adagietto der »Funften« werden nur 
Streicher und Harfen verwendet. Auch die Orchestrierung seiner Lieder zeigt, 
wie wahlerisch er im Heranziehen der Klangfarben war und bald mehr, bald 
weniger verlangte. Der Vorwurf, dafi seine Instrumentierung zuweilen uber- 
laden sei, ist von Verstandigen auch gegeniiber Wagnerschen Partituren, so 
besonders der des »Tristan«, erhoben worden. Wer hat recht behalten? Alles 
ist nach seiner Art; wenn diese nur etwas sagt und bedeutet, dann mufi man 
sie anerkennen und nicht in andere Art umsetzen wollen. Die Anschauung hat 
sich an das Objekt zu halten, sie wechselt ohnedies mit jedem Erschauenden, 
Erhorenden. Der innerste Lebensnerv der Musik ist und bleibt das melodische 
Element. In der Beobachtung dieser Grundthese unterscheidet sich M. gar 
sehr von manchem seiner »Bruder in Apoll'«, die neben ihm wirkten oder seine 
Kunstiibung fortzufiihren vermeinen. Seine Weisen zeugen immer von Cha- 
rakter und wirken uberzeugend fur den, der da kommt, um zu glauben. Sie 
sind nicht immer gewahlt, dann will er das Vulgare, das er als Antithese ver- 
wendet. Er lafit auch den Plebejer sprechen, stimmt bauerische Weisen an, wie 
vor ihm Bruckner. Solche Weisen entbehren nicht selten der Originalitat, 
so besonders, wenn er das Philistertum zeichnet, das Liebespaar der Gasse, 
den verliebten Postilion, den »Pulcher«, der die Burgmusik begleitet (eine 
Wiener Spezialitat), gafiab trodelt und die kostbare Zeit vertrodelt. Die Tri- 
vialitaten kann der Symphoniker wiedergeben, wenn sie, wie schon gesagt, 
auf dem Grunde ernster Lebensauffassung gelagert sind. Beethoven hat in 
seiner Pastorale die Dorfmusikanten geschildert, wie ihnen schlaftrunken der 
Ton stecken bleibt und sie erschreckt wieder einfallen. Wie es damals »orts- 
ublich* war in der Hinterbruhl, in Gaaden (wohin er sich zuriickziehen wollte), 
so hat er es kunstlerisch gefafit und eingeordnet. Der Ton-»Mahler« des vanity 
fair hat andere Tone am Markt des Lebens gefunden, aufgelesen. Werden sie in 
einem Jahrhundert auch so veredelt klingen, wie heute die Tone der Dorfschenke 
bei Beethoven? Melodisch schwach sind z. B. das zweite Thema des ersten 
Satzes der »Sechsten«, einige Themen der »Neunten«, wahrend das erste Thema 
dieser Symphonic zu seinen schonsten musikalischen Einfallen gehort. M.s 
Melodik schwebt zwischen Volkstumlichkeit und hochster Kunstentfaltung. 
Im dritten Satz der »Ersten« steht die Bemerkung: »schlicht und einfach wie 
eine Volksweise«. Er will damit auch die Naturlichkeit im Vortrage kenn- 
zeichnen. Naturweisen werden ins moderne Kunstterrain hinubergezogen, sei 
es durch Umbiegung einzelner Tone, wie etwa noch im zweiten Satz der »Sechs- 
ten«, sei es durch eine Fassung, die dem Kern eine ganz neue Einhullung gibt. 
Septsprunge findet man in osterreichischen Landweisen, die bei M. beliebten 
Nonspriinge sind auf dem Eigenboden der stets fortschreitenden Umbildung M.- 



30 



Mahler. 



scher Melodik erwachsen. Die sogenannten Chorale in M.s Symphonien gehoren 
oft nur mehr dem Stimmungsgebiet des Chorals an und sind Eigenweisen in 
der Melodik des Kunstlers. Als die motivische Synthese seine Technik be- 
herrschte (seit der »Funften«), betrat er musikalisches Neuland, so eigen auch 
seine Sprache in vorangegangenen Werken im einzelnen sein moge. Dies ist 
der naturliche Prozefl in jedem Kiinstler, der »selberaner« geworden ist, wie 
Schubert sagte, als man ihn fragte, ob er Mozartianer oder Beethovenianer sei. 
M.s Ausdrucksweise wird zur Eigensprache in allmahlichem Ringen nach voller 
Entfaltung der Individuality. Dies ist ein organisch notwendiger Vorgang 
bei jedem Kiinstler mit eigener Physiognomic. 

Waren M.s Jugendwerke erhalten, hatte er nicht mit unerbittlicher Selbst- 
kritik alles vernichtet, was er bis etwa 1882 geschrieben hat (Kammermusik, 
Opern »Heinrich von Schwaben«, »Argonauten«, »Rtibezahl«, verschiedene 
Orchesterwerke, darunter eine »Nordische Suite oder Symphonie«), so konnte 
man die erste Periode der Entwicklung dokumentarisch belegen und beschreiben. 
Das »Klagende Lied«, komponiert im Alter von 18 — 20 Jahren, erfahrt 1888 
eine griindliche Umarbeitung durch Weglassung des dritten Teiles, Zusammen- 
ziehung der beiden ersten Teile und Kurzung der instrumentalen Zwischen- 
spiele und nach geraumer Zeit eine nochmalige Revision der Instrumentation. 
Ihr. Verhaltnis zur ersten Komposition ist nicht sicherzustellen. Es ist 
kein Lied, war ursprlinglich als Marchenspiel fur die Biihne gedacht und wurde 
als Kantatenstudie ausgefiihrt. Der Text ist von ihm nach einem von Bechstein 
erzahlten Marchen gedichtet und scheint mir poetisch mehr beschwingt als die 
Musik, die nicht geringe Anforderungen an Soli, Chor und groCes Orchester 
stellt. Sie schwebt zwischen Konzert und Theater und kann ihre urspriingliche 
Bestimmung fur letzteres nicht verleugnen. Neben einzelnen melodischen 
Wendungen zeigt sie Eigenziige: im raschen Tonartenwechsel (Cis-moll-C-dur), 
im Gebrauch von harten Septimenakkorden, im raschen Wechsel von /// und 
ppp. Da neben diesem Werk aus seiner Jugendperiode nur einigeunter dem Titel 
von »Jugendliedern« (1885) erschienene Lieder erhalten sind, kann der Historiker 
nicht die erste Periode behandeln, wenngleich er sie als vorhanden annehmen 
mufl. Von diesen Liedern lehnt sich eines (»Fruhlingsmorgen«) an Schumann 
an, ein anderes steht am Boden des Volksliedes (»Hans und Grete«). In den 
nachfolgenden Werken miissen den obigen Ausfuhrungen zufolge zwei Perioden 
geschieden werden, wie dies auch von Bruno Walter erkannt wurde: die erste 
(im Gesamtgebiete des M.schen Schaffens also die zweite) Stilperiode umfaOt die 
Zeit von 1883 — 1900. In ihr entstanden vier Symphonien, als besonders kenn- 
zeichnend die »Lieder eines fahrenden Gesellen« (1883) (von ihm auch ge- 
dichtet) und die Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn« (1888 — 1 899). M. hatte 
diese Sammlung erst im Alter von 28 Jahren kennen gelernt, deren Geist aber 
schon vorher (schon in der Dichtung vom »Klagenden Lied«) im Sehnen des 
Dichters erspaht; denn, wie Goethe sagt, kennt der Dichter die Welt durch 
Antizipation. Diese Sehergabe spielt in M.s Leben eine besondere Rolle: so 
schrieb er die Kindertotenlieder, bevor er seine geliebte erstgeborene Tochter 
verloren hat. Er komponierte den SchluCsatz des »Liedes von der Erde« und 
der »Neunten« als Abschied vom Leben, bevor der Todesengcl ihn gestreift hatte. 
Im Lied erreichte er gerade in dieser zwei ten Periode vorerst seine voile Eigen - 
art: »Reveglie«, »Der Schildwache Nachtlied« sind der eigenste M., ich mochte 



Mahler. 



31 



sagen, der »echte«, wenn diese Bezeichnung nicht Mifldeutungen gegenuber 
andern Werken zur Folge haben konnte. Sie sind so ureigen, wie in der Folge - 
zeit, in der folgenden Periode »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, »Um 
Mitternacht«, »Die Kindertotenlieder« (tiberhaupt die Riickertlieder) und »Das 
Lied von der Erde«, die Spitze der Liederpyramide. Vom »Klagenden Lied« 
zum letztgenannten fiihrt eine Weltreise, in volliges Neuland. Dort sind 
Spuren, hier die Erfullung. Dieser dritten Schaffensperiode gehoren neben den 
Ruckertliedern und dem »Lied von der Erde« des weiteren die folgenden Sym- 
phonien (»Fiinfte« bis »Neunte«) an. Der Italiener Casella (in Paris lebend) 
und der Franzose William Ritter wollen mit der »Neunten« eine neue Periode 
beginnen. Ich wuflte keinen plausiblen Grund hierfiir. Die stilistische Faktur 
ist nicht verschieden, nur die Art der Ausfiihrung und Zusammensetzung dem 
Stimmungsgehalt entsprechend. M. war von Lied, Kammermusik und Oper 
ausgegangen und beackerte in der Folge nur mehr die Gebiete von Lied und 
Symphonie. Als einer der gewandtesten Operndirigenten wandte er sich von 
der Opernproduktion ganzlich ab: fur diese wurde er ein Fiihrer in der Wieder- 
gabe, fiir die Symphonie ein Pfadfinder und seine Werke werden ein Meilen- 
zeiger fiir die Zukunft. Diese Abwendung von der Opernproduktion ist in der 
Natur M.s tief begriindet. Die Opernmache beherrschte er, wie wohl wenige. 
Allein er wollte ganz eintauchen in das Reich der reinen Musik. Seine Diri- 
genten- und Direktionstatigkeit bot ihm den Lebenserwerb — er hatte fiir 
Mitglieder seiner elterlichen Familie und dann fiir die eigene Familie zu sorgen. 
Man nannte ihn den »Sommerkomponisten«. Im Winter fuhrte er ge* 
wohnlich das aus, was er im Sommer, wahrend der Ferien, konzipiert hatte. Im 
Augenblick, da er die Oper verliefl, gehorte er sich an, kehrte »zu seiner Weise« 
ein, wie Beethoven sagte, als er sich von der Oper abwandte. Weltentriickt 
schuf er in landlicher Zuruckgezogenheit seine Symphonien. Das Schaffen 
war ihm Erholung. Da sang er seine Lieder, die wie Vorhallen zu seinen sym- 
phonischen Gebauden erscheinen. Erstere sind die intimen Seelenlandschaften, 
letztere die grofien Seelengemalde; Genrebilder neben tondichterischen Dar- 
stellungen des Kosmos. Die musikalische Seele, die beide Gattungen belebt, 
ist die gleiche und verbindet sie in eins. Wie die Lieder der mittleren Periode 
in die Symphonien der gleichen Zeit hiniibergezogen sind (im ersten Satz der 
»Ersten« ein Lied des fahrenden Gesellen »Ging heut morgen iibers Feld«, 
motivisch im dritten und vierten Satz wiederkehrend, im dritten Satz der 
»Zweiten« die »Fischpredigt des hi. Antonius von Padua«, im Scherzo der 
»Dritten« »Der Kuckuck hat sich zu Tocle gefallen«), so finden sich alluberall 
in seinen Symphonien Beziehungen zu Stellen aus seinen Liedern. Sein letzter 
Liederzyklus »von der Erde« ist — ich mOchte sagen — eine Symphonie 
im Innern, sogar mit Anlehnung der formalen Behandlung einzelner Teile. 
Die »Neunte« ist geradezu die voile symphonische Verarbeitung des im »Lied 
von der Erde« enthaltenen tonpoetischen Stoffes, so stimmt besonders der erste 
Satz mit dem »Abschied« uberein. Indem er in der Liedkomposition von der 
strophischen Behandlung als Grundlage der Vertonung ausgeht, verbindet er 
diese mit spezifisch musikalischer Ausarbeitung und gelangt so zu Gebilden, 
bei denen die letztere als das Ausschlaggebende, Formbestimmende erscheint, 
besonders durch motivische Verarbeitung in Zwischenspielen, wie dies in Liedern 
der dritten Periode, vorerst im AnschluC an den Vorgang von Schumann und 



32 



Mahler. 



Brahms, dann in gemeinsamem Vorgehen neben Hugo Wolf, Richard Straufi 
u. a., hervortritt. Das ware im einzelnen zu untersuchen und nach- 
zuweisen. Seine Lieder werden auch koloristisch ins Orchestergebiet 
ubergeleitet. Es sind da instrumentierte Kammerlieder von eigentlichen Or- 
chestergesangen zu unterscheiden. Erstere im Sinne der »groflen Kammermusik* 
des 17. und der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts, die nicht so sehr fur die 
kleine Kammer oder die biirgerliche Stube, als vielmehr fur die grofie furstliche 
Kammer der friiheren Zeit geschaffen und wohl fiir den kleinen Konzertsaal 
unserer Zeit geeignet ist. Ich mochte die Lieder »Blicke mir nicht in die Lieder «, 
»Ich atmet' einen linden Duft«, »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, »Rhein- 
legendchen* und den Zyklus der Kindertotenlieder trotz der koloristischen Ge- 
wandung als eigentliche Kammermusik ansehen, die andern instrumentierten 
Lieder als eigentliche Orchesterlieder, fiir den groflen Konzertsaal bestimmt. 
Es sind deren zwolf nebst dem »Lied von der Erde«. Im ganzen hat M. 42 Lieder 
komponiert. Die Bezeichnung »symphonische Lieder«, die Philipp Spitta 
fiir die Brahmsschen Gesange verwendet, ist im hoheren Sinne fiir die Lieder 
von M. anwendbar. Sie umfassen Natur, die Welt der Kinder und GroCen in 
den mannigfaltigsten Stimmungen der Liebe, weltlich und heilig, vollste Hin- 
gabe in absteigender Linie bis zur Resignation, die in verklartester Weise in 
dem unvergleichlichen »Ich bin der Welt abhanden kommen« zum Ausdruck 
kommt. Parodistische Wendungen finden sich in einzelnen Liedern, ausdruck- 
lich so bezeichnet im »Aus! Aus.U, da der Soldat von seinem Liebchen Abschied 
nimmt (im »kecken Marschtempo«) und dieses in den Antworten zu erkennen 
gibt, dafi beide sich irgendwie trosten werden. Eine banal travestierende 
Wendung ahnlicher Art im »Trost im Ungliick«, dem Zwiegesprach von Husar 
und Madchen. Bezeichnungen markanter Art finden sich sowohl in Liedern 
wie besonders in Symphonien : im dritten Satz der »Ersten« auch »mit Parodies, 
zur Charakterisierung des Bildes der den Leichenzug des Jagers begleitenden 
Tiere des Waldes, ein Trauermarsch mit Benutzung des Studentenkanons 
»Bruder Martin«. In den Symphonien steigern sich Anweisungen ins Ex- 
treme, z. B.: »in grofler Wildheit« (vierter Satz der »Ersten«), »mit grofler 
Vehemenz<c (im zweiten Satz der »Funften«), »mit roher Kraft« und »wie ge- 
peitscht« in der »Sechsten«. Solche Stellen diirfen im Vortrag ebensowenig 
aus dem Rahmen des Ganzen gerissen werden, wie dies der Komponist in for- 
maler Behandlung vermeidet. Alles ist eingeordnet, bei den Liedern in das 
Grundgerust der textlichen Vorlage. Freilich erlaubt er sich da manche Ande- 
rungen — mit Riicksicht auf spezifisch musikalische Momente. Wenn ganz aus- 
nahmsweise in der Deklamation eine Abweichung vorliegt, wie etwa im »Ur- 
licht« (vierter Satz der »Zweiten<c) beim Worte »abweisen«, so ergibt sich 
dies aus dem musikalischen Kontext in natiirlicher, fast zwingender Weise. 
Wenn er in vielstrophigen, durchkomponierten Liedern Strophen auslaflt, 
geschieht es entweder aus Riicksicht auf die Okonomie des musikalischen Ge- 
bildes oder im Hinblick auf die Untauglichkeit, die Ungeeignetheit der be- 
treffenden Worte. Wenn er Worte, Satze, Verse einfiigt, z. B. im Auferstehungs- 
lied von Klopstock (im Schluflsatz der »Zweiten«), so verlangt dies der musi- 
kalische Gedankengang oder es ist die Erfiillung einer poetischen Forderung des 
Tondichters. Er schiebt auch gelegentlich zwei Texte in einen Gesang zusammen, 
wie im »Wer hat dies Liedlein erdacht ? « oder in der SchluOnummer des »Liedes 



Mahler. 



33 



von der Erde« — damit ist ein Stimmungsbild geschaffen, das etwas ganz Neues 
bringt, ein Neuerzeugnis des Wort- und Tonpoeten M., eine Umgiefiung der 
beiden Vorlagen. Durch ausnahmsweise Wiederholung von Textstellen gewinnt 
die musikalische Stelle an Eindringlichkeit. Die bloBe Sangesfreudigkeit lafit 
sich in Melismen ergehen, so in »Wer hat dies Liedlein erdacht?« — ein mit- 
reiCender Strom von Koloraturen. Von den 428 Liedern, die Ruckert unter 
dem Eindruck des Todes seiner Kinder gedichtet, wahlt M. funf und schafft 
einen Zyklus, dessen Stimmung mit erschiitterndem Ausdruck edelste, vor- 
nehmste Haltung vereint. Er endet mit eincr Weise, die rhythmisch an ein 
Wiegenlied anklingt — die Kinder ruhen in der Erde wie von der Mutter gewiegt! 
Der Trost lindert den unsaglichen Schmerz, der eigentlich unstillbar ist! Ein- 
heitlicher, noch konzentrierter ist der Zyklus des »Liedes von der Erde« trotz 
der einander gegenliberstehenden Stimmungen, die in Gegensatzen aufein- 
anderstofien. Diese Macht der Konzentrierung vermag nur die Musik in der 
vollendeten Meisterschaft des Kunstlers zu iiben. Die flinf Gesange ruhen auf 
einem Grundmotiv (a a g 2 c a ), dessen Tone in alien moglichen Varianten, Urn- 
formungen in gerader, umgekehrter, riickgangiger Folge erscheinen. Optimis- 
mus und Pessimismus stofien hart im Raume aneinander. Ersterer beson- 
ders in Nr. 3 »Von der Jugend«, in Nr. 4 »Von der Schonheit«, deren 
Motive sich nahe stehen, letzterer besonders in Nr. 2 »Der Einsame im 
Herbst« und Nr. 6 »Der Abschied«, hier in einer wechselseitigen Mischung und 
Abfolge, die schon in Nr. 1 »Das Trinklied vom Jammer der Erde« und Nr. 5 
»Der Trunkene im Fruhling« Vorganger hat, dort (in Nr. 6) zur Abklarung 
gelangt im Bewufitsein, dafi nach dem Tode des einzelnen »die Hebe Erde all- 
uberall im Lenze bliiht und aufs neue grunt« und in der Musik zu den Worten 
»0 Schonheit, o ewigen Liebens, Lebens trunkene Welt« poetisch und musi- 
kalisch ihren Hohepunkt erreicht. Alles ist ins Erhabene gezogen; dies wird 
auch nicht gestort durch das Bild des Affen (in Nr. 1), der im Mondschein auf 
den Grabern hockt, »eine wildgespenstige Gestalt«, deren Spuk dem Klinstler 
und Menschen M. so widerwartig schon im Leben mitgespielt hat! Die Texte 
sind der Gedichtsammlung »Die chinesische Flote«, Nachdichtungen chinesischer 
Lyrik von Hans Bethge, entnommen und in freier Weise zusammengestellt. 
Die Gefiihls- und Stimmungswelt der vier Dichter aus dem achten Jahrhundert, 
an deren Spitze Li-Tai-Po steht, ist von dem Tondichtcr in einer Weise erfafit, 
dafi ein fast restloses Ineinanderaufgehen alter und neuer Kultur zuwege ge- 
bracht ist. t)ber die Grenzen zweier Kunste und uber einen Zeitraum von 
1200 Jahren wird eine Verbindung gezogen, als ob »Alt« und »Neu« sich vollig 
glichen: mit den Mitteln einer neugeschaffenen, modernen Kunst. Die Ver- 
wendung der Fiinftonreihe altchinesischer Musik im dritten und vierten Stuck 
und des daraus genommenen Abschnittes im Grundmotiv des Zyklus ist nur 
eine begleitende Zufallserscheinung. Die Tenorstimme (bei zwei), Alt oder Bari- 
ton (bei vier Gesangen) singen in einem neuen Stil mit den subtilsten Farben- 
tonen des Orchesters vereint, als ob es das Ergebnis der Seelenbewegung einer 
langstvergangenen Zeit ware. So ist es immer mit den echten Kunstwerken, 
die Stoffe alten Kulturen entnehmen und deren allgemein menschlicher Kern- 
inhalt in den verschiedenen Kulturperioden der gleiche bleibt. 

Wie M. in diesem Zyklus unci in einzelnen Liedern die Lebensprobleme in 
verschiedener Weise kunstlerisch fafit und von der tondichterischen Seite sich 

Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nelcrolog:. 16. Bd. 3 



34 



Mahler. 



ihnen zu nahern sucht, so sind seine Symphonien von gleichem Inhalt erfiillt — 
nur in groBeren Dimensionen und auf ausschliefllich musikalischem Boden 
erbaut, dort und da zumWorte, zur menschlichen Stimme greifend, als einer will- 
kommenen Verdeutlichung der kiinstlerischen Strebungen und Absichten, als 
einer Assoziation des ahnlich oder gleichartig zum Vorschein kommenden 
Stimmungs- und Gedankenausdruckes, als einer Vervollkommnung und Be- 
reicherung des sinnlichen Klanges im Dienste der Mitteilung des Seelischen. 
Dann werden die Phrasen der Instrumentalstimmen iibergangslos von den 
Singstimmen ubernommen oder umgekehrt — es ist e i n e Weise, in die sich die 
Instrumente und die menschliche Stimme als Instrument teilen — wie in seinem 
»Lied von der Erde«, so in seinen Symphoniesatzen mit Gesang. Man sehe sich 
darauf hin etwa den vierten Satz der »Dritten« oder die ganze »Achte« an. Ich 
mochte diese Symphonien als kosmische Kunstwerke bezeichnen. Natur und 
Leben, Werden und Vergehen, Zeit und Ewigkeit, Tag und Nacht werden in 
Tonsymbole gefaflt. Die Stimmen der Tiere des Waldes ertonen, die Stimme 
des Rufers in der Wuste erschallt, die Schreie, das Stohnen, Kreischen und 
Achzen, das Jubeln wird vernehmbar, die »Juchezer« in freier Natur und das 
Jubilieren am offenen Markt und Platz, die stillen Heimlichkeiten in engen 
Gassen und Raumen. Die Freuden im Diesseits und die ertraumten und im 
Glauben ersehnten »himmlischen Freuden« des Paradieses werden besungen 
und verklart. In der Mehrzahl seiner Symphonien ringt sich der Kiinstler 
durch Kampfe und Trauerklange zur Befreiung vom Leid empor, wie in der 
»Ersten«, »Zweiten«, »Dritten«, »Funften«, »Siebenten«. Diese Befreiung ist 
verschieden geartet; nur in der »Ersten« gelangt der Weltwanderer zu einem 
Siege, zu einem »Triumphale«, in der »Funften« ringt sich der Strebende zum 
Ideal empor, das ihm schon im ersten Satz wie verschleiert vorschwebt, in der 
»Siebenten« enthiillt sich ihm endlich strahlendes Sonnenlicht. In der »Zweiten« 
erreicht der Trauernde nach Verzweiflung und im Sehnen nach Gott und Liebe 
den Glauben, nicht im konfessionellen Sinne, wohl den Glauben an die Allmacht 
der Liebe. Der hochste Ratselschlufi ist bei M. die reine Liebe zu Gott, Mensch 
und Natur, wie im Schlufisatz der »Dritten« des Lebens Harmonie in der Hin- 
gabe sich verklart. Die »Achte« bringt gleichsam die Erfiillung der »Zweiten«: 
da ist alles auf das »accende lumen sensibus, infunde amorem cordibus« auf Licht 
und Liebe, als den Kernpunkt alles Daseins, gerichtet. »Vierte« und »Sechste« 
stehen im absoluten Gegensatz zueinander, dort die Freude, Behaglichkeit in 
verschiedensten Nuancen und Abstufungen, hier die unerbittliche Tragik, die 
zum Untergang fuhrt. In der »Neunten« nimmt der Kiinstler nach wechselnden 
Bildern des Daseins von diesem Abschied, sie schliefit »ersterbend«. Cberhaupt 
kommen in jeder Symphonie entsprechend dem Wechsel im irdischen Leben, 
im Weben und Walten der Natur die mannigfaltigsten, einander ablosenden 
Seelenstimmungen zum Ausdruck. Kontraste stofien aneinander, wie in der 
Wirklichkeit des Daseins. Eine fast verwirrende Menge von Gesichten wechselt 
und schiebt sich aneinander. Sie sind eingegliedert nach den Forderungen 
formaler Behandlung und der notwendigen Abwechslung in der Folge der 
Satze des Zyklus zu einer Symphonie. Manchmal vertauscht er die ubliche 
Folge (so besonders in der »Neunten«, da zwei langsame Satze zwei schnelle 
umschlieOen) im Dienste der poetischen Grundidee, die keine realen Forderungen 
in programmatischer Beziehung stellt, nur rein musikalisch sich einfugt und so 



Mahler. ? e 

erkennbar ist. Auch in den duster gehaltenen Satzen tauchen ruhigere Mo- 
mente auf in Erfiillung unabweisbarer Forderungen tonkiinstlerischer Be- 
handlung. Wollte man jede der neun Symphonien in ihrem seelischen Verlaufe 
verfolgen, so miiflte eine Detailanalyse gegeben werden, die das Mafi des hier 
zu Bietenden weit iiberschreiten wiirde und vielleicht den, der sich daranwort- 
lich hielte, in unnotiger Weise binden und der freien Auffassung Fesseln anlegen 
wiirde. Denn die psychische Ausdeutung hat mehrfache Moglichkeiten, fast 
unendliche Varietaten, und dies ist ein Vorzug musikalischer Werke. Manchmal 
fuhlt sich der das Werk Aufnehmende so gestimmt, wie der Konzipierende 
beim Schaffen — ja sogar dieselben Bilder oder Poesien tauchen auf. Allein 
solch Zufall kann nicht die Bedingung fur das Verstandnis sein. 

Bei den M.schen Symphonien wird das Verstandnis insofern erschwert: 
vorerst, weil so sehr jede ftir sich steht, alle mehr oder weniger zusammengehoren, 
sich gegenseitig erganzen, sogar in Gruppen einander gegenuberstehend wie die 
»Zweite«, »Dritte«, »Vierte« gegeniiber der »Fiinften«, »Sechsten« und »Sieben- 
ten«, die erstere Gruppe mehr dem religiosen Gebiet angehorend, wie die »Achte«, 
die zweite Gruppe mehr dem Irdischen zugewendet. Ferner weil die Satze der 
einzelnen Symphonien in Abteilungen zusammengezogen und endlich weil die 
Satze einer und derselben Symphonie miteinander motivisch verbunden sind. 
Die tonpoetische Deutung dieser Zusammenhange verlangte Spezialuntersuchun- 
gen, die sich auch mit den Grundfragen symphonischen Schaffens zu beschaf tigen 
hatten. Gleiche Motive gelangen an verschiedenen Stellen verschiedener Satze 
und Symphonien zu mannigfach abwechselnder Bedeutung und stellen doch 
einen inneren Zusammenhang her. So stellt sich, um nur noch einen Fall zu 
erwahnen (von motivischen Beziehungen der »Dritten« und »Vierten« war 
schon die Rede), das Finale der »Fiinften« neben das der »Siebenten«, schon 
auflerlich in der Weiterfuhrung der Rondoform. Die Griinde ftir die Zusammen- 
ziehung einzelner Satze einer Symphonie in Abteilungen sind teilweise aufiere — 
wegen der Ausdehnung eines Satzes und der relativen Kurze anderer — teil- 
weise innere, wegen der engen Zusammengehorigkeit. In der »Zweiten« hat 
der zweite Satz erst »nach einer Pause von mindest fiinf Minuten« einzusetzen, 
und dann gelangt der dritte, vierte, fiinfte fast ohne jede Unterbrechung zur 
Auffiihrung. In der »Fiinften« sind drei Abteilungen : die erste (der erste und 
zweite Satz thematisch im Zusammenhang) und dritte (der vierte und fiinfte 
Satz ebenso thematisch zusammenhangend) umschliefien die zweite Abteilung 
(den dritten Satz »Scherzo«). In der »Siebenten« ist der zweite Teil aus drei 
Satzen gebildet (den Nachtmusiken), der eingeschlossen wird vom ersten Satz 
als erstem und dem letzten Satz (Rondofinale) als drittem Teil. Dies alles ware 
aus dem Organismus der Zyklen zu erklaren. In verschiedener Weise sind die 
motivischen Verbindungen der einzelnen Satze einer Symphonie hergestellt. 
Dies lafit sich bei alien Symphonien nachweisen. Da gelangt ein Thema erst 
in einem nachfolgenden Satz zu wahrer Geltung, das Streben und Sehnen gelangt 
zu seinem Ziel, dort wird ein Thema in schmerzvoller Erinnerung an Ver- 
gangenes angeschlagen, dann verandert es sich, wechselt in Haltung und Cha- 
rakter, erscheint wie ein Zerrbild oder in Verherrlichung. Wie dankbar ware 
es, dies im einzelnen zu verfolgen und dadurch die hohe Kunst des Musikers 
und Seelenmalers klarzulegen. Dariiber lieCe sich ein Buch schreiben, das 
sicherlich nicht ungeschrieben bleiben wird. Die Schwierigkeit der Aufnahme 

3* 



36 



Mahler. 



der M.schen Symphonien wird endlich noch gesteigert durch ihre Ausdehnung 
und die Dauer der Auffiihrung. Es war bis zum Datum der Erstauffuhrung 
der »Dritten« wohl nichts Gewohnliches, dafi eine Symphonic zwei Stunden 
in Anspruch nimmt (der erste Satz nach Angabe der Partitur allein 42 Minuten 
das Finale 22 Minuten). Jede von ihnen (mit Ausnahme der »Ersten«) 
kann einen Konzertabend ausfullen (im Durchschnittsmafi von i J / 4 bis i 1 ^ 
Stunden); einzelne verlangen ihn, so die »Zweite«, »Dritte« und »Achte«. Das 
Merkwurdige ist, dafi ich selbst von Gegnern der M.schen Richtung — welche 
hatte sie nicht! — nie dariiber klagen horte, dafi sie sich gelangweilt hatten. 
Die Werke halten den Horer in Spannung, ob Freund oder Feind. Immerhin 
gehoren einige zu den gangbareren, andere zu den schwerer oder schwer erring- 
baren Werken der Tonkunst. Ich mochte sie nicht bezeichnen und unter- 
scheiden, weil die heute beliebteren in Zukunft die weniger aufgefiihrten sein 
konnen und umgekehrt. Dies ist kein seltener Fall in der Geschichte der Musik — 
vielleicht sogar der regulare. Die Statistik der Auffiihrungen ergibt bisher 
folgende Reihenfolge: »Vierte« (seit 1901) 61 mal, >>Zweite« (seit 1895) 44 mal, 
»Erste« (seit 1889) 44 mal, »Dritte« (seit 1896) 33 mal, »Ftinfte« (seit 1904) 
22 mal, »Achte« (seit 1910) 21 mal, »Sechste« (seit 1906) 21 mal, »Neunte« (seit 
1913) 3 mal, wobei mit Hinblick auf die Daten der Entstehung und Erstauf- 
fiihrung die »Vierte« (in einem Jahre allein 17 mal), die »Zweite« (in einem 
Jahre 8 mal) und die »Achte« (in einem Jahre 13 mal) besonders hervortreten. 
Bei der letzteren, die vom Konzertunternehmer als »Symphonie der Tausend« 
(Mitwirkenden) bezeichnet wurde — eine Bezeichnung, die M. nichts weniger 
als sympathisch war — , ist also der stark erhohte Anspruch an Mitteln der Ver- 
breitung bisher nicht hinderlich gewesen. Die Auffiihrungen erstrecken sich 
auf folgende Lander (nach der Reihenfolge der Auff uhrungsziffer) : Deutsches 
Reich, Osterreich, Holland, Frankreich, Schweiz, Amerika, England, Finnland, 
Rufiland, Italien, Schweden. Das »Lied von der Erde« ist seit 191 1 in den drei 
erstgenannten Landern 14 mal aufgefiihrt worden. Die »Achte« wurde in 
Deutschland 19 mal, in Osterreich, Holland, Schweiz je einmal aufgefiihrt. 
Dieses Verhaltnis rechtfertigt wohl schon aufierlich die Widmung des Werkes 
»An die deutsche Nation«. 

Die Werke M.s haben sich Schritt fur Schritt das Terrain erobern 
miissen. Am Anfang ging es gar langsam vor sich. So sehr seine Muse 
ein Kind seiner Zeit war, so sehr aus der Seele seiner Kunst die Gegen- 
wart spricht, so ist sie doch fern der Mode. Seine Tonsprache ist eindring- 
lich, allein in ihren hochsten und letzten Aufierungen nicht leicht zuganglich. 
Die sonderbare Mischung des Naiven und Sentimentalen gibt Ratsel, die nicht 
leicht zu losen sind. Seine Kunst wirkt beim ersten Eindruck da anziehend, 
dort abstofiend und mufi liebevoll umworben werden. Das Groteske, Bizarre, 
Ironische, Parodistische in einzelnen Stellen und Satzen kann leicht mifiver- 
standen werden. Das hohe Pathos, der befreiende Humor, die zarte Heiter- 
keit heben iiber die Schroffheiten hinweg, die vielleicht einer kommenden 
Generation nicht als solche erscheinen. Diese edlen, vornehmen Eigenschaften 
sind ein Palladium, eine Schutzwehr gegeniiber der in einzelnen Stellen und 
Teilen von manchen bisher empfundenen Uberreizung und dem dort und da 
sich geltend machenden, in unserer Zeit im allgemeinen hervortretenden Hyper - 
subjektivismus. Nur darf man sich den Symphonien vorerst nicht mit Hilfe 



Mahler. 37 

des Klaviers nahern wollen: denn was orchestral moglich ist, klingt auf den 
Tasten nicht selten befremdlich. Nach dem, dem Kunstwerk entsprechenden 
Eindruck in der angemessenen Klangerscheinung lafit sich das weitere Studium 
in der ublichen Weise betreiben. Einwande gibt es liberall, und am meisten 
dort, wo Neues, Selbstandiges zutage tritt. Und M. hatte Weitblick. Im 
organischen Anschlufl an das Cberkommene baute er auf. Seine Produktion 
hat neben dem Eigenwerte auch Bedeutung fur die Zukunft. Beethoven, 
Schubert, Bruckner, Brahms auf symphonischem Gebiete, Bach in der Poly- 
phonie (seit der »Funften«), Wagner, Liszt, Berlioz in orchestraler und ton- 
poetischer Beziehung sind die Stiitzen des Aufbaues des M.schen Kunst- 
werkes, das auf dem Boden der osterreichischen Volksmusik errichtet ist. Es 
reiht sich neben die Werke seiner fortschrittlichen Zeitgenossen, besonders 
neben die mehr programmatische Richtung von Richard StrauQ und die mehr 
formalistische von Max Reger. Diese drei sind die Haupttrager der Kunst 
der Zukunft. M.s Muse ist tonpoetisch die verklarteste und ideell dem Hochsten 
zustrebende. Ob und inwieweit eine besondere Schule sich an ihn anschlieBt, 
ist gleichgultig. Einen verwandten osterreichischen Einschlag zeigen jiingere, 
wie Zemlinsky, Schoenberg, Schreker und jlingste wie E. W. Korngold. 
Die letzten Wege von Schoenberg und Anhang fiihren allerdings weit ab von 
ihrem Ausgangspunkte. Die Jugend liebt M. und seine Kunst, und so durfte 
ihm das Recht auf Zukunft nicht genommen werden. Fiir seine Werke wirken 
Dirigenten, die sich an ihm herangebildet haben und in Verehrung sein An- 
denken wahren. So wird er der »Welt nicht abhanden kommen« und sein Leben 
wird der Nachwelt nicht mit einem unaufgelosten Vorhalt, mit dem »das Lied 
der Erde« am Ende schicksalsbange in die Zukunft blickt, sondern mit dem im 
Schlufisatz der >>Neunten« von Moll zu Dur sich wendenden, vollen Dreiklang 
(in der Tonart der Erhabenheit) nachklingen. 

Chronologische Tabelle. 

Gcboren 7. Juli i860 in Kalischt, Bohmen, an der mahrischen Grenze, als zweit- 
altestes Kind. 
Eltern : Bernhard und Maria Mahler (geb. Hermann). 

Vater (Kaufmann) * in Kalischt am 2. August 1827, f in Iglau am 18. Februar 1889. 
Mutter * am 3. Marz 1837 in Ledec, f am 25. Oktober 1889 in Iglau. 
Geschwister : Hans, Justine (verehelicht mit Professor Arnold Rose* in Wien). 
Emma (verehelicht mit dem Solocellisten Eduard Ros6 in Weimar). 
Das alteste der Geschwister starb im 1. Lebensjahre. 
Im Dezember i860 Obersiedlung nach Iglau (Mahren). 
1866 erster Musikunterricht bei Theaterkapellmeister Victorin und Lehrer Brosch. 

Besuch der Volksschule und seit 1870 der ersten Klassen des Gymnasiums in Iglau 
und Prag. 
1875 nach Wien, Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Klavier: 
Professor Julius Epstein; Harmonielehre: Professor Robert Fuchs; Kontrapunkt 
und Komposition: Professor Theodor Krenn (nach den Matrikeln 1876/7). Di- 
rektor: Josef Hellmesbergcr; absolviert Juli 1878, preisgekront. Gymnasialstudien 
privat fortgesetzt, Matura in Iglau. 
1878/9 Besuch der Universitat Wien (philosophische, historische und musikhistorische 
Kollegicn). 

FrUhwerke vcrnichtet, darunter Quintett fiir Streicher und Klavier (Scherzo 
mit erstem Preis gekrbnt), Sonate fiir Klavier und Violine, Oper tHeinrich 
von Schwaben*. 



38 Mahler. 

1878 Klavierauszug der 3. Symphonie von -Anton Bruckner, gewidmet Richard 
Wagner (erste Fassung), erschienen bei Bosendorf er und Rattig, WieiL Inniger 
Verkehr mit dem Meister t dessen Kolleg iiber Harmonielehre an der Uni- 
versitat M. sporadisch besucht. 

1879 Sommer, Theaterkapellmeister in Hall (Ober-Osterreich) mit monatlich 30 fl. 
Gehalt und 50 Kreuzern *Spielhonorar*, leitet Operetten und Possen. 
Herbst, Wien, Klavierstunden; abwechselnder Aufenthalt in Iglau. 

1880 »Das klagende Lied*, Dichtung und Musik, angefangen 1878, beendigt 
1880 (1. Fassung). Umgearbeitet um 1898, erschienen 1899. Die Instrumentation 
revidiert in den Jahren nach 1900. 

Oper »Argonauten*, Dichtung (in Stabreimen) und Musik, unvollendet, 

vernichtet. 
1881/2 Winter, Theaterkapellmeister in Laibach, Ruckkehr nach Wien. 
1882/3 Saison, Theaterkapellmeister in Olmiitz, dann Chordirektor einer italieni- 

schen Stagione im Karl theater in W i e n. 

1882 Marchenspiel »Rubezahl«, Dichtung und Musik (vernichtet). 
Verschiedene Ansatze zu Orchesterwerken, darunter >Nordische Sym- 
phonie* (vernichtet). 

L i e d e r , komponiert vor und um 1883, erschienen 1885 als 1. Heft der »Lieder und 

Gesange aus der Jugendzeit*. 

R. Leander, *Fruhlingsmorgen«, 

„ »Erinnerung*, 

Volkslied: »Hans und Grete*, 

Tirso de Molina, Serenade aus »Don Juan* 1 _ , , . _ 

_,, . . — t . ) Gelegenheitskompositionen. 

„ „ „ Phantasie aus »Don Juan* J b r 

1883 Sommer, Besuch in Bayreuth (»Parsifal«). 

1883 Kdniglicher Musikdirektor in K ass el. 

1884 Dezember, Lieder eines iahrenden Gesellen, Dichtung und Musik, 
erschienen 1897: 

Nr. 1 »Wenn mein Schatz Hochzeit macht*, 

Nr. 2 »Ging heut Morgen iiber's Feld*, 

Nr. 3 »Ich hab* ein gliihend Messer in meiner Brust*, 

Nr. 4 »Die zwei blauen Augen von meinem Schatz*. 

Sommer 1885, Dirigent des Musikfestes in Munden. 

Juli 1885, Probemonat Stadttheater in Leipzig, Verpflichtung fiir die Spielzeit 
1886/7 (einstweilen verschoben). 

Entwurf der ersten Symphonie (als solche vom Komponisten bezeichnet). 

Musik zu lebenden Bildern nach Scheffels »Trompeter* (aufgefiihrt in Kassel, 
Mannheim, Wiesbaden, Karlsruhe). 

1885 Herbst, Zweiter Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag neben 
Anton Seidl (Direktor Angelo Neumann). 

1 886 Sommer, Zweiter Kapellmeister im Stadttheater in Leipzig neben 
Arthur Nikisch (Direktion Staegemann). 

1887 selbstandige Bearbeitung und Einrichtung der Skizzen von Carl Maria von 
Webers »Drei Pintos*, erschienen unter dem Titel »Die drei Pintos, 
komischc Oper in 3 Aufzugen von C. M. v. Weber, unter Zugrundelegung des gleich- 
namigen Textbuches von Th. Hell, der hinterlassenen Entwurfe und ausgewahlter 
Manuskripte des Komponisten ausgefiihrt: der drama tische Teil von C. v. Weber 
(Sohn), der musikalische von Gustav M.*. Zum erstenmal in Leipzig aufgefiihrt 
am 20. Januar 1888 (hierauf in vielen deutschen Stadten, in Wien Januar 1889). 

1888 8. Oktober, Direktor der Kbniglich ungarischen Oper in 
Budapest mit Kontrakt fur 10 Jahre (Jahresgehalt 10 000 Gulden) (Intendant 
Stefan v. Beniczky). 



Mahler. 



39 



lernt »Des Knaben Wunderhorn, alte deutsche Lieder, gesammelt 
von L. Achim v. Arnim und Clemens Brentano, 1 806/08 « kennen. Fortlaufend die 
Komposition einer Reihe von Gedichten in den nachfolgenden Jahren (bis 1900), 
und zwar: 

komponiert vor 1S92 (erschienen 1892 als II. und III. Heft der »Lieder und Gesange 
aus der Jugendzeit«): 
II. 1. »Um schlimme Kinder artig zu machen*; 2. *Ich ging mit Lust durch 

einen griincn Wald«; 3. »Aus! ausU; 4. frStarke EinbildungskrafU. 
III. 1. »Zu StraBburg auf der Schanz« ; 2. »Ablosung im Sommer<<; 3. »Scheiden 

und Meiden*; 4. »Nicht WiedersehenU; 5. »Selbstgefuhl«; 
ferner: 

»Der Schildwache Nachtlied«, 

»Verlorene Muh'«, 

»Trost im Ungluck*, 

AVer hat dies Liedlein erdacht*, 

»Lied des Verfolgten im Turme«, 

»Lob des hohen Verstandes«, 

»UrlichU (Altsolo aus der 2. Symphonie 1893/4), 

»Des Antonius von Padua Fischpredigt« (Scherzo der 2. Symphonie), 

»Das irdische Leben«, 

v )\Vir genieflen die himmlischen Freuden* (4. Symphonie 1894), 

»Rheinlegendchen «, 

»Es sungen drei Engcl einen siiCen Gesango (Frauenchor in der 3. Symphonie, 
fur eine Singstimme eingerichtet) (1895), 

AVo die schonen Trompeten blasen«, 

»Reveglie« (1S99, erschienen 1905), 

»Der Tambourgesell* (erschienen 1905). 
1 888 Vollendungder crstenSymphonie, 1. Auf f uhrung 1 889 im philhar- 

monischen Konzert in Pest, erschienen 1898. 
1891 13. Marz, verlaflt die Pester Oper. Intendant: der einarmige Klaviervirtuose 
und Komponist Graf G6za Zichy. (Rucktrittsvergutung 25 000 Gulden.) 
Berufung als Erster Kapellmeister des Stadttheaters in 
Hamburg (Direktor Pollini). Antritt: 1. April. 
1S92 Sommer, Leitung deutscher Opernauffuhrungen im Drury Lan^-Theater in London. 

1893 Sommer, Steinbach am Attersee (auch in den Jahren 1894, 1895, 1896). 

1894 Juni, beendigt die zweite Symphonie, deren Anfange sieben Jahre zuruck- 
reichen, erschienen 1896, 1. Auff uhrung 1895 in Berlin. 

1S95 August, Entwurf der dritten Symphonie beendigt. fertiggestellt Sommer 

1896, erschienen 1898, 2. und 3. Satz zum erstenmal aufgefuhrt 1896 Berlin (Wein- 

gartner), das ganze Werk 1902 am Tonkiinstlerfest des Allgemeinen Deutschen 

Musikvereins in Krefeld. 
1 897 1 . Mai, Kapellmeister am k. k. Hofoperntheater in Wien. 

21. Juli, betraut mit der Stellvertretung des Direktors Jahn. 

8. Oktober, artistischer Direktor des k. k. Hofoperntheaters, 

anfangs 24 000, dann 36 000 Kronen Jahresgehalt. 
1900 Sommer, Mayernigg am Klagenfurter See, auch die folgenden Sommer bis 1907. 

Vierte Symphonie beendigt, begonnen Sommer 1899 in Aussee, erschienen 

1901, 1. Auff uhrung 1902 in Munchen (Kaimorchester). 
1900/02 Zyklus der»Kindertotenlieder* nach Riickert, das 1., 2. und 3. 1900/01, 

das 4. und 5. 1901/02, erschienen 1905: 

1. »Nun will die Sonn' so hell aufgehn*, 

2. »Nun seh ich wohl, warum so dunkle Flammen*, 

3. »Wenn dein Mutterlein*, 



40 Mahler. 

4. »0ft denk ich, sie sind nur ausgegangent, 

5. »In diesem Wetter! 4 

zum erstenmal aufgefuhrt 1905 in Wien. 
1901/02 Fiinf Lieder nach Ruckert, erschienen 1905 : 

1. »Blicke mir nicht in die Lieder ♦, 

2. »Ich atmet' einen linden Duft*, 

3. »Ich bin der Welt abhanden gekommen*, 

4. »Um Mitternacht*, 

5. »Liebst du um Schbnheit*. 

1902 Fiinfte Symphonie beendigt, begonnen 1901, erschienen 1905, 1. Auf- 
fiihrung 1904 in Koln (Gurzenich). 

10. Marz, Vermahlung mit Alma Maria Schindler, Tochter des Landschaftsmalers 
Jakob Erail Schindler, Stief tochter des Malers Karl Moll. 
Kinder: Maria Anna, * 3. November 1902, f 5. Juli 1906; 
Anna Justina, * 15. Juni 1904. 

1904 Beendigung der sechsten Symphonie, begonnen 1903, erschienen 1905, 
1. Auffiihrung 1906 in Essen beim Tonkiinstlerfest des Allgemeinen Deutschen 
Musikvereins. 

1905 Beendigung der siebenten Symphonie, begonnen 1904, erschienen 1908, 
1. Auffiihrung 1908 Prag (Ausstellung). 

1906/07 Achte Symphonie, erschienen 1910, 1. Auffiihrung in Miinchen am 
12. September 19 10. 

1907 Dezember, Riicktritt von der Wiener Oper (ah. EntschlieOung vom 5. Oktober). 
Am 15. Oktober dirigierte er zum letztenmal »Fidelio«. 

9. Dezember, Antritt der ersten Reise nach Amerika; dirigiert in New York Opern 
von Mozart und Wagner, Leitung von Konzerten. 

1908 Sommer, in Altschluderbach bei Toblach, auch die folgenden Sommer 1909, 19 10. 
Sommer, Vollendung des »Lied von der Erde*. Zum erstenmal aufgefuhrt 
November 191 1 (Muncben unter Bruno Walter). 

1908/09 Wintersaison, zweiter Aufenthalt in Amerika, Bildung einer Philharmonic Society. 

1909 Neunte Symphonie fertiggestellt, begonnen 1908, erschienen 191 2, zum 
erstenmal aufgefuhrt Juni 191 2 (in der Wiener Musikwoche unter Bruno 
Walter). 

1909/10 Skizzen zur Zehnten Symphonie (unvollendet). 

1910/11 Saison, dritter Aufenthalt in Amerika, dirigiert 48 von den 65 vereinbarten 

Konzerten. 
191 1 21. Februar, dirigiert zum letztenmal. Erkrankung. Anfang April Uberfahrt nach 
Paris, dann Heimkehr nach Wien. 
18. Mai, nachts 11 Uhr, Tod. 
Begraben am Friedhof in Grinzing. 
Alle Werke von Gustav M. sind im Verlage der ^Universal-Edition* in Wien erschienen 
oder sind in ihren Verlag ubernommen worden, mit Ausnahme der 5. Symphonie, die bei 
C. F. Peters erschien und in diesem Verlage blieb. 

Die Literatur iiber M. ist verzeichnet in der Schrift von Dr. Paul Stefan, »Gustav Mahler, 
eine Studie iiber Personlichkeit und Werk«, 3. Auflage, 1912 (Miinchen, R. Piper & Co.), ferner 
im »Gustav Mahler- Heft* der »Musik«, Berlin, Schuster & L6ffler, X. Jahrgang, Heft 18 (zu- 
sammengestellt von Otto Keller) und in der Erganzung X. Jahrgang, Heft 21, zusammengestellt 
von Dr. Arthur Seidl. 

Eine Bronzebiiste ist von Auguste Rodin in zweifacher Ausfiihrung angefertigL Eine 
Radierung von Fritz Erler, ein Bild von Emii Orlik f die Totenmaske von Karl Moll aufge- 
nommen. 22 SchattenriQbilder von Otto Boehler. Unter den Karikaturen erwahnenswert 
die Blatter von Oskar Garvens und Lindloff. Im iibrigen ist eine grofle Zahl von Photo- 
graphien zu verzeichnen. Reproduktionen findet man u. a. in der »Musik* (Schuster & Ltfffler) 



Mahler. Wilmanns. a\ 

Jahrgang I Heft 7 und 17, Jahrgang IV Heft 4, Jahrgang V Heft i6 t Jahrgang VII Heft 9 
und i$ % Jahrgang X Heft 18. 

Die dcm vorliegenden Aufsatze resp. der chronologischen Cbersicht zugrunde liegenden 
Daten sind mit teilweiser Benutzung der Schrift von P. Stefan, soweit als moglich iiberpruft 
und festgestellt nach Mitteilungen der k. u. k. Hoftheaterintendanz in Wien (ubermittelt 
durch die Herren Hofrat v. Horsetzky und Regierungsrat A. J. Weltner), des Herrn General- 
musikdirektors Bruno Walter (Munchen), der Frau Justine Ros6 (Wien), des Herrn Dr. Bela 
Di6sy (Budapest), der ^Universal -Edition* (Direktor Hertzka) und Lektor Hans Daub rawa. 
Hierfiir sei auch an dieser Stelle der geziemende Dank erstattet. 

Guido Adler. 

Wilmanns, Wilhelm, Professor der deutschen Sprache und Literatur 
an der Universitat Bonn, * 14. Marz 1842 in Jiiterbog, f 29. Januar 191 1. — 
W. ist durch beide Eltern ein Westfale von Abstammung, aber auf dem Boden 
der Mark Brandenburg geboren und aufgewachsen, hat er sich stets als Branden- 
burger gefuhlt, und so erschien er auch, nach Sprache und Wesensart, seinen 
Freunden und Schulern. Er kam als viertes unter zwolf Kindern des damaligen 
Kreisbauinspektors Franz Wilmanns in Jiiterbog zur Welt; die Mutter Jose- 
phine geb. Eikenbusch gehorte der katholischen Kirche an, aber die Kinder 
wurden samtlich im evangelischen Glauben erzogen. Der Knabe besuchte 
zunachst die Burgerschule der Landstadt; als dann der Vater nach Berlin 
versetzt wurde, trat er 1852 in das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster 
ein, dessen Schuler er, zuletzt als Alumnus des Internats, bis i860 geblieben ist. 
Seine Neigung war zeitweise auf den Beruf des Vaters gerichtet, fur den er als 
guter Mathematiker und tiichtiger Zeichner die notige Befahigung mitzubringen 
glaubte, aber der alte Wilmanns widerstrebte diescm Wunsche und lenkte den 
Sohn, unterstutzt von dessen Lehrern und besonders von dem Direktor J. W. 
Bellermann, auf das Studium der Philologie hin. Ostern i860 wurde W. an 
der Berliner Universitat immatrikuliert, die er bis zum Abschlufi seiner Studien 
nicht verlassen hat. Er hat noch bei dem alten Boeckh gehort, auflerdem 
bei Droysen, Trendelenburg, Haupt, Mullenhoff und Hiibner; zu den beiden 
letzten trat er in personliche Beziehungen, und gegen Abschlufi seiner 
Studienzeit hat er auch die Aufmerksamkeit Moriz Haupts erregt. Er pro- 
movierte mit einer philologischen Dissertation »De didascalits Terentianis«, 
der aber die versprochene Fortsetzung nicht gefolgt ist; mit einem im gleichen 
Jahre erschienenen Aufsatz zur romischen Altertumswissenschaft (Rhein. 
Museum f. Philologie, N. F. 19, 528 — 541) hat seine Betatigung auf dem Ge- 
biete der klassischen Philologie ihr Endc erreicht. 

Schon zwei von den Thesen, welche der Promotionsschrift angefiigt sind, 
verraten W.s Hinneigung zu den germanistischen Studien und sein Interesse 
fur den deutschen Unterricht. In den nachsten Jahren ist dann ein fester 
wissenschaftlicher Mittelpunkt gefunden: die Arbeiten uber Walther von der 
Vogelweide und Reinmar von Zweter in der Zeitschr. f. d. Altertum Bd. 13, 
217 ff. f 434 ff. zeigen ihn mit den Grundlagen und Aufgaben der Geschichte 
des deutschen Minnesanges wie mit der Methode der Forschung wohl vertraut. 
Eine Reihe von gehaltvollen und zum Teil umfangreichen Kritiken in der 
Zeitschr. f. d. Gymnasialwesen Bd. 21 ff. liber wissenschaftliche und pada- 
gogische Literatur zur deutschen Sprachkunde bezeugt wachsendes Wissen und 
gereiftes Urteil. 



42 Wilmanns, 

Nach Ablegung des Staatsexamens hat W. zunachst von Herbst 1864 
bis Ostern 1867 eine Hauslehrerstelle bei dem Baron v. Scheel-Plessen bekleidet 
und in dieser auch Gelegenheit zu grofieren Reisen gefunden. Er bewahrte 
dem politisch und geistig angeregten Hause des ersten Oberprasidenten von 
Schleswig-Holstein zeitlebens eine aufrichtige Dankbarkeit, denn diese Zeit 
hatte seinen Blick betrachtlich erweitert und ihm, soweit es sein sprodes Wesen 
vertrug, die Weltbildung gegeben, die ihm die engen Verhaltnisse seiner Schul- 
und Universitatsjahre vorenthielten. 

Ostern 1867 trat er sein Probejahr am Berlinischen Gymnasium an, dessen 
Leitung im gleichen Jahre der aus Wien zuruckgekehrte Herm. Bonitz uber- 
nahm; Ostern 1868 erhielt er eine Lehrerstelle, und in dieser blieb er an seiner 
alten Schule, bis ihn im Herbst 1874 ein Ruf als ordentlichen Professor der 
deutschen Philologie an die Universitat Greifswald fiihrte. Der neue Direktor 
des »Klosters« hatte rasch die wissenschaftliche Tiichtigkeit, die Pflichttreue 
und Lehrfreudigkeit seines jiingsten Mitarbeiters erkannt, er wurde ihm ein 
Freund furs Leben und hat sich, als er 1875 als Nachfolger Wieses ins Kultus- 
ministerium berufen wurde, gern seines sachkundigen und immer sachlichen 
Rates bedient. W.s Verdienste um das Gymnasium zum Grauen Kloster aber 
feierte Bonitz in dem letzten Programm das er redigiert hat (Ostern 1875), mit 
den Worten: »Die Schule aber ist ihm zu besonderem Danke daftir verpflichtet, 
dafl er, trotz seiner umfassenden literarischen Tatigkeit, ein Meister in Be- 
nutzung der Zeit, seinem Berufe mit voller Kraft und mit segensreichstem 
Erfolg angehorte und das Gesamtergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit 
dem Schulunterricht zugute kommen liefi.« 

Das lebhafte Interesse fur den Unterricht bekundete W. aufier durch fort- 
laufende Besprechungen padagogischer Literatur durch sein Programm »Die 
deutsche Sprache und Orthographie als Unterrichtsobjekt in den untersten 
Gymnasialklassen« (1870), aus dem spater die »Deutsche Grammatik fur die 
Unter- und Mittelklassen hoherer Lehranstalten« (1877, 6. Aufl. 1885 als 
»Deutsche Schulgrammatik«) erwuchs; ferner seit 1871 durch seine Betatigung 
fiir die orthographische Reform, die er nie anders als unter praktischen Ge- 
sichtspunkten angesehen hat. Der Wissenschaft aber schenkte er in diesen 
Jahren in seiner kommentierten Ausgabe des »Walther von der Vogelweide« 
(1869) ein Buch von dauerndem, in der zweiten Auflage (1883) noch gesteigertem 
Werte und bot ihr in den beiden 1873 erschienenen Biichern »Die Entwicklung 
der Kudrundichtung« und »Die Reorganisation des Kurfurstenkollegiums 
durch Otto IV. und Innozenz 1 1 1. « neue Hypothesen liber vielumstrittene 
Fragen, die freilich nicht als Losungen anerkannt wurden, aber doch unleugbar 
die Diskussion gefordert haben. 

Die ersten Jahre des Universitatsprofessors scheinen literarisch zunachst 
weniger fruchtbar als die Gymnasiallehrerzeit. W. hat es alsbald fiir seine 
Pflicht erachtet, in seinen Vorlesungen und Obungen das Gesamtgebiet der 
deutschen Sprache und Literatur wenigstens mit einer Auswahl von Kollegien 
zu umspannen. Und da gab es fiir ihn freilich noch allerlei nachzuholen, in der 
Sprachwissenschaft so gut wie in der neueren Literaturgeschichte. Dazu trat 
1876 die Arbeit fiir die Berliner Orthographische Konferenz, die gewifi keiner 
der Teilnehmer so ernst genommen hat wie er : sein i>Kommentar zur preufiischen 
Schulorthographie« (1880), in zweiter Auflage als »Die Orthographie in den 



Wilmanns. 



43 



Schulen Deutschlands« (1887) erschienen, ist unstreitig die wertvollste literari- 
sche Frucht dieser oft angefochtenen Verhandlungen. 

Ostern 1878 siedelte W., der sich auf dem Greifswalder Katheder audi als 
akademischer Lehrer vortrefflich bewahrt hatte, mit seiner jungen Gattin nach 
Bonn iiber, wo die deutschen Studien, die unter Simrock und Birlinger hier 
mehr als an irgendeiner andern Hochschule in den Hintergrund getreten waren, 
durch ihn zu neuem Leben erweckt wurden. Der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- 
Universitat ist er dann auch treu gcblieben bis an sein Lebenscnde, an ihr hat 
cr eine groBe Anzahl dankbarer Schiiler gefunden, ohne freilich je eine Schule 
zu begrunden. Er bewahrte den hoheren Schulen und ihren Interessen .seine alte 
Liebe, und ihre zukunftigcn Lehrer mit einem tuchtigen Wissen auszustatten, 
ihnen eine auf historisches Verstandnis begrundete Liebe zur deutschen Sprache 
und Literatur einzufloflen, erschien ihm als wichtigste Aufgabe seines akademi- 
schen Berufes. Freilich gab er seinen Schiilern im Kolleg wie vor allem im 
Seminar auch einen griindlichen Einblick in die Arbeit der Wissenschaf t und 
liefl sie seine eigene Betatigung miterleben, aber zur Mitarbeit hat er sich nur 
wenige seiner Zuhorer erzogen. 

In den ersten Jahren hat W. noch, zeitweise mit besonderer Liebe, die Vor- 
lesungen iiber neuere Literatur gepflegt, die er in Greifswald begonnen hatte; 
eine Reihe von Arbeiten iiber Goethes Singspiele, iiber das »Jahrmarktsfest 
von Plundersweilern« und den »Satyros« aus den Jahren 1878 — 1881 geben 
davon Kunde. Spater, als die neuere Literaturgeschichte eine besondere Ver- 
tretung gefunden hatte, iiberlieC er dies Gebiet dem jungern Kollegen und ver- 
mehrte dafur sein Repertoire in anderer Weise: so noch in den letzten Jahren 
durch eine Einfuhrung ins Altnordische. 

Den Vorrang in seiner literarischen Produktion nimmt wahrend der sieb- 
ziger und achtziger Jahre durchaus die Geschichte der altdeutschen Dichtung 
ein, in den neunziger Jahren tritt die Sprachwissenschaft in den Vordergrund, 
und mehr und mehr gruppiert sich, ohne doch je einseitig zu werden, W.s Haupt- 
arbeit um ein grofies grammatisches Lebenswerk, das zu vollenden ihm leider 
nicht beschieden gewesen ist. 

Man darf wohl sagen, daC ihn in der Geschichte der deutschen Dichtung 
von den Anfangen bis ins 14. Jahrhundert hinab alle grofien Probleme und alle 
literarischen Mittelpunkte einmal starker beschaftigt haben, wenn er sich auch 
nicht zu alien Fragen vor der Offentlichkeit geaufiert hat. Und er blieb nie an 
dem einmal gef undenen Ergebnis, an der einmal aufgestellten Hypothese kleben, 
sondern war stets bereit, sich belehren zu lassen und sich selbst zu korrigieren. 
Zur Kudrun hat er erst 30 Jahre nach seinem ersten kecken Wurfe wieder das 
Wort genommen (Gott. Gel. Anz. 1902, S. 767 ff.): vollig frei und unbefangen. 
Die Probleme, welche das Nibelungenlied und die Nibelungensage bergen, hat 
er immer von neuem gewalzt: von Greifswald aus in den »Beitragen zur Er- 
klarung und Geschichte des Nibelungenliedes« (1877), in der Bonner Zeit in 
eindringenden Kritiken der Bucher von Busch (1882), Lichtenberger (1892), 
Kettner (1898) und zuletzt wieder in einer selbstandigen Schrift »Der Untergang 
der Nibelunge in alter Sage und Dichtung» (1903). Seine Auffassung von der 
ritterlichen Kultur und Poesie hat sich zwischen der ersten Auflage des kom- 
mentierten Walther (1869) und der zweiten (1883), der das umfangreiche, des 
Dichters formale Kunst griindlich analysierende Buch »Leben und Dichten 



44 Wilmanns. 

Walthers von der Vogelweide« (1882) vorausgegangen war, bedeutsam ver- 
schoben; und der Versuch einer selbstandigen Anordnung der Gedichte Walthers, 
den er mit seiner Textausgabe (1886, wiederholt 1905) machte, geht abermals 
uber diesen Standpunkt hinaus. Eine dritte Auflage der groBen Ausgabe war 
fest geplant und durch die Vorlesung vom Sommer 1910 vorbereitet. 

In W.s gesamter literarhistorischer Tatigkeit beobachten wir einen eigen- 
tumlichen Wechsel zwischen solider Grundlegung, ja oft peinlich sauberer Ord- 
nung des Materials, und dann wieder kiihner, oft gewaltsamer Hypothese, da, 
wo — wirklich oder vermeintlich — die philologischen Kriterien und die me- 
thodischen Hilfsmittel nicht ausreichen. Es laflt sich nicht leugnen, dafi die 
beiden Bucher iiber die Entwicklung der Kudrundichtung und uber das Kur- 
fiirstenkolleg griindlich verfehlt sind: nicht nur in den Ergebnissen, sondern 
auch in Voraussetzungen und Methode. Und ebenso darf man wohl das 
Schriftchen »Der sogenannte Heinrich von Melk« (1885), das diesen oster- 
reichischen Satiriker aus dem 12. ins 14. Jahrhundert und obendrein aus 
Deutschland nach Ungarn verlegt, als eine wundersame Verirrung bezeichnen. 
Aber in derselben Serie »Beitrage zur altern deutschen Literatur« folgte ein 
2. Heft »l)ber das Annolied« (1886), das, ohne sichere Resultate bieten zu 
konnen, doch hochst anregend wirkte, und dann Heft 3 »Der altdeutsche Reim- 
vers« (1887) und Heft 4 »Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Metrik« 
(1888), die methodisch musterhaft und sachlich grundlegend sind. 

Jene Wagelust der Hypothese, das Bediirfnis geradezu, einmal die 
Enge des sei es ohne Not beschrankten, sei es allzu sicher geglaubten Wissens 
zu durchbrechen, hat dem jungenW. die Freundschaft seines LehrersMullenhoff 
gekostet; sie war ihm noch im Alter nicht fremd geworden, und er liebte sie 
auch bei andern, wenn irgend Geist und Scharfsinn damit im Bunde waren. 
Aber f reilich auf einem Gebiet der eigenen Arbeit zog er ihr stets enge Grenzen : 
auf dem grammatischen. 

W. war von Haus aus kein Sprachgelehrter: auf der Universitat hat er 
dieser Disziplin iiberhaupt keine Neigung entgegengebracht. Er ist zum Gram- 
matiker geworden auf dem Wege liber den Unterricht, der bei ihm in der Sexta 
des Berlinischen Gymnasiums begann und auf den Kathedern von Greifswald 
und Bonn endete. Erst legte er sichere Fundamente, dann breitete er sein 
Wissen aus, zuletzt vertiefte er es durch grundliches Studium der grofiten 
sprachwissenschaftlichen Leistungen unsercr Wissenschaft und stets wiederholtes 
Nachprufen ihrer Ergebnisse und Aufstellungen. Und so fiihlte sich der Funfzig- 
jahrige, der aufler einem wenige Seiten umfassenden Aufsatz iiber »Die Flexion 
der Verba tnon, gdn, stdn« (Zeitschr. f. d. Alt. 33) niemals eine grammatische 
Spezialuntersuchung an die Offentlichkeit gebracht hatte, vollauf gerustet, ein 
darstellendcs Werk zu schreiben, das nach durchaus eigenem Plane den Stand 
der Forschung in ihren gesicherten Resultaten und mit kritischer Auswahl der 
Hypothesen wiedergeben sollte. Von dieser »Deutschen Grammatik. Gotisch, 
Alt-, Mittel- und Ncuhochdeutsch« erschien die I. Abteilung: »Lautlehre« 1893; 
die II. Abteilung: »Wortbildung« 1896; die III. Abteilung »Flexion« folgte 1906 
und 1909 in zwei Teilen. Inzwischen war von I und II eine zweite Auflage notig 
geworden, eine dritte, verbesserte Auflage von I war im Druck (erschienen 191 1). 
Der Beifall war ein absolut einhelliger, der Erfolg des Werkes ubertraf die Er- 
wartung derart, dafi eben dadurch der Fortgang aufgehalten wurde. Doch W. 



Wilmanns. Escherich. 4c 

arbeitete zielbewuBt an Bd. IV, der »Syntax«, weiter, ohne sich freilich den 
Verzicht auf anderweitige wissenschaftliche Betatigung aufzuerlegen. Seine 
zuvcrlassige Gesundheit, seine einfache und gercgelte Lebensweise, seine friih 
bewahrte Meisterschaft in Ausnutzung der Zeit schienen dafiir zu btirgen, dafl 
uns der Siebzigjahrige den IV. Band schenken wurde, und dafi es nur von seinem 
guten Willen abhinge, ob er auch noch den nicht fest versprochenen, aber doch 
in Aussicht genommenen V. Band, die »Geschichte der deutschen Sprache«, 
fertigmachte. Schrieb er ihn nicht, das wufiten wir, dann gab es fur ihn andere 
Arbeiten, deren Wert fur den heutigen Stand der Wissenschaft er hoher taxierte. 
Denn ein Ausruhen war fur ihn undenkbar, und ein langes Leben schien uns 
alien wie sclbstverstandlich. 

Es ist anders gekommen! Am 29. Januar 191 1, einem Sonntag, kehrte W. 
von dem gewohnten Nachmittagsspaziergang nicht heim: die Maschine einer 
Lokalbahn, deren Signal er iiberhort haben muC, hatte ihn erfaOt, nieder- 
geworfen und getotet. Mit ihm sanken Hoffnungen ins Grab, die unserer wissen- 
schaftlichen Literatur gesichert schienen, mit ihm verlor die deutsche Philo- 
logie, deren altester akademischer Vertreter er war, einen reinen und festen 
Charakter, eine ihrer starksten sittlichen Personlichkeiten. 

Literatur: Geschaftl. Mitteilungen der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen, 
191 1, Heft 1 (Gcdachtnisrede von E. Schroder); Zeitschrift f. d. Philologie Bd. 43, S. 435 — 449 
(Joh. Franck, mit vollstandigem Verzeichnis der Schriften). 

Gottingen. Edward Schroder. 

Escherich, Theodor, ordentlicher Professor der Kinderheilkunde an der 
Universitat Wien, k. k. Hofrat, * 29. November 1857 in Ansbach, f 15. Februar 
191 1 in Wien. — Als Sohn eines Arztes geboren, studierte er in Strafiburg, 
Kiel, Berlin, Wurzburg und wurde 1881 in Miinchen zum Doktor promoviert. 
Er war zuerst Assistent an der Gerhardtschcn Klinik im Juliusspital in Wurz- 
burg, dann bei v. Ranke an der Miinchner Kinderklinik, wo er sich 1886 als 
Privatdozent fur Kinderheilkunde habilitierte. Als im Jahre 1890 v. Jaksch 
die Professur der Kinderheilkunde in Graz mit der Professur fur innere Medizin 
in Prag vertauschte, w r urde E. nach Graz berufen. Im Jahre 1894 wurde er 
zum ordentlichen Professor ernannt, eine Stellung, die in der Kinderheilkunde 
vor ihm nur Widerhofer in Wien und Heubner in Berlin erreicht hatten. In 
Graz verheiratete sich E. mit der Tochter des Physikers Pfaundler; von seinen 
beiden Kindern ist der Sohn im ersten Knabenalter an einer akuten Appendizitis 
gestorben. Im Jahre 1902 wurde E. nach dem Tode Widerhofers zum Professor 
der Kinderheilkunde in Wien ernannt und mit der Leitung des klinischen 
St. Anna-Kinderspitales betraut; 1906 wurde ihm der Titel eines k. k. Hof- 
ratcs verliehen. 

Die wissenschaftlichen Leistungen E.s fur die Padiatrie beginnen mit dem 
Jahre 1882. Er bearbeitete als erstes ein Thema, das seinem Lehrer Gerhardt 
am Herzen lag, die marantische Sinusthrombose bei der Cholera infantum. 
Gleichfalls unter Gerhardts Einflufi entstanden mehrere Arbeiten uber Er- 
krankungen des Larynx und der Lunge, liber Diazoreaktion und Sputum- 
ferment. Durch Beobachtung der Choleraepidemie in Neapel wurde er im 
Jahre 1884 auf das Gebiet gebracht, in dem er seine wichtigsten Werke leisten 
sollte, auf die Bakteriologie des Darminhaltes. 



46 Escherich. 

In seiner ersten diesbeziiglichen Arbeit (Klinisch-therapeutische Beob- 
achtungen an der Choleraepidemie in Neapel. Miinchener med. Wochenschr. 
1884, 51) beschrankte er sich im wesentlichen noch darauf, die Befunde Kochs 
nachzuprufen. Wahrend er Koch in bezug auf die Beschaffenheit der Cholera - 
bazillen vollkommen beipflichtet, kann er sich noch nicht dazu verstehen, 
von den epidemiologischen Anschauungen seines Miinchener Lehrers Petten- 
kofer abzukommen, und bezweifelt die Kontagiositat der Choleradejektionen. 
Aber sein Interesse in padiatrischer Richtung war rege geworden: er suchte 
nach Cholerabazillen beim Brechdurchfalle der Sauglinge. Er nahm die Sache 
mit der grofiten Grundlichkeit auf und widmete sich von 1884 auf 1885 beinahe 
ausschliefilich dem bakteriologischen Studium des Sauglingsstuhls. 

In der Gesellschaft fur Morphologie und Physiologie in Miinchen gab er 
am 17. Dezember 1884 eine neue Methode zur Untersuchung der Sauglings- 
fazes an. Auf diese Art konnte er zehn Bazillenarten, flinf Kokken, mehrere 
Sarzinen und zwei Sprofipilzarten isolieren. 

Diese Mannigfaltigkeit des Befundes fiihrte ihn zu dem Wunsche, die 
Versuchsverhaltnisse zu vereinfachen und die Einwanderung eines Bakteriums 
nach dem andern in den Darmkanal der Neugeborenen zu beobachten. Es 
zeigte sich, dafi das Mekonium steril sei. Aber 14 bis 16 Stunden nach der 
Geburt fanden sich schon Keime verschiedener Art. Erst bei noch weiterer 
Fortsetzung der Versuche wurde die Flora wieder einheitlich, sobald namlich 
der Einflufi der Muttermilch im Stuhle erschien. Er gab nun eine genaue Be- 
schreibung der Morphologie und der kulturellen Eigenschaften des Bakteriums, 
welches die ausschlaggebende Rolle spielt, und bezeichnete es mit dem Namen: 
^Bacterium coli commune*. Ein zweites regelmafiig anzutreffendes Bakterium, 
das sich von einem von Hueppe gefundenen Erreger der Milchsauregarung 
durch Gasbildung unterschied, nannte er: »Bacterium lactis aerogenes«. 

Von den einfachen Verhaltnissen des kindlichen Darms ausgehend, konnte 
er dann auch im Kote alterer Kinder und bei Erwachsenen das Bacterium colt 
als den Hauptbewohner des Darmes nachweisen. 

Wenn er auch nach Injektion der beiden Bakterienarten bei Versuchstieren 
Darmsymptome eintreten sah, liefi er sich doch nicht verleiten, die gefundenen 
Bakterien als lebenswichtig anzusehen, sondern schatzte sie mit bemerkens- 
werter Ntichternheit vollkommen richtig ein »als harmlose Schmarotzer, so lange 
die Funktionen des Darmtraktes ungestort ablaufen«. Auch auf die Verdauung, 
so schloB er aus eingehenden Versuchen, haben diese Bakterien wenig Einflufi, 
der einzige durch sie in nennenswerter Menge veranderte Bestandteil der Nahrung 
sei der Milchzucker. (Die Darmbakterien des Neugeborenen und Sauglings. 
Vortrag in Miinchen 1885, Fortschritte der Medizin 3, 515, 517, und Mono- 
graphic, Enke, Stuttgart 1886.) 

Neben diesen wichtigsten, mittels der damaligen kulturellen Methoden 
nachweisbaren Darmbakterien — die spatere Forschung hat gezeigt, dafi gerade 
beim Brustkinde auch anaerobe Mikroorganismen in grofier Menge vorkom- 
men — beschrieb er noch in einer Reihe von Mitteilungen weitere, mehr ak- 
zidentelle Befunde: das Helikbakterium, den Vibrio felinus und verschiedene 
andere Vibrionen (Munch, med. Wochenschr. 1886). 

Mit der Erforschung des Stuhles verband er die bakteriologische Unter- 
suchung der Frauenmilch, und zwar tat er dies in Wien, in dem Institute von 



Escherich. 



47 



Kundrat, wo er durch einige Monate im Jahre 1885 arbeitete. Er fand, dafi 
die Milch gesunder Frauen steril sei, wahrend bei fiebernden Wochnerinnen 
weifle und gelbe Staphylokokken in den Kulturen wachsen; die Beziehung 
dieser Kokken zum Puerperalprozesse liefi er dahingestellt (Fortschritte der 
Medizin 1885). 

Ein Musterstuck der bakteriologischen und gleichzeitig klinischen Unter- 
suchung eines Krankheitsbildes war seine Studie liber die Furunkulose des 
Sauglingsalters (Munch, med. Wochenschr. 1887). Er wies nach, dafi Staphylo- 
kokken von aufien her in die Hautdrusen eindringen, und begrundete mit seinen 
bakteriologischen und mikroskopischen Befunden auch das therapeutische, 
antiseptische Verfahren. 

In den Jahren 1886 — 1888 beginnt E. sich mit einer Reihe von klinisch- 
padiatrischen Fragen zu beschaftigen — der Chorea, der Saugbewegung der 
Neugeborcnen, den bei Scharlach gefundenen Mikroorganismen, der Verbreitung 
des Scharlachs durch Milch — , aber bald kommt er wieder auf sein eigentliches 
Gebiet — die Verdauung — zuruck und beginnt nun sein bakteriologisches Wissen 
mit den Erfahrungen der Chemikcr und Physiologen zu vereinigen, um daraus 
Maximen fur die Kinderheilkunde zu formen. 

In seiner zusammenfassenden Arbeit aus dem Jahre 1888 — »Die normale 
Milchverdauung des Sauglings«, Jahrb. f . Kinderheilk. 27 — kam er zu Schliissen, 
welche den damaligen Ansichten der Padiater iiber die Schadlichkeit des Ei- 
weifies der Kuhmilch vollkommcn entgegengesetzt waren. 

Er wandte bei der Untersuchung des Stuhles mikrochemische Reaktionen 
an. Die Schollen, die er bei einem kiinstlich ernahrten Versuchskinde im Stuhle 
fand, erwiesen sich bei Erwarmung mit konzentrierter Schwefelsaure unter dem 
Mikroskop als aus Kalkseifen bestehend. »Es gelang mir w r iederholt, in den 
wasserigen, quarkahnlichen Stiihlen atrophischer Sauglinge, die ich nach dem 
Aussehen und der mikroskopischen Untersuchung als aus unverdauten Kasein- 
teilchen bestehend angesprochen hatte, mittels dieser Reaktion die reichliche 
Anwesenheit von Fett (bis 60%) nachzuweisen.« »In der Tat fand ich: dafi 
nur ein ganz geringer, beim Neutralisieren des salzarmen Auszugs ausfallender 
Teil des Eiweifies als unverandertes Kasein oder als ein demselben nahestehender 
Korper aufzufassen war. . . . Ich war im ersten Augenblick nicht wenig erstaunt, 
bei diesem allgemein fur so unverdaulich gehaltenen Nahrstoffe trotz der un- 
mafiigen Zufuhr eine fast ideale Ausnutzung zu finden.« Er ging dann dem 
Ursprunge des »Dogmas von der Schwerverdaulichkeit und Schadlichkeit des 
Kaseins« nach und fand, dafi es nur auf Grund weniger Verdauungsversuche 
mit kunstlichem Magensaft hin sich in der Literatur festgesetzt hatte. Nach 
seiner Ansicht beruhte das schlechte Gedeihen der Flaschenkinder auf der 
habituellen Uberfiitterung mit Kuhmilch, die bei dem Bestreben des Kindes, 
seinem Magen eine bestimmte Flussigkeitsmenge einzuverleiben, durch die hohe 
Konzentration der unverdiinnten Kuhmilch eintrate. 

Dafi er als wichtigste Ursache bei den Verdauungsstorungen Bakterien 
ansieht, wird uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, dafi damals das 
Bestreben dahin ging, alle Krankheiten durch Bakterienwirkung zu erklaren. 

Aber trotzdem bewahrt er sich in seinen »Beitragen zur antiseptischen 
Behandlungsmethode der Magendarmkrankheiten des Sauglingsalters«, Jahrb. 
f. Kinderheilk. 1888, ein ruhiges Urteil. Er fiihrt des langeren die Wirkung 



48 Escherich. 

der loslichen, unloslichen und der im Darme spaltbaren Desinfizienzien, endlich 
die mechanische Desinfektion durch Magen- und Darmspiilung an, kommt 
aber dann zu dem Schlusse, daB die Desinfizierung des Darmkanals gerade den 
Dunndarm, den klinisch und funktionell wichtigsten Abschnitt, nicht erreiche. 
»Die dort ablaufenden Garungsvorgange sind nur von einer Seite her mit Sicher- 
heit zu beeinflussen, durch die Zufuhr bezw. Entziehung garungsfahigen Ma- 
terials in der Nahrung.« Wenn er sagt: »die Entziehung aller Kohlenhydrate, 
die sogenannte EiweiBdiat, erscheint daher als ein sicheres Mittel, urn diese 
Prozesse zu unterdriicken«, so hat er damit eine therapeutische Richtung ver- 
teidigt, die erst kiirzlich nach verschiedenen Irrwegen wieder aufgenommen 
wurde, ebenso in seinen andern Worten: »umgekehrt gelingt es, die unter patho- 
logischen Verhaltnissen im Darm des Sauglings ablaufende stinkende Eiweifi- 
faulnis durch Zufuhr geeigneter Kohlenhydrate zu unterdrucken«. Wir haben 
erst kiirzlich nochmals durch Freund gelernt, die Fettseifenstuhle, die jetzt 
allerdings nicht mehr als so pathologisch gelten, durch Zuckerzusatz zur Nahrung 
zu verandern, und konnen auch heute noch E. beipflichten, wenn er weiter sagt: 
»Jedenfalls bietet der gegenwartige antiseptische Heilapparat kein anderes 
Mittel, das in ebenso sicherer und rascher Weise die Garungsvorgange zu beein- 
flussen imstande ware.« 

Im weiteren Ausbau der bakteriologischen Anschauung — Zur Pathogenese 
der bakteriellen Verdauunsgstorungen im Sauglingsalter, 1889 — , in dem er 
eine Zucker- und Starkedyspepsie voneinander trennte, ist er wohl liber das 
Ziel hinausgeschossen. 

Auch in dem Ausbau einer grundlegenden Theorie liber Sauglingsernahrung, 
die in der Schrift vom Jahre 1886 zum erstenmal geaufiert, 1889 naher ausge- 
fiihrt wurde, pflichten wir ihm jetzt nicht mehr ganz bei. Von der richtigen 
Idee ausgehend, dafi fur den Saugling an der Mutterbrust ein gewisses Nahrungs- 
volumen physiologisch sei, wollte er auch fur das kiinstlich genahrte Kind 
beweisen, dafl es mehr auf eine Imitation des dem Alter entsprechenden Vo- 
lumens ankame als auf die Menge der Nahrstoffe. Auf Beobachtung stillender 
Mutter grundete er so die volumetrische Methode (»Eine neue Methode der 
Nahrungsmengenberechnung«, Munch, med. Wochenschr. 1889) mit zahllosen 
Abstufungen nach Alter und Korpergewicht, eine Methode, die wegen ihrer 
Kompliziertheit wohl niemals grofiere Anhangerschaft fand, auch nicht, als E. 
eigene Milchsterilisierapparate dafiir angegeben hatte (1890). Auch die Gartner - 
sche Fettmilch, welche auf E.s Prinzipien aufgebaut war, fand trotz seiner 
Empfehlung (1894) keine durchgreifende Anerkennung. 

In den spateren Jahren hat E. auf die Ausarbeitung theoretischer Systeme 
der Ernahrung verzichtet und sich, besonders bei der groBen Organisation der 
Milchverteilungsstatten, an die Praxis gehalten: moglichst einfache Darstellungs- 
weise, nur wenige verschiedene Verdunnungen, empirische Nahrungsmengen 
innerhalb bestimmter Grenzlinien. 

Mit dem Jahre 1889 beginnt ein neues Thema in den Mittelpunkt des 
Interesses bei E. zu treten, die Diphtheric Er bestatigte die Lofflerschen 
bakteriologischen Entdeckungen (Festschrift fur Henoch, 1889), stellte die 
Indikationen der damals ganz neuen Intubation fest (1891) und grenzte das 
bakteriologische und klinische Bild gegeniiber ahnlichen Erkrankungen der 
Mundhohle scharf ab (Uber diphtheritische Rachenerkrankungen, 1893, zur 



Escherich. 



49 



Frage der Pseudodiphtheriebazillen und der diagnostischen Bedeutung des 
Lofflerschen Bazillus, 1893). Sehr wichtig waren seine Untersuchungen mit 
Klemensiewicz 1893 (Uber einen Schutzkorper im Blute der von Diphtherie 
geheilten Menschen), in denen er das Auftreten von Antitoxin nach der spon- 
tanen Diphtherie konstatierte, ferner sein spaterer Befund, dafi die passive 
Immunisierung vom Darmkanal aus (per os oder rectum) wirkungslos ist, da 
auf diese Weise bei alteren Kindern und Erwachsenen keine Spur Antitoxin 
in den Blutkreislauf ubergeht. Genaue Studien uber den Diphtheriebazillus 
gab er 1894 heraus, und 1895 faflte er die gewonnenen klinischen und bakterio- 
logischen Erfahrungen in einem Buche »Diphtherie, Croup, Serumtherapie* 
zusammen. Er unterscheidet darin eine allgemeine Disposition und eine Ober- 
flachendisposition. Die Personen mit allgemeiner Disposition sind sehr empfind- 
lich gegenuber dem vom Bazillus abgegebenen Gifte, sie erkranken an den 
schweren Intoxikationen und Lahmungen, wahrend die Menschen mit Ober- 
flachendisposition zu der Ausdehnung der diphtherischen Membranen in Nase, 
Kehlkopf, Bronchialschleimhaut neigen, ohne deshalb Vergiftungssymptome 
zu zeigen. 

In dieser Zeit, seiner letzten Mlinchner und ersten Grazer Jahre, hat E. 
eine kolossale Arbeitskraft entwickelt: neben all den andern Gebieten fafite er 
1890 noch ein neues Thema an, das ihn bis in die letzten Jahre seines Lebens 
beschaftigte, die Tetanie. Er war es, der die Tetanie der Sauglinge (welche 
nur von der alten franzosischen und englischen Schule klinisch gut beschrieben 
worden war) von den anderweitigen Krampfen der Kinder zuerst scharf ab- 
grenzte, die ersten elektrischen Untersuchungen vornahm und zeigte, dafi bei 
der Tetanie eine elektrische Ubererregbarkeit besteht, die eine vollkommene 
Analogie zur Tetanie der Erwachsenen ergibt (Idiopathische Tetanie im Kindes- 
alter, 1890). E. zog die wichtige SchluCfolgerung, dafi die Stimmritzenkrampfe 
nichts anderes seien als die durch das Alter und die Konstitution der Kinder 
bedingtc Erscheinungsweise einer bestehenden Tetanie. Diese Auffassung, 
welche er 1890 auf dem internationalen medizinischen Kongresse in Berlin ver- 
trat, erfuhr zuerst die nahezu einstimmige Ablehnung der Padiater. Er bedurfte 
erst einer Reihe von weiteren Arbeiten, urn seinen Standpunkt zur Geltung zu 
bringen. Im Jahre 1896 konnte er sich auf ungefahr 300 eigene Beobachtungen 
stutzen; er gab hier eine neue Einteilung des Begriffes Tetanie und unterschied 
die Sauglingstetanie als »Tetanie der Rachitiker« von den andern Formen, 
wobei er sie allerdings nicht im Sinne von Kassowitz als ein Symptom der Ra- 
chitis auffafite, sondern nur die zeitliche Koinzidenz der beiden Krankheiten 
betonte, die vielleicht auf eine gemeinsame Ursache zuriickzufuhren seien. 

Er bearbeitete die Kindertetanie noch mehrmals und zuletzt 1909 in einer 
Monographic, in der er sich der Hypothese anschlofl, dafi die Tetanie durch eine 
Insuffizienz der Epithelkorperchen bedingt sei. Sehr gem hatte E. noch in den 
letzten Lebensjahren seine voile Kraft und die seiner ganzen Klinik zu einem 
grofi angelegten Arbeitsplane uber Rachitis und Tetanie vereinigt — aber er 
kam nicht mehr dazu. 

In den Jahren 1894 — 1900 hatte er das Bestreben, die Arbeit seiner Schiiler 
auf den Ausbau der Bakteriologie des kindlichen Darmes zu richten, und er 
selbst brachte noch einige Arbeiten, die aber viel weniger bedeutend waren als 
seine ersten auf diesem Gebiete. Er beschrieb eine Spirillengattung bei Diar- 

Biojfr. Jalirbuch u. Dcutschcr Nekrolog-. 16. Bd. 4 



50 



Escherich. 



rhoen kleiner Kinder, »blaue Bazillen« und den Pyocyaneus als Ursache von 
Darmstorungen. Von dauerndem Wert ist jedoch seine Entdeckung der Coli- 
cystitis (»l)ber Cystitis bei Kindern, hervorgerufen durch das Bacterium coli 
commune^ 1894). Er zeigte, dafi das gewohnliche Darmbakterium nach Durch - 
wanderung der kurzen Harnrohre bei kleinen Madchen haufig eine Blasen- 
erkrankung verursacht, die klinisch eine grofie Bedeutung besitzt. 

Die Entdeckung der bazillaren Dysenterie ist E. leider nicht gegliickt, 
wenn er auch ganz nahe daran war, ihren Erreger zu bestimmen. Er sah die 
Dysenteriebazillen, unterschied sie aber nicht von Bacterium coli und glaubte, 
pathogen gewordene Kolibakterien verursachten die Erkrankung, die er »Coli- 
colitis« nannte (Zur Atiologie der Dysenterie, 1899). Die Streptokokken, die 
er als Ursache infektioser Enteritiden beschuldigte (Uber Streptokokken- 
enteritis im Sauglingsalter, 1897 — 1899), werden jetzt von den meisten Kinder - 
arzten und Bakteriologen nicht als Erreger der Darmstorungen angesehen, 
und E. selbst hat wohl in den letzten Jahren seine damalige Ansicht auf- 
gegeben. 

Wie E. fiir alle neuen Methoden besonders diagnostischer Art stets lebhaftes 
Interesse bekundete, war er auch unter denErsten, die Tuberkulin- und Rontgen- 
diagnostik erprobten. Er versuchte mit Rontgenstrahlen zu ergriinden, ob der 
Lebertran schnellercs Wachstum der Knochenkerne verursache, und konstatierte 
cine schmerzstillende Wirkung der Strahlen auf den akuten Gelenkrheumatismus. 
Seine Arbeit aus dem Jahre 1894 uber die Wirkung der Kochschen Lymphe, 
des Alttuberkulins, bewies in griindlicher Weise an zahlreichen Fallen von Tu- 
berkulose des Kindesalters, dafi die ersten Hoffnungen der Tuberkulinara unbe- 
rechtigt waren. Die Arbeit enthalt nebenbei auch cinen Hinweis auf die schon 
von Epstein bemerkte subkutane Reaktion der Tuberkulosen auf Tuberkulin. 
E. gab ihr den Namen »Stichreaktion«. Er selbst vergafi wieder den Befund 
und legte ihm keine grofie Bedeutung bei, bis in den letzten Jahren die Spezifitat 
der lokalen Tuberkulinreaktion bewiesen wurde. Damit begann er sich wieder 
lebhaft fiir Tuberkulose zu interessieren und hat noch im Jahre 1909 sehr wert- 
volle Beitrage zur Tuberkulosefrage geliefert. In »Die Infektionswege der 
Tuberkulose, insbesondere im Sauglingsalter« stellte er an der Hand von 22 
klinisch beobachteten und zur Obduktion gelangten Fallen von Sauglings- 
tuberkulose fest, dafi die Infektion fast durchweg in der Lunge erfolge, und stellte 
die Theorie auf, dafi es der Schreiakt der Sauglinge sei, der in diesem Alter 
besonders die direkte Inhalation von Tuberkelbazillen begunstige. In »Was 
nennen wir Skrofulose?« stellte er einen Begriff der Skrofulose auf, der jetzt 
vielfache Anerkennung gefunden hat; dafi namlich die Skrofulose eine Re- 
aktionsart auf die tuberkulose Infektion bei jenen Kindern sei, welche die kon- 
stitutionelle Anomalie des Status lymphaticus (oder der exsudativen Diathese) 
an sich tragen. Auch die therapeutische Einwirkung auf Tuberkulose und 
Skrofulose hat ihn vielfach beschaftigt (Leysin, als Kurort fiir Tuberkulose, 
1909), und er plante ein grofiziigiges Zusammenarbeiten der Kinderkliniken 
mit Fursorgestellen und Heilstatten fiir tuberkulos infizierte Kinder. 

Damit kommen wir zu jener Richtung im Leben E.s, die neben seinen ersten 
bakteriologischen Entdeckungen wohl am meisten bleibende Bedeutung er- 
halten wird: die Organisation und Prophylaxe im grofien Stile. E. hatte wenig 
Interesse fiir den Einzelfall. Er fand keine dauernde Befriedigung an kleinen 



Escherich. 



51 



Reparaturen der Lebensmaschine. Er war aber einer derjenigen, welche die 
grofien prophylaktischen Errungenschaften der letzten 20 Jahre auf die Klinik 
ubertrugen, und mehr noch als das, auf das wirkliche Leben, auf moglichst 
breite Kreise der Bevolkerung. 

Charakteristisch fur seine Tendenz zur groGziigigen Prophylaxe ist, dafi er 
schon als ganz junger Doktor in Miinchen den Vorschlag machte, die Stadte 
sollten die Milchsterilisation selbst in die Hand nehmen, ein Plan, den er 25 Jahre 
spater bis zu einem gewissen Grade praktisch durchfuhren konnte. Die Ver- 
besserung der Kinderspitaler, die gegenseitige Verstandigung der fur Kinder 
gewidmeten Anstalten und nicht zuletzt das eintrachtige Zusammenwirken 
der Kinderarzte untereinander und mit den Vertretern der andern Facher be- 
schaftigte ihn immer wieder und besonders in seiner letzten Schaffensperiode 
in Wien. 

In der Verwirklichung seiner Ideen kam ihm sein ausgezeichnetes Organisa- 
tionstalent zustatten. Er war kein Detailkaufmann, der stets weifi, was in alien 
Laden ist, auf jede Kleinigkeit sein Auge gerichtet hat, und bei dem der Betrieb 
so auf das Auge des Herrn eingerichtet ist, dafi alles stillsteht, wenn einmal 
der Herr nicht da ist. Er hatte immer einige wenige Arbeiten und Plane, denen 
er sich ganz widmete, der Rest mufite so organisicrt sein, dafi der Betrieb von 
selbst weiterging. Ein Plan nach dem andern wurde erwogen, ausgearbeitet, 
eingefiihrt und zuverlassigen Leuten ubergeben; diesen vertraute E. dann die 
weitere Fortfuhrung an, wandte sich neuen Planen zu und behielt sich tat- 
sachlich nur eine gelegentliche Nachschau vor. Eigcntumlich war, dafi er sich 
dieser Methode nicht bewufit war: er nahm sich immer wieder vor, alles selbst 
zu tun, alles in der Hand zu behalten; aber sein Unterbewufitsein bew r ahrte ihn 
vor der Zersplitterung, die die notwendige Folge der Durchfiihrung seines 
eigentlichen Wunsches gewesen ware. 

Schon in Graz begann er mit der Organisation der Klinik; er hatte ein 
kleines Provinzspital vorgefunden und wufite durch stetes Verbessern und Ver- 
einigen daraus eine bedeutende wissenschaftliche Anstalt zu formen, die mit 
alien Hilfsmitteln der Diagnostik ausgeriistet wurde, an der zahlreiche Schiiler 
an der Arbeit waren und die viele Auslander anlockte. Schon von dort aus 
gewann er eine solche Popularitat in Amerika, dafi er im Jahre 1904 als einziger 
Vertreter der europaischen Kinderheilkunde nach der Weltausstellung von 
St. Louis eingeladen wurde. 

In Wien kam er in das St. Anna-Kinderspital, das den w T issenschaftlichen 
Ruhm und gleichzeitig den baulichen Nachteil hatte, die alteste deutsche Kinder- 
klinik zu sein. Er fafite von Beginn an den Plan eines Neubaues, mufite sich 
aber dann mit Um- und Anbau begnugen. Zah hing er an dem Gedanken der 
Verbesserung und gab sich nicht mit der Moglichkeit einer zukiinftigen all- 
gemeinen Veranderung zufrieden. Fast jedes Jahr kam etwas dazu, nach Mafi- 
gabe der Geldmittel, die er dafur fliissig machen konnte. Es war seine Haupt- 
starke, dafi er Staat, Land, Stadt und die private Wohltatigkeit wcchselweise 
in Kontribution zu setzen wufite. So wurde die Verbesserung der Klinik grofien- 
teils aus Staatsmitteln bezahlt, die Verbesserung an den andern Teilen des 
Krankenhauses vom Spitalverein, und zur Einrichtung einer neuen, ganz 
modernen Sauglingsabteilung bediente er sich einer Gesellschaft, die er zu 
diesem Zwecke 1904 gegrundet hatte. Hier wurden die unter den gegebenen 



52 Escherich. 

Umstanden idealsten hygienischen Verhaltnisse praktisch realisiert und die 
grofien Couveusen eingebaut, die E. schon in Graz in einem weniger vollkommenen 
Modell hatte erstehen lassen. Mit dieser Sauglingsabteilung verband E. die 
Schopfung einer Pflegerinnenschule fur spezielle Sauglingspflege, eine In- 
stitution, die sich seit ihrer Griindung von Jahr zu Jahr mehr bewahrt hat. 
Der beste Typus von E.s Griindungen ist der »Sauglingsschutz«. Auf dem 
Boden des Anna-Kinderspitales lafit E. durch einen Verein einen zierlichen 
Bau, das Muster einer Miitterberatungs- und Milchverteilungsstelle auffiihren. 
Wegen Mangels an Kapital werden die ersten Kosten sorgfaltig verteilt. 
Viele Einrichtungsdetails werden von den Firmen zu Reklamezwecken billig 
gegeben. Die Arzte des Kinderspitals versehen den Dienst. Dann weifl er 
der Gemeinde Wien den eminenten Nutzen fiir die Zwecke der Armenunter- 
stiitzung zu demonstrieren und setzt es durch, dafi die Armenverwaltung sich 
der finanziellen Erweiterung annimmt und den Sauglingsschutz schliefllich mit 
einer jahrlichen Subvention von 35 OOO Kronen tatsachlich als eine stadtische 
Wohltatigkeitsanstalt verwendet. Vier Filialen unterstiitzen jetzt die Hauptan- 
stalt. Es ist das Muster einer Organisation, weil in dieser Weise die private 
Initiative fiir jenen Teil der Arbeit verwendet ist, fur den die Bureaukratie 
zu schwerfallig ist. Mit Beamten etwas Neues einzufiihren, ist kostspieliger, 
geht langsamer und wird weniger einheitlich, als wenn es nach dem Kopfe 
eines einzelnen gemacht werden kann. Ist die Sache einmal fertiggestellt und 
im Betrieb, dann ist der Beamte der Richtige, urn die Durchfuhrung zu uber- 
nehmen. Und das Schone an diesem Wohltatigkeitswerke ist, dafl es nicht 
eine blinde Sentimentalitat zur Basis hat. E. wollte mit dem Sauglingsschutz 
eine zielbewuflte Aufklarung der Mutter liber die Art verbinden, wie man die 
Kinder am besten pflegt, wollte die Sauglingssterblichkeit durch die Unter- 
stiitzung des Stillens bekampfen, gleichzeitig aber auch wissenschaftlichen 
Zwecken dienen: der Erforschung der Ernahrungsstorungen, der Rachitis und 
Tetanic, der Gewinnung von physiologischen Daten iiber Wachstum, Nahrungs- 
menge, Gewichtsprogression im ersten Kindesalter. 

Den grofiziigigsten Plan in dieser Richtung hat E. leider nicht mehr voll- 
enden konnen: die Organisation der osterreichischen Reichsanstalt fiir Mutter- 
und Sauglingsfiirsorge. Auf seinen Vorschlag war es zuriickzufiihren, dafl 
die Spenden aus Anlafi des letzten Jubilaumsjahres unter dem Motto: »Fiir 
das Kind« gesammelt wurden, und er wirkte dahin, dafi ein betrachtlicher Teil 
des gewonnenen Kapitals der Sauglingsfiirsorge zugute kommen wird. 

Eine andere grofie Arbeit, der E. gleichfalls vor der Vollendung entrissen 
wurde, ist der Bau einer neuen Klinik auf dem Boden des neuen allgemeinen 
Krankenhauses. Im Krankenhausbau und speziell dem von Kinderkranken- 
hausern schon seit Jahren versiert, hat er alle Erfahrungen und Plane seines 
Lebens in diesem Bau verwendet, der tatsachlich gegenwartig die sch&nste 
Kinderklinik der Welt darstellt. 

Wie E. durch Verbindung der verschiedenen Wohltatigkeitsanstalten grofie, 
einheitlich arbeitende Komplexe formieren wollte, so hat er auch, und sehr 
erfolgreich, danach gestrebt, die Kinderarzte zu vereinen, zum gegenseitigen 
Meinungsaustausch zu bringen und das Interesse der allgemeinen Arzteschaft 
fiir padiatrische Fragen zu gewinnen. 

Als er nach Wien kam, bestand keine derartige Vereinigung, und eine 



Escherich. 5 3 

seiner ersten Taten war die Griindung der Wiener padiatrischen Sektion. Auch 
das war wieder ein ganz ausgezeichneter Schachzug. Er wufite, dafl die Kinder- 
arzte in Wien an sich zu schwach zu einer eigenen Organisation, einem eigenen 
Blatte waren, und so setzte er es durch, dafl die Gesellschaft fur innere Medizin 
die Kinderheilkunde als beigeordnete Spezialitat in Titel, Sitzung und Journal 
aufnahm. An den Sitzungen der Gesellschaft war er unermiidlich als Vorsitzen- 
der und als Forderer beteiligt, indem er fast jeden interessanten Fall der Klinik 
zur Vorstellung brachte und besprach. Im Jahre 19 10 war er zum 
Prasidenten der ganzen Gesellschaft gewahlt worden, nachdem er seit der 
Griindung der padiatrischen Sektion im Vorstande gewesen. Er war auch an der 
Griindung der osterreichischen Gesellschaft fur Kinderforschung mitbeteiligt. Zu 
ihren padagogischenBestrebungen zog ihn vorziiglich die Schularztfrage, welcher 
er auch mehrere Arbeiten widmete (Monatsschr. f. Gesundheitspflegei9o8, 5, 6). 

Verzeichnis der Arbeiten Escherich s. Die marantische Sinusthrom- 
bose bei Cholera infantum. Jahrb. f. Kinderheilk. 19, 1883. — Zur Kasuistik der Bronchitis 
fibrinosa. Deutsche med. Wschr. 1883, Nr. 8. — Laryngologische Mitteilungen aus der Klinik 
des Herrn Geheimrates Prof. Dr. Gerhardt: a) t)ber respiratorischen und phonischen Stimm- 
ritzenkrampf. b) Einige seltsame Formen von Neubildungen des Larynx, c) Zur Kasuistik 
der Trachealstenosen. Arztl. Intelligenzbl. (Munch, med. Wschr.) 1883, S. 173, 187. — 
Embolie und Lahmung bei Pleurairrigation. Arztl. Intelligenzbl. 1883, Nr. 40, S. 429. — 
Zur diagnostischen Bedeutung der Diazoreaktion. Deutsche med. Wschr. 1883, Nr. 45. — 
Hydramische Leukozytose. Berl. klin. Wschr. 1884, Nr. 10. — Klinisch-therapeutische Beob- 
achtungen aus der Choleraepidemie in Neapel. Arztl. Intelligenzbl. (Munch, med. Wschr.) 
1884, Nr. 51, S. 561. — Ober Sputumferment. Archiv f. klin. Med. v. Ziemssen 37, 1885. — 
Bakteriologische Untersuchungen iiber Frauenmilch: I. Die Milch gesunder Frauen. II. Die 
Milch iiebernder Wochnerinnen. Fortschritte der Medizin 1885, Nr. 5, S. 231. — Methode zur 
Untersuchung der Sauglingsstuhle. Mitt. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol, in Miinchen, 
Sitzung vom 17. Dezember 1884. — Die Darmbakterien des Sauglings und Neugeborenen. 
Fortschritte der Medizin 1885, III, S. 515, 547. — Ober tropho-neurotische Storungen bei 
Chorea. Mitt. a. d. med. Klinik zu Wurzburg 2, 1886. — Beitrage zur Kenntnis der Darm- 
bakterien: I. Helicobacterium (Klebs). Munch, med. Wschr. 1886, Nr. 1. II. Vibrio felinus. 
Munch, med. Wschr. 1886, Nr. 43. III. Ober das Vorkommen von Vibrionen im Darmkanal 
und den Stuhlgangen der Sauglinge. Miinch. med. Wschr. 1886, Nr. 46. — Die Darmbakterien 
des Sauglings. Stuttgart 1886. — Zur Atiologie der multiplen Abscesse im Sauglingsalter. 
Munch, med. Wschr. i886 t Nr. 51 u. 52. — Notiz zur Phosphortherapie der Rachitis. Miinch. 
med. Wschr. 1887, Nr. 1. — Ursachen und Folgen des Nichtstillens bei der Bevolkerung Mtin- 
chens. Miinch. med. Wschr. 1887, Nr. 13. — Die im Blute und in den Organen Scharlachkranker 
gefundenen Mikroorganismen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. i, Nr. 13, 1887. — Ober 
Darmbakterien im allgemeinen und diejenigen der Sauglinge im besonderen, sowie die Beziehun- 
gen der letzteren zur Atiologie der Darmerkrankungen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 1, 
Nr. 24, 1887. — Die desinfizierenden Behandlungsmethoden der Magendarmkrankheiten des 
Sauglingsalters. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 2, 1887. — Ober die Saugbewegung beim 
Neugeborenen. Miinch. med. Wschr. 1888. — Die normale Milchverdauung des Sauglings. 
Jahrb. f. Kinderheilk. 27, 100, 1888. — Ein Fall von Typhus abdominalis mit seltenen Kom- 
plikationen (Aphasie — Dementia — Erysipel). Munch, med. Wschr. 1888, Nr. 3, gemeinsam 
mit Dr. R. Fischl. — Beitrage zur antiseptischen Behandlungsmethode der Magendarmkrank- 
heiten des Sauglingsalters. Therap. Monatshefte, Oktober 1887, und Jahrb. f. Kinderheilk. 27, 
126, 1888. — Die Garungsvorgange im kindlichen Darmkanal. (Erwiderung gegen Ba- 
ginsky.) Deutsche med. Wschr. 1888, Nr. 24. — Ober die Verbreitung des Scharlachs durch 
Milch. Miinch, med. Wschr. 1889, Nr. 31. — Beitrag zur Pathogenese der bakteriellen Magen- 
und Darmerkrankungen im Sauglingsalter. Wiener med. Presse 1889, Nr. 41, 42. — Ober 



54 Escherich. 

kUnstliche Ernahrung und eine neue Methode der Nahrungsmengenberechnung. Miinch. med. 
Wschr. 1889, Nr. 23 u. 24. — Zur Frage der Nahrungsmengenbestimmung fiir den Saugling 
nach Alter oder nach Kfirpergewicht. (Erwiderung.) Miinch. med. Wschr. 1889, Nr. 19. — 
t)ber die Keimfreiheit der Milch nebst Demonstration von Milchsterilisierungsapparaten nach 
Soxhletschem Prinzip. Munch, med. Wschr. 1889, Nr. 46. — Bakteriologische Untersuchun- 
gen uber Diphtherie. Festschrift ftir Henochs 70. Geburtstag, 1. XII. 1889. — Zur Reform 
der kunstlichen Sauglingsernahrung. Wiener klin. Wschr. 1889, Nr. 40. — Die ortliche Be- 
handlung der Rachendiphtherie. Wiener klin. Wschr. 1890, Nr. 7, 8, 9, 10. — Zur Atio- 
logie der Diphtherie. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 1, 18, 1890. — Entwicklung und 
Stellung der neueren deutschen Kinderheilkunde. Wiener med. Wschr. 1890, Nr. 26 — 29. — 
Idiopathische Tetanie im Kindesalter. W r iener klin. Wochenschr. 1890, Nr. 40. — t)ber 
Milchsterilisierung zum Zwecke der Sauglingsernahrung mit Demonstration eines neuen Ap- 
parates. Berl. klin Wschr. 1890, Nr. 43. — Beitrage zur Frage der kunstlichen Ernahrung. 
Jahrb. f. Kinderheilk. 32, 1, 231, 1891. — t)ber die Indikationen zur Intubation bei Diphtherie 
des Larynx. Wiener chir. Wschr. 1891, Nr. 7, 8. — Zur Frage der Milchsterilisierung zum 
Zwecke der Sauglingsernahrung. Miinch. med. Wschr. 1891, Nr. 30. — t)ber perniziose Anamie 
im Kindesalter. Vortragim Arzteverein in Graz. Wiener med. Wschr. 1892, Nr. 13 u. 14. — 
Die Resultate der Kochschen Injektionen bei Skrofulose und Tuberkulose. Jahrb. f. Kinder- 
krankh. 33, 369, 1892. — Ober diphtheroide Rachenerkrankungen. Mitt. d. Ver. d. Arzte in 
Steiermark 1893, Nr. 2. Wiener med. Presse 8, 1893. — Zur Frage des Pseudodiphtherie- 
bacillus und der diagnostischen Bedeutung des Lofflerschen Bacillus. Berl. klin. Wschr. 

1893, Nr. 21. — Uber einen Schutzkorper im Blute der von Diphtherie geheilten Menschen. 
(Gemeinsam mit Prof. Klemensiewicz.) Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 13, Nr. 5 u. 6, 
1 %93- — Croup. Bibliothek d. ges. med. Wissensch. Abt 1, Bd.: Interne Medizin und 
Kinderkrankheiten H. 5, 6, 7. — Vier mit Tizzonis Antitoxin behandelte Falle von Trismus 
und Tetanus neanatorum. Wiener klin. Wschr. 1893, Nr. 32. — t)ber Cystitis bei Kindern, 
hervorgerufen durch das Bacterium coli commune. Vortrag im Verein der Arzte in Steiermark. 
Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1894, Nr. 6. — Zur Pathogenese der Diphtherie. Vortrag t 
gehalten beim Kongrefl in Rom, Marz 1894. Wiener klin. Wschr. 1894, Nr. 22. — I. Rap- 
porti del Laringospasmo con la rachitide. La Pediatria Fasc. 7, 1894. — Notiz zu dem Vor- 
kommen feiner Spirillen in diarrhoischen Dejektionen. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 15, 
Nr. 12, 1894. — Die Gaertnersche Fettmilch, eine neue Methode der Sauglingsernalirung. 
Vortrag, gehalten in der padiatrischen Sektion der 66. Naturforscherversammlung in Wien. 

1894, und Wiener klin. Wschr. 1894. — Ein Fall von infantilem Mixodem. Mitt d. Ver. 
d. Arzte in Steiermark 1894, Nr. 8. — Atiologie und Pathogenese der epidemischen Diphtherie. 
I. Der Diphtheriebacillus. Wien 1894, 294 Seiten. — Diphtherie, Croup, Serumtherapie nach 
Beobachtungen an der Universitatskinderklinik in Graz. Carl Prohaska, Wien 1895, 154 
Seiten. — Die Bedeutung der Gaertnerschen Fettmilch fiir die Sauglingsernahrung. Separat- 
abdruck a. d. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1895, Nr. 1. — Ober die kiinstliche Er- 
nahrung mit spezieller Beriicksichtigung der Gaertnerschen Fettmilch. Hebammen-Zeitung 

1895, — Rachitis. Separatabdruck a. d. Bibliothek med. Wissensch. I. » Interne Medizin 
und Kinderkrankheiten* 2. — Bemerkungen uber denStatus lymphaticus der Kinder. Berl. 
klin. Wschr. 1896, Nr. 29. — Die Verwendung des Tanningen bei Diarrh5en der Kinder. 
Therap. Wochenschr. 1896, Nr. 10. — Begriff und Vorkommen der Tetanie im Kindesalter. 
Berl. klin, Wschr. 1897, Nr. 40. — Promemoria betr. Krankenabteilung der steiermarkischen. 
Landesfindelanstalt. Blatter fiir Ammenwesen 1897. — Versuche zur Immunisierung gegen 
Diphtherie. Wiener klin. W r schr. 1897, Nr. 36. — Krankheitserreger der SauglingsdiarrhSen 
(Streptokokkenenteritis). Wiener klin. Wschr. 1897, Nr. 42. — Tetanie. Extrait du Trait6 
des Maladies de TEnfance IV, 1897. — Zur Dysenteriedebatte. Separatabdruck a. d. Mitt, 
d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1897, Nr. 3. — Der Keuchhusten, der Bostoksche Sommer- 
katarrh. Referat. Sonderabdruck der Wiener klin. Wschr. 1897, Nr. 5. — Ein weiterer 
Fall von Pseudotetanus. Sonderabdruck a. d. Wiener klin. Rundschau 1898. — Atiologie 
der Magendarmerkrankungen der Sauglinge. Deutsche med. Wschr. 1898, Nr. 40, 41. — 



Escherich. 5 5 

Resultate der Heilserumtherapie auf der Diphtheriestation des St. Anna-Kinderhospitals in 
Graz. Monatsschr. *Die Heilkunde*, W 7 ien 1898. — Die diagnostische Verwertung des Rontgen- 
verfahrens bei Untersuchung der Kinder. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1898, Nr. 2. — 
Uber Streptokokkenenteritis im Sauglingsalter. Jahrb. f. Kinderheilk. 49, H. 2 u. 3, 1899. — 
Uber die kiinstliche Ernahrung mit spezieller Beriicksichtigung der Gaertnerschen Fettmilch. 
Hebammen-Zeitung. — Pyocyaneusinfektionen bci Sauglingen. Centralbl. f. Bakt. u. Para- 
sitenkde. u. Infektionskrankh. 25, 117, Nr. 4, 1899. — Zur Kenntnis der DarmcolibacilJen 
unter physiologischen und pathologischen Verhaltnissen. Verhandl. d. XVII. Kongr. f. interne 
Medizin. — Der Borsaureschnullcr, eine neue Behandlungsmethode des Soor. Therap. d. 
Gegenw., Juli 1899. — Zur Atiologie der Dysenteric Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenkde. 25 T 
385, 1899. — R61e des microbes dans les gastro-enterites des nourrisons. Arch, de Medecine 
des Enfants, Nr. 12, Decembre 1900. — Die Atiologie der akuten primaren Magen-Darm- 
erkrankungen der Sauglinge bakteriellen Ursprungs. Referat, erstattet in der pad. Sektion 
des XIII. intern, med. Kongresses. Wiener klin. Wschr. 1900, Nr. 38. — Ober das Vor- 
kommen von Ductusgerauschen bei Neugeborenen. International Contributions to medical 
Literature. Festschrift fur Jacobi T 1900. — Die Einrichtung der Sauglingsabteilung im 
Anna-Kinderspitale nebst Beschreibung einer neuen Brutkammer fur fruhgeborene und lebens- 
schwache Kinder. Mitteilungen des Vereins der Arzte in Steiermark 1900. Nr. 3. — Studien 
uber die Morbiditat der Kinder in verschiedenen Altersklassen. Jahrb. f. Kinderheilk. 51, 1, 
1900. — Zur Kenntnis der Unterschiede zwischen der natiirlichen und ktinstlichen Ernahrung 
des Sauglings. Wiener klin. Wschr. 1900, Nr. 51. — Epidemisch auftretende Brechdurch- 
falle in Sauglingsspitalern. Jahrb. f. Kinderheilk. 52, 1, 1900. — Beitrag zur Statistik und 
Behandlung der Nabelinfektionen. Wiener klin. Rundschau 1900, Nr. 30. — Demonstration 
eines Falles von Chondrodystrophia foetalis. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1901, 
Nr. 5. — Ein Fall von kongenitaler Dilatation des Kolon. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steier- 
mark 1901, Nr. 5. — Vorschlage zur Hintanhaltung der Verbreitung ansteckender Krank- 
heiten in den Schulen. Mitt. d. Ver. d. Arzte in Steiermark 1901, Nr. 5. — Diphtherie (Saku- 
larartikel). Berl. klin. Wschr. 1901, Nr. 2. — Die akuten Verdauungsstorungen des Saug- 
lingsalters. Deutsche Klinik von E. von Leyden u. F. Klemperer 1901. — Fursorge fur die 
tuberkulosegefahrdeten Kinder. Beilage zu den stenogr. Protokollen des n.-6. Landtages, 
September 1902. — Die Bekampfung der Tuberkulose im Kindesalter. Annales med. et 
Bulletin de Statistique de l'H6pital des enfants Hamidie III, 1902. — Bacterium ccli com- 
mune. Handb. d. pathog. Mikroorganismen 1902. — Diskussion uber den gegenwartigen 
Stand der Lehre vom Pemphigus. Verhandl. d. V. Deutschen dermatol. Kongresses. — Er- 
folge der Serumbehandlung des Scharlacbs. Wiener klin. Wschr. 1903, Nr. 23. — Demonstra- 
tion zweier Geschwister mit Bleilahmung. W r iener klin. Wschr., Febr. 1903. — Die tetanoiden 
Erkrankungen des ersten Kindesalters. Vortrag. November 1903. — Enteroptose. Mitt. d. 
Gesellsch. f. inn. Med. in Wien 1903, Nr. 10. — Bitte an die Wiener Frauen. Broschure, 1903* 
— Promemoria in Angelegenheit der Unterbringung der padiatrischen Klinik im Neubau des 
Allgemeinen Krankenhauses, 1903. — Die Behandlung der Nabelhernien der Kinder mittels 
Parafnnpelotte. Vortrag a. d. intern, med. KongreG in Madrid, Juli 1903. — Kinderklinik 
im neuen allgemeinen Krankenhause. »Deutsches Tagblatt«, Juni 1904. — ErofTnungsrede 
der Gesellschaft fiir innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien am 4. Februar 1904. W'iener 
med. Wschr. — Uber epidemische Ruhr. Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk., Sitzung 
11. Februar 1904. Wiener med. Wschr. — Ein Fall von idiopathischer Pulsarrhythmie im 
Kindesalter. Sonderabdruck aus Wiener med. Wschr., Sitzung vom 16. Juni 1904. — De- 
monstration zweier Falle von Erythema contagiosum. Offizielles Protokoll der k. k. Gesell- 
schaft der Arzte in Wien vom 20. Mai 1904 aus Wiener klin. W T schr. — Demonstration zweier 
Falle von Angina ulcerosa (Bernheim). Offizielles Protokoll der k. k. Gesellschaft der Arzte 
in Wien vom 11. November aus Wiener klin. Wschr. 1904. — Demonstration eines typischen 
Falles von Barlowscher Krankheit (infantil Skorbut). Offizielles Protokoll der k. k. Gesell- 
schaft der Arzte in Wien vom 11. November aus W T iener klin. W r schr. 1904. — Erythema in- 
fectiosum, ein neues akutes Exanthem. Separatabdruck a. d. Monatsschr. f. Kinderheilk., 



56 Escherich. 

Oktober/November 1904. — Tetanic »Traite des Maladies de l'Enfance* von Comby-Marfan 
1904, — Die Grundlagen und Ziele der modernen Padiatrie. Vortrag in St. Louis am 21. Sep- 
tember 1904. Jahrb. f. Kinderheilk. — Ober Sauglingsfursorge mit Besprecbung der Or- 
ganisation der Schutzstelle des Vereins »Sauglingsschutz*. Wiener med. Wschr. 1905. — 
Antrag auf Einsetzung eines Komitees behufs Ausarbeitung von Vorschlagen zur F6rderung 
der Brusternahrung. Wiener klin. Wschr. 1905, Nr. 23. — Padiatrische Reiseeindrucke in 
Amerika. Wiener med. Wschr. 1905, Nr. 44. — Die neue Sauglingsabteilung im St. Anna- 
Kinderspital in Wien. Verhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., Meran 1906. — Zur Kasuistik 
der Hirschsprungschen Krankheit. Wiener klin.-therap. Wschr. 1906, Nr. 3. — Multiple 
Leberabszesse (Demonstration in der Gesellschaft f. inn. Med, u. Kinderheilk.). Wiener med. 
Wschr. 1906, Nr. 6. — Embolische Prozesse bei postdiphtheritischer Herzschwache (De- 
monstration in der Gesellsch. f. inn. Med. u. Kinderheilk.). Wiener med. Wschr. 1906, Nr. 6. 
— Durch Thoraxpressung entstandene Veranderungen (Demonstration in der Gesellsch. d. 
Arzte). Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 7. — tJber Krankenpflegerinnen^esen in Osterreich 
(Gesellsch. <L Arzte). Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 19. — Kindersterblichkeit. IV. intern. 
KongreQ f. Armenpflege, Mailand 1906. — t)ber Ursachen und Bekampfung der Sauglings- 
sterblichkeit. IV. intern. KongreO f. Armenpflege, Mailand 1906. — Die Verwendung der 
Pyozyanose bei der Behandlung der epidemischen Sauglingsgrippe und der Meningitis cerebro- 
spinalis. Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 25. — Der Verein Sauglingsschutz auf der hygienischen 
Ausstellung in der Rotunde 1906. Wiener klin. Wschr. 1906, Nr. 28. — Ober Isolierung und 
Kontaktverhutung in Kinderspital em. Verhandl. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., Stuttgart 

1906, — Barlowsche Krankheit (Demonstration in der Gesellsch. d. Arzte). Wiener klin. 
Wschr. 1906, Nr. 47. — Studien und Vorschlage zur Forderung des Selbststillens. Osterr. 
Sanitatswesen 1906, Nr. 37. — Festrede zur Enthiillung der Biiste Widerhofers in der Aula 
der Universitat Wiener klin. Wschr. 1907, Nr. 48. — Rapport: Question g£ne*rale du con- 
gres intern, de la protection de l'enfance a Bruxelles, Sept. 1907. — Zur Organisation der Saug- 
lingsfursorge mit spezieller Berucksichtigung der Wiener Schutzstelle. Berl. klin. Wschr. 

1907, Nr. 48. — Geschlechtskrankheiten im Kindesalter. Wiener klin. Wschr. 1907, Nr. 51. — 
Zur Kenntnis der tetanoiden Zustande des Kindesalters. Munch, med. Wschr. 1907, Nr. 42. — 
Hirnembolie im Verlaufe der postdiphtherischen Herzschwache. Wiener med. Wschr. 1907, 
Nr. 10. — Diskussionsbemerkung zum Vortrag Pirquets iiber Blatternexanthem. Wiener 
klin. Wschr. 1907, Nr. 9. — Entwicklung und Leistungen der Kinderheilkunde in den letzten 
25 Jahren. Verh. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., K6ln 1908. — Ein Fall von chronischer Tetanie 
im ersten Kindesalter. Wiener med. Wschr. 1908, Nr. 49. — Diskussion zum Vortrag Dr. 
Jehles, Entgegnung auf Chvostek. Wiener klin. Wschr. 1908, Nr. 52. — Ober die hypo- 
plastische Konstitution und ihre Bedcutung. Wiener med. Wschr. 1908, Nr. 33. — De- 
monstration eines Kindes mit Fettdiarrhtfe und Ekzema seborrh. W T iener med. Wschr. 1908, 
Nr. 3. — Die Bedeutung des Schularztes in der Prophylaxe der Infektionskrankheiten. Monats- 
schrift f. Gesundheitspflege 1908, Nr. 5. — Allgemeine Bemerkungen zur Schularztfrage. 
Monatsschr. f. Gesundheitspflege 1908, Nr. 6. — Ober Sauglingsernahrung. Osterr. Arzteztg* 

1908, Nr. 21 — 24. — Die Tetanie der Kinder. Wien 1909. Alfred Holder. 268 S. — Leysin 
als Kurort fur Tuberkulose. Wiener med. Wschr. 1909, Nr. 29. — Die Infektionswege der 
Tuberkulose, insbesondere im Sauglingsalter. Wiener klin. Wschr. 1909, Nr. 15, S. 514. — 
Der gegenwartige Stand der Lehre von der Skrofulose. Deutsche med. Wschr. 1909, Nr. 38. — 
Was nennen wir Skrofulose ? Wiener klin. Wschr. 1909, Nr. 7. — Beitrag zur Kasuistik der 
Pneumonie des Kindesalters. Wiener med. Wschr. 19 10, Nr. 5. — Ober Indikationen und 
Erfolge der Tuberkulin-Therapie bei der kindlichen Tuberkulose. Wiener klin. Wschr. 1910, 
Nr. 20. 

Quellenverzeichnis zur Biographie: M. Pfaundler, Nekrolog in der Munchner med. Wschr. 
191 1, 12. — Fr. Hamburger, Wiener med. Wschr. 1911,9. — C. v. Pirquet, Zeitschr. U 
Kinderheilk. 1911 und Wiener med, Wschr, 1911, 12. 

C. v. Pirquet 



Ktfnig. 57 

Konig, Richard, Dr. Preiherr von und zu Warthausen,* 6. Februar 1830, 
f 4. Januar 191 1. — Seine erste wissenschaftliche Bildung erhielt K., Majorats- 
erbe, von dem von ihm hochverehrten spateren Dekan Landerer und dann auf 
dem Gymnasium in Ulm; nach abgelegter Maturitatsprufung besuchte er die 
Universitat Tubingen, die Forstakademie Tharand und die landwirtschaftliche 
Akademie Hohenheim. In der Wahl dieser Bildungsstatten kam die ausge- 
sprochene Neigung fur die Naturwissenschaf ten zum Ausdruck, die ihn von frtiher 
Jugend an erfiillte. 

Die aufieren Verhaltnisse gestatteten ihm, von der Annahme irgendeiner 
staatlichen Stelle abzusehen und ganz seinen Neigungen zu leben. In mehreren 
kleineren Reisen trat der junge Freiherr besonders in Beziehungen zu hervor- 
ragenden Ornithologen Deutschlands. In weit zuriickliegende Zeiten fuhren 
uns diese Erinnerungen. Mit dem alten Brehm, Naumann, Homeyer, Finsch, 
Baldamus u. a. stand K. in regem brieflichen und personlichen Verkehr. Es 
war die grofie Zeit der Ornithologie in Deutschland; begeisterte Anhanger hatte 
die Wissenschaft der Vogelkunde in der ersten Halfte und in der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts besonders in Deutschland in alien Kreisen; es wurde in 
groB angelegten und grofizugig durchgefiihrten Monumentalwerken der Boden 
vorbereitet fur die Detailforschung spaterer Jahre. Zu den klangvollen Namen, 
die auch heute noch fest eingeschrieben stehen im Buch der Wissenschaft, 
gesellte sich bald auch K. 

Sein besonderes Interesse wandte er dem Studium der Eierkunde, der 
Oologie, zu, dem im ganzen wenig gepflegten Zweig der Vogelkunde; zum Teil 
unter Aufwendung bedeutender Mittel legte er eine Eiersammlung an, deren 
Reichhaltigkeit sie im Lauf der Jahre zu einer der bedeutendsten Privatsamm- 
lungen machte. Das Interesse von K. an der Zoologie beschrankte sich aber 
nicht nur auf Eier und ausgestopfte Vogel, sondern als feinsinniger Beobachter 
stellte er sich von fruh an die Aufgabe, das Leben der Vogel zu studieren, An- 
kunft und Abzug der Zugvogel genau festzustellen, die Lebensweise zu beob- 
achten, und mit zahlreichen Notizen full ten sich im Lauf der Jahre die Tage- 
biicher, wobei K. die Freude hatte, in seinen Kindern das gleiche Interesse 
heranwachsen zu sehen, welches ihn beseelte und besonders in seinen Beob- 
achtungen und deren Verarbeitung von einer seiner Tochter unterstlitzt zu 
werden. 

Bei all diesen Studien wurden dem Forscher, der das Gluck hatte, inmitten 
einer reichen Natur zu leben, die Tiere, besonders die Vogel, seine Freunde, 
und nichts konnte ihn mit gerechterem Zorn erfullen, als unnlitze Verfolgung 
der Tiere, Aasjagerei und Pramienschiefierei. Energisch betonte er das Recht 
eines jeden Lebewesens auf seine Existenz, und zu einer Zeit, in der noch lange 
nicht von Naturschutz die Rede war, protestierte er gegen die bis zur Ausrottung 
gehende Verfolgung einzelner Tiere, selbst wenn sie sich dem Menschen in 
seinem Besitztum schadlich erweisen sollten. Warmen Herzens und mit scharfen 
Worten trat er fur die verfolgte Tierwelt ein, und manche Gesetzesvorlage in 
der wurttembergischen Standekammer, welcher er als ritterschaftlicher Abge- 
ordneter von 1862 bis 1894 angehorte, gab ihm Gelegenheit, eine Lanze fur 
seine gefiederten Freunde einzulegen. Es war selbstverstandlich, dafi K. als 
Autoritat in alien Fragen des Vogelschutzes gait. 

Wenn K. auch keine grofleren ornithologischen Arbeiten verfafite, so war 



58 KiSnig. 

doch seine mannigfache Betatigung auf dem Gebiete der Ornithologie nach 
verschiedenen Richtungen hin eine so erspriefiliche, dafl die naturwissenschaft- 
liche Fakultat der Universitat Tubingen ihn mit Recht durch Verleihung des 
naturwissenschaftlichen Doktors h. c. auszeichnete. 

Neben der Vogelwelt hatten es ihm besonders die Mollusken angetan, und 
die heimische Molluskenfauna, in erster Linie naturlich die Oberschwabens, 
hat K. im Lauf der Jahre vollstandig gesammelt. 

Es ist selbstverstandlich, dafl ein Mann mit solch ausgepragtem natur- 
wissenschaftlichen Sinn und Verstandnis eine Rolle spielen mufite im Verein 
fiir vaterlandische Naturkunde in Wtirttemberg. Schon im Jahre 1853 tr at 
er dem Verein als Mitglied bei und , wurde 1898 zum Ehrenmitglied desselben 
ernannt. Zahlreich sind die Veroffentlichungen aus seiner Feder in den Jahres- 
heften des Vereins fiir vaterlandische Naturkunde, besonders sind ihm die 
»Naturwissenschaftlichen Jahresberichte« zu danken, in welchen er in erster 
Linie uber ornithologische Vorkommnisse, sodann aber uber allgemeine zoo- 
logische Beobachtungen berichtete, sowohl auf Grund eigener Feststellungen 
wie auf Grund von Mitteilungen anderer Naturfreunde, mit denen er zu diesem 
Zweck eine ausgedehnete Korrespondenz pflog. Leider haben diese »Natur- 
wissenschaftlichen Jahresberichte« bis jetzt keine Fortsetzung gefunden. 

Besonders eng war K. mit den naturwissenschaftlichen Kreisen Ober- 
schwabens verbunden. Freunde der Geologie und Palaontologie, die in den 
Ablagerungen Oberschwabens manch schones Stuck fanden, hatten sich zu dem 
»Molasseklub« zusammengetan ; im Mai 1874 schlofi sich der Klub dem Verein 
fiir vaterlandische Naturkunde als »Oberschwabischer Zweigverein« desselben 
an und K. ubernahm als Vorstand seine Leitung. Alljahrlich am Lichtmefi- 
feiertag versammeln sich die Mitglieder des »Oberschwabischen« zu dem Jahres- 
tag in Aulendorf, und wer Gelegenheit hat, dieser fast stets von etwa 100 Freun- 
den der Naturwissenschaft in Oberschwaben von weither besuchten Versamm- 
lung beizuwohnen, wird sich des regen Interesses freuen, welches unter der 
Leitung von K. immer eine eifrige Pflege fand. Bis zum Jahre 1898 stand K. 
an der Spitze des Oberschwabischen Zweigvereins ; zunehmende Altersbe- 
schwerden notigten ihn, die Leitung der Geschafte in jungere Hande zu legen; 
aber bis in die letzten Wochen seines Lebens bewahrte er das regste Interesse 
fiir alles, was mit dem vaterlandischen Verein und seinem Zweigverein zu- 
sammenhing. Schon schwer leidend erkundigte sich der liebenswurdige Schlofi- 
herr uber alle Vorgange des Vereins, liber Personen und Dinge bei dem Verfasser 
dieser Zeilen, der wieder einmal den Burgberg hinaufgestiegen war zu dem 
gastlichen Schlofi, in welchem er und so viele andere in anregendem Gesprach 
schOne, in dankbarer Erinnerung verbleibende Stunden verlebt haben. 

Die Eigenart des Besitzers dieses stolzen Schlosses trat dem Besucher sofort 
entgegen. Auf machtige Findlinge, die eine feme Eiszeit in oberschwabische 
Gefilde getragen, fiel der erste Blick, eine Mauer aus den verschiedensten errati- 
schen Kieseln aufgebaut, deren mannigfache Farbung besonders hiibsch bei 
Regenwetter hervortrat, umgab einen Teil des Gartens; den Zugang des Hauses 
bewachten franzosische Geschutze, eine Erinnerung an die grofie Zeit, an welcher 
auch K. teilgenommen, indem er als Ritter des Johanniterordens Verpflegungs- 
zlige nach Frankreich fuhrte und hierfiir mit dem Eisernen Kreuz am weifien 
Bande geehrt wurde. In den weiten Gangen des Schlosses und in den hohen 



Konig. v. Tttmpling. eg 

Zimmern bewunderte der Gast in prachtigen Schranken und kostbarem Por- 
zellan nicht minder das feine Verstandnis des Schloflherrn fur die Erzeugnisse 
aus der Bliitezeit des deutschen Kunstgewerbes wie den Erfolg einer unermud- 
lichen und verstandnisvollen Sammeltatigkeit. Diese ausgesprochene Neigung 
fur Sammeln liefi K. auch im Verein mit seiner von dem gleichen Interesse 
beseelten Schwester eine Siegelstocksammlung zusammenbringen, die an Voll- 
standigkeit kaum ihresgleichen hat. 

So hinterliefl K. Sammlungen ganz eigener Art, die noch lange zeugen werden 
von dem forschenden Geiste des Dahingeschiedenen, den zahlreiche Freunde 
an dem sonnigen Wintertag des 7. Januar zu der einsamen Ruhestatte im Park 
begleiteten, in dem er so oft die Natur beobachtet und seinen Blick hinaus- 
schweifen liefi liber die weite Ebene seines geliebten Oberschwabens. 

Nach den Jahresheften f. vaterl. Naturkunde in Wurttemberg. 

L a m p e r t. 

V. TiimpHng, Luise, geb. v. Boyen, * Berlin 26. Mai 1852, f Jena 3. Juli 
191 1. — Als einziges Kind des Generals der Infanterie und General -Adju tan ten 
Wilhclms I., Hermann v. Boyen und der Fanny geb. Prinzessin Biron von 
Kurland, empfing sie durch Lehre und Beispiel in allem Edlen und Guten 
eine vornehme und gediegene Erziehung. Besonders tiefen Eindruck brachte 
auf ihr Gemiit der Religionsunterricht hervor, der 1869 mit der Konfirmation 
durch den bekannten Prediger Mullensiefen in Berlin seinen Abschlufl fand. 
Fast jeden Sommer verbrachte sie auf dem Schlosse Lobichau in Sachsen- 
Altenburg, dessen Besitzerin, die feinsinnige Herzogin Johanna von Acerenza- 
Pignatelli geb. Prinzessin Biron von Kurland, eine Tante ihrer Mutter, groflen 
Einflufi auf sie gewann. Auch Italien lernte sie frlihzeitig kennen und lieb- 
gewinnen, und in Rom war es, dafi sie sich 1878 mit dem damaligen Kaiser- 
lichen Legationssekretar und Koniglich PreuBischen Rittmeister a. D. Wolf 
v. Tumpling verlobte. Ihr Tagebuch liber diesen Aufenthalt in Italien hat sie 
fur Freundeskreise drucken lassen (»Eine Reise nach Italien 1877 — 1878.« 
Bern 1879. 188 Seiten in 8°). Mullensiefen vollzog am 19. Juni 1878 in Berlin 
mit einer Rede uber Josua 24, 15 (»Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn 
dienen«) die Trauung. Kaiser Wilhelm I., welcher sie als Pate einst uber der 
Taufe gehalten hatte, war damals von Verbrecherhand verwundet und liefi 
sich durch den Kronprinzen bei der Feier vertreten. 

Sie verlebte zunachst einige Monate mit ihrem Gemahl auf seinem Gute 
Thalstein bei Jena und folgte ihm dann in seine verschiedenen diplomatischen 
Stellungen nach Bern, Brussel, wiederum Bern und dem Haag. Mit Wurde 
und Takt vertrat sie uberall die deutschen Interessen und rief in Bern den 
»Deutschen Frauen-Hilfsverein« ins Leben. Als ihr Gemahl nach dem Tode 
seines Vaters, des kommandierenden Generals Wilhelm v. Tumpling, 1884 
seinen Abschied als Legationsrat genommen hatte, wurde der Thalstein ihr 
dauernder Wohnsitz. Sie pflegte ihn aber jahrlich ein paar Monate lang mit 
Lobichau zu vertauschen, nachdem ihr beim Tode ihrer Mutter (1888) dieses 
schone, durch Erinnerungen an die letzte Herzogin Dorothea Biron von Kurland 
geweihte Besitztum zugefallen war. In ihren beiden behaglich und kunstlerisch 
ausgeschmlickten Heimen entwickelte sich eine edle und anregende Geselligkeit, 
durch die ihr Salon ein bevorzugter Mittelpunkt geistiger Aussprache wurde. 



60 v. TUmpling. 

Ihre Hauptarbeit aber gait der Linderung fremder Note und Leiden, und 
sie fand darin ein weites Feld zur Betatigung christlicher Nachstenliebe. Mit 
heiligem Ernst erfaOte sie jede Aufgabe, die sie sich stellte, und setzte ihre 
ganze Personlichkeit ein fur das Durchfuhren der begonnenen Werke. Da sie 
im Auslande die Bedrangnisse der Evangelischen aus eigenster Anschauung 
kennen gelernt hatte, wurde sie eine warme Freundin der Gustav-Adolf-Sache. 
So griindete sie 1888 in Jena einen Gustav-Adolf-Frauenverein, dem sie bis zu 
ihrem Tode vorstand, und schrieb manche Aufsatze fur den »Boten des Gustav- 
Adolf-Vereins fur Th(iringen«. Auch fur das Evangelisationswerk in Spanien 
hatte sie immer ein warmes Herz, und Fritz Fliedner, mit dem ihr Gemahl 
von seiner Madrider Zeit her befreundet war, weilte oftmals auf dem Thalstein. 
Von der Verehrung, die ihr infolge ihres wohltatigen Schaffens zuteil wurde, legte 
1903 die Feier der silbernen Hochzeit in Lobichau ein sprechendes Zeugnis ab. 

Ihr Wirken im Dienste der Nachstenliebe kronte sie dadurch, daC sie, die 
kinderlos geblieben war, mit Zustimmung ihres Gemahls, Vorstandsmitgliedes 
der Deutschen Adelsgenossenschaft, im Jahre 1907 ihr Schlofl und Rittergut 
Lobichau der genannten Deutschen Adelsgenossenschaft zur Errichtung eines 
adeligen evangelischen Damenstifts schenkte. Am 2. Mai 1907 gab sie ihre 
dahingehende Erklarung zu Protokoll, am 30. August erteilte Herzog Ernst I. 
von Sachsen-Altenburg seine landesherrliche Genehmigung dazu, und am 
10. August 1908 konnte die Stiftung im Beisein der Herzogin Adelheid von 
Sachsen-Altenburg eroffnet und eingeweiht werden. Sie erhielt den Namen 
»Evangelisches Johanna-Luisen-Stift«, zur Erinnerungan die Herzogin Johanna 
von Acerenza-Pignatelli und an die Grafin Luise von Hohenthal-Konigsbriick 
(eine Schwester der Frau v. Boyen), deren Vorname zugleich auch den der 
Stifterin wiedergibt. Nach den Satzungen vom 11. Februar 1908 hat das Stift, 
das unter dem Schutze der Herzogin von Sachsen-Altenburg und unter der 
Leitung einer Abtissin sowie eines Kuratoriums steht, den Zweck, gebildeten 
adeligen evangelischen Witwen und Jungfrauen, die dessen bedurftig sind, 
im Schlosse Lobichau ein sorgenfreies Dasein zu gewahren. Von den Stifts- 
stellen sind sechs voile Freistellen, auf welche die Angehorigen der Familien 
v. Tumpling und Biron von Kurland das erste Anrecht haben; fur die ubrigen 
Stellen haben die Inhaberinnen jahrlich 600 M. zu entrichten. Die Stiftsdamen 
sollen sich an gemeinnutziger Arbeit und christlicher Liebestatigkeit beteiligen. 
Die Adelsgenossenschaft hat dem Stifte eine wirtschaftliche Frauenschule 
angegliedcrt, die ihren Sitz in dem alteren Lobichauer SchloBchen hat und 
einer padagogisch gebildeten Vorsteherin unterstellt ist. Diese Frauenschule 
begann schon einige Monate vor der Eroffnung des Stiftes, namlich am 26. Mai 
1908, den ersten ihrer Unterrichtskurse, die immer ein Jahr lang dauern. Seit- 
dem zahlt die Schule alljahrlich eine stattliche Menge von jungen »Maiden« 
zu ihren Schiilerinnen. Der erste Jahrgang (1910) der »Lobichauer Maiden- 
zeitung« brachte auch einen Aufsatz der Stifterin Ciber Lobichaus Vergangen- 
heit. In dem Gedeihen dieser Anstalten fand Frau v. T. den besten Lohn 
ihrer Hochherzigkeit, aber es ward ihr auch von allerhochster Stelle eine An- 
erkennung zuteil, indem Kaiser Wilhelm II. ihr im Oktober 1908 den Luisen- 
orden verlieh. 

Im Fruhjahr 191 1 weilte Frau v. T. mit ihrem Gemahl, wie schon oftmals 
vorher, in Italien und kehrte gegen Ende des Monats Mai froh und frisch nach 



v. Tiimpling. Salomon. 6 1 

dem Thalstein zuruck. Da zeigten sich bei ihr nach wenigen Wochen plotzlich 
Anfange einer ernsten Erkrankung, die rasch eine schlimme Wendung nahm. 
Mit hohem Mut und glaubiger Ergebung ertrug sie alle Schmerzen und ver- 
schied nach zehntagigem Leiden in der Klinik zu Jena. Bei der Leichenfeier, 
die am 6. Juli auf dem Thalstein erfolgte, sprach der Generalsuperintendent 
Z). Lohoff aus Altenburg nach den Bestimmungen der Verstorbenen iiber den 
einstigen Trautext, den er auch schon 1903 seiner Rede bei der silbernen Hochzeit 
zugrunde gelegt hatte. Im Thalsteiner Park fand Frau v. T., die letzte aus dem 
Geschlechte der Boyen, ihre Ruhestatte, tief betrauert von alien, die ihren 
groflen Charakter, ihren frommen, idealen Sinn, ihr edles, aufrichtiges Herz 
und ihre gesegnete Wirksamkeit kennen gelernt hatten. 

\V. v. Tiimpling, Geschichte des Geschlechts v. Tiimpling. 2. Bd. (Weimar 1892) 
S. 720 — 723 mit Bildnis und Stammtafel. — Derselbe, Erinnerungen aus dem Leben des Ge- 
nerated] utanten H. v. Boyen (Berlin 1898), S. 107, 126, 227, 230, 236. — Rede des General- 
superintendenten J). Lohoff in der Kirche zu GroG-Stechau am 19. Juni 1903 bei der Silber- 
hochzeitsfeier (Jena 1903). — Rede desselben auf dem Thalstein am 6. Juli 191 1 bei der Be- 
erdigung (Jena 191 1). — Zum Gedachtnis von Frau v. Tiimpling geb. v. Boyen, mit Bildnis 
(Jena 191 1). — Nachruf im »Deutschen Adelsblatt« t 29. Jahrg. Nr. 28 vom 9. Juli 191 1. — 
»Bote des Gustav-Adolf-Vereins fur Th(iringen«, 64. Jahrg. Nr. 8 (August 191 1) S. 113, und 
65, Jahrg. Nr. 2 (Februar 1912), S. 19 — 26, mit Bildnis. — »L6bichauer Maidenzeitung*, 
2. Jahrg. (19 1 2) S. 1 — 7, mit Bildnis. — Satzung fur das Evangelische Johanna-Luisen-Stift 
zu SchloB Lobichau, veroffentlicht von der Deutschen Adelsgenossenschaft (Neudamm 1908). — 
0. Schreiner in den ^Thiringer Monatsblattenu 20. Jahrg. Nr. :o(Januar 1913) S. 130.— 
Lebensgrofies Kinderbildnis von Frz. X. Winterhalter, aus dem Jahre 1856, im Festsaal auf 
dem Thalstein. — Relief bildnis in karrarischem Marmor, aus dem Jahre 1908, im Johanna- 
Luisen-Stift zu Lobichau. 

Weimar. Paul Mitzschke. 

Salomon, Ludwig, Dr % phil., Dichter, Journalist, Literar- und Kultur- 
historiker, * in Gorden bei Elsterwerda 25. November 1844, f 19. November 191 1 
in Dornburg bei Jena. — Er entstammte einer alten hallischen Gelehrten- 
familie, und wenn er auch in einem kleinen Walddorfe im Kreise Merseburg 
als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren wurde, so betrachtete er doch 
die Stadt Halle als seine eigentliche Heimat. Denn da waren seine Vorfahren 
seit Jahrhunderten seflhaft gewesen, und da war es auch, wo er selbst seine 
akademischen Studien vollendete und den Grund zu seiner schriftstellerischen 
Tatigkeit legte. Seine erste Veroffentlichung war ein Buch Hallescher Geschich- 
ten, »Unter dem Halbmond«, so betitelt, weil die Stadt Halle einen Halbmond 
im Wappen fiihrt. Bald aber wandte er sich dem Journalismus zu und trat 
1 87 1 in den Redaktionsverband der »Elberf elder Zeitung« ein, dem er bis Ende 
1873 angehorte. Dann ubernahm er die Chefredaktion des »Taglichen Anzeiger 
fur Berg und Mark« in Elberfeld, die er bis zum Fruhjahr 1875 fiihrte. Um 
diese Zeit grlindete er einen eigenen Herd und fiihrte eine Hausfrau heim, die 
mit Verstandnis und feinem Empfinden ihm auch oft eine kluge Beraterin in 
literarischen Dingen wurde. Mehrere Jahre war er Redakteur der illustrierten 
Zeitschrift »Das Buch fur alle« in Stuttgart, lebte dann aber von 1879 ab, um 
sich ungeteilt seinen Studien widmen und die inzwischen begonnene ^Geschichte 
der deutschen Nationalliteratur des 1 9. Jahrhunderts« vollenden zu konnen, 
in Dornburg bei Jena, um schliefilich Anfang 1882 wieder an die Wupper 



62 Salomon. 

zuriickzukehren und wiedcr die Chefredaktion der amtlichen Zeitung der Stadt 
Elberfeld zu ubernehmen, die er bis zum Jahre 1906 leitete. Ein fur eine In- 
dustriestadt auBergewohnlich reges literarisches Leben herrschte in jener Zeit 
in Elberfeld, an dem S. regen und anregenden Anteil nahm. Dem Poeten- 
kreise, in dem er verkehrte, gehorten Emil Rittershaus, Fritz Roeber, Reinhard 
Neuhaus, Ernst Scherenbcrg, Ludwig v. Lilienthal, Albert Roffack an. Auch 
Johannes Fastenrath in Koln hatte Beziehungen zu ihnen. Bei den von Fasten - 
rath gestifteten Kolner Blumenspielen war S. von 1899 bis 1906 Preisrichter. 
Nach seiner Literaturgeschichte veroffentlichte er von kulturgeschichtlichen 
Werken »Aus der Kunstlervvelt der Rokokozeit« und »Deutschlands Leben und 
Streben im 19. Jahrhundert«. Nebenher entstand eine ganze Reihe fein- 
erfundener Novellen, und den Roman »Agnes von Lilien« von Katharina 
v. Wolzogen hat er neu herausgegeben (1881). Sein Hauptwerk aber, die Frucht 
einer dreifligjahrigen emsigen Forscherarbeit, das er selbst als sein Lebcnswerk 
bezeichnete, ist die dreibandige »Geschichte des deutschen Zeitungswesens von 
den ersten Anfangen bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches« ? ein 
Unternehmen, in dem dieser weitschichtige Stoff zum erstenmal zusammen- 
hangend und abgeschlossen behandelt wurde, und das so eineempfindlicheLiicke 
des deutschen Schrifttums ausflillte. Nicht eine Aufzahlung der Titel der 
ungeheuren Massen von Zeitungen bietet dieses Werk, sondem ein erfreulich 
lesbares Buch, das eine bis dahin verschiittete und schwer zugangliche Quelle 
deutschen Kulturlebens crschlieGt. Und nicht nur seinen engeren Zunftgenossen 
vom deutschen Journalismus hat er damit ein den ganzen Stand ehrendes 
Denkmal gesetzt, aus dem die grofiartige kulturelle Bedeutung der Presse uber- 
zeugend hervortritt, auch dem gesamten gcbildeten, insbesondere dem zeitung- 
lesenden deutschen Volke hat er damit ein Geschcnk gemacht, das eine Fiille 
von AufschluB auf einem von vielen kaum gekannten Felde bietet. Aufler in 
diesem Hauptwerke behandelte er denselben Stoff in knapperer Form, jedoch 
unter Hineinbeziehung der Presse der ganzen Welt in dem Werke »Allgemeine 
Geschichte des Zeitungswesens«, die in der Goschenschen Sammlung erschien. 
Seine letzte Arbeit auf diesem Gebiete war der Aufsatz »Zeitungen«, der im 
achten Bande der dritten Auflage des »Handworterbuches der Staatswissen- 
schaften« gedruckt wurde. — Nahezu dreifiig Jahre seines Lebens hat S. in 
Elberfeld zugebracht, also dafi ihm die Wupperstadt gleich seinem Freunde, 
dem Swinemiinder Ernst Scherenberg, fast zur zweiten Heimat geworden war. 
Da aber zog es ihn, als er, seiner geschwachten Gesundheit wegen, sein Redak- 
teuramt niederlegte, wieder nach dem idyllischen Dornburg bei Jena. Bei 
seinem Austritt aus dem praktisch-tatigen Journalistentum wurde ihm der 
preuCische Rote Adlerorden verliehen, und bei seinem Abschiede von Elberfeld 
ernannte ihn die Literarische Gesellschaft in Elberfeld, deren Vorstand er ange- 
horte, zu ihrem Ehrenmitgliede. Funf freundliche Jahre waren ihm noch in 
dem von ihm selbst geschaffenen »Bergnest« in Dornburg beschieden, einmal 
unterbrochen durch eine langere Reise nach Italien, das er auch vorher mehrere 
Male besucht hatte. Zuruckgekehrt, krankelte er ernstlicher, und am 19. No- 
vember 191 1 schied er, 67jahrig, infolge eines Schlaganfalles aus einem liberaus 
arbeitsamen Leben, tiefbetrauert von der Gattin und der einzigen Tochter, 
denen er durch seinen Hingang zum ersten Male Schmerz bereitete, wehmutig 
betrauert auch von seinen vielen Freunden, denn er war selbst ein treuer Freund, 



Salomon, v. Baerndorff. 63 

immer heiter und voll goldenen Humors, und ein aufiergewohnlich liebenswtirdi- 
ger Mensch. 

W e r k e : Unter dem Halbmond. Nov. 1870. — Verwehte Spuren. Nov. 1873. — Hell- 
dunkeL Nov., 2. Aufl. 1877. — Geschichte einer Geige. Nov. 1877. — Geschichte der deut- 
schen Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts 1881, 2. Aufl. 1887. — Aus der Kiinstlerwelt 
der Rokokozeit, 1891. — Deutsches Leben und Streben im 19. Jahrhundert. 1894. — Signora 
Francesca. Nov. 1896. — Spaziergange in Siiditalien. 1897. — Geschichte des deutschen 
Zeitungswesens von den ersten Anfangen bis zur Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches. 
I 1900, II 1902. Ill 1906. — Allgemeine Geschichte des Zeitungswesens. 1907. — Die 
Bluchertrompete. Nov. 1909. — Sieben Harzgeschichten. Nov. 19 10. — Unter italienischem 
Himmel. Nov. 191 1. — Berliner Schlofi- und Stadtgeschichten. Nov. 1912. 

Nekrologe : Kolnische Zeitung, 24. Nov. 191 1, zweite Morgenausgabe. — Jenaische 
Zeitung, 24. Nov. 191 1, zweites Blatt. — Taglicher Anzeiger fur Berg und Mark (Elberfeld), 
22. Nov. 1911, 1. Beilage, und 24. Nov. 1911, 1. Beilage. — Bergisch-Markische Zeitung (Elber- 
felder Zeitung), 21. Nov. 1911, Abendausgabe. — Berliner Neueste Nachrichten, 24. Nov. 
191 1, Unterhaltungsbeilage. — Berliner Morgenpost, 22, Nov. 191 1. — ■ Badische Presse (Karls- 
ruhe), 21. Nov. 1911, Abendausgabe. — Danziger Zeitung, 23. Nov. 191 1, Abendausgabe. — 
Zuricher Post, 26. Nov. 191 1. — St.-Petersburger Zeitung, 12./25. Nov. 191 1. — Jahrbuch der 
Kolner Blumenspiele, XIV, S. 61. Koln 191 2; ebenda X, S. 56: Bild. — Selbstbiographie in 
»Fur unser Heim, Spenden deutscher Dichter und Denker fur das Schriftstellerheim in Jena«, 
herausgegeben von Dr. Timon Schroeter, Leipzig (J. J. Weber), ohne Jahr. 

Koln. Fritz Zilcken. 

Baerndorff, Auguste v., verw. Jaksch v. Wartenhorst, geb. Bauerhorst, 
kaiserlich russische Hofschauspielerin a. D., Ehrenmitglied des Koniglichen 
Hoftheaters zu Hannover, * zu Berlin am 11. Mai 1823, j- zu Rom am 8. Marz 
191 1. — Einer alten markischen Familie entsprossen, Tochter eines fruheren 
Gutsbesitzers und spateren preufiischen Postbeamten, wurde B. schon in jungen 
Jahren Schiilerin der Tragodin Auguste Crelinger in Berlin, wo sie auch zuerst 
auftrat. Gegen Ende der vierziger Jahre erhielt sie ein Engagement an dem 
damals in hoher Bllite stehenden (spater, unter Alexander III., aufgelosten) 
Kaiserlichen Deutschen Theater in St. -Petersburg, das sie im Jahre 1857 mit 
einer Anstellung am Hoftheater zu Hannover vertauschte, das zu jener Zeit 
mehrere der bedeutendsten deutschen Dirigenten, Sanger und Schauspieler — 
u. a. Heinrich Marschner, Bernhard Scholz, Albert Niemann, Marie Seebach, 
Karl Porth, Karl August Devrient — zu seinen Mitgliedern zahlte. Nach dem 
Ubergange des Theaters in die Verwaltung der preufiischen Krone verblieb B. 
nur noch bis zum 12. Marz 1868 in ihrer Stellung, unternahm wahrend der 
beiden folgenden Jahre langere erfolgreiche Gastspielreisen in den Vereinigten 
Staaten und zog sich alsdann, nach ihrer Verheiratung mit dem Universitats- 
professor Dr. Anton Jaksch v. Wartenhorst in Prag, von der Buhne zuriick. 
Kaiser Wilhelm I. verlieh ihr am 8. April 1870 eine lebenslangliche Pension 
sowie am 19. Dezember 1881 den Titel eines Ehrenmitgliedes des Hoftheaters 
Hannover. Im Jahre 1887 Witwe geworden, lebte B. zuletzt in Baden-Baden 
und starb auf einer Erholungsreise in Rom. — Im iibereinstimmenden Urteile 
der Zeitgenossen erscheint B., was Wiirde und Vornehmheit der aufieren Er- 
scheinung, glanzvolle Mittel und kunstlerische Intelligenz anbetrifft, als eine 
der bedeutendsten Darstellerinnen groCen Stils, die ihr Spiel wie ihre Rede 
uberail mit dem Hauche des warmsten Lebens zu durchdringen wufite. Ihre 



64 v - Baerndorff. Gtftz. 

bedeutendsten Leistungen lagen auf dem Gebiete des klassischen und nach- 
klassischen Trauer- und Schauspiels, des hoheren Lustspiels und des vornehmen 
Intriguenstuckes; aus der grofien Zahl ihrer Rollen seien folgende hervor- 
gehoben: Eboli,Orsina, Adelheid, Iphigenie, Jungfrau von Orleans, Lady Milford, 
Maria Stuart, Konigin Elisabeth, Lady Macbeth, Grafin Terzky, Porzia, Brun- 
hild, Adrienne Lecouvreur, Minna v. Barnhelm, Donna Diana, Herzogin Marl- 
borough, Grafin von Autreval. — Ein lebensgrofies Bildnis B.s, von Rosa 
Petzel, befindet sich im Museum zu Hannover, zwei Kostumbilder — Milford 
und Iphigenie — von derselben Malerin, in Strafiburger Privatbesitz (Kopien 
im Museum zu Hannover); Grabdenkmal mit Reliefportrat, von Seebock, auf 
dem protestantischen Friedhofe am Monte Testaccio in Rom. 

Q u e 1 1 e n : Nachgelassene Papiere B.s; Sammlung zeitgenossischer Kritiken; Mitteilun- 
gen der Kgl. Intendantur des Hoftheaters zu Hannover und der Kgl. Hofschauspielerin Augustc 
Diakono in Dresden. 

Martin Berger. 

GStz, Wilhelm. Am 22. Juni d. J. wurde im Luitpoldpark zu Munchen 
im Beisein zahlreicher Freunde und Verehrer das Denkmal des am 26. Marz 191 1 
verstorbenen Geographen Dr. Wilhelm Gotz in feierlicher Weise enthiillt. In 
einen etwas iiber 3 m hohen Gedenkstein aus frankischem Muschelkalk ist das 
vorziiglich gelungene Bronzerelief des verewigten Forschers und Gelehrten ein- 
gefiigt, einfach und schlicht, entsprechend dem ganzen Wesen des Heimgegange- 
nen. Geboren am 27. Juli 1844 zu Schnabehvaid in Oberfranken als der Sohn 
eines Pfarrers, hatte G. als Lebensberuf zunachst das Studium der Theologie 
erkoren. Er studierte auf den Universitaten Erlangen, wo er sich der Burschen- 
schaft Bubenruthia anschlofl, und in Leipzig und fand nach sehr gut bestande- 
ner theologischer Prtifung zu Ansbach als Gefangnisgeistlichcr in Sulzbach 
(Oberpfalz) und Lichtenau (Mittelfranken) Verwendung. Korperliche Ver- 
haltnisse haben aber G. genotigt, von diesem Berufe abzugehen und sich den 
Realwissenschaften zuzuwenden. Dies tat G. im Jahre 1874, wo er die staat- 
liche Lehramtsprufung ftir Realien (Deutsch, Geographie und Geschichte) mit 
bestem Erfolg ablegte. An der kgl. Kreisgewerbeschule Kaiserslautern war 
seine erste Anstellung im neuen Berufe, im Jahre 1877 kam er als Hauptlehrer 
an die stadtische Handelsschule in Munchen. Das Jahr 1890 brachte dann 
seine Beforderung zum kgl. Gymnasialprofessor fur Erd- und Naturkunde, 
nachdem er sich vorher auch, 1886, an der Technischen Hochschule mit der 
Arbeit »Die persische Reichspoststrafie in Vorderasien« habilitierte. 1900 
erfolgte seine Ernennung zum Honorarprofessor an der Technischen Hoch- 
schule. Im Herbst 1909 trat er von seiner Lehrtatigkeit am Kadettenkorps 
zuruck, so dafi er von da ab nur mehr an den beiden Hochschulen (Kriegs- 
akademie und Technische Hochschule) weiterwirkte. Dies tat er bis zu jenen 
Tagen, wo die schwere Krankheit und der nahende Tod ihn zwangen, davon 
abzustehen. Ruhrend ist, wie einige Tage vor seinem Tode der Verewigte 
schriftlich seinen Vorstand von der Kriegsakademie, Oberst Schoch, noch er- 
suchte, man moge doch nicht die ihm liebgewonnene Arbeit in fremde Hande 
ubergehen lassen, man solle ihm vielmehr eine kurze Spanne Zeit zur Erholung 
gonnen ; dann — so hoffe er — werde er mit doppelter Arbeitsleistung das Ver- 
saumte wieder einholen konnen. 



Gotz. 



65 



1st nicht in diesen Worten schon der hohe Ernst ausgesprochen, den G. 
als Lehrer fur seinen Beruf hatte? Auch durch zahlreiche Vortrage in wissen- 
schaftlichen und gemeinniitzigen Vereinen, ferner in den jahrlichen Ferien- 
kursen fiir Gymnasial- und Reallehrer wirkte er aufierst fruchtbar flir sein Fach. 
Sein Vortrag war wenig rhetorisch; aber die schmucklose, durch die Selb- 
standigkeit der Auffassung fesselnde Einfachheit der Darstellung liefi das Ge- 
horte nur um so fester haften. So wenig jemand seine imposante Gestalt leicht 
aus dem Gedachtnis verlieren wird, so wenig wird, wer seine Kollegien je besucht 
hat, Art und Inhalt seines Vortrages vergessen. 

Seinen bedeutendsten Ruf erwarb sich G. aber durch seine literarische 
Tatigkeit. Infolge Raummangels konnen wir hier leider nur die Richtung 
derselben charakterisieren und eine kleinere Anzahl von Belegen anfiihren. Die 
Wirtschafts- und Handelsgeographie beschaftigte ihn bald nachseinemUbertritt 
in das Lehram t, sicherlich angeregt durch seine Tatigkeit an der Munchner Handels - 
schule. Seine erste bedeutende Arbeit war hier >>DasDonaugebietmitRiicksicht auf 
seine Wasserstrafien« (Stuttgart 1882), sein grofitesWerk dasBuch »DieVerkehrs- 
wege imDienste desWelthandels« (Stuttgart 1888). Auf demGebietedermodernen 
Landerkunde schenkte er aufier zahlreichen kleineren Arbeiten seinem V^ter- 
lande zwei vorzligliche Bucher, sein »Geographisch-historisches Handbuch von 
Bayern« (Munchen, I. Bd., 1895, S. 1 — 900; 2. Bd., 1898, S. 1 — 1158) und sein 
»Frankenland« (Bielefeld-Leipzig 1909). Auch ein erfolgreicher Forderer der 
»Historischen Erdkunde« war G., welchem Wissenszweig er durch seine »Histori- 
sche Geographie« (Leipzig und Wien 1904) neue Grundlinien gab. In der physi- 
kalischen Geographie beschaftigte ihn am meisten das Problem des »Diluviums«. 
Durch seine vergleichenden Besichtigungen (Bayern, Balkan, RuBland, Finland, 
Schweden, Norddeutschland, Vogesen usf.), die er auf seinen zahlreichen Reisen 
anstellte, ist er auf diesem Gebiete ein bedeutender Kenner geworden. Seine 
bekanntesten Arbeiten sind nach dieser Richtung »Die Frage der Vergletscherung 
des Zentralbalkan« (Ztschr. f. Erdkunde zu Berlin 1900) und »Der Verlauf der 
diluvialen Eiszeit in Schwaben« (Verh. d. Deutsch. Geographentages in Berlin 
1901). Sehr rege war G. endlich auch auf dem Gebiete der Schulgeographie 
tatig. Hier sind seine wichtigsten Arbeiten: »Schulwandkarte von Bayern 
und Siiddeutschland« (Munchen 1903), »Geographie fiir die bayerischen Gym- 
nasien« (Bamberg 1889), »Geographie fiir die technischen Lehranstalten 
Bayerns« (zusammen mit S. Giinther), Bamberg 1889/91, 97. In der »Real- 
enzyklopadie fiir protestantische Theologie und Kirche« und in »The new Ency- 
clopedia of Religions knowledge^ New York and London war er standiger und 
eifriger Mitarbeiter. 

Im Dienste der Wissenschaft standen auch die zahlreichen Reisen, die G. 
gemacht hat. In den Jahren 1882/83, 1886/87 und 1895 besuchte er den Balkan, 
1897 un d 1899 Ost- und Siidrufiland, 1905 die Ardennen und 1910 Lappland 
und Mittelschweden. Bei letzterer Reise scheint er den Keim zu seiner Krank- 
heit, die ihn nach einem halben Jahre dahinraffte, geholt zu haben. Die nacht- 
lichen Freilager und die grofien Touren waren sicher fiir den Sechsundsechzig- 
jahrigen zu anstrengend gewesen. 

Einen guten Teil seiner Zeit und seines Interesses widmete Professor G. 
endlich dem Vereinsleben. Der Geographischen Gesellschaft Munchen gehOrte 
der Verstorbene seit 1882, dem Ausschufi seit 1 896 an. Fiir seine ertragreichen 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutscher Nckrolog-. 16. Bd. 5 



66 Gtftz. Buschbeck. 

Forschungsreisen und fur seine hervorragenden Bemiihungen um die bayerische 
Landeskunde erhielt er von der Gesellschaft die silbcrne »Prinz-Ludwig-Medaille«. 
G. war auch ein eifriges Mitglied der Zentralkommission fiir wissenschaftliche 
Landeskunde in Deutschland, ferner wirkte er durch Wort und Schrift aufierst 
befruchtend in dem 1893 gegrundeten »Kanalverein« und in dem mit ihm ins 
Leben gerufencn »Donauverein«. In der Munchner Kolonialgesellschaft war 
er zweiter Vorstand, voran aber stand ihm stets der grofie Verein fiir die Er- 
haltung des Deutschtums im Ausland, in dessen Zweigverein Munchen sowie 
dem Landesverband Bayern er als erster Vorstand eine unverdrossene und 
zielbewuBte Tatigkeit ausubte. Zum Danke hierfur stehen auch auf dem Denk- 
mal im Luitpoldpark aufier den von seinen Freunden und Verehrern gewidmeten 
Worten »dem erfolgreichen Forderer der bayerischen Landeskunde« die vom 
letztgenannten Verein gewidmeten Zeilen: »und dem kraftigen Verteidiger 
des Deutschtums*. 

Mit G. ist in Bayern und besonders im geistigen Leben Munchens eine 
markante Personlichkeit dahingegangen. Wie hoch er in der Achtung jener 
stand, die beruf lich und durch inneres Geistesleben mit ihm zu tun hatten, das zeigte 
sich.bei seinem grofiartigen Leichenbegangnis vor zwei Jahren und erst wieder 
vor wenigen Tagen bei der Enthullung seines Denkmals. Noch heute ist die 
grofie Lucke nicht ausgefiillt, die der unermudliche, aufrechte Mann im geistigen 
Leben Munchens hinterliefl. 

Ein ausfiihrlicher Nekrolog findct sich (von S. Giinther) im Jahresbericht der Kgl. Techni- 
schen Hochschule zu Munchen fur das Studienjahr 1910/11 (Munchen 191 2). 

Dr. Jos. R e i n d 1. 

Buschbeck, Hermann, kgl. Professor und Maler, Vorstand des Kostum- 
und Requisitenwesens der Miinchener Hofbuhnen, * 17. Oktober 1855 zu Prag, 
f II. April 191 1 zu Munchen. — In B. vereinigten sich in seltenem Grade zwei 
ganz verschiedene kunstlerische Anlagen: halb war er Maler, halb Schauspieler. 
Das Leben selbst fiihrte ihn dazu, beide Anlagen nacheinander auszubilden 
und zu verwerten, bis zuletzt die eine siegreich bis zu seinem fruhen Ende blieb. 
B. war in Prag als der Sohn eines Grofikaufmanns geboren, der aus Deutsch- 
land, aus Gotha, dorthin ubergesiedelt war und sich darauf in Osterreich hatte 
naturalisieren lassen. In Prag selbst und in Schnepfental genofi B. seine erste 
Schulbildung. Als sich aber sein Talent zu den bildenden Kunsten unver- 
kennbar bemerkbar machte, ging er nach Munchen an die Akademie, um sich 
dort der Malerei zu widmen. Es dauerte nicht lange, bis er sich in den Bann 
einer andern Kunst gezogen sah. Als fleifiiger Besucher des Hoftheaters liefi 
er sich immer mehr fiir die Schauspielerei begeistern, und insbesondere Possart, 
dessen Ruhm damals im Aufsteigen begriffen war, hatte es ihm angetan. 
B. wurde sein Schuler und betrat dann als jugendlicher Held in Hamburg 
unter Pollini zum ersten Male die Bretter. Seine schlanke Gestalt, sein feuriges 
Temperament und sein klangvolles Organ sicherten ihm bald die schonsten 
Erfolge als Mortimer, Max Piccolomini, Don Carlos, Romeo usw. Gastspiele 
fiihrten ihn nach Berlin und an die Mannheimer Hofbiihne, wo er seine spatere 
Frau, Rosa Swoboda, kennen lernte, die kurz vorher ihre Laufbahn als Sangerin 
begonnen hatte. Nur sechs Jahre war B. an der Buhne gewesen, als er kurz 



Buschbeck. Frankel. 



67 



entschlossen heiratete und mit seiner Frau die Buhne verlieB, um sich in Paris 
energisch wieder dem Studium der Malerei zu widmen. Das junge Paar uber- 
siedelte hierauf nach Munchen, wo er nun als Portrat- und Landschaftsmaler 
auftrat und sich spater ein kleines Anwesen in Arlaching am Chiemsee erwarb. 
Dort sowohl wie in Munchen selbst lebte er in standiger Fiihlung mit der 
Kiinstlerschaft und machte sich bald durch sein iiberaus liebenswiirdiges und 
offenes Wesen, aber auch insbesondere durch seine stets hilfsbereite und aufier- 
ordentlich geschickte Mitarbeit an alien kiinstlerischen Veranstaltungen und 
Festen beliebt. Seine beiden Talente als Kiinstler wie als Schauspieler stellte 
er u. a. auch in den Dienst jenes glanzenden Festes, mit dem das neuerbaute 
Miinchener Kiinstlerhaus eroffnet wurde. Als bildender Kiinstler half er die 
prunkvolle Szenerie aufbauen, als Darsteller verkorperte er den »Jungling« in 
Benno Beckers Festspiel. An diesem Tage und spater als getreuer kiinst- 
lerischer Assistent Lenbachs und Rudolf Seitz' bei alien kiinstlerischen Unter- 
nehmungen machte er sich bekannt und beliebt. Inzwischen war Ernst Possart 
nach dem Tode Freiherrn v. Perfalls Intendant der Miinchener Hofbuhnen 
geworden, und als der Kostumier des Hoftheaters, Professor Fluggen, starb, 
erinnerte sich Possart seines einstigen Schulers. Wer ware besser geeignet 
gewesen, das Kostiim- und Requisitenwesen eines Theaters in die Hand zu 
nehmen als B., der von friiher her auf der Biihne zu Hause war und als Maler 
jene kiinstlerischen Eigenschaften besafl, die zu diesem Amt erforderlich sind. 
Am 1. November 1903 iibernahm er sein neues Amt, und von diesem Augenblick 
an hat er seine ganze Kraft, seinen ganzen jugendlichen Enthusiasmus seiner 
schonen Aufgabe gewidmet. Zahlreiche Neuausstattungen: des Rings des 
Nibelungen, der »Feen« Richard Wagners, von Glucks Maienkonigin, von 
Pfitzners Rose vom Liebesgarten, der Mozart- und Wagner-Festspiele, der 
Aida usw. sind sein Werk. Sein letztes Schaffen, das schon friiher durch den 
Titel Professor ausgezeichnet worden war, gait der Neuinszenierung der »Manon« 
Massenets. Da war er schon ein kranker Mann: ein tuckisches Darmleiden 
hatte den erst 55 jahrigen Mann jah uberfallen. Eine schwere Operation konnte 
ihn nicht mehr retten; er uberlebte sie zwar, sein Herz jedoch war ilir nicht 
mehr gewachsen gewesen. In schonen kiinstlerischen Traumen und Phantasien 
schwand er dahin. Sein Tod zerrifl ein gliickliches Familienleben, beraubte die 
Miinchener Hofbuhne eines ihrer gliicklichsten Heifer und Berater und seine 
Freunde eines liebenswerten Menschen und Kiinstlers, dessen Andenken wie 
dessen Ideen und Taten sicher noch lange nachwirken werden. 

Munchen. Alfred Frhr. v. Mensi. 

Frankel, Bernhardt Med. Doctor, Geheimer Medizinalrat, Professor fiir 
Laryngo-Rhinologie an der Berliner Universitat, Direktor der Universitats- 
Poliklinik fiir Hals- und Nasenkrankheiten in Berlin, * 17. November 1836 
als Sohn eines praktischen Arztes in Elberfeld, f 12. November 191 1 in Berlin. — 
F. war einer der bedeutendsten Laryngologen; als erster hat er sich im Deut- 
schen Reiche die Laryngo-Rhinologie zu seinem Fache erwahlt, und bald ge- 
wann er einen grofien Ruf, der sich iiber die Grenzen seines Vaterlandes hinaus 
verbreitete. — Fr. studierte in Wiirzburg und Berlin. Auf seine geistige Ent- 
wicklung nahmen hervorragende Manner Einflufi, und zu seinen Lehrern zahlten 
u. a. Johannes Miiller, Traube, Virchow und Langenbeck. i860 wurde er in 

5* 



68 Frankel. 

Berlin zum Doktor der Medizin promoviert und bald darauf lieB er sich als 
praktischer Arzt in Berlin nieder. Er machte die Feldzuge in den Jahren 1864 
und 1866 und im Jahre 1870 den Deutsch-Franzosischen Krieg als Arzt mit. 
Fiir seine Tatigkeit im Felde erhielt er das Eiserne Kreuz. 

1872 erfolgte seine Habilitierung als Privatdozent fiir Laryngo-Rhinologie 
an der medizinischen Fakultat der Berliner Universitat und seine Bestallung 
als dirigierender Arzt am Augusta-Hospital, wo er bis zum Jahre 1875 wirkte. 

Gerade als F. seine medizinischen Studien vollendet hatte, begann die von 
den Wiener Gelehrten Turck und Czermak inaugurierte laryngologische Wissen- 
schaft praktische Bedeutung zu gewinnen; insbesondere trug Czermak durch 
seine zahlreichen Reisen, die er behufs Abhaltung von Vortragen und Bekannt- 
machung des Kehlkopfspiegels unternahm und die ihn auch nach Berlin 
fuhrten, viel dazu bei, das Interesse F.s fiir die laryngoskopische Untersuchungs- 
methode zu wecken. F., der schon vorher verschiedene Aufsatze und Mit- 
teilungen aus der arztlichen Praxis publiziert hatte, wandte sich nunmehr 
dem neuen Fache zu. Nach verschiedenen Richtungen gab es da vielver- 
sprechende Aussichtspunkte. Seine Arbeiten beschaftigen sich mit dem Ausbau 
der physikalischen Untersuchungsmethoden und mit anatomischen und klini- 
schen Studien. Fruhzeitig umgrenzte er das klinische Bild der »Ozaena% und 
im Jahre 1 88 1 war F. Referent uber das Thema »Ozaena« auf dem internatio- 
nal medizinischen Kongrefi in London. Er studierte die von der Nase aus- 
gehenden Reflexneurosen, insbesondere das Symptomenbild des nasalen Asthmas; 
er zeigte, dafl bei den reflektorisch ausgelosten nervosen Erscheinungen eine ge- 
wisse nervose Disposition eine wichtige Rolle spielt. Durch physiologische Unter- 
suchungen, Abkiihlungsversuche des Nervtis recurrens, die er gemeinsam mit Gad 
unternommen hatte, gab er dem Semon-Rosenbachschen Gesetz eine machtige 
Stlitze, indem er nachwies, dafl die Nervenfasern des M. crico-arytaenoideus 
posticus empfindlicher sind und einem Insulte friiher erliegen als die Antagonisten. 
Er beschaftigte sich mit der Pachydermie des Kehlkopfes, dem Kehlkopfkrebs; 
und alle seine Arbeiten, von denen ein kleiner Bruchteil am Schlusse angefiihrt 
werden soil, tragen den Stempel einer ausgesprochenen Individuality, eines 
originellen Geistes und scharfen Verstandes; alle zeugen von seiner bis in Details 
gehenden allgemeinen medizinischen Bildung, ohne welche eine gedeihliche 
Tatigkeit auch auf spezialistischem Gebiete einseitig bleibt und unfruchtbar ist. 

1887 wurde in Berlin die Konigliche Universitats-Poliklinik fiir Hals- und 
Nasenkranke gegriindet und F. zu ihrem Vorstande bestellt; dann kam seine 
Ernennung zum auflerordentlichen Professor, und er erhielt auch eine klinische 
Abteilung im Charit6-Krankenhaus. Spater wurden Abteilung und Poliklinik 
in einem eigenen Gebaude vereinigt und F. im Jahre 1893 zum Direktor der 
Klinik ernannt. Hier entfaltete er fast durch zwei Jahrzehnte hindurch eine 
fruchtbare Tatigkeit als Arzt, Forscher und namentlich als Lehrer. Aus aller 
Herren Landern kamen Arzte, um Laryngo-Rhinologie zu studieren und sich 
in diesem Fach auszubilden, wobei ihm eine anschauliche und glanzende Vor- 
tragsweise sehr zustatten kam. Der Unterricht war ihm Lebensfreude und 
Lebenszweck. Im Jahre 191 1 legte er jedoch diese Stelle infolge andauernder 
Krankheit nieder. 

Unter F.s Mitwirkung wurde im Jahre 1894 die Berliner laryngologische Ge- 
sellschaft gegriindet; F. wurde zum Vorsitzenden derselben gewahlt, und bis 



Friinkel. 



69 



zu seinem Tode leitete er die Sitzungen in objektiver und wohlwollender Weise. 
Anlafilich seines 50 jahrigen Doktorjubilaums wurde er zum Ehrenprasidenten 
der Gesellschaft gewahlt. 

In dasselbe Jahr fallt die Griindung des »Archivs fur Laryngologies durch 
F., einer vornehmen Zeitschrift, welche sich einer grofien Verbreitung erfreut. 

Sein besonderes Augenmerk hatte F. fruhzeitig auf die Bekampfung der 
Tuberkulose gewendet; schon seine ersten Arbeiten beschaftigten sich mit 
dieser Krankheit; er unternahm in Gemeinschaft mit Cohnheim eine Reihe 
von Tierversuchen, aus denen hervorging, dafi es sich bei der Tuberkulose urn 
ein spezifisches Virus handle, und nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus 
durch Koch vervollkommnete er die Technik der Sputumuntersuchung auf 
Tuberkelbazillen. F. trat gleich im Beginn mit Nachdruck fiir den Wert des 
Tuberkulins bei der Diagnose und Therapie der Tuberkulose ein, trotzdem er 
nach dieser Richtung hin viele und gewichtige Widersacher hatte, und er behielt 
Recht. Er gehorte mit zu den leitenden Personlichkeiten und Grundern, als 
sich im Jahre 1895 das Deutsche Zentral- Komi tee zur Errichtung von Heil- 
statten fiir Lungenkranke konstituierte; die segensreiche Tatigkeit dieser 
Schopfung ist jetzt allgemein anerkannt. Gemeinsam mit Althoff und v. Leyden 
rief er den Berlin -Brandenburger Heilstatten-Verein ins Leben, der die muster- 
giiltige Institution in Belzig schuf. Auf F.s Antrag fand im Jahre 1899 in Berlin 
der I. Internationale Tuberkulose -KongreB statt, der einen glanzenden Verlauf 
nahm und den eigentlichen Anstofi zur Volksbewegung gegen die Tuberkulose 
gab; er erkannte als einer der ersten die soziale Bedeutung der Tuberkulosen- 
frage, indem er auf die fruhzeitige Erkennung der Tuberkulose und die Fest- 
stellung tuberkuloser Familien (Anzeigepflicht) das grofite Gewicht legte, und 
trat besonders fiir die Schaffung von Asylen und fiir die Isolierung vorge- 
schrittener Tuberkuloser ein; er war auch Mitherausgeber der Zeitschrift fiir 
Tuberkulose. 

Er besuchte die meisten wissenschaftlichen Kongresse und nahm regsten 
Anteil insbesondere an den Vorarbeiten fiir den I. Internationalen Laryngo* 
Rhinologen-Kongrefl im Jahre 1908 in Wien und leitete den Internationalen 
Laryngo-Rhinologen -KongreB in Berlin im Jahre 191 1 trotz Kranklichkeit 
mit Umsicht und Energie. 

F. hat neben seiner spezialistischen Tatigkeit als Arzt und Lehrer, als 
Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften auch noch Zeit gefunden, literari- 
schen und kunstlerischen Studien zu obliegen, und er publizierte eine seinem 
speziellen Gebiet fernliegende Arbeit: »Uber des jungen Goethe schwere 
Krankheit«. 

Bis ins hohe Alter bewahrte er sich seine geistige Elastizitat, sein gutes Herz 
kam den Kranken gegenuber stets voll zur Geltung. Im Beginn etwas ver- 
schlossen, wurde er bei naherer Bekanntschaft liebenswurdig und entgegen- 
kommend. Er besafl viel Humor und war ein angenehmer Kauseur. 

In seinen letzten Lebensjahren litt F. an Arterienverkaltkung und steno- 
kardischen Anfallen, und er erlag der Krankheit in einem solchen Anfall von 
Angina pectoris. 

F. veroffentlichte mehr als 200 Arbeiten, und von seinen hervorragenden 
Publikationen seien folgende erwahnt: Abhandlung iiber Skrofulose und Tuber- 
kulose, in Gerhardts Handbuch der Kinderheilkunde; Die allgemeine Diagnostik 



70 



Frankel. Cloetta. 



und Therapie der Krankheiten der Nase und des Nasenrachenraumes, des 
Rachens und des Kehlkopfes, in Ziemssens Handbuch; Differentialdiagnose 
zwischen Pachydermie und Krebs des Kehlkopfes; Gefrierdurchschnitte zur 
Anatomie der Nasenhohlen; Studien zur feineren Anatomie des Kehlkopfes; 
Zur Anatomie des Stimmbandes; Cber den Zusammenhang zwischen Asthma 
nervosum und Krankheiten der Nase; Uber adenoide Vegetationen; Die An- 
wendung des Kokains; Natur und Behandlung der Ozaena] Erste zur Heilung 
fiihrende Ausrottung eines Larynxkankroids per vias natur ales \ Uber die von 
der Nase ausgehenden Reflexneurosen; Uber die Beschaftigungsschwache des 
Stimmorganes: Mogiphonie; Uber das Empyem der Oberkieferhohle; Teilweise 
geheilte Basedowsche Krankheit durch Kauterisation der Nasenmuscheln; Zur 
Histologic der Stimmbander; Der Kehlkopfkrebs, seine Diagnose und Behand- 
lung; Erkrankungen der oberen Luftwege im Gefolge von Influenza; Demonstra- 
tion einer exstirpierten Epiglottis; Der Prolaps des Morgagnischen Ventrikels; 
Entwicklung der Lehre von der Ozaena; Zur Regeneration exstirpierter Stimm- 
lippen; Differentialdiagnose zwischen Tuberkulose, Karzinom und Syphilis; 
Die infektiosen Erkrankungen des Rachens; Die Laryngologie und Rhinologie 
vom allgemeinen medizinischen Standpunkte: Unterricht undPriifung in diesem 
Gegenstand in den verschiedenen Staaten; Laryngologie und Otologie: keine 
Vereinigung, sondern Trennung; Die Zukunft der Laryngologie. 

L. R6thi. 

Cloetta, Wflhelm, Universitatsprofessor fur romanische Philologie, * 16. No- 
vember 1857 in Triest, f 24. September 191 1 in Strafiburg. — Obwohl in Triest 
geboren, war C. seiner Nationalist nach Schweizer; seine Familie stammte aus 
Graubiinden. Von Ostern 1872 ab verbrachte er denn auch seine Schuljahre 
auf dem Gymnasium von Zurich, wo er Herbst 1876 die Reifeprufung bestand. 
Nach kurzem Aufenthalt an der Zuricher Universitat begab er sich 1877 nach 
Paris, wo er sich funf Semester lang aufhielt. An der Ecole des Hauies Etudes, 
der Ecole des Chartes } dem College de France wurde er von G. Paris, P. Meyer, 
L. Gautier, A. Darmesteter und E. Picot eingefuhrt in das Studium der romani- 
schen Sprachen und Literaturen. Daneben beschaftigte er sich mit Latein, 
Sanskrit und Hebraisch. Seine romanischen Studien setzte er in einem sechs- 
semestrigen Aufenthalt in Berlin unter der Leitung A. Toblers und A. Gasparys 
fort und erganzte sie durch eine Studienreise nach den Bibliotheken von London 
und Oxford. 1883 promovierte er in Gottingen, blieb 1884 — 1885 wieder in 
Paris und begab sich 1885 nochmals nach Oxford, dann nach Italien. Die erste 
Frucht seiner Studien und Reiscn war die kritische Ausgabe eines wallonischen 
Textes aus dem Anfang des 13. Jahrhundert, des Poeme moral, das er, mit einer 
grundlichen, sorgfaltigen Einleitung, 1886 im 3. Bande der »Romanischen 
Forschungen« herausgab. In demselben Jahre wurde C. Assistent am romanischen 
Seminar zu Gottingen und habilitierte sich da im Jahre 1889. Es begann nun 
fur ihn ein ziemlich bewegtes Leben: Eine Vertretung fuhrte ihn 1 891 nach 
Greifswald. In demselben Jahre habilitierte er sich nach Berlin um, kam 
gleich darauf als Vertreter Gasparys wieder nach Gottingen, kehrte noch 1892 
nach Berlin zuruck und folgte 1893 einem Rufe als Extraordinarius nach Jena. 
Zum 1. November 1895 wurde er daselbst Ordinarius. Zum 1. Oktober 1909 
kam er als Nachfolger Grobers nach Strafiburg. Nur ein Jahr durfte er da 



Cloetta. Loes. 7 1 

tatig sein. Da zwang ihn schwere Krankheit, sein Amt niederzulegen. Einige 
Monate spater raffte den 54 jahrigen sein Leiden dahin, ohne dafi es ihm moglich 
geworden, das voile Mafi seines Wissens und Konnens zu geben. Literatur- 
geschichte und Textausgaben sind die beiden Hauptgebiete seiner Forschung; 
auch da hat er sich enge Grenzen gesteckt. Zunachst waren es die ersten Ent- 
wicklungen der dramatischen Literatur speziell Frankreichs, die ihn beschaftig- 
ten. Es entstanden seine »Beitrage zur Literaturgeschichte des Mittelalters 
und der Renaissance^ deren erster Band die »Komodie und Tragodie im Mittel- 
alter« (1890), der andere »Die Anfange der Renaissancetragodie« (1892) be- 
handelten. In denselben Zusammenhang gehort noch ein Aufsatz, der sich 
mit einigen der Hauptvertreter der Arrasischen Dichterschule beschaftigt (»Zu 
Jean Bodel [Adam de la Halle und Baude Fastoul]« im Archiv f. d. Stud, der 
neueren Sprachen und Literaturen Bd. 91, 1893) und die Ausgabe des alten 
latein-franzosischen Sponsus-Mysteriums (Romania Bd. 22, 1893). Dann aber 
wandte sich C einem ganz andern Gebiete zu: die schwierigen, fesselnden Pro- 
bleme des sudfranzosischen Epenkreises, um Guillaume d'Orange herum kri- 
stallisiert, nahmen seine Aufmerksamkeit gefangen und hielten ihn fest bis zu 
seinem Lebensende. Aufier kleineren Aufsatzen, in denen er einzelne Punkte 
aus jenem vielverzweigten Gebiete herausgriff und untersuchte, und die er in 
Gelegenheitsschriften veroffentlichte, in den Sammelbanden fur Tobler, Foerster, 
Mussafia, Chabaneau, sind auch mehrere grofiere Publikationen aus diesen 
Studien hervorgegangen : eine Untersuchung liber »Die beiden altfranzosischen 
Epen des Montage Guillaume* (Archiv f. d. Stud. d. neueren Spr. u. Lit. 93, 
1894 und 94, 1895) und uber »Die Stellung des Prosaromans in der Uber- 
lieferung des Moniage Guillaume« (ibid. Bd. 98, 1897); eine Studie uber »Die 
Enfance Vivien. Ihre Uberlieferung. Ihre zyklische Stellung« (Eberings 
Roman. Studien Bd. 4, 1898), endlich sein Hauptwerk »Les deux redactions 
en vers du Moniage Guillaume* (in den Schriften der Soc. des one. textes franf.), 
deren erster Band (1906) den kritischen Text, der zweite (1911) die ausfuhrliche 
Einleitung enthalt. Eben hatte er die letzten Bogen revidiert, als der Tod ihm 
die Feder aus der Hand nahm. Krankheit und friihes Ende erklaren es leider 
nur zu leicht, warum seine literarische Tatigkeit eine verhaltnismaGig be- 
schrankte geblieben ist. Aber auch die Art der Ausfuhrung kann es erklaren, 
denn C. arbeitete mit peinlichster Sorgfalt und Grundlichkeit. Er war von 
grofier wissenschaftlicher Ehrlichkeit und streng gegen sich wie gegen die andern. 
Damit verband er ein vorsichtiges, sorgsam abwagendes Urteil, das ihn wohl 
auch zu allzu grofler Zuruckhaltung verleitete. Auf denjenigen Gebieten aber, 
auf denen er sich betatigte, hat er durch seine gewissenhaften und eindringenden 
Untersuchungen die Erforschung der altfranzosischen Literatur ganz wesentlich 
gefordert und die Kenntnisse davon durch sichere Ergebnisse erheblich be- 
reichert. E. Hoepffner. 

Logs, Karl, Senatsprasident, * 7. Januar 1844 in Oberowisheim bei 
Bruchsal, f 22. Mai 191 1 in Karlsruhe. — L. war seit dem Jahre 1871 als Richter 
im badischen Justizdienste tatig. In den letzten zwolf Jahren seines Lebens 
gehorte er als Senatsprasident dem Oberlandesgericht zu Karlsruhe an. Er 
war ein Mann, der mit einem klaren, stets auf das Praktische und ZweckmaCige 
gerichteten Blick eine seltene Milde und Ruhe des Urteils verband. Neben 



72 



Loes. Mottl. 



seinem Berufe hat er eine weitgehende und segensreiche Tatigkeit auf dem 
Gebiete gemeinnutziger, namentlich charitativer, Bestrebungen entfaltet. 

Heydweiller. 

Mottl, Felix, Geh. Hofrat, kgl. bayrischerHofoperndirektorundersterDirektor 
an der kgl. bayrischen Akademie der Tonkunst, * 24. August 1856 in Unter 
St. Veit bei Wien, f 2. Juli 191 1 in Mlinchen. — M.s Entwicklungsgeschichte 
stand in erster Reihe unter dem machtigen Einflufl Richard Wagners. Er 
erinnerte sich selbst ganz genau, wie bestimmend eine Auffuhrung des Lohengrin 
in Wien in seiner Knabenzeit auf ihn eingewirkt hatte. Seine Eltern — der 
Vater war Hausverwalter der Furstin Palm — dachten an einen gelehrten 
Beruf flir den reichbegabten, geistig friih entwickelten Knaben, aber sein hervor- 
ragendes musikalisches Talent und sein eigener heifler Wunsch wiesen auf 
andere Wege hin. Nachdem er um seiner schonen Stimme willen in seinem 
zehnten Jahre Sangerknabe in der k. k. Hofkapelle des Lowenburgischen Kon- 
viktes geworden, trat er im Jahre 1870 in das Wiener Konservatorium ein. 
Ein Besuch des Schottengymnasiums war ohne den gewiinschten Erfolg ge- 
blieben. Auch im Konservatorium war er kein Musterschiiler nach dem Sinne 
seines Klavierprofessors, trotz seines unbestrittenen grofien Talentes. Die 
Proben eines Schulerorchesters und eine Pauke oder Trompete schienen ihm 
»wichtiger und wertvoller zu sein als alle in Europa gebauten Klaviere«, und 
er spielte lieber »mit ebenso grofier Empfindung als schlechtem Fingersatz 
Isoldens Liebestod als Cramersche Et(iden«. Ein Pianist im gewohnlichen Sinne 
des Wortes ist er auch nie geworden. Aber er wuflte wie kein anderer die grofiten 
Meister durch sein Spiel in ihrem eigensten Wesen wiederzugeben. 

Schon vor der Konservatoriumszeit hatte er sich alle Wagnerschen Werke, 
v5llig zu eigen gemacht. Er versaumte nie die Auffuhrungen des Hollander, 
Tannhauser, Lohengrin und der Meistersinger. Den damals noch nicht aufge- 
fiihrten Tristan studierte er aus dem Bulowschen Klavierauszug. Der Tristan 
war, wie er selbst sagte, »seine musikalische Jugendliebe«, und er ist ihr zeit- 
lebens treu geblieben. Schon der Gedanke, sich wieder mit dem geliebten Werk 
beschaftigen zu konnen, verursachte dem Jungling Herzklopfen. Es war aber 
damals nicht das rein Musikalische, was ihn so zu Wagners Werken hinzog, 
sondern »der poetische Zauber und die gliihende Empfindungswelt, die daraus 
sprachen«. Seine musikalischen Kenntnisse waren noch zu gering, als dafi er 
den Musiker Wagner ganz hatte fassen konnen. Das wurde ihm spater klar, als 
er erkannte, auf welch bedeutungsvollem symphonischem Aufbau jener poetische 
und dramatische Zauber beruht. Unter seinen Lehrern hatte einer den grofiten 
Einflufl auf seine musikalische Ausbildung: Anton Bruckner, der vielgewaltige 
Orgelspieler und Komponist, der in Wien damals Aufsehen erregte, viel ge- 
priesen und noch viel mehr geschmaht wurde. Bruckner unterrichtete M. in 
der Harmonielehre und im Kontrapunkt. Und Bruckner war fur Wagner be- 
geistert und sprach bei jeder Gelegenheit seinen Schiilern von seinem Meister. — 
Wagners Aufruf zur Unterstiitzung der Festauffiihrung des Nibelungenringes 
in Bayreuth fand in diesem Schiilerkreis den empfanglichsten Boden. Die 
jungen Leute grundeten sofort den akademischen Wiener Wagner-Verein, 
veranstalteten musikalische Auffuhrungen und Vorlesungen, und M. wurde 
Dirigent des Vereinschors. Ein warmes Dankschreiben Wagners, dem sie die 



Mottl. 



73 



Griindung angezeigt, rief helles Entzucken hervor. Und nun kam Wagner 
nach Wien, um Konzerte zu Gunsten des Bayreuther Fonds zu dirigieren, und 
M. war hingerissen von der Art, wie er die Eroica und Bruchstucke aus Tristan 
und aus dem Nibelungenring vorfuhrte. Er ist von nun an fur M. »der herr- 
lichste und uberzeugendste Dirigent, der je gelebt hat«. Dazu kam bei M. die 
personliche Verehrung fiir Wagner. »Seine ganze Art«, so erzahlt M., »mit 
uns jungen Leuten, die wir anbetend zu ihm hinaufsahen, zu verkehren, war so 
entziickend und freundlich, daB sich bei uns zu der Begeisterung fiir den 
Kunstler auch noch die groBte Liebe fur den Menschen Wagner gesellte.« 

Mittlerweile war M. Korrepetitor am Wiener Opernhause geworden. Wah- 
rend er eine Klavierprobe hielt — es war im Mai 1876 — trat Kapellmeister 
Hans Richter ein und erklarte, M. miisse sofort nach Bayreuth reisen. Wagner 
hatte telegraphisch die Hilfe des jungen Musikers bei den Festspielproben verlangt. 
Schon friiher, bei einem zweiten Aufenthalt Wagners in Wien, war M. zu ihm und 
seiner Aufgabe in nahere Beziehung getreten. Am 22. Mai, Wagners Geburtstag, 
traf M. in Bayreuth ein. In seinen »Bayreuther Erinnerungen« erzahlt er von 
clieser wunderbaren Zeit, von dem begeisterten Arbeiten unter der Leitung des 
Meisters, der auch oft, wenn etwas nicht nach seinem Sinn war, leidenschaftlich 
dreinfahren konnte, von der Gute, mit der er den Geknickten wieder aufrichtete, 
von den herrlichen Stunden, wahrend deren er sich im Gesprach erging. — Das 
Herausarbeiten des inneren Zusammenhanges zw f ischen dem Orchester und 
der dramatischen Dichtung, die Moglichkeit, in dieser Weise auch solche innere 
Vorgange auszusprechen, die im Gegensatze zu dem gleichzeitig gesprochenen 
Wort und dem Buhnenvorgang stehen, wurde M. unter Wagners Leitung in 
unvergeBlicher Weise lebendig. Er erkannte, wie gerade dadurch tiefe tragische 
Konflikte zum Ausdruck gebracht werden: so wenn in der Gdtterdammerung 
Hagen mit den Worten »Heil Siegfried! Teurer Held!« diesen begriiBt, beim 
Eintritt Siegfrieds aber Alberichs Fluchmotiv im Orchester ertont, oder wenn 
Isolde als Liebeszeichen die Fackel ausloscht und das Todesmotiv gleichzeitig 
erklingt. Bei den Spezialproben in Wagners Haus, in welchen M. abwechselnd 
mit Joseph Rubinstein die Klavierbegleitung zu ubernehmen hatte, horte er, 
wie Wagner seine Sanger zur Gestaltung ihrer Rollen anwies, und da er keine 
Biihnenprobe versaumte, war er auch Zeuge der schauspielerischen Anweisungen 
des Meisters, der, ein Schuler Shakespearcs und Lessings, auf moglichste Ein- 
fachheit und Sparsamkeit der Bewegung drang und Bewegung iiberhaupt nur 
dann verlangte, wenn damit etwas auszudrucken war. M. lernte damals, was 
»ein begeisterter Schuler von dem groflten Meister lernen kann«. Sein eigenes 
geniales Erfassen eines Kunstwerks gewann jetzt vollige Macht uber die Aus- 
drucksmittel. 

Im Jahre 1878 wirktc er kurze Zeit als Kapellmeister am Ringtheater 
in Wien, ja, auch cinmal als Sanger. Denn als er eine Operette dirigieren sollte 
und der Tenor in letzter Stunde absagte, gab er seinen Dirigentenstab dem 
ersten Gciger und spielte und sang die Rolle — er hatte einen Schulmeister dar- 
zustellen — mit einer Vollendung und einem Humor, die ihresgleichen suchten. — 
Gar mannigfach war damals der junge Musiker bewegt. Neben dem Streben 
nach weiterer Ausbildung regte sich in ihm auch die Schaffcnslust. Er arbeitete 
an einer Oper »Agnes Bernauer«, deren Text er nach dem Drama Hebbels selbst 
verfaBte. Schon in friiher Jugend hatte sich sein Kompositionstalent an 



74 



Mottl. 



Liedern, einem Violinkonzert, einer Messe versucht. Im Jahre 1880 wurde 
seine Oper auf Veranlassung Liszts in Weimar unter M.s eigener Leitung mit 
grofiem Beifall aufgefiihrt. Dazu trug wohl auch die Personlichkeit des jungen 
Kiinstlers bei, der bezaubernd liebenswiirdig war, und da wo es sich um seine 
Kunst handelte, die Naivitat, das Einfache, Selbstverstandliche echter Kiinstler- 
schaft besafl; dabei einen sieghaften Mut, ja Obermut, dem geistvolle, feinge- 
schnittene Ziige und eine gewisse Vornehmheit der Haltung einen charakteristi- 
schen Ausdruck gaben. Ernst v. Wolzogen erzahlt davon, wie Liszt den jungen 
Musiker damals ganz ins Herz geschlossen, und wie beide eines Nachmittags in 
einem befreundeten Hause in glucklicher, lachender Heiterkeit Schuberts 
Militarmarsch in Liszts Arrangement in einer Weise vierhandig gespielt, dafl die 
Horer die Stimmen eines ganzen Orchesters, mit rhythmischer Gewalt und 
mit glorreichem Schwung zu vernehmen glaubten. 

Trotz des Weimarer Erfolges seiner Oper war M. spater zu einer noch- 
maligen Auffuhrung nicht zu bewegen. Seiner wachsenden Einsicht geniigte 
offenbar sein Werk nicht mehr. Er erzahlte in Karlsruhe mit heiterem Humor, 
dafi einer seiner friiheren Lehrer ihm geraten, seine Agnes Bernauer auch in 
die Donau zu werfen. Eine Reihe spaterer Kompositionen, ein Festspiel zur 
Feier der silbernen Hochzeit des GroCherzogs von Baden, Graf Eberstein (Text 
von Putlitz, auf Grundlage der Uhlandschen Ballade), eine einaktige Oper 
»Fiirst und Sanger«, mit dem persischen Dichter Firdusi als Helden (Text von 
Widmann nach einem Plan M.s), ein Tanzpoem »Pan im Busch« von Bier- 
baum mit Musik von M. wurden in den Jahren 1885, 1893 und 1900 in Karls- 
ruhe aufgefiihrt. Die anmutige, vornehme musikalische Sprache, die charak- 
teristische Art der dramatischen Deklamation, die den Einflufi Wagners zeigt, 
die farbenreiche Instrumentation dieser Schopfungen, sie hatten doch nichts von 
jener zwingenden Eigenart, die sich einen dauernden Platz in der musikalischen 
Welt erobert. M. besafi nur als reproduzierender Kiinstler jene gewaltige Kraft, 
die ihn zum Dolmetscher hochster Kunst machte. Das hat er wohl auch selbst 
gefiihlt, und er hat aufier einigen tief empfundenen Liedern und trefflichen musi- 
kalischen Bearbeitungen kaum etwas drucken lassen. 

Von Kapellmeister Dessoff und von Weimar aus empfohlen, wurde M. im 
Jahre 1880 ans Hof theater in Karlsruhe als erster Kapellmeister berufen, und 
Karlsruhe wurde wieder unter ihm, wie einst unter Levi, zu einem derZentren 
deutschen Musiklebens. Die Intendanten Gustav zu Putlitz und Dr. Albert 
Burklin lieBen dem jungen Kapellmeister fast vollig freie Bahn, und es wahrte 
nicht sehr lange, so stand Karlsruhes Musikleben auf einer Hohe, dafl man nach 
Karlsruhe fast wie nach Bayreuth pilgerte, um den Ring der Nibelungen oder 
den Tristan zu horen. Die friiheren Werke Wagners waren in Karlsruhe ein- 
gebiirgert, aber bei dem Ring und dem Tristan gait es, alles neu zu schaffen 
und M. setzte seine ganze Kraft dafiir ein. Mit den verhaltnismafiig kleinen 
Mitteln des Karlsruher Hoftheaters wuflte er Grofies zu leisten. Seine flam- 
mende Begeisterung begeisterte alle Mitwirkenden und hob sie weit iiber ihre 
gewohnlichen Krafte hinaus, sein unermiidlicher Fleifi ruhte nicht, bis das 
Kunstwerk im Sinne Wagners lebendig wurde. Fur den Tristan allein hielt er 
selbst iiber 70 Proben. Das dramatische Element in dieser Seelentragodie kam 
dabei mit einer so gewaltigen Leidenschaft, das mystische Element in ihr mit 
so geheimnisvollem Zauber zur Geltung, dafl jede andere Tristanauffiihrung 



Mottl. 



75 



matt dagegen erschien. »Das macht ihm keiner nach«, sagte Levi, als er einer 
Tristanauffiihrung in Karlsruhe beigewohnt hatte. Einzelne hervorragende 
Kiinstler, wie Joseph Hauser, spater Fritz Planck, standen M. in Karlsruhe 
zur Seite. Aber einen grofien Teil seiner Sanger erzog er sich selbst. Unter 
seiner Leitung wuchs die mit einer herrlichen, unendlich ausdrucksfahigen Stimme 
begabte Sangerin Pauline Mailhac zur groflten musikalischen Tragodin heran, 
und unter seiner Leitung entwickelte ihre Nachfolgerin Zdenka Fafibender ihr 
grofizugiges dramatisches Talent. Vor der ersten Auffiihrung der Gotter- 
dammerung fiihrte M. mit Pauline Mailhac dem Wagnerverein im Foyer des 
Hoftheaters die Szene vor, wie Briinhilde zur Leiche Siegfrieds schreitet. Der 
Trauermarsch leitete die Szene ein, und unter M.s Handen wuchs der Flugel zum 
vielsprachigen Orchester und erhob sich der Gesang der Walkure zu einer Hohe 
der Weltentragik, die fur die Horer die wundervollste Einfiihrung in die Nibe- 
lungentragodie bedeutete. — Auch Szenen aus dem Parsifal fiihrte M. im Phil- 
harmonischen Verein auf, einem Chorverein, dessen Dirigent er war, und in den 
Proben sang er die Solostellen mit seiner nicht eben grofien, aber sehr edlen 
Tenorstimme so wunderschon und mit solch charakteristischer Wahrheit, dafi 
keiner der Bayreuther Sanger ihn darin iibertraf. Bei den Worten, mit welchen 
Parsifal den Gral zu enthiillen gebietet, war es, als ob eine hohere Macht zu den 
Menschen niedersteige. — Im Jahre 1886 wurde M. zum erstenmal als Dirigent 
nach Bayreuth berufen. Der Schliler Wagners gesellte sich jetzt als Ebenbiirtiger 
den ersten dortigen Dirigenten zu und leitete bis zum Jahre 1907 ganz im Sinne 
seines verehrten Meisters nach und nach alle dort aufgefuhrten Werke. Als nach 
mannigfachen Wandlungen in Bayreuth die Namen der Dirigenten ungenannt 
blieben, war es doch fur die mit M.s Art Vertrauten unverkennbar, wenn er am 
Dirigentenpult safi. Er hatte etwas so Grofizugiges, er hob das Charakteristische 
der Gestalten und Situationen so machtig hervor, wufite das Empfindungsleben 
von dem leisesten Erbeben bis zur gew r altigsten Ergriffenheit so unmittelbar und 
wahr darzustellen, zeigte eine so durchsichtige Klarheit bei der Wiedergabe 
von Massenszenen, dafi die Werke Wagners die monumentale Plastik gewannen, 
wie sie sich ihr Schopfer gedacht haben mufi. 

Wahrend seiner Karlsruher Tatigkeit liefl M. sich's angelegen sein, neben 
Wagner auch Berlioz zu Gehor zu bringen. Er fiihrte alle dessen Opern auf, 
zum Teil in Neueinstudierungen, zum Teil, wie die zweiteilige grofie Tragodie 
»Die Trojaner« (1890), zum erstenmal. Franzosische Zeitungen zollten der 
Wiedergabe dieses bedeutendsten Berliozschen Werkes eine begeisterte An- 
erkennung. Die liebenswiirdige Oper »Der Barbier von Bagdad« von Peter 
Cornelius brachte M. zum erstenmal in der von ihm und Levi geschaffenen Be- 
arbeitung, und nachdem Levi in Miinchen vorangegangen, fiihrte M. auch den 
»Cid« von Cornelius auf. Im Konzertsaal war neben Berlioz unter seiner 
Leitung auch Liszt in seinen Hauptwerken vertreten, und nicht in letzter 
Reihe Bruckner und Richard Straufi. 

M.s musikalische Entwicklungsgeschichte tragt einen eigentumlichen Cha- 
rakter. Wenn sich seine jugendliche Begeisterung an Wagner zuerst ent- 
flammte, so war er doch, ebenso wie Wagner selbst, zu sehr Musiker, als dafi er 
nicht einem Bach, einem Beethoven, einem Mozart, einem Schubert die tiefste 
Verehrung entgegengebracht hatte. Aber als er nach Karlsruhe kam, war er 
am Dirigentenpult in Wagners Werken am meisten zu Hause, und erst all- 



76 



Mottl. 



mahlich, bei wachsender Vertiefung in seine Aufgaben, erreichte er bei der 
Wiedergabe einer Bachschen Passion, einer Beethovenschen Symphonie die 
Grofle, die solche Auffiihrungen unter ihm zum Feste machten. Vor seinem 
Abgang von Karlsruhe fiihrte er die Matthauspassion ohne Striche mit einer 
Zwischenpause von zwei Stunden auf, und die Beteiligten und der groflte Teil 
des Publikums waren dabei in der begeistertsten Stimmung. Die neunte Sym- 
phonie gab er fast ganz in dem Sinne, wie Wagners Programm dies vorschreibt, 
und mit einer ziindenden Wirkung. Mozarts Opern hatten besonders zu Anfang 
von M.s Dirigententatigkeit einen leidenschaftlicheren, stiirmischeren Cha- 
rakter, als die Kapellmeisteruberlieferung ihn meist zeigt; erst in spateren 
Jahren hatte M.s Wiedergabe, besonders die Wiedergabe der Zauberflote, bei 
allem Feuer eine hohe Abgeklartheit. In einer Rede beim Salzburger Musik - 
fest 1904 sagte er, er habe nie begreifen konnen, dafi man bei Mozart »immer 
nur von Heiterkeit und von der gewissen SchonheiU spreche, als ob Mozart 
nur die Oberflache der Erscheinungen beriihrt habe, wahrend er doch »der 
tiefste, innigste Mensch gewesen sei, der je gelebt«. »Es gibt«, sagt er weiter, 
»eine Wehmut in der Heiterkeit, es gibt einen Schmerz in der Freude, der die 
Menschen in Hohen fuhrt, von denen herab nur die Gottlichsten zu uns armen 
Menschen sprechen konnen. Auf dieser Hohe ist Mozart gestanden.« Und 
in diesem Sinne suchte M. in seiner Reifezeit ihn wiederzugeben. 

Auch die verschwenderisch reiche Welt Schuberts, der einer seiner Lieb- 
linge war, mufite ihm fast alle ihre Schatze fur den Konzertsaal, ja, auch fur die 
Buhne leihen. Er studierte den »Hauslichen Krieg« neu ein, fiihrte die Oper 
»Alphonso und Estrella« zum erstenmal in Karlsruhe auf, arrangierte zu Rai- 
munds Zauberposse »Die gefesselte Phantasie« Schubertsche Musik, zumeist 
Motive aus der Oper »Rosamunde«, brachte im Konzertsaal Szenen aus dem 
»Lazarus« — und Schubertsche Symphonien, Kammermusik und Chorwerke 
bildeten einen standigen Teil seiner Konzertprogramme. Ihn Schubertsche 
Lieder begleiten zu horen, seine Klavierbegleitung iiberhaupt, gehorte zu den 
erlesensten Geniissen. Das Klavier sang unter seinen Handen mit. Zur Feier 
von Webers hundertstem Geburtstag fiihrte M. im Philharmonischen Verein 
die selten gehorte Kantate »Kampf und Sieg« auf und erneuerte die Feier, die 
einst Wagner im Jahre 1844 veranstaltet hatte, als die Reste Webers von 
England nach Deutschland gebracht und in Dresden bestattet wurden. 

Zu Brahmsschen Werken ist M. nie in ein naheres Verhaltnis getreten, 
er wufite nach seinem eigenen Gestandnis nichts damit anzufangen, und seinen 
wenigen Brahms-Auffuhrungen merktc man das zu ihrem Nachteil an. Seine 
Abneigung gegen Brahms stand auch wohl im Zusammenhang mit seinen Be- 
ziehungen zu Bayreuth, zu Wagner und zu Liszt. DaG er sonst im grofien und 
ganzen bestrebt war, das Bedeutende jeder Richtung gelten zu lassen, dafiir 
spricht seine ganze Dirigententatigkeit mit ihrem unendlich vielseitigen Pro- 
gramm, das auch der Musik der Gegenwart gerecht wurde. M. war einer 
der ersten, der alle Werke von Richard StrauC auffiihrte. In einem kurzen 
Aufsatz liber »Klassische und moderne Musik«, in welchem er sich mit Recht 
gegen den MiCbrauch beider Bezeichnungen wendet, sagt er: »Wir sollen uns 
vor allem Wahren und Lebendigen ehrfurchtsvoll verneigen, sei es vor zwei- 
hundert Jahren oder gestern erst geschaffen worden, sowie wir das Unwahre 
und Verwelkte unbeachtet lassen m(iflten.« 



Mottl. yj 

Im Sommer 1903, nach Zumpes plotzlichem Tode, wurden von Munchen 
aus Unterhandlungen mit M., der damals eine Reise nach Amerika unternahm, 
eingeleitet. Schon Levi hatte ihn zum Nachfolger haben wollen, damals aber 
ging M. darauf nicht ein. Jetzt lockte ihn doch wohl das grofiere Schaffens- 
gebiet, und im Sommer 1904 gehorte er Munchen an. Einer Berufung nach Wien 
im Jahre 1907, die immer der Traum seines Lebens gewesen, konnte er nicht 
Folge leisten, wcil er an Munchen gebunden war und man ihn nicht frei gab. 
Damals wurde er Hofoperndirektor, eine Stellung, die ihm eine groflere Macht- 
sphare gewahrte, als sie bisher ein Miinchener Hofkapellmeister besafi. Der 
Titel eines Generalmusikdirektors war ihm schon fruher verliehen worden, und 
spater erhielt er den eines Geheimen Hofrates. Im Grunde bedeuteten derlei 
Auszeichnungen nur insofern etwas fur ihn, als sie es ihm leichter ermoglichten, 
in seinem Beruf nach eigenem kunstlerischen Ermesscn zu handeln. — Sein 
achtjahriges Wirken in Munchen war eine Zeit angespanntester Tatigkeit. 
Nicht nur die erste Kapellmeisterstelle und die Leitung der, Akademiekon- 
zerte, auch die Leitung der Akademie der Tonkunst war ihm iibertragen. Dazu 
kamen in stetig wachsender Zahl Berufungen nach auswarts. Munchen war 
stolz, dafi es nun »den ersten Kapellmeister der Welt« besafi, und den Miinchener 
Festspielen kam M.s Wirken in unvergleichlicher Weise zugute. Die glanzend- 
sten Mittel unterstiitzten seine glanzende Fuhrung, und Munchen wurde zu 
einem zweiten Bayreuth. Gleichwohl war seine Dbersiedlung nach Munchen, 
wohin er nun sein ganzes Karlsruher Programm brachte, im allgemeinen nicht 
nach alien Seiten hin seiner Tatigkeit giinstig. Sein Wirken war kein so unge- 
hemmtes wie dort, wo er in erster Jugendkraft sein gewaltiges Dirigententalent 
entfaltete, wo junge Krafte unter seiner Leitung heranwuchsen, wo keine 
BuhnengroGe ihm in kurzsichtiger Weise Widerstand leistete, wo ihm nicht 
immer seine Kunstler durch Gastreisen entzogen wurden. Und noch anderes 
lastete auf ihm. Eine im Jahre 1893 geschlossene Ehe warf allmahlich immer 
tiefere Schatten uber sein Leben und schuf dem sonst so Arbeitsfreudigen eine 
immer schwerere Arbeitslast. Gehassige, grundlose Angriffe gaben ihm zeit- 
weise das Gefuhl, »dafi er nur eine fremde Pflanze auf diesem Boden sei«, und 
die glanzendste Rechtfertigung, die ehrlichsten, begeistertsten Huldigungen, 
die ihm wurden, vermochten ihm nicht immer die fruhere frohe, unbekummerte 
Schaffensfreude zu geben. Nur dann, wenn er mit seinen erprobtesten Kiinst- 
lern, mit dem hervorragenden Miinchener Orchester, mit den glanzenden Miinche- 
ner Inszenierungsmitteln in seiner Weise schalten konnte, wenn die Auffiihrung 
eines seiner Lieblingswerke ganz seinem Sinn entsprach, fuhlte er sich wieder 
auf der Hohe des Daseins. Dann kam seine Ktinstlerschaft zu einem uber- 
waltigenden Ausdruck. 

In seiner letzten Lebenszeit wollte er sein personliches Leben neu gestalten 
und nach der Scheidung seiner Ehe (ein Sohn aus dieser Ehe blieb bei dem 
Vater) einen neuen Lebensbund schliefien. Das war ihm nur fiir kurze Augen- 
blicke noch vergonnt. Fiir »seine musikalische Jugendliebe«, den Tristan, nahm 
er zum letzten Mai den Dirigentenstab in die Hand. Er mufite ihn bald 
nach Beginn der Vorstellung niederlegen. Ein schweres Herzleiden, das durch 
allzu grofie Anstrengungen und wiederholte starke Aufregungen gesteigert 
worden war, machte seinem Leben ein allzu friihes Ende. Auf dem Sterbe- 
lager wurde er mit Zdenka Fafibender getraut. Kurze Zeit darauf geleiteten 
ihn die Klange des Liebestodes zur letzten Ruhe. 



78 Mottl. HBlscher. 

Miinchen und die ganze Musikwelt verlor Unersetzliches an ihm. Wenn 
so manches »Allzumenschliche« in seinem personlichen Leben in ungunstigem 
Sinne beurteilt worden ist, so mag darauf hingewiesen werden, daO gerade eine 
gewisse Liebenswurdigkeit seiner Natur, ein Bediirfnis, mit andern in gutem 
Einvernehmen zu bleiben, ein momentanes Nachgeben, das spater nicht aufrecht 
zu erhalten war, manche Mifiklange in sein Leben brachte. Aber der Zauber 
und der Reichtum seiner Personlichkeit, eine immer wieder hervorbrechende 
Herzensgiite wog vieles auf, und seinen kunstlerischen Idealen ist er stets treu 
geblieben. 

Briefliche und mundliche AuBerungen Mottls. Dessen »Bayreuther Erinnerungen*. Auf- 
satze und Berichte in Zeitungen und Zeitschriften. Wagner- Jahrbuch 1912. Pcrsonliche Er- 
innerungen. Busten Mottls modellierten Professor Beringer und Bildhauer Hans Hemmes- 
berger in Miinchen. 

Karlsruhe. A. E 1 1 1 i n g e r. 

HBlscher, Herrmann WiDielm Heinrich, Kirchenrat, D. theol, Pfarrer; 
* 22. April 1845 in Norden (Ostfriesland), f 11. Marz 191 1 in Leipzig. — H. war 
Sohn des Notars und Advokaten Uvo Adolf H. in Norden und seiner Frau 
Hilke Margarete geb. Hattermann. Die Vorf ahren beider Eltern waren samtlich 
friesisch-nordwestfalischen Stammes. In der kleinstadtischen Heimat verlebte 
der Knabe in zahlreichem Geschwisterkreise seine Kindheit bis zum 15. Lebens- 
jahre, kam dann fur drei Jahre auf das Osnabrucker Gymnasium, wo er durch 
den Direktor Abeken nachhaltige Einflusse empfing, und bezog 1863 die Uni- 
versitat Tubingen. Seine vielseitige Begabung aufierte sich in einem anfang- 
lichen Schwanken zwischen den Fachern der Medizin, Mathematik und Theo- 
logie; den Ausschlag fur die Theologie gab vor allem der Eindruck der warm- 
herzigen Personlichkeit Becks. Bedeutsamer als die drei Tiibinger Semester 
wurden fur seine theologisch-philosophische Ausbildung ein Semester in Berlin 
und zwei Semester in Gottingen, in denen er besonders Dorner und Schoberlein 
nahetrat. Auf die Studienzeit folgten 1866 — 187 1 fiinf Hauslehrer jahre bei 
dem Reichsgrafen von Medem in Kurland, reich an inneren und aufieren Er- 
lebnissen. Diese Jahre, so bedeutsam fur die Geschicke der hannoverschen 
Heimat und des grofieren deutschen Vaterlandes, wurden durch den Einblick 
in viel neue, grofie und mannigfache Verhaltnisse fur die Entwicklung seiner 
Personlichkeit und seiner Anschauungen von bestimmendem EinfluO. Er 
legte hier den Grund zu seinen spateren kirchengeschichtlichen Kenntnissen. 
Um diese zu vertiefen und dann den akademischen Beruf zu ergreifen, reiste 
er in Begleitung eines nahen philologischen Freundes 1 871 nach Italien; da 
aber die damaligen politischen Verhaltnisse Studien dieser Art am Vatikan 
unmoglich machten, warf er sich in diesem italienischen Halbjahr ganz auf die 
Kunstgeschichte, in der er sich fachmannische Kenntnisse erwarb. Den 
Gedanken an die akademische Laufbahn liefi er, 1872 heimgekehrt, fallen — 
auch mehrfache Berufungen zu Professiyen haben ihn spater nicht dahin zuruck- 
gelockt — und widmete sich ganz dem Beruf des praktischen Geistlichen. An 
der Norder Kirche, an der einst sein GroBvater 62 Jahre lang amtiert hatte, 
wurde er 3. Geistlicher. Seiner kirchlichen und politischen Stellung nach 
gehorte er schon damals zur Rechten, ohne doch eine gewisse seiner fein- 
sinnigen Natur und seinen Kenntnissen entsprechende Weitherzigkeit je zu 



Holscher. Dingelstad. 70 

verleugnen. 1876 heiratete er die Tochter eines Arztes, Sophie Steinbomer; 
der Ehe entstammen drei Sohne und eine Tochter. 1880 wurde er als 
Studiendirektor an das Predigerseminar des Klosters Loccum bei Hannover 
berufen, wo er nunmehr Gelegenheit fand, seine reichen Kenntnisse fur 
den Unterricht jiingerer Theologen nutzbar zu machen. Eine voile Betatigung 
seiner umfassenden Gaben jedoch brachte erst seine lange Wirksamkeit als 
Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche 1885 — 191 1. Er besafi in seltenem Mafie 
die Vereinigung aufiergewohnlicher Kenntnisse auf den verschiedensten Ge- 
bieten und praktischer Befahigung zum Verkehr mit alien Schichten der Be- 
volkerung. So war er Seelsorger in den Palasten der Reichen und in den Stiib- 
chen der Witwen. Weithin bekannt war seine Begabung fur den Jugendunter- 
richt, durch den seine Konfirmandenstunden einen Namen in der Stadt hatten. 
Infolgedessen wurde er Leiter des katechetischen Seminars der Universitat, das 
er bis 1910 verwaltete. 1886 verlieh ihm die Leipziger Fakultat den theologi- 
schen Doktor. Seit 1887 saS er im Kollegium der Leipziger Heidenmission, 
seit 1897 a ls stellvertretender Vorsitzender; als solcher unternahm er 1903 zur 
Ordnung schwieriger Verhaltnisse eine Reise nach Ostindien. Dem Haupt- 
vorstande der Leipziger Inneren Mission gehorte er seit 1885 an und wurde 
1896 deren Vorsitzender; sein Werk vor allem ist das Frauenheim in Borsdorf. 
Auch dem Gustav-Adolf-Verein gehorte er in den verschiedensten Funktionen 
an. In weitesten theologischen Kreisen war sein Name bekannt als Herausgeber 
der (Luthardtschen) Evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung (bis 191 1) und 
des Theologischen Literaturblattes (bis 1 909). Seine besonnene und fur andere 
Auffassungen verstandnisvolle Art, verbunden mit umfassender Sachkenntnis 
und praktischem Blick, verschafften ihm in all diesen Stellungen nicht nur 
weitreichenden Einflufl, sondern haben den Arbeiten dieser Vereine, speziell 
auch der von ihm geleiteten Kirchenzeitung, in den Jahren seiner Leitung 
den Charakter gegeben. Mitten heraus aus reichster Wirksamkeit warf den 
riistigen Mann eine tiickische Influenza auf das Krankenbett, von dem er nicht 
wieder aufstand. 

Eine Biographie von der Hand seines altesten Sohnes erschien (anonym) unter dem Titel : 
D. Wilhelm Hfllscher, ein Lebensbild. Mit einem Portrat; Leipzig, J. C. Hinrichssche Buch- 
handlung 1912. 

G. H 6 1 s c h e r. 



Dingelstad, Hermann, Bischof von Munster; * 2. Marz 1835 in Bracht, 
f 6. Marz 191 1. — Als Sohn einfacher, frommer Landleute zu Bracht im Kreise 
Kempen am Niederrhein, im rheinischen Anteile des Bistums Munster, geboren, 
empfing der talentvolle Knabe den ersten Unterricht in der Volksschule seines 
Heimatdorfes, wo ihn ein eifriger Kaplan in die Anfangsgriinde des humanisti- 
schen Bildungsganges einfuhrte. Die mittleren und oberen Klassen des Gym- 
nasiums wurden an der bischoflichen Unterrichts- und Erziehungsanstalt zu 
Gaesdonck durchgemacht, unter der Leitung von Weltpriestern, an deren 
Spitze der verdienstvolle spatere Domdechant Dr. Perger stand. Nach glanzend 
bestandenem Maturitatsexamen trat D. in das Collegium Borromaeum, ein 
bischofliches Konvikt fur angehende Theologen, und studierte drei Jahre Philo- 
sophic und Theologie an der damaligen Akademie, jetzigen Universitat zu 



80 Dingelstad. 

Miinster. Es folgte die Aufnahme in das Priesterseminar, Herbst 1858, und die 
Priesterweihe am 22. Juni 1859. Schon zwei Monate darauf als Hilfslehrer in 
das Collegium Augustinianum zu Gaesdonck berufen, nahm er im Herbst 1862 
das akademische Studium wieder auf, betrieb zu Bonn und Miinster altklassische 
Philologie, erwarb hier, Herbst 1865, den Doktorgrad in der Philosophic mit 
Auszeichnung und bestand, Ostern 1866, ebenso das Staatsexamen fiir das 
hohere Lehramt an den Gymnasien. Nach Gaesdonck zuruckgekehrt, war er 
vorzugsweise in den oberen Klassen als tiichtiger, beliebter Lehrer tatig, bis 
infolge des preuflischen »Kulturkampfes« diese bischofliche Anstalt staatlicher- 
seits geschlossen wurde, Herbst 1873. Das Sehnen des Professors D. stand 
immer noch nach Tatigkeit in der einfachen Seelsorge. Darum nahm er seine 
theologischen Studien wieder auf und legte im Sommer 1874 das Pfarrexamen 
ab. Auf Wunsch seines Bischofs Dr. Johann Bernhard Brinkmann ging er aber 
nicht in die Seelsorge, sondern begleitete als Mentor einen Sohn des Grafen 
v. Hoensbroech-Haag, bei Geldern am Niederrhein, an das Gymnasium zu 
Vechta im Groflherzogtum Oldenburg. Hier liefi sich D. dauernd fur dieses 
Gymnasium als Lehrer gewinnen und blieb ihm treu, selbst als ihm die Stelle 
eines Direktors fiir ein anderes Gymnasium angeboten wurde. Seiner iiberaus 
segensreichen Wirksamkeit zu Vechta machte, ihm selbst ganz unerwartet, 
seine am 15. August 1889 durch das Domkapitel erfolgte Wahl zum Bischof 
von Miinster ein Ende. Am 30. Dezember 1889 im geheimen Konsistorium 
von Leo XIII. prakonisiert, wurde D. am 24. Februar 1890 im Dom zu Miinster 
konsekriert und bestieg den Stuhl des h. Ludgerus als dessen 66. Nachfolger. 
Seine Hauptaufgabe war zunachst, die Wunden zu heilen, die der ver- 
wiistende »Kulturkampf« unter seinem Vorganger, dem schon erwahnten Bischof 
Bernhard, dem Bistum geschlagen hatte. Bischof Hermann, eine reich begabte, 
fein gebildete, kirchlich treue und bei aller prinzipiellen Festigkeit milde und 
friedliebende Personlichkeit von imponierender auflerer Erscheinung war der 
von der Vorsehung ausersehene Mann, der diese Aufgabe mit Hingabe seiner 
ganzen Kraft, in unermudlich treuer Arbeit, unter moglichster Vermeidung 
alles aufieren Aufsehens trefflich gelost hat. Als konziliante Natur suchte er 
die Beziehungen zur Staatsregierung zum Segen seiner Kirche zu pflegen, was 
ihm die inzwischen veranderte preuflische Kirchenpolitik, in der die Duldung 
und das diplomatische Geschick Leo XIII. wenigstens einen »Zugang zum 
Frieden« moglich gemacht hatte, wesentlich erleichterte. Im Aufbau der kirch- 
lichen Verhaltnisse gait das Augenmerk des Bischofs vor allem der Heranbildung 
eines wissenschaftlich und sittlich hochstehenden Klerus. Es gelang ihm, die 
dem Kulturkampf zum Opfer gefallene Gaesdoncker Anstalt zu neuer Blute 
zu bringen. In Miinster erbaute er ein prSchtiges Haus fur angehende Theo 
logen, das Collegium Ludgerianum, und sorgte dafiir, dafl an verschiedenen 
Gymnasien des Bistums Konvikte unter geistlicher Leitung errichtet wurden, 
in denen neben den Schiilern, die die Neigung zum Priesterberufe in sich fiihlten, 
auch andere, den Berufskreisen des Laienstandes zugewandte Jiinglinge vor- 
trefflichen Schutz gegen sittliche Gefahren und Anleitung zu regem Studium 
finden. Als treffliche Mitarbeiter auf dem weiten Felde der Seelsorge hegte und 
pflegte der Bischof auch klosterliche Orden und Genossenschaften jeder Art 
und sorgte fiir eine ganze Reihe neuer Niederlassungen von Ordensleuten, 
Mannern wie Frauen, die sich teils dem kontemplativen, teils dem tatigen Leben, 



Dingclstad. Pacher. 3 j 

insbesondere aber der Aushilfe in der Seelsorge und charitativen, sozialen und 
erzichlichen Aufgaben weihen. 

So kamcn fur die Aushilfe in der Seelsorge Franziskaner nach Stuckenbusch 
bei Recklinghausen, Dominikaner nach Mackinghofen und nach Vcchta, Kapu- 
ziner nach Sterkrade, Benediktiner nach Gerleve bei Coesfeld; Trappisten nach 
Maria-Veen zur Urbarmachung von Heideland und zum Schutze arbeit- 
suchender, der Bettelei und Landstreicherei verfallender Manner, Barmherzige 
Briider zur Pflege von Fallsiichtigen nach Maria-Lindenhof bei Dorsten, Franzis- 
kanerbruder von Waldbreitbach fiir eine Arbeiterkolonie nach Baal am Nieder- 
rhein. Von kontemplativen Orden kamen Klarissen nach Bocholt und Kevelaer, 
Heimsuchungsschwestern nach Uedem. Fiir studierende Ordensfrauen wurde 
das bliihende Collegium Marianum gestiftet, fiir soziale Bedurfnisse gesorgt 
durch das Liebfrauenstift und Agnes- Stift zum Schutze und zur religiosen 
Pflege dienender Madchen, durch ein grofies Arbeiterhospiz, das zugleich als 
Exerzitienhaus fur Arbeiter und Rekruten dient, durch die Gnindung zahl- 
reicher Hauser, Vereine und Kongregationen fiir Lehrlinge, Gesellen, Arbeiter, 
Bergarbeiter, fiir Erziehung von Waisen und Verwahrlosten. 

Entsprechend der raschen Zunahme der Katholiken im Bistum wurden 
die Hilfsseelsorgerstellen fast in alien Gemeinden vermehrt und 50 Pfarrstellen 
neu gegriindet und ausgestattet. Drei besonders segensvolle Veranstaltungen, 
die durch die Hirtensorgfalt des Bischofs zustande kamen, verdienen besondere 
Erwahnung. Zunachst die 1891 erfolgte Einfiihrung des sogenannten Ewigcn 
Gebetes zur Forderung der Verehrung des Allerheiligsten Altarssakramentes 
durch eine von Tag zu Tag, von Gemeinde zu Gemeinde fortschreitende und 
das ganze Jahr umfassende Anbetungsfeier, die wie ein Segensstrom ununter- 
brochen durch die Gemeinden des Bistums geht, iiberall mit Begeisterung auf- 
genommen und eifrig gepflegt; sodann die Abhaltung einer feierlichen Diozesan- 
synode (1897), als deren reife Frucht die inhaltlich wie formell hervorragenden, 
das ganze Gebiet der modernen Seelsorge beleuchtenden Synodalstatuten 
(1898) erschienen; endlich die Hebung des religiosen Sinnes des Volkes durch 
glanzende Jubilaumsfeierlichkeiten an den Hauptwallfahrtsstatten des Bistums 
Miinster, zu Kevelar (1892), zu Telgte (1904) und zu Billerbeck (1909). In dem 
zuletztgenannten Jahre feierte das Bistum mit warmster Teilnahme das Doppel- 
fest des noojahrigen Gedachtnisses des Todes des h. Ludgerus, des Begriinders 
der Stadt und des Bistums Miinster, und des goldenen Priesterjubilaums seines 
66. Nachfolgers, Hermann D.s. Nicht ganz zwei Jahre spater, am 6. Marz 
191 1, setzte der Tod dem edlen Wirken des Bischofs ein unerwartet rasches 
Ende. Er war eine durch und durch edle Priesternatur, unermudlich hinge- 
geben an sein h. Amt, einfach in seiner Lebensweise, alien in Liebe dienend, 
hochherzig und freigebig, ein besonderer Freund der Kinder und der Armen, 
ein Bischof nach dem Herzen Gottes. H ii 1 s. 



Pacher, Ferdinand, Genre- und Landschaftsmaler, * 20. Februar 1852 in 
Reichenhall, eines Brandinspektors Sohn, f 14. Mai 191 1 zu Miinchen. Sein 
Weg ging aus der Schule zu Buchbinderei- und Portefeuillearbeiten, iiber die 
Militarzeit in die Kunstgewerbeschule und in die Akademie, wo er bei Wilhelm 
v. Lindenschmit ein ausgezeichnetes Interieur von Otto Pils sah, welches zu 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog". 16. Bd. 6 



82 Pacher. 

ahnlichen Versuchen, aber mit gehoriger Staffage weckte. Und da das nette 
Ding gefiel und Kaufer fand, folgten mehrere seinesgleichen mit gesteigertem 
Behagen nach. Immer neuerfundene, frisch dem Leben abgelauschte Vor- 
gange, die durch Warme der Nachempfindung und subtile Vortragsweise lohnen- 
den Anklang fanden. So z. B. zwei blutjunge Briefleserinnen, welchen man 
beim ersten Anblick schon wohlgeneigt werden konnte. Mit einem Katz- 
lein im Stall, ein paar Studienkopfen konnte er Interesse erregen, was oft 
ein anderer mit groflem Aufwand nicht vermag. Das Bildnis einer blassen 
jungen Frau in braunem Kleide erzahlt eine ganze, anmutende Biographic 
Ein im Walde scheinbar »Verlassenes Kind«, womit Mutter und Schwester 
»Verstecken« spielten. Aus den frohlich aufstrahlenden Madchenaugen 
leuchtete die Freude eines »Ostermorgen«. Er schildert das gllickliche Heim 
einer jungen Bauerin, welche dem aus der Stadt kommenden angenehmen 
»Besuch« ihr herziges Kindlein zeigt, wobei ein Blick durch das offene Fenster 
in eine lachende Fruhlingslandschaft mit der im Stiibchen waltenden Stimmung 
in harmonischer Weise ungesucht zum Ausdruck kommt (als doppelseitiger 
Holzschnitt in Velhagen & Klasings »Monatsheften«, Juli 1891). Auch die 
Ankunft einer schwabischen, ihre Kleiderstoffe auslegenden und zu »Gelegen- 
heitskau£« anpreisenden Handlerin bringt keinen Mifiton; die in einer Schenke 
schakernde »Leichte Reiterei« beeintrachtigt nicht die sonntagliche Ruhe. 
Aus solch' immer ihrer »Mache« wegen gern gesehenen Idyllen nahm der Maler 
plotzlichen Aufschwung in romantische Hohen: ein ganz allein im Rupee eines 
Eilzuges sitzender Fahrgast scheint kaum ein dankbarer Vorwurf fur einen 
Maler, aber der Kiinstler offenbart uns dessen geheimsten Gedanken: sinnend 
verweilen sie bei den Erlebnissen in der verlassenen Stadt; in den rastlos 
vorbeijagenden Rauchwolken gestaltet sich ein langer Zug von gaukelnden 
Erinnerungen an eine lustige Ballnacht mit holden Frauen, weinseligen Freun- 
den, abschiedwinkenden Handen und Tuchern — wahrlich eine dankenswerte 
Attraktion fur das Schaufenster einer Kunsthandlung. Mit unerschopflicher, 
witzspruhender Phantasie gestaltete P. die selbst einen Herbert Konig oder 
Karl Reinhardt uberbietenden komischen Einfalle: »Der Kufi im Monde« f den 
»Bierspuk«, »Nebelreigen« und >>Abschiedsgedanken«. 

Ein gluhender Wintersonnenuntergang bot AnlaB zu einer neuen Spe- 
zialitat. P. malte denselben des leuchtenden Effektes wegen auf Glas. Und 
das Diaphanbild war fertig. Allerlei Finessen mit doppelten Platten wurden 
versuchsweise verwendet, erprobt und machten Gliick in ihrer leuchtenden 
Pracht. So entstanden, da an passenden Motiven kein Mangel war, ein Ausblick 
vom Stift Bogenhausen auf den »Englischen Garten« mit Mlinchen im Hinter- 
grunde; eine Mondscheinszene aus dem »Nymphenburger Park«, mit einem 
magischen Lichtschimmer in Luft und Wolken, die freilich eine eigene Technik 
erheischten (vgl. Beil. 26 zu A. W. Keims »Mitteilungen fur Malerek, 1. Novem- 
ber 1886), welche doch teilweise eine Schattenseite hatte, z. B. in der schwer- 
falligen Transportfahigkeit des dazu verwendeten Materials. Alsbald erfolgten 
Bestellungen, auch nach auswarts, z. B. nach Mailand, fur ein grofies Re- 
staurant, fur das die Darstellung der bayerischen »Konigsschlosser« Neuschwan- 
stein, Herrenchiemsee und Linderhof gewiinscht wurde. Die Reitschule des 
Reichsrats v. Poschinger in Frauenau (bei Zwiesel) dekorierte P. mit Aufsehen 
erregenden Transparenten. Sogar in der Kirchenmalerei wurden ihm mit 



Pacher. Holmberg. 83 

>>Madonnen« und »Olberg«-Darstellungen viele zur vollsten Zufriedenheit er- 
ledigte Auftrage erteilt. 

Obwohl der Vielbeschaftigte als geschatzter Lehrer an einer Gewerbeschule 
waltete, erubrigte er doch noch Zeit, die heiteren Feste der »Kiinstler-Gesellige- 
Vereinigung« mit plastischen Oberraschungen in Staunen zu versetzen, darunter 
eine »Sprechende Sphinx«, ein »Dreikopfig-bellender Cerberus«, ein »Universal- 
Riesengrammophon<c. Auch der zum steten Gaudium der Gaste in dem von 
Gabriel Seidl zu Berlin erbauten Palast der »Munchener Spatenbrauerei« jeden 
neuen »Faflanstich« mit Gebnill ankiindende Lowe war sein Werk. Zur Voll- 
endung dieses Kunstlerportratkopfes gehorte noch seine Pflege des Flugproblems. 
Anerkennende Zuschriften von Fachleuten wiirdigten seine Arbeiten auf dem 
Gebiete der Aeronautik. Ob sie fur die Praxis Bedeutung haben? Jedenfalls 
wurden die sorgfaltigen Zeichnungen und Modelle dem »Deutschen Museum« 
uberwiesen. Unverheiratet lebte P. im Kreise seiner Geschwister, stets auf- 
geraumt, lieder- und saitenspielkundig. Eines Morgens fand man ihn tot auf 
seinem Lager. 

Vgl. Fr. v. Botticher: Malerwerke 1901, II, 211. — Nekr. in Nr. 239 »Neueste Nach- 
richten* 22. Mai 191 1 u. Nr. 21 »Allgemeine Zeitung* vom 27. Mai 1911. — Kunstvereins- 
bericht f. 1911, S. 20. 

H. H o 11 a n d. 

Holmberg, August, Genre- und Portratmaler, Professor und Galeriedirektor; 
* I. August 185 1 in Munchen, f 7. Oktober 191 1 daselbst; sollte nach dem Willen 
des Vaters, eines angesehenen Goldschmiedes, dessen Beruf erwahlen; dem 
Wunsche, Maler zu werden, stand ein unbedingtes Veto entgegen. Nur der 
Fursprache des Historienmalers Michael Echter, welcher das Talent des intelli- 
genten und begabten Knaben richtig erkannte, verdankte dieser endlich die 
ungern gegebene Einwilligung zum Studium der Bildhauerei. Sechzehnjahrig 
in die Akademie aufgenommen, arbeitete derselbe ohne Lust und Liebe in der 
Bildhauerklasse; dann aber zog es ihn so machtig zu Farbe und Palette, dafl er 
trotzbietend vorerst in die Zeichnungsschule des auf Formbildung und Linien- 
flufi so streng achtenden Alexander Strahuber iibertrat, dessen Rat und Hilfe 
dem wagelustigen Jiingling die weiteren Wege ebnete. In der Malklasse von 
Wilhelm Diez fand H. eine Anzahl hochbegabter Genossen, darunter der ihm 
vielfach verwandte Ludwig Lofftz (vgl. Biogr. Jahrbuch 1913, XV, 148 ff.), 
G. Kuehl, Viktor Weishaupt, Ernst Zimmermann (ebendas. 1901, VI, 213 ff.) 
und andere artistische, hohen Zielen nachstrebende Argonauten. Schon sein 
erstes Bild mit einer bei sturmbewegten Wolken stramm arbeitenden »Wind- 
miihle« 1873 machte Gliick, noch mehr die mit Klaus Meyer und P. F. Messer- 
schmitt wetteifernden, durch immer anziehende Staffagen doppelt ansprechend 
ausgestatteten Interieurs einer »Klosterbibliothek«, in welcher weiGe Zisterzien- 
ser ihrem Patronatsherrn die auf Neubauten beziiglichen Plane erklaren und 
unterbreiten (vgl. Alfred v. Wurzbach in Nr. 389 »Wiener Allgem. Ztg.«, 10. Marz 
1881). Er fiihrt uns in die Apsis von San Miniato, wo wahrend eines rauschenden 
Hochamts die Chorherren inzensiert werden, hochst charakteristische Gestalten, 
welche in Erinncrung an Ludovico Passinis wunderbar detaillierte Aquarelle, 
trotz den kaum erbsengrofien Portratkopfen, doch den Beschauer wie ein bio- 
graphisches Lexikon interessieren (Rad. v. Forberg bei Liitzow, 1883, XVIII, 



84 Holmberg. Goldberg. 

104). Noch anziehenderen Reiz iibten jene Seelenstimmungen: Vor dem 
offenen Fenster eines holzvertafelten, gobelinbespannten Gemachs blickt ein 
holdselig blondes Kopfchen tiefeinatmend in den prangenden Friihling, vor sich 
eine Laute. Notenblatter und als ihr Ebenbild eine Rosenknospe: wie eine 
bildgewordene Novelle Paul Heyses. Dann ein mit zahllosem Gewirr von Werk- 
zeug ausgeriistetes Goldschmiedatelier mit dem ein kostlich Kleinod tauschieren- 
den jungen Meister Rudolf Seitz (»Vom Fels zum Meer«, Juli 1885). Nebenbei 
gingen mit gleicher Detailbehandlung reizende Stilleben, auch ein junger, in 
das Studium einer neuentdeckten Handschrift ganz vertiefter Monch oder ein 
seinFundstuckentratselnderMunzforscher, zur Abwechslung auch ein Kavalier 
in kuhler »Vorbereitung zum Duelk. Bei der Vorliebe fur psychische Studien 
gestalteten sich seine Bildnisse zu wahren Monographien. Darunter Prinz- 
regent Luitpold im malerischen Hubertusritterkostum (in der Neuen Pina- 
kothek, Miinchener Rathaus, Universitat Wiirzburg) und des Kiinstlers eigenes 
Konterfei aus jungen und mittleren Jahren, ein trotz kleiner, aber zierlicher 
Gestalt stets durch heiteren Witz iiberraschender Geist. Ebenso trug der 
immer amiisante Inhalt seiner Bilder dazu bei, die Wertschatzung des Publi- 
kums zu steigern, so dafi »Ein hoher Besuch«, die »Schachpartie«, das »Tobak- 
kolleg Konig Friedrich Wilhelm I«, eine hollandische, »Siesta« betitelte Szene 
zu den bekanntesten Nummern neuerer Malerei gehoren. Fur die Kirche in 
Obernberg (am Main) malte H. ein grofles Altarbild. Die Auswahl seiner 
Bilder schmiickte eine ganze Saalwand im Glaspalast 191 2. Ehren und Aus- 
zeichnungen wurden ihm viele zuteil, auch bekleidete er die Stelle eines ersten 
Konservators der Staatsgalerien, Direktors der K. Neuen Pinakothek (deren 
mustergliltig redigierter, reich ausgestatteter Katalog schon in 8. Auflage 
vorliegt). — Seine reiche Sammlung von Kupferstichen, Antiquitaten, Plasti- 
ken und Schnitzwerken aller Art, Mobel, Email, Majoliken, Krugen und der 
ganze artistische Nachlafl von eigenen Bildern, Skizzen, Handzeichnungen 
nebst Werken seiner Zeitgenossen wurde im Mai 191 2 durch Helbing in einer 
Auktion aufgelost. 

Vgl. Singer 1878, 11,245. — Fr. v. B6tticher, Malerwerke, 1895. 1,565. — Das geistige 
Deutschland. 1898, S. 321. — Nekr. in Nr. 41 tAllgem. Ztg.« vom 14. Oktober 191 1. — 
Kunstvereinsbericht 191 1, S. 19 (E. v. St.). 

H. Holland. 

Goldberg, Gustav Adolf, Portrat- und Historienmaler, * 19. Juni 1850 zu 
Krefeld (Rheinland), f 8. Mai 191 1 in Munchen. — Einer zahlreichen Arbeiter- 
familie entstammend, war er seit dem 13. Jahre auf sich angewiesen, griff zum 
Wanderstab, zeichnete fiir Briisseler Fabriken Spitzen- und Jacquardmuster,trieb 
sich in Petersburg und Moskau, schliefilich in Munchen umher, wo er fiir Photo- 
graphen aquarellierte, und durch eine Komposition »Mein Reich ist nicht von 
dieser Welt« Wilhelm v. Kaulbachs Aufmerksamkeit erregte, welcher ihn an 
die Akademie verwies. Hier erwarb er unter Arthur v. Ramberg, Karl v. Piloty, 
Alexander v. Wagner und zuletzt bei Andreas Muller, unter den bittersten Ent- 
behrungen arbeitend und schaffend, durch riesigen Fleifi 1873 die bronzene und 
goldene Medaille. In Ol- und Pastelltechnik malte G. eine Reihe charakteristi- 
scher Portrats: eines jungen Mannes, eines graubartigen Pelztragers, das von 
weifier Mahne umflatterte Haupt des Historikers und Professors Dr. J. N. Sepp 



Goldberg. 85 

(vgl. »Biogr. Jahrbuch« 1912, XIV, 201), des tiefsinnigen, grandiosen Dichters 
Hermann Lingg (ebendas. 1907, X, 185), des Historienmalers Andreas Mliller 
(ebendas. 1904, VI, 155), des Generals und Militarschriftstellers v. Scherff, 
Staatsminister Graf Crailsheim; fur die Ahnengalerie des Kgl. Hof theaters 
die Bildnisse des Schauspielers Richter, des Maschinenmeisters Lautenschlager, 
des Kammersangers Klopfer, anziehend geschriebenen Biographien vergleichbar, 
immer den ganzen Mann gebend. Aber auch schone Damen, z. B. die in Gluck 
und Jugend prangende Prinzessin Josepha von Braganza, Herzog Karl Theodors 
Gemahlin; eine Dame im gelben Kleide; das Idealportrat der verstorbenen Frau 
Fleischl; daneben hehre Frauenbilder, z. B. eine >>Judith«, einReigen der»Klugen 
und tdrichtenjungfrauen«, eine »Spanische Tanzerin« und die mandolinspielende 
»Ninette«, das an den siiflen Zauber von Gabriel Max erinnernde reizende 
Pastell der »Elektra«, »Astraa«, »Semele« und eine allegorische Inkarnation 
der »Elektrizitat«: eine von wallenden Schleiern umspielte jungfrauliche Gestalt, 
welche in der emporgehaltenen Rechten eine Schale mit dem ausstrahlenden 
Blitzlicht tragt. Im Wetteifer mit Bocklins »Meerminnen« entstand der >>Kampf 
zweier Kentauern um ein Weib« (Photographie bei Ferd. Finsterlin). Also 
iiberall echte Mtinchener Kunst im besten Sinne des Wortes. Der Herzog von 
Sachsen-Altenburg erwarb eine »Belehnung Ottos von Wittelsbach mit dem 
Herzogtum Bayern« (Photographie bei Hanfstangl) und den fur einen nacht- 
lichen Oberfall etwas zu figurenreich ausgestatteten »Sachsischen Prinzen- 
raub«. Als Besitzer des von seinem Schwiegervater, dem Juwelier Schwabe 
geerbten Hauses zum sogenannten »Lintwurm-Eck« (am alten »Marienplatz«) 
freskotierte er die Fassade desselben mit der Darstellung einer alten stadtischen 
Tradition aus der durch einen Brunnendrachen entstandenen Pestzeit, ein Bild, 
welches beim erweiterten Aus- und Umbau des Rathauscs freilich nur zu bald 
wieder verschwand, aber bei Hauberrissers Pietat fiir die volkstlimliche Sage 
mit neuem figiirlichen plastischen Schmuck- und Zierwerk ersetzt wurde. Durch 
das Olbild »Tristans Tod« (Holzschnitt in Nr. 1965 »Illustr. Ztg.« Leipzig 26. Fe- 
bruar 1881) erregtc G. die Aufmerksamkeit Konig Ludwigs II., welcher den 
Maler zum Kopieren alterer Erzeugnisse nach Italien, Spanien und Frankreich 
sendete und mit eigenen Kompositionen fiir die Schlofibauten im »Linderhof« 
und »Herrenchiemsee« (darunter ein »Festmahl in Versailles unter Ludwig XIV.«) 
betraute, auch mit Aquarellreproduktionen von M. Echters Fresken zu Wagners 
»Ring des Nibelungen«. In die von Albert Schmidt 1896 erbaute protestantische 
»Lukas-Kirche« stiftete G. drei Altarbilder. — Noch 1910, als schon das tiicki- 
sche Leiden an seinem Lebensmark zehrte, veranstaltete G. in seinem an der 
AmalienstraGe befindlichen, prachtigen, mit reichen Kunstschatzen ausge- 
statteten, eine eigene Sehenswlirdigkeit bildenden Atelier eine Exposition von 
Bildnissen, darunter jencs des Fursten von Thurn und Taxis, gemalt fiir das 
Offizierkasino in Regensburg. So hat G. die verschiedensten Erscheinungen 
seiner Zeit spiegelnd umfaflt und getreu wiedergegeben. 

Vgl. Fr. v. Botticher, Malenverke 1895, J » 793- — ^ as geistige Deutschland, 1898, S. 237. 
— Nekrolog in Nr. 20 »AUgemeine Zeitung« 10. Mai 191 1. — M. Kunstvereinsbericht f. 191 1, 
S. 17. 

H. Holland. 



86 Gogarten. Heyden. 

Gogarten, Heinrlch, Landschaftsmaler, * 23. August 1850 zu Linz a. Rhein, 
f 16. November 191 1 in Miinchen, Sohn eines Oberpostsekretars, bezog nach dem 
Gymnasium die Dusseldorfer Akademie, zuletzt Schiiler von Oswald Achenbach, 
lebte 1874 — 1877 in Paris, dann in Hamburg, wo er fur dortige Patrizier und 
den graflichen Kunstmazen Julius von Andrassy mit Vorliebe Winterbilder 
malte. Infolge eines Besuchs mit dem Marinemaler Dirks in Miinchen (1880) 
iibersiedelte G. mit seiner jungen Familie nach dieser Stadt (1889), wo er im 
Hochgebirge und Zugspitzgebiet, im Isartale, am Chiemsee, zu Schleiflheim 
und in Dachau arbeitete, wohin er, spater auch nach dem einsamen Karlsfeld 
verzog. Indessen brachen viber den immer schaffensfreudigen und lebens- 
lustigen Mann schwere Schicksalsschlage und der Tod seiner Frau herein. Als 
die Wolken endlich sich lichteten, entwickelte sich rasch ein inneres Leiden, 
wogegen die notwendig werdende Operation sich als verspatet erwies. Zu 
seinen besten Leistungen zahlen die »Adolfsbriicke in Hamburg* (1880), 
»Winterlandschaften aus Zons« (1881), Holstein und Ostfriesland und dem siid- 
lichen Schweden, in wechselnden Mondschein- und Sonnenuntergang-Stimmun- 
gen (1883), ein Herbsttag auf der beruhmten »Garchinger-Heide«, meist mit 
sorgsam gewahlten Staffagen, ein Blick in das Loisachtal und ein prachtvoller 
»Alpensee« (1895), die »Rotschwaige« (1900), »Vorfrtihlingsabend« (1903), ein 
Motiv »Am Riesersee« (1908) und das Stilleben mit »Verbliihten Disteln« 
(191 1). Auch betatigte sich G. mit kunstgewerblichen Entwurfen, z. B. bei 
der artistischen Ausstattung des groflen Kaufhauses von Hermann Tietz. 

Vgl. Autobiographische Notizen in »Das geistige Deutschland*, Leipzig 1898, S. 236. — 
Fr. v. Botticher, Malerwerke 1891, I, 393. — Mtinchener Kunstvereinsbericht 1911, S. 17. 

H. Holland. 



Heyden, Hubert v., Tiermaler, * 13. September i860 zu Berlin, f 20. Januar 
191 1 in Miinchen. — Ein Sohn des Historienmalers, grofien Kostiimkenners 
und Fachschriftstellers August v. Heyden, war in fruhester Jugend eine liber- 
lustige Range, aufgelegt zu toll-mutwilligen Streichen, dafl die eigene Mutter 
zu sagen pflegte, ihn vor Lachen nie strafen zu konnen. Im ersten Dezennium, 
befiel ihn eine lebensgefahrliche Krankheit, an deren Folgen er lange zart und 
schwachlich blieb und also geschont werden muflte, dafi sogar der Schulbesuch 
eine Weile unterblieb, was jedoch seinem heiteren Temperament keinen Eintrag 
tat. Ohne offenkundige Begabung, iiberraschte der Sechzehnjahrige seine 
Eltern plotzlich mit der Erklarung, Tiermaler werden zu wollen, und bestand 
darauf so hartnackig, dafl der Vater ihn an der unter Anton v. Werners Direktion 
neu aufbliihenden Akademie anmeldete, welche das unscheinbare Jiingelchen 
als in eine Kleinkinderbewahranstalt gehdrig ablehnen wollte. Nur probeweise 
angenommen, machte er sich bei Lehrern und Eleven so beliebt, dafl er dem 
Meisteratelier Paul Meyerheims zugeteilt wurde, welcher ihn bald fur seinen 
besten Schiiler erachtete, wo er von 1876 — 1884 verblieb. Da der Vater einen 
bei Berchtesgaden gelegenen Besitz erwarb, kam Hubert im Herbst 1885 auch 
nach Miinchen, wo es ihm so wohl gefiel, dafl er in die Radierschule bei Professor 
Johann Leonhard Raab eintrat. Damit begann sein eigentliches Leben unter 
zuverlassigen Freunden, die ihm verstandnisinnig gaben, was er langst suchte 
und brauchte; er wurde und blieb ein froher, gliicklicher Mensch. Den Sommer 



Hey den. 87 

verbrachte er bis 1889 auf dem vaterlichen Landsitz, dann in Osternberg (bei 
Braunau am Jnn) auf dem malerisch gelegenen Gute des Herrn Hugo v. Preen; 
im Kreise der dort sommerfrischelnden und anregenden Kunstgenossen Ludwig 
Herterich, Wilhelm Durr, Franz Stuck, Julius Exter, Max Kiichel, Heinrich 
Schlitt, Alfons Spring und Becker-Gundahl erweiterte sich sein malerischer 
Gesichtskreis; bald entstanden jene frischen Freilichtbilder, womit er in kurzer 
Zeit Ruf und Ansehen erwarb. Der Osternberger Gegend entnahm H. bis an 
sein Lebensende viele Landschaften und Tiermotive. Seltsamerweise begann 
er mit, entweder in ganzen Herden oder einzeln sattsam kauenden, ihren 
Familienpflichten an behaglich sich nahrenden jungen Ferkeln obliegenden 
Mutterschweinen. Wahrend die fruheren Niederlander diese Tiere hochstens 
nur als Staffage bei winterlichen Schlachtfesten zuliefien, brachte er diese 
feisten Beaster in die Kunstausstellungssalons, wo selbe ebenso von der Kritik 
emphatisch bejubelt wie ihrer ungewohnlichen Zulassung wegen scharfe Riige 
fanden. Dagegen stieflen seine oft ruppig-keck hingesetzten Garten- und 
Stimmungsstudien mit dem blauen »Eisenhut«, das drollige Konterfei eines 
»Pinschers« nebst seinen Tierbildern in grofien Dimensionen nie auf Wider- 
spruch. Sein Federvieh behandelte er weniger im Sinne eines Melchior de 
Hondecoeter, denn als realistisch beobachtender Ornithologe, ihre Natur und 
Psyche belauschend und mit charakteristischer Behaglichkeit wiedergebend. 
Ein wunderbares Beispiel wurde aus der Internationalen Ausstellung 1897 der 
Neuen Pinakothek einverleibt: In der humoristischen Assemble schlagt ein 
charmierender Truthahn ein Rad vor seiner sproden Dulzinea, daneben eine 
Menge gackernder Hinkel, im Vordergrunde zwei Tauben und eine schnatternde 
Ente! Eine Fulle von Modellen entdeckte H. im Miihlenhofe des bei Starnberg 
gelegenen movenreichen Maisinger Sees, wo das piepsende, glucksende, flugel- 
schlagende Federvieh zu seinen Diensten stand; ein ganzes Korps von watschligen 
Enten, hell schnarrenden Gansen, trippelnden Htihnern, trompetenden »Chante- 
claires* harrten auf das eintragliche, nahrhafte Gluck, von seinem Pinsel por- 
tratiert zu werden und behagliches Frefimaterial als Honorar gierig entgegen- 
zunehmen. Der Maler war immer ein gern gesehener Gast, welchem befliigelte 
Herzen zum Willkomm entgegenschlugen und -eilten. Nach individueller 
Veranlagung der Originale erhielten die Bilder ihre treffenden Benennungen, 
wie »Zufriedenheit«, »Hinter dem Zaune«, ein »Zartliches Verhaltnis«, »Morgen- 
toilette« oder gar Raufbolde »Vor dem Duell« und »Zwei Philosophen« als 
Storche. Doch machte sich der Maler auch ausnahmsweise an soziales Raub- 
vdgelpack oder hoher hinauf an grofle Potentaten, wie Tiger und Lowen, deren 
einen die Sezessionsgalerie in gehorigen Ehren halt. Auch ein impertinent 
hochnasiges Nilpferd. Haufig vertauschte der vielseitige Kunstler Palette und 
Pinsel mit der Radiernadel und Xylographie, auch hier die malerische Wirkung 
betonend. Eine reiche Reihe von Rohr- und Sumpfgefliigel, Marabus, Tauben, 
Pfauhennen und handelsiichtig bespornten Kalekuten, aber auch von Hunden 
und anderweitigen Vierfiifilern vereinte die Sezessionsexposition 1910. So 
arbeitete H. als »Peintregraveur« an den unzahligen Blattern seines »Werkes«, 
welches hoffentlich bald als selbstredendes Denkmal seines Schaffens erscheinen 
diirfte, das durch einen plotz lichen Schlaganfall im Atelier, vielleicht durch 
Unvorsichtigkeit bei Atzung der Platten, ein so jahes Ende erlitt. 



88 Heyden. Erdtelt. 

Vgl. Fr. von Btftticher, Malerwerke 1895, I, 527. — Nr. 4 >Allgemeine Zeitungc 
28. Januar 1911. — M. Kunstvereinsbericht 191 1, S. 18. — Nr. 33 »Neueste Nachrichten* 
21. Jan. 191 1 u. Nr. 24 vom 16. Januar 1912. — Nr. 20 >Augs burger Postxeitung* 
2. Febr. 1912. 

H. Holland. 

Erdtelt, Alois, Portrat- und Genremaler, * 5. November 185 1 zu Herzogs- 
walde (bei Grottkau in Schlesien), f 18. Januar 191 1 in Miinchen, stammte von 
einfachen Landleuten, die schon wunder was meinten, als sie den Knaben bei 
einem biederen »Haus- und Zimmermaler« unterbrachten, bei welchem iibrigens 
der funfzehnjahrige, vollig autochthone Junge das Bildnis seiner Mutter malte, 
in demselben Lebensalter wie ehebevor der Goldschmiedelehrling Albrecht 
Diirer sein »eigen pild nach dem spiegell« konterfeite. E.s friihreife Leistung 
kam nachmals 1906 in den Miinchener Kunstverein, wobei ein Kritiker die 
boswillige Parole gab, »das Wunderkind sei den fruher angeregten Hoffnungen 
spater weniger gerecht geworden«! Der erste Fliigelschlag brachte die gliick- 
liche Folge, daC der Besitzer eines benachbarten Herrenhofes dem Knaben die 
Wege ebnete nach Berlin zu Meister Steffeck, von wo sich der Obergang zu 
Wilhelm Diez nach Miinchen von selbst ergab. Hier errang E. mit Portrats 
und heiteren Genrestucken, wie ehebevor Franz Xaver Winterhalter, bald einen 
bemerkbaren Namen, darunter ein vergnuglich sein Pfeiflein schmauchender 
Alter und die humoristische Bude eines »Flickschneiders« (spater in Nr. 11 
»Daheim« 1892, S. 165) — eine ganz an Gottfried Kellers »Grunen Heinrich« 
erinnernde ergotzliche Szene, in welcher der billardtuchfarbige Groflvaterrock 
dem armen Enkel auf den zum Nachwachsen wartenden Leib angemessen wird. 
Lustig empfunden und gegeben war das Bild eines nackten Kindes, das einen 
Apfel zum Austeilen bereit in der Hand tragt und darum »Paris« betitelt ist. 
In dieser Zeit wurzelt auch der »Verweigerte KuC« eines dicken Bengels an sein 
kosendes Kindermadchen (Nr. 2443 »IUustr. Ztg.«, Leipzig, 26. April 1890). 
Grofiere Kompositionen oder erzahlende Genrestiicke liebte er nicht, wenn er 
gleichwohl mal ein »Bacchanale« wagte. Dagegen blieben prachtvoll durch- 
gefuhrte Halbakte und Bildnisse seine Domane. Davon zeugt eine lange Reihe 
von mehr oder minder traumerisch-grofiaugigen, in die Welt schauenden, 
blumenbekranzten, von hellem Sonnenlicht oder reizendem Lampenschein 
beleuchteten Madchenkopfen, die auf Alt- oder Neu-Miinchnerinnen oder auch 
Dachauerinnen und dergleichen getauft, neben ehrwiirdigen Matronen, wackeren 
Hausfrauen und Herrenbildnissen erschienen; darunter das von treuer Eltern- 
liebe zeugende Bild des Vaters und der Mutter des Kiinstlers, des Professors 
und Kupferstechers Johann Leonhard Raab und anderer bekannter Personlich- 
keiten. Ruhmenswert war die mit der Farbe gleichsam wetteifernd zeich- 
nende Durchbildung, ein warmes, teilweise schweres oder zu Zersplitterung 
geneigtes Kolorit, wogegen zuweilen die psychologische Charakteristik nicht 
gleichen Schritt hielt. Seine Leistungen fanden auf den Wanderzugen durch die 
Vereine und Kunstausstellungen vielfache Freunde und Pramien, so zu Nlirnberg 
(1882), Antwerpen (1885 und 1891), Berlin (1886), London (1889), Miinchen (1896 
und 1901), Wien (1897), Paris (1900), St. Louis (1904) usw., wahrend die nicht 
immer idealen, aber hochst charakteristischen, Kinder- Madchen- und Damen- 
kopfstudien in verschiedenen Nuancen als Farbendruckschmuck in illustrierten 



Erdtelt. Cxachorski. 89 

Zeitschriften und Monatsheften (Velhagen u. Klasing) ein weiteres dankbares 
Publikum erwarben. — E. war mit der Professur an einer Kunstschule betraut; 
welches Ansehen er nicht allein durch seine Lehrtatigkeit errang, trat zutage 
bei seinem Begrabnis, wo ihm die Spitzen der Miinchener Klinstlerschaft, 
darunter Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen als »dankbarer Schiiler«, das 
letzte Ehrengeleit erwiesen. Bei der folgenden Jubilaums-Ausstellung der 
»Miinchener Genossenschaft« (im Glaspalast 191 1) erschienen dreifiig Werke 
seiner Hand. 

Vgl. Pecht, Miinchener Kunst 1888, S. 360. — Fr. v. Botticher, Malerwerke 1895, I, 
276. — Autobiographische Skizze in »Das geistige Deutschland*, Leipzig 1898, S. 163. — 
Nekrologe in Nr. 39 »Miinchener Neueste Nachrichten* 25. Jan. 191 1. Nr. 4 »Allgemeine 
Zeitung* 28. Januar 191 1. *Zeitschrift des Kunstgewerbe-Vereins* 191 1, Bd. 6i, S. 211. 
Kunstvereinsbericht 191 1, S. 16. 

H. Holland. 

Czach6rskl, Wladislaus v., Genremaler, * 22. September 1850 in Lubin als 
Sohn eines Gutsbesitzers, f 12. Januar 191 1 zu Munchen. — Kam uber Warschau 
nach Dresden, wo er das Gymnasium absolvierte und zuerst der Kunst oblag, 
hospitierte in Munchen die Akademie unter Anschutz, Alexander v. Wagner 
und Karl v. Piloty. — Bei seinen kleinen, immer minutios ausgefiihrten Salon - 
bildern befand man sich stets in bester, feinster Gesellschaft. Ohne gequalt 
oder geangstigt zu werden, bewegte sich sein Vortrag in angeborener Freiheit 
und Grazie trotz strengster Formgebung. Er konnte sich nie genug tun, ebenso 
wie der meist in entgegengesetzter Atmosphare sich bewegende und darin sich 
wohlfiihlende Leibl. Hier ritterliche Courtoisie und Frauendienst, dort ergotz- 
liche Dorfgeschichte. So standen sich, obwohl alle Vergleiche hinken, ehedem 
der sprachlich-melodische Minnesanger Gottfried von Strafiburg und der un- 
geschlachte Neidhardt von Reuenthal mit seinen strampfenden Bauerlichkeiten 
einander gegeniiber. Jeder ein Virtuos im Malen von Stoffen und zupassender 
Umgebung von Salon und Hutte. Hier Seide und Samt — dort Leder und 
Lodenstoff; junge, liebliche, holdselig lachelnde Frauengestalten und gramlich 
verbohrte Bauerngesichter. — Mit der weltfliichtigen »Einkleidung einer Nonne« 
(»Meisterwerke der HolzschneidekunsU 4. Bd., Tafel LXXVI) introduzierte 
sich C. riihmlichst und blieb dann immer dem Stilleben getreu, ein liebens- 
wiirdiger, geistreicher Causeur mit dem Pinscl. Auch wenn er »Hamlet und 
die Schauspieler« in Szene setzt (1875). Ein mit dem Riicken gegen die Be- 
schauer gewendetes Damchen »Am Klavier« ist veritabler Chopin; gemalte 
Musik. Das »Sie konnten zusammen nicht kommen, sie hatten sich viel zu 
lieb« (»Illustr. Welt« 1897, S. 665) betitelte Bild lautete wie ein ganzes Finale 
in Farben: ein Seelenspiegel von tiefstem Leid, trotz kostbarster Seide, unter 
Orchideen, Palmen und Blattpflanzen. Auch die Freude an dem »Neuen 
Schmuck«, an einer »Perle« — auch ihre Tragerin ist ein unschatzbares Juwel — 
wiegt bis in die kleinsten psychischen Nuancen gleichwertig. Wie kannte er 
die von einem Gerard Dow oder Frans Mieris und Ter-Borch gefeierte Seligkeit 
eines stillen Rauchers (»Die Kunst unserer Zeit« 1905, I, 127). Nie kokettierte 
der Maler mit flotten Pinselstrichen, dafur wahrte er eine unbedingte Sicherheit 
und Frische bei aller Subtilitat. Form und Farbe erganzten sich in vollkomme- 
ner Einheit. Man fuhlte jedoch eine gewisse feinschmeckerische Freude am 



90 



Czachorski. Baer. 



Motiv, das stets der gemessenen Vornehmheit seiner eigenen Personlichkeit 
entsprach. Er hatte Rasse und eine von seinem ganzen Wesen, nicht nur 
dem kunstlerischen, unzertrennliche Eleganz. Wie eine zierliche Novelle 
wirkt das »Im Boudoir« eine iiberraschende Blumenspende beantwortende 
Damchen, ein vornehmes »Frauenbildnis« gibt Anlafl zu gleich holdseligen 
»Erinnerungen am Kamin«. Diese in lassig weicher Grazie auf schwellen- 
den Fauteuils mit echt adligen Alluren tandelnd hingeschmiegten Komtessen, 
im Atlas- und echten Spitzenschimmer ihrer Gewander: das alles zu malen in 
immer reizenden Varianten war ihm die sichtbare Aufgabe und wahrer Lebens- 
genufi, wozu das ganze stumme Inventar und Material im Atelier aufgespeichert 
wartete: Rokokospiegel und Kommoden mit blitzenden Metallbeschlagen, 
Palisander, mit Elfenbein tauschiert, Ebenholzkastchen, blitzende Waffen aller 
Arten und Zeiten, eine ganze Rustkammer, Porzellan, Nippes und anderes, »Herz, 
was willst du noch mehr?«; Bilder, Skizzen, vorratige Ideen zu kiinftigen Dich- 
tungen; alles ubergossen vom goldgleiflenden Geflimmer spielender Lichter im 
vollen Pleinar, ein »Milieu«, wie man jetzt mit wanzenhaft eklig eingenistetem 
Sprachgebrauch zu schreiben liebt. Eines Tages alles aufgeraumt durch eine 
Auktion. Nach zweijahrigem Aufenthalt in Warschau erfolgt abermalige Riick- 
kehr nach Mtinchen, mit neuem Sammeleifer und Findergliick auf neuen Fahrten. 
Diese immer frischen Schopfungen jene anmutende artistische Tugendlichkeit 
bewahrend. Buchstablich *>media in vita* fand man den Maler schlagflufi- 
beriihrt, tot, im Atelier. — Die xylographischen Anstalten von J. Weber in 
Leipzig und R. Bong in Berlin wetteiferten mit treuer Wiedergabe der in Rufi- 
land, England und Amerika vielbegehrten Originale. Auch Prinzregent Luitpold 
erwarb ein solches Stilleben 1893 und verlieh dem Maler den Professortitel. 
Auf der dritten internationalen Kunstausstellung zu Wien 1894 hatte C. die In- 
szenierung des deutschen Saales geleitet (vgl. den Artikel in Nr. 1 1 1 »Miinchener 
Neueste Nachrichten« vom 8. Marz 1894): ein vollendetes Muster von Vornehm- 
heit und Eleganz. 

Vgl. H. A. Muller, Lexikon 1882, S. 121. — Pecht, Miinchener Kunst 188S, 
S. 423. — Fr. v. Botticher, 1895, I, 195. — Nr. 3 »Allgemeine Zeitung* 21. Januar 191 1. — 
Munchener Kunstvereinsbericht 191 1, S. 15 (Alex. Braun). — Thieme, Ktinstlerlexikon, 
Leipzig 1913, VII f 236. 

H. Holland. 

Baer, Christian Max, Genre- und Stillebenmaler, * 24. August 1852 in 
Nurnberg, f 31. Januar 191 1 zu Mtinchen. — Sohn des Stadtpfarrers bei St. 
Sebald, absolvierte das humanistische Gymnasium, erhielt die erste kunstlerische 
Ausbildung bei Karl Raupp daselbst, bezog die Munchener Akademie als Schuler 
von Alexander von Wagner, wo er durch die PortrSts eines »Blonden Madchens<t 
(1875) und einer »Alten Frau« (1877) durch Medaillen ausgezeichnet wurde. 
Weitere Stilleben und Genrebilder folgten. Grofie Anerkennung erzielte seine 
in grofiem Format und mit kulturhistorischem Wissen durchgebildete Kom- 
position, wie »Martin Behaim«, der von Konig Johann II. von Portugal ob 
seiner an der Westkiiste von Afrika 1484 unternommenen Seereise und Ent- 
deckerfahrt zum Ritter geschlagene Kosmograph, seinen 1492 zu Nurnberg 
gefertigten (noch vorhandenen) »Erdapfel« (Globus) den groflgiinstigen Freunden 
und Ratsherren Gabriel Nutzel, Paul Volkhamer und Niklas Groland erklart 



Bacr. Le Feubure. Keller. 



91 



und vorzeigt. Dieses streng wissenschaftlich in Kostiim und Bildnissen durch - 
gebildete, brillant gemalte Werk wurde unbegreiflicherweise in der »alten 
Noris« nicht angekauft, wohl aber durch Konig Carol von Rumanien (1883) 
erworben. Als Kolorist schlofi B. sich in der Folge innig an Leibl und Trubner, 
bald auch an Karl Haider und Alfred Zimmermann (»Jahrbuch« 1913, 
XV, 168) an. Aufierdem zierte B. Speisesale und Schlofiraume mit wahr- 
haften Jagitrophaen, lebensgrofien Hirschen, Rehen, Gefliigel aller Art, auch 
mit Kiicheninterieur, darunter eine Fischhandlerin mit ihrer glanzenden Ware, 
ohne die Bildnismalerei und kleineres Genre zu vernachlassigen, z. B. »Rast 
nach der Jagd« (1888), »Gemiisegarten« mit der Staffage einer schonen Frauen- 
gestalt (1889); »Fastenzeit« (1894), ein »Fischgcwolbe« (1901); »Chiemsee- 
Fergen« an der Fangarbeit, Gerate und Netze strickend oder bessernd; eine 
»Violinspielerin« (1901), »Bauernmadchen aus dem Chiemgau« — Arbeiten, 
die vielfach auf den Ausstellungen im Glaspalast mit Medaillen ausgezeichnet 
wurden, ob ihrer Farbenfrische und strahlenden Lichtfiille. 

Vgl. H. A. Mullers Lexikon 1882, S. 25. — Fr. v. Botticher, Malerwerke 1891, I, 48. — 
Miinchener Kunstvereinsbericht 191 1, S. 73. — Thieme, Kunstlerlexikon, Leipzig 1909, 
II, 341. 

H. Holland. 

Le Feubtire, Carl, Landschaftsmaler, * 1. Januar 1847 zu Munchen, f 2. De- 
zember 191 1 in Bad Tolz, ein Sohn des um die artistische Leitung der Kgl. 
Porzellanmanufaktur hochverdienten gleichnamigen Inspektors und Malers; 
erlernte anfangs dieselbe Technik, wendete sich aber durch seinen Schwagcr 
Ludwig Sckell ganz zur Landschaftsmalerei und erwarb auf diesem Gebiete 
bald anerkennende Auszeichnungen und im Kriege 1870/71 das Verdienstkreuz 
mit den Schwertern. Aus seinem Atelier gingen zahlreichc landschaftliche 
Stimmungsbilder aus der Schweiz und Altbayerti hervor, welche in den Kunst- 
vereinen und bei den Badegasten als Souvenirs steten Willkomm fanden, z. B. 
die »Kirchsteinalpe bei Tolz« (1888 in Wien), zwei iiberraschend frische kleine 
Landschaften aus dem »Isartal« (1899), ein »Morgen am Konigssee« und »Abend 
am Klonthalersee«, eine farbensatte Herbststimmung »Im Ellbacher Moos«, 
ein an M. v. Schwind gemahnendes »Erwachen des Morgcns«, wo die in wunder- 
lichen Formen vom Boden aufsteigenden Nebel einen gespenstigen Reigen zu 
schlingen scheinen, wahrend ein Arbeiter im Vordergrunde mit seinem Werkzeug 
uber der Achsel seinem Tagwerk entgegeneilt. 

Vgl. Fr. v. Botticher, Malerwerke 1895, I, 824. — Miinchener Kunstvereinsbericht 191 1, 
S. 16. 

H. Holland. 

Keller, Gustav, Zeichner und Malcr, * 20. Oktober i860 in Etzenhausen, 
f 18. August 191 1 in Munchen; bewies schon in friihester Jugend sein auf diplo- 
matischer Wiedergabe beruhendes Talent. Fiir seinen ersten, als Eleve der 
Akadcmie gelieferten »Weiblichen Akt« erhielt er die goldene Medaille. Neben 
weiteren Studien bei Defregger, Seitz und Herterich entstanden friihzeitig 
wissenschaftliche Illustrationen zu Zittel, »Handbuch der Palaontologie« (1867), 
zu den geologischen Werken des Prof essors August Rothpletz, spater fur die ana- 
tomischen Publikationen von Ruckert und Mollier, zu Johannes v. Rankes pra- 



Q2 Keller. Grilnhagen. 

historischer Anthropologic und Schadelmessungen und Hertwigs zoologischen 
Forschungen. Professor Jesonick berief ihn an das Krankenhaus nach Giefien 
und betraute ihn mit mikroskopischen Reproduktionen. Fiir Ammon zeichnete 
K. Petrcfakten und vorsintflutliche Tiere zu Andres Kompendien. Unter 
solchen Leistungen trauerte seine selbstschaffende Muse, die mit eigenen Kom- 
positione 1 an der Ateliertlir wartete. Eine grofie Anzahl solcher feinziigigen, 
immcr im Linienflufi scharf durchdachten, mythologisch-historischen Ent- 
wurfe kam erst nach seinem Tode zutage. Er hatte an seiner Gattin, der 
Wiener Malerin Marie Hermann, eine gute Beratung und Mithilfe gefunden. — 
Trotz seiner robusten Gesundheit, die er auch als freier Turner und Feuerwehr- 
mann bei jedem Anlafi betatigte, untergrub ein tiickisches Leiden seine rastlose 
Arbeit, wofiir ihm der auCerordentliche Ehrentitel eines »Universitatszeichners« 
verliehen wurde. Aufier cinem kurzen Nachruf im Munchener Kunstvereins- 
bericht fiir 191 1, S. 20, scheint des hochverdienten, eigengearteten Meisters 
Name unverdienterweise wenig beachtet geblieben zu sein; nur die nicht jedem 
Geographen bekannte Heimat bereitete ihm ein stillverborgenes Grab. 

H. Holland. 

Griinhagen, Colmar, Professor der Geschichte an der Universitat Breslau, 
Kgl. preufiischer Archivdirektor, Geheimer Archivrat, Dr. phil. f * 2. April 
1828 zu Trebnitz in Schlesien, f 27. Juli 191 1 zu Breslau. — G.s Jugend stand 
unter den gleichen Eindriicken wie die seines nur wenige Jahre alteren grofien 
schlesischen Landsmannes Gustav Freytag, des Sohnes der von Trebnitz nicht 
weit abgelegenen Stadt Kreuzburg; das polnische Sprachgebiet reichte da- 
mals noch nahe genug an G.s Vaterstadt heran, um auch in ihm ein lebendiges 
deutsches Nationalgefuhl zu wecken und ihm die Bedeutung des preufiischen 
Staates fiir die deutsche Kultur und den Protestantismus in Schlesien vor 
Augen zu fuhren. In gleicher Richtung wie die Erlebnisse der Knabenzeit 
wirkten die Erfahrungen der spateren Jahre; G. gehorte zu dem gliicklichen 
Geschlecht, dessen Jiinglings- und Mannesjahre in die Zeit von 1848 bis 1871 
fielen; er betrachtete infolgedessen die Ereignisse der Gegenwart wie der Ver- 
gangenheit von demselben Standpunkte wie Gustav Freytag: der Stolz auf sein 
deutsches Volk, die Freude an der hehren Grofie des preufiischen Staates und 
der Glaube an die kulturelle Cberlegenheit des Protestantismus fiihrten ihm 
stets die Feder. 

Von 1 84 1 bis zum Herbst 1847 besuchte er in Breslau das Gymnasium, 
dann studierte er in Jena, Berlin und das letzte Semester in Breslau Geschichte 
und klassische Philologie; am 21. Dezember 1850 promovierte er in Halle mit 
der Dissertation: Vitae Urbani II. pontificis Romani particula prima; im Marz 
1 85 1 bestand er in Breslau das Oberlehrerexamen. Ostern 1853 wurde er als 
Hilfslehrer, wenige Monate spater als ordentlicher Lehrer am Breslauer Frie- 
drichsgymnasium angestellt. Das fur den Unterhalt seines jungen Hausstandes 
unzureichende Gehalt von 350 Talern zwang ihn, sich durch Privatstunden 
an einer Madchenschule, Turnunterricht usw., einen Nebenverdienst zu ver- 
schaffen; fiir wissenschaftliche Studien blieben so nur wenige Mufiestunden 
librig. Es zeugt von einem starken Willen und viel wissenschaftlichem Eifer, 
dafi G. unter solchen Umstanden 1854 eine zweite Schrift veroffentlichen konnte: 
»Adalbert, Erzbischof von Hamburg, und die Idee eines nordischen Patri- 



GrUnhagen. g? 

archats«; schon im nachsten Jahre erschien seine Habilitationsschrift: »Otfrid 
und Heliand. Eine historische Paralleled Am 26. Mai 1855 habilitierte er sich 
als Privatdozent fur Geschichte an der Breslauer Universitat. Seine Ernennung 
zum Nachfolger Wattenbachs als Leiter des schlesischen Provinzialarchivs am 
11. Marz 1862 erlaubte ihm das Ausscheiden aus dem Schuldienste, das Fallen - 
lassen jener Nebenbeschaftigungen und die vollige Hingabe an seine Wissen- 
schaft. Am 18. Dezember 1866 wurde er zum aufierordentlichen Professor 
befordert, am 10. November 1873 erhielt er den Titel Archivrat, am 8. Dezember 
1885 den Charakter eines Geheimen Archivrates. Die Direktion des Staats- 
archivs legte er am 1. April 1901 nieder; seine Vorlesungen setzte er bis wenige 
Wochen vor seinem Tode fort. 

Bald nach seiner Habilitation wahlte er sich die Pflege der Heimatsge- 
schichte zur Lebensaufgabe; er fand hierfur recht glinstige Arbeitsbedingungen. 
Denn der 1854 verstorbene Begriinder der neueren schlesischen Geschichts- 
forschung, G. A. H. Stenzel, und der 1862 von Breslau scheidende Wattenbach 
hatten durch ihre treff lichen Quellenpublikationen und tief bohrenden kriti- 
schen Untersuchungen ein unerschutterliches Fundament fiir die Geschichts- 
schreibung iibcr das schlesische Mittelalter gelegt; in ihre Fufistapfen konnte 
jetzt G. treten. In dem um 10 Jahre jungeren Hermann Markgraf fand er einen 
Mitarbeiter, wie er ihn sich nicht besser wiinschen konnte. Der Verein fur 
Geschichte Schlesiens, dessen tatsachliche Leitung schon in den sechziger Jahren 
in die energischen Hande G.s kam, gab ihm die Mittel zur Durchfiihrung und 
Veroffentlichung seiner Arbeiten. Als Direktor des Provinzialarchivs besafi er 
die Moglichkeit, die andern in dem MaBe fehlt, in dem archivalischen Gestein 
nach Herzenslust zu schiirfen, um zu erkunden, wo die Arbeit am lohnendsten 
einsetzen kann. 

Diese gunstigen Verhaltnisse wufite aber auch G. auszunutzen. Er ver- 
offentlichte eine stattliche Reihe von Urkundenpublikationen und Regesten- 
werken, die eine Fulle wertvollsten Materials zur schlesischen Geschichte liefer- 
ten, z. B. i860 die Rechnungsbucher der Stadt Breslau von 1299 — 1358, den 
Henricus pauper genannt, 1864 im Verein mit G. Korn die Regesta Episcopatus 
Vratislaviensis, 1865 zusammen mit Wattenbach das Registrum St. Wenceslai, 
ferner mehrere Bande Regesten zur schlesischen Geschichte usw. Wenn auch 
die altesten Regestenbande — an den spateren hat K. Wutke starken Anteil — 
dem gegenwartigen Stande der Urkundenlehre nicht gentigen, so darf man 
billig nicht vergessen, daC die gewaltige methodische Entwicklung der histori- 
schen Hilfswissenschaften doch recht neuen Datums ist; das erste Beispiel 
fiir moderne monographische Behandlung einzelner Urkundengruppen lieferte 
in Frankreich L. Delisle und in Deutschland im AnschluC an die franzosische 
Schule Th. Sickel in den acta regum et imperatorum Karolinorum seit 1867. Viele 
Jahre muBten vergehen, ehe die neue Methode allenthalben angenommen und 
ihre Technik vollig durchgebildet wurde. G. hatte sich, bisweilen unter Watten- 
bachs Anleitung, in der Hauptsache als Autodidakt Ende der funfziger Jahre 
in die historischen Hilfswissenschaften eingearbeitet; die bekannten Schwachen 
eines Autodidakten hat er niemals ganz uberwinden konnen. 

Neben und zum Teil infolge dieser Publikationen entstanden einige recht 
griindliche Spezialuntersuchungen, wie die vom Schlesischen Geschichtsverein 
der Breslauer Universitat zu ihrem fiinfzigjahrigen Jubilaum gewidmete Schrift: 



94 Grtlnhagen. 

»Breslau unter den Piasten als deutsches Gemeinwesen« und »Die Hussiten- 
kampfe der Schlesier«, denen G. in den Scriptores Return Silesiacarum Bd. VI 
»Geschichtsquellen der Hussitenkriege« hatte vorausgehen lassen. Sehr bald 
wandte sich G, auch der neueren schlesischen Geschichte zu; 1864 erschien die 
Schrift: »Friedrich der GroBe und die Breslauer in den Jahren 1740 und I74i«, 
1 88 1 die beste Monographic aus G.s Feder: die zweibandige »Geschichte des 
ersten schlesischen Krieges«, die auf archivalischen Studien in Berlin, Han- 
nover, Dresden, Breslau, Wien und London beruht und fur die politische Ge- 
schichte der epochemachenden Jahre 1740 — 42 unentbehrlich bleiben wird. 
So grofi aber auch die Zahl dieser der Forschung gewidmeten Arbeiten G.s 
ist, so wird man trotzdem mit der Behauptung nicht fehlgreifen, daB seine 
starkste Begabung auf dem Gebiete der Darstellung lag, daB er hier zum minde- 
sten seine groBten Erfolge erzielte. Er gehorte noch halb und halb in das 
philosophisch-asthetische Zeitalter der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts; 
starke literarische Interessen waren ihm zu eigen; es diirfte kein Zufall sein, 
dafi er sich in einer seiner ersten Arbeiten mit Otfrid und Heliand und in seinen 
letzten Vortragen mit »Goethe in Schlesien« und »Schlesischen Erinnerungen an 
Gustav Freytag« befaflte. Er verfligte iiber die bekannte schlesische Reim- 
kunst, die er dem Kreise seiner Freunde und der Geselligkeit in seinem Hause 
gern dienstbar machte; seinen Gymnasiasten erklarte er in den fiinfziger Jahren 
immer wieder, daB jeder das Verseschmieden lernen konne und musse. Ihm 
war eine beneidenswerte Leichtigkeit der Feder gegeben. So entflossen ihr 
zahllose Aufsatze in den Feuilletons der Breslauer Zeitungen, in den PreuBi- 
schen Jahrbiichern, der Zeitschrift fur preufiische Geschichte und Landeskunde, 
der Zeitschrift des Vereins fur Geschichte Schlesiens, die er von 1864 — 1905 
herausgab, den Publikationen der Schlesischen Gesellschaft fur vaterlandische 
Kultur, der Zeitschrift der Historischen Gesellschaft der Provinz Posen usw. 
Noch als Student schrieb er seine ersten Beitrage fur die Grenzboten. Er besafl 
eine starke journalistische Aden Seine historischen Aufsatze dienten zumeist 
als Vorarbeiten fur seine zweibandige Geschichte Schlesiens bis 1740 und ihre 
Fortsetzung, das gleichfalls zweibandige Werk iiber Schlesien unter Friedrich 
dem GroBen. In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich den Vorstudien 
fur ein unvollendet gebliebenes Buch iiber Schlesien unter Friedrich Wilhelm II. 
Zur Charakteristik seiner Arbeitsweise greifen wir das Werk: »Schlesien unter 
Friedrich dem GroBen« heraus. Es ware ein Irrtum, wenn man glauben wollte, 
er hatte hierfiir die Bestande des von ihm verwalteten Schlesischen Archivs 
voll ausgenutzt; Jahrzehnte angestrengtester Arbeit ohne jede Ablenkung 
durch andere Berufspflichten waren hierzu notig gewesen. So begniigte er sich 
mit dem Einblick in einen Teil der Generalakten; er stiitzte sich in erster Linie 
auf das gedruckte Quellenmaterial und die vorhandene Literatur, als Weg- 
weiser diente ihm stellenweise das Buch des preuBischen, in Schlesien ange- 
stellten Verwaltungsbeamten aus den Tagen Friedrichs des Grofien von Kloeber: 
Von Schlesien vor und seit dem Jahre 1740. Aus diesem Material schuf er eine 
leicht lesbare Darstellung. Die Probleme der Verfassungs- und Wirtschafts- 
geschichte lagen ihm fern. Das Grundmotiv aller seiner Schriften bildet der 
Hinweis darauf, wie Schlesien deutsch wurde und trotz aller von der Slaven- 
welt drohenden Gefahren deutsch blieb, wie es zu einem groBen Teile protestan- 
tisch wurde und seinen Glauben erfolgreich verteidigte, und endlich, wie es durch 



Grtinhagen. Baumgartner. gr 

die preuflische Eroberung der Entwicklung entgegengefiihrt wurde, die seiner 
geographischen Lage, seinen nationalen und religiosen, kulturellen und wirt- 
schaftlichen Verhaltnissen am besten entsprach. So wurde G. in diesen Schriften 
fur Schlesien zum Verkunder der kleindeutsch-preufiisch-protestantischen 
historisch-politischen Weltanschauung, die im Zeitalter Bismarcks der deut- 
schen Geschichtschreibung aufgepragt wurde; und seine Wirkung reichte weit, 
er wurde und wird in seiner Heimatprovinz eifrig gelesen. Dadurch hat er 
historischen Sinn und die Freude an der Beschaftigung mit der Heimatsge- 
schichte in weite Kreise getragen. Dauernde wissenschaftliche Geltung wird 
seine Schlesische Geschichte und ihre Fortsetzung nicht behalten, dazu fehlt 
das monumentum aere perennius, die rucksichtslose kritische Forscherarbeit, die 
nach alien Richtungen bis auf den Grund zu dringen sucht, wie sie z. B. fur 
die bayrische Territorialgeschichte Siegmund Riezler geleistet hat. Dazu kam, 
dafi G. manchmal durch allzu starke Beschrankung auf sein Arbeitsgebiet die Fiih- 
lung mit den Ergebnissen der allgemeinen deutschen Geschichtsforschung verlor. 

Als Leiter des Schlesischen Archivs sorgte er fur die Ordnung der Akten 
und Urkunden, ihre Benutzung erleichterte er durch eine Reihe von Hilfs- 
mitteln, wie die Anlegung eines schlesischen Glossars, eines Realindex, von An- 
nalenzetteln usw. Vor allem, er brach mit der bisher herrschenden Obung 
und machte die Schatze des Archivs jedem Benutzer, der ernstes wissenschaft- 
liches Streben zeigte, leicht zuganglich, und er ermunterte zahlreiche jiingere 
Krafte zu archivalischen Studien. 

Ober seiner akademischen Tatigkeit waltete ein ungiinstiger Stern; grofiere 
Horerkreise auf die Dauer zu fesseln, war ihm nicht gegeben. Schwer litt er 
unter dem Druck dieser bitteren Erfahrung, aber er war eine viel zu gesunde, 
ausgepragte und selbstbewuCte Personlichkeit, als dafl er uber solche Ent- 
tauschungen nicht hinweggekommen ware. Zugleich war er ein liebenswiirdiger 
Mensch mit starken gesclligen Talenten; nicht scharfer Witz und bissige Spott- 
sucht waren ihm zu eigen, sondern der gemiitliche, weit ausladende schlesische 
Humor. Wie er denn uberhaupt in seiner Art ein guter Typus des schlesischen 
Volkes war, daher stammt auch wohl seine starke Liebe zur Heimat, der er seine 
Lebensarbeit widmete. Die Heimat wird den treuen Sohn so leicht nicht 
vergessen. 

Vgl. den Aufsatz von O. Meinardus »Zu Colmar Grunhagens Gedachtnis* in d. Zeitschr. 
d. Ver. f. Gesch. Schles. Bd. 46, S. 1 ff. Daselbst S. 54 — 65 das Verzeichnis seiner Schriften. 
Breslau. J. Ziekursch. 

Baumgartner, Peter, Genremaler, * 24. Mai 1834, f ^ Dezember 191 1 in 
Miinchen. — Der Weg zur Kunst ging damals haufig uber die Polytechnische 
Schule, wo bei Jofef Anton Rhomberg (der letzte Auslaufer des weiland Bre- 
genzer Graf en d'Aspremonie) eine gute, artistische Grundlage zu holen war, 
zu dem akademisch steifen Hermann Anschutz, welcher wieder die Zugbrucke 
bildete zu einem andern, der dann erst den Stempel der koloristischen Weihe 
auf die Neophyten dnickte. Am schnellsten gliickte dieses Experiment bei 
Piloty, der die wunderbare Gabe besafi, einem jeden die GliedmaCen einzu- 
renken, indem er mit voller Freiheit der jeweiligen Individualitat den Zauber 
seiner Palette handgerecht zu machen wuflte. Hieher kam rechtzeitig unser 
frohlicher Scholar (1857), welcher nach kaum zweijahriger Praxis mit seinem 



g6 Baumgartner. 

»Die sieben Schwaben in der Schmiede« behandelnden Werke (1839) den ersten 
Meisterwurf zur Selbstandigkeit glanzend bewahrte. Wenn damals ein bisher 
Unbekannter, am ersten Tage seines Auftretens im Kunstverein, von einem 
Kunsthandler mit tausend Gulden honoriert und auf gut Gluck mit einem be- 
liebigen Thema betraut wurde, so konnte ein solches Ereignis wohl als gutes 
Prognostikon gelten, welches B. auch mit einem vor seiner angebeteten Dulcinea 
knienden »Don Quixote« in uberraschender Weise quittierte. Sein Fleifi ermog- 
lichte auch mit kleineren, auf gleiche Humoristik gestimmten Bildern der er- 
wiinschten Nachfrage zu dienen, darunter ein »Gestortes Mittagsmahk, ein 
wachsamer »Vorposten« oder »Invalidenhaus« (1861), ohne mit grofleren skur- 
rilen Leistungen, wie der von einem ergiebigen RegenguO uberraschte »Bitt- 
gang« (1863) oder der mannhafte Kampf der »Sieben Schwaben« gegen das 
grausige Untier (1865) im Riickstande zu bleiben. Auch verlegte der Maler den 
Schauplatz seiner erheiternden Darstellungen gern in seelsorgerliche Raumlich- 
keiten, wie »Vormittags in der Pfarrkuche«, wo der Hausherr mit Vergniigen 
das Rupfen eines Festbratens inspiziert, »Nachmittags« den Verdauungsbe- 
schwerden oder andern »Nachwehen« obliegt. Auch ein »Brautexamen« a la 
Ludwig Knaus und Benjamin Vautier oder das Unheil mit einer langersehnten, aber 
allzu zah befundenen »Martinsgans« wurden beliebt; sollte denn nicht auch die 
Geduld eines Laien aus den Fugen weichen, wenn das unschuldige Kocherl 
einen antediluvialen Enterich oder mit allzu englischem Hautgout belastete Reb- 
hiihner den Gasten aufzutischen das Ungluck hatte. An Material war kein 
Mangel. Man brauchte ja nur aus der wohl assortierten Ateliergarderobe 
die passenden Kostiime auszuwahlen, an physiognomischen Modellen aus Pack- 
tragerkreisen war genug Vorrat. »Honny soit qui mal y penseh Mit ahnlichen 
Schwerenotereien haben nachmals Meister Mathias Schmid, Eduard Grutzner, 
Alois Gabe u. a. Furore gemacht und ihren Ahnherrn bald liberflugelt. — 
Zur Erganzung kamen hubsche Dachauerinnen mit ihren »Schatzen« beim 
Photographen, botanisierende »Naturforscher« und junge, kollegiale »Maler 
auf der Alm«, auch ein rundlicher Eheherr, der zum iibel verhaltenen Ver- 
drufle seiner Gattin mit der schmucken Sennerin ein Tanzchen wagt; allerlei 
kindliche Ereignisse »Auf dem Wege zur Schule«, ein »Kinderkarneval« (1886), 
lauernde Wilderer und echte Waidgesellen auf dem Anstand, »Heimkehr vom 
Markte« (1888), kurz: novellistische Szenen aus dem bayerischen Volksleben, 
die alle gute Zugkraft in das Ausland, nach England und Amerika ubten, aber 
allmahlich doch trotz aller Kraft der Charakteristik und Talent der Farbe t 
teilweise eine flihlbare Ermiidung verspuren lieCen. Da legte B. rechtzeitig 
das verdiente solium cum dignitatem geniefiend, Palette und Pinsel nieder, 
immer noch im Besitz eines guten Namens und frischen Humors, bis er 
wenige Tage vor seiner goldenen Hochzeit, nach kurzer Krankheit, aus dem 
Leben schied. Eine reiche Reihe reizender, selbstredender Landschaften, 
wahre »Lieder ohne Worte« und hochvollendeter Interieurs, die alle als Veduten 
auf Beseelung durch passende Staff age warteten, die im Kunstverein als NachlaB- 
Ausstellung erschienen, bewiesen, welch heitere Oberraschungen noch auf 
Vorrat standen. 

Vgl. Fr. Pccht, MUnchner Kunst 1888, S. 251. — Thieme, Ktinstlerlcxikon 1909, III, 85. 
Nr. 51. — >Allgcmeine Zeitung« 23. Dezember 1911, — M. Kunstvercins-Berichtf. 1912, S. 14, 

H. Holland. 



Conrader. Csiizy von Csui. gy 

Conrader, Georg, Historienmaler, * 18. Mai 1838 zu Mtinchen, f 2. Januar 
191 1 in dem einsamen Flecken Cantrida bei Zamet im Osterreich. Kustenland 
(Abbazia), trat, kaum neunzehnjahrig, in die Akademie zu dem als Lehrer 
damals vielgesuchten Philipp Foltz von Bingen, aus dessen Mai- und Komponier- 
schule der Weg zu Karl v. Piloty fiihrte. Hier machte er sich 1857 — 60 durch 
ein ganz in der Methode seines Meisters flott gemaltes Bild, »TilIy am Vorabend 
der Schlacht von Breitenfeld (am 6. September 1631) der Sage nach im Hause 
des Totengrabers einquartiert«, rasch einen guten Namen. Das Werk wurde 
von der Hamburger Kunsthalle nicht allein angekauft, sondern der junge Autor 
erhielt auch (gleichzeitig mit Franz Lenbach) eine ehrenvolle Berufung an die 
neuorganisierte Kunstschule in Weimar, welche C. jedoch nach zweijahriger 
Tatigkeit wieder verlieB, um im Auftrage Konig Max II. ein grofies Olbild 
(>>Zerstorung Karthagos durch Scipio«) fur das Maximilianeum und ein die 
»Stiftung der Munchener Gelehrtenakademie durch Kurfurst Maximilian III.« 
darstellendes Fresko in der Historischen Galerie des Bayerischen National - 
Museums auszufuhren. Fur die bei Jos. Albert erscheinende »Sammlung von 
Bildnissen schoner Frauen« zeichnete C. die Furstin Maria von Rumanien, 
Mile Montoland und Jacinthe Deponte. Auch lieferte C. einige Genrestiicke, 
wie einen flotten »Falkonier«, die Szene, wie »Charlotte Corday im Kerker por- 
tratierU wird; die »Ermordung des Sangers Riccio«, wie damals iiberhaupt 
Anekdoten aus dem Leben der Maria Stuart bei den Piloty -Schiilern ein be- 
liebtes Paradepferdreiten bildeten; das »Blumenorakel« eines zierlichen Rokoko- 
damchens (1877) nebst etlichen Bildnissen. Unvorsichtigerweise wagte sich C. 
ohne feste Bestellung an grofie, figurenreiche Kompositionen, in der sicheren 
Voraussetzung, dadurch ein dankbares Publikum in Osterreich zu finden: Die 
»Zusammenkunft Kaiser Josef II. mit Papst Pius VI. zu Wien« (1782); »Kaiser 
Josef II. auf dem Sterbebett von alien Standen betrauert«, die ziemlich kuhle 
Aufnahme fanden und einen ungeheuren Zeitaufwand von portrat- und kultur- 
historischen Studien erforderten. Eine Darstellung der »Kronung des Kaiser 
Franz Josef zum Konig von Ungarn« wurde vom Museum zu Budapest endlich 
erworben. C. war in jungen Jahren furchtlos und wacker ausgezogen, das Gluck 
zu suchen und hatte es gefunden; ob es ihm gelang, die Fliichtige bleibend fest- 
zuhalten? Auch Abbazias blaue Sommertage wechselten mit winterlichcn Sturmen. 
Die ewige Ruhe und der Nachruf eines redlichen Strebens ist ihm zuteil geworden. 

Vgl. v. Spruner, *Die Wandbilder im Bayer. Nat. -Museum « 1 868, S. 210. — Lutzows 
»Kunstchronik« 1877, XII t 678 u. Neue Folge 191 1, XXII, 211. — Pecht, »Miinchner KunsU 
1888, 256. — Fr. v. Botticher, »Malerwerke€ 1895, !» x 7 6 - _ Nr. 2 »Allgemeine Zeitung« 14. Jan. 
191 1, — Thieme, »Kiinstler-Lexikon« f Leipzig 1912, VII, 316. 

H. Holland. 

Csuzy von Csiiz, Karl, Stilleben- und Landschaftsmaler, * 1. April 1843 
zu Komorn, f 15. Februar 191 1 in Venedig; im Wiener Theresianum erzogen, 
absolvierte er zur Obnahme der vaterlichen Guter die landwirtschaf tliche Schule 
in Hohgenheim; unternahm 1872 aus Wissensdrang und Reiselust die erste 
Weltfahrt, liber deren Ergebnisse, insbesondere auch als Jager und Sportsmann in 
den Tropen erzielte Resultate in Fachzeitungen er Berichte erstattete. Im 
Jahre 1874 besuchte er abermals Indien, um dort in den Dschungeln der Ele- 
phanten-, Tiger- und Panterjagd zu obliegen, wovon C. nicht allein Trophaen, 

BiogT. Jahrbuch u. Deutschcr Nckrolog-. 16. Bd. 7 



gg Csiizy von Csuz. Palmi£. 

sondern auch ethnographisch-kulturhistorische Altertumer zuruckbrachte, aber- 
mals als Jagdherr im Tiroler Hochgebirge zu Waidring waltend und seine langst 
geiibte Vorliebe zur artistischen Wiedergabe des Erlebten auszubilden. Dieser 
Wunsch fur grundliches Studium fiihrte ihn auf die Akademie nach Venedig 
und spater nach Munchen, wo er bei Nikolaus Gysis und Alexander Wagner 
fruhere Saumnisse mit der ihm eigenen Energie nachholte und in freier Selb- 
standigkeit bewahrte. Seit 1888 mit der hochachtbaren Wiener Malerin Lud- 
milla v. Flesch-Brunningen vermahlt und von dieser Kollegin machtig gefSrdert, 
trat er doch nur auf seinem engeren Heimatboden, welchem er immer trotz der 
langjahrigen Abwesenheit die treueste Liebe bewies, nie auf deutschen Aus- 
stellungen hervor. Erst nach seinem Tode erschien im Munchner Kunstverein 
eine uber vierzig Nummern umfassende Kollektion von Landschaften, eigenen 
historischen Kompositionen, Bildnissen, Genre- und Blumenstucken, darunter 
ein wundervolles Stilleben, darstellend eine mit Seltsamkeiten, Nippsachen und 
Quincaillerien aller erdenklichen Art angefullte Glasetagere, ein wahres Unikum 
und Kabinettstiick ausdauernden Fleifies, wahrend alle seine sonstigen Bilder 
eines freien Striches und breiten Vortrags sich erfreuten. Seine artistischeTatig- 
keit sicherte ihm in derOffentlichkeit eine weit uber den Dilettantismus gehende 
Einschatzung. 

Vgl. Mttnchner Kunstvereins-Bericht 191 i t S. 14. H H o 1 1 an d 

Palmig, J. Charles, Landschaftsmaler, * 22. Oktober 1863 in Oschersleben 
am Harz, f *4- Juli 1911 zu Munchen. — Schwere Pfade und harte Wege fiihren 
oft genug nach den geahnten und ersehnten Gefilden des Lebens in Wissenschaft 
und Kunst. Wie der nachmals geadelte Historienmaler Karl Ritter v^Blaas und 
nachdem er noch als Hirtenknabe die ehernen Grabwachter am Kaiser-Maxi- 
milian-Denkmal zu Innsbruck geschaut hatte, mit einem alten Nagel und 
Steinhammer die ersten Bildnerversuche in einem Hause wieder nachzumeifieln 
versuchte, so trieb auch ein dunkler Drang den kaum zwolfjahrigen P., eine 
weiOe Fensterwand des elterlichen Hauses mit Mondscheinlandschaften und 
Windmuhlen auszustatten und in Ermangelung weiterer Flachen seine ersten 
Schopfungen wieder auszuloschen und gleichsam als »Codex rescriptus« den alten 
Raum mit frischem Eifer neu zu beleben. Infolge davon wurde ihm durch den 
Besitzer einer Kegelbahn der erste Auftrag, diese seine Raumlichkeiten aus- 
zustatten. Listig verschaffte er sich trotz der abmahnenden Eltern die Mittel 
zur Anschaffung seines diirftigen Materials, band kranzartig die Farbentopfe 
um ein Dreirad und fuhr seelenvergniigt unter dem Lachen der Begegnenden 
nach dem neuen Wirkungskreis. Nun wunschte auch ein Gastwirt solchen 
Schmuck fiir sein Gartenhaus und zwar ohne Honorarvereinbarung. Ob 
solcher Beeintrachtigung vom Gewerbeneid gerichtlich verklagt, ging der kleine 
Knirps straflos aus und hatte die Lacher auf seiner Seite. Aus der Bude eines 
Anstreichers und Tapezierers ging es schon vorwarts bei einem tuchtigen De- 
korationsmaler in Chemnitz; hier verdiente er sich seinen freisprechenden Lehr- 
brief. Wohlwollende Burger vermittelten den Eintritt bei dem Hoftheatermaler 
Rieck zu Dresden; von da ermoglichte sich dieAufnahme an die Akademie und 
der Obergang zu August Fink und Josef Willroider nach Munchen (1884). Sein 
crstes Bild »Nach dem Gewitter im Hochgebirg« erwarb der Herzog von Nassau 
fiir das SchloD Hohenburg bei Lenggries (1 886). »Ein schwerer Beruf« (der 



Palmie. 99 

Versehgang eines Priesters auf steilen Schluchten zum letzten Troste eines 
Sterbenden) reproduzierte in Holzschnitt die Zeitschrift »Ober Land und Meer« 
1888. Weitere Ergebnisse seiner soramerlichen Studienfahrten in Altbayern, 
Tirol, auch aus der groBartigen Eifel fanden bereitwillige Aufnahme in Kunst- 
vereinen und Ausstellungen. Nun eroffnete sich P.s weiterer Ausblick fur die 
Schonheit der Ebene, besonders in den Talgelanden der Altmiihl, Wornitz 
und Donau. Auch die Lausitz mit der Spree, den vielen Teichen und grofl- 
zugigen Schilfpartien begeisterte ihn, zumal der Kommerzienrat Hermsdorf 
die Dekoration seines dortigen Schlosses Kauppa dem jungen Maler ubertrug, 
dem auf den Expositionen goldene Medaillen und Ankaufe von Museen und 
Galerien in Magdeburg, Niirnberg, Wien, Budapest und Miinchen (»An der 
W 6rnitz« auf der VII. Internationalen Ausstellung 1897, fur die Neue Pinakothek) 
zuteilwurden. Ein bleibendes Heim hatte er kurz nach seiner Vermahlung 
mit Marie Kapferer aus Innsbruck 1895 zu Miinchen gegrundet. Fur seine edle 
Empfindung zeugt, dafi er nach schwerer Schadigung durch einen Atelierbrand, 
doch ein Bild fur charitative Zwecke spendete. Hatte P. bisher dem Pleinaire 
gehuldigt, so geriet er durch allerlei Luft- und Licht-, Schnee- und Nebelstudien 
auf das experimentierende Terrain von physikalischen Gesetzen und Strahlen- 
brechungen, welche er nun in vollster Impression mit jubelnder Virtuosi - 
tat auf alien weiteren Schopfungen inszenierte. In diese seine neugewonnene, 
wirklich graue Theorie kleidete er alle seine mit figurlichen Staffagen selten 
ausgestatteten landschaftlichen und architektonischen Aufnahmen, das eben- 
maBig universale, weiBkreidige Palettenrezept iiber alle in rastloser Eile ent- 
stehenden Skizzen giefiend. Vielleicht hatte selbst der Golf von Neapel oder 
Palermo dieselbe Signatur eines polaren Nebels und Schneegestobers erhalten. 
Sein ophthalmischer Magnet deklinierte, gleichsam als ein wirklicher Fehl 
der Sehkraft. P. wurde ebenso emphatisch erhoben wie unter den wahren Wert 
seines Strebens gesetzt. So verkundete P. in zahlreichen, meist im gleichen 
Format gehaltenen Zyklen die Resultate seiner monatelangen Sitzungen auf 
dem Turme der Peterskirche mit Aufnahmen aus der Vogelperspektive iiber 
die Stadt und Umgegend Munchens. Auch Frucht- und Blumenstucke in 
gleich weiBkreidiger Uniformierung wirkten ermiidend, den Beschauer zu 
Schnupfen und Erkaltung reizend. Man erinnerte sich lieber der duftigen 
Mondnachtstudien von Lichtenheld, Morgenstern, Knut Baade oder Iwan 
Aivasovski, zu deren hochpoetischen Leistungen unser P. sich in schroffsten, 
unuberbriickbaren Gegensatz stellte. — Ob der seltsame Meister schon am 
Abschlufl seiner Bestrebungen war oder diese noch in weitere Phasen gelenkt 
hatte, bleibt wohl eine offene Frage. — Kurz nachdem er seiner Mutter das 
letzte Ehrengeleit zum Grabe gegeben, entriB ihn ein unerwartet plotzlicher 
Schlaganfall einer fieberhaft aufregenden, beispiellosen, jetzt im ganzen Umfange 
noch nicht vollig objektiv abschatzbaren Tatigkeit. 

Autobiogr. Notizen in »Das geistige Deutschlandc 1898, S. 505. — Fr. v. Botticher, >Maler- 
wcrkec 1898, 11,213. — Nekr. inNr. 29 »AUgemeineZeitung«22. Julii9ii t S.499. — Nachlafi- 
Ausstellung im Kunstverein. — Nr. 523 »Neueste Nachrichtcn« 9. November. — Nr. 261 »Miinch- 
ner Zeitungc 9. November. — A. Wurm in Nr. 253 »Agsbr. Pstztg.c 8. November 191 1. 

H. Holland. 






1 00 Pernat. 

Pernat, Franz Sales, Genre- und Portratmaler, * 4. Juli 1853, t 20 - Februar 
191 1 in Miinchen. — Versah schon frlihzeitig die kalligraphischen Adressen 
und Diplome seines gleichnamigen Vaters mit selbsterfundenen Arabesken und 
Randzeichnungen, die ihn zum Eintritt in die Akademie ermutigten, wo er 
bei Lindenschmit, Freiherrn Arthur v. Ramberg und W. Diez rasche Forderung 
fand. Als vielversprechender Schuler derselben bezeigte er seinen Beruf 
mit kleinen Portrat- und Genrebildern, darunter die neckischen »Geheimnisse« 
(1874), eine »Kredenzende Dame« (1877) und ein mit koloristischem Raffinement 
behandelter, den Schadel Yorks apostrophierender »Hamlet«. Ein Gedenkblatt 
zum »Wittelsbacher Jubilaum« (1886) und eine Grisaille auf Kaiser Wilhelm I. 
(1888) brachten den Namen des Malers in den Kunsthandel. Seit 1883 machte 
er sich mit einem Bildnis des Fraulein Julie Heffner im Glaspalast bemerklich. 
Da der vorherrschende Grundton dunkel blieb, so wurde P. kein mit Vorliebe 
gesuchter Frauenmaler, obwohl er die Bildnisse einiger junger Damchen ge- 
schickt zu einer anmutenden »Parkszene« zu gestalten wufite. Dafur erschienen 
im Kunstverein und in den Jahresausstellungen des Glaspalastes die Portrats 
des streitbaren Historikers Dr. Sepp (1889, vgl. »Biogr. Jahrbuch« 1912, 
XIV, 205), Fr. v. Poschinger (1891), Regisseur Karl v. Brulliot (nebst zwei 
andern der Galerie des kgl. Hoftheaters einverleibten Biihnenkunstlern), welches 
den Beifall des Konigs Carol von Rumanien in so hohem Grade errang, daG er P. 
wiederholt nach Bukarest lud, um sich malen zu lassen; des Herzogs Ernst von 
Sachsen-Altenburg, Professor Dr. Bauer, der junge Baron von Preuschen(i897); 
im folgenden Jahre brachte der Maler eine ganze Kollektion erlesener Werke 
zur Ausstellung; 1900 S. K. Hoh. Prinzregent Luitpold (als Holzschnitt in 
Nr. 3010 »Illust. Ztg.«, Leipzig, 7. Marz 1901); dann folgten Kriegsminister 
Frhr. v. Horn, der Maler Anton Mangold, S. K. Hoheit Prinz Rupprecht in 
Generalsuniform (bei Heinemann 1909); Reichsrat Frhr. v. Soden-Frauenhofen 
u. a. Alle in einheitlich ruhiger Geschlossenheit nach dem fuhlbaren Vorgang 
von Van Dyck, Rubens, Velasquez und Franz Hals, welchen er sicher nach- 
strebte. Auch in der Plastik versuchte sich P. mit einer trefflichen Lenbach- 
Biiste, welche auf der Nachlafi-Ausstellung erst 191 1 bekannt wurde. In 
seiner feinen Empfindung bewies er sich, in oft schw T eren Kampfen immer als 
Optimist, ebenso wie im Leben als Gentleman. Jeder Portratist iibt in seiner 
Weise den Beruf eines Biographen: das jeweilige Objekt nicht nach einem 
etwa photographischen Moment, sondern in ganzer Individuality zu erfassen 
und als Psychologe zu rekonstruieren. Der Maler ist somit immer auf ein 
doppeltes, auch retrospektives Studium angewiesen, wozu Zeit und tiefere 
Erkenntnis des jeweiligen Objekts unabweisbares Erfordernis bleibt. Ein 
momentaner psychischer Barometerstand kann zwar gliickliche Fingerzeige 
geben; verlangt aber fortgesetzte Beobachtung und grundliches Arrangement 
der blitzartig gewonnenen Eindrucke. Von solchem Gesichtspunkte aus er- 
weisen sich viele von P.s Bildern als wahre Muster- und Meisterleistungen. — 
In gleich schwieriger Situation befindet sich ein Nekrologist, welcher das Fazit 
eines kiinstlerischen Schaffens gewissenhaft zu taxieren versucht. Jedenfalls 
ware unser Maler in einer hoheren Rangstufe einzuschatzen, als demselben im 
oberflachlichen Durchschnitt zuteil geworden. Das ihm am Rande des Grabes 
erwiesene Ehrengeleit zeigte von seiner langst und schwerverdienten Aner- 
kennung und Wiirdigung. »Platz fur alle hat die Erde« — freilich manchmal 
erst, wenn einer unter derselben seine letzte Rast gefunden hat! 



Pernat. Rose. Scheuermann. 10 1 

Vgl. Fr. v. BOtticher, »Malerwerkec 1898, II, 237. — Nekr. in Nr. 92 »Neueste Nachrichten* 
24. Februar 191 1. — Nr. 9 »AHgemeine Zeitung* 4. Marz 191 1. — Kunstvereins-Bericht f. 
19", S. 23. 

H. Holland. 

Rose, Julius, Landschaftsmaler, * 24. Oktober 1828 zu Konigsbruck bei 
Dresden, f 23. Oktober 191 1 in Miinchen, wurde seines Zeichnungstalents wegen 
zu einem Bildhauer in die »Lehre« gegeben, kehrte aber aus Heimweh in die 
Familie zuriick, um willig neben seinem in Diensten des Grafen Hohenthal als 
Schloflgartner stehenden Vater Grabscheit und Hacke zu schwingen. Als aus- 
gelernter Gartner ubte er sich aber neben seinem Beruf fleiflig im Zeichnen und 
Malen, wodurch er die Aufmerksamkeit der kunstsinnigen Grafin von Hohenthal 
erregte und Zutritt in ihre Galerie erhielt, um nach Herzenslust zu kopieren. 
Seine Leistungen fanden Beifall und zeitigten den Entschlufi, sich zu Dresden 
ganz der Kunst zu widmen. Immer noch als Autodidakt arbeitend, gewann er 
durch weitere Kopien die Mittel zu Reisen nach der Schweiz, nach Italien, 
wo er, ganz der Landschaft obliegend, treffliche Studien sammelte und zu 
eigenen Arbeiten verwertete. In Miinchen seit 1836 angesiedelt, gait er bald 
als geschatzter Hochgebirgsmaler, und seine Bilder gingen durch die Kunst- 
handlung Wimmer (Humplmayer) in die weite Welt. Auf fortwahrenden Wande- 
rungen, besonders nach Schweden und Norwegen, jiingte und frischte er sich. 
Die Reihenfolge seiner Motive ist jetzt schon unmoglich und kaum andeutungs- 
weise erreichbar. Am kostlichsten blieben seine kleineren, jedoch immer sorgsam 
durchgebildeten »Skizzen« nach nordischen Fjorden und Meereskusten insbe- 
sondere gesucht, obwohl er im Salzkammergut, in der Schweiz, im Taunus 
ebenso seine standige Domane hatte. Da er in vorausahnender Angst des 
»t)berlebtseins« rechtzeitig den Pinsel niederlcgte, entschwand er dem jiingeren 
Nachwuchs, ebenso alien Wiederholungen abgeneigt wie etwaigen Reproduk- 
tionen in Farbendruck, Stich und Photographic Sein NachlaC verschwand 
rasch in den Kabinetten der Sammler. 

Vgl. Fr. v. Botticher, »Malerwerkec 1898, II t 467. — Kunstvereins-Bericht f. 1911, S, 22. 

H. Holland. 

Scheuermann, Ludwig Gustav Wilhelm, Landschaftsmaler, * 18. Oktober 
1859 zu Burghersdorf in Siidafrika als Sohn eines dort beguterten Kaufherrn, 
f 1. September 191 1 zu Herrsching am Ammersee (Bayern). Zweijahrig verlor 
er den Vater; die Mutter kehrte nach Augsburg zuruck. Hier absolvierte Sch. 
Lateinschule und Gymnasium, bezog 1880 die Munchner Akademie als Schuler 
von Alexander Straehuber Benezur und Ludwig v. Lofftz (vgl. Bettelheim, 
»Jahrbuch« 19 13, XV, 148 ff.). Sein Wander trieb fuhrte ihn zu Bouguereau 
und Julian nach Paris und auf eine lange Studienreise durch Algier und Nord- 
afrika, seine reichen Eindrucke zu Genre- und Landschaftsbildern zu Miinchen 
verwertend, wozu weitere abermalige Ausfluge nach Frankreich und Italien 
neuen Stoff boten. Mit »Arabische Tanzerinnen«, einer lautespielenden »My- 
riam«, schachspielenden Moslims (in Nr. 18 »Ober Land und Meer« 1890, LXIII, 
372), Kaffeehausszenen und einer ganzen Reihe von anziehenden orientalischen 
landschaftlichen Gemalden bewies er seine vielseitige Begabung. Auch im 
Jagerportratfach, als Radierer und SchwarzweiBzeichner in heiteren Illustratio- 



102 Scheuermann. Van der Venne. 

nen in den »Fliegenden Blattern* und witzigen Karikaturen im Kreise der 
»Allotria« beschaftigt sich Sch. vielseitigst. Mehrere Jahre verwaltete er das 
Ehrenamt als Vorsitzender des »Munchner Kunstler-Unterstutzungsvereins«, 
sein sprichwortlich »goldenes Herz« reichlich bewahrend. Eine Ausstellung von 
32 Oltempera, Gouachebildern undZeichnungen mit Motiven aus Franken, Bayern, 
Frankreich und dem Orient bewies seine vielseitige artistische Sattelfestigkeit, 
darunter eine kriegerische Szene, »Ersturmung Kufsteins durch die Bayern* 
(im bayrischen Armee -Museum). Seit 1887 in glticklicher Ehe mit D6sir6e 
Stolberg aus Riga, f and der auch Segelsportkundige Wanderlustige nach langem 
schweren Leiden die letzte Rast unter den alten Baumen seines schonen Land - 
sitzes zu Herrsching. 

Vgl. Autobiogr. Not in »Das geistige Deutschland* 1898, S. 598. — Nekr. in Kunstvereins- 
Bericht f. 191 1, S. 23, 

H. H o 1 1 a n d. 

Van der Venne, Adolf, Tier-, Genre- und Landschaftsmaler, einer aus Brussel 
eingewanderten Familie entstammend, * 16. April 1828 in Wien, f 23. Sep- 
tember 191 1 zu Schweinfurt. — Wie die norddeutschen Maler, insbesondere 
die Hamburger, gern nach Miinchen und liber die Berge von Altbayern und 
Tirol nach dem italienischen Siiden gingen, so zog es die Wiener nach Ungarn: 
Heidebilder, Puszten, »Krug«-Szenen, Pferde, Chikos, Chdrdas mit Zigeunern 
und Slovaken, Geiger und Bettler auf ihre Leinwand zu bannen, nach Vorgang 
August Pettenkofers, welcher jedoch das Soldatenbild ganz in sein Repertoire 
zog. Mit offenen Augen wandernd, fand V. d. V. unbewuflt die Kunst. Die 
Natur gait ihm als hohe Schule, der malerische Drang als Lehrmeister. Zu 
Anfang der funfziger Jahre hatten seine Bilder schon einen guten Namen, 
mit Pferden »An der Tranke«, Jagd- und Reiterszenen, Schiffziigen und »t)ber- 
fahrt an der Maros« — die auch Franz Adam zu einem Prachtbilde begeisterte. 
Meist leitete unseren Maler wie den Hamburg-Miinchner Heinrich Marr (1808 
bis 1 871) und den Pfalzer Heinrich Burkel (1802 — 69) ein etwas knurriger 
Humor. Das bezeugte die Darstellung eines behabig offenen Wirtswagelchens, 
dessen storriger Traber bei iiberraschter Begegnung mit einem landlaufigen 
Barentreiber und dessen zottigem Zogling alle Fassung verliert und kopfiiber 
durchgeht. Oder die Heilung einer behexten Stallrosinante. Vieles dieser Art 
wurde in Wien und Pest durch Lithographie popular gemacht. Nach anderthalb 
Dezennien ubersiedelte der Maler gen Miinchen und errang hier ein dankbares 
Publikum nebst der Stelle eines Zeichnungslehrers am Kgl. Kadettenkorps. — 
»Gartenlaube«, »Daheim« und »t)ber Land und Meer« reproduzierten gern in 
Holzschnitt seine meist fremdlandisch angehauchten und heiter staffierten Stim- 
mungsbilder, wie die »Heimkehr vom Jahrmarkt«, ein »Umgeworfener Schlitten« 
mit zertrummerter Hafnerware; Riickfahrt mit reicher Jagdbeute und heiOmutig 
dahinstiirmenden Rossen; Wallachische Schmuggler; ein KQnstler portratiert 
einen Langohr, wobei der zuschauende Schmid als »Kritiker« mit seiner Meinung 
assistiert; wandernde »Dultschmiere« & la Spitzweg; Heimfahrt von einer ungari- 
schen Hochzeit mit sausendem Fiinferzug; Vorbereitung zur pTable d'hdte* — 
im Kuhstall mit dem obligaten Geiflbock; Zigeunerrast im Zeltlager mit sonnen- 
glastendem, walddurchklingendem Fiedelspiel, eine wahre VerkSrperung von 
Lenaus Poesie; auf der »Hutweide bei Njuarad*; ^Danya- Brands usw. Der 



Van der Vcnne. Weiser. 



103 



immer mit gleichsam rudernder Armbewegung stetig dahinhastende Mann, 
welcher die frohen Feste in den Kiinstlergilden der »Cassandra«, »Allotria« und 
»Alt-Miinchen« zu verschonern mithalf, hielt sich lange in elastischer Frische, 
brachte noch 1895 achtungsvolle Leistungen zur Ausstellung in den Glaspalast 
und fand erst im Krematorium zu Gotha die letzte Rast. 

Vgl. Wurzbach, »Osterreich. Lexikon* 1884, 49, 251. — Fr. v. B5tticher 1901, II, 
922. — Nr. 40 »Allgemeine Zeitungc 7. Oktober 191 1. 

H. Holland. 

Weiser, Josef, Genremaler, * 10. Mai 1847 zu Patschkau in Schlesien, 
f 15. April 191 1 in Miinchen, hat sich gleich seinen Landsleuten Wilhelm Hau- 
schild, Eduard Schwoiser (vgl. Bettelheim, »Jahrbuch« 1905, VII, 418) und 
Eduard Griitzner, auf schweren Wegen, durch eigene Kraft, riihmlich zur 
Malerei durchgerungen. Wie Goethe »dem Miitterchen die Frohnatur und 
Lust zum Fabulieren« verdankt, so berief sich auch W. auf »die gleichgeartete 
Mutter und die herrliche Umgebung seiner Vaterstadt«. Schon als Kind zeigte 
er Freude zum Formen, Bilden und Sinnieren mit landschaftlichem Hinter- 
grund. Obwohl zum Kaufmann bestimmt, folgte er doch dem Drange, nach 
Miinchen zu kommen, wo er kurze Zeit im Antikensaal »ohne besondere Freude 
an dem kalten Gips zu finden«, zeichnete und auf eigene Faust malte. Hin- 
reichend mit Technik ausgestattet, nach Hause zuriickgekehrt, begann W., 
»recht und schlecht ehrsame Biirger« zu portratieren und eigene Gedanken, 
darunter ein »Die letzten Tage der schonen Konigin Luise zu Hohenzieritz« dar- 
stellendes Bild zu skizzieren. Von 1868 — 72 malte er wieder in Miinchen 
fleifiig, hier und da etwas bei einem Kunsthandler anbringend oder fur Verleger 
illustrierend — darunter die meisterhaften Croquis »Aus unserem Jahrhundert« 
mit Szenen aus Napoleons Leben und die Zeit des Wiener Kongrefi, auch 
fur Hallbergers Schiller- und Goethe -Ausgaben. Dann nahm ihn der jungen 
Kraften so warm entgegenkommende Wilhelm Diez in seine Schule, sein frisches 
Talent einrenkend. Die »Weiser-Bilder« brachen bald Bahn und Weg; z. B. 
die »Freisprechung« eines von ihren Angehorigen im Gerichtssaal freudig be- 
griifiten Madchens, allerlei Trinkbriider und Zecher: »Volle Glaser, warme 
Kopfe«, die »Verteidigung eines Klosters« — vielleicht angeregt durch Scheffels 
»Ekkehard«, nur vom zehnten Jahrhundert in die Zeit des Dreifligjahrigen 
Krieges transponiert; da W. den kulturhistorischen Roman »Simplicissimus« 
des urkraftigen Grimmelshausen unbegreiflicherweise ebensowenig kannte wie 
sein damit doch geistverwandter Lehrmeister W. Diez, welcher doch den lokalen 
Farbenton und alle Vorziige dieses unerschopflichen Quellenwerkes in geistiger 
Verwandtschaft so wunderbar traf. Auch W.s »Schnapphahne« (angekauft 
1884 fur die Galerie des Miinchner Kunstvereins) atmen dieselbe Lust des land- 
sturzenden »Springinsfeld«. Die alte Klage, dafi die Herren Maler meist so wenig 
des Buchstudiums pflegen und lieber ihrer Phantasie und Eingebung folgen! 
In Summa ist nur der Umstand mafigebend, dafi sie doch Gluck machen, 
wie W. mit den zwei geizigen, dem Kastellan »Das fatale Trinkgeld« zahlenden 
Peruckenkavalieren, mit dem »Fldtenstandchen«, dem heimlich rauchenden 
»Damen-Kranzchen«, den schOnen »Nichten des Kardinals«, welchen wieder 
fahrende »Kriegsknechte« folgten, die in einer Scheune iiber dem Auswiirfeln 
ihrer kostbaren Beute in Streit geraten. Dann wieder »Feldwachen« und 



104 Weiser. Volte. 

»LautenspieIer«. Traun: der Dichter hat voiles Recht zu der Frage: AVoher 
ich dies und das gewonnen ? Was geht's euch an, wenn es nur mein ward. Fragt 
ihr, ist das GebSude vollkommen, woher gebrochen jeder Stein ward!« 

Den gliicklichsten Wurf tat W. durch seine mit fast lebensgrofien Gestalten 
in hinreifiender Dramatik aufgebaute »Unterbrochene Trauung« — ein auch 
im auflerordentlichen Format und exzellenter Durchfuhrung pochendes Genre- 
stuck, ein wahrer Knalleffekt dla Birch -Pfeiffer. Es machte zuerst im Munchner 
Kunstverein (1888), dann bei der Jubilaums-Ausstellung im Glaspalast glanzen- 
des Furore, fand aber erst nach langer Wanderfahrt — vergleichbar einer uberall 
ob ihrer faszinierenden Schonheit bewunderten Frau, die doch keiner heiraten 
will — endlich 1892 in C. W. Schusters Sammlung zu New York eine bleibende 
Statte. Die aufregende Szene spielt in der Apsis einer perspektivisch erfafiten 
Barockkirche; lichterglanzender Altar, grofle Assemblee von Klerus und hoch- 
nasiger Aristokratie. Es handelt sich um ein bildschones Kind, welches als 
letzter Rettungsanker einer sinkenden Familie einem reichen alten Nabod aus- 
geworfen werden soil, welcher rot befrackt in gleifiender Ordenspracht, ein 
echter Rou6, kuhl seines Opfers harrt: da sturmt nach langer, abgehetzter 
Fahrt, offenbar direkt vom Eisenbahnzuge, der von weit iiber das Meer, gerade 
noch vor dem entscheidenden Wort, eingetroffene erste Herzensfreund herein, 
ein sichtlich jetzt gemachter Mann, sein Hut fliegt auf den Boden und die holde 
Getreue in seine ausgebreiteten Arme. Hier hochster Jubel und Sieg der Treue, 
dort starres Embarras und stiller Hohn auf vielen Gesichtern. »Habeanth Eine 
prachtiges Finale. Das Bild schlug sieghaft ein und gab nach langer Arbeit 
unzahligen Stoff zu nutzlichen Konjekturen und zu des jungen Malers Ruhm. 
Darauf folgten der heitere »Faschingsrummel im Madchenpensionat« und das 
Impromptu mit dem »Am Aschermittwoch« rlickkehrenden Schalksnarren, 
welchem sein inzwischen glucklich angekommener kleiner Weltburger pra- 
sentiert wird (Nr. 3476 »Illustrierte Zeitung«, Leipzig, 10. Februar 1910). — 
W. blieb iibrigens auch ernsteren Szenen nicht abhold, mit zeremoniosen Hoch- 
zeitsgratulationen, Einsegnung einer weltentsagenden Nonne, eine Kopulation 
mitten im Feldlager, Verhaftung eines aristokratischen Brautigams durch 
Konventsoldaten, Uberraschung eines nachtlich hazardierenden Ehegatten 
durch die junge Gemahlin; Rekrutierung im Elsafi; Kaiser Wilhelm an der Wiege 
seines Urenkels; Ausfuhrung des Buchhandlers Joh. Fr. Palm zur Richtstatte 
durch franzosische Grenadiere; die »Letzten Tage von Pompejk usw. Bereit- 
willig jungte W. seine zu Helldunkel neigende Palette durch italische Studien- 
reisen, wobei er selbst Vineas Einflufi sich nicht verschlofi. 

Vgl. Fr. Pecht t »Munchner KunsU 1888, S. 356. — Fr. v. Botticher, »Malerwerke« 1901, 
II, 987. — »Das geistige Deutschland« 1898, S. 731. — Nekr. in Nr. 17 »Allgemeine Zeitung* 
20. April 191 1. — M. Kunstvereins-Bericht f. 1911, S. 26 (Alex Braun). 

H. Holland. 

Voltz, Ludwig, Tier- und Landschaftsmaler, * 28. April 1825 in Augsburg, 
t 26. Dezember 191 1 zu Munchen. — Sein Vater Johann Michael V. (* 16. Ok- 
tober 1784 in Nordlingen, f daselbst 17. April 1 858) war gleichzeitig mit seinem 
nachmals so beruhmten Fach- und Heimatgenossen Albrecht Adam 1807 
nach Munchen gewandert, ihr beiderseitiges Heil suchend. Wahrend Adam 
dem Adler des korsischen Imperator folgend, auf den osterreichischen Schlacht- 



Voltz, 



105 



feldern zum Maler promovierte und mit zahlreichen Portrats und Olbildern 
durch Auftrage vollauf in Anspruch genommen wurde, arbeitete V. immer fiir 
Buchhandler und Verleger, die sein illustratives Talent fur kriegerische Aktio- 
nen, militarische und andere Kostumbilder, Trachten und Volksszenen vollauf 
in Anspruch nahmen. Mit staunenswerter vielseitiger Leichtigkeit lieferte er 
Bilder zu den deutschen Klassikern, zu den beliebtesten Opern und Dramen, 
mit meist kolorierten Blattern und »Ktipferchen« zu »Damenkalendern« im 
Miniaturformat, heitere »Krahwinkeladen« wie selbe fast gleichzeitig auch 
Moriz v. Schwind fur seine Wiener ubte, ideale Episoden aus den deutschen Be- 
freiungskriegen, Bilderbogen und -biicher fiir Kinder, Burger, Bauer und 
Landmann: alles erfreulich und unterrichtend, heute noch der Nachwelt als 
Fundgrube dienend und deshalb jetzt von alien graphischen Sammlern, emsigen 
Bibliophilen und Kulturhistorikern erwunscht, woriiber Dr. Karl Hagen in einer 
besonderen Monographic (Stuttgart 1863) uber 4000 Nummern verzeichnete 
und die Beziehungen des Kiinstlers zur Zeitgeschichte der ersten Halfte des 
neunzehnten Jahrhunderts beleuchtete — ein Buch, ebenso verdienstvoll wie 
C. Jahns diplomatischer Katalog uber das ganze Lebenswerk des Malers und 
Kupferstechers Johann Adam Klein (Miinchen 1863), Joh. Fr. Hoffs liber 
Ludwig Richter und Adolf Stolls Monographic Ludwig Emil Grimm (Leipzig 
191 1). — Dieser zerstreuenden Vielseitigkeit des Vaters gegeniiber nahm sein 
altester Sohn Friedrich V. (* 31. Oktober 1817 zu Nordlingen) die Palette auf, 
erwarb zu Hause wie spielend die handsame Fertigkeit der Zeichnung, iibtc in 
Albrccht Adams Atelier, wetteifernd mit dessen Sohnen Benno, dem genialen 
Franz und dem sinnigen Eugen die Maltechnik nach dem lebenden Tiermodell 
mit charakteristisch scharf geschautem Erfassen; hospitierte zum weiteren 
Figurenstudium die Akademie, ging aber dann auf sommerlichen Streifziigen 
in die freie Natur der nahen Alpen und deren Seegelande, am liebsten zu Bern- 
ricd bei Starnberg, Tierbild und Landschaft zu bukolischen Idyllen gestaltend 
und vereinend, und erreichte mit diesen seinen eigengearteten Nachdichtungen 
einen friihreifen, wirklich internationalen Ruf, der ihm weit uber sein am 25. Juni 
1886 erfolgtes Ableben immer getreu blieb, so daO »ein echter Friedrich Voltz« 
heute noch als ein wahres Juwel in jeder Galerie geschatzt wird. — Dieses ganze 
Archiv und Aggregat von Erfahrungen gereichte unserem vorgenannten jungeren 
Bruder Louis V. gleichsam als Vorbild und Erbe. Besondere Forderung bot 
die lustige Malerkolonie zu Eberfing (nachst Weilheim), woselbst, langst vor 
den heutigen »Dachauern«, eine wahre Hochschule fur Landschaftsmalerei sich 
etablierte, unter dem Presidium Albert Zimmermanns und dessen kurzweg 
als »Zimmerleuten« notierten Namensbriidern und -vettern, wie Kotsch, die 
beiden Seidel, Rosenthal, Ebert, Eberle »e tutti quanti% welche nach ernster 
Tagesarbeit mit heiterstem Humor ihres jungfrischen Lebens pflagen, wozu mit 
allzeit bereitwilliger Laune Louis V. die Zielscheibe bot. Obwohl derselbe, wie 
ehe bevor sein Bruder Friedrich und f ruher Albrecht Adam, viele »Pf erdeportrats« 
in den Gestiiten des Fiirsten von Thurn und Taxis und von Wallenstein aufnahm, 
so mied er doch sorgfaltig die Domane seines briiderlichen Lehrers und erwahlte 
als eigenes Revier, freilich kein wilder Nimrod, als kundiger Jiinger das edle 
Weidwerk zu verherrlichen : auslugende Gemsen, hitzige Gabler, Spiefler und 
Damschaufler, fluchtige Rehe, augende Fiichslein, allerlei Federwild, aber auch 
mifimutig limmende Eber; die ganze Familie der in ihrem philosophischen Sinn 



106 Volte. Umbeck. Fischer-Benzon. 

immer unberechenbaren »Dackel« zahlte zu seinem Repertoire, wodurch der 
Maler die verstandnisinnige Gonnerschaft der kgl. Hoheiten des Prinzregenten 
Luitpold, des Prinzen Leopold, der Grafen v. Arco-Zinneberg und Steppberg 
und anderer Hubertusritter gewann. Viele Beitrage steuerte V. zu den welt- 
bekannten »Munchner Bilderbogen« der Firma Braun und Schneider, zuletzt 
auch manches Brauchbare aus dem kolossalen Nachlafl seines Vaters (in den 
Nummern 225 und 236) verwendend. Das Stoffgebiet, das er sich als Maler 
wahlte, ist, wie oben angedeutet, genau begrenzt, aber in der Auswahl der Motive 
tritt grofle Mannigfaltigkeit zutage. Hochbetagt blieb er immer seiner Kunst 
getreu, brachte sogar noch einen stolzen Zwolfender, der auch einen Kaufer 
fand, in den Kunstverein. Dann spann er sich ein in der Stille seines Heims 
und im Anblick seiner eigenen und fremden Bilder. Er hatte durch Kauf und 
Tausch eine gewahlte Galerie seiner besten Zeitgenossen zusammengehamstert : 
einige sorgsam gehutete Schatzstucke seines neidlos verehrten Bruders. Dann 
Werke von Ludwig Hartmann, Mali, Habenschaden, Horschelt, Heinrich Lang 
und Julius Lange, Casar Metz, Franz v. Pausinger, Philipp Roth, Schmitz- 
berger usw. Sie wurden am 27. November 191 2 zur Freude neuer Besitzer 
durch eine Helbing-Auktion zerstreut. Er hatte sich daran erwarmt und 
gefreut, auch als die Schatten jener Tage, die uns so selten gef alien, iiber seinen 
Pfad zogen. Es ist nicht immer erfreulich, unter den Palmen eines hohen Alters 
zu wallen. Erst versagten die Fufie den Dienst, dann zerrann in Luft der 
dunngesponnene Faden des Denkens. Der Rest ist Schweigen. »Wenn auch 
Leib und Seele scheiden, bleibt der gute Name noch!« 

H. Holland. 

Umbeck, Philipp Valentin, von 1898— 191 1 Generalsuperintendent der 
Rheinprovinz, * 13. November 1842 zu Vallendar a. Rhein, f den 4. Februar 
191 1 zu Koblenz. — Studierte Theologie von 1861 — 1865 zu Halle und zu 
Utrecht, bestand die theologischen Priifungen 1865 und 1867 zu Koblenz, wurde 
am 20. Oktober 1868 ordiniert und wirkte als Pfarrer und Rektor zu Rees am 
Niederrhein von 1868 — 1877, als Pfarrer zu Windesheim von 1877 — 1886, als 
Pfarrer zu Kreuznach von 1886 — 1898. Im Jahre 1884 zum Superintendenten 
der Kreissynode Kreuznach gewahlt, stand er von 1893 — 1898 als Prases an 
der Spitze der rheinischen Provinzialsynode, bis er im Jahre 1898 zum General - 
superintendenten der Rheinprovinz ernannt wurde. 

Eine kraftvolle Personlichkeit, vor allem mit der Gabe der Leitung und 
Ordnung ausgerlistet, hat U. durch vielseitiges Wirken im Umfang der Provinz, 
besonders auch im weiteren Kreise als Mitglied der preufiischen Generalsynode 
sich viel Anerkennung und Liebe erworben. Die Arbeiten der inneren Mission 
in der Rheinprovinz, besonders das unter seiner Mitwirkung begrundete zweite 
Diakonissen-Mutterhaus zu Kreuznach, verdanken ihm reiche Forderung. 
Schriftstellerisch ist er nicht hervorget r eten, wiewohl ihm ein reiches Wissen 
zu Gebote stand. Er wurzelte ganz in der Eigenart der evangelischen Kirche 
des Rheinlands, in deren Dienst er sich verzehrt hat. Klingemann. 

Fischer-Benzon, Rudolf Jacob Dietrich von, Landesbibliothekar der 
Provinz Schleswig-Holstein, * 2. Februar 1839 zu Westermuhlen bei Hohn 
(Kreis Rendsburg), f 18. Juli 1911 in Wyk auf Fohr. — Seine Gymnasial- 



Fischer-Benzon. 



107 



bildung erhielt F.-B. auf der Domschule in Schleswig, die er 1857 verliefi. 

Nach zweijahrigem Besuch von Otto Jessens polytechnischer Vorbildungs- 

anstalt in Hamburg bezog er im Herbst 1859 die Universitat Kiel, um Ma- 

thematik und Naturwissenschaften zu studieren. 1865 promovierte er zum 

Dr. phiL und habilitierte sich gleichzeitig an der Christiana Albertina. Nachdem 

er 1866 Norwegen und Schweden bereist hatte, hielt er sich wahrend der beiden 

folgenden Jahre als Hauslehrer im Furstlich Lievenschen Hause in Kurland auf. 

Im Herbst 1869 gab er die akademische Laufbahn auf und trat zum Lehrer- 

beruf uber, dem er sich 23 Jahre hindurch mit grofiter Hingebung und ebenso 

grofiem Erfolge gewidmet hat. Er wirkte an den Gymnasien in Meldorf, Haders- 

leben, Husum und zuletzt seit 1878 in Kiel, wo er 1889 den Professortitel erhielt. 

Im Juli 1893 mufite er seiner angegriffenen Gesundheit wegen in den Ruhestand 

treten. Es folgten zwei schwere Leidensjahre, in denen F.-B. trotz aller korper- 

lichen Beschwerden doch unablassig wissenschaftlich tatig war. Nachdem sein 

Zustand sich wesentlich gebessert hatte, wurde er am 1. November 1895 zum 

Landesbibliothekar der Provinz Schleswig-Holstein ernannt und gelangte damit 

im Alter von 56 Jahren gewissermafien erst zu seinem endgiiltigen Beruf, in 

dem er Grofies geleistet und dessen Aufgaben und Pflichten er bis zuletzt mit 

vorbildlicher Treue erfiillt hat. »Er hat die Verwaltung der Landesbibliothek 

im Jahre 1895 ubernommen und seitdem ihre Ausgestaltung und Erweiterung 

als seinen Lebenszweck angesehen. Mit hervorragender Sachkenntnis und un- 

ermtidlichem Eifer hat er eine Sammlung zusammengebracht und geordnet, 

die fur die Geschichte unserer Provinz von der groBten Bedeutung ist und in 

lhrer Art einzig dasteht.« Mit diesen Worten charakterisierte der Vorsitzende 

des Provinzialausschusses in seinem Nachruf die Tatigkeit des verstorbenen 

Landesbibliothekars. Sofort nach Antritt seines neuen Amtes begann F.-B., 

von bewahrten Fachmannern beraten, die Katalogisierung der Landesbibliothek 

und konnte schon 1898 den ersten liber 1000 Seiten starken Katalogband 

herausgeben. 1907 erschien der zweite, ebenso starke Band, der auch das 

alphabetische Register brachte. 1 ) Damit hat F.-B. ein in jeder Beziehung 

mustergiiltiges Werk geschaffen, das jetzt die sichere Grundlage fur alle landes- 

geschichtlichen Forschungen bildet und dem Historiker einen unvergleichlichen 

wissenschaftlichen Apparat darbietet und erschliefit. Besonders verdienstvoll 

war es, dafl F.-B., ein gnindlicher Kenner der danischcn Sprache und Wissen- 

schaf t und Dbersetzer einer ganzen Reihe von Arbeiten danischer Mathematiker, 

bei der Erganzung der Bucherbestande auch die danische historische Literatur 

in umfassender Weise heranzog. 

Seit 1898 versah F.-B. auch das Amt des Sekretars der Gesellschaft fur 
schleswig-holsteinische Geschichte, zu dem er wie kaum ein zweiter berufen 
war. Auch hier hat er w r eithin anregend gewirkt und neue Krafte zum Leben 
geweckt, wovon die 13 Bande der Zeitschrift der Gesellschaft, die unter seiner 
Fuhrung erschienen, ein glanzendes Zeugnis ablegen. Mit vollem Rechte riihmt 
das erste Blatt des nach seinem Tode herausgegebenen Bandes den heim- 
gegangenen Schriftfuhrer, »der als kenntnisreicher Berater, Sammler und Ge- 
lehrter um unsere Gesellschaft wie um die Geschichte Schleswig-Holsteins sich 



J ) Katalog der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Hauptwerk. Schleswig 189 S. 
1. Nachtrag fiir 1898 — 1906; ib. 1907. 



1 08 Fischer-Benzon. 

wohlverdient gemacht und sich ein unausloschliches Andenken unter uns 
gestiftet hat.« 

F.-B.s wissenschaftliche Entwicklung nahm ihren Ausgang von den Natur- 
wissenschaften, speziell von der Geologie, der seine ersten Arbeiten galten. 
Bereits in den siebziger Jahren wandte er sich dann mit lebhaftem Interesse 
der Botanik zu, die er durch zahlreiche griindliche Untersuchungen gefordert 
hat. Mehr und mehr aber gewann das Historische den Vorrang in seinem 
Denken und Forschen. Entwicklungsgeschichtliche und prahistorische Pro- 
bleme beschaftigten ihn. Er war einer der ersten, der den Gedanken einer Ge- 
schichte des Landschaftsbildes scharf erfafit und seine Durchfiihrung fur 
Schleswig-Holstein angebahnt und begonnen hat. Seine »Altdeutsche Garten - 
flora. Untersuchungen uber die Nutzpflanzen des Mittelalters, ihre Wanderung 
und ihre Vorgeschichte im klasssichen Altertum« (Kiel und Leipzig 1894) wird 
nach Fr. Kauffmanns Urteil »unter den vorbildlichen und mafigebenden, streng 
fachmafligen Arbeiten zur deutschen Volkskunde allezeit einen vornehmen 
Rang behaupten.« In das Gebiet der Prahistorie gehort die gleichfalls hochst 
wertvolle Publikation »Die Moore der Provinz Schleswig-Holstein. Eine ver- 
gleichende Untersuchung«. Hamburg 1891. (Abhandlungen, hrsg. vom 
Naturwissenschaftl. Verein in Hamburg, Bd II, Heft 3). Alle Arbeiten F.-B.s 
zeigen, dafi er stets die strengsten Anforderungen an sich und seine Wissen- 
schaft stellte, um die Wahrheit zu ergriinden und die historischen Zusammen- 
hange aufzudecken. Er war nicht nur ein grundlicher Gelehrter, sondern eine 
durch und durch wissenschaftliche Personlichkeit, und eben diese Eigenschaft 
ist es wiederum, die ihn zu einem so hervorragenden Bibliothekar werden liefi, 
einem Bibliothekar, der darum das ihm anvertraute kostbare Gut so wohl zu 
verwalten und zu mehren wufite, weil er sich bei allem seinem Tun von dem 
starken Gef uhl der wissenschaftlichen Verantwortung 
leiten liefi. 

F.-B.s Tod hat in dem wissenschaftlichen Leben Schleswig-Holsteins eine 
Lucke hinterlassen, die sich nicht so bald schliefien wird. Und auch fur seine 
Freunde bedeutet sein Hingang einen unersetzlichen Verlust. Wer dem durch 
und durch vornehmen Menschen, der liber harte Leidenskampfe zu tief har- 
monischer Resignation gelangt war, personlich nahetreten und den durch - 
geistigten Zauber seines Wesens erleben durfte, dem wird sein Gedachtnis un- 
vergessen und eine stete Mahnung zu allem Guten sein. Auf dem Friedhof 
Eichhof in Kiel hat F.-B. seine letzte Ruhestatte gefunden. Auf seinem Grab- 
stein steht das Wort: Nichts halb zu tun ist edler Geister Art. 

Vgl. besonders P. v. Hedemann-Heespen, Prof. Dr. R. v. F.-B., Eine Erinnerung. (Die 
Heimat. Monatsschr. d. Vereins z. Pflege d. Natur- u. Landeskunde in S.-H. Jg. 22, 1912, 
S. 33 — 39; 59 — 67. Bildnis.) — Ferner: Zeitschr. d. Gesellschaft f. Schlesw. -Hoist. Geschichte 
Bd 41, 1911, S. I — XII (F. Kauffmann), mit Bildnis u. Schriftenverzeichnis von 0. Agricola. — 
Kieler Zeitung 2. Februar 1909, Morg.-Ausg. (70. Geburtstag); 1911: 18. Juli f Ab.-Ausg M 20. 
Juli, Morg.-Ausg., 22. Juli, Morg.-Ausg. (Die Adelsfamilie von F.-B.) t Ab.-Ausg. (Nachruf d. 
Pro^nzial-Ausschusses). — Alberti, Schriftstellerlexikon, 1829 — 1866, 1, S. 215; 1866 — 1882, 
1, S. 182/183. — Jahrbuch d. Deutschen Bibliotheken Jg. 9, 1911, S. 88. 

Johann Sass. 



Uhlig. IOQ 

Uhlig, Viktor, Professor der Geologie an der Universitat Wien, * 2. Januar 
1857 zu Karlshutte-Leskowitz (Schlesien), *f 4. Juni 191 1 in Karlsbad. — 
U. war ein Sohn des Hiittenverwalters, nachmaligen erzherzoglichen Bergrates 
Karl U. Damals leitete noch Ludwig Hohenegger die erzherzoglichen Eisen- 
werke in Teschen. Dieser um das osterreichische Eisenwesen so hochverdiente 
Mann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die armen Eisenerze der damals 
noch geologisch ganzlich unbekannten schlesischen Forste systematisch aus- 
zubeuten und erkannte den Zusammenhang der Toneisensteinhorizonte mit 
gewissen Ammonittypen. 

U.s Vater war spater Amtsnachfolger Hoheneggers in Teschen, und der junge 
Gymnasiast, dessen Schulzeugnisse uns ein Bild geben von regem Eifer und 
Begabung, war schon mit Hoheneggers Studien bekannt und auch durch den 
Beruf seines Vaters fur naturwissenschaftliche Studien angeregt worden. 

Seine Universitatssudien begann er 1874 in Graz und war schon im vierten 
Semester daselbst als Demonstrator an der damals vereinigten Lehrkanzel fur 
Mineralogie und Geologie bei C. F. Peters beschaftigt. Die spateren Studien - 
jahre verbrachte er in Wien und wurde hier insbesondere durch die Vorlesungen 
von E. SueO und M. Neumayr gefesselt. Zu seinen liebsten Erinnerungen zahlten 
die Reisen, die er wahrend seiner Studienzeit unter Fiihrung seiner Lehrer nach 
Italien, Salzburg, Sudtirol, Bohmen und andere Gebiete unternehmen konnte. 
Als Assistent Neumayrs in den Jahren 1877 — 1883 wurde er im taglichen Ver- 
kehr mit diesem an strenge Arbeit gewohnten Lehrer eingefuhrt in das Studium 
der Fossilien, die sorgfaltigste Beobachtung ihrer Merkmale und die Verwertung 
der genauen Artbestimmung fur die Stratigraphie und die Systematik. Neu- 
mayr, ein Schliler Albert Oppels, hatte von diesem die Methoden aus der Tra- 
dition des Erforschers des schwabischen Juras und grofien Ammonitenkenners 
Friedrich August Quenstedt in Tubingen iibernommen und pflanzte nun den 
exakten Forschergeist der beriihmten Schule fort auf U. 

Neumayr selbst, einer der ersten Kenner der Juraformation und lange 
mit der Stratigraphie des Jura der karpathischen Klippen beschaftigt, lenkte 
seinen Schuler zunachst auf ihm naheliegende Fragen. So behandelte U.s 
Erstlingsarbeit und Doktordissertation (1878) den Nachweis und den Fossil - 
inhalt der Kelloway-Stufe, neben den bisher bekannten Horizonten des oberen 
Jura an einigen karpathischen Klippen sudlich von Neumarkt in Galizien. 

Es folgten Jahre intensivster Betatigung auf palaontologischem Gebiete. 
Die Beschaftigung mit zahlreichen Fossilsuiten des Jura und der Kreide aus 
verschiedenen Gebieten machten U. zu einem der grundlichsten Kenner des 
Formenreichtums dieser Formationen. 

Aus der stattlichen Reihe groBerer Abhandlungen und kleinerer Notizen 
aus dieser Zeit seien hier nur genannt die Beschreibung der Juravorkommnisse 
der Umgebung von Brunn (1881), ferner die umfangreiche, mit Neumayr ge- 
meinsam verfaflte Monographic der Hilsammoniten : U. war hier mitbeteiligt 
an den fur die Schaffung einer Ammonitensystematik grundlegenden Arbeiten, 
an sie schlofl sich die Beschreibung der karpathischen Wernsdorfer Schichten, 
durch welche die grundliche Durchforschung der schlesischen Kreideformation 
angebahnt wurde. 

Inzwischen hatte U. im Jahre 1881 die Venia legendi fur allgemeine Pala- 
ontologie an der Wiener Universitat erworben; im selben Jahre wurde er als 



1 10 Uhli e- 

freiwilliger Mitarbeiter von der Direktion der k. k. Geologischen Reichsanstalt, 
damals unter Hofrat Franz v. Hauer, an den geologischen Aufnahmen beteiligt; 
1883 wurde er zum Praktikanten und 1887 zum Assistenten an dieser Anstalt 
ernannt. 

Der Aufnahmedienst entzog ihn zwar zeitweise seinen so erfolgreich be- 
gonnenen palaontoiogischen Studien, fiihrte ihn zunachst auch in kein dank- 
bares Gebiet, in dem weittragende Entdeckungen zu erwarten gewesen waren, 
er blieb aber ftir ihn, wie ftir so viele andere spatere Lehrer unserer Wissen- 
schaft, die wertvollste Schulung fur das Studium der Geologie im Felde. 

Zusammen mit Bergrat C. Paul bereiste er im ersten Sommer ausgedehnte 
Strecken der reizlos einformigen, baumarmen, oft steppenartigen Lofiebenen 
nordlich von Lemberg und ostlich von Przemysl, nahe der russischen Grenze. 
Spater riickten seine Aufnahmen westwarts vor in die karpathischen Sandstein- 
zonen. Die Gewissenhaftigkeit, welche er auch diesem unfruchtbaren Gebiete 
widmete, bezeugen die eingehenden Berichte und die Fulle von Detailbeob- 
achtungen, sowohl aus der westgalizischen Tiefebene als auch iiber die ein- 
formigen Flyschgebiete westlich von Przemysl mit ihren kretazischen Auf- 
bruchszonen. 

Willkommener war ihm die Aufnahmstatigkeit in seinen heimatlichen 
Gebieten: in den schlesischen Beskiden. Hier konnte er an die Aufnahmen 
Hoheneggers anknupfen, und er entschlofi sich, die grofie Arbeit einer Gliederung 
des unter den Kreidebildungen Osterreichs an Fossilreichtum und Mannig- 
faltigkeit einzig dastehenden Schichtkomplexes der schlesischen Unterkreide 
in Angriff zu nehmen. 

Die umfangreichen Berichte iiber die Sandsteinzone zwischen dem pienini- 
schen Klippenzug und dem Nordrande der Karpathen (1888) und iiber den 
pieninischen Klippenzug (1890) sind auserlesene Muster sorgfaltigster Beob- 
achtung und exakter Darstellung. 

So hatte U. wahrend seiner zehnjahrigen Arbeitszeit im Dienste der Geo- 
logischen Reichsanstalt bis zum Tode seines Lehrers M. Neumayr und bis zu 
seiner Berufung an die Lehrkanzel fiir Mineralogie und Geologie an der deut- 
schen Technischen Hochschule in Prag, als Nachfolger Wilhelm Waagens, im 
Jahre 1891 — ein gewaltiges Stuck Arbeit geleistet und war zu einem der ersten 
Kenner der Karpathengeologie und zugleich der Stratigraphie der Jura- und 
Kreideformation vorgeruckt. Bald nachdem er 1893 einen Ruf an die Uni- 
versitat Breslau abgelehnt hatte, wurde er zum ordentlichen Professor in Prag 
ernannt. 

Immer vielseitiger gestaltete sich U.s Tatigkeit im folgenden Jahrzehnt 
seines Aufenthaltes in Prag. Neben seinem Lehrberufe fiihrte er die Studien 
in den Karpathen fort, nunmehr im Auftrage der Akademie der Wissenschaften. 
Schon fruher hatte er diese Studien auf die Hohe Tatra ausgedehnt. Grofiere 
palaontologische Arbeiten wurden um diese Zeit teils fertiggestellt, teils be- 
gonnen; so wurde die Bearbeitung der grofien Jurasuiten des Himalaya zu 
Anfang der Neunziger Jahre von U. in Angriff genommen. Auflerdem war er 
als Referent der Erdbebenkommission der Akademie der Wissenschaften fur 
die deutschen Gebiete Bohmens tatig, und die Bergwerksgebiete Bohmens 
gaben ihm haufig Gelegenheit, in Fragen der praktischen Geologie seinen Rat zu 
erteilen; ich erwahne hier nur seine Beteiligung an den kommissionellen Ar- 
beiten, betreffend den Schutz der Karlsbader Heilquellen. 



Uhlig. Ill 

Unter den verschiedenen Arbeiten dieser Jahre war aber die bedeutendste 
die Herausgabe einer neuen Auflage von Neumayrs Erdgeschichte (1895). 
und in den Jahren 1897 und 1900 legte er der Akademie der Wissenschaften 
seine Berichte iiber das Tatragebirge vor. 

Im Jahre 1900 kehrte er als Nachfolger Wilhelm Waagens an die Statte 
seiner ersten Tatigkeit, an die Lehrkanzel fur Palaontologie an der Universitat 
in Wien, zuriick; aber ihn fesselten in hoherem Mafle stratigraphisch-tektonische 
als entwicklungsgeschichtliche Probleme. So ubernahm er mit Freuden schon 
im Jahre 1901 die durch das Scheiden E. Suefl' aus dem Lehramt erledigte 
Lehrkanzel fur Geologic Hier beschaftigten ihn immer grofiere Aufgaben; 
das Feld seiner Tatigkeit wurde stets erweitert durch die zahlreichen, sich heran- 
drangenden Schuler, die er in den verschiedensten Teilen der Monarchic zu 
selbstandiger Arbeit mit regster Anteilnahme an deren Aufgaben und Fort- 
schritten anleitete. 

Nach Vollendung des ersten Teiles seiner grofien Arbeit iiber die Fauna 
der Spiti shales des Himalaya verfafite er eine allgemeine Cbersicht des Kar- 
pathengebietes unter dem Titel »Bau und Bild der Karpathen«, und zwar im 
Rahmen des Gesamtwerkes : »Bau und Bild Osterreichs«, das bestimmt war, 
am Geologenkongresse in Wien 1903 zu erscheinen. Mehr als die andern Teile 
des Werkes, iiber die bdhmische Masse, iiber die Alpen und iiber die Ebenen, 
entsprach die Darstellung der Karpathen einem Bedurfnisse; denn hieriiber lagen 
noch keine grofiere Zusammenfassungen vor, und die Literatur iiber das strecken- 
weise wenig bekannte Gebiet war zerstreut und gehorte zum Teil alteren For- 
schungsepochen an. Vor allem aber verleiht die grundliche Kenntnis ausge- 
dehnter Gebietsteile, welche der Verfasser teils bei seinen Arbeiten im Dienste 
der Geologischen Reichsanstalt, teils auf besonderen Reisen sich erworben hatte, 
dem Werke einen hervorragenden Wert. 

Am meisten aber trat U. in den folgenden Jahren seiner vielseitigen Tatig- 
keit in den Vordergrund durch seine verschiedene Stellungnahme zur neuen 
Lchre vom Deckenbau der Kettengebirge. Es war dies eine weitere Fort- 
fuhrung der Lehre von der Entstehung der Kettengebirge durch einseitigen 
Schub, die schon fruh an die Stelle der alteren Vorstellungen einer zentralen 
Hebungsachse der Gebirge getreten war. Gestutzt auf die Erkenntnis grofier 
flacher Oberschiebungen in den schottischen Gebirgen, in Belgien, in Skandi- 
navien, war die neue Lehre insbesondere in den Westalpen von schweizerischen 
und franzosischen Geologen weiter ausgebaut worden. Man erkannte, dafi diese 
Gebirge aus einer Folge von 80 — 100 km weit flach iibereinandergeschobenen 
Decken bestehen. 

Die Obertragung dieser grofizugigen Vorstellungen auf die Ostalpen war 
ein weiterer notwendiger Schritt. Die Grenze zwischen den beiden verschieden 
gebauten Halften der Alpen im Osten und im Westen des Ratikon war schon 
fruher, als grofie Oberschiebungslinie erkannt worden. Lugeon (Lausanne), 
Termier (Paris) und Haug (Paris) haben zurZeit des Geologenkongresses 1903 
in Wien die kuhne Synthese aufgestellt, dafi die ganzen ostlichen Kalkalpen in 
einer Lange von 480 km vom Ratikon bis zum Wiener Becken als ortsfremde 
Deckscholle dem tieferen Gebirge aufruhen. Die Decke oder Summe von 
Decken, welche unter dem Namen der Ostalpen zusammengefafit wird, liegt 
auf den tieferen westalpinen Decken. 



1 1 2 Uhlig. 

Nicht plotzlich hat sich der Umschwung der Meinungen vollzogen. Ein 
grofler Teil der Geologen verhielt sich zuruckhaltend oder ablehnend gegen- 
iiber der neuen Lehre. Der Reihe nach aber sah man die fuhrenden Autoritaten, 
wie Heim (Zurich), Rothpletz (Miinchen), Steinmann (Bonn), Hoernes (Graz) 
u. a. sich ihr zuwenden. 

Endlich folgte U. mit der Umdeutung der Tektonik der Karpathen. 

Im Jahre 1903, wahrend des internationalen Geologenkongresses in Wien, 
war der Kampf der Meinungen am lebhaftesten, und so auch in der Diskussion, 
nachdem Lugeon in einem Vortrag iiber die »Nappes de recouvrement des Alpes 
Suisses« die neue Deutung der Ostalpen dargelegt hatte. Noch vor dem Kon- 
gresse hatte unter U.s Fiihrung die denkwiirdige Exkursion nach den karpathi- 
schen Klippen stattgefunden. Die lebhaften Kontroversen zwischen U. und 
Lugeon waren der Schmuck dieses Ausfluges und hielten die Teilnehmer in an- 
regender Spannung. Eine Einigung der durchaus gegensatzlichen Vorstellungen 
konnte in der kurzen Zeit, welche der Ausflug wahrte, nicht erwartet werden, 
und die beiden Forscher kehrten mit unversohnten Meinungen nach Wien zuriick. 

Aber Eindrucke und Argumente wirken in der Stille nach. Allmahlich 
lost sich das Netz der alten gewohnten Gedankenbahnen; allmahlich treten die 
neuen Beziehungen der Begriffe immer scharfer und klarer hervor. U. war 
ebensowenig ein blinder Nachbeter wie ein Streber nach neuen Effekten. Erst 
nach sorgfaltiger Prufung aller Griinde und Gegengriinde hat er sich der neuen, 
friiher von ihm selbst bekampften Auffassung, dann aber mit vollster Ent- 
schiedenheit zugewendet. Er gab hiermit ein leuchtendes Beispiel eines offenen 
und ehrlichen Bekenners der Wahrheit, den nicht Eigenliebe festhalt an seinen 
eigenen Schopfungen, sobald er das Bessere erkannt hat. 

Eine von seiner friiheren ganzlich verschiedene Vorstellung iiber den Bau 
und die Bildungsgeschichte legte U. in seiner denkwurdigen Abhandlung im 
Jahre 1907 »t)ber die Tektonik der Karpathen« der Akademie der Wissen- 
schaften vor. 

Die genauen kartographischen Darstellungen und Beschreibungen U.s 
haben die neue Erkenntnis in alien Stucken vorbereitet. 

Die in so eigentiimlicher Weise gruppierten verschiedenen Ausbildungs- 
formen (Fazies) der Formationen werden zu verschiedenen Decken. So liegt 
in der Sandsteinzone iiber der auBeren subbeskidischen die innere beskidische 
Decke. Die merkwurdige Klippenzone der Karpathen stellt nicht mehr die 
Reste eines autochthonen Gebirges dar, sondern die Kopfteile einer oder mehrerer 
emporgestauter Decken. Die granitischen Kerngebirge sind nicht mehr als alte 
Inseln im mesozoischen Meere aufzufassen. Auch sie sind Teile einer gemein- 
samen Decke, die auf eine fremde Unterlage von Siiden vorgeschoben wurde. 
Die sonderbaren Enklaven der sogenannten hochtatrischen Fazies der mesozoi- 
schen Formationen, welche die Kerngebirge umranden, friiher als Untiefen im 
mesozoischen Meere aufgefaCt, erklaren sich nun als in Aufwolbungen blofi- 
gelegte Teile einer gemeinsamen tieferen Decke, ummantelt von der hoheren 
Decke mit subtatrischen Fazies der mesozoischen Sedimente. 

Diese wenigen Angaben sollen nur ein Hinweis sein auf die umsturzende 
Bedeutung der neuen Hypothese vom Bau der Karpathen. Auf die weitere 
Fulle neuer Feststellungen, auf die oft recht schwierigen Deduktionen, welche 
die mannigfachsten geologischen Tatsachen miteinander in Beziehung bringen, 



Uhlig. I y 3 

auf viele neue sich eroffnende Gesichtspunkte kann hier naturlich nicht ein- 
gegangen werden. 

Die wichtigste Sttitze fur die neue Deutung der Karpathentektonik und 
fur die Annahme, dafi die Faziesgruppen, welche ganze Formationen umfassen, 
nicht an Ort und Stelle, sondern in weit voneinander geschiedenen Regionen 
entstanden sind, ist der von U. erbrachte Nachweis der Analogie der einzelnen 
karpathischen Decken mit den Decken der Ostalpen. 

An die Stelle der isolierten Hebungszentren der fruheren Vorstellung tritt 
eine einheitliche grofie Bewegung, und die zerstuckelten Umrisse vereinigen 
sich zu einem einheitlichen Bilde, welches Alpen und Karpathen gleichzeitig 
umfaflt. 

Es ist eine Notwendigkeit alles wissenschaftlichen Fortschrittes, dafi die 
Losung eines Problems zumeist an das zufallige Zusammentreffen gewisser 
aufierer Umstande oder Gedankenreihen gebunden ist, welche oft unvermutet 
dem Beobachter die Augen offnen. Nicht selten muflte man das Hauptverdienst 
an einer neuen Erkenntnis jenen zuschreiben, welche den Baum gepflegt und 
durch sorgfaltige Sammlung und Klarung der Beobachtungen die Frucht zum 
Reifen gebracht haben. Zufall ist es oft, wem gerade die reife Frucht einer Ent- 
deckung oder Erfindung in den Schofl fallt. In den Karpathen hat U. selbst 
gesat und auch selbst noch geerntet. 

Nicht selten wird man bei Verfolgung einzelner Theorien in der Geschichte 
der Naturwissenschaften bemerken, dafi ein Beobachter gegeniiber einer uner- 
schopflichen und schwer iibersehbaren Fiille von Erscheinungen allzu leicht 
sein Augenmerk unwillkiirlich jenen zuwendet, welche ihm die herrschenden 
Theorien nahelegen, wahrend Erscheinungen, welche nicht in den Rahmen 
der ihm gelaufigen Auffassung sich fugen wollen, leicht iibersehen werden. 
Dies gilt durchaus nicht fur U.s Arbeiten. Keine einzige Beobachtungstatsache, 
keine einzige der oft schwierigen, stratigraphischen Feststellungen, kein einziges 
Fallzeichen muflte geandert werden, um sie der neuen, ganzlich umstiirzenden 
Auffassung anzupassen. Die beobachteten Profile sind vollig unverandert ge- 
blieben. Was sich geandert hat, sind, mit U.s eigenen Worten, nur jene Ver- 
bindungslinien, durch welche das beobachtete Bild nach oben und unten, in 
die Luft und in das Innere hinein erganzt wird. Hier kann ihm die voile Aner- 
kennung und Wiirdigung auch der nicht versagen, der die Grenze zwischen dem , 
was erkannt und was erschlossen wurde, zwischen Beobachtung und Hypo- 
these, anders ziehen wurde als U. 

In der vollen Objektivitat gegeniiber den Beobachtungstatsachcn offenbart 
sich der wahre Naturforschcr; aber auch ebenso in dem entschlossenen und 
radikalen Aufgeben des eigenen Gedankenbaues, sobald der Zeitpunkt hierzu 
gekommen ist und der Entwicklungsgang der Forschung einen besseren Ersatz 
gebracht hat: in der edlen Selbstiiberwindung im Dienste der Wahrheit, ebenso 
wie in der Unverzagtheit, gegeniiber der Grofie der Erscheinungen in der Natur. 

Das nicht zu uberschauende Feld spannender Fragen und Aufgaben, welche 
die Deckenlehre in den Alpen eroffnete, muflte U. veranlassen, seinen regen For- 
schungseifer, nachdem er den Bau der Karpathen in Hauptumrissen erschlossen 
hatte, nun dem zweiten, grofleren unserer Gebirge, den Ostalpen, zuzuwenden. 

Um U.s Verdienste um die Wissenschaft wahrhaft und voll zu wurdigen, 
genugt es nicht, sich auf die Werke seiner Feder, auf die Liste seiner Publikatio- 

Bio£i. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. o 



114 Uhli *- 

nen zu beschranken. Man miifite zunachst sein Wirken als Lehrer und seinen 
Anteil an den Arbeiten seiner Schiiler mit ins Auge fassen. Als Lehrer wuflte U. 
nicht nur griindliche Kenntnisse und Methodik der Forschung zu vermitteln, 
sei es in der Beobachtung im Felde, sei es in der Verwertung des Sammlungs- 
materiales; er wuflte auch zu selbstandigem Denken und Forschen anzuleiten 
und das regste Interesse einzufloflen. Die Kiihnheit, mit welcher er seine 
Schiiler an die umstrittensten und spannendsten Probleme heranf iihrte, lohnten 
sie ihm mit dem lebhaftesten jugendlichen Eifer. Viele von ihnen wurden bald 
seine Mitarbeiter und scharten sich gerne um ihn, als ein freiwilliges und be- 
geistertes Gefolge seines Strebens. Eine Schule, auf die er gewifl mit berechtig- 
tem Stolze blicken durfte. 

Was kann man sich auch Schoneres fur die Jugend denken, als auf frischen 
Wanderungen durch einen verehrten und mit seinem Wissen freigebigen Lehrer 
eingefiihrt zu werden in die Ratsel unserer herrlichen Berge. Ihm war der 
frohliche Humor und Sang und Klang, mit dem die Jugend sich den Ernst der 
Arbeit zu wurzen vermag, ein herzerwarmendes Ergotzen. 

So waren denn die Alpen fiir viele seiner Schiiler das Feld der ersten T&tig- 
keit, und gern lenkte er sie auf Gebiete, von denen entscheidende Aufschliisse zu 
erwarten waren. 

Einige seiner Schuler vereinigte er um sich, um gemeinsam mit Professor 
Becke eines der schwierigsten Gebiete der Zentralalpen, die Radstadter Tauern, 
zu erforschen. Es war ihm nicht gegonnt, die Fertigstellung dieser groflen Arbeit 
zu erleben. Seine ersten Berichte geben uns schon einen Begriff von der aufler- 
ordentlichen Komplikation des Gebirgsbaues, die vielfachen, nachtraglichen, 
verwickelten Faltungen, Schuppen oder Teildecken, mit welchen die mesozoi- 
schen Tauerndecken iiber das Hochalmmassiv hinweg, nord warts unter die Grau- 
wackenzone an der Basis der ostalpinen Decke hinabtauchen. 

Durch ein eigentumliches Zusammentreffen der Umstande wurde U. in der 
letzten Zeit seines Daseins wieder zu der Aufgabe zuruckgefiihrt, welche ihn in 
den allerersten Jahren seiner wissenschaftlichen Tatigkeit beschaftigt hatte, 
namlich zu der Erforschung der Zustande unseres Planeten an der Grenze der 
Kreide- und Juraformation. * 

Die Beschreibung einer grofien Fossilsammlung aus dem Zentralhimalaya 
hatte ihn durch viele Jahre neben den tektonischen Studien beschaftigt. Die 
Beziehungen der Wiener Lehrkanzel zu Indien sind schon alteren Datums und 
zugleich ein Ruhmesblatt in der Geschichte der osterreichischen Geologen- 
schule. F. Stoliczka und C. L. Griesbach, W. Waagen, spater A. Krafft v. 
Dellmensingen waren von Wien aus in indische Dienste gegangen. Die ersteren 
beiden hatten dort leitende Stellungen erreicht. 

Die Verbindungen der Wiener geologischen Kreise mit Indien kommen vor 
allem zum Ausdrucke in der Mitarbeiterschaft an der Palaeontologia indica, wohl 
der groflten palaontologischen Zeitschrift der Gegenwart. Neben W. Waagen, 
E. v. Mojsisovics und C. Diener fiel hier U. eine Hauptrolle zu. Er hatte die 
ubernommene Bearbeitung der reichen Sammlung der Spiti shales vollendet, 
und der AbschluO der Drucklegung der umfangreichen Monographic in Calcutta 
riickte heran. 

Diese grofle Arbeit, naturgemafi verbunden mit ausgedehnten vergleichen- 
den Studien, muflte ihn zu allgcmeinen Ergebnissen fuhren. Dieselben Fragen 



Uhlig. 



"5 



tauchen hier auf, welche bereits im Jahre 1883 Neumayr in einer beriihmt 
gewordenen Abhandlung zu losen versuchte, mit der Unterscheidung klimati- 
scher Zonen wahrend der Jura und Kreidezeit. Auf Neumayrs Abhandlung 
sind viele neue Beobachtungen gefolgt. Manche Autoritaten hatten sich gegen 
Neumayr ausgesprochen und wenigstens fur die Meere des Jura ein gleich- 
formiges Klima als erwiesen angesehen. 

Niemand war mehr als U. geeignet, die von Neumayr angeregten Fragen 
von der Verbreitung und den klimatischen Verhaltnissen der Meere in diesem 
Abschnitte der Erdgeschichte neuerdings zu prufen. Er unternahm es, und das 
letzte Jahr seines Lebens war der Abfassung eines durch bewunderungswiirdige 
Beherrschung des weiten Stoffes ausgezeichnete Arbeit, iiber die marinen Reiche 
der Jura und Unterkreide, gewidmet. 

In Karlsbad auf dem Krankenbette, wenige Tage vor seinem Tode, hat er 
noch seine letzten Krafte an die Zusammenfassung des Ergebnisses gewendet. 
Es besagt, daB Neumayr in der Abtrennung klimatischer Zonen zu weit ge- 
gangen ist, dafl aber auch seine Gegner nicht das Ziel getroffen haben. Es ist 
allerdings nach U. um diese Zeit eine arktische Zone in den Meeresfaunen er- 
kennbar, die im westlichen Nordamerika und im europaischen Rufiland ziemlich 
weit gegen Siiden greift, aber sudlich von dieser Zone verschwimmt alles in 
einem sehr breiten aquatorialen Giirtel, in dem nur durch sekundare Merkmale 
abzugrenzende Provinzen unterscheidbar sind. 

U. war vielseitig und ein gewiegter Spezialforscher zugleich; durchaus kein 
weltabgeschiedener Gelehrter. Neben seinen theoretischen Studien fehlte ihm 
durchaus nicht der Sinn fur das reale Leben, und ohne einseitige Oberschatzung 
war er tief durchdrungen von der Bedeutung der VVissenschaft von der Erde 
fur die allgemeine Weltanschauung sowohl, wie fur zahlreiche Bedurfnisse des 
praktischen Lebens. So erhob er denn im Jahre 1907 den Ruf nach einem Zu- 
sammenschluB aller an der Geologic interessierten Kreise, nach der Schaffung 
einer Statte fur die freie Diskussion iiber alle Richtungen der Geologie und fur 
den Austausch der Erfahrungen von Theorie und Praxis. Der Aufruf sprach 
aus, was viele gefuhlt hatten, und fand lebhaften Widerhall. Bei der Grundung 
und spater bei der Leitung der geologischen Gesellschaft in Wien konnte man 
U.s nimmermude Tatkraft und Umsicht, sein gewinnendes Wesen, seine Fahig- 
keit, Beziehungen anzuknupfen und Gegensatze auszugleichen, ganz besonders 
schatzen lernen. Hier fand er seine liebste Horerschaft, vor der er neben seinen 
groBeren theoretischen Anschauungen, wie iiber den Bau der Ostalpen und 
der Karpathen, auch praktische Fragen entwickeln konnte. Er betrachtete das 
Gedeihen der Gesellschaft mit vollem Rechte als einen der schonsten Erfolge 
seines Lebens. 

U. war von fruhester Jugend auf an ernsten Lebenskampf und harte Arbeit 
gewohnt. Schon wahrend der Studienzeit war er genotigt, was ihm zum Lebens - 
unterhalte geboten werden konnte, durch eigene Kraft zu erganzen. In spateren 
Jahren erzahlte er gern mit Humor von den primitiven Zustanden und Quartier- 
verhaltnissen seiner galizischen Aufnahmsgebiete, die dem Forscher mehr Ent- 
behrung auferlegen konnten als manche Reise in entlegene Weltteile. 

Manchen schweren Schicksalsschlag hatte U. erlitten; so den Tod seiner 
ersten Frau (1894) und wenige Jahre spater den Tod seines kleinen Sohnes (1897). 

Im Jahre 1899 war ihm ein Trost geworden in der zweiten Ehe mit Louise 

8* 



Il6 Uhlig. Weitbrecht. 

Freiin v. Pechmann, die ihm eine stete treue Begleiterin war, auch auf fast 
alien seinen Reisen. 

Von den zahlreichen aufieren Ehren, mit denen ihn nicht nur sein Vater- 
land, sondern auch Deutschland, Ungarn und Rumanien ausgezeichnet haben, 
die sich zu den wissenschaftlichen Erfolgen gesellten, sei hier nur genannt seine 
Wahl in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, der er seit 1894 
als korrespondierendes, seit 1901 als wirkliches Mitglied angehorte. 

U. ist nur 54 Jahre alt geworden. Sein Haar war zwar weifi geworden, 
aber seine mittelgrofie, ebenmaflige Gestalt bewahrte bis in die letzten Tage 
eine Elastizitat und Lebhaftigkeit der Bewegungen, welche bei mancher Ge- 
legenheit, so beim Obersetzen eines Baches oder beim Aufstieg iiber eine Stein - 
bruchhalde, seinen Begleitern erfreulich auffiel. Er war von einer so natiir- 
lichen Liebenswiirdigkeit des Benehmens, dafi niemand im Verkehr bemerkte, 
einen wie beruhmten Gelehrten er vor sich hatte. Er kannte keinen Dtinkel 
und kein Besserwissen, keinen uberlegenen Ton, auch nicht im Verkehr mit 
seinen Schiilern. Er kanpte kein zahes Festhalten an vorgefafiten Meinungen, 
er war nach besserer Einsicht stets riickhaltlos tiberzeugbar. Seinem Vortrage 
konnte man oft entnehmen, dafi er sich mit der Bescheidung des wahren Ge- 
lehrten stets selbst auch als Lernender fuhlte. War er aber seiner Sache sicher, 
so wuflte er sie auch, wie manche polemische Schriften zeigen, mit Energie 
und nicht ohne Scharfe zu verfechten. 

Seine publizistische Tatigkeit war begiinstigt durch eine gliickliche Gabe 
der Darstellung, durch eine rasch und leicht laufende Feder. 

Als Lehrer war er stets freigebig mit Rat und Belehrung, nach aller Moglich- 
keit bemliht, dem Arbeitseifer seiner Schliler in alien Stucken entgegenzu- 
kommen. Er liebte grofiziigiges Streben, alle kleinlichen Hemmnisse waren ihm 
verhafit. Ein Hauptzug seines ganzen Wesens war aber unermiidlicher Drang 
nach Erweiterung seines Wissens und nach Betatigung, der ihn zur Ausdauer 
und Anspannung aller Krafte zwang, wenn es gait, etwas zu Ende zu fuhren 
und die ihm keine Mufie und Beschaulichkeit gestattete; kaum noch voile Rast 
auf dem letzten Krankenbette. 

Gekurzt und abge&ndert nach dem Nekrolog in den Mitteilungen der Geol. Gesellschaft 
in Wien Bd. Ill, 191 1. Das. auch Verzeichnis der Schriften V. U.s. 

F. E. Suefi. 

Weitbrecht, Richard, Dr., evangelischer Stadtpfarrer in Wimpfen am Berg, 
* 20. Februar 1851 in Heumaden bei Stuttgart, f 1. Mai 191 1 in Heidelberg. — 
Geboren als Sohn eines Pfarrers und Bruder des am 10. Juni 1904 verstorbenen 
Dichters und Literaturhistorikers Karl W., vorgebildet in den Lateinschulen zu 
Kirchheim und Efilingen und im Seminar zu Blaubeuren, studierte W. 1869 — 74 
in Tubingen Theologie, Geschichte und Germanistik, promovierte mit einer Arbeit 
iiber den Verfasser des Nibelungenliedes, war dann Vikar und Repetent am 
theologischen Seminar in Urach und wurde 1878 als Pfarrer in dem kleinen 
Dorfe Mahringen bei Ulm angestellt, wo er 15 Jahre in landlicher Stille ver- 
brachte, seine Mufiezeit reicher literarischer Betatigung widmend. 1893 wurde 
er durch seinen Landsmann, den Geheimen Kirchenrat Dr. Kostlin, in den 
hessischen Kirchendienst gezogen und verlebte die letzten 18 Jahre seines 
Lebens als erster Geistlicher der hessischen Gemeinde Wimpfen, die eine Enklave 



VVeitbrecht. 



117 



im wurttembergischen Gebiete, ganz in der Nahe von Heilbronn, bildet, zugleich 
auch als Lehrer der Geschichte und Literatur an der hoheren Tochterschule 
daselbst. Ein schweres Unterleibsleiden notigte ihn im Friihjahr 1911, die 
Heidelberger Universitatsklinik aufzusuchen, in der er nach erfolgloser Opera- 
tion gestorben ist. W. war ein reichbegabter, vielseitiger Geist, in dessen Lebens- 
fuhrung und literarischer Betatigung scheinbar disparate Gebiete harmonisch 
sich verschwisterten : ein Pfarrer durch und durch, an dem seine Gemeinden 
in Predigt, Seelsorge und Jugendunterricht viel gehabt haben, und doch ein 
Weltkind von liebenswiirdiger, offener Weltweite; ein scharf kritischer Verstand 
und eine bliihende, reichgestaltende Phantasie; tiefer, heiliger Ernst und schalk- 
haft froher Humor; hellblitzende Kampfesfreude und lauterste Friedfertigkeit; 
kernfestes Schwabentum in Denkart, Sprache und Schrift und heilig gliihendes 
Deutschtum. Literarisch am bekanntesten wird sein Name bleiben als fein- 
sinniger schwabischer Dialektdichter. Er war mit seinem Bruder Karl 
einer der ersten, der die neue Epoche moderner mundartlicher Dichtung aufs Schwa- 
bische anwandte. Schon 1877 erschienen die »Gschichte-n aus-m Schwobaland* 
und 1882 »Nohmol Gschichte-n aus-m Schwobaland« von Karl und Richard W.; 
ihnen gesellte Richard allein im Lauf der Jahre noch bei »Allerhand Leut, 
Schwobegschichte« (1888), »Neue Schwobegschichte* (6 Bandchen, 1893 — 99), 
»Verzwickte Gschichte, luschtige Schwobegschichte« (1901). Manche dieser 
Geschichten haben in seinem Heimatland eine klassische Beruhmtheit erlangt, 
so: D'Stadtjompfer; So a Beck (auch aufgenommen in das Hausbuch schwabi- 
scher Erzahler, 191 1); Oinawcag; A Goischt; D'Oberzwerch; D'Pfarrmagd; 
sie zeigen, dafi er mit alien Fasern seines Wesens wurzelte im Heimatboden des 
Schwabenlandes, das ihn geboren und grofigezogen hat, und dafi er wie wenig 
andere einzudringen wufite in die Tiefen schwabischen Volkstums und Volks- 
gemuts, insbesondere einzudringen in die harte, nach aufien schwer sich offnende 
Schale des schwabischen Bauerntums, das doch manch edlen Kern von Treue 
und Biederkeit in sich birgt. Und noch sein letztes, ein halbes Jahr vor seinem 
Ende erschienenes Werk »Bohlinger Leute, ein schwabischer Bauern- und 
Pfarrerroman« (19 10) ist ein Stuck edelster schwabischer Heimatkunst, ein 
iiberaus wertvoller Beitrag zur heimatlichen Kulturgeschichte, namentlich auf 
dem Gebiete der religiosen Geistesrichtungen. Zum Preis der schwabischen 
Heimat hat er mit Gust. Neuffer eine Sammlung schwabischer Dialektdichtun- 
gen: »'s Schwobaland in Lied und Wort« herausgegeben, (1885), mit demselben 
auch 1889 — 1892 den volkstumlichen Kalender: »Ulmer Donaubote«. Aber auch 
die eigentlich geschichtliche Erzahlung grOfieren Stils war seine 
Domane, auf der er seine reichen historischen, insbesondere kirchen- und 
literarhistorischen Kenntnisse aufs schonste mit den Ranken der dichtenden 
Phantasie umspann. Hierher gehoren: »Ein kiihner Reiteroberst« (Herzog 
Magnus von Wurttemberg, in Karl Flemmings vaterlandischen Jugendschriften 
Bdch. 74); »Gotz von Berlichingen« fur die Jugend erzahlt; »Der Prophet von 
Siena*, Erzahlung aus dem Zeitalter der Reformation (1881); »Feindliche 
Machte«, geschichtliche Erzahlungen aus 17 Jahrhunderten (1883); »Der Bauern- 
pfeifer«, eine Weltfahrergeschichte (1887); »Ketzergerichte, neue geschichtliche 
Erzahlungen* von der Unduldsamkeit des religiosen Fanatismus in beiden 
Kirchen von 1559 — 1776 (1891, 3. Aufl. 1913); »Die letzten Ritter« (in »Sturmi- 
sche Zeiten«, Erz. aus der Zeit des Faustrechts von R. Scipio, R. W., A. Ohorn, 



1 1 8 WeitbrechU 

A, Kleinschmid) ; »Der lange Fahnrich« (in »Aus schwabischen Gauen<t, zwei 
Erzahlungen aus Schwabens Vergangenheit von R. W. und Paul Lang); »Der 
Einsiedler von Scharfenbach, eine Geschichte aus dem Zillertal* (1899, auch 
ins Polnische ubersetzt); »Deutsche Art, drei vaterlandische Erzahlungen« 
(1900); »Der Leutfresser und sein Bub, eine Landsknechtsgeschichte aus der 
Zeit Georgs v. Frundsberg« (1905); »Prinz Eugen und seine Getreuen« (1908). 
Hierher mag noch gerechnet werden: »Kaiser und Reich, goldene Blatter aus 
den Taten und Worten Kaiser Wilhelms I. und seines Reichskanzlers Bismarck* 
(1884). — Auch als dramatischer Dichter hat er sich zwei mal mi t Glue k 
versucht: »Im Wechsel der Zeiten« (1903) und »In Treuen fest«, Festspiel zum 
400.GeburtstagPhilippsdesGroBmutigen (1904). Tiefgrundig waren seine Studien 
und Kenntnisse auf dem literaturgeschichtlichen Gebiete. Hierher ge- 
horen: »Geschichte der deutschen Dichtung von den Anfangen bis zur Gegenwart, 
fiir Frauen und Jungfrauen« (1880); »Deutsches Heldenbuch« ftir die Jugend; 
»Joh. Fischart als Dichter und Deutscher« (Neue Volksbibliothek III, 6); 
»Fischarts Ehezuchtbiichlein«, neu bearbeitet (1881); »das Gudrunlied in neu- 
hochdeutschen Versen nachgedichtet« (1884); »Klopstocks Messias«, ausgewahlt 
(1885); »Simplicius Simplicissimus« (1885); »Deutscher Humor neuerer Zeit, 
Beitrage zur Kultur- und Sittengeschichte von der Mitte des 18. bis in die 
dreifiiger Jahre unseres Jahrhunderts« (gemeinsam mit Heinr. Mertens, 1881); 
^Religiose Lyrik« (1898). Auf seinem eigentlich beruf lichen Gebiete, dem der 
Theologie, sehen wir ihn tatig in »Das Christenbuch«, ein evangelischer Haus- 
schatz in Morgen- und Abendandachten, Predigten und Liedern, gemeinsam 
mit Ad. Bilfinger und Rud. Pfleiderer (1902). Diesleiteendlich uberzu seiner PreB- 
tatigkeit fiir den Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch protestanti - 
schen Interessen. Von 1887 — 191 1 war er Vorstandsmitglied des wiirttem- 
bergischen Hauptvereins desselben und hat 1892 bis zu seinem Tode die Schrift- 
leitung der »Wurttembergischen Bundesblatter«, des Vereinsorgans desselben, 
wie schon 1889 — 93 die des »Protestantischen Familienblatts« gefiihrt mit dem 
ganzen Einsatze seiner warmherzigen, begeisterten, temperamentvollen Per- 
sonlichkeit, mit reicher Kenntnis der literarischen Stromungen der Gegenwart 
und, wenn's nottat, eine scharfe Klinge f uhrend gegen Unduldsamkeit und Ober- 
griffe, gegen alles Schlechte und Unreine. Von besonderen Schriften gehoren 
hierher: »Die deutsche Literatur in romischer Beleuchtung«; ^Protestantische 
Biicherschau«, ein Fiihrer und Ratgeber fiir die Mitglieder des Evangelischen 
Bundes (1889); »Verzeichnis dramatischer Spiele zu Auffuhrungen fiir das 
evangelische Volk« (1897, 3. Aufl., 1906); »Angriff und Abwehr zur Geschichte 
der konfessionellen Polemik im 19. JahrhunderU (Flugschriften des Evangeli- 
schen Bundes Nr. 65/66 und 69/70, 1892); »Konfessioneller Literaturbetrieb«t 
(Flugschriften 240, 1906); »Wie gewinnen wir unser Volk fiir den Evangelischen 
Bund?* (1902). Endlich ist er ungezahlten Tausenden ein alljahrlich lieber 
Hausfreund geworden als Herausgeber (1897 — 191 1) des Evangelischen Bundes- 
kalenders, des ^Evangelischen Volksboten«, in dem er besonders seine Gaben 
volkstumlicher Erzahlung vielfach betatigte. So ist es ein in literarischer Arbeit 
reich ausgefiilltes Leben, das R. W. gelebt hat und das fiir seine Freunde viel 
zu fruh geendet hat. Wenn er in seinem letzten, Weihnachten 1910 erschienenen 
Buch ^Bohlinger Leute«, in dem er in harmlos-scherzhafter Weise auch des 
»Pfarrers Richard*, d. h. sich selbst auftreten laflt, die Heldin der Geschichte 



Weitbrecht. Brenner. 



119 



von demselben sagen laflt: »Er ist halt auch ein Pfarrer geworden, aber kein so 
glaubiger wie sein Vater; und dann hat er allerlei Geschichten geschrieben, auch 
(iber uns Bauern, aber keine extra christlichen. Im Hessischen drunten sei er 
gestorben — vielleicht lebt er aber auch noch«, so mag der vorletzte Satz aus 
einer dunklen Vorahnung des nahen Erdenziels ihm aus der Feder geflossen sein; 
der letzte aber gilt von seinen Werken und gilt von den Herzen seiner Freunde. 
Er lebt noch im dankbaren Gedachtnis von Tausenden und Abertausenden, 
denen er geistiger Fiihrer und Lehrer war, gut schwabisch, echt deutsch, treu 
evangelisch. Dr. Hermann Mosapp. 

Brenner, Ernst Dr., schweizerischer Bundesrat, * Basel 9. Dezember 1856, 
t n. Marz 191 1, Menton. — Einer alten Basler Burgerfamilie entstammend, Sohn 
eines Kaufmanns, der jiingste von vier Geschwistern. Halbjahrig, verlor er 
seine Mutter durch den Tod. Die Stiefmutter, die er erhielt, ersetzte sie ihm; 
sie war eine vortreffliche Frau, an der B. zeitlebens mit grofier Liebe und Ver- 
ehrung hing; ein bitterer Schmerz war es fur die neunzigjahrige Greisin, daB 
sie den Hinschied des so hochgestiegenen geliebten Sohnes noch erleben mufite. 

Ernst war ein mehr in sich gekehrter Knabe; er las viel und dachte viel; 
doch kein weltabgewandter Sonderling; vielmehr wurde er ein frohlicher Jung- 
ling, der mitgeturnt und mitgesungen hat. Die juristischen Studien begann er 
in Basel, wo er, als aktives Mitglied der Studentenverbindung Helvetia, auch 
oft zur Mensur angetreten ist. Vollendet hat er die Studien, denen er dann 
mit groflem Eifer oblag, in Munchen und in Leipzig. Sein Onkel war 
Dr. Karl B., der unerschrockene und hochangesehene Fiihrer der Basler 
Radikalen in den sttirmischen vierziger Jahren und in den f unfziger und sechziger 
Jahren. Die beiden standen in einem intimen Verhaltnisse, und der Feuereifer 
des Onkels ist auf den Neffen ubergegangen, der schon als Student an politischen 
Bewegungen teilgenommen hat. Nach bestandenem Doktor- und Anwalts- 
examen im Jahre 1879 hat B. die Anwaltspraxis ausgeubt, bis er 1884 in den 
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt gewahlt wurde, nachdem schon seit 
einiger Zeit das Augenmerk der Basler Freisinnigen auf den regsamen und 
energischen jungen Mann sich gerichtet, und er als der kommende Mann gegolten 
hatte. »Er ist unsere spes« hat ein bedeutender Basler Gelehrter Anfangs 1884 
einmal zum Schreibenden gesagt. Dem Groflen Rate hatte er schon seit 1881 
angehort. Fast wahrend der ganzen Zeit der Mitgliedschaft des Regierungs- 
rates hat B. das Justizdepartement verwaltet, erst im letzten Jahre, 1896/97, 
noch das Erziehungsdepartement. Als Justizdirektor hat er das Gerichtswesen 
in einer, wie allgemein anerkannt wurde, sehr zweckmafligen Weise reorgani- 
siert. In den Jahren 1887/88 und 1894/95 war er Prasident des Regierungs- 
rates. Langere Zeit hat er dem weitern Burgerrate angehort. Von 1887 — 97 
war er Vorsteher der Safranzunft. Er war auch Prasident des eidgenossischen 
Turnvereins, Prasident des eidgenossischen Sangervereins, Prasident des von 
der Regierung bestellten Komitees fur das grofle St. Jakobsfest von 1894. 
Es wiirde zu weit fuhren, alle Amter aufzuzahlen, die er bekleidete. Er war 
eben der Mann in Basel, an den man sich fur die Leitung grOfierer Veranstaltun- 
gen zu wenden pflegte. — Der Redaktor der Basler »Nationalzeitung«, der B.s 
Wirksamkeit als baslerischer Regierungsrat geschildert hat, ruhmte an ihm das 
rasche Erfassen der Tragweite der gesetzgeberischen Probleme und der Regie- 



1 20 Brenner. 

rungsmafinahmen, das sichere Unterscheiden zwischen Erreichbarem und Un- 
erreichbarem, die freisinnige, humane Lebensanschauung. 

Im Jahrei887 wurde B. in denschweizerischenNationalrat (eine der beiden 
Kammern der Bundesversammlung, d. h. des schweizerischen Parlamentes) ge- 
wahlt. Er nahm da bald eine sehr geachtete Stellung ein und gehorte fast alien 
wichtigeren Kommissionen als Prasident oder als Mitglied an. Im Jahre 1894 hat 
er dem Nationalrat als dessen Prasident vorgestanden. Von B. war im National- 
rat." die Motion auf Revision des eidgenossischen Eisenbahnhaftpflichtgesetzes 
gestellt worden. Wahrscheinlich war es das schreckliche Eisenbahnungliick 
von Monchenstein bei Basel, 14. Juni 1891, welches ihn insbesondere zur Stellung 
der Motion veranlafite. Diese wurde erheblich erklart, und die postulierte Gesetzes- 
anderung kam zustande, aber erst im Jahre 1905. Sie brachte eine Abklarung 
verschiedener Fragen und eine Ausdehnung der Haftpflicht. — Zeitweise hat 
B. als ihr gewahlter Leiter an der Spitze der schweizerischen freisinnigen Partei 
gestanden. Von 1891 — 97 war er Ersatzmann des Bundesgerichts. 

Im Marz 1897 mufite fur den zum Direktor des internationalen Tele- 
graphenbureaus ernannten Herrn E. Frey eine Ersatzwahl in den Bundesrat (die 
aus sieben Mitgliedern bestehende Regierung des schweizerischen Bundesstaates) 
getroflen werden. Die radikaldemokratische (freisinnige) Fraktion der Bundes- 
versammlung erkor B. zu ihrem Kandidaten. Vom liberalkonservativen Zentrum 
wurde Prof. Dr. Paul Speiser, der im Basler Regierungsrate B.s Kollege gewesen 
war, portiert; von der auflersten demokratischen Linken Nationalrat Thcodor 
Curti, der gegenwartige Direktor der Frankfurter Zeitung; beides Manner von 
hervorragender geistiger Begabung und langjahriger parlamentarischer Er- 
fahrung. Der Wahlkampf (25. Marz) war ein heifler. B. wurde gewahlt, aber 
erst im 4. Skrutinium, dann mit 96 Stimmcn, bei einem absoluten Mehr von 
90 Stimmen. Am 27. Marz wurde der Gewahlte in der Vaterstadt Basel, unter 
der Begeisterung des ganzcn Volkes, feierlich empfangen. Die Wahl war nicht 
nur eine bestrittene gewesen, sondern sie wurde audi, unter Emporhebung der 
unterlegenen Gegenkandidaturen, noch wahrend einiger Zeit scharf kritisiert. 
Als B. unmittelbar nach der Wahl deren Annahme erklarte, ftigte er bei, dafi 
er seinen politischen Oberzeugungen treu bleibcn werde; »aber ich werde niemals 
vergessen, dafi uber den Parteien das Vaterland steht, dessen Wohlfahrt zu 
fordern unser allgemeines Bestreben sein mufi«. Bald erkannte man, dafi der 
neue Bundesrat diese Worte zur Richtschnur seines Handelns nahm. Die an- 
fangliche Kritik verstummte nicht nur, sie verwandelte sich in eine warme und 
allgemeine Anerkennung. Bei den periodischen Erncuerungswahlen (alle drei 
Jahre) erfolgte die Wiederwahl B.s jcweilcn fast cinstimmig; ebenso die Wahl 
zum Bundesprasidenten f ur das Jahr 1901 und diejcnige fur das Jahr 1908. 
Die Wiederwahl vom Dezember 1905 begleitete ein politisch gegnerisches Blatt, 
ein Hauptorgan des Zentrums, die Gazette de Lausanne, unter Bezugnahme auf 
die besonders grofie Stimmenzahl B.s, mit folgenden Worten: le plus jeune 
des Conseillers federaux, M. Brenner, Chef du Departement de Justice tt Police \ 
dont la tenue excellente, le jugement droit et la fertnete sont trh-remarques, un 
laborieux aussi, qui ne laisse Hen au hasard et posskde dans le detail toutes les 
affaires, petites et grandes, qui reinvent de sa direction (Der jiingste der Bundesrate, 
Hr. B., dessen ausgezeichnete Haltung, gerades Urteil und Festigkeit sehr be- 
achtet sind; auch ein Arbeiter, der nichts demZufall iiberlafit, und alle Geschaf te, 
grofie und kleine, die seiner Direktion unterstehen, im Detail beherrscht). 



Brenner. X 2 1 

Im Bundesrate fiel dem tiichtigen Juristen B. das Justiz- und Polizei- 
departement zu. In dieser Stellung lagen ihm die Behandlung der zahlreichen 
Rekurse, zumeist staatsrechtlicher Natur, und die Gesetzesarbeiten ob. Unter 
seiner Leitung kamen, aufier dem schon erwahnten Eisenbahnhaftpflichtgesetz, 
zustande die Gesetzesrevisionen betreffend das Patentwesen, die Erwerbung des 
Schweizerburgerrechts, den Versicherungsvertrag, die Muster und Modelle. 
Mit der Revision des Gesetzes uber die Organisation der Bundesrechtspflege, 
den Vorarbeiten fiir die Einfuhrung eines Verwaltungsgerichts, der jeweiligen 
Vorbereitung der Mitwirkung der Schweiz bei den Haager Konventionen, hat 
er sich eingehend befaflt. Die Leistung von grofitem und dauerndem Wert 
aber lag auf dem Gebiete der Rechtsunifikation. Mit dem Zivilgesetz ist 
B.s Name fiir immer verknupft. Ihm ist neben dem Redaktor Prof. Huber ein 
Hauptverdienst am Zustandekommen beizumessen. »Das Portrat Louis 
Ruchonnets« sagte B. bei der 1906 in Lausanne erfolgten Einweihung des Denk- 
mals dieses hochverehrten Magistraten, »hangt uber meinem Pult; sein wohl- 
wollender Blick scheint den Nachfolger zu ermutigen, das Werk zu vollenden, 
das er so gut begonnen.« B. ist in der Tat auf der vonRuchonnet gezeichneten 
Bahn riistig vorangeschritten. Im November 1898 wurde die Verfassungs- 
revision, welche dem Bunde die nun uneingeschrankte Gesetzgebungskompetenz 
fiir das Zivilrecht und die fur das Strafrecht ubertrug, vom Volk und den Kan- 
tonen angenommen. Fur das Zivilrecht lagen die Entwiirfe zum Teil schon vor, 
zum Teil wurden sie vor Ende des Jahres 1900 fertiggestellL Fiir das Strafrecht 
bestand ein Entwurf. Gemafi dem Antrage B.s wurde die Prioritat dem Zivil- 
rechte eingeraumt. Vom Herbst 1901 bis zum Fruhjahr 1903 haben die Be- 
ratungen der grofien Expertenkommission stattgefunden; sie dauerten im ganzen 
14 Wochen. Vermoge scharfen Verstandes, vollstandiger Sachkenntnis und 
Energie konnte B. die Prasidialleitung in klarster Weise besorgen; er tat es auch 
in der verbindlichsten Form. Dem klugen diplomatischen Geschicke der beiden 
Manner, Brenner und Huber, die die komplexeMaterie grundlich beherrschten, 
gelang es, dieverschiedenen sich oft widerstrebendenAnsichten und die Postulate 
weitgehender Berucksichtigung kantonaler Rechte in verhaltnismafiig kurzer 
Zeit unter einen Hut zu bringen. Einen ahnlichen Verlauf nahm die Sache in 
der gesetzgebenden Behorde, der Bundesversammlung, wo die Beratung noch 
im Jahre 1904 ihren Anfang nahm. Im Natiqnalrate funktionierte als Referent 
Huber selber, von den franzosischen Korreferenten, den jetzigen Bundesrichtern 
Gottofrey und Rossel, wirksam unterstiitzt. Im Standeratereferierte, ebenfalls mit 
grofitem Erfolge, Arthur Hoffmann, der gegenwartige Bundesrat (u. Bundesprasi- 
dentfur 1914). DieOberleitunghatte B. als Ressortminister. Am 10. Dezember 1907 
wurde das Gesetz in beiden Raten einstimmig angenommen. Vom Rechte des 
Volksreferendums wurde nicht Gebrauch gemacht. Am 1. Januar 191 2 trat das 
Gesetz in Kraft. Nebenher hatte B. die Revision des seit 1883 bestehenden 
Obligationenrechts, das nun dem Zivilgesetz einverleibt wurde, geleitet. Der 
Abschlufi erfolgte aber erst in der wenige Wochen nach B.s Tode eiijsetzenden 
Session der Bundesversammlung. An der beginnenden Beratung des eidgenossi- 
schen Strafrechtes, fiir die er sich vorbereitet hatte, konnte B. nicht mehr teil- 
nehmen. 

In den Jahren 1901 und 1908 mufite B. als Bundesprasident ex officio dem 
politischen Departement vorstehen und damit die auswartigen Angelegenheiten 



122 BrcDner. Varrentrapp. 

besorgen. Es erscheint als geradezu selbstverstandlich, dafi er auch hier am 
rechten Platze war. Er hat die auswartigen Beziehungen sachlich unbefangen 
studiert, wufite die Interessen auf beiden Seiten zu erfassen und bloflzulegen, 
Mittel und Wege ausfindig zu machen, um ein gewolltes Ziel zu erreichen oder 
ihm moglichst nahe zu kommen. Mehrmals, z. B. beim Handelsvertrage mit 
Deutschland 1904, hat er durch die Findung einer gliicklichen Redaktion die 
rasche Verstandigung liber einen strittigen Punkt herbeigefiihrt. Der Verkehr 
mit den fremden Gesandten war bei seinem Takt und seiner Klugheit ein kor- 
rekter und gewandter. Nie konnte es vorkommen, dafi er ein uniiberlegtes Wort 
hatte fallen lassen. 

Bundesrat B. hat sich keine Schonung auferlegt. Wie manchen Abend 
des Monats hat er bis um Mitternacht gearbeitet! Wahrend der Krankheit im 
Sommer 19 10 hat er im wesentlichen die Geschafte des Departements von 
seiner Wohnung aus besorgt, wo auch des oftern Sitzungen des Bundesrates 
stattgefunden haben. 

B. war ein guter Redner, auch Volksredner, wobei das sonore Organ und 
die stattliche Erscheinung forderlich waren. »Der wahre Patriotismus«, sagte 
er im Vaterlandstoaste am eidgenossischen Schutzenfeste in Luzern 1901, »ist 
nicht die vorlibergehende Erregung der nationalen Eigenliebe, sondern das 
standige BewuStsein dessen, was man seinem Lande schuldet«. Man weifi, 
dafi B. diese Theorie nicht nur verkundet, sondern durch sein Leben unaus- 
gesetzt betatigt hat. 

Von seinem gluckstrahlenden hauslichen Leben sei nur erwahnt, dafi er 
die Sonntage der Familie zu widmen pflegte und auf langeren Spaziergangen 
als liebevoller Vater die hoffnungsvollen Kinder aufzuklaren und zu belehren 
sich bemiihte. 

B.s Krankheit war ein Nieren- und Venenleiden; Ende September 1910 
hatte er sich zu einem Erholungsaufenthalt nach Montreux begeben, Ende 
November nach Menton. Es war scheinbar Besserung eingetreten, da ist er 
in den Spatstunden des 1 1. Marz 191 1, erst 54 Jahre alt, plotzlich und uner- 
wartet einer Embolie erlegen. Als die Nachricht kam, da ist uberall in der 
Schweiz ein Gefiihl tiefen Bedauerns eingezogen. Die Leichenfeier im Berner 
Munster war eine wirkliche Trauerfeier. Das Volk wufite, dafi hier ein Leben 
vorzeitig erlosch, das in selbstloser Weise und mit unermudlichem Fleifie 
seinem Wohle gewidmet war, und von dem es noch viel Gutes erwarten durfte. 
B. war gerecht, wohlwollend, leutselig, von warmem sozialen Empfinden und, 
bei aller Wahrung der Wiirde seiner Stellung, bescheiden; treu den Freunden, 
treu den Grundsatzen und den Pflichten; es war unbedingter Verlafi auf ihn. 
Als ein solcher Mann war er gekannt und verehrt. Prof. Huber hat nicht zu 
viel gesagt, wenn er den Nachruf, den er im »Bund« vom 13. Marz 191 1 dem 
eben entschlafenen Freunde widmete, mit den Worten begann: »Die Eidgenossen- 
schaft hat einen ihrer besten Staatsmanner verloren.« 

Bern. J o h. Winkler. 

Varrentrapp, Konrad, Professor der Geschichte, * 17. August 1844 in Braun- 
schweig, f 28. April 191 1 in Marburg. — Aus dem 1908 veroffentlichten Buche 
Werner Konstantin v. Arnswaldts, »Aus der Geschichte der Familie Varrentrapp*, 
geht hervor, dafi Westfalen deren Heimat ist. Von da geschah in der Mitte 



Varrentrapp. j 2 ^ 

des 17. Jahrhunderts die t)bersiedlung nach Frankfurt am Main, und hier er- 
scheint nun vom 18. Jahrhundert an der Name mit einem angesehenen Verlags- 
geschafte verbunden. Nach dem Buchhandler Franz waren Nachkommen in 
dritter Generation die Briider Johann Georg, der 1886 verstorbene Arzt, der 
sich um seine Vaterstadt so grofie Verdienste erwarb x ), und der Chemiker Franz. 
Durch Liebig empfohlen, kam dieser 1841 nach Braunschweig, wohin ihn der 
neu begriindete Gewerbeverein berufen hatte; dann aber gewann die Regierung 
die vorziigliche Lehrkraft ftir die anatomisch-chirurgische Lehranstalt. Als 
Wardein bezog er die Amtswohnung in der Miinze, und hier wurde ihm sein 
Sohn Konrad geboren. Spater trat der Vater in die Buchhandlung Vieweg 
als Teilhaber ein und half dem grofien naturwissenschaftlichen Verlage zu 
seinem Rufe. Schon ftir den Knaben war es von fordernder Bedeutung, dafi 
der Vater mit Hermann Baumgarten, den Vieweg 1848 ftir die Redaktion der 
in seinem Verlage erscheinenden Deutschen Reichszeitung gewann, sich eng 
befreundete, und der lebhafte Anteil, der im Elternhause im nationalen Sinn 
an den bewegenden politischen Fragen genommen wurde, mufite auf die Auf- 
nahmsfahigkeit des begabten Sohnes anregend wirken. 

V. bezog nach Vollendung der Gymnasialstudien in Braunschweig 1862 
die Universitat Gottingen und empfing da bei Waitz in den historischen Ubungen 
die sichere Grundlage fur die kritische Erfassung und Durchfuhrung geschicht- 
licher Arbeit. Mit dem Sommersemester 1864 kam er nach Bonn, und hier 
gewann der Verfasser dieses Artikels die Freundschaft des um ein Jahr jungeren 
Fachgenossen. Was ihm noch fur die letzten Jahre nachgeruhmt wurde, spru- 
delnde Lebendigkeit, helle Begeisterung fur alles Schone und Ideale, Feinheit 
und Liebtenswurdigkeit des Charakters, heiterer Frohsinn, gepaart mit sitt- 
lichem Ernst und riihrender Selbstlosigkeit: all das hat ihn schon damals aus- 
gezeichnet, und eine Pfingstreise an die Mosel, gleich nach Beginn der Bekannt- 
schaft durch vier Kommilitonen unternommen, ist alien Teilnehmern eine nie 
erloschende schone Erinnerung geblieben. Heinrich v. Sybel war es, der den 
Studenten nach Bonn gezogen hatte, und nachdem imHerbst 1864 die rheinische 
Universitat mit Berlin vertauscht worden war, geschah nach einem Semester 
die Ruckkehr des Studierenden nach Bonn. Hier folgte im Dezember 1865 mit 
der Verlegung eines ersten Stiicks der Commentatio de Christiano archiepiscopo 
Maguntino als Dissertation, die Promotion und 1868 die Habilitation. Noch 
enger als schon vorher schlofi sich der Privatdozent an seinen Lehrer an, und 
wie 1869 das Register zu den ersten zwanzig Banden der Historischen Zeit- 
schrift durch V. ausgearbeitet wurde, so ubertrug Sybel an den verstandnis- 
vollen Gehilfen zuletzt die ganze Besorgung der Redaktionsgeschafte. Freilich 
in den Monaten des Krieges 1870 und 1871 trat eine Unterbrechung ein; denn 
in freudiger Hingabe an die mit ganzem Herzen ergriffene grofle Sache war V. 
als Fuhrer einer Kolonne von Krankentragern beim zweiten Sanitatsdetache- 
ment des dritten Armeekorps in Frankreich tatig, war Zeuge der Schlacht von 
Vionville, dann vor Metz, beim Marsch an die Loire und wahrend der dortigen 
Kampfe tatig und brachte das eiserne Kreuz als Anerkennung mit: vom 28. Marz 
war ein Brief, wieder aus Braunschweig, datiert, mit der Meldung, dafi am 14. 
Orleans verlassen worden sei, »nachdem ich meine letzten Strohsacke, Gabeln, 



VgU AHgem- Deutsche Biogr., XXXIX, S. 500 ff. 



1 24 Varrentrapp. 

Teller usw. usw, der Mairie (iberliefert hatte«. 1873 folgte die Beforderung 
zum Extraordinarius. Aber 1874 nahm auf Ostern V. den Ruf als Ordinarius 
nach Marburg an, und nach Ernst Hermanns Riicktritt iibernahm er mit dem 
Wintersemester 1877/78 die Leitung des historischen Seminars. Doch mit 
Ostern 1890 wurde er der Nachfolger Baumgartens in Strafiburg. Schon in 
seinem Brief e vom Marz 1871 hatte er geschrieben: »Du begreifst, mit welch 
freudigen Gefuhlen ich heute durch den Elsafi fuhr«, und so war es wirklich 
ein aus dem Bewufltsein der Pflicht entstandener Entschlufl, an der im Reichs- 
lande wieder geschaffenen geistigen Statte zu wirken, auch aus eigener Kraft 
zur Knupfung engerer Verbindung mitzuarbeiten, der ihn nach dem Elsafl 
fuhrte. Aber im Herbst 1901 kam er gern wieder nach Marburg zur tick, wo er 
seine Arbeit auf ihm liebgewordenem Boden neu aufnahm. 

V. hat als Forscher und Darsteller eine ausgebreitete literarische Betati- 
gung entfaltet. Wie schon seine Dissertation zeigt, ging er von der Geschichte 
des Mittelalters aus. Das Thema, das er dort an die Hand genommen hatte, 
fuhrte er 1867: »Erzbischof Christian I. von Mainz« (Berlin) zu einem Buche 
aus, und ein so scharfer Kritiker, wie Scheffer-Boichorst war — auf angrenzen- 
dem historischen Gebiete heimisch, schatzteerV., neben dem er in Berlin biblio- 
thekarische Studien gemacht hatte — , anerkannte in alien Hauptsachen die bis 
dahin vernachlassigte Lebensbeschreibung des vierten der grofien Erzbischofe, 
die in Kaiser Friedrichs I. Zeit dem Reiche gedient hatten. Noch 1882 wurde 
dann in der Historischen Zeitschrift in einer langeren, an die Besprechung des 
Giesebrechtschen Werkes sich anschlieOenden Abhandlung ein Thema der mitt- 
leren Geschichte behandelt, doch mit dem Hinweis am Schlusse, daC, je unzu- 
langlicher die Auskunft sei, die uns unsere Quellen iiber Motive, Entschliisse, 
Taten der Kaiserzeit gewahren, um so mehr zu deren Verstandnis als wunschens- 
wert erscheine, durch das Studium von Kunst- und Literatur-, von Kirchen- 
und Kultur-, Rcchts- und Wirtschaftsgeschichte eine deutliche Vorstellung 
von den Zustanden der Menschen dieser Zeit zu schaffen. So wandte sich die 
Arbeitskraft des Historikers vom Mittelalter weg der neueren Zeit zu, wie denn 
auch schon sein Lehramt in StraGburg sich auf die neuere Geschichte bezog. 
Ein erstes groBeres Werk, »Ein Beitrag zur deutschen Reformations- 
geschichte«, war 1878 aus der rheinischen Geschichte genommen: »Hermann 
v. Wied und sein Reformationsversuch in Koln« (Leipzig); die in der zweiten 
Abteilung des Bandes angehangten »Quellen und Erorterungen« zeigen, auf 
ein wieviel ausgebreiteteres, sorgsam gesammeltes Material der Verfasser sich, 
gegenuber friiheren Bearbeitungen des so interessanten Stoflfes, stiitzen konnte. 
Dagegen war 1889 das umfassende Buch: » Johannes Schulze und das hohere 
preufiische Unterrichtswesen in seiner Zeit« (Leipzig) einer Personlichkeit des 
19. Jahrhunderts gewidmet: ausgehend von einem im Vorwort eingefugten 
Urteil Kopkes, dafi keiner mehr als Schulze unter den gesinnungsverwandten 
Raten des Ministers geradezu »das Ministerium Altenstein« unter Friedrich 
Wilhelm III. gewesen sei, schilderte da V., zumal aus den Akten des Kultus- 
ministeriums, diese auCerst forderliche Tatigkeit des vortragenden Rates fur 
die Hebung der preufiischen Gymnasien und Universitaten, und es ist ihm dabei 
in vorziiglicher Weise gelungen, auf dem Hintergrunde der allgemeinen Verhalt- 
nisse, der politischen Umrahmung die individuelle Leistung zur Anschauung 
zu bringen. 



Varrentrapp. 1 2 5 

Allein neben diesen grofieren literarischen Schopfungen steht eine reiche 
Fulle auBerst nennenswerter Einzelarbeiten. Schon in einer These seiner Dis- 
sertation hatte der Kandidat einen Ausspruch Dahlmanns herangezogen, dafi 
es nicht geraten sei, Hochschulen aus kleineren Stadten in Reichshauptstadte 
zu verpflanzen, und so hat er als Professor auf dem Boden der Geschichte aufier- 
halb Berlins bluhender Universitaten, denen er seine Lehrbegabung widmete, 
eifrig gearbeitet. Zuerst gab er 1868 zur Stiftungsfeier der preufiischen Uni- 
versitat Bonn als Festschrift »Beitrage zur Geschichte der kurkolnischen Uni- 
versitatBonn«; in der Jubilaumsrede von 1904: »Landgraf Philipp von Hessen 
und die Universitat Marburg*, in der Abhandlung: »Die Strafiburger Universitat 
in der Zeit der franzosischen Revolution* (1898), in der Erinnerung an den 
Humanisten Nikolaus Gerbel, den ersten Professor der Geschichte in StraCburg 
(1901), aber auch in der Ausfuhrung: »Straflburgs Einwirkungen auf Goethes 
historische Anschauungen« (1899) kamen die hessische und die elsassische 
Universitat zur Beriicksichtigung. Aber iiberhaupt lag Marburg, wo er die 
schonste Zeit seines Lebens und Arbeitens genofl, V. besonders am Herzen, 
und so blieb auch die Stellung des hessischen Landes innerhalb Deutschlands 
ein Thema, das ihn notwendigerweise in Anspruch nahm: 1905 erschien in der 
Historischen Zeitschrift sein in Marburg gehaltener Vortrag: »Meinungen in 
Kurhessen uber das deutsche Kaisertum in den Jahren 1848 und i849«. Dafi 
den Geschichtslehrer, der schon als Jungling, lange vor 1866, von der politischen 
Mission Preuflens uberzeugt war, besonders auch die Zeit des Grofien Kur- 
fiirsten anzog, war eine gegebene Sache. So schenkte er diesem Hauptabschnitt 
brandenburgischer Geschichte seine besondere Aufmerksamkeit. Zu Kaisers 
Geburtstag hielt er 1894 in Strafiburg die Rede: »Der grofie Kurfiirst und die 
Universitaten*; den hervorragenden Publizisten Pufendorf stellte er in der 
1893 und 1894 in der Historischen Zeitschrift veroffentlichten Sammlung von 
Briefen, sehr interessanten Dokumenten, die man noch kurz zuvor schmerzlich 
vermiflt hatte, unter Voraussendung einer instruktiven Einleitung, in helleres 
Licht; die 1880 erschienene Abhandlung: »Der Prinz von Homburg in Ge- 
schichte und Dichtung« gab den Anstofi zu noch weiterer Beschaftigung mit 
dem Dichter Heinrich v. Kleist. Doch ganz vorziiglich erwies sich V.s herzens- 
warme Pietat auch in jder Art und Weise, wie er sich zum Andenken an her- 
vorragende Reprasentanten der von ihm selbst so ruhmlich vertretenen histori- 
schen Wissenschaft stellte. Auf das engste hat er sich in seiner ganzen Lebens - 
arbeit an Heinrich v. Sybel angeschlossen, und so ergab es sich von selbst, dafi 
er nach des Meisters Hinschied 1897 in Band III der Historischen Bibliothek 
der Redaktion der Historischen Zeitschrift zu den abgedruckten »Vortragen 
und Abhandlungen* die biographische Einleitung verfaCte, von der ein berufener 
Beurteiler mit Recht sagte, diese Erstlingsbiographie gebe besser als alle anderen, 
vielleicht freier und unbefangener urteilenden, die eigene frische Anschauung, 
die Lebenswarme, das unmittelbare Echo der Personlichkeit bei seinen Zeit- 
genossen wieder. Aber mit nicht geringerem Verstandnis kehrte der in der Auf- 
findung und Edition wichtiger brieflicher Zeugnisse nie ermudende Kenner der 
besten Fundorte stets wieder zu dem Altmeister, zu Leopold v. Ranke, zurlick. 
In dem Aufsatze der Historischen Zeitschrift von 1907: »Rankes historisch- 
politische Zeitschrift und das Berliner Politische Wochenblatt« ist das fur das 
Verstandnis der Tatigkeit des Geschichtsschreibers so unentbehrlich wichtige 



126 Varrentrapp. 

Kapitel des politischen Schriftstellers, nach eindringender Forschung, zur 
Darstellung gebracht; eine Einzelstudie behandelte Rankes religiose Anschauun- 
gen; Brief e an Ranke wurden nacheinander in der Historischen Zeitschrift ver- 
offentlicht, eine letzte Gruppe 191 1, als der Einsender, der noch die Korrektur 
besorgt hatte, schon nicht mehr zu den Lebenden zahlte. Einen dritten Politiker 
und Historiker, den er nicht mehr personlich kannte, dem er aber die aufrichtigste 
Hochschatzung entgegenbrachte, dem Vorganger Sybels an der Bonner Hoch- 
schule, Dahlmann, stiftete V. in einer 1885 gehaltenen Rede und in der 1886 
veroffentlichten Sammlung »Kleine Schriften und Reden« ein Denkmal, und 
ebenso gab er 1887 dessen »politische Erstlingsschrift«, aus dem Marz 1814, 
heraus, die dem Biographen Dahlmanns, Springer, unbekannt geblieben war, 
uber die letzten Schicksale der deutschen Untertanen Danemarks und ihre Hoff- 
nungen von der Zukunft. Indessen wurden auch noch Briefe aus friiheren Jahr- 
hunderten, von Wimpfeling, von Melanchthon, mit zahlreichen literarischen 
Hinweisen ausgestattet, ein Aufsatz uber die 1539 aus Sebastian Brants Nachlafl 
durch Kaspar Hedio herausgegebene Beschreibung Deutschlands, andere 
kleinere Arbeiten uber Gneisenau, uber die Konigin Luise, veroffentlicht. 

Als akademischer Lehrer war V. seinem ganzen Wesen nach vorziiglich 
geeignet, seine Zuhorer zu fesseln, Schule zu machen. Es wird bezeugt, da6 die 
in ungebrochener Kraft, aus innerer Anteilnahme quellende, von sittlichem Ernst 
getragene Rede lebhaften Reiz habe empfinden lassen, daG im Seminar die 
fruchtbarste Anregung, besonders die Anleitung zu erschopfender Benutzung 
allerheranzuziehendenLiteratur, wieer selbstsie in seinenJArbeiten iibte, geboten 
worden sei, was ja ubrigens auch in den von ihm unermudlich geforderten Dis- 
sertationen zutage trat. 

Noch trug sich V. mit einem grofien literarischen Plan, einer Geschichte der 
deutschen Geschichtschreibung. Da zwang eine schwere Krankheit ihn bis 
zum Jahre 1909 nicht nur seine Lehrtatigkeit aufzugeben, sondern auch auf 
die Vollendung dieser Arbeit Verzicht zu leisten. Besonders bei der schweizeri- 
schen Heilquelle von Baden im Aargau fand er vorubergehende Besserung, und 
durch eine gluckliche Fiigung war es 1907 dem Verfasser dieses Artikels ver- 
gonnt, mit dem alten Freunde dort zusammenzutreffen. In der hingebendsten 
Weise durch seine Frau, mit der er sich 1877 zur Begrundung einer glucklichen 
Ehe verbunden hatte, Lilly Beneke, Tochter des Professors der Medizin in 
Marburg, verpflegt, zeigte er da, trotz aller korperlichen Behinderung, noch die 
unverminderte geistige Frische und gemutliche Warme. Eine ihn lebhaft er- 
freuende Ehrung brachte ihm, dem neben der Liebe zum Vaterlande die zur 
evangelischen Sache stets voranstand, 1909 die theologische Ehrenpromotion 
von der ihre Jubelfeier begehenden Universitat Leipzig, ihm dargebracht als 
»einer Zierde der Wissenschaft, die durch ihre historischen Untersuchungen 
auch der kirchengeschichtlichen Arbeit wirksamste Anregung und Forderung 
zuteil werden liefi«. Ein letzter Lichtblick in dem erloschenden Leben war 
die ehrenvolle Vollendung der Studien des einzigen Sohnes Franz, der als Jurist 
in seiner von berufenster Seite anerkannten Dissertation: »Rechtsgeschichte 
und Recht der gemeinen Marken in Hessen« die historische Bahn des Vaters 
mit Gliick neu betritt. 

VgL die Artikel von Goswin von der Ropp (Historische Zeitschrift Bd. CVIIj 2. Heft) 
und von Karl Wenck (Historische Vierteljahrsschrift Jg. XVI, 2. Heft). 

G. Meyer v. Knonau. 



Seltmann. 



127 



Seltmann, Karl, Domkapitular und ordentlicher Honorarprofessor an der 
Universitat, * 2. April 1842 in Neustadt O.-S., f 7- Oktober 191 1 in Breslau. — 
Einer Biirgerfamilie in Neustadt (Oberschlesien) entstammend, besuchte S. zu- 
nachst die Volksschule seiner Vaterstadt, die ihm in der Oberklasse auch die 
Anfangsgrunde von Latein und Franzosisch vermittelte, dann das Gymnasium 
im benachbarten Neisse. 1862 bezog er die Universitat Breslau, um katholische 
Theologie zu studieren. Nach Empfang der Priesterweihe (1866) war S. in ver- 
schiedencn Seelsorgestellen tatig. Seit Oktober 1870 wirkte er als Missions - 
pfarrer in Wittstock, zu dessen weit ausgedehntem Missionssprengel auch Neu- 
Strelitz gehorte; die Verdienste, die sich S. damals durch die Fiirsorge fur die 
katholischen Mannschaften der Garnison und die daselbst internierten kriegs- 
gefangenen franzosischen Soldaten erwarb, wurden durch die Verleihung der 
Kriegsdenkmunze seitens des GroCherzogs von Mecklenburg-Strelitz aner- 
kannt. Nachdem S. dann seit Oktober als Pfarrer von Eberswalde segensreich 
gewirkt hatte, wurde ihm im Jahre 1884 auf Presentation der kgl. preuBischen 
Staatsregierung ein Kanonikat an der Breslauer Kathedrale verliehen. Bis zu 
seinem Tode hat er dieser Korporation, in den letzten Jahren als Canonicus 
seholasticus, angehort. Wie ublich, war S. daneben in der Bistumsverwaltung 
als Rat des Generalvikariatamtes und des Konsistoriums sowie als Prokurator 
verschiedener milder Stiftungen tatig, auch als Domprediger wirkte er bis kurz 
vor seinem Tode. Seit 1895 fuhrte er zudem die Redaktion des »Schlesischen 
Pastoralblattes«, das der vielseitig verdiente August Meer (f 15. Juni 1895) 
begrundet hatte. 1896 verlieh ihm die theologische Fakultat der Universitat 
Freiburg im Breisgau die theologische Doktorwiirde, und seit dem Dezember 1905 
gehorte er als ordentlicher Honorarprofessor dem Lehrkorper der Breslauer 
Universitat an. Die beiden letztgenannten Ehrungen wurden ihm auf Grund 
seiner schriftstellerischen Tatigkeit zuteil. Seine Produktivitat ist in Anbetracht 
seiner vielseitigen amtlichen Tatigkeit eine bedeutende gewesen. Seine Ar- 
beiten, die von seinen reichen Kenntnissen ein ruhmliches Zeugnis ablegen, 
tragen freilich zumeist keinen streng wissenschaftlichen Charakter; am meisten 
ist dies noch der Fall bei dem Buch (iber »Angelus Silesius und seine Mystik« 
(Breslau, 1896), in welchem er ein Lebensbild des Verfassers des »Cherubinischen 
\Vandersmanns« und der »Heiligen Seelenlust« entwirft und dann mit Aufgebot 
eines reichen Apparates von Zitaten aus der hi. Schrift und den Kirchenvatern 
im einzelnen den Nachweis versucht, daC die Mystik desselben in ihren Haupt- 
gedanken mit der Lehre der Schrift und der Kirche ubereinstimmt. So bedeutet 
seine schriftstellerische Tatigkeit nicht eine Forderung wissenschaftlicher Er- 
kenntnisse, sondern dient mehr der Vermittlung der Resultate wissenschaftlicher 
Forschung an weitere Kreise sowie erbaulichen Zwecken; letzteres gilt nament- 
lich von seiner Ausgabe des Buchleins des hi. Johannes Chrysostomos »Vom 
Priestertum« (1887) und der Ubersetzung des »Triumphes des Kreuzes« (1898) 
des grofien Dominikaners Savonarola. 

Aber weder die bisher genannten Schriften noch seine ausgedehnte beruf- 
liche Tatigkeit haben S.s Namen in weitere Kreise getragen. Was ihn bekannt 
machte und was es rechtfertigt, dafi sein Andenken durch das »Biographische 
Jahrbuch« wachgehalten wird, sind seine Bemuhungen um die Wiedervereinigung 
der getrennten Christen. Darin hat S. wohl seine eigentliche Lebensaufgabe 
gesehen, und diese Bestrebungen geben seiner Personlichkeit das besondere 



1 28 Seltmann. 

Geprage. Schon in Eberswalde gab S. seit 1879 die Monatsschrift heraus *>Ut 
omnes unum. Auf dafi alle eins seien. Korrespondenzblatt zur Verstandigung 
und Vereinigung unter den getrennten Christen. Unter Mitwirkung hervor- 
ragender Manner aus beiden Konfessionen.« Nachdem dieses Blatt dann im 
Oktober 1901 durch Kauf in den Besitz des Herausgebers der »Friedensblatter«, 
des damaligen Kaplans Bernhard Strehler in Lahn, ubergegangen und mit 
dieser gleiche Tendenzen verfolgenden Zeitschrift verschmolzen worden war, 
faflte S. die Gedanken, die er bislang in seinem Organ vertreten hatte, in einem 
grofieren Werk zusammen: Zur Wiedervereinigung der getrennten Christen 
zunachst in deutschen Landen, Breslau 1903, X und 391 Seiten. Eine Erganzung 
und Auseinandersetzung mit den Beurteilungen, welche dieses Werk gefunden 
hatte, bot dann eine weitere Schrift: Kritiken und Neues zur Wiedervereinigung 
der getrennten Christen. Breslau 1906. 146 Seiten. »Es erschien mir von jeher«, 
so beginnt das Vorwort der ersten Schrift, »als eine grofie Ungeheuerlichkeit 
und war mir stets ein widerwartiger Greuel, dafi diejenigen, welche denselben 
christlichen Namen tragen, durch die verschiedenen Glaubensbekenntnisse in 
Parteien gespalten sind und infolgedessen im privaten wie im offentlichen Leben 
vielfach nicht blofi wie Feinde im einzelnen und im kleinen, sondern wie feind- 

liche Heerlager im ganzen und im groflen einander gegeniiberstehen 

Der fortwahrende Schmerz nun uber eine getrennte Christenheit hat mich schon 
vor vielen Jahren dahin gefiihrt, mich unablassig mit der Frage zu beschaftigen, 
ob dieser beklagenswerte Zustand der Trennung nicht irgendwie noch einmal 

wieder geheilt werden konne « 

S. wendet sich an die Christen, »welche vornehmlich durch die deutsche 
Reformation von uns getrennt sind«, und von diesen wieder an die, »welche 
wenigstens an die Gottheit Christi und an die Gottlichkeit der Bibel glauben*. 
In seinen Darlegungen nimmt die Behandlung der Rechtfertigungslehre be- 
greiflicherweise einen breiten Raum ein, »da die deutsche Reformation mit dem 
Streit liber die Rechtfertigung begonnen und diesen Punkt zum articulus stantis 
et cadentis ecclesiae gemacht hat« und da »die Frage: Wie erhalte ich einen gnadi- 
gen Gott? fur jeden Menschen iiberhaupt stets von der fundamentalsten Be- 
deutung bleibt«. Besonders einlafllich beschaftigt sich S. mit der Augsburgischen 
Konfession, da die protestantischen Theologen, wie er — falschlich — meint, 
auf dieselbe vereidigt werden, um aus der Confessio Augnstana und daneben 
auch den andern Bekenntnisschriften festzustellen, »wieweit unsere Oberein- 
stimmung noch eine wirkliche geblieben ist, und wie sie wieder zur anerkannt 
wirklichen werden kann«. Aus der vergleichenden Betrachtung der Bekenntnis- 
schriften mit der katholischen Kirchenlehre ergibt sich ihm, »dafi eine Oberein- 
stimmung zum grofien Teil entweder bereits vorhanden ist oder bei rechtschaffe- 
nem und festem Willen doch so weit hergestellt werden kann, dafi eine Wieder- 
vereinigung unter uns getrennten Christen mit Gottes Hilf e nicht zu den Unmoglich - 
keiten gehort. Das Nahere wurden die mundlichen Verhandlungen ergeben* 
(S. 389). — Es kann sich nicht darum handeln. im einzelnen diese Bestrebungen 
zu wiirdigen, nur einige Bemerkungen seien angefugt. Im allgemeinen haben 
die beiden Schriften S.s eine freundliche Aufnahme gefunden, freundlich wenig- 
stens insofern, als die gute Absicht des Verfassers und der vornehm sachliche Ton 
seiner Erorterungen anerkannt wurde. Und darin hatten seine Kritiker recht; 
wer ihn personlich gekannt hat, weifl, dafi die Lauterkeit seiner Absichten 



Seltmann. Milliner. 



129 



nicht anzuzweifeln war, und dafi der vermutungsweise geaufierte Verdacht 
»theologischer Bauernfangerei« (Tschackert, Modus Vivendi 15) grundlos ist. 
Aber seine hochfliegenden Hoffnungen auf greifbare Erfolge seiner Anregungen 
hat wohl niemand so recht zu teilen vermocht. Das kann nicht wundernehmen. 
Es wird wohl vornehmlich aus dem Mangel an tieferer historischer Bildung und 
an dem Vermogen, mit unbeirrbar niichternem Blick die Tatsachen der ge- 
schichtlichen Entwicklung in ihrer ganzen Bedeutung zu wtirdigen, zu erklaren 
sein, dafi S. sich von Unionsversuchen auf der von ihm gewahlten Grundlage 
Erfolg versprach. Sonst konnte es ihm nicht verborgen bleiben, dafi protestanti- 
scherseits von einem Festhalten am Wortlaut und vollem Inhalt der Bekenntnis- 
schriften keine Rede mehr ist, dafi das Zeitalter der protestantischen Orthpdoxie 
langst sein Ende erreicht hat. Sonst ware ihm auch, von der spateren Ent- 
wicklung ganz abgesehen, die Confessio Augustana nicht als Grundlage der 
Einigung geeignet erschienen, da sie den Umstanden ihrer Entstehung gemafi 
ja nicht offen erkennen lafit, wie grofl schon damals die Gegensatze geworden 
waren; sollte sie doch zeigen, dafi die protestierenden Stande, als deren Bekennt- 
nis sie vorgelegt wurde, noch auf dem Boden der alten Kirche stunden, so dafi 
Luther iiber das Verschweigen, das Dissimulieren wichtiger Gegensatze in der- 
selben sein Mifibehagen auflerte und urteilte: Plus satis cessutn est. — Trotzdem 
wird man S.s wohlgemeinten Bestrebungen nicht alien Wert und alles Verdienst 
absprechen dlirfen, denn der Gedanke einer Wiedervereinigung der chxistlichen 
Kirchen, der zu alien Zeiten edlen Geistern eifrigster Bemuhung wert erschien 
— nur Leibniz sei genannt — , darf auch in der Gegenwart nicht in Ver- 
gessenheit geraten, und die Trennung darf nicht als etwas Gegebenes und Selbst- 
verstandliches betrachtet werden, sondern auch furder mufl die Wiedervereini- 
gung als ein hohes, erstrebenswertes Ziel erscheinen, wenn wir auch jetzt mit 
unserem Blick, der nur eine Spanne reicht, nicht die erfolgverheifienden Wege 
sicher zu erkennen vermogen. Es gibt Gedanken, die wie ein kostlich Kleinod 
geschutzt werden mussen, bis einst ihre Stunde gekommen ist; sie ist manchmal 
naher, als Menschenwitz vermeint. Wer will sagen, dafi mit der Wiedervereini- 
gung der christlichen Kirchen es nicht so sein konnte. — Und etwas anderes 
konnte S.s Tatigkeit wirken: die ruhige Sachlichkeit, das Bemuhen, den Gegner 
zu verstehen, der irenische Zug seiner Schriften, sie sollten als Vorbild wirken 
bei der Behandlung konfessioneller Differenzen, damit stets bei aller Uberzeugt- 
heit von der Richtigkeit des eigenen Standpunktes der Ansicht des Gegners mit 
Achtung begegnet werde, damit alles Verbitternde und Verletzende als ebenso 
ungebildet wie unchristlich verbannt bleibe. Wurde das allenthalben beachtet, 
so ware wahrlich schon viel gewonnen. 

Lit Nachruf von A. Ktfnig in der Chronik der Kgl. Universitat zu Breslau XXVI (1911/12), 
222 — 226. 

Breslau. Franz Xaver Seppelt. 

Milliner, Laurenz, Professor der Philosophic an der Wiener Universitat, 
* 29. Juli 1848 zu Grofigrillowitz in Mahren, f 28. November 191 1 in Meran. — 
M. absolvierte das Gymnasium zu Nikolsburg und wandte sich dann dem Stu- 
dium der Theologie zu. Er trat zunachst in das Priesterseminar seines engeren 
Heimatlandes in Brunn ein, verliefi dieses jedoch sehr bald wieder, da die auch 
schon damals unter den Studierenden scharf ausgepragten nationalen Gegensatze 

Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nckrolo^. 16. Bd. 9 



130 



Mttllner. 



ihm den Aufenthalt verleideten, und wurde in das f ursterzbischofliche Alumnat in 
Wien auf genommen. Derbedeutende Kenner und geistvolle Interpret der mittel- 
alterlichen Philosophic, Karl Werner, war sein Lehrer und Ubte auf den begabten 
Adepten der Theologie einen bestimmenden Einflufl aus, der durch das ganze 
Leben anhielt. 1871 wurde M. zum Priester geweiht und wirkte nun bis 1875 
als Kooperator in der Landstadt Marchegg. Noch in seinen spateren Jahren 
hat sich M. sehr gern an diese Zeit erinnert, wo er, gefSrdert durch den Frieden 
eines idealen Pfarrhoflebens, Seelsorge und philosophische Studien harmonisch 
verbinden konnte. Vorziiglich mit Schelling und dem Miinchner Wilhelm 
Rosenkrantz hat er sich in diesen Jahren beschaftigt. 1875 berief ihn das 
Wiener Ordinariat auf die Pfarre zu St. Leopold im zweiten Bezirk, wo er 
trotz der gesteigerten Anforderungen der Seelsorge seine Studien unermudlich 
fortsetzte. Wie in Marchegg, so war M. auch in Wien als warmer, gemiitvoller 
Verkiinder des Evangeliums sehr geschatzt. Von der Bedeutung seelsorgerlicher 
Tatigkeit dachte M. stets sehr hoch, und das schone Wort Friedrichs v. Schlegel: 
»Geistlich wird umsonst genannt, wer nicht Geistiges erkannU, das er so gern 
vor den neu eingetretenen Horern der Theologie anfuhrte, war ihm selber Leit- 
stern. Am 30. November 1876 wurde M. an der Universitat zu Innsbruck 
zum Doktor der Philosophic promoviert. In seiner Dissertation hatte er das 
auf Schelling fuBende System von Wilhelm Rosenkrantz behandelt, das zugleich 
eine neue Grundlegung der Scholastik erstrebte. Die Abhandlung erschien in 
den Jahrgangen 1876 und 1877 der »Zeitschrift fur Philosophic und philosophi- 
sche Kritik«. Der erste Teil derselben wurde in einem Sonderabdruck bei 
Heinrich Kirsch in Wien 1877 herausgegeben. Die in aller Warme eines jugend- 
lichen, fast romantischen Enthusiasmus abgefafite Schrift ist von einer grofien 
Begeisterung fur die Gedankenwelt Schellings getragen und verkiindet mit 
einer ergreifenden, priesterlichen Glut das Ideal der grofien, alle Momente der 
Wahrheit hegenden, alle irdischen Bestrebungen segnenden Weltkirche. »Dem 
hohen Sinne der Weltkirche darf nichts fremd bleiben, was ideell die Welt bewegt, 
und wie ihr Kultus nur das Nachbild der heiligen Weltliturgie, des geheimnis- 
vollen Betens aller Wesen ist, so soil die Predigt der Kirche alle Lichtstrahlen, 
die der ewige Logos, >>der jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt«, 
von den Urzeiten her in die Geister der Menschen gesandt, wie in einem Brenn- 
punkte sammeln, und auch in dieser Beziehung aussprechen, »was vom An- 
beginn der Welt verborgen war« (S. 14 und 15). Von diesem Bilde der Kirche 
als der zentralen Macht geistiger Kultur erfullt, begann M. 1881 seine akademi- 
sche Tatigkeit mit Vortragen uber philosophisch-theologische Propadeutik an 
der theologischen Fakultat in Wien. Zu Ende des Jahres 1883 wurde er zum 
auficrordentlichen, am 2. November 1887 zum ordentlichen Professor der christ- 
lichen Philosophic ernannt. Seine Aufgabe war durch die kirchlichen Bestim- 
mungen, die seit dem Rundschreiben des Papstes Leo XIII. »Aeterni patriw 
aus dem Jahre 1879 das System des Thomas von Aquino als Grundlage des 
philosophischen Unterrichts an den theologischen Lehranstalten vorschrieben, 
genau umgrenzt. Im wesentlichen betrachtete denn M. auch in den Jahren 
seiner Tatigkeit auf der theologischen Fakultat (188 1 — 96) die Darlegung des 
thomistischen Gedankensystems in Anlehnung an Konstantin Gutberlets Hand- 
buch als seine Hauptaufgabe. Aber ein geistvoller Lehrer vermag auch im 
anscheinend cngen Rahmen der Interpretation eines philosophischen Systems 



Milliner. 



131 



vielerlei AnlaB zu finden, um auf die Fragen der Gegenwart Riicksicht zu 
nehmen, die wichtigsten Erscheinungen neuerer Zeit zu wurdigen und sie in 
einen groflen Zusammenhang hineinzustellen. Seine umfassende und ein- 
gehende Belesenheit in der theologischen und philosophischen Literatur wie 
nicht minder in den Dichtungen aller Kulturvolker stand M. bei seinem aufier- 
ordentlich gliicklichen Gedachtnis stets rasch zu Gebote und belebte seinen 
Vortrag. Von Unkirchlichkeit konnte bei M.s Art, die ihm fiir die Erziehung des 
Klerus iibertragene Aufgabe zu losen, wohl fur niemanden die Rede sein, es 
miifite denn liberhaupt eine Denkweise, die von der Wirksamkeit der Kirche 
einen sehr hohen Begriff hat und ein Erstarren des kirchlichen Lebens in phari- 
saischer Enge zu verhiiten trachtet, fiir unkirchlich gelten. Doch haben sich 
die Anklager gegen M.s Lehrwirksamkeit gefunden. Es ist jetzt noch nicht an 
der Zeit, diese Episode in der Geschichte der Wiener theologischen Fakultat 
aktenmaOig darzustellen. Erfreulich war es, dafi die Denunziation in Rom 
mit einem fur M. durchaus gunstigen Resultate endete. Im Winter 1886/7 hielt 
er sich in Rom auf und konnte vor dem Papste Leo XIII. seine Lehrweise dar- 
stellen und begrunden. M.s Praxis, vor den Theologiestudierenden auch die 
Stromungen und Erscheinungen der neueren Zeit zu beriicksichtigen und sie, 
immerhin am Leitfaden der thomistischen Systematik, in deren Verstandnis 
einzufiihren, fand Leos Billigung mit den Worten: »Hoc laudo et approboA An 
der Sapienza horte M. in diesem romischen Winter mehrere Vorlesungen iiber 
die thomistische Philosophic Das giinstige Urteil des Papstes war fur M. 
eine gewaltige Ermunterung und befestigte seine Stellung, wenn auch die freilich 
nur leise geaufierten Bedenken einiger enger Seelen im Wiener Klerus nie ganz 
verstummten. Im Studienjahre 1891/92 war M. Dekan der theologischen 
Fakultat, 1894/95 Rektor der Universitat. Die Inaugurationsrede stellte Galilei 
in seiner Bedeutung fur die Philosophic dar und gab die Grundlinien eines groBe- 
ren Werkes liber den unsterblichen Italiener, das leider nicht zur Vollendung 
gekommen ist. In der Zeit des Rektorats sammelte M. eine Auswahl seiner 
Studien iiber literarische Gegenstande und Beitrage zur Erlauterung bedeutender 
Werke der Malerei und gab sie unter dem Titel »Literatur- und kunstkritische 
Studien. Beitrage zur Asthetik der Dichtkunst und Malerei« bei W. Brau- 
muller (Wien, 1895) heraus. Es spricht aus ihnen eine hohe, vornehme Welt- 
auffassung, die sich mit grofler Feinheit in das innere Leben der kunstlerischen 
Individualitaten versenkt. Hier sei nur erwahnt, da6 sich in diesem Buch auch 
der Essai Milliners iiber die »Aspasia« von Robert Hamerling, der seinerzeit in 
den Spalten des »Vaterland« erschienen war, abgedruckt findet. Bekanntlich 
hat Hamerling dem verstandnisvollen Beurteiler seiner Schopfung in den 
»Stationen meiner Lebenspilgerschaft« hierf ur gedankt. Weithin bekannt wurde 
M. in seinem Rektoratsjahr durch sein Auftreten im niederosterreichischen 
Landtage, wo er gegen Angriffe der damals eben im starksten Vormarsch bc- 
griffenen Christlichsozialen die Autonomic der Universitat und die Unabhangig- 
keit der wissenschaftlichen Forschung verteidigte. In einem klerikalen fran- 
zosischen Blatt nahm damals der spaterhin als Bekampfer der Strafiburger 
katholisch-theologischen Fakultatsidee bekanntgewordene Chauvinist Kannen- 
gieser Anlafi, sich in alien Tonen des Entsetzens iiber den in Osterreich noch 
immer nicht ausgestorbenen Josephinismus zu aufiern! 

Sehr gern ist M. in dem seinem Rektorat folgenden Jahre zur philosophischen 

9* 



1^2 Milliner. 

Fakultat iibergegangen, an die er mit Allerhochster Entschlieflung vom 29. Mai 
1896 berufen wurde. Erst die grofiere Bewegungsfreiheit, die er immer ersehnt 
hatte und die ihm nun beschieden war, liefi seine reiche Personlichkeit zur vollen 
Entfaltung kommen. Die Darstellung der grofien Meister des mittelalterlichen 
Denkens war ihm auch in der zweiten Periode seiner akademischen Lehrtatig- 
keit eine Herzenssache. Die Gedankenwelten des Thomas und des Bonaventura 
waren ihm nicht die Krone und der Abschlufi des Denkens, aber als die groO- 
artige Leistung mittelalterlicher Philosophic und den treuen Ausdruck 
des tiefsten Strebens des Mittelalters wiirdigte er sie warm und eingehend. 
Seine stets wieder von neuem aus den Originaltexten sich erfrischende und 
erganzende Kenntnis der Systeme war sehr tiefgehend; verbunden mit seinem 
asthetischen Feingefuhl, befahigte sie M. vor allem zur Erklarung der »Divina 
comtnedia« f deren grandiose Welt ihn besonders etwa im letzten Dezennium 
seines Lebens beschaftigte. Doch nicht geringer war seine Kenntnis der antiken 
und der neuzeitlichen Systeme. 

Dafi er an den Fragen, die die neuzeitliche Entwicklung dem Christentum 
und der Kirche stellt, nicht gleichgiiltig vorliberging, versteht sich von selbst. 
In seinen Vorlesungen ging er auch auf diese Probleme ein, wenn er auch nicht 
in eigenen Schriften dazu Stellung nahm. Der Pontifikat des Papstes Pius X., 
des Nachfolgers Leo XIII., brachte eine Reihe von kirchlichen Erlassen und 
Entscheidungen, die jeden Vertreter der Wissenschaft aufforderten, Stellung 
zu nehmen. Die ganze geistige Art M.s war nicht so beschaffen, dafi er etwa 
irgendwie mit den bedeutenderen Vertretern des sogenannten »Modernismus« 
engere Fiihlung gehabt hatte und mit ihnen zusammen genannt werden konnte. 
Die praktischen Mafiregeln des papstlichen Rundschreibens »Pascendi dominici 
gregis« hat er wohl wegen der engen Auslegung, deren sie fahig sind, bedauert 
und den vom Motu proprio »Sacrorum antisttiunt« geforderten Eid, den soge- 
nannten Modernisteneid, nicht unterfertigt, aber dem Ideale der Kirche, wie er 
es einst in seiner Jugendschrift gezeichnet hatte, wollte er doch die Treue 
wahren, und so empfand er es in den letzten Jahren seines Lebens tief schmerz- 
lich, dafi die ernste Wirklichkeit das mit Liebe erfafite Bild erbleichen liefl. 

M. wollte vor allem Lehrer sein, auf literarische Betatigung in grofierem 
Umfange hat er bewufit verzichtet. Er sah seine Aufgabe darin, die grofien 
Systeme der Lebensbedeutung zu wiirdigen und die Jugend, die sich von Jahr 
zu Jahr zahlreicher um sein Katheder scharte, mit Verstandnis fur die wichtig- 
stenLosungsversuchezuerfullen. Um diese Aufgabe in der besten Weise erfullen 
zu konnen, wollte er vor allem ein grlindlich belesener Kenner der wichtigsten 
Zeugnisse menschlichen Ringens auf alien Gebieten sein. Aus einer tiefen und 
zugleich umfassenden Einsicht in den Reichtum der geistigen Schopfungen 
sowie in die Leistungen und Versuche der exakten Wissenschaf ten heraus wollte 
er seinen Schulern ein Fiihrer zum Verstandnis der grofien Kulturwerte sein. 
Daruber mufite die literarische Tatigkeit zurucktreten. 

Gem trat M. seinen Schulern personlich naher und widmete den Streb- 
samen unter ihnen ohne Kargen viel von seiner Zeit. Trafen sich in seiner 
Wohnung hervorragende Gelehrte und Kiinstler, so war er andererseits auch dem 
bescheidenen Anfanger gegenuber von gewinnender Gute und Herzlichkeit, 
wie er denn auch die Lebenswege seiner Schiiler mit warmer Anteilnahme ver- 
folgte. 



Milliner. Brtthl. 



133 



M.s Gesundheit war nie sehr stark gewesen. Schon als Seelsorger hatte er 
an sehr unangenehmen Herzaffektionen zu leiden. Spater machte ihm Gelenk- 
rheumatismus wiederholt zu schaffen. Am 6. Februar 191 1 erkrankte er neuer- 
lich daran, und dieser Anfall fuhrte nach einem langen, sehr schmerzlichen 
Siechtum am 28. November desselben Jahres in Meran zum Tode. Am 3. De- 
zember 191 1 wurde M. auf dem Friedhofe zu Dobling beigesetzt. Der Rektor 
der Universitat, Professor Dr. Oswald Redlich, hielt dem Lehrer und Priester 
einen warmen Nachruf, Professor Adolf Stohr dem Philosophen, Minister a. D. 
Graf Wickenburg dem eifrigen Mitgliede der Grillparzer-Gesellschaft. Wenn 
Professor Redlich von dem Dahingegangenen als treuem Sohne der Kirche 
sprach, so war dies vom Redner als die innere Anhanglichkeit an die groBen 
Gedanken des katholischen Kulturideals gemeint und konnte von alien, die M. 
naher kannten, auch nur so verstanden werden, denn ebenso fest wie die Treue 
gegen die Grundideen des Christentums stand bei ihm die Absage an jede Form 
des Ultramontanismus. Hierin war er mit F. X. Kraus, dem bedeutenden Frei- 
burger Kirchenhistoriker, der ihn so manchesmal in Wien aufsuchte, vollig eins. 
Das Grab des feinen Reprasentanten eines echten Gelehrtenlebens schmiickt 
ein wtirdiger, dunkler Marmorstein mit der kiinstlerisch ausgefuhrten Dar- 
stellung des Gekreuzigten und dem vielsagenden Worte: »Vollbracht.« Dieses 
Denkmal erscheint als das angemessene Siegel auf ein Leben ernsten und oft 
nicht freudevollen Ringens nach Klarheit in den wichtigsten Lebensfragen. 

Literatur : Fr. Jodl imBericht (iber die feierliche Inauguration desRektors fur das Studienjahr 
1912/13. Wien 1912. S. 29 fL — Derselbe: Zum Andenken an L. M. Gedenkworte. N. Fr. Pr. 
29. November 191 1. — Anonym in derselben Nummer ein warmer Nachruf, der vor allem 
die persSnliche Art M.s schildcrt. — E. Reich : Osterreich. Rundschau vom 15. Dezember 191 1. — 
O. Ewald: L. M., Eine Silhouette. N. Fr. Pr. vom 5. Dezember 1911. — H. Eibl: Prof. L. M. 
als Lehrer. Reichspost, 2. Dezember 191 1. — Handschriftlich lag mir ein Essai von einem 
treuenSchiiler des Verstorbenen, F. H. Tippmann, Bibliothekar an der Bibliothek der Tech - 
nischen Hochschule in Wien, vor. Ein anderer Schtiler M.s, E. N. Pohorilles, bereitet eine 
eingehende Darstellung der Denkerpersonlichkeit M.s vor. 

Bilder: Eine Radierung von W. linger aus Milliners Rektoratsjahr 1894/95, reproduziert 
z. B. als Titelbild des Jahrb. d. Univ. Wien fur 1894/95, Wien 1896. — Photographic M,s 
aus dem Atelier Adele, Wien I, Graben. 

Wien. Dr. Josef Prenner. 

Brtihl, Julius Wflielm, Professor der Chemie an der Universitat Heidel- 
berg, * 13. Februar 1850 zu Warschau, f 5- Februar 191 1 in Heidelberg. — 
B., der Sohn eines wohlhabenden Industriellen, wurde als russischer Untertan 
geboren, seine Vorfahren stammten jedoch aus Danzig. Er war der alteste von 
funf Geschwistern und muBte fruhzeitig sein Elternhaus verlassen, um in 
Gnadenberg in Schlesien erzogen zu werden. Ehe er die dortige Schule voll- 
standig absolviert hatte, erkrankte sein Vater schwer, und Julius sollte rasch 
die Handelsschule in Berlin absolvieren, um dann moglichst bald das Geschaft 
des Vaters iibernehmen zu konnen. Bevor dies moglich war, starb sein Vater, 
und der junge B., der far den kaufmannischen Beruf wenig Neigung zeigte, 
kam 1868 ans Polytechnikum nach Zurich, um auf Anraten seines Onkels, 
des Zuckerfabrikanten Bamberg, Chemie zu studieren. Bei Ausbruch des 
Deutsch-Franzosischen Krieges verliefi er Zurich, um nach kurzem Aufenthalt 
bei seiner Mutter in Dresden sich nach Berlin zu wenden, wohin ihn die unter 



134 



Brtthl. 



A. W. Hofmann aufbliihende organische Chemie zog. In Berlin studierte er 
auch mathematische Physik bei G. Quincke und legte so den Grund zu seiner 
umfassenden physikalisch-chemischen Bildung. Wie bald A. W. Hofmann 
den talentierten jungen Chemiker schatzen lernte, geht daraus hervor, daB er 
ihm 1872 eine Stellung an der neugegrundeten Universitat in Tokio verschaffen 
wollte, was B. jedoch ablehnte. Als ihm aber ein Jahr spater ein Assistenten- 
posten bei Landolt in Aachen angeboten wurde, konnte er dieser Versuchung 
nicht widerstehen und habilitierte sich daselbst, noch ehe er den Doktorgrad 
erworben hatte. Zum Doktor promovierte er 1875 in Gottingen. Die Zeit, die 
er in Aachen verbrachte, war von ausschlaggebender Bedeutung fur sein ganzes 
Leben und ist er der bedeutendste Schuler Landolts geworden. Nachdem er 
noch ein aus Berlin stammendes, rein organisches Thema vollendet hatte, wandte 
er sich unter dem Einflusse Landolts physikalisch-chemischen Problemen zu, 
und zwar vor allem der Erforschung des Zusammenhanges zwischen physi- 
kalischen Eigenschaften und Konstitution eines Korpers. In jene Zeit fallt auch 
seine wichtige Entdeckung, daB mehrfache Bindungen im Molekul auf die 
Molrefraktion einen gesetzmafiigen EinfluB ausuben. Dem experimentellen 
Ausbau dieser Erkenntnis war ein grofier Teil seines ganzen Lebens gewidmet. 
Im Jahre 1879 trug B. zum erstenmal seine Entdeckungen auf der Natur- 
forscherversammlung in Baden-Baden vor und wurde bald darauf ans Poly- 
technikum nach Lemberg berufen, wo er 1880 Ordinarius wurde. In dieses 
Jahr fallt auch seine Vermahlung mit Lili Bamberger, die er im Hause Landolts 
kennen gelernt hatte. Die t)bernahme des Ordinariates in Lemberg brachte 
fur B. enorme Anstrengungen, die er nur mit Aufbietung aller Krafte und der 
ihm innewohnenden auflergewohnlichen Energie bewaltigen konnte. Dazu kam 
noch, daB er in der ihm ungewohnten polnischen Sprache vortragen mufite, 
weshalb seine Vorlesungen noch mehr Zeit als gewohnlich zu ihrer Vorbereitung 
erforderten. Trotzdem brachte er es noch immer fertig, an seinen Unter- 
suchungen weiterzuarbeiten, allerdings nur mit Aufopferung eines Teiles seines 
Schlafes. Dieser Oberburdung war aber der ohnehin nicht sehr robuste Korper 
nicht gewachsen, und im Fruhjahr 1882 warf ihn eine schwere Lungenblutung 
nieder. Damals hielt man ihn bereits fur verloren, doch langsam, sehr langsam 
erholte er sich wieder. Jahrelang dauerte es, bis er, gekraftigt durch den Auf- 
enthalt in mildem Klima, wieder seine Tatigkeit aufnehmen konnte; und zwar 
wandte er sich nach Freiburg im Breisgau, wo er von 1884 — 87 blieb, weiter am 
Ausbau seines Arbeitsgebietes schaffend. Das Jahr 1888 flihrte B. nach Heidel- 
berg, wo er die Lehrkanzel Bernthsens ubernahm, der daselbst ein Privatlabora- 
torium geleitet hatte. Es war schon lange der Wunsch B.s gewesen, sich in 
Heidelberg niederzulassen, er sollte auch bis an sein Lebensende dort verbleiben. 
In die nun folgenden Jahre fallt wohl das Schwergewicht seiner wissenschaft- 
lichen Tatigkeit. In erster Linie war es wieder die organische Spektrochemie, 
der sein Wirken gait, es erschienen aber damals auch zahlreiche andere Arbeiten 
von ihm, wie iiber thermo-chemische Probleme, Streifzuge ins Gebiet der rein 
organischen Chemie, Notizen iiber praktische Laboratoriumsapparate usw. 
Aber auch in diesen Jahren blieb er nicht von tiickischen Krankheiten verschont, 
die ihn durch sein ganzes Leben begleiteten, langsam, aber sicher seine wertvolle 
Arbeitskraft unterminierend. 1892 wurde er von einer schweren Magenblutung 
heimgesucht, von der er sich verhaltnismaflig rasch erholte, und 1898 erkrankte 



Brtihl. 



135 



er derart von neuem, dafi es ihm unmoglich war, sein Institut weiter zu leiten. 
Nun gab er seine Stellung auf und richtete sich in seinem Hause ein Labora- 
torium ein, in dem er mit einigen Assistenten weiterarbeitete, der schleichenden , 
immer mehr vordringenden Krankheit trotzend. Dazu kam noch das bittere 
Geftihl, seine Arbeiten von den Fachgenossen nicht in dem Mafie anerkannt 
zu sehen, wie sie es verdienten. 1st es doch das Schicksal so vieler Forscher, 
dafi ihre Entdeckungen lange Zeit brauchen, bis sie allgemein anerkannt sind 
und sich gegen alle Kritik durchgesetzt haben. Geistige Grofitaten, wie die 
von B. geschaffene organische Spektrochemie, entstehen auch nicht plotzlich 
in alien Details vollendet und harmonisch abgerundet, sondern der suchende 
Forscher gerat nur allzu leicht auf Irrwege, und die Erkenntnis der Wahrheit 
mufi mit bitteren Irrtiimern und vergeblicher Muhe erkauft werden. Doppelt 
schwer wird das von einem Charakter wie B. empfunden, der in unerschiitter- 
lichem Glauben an die Bedeutung und den Wert seiner Entdeckungen manchmal 
die gewohnte Vorsicht vergifit, sich uber die Grenzen des experimentell Be- 
wiesenen hinauswagt und sich dann der in diesem Falle berechtigten Kritik 
nicht erwehren kann. Andrerseits mufitensich doch seine bedeutenden Arbeiten 
Bahn brechen, und England war der erste Staat, der B.s Verdienste in ent- 
sprechender Weise wiirdigte. 1904 wurde er zum Ehrenmitgliede der Royal 
Institution of Great Britain ernannt und bald darauf zum Doctor of science in 
Cambridge und Dublin erhoben. Auch die Akademie der Wissenschaften in 
Krakau ernannte ihn zum Mitglied und der Physikalische Verein in Frankfurt 
zum Ehrenmitglied. 1904 trat sein Kampf mit der Krankheit in ein 
neues, aussichtsloses Stadium und machte ihm das experimentelle Arbeiten 
unmoglich. Vier Jahre spater ist jede Hoffnung geschwunden, sich noch einmal 
im Laboratorium betatigen zu konnen; er lost sein Privatlaboratorium auf und 
schenkt die Einrichtung und Apparate der Universitat Heidelberg. Er mufi 
zusehen, wie die Krankheit immer weiter an seinem Lebensnerv nagt, und fuhlt 
die Gefahr des drohenden Wahnsinns. Trotzdem arbeitet er noch am Schreib- 
tisch weiter. Den letzten Lichtblick bildet sein 60. Geburtstag; die zahlreichen 
ehrenden Gratulationen zeigen ihm, dafi er nicht umsonst gelebt und bleibende 
Werke geschaffen hat. Dann folgt ein grauenhafter Todeskampf. Eine Niere 
mufi exstirpiert werden, doch ist der Untergang nicht mehr aufzuhalten. Am 
5. Februar 191 1 gibt er sich selbst den Tod. Die von ihm ausdriicklich ver- 
langte Sektion ergab, dafi die Krankheit bereits das Gehirn ergriffen hatte, 
Wahnsinn ware binnen kurzer Zeit die unausbleibliche Folge gewesen. So 
schlofi das Leben eines Helden, der bis zum aufiersten gekampft hatte. 

Die wissenschaftliche Bedeutung B.s ausfuhrlich zu besprechen, ist bei 
dem hier gebotenen Raume ausgeschlossen, ja es ist nicht einmal moglich, die 
Titel seiner einzelnen Veroffentlichungen — es sind deren uber 150 — hier anzu- 
fiihren. Es kann also nur das Allerwichtigste, fast nur in Schlagworten ange- 
geben werden. Der leitende Grundgedanke, der sich durch samtliche Arbeiten 
hindurchzieht, ist, Gesetzmafligkeiten zwischen physikalischen Eigenschaften 
der Korper, wie Molekularrefraktion, -dispersion, Dichte, Schmelz- und Siede- 
punkten u. a. und ihrer chemischen Struktur zu ermitteln. Die Auffindung 
solcher Gesetzmafligkeiten ist von enormer Tragweite fur die Konstitutions- 
aufklarung, da alle analytischen und synthetischen Methoden infolge der dabei 
oft spontan auftretenden Atomumlagerungen einen Grad von Unsicherheit in 



I36 Briihl. Schrbtter. 

sich haben. B. spricht selbst den wichtigen Satz aus, der ihm furs ganze Leben 
ein Leitstern blieb: »Die Erforschung der Konstitution der Korper zu ermog- 
lichen, ohne deren Beschaflfenheit zu andern, das hiefie eine Richtung einschlagen, 
welche frei 1st von den Fehlerquellen, die jenen Methoden anhaften und ihre 
Ergebnisse mehr oder weniger unsicher machen mussen«. Den Beginn seiner 
Untersuchung machte er mit dem Studium der Molrefraktion, und bald konnte 
er den wichtigen Satz aufstellen, dafi das Refraktionsinkrement einer Verbindung 
der Anzahl von Doppelbindungen im Molekiil proportional ist. Bald darauf zeigt 
er, dafi zwischen den Atomrefraktionen des einfach und doppelt gebundenen 
Sauerstoffes ein grofier Unterschied besteht, ermittelt das empirische Refrak 
tionsaquivalent des dreifach gebundenen Kohlenstoffes und findet, dafi Ring 
bildung im allgemeinen ohne Einflufi auf die Molrefraktion ist. Er verschaffl 
der Lorenz- und Lorentzschen Refraktionsformel Geltung und leitet eine Dis 
persionsformel ab, die sich bis heute als die zweckmafligste erwiesen hat. Nach 
dem die spektrochemischen Verhaltnisse der stickstofffreien Korper so wei 
geklart waren, beginnt er mit der Schaffung einer Spektrochemie des Stick 
stoffes. Auch rein chemischen Untersuchungen wendet er sich manchmal zu, 
und hat er insbesondere fur die Chemie des Kamphers und der Terpene manchen 
wertvollen Beitrag geliefert. Seine thermochemischen Veroffentlichungen 
verdienen auch heute noch voiles Interesse. Bezuglich seiner Arbeiten uber 
das Tautomerieproblem sei nur erwahnt, dafi die heute in der organischen 
Chemie so gebrauchlichen Ausdrucke wie Enol, Enolisierung, Ketisierung u. a. 
von B. eingefuhrt wurden. Von grofier Bedeutung sind auch seine Studien 
liber den Einflufi des Losungsmittels auf die geloste Substanz. Zum Biicher- 
schreiben ist B. wenig gekommen; diesbezuglich sei nur seine Fortsetzung des 
grofien Lehrbuches der organischen Chemie von Roscoe-Schorlemmer erwahnt, 
die er gemeinsam mit O. Aschan und F. Hjelt unternahm. 

Wer sich naher fur die Werke des Schopfers der organischen Spektrochemie interessiert, 
der sei auf den in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. 44, S. 3757 (191 1) 
erschienenen Nachruf von K. Auwers verwiesen. 

E. P h i 1 i p p i. 

SchrStter, Hugo, Professor der Chemie an der Universitat Graz, * 11. Sep- 
tember 1856 zu Olmiitz, f 7. Juli 191 1 in Graz. — Sch. entstammte einer hoch- 
gebildeten, wohlhabenden Familie und genofi eine sorgfaltige Erziehung. Nach 
Vollendung seiner Mittelschulstudien kam er an die Universitat Wien, um im 
II. Chemischen Institute bei Lieben Chemie zu studieren. In Wien wirkte auch 
an der Technischen Hochschule sein Grofionkcl, der beruhmte Chemiker 
A. Schrotter. Aus dem II. Chemischen Institute stammt seine erste Arbeit: 
Dber eine Base imFuselol. Im Jahre 1879 kam er nach Bonn zu Kekul6. Hier 
war der richtige Boden fur Sch. War doch gerade damals durch die Kekul^sche 
Benzoltheorie ein neues Zeitalter fiir die organische Chemie herangebrochen. 
Das ganze ungeheure Gebiet der zyklischen Verbindungen war plotzlich einer 
fruchtbaren Bearbeitung zuganglich geworden, und in jenen Jahren erfolgte 
ein nie geahnter Aufschwung der organischen Chemie. Nachdem er zuerst 
unter der Leitung Kekul6s eine kleinere Arbeit uber die Umwandlung von 
Propylbromid in Isopropylbromid vollendet hatte, wandte er sich dem Studium 
des Kamphers zu und publizierte mehrere Arbeiten uber dieses Thema, die von 



Schrtftter. 



137 



grofier Bedeutung fiir die spatere Aufklarung der Konstitution dieses Korpers 
waren. Auf Grund dieser Arbeiten promovierte er 1882 in Halle und war kurze 
Zeit bei Volhard daselbst Assistent. Dann fuhrte ihn sein Lebensweg nach 
Erlangen, wo er bei E. Fischer Assistent wurde. Damals arbeitete er zusammen 
mit E. v. Gerichten uber Morphin und Kodein und verbffentlichte in Gemein- 
schaft mit diesen drei Abhandlungen uber dieses Thema. Als aber 1883 bei 
Kekul6 in Bonn eine Assistentenstelle frei wurde, zog es ihn doch wieder zu 
seinem hochgeschatzten Lehrer hin, wo er bis 1885 blieb. In diesem Jahre 
habilitierte er sich fiir organische Chemie und wurde 1892 zum aufierordent- 
lichen Professor in Graz ernannt, wo er bis zu seinem Tode blieb. Die letzten 
zehn Jahre seines Lebens bildeten einen fCirchterlichen Kampf mit einem stets 
fortschreitenden Ruckenmarksleiden. Nicht mehr fahig, allein zu stehen oder 
sich auch nur einen Schritt vorwarts zu bewegen, kannte er dennoch kein Inter- 
esse als seine Wissenschaf t, und kam es fast nie vor, dafl er seine Vorlesung trotz 
der grafilichsten Schmerzen absagte. Bis wenige Monate vor seinem Tode 
arbeitete er auch noch experimentell mit seinen Schulern im Laboratorium. 
Wer Sch. nur aus seinen nicht allzu zahlreichen und bedeutenden Arbeiten 
kennt, wird ihn gerade nicht als einen der hervorragendsten Vertreter seiner 
Wissenschaft einschatzen, wer aber, wie Schreiber dieser Zeilen, das Gluck hatte, 
ihm nahertreten zu durfen, und sich zu seinen Schulern zu zahlen, der muflte 
ein ganz anderes Bild von diesem seltenen Manne gewinnen. Charakteristisch 
fur Sch. war es, dafl er sich zur Bearbeitung immer gerade die schwersten Ge- 
biete aussuchte, obwohl er stets von Pech verfolgt wurde. So verwandte er 
Jahre auf das so schwierige Studium der Albumosen. Wer jemals auf dem 
Gebiete der EiweiCchemie gearbeitet hat, der wird die Miihe und Arbeit zu 
schatzen wissen, die aus den Veroffentlichungen Sch.s iiber dieses Thema 
spricht. Und wieviele vergebliche Versuche mag er zur Ergriindung des 
schwefelreichen, unbekannten EiweiBkernes unternommen haben, die er iiber- 
haupt nicht publizierte. Sein zweites Arbeitsgebiet war die Erforschung des 
Cholesterins. Fast ein Jahrzehnt arbeitete er daran; da schien es endlich, als 
sei die richtige Spur gefunden. Es gelang ihm, aus Cholesterin, Cholalsaure, 
Kampher und Terpentinol das namliche Abbauprodukt zu gewinnen, und 
schon glaubte er den Beweis fiir die Zugehorigkeit des Cholesterins zu den 
Terpenen erbracht und damit zum erstenmale einen Vertreter dieser Korper- 
klasse als tierisches Produkt nachgewiesen zu haben, aber leider muflte er bald 
erkennen, daC er sich getauscht hatte und dafl er nur eine durch sekundare Re- 
aktion entstandene Polykarbonsaure des Benzols in Handen hatte. Und dennoch 
war all seine Muhe nicht umsonst gewesen, denn seine Arbeiten bieten doch 
manchen wichtigen Hinweis fiir die Struktur des Cholesterins, wie die Forschun- 
gen von Pregl und von Fiirth ergaben. Noch ein Jahr vor seinem Tode, als 
sein Leiden schon einen bedenklichen Hohegrad erreicht hatte, begann er noch 
zwei Arbeiten, die auf seine alten Lieblingsthemen, den Kampher und das 
Eiweifl, Bezug hatten, doch war es ihm nicht mehr vergonnt, dieselben zu voll- 
enden, und ist ihm auch hierbei der Erfolg, wie so oft in seinem Leben, versagt 
geblieben. Wenn schon der unbezwingbare Optimismus Sch.s und sein Cha- 
rakter, der vor keiner Schwierigkeit des Themas zuruckwich, ihm fast stets 
mehr Enttauschung als Erfolge brachte, so machte ihn doch eben diese Eigen- 
schaft zu einem bewunderungswurdigen Lehrer. Wenn ihn sein Leiden auch 



Ij8 Schrtftter. Braun. 

noch so qualte: in der Vorlesung, da vergafi er all sein Elend. Da leuchtete 
sein Auge, wenn er irgendeine interessante Synthese, einen Strukturbeweis 
vortrug, und nach der Vorlesung, da gab es fast stets noch eine Fortsetzung 
und ein Konsilium im engeren Kreise mit seinen Schiilern. Da wurden neue 
Probleme erortert und chemische Luftschlosser gebaut, und welch eine Summe 
von Anregungen und Ideen war da zu schOpfen. Nur manchmal glitt ein weh- 
mutiger Zug iiber sein Gesicht, wenn er namlich dachte, dafi ihm die physische 
Kraft fehlte, auch nur einen Bruchteil seiner Ideen auszufuhren. 

Wenn Sch. in seinem letzten Werke, dem trefflichen Nachruf auf Zdenko 
H. Skraup, mit den Worten schliefit: »Skraup war eben ein Liebling der Gotter«, 
so kann man wohl einen Nachruf auf Sch. nur schliefieh mit den Worten: er 
war eben ein Stiefkind des Gliickes. P h i 1 i p p i. 

Braun, Gustav Adolf Theodor, D., Generalsuperintendent der Niederlausitz 
und Neumark, Wirkl. Ober-Konsistorialrat, Pastor an St. Matthaus in Berlin, 
* 5. Februar 1833 in Mollbergen, Amt Hausberge, Kreis Minden, f 18. Februar 
191 1 in Mentone (Frankreich). — Der Vater August Friedrich B. war Volks- 
schullehrer in Mollbergen, die Mutter Karoline Sophie Grohne, Tochter des 
Unterforsters in Todemann, Kreis Rinteln. 1836 zog er mit den Eltern nach 
Eisbergen (Kreis Minden) bei Todemann. Er wuchs dort heran in schoner und 
erhabener Gegend zwischen der Weser und den bewaldeten Hohen des Weser- 
gebirges inmitten fruchtbarer Garten, Wiesen, Felder, unter rein evangelischer, 
kerndeutscher Bevolkerung. Er lernte fruh in der Schule des Vaters. Seit 
Ostern 1843 besuchte er das Gymnasium zu Rinteln, seit Herbst 1848 das zu 
Herford. Ostern 1852 ging er ab mit Dispensation vom mlindlichen Examen 
und vorziiglichem Zeugnis. Ein Mitschiiler bezeugt: »Er iiberragte uns alle.« 
In Bonn studierte er Theologie infolge ernster Zukehr zu Gott, horte sonderlich 
Rothe und Dorner, studierte fiir sich die Symbole der verschiedenen Kirchen, 
las philosophische Werke, »um zu erkennen, ob die von ihm ergriffene lutherische 
Lehre oder die philosophische auf Wahrheit beruhe«. In Halle, wo er von 
Ostern 1853 ab zwei Jahre war, suchte er »andere Gedankengebaude, im einzel- 
nen konkret, bestimmt, alles aus letztem Prinzip entwickelt«. Ihn fesselten 
sonderlich die Kollegien von Julius Mliller und Hofmanns Schriftbeweis. Der 
Wingolf war ihm viel. In Westerenger, wohin sein Vater 1848 versetzt wurde, 
suchte er seine theologischen Studien zu revidieren, ob er alles fur das Pfarr- 
amt Notige beherrsche und klar habe, sich klar zu werden iiber Rechtfertigung 
und freiste, umfassendste Lebensanschauung. Am 14. Oktober bestand er in 
Munster das erste theologische Examen, »im ganzen vorziiglich gut«. 1. Advent 
wurde er Pastor Hoffmanns Hilfsprediger an der Neumarktkirche zu Halle. 
Er flihrte aus, was er schon in Westerenger sich vorgenommen hatte: 1. sonn- 
taglichen Kindergottesdienst, 2. Abendgottesdienst, 3. wochentliche Bibel- 
stunde im Winter, 4. Erweiterung des Armenvereins, 5. seelsorgerische Ein- 
wirkung auf bisher unzugangliche Kreise. Kaum hatte er diese vielfache Arbeit 
an Elenden, die an Leib und Seele litten, einige Zeit getan, da hatte er auch 
die des schwer erkrankten P. Hoffmann zu ubernehmen. Das griff ihn, der 
auf Gymnasium und Hochschule viel an schwachem, oft krankem Korper litt, 
so an, dafi seine Eltern ihm Herbst 1856 langeres Bleiben in dieser Tatigkeit 
verboten. Das westfalische Konsistorium sandte ihn als Vikar des erkrankten 



Braun. 



139 



P. Huchgenneier nach Schilderche. Nach Absolvierung des Seminarkursus 
in Petershagen, mit dem er padagogische Studien verband, ubernahm er dort 
Predigt, Seelsorge, Konfirmandenunterricht, suchte Klarheit uber das Amt 
der Kirche wie iiber deren Wesen in Halle, bearbeitete die Aufgaben zum zweiten 
theologischen Examen. Nach dessen »vorzuglich gutem« Bestehen ging er als 
Badeprediger nach Oeynhausen, Friedrich Wilhelm IV. spendete Mittel dafur, 
ubernahm die Redaktion der »Evangelisch-lutherischen Zeugnisse«. 1. Oktober 
sandte ihn das Konsistorium als Prediger an das Gefangnis auf dem Sparenberge 
bei Bielefeld. Dort, wie in Oeynhausen zundeten seine Predigten, er lebte ganz 
den Gefangenen. Am 15. November 1857 wurde er in tier Altstadterkirche 
ordiniert. Seine Predigt uber 2. Mose 4, 17 zeigt die reife und ernste Auffassung 
vom Predigtamt, die er stets in steigendem Mafie erfiillt hat. Er hielt Bibel- 
stunden im Krankenhause von Bielefeld, erzahlte einem Kreise ernster Christen 
von der Mission. 

6. Oktober 1859 begann er sein ungemein bedeutendes Wirken am Evan- 
gelischen Gymnasium in Gutersloh, wohin ihn dessen Kuratorium berief — 
zunachst als theologischen Hilfslehrer zu Predigt, Religions- und anderem 
Unterricht, als Vertrauensmann der Schliler. Auf diese wie die Lehrer gewann 
er durch Predigt, Unterricht, personlichen Verkehr gleich solchen Einflufi, dafi 
die Primaner, die er nicht unterrichtete, von ihm Bibelstunden erbaten und 
dafi Schiiler wie Lehrer die von ihm eingerichteten Abendgottesdienste freiwillig 
treu besuchten. Da er als theologischer Hilfslehrer nur zwei Jahre in dieser 
Tatigkeit bleiben durfte, bestand er auf Grund friiherer philosophischer, histori- 
scher, altklassischer und deutscher Studien am 15. November 1861 die Prufung 
fur das Hohere Schulfach mit der Befahigung fur alle Klassen in Religion, He- 
braisch, Deutsch, fur die mittleren in Latein und Griechisch. Die geistvolle 
Priifungsarbeit iiber das Wort des Aratus: »In Ihm leben, weben und sind 
wir« ist aufgenommen in »Bleibende Furcht«. Zu gleicher Zeit entwarf er das 
209 Spriiche enthaltende Heft, das neun Auflagen erlebte, auch an andern 
Schulen gebraucht wurde. Er wurde schon damals oft als Prediger auf Missions - 
feste berufen. 

Ein Ruf als Pfarrer nach Hasserode am Harz und gleichzeitig als Re- 
ligionslehrer am Gymnasium in Wernigerode, Januar 1863, wurde Anlafi, dafi 
seine nur personliche pastorale Arbeit am Gymnasium zu Gutersloh amtlich 
geregelt wurde. Wie er jene geistesmachtig, selbstverleugnend, taktvoll, ein- 
sichtig gestaltet hatte, so wurde sie bestimmt, doch wegen Schwierigkeiten, 
die von der kirchlichen Gemeinde erhoben wurden, erfolgte seine Einfiihrung 
als Anstaltsgeistlicher erst am 21. August 1866. 

Schon 1864, da ich sein Mitarbeiter wurde, schrieb ich: »B. ist die Seele 
der Schule durch seine Gottesdienste und seinen Verkehr mit den Schiilern; 
er ist, wie ihr Vater, alle haben Freude am Gottesdienst.« 1884 war im Synodal - 
vorstand Geh. Rat Wiese gegen seine Berufung nach Berlin, »weil er am Gym- 
nasium in Gutersloh unersetzlich sei.« Herzensbedurfnis war ihm diese person- 
liche und unterrichtende wie pastorale Wirksamkeit. So empfingen viele von 
ihm »Anstofi zu ewiger Bewegung«, so bildete er viele Theologen. Uber das 
Gymnasium hinaus erstreckte sich sein Einflufi auf einen grofien Kreis der 
Giitersloher Gemeinde. Seit 1864 war er Mitglied des Gymnasial-Kuratoriums; 
Anliegen an dieses trugen Kollegen ihm gern vor. Die Berufung von zwei Di- 
rektoren und mehreren Lehrern war sein Werk. 



I40 Braun. Oettli. 

Diese ungemein reiche, angespannte Arbeit leistete der teure Mann trotz 
steter korperlicher Schwachheit und haufiger ernster Erkrankung. Vordem 
3. Advent erlitt er Blutspeien. Die Besorgnis, nur kurz daure sein Leben, 
hatte ihn getrieben, es so fruchtbar wie mSglich durch Predigten auch in 
den Ferien zu machen. Es dauerte seine Herstellung sehr lange, aber er 
wurde wieder so spannkraftig, dafl die oberste Kirchenbehorde ihn 1884 
nach Berlin als Pastor an St. Matthaus und als Generalsuperintendent fur 
die Niederlausitz und die Neumark berufen konnte. Staunenswert ist, welches 
Obermafi von Arbeit B. bewaltigte, als Pastor von St. Matthaus, als Ober- 
hirte fur die Neumark und Niederlausitz, als Mitglied des Oberkirchenrates 
und des Brandenburgischen Konsistoriums, als Vorsitzender der Kuratorien 
der Gossnerschen Mission und des Elisabeth -Krankenhauses, als Examinator und 
Ordinator vieler theologischer Kandidaten, als Leiter der Ephorenkonferenz und 
des Weifien Kreuzes. Diese seinen eigensten Neigungen wie Gaben entsprechende 
Tatigkeit stahlte zehn Jahre hindurch seinen zarten Korper und war sehr erfolg- 
reich. In der Matthai-Gemeinde schlofi sich ein fester Stamm so treu an ihn an, 
dafl gleich die ersten Kirchenwahlen durchaus seinen Wunschen en tsprachen. Pa- 
trone der Neumark ermoglichten Generalvisitationen, die Konferenz in Kustrin 
scharte sich um ihn. Aber brachen kraftige Manner wie Kogel und Barkhausen 
unter der vielseitigen, aufreibenden Berliner Arbeit zusammen, so warf Predigen 
trotz Influenza Neujahr 1894 den schwachlichen Mann in sehr schwere korper - 
liche und seelische Note; diese wurden nie vollig gehoben, nur gemindert, er 
hatte sich durch unsagliche Angst durchzukampfen. Aber rieten Freunde zum 
Ausscheiden aus dem Amte, so hielt ihn Treue darin fest; er durfte bezeugen, 
dafl er seine ganze Arbeit treu, auch die anderer ubernommen habe. Die Ver- 
einsamung durch den Tod seiner einzigen Schwester (2. November 1907), die 
dem Nichtverheirateten stets den Haushalt fuhrte, wurde gemildert durch be- 
harrliches Weiterarbeiten. Doch Palmarum 1909 hielt er seine Abschieds- 
predigt, ging in die Stille von Bethel bei Bielefeld. Aber seine Kraft war er- 
schopft, sein Nerven- und Ohrenleiden drtickte schwer und stets. In Men tone, 
wo er Warme suchte, starb er an Luthers Todestag. Er hatte stets an der 
Landeskirche lutherische Wahrheit bezeugt, wie er schon 1857 erstrebte. Die 
Bestattung in Glitersloh neben seinen Eltern und seiner Schwester, die er 
bestimmt hatte, erfolgte sehr feierlich unter grofler Beteiligung alter Schiller, 
hoher Kirchenbehorden, wie der Giitersloher Gemeinde. Die Ansprachen von 
Exzellenz D. Dryander, den Generalsuperintendenten Kefller und Zollner, 
Missionsdirektor Kausch und P. D. Moller sind erschienen bei Bertelsmann in 
Giitersloh 191 1; ebenda »Gedichte« von ihm und unter dem Titel »Bleibende 
FruchU von ihm fruher einzeln veroffentlichte Predigten, Ansprachen, Abhand- 
lungen, erbauliche Behandlung des aronitischen Segens. 

Wohl alle Kirchenzeitungen, auch »Kreuzzeitung« und »Reichsbote«, brachten sehr 
warmen Nachruf. »Erinnerungen an D. B.< (gebd. 2,50 M.) schrieb der Unterzeichnete. Ein 
gutes Bild haben diese, ein anderes, » Bleibende Frucht* — ein sehr freundliches aus der ersten 
Berliner Zeit ist bei Loscher und Petsch in Berlin zu haben. 

Professor emer. Zander. 

Oettli, Samuel, Dr. } Professor fur alttestamentliche Wissenschaft an der 
Universitat Greifswald, * 29. Juli 1846 in St. Gallen, f 23. September 191 1 in 



Oettli. ! 4I 

Illenau in Baden. — Oe. stammte aus einer einfachen schweizerischen Burger - 
f amilie, in der eine schlichte und klare, reformierte Frommigkeit gepflegt wurde. 
Sein Vater Heinrich Oe., von Haus aus Handwerker, war nach wechselreichen 
Wanderfahrten unter Christian Heinrich Zeller in Bruggen Armenerzieher 
geworden und wirkte nun in St Gallen als Vorsteher der dortigen Rettungs- 
anstalt; seine Mutter Wilhelmine geb. Schmid wird als eine stille, feine Frau 
geschildert. Zusammen mit Samuel wuchs ein alterer Bruder und eine jtingere 
Schwester auf, die auch im spateren Leben in herzlicher Liebe mit ihm ver- 
bunden blieben; der Bruder starb als Kaufmann in Brasilien, die Schwester, 
die dem jungen Pfarrer in den ersten Jahren den Haushalt fuhrte und auch, 
als sie aus Indien als Missionsfrau zuruckkehrte, langere Zeit in der Nahe des 
Berner Professors geweilt hatte, lebt noch in der Schweiz. Nach dem fruhen 
Tode der Mutter fanden die drei Kinder an Fraulein Luise Schlatter eine treu 
sorgendeFreundin, derenHaus ihnen fortan als eine zweiteHeimstatteerschien. — 
Nachdem Oe. die Kantonsschule in St. Gallen mit Auszeichnung durchlaufen 
hatte, wandte er sich dem Studium der protestantischen Theologie zu und be- 
suchte 1866 — 70 die Universitaten Basel, Zurich und Gottingen. Der Rationalis- 
mus, der damals an den schweizerischen Hochschulen herrschte, scheint dem 
jungen Studenten keine Erschtitterung seines Innenlebens gebracht zu haben; 
die Einwirkungen des bibelfesten Kreises, in dem Oe. herangewachsen war, 
erwiesen sich in diesen Wanderjahren vielmehr als so nachhaltig, dafl es zu 
keinem Bruche kam: der Zwanzigjahrige war bereits ein in seiner Glaubens- 
iiberzeugung gefestigter Mann. Dagegen haben die Weltaufgeschlossenheit, 
mit der Oe. spater dem ganzen Gebiete der Geisteswissenschaften mit ihren 
wechselvollen Neuerscheinungen gegenliberstand, und die vorbildliche Weit- 
herzigkeit, die ihm bei der Beurteilung anderer Forschungsarbeit eigentiimlich 
war, gewifi in jener Richtung zum grofien Teil ihre Wurzeln. Entscheidend fur 
Oe.s Lebensarbeit wurden jedoch nicht die schweizerischen Universitaten, 
sondern Gottingen; denn hier fand er in Heinrich Ewald, dem geistvollen Er- 
klarer alttestamentlicher Schriften und feinsinnigen Darsteller der Geschichte 
Israels, einen Lehrer, der ihn zu selbstandigem Forschen anregte und ihm damit 
die Wege fur seine kiinftige Laufbahn wies. Unter Ewalds Anleitung erwarb 
Oe. in Gottingen eine grtindliche Kenntnis der orientalischen Sprachen, nament- 
lich des Syrischen und Arabischen, und hier gewann er jene innerlich freie 
Stellung zu den grofien Problemen der Religionsgeschichte, die seine spateren 
Schriften auszeichnet; die Auseinandersetzung mit den grundsttirzenden Lo- 
sungsversuchen eines K. H. Graf und Abraham Kuenen, die die uberlieferte An- 
schauung von der Entstehung des alttestamentlichen Schrifttums so ziemlich 
auf den Kopf stellten, war damals bereits in vollem Gange; noch 1870 habili- 
tierte sich Wellhausen in Gottingen, auf dessen Greifswalder Lehrstuhl Oe. 
25 Jahre spater berufen wurde. 

Anders als Wellhausen, dessen Drang nach freier, wissenschaftlicher Be- 
tatigung ihn gerades Wegs in die akademische Welt hineinfiihrte, wandte sich 
Oe. zunachst jedoch der praktischen Wirksamkeit zu, ohne freilich die stille, 
wissenschaftliche Arbeit zu unterbrechen. Er wurde Vikar an der Peterskirche 
in Zurich und 1872 Pfarrer in der Gemeinde Roggwil im Thurgau nahe bei 
St. Gallen. Schon hier erwies er sich als ein Mann von unbeugsamem Cha- 
rakter, als eine heftige Fehde um das apostolische Glaubensbekenntnis die 



142 



Octtli. 



thurgauischen Gemeinden erregte; Oe. trat mit einer kleinen Schutzschnft 
fur den kirchlichen Gebrauch des alten Bekenntnisses in die Schranken und 
legte, als die Behorde die Verwendung des Apostolikums im Gottesdienste 
trotzdem untersagte, zusammen mit drei andern Pfarrern sein Amt nieder (1875) • 
Allein schon nach wenigen Monaten fand er in der zurcherischen Gemeinde 
Wangen eine neue Heimat, und hier fuhrte er Anna Diethelm aus St. Gallen 
als Gattin heim, deren Mutter Frau Dr. Diethelm er auch seine gesammelten 
Abhandlungen »Ideal und Leben« widmete. Ein gluckliches Familienleben f 
das auf einer wahrhaft christlichen Grundlage gefiihrt wurde, war fur Oe. fortan 
eine Quelle des Segens; eine stattliche Kinderschar, vier Sohne und eine Tochter, 
wurde im Laufe der Jahre die Freude der Eltern. 

Inzwischen waren weitere Kreise auf den wissenschaftlich tiichtigen und 
charaktervollen Pfarrer aufmerksam geworden, und so erfolgte schon 1878 
eine Berufung Oe.s auf den Lehrstuhl fiir alttestamentliche Wissenschaft an 
der Universitat Bern. Fast 17 Jahre hindurch hat er hier eine reiche Wirksam- 
keit entfaltet in der Studierstube, im Horsaal und auf der Kanzel. Mit groBer 
Sorgfalt hat er in diesen Jahren seine Kommentare zu neun alttestamentlichen 
Buchern geschrieben, denen er eigenartige, feine und fruchtbare Gedanken ab- 
zugewinnen wuBte. In seiner Erklarung des Deuteronomiums setzt er sich 
bereits eingehend mit der Graf-Kuenen-Wellhausenschen Pentateuchhypothese 
auseinander, und zwar weist er hier nach, dafi das deuteronomische Laiengesetz 
sich mit priesterlichen Verordnungen bekannt zeigt, und betont energisch die 
erst von der neuesten Forschung anerkannte Tatsache, dafl neben der volks- 
tumlichen Gesetzgebung in Israel seit alters eine besondere priesterliche Ge- 
setzesiiberlieferung einherging. Bei der Erklarung der geschichtlichen Bucher 
Josua, Richter, Esra-Nehemia und Chronik fesselt ihn neben den quellen- 
kritischen Problemen namentlich auch die Frage nach der Glaubwiirdigkeit 
der alten Berichte; bereitwillig erkennt er die sagenhaften Ziige, die sich aus der 
notwendigen Annahme einer langen, mundlichen Oberlieferung von selbst er- 
geben, an; die »Jagd nach Tendenzprodukten« erscheint ihm im alteren Schrift- 
tum dagegen als eine »unkritische Verirrung«, und auch den Quellenwert mancher 
Nachrichten der Chronik schatzt er weit hoher ein, als es in der Wellhausenschen 
Schule gemeinhin geschieht. AuCer den schon genannten Buchern bearbeitete 
er noch das Hohelied, das er als ein Melodrama auffaGte, Esther, das Btichlein 
Ruth und die Klagelieder; alle Kommentare erschienen in dem von Strack und 
Zockler herausgegebenen Kommentarwerk (Miinchen 1889 — 93). Die fein- 
sinnige Schrifterklarung, die in diesen Arbeiten niedergelegt ist, veranlaBte die 
theologische Fakultat in Greifswald 1890, den Verfasser zum Ehrendoktor zu 
ernennen; 1891 unternahm Oe. zusammen mit Schlatter eine langere Orient - 
reise, die ihn kreuz und quer durch Palastina fuhrte und von der er, neu gestarkt 
an Leib und Seele, mit reichen Anregungen heimkehrte. Die Erinnerung daran 
tritt auch in einigen Aufsatzen des Sammelbandes »Ideal und Leben« zutage, 
dessen einzelne Abhandlungen sich im ubrigen mit religiosen und literarischen 
Fragen mannigfacher Art beschaftigen (1894), Bisweilen schien es freilich 
schon in Bern, als wolle sich eine unsichtbare, dunkle Hand auf Oe.s Leben 
legen; aber schliefilich gelang es dem willensstarken Manne doch immer wieder, 
die dumpfe Niedergeschlagenheit und aufreibende Schlaflosigkeit, die ihn je 
und dann iiberfiel, niederzuzwingen. Gern folgte er darum einem Ruf in die 



Octtli. 



143 



Ferae, der ihm eine willkommene Erweiterung des Wirkungskreises ermoglichte: 
1895 wurde er als Nachfolger Bathgens auf die Lehrkanzel fiir alttestamentliche 
Theologie nach Greifswald berufen. Die theologische Fakultat in Greifswald 
stand damals noch in voller Blute und zahlte nahezu 300 Studenten, die, nament- 
lich durch Hermann Cremers Personlichkeit angezogen, vor allem aus West- 
und Siiddeutschland herbeistrSmten. Hier gab es reiche, herzerhebende Arbeit. 
Im Horsaal erschien Oe.s ruhige, rein sachliche Gedankenentwicklung, die jede 
Rhetorik verschmahte und das Fiir und Wider sorgfaltig abwog, manchem 
vielleicht zu kiihl und unpersonlich, wie auch seine Personlichkeit bei der ersten 
Beriihrung etwas Abweisendes hatte; allein der Ernst und die Klarheit, mit 
der hier die Exegese betrieben und die tiefsinnigen Gedanken des Alten Testa - 
mentes fruchtbar gemacht wurden, liefien im Verein mit der edlen, wohllauten- 
den Sprache den Horer nicht los, und bald sammelte sich aus der groflen Schar 
der Kollegbesucher auch ein kleiner Kreis von Verehrern, die in ein naheres Ver- 
haltnis zu ihrem Lehrer traten. Die in Greifswald herrschende Gastlichkeit, 
der freundschaftliche Verkehr mit einigen Kollegen und deren Familien, die 
Wanderungen durch die pommerschen Buchenwalder und die erfrischenden 
Seefahrten trugen dazu bei, dem fast Fiinfzigjahrigen das Einleben in die neue 
Heimat leicht zu machen. Wie grofies Vertrauen dieser sich in kurzem auch 
auBerhalb des akademischen Kreises erwarb, ergibt sich aus der Tatsache, da6 
der reformierte Schweizer bald zum ordentlichen Mitgliede des Koniglichen 
Konsistoriums in Stettin ernannt wurde, an dessen Beratungen er dann regel- 
mafiig teilzunehmen pflegte. 

In der wissenschaftlichen Arbeit beschaftigte ihn jetzt vor allem die Frage 
nach dem Ursprung und der Entwicklung der israelitischen Religion. In ent- 
schiedenem Gegensatze zur Wellhausenschen Theorie lehnte er die Annahme ab t 
als hatten wir im Alten Testament ein Beispiel geradliniger Religionsentwick- 
lung vom primitiven Nomadengott bis zum rein geistigen Monotheismus vor 
uns, und die neuere Erschliefiung des alten Orients, insbesondere die Forschun- 
gen des Assyriologen Hugo Winckler, gaben ihm darin recht, dafi die Religions- 
stiftung Moses' auf einem viel hoheren Kulturniveau erwachsen ist als die 
altere, lediglich an dem arabischen Beduinenideal orientierte Auffassung be- 
hauptet hatte. Die Ergebnisse der Orientforschung hat Oe. daher auch mit 
grofier Freude in seine Geschichtsbetrachtung aufgenommen, wahrend er die 
astralmythologischen Spekulationen fur verfehlt hielt, und den Begriff der Ent- 
wicklung wuflte er auf sehr feine Weise vermittelst des Gedankens einer stufen- 
weise fortschreitenden Erziehung mit der Vorstellung von einem geschicht- 
lichen Offenbarungswalten Gottes in Israel zu vereinigen, das ihm auf Grund 
seines Christenglaubens unerschutterlich feststand. In diesem Sinne schrieb er 
iiber den »Kultus bei Amos und Hosea« in den Greifswalder Studien (1895), 
iiber den »gegenwartigen Kampf um das Alte Testament« (1896), iiber »Jahve 
und Baak (1898), »Amos und Hosea. Zwei Zeugen gegen die Anwendung der 
Evolutionstheorie auf die Religion Israels« mit einem textkritischen Anhang 
(1901), »Der religiose Wert des Alten Testaments« (1903), »Die Autoritat des 
Alten Testaments fiir den Christen« (1906) u. a. m., und auf jener Grundlage 
ruht auch sein bedeutendstes und reifstes Werk: »Die Geschichte Israels bis auf 
Alexander den Gro6en« (1905). Andere Arbeiten beschaftigen sich mit dem 
Babel- Bibel -Problem und den Beziehungen des Hammurabi -Gesetzes zur 



144 Oettli. 

Thora Israels (1903), das Buch Hiob erlauterte er fiir Bibelleser, wobei er das 
Ratsel des Leidens in groflen Ziigen behandelte (1908), mancherlei Aufsatze aus 
Oe.s Feder brachte die »Reformation«, und zahllose Rezensionen schrieb er fur 
den »Theologischen Literaturbericht« und die »Neue Preuflische (Kreuz-) 
Zeitung«. 

Eine weitgreifende Wirksamkeit entfaltete Oe. aber auch durch seine Vor- 
trags- und Predigttatigkeit, und schon die aufiere Erscheinung dieses Redners 
machte auf viele einen tiefen Eindruck: eine geschlossene, majestatische Gestalt, 
eine kiihn gewolbte Stirn, ein freundliches, durchdringendes Auge, das Antlitz 
von weifiem Barte umrahmt, dazu eine Sprachgewalt, der man trotz der wohl- 
abgemessenen Worte die gebandigte Leidenschaft anmerkte, das alles drangte 
zu dem Vergleich mit einem Patriarchen. Auch Cremer und v. Nathusius 
waren bedeutende Kanzelredner; wenn aber Oe. einmal im akademischen Gottes- 
dienst predigte, dann kamen auch viele in die Jakobikirche, die sonst ganz andere 
Wege gingen, und die tiefe Lebensweisheit, mit der dieser Prediger die Fragen 
des Schicksals zu behandeln wufite, hat manche reiche Frucht getragen. Zwolf 
seiner akademischen Predigten erschienen unter dem Titel, »Wir haben geglaubt 
und erkannU 1902. Auch sonst ist Oe. im Leben der Universitat wiederholt in 
den Vordergrund getreten. Als ihn das Konzil zum Rektor wahlte, sah sich der 
geborene Universitatsrektor freilich zu seinem Schmerze genotigt, die Wahl 
abzulehnen, da ihm sein altes Nervenleiden gerade viel zu schaffen machte; 
dagegen wird alien Teilnehmern an der 450. Jubelfeier der Universitat Greifswald 
im August 1906 die Festansprache unvergefllich sein, mit der Oe. vor der glanzen- 
den Festversammlung in der machtigen Nikolaikirche das Jubilaum einleitete. 
Sursum cordal Die Herzen empor! Das war der Grundton seiner Rede, und das 
war auch der Grundton seines Lebens. Und doch traf ihn wahrend der reichen 
dreizehn Jahre in Greifswald das schwerste Leid, um den starken Mann schliefi- 
lich zu zerreiben. Nach langem Siechtum starb 1901 seine geliebte Frau; schon 
damals meinte er, dafi das Leben nun fiir immer seine Freuden fiir ihn verloren 
habe. Die Kinder zogen nacheinander in die Welt hinaus, und so wurde es in 
dem geraumigen, gastlichen Hause in der Wilhelmstrafie allmahlich leer; eine 
Reihe von Jahren stand eine alte Freundin der Frau dem Hauswesen vor, 
aber auch sie muflte ihm fiir immer Lebewohl sagen; dem altesten Sohne seiner 
Schwester, der soeben in Greifswald studiert, wie ein Sohn in Oe.s Hause gelebt 
hatte und ganz plotzlich starb, hielt er in Basel noch die Grabrede iiber den 
werborgenen Gott«, dann war es auch mit seiner Kraft zu Ende. Die Schlaf- 
losigkeit, die ihn in gewissen Zwischenraumen schon des ofteren gepeinigt hatte, 
wurde immer driickender; die Lust am Schaffen und die stille Lebensfreude, 
die trotz allem noch aus seinem Auge leuchtete, und auch in seinem kostlichen 
Humor gelegentlich zum Ausdruck kam, machte allmahlich einer zehrenden 
Trauer, Verzagtheit, Hoffnungslosigkeit Platz, die zu dem sicheren Auftreten 
der Herrschergestalt in eigentumlichem Gegensatz stand; alle Versuche, durch 
einen Wechsel des Aufenthaltsortes und der Lebensweise Heilung herbeizu- 
fiihren, schlugen fehl, und schliefilich notigte die nervose Schwermut den zer- 
miirbten Mann, seine akademische Tatigkeit, die er trotz der Unterbrechungen 
immer noch wieder aufgenommen hatte, ganzlich einzustellen und in einer 
Nervenheilanstalt zu Illenau in Baden Linderung zu suchen. Fast drei Jahre 
lang hat Oe. hier noch mit dunkeln Zweifelsfragen gerungen; schon im November 



Oettli. Begas. 



145 



1910 schrieb er an seinen Freund Hauflleiter: »Auf Wiedersehen in Jerusalem«, 
aber erst in der Fruhe des 23. September 191 1 kam der Tod als Freund zu ihm. 

Zur Erinnerung an D. S. Oc. (mit Portrat), Bern, Stampfli, 1911. — D. S. 0e M Ein Gedenk- 
wort von Prof. Dr. Wilke-Wien. Neue PreuB. (Kreuz-) Zeitung 191 1, Nr. 553 (mit Verzeichnis 
seiner Schriften). 

Wicn. Fritz W i 1 k e. 

Begas, Reinhold, Bildhauer, * 15. Juli 1831 zu Berlin, f 4. August 1911 zu 
Berlin. — B. erhielt seine Ausbildung zum Bildhauer 1846 — 51 auf der Ber- 
liner Kunstakademie bei D. Christian Rauch; vervollstandigte und vertiefte 
sie wahrend seines romischen Aufenthaltes 1856 — 58. 1861 wurde er als Pro- 
fessor an die Weimarer Kunstschule berufen; eine Stellung, die er aber schon 
1863 wieder auf gab und nach Berlin zuruckkehrte. In Berlin erhielt er die 
Professur fur Bildhauerkunst an der Akademie, und in Berlin schuf er auch 
seine namhaftesten Werke: 1865 — 71 das Schillerdenkmal, seine beruhmten 
Portratbiisten: Kaiser Wilhelm, Kaiser Friedrich III., Bismarck, Moltke, 
Menzel; Sarkophag Kaiser Friedrichs III.; die Figuren im Hofe der Ruhmeshalle 
in Berlin; 1 89 1 Schloflbrunnen in Berlin; 1893 — 97 Nationaldenkmal Kaiser 
Wilhelms I. in Berlin und 1901 Nationaldenkmal fur den Furs ten Bismarck in 
Berlin. B. war der dritte Sohn des als Portratmaler sehr geschatzten Karl B. 
Das vaterliche Haus »Am Karlsbad« bildete einen Mittelpunkt geselligen kunst- 
lerischen Lebens im damaligen Berlin. Gleichsam symbolisch erscheint es uns 
heute, dafi drei Freunde des Vaters und alle drei gefeierte Berliner Kunstler, 
die Bildhauer Christian Rauch, Gottfried Schadow und Ernst Wichmann, 
Reinhold B.s Taufpaten waren. Mit Rauch, dem geistvollen Vertreter der 
klassizistischen Kunstrichtung in der Plastik, die noch bis zur Vollendung 
des Denkmals Friedrichs des GroBen 1859 in Berlin herrschte und auch B.s Ent- 
wicklung beeinfluflte, verbinden ihn seine ersten Studienjahre; von Schadow 
konnte er die kraftigsten Anregungen und Impulse zu einer seinem Wesen und 
Temperament nahestehenden realistischen Kunstrichtung empfangen; fast 
spurlos gingen an ihm die Einwirkungen der ersten Lehrjahre bei Wichmann 
voriiber. Dagegen wird sein romischer Aufenthalt von ausschlaggebender Be- 
deutung fur sein ganzes spateres Schaffen. In Rom empfing B. die starksten 
Anregungen fiir seine bildnerische Tatigkeit von Malern. In der Gefolgschaft 
von A, Bocklin, Feuerbach und Lenbach bildete er sein »malerisches Auge«. 
Von nun an begleitet »malerisches Sehen« ihn auch bei seiner Arbeit als 
Bildhauer. Und er belebt nicht nur die Modellierung durch malerische Technik 
und betont im malerischen Sinne den stofflichen Charakter der Oberflache, son- 
dern er bevorzugt auch in der Komposition eine freiere malerische Gestaltung 
von Gruppen mit lebhaftcn Bewegungsmotiven. Wie stark der Maler in ihm 
war, zeigt ein Blick in seine Skizzenbiicher. Der Entwurf zu einem Theater - 
vorhang lafit in der Art der Anordnung der Figuren zu Gruppen, in der male- 
rischen Behandlung des Vorder- und Hintergrundes deutlich dieselben male- 
rischen Elemente erkennen, wie sie in der Komposition seiner grofien Denk- 
maler wiederkehren. Ebenso besteht ein inniger Zusammenhang zwischen 
seinen gemalten Portrats und seinen Portratbiisten. Es war daher ganz natiir- 
lich, dafi ein so malerisch veranlagtes plastisches Talent wie B. in die natura- 
listische Stromung hineingeriet. Jene Werke, die B.s Ruf begriindeten und die 

Biogj. Jahrbuch u. Deutschcr Nekrolog-. 16. Bd, 10 



I46 Begas. 

auf die Berliner Bildhauerschule grofien Einflufl ausiibten, sind mit alien Vor- 
ziigen und auch Mangeln jener naturalistisch-malerischen Plastik behaftet. 
Aus der Zeit seines ersten romischen Aufenthaltes stammen von zarter, fast 
weiblicher lyrischer Empfindung beseelte Werke: »Pan trostet Psyche*; »Pan 
als Lehrer des Flotenspiels« und der in seiner Lebensfulle fast antik anmutende 
»Bacchusknabe«. In diesen Zusammenhang gehoren auch noch die iiberaus 
liebenswiirdig empfundene Gruppe »Venus und Amor«, die in Berlin entstand; 
die Gruppe »Merkur und Psyche« und eines seiner reifsten und schonsten Werke: 
»Susanna«. Ein Nachklang an die erste Zeit seines romischen Aufenthaltes, 
entsprang auch diese Schopfung um 1869 einem zweiten romischen Aufenthalt; 
es liegt ein eigener Zauber iiber ihr: ein Abglanz antiker Lebensfulle und Schon- 
heit. Und es sind nicht nur diese Vorziige, welche diese Statue so wertvoll 
machen, sie ist zugleich ein Meisterwerk der Marmorskulptur. Ein von edler 
Empfindung gemafiigter und gebandigter Naturalismus spricht aus dem Modell 
zum Strousbergschen Grabmal (1874). Auch die beiden fur das Budapester 
Schlachthaus ausgefiihrten Tiergruppen zeigen einen statuarisch gefestigten 
naturalistischen Stil, der sich dann in seinen dekorativen Figuren im Hofe der 
Ruhmeshalle: den beiden Kriegergestalten und in der »Borussia« wurdig den 
Schliiterschen Plastiken anreiht. In all diesen Schopfungen treten die Eigen- 
tiimlichkeiten von B.smalerisch-naturalistischem Stil im Detail der Formgebung, 
hauptsachlich bei der Behandlung von Haaren und Gewandung, in einer die 
Skulptur angenehm belebenden Weise hervor; sie liefien ihn vollends in der 
folgerichtigen Anwendung auf das Bildnis einen bisher in der modernen Skulptur 
nicht erreichten Ausdruck von Lebendigkeit erreichen, um so mehr, als auch 
bei den besten dieser Arbeiten, in den Biisten von Menzel, Bismarck, Moltke, 
eine treffende individuelle Charakteristik dazukommt, die Lebendigkeit des 
Ausdrucks noch zu erhohen und zu steigern. B. erschien darum wie geschaffen 
zur Ausfuhrung von Portratstandbildern, wie sie die damalige Denkmaler- 
plastik forderte. Sein erstes Werk, das Schillerdenkmal in Berlin, zeigt ihn in 
der Hauptfigur noch ganz im Geleise der durch Rietschel angebahnten Portrat- 
denkmalerplastik, die den Gefeierten im Zeitkostiim darstellt. Wir begreifen 
heute gar nicht mehr, dafl man sich 1865 iiber den darin zutage tretenden Realis- 
mus erregen konnte. Viel starker tritt dieser in den Sockelfiguren hervor, die 
in ihrer naturalistischen Entkleidetheit uns auch heute noch wenig monumental 
anmuten. Aber das Ganze steckt doch noch tief im Schema der Rauch- und 
Rietschelschen Konvention deutscher Denkmalerplastik. Auch das 1883 ge- 
schaffene Humboldt-Denkmal bringt darin keinen Fortschritt. Im Gegenteill 
In der Darstellung einer sitzenden Figur ist es viel vveniger gut als die von Rauch 
und Rietschel geschaffenen Denkmaler Max Josefs I. in Miinchen und Konig 
Alberts in Dresden. Dagegen ist der Kopf ausgezeichnet modelliert, und damit 
scheint auch nachtraglich die erste Skizze, die ein Hermendenkmal beabsichtigte, 
gerechtfertigt. Die nachste Etappe zur grofien Plastik, die auf freiem Platz 
aufgestellt ist, bildet der Schlofibrunnen. Und hier treten auch schon die 
negativen Seiten dieser malerischen Plastik so augenfallig hervor, dafi sie jedes 
fur Raumgestaltung und Grofiplastik gescharfte Auge erkennt. Schon die 
Komposition leidet an einem hochst bedenklichen Mangel statischer Festigkeit, 
es fehlt ihr durchaus das architektonische Gerust, das auch noch die verwegen- 
sten italienischen Barockschopfungen aufweisen, und mit diesem Mangel an 



Begas. Jellinek. \ai 

architektonischer und statischer Bedingtheit gebricht es der ganzen Erschei- 
nung an Ruhe und Geschlossenheit und damit auch an monumentalem Ausdruck 
und Grofie. Wir konnen uns des Vergleichs mit einem vergrofierten Tafel- 
aufsatz nicht erwehren, und verstarkt wird dieser Eindruck noch durch die 
Ftille kleiner naturalistischer Details und einer Menge genrehafter Einzelztige, 
die den Gesamteindruck immer wieder durchkreuzen und storen. Und nicht 
anders ergeht es uns auch vor B.s Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I., das 
mit seiner kolossalen Haufung von Motiven, Gruppen, Einzelfiguren, Emblemen 
und Dekorationen wie eine auf einer Schaubuhne arrangierte Apotheose an- 
mutet. Diese im Sinne von Buhnenfestspielen arrangierte Architektur- und 
Denkmalerplastik ist allerdings im Geschmacke der Zeit, die fiir die Losung 
solcher monumentaler Aufgaben noch nicht reif war. Auch B. entging nicht 
dem Verhangnis, das die grofien Gelegenheitsaufgaben unseren Kiinstlern be- 
reiten. Auch er stand diesen grofien monumentalen Aufgaben mit den unzu- 
langlichen Ausdrucksmitteln malerischer Plastik gegeniiber. Eine spatere 
Zeit wird daher Schopfungen wie das Kaiser -Wilhelm-Nationaldenkmal und 
das Bismarck-Denkmal nur als Aufierungen monumentaler Bildkunst einer 
Zeit verstehen, welcher die grofie Tradition verloren gegangen war. Das kiinst- 
lerische Streben und Wollen des Bildhauers B. wird am besten erkannt und 
gewurdigt werden konnen in den lebensvollen Bildnisbusten, die er von seinen 
grofien Zeitgenossen geschaffen hat, und in seinen mit plastisch-malerischem 
Esprit modellierten Gruppen und Einzelfiguren. B.s Name gehort bereits der 
Geschichte der deutschen Plastik an. Er fugt sich ihr ein als der dritte grofie 
Bildhauer, der die Plastik nach Schadow und Rauch weiterfiihrte, in einer dem 
modernen franzosischen Realismus ahnlichen naturalistisch-malerischen Rich- 
tung. A. H e i 1 m e y e r. 

Jellinek, Georg, Grofih. Bad. Geheimer Hofrat, Professor der Rechte an 
der Universitat Heidelberg, * 16. Juni 1851 zu Leipzig, f 12. Januar 191 1 zu 
Heidelberg. — Die ersten Lern- und Lehrjahre hat J. in Osterreich verbracht, 
seine Meisterjahre haben dem Deutschen Reich gehort. Der Vater, ein ange- 
sehener Kanzelredner, Gelehrter und Schriftsteller, wurde im Jahre 1857 von 
Leipzig als Prediger der israelitischen Kultusgemeinde nach Wien berufen. 
Hier oblag Georg, sein Altester, den Gymnasialstudien und bezog zum Winter- 
semester 1867 die Universitat, an der er bis Ostern 1 870 als Horer der Rechte 
immatrikuliert war. Die Fakultatswahl ist dem vielseitig begabten und inter- 
essierten Jungling nicht leicht geworden. Zahl und Art der Vorlesungen, die 
er besuchte, weisen auf ein friih entwickeltes Bildungsbedurfnis, das uber die 
rechts- und staatswissenschaftlichen Berufsfacher hinaus philosophische, histori- 
sche und kunstgeschichtliche Disziplinen umspannt. Das denkwurdige Sommer- 
semester 1870 durfte er in Heidelberg verleben, und es war eine vorbedeutungs- 
volle Fiigung, dafi Bluntschli als Prorektor den Neunzehnjahrigen, welcher 
einst sein Nachfolger im Lehramt werden sollte, unter die Horer der Ruperto- 
Carola aufnahm. An Bluntschlis hundertstem Geburtstag hat J. in dankbarer 
Riickschau des Mannes gedacht, der dem Werdenden Mut und Kraft verlieh, 
in den Kampfen der Gegenwart den richtigen Weg zu finden. 

»Von dem unbezwingbaren Triebe nach umfassenderer und vertiefterer 
Bildung ergriffen« — wie J. spater in seinem Habilitationsgesuch sagt — , ging 

10* 



I48 Jellinek. 

er nach Leipzig, und die Jahre, die er dort, mannigfach und nachhaltig durch 
die Beruhrung mit Gleichstrebenden gefordert, philosophischen, geschichtlichen 
und nationalokonomischen Studien gewidmet hat, sind ihm in der Erinnerung 
stets als die glucklichsten und fruchtbarsten seiner Jugendzeit erschienen. In 
Leipzig erwarb er 1872 mit einer Dissertation iiber die Weltanschauungen 
Leibniz' und Schopenhauers den philosophischen, an der Wiener Universitat 
im Friihjahr 1874 den juristischen Doktorgrad, kehrte dann fiir kurze Zeit 
nach Deutschland zuriick und trat im Dezember 1874 bei der niederosterreichi- 
schen Statthalterei in den Verwaltungsdienst, den er jedoch bald verliefl, um 
seine ungeteilte Kraft der Vorbereitung fiir die akademische Laufbahn zuzu- 
wenden. Er war sich darliber klar geworden — es sind wieder seine eigenen 
Worte — , dafi die juristischen Grundbegriffe einer gemafi dem Umschwung 
der philosophischen Denkweise zu vollziehenden Revision bedurfen, und nichts 
geringeres war das Programm seiner 1878 veroffentlichten Untersuchung »Die 
sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe«. Als sie dreiBig 
Jahre spater in zweiter Auflage erschien, durfte der Verfasser sagen, sie habe 
mitgeholfen, von dem spekulativen Problem in das realistische hiniiberzufiihren, 
und ein Kritiker hat das Buch als den Ausdruck rechtsphilosophischer Prin- 
zipien bezeichnet, die Gemeingut der Wissenschaft geworden sind. Die Wiener 
Juristenfakultat von 1878 war mehr Sibylle als Prophetin. Sie vermochte, als 
der Habilitationswerber ihr die Schrift vorlegte, nicht die Oberzeugung zu ge- 
winnen, »dafi er bereits jenes Mafi juristischer Reife und Bildung besitze, das 
vom Professorenkollegium als eine unerlaflliche Vorbedingung fiir eine Dozentur 
betrachtet wird«. Seither sind die Dozenten haufiger geworden, die Jellineks 
freilich seltener. 

Aufgrund einer — erst nach dem Tode des Autors gedruckten — Ab- 
handlung iiber die Klassifikation des Unrechts wurde J. im Juni 1879 zur Probe- 
vorlesung zugelassen und bald als Privatdozent fiir Rechtsphilosophie an der 
juristischen Fakultat in Wien bestatigt. 1880 liefi er unter dem Titel »Die 
rechtliche Natur der Staatenvertrage« einen Beitrag zur juristischen Konstruktion 
des Volkerrechts, zwei Jahre spater »Die Lehre von den Staatenverbindungen* 
erscheinen. Im Mai 1882 erlangte er kraft einhelligen Fakultatsbeschlusses 
die Erweiterung der venia legendi auf das Gebiet des allgemeinen Staats- und 
des Volkerrechts, und Karl Menger gab als Dekan in der an das Ministerium 
gerichteten Eingabe der Zuversicht Ausdruck, dafi J. »nach seinen wissenschaft - 
lichen Leistungen und seinen bisherigen Prazedenzien als Dozent auch in seinem 
ausgedehnten Wirkungskreise sicherlich in jeder Beziehung seinen Pflichten 
Geniige leisten wird«. An seinem zweiunddreifligsten Geburtstag erhielt er 
das Dekret, laut dessen er zum auBerordentlichen Professor des Staatsrechtes 
an der Universitat in Wien ernannt und »bis auf weitercs« verpflichtet wurde, 
in jedem Wintersemester ein Kolleg iiber Volkerrecht abzuhalten. Er mochte 
nicht ahnen, daB dieses »bis auf weiteres« den Anfang einer langen Kette von 
Demiitigung und Feindseligkeit bilden sollte. In den Verhandlungen der Fakul- 
tat iiber seine Beforderung zum Ordinarius spielte die Gretchenfrage nach der 
Religion eine immer starker betonte Rolle, unwurdige Treibereien und Ge- 
hassigkeiten, deren Ziel und Ursprung zum Teil fernab vom akademischen Boden 
lag, traten hinzu, und als der Kultusminister wiederholter Zusagen uneingedenk 
die Lehrkanzel des Volkerrechts mit Cbergehung J.s besetzte, blieb diesem — 



Jellinek. \^g 

es war im August 1889 — nur der Verzicht auf die akademische Stellung ubrig. 
Der Minister, von der herrschenden Parteien Gunst verwirrt, beeilte sich, er- 
leichterten Gemuts die Demission anzunehmen und so die Wiener Hochschule 
einer ihrer schonsten und starksten Hoffnungen zu berauben. Es war freilich 
derselbe Staatsmann, dem der Bureaukratenwitz das schnode Wort von der 
»aktiven geistigen Handelsbilanz Osterreichs« eingegeben hat. 

Aus schmerzlichster Erfahrung heraus hat J. spater von dem Bangen und 
Kampfen um eine sichere Stellung gesprochen, das so manchem die besten Jahre 
jugendfroher Tatigkeit vergallt, hat er die herbe Klage erhoben, dafi man in 
Osterreich zu alien Zeiten an leitender Stelle die Kunst besessen habe, den Wert 
der heimischen Talente grundlich zu verkennen. Dafi er mit dem Kainszeichen 
der Begabung vaterlandfluchtig werden mufite, hat er nie ganz verschmerzt. 
Immer wieder brach es wie ein heifier Strom der Erbitterung aus ihm her- 
vor, wenn auf jene akademische Tragikomodie die Rede kam. Er hatte da- 
mals Leistungen aufzuweisen, die heutigentags reichlich fiir ein halbes Dutzend 
Ordinarien langen miiOten. Von kleinen Schriften uber Verfassungsgerichtsbar- 
keit in Osterreich, uber das rechtliche Verhaltnis Kroatiens zu Ungarn, uber 
parlamentarische Wahlprufung zu schweigen, hatte er im Jahre 1886 seine — 
Joseph Unger zugeeignete — Monographic »Gesetz und Verordnung« veroffent- 
licht, die zum erstenmal auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender 
Grundlage die Kategorien staatlicher Willensbildung untersuchte und ihren 
Verfasser in die vorderste Reihe der deutschen Publizisten einriicken liefi. Aber 
alle Dokumente einer selbst den Gegnern imponierenden wissenschaftlichen 
Erscheinung konnten ein einziges Dokument nicht ersetzen, dessen Mangel 
J. zwang, ein neues Feld fiir Dasein und Arbeit zu suchen. Er habilitierte sich 
an der Berliner Universitat fiir Staats- und Volkenxcht und ist vierzehn Tage 
dort Privatdozent gewesen. Noch ehe seine Lehrtatigkeit wirklich begonnen 
hatte, traf ihn die Berufung als Ordinarius nach Basel. Hier hat er noch den 
Kreis derer um Nietzsche gefunden, kniipfte mannigfache personliche Be- 
ziehungen, durfte sich namentlich dcs Umgangs mit Jakob Burckhardt erfreuen. 
Heimisch ist er freilich dort nicht geworden. Basel war seinem Empfinden 
nach doch nur ein Obergang, und es war ihm und der Wissenschaft zum Segen, 
dafi dieses Empfinden ihn nicht getrogen hat. Im November 1890 erging an 
ihn der Ruf, die durch Bulmerincqs Tod erledigte Professur des offentlichen 
Rechts an der Universitat Heidelberg zu ubernehmen. Im Friihling 1891 trat er 
sein neues Lehramt an, das er zwanzig Jahre lang, reich an Gliick und Ehre, mit 
Erfolg und Freude verwalten sollte. Als den einstigen Schiiler der Ruperto- 
Carola das Universitatsjubilaum des Jahres 1886 wieder in die Stadt gefuhrt 
hatte, die auch ihm seit Jugendtagen ins Herz geschrieben stand gleich einer 
Braut, konnte er nach Hause berichten, dafi sein Name nicht nur den engeren 
Fachgenossen bekannt sei und dafi er nicht als ein, sondern als der Vertreter 
des Staatsrechts aus Osterreich betrachtet werde. Jetzt war er, ein anerkannter 
Fuhrer seiner Wissenschaft, berufen, das alteste Katheder des Naturrechts in 
Deutschland zu besteigen, ruhmvolle Oberlieferungen zu hiiten und zu mehren, 
die stolze Reihe fortzusetzen, die von Pufendorf uber Robert Mohl zu Bluntschli 
leitet. Nach entnervenden inneren und aufieren Kampfen hat er in Heidelberg 
sich selbst wiedergefunden. Hier durfte er in Wissenschaft und Leben seine 
Vollkraft entfalten und die Gipfelpunkte seines Schaffens erreichen, die vor 



1 50 Jellinek. 

allem und fiir immer durch das noch in Basel begonnene »System der subjek- 
tiven Sffentlichen Rechte« und die »Allgemeine Staatslehre« bezeichnet sind. 
Die alte hohe Schule wufite, was sie an ihm besafi, und stellte ihn fiir das Stu- 
dienjahr 1907/08 als Prorektor an ihre Spitze. Mit einer gedankenreichen Rede 
liber den Kampf des alten Rechts mit dem neuen, in deren Feierklang Wissen 
und Gesinnung zusammentonen, ubernahm er das Amt, das ihm reichen Anlafi 
bot, die Vorziige seines Wesens bei groflen Gelegenheiten wie in den Geschaften 
des akademischen Alltags zu bewahren. In jedem Sinn bedeutete dieses Jahr 
die Hohe: es hat den Aufstieg gekront und den Abstieg eingeleitet. Eine lange 
im Verborgenen schleichende Krankheit trat hervor, in ihren Vernichtungs- 
zeichen jedem erkennbar, zum Gliick nicht dem Todgeweihten selbst, der, 
umhegt von zarter Sorge, durch ein riihrendes Einverstandnis der Lieben und 
der Freunde in wohltatiger Tauschung iiber das Unabwendbare befangen blieb. 
Am Spatabend des 12. Januar 191 1 tat dieses heifle und giitige Herz seinen 
letzten Schlag. 

Das herrliche Geleitwort, das Wilhelm Windelband dem literarischen 
Nachlafl J.s mitgegeben hat, riihmt an dem in Wahrheit Friihvollendeten die 
zusammenschauende Kraft, die er in der Bewaltigung des gelehrten Materials 
erwies, den Reichtum seiner intellektuellen Interessen und die Weite des Blicks, 
mit dem er jedes Problem in die fruchtbarsten Beziehungen zu bringen wufite. 
Bestimmt und selbstsicher hat sich diese Begabung schon in den ersten philo- 
sophischen Versuchen J.s angekundigt, die eine universalistische Denkverfassung 
im Verein mit einer unvergleichlichen Starke der wissenschaftlichen Apperzep- 
tion offenbaren. J.s geistiger Habitus stellt eine Verschmelzung und Aus- 
gleichung der drei Weltauffassungen dar, deren Definition sich in einer An- 
merkung seines Notizbuchs aus den Siebzigerjahren findet: der theoretischen, 
welche die Wahrheit sucht, der ethischen, der die Begriffe gut und bose als 
oberstes Einteilungsprinzip gelten, und der asthetischen, deren Anschauung 
sich nach der Schonheit oder Hafllichkeit der Gegenstande abstimmt. Es weist 
auf die harmonische Folgerichtigkeit seiner Entwicklung, dafi schon die Doktor- 
schrift in der Auseinandersetzung zwischen Optimismus und Pessimismus sich 
zu Leibniz bekennt, dem Philosophen, dessen Werk und Personlichkeit durch 
das Streben nach Universalitat gekennzeichnet wird. Jene friihreife Klarheit 
iiber sich selbst liefl J. nach den ersten tastenden Schritten Stil und Methode 
seiner wissenschaftlichen Aufgabe zu bleibendem Besitz gewinnen, ohne dafl 
irgendeine schulmaflige Verwandtschaft oder Abhangigkeit festzustellen ware. 
Er war nie Schuler und gleich Meister. Deshalb mochte er darauf verzichten, 
den Leser, wie dies neuestens Brauch, mit auf- und zudringlichen Enthiillungen 
iiber den »Charakter seines Erkennens« zu behelligen; vielmehr durfte er eben 
kraft einer vornehmen Sachlichkeit um so gewisser auf das Erkennen seines 
Charakters rechnen. 

Um J. die gebiihrende Stelle in der Entwicklung der deutschen Rechts- 
und Staatslehre anzuweisen, mufi man sich gegenwartig halten, dafl zur Zeit 
seines Eintritts in den Bannkreis gelehrten Schaflfens der grofie Umbildungs- 
prozefi des mitteleuropaischen Staatensystems zu Ende und damit wissenschaft- 
licher Behandlung der neuen politischen Daseinsformen der Boden bereitet war. 
So konnte er schon in der »Lehre von den Staatenverbindungen« mit festen 
geschichtlichen Groflen operieren und bereits in diesem Buch das Problem zur 



Jellinek. I c I 

Erorterung stellen, das ihn eigentlich nicht mehr freigegeben hat: die Scheidung 
zwischen juristischer und politischer Betrachtungsweise. Er will der von der 
zivilistischen Jurisprudenz erarbeiteten Methode den Forschungsbereich des 
offentlichen Rechts erschlieBen und versucht so in gewollter Abkehr von den 
»dynamischen« Elementen seines Stoffes eine Rechts theorie der Staatenver- 
bindungen aufzubauen, die sich ihm, sofern eine bleibende Regelung zwischen - 
staatlicher und staatlicher Verhaltnisse ihr Zweck, in dem Gegensatz von 
Staatenbund und Bundesstaat erschopfen. Der Fortgang der Dinge hat freilich 
dem damals von Schaeffle erhobenen Einwand recht gegeben, dafi es fur die 
Ziele der praktischen Politik nahezu unfruchtbar ist, die zusammengesetzten 
Staaten immer wieder auf das Prokrustesbett jenes juristischen Gegensatzes 
hinzuwerfen. Das haben ja zur Genuge die mufiigen, weil aussichtslosen Dis- 
kussionen uber die Rechtsnatur der osterreichisch-ungarischen Monarchic ge- 
zeigt. Auch mit »Gesetz und Verordnung« stellt sich J. bewufit und ausdriick- 
lich in den Dienst der Aufgabe, das Staatsrecht aus dem flussigen Element einer 
schwer zu begrenzenden Kunde vom Staat dauernd hiniiberzufiihren in den 
festen Aggregatzustand einer juristischen Disziplin. Das war ihm nicht etwa 
gleichbedeutend mit irgendeiner Art juristischen Offenbarungsglaubens oder 
rnit der Befriedigung eitler Lust an dialektischer und konstruktiver Mache. 
Er erkannte, dafi eine Untersuchung der durch die konstitutionelle Ordnung 
geschaffenen Formen, in denen der Staatswille sich aufiert, eine grundliche 
und vergleichende Kenntnis des Gewordenen und Gegebenen zur notwendigen 
Voraussetzung hat. Diesem methodologischen Leitsatz ist der bis auf den 
heutigen Tag weder ubertroffene noch auch nur erreichte historische Teil des 
Buches zu danken, der — um bloB einiges aus der Fulle herauszuheben — die 
Geschichte des konstitutionellen Gesetzes in Frankreich, des englischen und des 
belgischen Budgetrechts, des Rechtes der Staatenvertrage aus den Quellen mit 
souveraner Beherrschung einer fast uniibersehbaren Literatur darstellt. 

Vierzig Jahre, nachdem Gerber den ersten Versuch unternommen hatte, 
das Gebiet der offentlichen Rechte des Einzelnen von rein staatsrechtlichen 
Prinzipien aus systematisch zu bearbeiten, hat sich J. diesem Problem zu- 
gewendet, das in der Zwischenzeit von der Theorie beinah vollig, wohl nicht 
ohne Absicht, vernachlassigt worden war. Es kam in besonderem Mafi seinem 
wissenschaftlichen Interesse entgegen, lag durchaus in der Richtung einer Denk- 
arbeit, die sich seit langem muhte, feste Punkte fur die Bestimmung des Ver- 
haltnisses zwischen dem Individuellen und dem Oberindividuellen zu gewinnen, 
um so die hieher gehorigen Erscheinungen und Tatsachen der Rechtswelt 
allgemeineren Zusammenhangen einzuordnen. Hat er doch einmal die richtige 
Grenzbestimmung zwischen dem Ich und der Gesamtheit als das hochste Pro- 
blem bezeichnet, welches denkende Betrachtung der menschlichen Gemein- 
schaft stellt. Vielleicht ist deshalb das >>System der subjektiven offentlichen 
Rechte« das Lieblingswerk des Verfassers geblieben, der die entscheidenden 
Ziige seiner geistigen Physiognomie hier in deutlichster Pragung wiederfand 
und in dem Buch seine reifste, starkste, ihm selbst eigentumlichste Schopfung 
sah. Als es binnen kurzer Frist die zweite Auflage erlebte, durfte er sagen, 
dafi es eine prinzipielle Losung bedeutet, zu der jeder, der gleiches versucht, 
Stellung nehmen mufi, mag er auch auf anderem Boden stehend anderen Re- 
sultaten zustreben. In der Tat hat von dem Buch eine umfassende kritische 



152 Jellinek. 

Erorterung den Ausgang genommen und dem »System« im wissenschaftlichen 
Erkenntnisprozefl den Platz gesichert, den der Autor fiir sein Werk erhofft 
und erwartethat: dafi es namlich nicht sowohl durch seine bleibenden Ergebnisse 
als vielmehr durch das Mafi vorwSrtstreibender Kraft, das es hegt, Wert und 
Wirkung gewinne. 

Um die Jahrhundertwende gab J. eine Selbstrechenschaft seines wissen- 
schaftlichen Lebenswerks: er liefi als ersten Teil eines »Rechts des modernen 
Staates« die »Allgemeine Staatslehre« erscheinen, die jedoch ihrer ganzen Anlage 
nach und gemafi dem Plan ihres Urhebers als eine in sich geschlossene und ab- 
schliefiende Behandlung des Gegenstandes gelten mufi. Es ist ohne Frage nicht 
nur seine, sondern iiberhaupt die groflte Leistung, welche die Lehre vom Staat — 
keineswegs blofi jene der Deutschen — in der Zeit nach der Reichsgrundung 
hervorgebracht hat. Abgesehen von dem Reichtum neuer Problemstellungen 
und -losungen, von der wahrhaft kunstlerischen Architektonik des stofflichen 
Aufbaus, von der im besten Sinn gemeinverstandlichen Klarheit des Vortrags 
ist das Buch entwicklungsgeschichtlich eine Urkunde von heut noch gar nicht 
abzuschatzender Bedeutung fiir die Wahl der Wege, die kunftig die Staatsrechts- 
wissenschaft zu suchen oder zu meiden hat. Um die fortschreitende »Politi- 
sierung der Staatsrechtslehrer« zu erweisen, hat sich in jiingster Zeit Walther 
Schiicking auf J.s Werk berufen, dessen Erscheinen ihm den allgemeinen Um- 
schwung in der Rechtswissenschaft und das Erwachen einer mehr philosophi- 
schen Betrachtung staatsrechtlicher Dinge anzeigt. Auch er weifl freilich nicht 
zu sagen, wie die unleugbaren Errungenschaften der juristischen Schule fest- 
zuhalten sind, wie dogma tische und dynamische Betrachtung in der Staats- 
rechtslehre getrennt werden sollen, damit der Eifer fiir individuell erwiinschte 
rechtspolitische Ziele die Erkenntnis des geltenden Rechts nicht trube. J. 
selbst war des Glaubens, dafi der stete Hinblick auf die Wirklichkeit des politi- 
schen Lebens die staatsrechtliche Theorie von Abirrungen frei erhalt — ein 
frommer Glaube, der angesichts mancher Gesinnungsexzesse zuschanden ge- 
worden ist. Auch in das noch so ehrlich gemeinte Bemiihen, die politische Re- 
alitat methodisch zu erfassen und wissenschaftlich zu fixieren, drangen sich 
Momente des subjektivistischen Wertempfindens ein, welche den Erfolg und 
Ertrag solcher Versuche allzusehr dem personlichen parteimafligen Urteil des 
Betrachters anheimgeben. Zwischen dieser und der andern Gefahr: das Leben 
der Gegenwart mit und an den Kategorien der Vergangenheit zu messen, wird 
die Staatsrechtslehre, wenn ihr Name nicht Schall und Rauch sein soil, ihre 
Bahn zu finden haben. J. hat ihr hiezu mit seinem Buch das »novwn organon* 
geschaffen; in gemessenem Abstand wohl auch in dem Sinn, den Francis 
Bacon fiir seine grofle Erneuerung in Anspruch nahm: als das Ende und die 
Grenze des Irrtums. 

J. hat freilich der so beliebten Selbsttauschung iiber die Fortschritts- 
moglichkeiten der Wissenschaft keinen Raum gegeben, sich vielmehr zu der 
Einsicht resigniert, dafi das Symbol des Wissens vom Menschen nicht die Gerade 
ist, die ins Unendliche f uhrt, sondern der Kreis, der in sich zuriickkehrt. Diesen 
Kreis — soweit er Recht und Staat umfafit — hat er nach alien Richtungen 
hin mit Erkennerfreude und Entdeckergliick ausgeschritten. Neben und 
zwischen seinen grundlegenden systematischen Arbeiten sind Parerga ent- 
standen, die in engerem Rahmen Fragen der Rechtsphilosophie, des offent- 



Jellinek. j c -i 

lichen Rechts, der Verfassungsgeschichte behandeln und deren Klarung 
um ein gutes Stiick gefordert haben. Aus ihrer grofien Zahl seien der 
Vortrag iiber das Recht der Minoritaten, die scharfsinnigen Ausfuhrungen uber 
Staatsfragmente, die staatsrechtlich-politische Untersuchung »Verfassungs- 
anderung und Verfassungswandlung«, endlich die Schrift uber die Erklarung 
der Menschen- und Burgerrechte herausgegriff en : letztere vor allem, weil sie 
in zahlreiche Kultursprachen ubersetzt wurde und von ihrem Erscheinen bis 
zum heutigen Tag im Mittelpunkt einer dem Anschein nach nicht zu erschopfen- 
den literarischen Auseinandersetzung steht. Als Mitbegrunder der Heidel- 
berger »Staats- und Volkerrechtlichen Abhandlungen«, des Sammelwerkes 
»Das offentliche Recht der Gegenwart« nebst dessen Erganzung, »Jahrbuch 
des offentlichen Rechts«, endlich — seit 1908 — als Mitherausgeber des »Archivs 
fur offentliches Recht« erwarb sich J. um den juristischen Gesamtbetrieb 
unserer Tage unvergessene Verdienste. 

Sein Bestes, Echtestes hat er aber dort gegeben, wo er ohne das Medium 
der Druckerschwarze er selber sein und auf Werdende wirken konnte: in Horsaal 
und Seminar. Zeitlebens hatte er eine starke Meinung von Ehre und Wurde 
des deutschen Professors, dem — nach einem guten Wort Gustav Freytags — 
das eigene Leben wenig bedeutet im Dienste der Wissenschaft. Solche Ein- 
schatzung der gelehrten Mission schuf ihm das lebendige Gefiihl der Verant- 
wortlichkeit, einer geistigen Haftpflicht fur das, was er als Organ der grofien 
deutschen Wissensgemeinschaft den Lernenden zu bieten hatte, um vor ihnen 
und vor sich selbst jene hohe Meinung dauernd zu rechtfertigen. Dafl jedes 
neue Semester immer weitere und dichtere Kreise von Schtilern um ihn zog, 
hat ihn tief begliickt und ihm Genugtuung gewahrt fur manche Stunde des 
Zweifels und der inneren Not. Er hat wie kaum einer vor und anscheinend 
auch keiner nach ihm eine wirkliche Schule des offentlichen Rechts begrundet, 
die in ihrer raumlichen Ausbreitung, in ihrer Internationalist den heutigen, 
auf Durchdringung grofier Zusammenhange gerichteten Stand der Wissenschaft 
spiegelt, das Abbild des Lehrers also lebensvoll bewahrt und es fast noch deutlicher, 
als dies seine Schriften vermogen, kommenden Geschlechtern (iberliefert. Dafi 
auch seine akademische Arbeit nach dem Thema von der Freiheit des einzelnen, 
von dem unverbruchlichen Recht der Personlichkcit orientiert war, ist fiir den 
einheitlichen Aufbau seines geistigen Werkes charakteristisch und bedeutsam. 
Er ward nicht miide, seine Schuler durch Mahnung und Beispiel zum Respekt 
vor dem Urrecht wissenschaftlicher Erkenntnis- und Bekenntnisfreiheit, zur 
mitverstehenden Einfiihlung in die Gedankengange anderer zu erziehen. Er 
selbst hat dem Behagen am polemischen Ausfall im Fortgang seines Schaffens 
immer mehr abgesagt, und die wachsende Einsicht in die Relativitat aller 
menschlichen Wahrheitswerte liefi ihn bei ungeminderter Scharfe der kritischen 
Urteilskraft zu einer ruhigeren Wurdigung gegnerischer Standpunkte gelangen. 
Die ungewohnliche geistige und seelische Reizsamkeit des Mannes ermoglichte 
ihm, zwang ihn sogar, neuen Stromungen der intellektuellen Bewegung, mochte 
auch nur ihr Nebenarm auf sein eigentliches Arbeitsfeld leiten, mit innerer Teil- 
nahme, nicht selten mit werktatiger Parteinahme zu folgen. Fur das Gipfel- 
chen freilich, welches sich vermifit, dafi es allein der Erde nicht entschossen, 
fur die Altklugheit, die, kaum der juristischen Berlitzschule entwachsen, gleich 
den letzten Fragen von Recht und Staat sozusagen aus dem Handgelenk 



1 54 Jellinek. Sicbold. 

Antwort weifi, fur die unfreiwillige Ideenaskese endlich und die marktschreie- 
rische Begriffsakrobatik, die sich jetzt im Gebiet der Staatsrechtslehre breit 
macht, hatte J. nur ein Lacheln mitleidiger Geringschatzung gefunden, im 
besten Fall das gem zur Abwehr und Abfertigung gebrauchte Dante -Wort: 
Non ragionam di lor, ma guarda e passa. 

All dies ausgreifende und vielfaltige Tun in Forschung und Lehre, dieser 
Staatsdienst in einer, man darf wohl sagen, verklarten Bedeutung des Wortes 
war erfiillt und gebunden durch den schonen Ernst des personlichen Wesens, 
dessen Trager sich in rast- und schonungsloser Selbstprufung uber manche 
Klippe des Temperaments hinweg zu mildem Gleichmafi emporgekampft hatte 
und, um wieder mit ihm zu reden, Meister in der schweren Kunst geworden war, 
Fuhlen und Denken ganzlich auseinanderzuhalten. Flir J.s Genossen und 
Freunde war dieses stille Wirken lauternder Energien ein Schauspiel von hohem, 
ergreifendem Reiz, aber zugleich die Quelle, aus der ihrem eigenen Dasein Licht 
und Warme zustromte. Wer ihn erlebt hat, bewahrt es als ein kostliches Schick- 
salsgut, dafi er ihn erleben durfte, Zeuge, Bewunderer und Geniefier so ver- 
edelter Menschlichkeit, steter Hilfsbereitschaft, opfervoller Treue und eines 
seltenen Einklangs von Talent und Charakter werden konnte. In Goethes Sinn 
haben, die ihm nahestanden, sein Scheiden aus dem Kreis der Sterblichen 
als eine AVandlung zu hoheren \\andlungen« empfunden. 

Egon Zweig. 

Siebold, Alexander Georg Gustav Freiherr v., kaiserlich japanischer Lega- 
tionsrat, * 16. August 1846 zu Leyden, Holland, f 23. Januar 191 1 zu Pegli, 
Italien. 

Die Siebold sind ein altes Geschlecht vom Niederrhein. Karl Caspar v. S. war 
von seinen Zeitgenossen Chirurgus inter germanos princeps genannt worden. Sein 
Sohn Georg Christoph wirkte bis 1798 als Professor der Medizin und Chirurgie 
am Julius-Spital in Wiirzburg. Dessen Sohn Philipp Franz studierte an der 
Universitat Wiirzburg Medizin und Naturwissenschaften und erwarb sich dort 
1820 die Doktorwiirde. Philipp Franz unternahm 1822 im Auftrage der Sencken- 
bergischen naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt eine Reise nach Nieder- 
landisch-Indien. Er bewarb sich dazu um eine Anstellung als Militararzt und 
wurde 1822 zum Chirurgyn -Major in der niederlandisch-indischen Armee 
ernannt. In Java wurde ihm von dem Generalgouverneur Baron van der 
Capellen angeboten, die neue, nach Japan gesandte Mission zu begleiten und 
bei der hollandischen Faktorei als Arzt zu bleiben, dort wissenschaftliche Stu- 
dien zu treiben, um damit hollandischem Einflufi und Handel etwas mehr in 
dem vollig abgeschlossenen Inselreiche Eingang zu verschaffen. Am II. August 
1823 erreichte S. den Hafen von Nagasaki. Japanische Schiiler und Freunde 
scharten sich um ihn und waren ihm bald bei seinen wissenschaftlichen Forschun- 
gen behilflich. Durch Verrat erhielt die Regierung im Dezember 1828 Kenntnis, 
dafi S. Kartenmaterial aus Yedo erhalten hatte. Eine peinliche Untersuchungs- 
haft wurde uber ihn verhangt, viele seiner Freunde wurden ins Gefangnis ge- 
worfen. Obgleich keine Beweise fur den angeblichen Landesverrat erbracht 
werden konnten, gelang es erst im Herbst 1829 Philipp Franz v. S., die Freiheit 
zu erwirken. Am 2. Januar 1830 verliefi er Japan, aus dem er fur ewig verbannt 
war. Bei Leyden, auf seiner Besitzung Nippon, bearbeitete Philipp Franz v. S. 



Siebold. 



155 



die Forschungen und Beobachtungen, die er wahrend seines uber sechsjahrigen 
Aufenthaltes in Japan angestellt hatte. Dorthin brachte er auch 1845 seine 
junge Frau, >Helene Ida von Gagern, und dort wurde Alexander v. S. am 
16. August 1846 geboren. 

Schon bald siedelte v. S. mit Frau und Kind nach dem alten Kloster 
St. Martin bei Boppard a. Rh. uber. Das Ziel, auf das der Vater Alexanders 
v. S. damals hinarbeitete, brachte er in einem Schreiben vom 9. Marz 1853 
an den Prinzen Heinrich der Niederlande zum Ausdruck: »Die friedliche Er- 
offnung Japans fur den Weltverkehr unter Aufrechterhaltung der alten Vor- 
rechte und der bevorzugten Stellung Hollands in den japanischen Gewassern«. 
Diesem Zwecke diente auch eine Reise nach St. Petersburg 1853. Er war 
dorthin vom Minister des Aufleren berufen worden, »afin de dormer des ren- 
seignements sur une question que nul autre Europeen etait d mime de donner«. 
Seine Hoffnungen, Rufiland zum Ankniipfen freundschaftlicher Beziehiingen 
mit Japan von Norden aus veranlassen zu konnen, ehe andere Machte Gewalt- 
mafiregeln gegen Japan ausflihren konnten, wurde durch den Ausbruch des 
Kximkrieges und den Tod des Kaisers Nikolaus vereitelt. Russische Expan- 
sionsgeluste wurden dadurch auf Jahre hinausgeschoben. Inzwischen aber 
hatten die Bestrebungen der Amerikaner unter Commodore Perry 1853 — 1854 
zur Offnung einiger Hafen, Shimoda und Hakodate, gefuhrt. England und 
Holland erhielten ahnliche Konzessionen in Nagasaki und Hakodate. 

1858 wurden Vertrage mit England, Frankreich, Rufiland und den Vereinig- 
ten Staaten von Amerika und Preufien abgeschlossen, wonach einige weitere 
Hafen dem Weltverkehr geoffnet werden sollten; die Fremden durften sich dort 
niederlassen und 40 km im Umkreise sich bewegen. Gesandtschaften und 
Konsuln wurden zugelassen, denen die Gerichtsbarkeit iiber ihre Untertanen 
zustand. Die Anhanger des christlichen Glaubens wurden nicht mehr verfolgt. 
Fremder Handel wurde gegen einen gleichmafiigen Einfuhrzoll von 5% gestattet. 
Dabei wurde auch auf diplomatischem Wege das Verbannungsurteil gegen Philipp 
Franz v. S. aufgehoben. Sofort beschlofl v. S. nochmals nach Japan zu reisen. 
Die hollandische Regierung trug Bedenken, ihn sogleich in diplomatischer 
Eigenschaft nach Japan zu senden. Aber die Niederlandische Handels Maat- 
schappj bot ihm die Stellung eines Adviseurs bei ihrer dort neu zu errichtenden 
Handelsagentur an. Den 63 jahrigen Mann sollte sein 12V2 jahriger Sohn 
Alexander begleiten. 

Alexander v. S. hatte bis dahin in Boppard eine Volksschule, dann die 
Privatschule von Fischer in Bonn besucht. 1857 kam er auf das Gymnasium 
zu Bonn, konnte aber dort 1858 nicht die Versetzungsreife fur die IV. Klasse 
erlangen. Er sollte sich nunmehr in der Pension van der Meulen in Leyden 
zum Eintritt in die hollandische Marine vorbereiten. Die Reise nach Japan 
liefi diesen Plan jedoch nicht zur Ausfiihrung kommen. 

Anfangs April 1859 verliefien Vater und Sohn Bonn und fuhren uber Paris 
nach Marseille. Von hier ging die Fahrt an Bord des englischen Postdampfers 
»Tiger« nach Alexandrien. Ober Land ohne Aufenthalt in Kairo ging es weiter 
nach Suez, von wo die Fahrt liber Aden, Singapore nach Batavia fortgesetzt 
wurde. Nach einigem Aufenthalte dort und in Buitenzorg, der Residenz des 
Gouverneurs, ging es weiter nach Shanghai. In dem hollandischen Konsulat 
war der junge Alexander v. S. Zeuge eines Auf stands der Chinesen, welcher sich 



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Siebold. 



gegen die Fremden richtete und der durch kaiserlich chinesische Truppen 
niedergeschlagen werden mufite. 

Im August 1859 landete Philipp. Franz v. S. mit seinem Sohne Alexander 
in Nagasaki. Auf der Reise hatte Alexander v. S, Malayisch lernen mussen, 
eine Sprache, die in wenig Monaten von Europaern zu erlernen sein soil. Jetzt 
begann der Unterricht im Japanischen und in der chinesischen Schriftsprache. 
Shuzo, ein Adoptivsohn des Arztes Ninomiya Keisak, der hollandisch sprach, 
wurde der eifrige Lehrer des jungen Alexander, dessen weitere Tatigkeit im 
Pflanzentrocknen und Ausbalgen von Vogeln und andern Handlangerdiensten 
bestand. Bei einer Audienz beim Gouverneur von Nagasaki, Okabe Surugano 
Kami, erhielt v. S. die Erlaubnis, mit seinem Sohne in dem Tempel von Hon- 
renji Aufenthalt zu nehmen, der, hoch liber der Stadt gelegen, eine prachtvolle 
Aussicht auf die ganze Bucht von Nagasaki bot. Der junge v. S. mufite hier 
nun auch die japanische Schriftsprache schreiben lernen. Sie besteht aus 
einem Gemisch von chinesischen und japanischen Zeichen. Die Katakana- 
und Hirakana-Schrift beherrschte v. S. mit derZeit, schwerer fiel ihm die in alien 
wissenschaftlichen und amtlichen Werken untermengten chinesischen Zeichen 
zu erlernen, von denen ein gebildeter Mensch einige tausend kennen mufi. 

1 86 1 begleitete A. v. S. seinen Vater uber Yokohama nach Yedo. Dorthin 
war Philipp Franz berufen worden, um europaische Wissenschaften zu lehren. 
Im Palais Akabane nahmen sie Wohnung. Wachen von 300 Mann wurden 
ihnen gestellt, denn es garte in der Bevolkerung, deren Hafi sich gegen alles 
Fremde richtete. Am 4. Juli 1861 wurde durch Ronin des Fiirsten von Mito 
ein tJberfall auf die englische Gesandtschaft in Yedo unternommen, die in 
dem Tempel Tozenji Wohnung genommen hatte. Sir Rutherford Alcock 
entkam nur durch einen Zufall, zwei Herren wurden verwundet. Das Shogunat 
hatte namlich zunachst aus eigener Machtvollkommenheit die Zulassung der 
Fremden dekretieren wollen, aber die Furcht vor den Folgen hatte den Shogun 
veranlafit, vorher beim Mikado die Erlaubnis dazu erst einzuholen. Als dessen 
ablehnende Antwort nun aber ignoriert wurde, hatte diese Auflehnung gegen 
das Kaisertum in Verbindung mit der durch die vorherige Anfrage selbst doku- 
mentierten Angst und Schwache die alten Fiirstengeschlechter derartig auf- 
gebracht, dafi sie den Sturz des Shogunats erstrebten, um die Herrschaft dem 
Mikado zuruckzugeben. Diese Erhebung der Landesfursten hatte zwar zunachst 
Erfolg, der Shogun fiel, die alte Kaiserherrschaft kam aber nicht wieder — 
sondern uber das alte Feudalsystem hinweg entstand eine neue Kaiserg&walt, 
die den modernen Staat schuf, vom alten nur die Dynastie behielt. An diesem 
Werdegang des Japanischen Reiches haben nur wenige Europaer teilgenommen. 
Aus eigener Anschauung konnte A. v. S. sich iiber die Entstehung des modernen 
Japan klar werden. 

i860 sollte er Kadett in der kaiserlich russischen Marine werden. Admiral 
Likhatcheff, der damals in den chinesischen Gewassern mit einem kleinen 
Geschwader kreuzte, hatte den jungen v. S. angenommen. Juni 1861 war die 
kaiserliche Ernennung eingetroffen mit der Ordre, sich im Dezember in Hakodate 
beim Kommandanten Birileff zu melden. Jedoch die Mutter in der fernen 
Heimat erhob dagegen Einspruch; der Sohn sei zu schwachlich zum seemanni- 
schen Berufe. Es sollte sich auch bald etwas anderes finden. November 1861 
bekam der hollandische Generalkonsul Bedenken, seinen Schutzbefohlenen v. S. 



Siebold. icy 

noch immer in Yedo zu wissen. Auch die japanische Regierung glaubte wohl 
nicht mehr sicher genug zu sein, um v. S. zu schutzen. Sie legte ihm nahe, 
Yedo zu verlassen, nicht ohne ihn vorher noch mit Geschenken, darunter einem 
Ehrensabel des Shoguns, zu bedenken. Die Zeit bis zum Eintritt des jungen 
Alexander in die russische Marine verbrachten Vater und Sohn in Yokohama. 
Mr. Edward Clarke, der portugiesische Honorarkonsul, uberraschte damals auf 
einem Spaziergang den Jungen mit der Frage, ob er wohl in den Dienst der 
groflbritannischen Regierung bei der Gesandtschaft in Japan treten wolle. 
Alexander v. S. war sofort bereit, und als er einige Tage darauf die offizielle 
Anfrage mit dem Angebot der Ernennung zum aufleretatsmafligen Dolmetscher 
der japanischen Sprache mit 6000 M. Gehalt, Dienstwohnung und freier Sta- 
tion im Hause des Gesandten erhielt, da war zwar der Vater etwas tiberrascht, 
gab aber schliefllich seine Einwilligung. Der englische Gesandte Sir Rutherford 
Alcock nahm den kaum 15 jahrigen Alexander v. S. sehr freundlich auf, so dafl 
der alte Vater nach wenigen Wochen bei seiner Abreise von Japan seinen altesten 
Sohn in einer sicheren Laufbahn verlassen konnte. Alexander sollte seinen 
Vater, der bis zum Tode seine ganze Kraft fiir Verbreitung der Kenntnis von 
dem Lande der aufgehenden Sonne widmete, nicht mehr sehen. Philipp Franz 
starb am 18. Oktober 1866 in Miinchen. 

Die Stellung Alexanders v. S. war dienstlich zunachst keine leichte. In 
Japan war die diplomatische Sprache damals die hollandische. Bei offiziellen 
Besprechungen wurde also zunachst durch den Dolmetscher der englische Aus- 
spruch des Gesandten ins Hollandische, dieses wieder ins Japanische ubertragen. 
Dadurch biiflte die damals sehr gebotene klare, scharfe Ausdrucksweise vieles 
ein. Anlafllich einer Konferenz des Gesandten mit dem Gorojiu, dem regieren- 
den Staatsrat, iiber die Unsicherheit der Europaer, bedurfte es zunachst einer 
kleinen List, um die japanischen Minister davon zu iiberzeugen, dafl v. S. 
direkt vom Englischen ins Japanische zu ubertragen vermochte. Das Gesprach 
wurde auf Taschenuhren gebracht, und siehe — die an der andern Seite des 
Gemaches am Boden sitzenden Japaner verstanden die Erklarungen, welche 
ihnen der junge v. S. gab, ausgezeichnet und waren bald in ein Gesprach mit 
ihm verwickelt. Damit hatten sie die Sprache des jungen v. S. anerkannt, 
der nunmehr der Dolmetscher fiir die Wunsche des englischen Gesandten war. 
Leicht war auch dies fiir v. S. nicht, denn er konnte damals, als er angestellt 
wurde, noch kaum Englisch. Der Gesandte sprach allerdings auch franzosisch. 
Mit dem 16. Jahre meldete sich v. S. zur Ablegung des englischen Staats- 
examens, was vorher nicht moglich war. Seine Kenntnisse bedurften sehr der 
Nachhilfe, die er fleiflig bei den Geistlichen der verschiedenen Missionen, nament- 
lich bei einem Jesuitenpater, suchte, der bereitwillig dem jungen Pfotestanten 
Unterricht erteilte, ohne je einen Versuch zu machen, die eigenen Glaubens- 
lehren ihm beizubringen. Das fiir den englischen Zivildienst vorgeschriebene 
Examen bestand v. S. Er erhielt am 21. August 1863 dariiber ein Honorar- 
diplom, wonach er definitiv zum Dolmetscher und Obersetzer ernannt wurde. 
Noch war das Shogunat nicht gesturzt, und die kaiserliche Partei ging daher 
gegen die Fremden, welche durch die Gegenpartei ins Land gekommen waren, 
allerorten vor. So wurde am 26. Juli 1862 ein Angriff auf die englische Gesandt- 
schaft gemacht, bei deren Verteidigung v. S. lebhaften Anteil nahm. Die eng- 
lische Gesandtschaft und die amerikanische wurden dabei niedergebrannt. Es 



158 



Siebold. 



beweist dies, wie wichtig die erste japanische Gesandtschaft war, welche im 
Januar 1862 Japan verlassen hatte, um an den Hofen der Vertragsmachte 
einen Aufschub fur die Eroffnung des Landes an die Fremden zu erwirken. 
Damals hatte das Bestehen auf der Eroffnung von Yedo und von fiinf andern 
Vertragshafen den Ausbruch einer allgemeinen Fremdenverfolgung bedeutet. 
Daher haben die Machte den Aufschub auch zugestanden. 1862 war ein Eng- 
lander Richardson von dem Gefolge des Shimatsu Saburo, des Bruders des 
Daimios von Satsuma, erschlagen worden, weil er durch eine Lucke in ihrer 
Marschkolonne durchgeritten war. Als die Auslieferung des Shimatsu Saburo 
verweigert wurde, lieOen die Englander durch Admiral Kuper im August 1863 
Kagoshima, die befestigte Hafenstadt des Fiirstentums Satsuma, beschiefien. 
v. S. war mit dem englischen Geschaftstrager Oberst Neale an Bord des Flagg- 
schiffs Euryalus, auf dem wahrend des Gefechts u. a. der Kommandant Kapitan 
Joslin und der zweite Kommandant Commander Wilmott fielen. Der Ausbruch 
eines Taifun zwang die Flotte zum Abbruch des Gefechts, setzte sie aber in 
der Nacht der Gefahr aus, unterhalb der feindlichen Forts zu stranden. Der 
Erfolg war, dafi Satsuma um Frieden bat, die geforderte Entschadigung von 
25 000 £ zahlte und auch das Shogunat ioo 000 £ Suhne Ieistete. Dadurch 
war die Stellung des Shogunats aber noch mehr erschiittert. Die Vermittlung 
von Matsudaira Katamori, Furst von Aizu, einem Anhanger des Shoguns, 
erreichte, dafi der Kaiser 1865 den Vertrag von 1858 mit den fremden Machten, 
den das Shogunat gegen seinen Willen abgeschlossen hatte, anerkannte. War 
auch dadurch anscheinend ein Einverstandnis erreicht, so nahmen doch die 
Sudclane, Satsuma, Choshiu, Hisen und Tosa den Kampf von neuem auf. Hs 
zeigte sich dabei, dafi die Kraft der Shogunatstruppen der Tokugawa erlahmt 
war. In dieser fur die Fremden hochst gefahrlichen Lage hatte A. v. S. anlafilich 
von Flottendemonstrationen im November 1865 den Auftrag erhalten, wichtige 
Depeschen in Osaka ans Land zu bringen. Die Brandung war derart stark und 
gefahrlich, dafi das Boot fur diesen Zweck nur mit Freiwilligen besetzt wurde. 
Der erst 19 jahrige v. S. kam glucklich an Land und erhielt von der Konigin 
von England eine Belobigung und Belohnung fur diese Dienstleistung. 

1866 trat eine bedeutende Umwalzung im japanischen Regierungsstreite 
ein. Der Shogun und der Kaiser starben bald hintereinander. Der Nachfolger 
des Shoguns wurde nun ein dem Kaiser nahestehender Sohn des Fiirsten von 
Mito, Tokugawa Yoshinobu, auf den kaiserlichen Thron kam Mutsuhito. Der 
Shogun stand nun vor der Wahl zwischen Fortfuhrung der von der kaiserlichen 
Hofpartei noch immer mifibilligten aufieren Politik, was einen Burgerkrieg 
bedeutete, oder Aufgeben derselben. Er hatte die Notwendigkeit seiner Politik 
erkannt und wollte diese nicht durch einen Entscheidungskampf aufs Spiel 
setzen. Daher legte er im November 1867 durch ein Handschreiben die voile 
Regierungsgewalt, die fast 700 Jahre durch den Shogun ausgelibt worden war, 
in die Hande des Kaisers zuruck. Damit war der Streit der letzten Jahre im 
allgemeinen beendet. Durch diesen wichtigen Schritt gewannen die Beziehungen 
Japans zu den Fremdmachten einen ganz andern Ausdruck. Der junge 
Kaiser zeigte den fremden Gesandten seinen Regierungsantritt an und sprach 
dabei den Wunsch aus, im Frieden mit den auswartigen Machten zu leben. 
Diesem Zwecke diente auch 1868 der Besuch eines Bruders des Taikun, Prinz 
Mimbutaiho, an den Hofen von Paris, London, Florenz, Brussel, im Haag und 



Siebold. 



159 



in Bern, auf dem er von A. v. S. begleitet wurde. Diese Reise gab dem jungen 
v. S. Gelegenheit, fiir die Bedeutung der japanischen Dynastie und ihre neue 
Wirksamkeit in Europa Stimmung zu machen. November 1868 kehrte v. S. 
nach Japan zuruck. Dort wurde ihm die Vertretung des ersten Dragomans 
der englischen Gesandtschaft und die Leitung der Studien der Dolmetscher- 
eleven ubertragen. 

Als im Jahre 1869 eine osterreichisch-ungarische handelspolitische Mission 
unter Admiral Baron Petz nach Japan kam, wurde v. S. ihr offiziell zugeteilt. 
Die Arbeiten kamen am 18. Oktober 1869 zu einem sehr giinstigen AbschluB, 
der namentlich A. v. S. wegen seiner genauen Kenntnis japanischer Sitten 
zu verdanken war. Der Kaiser von Osterreich verlieh ihm dafiir am 18. Februar 
1870 den erblichen osterreichischen Freiherrnstand. 

Die Stellung im englischen Dienste bot fiir v. S. nur wenig Aussichten 
fiir die Zukunft. Seine Land- und Sprachkenntnis ware wohl stets nur fiir den 
Dienst in Japan ausgenutzt worden. Die Neuordnungen des ganzen japanischen 
Regierungsapparates, die durch die kaiserliche Verordnung von 1868 ange- 
kiindigt worden war, schien die Moglichkeit zu bieten, im japanischen Dienste 
mehr Nutzen von seinen Kenntnissen zu ziehen; auflerdem bot sich ihm dabei 
die Aussicht, nach Europa zuriickzukehren. Er nahm daher ein Angebot der 
japanischen Regierung an und erbat seine Entlassung aus koniglich groB- 
britannischen Diensten, die ihm am 1. August 1870 gewahrt wurde. 

v. S. trat am 15. August 1870 in den japanischen Dienst uber. Es war 
ihm zuerst die Stellung als Attach^, Shussi, in dem neugebildeten Ministerium 
fiir Kommunikationswesen ubertragen worden. Uber seine organisatorische 
Tatigkeit in diesem Ressort sind in den bis jetzt zugangigen Quellen keine 
Nachrichten enthalten. Bald wurde er als Sekretar dem japanischen Spezial- 
kommissar Uyeno zugeteilt, den er bei seiner finanzpolitischen Mission 
nach London begleitete. In England studierte damals eine groBe Anzahl 
junger Japaner. Ihr Schutz und ihre Beaufsichtigung wurde A. v. S. uber- 
tragen, wahrend er in Europa noch weitere Missionen auszufuhren hatte. So 
war er mit der Beschaffung von Papiergeld fiir die japanische Regierung betraut 
worden. In Frankfurt a. M. liefi er 300 Millionen Stuck drucken und ver- 
senden. Dann hatte er uber die groCe Wiener Ausstellung und die Moglichkeit 
der japanischen Beteiligung zu berichten. Aufgaben, in denen v. S. fast ganz 
selbstandig war und ohne besondere Instruktionen der japanischen Regierung 
auf eigene Verantwortung handeln muBte. Japan fing damals erst an, sich ein 
eigenes Urteil uber europaische Verhaltnisse zu bilden. Seine Vertreter konnten 
sich nur schwer in die europaischen Gepflogenheiten des diplomatischen und 
offentlichen Verkehrs hineinfinden. v. S. muBte daher beratend, ausgleichend 
und haufig warnend bei Handlungen eintreten, die das europaische Taktgefiihl 
hatten verletzen mussen. Damals regte v. S. auch die Schaffung einer japani- 
schen Ordensauszeichnung an. In Wien wurde von ihm mit dem bekannten 
Heraldiker Heyer v. Rosenfeld eine Ordensdekoration entworfen, die auch 
zur Ausfiihrung kam: die japanische Chrysanthfeme mit der Paulownia vereint. 

1871 sehen wir v. S. am englischen Hofe anlafllich einer Audienz des japani- 
schen Prinzen Higashi Fushimi no Miya. 1872 hatte v. S. in England eine japani- 
sche Sondergesandtschaft zu empfangen. Sie w r ar nach Europa gesandt worden, 
urn eine Revision der Handelsvertrage von 1858 herbeizufuhren. Dieser Zweck 



l60 Sicbold. 

ist damals nicht erreicht worden. Der nachmalige Furst Ito war dieser Ge- 
sandtschaft, die Iwakura fuhrte, beigegeben. Mit ihm hatte v. S. Unter- 
redungen iiber die Entwicklung der offentlichen Arbeiten, Wege-, Bahn- und 
Telegraphenbauten, die 1872 so weit gefordert waren, dafi die Bahnlinie Yedo- 
Yokohama und der Telegraph bis Nagasaki fertiggestellt waren. Auch iiber die 
Ausnutzung der Kohlengruben in Japan hat v. S. damals mit Englandern ver- 
handelt. 

v. S. war im November 1872 nach Japan zuruckgekehrt und dem Finanz- 
ministerium uberwiesen worden. Nachdem die Vorarbeiten fur die Beteiligung 
an der Wiener Ausstellung in Japan getroffen waren, mufite er wieder nach Wien 
mit dem Kommissar Sano Tsunetami zuruckkehren. Sano ging als japanischer 
Ministerresident nach Wien, und v. S. war als Honorarlegationssekretar bei 
dieser neuen Gesandtschaft ernannt. Die Beteiligung Japans an der Wiener 
Weltausstellung war ein grofier Erfolg. Japanischer Gewerbefleifi wurde da- 
durch weitesten Kreisen bekannt, und die Handelsbeziehungen zwischen Japan 
und Europa wurden ganz wesentlich gefordert. Im Oktober 1873 wurde v. S. 
die diplomatische Vertretung Japans in Rom ubertragen, bis er April 1874 
nach Japan zuriickberufen wurde, wo er zunachst dem Staatsrat, Sei'n, attachiert 
wurde. 1874 erstattete v. S. einen interessanten Bericht iiber Korea, in dem 
er auf die Schwierigkeiten aufmerksam macht, die sich ergeben werden, wenn 
Japan in Korea mit Waffengewalt Fufi faflt. Ein Konflikt mit Rufiland liefie 
sich dann nicht vermeiden, denn es miisse Rufilands Bestreben sein, sich einen 
Weg auf dem asiatischen Kontinent nach Siiden zu erwerben. 

1875 wurde v. S. in das Finanzministerium berufen. Dort war seine 
Tatigkeit auf die Reorganisation dieses Ministeriums gerichtet. Seine Arbeiten 
iiber Kassen- und Rechnungswesen, die Grund- und andern direkten Steuern, 
das landwirtschaftliche Kreditwesen stiitzten sich auf die in Deutschlands 
kleineren Staaten gemachten Erfahrungen und wurden fur Japan nutzbringend 
verwertet. Die wichtigste der von ihm ausgehenden Mafinahmen war die 
Erhaltung des hohen Adels. Die kaiserliche Regierung hatte sich als alleinige 
Eigentumerin der verschiedenen Landschaften erklart und damit alle Fiirsten 
und Herren ihrer Herrschaft und ihrer Einkiinfte entsetzt. An ihre Stelle war 
eine Rente von Staats wegen getreten. Das kaiserliche Edikt von 1868 spricht 
dabei direkt aus, dafi alle Unterschiede zwischen oberen und unteren Klassen 
des Volkes beseitigt werden sollen. Dies hatte zu volligem Verschwinden des 
Adels gefiihrt, der wohl in jedem Lande eine geschichtliche Bedeutung und 
politische Stellung hat. Die radikale Partei in Japan hatte dies mit Freuden 
begriifit. v. S. kannte aber aus Deutschlands Geschichte, wie wertvoll Fa- 
milientradition und Familienansehen fur den Thron sind. Er beantragte daher 
eine Kapitalisierung der Jahresrenten und Auszahlung derselben an die Fa- 
milien, denen die Hoheitsstellungen genommen waren. Dadurch erhielt sich 
die Einrichtung der hohen Adelsfamilien als Stutze der Monarchic Den Adel 
suchte v. S. auch heranzuziehen, um die Schaden zu heilen, welche durch Krieg 
entstehen. Der Auf stand von Satsuma 1877 gab ihm den Gedanken, nach Art 
der deutschen Ritterorden eine Gesellschaft des Adels zu grunden. Er wurde 
Sano zugeteilt, um ein Sanitatskorps zu organisieren. Dies fuhrte zur Griin- 
dung der japanischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, zunachst unter dem 
Namen Hakuaisha, Gesellschaft der Menschenliebe, woraus der Eintritt Japans 
in die Genfer Konvention 1886 folgte, welchen v. S. sehr eifrig betrieb. 



Siebold. jgj 

Als v. S. 1877 aus Anlafl des Todes seiner Mutter nach Europa reisen muflte, 
erhielt er vom Finanzminister den Auftrag, Fragen der Finanzverwaltung zu 
studieren und daruber zu berichten. v. S. arbeitete zunachst in Weimar in 
der dortigen Finanzverwaltung, wozu der Groflherzog Karl Alexander ihm die 
Ermachtigung erteilt hatte. Dann wandte er sich nach Wien und berichtete 
iiber osterreichisches Staatsrechnungswesen. In Berlin wurde Finanzrat 
Scholtz beauftragt, v. S. in die technischen Verhaltnisse einzuweihen. Oktober 
1877 erstattete er einen vom Finanzminister Okuma Shigenobu geforderten 
Bericht iiber die russischen Finanzen, aus denen das Interesse hervorgeht, das 
Japan schon damals an der Entwicklung seines Nachbarn nahm. 1878 begleitet 
v. S. den Vizefinanzminister und spateren Premierminister Matsukata auf seinen 
Reisen in Europa, als er als President der japanischen Ausstellungskommission 
zur Weltausstellung in Paris dorthin gekommen war. v. S. war selbst zum 
Ehrenmitgliede dieser Kommission ernannt worden. Er hielt dem Minister 
Vortrage iiber Finanzangelegenheiten, entwickelte auch ein Finanzsystem, das 
sich auf groflen Kapitalbesitz des Staates grundet. Seine Idee war dabei, 
diesen Besitz entweder aus Aktien zusammenzusetzen oder ihn durch eine 
zwangsweise Kapitalabgabe bei jedem Erbanfall zu erhalten. Dabei sollten die 
Erben von ihrer Abgabe von Staats wegen einen ganz geringen Zins erhalten, 
der durch seine groCe Sicherheit und ohne Verwaltungskosten von den meisten 
Japanern hoher bewertet werden diirfte als ein leicht verlorenes mobiles Kapital. 
Die gewinnbringende Verwendung dieser Kapitalien muflte hohere Zinsen 
tragen, und damit konnte die Steuerlast verringert werden. Mit dem franzOsi- 
schen Finanzminister wird die Reform des Grundsteuerwesens besprochen, 
Handelskammern und grofle industrielle Anlagen werden gemeinsam besucht, 
so dafi der spatere Premierminister von europaischem Fleifi eine genaue Kenntnis 
erhielt. 

Im Januar 1879 wurde v. S. zum Honorarlegationssekretar bei der japani- 
schen Gesandtschaft in Berlin ernannt, als Aoki dort zum erstenmal Gesandter 
war. Den Berliner Aufenthalt benutzte v. S., um juristische und staatsrecht- 
liche Vortrage an der Universitat zu horen. Er schrieb damals in englischer 
Sprache »t)ber den preuBischen Staatsrat« und »t)ber den Kulturkampf in 
Deutschland«. Seine Studien gaben ihm die notige Vorbildung zu seiner Stellung 
im Auswartigen Amt 188 1, wohin er anlafilich der internationalen Konferenz 
zur Revision der Handelsvertrage berufen worden war. Er war als Privat- 
sekretar des Ministers Inouye Koaru {chef du cabinet particulier) Mitglied des 
Protokolls. Die alten Handelsvertrage mit Japan hatten sich iiberlebt, sie 
boten dem aufstrebenden Staate nicht mehr geniigende Aquivalente. Die 
Bestimmungen der Exterritorialit&t und die Zollfestsetzungen belasteten die 
Handelsbeziehungen sehr schwer. Aber es gelang nicht, fur Japan die Auf- 
hebung der alten Abmachungen iiber Gericht- und Zollsachen zu erreichen. 
v. S. ist damals fur die Toleranz des Christentums eingetreten mit der Begriin- 
dung, dafi das Christentum eine Stiitze des Thrones sein werde; es gab damals 
200 000 Christen in Japan. Die Bemuhungen v. S.s wurden von der japani- 
schen Regierung durch eine Dotation von 10 000 Yen anerkannt. 

Nach Berlin auf seinen fruheren Posten zuruckgekehrt, betrieb v. S. eifrig 
Studien iiber Privat- und Kirchenrecht, iiber die er Ito, dem spateren Premier- 
minister, besondere Vorlesungen hielt. Damals suchte v. S. Deutschland zu 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog. 16. Bd. H 



1 62 Siebold. 

besseren Beziehungen mit Japan zu bringen. Eifrig unterstiitzt wurden diese 
Bestrebungen durch den deutschen Gesandten v. Eisendecher in Japan. Unter- 
redungen mit Busch und Graf Herbert Bismarck bereiteten den Boden fur 
Deutschlands gunstige Haltung bei den spateren Verhandlungen in der Re- 
visionsfrage. Um weitere Kreise fur die japanischen Verhaltnisse zu inter- 
essieren, schlug v. S. 1883 die Einrichtung eines offiziellen Pressebureaus in 
Japan vor. 1884 wurde v. S. nach Rom versetzt, wo Tanaka Gesandter war. 
Von dort wurde er telegraphisch April 1885 wieder nach Japan berufen, um an 
den neuen Revisionsverhandlungen als Legationsrat teilzunehmen. Er schlug 
vor, die Eroffnung des ganzen Landes gegen Aufhebung der Konsulargerichtsbar- 
keit anzubieten. Auch diese Verhandlungen scheiterten, obgleich namentlich 
Deutschland viel Entgegenkommen zeigte. September 1885 empfing der Kaiser 
von Japan den papstlichen Abgesandten Monsignor Osouf zur Oberreichung 
eines papstlichen Handschreibens. . v. S. als Protestant fiel es zu, die kaiser- 
liche Antwort darauf zu redigieren; er hat sich auch fur einen japanischen Ge- 
sandten beim Vatikan ausgesprochen, ohne daB dies damals moglich geworden 
ware. Die vielseitigsten Fragen wurden von v. S. gepriift und mit den ent- 
scheidenden Ministern besprochen; so auflerte er sich damals uber die Not- 
wendigkeit eines japanischen Finanzagenten in Europa und die Ernennung 
eines geheimen Prefiagenten fur das Nachrichtenbureau des Auswartigen Amtes. 
Die Reform des Regierungssystems und die Schaffung der Stellung eines Mi* 
nisterprasidenten besprach v. S. mit Ito anfangs Dezember 1885. Am 22. De- 
zember wurde Ito zum Ministerprasidenten ernannt! Die Zulassung von Aus* 
landern am japanischen Hofe wurde bearbeitet, die Befestigung des deutschen 
Ausfuhrhandels und die unbedingt notwendige deutsche Ursprungsbezeichnung 
von v. S. gefordert. 

Die Eroffnung der neuen Konferenz, auf der Deutschland durch den Ge- 
sandten v. Holleben vertreten sein sollte, mufite nochmals bis Oktober 1886 
verschoben werden. In der Zwischenzeit machte v. S. interessante Reisen 
nach Yezzo, ins Innere und auf die Kurilen. Damals wurde ihm eine Professur 
fur japanische Sprache an dem Orientalischen Seminar in Berlin angeboten. 
Anfangs war v. S. nicht abgeneigt, diesem Rufe Folge zu leisten, aber schliefllich 
erhoffte er doch in seiner bisherigen Laufbahn Wertvolleres leisten zu konnen. 
Die Bedingung fiir seine Verwendung auf einem hoheren diplomatische nPosten 
in Europa sollte aber seine Naturalisation als Japaner sein. Damit hatte v. S. 
aber seine Eigenschaft als deutscher Staatsburger aufgeben mussen, ein Ver- 
zicht, zu dem er sich nicht entschliefien konnte, obgleich Inouye und Aoki 
ihm sehr dazu rieten. Nach Beginn der neuen Verhandlungen in Tokio wurde 
eine lange Reihe von v. S.s Bemuhungen zum Abschlufi gebracht: am 16. No- 
vember 1886 wurde das Gesetz veroffentlicht, durch das Japan der Genfer 
Konvention beitrat. Tags darauf eroffnete die japanische Kaiserin in euro- 
paischer Kleidung das neue Rote-Kreuz-Hokuaisha-Krankenhaus, an dem 
deutsche Arzte, Dr. Baelz und Dr. Scriba, tatig waren. Aber trotz eifrigster 
Bemuhungen scheiterten im Juli 1887 auch diesmal die Vertragsverhandlungen. 

v. S. kehrte darauf nach Europa zuruck in eine Stellung, die ihm manche 
Selbstandigkeit bot. Er wurde keiner Gesandtschaft attachiert, sondern war 
direkt dem Minister der Auswartigen Angelegenheiten unterstellt. An diesen 
berichtete er uber alle Fragen von allgemeinem politischen oder besonderem 



Siebold. 



163 



Interesse. 1887 machte er erneut auf die Gefahr aufmerksam, die Japan durch 
die Tatigkeit Rufllands in Ostasien drohte, besonders durch die des russischen 
Vertreters Weber in Korea seit 1885. Auch weiterhin widmete er sich den 
Vertragsverhandlungen. Er ist der Ansicht, dafl die agyptischen gemischten 
Gerichtshofe fur japanische Verhaltnisse nicht anwendbar seien, und schlagt 
aber als Mittelweg vor, in Kriminalsachen die Auslander einem Schwurgericht 
zu unterwerfen, das zur Halfte aus Auslandern zusammengesetzt ist. Als nach 
alien vergeblichen Verhandlungen zu Vertragsabschliissen in Japan 1892 die 
Verhandlungen in Europa zunachst mit England allein gefiihrt wurden, ging 
er mit dem Gesandten Aoki nach London, der ihm 1890 geschrieben hatte: »Ihr 
Auftrag ist es, Downing Street zu uberzeugen, daB das japanische Volk nicht 
langer die Bevormundung der europaischen Machte ertragen will. 4 Diese 
kategorische Aufierung war nicht zum wenigsten darauf gegrundet, dafl 1890 
in Japan das Volk durch Einftihrung der parlamentarischen Verfassung zu 
einem politischen Mitbestimmungsrecht gelangt war, ein Faktor im Osten 
Asiens geworden war, mit dem die Westmachte rechnen muBten. v. S. hatte 
auch den Boden fur die japanischen Wunsche so vorbereitet, daB es gelang, 
den Vertrag am 16. Juli 1894 zu unterzeichnen. 1896 konnte auch der AbschluB 
mit dem Deutschen Reiche erfolgen. 

1894 sehen wir v. S. in England die Verhandlungen fiihren, welche infolge 
der Zerstorung des englischen Dampfers Kowshing durch Japan kurz vor 
Ausbruch des Chinesisch- Japanischen Krieges in Korea notig geworden waren. 
Die japanischen Ansprliche auf Korea waren mit China bereits 1885 vertraglich 
festgelegt worden. Dieser Vertrag bedeutete nach v. S.s Ansichten bereits ein 
gemeinschaftliches Protektorat uber Korea, v. S.s Tatigkeit war dem weiteren 
Ausbau dieser Beziehungen, die durch die japanischen Waffenerfolge noch vor- 
teilhafter fur Japan gestaltet werden konnten, und ihrerVertretung in Europa, 
besonders in England, bis zum Frieden von Shimonoseki gewidmet. Er hatte 
eine russische Intervention wegen der Bestimmungen uber die Liaotung-Halb- 
insel vorausgesagt, Japan konnte und muflte also damit rechnen, daB dieser 
Besitz ihm nicht verbleiben wurde, Auch Deutschland und Frankreich setzten 
sich gegen diese Bestimmungen ein, und eine Geldentschadigung von 30 Millionen 
Taels muflte daher von Japan statt des Besitzes von Port Arthur angenommen 
werden. DaB RuBland den chinesischen Widerstand gegen Japan von Anfang 
an warm unterstiitzt, nach v. S.s damals niedergelegten Ansichten sogar heraus- 
gefordert hat, muflte Japan daran merken, daB am 27. Oktober 1895 in der 
Times die Nachricht erschien, Port Arthur sei an Ruflland abgetreten worden. 
Tatsachlich ist es 1898 von RuBland in Pacht genommen worden. 

Im Friihjahr 1895 schrieb v. S. : »Deutschlands Eintreten fur russische 
Interessen in China vermeidet jetzt eine Explosion (sc. zwischen Japan und 
RuBland) und fiihrt dafUr ein langsames Verbrennen des Zundstoffes herbei, 
wodurch schlimmstenfalls der Krieg lokalisiert wird.« Diese Kenntnis der 
deutschen diplomatischen Tatigkeit hatte v. S. wahrend seines Aufenthaltes in 
Berlin 1895 erwerben konnen. Ofters hatte er Besprechungen mit dem Reichs- 
kanzler Fursten Hohenlohe, dessen Ansicht, dafl ein handelspolitisches Aufbluhen 
Japans kein unerwiinschtes Moment sein muflte, v. S. warm bestatigte. In 
die Zeit der neunziger Jahre fallen v. S.s Arbeiten uber eine Reform der Ko- 
lonialpolitik und seine Bestrebungen, Japan neue Kolonisationsgebiete zu 

11* 



1 64 Siebold. 

eroffnen. So betreibt er die Frage einer japanischen Nord- Borneo -Gesellschaft. 
In den nachsten Jahren bis zum Ausbruch des Russisch- Japanischen Krieges 
ist v. S. mit dem Studium und der Berichterstattung an das Auswartige Mini- 
sterium liber koreanische und russische Fragen beschaftigt. Daneben gehen 
seine Bemiihungen, eine eigene japanische Presse in Europa zu haben, die 
leider erst bei Kriegsausbruch den Erfolg hatten, daB ihm damals der Auftrag 
zuteil wurde, die Ansichten und Nachrichten des offiziellen Japans in Europa 
zu verbreiten. Er wurde mit weitgehendsten Vollmachten fur die Beeinflussung 
der europaischen und japanischen Presse versehen. v. S. kamen dafiir seine 
Beziehungen in alien Grofistaaten zugute. Die Tatigkeit v. S.s wahrend des 
Krieges von 1904/05 ist im einzelnen nicht moglich, kurz zu schildern. Seine 
Erfolge, um die offentliche Meinung fur Japan zu erwarmen — das Drohen 
einer gelben Gef ahr durch die bereits wesentlich europaische Kulturanschauungen 
aufnehmenden Japaner ist von ihm stets bestritten worden — , wurden von 
den japanischen Staatsmannern in warmen Briefen anerkannt. Nach dem 
Kriege hatte er auch iiber Handelssachen zu berichten; die Sondierungen iiber 
Unterbringung japanischer Anleihen in Deutschland wurden ihm ubertragen. 
Zur Annahme eines selbstandigen Konsulatspostens konnte sich v. S. nicht 
verstehen. 

In der vielseitigsten Weise sprechen sich seine Berichte an das Auswartige 
Amt iiber politische, industrielle und organisatorische Fragen aus. Wenn 
aber friiher die Stimme v. S.s bei jeder wichtigeren Sache gehort wurde, so 
sind jetzt seine Ratschlage nicht mehr so erwiinscht. Eine Emanzipation der 
japanischen Vertreter machte sich geltend. Das Bediirfnis, ganz auf eigenen 
Fiifien zu stehen, brachte es wohl auch dazu, dafi der Gesandte Inouye 1905 
den von v. S. angebotenen Verzicht auf den Titel eines japanischen Legations - 
rates weitergab. Allerdings war v. S.s Stellung schon weit iiber diesen Rang 
hinausgewachsen. Ein Zugestandnis auf mehr war aber von den Japanern 
nicht mehr zu erwarten, denn seit 1906, als eine Reihe von Gesandtschaften in 
Botschaften umgewandelt wurden, war Japan als GroOmacht noch freier von 
europaischer Hilfe geworden. v. S. war eben ein deutscher Mann geblieben. 
Seine Berichterstattung an das Auswartige Amt wurde dadurch nicht beruhrt. 

Seine angegriffene Gesundheit, eine zunehmende Abnahme der Sehkraft 
erschwerte ihm seine Tatigkeit sehr. Trotzdem widmete er sich in ganz energi- 
scher Weise seit 1 906 einem neuen Gedanken: Zur Herbeifiihrung besserer 
englisch-deutscher Beziehungen sollte ein englisch-deutsches Verstandigungs- 
komitee ins Leben gerufen werden. Exzellenz v. Holleben trat an die Spitze, 
v. S. war 1. Vizeprasident dieses Unternehmens, das wohl geeignet war, die 
aufleroffiziellen Beziehungen beider Lander besser zu gestalten. Dies konnte 
nur dann gelingen, wenn auch die Regierungen sich dafiir einsetzten. Als daher 
der Sozialist Green auf dem Weltfriedenskongrefl 1908 in London ein Vorgehen 
h n e die Regierungen fordert, trat v. S. energisch gegen diese Zumutung auf. 
Er stand auf dem Boden, dafl nur mit den Regierungen Erspriefiliches von 
Dauer zu leisten sei. 

Eifrig verfolgte v. S. alle Tagesfragen. Sein frischer Geist liefl ihn sofort 
den Kernpunkt jeder Sache erkennen. Es war hochinteressant, mit ihm iiber 
das zu sprechen, was auf der ganzen Erde vorging. Oberall war er bekannt, 
war er zu Hause. Und so fand sein 40 jahriges Dienstjubilaum, das er am 



Siebold. 



165 



15. August 1910 feiern konntc — 40 Jahre als Europaer im japanischen Staats- 
dienst — auch allseitige Beachtung. Der Kaiser von Japan verlieh ihm das 
Grofikreuz des Ordens vom heiligen Schatzc, der Kaiser von Deutschland den 
preuOischen Kronenorden II. Klasse. 

Gewifi ist es wenig Menschen vergonnt, ein so vielseitiges Leben zu fuhren, 
solche Entwicklungen von weltgeschichtlicher Bedeutung zu erleben, wie Japan 
sie seit 1859, als v. S. dort zum erstenmal landete, durchgemacht hat. Die 
Eindriicke eines langen Lebens niederzuschreiben war die Aufgabe, die sich 
v. S. selbst noch gestellt hatte. Schwere Erkrankung und der Tod am 23. Januar 
191 1 HeBen seine Absichten nicht mehr zur Ausfuhrung kommen. In Pegli, 
an der sonnigen Riviera, die wohl in manchem an einzelne Gestade Japans 
erinnern mag, liegt v. S. zur letzten Ruhe bestattct. 

Als Mensch war v. S. ein guter Christ und ein wahrer Edelmann. Er trat 
fur Verwandte und Freunde mit seiner ganzen Person sofort ein, wenn er 
erkannt hatte, daO Hilfe not tat. Seine eminenten Fahigkeiten werden noch 
deutlicher hervorgehoben, wenn man sich vor Augen stellt, dafi v. S. seit dem 
12. Jahre keinen regelmaBigen Unterricht mehr genossen hat. Er hat als Auto- 
didakt sich aber Kenntnisse erworben, und die Schule des Lebens hat ihn mit 
Erfahrungen bereichert, um die ihn viele beneiden konnten. Das Urteil eines 
hohen Diplomaten liber ihn lautete einst: Es gibt keinen Besseren fur jede Art 
des diplomatischen Dienstes. Allein seine Sprachgewandtheit ist bewunderns- 
wert. Neben den Sprachen des Ostens, Japanisch und Malayisch, beherrschte 
er vollig das Deutsche, Englische und Franzosische, sprach und schrieb gelaufig 
hollandisch und sprach und las sehr gut italienisch. Auch seine Schriften 
bezeugen, dafi es fur ihn ganz ohne Bedeutung war, in welcher dieser Sprachen 
er seine Meinung niederlegen sollte. Seinem ritterlichen Sinne und einem 
Hang zur Romantik ist es wohl auch zuzuschreiben, dafl er ein Burgenfreund 
und -kenner war. Die Burg Proszels in Siidtirol erstand er 1874, baute sie mit 
viel Verstandnis aus; sein rastloser Geist konnte damals aber noch nicht seBhaft 
sein. 1888 erwarb er das alte HohenzollernschloB Colmberg bei Ansbach. 
Auch hier hatte er Erstaunliches geleistet, um die alte Bewohnbarkeit wieder 
herzustellen. Die GroBe dieser Burg schreckte ihn aber auf die Dauer ab, er 
verkaufte auch sie wieder. Leipheim a. d. Donau wurde von ihm 1897 erworben 
und hergerichtet. Es war einige Jahre sein Wohnsitz, von dem ihn nur seine 
angegriffene Gesundheit wieder vertrieb. 

1889 hatte er sich mit Elisabeth Grafin v. HaBlingen-SchickfuB vermahlt, 
die ihm aber schon am 18. Februar 1898 durch den Tod entrissen wurde. 
Drei Tochter und ein Sohn sind seiner Ehe entsprossen. 

Als die Deutsch-JapanischeGesellschaft in Berlin, Wa doku kai, am 21. Fe- 
bruar 191 1 eine Gedachtnisfeier fur v. S. hielt, liefi der japanische Botschafter 
am Berliner Hofe, Exzellenz Baron Chinda, einen Nachruf verlesen, aus dem 
nur folgendes hervorgehoben sein soil: »Der Mann, der am langsten unserer 
Regierung treu gedient, der sich vollig seinem teuren Japan geweiht hatte, 
der die intimste Fiihlung mit unserem Seelenleben gehabt hat, das war Alexander 
Freiherr v. S. Es durfte uberfliissig sein, alle die wertvollen Dienste aufzu- 
fuhren, die er unserem Vaterlande erwiesen hat. Aber eine Tatsache darf ich 
nicht iibergehen: die Tatsache, daB v. S. die Halfte seines Lebens an ein hohes 
und weitschauendes Ziel gesetzt hat, das nichts anderes war als die Bande 



1 66 Siebold. Burckhardt-Finsler. 

herzlicher Freundschaft, die schon zwischen Japan und Deutschland bestanden, 
noch fester zu kniipfen und die wohlbegrundeten, vertraulichen Beziehungen 
zwischen den beiden Landern noch inniger zu gestalten. Und seine Bemuhungen 
waren nicht vergebens dabei gewesen. In Japan wird fur immer die Erinnerung 
fortleben an die treue Mitwirkung des Freiherrn Alexander v. S.« 

W e r k e : The Prussian Council of State (Ober den preufi. Staatsrat). Leyden 1884. — 
Chwch and State in Germany (Ober den Kulturkampf in Deutschland). Tokyo 1886. — Die 
bayerischen Steuergesetze. — Ober europaische Systeme des Bodenkredits (in japanischer 
Sprache!). — Der kaiserliche Hof von Japan einst und jetzt. Deutsche Revue 1895. — Denk- 
wurdigkeiten aus dem Leben und Wirken Philipp Franz v. Siebolds. Wurzburg 1896. — Die 
Flottenfrage in ihrer Beziehung zu Deutschlands Weltpolitik. Wiirzburg 1897. — Der ewige 
Krieg und die Friedenskonferenz. Miinchen 1899. — Der Eintritt Japans in das europaische 
Volkerrecht. Berlin 1900. (Auch englisch, London 1901.) — Rundschau am politischen Hori- 
zont Ostasiens. 1900. (Anonym.) — Philipp Franz v. Siebolds letzte Reise nach Japan 
1859/62. Berlin 1902. — Persdnliche Erinnerungen an den Fursten Ito Hirobumi. Deutsche 
Revue 1910. (Auch englisch erschienen.) — Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika. 
Deutsche Revue 191 1. — Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan von Philipp Franz 
v. Siebold. 2. Aufl. Bearbeitet von seinen Sohnen Alexander und Heinrich Freiherrn v. Sie- 
bold. (Heinrich Freiherr v. Siebold war viele Jahre im ftsterreichischen diplomatischen Dienst 
in Japan; siehe Biogr. Jahrb. XIII, S. 215). WOrzburg 1897. — Viele Aufsatze in Tages- 
zeitungen und periodischen Erscheinungen, u. a. in der Monatsschrift »Ostasien«. Berlin, 
auch unter dem Pseudonym Narutaki. 

Q u el 1 e n : Tagebiicher von 1867 — 191 1. — Hinterlassene Korrespondenzen 1859 bis 

1910. — Philipp Franz v. Siebolds letzte Reise nach Japan 1859/62. Berlin 1902. — »Ost- 
sien«, Monatsschrift, Berlin 1899 — 1910. — » Japan und China*, Monatsschrift, Berlin 191 1. 

Alexander Graf v. Brandenstein-Zeppelin. 

Burckhardt-Finsler, Albert, Dr. jur. et phiL h. c, Lehrer am Gymnasium, 
ao. Professor der Schweizer Geschichte an der Universitat, Konservator des 
Historischen Museums, Regierungsrat in Basel, * 18. November 1854, f 2. August 

191 1. — B. entstammte einer im Jahre 1490 aus dem badischen Schwarzwalde 
in die aufbliihende Stadt Basel eingewanderten Familie, die im Laufe der Jahr- 
hunderte ihrer Heimat eine ganze Reihe hervorragender Manner geliefert hat. 
Unter B.s Ahnen finden sich Vertreter gelehrter Berufsarten und Handwerker, 
und sein Vater, ein ernster und tiichtiger, auch mannigfachen geistigen Inter - 
essen zugewandter Mann betrieb an der Freien Strafie in Basel den Beruf eines 
Pastetenbackers. Ein liebevolles Verstandnis fur den Handwerkerstand ist 
der Denk- und Anschauungsweise B.s zeitlebens eigen geblieben. Der Vater 
legte dem Wunsche der beiden Sohne, sich den gelehrten Studien zu widmen, 
kein Hindernis in den Weg, und so bezog B., nachdem er mit gutem Erfolge 
die Basler Schulen durchlaufen hatte, im Friihjahr 1873 als Studiosos juris die 
Universitat Basel. Schon am oberen Gymnasium hatte er den feinsinnigen 
Geschichtsunterricht Jakob Burckhardts genossen, und auch an der Universitat 
wurden neben den juristischen Vorlesungen die historischen und kunstgeschicht- 
lichen Kollegien des groflen Meisters nicht vernachlassigt. Als Mitglied des 
schweizerischen Zofingervereins pflegte B. mit besonderer Vorliebe die Freund- 
schaft mit den Schweizern anderer Kantone und lernte so schon friihe uber die 
kantonalen Grenzpfahle hinauszuschauen. Mit spruhendem Humor und Witz 
wurzte er manchen frohlichen AnlaC, ohne dafi dabei die ernste Arbeit zu kurz 
kam, und manches gute vaterlandische Wort fand schon in jenen Jugendjahren 



Burckhardt-Finsler. 1 67 

eine gute Statte. Nachdem B. seine juristischen Studien in Leipzig namentlich 
bei Binding fortgesetzt hatte, erwarb er im Jahre 1878 mit einer Dissertation 
uber die Gaugrafschaft im Sisgau die Wiirde eines Doktors der Rechte. Aber 
die Rechtswissenschaft vermochte nicht, ihn dauernd zu fesseln, und so folgten 
statt der Aufnahme beruflicher juristischer Tatigkeit zwei weitere Studien - 
semester in Zurich, wo B. unter der Leitung von Georg v. Wyfi, Gerold Meyer 
v. Knonau und Rudolf Rahn seine historischen und kunsthistorischen Kennt- 
nisse erweiterte und den festen, schulgemafien Grund fur seine spateren Arbeiten 
auf diesen Gebieten legte. In Zurich lernte er auch seine spatere Gattin kennen. 
Als er im Jahre 1879 die Stelle eines Sekretars an der Universitatsbibliothek 
Basel erhielt, verabschiedete er das fur ihn »schreckliche Gespenst einer Ad- 
vokaturstube« auf Nimmerwiedersehen. Die Stellung an der Bibliothek lieB 
ihm genugend freie Zeit, um sich fur das Fach der Schweizer Geschichte an der 
Universitat zu habilitieren. Zugleich begann B. im Jahre 1881 seine erfolg- 
reiche Tatigkeit als Lehrer der Geschichte und Geographie am Gymnasium, 
und mit Leichtigkeit wurde der Doktor der Rechte auch dieser Aufgabe Meister. 
Sein Unterricht zeichnete sich durch Lebendigkeit, Frische und Anschaulichkeit 
aus; ein sonniger, frohlicher Ton herrschte in seinen Stunden, ohne dafi darunter 
die Disziplin auch nur je einen Moment Schaden gelitten hatte. B. verstand 
es trefflich, vergangene Zeiten lebendig zu machen, und verfugte mit souveraner 
Meisterschaft uber das gesprochene Wort. Bei der Behandlung der Schweizer 
Geschichte gelang es ihm, die Quellen in einer auch fiir den Schuler von 14 bis 16 
Jahren verstandlichen Weise reden zu lassen und so ein (iberaus farben- und 
lebensfrohes Bild namentlich der grofien Jahrhunderte der Eidgenossenschaft 
zu entwerfen. In einer Zeit, da der offizielle Betrieb des Heimatschutzes noch 
zu den unbekannten Dingen gehorte, ging er bereits mit grofiem Geschick und 
besonderer Vorliebe darauf aus, seinen Schiilern die Heimat und ihre Art, ihre 
Bau- und Kunstdenkmaler vertraut und lieb zu machen und opferte manchen 
Sonntag freiwilligen Ausfliigen in die nahere und fernere Umgebung Basels. 

An der Universitat habilitierte sich B. im Jahre 1880 auf Grund zweier 
Neujahrsblatter uber die Geschichte Basels im Dreifiigjahrigen Kriege; seine 
Vorlesungen umfaflten anfanglich die gesamte Schweizer Geschichte, spaterhin 
kamen dazu Kollegien uber kirchliche Baukunst, Altertiimer, Waffenkunde 
und Glasmalerei. Mit der Zeit trat die altere Schweizer Geschichte mehr in den 
Hintergrund, so dafi B. der Geschichte der Schweiz von 1798 bis 1848 eine immer 
breiter und eingehender werdende Behandlung widmen konnte. Eine starke Liebe 
zum geeinigten Vaterlande sprach aus diesen Vorlesungen. Am 8. Februar 
1890 erhielt B. Titel und Rechte eines aufierordentlichen Professors, und diese 
Anerkennung seiner Tatigkeit spornte ihn an zu weitergehenden Leistungen, 
zur Abhaltung von Obungen und Repetitorien. Eine Reihe von Dissertationen 
wurde unter seiner Leitung bearbeitet, und es bildete sich um ihn ein Kreis 
von Schiilern und jiingeren Freunden, der im Laufe der Jahre als Frucht gemein- 
samer Arbeiten unter B.s Leitung drei Bande Basler Biographien publizierte. 
Die zunehmende Belastung durch die Regierungsgeschafte notigte B. im Jahre 
1905, auch auf diesen Teil seiner Lehrtatigkeit zu verzichten, nachdem er 
25 Jahre lang der Universitat treu und uneigenniitzig gedient hatte. 

Im Jahre 1883 wurde B. weiterhin zum Konservator der durch Wilhelm 
Wackernagel begriindeten und durch seinen Nachfolger Moritz Heyne weiter- 



1 68 Burckhardt-Finsler. 

gefiihrten mittelalterlichen Sammlung ernannt, und auch diesem Institut 
leistete er im Laufe der Jahre hervorragende Dienste. Neben der Aufnung und 
Beschreibung der Sammlung war B. nachdriicklich darauf bedacht, dieselbe 
der Benutzung durch Kunstler, Handwerker, Kunstfreunde und Schulen zu 
erschlieCen und zuganglich zu machen. Er leitete im Jahre 1894 mit Ge- 
schmack und Geschick die Obersiedlung und Neuaufstellung der urspriinglich 
in den Nebenraumen des Munsters untergebrachten Sammlung in der restau- 
rierten Barfiiflerkirche. Fur den Aufschwung, den das Institut unter seiner 
Leitung nahm, spricht wohl am besten die Tatsache, dafi bei seinem Amtsantritt 
im Jahre 1883 sich die Summe der jahrlich verfligbaren Gelder auf 4000 bis 
6000 Franken belief, wahrend bei B.s Rticktritt im Jahre 1902 das aus der 
mittelalterlichen Sammlung hervorgegangene Historische Museum iiber die 
respektable Summe von 45 000 Franken jahrlich verfiigen konnte. Von hervor- 
ragenden Ankaufen, die unter B.s Leitung durchgefuhrt wurden, sei nur an 
den Altar von St. Maria Calanca und die Glasgemalde der Douglas'schen Samm- 
lung auf SchloB Langenstein erinnert. Als sich die Geschafte am Museum 
immer mehr hauften, muBte B. im Jahre 1892 zu seinem und der Schule Leid- 
wesen von seiner Stellung als Lehrer zurucktreten. 

Mit politischen Fragen beschaftigte sich B. seit der Studienzeit gern, und 
die Beschaftigung mit der neueren und neuesten Schweizer Geschichte loste 
ihn innerlich immer mehr von den konservativen Traditionen, in denen er auf- 
gewachsen war. Eifrig verfocht er seit seinen Studentenjahren den Gedanken 
der Wiedervereinigung der im Jahre 1833 im Streite voneinander geschiedenen 
Kantone Baselstadt und Baselland und brachte stets der Landschaft viel Liebe 
und Verstandnis entgegen. B.s eigentliche politische Tatigkeit begann im 
Jahre 1893 mit seiner Wahl in den GroBen Rat, in welcher Behorde er nament- 
lich den Erziehungsfragen seine Aufmerksamkeit widmete. Im Jahre 1902 
erfolgte seine Wahl in den Regierungsrat, wo ihm das Erziehungswesen iiber- 
tragen wurde. Die Universitat verdankt seiner Leitung die Vermehrung der 
Lehrstuhle, die ErhShung der Besoldungen und die Vermehrung der Kredite 
der offentlichen Bibliothek und der chemischen Anstalt. An den unteren 
Schulen liefi er sich vorziiglich die Fursorge fur diejenigen Kinder, deren Eltern 
mit Gliicksgutern nicht gesegnet sind, angelegen sein und trachtete danach, 
Sonnenschein in ihre Schulzeit zu bringen. Dagegen blieb ihm die Durch - 
fiihrung der groBen im Wurfe liegenden Revision des Basler Schulgesetzes 
versagt. B. ging in der Verwaltung nie restlos auf und verstand es trefflich, 
den Kanton nach aufien zu vertreten. Der schonste Moment seiner Amtszeit 
war wohl der Tag, da er die neuerbaute steinerne Rheinbrucke in formvoll- 
endeter und gedankenreicher Rede als Regierungsprasident dem Verkehr 
iibergab. 

Mit der amtlichen Betatigung war aber B.s Wirkungskreis zu keiner Zeit 
umschrieben. Er war der Mittelpunkt seiner Familie und eines grofien Freundes- 
kreises und liefl keine Gelegenheit unbenutzt, um seinen Verwandten und 
Freunden eine Freundlichkeit zu erweisen. Bei vielen Gelegenheiten stellte er 
sein reiches Wissen der Belehrung seiner Mitblirger in Vortragen zur Verfugung, 
und die Zahl seiner gedruckten Arbeiten und wichtigeren Zeitungsartikel 
erreicht die respektable Hohe von 69 Nummern. B.s literarische Produktion 
war mit wenigen Ausnahmen der Vaterstadt Basel gewidmet; in dieser ihrer 



Burckhardt-Finsler. Struck. 1 60 

Bodenstandigkeit und in der lebendigen personlichen Schreibweise B.s liegt 
ihr Reiz und ihre bleibende Bedeutung. Mit seinem Freunde Rudolf Wacker- 
nagel nahm sich B. im Jahre 1882 des verwaisten Basler Jahrbuchs an, und 
beide Herausgeber gestalteten es im Laufe der Jahre immer reicher aus zu einem 
sprechenden Dokument ftir Basels gesamte geistige Kultur um die Wende 
des 20. Jahrhunderts. 

Der Allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz diente B. 
als Vizeprasident des Gesellschaftsrates, der Bundesrat ubertrug ihm den 
Vorsitz im Aufsichtsrate der schweizerischen Schiller- Stiftung, ein Amt, wozu 
ihn sein warmes Mitgefiihl und seine liebenswurdige Art vorziiglich befahigten. 
Der schweizerischen Vereinigung fur Heimatschutz gehorte B. seit ihrer Grun- 
dung an und leitete sie als erster Obmann. Die Vereinigung verdankt es seiner 
liberlegenenundkonzilianten Leitung und seiner Geschicklichkeit, mit den Schwei- 
zern aller Kantone zu verkehren, dafl die ersten Jahre, wo naturgemafi die 
Meinungen am hartesten aufeinanderstiefien, glucklich uberwunden wurden, 
und dafi sie heute gekraftigt und gefestigt ihren Platz im nationalen Leben 
einnimmt. B. war fur dieses Amt recht eigentlich der gegebene Mann; von 
einer Landschaft, die ihm gefallen sollte, verlangte er eine harmonische Ver- 
bindung von Natur und menschlicher Kultur. 

Zum tiefen Leidwesen aller, die ihn kannten, erwies sich B.s Gesundheit 
all diesen Pflichten, die er vielfach nur allzu willig auf sich nahm, nicht als ge- 
wachsen. Im Juni 19 10 traf ihn ein Schlaganfall, der sich am 2. August 191 1 
wiederholte und seinem reichen Leben allzufriih ein Ziel setzte. 

Vgl. den Aufsatz des Verf. im Basler Jahrbuch 191 2 S. 1 — 39, wo auch ein Verzeichnis 
der literarischen Arbeiten B.s gegeben wird. 

Zurich. Hans Barth. 

Struck, Adolf Hermann,* 18. Januar 1877 zu Konstantinopel, f 14. Sep- 
tember 191 1 in Mainz. — Str. war der Sohn deutscher El tern, sein erst im 
vorigen Jahre verstorbener Vater stand als Arzt im turkischen Heeresdienst. 
In Volo und Salonik verlebte St. seine fruheste Kindheit, spater sandten ihn 
die Eltern zu Verwandten nach Berlin, damit er eine bessere Schulbildung 
erhalte. 1894, 17 Jahre alt, kehrte er von dort nach Salonik zuruck und trat 
bald darauf in den Dienst der Orientbahnen. Nach einigen Jahren jedoch 
zwangen ihn Nachstellungen von seiten der Bulgaren wegen seiner Veroffent- 
lichungen, Salonik zu verlassen, und nach kurzem Aufenthalt in Konstantinopel 
und Kleinasien trat er Herbst 1905 als Bibliothekar am deutschen Archao- 
logischen Institut in Athen ein. In dieser Stellung verblieb er bis zu seinem Tode. 
In einem langeren Aufenthalt in Deutschland hoffte er Genesung von einem 
schweren Herzleiden zu finden, aber die Heimat konnte ihm nur noch die letzte 
Ruhestatte bieten. In Mainz, der Heimat seiner Gattin, ist er im 35. Lebens- 
jahre seinen Leiden erlegen. 

Die grofie Vergangenheit von Salonik-Thessalonice, speziell die griechi- 
sche und byzantinische Periode, die Denkmaler iiber und unter der Erde 
in weitem Umkreis gaben dem jungen Str. die erste Anregung und waren fur die 
Richtung seiner kunftigen Arbeiten mafigebend. Warmherzige Forderung fand 
er vor allem an dem deutschen Generalkonsul Mordtmann, der durch seine 
wissenschaftliche Tatigkeit, spater in Smyrna und Konstantinopel, alien Ge- 



170 



Struck, 



lehrten, vorzuglich den Archaologen, vertraut ist. Kaum 20 jahrig, veroffent- 
lichte Str. seine ersten Arbeiten; rasch streift er die anfangliche Unsicherheit ab 
und behandelt in einer langen Reihe von Aufsatzen bis zu seiner Obersiedlung 
nach Athen eine erstaunliche Fiille verschiedener Gebiete, die er alle auch bis 
zuletzt weiterpflegte: antike Topographie und Ausgrabungen ; Volkskunde, Ge- 
schichte, Verkehrswesen u. a. — alles unterstiitzt durch Beigabe selbstgefertigter 
Karten und Photographien. Seine amtlichen und wissenschaftlichen Reisen 
fiihrten ihn kreuz und quer durch Mazedonien. Die Lander waren ja unerschopf- 
lich fur den, der so unermudlich und mit offenen Augen um sich sah. Dabei 
befahigten ihn seine grofle Sprachkenntnis und seine Gabe, sich dem Milieu 
anzupassen, uberall mehr herauszuholen, als es seinen Vorgangern gelungen war. 
Die reifste Arbeit seiner Saloniker Jahre waren die zwei Hefte »Makedonische 
Fahrten«, die gerade jetzt von den griechischen Gelehrten, den neuen Herren 
von Mazedonien, als Grundlage der antiken Topographie dankbar begriiflt 
werden wird. 

In Athen f and Str. Anregung im Institut und in der umf angreichen Bibliothek, 
die er verwaltete. Gleichzeitig wandte er sich grofieren Arbeiten zu. Aus 
einer der Reisen, die er im Auftrage des Archaologischen Instituts unternahm, 
entstanden »Mistra« (1910) und »Vier byzantinische Kirchen der Argolis«. 
»Mistra« ist ein Fiihrer von der Geschichte zu den Denkmalern dieses »byzan- 
tinischen Pompeji«, in dem naturgemafl der Architekt uberwiegt, und gibt nach 
einer sehr ausfiihrlichen, geschichtlichen Einleitung eine gute, systematische 
Beschreibung aller Baudenkmaler. Sein nachster Plan, der ihn auf lange hinaus 
beschaftigt hatte, war ein groOes Werk iiber Griechenland, das in vier Banden 
Attika, Nord- und Mittelgriechenland, Peloponnes und dielnseln umf assen sollte. 
Wie Mistra sollte es fiir die Gebildeten ein breiter angelegter Fiihrer durch Ge- 
schichte und Topographie des Landes werden. Dieses Unternehmen lag seiner 
Begabung besonders — um so trauriger, dafi es ein Torso geblieben ist, den 
schwerlich jemand vollenden wird. Nur der erste Band, der aber das Wich- 
tigste umfaflt: »Athen und Attika« (191 1) ist erschienen. Da auch das mittel- 
alterliche und moderne Athen und die nachste Umgebung behandelt sind, 
bietet das Buch in seinem fliissigen Stil und mit den ausgezeichneten Abbildun- 
gen eine unentbehrliche Erganzung zu dem Fiihrer von E. Petersen. 

Str.s wertvollste, wenn auch nicht popularste Arbeit ist wohl die letzte, 
die er uns geschenkt, und deren Erscheinen er selber nicht mehr erleben sollte: 
»Zur Landeskunde von Griechenland« (191 2). Es gilt nur dem modernen 
Griechenland und behandelt die geographischen, ethnographischen, verkehrs- 
und handelspolitischen Verhaltnisse. Darunter befinden sich Gebiete, die in 
dieser griindlichen Ubersichtlichkeit noch nicht behandelt sind, wie die Land- 
wirtschaft und die Geschichte der Eisenbahnen, Str.s Lieblingsthema, das er 
1902 schon einmal fiir Griechenland und 1903 fiir Montenegro bearbeitet hatte. 
Nur durch langen Aufenthalt im Lande und erstaunliche Belesenheit konnte, 
trotz der noch so schwankenden statistischen Grundlagen, diese Fiille von 
Material herbeigeschafft werden. Das Buch ist fiir den gebildeten Reisenden 
ebenso wichtig wie fiir den Statistiker oder Kaufmann. 

Es fiihrt uns vor Augen, wieviel Griechenland an Str. verloren hat. Seine 
Starke war die Vielseitigkeit, mit der er in gleichem Mafie die Naturwissen- 
schaften, die technischen Wissenschaften, Archaologie, Geschichte und Politik 



Struck. Ladenburg. 1 7 j 

heranzog. Dafl er auch imstande war, auf beschranktem Gebiet in die Tiefe 
zu schiirfen, beweisen seine byzantinischen Arbeiten. Und alles war im wesent- 
lichen nur das Produkt der Freistunden, die ihm seine Stellung am Archao- 
logischen Institut iibrig liefl. Was er dort geleistet hat, bis hinein in die letzte 
schwerkranke Zeit, weifi nur der, der Gelegenheit hatte, ihn zu beobachten 
oder mit ihm zu arbeiten. Und trotz der Oberfulle der Arbeit die stets gleiche 
Liebenswiirdigkeit und geduldige Hilfsbereitschaft, die besonders dem jungen, 
im Lande noch fremden Gelehrten zugute kam. Die wenigen, die Str. ganz 
nahe treten konnten, haben ihm fur treu gehaltene Freundschaft zu danken. 
Seine glucklichsten Jahre waren die letzten, in denen er an der Seite seiner 
Gattin den in der Fremde doppelt empfundenen Segen der eigenen Hauslich- 
keit und der Familie fand. Wie das deutsche Archaologische Institut, so darf 
auch Griechenland, dem er aufrichtig zugetan war, Str. zu den Seinen zahlen. 

Nachruf von Georg Karo in den Mitteilungen des Archaolog. Institutes in Athen XXXVI, 
1911, S. Ill, und von Hugo Grothe in dem erw&hnten Buch »Zur Landeskunde von Griechen- 
land*. Daselbst auch Bibliographic 

Walter Muller. 

Ladenburg, Albert, Universitatsprofessor der Chemie, * 2. Juli 1842 zu 
Mannheim, j- 15. August 191 1 zu Breslau. — L. entstammte einer wohlhaben- 
den und angesehenen Bankiersfamilie — sein Vater selbst war Rechtsanwalt — f 
die wohl viel Interesse fur Kunst, insbesondere fur Musik besaB, jedoch fur 
Wissenschaften und gar fur Naturwissenschaften kaum etwas iibrig hatte. 
Daher kam es wohl auch, daB der junge L. nicht auf die damals ausschliefiliche 
Vorschule der Gelehrten, das Gymnasium, geschickt wurde, sondern seine erste 
Ausbildung an einer Art Realgymnasium in seiner Vaterstadt erhielt. Den 
Sinn und die Freude fur die Naturwissenschaften empfing er wohl aus sich selbst, 
sein Vater war ein mehr auf das praktische Leben bedachter Mensch und konnte 
sich fur die fruhzeitig zutage tretende Neigung seines Sohnes zur reinen Wissen- 
schaft kaum erwarmen, wenn auch L. infolge der sehr gunstigen Vermogenslage 
der Familie hierin nennenswerte Schwierigkeiten nicht bereitet wurden. Mit 
15 Jahren ubersiedelte L. an die technische Schule in Karlsruhe. Dort wuflte 
er durch eisernen Fleifl nicht nur den Lehrplan der Anstalt durchzuarbeiten, 
sondern auch manche Liicken seines Wissens, speziell auf humanistischem Ge- 
biete, auszuftillen. 

i860, nach Absolvierung der Karlsruher Schule, war L. entschlossen, sich 
der wissenschaftlichen Laufbahn zu widmen. Er bezog die Universitat Heidel- 
berg und befafite sich zunachst intensiv mit den mathematischen Vorlesungen 
Hesses. Wiewohl er diese Studien eifrigst betrieben hat, was ihm ubrigens 
auch in seiner spateren chemischen Tatigkeit von grofitem Nutzen gewesen ist, 
so konnte ihn doch die Mathematik nicht ganz fesseln. Begeistert war er von 
der Vorlesung Bunsens, und L. selbst fuhrte seinen endlichen EntschluB, sich 
der Chemie zuzuwenden, auf diesen seinen Lehrer zuriick, dem er bis ins spate 
Alter tiefste Dankbarkeit bewahrte. DaB auch die Vorlesung des beruhmten 
Kirchhoff nicht vernachlassigt wurde, versteht sich von selbst. Das Winter- 
semester 1862/63 verbrachte L. in Berlin. Dort trieb er hauptsachlich andere 
Studien, unter anderem Physik bei Magnus, Geschichte und Kunstgeschichte. 
Im Fruhjahr 1863 kehrte er nach Heidelberg zuriick und wurde dort sumtna 
cum laude zum Doktor promoviert. 



\J2 Ladenburg. 

Wahrend L. durch Bunsen vorzugsweise in die anorganische Chemie ein- 
geftihrt worden war, horte er bei Carius und Erlenmeyer organische Chemie. 
Bei Carius fuhrte er auch seine erste wissenschaftliche Arbeit aus, eine neue 
Methode der Analyse organischer Substanzen, die insofern Interesse verdient, 
als es durch sie moglich tet, den sonst blofl aus der Differenz zu errechnenden 
Sauerstoffgehalt durch direkte Messung zu bestimmen. So war er denn in die 
organische Chemie hineingeraten, und um sich in diesem Fach weiter auszu- 
bilden, wandte er sich naturgemafl an die Statte, wo der damals bekannteste 
Vertreter dieser Wissenschaft, August Kekul6, wirkte, nach Gent. Die kurze 
Zeit, die er dort verbrachte, Friihjahr 1865, war fur L. aufierordentlich fruchtbar. 
Hatte Kekul6 eine Formel des Benzols und damit eine Theorie der aromatischen 
Verbindungen, uber deren ungeheure Tragweite fur die Chemie wohl nicht erst 
gesprochen werden muB, aufgestellt, so lag es an L. und seinem Freunde Korner, 
dessen Bekanntschaft er in Gent gemacht hatte, eine Reihe von Beweisen zur 
Stiitze dieser Formel und zur Entwicklung aller ihrer Konsequenzen zu fiihren. 
Wie wir spater sehen werden, ist die eine grofle Periode von L.s Wirken gerade 
durch die Beschaftigung mit diesem Thema ausgefiillt. 

Nach einem kurzen Besuch in England bei dem beruhmten Chemiker 
Frankland ging L. mit einer Empfehlung Kekul^s zu Berthelot nach Paris. 
Jedoch hielt es ihn dort nicht lange. Die ganz unzureichende Einrichtung des 
Instituts, der vollige Mangel an Kollegen bewog L., zu Wurtz zu tibersiedeln, 
wo er, schon mit Rucksicht auf die Empfehlungen Kekutes, freundlichst auf- 
genommen wurde. Hier machte er eine Reihe wertvoller Bekanntschaften 
und schlofi sich insbesondere an Ch. Friedel (nachmals Professor der organi- 
schen Chemie an der Sorbonne) an, mit dem er dann in die £cole des mines iiber- 
siedelte, wo die weiter unten besprochenen Arbeiten uber organische Silicium- 
verbindungen entstanden. DaB die zweijahrige gemeinsame Arbeit auch ein 
naheres personliches Verhaltnis zur Folge gehabt hat, ist nur naturlich, und 
die Freundschaft ist bis zu Friedels Tode bewahrt geblieben, wenn auch das 
Jahr 1870 eine kleine Trubung hervorgerufen hat. Auch sonst dachte L. stets 
mit grofier Freude an die schonen Pariser Tage zuruck, und es ist begreiflich, 
dafi ihm die im Jahre 1909 erfolgte Ernennung zum Mitglied der Pariser Aka- 
demie viel Stolz und Freude bereitet hat. 

Im Jahre 1867 kehrte L. nach Heidelberg zuruck, um sich dort fur Chemie 
zu habilitieren. Bunsen war einverstanden und wies ihn an Kopp, der mit L. 
vereinbarte, daO die erwahnte Arbeit uber organische Analyse als Habitations - 
arbeit einzureichen sei. Inzwischen reiste L. nach Berlin, wo er diesmal in eine 
sehr fruchtbare Epoche der Chemie geriet. Damals wurde eben die deutsche 
chemische Gesellschaft gegrundet, der L. bald beitrat, und der er viele sehr an- 
regende Bekanntschaften verdankte. Der Aufenthalt muBte jedoch jah unter- 
brochen werden, da L. nach Heidelberg zuruckberufen wurde. Bunsen war mit 
der Habilitationsarbeit nicht einverstanden, weil sie eine von Bunsen selbst 
angegebene analytische Methode enthielt, die nicht vollkommen genau war. 
Zwar war die Genauigkeit fur den vorliegenden Zweck vollig ausreichend, 
allein Bunsen liefi sich nicht uberzeugen, willigte jedoch endlich ein, daO L. 
ohne Vorlegung einer besonderen Habilitationsschrift, bloB auf Grund seiner 
samtlichen Publikationen habilitiert werde. Die erste Vorlesung des jungen 
Privatdozenten behandelte die Entwicklungsgeschichte der Chemie im 19. Jahr- 



Ladenburg. 1 73 

hundert, die im Jahre 1868 von Vieweg in Buchform unter dem Titel »Vor- 
trage iiber die Entwicklungsgeschichte der Chemie in den letzten hundert 
Jahren« verlegt und spater durch einige Vortrage von L. erganzt wurde. Das 
ausgezeichnete Buch ist in die meisten fremden Sprachen ubersetzt worden 
und hat bis zu L.s Tode vier Auflagen erlebt. 

Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris zur Fortsetzung der Arbeiten 
mit Friedel ging L. im Herbst 1868 daran, sich ein Laboratorium einzurichten. 
Damals muBten alle Heidelberger Privatdozenten sich ihre Arbeitsstatte auf 
eigene Kosten schaffen und erhalten, begreiflicherweise ein Obelstand, um 
dessen Abschaffung L. im Namcn aller Kollegen beim badischen Ministerium 
ansuchte. Die Intervention L.s war nicht nur erfolglos, sondern hatte auch noch 
fur ihn die unangenehme Folge, dafi er anstatt der ublichen drei Jahre deren vier 
auf das Extraordinariat warten mufite und erst 1872 zum Professor ernannt 
wurde. 

Kurz nach seiner Ernennung erhielt L. vom preuflischen Kultusministerium 
den Antrag, das Ordinariat fur Chemie in Kiel zu ubernehmen. Nach einigen 
Bedenken nahm L. unter der Bedingung an, dafi er ein neues Institut erhalte 
und dem Rufe erst in einem Jahre Folge leisten musse. So war es ihm moglich, 
alle Arbeit in Heidelberg abzuschliefien, und Ostern 1873 ubersiedelte er nach 
Kiel. Die 16 Jahre, die er in dieser Stellung verbracht hat, sind fur L. Jahre 
angestrengtester Tatigkeit gewesen. Nicht nur, dafi die wissenschaftliche 
Arbeit riistig fortschritt, auch die laufenden Angelegenheiten der Fakultat 
gaben viel zu schaffen, und L.s Pflichttreue vertrug es nicht, dafi irgendeine 
ihm zugewiesene Aufgabe vernachlassigt wurde. Dazu kamen die Arbeiten fur 
den Neubau des chemischen Institutes, das mit einiger Verspatung im Herbst 
1878 eroffnet wurde. Zu Anfang der achtziger Jahre begann L. sich mit der 
Herausgabe seines Handworterbuchs der Chemie zu beschaftigen, das — dreizehn- 
bandig — selbstverstandlich unter Heranziehung einer Reihe von Mitarbeitern 
in 14 Jahren, im Jahre 1896, fertiggestellt war. 1884 wahlte ihn die Universitat 
Kiel zum Rektor. 

In diese Zeit fallt auch seine Verehelichung. 1875 fuhrte cr die Tochter 
des berlihmten Pflanzenphysiologen Pringsheim, Margarete, heim. Diese Ehe, 
der drei Sohne — samtlich in Kiel geboren — entstammten, war uberaus gluck- 
lich, denn L.s Frau hatte es verstanden, sich ganz in die Tatigkeit ihres Mannes 
hineinzuleben, so dafi sie ihm in mancher literarischen Arbeit hilfreich zur Seite 
stehen konnte. Eine fruchtbare und erfolgreiche Tatigkeit, ein schones und 
geselliges Heim, in dem sich das Musikleben der Stadt konzentrierte — L. war 
ein uberaus gebildeter und feinsinniger Musiker — , dafi so die Kielcr Zeit fur L. 
sehr glucklich verlief, lafit sich denken. Trotzdem nahm er im Jahre 1889 einen 
Ruf nach Breslau an, weil er sich dort einen grofieren Wirkungskreis versprach. 
Leicht war es fur ihn nicht, von Kiel zu scheiden; allein er hatte sich bald auch 
in die neuen Verhaltnisse eingelebt, und der neue Freundeskreis wuchs rasch. 
Zu ihm gehorten nicht nur viele Kollegen, wie Felix Dahn, sondern naturgemafi 
auch die musikalische Gesellschaft, und da L. hier in Breslau auch offentlich 
hervortrat — er wurde Stadtverordneter — , trat er auch mit diesen Kreisen 
in Beriihrung. 

Bei seiner Obersiedlung war L. ein neues Institut versprochen worden, 
jedoch stiefi dieses Projekt auf finanzielle Schwierigkeiten, und L. mufite sich 



1 74 Ladenburg. 

damit begniigen, das alte Laboratorium zu modernisieren und es durch einen 
Zubau zu vergroflern. Dadurch waren die wichtigsten Anforderungen, die 
man insbesondere vom Standpunkte des Unterrichts stellen konnte, befriedigt, 
und 1897 konnte das umgebaute Haus feierlich eroffnet werden. Zum modernen 
Hause gehorte aber auch ein moderner Betrieb, und L., der zwar theoretisch 
mit der physikalischen Chemie vertraut war, aber in diesem jungeren Wissens- 
zweig nicht uber grofie praktische Erfahrung verfiigte, berief zunachst Kiister 
und nach ihm R. Abegg als Abteilungsvorstande fiir physikalische Chemie an 
sein Institut. Bis dahin hatte er alles selbst besorgt, nicht nur seine Vorlesung 
bis ins kleinste Detail vorbereitet, wobei er den grofiten Wert auf das Experimen- 
tieren legte, sich auch mit jedem Praktikanten, deren es in Breslau sehr viele 
gab, selbst beschaftigt. Dafi er sich in dieser Tatigkeit bei Assistenten und 
Studenten grofler Beliebtheit erfreute, dafiir zeugt die aufierordentlich herzlich 
verlaufene Feier seines 60. Geburtstages im Jahre 1902. 

In diesem Jahre forderte van t'Hoff, der zum Prasidenten fiir die 1903 in 
Kassel stattfindende Naturforscherversammlung designiert war, L. auf, den 
ersten Vortrag in der allgemeinen Sitzung zu iibernehmen. L. nahm an und 
wahlte zum Thema den Einflufl der Naturwissenschaften auf die Weltanschau- 
ung. Van t'Hoff, der naturlich nur den Titel kannte, war einverstanden. 
Der Vortrag — er ist in den von L. 1908 herausgegebenen »Naturwissenschaft- 
lichen Vortragen« abgedruckt — begann mit den Worten: »Im I. Buche Mosis 
steht zu lesen: Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Hell in den 
Kopfen ward es aber erst, als die Heiligkeit der Bibel bezweifelt und sie, wie 
alle Bticher, als Menschenwerk angesehen wurde.« Das alte und das neue 
Testament sei Menschenwerk und nicht gottlichen Ursprungs, wenn auch poeti- 
sche Schonheit und ethischer Wert der Bibel nicht angezweifelt werden solle; 
es gebe keine wissenschaftlich verbiirgte Tatsache, auf die sich der Unsterblich- 
keitsglaube berufen konne; kurz, er sprach mit grofiem Freimut (iber das sehr 
heikle Thema religioser Fragen. Dieser Vortrag entfesselte die heftigsten An- 
griffe in Zeitungen und Broschuren. Personliche Schmahungen gegen L. waren 
an der Tagesordnung; sie gipfelten in dem Vorwurf, dafi L. uber das Christen- 
tum nicht zu sprechen habe, da er getaufter Jude sei. (Er war als Jude geboren 
und schon als reifer Mann zum Christentum ubergetreten.) War das schon 
fiir L. aufierordentlich peinlich, so bedruckte ihn weit mehr noch der Umstand, 
dafl auch die Mehrzahl der Kollegen sich von ihm abwandte. L. sagt selbst: 
»An der Universitat waren fast alle gegen mich, und die wenigen Freunde, 
Dahn, Chun, Mikulicz, brachten keinen Trost. Mikulicz hatte nur das Wort: 
»Strafe hast Du verdient«. Auch van t'Hoff war mit L.s Vortrag nicht ein- 
verstanden, was L. zu dem iibrigens ungerechtfertigten Vorwurf bewog, van 
t'Hoff habe sich als ein schwacher Charakter erwiesen. In Wirklichkeit war 
van t'Hoff nur der Meinung, dafi das Thema bei diesem Anlafl unpassend 
gewesen sei. 

Diese heftige Polemik, an der L. naturlich nur passiv beteiligt war, hatte 
ihn und seine Familie tief schmerzlich beriihrt. Aber ein giinstiges Geschick 
bereitete ihm schon im folgenden Jahre Genugtuung. 1904 fand die Natur- 
forscherversammlung in Breslau statt, und L. war zum Geschaftsfiihrer aus- 
ersehen, da der Vorstand der Versammlung sich fiir ihn entschieden hatte. 
Dort begriiflte er zahlreiche Freunde und Kollegen, und ein froher Abend fuhrte 
eine grofle Zahl von Fachgenossen in seiner behaglichen Villa zusammen. 



Ladenburg. 1 75 

Bis zu dieser Zeit war L.s Leben glucklich und erfolgreich verlaufen, gerade 
in seinen letzten Jahren traf ihn Schlag auf Schlag. Eine kleine Wunde am 
Fufie, die absolut nicht heilen wollte, zwang, nachdem wiederholte kleine Opera - 
tionen keine Besserung gebracht hatten, die Arzte, zur Amputation des rechten 
FuBes und eines groCen Teils des Beines zu schreiten. Mikulicz selbst fiihrte 
die Operation aus, die glucklich verlief, und L. erholte sich trotz seines hohen 
Alters noch leidlich. Er nahm sogar seine Vorlesungen wieder auf, die er fur 
eine Zeit Abegg hatte uberlassen miissen, aber zur Ruhe konnte er nicht mehr 
kommen. Auch andere Leiden qualten ihn, dann begann sich am linken FuB 
ein ahnlicher Prozefi zu entwickeln, so daB man arge Befurchtungen hegen 
mufite. Dazu traf ihn Pfingsten 1908 ein hartes Ungliick, sein Sohn Erich, 
Privatdozent der Physik in Berlin, ertrank bei einer Segelpartie auf einem 
der Havelseen. Am schlimmsten aber war es fur ihn, als im Marz 1909 seine 
Frau durch eine jah verlaufende Kehlkopferkrankung plotzlich hinweggerafft 
wurde. Von diesem Schlage hat sich L. nicht mehr erholt, er erkrankte so schwer, 
dafl er 1909 sein Lehramt niederlegen muflte. Zu seinem Nachfolger wurde 
,E. Buchner bestellt, der heute noch an dieser Stelle wirkt. 

Das letzte, was L. blieb, war die Liebe zur Chemie. Er las aufmerksam 
die neu erscheinende Literatur und befafite sich auch noch selbst mit der Arbeit. 
Aber seine korperlichen Krafte verfielen immer mehr. Eine letzte grofie Freude, 
die Verlobung seines Sohnes Rudolf, sollte er noch erleben. In der Nacht vor 
der Hochzeit, am 15. August 191 1, verschied er. 

An aufleren Auszeichnungen hat es L. nicht gefehlt. Schon im Jahre 1886 
ernannte ihn die Chemical Society in London zum Ehrenmitgliede. 1889, 
gelegentlich seiner Obersiedlung nach Breslau, erhielt er den Titel eines Ge- 
heimen Regierungsrates, 1909 wurde er Mitglied der Pariser und Berliner Aka- 
demien, er war iiberdies korrespondierendes Mitglied einer Reihe wissenschaft- 
licher Korperschaften. 

Die wissenschaftlichen Leistungen L.s in dem hier knapp bemessenen 
Raume verdientermafien zu besprechen und zu wurdigen, ist nicht leicht. Hat 
er doch mehr als 250 Experimentalarbeiten und noch einige Bucher und Bro- 
schiiren veroffentlicht. 

Sehen wir von den Erstlingsarbeiten, die besonderes Interesse wohl nicht 
in Anspruch nehmen, ab, so kann wohl als das erste grofie Arbeitsgebiet L.s 
die Chemie der organischen Siliciumverbindungen angesehen werden, Arbeiten, 
die, wie erwahnt, groBtenteils mit Ch. Friedel ausgefiihrt worden sind. Ebenso 
wie der Kohlenstoff das Grundelement der organischen Welt ist, ist das Silicium, 
das nach dem Sauerstoff auf der Erde verbreitetste Element, das der anorgani- 
schen Natur. Beide Elemente stehen einander chemisch insofern sehr nahe, 
als sie derselben Reihe des periodischen Systems angehoren. Es kann also nicht 
wundernehmen, daB bald der Gedanke auftauchte, ob nicht ahnlich der Syn- 
these von Kohlenstoffverbindungen auch solche der Siliciumverbindungen 
durchfuhrbar seien, ob nicht der Kohlenstoff glatt durch Silicium vertretbar 
sei. Diese Ideen haben L. und Friedel in die Wirklichkeit iibergesetzt, sie 
haben eine Reihe von reinen Siliciumverbindungen und solchen, in denen Kohlen- 
stoff und Silicium gemeinsam vorkommen, dargestellt, Verbindungen, die viel- 
fach in ihrem chemischen Bau vollige Analoga der reinen organischen Verbindun- 
gen sind. Diese Arbeiten sind schon deshalb hoch einzuschatzen, weil sie teil- 



I76 Ladenburg. 

weise grofie experimentelle Schwierigkeiten bieten. Ihr endlicher Zweck ist 
allerdings insofern nicht erreicht worden, als sich herausgestellt hat, dafi das 
Silicium die marchenhafte Verbindungs- und Verkettungsfahigkeit des Kohlen- 
stoffs nicht besitzt. 

Das nachste Gebiet, das L. eingehend bearbeitet hat, und zu dem ihn nicht 
nur die Aktualitat, sondern auch der Verkehr mit Kekul£ in Gent angeregt hat, 
war die Theorie der Benzolderivate. Kekul6 hatte eine Formel fur das Benzol 
aufgestellt, die es als regelmafiiges Sechseck darstellte, in dem einfache und 
doppelte Bindungen zwischen den einzelnen Kohlenstoffatomen alternieren. 
Demzufolge sollten alle Wasserstoffatome des Benzols gleichwertig sein. L. hat 
diesen Beweis in eleganter Weise geflihrt und so fur die Theorie der aromati- 
schen Verbindungen einen wertvollen Grundstein gelegt. Auch die Struktur 
des Mesitylens, des symmetrischen Trimethylbenzols, konnte er auf kom- 
pliziertem Wege, durch miihsame praparative Arbeit beweisen. Jeder solche 
Strukturbeweis war fur die damalige Zeit von fundamentaler Bedeutung, weil 
von der einen Verbindung auf die andere zuruckgeschlossen werden konnte, und 
weil es vor allem nur auf diees Weise moglich war, die ganze Theorie auf ihre 
Richtigkeit zu priifen. Man unterschatzt nur allzu leicht derartige Forschung. 
Uns sind alle diese Kenntnisse selbstverstandlich, damals muflten sie durch 
miihsame Arbeit errungen und gesichert werden. 

Gewisse Schwierigkeiten, die in der Kekul6schen Formel lagen und die ja 
zu zahlreichen Diskussionen und zur Aufstellung einiger neuer Formeln gefiihrt 
haben, suchte L. durch eine andere Versinnbildlichung des Benzols zu iiber- 
winden. Er verlegte die sechs Kohlenstoffatome in die Ecken eines sechs- 
seitigen Prismas und konnte so wirklich vieles erklaren und manches Bedenken 
zerstreuen. Indessen hat L. diese Prismenformel spater selbst nicht aufrecht- 
erhalten konnen, da sie fur viele kompliziertere aromatische Verbindungen, 
wie etwa fur das Naphthalin, nicht mehr moglich war. Den Kern all dieser Ar- 
beiten und die einschlagigen theoretischen Spekulationen hat L. in der 1876 
erschienenen Theorie der aromatischen Verbindungen niedergelegt. Aber auch 
spater hat er noch oft in die Diskussion uber die Konstitution des Benzols, die 
ja bis heute noch nicht abgeschlossen ist, eingegriffen. 

Der groflte Erfolg, der L. zuteil ward, liegt auf dem Gebiete der Chemie 
der Alkaloide und des Pyridins, das ja den Stammkorper sehr vieler Pflanzen- 
basen bildet. Zunachst befafite er sich mit dem Atropin, dem Alkaloid der Toll- 
kirsche, und stellte dasselbe partiell synthetisch aus seinen beiden Komponenten, 
dem Tropin und der Tropasaure, dar. Auch die Tropas&ure konnte L. bald 
auf kiinstlichem Wege herstellen, schwieriger gestaltete sich die Aufklarung 
der Konstitution und die Synthese des zweiten Bestandteiles, des Tropins. 
L. hat eine Reihe wertvoller Beitrage zu dieser Frage geliefert, die allerdings 
endgultig erst in neuerer Zeit durch Willstatter gelost worden ist. 

Die Beschaftigung mit dem Tropin fuhrte L. zum Studium des Pyridins. 
Auch auf diesem Gebiete hat er sich unvergangliche Verdienste erworben. In 
erster Linie hat er fiir diese Reihe ein neues Reduktionsverfahren, die Ein- 
wirkung von Natrium und Alkohol, angegeben. Mit Hilfe dieser Methode gelang 
es ihm, das Tetra- und Pentamethylendiamin zu synthetisieren, deren Identitat 
mit dem als Faulnisprodukte naturlich vorkommenden Putrescin bezw. Ca- 
daverin nachgewiesen wurde. Das Cadaverin insbesondere war fiir den Aufbau 



Ladenburg. \yj 

des Pyridins wichtig, da sein salzsaures Salz beim Erhitzen unter Abspaltung 
von Ammoniumchlorid in Piperidin ubergefuhrt und das Pyridin nach dem eben 
erwahnten Reduktionsverfahren von L. gleichfalls glatt in Piperidin verwandelt 
werden konnte. Da auch das Piperidin anderseits durch Oxydation in Pyridin 
verwandelt werden kann, so ist damit eine Synthese dieses aufierordentlich 
wichtigen Korpcrs gegeben und seine Konstitution mit voller Sicherheit bewiesen. 

Die Hauptquelle fur die Bereitung des Pyridins und seiner Homologen 
bildet der durch Destination der Knochen gewonnene Teer, jedoch bereitet die 
Trennung und Isolierung der einzelnen einander sehr ahnlichen Korper erheb- 
liche Schwierigkeiten. L. hat nicht nur Methoden hiezu ausgearbeitet, sondern 
auch einige dieser Homologen synthetisiert. So konnte er z. B. das a- und 7- 
Picolin durch Erhitzen des Pyridin jodmethylats bereiten, wobei eine Atom- 
verschiebung eintritt. Das ot-Picolin (d. i. Methylpyridin mit der Methylgruppe 
in Nachbarstellung zum Pyridinstickstoff) lafit sich, wie L. fand und fur seine 
Homologen generalisieren konnte, mit Aldehyden kondensieren. Fuhrt man 
diese Kondensation mit a-Picolin und Acetaldehyd aus, und reduziert man das 
Reaktionsprodukt mit Natrium und Alkohol, so resultiert das cc-Propylpiperidin, 
welches die gleiche chemische Zusammensetzung wie das Alkaloid des Schier- 
lings, das Coniin, besitzt. Allerdings besteht noch ein fundamentaler Unter- 
schied. Das natiirlich vorkommende Coniin ist namlich optisch aktiv, wahrend 
das von L. synthetisch hergestellte inaktiv, ein gleichteiliges Gemisch beider 
optisch aktiver Formen ist. L. konnte jedoch die Synthese vollenden, indem 
er sein Kunstprodukt mit Zuhilfenahme der weinsauren Salze in die beiden 
Komponenten zerlegte. Damit war das erste Alkaloid synthetisch gewonnen. 

Die Synthese war jedoch noch nicht ganz vollstandig. Das naturliche 
Coniin zeigte namlich konstant ein etwas kleineres Drehungsvermogen als das 
von L. auf die eben beschriebene Weise kunstlich bereitete. L. erklarte diesen 
merkwurdigen Umstand damit, daB dem Naturprodukt eine zweite Base, 
das Isoconiin, beigemengt sei, die diesen kleinen Drehungsunterschied pro- 
voziere. Nun war aber die Existenz eines solchen Isoconiins nach der bisherigen 
Theorie unmoglich. Das Coniin enthielt blofi ein asymmetrisches Kohlenstoff- 
atom (d. h. ein Kohlenstoffatom, welches mit seinen vier Valenzen an vier ver- 
schiedene Atome oder Atomgruppen gebunden ist) und konnte also bloB drei 
Isomere geben, ein rechtsdrehendes, ein gleichstark linksdrehendes und ein 
inaktives Produkt. L. gab nun der Ansicht Ausdruck, dafl die grofiere Zahl 
von Isomeren durch die Asymmetrie des Stickstoffes zu erklaren sei. Das war 
und ist ein Novum. Denn ist auch die Asymmetrie und die dadurch hervor- 
gerufene optische Aktivitat beim flinfwertigen Stickstoff moglich und mannig- 
faltig erwiesen, so ist sie es doch nicht bei der dreiwertigen Form dieses Ele- 
ments, wie sie beim Coniin vorliegt. L. hat zahlreiche Versuche mit andern 
Korpern ausgefiihrt, um eine Stutze fur diese Ansicht zu erhalten. Sie waren 
vergeblich und, wenn auch die Frage bis heute nicht mit aller Sicherheit gelost 
worden ist, so kann man doch mit mehr Wahrscheinlichkeit annehmen, dafi 
L.s Meinung nicht zutrifft. Die Erklarung fur die eingangs genannte merk- 
wurdige Tatsache ist wohl in der Beimengung einer Verunreinigung zu suchen, 
welche die optische Aktivitat herunterdriickt, jedenfalls in der Beimengung 
der inaktiven Form. 

Von L.s Vielseitigkeit zeugen seine Arbeiten, die er auf anorganisch-chemi- 

Biogr. Jahrbuch u. Deuttcher Nckrolog". 16. Bd. 12 



I78 Ladenburg. Hitzig. 

schem Gebiet ausgeflihrt hat. Die wichtigste und eleganteste ist vvohl die 
Untersuchung des Ozons. L. konnte feststellen, daB diese interessante Modi- 
fikation des Sauerstoffes sich von demselben durch das anderthalbmal 
so grofle Molekulargewicht unterscheidet, und daB man demnach, da das 
Sauerstoffmolekul als zweiatomig anzunehmen ist, das Ozon als dreiatomigen 
Sauerstoff betrachten muB. 

Von den zahlreichen Biichern L.s haben wir bereits die »Vortrage uber die 
Entwicklungsgeschichte der Chemie in den letzten hundert Jahren« erwahnt. 
Sie behandelte zunachst die Geschichte der Chemie seit Lavoisier, also seit der 
Begriindung einer rationellen Chemie in unserem Sinne, und befaBt sich in aus- 
gezeichnet kritischer Weise mit alien wichtigen Fragen der Chemie. Bei jeder 
neuen Auflage muBte naturgemaC ein neuer Aufsatz hinzugefiigt werden, der 
der neuen Zeit Rechnung trug. Der Titel des Werkes wurde spater umge- 
andert in »Entwicklungsgeschichte der Chemie von Lavoisier bis zur Gegen- 
wart«. Hervorzuheben ist, daB die groBe Spezialisierung der Chemie, die sich in 
den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entwickelt hat, es einem 
einzelnen Menschen nicht leicht machen konnte, alle Teile gleichmaflig zu be- 
handeln. L.s Vielseitigkeit hat es verstanden, dieser Schwierigkeit Herr zu 
werden. 

Das umfangreiche Handworterbuch der Chemie stellt ein ausfuhrliches 
Lexikon dar, das fur Nachschlagezwecke dienen sollte. Wie alle diese Werke 
in einer sich rasch entwickelnden Wissenschaft, hat es natiirlich heute nur mehr 
historischen Wert. AuBerdem waren die »Naturwissenschaftlichen Vortrage in 
gemeinverstandlicher Darstellung« (Leipzig 1908) zu erwahnen, in denen auch 
der ausfuhrlich besprochene Vortrag uber den EinfluB der Naturwissenschaften 
auf die Weltanschauung abgedruckt ist; letzterer ist 1903 auch schon selbstandig 
gedruckt worden. SchlieBlich sei noch der 1912, ein Jahr nach seinem Tode, 
erschienenen »Lebenserinnerungen« gedacht. 

Benutzt wurde der ausfuhrliche Nekrolog ^Albert Ladenburg* (Verf. Prof. W. Herz) 
Breslau, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. 45, S. 3597 ff. ex 1912. Mit Bild! 
Wien. Dr. Ernst Zerner. 

Hitzig, Hermann Ferdinand, ordentlicher Professor des romischen Rechts 
an der Universitat Zurich, * 25. Januar 1868 zu Burgdorf, f 26. Juli 1911 zu 
Zurich. — Das Geschlecht der H., das aus dem Grofiherzogtum Baden stammt, 
hat der Universitat Zurich drei ausgezeichnete Professoren geschenkt. Der 
GroBvater, der bekannte alttestamentliche Exeget und Orientalist Ferdinand H., 
war 1833 von Heidelberg weg an die eben erst gegrundete Universitat Zurich 
berufen worden, wo er bis zum Jahr 1861 lehrte, um dann w r ieder nach Heidel- 
berg zuruckzukehren; der Vater, Hermann H., w r irkt noch jetzt in hohem An- 
sehen als Ordinarius fiir klassische Philologie an der Ziircher Hochschule; der 
Sohn, Hermann Ferdinand H., erwarb sich als Lehrer des romischen Rechts 
einen weit iiber die Grenzen der Schweiz hinaus geschatzten Namen. Mutter- 
licherseits entstammte H. dem zurcherischen Geschlecht der Steiner, in dem 
kunstlerische Sinnesart und wissenschaftliche Geistespflege rege Hiiter hatten 
und haben. 

Geboren wurde H. in Burgdorf im Kanton Bern, wo sein Vater als Gym- 
nasiallehrer amtete. Mit des letzteren Berufung als Professor an die Berner 



Hitzig. iyg 

Hochschule siedelte die Familie nach Bern uber, und hier durchlief H. das 
Gymnasium. Nach Ablegung seines Abiturientenexamens war er noch zu 
jung, um sich an einer schweizerischen Universitat immatrikulieren zu konnen; 
er ging daher vorerst nach Montpellier, um sich, neben dem Erlernen des Fran- 
zosischen, mit besonderem Eifer dem ihm schon vertrauten Studium der alten 
Sprachen zu widmen. Zuruckgekehrt nahm H. das Studium der Rechte an der 
Universitat Bern auf; hier gewann namentlich der Pandektist Baron auf ihn 
Einflufl, so dafi er seinetwegen a'uch noch in Bern blieb, als die Familie den 
Wohnsitz nach Zurich verlegte. Zur Fortsetzung seiner Studien begab sich H. 
alsdann nach Leipzig und trat daselbst in nahe personliche Beziehungen zu 
seinen Lehrern Binding, Sohm, Wach und Windscheid. Doch schlofi er sein 
Studium im Januar 1891 in Zurich ab; seine lateinisch geschriebene Dissertation 
»De magistratuum et judicorum Romanorum assessoribus« gab er spater auch 
deutsch heraus mit dem Titel »Die Assessoren der romischen Magistrate und 
Richter«. 

Der Wunsch, das Recht in seiner praktischen Anwendung kennen zu lernen, 
veranlaflte H., vorerst als Substitut in das bekannte Rechtsanwaltsbureau 
Forrer & Curti in Winterthur einzutreten, wo seinen hervorragenden Fahig- 
keiten das glanzendste Zeugnis ausgestellt wurde. Er selbst blickte stets mit 
Dankbarkeit und groBer Genugtuung auf diese anderthalb Jahre im Dienst der 
angewandten Jurisprudenz zuruck; den hier gewonnenen Erfahrungen schrieb 
es der Gelehrte nicht zum geringsten Teil zu, dafl ihm die Augen fur die prakti- 
schen Erfordernisse des Rechtslebens dauernd geoffnet blieben. 

Allein die Neigung zog H. doch zur akademischen Laufbahn, und so habili- 
tierte er sich im Juni 1892 als Privatdozent fur romisches Recht an der Uni- 
versitat Zurich mit der Antrittsvorlesung »Die Stellung des Kaisers Hadrian 
in der romischen Rechtspflege«. Schon im Jahr 1895 wurde H. zum aufier- 
ordentlichen, 1897 — neben Albert Schneider — zum ordentlichen Professor 
des romischen Rechts gewahlt. AuBer den eigentlichen Disziplinen seines 
Fachs — Institutionen, Pandekten, romische Rechtsgeschichte — las er auch 
uber franzosisches Privatrecht. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens wandte er 
sich ferner mit besonderem Interesse dem neuen schweizerischen Privatrecht zu; 
als Mitglied der groflen Expertenkommission fiir das Schweizerische Zivilgesetz- 
buch hatte er Gelegenheit, von Anfang an dessen Wexden aufs genauste zu 
verfolgen. 

Von 1898 bis 1900 bekleidete H. das Amt des Dekans der juristischen 
Fakultat, und fiir die mit dem Jahr 19 12 beginnende Periode stand ihm in 
sicherer Aussicht die Anwartschaft auf das Rektorat der Ztircher Universitat. 
Der seltene Fall, da6 in seiner Person die dritte Generation zu diesem Amt 
vorgeriickt ware, machte ihm, dem uberhaupt bei aller vornehmen Einfachheit 
das Geflihl fUr auOere Wurde nicht fehlte, besondere Freude. 

Die Lehrtatigkeit war H. auBerordentlich ans Herz gewachsen, und sein 
padagogisches Talent war unbestreitbar, wenn es sich auch mehr unbewuflt — 
als bezwingende Mitteilung einer in jeder Faser wahren und vornehmen Per- 
sonlichkeit — geltend machte. Seinen Schiilern brachte H. von vornherein 
Wohlwollen und Interesse entgegen, und um das Gefuhl fruchtbaren Wirkens zu 
haben, bedurfte er des personlichen Kontaktes mit seinen Horern. Das Be- 
denken, daB ihm dieser bei einer Lehrtatigkeit an einer groBeren Fakultat ent- 



180 Mtzig. 

gleiten konnte, war mit unter den Griinden, die ihn Berufungen ins Ausland 
wiederholt ablehnen liefien. 

Die Gesinnungen, die H. seinen Studenten entgegenbrachte, wurden von 
ihnen durch aufrichtige Anhanglichkeit erwidert; seinetwegen kamen viele 
junge Juristen zum Studium nach Zurich, und bald gehorten seine Kollegien 
zu den meistbesuchten der juristischen Fakultat. Allem Prunkenden abhold, 
suchte H. nicht durch grofien rhetorischen Aufwand auf seine Zuhorer zu wirken, 
sondern sie durch die aufierordentliche Klarheit einer naturlichen Beredsamkeit 
fur das Vorgetragene zu interessieren. Eine sehr sorgfaltige Vorbereitung und 
ein beneidenswertes Gedachtnis ermoglichten ihm, von schriftlichen Aufzeich- 
nungen in seinen Vorlesungen ganz abzusehen und ihnen dadurch den Reiz 
des Unmittelbaren zu wahren. Einer seiner Kollegen und fruheren Schiiler, 
Professor Max Huber, schreibt uber H.s Lehrtatigkeit: »Durch die Sicherheit 
und Ruhe, mit der er vortrug, durch die lichtvolle Klarheit und plastische An- 
schaulichkeit, mit der er den Stoff behandelte, vermochte er alien Horern etwas 
zu bieten, alien sichere Kenntnisse zu vermitteln, seine Leute an den Schwierig- 
keiten nicht vorbei-, sondern an diese heranzubringen, Interesse fiir das Fach 
und Lust zu weiterem Eindringen zu erwecken. . . . Weil der Romanist H. 
nicht im Antiquarischen aufging, und weil er nicht mit der Logik das Leben 
unter die Herrschaft toter Satzungen und Begriffe zwingen wollte, vielmehr 
das Recht als im Flusse der Entwicklung befindlich betrachtete, vermochte er 
seinen Schulern nicht nur durch einen historisch abgeschlossenen Stoff eine 
formelle Verstandesbildung zu geben, sondern sie auch unmittelbar in den Geist 
des heutigen Rechts hineinzufiihren.« 

Neben H.s Lehrtatigkeit her ging eine reiche literarische Betatigung, die 
zwar kein einzelnes Werk von grofiem Umfang hervorgebracht hat, wohl aber 
in zahlreichen Abhandlungen grofieren oder kleineren Umfangs, namentlich in 
Zeitschriften, sich zerstreut findet. H.s fiir einen Juristen ganz ungewohnliche 
Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen liefien ihn Rechtsgebiete mit 
Erfolg betreten, die sich naturgemaG den meisten andern verschliefien; nur 
wenige diirften daher auch uber diese ureigenste Arbeitsdomane H.s zu einem 
fachmannischen Urteil befahigt sein. Schwer entwirrbare Fragen des alt- 
griechischen Rechts fanden in ihm einen ebenso gelehrten als scharfsinnigen 
Interpreten: so das Pfandrecht, der Fremdenprozefi, die Staatsvertrage uber 
Rechtshilfe usw. Seine romisch-rechtlichen Forschungen erstreckte er auch auf 
das Strafrecht und beteiligte sich mit einer Reihe einschlagiger Artikel an 
Pauly-Wissowas »Realenzyklopadie des klassischen Altertums«. 

Die Beschaftigung mit dem im Werden begriffenen, fur die ganze Schweiz 
einheitlich zu regelnden Privatgesetzbuch wurde ihm zum Anlafl, auch Pro- 
bleme des modernen Rechts mit gewohnter Meisterschaft zu behandeln. In 
diesem Zusammenhang sind zu nennen die Aufsatze »Die Grenzen des Erb- 
rechts*, »Das Familienvermogen im schweizerischen Vorentwurf eines Zivil- 
gesetzbuches«, »Die Grunddienstbarkeit im Vorentwurf eines schweizerischen 
Zivilgesetzbuches*, »Der Arbeitserwerb des Kindest Seine enge Beruhrung 
mit dem Theater, von der noch zu sprechen sein wird, liefi ihn in den letzten 
Jahren auch Fragen des Theaterrechts in den Kreis seiner Betrachtung ziehen. 
Hierher gehoren die Aufsatze »Buhnenengagementsvertrag und Theatergesetz*, 
»Ein neues Problem des Theaterrechts (Das deutsche Stellenvermittlungsgesetz 



Hitzig. l8l 

und seine Bedeutung fur die Biihnen der Schweiz)« und »Schriftsteller-Pseudo- 
nym und Biihnenname«. 

Selbstverstandlich lenkten H.s Erfolge als Dozent und seine literarischen 
Arbeiten verhaltnismaflig friih die Aufmerksamkeit der groBen deutSchen Uni- 
versitaten auf ihn und verschafften ihm innerhalb weniger Jahre drei Berufungen. 
Im Jahr 1907 wollte ihn Breslau, im Jahr 1909 Strafiburg fur einen Lehrstuhl 
gewinnen; beidemale lehnte H. nach kurzer Bedenkzeit ab. Schwer dagegen 
wurde ihm der EntschluB, als im Sommer 191 1 die Frage an ihn erging, ob er 
eine Berufung nach Leipzig annehmen wurde. Die Aussicht, hier, wo er selbst 
die starksten wissenschaftlichen Anregungen empfangen hatte, seinerseits zu 
lehren, lockte ihn sehr, und fast schien es ihm eine Pflicht der Dankbarkeit 
fur reich Empfangenes, dem Ruf Folge zu leisten. Allein reifliche Oberlegung 
fiihrte ihn auch in diesem Fall schlieBlich zum Verzicht; neben der Anhanglich- 
keit an die gewohnte Tatigkeit an der Zurcher Hochschule und neben der offen 
ausgesprochenen Befurchtung, dafi er hier nicht leicht zu ersetzen sein wurde, 
bestimmten ihn zur Ablehnung namentlich personliche Rlicksichten, sowie eine 
in der Zuruckhaltung seiner Natur begrundete Scheu, sich noch in neue Verhalt- 
nisse einzuleben. 

Die Freude, die in Zurich tiber seinen entsagungsvollen EntschluB herrschte, 
sollte freilich von kurzer Dauer sein; denn wenige Wochen nachher erlag er den 
Folgen einer Operation, die bestimmt war, ihn von einem seit Jahresfrist fiihlbar 
gewordenen Leiden zu befreien. 

Grofie Befriedigung fand H. auch in der Betatigung in einem Nebenamt, 
aus der er reiche Anregung ftir seine Lehrtatigkeit schopfte, da sie ihm die Mog- 
lichkeit einer anhaltenden Fiihlung mit der Praxis gewahrte. Ungefahr ein 
Jahrzehnt gehorte er namlich als Mitglied dem obersten Gerichtshof des Kantons 
Zurich, dem Kassationsgericht, an, wo sein klar abwagender Verstand ebenso 
wie sein ausgepragtes Gefiihl fiir Billigkeit die groBte Anerkennung verdiente 
und fand. 

Von einer Betatigung auf politischem Gebiet, wie sie ihm gelegentlich 
nahegelegt wurde, hielt sich H. fern, da er hierzu weder Beruf noch Neigung 
fiihlte. Um so groBere Genugtuung fand er in dem Gedanken, in einer anderen 
Stellung ebenfalls im Dienst der Offentlichkeit zu wirken: als Mitglied und 
spater als Prasident der Theater-Aktiengesellschaft Zurich, welche das dortige 
Stadttheater und eine ihm angegliederte Schauspielbiihne betreibt. Wahrend 
mehr als zehn Jahren widmete H. den groflten Teil der freien Zeit, die ihm die 
peinlich gewissenhafte Erfullung seines wissenschaftlichen und seines Lehrberufs 
ubrig lieB, diesem Unternehmen. Namentlich in den fiinf Jahren seiner Pra- 
sidentschaft verging kaum ein Tag, ohne daB H. im Theater vorsprach, um 
Kleinem und GroBem mit gleicher Genauigkeit nachzugehen. Mit einer ein- 
dringlichen Sorge um das finanzielle und das kiinstlerische Gedeihen des Theaters 
verband er ein tiefes Wohlwollen gegenuber alien beim Theater angestellten 
Personen; mit besonderem Interesse verfolgte er den kiinstlerischen Werdegang 
jugendlicher Krafte und trat — wie zu seinen Studenten — zu strebsamen 
Kunstlern gem in personliche Beziehungen. Sein billig abwagendes Urteil 
und sein strenger Gerechtigkeitssinn erzeigten sich um so wertvoller, als gerade 
in der Zeit von H.s Prasidentschaft jene Bewegung starker einsetzte, die auch 
im Theaterbetrieb soziale Forderungen durchzusetzen bestrebt ist, wie sie in 



1 82 Hitzig. Meyer-Frauenfeld. 

andern Gebieten schon lange erhoben werden. Es entsprach H.s Natur, billigen 
Forderungen so weit als moglich entgegenzukommen; aber energisch widersetzte 
er sich gelegentlichen Anlaufen, die Zurcher Btihne als Versuchsfeld fur ander- 
warts noch unerprobte Mafinahmen vorzuschieben. Das Jahrfiinft, wahrend 
dem H. das Presidium innehatte, bedeutet fiir das Zurcher Theater nach auCen 
eine Periode kunstlerischen Aufschwungs, nach innen eine solche ausgedehnterer 
Fursorge zugunsten der am Institut angestellten Personen. 

DaC H. aus dieser Nebenbeschaftigung viel Muhe und mancher Verdrufl 
erwuchs, ist selbstverstandlich; aber wenn sie ihn auch gelegentlich nieder- 
driickten, vermochten sie sein Interesse am Theater doch nicht dauernd zu 
lahmen. Einerseits empfand er diese Tatigkeit bewufit als anregende Ab- 
wechslung von seiner wissenschaftlichen Arbeit und als Umschaltung seiner 
geistigen Spannung; anderseits — und wohl mehr unbewuGt — empfing seine 
auf Ausgeglichenheit und Harmonie aller in ihr liegenden seelischen Krafte 
eingestellte Natur mit dieser Betatigung in einem nach der Kunst orientierten 
Betrieb erst ihre voile Abrundung. 

So wenig H. darauf ausging, in seinem Kolleg oder in seinen Schriften zu 
glanzen, so wenig lag ihm daran, sich gesellschaftlich bemerkbar zu machen. 
Aber wie dort der innere Wert und die gediegene Form tiefer wirkten, als es 
geistiges Feuerwerk getan hatte, so empfingen im rein menschlichen Verkehr 
auch Fernstehende bei aller Zuruckhaltung H.s den Eindruck eines Charakters 
von grofiter Lauterkeit und einer Natur voll tiefer Giite. Er pflegte sich nicht 
vielen zu erschliefien; aber die wenigen, die er in seine Freundschaft aufge- 
nommen hatte, wufiten, dafi er ihnen in unwandelbarer Treue zugetan blieb. 
Aufs engste verbunden fuhlte sich H., der unvermahlt geblieben war, den 
Seinigen, mit denen er in Hausgemeinschaft lebte; mit seinem Vater traf er 
sich aufierdem auf weiten Strecken gemeinsamer wissenschaftlicher Interessen. 

Quellen: f Prof. Dr. jur. Hermann Ferdinand Hitzig. Ein Gedenkblatt. (Separat- 
abdruck aus dem Freistudentischen Zentralblatt der Schweiz.) — Fleiner, Fritz: Zum Ge- 
dachtnis Hermann Hitzigs (Neue Zurcher Zeitung vom i. August 191 1). — Huber, Max: 
Hermann Ferdinand Hitzig (Schweizerische Juristen-Zeitung, VIII. Jahrg., Heft 4/5 vom 
1. September 191 1). — Schuler, Hans: Professor Dr. H. F. Hitzig (Beilage zum Rechenschafts- 
bericht 1910/11 der Theater -Aktiengesellschaft Zurich). — Derselbe: Hermann Ferdinand 
Hitzig (Wissen und Leben. IX. Bd. t S. 441). 

Zurich. Hans Schuler. 

Meyer-Frauenfeld, Johannes, Z>., * n. Dezember 1835 zu Riidlingen im 
schweizerischen Kanton Schaffhausen, f 8. Dezember 191 1. — Der jlingste 
Sohn einer wenig begiiterten, aber kinderreichen Lehrersfamilie. Seine Gym- 
nasialbildung empfing er am Schaffhauscr Gymnasium, wo er unter der 
Leitung tiichtiger Lehrer, wie R. A. Morstadt, K. Knies, L. Frauer u. a., sich 
fiir philologische und historische Studien begeisterte. In Basel, wo er in den 
Jahren 1856 und 1857 studierte, lieC er sich durch W. Wackernagel fur Ger- 
manistik gewinnen, horte aber nebenbei philosophische, philologische, historische 
und rechtshistorische Vorlesungen bei Steffensen, Gerlach, Girard, Vischer, 
Koch und Heusler. Vor allem aber war deutsche Sprache und Dichtung, deut- 
sches Recht und deutsche Geschichte Gegenstand seiner eifrigen Studien, wobei 
er Jakob Grimm und M. W. Gotzinger neben den Obengenannten sich zum 



Meyer-Frauenfeld. 1 83 

Vorbilde nahm. Als erste Frucht seiner Studien erschien noch wahrend seines 
Aufenthaltes in Basel 1857 der Schaffhauser Richtebrief von 1291. 

Mangel an Subsistenzmitteln zwang ihn, schon nach vier Semestern die 
Hochschule zu verlassen und das Gelernte praktisch zu verwerten. Doch hatte 
er seine Zeit so gut genutzt, dafi ein hinlanglich fester Grund gelegt war, auf 
dem er weiterbauen konnte und, da er das carpe diem sich zur Richtschnur 
seines Lebens machte, gelang es ihm nicht nur, vorhandene Liicken seines 
Wissens auszufiillen, sondern auch am Ausbau seiner Wissenschaft sich aktiv 
zu beteiligen. 

Nach Abgang von der Universitat erhielt M. eine Lehrstelle an der Schmidt- 
schen Lehranstalt zu Fellin in Livland, wo er vier Jahre (1858 — 1862) blieb. 
Dann begab er sich liber Berlin, wo er J. Grimm aufsuchte, nach Paris, indem 
er hoffte, dort ein Arbeitsfeld zu finden, das ihm gestatten wiirde, sich der 
Fortsetzung seiner Studien auf den dortigen grofien Bibliotheken zu widmen. 
Auch diese Hoffnung ward zu Wasser, und nach wenigen Monaten muflte er 
nach Hause zuruckkehren. 

Um sein Leben zu fristen, sah er sich gezwungen, mit Neujahr 1863 die 
Redaktion des Schaffhauser Tagblatt zu ubernehmen. Er fuhrte eine gewandte 
Feder und wurde popular; seine Heimatgemeinde und die Stadt Schaffhausen 
wahlten ihn gleichzeitig in den Grofien Rat. Doch schuf er sich durch seinen 
Freimut auch einfluflreiche Gegner, wurde in PreOprozesse verwickelt und war 
schliefilich froh, als er der dornenvollen Laufbahn eines politischen Redakteurs 
entsagen und im Herbst 1864 eine Lehrstelle an der stadtischen Realschule 
ubernehmen konnte. Die Hoffnung, mit der Zeit eine Professur am kantonalen 
Gymnasium zu bekommen, scheiterte am Widerstand einiger Erziehungsrate, 
welche den Gelehrten entgelten liefien, was der Politiker gesiindigt hatte. 

Im Herbst 1869 wurde er als Lehrer fur Deutsch und Geschichte am Ober- 
gymnasium der thurgauischen Kantonsschule in Frauenfcld berufen und hatte 
damit das Ziel seiner Wtinsche erreicht. 39 Jahre lang hat er dies Amt mit 
Auszeichnung versehen, bis die Abnahme des Gehors den 72 jahrigen zwang, 
in den wohlverdienten Ruhestand zu treten. 1873 ubernahm er das Amt eines 
Konrektors und von 1875 — 1878 das eines Rektors der Kantonsschule. 

Von 1880 bis zu seinem Tode besorgte er uberdies im Nebenamte die Ver- 
waltung der thurg. Kantonsbibliothek und des Kantonsarchivs. 

In seinem Unterricht hielt sich M. an gesunde, altbewahrte Grundsatze. 
Vor allem war es ihm darum zu tun, die Selbsttatigkeit seiner Schuler zu wecken. 
Er sah es gern, wenn seine Schuler Quellenstudien machten, und munterte sie 
in jeder Weise dazu auf. Er verlangte viel von ihnen; sic sollten das Lernen 
nicht als Spiel betreiben; sie sollten lernen, sich zu konzentrieren, ohne einseitig 
zu werden. 

Was er ihnen gab, war griindlich vorbereitet und wohl durchdacht, wie 
seine bis ins einzelne ausgearbeiteten Lehrgange beweisen. Um seinen Schulern 
eincn Einblick in die historische Entwicklung der deutschen Sprache zu geben, 
fuhrte er das Studium des Althochdeutschen ein. Aller Halbheit abhold, 
begnugte er sich dabei nicht mit eincm kurzen Oberblick, sondern machte seine 
Schuler mit der Grammatik des Althochdeutschen bekannt und mutete ihnen 
dabei mehr Arbeit zu, als manche derselben zu leisten willig waren. Als dann 
die Aufsichtsbehorde den Unterricht im Altdeutschen aus Mangel an hierzu 



1 84 Meyer-Frauenfeld. 

verfiigbarer Zeit aufhob und den Lehrer anhalten wollte, sich mit dem des 
Mittelhochdeutschen zu begntigen, verzichtete M. auch auf dieses Fach und be- 
schrankte sich von da an auf den Unterricht im Neuhochdeutschen, da er sich 
sagte, dafi ein richtiges Verstandnis des Mittelhochdeutschen ohne Kenntnis 
des Altdeutschen nicht zu erreichen sei. Er gab von da an denjenigen Schulern, 
welche das Studium der deutschen Sprache als Fachstudium wahlten, Privat- 
unterricht im Alt- und Mittelhochdeutschen. 

M. wollte auch auf der Primarschulstufe den Sprachunterricht im Schrift- 
deutschen auf dem Grunde der Mundart erteilt wissen — siehe Deutsches Sprach- 
buch fur hohere allemannische Volksschulen 1866 Schaffhausen — , konnte aber 
damit nicht durchdringen. 

Auch den Unterricht in der Geschichte gab M. mehr mit Riicksicht auf solche, 
welche die Geschichte als Fachstudium zu betreiben gesonnen waren. Er griff 
einzelne Partien aus der Weltgeschichte heraus und behandelte sie mit aller 
Grundlichkeit, wie z. B. das Reformations -Zeitalter, den Siebenjahrigen Krieg, 
die Franzosische Revolution, wogegen andere Partien nur in kurzem Oberblick 
gestreift wurden, nach dem Grundsatz »non tnulta, sed multum^ So reichen Ge- 
winn aus solchem Geschichtsbetrieb diejenigen zogen, die sich durch ihn in 
das Studium der Geschichte einfuhren lieflen, so kamen doch dabei diejenigen 
nicht zu ihrem Recht, welche die Kenntnis der Weltgeschichte nur als Be- 
standteil der allgemeinen Bildung, wie sie das Obergymnasium vermittelt, be- 
trachteten. 

Immerhin konnten auch diejenigen, welche mit seiner Lehrmethode nicht 
durchweg einverstanden waren, dem sicheren Takt und der Herzensgute des 
verdienten Lehrers und Gelehrten ihre warme Anerkennung nicht versagen, 
und diejenigen diirften bald gezahlt sein, welche ihm nicht auch nach Verflufl 
ihrer Gymnasiastenzeit ein dankbares und ehrenvolles Andenken bewahrten. 

Neben seiner Lehrtatigkeit einher ging bei M. eine ununterbrochene, eifrig 
betriebene Arbeit im Dienste der Wissenschaft, die er an seinem Teil zu fordern 
unablassig bemtiht war. Im germanischen Altertum, zumal in der Geschichte 
seiner engeren und weiteren, allemannisch-schwabischen Heimat, war er zu 
Hause wie wenige, und durch eine ganze Reihe sehr verdienstvoller und, 
weil auf griindlicher Quellenforschung beruhend, auch bleibenden Wert bean- 
spruchender Spezialuntersuchungen hat er redlich mitgeholfen, um Licht zu 
bringen in das Dunkel, das iiber manchen Partien ihrer Geschichte lag. 

Als eifriges Mitglied des Historischen Vereins fur den Kanton Thurgau 
sowie des Vereins fur Geschichte des Bodensees und Umgebung, in deren Vor- 
stand er viele Jahre sa6, und deren Vereinsschriften unter seiner Schriftleitung 
sich einen geachteten Namen machten, hat er nicht nur der Lokalgeschichts- 
forschung manche neue Kraft zugeflihrt, sondern es namentlich auch verstanden, 
das Interesse fur heimatliche Geschichte in weiteren Kreisen der Gebildeten 
wachzuerhalten, indem er stets bestrebt war, die Friichte seiner gelehrten 
Forschungen den Lesern in genieBbarer Form darzubieten. Auch war er nach 
Kraften bemiiht, durch freundschaftliche Beziehungen zu deutschen Gesin- 
nungsgenossen das BewuOtsein gemeinsamer Abstammung der Schwaben 
rechts und links des Rheins zu wecken, unbeschadet der historisch gewordenen 
Zugehorigkeit zu zwei verschiedenen Staatsverbanden. 

Auf SchluO des Schuljahres 1907/08 trat M. in den wohlverdienten Ruhe- 



Meyer-Frauenfeld. Van 't Hoff. 185 

stand in der Absicht, mit mehr Mufle die Arbeit am Thurgauischen Urkunden- 
buch und andern literarischen Projekten, mit denen er sich trug, wieder auf- 
zunehmen. Korperliche Beschwerden, welche er iibrigens mit der Ruhe des 
Weisen und vorbildlicher Geduld ertrug, triibten indes seinen Lebensabend 
und lahmten seine Arbeitskraft, und nach langerem Leiden starb er den 8. De- 
zember 191 1. 

Im personlichen Umgang von gewinnender Liebenswiirdigkeit und an- 
spruchsloser Bescheidenheit, verfiigte er, wenn es sein muflte, doch uber eine 
scharfe Feder, und in dem, was er einmal als richtig erkannt, lieC er sich nicht 
beirren. Wo es gait, seine Grundsatzlichkeit zu wahren, da blieb er fest. Im 
ubrigen war er eine stille Gelehrtennatur, ruhig und zuvorkommend, als Freund 
von unwandelbarer Treue, eine in sich abgeklarte, harmonische Personlichkeit. 

In Anerkennung seiner Verdienste um die Geschichtsforschung verlieh ihm 
die philosophische Fakultat der Universitat Zurich im Jahre 1883 den Ehren- 
doktor. 

Als Hauptwerke Meyers sind zu nennen die zweibandige »Geschichte des schweizerischen 
Bundesrechtes*, Winterthur 187-; u. 1878 und das »Thurgauische Urkundenbuch*, von dem 
erin den Jahren 1882 — 1885 vier Hefte (von 1000 — 1246) herausgab. Aus der groflen Zahl 
seiner ubrigen Publikationen, welche gegen 100 Nummern umfassen, heben wir die folgen- 
den heraus: Der »Unoth«, Zeitschrift fur Geschichte und Altertum des Standes Schaffhausen, 
1868. »Schweizerische Schulzeitung* Jahrg. I u. II, 1871 u. 1872. In der »Alemannia« sind 
von ihm u. a. erschienen: Bd. V »Das Stadtbuch von Schaffhausen «, Bd. IV »Das Urbar 
des Klosters Rheinau*. Bd. XV u. XVI »Der Briefwechsel zwischen J. v. Lassberg und J. A. 
Pupikofer*. 

Weiter sind zu nennen: *Die drei Zelgen*, Kantonsschulprogramm 1880. »J. A. Pupi- 
kofer, Beitrage zu seiner Lebensbeschreibung« in »Thurg. Beitrage zur vaterlandischen Ge- 
schichte« H. 31, 35 — 37; 39 u. 40. frZur Geschichte der thurg. Burgen u. Schl6sser« f ebenda 
H. 28, 31, 43. ^Salomon Fehr und die Entstehung der thurg. Restaurationsverfassung von 
1814*, ebenda H. 50 u. 51. — In den »Schriften des Vereins fur Geschichte des Bodensees 
und Umgebung* erschienen aus seiner Feder u. a. : H. XXX ^Geschichte der deutschen Be- 
siedelung des Hegaus und Klettgaus von 298 — 1050*. H. XXXV »K6nigin Hortense und 
Prinz Ludwig Napoleon*. Sp&ter auch separat erschienen unter dem Titel: »Die frtiheren Be- 
sitzer von Arenenberg*. Frauenfeld, 3. AufL, 1910. Ferner: H. XXXIX »Aus Michel Mon- 
taignes Reise durch die Schweiz*. Endlich: H. XL »Dr. Max Wilhelm Gdtzinger, ein deutscher 
Sprachforscher«. Ein biographisches Denkmal, das er seinem einstigen Lehrer setzte, dessen 
•Liedergarten*, 3. AufL, Aarau 1882, und dessen »Anfangsgrunde der deutschen Sprachlehre 
in Regeln und Aufgaben* er in 13. und 14. Auflage vermehrt und verbessert Aarau 1881 und 
1898 herausgab. 

Eine biographische Skizze M.s aus der Feder seines langjahrigen Freundes und Kollegen 
Prof. Gustav Biieler in Frauenfeld mit vollstandiger Bibliographic seines gedruckten und 
handschriftlich vorhandenen Nachlasses erschien in den oben genannten Beitragen Heft 52. 
Einen ausfuhrlichen Nekrolog auf den Verstorbenen aus der Feder des Unterzeichneten brachten 
die Schriften des Ver. f. G. d. B. u. U. Heft XLI. 

F. Schaltegger. 

Van 't Hoff, Jacobus Henricus, Universitatsprofessor der Chemie, * 30. 
August 1852 zu Rotterdam, f 1. Marz 191 1 zu Berlin. — H. ist der Abkomm- 
ling einer alten hollandischen Familie, deren Stamm sich bis ins 17. Jahrhundert 
zuruckverfolgen lafit. Sein Vater, der Arzt Jacobus Henricus van 't Hoff und 
seine Mutter Alida Jacoba Kolff, Tochter eines Kaufmannes, die ihrem be- 
riihmten Sohne nur ganz kurz im Tode vorausgegangen sind, haben an ihm stets 



1 86 Van't Hoff. 

das Iebhaf teste und auch vorteilhaf teste Interesse genommen. Alskleiner Knabe 
muBte H. zur Grofimutter mutterlicherseits nach Middelharnis in Pflege kommen, 
da man ihm wegen eines schweren Riickenmarkleidens seines Schwesterchens 
im Elternhause nicht geniigende Aufmerksamkeit zuwenden konnte. Nach 
dem Tode der Schwester zuruckgekehrt, kam H. zunachst in den Kindergarten 
des Fraulein Tours, dann in die Privatschule des Herrn Delfos, wo er sich durch 
besondere Begabung fiir Mathematik auszeichnete. Sehr friih war in dem 
Knaben nicht nur die Liebe zur Natur, sondern auch eine ausgezeichnete Be- 
obachtungsgabe erwacht und, da H. fiir den Verwaltungsdienst und zum Be- 
amtenberuf gar keine Lust hatte, entschied sich der Vater dafiir, ihn vorlaufig 
in die hohere Burgerschule zu schicken, die etwa unserer Oberrealschule an 
die Seite zu stellen ist. Bis auf Sprachen, — was (ibrigens nicht hinderte, daB 
spater H. Franzosisch, Deutsch und Englisch neben seiner Muttersprache 
vollig beherrschte — hat H. sehr gute Fortschritte gemacht, er war der Zweite 
seiner Klasse, vom ersten Platz konnte er seinen nachmaligcn Schwager G. J. 
Mees nicht verdrangen. In dieser Zeit erhielt er auch den ersten chemischen 
Unterricht durch Dr. Hubrecht, dann durch S. Hoogewerff, der spater als 
Professor an das Delfter Polytechnikum kam. Dieser Unterricht hat auf H. 
tiefen Eindruck gemacht. Zahlreiche Versuche, die im geheimen angestellt 
wurden, waren die Folge und, als die Schule davon erfuhr und sie verbot, wurden 
sie zu Hause vor Zuschauern gegen Eintrittsgeld fortgesetzt, das zur Neu- 
anschaffung von Apparaten und Chemikalien verwendet wurde. 1869, noch 
nicht ganz 17 Jahre alt, bestand H. die Abgangspriifung mit gutem Erfolg 
und wandte sich dann nach Delft ans Polytechnikum, urn sich dort fiir einen 
praktischen Beruf auszubilden. Am meisten fesselte ihn der chemische 
Unterricht, den Oudemans ertcilte, wenn auch die andern Facher, insbesondere 
Physik, nicht vernachlassigt wurden. Die ersten Sommerferien benutzte er 
dazu, sich in der praktischen Tatigkeit eines Fabrikchemikers umzusehen und 
machte die Kampagne in einer Zuckerfabrik mit. H. sah jedoch, daD hier 
fiir ihn nichts zu suchen sei und er sich einen andern Lebensberuf wahlen miisse. 
Die wissenschaftliche Forschung zog H. machtig an, aber erst nach einigem 
Zogern entschied sich sein Vater, nachzugeben und nur unter der Bedingung, 
dafi zuerst das polyt(jchnische Studium beendet werde. Das geschah denn auch 
in der kiirzesten Zeit, und im Herbst 1871 bezog H. die Universitat Leiden. 
Lange war seines Bleibens dort nicht. Die richtige Anregung fiir seine chemi- 
sche Ausbildung konnte er dort nicht empfangen, und der Ort als solcher war 
H. nicht angenehm. So iibersiedelte er dcnn, nachdem er 1872 noch sein 
erstes Examen bestanden hatte, nach Bonn, um bei Meister Kekul6 in die 
Schule zu gehen. 

Schon um diese Zeit zeichnete sich H. nicht nur durch reiche Kenntnisse 
in den Naturwissenschaften, sondern auch durch eine ganz vorzugliche allge- 
meine Bildung aus. Er las viel, sah gem und hatte ein ausgezeichnetes und 
originelles Urteil. Mit schwarmerischer Liebe hing er an Byron, und er trug sich 
damals noch ein wenig mit dem Gedanken, sich der Dichtkunst zu widmen. 
Ernst Cohen, H.s Schiiler, erzahlt in dem umfangreichen und ausgezeichneten 
Buch, in dem er seines Lehrers Leben und Wirken behandelt, dafl der um diese 
Zeit einem befreundeten alteren Literaten seine Gedichte zur Beurteilung iiber- 
reicht habe. Die nicht sehr giinstige Antwort hatte H. fiir die Chemie gerettet. 



Van 't Hoff. 



I8 7 



Kekutes Personlichkeit und der Aufenthalt in Bonn haben auf H. machtigen 
Eindruck geubt. Nichtsdestoweniger aber wollte H. sich nicht bestimmen lassen, 
ein Thema Kekul6s zu bearbeiten. Seiner selbstandigen Individuality ging 
jede Art von Bevormundung wider den Strich, und H. zog es vor, sich mit einem 
selbstgewahlten Gegenstand zu beschaftigen. Die daraus entstandene Arbeit 
hat zwar zum Erfolge gefuhrt, aber besondere Bedeutung wohnt ihr nicht inne, 
da sie sich in den Bahnen der damaligen Chemiker bewegt. — Bevor H. sich 
entschlofi, weiterzuwandern, absolvierte er noch das Doktoralexamen nach 
kurzem Aufenthalt in Utrecht und wandte sich dann nach Paris, wo durch 
Wurtz' Tatigkeit eine ausgezeichnete Schule der Chemie gegrundet war. Er 
fiihrte dort zwar keine Arbeit aus, urn so eifriger lauschte er den Lehren des 
Meisters. Und da8 die Wunder der Stadt Paris auf einen kunstlerisch ver- 
anlagten Mann wie H. tiefen Eindruck rnachen mufiten, versteht sich von selbst. 
Wertvolle Bekanntschaften wurden damals angekniipft, bei Wurtz lernte H. 
auch Le Bel kennen, dessen Name spater unzertrennlich mit dem seinen genannt 
werden sollte. Allein allzu lange durfte H. nicht verweilen, da sein Vater, der 
doch endlich des Sohnes Studium beendet sehen wollte, drangte, und so kehrte 
H. 1874 nach Utrecht zuruck, um dort den Doktorhut zu erwerben. 

Bevor H. jedoch so weit war, liefi er noch eine kurze Schrift unter einem 
sehr langen Titel erscheinen: »Vorschlag zur Ausdehnung der gegenwartig in 
der Chemie gebrauchten Strukturformeln in den Raum nebst einer damit zu- 
sammenhangenden Bemerkung uber die Beziehung zwischen dem optischen 
Drehungsvermogen und der chemischen Konstitution organischer Verbindungen.* 
Diese Broschure des erst 22 jahrigen Junglings hat den organischen Chemikern 
eine neue Welt geschaffen. Friiher namlich hatte man die einzelnen Atome 
der organischen Verbindungen in einer Ebene liegend angenommen. H. lehrte, 
dafi man sich die Atome im Raume gelagert zu denken habe. Das Kohlenstoff- 
atom wird durch ein regulares Tetraeder reprasentiert, in dessen vier Ecken 
die an jedes Kohlenstoffatom gebundenen Atome oder Gruppen zu liegen 
kommen. Man sieht bei Betrachtung eines Modells leicht, dafi fiir den Fall 
eines sogenannten asymmetrischen Kohlenstoffatoms, d. h. flir den Fall, dafi 
die vier an ein Kohlenstoffatom gebundenen Atome oder Atomgruppen durch- 
weg verschieden sind, man zwei Tetraeder konstruieren kann, die einander sym- 
metrisch, aber nicht miteinander kongruent sind. Das reprasentiert nun die 
optischen aktiven Verbindungen, das sind diejenigen, welche die Ebene des 
polarisierten Lichtes drehen, oder mit andern Worten: Jede optisch aktive 
Verbindung mufl ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthalten. Es wurde 
zu weit fiihren, auf alle die Konsequenzen dieses Lehrsatzes und der uber die 
sogenannte doppelte Bindung ausgesprochenen Ansichten einzugehen. Es 
geniige, dafi alle die hier gesagten Lehren der »Stereochemie« bis zum heutigen 
Tage sich als absolut giiltig und richtig erwiesen haben. Ihren schonsten Tri- 
umph haben sie wohl bei der Chemie der Zucker gefeiert, die von E. Fischer 
geschaffen worden ist. 

Kurz nach der Publikation dieser Schrift hat auch der Franzose Le Bel 
ganz ahnliche Ansichten in einer der Pariser Akademie uberreichten Abhand- 
lung unabhangig von H. ausgesprochen. Fiir bcide ist es ein ehrendes Zeichen, 
dafi niemals unter ihnen irgendein Streit um die Prioritat gefuhrt worden ist. 
Es ist nur gerecht, wenn man die eben skizzierte Theorie die Theorie von H. 



1 88 Van't Hoff. 

und Le Bel nennt, und die Royal Society hat dem, lange spater, Ausdruck ge- 
geben, indem sie 1893 beiden die Davymedaille iiberreichte. 

Allzu rasch hat sich diese Theorie natiirlich nicht durchgerungen. Die 
Publikation H.s war zunachst ganz verborgen geblieben, und erst die Wieder- 
holung derselben in einer Note an die Pariser Akademie hatte sie weiteren 
Kreisen zuganglich gemacht. Immerhin ware sie wahrscheinlich noch lange 
unbeachtet geblieben, wenn sie nicht glucklicherweise zwei machtige Gegner 
gefunden hatte. Der eine, der nicht einverstanden war, war Berthelot. Ins- 
besondere flihrte er das Styrol ins Treffen, das optisch aktiv war, ohne ein 
asymmetrisches Kohlenstoffatom zu besitzen. H. konnte zeigen, dafl diese 
Aktivitat nur auf eine beigemengte Verunreinigung zuruckzufiihren sei. Viel 
heftiger war der Angriff des Marburger Professors Kolbe. Wislicenus namlich, 
der von H.s Arbeit Kenntnis erlangt und auflerordentlichen Gefallen daran ge- 
funden hatte, wandte sich an diesen mit der Bitte, seinem Assistenten Dr. Her- 
mann zu gesattten, dafl er die Schrift ins Deutsche ubersetze, er selbst werde 
ein Vorwort dazu schreiben. Das geschah auch, und 1877 wurde die Arbeit 
unter dem Titel »Die Lagerung der Atome im Raum« in Buchform heraus- 
gegeben. Kolbe nun zog gegen das Buch los. Es machte sich in neuerer Zeit 
eine gewisse triviale Naturphilosophie in der Chemie breit, so habe auch ein 
Herr van 't Hoff den Pegasus bestiegen, den er wohl der Tierarzneischule 
entlehnt habe (H. war, wie wir gleich sehen werden, damals an der Utrechter 
Tierarzneischule angestellt), und es musse tief bedauert werden, dafl ein Mann 
wie Wislicenus sich in die Reihe dieser Naturphilosophen begeben habe, usw. 
H. hat sich in eine Polemik, wie es seine Art uberhaupt war, kaum eingelassen; 
er hat Kolbe nur ganz kurz erwidert, und seiner Theorie hat das nicht geschadet, 
die Angriffe muflten bald von selbst verstummen, und die Stereochemie blieb 
Siegerin. 

Wir haben H. verlassen, als er eben seine epochale Arbeit uber die Lagerung 
der Atome im Raume fertiggestellt hatte. Kurz nachher, 1874, erwarb er den 
Doktorhut in Utrecht mit einer Dissertation, die ein Shnliches Thema wie die 
in Kekutes Laboratorium ausgefiihrte Untersuchung behandelt. Fur eine Zeit 
zog er sich ins Elternhaus zuriick und benutzte diese Mufle, um seine erwahnten 
Ansichten in Buchform herauszugeben. 1875 erschien das Buch, von dessen 
spaterer Obertragung ins Deutsche wir schon gesprochen haben, unter dem 
Titel: »La chimie dans Vespace*. Unterdessen bewarb sich H. um einige Lehr- 
stellen an Mittelschulen, alle Bewerbungen schlugen fehl. So entschlofl er sich 
denn, auf gut Gliick nach Utrecht zu tibersiedeln, gab zunachst Privatstunden 
und erhielt 1876 eine Anstellung als Dozent der Physik an der Tierarzneischule 
zu Utrecht. In diese Zeit fallt auch ein Besuch von Dom Pedro, Kaiser von 
Brasilien, der bekanntlich ein eifriger Forderer der Naturwissenschaften war, 
und den man auf H. aufmerksam gemacht hatte. Lange sollte H. nicht in 
Utrecht bleiben. 1877 wurde er zum Lektor der Chemie an die Universitat 
Amsterdam berufen, 1878 zum ordentlichen Professor ernannt. Schweren 
Herzens war H. von Utrecht geschieden; schreibt er doch an seine Mutter: 
»Wenn ich an das verlorene Utrecht zurtickdenke, so hangt an der Spitze des 
Doms eine grofle Trauerfahne«. 

Die nun erreichte Lebensstellung setzte H. in die Lage, seinen eigenen Haus- 
stand zu gninden. Am 27. Dezember 1878 fuhrte er Jenny Mees, die Tochter 



Van 't Hoff. ! 89 

eines Rotterdamer Grofihandlers, heim. Dieser iiberaus gliicklichen Ehe sind 
vier Kinder entsprossen. 

Die Amsterdamer Zeit bildet den Hohepunkt von H.s Schaffen, hier sind 
seine allerbedeutendsten Werke geschaffen worden. Bevor wir zu ihrer Be- 
sprechung ubergehen, wollen wir nur ganz kurz auf die Antrittsvorlesung hin- 
weisen, die erst durch das schon erwahnte Buch Cohens weiteren Kreisen zu- 
ganglich geworden ist und ihrer auflerordentlichen Originalitat wegen Interesse 
verdient. Anknupfend an Kolbes riiden Angriff, der ja die Phantasterei in der 
Wissenschaft perhorresziert, meint H., dafi ohne Phantasie in der doch eigentlich 
ganz praktischen Wissenschaft nichts geschaffen werden konne. Sie sei not- 
wendig bei der Wahl des Augenblicks oder des Beobachtungsobjektes, bei der 
beliebigen Anderung des Beobachteten, beim Auffinden der Hilfsmittel, die die 
Beobachtung erleichtern, beim Beobachten einer Obereinstimmung bezw. eines 
Unterschiedes, bei dem Aufstellen der Hypothese. Durch sie und nur durch sie 
sei alles Grofie geschaffen worden, und wenn ihr auch viele Irr turner zuzu- 
schreiben seien, so habe doch die Illusion und der durch sie hervorgerufene feste 
Glaube an dies und jenes, trotz des Irrtums, der Wissenschaft unendlichen Wert 
gebracht. Beweis dafiir sei, dafl die groflen Forscher stets Phantasie besessen 
haben, was H. durch ihren Kunstsinn zu beweisen sucht und durch die aus 
mehr als 200 Biographien gesammelten Erfahrungen belegt. 

1878 wurden die »Ansichten iiber organische Chemie« herausgegeben, denen 
1 88 1 ein zweiter Band folgte. Das Werk bemuht sich, gewissermaflen in Fort- 
setzung der fruher iiber den Zusammenhang zwischen optischer Aktivitat, also 
einer physikalischen Eigenschaft, und Konstitution, d. h. Bau des Molekuls, 
geauflerten Ansichten auch einen Zusammenhang zwischen den chemischen 
Eigenschaften und der Verkniipfung der Atome im Molekiil zu ermitteln. 
H. selbst hat diesem Werke keine besondere Bedeutung beigelegt. Es hat sie 
dennoch, insbesondere dadurch, dafl es bereits zu dem nachsten Hauptwerk 
hiniiberleitet, zu den »Etudes de dynamique chimique*. 

Dieses 1884 erschienene Werk, das als ein Fundament der physikalischen 
Chemie zu bezeichnen ist, befaflt sich zunachst mit der Reaktionsgeschwindig- 
keit, d. i. mit dem Ausdruck fiir die in der Zeiteinheit bei einer chemischen 
Reaktion umgesetzten Stoffmengen. Schon durch das sogenannte Massen- 
wirkungsgesetz, das von den Schweden Guldberg und Wage entdeckt worden 
war, war dieser Begriff in mathematische Form gebracht worden. H. rechnet 
zunachst, statt mit der Zahl der reagierenden Stoffe, mit der Zahl der reagieren- 
den Molekule, eine Auffassung, die sich als ausgezeichnet bewahrt und bis heute 
erhalten hat. Dann wird der Einflufl der Temperatur auf die Reaktionsge- 
schwindigkeit und die chemische Affinitat untersucht und mathematisch formu- 
liert. Es werden ferner diejenigen Systeme erortert, auf die der Druck ohne 
Einflufl ist, H. nennt sie kondensierte Systeme, in welchen Gleichgewicht 
nur bei einer bestimmten Temperatur herrschen kann, beim sogenannten 
Umwandlungspunkt. Diese SchluOfolgerungen werden an dem Beispiel der 
Umwandlung des rhombischen in den monoklinen Schwefel gepriift und 
richtig befunden. Endlich wird der Einflufl der Temperatur auf das Gleich- 
gewicht zwischen reagierenden Stoffen zu dem beruhmten Satze vom beweg- 
lichen Gleichgewicht {principe de Vequilibre mobile) zusammengefafit, dafl das 
Gleichgewicht zwischen zwei Systemen durch Temperaturerniedrigung sich in 
dem Sinne desjenigen Systems verschiebt, dessen BildungWarme entwickelt. 



190 



Van 't Hoff. 



Im engen Zusammenhange mit diesem Werke steht das andere Haupt- 
werk H.s, das zuerst 1885 in den Archives Neerlandaises unter dem Titel tL'equi- 
libre chimique dans les systimes gazeux ou dissous & I'etat dilue* erschien und das 
man kurz als die Arbeit iiber den osmotischen Druck bezeichnen kann. Geloste 
Stoffe iiben einen gewissen Druck aus, der allerdings erst dann mefibar wird, 
wenn man mit einer sogenannten halbdurchlassigen Wand arbeitet. Bringt 
man namlich in einen Tonzylinder, den man mit einer halbdurchlassigen Wand 
versehen hat, so dafi wohl das Losungsmittel, nicht aber der geloste Stoff durch - 
diffundieren kann, eine Losung und aufien die reine Fltissigkeit, verschliefit man 
ferner diesen Tonzylinder mit einem Kork, durch den man ein Glasrohr fvihrt, 
so steigt infolge des osmotischen Druckes der Losung Fltissigkeit in dem Glasrohr 
auf. Der Pflanzenphysiologe Pfeffer hatte diese Experimente, die ja natur- 
gemafi fiir das Studium des Saftaustausches der Pflanzen, in welchen die Zell- 
membranen solche natiirliche semipermeable Wande darstellen, aufierordentlich 
wichtig sind, messend an einer Zuckerlosung verfolgt und gefunden, dafi die 
Steighohe proportional war der Konzentration der Zuckerlosung. Etwa um die 
gleiche Zeit hatte auch der Franzose Raoult gezeigt, dafi aquimolekulare Losun- 
gen gleiche Gefrierpunktserniedrigungen aufweisen. H., der durch seine Kol- 
legen, den Botaniker Hugo de Vries gelegentlich eines Spazierganges iiber 
Pfeffers Experimente unterrichtet worden war, klarte durch eine schopferische 
Eingebung diese experimentell gefundene Tatsache auf. Er bewies, dafi die 
Substanzen in Losungen (allerdings gilt dieser Satz nur fiir sehr verdiinnte 
Losungen) sich so verhalten, wie wenn sie in Gasform den gleichen Raum er- 
fiillen wiirden. Auch fiir sie gelten die einfachen Gasgesetze von Boyle-Mariotte 
und Gay-Lussac, welche sich am prazisesten durch die Gleichung wiedergeben 
lassen: pv = RT. 

Allerdings war diese Gleichung nur fiir einen Teil der Losungen richtig. 
Bei einer grofien Zahl muflte man statt dieser die Form pv = iRT einfiigen, 
wobei i eine Zahl bedeutet, die grofler als 1 ist. Die wahre Bedeutung des i 
hat nicht H., sondern der Schwede Arrhenius in seiner Lehre von der elektro- 
lytischen Dissoziation aufgeklart, und so haben diese beiden Genien eine Theorie 
der verdunnten Lbsungen geschaffen, die anfanglich insbesondere von den 
alteren konservativen Chemikern beinahe verabscheut, nunmehr, nicht zuletzt 
durch das Eingreifen W. Ostwalds, zu einem wichtigen, wenn nicht dem wichtig- 
sten Besitz der Chemie geworden ist. 

Auch das auflere Leben H.s in Amsterdam ist nicht ereignislos verlaufen. 
Die Zahl der Schuler, unter denen insbesondere Cohen, Meyerhoffer, H. Gold- 
schmidt und Bredig zu nennen sind, vermehrte sich stetig. 1885 begann die 
Bekanntschaft mit Arrhenius zunachst brieflich, spater auch personlich, da 
dieser 1888 eine Zeit in H.s Laboratorium arbeitete. 1887 war der Lehrstuhl 
fiir physikalische Chemie durch den Cbergang Wiedemanns zur Physik ver- 
waist. H. erhielt eine Berufung und fuhr auch nach Leipzig, die Heimatsliebe 
siegte jedoch, und er lehnte ab. Zum Danke dafiir bewilligte ihm der Amster- 
damer Stadtrat ein neues Institut, das 1892 bezogen werden konnte. 1890 
lernte H. Wilhelm Ostwald kennen, der zugleich mit ihm, Arrhenius und Raoult 
von der British Association eingeladen war, in Leeds an einer Diskussion iiber 
die Theorie der Losungen teilzunehmen, die mit einem vollen Erfolg fiir die 
Anhanger der Dissoziations theorie endete. Noch zweier Ereignisse sei hier ge- 



Van't Hoff. I9I 

dacht, der Grundung der Zeitschrift fur physikalische Chemie, bei der H. Pate 
gestanden ist, und des Beginns der Beziehungen zu Meyerhoffer. Dieser traf 
1888 in Amsterdam ein und blieb von da bis zu seinem allzu friihen Tode (1906) 
ein treuer Freund und Mitarbeiter H.s. 

H. war in dieser Zeit schon ein beriihmter Mann geworden, der sich allge- 
meiner Verehrung erfreute. Dafiir zeugt nicht nur die schmeichelhafte Berufung 
nach Leipzig, sondern auch die andern zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteil 
wurden. 1889 wurde er Ehrenmitglied der deutschen Chemischen Gesellschaft, 
1892 Mitglied der schwedischen Akademie, 1893 verlieh ihm die Royal Society 
die Davy-Medaille, 1894 ernannte ihn die franzosische Regierung zum Ritter 
der Ehrenlegion. 

1894 traf Max Planck in Amsterdam ein und bat um die Erlaubnis, eine Vor- 
lesung H.s horen zu diirfen. Dieser Besuch war nicht blofiem Interesse zuzu- 
schreiben, es lagen ihm ernstere Motive zugrunde. August Kundt, der Lehrer 
der Physik an der Berliner Universitat, war gestorben, und die Fakultat dachte, 
H. gewinnen zu konnen. Allein auch diesmal konnte er sich noch nicht ent- 
schlieflen, die Heimat zu verlassen, und lehnte neuerlich die Berufung ab. Die 
hollandische Regierung verlieh ihm zwar zum Dank dafiir den Lowenorden, aber 
in anderer Beziehung kam sie ihm durchaus nicht entgegen, H.s Tatigkeit war 
allmahlich so anstrengend und zeitraubend geworden, dafi er zu eigener Arbeit 
kaum mehr Zeit finden konnte. Die druckenden Lehrverpflichtungen, insbe- 
sondere die Unzahl von Priifungen, begannen H. unertraglich zu werden, und 
der Gedanke, sein Lehramt zu verlassen, reifte begreiflicherweise allmahlich 
heran. Zudem hatten es die Berliner noch nicht aufgegeben, H. doch noch zu 
gewinnen, und uber Betreiben Emil Fischers, der durch den aufierordentlich 
umsichtigen und weitblickenden Dezernenten des preufiischen Kultusmini- 
steriums, Althoff, gefordert war, gelang es doch endlich, eine Stelle fiir H. zu 
schaffen, die er im Interesse der Erhaltung seiner Arbeitsfahigkeit annehmen 
muflte. Die hollandische Regierung erwies sich zudem in den Verhandlungen 
mit H. von einer so kurzsichtigen Kleinlichkeit, dafi H. Ende 1895 seinen Ab- 
schied nahm. Die Verhandlungen mit Berlin wurden indes vollig geheim 
gefuhrt und gelangten zu gliicklichem Abschlufi. H. wurde zum Mitglied der 
preufiischen Akademie der Wissenschaften ernannt, bekam ein Laboratorium, 
jedoch ohne Lehrverpflichtung, er hatte blofi eine wochentlich einstiindige 
Vorlesung an der Universitat zu halten, und konnte sich sonst vollig seiner 
Forscher tatigkeit widmen. Diese ganz auBerordentlichen Bedingungen, die 
noch dazu einem Auslander gewahrt wurden, haben begreiflicherweise in ferner- 
stehenden Kreisen viel Aufsehen erregt, aber man kann nur sagen, dafi sie dem 
Weitblick der preufiischen Unterrichtsverwaltung das ruhmlichste Zeugnis 
ausstellen. 

H.s Entlassungsgesuch war bereits am 2. Mai uberreicht und durch eine 
Indiskretion sehr rasch publik geworden, ohne dafi man iibrigens wuflte, welche 
Stellung er dafiir eintauschen wiirde. Um dem vielen Gerede auszuweichen 
und sich von der starken Uberarbeitung zu erholen, ging H. mit den Seinen auf 
die Wanderschaft. Der Sommer wurde im Schwarzwald, der Herbst in Weesen 
verbracht, und zu Anfang des Winters zog die Familie nach Lugano. Den 
Unterricht der Kinder mufiten die El tern natiirlich selbst fiihren. Am 30. De- 
zember erfolgte die Entlassung in Amsterdam, am 30. Januar 1896 fand die 



192 



Van f t Hoff. 



definitive Abstimmung in der Berliner Akademie statt. Nach kurzem Aufent- 
halte in der Heimat tibersiedelte H. im Friihjahr 1896 nach Berlin, wo er bis 
zu seinem Tode geblieben ist. 

Die Berliner Zeit ist fur H. sehr glucklich verlaufen. Er war hier wieder 
ein freier Mann geworden, der seinen Neigungen nachgehen konnte. Friiher 
war es ihm schwer gewesen, Reisen zu machen, Kongresse zu besuchen, Be- 
kanntschaften anzuknupfen; er war an die Scholle gebunden. Hier konnte 
er sich frei bewegen, zumal er in Meyerhoffer einen ausgezeichneten Vertreter 
in der Leitung seines kleinen Laboratoriums besaC. Kein Wunder, dafl hier 
der alte Humor und die alte Liebenswurdigkeit wiedererwachten. 

In die Berliner Zeit fallen eine Menge Reisen, die Naturforscherversamm- 
lung wurde regelmaflig mitgemacht, alljahrlich auch der Heimat und den Eltern 
ein Besuch abgestattet. 1898 sandten ihn die preufiische Akademie und die 
Berliner Univecsitat nach Stockholm zur Feier des funfzigjahrigen Todestages 
von Berzelius, 1899 feierten Freunde und Schiiler H.s sein 25 jahriges Doktor- 
jubilaum in Rotterdam, wo er eben zum Besuche seiner Eltern weilte. 

Sehr bewegt sollte sich das Jahr 1901 gestalten, in welchem H. auch als 
President der deutschen Chemischen Gesellschaft fungierte. H. war von dem 
amerikanischen Gelehrten Nef eingeladen worden, zur Feier des zehnjahrigen 
Bestandes der Universitat Chicago dort einige Vortrage zu halten. Er nahm 
gern an. Der Urlaub wurde von den Berliner Behorden bereitwilligst gewahrt, 
die Obsorge uber die Kinder der altesten Tochter, das Laboratorium Meyer- 
hoffer ubergeben, und Ende Mai schifften sich H. und Frau Yenny ein. Der 
Aufenthalt in Amerika — es liegt ein ausfiihrliches Tagebuch dariiber vor — 
hat H. viel Freude und Nutzen gebracht. Einige grofiere amerikanische Stadte 
wurden besucht, viele neue Bekanntschaften gemacht. In Chicago hielt H. 
dann die Vortrage, die sich grofitenteils mit Problemen der physikalischen 
Chemie befassen und in deutscher und englischer Sprache in Buchform erschie- 
nen sind. 

Das Jahr 1901 brachte H. noch eine ganz besondere Ehrung. Am 10. De- 
zember wurde zum erstenMale der Nobelpreis verteilt, und die schwedische Aka- 
demie der Wissenschaften verlieh H. den Preis fur seine Entdeckung der Gesetze 
der chemischen Dynamik und des osmotischen Druckes in Losungen. Noch 
zwei deutsche Gelehrte wurden damals in gleicher Weise ausgezeichnet: der 
Physiker Rontgen und Behring, der Entdecker des Diphtherieserums. 

Auch in den folgenden Jahren wurden viele Reisen unternommen. Zur 
Zentenarfeier der Atomtheorie (1903) fuhr H. nach Manchester, wo ihm die 
Victoria- University zun Doctor in Sciences ernannte. 1904 wurde das neue 
physikalisch-chemische Institut in Utrecht eroffnet, das H. zu Ehren van t'Hoff- 
Institut genannt wurde. Im gleichen Jahre fuhr H. zum zweiten Male, diesmal 
in Begleitung seiner altesten Tochter, nach Amerika, um dem in St. Louis statt - 
findenden internationalen Kongrefl fiir Ktinste und Wissenschaften beizu- 
wohnen. 1906 verbrachte er einige schone Tage in Wien, im Fruhjahr reiste 
er nach Neapel, um den Vesuv in Tatigkeit zu sehen. Dort traf H. die ihn tief 
erschiitternde Nachricht vom Tode Meyerhoffers, der einem langwierigen Herz- 
leiden erlegen war. 

Die letzten Lebensjahre, uber die H. ein kurzes Tagebuch niedergeschrieben 
hat, sind erfullt von Todesahnungen. Ein Lungenleiden, das vielfacher Be- 



Van *t Hoff. 



193 



handlung trotzte, liefi ihn nicht mehr dauernd zur Ruhe kommen. Zwar war 
er zeitweilig ganz frisch, aber bald stellten sich die bosen Anzeichen der Krank- 
heit, Fieber, Heiserkeit, auch Atemnot wieder ein und zwangen ihn, die Arbeit 
ganz einzustellen oder doch sehr einzuschranken. Mehrmals, zuerst im Jahre 
1907, war H. genotigt, ein Sanatorium aufzusuchen, ohne dafi doch dauernde 
Genesung eingetreten ware. Viele seiner Freunde starben ihm gerade in dieser 
Zeit, und immer fragt er sich, wann er selbst drankommen werde. Dem Be- 
grabnis der Mutter und der Feier des 25 jahrigen Jubilaums der Theorie vom 
osmotischen Druck konnte er nicht mehr beiwohnen. Am I. Marz 191 1 verschied 
er sanft und schmerzlos in Steglitz bei Berlin. 

Die Zeit H.s in Berlin ist ausgefullt durch seine Arbeiten uber die ozeanische 
Salzablagerung. Diese Arbeiten, die etwa ebenso viele Jahre als die ersten 
Werke Tage und Wochen in Anspruch genommen haben, konnen doch nicht 
vielleicht gerade darum als H.s Meisterwerk bezeichnet werden, wenn sie auch 
zweifelsohne von grofiter Bedeutung sind. Ostwald erzahlt, dafi H. selbst dieser 
Ansicht gewesen sei. Um uber die Entstehung der grofien Salzbergwerke, wie 
des Stafifurter Bergwerkes, Klarheit zu gewinnen, sollte festgestellt werden, 
welche Salze sich ausscheiden, wenn man die in den Stafifurter Bergwerken 
vorkommenden Einzelsalze in Wasser lost und die Losung bei konstanter 
Temperatur konzentriert. Die experimentelle Aufklarung dieser Frage ist des- 
halb sehr schwer, weil die Ausscheidung der Salze nicht sofort erfolgt, sondern 
sogenannte Cbersattigungserscheinungen eintreten. H. konnte dieser Schwie- 
rigkeiten Herr werden. Es wurde konstatiert, dafi der Druck ohne Einflufi ist, 
dafi hingegen die Temperatur eine grofie Rolle spielt. Je nach der verschiedenen 
Temperatur kommt es zur Ausscheidung der verschiedenen Salzmineralien, so 
dafi man umgekehrt aus dem Vorhandensein des einen und des andern Minerals 
auf die Temperatur zuruckschliefien kann, die seinerzeit dort geherrscht hat, 
man kann gewissermafien ein geologisches Thermometer konstruieren. 

Diese Arbeiten, welche H. zum grofien Teil auch deshalb durchgefiihrt hat, 
weil er so seinem zweiten Vaterlande, Deutschland, seinen Dank abstatten 
konnte, haben bald das grofie Interesse nicht nur der gelehrten Mineralogen 
und Geologen, sondern auch der mit diesem Wissenszweig beschaftigten Tech- 
niker erregt, und es kam zur Griindung des Verbandes zur wissenschaftlichen 
Erforschung'deutscher Kalisalzlagerstatten, dessen erste erfolgreiche Tatigkeit 
H. noch mitansehen konnte. 

Das letzte grofie Problem, das H. beschaftigte, war das Studium der syn- 
thetischen Enzymwirkung vom Standpunkte der Thermodynamik. Zur An- 
stellung der Experimente hatte H. ein kleines Versuchslaboratorium auf der 
kaiserlichen Domane in Dahlem erbaut. Allein der unerbittliche Tod hat ihm 
den Triumph nicht gegonnt, dieses Werk zuende zu fiihren. 

Fassen wir H.s Wirken, auf das naher einzugehen der knappe Raum nicht 
erlaubt, noch einmal zusammen, so konnen wir sagen, dafi jedes einzelne seiner 
Meisterwerke, die Begrundung der Stereochemie, die Lehre von der Reaktions- 
geschwindigkeit und vom beweglichen Gleichgewicht, endlich die Theorie der 
verdiinnten Losungen, allein geniigt hatte, seinem Namen die Unsterblichkeit 
zu sichern. Wir konnen seine Tatigkeit nicht klarer prazisieren als durch die 
Worte, die seine Schuler ihm unter das Bild setzten, welches sie ihm nach seiner 

Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. '3 



Iqa Van 't Hoff. Eppinger. 

Ernennung zum Ehrenmitglied der deutschen Chemischen Gesellschaft iiber - 
reichten: Physicam chemiae adiunxit. 

Literatur: Ernst Cohen: Jacobus Hcnricus van *t Hoff, scin Lcben und Wirken. Leipzig 
19 1 2. Dort alle erforderlichen Literaturangaben und mehrere Bilder. 

Wien. Dr. Ernst Zerner. 

Eppinger, Karl, Dr. } osterreichischer Politiker, * 6. Januar 1853 in Braunau 
in Bohmen, f ! 5- J ul i x 9 ri in Salzburg. — »Ich, Karl E., bin am 6. Janner 
1853 als sechstes und letztes Kind aus der Ehe meines Vaters Heinrich Vin- 
zenz E., k. k. Notar in Braunau i. B., mit meiner Mutter Albina zu Braunau i. B. 
geboren worden, besuchte die Volksschule und das Untergymnasium 
meiner Vaterstadt, frequentierte sodann in den Jahren 1866 bis 1870 das Ober- 
gymnasium in Prag auf der Kleinseite, bezog im Oktober 1870 die Prager Uni- 
versitat, an welcher ich die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien im 
Juli 1874 absolvierte und erwarb am 16. Oktober 1877 den Grad eines Doktors 
samtlicher Rechte an der Prager Universitat.« Mit diesen Worten leitete E. 
eine Chronik seiner Familie ein, die leider unvollendet geblieben ist. Er wirkte 
als Konzipient bei seinem altesten Bruder in seiner Vaterstadt, absolvierte die 
vorgeschriebene Gerichtspraxis bei dem Kreisgerichte in Koniggratz und wurde 
am 9. November 188 1 in die Liste der Advokaten mit dem Amtssitze in Niemes 
eingetragen. Da Dr. Karl E. auch seiner Militardienstpflicht in einem Prager 
Regimente Genuge leistete, verlebte er seine ganze Jugend im Konigreiche 
Bohmen, zu dessen vielgenanntem Politiker er spater werden soilte. In Niemes 
gelang es Dr. E. nicht nur, eine ausgedehnte und eintragliche Advokaturs- 
praxis zu erwerben, sondern auch die Blicke seiner deutschen Landsleute auf 
sich zu Ziehen. Von frtih auf bestrebt, fiir das allgemeine Wohl zu wirken, brachte 
er den offentlichen Vorgangen reges Interesse entgegen. Dabei leitete ihn 
mehr das Pflichtgefuhl als der Ehrgeiz. So kam es, dafl er nicht pfeilgeschwind 
in die Hohe stieg, sondern allmahlich von Posten zu Posten vorruckte. Im 
Jahre 1883 wurde er in den Ortsschulrat von Niemes gewahlt, in dem er ver- 
dienstlich tatig war. Das Jahr 1890 brachte Dr. Karl E. ein Gemeinderats- 
mandat; bald nachher wurde er Mitglied des Stadtrates von Niemes. Dort 
gehorte er der Rechts- und Finanzsektion an und entfaltete eine reiche Arbeit- 
samkeit, die seine Begabung und Uneigenniitzigkeit in das beste Licht riickte. 
Deshalb wurde er im Jahre 1896 in die Bezirksvertretung entsandt; vorher aber, 
im November 1895, war er bereits zum Landtagsabgeordneten von Niemes und 
Zwickau gewahlt worden. 

Das Vertrauen, das sich Dr. E. im kleinen Kreise erworben hatte, wurde 
noch gesteigert, als er auf einem groBeren Felde schaffen konnte. Im bohmi- 
schen Landtage zog E. schnell die Aufmerksamkeit seiner deutschen Kollegen 
auf sich, und auch die Tschechen lernten in ihm einen durch Wissen, Ruhe 
und Sachlichkeit ausgezeichneten Gegner kennen. So gewohnte man sich denn 
allgemach, in Dr. Karl E. den kiinftigen Fiihrer der deutschen Fortschritts- 
partei in BShmen zu sehen. Zeiten voll schwerer Kampfe kamen iiber Oster- 
reich; die Deutschen mufiten all die Leiden durchmachen, die Graf Badeni mit 
seinen Sprachenverordnungen vom Jahre 1897 iiber sie heraufbeschworen hatte. 
In diesen Tagen der Not bewahrte sich E. aufierordentlich. Dr. Schlesinger, 
der erprobte Fiihrer der Deutschfortschrittlichen, hatte im Verein mit Dr. E. 



I Eppinger. 1 95 

I 

p und den iibrigen deutschen Abgeordneten im bohmischen Landtage einen 

Antrag eingebracht, der die Aufhebung der Badenischen Sprachenverordnungen 

entschieden verlangte. Da das Parteioberhaupt erkrankt war, erhielt Dr. Karl E. 

den ehrenden Auftrag, die Forderung zu begriinden. Er tat dies am 21. Januar 

1898 in einer Rede, die — wie die »Bohemia« schrieb — durch ihre auBerordent- 

lich klare und meisterhafte Behandlung des Problems »nicht nur samtliche 

deutschen Abgeordneten zu lebhaften Beifallsauflerungen hinrifi*, sondern auch 

einem hervorragenden nationalen Gegner, dem Abgeordneten Kaizl, die Aner- 

kennung entlockte, daB sich Dr. Karl E. als der »gefahrlichste« Bekampfer des 

tschechischen Standpunktes erwiesen habe. Wohl hatten die Ausfuhrungen 

keinen unmittelbaren sachlichen Erfolg; aber dem Redner war ein Meisterstiick 

gegllickt, und er stand nun in der vordersten Reihe seiner Parteifreunde. Nach 

dem Tode Dr. Schlesingers ging die Fuhrerschaft auf E. uber; am 3. November 

1901 erfolgte seine Wahl zum Obmann der deutschfortschrittlichen Landtags- 

abgeordneten von Bohmen. Da Dr. E. noch immer in Niemes wohnte, ergaben 

sich bei der Leitung der Parteigeschafte vielfache Schwierigkeiten. Deshalb 

traten die Gesinnungsfreunde an ihn mit der Bitte heran, das Opfer einer Ober- 

siedlung zu bringen und in Prag standig Aufenthalt zu nehmen. Fur den viel- 

beschaftigten Advokaten war es kein leichter Entschlufl, dem Wunsche Folge 

zu leisten. Als Dr. Karl E. aber im Juli 1902 auch zum Beisitzer des Landes- 

ausschusses im Konigreich Bohmen gewahlt wurde, vollzog er seine Wohnungs- 

anderung. Er verlegte seine Kanzlei nach Prag, wo er als Vertreter mehrerer 

deutscher Kreditinstitute wirkte. 

Nun konnte er sich im Zentrum der bohmischen Politik mit um so grofierem 

Eifer dem Dienste fur die Offentlichkeit widmen. Das Amt eines Partei- 

fuhrers faBte Dr. Karl E. nicht als einen Ruheposten auf; er bemuhte sich 

vielmehr, der deutschen Fortschrittspartei neues Leben einzuhauchen. An 

den Beratungen des Landtages nahm E. fleiflig teil; seine Haupttatigkeit wurde 

jedoch durch die Geschafte des Landesausschusses in Anspruch genommen. 

Er hatte die Leitung des siebenten Departements inne, dem das gesamte Landes- 

1 finanzwesen unterstellt war. Ferner muBte er sich mit der Verwaltung des 

Feuerwehrfonds und der Zwangs- und Besserungsanstalten beschaftigen. 
Auflerdem iibte Dr. E. das Amt eines Intendanten des deutschen Landes- 
theaters aus. Die Aufgaben, die des Landesfinanzreferenten in Bohmen harrten, 
waren nicht gering. 1st es an sich schon schwer, sich mit der verwickelten Materie 
des Finanzwesens vertraut zu machen, so wird die Position im Konigreiche noch 
durch die besonderen nationalen Verhaltnisse erschwert. Dr. E. hatte im 
Landesausschusse blofl einen deutschen Kollegen an seiner Seite {Dr. Werunsky). 
Sonst sah er sich nur Tschechen gegeniiber. Dennoch (iberraschte Dr. E. bald 
durch seine Sachkenntnisse und durch die Geschicklichkeit, mit der er das 
Amt flihrte. Als die Deutschen im September 1908 mit der zahen Obstruktion 
im bohmischen Landtage einsetzten, wurde die Stellung des deutschen Landes- 
finanzministers recht unbequem. Dr. E. beabsichtigte, zuriickzutreten, aber 
seine Volksgenossen veranlafiten ihn, auszuharren. E. wollte in die Wirt- 
schaftsgebahrung des Kronlandes gewissenhaft Ordnung bringen. Dafi er dieses 

. Ziel nicht erreichte, war nicht seine Schuld. Hing doch die Regelung des 

' Landeshaushaltes innig mit der Finanzreform des Staates zusammen. Dr. E. 

1 konnte nicht gegen das zweifache Obel der Obstruktion in Bohmen und der 

i 13* 



I96 Eppinger. 

Arbeitsunlust im Reichsrate ankampfen. Aber selbst die Tschechen muBten 
seinen guten Willen anerkennen. 

Der Fiihrer der deutschen Fortschrittspartei in Bohmen bewarb sich 
auch um einen Sitz im Wiener Parlamente. Allein er unterlag in harten Wahl- 
kampfen gegen den deutschradikalen Politiker K. H. Wolf. Nach der 
grofien Wahlreform vom Januar 1907 wurde Dr. E. in das Herrenhaus des Reichs- 
rates berufen. Dort schlofi er sich der Verfassungspartei an, und die Wert- 
schatzung, deren er sich in Bohmen erfreute, verlieh seinen Worten im Herren- 
hause besonderes Gewicht. Erwahnt seien seine Rede vom 29. Dezember 
1 908, mit der er in die Budgetdebatte der ersten Kammer eingriff und seine 
Ausfuhrungen vom 25. Juni 19O9, in denen er sich mit den Landesfinanzen 
beschaftigte. 

E. war ein Qberzeugter Liberaler, und in den trubsten Zeiten hielt er treu 
zu seiner Partei. Als die andern die Fahnenflucht ergriffen und bei der deut- 
schen Volkspartei, bei den Schonerianern oder spater bei der Agrarpartei und 
bei den Deutschradikalen Heil suchten, wankte er nicht. Ihn erftillte vielmehr 
die Zuversicht, dafi den Deutschfortschrittlichen noch eine schone Zukunft 
bevorstehe. Auf dem ersten Parteitage, dem er als Fiihrer beiwohnte — im 
Juni 1902 — , hielt er eine Ansprache, die durch ihre prachtige Rhetorik eine 
ungewohnliche Wirkung ausloste. Von Absatz zu Absatz steigerte sich die 
Begeisterung der Versammlung, und inmitten der Rede bereiteten die Zuhorer 
dem Sprecher Ovationen von seltener Innigkeit. In groBen Zugen entrollte 
Dr. E. das Programm der Fortschrittspartei, und seinen Worten war nichts 
von Kleinmutigkeit anzumerken. Seine Oberzeugung wirkte uberzeugend. 
E. hatte den berechtigten Ruf eines vorziiglichen Sprechers, eines Mannes, 
der sein Auditorium zu fesseln verstand. Zur Volkstiimlichkeit im weitesten 
Sinne konnte er es freilich nicht bringen, weil er ein zu gewissenhafter Mensch 
war, alle Demagogie scheute und niemandem schmeichelte. Nie betrat er die 
Tribune unvorbereitet; meistens arbeitete er seine Ansprachen bis ins Detail 
aus, jeden Gedankengang wohl erwagend, jedes Wort (iberpriifend. Wahrend 
andere um die Gunst der Menge selbstvergessen buhlten, gab Dr. E. seine Wurde 
niemals preis. Folgende Szene ist fur ihn charakteristisch. Als alter Burschen- 
schafter erschien er gem unter den Prager deutschen Studenten. Einmal rief 
er in einer Festrede treuherzig aus: »Noch eines, Kommilitonen, das Wichtigste! 
Studieren Sie, werden Sie etwas, dann konnen Sie Ihrem Volke dienen! Unser 
Volk braucht keine verbummelten Studenten.« Solche Mahnungen waren die 
Jiinglinge nicht gewohnt. Mit eisiger Stille nahmen sie zuerst die Worte hin. 
Dann aber sprang ein Beherzter auf und rief: »Ja, wir wollen es!« und nun erst 
brach heller Jubel aus. Doch Dr. E. bewahrte sich nicht blofl auf der Tribune. 
Er schrieb als Politiker viele Artikel und Aufsatze, die alle Sachlichkeit, Ernst 
und doch eine gefallige Form als Merkmal haben. 

Der deutsch-bohmische Parteifiihrer war natiirlich von den nationalen 
Kampfen seines Heimatlandes ganz ergriffen. In Dr. E. besafien die deutschen 
Burger einen treuen, unverzagten Anwalt, einen Kampfer ohne Furcht und 
Tadel. Dennoch gehorte er nicht zu den Fanatikern des Hasses, nahm er die 
Bestrebungen, die den Frieden in Bohmen herbeifiihren sollten, immer ernst. 
Als sein Programm konnte gelten, was er an Forderungen auf dem deutsch- 
fortschrittlichen Parteitag zu Leipa im Oktober 1900 entwickelte. »Wir wollen 



Eppinger. 1 97 

vor allem« — sagte er — »eine nationale Abgrenzung der Gerichtssprengel, so 
dafi, abgesehen von einigen ganz geringfugigen Ausnahmen, jedem Gerichts- 
sprengel nur Gemeinden ein und derselben Nationalist zugeteilt werden, und 
dafi diese gleichartig gemachten Gerichtssprengel die Grundlage fur die gleich- 
falls national abgegrenzten Verwaltungsgebiete und die Wahlbezirke abzugeben 
haben. Wir verlangen ferner die Zerlegung der obersten staatlichen Gerichts- 
und Verwaltungsbehorden im Lande in je eine deutsche und tschechische Ab- 
teilung bei gleichzei tiger Unterordnung der sprachlich abgegrenzten Verwal- 
tungsbezirke unter die ihnen korrespondierende Abteilung. Weiter verlangen 
wir eine den gegenwartigen Zeitverhaltnissen Rechnung tragende Reform der 
Wahlordnung fiir den Landtag bei gleichzeitiger Errichtung der Nationalkurien 
mit Vetorecht in nationalen Fragen.« Die autonomen Behorden im Lande 
sollten — abgesehen von der Landeshauptstadt, die als gemischtsprachig zu 
gelten hatte — die eine oder die andere Landessprache als Amts- und Ver- 
handlungssprache festsetzen und nur in dieser selbstgewahlten Sprache ver- 
kehren. Anderssprachige Eingaben miiflte der Landesausschufl unentgeltlich 
ubersetzen lassen. Bei den staatlichen Behorden sollte der Charakter der 
deutschen Sprache als der einer allgemeinstaatlichen Vermittlungssprache aus- 
drucklich anerkannt werden; im ubrigen hatte der Gedanke der nationalen 
Sonderung zur Anwendung zu kommen, so dafi bei den deutschen Gerichten nur 
deutsch, in der Landeshauptstadt samt Vororten und in den gemischten Gebieten 
dagegen in beiden Landessprachen voll kommen paritatisch zu verhandeln ware. 
E. nahm an den vielen nationalen Ausgleichsversuchen, die von den Regierungen 
Korber bis Bienerth angebahnt wurden, hervorragend teil; zuletzt war er noch 
an den Verstandigungsbemtihungen im Herbst und Winter 1910 beteiligt. Die 
Ausgleichskommission des bohmischen Landtages hatte ihn in das Komitee 
entsendet, das sich mit der Reform der Landesordnung beschaftigte. Dr. E. 
ist wohl einer der griindlichsten Kenner des ganzen Ausgleichsmaterials gewesen. 
Er wufite, was die Deutschen zum Schutze ihres nationalen Eigenlebens brauch- 
ten, und er kannte als Finanzreferent des Landesausschusses ganz besonders die 
Schaden, die der Streit der beiden Nationen dem Staate, dem Lande und den 
Volkern verursachte. Deshalb bemuhte er sich eifrig im Dienste des Friedens, 
soweit er dies ohne Nachteil fiir seine Nation tun konnte. 

Die Sache des Fortschritts besafi in E. einen Vorkampfer, der nie zauderte, 
nie allzu angstlich zuruckwich. Als Osterreich von einer machtigen Bewegung 
zugunsten des allgemeinen, gleichen Stimmrechts fiir das Parlament erfafit 
wurde, trat E. entschieden auf die Seite derer, die sich fiir das Volksstimmrecht 
einsetzten. Die Rede, die er im Dezember 1905 im Deutschen Hause in Prag 
hielt, ist fiir die Erkenntnis seines Denkens sehr lehrreich. »Nationale Riick- 
sichten allein, so meinte er, konnen fiir uns kein Hindernis sein, uns einer Stro- 
mung anzuschliefien, die wir als freiheitlich und fortschrittlich Gesinnte nur 
begriifien und fordern konnen.* Offen legte er dar, dafi das Kurienwahlrecht 
den Deutschen keinen Vorteil geboteri habe, dafi also auch das nationale Moment 
nicht herangezogen werden durfe. Half E. ehrlich mit, das Parlament auf 
demokratischer Grundlage aufzubauen, so wollte er freilich nicht zulassen, dafi 
das allgemeine, gleiche Stimmrecht in den Landtagen zur Einfuhrung gelange. 
Dabei berief er sich auf die Verhaltnisse in Deutschland und auf die besonderen 
Aufgaben der 6sterreichischen Landtage. Bei keiner Gelegenheit versaumte er 



Ig8 Eppinger. Schewitsch-Racowitza. 

jedoch, daran zu erinnern, dafi es fur die Landesparlamente nicht angehe, bei 
ihrer Exklusivitat zu beharren. Sie miifiten, betonte er, in einer allgemeinen 
Wahlerklasse all denen das Stimmrecht gewahren, die bisher auf die Landes- 
politik ohne EinfluO geblieben seien. 

Ganz plotzlich, wie es sich Dr. E. einmal in einem Gesprache mit einem 
Bekannten gewunscht hatte, wurde er vom Tode ereilt. Auf dem Salzburger 
Bahnhofe brach er am 15. Juli 191 1 um 10 Uhr nachts zusammen; ein Schlag 
hatte ihn niedergestreckt, eben als er den Zug besteigen wollte, der ihn nach 
Wien zu einer Parteisitzung bringen sollte. Ein selbstloser, gewissenhafter 
Politiker, ein kraftvoller, arbeitsamer Mann, ein treuer Sohn des deutschen 
Volkes und ein fortschrittlich denkender Mensch: das ist Dr. E. immer gewesen. 
Er war kein Sturmer und Dranger — in keiner Hinsicht; er erwog, er iiberlegte. 
Aus dem burgerlichen Milieu stammend, vertrat er zuerst die Interessen des 
Burgertums, ohne fur die sozialen Kampfe der unteren Schichten teilnahmslos 
zu sein. Aber der biirgerliche Zug in seiner Politik und die Ablehnung des 
phrasenhaften Radikalismus hinderten ihn, zum Fuhrer der breiten Massen zu 
werden, uneingeschrankte Popularitat zu erlangen. Dr. E. hatte jedoch seinen 
Anhang und ubte auf die deutsch-bohmische Politik einen starken Einflufi aus. 
Der Nachfolger Dr. Schmeykals und Dr. Schlesingers war seiner Vorganger 
wiirdig, ihnen in vieler Hinsicht ahnlich. 

E. hatte sich im Jahre 1882 vermahlt; nach I7jahriger glticklicher Ehe 
starb seine Gattin. Vier Tochter und zwei Sohne entstammten dem Bunde. 

Als Quellen wurden die von der Familie Dr. E.s freundlichst zur Verfugung gestellten 
Aufzeichnungen, dann die deutsch-bohmischen Zeitungen und die Protokolle des bohmischen 
Landtages und des bsterreichischen Herrenhauses benutzt. 

Richard Charmatz. 

Schewitsch (Racowitza), Helene v., geb. v. Donniges, * 21. Marz 1845 zu 
Mtinchen, f I- Oktober 191 1 daselbst. — In ihren Glanztagen eine fast in ganz 
Europa gefeierte und vergotterte goldhaarige Schonheit, dann vorzeitig ver- 
gessen, bis sie nach schweren korperlichen und seelischen Leiden der Tragodie 
ihres Lebens selbst ein Ende setzte. Ihr Vater Wilhelm v. D. (f als kgl. baye- 
rischer aufierordentlicher Gesandter zu Rom am 4. Januar 1872 an den Blattern), 
der »dieGlutidee derTrias« zlindend indie Welt schleuderte, einige Jahre hindurch 
der vertraute Ratgeber des Konigs Max II. von Bayern, hatte die Berufungen 
auswartiger Gelehrter und Dichter nach Miinchen veranlafit. Mit ihm war seine 
geistvolle Frau Franziska (f am 8. Marz 1882 zu Rom) der gesellschaftlicheMittel- 
punkt der geistigen Koryphaen Miinchens zu jener Zeit. 1857 wurde der Vater 
als Gesandter nach Turin berufen. Als zwolfjahriges fruhreifes Kind nahm das 
»rote Nixlein«, um dessen Erziehung sich die Eltern blutwenig bekummerten, 
an den farbigen Festen der Erw r achsenen teil und wurde von ihrer Mutter in 
unbegreiflicher Verblendung mit einem 42 jahrigen Festungskommandanten 
aus Alessandria verlobt. Doch verabschiedete Helene ein paar Jahre darauf 
den alternden Brautigam, als sie im »Sonnen-Jugendrausch« der ersten Liebe 
zu einem russischen Offizier schwelgte. Diesem Erlebnis war ein anderthalb- 
jahriger Aufenthalt bei ihrer Grofimutter in Berlin zu Bildungszwecken voraus- 
gegangen. Sie lernte leicht und spielend fremde Sprachen (Franzosisch, Eng- 
lisch, Italienisch und Russisch) und empfing auch Unterricht im Deutschen, 



Schewitsch-Racowitza. 1 99 

in der Literatur und in der Musik. Doch niemand zugelte ihre ausschweifende 
Phantasie und lenkte ihre grofle Willensschwache in die rechten Bahnen. Schon 
damals befestigte sich in ihr die Idee der »Manngleichheit im Liebesrecht des 
Weibes*. 

Nach kurzem Aufenthalt in Nizza setzte sie 1862 ihre Studien in Berlin 
wieder fort. Ihre wunderbare Schonheit und ihre geistspriihende Lebhaftigkeit 
bezauberten die Mannerwelt. Ein junger rumanischer Student aus »fiirstlichem 
GebliiU, Yanco v. Racowitza, bewirbt sich ernsthaft um sie. Ihrem »Mohren- 
pagen«, wie sie ihn nannte, bleibt sie freundschaftlich zugetan. Doch seine 
Gestalt verblafit, als der 39 jahrige Lassalle in ihr Leben tritt. Die Geschichte 
dieses kurzen, jah endenden Liebestraumes erzahlt sie selbst mit seltenem Frei- 
mut in dem Buche »Meine Beziehungen zu Ferdinand Lassalle« (1879). Schon die 
erste Begegnung entschied iiber das Schicksal der beiden. »Aug' in Aug' standen 
sie regungslos einander gegeniiber wie Tristan und Isoldes Die Einwilligung der 
El tern Helenens zur ehelichen Verbindung glaubte der sorglose Agitator leicht 
erringen zu konnen. In Genf, wo ihr Vater damals als Gesandter weilte, ent- 
deckte sich Helene dem Elternpaar und entfesselte dadurch wahre Wutaus- 
briiche des jahzornigen Vaters. Der Antrag des Freiers wird unter rohen Be- 
schimpfungen abgelehnt, Helene von dem tobenden, mit einem Hirschfanger 
bewaffneten Vater an den Haaren nach Hause geschleift und dort Wochen lang 
wie eine Gefangene gehalten. Der korperlich und seelisch Gebrochenen diktiert 
der eigene Vater einen emporenden Absagebrief an Lassalle. Der schwer ge- 
krankte Freier fordert D. zum Zweikampf; Racowitza tritt fiir diesen in die 
Schranken. Lassalle wird todlich getroffen und stirbt am 31. August 1864. 

Helene bezeichnet den Vater offen als den Morder ihres Geliebten. Durch 
jenen war der harmlose Yanco zum Duell gezwungen worden. Eine vollige 
Apathie hatte sich der Armsten bemachtigt, und sie verlebte »Schreckens- 
monate« bei den ihr nun ganzlich verhafiten Eltern. Daher widerstand sie dem 
Werben Yancos nicht langer und vermahlte sich im Friihjahr 1865 mit ihm, dem 
Morder Lassalles, dem »dennoch Unschuldigen«. Diesen psychologisch hochst 
befremdlichen Schritt sucht sie durch ihre innere und aufiere Haltlosigkeit zu 
erklaren. Der brustkranke Yanco starb schon am 12. Dezember des gleichen 
Jahres zu Bologna, ohne ihr auch nur das Geringste von seinen groflen Reich- 
tiimern zu hinterlassen. In ihren auch stilistisch vortrefflichen Memoiren 
»Von anderen und mir« (1909) zeichnet sie mit riickhaltloser Offenheit die ver- 
schiedenen Stufen ihres abenteuerlichen Lebensganges. Nach Yancos Tode 
fuhlte sie sich »vogelfrei«, ohne Halt an der Familie, von der sie sich losgesagt 
hatte. »Bei dieser Leere in mir, dieser Abgestorbenheit jedes wahren Gefiihls, 
ein nicht zu unterdriickendes Temperament, das auf alle Sinneseindriicke auf 
das starkste reagierte; ein Fahrzeug auf dem Meere des Lebens — alien Sturmen 
preisgegeben, ohne Steuermann.« Bei manchen Einzelheiten, die sie von ihrem 
Leben berichtet, scheint Wahrheit und Dichtung ineinanderzufliefien. In 
Nizza sucht man sie fiir die Plane der Jesuiten, in Berlin als diplomatische Agen- 
tin Bismarcks vergeblich zu gewinnen. In der preufiischen Hauptstadt bereitete 
sie sich auf ihre zukunftige Biihnenlaufbahn vor und fand in Spielhagen, Auer- 
bach, Rodenberg und namentlich in Paul Lindau verstandnisvolle Freunde. 
1868 vermahlte sie sich mit dem Schauspieler Siegwart Friedmann, dem hoch- 
begabten Schiiler Dawisons. Im Hoftheater zu Schwerin errang sie als Maria 



200 Schcwitsch-Racowitza. 

Stuart, Grafin Orsina und in andern ahnlichen Rollen bedeutende Buhnen- 
erfolge. Aber auch in Wien und auf ausgedehnten Gastspielreisen feierte sie 
infolge ihres temperamentvollen Spiels und ihrer rassigen Schonheit groGe 
Triumphe. Nach funfjahriger Ehe wollte sie sich von Friedmann scheiden 
lassen und erfuhr dabei, daC ihre Ehe staatsrechtlich ungultig gewesen sei. Doch 
blieb ihr ehemaliger Gatte einer ihrer treuesten Freunde. 

Wiederum stand sie fast vollig mittellos in der Welt. Ihre bescheidenen 
Einkunfte als Schauspielerin boten dem friih verwohnten Gluckskinde wenig- 
stens das Notdtirftigste zum Leben. Dabei war sie von einem heifien Gliicks- 
hunger erfiillt, von einem sonnigen, leichten Sinn. »Herzenssucherin« nannten 
sie oft ihre vertrautesten Freunde. In Wien verdankte sie reiche Forderung 
ihres Talents dem Verkehr mit Heinrich Laube. Schatzbare Anregungen gaben 
ihr auch Sonnenthal, Wilbrandt, Scaria, Makart u. a. Zu dem Verstehen fur 
Menschen und Menschliches verhalfen ihr — nach ihrem eigenen Bekenntnis — 
damals Richard Wagners Tonschopfungen am meisten. In Kissingen lernte sie 
ihren nachmaligen Gatten Serge v. Schewitsch kennen, einen »iiberzeugtesten 
Sozialisten«, der auch in der Literatur von Deutschland, Frankreich, RuBland, 
England und Italien sehr gut beschlagen war. Ihn traf sie auch wieder in 
Petersburg, wohin sie zur Kraftigung ihrer erschutterten Gesundheit gegangen 
war. Hier umwogte sie das eigenartige skrupellose Leben der russischen hoheren 
Gesellschaftskreise, das sie spater in zwei Romanen vortrefflich abkonterfeite. 
Der erste, »Grafin Vera« (1882), schildert in spannender Weise und mit leiden- 
schaftlicher Empfindung die Enttauschungen einer ideal veranlagten Frauen- 
natur, die um ihres Liebsten willen Gatten und Kind verlafit und in schweren 
Herzenskampfen ihre Schuld buflen mufl. Nicht wenige personliche Erlebnisse 
wob Helene v. Sch. hier und in ihren andern (umfanglicheren) Roman hinein, 
»Ererbtes Blut« (1892). Voll Unbefangenheit schlagt sie auch hier das Thema 
von der freien Liebe an. Der erste Teil des Romans spielt zumeist in Peters- 
burg, der zweite in Paris, Mtinchen und Amerika, und die Heldin dieses Ab- 
schnittes, Tamara, tragt mehrfache Ztige von Helene, wahrend in dem Maler 
Franz Rolander zweifellos Franz v. Lenbach portratiert ist. 

Mit Serge versuchte sie nun ihr Heil in Amerika. Am 1. Marz 1877 kamen 
beide in New York an. Schewitsch trat in den Redaktionsverband der New 
Yorker Zeitung »World«; auch ward er mit der Zeit einer der bekanntesten 
Volksredner in der Union. Helene gab in den ersten Jahren ihres Aufenthaltes 
jeden Winter und Friihling langere Gastspiele an den deutschen Theatern des 
Westens, namentlich in San Franzisko. Spater widmete sie sich der Schrift- 
stellerei. Ihr schon erwahnter Roman »Grafin Vera« erschien zuerst im New 
Yorker »Puck«. Sie wurde auch standige Mitarbeiterin der St. Louis »West- 
lichen Post* und Theaterkritikerin der »New Yorker Volkszeitung«. 

Eine Russin Helena Petrowna Blawatzki gab ihrem Dasein neues Interesse, 
indem sie ihr die uralteWeisheitslehre der Inder mnter dem neuen Gewande der 
Theosophie« uberlieferte. Ausfiihrlich erzahlt Helene v. Sch. davon in dem 
Buche »Wie ich mein Selbst fand«. Als Frucht ihrer theosophischen Studien 
erschienen noch 1904 »Praktisch-theosophische Winke von einer Okkultistin«. 
An der New Yorker Frauenuniversitat warf sie sich nun vier Jahre lang mit 
groCtem Eifer auf das Studium der Medizin. Doch unmittelbar vor der Pro- 
motion befiel sie eine monatelange Krankheit. Schweren Herzens muflte sie 



Schewitsch-Racowitza. Frescnius. 20 1 

nun ihrer Lieblingsidee entsagen; allein sie laCt dieselbe im Schlufikapitel des 
Romans »Ererbtes Blut« zur holden Wirklichkeit aufspriefien. 

Im Fruhling 1890 kehrten die beiden v. Sch. nach Europa zuriick und 
erwahlten Riga als Wohnort. Aber im September 1891 muflte sich Helene in 
Berlin einer lebensgefahrliehen Operation unterziehen und blieb fortan eine 
»sieche Frau«. Da der Zar Serge v. Sch. wieder in all seine Vermogensrechte 
eingesetzt hatte, verbrachte das Ehepaar die folgenden sechs Jahre grofitenteils 
auf Reisen in der Schweiz und Italien. Nur der Herbst fiihrte es meist nach 
Munchen zuriick, das von 1897 an ihr standiger Aufenthaltsort ward. v. Sch. 
beteiligte sich zuerst an der Herausgabe des »Simplizissimus«. Dann loste er 
das Verhaltnis zum Verlag. Er schrieb (unter anderem Namen) erfolgreiche 
Dramen, ferner fur grofie Zeitungen Novellen und politische Artikel. 

Die Freundschaft mit Bjornson, mit Helene Bohlau und andern bedeuten- 
den Menschen waren noch Lichtblicke im letzten Jahrzehnt ihres sturmbe- 
wegten Daseins. 

Allmahlich wurde es einsamer um die beiden Gatten, und die bittere Not 
klopfte zuletzt oft an ihre Tur. Ende September starb v. Sch. Scherzend hatte 
einst Lassalle sein »Goldfiichslein«, wie er Helene nannte, gefragt, was sie tun 
wurde, wenn er zum Tode verurteilt wurde. Ohne langes Besinnes hatte sie 
damals erwidert: »Ich wurde Gift nehmen.« Nun, nach dem Hinscheiden ihres 
Gatten v. Sch., schien ihr auch kein anderer Ausweg offen; darum nahm sie 
den erlosenden Todestrank. Am 3. Oktober 191 1 wurde sie auf dem Munchener 
Ostfriedhofe in der denkbar einfachsten Weise in einem armlichen Grabe neben 
ihrem Gatten bestattet. Nur wenige Personen gaben ihr das letzte Geleite. 
Eine ergreifende Lebenstragodie war zu Ende gegangen. 

Dr. A. D r e y e r. 

Fresenius, August, Dichter und Obersetzer, * 5. Marz 1834 zu Frankfurt 
a. M., f 3. Juli 191 1 zu Munchen. — Nach dem friihen Tode der Eltern widmete 
sich F. dem kaufmannischen Berufe, der ihm jedoch gar nicht zusagte. Daher 
betrieb er 1859 an den Universitaten zu Munchen und Heidelberg das Studium 
der deutschen und franzosischen Literatur. Wahrend seines achtjahrigen Auf- 
enthaltes in Paris (von i860 bis 1867) versenkte er sich in die franzosische 
Sprache und Literatur, namentlich in die Werke Moli&res und der neueren 
franzosischen Lustspieldichter. Schon 1862 verdeutschte er zwei heitere fran- 
zosische Einakter aufs beste: »Der Roman einer Stunde« von Francois Benoit 
Hoffmann und »Die beiden Witwen« von F&icien Mallefille. 1868 nahm er seinen 
standigen Wohnsitz in Munchen und lebte hier seiner schriftstellerischen Tatig- 
keit, als Mitarbeiter von Zeitschriften, wie der nur kurz bestehenden »Pro- 
pylaen«, und insbesondere als gewandter und geistvoller Verdeutscher fran- 
zosischer Lustspiele und Possen. Von Eugfene Labiche iibertrug er vier wirk- 
same Schwanke: »Ein gefahrlicher Freund« (1870), »Die Hohle des Lowen«, »Die 
Lebensretter«, »Das Hebe Ich«. Das crste dieser Stiicke fand bei seiner Urauf- 
fuhruiig im Wiener Burgtheater 1869 verdienten Beifall. Diese und seine fol- 
genden tJbersetzungen spiegeln vortrefflich den blendenden Esprit und tandeln- 
den Humor der franzosischen Originale. Auf Fs.' Talent wurde auch Konig 
Ludwig II. von Bayern aufmerksam, der damals in seiner beginnenden Men- 
schenscheu den Entschlufi faflte, erlesene dramatische Werke in eigenen Auf- 



202 Fresenius. Zipperer. 

fuhrungen zu genieBen. Den Reigen dieser Vorstellungen, die fast bis zum Tode 
des ungliicklichen Monarchen wahrten, eroffnete am 20. Mai 1871 ein grazioses 
Lustspiel des alteren Dumas »Eine Heirat unter Ludwig XV.« in wohl- 
gelungener Obertragung von F. Von diesen Separataufftihrungen erzahlt F. 
in einer farbigen Studie in der Beilage zur Allg. Ztg. (1893, Nr. 95 — 98). Wie 
von seinen »Hofdichtern« (Herm. v. Schmid und K. v. Heigel), verlangte Lud- 
wig II. auch von dem Obersetzer F. strengste Befolgung mancher von ihm 
vorgeschriebenen szenischen Anordnungen. Von historischen Dramen, die F. 
ubersetzte, seien noch genannt: »Das Alter eines grofien Konigs« (Ludwigs XIV.) 
und »Ein Minister unter Ludwig XV.«, von den ebenfalls aus dem Franzosischen 
stammenden Lustspielen: »Allzu scharf macht schartig«, »Falsche Locken«, 
»Vollblut«, »Nach dem Ball«, »Ein schlimmer Handel« u. a. m. In stark vorge- 
riicktem Alter iibernahm er noch das Amt eines Dramaturgen am Munchener 
Volkstheater und erwarb sich hier durch liebevolle Einstudierung alterer, langst 
vom Repertoire der Biihnen abgesetzter Stucke (z. B. von Halms »Sohn der 
Wildnis«), namentlich aber durch die ebenso pietatvolle als dramatisch liberaus 
geschickte Neubearbeitung des Trauerspiels »Evchen Humbrecht« von H. L. 
Wagner, das bei seiner ersten Neuauffuhrung im Munchener Volkstheater Ende 
April 1904 tiefen Eindruck hervorrief. 

In den letzten Jahren seines Lebens zog sich F. von der Aufienwelt fast 
ganz zuriick und fiihrte das Dasein eines merkwiirdigen Sonderlings. Seine 
Leiche wurde von Miinchen zur Einascherung in das Krematorium nach Ulm 
uberfuhrt. Dr. A. D r e y e r. 

Zipperer, Wilhelm, Oberstudienrat und Rektor des humanistischen Gym- 
nasiums in Wurzburg, altbayerischer Mundartdichter, * 18. Dezember 1847 in 
Miinchen, f 9. Oktober 191 1 in Wurzburg. Er war der Sohn des bekannten 
Munchener Buchhandlers und Antiquars Paul Z. Nach beendigtem humanisti- 
schen Studium widmete er sich an der Universitat seiner Vaterstadt zunachst 
dem Studium der Theologie, doch ging er bald zur klassischen Philologie iiber. 
Dank seinem ungewohnlichen Gedachtnisse eignete er sich griindliche Fach- 
bildung an, daneben aber auch eingehende literarhistorische Kenntnisse, die er 
durch spatere eifrige Studien noch erheblich erweiterte. 1873 bestand er als 
erster den Staatskonkurs und wurde kurz darauf als Lehramtsassistent an die 
Studienanstalt Wurzburg berufen. 1875 promovierte er in Wurzburg mit der 
Abhandlung »De Euripidis Phoenissarum versibus suspectis et inter polatis«. Im 
August des gleichen Jahres erhielt er ein Reisestipendium von 1200 Gulden zum 
Besuche der archaologischen Institute in Rom und Athen. 

Nach seiner Ruckkehr war er wieder am Neuen Gymnasium in Wurzburg 
als Lehrer und Professor tatig. 1898 wurde er zum Rektor des Gymnasiums 
in Munnerstadt (Unterfranken) ernannt, 1905 in gleicher Eigenschaft an das 
Neue Gymnasium in Wurzburg versetzt. Als Lehrer verstand es Z. vortrefflich, 
anregend auf seine Schiller zu wirken; dabei hatte er aber auch ein feines Emp- 
finden fur die soziale Aufgabe seines Berufes. Schon als Schulvorstand in Mun- 
nerstadt sah er an Sonn- und Feiertagen haufig armere Studenten als Gaste bei 
sich und fiihrte sie auch ins Theater. Auch in Wurzburg verwendete er einen 
Teil seines Einkommens zur werktatigen Hilfe fur unbemittelte Schuler. Als 
ihn 1906 in der zweiten bayerischen Standekammer ein Abgeordneter wegen 



Zipperer. Riehl. 203 

angeblicher bureaukratischer Verordnungen gegen die Gymnasiasten heftig 
angriff, da ruhmte ihn der damalige Kultusminister Wehner als eine »ganz vor- 
treffliche Kraft«, als »einen wahren Vater seiner Schiiler in und auCerhalb der 
Schule«. Im Mai 1907 veranstaltete Z. in Wurzburg eine in schauspielerischer 
und musikalischer Hinsicht wohlgelungene Schulerauffiihrung von Sophokles' 
»Antigone«, ein wirkliches »Ereignis« fiir die Metropole Frankens. 

Ein durchaus glaubiger Christ, warZ. trotzdem keinFreund des»politischen« 
Katholizismus, und hielt sich auch zeitlebens von dem politischen Parteigetriebe 
fern. Als unentwegter Idealist gliihte er voll Begeisterung flir alles Edle und 
Schone in Kunst und Literatur; darum konnte er sich fiir die moderne Richtung 
auf diesen Gebieten nicht erwarmen. Die Bestrebungen der Volkskunde suchte 
er nach Kraften zu fordern. Trotz weiter Reisen in fast alle Kulturlander 
Europas blieb er doch ein Freund des Heimischen in Sitte, Sage und Brauch, 
voll von Bewunderung der deutschen Vergangenheit, aber auch der Er- 
rungenschaften des neuen Deutschen Reiches. Seine Liebe zur Natur und zu 
den Bergen trieb ihn alljahrlich in die bayerischen und Tiroler Alpen, und hier 
sammelte er die Stoffe zu seinen derbfrischen »Gedichten in obcrbayerischer 
Mundart«, die er 1905 veroffentlichte. Den Dialekt seiner altbayerischen Heimat 
beherrscht er meisterhaft, und die Zeichnung lebenswahrer Typen seines Volks- 
stammes gelingt ihm recht gut. Ein paarmal wendet er in diesen Gedichten — 
nach Hebels Vorbild — mit Gliick den Hexameter an. Der alpinen Sache 
brachte er reges Interesse entgegen, und er half auch die heute stolz bluhende 
Alpenvereinssektion Wurzburg mitbegrunden. Seit 1909 litt er an einem heim- 
tiickischen, sarkomartigen Obel, das seine so kraftige Natur untergrub. Am 
1. September 191 1 trat er »unter Anerkennung seiner vorziiglichen Dienst- 
leistung« in den verdienten Ruhestand; doch schon am 9. Oktober des gleichen 
Jahres erloste ihn der Tod von seinem qualvollen Leiden. Dr. A. D r e y e r. 

Riehl, Berthold, Professor der Kunstgeschichte an der Universitat Munchen, 
* 10. Juni 1858 zu Munchen, f 5. April 191 1 daselbst. In der Vollkraft der 
Jahre, inmitten aus einem arbeitfreudigen Leben, das insbesondere fiir die baye- 
rische Kunstgeschichte wertvolle Bausteine herbeitrug, entriB ihn der Tod. 
Von seinem Vater, dem von Konig Max II. von Bayern 1854 nach Munchen 
berufenen Kulturhistoriker und Novellisten Wilhelm Heinrich R., hatte er die 
Gabe geerbt, die Entwicklung und die eigenartigen Merkmale einer bestimmten 
Kulturgattung im Zusammenhang mit Land und Leuten zu erfassen und zu 
verstehen. Diese Betrachtungsweise wendete er auf das von ihm erwahlte 
Spezialfach, die Kunstgeschichte, an. Im Elternhause lernte er aufier Kory- 
phaen der Wissenschaft und Dichtkunst auch die bedeutendsten Miinchener 
Meister der bildenden Kunst kennen, so vor allem Kaulbach, und mit mehreren 
derselben trat er in freundschaftliche Bcziehungen. Von den alteren Kiinstlern, 
die zum Aufschwung der bayerischen Hauptstadt das Ihre redlich beitrugen, 
erzahlte ihm der geistvolle, kunstfreudige Vater, der auf den Werdegang des 
Knaben und Jiinglings bedeutsamen EinfluC ausubte. Nach Vollendung der 
humanistischen und Hochschulstudien promovierte R. an der Miinchener Uni- 
versitat mit der Abhandlung »St. Michael und St. Georg in der bildenden Kunst« 
(1883), worin er einen Zusammenhang fiir die bildliche Gestaltung des Drachen 
mit der romisch-griechischen Kunst entschieden abweist. Schon im nachsten 



204 



Riehl. 



Jahre habilitierte er sich an der Universitat seiner Heimatstadt mit der kraftvoll- 
eigenartigen Studie uber die »Geschichte des Sittenbildes in der deutschen Kunst 
bis zum Tode Pieter Brueghel des Alteren«, die nicht allein schatzbare, licht- 
volle Einblicke in die ersten unscheinbaren Anfange dieser langsam erwachsenen 
Kunstgattung und in ihr Emporbliihen vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert, 
sondern auch in das Volks- und Kulturleben dieser Zeitabschnitte eroffnet. 
Zwar vertieft er sich auch ferner noch mit voller Seele in bemerkenswerte Ent- 
wicklungsstufen der deutschen Kunstgeschichte; allein viel haufiger drangt es 
ihn, die frlihesten Spuren und die allmahlichen Fortschritte der bayerischen 
Kunst in scharfe Beleuchtung zu riicken. Sein erstes Werk auf diesem Gebiete, 
»Die altesten Denkmale der bayerischen Malerei« (1885) , spricht auch das Ziel 
seiner kunftigen Forschertatigkeit aus: die Kunst des bayerischen Stammes 
in ihrem eigenartigen Charakter, in ihrem Zusammenhange mit dem Wesen des 
deutschen Volkes zu erforschen und darzustellen. Eine Erganzung zu diesem 
Buche bildet sein Werk »Denkmale fruhmittelalterlicher Baukunst in Bayern, 
Bayerisch-Schwaben und der Pfalz« (1888). Hier weist er auf den innigen Zu- 
sammenhang der Baukunst und ihrer Entwicklung mit Land und Leuten hin. 
Der einheitliche Charakter der Kunstdenkmale eines Stammes ist einerseits in 
der Art des Landes und dem Volkscharakter, anderseits in geschichtlichen und 
kunstgeschichtlichen Verhaltnissen begrundet. Zum ersten Male werden hier auch 
die auswartigen Einfliisse auf die bayerische Baukunst gebiihrend benick- 
sichtigt. Zu Reproduktionen von Gemalden von Dlirer und Wohlgemut von 
Sigmund Soldan (1887) schrieb R. die verstandnisvolle Erlauterung. 1887 
ward er auch als Dozent fur Kunstgeschichte und Asthetik an die Akademie 
der bildenden Kiinste in Mlinchen berufen. 1890 wurde er zum aufierordent- 
lichen und 1896 zum ordentlichen Professor der Kunstgeschichte an der Uni- 
versitat Mlinchen ernannt. Im Jahre 1894 vermahlte er sich mit Marie Petri 
aus Kassel, und dieser Ehe entsprofl eine Tochter (Berta). Reisen in Italien hatten 
seinen Blick fur die charakteristischen Merkmale der alteren und neueren 
Kunstdenkmaler gescharft, und auf zahlreichen Wanderungen studierte er aufs 
grundlichste die Erzeugnisse bayerischen Kunstsinnes in Dorfern, Markten und 
Stadten. Im Juni 1887 ordnete das bayerische Kultusministerium die Inven- 
tarisierung samtlicher offentlicher Kunstdenkmaler an und betraute vor allem R. 
mit dieser Aufgabe. Seine eingehende Durchforschung gait zunachst demKreise 
Oberbayern. Alle Orte mit Kirchen wurden hier besucht, alle Beschreibungen 
an Ort und Stelle vorgenommen, desgleichen auch verschiedene photographische 
Aufnahmen. Als Frucht dieser miihsamen Arbeit veroffentlichte R. 1893 im 
Verein mit Gustav v. Bezold »Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirks Ober- 
bayerns (vom n. bis 18. Jahrhundert)«. Dadurch wurde ein weites, von der 
Kunstforschung bisher wenig beachtetes Gebiet allgemein bekannt gemacht. 
In Nachahmung des Historikers K. Th. v. Heigel, der in geistspruhenden, auf 
tiefen Quellenstudien fuGenden Essays denkwiirdige geschichtliche Ereignisse 
und Personen mit sicherem Griffel zeichnete, suchte R. das Verstandnis weiter 
Kreise fur die Kunst der Vergangenheit durch volkstumliche Vortrage, aber 
auch durch farbenfrische Aufsatze, die zumeist in der Beilage zur Allg. Ztg. 
und im >>Kunstgewerbeblatt« erschienen, zu wecken und zu fordern. Neun dieser 
Skizzen gab er 1893 unter dem Titel »Deutsche und italienische Kunstcharak- 
tere«c heraus und widmete das Buch seinen Eltern. Die Gegensatze zwischen der 



Riehl. 205 

Kunst diesseits und jenseits der Alpen und den EinfluS der einen auf die andere 
zu schildern, das schwebte ihm hier als Leitmotiv vor. In den ersten drei Essays 
iiberwiegt das historische, in den folgenden das kiinstlerische Interesse. Be- 
zeichnende Ausschnitte aus der Fruhzeit des bayerischen Kunstlebens bieten 
auch R.s Arbeiten aus den Jahren 1894 und 1895: »Die bayerische Kleinplastik 
der fruhromanischen Periode« (in Reinhardstottners »Forschungen zur Kultur- 
und Literaturgeschichte Bayerns«) und »Studien zur Geschichte der bayerischen 
Malerei des 15. Jahrhunderts« (in Bd. 49 des »Oberbayer. Archivs«). Die Ergeb- 
nisse kunsthistorischer kritischer Forschungen auf wiederholten Fufiwanderungen 
durch das Unterinntal, uber den Brenner und durch das Etschland bis Trient 
umschlieCt sein Buch »Die Kunst an der Brennerstrafie« (1898, 2. Aufl. 1908), 
ein wohlgelungener Versuch, den Kunstfreund zu bewegen, deutsche Kunst 
vor allem in deutschen Landen und nicht in Museen zu studieren. Hier nennt 
er als Aufgabe des Kunsthistorikers, den gegenseitigen internationalen An- 
regungen und deren Wirkungen nachzuspiiren, die bei der Verschiedenheit der 
Lebensbedingungen und der Ktinstlerindividualitaten auch erheblich vonein- 
anderabweichen. Seit 1898 gehorte R. auch der Munchener Akademie der 
Wissenschaften an, und in den »Abhandlungen« dieser gelehrten Gesellschaft 
erschienen schatzbare Bausteine zumeist zur bayerischen und deutschen Kunst- 
geschichte, so: »Von Diirer bis Rubens, eine geschichtliche Studie uber die 
deutsche und niederlandische Malerei des 16. Jahrhunderts« (1900); ^Geschichte 
der Stein- und Holzplastik vom 12. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts« (1902); 
»Die Munchener Plastik in der Wende des Mittelalters zur Renaissance* (1904); 
» Internationale und nationale Ziige in der Entwicklung der deutschen Kunst« 
(1906); »Studien iiber Miniaturen niederlandischer Gebetbiicher des 15. und 
16. Jahrhunderts im Bayerischen Nationalmuseum und in der Hof- und Staats- 
bibliothek zu Miinchen« (1907). Ein recht anziehendes Stadtbild vom Stand - 
punkte des Kunsthistorikers aus entwarf er in der Studie »Augsburg« (1903, 
in der Sammlung »Beruhmte Kunststatten« Nr. 22), die das Verstandnis flir 
die grofie kiinstlerische Vergangenheit der ehemaligen freien Reichsstadt wach- 
zurufen sucht. Sein letztes Werk, »Bayerns Donautal; tausend Jahre deutscher 
Kunst« (mit 72 Abbildungen) gab sein Schuler Ph. M. Halm nach R.s Tode 
mit einer tief empfundenen Biographie 191 2 heraus. Eine ungeheure Fiille des 
Stoffes ist hier zum ersten Male im Zusammenhang und in groCziigiger, vornehm- 
kunstlerischer Weise behandelt. Das Werk bildet einen der wichtigsten Bei- 
trage zur bayerischen Kunstgeschichte. 

R. verstand es meisterlich, »Leben und Wissenschaft in Einklang« zu bringen. 
Wie in seinen Schriften, so strebte er in seinen Vorlesungen nach einer klaren, 
gemeinverstandlichen Darstellung, die doch von einem leichten poetischen 
Hauche durchweht war. Das Werden und Reifen grofier Meister und Kunst- 
Werke der Vergangenheit wuCte er durch sinn- und stimmungsvolle Vergleiche 
mit dem Schaffen der Gegenwart plastisch zu veranschaulichen. Dabei hatte 
er ein scharfes Auge fiir die Eigenart alterer und neuerer Maler und Bildner und 
ein kiinstlerisches Feingefuhl fur ihre Werke, deren charakteristische Merk- 
male er aus den jeweiligen Kulturverhaltnissen zu erklaren suchte. Unbeirrt 
von der gerade herrschenden Kunstrichtung ging er seine eigenen Wege. In 
der Polemik gegen Andersmeinende hielt er sich stets maflvoll. Die allzu groBe 
»Eingemeindung« der Kunstdenkmaler in ein Museum billigte er nur dann, 



206 Riehl. HeiB. 

wenn diesen die Gefahr der Vernichtung drohte. Sein Wesen atmete wohltuende 
Schlichtheit und Herzensgute; bescheidenen Sinnes blieb er auch dann noch, 
als seinem verdienstlichen Wirken auf dem Gebiete der deutschen und besonders 
der bayerischen Kunstgeschichte stets wachsende Anerkennung folgte. 

Dr. A. D r e y e r. 

HeiB, Karl, Kreisschulinspektor und Grunder des Bayerischen Volksschul- 
lehrervereins, * 10. August 1827 zu Starnberg bei Munchen, f 18. April 191 1 
zu Niirnberg. — Als der al teste Sohn eines Lehrers erblickte H. zu Starnberg 
das Licht der Welt. Mit sieben Geschwistern verlebte er zu Vilsbiburg (Nieder- 
bayern) eine sorglose Kindheit und Jugend. Zunachst besuchte er die Latein- 
schule zu Munchen, darauf das Lehrerseminar zu Straubing und bestand 1848 
die Anstellungspriifung fur den Volksschuldienst mit bestem Erfolge. Bald 
nach seiner Anstellung als Lehrer zu Gerzen bei Vilsbiburg (185 1) vermahlte 
er sich zum ersten Male. Zwei Jahre spater wurde er als erster Lehrer nach 
Achdorf bei Landshut versetzt und wirkte dort bis 1867. Zu Beginn der sechziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte er auch die Redaktion der Bayerischen 
Schulzeitung ubernommen, die er bis zu seinem Wegzug von Achdorf beibehielt. 
Die berechtigten Klagen seiner bayerischen Kollegen iiber mangelhafte Besol- 
dung und Vorbildung gingen ihm zu Herzen, und er erkannte, dafi nur durch 
engen Zusammenschlufi der Lehrer Bayerns tatkraftige Abhilfe geschaffen 
werden konne. Am 16. August 1861 erlieO er einen Aufruf zur Grundung eines 
bayerischen Lehrervereins. Am dritten Weihnachtsfeiertage des gleichen 
Jahres wurde der Verein zu Regensburg begrundet und H. zum ersten Vor- 
sitzenden desselben gewahlt. Dem neuen Verbande traten zunachst kaum iiber 
IOO bayerische Lehrer bei, doch nach Jahresfrist war die Mitgliederzahl desselben 
bereits auf iiber 1500 und zehn Jahre darauf auf beinahe 10 000 angewachsen, 
wahrend sie jetzt das Doppelte betragt. Als Lehrervereinsvorstand entfaltete H. 
eine ebenso umsichtige wie zielbewuCte Tatigkeit, und seinem kraftigen Ein- 
treten verdankte die bayerische Lehrerschaft schon damals eine wesentliche 
soziale und materielle Forderung. 1867 wurde er als Lehrer nach Augsburg 
berufen und gehorte einige Jahre hindurch dem dortigen Gemeindekollegium 
als Mitglied an. Im gleichen Jahre wurde er auch mit der Leitung der neu- 
begrundeten Bayerischen Lehrerzeitung betraut; doch 1874 legte er dieselbe 
nieder, ebenso das Amt eine ersten Vorstands des Bayerischen Lehrervereins. 
1869 starb seine erste Gattin; 1872 vermahlte er sich zum zweiten Male, doch 
1895 wurde er wieder Witwer. Unter seiner Vorstandschaft entstand die segens- 
vollste Einrichtung des Bayerischen Lehrervereins, die Grundung eines Lehrer - 
waisenstiftes, das seither den Hinterbliebenen der Lehrer namhafte Unter - 
stiitzungen zuwendete. 1872 wurde H. als Oberlehrer an die Petersschule in 
Munchen berufen und bald darauf zum Inspektor an der Munchener Simultan- 
schule I befordert. 1878 wurde ihm die Stelle eines Kreisschulinspektors in 
Augsburg bei der Regierung von Schwaben und Neuburg ubertragen. In seinen 
verschiedenen Stellungen, als Lehrer wie als Schulaufsichtsbeamter, kam ihm 
neben einem reichen Wissen auch ein grofles padagogisches Geschick zustatten. 
Ein hochgradiges Nervenleiden zwang ihn vorzeitig, um seine Ruhestandsver- 
setzung nachzukommen, die ihm am 1. April 1890 in anerkennendster Weise 
seiner Dienstleistungen gewahrt wurde. Nun ubersiedelte er wieder nach 



Heifi. Greif. 207 

Miinchen, doch schon drei Jahre nachher kehrte er nach Augsburg zuriick und 
ubernahm die Verwaltung des Bayerischen Lehrerwaisenstiftes. Die zu- 
nehmenden Beschwerden des Alters veranlaflten ihn 1904 zum Rticktritt von 
diesem Amte; hierauf wahlte er Starnberg als Wohnsitz. 19 10 zog er nach 
Niirnberg, wo er am Morgen des 18. April einem wiederholten Schlagan- 
fall erlag. 

H. war eine gerade, biedere, pflichttreue Personlichkeit und als solche in 
weiten Kreisen beliebt und geschatzt. Seinem Wunsche gemafi wurde seine 
Leiche in Augsburg beerdigt. Als »Vater« des Bayerischen Lehrervereins genoB 
H. auch noch in spateren Jahren hohes Ansehen in den Kreisen der Lehrer 
Bayerns. Dr. A. D r e y e r. 

Greif, Martin, (Pseud, fur Friedrich Hermann Frey), Lyriker und Dramati- 
ker, * 18. Juni 1839 zu Speyer, f 1. April 191 1 zu Kufstein. — Von seiner iiber- 
aus gliicklichen, von sorgsamen Eltern treu behliteten Jugendzeit erzahlt der 
Dichter erinnerungsfroh in Nr. 24, 25, 27 und 30 der Allg. Ztg. Sein Vater 
Maximilian F., damals Regierungsrat in der pfalzischen Kreisstadt, spater Re- 
gierungsdirektor in Bayreuth, war ein pflichttreuer, lauterer Charakter. Von 
seiner Mutter Adelheid, der Tochter eines Strafiburger Jugendfreundes von 
Goethe [Dr. Joh. Christ. Ehrmann), erbte G. die sinnige Naturbetrachtung 
und die unerschopfliche Herzensgute. Nach dem Besuch des Ludwigsgym- 
nasiums in Miinchen trat er 1857 in die bayerische Armee ein und wurde zwei 
Jahre darauf zum Artillerieleutnant befordert. Allein der eintonige Garnisons- 
dienst widerte den jungen Offizier bald an, der wegen seiner nervosen Empfind- 
lichkeit einen Helm aus Pappendeckel tragen mufite. Willkommene Abwechs- 
lung brachten Urlaubsreisen nach Frankreich, Belgicn und England, wo er mit 
Freiligrath zusammentraf, sowie 1865 nach Spanien (auf den Spuren des ver- 
schollenen Nurnberger Professors J. L. Hoffmann). 

Die Lust zum Fabulieren hatte sich schon friih in ihm geregt. Die ersten 
Gaben seiner damals noch von fremden Vorbildern (von Riickert, Uhland, 
Goethe, Eichendorff u. a.) ziemlich abhangigen Muse liefi er noch unter seinem 
Familiennamen erscheinen: »Gedichte« (i860), »Berta und Ludwig* (eine Romeo- 
und -Julia-Tragodie 1861), »Die Schlacht von Leipzig«, eine epische Dichtung 
(1863), von der Riickert ruhmt, dafi der Verfasser »mit grofier Redegewandtheit 
und Gedankenschwung alles Mogliche geleistet habe, was moderne Poesie mo- 
dernen Schlachten abgewinnen kann«; »Friihlingssturmlieder« (1864) und das 
spater ganz umgearbeitete dramatische Gedicht »Hans Sachs« (1865). Im allge- 
meinen blieben diese dichterischen Versuche fast ganz unbeachtet, und sein 
Vortrag einiger Gedichte als Gast bei dem Munchener Dichterbund der »Kroko- 
dile« vermochte nicht besonders zu erwarmen. Schon hatte er ein neues Band- 
chen Lieder bereit, welche trotz mancher Mangel ein tiefes, traumverlorenes 
Sichversenken in die Natur und eine durch den friihen Tod der geliebten Braut 
hervorgerufene elegische Grundstimmung offenbarten. Zaghaft brachte er 
(1865) diese Bluten Geibel, dem hilfsbereiten Forderer junger Munchener 
Dichter; doch dessenAusspruch: »Zur Poesie habenSie keinen Beruf« schmetterte 
ihn vollig nieder. 

Ed. Morike hob sein Selbstvertrauen wieder, und 1868 erschienen die noch 
sorgfaltig gefeilten Gedichte bei Cotta unter dem Autornamen Martin Greif, 



208 Greif. 

den er seither beibehielt und seit 1882 mit landesherrlicher Genehmigung neben 
seinem biirgerlichen Namen fiihren durfte. Die Liicken in seinem Bildungs- 
gange suchte er nun durch eifrige Studien in Munchen, insbesondere als Horer 
bei dem Literarhistoriker M. Bernays, sowie durch den Umgang mit wohlge- 
sinnten, hochgebildeten Freunden (Adolf Bayersdorfer, Karl du Prel und Oskar 
Eisenmann) zu erganzen, die sein der herrschenden literarischen Geschmacks- 
richtung entgegengesetztes Talent mit seltenem Scharfblick erkannten und ihm 
die Wege ebneten. Als weitere Freunde gesellten sich noch dazu: der Kom- 
ponist Hornstein, der Theosoph Adolf Oppel, der Asthetiker Julius Klaiber, der 
Alpenschilderer Heinrich Noe und der Archivar Joseph Fernbacher, der ihn 
Lingg zufiihrte. Doch bahnte sich zwischen beiden in ihrem Schaffen grund- 
verschiedenen Dichternaturen kein naheres Verhaltnis an. 

Die erste Lanze fiir G.s Lyrik mit ihrem unvergleichlichen Stimmungs- 
zauber brach Bayersdorfer in seiner heute noch beachtenswerten Schrift »Ein 
elementarer Lyriker« (1872). Scharf kennzeichnet er hier die plastische, laut- 
malerische Kunst des Dichters, die »bei Vermeidung des Leidenschaftlichen den 
individuellen Charakter einer Erscheinung auch unter der Masse des Ober- 
flachlichen herausfiihlt« und lyrische Bilder schafft, die verwandte Saiten in 
unserer Seele anschlagen. Der von ihm gepragte Ausdruck »Empfindungs- 
f ragmen te« kehrt bei spateren G.-Biographien haufig wieder. Speidel nannte 
ihn schon 1870 »den ersten Lyriker der Gegenwart«. Auf den Werdenden iibte 
besonders du Prel nachhaltigen EinfluB aus, der mit ihm frohe Tage in einsamer 
Bergwelt und auf ausgedehnten Wanderfahrten verlebte, die die beiden Freunde 
1874 bis nach Rom fiihrten. In seiner »Psychologie der Lyrik« (1880) hebt der 
erstere ausdrlicklich hervor, daO G.s Gedichte aus der unbewufiten Phantasie 
wie ein frischer Quell entspringen, an denen »die kiinstlerische Besonnenheit des 
Dichters nur den geringsten Anteil« habe. 

Inzwischen hatte G. als Berichterstatter der Wiener »Presse« das deutsche 
Heer auf seinem Siegeszuge nach Frankreich 1870/71 begleitet. Die Enthullung 
einer Gedenktafel an dem vermeintlichen Geburtshause Walters von der Vogel- 
weide bei Waidbruck (1874) begeisterte ihn zu einem sinnigen Festspiele »Walters 
Riickkehr in die Heimat«, das bei seiner Auffuhrung am Innsbrucker Stadt- 
theater mit reichem Beifall bedacht wurde und dem Dichter mehrere Tiroler 
Freunde und Gonner gewann (J. V. Zingerle, Ch. Schneller, A. v. Schullern, 
A. und L. v. Hormann, Ambros Mayr, Adolf Pichler, S. M. Prem u. a.). 

Otto Ludwigs »Shakespeare-Studien« (1872) reizten ihn, neuerdings die 
Bahn des Dramas zu betreten. Sein historisches Trauerspiel »Korfiz Uhlfeldt, 
der Reichshofmeister von Danemark« (1875), das sich auf die von Joh. Ziegler 
ins Deutsche ubertragenen Memoiren von Uhlfeldts Gattin stutzt, wurde auf 
Laubes Betreiben 1875 im Wiener Stadttheater zwolfmal nacheinander erfolg- 
reich gegeben. Es ist eine Tragodie der Herrschgier und zugleich (wie Lud- 
wigs »Erbforster«) des starren Rechtsbewufltseins, die den Helden zum Kampfe 
gegen das Vaterland und dadurch zum Untergange drangen. Der Charakter 
des Haupthelden ist scharf und folgerichtig gezeichnet; die ubrigen Personen 
dagegen erscheinen etwas zu schablonenhaft. 

Laube, der den Dichter damals fiir den Schillerpreis vorgeschlagen hatte, 
verhalf auch seinem nachsten fiinfaktigen Trauerspiel »Nero«, dieser Tragodie 
der sittlichen Schwache, im Wiener Stadttheater (1876) zu verdienter Aner- 



Greif. 



209 



kennung. Das von verschiedenen Dramatikern (von Lohenstein bis Wilbrandt) 
behandelte uberaus schwierige Neroproblem wufite G. verhaltnismafiig am 
besten zu losen; darum halten angesehene Kritiker G.s »Nero« fur seine bedeu- 
tendste dramatische Schopfung. L. Krapp meint: »Seit Grillparzers »Goldenem 
Vlies« ist an dramatisch Leidenschaftlichem und doch maflvoll Gebandigtem 
nichts Gleiches mehr geschrieben worden, wie der 3. Akt, die Schilderung des 
Muttermordes Neros«. Max Koch zahlt dieses Stuck zu den besten Dramen 
der letzten zwanzig Jahre: »Im »Nero« sehen wir den Dichter auf dem Gipfel 
seiner Kunst.« Der »satanische Einflulk Poppaas treibt nach G.s Darstellung 
den »groflen Komodianten auf dem Throne« zu seinen Schandtaten. Dann aber 
ergreifen ihn die Furien der Reue, dann umkrallt ihn der Verfolgungswahn. 
Wie Grillparzers »Libussa« und Hebbels »Nibelungen« blinkt auch hier die 
Morgenrote des Christentums in die Nacht der sinkenden heidnischen Welt. 
G. war schon 1875 auf einige Jahre nach Wien ubergesiedelt und hier mit be- 
deutenden Mannern, mit Ludwig Speidel, Hugo Wittmann, Daniel Spitzer, 
Johs. Brahms usw. f namentlich aber mit Anselm Feuerbach, in freundschaft- 
liche Beziehungen getreten. Auch in Miinchen weilte er mit Vorliebe im Kreise 
von Kunstlern (Hans Thoma, Wilhelm Trubner, Oberlander, Leibl u. a.). 

Sein Aufenthalt in Italien reizte ihn zu zwei Dramen an, die auf diesem 
Boden spielen, zu »Marino Falieri« und »Francesca da Rimini« (beide 1878 ent- 
standen). Das erstere, ein Intriguenstiick, in welchem sich der Held, der Racher 
seiner Familienehre, zum Fuhrer seines unterdrucktenVolkes erhebt, wird trotz 
seines blihnengerechten Aufbaues und der Schonheit der Sprache, die freilich — 
wie auch in andern Dramen G.s hie und da durch Trivialismen beeintrachtigt 
ist — durch Byrons gleichnamiges Drama in den Schatten gestellt. Ein weit 
besserer Wurf gliickte ihm dagegen — trotz Heyse und d'Annunzio — in der 
Liebestragodie von der schonen Francesca, wozu ihm Boccaccio den Stoff bot. 
Nach Kilianis Urteil sind Anlage und Aufbau in den drei ersten Akten auflerst 
glucklich. Gleiches Lob verdient der Schlufiakt; nur der 4. Aufzug steht in 
keinem organischen Zusammenhang mit den andern. Oberall pulsiert tiefe 
Leidenschaft und dramatisches Leben. 

Turmhoch iiber seinem romantischen »Mantel- und Degenstuck* »Liebe uber 
allesi steht sein vaterlandisches Schauspiel »Prinz Eugen« (1879), das bei seinen 
Auffiihrungen im Burgtheater zu Wien (1880) und an andern osterreichischen 
Buhnen jubelnde Begeisterung ausloste, in Miinchen aber (1883) kaum mehr 
als einen Achtungserfolg errang. »Prinz Eugen«, das »die strafTste Struktur« 
aufweist, ist nicht blofi ein »in treuen Farben gemaltes Lebensbild des tapferen 
Savoyers«, sondern auch ein anschauliches Hof- und Kriegsstiick, ja ein echt 
deutsches Kulturgemalde aus der Zeit derTurkennot und Tiirkensiege, das in einigen 
aufleren Einzelheiten fliichtig an Kleists »Prinzen von Homburg« gemahnt. 
Ein kostlicher, fein abgestufter Humor durchflutet das Stuck, aus welchem — 
wie auch aus G.s andern Dramen — das lyrische Element des Ofteren glanzvoll 
hervordringt. (1904 wurde das Drama von H. Miiller ins Franzosische tiber- 
tragen.) 

Nach 14 jahriger Pause war eine Neuauflage von G.s Gedichten notig 
geworden. Aus seinem mittlerweile reich angewachsenen Liederschatze fiigte 
der Poet nicht wenige schimmernde Perlen hinzu, aber auch geringwertige 
Liederblumen, wahrend er manches bedeutsame Lied aus der urspriinglichen 

Bioffr. Jahrbuch u. Deutscher Nekroloy. 16. Bd. *4 



210 Greif. 

Sammlung ausschied. Dieser Mangel an richtiger Selbstkritik offenbart sich 
ebenso in seinem zweiten Gedichtbande »Neue Lieder und Maren« (1902). 
Die zweite Auflage seiner Gedichte (1881) und noch mehr die dritte Auflage 
(1883) erweiterte den Kreis seiner Verehrer ganz erheblich und erweckte dem 
Dichter neue Lobredner (Muncker, Conrad, Max Bernstein, Fritz Lemmermayer, 
Max Koch, Klaus Groth, Alfred Meiflner, Rudolf Gottschall, Wilhelm Scherer 
u. a.). Resigniert sang der Dichter einst von sich selber: 

»Ich steh' im Schatten meiner Zeit 

Und warte auf Unsterblichkeit. « 

Nun schien die von ihm ausgestreute Saat allmahlich zu reifen; doch Mifi- 
gunst und Scheelsucht schiitteten manche Giftbliiten darunter. Wenn mir 
der sonst so maflvolle Dichter von den Anschlagen jener Neidgesellen erzahlte, 
dann brauste er heftig auf. Die Vertreter der Bildungslyrik, namentlich der 
Geibel-Heyse-Kreis, sahen geringschatzig auf G.s »lyrisches Gestammek herab. 
Das »Mlinchener Dichterbuch« (1882) liefi ihn nicht zu Worte kommen. Im 
Prolog zu seinen Satiren und Epigrammen zog Paul Schonfeld wider die »Sipp- 
schaft« los, welche »Herrn Martin Greifs Stottern als klassisch auskreische*. 
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bildete sich eine »Liga 
ftihrender Schriftsteller« zur Unterdriickung G.s, die in Berlin, Wien und 
Munchen Bundesgenossen warb, bis die Presse dieses schmahliche Treiben an 
den Pranger stellte. Als jedoch der Lyriker G. sich Bahn gebrochen hatte, 
suchte man wenigstens den Dramatiker moglichst tief herabzuwiirdigen, und 
gedankenlose Kritik plapperte dies Verdammungsurteil bis zum heutigen Tage 
nach. Der Dichter aber bricht in die humorvolle Klage aus: 

aFreund, was ratst du mir nun? Seitdem ich zum Drama mich wandte, 
Gelt' ich, sonst niemals genannt, plotzlich als lyrische Kraft. * 

Nach mehrjahriger Pause bebaute G. neuerdings das Feld der dramatischen 
Dichtung. Diesmal wagte er sich an eine groBe Aufgabe, an eine Hohenstaufen- 
Trilogie, deren einzelne Teile (»Heinrich der Lowe«, »Die Pfalz im Rhein«, »Kon- 
radin«) r887 — 1889 erschienen und bei ihren Auffuhrungen, hauptsachlich am 
Munchener Hoftheater, verdienten Beifall errangen. Diese Trilogie wird aber 
durch G.s engen Anschlufi an die Geschichte (wie manches seiner spa^eren 
Dramen) in der einheitlichen Fortfuhrung der Handlung empfindlich geschadigt. 
Der Gang der Geschehnisse ist durch vielfachen Szenenwechsel zerstiickelt. 
In den beiden ersten Hohenstaufendramen sind Sprossen dieses ruhmreichen 
Geschlechtes nur die Gegenspieler; als Haupthelden erscheinen hier die Welfen 
(Heinrich der Lowe und sein alterer Sohn Heinrich). In »Heinrich dem Lowen« 
schlagt G. das Thema von der Auflehnung des machtbewuBten Vasallen wider 
Gebot und Ruf seines Kaisers an. Der Titelheld biifit seine Schuld zwar nicht 
mit dem Leben, aber mit dem Verlust seiner Macht. Die »Pfalz im Rhein« ist 
der menschlich-versohnende »lyrische SchIuBakkord« zu diesem gewaltigen 
Ringen um die Macht. Wie die alten Titanengeschlechter der griechischen 
Tragodie, so entrinnt auch das von hochfliegendem Ehrgeiz beseelte Hohen- 
staufengeschlecht seinem Verhangnis nicht. Sein tragisches Geschick reizte eine 
Reihe von Dichtern zur dramatischen Gestaltung. Im Kranze der Konradin- 
Dramen nimmt G.s Stiick, das auch manchen sagenhaften Zug geschickt hinein- 
verwebt, eine hervorragende Stelle ein. Seinen »Konradin« bezeichnet Kosch als 
die »Tragodie der Nationalitat«; die Schilderung »des deutschen Helden« in seinem 



Greif. 2 1 I 

Kampf mit dem Auslande: das ist der Kernpunkt des Stiickes. Im Prolog zur 
Hohenstaufentrilogie halt G. dem Dichter Ibsen, dem erbittertsten Gegner seiner 
vaterlandischen Dramen, u. a. vor: 

♦Soil des Daseins kummerliche Not, 

Kein grofi Geschick mehr unser Herz bewegen 

Und wiirdig sein des vollen Mitgefiihls, 

Das Leid, aus Schuld geboren, neu erweckt?* 

Von alien Stiicken G.s wurde wohl sein »Ludwig der Bayer«, das Drama der 
deutschen Treue, am volksttimlichsten, obwohl hier — allerdings nicht so sehr 
wie bei Uhlands gleichnamigem Schauspiel — das dramatische Element hinter 
dem epischen erheblich zuriicktritt. Es fehlt an einemstarkenseelischen Konflikt, 
an einer tieftragischen Schuld des Helden oder seines Gegenspielers. Die Sprache 
schmiegt sich der volkstumlichen Ausdrucksweise glucklich an. »Ludwig der 
Bayer« kam nicht auf einer Kunstbiihne, sondern in einem von Biirgern des 
Marktes Kraiburg (nahe dem Schlachtfelde von Ampfing) eigens erbauten 
Schauspielhause, und zwar durchKraiburgerselbst, 1892, 1894 und 1904 zur ab- 
gerundeten Darstellung und lockte viele Besucher an. Dieser Vorgang wirkte 
aneifernd, und seither schossen lokalgeschichtliche Volksdramen in alien Gauen 
Deutschlands hervor. 

Echt volkstiimlich ist auch G.s »Agnes Bernauer«, mit dem Untertitel »Der 
Engel von Augsburg« (1894), die Tragodie »der irrenden Liebe eines schonen 
Weibes«. Den dankbaren Stoff gossen schon Torring (1780), viel spater M. Meyr, 
Otto Ludwig, Hebbel u. a. in dramatische Form. Der letztere folgt den Spuren 
der Geschichte, G. den Pfaden volkstiimlicher romantischer Uberlieferung. Darum 
ist seine Heldin (nach Mensi) »von einer Gloriole echtester und deutscher Poesie 
umflossen«. Die liebliche, hoheitsvolle Frauengestalt ist die beste weibliche 
Figur des Dramatikers G. Von dem wirksamen Hilfsmittel transzendentaler 
Erscheinungen macht hier G. zu ausgiebigen Gebrauch, und die rasche Urn- 
stimmung Albrechts, der, heimgekehrt, Agnes auf Anstiften seines Vaters er- 
mordet und begraben findet, diesen mit einem »Versohnungsku6« begrufit, nur 
weil die engelhafte Verblichene es wollte, lafit sich psychologisch nicht recht- 
fertigen. Adam Muller-Guttenbrunn schlug das Stuck, allerdings vergeblich, 
fur den Grillparzer-Preis vor. 

Das 400jahrige Geburtsjubilaum des groCten Meistersingers (1894) bewog 
G. zu einer volligen Umarbeitung seines 1863 gedichteten vaterlandischen 
Schauspiels »Hans Sachs«, wobei cr sich auf treffliche Quellenwerke, namentlich 
auf Wagenseils Geschichte der Meistersinger, stiitzte. In Hans Sachs, dem 
lange schnode verkannten und endlich zu Ehren gelangten Poeten, entwirft G. 
ein kleines Selbstbildnis. Das Kolorit der Zeit (des ausgehenden Mittelalters) 
und des reichsstadtischen Lebens und Treibens ist vorzuglich getroffen; daher 
fand dieses Stuck in Miinchen, Nurnberg und Weimar ungeteilte Anerkennung. 

Ernstere Tone schlagt er in seinem vaterlandischen Drama »General York« 
an. Es verherrlicht die kuhne Tat des unerschrockenen preuOischen Haudegens, 
die das Vorspiel zu den Freiheitskriegen bildet. Das Stuck biirgerte sich auch 
(in der Ausgabe von Theodor Stromberger) in den preufiischen Schulen rasch 
ein. Der Titelheld ist »ein wurdiger Nachfolger des »Prinzen von Homburg«. 

G.s letzte dramatische Arbeit ist nichtsGeringeres als ein Erganzungsversuch 
von Schillers »Demetrius« (1903). Dem Biihnenfragment schlieCt sich ein er- 

14* 



212 Greif. 

greifendcs Nachspiel in Schillers Sterbezimmer an. Dann erscheint die tragischc 
Muse und erzahlt den Fortgang und Schlufi der Handlung, die durch lebende 
Bilder veranschaulicht wird. Das gliicklich erdachte Nachspiel klingt in eine 
begeisterte Huldigung fiir den Lieblingsdichter der deutschen Nation aus. 

Mit Ausnahme des »Hans Sachs«, der in Knittelversen geschrieben ist, 
wendete G. fiir seine Dramen den ftinffufiigen reimlosen Jambus an, auch fiir 
seine gediegenen Festspiele zum 80. Geburtstage Bismarcks (»Das erste Blatt 
im Heldenkranz«, 1895) und zum 78. bezw. 80. Geburtstage des Prinzregenten 
Luitpold von Bayern (»In Treue fest«, 1899, und »Heimatstolz«, 1901). In seinen 
Dramen iiberwiegen vaterlandische StoflFe. Doch halt sich G. im wohltuendcn 
Gegensatze zu andern Dramatikern, die bedeutsame Ereignisse aus der deut- 
schen Geschichte verherrlichen, von dem aufdringlich wirkenden Hurrapatriotis- 
mus fern. Daher ist es um so bedauerlicher, dafi man ihn so selten von der 
Buhne aus zum Volke sprechen lafit. Auch in der ihm zur zweiten Heimat 
gewordenen bayerischen Hauptstadt, in der er den grofiten Teil seines Lebens 
verbrachte, sind Auffiihrungen von G.schen Dramen nicht haufig. »Heute halt 
er als einziger den Typus des klassischen Dramas hoch« (Krapp). Eine edle, 
aus dem Geiste der Zeit geschopfte Sprache und eine wirkungsvolle Gliederung 
der einzelnen Szenen sind unleugbare Vorzuge seiner Stiicke. Auf die Charakter- 
zeichnung legt er das Hauptgewicht nicht in demMafie, wie die modernen Biihnen- 
schriftsteller; daher behauptet Jos. Ettlinger mit einiger Ubertreibung: »Ein 
Mangel an Charakteristik ist zugleich der charakteristische Mangel des Dra- 
matikers G.« Ettlinger erhebt wider ihn auch den nicht ganz unbegrundeten 
Vorwurf, dafi G. fiir seine Biihnenwerke (infolge der haufigen Anwendung des 
Monologs, des Beiseitesprechens und melodramatischer Effekte) oft ein »zu 
naives Publikum« voraussetze; doch gesteht er ihm in der dramatischen Technik 
eine sichere Hand und ein kluges Abwagen zu. W. Kosch bezeichnet ihn als 
einen »der fahigsten Nachfahren Shakespeares in Deutschland«. 

In dem Lobe des Lyrikers G. sind die berufensten Beurteiler heute vollig 
eins. Seine erste Gedichtsammlung gliedert sich in Lieder, Naturbilder (doch 
ist die Scheidung hier nicht streng durchgefuhrt), Balladen und Romanzen, 
(in der zweiten Sammlung Balladen und Maren), Deutsche Gedenkblatter, 
Widmungen, Sinngedichte. Die »Neuen Lieder und Maren« enthalten aufier- 
dem Epigramme. 

Reiche Anregungen schopfte er aus dem Volksliede, daneben auch aus der 
Lyrik Goethes, Morikes und Eichendorffs, w T ahrend ihm fiir die Balladendichtung 
Uhland vielfach vorbildlich ward. 

Seine Muse offenbart die tiefe Innigkeit des deutschen Volksgemiites, ohne 
in die tranenreiche Empfindsamkeit eines Matthisson und anderer gefiihlsuber- 
schwenglicher Dichter zu verfallen; sie hat etwas »Stilles, Leidenschaftabge- 
kl&rtes« an sich. Ihre Grundstimmung ist (nach Bernstein) »das halbgeschlossene, 
sinnende Auge, das die aufiere Welt am liebsten im Widerschein der inneren 
Welt« betrachtet: 

'Halb wach' ich, halb lieg* ich im Traum.' 

Wie das Volkslied, so deutet auch er eine Empfindung oder eine Handlung 
nur leise an und uberlafit die vollstandige Ausmalung derselben der Phantasie 
des Lesers oder Horers. Alfred Biese driickt dies mit den Worten aus: »Unaus- 
sprechliches andeuten, leise an die Saiten unseres Inneren ruhren, so dafi sie 
mitklingen und nachzittern, darin ist der Dichter Meister.« 



Greif. 



213 



Kosch hebt mit Recht die Anschaulichkeit der G.schen Lyrik stark hervor, 
und Adolf Bartels stellt ihn als »Naturdichter« am hochsten. Wie die Bilder 
Hans Thomas, so umftiefit die kleinen, scharf geschauten und scharf umrissenen 
poetischen Genre- und Stimmungsbilder herbe Naivitat. Der Lakonismus, die 
Wortkargheit, die oft verbliiffende Knappheit des Ausdrucks bei G. erregte die 
Bewunderung objektiver Kritiker. Wilhelm Weigand lafit sich folgendermaOen 
vernehmen: »Er erzielt seine Wirkung mit den allereinfachsten Mitteln, mit den 
Mitteln des Volksliedes, ohne Rucksicht auf technische Kunsteleien. Ein solch 
kleines Gebilde gibt den Stimmungszauber tausendmal getreuer als die Prosa 
eines Beschreibers aus der Schule Zolas, der nicht genug Einzelheiten anhaufen 
kann«. Himmelbauer halt G.sganzeinzigdastehende Knappheit fur einen »durch- 
aus modernen Zug«. Gottschall riihmt an diesen Liedern die »Pragnanz und 
Innigkeit« und erwahnt, dafi »die hingehauchten Weisen die musikalische 
Fassung herauszufordern scheinenc G.sche Lieder wurden von hervorragenden 
Komponisten vertont, so von Weingartner, Hausegger, Hornstein, Pembaur, 
Rich. StrauC, K. Reinecke, Max Zenger u. a. Muncker weist darauf hin, dafi 
die meisten seiner Gedichte — wie die altesten und innigsten Volkslieder — 
einen ernsten, fast traurigen Charakter tragen. Dasselbe gilt von seinen Natur- 
bildern, den Stimmen und Gestalten, sowie den Balladen, die auch aus alten 
Volkssagen schopfen. (»Das zerbrochene Kriiglein«, »Der Morgentrunk«, »Das 
kranke Magdlein« u. a. m.). Unter den zyklischen Dichtungen G.s nimmt »Das 
klagende Lied« die erste Stelle ein. Von Uhland hat G. auch die Vorliebe fur 
den Monolog und Dialog in seinen balladenartigen Gedichten; Goethe dagegen 
ward sein Vorbild fur die Gestaltung der freien Rhythmen (»Hymnus an den 
Mond«, »Gewitterhymnus« usw.), in denen sich wieder seine »ungewohnlich feine 
Kiinstlerhand* verrat. 

In den »Deutschen Gedenkblattern« zeigt sich (nach Koch) »der sonst 
traumerische Dichter« als »ein begeisterter Verehrer der realistischen Grofitaten 
des eisernen Jahrhunderts«. Insbesondere bekennt er sich auch hier als einen 
begeisterten Bismarckverehrer. Seine Sinngedichte enthalten satirische Aus- 
falle auf literarische und soziale Fragen; doch gebricht ihnen manchmal die 
epigrammatische Scharfe. 

Wie stetig der Kreis der Anhanger seiner Muse wuchs, ergab sich deutlich 
bei der Feier seines 50., 60. und 70. Geburtstages. Mannigfache Ehrungen 
iiberraschten an letzterem Gedenktage den schon krankelnden Dichter. Die 
Munchener Universitat verlieh ihm die Wiirde eines Ehrendoktors der Philo- 
sophic; Prinzregent Luitpold ernannte ihn zum Hofrat. Im gleichen Jahre 
(1909) erschien eine zweibandige Ausgabe seiner lyrischen und epischen Dichtun- 
gen, von der der erste Band die »Gedichte« und die »Neuen Lieder und Maren«, 
der zweite »Epische Klange und Feierstimmen« umschlofi. Die zweite Auflage 
(1909 — 19 1 2) unter dem Titel »Gesammelte Werke« wuchs auf funf Bande an. 
Band 3 und 4 enthalten die Dramen, Band 5 die »Nachgelassenen Schriften« 
(Selbsterlebtes — Novellen — Skizzen), letzterer besorgt durch den unermiid- 
lichen verdienstvollen Greif- Biographen W. Kosch. Dieser gab auch 191 1 
eine vortreffliche Auswahl aus des Dichters Lyrik heraus (»Martin Greif s Lieder- 
traum«). Ein so tiefes und liebevolles Erfassen von G.s dichterischer Eigenart 
bekundete keiner der bisherigen Biographen des Dichters als Kosch in seiner 
ausgezeichneten Monographic »Martin Greif in seinen Werken« (1907, 2. Aufl. 



214 



Greif. Uhde. 



1909), die auch im Anhang die hauptsachliche Literatur iiber G. enthalt. An 
einer umfanglichen G.-Bibliographie arbeitet Wladimir Schindler in Berlin. 

Als G. sein Ende herannahen fiihlte, begab er sich im Marz 191 1 in das 
Krankenhaus zu Kufstein (Tirol). Hier verschied er am 1. April 191 1 morgens 
gegen 9 Uhr. Auf seinen ausdriicklichen Wunsch wurde seine Leiche nach 
Palmberg (in der Nahe des Schlachtfeldes von Ampfing) iiberfuhrt und unter 
Beteiligung zahlreicher Freunde auf dem dortigen Friedhofe am 4. April be- 
stattet. Bildhauer Hermann Lang, der Schopfer von G.s Grabdenkmal, sowie 
eines Reliefportrats G.s, nahm dem Dichter auch die Totenmaske ab. 

Eine treffliche G.-Buste fertigte Bildhauer Prof. Georg Busch, Olbildnisse 
G.s stammen von Hans Thoma, Wilhelm Triibner und Eggena, ein radiertes 
Portrat ist von Joseph Uhl. Sein literarischer Nachlafi wurde der Universitats- 
bibliothek in Miinchen iiberwiesen. 

Die »Times« widmete dem »letzten Wahrer der groCen Traditionen der deut- 
schen Lyrik« einen warmen Nachruf. Einer seiner altesten Freunde, M. G. 
Conrad, sagte schon 1883 prophetisch voraus: »Die Zeit wird nicht mehr fern 
sein, wo das deutsche Volk, soweit es dem hehren Dienste des Ideals . . . treu 
geblieben, den Namen dieses Sangers als der besten und liebwertesten einer 
in das Herz schlieBen wird.« Dr. A. D r e y e r. 

Uhde, Fritz v., Historien- und Genremaler, * 22. Mai 1848 zu Wolkenburg 
(Sachsen), f 25. Februar 191 1 in Miinchen. — Der Vater, ein bekannter Jurist, 
stand als Verwaltungsbeamter im Dienste des evangelisch-lutherischen Landes- 
konsistoriums (f 1883 als Geheimrat und President dieses Amtes); die Mutter 
entstammte der franzosischen Emigrantenfamilie Nollain. Beide trieben mit 
Eifer und Talent die Pastellmalerei; auch die Schwestern malten. So zeichnete 
denn Fritz am Gymnasium zu Zwickau und Dresden, begeistert von Menzels 
Illustrationen zum Leben Friedrichs d. Gr.; Proben, welche zufallig W. v. Kaul- 
bach vorgelegt wurden, erregten dessen hochstes Mififallen. Die Lust, den Krieg 
kennen zu lernen, hatte den Jungling 1866 beinahe nach Osterreich gefuhrt; 
1867 trat U. als Avantageur zu den sachsischen Gardereitern, wurde Fahnrich 
und 1868 Leutnant, kam in der Kaserne in Fiihlung mit dem Maler Ludwig 
Albrecht Schuster (einem Schliler von Horace Vernet) zusammen. Ohne Notiz- 
und Skizzenbuch zog er nach Frankreich, war bei St. Privat; einquartiert zu 
Auet bei Paris im Atelier des Tiermalers Jacques, hinterliefl er demselben ein 
mit dessen Farben gemaltes kollegiales Andenken, dessen Werkstatte durch 
heiteren Anschlag des »General Uhde« der Schonung deutscher Soldaten emp- 
fehlend. Als Brigadeadjutant beurlaubt, malte U. den »Angriff des Regiments 
Plotho bei Wien i683« (fur das Kasino der sachsischen Gardereiter) — eine 
kiihne, an Jos. v. Brandt und Franz Adam erinnernde Leistung. In Wien 
elektrisierten ihn die Bilder Makarts, w r elcher ihn an Piloty wies; U. nahm 
seinen Abschied, gcsellte sich zu Miinchen mit dem an gleichen artistischen 
Borkenschmerzen laborierenden Zeichner Ludwig v. Nagel. Von Herrn v. Schack 
an Lenbach empfohlen, malte U. in kiihner Verkiirzung zwei standartentragende 
Reiter im Kostiim des Dreifiigjahrigen Krieges (im Besitze des Prinzen Leopold 
von Bayern). Durch den sachsischen Gesandten v. Fabrice an Munkdcsy 
empfohlen, introduzierte sich U. den Parisern mit der derben »Chanteuse« f einer 
novellistischen Szene aus dem »Leben der Landstiirzerin Courage«, welche be- 



Uhde. 215 

kanntlich eine Art Nebenmond zu Grimmelshausens Roman des universellen 
»Simplizissimus« bildet. Damals brachte U. auch die »Chiens savants« und das 
»Familienkonzert« aus Paris mit. Wahrend die Miinchener sich freuten, wie in- 
nig der Maler inMunkacsys »Milton« sich versenkt habe, ging U. in der Pinakothek 
schon den Fahrten des Frans Hals nach, wovon das »Lachende Weib mit dem 
Bierkrug« vorlaufig zeugte, urn dann kurzweg nach Max Liebermanns Vorgang 
die Hollander in ihrer Heimat selbst aufzusuchen. Hier entstanden die»Nahe- 
rinnen« und der in zwei Varianten auftretende »Leierkastenmann«, das »Altleut- 
haus in Zandwoort« und die »Fischerkinder«, womit U., selbstbewuBt genug, die 
letzten Reste der bisherigen Rezeptiertradition iiber Bord warf. Das beweisen 
die nach seiner Ruckkehr gemachten staubigen »Trommler« (1883), welche am 
Obcrwiesenfelder Exerzierplatz als gehorqualende Fellrafller mit schrecklichem 
Eifer der Ausiibung ihrer Pflicht obliegen. Denselben kreidigen Ton behielt 
U. bei den nachfolgenden, den neubiblischen Evangelien entnommenen Dar- 
stellungen, die er mit hartestem Anachronismus in ein den heutigen armlichen 
Handwerkerkreisen entnommenes Kostiim kleidete. 

Dasselbe hatten bisher die Kunstler aller Perioden getan: Benozzo Gozzoli 
erzahlte seinen Aufzug der hi. drei Konige ebenso in Florentiner Mundart wie 
der deutsche Hans Memling seinen Flamen, Albrecht Diirer seinen lieben Niirn- 
bergern, Tizian den stolzen Venetianern, Rubens seinen sinnenfrischen Lands - 
leuten, Rembrandt den stolzierenden Mynherren, die wieder das Vorbild ergaben 
fur die spateren Passionsspieler des Rokoko und der Zopfzeit. Wahrend uns 
Heutigen eine solche Naivitat mangelt. Wir konnten keine Iphigenie a la Pompa- 
dour mehr ertragen. Hochstens V06' »Siebenzigstcn Geburtstag« in Kiipferchen 
von Chodowiecki, doch nimmer eine Dorothea desselben Meisters. Und nun 
kam einer mit dem vollsten Pleinair wie aus Herrenhut und Gnadau mit 
Zinzendorfs nuchternster Glaubigkeit und Gottvertrauen, wahrend gleichzeitig 
im Drama eine hektische Nervositat, Spittel- und Karbolatmosphare die welt- 
bedeutenden Bretter durchsauselte. Auf alien bisherigen Sinnenkult verzich- 
tend, brauchte einer doch nur eine Grundtiefe von Empfindung, einen uner- 
schopflichen Fond. 

Es schien ein artistisches Steeple-chase mit unnehmbaren Hindernissen. 
Aber der leichte Reiter, der im Feldzuge manche Attacke mitgemacht, safi in 
kurzer Frist ebenso fest im Sattel seiner Kunst. Ein wahrhaftes »Veni } vidi, 
viciU. 

Nach dem Vortritt der Adolf Menzel, Max Liebermann, K. Fr. Eduard Geb- 
hardt und Ernst Zimmermann, ein vollstandiger Inkamminat, woran er nichts 
mehr in seiner Technik, nur in der Wahl seiner Themata zu andern oder zu 
wechseln hatte, erschien schon 1884 seine epochemachende, in doppelter, neuer 
Fassung durchgearbeitete Darstellung »Komm' Herr Jesus, sei unser Gastk 
Ebenso emphatisch begruflt, wie ob des extrem naturalistischen Stils prinzipiell 
leidenschaftlich angegriffen und verhohnt. U. zeigt den Eingeladenen in einer 
hart abgearbeiteten, kinderreichen, Holzschuhe tragenden Handwerkerfamilie, 
beim karglichen Milchmahl, Platz nehmend am diirftigen, ungedeckten Tisch, 
unter einer Petroleumlampe. Aber was sie bieten, kommt aus ehrfurchtsvollen, 
guten, friedfertigen Herzen. — In uberraschender Produktion folgten der 
»Abendgang« und die Szene des »Brotbrechens in Emmaus«, eine Berg- und 
Schiffpredigt, ein »Laflt die Kleinen zu mir kommen«, in eine landliche Kinder- 



216 Uhde. 

bewahranstalt verlegt, mit den zutraulich, neugierig oder storrisch sich an- 
stellenden Madchen, Knaben und dem altsachsischen Lehradjunkten. Auf 
starkeren Widerspruch, insbesondere von orthodoxen Kampfnaturen, stiefi das 
»Grofie Abendmahl« (1886), wobei dem Maler, in dessen Hause soviel geistlicher 
Liederklang und Gebet erhoben wurde, sogar der Vorwurf der Blasphemie 
nicht erspart blieb. Er hatte freilich ziemlich fragwurdige Gestalten in die 
apostolische Jungerschaft aufgenommen. In Summa eine natiirliche Reaktion 
gegen die friiher beliebten, in nagelneuen Kostiimen mit verwickelten Drapierun- 
gen und wohlgesalbten Lockenhaaren und Gabelbarten stolzierenden Typen 
der »Nazarener« und gegen die franzosischen Beduinen und Afrikaner. Wenn 
U. fur »Die heilige Nacht« die altertiimliche Triptychonform wahlte, so schuf 
er seine Gemalde nicht als erbauliche Zier des Familienhauses, auch nicht fur 
Liturgie- und Kirchenschmuck, sondern als Prunkstiicke fur namhafte Nabobs 
und Staatsgalerien. Er wahlte seine Modelle aus Starnberger Fischern, Vor- 
stadtbewohnern und akzentuierten Durchschnittsmenschen, fur seinen Heiland 
kein Ideal, sondern hustelnde, neurasthenische Reiseprediger und Methodisten. — 
Beruf ene und uberhebende Bewunderer verschoben manchen Tatbestand, wenn sie 
beispielsweise die unbehilfliche Weise riihmten, womit der bisher des Fliegens 
unkunde Mann sich zu seiner bevorstehenden Himmelfahrt rliste. Einem ahnlichen 
Naturalismus unterlag auch im Ausklang der italischen Kunstbliite Caravaggio, 
der jedoch in seinen betruglichen Falschspielern und Gaunern ein erfrischendes 
Surrogat bot, wahrend die neuestens weit iiberschatzten El Greco und der 
Deutsche Matthaus Grunewald nur zur Verrohung beitrugen. Unseres Erachtens 
sehr richtig klagte in betreff U.s sein wohlmeinender Zeitgenosse Fr. Pecht, 
dafi »diese nichts weniger als naive, sondern im Gegenteil sehr absichtliche 
Kunstrichtung trotz unbestreitbaren Talents doch an dem Fehler ungeniigenden 
Konnens leide, ihre schlottrige Formgebung, bald reizlose, noch haufiger graue 
und unerfreuliche Malerei, weit entfernt von der meisterhaften Beherrschung 
der Darstellungsmittel sei, wie sie uns ahnliche Szenen des Murillo oder Rembrandt 
so bewunderungswurdig macht.« »Diese mangelnde Beherrschung des Hand- 
werks der Kunst scheint demnach ebenso erbliche Krankheit bei diesen Natura- 
listen, wie sie bei den romantischen Klassizisten war, nur daB diese das Malen, 
wie jene das Zeichnen, nie bewaltigen lernen wollten, denn hier steht U. auch 
hinter dem ihm sonst, vorab in der schlichten Wahrheit der Figuren verwandten 
Ed. v. Gebhardt in Dtisseldorf entschieden zuriick.« Nach mehrfachen weiteren, 
gleichgestimmten Bearbeitungen solch biblischer Stoffe, darunter das Herberg- 
suchen in der schneetiefen Landschaft zu Bethlehem, einem Ritt und der An- 
kunft der »Drei Konige«, einer dusteren »Flucht nach Agypten«, einer Szene mit 
den um den ungenahten Rock wurfelnden Landsknechten, einem »Ostermorgen« 
und »Verkundigung an die Hirten« verliefi U. das ihn sichtbar doch langweilende 
Gebiet. Den Cbergang bildet eine Atelierszene mit halb aufgeputzten, kunstlich 
beflugelten Engelmodellen, mit einem muden, alten Hirten und einer jungen, 
ihr Baby beschwichtigenden Mutter, ebenso ein Ausschnitt einer Iandlichen 
Prozession mit weiblicher Schuljugend und Kindergruppen, wozu Erlebnisse 
aus der Spiel- und Lernstube seines Tochterchens im eigenen Heim und Fa- 
milienleben folgten, treffliche Waldwildnisse mit durchblinkenden zitterigen 
Sonnenlichtern, auch der Einblick in einen herbstlichen Dachauer Biergarten 
mit leeren Tischen und Banken. Mit gleichem Interesse erfaflte er das Portrit, 



Uhde. Meyer. 2 1 7 

sein eigenes Abbild, dann aber, ein wahres biographisches Meisterstiick, seines 
Freundes Max Liebermann als eminente Charakter- und Seelenmalerei, dann 
seines Freundes, des Hofschauspielers A. Wohlgemuth, sowohl im einsamen 
Studium seine Rolle ausarbeitend wie in posierender Wirkung als Konig 
Richard III. 

U. bewies sich in der kurzen Arbeitszeit von kaum drei Jahrzehnten als ein 
unermudlicher, immer sattelgerechter Ktinstler von unermudlicher Tatigkeit; 
die Gesamtausstellung der Sommersezession 1912 fiillte samtliche Sale. Ob er 
noch neue Probleme zu bebauen willens gewesen, ist eine unnotige Frage. U. 
bildet ein noch lange nachwirkendes Glied in der unendlichen Kette der Malerei, 
der er ein neues Territorium zufuhrt, dessen weiterer Ausbau getrost der Nach- 
welt anheimfallt. Auszeichnungen und Ehrungen waren ihm vollauf zuteil 
geworden. 

Aus der fast unubersehbaren Literatur sei hier nur verwiesen auf Franz v. Reber, »Kunst 
filr Alle« 1 886, S. 211 ff., Fr. Pecht, Miinchener Kunst 1888, S. 390 und die Monographien 
von R. Graul (Graph. Kiinste 1892, XV, 105 ff.), Franz Herm. Meifiner, O. J. Bierbaum, 1893, 
Fritz v. Ostinis, 1902, Georg Jakob Wolf (in Nr. 3531 »IUustr. Ztg.*, Leipzig, 2. Marz 191 1 
und iKunst fur Alle« 1911, XXVII, 289 ff.)- 

Hyac. Holland. 

Meyer, Christian Friedrich, Superintendent und Geheimer Kirchenrat, 
D. theol, * 20. Oktober 1840 in Annaberg (Sachsen), f 23. August 191 1 in 
Zwickau. — M. war der Sohn eines Seidenfarbers, welcher spater in mifiliche 
Vermogensverhaltnisse geriet; seine Mutter war eine treffliche Frau von aufier- 
ordentlicher Willenskraft. Nachdem er die Furstenschule zu St. Afra in MeiCen 
besucht und in Ehren verlassen hatte, studierte er Theologie in Leipzig, wo 
besonders Bruckner sein Lehrer wurde. Nach wohlbestandener erster Prufung 
wurde er Oberlehrer an der Realschule in Chemnitz. Nach Ablegung der zweiten 
Prufung kam er 1862 als Diakonus nach Meerane und 1870 als Oberpfarrer nach 
Dohna. Um dem Ausbau der eben geschaffenen Kirchenvorstands- und Synodal - 
ordnung zu dienen und das Verstandnis fur die damit erwachsenen neuen Auf- 
gaben in weitesten Kreisen zu wccken, grundete M. am I. Januar 1870 mit einer 
Anzahl Freunden ein »Kirchliches Gemeindeblatt. Evangelische Stimmen aus 
der Gemeinde. Zugleich Organ fur die Kirchenvorstande im Konigreich Sachsen«. 
Dasselbe, welches 1875 sein Erscheinen einstellte, stand in scharfem Gegensatze 
zu dem »Sachsischen Kirchen- und Schulblatt« und zu dem »Pilger aus Sachsen«. 
In den darin 1871 veroffentlichten »Romischen Brief en« unterzog M. die eben ins 
Leben getretene Landessynode einer scharfen Beurteilung und machte sich 
dadurch manche zu Gegnern. 1876 wurde er nach Chemnitz als Sulzes Nach- 
folger zum Pfarrer von St. Pauli und Garnisonpfarrer berufen, 1887 wurde er 
Stadtpfarrer und Superintendent in Zwickau, wo seine grofiziigige Tatigkeit 
begann, welche ihm bald in Sachsen und im ganzen evangelischen Deutschland 
Bewunderung erwarb. Auf Grund des Wortes Jesu : »Wer nicht mit mir sammelt, 
der zerstreut«, hatte er das Thema seiner Antrittspredigt dahin gefafit: »Die 
Aufgabe des geistlichen Amtes heiflt Sammlung und wird gelost durch das Wort 
von Christ us«, und in diesem Satze ist Richtung und Inhalt seiner ganzen Lebens- 
arbeit trefflich gekennzeichnet. Mit unermudlicher Ausdauer und vollendetem 
kunstlerischen Geschmack erneuerte er die Marienkirche, eines der machtigsten 



2 1 8 Meyer. Funke. 

Gotteshauser, deren Inneres sich in trostlosem Zustande befunden hatte. Seine 
meisterhaften Predigten zeigten, dafi ihm die Stromungen der Zeit nicht fremd 
waren, und in weitherziger Art setzte er sich mit ihnen auseinander. Immer 
wieder klingt der Gedanke durch, dafi Deutschtum und Evangelium untrennbar 
zusammengehoren. Ein grofies Arbeitsgebiet fand M. in dem »Evangelischen 
Bunde zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen«, dessen Sache er 
von Anfang an in seinem Vaterlande vertreten hatte. Nachdem er 1889 an die 
Spitze des »Sachsischen Landesvereins« getreten war, wurde er 1892 in den 
Zentralvorstand gewahlt, in welchem er bis an sein Ende tatig war. In Wort 
und mit der Feder, in Flugschriften und Zeitungsartikeln hat er dessen Sache 
schlagfertig und geistesmachtig vertreten. Nach dem Fall von $ 2 des Jesuiten- 
gesetzes hat er die Kirchenpolitik des Reichskanzlers Fiirsten Biilow scharf 
beleuchtet. Viele grofiere und auch kleinere Stadte Deutschlands haben ihn 
als Redner kennen gelernt, und (iberall hat er sich, als echter Volksmann, dem 
auch die Gabe des Humors nicht fehlte, und der in so mancher Beziehung an 
Luther erinnerte, die Herzen gewonnen. Vor allem aber ist sein Name 
unlSsbar verknupft mit der »Los von Rom«- oder »Evangelischen Bewegung« in 
Osterreich. M. ist es zu verdanken, dafi diese nicht, wie ihr heute noch in der 
ultramontanen Presse falschlich nachgesagt wird, in das politische Fahrwasser 
einlief, sondern eine religiose Erneuerung fiir die evangelische Kirche Osterreichs, 
welcher sie viele Tausende neuer und eifriger Bekenner zufuhrte, wurde. M. ist 
der Leiter und Forderer dieser Bewegung gewesen, deren viele Arbeiten auf 
seinen ohnehin schon belasteten Schultern lagen: er mufite die vielen Vikare 
beraten und anleiten, er mufite Umschau nach geeigneten Kraften unter den 
jungen evangelischen Theologen Deutschlands halten, er mufite die Schaffung 
neuer evangelischer Gemeinden erwagen und vorbereiten, er mufite reiche 
Mittel fur diese umfassenden Aufgaben allenthalben zu gewinnen suchen. Hier 
zeigte er sich als grofiartiger Organisator. Er rief das Wochenblatt »Die Wart- 
burg* ins Leben, welche in Osterreich und in Deutschland iiber diese evangelische 
Bewegung unterrichten und fiir sie begeistern will. Nachdem ihn schon im 
Jahre 19 10 ein leichter Schlaganfall getroffen hatte, erlag er am Morgen des 
23. August 191 1 einer Lungenentzlindung. Der Philosoph Rudolf Eucken in Jena 
hat iiber M. geurteilt: »Er war eine Personlichkeit, der unser geistiges Leben, 
im besonderen der deutsche Protestantismus die bedeutsamste Forderung 
verdankt. Fiir Tausende ist er ein Fiihrer gewesen, und unter seiner Fiihrung 
ist das Werk gewaltig gefordert worden.« — Neben zahlreichen, im Verlage des 
Evangelischen Bundes zu Berlin erschienenen Flugschriften und Ansprachen 
seien besonders seine Predigtsammlungen »Durch Christus zum Vater« (Leipzig 
0. J.), »Im Lichte des Evangeliums« (ebenda 1898), »In Gottes Welt« (Miinchen 
1902) und »Aus dem letzten Amtsjahre« (Zwickau 191 2) erwahnt. 

Franz Blanckmeister, Friedrich Meyer. Ein Leben im Dienste der Kirche. Leipzig o. J . 

Carl Fey. 

Funke, Dr. Alois, Edlerv.Elbstadt,6sterreichischer Politiker, * 5. Januar 1834 
in Leitmeritz, f 23. Januar 191 1 in Leitmeritz. — In Nordbohmen stand F.s 
Wiege; dort wurde er auch vom Tode ereilt. An der deutsch-tschechischen 
Sprachgrenze verlebte er die Jahre seiner Jugend, seines Mannesalters und die 
Zeit, da er bereits von seinen jungen politischen Freunden den Beinamen »Vater 



Funke. 



219 



Funke« erhielt. Durch das Milieu wurde das Interesse des Dr. v. F. bestimmt. 
Seine politische Sorge gait hauptsachlich den nationalen Kampfen des deutschen 
Volkes, in denen er sich als aufrechter, unbeugsamer Mann bewahrte. Dabei 
hielt er es nie mit den Radikalsten, wie er auch nicht von dem krankhaften Ehr- 
geiz anderer befallen war, sich der Mode des Tages zu unterwerfen. Dr. v. F. 
trat als Liberaler in das politische Getriebe ein und blieb bis zu seinem Lebens- 
ende ein Liberaler alteren Schlages. Diese Standhaftigkeit war fur ihn charak- 
teristisch. Kein groflziigiger, richtunggebender Politiker, kein anregender, hin- 
reifiender Fiihrer, sondern ein verlafllicher Streiter in den ersten Reihen seines 
Volkes! 

F. erblickte im Hause seines Grofivaters in der Langen Gasse in Leitmeritz 
das Licht der Welt. Sein Vater war ein Getreidehandler, der aus der Boden- 
bacher Gegend kam, seine Mutter gehorte einer angesehenen Leitmeritzer 
Familie an. Als der jiingste unter vier Brudern besuchte Alois die Volks- 
schule und das Gymnasium in seinem Heimatsorte; dann ging es an die Uni- 
versitaten von Wien und Prag. In der bohmischen Hauptstadt wurde er im 
Juli 1 86 1 zum Doktor samtlicher Rechte promoviert. 

Nach der Riickkehr in seinen Geburtsort nahm der junge Konzipient an 
dem sachte aufbluhenden Vereinsleben rege teil. Er griindete in den sechziger 
Jahren den Deutschen Turnverein und die Freiwillige Feuerwehr; auch be- 
tatigte er sich in der Leitmeritzer Sparkasse, deren Direktor er spater wurde 
und bis zu seinem Tode blieb. Im Jahre 1864 wurde F. in die Gemeindever- 
tretung seiner Vaterstadt gewahlt; am 1. August 1893 (ibernahm er das Amt 
eines Biirgermeisters, das er bis zu seinem Lebensende inne hatte. An der 
Spitze der Gemeindevertretung entfaltete er eine eifrige Tatigkeit; er fiihrte 
verschiedene Neubauten durch, sorgte fur die Kanalisierung der Stadt und 
fur die Errichtung einer Wasserleitung. F., der im Jahre 1869 seine eigene 
Advokaturskanzlei eroffnete, wurde spater auch in die Bezirksvertretung 
entsendet. 

Seine politische Laufbahn begann aber eigentlich erst im Jahre 1880, als 
er von den Stadten Leitmeritz und Lobositz ein Mandat fur den bohmischen 
Landtag erhielt. Der Name F.s ist mit der ersten gcwalttatigen Obstruktion 
verkniipft, die es in Osterreich gab, und die im Prager Landtage wiitete. Nach 
dem Abschlusse des spater verungliickten deutsch-tschechischen Ausgleiches 
vom Jahre 1890 wurde F. in die bohmische Abgrenzungskommission entsendet, 
als deren Berichterstatter er am 17. Mai 1893 iiber die Errichtung eines Kreis- 
gerichtes in Trautenau zu referieren hatte. Die Jungtschechen bekampften mit 
aller Macht die inWien zustande gekommenen nationalen Abmachungen, und ihre 
Leidenschaft steigerte sich zu einem Sturme der Kampfeswut, alsF. an jenemMai- 
tage im bohmischen Landtage die Rednertribiine betrat. Ein ungeheurer Tumult 
entstand; die Sitzung muGte unterbrochen und wieder ergebnislos geschlossen 
werden. Die wiisten Szenen klangen auch aufierhalb des Landtagsgebaudes 
nach; sie fanden in den StraCen Prags ihre Fortsetzung. Um 11 Uhr nachts 
wurde vom Statthalter bekanntgegeben, dafi die Session des Landtages ge- 
schlossen sei. Die Jungtschechen hatten also erzwungen, was sie erreichen 
wollten. 

In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates kam Dr. v. F. im Jahre 1894 
als Vertreter seiner Vaterstadt. Er schlofi sich hier der vereinigten deutschen 



220 Funke. 

Linken an. Als diese zerfiel, trat er dem deutschen Fortschrittsklub bei, in 
dessen Vorstand er dann wirkte. Aus der Masse der ubrigen Abgeordneten hob sich 
Dr. v. F. erst heraus, als die heftigen nationalen Kampfe, die durch die Sprachen- 
verordnungen des Grafen Badeni entfesselt wurden, ganz Osterreich erschiitter- 
ten. Ehe der Ministerprasident Graf Badeni seine ungliickseligen Ordonnanzen 
eigenmachtig erliefi, um sich die Gunst der Tschechen zu sichern, berief er einige 
deutsche Abgeordnete zu sich. F., der sich unter den Eingeladenen befand, 
warnte den Ministerprasidenten offenherzig: »Das ist der Aufruhr, den Sie 
nach Deutschbohmen tragenl« Am 6. April 1897 gaben die deutschen Abge- 
ordneten, die mit dem Grafen Badeni in Fiihlung getreten waren, eine Er- 
klarung ab, in der sie die von ihnen vertretene Auffassung darlegten. Fast 
gleichzeitig tiberreichte F. im Parlamente einen Dringlichkeitsantrag, der in 
dem Satze gipfelte: »Das Haus wolle beschliefien: Die Regierung wird aufge- 
fordert, ihre beiden Verordnungen sofort aufier Kraft zu setzen.« Immer hoher 
gingen die Wogen der Aufregung; die Regierung wurde des Verfassungsbruches 
bezichtigt, und die Deutschen forderten im Abgeordnetenhause, dafl gegen 
das Ministerium die Anklage erhoben werde. In der bewegten Debatte, die 
hieruber im Mai entbrannte und drei Tage in Anspruch nahm, ergriff F. das 
Wort, um die Anklage wider die Minister zu begriinden. 

Auch auBerhalb des Parlaments gerieten die Gemuter in einen Zustand 
fieberhafter Erregung. Grofie Kundgebungen fanden allerorten statt, und als 
am 12. Juli 1897 in der Wallenstein-Stadt Eger ein imposanter Volkstag abge- 
halten wurde, bei dem der bertihmte »Schwur von Eger« geleistet ward, hielt 
Dr. v. F. eine begeisternde Ansprache. Im Herbst erreichte die Notwehr der 
Deutschen ihren Hohepunkt; das Parlament erlebte gegen Ende November jene 
denkwurdige ernste Obstruktion, die in den Strafien Wiens und anderer Stadte 
Widerhall fand und den Sturz des Grafen Badeni zur Folge hatte. In den 
Tagen der leidenschaftlichen parlamentarischen Kampfe wurde mancher sonst 
gelassene Politiker zum Streiter, zum zahen Verteidiger des mit Fuflen getrete- 
nen Rechts. Dr. v. F. stellte wahrend der Obstruktion redlich seinen Mann; 
damals hielt er eine Dauerrede, die sechs Stunden wahrte, und die ihm, als er 
nachher in seine Vaterstadt heimkehrte, mit einem festlichen Empfange und 
mit der Verleihung der Ehrenbtirgerschaft gelohnt wurde. An den Verhandlun- 
gen der deutschen Abgeordneten mit dem Nachfolger des Grafen Badeni, dem 
Ministerprasidenten Freiherrn v. Gautsch, nahm F. wiederholt teil. Die Spra- 
chenverordnungen der Regierung Gautsch, die eine Abschwachung der Badeni - 
schen Ordonnanzen bedeuteten, ohne jedoch den Deutschen zu geniigen, wurden 
von dem Leitmeritzer Abgeordneten heftig bekampft. Dem Ministerium Thun 
stand er gleich seinen ubrigen nationalbewufiten Volksgenossen in heftigster 
Opposition gegenuber. Das Zustandekommen einer Grundlage fiir die prakti- 
sche deutsche Gemeinburgerschaft, das seinerzeit vielgenannte »Pfingstpro- 
gramm« vom Mai 1899, war nicht zum geringsten Teile dem zielbewuBten Eifer 
des Dr. v. F. zugute zu halten. Die Regierung Clary schuf endlich wieder jenen 
Rechtszustand, der vor der Erlassung der Badenischen Sprachenverordnungen 
geherrscht hatte. Die Deutschen siegten also zuletzt, und sie konnten zu einer 
ruhigen politischen Betatigung zuruckkehren. Erwahnt sei noch, dafl F. in 
dem Ausschusse, der sich mit der Abschaffung des beruchtigten § 14 beschaftigte, 
Obmannstellvertreter war. Er brachte einen Dringlichkeitsantrag ein, um die 



Funke. Menger. 221 

sofortige Beratung des Ausschufiberichtes im Parlament zu ermoglichen. Dr. 
v. F. bezeichnete den Mifibrauch des Notverordnungsrechtes durch die Re- 
gierungen >>als das Grab der Freiheit und als den Fluch der Verfassung«. Der 
Abgeordnete, der sein Mandat trotz so vieler tiefgreifender Verschiebungen im 
Parteileben behauptete, fungierte dreimal als Altersprasident der Volksver- 
tretung. 

Im Jahre 1909 wurde der Biirgermeister und Parlamentarier in den Adels- 
stand erhoben; er wahlte das Pradikat »Edler v. ElbstadU. Der Tod uber- 
raschte ihn am 23. Januar 191 1 ganz plotzlich, rifi ihn fast vom Schreibtisch 
weg. F. war eben trotz seines Alters immer riistig gewesen. 

Siehe die Nekrologe in den verschiedenen Wiener Zeitungen vom 24. Januar 1911 und 
die Nummern der »Leitmeritzer Zeitung* vom 25. und 28. Januar 191 1. Aufierdem: Dr. 
Gustav Kolmer, )>Parlament und Verfassung in Osterreich*, Bd. 5, 6 u. 7. 

Richard Charmatz. 

Menger, Dr. Max, Edler v. Wolfensgriin, osterreichischer Politiker, * 10. Sep- 
tember 1838 in Neu-Sandec, f 30. August 191 1 in Mondsee. — Drei Bruder 
haben den Namen M. in Osterreich bekannt gemacht. Anton wirkte als bedeu- 
tender Rechtslehrer an der Wiener Universitat, Karl gereichte dieser Hochschule 
als Nationalokonom zur Zierde. Der alteste der Bruder, Max, war ein ange- 
sehener Politiker. Er verlebte seine Jugend in Biala, wo sein Vater als Advokat 
tatig war. Im Jahre 1848 verlor die kinderreiche Familie ihr Oberhaupt. Die 
Mutter, die nur ein sehr bescheidenes Vermogen besafi, liefi es sich trotzdem 
nicht nehmen, ihren Knaben eine kostspielige hohere Erziehung zuteil werden 
zu lassen. Max besuchte die erste Gymnasialklasse in Rzeszow und setzte seine 
Studien in Teschen fort. Er zeichnete sich unter seinen Mitschiilern durch Fleifi 
und Begabung aus, und das Maturitatszeugnis lobte besonders seinen deutschen 
Aufsatz, der »Scharfe und Grundlichkeit in der Auffassung, lichtvolle Anord- 
nung in der pragmatischen Durchfiihrung, logische Korrektheit, edle Wiirde, 
Neuheit und Lebhaftigkeit des Ausdrucks« aufwies. An der Wiener Universitat 
oblag Max mit groBem Eifer den juridischen Studien. Nach der iiblichen Kon- 
zipiententatigkeit liefi er sich in der alten Kaiserstadt im Jahre 1871 als Advokat 
nieder. Seiner Kanzlei fehlte es nicht an Erfolgen, und die gunstigen Ein- 
kommensverhaltnisse schufen dem Advokaten jene materielle Unabhangigkeit, 
die fiir den Politiker von so hohem Wert ist. 

Schon friih wandte sich Dr. M. dem offentlichen Leben zu. Er trat in Oster- 
reich als Apostel der Schulze-Delitzschschen Ideen auf und suchte dem durch 
den Aufstieg der Industrie gefahrdeten Kleingewerbe durch die organisierte 
Selbsthilfe verstarkte Behauptungsmoglichkeiten zu verschaffen. Als gegen 
Ende der sechziger Jahre das neue Vereins- und Versammlungsgesetz der 
politischen Tatigkeit zu einem Aufschwunge verhalf, bemiihte sich Dr. M., die 
Arbeiterschaft fiir die Lehren Schultze-Delitzsch' zu gewinnen und sie dem 
Liberalismus zuzufiihren. Doch schon waren die Anhanger Lassalles auf den 
Plan getreten, und es entspann sich in Wien ein harter Kampf zwischen den 
beiden Richtungen, in dem M. mehrmals als Redner hervortrat. Die Freunde 
der Selbsthilfe beriefen am 1. Dezember 1867 die erste grofie Arbeiterversamm- 
lung ein, die Wien in der nachrevolutionaren Zeit sah. Am Anfang des nachsten 
Jahres erlitten sie jedoch eine empfindliche Niederlage. Sie hatten die Arbeiter- 



222 Menger. 

schaft der Hauptstadt in das »Universum« gerufen, und etwa 3000 Personen 
waren dahin gefolgt. Max M. fuhrte das Referat. Aber die Anhanger Lassalles 
gewannen die uberwiegende Mehrheit fur sich, und die Abstimmung der Ver- 
sammlung fiel zu ihren Gunsten aus. Das Prinzip der Staatshilfe erwies sich 
als zugkraftiger. Doch beide Stromungen bestanden in der Arbeiterschaft fort, 
und es dauerte noch manches Jahr, ehe die »Selbsthilfler« ganz verdrangt wurden. 
Dr. M. nahm auch an den Kampfen des deutschen Burgertums gegen das Mini- 
sterium Hohenwart rege teil. Er gehorte zur radikaleren Gruppe innerhalb 
des Liberalismus, zu der Fortschrittspartei, zu den »Jungen«, die mit den Alt- 
liberalen in Fehde lebten. Seinem organisatorischen Geschicke gelang es, 
den Deutschen Verein in Wien zu begriinden und dadurch ftir geraume Zeit 
einen Sammelpunkt zu schaffen. Dr. M. lieB es sich auch angelegen sein, der 
Fortschrittspartei ein wirkungsvolles journalistisches Sprachrohr zu verschaffen. 
Die Wiener »Deutsche Zeitung« verdankte nicht zuletzt seiner Initiative ihr 
Entstehen. 

Die parlamentarische Laufbahn begann mit der Wahl in den Schlesischen 
Landtag. In diese Korperschaft wurde Dr. M. schon im Jahre 1870 von der 
Troppauer Handels- und Gewerbekammer als Abgeordneter entsandt, und er 
behielt sein Mandat durch mehr als dreieinhalb Jahrzehnte (bis 1907). Vielerlei 
Anregungen gingen von Dr. M. aus, und es gelang ihm, manche Reform durch- 
zufiihren. In nationaler Hinsicht suchte er die Interessen der Deutschen bei 
mehreren Anlassen zu wahren; der Landesfinanzwirtschaft wandte er sein 
besonderes Augenmerk zu. Fur die Erschlieflung neuer Bildungsmoglichkeiten 
trat Max M. mit vieler Energic ein; ebenso forderte er die sozialpolitischen und 
humanitaren Einrichtungen des Landes und die Ausgestaltung des Bahnwesens 
in Schlesien. 

In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates kam Dr. M. bei den Notwahlen 
des Jahres 1871. Der bohmische Landgemeindenbezirk Eger-Karlsbad iiber- 
trug ihm ein Mandat, das Dr. M. jedoch bald wieder zurucklegte. Im Jahre 1874 
wurde er von dem schlesischen Stadtebezirke Jagerndorf in das Parlament 
gewahlt, und der Wahlkreis blieb ihm durch Jahrzehnte erhalten, bis die all- 
deutsche Bewegung einen Umschwung herbeifiihrte. Vom Jahre 1897 bis 1907 
safi Dr. M. als Vertreter des Wahlbezirkes Mahrisch-Ostrau im Parlament. 
Er war einer der fleiCigsten Besucher der Sitzungen und ein liberaus tatiger Ab- 
geordneter. Als die Deutschen in den achtziger Jahren in die Opposition 
gedrangt wurden, bemuhte sich Dr. M. nicht ohne Erfolg, ihre durch Parteiungen 
zersplitterten Krafte wenigstens im Parlament zusammenzufassen. Er setzte 
sich ftir den ZusammenschluB der deutschen Abgeordneten, fur die Begriindung 
»der vereinigten Linken« ein; spater suchte er zwischen dem Deutschen Klub 
und dem Deutsch-osterreichischen Klub durch einen gemeinsamen Vollzugs- 
ausschuO eine Brticke zu schlagen. In den neunziger Jahren war er Vorstands- 
mitglied der »Vereinigten deutschen Linken«. Dr. M. hatte eine hohe Auffassung 
von den Pflichten eines Abgeordneten. Im Jahre 1875 unterbreitete er dem 
Parlamente den Entwurf eines Inkompatibilitatsgesetzes. In der Rede, die M. 
zur Begriindung dieses Schrittes hielt, fuhrte er aus, dafi die Anregung nicht 
»ein Kind der wirtschaftlichen Krise« sei, sondern »einer tief ethischen Idee« 
entspringe. Die Grundlage des Konstitutionalismus bilde das Pflichtgefiihl, und 
um dieses bei den Abgeordneten von alien schadlichen Einwirkungen freizu- 



Menger. 223 

halten, sollen Gewissenskonflikte ausgeschlossen werden, die entstehen miissen, 
wenn ein Abgeordneter zwischen den Pflichten seines offentlichen Mandats und 
den Pflichten eines Verwaltungsrates zu entscheiden hat. Der Vorschlag fiihrte 
zu keinem praktischen Ergebnisse. Noch heute fehlt in Osterreich ein Inkom- 
patibilitatsgesetz. Dr. M. beteiligte sich im Laufe der Jahrzehnte an vielen 
Debatten, seine Reden wiirden Bande fullen. Aber ebenso eifrig widmete er 
sich der sachlichen Arbeit in den Ausschtissen, und oft war er berufen, dem 
Abgeordnetenhause Referate zu erstatten. Im Jahre 1891 wurde er zum Ob- 
manne des Steuerausschusses gewahlt, so dafi sich unter seiner Leitung die ein- 
gehende Beratung der Steinbach-Plenerschen Steuerreform vollzog. M. gehorte 
ferner der Quotendeputation und der osterreichischen Delegation an. 

Fruhzeitig hatte er durch seine volkswirtschaftlichen Kenntnisse Aufsehen 
erregt. In Budget-, Wirtschafts- und Steuerfragen war er eine anerkannte 
Autoritat; er gait lange Zeit neben Josef Neuwirt als einer der besten Kenner 
der Finanzwirtschaft des Staates. Die Ziffernreihen des Budgets belebten sich 
ihm. »Aus dem Etat eines Staates« — sagte er in einem Vortrage — »laCt sich 
auf dessen Vergangenheit und Gegenwart, auf die Klassen des Volkes, die mafi- 
gebenden Einflufl auf die Regierung erlangten, endlich auf die Ziele, die das 
Staatsleben verfolgt, und auf die Art, wie diese Ziele erreicht werden, ein SchluB 
ziehen.« In die groCen Budgetdebatten, die das osterreichische Parlament der 
Vergangenheit erlebte, griff Dr. M. gern ein. Es waren die richtigen Gelegen- 
heiten zu politischen Abrechnungen, zu Riick- und Ausblicken. In alien Steuer- 
angelegenheiten wurde Dr. M.s Urteil sehr beachtet und erwogen, ohne daO 
deshalb seine Vorschlage Beriicksichtigung fanden. Doch gelang es ihm bis- 
weilen auch, einzelne seiner Gedanken durchzusetzen. Dr. M. hatte sich bereits 
an den Beratungen der sechs Steuervorlagen beteiligt, mit denen De Pretis 
hervorgetreten war, und er nahm von da ab auf alle Verhandlungen von Steuer- 
gesetzentwiirfen durch Wort und Schrift Einflufl. Die Erhohung der indirekten 
Steuern, die Dunajewski in den achtziger Jahren durchfiihrte, wurde von 
Max M. bekampft. Bei der Debatte iiber die Branntweinvorlagen erklarte er: 
»Wir wollen dem Kaiser von Osterreich Steuern zahlen, nicht aber einigen 
hundert herrschaftlichen Branntweinbrennern in Galizien.« Im Jahre 1885 
stellten Dr. Herbst und Dr. M. den Antrag, die Verzehrungssteuer in den ge- 
schlossenen Orten und auf dem flachen Lande umzugestalten. Die Ungleich- 
mafligkeit der Belastung der einzelnen Platze und der verschiedenen Bevolke- 
rungsklassen sollte beseitigt werden. Vom Verzehrungssteuerausschusse auf- 
gefordert, stellte Dr. M. das statistische Material fiir die Reform zusammen, 
das im Jahre 1887 in einer 158 Seiten umfassenden Schrift im Verlage der 
Staatsdruckerei in Wien veroffentlicht wurde. 

Alle Fragen der Wirtschaftspolitik interessierten Dr. M. sehr. Er wies die 
industriefeindlichen Regungen zuruck und nahm sich fortgesetzt des Gewerbe- 
standes an. Seiner Initiative entsprang die staatliche Gewerbeforderung in 
Osterreich, die seither einen betrachtlichen Umfang angenommen hat. Durch 
die Ausgestaltung des gewerblichen Schulwesens suchte er dem Handwerke 
geistig und technisch aufzuhelfen. Als in den siebziger Jahren der Kampf 
zwischen den Freihandlern und Schutzzollnern intensiv gefuhrt wurde, stand 
M. auf Seite derer, die den Zollschutz fur die Industrie forderten. Seine zoll- 
politischen Ansichten beleuchtet jedoch, was er einmal im Parlamente 



224 Menger. 

sagte: »Das Schutzzollsystem erheischt notwendig eine gute Finanzwirtschaft. 
Der Schutzzoll kann nie als etwas anderes aufgefafit werden als ein Obergang, 
wahrend dessen der Staat seine Krafte sammelt und die geschutzte Industrie 
oder Landwirtschaft sich starkt. . . . Wenn aber in einem Lande eine solche 
Finanzwirtschaft gefuhrt wird, dafi sich gar kein Kapital ansammeln kann, 
dafi jede entstehende Industrie ruiniert wird, . . . dann nutzt der Schutzzoll 
gar nichts, dann ist der Zollschutz eine Kriicke, und zwar eine verderbliche 
Krucke.« Den Bau neuer Eisenbahnen bemuhte sich Dr. M. allerorten zu 
fordern, um der Volkswirtschaft neue Verkehrswege zuganglich zu machen. 
Der Errichtung des Donau-Oder-Kanals sprach er wiederholt das Wort. 

Durch die Einfiihrung des Kuriensys terns und durch den hohen Steuer- 
zensus war der Wert des Mitbestimmungsrechtes fur die Bevolkerung herab- 
gedriickt und der Kreis der Vollbiirger sehr eingeengt. Bereits am 20. Juni 1870 
trat Dr. M. fur die damals noch aktuelle Loslosung des Parlaments von dem 
Willen der Landtage und fur die »Beseitigung des gegenwartigen Gruppen- 
systems« ein. Als in der Aera Taaffe der Wahlzensus auf funf Gulden herab- 
gesetzt, den sogenannten Fiinfguldenmannern der Weg zur Urne ermoglicht 
wurde, fand diese Reform Dr. M.s Zustimmung. Er unterstiitzte auch die 
Errichtung der fiinften Kurie mit dem allgemeinen, gleichen Stimmrechte in 
der Zeit des Ministeriums Badeni. Wohl wurden, so meinte er, die Deutschen 
einen grofien Verlust an Mandaten erleiden, doch es sprachen sozialreforma- 
torische, wirtschaftliche und politische Griinde dafiir, dafi sich die Liberalen 
fur die Erweiterung des Stimmrechts entscheiden, denn die 72 Abgeordneten 
des allgemeinen neuen Wahlrechts miifiten sich fur freiheitliche Einrichtungen 
einsetzen und gegen die reaktionaren Bestrebungen auftreten. Im Oktober 1905 
hatte das osterreichische Abgeordnetenhaus eine bedeutungsvolle Wahlreform- 
debatte. Damals fiihrte Dr. M. aus, dafi er das allgemeine, gleiche Stimmrecht 
in Osterreich erst dann gutheiflen konnte, wenn die Vorbedingungen geschaffen 
waren, die eine Schadigung der deutschen Interessen ausschlossen. Nicht un- 
erwahnt moge bleiben, dafi Dr. M. wiederholt sozialpolitische Mafinahmen 
beftirwortete und den Ausbau des Versicherungswesens empfahl. 

Als Sohn des deutschen Volkes bemuhte er sich immer und iiberall, fiir die 
nationalen Bedtirfnisse seiner Stammesgenossen einzutreten. Die ubertriebe- 
nen Anspruche der Tschechen wies er energisch zuriick. Im Jahre 1892 kam 
es im Parlamente zu einem heftigen Zusammenstofie Dr. M.s mit Prof. Dr. 
Masaryk. Dr. M. rief erregt aus: »Wir kennen keinen bohmischen Staat. Ich 
halte es fiir Hochverrat, von einem bestehenden bohmischen Staate zu sprechen. 
Hochverrater sind Sie, wenn Sie vom bohmischen Staate sprechen .« Diese 
gegen Prof. Masaryk gerichteten Satze hatten einen formlichen Tumult zur 
Folge, und der President mufite die Sitzung vorzeitig schliefien. Am nSchsten 
Tage erklarte Dr. M., dafi er nur seiner Erregung Ausdruck gegeben habe und 
dafi es nicht seine Absicht gewesen sei, jemanden zu kranken. Der Sturmlauf 
der Deutschen gegen die Badenischen Sprachenverordnungen rief auch ihn 
auf den Plan. Am 5. April 1897 schleuderte Dr. M. wuchtige Vorwurfe gegen 
die Regierung. »Das sind die Grtinde« — schlofi er seine Darlegungen — , »wes- 
halb wir die Ministeranklage erheben. Wie die gegnerischen Parteien darliber 
entscheiden mogen, das lasse ich dahingestellt, eine Ehre wird es fiir keinen sein, 
wenn er seine Stimme fiir Rechtsbruch und Rechtsvergewaltigung abgibt. 



Menger. 225 

Ober uns steht die Gcschichte, und diese wird iiber uns entscheiden.« Die Rede 
erschien als Broschiire und wurde in mehreren tausend Exemplaren verbreitet. 
Das Ministerium Thun fand in M. gleichfalls eincn heftigen Widersacher; er 
nahm an der Obstruktion teil, bis das Unrecht, das an den Deutschen veriibt 
war, ausgemerzt wurde. Einen ihm am 2. Dezember 1898 verliehenen Orden 
wies er mit der Motivierung zuriick, dafi er ftir die Gnade des Monarchen Dank 
wisse, aber eine Auszeichnung nicht annehmen konne, die ubcr Vorschlag eines 
Ministeriums erfolgt sei, gegen das er sich in entschiedener Opposition befinde. 

Als das Konkordat noch, wenngleich bereits durchlochert, in Kraft war, 
verlangte Dr. M. dessen restlose Aufhebung. Nachher wandte er sich mit un- 
verminderter Energie gegen alle Eingriffe der Kirche in die Politik und gegen 
die reaktionaren Bestrebungen, die in Schwung kamen. Im Februar 1880 
forderte der bohmische Episkopat die Wiederherstellung der konfessionellen 
Schule. In einer scharfen Interpellation nahm Dr. M. gegen dieses Ansinnen 
Stellung. Die konfessionelle Unduldsamkeit wurde von ihm schroff zuriick- 
gewiesen, und deshalb bekampfte er auch die antisemitische Stromung. 

So vielgestaltig war die parlamentarische Tatigkeit, die Dr. M. entfaltete, 
dafi es ein vergebliches Bemuhen ware, auf engem Raume mehr als einige mar- 
kante Ziige bieten zu wollen. Aber seine Arbeitsamkeit entwickelte sich nicht 
blofl im osterreichischen Abgeordnetenhause und im Schlesischen Landtage, 
sondern kam auch dem Wiener Gemeinderate zugute, dem er in der Zeit von 
1882 bis 1885 als Vertreter des ersten Wahlkorpers der Leopoldstadt angehorte. 
Im Rathause beschaftigte sich Max M. vornehmlich mit Steuer- und Appro- 
visionierungsangelegenheiten. Die tjberbiirdung mit Geschaften zwang ihn, 
der Tatigkeit im Gemeinderate zu entsagen. Wiirde er sie aufrechterhalten 
haben, dann hatte er gunstige Chancen gehabt, Vizeburgermeister oder gar 
Burgermeister zu werden, denn er erfreute sich im Kreise seiner Gemeinderats- 
kollegen einer aufierordcntlichen Schatzung. 

Dr. M. war ein gewiegter Debatter, ein Redner, dem das Wort leicht zuflog. 
Er hat jedoch auch als Schriftsteller fur seine Ideen gekampft, sein reiches, 
vielseitiges Wissen zur Geltung gebracht. Zahlreiche Zeitungsartikel trugen 
seinen Namen, viele inhaltsreiche Essays entstammten seiner Feder. Seine 
Beitrage ftir das »Finanzarchiv« seien besonders hervorgehoben. Von seinen 
Schriften fuhren wir an: 

»Die auf Selbsthilfe gestutzten Genossenschaften im Handwerker- und Arbeiterstande*. 
Wien 1866. — »Die Wahlreform in Osterreich.* Wien 1873. — »Die direkten Steuern in 
Osterreich und die Versuche, sie zu reformieren*, ein Vortrag. Wien 1881. — »Triester Fragen.« 
Separatabdruck aus der Allgemeinen Zeitung. Munchen 1890. — »Die Reform der direkten 
Steuern in Osterreich «. Wien 1895. — »Staatskrise und Staatsstreichenthusiasten.« Wien 
1901. — Viel benutzt und grundlegend ist das Buch »Der bohmische Ausgleich*, das 1891 
bei Cotta in Stuttgart erschien. 

Dr. M. war ein Mann von hervorragender und umfassender Bildung; ihm 
kam ein gutes Gedachtnis und eine seltene Arbeitskraft zustatten. Aufler- 
ordentliche Sprachkenntnisse verschafften ihm eine Cbersicht uber die ver- 
schiedensten Literaturen. Dr. M. beherrschte neben seiner Muttersprache noch 
die lateinische, franzosische, englische, italienische, polnische und tschechische 
Sprache. Er war ein Charakter, unbeirrbar durch Gunst und Mifigunst; nichts 
konnte ihn von dem Wege abbringen, den er als richtig erkannte. Er buhlte 

Biogr. Jahrbucli u. Deutscher Nck.ro log-. 16. Bd. I 5 



226 Menger. Grober. 

nicht um Gunst und fand in dem Gefuhle der erfullten Pflicht voile Befriedigung. 
Dabei war er ein Kampfer, der auch den Gegner achtete und jedes niedrige 
Mittel verabscheute. Die gute Form wollte er in der Politik nicht missen. Durch 
seine Parteizugehorigkeit wurde er meistens zur Opposition gedrangt; doch 
selbst in der Ablehnung suchte er »positiv-produktiv« zu wirken. 

Vom Jahre 1907 ab zog sich Dr. M. vom offentlichen Leben zuruck, nachdem 
er schon friiher seine Advokaturspraxis aufgegeben hatte. Wahrend seines 
Sommerurlaubs wurde er am 30. August 191 1 in Mondsee vom Schlage geriihrt. 
Ein arbeitsreiches, mit Erfolgen und innerer Befriedigung gesegnetes Dasein 
war dadurch plotzlich zum Abschlufl gebracht. Dr. M. lebte in gliicklicher, 
aber kinderloser Ehe. 

Nach Mitteilungen des Herrn Hofrats Prof. Dr. Karl Menger, Mitglied des Bsterreichi- 
schen Herrenhauses, der Frau Marie Menger und des Herrn Dr. Sigmund Goldberger. Aufier- 
dem: Dr. Gustav Kolmer, »Parlament und Verfassung in Osterreich« f Bd. 2 — 7 ; Julius Deutsch, 
•Geschichte der 6sterreichischen Gewerkschaftsbewegung«; die verschiedenenWiener Zeitungen 
vom 30. und 31. August 191 1; stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses und die 
Schriften Dr. Max Mengers. 

Richard Charmatz. 

Grober, Gustav, Universitatsprofessor der romanischen Philologie, * 4- Mai 
1844 in Leipzig, f 6. November 191 1 in StraBburg. — Er erhielt seine erste Aus- 
bildung in Leipzig, wo er das Gymnasium absolvierte, nachdem er einige Zeit 
im Buchhandel gewesen war und romanische und klassische Philologie studierte. 
Er promovierte bei Ebert im Jahre 1869 auf Grund einer bedeutenden Arbeit 
uber »Handschriftliche Gestaltungen der Chanson de geste von Fierabras«. 
Nachdem er ein Jahr lang als Hauslehrer bei einem Grafen Waldstein in Bohmen 
gewesen war, wurde er 1870 besoldeter Privatdozent, 1871 Extraordinarius fur 
romanische Philologie in Zurich. 1874 wurde er Ordinarius in Breslau und 
folgte 1880 einem Rufe nach Strafiburg als Nachfolger Bohmers. Trotz eines 
glanzenden und sehr verlockenden Rufes nach Leipzig, seiner Vaterstadt, als 
Nachfolger seines Lehrers Ebert (1890) blieb er bis an sein Lebensende der 
Kaiser-Wilhelms-Universitat treu. Eine schmerzliche, lastige Krankheit zwang 
ihn 1909 seinen Abschied zu nehmen. Er siechte noch bis zum 6. November 191 1 
dahin, wo ihn der Tod erloste. 

G. ist vor allem ein Enzyklopadiker und Organisator ersten Ranges ge- 
wesen. Die Zeitschrift fiir romanische Philologie, die er 1877 grundete, der er 
die wichtigste bibliographische Hilfsquelle der Romanistik, die bekannten 
»Supplementhefte« angliederte sowie die »Beihefte« zugesellte, der GrundriQ fiir 
romanische Philologie (1. Band 1888, 2. Auflage 1904 — 1906; 2. Band 1897 bis 
1902), ein grofiartiges Werk, in dem er eine Menge Gelehrter des In- und Aus- 
landes um sich vereinigte, ein Werk, in dem er zum ersten Mai ebenso klar wie 
weitsichtig auseinandersetzte, welches die Aufgaben, die Ziele und Ideale der 
Romanistik sein sollten, endlich die Bibliotheca romanica, eine Sammlung 
romanischer Texte in mustergultigen, jedem zuganglichen Ausgaben, reden in 
dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. 

Die Arbeiten, die G. im Grundrifi veroffentlichte, sind teils historischer, 
teils methodischer, teils literarischer Art. Es sind im 1. Bande die »Geschichte 
derromanischenPhilologie«(i — 185), die »AufgabeundGliederung der romanischen 



Grtfber. Brosi. 227 

Philologie« (186 — 202), die miindlichen Quellen (254 — 266), dieMethodik und Auf- 
gaben der sprachwissenschaftlichen Forschung (267 — 317), die Einteilung und 
auflere Geschichte der jomanischen Sprachen (535 — 563), im 2. Bande I. die Ober- 
sicht iiber die lateinische Literatur (97 — 432) und die Altfranzosische Literatur 
(433 — 1247). An sonstigen Arbeiten hat G. vor allem herausgegeben: Alt- 
franzosische Romanzen und Pastourellen 1872, Liederhandschriften der Trouba- 
dours 1877, die vulgarlateinischen Substrate romanischer Worter in Wolfflins 
Archiv fur lateinische Lexikographie (1884 — 1892), Wahrnehmungen und Ge- 
danken (Aus der Zeit, Fur die Zeit, Zur Klarung 1875 — 1910, StraBburg, Heitz 
und Miindel, eine Sammlung von Aphorismen). 

G. ist als Gelehrter und Lehrer auBerordentlich anregend gewesen. Seine 
erste textkritische Arbeit hat fur die Folgezeit die Richtschnur angegeben, 
seine Theorie der Ausbreitung der romanischen Sprachen von gewissen Sprach- 
zentren aus hat die Sprachgeographie befruchtet, seine im GrundriB ausge- 
sprochenen Ansichten liber Ortsnamenforschung und Syntax haben eine Menge 
von Arbeiten gezeitigt. Wahrcnd seiner Breslauer und StraBburger Wirksam- 
keit hat G. 93 Dissertationen angeregt, und zwar iiber die allerverschiedensten 
Themata. Eine grofie Anzahl der Romanisten an deutschen Universitaten sind 
seine Schuler gewesen. 

G.s altfranzosische Literaturgeschichte im GrundriB ist die erste in Deutsch- 
land erschienene, die nur wissenschaftlichen Zwecken diente, eine wahre Bene- 
diktinerarbeit, das Ergebnis langer, gewissenhafter Arbeit, eine Fundgrube fur 
jeden, der sich mit der Literatur Altfrankreichs beschaftigt, ein unentbehrliches 
Hilfsmittel fur die Wissenschaft. Und nicht etwa eine ^Compilation, sondern 
ein durchaus originelles Werk, das iiber viele schwierige Fragen, so iiber die 
Entstehung des altfranzosischen Epos und der Lyrik, seine ganz eigenartigen 
Gedanken enthalt. Es gibt uberhaupt wenige Fragen der romanischen Philo- 
logie, zu denen G. nicht das eine oder andere Mai Stellung genommen hatte. 
Sein regcr Geist interessierte sich fur alles, auch fur die modernste Literatur. 
Freilich war sie ihm nicht sympathisch, und oft auBerte er sich scharf iiber die 
Hervorkehrung der Elendsgefiihle im franzosischen Naturalismus, iiber den 
Materialismus, der den Menschen erniedrige statt ihn zu erheben. G. war 
eine ideal gerichtete Natur. Mit eiserner Energie kampfte er alles nieder, was 
nach seiner Ansicht die Seele des Menschen knechtete. Sich selber gdnnte er 
keine Ruhe. Er war hart gegen sich. Er hatte etwas Asketisches. Dagegen 
war er von der groBten Giite seinen Schiilern gegeniiber. Freigebig und selbstlos 
stellte er ihnen die Schatze seines ungeheuren Wissens und seine tatkraftige 
Hilfe zur Verfiigung. So hat er sich denn auch bei seinen Schiilern der groBten 
Anhanglichkeit erfreut. Er wird ihnen unvergefilich sein. Die Romanistik 
wird ihn aber stets als einen ihrer GroBten verehren. 

Bonn. Heinrich Schneegans. 

Bros!, Albert, * 7. April 1836, f 8. Mai 191 1. — B., heimatberechtigt in 
der solothurnischen Gemeinde Mumliswil, spater auch in der Stadt Solothurn, 
geboren und aufgewachsen in Olten (Kanton Solothurn), besuchte die Primar- 
(Volks-)schulen und die Bezirks-(Sekundar-)schule seiner Geburtsstadt. Die 
Vorbildung fur das Universitatsstudium holte er sich von 1850 bis 1856 am 
Gymnasium der kantonalen »Hohern LehranstalU, der jetzigen Kantonsschule, 

15* 



228 Brosi - 

in der Kantonshauptstadt Solothurn. Nachdem B. die Maturitatsprufung 
vorziiglich bestanden hatte, begann er seine juristischen Studien mit einem 
Aufenthalt im franzosisch-schweizerischen Sprachgebiet, an der (damaligen) 
Akademie (nun Universitat) Genf, um im Fruhjahr 1857 die Universitat Heidel- 
berg zu beziehen, wo er zweimal einen Preis der Fakultat sich errang, bei 
allem eifrigen Studienbetrieb aber ein lebensfroher ajcademischer Burger war 
und sich unter seinen Kommilitonen, besonders seinen Landsleuten, manchen 
Freund furs Leben erwarb. Das Jahr 1859/60 verbrachte B. an der Univer- 
sitat Berlin. Hier wie in Heidelberg war es ihm vergonnt, auf Grund seiner 
ungewohnlichen juristischen Begabung mehreren seiner akademischen Lehrer 
naherzutreten. Die Briefe, die der junge Solothurner wahrend seiner vier 
Universitatsjahre an seinen vaterlichen Freund, den Kantonsschul-Prafekten 
Jose£ Hartmann in Solothurn, schrieb, und die nach B.s Tode durch den 
Bundesrichter a. D. Dr. Leo Weber in Auswahl veroffentlicht worden sind 
(»Aus Briefen eines solothurnischen Universitatsstudenten«, Olten 1912), geben 
Zeugnis sowohl von der ernsten Auffassung, die der okonomisch schwach 
dotierte Student von seiner Aufgabe hatte, als auch von dem scharfen Urteil, 
mit dem er das offentliche und akademische Leben zu zeichnen und zu 
wurdigen verstand; sie beweisen, dafl B. griindlich in die Disziplinen der 
Rechtswissenschaft eingedrungen war und ernstlich die Frage, ob er sich 
dem Beruf des Universitatslehrers widmen sollte, erwagen durfte. Auf diese 
Laufbahn, wie auf die Erwerbung der juristischen Doktorwurde verzichtete er 
aus finanziellen Bedenken. 

In Solothurn bereitete sich B. 1860/61 auf das Advokatenexamen vor. 
Nach der einjahrigen Betatigung als Rechtspraktikant bestand er mit Aus- 
zeichnung die Staatspriifung, gestutzt auf welche ihm das Patent als Fiirsprech 
(Rechtsanwalt) und Notar erteilt wurde. Mit Neujahr 1862 begann B. die 
Ausiibung des Anwaltsberufes in Solothurn. Er blieb ihm treu bis zu Ende 
des Jahres 1874 und kehrte zu ihm spater, nach seinem Austritt aus der Re- 
gierung, 1882, zuriick. Die juristische Bildung, die Arbeitskraft und Gewissen- 
haftigkeit B.s sicherten seinem Advokaturbureau bald einen Ruf auch uber die 
Grenzen des Heimatkantons hinaus. Seine Rechtsschriften galten als Muster 
streng logischen Aufbaues und biindiger Fassung. Als Anwalt des Staates war 
ihm als dem Meister des Zivilprozesses des ofteren die Wahrung offentlicher 
und fiskalischer Interessen in wichtigen Rechtsstreitigkeiten anvertraut; dem 
gesuchten Verteidiger B. sicherte die Gabe glanzender und klarer Beredsamkeit 
auch vor dem Schwurgericht manchen Erfolg. 

Der burgerliche Beruf erschopfte aber das Leben schon des jungen Ad- 
vokaten nicht. Als ein in sich abgeklarter, uberzeugungstreuer, freisinniger 
Mann betrat er das Gebiet der Politik, in dem er dem Kanton und der Eid- 
genossenschaft wahrend Jahrzehnten wertvolle Dienste leisten sollte. 

In den kantonalen Parteikampfen zu Ende der sechziger Jahre des letzt- 
verflossenen Jahrhunderts finden wir Fiirsprech Albert B. als Fiihrer in der 
vordersten Reihe. Im Jahre 1856 war im Kanton Solothurn durch die von 
Wilhelm Vigier geleitete Verfassungsrevisionsbewegung das alte liberale System 
gestiirzt worden. Gegen die neue Regierung aber erhoben sich bald Stromungen 
der Unzufriedenheit; man warf ihr eine ungesunde Finanzverwaltung, zu starke 
Berlicksichtigung der politischen FarbebeiStellenbesetzungenvor. Diezunehmen- 



Brosi. 



229 



de Erstarkung der Opposition fuhrte in den Jahren 1867 bis 1869 zu einemerbitter- 
tenKampfezwischenderregierenden Partei, densogenannten»Roten«, und den An- 
hangern der neuen Oppositionspartei, den sogenannten »Grauen«. Den beiden, in 
der eidgenossischen Politik gemeinsam die freisinnige Richtung vertretenden 
kantonalen Parteien fehlte die geschlossene Zusammensetzung. Die Geistlichkeit 
sympathisierte damals mit dem bestehenden Regiment, dessen Fuhrung Land- 
ammann Vigier innehatte. In der Oppositionspartei der »Grauen« standen an 
der Spitze Albert B. und der ihm in juristischer Scharfe wie in politischer Be- 
gabung kongeniale Rechtsanwalt Leo Weber, der spatere Nationalrat, eid- 
genossische Justizsekretar und Bundesrichter. In leidenschaftlicher Fehde 
bekampften sich beide Parteien. Das Steuergesetz und das Beamtenbesoldungs- 
gesetz kamen zu Fall. Indes vermochten die Schlappen, welche das herrschende 
System durch den Fall von Gesetzesvorlagen erlitten hatte, nicht, seine Macht 
zu brechen, und die bedenkliche Ausschliefllichkeit, die gegenseitige personliche 
Befehdung dauerten fort. Die Partialrevisionen der kantonalen Staatsver- 
fassung von 1867 und 1869 brachten wohl Erweiterungen der Volksrechte, aber 
keine bessere Staatsverwaltung. 

Weltgeschichtliche Ereignisse traten ein. Der Dcutsch-Franzosische Krieg 
lenkte von dem kantonalen Parteizwist ab; der gemcinsame militarische Grenz- 
dienst naherte die leitenden Personen. Die Erklarung der papstlichen Unfehlbar- 
keit rief die Freisinnigen auch des Kantons Solothurn ohne Riicksicht auf person- 
liche Spannungen zum Aufsehen. Dem nach dem negativen Volksentscheid vom 
12. Mai 1872 fortlebenden groOen Gedanken der Revision der schweizerischen 
Bundesverfassung huldigten beide Fraktionen der Solothurner Liberalen, die 
der Regierung freundlich gesinnte und die oppositionelle. Das alles wirkte mit, 
daC in der denkwiirdigen Versammlung zu Langenthal vom 19. Mai 1872 endlich 
die feindlichen Briider, die »Roten« und die »Grauen«, sich die Hand zur Ver- 
sohnung reichten zu einer einzigen »weiflen« liberalen Partei mit dem Programm, 
den Kanton Solothurn in eidgenossischen Fragen dem Bund als freisinnigen Stand 
zu erhalten, in kantonaler Beziehung ihn immer mehr der fortschrittlichen 
Entwicklung zuzufuhren und endlich der »schwarzen« Partei, den Ultramontanen 
oder Konservativen, gegenuber entschieden und vereint Front zu machen. Be- 
kraftigt wurde die »Langenthaler Bleiche«, wie die Gegner der freisinnigen 
Politik diesen Zusammenschlufl geringschatzig nennen zu diirfen glaubten, 
durch eine gewaltige Volksversammlung zu Olten am 20. Oktober des gleichen 
Jahres. Auf Seite der »Roten« kam Vigier, auf derjenigen der »Grauen« neben 
Leo Weber vornehmlich B. das Verdienst der Einigung zu, auf deren Grundlage 
eine erspriefiliche Politik zum Wohle des Kantons sich entwickeln konnte. 

Der kantonalen gesetzgebenden Behorde, dem Kantonsrat, gehorte B. 
von 1869 bis 1874 und von 1882 bis 1896 an. Ebenso entsandte ihn das Volk 
in den Verfassungsrat von 1875 und 1887, aus welchen Raten die neuen Grund- 
gesetze des Kantons hervorgingen. Im Plenum des Rates wie in den Aus- 
schiissen (Kommissionen) war B.s Votum stets von Bedeutung, vielfach aus- 
schlaggebend. Viermal wurde er fur je ein Jahr zum Prasidenten des Kantons- 
rates ernannt: 1874, 1887, 1890 und 1896. 

Das Jahr 1875 fuhrte den gewandten Advokaten und feurigen Volksredner 
in den Regierungsrat, die vollziehende Behorde des Kantons. Hier war er vorab 
Chef der Justizverwaltung, des Innern und des Eisenbahnwesens (1875 bis 1876). 



230 



Brosi. 



Sodann leitete er die Justizverwaltung und das Erziehungswesen (1877 bis 1882). 
Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen sind wahrend seiner Vorsteherschaft 
aus diesen Departementen, deren letzteres den Chef besonders durch die Menge 
laufender Geschafte stark in Anspruch nimmt, hervorgegangen. Als Vorsteher 
des Erziehungsdepartementes lag ihm die Entwicklung der Kantonsschule 
(Gymnasium und Realschule, heute auch Lehrerseminar und Handelsschule 
umfassend) am Herzen; nach innen suchte er sie durch die Wahl tuchtiger Lehr- 
krafte zu starken, wahrend er die befriedigenden aufieren Voraussetzungen 
sicherte durch die Schaffung des neuen Schulgebaudes. Besondere Hingabe 
und Warme empfahl der Erziehungsdirektor B. den Volksschullehrern in bezug 
auf den konfessionslosen Sittenunterricht, der — als Gegenstuck zu dem eben- 
falls im Stundenplan beriicksichtigten spezifisch konfessionellen Religions- 
unterricht der Geistlichen — in den solothurnischen Primarschulen als Be- 
standteil des Lehrplans in neutralem Sinne durch die Lehrer zu erteilen ist. 

Als Landammann (Regierungsprasident) ftihrte Regierungsrat B. dreimal 
den Vorsitz in der Regierung: 1875, 1877, 1882. 

Im Kampfe gegen das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes war B. 1871 
voran gestanden. In den folgenden Jahren hatte er die christkatholische (alt- 
katholische) Reformbewegung tatkraftig gefordert. Er leitete die National - 
synode; unter seinem Presidium fand 1876 die Wahl des ersten christkatholi- 
schen Bischofs der Schweiz statt. 

Vor seinem Eintritt in die Regierung stand B. ununterbrochen im Vorder- 
treffen des solothurnischen »Kulturkampfes«. Er unterstiitzte die Vorlagen 
des Regierungsrates betreffend die obligatorische periodische Wiederwahl der 
Geistlichen, die Aufhebung mehrerer Kollegiat-Stifte und des Benediktiner- 
Klosters Mariastein, die Amtsentsetzung des renitenten Bischofs der Diozese 
Basel, Eugenius Lachat Auf eine die Staatshoheit und die biirgerlichen 
Freiheitsrechte wahrende Regelung der kirchlichen Fragen zielte er vor allem 
ab, als er in Volksversammlungen und Behorden die Revision der Bundes- 
verfassung forderte, als er mithalf, die eidgenossische Revisionsbewegung 
durch den Volkstag von Solothurn (15. Juni 1873), jene machtige Kund- 
gebung der freisinnigen Schweiz, in Gang zu bringen. Der Tag fiihrte zur 
Schaffung und Annahme der heute in Kraft stehenden Bundesverfassung vom 
29. Mai 1874. B. blieb seinem Standpunkte auch als Mitglied der kantonalen 
Regierung treu, schutzte namentlich als Erziehungsdirektor die Schule gegen 
Eingriffe der Kirche und wehrte Ubergriffen einzelner Geistlicher in die staat- 
liche Rechtssphare. 

Um die Mitte des Jahres 1882 schied B. aus der solothurnischen Kantons- 
regierung aus. Familienrucksichten veranlafiten ihn, schon nach siebenjahriger 
Amtstatigkeit die karglich besoldete Staatsstelle wieder an die den Lebens- 
bediirfnissen besser gerecht werdende Advokatur zu vertauschen, in deren 
Ausiibung er zu den fruheren zwolf Jahren noch weitere neunzehn Jahre er- 
spriefllichen Wirkens fligte. 

Mit Regierungsrat Wilhelm Vigier, dem »Landammann« und vielver- 
dienten, wahrend dreiflig Jahren einflufireichsten Volks- und Staatsmanne 
des Kantons, blieb B. auch nach dem Austritt aus der Regierung an der 
Spitze der freisinnigen Partei. Als im Jahre 1886 nach dem Tode Vigiers Fur- 
sprech Oskar Munzinger in den Regierungsrat eintrat, ging auch die oberste 



Brosi. 231 

Fuhrung der Partei mehr und mehr an den in der Exekutive wirkenden Partei- 
freund iiber. Doch blieb B., der wieder dem Kantonsrat angehorte, in der 
Parteileitung. Er stellte seine Erfahrung und seine Einsicht zur Verfugung, 
besonders als es gait, den Finanzhaushalt des Staates neu zu ordnen, nachdem 
dieser an zwei Bankinstituten, deren Verwaltung die leitenden Manner in ver- 
trauenswiirdigen Handen glaubten, durch unvorsichtige Kreditierungen ge- 
waltige Verluste erlitten hatte. Die Aufregung und die MiBstimmung im Volke 
iiber diese Vorkommnisse hatten die Ultramontanen und eine Anzahl fron- 
dierender Liberalen zu ciner kraftigen und regen Oppositionspartei zusammen- 
gefiihrt. Es mufite der Gefahr begegnet werden, dafl die Opposition auf 
Grund der weit verbrciteten Unzufriedenheit Oberwasser erhalte, obgleich 
die freisinnige Partei als solche gegeniiber den beklagenswerten Vorfallen integer 
dastand. Die Verfassungsrevisionsbewegung von 1886/87 endete nach heftigen 
Kampfen in den abschliefienden Volksabstimmungen und -Wahlen mit einem ent- 
schiedenen Siege der Freisinnigen. Doch schien es angezeigt zu sein, der 
konservativen Partei im Hinblick auf ihre verhaltnismafiige Starke sofort einen 
Sitz im funfkopfigen Regierungsrat einzuraumen, ganz abgesehen davon, daB 
die neue Verfassung vom 23. Oktober 1887 den Grundsatz der Vertretung 
der Minderheiten in den Behorden allgemein ausgesprochen hatte. Das Volk 
stimmte dieser weisen Konzession zu. Die Notwendigkeit, dem Staate neue 
Mittel zur Verfugung zu stellen, leitete nach einigen Jahren zu einer Verstandi- 
gung der Parteien liber, die in der Partialrevision der Verfassung von 1895 
ihren Ausdruck fand; sie enthielt das Recht des Volkes zur Initiative auf Par- 
tialrevision der Verfassung, den Grundsatz des Proportionalverfahrens fur die 
Wahl des Kantonsrates und derGemeinderate, sowie die Einfiihrung einer direk- 
ten Staatssteuer. Nach dem Abschlufi dieser Bewegung, im Jahre 1896, als 
der Kantonsrat zum erstenmal nach dem von B. grundsatzlich nicht gutge- 
heiCenen, doch angesichts der Lage angenommenen »Proporz« zu wahlen war, 
erklarte B. unter Hinweis auf seine gesundheitlichen Verhaltnisse, daB er sich 
nicht mehr portieren lasse. Zuerst fiinf, dann vierzehn Jahre lang hatte er 
verschiedene Wahlkreise im kantonalen Parlament vertreten. 

Seine eidgenossischeLaufbahn begann B. 1872 mit der Wahl in den National - 
rat, die nach der Bevolkerungszahl und zufolge eidgenossischer Vorschrift durch 
direkte Volkswahl gebildete Kammer des Bundesparlamentes. Der Eintritt 
in die solothurnische Regierung zwang ihn Ende 1874 zur Niederlegung des 
Nationalratsmandates. Schon in diesem Jahre war der neue solothurnische Ab- 
geordnete in der Bundesversammlung derart akkreditiert, daB seine Wahl in 
das durch die Bundesverfassung von 1874 zur standigen Institution erhobene 
Bundesgericht in Aussicht genommen war und erfolgt ware, hatte nicht B. zu- 
gunsten des Solothurners Blasi verzichtet. Von 1875 an gehorte Regierungs- 
rat B. wahrend seiner ganzen kantonalen Amtszeit, bis 1882, dem schweizerischen 
Standerat an, d. h. der Kammer, in der jeder Stand (Kanton) eine gleiche, 
in einzelnen Kantonen durch die Legislative, in den andern durch die 
Stimmberechtigten direkt ernannte zweikopfige Vertretung besitzt. 1882 
kehrte B. in den Nationalrat zuruck. Das Jahr 1892 brachte ihm die Ehre, 
den Nationalrat als President zu leiten. 

B. genoB in der Bundesversammlung bei seinen Parteifreunden sowohl als 
bei den andern Fraktionen groBes Ansehen. In zahlreichen Kommissionen wie 
im Rate selbst betatigte er sich als aufierst fruchtbares Mitglied. Vor allem in 



232 



Brosi. 



juristischen Fragen, insbesondere in staatsrechtlichen Materien waren seine 
klaren, wohldurchdachten Voten von entscheidendem EinfluC. Als Kommis- 
sionsberichterstatter in ernster Angelegenheit internationaler Politik fand er 
das gemessene, der Wiirde des Landes entsprechende Wort. Der im Gebiete 
des Privatrechts durch Studium und Anwaltspraxis bestfundierte langjahrige 
Parlamentarier nahm regen Anteil auch an der Beratung des schweizerischen 
Zivilgesetzbuches; durch das eidgenossische Justizdepartement war B. bereits 
in die zur Vorbereitung der Kodifikation bestellte Expertenkommission be- 
rufen worden. 

SechsunddreiGig Jahre hatte B. dem schweizerischen Parlament angehort. 
Er gait als eines seiner hervorragendsten Mitglieder. Zunehmende korperliche 
Gebrechlichkeit bestimmten 1908 den ergrauten, doch geistig jugendfrisch ge- 
bliebenen Politiker, eine erneute Wiederwahl anlaBlich der Integralerneuerung 
abzulehnen, zum Bedauern seiner Parteifreunde nicht blofi, sondern auch der 
Bundesversammlung. 

B. verbrachte seine letzten Jahre nicht ohne Arbeit. Mit seinem Sohne, 
dem Teilhaber und Nachfolger im Advokaturbureau, wirkte er in diesem weiter, 
sich nach Bediirfnis entlastend. Gern liefi er sich von Behorden, die sein sicheres 
Urteil schatzten, mit Gutachten betrauen. Mehr und mehr aber kamen fur den 
Alt-Nationalrat B. Tage beschaulicher Ruhe; er verlebte sie mit seiner Gattin 
in einem trauten Heim vor den Toren Solothurns. 

B.s Hinschied kam nicht unerwartet. Eine Nervenlahmung war voraus- 
gegangen, Stunden der Schmerzen waren gefolgt. 

Ein scharfer Denker, ein klarer Jurist, ein erfolgreicher Rechtsanwalt, ein 
glanzender Volksredner, ein arbeitsfreudiger Verwaltungsmann, ein bedeutender 
Parlamentarier ist mit Albert B. geschieden. Sein Leben in alien Phasen ist 
das des Politikers, wie es durch den Gang und die Entwicklung der schweize- 
rischen Demokratien bedingt und gefordert wird: des Politikers als Privat- 
mann, wie im Staatsdienst. Und ein politischer Kampfer und Arbeiter fur die 
von ihm als gut und gerecht erkannte Sache. Ein Politiker, den viele nach dem 
aufieren Eindruck, besonders zu Zeiten wilder politischer Fehden, als schroff 
und einseitig bezeichnen mochten, dessen Wesen aber im Fanatismus des Wahren 
und Guten seine Begrundung und Rechtfertigung fand. Die Uberzeugungs- 
treue verlieh ihm das Recht zu »goldener Rucksichtslosigkeit«. 

»Der Dank der freisinnigen Schweiz gebuhrte ihm; denn ein Fahnentrager, 
ein Vorkampfer des Freisinns ist er gewesen von Jugend an. Mit dem Dichter 
Georg Herwegh mochte der Politiker Albert B. von sich sagen: 
'Ich hab' gewahlt, ich habe mich entschieden, 
Und meinen Lorbeer flechte die ParteiP* 

In diesen Worten des Biographen B.s, seines Jugendfreundes und politi- 
schen Kampfgenossen, Alt-Bundesrichter Dr. Leo Weber in Bern (»Albert Brosi, 
sein Leben und Wirken«. Solothurn 191 1. 1. und 2. Aufl.), liegt die zutreffende 
Charakteristik des Mannes, dessen Bedeutung fur den Kanton Solothurn und die 
schweizerische Eidgenossenschaft sein Leben uberdauert. 

Unter den freisinnigen Staatsmannern der zweiten Halfte des 19. Jahr- 
hunderts wird B.s Name als der eines weitblickenden, uberzeugungsstarken 
und energischen Fuhrers bleibend der politischen Geschichte seines Heimat- 
kantons und des Bundes angehoren. 

Solothurn. Hans Kaufmann, Regierungsrat. 



Schneider. 



233 



Schneider, Richard, Dr. jur., groflherzoglich badischer Wirklicher Geheim- 
rat, Oberlandesgerichtsprasident a. D., * 2. Mai 1823 als Sohn eines Arztes in 
Ettenheim, f im hohen Alter von uber 88 Jahren am 3. November 191 1 in Karls- 
ruhe. — Nachdem Sch. einige Jahre die Volksschule seiner Vaterstadt besucht 
hatte, war er 1833 bis 1838 Schuler des Gymnasiums in Offenburg, 1838 bis 1840 
des Lyzeums in Rastatt, widmete sich dem Studium der Rechtswissenschaft 
1840 bis 1842 auf der Universitat Freiburg, 1842 bis 1844 auf jener in Heidel- 
berg. Im Jahre 1845 bestand er das juristische Staatsexamen mit bestem 
Erfolg. Schon die vorzuglichen Zeugnisse, die er sich in der Gymnasialzeit und 
in der juristischen Priifung erwarb, bekundeten seinen Fleifi und seine hohe Be- 
gabung. Auch in dem nun folgenden praktischen juristischen Vorbereitungs- 
dienst wurde von seinen Vorgesetzten ubereinstimmend sein unermudlicher 
Eifer, sein reiches Wissen, sein klares und sicheres Urteil, seine strenge Gewissen- 
haftigkeit ruhmend hervorgehoben. Alle diese Eigenschaften lieflen ihn von 
vornherein in hervorragender Weise zum Berufe eines Richters befahigt er- 
scheinen. In diesem Berufe, dem er sich mit vollster Hingebung widmete, und 
in dem er seine hochste Befriedigung fand, ist er denn auch in rascher Folge 
von Stufe zu Stufe bis zur Stelle des hochsten richterlichen Beamten seines 
badischen Heimatlandes, bis zum Vorsitzenden des obersten Gerichtshofes ge- 
stiegen. Im Jahre 1849 erfolgte seine erste landesherrliche Anstellung als As- 
sessor bei dem Oberamt Lahr, von wo er 1852 zum Stadtamt Freiburg versetzt 
wurde. 1854 wurde er zum Hofgerichtsassessor in Konstanz, zwei Jahre spater 
zum Hofgerichtsrat daselbst ernannt. Schon 1864 bei Einfiihrung der neuen 
badischen Gerichtsorganisation finden wir ihn in leitender Stellung als Direktor 
des Kreisgerichts Waldshut. Es folgte 1869 seine Ernennung zum Direktor 
bei dem Kreis- und Hofgericht Konstanz, 1877 seine Berufung als Vizekanzler 
in den obersten badischen Gerichtshof, das damalige Oberhofgericht, 1879 bei 
Einfiihrung der Reichsjustizgesetze seine Ernennung zum Senatsprasidenten 
in dem Oberlandesgericht zu Karlsruhe. 1892 wurde er zum Prasidenten dieses 
Gerichtshofs ernannt. Bis in sein 76. Lebensjahr hat er dieses hohe und wichtige 
Amt in unverminderter geistiger Frische und Arbeitskraft bekleidet. Im Jahre 
1899, anlafllich der Einfiihrung des deutschen Burgerlichen Gesetzbuches ist er 
nach einer uberaus reich gesegneten Dienstzeit von uber 54 Jahren in den Ruhe- 
stand getreten. 

In seltener Weise waren in seiner Personlichkeit die Voraussetzungen zur 
fiihrenden Stelle im Richteramte vereinigt. Wie er an sich die strengsten An- 
forderungen stellte und bis zum auflersten gewissenhaft in deren Erfullung war, 
so hielt er auch auf genaue und piinktliche Pflichtleistung bei denen, die seiner 
Leitung unterstellt waren, und denen er durch seinen vorbildlichen Eifer und 
seine rastlose Arbeit voranleuchtete. Aber er war auch von so ausgepragtem 
Gerechtigkeitsgefuhl, dafl er niemals eine zuweitgreifende Forderung gestellt 
hatte, vielmehr hatten wohl alle die wohltuende Empfindung eines vaterlichen 
Wohlwollens, das er jedem entgegenbrachte. 

Ganz besonders lieb war ihm das uber 20 Jahre von ihm bekleidete Amt 
des Vorsitzenden der Prufungskommission fur das zweite juristische Examen. 
Welch hoher Wertschatzung er auch in Ausiibung dieses verantwortungsvollen 
Amtes durch seine wohlwollende Milde und doch gerechte Art sich erfreuen 
durfte, fand seinen Ausdruck in einer Gluckwunschadresse, welche ihm anlafllich 



234 Schneider. Hlilskamp. 

seines 70. Geburtstags von nahezu 500 seiner ehemaligen Examinanden ge- 
widmet wurde. 

Nach der Ernennung zum Prasidenten des obersten Gerichtshofes wurde 
Sch. durch das Vertrauen seines Landesherrn auch als Mitglied in die erste 
Kammer der Landstande berufen. Auch hier durf te er sich der hochsten Achtung 
und des Vertrauens aller Mitglieder ohne Unterschied der Parteistellung erfreuen. 

Dafl seinem verdienstvollen Wirken auch die aufleren Auszeichnungen 
und Ehren nicht fehlten, bedarf keiner weiteren Ausftihrung. Er wurde im 
Jahre 1892 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt. Bei seinem Eintritt in den 
Ruhestand wurde ihm in besonderer Anerkennung der hohen Verdienste, welche 
er sich an der Spitze des hochsten Landesgerichts um die Rechtspflege und um 
die Justizverwaltung erworben, die goldene Kette zum Grofikreuz des Ordens 
vom Zahringer Lowen verliehen. Wegen seines vielseitigen juristischen Wissens 
erteilte ihm die juristische Fakultat der Universitat Heidelberg die Wurde eines 
Ehrendoktors. 

Bei alien Huldigungen und Ehrungen blieb er aber der einfache, schlichte, 
anspruchslose Mann, dem alles aufiere Wesen fern lag. Mit seiner stillen Be- 
scheidenheit ist er nur wenig in die Offentlichkeit getreten, er war ein in sich 
harmonisch geklarter, zufriedener Charakter, der seinen Frieden auf jeden aus- 
strahlte, dem es vergonnt war, ihm nahezutreten. Sein strenges Pflichtgefiihl 
in seinem Berufe ging im hauslichen Kreise iiber in treue, innige Gatten- und 
Vaterliebe. Seine Hauslichkeit war das Muster eines herzlichen Familienlebens, 
und er selbst das Beispiel eines treu besorgten Hausvaters. 

In dem Nachruf, welchen Sch. im Jahre 1892 am Sarge seines Vorgangers 
im Amte, des Prasidenten des Oberlandesgerichts, sprach, hatte er ausgefuhrt: 

»Tiefes und umfassendes Wissen auf alien Gebieten des Rechtes, strengste 
Gewissenhaftigkeit und Objektivitat und ein bis zur hochsten Feinheit ent- 
wickelter Rechtssinn verliehen seiner Amtsfuhrung ein Geprage, wodurch er 
fur uns das leuchtende Vorbild eines Richters geworden ist. 

Aber dieses Bild des Heimgegangenen ware doch nur ein unvollkommenes, 
wollte ich nicht noch einer andern Eigenschaft gedenken; ich meine jene schlichte 
Einfachheit und wahrhaftige Bescheidenheit, welche ihm so ganz eigen war. 
Sie ist ein untriiglicher Prufstein des inneren Wertes eines Menschen, sie erst 
kennzeichnet den vollendeten Mann, der, um Ansehen zu gewinnen, nicht iiber 
andere sich zu erheben braucht, dessen geistige und moralische Oberlegenheit 
vielmehr je gerauschloser desto machtiger auf die Umgebung wirkt. 

Und wenn es gestattet sein mag, um das Lebensbild in seinen allgemeinsten 
Ziigen zu vollenden, auch das Privatleben des Verewigten mit einem Blick zu 
streifen, so diirfen nicht unerwahnt bleiben jene echt menschlichen, uns alien 
wohlbekannten Tugenden, welche nicht nur seine stille Hauslichkeit verkl£rten, 
deren Strahlen auch in weite Kreise der Gesellschaft gedrungen sind und ihm 
hier uberall ungezahlte Verehrer und Freunde erworben haben.« 

In diesen herrlichen, dem Vorganger gewidmeten Worten hat Sch. wahrlich 
selbst in zutreffendster Weise das Bild seiner eigenen harmonischen Personlich- 
keit gegeben. B u j a r d. 

Hiilskamp, Franz, * 14. Marz 1833 in Essen (Oldenburg), f 10. April 191 1 
zu Munster i. W., katholischer Schriftsteller. — Der Sohn eines armen Webers 



Httlskamp. 235 

besuchte, vom Ortsgeistlichen vorbereitet, von 1849 bis 1852 das katholische 
Gymnasium zu Osnabriick. Nach Beendigung der Studien in Munster, Miinchen 
und Bonn wurde er Hilfsgeistlicher in Munster, wo er zeitlebens verblieb. Zuerst 
beteiligte er sich an der Umarbeitung der franzosischen Kirchengeschichte 
von Rohrbacher, einem weitlaufigen Werk (1. bis 3. Band). Wohl war der 
theologische Lehrstuhl des jungen Priesters Ziel, aber das Leben machte aus 
ihm einen Schriftleiter, literarischen und politischen Organisator. 

Seither fehlte es an einem (ibersichtlichen, wohlfeilen katholischen Literatur- 
blatt, frei von schwerfalliger Gelehrsamkeit, fur weitere Kreise. Mit der Griin- 
dung des »Literarischen Handweisers« (1862) durch H. und seinen fruh ver- 
storbenen Freund Hermann Rump, einen tiichtigen Gelehrten (Allg. Deutsche 
Biographie 29, 661 — 62), wurde eine sichtliche Liicke ausgefullt. Dieses Blatt, 
erst 10-, dann 12-, dann 18- und schliefilich 24 mal jahrlich erscheinend, 
erwarb sich bald groCes Ansehen, nicht nur in katholischen Kreisen. So nennt 
es der Protestant Kliipfel (>>Wegweiser durch die Literatur der Deutschen«, 
4. Aufl., 1870) »einen ausgezeichnet praktisch angelegten Literaturbericht, 
welcher den katholischen Standpunkt mit Mafi und Vernunft anwendet«. Fritz 
Reuter schreibt an Gisbert von Vincke am 10. Februar 1868 (Nachgelassene 
Schriften II, 243): »Vor einigen Tagen habe ich eine rechte Freude gehabt: 
denke Dir! von allerkatholischster Seite aus Munster hat der dort erscheinende 
»Literarische Hand\veiser« eineauBerordentlichgunstige Rezensionmeiner Schrif- 
ten gebracht, Diese Anerkennung von katholischer Seite ist mir um so wert- 
voller, als die Evangelischen oder — wie bei uns die Leute sagen — die Evange- 
listen anfangen, Hengstenberg an der Spitze, mich als Heiden zu denunzieren.« 

H. besprach namentlich Schriften allgemeinen, biographischen, biblio- 
graphischen und literargeschichtlichen Inhalts und verfaflte Nekrologe, teilweise 
von grofiem Wert. Fur die Zeit von 1862 bis 1872 ist der »Literarische Hand- 
weiser« eine wichtige Geschichtsquelle. Am 1. Januar 1870 wurde H. vom 
Bischof zum Leiter des »Heerde-Kollegiums« (Alumnat fur Gymnasiasten) 
ernannt, einer bescheidenen, aber viel Mufie gewahrenden Pfriinde. Dazu war 
er lange Vorstandsmitglied verschiedener gemeinniitziger und wissenschaftlicher 
Vereine in Munster. Ferner gchorte H. zu den Grundern der Zentrumspartei, 
deren Wahlaufrufe grofltenteils von ihm herriihren. Einen Sitz in der Volks- 
vertretung hat er nie erstrebt. Auf den Katholikentagen und besonders der seit 
1876 bestehenden Gorres-Gesellschaft war H. ein unermudlicher Bcrater. Er 
besafi ein feines Gefiihl fur das, was der katholischen Literatur fehlt, seinen An- 
regungen ist manches schone Werk zu verdanken. Zudem war er findig in 
Entdeckung junger Talente, liefi es an Aufmunterung nicht fehlen und wufite 
auch stets Quellen zur materiellen Unterstiitzung zu erschlieCen. Von seltener 
Geschicklichkeit der Technik des literarischen Betriebs hatte er ein geiibtes 
Auge fur die Mangel in der Schreibart und im Aufbau. Auch in der nicht- 
katholischen Literatur fand er fruhzeitig edle Talente heraus, so hatte er schon 
1870 die Bedeutung von W. Raabe erkannt. Aber H. kam nie dazu, ein grofieres 
Werk abzufassen, die Kronung seiner vielen Kritiken, Anregungen und eigenen 
groCen Belesenheit. GroBe Verbreitung fand sein Pius-Buch (3. Aufl., 1873). 
Einige meist namenlose Flugschriften behandeln kirchliche Zeitfragen und 
werden ktinftigen Geschichtsschreibern unentbehrlich sein. H. gehorte auch 
zu den Grundern des »Augustinus-Vereins« fiir die katholische Presse und der 



236 Hulskamp. Vahlen. 

vielgelesenen Familicnzeitschrift »Hausschatz« (Regensburg, Pustet). Daneben 
begann er die Herausgabe der »Meisterwerke unserer Dichter fur Schule und 
Haus«, welche spater von anderen fortgesetzt wurden. Wer zahlt die katholi- 
schen Theologen, sonstigen Gelehrten, Schriftsteller, PreBleute auf, welche dem 
kleinen, ruhrigen Manne naher traten ? Nicht sei vergessen, dafi H. auch den 
weitverzweigten katholischen Studentenverband »Unitas« (1858) stiften half. 
Es ist eine journalistische Redeblume, man habe diesen Mann von einer Hoch- 
schulprofessur fiir Kirchengeschichte geflissentlich ferngehalten. Dazu fehlte 
ihm nicht alles, aber vieles. Bei H. zeigt sich wenig eine aufsteigende Ent- 
wicklung, er war schon zu fruh gereift. Wohl hatte er Verstandnis fur gelehrte 
Arbeit, aber der sammelnde, sichtende, scharf prufende, in der Durcharbeitung 
des Kleinsten das GroGe findende Geist war ihm versagt. Kein Schade! Auch 
so hat H. redlich mit seinem Pfunde gewuchert und war gerade an der rechten 
Stelle, oft in schwerer Zeit. Es liegt in der Natur der Sache, dafi ein Mann 
in seiner kaum angezweifelten literarischen Stellung sich schliefilich zum Dik- 
tator der katholischen Literatur aufwarf, dabei war er sich in seiner Treuherzig- 
keit gar keines Diinkels bewufit. Viele folgten seinem Spruch, einige gingen 
andere, mitunter ganz andere Wege. Hieriiber sowie uber vieles zur Zeit- 
geschichte sollten seine Denkwiirdigkeiten berichten, die aber der unruhige 
Mann mit ins Grab nahm. 

Dies ist zu bedauern, denn wie viele und wie vieles hat der Mann in schlichter 
Stellung nicht im Vorder-, sondern im Hintergrund, im Entstehen und Wachsen 
der kirchlichen und politischen Zeitlaufte gesehen! Im Jahre 1886 bekam H. 
den Rang eines papstlichen Geheimkammerers, spater den eines Hauspralaten, 
aber ein hoheres kirchliches Amt hat er nie bekleidet. Ebenso ging er weltlicher 
Auszeichnungen, wie Orden, leer aus. 

Quellen: r Literarischer Handweiser" 191 1, 481 — 90. (Der Vermerk „Forts. folgt u ist 
offenbar ein Druckfehler.) 
„Hochland" VIII, 2 (191 1) 64—65. 
„Katholik« 1911, 2. 385—87. 
Kuckhoff, O. „ Geschichte der Unitas, Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen 
Studentenkorporationen Deutschlands". DUsseldorf 1908. 

Bachem, K. ^Joseph Bachero . . . Beitrag zur Geschichte der katholischen Presse u . 
3. (noch zu erscheinender Band). 

Berlin. Ernst Sartorius. 

Vahlen, Johannes, Universitatsprofessor der klassischen Philologie, * 27. Sep- 
tember 1830 in Bonn, f 30. November 191 1 in Berlin. — Seine Eltern waren 
Dominikus Ignatius V. (* 1795, f 1871), Handwerksmeister in Bonn, und Anna 
Maria V., geb. Fafibender (* 1799, f 1874). Er hatte drei Geschwister, auBer 
einer Schwester und einem als Student der Philologie in Bonn verstorbenen 
Bruder den spateren Inhaber eines angesehenen, namentlich juristischen Verlags 
in Berlin, Franz V., der auch einige seiner Schriften verlegte. Die Familie be- 
kannte sich zum katholischen Glauben. Seit seinem zwolften Lebensjahre 
besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt und verlieC es im Herbst 1848 
mit dem Zeugnis der Reife, um Philologie zu studieren. Unter seinen Lehrern 
war es namentlich der Professor und spatere Direktor des Gymnasiums, L. Scho- 
pen, zugleich auch Professor der Philologie an der Universitat, der seine groCe 



Vahlen. 



237 



Befahigung fur philologische Studien erkannte und forderte. In Bonn, einer 
Hauptstatte philologischer Forschung und Lehre, blieb V. auch wahrend seiner 
ganzen vierjahrigen Studienzeit. Seine akademischen Lehrer waren besonders 
Ritschl, Welcker und Schopen — diesen dreien widmete er spater seinen En- 
nius — , daneben Ritter, Brandis, der jugendliche J. Bernays, Loebell, Knoodt 
und Delius. An den Obungen des philologischen Seminars unter Ritschl und 
Welcker nahm er drei Jahre lang als ordentliches Mitglied teil, die letzten drei 
Semester als Senior. Er stand in freundschaftlichem Verkehr mit dem ihm 
schon von der Schule her befreundeten J. Brandis, dem Assyriologen und spate- 
ren Sekretar der Kaiserin Augusta, und andern Mitgliedern einer unter Ritschls 
Auspizien begriindeten philologischen Vereinigung, in deren Namen er im Juli 
1854 Ritschl zu seinem 25 jahrigen Doktorjubilaum durch eine Festschrift, eine 
Bearbeitung der Fragmente von Navius' Bellum Punicum, begrufite. Die 
Losung einer von Ritschl gestellten Preisaufgabe uber die Annalen des Ennius, 
die auch gegeniiber den anerkannt tuchtigen Arbeiten zwcier Mitbewerber den 
Vorrang behauptete, lieB ihn am 11. August 1852 seine Universitatsstudien 
durch die Promotion mit hochster Auszeichnung abschliefien. Schon im Herbst 
desselben Jahres trat er nach bestandenem Examen pro facilitate docendi sein 
Probejahr am Bonner Gymnasium an und blieb auch weiter kommissarisch 
beschaftigt dort. Sein alter Lehrer Schopen vertraute ihm gleich Homer- und 
Horaz-Lekture in den obersten KJassenan, auflerdemerteilteerlateinischen Unter- 
richt in Sexta, Quinta und Tertia, deutschen in Tertia und Untersekunda. Nach 
dem Erscheinen seiner groflen Ennius- Ausgabc habilitierte er sich im Jahre 1854, 
eine ihm angebotene Gymnasiallehrerstelle in Dusseldorf ausschlagend, auf 
Ritschls Rat trotz anfanglicher eigener Bedenken an der Bonner Univcrsitat. 
Ermoglicht wurde es ihm, der schon als Student einen Teil seiner Zeit dem 
Erwerbe hatte widmen mussen, durch die Ubernahme einer Hauslehrerstelle 
bei dem Bankier Deichmann in Bonn, dessen drei Sohne er unterrichtete, und 
mit dessen Familie er auch weiterhin freundschaftlich verbunden blieb. Nur 
wenige Semester dauerte seine Tatigkeit als Bonner Privatdozent. Bereits zum 
Winter 1856 erhielt er einen Ruf als aufierordentlicher Professor nach Breslau, 
wo er mit J. Bernays wieder zusammentraf und zu Th. Mommsen, damals 
Ordinarius der juristischen Fakultat, in personliche Beziehungen trat. Nach 
weiteren drei Semestern ubernahm er im Friihjahr 1858 ein Ordinariat in Frei- 
burg i. Br., aber noch in demselben Jahre folgte er einem Rufe als Ordinarius, 
Direktor des philologischen Seminars und Mitglied der wissenschaftlichen 
Prufungskommission nach Wien. Hier wurde er im Jahre i860 korrespon- 
dierendes, 1862 wirkliches Mitglied, Ende 1869 Sekretar der philosophisch- 
historischen Klasse der Kais. Akademie der Wissenschaften. Ferncr wurde er 
1862 zum Dekan seiner Fakultat, 1873 zum Rektor der Universitat erwahlt, 
1870 zum Regierungsrat, 1873 zum Hofrat ernannt. In Wien blieb er 16 Jahre, 
lange (bis 1867) im Verein mit dem ihm auch personlich nahestehenden H. Bonitz, 
in einer allgemein anerkannten Wirksamkeit, deren Segen nach sachkundigem 
Urteil noch nach Jahrzehnten zu spiiren gewesen ist, wahrend der letzten Jahre 
auch als Mitglied des niederosterreichischen Landesschulrats. Einen Ruf nach 
Kiel hatte er im Jahre 1872 ausgeschlagen, und auch als 1874, wahrend seines 
Rektorats, der ehrenvolle Ruf auf den Lehrstuhl Moriz Haupts an ihn erging, 
lehnte er zunachst ab. Erst einem erneuten Rufe entschloO er sich zu folgen. 



238 



Vahlen. 



Er siedelte als ordentlicher Professor, Direktor des philologischen Seminars und 
Mitglied der wissenschaftlichen Prufungskommission, der er mit Unterbrechun- 
gen bis 1909 angehorte, nach Berlin uber und begann dort mit dem Winter- 
semester 1874/75 seine Lehrtatigkeit, die er 37 Jahre lang bis an sein Lebensende 
ausubte. In dieser Zeit wurde er 1877 zum Dekan, 1886 zum Rektor der Uni- 
versitat gewahlt, nachdem er 1882 zum Geheimen Regierungsrat ernannt worden 
war. Noch vor Ablauf des Jahres 1874 erfolgte auch seine Ernennung zum 
ordentlichen Mitgliede der Konigl. PreuBischen Akademie der Wissenschaften, 
bei der er 1893 als Nachfolger von E. Curtius zum bestandigen Sekretar der 
philosophisch-historischen Klasse erwahlt wurde, ein Amt, das er erst wenige 
Monate vor seinem Tode an G. Roethe abgab. Der Weggang von Wien war 
ihm schwer geworden, und auch spater dachte er manchmal mit einer gewissen 
Sehnsucht dorthin zuruck. Manche alten Freunde fand er in Berlin wieder, 
vor allem Bonitz und Mommsen. Von Hause aus auch grofierem geselligen 
Verkehr keineswegs abgeneigt, wurde er spater durch mancherlei hausliches 
Leid und zunehmende Kranklichkeit veranlaBt, sich mehr und mehr davon 
zuruckzuziehen. Besonders gern gehorte er bis in sein hohes Alter der »Graeca* 
an, einer Gesellschaft, deren Mitglieder schon Spalding, Ideler, Schleiermacher, 
Buttmann, Bekker und Lachmann gewesen waren (s. Hertz, K. Lachmann, 
1851, S. 210 ff.), und in der er im Laufe der Jahre mit Bonitz, Kirchhoff, 
Wilmanns, J. Schmidt, Sachau, Kekule v. Stradonitz, Harnack, Bardt, Schroe- 
der, Stengel, Ziehen, Reinhardt u. a. zu gemeinsamer Lekture und geselligem 
Verkehr sich zusammenfand. Zu einem leuchtenden Abendrot seines Lebens 
gestaltete sich sein 80. Geburtstag, ein Tag reich an Ehren. Wahrend er sich 
der Feier seines 70. Geburtstages (1900) und seines goldenen Doktorjubilaums 
(1902), bei dem ihm die Berliner juristische Fakultat ihre Doktorwiirde honoris 
causa verlieh, durch Reisen entzogen hatte, liefl er sich bestimmen, diesmal 
personliche Gluckwunsche und die Oberreichung einer Ehrengabe, seiner von 
Professor Adolf Brutt in Marmor meisterhaft ausgefiihrten, die feinen, durch - 
geistigten Ziige lebensvoll wiedergebenden Biiste, zu deren Widmung sich 
gegen 800 Spender, Freunde, Schiiler und Verehrer aus dem In- und Auslande, 
vereint hatten, entgegenzunehmen. Zur Gratulation erschienen im Kreise der 
Familie der Kultusminister Exzellenz v. Trott zu Solz, von der Universitat zahl- 
reiche Kollegen unter der Fuhrungdes Rektors Erich Schmidt und der Dekane der 
philosophischen und juristischen Fakultat, Roethe und Kohler, als Vertreter 
der Akademie deren Sekretare Waldeyer und Diels, ferner Professor M. Nie- 
meyer aus Potsdam, der als einer der altesten Berliner Schiiler zur Uberreichung 
der Biiste ausersehen war, Vertreter des philologischen Seminars und des Akad.- 
philologischen Vereins, Professor Ad. Brutt und eine Anzahl weiterer Freunde 
und Schiiler. Der osterreichische Unterrichtsminister Graf Stiirgkh gratulierte 
telegraphisch und teilte die Verleihung des osterreichischen Ehrenzeichens fur 
Kunst und Wissenschaft mit. Diese hohe Auszeichnung kam zu den preufiischen 
hinzu, die V. besafi, dem Orden Pour le Merite, dem Kronenorden II. Klasse mit 
dem Stern und dem Roten Adlerorden II. Klasse mit Eichenlaub, zu dem der 
Stern ihm bei diesem feierlichen Anlafl ebenfalls verliehen wurde. Bald darauf 
beteiligte er sich auch mit regem Interesse an dem eindrucksvollen 100 jahrigen 
Jubilaum der Berliner Universitat. Aber im nachsten Fruhjahr erlitt er einen 
Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr ganz erholen konnte. Mit eiserner 



Vahlen. 239 

Energie kampfte er gegen die Krankheit an. Er begann auch noch im Winter- 
semester seine Vorlesungen und Seminarubungen, mufite sie dann aber absagen 
und verstarb nach kurzem Krankenlager. Verheiratet war er dreimal, die 
beiden ersten Frauen waren Schwestern, Tochter des ehemaligen Breslauer 
Professors Ambrosch, die dritte war Frau v. Ziehlberg, geb. v. Nolting, die er um 
etwa drei Jahre uberlebte. Er hinterlieB drei Sohne und eine verheiratete 
Tochter, samtlich von seiner zweiten Frau. Eine Tochter von seiner ersten Frau 
hatte er im Kindesalter verloren, ein erwachsener Sohn und eine erwachsene 
Tochter von seiner zweiten Frau waren ihm durch erschiitternde Ungliicksfalle 
entrissen worden. Eine Stieftochter, Frl. Ch. v. Ziehlberg, seit langem in 
seinem Hause, war die sorgsame Pflegerin und Begleiterin seiner letzten Jahre. 
Seine wissenschaftlichen Anschauungen, Bestrebungen und Ziele hat V. 
am eingehendsten in seiner Berliner Rektoratsrede »tJber den philologischen 
Sinn« (1886) entwickelt. Ihre Grundgedanken sind, moglichst in seinen eigenen 
Worten, etwa folgende. Philologischen Sinn, eine besondere Richtung geistiger 
Tatigkeit, kann keine Wissenschaft entbehren, die an den Quellen literarischer 
Denkmaler zu schopfen hat, auch Medizin und Naturwissenschaft nicht, und 
um so weniger, je ausgebildeter der geschichtliche Sinn ihrer Vertreter ist. 
In besonders lebendiger Wechselwirkung stehen Geschichte und Philologie: sie 
haben auf weite Strecken dieselben Arbeitsfelder zu durchlaufen, philologische 
Bewaltigung literarischer Quellen bildet den Untergrund fur historische Unter- 
suchungen. Die Sprache ist der Schlussel fur alles Weitere und ist erstes und 
nachstes Objekt der Betrachtung. Sprachkenntnis ist zum Sprachgefuhl zu 
steigern. Zu untersuchen ist die geschichtliche Geltung der Worter und die tat- 
sachliche Verwendung der Formen, wahrend ein Zurtickgehen auf ihre letzten 
Griinde Sache der Sprachwissenschaft ist. Historische Erkenntnis der Sprache 
und auch Kenntnis und Untersuchung der Sachen ist der Erforschung der 
Literaturdenkmaler zuzuwenden, deren Verstandnis erst voll ist, wenn sie in 
ihrer sprachlich-stilistischen, bei Dichtungen auch in ihrer metrischen Eigenart, 
in ihrem Werdeprozefi und alsGlieder ihrer Gattung erkannt sind. Zualledemge- 
hort aber, dafi man sich des Objekts versichert hat, dafi man die Oberlieferung 
gepriift, bei mehrfacher Oberlieferung in einer Art Zirkelbewegung, nach dem 
Verstandnis die Quellen w r ahlend und aus den Quellen das Verstandnis be- 
richtigend, einer urkundlichen Textgestaltung sich genahert hat, dafi man die 
mannigfachen Schaden, wie sie Zufall und Willkiir im Laufe der Zeit mit sich 
bringen, erkannt und nach Moglichkeit das Urspriingliche wiederhergestellt hat, 
ja, dafi man bis zur Werkstatt des Schriftstellers selbst vorgedrungen ist, umdie 
Entstehung seiner Schrift oder Schriftenreihe zu erforschen. Vom Einzelnen 
zum Ganzen strebend, ruht am Ende der durchmessenen Bahn der philologische 
Sinn in der Anschauung der gesamten Literaturentwicklung eines Volkes aus. 
Das ergabe, wenn es auch nicht ausdriicklich ausgesprochen wird, die Auf- 
fassung der Philologie als Literaturwissenschaft. Daneben aber gebraucht V. 
hier auch gelegentlich den Ausdruck »die Wissenschaft vom klassischen Alter- 
tum«; wie er gewifi in seinen Wiener Vorlesungen liber Enzyklopadie der Philo- 
logie der Wolfschen, spater von Boeckh und Ritschl im einzelnen abgewandelten 
Grundanschauung von der klassischen Philologie als Altertumswissenschaft in 
seiner Weise gefolgt sein wird, so hat er diese Anschauung offenbar nie etwa 
ganz aufgegeben. In dem Streit um Wort- und Sachphilologie hegt er die t)ber- 



24O Vahlen. 

zeugung, dafi die Wissenschaft unermefiliche Aufgaben stelle, der Mensch in 
seinem beschrankten Dasein seinem Forschen engere Grenzen ziehen mtisse, 
und dafi die Scheidung der Ziele auf gemeinsamem Boden dem Ganzen der 
Wissenschaft nicht abtraglich sei. Er hatte, seiner Neigung und Begabung 
gemafi, sich vorwiegend der »hermeneutischen Kunst«, wie er in seiner Berliner 
akademischen Antrittsrede sagt, wobei er die Kritik als ihr dienstbar mit ein- 
begreift, zugewendet. Die grofie Gelehrsamkeit, wie sie ein Meister dieser Kunst 
besitzen mull, eignete er sich in unablassiger Arbeit, vor allem in ebenso aus- 
gebreiteter wie eindringender, immer erneuter Lekture der alten Schrifts teller 
an. Auch urn treffende Parallelen aus der neueren Literatur war er nicht ver- 
legen. Reiche Erkenntnis auf den Gebieten der Sprache, des Stils, der ganzen 
schriftstellerischen Kunst wird ihm verdankt, auch mancher nicht leicht zu 
gewinnende Baustein historischer Wissenschaft. Zusammenfassende historische 
Darstellung hat er sich als Schrifts teller nur ausnahmsweise zur Aufgabe ge- 
macht. Meisterhaft ubte er philologische Methode, als deren Geheimnis er 
schalkhaft in der Rektoratsrede die auf die besondere Aufgabe gerichtete An- 
wendung des gesunden Menschenverstandes bezeichnet, die aber auch, wie es 
treffend in der Adresse der Berliner Akademie zu V.s 50jahrigem Doktor- 
jubilaum (Sitzungsber. 1902, S. 998 ff.) heifit, nichts ist als die unermiidliche 
und unerbittliche Betatigung des Wahrheitssinnes. Diesen Sinn hat V. auch 
in prinzipiellen Fragen gegeniiber seinen Fiihrern und Meistern betatigt, so in 
der hoheren Kritik der Ovidischen Heroiden Lachmann, in der Tibull-Kritik 
Ritschl gegeniiber. Seine Schriften zeichnen sich aus durch sorgfaltig gefeilte 
Form und durch kunstvolle Anlage, die ihre Lekture zum Genufi machen. In 
der Polemik war er mafivoll und mied das Personliche; war er gereizt worden, 
so konnte er freilich auch scharf und schneidend werden. So bescheiden er oft 
von seinen Arbeiten spricht, fur die Grofie und Hoheit der Wissenschaft, der zu 
dienen sie bestimmt waren, hatte er das lebhafteste Gefiihl und zog aus ihm 
seine Kraft. Mit grofier Beredsamkeit hat er in seiner Wiener Rektoratsrede 
(>> Wiener Zeitung« 1873, Nr. 234, auch in Separatabdruck) die Einheit und 
den notwendigen Zusammenhang aller Wissenschaft betont. Naturlich war 
auch ihm der Irrtum des Strebenden nicht erspart, und er hat sich nicht selten 
aus besserer Einsicht berichtigt, aber er brachte wohl je langer je mehr Un- 
anfechtbares, wie denn auch Fr. Bticheler in einer Besprechung der Op use id a 
academica (Berl. philol. Wschr. 1907, Sp. 577 ff.) erklart hat, das meiste in 
diesen Abhandlungen sei fur ihn uberzeugend. 

In V.s Personlichkeit war der akademische Lehrer und der philologische 
Forscher und Schriftsteller in voller Harmonie vereinigt. Wir beginnen, da 
doch geschieden werden mufi, mit einer Schilderung seiner Lehrtatigkeit. Wenn 
Ernst Curtius in der Erwiderung auf seine Berliner Antrittsrede in der Akademie 
V. als »den geborenen Philologen« bezeichnet hat, so durfen wir mit gleichem 
Rechte ihn als »den geborenen akademischen Lehrer* bezeichnen. Sehr zustatten 
kam ihm bei seinem Lehramt seine ungemeine Gewandtheit im mundlichen 
Ausdruck, fur die sein Wiener juristischer Kollege Unger das Wort gepragt hat, 
das im eigentlicheren Sinne auch auf seine zierliche Schrift paflte, er habe seine 
Satze stets wie gestochen herausgestellt. Und zwar gait das »utraque lingua*. 
Denn der glanzende lateinische Stil, der seinen Schriften eigen ist, stand ihm 
auch fur die miindliche Rede zu Gebote. In seinen Vorlesungen erzwang er 



Vahlen. 



241 



sich, zunachst mit leiser Stimme zusammenfassend und vorbereitend und erst 
allmahlich die Stimme verstarkend, die Aufmerksamkeit auch einer zahlreichen 
Zuhorerschaft fiir seinen streng sachlichen, dabei aber auch warmen und innerlich 
belebten Vortrag. In seiner Fruhzeit las er auch systematische Fachkollegien, 
so in Bonn romische Literaturgeschichte, in Freiburg Einleitung in die griechisch- 
romische Mythologie, in Wien Geschichte und Enzyklopadie der Philologie, 
Kritik und Hermeneutik, Geschichte der griechischen Rhetorik, lateinische 
Grammatik, Grundziige der lateinischen Laut- und Formenlehre und Einleitung 
in die romische Epigraphik, antike Metrik, Metrik der romischen Dichter, uber 
Ciceros Leben und Schriftstellerei. Uberwiegend aber hielt er von jeher Inter - 
pretationskollegien, denen er eine in der Ankiindigung nicht immer ausge- 
driickte allgemeinere Einleitung sachlicher, literarhistorischer oder metrischer 
Art beizugeben pflegte. Dafi es an einer iiberlieferungsgeschichtlichen Ein- 
flihrung nie fehlte, versteht sich von selbst. So erklarte er in der vorberliner 
Zeit Homers Ilias und Odyssee (beides mit einer kritischen Geschichte der 
Homerischen Gedichte), Homerische Hymnen (mit besonderer Rucksicht auf 
Mythologie und Kunst), Hesiod (nebst Geschichte der Hesiodischcn Dichtungen), 
Aristophanes' Frosche (nebst Geschichte der griechischen Komodie), Sophokles' 
Elektra, Euripides' Cyklops (nebst Geschichte des griechischen Satyrdramas), 
griechische Bukoliker, Theokrit (nebst Geschichte der alexandrinischen Dichtung), 
Platos Phadrus, Aristoteles' Nikomach. Ethik, Rhetorik und Poetik (dazu: Lehren 
der Alten von der Kunst), Demosthenes' Rede vom Kranze (nebst Geschichte der 
attischen Beredsamkeit), Lykurgus' Rede gegen Leokrates, Plautus' Menachmen 
(nebst Geschichte der antiken oder der romischen Komodie oder Plautinischer 
Prosodie und Metrik), Catull, Horaz' Oden, Satiren und Episteln. In Berlin 
las er von der erstgenannten Art nur uber die grammatische Literatur der 
Romer, sonst interpretierte er in der vorbezeichneten Weise, und zwar Aristo- 
phanes' Ritter (nebst Geschichte der griechischen Komodie), Sophokles' Elektra 
(auch Sophokles' und Euripides' Elektra), Euripides' Heraklcs, Callimachus' 
Hymnen und Epigramme, Theokrit (auch Theokrits und Callimachus' Ausge- 
vvahlte Gedichte), Platos Phadrus (nebst Geschichte der alteren Rhetorik und 
Beredsamkeit der Griechen), Aristoteles' Poetik (mit besonderer Rucksicht auf 
die Entwicklung der griechischen Dichtgattungen), Plautus' Menachmen 
(nebst Geschichte des romischen Dramas ), Terenz'Eunuchus (nebst Metrik des 
romischen Dramas), Catull (auch Catulls Elegien nebst Callimachus' Hymnen), 
Horaz' Satiren, Episteln, Romische Elegiker: Tibull, Properz, Ovid, Ciceros De 
legibus (mit besonderer Rucksicht auf romisches Sakral- und Staatsrecht). 
Ubungcn hielt V. seit Breslau ab. In Wien leitete er das philologische Seminar 
gemeinsam mit Bonitz und Em. Hoffmann, seit 1867 mit letzterem allein, seit 
1872 leitete sein Wiener Schuler Hartel daneben ein Proseminar. V. liefi im 
Seminar meist romische Schriftsteller erklaren, Terenz, Cicero (meist Briefe), 
Horaz, Livius, Quintilian, Tacitus, aber auch Ilias, Euripides, Plato, Lykurgus, 
Aschines. Dazu kam die Leitung von Disputationen und die Besprechung 
von Arbeiten. Auch aufierhalb des Seminars hielt er gelegentlich lateinische 
Stilubungen und metrische Obungen. Die Geschichte des Berliner philologischen 
Seminars hat V. selbst beschrieben bei Lenz, Gesch. d. Konigl. Fr.-Wilh.-Uni- 
versitat zu Berlin, III. (1910), S. 208 ff. In die Leitung teilte er sich mit Ad. 
Kirchhoff so, dafi diesem stets die griechischen, ihm selbst die lateinischen 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolop. 16. Bd. 16 



242 



Vahlen. 



Interpretationsubungen zufielen, wahrend fiir die Leitung der Disputationen 
und die Besprechung der Arbeiten ein Wechsel vereinbart wurde. Als Kirchhoff 
infolge von Krankheit 1902 von der Leitung der Disputationen, seit Juni 1905 
von der Seminarleitung uberhaupt sich entbinden lassen mufite, wurde die Lage 
fur V. f der zunachst das Seminar allein fortfuhrte, auf die Dauer unhaltbar. 
Es war eine gluckliche Losung der Schwierigkeiten, daC im Wintersemester 
1906/07 die Leiter der seit 1897 als Proseminar, aber unabhangig vom Seminar, 
am Institut fiir Altertumskunde bestehenden philologischen Abteilung (s. daruber 
U. v. Wilamowitz-Moellendorff bei Lenz a. a. O. Ill, S. 216 ff.), v. Wilamowitz- 
Moellendorff, Diels und Norden, sich bereit fanden, in die Leitung des philo- 
logischen Seminars einzutreten. Dabei wurde vereinbart, dafi V. die lateinischen 
Interpretationen verbleiben, die genannten Herren aber die sonstigen Obungen 
abwechselnd leiten sollten. Zugleich wurden die Mitglieder der obersten Stufe 
am Institut als ordentliche Mitglieder in das Seminar ubernommen. Im Seminar 
hat V. Plautus, Terenz (nebst Vita), Lucrez, Vergil, Horaz, Ovid, Juvenal, 
Persius, Cicero, Livius, Tacitus interpretieren lassen. Auch in Berlin hielt er 
langere Zeit — vom Sommer 1876 bis zum Winter 1892/93 mit gelegentlichen 
Unterbrechungen — aufier dem Seminar privatissime Obungen ab, fiir die er 
gern andere Stoffe wahlte, so den Culex, Lygdamus, Statius Silvae, von Cicero 
die Schrift De re publico,, Seneca Episttdae morales, Suetonius De grammaticis, 
auch Griechisches, wie Pseudolonginus De sublimitate, Dionysius von HalikarnaB 
De imitatione. Hier, in Seminar und Obungen, wo regelmaflig in lateinischer 
Sprache verhandelt wurde, zeigte sich V.s auOerordentliche Lehrgabe in beson- 
ders hellem Lichte. Er wufite die Teilnehmer zu strengem Denken zu erziehen, 
den Trieb zu selbstandiger Forschung in ihnen zu wecken und zu pflegen. Zu 
freundlicher Anerkennung gern bereit, konnte er doch auch heftig werden, ja, die 
Sitzung kurzerhand abbrechen, wenn er gewissenhafte Vorbereitung vermifite. 
Es deutete auf Sturm, wenn er in solchem Falle Deutsch zu sprechen begann. 
Seine Schuler blickten in Verehrung und Dankbarkeit zu ihm auf, und als mit 
dem zunehmenden Alter die Zeit der Jubilaen kam, nahmen sie gern die Ge- 
legenheit wahr, ihm ihre herzliche Anteilnahme zu bezeugen. Zum 70. Ge- 
burtstage wurde ihm eine Festschrift gewidmet, die im Jahre 1900 im Verlage 
von G. Reimer in Berlin erschien. Sie enthalt 35 Abhandlungen. Die mannig- 
fachen Stoffe erstrecken sich von Homer bis zu den lateinischen Dramen Frank - 
reichs aus dem 16. Jahrhundert und der Aulularia des Plautus in einer siid- 
slawischen Umarbeitung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die letztgenannte 
Abhandlung hatte den ehrwiirdigen V. Jagi6, einen der altesten Wiener Schuler 
V.s, zum Verfasser. Und ein anderer, W. v. Hartel, damals osterreichischer 
Unterrichtsminister, schrieb das schone Vorwort mit einer lebendigen Charak- 
teristik des Gefeierten. Als nach zwei Jahren V.s SOjahriges Doktorjubilaum 
herankam, war ein Album mit den Bildern ehemaliger Schuler — mehr als zwei- 
hundert aus den verschiedensten Generationen hatten sich daran beteiligt — die 
ganz personliche Festgabe. Die Gegengabe fiir jeden einzelnen war eine Photo - 
graphie mit der faksimilierten Unterschrift: blmaginem pro imagine reddit bene- 
ficii mentor L VahlettA Als einige Jahre danach die vielfach gewiinschte Samm- 
lung der ProSmien Schwierigkeiten begegnete, wurde sie durch Subskription 
im Kreise der Schuler, besonders unter den friiheren Mitgliedern des Berliner 
Akademisch -philologischen Vereins, gesichert. Auch fiir die bereits erwahnte 



Vahlen. 



243 



Stiftung der Bliste zur Feier des 80. Geburtstages des damaligen Seniors der 
Philologen war die Anregung, die bei Freunden und Verehrern so erfreulichen 
Anklang fand, von dem Schulerkreise ausgegangen. Er selbst hegte fur seine 
Schiiler warmes Interesse, behielt sie in treuem Gedachtnis und verfolgte ihre 
Entwicklung und ihr spateres Schicksal mit lebendiger Teilnahme. 

V.s Tatigkeit als Forscher und Schriftsteller stand mit seiner Lehrtatigkeit 
in innigen Wechselbeziehungen, andererseits wurde sie auch durch seine Stellung 
als Akademiker stark beeinfluBt. Als solcher betatigte er sich gern auch im 
Dienste groBerer wissenschaftlicher Unternehmungen der beiden Akademien, 
denen er angehorte. So war er es, der im Jahre 1863, durch Ritschl bestimmt, 
der einer Anregung von Bernays folgte (s. Ribbeck, F. W. Ritschl, II, 188 1, 
S. 289), in der Wiener Akademie beantragte, ein Corpus scriptorum ecclesiasti- 
corum latinorum nach streng philologischer Methode zu schaffen, der den Plan 
aufstellte, den Fortgang des Unternehmens uberwachte und dariiber regelmaBig 
berichtete, und in Berlin gehorte er einer ganzen Reihe von Kommissionen fur 
Unternehmungen auf klassisch-philologischem Gebiete, sowie der Kant-Kom- 
mission an (s. Harnack, Gesch. d. Kgl. Preufl. Akad. d. Wiss. zu Berlin I, 1900, 
S. 1029 ff.). 

Die Anregung zu seinem ersten literarischen Werke erhielt V., wie bereits 
bemerkt, wahrend seiner Studienzeit durch eine Preisaufgabe seines Lehrers 
Ritschl, der, um die altlateinische Literatur und um die Begriindung einer 
historischen Grammatik des Lateinischen besonders bemiiht, verlangt hatte, 
*praemissa de Q. Ennii vita arte et scriptis disputatione eius annalium fragmenta 
disponerentur emendarentur illustrarentur*. In einem ausfiihrlich begriindeten 
Gutachten Ritschls (s. jetzt Ennius* S. CXXXIV f.) wurde V.s Bearbeitung 
als einem uonsiderati indicii studiorumque maturitatis insigne documentwn* der 
Preis zugesprochen. Zunachst erschien im Jahre 1852 nur ein kleiner Teil der 
Prolegomena als Dissertation mit dem Titel Quaestiones Ennianae criticae t nach 
weiteren anderthalb Jahren dann umgearbeitet und zu einer Gesamtausgabe 
erweitert das Ganze als Ennianae poesis reliquiae 1854 bei Teubner in Leipzig. 
Mit diesem ersten wissenschaftlichen Werke hatte V., wie es in der erwahnten 
Jubilaumsadresse der Berliner Akademie heifit, zugleich sein Meisterstiick 
gemacht. Der Ennius blieb auch in der Folge sein Hauptlebenswerk. Nachdem 
er in der Zwischenzeit immer wieder in Zeitschriften, Universitatsproomien, 
Akademieschriften (s. Ennius 3 S. CXXXVI) Ennius-Probleme behandelt hatte, 
war es ihm 1903, nahezu ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Erscheinen, 
vergonnt, seinen Ennius unter tatkraftiger Mitarbeit von 0. Plasberg (s. ebd. 
S. CXXXVII) zu erneuern. Die allgemein mit bewundernder Anerkennung 
aufgenommene Neuausgabe war nicht nur in alien Teilen aufs sorgfaltigste 
durchgearbeitet, sie brachte auch zu den alten Prolegomena de libris Ennianis } 
in denen Stoff und Komposition der Werke des Ennius behandelt wurden,eine 
sehr umfangreiche Historia Ennii, die eine Lebensgeschichte des Dichters, eine 
Geschichte des Fortlebens seiner Werke nebst Charakteristik der Schriftsteller, 
die uns Fragmente aus ihnen bewahrt haben, und einen Oberblick uber die bis- 
herigen Ausgaben und uber die wissenschaftlichen Hilfsmittel seiner neuen 
Ausgabe enthalt, sie brachte ferner einen sorgfaltigen Index testium zu dem Index 
sermonis und im kritischen Apparat zahlreiche sachliche und sprachliche Er- 
lauterungen mit knapper Begriindung. Der ersten Ausgabe des Ennius folgten 

i6« 



244 Vahlen. 

Bearbeitungen von Resten des Navius (1854) und des Ulpianus (1856). Spater 
veroffentlichte V. noch aus seinenVorlesungen erwachsene und fur ihre Bedurf- 
nisse bestimmte, zum Teil wiederholt aufgelegte kritische Ausgaben von Aristote- 
les' Poetik (1867, M874, 31885), v ° n Ciceros De legibus (1871, '1883) und von 
Plautus' Menaechmi (1882). Wahrend er im Plautus absichtlich nicht viel mehr 
als einen knappen, aber sorgsam ausgewahlten Apparat gibt, sind die beiden 
andern Ausgaben durch die teils — im Aristoteles seit der zweiten Auflage — 
hinter dem Text beigegebenen, teils — im Cicero — in den Apparat einge- 
fugten, meist durch Beispiele belegten Erlauterungen Fundgruben feiner Be- 
obachtung. Alle seine Ausgaben sind ausgezeichnet durch die peinlich genaue 
Zurtistung der kritischen Grundlage, besonders auch durch die gewissenhafte 
Benutzung der alteren Drucke, die es ihm ermoglicht, jedem das Seine zu geben. 

Aber V. liefi seine Herausgebertatigkeit auch den Werken anderer, die er 
in seine Obhut nahm, zugute kommen. Wie er sich in Berlin von vornherein als 
Fortsetzer derLachmann-Hauptschen Uberlieferung fiihlte, so nahm er sich gern 
ihrer literarischen Hinterlassenschaft an. Er gab den Torso des Lachmannschen 
Lucilius heraus (1876) und veranlafite zur Erganzung F. Harders ausfiihrlichen 
Index Lucilianus (1878), spater auch Harders Index copiosus zu Lachmanns 
Lucrez-Kommentar (1882). Im gleichen Jahre (1876) erschien ferner V.s Samm- 
lung von Lachmanns kleineren Schriften zur klassischen Philologie ( = Kleinere 
Schriften II. Bd.). Schliefilich gab er noch (1892) Lachmanns Briefe an Haupt 
mit Erlauterungen heraus. Wiederholt erneuerte er Haupts niedliche Taschen- 
ausgaben des Horaz (zuletzt 51908) und des Catull, Tibull, Properz (zuletzt 
7 1 91 2 aus V.s Nachlafi von R. Helm zum Drucke gebracht). Ein Freundes- 
dienst war die Sorge fur H. A. Kochs hinterlassene Ausgabe von Senecas Dialogen 
(1879), muhsam und insofern wenig dankbar, als nach wenigen Jahren die auf 
besseren Kollationen beruhende Ausgabe von Gertz erschien. Die f einen Bei- 
trage V.s in der Vorrede behalten naturlich ihren Wert. Erfreulicher war die 
Erneuerung von O. Jahns Ausgabe des Pseudolonginus De sublimitate, die mit 
reichem Gewinne fur die Sicherung des Textes vorzunehmen ihm seit 1887 drei- 
mal, zuletzt 1910, vergonnt war. Er hatte schon an der ersten Jahnschen Aus- 
gabe (1867) Anteil gehabt, da sie auf einer von ihm selbst im Jahre 1861 vor- 
genommenen genauen Vergleichung der Pariser Handschrift beruhte. 

Sehr grofi ist die Zahl von V.s wissenschaftlichen Abhandlungen grofleren 
und kleineren Umfangs, die fast durchweg in Zeitschriften sowie in Universitats- 
und Akademieschriften erschienen sind. Die sehr erwlinschte Sammlung des 
zerstreuten und, soweit Sonderabdriicke im Buchhandel zu haben gewesen waren, 
meistens langst vergriffenen Materials hat er zum grofien Teil noch selbst aus- 
fiihren konnen. In der vorwiener Zeit veroffentlichte er gesondert In M. Terentii 
Varronis saturarum Menippearum reliquias coniectanea (1858), wozu ihn die 
lebensvolle Wiederherstellung einzelner Varronischer Satiren in Mommsens 
damals eben erschienener Romischer Geschichte, wohl auch der personliche 
Verkehr mit diesem in Breslau, angeregt hatte; ferner in der ersten Wiener Zeit 
(Ende 1859) seine Analecta Noniana, vorwiegend zu Varro und Lucilius, als 
Gratulationsschrift zu Welckers 50 jahrigem Professorjubilaum. Im iibrigen 
kommt fur die Wiener Zeit, wahrend deren er von 1867 bis 1873 auch Mit- 
herausgeber der »Zeitschrift fur die osterreichischen Gymnasien« war, haupt - 
sachlich in Betracht die von ihm selbst veranstaltete, 191 1 erschienene Samm- 



Vahlen. 



245 



lung mit dem kennzeichnenden Titel: »Gesammelte philologische Schriften von 
J. V., Mitglied der Akademien der Wissenschaften zu Wien und Berlin, I. Teil, 
Schriften der Wiener Zeit, 1858 bis i874«. Hier finden sich die philologischen 
Aufsatze, vor allem aus den Sitzungsberichten, allerdings mit Ausnahme der 
besonders wichtigen »Beitrage zu Aristoteles' Poetik« I — IV (1865 bis 1867) und 
»Laurentii Vallae opuscula tria« (1869), weil diese wegen ihres groBeren Umfanges 
bei einer Erneuerung auch fur sich bestehen konnten, dann aber auch aus Zeit- 
schriften und aus der Festschrift »Symbola philotogorum Bonnensium in honorem 
Fr. Ritschelii* (1864/67), in sachlicher Anordnung, was mit sich brachte, dafl 
einige altere, seit 1854 erschienene, und einige erst der Berliner Zeit angehorige 
Zeitschriftenartikel verwandten Inhalts mit aufgenommen wurden. Das meiste 
und bedeutendste gehort zu Aristoteles, zu dessen eingehendem Studium V. 
schon auf der Universitat durch J. Bernays die Anregung empfangen und auf 
den sich mehrere seiner Promotionsthesen bezogen hatten. Fiir die Interpre- 
tation Aristotelischer Schriften, insbesondere der Poetik und Rhetorik, wurden 
unverruckbare Grundlagen gelegt, Sprache und Stil mit liebevoller Versen- 
kung in den Stoff erforscht. Hervorzuheben ist, wie aus der Rhetorik die fiir 
die Literaturgeschichte damals verschollene Personlichkeit des Rhetors Alki- 
damas in helles Licht geriickt ward. Anderes bezieht sich auf Plato, Ennius, 
Plautus, Horaz, Varro, Cicero, Livius, Valerius Maximus, Seneca rhetor, Minu- 
cius Felix, Fronto. Auch mehrere gehaltvolle Rezensionen und der Plan fur 
das Wiener Corpus scriptorum ecclesiasticorum sind zugehorigen Ortes eingefugt. 
Aufierhalb dieses Bandes stehen die wichtigen Arbeiten uber den feinsinnigen 
und weitblickenden Humanisten Lorenzo Valla. Sein Leben und seine Schriften 
hat V. in einem glanzenden, auf eindringenden Quellenstudien beruhenden 
Akademievortrage aus dem Mai 1864 (Almanach d. Kais. Akad. d. Wiss. XIV, 
S. 181 ff., l Berlin 1870) geschildert, und hat dann drei seiner Schriften (s. oben) 
mit Einleitung und umfangreichen literar- und zeitgeschichtlichen Exkursen erst- 
malig bekannt gemacht. Auch sind einige Gedachtnisreden auf verstorbene 
Akademiemitglieder, darunter besonders eine auf 0. Jahn (1870), zu nennen. 
Als V. nach Berlin ging, ubernahm er die Verpflichtung, gleich seinem Vor- 
ganger M. Haupt das lateinische Vorlesungsverzeichnis regelmafiig mit einer 
wissenschaftlichen Abhandlung einzuleiten, und er ist dieser Verpflichtung vom 
Sommer 1875 bis zum Sommer 1906 nachgekommen, bis dann die Ausgabe 
lateinischer Indices lectionum ganz eingestellt wurde. Diese 63 Proomien hat 
erals » Opuscula academical inzweistattlichen Banden vereinigt (1907/08). Eigen- 
artig war nach dem Herkommen die auOere Form solcher Abhandlungen: Rektor 
und Senat sind es, die durch den Mund des in Berlin nicht einmal mit Namen 
genannten Programmatarius sich an die Kommilitonen wenden. Fur diese soil 
das dargebotene Beispiel wissenschaftlicher Forschung Wegweisung und Antrieb 
zu eigener Betatigung werden, sie werden nicht selten direkt angeredet und 
ermahnt. Aber kein Stuck ist darunter, aus dem nicht auch die reifsten Fach- 
genossen hatten lernen konnen und gelernt haben. Sie behandeln Aristophanes, 
Sophokles (nebst den Argumenta), Euripides, Plato, Aristoteles (nebst Scholien 
und dem Anonymus de comoedia), Callimachus, Theokrit, Pseudolonginus De 
sublimitate, Lukian, Plautus, Ennius, Pacuvius, Terenz, Accius, Lucrez, Catull, 
Vergil, Properz, Horaz, Ovid, Juvenal, Cicero, Livius, Valerius Maximus, 
Tacitus, Sueton, Minucius Felix, und ein Blick in die Register zeigt, wie weite 



246 Vahlcn. 

Gebiete der antiken Literatur nicht bloB zu Erlauterung und Begrundung herbei- 
gezogen, sondern auch in sehr zahlreichen Fallen selbst direkt gefordert werden. 
Manche Proomien haben sich allgemeinere Aufgaben gestellt, so das (iber die 
Interpunktion und ihren Nutzen fiir die Kritik (XI), uber gewisse Stileigentiim- 
lichkeiten bei romischen Dichtern (XXIV), uber eine bestimmte Art der Ver- 
gleichung bei Griechen, Romern und auch beiNeueren (XLII), liber einen eigen- 
tlimlichen Gebrauch des Fragesatzes bei Griechen und Romern (LV). Es sind 
das durchweg Glanzstiicke, und hier sei auch besonders auf das von Ciceros Ver- 
fahren bei Anflihrungen aus altromischen Dichtern handelnde (X) hingewiesen. 

Eine andere Gruppe philologischer Abhandlungen, die 38 in den Sitzungen 
der Berliner Akademie der Wissenschaften gelesenen und meist in deren Schrif- 
ten — nur zwei im »Hermes« — gedruckten, werden nach V.s Willen, chrono- 
logisch geordnet, den II. Teil der »Gesammelten philologischen Schriften« bilden, 
der nebst Registern zu beiden Teilen in Vorbereitung ist. Sie betreffen zunachst 
folgende Autoren: Sophokles, Euripides, Callimachus, Theokrit, Aristoteles, 
Plato, Alciphron, Plautus, Ennius, Terenz, Porcius Licinus, Lucrez, Catull, 
Tibull, Properz, Horaz, Ovid, Juvenal, Livius. Im Gegensatze zu den ent- 
sprechenden Arbeiten der Wiener Periode herrscht hier durchaus die Beschafti- 
gung mit poetischen Stoffen vor. So wurde das gegenseitige Verhaltnis von 
Sophokles' und Euripides Elektra in wichtigen Punkten klargestellt. Die Neu- 
bearbeitungen des Ennius und der romischen Lyriker lieflen manche Frucht 
tiefgegriindeter und weitgreifender Forschung reifen. Durch behutsame Er- 
klarung groCerer Abschnitte urid ganzer Gedichte ward unbedachter Hyper - 
kritik der Boden entzogen. Gern wurden die Faden verfolgt, die von romischer 
zu griechischer Dichtung hiniiberfuhren, das Verstandnis der alexandrinischen 
Dichtwerke selbst gefordert und insbesondere ihre historischen Beziehungen 
gepruft. Als die inschriftlichen Sakularfestakten in Rom ausgegraben worden 
waren, bemuhte V. sich im Wetteifer mit Th. Mommsen, sie fur die Aufhellung 
des Horazischen Sakulargedichts zu verwerten. Das schwierige Problem der 
Abfassung des Lucrezischen, unvollendet hinterlassenen Gedichts, die Heroiden- 
frage bei Ovid brachte er der Losung naher. Mehrere Stiicke behandeln vers- 
technische Fragen der altromischen Komodie. 

Neben diesen philologischen Abhandlungen stehen Festreden, die V. seit 
1893 als bestandiger Sekretar der Akademie gehalten hat, und die in ihren 
Sitzungsberichten gedruckt sind. Sie beleuchten die Personlichkeiten ftirstlicher 
Gonner und verdienter Mitglieder. Die zeitlich erste, die Jahrhundertrede auf 
K. Lachmann (1 893), ist ein gewichtiges Denkmal der Pietat. Andere behandeln 
Leibniz als Schriftsteller (1897), Erinnerungen an Leibniz (1905), Leibniz und 
Schleiermacher (1909), Friedrich d. Gr. und d'Alembert (1899), die Beziehungen 
der Fridericianischen Akademie zu Herder (1895), Wilhelms II. und Friedrichs II. 
Gedanken uber ihren koniglichen Beruf (1903). 

Von philologischen Arbeiten der Berliner Zeit, in derV. von 1875 bis 1 88 1 
auch bei der Herausgabe des »Hermes« mitwirkte, steht noch manches auflerhalb 
der genannten Gruppen. So einige Enniana im »Hermes« (Bd. XII), die ein- 
gehende Besprechung der » Philologischen Untersuchungen, hrsg. v. A. Kiefi- 
ling und U. v. Wilamowitz-Moellendorff, II: Zu Augusteischen Dichtern [von 
F. Leo und A. Kiefiling]« in der »Deutschen Literaturzeitung« II. (1881), S. 1694 ff., 
die Aufsatze in den »Commentationes philologae in honor em Th. Mommsenw (1877, 



Vahlen. Krttner. 247 

S. 663 ff., De Taciti dialogo) und in den »Beitragen zur alten Geschichte und 
griechisch-romischen Altertumskunde, Festschrift zu O. Hirschfelds 60. Geburts- 
tage« (1903, S. 484 ff. Ad Ciceronis Pisonianam), namentlich aber die reich- 
haltigen, griechischen und romischen Schriftstellern zugewendeten »Varia« im 
»Hermes« (in Bd. X bis XLV eingestreut). In diesem Zusammenhang ist der 
Wunsch wohl naheliegend und berechtigt, daO die Sammlungen V.scher 
Schriften mit der Zeit noch erweitert werden mochten. 

Fiir die Entwicklung der Philologie seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts 
war V. eine der bestimmenden Personlichkeiten, bestimmend insbesondere fiir 
die methodische Behandlung und Erklarung antiker Texte, selbst eine philo- 
logische Arbeit und Grundlage aller philologischen Arbeit. Seiner Fiihrung 
vor allem schreibt die mehrerwahnte Akademieadresse von 1902 die Abwendung 
der Wissenschaft von der »konjekturalen Fixigkeit« zur »hermeneutischen 
Richtigkeit« zu. Wenn ein Fr. Biicheler in der genannten Besprechung der 
Opuscula academica erklart, er gehore zu den Ungezahlten, die durch V.s Arbeiten 
auf Fehler, eigene und fremde, aufmerksam gemacht seien und Belehrung aller 
Art daraus empfangen haben, wenn ein Vertreter der historisch-darstellenden, 
aber auch der kritisch-hermeneutischen Philologie, wie U. v. Wilamowitz-Moellen- 
dorff, seine akademische Gedachtnisrede ausklingen lafit in demRuhm von dem, 
was der Lehrer und Erzieher V. fiir die Wissenschaft getan habe und durch seine 
Schriften weiter tun konne und solle, und bekennt, er habe seit fernen Tagen mit 
Ehrfurcht zu ihm emporgesehen, wie zu einem Lehrer, dann wird auch das starke 
Wort in der Tabula gratulatoria der Berliner philosophischen Fakultat zu V.s 
80. Geburtstage bestehen: Ioannis Vahleni nomine ex philologiae historia sublato 
ipsius philologiae nomen oblitterari. 

Vgl. Konst. v. Wurzbach, Biograph. Lexikon des Kaisertums Osterreich XLIX (1884), 
S. 191 ff., mit einem Schriftenverzeichnis (geht auf Mitteilungen V.s zuriick, die frei ver- 
arbeitet sind). — J. Fdr. in der »Leipz. Illustrierten Zeitungc v. 7. Dez. 1911, Bd. CXXXVII, 
S. 1078. — S. Frankfurter, Worte der Erinnerung an Johannes Vahlen (vom 18. Dez. 191 1), 
in den »Mitteilungen des [Wiener] Vereins der Freunde des humanist. Gymnasiums* H. XIII 
(1912) S. 12 ft. — J. J. Hartman, Parenialia, in der ^Mnemosyne* N. S. XL (1912), S. Ill f. 
— U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Gedachtnisrede auf Johannes Vahlen (vom 4. Juli 191 2) 
in den »Sitzungsberichten der Berliner Akad. der Wissensch.« 191 2, S. 617 ff. — Fiir 
manche personliche Auskunft bin ich Herrn Kdnigl. Bibliothekar Dr. A. Vahlen zu Danke 
verpflichtet. 

Was Bildnisse V.s betrifft, so befindet sich die genannte Marmorbiiste von Ad. Briitt 
im Besitze der Familie; eine Photographie von ihr war dem Verzeichnis der Stifter, das diesen 
zugegangen ist f beigegeben. Ein Gemalde von Hamacher befindet sich als Geschenk der 
Familie im Philol. Seminar der Berliner Universitat. Ein Bild aus V.s mittleren Jahren ent- 
halt die Leipz. Illustr. Ztg a. a. O. S. 1080. Die erwahnte Gegengabe vom Jahre 1902 war die 
Erneuerung einer alteren Aufnahme von Leyde & Co. in Berlin. Die letzten wohlgelungenen 
Photographien in grSOerem Format sind nach zwei Aufnahmen im Jahre 19 10 von Rud. Duhr- 
koop in Berlin hergestellt. Im Familienbesitz befindet sich noch eine Anzahl anderer Bilder, 
darunter auch ein Jugendbildnis. 

Berlin -Charlottenburg. Emil Thomas. 

KrSncr, Adolf v^ Verlagsbuchhandler, * 26. Mai 1836, f 29. Januar 191 1 
in Stuttgart. — K.s Lebensbild bietet uns die Geschichte eines der Manner, 
die durch eigene Tatkraft und Befahigung zur Hohe aufgestiegen sind. Er 



248 



Krfiner. 



wuchs unter bescheidenen biirgerlichen Verhaltnissen in Stuttgart auf, wo 
sein Vater Verwalter des Biirgerhospitals war, und besuchte das Eberhard- 
Ludwig-Gymnasium bis zur Erlangung des Reifezeugnisses. Schon in dieser 
Zeit trat seine hohe kunstlerisch-literarische Befahigung hervor, und in seinem 
Freundeskreise, dem u. a. der spatere Dichter und Germanist Wilhelm Hertz 
sowie der nachmalige Liederkomponist Robert v. Hornstein angehorten, erfreute 
er seine Genossen durch packende Klavier- und Gesangsvortrage. Diese Be- 
gabung schien ihm auch bei der Berufswahl den Lebensweg zu weisen. K. ent- 
schied sich dafiir, Opernsanger zu werden, und reiste am 29. April 1853 nach 
Paris ab zu dem Zwecke, am dortigen Konservatorium Gesang zu studieren. 
Er verliefl aber Paris wieder im Jahre 1854, reiste am 23. Mai desselben Jahres 
nach Leipzig, um dort die praktische Biihnenlaufbahn zu beginnen, und setzte 
seine Ausbildung vom Juli bis Dezember 1854 in Weimar fort, wohin Franz 
Liszts Stern ihn gezogen hatte. Hier aber entschlofl er sich, von der 
Biihnenlaufbahn Abstand zu nehmen, und zu seinem Glucke wahlte er, geleitet 
durch seine literarischen Neigungen, einen Beruf, der ihn zu ungeahnter GroBe 
fiihren sollte: den Buchhandel. Schon am 1. Januar 1855 trat er in die Buch- 
und Kunsthandlung von Wilhelm Bach in Stuttgart ein, wo ihm eine abge- 
kiirzte Lehrzeit bewilligt wurde, arbeitete dann einige Wochen in Bosheuyers 
Buchhandlung in Cannstatt und ging am 1. Oktober 1856 als Gehilfe (mit einem 
Monatsgehalt von 36 Gulden!) in die Riegersche Universitatsbuchhandlung in 
Miinchen. Dort lebten auch seine Freunde W. Hertz und R. v. Hornstein und 
ftihrten den jungen Buchhandler in den Kreis der Munchner Dichterschule ein, 
der sich unter Fiihrung von Emanuel Geibel und Paul Heyse um Konig Maxi- 
milian II. geschart hatte. Die Stunden, die K. nun unter den »Krokodilen« 
am »heiligen Teiche« verleben durfte, waren fur ihn ebenso genuflreich wie 
segenbringend. Ihnen verdankte er eine Reihe personlicher Beziehungen, die 
fur die Entwicklung seiner spateren Verlagstatigkeit bestimmend sein sollten. 
Zunachst aber sehen wir ihn vom I. Oktober 1857 ab wieder in Stuttgart, und 
zwar in der Artistischen Anstalt von F. Malte, als Buchhalter tatig. Bald 
jedoch schritt der schaffensfreudige junge Mann dazu, sich selbst Haus und 
Herd zu begriinden. Er vermahlte sich im Jahre 1859 m ^ Amalie Mantler 
(f 1905), der Tochter des Besitzers der »K. Hof- und Kanzlei-Buchdruckerei 
Gebriider Mantler« und fiihrte den Betrieb dieser Offizin vom Friihjahr 1859 ab 
fur eigene Rechnung unter der alten Firma »Gebriider Mantler« fort. Das 
Unternehmen war freilich ein recht bescheidenes: die Druckerei, die einst des 
jungen Schillers Zeitschrift »Nachrichten zum Nutzen und Vergnugen« heraus- 
gegeben hatte, besafi blofi eine Handpresse und beschaftigte nur 3 Setzer, 
I Drucker und 1 Lehrling; daneben war noch ein junger Mann vorhanden, 
der gleichzeitig als Packer und Schreiber fungierte und in der Folge K.s Unter- 
nehmungen bis ins hohe Alter treu blieb. 

Zu diesem Druckereigeschaft fugte der Dreiundzwanzigjahrige schon einige 
Monate spater, am 15. November 1859, wenige Tage nach der Hundertjahr- 
feier von Friedrich Schillers Geburt, ein eigenes Verlagsgeschaft unter der 
Firma »A. Kroner« hinzu, und von da an begann ein Emporbluhen und Wachsen 
seiner geschaftlichen Unternehmungen zu einem Umfange, wie ihn der deutsche 
Verlagsbuchhandel noch nicht gekannt hatte. K.s erster erfolgreicher Verlags- 
artikel, >>DerWiirttembergische Sekretar«, war allerdings nur ein dem prakti- 



Krttner. 



249 



schen Bedurfnis des Biirgers dienendes Buch. Aber nicht lange nachher, 1862, 
ftihrten ihm seine Freunde das von Em. Geibel herausgegebene »Miinchener 
Dichterbuch« zu, und es folgten Einzelwerke von Autoren wie Wilhelm Hertz, 
Paul Heyse, Hans Hopfen, Melchior Meyr u. a. Neben der belletristischen 
Literatur wurde der Verlag guter Jugendschriften gepflegt und eine Reihe 
kunstlerisch hervorragender Prachtwerke mit ausgezeichneten Holzschnitten 
geschaffen. Die Druckerei aber entwickelte sich bald zu einer solchen Leistungs- 
fahigkeit, dafi sie auch fur andere Stuttgarter Verlagshandlungen die Her- 
stellung einer Reihe hervorragender illustrierter Prachtwerke tibernehmen konnte. 

Auch auf politischem Gebiete betatigte K. sich erfolgreich, indem er als 
Herausgeber der »Schwabischen Volkszeitung« fiir den nationalen Gedanken 
eintrat und den Kampf mit den Vertretern des wurttembergischen Partikularis- 
mus energisch aufnahm. 

Bei dem stetig wachsenden Umfange seiner Geschafte hatte K. das Gluck, 
zwei seiner Briider zu seiner personlichen Unterstiitzung heranziehen zu konnen. 
Sein jiingerer Bruder Paul (* 13. November 1839, f 25. Februar 1 900), der sich 
allmahlich zu einem hervorragenden Fachmann auf den technischen Gebieten 
der Buchherstellung entwickelte und spater auch in Verlagsangelegenheiten 
dem temperamentvollen Adolf K. als bedachtiger Geschaftsmann niitzlich und 
erganzend zur Seite stand, wurde 1864 zunachst Mitarbeiter, 1867 Teilhaber 
der Druckerei, 1877 auch des Verlages. Auflerdem trat auch der altere Bruder 
Karl K. am 1. Juli 1877 * n das Verlagsgeschaft als Teilhaber ein, schied aber 
am 1. Juli 1883 wieder aus. 

Schon nach einigen Jahren der Selbstandigkeit betrat K. den Weg, auf dem 
er dann neben der eigenen Verlagstatigkeit seine Unternehmungen stetig ver- 
groflerte, namlich den des Ankaufs anderer Verlagsgeschafte. Am 27. Februar 
1867 wurde der groflte Teil von Adolf Bechers Verlag (Gustav Hoffmann) er- 
worben, am I. Mai 1870 der Verlag von Adolph Krabbe angekauft. Die letztere 
Firma wurde bis zum I. Januar 1873 gesondert weitergefuhrt. Am I. Januar 
1877 wurden die K.schen Unternehmungen zu einem Geschaft unter der 
Firma »Gebruder Kroner, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei« vereinigt. 
Die Zunahme der Druckarbeiten fiihrte dann Ende der siebziger Jahre zur 
pachtweisen Obernahme, 1886 zum Ankauf der Cottaschen Buchdruckerei, 
und eine Frucht der so geschaffenen engen Beziehungen zwischen K. und dem 
Freiherrn Karl v. Cotta, dem damaligen Besitzer der Cottaschen Buchhandlung, 
war die auf K.s Anregung geschaffene und im gemeinsamen Verlage der Firmen 
Cotta und Kroner von 1882 ab erscheinende »Bibliothek der Weltliteratur«, 
in der die deutschen und fremden Klassiker in guter Ausstattung zu dem damals 
noch unerhort billigen Preise von einer Mark fiir den hiibsch gebundenen Band 
geboten wurden. 

Der Aufstieg ging weiter. Am I. Januar 1884 erwarben Adolf und Paul K. 
das von Ernst Keil hinterlassene Verlagsgeschaft, das sie unter der Firma 
»Ernst Keils Nachfolger« in Leipzig fortfuhrten, und Adolf K. ubernahm per- 
sonlich die Herausgeberschaft der »Gartenlaube«, die er mit seltenem Geschick 
und unbestrittenem Erfolge bis zum Jahre 1903 behielt. Unter seiner Leitung 
wuchs die Auflage der »Gartenlaube« gewaltig; sie war das beliebteste deutsche 
Familienblatt, und die Art, wie ihre Redaktion gefuhrt wurde, erwarb ihr all- 
gemeine Anerkennung. 



2 cq Kroner. 

Einen weiteren Zuwachs des Verlages bildeten im Jahre 1886 die Jugend- 
schriften von R. Chelius in Stuttgart. Zwei Jahre spater, am 1. Mai 1888, er- 
warben die beiden Briider die grofie Verlagshandlung und Buchdruckerei von 
Hermann Schonlein in Stuttgart — illustrierte populare Zeitschriften und 
Lieferungswerke — , die vorerst unter der Firma »Hermann Schonleins Nach- 
folger« als besonderes Geschaft erhalten blieb. Und schon wenige Monate spater, 
am 1. Januar 1889, ging die Perle des Stuttgarter Verlages, die altberuhmte 
Cottasche Buchhandlung, in den Besitz von Adolf und Paul K. uber. 

Solch' grofiartige, bis dahin im deutschen Buchhandel ungewohnte Unter- 
nehmungen konnten naturlich nicht ohne Heranziehung finanzieller Krafte 
durchgefiihrt werden. Dies fand seinen Ausdruck durch die am 1. Januar 1890 
erfolgte Begrundung der Aktiengesellschaft »Union, Deutsche Verlagsgesell- 
schaft«; in ihr wurden die Geschafte von »Gebruder Kroner « und »Hermann 
Schonleins Nachfolger« vereinigt, ihr aufierdem aber noch der grofiartige Verlag 
von Wilhelm Spemann zugeflihrt. Adolf K. wurde Vorsitzender des Aufsichts- 
rats der neuen Aktien-Gesellschaft, die beiden offenen Handelsgesellschaften 
»Ernst Keils Nachfolger« und »J. G. Cottasche Buchhandlung« wurden ihr 
finanziell angegliedert; in die letztere traten Wilhelm Spemann (vom 22. Juli 
1891 bis 1897) und Adolf Kroners alterer Sohn Alfred (vom 1. Januar 1892 bis 
I. Januar 1898) neben Adolf und Paul K. als Teilhaber ein. 

Die »Union« bewahrte sich auch finanziell dauernd als eine aufierst solide 
und gut geleitete Grundung. Das Gesellschaftskapital verblieb bisher im festen 
Besitz eines kleines Konsortiums. Als gemeinschaftliches Geschaftshaus aber 
fur »Union« und »Cotta« wurde auf dem umfangreichen Grundstiick in der 
Hauptstatterstrafie ein grofier Neubau aufgefuhrt, in dem aufier den beiden Ver- 
lagsgeschaften auch die machtige Druckerei, eine neu begrundete Grofi-Buch- 
binderei und eine Anzahl anderer buchgewerblichen Betriebe untergebracht 
und im ganzen uber 800 Angestellte und Arbeiter beschaftigt wurden! 

Auch die Firmen »Keil« und »Cotta« nahmen unter K.s Oberleitung einen 
neuen, grofien Aufschwung. Auf die Anfiihrung von Einzelheiten miissen wir 
hier des beschrankten Raumes wegen leider verzichten; nur auf e i n Ruhmes- 
blatt in der neueren Geschichte der Cottaschen Buchhandlung sei mit wenigen 
Worten hingewiesen: War es einst Johann Friedrich Cotta gelungen, die Namen 
von Schiller und Goethe sowie vieler anderer Dichter und Gelehrten fur immer 
mit seiner Firma zu verkniipfen, so war es das unvergangliche Verdienst K.s, den 
Fiirsten Bismarck zur Abfassung seiner »Gedanken und Erinnerungen« fur 
den Cottaschen Verlag zu gewinnen! Der Veroffentlichung dieses kostbaren Ver- 
machtnisses, das einen aufierordentlichen Absatz fand, folgten dann weiter in 
demselben Verlage »Bismarcks Brief e an seine Braut und Gattin« sowie der 
>>Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen«, und eine umfangreiche Bismarck- 
Literatur schlofi sich an. Wie der friihere Kronersche Verlag, so wurde auch der 
Cottasche unter K.s Oberleitung durch grofie Ankaufe bedeutend erweitert. 
So wurden ihm aus dem Verlage von F. & P. Lehmann in Berlin 1891 Hermann 
Sudermanns Werke zugeflihrt, am 23. Januar 1899 wurde das Verlagsgeschaft 
von A. G. Liebeskind mit ihm vereinigt, am 24. August 1901 erfolgte der Ankauf 
der Firma Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) in Berlin, wodurch der 
Verlag um die samtlichen Werke von Paul Heyse und Gottfried Keller, eine 
Reihe von Biichern Theodor Fontanes sowie eine grofie Anzahl anderer wert- 



Kroner. 



251 



voller belletristischer und wissenschaftlicher Werke bereichert wurde. Im An- 
schlufl hieran wurde im Herbst 1901 in Berlin eine Zweigniederlassung der 
Cottaschen Buchhandlung errichtet. 

Am 1. Januar 1898 war die Firma Ernst Keils Nachfolger, ebenso am 
I. Januar 1899 die Firma J. G. Cottasche Buchhandlung der aufleren Form 
nach in eine Gesellschaf t mit beschrankter Haf tung umgewandelt worden ; beide 
Geschafte verblieben, ebenso wie die Union, nach wie vor unter K.s Oberleitung. 
Aber einige Jahre spater, in einem Alter, wo viele andere schon ganzlich der 
Ruhe pflegen, spiirte er doch das Bediirfnis nach einiger Entlastung. Der 
Verlag der zugleich mit der Cottaschen Buchhandlung erworbenen »Allgemeinen 
Zeitung« war schon 1895 an eine G. m. b. H. in Miinchen abgetreten worden; 
nun legte K. im Jahre 1903 die Herausgabe der »Gartenlaube« nieder, und ihr 
Verlag ging in den Besitz des Scherlschen Konzerns liber. Im Mai 1904 ver- 
zichtete er dann auch auf den Vorsitz im Aufsichtsrat der »Union«, den sein 
Schwiegersohn Heinrich Beck iibernahm. Dagegen ging die Cottasche Buch- 
handlung gleichzeitig unter Auflosung der G. m. b. H. in seinen alleinigen 
Besitz uber, und er widmete ihr nun seine ganze Arbeitskraft und Liebe bis in 
die letzten Lebenstage. 

Der aufiergewohnlichen Grofie und Bedeutung, zu der K. seine geschaft- 
lichen Unternehmungen binnen weniger Jahrzehnte von kleinen Anfangen aus 
gebracht hatte, entsprach auch die aufierordentliche Wertschatzung und Ver- 
ehrung, die er sich personlich durch seine kluge, energische und erfolgreiche 
Beteiligung an der Behandlung der den deutschen Buchhandel als Gesamt- 
organismus allgemein interessierenden Fragen erworben hat. Die Unsitte 
ubermafiiger Rabattgewahrung an das Publikum seitens einzelner Buchhandler 
— urspriinglich in den Zeiten des buchhandlerischen Tauschhandels durch die 
Oberfullung der Lager mit billig erworbenen Werken hervorgerufen — war 
schon in fruherer Zeit als Mifistand empfunden worden. Mit der Zunahme des 
Verkehrs und der Publizitat, mit der Einfiihrung des billigeren Brief- und Paket- 
portos, andererseits auch mit der durch die Gewerbefreiheit geforderten groflen 
Zunahme der Buchhandlungen und buchhandlerischen Wiederverkaufer wurde 
das Obel immer schlimmer, besonders auch, weil eine Anzahl grofler Berliner 
und Leipziger Sortimentshandlungen unter der Ausnutzung der ihnen 
gebotenen lokalen Vorteile und des neueingefuhrten 50-Pfennig-Portos fiir 
5-Kilo-Pakete sich darauf verlegte, das ganze Gebiet des deutschen Buchhandels 
mit ihren Schleuderofferten zu (iberschwemmen, und dadurch auch Sortimenter 
an andern Orten zur Nachfolge zwang. Preisunterbietungen bei Biichern 
sind aber fiir den Detailhandel weit gefahrlicher als bei vielen anderen Waren, 
bei denen die Fragen der Qualitat, der Mode, der Auswahl, des Geschmackes 
des Verkaufers usw. neben dem Preise wesentlich in Betracht kommen. So 
wurde denn in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Cbelstand 
ein dermafien druckender, dafi der ganze deutsche Sortimenterstand nach 
Abhilfe rief. Aber die Ansichten uber die L6sung der Frage gingen weit aus- 
einander. 

Als Zentralverein fur den deutschen Buchhandel war im Jahre 1825 der 
BSrsenverein der Deutschen Buchhandler zu Leipzig gegriindet worden. Er 
hatte sich zu grofier Bedeutung entwickelt und namentlich fiir die Ordnung 
der Abrechnungsgeschafte, die Verfolgung des Nachdrucks, den Ausbau der 



252 



Krtfner. 



Literargesetzgebung usw. Wertvolles geleistet. Aber die Einwirkung auf die 
geschaftlichen Beziehungen zwischen den Sortimentern und dem Publikum 
lag aufierhalb seiner statutarischen Zwecke. Jetzt wurden Stimmen laut, die 
vom Borsenverein Abhilfe des Cbels verlangten; andere erklarten ihn fiir un- 
fahig, auf diesem Gebiete einzuschreiten, andere wiederum gingen noch weiter 
und forderten ganzliche Aufhebung der Ladenpreise als einzige Abhilfe; noch 
andere sprachen sich fur Aufhebung der Gewerbefreiheit und Wiedereinfiihrung 
des Konzessionszwanges fiir den Buchhandel aus. Der BSrsenverein konnte 
sich endlich der allgemeinen Bewegung nicht langer verschliefien und berief 
fiir den September 1878 nach Weimar eine Konferenz zur Beratung dieser 
Fragen ein. K. nahm an den Besprechungen als 2. Schriftfiihrer des Borsen- 
vereins teil, und seine Ausfiihrungen beeinflufiten alsbald wesentlich den Gang 
der Beratung. Er sprach sich dahin aus, dafi ein Zwang auf die Verleger seitens 
des Borsenvereins nicht ausgeiibt werden konnte, empfahl vielmehr die Aus- 
bildung des buchhandlerischen Vereinswesens durch weitere Griindung von 
Orts-und Kreisvereinen sowie das Hand-in-Hand-gehen dieser Vereine mit den 
Verlegern, die sich aus freier Entschliefiung bereitfinden wurden, sie bei der 
Bekampfung der Schleuderei zu unterstutzen. Der Borsenverein solle Griin- 
dung und Tatigkeit dieser Vereine mit Rat und Tat unterstutzen. Auf dieser 
Grundlage baute K. in der Folge sein Programm immer weiter aus, und in zehn- 
jahrigem Kampfe gegen rechts und links von ihm stehende Gegner verhalf er 
seinen Ideen uber die Reform der buchhandlerischen VerhSltnisse zu einem 
glanzenden Siege. Zun&chst wurde auf seine Anregung eine Kommission zur 
Enquete liber die Mifistande und zur Belebung des Vereinswesens eingesetzt. 
Eine Anzahl neuer Orts- und Kreisvereine wurde gegrundet, so dafi bald kein 
Landesteil ohne Organisation und Vertretung blieb, und gelegentlich der Oster- 
messe 1879 trat eine erste Konferenz der Delegierten dieser Vereine zusammen. 
Infolge des Berichtes der vorgenannten Kommission aber beschlofi der BSrsen- 
verein auf Antrag seines Vorstandes, in eine Statutenrevision einzutreten, und 
setzte zu diesem Zwecke eine grofie Kommission ein. Zur selben Zeit wurde K. 
zum 2. Vorsteher des Borsenvereins gewahlt. 

Die Statutenrevisionskommission tagteam 16. bis 20. September 1879 * n 
Stuttgart, und K. vertrat standhaft und beredt sein nun ausfiihrlicher und be- 
stimmter gewordenes Programm. Der Borsenverein solle u. a. auch die Anbahnung 
und Feststellung allgemeingiiltiger geschaftlicher Normen sowohl im Verkehr 
der Buchhandler untereinander als mit dem Publikum unter seine Zwecke 
aufnehmen, eine organische Verbindung mit den Orts- und Kreisvereinen 
behufs Bekampfung der Schleuderei herstellen und zur Durchfiihrung der 
erforderlichen Maflnahmen einen standigen Hauptausschufi einsetzen. Nach 
heiflen Kampfen nahm die Kommission die Kronerschen Vorschlage mit 19 
gegen 14 Stimmen an, aber mannigfache Wechselfalle fiihrten schliefilich dazu, 
dafi die Hauptversammlung des BQrsenvereins zu Kantate 1880 nur einem viel 
bescheidener gewordenen neuen Statut zum Siege verhalf. Die Bekampfung 
der Schleuderei wurde nicht unter die Aufgaben des Borsenvereins aufge- 
nommen, die organische Eingliederung der Orts- und Kreisvereine verworfen. 
Aber K. setzte u. a. doch wenigstens durch, dafi »die Vertretung der Interessen 
des deutschen Buchhandels im allgemeinen und seiner Angehorigen im weite- 
sten Umfange« als einer der Zwecke des Bdrsenvereins bezeichnet wurde. Dies 



Kroner. 253 

war eine Grundlage, auf der spater weitergebaut werden konnte. Aufierdem 
wurde auch zugelassen, dafi je 6 auswartige Buchhandler sich bei den Ab- 
stimmungen in den Hauptversammlungen des Borsenvereins (aufler bei Satzungs- 
anderungen) durch ein anderes Mitglied vertreten lassen konnten. Hierdurch 
wurde das Obergewicht der Leipziger und Berliner beseitigt. 

Die Bestrebungen des Buchhandels zur Bekampfung der Schleuderei 
gingen weiter, und zwar zunachst auf Betreiben des im Jahre 188 1 gegriindeten 
»Verbandes der Provinzial- und Lokalvereine im deutschen Buchhandel«. 
1882 wurde K. zum 1. Vorsteher des Borsenvereins gewahlt, und er begann von 
neuem fiir die Durchfiihrung seines Programms innerhalb des Borsenvereins 
zu wirken, und mit Erfolg. Die Kantate-Versammlung von 1884 beschlofl nach 
einer glanzenden und eindrucksvollen Rede K.s auf seinen Vorschlag, eine 
Siebenerkommission zur Entscheidung von Beschwerden uber Schleudereifalle 
einzusetzen und die Verleger zur freiwilligen Abgabe einer Erklarung aufzu- 
fordern, wonach sie sich verpflichteten, den von der Siebenerkommission schuldig 
Befundenen ihren Verlag entweder gar nicht oder nur mit vermindertem Rabatt 
zu liefern. Viele Verleger entsprachen dieser Aufforderung, aber die Erfahrung 
der nachsten Jahre zeigte, dafl eine grlindliche Unterdriickung der Schleuderei 
ohne durchgreifende Anderung der Statuten des Borsenvereins unmoglich sei. 
Zur Ostermesse 1886 beschlofl der Vorstand, eine solche zu beantragen, und 
beauftragte seinen 1885 wiedergewahlten I. Vorsteher K. mit der Ausarbeitung 
der Abanderungsvorschlage. An demselben Kantatesonntag konnte K. die 
ersten drei Hammerschlage bei der Grundsteinlegung des neuen Deutschen 
Buchhandlerhauses fiihren, dessen Errichtung im Jahre vorher auf Antrag des 
Vorstandes beschlossen worden war. 

Das Jahr 1887 brachte K. endlich die voile Erfullung seiner Wiinsche. 
Er veroffentlichte seine Abanderungsvorschlage und begriindete sie nach voraus- 
gegangenem schweren Kampfe innerhalb des Vorstandes durch eine eingehende 
und wirkungsvolle Rede in der Hauptversammlung. Diese schenkte seinen 
Gesichtspunkten ihren Beifall und beschlofl die Einsetzung der Statuten - 
revisionskommission; aus ihrer Arbeit, die sich im wesentlichen auf Grundlage 
der K.schen Vorschlage aufbaute, gingen die neuen Satzungen des Borsen- 
vereins hervor, die bestimmt waren, Wandel zu schaffen und es auch griindlich 
getan haben. Sie wurden in einer auflerordentlichen Hauptversammlung des 
Borsenvereins am 25. September 1887 in Frankfurt a. M. mit iiberwaltigender 
Majoritat angenommen, nachdem K. noch einmal die leitenden Prinzipien in 
glanzender, mit Begeisterung aufgenommener Rede dargelegt hatte. 

Am Kantatesonntag 1888 traten die neuen Satzungen in Kraft. Noch in 
der alten Buchhandlerborse in der RitterstraBe zu Leipzig brachte der deutsche 
Buchhandel seinem Fiihrer Adolf K. den Dank in einer Reihe von Ovationen 
dar. Dann fand unter seinem Vorsitz und in Gegenwart des Konigs von Sachsen 
die feierliche Einweihung des neuen Deutschen Buchhandlerhauses statt. Un- 
vergefllich blieb jedem Teilnehmer an dieser glanzenden Versammlung die ge- 
winnende Wurde und auBerordentliche Gewandtheit, mit der K. die zahllosen 
Begliickwunschungen fiir den Borsenverein entgegennahm und erwiderte. Es 
war ein Festtag fiir den Buchhandel, aber auch ein wohlverdienter Triumph 
fiir K., der nach hartem zehnjahrigen Kampfe gegen die verschiedensten, ihm 
entgegenstehenclen Meinungen durch unverruckbares Festhalten an seinen 



254 



Kroner. 



Prinzipien, glanzende und immer sachlich bleibende Beredsamkeit sowie durch 
aufierordentliches Geschick bei Fiihrung und Leitung der Verhandlungen das 
gesteckte Ziel nun endlich erreicht hatte. 

Die neuen Satzungen des Borsenvereins enthielten die Neuerung, dafi er auch 
zur Feststellung der geschaftlichen Bestimmungen fiir den Verkehr der Buch- 
handler mit dem Publikum berufen sei, und im Anschlufl hieran die Verpflich- 
tung der Buchhandler zur Einhaltung der Ladenpreise bezw. der mit Genehmi- 
gung des Borsenvereins aufzustellenden Verkaufsbestimmungen der Orts- und 
Kreisvereine. Die letzteren sowie die drei Verlegervereine und der Verein 
Leipziger Kommissionare wurden zu Organen des Borsenvereins gemacht und 
erhielten ihre Vertretung im Vereinsausschufi, der fortan uber die Schleuderei- 
falle zu befinden und die Sperre gegen die Schuldigen bezw. ihre Ausschliefiung 
aus dem Borsenverein zu beantragen hatte. Die Durchfuhrung der Lieferungs- 
sperre blieb auch fernerhin der freiwilligen Entschliefiung der Verleger iiber- 
lassen, aber es zeigte sich bald, dafi sich hierzu fast alle in Betracht kommenden 
Verleger verpflichteten. 

Den Satzungen entsprechend legte K. am Kantatesonntag 1888 sein Amt 
als I. Vorsteher nach sechsjahriger Tatigkeit nieder. Sein Nachfolger war der 
bisherige 2. Vorsteher, Paul Parey, der schon wahrend der Beratungen in den 
letzten Jahren uber K.s Vorschlage hinausgehende Forderungen aufgestellt 
hatte und nun, entgegen dem von K. stets empfohlenen weisen Mafihalten in 
Anwendung der satzungsgemafien Befugnisse des Borsenvereinsvorstandes, die 
MiOstande im Rabattwesen mit einem Schlage durch Zwangsmafiregeln zu 
beseitigen suchte. Sein Plan mifilang, hauptsachlich infolge des durch die tat- 
sachlichen Verhaltnisse hervorgerufenen Widerstandes der Berliner und Leip- 
ziger Handlungen, und damit war das eben erst zum Abschlufi gelangte Reform - 
werk aufs ernstlichste gefahrdet. In dieser Not kannte der deutsche Buch- 
handel nur einen Retter: Adolf K. Er folgte dem Rufe seiner getreuen 
Anhanger noch einmal, und als zum dritten Male gewahlter 1. Vorsteher sicherte 
er in den Jahren 1889 bis 1892 seinem Werke Lebensfahigkeit und allgemeine 
Anerkennung. Und als er dann, aus Riicksichten auf seine Gesundheit und 
seine geschaftliche Inanspruchnahme, eine weitere Wiederwahl ablehnend, im 
Jahre 1892 sein Amt niederlegte, durfte er es getrost seinem Nachfolger in dem 
Bewufltsein tibergeben, dafi die weitere Entwicklung gemafi der von ihm auf- 
gestellten Grundsatze erfolgen werde. 

Von dieser Zeit an konnte K. sich ausschliefilich den grofiartigen geschaft- 
lichen Unternehmungen widmen, deren wir schon vorstehend gedacht haben. 
Seine Berufsgenossen hatten ihm den Ehrennamen eines »Bismarck des Buch- 
handels« beigelegt; nicht geringerer Verehrung erfreute er sich in der groflen 
Gemeinde der Schriftsteller, die mit ihm als Autoren der von ihm geleiteten drei 
grofien Verlagsinstitute und als Mitarbeiter der in ihrem Verlage erscheinenden 
Zeitschriften in Verbindung standen. Eiserne Willenskraft und Konsequenz, 
starke Impulsivitat und Klarheit des Geistes, eine ungewohnliche Begabung 
fiir den Gebrauch des Wortes in Rede und Schrift, dabei aber auch weise Mafii- 
gung in alien Situationen, in denen es darauf ankam, das Erreichbare durch 
vorlaufiges Zuruckstellen weitergehender Ziele zu sichern, haben ihm im geschaft- 
lichen und 6ffentlichen Wirken ungewohnliche Erfolge bereitet. Auch mit andern 
reichen Gaben hatte die Natur ihn vollauf beschenkt; seine hohe, kraftige 



Krflner. 



255 



Gestalt war das auflere Ebenbild seines hohen Sinnes, der durchdringende Blick 
seines Auges zeugte von der Scharfe seines Verstandes und der Unabanderlich- 
keit seines Willens. K. war eine Gewaltnatur, und wer sich seinen Ansichten 
und Wunschen nicht unterwarf, hatte schwer mit ihm zu kampfen; er war fur 
seine Autoren kein bequemer Verleger, der ihre Werke ohne Kritik hinnahm, und 
fur seine geschaftlichen Mitarbeiter kein leicht zu befriedigender Chef. Aber 
alle, denen es vergonnt war, in nahere Beziehungen zu ihm zu treten, wuflten, 
dafl es ihm stets nur um die Sache zu tun war, und sie sahen, dafl er ihnen in 
treuer Pflichterfullung voranleuchtete. Im personlichen Verkehr entziickte er 
durch eine gewinnende Liebenswtirdigkeit und edle Ritterlichkeit, die frei war von 
jeder Vornehmtuerei; er konnte im Eifer zuweilen hitzig, ja hart werden wie 
der deutsche Heros, den er aufs tiefste verehrte, aber dann war es fast immer 
sein Bestreben, dies nachtraglich durch verdoppelte Freundlichkeit wieder 
gut zu machen. Auch nachdem er zu Reichtum und Wurden gelangt war, blieb 
seine ganze Lebensweise einfach und natiirlich. Er war kein Frcund von luxuri- 
osen »Gesellschaften«, aber er liebte es, in seinem Hause oder in seinem, nahe der 
Solitude gelegenen Landsitz »Berkheimer Hof« einen kleinen Kreis ihm kon- 
genialer Manner zu versammeln und mit ihnen bei gutem Wein unter anregen- 
der, der Literatur und Kunst gewidmeter Unterhaltung schone und vertraute 
Stunden zu verleben. 

Zwei Schlaganfalle, die ihn 1886 und 1892 trafen, konnten ihn nicht be- 
zwingen. Der erste beraubte ihn eines Auges wahrend der Grundsteinlegung 
des neuen Buchhandlerhauses, ohne dafl er die Versammlung etwas merken liefl, 
der zwcite schwachte ihn nur voriibergehend fur einige Zeit. Sein starker Korper 
siegte beidemal, aber die Arterienverkalkung machte allmahlich Fortschritte; 
ein Herzleiden trat hinzu, und am 29. Januar 191 1 rief der Tod den fast Funf- 
undsiebzigjahrigen aus dem Leben ab, das kostlich gewesen, weil es Miibe und 
Arbeit war. 

Am 1. Februar 191 1 fand auf dem Pragfriedhof zu Stuttgart die Feuer- 
bestattung statt, und die allgemeine Verehrung, die K. besonders aus der Schrift- 
stellerwelt und dem Buchhandel dargebracht wurde, kam durch eine Anzahl 
aus der Mitte der groflen Trauerversammlung gehaltener Anreden zum er- 
greifenden Ausdruck. 

Aufleren Ehren jagte K. nie nach, aber sie wurden ihm vollauf zuteil, 
namentlich auch gelegentlich des Jubilaums seiner 40 jahrigen Selbstandigkeit, 
1899, und des im Jahre 1909 gefeierten Doppeljubilaums seiner 50 jahrigen 
Selbstandigkeit und des 250 jahrigen Bestehens der Cottaschen Buchhandlung. 
Er war Geheimer Kommerzienrat und besafl zahlreiche Orden, u. a. das Ehren - 
kreuz der Wurttembergischen Krone, mit dem bisher der personliche Adel ver- 
kniipft war. Die Stadt Leipzig ernannte ihn zu ihrem Ehrenbiirger und be- 
nannte nach seinem Tode eine Strafle nach ihm; die philosophische Fakultat zu 
Tubingen und die staatswirtschaftliche Fakultat zu Munchen machten ihn zum 
Ehrendoktor. Der dankbare Borsenverein der Deutschen Buchhandler aber 
verlieh ihm die Ehrenmitgliedschaft und beschlofi, sein Bildnis im Festsaale 
des Deutschen Buchhandlerhauses zu Leipzig anzubringen. 

Von seinen Sohnen hat der altere, Alfred K., schon im Jahre 1897 in Stutt- 
gart ein eigenes, hochangesehenes Verlagsgeschaft begriindet, das er seit dem 
Jahre 1906 in Leipzig fortfuhrt; die Cottasche Buchhandlung aber befindet sich 
nunmehr im Alleinbesitz seines zweiten Sohnes, Robert K. 



256 Kroner. SchOnbach. 

Literatur: Die wichtigsten Reden und Schriftstiicke K.s zur buchh&ndlerischen Reform- 
frage sind abgedruckt in M Publikationen des Borsenvereins der deutschen Buchh&ndler" 
Bd. 6 und n — 13. — K.s Artikel: »Die Memoiren des Fiirsten Bismark* in der »Allge- 
meinen Zcitungt 1898 Nr. 280 und im »B6rsenblatt f. d. Deutschen Buchhandel* 1898. 
Nr. 237. 

Vgl. auch Geschichte des Deutschen Buchhandels Bd. 4. Von Johann Goldfriedrich. 
Leipzig 191 3. — Adolf Kroner (Nekrolog mit Bildnis), im Adrefibqch des Deutschen Buch- 
handels, 74. Jahrg., 19 1 2, Leipzig. Ferner zahlreiche, gelegentlich von K.s Jubilaen und Tod 
in der deutschen Presse erschienene Artikel (vielfach mit Bild) v namentlich im Borsenblatt f. d. 
Deutschen Buchhandel, 191 1, Nr. 25 ff. und Schwabischer Merkur 1911, Nr. 48 ff. 

W. K o e b n e r. 

Schtfnbach, Anton Emanuel 1 ), * am 29. Mai 1848 in dem durch seine Leinen- 
industrie bekannten, der sachsischen Grenze benachbarten nordbohmischen 
Stadtchen Rumburg, f 25. August 191 1 zu Schruns (Vorarlberg). — Sch. war 
das alteste der vier Kinder des Uhrmachers Joseph Sch., welcher als quieszierter 
Oberingenieur der Elisabeth -Westbahn 1900 gestorben ist. Zu Wien empfing 
er seinen ersten Unterricht in einer Volksschule des Bezirks Neubau, besuchte 
seit 1859 das Piaristengymnasium in der Josephstadt und liefi sich zum Herbst 
1867 an der dortigen Universitat immatrikulieren. Anfanglich Historiker, ging 
er bald unter Scherers EinfluC zur Germanistik iiber, horte jedoch auch klassisch- 
philologische Kollegien bei Vahlen. Nach seiner im Mai 1871 stattgefundenen 
Promotion nahm er, um Mullenhoffs Unterweisung zu geniefien, fur zwei Se- 
mester Aufenthalt in Berlin. Er habilitierte sich am 30. Oktober 1872 zu Wien 
mit einer Ausgabe der Reimprosa von der hi. Caecilia (ZfdA. 16, 165) und einer 
ungedruckt gebliebenen Antrittsrede, die der Entwicklung der Gralsage gait. 
Im folgenden Wintersemester ruhte, weil Scherer damals nach Strafiburg (iber- 
siedelte, die Vertretung der alteren deutschen Literatur auf seinen Schultern 
allein. Schon zum Sommer 1873 erhielt er als Nachfolger Heinzels ein Extra- 
ordinariat in Graz ubertragen; drei Jahre spater folgte die Befbrderung zum 
Ordinarius. Rufe nach Greifswald 1877, nach Prag 1899 schlug er aus, Hoff- 
nungen auf Freiburg und Wien verwirklichten sich nicht: so hat er an der 
steirischen Hochschule bis zu seinem Ende gewirkt und um ihre wachsende Bliite 
hohe Verdienste sich erworben, obwohl er Burden und Wurden der Verwaltung 
abzulehnen pflegte. Mancherlei Zeichen der Anerkennung wurden ihm zuteil: 
1 88 1 der Titel eines Regierungsrats, 1900 der eines Hofrats, 1898 der Orden der 
eisernen Krone, 1905 das Ehrenzeichen fiir W 7 issenschaft, 1895 die Wahl zum 
korrespondierenden, 1903 zum wirklichen Mitgliede der Wiener Akademie; 
1906 erkor ihn auch die Berliner Akademie zum Korrespondenten. Erst 1903 
schloB er einen spaten Ehebund mit Anna Poltl, die seine letzten Lebensjahre 
treu behiitete. Spuren von Diabetes hatten sich seit 1 901 gezeigt; dieser Krank- 
heit erlag er zu Schruns in Vorarlberg, wo seine Sommerferien zu verbringen 
er ein voiles Vierteljahrhundert gewohnt gewesen war. Auf dem Grazer Fried - 
hofe liegt er bestattet. 

Sein Leben, so ruhig und glucklich es scheinbar verlief, war ein auflerst 
muhseliges. Im Alter von drei Jahren befiel ihn zu Prag ein Typhus: davon 



') Beider Vornamen hat er sich seit 1883 regelmaOig bedient, weil seine mit A. S. unter- 
zeichneten Artikel nicht selten Arnold Schrder oder Anton Schlossar beigelegt worden waren. 



Schttnbach. 



257 



blieb dauernd eine Verkiirzung und Atrophie des rechten Beines zuriick, welche 
zum Tragen eines eigens konstruierten Stiefels und einer gewichtigen Maschine 
zwang, deren diffizile Natur haufige Reparaturen und auf alien Reisen die Mit- 
fiihrung eines Ersatzstiickes verlangte. Er konnte nur mit Hilfe von StOcken 
sich fortbewegen, ausgedehntere Gange waren daher mit grofler Anstrengung 
verbunden. Bei Glatteis oder Schnee sah er sich oft wochenlang genOtigt, ftir 
die kurze Strecke von seiner Wohnung zum Auditorienhaus einen Wagen zu 
benutzen. Fast wunderbar mutet es an f dafi unter solchen Hemmnissen die 
Heiterkeit seines Gemiits fast niemals litt; in jiingeren Jahren wenigstens fand 
man ihn immer frOhlich und bei guter Laune. 

Da dies kbrperliche Gebrechen den Knaben von den Spielen der Alters- 
genossen ausschlofi, so gab er seit seinem vierten Jahre sich einer unersattlichen 
Vielleserei hin, an der er zeitlebens festgehalten hat. Ausgestattet mit rascher 
Auffassungsgabe, reger Phantasie, phanomenalem Gedachtnis, auch musikalisch 
veranlagt, besafi er zugleich ein schier unerschopfliches Mitteilungsbediirfnis: 
aus der Fiille seiner Lekture verstand er, iiber die heterogensten Materien an- 
ziehend und belehrend zu sprechen; uberall fand er Ankniipfungspunkte, nir- 
gends war er um Auskunft verlegen. Sein Erzahlertalent fesselte fast Abend 
fur Abend in Schruns die grofie Tafelrunde des goldenen Lowen dermaflen, dafl 
sie stundenlang wie verziickt an seinen Lippen hing. Obwohl inzwischen 42 Jahre 
verflossen sind, kann ich mich noch deutlich meiner ersten Begegnung mit ihm 
im Berliner Borsengarten entsinnen: uns kiihlen und zuriickhaltenden nord- 
deutschen Germanisten, die wir nur Fachgesprache zu fuhren gewohnt waren, 
imponierte die Weite seines Interessenkreises, die Sicherheit seines Urteils, die 
Leichtigkeit seiner Konversation, die Lebhaftigkeit seines Temperaments ge- 
waltig; ich kam mir neben ihm unendlich klein vor und begriff nicht, als er mich 
zum Besuch auf f orderte, was er von mir sich versprechen mochte. Und Mullenhoff 
war von ihm geradezu fasziniert. Kraft dieser Eigenschaften ist er, der schon 
als Student reichlichen Unterricht erteilt hatte, nachmals ein ausgezeichneter 
Dozent und anregender Seminarleiter geworden und hat Generationen dank- 
barer Mittelschullehrer herangezogen. Aber ihm geniigte die Wirkung durch 
das lebendige Wort nicht; dem Beispiel Scherers folgend war er bestrebt, mit 
der Feder auf weiteste Kreise zu wirken. So hat er zahllose Referate, Feuilletons 
und Essays geschrieben (verschiedene, doch nicht immer die besten, sind in 
seinen »Gesammelten Aufsatzen zur neueren Literature 1900 vereinigt), die mit 
deutschen, englischen und amerikanischen Zustanden und Personlichkeiten 
sich beschaftigen, auch der amerikanischen Politik Aufmerksamkeit schenken: 
gerade die nordamerikanischen Freistaaten hatten es ihm angetan, weil er ihr 
junges, klar vor Augen liegendes Schrifttum zur Erklarung des Ursprungs der 
germanischen Poesie verwerten zu k6nnen vermeinte; gelegentlich trug er sich 
sogar in triiben Stunden mit der Absicht einer Auswanderung nach Amerika. 
Vom Publikum besonders beif&llig aufgenommen wurde sein Buch iiber »Lesen 
und Bildung«. Nur in seiner urspriinglichen Gestalt von 1888 paflt der Inhalt 
zum Titel; jede der folgenden sieben Auflagen ist mit literarhistorischen Zutaten, 
AufsStzen iiber Ibsen, iiber die neue deutsche Dichtung usw. beschwert worden, 
die kaum irgendwelchen Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema bekunden 
und besser selbstandig hatten erscheinen sollen. Fur grdfiere Leserkreise hat er 

Bioffr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolo?. 16. Bd. 1 7 



258 



Schtfnbach. 



auch aus dem Stoffbereich der altdeutschen Philologie geschopft: dahin gehort 
seine dreimal aufgelegte Walther-Biographie, der vermutlich sein unvollendet 
gebliebenes Wolfram -Buch geahnelt haben wiirde, dahin seine Schilderung der 
friihmittelalterlichen Literatur Osterreichs in der prachtig ausgestatteten »Ge- 
schichte der Stadt Wien«. Allen diesen popularisierenden Arbeiten sind klare 
Disposition, gefallige Darstellung, ansprechende Gedanken gemein. 

Seine fachwissenschaftliche Schriftstellerei geht gleichfalls teils von den 
Eindrucken, die wahrend der bildsamen Jahre seiner Jugend auf ihn wirkten, 
teils von Anregungen Scherers aus. In strengglaubiger Umgebung herange- 
wachsen, frlih mit alien Gebrauchen der katholischen Kirche vertraut, ein 
haufiger und gern gesehener Gast der Benediktiner von Melk, Seitenstetten und 
dem Wiener Schottenkloster muflte Sch. bei seinem scharf ausgepragten histori- 
schen Sinn dem Wandel der Dogmen, der Entwicklung des Heiligenkults, der 
Geschichte der homiletischen Kunst lebhaftes Interesse zuwenden. Speziell auf 
die geistliche Poesie wiesen ihn dann Scherers Exkurse zu den »Denkmalern« 
und dessen Rat, mit einer Edition von Wernhers Marienliedern sich die wissen- 
schaftlichen Sporen zu verdienen. Sie kam zwar nicht zustande, doch ging aus 
ihren Vorarbeiten das Buch iiber die Marienklagen und die Beschaftigung mit 
den Oster- und Passionsspielen hervor. Es beruht entschieden auf Selbst- 
tauschung, wenn Sch. zu wiederholten Malen als seinen eigentlichen Lehrer 
Mullenhoff bezeichnet hat. Wahrend des Berliner Jahres stand er allerdings 
mit ihm im engsten Verkehr und versenkte sich in die ganze Welt der Probleme, 
mit denen dieser grofie Forscher rang: aber in seiner eigenen Arbeitsweise ge- 
mahnt nichts, weder die Hast seiner Produktion noch die behagliche Breite 
seiner Deduktion noch die Methode seiner Kritik, an Mullenhoff mit seiner 
schwerfliissigen, sich niemals Genuge tuenden, tiefbohrenden und wortkargen 
Art. Eher war es der Ausdruck eines latenten Gegensatzes, wenn Sch. sich 
vornahm, dem Lebenswerk des Meisters ein Buch zur Seite zu stellen, das der 
Bedeutung des Christentums fur die Bildung des deutschen Nationalcharakters 
gerecht werden sollte: die fast religiose Verehrung, mit der Mullenhoff zu dem 
heidnischen Germanentum emporsah, empfand er eben als einseitig und der Er- 
ganzung bediirftig. Wohl aber lernte sich Sch. in Berlin als Anhanger einer 
wissenschaftlichen Partei fiihlen und sog sich mit allerhand schulmafligen Dok- 
trinen und Vorurteilen voll, an denen er zaher und langer festgehalten hat als 
die meisten unter uns. Mit dem unbedingten Respekt, den ihm Miillenhoffs 
Herrschernatur einflofite, verband sich zugleich unausloschlichc Dankbarkeit 
fur dessen fast vaterliche Giite: denn nur Miillenhoffs warm empfehlendes Fur- 
wort verhalf ihm zu seinem raschen Aufstieg und iiberwand Scherers anfangliche 
Bedenken. 

Man mufi sich fragen, ob solche Bedenken der Berechtigung entbehrten t 
und ob Sch. nicht vorzeitig zu Professur und verantwortlicher Fachvertretung 
gelangte. So gut er namlich auf literarhistorischem Gebiete beschlagen war, so 
wenig war er es beim Beginn seiner akademischen Laufbahn auf sprachlichem. 
Und zur Sicherheit weder in grammatischen noch in metrischen Dingen, die 
nun einmal das Riickgrat der deutschen Philologie bilden, hat er es jemals 
gebracht. Ober diese seine Schwache gab er sich selbst keiner Tauschung hin. 
Nach wenigen mifllungenen Ansatzen stand er daher von alien ferneren Versuchen 
ab, umfanglichere mhd. Denkmaler sauber aus dem Wuste der Cberlieferung 



Schtfnbach. 



259 



herauszuschalen und kritisch herzustellen, beschrankte sich vielmehr auf Textab- 
driicke mit sparlichen Emendationen. So blieben Ausgaben, die zum Teil schon 
weit gediehen waren, unvollendet liegen, beispielsweise wie bereits erwahnt, 
Wernhers Maria, der Melker Strieker, Gundacker von Judenburg, Diemers Arz- 
neibuch und der Wigalois, dessen Handschriften er mehrere fordernde Studien 
gewidmet hatte. Auch der erste der drei Bande seiner »Altdeutschen Predigten* 
kann nicht den Namen einer kritischen Ausgabe beanspruchen, weil er, mit der 
Wiedergabe des Lipsiensis sich begnugend, die Varianten der sonstigen Kodizes, 
ohne sie fur die Textgestaltung auszunutzen, nur unter dem Strich verzeichnet. 
Ich bezweifle jedoch, ciaO Sch., wenn er minder fruhzeitig in ein Amt eingeruckt 
ware, das ihn mit unausgesetzter Kollegarbeit belastete, die Lucken ausge- 
glichen haben wiirde, welche nach der formalen Seite hin seiner Vorbildung 
anhafteten. Denn Unrast beherrschte sein Wesen von Jugend auf: nichts ging 
ihm flink genug von der Hand, er konnte niemals den Abschlufi erwarten, 
immer beschaftigten ihn mehrere Plane zu gleicher Zeit, und seine Feuilletons 
schoben sich mitten zwischen die wissenschaftlichen Untersuchungen. Ihm 
fehlte straffe Konzentration und Ausdauer, er ergab sich, um einen beruhmt 
gewordenen Ausspruch Lachmanns anzuwenden, nicht willig, sondern lieO sich 
vielfach von ersten Eindriicken bestimmen. Fluchtigkeitsvcrsehen liefen ihm 
nicht selten unter, die dann von seinen Gegnern, mitunter recht klaglichen 
Gesellen, weidlich wider ihn ausgebeutet wurden. Dafi auch Konjektural- 
kritik seine Sache nicht war, zeigen recht deutlich die Besserungsvorschlage 
zum Reinhart Fuchs (ZfdA. 29). 

Diesen Mangeln seiner Veranlagung standen glanzende Vorziige gegenubcr: 
eiserner FleiS, ausgebreitete Gelehrsamkeit, prasentes Wissen, gluckliche Kom- 
binationsgabe. Zahllose Manuskripte gingen ihm durch die Hand und wurden teils 
auf gelehrten Reisen, teils in der Studierstube von seiner nimmermuden Feder 
kopiert. Dabei gelangen ihm wichtige Funde, die zur Bereicherung unserer 
Kenntnisse wesentlich beigetragen haben. Abgesehen von alten Bruchstucken 
der Kaiserchronik und des Tobiassegens (ZfdA. 19) seien hervorgehoben die 
wertvollen Mitteilungen aus den S. Lambrechter Breviarien der Grazer Biblio- 
thek (ZfdA. 20) das S. Pauler Neidharts-Spiel (ZfdA. 40), die von Innsbrucker 
Buchdeckeln abgelosten Fragmente des Waltharius und eines kolnischen Ge- 
dichts aus dem 12. Jahrhundert liber Christi Geburt (ZfdA. 33, 35), endlich die 
Juliana des Priesters Arnold (Wiener Sitzungsberichte 1882). Neue Namen 
mit bisher unbekannten Schriften traten in das Gesichtsfeld der mittellateini- 
schen und der deutschen Literaturgeschichte, so Gutolf von Heiligenkreuz, 
Hermann v. Reun, Andreas Kurzmann und der Verfasser der Vorauer Novelle. 
Auch (iber einen andern Zisterzienser, Caesarius v. Heisterbach, verbreiteten 
drei von den acht Heften der auBerordentlich lehrreichen Studien zur Er- 
zahlungsliteratur des Mittelalters (Wiener Sitzungsberichte 1898 — 1909) helles 
Licht. Innerosterreich speziell gingen an die Sammlung cler steirischen und 
karntnischen Taidinge (1881 zusammen mit Bischoff herausgegeben), das neue 
Bruchstiick des Edolanz (ZfdA. 25), die Bemerkungen zur Krone Heinrichs 
v. d. Turlin (Beiti. 33) und namentlich die Forschungen iiber Ulrich v. Lichten- 
stein (ZfdA. 26, AfdA. 29, Biogr. Bll. 21 ,1), welche zwischen Wahrheit und 
Dichtung in dessen Frauendienst zuerst unterschieden. Im AnschluB hieran 
will ich nicht verabsaumen, auf das groGe Verdienst hinzuweisen, das sich Sch. 



260 Schtfnbach. 

durch die (hoffentlich endgiiltige) Widerlegung der Tiroler Hypothese von 
Walthers Heimat auf dem Layener Ried erwarb (AfdA. 4). 

Durchdrungen von der in seinen oben angedeuteten Jugendeindrucken 
wurzelnden Oberzeugung, dafi Latein und Kirche die beherrschenden Machte 
des Mittelalters waren, wahrend die Literatur in den Volkssprachen nur einen 
-recht bescheidenen Bruchteil des geistigen Lebens ausmachte, hat Sch. ener- 
gischer als jemals ein Germanist nach grundlicher Kenntnis der klassischen und 
der patristischen Autoren getrachtet: liefl er sich doch die Miihe nicht ver- 
driefien, samtliche 222 Bande von Mignes Series latina nicht etwa durchzu- 
blattern, sondern genau zu studieren. Auf Grund dieser ausgebreiteten Lektiire 
gelangen die Quellennachweise zu den »Altdeutschen Predigten«, konnte der 
Einflufl der Philosophia mot alls und der Philosophia mundi des Wilhelm v. Con- 
ches auf das Lehrgedicht Wernhers v. Elmendorf (ZfdA. 34) und auf Thomasins 
Walschen Gast (Anfange des Minnesangs, 1898) festgestellt und gezeigt werden, 
dafi die Versus de poeta (die zweite der sogenannten Vorreden zum Heliand) 
ganz unter dem Banne der gangbaren lateinischen Schulschriftsteller stehen 
(Drei Proomien fur Gurlitt, 1 904). Ferner erwies sich, dafi Otfrids Evangelien- 
buch nur solche biblischen Abschnitte verwertet, die das kirchliche Perikopen- 
system an die Hand gab, und dafi seine Dedikationen durchaus dem Stil und 
der Phraseologie der lateinisch schreibenden Zeitgenossen nachgebildet sind 
(ZfdA. 38, 39). Ohne Zweifel hat auch der Arbeit liber Hartmann von Aue 
(1894) die starke Heranziehung der Kirchenvater zum Vorteil gereicht und 
namentlich manche Partien des Gregor erst dem vollen Verstandnis erschlossen. 
Als reifste Frucht dieser Studien erscheint mir aber die Schrift »Ober einige 
Evangelienkommentare des Mittelalters« (Wiener Sitzungsberichte 1904), welche 
darlegt, dafi weder Beda den Matthaus und Johannes noch Hraban den Jo- 
hannes kommentiert hat. Indessen barg die langjahrige Beschaftigung mit 
der kirchlichen Latinitat auch Gefahren in sich. Sie verleitete Sch. ofters dazu, 
Gedanken selbstverstandlicher oder gar trivialer Natur, die jedermann kommen 
konnen, ohne dafi er von irgendeiner Seite her beeinflufit zu sein braucht, auf 
geistlichen oder gelehrten Ursprung zuruckzuflihren: deshalb lassen seine Bei- 
trage zur Erklarung altdeutscher Dichtwerke (4 Hefte, Wiener Sitzungsberichte 
1899 — 1904) die Bildung unserer alteren Minnesanger weit allseitiger erscheinen, 
als sie tatsachlich gewesen ist. Er schadigte die Beweiskraft seiner Quellen- 
belege durch Aufnahme massenhafter halbihnlicher Zitate, die mangels vollig 
adaquater Parallelen nur darzutun bezweckten, dafi gewisse Vorstellungen 
der kirchlichen Anschauung nicht fremd seien: darunter litt insonderheit die 
zweite seiner Otfrid- Studien (ZfdA. 38, 39). Ob die mehrmals begonnene, niemals 
vollendete Quellenanalyse des Heliand (die Benutzung des Juvencus sollte hier 
zur Sprache kommen) und der angelsachsischen biblischen Dichtungen anders 
ausgefallen ware, weifi ich nicht. Vollig ergebnislos blieb der Versuch, die 
christlichen Elemente volkstumlicher Poesie flir deren Kritik auszunutzen. 
In dem Buch »Das Christentum in der altdeutschen Heldendichtung« (1897) 
besteht jedes der vicr von den Nibelungen, der Klage, der Kudrun und Alpharts 
Tod handelnden Kapitel aus zwei zusammenhangslosen Teilen, einem ge- 
schmackvollen und umsichtigen Bericht iiber die Stellung, welche Sch. den Er- 
gebnissen der bisherigen Kritik gegenuber einnimmt, und einer Sammlung der 
religiosen Formeln: will man sich uberzeugen, ein wic dunner Faden beide ver- 



Schonbach. 26 1 

binden mufl, so vergleiche man nur S. 216 mit 233. Ahnlich steht cs ubrigens 
um die kurz nachher (1898) erschienenen »Anfange des Minnesangs«: mit be- 
sonnenen Ausfuhrungen uber Genesis und Charakter der deutschen Liebeslyrik 
verquickt sich die wenig glaubhafte Hypothese, die romanische Minnepoesie 
sei nicht bloO auf dem Wege uber die Rheinlande, sondern auch iiber die Lom- 
bardei, Friaul und Karnten nach Deutschland gedrungen, und die zweifellos ver- 
fehlte Behauptung, Thomasin v. Zirclaria habe mit Walther von der Vogelweide 
langjahrige Beziehungen unterhalten. 

Einen andern in das Bereich der geistlichen Literatur einschlagigen Plan, 
mit dem er sich mindestens seit 1880 getragen, fur den er reiches, nunmehr den 
Bestanden des Gieflner volkskundlichen Vereins einverleibtes Material zu- 
sammengebracht und von dem er eine vorlaufige Probe 1893 veroffentlicht hatte, 
konnte Sch. leider nicht mehr ausfuhren, die Herausgabe namlich eines Corpus 
der lateinischen und deutschen Segensformeln. Sehr bedauerlich ist auch, dafl 
er den Schlufiband seiner >>Altdeutschen Predigten« ungeschrieben liefl, der das 
gegenseitige Verhaltnis der in den ersten drei Banden abgedruckten Homilien- 
sammlungen erortern und eine Geschichte des deutschen Predigtwesens bis auf 
Berthold v. Regensburg in ihren Hauptziigen entwerfen sollte. Aber dieses 
geistesmachtigen Franziskaners Leben und Wirken hat er fast voile drei De- 
zennien hindurch, von den groflen Rezensionen im AfdA. 7 und 10 an uber die 
Festschrift von 1 890 hin bis zu den sieben Abhandlungen der Jahre 1900 bis 1907, 
zum Gegenstand eindringendster Untersuchungen gemacht und in ganz neue 
Beleuchtung geriickt. MOgen auch einzelne Striche des Bildes, das er zeichnete, 
spater einmal Abanderungen erfahren — ich personlich bezweifle, dafl der 
Minorit die Magdeburger Ordenshochschule besucht und dort die Vorlesungen 
des Bartholomaeus Anglicus (Mitteilungen des Instituts fur osterreichische 
Geschichtsforschung 27) gehort habe — , jedenfalls werden die Berthold-Studien, 
wie sie den Hohepunkt seiner wissenschaftlichen Tatigkeit bilden, so die Grund- 
lage fur alle klinftige Forschung abgeben. Zu wunschen steht, dafl ein letzter 
Auslaufer dieser Arbeiten, die schon zum Druck hergerichtete Publikation des 
»Geistlichen Baumgartens<<, uns nicht vorenthalten bleibe. 

Mancher hier nicht erwahnten Einzelheit gedenken die vorzUglichen Nekrologe von 
B. Scuff ert, Deutsche Arbeit 11,4 (191 1), 218 — 224, und von J. Seemuller, Almanach der 
Wiener Akademie 62 (1912), 397 — 406 (mit gutem Bilde). Vom Standpunkte des dankbaren 
SchUlers ist J. Ranftls Nachruf geschrieben t Hist.-poL Bll. 148 (191 1), 593 — 608. Der Artikel 
von M. E(ttUnger) im Hochland 9, 1 (1911), 130 bespricht nur die Beziehungen zwischen Sch. 
und dieser Revue. In der Illustrierten Zeitung 137 (1911), 406 begleiten ordnungslos gehaufte 
BUchertitel ein (ibelgeratenes Bild. 

Erlangen. Elias v. Steinmeyer. 



Erganzungen und Nachtrage. 



Plencr 1 ), Ignaz v*, Staatsmann, * Wien 21. Mai 1810, f Wien 17. Februari9o8. 
— Fur den Sohn ist es immer schwer, iiber den eigenen Vater zu schreiben. Die 
subjektive Befangenheit sowie die natiirliche Zuruckhaltung in rein personlichen 
und intimen Dingen legt ihm mehr Schranken auf als dem fremden Biographen, 
der seinen Vorwurf ganz gegenstandlich behandelt. Aber auf der andern Seite 
hat der Nachststehende doch die beste Kenntnis von der zu schildernden Per- 
sonlichkeit, und bei einiger Selbstdisziplin mag es auch ihm gelingen, ein wahr- 
heitsgetreues Bild zu schaffen, das darum nicht weniger zutreffend zu sein 
braucht, weil es von den Gefuhlen des Verfassers die Warme des Tons erhalt. 

Ignaz v. P. wurde am 21. Mai 1810 in Wien geboren, sein Vater war Be- 
am ter der Hofkammer, ein tiichtiger und fester Mann, der im Jahre 1809 gegen 
die Franzosen im Felde gestanden hatte. Dessen Vater war Professor gewesen, 
ein warmer Anhanger der Josefinischen Aufklarungsara, von dem ein paar 
philologische Arbeiten herruhrten. Die fniheren Vorfahren stammten aus 
dem Elsafi. Der Vater meines Vaters war ein eifriger Leser guter Biicher und 
verkehrte mit Schubert und Grillparzer, der meinem Vater ein Exemplar seiner 
»Ahnfrau« mit einer eigenhandigen Widmung schenkte. Die Mutter, eine 
Ungarin, eine geborene Mikos v. Tarrodhiza aus einer heute noch bluhenden 
g^n/ry-Familie, war eine aufierordentlich begabte Frau voll Energie und Willens- 
kraft, die bis in ihr sehr hohes Alter ihre Fahigkeiten bewahrte, fur die sie von 
alien Seiten bewundert wurde, noch in ihren letzten Jahren von Beust unci 
Tegetthoff. 

Die Schulen der franziszeischen Zeit scheinen nicht so schlecht gewesen 
zu sein, mein Vater erlangte eine solide Kenntnis der lateinischen Sprache und 
ein dauerndes Streben nach allgemeiner Bildung. An der Universitat hatte er 
eine Reihe grofler osterreichischer Juristen als Lehrer: Dolliner, Winiwarter 
und Kudler, deren Vortrage ihm dauernden Nutzen brachten; wie die meisten 
begabten juristischen Kandidaten trat er in die Kammer- (spater Finanz-) 
Prokuratur ein, wo er der Kollege von Alexander Bach, dem jungeren Wini- 
warter und Muhlfeld war. Die vorwiegend juristischen Arbeiten in der Pro- 
kuratur waren eine treffliche Schule und haben sicherlich seinen guten klaren 
Stil geformt. 1836 heiratete er Pauline v. Schuster, deren Familie urspriinglich 
Industrielle waren, die die niederosterreichische Landstandschaft und das 
Gut Schwarzenau besessen, aber in den Krisen der napoleonischen Kriege 
grofle Vermogenseinbufien erlitten hatten. Meine Mutter war eine schlanke, 
grofie Frau, sanft und liebenswurdig, mein Vater war der lebhaftere und ener- 



Totenliste 1908, Bd. XIII, 73*. 



v. Plener. 263 

gischere Teil, die Ehe, aus Liebe geschlossen, war auCerordentlich glucklich. 
Die Existenz meiner El tern in Eger, wo ich 184 1 geboren wurde, war eine sehr 
angenehme, im Sommer wohnten wir auf dem Lande in der Nahe von Franzens- 
bad, fuhren viel herum in der Umgebung, mein Vater war lebhaft und heiter 
und genofi das frische Leben mit Humor und Behagen. In Eger verkehrte er 
viel mit Rat Griiner, der bekanntlich mit Goethe in Briefwechsel gestanden hatte. 
Als junger Beamter war er schneidig und eifrig, dabei hatte er einen offenen Blick 
fur allgemeine Verwaltungsfragen und fur die Lage der Bevtflkerung. Im 
Wiener Finanzministerium liegt ein Bericht von seiner Hand aus Hirschen- 
stand uber den Notstand im Erzgebirge und die eventuellen Mittel zur Abhilfe, 
unter denen er angesichts der Kartoffelmifiernte ein temporares Getreideausfuhr- 
verbot empfahl. 1844 wurde er zum Kameralrat in Eger ernannt, in den Akten 
heiflt es, dafi »er wegen seiner vorzuglichen Befahigung und vielseitigen Aus- 
bildung als der ausgezeichnetste angesehen werden mufl und dafi ihm keiner 
der Mitbewerber an die Seite gestellt werden kann«. Das Jahr 1848 brachte 
auch in die kleine Stadt Eger eine Bewegung, eine Art Nationalgarde wurde ver- 
sucht zu schaffen, mein Vater nahm aber an den popularen Demonstrationen 
keinen Teil. Im Herbst des Jahres 1848 wurde er nach Prag zur Landesdirektion 
versetzt, wo er als Zollreferent eine einflufireiche Stellung gewann. Er wurde, 
was damals fur einen Verwaltungsbeamten sehr selten war, zum Mitglied der 
staatswissenschaftlichen Staatsprufungskommission und 1 851 zum Ober- 
finanzrat wieder auflertourlich ernannt. Das Leben in Prag war viel weniger 
angenehm als in Eger, meine Eltern hatten wenig Verkehr und saflen abends 
viel miteinander. Da starb ganz unerwartet meine Mutter (September 1 850). 
Der Tod der jungen Frau, der vermoge seiner Plotzlichkeit noch eindrucksvoller 
war, hatte eine auCerordentlich tiefe Wirkung auf meinen Vater, er war ganz 
niedergebrochen, ging lange Zeit hindurch taglich an das Grab der Verstorbenen, 
und seine Heiterkeit war fiir lange dahin. Sein ganzes Wesen war erschiittert, 
die Vereinsamung fiihrte ihn zur Lekture philosophischer Biicher und wissen- 
schaftlicher Werke, aber die geistige Anregung konnte ihm seine alte Stimmung 
und Heiterkeit nicht so bald zuriickgeben, um so weniger, als ihn im nachsten 
Jahre ein neuer Schlag treffen sollte, indem seine kleine Tochter im Alter von 
6 Jahren vom Krupp dahingerafft wurde. Unter diesen Umstanden war es ein 
Gliick fiir ihn, als er durch die Berufung nach Ofen an die Seite des Grafen 
Moriz Almasy, des Leiters der neuen Finanzverwaltung in Ungarn, aus der 
Prager Existenz und deren traurigen Erinnerungen herausgerissen wurde 
(August 1851). 

Die Einfuhrung der osterreichischen Verwaltung in Ungarn ist bekanntlich 
vielfach angegriffen worden. Der hauptsachlichste und wirksamste Grund 
ihrer Bekampfung lag in ihrem absolutistischen Ursprung, Hatte man nach 
Niederwerfung der Revolution verfassungsmafiige Zustande eingefuhrt, so 
waren die Anspriiche der Gesamtmonarchie auch von Ungarn anerkannt, die 
moderne Verwaltung ware richtiger eingeschatzt worden und die allgemeine 
Unzufriedenheit ware nicht so weit gediehen, die nach dem Kriege von 1866 
zu den bekannten weitgehenden Zugestandnissen gefiihrt hat. Ein anderer 
Fehler war die unterschiedslose Aufzwingung der deutschen Sprache nicht blofi 
im Amts-, sondern auch im Parteienverkehr, das muflte boses Blut machen. 
Die materiellen Leistungen der neuen Verwaltung waren im ganzen gute, es 



264 v " p l ener - 

kam wieder Ordnung in das Land, der bureaukratische Apparat war allerdings 
schwerfallig, aber frei von Korruption. Die Grundentlastung, eine der groflten 
sozialen Reformen, wurde durchgefiihrt, Grundsteuerkataster und Grundbucher 
wurden angelegt, gute Straflen gebaut u. a. In dieser Zeit seines ersten Auf- 
enthalts in Ungarn handelte es sich nur urn die ersten Grundzuge der neuen 
Organisation und um die Einfuhrung einer grofien Anzahl osterreichischer 
Steuergesetze in Ungarn. Die meisten dieser Gesetze wurden im Jahre 1867 
nach Wiederherstellung der ungarischen Verfassung vom ungarischen Reichstag 
im Gesetzeswege rezipiert. Ihre erste Einfuhrung war keine leichte Arbeit an- 
gesichts des Mangels eingeborener Beamten und der passiven Resistenz eines 
grofien Teiles der Bevolkerung. Mit Graf Almasy stand P. auf einem sehr 
guten Fufie und zugleich erwarb er sich das Vertrauen und die Anerkennung 
des Erzherzogs Albrecht, des damaligen Gouverneurs von Ungarn. Nach einem 
Aufenthalt von mehr als einem Jahre ging er wieder nach Prag zuriick, von wo 
er aber im Marz 1854 als Hofrat und Vorstand der Finanzlandesdirektions- 
abteilung in Preflburg wieder nach Ungarn zuruckkehrte. Seine dortige Tatig- 
keit erfiillte ihn mit grofier Befriedigung, er hatte unzweifelhaft ein organisa- 
torisches Talent und eine bedeutende Leitungsgabe, die neuen Amter ins 
Leben zu rufen, ihren Dienst zu leiten und zu uberwachen, entsprach ganz 
seiner Anlage und seinem Temperament, das eine nach aufien wirksame Leistung 
hoher schatzte als die eigentlichenBureauarbeit, er bereiste wiederholt das 
grofie Verwaltungsgebiet, das sich von der Donau bis zu den Karpathen an 
die galizische Grenze erstreckte. Dabei war er in der Auffassung seines Berufs 
reifer geworden, die ubermaflige Schneidigkeit, die er in seinen jiingeren Jahren 
in Eger an den Tag gelegt hatte, war einer ruhigen Festigkeit gewichen, die eine 
billige Rucksicht fur die Verhaltnisse der Steuertrager gel ten liefi. Dies in Zu- 
sammenhang mit seinen guten Umgangsformen war wohl auch der Grund dafiir, 
dafi er trotz der allgemeinen Unbeliebtheit des zentralistischen Regimes 
personlich unzweifelhaft Sympathien in verschiedenen Kreisen der Bevolkerung 
erwarb, so war er sehr befreundet mit Baron Walterskirchen und Graf Dezasse, 
die der unter seinem Vorsitz tagenden Grundsteuerkommission angehorten. 
Die aufieren Lebensbedingungen in Prefiburg waren sehr angenehme, eine 
kleine, saubere, damals ganz deutsche Stadt in sehr hubscher Lage, mit den 
erfrischenden Badern im Donaustrom und einem kleinen Waldgebirge auf der 
Nordseite. So beschaftigt er auch war, setzte er seine Privatlektiire eifrig fort. 
Jenefiinfziger Jahre sahen den Aufstieg der neuen deutschenMaterialisten: Vogt, 
Moleschott, Biichner. Mein Vater liefi mich trotz meines jugendlichen Alters 
diese Bucher auch lesen und unterhielt sich mit mir uber diese Dinge, wahrend 
er auf meine Schularbeiten keinen EinfluG nahm. Aber er blieb bei den gerade 
in der Mode befindlichen Schriftstellern nicht stehen, er suchte weiter in strenge- 
ren Werken einen besseren Halt, namentlich in Lotzes Mikrokosmus, dessen 
edle Weltanschauung und idealistischer Pantheismus ihn lebhaft anzogen. Seine 
Vorliebe fur Naturwissenschaften brachte ihn mit mehreren jiingeren Pro- 
fessoren dieses Faches, insbesondere mit Dr. Kornhuber, einem sehr tuchtigen 
Geologen, in nihere Beriihrung, mit dem er die Bucher von Lyell, Rofi- 
mafiler, Burmeister u. a. eifrig las und den er auf mancher geologischen 
Exkursion begleitete. So entstand der Gedanke, zur weiteren Forderung 
naturwissenschaftlicher Arbeiten einen Verein zu griinden. Zwei Jahre 



v. Piener. 265 

dauerte es unter den damaligen Verhaltnissen, bis die behordliche Ge- 
nehmigung erteilt wurde. Mein Vater wurde zum Prasidenten des neuen Vereins 
gewahlt, der heute noch besteht und ganz interessante Publikationen heraus- 
gegeben hat. Sein intensives Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen 
betatigte er lebhaft wahrend seiner Vereinsleitung, und als er von Preflburg 
abging, feierte er in seiner Abschiedsrede die Bedeutung und den Wert der Natur- 
wissenschaft. »Die schone Farbe, der liebliche Geruch unserer Blumen ergotzt 
auch den Nichtkenner, es ist dies die naivste Form des Naturgenusses und der 
Eindruck der Pflanzenwelt auf jedes nur irgendwie empfangliche GemUt ein 
wohltuender; doch mit welch andern Augen betrachtet dieselbe der Freund der 
botanischen Studien, der mit den merkwurdigen Gesetzen ihres Baues, ihrer 
Metamorphose, ihres physiologischen Verhaltens vertraut ist, ganz besonders 
aber jener, der das Bild kennt, das dem staunenden Auge das Mikroskop enthiillt. 
In den Kreis von all diesem Schonen und Herrlichen tritt auch die reichliche 
Fiille des Nutzlichen wohlberechtigt ein. In ihrem groBen Berufe hebt die 
Naturwissenschaft mit nicht leichter Arbeit manch verborgenes Pfand, um es 
fruchtbringend und fur die Menschheit segensreich zu machen, sie geht hierbei 
aber keine »K6nigsbahn«, sondern den harten Weg des miihevoll dienenden 
Fleifles und der endlich siegenden Ausdauer. Sie zeigt ferner, wie vielleicht in 
keinem andern Zweige der menschlichen Bildung, den unermcBlichen Fort- 
schritt der Gegenwart gegen das Altertum und erkampft mit den Waffen des 
Friedens stets neue Siege und weitere Kreise.« Er hatte damals iiberhaupt die 
richtige Freude am intellektuellen Genufi. Selbst an poetischer Literatur hatte 
ergrofiesGefallen, er war ein Bewunderer derGedichte von Heine, von denen er 
viele auswendig wufite, und las alle damals neuen Dichter wie Geibel, Kinkel, 
Redwitz, Dingelstedt, Morike u. a. Ebenso war er ein grofier Freund des 
Theaters. 

Nachdem er sich in der Organisierung der neuen Behorden in Ungarn 
bewahrt hatte, berief ihn Finanzministcr Bruck, der grofle Stticke auf ihn hielt, 
nach Lemberg an die Spitze der Finanzverwaltung von Ostgalizien und der 
Bukowina, um dort auch etwas reformatorisch zu wirken (Spatsommer 1857). 
Er verlieB schweren Herzens PreBburg, wo er eine sehr angenehme Zeit ver- 
bracht hatte. In Galizien war manche schwere Arbeit zu tun, die allgemeinen 
Verhaltnisse des Landes und der Beamtenschaft waren damals ziemlich riick- 
standig, und es bedurfte einer starken personlichen Initiative und bestandiger 
Aufsicht und Aufmerksamkeit, um den Verwaltungsapparat gut funktionieren 
zu machen. Mit dem Statthalter Grafen Goluchowski, der ihn anfanglich als 
ein von Wien bestelltes Oberwachungsorgan mit MiBtrauen angesehen hatte, 
kam er bald in sehr gute Beziehungen. Das strenge Pflichtgefuhl, die Loyalitat 
und die Fahigkeiten des neuen Ankommlings verschafften ihm bald Respekt 
und Anerkennung. Mit dem Vizeprasidenten der Statthalterei Josef Freiherrn 
v. Kalchberg, einem ausgezeichneten Verwaltungsbeamten, der die Grund- 
entlastung in Galizien mit Erfolg durchgefiihrt hatte und spater in Wien als 
Leiter des Handelsministeriums eine gute Rolle spielte, befreundete sich P. 
rasch. Auch in seiner neuen Stellung kam es ihm moglichst darauf an, die 
Dinge durch eigene Anschauung kennen zu lernen und durch persOnliches Ein- 
greifen zu ordnen, so unternahm er zahlreiche Reisen im Lande, auf einigen von 
welchen ich ihn begleiten durfte. Er war damals aufierordentlich frisch und 



266 v * Planer. 

kraftig und erstaunte alle Welt durch seine Ausdauer und Unermiidlichkeit, 
stieg in alle Salzbergwerke hinab, durchstreifte zu Pferde die Walder der Buko- 
wina, empfing alle moglichen Deputationen und machte abends noch ausfiihr- 
liche Aufzeichnungen. Dabei war er ein Feind bureaukratischer Vielschreiberei, 
er wollte zur Vereinfachung der Geschafte die Bezirksdirektionen als uberfliissige 
Zwischeninstanzen aufgehoben wissen, dafur die unteren Amter mit grofieren 
Befugnissen und starkerer persOnlicher Verantwortlichkeit ausstatten. So 
zuriickhaltend auch die polnische Gesellschaft gegen die osterreichischen Be- 
amten war, so hatte mein Vater doch eine ganz gute soziale Stellung, wenn er 
auch mehr mit Beamten und hoheren Offizieren verkehrte, von denen damals 
die Generale Graf Schlick und Benedek in Lemberg waren. 

Nur etwa zwei Jahre blieb P. in Lemberg. Goluchowski war nach dem 
Rucktritt Bachs Minister des Innern in Wien geworden, und wahrscheinlich 
nicht ohne dessen Zutun wurde P. im Oktober 1859 nach Wien in den standigen 
Reichsrat berufen. Dieser war ein Staatsrat oder richtiger der Rat des Kaisers 
fur dessen Beurteilung der ihm von den Ministern vorgeschlagenen Maflregeln. 
In der erste'n Halfte der fiinfziger Jahre, namentlich unter der Leitung Kiibecks, 
hatte sich der Reichsrat iu einer politisch sehr einfluflreichen Korperschaft ent- 
wickelt, die fur die Minister nicht immer bequem war. Wenn auch seit dem 
Kabinettsschreiben vom 21. August 1 85 1 keine konstitutionelle Verantwort- 
lichkeit der Minister bestand, die Gesetze nur nach »Vernehmen« des Minister- 
rats und nicht, wie friiher, auf dessen »Antrag« erlassen wurden und ihre Gegen - 
zeichnung durch die Minister nur die formelle Korrektheit der Beschlieflung 
bezeugen sollte, so trugen die Minister nach auflen doch die moralische Verant- 
wortung fur alle Gesetze und Mafiregeln, wahrend der Reichsrat abgeschlossen 
von aller Offentlichkeit doch auf alles Einflufl nahm, Abanderungen an den Ent- 
wiirfen der Minister herbeifuhrte, ohne aufierlich fiir seine Tatig;keit einzutreten. 
Und diese Tatigkeit war nicht eng begrenzt. Alle Gesetzentwiirfe, administra- 
tive und finanzielle Mafiregeln, Systemisierung neuer Beamtenstellen und 
damit in Zusammenhang auch deren Besetzung, Eisenbahnkonzessionen und 
infolge von Majestatsgesuchen Steuererleichterungen, Stiftungsangelegenheiten 
und zahlreiche Einzelf alle wurden seiner Begutachtung unterzogen. Die kleinen 
Falle wurden in kleinen Komitees erledigt, die grofieren kamen in die Vollbe- 
ratung, immer waren zwei oder drei Referenten bestellt, die schriftliche Re- 
ferate ausarbeiteten, aber in den Sitzungen miindlich ihren Standpunkt ver- 
traten. Ober jede Verhandlung wurde ein Vortrag an den Kaiser gerichtet, 
welcher sehr ausfuhrlich den ganzen Hergang der Verhandlung berichtete und 
am Schlufi einen motivierten Antrag des Prasidenten enthielt fiir die kaiserliche 
Entschliefiung iiber die betreffende Angelegenheit. Der Reichsrat bestand 
damals aus folgenden Mitgliedern: Baron Salvotti, der von den Carbonari - 
prozessen her bekannte, in alien Rechtsfragen als Autoritat angesehene Jurist, 
Szogyenyi, ein grofler Kenner ungarischer Verwaltungszustande, Geringer, 
nach der Revolution Zivilgouverneur von Ungarn, Lichtenfels, der bekannte 
angesehene Jurist, Philipp Kraufi, der Finanzminister von 1848 bis 1851, dann 
Graf Karl Wolkenstein, friiher Landesgerichtsprasident in Briinn, sehr klerikal 
und konservativ, Graf Moriz Almdsy, der mit meinem Vater zugleich in Ungarn 
in der Finanzverwaltung gedient hatte, dann Haimberger, Ftirst Salm, Graf 
Mercandin, und Baron Degrazia. Als President fungierte Erzherzog Rainer, 



Plener. 



267 



der mit grofier Gewissenhaftigkeit, Sachkenntnis und Unparteilichkeit die Ver- 
handlungen leitete und seine Meinung mit grofier Offenheit aufierte. Mein Vater 
ergriff seine neue Tatigkeit mit seinem gewohnlichen Eifer und Fleifi, aber zu- 
gleich war er zu sehr von der Erkenntnis durchdrungen, dafi der Minister, 
dem einmal die Verwaltung anvertraut ist, auch eine gewisse Bewegungsfreiheit 
haben miisse und dafi das Regierungsgeschaft nicht vom Ministerium und 
Reichsrat zugleich betrieben werden konne, als dafi er eine Befriedigung in 
kleinlicher, norgelnder Kritik von Verwaltungsmafiregeln finden konnte. Da 
er in der Regel finanzielle Referate im Reichsrat zu flihren hatte, stellte er sich 
gleich von Anfang auf den besten Fufi mit dem Finanzminister Bruck, der ihn 
iibrigens in Wien mit den Worten begriifit hatte: >>Sie werden mein Nachfolger 
sein.« In der kurzen Zeit seiner Mitgliedschaft referierte er iiber zahlreiche 
Gegenstande, so unter anderen iiber die Stabilitat der Zollsatze, die nach seiner 
Meinung mindestens 5 Jahre unverandert zu bleiben hatten, iiber die Neu- 
emission von 20 Millionen Gulden Partial-Hypothekenanweisungen, iiber die 
Ausgleichung der Steuerlast in Ungarn, wo er den nichtfiskalischen Standpunkt 
der vollen Riickvergiitung von zu viel gezahlten Steuern vertrat, iiber Zucker- 
steuer und -Ausfuhrvergiitung, Vereinfachung der Staatsschuldenverwaltung, 
iiber Weinsteuer, die auch damals in der durch das Gesetz vom Mai 1859 geschaffe- 
nen Form in der Bevolkerung vielen Widerspruch erfahren hatte, so dafi man 
gewisse Erleichterungen und in manchen Landesteilen auch Ermafiigungen 
empfahl. Als Finanzminister Bruck das ganze auf Grund der kaiserlichen Ver- 
ordnung vom 29. April 1859 aufzunehmende Lotterieanlehen von 200 Millionen 
Gulden begeben wollte, um den durch die Emission von 5 Gulden-Banknoten 
entstandenen Vorschufi von 133 Millionen Gulden an die Nationalbank zuriick- 
zahlen, um eincn Teil des Defizits zu decken und endlich um das National- 
anlehen auf die planmafiige Summe von 500 Millionen Gulden zuriickzufiihren 
und die bekannte beklagenswerte Mehremission wenigstens teilweise aus der 
Welt zu schaffen, wollte Baron Kraufi nur einen Teilbetrag ftir Defizitzwecke 
begeben lassen, wahrend mein Vater ftir die Vorschlage des Finanzministers 
und insbesondere fur den Beginn einer Valutareform, durch Abzahlung der 
Bankschulden des Staates eintrat. Leider mifllang damals bekanntlich die 
Emission dieses Anlehens, und die grofien Zwecke der geplanten Finanzopera- 
tion blieben unerfiillt. Fur meinen Vater waren die sechs Monate Reichsrats- 
tatigkeit eine gute Schule, er hatte sich mit allgemeinen Verwaltungsfragen 
und auch mit solchen Finanzangelegenheiten zu beschaftigen, die er in der 
Landesverwaltung nicht gehandhabt hatte. Gleich zu Beginn wurde er an 
Stelle des verstorbenen Barons Wildschgo als Vertreter des standigen Reichsrats 
in die Immediatkommission fur Reform der direkten Besteuerung delegiert. 
Der ungliickliche italienische Krieg hatte in der offentlichen Meinung nach 
alien Seiten tiefgehende Wirkungen. Man erhob Vorwiirfe gegen das politische 
System, gegen die Fiihrung der Armee und gegen die Militarverwaltung. Im 
Verpflegswesen der Armee wurden Unterschleife entdeckt, zu deren Verfolgung 
eine strafgerichtliche Untersuchung eingeleitet wurde, zunachst gegen Feld- 
marschalleutnant Baron Eynatten, gegen den Direktor der Kreditanstalt 
Richter und gegen den Triester Grofihandler Revoltella. Mit diesem letzteren 
hatte der Finanzminister Bruck von seiner Triester Zeit her Beziehungen, und 
seine Einvernehmung in der Voruntersuchung wurde verfiigt, obwohl er mit 



268 v - Plener. 

der Armeeverpflegung eigentlich gar nichts zu tun gehabt hatte. Das gab 
Anlafl zu verschiedenen boshaften Geriichten iiber seine angebliche Verwicklung 
in der Unterschleifaffare, und da er aufierdem in manchen einfluBreichen Kreisen 
als Protestant und Nichtosterreicher Anfeindung fand, war bald ein ganzer 
Rattenkonig ubeln Leumundes beisammen. In dieser peinlichen Situation 
sprach Bruck am 19. April in der Ministerkonferenz selbst den Wunsch aus, 
der Staatsgeschafte sich zeitweilig enthoben zu sehen, infolgedessen er durch 
kaiserliches Handschreiben vom 22. April auf sein Ansuchen in den zeitlichen 
Ruhestand versetzt und der Reichsrat P. mit der Leitung des Finanzmini- 
steriums provisorisch betraut wurde. In der darauf folgenden Nacht endete 
Bruck durch Selbstmord, er hatte offenbar in einem Moment der groflten Auf- 
regung die unheilvolle Tat begangen, die erst recht den verleumderischen Ge- 
riichten Nahrung bot. Mein Vater, der fur Bruck immer eine groBe Verehrung 
und Sympathie hatte, war durch das schreckliche Ereignis tief erschlittert, 
und als die Wiener Zeitung wenige Tage nach dem Todesfall ein Communique 
brachte, wo durch einen angeblichen Druckfehler Bruck als Mitbeschuldigter 
im Prozefi Eynatten erschien, war er emport. Die Richtigstellung erfolgte zwar, 
aber meinem Vater genugte sie nicht, er setzte sich mit allem Nachdruck fur 
die Ehrenrettung Brucks ein, es gelang ihm schliefilich, nach einem Jahr, eine 
auBerordentliche Pension fur die Witwe zu erwirken, aus welchem Anlafl er 
einen langen Brief an sie richtete (4. Mai), in dem er konstatierte, dafl »die mit 
groBer Offenheit und ohne jede Riicksicht auf Personen gefiihrten Prozeflver- 
handlungen geeignet waren, die offentliche Meinung voilstandig aufzuklaren 
und jedem unbefangenen Beurteiler die Oberzeugung zu verschaffen, dafi die 
Integritat des Charakters und die Reinheit der Amtsfuhrung des gewesenen 
Finanzministers von dem Gegenstande jener Verhandlungen ganzlich unberuhrt 
geblieben sind. Gleichzeitig war mir als Amtsnachfolger des Freiherrn v. Bruck 
haufig die Gelegenheit geboten, die von ihm geleiteten Staatsgeschafte einer 
eingehenden Priifung zu unterziehen und mir hierbei die begriindete Ober- 
zeugung von der vollkommen aufrechten und nur durch die Interessen des 
Staates geleiteten Dienstesgebarung des Verblichenen zu verschaffen. Von 
diesen Betrachtungen geleitet, habe ich es fur eine Gewissenspflicht erachtet, 
Schritte in der Richtung zu tun, damit die Makellosigkeit des Namens des ver- 
storbenen Finanzministers durch eine tatsachliche Kundgebung von seiten 
der Regierung wiederhergestellt werde« usw. Diese ganze Aktion machte 
meinem Vater nur alle Ehre. Sein loyaler Sinn vertrug es nicht, daB ein Makel 
auf dem Namen des ungliicklichen Verstorbenen verbleiben sollte, und nach 
Oberwindung mancher Hemmnisse gab er offen Zeugnis fur die Wahrheit der 
Sachlage sowie ftir die Ehre Brucks, der, wenn er auch nicht alien seinen schweren 
Aufgaben vollig gerecht werden konnte, doch einer der bedeutendsten Staats- 
manner der funfziger Jahre gewesen war. 

Die Obernahme des Finanzportefeuilles war keine leichte Aufgabe, seine 
beiden Vorganger waren Nichtbeamte, Baumgartner Professor der Physik, 
Bruck Kaufmann gewesen. P. war ein tiichtiger Finanzverwaltungsbeamter, 
aber mit allgemeinen Budget-, Bank- und Wahrungsfragen war er bis dahin 
berufsmaBig nicht befaBt gewesen. Die Finanzlage war nach dem italienischen 
Kriege besonders ungunstig, die Valuta entwertet, der Staatskredit gesunken, 
die nachtragliche einbekannte Mehremission von 1 1 1 Millionen Nationalanleihe 



Plener. 



269 



tiber die gesetzlich fixierte Anlehenssumme hinaus hatte das Mifltrauen in die 
Finanzwirtschaft begreiflicherweise nur vermehrt. Das im Mai 1859 ernannte 
Ministerium sollte nach alien Richtungen neue Ordnung schaffen, war aber im 
April i860 mit seiner Aufgabe nicht sehr weit gekommen. Ministerprasident 
war der Minister des AuBern Graf Rechberg, der aber auf die innere Politik 
wenig Einftufi nahm. Das damalige Kabinett hatte uberhaupt keinen einheit- 
lichen politischen Charakter. Die einzelnen Ressorts arbeiteten ziemlich fiir 
sich und unterstanden mehr der Kontrolle der Krone als jener des Kabinetts- 
chefs. Mafigebend fiir die innere Politik sollte Graf Goluchowski sein, der, 
obwohl er jahrelang Statthalter unter dem Bachschen System gewesen war, 
jetzt an standische Vertretungen dachte und uberhaupt den autonomistischen 
Standpunkt hervorkehrte, dem sich mein Vater unmoglich anschlieflen konnte. 
P. entwickelte sich damals erst als Politiker. Er war vor allem Zentralist und 
hielt in Fragen der Staatseinheit zu den Ideen der funfziger Jahre. Die traurige 
Finanzlage hatte aufierdem bei ihm wie bei vielen andern die Oberzeugung 
von der Notwendigkeit verfassungsmafiiger Einrichtungen wachgerufen, ohne 
welche eine Besserung des Staatskredits nicht zu erwarten war. So kam er auf 
dem Wege seines amtlichen Berufs zu der festen Meinung, dafi an die Stelle 
des absoluten Regimes verfassungsmafiige Institutionen zu treten haben, die 
er sich als einheitlich fiir das ganze Reich dachte. Vermoge seiner allgemeinen 
Bildungs- und Geistesrichtung war er auch den allgemeinen Bestrebungen der 
liberalen Ideen zuganglich, aber der politische Einheitsgedanke war starker 
bei ihm als der liberale Einschlag. 

Die politische Lage drangte zu einer Wendung. Als erster Schritt auf der 
neuen Bahn erfolgte die Einberufung einer Notabelnversammlung, die unter 
dem Namen des >>verstarkten« Reichsrats eine Reihe hervorragender Manner 
aus alien Teilen des Reiches mit den Mitgliedern des standigen Reichsrats unter 
dem Vorsitz des Erzherzogs Rainer vereinigte. Seit 1848 war es wieder die 
erste Versammlung, in der vor der ganzen Offentlichkeit die politische und 
finanzielle Lage diskutiert wurde. Im Saale der niederosterreichischen Statt- 
halterei wurden die Sitzungen abgehalten, zu denen auch die Erzherzoge Leopold 
und Wilhelm erschienen. Es war ein kleines Parlament von rund 60 Mitgliedern; 
wenn der neue Reichsrat auch kein gewahlter Vertretungskorper war und seine 
Mitglieder auch vermoge ihrer sozialen Stellung und ihrer Bildung zu den 
Gemafiigten gehorten, so machte sich doch der lange verhaltene Unmut iiber die 
Zustande des Absolutismus Luft, man horte gerechte und ungerechte Klagen, 
Obertreibungen, hastige Generalisierung einzelner Beschwerdefalle, und zugleich 
kamen die beiden Tendenzen, welche die osterreichische innere Politik durch- 
ziehen, der Einheitsgedanke und die autonomistische oder foderalistische 
Richtung, als bewuflte gegensatzliche Grundanschauungen zum Ausdruck. 
Die Stellung des Ministeriums war keine leichte, einmal hatte es selbst keine 
einheitliche Politik, dann sollte es eine Reihe von Riicksichten beobachten, 
den Systemwechsel nicht grundsatzlich einbekennen und weder der einen noch 
der andern Parteirichtung Recht oder Unrecht geben. Mein Vater begriff die 
Bedeutung der neuen Institution als der Vorlauferin konstitutioneller Ein- 
richtungen, er wollte ihre Aktions- und Redefreiheit nicht nur nicht einschranken, 
sondern erweitern und regte im Laufe der Session die Erlassung eines kaiser- 
lichen Handschreibens an, wonach kiinftig, aufler im Kriegsfalle, die Einfiihrung 



270 



v. Plener. 



neuer Steuern, dieErhohung der bestehenden Abgaben und dieAufnahme neuer 
Anlehen nur mit Zustimmung des verstarkten Reichsrates angeordnet werden 
sollten (17. Juli i860). Das war der zweite Schritt zur Herauffuhrung ver- 
fassungsmafiiger Zustande, und es wird in der Verfassungsgeschichte Osterreichs 
immer ein Verdienst P.s bleiben, diese erste Anerkennung des parlamen- 
tarischen Steuer- und Anlehenbewilligungsrechtes herbeigefuhrt zu haben. 

Die Finanzlage war nichts weniger als befriedigend, P. hielt aber eine unge- 
schminkte Darlegung der Verhaltnisse fur richtiger als eine Beschonigung oder 
Vertuschung. Schon am 30. Juni hatte er einen Vortrag iiber den Staats- 
voranschlag fur das Jahr 1861 an den Kaiser gerichtet, und am 31. Juli erfolgte 
ein neuer Vortrag an den Kaiser iiber die allgemeine Finanzlage. Das Defizit 
fiir i860 nahm er mit 95,3 Millionen Gulden an, dem als ordentliche Bedeckungs- 
posten eventuelle Mehreingange an Steuern und einige Ersparungen im Betrage 
von 39,5 Millionen gegeniiberstiinden, so dafl ein unbedeckter Rest von 55,8 
bliebe. Nun waren durch die lombardische Staatsschuldentschadigung, Aus- 
gabe von schwebenden Schuldscheinen, raschere Einzahlungen auf das Lotterie- 
und andere Anlehen, Restzahlungen usw. 76,5 Millionen zu erwarten, so dafl 
20,7 Millionen disponibel wurden, die entweder auf 1862 zu iibertragen oder 
fiir die voraussichtlichen Mehrerfordernisse der Militarverwaltung zu reservieren 
waren. Fiir 186 1 schatzte er das Defizit auf 39 Millionen. Weitere Einzahlun- 
gen der lombardischen Staatsschuldentschadigung wurden eine Verminderung 
des Munzverlustes um 5 Millionen herbeifiihren, somit bliebe ein Abgang von 
34 Millionen, der durch die weiteren italienischen Zahlungen und Restzahlungen 
auf das Lotterieanlehen von i860 bedeckt wurde, wobei auch die fiir i860 
emittierten Partialhypothekaranweisungen (schwebende Schuldscheine) zu 
tilgen waren. Wenn die Gebarung sich so zwar rechnungsmaflig decke, so 
diirfe nicht iibersehen werden, dafl die angefuhrten hauptsachlichsten Deckungs- 
posten Kapitaleinzahlungen seien, die nun fiir ein Jahresbediirfnis in Anspruch 
genommen werden und ein Teil von ihnen als Anlehenseinzahlungen ein dauern- 
des Mehrerfordernis an Zinsen und Tilgung von rund 10 Millionen begriinden. 
Infolge davon und anderer Maflregeln seien fiir 1862 43 Millionen und fur 1863 
49 Millionen Defizit zu erwarten, wobei man bedauerlicherweise die im italieni- 
schen Kriege aufgelegten auflerordentlichen Steuerzuschlage als fortdauernde 
regelmaflige Einnahme weiter heranziehen mufl. Neue Steuererhohungen seien 
nicht moglich, wohl aber werde eine Reform der direkten Steuern vorbereitet. 
Ersparungen werden sich voraussichtlich durch Einfuhrung der Selbstver- 
waltung ergeben, aber es miiflte auflerdem noch in der Zivil- und Militarver- 
waltung gespart werden. Cber die Bank behielt er sich fiir spater besondere 
Antrage vor und sprach die Hoffnung aus, dafl »bei der durch gliickliche innere 
politische Institutionen bedingten Wiedergewinnung des allgemeinen Ver- 
trauens« auch die finanziellen Verhaltnisse zwischen Staat und Bank befriedi- 
gend geordnet und die Herstellung der Valuta angebahnt werden konne. Dieser 
letzte Satz wurde in der Offentlichkeit sehr beifallig aufgenommen und vielfach 
kommentiert, weil man darin die Ankiindigung verfassungsmafliger Einrichtun- 
gen erblickte. Cberhaupt war der allgemeine Eindruck trotz der wenig giinsti- 
gen Ziffern ein guter, man schatzte die Offenheit, mit der zum ersten Male der 
Leiter der Finanzen das Land iiber die finanzielle Lage aufklarte, man verglich 
seinen Vortrag mit jenem bekannten compte rendu von Necker am Vorabend 



Plener. 



271 



der franzosischen Revolution, und auch im Reichsrat wurde die freimiitige 
Sprache P.s vidfach anerkannt, der sich im ganzen trotz mancher tadelnden 
Kritik einzelner Mifistande der Finanzverwaltung eine gute Stellung zu machen 
wufite. Von alien Ministern sprach er weitaus am haufigsten; obwohl bis dahin 
an die Offentliche Rede nicht gewohnt, und obwohl er einigen sehr guten Red- 
nern gegeniiberstand, von denen viele, namentlich die Ungarn, eine grofle 
parlamentarische Gewandtheit besaflen, fand er sich ziemlich bald in die neue 
Aufgabe hinein. In der allgemeinen Debatte iiber die politischen Antrage unter- 
nahm er es, den Vorwiirfen und Angriffen insbesondere des Grafen Heinrich Clam 
gegen das Regime der letzten Jahre, dem dieser Redner ubrigens gedient hatte, 
mit Entschiedenheit entgegenzutreten, er wies auf die groflen Reformen dieser 
Periode, wie die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Grundent- 
lastung, und schliefilich wies er, wie in seinem Vortrag, auf die Notwendigkeit 
zeitgemafler politischer Institutionen hin, damit es besser werde, nicht bloC 
im Vergleich mit den letzten 10 Jahren, sondern auch besser im Vergleich mit 
der Zeit vor 1848. Zumeist hatte er selbstverstandlich finanzielle Fragen zu 
behandeln und sein Ressort zu verteidigen, das zu jener Zeit auch die damals 
noch sehr ausgedehnten Forsten, Domanen und Bergwerke sowie infolge der 
Aufhebung des Handelsministeriums auch die Post- und Telegraphenverwaltung 
umfaflte. In der Steuerdebatte bezeichnete er als Reformzielpunkte die Ein- 
fiihrung der Fabrikatsteuer von Zucker und Branntwein. Er hatte auch die 
kleine Genugtuung, dafi der Reichsrat die von Goluchowski gegen seinen Ein- 
spruch verfligte Streichung des Budgetpostens fur die geologische Reichsanstalt, 
fiir die sich mein Vater von der Zeit seines Preflburger naturwissenschaftlichen 
Vereins her sehr warm interessierte, wieder auf hob und damit deren Selb- 
standigkeit gewahrleistete. Wahrend der Reichsratssession hatte der Leiter 
der Finanzen auch eine Kontroverse mit der Staatsschuldenkontrollkommission 
zunachst wegen einer Rechnungsdifferenz iiber die Gesamtziffer der Staats- 
schuld, dann hatte die Kommission eine zwangsweise Konvertierung aller ver- 
schiedenen Anlehen in eine Sperzentige Schuld angeregt, und da diese Opera- 
tion dem Staate voraussichtlich erhebliche Kosten verursachen wurde, sollte 
die gesetzlich zugesicherte y 2 perzentige jahrliche Tilgung eben der 5 perzentigen 
Obligationen suspendiert werden. Der Leiter der Finanzen, der sich iiberhaupt 
gegen eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission tiber ihre statutarischen 
Schranken wehrte, wies auch ihren Konversionsvorschlag als ganz vag und nicht 
positiv ausgearbeitet zuriick, er hielt den Zeitpunkt fiir eine so grofie Operation 
iiberhaupt als nicht geeignet, die die Gewohnheiten und Liebhabereien gewisser 
auslandischer Staatsglaubiger, namentlich der Hollander, auBer acht lasse, 
die die alten 2% perzentigen Metalliques besonders begiinstigten, und erklarte 
die Suspension der jahrlichen Tilgung fiir einen Wortbruch, den er im Interesse 
des Staatskredits niemals befurworten wurde. Die Angelegenheit wurde auch 
im Reichsrat diskutiert, der dem Leiter der Finanzen recht gab und in welchem 
der President der Kommission (Fiirst Colloredo) selbst zugab, dafl der Vorschlag 
zurzeit nicht opportun sei. 

Der Versuch des Oktoberdiploms, die Monarchic auf Grundlage der Ma- 
joritatsantrage des verstarkten Reichsrats zu rekonstruieren, scheiterte be- 
kanntlich, es trat wieder eine Wendung mehr im Sinne der Staatseinheit cin, 
wozu die Vorgange in Ungarn nicht wenig beitrugen. Dort hatte die infolge 



272 



v. Plener. 



des Oktoberdiploms wiederhergestellte Komitatsautonomie eine heftige Agita- 
tion gegen die Wiener Zentralregierung enttesselt und dadurch den Widerspruch 
der mafigebenden Wiener Kreise gegen zu weitgehende Selbstandigkeit der 
Lander hervorgerufen. So fiel Goluchowski, und Schmerling wurde berufen. 
Mein Vater, der bei der im Oktober auf Grundlage des Diploms erfolgten Re- 
konstruktion des Ministeriums nicht definitiver Minister werden wollte, sondern 
an seiner bisherigen blofien Leitung des Finanzportefeuilles festhielt I ) l wurde 
jetzt erst (14. Dezember i860) zugleich mit der Ernennung Schmerlings zum 
Staatsminister zum wirklichen Finanzminister ernannt. Damit war seine 
politische Stellung markiert. Die Ernennung Schmerlings, dessen Name von 
Frankfurt her, wo er nicht bloB Mut gegen die Aufstandischen, sondern gegen - 
iiber dem ganzen Parlament die personliche Uberlegenheit gezeigt hatte und 
dann seit seiner Ministerschaft mit Stadion in grofiem Ansehen stand, die er 
beim Wiedereinsetzen der Reaktion im Januar 1 85 1 unter ehrenden Umstanden 
aufgegeben hatte, erregte grofie Hoffnungen in Wien und den deutschliberalen 
Kreisen, es war eine lebhafte Bewegung zugunsten einer modernen konstitutio- 
nellen Verfassung im Gange, auf eine Rundfrage, die der Finanzminister iiber 
die Valutareform an die Handelskammern und andere wirtschaftliche Korpora- 
tionen erlassen hatte, gingen neben den sachlichen Antworten sehr bestimmte 
Kundgebungen fur freiheitliche Institutionen und fur ein Reichsparlament ein. 
In Ungarn dagegen organisierte sich der W : iderstand auf der ganzen Linie, iiber 
dessen Kraft und Nachhaltigkeit man sich in Wien nicht genug Rechenschaft 
gab. Die Zeit drangte, und man mufite an die Ausarbeitung der Verfassung 
gehen, Rechberg, der die Ernennung Schmerlings uberhaupt nicht gern gesehen 
hatte, hielt sich zuriick, und der Staatsminister machte sich mit Lasser, Pra- 
tobevera (damals noch nicht Minister, sondern Hofrat am Obersten Gerichts- 
hof), meinem Vater und dem hervorragenden Publizisten Hofrat Perthaler an 
die Arbeit, die nicht leicht war. Perthaler war die eigentliche Feder, nach einer 
vielbemerkten Schrift »Palingenesis« iiber die Verwaltungsreform, die eine 
starke Anlehnung an Gneistsche Ideen zeigte, hatte er eine Broschiire »Neun 
Briefe iiber Verfassungsreform in Osterreich« herausgegeben, in der er ein 
Reichsparlament verlangte, dessen Abgeordnetenhaus aus den Mitgliedern aller 
Landtage bestehen sollte, die wieder aus der Wahl der Kreisvertretungen, der 
Gemeindeausschusse und der Handelskammern hervorgehen sollten. Viele 
seiner Ideen gingen in den neuen Verfassungsentwurf iiber, so die Wahl des 
Abgeordnetenhauses durch die Landtage aus deren verschiedenen Gruppen, 
man wollte damit nicht bloB eine Interessenvertretung nach wirtschaftlichen 
Gruppen schaffen, sondern zugleich dem deutschen biirgerlichen Element eine 
seiner Bedeutung und Steuerleistung entsprechende bevorzugte Stellung sichern, 
indem man auBerdem die Zahl der stadtischen Vertrcter im Verhaltnis zur Be- 
volkerungszahl viel holier ansetzte als fur die Vertretung der landlichen Wahl- 
kreise. Der Grundgedanke des Entwurfs war, den Staat in seiner ganzen Einheit 
in konstitutionelle Formen hiniiberzufiihren, darum sollte auch Ungarn fur 
Wehrangelegenheiten, Finanzen, Handelspolitik und die obersten Grundsatze 
des Kommunikationswesens im Gesamtreichsrat vertreten sein, wahrend fur 



x ) Sz£csen hatte versucht, meinen Vater zur Unterzeichnung des Oktoberdiploms ru 
bewegen, was dieser aber entschieden ablehnte. 



v. Plener. 



273 



die ubrigen Angelegenheiten die Vertreter der nichtungarischen Lander den 
engeren Reichsrat bilden sollten. Die konstitutionellen Rechte des Reichsrats 
waren allerdings enger gefaflt als in manchen andern Verfassungen, so fehlte 
das jahrliche Rekruten- und Steuerbewilligungsrecht, die Steuern sollten nach 
den bestehenden Gesetzen erhoben werden, bis diese nicht verfassungsmafiig 
abgeandert wurden, Aber es ist begreiflich, dafi der Staat zur Zeit des Ober- 
gangs zu verfassungsmafiigen Einrichtungen, der sich unter den schwierigsten 
Verhaltnissen vollzog, die Fortfiihrung seiner Geschafte unter alien Umstanden 
sichern wollte. Neben diesen staatlichen Vorbehalten brachte auch die Auto- 
nomic der Lander, die man mit Rucksicht auf Ungarn, auf die Versprechungen 
des Oktoberdiploms und auf gewisse, auch in einzelnen westlichen Provinzen 
bestehende Stromungen wahren wollte, grundsatzliche Einschrankungen der 
einheitlichen Verfassung mit sich, vor allem durch das schon erwahnte Zuge- 
standnis der Wahl der Abgeordneten durch die Landtage, und es gelang nur mit 
grofler Schwierigkeit, im Laufe der Beratungen gegen den Widerspruch der 
ungarischen Minister Vay und Sz^csen die Bestimmung durchzusetzen, dafl im 
Falle der Nichtbeschickung des Reichsrats durch einen Landtag direkte Wahlen 
angeordnet werden sollen. 

Im Dezember i860 hatte mein Vater als Zeuge in dem Sensationsprozefl 
Richter zu erscheinen, der mit der Bestechungs- und Unterschleifsanklage gegen 
den inzwischen durch Selbstmord weggefallenen General Baron Eynatten zu- 
sammenhing und in den man bekanntlich auch den Finanzminister Bruck hatte 
verwickeln wollen. Aufler den Bestechungen und qualitatswidrigen Lieferungen 
fur die Armee wurde Richter und indirekt auch Bruck ein Devisenkauf zur 
Deckung von im Ausland bestelltem Zwillich, bei dessen Abwicklung nach dem 
Kriege bei fallenden Wechselkursen ein Verlust fur die Kreditanstalt und ein 
Ersatzanspruch derselben gegen das Arar entstanden war, ferner ein anderes 
Devisengeschaft mit der Kreditanstalt zur Last gelegt, wodurch diese ebenfalls 
zu Schaden gekommen sei. Mein Vater entband den als Zeugen einvernomme- 
nen Ministerialrat Freiherrn v. Brentano von dem Amtsgeheimnis, mm nicht 
nur iiber die Anklagepunkte, sondern auch uber alles Antwort zu geben, was 
ihm in bezug auf den verstorbenen Finanzminister Freiherrn v. Bruck bekannt 
war, dessen Name in der Anklageschrift in einer fur alle, die dessen Andenken 
verehren, hochst bedauerlichen Weise genannt ward« x ). Brentano wies nach, 
dafi Bruck bei den Deckungsdevisen ganz korrekt vorgegangen sei und dafi der 
Anspruch der Kreditanstalt berechtigt war, ohne Rucksicht darauf, dafi ein 
Teil der Devisen aus dem Privatbesitz Richters herruhrte. Das andere Geschaft 
war eine Valutaspekulation im guten Sinne zur Herabdriickung der fremden 
Wechselkurse und zur Hebung der Kurse der osterreichischen Staatspapiere, 
woraus sich allerdings leider auch ein Verlust ergeben habe, der dann in der 
Zeit der Amtsfiihrung meines Vaters durch ein Abkommen zwischen der Kredit- 
anstalt und dem Finanzministerium ausgeglichen worden war. Mein Vater 
stellte zugleich dem Angeklagten, den er von seiner amtlichen Wirksamkeit 
in Bohmen her kannte, ein gutes Leumundszeugnis aus und lehnte bezuglich 
Bruck alle verfanglichen Insinuationen ab. Die Anklage brach bekanntlich 
zusammen, und der lange Prozefi, der vorgeblich die offentlichen Zustande 



*) Gerichtsverbandlung wider F. Richter m a., BeiL zur Wiener Z. S. 133. 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutscher Nekrolog. 16. Bd. 1 8 



274 



v. Plener. 



von Korruption reinigen solltc unci ein ungeheures Aufsehen erregt hatte, das 
dem osterreichischen Namen nicht zum Nutzen gereichte, endete schliefilich 
mit der Verurteilung Richters zu einer Kerkerstrafe von einem Monat wegen des 
Geschenkes an Eynatten, wahrend er von den ubrigen Anklagepunkten teils 
absolut teils, wie die Formel des damaligen Strafprozesses lautete, »wegen 
Unzulanglichkeit der Beweise« freigesprochen wurde, ebenso wurden die Mit- 
beschuldigten ganzlich freigesprochen. Mein Vater, der uberhaupt eine starke 
Empfindung gegen Verhetzung und Ungerechtigkeit besafi, hatte einen be- 
sonderen Wert darauf gelegt, auch vor diesem Forum fur die Unanfechtbarkeit 
des Vorgehens seines Amtsvorgangers einzutreten. 

Die Hoffnungen, die man wahrend der Session des verstarkten Reichsrats 
auf eine Besserung der Finanzen gehegt hatte, crfiillten sich nicht, in Italien 
war nach dem Erfolge Garibaldis in Sizilien nun auch Konig Viktor Emanuel 
in die Aktion getreten, hatte den Kirchenstaat besetzt und die papstlichen 
Truppen bei Castelfidardo geschlagen, die Moglichkeit eines italienischen An- 
griflfs auf Venetien riickte immer naher, unsere Armee in Italien mufite neuerdings 
verstarkt werden. Die Kaiserbegegnung in Warschau hatte keine Beruhigung 
herbeigefiihrt, man liefl, wenn auch vielleicht widerwillig, die den revolutio- 
naren Nationalitaten forderliche Nichtinterventionspolitik Napoleons III. un- 
angetastet und damit Italien freie Hand fur seine Einheitsbestrebungen. Die 
europaische Lage schien sehr unsicher, in Ungarn wurden infolge des politischen 
Umschwungs und der Zuriickziehung der kaiserlichen Beamten fast keine 
Steuern mehr gezahlt, und das Silberagio in Wien stieg auf 40 hoher als wahrend 
des italienischen Krieges. So mufite die Finanzverwaltung eine Reihe von pein- 
lichen Mafiregeln zur Beseitigung der dringendsten Not treffen, es mufiten fur 
1 2 Millionen Gulden Miinzscheinezu 10 Kreuzern emittiert werden, weil wegen des 
hohen Silberagios selbst die Scheidemunze aus dem Verkehr verschwand (^.No- 
vember i860). Um das Rlickstromen der schwebenden Schuldscheine, der soge- 
nannten Partialhypothekaranweisungen, aufzuhalten, wurdc am 23. November 
ihr Zinsfufi von 5 auf $y 2 % erhoht, am 27. Dezember die Zahlung der Zinsen 
des Nationalanlehens nicht mehr in Silber, sondern mit Auf geld in Noten ver- 
fugt, und eine andere Verordnung vom selben Tage sprach den Zwangskurs der 
osterreichischen Banknoten auch in Lombardo -Venetien aus, das sich bisher 
die Silberzirkulation zu erhalten gewufit hatte, und zwar sollten die Steuern 
in Bankvaluta ohne Aufgeld gezahlt werden, woraus fiir die Steuertrager 
ein erheblicher Vorteil und fiir den Staat ein namhafter Verlust entstand. 
Diese beiden ungliicklichen Mafiregeln wurden iibrigens im Fruhjahr 1 86 1 
wieder aufgehoben. Um den dringenden finanziellen Bediirfnissen entgegen- 
zukommen, wurde durch kaiserliche Verordnung vom 18. Januar 1861 ein An- 
lehen von 35 Millionen Gulden zum Kurse von 88 zur Subskription aufgelegt, 
das in 5 Jahren zuruckgezahlt und dessen Titres zum vollen Nennwert bei 
Steuerzahlungen angenommen werden sollten. Die Emission wurde damit be- 
gnindet, dafi »die Voraussetzungen des im Juli v. J. veroffentlichten Staats- 
voranschlags durch den mit dem Schutze der Reichsgrenzen verbundenen hoheren 
Heeresaufwand sowie durch das Zuruckbleiben der Einnahmen aus Ungarn eine 
Anderung erfahren haben, deren Wirkung sich in der Schmalerung des Standes 
der verfiigbaren Bedeckungsmittel aufiert<<. 

Mit diesem schmcrzlichen Eingestandnis beginnt das lange Miihsal seiner 



v. Plener. 275 

Finanzverwaltung, die fortan durch die bedrohliche auflere Lage, durch die 
Schwierigkeiten der inneren Politik und durch wirtschaftliche Krisen bedrangt 
wurde. Im Februar 1861 veroffentlichte das Finanzministerium die Ergebnisse 
des Verwaltungsjahres i860 mit einem Abgang von 64,8 Millionen Gulden 
gegen 280,9 Millionen im Vorjahre, das allerdings das Kriegsjahr gewesen war. 
Nachdem uber die Prasidentschaft des neuen Ministeriums wegen der 
Rivalitat zwischen Rechberg und Schmerling keine Einigung erzielt wurde, 
uberraschte die Ernennung des Erzherzogs Rainer zum Vorsitzenden im Mi- 
nisterrat die ganze Offentlichkeit (4. Februar 1861). Unter den gegebenen Urn- 
standen war die Wahl begreiflich, Ministerverantwortlichkeit gab es gesetzlich 
nicht, ein Prinz an der Spitze des Ministeriums liefi den Obergang vom Ab- 
solutismus zur konstitutionellen Regierungsform nicht als einen Umsturz, 
sondern als eine die Traditionen schonende Entwicklung erscheinen, dabei besafi 
der Erzherzog personlich ausgezeichnete Eigenschaften, er war ein ernster, 
gewissenhafter, charaktervoller, tuchtiger Mann, seiner politischen Gesinnung 
nach Zentralist und aufgeklart. Die bedeutendste Personlichkeit des Ministeri- 
ums war Schmerling, der damals eine grofle Popularitat genoB, er war ein ge- 
mafligter Liberaler der alten Schule, aber kein Doktrinar, er sah in den kon- 
stitutionellen Formen ein notwendiges und nutzliches instrumentum regni. 
Einen breiten, volkstumlichen Zug hatte er nicht, auch nicht viel Schwung, aber 
er hatte Charakter, Festigkeit und Mut. Er konnte nie in ein intimes Verhaltnis 
zu seinem Kollegen Rechberg kommen, der der neuen Kombination sein Mi- 
nisterprasidium opfern muBte und dessen konservative Gesinnung eine vielleicht 
nicht ganz gerechtfertigte Scheidewand zwischen ihm und seinem Kollegen zog. 
Die Kunst, die Menschen zu gewinnen, hatten beide nicht, und so konnten sie 
auch einander nicht naher kommen, Rechberg war empfindlich, Schmerling 
selbstgefallig, so gab es mehr Friktionen, als gut war. Rechbergs Fahigkeiten 
werden heute viel gerechter beurteilt, er war ein gemafiigter Konservativer, 
kein beschrankter Reaktionar, in der deutschen Politik wollte er den Konflikt 
mit Preuflen vermeiden, weil er Osterreich fur einen Krieg mit zwei Fronten 
(die andere nach Italien) nicht stark genug hielt. Pratobevera war ein guter 
Jurist, Sohn eines noch grofleren Juristen, mit den guten Eigenschaften der 
vormarzlichen Liberalen. Eine bedeutendere Figur war Lasser, der schon im 
Reichstag von 1848 eine Rolle gespielt hatte, erfahren und geschaftsgewandt, 
unliebenswiirdig, schlau, aber entschieden ein politischer Kopf. Von geringerer 
Bedeutung waren Wickenburg fur Handel, der sich als Statthalter in Steiermark 
ziemlich gut bewahrt hatte, aber von seinem neuen Ressort nicht viel verstand, 
Mecsery, der die Polizei hatte, ein steifer Bureaukrat, und Graf Degenfeld, 
dem dann die auflerst schwierige Aufgabe zufiel, das Kriegsbudget gegenuber 
den streichlustigen Abgeordneten zu vertreten, was er ubrigens mit aller Ge- 
wissenhaftigkeit und Sachkenntnis tat. Die beiden ungarischen Minister waren 
eigentlich wie Fremdkorper im Kabinett, Vay ein sehr bedeutender ungarischer 
Politiker, der im Handumdrehen die osterreichische Beamtenschaft aus Ungarn 
entfernt hatte, zwar den Altkonservativen nahestehend, aber in staatsrechtlichen 
Dingen doch den Liberalen entgegenkam, der ubrigens nur kurze Zeit im Mini- 
sterium Schmerling verblieb. Etwas mehr Fuhlung mit seinen osterreichischen 
Kollegen hatte Graf Sz6csen, der auch das Februarpatent mitunterschrieben 
hatte, er war ein ungarischer Patriot, hatte aber als junger Mann unter dem 

18* 



276 



v. Plener. 



Einflufi Metternichs gestanden und war gesamtstaatlichen Ideen zuganglich, 
personlich war er ein besonders angenehmer Mann voll Geist und Bildung. 
Mein Vater stand mit ihm sehr gut, wie er auch mit Baron Vay gute Beziehun- 
gen hatte. 

Mein Vater war von der Handelskammer in Eger in Erinnerung an die Zeit 
seines dortigen Aufenthalts in den bohmischen Landtag und von diesem in das 
Abgeordnetenhaus gewahlt worden, aufler ihm waren von den Ministern noch 
Schmerling, Lasser und Pratobevera im Besitz von Abgeordnetenmandaten. 
Im Mai 1 861 wurde der Reichsrat mit einer schwungvollen Thronrede unter dem 
Jubel der Wiener Bevolkerung eroffnet. Mein Vater war an jenem Tage ganz 
gliicklich, und sein lebhafter Sinn liefl ihn damals die schonsten Hoffnungen 
fur die Zukunft fassen. Die Stimmung des Abgeordnetenhauses war im ersten 
Teil der Session dem Ministerium giinstig, so lange die Anspruche auf Vermeh- 
rung der konstitutionellen Garantien noch nicht zum Streitpunkt geworden 
waren. Die Beratungen waren zunachst mit AdreCdebatten, Verhandlungen 
liber die Geschaftsordnung, Lehengesetz, Gewerbefragen und Gemeindegesetz 
ausgefiillt, der Finanzminister hatte nur einige Interpellationen zu beant- 
worten, was er meistens unter dem Beifall des Hauses tat, er machte einige 
Ankiindigungen uber die Reform der direkten Steuern, sprach sich gegen die 
Fortdauer der Maischraumsteuer und fur Einfiihrung der Produktensteuer 
und der Branntweinbesteuerung aus. Aber schon damals zeigten sich die 
ersten Symptome der Meinungsverschiedenheit der Regierung und insbesondere 
der Finanzverwaltung einerseits und des Abgeordnetenhauses anderseits uber 
die Verfugungsrechte der Exekutive. Der Finanzminister lehnte es ab, die 
Riickwirkung der verfassungsmaflig dem Reichsrat zustehenden Genehmigung 
der Veraufierung von Staatseigentum auf die in den fiinfziger Jahren der Bank 
als Pfand und zum eventuellen Verkauf ubergebenen bohmischen Staats- 
domanen anzuerkennen, ebenso lehnte er die Vorlage der neuen Sudbahnkon- 
zession ab, weil darin wesentlich nur vorher schon erworbene Rechte festgestellt 
wurden, wahrend er zugleich mit Nachdruck die Existenz geheimer Artikel in 
Abrede stellte. Man mufi sich iiberhaupt die gegenseitige Auffassung klar- 
machen, auf der einen Seite stand die Regierung, welche zwar das konstitutio- 
nelle System in voller Anerkennung seines Wertes fiir die staatlichen Interessen 
eingefuhrt hatte, aber doch ihre alte Gewalt nicht allzu leicht aus der Hand 
geben wollte, auf der andern Seite das Abgeordnetenhaus, welches in vielen Be- 
stimmungen der neuen Verfassung und noch mehr in der Praxis der Verwaltung 
eine Einschrankung seines Rechts erblickte und darum das Ausmafl seiner ver- 
fassungsmaCigen Befugnisse moglichst zu erweitern strebte. Diese gegen - 
satzliche Auffassung hat sich iibrigens in alien Landern zu Beginn des kon- 
stitutionellen Lebens gezeigt und in Osterreich wie anderswo eine Reihe von 
Konflikten herbeigefuhrt, welche die allgemeine politische Entwicklung emp- 
findlich storten. 

Dazu kam noch im Jahre 1 86 1 fiir Finanzangelegenheiten eine besondere 
staatsrechtliche Schwierigkeit, nach der Verfassung war fiir die Erledigung 
des Budgets und alle Finanzfragen iiberhaupt der gesamte Reichsrat berufen, 
d. h. jener, der die Abgeordneten aller Lander, also auch Ungarns, umfassen 
sollte. Nun weigerte sich der ungarische Landtag, den Reichsrat zu beschicken, 
und der im Mai nach Wien einberufene Reichsrat war daher nur ein sogenannter 



v. Plener. 



277 



engerer, also fiir Finanzfragen nicht kompetent. Nach langerem Zogern und 
nachdem noch die direkten Steuern fur das Jahr 1862 durch kaiserliches Patent 
vom 18. Oktober gerade so wie im Vorjahre, als es noch keine Verfassung gab, 
ausgeschrieben worden waren, was der Finanzminister am 4. November vor dem 
Abgeordnetenhause rechtfertigte, entschlofi sich die Regierung im Dezember 
1 861, trotz der Unvollstandigkeit des Reichsrats, ihm dennoch den Staatsvor- 
anschlag fiir 1862 vorzulegen. Offenbar wollte man einmal Ungarn beweisen, 
dafl man sich durch dessen Abstinenz nicht einschuchtern und von dem Fort- 
schreiten auf einheitlicher konstitutioneller Bahn nicht abdrangen lassen wolle, 
dann wollte man dem Wiener Reichsrat den guten Willen zur verfassungs- 
mafligen Behandlung des Budgets zeigen, endlich war wohl auch das Motiv 
maBgebend fiir neue Anlehen durch ein parlamentarisches Votum bessere Be- 
dingungen zu erzielen. 

In Ungarn war im Laufe des Sommers der Konflikt besonders bosartig 
geworden, der Landtag wurde infolge seiner die Gesamtverfassung ablehnenden 
Adressen aufgelost, an Stelle von Vay und Sz^csen traten Forgach und Moritz 
Esterhdzy, Graf Moriz Palffy wurde zum Statthalter in Ungarn ernannt, eine 
Beschickung des Reichsrats war fiir absehbare Zeit nicht zu erwarten. Merk- 
wurdigerweise fiihrte Schmerling in seiner Rede am 17. Dezember als Grund 
warum der Reichsrat bisher nicht als Gesamtreichsrat angesehen werden konnte, 
nicht die politischen Ereignisse in Ungarn, sondern den Umstand an, dafi dem 
siebenbiirgischen Landtag wegen der Verzogerung seines Zusammentritts die 
Aufforderung zur Beschickung des Reichsrats noch nicht zukommen konnte. 
Nun konne man aber nicht langer warten, und nachdem der Kaiser das ihm 
unter den gegebenen Umstanden verfassungsmafiig zustehende Recht der Er- 
lassung des Budgets auf Grund des Notparagraphs (§13) nicht ausuben wolle, 
lege die Regierung den Staatsvoranschlag dem Hause vor. 

Daraufhin hielt der Finanzminister sein Expos6. Er teilte zuerst die Ge- 
barungsresultate des Jahres i860 (das Finanzjahr lief damals vom I. November 
bis 31. Oktober) mit, dessen Abgang mit 65 Millionen Gulden durch die lom- 
bardische Staatsschuldentschadigung und verschiedene Kreditoperationen 
gedeckt worden war, ferner die provisorischen Ergebnisse des Jahres 1861, die 
sehr ungiinstig waren, statt des urspriinglich auf 40,5 Millionen veranschlagten 
Defizits ergab sich ein Gesamtabgang von 109,5 Millionen, die Heeresausgaben, 
die mit IOO Millionen veranschlagt gewesen waren, uberschritten diesen Anschlag 
um 50,5 Millionen, ebenso ergab sich bei der Marine ein Mehraufwand von 
7,5 Millionen, bei Subventionen, Zinsengarantien Mehraufwand von 1,5, Kapital- 
anlagen, Vorschiissen an den ungarischen Grundentlastungsfonds wegen Nicht- 
bezahlung der dort falligen Zuschlage 3,5 Millionen, also nicht praliminierter 
Mehraufwand nach Abschlag einiger Minderverwendungen von 59 Millionen, 
Der Ausfall an Steuern in Ungarn betrug 1 1,6 Millionen Gulden. Das Defizit 
wurde gedeckt durch Restzahlungen der lombardischen Schuld, einen Teil- 
betrag der i860 er Lose, dann durch das Steueranlehen von 1861, Emission von 
Partialhypothekaranweisungen, von Miinzscheinen und eine schwebende Schuld 
in Form von Depotgeschaften. Fiir die ohne Zustimmung des Reichsrats vor- 
genommenen Finanzmafiregeln legte der Finanzminister eine besondere Denk- 
schrift dem Abgeordnetenhause vor. Der Staatsvoranschlag fiir 1862 erforderte 
mit dem Friedensaufwand von Heer und Marine 354,6 Millionen, die Einnahmen 



278 



Plener. 



wurden mit 296,6 Millionen veranschlagt, somit ein Abgang von rund 58 Millio- 
nen. Damit sei aber der unbedeckte Abgang nicht abgeschlossen, dieErhaltung 
der italienischen Armee auf dem Kriegsfufl erforderte weitere unbedeckte Aus- 
gaben von 45, die Marine solche von 7,2, zusammen 52,2, so dafl sich ein Ge- 
samtabgang von no Millionen Gulden ergabe. Diese Ankundigung machte 
einen peinlichen Eindruck auf das Haus und auf die Offentlichkeit, der noch 
dadurch verstarkt wurde, dafl ihr keine positiven Deckungsvorschlage ange- 
schlossen waren. Es wurde zwar ein Gesetzentwurf iiber Einfuhrung der Pro- 
duktensteuer auf Branntwein eingebracht, sonst enthielt das Expos£ nur die 
Bemerkung, dafl ein Teil des Defizits durch neue Einnahmen gedeckt werden 
miisse. Der Grund dieser unbestimmten Haltung lag in der alten Verquickung 
der beiden Fragen: Defizit und Valuta. Im zweiten Teil seiner Rede, der viel 
kraftiger gehalten war, entwickelte der Finanzminister bereits die Grundsatze 
seines Bankplanes, der unter andern auch bei Regelung des Schuldverhaltnisses 
des Staates zur Bank iiber die bei ihr hinterlegten Staatspapiere neue Be- 
stimmungen enthalten wurde. Da aber das Ubereinkommen mit der Bank 
zur Zeit des Exposes noch nicht abgeschlossen war, konnte iiber den Betrag 
von i86oer Losen, welche aus der bevorstehenden Transaktion dem Staate 
zufallen sollten und daher auch iiber die einzelnen Defizitdeckungsposten noch 
nichts Bestimmtes gesagt werden. 

Nachdem das Ubereinkommen mit der Bank zustande gekommen war 
(wenn auch noch ihr letztes Votum ausstand), konnte der Finanzminister am 
5. Februar 1862 das erwShnte Versaumnis nachholen und dem Hause eine Mit- 
teilung iiber seinen Plan zur Bedeckung des Defizits machen, den er dann in 
den darauf folgenden Wochen durch Vorlage einer Reihe einzelner Gesetz- 
entwiirfe detailliert vor das Haus brachte. Der im Kriegsjahr 1859 au ^ die 
direkten Steuern gelegte auflerordentliche Zuschlag sollte erhoht und zwar bei 
der Hausklassen- und Erwerbsteuer verdoppelt, die Grundsteuer von 24 auf 
28 %, die Einkommensteuer von 6 auf 7 % erhGht werden, mit einem Gesamt- 
mehrertrag von 18,6 Millionen, von einer Erhohung der Salz- und Zuckersteuer 
wurden 6 Millionen, der Gebiihren 10 Millionen erwartet, diese Erhohungen 
wurden rund 34 Millionen Mehreinnahme ergeben, wozu noch die neue Stempel- 
gebiihr von Promessen und die Branntweinsteuer in geschlossenen Stadten, die 
entsprechend dem legalen Steuersatze der neuen Produktensteuer eingehoben 
werden wurde, sowie eine Reform der Wein- und Fleischsteuer hinzukamen. 
Zugleich machte der Finanzminister dem Hause die Mitteilung, dafl im ersten 
Quartal des Finanzjahres 1862 sich an Militarausgaben eine Ersparung von 
15 Millionen ergeben habe, wodurch das veranschlagte Defizit auf 95 Millionen 
vermindert wurde. 

Der Staatsvoranschlag selbst war wie die meisten alteren deutschen Bud- 
gets eine Kombination von Netto- und Bruttobudget, daher erklaren sich auch 
die verhaltnismaflig niedrigen Gesamtziffern, namentlich der Einnahmen, weil 
hier Erhebungs-, Anschaffungs- und Betriebskosten von der Bruttoeinnahme 
abgezogen wurden, auch in den einzelnen Ausgabeetats wurden die eigenen Ein- 
nahmen des betreffenden Verwaltungszweiges vorweggenommen und nur der 
um sie verminderte Betrag als Erfordernis eingestellt. Gleichwohl wurden im 
speziellen Teil des Voranschlags diese Abzugsposten ihren Gegenposten gegen- 
iibergestellt, um so aus der Vergleichung der Bruttoziffern die Nettoziffern 



v. Plener. 



279 



zu gewinnen. Die Beratung des Budgets war aufierordentlich langsam und 
schwerfallig, am 17. Dezember 1861 war es eingebracht worden, der aus 48 Mit- 
gliedern bestehende Ausschufl brachte erst im Mai 1862 seine ersten Teilberichte 
vor das Plenum, die mit einer Umgehung der gesetzlichen Vorschrift sodann 
einzelweise nacheinander an das Herrenhaus geleitet wurden. Mit geringen Unter- 
brechungen dauerte die Beratung im Abgeordnetenhause* bis Oktober 1862. 
Die Behandlung im Ausschufl war sehr eingehend und oft auch kleinlich, es 
war aber das erste Mai, dafi eine konstitutionelle Korperschaft das Budget 
beriet, die Vorlage an den verstarkten Reichsrat hatte nur den Charakter einer 
Begutachtung gehabt. Grofiere Abstriche wurden vorgenommen am Heeres- 
budget von 8 Millionen, fur das man fur die Zukunft ein Friedensbudget von 
92 Millionen in Aussicht nahm, aber auch in verschiedenen Verwaltungszweigen 
wurden Abstriche beschlossen, so bekanntlich eine Reduzierung der Bezuge 
des Botschafters in Rom (mit einer personlichen Spitze gegen Alexander Bach), 
und von einer Reihe kleiner Beamtenposten, unter anderem auch die heute 
allgemein beklagte Aufhebung der Wiener Porzellanfabrik. Die minutiosesten 
und strengsten Kritiker waren die Abgeordneten Taschek, Herbst, Skene, sie 
erhoben laute Klagen uber die schlechte Finanzlage, brachten die verschieden- 
sten Beschwerden gegen die Verwaltung vor, allein eine andere positive Finanz- 
politik vermochten sie jener der Regierung nicht gegeniiberzustellen. Die 
Spezialdebatte brachte oft erregte Szenen, und der Finanzminister hatte einen 
schweren Stand. Die ganze Beratung hatte keinen praktischen Wert, da das 
Finanzjahr schon zum groflen Teil abgelaufen war. Da die Abgeordneten 
namentlich im Anfang keine Lust zur Votierung von Steuererhohungen zeigten, 
so muflte fiir die dringenden Bedurfnisse vorgesorgt werden, und so brachte 
der Finanzminister am 28. Mai 1862 eine Vorlage ein, um 50 Millionen Gulden 
durch vorlaufige Verauflerung von bei der Bank erliegenden Obligationen des 
i86oer Lotterieanlehens oder sonst im Kreditwege zu beschaffen. Das Ab- 
geordnetenhaus erweiterte diese Ermachtigung, dafi womoglich der ganze 
Betrag jener Obligationen zur Verauflerung gebracht werden konne und dafl 
der uber die Deckung des Defizits eriibrigende Erlos zur Abtragung der Schuld 
des Staates an die Bank zu verwenden sei. Das Anlehen wurde im Juni durch 
ein Bankenkonsortium im Betrage von 83 Millionen zum Kurse von 94, mit Ab- 
rechnung der Provision und eines zweimonatlichen Zinsengenusses netto 92, 
begeben, ein Funftel sollte durch offentliche Subskription aufgebracht werden, 
diese hatte keinen giinstigen Erfolg, wahrend die Zeichnung bei den Banken 
bedeutende l)berzeichnungen aufwies. Vom Erlos wurde nach Verwendung 
von 50 Millionen fiir die Staatsfinanzen der Rest zur Abzahlung auf die Schuld 
des Staates an die Bank bestimmt. Der Finanzminister machte am 16. Juni 
dem Hause Mitteilung iiber die geschehene Finanzoperation. 

An die Steuervorlagen wollte das Abgeordnetenhaus in der Sommersession 
nicht recht heran. So sonor das Verlangen nach einem umfassenden Finanz- 
plan klang, so schreckten die Abgeordneten doch sofort zuriick, ergiebige Steuer- 
erhohungen pder neue Steuern zu bewilligen, und ohne neue Einnahmen war 
eine solche Haltung nichts als eine Anweisung auf Aufnahme teurer Schulden. 
Von den eingebrachten Steuervorlagen wurde im Sommer 1862 nur die Ein- 
fiihrung der Produktenbesteuerung fiir Branntwein und eine damit in Zusammen- 
hang stehende Regelung der Branntweinsteuer in geschlossenen Stadten definitiv 



280 v - Planer. 

erledigt. Damit war gegeniiber der alten Maischraumsteuer eine rationelle 
und gerechte Besteuerungsart geschaffen, die ein wirkliches Verdienst des 
Finanzministers war, die aber leider durch das nachfolgende Ministerium auf- 
gehoben wurde und zu der man erst nach Jahrzehnten wieder zuriickkehrte. 
Die Erhohung der Zuckersteuer wurde beraten, aber statt des fixen Zuschlags 
wollte das Abgeordnetenhaus eine nach dem Agiostande gleitende Skala ein- 
fuhren. Der Zuckerfabrikant Skene wehrte sich gegen die Erhohung der Steuer, 
wurde aber vom Finanzminister durch den Hinweis auf die riesigen Gewinne 
der Zuckerfabrikanten in den letzten Jahren schlagend widerlegt. Im Herren- 
hause wurde der fixe Zuschlag wieder hergestellt, aber etwas niedriger, als die 
Regierungsvorlage beantragt hatte, der definitive BeschluO kam erst Ende 
Oktober 1862 zustande. Fur den Wein wollte der Finanzminister den Ver- 
brauch mit der Einkellerung als Grundlage weiterbilden, der Widerstand der 
landlichen Bevolkerung gegen dieses richtige, seit 1859 eingefiihrte Prinzip 
wurde im Abgeordnetenhause lebendig, und dieses beschlofl die Wiederkehr 
zur blofien Versteuerung des KleinverschleiBes, danach war das Gesetz seiner 
Bedeutung entkleidet, und schliefllich kam nur eine kleine Modifikation der 
Steuersatze fur Wein und Fleisch zustande (August 1862). Die beantragte Er- 
hohung der direkten Steuern wurde nach einer ziemlich unbedeutenden Debatte 
durch einen Vertagungsantrag fur das laufende Jahr beseitigt. Das Verhaltnis 
zwischen Finanzminister und Abgeordnetenhaus wurde nicht besser durch die 
Verhandlung uber die seit Erlassung des Oktoberdiploms ohne Zustimmung 
des Reichsrats vorgenommenen Finanzmafiregeln. Das Haus mufite die Zwangs- 
lage, welche die Regierung zu jenen MaBregeln (S. 274) notigte, anerkennen, 
kniipfte jedoch an einzelne Punkte eine abfallige Kritik. 

Mitten in der Spezialberatung des Voranschlags fur 1862 legte die Regierung 
das Budget fur 1863 vor ( J 7- J u ^ 1862), um wenigstens fur das kommende Jahr 
das Finanzgesetz rechtzeitig zustande zu bringen. Die Regierung konnte die 
bisher vom Abgeordnetenhause fur 1862 beschlossenen Abstriche und Wiinsche 
schon deshalb im Budget fiir 1863 nicht alle berticksichtigen, weil der Vor- 
anschlag von 1862 noch nicht vollst&ndig beraten und beschlossen war und weil 
die Fertigstellung des Budgets fiir 1863 zum grofien Teil auch schon friiher 
abgeschlossen werden muflte. Das Kriegsbudget wies zwar im Ordinarium die 
gewiinschte Ziffer von 92 Millionen aus, erforderte aber daneben ein Extra - 
ordinarium von 35 Millionen, doch waren beide Posten zusammen um 20 Millio- 
nen niedriger als die Anforderung im Vorjahre. Die Gesamtsumme des Er- 
fordernisses ohne das Extraordinarium des Kriegsbudgets betrug 362,5 Millionen, 
um 3,8 mehr als im Vorjahre, namentlich wegen der Verzinsung und Tilgung 
der Staatsschuld. Die Einnahmen waren mit 304,3 Millionen um 3,2 Millionen 
hoher als im Vorjahre veranschlagt. Der Abgang betrug 58,2 und sollte durch 
ErhShung der direkten Steuern und einiger indirekter Abgaben im Betrage 
von 33,6 und der Rest von 24,6 Millionen durch Veraufierung von 60 er Losen 
bedeckt werden. Das Extraordinarium des Kriegsbudgets wurde auflerdem 
auf Anlehen verwiesen. Die Vorlage enthielt nicht bloB die ziffernmafligen Vor- 
anschlage, sondern stellte ein Finanzgesetz voran, das die Hauptziffern zu- 
sammenfaOte und die Bedeckungsmafiregeln bestimmte. Damit war die Form 
fiir alle kunftigen Finanzgesetze vorgezeichnet und geschaffen. Der Ton des 
Exposes war viel kraftiger und bestimmter als jener des Vorjahres, der Finanz- 



v. Plener, 28 1 

minister sprach die Erwartung aus, dafi der Reichsrat sich nicht bloB auf die 
Negation, auf die Nichtbewilligung oder Reduzierung der Erfordernisziffern 
beschranken, sondern auch eine positive Aktion durch Bewilligung hbherer 
Steuern leisten werde, ohne diese gebe es keinen Finanzplan. 

Die Stimmung im Abgeordnetenhause war so gereizt, daB es einen Augen- 
blick schien, als ob das Haus das Budget fur 1863 uberhaupt nicht in Beratung 
ziehen werde. Es waren nicht blofl die staatsrechtlichen Einwande der Fodera- 
listen gegen die Kompetenz des engeren Reichsrats in allgemeinen Finanz- 
angelegenheiten, auch in der Verfassungspartei machte man Schwierigkeiten, 
weil der neue Voranschlag die bisherigen Abstriche nicht beriicksichtige, weil 
die Spezialbeilagen weniger umfangreich seien und weil man die Session der 
Landtage einberufen sehen wollte. Nur mit einer Stimme Majoritat konnte 
der vorberatende Ausschlufi den Antrag auf Beratung des Budgets vor das 
Haus bringen, das denselben nach einer erregten Debatte, in welcher der Ab- 
geordnete Giskra eine heftige Rede gegen den Finanzminister hielt, schlieBlich 
annahm und sich bald darauf auf 6 Wochen vertagte. 

Bei der Wiederaufnahme der Session zeigte sich mehr Arbeitswilligkeit 
als friiher. Am 18. Oktober 1862 machte der Finanzminister einige giinstige 
Mitteilungen uber die Finanzlage. In den ersten 10 Monaten des Verwaltungs- 
jahres 1862 ergaben die Steuern eine Mehreinnahme von 34 Millionen, wesentlich 
wegen der energischeren Steuereintreibung in Ungarn, welche nach Abzug der 
Riickstande eine Nettomehreinnahme von 20 Millionen bedeuteten. Ebenso 
seien Minderausgaben zu verzeichnen, infolge davon ist das herabgeminderte 
Defizit von 74 durch die bisherigen Kreditoperationen bedeckt, und die Kassen- 
bestande haben sich um 22 Millionen vermehrt. Fur 1863 wird infolge verander- 
ter Ausgabeziffern und in Erwartung der Steuererhohungen sich ein Abgang 
von 50,6 Millionen ergeben, der durch Verkauf von 60 er Losen (dritter Emission) 
bis auf 18,6 Millionen gedeckt wird, die im Kreditwege zu beschaffen waren. 
Zugleich legte der Minister einen Gesetzentwurf uber die Erhohung der direkten 
Steuern fiir drei Jahre vor, und zwar Erhohung der aufierordentlichen Zu- 
schl&ge bei der Grundsteuer auf s /it un d bei der Hausklassen-, Erwerbs- und Ein- 
kommensteuer auf das Doppelte, bei der Couponsteuer von 5 auf 7 %. Das im 
Juni eingebrachte Gebiihrengesetz wurde im Oktober mit unwesentlichen Ande- 
rungen angenommen, es bedeutete eine Erhohung der Perzentualgebuhren, 
dann die Einfiihrung relativ niedriger fixer Gebuhren fiir Rechnungen und der- 
gleichen, ebenso eine ErhShung der Skalen. Der Gesamtmehrertrag wurde auf 
9 Millionen veranschlagt, wovon 7,5 fiir das Jahr 1863 anzunehmen waren. 
Auflerdem hatte das Abgeordnetenhaus vorher das Gesetz uber den Promessen- 
stempel angenommen. Das waren schon kleine Fortschritte. Die Beratung 
des Budgets 1863, gegen die man sich anfangs so ereifert hatte, schritt im Aus- 
schufl schnell vorwarts, und nachdem am 3. Oktober endlich das Finanzgesetz 
fiir 1862 verabschiedet wurde, begann am 25. November bereits die Plenardebatte 
uber das Budget fiir 1863, die mit anerkennenswerter Kurze und Raschheit 
gefiihrt wurde. Im Kriegsbudget mufite sich die Regierung allerdings zu be- 
deutenden Reduktionen verstehen, erst 8, dann 6 Millionen, so dafi die Gesamt- 
bruttoerfordernisziffer auf 112,8 Millionen herabgemindert wurde, welche nach 
Abzug der eigenen Einnahmen mit 107 Millionen ins Budget eingestellt wurden. 
Damals war das gesamte Heereserfordernis nur mit einer Ziffer ins Budget 



282 v « Plcner. 

eingestellt, innerhalb welcher dem Kriegsminister das Virement zustand, wah- 
rend die Ausgaben der Zivilverwaltung bis in kleine Unterabteilungen spezi- 
fiziert waren. Die gesamten Auslagen wurden mit 367 Millionen, die Einnahmen 
mit 304,6 Millionen festgesetzt. Zur Deckung des Defizits beantragte der Finanz- 
ausschufi in erster Linie, den aufierordentlichen Zuschlag auf die direkten 
Steuern auf die Dauer des nachsten Jahres bei alien Steuergattungen zu ver- 
doppeln; das ging beziiglich der Grundsteuer und der Hauszinssteuer noch 
uber die letzte Vorlage des Finanzministers hinaus. Dieser Beschlufi war ein 
grofier Erfolg des Finanzministers, aber auch des Abgeordnetenhauses, das 
nunmehr den Mut gefunden hatte, die immer unpopulare Erhfthung direkter 
Steuer zu genehmigen. Der Mehrertrag dieser Steuererhohung wurde mit 
15,5 Millionen angenommen, dazu jener der erwahnten GebiihrenerhShung, 
dann Verauflerung von Obligationen zum grofiten Teil infolge des abzuschliefien- 
den Banklibereinkommens pr. 24,7 Millionen, so dafl schliefilich ein Defizit von 
1 1 Millionen ubrig blieb, das im Kreditwege zu decken war. Die ganze Budget- 
debatte war in vier Sitzungen beendet. 

Neben den Budgetberatungen war die andere grofle finanzpolitische Auf- 
gabe des Jahres 1862 die Verhandlung iiber die Bankakte. Bald nach seiner 
ersten Ernennung hatte der Finanzminister mit groflem Nachdruck vor der 
Offentlichkeit auf die Notwendigkeit der Valutareform hingewiesen. Er hatte 
eine Umfrage bei den Handelskammern und verschiedenen anderen Korpora- 
tionen veranlafit, die Hohe des Agios, 40 %, war eine unertragliche Last fur 
Handel und Verkehr, verteuerte alle Waren und belastete den Stand schwer 
mit dem Miinz- und Wechselverlust bei alien in Silber zu leistenden Zahlungen 
(12 Millionen Gulden). Am 17. Dezember 1861 brachte der Finanzminister in 
seinem Budgetexpos6 die Grundziige seines Planes vor das Abgeordnetenhaus 
und die Offentlichkeit. Er schilderte die Nachteile der zerrutteten Landes- 
wahrung, bezeichnete die Notenemission zu staatlichen Zwecken als eine der 
Hauptursachen der Entwicklung, das ungliickliche Kreditverhaltnis zwischen 
Staat und Bank musse aufhoren, die Schuld bis auf einen Rest von 80 Millionen 
zuriickgezahlt werden, und die Bank musse die ihr ins Eigentum iibergebenen 
Effekten veraufiern, wozu sie nach den friiheren Abmachungen nicht verpflichtet 
war, die Banknotendeckung musse verstarkt und die Unabhangigkeit der Bank 
hergestellt werden. Wenn man diese Rede liest, so sieht man, dafi eigentlich 
alle die in ihr enthaltenen Grundsatze in der spateren Bankakte verwirklicht 
wurden. Der leidenschaftliche Kampf und die teilweise Niederlage der Finanz- 
verwaltung in den spateren Verhandlungen betrafen nur Detailbestimmungen, 
die aber zur Hohe von grofien Prinzipienfragen hinaufgeschraubt wurden. Im 
Laufe der Wintermonate verhandelte der Finanzminister mit der Bank, die im 
grofien und ganzen seine Propositionen annahm, und am 13. Marz 1862 legte 
er das Ubereinkommen mit der Bank samt den neuen Bankstatuten dem Ab- 
geordnetenhause vor. Das Privilegium sollte von 1866 bis Ende 1890 verlangert 
werden, die Schuld des Staates an die Bank bis Ende 1870 zuriickgezahlt werden. 
Dieser etwas lange Termin wurde wegen der Notlage der Finanzen gew&hlt, 
welche einen Teil (*/,) des Erloses der bei der Bank verpfandeten Obligationen 
des Anlehens von i860 beanspruchten, wodurch allerdings eine leidige Ver- 
quickung der Bankfrage mit der Deckung des Defizits entstand. Fur die Noten- 
deckung wurde die seit 1858 vorgeschriebene Dritteldeckung mit der Erweite- 



v. Plener. 



283 



rung vorgesehen, dafl diese nur bis zu einem Notenumlauf von 330 Millionen 
zu gelten habe, dafi dariiber hinaus bis zu 440 Millionen die Halfte und Oberschufi 
uber 440 voll metallisch bedeckt sein miissen. Die Aktiven der Bank miissen 
mobilisiert werden, Effektenbesitz und Einkassierung von Coupons seien keine 
Bankgeschaf te, der Notenumlauf miisse vermindert werden, von dem damaligen 
Umlauf von 463 Millionen wurden durch die Abwicklung der Riickzahlungs- 
und Veraufierungsoperationen ungefahr 188 Millionen No ten eingezogen, so 
dafi eine Zirkulation von ungefahr 275 Millionen fur die Zukunft in Aussicht 
zu nehmen war. Als Preis des Privilegiums blieb eine Restschuld des Staates 
an die Bank im Betrage von 80 Millionen, die mit 2 % zu verzinsen und von 
1886 an riickzahlbar ware. Die Finanzverwaltung hatte die Verzinslichkeit 
dieses Darlehens nach langen Verhandlungen mit der Bankverwaltung endlich 
zugestanden, als Gegenleistung fur die Veraufierungspflicht der eigenen Ef- 
fekten der Bank und fur die der Bank aus der von ihr zu besorgenden Einlosung 
der 1 Gulden- und 5 Gulden -No ten in Silber entstehenden Kosten. 

DerEindruck in derOffentlichkeit war kein gunstiger, es herrschte eine Mifl- 
stimmung gegen die Bank, der man eine eigenniitzige, engherzige Politik vor- 
warf, die sich jederzeit zu den Schuldgeschaften mit dem Staate herbeigelassen, 
ein ungesundes Lombardgeschaft begunstigt habe, das nur unsolide Effekten- 
spekulationen grofigezogen und die angeblich einer kleinen Zahl von befreunde- 
ten Bankkunden unverhaltnismaflige Kredite gewahrt habe, die diese zu Valuta- 
spekulationen benutzt hatten. In der publizistischen Diskussion sprach man 
von der Notwendigkeit der Liquidation der Bank, eventuell von Wiederausgabe 
von Staatspapiergeld und dergleichen mehr. Im Finanzausschufi war man 
anfangs unklar, erst wollte man das Cbereinkommen mit der Bank ganz ab- 
lehnen, dann sah man das Unsinnige eines solchen Beschlusses ein und wollte 
wenigstens wesentliche Anderungen. Hier setzte Dr. Herbst ein, sein Scharf- 
sinn und sein Fleifi hoben ihn iiber die andern, und seine ubelwollende Natur 
und sein Streben nach Popularitat fanden in der schonungslosen Kritik gegen 
Finanzverwaltung und Bank eine gleichmafiige Befriedigung. Er konzentrierte 
seinen Angriff auf zwei Punkte: die Riickzahlungen an die Bank und ihren Ge- 
schaftsgewinn, wie (iberhaupt finanzielle Detailfragen seine Liebhaberei und 
Starke waren, eigentliche Bank- und Wahrungspolitik lag ihm nicht so nahe. 
Um die Aufnahme der Barzahlungen naher zu riicken und die Einziehung der 
Noten zu beschleunigen, drang er darauf, den Ruckzahlungstermin fUr die 
Schulden des Staates an die Bank von 9 auf 4 Jahre herabzusetzen. Das war 
ganz schon und energisch, legte aber den notleidenden Finanzen und, da die 
Ruckzahlung durch Aufnahme von Anlehen erfolgen mufite, dem schwachen 
Staatskredit uberaus grofie Lasten auf, namentlich in den letzten zwei Jahren 
der Riickzahlungsfrist. Um dem weitverbreiteten Unmut gegen die Bank 
Ausdruck zu geben, wurde zunachst die Dauer des neuen, von 1866 an laufenden 
Privilegiums statt auf 24 auf 10 Jahre (also bis 1876) herabgesetzt. Es war 
mehr eine Demonstration, denn an eine baldige Liquidation der Bank dachte 
mit Ausnahme einiger Journalisten und Projektenmacher kein ernsthafter Finanz- 
mann. Ein Hauptpunkt war der Streit um den Wert des Bankprivilegiums, 
ffir dessen Erneuerung die Bank ein Entgelt an den Staat entrichten sollte. 
Herbst berechnete ubertriebenerweise den Gewinn der Bank nach der Regierungs- 
vorlage auf 16 bis 19%, was nur dadurch mdglich war, dafi er das Kapital der 



284 v ' Plener - 

Hypothekarabteilung von der Grundlage der Berechnung ausschied, wahrend 
dieses doch geradeso wie der eigentliche Bankfonds fur die Verbindlichkeiten 
des Institutes haftete, daher als Teil des Gesamtkapitals nicht vom gemeinschaft- 
lichen Genufi des Ertragnisses ausgeschlossen werden konnte. Der Finanz- 
ausschufi nahm zwar als Entgelt das Darlehen an den Staat im Betrage von 
80 Millionen an, beseitigte aber fur die Zeit vor der Aufnahme der Barzahlungen 
dessen Verzinsung, die erst nachher und zugleich mit einer halftigen Gewinn- 
beteiligung des Staates nach Erreichung einer 6 perzentigen Dividende und 
nach Hinterlegung von V4 des Restes in den Reservefonds eintreten sollte. Die 
Notendeckung war gleichfalls ein grofler Differenzpunkt. Hier spielte in der 
publizistischen und parlamentarischen Diskussion eine urspriinglich vom 
Finanzministerium veranlaflte Denkschrift von K. v. Meyer eine gewisse Rolle, 
welche nach Analogie der englischen Bankakte 250 Millionen als sich von selbst 
im Verkehr haltend ohne metallische, ja selbst ohne bankmaflige Deckung 
und dariiber hinaus voile Metalldeckung vorgeschlagen hatte. Die Regierungs- 
vorlage ging, wie fruher erwahnt, von einer Minimaldritteldeckung aus, liefl 
diese graduell steigen und beantragte von 440 Millionen Umlauf voile Metall- 
deckung, naherte sich also jenem Plan auflerlich bei dieser Obergrenze, die 
aber voraussichtlich nicht erreicht werden wiirde. Der Ausschufl beantragte 
200 Millionen als nichtmetallisch gedecktes Kontingent, dariiber hinaus voile 
Deckung, akzeptierte aber zugleich den Satz aus der Regierungsvorlage, wonach 
die Bankdirektion fur ein solches Verhaltnis des Metallschatzes zur Noten - 
emission Sorge zu tragen hat, welches geeignet ist, die vollstandige Einlosbar- 
keit der Noten zu sichern, was prinzipiell ein Widerspruch gegen jenes fixe 
unbedeckte Kontingent war. 

Da die Bank in weiten Kreisen unpopular war, so fanden diese Antrage, 
namentlich jene (iber die Abkurzung des Privilegiums und die Unverzinslich- 
keit der Bankschuld, vielfache Zustimmung. Auf der andern Seite vertrat 
Adolf Wagner, der damals Professor an der Wiener Handelsakademie war, die 
Grundgedanken der Regierungsvorlage, namentlich die durchgangige bank- 
maflige Deckung der Noten im Gegensatze zu dem von Meyer empfohlenen, 
blofl durch das Umlaufsbediirfnis gehaltenen, metallisch unbedeckten Kon- 
tingent, und hob die ganze Polemik durch Heranziehung der Kontroverse zwischen 
Geld- und Kredittheorie auf ein hoheres Niveau. Die Bank vertrat ihren Stand- 
punkt in mehreren Denkschriften und drohte mit der Verwerfung der neuen 
Bestimmungen. In der Plenardebatte hatte der Finanzminister einen schweren 
Stand, er hielt es selbst nach den ermiidenden Ausschuflverhandlungen dennoch 
fur seine Pflicht, den Hauptinhalt seiner Vorlage auch im Plenum zu ver- 
treten. In der Privilegiumfrage proponierte er als Vermittlungsvorschlag eine 
Dauer von 14 Jahren. Die Verzinslichkeit der Bankschuld wollte er nicht 
fallen lassen, war aber bereit, von 8 % Dividende an eine Gewinnbeteiligung 
anzunehmen. Cber diesen Punkt entspann sich die heftigste Debatte, hier 
kam die Animositat des Abgeordnetenhauses gegen die Bank recht zum Aus- 
druck, hier fiel auch das Wort des Staatsministers Schmerling: Hier sind 100 
Personen, in der Generalversammlung der Bank sind IOO Personen, die die 
Beschlusse des Abgeordnetenhauses auch ebenso gut ablehnen konnen. Dariiber 
entstand begreiflicherweise grofle Aufregung im Abgeordnetenhause. Schliefl- 
lich beschlofl man die Unverzinslichkeit des Darlehens und beseitigte die 



v. Plener. 



285 



Gewinnbeteiligung, um dem Staate keinen Einflufi auf die Bankverwaltung 
zu gewahren. Der Finanzminister hielt seine durchgangige bankmaflige Deckung 
(Metall und leicht realisierbare Forderungen an Private) aufrecht, machte nur 
in der Endziffer der vollen Metalldeckung eine kleine Konzession und wandte 
sich namentlich gegen Herbst, der in kritischen Zeiten keine weitere Noten- 
emission zulassen wollte, wies nach, wie die Bank von England zweimal sus- 
pendiert werden mufite, um in Krisen dem Markte zu helfen, und wie eine solche 
Hilfe in kritischer Zeit nicht mit einer Inflation zu Beginn einer Spekulations- 
periode zu verwechseln sei. Im Abgeordnetenhause war aber die Stromung, 
welche die Valutaherstellung wesentlich durch Restriktion der Umlaufmittel 
herbeifiihren wollte, vorherrschend, und so wurden die Ausschufiantrage an- 
genommen. Die spatere Entwicklung hat nicht diesen Anschauungen, sondern 
jenen des Finanzministers recht gegeben. Im Jahre 1873 mufite man die 
Bankakte suspendieren, und im Jahre 1 887 wurde das ganze Deckungssystem 
durch Einfuhrung der indirekten Kontingentierung mit Notensteuer iiber die 
200 Millionen und einer parallelen perzentualen ( a / 5 ) Metalldeckung, und 191 1 
auch noch durch die Erhohung des metallisch unbedeckten Kontingents um 
die Halfte geandert, gerade so, wie die Erleichterungen des Geschaftsverkehrs 
der Bank durch das Gesetz von 1868 auch eine Abkehr von der allzu rigorosen 
Auffassung des Finanzausschusses von 1862 und zugleich eine Widerlegung der 
ursprunglichen Berechnungen iiber die Gewinnmoglichkeiten der Bank be- 
deuteten. Im Herrenhause versuchte man einen Mittelweg in der Deckungs- 
frage, aber in der gemischten Kommission, welche die definitive Entscheidung 
brachte, wurden die Beschliisse des Abgeordnetenhauses angenommen, dagegen 
wurde bezuglich des Darlehens von 80 Millionen ein Kompromifi zwischen Re- 
gierungsvorlage und Beschlufi des Abgeordnetenhauses vereinbart, wonach 
eineVerzinsung derSchuld, und zwar in derHohe von einer Million, aber nur zu 
dem Zweck stattfinden soil, um die Bankdividende auf 7 % zu erganzen. Die 
Bank gab ihren Widerstand auf, und so kam endlich die Bankakte zustande 
(Ende Dezember 1862). Das Abgeordnetenhaus schrieb sich einen Sieg zu, 
weil es den Widerstand der Bank nicht ernst genommen und in wesentlichen 
Punkten seinen Willen durchgesetzt hatte, der Finanzminister konnte auch 
zufrieden sein, dafi der Grundgedanke seiner Vorlage, die Regelung des Kredit- 
verhaltnisses zwischen Staat und Bank, die Herstellung der Unabhangigkeit 
des zentralen Zettelinstituts zur Wirklichkeit wurde, und die Bezeichnung 
Plenersche Bankakte, welche ihr die Nachwelt gegeben hat, zeigt, dafi man die 
vom Finanzminister vorgeschlagenen Grundlagen als das dauernde und kon- 
stitutive Element ansah und nicht jene Detailpunkte, auf welche das Ab- 
geordnetenhaus mit so viel Heftigkeit bestanden hatte. 

Am Ende dieser Session erledigte der Reichsrat auch die Vorlage iiber 
Einsetzung einer reichsratlichen Staatsschulden-Kontrollkommission. Die 
Regierungsvorlage hatte den beiden Hausern eine paritatische Vertretung 
eingeraumt, der AusschuG des Abgeordnetenhauses beantragte eine Vertretung 
der beiden Hauser im Verhaltnis von 3 : 6, aber im Plenum wurde dieser Antrag, 
nachdem mehrere Redner und der Finanzminister dagegen gesprochen, abge- 
lehnt und die Paritat der Regierungsvorlage wiederhergestellt. Der AusschuG 
hatte ferner beantragt, dafi wenn im Sinne des § 13 der Verfassung (Notpara- 
graph) auGerordentliche FinanzmaGregeln beabsichtigt werden, die Kontroll- 



286 v - Plener. 

kommission vorlaufig daruber anzuhoren sei. Der Finanzminister und mehrere 
Abgeordneten wandten sich gtfgen einen solchen konsultativen Charakter der 
Kommission, welcher weder mit der Ministerverantwortlichkeit und der Stellung 
der Exekutive noch mit der blofi kontrollierenden Tatigkeit der Kommission 
vereinbar sei, und das Haus beschlofi danach, dafi die Kommission von solchen 
Finanzmafiregeln blofi in Kenntnis zu setzen sei. Damit wurde jenes parlamen- 
tarische Organ geschaffen, das in der Folge eine Reihe von Kontroversen und 
Konflikten iiber die Staatsschuldenverwaltung mit dem Finanzminister haben 
sollte. 

Das Jahr 1862 war fur meinen Vater sehr anstrengend gewesen, lange, 
aufregende Sitzungen in Ausschiissen und im Abgeordnetenhaus, die grofie 
Arbeit im Ministerium selbst, wo er oft bis spat in die Nacht iiber den Akten 
safi, und die vielen zeitraubenden Empfange, die ein Minister schliefilich nicht 
ganz einstellen kann, alles das zusammen war eine starke Anspannung, aber 
er hielt die Miihen gut aus, war dabei gesund und verhaltnismafiig heiter. 
Das Finanzministerium war damals sehr gut zusammengesetzt. Der Unter- 
staatssekretar Franz Kalchberg beherrschte das direkte Steuerwesen in tiber- 
legener Weise. Nach dessen Riicktritt berief mein Vater seinen Schwager 
Holzgethan als Ministerstellvertreter, der sich aber in der neuen Stellung nicht 
zurechtfinden konnte. Fur Bank- und Kreditangelegcnheiten war Freiherr 
v. Brentano eine ausgezeichnete Kraft, der fruher Bankier in Frankfurt gewesen 
und unter Bruck in den osterreichischen Staatsdienst getreten war; dann war 
Hock eine Zierde des Finanzministeriums, eine Autoritat in Zoll- und Handels- 
vertragssachen, zugleich ein hervorragender finanzwissenschaftlicher Schrift- 
steller, Hofken sehr fahig, aber etwas unbotmafiig, Dessary ein Fachmann fiir 
indirekte Steuern, auch unter den ubrigen Beamten waren tiichtige und ge- 
wissenhafte Manner, sie alle hatten eine grofie Anhanglichkeit an ihren Chef, 
der sie, wo er konnte, forderte. Als auswartige Hilfskraft diente ihm mit groflem 
Eifer der Statistiker Czornig, der auf des Finanzministers Anregung das fiir 
die damalige Zeit ausgezeichnete grofie Werk iiber das osterreichische Budget 
und eine kleinere Arbeit iiber Budgetrecht und Rechnungskontrolle herausgab. 
Die statistische Zentralkommission trat wesentlich auf Betreiben des Finanz- 
ministers 1863 ins Leben. 

Der Anfang des Jahres 1863 liefl sich finanziell etwas besser an, die Riick- 
zahlungen an die Bank erfolgten regelmaflig, das Agio, das Anfang 1862 auf 38 
gestanden hatte, schwankte imerstenHalbjahr l863zwischen 14 und 10, Holland 
begann wieder osterreichische Papiere zu kaufen, die Begebung der restlichen 
40 Millionen der Sechziger Lose erfolgte im April zum Kurs von 102,5, nach 
Abschlag der Zinsen und Provision ungefahr V2 % iiber Pari. Dieser Kurs 
war ein grofier Erfolg und erregte grofies Aufsehen, mein Vater hatte daruber 
eine grofie Freude, Rothschild hatte diesen hohen Emissionskurs zugestanden, 
weil sich Pereire, den die Pariser Rothschilds bekanntlich nicht mochten, auch 
um das Anlehen bewarb und es den Rothschilds vor allem darauf ankam, ihm 
eine Niederlage zu bereiten und ihn in Wien finanziell nicht Fufi fassen zu lassen. 

Zu jener Zeit unternahm der Finanzminister eine grofie Reform des ganzen 
Budgetwesens. Die Budgetperiode, die bis dahin als sogenanntes Kameral- 
oder Militarjahr vom 1. November bis 31. Oktober lief, wurde auf das Kalender- 
jahr verlegt, das Budget selbst sollte ein Bruttobudget sein, die Vorwegnahme 



v. Plencr. 



287 



der Einnahmen einzelner Verwaltungszweige wurde abgeschafft und die 
Ausgaben wurden in ordentliche und aufierordentliche in den einzelnen Ver- 
waltungszweigen unterschieden. Die Verordnung (publiziert erst im Oktober 
1863) enthalt eingehende Bestimmungen iiber die Gebarung mit den bewilligten 
Krediten, iiber die Behandlung der Uberschreitungen, der Nachtragskredite, 
iiber die Grundsatze der Verrechnung, die Abfassung der Rechnungsabschlusse 
usw. Sie ist heute noch die Grundlage der Budgetgebarung, die in andern 
Landern durch sogenannte Staatsrechnungsgesetze geordnet ist. Mein Vater 
hat diese Reform immer als eine seiner besten Leistungen angesehen, die aber 
begreiflicherweise in der groBen Offentlichkeit nicht die Beachtung erfuhr, die 
ihr eigentlich wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes zukam. 

Im Jahre 1863 brachte der Finanzminister das auf neuer Grundlage auf- 
gebaute Budget fur die 14 monatige Periode bis Ende 1864 ein, es war ein 
Bruttobudget in Kapitel, Titel und Paragraphen geteilt und schuf die Form 
fur alle nachfolgenden Budgetvorlagen. Ausfuhrliche Spezialvoranschlage und 
Erlauterungen waren der Vorlage beigegeben. Die Anschlage waren etwas 
giinstiger als im Vorjahre, fur die 14 monatige Periode war ein Abgang von 
49,6 Millionen veranschlagt, wovon 16 Millionen durch eine auflerordentliche 
Personal-, Klassen- und Luxussteuer gedeckt werden sollten, so daC 33 Millionen 
im Wege des Kredits zu beschaffen gewesen waren. Nach der Vertagung des 
Reichsrats iiber den Spatsommer brachte der Finanzminister am 5. Oktober 
1863 die neuen Steuervorlagen ein. Die Reform der direkten Steuern hatte 
das Finanzministerium in den vorausgegangenen Jahren wiederholt beschaftigt, 
im Jahre 1859 war eine sogenannte Immediatkommission zum Studium der 
Steuerreform eingesetzt worden, die ersten Antrage des Ministeriums (noch 
unter Bruck) gingen fur die Grund- und Gebaudesteuer auf Einfuhrung eines 
Wertkatasters im Gegensatze zum alten Parzellenertragskataster, doch fiel die 
SchluOfassung nicht zugunsten dieser Neuerung, wohl aber einigte man sich 
fur das System der Repartition fur Grund- und Erwerbssteuer. Nachdem 
schon 1 861 die Revision des Parzellenkatasters vorbehalten wurde, hatte der 
Finanzminister 1 862 einen darauf beziiglichen Entwurf im Abgeordnetenhaus 
eingebracht, der aber nicht erledigt wurde. Jetzt (1863) legte der Finanz- 
minister ein grofies Reformprojekt fur alle direkten Steuern vor. Dieses griff 
auf den Vorschlag eines Wertkatasters nicht zuriick, sondern wollte den stabilen 
Parzellenkataster revidieren, aber nicht nach Gemeinden, sondern nach Bezirken 
und Kulftirgattungen. Die Grundsteuer sollte eine Repartitionssteuer werden 
mit einer Hauptsumme fur das Reich, die dann auf die Lander und Bezirke 
unter Mitwirkung der Steuertrager aufgeteilt werden sollte. Bei dem ganzen 
Projekt mufite auf Ungarn Riicksicht genommen werden, wo die alten Steuern 
nicht gleichmafiig eingefiihrt worden waren. Die Hauszinssteuer wurde fiir 
Ungarn, so wie es in Osterreich schon der Fall war, auf alle vermieteten Hauser 
ausgedehnt, die Hausklassensteuer erhielt einen neuen Tarif nach Ortsklassen 
und dem jahrlichen Nutzwert der Zimmer und Kammern. Die Erwerbsteuer 
sollte nach preuCischem Muster auf Steuergesellschaften gelegt werden mit 
einem variablen elastischen Tarif mit Minimalsatzen, die Gesamtsteuer eine 
Repartitionssteuer sein. Die Rentensteuer wird als Abzug vom Coupon der 
Papiere ohne Fassion erhoben. Alle Ertragssteuern sollten also reformiert 
werden, aber damit begnugte sich das Reformprojekt nicht, zum Unterschiedc 



288 v. Plener. 

von der Immediatkommission, welche wohl die Ertragsteuern reformieren, 
teilweise erhohen, aber iiber ihr System nicht hinausgehen wollte, stellte das 
Reformprojekt iiber die Ertragssteuern eine Erganzungssteuer in der Form 
einer Personal- und Klassensteuer. Damit war der Gedanke einer Personal- 
einkommensteuer dem ganzen Steuersystem eingefiigt, und alle spateren Ein- 
kommensteuerentwlirfe haben ihren Ursprung in den Entwiirfen des Jahres 
1863. Zunachst war diese Personalbesteuerung als eine aufierordentliche Mafi- 
regel fur die Deckung des Defizits gcdacht. Die Personalsteuer hatte nach 
Analogie der in Ungarn bestehenden Personalerwerbsteuer den Charakter einer 
ziemlich rohen Kopfsteuer. Die Klassensteuer sollte die Einkommen iiber 
600 Gulden mit einer Degression in den unteren Stufen treffen und war mit 
einem niedrigen Perzent (2 %) vom Einkommen gedacht, fiir sie soil ten Fassio- 
nen eingefiihrt werden und die Steuerhauptsumme vorweg ausgesprochen 
werden, Abzug der Schuldenzinsen wurde gestattet, und der Wohnungsaufwand 
sollte einen wesentlichen Behelf fiir die Einschatzung gewahren. Schliefllich 
war eine Luxussteuer auf Dienerschaft, Wagen und Pferde angefugt. 

Das Abgeordnetenhaus zeigte wenig Lust, in die Beratung der Steuervor- 
lagen einzugehen. So sehr die oppositionellen Abgeordneten im allgemeinen 
gegen die Schuldenpolitik wetterten, so fiigte man doch im November dem 
neuen Anlehensgesetz, das zur teilweisen Deckung des Defizits und des Not- 
standskredits fiir das durch eine verheerende Durre getroffene Konigreich 
Ungarn bestimmt war, den die Majoritat in wenig groflherziger Weise um 
10 Millionen gekiirzt hatte, noch die Ermachtigung hinzu, die 16 Millionen, 
welche durch die neue Einkommensteuer hatten aufgebracht werden sollen, 
auch noch im Kreditwege zu bedecken, also neue Schulden statt der neuen 
Steuern. Der Ausschufi liefl die Steuervorlagen liegen, erst im Dezember 1863 
beantragte er die Ablehnung aus nichtssagenden Griinden und nahm von dem 
ganzen Reformprojekt nur die ganz unbedeutende Luxussteuer auf, die das 
Haus auch tatsachlich votierte, die aber die Regierung schliefllich mit Recht 
im Herrenhause zuriickzog. Einen staatsrechtlichen Straufi hatte der Finanz- 
minister noch iiber die Forterhebung der im Vorjahre bewilligten verdoppelten 
Zuschlage zu den direkten Steuern und anderer Zuschlage zu einigen indirekten 
Abgaben fiir die Monatc November und Dezember zu bestehen. Der Finanz- 
ausschufi dehnte die neue Beschlufifassung auf die direkten Steuern iiberhaupt 
aus, als ob diese mit dem vorjahrigen Finanzgesetz erloschen waren. Der Finanz- 
minister wies an der Hand des § 10 des Staatsgrundgesetzes, das die Forter- 
hebung der bestehenden Steuern nicht von der jahrlichen Bewilligung des 
Reichsrats abhangig macht, nach, dafl der Beschlufi des Abgeordnetenhauses 
nur die letztjahrigen Erhohungen zum Gegenstand haben konne. Taschek, 
Giskra und Demel vertraten die Anschauung des Ausschusses, der gegen den 
Wortlaut der Verfassung ein jahrliches Steuerbewilligungsrecht des Reichsrats 
schaffen wollte, Waser und diesmal auch Herbst traten fiir den Regierungs- 
entwurf ein, der auch im Plenum gegen den Ausschuflantrag angenommen wurde. 
Infolgedessen erfolgte auch in einem spateren Gesetze die Bewilligung der er- 
hohten Zuschlage fiir die Monate Januar bis April 1864 in demselben Sinne. 
Ferner hatte der Ausschufi beantragt, dafl selbst vor Zustandekommen des 
Finanzgesetzes die im Laufe der parlamentarischen Beratung vorgenommenen 
Abstriche schon im laufenden Jahre von den anweisenden Behorden beriick- 



v. Plener. 



289 



sichtigt werden sollten. Dem Finanzminister gelang es im Plenum, auch diesen 
Antrag, der jeder gesetzgeberischen Ordnung widersprach, zu Fall zu bringen. 

Finanziell bot die Session nichts Bedeutendes, eine Novelle zum Gebuhren- 
gesetz wurde angenommen, und in der Budgetberatung wurden die Abstriche 
fortgesetzt, im Kriegsbudget wurden 4,3 Millionen gestrichen, in einzelnen 
Zweigen der Zivilverwaltung wurden Abstriche an den kleinsten Detailposten 
vorgenommen, der Finanzminister wehrte sich dagegen, so gut er konnte, und 
erklarte, dafl viele vom Ausschufi beschlossene Reduktionen gar nicht zur Aus- 
fiihrung gebracht werden konnten. Die Stimmung hatte sich im Abgeordneten- 
hause nur verschlechtert, da der liberale Ausbau der Verfassung auf Schwierig- 
keiten seitens des Ministeriums stiefi. Zugleich war die auswartige Lage eine 
Quelle der Unzufriedenheit, der Miflerfolg des deutschen Fiirstentages und 
gleich darauf die mit Preuflen gemeinschaftlich unternommene Exekution in 
Schleswig-Holstein hatten eine grofie Verstimmung erregt. Auch im Schofle 
des Kabinetts machten sich diese Dinge fuhlbar, Schmerling vertrat den Stand - 
punkt der Furstentagspolitik, Rechberg wollte den Konflikt mit Preuflen ver- 
meiden, mein Vater neigte in dieser Frage mehr zu Rechberg als zu Schmerling. 
Im Abgeordnetenhause waren heftige Debatten iiber die schleswig-holsteinische 
Frage, die Exekutionskosten wurden von 10 auf 5,3 Millionen herabgestrichen, 
dazu kam der Auf stand in Russisch-Polen mit seinen Riickwirkungen auf 
Galizien, so schlofl die Session im Februar 1864 hochst unbefriedigend. 

Die Finanzen litten unter dem Zuruckbleiben der Steuern infolge des 
ungarischen Notstandes, und unter diesen wenig verheifiungsvollen UmstSnden 
muflte der Finanzminister zur Aufnahme von Anlehen schreiten. 109 Millionen 
sollten aufgebracht werden. Die Lage der Geldmarkte war sehr ungiinstig. 
Zuerst (Februar 1864) emittierte der Finanzminister ein unverzinsliches Pra- 
mienanlehen von 40 Millionen zum Kurs von 96, das war noch verhaltnismaflg 
ein guter Kurs. Die weiteren Operationen begegneten groflen Schwierigkeiten. 
Auf dem Wiener Markte herrschte eine Verstimmung gegen den Finanzminister 
wegen dessen strenger Behandlung der subventionierten Eisenbahnen, er wollte 
die Garantiebetrage nicht ohne Prufung der Bau- und Betriebsrechnungen 
auszahlen und dem Wunsche der Bahnen nicht nachkommen, die Einkommen- 
steuer nur von dem aus dem Betriebe sich ergebenden Reinertrag, also noch vor 
dessen Erg&nzung durch die Staatsgarantie, zu zahlen. Die Kontroverse nahm 
grofie Dimensionen an, die Gesellschaften richteten eine Beschwerde an den 
Kaiser, der sie naturlich wieder an den Finanzminister zuruckverwies. Erst gegen 
Ende des Jahres kam ein Kompromifi zustande, im Friihjahr 1864 aber spielte 
die Frage eine grofie Rolle auf dem Wiener Markt. Aber auch die auslandischen 
MSrkte boten wenig gunstige Aussichten, der danische Krieg, der ungewShnlich 
hohe Bankzinsfufi in London, ein bevorstehendes grofies russisches Anlehen 
und die Kreditnot der Vereinigten Staaten, die sich in Europa zu den driickend- 
sten Bedingungen verstanden, waren fur eine osterreichische Emission keine 
guten Vorzeichen. Zun&chst nahm der Finanzminister einen Vorschufi von 
3 Millionen auf das zu emittierende Anlehen auf, und als man dieses im Nominal- 
betrage von 70 Millionen Gulden ausbringen wollte, war der Zinsfufi der Bank 
von England auf 9 % gestiegen, und die Subskription mifilang. Es wurden nur 
23,5 Millionen zum Kurs von 77 gezeichnet. Zur Begebung des Restes wurde 
ein Syndikat gebildet, das aber auch nur sehr langsam verkaufen konnte, so- 

Biogr. Jahrbuch u* Deutscher Nekrolog-. 16. Bd. 1 9 



290 



v. Plener. 



dafl zuletzt der Nominalbetrag des Anlehens reduziert werden mufite. Die 
ganze Operation war ein Mifierfolg. Von den nicht begebenen Stucken ver- 
pfandete die Finanzverwaltung in der Folge einen Teil in Depotgeschaften, 
was zu sehr unangenehmen Kontroversen mit der Staatsschuldenkontroll- 
kommission und dem Abgeordnetenhaus fuhrte. Der Rest der durch das Fi- 
nanzgesetz von 1864 aufzubringenden Schuldsumme wurde im November durch 
ein 5 jahriges 5 perzentiges Steueranlehen zum Kurse von 87 aufgebracht. 

Die vielen Widrigkeiten und die grofle Arbeit hatten bis dahin die innerlich 
heitere Gemutsverfassung meines Vaters nicht wesentlich getriibt, wenn er sich 
auch keine Illusionen iiber den allmahlichen Niedergang des Ministeriums 
machte. Er hielt sich im ganzen frisch und gesund. Im Sommer wohnten wir 
in diesen Jahren in Baden bei Wien, einem sehr angenehmen Aufenthalt, da- 
zwischen ging mein Vater fur ein paar Wochen nach Gastein oder auf eine Tour 
ins Hochgebirge, fiir das er immer eine grofle Liebhaberei hatte. Im November 
1864, als der Friedenschlufi mit Danemark unmittelbar bevorstand, trat der 
Reichsrat wieder zusammen. Kurz vorher hatte Graf Rechberg seine De- 
mission gegeben und war durch Graf Mensdorff ersetzt worden. Rechbergs 
Stellung war durch die deutschen Ereignisse crschiittert, er hatte den Frank- 
furter Fiirstentag nicht gebilligt, wollte keinen ernsten Konflikt mit PreuBen, 
fand aber trotzdem bei diesem in der Frage der Zolleinigung mit Osterreich 
eine ablehnende Haltung, die deutschen Mittelstaaten fuhlten sich durch ihn 
verletzt, die populare deutsch-nationale Stromung war mit seiner Politik in 
der Herzogtiimerfrage unzufrieden, im Abgeordnetenhause war er deshalb den 
starksten Angriffen ausgesetzt, fiir Galizien vertrat er aus Rucksichten fiir 
Rufiland die Fortdauer des Belagerungszustandes, die alte Rivalitat mit Schmer- 
ling hatte immer bestanden, er selbst hatte die Empfindung der Unhaltbarkeit 
seiner Stellung. Mein Vater hatte sich ihm in einzelnen Fragen der auswartigen 
Politik im Interesse der Erhaltung des Friedens genahert und schatzte ihn per- 
sonlich hoch. Rechberg war es, der, soviel ich mich erinnere, selbst den Grafen 
Mensdorff zu seinem Nachfolger vorschlug. Ein feiner, unentschlossener Mann, 
der eigentlich gar kein Politiker war und fur das heikle Verhaltnis zu PreuBen 
kein Programm mitbrachte, dadurch wuchs der Einflufl von Moriz Esterhizy 
auf die auswartige Politik. Die Krise hatte sich ziemlich lange hingezogen und 
das Ansehen des Ministeriums nicht erhoht, das angesichts der oppositionellen 
Haltung des Abgeordnetenhauses in der Kampfperiode der neuen Session eine 
Verstarkung seiner Autoritat bedurft hatte. Am 17. November legte der Finanz- 
minister zunachst denRechnungsabschlufifur 1862 vor, der nicht allzu ungiinstig 
lautete, der praliminierte Abgang von 97,8 Millionen war infolge besserer Steuer- 
eingange auf 74,9 Millionen gesunken. Das Budget fiir 1865, das gleichzeitig 
eingebracht wurde, veranschlagt die Gesamtausgaben mit 548,7 Millionen 
(wovon 60 Millionen Schuldentilgung, davon 39 Millionen an die Bank), die 
Einnahmen mit 518,2, Abgang 30,5 Millionen, zu dessen Deckung in ersterLinie 
die danische Kriegsentschadigung im Betrage von 18 Millionen heranzuziehen 
ware. Gleichzeitig legte der Finanzminister ein neues grofies Reformprojekt 
fiir die direkte Besteuerung des Reichsrats vor. Die Grundsteuer sollte zwar 
das Prinzip der Parzellenertragsschatzung nach Kulturen und Klassen beibe- 
halten, aber im ganzen eine Repartitionssteuer werden mit starker Heranziehung 
der Steuertrager zu den Veranlagungskommissionen. Ebenso sollte die Erwerbs- 



v. Plener. 



29I 



steuer eine Repartitionssteuer werden, der fixe Tarif sollte entf alien, die durch - 
schnittliche Ertragsfahigkeit sollte in Klassen mit Minimalsatzen festgestellt 
und die Steuer nach Feststellung der geforderten Hauptsumme auf die Steuer- 
pflichtigen verteilt werden. Die Rentensteuer sollte eine Kapitalzinssteuer 
mit mafligem Steuersatz werden. Das Hauptgewicht aber legte der Finanz- 
minister auf die Einfuhrung einer allgemeinen Einkommensteuer neben den 
Ertragssteuern. Soweit die Staatsbedtirfnisse durch Steuererhohungen gedeckt 
werden sollten, sei die einfache Erhohung der Objektsteuern, welche nicht genug 
Rticksicht auf die individuelle Wirtschaftsfuhrung und -Ergebnisse der 
Steuerpflichtigen nehmen, nicht empfehlenswert, man musse vielmehr dafur 
eine elastische Personaleinkommensteuer mit Beriicksichtigung aller individuellen 
Momente, namentlich der Schuldzinsen, neu einfuhren. Zu diesem Behuf 
beantragte er eine allgemeine Klassensteuer fiir Einkommen zwischen 365 und 
1500 Gulden und eine Einkommensteuer fiir Einkommen von 1 500 Gulden 
aufwarts mit einer maBigen Progression von 1 bis 2 % des Einkommens. Auch 
fiir diese Steuern sollte im jahrlichen Finanzgesetz eine Kontingentsumme 
ausgesprochen werden und danach die Verteilung erfolgen. Dies war ein grofler 
Schritt in der Reform der direkten Besteuerung, und wenn auch dieses Projekt 
geradeso wie sein Vorganger parlamentarisch nicht erledigt wurde, so bildet es 
mit seinen ausgezeichnet gearbeiteten Motivenberichten einen Denkstein in 
der Geschichte unserer Steuerreform, die sich schliefllich in den dort vorge- 
zeichneten Bahnen bewegte. 

Die politische Spannung zwischen dem Ministerium und den Fuhrern des 
Abgeordnetenhauses nahm gleich zu Beginn der Session scharfe Formen an, als 
Schmerling es ablehnte, ein Gesetz iiber die Ministerverantwortlichkeit einzu- 
bringen. Die darauf folgende AdreBdebatte war einfach ein Frontangriff 
gegen die Regierung. Die auswartige Politik, der unbefriedigende Stand der 
ungarischen Krise, die ablehnende Haltung der Regierung gegenuber den weit- 
gchenden Forderungen nach dem freiheitlichen Ausbau der Verfassung, die 
schlechten Finanzen, alles das und noch manches kleinere Detail hielten die 
Redner als Siindenregister der Regierung vor. Dafi die Minister gereizt ant- 
worteten, war begreiflich. Mein Vater hatte sich insbesondere gegen eine heftige 
Rede Dr. Herbsts zu verteidigen, der an der Hand der aufierordentlichen Ein- 
nahmen, wie Staatsguterverkauf und Anlehensreste, ein viel hoheres Defizit 
berechnete, als es im Expos6 des Finanzministers dargestellt war, worauf dieser 
nicht mit Unrecht auf die Unlust des Abgeordnetenhauses gegen jede energische 
Finanzreform im Wege von Steuererhohungen oder Einfuhrung neuer Steuern 
sowie auf die aufierordentliche Last hinwies, die die Riickzahlung der Bankschuld 
dem Staat auferlegte, 140 Millionen in Zeiten finanzieller Beengung und wirt- 
schaftlicher Depression binnen vier Jahren zuriickzuzahlen, sei eine ganz unge- 
wohnliche Mehrbelastung des Staatsschatzes, die man bei einer allgemeinen 
Beurteilung der Finanzen wohl in Betracht ziehen musse. Die uble Laune 
des Abgeordnetenhauses zeigte sich gleich darauf, indem dasselbe die von der 
Regierung fiir die ersten sechs Monate des Jahres 1865 geforderte Bewilligung 
der Fortdauer der aufierordentlichen Steuerzuschlage zunachst nur fur drei 
Monate zugestand. Der Belagerungszustand in Galizien und die strafgericht- 
liche Verfolgung des Abgeordneten Rogawski durch das Lemberger Militar- 
gericht gaben Anlafi zu einer neuen gereizten Debatte im Abgeordnetenhause. 

19* 



292 



v. Plener. 



Nun kamen die Antr&ge der Staatsschuldenkontrollkommission, die mit der Finanz- 
verwaltung fortwahrend in Streit lag, zur Beratung, ihre Antrage enthielten 
eine Reihe von scharfen Tadelsvoten gegen den Finanzminister, von denen 
die meisten von dem zu ihrer Beratung eingesetzten Ausschufl des Abgeord- 
netenhauses aufgenommen wurden. Drei Tage dauerte die Debatte iiber die 
einzelnen Punkte, der Finanzminister ergriff fast zu jedem das Wort zu seiner 
Verteidigung, unterlag aber regelmSfiig. Er bestritt der Staatsschulden- 
kontrollkommission das Recht, zu beurteilen, ob eine bestimmte Anlehensform 
zweckmaflig, ob der erzielte Kurs giinstig oder ungiinstig gewesen sei, sie habe 
nur die Durchfiihrung der Anlehensgeschafte zu uberwachen und nur iiber diese 
Kontrollfunktionen ihre etwaigen Wahrnehmungen an das Abgeordnetenhaus 
zu berichten. Die materielle Rechtfertigung der Anlehensoperationen habe der 
Finanzminister erst bei Vorlage des Rechnungsabschlusses zu geben. Ebenso 
bekampfte er die Behauptung, dafl die Schuldurkunde iiber das a conto des 
englischen Anlehens abgeschlossene Vorschuflgeschaft der Kontrollkommission 
hatte zur Kontrasignatur vorgelegt werden sollen, diese habe nur wirkliche 
Anlehensobligationen, die im Druck angefertigt werden, zu kontrasignieren. 
Der Hauptstreit drehte sich um die Depotgeschafte, das waren Vorschufl- 
geschafte gegen VerpfSndung von nicht begebenen Obligationen schon be- 
willigter Anlehen, wozu die Finanzverwaltung angesichts der Lage des Staats- 
kredits und des Geldmarktes zur Aufbringung dringend benStigter Mittel 
wiederholt schreiten muflte. Die Kontrollkommission und das Abgeordneten- 
haus wollten in jedem Depotgeschaft ein selbstandiges Anlehensgeschaft er- 
blicken, das der Kontrolle der Kommission unterstehe, wahrend einige so weit 
gingen, sie iiberhaupt als ungesetzlich anzusehen. Der Finanzminister gab zu, 
dafl ein Vorschuflgeschaft, welches die Staatsschuld vermehrt, der Kontrolle 
unterliege, die Depotgeschafte auf Grund von im Besitz des Staates befind- 
lichen Effekten aber gehorten dem inneren Kassendienst an und konnten nicht 
in den Bereich der Staatsschuldenkontrolle gezogen werden. Die Debatte war 
sehr gereizt, und nachdem die BeschlUsse gegen den Finanzminister gefaflt 
waren, erklarte dieser ganz ruhig, dafl die Regierung solche BeschlUsse in Er- 
wagung ziehen werde, ihnen aber dartiber hinausgehende maflgebende Wirkung 
nicht einraumen konne. Daniber grofle Bewegung, und in der darauf folgenden 
Sitzung stellte Giskra den Antrag, einen eigenen Ausschufl iiber diese die Rechte 
und das Ansehen des Abgeordnetenhauses verletzende Erklarung einzusetzen. 
Der Antrag wurde angenommen, der Ausschufl wurde gewahlt, hat aber niemals 
einen Bericht erstattet. So blieb der Zwischenfall zwar ohne Folgen, aber die 
Verbitterung war gestiegen. Der Finanzminister hatte im Laufe der Session 
einen Gesetzentwurf eingebracht, durch welchen die unteren Stufen der in 
Siebenburgen bestehenden Personalsteuer, einer Art Kopfsteuer, angesichts 
der Armut der untersten Steuerpflichtigen und der tatsachlichen Uneinbring- 
lichkeit dieser Steuersatze ermSfligt werden sollten. Herbst und Brestel be- 
kampften auch diese Vorlage und wandten sich namentlich dagegen, dafl der 
etwa 400000 Gulden betragende Ausfall von den Obrigen Landern getragen 
werden sollte, diesmal gelang es jedoch dem Minister und den siebenbiirgischen 
Abgeordneten, die Vorlage gegen diese kleinliche Opposition zu retten. 

Um fiir die Budgetberatung, die sich bisher immer in das schon laufende 
Finanzjahr hineinzog, endlich auch einmal vor Beginn der Gebarungsperiode 



Plener. 



293 



Raum zu schaffen, entschloG sich die Regierung, wahrend noch das Budget 
fur 1865 in Beratung stand, auch noch das Budget fur 1866 einzubringen. Der 
Finanzminister unterbreitete die Vorlage am 18. Februar 1865, die Gesamt- 
ausgaben waren mit 542,5 Millionen Gulden angesetzt, darunter 66 Millionen 
Schuldentilgung, die durch VerauGerung von Staatseigentum und Anlehens- 
reste gedeckt werden sollten, die Gesamteinnahmen wurden mit 512,9 Millionen 
veranschlagt, Abgang 29,6 Millionen. Zugleich sprach der Finanzminister im 
Namen der Regierung die Bereitwilligkeit zu weiteren Ersparungen aus gegen 
Einraumung einer groGeren Bewegungsfreiheit innerhalb der bewilligten Kredite. 
Das Haus nahm diese vorzeitige Vorlage des nachstjahrigen Budgets unwillig 
auf und sah darin einen unkonstitutionellen Hinterhalt und eine Storung der 
schon im Gange befindlichen AusschuGberatung des Budgets fur 1865. Hier 
hatte sich eine kleine innereKrise abgespielt. Im Januar hatte der AusschuG be- 
schlossen, der Regierung das Budget mit der Aufforderung zunickzustellen, 
umfassende Ersparungen vorzunehmen, die er mit 22 Millionen in Aussicht 
nahm. Graf Vrints bemuhte sich in guter Absicht, einen Ausweg aus dieser 
unmoglichen Situation zu finden, er vvollte Verhandlungen zwischen Regierung 
und FinanzausschuG einleiten, welche Pauschalabstriche an Stelle der ruck- 
sichtslosen Einzelabstriche bei den verschiedensten Positionen setzen sollten. 
Die Regierung lehnte es ab, im vorhinein sich ziffermaflig zu binden, und stellte, 
in Ubereinstimmung mit der AuGerung des Finanzministers in seinem Expos6, 
die Gegenforderung auf Gestattung von Virements in einzelnen Hauptposten 
der Verwaltung und auf Sicherung, dafi es fiir die nachsten zwei Jahre bei den 
zu vereinbarenden Abstrichen auch wirklich sein Bewenden habe. Da der 
AusschuG darauf nicht eingehen wollte, erschienen die Minister fiir einige Zeit 
nicht mehr im Ausschusse. Zuletzt scheiterten alle Ausgleichsversuche, der 
Antrag Vrints wurde abgelehnt, und die AusschuGberatung des Budgets fiir 
1865 ging ihren Weg weiter mit ihren groGen und kleinen Abstrichen bei den 
einzelnen Posten. Keine neuen Steuern und keine Anlehen war die Parole, 
die Abstriche betrugen 26,8 Millionen, davon 17,8 bei der Armee und 1,7 bei 
der Marine, wahrend die Regierung fiir die Armee nur 1 1 Millionen zugestehen 
wollte. Der Mannschaftsstand war in den letzten Jahren bedeutend vermin - 
dert worden, zuletzt war infolge der Abstriche die osterreichische Kavallerie 
um ein Drittel reduziert. Der AusschuGbericht beantragte, in mehreren Teilen 
des Budgets das Virement innerhalb der einzelnen Kapitel zu gestatten, ohne 
Riicksicht auf die Unterteilung in Paragraphen. GewiG ein fiir die Ordnung 
im Staatshaushalt schlechtes System, wie es auch ein Mangel der damaligen 
Budgetierung war, die Kosten der Armee in einer Gesamtziffer in den Vor- 
anschlag einzustellen (nach dem AusschuGantrag Armee 89,9). Die Minister 
versuchten in der Spezialdebatte, die Abstriche zu bekampfen, hatten aber 
keinen Erfolg, die AusschuGantrage wurden fast alle angenommen. Bald darauf 
folgte die Debatte iiber den Handelsvertrag mit dem Zollverein. Hier hatte 
der Finanzminister einen entschiedenen rednerischen Erfolg. Der Regierungs- 
vertreter Freiherr v. Hock, ein ausgezeichneter Fachmann, aber etwas doktrinar, 
provozierte eine Reihe ungegrundeter Angriffe gegen seine Person, seine Nerven 
lieGen ihn im Stich, und er bat im offenen Haus um die Erlaubnis, die Vertretung 
des Vertrags niederlegen zu durfen. Da trat der Finanzminister mit einer impro- 
visierten Rede ein (20. Mai 1865), legte den Fortschritt, der selbst in diesem Ver- 



294 



v. Plener. 



trag lag, nachdriicklich dar, geifielte die Inkonsequenz jener, welche vor kaum 
zwei Jahren die voile Zolleinigung mit dem Zollverein aus deutschnationalen 
Griinden verlangt hatten, in welchem Falle gar keine Zollschranken zwischenOster- 
i eich und dem Zollverein bestanden haben wiirden und welche jetzt die schu tzzoll - 
nerischen Argumente gegen den Vertrag vorbrachten. Wenn der Vertrag nicht 
so giinstig ausgef alien sei, alswie es alle wiinschten, so lag das an demvorher ab- 
geschlossenen franzosischen-preufiischen Handelsvertrag, der die ganze Handels- 
politik des Zollvereins prajudiziert und die Geltendmachung unserer Interessen 
erschwert habe. Der Vertrag wurde schliefllich mit Majoritat angenommen, 
nachdem die Vertagungsantrage, fiir welche die Fiihrer der Opposition, Herbst, 
Giskra, Berger, Skene, gestimmt hatten, abgelehnt worden waren. Aber es 
ging abwarts mit dem Ministerium. Die zunehmende Opposition im Abge- 
ordnetenhause hatte seine Stellung nach oben erschuttert, und als erstes Sym- 
ptom eines Systemwechsels wurde eine Kaiserreise nach Budapest zum Besuch 
einer landwirtschaftlichen Ausstellung unternommen und dort in einer kaiser- 
lichen Ansprache die Einberufung des Landtags in baldige Aussicht gestellt. 
Die offentliche Meinung sah darin nicht mit Unrecht eine Abkehr vom zentra- 
listischen System Schmerlings und eine Annaherung an Ungarn. In Wien 
stieg die Finanznot. Die Beschaffung der Mittel fiir Deckung der Maicoupons 
hatte schon grofie Schwierigkeiten verursacht, und der in der Bankakte vor- 
gesehene Staatsguterverkauf war jetzt die grofite Sorge der Finanzverwaltung. 
Auf den der Bank iiberwiesenen Staatsgiitern hafteten 45 Millionen und aufier- 
dem noch der Ruckersatz der aus allgemeinen Staatsmitteln fiir die Bankschuld 
vorgeschossenen 1 1 Millionen, zusammen 56 Millionen. Die sogenannten Bank- 
giiter wurden auf 40 — 46 Millionen, die freien Domanen auf 15 Millionen ge- 
schatzt. Fiir die Abwicklung des Geschaits hatten sich zwei Konsortien gemeldet, 
eins gefiihrt von dem damals noch aufrechten Langrand-Dumonceau, das 
andere: Deutsche Diskontogesellschaft (Hansemann), Osterreichische Kredit- 
anstalt und einige franzosische Hauser; doch waren ihre Angebote nicht giinstig, 
sie wollten sich nur zur fixen Zahlung von 30 Millionen herbeilassen und sich 
fiir den Vorschufi des Restes die Option vorbehalten, dabei bestand der Plan, 
Aktien und Obligationen auszugeben, welche der Staat zu einem gewissen Kurs 
an Zahlungsstatt zu ubernehmen hatte. Der Finanzminister wollte auf diese 
Bedingungen nicht eingehen und entschlofi sich zu einer groflen Kreditvorlage, 
welche sowohl fiir die Staatsguterschuld als fiir die allgemeinen Staatsbediirf- 
nisse fiir 1865 und 1866 Vorsorge treffen sollte und die er am 8. Juni im Abge- 
ordnetenhause einbrachte. Die Vorlage enthielt eine Reihe von Krediter- 
machtigungen im Gesamtbetrage von 116,8 Millionen. Diese grofie Ziffer 
wirkte wie eine Bombe auf das Abgeordnetenhaus und die offentliche Meinung; 
doch wenn man naher zusah, mufite man erkennen, dafl dieser grofle Kredit- 
bedarf nichts Aufierordentliches und nichts Ungerechtfertigtes enthielt. Vor 
allem betraf er 63 Millionen fur die Staatsgiiteroperation, um die Domanen 
nicht zu verschleudern, und um die Staatsguterschuld an die Bank zu bezahlen, 
mufite ein Kreditgeschaft in Aussicht genommen werden, sei es durch freie Be- 
gebung eines Anlehens oder durch ein Abkommen mit einem Konsortium iiber 
den kommissionsweisen Verkauf der Giiter. Die Staatsgtiterschuld an die 
Bank betrug 44,9 Millionen, und zugleich wurde die Kreditermachtigung auch 
auf die sogenannten freien Domanen ausgedehnt, deren eventueller Erlds, 



v. Plener. 295 

18 Millionen, schon in den Voranschlag als Einnahme eingestellt worden war, 
deren Realisierung aber nicht erfolgen konnte, so dafl fur den auf ihnen haftenden 
Betrag anderweitig vorgesorgt werden mufite. Damit schieden also schon 
63 Millionen als bekannte Posten aus. Die iibrigen 53,4 Millionen enthielten 
zum grofiten Teil auch altere Posten. Einmal wurden 16,8 Millionen fur Ein- 
ziehung von Partialhypothekaranweisungen und 4 Millionen fur Einziehung von 
Miinzscheinen gefordert, die allerdings friiher aus andern Mitteln hatten be- 
stritten werden sollen. Dann war zu refundieren eine fruhere, aus Staatsmitteln 
vorgeschossene Domanenschuldrate von 1 1 Millionen und zu bedecken ein 
Kaufschillingsrest aus friiheren Giiterverkaufen von 1,5. Neu war die Forde- 
rung von 7 Millionen zur Abzahlung einer Schuld an die Kreditanstalt, die im 
Jahre 1865 fallige Steuerwechsel eskontiert hatte, es waren daher Einnahmen 
des Jahres 1865 vorweggenommen worden, um Abgange des Jahres 1864 zu 
decken, und diese Schatzoperation war dem Reichsrat nicht mitgeteilt worden, 
dies war der anfechtbarste Punkt der Vorlage, schliefllich wurden 10 Millionen 
fur die Defizite von 1864 und 1865 sowie ein Nachtrag zu Eisenbahngarantien 
von 3,4 Millionen verlangt, diese drei letzten Posten betrugen 20,4 Millionen 
fur drei Jahre, wahrend urspriinglich fur zwei Jahre 1865 und 1866 ein im 
Kreditwege zu deckender Abgang von 60 in Aussicht genommen war. Die 
Erklarung der einzelnen Posten enthalt unzweifelhaft auch eine Rechtfertigung, 
aber der schlechte Gesamteindruck blieb, die offentliche Meinung gab sich nicht 
die Miihe, die Natur der einzelnen Posten zu untersuchen, sie hielt sich an die 
aufierordentlich hohe Gesamtziffer, die scheinbar auf einmal aufgebracht 
werden mufite, was beziiglich der Staatsgiiterschuld, die mehr als die Halfte 
des Gesamtbetrags ausmachte, bekanntlich nicht der Fall war. Kliiger ware 
es allerdings gewesen, bei Einbringung des Budgets fiir 1866 die offentliche 
Meinung auf diese Anspriiche vorzubereiten und sie vielleicht in Teilvorlagen 
zu zerlegen. 

Nun ging es Schlag auf Schlag weiter. Einige Tage spater f and die Beratung 
des Antrags Berger iiber eine neue gesetzliche Interpretation oder vielmehr 
Abanderung des § 13 der Verfassung (staatliches Notverordnungsrecht) statt. 
Schmerling wehrte sich mit aller Macht gegen die Antrage des Ausschusses, 
welcher die Fortdauer der Giiltigkeit solcher Verordnungen von der nachtrag- 
lichen Genehmigung des Reichsrats abhangig machen wollten, erzielte aber 
gar keinen Erfolg. Die Abstimmung hatte ganz den Charakter eines politischen 
Mifltrauensvotums gegen die Regierung, welche mit 44 gegen 107 Stimmen 
unterlag. Im Anschlufi an diese Debatte iiber den § 13 sprach das Abgeord- 
netenhaus ein Tadelsvotum gegen die Regierung wegen der auf § 13 erlassenen 
Begiinstigungen finanzieller und anderer Art fiir die neue osterreichische Boden- 
kreditanstalt und die bohmische und ungarische Hypothekenbank aus, die 
Regierung hatte im Anschlufi an jene kaiserliche Verordnung ganz korrekter- 
weise ein Gesetz iiber die zu gewahrenden Begiinstigungen eingebracht, um 
den Vorgang zu legalisieren, das Haus nahm das Gesetz an, votierte aber gleich- 
wohl seine Miflbilligung iiber die Nichtbeobachtung der gesetzlichen Voraus- 
setzungen des § 13. Unterdessen wurde in Ungarn der gesetzliche Wirkungs- 
kreis der Statthalterei wiederhergestellt, die Militargerichte wurden aufge- 
hoben und mehrfache Anderungen im Personal der Komitatsvorstande vor- 
genommen. Das Wiener Abgeordnetenhaus sah diese Anzeichen des kommenden 



296 v - Plener. 

Systemwechsels nicht oder wollte sie nicht sehen, ihm war es nur um den Kampf 
gegen das Ministerium Schmerling zu tun. Der Finanzausschufi des Abge- 
ordnetenhauses beschlofi nach einer sehr heftigen Debatte, in die allgemeine 
Kreditbewilligung so lange nicht einzugehen, als nicht die Finanzgesetze fur 
1865 und 1866 in verfassungsmafliger Weise zustande gekommen seien, und 
nur fiir die Erfiillung der Verpflichtungen des Staates im nachsten Monat einen 
Kredit von 13 Millionen zu bewilligen, mit der Klausel, dafl alle dariiber aus- 
gestellten Urkunden der Kontrasignatur der Staatsschuldenkontrollkommission 
unterzogen werden mussen, ohne welche sie rechtsunwirksam seien. Am 21. Juni 
begann dariiber die Pleharberatung. Vorher kamen noch einige Beanstandungen 
der Staatsschuldenkontrollkommission iiber nicht rechtzeitige Abwicklung von 
Depotgeschaften und iiber einige formelle Gebrechen bei Vorschufigeschaften, 
die zur Abzahlung der Bankschuld kontrahiert worden waren. Der Finanz- 
ausschufl machte sich selbstverstandlich die Antrage der Kontrollkommission 
zu eigen, der Finanzminister bemerkte in seiner Rede, dafl manche Differenzen 
zwischen Kontrollkommission und Finanzministerium hatten vermieden werden 
kSnnen, wenn der Ton der Auflerungen der ersteren ein anderer gewesen ware. 
Die Antrage wurden angenommen. Dies war nur das Vorspiel zur Debatte 
iiber die Kreditvorlage, der Berichterstatter Herbst begrundete die Ausschufl- 
antrage in einer langen Rede, die eine Reihe von Vorwiirfen gegen den Finanz- 
minister enthielt und die friiher angefiihrten schwachen Seiten der Regierungs- 
vorlage, die eigentlich mehr taktische Fehler waren, scharf kritisierte. Der 
Finanzminister replizierte gut, wies auf die groflen Steuerriickstande der letzten 
Jahre hin, die es ihm unmdglich machten, alien Bestimmungen der friiheren 
Finanzgesetze nachzukommen und ebenso auf seine Verpflichtung, die Rtick- 
zahlungen an die Bank unter alien Umstanden zu leisten, wodurch die Lasten 
der ohnedies nicht giinstigen Finanzlage aufierordentlich gesteigert worden seien,* 
die vorgeschlagenen 13 Millionen reichten nicht einmal fur die allernachsten 
Bediirfnisse aus, welche schon wegen der aus den Kassebestanden fiir Teile der 
Bankschuld und Einlosung von Miinzscheinen vorgeschossenen Zahlungen 
einen grofieren Betrag beanspruchen wurden. Die Mehrheit nahm die Ausschufl- 
antrage, die einer Ablehnung der groflen Kreditvorlage gleichkamen, an. Der 
Finanzminister stellte am nachsten Tage dem Erzherzog Rainer und dem Mi- 
nisterrat sein Portefeuilie zur Verfugung, die indes auf eine partielle Minister - 
krise nicht eingingen, da sich die allgemeine Krise als unmittelbar bevorstehend 
ankiindigte. Mein Vater behielt in diesen kritischen Tagen seine Ruhe und 
schrieb mir ausfiihrliche Briefe iiber seine parlamentarischen Kampfe und 
zugleich iiber alle Details meines Pariser Aufenthaltes. Am 24. Juni brach die 
Ministerkrise aus. Infolge der angekiindigten Ernennung Georg v. Maj laths 
zum ungarischen Hofkanzler und des damit kundgegebenen Entschlusses, 
Ungarn gegeniiber eine andere Politik einzuschlagen, gaben Erzherzog Rainer, 
Schmerling, der Finanzminister, Lasser, Mecsery und Hein ihre Entlassung, 
welche angenommen wurde, und Graf Beleredi wurde zur neuen Kabinetts- 
bildung berufen. Der Erzherzog reiste sogleich, zunachst, wie es genannt wurde, 
auf Urlaub ab, und die ubrigen Minister wurden dringend aufgefordert, die 
Geschafte bis nach SchluB der Reichsratssession fortzufiihren. Dafl sie sich 
dazu entschlossen, war eine grofle Selbstaufopferung, sie hatten die peinliche 
Situation im Abgeordnetenhause noch voile vier Wochen fortzusetzen, muflten 



v. Plcner. 



297 



fur ihre Nachfolger die formelle Ordnung der Budgetbeschlieflung besorgen und 
bewahrten so diese vor der unangenehmen Aufgabe, selbst noch im Reichsrat 
zu erscheinen, wodurch ihnen erst recht freie Hand fiir die folgende parlament- 
lose Zeit gewahrt wurde. Im Herrenhause war noch ein kleines Nachspiel, dort 
gab der Finanzminister am 23. Juni einen Ruckblick auf die Zeit seiner Ver- 
waltung, er wies nach, dafi er bisher schon 63 Millionen an der Bankschuld 
getilgt habe und wie sich trotz der Riickwirkungen des Notstandsjahres 1863 
die regelmaflige Gebarung gebessert habe. Und in der Tat war trotz aller An- 
griffe und trotz der wiederholten Geldklemme des Staatsschatzes unzweifelhaft 
ein Fortschritt zu konstatieren, zu Beginn des Jahres 1 86 1 notierten Met alii que s 
62 und das Agio stand auf 50, im Juni 1865 war der Kurs der Metalliques 70 
und das Agio war auf 7% gef alien. Eine erhebliche Vermehrung der Einnahmen 
scheiterte an dem Widerwillen des Abgeordnetenhauses gegen jede direkte 
Steuerreform, und in der letzten Zeit wurde sogar sowohl im Abgeordnetenhaus 
als im Herrenhause versucht, die rationelle Produktensteuer auf Branntwein 
wieder zu verlassen und auf die fiir die Finanzen schadliche Pauschalsteuer 
zuriickzukommen. Grofle Steuerreformen waren mit diesem Reichsrat iiber- 
haupt nicht zu machen. In bezug auf das Kriegsbudget hatte die Finanz- 
kommission des Herrenhauses in Obereinstimmung mit der Haltung der Re- 
gierung nur einem Abstrich von II Millionen zugestimmt und setzte die Ziffer 
wieder um 5 Millionen holier. Nun geschah das Unerwartete. Graf Belcredi 
hatte als eine Bedingung seines Eintritts in die Regierung die Forderung gestellt, 
den vollen Abstrich des Abgeordnetenhauses anzunehmen, und so mufite der- 
selbe Kriegsminister, der wochenlang im Abgeordnetenhause gegen jenen Ab- 
strich gekampft hatte, erklaren, dafi er beauftragt sei, ihn nunmehr anzu- 
nehmen. So erschien das noch nicht einmal gebildete neue Ministerium in der 
popularen Rolle der Ersparungspolitik, und das Odium, ihr widerstanden zu 
haben, fiel auf das demissionierte Kabinett. Unter diesen Umstanden einigten 
sich beide Hauser bald iiber das Budget von 1865, auch die Herabsetzung des 
Dispositionsfonds wurde konzediert, und die abgetretenen Minister muflten 
noch ihren Namen unter das iiber ihren Kopf getroffene Abkommen setzen. 
Die Wiener offentliche Meinung war anfanglich geteilt iiber den Ausgang 
der Krise. Die Einsichtigen beklagten den Riicktritt des Ministeriums und 
das Scheitern des ersten konstitutionellen Versuches, den Staat auf einheitlicher 
Basis zu konsolidieren, die iibrigen, und sie waren im Anfang in der Mehrheit, 
meinten hinwiederum, das Ministerium habe seinen Sturz wegen seiner illibe- 
ralen Haltung verdient, die Opposition habe in ihrem Kampfe gegen das Kabinett 
recht gehabt, man brauche auch fiir die nachste Zukunft nicht allzu besorgt 
zu sein. Als aber das Septembermanifest die Sistierung der Verfassung brachte, 
begann ein deutlicher Umschwung, und man sah die Fehler der liberalen Partei 
ein, die im Resultat nur fiir die Verfassungsgegner gearbeitet hatte. Mein 
Vater war begreiflicherweise sehr verstimmt, er zog sich zuriick, las viel, was 
er in seiner Ministerzeit nicht tun konnte, aber er wollte nicht auf eine weitere 
Offentliche Tatigkeit verzichten. So ging er im November zum behmischen 
Landtag. Er trat zunachst nicht in den Parteiverband, sein letzter Gegensatz 
zu Herbst hielt ihn von naheren Beziehungen ab, aber eine eigentliche RankQne 
lag nicht in seinem Charakter, seine politische Cberzeugung stellte ihn auf 
die Seite der Staatseinheit und gegen den Foderalismus, und dieser folgte er, 



298 v « Plener. 

lible personliche Erfahrungen und Verstimmungen gering achtend. Er stimmte 
ebensowohl gegen die von Graf Nostitz beantragte Einsetzung eines Ausschusses 
anlafilich der Erlassung des September-Patents als gegen den Zusatzantrag 
Herbsts, weil er den Landtag uberhaupt nicht als kompetent fur die Reichs- 
politik ansah, geradeso, wie es Schmerling im niederosterreichischen Landtage 
hielt. Die letztere Abstimmung erregte ein gewisses Aufsehen, er kehrte sich 
aber nicht daran, ebensowenig seine Wahler. Erst als der fdderalistische Aus- 
schufiantrag iiber die Adresse dem Landtag vorlag, erschien er in der Partei- 
versammlung der deutschen Abgeordneten und regte dort den Obergang zur 
Tagesordnung iiber die Adresse an. Diese Anregung fand allgemeine Zustim- 
mung, und Herbst erklarte, dafl es nur zwei Personen gebe, die diesen Antrag 
stellen konnten, Fiirst K. Auersperg oder Plener. Darauf stellte Plener im 
Laufe der Debatte diesen Antrag, fur den alle Deutschen und die verfassungs- 
treuen Grofigrundbesitzer stimmten. Im weiteren Verlauf der Session sprach 
er gegen einen Adressenantrag Clam, der eigentlich auf eine Oktroyierung einer 
neuen Wahlordnung hinzielte, mit grofiem Beifall. So hatte er parlamentari- 
schen Boden und die Sympathien der deutschen Abgeordneten gewonnen. 

Die neue Regierung trat mit grofiem Selbstbewufitsein auf, kam aber 
nicht vorwarts. In der ungarischen Frage hatte sie kein bestimmtes Programm. 
Belcredi war ein etwas beschrankter Doktrinar, der den Zentralismus be- 
kampfen wollte, aber sein Foderalismus war unklar und unpraktisch. Der 
neue Finanzminister Graf Larisch debutierte mit der Abschaffung der Pro- 
duktensteuer auf Branntwein, die er selbst im Herrenhaus als die rationelle 
Steuerform erklart hatte, und fiihrte eine Pauschalsteuer nach der Leistungs- 
fahigkeit des Garraumes, ebenso auch ein Pauschalsystem fur die Zuckersteuer 
nach der Leistungsfahigkeit der Werkvorrichtungen ein, wodurch die Ertrags- 
fahigkeit beider Steuern empfindlich benachteiligt wurde. Dann schlofi er in 
Paris ein Anlehen von 90 Millionen zu den ungtinstigsten Bedingungen (fakti- 
scher Erlos 6 1 Vi fur 100 nominal) ab. Als die Staatsschuldenkontrollkommis- 
sion in ihrem Berichte einige tadelnde Bemerkungen iiber diese Kreditoperation 
aufierte, veroffentlichte der Finanzminister einen Vortrag zu seiner Recht- 
fertigung (8. Juni 1866), in dem er auch gegen seinen Vorganger einige Vor- 
wiirfe erhob, der ihm leere Kassen iibergeben hatte. Das Defizit von 1865 sei 
viel grofier gewesen, als es im Finanzgesetz angegeben war, der Staatskredit 
habe durch die friiheren Anlehen und Vorschufigeschafte gelitten, so dafl den 
Nachfolger keine Schuld trafe. Derselbe Finanzminister hatte kurz zuvor die 
Banknoten zu I und 5 Gulden zu Staatsnoten erklart, wodurch die Bankakte 
in ihrem Wesen gebrochen, das staatliche Papiergeld wieder eingefiihrt und die 
Regelung der Valuta fur lange Zeit unmoglich gemacht wurde (Stand des 
Silberagio infolge dieser Mafiregel Juni 1866 33%). Kurz vorher hatte er das 
fur die Finanzen sehr onerose Domanenanlehen mit der Bodenkreditanstalt 
abgeschlossen. Es war jedenfalls eine starke Verkennung der eigenen ungliick- 
lichen Hand, in einem solchen Augenblick Vorwiirfe gegen seinen Vorganger 
zu erheben. Mein Vater, der gegen offiziose Zeitungsangriffe ahnlicher Art 
nicht reagiert hatte, nahm diesmal die Sache ernster und verfafite eine finan- 
zielle Denkschrift, um die Angriffe seines Nachfolgers zuriickzuweisen. Um 
die Oberflachlichkeit jener Anwiirfe zu beweisen, brauchte er nur auf seine 
grofle Kreditvorlage hinzuweisen, die die Bediirfnisse der Finanzen offen und 



Plener. 



299 



vollstandig dargelegt hatte und wesentlich deshalb vom Abgeordnetenhaus 
nicht in Beratung gezogen wurde, weil die von diesem beschlossenen Ersparun- 
gen im Milit&retat damals noch nicht durch die Zustimmung der Regierung 
sichergestellt waren. Er zeigte, dafi die Anlehenskurse, die er in Zeiten des 
wirtschaftlichen Notstandes in Osterreich und des ganz ungewohnlichen hohen 
europaischen Zinsfufies erzielte, noch immer wesentlich gunstiger waren als 
das mit Recht so getadelte Pariser November -Anlehen des Grafen Larisch, 
verbreitete sich dann uber mehrere Detailfragen und verwahrte sich dann am 
Schlufi gegeri ein Vorgehen, das zur Abwehr eines von dritter Seite (der Staats- 
schuldenkontrollkommission) vorgebrachten Tadels Beschuldigungen gegen den 
Amtsvorganger, der sich ganz zurlickgehalten habe, erhebt und das so in wenig 
neidenswerter Weise von der traditionellen Haltung aller bisherigen Finanz- 
minister, ja iiberhaupt aller Staatsmanner Osterreichs abweiche. Mein Vater 
iiberreichte diese Rechtfertigungsschrift Seiner Majestat und stellte zugleich 
deren Veroffentlichung in Aussicht. Er gab sie auch in Druck, der sich etwas 
verzSgerte, unterdessen war der Krieg ausgebrochen, die traurigen Nachrichten 
von den bohmischen Schlachtfeldern hatten einen so erschutternden Eindruck 
auf alle gemacht, dafl mein Vater in einer solchen von der allgemeinen Not 
des Vaterlandes erfiillten Lage von der Veroffentlichung einer schliefllich doch 
personlichen Beschwerde absah. 

Als guter osterreichischer Patriot litt er buchstablich unter den Ereignissen 
des Sommers 1866. Im Oktober kam er fur ein paar Wochen nach Paris, urn 
mich zu besuchen. Der Pariser Aufenthalt und die neuen Eindrucke taten ihm 
gut. Von dort ging er nach Prag zum bohmischen Landtag. In der dortigen 
Adrefldebatte brachte Graf Heinrich Clam unter anderem auch Vorwiirfe gegen 
die fnihere Finanzverwaltung im Sinne des erwahnten Larischschen Vortrages 
vor. Mein Vater replizierte ziemlich gereizt, sprach auch von seiner dem 
Kaiser uberreichten Denkschrift und von den Griinden, warum er sie nicht 
publiziert habe. Er hatte grofien Beifall, und das Komische in der Sache war, 
dafi Herbst in seiner darauf folgenden Rede die Finanzverwaltung meines 
Vaters, die er im Wiener Abgeordnetenhause so scharf kritisiert hatte, nunmehr 
gegen die Angriffe Clams verteidigte. Solche Vorkommnisse gemeinsamen 
Kampfes gegen einen gemeinsamen Gegner bringen immer eine Annaherung 
der auf derselben politischen Linie stehenden Manner mit sich, und so sprach 
mein Vater bei dem Parteibankett der deutschen Abgeordneten unter groflem 
Beifall schon als einer ihrer anerkannten Wortfiihrer. Die Landtage waren An- 
fang Januar 1867 aufgelost worden, um die Konstituierung eines auflerordent- 
lichen Reichsrates zu ermoglichen. Aber der Plan wurde rasch zunichte, Bel- 
credi mufite abtreten, der ungarische Ausgleich wurde abgeschlossen und die 
Rtickkehr zum verfassungsmafiigen Reichsrat verkundet. Infolge der Krise 
wurde der bohmische Landtag zweimal aufgelost, die Wiederwahl Pleners in 
der Egerer Handelskammer erfolgte mit einer grofien Vertrauenskundgebung, 
und ebenso wahlte ihn der zweite bohmische Landtag, in dem diesmal die Ver- 
fassungstreuen die Mehrheit hatten, ins Abgeordnetenhaus. Mein Vater hatte 
sich in diesem parlamentarischen Treiben bald zurechtgefunden und gait als 
eine anerkannte Respektsperson in der Partei. Beust, der nach dem Sturz 
Belcredis auch die ganze innere Politik in der Hand hatte, suchte Ankniipfung 
mit einfluflreichen Abgeordneten. Mein Vater kam bald in einen ziemlich regen 



3oo 



v, Plener. 



Verkehr mit dem Minister, der alle Liebenswiirdigkeit und alle moglichen 
politischen Versprechungen aufbot, um die Abgeordneten fur die Annahrae 
des ungarischen Ausgleichs gUnstig zu stimmen. Die meisten der alten Zentra- 
listen sahen ein, dafi ein Kampf gegen die vollzogene Tatsache des Dualismus 
aussichtslos und unpolitisch gewesen ware, aber es blieb begreiflicherweise ein 
Geflihl der Bitterkeit namentlich bei solchen zurilck, welche, wie er, die als 
Kompensation gebotenen liberalen Errungenschaften der neuen Staatsgrund- 
gesetze nicht so hoch einschatzten als das verlorene Gut der Reichseinheit. 
Das kam zum Beispiel sehr deutlich zum Ausdruck in seiner Rede in der 
Adrefidebatte (3. Juni 1867), in der er beklagte, dafi der Ausgleich in Ungarn 
abgeschlossen wurde, ohne vorher dem Reichsrat zur Zustimmung vorgelegt 
worden zu sein, Im weiteren Verlauf dieser Debatte polemisierte er mit uber- 
legener Ironie gegen den Finanzminister Becke (4. Juni), der in seiner frivolen 
Art sehr optimistisch uber die Finanzlage sprach und dabei einige Rekrimina- 
tionen iiber die Vergangenheit vorbrachte. P. hielt ihm nun das gerade von 
ihm negoziierte klagliche Pariser Anlehen und alle die ungHicklichen Finanz- 
maflregeln der Sistierungsperiode unter dem Beifall des ganzen Hauses vor, 
als Improvisation war die Rede ein grofier Erfolg. Er wurde, aufier in ver- 
schiedene Ausschusse, in die Deputation gewahlt, welche mit der parallelen 
ungarischen Deputation iiber die Beitragsleistung zu den gemeinsamen Aus- 
gaben und Uber die Staatsschuld zu verhandeln hatte. Das von der osterreichi- 
schen Regierung vorgelegte Material war liickenhaft und teilweise unrichtig, 
Finanzminister Becke oberflachlich und unverlafilich, Beust verstand von 
Finanzen nichts, ihm war es nur darum zu tun, dafi iiberhaupt etwas zustande 
komme. Mein Vater arbeitete ein Memorandum aus, in dem er die Steuer- 
vorschreibung und nicht die Steuerabstattung als Grundlage der Leistungsfahig- 
keit beider Teile nahm und auch den Bevolkerungsschliissel heranziehen wollte. 
Er gehSrte in der Deputation iiberhaupt zu der unnachgiebigeren Gruppe, 
stimmte aber schliefilich der Vereinbarung von 70 : 30 zu. Dagegen war er in 
der Staatsschuldfrage nicht zu bewegen, den schliefilichen Abmachungen der 
beiden Regierungen zuzustimmen, er war das einzige Deputationsmitglied, das 
dagegen stimmte. Im November kamen die Ausgleichsgesetze vor das Ab- 
geordnetenhaus. Seine Rede iiber die Delegationen wurde viel beachtet, sie 
enthielt eine scharfe Kritik dieses staatsrechtlichen Unikums, kam aber doch 
zum Schlufi, dafi, wie die Dinge einmal liegen, nichts anderes iibrig bleibe, als 
das Gesetz iiber die gemeinsamen Angelegenheiten anzunehmen. Noch posi- 
tiver fur den Ausgleich war seine Rede iiber die Quote und das Zoll- und Han- 
delsbiindnis (10. Dezember 1867), er wandte sich gegen die kleine Gruppe, 
welche dagegen Opposition machte, aber doch nicht den Mut hatte, die Ver- 
werfung zu beantragen, in schweren Zeiten miisse man die Verantwortlichkeit 
auf sich nehmen, um endlich zu einer Konsolidierung der Monarchic zu kommen. 
Der Annahme der Ausgleichsgesetze war die Beschliefiung der neuen Staats- 
grundgesetze vorhergegangen, an deren Diskussion sich P. nur bei dem Gesetz 
iiber die Reichsvertretung beteiligte, indem er vom Standpunkte der Februar- 
Verfassung und der Staatseinheit den § II kritisierte, der nur eine taxative 
Aufzahlung der Kompetenzgegenstande des Reichsrats aussprach und alles 
iibrige den Landern iiberliefi. An den Debatten uber konfessionelle Angelegen- 
heiten und Aufhebung der Todesstrafe nahm er keinen Teil. Die Annahme aller 



v. Plener. 



301 



neuen Verfassungsgesetze hatte nun die neue politische Situation geschaffen, 
der durch Berufung eines parlamentarischen Ministeriums nunmehr der formelle 
Ausdruck gegeben werden sollte. Mit geringen Schwierigkeiten gelang es Beust, 
der damals alle Faden in der Hand hatte, das neue Kabinett unter dem Vorsitz 
des Fiirsten Karl Auersperg zustande zu bringen. Das neue Kabinett war aus 
hervorragenden Parlamentaricrn gebildet, hatte aber innerlich keinen rechten 
Zusammenhalt. Fiirst Auersperg hielt fest zur einheitlichen Verfassung und 
war ein entschiedener Gegner der foderalistischen Bestrebungen und des b6hmi- 
schen Staatsrechts. Sein Selbstbewufltsein vertrug die Patronanz Beusts 
nicht, dabei war er ungeschickt in der Behandlung der Menschen und trieb 
durch seine Schroffheit viele Anhanger der Verfassung im bohmischen Adel ins 
gegnerische Lager. Von den Abgeordneten, die in das neue Ministerium ein- 
traten, waren Giskra und Herbst unzweifelhaft ganz aufiergewohnlich begabte 
Manner, aber zu Ministern waren sie beide nicht geeignet. Giskra, ein impetuoser 
Redner, der eigentlich noch von der Phraseologie des Jahres 1848 erfullt war, 
besafi eine groBe Gewandtheit und Raschheit der Auffassung, wenn notig, war 
er auch ein intensiver Arbeiter, wie er dies in seinen Ausschufiberichten uber 
das Militarbudget gezeigt hatte, aber unstet und nervos, er konnte ebenso liebens- 
wiirdig als hochst unangenehm sein. Herbst, ein durchdringender Verstand, 
scharfer Dialektiker, ausgezeichneter Redner, wenig konstruktiv, grofie Arbeits- 
kraft, dabei aber ohne eigentlichen politischen Mut, er wollte nie zuerst eine 
Verantwortung ubernehmen und lavierte oft lange, bis er zur Feststellung seiner 
Haltung kam. Seine Stellung war im Lauf der Jahre aufierordentlich gewachsen, 
imSommer hatte er selbst an das Ministerprasidium gedacht, ohne darum seine 
Haltung in der Konkordatsfrage aufzugeben, zuletzt hatte er vielleicht lieber 
die Finanzen genommen und war nun uber das Justizportefeuille nicht sehr 
erfreut. Beide waren von dem Bestreben nach Popularitat ganz erfullt, und 
ihr intimer Verkehr mit der Journalistik brachte manche Unzukommlichkeiten 
mit sich. Brestel, ein braver, tiichtiger Mann, der Ordnung und Sparsamkeit 
als die Hauptrichtschnur seiner Finanzverwaltung aufstellte. Hasner, ein 
feiner Kopf, liberaler Doktrinar der guten Art, mehr Gelehrter als Politiker. 
Berger von ungewohnlicher Begabung, allzu kritisch, der nicht blofi die Fehler 
der Gegner, sondern auch die Schwachen der eigenen Partei erkannte. Der 
Ackcrbauminister Graf Potocki ein liebenswurdiger polnischer Grandseigneur 
ohne politische Klarheit, Graf Taaffe damals noch sehr jung und anfanglich 
ganz unter dem Einflufi Beusts. Mein Vater, der das Handelsministerium 
ubernommen hatte, hegte gleich von Anfang an Zweifel daruber, ob das neue 
Kabinett seine Einigkeit erhalten und das Vertrauen des Kaisers gewinnen 
werde. Er warf sich mit groflem Eifer auf sein neues Ressort, von dem ihn in 
erster Linie die Eisenbahnangelegenheiten am meisten anzogen. Er wollte 
zunachst eine Herabsetzung derTarife herbeifuhren, verhandelte daruber sowohl 
mit den alten Bahnen als den in der Sistierungsperiode konzessionierten, deren 
Konzessionen noch immer nicht parlamentarisch anerkannt waren, erreichte 
aber im Wege der Vereinbarung kein rechtes Resultat. An zwei Vorlagen der 
fniheren Regierung liber die bohmische Nordwestbahn (Prag — Komotau — 
Eger) und die osterreichische Nordwestbahn nahm er wesentliche Ande- 
rungen vor, erweiterte die Konzessionsbedingungen, um eine Konkurrenz 
von Offerenten herbeizufiihren. Im Abgeordnetenhaus und noch mehr in der 



302 



Plener. 



Presse arbeiteten die verschiedenen Konzessionswerber fur ihre Plane mit 
alien moglichen Mitteln. Der Handelsminister hatte einen schweren Stand, 
namentlich gegenuber der machtigen Gruppe der Staatseisenbahngesellschait, 
er liefi sich auch durch gehassige Zeitungsangriffe nicht irre machen und verlieh, 
nachdem er die Gesetzentwiirfe in seinem Sinn durchgebracht hatte, die eine 
Konzession an die Buschtiehrader Bahn, die andere an ein Konsortium Haber- 
Salm. Um seinen Bestrebungen fur Tarifermafligungen eine gesetzliche Waffe 
zu sichern, brachte der Handelsminister einen Gesetzentwurf ein, wonach 
Maximaltarifsatze gesetzlich festzustellen und Verhandlungen mit den Gesell- 
schaften iiber tunlichste Herabsetzung der Tarife einzuleiten waren. Sollte 
binnen einer bestimmten Frist keine Vereinbarung dariiber zustande kommen, 
so habe die Regierung ihre Vorschlage dem Reichsrat vorzulegen. Eisenbahnen, 
deren Tarife so im Gesetzgebungswege festgestellt wurden, haben Anspruch auf 
billige Entschadigung, sofern ihre Einnahme infolge der Tarifermafligung den 
Durchschnitt der letzten 7 Jahre nicht erreicht, iiber die Hohe der Entschadigung 
habe ein Schiedsgericht zu entscheiden. Der Entwurf, der vom privatrecht- 
lichen und individualistischen Standpunkt aus einigen Widerspruch fand, 
wurde von der groflen Mehrheit des Hauses angenommen, begegnete aber im 
Herrenhause grofiem Widerstand, Schmerling erklarte ihn fur eine Verletzung 
erworbener Rechte und der wirtschaftlichen Freiheit, er gehftre zur Kategorie 
der behordlichen Preistaxen usw. Der Handelsminister verteidigte den Entwurf 
mit grofier Warme, wies auf den gemeinwirtschaftlichen Charakter der Eisen- 
bahnen, deren privilegierte Stellung nur durch offentliche Leistungen zu recht- 
fertigen sei, und auf die Pflicht des Staates gegenuber dem ubermachtigen 
Kapital, fur die Interessen der Allgemeinheit einzutreten. Herbst unterstiitzte 
ihn sehr gut, aber trotzdem wurden die Abanderungsantrage Schmerlings ange- 
nommen, welche sowohl durch die Bestimmungen iiber die Entschadigung als 
durch die alternative Eroffnung des ordentlichen Rechtsweges die Bedeutung 
des ganzen Gesetzes wesentlich abschwachten, was wohl auch der Grund sein 
wird, warum das Gesetz nicht sanktioniert wurde. Ein Gesetz iiber die Handels- 
kammer, das heute noch die Grundlage dieser Institution ist, wurde unter all- 
gemeiner Zustimmung angenommen. Ebenso legte der Handelsminister den 
neuen Handelsvertrag mit dem Zollverein vor, der ohne Anfechtung votiert 
wurde. Ende Juni schlofi die Session, die fur das neue Ministerium erfolgreich 
verlief, die konfessionellen Gesetze hatten allgemeinen Beifall, und die Herren- 
hausdebatte dariiber gab Anlafl zu einer groflartigen Demonstration in Wien. 
Der Sommer liefi sich weniger gunstig an, der Episkopat lief Sturm 
gegen die kirchenpolitischen Gesetze, in Bohmen, wo die Czechen eine wilde 
Opposition machten, wurde der Ausnahmezustand verhangt, und in Galizien 
fiihrte die auf grofiere Autonomie abzielende Landtagsresolution und das 
gescheiterte Projekt einer Kaiserreise zu einer ernsten Verwicklung. Fiirst 
Auersperg, der iiberhaupt schon unzufrieden und mit der Einfiihrung der 
polnischen Gerichtssprache durch Herbst nicht einverstanden war, wobei 
ihm der Handelsminister zustimmte, gab seine Entlassung, namentlich als 
Beust einen dilettantischen Ausgleichsversuch in Prag auf eigene Faust 
unternommen hatte. Er schlug seinen Bruder Adolf als Nachfolger vor, den 
die iibrigen Minister nicht akzeptierten. Daraufhin wurde Taaffe provisorisch 
mit dem Vorsitz im Ministerrat betraut. Der Hauptgegenstand der Winter- 



v. Plcner. 



303 



session (1868/69) war das neue Wehrgesetz, das von einem kleinen, aber von 
Dr. Sturm sehr gut gefuhrten Teil der Verfassungspartei bekampft wurde. 
Herbst fiirchtete fiir seine Popularitat und gab plotzlich seine Entlassung, die 
iibrigen Minister hatten die groflte Miihe, ihn wieder davon abzubringen. Der 
Handelsminister brachte im Marz 1869 eine grofie Vorlage uber ein ganzes Netz 
neuer Bahnen ein, die Wunsche der Abgeordneten gingen aber so vielfach 
auseinander und noch uber die Vorlage hinaus, dafi sie nicht zustande kam, 
nur einige Linien wurden beschlossen: Ausbau der Franz- Josef -Bahn (Gmtind- 
Prag), Przemysl-Lupkow, Villach-Franzensfeste, St. Peter-Fiume u. a. Aufier- 
dem erhielt der Handelsminister die Ermachtigung, nicht garantierten Bahnen 
eine 30 jahrige Steuerbefreiung zu gewahren und so im administrativen Wege 
neue Linien ins Leben zu rufen. Eine sehr langwierige und unangenehme Ver- 
handlung war die Angelegenheit der sogenannten englischen Nachtragskon- 
vention. Das Sistierungsministerium hatte im Jahre 1865 einen Handels- 
vertrag mit England abgeschlossen, der durch das Zoll- und Handelsbundnis 
mit Ungarn gesetzlich rezipiert wurde und der bestimmte, dafi die osterreichi- 
schen Gewichtszolle die englischen Importe mit nicht hoher als mit 25 % und 
ab 1870 mit 20 % des Wertes der Ware treffen sollten. Zur erforderlichen 
Durchrechnung des Tarifs wurde eine Kommission eingesetzt, die begreiflicher- 
weise auf die groflten Schwierigkeiten stiefl, so dafi (8. September 1867) Beust 
und Becke eine neue Vereinbarung trafen, wonach fiir Baumwoll- und Schafwoll- 
waren die britischen Importeure die Wahl haben sollten, statt der Gewichts- 
zolle Wertzolle von 15 bis 20% bei Baumwolle und 15 % bei Schafwolle zu 
entrichten. Dies sollte nun in Form einer Nachtragskonvention als Zusatz 
zum Vertrag von 1865 formell festgelegt werden. Das osterreichische Ministerium 
weigerte sich, diesem Vorschlag zuzustimmen, der Handelsminister arbeitete 
selbst eine Denkschrift aus und wies nach, dafi alsdann alle wohlfeilen Waren 
nach dem Wertzoll behandelt werden mufiten. Die Englander genossen jetzt 
schon die ermafligten Satze des neuen Zollvereinsvertrags, hatten daher keinen 
Grund zur Beschwerde. In industriellen Kreisen und im Abgeordnetenhaus 
gab sich eine grofie Opposition gegen die Konvention kund, auf der andern Seitc 
wollte Beust um jeden Preis sein Wort gegenuber England einlosen. Der Han- 
delsminister vertrat den Standpunkt, dafi, wenn er die Nachtragskonvention 
dem Hause vorlege, er nicht dafiir eintreten werde, und wollte es ruhig auf 
ihre Verwerfung ankommen lassen. Das machte auf die bis dahin unnach- 
giebigen Englander doch einen gewissen Eindruck, es fanden neue Verhandlun- 
gen statt, der Handelsminister proponierte eine Herabsetzung der GewichtszOlle 
des Vertragstarifs auf Baumwollwaren und fiir gewalkte Schafwollwaren erst 
18 Gulden, ab 1872 15 Gulden. Diese Propositionen wurden vom Abgeordneten - 
hause zugleich mit der formellen Ablehnung der Nachtragskonvention ange- 
nommen, so dafi den Englandern nichts ubrig blieb, als sie in einem neuen 
Vertrag auch anzunehmen. So endete diese unerquickliche Angelegenheit mit 
einem Erfolg unsererseits. Im April 1869 vollzog sich im Schofie des Kabinetts 
eine interessante Personalveranderung. 

Anlafilich der Verhandlung des Verfassungsausschusses uber die galizische 
Resolution entstanden Differenzen im Ministerium, ein Teil, Taaffe und Berger 
waren mit Zustimmung Beusts fiir ein Entgegenkommen, wahrend namentlich 
Giskra einen ablehnenden Standpunkt vertrat. Diese internen Zerwiirfnisse 



304 



v. Plener. 



setzten sich wahrend der Osterferien in einer gereizten Zeitungspolemik fort, 
Organe, welche angeblich dem Minister des Innern nahestanden, griffen Taaffe 
heftig an, so dafi dieser plotzlich seine Demission gab, die der Kaiser nicht an- 
nahm, weil er Taaffe als Ministerprasidenten wGnschte. In einem Ministerrat 
unter Vorsitz des Kaisers, dem Taaffe nicht beiwohnte, sprachen sich alle Mi- 
nister, einschliefilich Giskra, fiir das Verbleiben und die eventuelle Prasident- 
schaft Taaffes aus. Der Handelsminister beantragte jedoch, um eine definitive 
Klarung der Situation herbeizufuhren, eine vorausgehende Abmachung mit 
Taaffe, insbesondere beziiglich der bohmischen Frage. Es wurde dabei folgendes 
festgestellt. I. Beseitigung jeder einseitigen Aktion des Ministerprasidenten in 
Fragen der inneren Politik und Vorbehalt der ErOrterung und Beschluflfassung 
des Ministerrats fiir diese Angelegenheiten. 2. Voile Kenntnis des Ministerrats 
fiir die Benihrungen des Ministerprasidenten mit dem Reichskanzler und dem 
ungarischen Ministerium. 3. Ablehnung jeder staatsrechtlichen Sonderstellung 
Bohmens, Aufrechterhaltung des Gleichgewichts beider VolksstSmme, Fort- 
setzung der landtaglichen Tatigkeit auch bei fortdauernder Abstinenz der 
Czechen, Sanktionierung der letzten Landtagsbeschliisse (Trennung der techni- 
schen Hochschule u. a.). 4. Annaherungsversuche beider Parteien in BOhmen 
seien nicht auszuschliefien, allein die loyale Losung der bOhmischen Frage konne 
nur auf dem Boden des Landtags erfolgen, dann konne eine Anderung der Wahl- 
ordnung in Verhandlung genommen werden. 5. Kundgebung des politischen 
Standpunktes der Regierung in der Thronrede am Schlufi der Session. 6. Noch 
einige Punkte in betreff der Staatspolizei und Preflleitung. Der Handelsminister 
fiihrte die ganze Verhandlung, auch jene mit Taaffe, erstattete dem Kaiser 
daruber Vortrag, und so erfolgte am 17. April 1869 die Ernennung Taaffes zum 
Ministerprasidenten. Der Kaiser war iiber das Resultat sehr befriedigt, aber 
auch Giskra und Herbst gaben sich zufrieden, sie sahen schliefilich ein, dafl 
unter den gegebenen Verhaltnissen jeder von ihnen als Ministerprasident un» 
moglich gewesen ware und dafl Taaffe andrerseits nicht ein leitender Minister- 
prasident sein wurde, jeder Dritte aber nur eine StSrung verursacht hatte. 
Am 15. Mai 1869 wurde die Session mit einer Thronrede geschlossen, welche 
nach anerkennender Aufzahlung der groflen Leistungen der fast zweijahrigen 
Session am Schlufi die Verfassung als den einzig richtigen und legalen Boden 
fiir alle Verstandigungsversuche bezeichnete, die Minister wurden dekoriert, 
und so schien fiir einen Moment die Lage des Ministeriums befestigt. Der Han- 
deslminister versuchte damals staatliche Verwaltungsrate in die Eisenbahn- 
gesellschaften zu bringen, weil die landesfiirstlichen Kommissare zur Wahrung 
der staatlichen Interessen ganz ungeniigend waren. Die Bahnen waren be- 
greiflicherweise dagegen, aber in der groflen Offentlichkeit wurde der Plan gut 
aufgenommen. In volkswirtschaftlicher Beziehung war damals ein grofler 
Aufschwung, allerdings begann auch eine grofle Spekulation in alien Papieren. 
Der Eisenbahnbau schritt vorwarts, und der Handelsminister konnte zu seiner 
groflen Genugtuung bereits sechs Konzessionen an ungarantierte Bahnen nur 
mit Steuerbefreiung verleihen. Im Sommer iibernahm er in Abwesenheit 
Brestels auch die Leitung des Finanzministeriums. Im Juli machte er eine 
kleine Reise nach Tirol, um den Brenner und Arlberg zu besichtigen, als er 
bei dieser Gelegenheit den schlechten Zustand der Stilfser Jochstrafle, die durch 
den Krieg von 1866 so sehr gelitten hatte, sah, veranlaflte er die vollige Wieder- 



v. PleDer. 



305 



herstellung dieser schonsten Gebirgstrafle. Unterdessen fand der Prozefl gegen 
den Linzer Bischof Rudigier und dessen rasche Begnadigung statt. Als mein 
Vater zum Eisenbahnkongrefi nach Wien zuriickkehrte, wurde die Frage der 
Auflosung des verfassungstreuen bohmischen Landtags aufgeworfen, aber von 
Herbst, Giskra, Hasner und P. auf das entschiedenste abgelehnt. In der bohmi- 
schen Frage war mein Vater immer unbeugsam, er verwarf alle unklaren Aus- 
gleichsideen. Ende August besuchte er mich in London, ging nach Hastings 
ins Seebad und machte dann mit mir eine kleine Exkursion nach Schottland, 
nach alien Anstrengungen tat ihm die Erholung wohl, und die neuen Eindriicke 
interessierten ihn auflerordentlich. Ich ging in Urlaub mit ihm nach Wien 
zuriick, wo die Orientreise des Kaisers zur Feier der Eroffnung des Suezkanals 
vorbereitet wurde. Der Reichskanzler Beust, der ungarische Ministerprasident 
Graf Andrassy und der osterreichische Handelsminister wurden zur Begleitung 
Seiner Majestat berufen. Er sowie alle Teilnehmer waren entztickt uber die 
wechselnden Bilder dieser schonen Reise, auf der er den Plan zur Erwerbung 
Korfus fiir Osterreich faflte, aber leider hierfur kein Verstandnis fand. 

Das Ministerium war durch den dalmatinischen Aufstand erschiittert, 
aber noch mehr Schwierigkeit brachte die Frage der Wahlreform. Im Kabinett 
herrschte Zwiespalt dariiber; wahrend die verfassungstreue Mehrheit fiir die 
direkten Reichsratswahlen eintrat, wollte die Minderheit (Taaffe, Potocki, 
Berger) sie nur in Verbindung mit politischen Konzessionen an die Foderalisten 
gewahren. Mit grofler Miihe wurde die Thronrede festgestellt, welche die beiden 
verschiedenen Strdmungen tiberbriicken sollte, aber den Standpunkt der Ver- 
fassung scharf betonte. Der Kaiser sah den Zwiespalt im Ministerrat mit Un- 
zufriedenheit und drangte auf eine Klarung der Situation. Daraufhin verfafite 
die Majoritat (Herbst, Hasner, Giskra, Plener, Brestel) ein Memorandum, in dem 
sie, wohl etwas uber die versohnliche Sprache der Thronrede hinausgehend, die 
Notwendigkeit der Erhaltung der einheitlichen Verfassung in die allererste Linie 
stellte und sich gegen Konzessionen an den Faderalismus aussprach, aber auch 
vor kleineren Maflregeln warnte, welche entweder die Macht in die Hande der 
Foderalisten legen oder nur uber die Verlegenheiten des Augenblickes hinweg- 
helfen wurden. Am Schlusse stellten die Unterzeichner des Memorandums 
Seiner Majestat ihre Portefeuilles zur Verfiigung. Der Kaiser gab dieses Me- 
morandum der Minoritat zur AuOerung, die, von Berger verfaflt, sehr gereizt 
ausfiel und mehr eine Polemik und Vorwurfe als ein klares Gegenprogramm 
enthielt. Die MinoritStsminister wollten ihre Zustimmung zu den direkten 
Reichsratswahlen von Zugestandnissen an die nationale Opposition abh&ngig 
machen, ohne diese aber irgendwie zu bezeichnen. Am Schlusse baten auch sie 
im Interesse einer einheitlichen Politik um ihre Entlassung (26. Dezember 1869). 
Angesichts dieses Zwiespalts war die Krone in schwieriger Lage, fiir den Moment, 
hiefl es, sollte die Adreflverhandlung in beiden Hausern abgewartet werden, 
sowohl im Herrenhaus als im Abgeordnetenhause lagen Adrefientwiirfe im 
Sinne der Majoritat des Ministeriums vor, nun wurde zunSchst, um dem even- 
tuellen Austritt der Minoritat einen etwas besseren politischen Anschein zu 
geben, in beiden Hausern daran gearbeitet, die parlamentarische Minderheit 
etwas zahlreicher zu gestalten, was nattirlich wieder eine Gegenaktion der 
andern Seite hervorrief, die den Minoritatsministern das Abschwenken von der 
Verfassung vorwarf. Um sich gegen diese Vorwiirfe zu rechtfertigen, drangte 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutichcr Nekrolog. x6. Bd. 20 



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v. Plener. 



nun die Minoritat auf die Veroffentlichung der Memoranden, ein Schritt, den 
mein Vater in einem seiner Brief e an mich als eine Herabsetzung jeder Re- 
gierungsautoritat bezeichnete, ,,der uns alle unmoglich macht" (12. Januar 
1870). Die Memoranden wurden publiziert, bevor die Adrefldebatten in beiden 
Hausern beendigt waren, und bildeten begreiflicherweise den Hauptgegenstand 
aller Redner, welche mit Behagen die Polemik der Minister nunmehr par- 
lamentarisch vor der Offentlichkeit weiterspannen. Angesichts der Haltung der 
Mehrheit beider Hauser nahm die Krone das Entlassungsgesuch der Minoritats- 
minister an und beauftragte den Handelsminister, Vorschlage zur Rekonstruk- 
tion des Ministeriums zu machen. Mein Vater hatte in den nun folgenden Be- 
sprechungen mit seinen Kollegen nur unangenehme Eindriicke, Giskra und 
Herbst waren eigensinnig und unvertraglich und dabei abhangig von allerlei 
journalistischen Ratschlagen. Schliefllich einigte man sich, den Oberland- 
marschall von Bohmen, Fiirst Adolf Auersperg, zum Ministerprasidenten vor- 
zuschlagen. Dieser verlangte die Entfernung Giskras vom Ministerium des 
Innern, fur welches er Lasser vorschlug, und erklarte auflerdem, dafl er mit 
meinem Vater nicht zusammengehen konne, weil dieser im Jahre 1868 beim 
Riicktritt seines Bruders, des Fursten Karl Auersperg, sich ganz entschieden 
gegen seine Kandidatur ausgesprochen habe. Mein Vater leugnete dies auch 
gar nicht, da erdamalsdiese Berufung fur nicht empfehlenswert angesehen habe, 
und erklarte, dafi er unter diesen Umstanden der neuen Kombination fern- 
bleiben werde. Unterdessen aber hatten die ubrigen Minister die Forderungen 
Auerspergs abgelehnt, und damit war diese Episode beseitigt. Die Minister be- 
schlossen nun, den Prasidenten nur aus sich zu wahlen, die Beratungen iiber die 
Kirchenpolitik und iiber Bohmen brachten nur unangenehme Auseinander- 
setzungen, die meinem Vater immer mehr die Oberzeugung bestarkten, dafl 
,,mit seinen Kollegen eine gedeihliche Regierung nicht moglich sei" (Brief vom 
26. Januar 1869), Nun wurde Hasner als President, Graf Wrbna als Ackerbau- 
minister, Glaser als Unterrichtsminister und Unger als Minister ohne Porte - 
feuille proponiert. Wrbna lehnte sofort ab, die beiden letzteren verlangten 
als Bedingung ihres Eintritts ein definitives Abkommen mit Beust, damit die 
bisherigen inneren Kampfe aufhoren sollten, ferner hielten sie Giskra und Herbst 
wegen ihrer Heftigkeit uberhaupt, den ersteren aber fur das Ministerium des 
Innern als besonders ungceignet und wollten daher in kein Kabinett mit diesen 
beiden eintreten. So blieb nichts iibrig als ein letztes Flickwerk, Stremayr 
erhielt den Unterricht und Bauhaus den Ackerbau. Die Krone gab zwar ihre 
Zustimmung zur Wiedereinsetzung der Minister, bewilligte schliefllich auch die 
Cbertragung der Polizei an das Innere, sah aber die ganze neue Kombination 
nur als ein der Stimmungder Majoritat beider Hauser zugestandenes kurzfristiges 
Auskunftsmittel an, das noch die Votierung des Budgets ermoglichen sollte. 
Mein Vater hielt schon damals die Partie fur verloren. Ein Verstandigungs- 
versuch mit den Czechen scheiterte, die Schwierigkeiten in der Wahlreform 
brachten die Resignation Giskras, der dieselben eigentlich mehr als einen 
guten Anlafl benutzte, um aus seiner unhaltbaren Stellung herauszukommen. 
Die Regierung brachte noch das Budget, der Handelsminister im Verein mit dem 
Justizminister ein Arbeiterkoalitionsgesetz durch, dann legte er noch einige 
Eisenbahnprojekte Beskid-Stryj und Predilbahn vor, aber das Schicksal des 
Ministeriums war besiegelt, im Abgeordnetenhause herrschte die groflte Un- 



v. Plener. 



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einigkeit uber die direkten Wahlen, so dafi an eine Zweidrittelmehrheit dafilr 
nicht zu denken war, die Polen, Slovenen, Tiroler verlieflen den Reichsrat, 
die Krone verhielt sich gegen Ministerium und Wahlreform zuriickhaltend, und 
als sie den Antrag auf AuflSsung der renitenten Landtage ablehnte, gab das 
Ministerium endlich am 3. April 1870 seine Entlassung. 

Graf Potocki, der unter der Agide Beusts das neue Kabinett bildete, forderte 
meinen Vater wiederholt auf, in dasselbe einzutreten, er bot ihm das Finanz- 
portefeuille mit der Leitung des Handelsministeriums an. Mein Vater lehnte ab, 
wenn er auch den guten Willen Potockis, an der Verfassung festzuhalten, nicht 
verkannte, so waren ihm seine unklaren Ausgleichsgedanken antipathisch, ins- 
besondere aber der Eintritt Petrinos, eines der heftigsten Gegner der bestehenden 
Verfassung. Darauf kam Beust und Taaffe mit derselben Einladung, und um 
meinen Vater starker zu beeinflussen, bot man ihm zugleich die Kanzlerstelle 
des Leopoldordens an, er blieb fest und lehnte wieder ab. Noch einmal kam der 
Generaladjutant des Kaisers, Bellegarde, um ihn zu iiberreden, erhielt aber 
dieselbe Antwort. Die unangenehmen personlichen Erfahrungen, die er in der 
letzten Zeit mit seinen Parteigenossen gemacht hatte, vermochten doch nicht 
seine feste politische Cberzeugung und seinobjektivesUrteil uber die Richtigkeit 
einer verfassungsmafligen, staatseinheitlichen Politik zu erschuttern. Trotz 
seiner Ablehnung blieb er mit Beust, Potocki und Taaffe auf gutem FuBe, 
wahrend er 1865 mit Beleredi gar keinen personlichen Verkehr pflegte. 

Potocki, der urspriinglich den bohmischen Landtag nicht auflosen wollte, 
gab schliefllich dem Drangen der Czechen und des konservativen Grofigrund- 
besitzes nach und loste ihn doch auf. Mein Vater, der kurze Zeit mit mir in 
Blankenberghe war, ging nach Eger und wurde dort wieder gewahlt. Der nun 
in seiner Mehrheit foderalistische Landtag wiederholte den staatsrechtlichen 
Standpunkt der Deklaration und wollte hochstens eine auficrordentliche Reichs- 
ratsbeschickung zum Zwecke der Abanderung der Verfassung in dem Sinne zu- 
gestehen, dafi die Delegation unmittelbar aus dem Landtag zu wahlen sei. Auf 
Ersuchen der deutschen Partei gi-ng mein Vater nach Wien, um Potocki den 
Ernst der Lage zu schildern, fand jedoch bei ihm sowie bei Beust und Taaffe 
vollige Ratlosigkeit, hochstens direkte Notwahlen im Falle der Nichtbeschickung 
des Reichsrats wollte man in Aussicht nehmen. In der Adrefldebatte sprach 
mein Vater fiir die Beschickung des Reichsrats und gegen den staatsrechtlichen 
Standpunkt der Majoritat. Die Verhaltnisse in Prag warcn ihm wegen der 
neuen undisziplinierten Elemente weniger angenehm als fruher. Der Landtag 
wurde vertagt und direkte Notwahlen ausgeschrieben. So sehr ihn der deutsch- 
franzosische Krieg beschaftigte, trieb er daneben wissenschaftliche Lekture, 
Gindelys Dreifiigjahrigen Krieg und Haeckels natiirliche Schopfungsgeschichte 
las er im Sommer 1870, anlafilich des letzteren Buches schrieb er unter anderem: 
,,Naturwissenschaftliche Forschungen sind eine gute Korrektur der abstrakten 
Ausschweifungen mancher Philosophen, sie bringen aber die Gefahr, die Ent- 
wicklung des Menschen sowohl im einzelnen als im ganzen weniger aufmerksam 
zu betrachten, und doch ist der Fortschritt der Menschheit in der historischen 
Zeit, ja die Wandlung und Klarung, die der einzelne von seiner Jugend durch 
die verschiedenen Lebensalter bis ins Alter durchmacht, zum mindesten ebenso 
interessant als der Entwicklungsgang von der Qualle bis zum Wirbeltier". 
Ein anderes Mai schrieb er mir: ,,In den Vorstellungen ,,Allgemeines" unci ,,Bc- 



308 



v. Plener. 



sonderes" liegen die allein praktischen Kardinalpunkte zum leidlichen Philo- 
sophieren. Zumeist siegt das Allgemeine, manchmal kommt das Besondere zum 
Siege und wird dann selbst zum Allgemeinen, so im Staate, bis wieder durch 
Demokratie ein neues Allgemeines sich durchsetzt. Selbst gegeniiber der Natur 
sind es oft Einzelpotenzen, welche die grofie Naturkraft bemeistern, so bei 
Erfindungen, werden diese Gemeingut, so treten sie in die Kategorie des Allge- 
meinen. Durch die Welt geht der dunkle Drang, das Allgemeine zu verehren, 
der einzelne dankt ihm so manches Gute, dafi er ihm auch die grofiten Opfer 
bringt." Die direkten Notwahlen brachten ihn wieder ins Abgeordnetenhaus, 
wo er Obmann des Finanzausschusses wurde. Das Ministerium war mit seinen 
gutgemeinten, aber unklaren Ausgleichsplanen gescheitert, Potocki gab im 
November 1870 seine Demission, die zunachst nicht angenommen wurde, 
mehrere Rekonstruktionsversuche mifilangen, meinem Vater wurde neuerlich 
das Finanzministerium und die Vizeprasidentschaft im Ministerrat angeboten, 
die er ablehnte. 

In der Delegation sprach er (Januar 1871) fur den Frieden und Neutralitat, 
er mifibilligte die Abstrichantrage seiner Parteigenossen am Kriegsbudget und 
die gehassige retrospektive Kritik der Politik Beusts, er hielt es dem Ansehen 
der Monarchic fur schadlich, nachtraglich alle begangenen Fehler aufzurollen, 
ebenso fand er keinen Geschmack an den Angriffen Herbsts gegen Beust wegen 
dessen angeblicher Einmischung in die innere Politik. Die Haltung der liberalen 
Fuhrer in der Delegation machte auf die Krone den unglinstigsten Eindruck, 
so dafi die Versuche Beusts, ein Ministerium Koller-Plener zu ermoglichen, 
ganz erfolglos blieben und ohne dessen Wissen plotzlich die Kombination 
Hohenwart erschien. Mein Vater war nicht sogleich im Anfang fur eine 
Stofitaktik gegen das neue Ministerium, die nicht zu dessen Sturz, wohl 
aber zur Auflosung des Abgeordnetenhauses und vermutlich zu einer fodera- 
listischen Mehrheit gefiihrt haben wurde. Er meinte, das Ministerium werde an 
seinem eigenen unmoglichen Programm der Erweiterung der Landerautonomie 
in Verbindung mit der Erhaltung der Verfassung scheitern und dann durch 
ein gemafiigtes, verfassungstreues Kabinett abgelost werden. Da er die Partei - 
taktik, sich gleichzeitig mit alien zu verfeinden, nicht billigte, wollte er eine 
Annaherung an die Polen herbeifiihren und unterstiitzte gegen die Majoritat 
der Verfassungspartei das galizische Eisenbahnprojekt Beskid-Stryj. Aui 
Ersuchen Hohenwarts fand bei meinem Vater eine vertrauliche Besprechung 
statt (18. Marz 1871), zu der Lasser, Herbst und Brestel erschienen. Hohenwart 
erklarte, keineswegs den Konflikt zu suchen, eventuell gar keine autonomisti- 
schen Vorlagen einzubringen, wenn er fur die laufenden Staatsgeschafte der 
Unterstiitzung des Abgeordnetenhauses sicher ware, eine Auflosung beab- 
sichtige er nur im Falle der Rekruten- und Budgetverweigerung, im ganzen 
machte er den Eindruck der Unklarheit, die Besprechung hatte kein praktisches 
Resultat. In der Partei herrschte Uneinigkeit, die einen wollten den Kampf 
auf der ganzen Linie, die andern, darunter mein Vater, empfahlen eine Politik 
der Defensive. Die Steuern wurden schliefilich monatsweise bewilligt, ebenso 
auch die Rekrutenaushebung. Aber die Ungeduld wuchs in der Partei, Herbst 
hatte sich zuerst sehr energisch gegen die Erlassung einer Adresse ausgesprochen, 
plotzlich sattelte er um und befiirwortete unter dem Einflufi seiner journalisti- 
schen Ratgeber nunmehr einen solchen Schritt, der gar keine Wirkung erzielte. 



v. Plener. 



309 



Nun kam es zur Budgetberatung. Der FinanzausschuB, dessen Obmann mein 
Vater war, beantragte durch seinen Berichterstatter Brestel die Annahme des 
Finanzgesetzes. In der Linken, die durch die kiihle Antvvort auf die Adresse 
irritiert war, wurde der Plan aufgeworfen, das Budget zu verweigern. Mein 
Vater, der iiberhaupt mit der Fuhrung der Partei durch Herbst sehr unzu- 
frieden war und der von seinem allgemeinen gouvernementalen Standpunkt 
einen solchen Schritt nicht gern sah, in jenem Moment aber entschieden als 
verfrtiht erklarte, sprach sich in der Parteiberatung dagegen aus, weil er Hohen- 
wart nicht den Anlafi zur Auflosung und zu Neuwahlen bieten wollte, man 
miisse das Abgeordnetenhaus in seiner gegenwartigen Zusammensetzung er- 
halten, um jede Zweidrittelmehrheit zugunsten einer Verfassungsanderung zu 
verhindern. Nun wurde eine grofie Pression auf ihn ausgeiibt, sich der Partei 
anzuschlieflen, auch von einigen seiner Wahler erhielt er die Aufforderung, in 
diesem Sinn vorzugehen. So peinlich ihm diese Lage war, so hielt er es doch fiir 
das Ehrenhafteste, bei seiner einmal ausgesprochenen Meinung zu bleiben, sie 
ftffentlich zu vertreten und vor der Abstimmung sein Mandat niederzulegen. 
So hielt er es auch. In der Debatte beantragte F. Grofl, derzeit in die Budget- 
beratung nicht einzugehen. Mein Vater wandte sich in seiner Rede zuerst 
scharf gegen die Politik Hohenwarts, bezeichnete aber dann den Vertagungs- 
antrag als eine platonische Steuerverweigerung, wolle man die Bevolkerung 
zur Steuerverweigerung treiben, dann mufite man den Mut haben, dies auch 
offen auszusprechen, so aber wurde die Regierung auch nach Annahme jenes 
Antrags ruhig die Steuern weiter einheben und den Reichsrat schliefien. Der 
Antrag wurde abgelehnt, gegen ihn stimmte die Rechte, der verfassungstreue 
Groflgrundbesitz, Lasser, Chlumecky u. a. Der Berichterstatter Brestel ent- 
fernte sich bei der Abstimmung, und bei der dritten Lesung des Finanzgesetzes 
stimmte er ruhig fiir das Budget. Die Haltung meines Vaters wurde allgemein 
als korrekt anerkannt, er beugte sich nicht der Parteidisziplin, bekannte offen 
seine Cberzeugung und nahm die Folgen seines Vorgehens auf sich. Er ver- 
sandte eine nicht fiir die grofie Offentlichkeit bestimmte Denkschrift an seine 
Wahler, die nicht so sehr eine personliche Rechtfertigung war als eine Darstellung 
der allgemeinen Lage und eine Kritik der Parteileitung. Er ging dann ins Seebad 
nach Blankenberghe, wo wir zusammentrafen, in der Folge einige Zeit in Reichen- 
hall zubrachten und unter anderem miteinander den Dachstein bestiegen. Die 
Wiedereinberufung des bohmischen Landtages und die nunmehr offenkundige 
verfassungswidrige Politik Hohenwarts fiihrte ihn zuerst nach Eger, wo er sich 
mit seinen Wahlern in vollkommen befriedigender Wcise auseinandersetzte, 
und dann nach Prag, wo alsbald das Reskript an den Landtag erlassen wurde 
(September 1871), welches das bohmische Staatsrecht anerkannte und fiir 
Bohmen die geltende Verfassung iiberhaupt als nicht definitiv zu Recht bestehend 
erklarte. Dieser direkte Angriff gegen die Verfassung fand meinen Vater sofort 
in der ersten Linie der Gegner, er war es, der in der Parteiversammlung den 
Antrag stellte, die Deutschen mogen mit einem Protest gegen den staatsrecht- 
lichen Inhalt des Reskriptes den Landtag verlassen und an dessen weiteren 
Verhandlungen nicht mehr teilnehmen. Der weitere Verlauf ist bekannt, die 
vom czechischen Grofienwahn eingegebenen Fundamentalartikel erregten einen 
allgemeinen Sturm, der das Ministerium Hohenwart wegfegte und zur Ein- 
setzung eines verfassungstreuen Ministeriums Auersperg fiihrte. 



3io 



v. Plener. 



Im Dezember 187 1 wurde mein Vater wieder ins Abgeordnetenhaus gewahlt, 
wo er wieder Obmann des Finanzausschusses wurde. Aufierdem war er um den 
Gesetzentwurf uber die Erwerbs- u. a. Wirtschaftsgenossenschaften bemtiht, 
den er schon 1869 als Handelsminister eingebracht hatte, der aber jetzt erst zur 
Verabschiedung gelangte. An dem Manover uber die galizische Resolution 
nahm er nicht teil. Nach Auflosung des bohmischen Landtags war er in VVahl- 
angelegenheiten wiederholt in Prag, wie er denn immer an den deutsch -bohmi- 
schen Dingen das starkste Interesse nahm und auch in Wien in dem Notstands- 
komitee anlafilich der grofien Wasserschaden in Bohmen tatig war. Er war 
auch Obmann der Finanzsektion der Wiener Weltausstellung, deren Gebarung 
ihm aber nicht gefiel. Als der neue bohmische Landtag ihn wieder ins Abge- 
ordnetenhaus gewahlt hatte, liefi er sich nicht mehr in die Delegation wahlen, 
die Haltung Herbsts in dieser KOrperschaft war ihm zu antipathisch. Im 
Sommer war er mit mir langere Zeit auf Helgoland, von dort gingen wir nach Tirol, 
wo er mich ein grofies Stuck auf den Ortler begleitete. Im Dezember 1872 
gelang es ihm, im bohmischen Landtag einen bedrohlich aussehenden Konflikt 
zwischen der deutschen Partei und dem verfassungstreuen Groflgrundbesitz tiber 
die Schulaufsicht durch die in den Ortsschulrat gewahlten Geistlichen beizu- 
legen. Im Winter 1872 fanden bei Minister Lasser vertrauliche Konferenzen 
liber die Reichsratswahlreformen statt, bei denen mein Vater den Plan der Re- 
gierung auf gleichzeitige Vermehrung der Sitze des Grofigrundbesitzes gegen 
Herbst unterstutzte, alle iibrigen Deutschbohmen schlossen sich gleichfalls dieser 
Ansicht an, Herbst und Giskra blieben ganz isoliert und gaben dann in einigen 
Wochen nach. Schliefilich ging die Wahlreform mit den direkten Reichsrats- 
wahlen glatt durch, der Reichsrat war damit von der Abhangigkeit von den 
Landtagen befreit, woriiber mein Vater sehr erfreut war. Im Marz 1873 nahm er 
an der Abwehrbewegung gegen ein ungarisches Projekt einer Emission von zur 
Zirkulation bestimmten Kassescheinen durch eine ungarische Bank teil, wo- 
durch die Einheit der Wahrung bedroht worden ware. Im Friihjahr ging er 
nach einer Parteiversammlung in Prag zum Parteitag nach Teplitz, wo zu seinem 
grofien Mifivergniigen die sogenannten „Jungen 41 einen Vorstofl gegen die 
deutschbohmische Parteileitung unternahmen, aber keinen Erfolg erzielten. 

Das Abgeordnetenhaus war inzwischen aufgelost worden, mein Vater 
bewarb sich um keine Wiederwahl mehr, verwendete vielmehr all seinen Einflufl, 
um meine Wahl an seiner Stelle durchzusetzen. Er selbst wurde im Oktober 
l873insHerrenhausberufen und war ganz zufrieden, aus den ihm unangenehmen 
Parteiverhaltnissen des Abgeordnetenhauses loszukommen, im bohmischen 
Landtag blieb er noch einige Jahre bis zum Ablauf von dessen Wahlperiode. 
Das Herrenhaus war ihm sehr angenehm, die individuelle Meinungsauflerung 
hat dort viel mehr Freiheit, und kein Cliquenwesen beeintrachtigte die par- 
lamentarische Betatigung. Im Dezember 1873 sprach er zugleich mit Schmerling 
sich gegen die infolge des Krachs popular gewordene Hetze gegen die B6rse 
Iiberhaupt aus und wies auf deren Zusammenhang mit der Industrie, dem Ver- 
kehrswesen und der allgemeinen Volkswirtschaft hin. Im ganzen sprach er nicht 
oft im Herrenhaus, das damals iiberhaupt wenig grdflere Debatten fiihrte, in 
den Kommissionen war er sehr tatig und verfolgte iiberhaupt alle politischen 
Vorg&nge mit grofler Aufmerksamkeit, zugleich nahm er das grofite Interesse 
an dem Beginn meiner parlamentarischen Laufbahn, die er mit lebhafter Teil- 



v. Plener. 



311 



nahme begleitete. Im Jahre 1877 kam im Herrenhaus ein vom Abgeordneten- 
haus beschlossener Gesetzentwurf iiber eine partielle Reform des Ehegesetzes 
zur Beratung, der die Ehehindernisse der Religionsverschiedenheit und der 
Priesterweihe aufhob und fiir solche von Katholiken geschlossenen Ehen das 
protestantische Eherecht mit Auflosbarkeit des Ehebundes eintreten lassen 
wollte; dieser widerspruchsvolle Entwurf wurde durch die Kommission des 
Herrenhauses gesetzgeberisch noch mehr entstellt, indem sie sich auf die Auf- 
hebung des Ehehindernisses der Priesterweihe beschrankte, so dafi alle Welt 
damit unzufrieden war. Mein Vater trat fur eine Resolution ein, die den Ent- 
wurf ablehnte und eine allgemeine materielle Reform des Eherechts verlangte 
und die auch von der grofien Mehrheit des Hauses angenommen wurde. Die 
Erneuerung des ungarischen Ausgleiches fiihrte ihn wieder in die Deputation, 
wo er den osterreichischen Standpunkt energisch vertrat, in der Vollberatung 
sprach er sich in einer sehr wirksamen Rede gegen den Bankdualismus, nament- 
lich gegen die t)berlassung der Kreditgewahrung an die beiden Direktionen aus, 
wobei noch fiir Ungarn ein fixes Kreditkontingent festgesetzt werden sollte, 
ebenso wandte er sich in einer Rede iiber die Quote, im Juni 1878, nicht gegen 
den politischen Dualismus, aber gegen die Instabilitat des finanziellen und wirt- 
schaftlichen Verhaltnisses zu Ungarn. Die neue Verzehrungssteuerrestitutions- 
berechnung sei eine Mehrbelastung Osterreichs, die man als Preis gegen die Zu- 
stimmung Ungarns zu einer Stabilitat des ganzen Verhaltnisses gewahren 
konnte, aber ohne diesen Zusammenhang nur eine Verschlechterung des ohne- 
dies unbefriedigenden status quo bedeute. Das Regime Taaffe brachte ihn und 
Schmerling in eine allgemeine oppositionelle Haltung. Im Mai 1880 war eine 
grofie Budgetdebatte im Herrenhaus, in der mein Vater eine politische Opposi- 
tionsrede gegen Taaffe, gegen dessen System der nationalen Konzessionen und 
gegen die bohmische Sprachenverordnung hielt. Im Mai 1 88 1 sprach er sehr 
wirkungsvoll gegen die provisorische Regelung der Grundsteuer, wodurch den 
begiinstigten Landern vor Entscheidung der Reklamationen sofort Nachlasse 
gewahrt wurden, wahrend die ubrigen Lander und der Staatsschatz empfindlich 
geschadigt wurden. Die Mehrheit war aber schon nicht mehr gegen die Re- 
gierung vorhanden, einen kleinen Erfolg erreichte er noch gegen das Mini- 
sterium mit dem Antrag auf Vertagung der Beratung des Kredits fiir die bohmi- 
sche Universitat bis zur Beschlieflung des Universitatsgesetzes selbst, bald aber 
hatten neue Ernennungen und die Bildung der Mittelpartei die Mehrheit des 
Herrenhauses umgewandelt. Bei Beratung der Verstaatlichung der Westbahn 
verlangte er neue Verhandlungen mit der Gesellschaft, um die Option auf Gold- 
prioritaten aus dem Obereinkommen zu entfernen (Dezember 1881). Im Februar 
1883 sprach er gegen das reaktionare Gewerbegesetz und den Befahigungs- 
nachweis, wie er denn iiberhaupt immer eine liberale Wirtschaftspolitik vertrat. 
Nachdem er schon friiher gegen das Sperrgesetz fiir Kaffeezolle und iiber den 
Petroleumzoll gesprochen hatte, hielt er im Mai 1888 eine grofle Rede iiber den 
Zolltarif und die Getreidezolle, in der er gegen die Obertreibung der Schutzzfille 
warnte. Als der Justizminister eine neue Sprachenverordnung erliefi, wodurch 
praktisch die czechische Sprache in den inneren Dienst des Prager Oberlandes- 
gerichts eingefiihrt wurde, brachte Schmerling einen Antrag dagegen ein, und 
in der darauf folgenden grofien Debatte, an der die besten Redner des Herren- 
hauses teilnahmen (Mai 1887), hielt auch mein Vater eine langere Rede nicht 



312 



v. Plener. 



blofl gegen jenen Erlafl, sondern auch gegen das ganze Regierungssystem und 
gegen die Zuruckdrangung des Deutschen in Bohmen. Noch als Achtzigjahriger 
brachte er (im Mai 1890) eine mit allgemeinem Beifall aufgenommene Ver- 
wahrung gegen die von dem Obmann des Polenklubs im Abgeordnetenhaus 
erhobenen Angriffe gegen die friiheren osterreichischen Beamten in Galizien vor t 
welche dort zuriickzuweisen die Regierung unterlassen hatte x ). 

In den folgenden Jahren sprach er nur selten in der Vollversammlung, 
woran auch eine zunehmende SchwerhOrigkeit schuld trug, dagegen war er bis 
zu seiner letzten Krankheit fleifiig und eifrig in den Kommissionen, er besafi 
ein grofies Talent zur Leitung von Ausschuflverhandlungen, seine personliche 
Autoritat und der allgemeine Respekt gaben ihm eine beinahe einzige Stellung, 
und sowohl friiher im Abgeordnetenhaus als spater im Herrenhaus liefien sich 
die Kommissionsmitglieder von ihm manche sehr stramme Handhabung der 
Prisidialgewalt ruhig gefallen, die sie von einem andern nicht so leicht hinge- 
nommen hatten. 

Als tiichtiger Beamter begann er seine Laufbahn, hatte dann als Finanz- 
minister unter den ungtinstigsten Verhaltnissen schwere Zeiten durchzumachen, 
verlor aber dabei nicht seine Laune, das spatere parlamentarische Leben regte 
ihn an, und seine zweite Ministerschaft gab ihm, was sein Ressort betraf, ange- 
nehme Genugtuung, fiir den volkstiimlichen Parteimann war er nicht geschaffen, 
dazu war er zu sehr von der staatlichen Autoritat erfiillt und lernte die Schwachen 
des Parteilebens zu genau und immer mehr erkennen, trotzdem blieb sein Inter- 
esse an offentlichen Dingen bis zuletzt wach. Als Politiker war er ein uner- 
schiitterlicher Anhanger der Staatseinheit, iiber die er kein Transigieren zuliefl, 
ein aufgeklarter Altosterreicher mit josefinischem Einschlag, ein aufrichtiger 
Forderer des Konstitutionalismus, den er als im Interesse des Staates 
gelegen ansah. 

Seine Lebensfuhrung war hochst einfach und bescheiden, er war nicht 
ungesellig, er verkehrte leicht mit Bekannten, nahm oft Einladungen an, ging 
gern ins Burgtheater und hatte eine Vorliebe fiir alte Wiener Stiicke, namentlich 
fur jene von Raimund. Der Aufenthalt an der See oder im Gebirge war fiir ihn 
nicht bloB eine korperliche Erholung, sondern auch ein allgemeiner GenuB, 
namentlich hatte er eine Passion fiir Bergtouren und unternahm noch im hoch- 
sten Alter von Gastein und Windischgarsten ganz respektable Besteigungen. 
Seine Gesundheit war immer gut, seine Vitalitat, die er wohl von seiner Mutter 
geerbt hatte, mufl auBerordentlich groB gewesen sein, da wenige Menschen, 
die seine Altersstufe erreichen, eine ahnliche Kraft und Elastizitat aufweisen. 

Er las gern und viel, philosophische und religionswissenschaftliche Biicher 
noch bis in die letzten Jahre, frtiher hatte er auch Naturwissenschaften getrieben, 
theoretische NationalSkonomie weniger, wohl aber viel Geschichte. Auch 
deutsche Dichter gefielen ihm in friiheren Jahren. In seiner Weltanschauung 
war er, wie wir alle, zum groflen Teil das Produkt seiner Zeit, seine ernste Lek- 
tiire begann mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften in den funfziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts, und seine spatere philosophische Lektiirekorri- 
gierte die mechanistische Auffassung jener Periode, eine gewisse pantheistische 



x ) Ober diesen Zwischenfall und tibcr die Stellung PLs tibcrhaupt im Herrenhaus eine 
sehr gute Bemerkung in Ameth, Aus meinem Leben, II, 556. 



v. Plener. Friedberg. 313 

Auffassung von der Grofle, Einheit und GesetzmaBigkeit der Natur, die aber, 
wie bei Lotze, durch den geistigen Inhalt des Kosmos einen idealistischen Zug 
erhielt, blieb dann lange bei ihm zurtick. Die erhabene Gestalt des Stifters 
der christlichen Religion war ihm stets ein Gegenstand der Verehrung und der 
Bewunderung, und das groCe geschichtliche Ereignis der Eroberung der zivili- 
sierten Welt durch das Christentum ein Lieblingsthema seiner Betrachtung 
und Studien. 

Er war nicht gerade eine weiche Natur, er hing mit groBer Liebe an seiner 
Frau und an seinem Sohne, fur dessen Entwicklung und Laufbahn zu sorgen 
er als Lebensaufgabe betrachtete. Fur Fremde war er im Verkehr artig, fur 
Hilfesuchende bereitwillig, aber nicht fur jedermann zuganglich. Gerade in 
seinem hochsten Alter wurde er popular, die aufrechte Gestalt des Neunzig- 
jahrigen, seine k5rperliche und geistige Frische hatten alle Sympathien. 

In den letzten zwei Jahren ward der bis dahin kraftige und gesunde Mann 
von einer peinlichen Krankheit heimgesucht, deren Beschwerden er mit Geduld 
und ohne Klagen trug, selbst in dieser letzten reduzierten Existenz hing er noch 
am Leben und hatte den kleinen Ehrgeiz gehabt, auch noch das hundertste 
Jahr zu erreichen, aber es war ihm nicht beschieden, am 17. Februar 1908 ver- 
schied er in seinem 98. Lebensjahre, umgeben von Kundgebungen der allgemeinen 
Teilnahme, fiir die der President des Herrenhauses in den folgenden Worten 
seines Nachrufs einen treffenden Ausdruck fand: ,,Der Senior unseres Hauses, 
Ignaz v. Plener, eine allgemein hochgeachtete, ehrwiirdige Gestalt unseres dffent- 
lichen Lebens, die fast ein Jahrhundert vaterlandischer Geschichte miterlebt 
hat, ist heimgegangen. Die Last der Jahre schien ihm leicht, und gem erinnern 
wir uns des Neunzigjahrigen, der mit Gesinnungstreue und unbeugsamem 
Pflichtgefuhl seinen Platz voll und ganz auszuflillen sich entschlossen zeigte, 
bis schwere Krankheit ihn hinderte, in unserer Mitte zu erscheinen." 

E. Plener. 

Friedberg, Emil x )» * 22 - Dezember 1837 in Konitz in Westpreuflen, f 7- Sep- 
tember 1910 in Leipzig. — F. wurde geboren als Sohn des Stadt- und Landrichters 
Adolf F. (Der Bruder seines Vaters war der preuflische Justizminister Heinrich 
F.) Er studierte in Berlin und Heidelberg, wurde 1862 in Berlin Privatdozent, 
1865 aufierordentlicher Professor in Halle, 1868 ordentlicher Professor in Frei- 
burg und folgte 1869 einem Rufe nach Leipzig. Bis zu seinem Tode hat er dort 
als Lehrer des Kirchenrechts, des Handelsrechts, des deutschen Rechts, des 
Staatsrechts und des Volkerrechts eine segensreiche Tatigkeit entfaltet. Allen, 
die^das Gluck gehabt haben, zu seinen FuBen zu sitzen, wird sein lebendiger, 
formgewandter, witzspriihender, nicht selten auch sarkastischer Vortrag un- 
vergessen bleiben. Seine erste grflBere wissenschaftliche Leistung war die 
Herausgabe der Pandekten seines Lehrers Keller, so daB man damals einen 
kiinftigen Lehrer des romischen Rechtes in ihm erblickte. Aber diese roma- 
nistische Arbeit blieb ganz vereinzelt. Seine schriftstellerische Tatigkeit er- 
streckte sich, abgesehen von einigen handelsrechtlichen Arbeiten sowie ver- 
schiedenen Schriften zur Geschichte der Universitat und der juristischen 
Fakultat Leipzigs, auf die hier nicht niher eingegangen werden soil, ganz tiber- 



Totcnlistc 1910, Bd. XV, 27*. 



314 Friedberg. 

wiegend auf diejenige Disziplin, zu der ihn seine besondere Neigung hinzog, und 
zu welcher er zusammen mit andern, wie z. B. den inzwischen auch verewigten 
Otto Mejer, Paul Hinschius und Richard Dove, wesentlich durch Aemilius 
Ludwig Richter hingefiihrt worden war. 

Abgesehen von seiner Teilnahme an den sachsischen Landessynoden ist er 
im offentlichen Leben persOnlich nicht hervorgetreten. Aber seine scharfe Feder 
hat er oft genug fur Offentliche Fragen zur Verfugung gestellt. Er war ein 
energischer Vork&mpfer der Rechte des Staates gegenuber der Kirche. Bereits 
in seiner Inauguraldissertation »De finium inter ecclesiam et civitatem regun- 
dorum judicio quid medii aevi doctor es et leges statuerinU (Leipzig 1 861) hatte er 
die Rechte des Staates gegenuber der Kirche verfochten. Die in dieser Schrift 
erorterten theoretischen Fragen sollten gar bald praktische Bedeutung gewinnen, 
und es kam die Zeit, wo dem Staate wissenschaftliche Vertreter seiner Rechte 
bitter nottaten, die mit dem Wesen und dem Rechte des Gegners durch griind- 
liche Studien vertraut waren. Ein solcher war F. 

Aus dieser Epoche stammen, um von kleineren Aufsatzen (wie z. B. dem 
Offenen Brief an Bischof Ketteler) ganz zu schweigen, seine Schriften »Das 
Veto der Regierungen bei Bischof swahlen« (Halle 1869), »Die Geschichte der 
Zivilehe« (Berlin 1870), »Der Staat und die katholische Kirche im Grofiherzog- 
tum Baden« (Leipzig 1871; 2. Auflage 1873), »Das Deutsche Reich und die 
katholische Kirche« (Leipzig 1872), »Die Grenzen zwischen Staat und Kirche 
und die Garantien gegen ihre Verletzung« (3 Bde., Tubingen 1872), »Sammlung 
der Aktenstiicke zum Vatikanischen Konzil« (Tubingen 1872), »Die preuflischen 
Gesetzentwiirfe iiber die Stellung der Kirche zum Staate« (Leipzig 1873), «Der 
Staat und die Bischof swahlen in Deutschland« (Leipzig 1874), »Johann Baptista 
Baltzer« (Leipzig 1875), »Aktenstucke, die altkatholische Bewegung betreffend« 
(Tiibingen 1876) usw. 

F. ist bisweilen als der Vater der preuflischen Mai-Gesetzgebung bezeichnet 
worden. Das ist zum mindesten irrefiihrend. Er hat an diesen Gesetzen direkt 
gar keinen Anteil gehabt. Es ist allerdings nicht zu leugnen, dafl er mit andern 
dem preuBischen Staate das historische und gelehrte Riistzeug fur seinen Streit 
geliefert und durch seine Schriften den Kampf und die Stellungnahme des 
Staates wesentlich beeinflufit hat. F. war kein Anhanger der volligen Trennung 
von Staat und Kirche; die Kirchen sollten sich eines gebuhrenden Mafles von 
Selbstandigkeit erfreuen, vom Staate einerseits privilegiert, aber andererseits 
auch in besonderer Weise beaufsichtigt sein; das Individuum sollte in kirch- 
licher Beziehung frei sein, nicht aber die kirchliche Gesellschaft. So hat F. 
im Gegensatze zu der Ausgestaltung, wie sie das Prinzip der Freiheit der Kirche 
in der preuflischen Verfassungsurkunde durch die Praxis erhalten hatte, seine 
Anschauungen wiederholt formuliert. 

Wenn wir heute iiber diese kirchenpolitischen Vorgange vielleicht etwas 
anders denken als die Zeitgenossen und auch F. selbst, so schm&lert dies doch 
seinen Ruhm als eines der bedeutendsten Vorkampfer des Staates nicht. In 
jener bewegten Zeit war F. eine der markantesten Personlichkeiten im neuen 
Reiche geworden, und die Auditorien Leipzigs vermochten damals die Zahl 
seiner Zuh8rer kaum zu fassen. 

Beschaftigen sich die vorstehend genannten Schriften mehr oder weniger 



Friedberg. o I 5 

mit politischen und andern Tagesfragen, so tragen seine andern Arbeiten einen 
rein wissenschaftlichen Charakter. 

Ich nenne hier zunachst seine eherechtlichen Studien. Schon 1 86 1 hatte er 
im 1. Bande der von Dove begriindeten Zeitschrift fur Kirchenrecht eine Serie 
von Artikeln aus der Geschichte der Eheschliefiung begonnen. Ihnen folgte 
1864 sein umfangreiches Werk »Das Recht der Eheschliefiung in seiner geschicht- 
lichen Entwicklung«, welches die Grundlagen geschaffen hat fur alle eherecht- 
lichen Forschungen der spateren Zeit. Er hatte zu diesem Werke grofie wissen- 
schaftliche Reisen, namentlich auch nach England, unternommen. So war er 
denn auch besonders berufen, als durch Sohm die Fragen des deutschen Ehe- 
schlieBungsrechts erst zur eigentlichen wissenschaftlichen Diskussion gestellt 
wurden, das Wort zu ergreifen. (Verlobung und Trauung. Leipzig 1876, worauf 
Sohm durch »Trauung und Verlobung« replizierte.) Dieser interessante wissen- 
schaftliche Streit hat zwar direkt nicht alle aufgerollten Fragen zum Austrage 
gebracht, aber er hat aufierordentlich befruchtend gewirkt, er hat die reiche 
eherechtliche Literatur der jiingeren Kanonistenwelt hervorgerufen. 

Verschiedene Schriften iiber die Zivilehe folgten. Eherecht blieb stets 

eine besondere Lieblingsmaterie F.s. In seinem Nachlasse fanden sich Auf- 

zeichnungen, inhalts deren er zu den neuesten papstlichen eherechtlichen Er- 
lassen Stellung nehmen wollte. 

Ein »Herculeum opus«, eine Leistung, die Hinschius 1865 in der Zeitschrift 
fiir Rechtsgeschichte IV, Heft 3 als eine »die Krafte vieler erfordernde und be- 
deutsame Mittel in Anspruch nehmende« bezeichnet hatte, bewaltigte F. mit 
seiner kritischen Ausgabe des Corpus iuris canonici (Leipzig 1879 — 1881). 
F. versuchte hier den echten Text Gratians kritisch festzustellen; in den De- 
kretalensammlungen wiederholte er zwar den Text der Editio Romana, tibte 
aber in den Anmerkungen Textkritik aus, eine Methode, die haufig mifiver- 
standen worden ist, aber, solange die Editio Romana den offiziellen Gesetzes- 
wortlaut darstellt, als die allein richtige bezeichnet werden mufi. 

Dieser gewaltigen, alle fruheren Editionen in den Schatten stellenden 
Ausgabe folgten die kleineren, fiir unsere Kenntnis des kanonischen Rechts 
ebenfalls hochst bedeutsamen Editionen der »Quinque compilationes antiquae« 
(Leipzig 1882), und der Kanones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard 
von Pavia (Leipzig 1897). 

Ein neues Kapitel des Kirchenrechts rollte F. auf mit seinem protestanti- 
schen Verfassungsrecht. Nachdem er durch das grofle Werk »Die geltenden 
Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen«. Freiburg i. Br. 
1885 (mit mehreren Erganzungsbanden), die Grundlagen gesammelt hatte, gab 
er in »Das geltende Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Deutsch- 
land und Osterreich« (Leipzig 1888) die erste zusammenfasscnde juristische 
Behandlung dieses Stoffes. Wenn auch die Wissenschaft seitdem in manchen 
Punkten, namentlich in Fragen der Konstruktion, iiber seine Ergebnisse hinaus- 
gekommen ist, so bleibt F. doch das ungeschmalerte Verdienst, den Grund 
gelegt zu haben, auf welchem alle Spateren aufgebaut haben und noch viele 
Jahre aufbauen werden. 

Endlich nenne ich noch sein Lehrbuch des katholischen und protestanti- 
schen Kirchenrechts, welches mit Recht als das fiihrende Lehrbuch unserer Zeit 



316 Friedberg. 

bezeichnet wird, bereits sechs Auflagen erlebt hat und u. a. auch in das Ita- 
lienische iibersetzt worden ist. 

Die zahllosen kleineren Schriften F.s, die in den verschiedensten Zeit- 
schriften verstreut sind, k6nnen hier nicht einmal aufgezahlt, geschweige denn 
irgendwie gewiirdigt werden. 

Es hat kaum eine Frage unserer Wissenschaft gegeben, zu der F. nicht 
irgendeinen scharfsinnigen Beitrag geliefert hatte. So verfolgte er auch den 
Erneuerungsprozefi, dem das mittelalterliche Recht unter der gegenwartigen 
romischen Regierung unterworfen werden soil, mit sorgsamstem Auge, welches 
gescharft war durch tiefe Kenntnis des alten Rechtes, ohne welche nattirlich 
auch das Werdende niemals voll begriffen werden kann. 

Ein groBes Verdienst erwarb sich F. durch die Mitherausgabe der Zeitschrift 
fiir Kirchenrecht. Zunachst hat er von 1864 ab zusammen mit Dove die Zeit- 
schrift herausgegeben, ist aber als Herausgeber neben Dove nicht sonderlich 
hervorgetreten. Erst als Dove zurucktrat und F. zusammen mit dem Unter- 
zeichneten die Redaktion iibernahm, hat er sich in aufierordentlicher Weise um 
die Hebung der Zeitschrift bemiiht. Er hat neben zahlreichen Abhandlungen 
allein die Abteilung der Literaturiibersicht und der Quellen bearbeitet. Was 
fiir eine Arbeit er speziell in der Literaturiibersicht in seinen scharfsinnigen 
und gelehrten Anzeigen und Besprechungen in den 20 Banden bewaltigt hat, 
ist geradezu erstaunlich zu nennen. 

Was sollen wir bei dieser aufiergewohnlichen Produktivitat mehr bewun- 
dern ? Die gewaltige Arbeitskraft und Arbeitslust, die fast bis zu seinem letzten 
Atemzuge ungeschwacht war, oder die tiefe Gelehrsamkeit, die sich alluberall 
kundtut, oder die Scharfe und Klarheit des Urteils, die eminent-juristische 
Durchdringung des Stoffes oder die leichte und angenehme Art der Darstellung, 
die selbst den sprodesten Stoff zu meistern verstand ? 

F. war ein iiberzeugter Anhanger der historischen Schule, deren Grundsatze 
seit Karl Friedrich Eichhorn und seinem Lehrer Aemilius Ludwig Richter auch 
fiir das Kirchenrecht herrschend geworden waren. Bei alien seinen Arbeiten 
stand ihm vor allem ein grofles Ziel vor Augen: die Wissenschaft des Kirchen- 
rechts zu einer streng juristischen zu gestalten, ihr einen ebenbiirtigen Platz 
neben den juristischen Schwesterdisziplinen zu verschaffen, sie >>aller Romantik 
und Mystik« zu entkleiden und, von alien fremden Zutaten befreit, ihren niichter- 
nen, juristischen Gedankeninhalt herauszuschalen. 

Wahrheit und Klarheit waren die Grundlagen seines Denkens und Fiihlens 
als Gelehrter und auch als Mensch. Fiir ihn gab es keine Halbheit der Emp- 
findungen. Wer aber etwa von der Polemik in seinen Schriften und von seiner 
scharfen — bisweilen vielleicht etwas zu scharfen — Art, iiber Menschen und 
Dinge zu urteilen, auf seinen Charakter geschlossen und ihn fiir einen kalten 
Verstandesmenschen gehalten haben wiirde, der wiirde ihn ganz falsch beurteilt 
haben. Wer ihm naher treten durfte, ihn im Verkehr mit seiner Familie und 
seinen Freunden beobachten konnte, dem offenbarte sich die ganze Tiefe seines 
innigen, bisweilen geradezu kindlichen Gemiits (das er selbst oft kunstlich hinter 
einer sprSden, kiihlen Form zu verbergen trachtete) und seiner schlichten, allcm 
Scheinwesen und aller Phrase abholden Gesinnungsart. Kein Wunder daher, 
dafl auch seine naheren Schiiler mit solcherVerehrunganihmhingen. Unddamit 
kommen wir zu einem weiteren Punkt fiir die Wertschatzung F.s. F. hat nicht 



Friedberg. v Kleist. 3 [ y 

nur Schiiler, sondern eine Schule hinterlassen. Nicht nur in Deutschland, 
sondern auch in Italien und in Griechenland. Insbesondere ist die machtig auf- 
bliihende junge Kanonistenschule Italiens wesentlich durch F. beeinfluCt worden. 
So konnten denn an seinem 70. Geburtstage (an welchem ihn die theologische 
Fakultat zu Leipzig zu ihrem Ehrendoktor ernannte, eine Auszeichnung, die dem 
mit aufieren Ehrungen iiberreich Bedachten eine ganz besondere Freude bereitet 
hat) nicht weniger als 13 Lehrer an deutschen und aufierdeutschen Hochschulen 
ihm als ihrem Lehrer und Meister den schuldigen Tribut der Dankbarkeit 
entrichten. Ihr Wunsch, dafi es dem Meister beschieden sein moge, »noch viele 
Jahre in gleicher ungeschwachter Kraft und Frische das leuchtende Vorbild 
und den Stolz der Schiiler zu bilden«, sollte leider nicht in Erfullung gehen. Denn 
am 7. September 1910 verstarb F. plotzlich an einem Schlaganfalle. Mit den 
Worten »Jetzt kann ich nicht mehr arbeiten« entsank ihm mitten in einer Arbeit 
fur die Deutsche Zeitschrift fur Kirchenrecht die Feder; seiner Wissenschaft 
getreu bis in den Tod. E. S e h 1 i n g. 

Kleist, Ewald Christian Leopold v. 1 )} koniglich preufiischer General der 
Infanterie, * 25. Marz 1824 zu Stolp in Pommern, f 29. Dezember 1910 in Pots- 
dam. — Ein tapferer und verdienstvoller Bataillons- und Regimentsfiihrer 
auf den Schlachtfeldern Bohmens und Frankreichs, noch unter Wilhelm I. 
kommandierender General eines Armeekorps, ist K. aus dem namlichen Hause 
seines stark verzweigten, uradeligen Geschlechtes hervorgegangen, dem der 
Sieger von Nollendorf angehorte. Des Feldmarschalls Grofivater und Ewalds 
Urgrofivater waren Briider. Ewalds Vater, ein Bruder des Dichters Heinrich 
v. K., ubernahm, nachdem er bei der Garde gestanden hatte und als Major ver- 
abschiedet war, die Postmeisterstelle in Stolp. Dort als jiingster von vier 
Brudern geboren, verlor Jung-Ewald als Kadett in Kulm 1837 plotzlich den 
Vater, der im Beisein des gerade in Stolp weilenden Kronprinzen Friedrich 
Wilhelm und an dessen Seite sitzend infolge eines Schlaganfalles auf der Stelle 
verschied. Der Gattin hinterliefi er die Sorge fur neun Kinder. 

Aus dem Berliner Kadettenkorps trat Ewald v. K. im August 1 841 als 
Sekondleutnant in das I. Garde-Regiment z. F. ein. Der spatere Feldmarschall 
v. Herwarth und der nachherige General v. Zastrow waren, der eine als Ba- 
taillonskommandeur, der andere als Kompagniechef, Ewalds nachste Vorge- 
setzte und Erzieher. 

Sein erstes kriegerisches Erlebnis waren die Berliner Marztage 1848. Leut- 
nant v. K. war dabei, als zwei Bataillone des 1. Garde-Regiments nach der 
Hauptstadt herbeigerufen wurden. 1856 zum Hauptmann befordert, erhielt er 
zunachst die 12. Kompagnie, dann die Leibkompagnie. 

Nach dem Ableben Friedrich Wilhelms IV. stellte die letztere Kompagnie 
die Wache im Marmorsaal des Schlosses von Sanssouci und war — am 4. Januar 
1 86 1 — die erste Truppe unter dem Gewehr, auf der das Auge des nunmehrigen 
Konigs Wilhelm nach der Vereidigung des Heeres ruhte. Nach des Konigs eige- 
ner Schilderung wirkte es auf ihn erschiitternd, als ihm die Leibkompagnie, 
mit dem Trauerflor an der Fahne, auf seinem Wege zur nebenan aufgebahrten 
Leiche des Bruders die koniglichen Honneurs erwies. »Mir brachen die Kniee,« 



Totenliste 1910, Bd. XV, 46*. 



3 18 v - Klcist. 

hat er selbst erzahlt, »v. K., der mir die Hand kiissen wollte, mufite mich halten, 
so dafl ich nicht umsank. Von ihm gestiitzt, wankte ich ins Nebenzimmer . . . « 
»Kleist, das werde ich nie vergessen«, hatte er geiuflert, als er den Hauptmann 
zu sich heranrief. 

Nach zeitweiliger Abkommandierung zur Leitung der Unteroffizierschule 
in Potsdam trat er 1863 ^ s Major ins Regiment zuruck. In der Adjutantur 
des Oberkommandos der verbiindeten Armee nahm er 1864 am Sturm auf 
Duppel und am Obergang nach Alsen teil und erwarb sich den Roten Adlerorden 
4. Klasse mit Schwertern. 

Im April 1866 an die Spitze des 1. Bataillons seines Regiments gestellt, 
fiihrte er diese Truppe nach Bohmen. Als im Morgengrauen des 14. Juni der 
Konig jedem Bataillon ein Abschiedswort mitgab, reichte er dem Major v. K. 
mit dem Ausdruck der Hoffnung die Hand, das Bataillon werde unter seiner 
Fiihrung dem alten Namen des Regiments Ehre machen. Diese Erwartung 
des obersten Kriegsherrn hat das Bataillon v. K. an den Ruhmestagen von 
Soor-K&niginhof und Koniggratz glanzend erfUllt. Bei der Ersturmung von 
Chlum, dem SchlUsselpunkte der osterreichischen Stellung, entwickelte Major 
v. K., seinem Bataillon stets voran, eine Tapferkeit und Umsicht, der durch die 
Verleihung des pour le mtrite die verdiente Anerkennung zuteil wurde. 

Ende 1866 zum Oberstleutnant befordert, im nachsten Jahre zum Kom- 
mandeur des Lehr-Infanterie- Bataillons ernannt, wurde er im Dezember 1866 
mit dem Kommando iiber das grofiherzoglich mecklenburgische Grenadier - 
Regiment Nr. 89 betraut. Der Aufgabe, das aus drei selbstandigen Bataillonen 
gebildete Regiment zu einer Einheit zusammenzuschweiflen, war er vollauf ge- 
wachsen. Sofort — so berichtet die Geschichte der 89 er — und in den weiteren 
Ausbildungsabschnitten immer mehr wurde klar, dafl der neue Kommandeur 
hohe, bisher weder gekannte noch erreichte Anforderungen stellte. Ebenso 
klar wurde aber auch bald, dafl das Regiment einen Lehrmeister bekommen 
hatte, den die vollkommene Beherrschung jedes Dienstzweiges, praktisches 
Konnen und bestimmtes Auftreten befahigten, sein hochgestecktes Ziel zu 
erreichen. Von groflem Wohlwollen gegenuber seinen Offizieren beseelt, griff er 
doch auch, wenn es n6tig war, energisch ein. Den Mannschaften widmete er 
unermudliche Fursorge. Off en and ehrenwert von Charakter, war er ein Vor- 
gesetzter, der Vertrauen zu wecken und zu erhalten wuflte. 

Das Band, das K. mit dem Regiment verknupfte, festigten die Feldzugs- 
tage in den Gefilden Frankreichs. Anfanglich muflte das Regiment fast un- 
tatig an der Ostseekuste verbleiben. Dann erlebte der Oberst — der war er 
1869 geworden — im Verbande der 17. Division (v. Schimmelmann, dann 
v. Tresckow) die Einschlieflungen von Metz, Toul und Paris, vor allem die 
hartnackigen und strapazenreichen Kampfe an der Loire, von Dreux bis Le 
Mans. Ebenso ruhig als entschieden und stets im richtigen Augenblick ver- 
stand der Oberst einzugreifcn. In personlicher Unerschrockenheit leuchtete er 
seiner Truppe voran; wiederholt, doch stets vergebens, wurde er gebeten, beim 
Besichtigen von Vorposten oder im Gefecht, mehr an sich selbst zu denken. 
Bei Dreux verlor er dicht hinter der Schutzenlinie des II. Bataillons sein bestes 
Pferd. »Dabei«, erzahlt die Regimentsgeschichte, »war der Oberst v. K. von 
groflter Anspruchslosigkeit fur seine Person. Eine Erholung war es oft fur ihn, im 
kleinen Kameradenkreise am einfachen Konservenmittagessen mit Punsch 



v. Kleist. v. Werder. 310 

aus Liebesgabenzusendungen teilzunehmen; hier verstand der sonst so ernste 
Mann eine gemiitliche, frohliche Tonart anzuschlagen, welche die Herzen nur 
noch warmer fiir ihn schlagen liefl.« Es war ein besonderer Festtag fur das 
Regiment, als sein Kommandeur sich mit der I. Klasse des Eisernen Kreuzes 
schmiicken durfte. 

Nach dem Feldzug erhielt K., 1873 zum Generalmajor befordert und fUr 
kurze Zeit zu den Offizieren von der Armee versetzt, noch im gleichen Jahre die 
41. Infanterie- Brigade in Mainz, 1880 als Generalleutnant die 1. Garde -Division, 
im Juni 1885 das I. Armeekorps. Vier Jahre als kommandierender General 
in Ostpreuflen tatig, stieg er 1886 zum General der Infanterie auf, im folgenden 
Jahre zum Chef der 44 er, des Regiments Graf Donhoff. Voiles Vertrauen 
verband das Korps mit seinem General. 

Im Mai 1889 nahm er seinen Abschied, und noch mehr denn zwei Jahrzehnte 
waren ihm im Ruhestande beschieden. — Als an den Hochbejahrten das Er- 
suchen herantrat, fiir die Spalten dieses Jahrbuchs sich uber den ihm von Jugend 
auf eng freundschaftlich verbundenen Kameraden vom 1. Garde-Regiment 
Lothar v. Schweinitz, den nachmaligen General und Botschafter, zu auBern, 
da hat er gern und gewissenhaft, wennschon mit zittriger Handschrift, seine 
Erinnerungen dargeboten. 

Im 87. Lebensjahre ist der alte Held entschlafen. 

v. Glasenapp, Die Generate der deutschen Armee 1864 — 1874, Blatt 228. — Militar- 
Wochenblatt 1909, Nr. 75. — Berliner Miiitar-Zeitung 191 1, Nr. 2 (Beilage 1). — Tagliche 
Rundschau vom 1. Januar 191 1 (General Graf Pfeil). — Handschriftlicher Lebensabrift, vom 
Oberleutnant im Infanterie- Regiment Nr. 44 v. Wussow verfaflt (1911) und durch den Sohn t 
den Generalmajor, General a la suite und Kommandeur der 1. Garde- Infanterie- Brigade 
Friedrich v. Kleist, zur Verfugung gestellt. — v. Kessel, Geschichte des 1. Garde- Regiments 
z. F., Berlin 1881, S. 16 (vgl. Hohenzollern-Jahrbuch 1909, S. 74), 81 fL, 306. — Freiherr 
v. Langermann und Erlencamp und v. Voigts-Rhetz, Geschichte des grofiherzoglich mecklen- 
burgischen Grenadier- Regiments Nr. 89, Schwerin 1895, S. 225 ff., 433 **• — Brief e des Generals 
Ewald v. Kleist an den Verfasser. 

Koburg. Archivar Dr. K r i e g. 

Werder, Franz Wilhelm Bernhard v. 1 ), koniglich preufiischer General der 
Infanterie und Generaladjutant, * 27. Februar 1823 in Potsdam, f 19. Marz 
1907 in Berlin. — Der Hohepunkt seines Soldatenlebens war die ruhmvolle 
Fiihrung der Garde-Fiisiliere bei Soor und Koniggratz. Als Ganzes gewiirdigt, 
gipfelte sein Dasein in dem ungewohnlichen Vertrauensverhaltnis zu drei russi- 
schen Kaisern und in dem seinem Vaterland erspriefllichen Wirken, das sich 
hieraus ergab. t)ber seine Petersburger Tatigkeit schweigen noch die Archive; 
vieles mag nie einen schriftlichen Niederschlag gefunden haben noch im Ge- 
sprach und in der Mitteilung uber seine Lippen gekommen sein. 

Als Garde- Fusilier zog W. nach Bohmen aus. Aber das war nicht die Truppe, 
in der er seine militarische Laufbahn begann. Gleich seinem Vater, dem General 
Karl v. W., ging Bernhard aus dem 1. Garde -Regiment z. F. hervor. In dessen 
Reihen hatte v. -W. -Vater, * 1788, bei GroOg^rschen die Feuertaufe empfangen; 
zuletzt General der Infanterie und kommandierender General, Chef eines Regi- 
ments und Ritter des Schwarzen Adlerordens, beschlofl er sein Leben 1869- 

») Totenliste 1907, B& XII, 92*. 



320 v - Werder. 

Aus dem Kadettenkorps trat v.-W.-Sohn 1840 beim 1. Garde -Regiment 
ein, verliefl es fur die Jahre 1854 bis 1857, wahrend deren er, seit 1855 als Haupt- 
mann, die Adjutantengeschafte bei der 1. Garde- Inf an terie- Brigade versah, 
und trat dann als Kompagniechef zum Regiment zuruck. 

Als kurz vorher, Ende 1856, wegen der Neuenburger Frage ein Waffengang 
mit der Schweiz in Aussicht gewesen war, hatte der damals im 29. Lebensjahre 
stehende Prinz Friedrich Karl, dem fiir den Ernstfall eine Infanterie-Division 
zugedacht war, seinem kommandierenden General Grafen v. d. Groeben die 
Bitte vorgetragen, »die etatsmafiige 1. Adjutantenstelle der mobil zu machenden 
Garde-Division dem Hauptmann v. W. des I. Garde-Regiments zu verleihen.* 
»Werder«, hatte er geschrieben, »ist mein Jugendgefahrte, hat unter mir ge- 
standen, als ich Kompagniechef war, und bei den ManOvern bei mir adjutan- 
tiert, so auch vergangenen Sommer und Herbst. Ich halte grofle Stiicke auf ihn.« 
Da jedoch wider Erwarten die Spannung beseitigt wurde, so war diese Ver- 
wendung W.s nicht zustande gekommen. 

Aus der Leitung der Schulabteilung, nachherigen Unteroffizierschule in 
Potsdam heraus wurde W. im Oktober 1857, am Tage des 50. Dienstjubilaums 
KOnig Friedrich Wilhelms IV., zu dessen Person kommandiert. Es war gleich- 
zeitig Stiftungsfest des 1. Garde-Regiments. Kaiser Alexander II. von Rufiland, 
dem W. nachmals so nahe treten sollte, weilte auf der Riickkehr von Stuttgart 
nach Petersburg einige Tage zum Besuch in Sanssouci, und K6nig Friedrich 
Wilhelm zeigte frohe, aufgeraumte Stimmung. Aber am Tage nach W.s Kom- 
mandierung kam seine Krankheit zu ihrem ersten Ausbruch. Seit 1858 Fltigel- 
adjutant und 1859 zum Major befordert, hatte W. sich in jene Rolle hineinzu- 
finden, die sein Kamerad in der Adjutantur, Prinz Kraft zu Hohenlohe, dahin 
zusammenfaflte, dem jeweilig diensttuenden Adjutanten habe es obgelegen, 
»Wachter, Hiiter, Leiter und zugleich Dolmetsch« des Konigs zu sein. Er ver- 
brachte auf solche anstrengende Art die schweren nachsten Jahre in der un- 
mittelbaren Umgebung, oft auch im Reisegefolge des immer krankeren Monar- 
ches Er erlebte mit Hohenlohe und andern, der trotz aller Bitternis wunderbar 
aufrechten Konigin zur Seite, die »ergreifende, erschtitternde und doch wieder 
erhebende« Nacht, in der das Leben des kOniglichen Dulders erlosch. 

Von Konig Wilhelm als Flugeladjutant ubernommen, von Oktober 1 861 
ab Fuhrer des Garde- Jager-Bataillons und seit 1863 Oberstleutnant, erhielt W. 
im Mai 1866 die Garde -Fiisiliere. Und diese flihrte er, im Juni zum Obersten 
ernannt, in verwegenem Vorgehen, bei den Sturmangriffen von Soor ebenso 
an der Spitze wie bei denen von Chlum, zum Siege. Der pour le mfrite brachte 
die verdiente Anerkennung. 

Die idealen Seiten des Kriegshandwerks standen fiir ihn, obwohl er spater 
noch soviel grOfleres Elend im russisch-tiirkischen Kriege schaute, stets im 
Vordergrund. Eine Anschauung, wie sie sein Brigadekommandeur Konstantin 
Alvensleben 1866 ihm gegeniiber aufierte — man begrub die Gefallenen am Tage 
nach Soor, und Alvensleben meinte: »Der Krieg ist doch ein schlechtes Dingk — 
eine solche Anschauung war ihm unverstandlich und wurde, als er dem Ver- 
fasser dieses Lebensiiberblickes sein Wissen iiber seinen Vetter Alvensleben 
erschlofl, unter KopfschQtteln wiedererzahlt. 

Der entscheidende Wendepunkt in der Weiterentwicklung seiner Geschicke 
trat im November 1869 ein: KOnig Wilhelm ernannte den Obersten und Flugel- 



v. Werder. 32 1 

adjutanten v. \V. zum Militarbevollmachtigten am kaiserlich rus^ischen Hofe. 
Zar Alexander II. hatte schon seinen Vater kennen gelernt, als dieser bei der 
polnischen Erhebung von 1863 vier Korps an der Grenze unter seinem Ober- 
befehl vereinigte; er empfing den Sohn auf das Freundlichste. Als der russische 
Kaiser in demselben Jahre 1869 beim hundertjahrigen Stiftungsfeste des Georgs- 
Ordens dem Konig von Preuflen die I. Klasse dieses Ordens verlieh und ihn tele- 
graphisch hiervon benachrichtigte, fugte er die Mitteilung hinzu, er habe die 
4. Klasse dem Flugeladjutanten v. W. gegeben. Aufler einigen Mitgliedern des 
preuflischen Konigshauses und einer Anzahl Veteranen aus den Befreiungs- 
kriegen besafi diesen Orden damals kein Offizier der preuflischen Armee. 

Es kam der grofle Krieg gegen Frankreich und mit ihm im Juli 1870 W.s 
Beforderung zum Generalmajor und General a la suite Seiner Majestat. Der 
eifrige Feldsoldat und bewahrte Flihrer von 1866 mufite hier freilich, von Haus 
aus in der Petersburger Stellung belassen, mit der untatigen Rolle eines zeit- 
weiligen Zuschauers im grofien Hauptquartier vorlieb nehmen — wahrend 
August v. W., sein Vetter im dritten Grade, sich vor Straflburg und an der 
Lisaine mit Ruhm bedeckte. Augusts, des nachherigen Grafen, Groflmutter und 
Bernhards Groflvater waren Geschwister gewesen; hierdurch bestand zwischen 
den beiderseitigen Enkeln nahere Verwandtschaft, als dies sonst der Fall gewesen 
ware, da sie im librigen verschiedenen, ziemlich weit auseinander gehenden 
Linien angehorten. Wie mag General Bernhard v. W. die kriegerische Be- 
tatigung herbeigesehnt haben, als ihm am 9. Oktober Konig Wilhelm uber seine 
herzzerreiflenden und doch erhebenden Eindrucke beim Zusammentreffen mit 
dem III. Korps am Tage nach Vionville schrieb und dabei besonders des Generals 
v. Alvensleben gedachte, der sich am 16. August in einem achtstundigen Allein- 
kampfe gegen fast die ganze Bazaine-Armee geradezu geopfert habe! Im 
nachsten Monat erwahnt »Buschchen« den General v. W. f »einen langen Herrn 
mit dunklem Schnurrbart«, als Bismarcks Tischgast in Versailles, mit dem sich 
der Bundeskanzler iiber die Verstandigung mit Bayern, uber die Bombarde- 
mentsfrage, iiber teure Lebensverhaltnisse in Petersburg angeregt unterhielt. 
Das Eiserne Kreuz 2. Klasse begleitete W. nach Ruflland zuruck. 

Beinahe 17 Jahre hindurch versah Bernhard v. W., 1875 zum General - 
leutnant, 1884 zum General der Infanterie befordert und dazwischen 1876 
zum Generaladjutanten ernannt, die Stellung des der Person des Zaren beige- 
gebenen Militarbevollmachtigten, wobei es ihm gelang, namentlich zu Zar 
Alexander II. ein aufiergew5hnliches Verhaltnis herzustellen und auch inmitten 
ernster Schwankungen der deutsch-russischen Beziehungen aufrechtzuerhalten. 
Dafl er sich die Zuneigung des Kaisers, aber auch die der ubrigen Mitglieder des 
russischen Herrscherhauses und der ihm verwandten Fiirstlichkeiten zu er- 
werben wufite, dafl er bei den Hofwurdentragern, bei den BehOrden, beim Of- 
fizierkorps und in der ganzen Gesellschaft sich aufrichtiger Hochachtung und 
Freundschaft erfreute, entsprang nicht allein seinen gewandten Umgangsformen, 
seinem weltmannischen Gehaben; die tiefere Begrundung lag in seinem riickhalt- 
losen Freimut. Da er immer seine Meinung sagte, unbekummert darum, 
ob sie gefiel oder nicht, so wuflte jedermann in Ruflland, dafl von ihm Intriguen 
oder Obergriffe nicht zu besorgen waren. So hat er oft zur Ausgleichung von 
Meinungsverschiedenheiten und Beseitigung von Schwierigkeiten beigetragen, 
was einer mehr diplomatisch angelegten Natur vielleicht weniger gut gelungen 

Biogj. Jahrbuch u. Deutschcr Nckrolog-. j6. Bd.J 21 



322 



v. Werder. 



ware, und obwohl er bei Hofe drei Generationen an sich voriibergehen sah f so 
haben doch die Sympathien, die man ihm entgegenbrachte, alle Wechsel uber- 
dauert. Alexander II. gewohnte sich bald derart an ihn, dafi er ihn zu alien 
seinen Reisen mitnahm und ihn ungern fur langere Zeit vermifite. Bei mili- 
tarischen Obungen, Paraden und Festlichkeiten pflegte W. im Gefolge des 
Kaisers zugegen zu sein, und des Abends liebte es Zar Alexander, den General 
zum Whist hinzuzuziehen. Er verkehrte mit ihm stets in deutscher Sprache und 
gab sich vollkommen wie ein preufiischer Offizier. Zuletzt stellten Vorfalle pein- 
licher Art die beiderseitige Freundschaft auf eine harte Probe. In den Zeiten, 
in denen Alexander II. ohne Rucksicht auf seine Gemahlin vertraute Bezichun- 
gen zu ihrer Hofdame Fiirstin Dolgoruki unterhielt, stellte sich \V. entschieden 
auf die Seite der in ihrer Frauenehre bitter gekrankten Kaiserin, und als der 
Kaiser wenige Wochen nach deren Tode jene Dame heitatete, trat W. der nun- 
mehrigen Fiirstin Jurjewska im Gedenken an die verewigte Kaiserin in scharf 
abweisender Form gegenuber, mitunter in Gegenwart ihres kaiserlichen Gatten, 
der zwar tief davon beriihrt wurde, es aber den General nicht empfinden liefi. 
Cberhaupt konnte W., bei allem aufrichtigen Fiihlen fvir Rufiland und russische 
Personlichkeiten, riicksichtslos offen sein. Der Schwachen des russischen Reiches 
und der russischen Gesellschaft war er sich sehr wohl bewufit und von einer 
kritiklosen Uberschatzung der russischen Armee weit entfernt. Auch dachte 
er nicht daran, seiner Stellung als preufiischer General oder seinem deutschen 
Patriotismus irgend etwas zu vergeben. Als er einmal mit einem fruheren 
preufiischen, dann in russischen Diensten stehenden Offizier ein Schlachten- 
panorama besuchte, trat General Skobelew ein, der gerade Hetzreden gegen 
Deutschland gehalten hatte. Er kam auf beide zu, reichte W.s Begleiter die 
Hand, fand aber keine Moglichkeit, diesen selbst zu begriifien, da W. beharrlich 
ihm den Rucken zukehrte und mit grofier Aufmerksamkeit eine Schlachten- 
szene besah. 

Vorgange von grofier politischer Tragweite zogen W. voriibergehend in 
Verhaltnisse hinein, die dem Leiter der deutschen Politik erheblich nahe gingen. 
Was mit der Stellung eines preufiischen Militarbevollmachtigten am russischen 
Hofe zusammenhing, war Bismarck nicht immer angenehm. Seit den Zeiten 
Friedrich Wilhelms III. und Alexanders I. berichteten die Militarbevollmach- 
tigten in Petersburg nicht, wie andere, durch das Auswartige Amt, sondern 
unmittelbar in eigenhandigen Briefen an den Konig. Eine AbSnderung dieser 
alten Gewohnheit konnte Bismarck, so unbequem sie ihm nach seinem Gestand- 
nis auch war, nie erlangen. Der Militarbevollmachtigte meldete, wie Bismarck 
erzahlt, in solchen Briefen »alles, was der russische Kaiser Uber Politik in dem 
gewohnheitsmafiigen vertraulichen Verkehr am Hofe mit ihm gesprochen hatte, 
und das war nicht selten viel mehr, als Gortschakow mit dem Botschafter 
sprach. . . . Die diplomatischen Verhandlungen zwischen beiden Kabinetten 
haben ihren Schwerpunkt ... 6ft und lange mehr in den Berichten des Militar- 
bevollmachtigten als in denen der amtlich akkreditierten Gesandten gefunden«. 
Zwar versaumte Kaiser Wilhelm niemals, seine Korrespondenz mit W. dem 
Kanzler mitzuteilen; doch vollzog sich die nachtragliche Obermittlung des 
Inhalts solcher Immediatbriefe »oft zu spat«. Ganz auflerhalb aller Gewohn- 
heiten aber lag es, dafi im Herbst 1876 der Reichskanzler ein chiffriertes Tele- 
gramm W.s aus Livadia erhielt, worin dieser im Auftrage des Kaisers Alexander 



v. Werder. 



323 



cine Aufierung dariiber verlangte, ob Deutschland neutral bleiben wurde, wenn 
Rufiland mit Osterreich in Krieg geriete. Nach Bismarcks Oberzeugung ver- 
steckten sich hinter dieser Anfrage die Bestrebungen Gortschakows, die guten 
Beziehungen des Deutschen Reiches zu Kaiser Alexander und besonders des 
Reichskanzlers personlich vortreffliches Verhaltnis zu ihm zu triiben. Aus- 
weichende Riickaufierungen hatten wiederholte neue Befragungen durch W.sche 
Telegramme zur Folge. Bismarck bat seinen kaiserlichen Herrn, den General 
v. W., der in Livadia »diplomatisch gemifibraucht werde, ohne sich dessen er- 
wehren zu konnen«, telegraphisch zu sich zu berufen und ihm die Obernahme 
von politischen Auftragen zu untersagen; dergleichen gehore dem russischen, 
aber nicht dem deutschen Dienste an. Kaiser Wilhelm ging auf diesen Wunsch 
nicht ein, und da Kaiser Alexander endlich eine Aussprache unter Beteiligung 
der russischen Botschaft verlangte, so blieb nichts iibrig als auf die bisherige 
Zuriickhaltung zu verzichten; Bismarck liefi durch den Botschafter v. Schweinitz 
nach Livadia eine Antwort uberbringen, die gleichbedeutend mit einer Ab- 
lehnung des Versprechens der Neutralitat im Fall ernes russisch-osterreichischen 
Krieges war — worauf »das russische Gewitter von Ostgalizien sich nach dem 
Balkan hin verzog« und Rufiland sich vielmehr die Neutralitat Osterreichs bei 
einem Kriege mit den Turken sicherte. 

In diesen Krieg von 1877/78 folgte der Militarbevollmachtigte seinem kaiser- 
lichen Freunde. Nach den Mifierfolgen bei Plewna rifi allgemeine Kriegsmiidig- 
keit ein. Nur W. liefi sich hiervon nicht erfassen; fur ihn schien das, was die 
russischen Offiziere als beschwerlich empfanden, nicht vorhanden zu sein. Ein 
kaiserlicher Fliigeladjutant hat erzahlt, W. habe dem ganzen Hauptquartier 
ein Beispiel gegeben; wenn andere den Kriegssitten nachgaben und sich im 
Anzug, Benehmen oder sonst gehen liefien, so habe ein Blick W.s genugt, sie 
zurechtzuweisen. 

Es kamen die schweren Zeiten nach dem Berliner Kongrefi, in denen das 
deutschfreundliche Auftreten des Zaren nahe daran war, sich ins Gegenteil zu 
wandeln. Es kam das nihilistische Attentat von 1881, dem Alexander II. zum 
Opfer fiel; als der Kaiser besinnungslos in sein Palais getragen wurde, kuflte W. 
dem Sterbenden zum letzten Male die Hand. 

Auch der sonst so wenig zugangliche und von Haus aus gar nicht deutsch- 
freundliche Zar Alexander III. widmete dem General sein uneingeschranktes 
Vertrauen und bewahrte es trotz zunehmender Verschlechterung seiner person - 
lichen Stellungnahme gegenuber dem Nachbarreich. W.s Haltung in der fur 
den damaligen Grofifursten-Thronfolger uberaus schmerzlichen Dolgoruki- 
Angelegenheit hatte dieses Zutrauen vertieft. Und im ubrigen stand W. jeder- 
zeit vollig aufierhalb der Storungen im Einvernehmen beider Lander. 

Im August 1886 verliefl Generaladjutant v. W. den Newastrand, um Gouver- 
neur von Berlin zu werden; im September 1888 wurde er, unter Stellung d la 
suite des Garde-Fusilier-Regiments, zur Disposition gestellt. 

Noch einmal rief die vaterlandische Pflicht den nunmehr fast Siebzig- 
jahrigen nach Petersburg zuriick. Ende 1892 verliefi General v. Schweinitz, 
der wie sein Regimentskamerad W. Soldaten- und Diplomatentum in seiner 
Laufbahn miteinander vereinigt hatte, als Militarbevollmachtigter W.s Vor- 
ganger, als Botschafter sein Mitarbeiter war, den russischen Posten. Alsbald 
wunschte Alexander III. W., an dem er die seiner eigenen Natur entsprechende 

21* 



324 



v. Werder. 



Zuverlassigkeit und Geradheit schatzte, als Nachfolger. W. selbst hat sich 
zu dem Botschafterposten nichts weniger als gedrangt; nach dem Zeugnis eines 
Wissenden lag es ihm durchaus fern, eine politische Rolle spielen zu wollen. 
Auch scheinen Gegenstromungen sich bemerkbar gemacht zu haben. Die 
Feder des dritten Reichskanzlers hat verzeichnet, Schweinitz habe um den 
Wunsch des Zaren gewufit, aber einen andern empfohlen, angeblich weil er nicht 
wollte, dafi sein Nachfolger eine bessere Stellung bei Hofe habe als er. Sei dem f 
wie es wolle, das Begehren Alexanders III. drang durch, und von 1892 bis 1895 
hat Botschafter v. W. seines neuen und schwierigen Amtes gewaltet. 

Als Alexander III. 1894 das Zeitliche gesegnet hatte, ubertrug Zar Nikolaus II. 
die Gesinnung seines Vaters und Groflvaters auf den diplomatischen Ver- 
treter des Deutschen Reiches. Aber schon in den Anfangen seiner Regierungszeit 
trat der Botschafter zuruck. In der russischen Gesellschaft, in der W. so beliebt 
war, wurde die Abberufung von vielen wie eine Art Krankung empfunden. 

Wie zu den Zeiten des alten Kaisers, so entzieht sich auch unter Wilhelm II. 
W.s schaffendes und vermittelndes Verdienst im einzelnen fast ganz unserer 
Kenntnis. Seinen Anteil an der Besserung der Beziehungen zum danischen 
Kdnigshause, an der Riickgabe des Welfenfonds hat er selbst zugegeben. Auch 
im endgultigen Ruhestande ging er noch wiederholt in auflerordentlicher 
Sendung nach Ruflland, um Verstimmungen zu begegnen. Fiir die Berliner 
Regierung bedeutete er lange Jahre das einzige Zwischenglied, mit dessen Hilfe 
es moglich war, abgerissene Faden nach Petersburg hin wieder anzuspinnen. 

Der Schwarze Adlerorden und der Andreas-Orden waren ihm als hochste 
Auszeichnungen zuteil geworden. Nach dem Ableben des Feldmarschalls 
Blumenthal wurde er 1901 noch Chef des reitenden Feldjagerkorps. 

Als Hagestolz war er durchs Leben gegangen. Auch am Greis durfte, wer 
seine auffallend einfach eingerichtete Berliner Wohnung betrat, die fast jugend- 
liche Riistigkeit bewundern, die der hohen, schlanken Erscheinung mit dem 
soldatischen Charakterkopf und dem weiflen, buschigen Schnurrbart eigen war, 
das liebenswiirdig-vornehme Auftreten, die Gabe lebhafter, scharf charakteri- 
sierender und aus dem Born uberreicher Erinnerungen schopfender Unter - 
haltung. Denkwurdigkeiten hat er nicht hinterlassen; er sprach ich selbst 
gelegentlich dahin aus, niemals werde von ihm etwas an die Offentlichkeit 
kommen, was irgendwie als Vertrauensbruch ausgelegt werden konnte. 

Vorzugsweise der Fiirsorge fiir andere gait die letzte Lebenszeit. Zumal 
dem »Kaiser-Wilhelm-Dank« widmete er zehn Jahre als 1. Vorsitzender seine 
Kraft. »Am liebsten«, heifit es in einem Nachruf, »weilte er bis zuletzt bei seinem 
ehemaligen Regiment, mit dem ihn so ruhmliche Erinnerungen verbanden, und 
wenn seine bis zuletzt ungebeugte Gestalt eintrat, war die Freude »allgemein.« 

Im kaum begonnenen 85. Lebensjahre wurde Bernhard v. W. an einem 
Marztage 1907 abgerufen. Des Kaisers Majestat schritt hinter seinem Sarge. 

v. Glasenapp, Die Generate der deutschen Armee 1864 — 1874, Blatt 145. — IUustrierte 
Zeitung vom 18. September 1886, vom 7. Januar 1893, v ° m 28. Mftrz 1907. — Berliner Lokal- 
anzeiger vom 26. Februar 1903, M.-A. (Dr. G., Beim General v. Werder). — Milit&r-Wochenblatt 
1907, Nr. 40 (v. Bremen). — T&gliche Rundschau vom 20. M&rz 1907, M.-A. (Graf Pfeil, 
Generaladjutant v. Werder am russischen Hofe). — Foerster, Prinz Friedrich Karl von Preuflen, 
Denkwiirdigkeiten aus seinem Leben, Stuttgart und Leipzig 1910, 1. Bd. f S. 153. — Prinz 
Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben, 2. Bd. f Berlin 1905, S. 95, 231/232. — 



VVerder. v. Hartrott. 



325 



v. d. Mtllbe, Das Garde- Ftisilier- Regiment, 2. (fortgefuhrte und neu bearbeitete) Auflage, 
Berlin 1901, S. 93 fT. — Louis Schneider, Aus dem Leben Kaiser Wilhelms, 2. Bd., Berlin 
1888, S. 87/88. — Heft 19 der Generate tabs- Einzelschrif ten : Konig Wilhelm auf seinem Kriegs- 
zuge in Frankreich 1870 von Mainz bis Sedan, Berlin 1897, S. 33. — Moritz Busch, Tagebuch- 
bl&tter, Leipzig 1899, 1. Bd., S. 414 ff. — FUrst v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, 
Stuttgart 1898, 2. Bd., S. 21 1 ff., 232. — Denkwiirdigkeiten des FQrsten Chlodwig zu Hohenlohe- 
Schillingsftirst, Stuttgart und Leipzig 1907, 2. Bd., S. 494. — Mitteilungen aus dem Kreise 
ehemaliger deutscher Diplomaten und preufiischer Milit&rattaches in Petersburg, unter andern 
des Reichskanzlers a. D. Fiirsten v. Billow und des Staatsministers z. D. Freiherrn v. Thiel- 
mann; perstmliche Erinnerungen des Verfassers. 

Koburg. Archivar Dr. K r i e g. 

Hartrott, Ludwlg Eugen v. «), koniglich preufiischer General der Kavallerie, 
* 21. Februar 1829 in Aschersleben, Provinz Sachsen, f 24. Marz 1910 in Ballen- 
stedt am Harz. — Ludwig v. H. beansprucht eine besondere Beachtung wegen 
seiner Zusammengehorigkeit mit Albrecht v. Roon, dem er in ruhmvollen 
Zeiten Adjutant, Kabinettschef und Heifer gewesen ist. Nicht als hatte H, 
ein hervorstechendes Mafi von Geistesgaben oder selbstandigen Leistungen auf - 
zuweisen gehabt. Auch hatte er bei seinem etwas schuchternen und vor allem 
uberbescheidenen Wesen es nie gewagt, gegenuber Roon ungefragt auch nur zu 
reden, geschweige denn eigene Ansichten oder Vorschlage zu aufiern. Aber 
kaum ubertreffbar waren die Arbeitsamkeit und Sorgfalt, mit der er alle Auf- 
trage nach den gegebenen Weisungen ausftihrte; sein ganzes Interesse gait dem 
Dienste; durch seine Punktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit 
hat er dem Kriegsminister die wesentlichsten und nutzlichsten Dienste geleistet, 
wie auch dieser sich auf die selbstlose Treue und Hingebung seines H. unbe- 
dingt verlassen konnte. Roons »langjahrigsten, sehr treuen, unermtidlich tatigen 
und umsichtigen Gehilfen bei den Arbeiten des Kriegsministeriums« nennt ihn 
der alteste Sohn des Feldmarschalls in den Denkwiirdigkeiten aus dem Leben 
seines Vaters. 

Die trefflichen Dienste dieses Untergebenen hat Roon jederzeit aufs 
warmste anerkannt. Aber auch ihm »pers6nlich« hat H., so berichtet der 
Herausgeber der »Denkwiirdigkeiten«, »sehr nahe gestanden«. Roon liebte 
den edlen, guten Menschen in ihm vaterlich, und seine Sohne hingen an H. wie 
an einem alteren Bruder. Beiderlei Wertschatzung, die dienstliche wie die 
allgemein menschliche, klingt aus so mancher der an H. gerichteten Zuschriften 
heraus, die in jener kostbaren Sammlung von Briefen, Schriftstlicken und Er- 
innerungen mitenthalten sind. ». . . herzlichsten und warmsten Dank, mein 
lieber und getreuer Freund, fur alles! — «, heifit es einmal am Schlufi einer 
Antwort des in Lugano weilenden Kriegsministers auf H.sche dienstliche und 
hausliche Berichte von 1867. Ein halbes Jahr spater denkt der Leidende von 
Bordighera aus uber seinem »Nichtstun«, wie er sich gegenuber H. ausdriickt f 
mit Beschamung an die »Wurdigen, welche mit preufiischer Energie daheim an 
dem Staatswagen ziehen: an Bismarck und Podbielski, Sie und meine iibrigen 
fleifiigen Freunde, die mir jahrelang so getreulich und erfolgreich geholfen 
haben«. An eine Empfehlung des »treuen H.«, die er in einem Feldzugsbriefe 
von 1870 der Gattin ausrichtet, kniipft er die Worte: ». . . und wer verdiente 



TotenUste 1910, BdL XV, 34*. 



326 



v. Hartrott. 



mehr als er empfohlen zu werden ? «. Im weiteren Verlauf des Krieges schreibt 
er nach Hause von der riihrenden Sorgfalt, mit der namentlich H. sich seiner an- 
nehme: »Kaum eine zSrtliche Frau kOnnte mehr fiir ihren Mann tun.« Weh- 
miitig lafit er im Ruhestande 1875 verlauten: »Ich sShe Sie gern wieder, Sie 
alter lieber treuer Gefahrte auf so vielen gemeinschaftlich zuriickgelegten 
Dornen- und Freudenpfaden!« Und ein Jahr darauf versichert er: »Sie wissen, 
lieber und erprobter Freund, dafi ich namentlich Ihrer Hingebung und An- 
hanglichkeit die wohlverdiente Anerkennung nimmer versagen kann und dafl 
ich mich jeder Gelegenheit freue, die mich veranlaflt, dies immer zu wieder- 
holen.« 

Diese Ausziige aus dem Roonschen Gedenkbuch, denen sich unten noch eine 
weitere Brief stelle anreihen wird, greifen dem voraus, was hier iiber den Lebens- 
gang Ludwig v. H.s mitgeteilt werden soil. 

Als General Roon im Juni i860 den damaligen Rittmeister H. ins Kriegs- 
ministerium rief, bekleidete dieser die Stellung eines Adjutanten der 1. Ka- 
vallerie- Brigade in Konigsberg. Sohn eines Bergwerksbesitzers, war er ur- 
sprunglich, 1848/49, Einjahrig-Freiwilliger bei den 10. Husaren gewesen. 
Energisches und selbsttatiges Auftreten bei Unruhen in Bernburg (1849) — 
H. war zuf allig auf Urlaub anwesend und zog rechtzeitig seine Schwadron heran — 
half dazu, die Ordnung wiederherzustellen, und die ihm zuteilgewordene 
Anerkennung wirkte bestimmend mit bei seinem Entschlufi, auf Beforderung 
weiterzudienen. 1850 trat er als Leutnant bei dem 27. Infanterie- Regiment 
ein und wurde ein Jahr darauf zu den 8. Ulanen versetzt, bei denen er von 1853 
bis 1858 Dienst tat: des weiteren, wie gesagt, Brigadeadjutant, trat er dem 
Chef des I. Armeekorps, Obersten Konstantin v. Alvensleben, dem nach- 
maligen Fiihrer der Brandenburger im Deutsch-Franzosischen Kriege, dadurch 
naher, dafi er sein Tischnachbar im Hotel sein konnte. Der Empfehlung dieses 
von ihm hochverehrten Offiziers, der zur selben Zeit ins Kriegsministerium 
iiberging, hatte er, nach seinem eigenen Bekenntnis, die Berufung nach Berlin 
zu verdanken. 

Im Kriegsministerium, dem H. ununterbrochen 25 Jahre angehorte, wurde 
er furs erste als Dezernent der Zentral- und Remonteabteilung zugeteilt, trat 
aber im Oktober des namlichen Jahres i860, unter Beibehaltung dieser Ob- 
liegenheiten und unter Stellung d la suite des I. Garde-Ulanen-Regiments, als 
Adjutant an die Seite Roons. Diese Adjutantur versah er bis 1869, jahrelang 
allein; erst 1865 erhielt der Minister einen zweiten Adjutanten. Neben den Ad- 
jutanturgeschaften 1867 mit der Leitung der Zentralabteilung beauftragt, 
behielt er 1869, bei der Entbindung von der Adjutantur, diesen Auftrag bei 
und nickte im Juli 1870 endgiiltig zum Chef auf. 

Welch eine gewaltige Arbeitslast ruhte in dieser Werdezeit des neuen 
Deutschen Reiches auf den Schultern Roons! H. hat sie nach Kraften mit 
getragen. Den Abschlufl der Heereserneuerung nebst den langwierigen Kampfen 
mit der Volksvertretung, die Schaffung des Norddeutschen Bundes und des 
Deutschen Kaisertums mit den Anforderungen, die fiir das Kriegsministerium 
daraus entsprangen, die Feldziige von 1864, J 866 und 1870/71, das hat er in 
enger Arbeitsgemeinschaft mit Roon erlebt. 

Das Vertrauensverhaltnis zu Roon bahnte sich nicht zuletzt dariiber an, 
dafl der Kriegsminister in der Konfliktszeit mit Unwillen wahrnahm, wie seine 



v. Hartrott. 



327 



Erklarungen in der Landtagskommission durch die Presse haufig falsch wieder- 
gegeben wurden, dafl er daher eines zuverlassigen Mannes bedurfte, der die 
Aufierungen durch Kurzschrift festlegen konnte — wozu er seinen steten Be- 
gleiter H. sich erkor. Seit 1866 Major, wurde H. 1870 Oberstleutnant und be- 
gleitete den Kriegsminister als Chef seines mobilen Stabes ins Feld. In Friedens- 
zeiten liefen alle Faden des Kriegsministeriums bei der von H. geleiteten Zentral- 
abteilung zusammen. Daneben hatte deren Chef die gesamten Personalange- 
legenheiten dieses Ministeriums, auch die der ganzen preuflischen Armee- 
intendantur, zu bearbeiten. Alle Eingange sah der Chef durch und verteilte 
sie an die Departements und Abteilungen; alle im Hause gefertigten Arbeiten, 
die eine Kenntnisnahme oder Genehmigung durch den Minister erforderten, 
unterzog zunachst H. seiner Priifung. Solchen Anforderungen konnte am 
gewohnten, mehr als zehnstundigen Arbeitstage nur die angespannteste T&tig- 
keit genugen. Jahrelange Obung befahigte H. auch als Chef des mobilen 
Stabes, einen erheblichen Teil der Geschafte seiner Abteilung im Gang zu er- 
halten. Im Felde waren allerdings seine Aufgaben insofern mehr eingeschrankt, 
als dem mobilen Kriegsminister die Berliner BehOrde zur Seite stand. Nur die 
grundsatzlichen Fragen, fur die der Minister verantwortlich blieb, und die An- 
gelegenheiten, die sich auf das mobile Heer bezogen, gelangten in das Haupt- 
quartier, und zu ihrer Erledigung standen H. drei mobile Offiziere zur Ver- 
fugung. Er leitete die Geschafte in dem Sinne, dafl sein Chef moglichst ent- 
lastet wurde. Wie ein Sohn dem Vater suchte er dem alten Herrn die Schwierig- 
keiten zu erleichtern, erhielt ihm aber den Uberblick und hiitete ihn korperlich. 
Unermudlich im Arbeiten, wie in Berlin, geleitete er den Minister stets auf 
den Marschen zu Wagen, im Gefecht zu Pferde, und als Roon in Versailles schwer 
erkrankte, iibernahm er seine Pflege. Nicht zum wenigsten hielt er die Ver- 
bindung mit der Umgebung Bismarcks (Keudell, Bismarck- Bohlen) und Moltkes 
(Verdy, Bronsart), immer darauf bedacht, dafl Miflverstandnisse rechtzeitig 
beseitigt wurden. Beide Eiserne Kreuze brachte Oberstleutnant H. aus Frank- 
reich heim; zum Berliner Einzugstage erwirkte ihm Roon den erblichen Adel. 

t)ber Roons Amtszeit hinaus blieb v. H., 1872 zum Obersten befordert, 
Abteilungschef, bis er 1876 das Militar-Okonomiedepartement, das heutige 
Armee-Verwaltungsdepartement, iibernahm. Als er 1877 die Ernennung zum 
Generalmajor erhielt schrieb ihm der greise Feldmarschall Roon, aus dem 
Inhalt der letzten Beforderungsliste habe ihn nichts so sehr erfreut als die 
Namen des jtingsten Generals und des jungsten Obersten (seines altesten 
Sohnes) — »Ich dachte alter Zeiten, wie ich Sie mir von Konigsberg geholt und 
'wie Sie dann, in Ihrer Tuchtigkeit, Gesinnungstreue und Anhanglichkeit fiir 
mich erkannt, von Stufe zu Stufe aufsteigend, Ihre tiichtige Kraft, Ihre un- 
ermudliche Wirksamkeit in immer hoheren und wichtigeren Kreisen geltend 
zu machen wufiten. Ich sagte mir, dafl ich ohne Ihre treue, immer unver- 
drossene Untersttitzung nimmer zu Leistungen gelangt ware, die man befriedi- 
gend nennen konnte und nennen muflte; dafl ich mehr als dies, auch Ihre herz- 
lichen Sympathien und einen Freund an Ihnen gewonnen hatte. Ihnen dies aus- 
zudriicken — was ein Telegramm nicht vermochte — habe ich bisher unterlassen, 
weil ich, der Miiflige, Ihnen, dem Vielbeschaftigten, nicht die Unbequemlichkeit 
einer Antwort auferlegen wollte , . . « 

Nach dem Kriegsminister Kameke war General H. noch unter Bronsart I 



328 



v. Hartrott. 



aktiv, nahm aber, seit 1882 Generalleutnant, 1885 seinen Abschied. Kurz vor 
dem Rucktritt beging er, wenn auch fern von Berlin, die Feier seiner 25 jahrigen 
Zugehorigkeit zum Kriegsministerium. In seinem Gluckwunschschreiben 
brachte General v. Bronsart die Anschauung zum Aus'Jruck: »Jeder von uns 
vielen, denen es vergonnt war, als Untergebener, Gleichgestellter oder Vor- 
gesetzter mit Ihnen gemeinsam zu wirken, wird die angenehme Erinnerung 
bewahren, dafi selten Pflichttreue, Diensterfahrung und Wohlwollen sich in 
e i n e m Manne so voll vereinigt fanden, als wir es im dienstlichen und aufler- 
dienstlichen Verkehr mit Ihnen stets empfunJen haben.« Das Kriegsmini- 
sterium schenkte ihm die Biiste des »ehrwiirdigen Herrschers, unter dessen tat- 
sachlichem Regiments, schrieb Bronsart weiter, »Sie 25 Jahre in der groOen 
Heeresschmiede wacker gearbeitet haben. . . . Etwas Besseres wuBten wir nicht 
zu finden.« Nicht lange vor der Verabschiedung hatte ihm sein Konig durch 
die Ernennung zum Mitglied des Staatsrats eine fiir einen Offizier seltene Aus- 
zeichnung widerfahren lassen. Bei der Genehmigung des Abschiedsgesuches 
wunschte der oberste Kxiegsherr die »warme Anerkennun?« der »treuen Dienste« 
H.s in Erinnerung an seine »langjahrige (eigenhandiger Zusatz: 25 jahrige) 
ehrenvolle und erfolgreiche Tatigkeit im Kriegsministerium, im Kriege und im 
Frieden«, noch besonders dadurch zu betatigen, dafi er ihm den Roten Adler- 
orden 1. Klasse mit Eichenlaub verlieh. Bei Wilhelm I. war H. von jeher per- 
sonlicher Wertschatzung begegnet; seine unubertreffliche Pflichttreue hatte in 
dem Herzen des Monarchen lebhaften Widerhall gefunden. 

Im Ruhestande lebte H. anfanglich in Frankfurt a. O., darauf in Ballen- 
stedt, ganz still und verborgen. Die Enthiillung des Roon-Denkmals in Gorlitz — 
1895 — sa h ihn noch, aber zur gleichen Feier 1904 nach Berlin zu gehen, ver- 
mochte er sich nicht mehr zu entschliefien. Gelegentlich des hundertjahrigen 
Geburtstages Kaiser Wilhelms I. war ihm noch der Charakter als General der 
Kavallerie zuteil geworden. 

Mit der Gattin, die er 1863 gewonnen und die ihm einen Sohn und zwei 
Tochter geschenkt hatte, lebte er in innigem Einvernehmen. Jene Treue, die 
den Kern seiner Eigenschaften bildete und die in ihm gegeniiber Gott, Konig 
und Vaterland lebendig war, auflerte er in vollendeter Weise auch im Umkreis 
seiner Familie. »Wie waret Ihr sein ganzes Gluck!«, durfte nachmals der 
Geistliche an seinem Sarge ausrufen. »Vor allem«, hat dieser Kenner seiner Art 
hinzugefiigt, »die nachgeborene Generation. Wie bist du, Friedel, des Grofi- 
vaters Sonnenschein gewesen! Wie hellte sich sein Auge auf, das doch oft genug 
so trube blicken konnte, da er die Welt und ihre Wege oft so schwer nahm, 
wenn er von dir erzahlte, der Kleinsten, der Jungsten!« — 

Auf religioser Grundlage baute sich sein Dasein auf. »Mit Gott fang an, 
mit Gott hor auf, das ist der beste Lebenslauf !«, hat er einmal als Denkspruch 
niedergeschrieben. Im 82. Jahre eines nach solcher Richtschnur hingebrachten 
Lebens ist er heimgegangen. 

Militar-Wochenblatt 1910, Nr. 42 (General v. Blume). — Berliner Militftr-Zeitung 1910, 
Nr. 15. — v. Loebells Jahresberichte Ober das Heer- und Kriegswesen, 37. Jahrg. (1910), 
S. 444. — Handbuch fur Heer und Flotte (v. Altens Enzyklopadie der Kriegswissenschaften), 

4. Bd., Berlin usw. 1912, S. 647/48. — Konservative Monatsschrift 1910, S. 849 — 851 (General 
v. Lettow-Vorbeck). — 75 Jahre des 1. Garde-Ulanen- Regiments (1819 — 1894), Berlin 1898, 

5. 442. — Denkwtirdigkeiten des Generalfeldmarschalls Kriegsministers Grafen v. Roon, 



v. Hartrott. von der Burg. 329 

besonders II, S. 16, und III, S. 22, 60, 186, 191, 420, 429/30, 434/3S (nach der 4. Auflage 
1897 angefiihrt). — Mitteilungen des Generals v. Hartrott an den Verfasser; Papiere aus dem 
Besitz seiner Witwe; Auskunftedes Generalleutnants z. D. Graf en v. Roon und des f Generals 
der Infanterie z. D. v. Lettow-Vorbeck. 

Koburg. Archivar Dr. K r i e g. 

Burg x ), Ernst von der, koniglich preuGischer General der Infanterie, 
*24. April 1831 in Luckenwalde, f 3- November 1910 in Charlottenburg. — Dem 
General v. d. B. darf als Soldaten und als Charakter erhebliche Bedeutung 
zugesprochen werden. Ein hoher Offizier, der im Rufe strenger, mit dem Lobe 
kargender Urteilsweise steht, lafit dem ehemaligen Kameraden und Vorgesetzten 
diese wohlerwogene Bewertung angedeihen: »Ich habe ihn hochgeschatzt und 
fiir einen recht gebildeten Mann von selbstandigem und furchtlosem Wesen 
gehalten. Aller Phrase, Schmeichelei und Unterwiirfigkeit abgeneigt, war er 
ein tuchtiger Soldat, besafl ein gutes Urteil, Entschlossenheit, und wiirde im 
Ernstf alle als selbstandiger Truppenfiihrer jede Schwierigkeit iiberwunden haben.« 

In vielfach wechselnden Wirkungskreisen, in der Truppe, im Generalstabe, 
auf diplomatischem Felde verwendet, focht er unter franzosischer Fahne in 
Mexiko und beteiligte sich in zunehmend gewichtigen Stellungen an den deut- 
schen Einigungskampfen in Schleswig-Holstein, Bohmen und Frankreich. 
Aus der Artilleriewaffe hervorgegangen, beschlofl er seine Laufbahn als kom- 
mandierender General eines Armeekorps. 

Was ihm aus Kriegs- und Friedenszeiten mitteilenswert erschien, hat er 
an seinem Lebensabend zu einem uberaus fesselnd geschriebenen Druckwerk 
zusammengetragen. Allerdings war es hierbei, wie er zum Eingang bemerkt 
hat, nicht seine Absicht, Geschichte oder Memoiren fiir die Offentlichkeit zu 
schreiben. »Ich ergreife«, auflerte er sich, »die Feder lediglich, um dem Wunsche 
der Meinen zu entsprechen.« Dafl dieser stattliche Quartband als Handschrift 
gedruckt und nur einzelnen zuganglich gemacht wurde, darf bei aller Aner- 
kennung der Beweggrunde, die fiir den Verfasser ausschlaggebend waren, leb- 
haft bedauert werden. Denn die lebensvollen Schilderungen kriegerischer Be- 
gebenheiten, die von scharfer Beobachtungsgabe zeugenden Charakteristiken 
von Landern und Leuten, die Fulle heller Streiflichter, die, oft unter Ein- 
flechtung anekdotischer Ziige, auf Trager bekannter Namen fallen, der schlichte 
Ton, in dem der Erzahler, frei von Oberhebung und doch der erzielten Erfolge 
sich froh bewuflt, iiber sich selbst berichtet, all diese in anziehender Schreib- 
weise dargebotene Mannigfaltigkeit von Tatsachen und Stimmungen berechtigt 
zu dem Dafurhalten, daC hier eine unserer besten militarischen Autobiographien 
vorliegt. 

Als der General seine Niederschrift beendete, mit dem Ausdruck dankbarer 
Verehrung fiir den ersten Kaiser und seinen Sohn, da durfte er bekennen: 
»Wenn ich auf meine mehr denn 42 jahrige Dienstzeit unter vier Konigen 
zuriickblicke, habe ich alien Grund, mit derselben zufrieden zu sein. Was nur 
wenigen beschieden, habe ich erreicht. Auf mich selbst angewiesen, ohne Ver- 
mogen, trat ich in die Armee. Mich wacker, ohne Schulden, durchschlagend, 
gelangte ich bald in Stellungen, deren Einkommen vor Not schtitzte. Als das 



«) Totenliste 1910, Bd. XV, 17*. 



33O von <* er Burg. 

Gliick sich mir nahte, erfafite ich's und hielt es fest. Treu blieb es mir im Frieden 
wie in vier Kriegen. . . . Das Richtige zu tun war ich stets bestrebt; absichtlich 
habe ich nie verletzt und geholfen, wo ich konnte. . . . « 

Das Geschlecht dieses ausgezeichneten Mannes entstammt den spanischen 
Niederlanden ; ein Angehoriger fliichtete bei der Verfolgung der Protestanten 
durch Alba auf bergisches Gebiet. Einer der zwei SOhne dieses Engelbert v. d. B. 
kaufte ein Gut bei Leipzig. Beide wurden 1658 durch Leopold von Ungarn 
und Bohmen in die Gemeinschaft und Zahl der Edlen des Konigreichs Ungarn 
aufgenommen, da sie sich schon in den iibrigen und auswartigen Herrschaften 
und Provinzen der Adelsrechte erfreuten. 

Als unmittelbarer Nachkomme jenes Leipziger Johann v. d. B. wurde 
Ernst in den markischen Landen geboren. Er erwahlte als Nachstliegendes den 
Soldatenberuf seines Vaters. Dieser hatte 1813 als Sechzehnjahriger im Biilow- 
schen Korps, bei Dennewitz, eine schwere Wunde davongetragen, wahrend der 
Groflvater 1806 auf dem Marktplatz in Lubeck gef alien war; er hatte, als er 
die Nachhut des Bliicherschen Korps deckte, dreimal abgelehnt, sich zu ergeben, 
und war nach vierfacher Verwundung durch eine Kugel in die Brust getotet 
worden. 

An die Kadettenjahre in Potsdam und Berlin bewahrte v. d. B. dankbare 
Erinnerungen. Ein Ausmarsch der Kadetten nach dem Schlofl in der Nacht 
zum 19. Marz 1848 — gegen Morgen erfolgte die Einschiffung nach Potsdam — 
war das erste Kriegsbild in seinem Leben. 

Mit einem monatlichen Gehalt von 16 Talern 22 Silbergroschen 6 Pfennigen 
trat er Ende April 1849 als aufieretatsmafliger Sekondleutnant bei der Garde- 
Artillerie- Brigade ein. Vom Dienst bei einer Festungskompagnie in Spandau 
ging er 1852 endlich zur Feldartillerie in Berlin iiber. Jetzt erst lernte er die 
Kameraden kennen. »Welch ausgezeichnetes Of fizier korps «, schreibt er in 
seiner Rtickschau, »welche Kameradschaft, welche Ansammlung von Talenten, 
Geist und Kenntnissen!« Drei kommandierende Generale — v. d. B., Graf 
Waldersee, v. Lewinski, zwei Generalinspekteure — v. Bulow, v. Voigts-Rhetz — f 
die Generale Prinz Kraft Hohenlohe, Furst Anton Radziwill sind aus dem 
damaligen Kameradenkreise hervorgegangen. 

Wiewohl v. d. B. der Frontdienst sehr zusagte, war er auch auf seine ander- 
weitige Fortbildung bedacht und widmete namentlich viel Zeit der Vervoll- 
kommnung im Franzosischen. Seine Vorliebe fur diese Sprache veranlaflte 
ihn — 1 86 1 war er Hauptmann geworden — , das Kommando nach Paris zu 
erstreben, wohin alle zwei Jahre drei Offiziere zur Erlernung der franzosischen 
Sprache kommandiert wurden. Sein damaliger Kommandeur Prinz Wilhelm 
von Baden half wesentlich dazu, dafi er vom I. April 1862 an das erwiinschte 
Kommando erhielt. 

Infolge der Empfehlung desselben Prinzen wurde v. d. B. zur Audienz bei 
Kaiser Napoleon befohlen, von dem er den Eindruck bestrickender, aber be- 
rechneter Gutmutigkeit gewann. Im Salon der Kaiserin, an den Montag- 
abenden, trat der preufiische Offizier mit grofler Sicherheit auf. Die Armee 
gait als die erste der Welt. 

Ungiinstige Nachrichten waren iiber die franzosische Kriegf uhrung in Mexiko 
eingetroffen, und bedeutende Verstarkungen sollten dahin abgehen. Da 
entschlofi sich v. d. B., der schon mehrere Monate in Paris war und vom Pariser 



von dcr Burg. 33 1 

Leben genug hatte, sich urn eine Verwendung auf dem mexikanischen Kriegs- 
schauplatze zu bemiihen. 

Gegenliber dem Militarattach6 Major v. Stein, der ihm wegen des gelben 
Fiebers den Gedanken auszureden versuchte, betonte der Hauptmann seinen 
festen Willen, die sich darbietende Gelegenheit kriegerischer Betatigung zu 
benutzen. Ein Zuhorer, der preufiische Gesandte, der wahrenddem schweigend 
auf und ab gegangen war, blieb plotzlich vor v. d. B. stehen, schuttelte seine 
Hand und sagte: »Sie haben recht, versuchen Sie Ihr Gliick.« Das war Bis- 
marck! Aber erst die Vermittlung Prinz Wilhelms von Baden bei Napoleon 
selbst erzielte, dafl Hauptmann v. d. B. dem Stabe des Befehlshabers der 
Artillerie des Expeditionskorps zugeteilt wurde, und sein Konig erteilte ihm 
nicht nur die Erlaubnis hierzu, sondern kommandierte ihn dienstlich nach 
Mexiko und stellte die erforderlichen Gelder zur Verfugung. 

Nach langer, zuletzt stiirmischer Seefahrt von Cherbourg her setzte v. d. B. 
im Oktober 1862 in Vera Cruz den Fufi auf amerikanischen Boden. Strenge 
Lebensweise erhielt ihn, wahrend die Kameraden vom Fieber befallen wurden, 
gesund. 

Durch das Fehlen von Transportmitteln zunachst unmoglich gemacht, 
begann erst im Dezember der Vormarsch nach Orizaba. Offenen Auges schaute 
und schilderte v. d. B. die herrliche Vegetation, deren Bilder sich ihm auf dem 
heiflen und anstrengenden Marsch erschlossen. Die Mexikaner hatten ihre 
Hauptkrafte in und um Puebla versammelt, wo sie den ersten energischen 
Widerstand mit regularen Truppen zu leisten gedachten. Im Rucken der Fran- 
zosen nahm die Zahl der Guerillascharen zu, und oft sah v. d. B. die schrecklich 
entstellten Kadaver aufgekniipfter Guerillas im Mondschein pendeln. Unter 
kleinen Scharmutzeln ging das Jahr 1862 zu Ende, doch ohne dafi Hauptmann 
v. d. B. sich personlich hatte betatigen konnen. Nach mehr als zweimonatiger 
Ruhe drang General Forey im Februar 1863 auf Puebla vor; nachdem die Ein- 
schliefiung dieser eigentlich offenen, aber nach Moglichkeit befestigten Stadt 
bald nach Mitte Marz beendet war, begann endlich der formliche Angriff. Beim 
Eroffnen des Feuers der franzosischen Batterien, erzahlt v. d. B., habe er ge- 
wufit, dafl die Augen der Herren des Hauptquartiers auf ihn gerichtet waren, 
um zu sehen, wie sich der preufiische Offizier mit den Kanonenkugeln abfinden 
werde. »Da blieb mir denn nur iibrig, etwas zu renommieren. Wahrend rechts 
und links die Kugeln der Vierundzwanzigpfunder einschlugen und Granaten 
platzten, ging ich in langsamem Schritt 800 bis 900 m auf dieser Strafie bis zu 
den Batterien. « 

Am 29. Marz wurde unter geringeren Verlusten, als befiirchtet war, das 
erste Fort von Puebla im Sturm genommen. Bei Tage konnte man sich nur 
in den Gebauden aufhalten, weil das sie umgebende Gelande aus nachster Nahe 
bestrichen wurde; infolgedessen war es dringend geboten, so bald als moglich 
festen FuB in Puebla selbst zu fassen und zu diesem Zwecke das gegeniiber- 
liegende Kloster Guadalupita von San Davier aus zu sturmen. Der Artillerie 
gelang es nicht, die Bresche durch Geschutzfeuer herzustellen, da nach ihrem 
Dafurhalten das feindliche Gewehrfeuer aus dem Turm des Klosters es nicht 
zuliefi. v. d. B., der hingeschickt war, um zu erfragen, warum das Feuer nicht 
beginne, gab nach seiner Riickkehr dem General Neigre die Ansicht kund, die 
Bresche konne gelegt werden, erklarte sich auch bereit, die Unternehmung zu 



332 von der & UT g' 

leiten. Tatsachlich liefi er einen Vierpfiinder in das obere Stockwerk des Ge- 
fangnisgebaudes schaffen, einigte sich mit dem franzosischen Artillerieoffizier, 
sie wollten beide das Geschiitz allein bedienen, jener solle laden und abfeuern, 
er, v. d. B., wurde richten, und wirklich wurden solche Schieflerfolge gegen- 
uber der Kuppel des Klosters erzielt, daO der Gegner, ehe die Kuppel zum Falle 
kam, das Feld raumte. Wahrend der Franzose das Feuer in dieser Weise fort- 
setzte, brachte sein preufiischer Kamerad in der Sakristei der Kirche den Zwolf- 
pfCinder in Gang und gab die ersten Schusse selbst ab, kurzum, nach zweistiindi- 
ger Tatigkeit war eine gangbare Bresche fertig. Aufrichtigen Dank zollten dem 
Hauptmann die franzosischen Artillerieofiiziere, noch mehr* die zum Sturm 
bestimmten Chasseuroffiziere; General Neigre aufierte: »Sie haben sich grofle 
Verdienste erworben; ich werde nun das Weitere tun.« Abends gelang der 
Sturm, die Franzosen drangen in Guadalupita ein und besetzten den angrenzen- 
den Hauserbereich. Nun war man in Puebla — ohne dafi jedoch der Wider- 
stand der Besatzung gebrochen gewesen ware. v. d. B. wurde in Foreys Armee- 
befehl besonders belobt, wegen seines sehr bemerkenswerten Muts, »en ri hesitant 
pas & saisir une occasion de miler son sang & celui des enfants de la Frances Bei 
einer Tischeinladung zum Oberbefehlshaber fand er unter seiner Serviette die 
Ehrenlegion. 

Der Kampf in Puebla nahm taglich an Hartnackigkeit zu; Schlappen 
blieben nicht aus und erregten die Gemuter. Beim Angriff auf das sehr feste 
Kloster Santa Inez hatte der Stab der Artillerie fortwahrend Befehle an die 
exponiertesten Batterien zu uberbringen. Auf einem solchen Befehlsgang kam 
v. d. B. in eine Barrikade, in der plotzlich eine gegnerische Kanonenkugel der 
richtenden Nummer den Kopf wegrifi, wahrend die iibrige Bedienung durch 
Granaten verwundet wurde. Da zog der Hauptmann das Geschiitz, um es nicht 
dem Demolieren auszusetzen, mit zwei franzosischen Artillerieoffizieren aus 
der Scharte hinter die Brustwehr. Mit Erde bedeckt, aber unverwundet, ver- 
liefien die drei Offiziere die wahrend dieser Tatigkeit mit Geschossen aller Art 
uberschuttete Batteriebarrikade. Der Sturm der Zuaven scheiterte; panischer 
Schrecken griff um sich, so dafl weitere Angriffsversuche unterblieben. 

Wahrend eine fieberhafte Tatigkeit entwickelt wurde, um neue Geschutze 
und Munition heranzuschaffen und die Einschlieflung immer mehr zu verdichten, 
freute sich v. d. B., an einer Unternehmung teilnehmen zu diirfen, die darauf 
hinzielte, mexikanische Entsatztruppen zu uberfallen. In finsterer Nacht er- 
folgte der Aufbruch, vor Tagesbeginn stiefi General Bazaine auf den Feind, der 
nach glanzendem Gefecht in die Flucht geschlagen wurde. v. d. B. empfand 
das Fechten im freien Felde, nach sechs Wochen Belagerungskrieg und StraBen- 
kampf, als angenehme Abwechslung. Er verrichtete mit Major v. Stein Or- 
donnanzdienste bei Bazaine, nachdem dessen Generalstabsoffizier gefallen und 
der Adjutant verwundet vom Pferde gesunken war. 

Am 17. Mai kapitulierte endlich die mexikanische Armee, da auf Entsatz 
nicht mehr zu rechnen, die Aussicht, sich durchzuschlagen, sehr schwach, der 
Mangel an Lebensmitteln grofi war. 

Im Juni zog v. d. B. imGefolge Foreys inMexiko ein und war dannZeuge, wie 
man aus der Republik ein Kaiserreich machte und fur den Habsburger Maximilian 
als Inhaber des Thrones stimmte. Hier erhielt er auch von seinem KOnige den 
Roten Adler-Orden mit Schwertern. Als bis zum Herbste nichts Besonderes 



von der Burg. 333 

vorfiel und Ende Oktober Marschall Forey zuruckberufen wurde, benutzte 
v. d. B. diese Gelegenheit, um iiber Kuba-New York-Lissabon heimzukehren. 
Beim Scheiden aus dem Tal von Mexiko konnte er sich von dem grofiartigen 
Anblick der Natur kaum trennen. »Es ist ja ein herrliches Land«, hat er beim 
Zuriickdenken niedergeschrieben, »nur schade, dafl seine Bewohner meist elende 
Gesellen sind.« 

Alsv. d. B. im Januar 1864 sich beim Konig in Berlin meldeteunddanachvor- 
hatte, nach Paris zuruckzukehren, erhielt er seine Versetzung in den General - 
stab, als Generalstabsoffizier der 1. Division; unter diesen Umstanden horte 
das Kommando nach Frankreich auf. 

Sobald nach dem Ausbruch des Krieges mit Danemark General Hindersin 
zur Leitung des Artillerie- und Pionierangriffs gegen Diippel beordert wurde, 
bat der Konigsberger Generalstabler um Verwendung und wurde erhort. Moltke 
gab, wie er Blumenthal schrieb, dem Artilleriegeneral den Hauptmann v. d. Burg 
ausdrlicklich deshalb mit, weil dieser in Mexiko gute Erfahrungen vor dem Feinde 
gesammelt und einen ebenfalls wesentlich artilleristischen Angriff auf Puebla 
mitgemacht hatte. Jetzt begann eine ahnliche Tatigkeit wie gegeniiber jener 
mexikanischen Stellung. Trotz eines im Gelande vor Schanze IV am 14. April 
erhaltenen Prellschusses im rechten Unterschenkel und starken Schwellens des 
Beines war v. d. B. entschlossen, den Sturm mitzumachen, und wenn er, wie er sich 
ausdriickte, hatte auf Kriicken gehen mussen. Er hatte sein Bein wickeln lassen, 
bewegte sich mit Hilfe eines Stockes und erlebte so bei seinem Artilleriegeneral 
das Weitere. Nach Diippel ging er als Berichterstatter fur Moltke ins grofle 
Hauptquartier zu Wrangel, hatte da aber keine Gelegenheit mehr, kriegerischen 
Unternehmungen beizuwohnen. Die Wunde wurde schlimmer und erforderte 
langere Behandlung in Berlin und Teplitz. 

Der Verleihung des Kronenordens 3. Klasse mit Schwertern gesellte sich 
im Juni 1 864 die Versetzung in den Generalstab des vom Kronprinzen Friedrich 
Wilhelm befehligten II. Armeekorps, mit dem Sitz in Berlin. Das Verhaltnis 
zum Kronprinzen war ein prachtiges. Hauptmann v. d. B. stellte fest, es war 
iiberraschend, wie schnell der fiirstliche Herr beim Vortrag alles erfaflte. Es 
kam zu den politischen Verstimmungen, die den Kronprinzen dem leitenden 
Staatsmanne mehr und mehr entfremdeten. Der hohe Herr unterhielt sich mit 
dem Generalstabsoffizier liber seine Lage in der offensten Weise, und dieser 
durfte glauben, durch offene Erwiderungen, die der Kronprinz ruhig anhftrte, 
ihm manchen Dienst erwiesen zu haben. Oft nahm er damals auch an Unter - 
haltungsabenden bei Prinz Friedrich Karl teil. 

DieVerwicklungen mit Osterreich mehrten sich in Besorgnis erregenderWeise. 
Anfang 1866 zum Major befordert, erhielt B. am 26. Marz den Befehl, am 
nachsten Tage nach Italien abzureisen, zur Berichterstattung iiber die dortige 
Armee. Im Ministerium des Auswartigen gab ihm Bismarck in seiner drasti- 
schen Weise ein Bild der Sachlage, aus dem er entnahm, dafl der Krieg sicher 
sei, und unterrichtete ihn, wie er sich in Italien zu verhalten habe. Nach Er- 
ledigung des Dienstes kam das Gesprach auf das Verhaltnis zum Kronprinzen; 
v. d. B. erkannte, dafl die beiderseitigen Verstimmungen lediglich aus Mifi- 
verstandnissen erwachsen waren, es war ihm daher moglich, den Kronprinzen 
aufzuklaren und zur Herstellung guter Beziehungen beizutragen. 

Ober Paris, wo er Depeschen Bismarcks beim Gesandten abgab, reiste er 



ii4 von der Burg. 

nach Florenz. Der preuBische Gesandte Usedom, ein geistreicher, hochgebildeter 
Herr, machte ihn mit Lamarmora und andern bekannt, Viktor Emanuel empfing 
ihn gnadig. Anfang Mai war die Mobilmachung der italienischen Armee in 
vollem Gange. Als v. d. B. in Berlin anfragte, ob er den Krieg bei den Italienern 
mitmachen solle, erhielt er eine verneinende Antwort, dampfte am 8. Mai von 
Florenz ab und traf nach Erledigung von Auf tragen zu Paris in Berlin wieder ein. 

Mit v. Verdy, v. Hahnke und v. d. Hude trat Major v. d. B. in den Stab 
der II. Armee Kronprinz ein, die sich in Schlesien sammelte. 

Blumenthal drangte zur Offensive. Der Aufgabe, iiber das Riesengebirge 
vorzudringen, mufiten sich die einzelnen Korps raumlich getrennt unterziehen, 
unter AusschluB gegenseitiger Unterstutzung. Als Major v. d. B. in Gorlitz 
den Prinzen Friedrich Karl aufsuchte, um sich iiber die dortigen Absichten zu 
unterrichten und die der II. Armee mitzuteilen, wies der Prinz darauf hin, 
Friedrich dem Groflen sei diese Operation nicht gelungen, und fragte: »Trotzdem 
wollt Ihr sie ausfiihren?« »Ja, Konigliche Hoheit, vielleicht haben wir mehr 
Gluck«, lautete die zuversichtliche Antwort des Majors. 

Am 27. Juni begann die II. Armee ihre kriegerische Vorwartsbewegung. 
Bei Trautenau hatte Major v. d. B. Anlafi, die Autoritat des Oberbef ehlshabers zu 
benutzen, als er einen Divisionskommandeur ersuchte, die Avantgarde, die die 
starke Stellung des Feindes nicht in der Front zu nehmen vermochte, zu ver- 
starken. Dieses Anriicken von Verstarkungen hatte denn auch den gewiinschten 
Erfolg. Leider ging das Korps Bonin schliefilich zunick. v, d. B. hatte bei 
dem kommandierenden General vergeblich gegen das Zuruckgehen Verwahrung 
eingelegt; sein Versuch, die Garde-Division, deren Hilfe Bonin abgelehnt hatte, 
zur Umkehr zu veranlassen, konnte nicht zur Durchfiihrung gelangen, weil jene 
Truppen abends zu erschopft waren, als dafl weitere Leistungen hatten verlangt 
werden konnen. Major v. d, B. griff also mehrfach selbsttatig ein, sorgte auch 
dafur, noch nachts, beim Kronprinzen und Blumenthal, dafi an das Gardekorps 
ein Befehl fur den nachsten Morgen abging. 

In der Friihe des 28. schickte ihn der Kronprinz nach Trautenau, um zu 
sehen, wie dort die Sache stehe. So machte der Major das gliickliche Gefecht 
bei Soor mit. Durch die Nachricht hiervon wurde der Kronprinz, schon in 
froher Stimmung iiber Skalitz, hoch begliickt und umarmte den Kunder dieses 
neuen Erfolges mit den Worten: »Diese beiden Tage werde ich Ihnen im Leben 
nie vergessen.« 

Beim Vormasrch des Kronprinzen auf Koniggratz erhielt v. d. B. den Auftrag, 
zur I. Armee zu reiten und sich mit dem Gang der Schlacht bekannt zu machen. 
Wahrend dieses Ritts befand er sich, nach seiner Ausdrucksweise, »wie ein Hase 
im Kessel«; »wie ich durchkam, weifi ich heute noch nicht «. Vor 12 Uhr traf 
er bei der im Waldgefecht aufgelosten Division Fransecky ein. Er rief den 
Leuten zu: »Der Kronprinz kommt.U Das wirkte und gab neuen Mut. Nach 
Verabredung mit dem Generalstabsoffizier Major v. Krenski beschlofi er, den 
Spitzen des Gardekorps und VI. Korps entgegenzureiten, deren Marsch die 
Richtung zu geben und ihn womoglich zu beschleunigen. Es gait, auf dem 
Wege zuriickzureiten, auf dem er gekommen war. v. d. B. zogerte keinen 
Augenblick und jagte wieder los. Eine Schutzenlinie iiberraschend durch- 
reitend, stiefl er auf eine Husarenpatrouille von der Avantgarde des Gardekorps. 
Durch diesen Mann gefuhrt, erreichte er nach kurzer Zeit in vollem Laufe den 



von dcr Burg. 11 c 

General v. Alvensleben an der Spitze der im Vormarsch befindlichen Avant- 
garde. Er setzte ihm die miflliche Lage der Division Fransecky auseinander, 
die dringend der Hilfe bedurfe; ein Stofi auf Maslowed werde die feindliche 
Flanke treffen. Dann ritt er querfeldein in der Richtung, aus der das VI. Korps 
kommen muflte, schilderte auch hier die Lage Franseckys und forderte zur 
Eile auf. »Sein Vollblutpferd«, erzahlt ein Mitglied des Stabes des VI. Korps, 
das den Major heranjagen sah, »hatte die Niistern weit offen und schlug mit den 
blutenden Flanken. Major v. d. B. selbst war ganz aufler Atem . . . « »Nehmen 
Sie vor, Exzellenz«, legte er dem General v. Mutius nahe, »was Sie an Artillerie 
nur heranbringen konnen. Lassen Sie feuern und feuern, und ware es nur, damit 
unsere Leute merken, dafi endlich Hilfe erscheint.« Dieser dringenden An- 
regung wurde stattgegeben; unaufhaltsam ging das schlesische Korps vorwarts. 

Der Major begleitete die Schlesier im Anfang ihres Gefechts, suchte dann 
den Kronprinzen vergeblich und folgte fernerhin der Bewegung der Garde - 
truppen, wobei er Zeuge eines Teils der Heldentaten der Garde an diesem Tage 
wurde. Er erlebte die Begegnung des Kronprinzen mit Friedrich Karl auf 
der Hohe von Chlum, dann die ruhrende Begriifiung zwischen dem koniglichen 
Vater und seinem sieggekronten Sohne. 

Im Hauptquartier des Kronprinzen nahm er des weiteren teil an dem Vor- 
marsch gegen Wien bis zum Waffenstillstand. »Alles wie ein Traum«, schrieb 
er daruber, dafi er so rasch sich wiedcr in Berlin befand; »doch erinnerte mich 
der Orden pour le merite ... in angenehmer Weise an die Wirklichkeit.« 

Im Marz 1867 erhielt v. d. B. den Auftrag, als Militarattache der Nord- 
deutschen Gesandtschaft nach Frankreich zu gehen. Als solcher erlebte er die 
preufiischen Besuche bei der Pariser Weltausstellung. 1869 zum Oberstleutnant 
befordert, wurde er im Januar 1870 zur Ubernahme der Geschafte eines Chefs 
des Stabes in Konigsberg beordert. Die drei Jahre in Paris, in denen die »Re- 
vanche pour Sadowa* in der Luft lag, waren fur den Militarattache schwierig 
gewesen, da man jetzt alles getan hatte, ihn zu tauschen und die wahren Ab- 
sichten zu verschleiern. 

Das Verhaltnis zu dem mifitrauischen General Manteuffel, der zunachst 
gern andere auf dem Posten des Stabschefs gesehcn hatte, wurde bald ganz gut; 
Manteuffel merkte, dafl sein Gehilfe keinen Sonderbestrebungen nachging, den 
Dienst vielmehr ganz objektiv betrieb. 

Als Gencralstabschef des zur Armee Steinmetz gehorigen mobilen I. Armee- 
korps trat Oberstleutnant v. d. B. am 5. August 1870 die Fahrt nach dem 
Westen an. 

In berechtigter Selbsttatigkeit improvisierte die Avantgarde des VII. Korps 
am 14. bei Colombey einen Kampf, der dem Abzug Bazaines den ersten Stein 
in den Weg legte. v. d. B. hatte Gelegenheit, am 15. friih Konig Wilhelm und 
Moltke uber den Gang der Schlacht zu berichten und die Notwendigkeit des 
Angriffs trotz des Verbotes zu begrunden. Der Konig war einverstanden, und 
Moltke meinte, die Friichte werde man in den nachsten Tagen auf dem andern 
Moselufer ernten. 

Weitcre schwere Schlachttage forderten und vollendeten die EinschlieBung 
der franzosischen Armee in Metz. Manteuffel sollte auf dem rechten Moselufer 
den Durchbruch verhindern. Ein solcher ernster Versuch des Feindes fuhrte 
zu den Kampfen bei Noisseville. Diese Schlacht erklart v. d. B. in seinen 



336 von der Surg. 

Denkwiirdigkeiten fur »cins der schonsten Blatter in der Geschichte des 
I. Korps«. Mit schwachen Kraften wurde der Durchbruch unmoglich gemacht. 
Der Generalarzt des Korps wartete vergeblich auf den Augenblick, wo, wie er 
zu v. d. B. meinte, dessen Nerven versagen wiirden. Allerdings stand der Oberst- 
leutnant fast jede Nacht auf, wenn die Schiefierei bei den Vorposten begann, 
und kam dann erst nach einigen Stunden zuriick. Er sagte dem Arzt, seine 
Nerven wiirden hoffentlich so lange halten, bis Metz und die Rhein -Armee in 
deutschen Handen seien. Zeitweilig hatte der Stabschef sogar den komman- 
dierenden General, der — sein Pferd fiel — den Kncichel eines Fufles gebrochen 
hatte, auf dem Gefechtsfelde zu vertreten. 

Am 27. Oktober kapitulierte Metz. Manteuffel erhielt hernach den Befehl 
uber die I. Armee, General v. Bentheim trat einstweilen an seine Stelle. 

Das I. Korps verblieb noch in Metz. Alsdann wandte sich Manteuffel, auf 
die Nachricht, dafi bei Amiens 15 OOO Franzosen sttinden und Verstarkungen 
heranzogen, gegen diesen Feind. Auf die Kampfe bei Amiens folgte ein durch 
Monate sich erstreckender Aufenthalt in Rouen. 

Oberstleutnant v. d. B. erhielt nachst den ihm zuteil gewordenen Eisernen 
Kreuzen 2. und 1. Klasse das Eichenlaub zum pour le tnerite; Ende Juli 1871 
kehrte er nach Ostpreufien zuriick. 

Im Oktober 1871 wurde er, nach der Augustbeforderung zum Obersten, 
zum Chef des Stabes der Okkupationsarmee in Frankreich ernannt. In Nancy 
traf er wieder mit Manteuffel zusammen. Seine Ansicht ging dahin, das Land 
so spat wie moglich zu verlassen, um die Reorganisation der franzosischen 
Armee aufzuhalten. Leider fand seine Auffassung keinen Anklang. Im Sep- 
tember 1873 wurde das Oberkommando der Okkupationsarmee aufgelost. In 
Berlin erhielt v. d. B. den Roten Adlerorden 2. Klasse, »was noch nie einem 
Obersten passiert war«, mit einer sehr anerkennenden Kabinettsordre. 

Im Herbst desselben Jahres 1873 wurde der Oberst dem Niederrheinischen 
Fusilier-Regiment Nr. 39 iiberwiesen. Ein Infanterie-Regiment zu komman- 
dieren wurde ihm nicht schwer; als Generalstabschef muflte er ja alle Waffen 
kennen. »Meine Fusiliere«, schreibt er, »waren willig, aber doch ganz andere 
Leute als die der Garde, Preuflen und Pommern. Sehr bald bemerkte ich, 
dafi der Sammethandschuh eine eiserne Faust bekleiden miisse.« Seine Mittel 
bewahrten sich. 

Im Mai 1876 erhielt er die 16. Inf an terie- Brigade. Dazu, dafi er noch im 
selben Monat zum Generalmajor aufstieg, hat er bemerkt: »Da ich kurz vorher 
45 Jahre alt geworden war, gait ich fur einen sehr jungen General. « Der Stab 
der Brigade lag in Erfurt, und ein genialer Soldat, v. Blumenthal, war v. d. B.s 
kommandierender General. »Er [General v. d. B.] hat sich ein bedeutendes 
Renommee erworben«, stellte 1879 der damalige Merseburger Husar v. Versen 
fest, als er einer Besichtigung der 16. Brigade beiwohnte. 

In dem zuletzt genannten Jahre wurde Manteuffel Statthalter von Elsafl- 
Lothringen und gleichzeitig Kommandierender des XV. Armeekorps; sogleich 
beantragte er v. d. B. wieder als Chef des Stabes. Im Februar 1880 erfolgte 
dessen Versetzung nach Strafiburg. Es war das dritte Mai, dafi er Stabschef 
bei Manteuffel wurde, uber den er sich dahin aufiert: »Ich kannte ihn wie seine 
Eigentiimlichkeiten ganz genau.« Der Kaiser hatte ihm empfohlen, alle mili- 
tarischen Geschafte dem Statthalter abzunehmen, damit sich dieser der Re- 



von der Burg. -soy 

gierung ganz widmea konne. Mit Manteuffels allzu entgegenkommendcr, von 
den Franzosen als Schwache ausgelegter Art war v. d. B. ganz und gar nicht 
einverstanden. »Einc stramme, gerechte Regierung, die nicht nach Popularitat 
hascht, mit fester Hand die Klerikalen und die Sozialdemokraten niederhalt, 
wiirde das beste Resultat erzielen, namlich Ruhe und Ordnung. Weiteres ist 
vorlaufig nicht zu erreichen; man sollte es deshalb auch nicht erstreben und es 
geduldig der Zeit uberlassen, das Ubrige zu tun« — das war seine Meinung auch 
noch 1903, als er sich (er redet gelegentlich von 32 seit 1871 verflossencn Jahren) 
mit seinen autobiographischen Aufzeichnungen beschaftigte. 

v. d. B. f berichtet Frau v. Puttkamer, die Gattin des damaligen Unter- 
staatssekretars in Elsafl-Lothringen, »war einer der Generale mit internationaler 
Bildung und einer interessanten Vergangenheit. , . . eine sehr charakteristische 
Erscheinung, mit kraf tiger Adlernase und scharfblickenden Augen, sehr aufrecht 
und martialisch von Haltung«. Der Hinweis darauf, dafl er derb-offen und 
sarkastisch sein konnte, stimmt zu dem schon hervorgehobenen Freimut, der 
sein Auftreten uberhaupt kennzeichnete. 

General v. d. B. lebte gern in Strafiburg und war nicht sehr erfreut, als er 
im September 1881 als Kommandeur der 11. Division nach Breslau versetzt 
wurde. Doch gewann er Land und Leute bald lieb. v. Tumpling, dann v. Wich- 
mann waren seine kommandierenden Generale. 

Im Herbst 1884 kehrte der General als Gouverneur nach Strafiburg zuruck. 
Im Januar 1887 folgte die Beauftragung mit der Ftihrung des II. Armeckorps, 
dessen Bezirk damals eine ungeheure Ausdehnung hatte; er reichte von Stral- 
sund bis iiber das rechte Weichselufer bei Graudenz und Thorn. Schon im ersten 
Jahre seiner Wirksamkeit in Pommern hatte das II. Korps Kaisermanover. 
Als der alte Kaiser bei der Abfahrt von Stettin sagte: »Burg, Sie ahnen nicht, 
welche Freude Sie mir mit dem II. Korps gemacht haben«, wufite der tief Er- 
griffene, er werde seinen kaiserlichen Herrn nicht wiedersehen. Eine letzte Be- 
gegnung mit Kaiser Friedrich, der ihn dabei wiederholt kufite, nannte er die 
>>schmerzlichste Erinnerung seines Lebens«. 

Vom jungen Kaiser erhielt er die Beforderung zum General der Infanterie 
(im April 1888) und das Grofikreuz des Roten Adler-Ordens mit Eichenlaub 
und Schwertern. Zu Konferenzen iiber eine Reorganisation der Armee wurden 
alle kommandierenden Generale nach Berlin befohlen. Die erste, erzahlt 
General v. d. B., fand an dem ominosen 18. Marz 1890 statt und brachte eine 
schmerzliche Oberraschung. Der Kaiser empfing die Generale mit einer An- 
sprache, die sich nicht mit der Armeereorganisation befafite, sondern mitteilte, 
dafl Furst Bismarck nicht mehr Reichskanzler und Caprivi sein Nachfolger sei. 
»Dafi dieser Fall*, urteilt v. d. B., »einmal eintreten mufite, ist begreiflich, aber 
zu bedauern war die Art der Trennung.« Ein begeisterter Anhanger des groflen 
Kanzlers, hat der General nachmals, 1895, an einen jungen Historiker geschrieben : 
»Ihr patriotischesHerz wird sich iiber die grofienEhrungen freuen, welche unserem 
Bismarck aus alien Gauen Deutschlands dargebracht werden. Moge die Zahl 
derer immer kleiner werden, welche als richtige tiles carries mit Gleichmut das 
Vaterland in Gefahr bringen, wenn sie nur ihr vermeintliches Recht behaupten 
konnen.« 

Nach Vollendung des 60. Lebensjahres — er war inzwischen einer der alte- 
sten kommandierenden Generale geworden, einer der wenigen, die noch vom 

BiogT. Jahrbuch u. Deutscher Nckrolog-. x6. Bd. a2 



238 von der Burg. Olbrich. 

alten Kaiser ernannt waren — bat er im September 1891 um seine Verabschie- 
dung und erhielt die Bitte am 20. Oktober genehmigt unter Stellung d la suite 
des I. Garde-Feld-Artillerie-Regiments, in dem er vor 42 Jahren seine »so 
erfolgreiche und ehrenvolle« militarische Laufbahn begonnen hatte. 

Im Ruhestand wechselte er wiederholt mit seinem VVohnort. Nach der 
preuOischen Hauptstadt ubergesiedelt, ging er hernach nach Wiesbaden (»ich 
hoffe«, schrieb er 1896, »daC es mir hier besser gef alien wird als in dem gerausch- 
vollen Berlin«), kehrte dann nach Berlin zuriick und lebte zuletzt in Char- 
lottenburg. »Mit 71 Jahren«, reflektierte er brieflich 1902, »hat man einen langen 
Riickblick, und wenn ich bedenke, dafi ich im Jahre 1862, fast vor 40 Jahren, 
in den Krieg nach Mexiko zog, dem dann unsere drei Kriege 1864, 66, 70/71 
folgten, so erscheint es mir oft wunderbar, dafi das alles so weit zuriickliegt: 
die Zeiten haben sich gewaltig geandert, doch das ist gut, denn Stillstand ware 
Zuruckgehen, und Deutschland mufi immer mehr vorwarts kommen.« »Mit 
Interesse«, betonte er am Schlufi seines Memoirenwerks, »verfolge ich, wenn 
jetzt auch unbeteiligt, alle Vorgange, halte nicht krampfhaft an dem Alten 
fest, sondern begreife, dafi jede Generation berechtigt ist, das zu tun, was sie 
fiir richtig halt. . . . « 

Es war das reich gesegnete Leben eines kernhaften deutschen Mannes, das 
im 80. Daseinsjahre zu Ende ging. 

Illustrierte Zeitung vom 5. November 1887. — Militar-Wochenblatt 1909, Nr. 89. — 
Berliner Militar- Zeitung 1910, Nr. 46 (Beilage 1). — v. Loebells Jahresberichte uber das 
Heer- und Kriegswesen, 37. Jahrg. (1910), S. 441. — Erinnemngen aus Krieg und Frieden, 
von v. d. Burg, General der Infanterie (272 Seiten in 4 ), als Handschrift gedruckt, Berlin 1903. 
— Moltkes militarische Korrespondenz 1864, Berlin 1892, S. 128, 137/38. — 1866: Graf 
Frankenberg, Kriegstagebucher von 1866 und 1870/71, Stuttgart usw. 1896, S. 49; Margareta 
v. Poschinger, Kaiser Friedrich, 2. Bd., Berlin 1899, S. 179 fT. (»Aus meinem Tagebuch im 
Feldzuge i866«); v. Verdy du Vernois, Im Hauptquartier der Zweiten Armee 1866, Berlin 
1900, S. 34/35* 96, 149; v - Bremen, Denkwurdigkeiten des Generals v. Fransecky, Bielefeld 
und Leipzig 1901, S. 379; Tagebiicher des Generalfeldmarschalls Graf v. Blumenthal aus den 
Jahren 1866 und 1870/71, Stuttgart und Berlin 1902, S. 27; Krieg, General Konstantin v. Al- 
vensleben, Berlin 1903, S. 65; Foerster, Prinz Friedrich Karl von PreuGen, Denkwurdigkeiten 
aus seinem Leben, 2. Bd., Stuttgart und Leipzig 1910, S. 36/37, 40. — Freiherr v. Werthern, 
General v. Versen, Berlin 1898, S. 139. — Alberta v. Puttkamer, Die Aera Manteuflel, Stuttgart 
und Leipzig (1904), S. 49/$o. — Briefe des Generals v. d. Burg an den Verfasser; Mitteilungen 
des Generals der Infanterie z. D. v. Lentze. 

Koburg. Archivar Dr. Krieg. 

Olbrich 1 ), Maria Josef, Architekt, * 22. Dezember 1867 zu Troppau, 
f 8. August 1908 zu Darmstadt. — O. ist als Sohn einfacher, aber nicht unbe- 
mittelter Burgersleute — sein Vater Edmund war Lebzelter — geboren und 
hatte zwei Briider. Er absolvierte in Troppau das Untergymnasium und kam 
von da an die Wiener Staatsgewerbeschule, wo er unter Professor Deininger 
den ersten Grund zu seinem spateren Berufe legte. Von 1890 bis 1893 war er 
an der Wiener Kunstakademie Karl Hasenauers Schuler, wo er neben andern 
Preisen auch den Rompreis erhielt, der ihm eine zweijahrige Studienreise durch 
Italien ermoglichte. Noch vor Beginn dieser Reise trat O. fur einige Monate 
in das Atelier Otto Wagners ein, in das er dann nach Vollendung seiner Reise 

Totenliste 1908, Bd. XIII, 68*. 



Olbrich. 



339 



wieder zuruckkehrte, um mehrere Jahre hier zu verweilen. Ohne Zweifel vollzog 
sich erst in dieser Zeit und unter dem Einflusse seines Chefs, der damals die 
Wiener Stadtbahnbauten ausfiihrte, die entscheidende Entfaltung in O.s kiinst- 
lerischer Natur. Denn weder Hasenauer noch dieEindrucke Italiens konnten in 
ihm den Keim gerade jener Kunstuberzeugung legen, der er durch sein ganzes 
Leben mit Treue anhing, der fortschrittlichen ,,Moderne 44 der neunziger Jahre. 
Andrerseits freilich darf O.s fleifiiges Studium der italienischen Kunst nicht 
unterschatzt werden; vielmehr blieb etwas von dieser abgeklarten Kunstweise 
zeitlebens seinem Schaffen eigen und bewahrte ihn vor so manchem Abwege. 
O.s erstes selbstandiges Werk war der Bau der Wiener ,,Sezession 44 . ,,Mit 
Freuden gebar ich dieses Werk 44 , so schrieb er damals im ,,Architekt 4 * zu einer 
Publikation des Gebaudes — , und wirklich tragt dieses Werk so ganz den 
Stempel urspriinglicher, aus der Tiefe herausgeholter Schopferkraft, daB es, 
wie vielleicht kein zweiter Bau jener Tage, sogleich den heftigsten Widerspruch 
aller derjenigen hervorrief, die sich die Baukunst lediglich in den Bahnen der 
Uberlieferung wandelnd vorstellen konnen. Dem Sezessionsgebaude folgten die 
Villa Friedmann in der Hinterbrtihl, die Villa Bahr in Ober-St. Veit und die 
Villa Stift, durchaus Bau ten, deren Charakter in'manchen der spateren Darm- 
stadter Villen O.s in gelauterter Gestalt abermals zutage trat. 

Da kam das Jahr 1899 und mit ihm die grofie Entscheidung auf dem Lebens- 
wege O.s. : seine Berufung nach Darmstadt durch den GroBherzog Ernst Ludwig 
von Hessen. 

,, Durch die ihm von Anbeginn bis zu seinem Tode erwiesene auflergewohn- 
liche Gunst und Freundschaft des GroBherzogs 44 — so berichtete nach O.s Tode 
dessen Witwe in einem Briefe — ,,nahm er in der Stadt eine auBergewohnliche 
Stellung ein. Samtliche Behorden und Ministerien verkehrten mit ihm, wie 
ihn denn auch bei jeder offentlichen Gelegenheit die ganzen Jahre hindurch 
der GroBherzog auffallig auszeichnete und freundschaftlich mit ihm verkehrte. 
Er hatte jederzeit Zutritt und privaten Empfang beim GroBherzog. 44 

Dieser ausgezeichneten Stellung entsprach auch O.s kiinstlerische Be- 
schaftigung. Sein erstes und grofites Werk, dasselbe, das die eigentliche Ver- 
anlassung zu seiner Berufung nach Darmstadt bildete, war die ,,Kunstler- 
kolonie 44 mit den standigen Villen, darunter des Kiinstlers eigenes Wohnhaus, 
sowie den damaligen provisorischen Bauten. Diesem Werke folgten die ,,Drei- 
hausergruppe 44 , der sogenannte ,,Hochzeitsturm 44 mit dem Ausstellungshause 
und andere Ausstellungsbauten, viele groflere Villen, zwei Brunnen auf dem 
Luisenplatze und eine auBerordentlich reiche Anzahl von Innenausstattungen, 
endlich eine wahre Legion kunstgewerblicher Arbeiten * Dazu gesellten sich in 
der letzten Lebenszeit O.s, als dessen Bedeutung immer mehr erkannt wurde, 
auch eine Reiheauswartiger Auftrage, so z. B. in den Rheinlanden, flir die Aus- 
stellungen in Koln und Mannheim, endlich der gewaltige Millionenbau des Waren- 
hauses Tietz in Dusseldorf, dessen Vollendung der Kunstler aber nicht mehr 
erlebte. 

Wenn wir nun horen — und Otto Wagner hat es uns ja in seinem Nekrolog 
gesagt — , dafl trotz all dieser reichen Tatigkeit in der neuen Heimat O. der 
alten Heimat nicht vergessen konnte, sondern mit Freuden wieder nach Wien 
gekommen ware, sofern man ihm nur jene Stellung geboten haben wiirde, die 
seiner Bedeutung entsprach, so mufi uns diese Treue des Kiinstlers mit tiefer 

22* 



340 



Olbrich. 



menschlicher Sympathie fur ihn erfiillen, zumal wir wissen, dafi ihn seine Sehn- 
sucht nach der Heimat bis in den Tod begleitet hat. 

O.s Tod trat, wenn audi nicht plotzlich, so doch unerwartet fruh ein. Eine 
tuckische Krankheit, von der es keine Heilung gibt, Leukamie, hatte den bis 
dahin kraftigen und gesunden Mann befallen. Wie der Maler Clarenbach be- 
richtet hat, traf er O. am Morgen des 3. August 1908 ,,als gealterten Mann, 
der eben dabei war, sich mit Aufbietung aller Krafte muhselig anzukleiden und 
auf alle Fragen nur leise Antworten lispelte, eines aber noch durchaus wollte — 
arbeiten. 41 Doch schon am Sonnabend den 8. August starb der Kiinstler. „ Jetzt, 
da der Tod diese Riesenkraft gebrochen" — mit diesen Worten schliefit Wagners 
schoner Nekrolog — ,,kann die Welt crfahren, dafi des Kiinstlers Ehrgeiz und 
sein Arbeitseifer mafilos waren, und dafi er kurz vor seiner Erkrankung sagte, 
dafi all* seine Arbeit bis jetzt nur ein winziger Bruchteil dessen sei, was er noch 
leisten werde, leisten miisse. u 

Trotz dieses kraftvollen, impetuosen Grundzuges in seinem Charakter war 
O. von ungewohnlich stillem, zuriickhaltendem Wesen. Eine starke Menschen- 
verachtung sagten ihm diejenigen nach, die ihn nicht naher kannten. Er 
,,brauchte 44 keine Menschen und suchte sie deshalb auch niemals auf. Am 
glticklichsten war er allein bei seiner Arbeit. Alles Gesellschaftsleben und kon- 
ventionelle Treiben war ihm verhafit. Aber fiir sich selbst, sein Haus und seine 
Familie liebte er vornehme, ja luxuriose Lebensfuhrung. Glanz und Reichtum 
mufite ihn umgeben. Edles Metall, Steine, Perlen, Seide, schone Blumen, 
Fruchte und Kunstwerke, vor allem aber Farbe verlangte er stets um sich zu 
sehen. 0. war auch durch und durch Kulturmensch im besten, man konnte 
sagen, im antiken Sinne des Wortes. Daher war ihm alles sogenannte Boh^me- 
tum widerwartig, zum wenigsten hatte er keinerlei Verstandnis dafur. Nebst 
seiner Kunst liebte er am meisten die Musik, auch das Theater, und er war ein 
begeisterter Schwarmer fiir Richard Wagner. Von den historischen Kunstlern 
seines Fachs verehrte er am hochsten Michelangelo; von modernen Bau- 
ktinstlern schatzte er Berlage, den Erbauer der Amsterdamer Borse, sehr hoch, 
von den modernen Malern Walter Crane und Toorop, diesen als dekorativen 
Maler. Eine nationale Uberzeugung in der Kunst gab es fiir O. nicht, er war 
vielmehr von der internationalen Giiltigkeit der Kunst durchdrungen. Soge- 
nannte Heimatskunst, Denkmalpflege und ahnliches belachelte er als Zeichen 
kiinstlerischer Unfruchtbarkeit. In seiner politischen Gesinnung war er demo- 
kratisch. Fiirstentum nahm er nicht ernst; Beamtendiinkel verachtete er. 
Sehr gem hatte er dagegen einfache Leute auf dem Lande und fand besonders 
an deren Hausern und Garten groflen Gef alien. Oberhaupt: in O. vereinigte 
sich der einfachste, gemiitsvollste Naturmensch mit dem vollendetsten Lebens- 
kiinstler, der fiir die raffiniertesten Kulturfeinheiten vollstes Verstandnis hatte. 
Dafi ein Talent von solch moderner Pragung wie O. auch tief erfiillt war 
von der Giiltigkeit des Kunstglaubens seiner Zeit, dafi er also die Architektur, 
wie sie die neunziger Jahre verstehen wollten, keineswegs fiir eine blofie Kunst 
des Uberganges hielt, sondern von ihrer Lebensfahigkeit und Endgiiltigkeit 
iiberzeugt war, bedarf kaum erst der Versicherung. Aber dieser kiinstlerische 
Glaube O.s wurzelte ausschliefilich in seiner Phantasie. Theoretisch ist er dem 
Problem der Baukunst, zumal der modernen, nicht naher getreten. Hielt er 
doch gar nichts vom Nachdenken iiber die Kunst, war er doch iiberzeugter An- 



Olbrich. Messel. 34 1 

hanger des intuitiven, nicht reflektierenden Schaffens. Alles Kunstgelehrtentum 
— obgleich er es ja bedingungsweise gelten liefl — erachtete er in seiner Ge- 
samtheit nur fur eine Gefahr fur das Volk, ftir das natiirliche, einfache, gerade 
Empfinden verderblich. Und er wurde in dieser Meinung sicherlich von jenem 
gesunden, kiinstlerischen Gefiihl geleitet, das — alles in allem gefafit — das 
vielleicht wesentlichste Merkmal seiner ganzen Eigenart ausmacht 

Prof. F. v. F e 1 d e g g. 

Messel *), Alfred, Architekt, Regierungsbaumeister und Professor, * 22. Juli 
1853 zu Darmstadt, f 24. Marz 1909 zu Berlin. — In Darmstadt besuchte M. 
gemeinschaftlich mit Ludwig Hoffmann, dem derzeitigen Berliner Stadtbaurat, 
das Gymnasium. Die Schulfreundschaft ward eine Freundschaft ftir Lebenszeit. 
Und es benihrt schon, dafi der Freund des Freundes letztes Werk, den Monu- 
mentalbau des Museums, nach dessen Tode zu Ende fuhrte. 

Nach bestandenem Examen kam M. (1873) zwanzigjahrig als Baueleve 
auf die Kunstakademie in Kassel. Im Jahre 1874 ist er in Berlin, wo er als 
Schiiler der Bauakademie ein vierjahriges Studium absolvierte. Von seinen 
Lehrern sind hier besonders der Geh. Hofbaurat Strack (der Erbauer der Ber- 
liner Nationalgalerie) zu nennen; und weiter Lucae, Botticher, Ende. Nach 
Abschlufl der Studienzeit kam die fiinfjahrige Baufuhrerzeit. Schon hier macht 
sich sein Talent bemerkbar beim Siege in der Konkurrenz um den Schinkelpreis 
1 881 (an der er sich als Mitglied des Architektenvereins zu Berlin beteiligte). — 
1883 sehen wir M. in Italien, das er als Schinkelpreistrager durchstreifte. Weitere 
grofiere Studienreisen flihrten ihn nach Spanien und Frankreich. Hier scharfte 
er seine Empfindungskraft und drang er in das Wesen der alten Meister und 
ihrer Kunst ein. Sie war ihm allezeit vorbildlich bei seinem Schaffen, das nie- 
mals — wenigstens soweit es sich nicht um ganz neue Probleme handelte — 
den Boden der Tradition verliefi. Als Regierungsbaumeister war er bis zum 
Jahre 1888 im Staatsdienst. 

Neben seiner Tatigkeit als Privatarchitekt entfaltete er lange Jahre hin- 
durch eine ersprieflliche Lehrtatigkeit. 1885 — ^93 als Assistent der kgl. techni- 
schen Hochschule Berlin, 1893 — 1896 als Leiter der Klasse fiir innere Dekora- 
tion an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. 1894 
wurde er zum Professor ernannt. Von weiteren aufleren Auszeichnungen sind 
zu erwahnen: seine Ernennung zum Mitgliede der Akademie der Kiinste, die 
Verleihung des Titels eines Dr. ing. honoris causa und schliefilich unter Berufung 
zum Architekten der Koniglichen Museen die Ernennung zum Geheimen 
Regierungsrat. 

Langwierige Krankheit verhinderte ihn, seine letzten Bauten selbst zu 
Ende zu fiihren, so das Wohnhaus Schone im Grunewald, die Brommy-Brucke 
sowie das Kaiserin- Augusta- Viktoria-Haus in Berlin. In Regierungsbaumeister 
Edmund May hatte er wahrend dieser trostlosen Zeit einen Mitarbeiter, dessen 
Auge und Sinn eingestellt war auf seine Intentionen. Grofier Schmerz mag 
ihn erfiillt haben, dafi er den Museumsneubau, ein Werk idealer Bestimmung — 
wie es nur selten einem Architekten vergonnt ist — , nur in den ersten Anfangen 
seiner Gestaltung hat erleben konnen. Sein treuer Freund, der Berliner Stadt- 



Totenliste 1909, Bd. XIV, 60*. 



342 



Messel. 



baurat Ludwig Hoffmann, trat hier fur ihn ein. — Bei der gemeinsamen hohen 
Begeisterung beider Meister und ihrer stetigen engen Beziehung kann man zu 
der Personlichkeit Ludwig Hoffmanns gewifl voiles Vertrauen haben bei Aus- 
fuhrung des groBen Werkes. 

M. war nicht von vornherein der Kiinstler mit dem so grofi klingenden 
Namen. Er war kein Revolutionar in der Baukunst. Sein ganzes Leben ist 
Entwicklung; ja, manche Bauten tragen die Entwicklungsspuren deutlich an 
der Stirn. 

In der 1 886 beginnenden Periode kunstlerischen Bauschaffens ist M. noch 
ganz von Tradition und Schule getragen. Kayser und v. Groszheim, MaxGriese- 
bach u. a. bestimmten damals die bauliche Asthetik Berlins. Deutsche Re- 
naissance beherrschte das Berlinertum der achtziger Jahre. Von dieser Be- 
wegung wurde M. fortgetragen. Aber man kann nicht sagen, dafi diese Be- 
wegung etwas Ungesundes hatte — zu dieser fliichtigen Kritik neigen gerade 
die Jungen. Es war durchaus deutsch, mit den Mitteln der Tradition dem 
gewaltigen Problem des fiinfgeschossigen Mietshauses, das tiber Nacht kam, 
gerecht werden zu wollen. Die Wohnhauser im Hansaviertel, in der Lessing- 
strafie, die Volkskaffeehauser in der Chausseestrafie und der Neuen Schonhauser- 
strafie gehoren dieser Periode an, insbesondere aber die Hausergruppe am 
Kurfurstendamm in der Nahe der Kaiser- Wilhelm-Gedachtnis-Kirche. Der 
Charakter dieser dekorativ stets reizvollen, nie (iberladenen Wohnhauser mit 
ihren deutschen Renaissancegiebeln ist — das muC man sagen — der Metropole 
durchaus entsprechend und jedenfalls befriedigender als der der heutigen Miets- 
hausarchitektur, die in dem kastenmafiigen Nichts nur Armut beweist. Man 
wiinschte, dafi man sich in den Strafien, die M. mit dem Wohlklang seiner 
Stadthauser erfullte, letztere mehr zum Vorbilde genommen hatte. 

Bei M.s spateren Bauten sehen wir diese Anknupfung an die Tradition 
zu einem selbstschopferischen Empfinden aus altem Geiste sich verdichten. 
Aus der Grundform eines Stils gelangte er allmahlich durchweg zu eigenen und 
ausgesprochen personlichen Leistungen. 

Mannigfaltig waren die Aufgaben, die M. gestellt wurden. Vom Landhaus 
bis zum Monumentalbau — uberall wufite er den dem besonderen Charakter 
des Bauwerks entsprechenden Ausdruck zu finden. In seinen Landhausern 
offenbart sich reine Empfindungskunst, malerischer Sinn und hochgebildetes 
Naturgefuhl. Aus der langen Reihe derselben seien hier nur aufgefiihrt: das 
Schlofl Schonrade, die Villa Dotti mit ihrem poesievollen Pfortnerhaus, die 
Villa Springer, weiter das Landhaus Wilhelm Wertheim, Braun, Bock, P. von 
Mendelssohn in Bornicke bei Bernau, Dr. Oppenheim in Wannsee, Dr. Oster- 
mann in Darmstadt. — In den stadtischen Wohnhausern (zu denen in weiterem 
Sinne auch die Wohnhauser im Grunewald rechnen, wie das fur S. Exzellenz 
Schone) dagegen steht er unter einem gewissen monumentalen Zwange. Das 
Haus der Metropole mufi monumental sein. So gelangt er ganz naturlich zu 
einem Schaffen im Geiste des Barocks, das Berlin und insbesondere Potsdam 
in mannigfachen Modifikationen den Charakter gegeben hatte. Gerade fur 
Potsdam fuhlte M. auch stets eine grenzenlose Begeisterung, weil Potsdams 
Architektur ihn preufiischer anmutete wie der strenge Klassizismus Schinkels. 
So treffen wir bei M.s Berliner Bauten fast durchgehends den Pfeilerbau mit 
seiner so ausdrucksvollen Patrizierwurde. 



Mcsscl. 343 

Schon im Hause Tauentzienstrafie 14 befolgte er diese Tendenz. Bald 
folgt das Haus der Handelsgesellschaft am Gendarmenmarkt, das er im Gegen- 
satze zur uberladenen Prachtarchitektur sonstiger Bankhauser als Bureauhaus 
behandelte. Es ist von wahrhaft palladiesker GroOe und tritt als Inbegriff 
handelsherrlicher Reprasentation in die Erscheinung. Der Sockel in seiner 
beredten Steinsprache erinnert an die burgartige Kraft des Palazzo Pitti in 
Florenz. — Im Gebaude der Landesversicherungsanstalt am Kollnischen Park 
(aus dem besonders deutlich die auf Sachlichkeit und Materialgerechtigkeit 
gerichtete Baugesinnung der Zeit spricht) macht er den strengen Ernst des 
staatlichen Bureaugebaudes durch die aus dem Erdboden wachsenden Pfeiler 
kenntlich. Im Bureaugebaude der Allgemeinen Elektrizitatsgesellschaft steigert 
er die burgartige Kraft — der Reprasentation einer industriellen Grofimacht 
entsprechend — ins Gewaltige, Drauende. — Auch die Wohnhauser Felix Simon 
in der Matthaikirchstrafie und Eduard Simon in der Viktoriastrafie gehoren 
in diesen Zusammenhang. Letzteres ist sogar als Hauptwerk M.s anzusehen, 
weil es als Rahmen fiir die uberaus wertvollen Sammlungen eines passionierten 
Kunstfreundes M.s auflerordentliche Gabe des Sich-Einfiihlens in historische 
Stilarten und selbstschopferischen Weiterentwickelns am klarsten zeigt, in der 
Fassade dagegen die hier besonders edle Rhythmik des Pfeilerbaus, der die 
Mannigfaltigkeit des Interieurs nach aufien ruhig abschlieflt. — 

Den ersten groflen Schritt zur Eigenpersonlichkeit machte M., als er vor 
das Problem des Geschaftshauses gestellt wurde. — Das Werderhaus am 
Werderschen Markt in Berlin ist noch voller Konvention. Die Architektur 
steht noch in keiner naturlichen Beziehung zu der praktischen Bestimmung 
des Baus. Und das gleiche gilt von dem Geschaftshaus in der KrausenstraOe. 
Erst im Wertheim-Bau in der OranienstraOe kommt er dem durch 
seine Bestimmung gegebenen Charakter des Geschaftshauses naher. Hier wird 
die Konstruktion fiir den Bau mafigebend; in der Leipziger StraOe 
beherrscht sie vollends souveran die Architektur, dieser eine neue Form schaf- 
fend. Und diese Konstruktion war bestimmt durch die fiir die gewaltigen 
Geschaftsraume erforderlichen Lichtmengen. — Das Neue der Form bestand 
in einem System schmaler Pfeiler, in denen die Massivdecken verankert liegen; 
als Rest blieben die breiten und hohen Fenster, welche obendrein vor die Pfeiler 
schaukastenformig herausgezogen wurden. — Reichliches Licht war die Haupt- 
bedingung beim aufieren wie inneren Aufbau. Daher ergab sich auch die Anlage 
eines glasuberdeckten Lichthofes wie von selbst. Hier konnte der Kunstler 
seine Fahigkeit zu groflzugiger, raumkunstlerischer Gestaltung voll entfalten. 
Diese Architektur war von typenbildender Kraft; aber sie war nicht Ausdruck 
eines neuen Geistes, sondern nur eines neuen Zweckes. Sie ist lehrhaft deutlich 
wie eine gotische Konstruktion, die am tektonischen Gedanken ihre Freude hat. 
— Zweck in Schonheit — das war dem Schlufistein dieses Wertheimbaus, dem 
Hallenbau am Leipziger Platz vorbehalten. 

Der Wertheimbau machte M. mit einem Schlage beruhmt. Hatte er doch 
die formenschopferische Auf gabe einer modernen Auf gabe erfaflt und ausge- 
bildet, hatte er doch gezeigt, wie aus dem Zweck allein neue Form entstehen mufl. 

Schon in der Fassade des Erweiterungsbaus in der Voflstrafle aber wufite 
M. den Eindruck des rein Geschaftshausmafiigen zu mildern zugunsten eines 
ausgesprocheneren Stilgefuhls. Auf die hier zutage tretende gotisierende 



344 



Messel. 



Charakteristik der Bauglieder gelangte er durch das BewuBtsein der Verwand:- 
schaft zwischen modernem Konstruktionsstil und alter gotischer Konstruk- 
tionsart. In die gleiche Periode fallt derBau der Filiale in der Rosenthaler StraBe, 
der streng und feierlich wie eine englische Kathedrale das steinerne Meer des 
nordlichen Berlins beherrscht. 

Noch weiter ging M. in der Fassadengestaltung am Leipziger Platz. Hier 
standen ringsum die groBen, reprasentierenden Palaste, die die Grunflache 
umsaumen. Hier war also ein KompromiB zu finden zwischen einer Geschafts- 
hausfassade — wie sie an der Leipziger StraBe errichtet worden war — und der 
Grofiartigkeit der vorhandenen Architektur des Platzes, iiberhaupt des Platzes — 
eines der prachtigsten Berlins. So kam er zu der offenen Halle im ErdgeschoD. 
Die Schaufenster der Platzseite liegen — dem Auge versteckt — im Schatten 
der Ruckwand. Das ObergeschoB dagegen scheint aufgelost durch ein System 
hoher, breiter, durch schmale Pfeiler getrennter Fenster, die den groBen Teppich- 
saal andeuten. Der Eindruck ist aber von innen wie von auflen der einer ge- 
schlossenen Flache, durch das wie bei gotischen Kirchenfenstern verwendete 
Buntglas. Dadurch wird die raumkiinstlerische Wirkung so gesteigert. In 
diesem Eckbau ist alles unmittelbare Schonheit. Nichts ist von reiner Zweck- 
maBigkeit zu spliren. Im Gegenteil, die hier angebrachte Plastik — Architektur- 
plastik im wahrsten Sinne des Wortes — uberstreut in reicher Fiille alle Fassaden- 
flachen, lost sie in sinngemaBen Schmuck fast auf. Wie wachst hier die Plastik 
mit dem Stein zusammen, ist Bestandteil des Gefiiges! M. war der erste, der 
an diesem Bau das Wesen der Architekturplastik neu klarte, der wieder den 
strengen, logischen, baumeisterlichen Gedanken der Gotik — die Plastik der 
Architektur dienen zu lassen. — zur Durchfuhrung brachte. Die Monumen- 
talitat des Zwecknaturalismus steigert sich an diesem Bau zu reprasentativer 
Monumentalitat. Wir stehen vor einer Schopfung, die in die wahre Sphare der 
Kunst reicht, wo Notwendigkeit zur Freiheit wird, wo das Gesetz des Stoffes 
sich auflost in festlichen Zauber. — 

Mit deip eigentlichen Zweck des Warenhauses hat die Schonheit des Eck- 
baus allerdings nichts zu tun. Auch ist sie kein Dokument souveraner Schopfer- 
kraft oder gar Geniegrofie. Was an dem Eckbau so entziickt, ist die gewaltige 
Schonheit der Formen als solcher, deren Anklange an gotische Kathedralen. 
Es ist eine Weiterentwicklung eines alten Stils — in allerdings unerhort schoner 
Verwendung. — 

Es ist iibrigens fiir die Kunstbetrachtung von ungemein seltenem Reiz, 
hier die stufenweise Entwicklung des kunstlerischen Phanomens M. aus kon- 
struktiv-theoretischen Anfangen (an der Leipziger Strafie) bis zu den letzten 
Konsequenzen der Raumkunst sowie der bildenden Kunst (am Eckbau) zu 
verfolgen. In der Tat eine Entwicklung wie bei den groBen Kirchenbauten 
des Mittelalters nur in die Zeit eines Jahrzehnts gespannt. 

Ahnlich wie am Wertheimbau veranschaulicht sich M.s kiinstlerische Ent- 
wicklung an einem anderen Monumentalbau idealer Bestimmung, dem Grofi- 
herzoglichen Museum in Darmstadt. 1892 begonnen, erforderte der Neubau 
nicht weniger als 13 Jahre — in dem Turm an der Siidostseite den letzten 
Akzent erhaltend. Ein Bau, der nach MaBgabe der vorhandenen Mittel in 
Etappen fortgefuhrt, so eine Situation zur Anbahnung kunstlerischer Steige- 
rung des Baugedankens schaffte. Im Gegensatz zum Wertheimbau aber aus 



Messel. 245 

eincm GuQ geschaffen; da M. hier ja die Hauptmittel auf die Fassade als solche 
als letztes am Bau warf. Und im Innern des Museums brachte er dann zum 
Ausdruck, was audi fur die Berliner Museumsbauten ein Hauptgedanke sein 
sollte (und was schon das Wohnhaus Simon zeigte): kunstlerische Einheit 
zwischen Ausstellungsraum und Ausstellungsgegenstand. Verwiesen sei nur 
auf den kleinen mittelalterlichen Hof mit dem malerisch anheimelnden Erker. — 

Auch in Ms monumentalen Raumschopfungen spiegelt sich die Steigerung 
seiner kunstlerischen Entwicklung wieder. 1st er im Thronsaal des Palazzo 
Caffarelli in Rom und im Ministerzimmer des PreuBischen Abgeordnetenhauses 
noch vollig im Bann der Renaissance, ringt er sich im Sitzungssaal der National - 
bank (der ganz in Holz ausgebaut ist) sowie der Handelsgesellschaft und weiter 
imOnyxsaal mit dem Spiegelbrunnen imWertheim-Anbau nachderVoflstraBe zu 
freiererGestedurch, um imgrandiosenLichthof desEckbaus zu leuchtenderHohe 
aufzusteigen. Dieser einzigartig schone Lichthof mutet wie die Erflillung dessen 
an, was die phantastische Kopffassade dem vom Platze Nahenden verheiflt, 
insbesondere wenn abends zauberprachtig die hohen Buntglasfenster leuchten. 

M.s letzte Bauten entfernen sich mehr und mehr von allem, was originell 
personlich sein konntc. Der formale Ausdruck seiner Bauwerke wird immer 
knapper, die Kunst — mit wenigem viel zu sagen — immer reifer. 

M. geht in der Beschrankung der auBeren Mittei allmahlich auf die Richtung 
zu, welche das Berlin um 1800, das Berlin Gillys, Gentzens und Langhanscns 
bereits eingeschlagen hatte. Man spurt eine immer groflere Vertiefung in den 
Geist dieser Zeit, eine Anknupfung an die beste Berliner Tradition, die vor 
Schinkels reinem Klassizismus markischc Unmittelbarkeit voraus hatte, weil 
sie lebendiger noch in der letzten Stilkonvention, im Spatbarock, ihre Wurzel 
hat. Diese Tendenz kann man am Bau der Nationalbank, aber noch klarer 
am Haus Schulte unter den Linden verfolgen, dessen Fassade M. leise an Alt- 
berliner Bauformen anklingen laflt. Dabei entspricht jedoch dieser Bau ganz 
und gar dem Charakter der Weltstadthauptstrafie, der sich hier auf teurem 
Grund und Boden entwickelnden Geschaftsstrafle. — 

Dieses Wesensprinzip macht sich dann am meisten bemerkbar in M.s 
Projekt fur das Kunstforum auf der Museumsinsel, das, neben Schinkels Museum 
gestellt, frei und selbstandig zwischen diesem und etwa demGeiste des Branden- 
burger Tores vermittelt, dessen Idee aufleben lassend. 

Das ist ja gerade fur M.s Werk charakteristisch, dafi er nie daran dachte, 
Kunstrevolutionar zu sein. Gerade infolge seiner akademischen Bedingtheit, 
die den sicheren Boden fur sein Schaffen abgab, die dem Zeitinstinkt entsprach, 
war er zur Forderung groBstadtischer Architektur berufen, zum Werkzeug 
fortschreitenden Gesamtwillens. M.s Bedeutung besteht darin, dafi er den 
Eklektizismus seiner Zeit bis zur Wurzel verjungte, dafi er das akademisch 
Cberlieferte modernisierte, dafi er Modernitat innerhalb einer sicheren, historisch 
gewordenen Form wollte. Die eigentlichen Traditionskeime, die er in der Kunst 
der unmittelbaren Vorganger Schinkels sah, erkannte er und zog daraus die 
praktische Folge fur seine Zeit. 

Und deshalb ist seine Kunst so entwicklungsfahig, wie es diejenige Schinkels 
war. Deshalb ist er der Meister, der Schule machte, der mit seiner Lebensarbeit 
auf die Kunstanschauung unserer Zeit einen so veredelnden EinfluB ausubte. — 

Ein seltsam tragisches Geschick war es, dafi der Tod Alfred M. vor der 



346 



Mcssel. Helfert. 



Formwerdung seines grofiten Monumentalbaus, der ihn mit hochster Schopfer- 
wonne erfiillte, vor der Kronung seines Werkes dahinraffte. 

Dr. Kurt Pallmann. 

Helfert 1 ), Joseph Alexander Freiherr v., * 3. November 1820, f 16. No- 
vember 1 910. Osterreichischer Historiker. — Freiherr v. H. war der Sohn 
des Professors des romischen und des kanonischen Rechts an der Prager Uni- 
versitat, Joseph H., der von 1790 bis 1847 lebte. Der Vater erzog ihn, wie er 
in seinen Erinnerungen »Aus dem Elternhaus« erzahlte, streng, aber liebevoll, 
und fafite fiir ihn die diplomatische Laufbahn ins Auge. Der junge H. war 
jedoch mehr fur die Tatigkeit des Gelehrten geboren; er machte seine Studien 
zu Prag, erlangte daselbst 1842 das juristische Doktorat und wurde im Jahre 
darauf Assistent an der Lehrkanzel seines Vaters. Fiir kurze Zeit vertauschte er 
diese Stelle 1847 mi ^ der eines Assistenten an der Lehrkanzel fiir romisches 
und kanonisches Recht am Theresianum in Wien; nochim selben Jahre erfolgte 
dann seine Ernennung zum supplierenden Professor jenerFacher anderUniversi- 
tat zu Krakau. Er ware wohl, da er mehrere Schriften juristischen Inhalts ver- 
offentlichte und auch das Handbuch seines Vaters uber Kirchenrecht aufs neue 
herausgab, noch weiter Jurist, besonders des kanonischen Rechtes, geblieben, 
wenn das Revolutionsjahr 1848 nicht auch in seinem Leben Epoche gemacht 
hatte. Der deutschbohmische Wahlkreis Tachau entsendete ihn in den 
osterreichischen Reichstag, in dem er sich mit jugendlichem Eifer betatigte. 
Nach Erziehung und Neigung war er streng konservativ und monarchisch 
gesinnt, dabei ein glaubiger Katholik, wenn auch gegen anders Denkende nicht 
unduldsam; so warf er sich der herrschenden Stromung entgegen und ging in 
der Verfechtung der Staatsautoritat wider die Revolution so entschieden vor 
wie irgend jemand. Er hielt es auch fiir unrecht, bei der auch von ihm ge- 
billigten Aufhebung der den Bauern obliegenden Fronden und Giebigkeiten 
die Grundbesitzer zu benachteiligen, und trat am 24. August in nachdrucklicher 
Rede fiir deren Entschadigung ein. Die Feindseligkeit der demokratischen 
Linken, die er sich auch sonst durch seine Haltung, so durch seine Rede gegen 
Ungarn am 19. August, zuzog, beantwortete er mit gleicher Miinze. Eben- 
dadurch lenkte er aber auch die Aufmerksamkeit der Manner auf sich, die 
ihren Beruf in der Wiederherstellung der Staatsautoritat sahen, besonders des 
Grafen Franz Stadion, der die Seele der neuen Organisation des Reiches im 
Innern zu werden bestimmt war. Stadion ubernahm im Kabinett Schwarzen- 
berg das Ministerium des Innern und die Leitung des Unterrichts; gleichzeitig 
erfolgte die Ernennung H.s zum Unterstaatssekretar im Unterrichtsmini- 
sterium (13. November 1848). Es war fiir den erst 28 jahrigen Mann ein un- 
erwartet rascher Aufstieg. Er blieb aber auch weiter Mitglied des Reichstags 
und bekampfte als solcher in einer Rede vom 16. Januar 1849 die vorgeschlagene 
Fassung der Grundrechte, besonders die Abschaffung des Adels, und am 3. Marz 
die Trennung des Staates von der Kirche. 

Als Unterstaatssekretar hatte H. Anteil an der Vorbereitung zur Reform 
des osterreichischen Unterrichtswesens; doch geht auch aus seinen »Erlebnissen 
und Erinnerungen« hervor, dafl der eigentliche Trager zumal der Reformen 



1) Totenliste 191 o, Bd. XV, 36*. 



Helfert. 



347 



der Universitaten, Franz Exner, sein ehemaliger Lehrer der Philosophic an 
der Prager Hochschule gewesen ist. Anfangs hatten die leitenden StaatsmSnner 
die Absicht gehabt, H. das Ministerium des Unterrichts zu ubertragen, und 
er selbst hegte die Hoffnung, es werde dazu kommen. Indessen lenkte sich die 
Aufmerksamkeit der Regierung auf den Graf en Leo Thun, der am 28. Juli 1849 
zum Minister fur Kultus und Unterricht ernannt wurde. Thun trat mit einem 
gewissen Vorurteil gegen H. ins Amt, so dafi dieser beinahe befiirchtete, seine 
Stellung ware erschuttert. Exner aber sprach H. warm das Wort, so dafi Thun 
ihn schatzen lernte; so bahnte sich das wiinschenswerte Verhaltnis zwischen dem 
Minister und seinem Unterstaatssekretar an. — 

Zunachst bearbeitete H. die kirchenpolitischen Angelegenheiten, wofur 
ihm als friiherem Lehrer des kanonischen Rechts die Kenntnisse zur Verfiigung 
standen. Dabei nun zeigte es sich, dafi er, so treu er auch zur katholischen 
Kirche hielt, nicht im Sinne hatte, die Rechte desStaates preiszugeben. Damals 
verlangten die Bischofe von der Regierung in Eingaben, die in der Hauptsache 
von dem spateren Kardinal Rauscher herruhrten, die vollstandige Aufgebung 
der von Joseph II. erlassenen kirchenpolitischen Gesetze; sie bekampften besonders 
das Placetum regium, dann die Beschrankung der geistlichen Gerichtsbarkeit 
wie des Klosterwesens. H., dem das Referat in dieser bedeutsamen Angelegen- 
heit ubertragen war, legte seine Ansicht in mehreren Denkschriften dem Unter- 
richtsministerium dar (November, Dezember 1849). Darin willfahrte er wohl 
bezuglich des Unterrichtswesens den Bischofen; dagegen empfahl er betreffs 
der geistlichen Gerichtsbarkeit, des Klosterwesens und des Placetum regium 
einen Mittelweg. Am wichtigsten war, dafi er die Kundmachung von papst- 
lichen Bullen und bischoflichen Hirtenbriefen nicht vollig freigeben wollte, 
sondern daran festhielt, dafi sie vor ihrer Veroffentlichung der Staatsbehorde 
vorgelegt werden mufiten. Es sollte von der bisher notwendigen Erlaubnis 
der Regierung abgesehen werden, aber ihr ein Veto vorbehalten sein. Es scheint, 
dafi der Minister sich damals im Einverstandnisse mit seinem Referenten befand, 
aber unter der Einwirkung Rauschers und des Kardinals Schwarzenberg wandte 
er sich immer mehr der streng kirchlichen Richtung zu. H. sah seine Gut- 
achten beiseite geschoben, und durch die Kaiserliche Verordnung vom 18. und 
23. April 1850 wurde die josephinische Gesetzgebung vollstandig aufgehoben; so 
wurde der Weg zum Abschlusse des Konkordats von 1855 frei gemacht. Es 
scheint, dafi H. dieser letzten Wendung fern stand. In seinen »»Erlebnissen 
und Erinnerungen« hob er 50 Jahre spater hervor, dafi er 1849 die Rechte des 
Staates scharfer wahren wollte, und er legte auch sonst Wert darauf, dafi seine 
einen mittleren Weg empfehlenden Gutachtfcn nicht vergessen wurden x ). 

Wie sich diese Dinge immer verhalten mogen, jedenfalls war H. weiterhin 
im Ministerium fur Kultus und Unterricht vorzugsweise auf einem andern 
Gebiete, dem der Volksschule, tatig, widmete sich ihrer Verwaltung aufs eifrigste 
und veroffentlichte daneben 1859 — 1861 das dreibandige Werk »System der 
osterreichischen Volksschule«, welches die Geschichte dieser Institution seit 
Maria Theresia, deren Statistik, wie die einschlagigen Gesetze und Verordnun- 
gen enthalt. Am 21. Oktober trat die wichtige Anderung ein, dafi, um 
den ungarischen und slawischen Gegnern der Staatseinheit zu gefallen, das 



*) H. Friedjung, »Ostcrreich von 1848 — i86o« t 2. Bd., 1. Abt. (3. Aufl.), S. 489. 



348 Helfert. 

Ministerium fiir Kultus und Unterricht als Reichsbehorcle aufgelost und seine 
Cisleithanien betreffenden Angelegenheiten dem Staatsministerium zugewiesen 
wurden. An die Spitze des also gebildeten Departements wurde am 21. Oktober 
i860 H. gestellt mit dem Titel eines »Leiters des Ministeriums fiir Kultus und 
Unterricht<<. In dieser Stellung blieb er unter den Staatsministern Goluchowski 
und Schmerling bis zum Jahre 1863. Unterdessen machte die liberate Stromung 
grofie Fortschritte, eine neue Ordnung der Dinge bereitete sich vor, die spater 
in der freisinnigen Verfassung der Volksschule von 1869 verwirklicht wurde. 
H. stand als Fursprecher des Einflusses der Kirche auf die Schule im Wege, 
und er war auch nicht der Mann, sich gegen seine Oberzeugung dem Liberalismus 
anzuschmiegen, dem er religios wie politisch abgeneigt war. Bei der neuen Or- 
ganisation der Leitung des Unterrichtswesens 1863 schied er daher aus dem 
Ministerium. Wohl wurde er im selben Jahre zum Prasidenten der Zentral- 
kommission fiir Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale ernannt, aber 
seine Tatigkeit in der Staatsleitung war damit zu Ende, obwohl fiir eine Kraft 
wie die seinige zum Besten der Verwaltung eine Stelle hatte gefunden werden 
sollen. Seine Verdienste waren ubrigens dadurch anerkannt worden, dafl er 
1854 in den Freiherrnstand erhoben und 1861 zum Geheimen Rat ernannt 
wurde. 

57 Jahre blieb er dann in losem Verbande mit der Staatsverwaltung, und 
dieser lange Zeitraum war vornehmlich geschichtlichen Studien und Arbeiten 
gewidmet. Noch im Amte befindlich, hatte er auf diesem Gebiete einiges ver- 
offentlicht, so die beiden anonym erschienenen Biicher »Mailand und der lom- 
bardische Auf stand Marz i848« (Prag 1854), dann »Aus Bohmen nach 
Italien Marz i848« (Wien 1861), ferner eine Studie tiber »Hufl und Hierony- 
mus« (Prag 1853). In der letzteren ist seine Stellung zur bohmischen Frage 
im Keime erkennbar. Er nimmt an dem nationalen Aufschwunge der Tschechen 
und ihrer Literatur sympathischen Anteil, wenn er sich auch nicht zu ihnen 
zahlt, warnt aber dabei vor Ubertreibungen und vor Wiedererweckung der 
revolutionaren Erinnerungen aus der Hussitenzeit. Auch hatte er eine Schrift 
»t)ber Nationalgeschichte und den gegenwartigen Stand ihrer Pflege in Oster- 
reich« (Prag 1853) herausgegeben, in der er einige Anregungen zum Betrieb 
der historischen Forschung in Osterreich gab. Als er i860 zum Prasidenten des 
osterreichischen Volksschriftenvereins gewahlt wurde, hatte er Gelegenheit, 
fiir die praktische Ausfuhrung dieser seiner Ideen zu wirken; er gab hier die 
Anregung zur Schaffung einer ^Osterreichischen Geschichte fiir das Volk«, 
fiir welche er das Programm entwarf und deren Ausarbeitung er iiberwachte. 
Nach seinem Entwurf wurde diese osterreichische Geschichte zwischen 1864 
bis 1882 in 20 Banden herausgegeben. Er selbst schrieb fiir die Sammlung 
den Schluflband, der die Zeit der Befreiung von der Herrschaft Napoleons 1812 
bis 181 5 umfafite. Trotz der guten Absicht gelang es jedoch nicht, ein popu- 
lares Werk hervorzurufen, was schon durch dessen grofien Umfang ausgeschlossen 
war. Auch wufiten die wenigsten der gelehrten Mitarbeiter den Ton furs Volk 
zu treffen, wobei Manner wie Huber und Krones, Gindely und ZeiOberg an 
Sachkunde nichts zu wiinschen iibrig liefien. 

Daneben widmete H. seine Kraft eigenen Werken auf zwei Stoffgebieten, 
vor allem tiber die Osterreichische Revolution von 1848. Diese Biicher waren es, 
die ihm einen allseits geachteten Namen verschafften. Sein Bienenfleifi ist ebenso 



Helfert. 



349 



anzuerkennen wic sein Streben, iiber die Vorgange in alien politischen und 
nationalen Lagern Licht zu verbreiten. Er selbst hatte die Zeit als tatiger 
Mitarbeiter miterlebt, kannte nahezu alle Personen, die in Osterreich an den 
Ereignissen teilgenommen hatten und sparte nicht Zeit noch Muhe, sich bei 
ihnen Rat und Kenntnis zu holen. Er selbst besafi eine uberaus reichhaltige 
Sammlung von Biichern, Broschuren, Gedichten, Kupferstichen, Bildern, Zeit- 
schriften iiber die Geschichte seiner Zeit, eine der grofiten Kollektionen, die von 
einem Privaten in Osterreich zusammengebracht worden ist; er erstattete 
iiber sie in seiner Schrift »Sammlung Helfert« (Wien 1898) willkommenen 
Bericht. Auch kam ihm zugute, dafl ihm, der Exzellenz, amtliche Quellen, 
besonders die Akten des Ministeriums des Aufieren, zur Verfugung standen, 
die anderen Forschern noch lange verschlossen blieben. Ebenso eroffneten 
ihm viele aristokratische Familien ihre Archive, im Vertrauen auf seine hohe 
soziale Stellung wie auf seine konservative Gesinnung. So entstand sein Haupt- 
werk »Geschichte Osterreichs vom Ausgange des Wiener Oktoberaufstandes 
i848«, welches, wiewohl es nur vom Oktober 1848 bis Marz 1849 reicht, sechs 
Bande umfaflt; die politischen und die nationalen Kampfe wie die MaBregeln 
der Regierung werden bis in die Einzelheiten erzahlt. Der erste Band »Die 
Belagerung und Einnahme Wiens Oktober i848« und der zweite »Die Revolution 
und Reaktion im Spatjahr l848» erschienen im Jahre 1869. Der dritte, 
1872 veroffentlicht, enthalt »Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Josef I.«; 
der vierte Teil (in drei Bande zerfallend, von 1875 bis 1886 erschienen) benennt 
sich »Der ungarische Winterfeldzug und die oktroyierte Verfassung«. Er selbst 
crklart es in der Einleitung des letzten Bandes fiir unmoglich, voile Unparteilich- 
keit walten zu lassen, wo das Herz mitbeteiligt ist; er bekennt sich zu dem 
Urteile eines ihm wohlwollenden Kritikers, dafl die ihn »erfullende kaiserliche 
Parteiansicht auch iiberall in seinem Werke zutage tritt«. Er ist schwarz-gelb 
bis ins Innerste und steht auf seiten derjenigen, die es verstanden haben, die tief 
erschiitterte Kaisergewalt nach den Sturmen der Revolution wieder aufzurichten, 
Windisch-Gratz und Jellaiid, Schwarzenberg und Stadion sind seine Helden, 
auf die er wohl allzuviel Licht fallen lafit. Den Mannern der Revolution da- 
gegen ist er oft nicht gerecht geworden, und so wohlwollend auch seine Per- 
sonlichkeit war, so klingt aus seinen eigenen Erfahrungen manche Bitterkeit 
nach. Er war aber keineswegs ein Schmeichler, wie besonders aus dem Bande 
hervorgeht, in welchem er den Winterfeldzug der kaiserlichen Armee in Ungarn 
schildert, wobei er die unzureichendcn MaBregeln des Fursten Windisch-Gratz 
und eines Hauptquartiersbeleuchtet. DieFamilie des Feldmarschalls war damit 
unzufrieden, und es ergaben sich Schwierigkeiten wegen der ferneren Benutzung 
ihres Archivs. Dies wie andere Umstande bestimmten H., die Erzahlung, die 
er urspriinglich bis zur Niederwerfung des ungarischen Aufstandes August 1849 
hatte fiihren wollen, friiher zu schlieflen. In seiner Gesamtauffassung ist H. 
nicht etwa ein grundsatzlicher Gegner der Revolution von 1848, sondern erkennt 
an, dafl eine Staatsumwalzung unumganglich notwendig war, um an die Stelle 
der feudalen Staatsordnung eine moderne zu setzen. In der bereits er- 
wahnten, 1886 erschienenen Einleitung des Schluflbandes schrieb er die Worte 
nieder: »Die Hauptgrundlagen der neuen Gestaltung der Dinge, die aus den 
Wirren und Kampfen des Jahres 1848 hervorgegangen waren, sind doch in der 
kurzen Zeit des Riickstauens nie ganz vemickt worden, bis sie nach einer neuen 



350 



Helfert 



Schule des Ungliicks zu abermaliger und nun hoffentlich dauernder Geltung 
gelangten.« Deshalb hielt er auch die 185 1 verfugte Aufhebung der Verfassung 
flir einen Fehler, bezeichnete diese Maflregel im vertrauten Gesprach als »den 
ersten Wortbruch« und zog es, um iiber die Reaktion nicht die Verurteilung 
aussprechen zu miissen, wohl vor, iiber die Epoche von 1849 bis i860 nur ge- 
legentlich zu schreiben. 

Jenes umfangreiche Werk steht im Mittelpunkt einer grofien Anzahl von 
Veroffentlichungen, die dem Revolutionsjahr galten. Es lag eine Art Huldigung 
fur dieses Ereignis darin, dafi er es nach alien Seiten literarisch auszuschopfen 
bemiiht war. Zunachst seien zwei selbstandige Publikationen erwahnt, die ver- 
dienstvollen Bucher »Die Wiener Journalistik im Jahre l848« (Wien 1877) und 
»Der Wiener Parnafi im Jahre i848« (Wien 1882), das letztere eine Sammlung 
von Zeitgedichten, die spater in Geschichtsblichern wie in Zeitungen stets aufs 
neue benutzt wurde, ohne immer zitiert zu werden. Diese und andere Ver- 
offentlichungen gingen neben einer schier endlosen Reihe von Aufsatzen her, 
die er in Zeitschriften, Almanachen und Jahrbuchern drucken lieC. Sie erschie- 
nen in friiheren Jahren gewohnlich im »Osterreichischen Volks- und Wirtschafts- 
kalender« und in den »Abendstunden«, bis er im Jahre 1877 die Redaktion des 
vom Osterreichischen Volksschriftenverein herausgegebenen ^Osterreichischen 
Jahrbuches« ubernahm; bis an sein Lebensende wurde das Jahrbuch so ziemlich 
in jedem Bande mit seinenumfangreichen Beitragenbereichert, diedannmeistens 
auch im Separatabdruck erschienen sind. Es lag in der Natur der Sache, dafi 
mit fortschreitenden Jahren die Art seiner Darstellung weniger lebendig wurde, 
zumal da es ihm vor allem um die Veroffentlichung des Stoffes zu tun war, 
der ihm aus dem Nachlasse seiner absterbenden Zeitgenossen zuflofi. Wichtiges 
und weniger Wichtiges ist mit gleicher Ausfuhrlichkeit behandelt, so dafi der 
Gewinn fur unsere Geschichtskenntnis nicht im Einklange mit dem Umfange 
dieser Schichten steht. Doch verdienen die Abhandlungen iiber »Die konfessio- 
nelle Frage 1848 in Osterreich« (Osterreichisches Jahrbuch 1882 — 1889), dann 
die »Skizzen aus dem Leben des Grafen Thun« (Osterreichisches Jahrbuch 
1891 — 1894), die aber leider nur bis zur Ministerschaft Thuns reichen, ferner 
die Biographie des Statthalters Alois Fischer (W 7 ien 1885) Beachtung. Frisch 
und anschaulich dagegen sind die »Erlebnisse und Erinnerungen« geschrieben, 
die noch spater zu erwahnen sind. 

Da er also auch iiber die Zeit vom Marz bis Oktober 1848, die seinem ge- 
nannten Hauptwerke vorherging, so viel gesammelt hatte, fafite er im hochsten 
Greisenalter den Entschlufl, die vielen Dutzende von Biichern, Aufsatzen und 
Feuilletons zu einem einheitlichen Werke zusammenzufassen, welches die Zeit 
bis zum Oktober schildern sollte. Er war 87 Jahre alt, als er den ersten Band 
der »Geschichte der osterreichischen Revolution« (Freiburg und Wien 1907) 
erscheinen liefi. Er nahm urspriinglich an, mit zwei Banden auszukommen; 
aber der zweite, 1909 erschienene, reicht nur bis zu den Ereignissen des Mai. 
In der Einleitung zu diesem Buche sagt der ins 90. Lebensjahr gehende Ver- 
fasser, er gedenke noch einen dritten Band herauszugeben und fiigt hinzu: 

»Vorbereitet ist nahezu alles, ausgearbeitet der weitaus grofite Teil , 

notig ist dazu freilich die Erhaltung meines Augenlichtes, mit dem es leider 

nicht zum besten bestellt ist Vorlesenlassen und Diktieren kommen bei 

meiner Art zu arbeiten nicht in Betracht.« Indessen nahm, bevor das Werk 



Helfert. 35 1 

vollendet war, der Tod ihm die Feder aus der unermudlichen Hand. VVenn 
sich nun H. auch in diesem seinem letzten Werke nach allem, was er geschrieben 
hatte, ofters wiederholt, so wird das von ihm gebotene Material nicht unter- 
schatzt werden durfen. Das Buch ist mit einer fur sein hohes Alter uberraschen- 
den Lebhaftigkeit geschrieben und ist in dem Urteil uber die demokratische 
Partei und ihre Mitglieder milder als manches frlihere. Man mochte glauben, 
er habe das Bedurfnis verspiirt, auch ein versohnendes Wort iiber Manchen zu 
sagen, mit dem er in fruheren Jahren streng ins Gericht gegangen war. 

Das zweite Arbeitsgebiet, auf dem sich H. als Historiker betatigte, war 
die Zeit des ersten Napoleon, immer mit Beziehung auf Osterreich und dessen 
Kaiserhaus. Auch hier ist es vor allem der fleiCig gesammelte Stoff, durch den 
seine Bucher Wert erhalten. Am frischesten ist das erste der Bucher dieser 
Gruppe geschrieben »Maria Louise, Erzherzogin von Osterreich, Kaiserin der 
Franzosen« (Wien 1872). Aus der Einleitung erfahrt man, daB er sich mit der 
Absicht trug, eine Geschichte des Wiener Kongresses zu schreiben, wozu es 
jedoch nicht gekommcn ist. In der Arbeit »Der Rastadter Gesandtenmord« 
(Wien 1874) verteidigt er die osterreichische Regierung gegen den Vorwurf der 
Mitschuld an diesem Verbrechen. In seinen Arbeiten iiber Maria Karolina, 
die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, versuchte er das Bild dieser Konigin 
von den auf ihm haftenden Flecken zu reinigen, was ihm allerdings nur zum 
Teil gelungen ist. Dahin gehoren die umfangreichen Bucher »Konigin Karolina 
von Neapel und Sizilien im Kampfe gegen die franzosische Weltherrschaft 
1790 — i8i4« (Wien 1878), dann »Fabrizio Ruffo. Revolution und Gegen- 
revolution von Neapel November 1798 bis August I799« (W T ien 1882), endlich 
die Untersuchung »Maria Karolina von Osterreich, Konigin von Neapel und 
Sizilien. Anklagen und Verteidigung« (Wien 1884). An diese Rcihe schliefit 
sich dann »NapoleonsFahrtvonFontainebleau nach Elba« und » Joachim Murat. 
Seine letzten Kampfe und sein Ende«. Eine etwas spatere Pcriode behandeln 
die Bucher: »Gregor XVI. und Pius IX. Okt. 1845 bis Nov. i846« und dasebenso 
ganz aus den Akten geschopfte Werk »Kaiser Franz I. von Osterreich und die 
Stiftung des lombardo-venetianischen Konigreiches«, ersteres 1895, letzteres 
1901 erschienen. Diese Liste wiirde auf das Drei- oder Vierfache anschwellen, 
sollten auch die in Zeitschriften und Jahrbuchern erschienenen umfangreicheren 
Aufsatze H.s aufgezahlt werden. Er hat ubrigens auch seiner Vaterstadt Prag 
und f erner Bohmen manche historische Studie gewidmet. H.s Werke und Schrif ten 
bilden zusammengenommen eine stattliche Bibliothek; und dabei hat er, wenn 
im einzelnen auch Irrtumer nicht ausgeschlossen sind, nie oberflachlich gear- 
beitet, auch nicht mit fremdem Wissen geprunkt; nur ist er zu oft uberflussig 
in die Breite gegangen. Liest man vieles auch mit geringerem Nutzen, so wird 
dem Autor Anerkennung nicht versagt werden durfen. 

Nun konnte man glauben, H. hatte, in seine historischen Studien ver- 
graben, die Gegenwart aus den Augen vorloren. Das ist aber nicht der Fall. 
Er verfolgte die politischen Vorgange in Osterreich aufmerksam und legte seine 
Ansichten iiber sie in einer grofien Anzahl von Schriften nieder. In seinem 
Gegensatze zum Liberalismus hielt er sich zu der Partei des Grafen Hohenwart 
und beteiligte sich 1870 und 1 871 lebhaft an den Unterhandlungen, durch 
welche mit Hilfe der Tschechen eine Mehrheit im Reichsrate gebildet werden 
sollte. Dadurch kam er in Gegensatz zu den um ihre Sprache und Nationalist 



352 



Helfert. 



schwer ringenden Deutschen Bohmens; deshalb und weil er spater wahrend 
des Ministeriums Taaffe den slawisch-klerikalen »Eisernen Ring der Rechten* 
in jeder Weise unterstutzte, war er durch Dezennien Gegenstand haufiger 
Angriffe. Er selbst war der Abstammung nach ein Deutscher und hatte die 
tschechische Sprache nur so weit inne, um ein einfacheres Gesprach flihren und 
die Literatur verfolgen zu konnen; wie er selbst sagte, war er nicht imstande, 
sich tschechisch schriftlich gut auszudriicken. Aber sein national-deutsches 
Gefuhl war ebenso schwach wie sein osterreichischer Patriotismus lebendig. 
Sein einziger Sohn war mit einer Dame aus tschechischer Familie verheiratet, 
die nach dem fruhen Tode ihres Gatten die drei Enkel des Historikers in der ' 

tschechischen Nationalist erzog, zu der sie sich auch weiter bekennen. Das ist 
der Weg, den nicht wenige deutsche Familien in Bohmen gegangen sind, darunter 
auch manche aristokratischen Hauser. Im Herrenhause, zu dessen lebenslang- 
lichem Mitgliede H. 1881 ernannt wurde, gehorte er der Rechten an; deren Kern 
wird vom tschechisch -feudalen Hochadel gebildet, dessen Politik von H. immer 
unterstiitzt wurde. 

Die Vielseitigkeit seiner politsichen Interessen ist schon aus den Titeln 
seiner einschlagigen Schriften ersichtlich, von denen nur die etwas umfang- 
reicheren genannt sein mogen: »Osterreich und die Nationalitaten« (Wien 1850), 
»Episteln eines Narren und Rat eines Klugen« (anonym) (Wien 185 1 ), »Nach 
dem Reichsrate« (anonym) (Miinchen i860), »Die sprachliche Gleichberechti- 
gung in der Schule und deren verfassungsmafiige Behandlung« (Prag 1861), 
»Ruflland und Osterreich« (Wien 1870), »Ausgleich und Verfassungstreue 1871 
bis i873« (Leipzig 1873), »Die bohmische Frage in ihrer jiingsten Phase « (Prag 
1873), »Revision des ungarischen Ausgleichs« (Wien 1875), »Bosnisches« (Wien 
1878), »Trias« (Wien 1884), »Zur Reform der rechts- und staatswissenschaft- 
lichen Studien in Osterreich« (Wien 1887), »Zur Klarung der bohmischen Frage« 
(Wien 1900). Diese Schriften haben nicht durchgeschlagen, vielleicht wegen 
des Fehlens von Leidenschaft in Auffassung und Schreibwcise, oft auch wegen 
ihrer Ausfiihrlichkeit. Ohne tief einzudringen, zeigt der Autor doch eine ver- 
standige, niichteme Art, sich die Probleme zurechtzulegen ; seine Vaterlands- 
liebe leuchtet immer durch. Dieser Teil seiner Schriftstellerei wird ihn jedoch 
kaum iiberleben und wohl nur von Forschern iiber die Geschichte seiner Zeit 
zu Rate gezogen werden, selten wohl von Politikern und Publizisten. 

Seine zahlreichen Amter und Ehrenstellen versah H. mit gewissenhaftem 
Ernst. Das ist auch durch Jahrzehnte der »Zentralkommission fur Er- 
forschung und Erhaltung der Baudenkmale« zugute gekommen, bis ihn sein 
hohes Alter verhinderte, deren umfassenden Aufgaben in alien Teilen zu folgen. 
In die lange Zeit seiner Prasidentschaft (1863 bis 1910) fallen — ich folge hier 
der Aufzahlung in dem Nachrufe Josef Hirns — die Aktionen zur Restau- 
rierung von Osterreichs beruhmten Denkmalern: Stefansdom, Veitsdom, Triester 
Dom, Stiftskirche Klosterneuburg, Kreuzgang in Brixen und Millstatt, Burg 
Karlstein usw., ferner die Ausgrabungen auf den alten romischen Kulturstatten 
Aquileja, Brigantium, Carnuntum, Potovio und in erster Linie des beruhmten 
Kaiserpalastes in Spalato. »Unter seiner redaktionellen Oberleitung«, fahrt 
Hirn fort, »erschienen durch fast 50 Jahre die grofien, gehaltreichen Schriften- 
serien der Zentralkommission: Jahrbiicher, Mitteilungen, Archivberichte u. dgl. 
In die Diskussion iiber die wichtigsten, in die Denkmalpflege einschlagigen 



Helfcrt. 



353 



Fragen griff er ein mit seinen Abhandlungen liber »Staatliche Fiirsorge fiir 
Denkmale der Kunst und des Altertums«, iiber »Osterreichische Kunsttopo- 
graphie«, iiber »Staatliches Archivwesen«, iiber »Offentliche Obsorge fiir Gegen- 
stande der Kunst und des Altertums nach dem neuesten Stande der Gesetz- 
gebung in den verschiedenen Kulturstaaten«, iiber »Die Herstellung des Riesen- 
tores von St. Stefan und die Wiener Sezession«, in seinem mit dem witzigen 
Titel versehenen Buche »Eine Geschichte von Toren« und in seiner Festschrift 
anlafllich des fiinfzigjahrigen Wirkens der Zentralkommission. Denselben 
hohen Zielen dienten seine Darlegung iiber die »Aktion des Herrenhauses in An- 
gelegenheit des staatlichen Archivwesens« und seine im Herrenhause einge- 
brachten Gesetzentwiirfe, betreffend den »Schutz der Baudenkmale und den 
Schutz des Diokletianischen Palastes.« 

Viel verdankt ihm die Wiener Leo -Gesellschaft, die sich zum Mittelpunkte 
des wissenschaftlichen Lebens unter den glaubigen Katholiken Wiens cnt- 
wickelt hat. Er war einer ihrer Griinder und zugleich seit 1892 bis zu seinem Tode 
ihr erster President. Dafl er in der Gesellschaft nicht zu den Eiferern, sondern 
zu den vermittelnden Personlichkeiten gehorte, geht aus dem Nachruf hervor, 
der im Tatigkeitsbericht des Vereinsvorstandes fiir das Jahr 1910 dem ver- 
dienten Prasidenten gewidmet ist. Es heiflt dort u. a. : »Sein weitgespannter 
Blick und sein versohnlicher Geist waltete bei der Leitung ihrer Geschafte 
mit Sachkenntnis und mit jener Milde, die auch Widerstrebende gewinnt. . . . 
H. war kein stiirmischer Vorwartsdranger, ihm lag besser die ruhig, aber rastlos 
voranstrebende Arbeit, die an Erfolgen fast weniger wie an der Arbeit selbst 
sich erfreut: das war auch der Sinn, wie er seine leitende TStigkeit hier wie ander- 
warts erfaflte und.ausubte.« Die eigentlichen Ultramontanen konnen an seiner 
Auffassung des Verhaltnisses von Staat und Kirche, wie sie oben geschildert ist, 
kein Gefallen gefunden haben. Seine unabhangige Gesinnung geht auch aus 
dem Aufsatze hervor, den er im Jahre vor seinem Tode dem Philosophen Bernard 
Bolzano widmete (in den Publikationen der Bohmischen Gesellschaft der Wissen- 
schaften 1909). Hier stellt er aus den Akten die eigentliche Ursache der Ver- 
folgung Bolzanos, des edlen katholischen Priesters und Professors an der Prager 
Universitat, fest. Bolzano zog sich den Unwillen des Pfarrers an der Wiener 
Burgkapelle, Frint, zu, weil er sich in seinen Vorlesungen iiber Religionsphilo- 
sophie nicht an das Lehrbuch Frints hielt und, darob zur Rechenschaft gezogen, 
an diesem Buche freimiitige Kritik iibte. Vergebens war die Fiirsprache des 
Erzbischofs von Prag und anderer sonst maflgebender Personlichkeiten, die 
fiir die Rechtglaubigkeit und Frommigkeit Bolzanos einstanden. Frint, der 
Gewissensrat des Kaisers Franz, bestimmte diesen zur Absetzung Bolzanos, 
dem auch verboten wurde, irgend etwas drucken zu lassen. Dafl gerade H. 
all dies aktenmaflig belegte, dafl er mafivoll in der Form, aber bestimmt in der 
Sache ein Urteil abgab, dem jeder Feind staatlichen und kirchlichen Despotis- 
mus beistimmen wird, gereichte dem 89jahrigen Greise zu hoher Ehre. 

H. starb fast 90jahrig nach einer Krankheit von wenigen Tagen ; seine 
Riistigkeit bis ins hochste Alter war ebenso bewunderungswiirdig wie seine 
Arbeitslust. Sah man ihn in offentlichen Bibliotheken oder in Archiven arbeiten, 
so bot er das Bild geistiger Konzentration und der Hingabe an die Sache. Seine 
Beweglichkeit in Rede und Gebarden tat der Wiirde seines Auftretens keinen 
Eintrag. In den konservativen und klerikalen Kreisen genofl er die hochste 

Kxogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. x6. Bd. 23 



354 



Helfert. Koch. 



Verehrung, aber auch seine politischen Gegner, mit denen er in fruheren Jahren 
oft zusammengeraten war, waren in der ehrenden Anerkennung seines Cha- 
rakters, zu dessen Zierden Bescheidenheit gehorte, durchaus einig. Bemerkens- 
wert war auch das Wohlwollen und die selbstlose Unterstiitzung, die er den 
historischen Arbeiten von Mannern zuwendete, die ganz andern Anschauungen 
huldigten als er; die meisten der osterreichischen Forscher iiber die Geschichte 
des 19. Jahrhunderts sind ihm zum Danke verpflichtet. Auch war er in der lite- 
rarischen Polemik nie verletzend, stets uberwogen die sachlichen Gesichtspunkte. 
Sein Gebiet war die Detailforschung, immer leitete ihn strenge Wahrheitsliebe. 
Was der Wirkung seiner Biicher im Wege stand, das war ihre Ausfuhrlichkeit, 
die Uberladung mit Einzelheiten, von denen er keine unter den Tisch fallen zu 
lassen sich entschlieBen konnte. Das wirkte um so nachteiliger, als er einen 
lebhaften Stil schrieb, auch gut charakterisierte; er war pedantisch nur in der 
Stoffuberfiille, nicht etwa in der Form der Darstellung. Er nimmt in der Ge- 
schichte der deutschen Historiographie eine bescheidene Stelle ein, dagegen 
einen bemerkenswerten Platz in der osterreichischen Kulturgeschichte seiner 
Zeit. Bezeichnend fur ihn ist seine hohe Schatzung der Bedeutung der Marz- 
revolution von 1848, aber auch seine strenge Verurteilung der Ausschreitungen, 
zu denen es seit dem Sommer dieses Jahres kam. Sobald die Bewegung an 
Thron und Altar ruhrte, wurde sie ihmtief antipathisch. Seine Freunde nannten 
ihn einen »Patriarchen« der Revolution, sein Herz gehorte jedoch den 
Bandigern dieser Erhebung. 

H. hat in dem Aufsatze »Im Elternhause« (Wiener Zeitschrift »Die Kultur* Jahrg. 1906, 
S. 451 — 465) seine Knabenzeit geschildert und seinem Vater in Klars Jahrbuch »Libussa« 
(Prag 1856) eine Biographie gewidmet. — Seine »Erlebnisse und Erinnerungen* (»Die Kultur* 
Jahrgange 1900 — 1905) umfassen die Zeit vom Oktober 1848 bis Ende 1850. — Daneben ent- 
halten alle seine Bucher iiber die Wiener Revolution auch Beitrage zu seiner eigenen Wirk- 
samkeit, besonders der 3. Band der ^Geschichte Osterreichs vom Ausgange der Oktober- 
revolution«. Endlich ist das von ihm herausgegebene Heft mit den Daten aus seinem Leben 
zu erwahnen »Sechzig Jahre im Staatsdienst und in der Literatur 1841/42 — 1901/02. Als MS. 
fur Freunde*. 

Der dsterreichische Volksschriftenverein gab in seiner fr Bucher ei« als 1. Heft heraus 
»Dem Andenken Helferts* (Brixen 191 1, Tyrolia). Darin besonders »Helferts Wirken und 
Schaffen* von Hofrat Universitatsprofessor Dr. Josef Hirn. — Der knappe, H. in der Leo- 
Gesellschaft gehaltene Nachruf findet sich in der »Kultur« t Anhang zum Jahrg. 191 1. 

H. hat bei seinen Lebzeiten Vorsorge fur seinen literarischen NachlaO getroffen. Auf 
seine Bitte gestattete Kaiser Franz Josef, daB H.s Papiere nach seinem Tode der kaiserlichen 
Fideikommifi-Bibliothek zur Aufbewahrung iibergeben werden soil ten, was auch geschehen ist. 
Gemafi seiner Verfiigung darf der handschriftliche Nachlafi erst 10 Jahre nach seinem Tode 
der Benutzung zuganglich gemacht werden. Er enthalt u. a. seine Tagebucher und seine 
sorgfaltig aufbewahrte Korrespondenz, so daB daraus wichtige Beitrage zur 6ster- 
reichischen Geschichte seiner Zeit zu erwarten sind. 

Heinrich Friedjung. 

Koch x )> Richard, * 15. September 1834 zu Kottbus, f 15. Oktober 1910. — 
K. bezog bereits im April 1 850, also mit noch nicht 17 Jahren, die Universitat 
Berlin. Hier hat er flinf Semester und damit, da er vom sechsten Semester 
seitens des Justizministeriums befreit wurde, seine ganze Studienzeit verbracht, 



Totenliste 1910, Bd. XV, 4 



-• 



Koch. 



355 



ohne jedoch, wie er selbst noch vor kurzem in der Liebmannschen Festschrift 
zum hundertjahrigen Jubilaum der Universitat hervorhob, »in ein naheres 
Verhaltniszu ihr zu gelangen«. Es fehlte ihm hier, wie er sagte, an der Poesie, 
»welche sonst die Universitatszeit und manche schonen Platze zu verklaren pflegt. 
Berlin war und blieb Lern -Universitat. Der Ernst der Arbeit beherrschte alles«. 
Besonderes Vertrauen faBte er zu Rudolf Gneist und zu Homeyer f der seinen 
Studenten »sonntaglich in seiner Wohnung ein Privatissimum uber den Sachsen- 
spiegel zu lesen pflegte*. Nachdem er mit 19 Jahren (2. November 1853) 
Auskultator am Kreisgericht seiner Vaterstadt Kottbus und zwei Jahre spater 
Appellationsgerichtsreferendar geworden war auf Grund einer Priifungsarbeit, 
die man zensierte als eine »vorziigliche Arbeit, die selbst einem geubten Praktiker 
zur Ehre gereichen wurde«, wurde er mit 23 Jahren (21. Mai 1858) Gerichts- 
assessor und, »nach einem kurzen Intermezzq bei der Staatsanwaltschaft in 
Frankfurt a. 0.«, Hilfsrichter bei den Appellationsgerichten in Ratibor und 
demnachst in Halberstadt, wo er jeweils gleichzeitig bei dem Straf- und dem 
Zivilsenat tatig war. Mit 27 Jahren (27. Marz 1862) wurde er zum Richter bei 
dem Stadt- und Kreisgericht in Danzig ernannt, wo er kurz darauf (Januar 
1865) auch Mitglied des mit der Regierung verbundenen landwirtschaftlichen 
Spruchkollegiums geworden ist; dann kam er im Oktober 1865, kurz nach seiner 
Verheiratung, als Richter zum Stadtgericht nach Berlin. Auf Grund seiner bereits 
1863 begonnenen literarischen Tatigkeit auf den Gebieten des Konkurs-, Zivil- 
prozefl- und Verkehrsrechts berief man den jungen Stadtgerichtsrat mit dem 
Beginn des Jahres 1868 zum Schriftfiihrer der »Kommission zur Ausarbeitung 
einer gemeinsamen Zivilprozeflordnung fur die Staaten des Norddeutschen 
Bundes«, und zwar gleichzeitig mit Dr. Struckmann, dem nachmaligen Kolner 
Oberlandesgerichtsprasidenten, der aus einer altbewahrten Beamten- und Ge- 
lehrtenfamilie stammte. Eine Frucht der damaligen gemeinsamen Arbeit beider 
Manner war der bekannte Struckmann-Kochsche Kommentar zur ZivilprozeC- 
ordnung, der 1910 in 9. Auflage erschienen ist. 

Die schon mit der Berufung in die Zivilprozefikommission unterbrochene 

richterliche Tatigkeit K.s wurde nach Auflosung dieser Kommission durch ein 

Ereignis beendet, das fur seinen kiinftigen Lebensgang entscheidend war. In 

Nancy, wohin er im Kriege 1870 einen Sanitatszug des Roten Kreuzes geleitet 

hatte, erhielt er zu seiner Oberraschung die Aufforderung, als Hilfsarbeiter in 

das Bankdirektorium der Preuflischen Bank einzutreten, deren President 

v. Dechend wohl wesentlich durch K.s Schriften auf ihn aufmerksam geworden 

war. Ein Jahr spater, am 24. Marz 1871, wurde der Siebenunddreifligjahrige 

zum Mitglied und Justitiar dieser Behorde ernannt, um dann an dem Tage, 

an dem die Reichsbank ins Leben trat, also am 1. Januar 1876, Mitglied und 

Justitiar des Reichsbankdirektoriums zu werden, in dem er 1887 die neu ge- 

schaffene Stelle eines Vizeprasidenten erhielt. Am 23. Mai 1890 ist er dann 

President des Reichsbankdirektoriums geworden und hat dieses wichtige und 

verantwortliche Amt fast 18 Jahre, bis zum 31. Dezember 1907, bekleidet. 

Die Ziele und die Eigenart seiner Aufgaben und seiner Tatigkeit in dieser 

Stellung lassen sich kaum verstehen ohne eine kurze Hindcutung auf die Ver- 

haltnisse, die im Munz-, Geld- und Notenbankwesen bestanden, als K. in der 

Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Studien begann, und auf diejenigen, 

welche er beim Eintritt in das Bankdirektorium vorfand. 

23* 



356 



Koch. 



Im Jahre 1850, als K. die Universitat Berlin bezog, bestanden, was noch 
bis zum Anfang der siebziger Jahre dauerte, nicht weniger als sieben Miinz- 
systeme in den deutschen Staaten, die, mit Ausnahme des in Bremen geltenden, 
durchweg auf der Silberwahrung beruhten; der durch die sieben MQnzsysteme 
entstandene Wirrwarr war um so grofier, als kein Staat verpflichtet war, die 
Miinzen eines andern deutschen Staates zuzulassen. Eine fast noch grofiere 
Unordnung herrschte auf dem Gebiete des Papiergeldes. Oberall gab es soge- 
nannte »Wilde Scheine«, die man auflerhalb ihres Gebietes schwer und nur mit 
Verlust anbringen konnte, und die man doch bestandig wiedererhielt; lediglich 
die sechs kleinsten Lander des staatenreichen Deutschlands hatten kein Papier- 
geld ausgegeben. Dazu kam noch das von Eisenbahngesellschaften und sonsti- 
gen Korporationen auf Grund besonderer Privilegien ausgegebene Papiergeld 
und seit der Mitte der funfziger Jahre der gewaltige Betrag ungedeckter Bank- 
noten der Privatnotenbanken, von denen damals allein in Preufien neun be- 
standen, und die in immer grofierer Zahl, schon als aufiererAusdruck der Finanz- 
hoheit der vielen deutschen Souverane, in den einzelnen deutschen Staaten kon- 
zessioniert wurden. Noch im Jahre 1873, als K. schon bei der Preufiischen 
Bank war, erfreute sich das Deutsche Reich des Daseins von nicht weniger als 
140 Arten papierner Wertzeichen (Banknoten und Papiergeld), die mehr und 
mehr das Hartgeld aus dem Verkehr gedrangt hatten. 

Die Bevolkerung Deutschlands betrug um die Mitte des vorigen Jahr- 
hunderts nur etwa 35 Millionen Kopfe, also ungefahr ebensoviel als die Frank- 
reichs; das Kapitalvermogen wurde um diese Zeit in Preufien nur auf 720 Mark 
auf den Kopf der Bevolkerung geschatzt, wahrend man ungefahr um dieselbe 
Zeit auf die englische Bevolkerung bereits etwa den vierfachen Betrag be- 
rechnete. 

Immerhin waren aber seit 1834 durch die Begrundung des Deutschen Zoll- 
vereins, der ein einheitliches Wirtschaftsgebiet und eine einheitliche Wirtschafts- 
politik ermoglicht hatte, die Vorbedingungen flir einen wirtschaftlichen Auf- 
schwung geschaffen, der auch damals bereits in teilweise erheblicher Weise 
einsetzte, begiinstigt durch eine endliche Ansammlung von Kapitalien, die eine 
in Deutschland ungewohnt lange mehr als 30 jahrige Friedensara (1815 bis 1848) 
gestattet hatte, und beschleunigt durch einen BevOlkerungszuwachs, der gerade 
in dieser Epoche noch starker war als in der Zeit von 1865 bis 1895. 

K. hatte aus seiner friiheren Tatigkeit grofie praktische Erfahrungen auf 
dem Gebiete des Verkehrs nicht mitbringen k5nnen. Als er im Jahre 187 1 
nach etwa achtjahriger richterlicher Tatigkeit und nicht unerheblicher wissen- 
schaftlicher Betatigung seine zunachst nur juristische, dann aber bald immer 
mehr finanzpolitische Tatigkeit in der Preufiischen und demn&chst in der Reichs* 
bank begann, hatte sich bereits die wirtschaftliche Struktur des Staates und 
Reiches in bekannter Weise wesentlich geandert. Die Bevolkerung war auf 
iiber 40 Millionen angewachsen, von denen schon etwa 36 Prozent in den Stadten 
wohnten, und es gab bereits acht Stadte mit mehr als 100 OOO Einwohnern, 
von w r elchen Berlin allein damals 774 OOO Einwohner z&hlte. Unter dem tiefen 
Eindruck der endlich erreichten Einigung des deutschen Volkes im Deutschen 
Reiche und unter Mitwirkung eines wirtschaftlichen Danaergeschenks, der allzu 
rasch und allzu reichlich in den Verkehr gebrachten franzosischen Kriegsent- 
schadigung von 5 Milliarden Franken, sowie des gewaltigen jSLhrlichen Bevolke* 



Koch. 357 

rungszuwachses hatte sofort eine geradezu fieberhafte Entwicklung der deut- 
schen Industrie begonnen. Ihr fiel die nationale Aufgabe zu, zusammen mit der 
Landwirtschaft dem Bevolkerungszuwachs Nahrung und Beschaftigung zu ver- 
schaffen und zugleich den ungeheueren Vorsprung einzuholen, den das Ausland 
seit langer Zeit auf den wichtigsten Gebieten wirtschaftlicher Betatigung ge- 
wonnen hatte. Man versuchte jetzt mit Siebenmeilenstiefeln in wenigen Jahren 
einzuholen, was man in Jahrhunderten versaumt hatte, und was man mangels 
nationaler und wirtschaftlicher Geschlossenheit und ausreichender Kapital- 
anlage nicht einmal ernstlich hatte anstreben ktinnen. 

Das junge Deutsche Reich konnte und durfte den stiirmischen Entwick- 
lungsdrang der wirtschaftlichen Kreise nicht niederhalten. Aber es gait, ihn 
in mtfglichst ungefahrliche Bahnen zu leiten, das Miinz-, Geld- und Banknoten- 
wesen in einheitlicher und sicherer Weise zu ordnen, das gesamte Wirtschafts- 
leben, insbesondere die Schwankungen der Handels- und Zahlungsbilanz sowie 
der Kreditanspruche des Verkehrs, von hoher Warte aus standig zu beobachten 
und einen starkcn Regulator der vielen auseinanderstrebenden Krafte des Wirt- 
schaftslebens zu schaffen. Eine solche Einrichtung sollte in der am I. Januar 
1876 ins Leben getretenen Reichsbank getroffen werden, der im § 12 des Bank- 
gesetzes vom 14. Marz 1875 d* e hohe und schwierige Aufgabe gestellt wurde: 
»den Geldumlauf im gesamten Reichsgebiete zu regeln, die Zahlungsausgleichun- 
gen zu erleichtern« und, was in die zweite Linie gestellt wird, »fur die Nutzbar- 
machung verfiigbaren Kapitals zu sorgen«. 

In einem Wirtschaftsgebiet mit stiirmischen Entwicklungsbedurfnissen, 
also gewaltigem Kapitalbedarf, aber verhaltnismaflig geringem Kapitalvorrat 
muflte es besonders schwer werden, ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem 
Bedarf und den zu seiner Deckung zur Verfugung stehenden Umlaufsmitteln 
herzustellen. Ebenso schwierig war es, die Art und den Umfnag dieser Urn- 
laufsmittel so dehnbar zu gestalten, dafi sie den wechseinden und schwankenden 
Bediirfnissen jederzeit zu entsprechen vermochten. Die Erfullung beider Auf- 
gaben wurde nicht nur durch die bestandig wechseinden Kreditbediirfnisse des 
Inlandes, sondern auch durch die an der Golddecke zerrenden Anforderungen 
des Auslandes erschwert, die beide mitunter, so im Jahre 1907, in sturmischster 
Weise gleichzeitig sich meldeten. 

Man ging zunachst, unter hervorragender Mitwirkung K.s, daran, neben 
einer Ordnung des Verhaltnisses der Reichsbank zu den bestehenden, jedoch 
unter dem Druck der Verhaltnisse und der Gesetzgebung in immer grofierer 
Zahl eingehenden Privatnotenbanken, die Grundlage der gesamten Geld- und 
Kreditorganisation durch Einfuhrung der Goldwahrung in immer festerer und 
sicherer Weise zu gestalten. Aber jeder Schritt auf diesem Gebiete kostete 
schwere Kampfe gegeniiber den im Besitz der politischen Macht befindlichen 
Vertretern des Bimetallismus, die etwa zehn Jahre lang im Reichstag die Mehr- 
heit hatten. Im Jahre 1871 ordnete man die Auspragung von Reichsgold- 
miinzen an, denen man die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels bei- 
legte; man ermachtigte den Reichskanzler zur Einziehung der bisherigen groben 
Silbermiinzen der Bundesstaaten und untersagte auch die weitere Auspragung 
der letzteren. Von da ab bis zu dem Gesetz vom 1. Juli 1900, das die all- 
mahliche Einziehung der noch mit gesetzlicher Zahlkraft ausgestattet gewesenen 
Taler beschleunigte, und bis zu der fast sakramentalen Formel des § I des MQnz- 



358 



Koch. 



gesetzes vom I. Juli 1909: »Im Deutschen Reiche gilt die Goldwahrung«, waren 
vor und hinter den Kulissen erbitterte Schlachten zu schlagen, die, angesichts 
der Macht der Gegner, nur ein so zaher, von seiner Oberzeugung getragener 
Mann, wie es K. gewesen ist, siegreich bestehen konnte. Es ist nicht unmoglich, 
dafl selbst Bismarck unter dem Einflufl dieser Gegner K.s mitunter, namentlich 
beim Ubergang vom Freihandel- zum Schutzzollsystem, geneigt sein mochte, 
jenen Gegnern auch auf dem Gebiete des Bimetallismus Zugestandnisse zu 
machen. Es mag auch, angesichts der lange bestehenden bimetallistischen 
Mehrheit im Reichstage, durch die an sich die Stellung K.s ungemein erschwert 
und zweifellos oft bedroht war, nicht immer leicht gewesen sein, die spateren 
Reichskanzler Caprivi und Hohenlohe von der Notwendigkeit unbedingter Fest- 
haltung an der Goldwahrung zu uberzeugen, mit der das Vertrauen auf jeder- 
zeitige vollwertige Einlosung unserer Banknoten und der Kredit der deutschen 
Valuta auch im Auslande untrennbar zusammenhangt. Was speziell die Bank- 
noten betrifft, so ist die Reichsbank nach § 18 des Bankgesetzes verpflichtet, 
ihre Noten dem Inhaber gegen deutsche Goldmunzen einzulosen, und zwar bei der 
Berliner Zentrale sofort bei Vorzeigung, bei den Zweiganstalten, soweit es deren 
Barbestande und Geldbediirfnisse gestatten; sie mufi also einen angemessenen 
Goldvorrat bereithalten, um derartigen Einlosungsforderungen jederzeit nach- 
kommen zu konnen. 

Nachdem so wichtige und grofie Staatsgebiete, wie Osterreich, Ruflland, 
Italien, Argentinien und die Vereinigten Staaten, zur Goldwahrung iiberge- 
gangen waren, haben die Gegner den Kampf als vorlaufig aussichtslos so ziemlich 
eingestellt. In der Frage der Goldwahrung gab es fur K. ebensowenig ein Nach- 
geben wie in der damit zusammenhangenden Frage der Verstaatlichung, die aus 
taktischen und politischen Griinden von den gleichen Gegnern in immer er- 
neutem Ansturm gefordert wurde. 

Aber auch der President der Reichsbank kann Geld nicht aus der Erde 
stampfen. K. war sich daruber klar, dafl gerade infolge der seit 1870 durch die 
Gesetzgebung geforderten Gewohnung der friiher mit Papiergeld ubersattigten 
deutschen Wirtschaftskreise an den Hartgeldverkehr das Gold im deutschen 
Verkehr weit iiber die — stets notwendigen — Goldreserven hinaus festgehalten 
wurde. Jedes Goldstiick aber, das unnotigerweise festgehalten wird, geht 
naturgemafl dem Kreditverkehr veiloren, den die Reichsbank mit geringen 
Goldvorraten und mit Banknoten allein auf die Dauer nicht bewaltigen kann. 

Hier setzte nun K.s reformatorische Tatigkeit besonders ein; es gait in 
erster Linie, Einrichtungen zu schaffen, die in moglichst weitem Umfange den 
Gebrauch baren Geldes ersparen, um auf diese Weise nicht nur den Zahlungs- 
ausgleich zu erleichtern, sondern auch dem Kreditverkehr weitere Unterlagen 
zu verschaffen. Zu diesem Zweck gestaltete er zunachst, was sein eigenstes 
Verdienst ist, den schon im Statut der Preufiischen Bank erwahnt gewesenen 
Giroverkehr, der dort nur ein toter Buchstabe geblieben war, zu einer lebens- 
fahigen Einrichtung. Diese sollte den Kunden der Reichsbank die Moglichkeit 
gewahren, ihre gegenseitigen Forderungen und Schulden, ohne Gebrauch baren 
Geldes, auf dem Wege kostenfreier Ab- und Zuschreibungen in den Buchern 
der Reichsbank zu erledigen, und zwar bei jeder der Zweigstellen der Reichsbank, 
die unter seinem Presidium ungemein vermehrt wurden. In solcher Weise ist 
fur diese unentgeltlichen Fernubertragungen ganz Deutschland ein einheitlicher 



Koch. 



359 



Giroplatz geworden. Auf der andern Seite wurde auf diesem Wege auch fiir die 
Reichsbank selbst der grofie Vorteil erzielt, dafi die durch die Einzahlungen der 
Girokunden oder Dritter fiir deren Rechnung ihr zufliefienden Gelder als Noten- 
deckung im Sinne des Bankgesetzes galten, so dafi jede Erweiterung des Giro- 
verkehrs zugleich eine Vermehrung des Banknotenumlaufs, also wiederum eine 
starkere Unterstutzung des Kreditverkchrs ermoglichte. 

Gleichzeitig kampfte K. sowohl im Wege organischer Reichsbankeinrichtun- 
gen als literarisch fiir eine Einburgerung des in Deutschland, im Gegensatze zu 
England, noch sehr im argen liegenden Scheckverkehrs und fiir ein den Ver- 
kehrsbediirfnissen entsprechendes populares Scheckgesetz. Dabei war er durch - 
drungen von dem zweifellos richtigen Gedanken, daC der Scheck, der sowohl 
den Bargeldgebrauch als bis zu einem gewissen Grade auch den Banknoten - 
umlauf beschranken soil, nur dann seinen Zweck wirklich erfiillt, wenn seine 
Einlosung nicht in bar, sondern durch Abrechnung erfolgt. 

Um nun die Erlcdigung des Scheckverkehrs in immer groCerem Umfange 
statt durch Bareinlosung im Wege der Verrechnung zu ermoglichen und dadurch 
gleichzeitig wieder den Scheckverkehr selbst zu heben, wurde unter energischer 
Mitarbeit K.s im Jahre 1883 eine groQere Anzahl von Abrechnungsstellen nach 
dem Muster der Clearing houses in London und New York sowohl in Berlin wie 
an sonstigen grofien deutschen Platzen geschaffen. Die Mitglieder dieser Ab- 
rechnungsstellen verpflichteten sich, unter Beteiligung und Leitung der Reichs- 
bank die von ihnen und gegen sie zu erhebenden Forderungen aus Wechseln, 
Schecks und Anweisungen nicht durch Bargeld, sondern im Wege der Abrechnung 
zu tilgen. Etwa dabei verbleibencle Restbetrage zugunstcn oder zu Lasten 
eines Teilnehmers werden durch Gutschrift oder Belastung auf dem Reichsbank- 
girokonto des Teilnehmers ausgeglichen, so dafi jede Barzahlung ausgeschlossen 
ist. Auch hier wieder suchte K. gleichzeitig durch literarische Arbeiten die Ein- 
fiihrung und die Popularisicrung der neuen Einrichtung zu fordern, so insbe- 
sondere durch die Abhandlung: »Abrechnungsstellen in Deutschland und deren 
Vorganger« (1883). 

Ferner suchte man im Jahre 1906, wahrend bis dahin Banknoten nur in 
Betragen von nicht unter 100 Mark ausgegeben werden durften, durch Schaffung 
kleiner Banknoten von 50 und 20 Mark der namentlich bei kleinen Gehalts- und 
Lohnzahlungen im Verkehr hartnackig festgehaltenen Gewohnheit der Gold- 
zahlung entgegenzuwirken. Ganz gegen alle Vorhcrsagungcn hat man auch in 
der Tat diesen Zweck in einem groCen Umfange erreicht, da schon in sehr kurzer 
Zeit der Verkehr nicht weniger als rund 300 Millionen Mark von diesen kleineren 
Banknoten aufnahm und festhielt. 

Endlich hat man in letzter Zeit auf K.s eigenste Anregung hin eine Hypo- 
thekenausgleichsstelle bei der Reichsbank, zunachst in Berlin, geschaffen, um 
die gewaltigen Betrage an Hypothekengeldern und -zinsen, die meist gerade an 
den infolge der Miets-, Gehalts-, Pramien- usw. Zahlungen ohnehin schlimmsten 
Terminen fallig sind, im Wege der Verrechnung, also unter moglichster Ver- 
meidung von Barzahlungen, zu erledigen. 

Ungeachtet aller dieser Bemiihungen waren es namentlich die Jahre 1906 
und 1907, in denen neben gewaltig angewachsenen Kreditanforderungen von 
Handel und Industrie gleichzeitig ein starker Ansturm des Auslandes, namentlich 
Amerikas, auf den Goldschatz der Reichsbank erfolgte, was die Reichsbank- 



36O Koch 

verwaltung zu besonders energischen Schutzmafiregeln veranlafite. Der durch- 
schnittliche Diskontsatz der Reichsbank, also der Zinsfufl, zu dem sie den von 
ihr verlangten kurzfristigen Kredit (in erster Linie durch Diskontierung kurz- 
fristiger Wechsel) gewahrt, und der in den Jahren 1876 bis 1895 nur 3,88 Prozent 
betragen hatte, stieg im Jahre 1906 auf 5,15 Prozent, im Jahre 1907 auf 6,03 
Prozent; das fiihrte dann auch naturgemafl eine entsprechende Erhohung des 
Zinssatzes im gesamten Verkehr herbei. 

Hieraus und aus der starken Verschlechterung des Reichsbankstatuts, die 
sich namentlich an den sogenannten »schweren Terminen* beobachten liefl, 
wurde vielfach gefolgert, die Reichsbank sei den Kieditbediirfnissen der Ver- 
kehrskreise, namentlich der Banken, zu sehr entgegengekommen ; sie habe es 
Uberdies nicht verstanden, durch andere Mittel als durch Hinaufsetzen des Dis- 
konts diese Kreditanspruche und die Goldentziehungen durch das Ausland 
rechtzeitig zuruckzudammen. Zu diesen andern Mitteln seien namentlich zu 
rechnen: die Erhohung des Grundkapitals der Reichsbank, die Erhohung des 
steuerfreien Notenkontingents, also des Banknotenbetrages, den die Reichsbank, 
ohne in eine Steuer zu geraten, ausgeben darf, ferner die Verstarkung der Gold- 
einkaufe, die Einfuhrung der Goldpramienpolitik, welche sich in Frankreich be- 
wahrt habe, und schliefilich eine erhebliche Verstarkung der Ankaufe von aus- 
landischen Golddevisen, durch deren rechtzeitigen Verkauf man einen Druck auf 
die Wechselkurse ausiiben, also mindestens die Ausfuhr von Gold verhiiten k6nne. 
Statt dessen habe die Reichsbankverwaltung, die den Kreditanspriichen der 
Handels-, Bank- und Industriekreise viel zu sehr entgegengekommen sei, lediglich 
denDiskont ohne Not erheblich hinaufgesetzt und ihn, was noch viel bedenklicher 
sei, ohne zwingende Notwendigkeit in dieser H6he bestehen lassen, was die 
Interessen weitester Kreise, insbesondere auch die des Gewerbes, des Hand- 
werks und der Landwirtschaft, schwer geschadigt habe. Man verlangte und 
erreichte die Einsetzung einer Bankenquetekommission, die zur Untersuchung 
dieser Fragen am 1. Mai 1908 zusammentrat. 

Es ist hier nicht der Ort, des naheren auf die interessanten und uberaus 
grundlichen Verhandlungen dieser Kommission einzugehen, aber es darf gesagt 
werden, daB sie in ihrer weit uberwiegenden Mehrheit zu folgenden Ansichten 
gelangt ist: 

Die der Reichsbank empfohlene Goldpramienpolitik, also der Grundsatz, 
zur Erhaltung des Bankschatzes Gold nur gegen eine besondere Pr&mie her- 
zugeben, ist fur Deutschland an sich mit Riicksicht auf den namentlich fttr 
unseren auslandischen Handel unentbehrlichen Schutz unserer Valuta im Aus- 
lande und auf die Sicherheit unserer Banknoten nicht angebracht; sie ist auch 
von Frankreich selbst, ungeachtet seiner von den deutschen vollig abweichenden 
wirtschaftlichen und finanziellen Verhaltnisse, so gut wie aufgegeben. 

Den erhohten Kreditanforderungen des Verkehrs an den »schweren Ter- 
miner konnte sich, nach Ansicht der Mehrheit der Kommission, die Reichsbank 
urn so weniger entziehen, als es sich gerade hier meist um vollig legitime, unseren 
Verkehrssitten entsprechende und unaufschiebbare Forderungen handelt, die 
noch dazu fast durchweg auf dem Wege des von der Reichsbank unbedingt zu 
pflegenden kurzfristigen Wechsel- und Lombardkredits befriedigt werden miissen. 

Das Betriebskapital einer Notenbank liegt in erster Linie in ihrem Notcn- 
kapital; eine Erhohung des Grundkapitals ist daher in gewShnlichen und in 



Koch. 



36l 



gunstigen Zeiten nicht erforderlich, in besonders ungvinstigen, wo ein grofies 
Kapital schwer verzinst werden kann, unter Umstanden sogar beschwerlich. 
Die Mehrheit der Kommission glaubte daher hochstens eine weitere und all- 
mahliche Verstarkung der Reserven vorschlagen zu diirfen, die dann auch im 
Gesetz vom 1. Juni 1909 angeordnet worden ist. 

Dagegen wurde allseitig eine kraftige Forderung der Devisenpolitik, wie 
sie schon vor dem Zusammentritt der Kommission seitens des neuen Reichsbank- 
prasidenten eingeleitet worden war — der Devisenbestand war von 44 1/ 2 Millionen 
Mark im Jahre 1907 auf fast 80 Millionen Mark 1908 gestiegen — , fiir dringend 
wiinschenswert erachtet. 

Das Anziehen der sogenannten Diskontschraube erachtete die weit iiber- 
wiegende Mehrheit der Kommission als das behufs Eindammung ubermafliger 
Kreditanspriiche und Goldentziehungen sowie zur Verhiitung aufierordentlicher 
Goldexporte mindestens in der Regel wirksamste Mittel, dessen schwere Schatten- 
seiten deshalb in Kauf genommen werden mufiten. Dabei wurde die Moglich- 
keit zugegeben, dafl, wie es im Jahre 1907 tatsachlich vorgekommen ist, das 
Ausland unter Umstanden, wenn es gezwungen sei, Gold an sich zu ziehen, 
davon auch durch einen noch so hohen Diskont sich nicht werde abschrecken 
lassen. 

Die Frage der Verstaatlichung der Reichsbank war aus den Erorterungen 
ausgeschaltet worden, nachdem der Reichskanzler zu Beginn der Verhandlun- 
gen hatte erklaren lassen, dafi grundsatzlich Anderungen in der Organisation 
der Reichsbank nicht in Frage kommen konnten. K. selbst hat sich im Interesse 
der Unabhangigkeit der Gebarung der Reichsbank von der Regierung und den 
jeweils herrschenden Parteien in der Deutschen Revue vom April 1908 Uber 
diesen Gedanken mit ernsten Worten dahin geauflert: »Die Reichsbank ist die 
letzte Geldquelle des Landes. Ihr System zu andern wiirden wir durch kolossale 
Verluste bezahlen, und schliefllich wurde man doch zu der alten Methode zuriick- 
kehren mussen. Moge der gute Stern Deutschlands uns vor einem solchen 
Schicksal bewahren!« 

Seitens der Gegner wurde im Verlaufe der Verhandlungen der Enquete- 
kommission — im Gegensatze zu fruher lange festgehaltenen Behauptungen — 
anerkannt, dafi die Landwirtschaft infolge der Lange des landwirtschaftlichen 
Produktionsprozesses naturgemifi mehr auf langfristigen Kredit angewiesen sei, 
dafi aber die Reichsbank mit Riicksicht auf ihre Pflicht, ihre taglich falligen 
oder kurzfristigen Verpflichtungen durch entsprechend billige Anlagen zu decken, 
jenen Kredit in der Regel weder auf dem Wege der Diskontierung langfristiger 
Wechsel, noch in einer sonstigen Form gewahren konne. (Jberdies hatte im Jahre 
1896 der erste Prasident der Preufiischen Zentral-Genossenschaftskasse, Freiherr 
v. Huene, auf dem Allgemeinen Landwirtschaftlichen Vereinstage zu Stettin 
anerkannt, dafi die Reichsbank fiir den Personalkredit der Landwirte alles ihrem 
Wesen nach Mogliche tue. 

Als Ergebnis der Verhandlungen der Bankenquetekommission kann fest- 
gestellt werden, dafi die weit uberwiegende Mehrheit dieser Kommission die 
Uberzeugung erlangt hat, dafl die der Reichsbank anvertraute Regelung des 
Geldumlaufs und des Zahlungs- und Kreditverkehrs sowie die Aufrechterhaltung 
unserer Goldwahrung von Anfang an in guten und sicheren Handen gewesen 
sei und dafi ohne die vorgekommenen Diskonterhohungen aller Voraussicht nach, 



362 Koch. 

infolge der uberaus starken industriellen Anforderungen und des stflrmischen 
Goldverlangens des Auslandes, eine noch viel starkere Verschlechterung des 
Status und, teilweise wenigstens, ein noch weit erheblicherer Goldabflufl ein- 
getreten sein wurde. Man war deshalb der Ansicht, dafi der Reichsbankver- 
waltung besonderer Dank dafiir gebuhre, dafi sie durch ihre Diskontpolitik 
und zugleich durch ein weites Entgegenkommen in den schweren Krisen der 
Jahre 1901 und 1907 in erster Linie dazu beigetragen hatte, den Geldmarkt 
und die Gesamtwirtschaft Deutschlands vor weiteren Zusammenbruchen und 
vor Erschiitterungen schwerster Art zu bewahren. In dieser Beziehung sei 
daran erinnert, dafi die Reichsbank wahrend der Krisis von 1901 in einer einzigen 
Woche, namlich der schweren Juniwoche, rund 400 Millionen Mark dem Markte 
im Wege der Kreditgewahrung zur Verfugung gestellt hat, um ein Weitergreifen 
der durch die Dresdener und Leipziger Zusammenbruche entstandenen bedroh- 
lichen Krisis zu verhindern. 

Am 31. Dezember 1907, kurz vor dem Zusammentritt der Bankenquete- 
kommission, deren Gesamtergebnis ohne Zweifel ein entschiedenes Vertrauens- 
votum flir die Verwaltung der Reichsbank darstellt, war K. aus dem Amte 
ausgeschieden, das er fast 18 Jahre mit soviel Wiirde, Gewissenhaftigkeit und 
Erfolg bekleidet hatte. Bei diesem Anlafi und schon einige Jahre zuvor, als er 
am 2. November 1903 den 50. Jahrestag seines Eintritts in den Staatsdienst 
feierte, kam die Anerkennung und Dankbarkeit weitester Kreise in fast elemen- 
tarer Weise zum Ausdruck fur den Mann, der mit der logischen Scharfe des Ju- 
risten die angeborene praktische Begabung des Finanzpolitikers und die organisa- 
torische Befahigung des Verwaltungsbeamten in glucklichster Weise vereinigte. 

An aufieren Ehren hat es ihm an diesen Tagen und auch sonst nicht gefehlt. 
Nachdem er schon im Jahre 1886 von der Universitat Heidelberg bei ihrem 
Jubilaum zum Ehrendoktor der Rechte ernannt worden war, liefi ihm die 
Universitat Straflburg an jenem 2. November 1903 das Diplom als Doktor der 
Staatswissenschaften tiberreichen, die Universitat Miinchen (spater 1903) das 
eines Doktors der philosophischen Fakultat; auch zum Ehrenbiirger seiner Vater- 
stadt Kottbus war er ernannt worden. Schon 1 891 wurde er Kronsyndikus und 
Mitglied des Herrenhauses, in welchem er selten eine Gelegenheit versaumt hat, 
fur seine Oberzeugung off en und riickhaltslos einzutreten. Im Jahre 1895 war 
er zu den Staatsratsverhandlungen behufs Prlifung der Vorschlage zur Be- 
seitigung oder Milderung des Notstandes der Landwirtschaft zugezogen worden, 
wo er wohl zu den energischsten Gegnern des damaligen Antrages Kanitz gehort 
haben durfte. Vom 16. bis 23. Juli 1 903 fuhrte er den Vorsitz in der von Mexiko 
und den Vereinigten Staaten von Amerika angeregten internationalen Wahrungs- 
konferenz mit grofier Ruhe und unparteiischer Sachlichkeit. 

K.s Vielseitigkeit war erstaunlich; es ist kaum ein Gesetz auf dem Verkehrs- 
gebiet in den letzten Jahrzehnten beraten worden, bei dem er nicht maflgebend 
mitgewirkt hatte, so bei den Beratungen iiber den leider in wesentlichen Teilen 
noch heute nicht zum Gesetz gewordenen Entwurf eines Warrantgesetzes, iiber 
dessen Bedurfnis und Inhalt er sich auch literarisch geauflert hat, ferner bei der 
gesamten Bank- und Munzgesetzgebung der letzten Jahrzehnte, die er in einer 
im Jahre 1910 in sechster Auflage erschienenen Ausgabe in meisterhaft knapper 
Sprache kommentiert hat. Er war der Verfasser des ersten Scheckgesetzent- 
wurfs, der 1882 dem Reichstage zuging, aber nicht erledigt wurde, und hat 



Koch. 363 

wesentliches Verdienst an der Einbringung und an der Gestalt des heutigen 
Scheckgesetzes. Er war der unermtidliche, mafigebende, aber stets mafivolle 
Leiter der Borsenenquetekommission (6. April 1892 bis 11. November 1893), 
wahrend er weder durchweg mit der gesetzgeberischen Verwaltung ihrer Be- 
schliisse, noch weniger aber mit der spateren extensiven Auslegung des Begriffs 
der BSrsentermingeschafte durch die Judikatur einverstanden gewesen ist, was 
er mir mundlich und schriftlich erklart hat. 

Fast auf alien Gebieten der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft, des 
privaten und offentlichen Rechts literarisch tatig, ist K. doch immer, und zwar 
sowohl in seiner wissenschaftlichen wie in seiner praktischen Tatigkeit, in erster 
Linie Jurist geblieben, ohne aber jemals Begriffs- oder Formaljurist zu werden. 
War er auch vielleicht nicht »Gegenwartsjurist« in dem nicht durchweg klaren 
modernen Sinne dieses Wortes, so war er mehr: er war ein feiner Kenner des 
Rechts und ein unbestechlicher Feind jeder Rechtsverletzung, ein weitblickender 
Pionier des werdenden Rechtes, bemuht, durch eine Vertiefung und praktische 
Ausgestaltung der Rechtsgedanken und der wirtschaftlichen Richtungen der 
Gegenwart einer verheifiungsvollen Zukunft die Wege zu ebnen. Ein solcher 
Mann hatte das ihm angebotene Amt eines Justizministers mit ganz besonderer 
Auszeichnung bekleidet, aber leider ist es dazu nicht gekommen. 

In der lateinischen Begrundung des Ehrendoktordiploms der Universitat 
Heidelberg findet sich eine Stelle, die sein Wesen und seine Tatigkeit in beson- 
ders treffender Weise kennzeichnet : »Semperque doctrinam cum usu feliciter 
conjunxit.« In der Tat: als ein Meister der Theorie, hat er ohne jemals eigent- 
licher Forscher zu sein, stets dahin gestrebt, dafi sich die Theorie nicht allzu 
weit von den praktischen Bedurfnissen und von dem praktisch Erreichbaren 
entferne, und, mitten in der Praxis stehend, hat er diese vertieft und gehoben 
durch Untersuchung und Aufdeckung ihrer theoretischen Grundlagen, ohne 
deren genaueste Kenntnisse der Praktiker niemals belehrend oder reformierend 
auftreten sollte. Der uber die Theorie sich erhaben dunkende Praktiker ist 
eine ebenso unerquickliche Erscheinung wie der einseitige Theoretiker, der in 
ungetrubtem Doktrinarismus die Bediirfnisse und harten Notwendigkeiten des 
praktischen Lebens nicht kennt und deshalb unterschatzt. K. lehrte, schrieb 
und forderte nichts, was er nicht vorher in bezug auf seine praktische Durch- 
fuhrbarkeit genau gepriift, und er setzte nichts in die Praxis um, was er nicht 
zuvor auf Grund seines groCen Wissens bis in alle Einzelheiten theoretisch 
durchdacht hatte. Darin besteht denn auch das Geheimnis seiner Erfolge 
sowohl in der Theorie als in der Verwertung seiner Reformgedanken im Betriebe 
der Reichsbank, deren fur die praktische Handhabung bestimmten Formulare 
er in richtiger Wiirdigung ihrer Bedeutung fast durchweg selbst entworfen und 
dann in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veroffentlicht hat. 

Aber nicht allein das, was er leistet, macht den Menschen, sondern auch, 
und zwar in erster Linie, das, was er ist. 

K. ist schlicht und bescheiden geblieben trotz aller Ehrungen, die ihm 
zuteil geworden, trotz aller Erfolge, die er vbllig aus eigener Kraft errungen 
hatte. Wohlwollend, giitig und freundlich war er gegeniiber den Mitarbeitern 
und den Untergebenen, gegeniiber alien, bei denen er Streben und Ernst voraus- 
setzte, stets bemuht, den Strebenden, den er vom Streber mit fast unfehlbarer 
Sicherheit zu unterscheiden wufite, mit Rat und Tat zu unterstiitzen. 



3^4 



Koch. 



Nichts Menschliches war ihm fremd, nicht die Kunst, nicht die Musik, die 
er selbst von Jugend auf pflegte, nicht die literatur, die er in weiten Gebieten 
beherrschte, auch nicht der Menschen Freude und der Menschen Leid. Er liebte 
die Geselligkeit, hatte von friiher Jugend an haufig bei Trios als Klavierspieler 
und bei Dilettantenauffuhrungen ofters als Regisseur oder Verfasser von Pro- 
logen gern mitgewirkt. 

Als Richter, als Verwaltungsbeamter, als Praktiker, Schriftsteller und 
Regierungsvertreter hatte er Leben und Menschen von den verschiedensten 
Seiten, in den Hohen und in den Niederungen, kennen gelernt, war viei und schroff 
und ungerecht angefeindet worden; aber er, der seinen Goethe kannte wie seine 
Bibel, hatte doch auch unsympathischen und gehassigcn Menschen gegenliber 
die Dichterworte stets in Erinnerung: »Das ist als das Hochste zu achten, die 
Menschen kennen und sie nicht verachten.« 

Vornehm in seinem Denken und Handeln, in Wort und Schrift. unparteiisch 
und sachlich in seinem Urteile, wie er es als Richter gewohnt war, unabhangig 
in seinem Wirken sowohl nach oben als, was haufig schwerer ist, nach unten, 
war er in seiner unbegrenzten Gewissenhaftigkeit, Cberzeugungstreue und 
Liebe zur Wahrheit nicht nur ein geborener Richter, sondern zugleich auch ein 
geborener Anwalt des Rechtes. Die grofiere oder geringere Heftigkeit, mit der 
ein Mensch gegen das reagiert, was ei als Unrecht oder als Rechtsverletzung 
empfindet, scheint mir vor allem bezeichnend ftir seinen Charakter und be- 
stimmend fur seine innere Entwicklung und seinen aufleren Lebensgang. K. war 
ein begeisterter Apostel des Rechts und der Wahrheit. Was er einmal als recht 
und wahr erkannte, das vertrat er, unbekiimmert um die Folgen, mit Zahig- 
keit — wo es anging, versohnlich in der Form, aber immer scharf und unbeugsam 
in der Sache. Kompromisse vermochte er hier nicht zu schliefien. Er mag 
denn auch wohl gerade deshalb im Parlament so heftige Gegner gef unden haben, 
denen er meist ohne jede taktische oder diplomatische Zuriickhaltung oder 
Verhullung seine ungeschminkte Meinung zum Ausdruck brachte. Er ist eben 
nie ein eigentlicher Politiker gewesen, wie er, schon infolge seines nicht weit- 
tragenden Organs, aber auch aus sonstigen Grunden, kein eigentlicher Redner 
gewesen ist. Aber da ihm die kostliche Gabe feiner Ironie und nicht verletzender 
Satire in hohem Grade eigen war, zwang seine Rede und die Oberzeugungskraft, 
die sie beseelte, den Horer fast immer in seinen Bann. 

Im Amte, in der Arbeit, im Schaffen stellte er an niemanden grdfiere An- 
forderungen als an sich selbst; seine Arbeitslust und Arbeitskraft war fast un- 
erreichbar und schien unerschopflich, ihr kamen nur sein starkes Verantwort- 
lichkeitsgefuhl und seine Gewissenhaftigkeit auch in kleinen und kleinsten 
Dingen gleich. 

In dem hohen Amte, zu dem er gelangt war, kam ihm seine grofie Sach- 
und Fachkenntnis, seine juristische Durchbildung, die ihn mit fast unfehlbarer 
Sicherheit stets das Wesentliche von dem Unwesentlichen rasch unterscheiden 
liefl, seine Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, sein praktischer Blick und 
sein fester und lauterer Charakter, kurz eine Summe von Eigenschaften zu- 
statten, die sich seiten bei einem Menschen vereint finden. An jeder Stelle aber 
hat er die Eigenschaften betatigt, die vor allem fdhrenden Mannern, auf welchen 
Platz sie auch das Leben gestellt hat, eigen sein sollten: seine heifieste Liebe 
gait dem Vaterlande, und sein hochstes Gesetz war das Gemeinwohl. Dauerndes 



Koch. 365 

aber unci Vorbildliches konnte er in hervorragender Stellung deshalb schaffen, 
weil er nicht lediglich klug und erfahren, sondern zugleich ein Charakter war 
und eine harmonische Personlichkeit. 

In der schweren t)bergangszeit, in der wir leben, die bis zum Rande angefiillt 
ist mit neuen Aufgaben und neuen Problemen, mit auf- und abwogenden, oft 
noch unklaren und unreifen Entwicklungstendenzen und Interessenkonflikten, 
hatte unser Vaterland das Gliick, in K. einen zuverlassigen wirtschaftlichen 
Berater zu besitzen, einen finanziellen Generalstabsschef von mafivoller Ruhe, 
weitem Blick und mutiger Entschlieflung. 

Er war ein Mensch im besten Sinne des Wortes, da er ein Kampfer war, 
wie er bis zum letzten Atemzuge ein Kampfer gewesen, weil er stets ein Mensch 
geblieben ist, treu seinen Zielen, treu dem Vaterlande und seiner Oberzeugung. 

Nach der »Grenzboten« Heft 14, 1911, zuerst gedruckten Gedenkrede. 

Professor R i e 6 e r. 



I. Alphabetisches Namenverzeichnis 



zum 



Deutschen Nekrolog vom I. Januar bis 31, Dezember 19 1 1. 



Name 
Baer, Christian Max 
Baemdorff, Auguste v. 
Baumgartner, Peter 
Begas, Reinhold 
Braun, Gustav Adolf 

Theodor 
Brenner, Ernst 
Brosi, Albert 
Brtihl, Jul. Wilh. 
Burckhardt-Finsler, 

Albert 
Buschbeck, Hermann 



Verfasser 
//. Holland 
M. Berger 
H. Holland 
A. Hcilmeycr 

Zander 
J. Winkler 
H. Kaufmann 
E. Philippi 

H. Earth 

A. Frh. v. Mensi 



Cloetta, Wilhelm E. Hoepffner 

Conrader, Georg H. Holland 

Czachorski, Wladisl. v. H. Holland 
Cziizy v. Cziiz, Karl H. Holland 

Dingelstad, Hermann Huh 

Eppinger, Karl R, Charmatz 

Erdtelt, Alois H. Holland 

Escherich, Theodor C. v. Pirquet 



Fischer-Benzon, 

Rud. v. 
Frankel, Bernhard 
Fresenius, August 
Funke, Alois v. 



J. Sass 
L. Rcthi 
A. Dreyer 
R. Charmatz 



Gotz, Wilhelm 7. Reindl 

Gogarten, He in rich H. Holland 
Goldberg, Gust. Ad. H. Holland 



Seite 

90 

63 

95 

145 

138 
119 
227 
133 

166 
66 

70 

97 
89 
97 

79 

194 

88 

45 



106 
67 

201 
218 

64 

86 

84 



Name 
Greif, Martin 
Grober Gustav 
Grlinhagen, Colmar 

Heifl, Karl 
Heyden, Hubert v. 
Hitzig, Herm. Ferd. 
Htflscher, Hermann 
Hoff, van 't, Jacobus 
Holmberg, August 
Httlskamp, Franz 

Jellinek, Georg 



Verfasser Seite 
A. Dreyer 
H, Schneegans 
J. Ziekursch 92 



A. Dreyer 

H. Holland 

H Schuler 

G. Holscher 

E. Zerner 

H Holland 

E. Sar tortus 

E. Zweig 



Keller, Gustav H m Holland 

Ktfnig, Richard, Frei- 

herr v. Warthausen Lampert 
Kroner, Adolf v. W. Koebner 



Ladenburg, Albert 
Le Feubure, Carl 
Loes, Karl 



E. Zerner 
H. Holland 
Heydweiller 



Mahler, Gustav G. Adler 

Menger, Max v. R. Charmatz 
Meyer,ChristianFriedr. Carl Fey 
Meyer-Frauenfeld, 

Johannes F, Schaltegger 

Mottl, Felix A. Ett linger 

Milliner, Laurenz J, Prcnner 



207 
226 



Oettli, Samuel 



F. Wilke 



206 

86 

178 

79 
185 

83 
234 

147 

9i 

57 
247 

171 
9' 
7i 

3 
221 
217 

182 

72 

129 

140 



Alphabetisches Namenveneichnis. 



367 



Name 




Verfasser 


Seite 


Pacher, Ferdinand 


H. 


Holland 


81 


Palmi£, J, Charles 


H. 


Holland 


98 


Pernat, Franz S. 


H 


Holland 


100 


Riehl, Berthold 


A. 


Dreyer 


203 


Rose, Julius 


H 


Holland 


101 



Salomon, Ludwig F. Zilcken 
Scheuermann, Ludwig 

G. W. H. Holland 

Schewitsch-Racowitza, 



61 



101 



Helene v. 


A. Dreyer 


198 


Schneider, Richard 


Bujard 


233 


Schonbach, Anton E 


. E . v. Steinmeyer 


256 


Schrtftter, Hugo 


PhUippi 


136 


Seltmann, Karl 


F. X. Seppelt 


127 


Siebold, Alexander 






Freiherr v. 


GrafA.v.Branden- 






stein-Zeppelin 


154 



Name Verfasser Seite 

Struck, Adolf Hermann W, Muller 169 

Ttlmpling, Luise v. P. Mitzschke 59 

Uhde, Fritz v. H Holland 214 

Uhlig, Victor F. E. Suess 109 

Umbeck, Philipp V. Klingemann 106 

Vahlen, Johannes E. Thomas 236 
Varrentrapp, Konrad G.Meyer v. Knonau 122 

Venne, van der, Adolf H. Holland 102 

Voltz, Ludwig H. Holland 104 

Weiser, Josef H. Holland 103 

Weitbrecht, Richard H. Mosapp 116 

VVilmanns, VVilhelm E. Schroeder 41 

Zipperer, VVilhelm A. Dreyer 202 



II. Alphabetisches Namenverzeichnis 

der 
Erganzungen und Nachtrage. 



Name 


Verfasscr 


Seite 


Name 


Verfasser 


Seite 


Burg, Ernst v. d. 


Krieg 


329 


Koch, Richard 


Riefier 


354 


Friedberg, Emil 


E. Sthling 


313 


Messel, Alfred 


K. Pallmann 


341 


Hartrott, Ludwig v. 


Krieg 


3^5 


Olbrich, Maria Josef 


F. v. Fcldegg 


338 


Helfert, Jos. Freiherr v 


\H. FrUdjung 


346 


Plener, lgnaz v. 


E. Plener 


262 


Kleist, Ewald v. 


KrUg 


317 


Werder, Bernhard v. 


Krieg 


319 



TOTENLISTE 

1911. 



Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog-. 16. Bd. 24 



Ein Stern (*) vor dem Namen bezeichnet, dafi das Biographische Jahrbuch dem Toten 
cinen eigenen Nekrolog gewidmet hat, auf den mit BJ unter Angabe von Band- und Seiten- 
xahl verwiesen ist; die am Schlusse jedes Artikels der Totenliste angefiihrte Literatur ver- 
zeichnet die Quellen des Bearbeiters und gibt auch weitere, zum Teil aus zweiter Hand ge- 
schopfte Hinweise; W deutet dabei an, dafi dort ein Verzeichnis der Werke des Verstorbenen, 
P f dafi ein Portrat beigegeben ist, N, dafi sich ein ausfuhrlicher Nekrolog an der betreffenden 
Stelle findet. 



Andere Abkiirzungen sind: 



AD = Das akademische 
Deutschland. Biogr. -bib - 
liogr. Handbuch f. d. Uni- 
versitaten d. Deutschen 
Reiches. Leipzig 1905 — 06. 

ADB = Allgem. Deutsche 
Biographic 

AF = Arbeiterfreund. 

AL = Alberti, Lexikon d. 
Schlesw. - Holstein-Lauen- 
burg. u. Eutin. Schrift- 
steller von 1829 — 66 u. 
1866—82. 

AMZ = Allg. Musikzeitung. 

ASG — Anzeiger f. Schwei- 
zer. Geschichte. 

BB = Bdrsenblatt. 

BKW = Berliner Klinische 
Wochenschrift. 

BMW = Boetticher, Maler- 
werke d. 19. Jahrh. 

BR = Briimmer, Lexikon d. 
deutschen Dichter u. Pro- 
saisten d. 19. Jahrh. 6. 
Aufl. 19 1 3. 

BT = Briefadelig. Taschen- 
buch. 

BZ = Dietrich, Bibliogra- 
phic d. Zeitschriften-Lite- 
ratur. 

DAG = Deutsch-Amerikan. 
Geschichtsblatter. 

DBZ = Deutsche Bauzeitung. 

DE = Deutsche Erde. 

DJZ = Deutsche Juristen- 
Zeitung. 

DKB = Deutsches Kolonial- 
blatt. 

DKZ = Deutsche Kolonial- 
zeitung. 



DMW = Deutsche Medizin. 

Wochenschrift. 
DRG = Deutsche Rundschau 

f. Geogr. u. Statistik. 
DZL = Deutsches Zeitge- 

nossen-Lexikon. 
EG = Ludw. Eisenbergs 

Grofies Biogr. Lexikon d. 

Deutschen Biihnen i. 19. 

Jahrh. 
EL = Eckart, Lexikon d. 

Niedersachsischen Schrift- 

steller. 1891. 
ELK = Allg. Evang.-Luth. 

Kirchenzeitung. 
FT = Freiherrl. Taschen- 

buch. 
FZ = Frankfurter Ztg. 
GA = Geogr. Anzeiger. 
GK = Geographen-Kalender. 
GT = Grafliches Taschen- 

buch. 
GZ = Geogr. Zeitschrift. 
HA = Handbuch f . d. Preufi. 

Abgeordnetenhaus. 
HBL = A. Hirsch, Biogr. 

Lexikon d. hervorragenden 

Arzte aller Zeiten u.V6lker. 
HC = Hamburgischer Corre- 
spondent. 
HH = Handbuch f. d. Preufi. 

Herrenhaus. 
HK = Gothaischer Hofka- 

lender. 
HL = Hessenland. 
HP A = Hirths deutscher 

Parlaments-AlmanaclL 
HV = Historische Viertel- 

jahrsschrift. 
JAW = Jahresberichte iiber 



d. Forstchritte d. klass. 

Altertumswissenschaft. 
JB = Jahrbuch d. deutschen 

Bibliotheken. 
JSG = Jahresberichte d. 

Schles. Gesellschaft f. va- 

terl£nd. Kultur. 
JSTG = Jahrbuch d. Schiffs- 

bautechnischen Gesellsch . 
IZ = Leipz. Illustrierte Zei- 

tung. 
K = Kukula, Bibliogr. Jahr- 
buch d. Deutschen Hoch- 

schulen. 
Kchr = Kunstchronik. 
KFA = Kunst f. Alle. 
KJ = Kirchliches Jahrbuch, 
KL — Kiirschner, Deutsch. 

Literatur- Kalender. 
KM = Konservative Mo- 

natsschrift. 
KR = Keiters Kathol. Lite- 
ratur- Kalender. 
KTH = Kalender d. Techni- 

schen Hochschulen. 
KVZ = Kolnische Volkszei- 

tung. 
KW = Kunstwart. 
L = Leopoldina. 
LA = Limans Militar-Al- 

manach. 
LE = Literarisches Echo. 
LJ = Lebells Jahresberichte. 
LZ = Literar. Zentralblatt, 
MAZ = Munch. Allgemeine 

Zeitung. 
M. d. A. = Mitglied d. Preufi. 

Abgebrdnetenhauses. 
M. d. H. = Mitglied d. Preufi. 

Herrenhauses. 



Totenliste 191 1 : Achenbach — Aschenborn. 



6* 



M. d. R. = Mitglied d. 

Reichstag es. 
MMW = Munch. Medizin. 

Wochcnschrift. 
MS = Muller-Singer, Allgem. 

KOnstler-Lexikon. 
M W = Militar - Wochen- 

blatt. 
MWB = Musikal. Wochen- 

blatt. 
MZ = Militarzeitung, Berlin. 
NFP = Neue Freie Prcsse. 
NMZ = Neue Musikzeitung. 
NR = Naturwissenschaftl. 

Rundschau. 
NS = Niedersachsen. 
NT A = Neuer Theater-Al- 

manach. 
NZ = Nationalzeitung. 
0A= Deutscher Ordens- Al - 

manach. 
OR = Osterreichische Rund- 
schau. 



PBL = Pagel, Biogr. Lexi- 
kon hervorragender Arzte 
d. 19. Jahrh. 

PF — Poggendorff, Biogr. - 
literar. HandwSrterbuch z. 
Geschichte d. exakten 
Wissenschaften. 

PM = Petermanns Mittei- 
lungen. 

PY = Pataky, Lexikon deut- 
scher Frauen d. Feder. 

R = Riemann, Musiklexikon. 
7. Aufl. 1909. 

RH = Reichstags-Handbuch 

SE = Stahl u. Eisen. 

SKL = Spemanns Kunst- 
Lexikon. 

T = Tag, 111. Teil. 

TB = Thieme-Becker, All- 
gem. Lexikon d. bildenden 
Kunstler. 

TL = Totenliste. 

TR = Tagliche Rundschau. 



TRU = Tagliche Rundschau. 
Unte rhaltungsbeilage. 

U = Oberall. 

UK = Aschersons Universi- 
ty ts-Kalender. 

UT = Uradeliges Taschen- 
buch. 

VZ = Vossische Zeitung. 

VZT = Vossische Zeitung, 
Totenliste. 

W = Woche. 

WGK = Wippermanns Deut- 
scher Geschichts-Kalender. 

WI = Wer ist's? 

WJ = Wurttemberg. Jahr- 
biich. f. Statistik u. Landes- 
kunde. 

WMW = Wiener Medizin. 
Wochenschrift. 

ZB = Zentralblatt d. Bau- 
verwaltung. 



Berlin. 



Dr. Hollcck-Wcithmann. 



191 1. 



Achenbach, Gustav, Pfarrer u. Superint. d. 
Diocese Siegen, Kenner u. Forscher d. 
Siegerland. Geschichte, Mitgl. d. Haupt- 
vorst. d. Gustav-Adolf-Vereins u. d. Ev. 
Bundes; * Crombach i. Siegerland 1847; 
t Siegen 21. III. — KJ 38, 654. 

Ackermann, Theodor, Hofbuchh., lange Jahre 
Vors. d. Bayer, u. d. Munch. Buchh.- 
Vereins; * Dessau 29. I. 1827; f Miinchen 
10. VI. — W 1911, 990; WI 4, 4/5. 

AHschiiler, Moritz Jakob, Dr. phil, Rab- 
biner, Schriftst., Red. d. Vierteljahrsschr. 
f. Bibelkde., talmud. u. patrist. Studien; 
* Nowo-Grudek, Russ.-Polen 1869; f Wien 
22. III. — Allg. Zt. d. Judent. 1911, 
184/85 (P); KLi9U,i9(W); WI 4, 16 (W). 

Anderegg, Felix, Prof. i. Bern, namhafter 
landwirtsch. Schriftst.; * Rothenbach 21. 
VI. 1834; f Bern 8. V. — VZT; KL 1911, 
22 (W). 

Anders, Ernst, Bildnismaler, langj. Mitgl. d. 
Diisseld. Malkastens; * Magdeburg 26. III. 
1845; f Molln i. Lauenburg Ende Okt. — 
Kchr N. F. 23, 53; KFA 27, 147; MS 
Nachtr., 5; TB 1, 433; BMW 1, 23. 



Appel, Wilhelm Frh. von, Wiener Dichter, 

Chef red. d. *Muskete«; * Wien 11. IX. 

1875; f das. 22. XI. — VZT; OR 30, 159; 

FT 1909, 16; KL 1911, 29. 
Arentsschlldt, Wilhelm von, Generallt. z. D., 

zul. Kommand. d. 66. Inf. -Brig., Ritter d. 

Eis. Kr. 2. KL, 1896 z. D.; * Hildesheim 

29. III. 1840; f Hannover 2. X. — VZ 

11. X. M.-A.; OA 1908/09, 25; BT 191 1, 15. 
Arnlm, Hans von, Gen. -Major a. D., zul. 

Kommand. d. 34. Kav.-Brig.; * Crieven 

n. II. 1855; f Hannover 21. VII. —VZT; 

OA 1908/09, 27. 
Arnold, Engelbert, Geh. Hofrat, Dr. ing. % 

o. Prof. f. Elektrotechnik a. d. Techn. 

Hochsch. i. Karlsruhe; * 7. III. 1856; 

f Karlsruhe 16. XI. — WI 4, 30; 6 TL. 
Arnold, Johann Wilhelm, Wirkl. Geh. Ob.- 

Reg.-Rat, 1894 — 1910 Ober-Verw.-Ger.- 

Rat, Syndikus d. Techn. Hochsch. i. Berlin; 

* Stolp i. P. 14. V. 1838; f Berl.-Wilmers- 

dorf 8. XL — VZT; WI 4, 30; Bericht d. 

Techn. Hochsch. Berl. 1911/12, 1. 
Aschenborn, Oskar Wilhelm, Dr. med. t Geh. 

Mediz.-Rat, Hilfsarb. in d. Mediz. Abt. 

24* 



Totenliste 191 1: Auer — Bcndt. 



d. Minist. d. Innern; * Berlin 16. VII. 
1 851; f das. 20. X. — VZ 21. X. A.-A.; 
PBL 53. 

Alier, Joseph, Pfarrer, kirchl. Schriftst. u. 
Komponist; * Staudach 4. II. 1855; f 
Osterwaal, Nied.-Bay. 1. III. — KR 191 1, 
15 (W); 1912 TL. 

Backhaus, Leo, hervorr. Ingenieur, Direkt. 
d. Ges. Harkort i. Duisburg; * Leipzig 
9. III. 1849; f Duisburg 7. XII. — SE 
32, i, 88 (P). 

Baedeker, Karl, friih. Inhaber d. bek. Verl. 
i. Essen; * Essen 1837; f Heiland b. EB- 
Hngeni2. V. — LE 13, 1279; GK 1912,57; 
PM 57, 303- 

*Baer, Christian Maximilian, Stilleben-, Por- 
trat- u. Historienmaler; * Nlirnberg 24. 
VIII. 1852; f Miinchen 31. 1. — BJ XVI, 
90 (H. Holland); IZ 136, 339; Kchr N. F. 
22, 246; KFA 26, 288. 

*Baerndorff, Auguste von, verw. Jaksch 
v. Wartenhorst, geb. Bauerhorst, kais. 
russ. Hofschausp. a. D. f Ehrenmitgl. d. Kgl. 
Hof theaters zu Hannover; * Berlin 11. V. 
1823; f Rom 8. III. — BJ XVI, 63 (M. 
Berger). 

Birwinkel, Richard, Dr. theol. et phil., Super- 
int. u. Pfarrer, Verf. zahlr. apolog. anti- 
materialist. Schriften; * Dallmin b. Perle- 
berg 3. VII. 1840; f Erfurt 12. VII. — 
VZ 14. VII. M.-A.; ELK 44, 695; KJ 39, 
431; KL 191 1 1 62 (W); WI 4, 44 (W). 

Banse, Franz, Direkt. d. Continental Telegr.- 
Comp.; * Schleusingen 14. XL 1839; 
f S. Remo 15. I. — VZ 16. I. A.-A.; BB 
Nr. 19 v. 24. I. 

Barlow, Amalie, hat sich um d. Musikleben 
Mllnchens dadurch d. grdflten Verdienste 
erworben, dafl sie in hervorr. Weise Hof rat 
Keim bei d. Griindung e. Orchesters u. d. 
Erbauung d. Tonhalle unterstiitzte, die 
Erhaltung d. Konzertvereins-Orchesters 
ermoglichte u. in ihrem Testament e den 
von ihr gegriind. Konzertverein mit J /» 
Million M. bedachte; * Bremen 1840; f 
Miinchen 10. II. — NMZ 32, 243. 

Bauer, Ludwig, Dr. med. f Privatdoz. f. Hy- 
giene a. d. Techn. Hochsch. i. Stuttg., bed. 
Mitgl. d. Wurtt. Landt., Hospitant d. freis. 
Volksp., Vertr. d. Rassenhygiene; f Stutt- 
gart-Ostheim 7. X. f 47 J. alt. — MMW 
58, 2200, 2278; Hilfe 191 1, 643/44 (Th. 
HeuB); WJ 191 1 Nekr.; Wurtt Staatsanz. 
Nr. 234; Schwab. Kron. Nr. 468; Med. 
Korresp.-BL 52. 

Baumbach, Philipp von, seit 1908 Reg.-Pras. 
i. Breslau; * Kassel 14. XII. i860; f Breslau 
19. IX. — VZ 20. IX. A. -A.; OA 1908/09, 
66; JSG 1911 Nekr., 2/3; HL 25, 291; 
Schlesien 5, 40; UT 191 1, 55. 



*Baumgartner, Peter, Genremaler; ♦Miin- 
chen 24. V. 1834; f das. 12. XII. — BJ 
XVI, 95 (H. Holland). 

Baur, Karl von, ehem. Pras. d. Leopoldin.- 
Carolin. Akad. d. Naturforscher i. Halle; 

* 25. XL 1836; f Degerloch b. Stuttg. 
20. L — VZ 24. I. A. -A.; GK 1912, 57; 
PM57, i35;WJi9ii Nekr.; Wurtt. Staats- 
anz. Nr. 19; Schwab. Kron. Nr. 34. 

Beck, Karl, bed. deutsch-amerik. Chirurg, 
genialer Operateur, fruchtb. mediz. Schrif t- 
steller; * NeckargemCInd 4. IV. 1856; f 
Palham Heights b. New York 8. VI. — 
VZ 1. VII. A.-A.; MMW 7 58, 1488, 1628 
(A. Alleman); BKW 48, 1312; KL 191 1, 
80 (W). 

Becker, Johann A 1 b r e c h t , Kgl. Baurat, 
bed. Architekt; * Rostock 22. II. 1840; 
f Gut Mallenzin 11. X. — ZB 1911, 551/52 
(^Knoblauch). 

*Begas, Reinhold, Wirkl. Geh. Rat, Prof., 
bed. Bildhauer; * Berlin 15. VII. 1831; 
t das. 4. VIII. — BJ XVI, 14S (A. Heil- 
meyer); VZ 4. VIII. A.-A.; f 183 (P); 
W 1911, 1330, 1338 (P); MAZ 114, 480 
(A. G. Hartmann, Z. 80. Geburtstag); IZ 
137, 292/93; WI 4, 78; DZL 73/74; Hilfe 
191 1» 509/10 (Th. Heufi); KW 191 1 Bd. 1, 
H. 3 (R. Wintzer, Erinnerungen an R. B.); 
Kchr N. F. 22, 545— 49 (M. Ofsborn]); 
KFA 26, 574/75 (P); Kunst u. KOnstler 

9, 650; MS 1, 93/94; TB 3, 183—87 (P. 
Kiihn); SKL 84; Cicero 3, 643; Universum 
Beil. 191 1, 315 (P. Lothringer); Berl. 
Miinzbl. 32, Nr. no (Ph. Lederer, B. als 
Medailleur). 

Behrmanri 9 Christian KonradGeorg, Dr. theoL, 
Senior u. Hauptpastor an St. Michaelis i. 
Hamburg, ausgez. Prediger u. Kenner d. 
oriental. Sprachen, fruchtb. Schriftst.; 

* Hamburg 15. XL 1846; f Lockstedt 

10. XII. — HC 10. VII. A.-A., 11. VII. 
M.-A.; ELK 44, 695; KJ 39, 432; D. alte 
Glaube 12, Nr. 48 u. 49 (Detlevsen); Hamb. 
Nachr. 12. X. 1904 2. M.-A. (12. X. 1879 bis 
1904); HC 12. X. 1904 M.-A. (Z. 25 jahr. 
Jubilaum), A. -A. (D. Jubilaumsfeier d. 
Senior D. B.), 1 5. X. M.-A. (Erinnerungen); 
AL 1866—82. 1, 42. 

Bendelf Ferdinand August, Schweizer. Hi- 
storiker, Lehrer a. d. Madchenrealsch. i. 
Schaflhausen, bearb. mit Walter u. Baech- 
told d. Urkundenregister f. d. Kant. 
Schaflh.; * Schaflhausen 19. I. 1846; f das. 
22. I. — ASG 44. 370; Schaffh. TagfcbL 
Nr. 20 (W. Uftzinger]). 

Bendt f Franz, Ingenieur, Fach- Schriftst., 



J ) Irrttimlich schon in die TL f. 1910 
aufgenommen. 



Totenliste 191 1: Berger^Braun. 



10* 



langj. Mitarb. d. Voss. Zt.; * Kiel 21. II. 
1855; f Berlin 26. III. — VZ 31. III. A. -A.; 
KL 1911, 95 (W). 

Berger 9 Ludwig, Geh. Justizrat, einer d. anges. 
Bresl. Rechtsanw., Vorst.-Mitgl. d. An- 
waltskamm., Aufsichtsr. u. Syndikus meh- 
rerer AktiengM., vermachte f. d. Interessen 
s. Standesgenossen mehrere Millionen; * 
Freystadt 2. I. 1837; f Breslau 18. VII. — 
VZ 29. VII. M.-A.; OA 1908/09, 94- 

Berger, Paul, Kommerzienr., Seniorchef d. 
weltbek. Farbenfabriken Berger u. Wirth 
i. Leipzig; * Leipzig i860; f Bansin 22. 
VIII. - IZ 137, 345 (P). 

Berger, Wilhelm, Komponist, herzogl. sachs. 
Hofkapellm., Mitgl. d. kgl. Akad. i. Berlin; 

* Boston 9. VIII. 1861; f Jena 15. I. — 
VZ 16. I. A. -A.; IZ 136, 190 (R. Gerner m. 
P); AMZ 191 1 1 105 (Schwers m.P); R 129; 
NMZ 32, 218/19 (C. Droste m. P); WI 
4, 92; W 1911, 167 (P); DZL 88. 

Bidcel, Ludwig, Gen.-Major z. D., friih. Kom- 
mand. d. 33. F. -Art. -Brig., Ritter d. Eis. 
Kr. 2. KL; * Darmstadt 16. II. 1853; f 
das. 26. III. — VZ 29. 111. M.-A.; Wl 4, 
106/07. 

BbdlOff, Felix, Konsul, Fabrikbes., hochverd. 
urn d. Werkzeugsstahlerzeugung; * Aachen 
6. II. 1835; f Duisburg q. V. — SE 31, 1, 

871 (P). 
Bbchoff, Karl, Vr. pkiL, Prof., ausgez. Che- 

miker, schrieb e. anerkanntes Werk lib. 

feuerfeste Tone; * Bonn 15. V. 1825; f 

Wiesbaden 11. VIIL —VZ 22. VIII. M.-A.; 

Tdpfer- u. Ziegler-Zt. v. 23. VIII. 
Blende, Emil, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat, 

Dr. phil. h. c, friih. Pras. d. kgl. preufi. 

statist. Landesamts, hervorr. Statistiker; 

* Magdeburg 22. XII. 1832 ; f Berl.-Lichter- 
felde 4. X. — VZ 7. X. M.-A.; W 1911, 1718, 
1725 (P); KL 1911, 142 (W); WI 4, iai; 
DZL 121; GK 1912, 57; Zeitschr. d. kgl. 
preufi. statist. Landesamts 51, 323 (G. 
Evert). 

Bleystebier, Georg, (Pseud.: Wilhelm Hoff- 
mann), Schriftst. u. Kritiker; * NUrnberg 
13. III. 1865; t Leipzig 23. IV. — KL 1911, 
143 (W); 1912 TL. 

Bhlhm, Maximilian, Gen.-Major z. D. t zul. 
Abt.-Chef b. d. Art.-PrQf.-Komm.; * Ma- 
rienwerder 6. Vii. 1844; t Berlin 4. VIII. — 
VZT; OA 1908/09, 129. 

Blum, Emil, Dr. ivg. h. /*., Geh. Baurat, Ge- 
neraldir. d. Berlin -Anhalt. Maschinen- 
Aktien-Ges., neben Borsig u. Loewe einer 
d. Mitbegr. d. Berlin. Maschinenbau-Grofi- 
industrie; * Frankfurt a. M. 17. IV. 1844; 
t Berlin 29. X. — VZ 30. X. A. -A.; IZ 

137, 989 (P). 
Bhtme, Edmund, Portrat- u. Genreraaler; 



* Halberstadt 21. VII. 1844; f Altaussee 
14. VI. — MAZ 114, 424. 

Bktmhardt, Oskar, Ministerialrat, Techn. Ref. 
i. Minist. f. Els.-Lothr.; * Ulm 30. X. 1851 ; 
t Strafiburgi. E. 26. II. —VZ 1. III. M.-A.; 
WJ 191 1 Nekr.; Schwab. Merk. Nr. 99. 

Bfigel, Heinrich, ehem. Hofoperns anger a* 
Hofth. i. Darmstadt, bed. Bariton; * Darm- 
stadt 28. VI. 1835; f das. 16. X. — NTA 

1913* i5°- 
B8hm 9 Adolph P., Komponist von Liedern 

u. d. symphon. Dichtungen »Haschisch« u. 

♦Der Friede*; f Berl.-Charlottenburg 19. 

XL 32 J. alt. — VZ 20. XI. M.-A.; Musik 

1. Dez.-H., S. VI. 
Bfihmer, Paul, Dr. inr. % Unterstaats-Sekr. i. 

Reichs-Kolonialamt, vorh. BUrgerm. v. 

Metz; * Gammertingen i. Hohenz. 30. IX. 

1864; t Berlin 23. IX. — VZ 23. IX. A. -A. ; 

T 226 (P); DKZ 28, 651/52. 
Botmenberg, Emil, Wirkl. Geh. Ob.-Finanzrat, 

vortr. Rat i. Preufi. Finanzminist, Pras. d. 

General-Lotterie-Direktion, auf d. Geb. d. 

Zoll- u. Steuergesetzgeb. literar. tatig; 

* Sterkrade, Kr. Ruhrort 1. VI. 1854; 
t Berlin 7. IV. — VZ 7. IV. M.-A.; WI 4, 
145; Bursch. Bl. 25, 251; DZL 146. 

Borgmann, Hermann, Kaufm. i. Berlin, seit 
1908 M. d. A., Sozialdemokr. ; * Schkeuditz, 
Reg.-Bez. Magdeburg 14. XL 1855; f 
Berlin 16. IV. — VZT; HA 1908, 363, 

S25 <P). 
Bornemarai, Wilhelm, Dr. phi!., Red. zahlr. 
deutsch. Zeitung., zul. Feuilleton-Red. u. 
Theater-Kritiker d. Nordd. Allgem. Ztg.; 

* Hannover 14. V. i860; f Berlin 17. I. — 
VZT; LE 13, 762; KL 1911, 175; WI 4, 
150; BR 1, 303. 

Bote, Emil Hermann, Prof. u. Direkt. d. 
Physik. Inst. a. d. Univ. La Plata, vorh. 
ao. Prof. a. d. Techn. Hochsch. i. Danzig; 

* Bremen 20. X. 1874; f La Plata i. Mai. — 
VZ 30. V. M.-A.; PF 4, 1, 161 (W). 

Boysen, Otto, Guts- u. Muhlenbes. i. Kleszo- 
wen, Kr. Darkehnen, 1880 — 88 u. seit 1893 
konserv. M. d. A.; *ltzehoe 26. VII. 1842; 
f Berlin 2. II. — VZ 6. 11. A. -A.; WI 4. 
156; HA 1908, 363, 479 (P). 

Braun, August, Geh. Postrat, vortr. Rat i. 
Reichs-Postamt; * Hersfeld 1857; f Berlin 
30. XII. — VZ 31. XII. M.-A. 

Braun, Gebhard, 1890—98 M. d. R., Zentr.; 

* Retterschen 4. I. 1843; t Ravensburg 
8. XL — VZ 8. XL A. -A., 9. XL M.-A.; 
RH 1890, 150; WJ 191 1 Nekr. 

Braun, Gustav von, Hofrat, Dr. med., Prof, 
a. d. Univ. Wien, hervorr. Gynakologe; 

* Zistersdorf b. Wien 28. V. 1829; f Wien 
8. II. — VZ 8. II. A.-A., 9. II. M.-A.; 
NFP 8. II. A.-Bl.; DMW 37, 556 (Halbau 



II* 



Totenliste 191 1: Braun — Buchholz. 



12' 



m. P); MMW 58, 391; WMW 6i f 477 
(Fischer); PBL 231/32 (P); HBL 1, 562/63. 
♦Braun, Gustav Adolf Theodor, Dr. theol. et 
phil. % Wirkl. Oberkonsistorialrat, frtih. Ge- 
neralsuperint. d. Neumark u. Nicdcrlaus.; 

* Mollbergen, Westf. 5. II. 1833; f Mentone 

18. II. — B J XVI, 138 (Zander); VZ 21. II. 
M.-A.; T 46 (P); OA 1908/09, 176; KJ 38, 
655/56; ELK 44. 214, 230/31, 733/34 
(L. Schneller); Reformation 191 1, 202/03 
(E.Vowinckel), 203/04 (W. Philipps), 205/06 
(H. Wilms), 362/64 (A. Petri). 

Braun, Heinrich, Geh. Mediz.-Rat, Dr. rned. % 
Prof. u. Direkt. d. chirurg. Klinik a. d. 
Univ. Gflttingen; * Beerfelden i. Groflh. 
Hessen 18. II. 1847; t Gdttingen 10. V. — 
VZ 10. V. A.-A. ; IZ 136, 1018 (P); DZL 169; 
WI 4, 165 (W); AD 3, 199/200 (W); DMW 
37. 1037/38 (V. Czeray m. P.); MMW 58, 
1361 (Borchard); HBL i, 563; PBL 232/34 
(W); Chronik d. Univ. Gdttingen 1911, 5/6. 

BffUlTO, Hermann, Kommerzienrat u. In- 
genieur, Vors t -Mitgl. d. Vereins deutsch. 
Eisenhuttenleute seit s f Begriindung, 1885 
bis 1902 Vors. d. Stadtverord.-Kolleg. i. 
Dortmund, 1886 — 1903 Pras. d. Handelsk., 
Mitgl. d. Prov.-Landt. i. Westf.; * Forst- 
haus Selzerthurm b. Uslar i. Soiling 19. X. 
1838; f Eisenach 5. VI. — SE 31, 1033/34 

Braunschweig, Geofg von, General d. Inf. 
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt., 
b. Nachod verwundet, 70 Adj. b. Ober- 
Komm. d. 1. Armee, dann b. d. 60. Inf.- 
Brig., 93 Kommand. d. Augusta-Reg. f 
94 — 96 Fltigeladj. d. Kaisers, 97 Kommand. 
d. 29. Inf. -Brig., dann d. 10. Div., 1902 d. 
17. Korps; * Lissowitz i. Westpr. 26. VIII. 
1845; f Blankenburg a. H. n. VIII. — 
VZ 11. VIII. A.-A.; HC 12. VIII. M.-A.; 
WI 4, 167; W 191 1, 1374, 1376 (P); DZL 
173; MZ 1911, 472. 

Bremschefd, Matthias von f (Pseud.), s. Lay, 
Matthias. 

♦Brenner, Ernst, Dr., schweizer. Bundesrat; 

* Basel 9. XII. i8«tf; f Menton 11. III. — 
BJ XVI, 119 (J.Winkler). 

Brinckmann, Ernst, Gen. -Major z. D., zul. 
Komm. d. 21. Kav.-Brig. f Ritter d. Eis. Kr. 
2. KL; * Celle 2. 1. 1847; f Neukolziglow 

19. I. — VZ 22. I. M.-\.; OA 1908/09, 188. 
*Brosi, Albert, Advokat, bed. schweizer. Po- 

litiker, langj. Parlamentarier, Fiihrer d. 
freis. Partei, frtih. Mitgl. d. Regierung d. 
Kant Solothurn; * Olten, Kant. Solo- 
thurn 7. IV. 1836; f Solothurn 8. V. — 
BJ XVI, 227 (H. Kaufmann). 
Brack, Felix Friedrich, Geh. Justizrat, Dr. 
ttir., ao. Prof. f. StrafprozeO u. Rechts- 
enzyklop., bek. als Vork. f. d. Deportation 



nach SQdwestafrika; * Breslau 19. V. 1843; 
f das. 5. XI. — VZ 9. XL M.-A. f 10. XL 
A. -A.; Schles. Zt. 9. XL M.-A.; WI 4, 181 
(W); AD 2, 42/43 (P); DJZ i6 f 1485; W 
191 1, 2051 (P); Bursch. Bl. 26, 105; Chronik 
d. Univ. Breslau 26, 227 — 32 (Gretener); 
K 86. 

Briihl, Ferdinand Graf von, Gen.-Major z. D. f 
zul. Komm. d. 13. Kav.-Brig., Vors. d. 
Adelsgenoss.; * Pfdrten 3. V. 1851 ; f Berlin 
13. II. — VZ 14. II. M.-A.; OA 1908/09, 
196; GT 191 1, 163. 

Briihl, Friedrich Franz Graf von, freier 
Standesherr auf Forst u. Pfdrten, M. d. H.; 

* Pfdrten 8. VIII. 1848; f das. 11. VII. — 
VZT; WI 4, 182; OA 1908/09, 196; HH 
1907, 297; GT 1911, 162. 

Briihl, Hanns Moritz Graf von, Gen.-Lt z. D. t 
zul. Komm. d. 9. Kav.-Brig.; * Pf6rten t 
Kr. Sorau 31. XII. 1849; f Glogau 3. II. — 
VZ 4. II. M.-A.; WI 4, 182; GT 191 1, 162. 

♦Briihl, Julius W r ilhelm, Dr. phiL h. r., Prof, 
d. Chemie a. d. Univ. Heidelberg, Verf. d. 
bek. LehrbOcher ttber Chemie; * Warschau 
13. II. 1850; f Heidelberg 5. II. — BJ 
XVI, 133 (E. Philippi); VZ 10. II. M.-A.; 
PF 4, 1, 192 (W); UK S.-S. 1911, i, 320; 
Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. Jg. 44, 
3757—94 (K. Auwers). 

Bliihbnann, Hans, begabter Maler von bedeut. 
Konnen i. monumentalem Stil; * Amriswil 
i. Thurgau 25. II. 1878; f Stuttgart 29. IX. 
— FZ 2. X. A.-B1.; WI 4, 182; Kchr N. F. 
2 3» 4/5 (Jul. Baum); Zs. f. bild. Kunst N. F. 
21, 295—299 (H. Hildebrandt m. 111.); 
KFA 27, 100; TB 5, 105; Wissen u. Leben 
5, 125 (H. Kaiser). 

Bninck, Heinrich von, Dr. phiL, Geh. Kom- 
merzienrat, einer d. bed. Industriellen 
Deutschlands, der sich groBe Verdienste urn 
d. chem. Industrie, bes. urn d. Bad. Anilin- 
u. Sodafabrik i. Ludwigshafen erworben 
hat; * Winterborn 26. III. 1847; f Lud- 
wigshafen 3. XII. — WGK 191 1, 2, 228; 
AF 49, 480; D. chem. Industrie Jg. 34, 
765—71 (0. N. Witt); Zeitschr. f. angew. 
Chemie Jg. 24, 2517 (P. Julius). 

Brurmer, Julius Alhard, Dr. phil, U\Xg\. <L 
Allg. Gesch.-forsch. Ges. d. Schweiz, d. 
Ziircher Antiqu. Ges. u. d. Hist. Ges. d. 
Kant. Aargau, Prorektor a. Gymn. in 
Zurich, Mitgl. d. Zii richer Erziehungsrats, 
Mitarb. a, Ztiricher Urkunden-Buch; 

* Kufinacht b. Zurich 5. X1L 1842 ; f Zii rich 
25. 1. — ASG 44. 370/71 (W); Neue ZUrch. 
Ztg. 26. I. 1. M.-BL, 2. A.-Bl. (R. H[oppe- 
ler]); Schaflh. Intelligenzbl. Nr. 22 (W. 
Wfettstein]); Progr. d. Kantonsch. Ziirich 
19x1, S. 92--96(H. Wire). 

Buchholz, Friedrich, Gen.-Major z. D., zul. 



13* 



Totenliste 191 1: Buchner — Colmar-Meyenburg. 



14' 



Komm. von Glatz, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., 
zuerst 11 J. i. d. hannov. Armee; * Hameln 
29. IX. 1835; t Wiesbaden 13. II. — VZ 
18. II. M.-A.; OA 1908/09, 202. 

Buchner, Adolf, Dr. theoL, frtfch. Pras. d. hess. 
Oberkonsist. ; * Dannstadt 31. X. 1829; 
t das. 12. II. — FZ 13. II. A.-BL; OA 
1908/09, 203; ELK 44, 190; KJ 38, 656. 

Bttnau, Rudolf Graf von, Gen.-Lt. z. D., zul. 
Insp. d. Jager u. Schtttzen, Ritter d. Eis. 
Kr. 2. KL; * Halbendorf b. Oppeln 30. IX. 
1852; t Weimar 18. I. — VZ 20. I. M.-A.; 
GT 1911, 173- 

Btifger, Hugo, (Pseud.), s. Lubliner, Hugo. 

Bullerian, Rudolf, bed. Dirigent; * Berlin 
13. I. 1858; f Moskau i. Jan. — NMZ 32, 
203 (A. Laser); R 199. 

*Burckhan!t-Finsler, Albert, Dr. itvr. el phil. 
h. r., Mitgl. d. Allg. Gesch.-forsch. Ges. 
d. Schweiz, seit 1895 ihr Vizepras., Mitgl. 
d. Basl. Histor. u. Antiqu. Ges., ao. Prof, 
f. Gesch. a. d. Univ. Basel, 1887—94 
Konserv. d. mittelalterl. Samml., Mitgl. d. 
Reg.-Rats, 1905 Reg.-Pras., Mitred, d. 
Basl. Jahrb., Pras. d. Schweiz. Schiller- 
Stiftung; * Basel 18. XL 1854; f das - 
2. VIII. — BJ XVI, 166 (H. Barth); ASG 
44, 371; Basl. Nachr. ion, Nr. 211. 

Burgers, Franz, einer d. hervorr. Vertr. d. 
deutsch. Hochofenindustrie, Vorst. -Mitgl. 
d. Gelsenkirch. Bergwerks-Aktien-Ges.; 
* Geldern 14. X. 1845; f W T iesbaden 29. III. 
— SE 31, 1, 625/26 (P). 

*Buschbeck, Hermann, Prof., Costumier d. 
Munch. Hof theater, erst Schausp., spater 
Theatermaler; * Prag 17. X. 1855; f Mtin- 
chen 11. IV. — BJ XVI, 66 (A. Frh. v. 
Mensi); VZ 19. IV. M.-A.; NTA 1912, 160. 

Butscher, August, Wurtt. Volksschriftst., 
schrieb etwa 70 Romane; * Ottmarsreuteb. 
Tettnang 29. III. 1845; f Illerrieden i. 
Wurtt. 19. XL — LE 14, 440; BR 1, 399 
(W); Das Land Jg. 20, 171 (0. Frederich). 

Caeiranerer, Rudolf von, Gen.-Lt. z. D., bek. 
Milit.-Schriftst, bes. auf d. Geb. d. Stra- 
tegic, zul. Komm. d. 26. Div., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt., 70 Ob.-Lt., 73 i. 
Generalst., spater Lehrer a. d. Kriegsakad., 
83 Major, 90 Oberst, 93 Gen. -Major, 97 
Gen.-Lt., 1900 z. D.; * Koblenz 25. VI. 
1845; t Schdneberg 18. IX. — VZ 19. IX. 
M.-A.; IZ 137, 513; Wl 4, 208 (W); BT 
1910, 100; OA 1908/09, 224; DZL 218; 
MZ 191 1, 542; LJ 38, 444/45; MW 191 1, 
2809/10; LA 1, 15/16 (W). • 

Canstatt, Oskar, Kolonialdirekt. a. D., Schrift- 
s teller, Leiter d. Zweigauskunftsst. f. Aus- 
wanderer i. Wiesbaden; * Ansbach 30. X. 
1842; f BadTiefenbachi. Algau 12. VIII. — 
Kol. Rundsch. 1911, 634/35; GK 1912, 



57; WI 4, 211; DKZ 28, 563/64; DRG 

34, 4i. 
Canstrill, Ernst Raban Frh. von, Dr. phil, 

Landesokonomierat, seit 1883 Mitgl. d. 

Dtsch. Landwirtsch. Ges., hochverd. bes. 

um d. Wander-Ausst. ; * Berlin 20. III. 

1840; f Berlin 24. VII. — Mitt. d. Dtsch. 

Landwirtsch. Ges. 26, 417; FT 1912, 124. 
Canstein, Raban Frh. von, Dr. iur., Hof rat, 

o. Prof. f. Csterr. Zivilproz.-, Handels- u. 

Wechselrecht a. d. Univ. Graz, Vizepras. d. 

rechtshist. Staatspriif.-Kommiss.; * Lem- 

berg 25. VIII. 1845; t Graz 14. VIII. — 

VZ 15. VIII. M.-A.; WI 4, 211 (W); KL 

1911, 243 (W); UK W.-S. 1912/13, 2, 526; 

FT 191 2, 123; Allgem. Osterr. Gerichtsztg. 

191 1, 265 (H. Sperl); Zeitschr. f. d. ges. 
Handelsr. Bd. 579 (0. Frankl); K 106. 

CftSpary, Julius, Dr. med. % Geh. Mediz.-Rat, 
Prof., anges. Dermatologe u. Syphilido- 
loge; * Pr.-Holland 1. XII. 1836; f Konigs- 
bergi. Pr. 19. X. — VZ 19. X. A. -A., 21. X. 
A. -A.; PBL 1910/11 (P); HBL 1, 677; 
Bursch. Bl. 26, 77; K 108. 

Casper, Ferdinand, langj. Konzertm. d. 
steierm. Musikvereins i. Graz, bed. Lehrer 
d. Geigenspiels; * Hochbetschb. Briix 1828; 
f Graz 10. XII. — Ncue Zs. f. Musik 78, 720. 

ChalybaeilS, Heinrich Franz, Dr. theol. etiur., 
Wirkl. Geh. Rat, friih. Pras. d. Landes- 
konsist. i. Hannover, friih. Kurator d. 
Univ. Kiel; * Kiel 5. V. 1840; f das. 27. 
XII. — VZ 29. XII. M.-A.; Kieler Ztg. 
28. XII. Vorabd.-BL; KJ 39, 433; DZL 222; 
WI 4, 218 (W); AL 1829—66, 1, 120; 
1866 — 82, 1, 102. 

i)Clasen-SchmJd, Mathilde, (Pseud. : v.Wilden- 
fels), Schriftst., schrieb Romane u. No- 
vellen, Begr. u. langj. Vors. d. Leipz. 
Schriftstellerinnen-Verb.; * Wildenfels i. 
KOnigr. Sachsen 4. V11I. 1834; f Leipzig 
6. XII. — VZT; KL 191 1, 255 (W); DZL 
228 (W); Wl 4, 226; BR 1, 423 (W). 

^CloStta, Wilhelm, Dr. phil. % bis vor kurzem 
o. Prof. d. roman. Philologie u. Dir. d. 
roman. Sem. a. d. Univ. Strafib. i. E.; 

* Triest 16. XL 1857; t Straflburg i. E. 
24. IX. — BJ XVI, 70 (E. Hoepffner); VZ 
26. IX. M.-A.; KL 191 1, 259 (W); WI 4, 
228 (W); Stiftungsfest d. Univ. Strafib. 

1912, 8; K 114. 
^Colmar-Meyenburg, Karl Hermann Axel 

von, Rittergutsbes., bis 1899 Reg.-Pras. i. 
Liineburg, wegen s. Abstimm. i. Landt. 
in d. Kanalvorl. z. D. ges t ell t, Kammerh., 
M. d. H., friih. M. d. R. u. M. d. A.; 

* Schwedt a. O. 21. XII. i8jo; f Ztitzen b. 



l ) Irrtiimlich schon in die TL f. 1910 
aufgenommen. 



15* 



Totenliste 1911: Colomb — Detlefsen. 



16* 



Schwcdt 23. XII. — VZ 24. XII. M.-A.; 
RH 1899/1900, 218; HA 1899, 218; HH 
1907, 300; OA 1908/09, *39. 

Colomb, Karl von, Gen. -Major z. D. v zul. 
Komm. d. 25. Kav.-Brig. ; * Neifle 29. VIII- 
1831; f Darmstadt 14. X. — VZ 18. X. 
M.-A.; OA 1908/09, 239; BT 1911, 139. 

"ConrSder, Georg, Historienmaler, Prof. a. d. 
Munch. Kunstakad., friih. a. d. Wcim. 
Akad., SchUler Pilotys; * Miinchen 18. V. 
1838; f Cantrida b. Zamet 2. 1. — B J XVI, 
97 (H. Holland); Kchr N. F. 22, 211; MS 
1, 276; TB 7, 316/17 (H. Holland); BMW 1 , 
176; MAZ 114, 32. 

x )Conrat (eigentl.: Cohn), Max, Dr. iur. t bis 
1907 Prof. f. r6m. Recht a. d. Univ. Amster- 
dam, rechtsgescbichtl. u. dogm. Schriftst.; 

* Breslau 16. IX. 1848; f Heidelberg 12. 
XII. — VZ n. XII. A. -A.; KL 191 1, 
265/66 (W); WI 4, 233 (W); DZL 234; 
HV 15, 152; Zeitschr. d. Savigny-Stiftung 
f. Rechtsgesch. Romanist. Abt. Bd. 33, 
417 — 83 (H. U. Kantorowicz). 

Contze, Heinrich, Dr. phil. % Prof., Oberl. i. 
Herford, seit 1897 M. d. R., nationallib. ; 

* Werdohl i. Westf. 4. HI. 1870; t Herford 
10. XII. — VZT; HR 1908, 232, 490 (P); 
WI 4, 234. 

CorOfiy, Blanda, Schriftst. u. Musikref. a. 

Hallischen General anzeiger; * Wien 1841; 

f Halle a. S. 26. XII. —VZ 27. XII. A.-A., 

BR 1, 440 (W), 8, 167. 
CrtlU, Friedrich, Dr. med. et phil. h. *., Alter- 

tumsforscher u. Heraldiker; * Wismar 19. 

X. 1822; f das. 4. VI. — KL 191 1, 273 (W), 

191 2 TL. 
Csokor, Johann, Hofrat, Dr. med., Prof. d. 

pathol. Anatomie a. d. Tier&rztl. Hochsch. 

i. Wien; * 1849; t Mddling b. Wien 7. I. — 

OR 26, 328; DMW 37, 128; WMW 61, 220; 

Tierarztl. Zentralbl. 1911, 74 (R. Hartl); 

Wiener klin. Wochenschr. Jg. 24, 217 

(A. Hartl); K 124. 
♦Csiizy v. Csfiz, Karl, Stilleben- u. Land- 

schaftsmaler; * Komorn 1. IV. 1843; fVe- 

nedig 15. II. — BJ XVI, 97 (H. Holland). 
*Czadl6rdd 9 Wladislaus von, Genremaler; 

* Lubin 22. IX. 1850; f Mtinchen 12. I. — 
BJ XVI, 89 (H. Holland). 

DaOer, Balthasar von, Dr. theoL, Pralat, 
Rektor d. Pries terlyzeums i. Freising, 
bayer. Landt.-Abg., Vors. d. bayer. Zentr.- 
Fraktion; * Gasteig b. Niklasreuth 22. I. 
1835; t Freising 3. 111. — VZ4. III. M.-A.; 
KVZ 4. III. M.-A.; T 56 (P); 1Z 136. 472 
(P); MAZ 114, 156—58 (Von e. bayer. Po- 



x ) lrrtamlich schon in die TL f. 1910 
aufgenommen. 



litiker); WI 4, 248; KR 191 1, 76; DZL 

244/45. 

Dorpe, Franz, Dr. phil., Prof., Gymn.-Direkt., 
Altphilol. u. Historiker; * Warendorf 25. 
IX. 1842; * Coesfeld, Westf. 24. IV. — 
KL 191 1, 283/84 (W), 1912 TL; WI 4, 253 
(W); KR 1911, 77 (W> 

Decken, Hieronymus v. d., Geh. Ob.-Justiz- 
rat, friih. Landger.-Pras. i. Hannover; 
* Laack 24. IV. 1827; f Hannover 24. 1. — 
VZT; OA 1908/09, 259. 

Deigendesch, Karl, Seminar-Oberl. t fruchtb. 
Komponist von Kirchenmusik u. M&nner- 
chforen; * Violau 7. VI. 1839; f Lauingen 
i. Schwab. Bay. 14. IV. — KR 1911, 79 (W); 
191 2 TL; C&cilienvereinsorgan Jg. 46, 151 
(J. N. Ahle). 

Defiles, Adolf von, Gen. d. Kav. u. General- 
adjut. d. Kaisers, 1867 Einj.-Freiw., 71 Lt. f 
76 Ob.-Lt. i. Generalst., 78 Hauptm., 
81 z. Tilrk.-Griech. Grenzreg. kom., 85 
Milit.-Att. i. Madrid, 88 Flugel-Adjut. d. 
Kaisers, 90 Oberstlt, 92 Oberst, 94 Ober- 
Gouvern. d. Sohne d. Kaisers, 96 Gen.- 
Major, 99 Generallt., 00 Kom. d. 21. Div., 
02 kom. Gen. d. 8. A.-K., 06 z. D.,; * Hanau 
30. V. 1845; f Frankfurt a. M. 17. XI. — 
VZ 18. XI. A. -A.; W 191 1, 1979 (P); DZL 
253*. WI 4, 260; MZ 1911, 665; LJ 38, 445; 
U 14, 250; HL 25, 344. 

Dentianl, Hans, Geh. Reg. -Rat, vortr. Rat 
b. d. Generaldir. d. Kgl. Kunstsamml. i. 
Dresden, bed. F6rderer d. s&chs. Kunst- 
pflege, der sich als Samml. u. Schriftst. 
einen Nam en gemacht hat: bes. s. Zinn- 
kollektion ist von ber. Quahtat; * Leipzig 
11. VII. 1857; f Dresden 26. II. — Kchr 
N. F. 22, 295. 

Dernburg, Friedrich, Journalist u. Schriftst., 
Feuilleton.-Red. d. Berl. Tagebl., friih. 
Chefred. d. Nationalztg., 1871— 81 M. d. R., 
nationallib.; • Mainz 3. X. 1833; f Berl.- 
Grunewald 3. XII. — VZ 4. XII. M.-A.; 
T 286 (P); W 191 1, 2068 (P); WI 4, 264; KL 
191 1» 295 (W); EL 14, 479/8o, 517; IZ 137, 
1186/88 (Th. Kappstein), 121 2 (P); HPA 
1874 2. Ausg., 23; Hilfe 191 1, 789/90 (P. 
Harms). 

Detlefsen, SSnnich Detlef Friedrich, Geh. Reg. 
Rat, Prof., Dr. phil. % Plinius-Forscher u. 
Lokalhistoriker. Bereiste 1861 — 62 i. Auf- 
trage Napoleons III. zum Zwecke von 
C&sar-Studien d. Bibliotheken Italiens. 1865 
Lehrer a^. Gymn. i. Gltickstadt, dessen 
Direkt. er 1879 wurde. Trat 1904 in d. 
Ruhestand. Krit. Ausg. von C. Plinii 
historia naturalis. T. 1 — 6. Berolini 
1867 — 82. D.s histor. Hauptwerk ist d. aus- 
ger. iGeschichte d. holstein. Elbmarschen«. 
Bd. 1, 2. GlUckstadt 1891—92. Auch d. 



17' 



Totenliste 191 1: Diefenbach — Duden. 



18* 



Gliickst. Museum von Altertumern d. Elb- 
marschen ist seine Griindung; * Neuen- 
deich b, Ctersen i. Hoist. 25. IX. 1833; f 
Gltickstadt 21. VII. — HC 20. X. 1904 
M.-A., 23. VII. 1911 M.-A.; Kieler Ztg. 23. 
VII. M.-A.; Bl. f. hbher. Schulwes. 28, 302; 
GK 1912, 57; Al 1829— 1866. 1, 156/57; 
1866 — 1882. i t 126; Jahresber. d. Gymn. z. 
Gluckstadt, Ostern 1905, S. 9; Ostern 19 12, 
S. 8 — 12 (J. Krumm, Rede bei d. Trauer- 
feier 2. VIII. 1911); Die Heimat. Monats- 
schr. d. Vereins z. Pflege d. Natur- u. 
Landeskunde in Schlesw.-Holst., Jg. 22, 
1912, S. 161 — 65 (R. Hansen m. P); Zeit- 
schr. d. Ges. f. Schlesw.-Holst. Geschichte 
Bd. 43. 1913, S.411— i8(R. Hansen m.W). 

Diefenbach, Johann, Pfarrer u. geistl. Rat, 
Schriftst. auf d. Geb. d. Apologetik u. Ge- 
schichte; * Wirges, Hess. -Nass. 25. 1. 1832; 
f Eltville 28. XL — KR 1911, 83 (W); 
1912 TL. 

Dfcrgardt-Rotandy Daniel Frh. von, Ritter- 
gutsbes., Kpt.-Lt. a. D., frfih. M. d. A.; 

* Viersen 30. III. 1852; f Assuan 18. II. — 
Schles. Ztg. 21. II. M.-A.; Scblesien 4, 
347/48; FT 1909, 136. 

Dlest, Gustav von. Wirkl. Geh. Rat, Dechant 
d. Domkapitels zu Merseburg, 1876 — 94 
Reg.-Pras. i. Merseburg, M. d. H., 1871 — 73 
M. d. R., auch literar. tatig, schrieb Reise- 
beschr. u. Erinn.; * Posen 16. Vlll. 1826; 
f Merseburg 27. II. — VZ 28. II. A. -A.; 
WI 4. 273; OA 1908/09, 275; HH 1Q07, 
301; HPA 1 87 1, 174/75; DZL 263. 

Dilthey, Wilhelm, Geh. Reg. -Rat, Dr. phil. % 
Prof. d. Philos. u. Asthetik a. d. Univ. 
Berlin, Ritter d. Ordens »Pour le m6rite«; 

* Biebrich 19. XI. 18^3; f Bozen 3. X. — 
VZ 4. X. M.-A.; T 235 (P); FZ 10. X. 
1. M.-Bl. (B. Groethuysen); NFP 8. X. 
M.-BL (M. Dessoir); IZ 137, 608/09, 612 
(P); DZL 267/68; WI 4, 277 (W); W 19", 
1725 (P); LE 14, 183, 219; KW 25. 1. 
273 — 76 (F. Kuntze); Sozialist. Monatsh. 
15, 3, 1429 (K. Grelling); Eckart 1911/12, 
154—61 (H. Zeeck, Im Druck erschien. 
Schriften), 267—73 ( H - M. Elster); Archiv 
f. Kulturgesch. 9, 273—78; Monatsbl. d. 
Commenius-Ges. N. F. Bd. 3, H. 5 (Ed. 
Spranger); Logos 3, 1 (M. Frischeisen- 
Kdhler, W. D. als Philosoph); Ed. Spranger, 
W. D. Gedachtnisrede, Berl. 191 2; Erd- 
mann, Gedachtnisrede auf W. D. Berl. 1912. 
(Aus Abh. d. preuB. Akad. d. Wiss.); Chro- 
nik d. Univ. Berlin 25, 7; Archiv d. Ge- 
schichte d. Philos. Bd. 25, 143—53 ( A - T "- 
markin); Deutsche Rundsch. Jan.-H. 19 13, 
69 — 92, Febr.-H., 249 — 70 (B. Groet- 
huysen); K 139. 

*DlQgebted, Hermann, Dr. theol et phil.. 



Bischof v. Munster i. W., papstl. Haus- 
pralat u. Thronassistent; * Bracht 2. III. 
183s; f Munster 6. III. — BJ XVI, 79 
(Hiils); VZ 6. III. A. -A.; NFP 7. HI. 
M.-Bl.; KVZ 6. III. A.-A.; KR 1911, 85; 
WI4, 278; DZL 269; Akad. Monatsbl. 21, 

89. 

Doebner, Richard, Dr. phil., Geh. Archivrat, 
bis 1910 Direkt. d. kgl. Staatsarchivs i. 
Hannover, Historiker, namentlich bewan- 
dert auf d. Geb. d. Hannov. Landesge- 
schichte; * Meiningen 18. IV. 1852; f das. 
29 . XI. — VZ 30. XI. A. -A., 2. XII. M.-A.; 
HV 15, 152; KLi9u,3i6(W);Wl4, 282. 

Doertenbach, Karl von, Geh. Kommerz.-Rat, 
Seniorchef d. Vereinigt. Eisenhandl. Zahn 
u. Co. u. Friedr. Nopper i. Stuttgart; 
* Stuttgart 15. II. 184^;; f das. 22. XI. — 
SE 31, 2, 2036 (P). 

Domeier, Anna, (Pseud. : A. Dom), Roman- 
schriftst., die sich wahrend e. 30 jahr. Auf- 
enthalts in London mannigfache Verdienste 
um d. Deutschtum erworben hat; * Halber- 
stadt 3. III. 1847; f Godesberg 2. IV. — 
VZ 19. IV. M.-A.; KL 191 1, 320 (W); BR 
2. 44 (W). 

Donner VOII Rlchter, Otto, Prof., Historien- 
maler u. Radierer, der sich auch schrift- 
stellerisch betatigt hat; * Frankfurt a. M. 
10. V. 1828; f das. 12. XL — VZ 13. XL 
A. -A.; WI 4, 288; Kchr N. F. 23, 92; KFA 
27, 196; MS 1, 354; BMW 1, 233; Wiener 
Almanach Jg. 20, 97 — 102 (Muller). 

Drasch, Otto, Dr. med., Prof. u. Direkt. d. 
Inst. f. Histologic u. Embryologie a. d. 
Univ. Graz;*30. IV. 1849; f Graz9. 111. — 
UK S.-S. 1911, 2, 518; DMW 37, 510; 
Anatom. Anzdger Bd. 39, 377-82 (J. Schaf- 
fer); K 147. 

Dreger, Hans, (Pseud.: Hans Hochfeldt), 
Schriftst., schrieb Dram. u. Rom. sowie ub. 
Volkswirtsch., war frUher Offizier; * Pots- 
dam 11. IX. 1856; f Berl.-Wilmersdorf 29. 
IV. — KL 1911, 329 (W); 1912 TL; BR 
8. 174 (W). 

Dubsky vonTrzcbonrysIetz, Adolf Graf, Wirkl. 
Geh. Rat, Pras. d. Unionbank, Mitgl. d. 
osterr. Herrenh., 1867—97 Mitgl. d. osterr. 
Abg.-Hauses, gehdrte d. verfassungstr. 
Grundbes. an; * Wien 6. 111. 1833; f das. 
2. VIII. — NFP 2. Vlll. \.-A,; WI 4, 297; 
GT 1911, 254. 

DtlCkart, Rudolf, Ob.-Justiz-Rat a. Reichs- 
milit.-Gericht; * Bautzen 17. II. 1S53; 
t Berlin 24. IX. — VZ 25. IX. M.-A.; OA 
1908/09, 302; WI 4, 297. 

Dudetl, Konrad, Dr. phil, Geh. Reg. -Rat, 
Prof., Sprachforscher u. Germanist, hoch- 
verd. um d. Festsetzung e. einheitl. deutsch. 
Rechtschreibung; * Gut Bossigt b. Wesel 



i 9 " 



Totenliste 1911: Dflvcll — Escherich. 



2CT 



3. I. 1829; f Wiesbaden 1. VIII. — VZ 

1. VIII. A.-A M 12. VIII. A. -A. (Persdn- 
liches von D.); T 181 (P); IZ 137, 226 (P); 
WI 4, 298; KL 1911, 335 (W); Bursch. BL 
25, 2, 271 ; BL f. hdher. Schulwesen 28, 324. 

DQveO, Fritz, Schriftst. u. Feuilletonist; 

* Bremen 24. V. 1877; f Berlin 30. VII. — 
KL 1911, 341 (W); 1912 TL. 

Dtmcker, Albert, Wirkl. Geh. Kriegsrat, vortr. 

Rat i. Kriegsminist. a. D.; * Osterburg 14. 

IV. 1850; f Marburg 17. VI. — VZ 20. II. 

M.-A.; OA 1908/09, 304. 
Eberl, P. Angelicus, Kapuziner, Philos. u. 

hist. Schriftst.; * Egmatingen i. Bay. 10. 

111. 18S6; f Miinchen 23. II. — KL 191 1, 

343 (W); 1912 TL; KR 191 i t 96 (W). 
Eberrnayer, Gustav von, Dr. Uchn. *cunt. h. c, 

einer d. hervorr. bayer. Beamten, Staatsrat, 

1895 Generaldirekt. u. techn. Leiter d. ges. 

Eisenbahnwes. i. Bayem, Mitgl. d. kgl. 

preuB. Akad. d. Bauwes.; * Nenzenheim i. 

Mitt.-Fr. 1. IV. 1839; f Miinchen 4. II. — 

VZ 7. II. M.-A.; OA 1908/09, 310; DZL 

294; DBZ 45. 481—84 (P); ZB 1911, 89/90; 

WI 4, 306/07; Organ f. d. Fortschritte d. 

Eisenbahnwes. i. techn. Bezieh. 191 1, 107. 
Egerer, P. Gislar, Benediktiner, Gymn.-Prof., 

Schriftst. auf d. Geb. d. Homiletik u. Philo- 

logie; * Tepl i. Bdhm. 31. III. 1844; f 

Salzburg is. 1. — KR 1911, 98 (W); 1912 

TL. 
Eggeling, Heinrich von, Wirkl. Geh. Rat, 

Dr. phil. et med. h. r., ehem. Kurator d. 

Univ. Jena, Ehrenburger d. Stadt; * Helm- 

stedt 15. II. 1838; f Jena 2. III. — VZ 

2. III. A. -A.; Bursch. BL 25, 290; WI 4, 
313; DZL 303. 

Eickmann, Heinrich, Rad. u. Maler; * Nien- 
husen b. Liibeck 13. VI. 1870; f Berlin 
29. I. — VZ30. I. A.-A.;T30(P);W 191 1, 
340 (P); IZ 136, 339; Kchr N. F. 22, 246/47; 
KFA 26, 288; MS Nachtr., 82. 

EDers, Gustav, Prof., Rad. u. Kupferst., 
Mitgl. d. Berl. Akad. d. Kunste, Vors. 
d. Vereins f. Original radierung i. Berlin; 

* Konigsberg 2$. VII. 1834; f Berlin 27. I. 
— VZ 28. I. A.-A.; WI 4, 320; DZL 312; 
Kchr N. F. 22, 229; KFA 26, 288; MS 1, 
392; BMW 1. 259; SKL 245. 

Eftzetl, Friedrich Wilhelm, Kaufmann, Inh. 
d. Firma Eitzen u. Co. i. Hamburg, Schrift- 
s teller auf d. Geb. d. Handel swesens; 

* Bremen 16. X. 1856; f Hamburg 5. 
VIII. - KL 1911, 365 (W); 1912 TL; WI 4, 
323 (W). 

Ebaner, Karl, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat, 
Abt-Direkt. i. Reichs-Postamt, auch auf 
d. Geb. d. Wohlfahrtspflege verdienstvoll; 

* Herzogenrath 29. VI. 1822; f Berlin 17. 
111. - VZ 18. III. M.-A.; OA 1908/09, 330. 



EftUtiert, Emil, Prof., bek. Augenarzt, Doz. 

d. Augenheilkde. ; * Bern 1. XII. 1844; 

t das. 10. X. — VZ 11. X. M.-A.; HBL 2, 

283; PBL 457; UK S.-S. 1912, 2, 535; 

K 169. 
Ende, Ludwig am, Generallt. z. D., Ritter d. 

Eis. Kr. I. Kl., zul. Komm. d. 37. Inf.-Brig.; 

* Koblenz 20. IV. 1833; f Wiesbaden 
15. XL — VZ 18. XL M.-A, OA 1908/09, 
332. 

Eflgel, Heinrich, Pastor a. D., Chef red. d. 
»Reichsboten«; * Holzheim b. GieBen 15. 
XII. 1834; t Berlin 5. IX. — VZ 5. IX. 
A. -A.; LE 14, 73; IZ 137, 513; KL 191 1, 
375; WI 4, 330; Reformation 191 1, 622 — 24 
(E. Bunke); KJ 39, 434; Hilfe 191 1, 579 
(M. Wenck); Positive Union Jg. 8, 309 
(Dietrich); Monatsschr. f. innere Mission 
19^, 3 — 12 (H. Oestreicher, H. E. u. <L 
Innere Mission). 

Engelbrechten, Maximilian von, Generallt. 
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. 
d. 36. Inf.-Brig.; * Neustadt a. R. i. Han- 
nov. 2. VII. 1851; f Hannover 12. II. — 
VZ20. II. A.-A.;WI 4,330; MZ 191 1, 121; 
BT 1910, 183. 

♦Epplnger, Karl, Dr. iur., Advokat, Fuhrerd. 
deutsch-fortschrittl. Partei i. Bohmen, 
Landt.-Abg., Mitgl. d. Reichsr. u. d. 
Herrenh., Intend, d. Deutschen Landes- 
theaters i. Prag; * Braunau 6. 1. 1853; 
t Salzburg 15. VII. — BJ XVI, 194 (R- 
Charmatz); NFP 16. VII. M.-Bl., 17. VII. 
Nachm.-Bl. (A. Fournier); NTA 1912, 
171; WI 4, 333. 

*Erdtelt, Alois, Portr^t- u. Genremaler; 

* Herzogswalde i. Schles. 5. XL 1851; 
t Miinchen 18. I. — BJ XVI, 88 (H. Hol- 
land); Kchr N. F. 22, 211; KFA 26, 264 
(P); MS 1, 403; SKL 259; DZL 326; Schle- 
sien 4, 311. 

Erier, Franz Christoph, Bildhauer; * Kitz- 
biihel 5. X. 1829; f Wien io. I. — OR 26, 
328; Hist.-polit. Bl. 147, 439 — 444 (K. 
Fuchs); Kchr N. F. 22, 198; KFA 26, 240; 
MS 1, 403. 

*Escherich, Theodor, k. u. k. Hofrat, Dr. med., 
o. Prof. d. Kinderheilkde. a. d. Univ. Wien; 

* Ansbach 29. XL 1857; f Wien 15. II. — 
BJ XVI, 45 (C. v. Pirquet); VZ 17. II. 
M.-A.; IZ 136, 326 (P); W 191 1, 425 (?); 
OR 27, 77; DMW 37, 604/05 (Finkelstein 
m. P); WMW 61, 497—500 (Zappert); 
HBL 6, 754; PBL 471/72; WI 4, 338; 
DZL 333; BZ 28, 129 [Osterr. Arzteztg. 
191 1, 67 (J. Hamburger); Arztl. Zentralztg. 
23, 100; Korrespond.-Bl. f.. Schweizer 
Arzte 41, 471 (Bernheim-Karrer); Mediz- 
Klinik 7, 517 (R. Neurath); Wiener klin. 
Rundsch. 25, 160 (A. v. Reufi); Wiener 



2T 



Totenliste 191 1: Ewald— -Franke. 



22* 



klin. Wschr. 24, 263 — 66 (J. Hamburger); 

Klin.-therap. Wochenschr. 18, 232 (L. 

Jehle)]; K 178. 
Ewald, Paul, Dr. theol. et phil., o. Prof. d. 

neutestamentl. Exegese u. Lciter d. neutest. 

Abt. d. Thcol. Sem. a. d. Univ. Erlangen; 

* Leipzig 13. I. 1857; f Erlangen 26. V. — 

VZ 1. VI. M.-A.; WI 4, 345 (W); KL 1911, 

394 (W); ELK 44, 55o/5i; KJ 39, 435; 

DZL 340; AD 1, 36 (W); K 185. 
Exner, Moritz, Oberstlt. z. D., Ritter d. Eis. 

Kr. 2. KL, Milit.-Schriftst., zul. Vorst. d. 

kgl. sachs. Kriegsarchivs; * Zittau 3. X. 

1845; t Dresden 16. II. — MZ 1911, 134; 

OA 1908/09, 350; L J 38, 446. 
Falk, Max, Generalchefauditeur, Sektionschef 

i. Kriegsminist. ; * Wien 1859; f Klagen- 

furt 29. VIII. — NFP 30. VIII. M.-Bl. 

(Nachr. e. Freundes). 
Falkttiann 9 Rudolf, Senatspras. a. Kammer- 

ger., Mitbegr. u. Mithrsg. d. •Rechtspr. d. 

Oberlandesgerichte auf d. Geb. d. Zivil- 

rechts*; f Berlin 6. IX. — VZ 9. IX. M.-A.; 

DJZ 16, 1 140. 
Fastetiau, E., Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat, 

1 881 — 92 Gen.-Kommiss.-Pras. i. Hannover; 

*Dornum4.XII. 1835; fGr.-Tabarz 17. VI. 

— VZT; OA 1908/09, 357. 

Fellitzscll, Ferdinand Frh. von, bayer. Gen.- 
Major z. D.; zul. Chef d. bayer. Gend.- 
Korps; * Trogen 26. 1. 1843; t das. 3. X. — 
VZT; OA 1908/09, 359; FT 1909, 215; 
Bayerland 23, 20 (P). 

FeM, Otto, Maler, bes. feins. Landschaftsm., 
Mitgl. d. Berl. Sezession; * Breslau 1861; 
f Neubabelsberg b. Potsdam 23. III. — 
Schlesien 4, 223/24 (S. Mehring m. 111.). 

Ferno, Arthur von, Generally z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 40. Inf.- 
Brig.; * Hagen i. Pomm. 8. XII. 1846; 
f das. 2. X. — VZ 6. X. M.-A.; Schles. Ztg. 
5. X. M.-A.; Schlesien 5, 123/24. 

Ftlke, Max, Prof., kgl. Musikdirekt. u. Dom- 
kapellm. i. Breslau, Komp. bes. auf d. Geb. 
d. kathol. Kirchengesanges; * Steubendorf 
Kr. Leobschutz 5. X. 1855; f Breslau 9, X. 

— Schles. Ztg. 10. X. M.-A.; AMZ 1911, 
981; R 405; Musik 1. Nov.-H. S. VIII; 
KR 191 1, 117 (W); Schlesien 5, 90/91 (A. 
Gebauer); Chronik d. Univ. Breslau 26, 
226/27 (Kinkeldey). 

Ffalky Christian, Prof., Musiklehrer a. Sem. 

zu Efilingen, Musikdirekt. u. Organist a. d. 

Hauptkirche, Komponist von Orgel- u. 

kirchl. Gesangswerken ; * Dattingen i. 

Wiirtt. 9. VIII. 1 831 ; f Efilingen 5. IX. — 

Musik 1. Okt.-H. S. VIII; Neue Zs. f. 

Musik 78, 521; R 408; NMZ 32, 449 (M. 

Koch m. P); DZL 357. 
* Fbcber-Benzon, Rudolf von, Dr. phil, Prof-, 



Landesbibl. v. Schlesw. -Hoist.; * Wester- 
miihlen i. Schlesw.-H. 2. II. 1839; f Wyk 

a. F. 18. VII. — BJ XVI, 106 (J. Sass); 
VZ 20. VII. M.-A.; HC 18. VII. A. -A.; 
KL 191 1, 424. 

Fllnzer, Fedor, Prof., Zeichner u. Illustrator, 
illustrierte tib. 100 Kinderbiicher, verf. e. 
Lehrbuch ub. Zeichenkunst; * Reichenbach 
i. V. 4. IV. 1832; f Leipzig 13. VI. — VZ 
15. VI. A. -A.; IZ 136, 1317 (P); W 1911, 
1238 (P); WI 4, 276 (W); KL 1911, 430/31 
(W); DZL 371; Kchr N. F. 22, 474; MS 
1, 453; BMW 1, 313; SKL 292. 

Forster, Johannes, Kommerz.-Rat, General - 
direkt. d. A.-G. Seidel u. Naumann i. 
Dresden, organisierte zuerst d. Fabrikation 
von Schreibmaschinen i. Deutschland; 
* Eibenstock 11. IX- 1859; f Dresden 18. 
III. — IZ 136, 520 (P). 

FSrster, Luise, (Pseud. : Ada Linden), Lehre- 
rin, schrieb eine Reihe von Jugendschriften 
u. Volkserzahlungen; * Grube Gliicksthal 

b. Adenau i. d. Eifel 1. X. 1 847 ; f Wickrath- 
berg Ende Nov. — LE 14, 517; BR 2, 242 
(W). 

♦Frfinkel, Bernhard, Geh. Mediz.-Rat, Dr. 
med., Prof. d. Laryngologie a. d. Univ. 
Berlin; * Elberfeld 17. XL 1836; f Berlin 

12. XL — BJ XVI, 67 (L. R6thi); VZ 

13. XL M.-A.; FZ 14. XL 2. M.-BL; IZ 

137. 968 (P); w 191 i f 1932, 1938 (P); WI 

4| 383; AD 3, 287 (W); HBL 2, 421 ; PBL 
536/37 (P); DZL 383; Chronik d. Univ. 
Berlin 25, 7; BKW 48, 2097, 2282/83 (G. 
Killian); 49, 237 — 39 (A. Rosenberg, Ge- 
dachtnisrede b. d. Gedenkfeier d. Laryngo- 
log. Gesellsch.); MMW 59, 29/30 (Finder); 
BZ 29, 117 [Mediz. Reform 19, 472 (R. 
LennhofT); Tuberkulosis 10, 437 — 46 (A. 
Kayserling); Zs. f. Krankenpfl. 33, 361 
(P. Jacobsohn); Zs. f. LaryngoL, Rhinol. 
u. Grenzgebiete 4, 232 (F. Blumenfeld)] ; 
K 215. 

Francois, Alfred von, Gen. -Major z. D., Ritter 
d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. v. Thorn, 
durchquerte zweimal Siidwestafrika. Seine 
Berichte an d. Ausw. Amt hatten zur Folge, 
dafi d. Kolonie trotz Caprivi d. Reiche er- 
halten blieb; * Luxemburg 2. XII. 1849; 
f Gttrlitz 22. VI. — VZT; OA 1908/09, 390; 
WI 4, 385; DKZ 28, 509 (B. v. Besser); 
UT 1910, 211. 

Frank, Wilhelm, Domherr u. geistl. Rat i. 
Breslau, M. d. R. t Zentr.; * Ziilkowitz, Ob.- 
Schles. 16. VI. 1858; f Breslau 23. VIII. — 
VZ 24. VIII. M.-A.; OA 1908/09, 390; 
RH 1908, 255, 471 (P); KR 1911, 125 (W); 
Schlesien 5, 68. 

Fr&flke, Karl, Hofschausp. a. Hoftheater i. 
Weimar; * Weimar 18. VIL 1847; f das. 






Totenliste 191 1: Fresenius — Gerstner. 



24' 



9. VII. — NTA 1912, 169; EG 278; WI 4, 

386. 
♦Fresenius, August, Buhnenschriftst., difchtete 

Lustsp., Schwanke u. Possen u. bearb. u. 

(ibertrug franz5s. Stiicke; * Frankfurt 

a. M. 5. III. 1834; f Munchen 3. VII. — 

BJ XVI, 201 (A. Dreycr); NTA 1912, 169; 

BW 13, 2, 428 (L. Frankel); KL 1911, 452; 

Wl 4. 39i; BR 2, 265/66 (W). 
Fretldenberg, Johann Philipp, deutsch. Kon- 

sul f. Ceylon, Kaufmann, Vizepras. d. 

Ceylon Brit. Royal Asiatic Society, iibers. 

deutsche u. holl. Schriften lib. Ceylon ins 

Engl.; * Raubacher Hutte 18. II. 1843; 

t Colombo 2. I. — VZ 3. II. M.-A.; T 30 

(P); GK 1912, 58; PM 57, 135; DKZ 28, 

in; W 191 1, 220, 225 (P). 
Frey, Friedrich Hermann, s. Greif, Martin. 
Frey f Wilhelm, Prof., Galeriedirekt., geschatz- 

ter Tiermaler; * Karlsruhe 24. VI. 1836; 

f Mannheim 7. II. — IZ 136, 541; Kchr 

N. F. 22, 246; KFA 26, 288; MS 1, 478; 

BMW 1, 324; SKL 318; DZL 389. 
Friedemann, Martha, Schriftst., Vorst. -Mitgl. 

d. Lyceum-Klubs u. Vors. d, Schrift- 

stellerinnen-Vereins, verf. Lustsp. u. Opern- 

texte; * Berlin 18. IV. 1847; t das - *■ XIL 

— VZ 1. XII. A. -A.; KL 191 1, 459; BR 

S, 194 (W). 
Friedenberg, Friedrich Wilhelm Ludwig, 

Prof., einerd. Mitbegr. d. Kronberger Maler- 

kolonie; * Frankfurt a. M. 30. VI. 1845; 

t Kronberg 1. 111. — VZ 2. HI. M.-A,; 

WI4, 398; MS Nachtr. 98. 
*) FlledrlchS, Wilhelm Hermann, rhein. Dich- 

ter u. Schriftst., schrieb Gedichte, Novellen 

u. Romane, von 1884 ab Leiter d. Magazins 

f. d. Lit. d. In- u. Auslandes, int. Freund 

Liliencrons, dessen Briefwechsel mit ihm 

verdffentlicht wurde; * St. Goar 14. VI. 

1854; f das. 4. XII. —VZ 10. XII. M.-A.; 

T 292 (P); KL 191 1, 466 (W); DZL 397; 

WI 4, 402; BR 2, 287/88 (W); 8, 195; 

KFA 26, 71/72 (P). 
FuctlS, Friedrich, (Pseud.: Skamandros), Dr. 

phil. et med., ao. Prof. f. mediz. Physik a. d. 

Univ. Bonn, Arzt f. Nervenkranke a. 

Krankenh. d. Barmherz. Brtider i. Bonn, 

auch Lyriker; * Frechen b. Koln 10. II. 

1840; f Ktfln-Lindenthal 4. II. — KL 191 1 , 

475/76 (W); 1912 TL; WI 4, 409 (W); 

UK S.-S. 1911, i, 320; Chronik d. Univ. 

Bonn 36, 10 — 14 (Kocks); BR 2, 299/300 

(W). 
Fuld, Salomon, Dr. iur. % Geh. Justizrat, friih. 

Rechtsanw. a. Oberlandesger. i. Frankfurt 



l ) Irrtiimlich schon in die TL f. 1910 
aufgenommen. 



a. M.; * Frankfurt a. M. 18. XII. 1825; 
t das. 31. X. — VZ 3. XI. M.-A. 

*Flinke, Alois von Elbstadt, Dr., Mitgl. d. 
ttsterr. Abg.-H., Pras. d. deutsch-osterr. 
Stadtetages; * Leitmeritz 5. 1. 1S34; f das. 
23. I. — BJ XVI, 218 (R. Charmatz); 
NFP 24. 1. A.-BL; IZ 136, 282 (P); W 191 1 , 
134; OR 26, 488. 

GMnstacher, Josef, Prof., Nestor d. Wiener 
Gesanglehrer u. Stimmbildner, Liederkom- 
ponist u. vorzugl. Cellospieler; * Wien 
6. X. 1829; f das. 4. VI. — NFP 6. VI. 
Nachm.-BL; Musik 40, 64; NMZ 32, 384; 
WI 4, 4i7. 

Gagern, Maximilian Frh. von, Wirkl. Geh. 
Rat, hess. Kammerh., hess. Ges. i. Berlin; 
* Monsheim b. Worms 9. X. 1844; f Berlin 
3. I. - VZ 3. L A.-A.; T 5 (P); WI 4, 419; 
DZL 416; FT 1909, 241. 

GarthailS, Franz, Dr. phil, Red. erst d. Schles. 
Volksztg., dann d. Zentrums-Parl.-Korresp. 
u. spater d. Germania; * Rulle i. Hannov. 
21. X. 1852; f Berlin 29. X. — KVZ 31. X. 
M.-A.; KR 191 1, 134/35- 

Gehrke, Albert, Dr. phtL, Prof., Sprecher d. 
freireligiSsen Gemeinde i. Berlin, friih. 23 
Jahre Lehrer d. Geschichte u. Germanistik 
a. Fiirstl. Gymn. zu Rudolstadt; * Straufi- 
berg i. d. Mark 25. III. 1840; f Berlin 18. 
VI. — VZ 20. VI. M.-A.; BR 2, 334 (W). 

Gelling, Hans, Grofih. Weim. Intendanzrat, 
Oberregiss. d. Schausp. a. Hoftheater, friih. 
Direkt. d. vereinigt. Stadttheater i. Essen - 
Dortmund, auch literarisch tatig; * Kassel 
14. X. 1858; f Weimar 10. IV. —VZ 10. IV. 
A.-A.; NTA 191 2, 160; EG 314; BW 13, 
2, 260; KL 191 1, 504 (W); WI 4, 434 (W); 
DZL 432; HL 25, 120; BR 2, 342/43 (W). 

Genet, Ottilie, in d. soer u. 6oer Jahren 
1 . Soubrette d. Friedrich Wilhelmst. Thea- 
ters, damals e. Liebling d. Berl. Publikurns, 
spater Leiterin d. Deutsch, Theaters i. 
S. Francisco; * Dresden 4. VIII. 1834; 
f Eberswalde 14. XI. — BW 14, 1, 259; 
DZL 433; NTA 1913, 152/53. 

Germar, Christian, Dr. iur. h. c. % Wirkl. Geh. 
Rat, friih. Ministerialdirekt. d. Abt. f. d, 
Etats- u. Kassenwesen i. Preufi. Finanz- 
minist., 1906 a. D.; * Heide i. Hoist. 1837; 
f Berl.-Charlottenburg 13. V. — VZ 17. V. 
M.-A.; OA 1908/09, 447; WI 4, 439; Kieler 
Ztg. 19. V. M.-A. 

Gerschelt Hugo, Dr. iur., Fabrikdirektor, seit 
1905 M. d. A., Mitgl. d. freis. Volksp., 
Mitgl. d. Handelskamm. Berlin, d. Ausscri. 
d. Deutsch. Handelstages u. d. Staats- 
schulden-Kommission; * Liegnitz 10. III. 
1854; t Berl.-Witmersdorf 28. XI. — 
VZT; HA 1908, 381, 509 (P). 

Gerstner, Theodor, Dr. iur., Wirkl Geh. Ob.- 



Totenliste 191 1 : Gerth — Greif. 



26* 



Reg.-Rat, bis 1903 vortr. Rat i. Reichs- 
eiscnbahn-Amt, schriftst. tatig auf d. Gcb. 
d. internat. Eisenbahnfrachtrechts; * Karls- 
ruhe 15. XII. 1830; f Berl.-Wilmersdorf 
24. VI. — VZ 27. M.-A. 

Gerth, Bernhard, Dr. phil., Prof., Ob.-Stud. 
Rat, Rektor a. Konig-Albert-Gymn. i. 
Leipzig, Altphilologe, Mithrsg. d. Neuen 
Jahrb. d. klass. Altert.; * Dresden 5. IV. 
1844; f Leipzig 1. II. — KL 1911, 514 (W); 
1912 TL; WI 4, 444 (W). 

Gilbert, Otto, Dr. phiL, Prof., Geh. Reg.-Rat, 
fruh. Direkt. d. Univ.-Bibl. i. Greifswald, 
bed. Forscher auf d. Geb. d. rom. Gesch. u. 
Geogr.; * Ratzlingen i. Hannov. 25. IX. 
1839; t Goslar 22. VI. — VZ 23. VI. A.-A.; 
24. VI. M.-A.; IZ 137, 21; KL 191 1, 518 
(W); WI 4. 448 (W); UK W.-S. 1912/13, 
1, 332; DZL 448/49 (W). 

Gimdt, Otto, Schriftst., schrieb humorist. 
Erz. u. Lustspiele; * Landsberg a. W. 6. II. 
1835; t Sterzing i. Tirol 4. VII. — VZ 7. 
VII. M.-A.; NTA 1912, 168/69; LE 13 
1569; IZ 137, 149; BR 2, 372/73 (W). 

Girschner, Wilhelm, Lokal- u. Literarhist. ; 
* Wolkramshausen 17. VI. 1829; f Nord- 
hausen 11. I. — KL 191 1, 520 (W); 1912 
TL. 

Gteim, Franz, Rentner i. Melsungen, seit 1889 
M. d. A., nationallib., Mitgl. d. Kreisaussch. 
u. d. hess. Kommunal-Landt.; * Melsungen 
16. VI. 1842; f das. 2. VII. — VZT; WI 
4, 452; HA 1908, 382, 502 (P). 

Gloeckler, Ludwig, Pfarrer i. Stotzheim i. 
Els., els. Historiker; * Niederbronn i. Els. 
18. III. 1831; f Stotzheim 26. XII. — KR 
1911, 145 (W); 1912 TL. 

Goethe, Rudolf, Landes6konomie-Rat, erste 
Autoritat auf d. Geb. d. Obst- u. Wein- 
baues, friih. Direkt. d. Kgl. Lehranst. f. 
Obst-, Wein- u. Gartenbau i. Geisenheim, 
auch literar. tatig; * Naumburg 13. IV. 
1843; f Darmstadt 16. I. — IZ 136, 190 
(E. Ihne m. P); W 191 1 , 297 (P); KL 191 1 , 
540; DZL 465; Mitt. d. Deutsch. Landw.- 
Gesellsch. 26, 35; BZ 28, 160 [Gartenflora 
191 1, 66 — 71 (L. Wittmaack); Gartenwelt 
191 1, Nr. 5 (M. Hesd6rfer); Deutsch. land- 
wirtsch. Presse 1911, Nr. 7]; K 268. 

*Goetz, Wilhelm, Dr. phiL, Prof. d. Geogr. 
a. d. bayer. Militarbild.-Anst. u. a. d. 
Techn. Hochsch. i. Munchen; * Schnabel- 
waid i. Oberfrank. 27. VIII. 1844; t Miin- 
chen 26. 111. — BJ XVI, 64 (J. Reindl); 
VZ 28. III. M.-A.; MAZ 114, 213; KL 
1911, 544 (W); WI 4, 461 (W); GK 1912, 
58/59; DZL 470; PM 57, 191; Bayerland 
22, 534; DE 10, 65 (W. Rohmeder m. P); 
DRG 33, 391—^3 (J- Reindl m. P); GA 
191 1, 97 (Kugler). 



♦Gogarten, Heinrich, Landschaftsmaler; 

* Linz a. Rh. 23. V1IL 1850; f Munchen 
16. XI. — BJ XVI, 86 (H. Holland). 

♦Goldberg, Gustav Adolf, Historien- u. Por- 
tratmaler; * Krefeld 19. VI. 1850; f Mun- 
chen 8. V. — BJ XVI, 84 (H. Holland); 
Kchr N. F. 22, 410/11; KFA 26, 431; 
MS 2, 68. 

Goflcer, Julius, Fachlehrer a. d. Burgerschule 
i. Klagenfurt, naturhist. Schriftst.; 

* Tultschnigg b. Klagenfurt 8. VIII. 1885; 
f Klagenfurt 9. X. — Carinthia 191 1, 2, 
1 94/9 5 ( H - Sabidussi). 

Gradlnger, Eroil, bayer. Gen. -Major a. D., 
zul. Komm. d. 16. lnf.-Brig.; * Munchen 
5. IV. 1853; f das. 24. VI. — VZT; OA 
1908/09, 479. 

Grawltz, Ernst, Dr. med. % Prof., leit. Arzt d. 
inner. Abt. d. Krankenh. d. Stadt Char- 
lottenburg auf West end, Privatdoz. a. d. 
Univ. Berlin; * Mittelhagen b. Stettin 
18. III. i860; f Berl.-Charlottenburg n. 
VII. — VZ 12. VII. M.-A.; IZ 137, 149; 
W 1911, 1204, 1208 (P); AD 3, 87 (W); 
PBL629;DM\V37, 1360; BKW 4 8,2, 1359, 
1494/95 (A. Dietrich); Chronik d. Univ.- 
Berlin 25, 8; Folia haematologica Jg. 11 , 
422 (W. Schultz). 

♦Grelf, Martin, (eigentl.: Friedrich Hermann 
Frey), Dr. phil. h. c, bayer. Hofrat, 
Dichter; * Speyer 18. VI. 1839; f Kuf stein 
1. IV. — BJ XVI, 207 (A. Dreyer); VZ 
1. IV. M.-A., 7. IV. M.-A. (R. W. Polifka, 
Persdnl. Erinnerungen an M. G.); T 80 
(P); KVZ 1. IV. A. -A.; NFP 1. IV. A.-B1.; 
FZ 1. IV. A.-Bl. (E. Kalkschmidt), 
7. IV. 1. M.-Bl. (M. G. Conrad); MAZ 114, 
228/29 (J. Weifl); IZ 136, 627 (P), 632 (A. 
Braun);W 1911,562, 568 (P); KL1911, 556 
(W); WI 4, 476; DZL 480; Deutsch-Evan- 
gelisch Jg. 2, H. 5 (H. A. Kriiger); Christl. 
Welt Jg. 25, 397 — 401 (G. Heine); Eckart 
1910/11, 503 — 08 (A. Biese), 580 — 82 
(W. Kosch, Persdnl. Erinnerungen); KM 
68, 836—39 (H. Stegemann); TUrmer Jg. 
13, H. 8 (K. Storck); NTA 1912, 559/60 
(P); LE 13, 1105—08; BW 13, 2, 240—44 
(M. G. Conrad, Szenischer Prolog z. Ge- 
dachtnisfeier f. M. G.); KW 24, 3, 104/05; 
Bayerland 22, 414, 464 — 66 (S. Sieber, 
M. G.s Alpenlyrik); BZ 28, 161 [Borro- 
maeus-Blatter 191 1, 141 — 47 (Chr. Flas- 
kamp); D. christl. Frau Jg. 9, 271 (M. 
Speyer, Frau i. Liede); Gegenwart 191 1, 
Nr. 15 (H. Benzmann); Hochland Mai-H., 
242 (C. Flaskamp, Aus Gesprachen m. G.); 
Pfalz. Museum 1911, 21 (M. Pfeiffer); 
Wartburg 191 1, Nr. 25 (Markwart)] 29, 
141 [D. Schone Lit. 191 1, 153 (C. Taesler); 
Mitt. d. deutsch. u. dsterr. Alpenvereins 



2 7 ' 



Totenliste 191 1: Greiner — Haase-Schtinhoff. 



28* 



1911, 238 (A. Dreyer, G. als Hochlands- 
dichter)]. 

Greiner, Hugo, (Pseud.: Fricdrich v.d. H8he), 
Obcrpfarrer von St. Moritz i. Halle a. S., 
Verf. zahlr. Volksschausp. ; * Rudolstadt 
13. III. 1864; t Halle a. S. 30. III. — VZ 
31. III. A. -A.; KL 1913, 557 (W). 

♦Groeber, Gustav, Dr. phiL, Prof. d. roman. 
Philolog. a. d. Univ. Strafiburg, Hrsg. d. 
Kjrundrifl d. roman. Philologieo, Begr. d. 
»Zs. f. roman. Philolog.*; * Leipzig 4. V. 
1844; f Strafiburg 6. XL — B J XVI, 226 
(H. Schneegans); VZ 8. XL M.-A.; WI 4, 
(480 W); Bl. f. hfcher. Schulwes. 28, 482; 
DZL 485; Zs. f. roman. Philolog. 36, 1— IV 
(P); Stiftungsfest d. Univ. Strafiburg 1912, 
8; K 282. 

Gropper, Karl von, bayer. Generallt. z. D M 
zul. Komm. d. 6. Inf. -Brig.; * Bamberg 

2. VIII. 1823; | Muncben 25. III. — MW 
191 1, 1362; OA 1908/09, 495. 

GroBhehn, Karl von, Geh. Baurat, Pras. d. 
Akad. d. Kiinste, bed. Architekt ; * Lubeck 
15. X. 1841; t Berlin 5. II. — VZ 6. II. 
A.-A.,7.H.M.-A.;T33(P),68(P);Wi9ii, 
220, 225 (P); Kchr N. F. 22, 245/46; KFA 
26, 288 (P); DZL 488; DBZ45, 1.329— 3* 
(P)i ,338— 42; ZB 191 1, 86—88 (P); Berl. 
Architekturwelt Jg. 14, 1461 (H. Schliep- 
mann). 

♦GrUnhagetl, Colmar, Dr. phil., ao. Prof. d. 
Geschichte a. d. Univ. Breslau, Geh. Ar- 
cbivrat, 1862 — 1901 Direkt. d. Staats- 
archivs i. Breslau, 1864 — 1905 Hrsg. d. 
»Zs. d. Vereins f. Geschichte u. Altert. 
Schlesiens«; * Trebnitz 2. IV. 1828; f 
Breslau 27. VII. — BJ XVI, 92 (J. 
Ziekursch); HV 14, 599; W 191 1, 1363 
(P); KL 191 1, 573 (W); WI 4. 487 (W); 
Bursch. Bl. 25, 2, 270/71; JSG 1911 Nekr. 
4 — 8 (Ziekursch); Chronik d. Univ. Breslau 
26, 211 — 15 (Ziekursch); Schlesien 4, 
614/15 (F. Krebs m. P); K 288. 

Griinwald, Josef, Dr. phil, ao. Prof. d. Math, 
a. d. deutsch. Univ. in Prag; * Prag 11. IV. 
1876; f das. 1. VII. — VZ 2. VII. M.-A., 

3. VII. A. -A.; UK W.-S. 1912/13, 2, 526. 
Grtiters, August, Prof., langjahr. Dirigent d. 

Frankf. Cacilienvereins, Brahms-Fcrderer; 
* Urdingen a. Niederrh. 7. XII. 1841; f 
Frankfurt a. M. 30. I. — VZ 30. 1. A. -A.; 
DZL 494. 
Gruscha, Anton, Dr. theol., Kardinal, Fiirst- 
erzbischof von Wien; * Wien 3. XL 1820; 
f Schl. Kranichberg i. Weichselgebiet 5. 
Vlll. — NFP 6. VIII. M.-A.; VZ 6. VIII. 
M.-A.; KVZ 10. VIII. M.-A.; IZ 138, 268 

(P), 270; vvi 4, 490; w 1911, 1330, 1336 

Giihler, Erich, Konteradm., Fiihrer d. Kreu- 



zergeschwaders i. Ostasien; * Bunzlau 6. II. 
1859; f Hongkong 20. 1. — VZ 21. I. A.- A.; 
IZ 136, 210 (P); W 1911, 134, H2 (P); 
t) 13, 414, 494; Schlesien 4, 263/64. 

Gfimbely Karl Ludwig, Dr. theol. h. c, bayer. 
Gymn.-Prof., Vors. d. Verb. d. protest. 
Arbeiter-Vereine d. Pfalz; * Kusel 1. VIII. 
1842; f Speyer 13. IX. — WI 4, 491 ; 6 TL. 

GUnther, Agnes, Romanschriftst., die erst 
durch den nach ihrem Tode verdffentl. 
bedeut. Roman »Die Heilige u. ihr Nam 
bekannt geworden ist, sonst ist aufier Frag- 
menten e. unvollend. Romans »Von d. 
Hexe, die eine Heilige war*, nichts von ihr 
in d. Offentlichkeit gelangt; * Stuttgart 
21. VII. 1863; f Marburg i. H. 16. II. — 
MAZ 117, 75/76 (A. Frh. v. Mensi). 

Gunzert, Wilhelm, Dr. iur., ehem. Mitgl. 
d. Staatsr., 1. Vizepras. d. Landesaussch. 
u. Pras. d. unterelsass. Bezirkstages; 
* Weifienburg 27. III. 1834, f StraOburg 
26, II. — VZ 1. III. M.-A.; OA 1908/09, 
512. 

Gufimann, Ernst Friedrich von, Dr. med., 
Mediz. Direkt., Ehrenmitgl. d. Mediz.-Kol- 
legiums i. Stuttg., Mitgl. d. Reichs-Ge- 
sundheitsrats; f Stuttgart 21. L, 69 J. 
alt. — DMW 37, 1, 224; WJ 191 1 Nekr.; 
Schwab. Kron. Nr. 37; Mediz. Korresp.-Bl. 
Nr. 19, 305- 

Haake, Hermann, Dr. med. y Privatdoz. f. 
Frauenheilkde. a. d. Univ. Leipzig; * 14- 
III. 1835; f Leipzig 9. HI. — DMW 37, 
i, 560; UK W.-S. 1912/13, 1, 332; K 300. 

Haarntaim, Gustav, Dr.med., Ob.-Burgerm. 
v. Witten, seit 1908 M. d. A., 1884—90 
M. d. R.; * Witten 30. VIII. 1848; f Berlin 
5. V. — VZ 6. V. M.-A.; WI 4, 502; HA 
1908, 386, 502 (P); HPA 1887, 160. 

Haase, Friedrich, Geh. Hofrat, Hof-Schausp., 
Ehrenmitgl. d. Gesellsch. deutsch. Buhnen- 
angehdriger; * Berlin 1. XL 1825; f das* 
17. III. — VZ 17. III. A. -A.; FZ 17. HI. 
A.-B1. (E. Heilborn); T 67 (P); W 1911, 
476, 479 (P); NTA 191 2, 62—66, 158 (P); 
EG 376—78; DZL 509; IZ 136, 525/26 
(P); BW 13, 2, 1—6 (H. Stiimcke); KW 
24, 3, "i— 13 (F- Diisel); KL 191 1, 5^9*1 
WI4, 503; Deutsche Revue Marz-H. 1912, 
352—65 (P. v. Ebart, F. H. als Leiter d. 
Kob.-Goth. Hof theaters); Jahrb. d. deutsch. 
Shakespeare-Gesellsch. Bd. 48, 155 — 62 
(A. Winds). 

Haase-Sch5nhofl 9 Elise, ehem. Schausp., 
Gattin Friedr. Haases, 1851 — 54 Mitgl. d. 
Wiener Hofburgtheaters, spielte an d. 
Hoftheatern i. Berlin, Dresden u. St Pe- 
tersburg, wo sie ihren spateren Gatten 
kennen lernte. Mit ihm betatigte sie sich 
noch gemeinsam a. Hoftheater i. Berlin 



29 



Totenliste 191 1: Habermas — Heintz. 



30* 



u. zog sich Mitte d. 70er Jahre von d. BUhne 
zuriick; * Braunschweig 8. IX. 1838; f 
Berlin 14. IV. — NTA 1912, 161 ; EG 378; 
BW 13, 2, 130 (P); W 191 1 1 646, 653 (P). 

Habermas, Friedrich, Pastor, Semi nardirek tor 
i. Gummersbach, schrieb iib. Relig., Musik 
u. Padag.; * Neuendorf b. Eisenach 30. 111. 
i860; f Gummersbach b. K6ln 7. IV. — 
KL 1911,591 (W); 1912 TL;WI 4, 504 (W). 

Hadwiger, Viktor, Prager Dichter; * Prag 
1879; f das - 4. X. — VZ 5. X. A.-A.; LE 
14, 219; Deutsche Arbeit 11, 398 — 400 
(P. Leppin); BR 8, 208 (W). 

Haeberlln, Karl, Prof., Historienmaler; * Ob.- 
Efilingen 16. XII. 1832; f Stuttgart 13. 
IV. — WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz. 
Nr. 87 ; Schwab. Kron. Nr. 1 74; OA 1908/09, 

521. 

Haeseler, Ernst, Geh. Hofrat, Prof. f. Eisen- 
bahn- u. Briickenbau a. d. Techn. Hochsch. 
i. Braunschweig; * Andreasberg 25. V. 
1844; f Braunschweig 3. IV. — VZ 4. IV. 
M.-A., 5. IV. M.-A.; WI 4, 508; DZL 537; 
DBZ 45, 240; ZB 1911, 206/07 (W. Schlink 
m. P); Programm d. Techn. Hochsch. 
Braunschweig 1911/12, 80; K 304. 

Hagen, Hugo von, Gen.-Major z. D., zul. 
Komm. v. Kiistrin, Ritter d. Eis. Kr. 
2. Kl.; * Wiesbaden 30. IIL 1835; f Hildes- 
heim 28. IX. — VZT; OA 1908/09, 525; 
UT 1910, 296. 

Hamel, Friedrich, Oberbaurat, Oderstrom- 
Baudirekt., hervorr. Wasserbauer; * Qued- 
linburg 17. IV. 1845; f Breslau 19. VI. — 
Schles. Zt. 20. VI. M.-A.; JSG 191 1 Nekr. 
8 — 10; ZB 191 1, 331 (P); Schlesien 4, 
588/89. 

Hanausek, Eduard, Prof., Schulrat, Senior 
d. Lehrk6rpers d. Wiener Handelsakad., 
Vorst. d. Warenlaborat., Doz. a. d. Fort- 
bild.-Schule f. Eisenbahnbeamte, Direkt. 
d. Drechslerschule; * Weitwcrt, Salzb. 27. 
VII. 1 851 ; f Wien 20. III. — NFP 22. III. 
M.-Bl.; KL 191 i f 605 (W); WI 4, 519 (W). 

Hansen, Georg, Dr. theol., Oberhofpred., 50 
Jahre kob. Hofgeistl., als Offizier d. 
schlesw. -hoist. Armee im Gefecht b. Idstedt 
verwundet; * Niebiill b. Rendsburg 6. IX. 
1826; f Koburg 17. I. — KJ 38, 659. 

Hartmarui, Ernst, bed. Hofburgschausp.; 
♦Hamburg 8. I. 1844; t wien 10. X. — 
NFP 10. X. A.-A. (A. Frh. v. Berger), 
11. X. M.-Bl., 23. X. Nachm.-Bl. (H. Bet- 
telheim-Gabillon, E. H., Ein Erinnerungs- 
blatt); W 1911, 1770 (P); IZ 137, 656/57 
(P); BW 14, 44. 70—76 (A. Lindner); NTA 
1913, H9/ISO <?); EG 3?6/97; Ton u. Wort 
1, H. 10; WI 4, 528; OR 29, 168—71 (J. 
Minor); Jahrbuch d. deutsch. Shakespeare- 
Gesellsch. Bd. 48, 163—68 (H. Richter). 



Hartmann 9 Johannes, Dr. theol. et iur. can., 
Prof. f. Kirchenrecht a. d. Univ. Munster, 
papstl. Hauspralat u. Domkapitular; 

* Herbigshagen i. Eichsfeld 3. X. 1829; 
f Munster 14. XII. — KR 1911, 172/13 
(W); 1912 TL; Chronik d. Univ. Munster 
1911/12, 16; WI 4, 529; DZL 534. 

Haselbach, Hans, Prof., Lehrer a. d. Staats- 
Oberrealsch. i. Klagenfurt, auf naturhist. 
Gebiet, bes. dem d. Chemie literar. vielfach 
tatig, hat auch Gedichte u. Novellen ver- 
Sffentlicht; * Hermagor i. Karnten 11. IV. 
1873; t Klagenfurt 5. IV. — Carinthia 191 1 • 
2, 1—7 (F. Lex m. W); GK 1912, 59. 

HatzfeW-Wildenburg, Alfred Fiirst von, M. d. 
H.; * Dusseldorf 9. V. 1825^ das. 2. VI. — 
VZ 3. VI. A. -A.; 4. VI. M.-A.; WI 4, 535 J 
HH 1907, 311. 

Hayek, Gustav von, Reg.-Rat, Dr. phil.. 
Prof., Zoologe u. Ornithologe; * Brunn 
1836; f Wien 11. I. — NFP 12. I. A.-B1.; 
IZ 136, 146; OR 26, 328. 

Hedeberg, Egon, ehem. groOh. oldenb. Hof- 
schausp., zul. a. Dusseld. Stadttheater, 
auch Buhnenschrif tst. ; * Augsburg 1857; 
f Badenweiler 13. IX. — NTA 1912, 172. 

Hedrich, Eduard, ehem. Opernsang. u. Regiss., 
lange eines d. beliebtest. Mitgl. d. Kroll- 
schen Sommeroper i. Berlin unter Engel; 

* Darmstadt 18. VI. 1846; f Magdeburg 23. 
VII. — NTA 1912, 170. 

Hehl, Christoph, Geh. Reg.-Rat, Prof. d. 
Architektur a* d. Techn. Hochsch. i. Char- 
lottenb., bek. Kirchenerbauer; * Kassel 
11. X. 1847; f Berl.-Charlottenburg 18. VI. 
— VZ 20. VI. M.-A., 21. VI. A.-A.; IZ 136, 
1379; DBZ 45. 426; ZB 191 1, 347/50 (F. 
Genzmer m. P); Bericht d. Techn. Hochsch. 
Charl. 1910/11, 5 — 7; DZL 556; Berlin. 
Architekturwelt Jg. 14, 167 (H. Schliep- 
mann). 

HeilgerSy Josef, Pfarreri. Roisdorf, Rheinpr., 
Schriftst auf d. Geb. d. Moral theolog., As- 
kese, popular. Philos. u. Lyrik. ; * Buscher- 
heide 11. VI. 1841; f Roisdorf 15. V. — 
KR 1911, 177 (W); 1912 TL. 

Heinecdus, Benno von, Gen.-Major z. D., 
zul. Komm. d. 1. Hess. F. -Art. -Reg., Ritter 
d. Eis. Kr. 1. KL; * Ldwenberg 7. I. 1830; 
f Berl.-Charlottenburg 19. X. — VZ 20. X. 
A. -A.; BT 191 1, 389- 

Heitllchen, Wilhelm, Pras. d. Landeskonsist. 
i. Hannover, Kurator d. Klosters Loccum; 

* Hannover 16. IV. 1856; f das. 18. XII. — 
ELK 44, 1246/47; KJ 37, 436. 

Heintz, Wilhelm, friih. Organist au d. Petri- 
kirche in Berlin, bekannt durch s. analyt. 
Arbeiten iib. Wagners Musikdramen u. 
durch s. 2- u. 4handigen Paraphrasen ub. 
Themen Wagners; * Eberswalde 21. 111. 



31' 



Totenliste 1911: Heifl — Hermann. 



32' 



1822; t Berlin 14. VL — VZ 16. I. M.-A.; 

AMZ 191 1 f 671 (0. LeBmann); R 588; 

Musik 2. Juli-H. S. VII. 
*HelB, Karl, Kreisschulinsp. u. Griinder d. 

Bayer. Volksschullehrervereins; * Starn- 

berg b. Munchen 10. VIII. 1827 ; f Nurnberg 

18. IV. — BJ XVI, 206 (A. Dreyer). 
HetinJg, Karl, Geh. Med. -Rat, Dr. med., ao. 

Prof. d. Frauenheilkde. a. d. Univ. Leipzig; 

* Dresden 9. XII. 1825; f Leipzig 15. V. — 
DM\V37,992;AD3,i53/54(W);PBL 7 i9; 
HBL 3, 157; KL 191 1, 662; WI 4, 564; 
DZL 572/73; K 337. 

Hermes, Emil, Prof., Dr. phtl., 1873 — 1905 

Oberl. a. Gymn. i. Mors, Schriftst., griindl. 

Kenner Senecas; * Elberfeld 21. IV. 1847; 

f Bonn 7. VII. — JAW Biogr. Jahrb. 191 2, 

97/98 (K. Hirschberg). 
Herms, Franz, Geh. Ob.-Justiz-Rat, frUb. 

Landger.-Pras., Ehrenbiirger d. Stadt 

Prenzlau, verd. Fordererd. Heimatschutzes; 

f Prenzlau 4. XII., 86 J. alt. — VZ 6. XII. 

M.-A. 
Herzog, Ernst von, Dr. phil. % friih. Prof. d. 

klass. Philolog. a. d. Univ. Tubingen, 

Mitgl. d. Aussch. d. Reichslimeskommiss. ; 

* EClingen 23. XL 1834; f Tubingen 16. 
XL — VZ 18. XL M.-A.; Bl. f. h6her. 
Schulwes. 28, 482; HV 15, 152; DZL 586; 
WI 4, 576 (W); WJ 191 1 Nekr.; Wtirtt. 
Staatsanz. Nr. 270; Schwab. Kron. Nr. 538; 

K 347. 

HeTZOg, Wilhelm, Hrsg. d. »Korrespondenz 
Herzog«; * 25. V1I1. 1846; f Wien-D6bling 
30. VIII. — NFP 30. VIII. A.-B1. 

♦Heyden, Hubert von, bed. Tiennaler, Mitgl. 
d. Munch. Sezession; * Berlin 13. IX. i860; 
f Munchen 20. I. — BJ XVI, 86 (H. Hol- 
land); VZ 21. I. M.-A.; IZ 136, 380; Kchr 
N. F. 22, 211; KFA 26, 264 (P); 27, 276/77; 
MS Nachtr., 137; SKL 434. 

Hibler, Emanuel von, Dr. med., ao. Prof. f. 
patholog. Anatomie a. d. Univ. Innsbruck; 

* 1865; f Innsbruck 23. VI. — DMW 37, 
1280; UK W.-S. 1912/13, 2, 526. 

Hflle, Georg, Dr. phil., Geh. Archivrat, Direkt. 
d. Staatsarchivs zu Schleswig; * Liepe, 
Kr. Westhavelland 17. XL 1841; f Schles- 
wig 8. VI. — Zs. d. Gesellsch. f. Schlesw.- 
Holst. Geschichte Bd. 41, 188—208 (Miise- 
beck m. W); WI 4, 588. 

HiflflillS, Anna, geb. Bornemann, (Pseud.: 
A. Norden), Romanschrif tst. ; * Potsdam 
11. II. 1848; f Wiesbaden 1. 1. — KL 191 1, 
095 (W); 1912 TL; WI 4, 590 (W); BR 3, 
219 (W). 

Hfppauf, Hermann, Schulrat u. Kreisschul- 
insp. a. D., als Padagoge auch literar. tatig; 

* Rawitsch 8. VI. 1835; f Breslau 2. II. — 
JSG 191 1 Nekr. 10/11. 



Hirsdl, Marie, (Pseud. : Adalbert Meinhardt), 
eine d. feinsinn. Schriftst. Hamburgs; 
* Hamburg 12. III. 1848; f das. 17. XL — 
VZ 24. XL M.-A.; HC 24. XL A. -A. (R. 
Huldschiner); LE 14, 439, 478/79; Die 
Frau 19, 177; NS 17, 187; BR 3, 224/25 
(W); KL 1911, 699 (W); WI 4, 593 (W); 
DZL 611/12. 

Hittmalr, Anton, Dr. phil., Direkt. d. Inns- 
bruck. Univ.-Bibl.; * Mattighofen i. Ob.- 
Osterr. 1 1 . VI. 1858; f i. Hinteren Padastcr- 
tal 3. VI. — VZ 9. VI. M.-A.; UK W.-S. 
1912/13, 2, 526; KL 191 1, 704; WI4, 596; 
KR 1911, 194 (W); Zs. d. dsterr. Ver. f. 
Bibliothekswes. 1911, 134 (Himmelbauer). 

*Hitzig, Hermann Ferdinand, Prof. f. rom. 
Recht a. d. Univ. Zurich; * Burgdorf i. 
Kant. Bern2vL 1868; f Zurich 26. VII. — 
BJ XVI, 178 (H. Schuler); VZ 27. VII. 
M.-A., 29. VII. M.-A.; IZ 137, 250 (P); 
KL 191 1, 704/05 (W); WI 4, 596; UK W.- 
S. 1912/13, 2, 526; Schweizer Jurist.-Ztg. 
Jg- 8, 53 (M. Huber). 

Hochfelden, Brigitta, Schriftst., Schriftleite- 
rin d. »Deutsch. Modenztg.o; * Biickeburg 
16. VIII. 1843; f Berl.-Wilmersdorf 25. IV. 
— KL 191 1, 706 (W); 1912 TL; WI 4, 
598 (W). 

Hocker, Gustav, Romanschriftst.; * Eilen- 
burg 28. IX. 1832; f Breslau 13. X. — 
VZ 13. X. A.-A.; LE 14, 220; KL 1911, 
707/08 (W); WI 4, 599 (W); BR 3, 237. 

H6he, Fried rich von der t (Pseud.) s. Greiner, 
Hugo. 

HdMer, Eduard, Dr. twr., Geh. Hofrat, Prof, 
f. r6m. Recht i. Leipzig; * Stuttgart 27. XI. 
1847; t Baden-Baden 14. IV. — VZ 16. 
IV. M.-A.; BB Nr. 89 v. 19. IV. (W); 
AD 2, 8 (W); DZL 634; WI 4, 601 (W); 
KL 1911, 721; IZ 136, 1018; WJ 191 1 
Nekr.; Schwab. Merk. Nr. 176; DJZ 16, 
631/32 (Strohal); D. Recht 15, 290 (H. 
Reichel); HV 14, 463; K 365; Schweizer 
Jurist.-Ztg. 191 1, 374 (H. F. Hitzig); Leipz. 
Zeitschr. f. Handels-, Konkurs- u. Vers.- 
Recht 191 1, 362 (E. Jaeger). 

♦Hoebcher, Hermann Wilhelm Heinrich, Dr. 
theol. y Kirchenrat, Pfarrer a. d. Nikolai - 
kirche i. Leipz., Hrsg. d. Allg. Ev.-Luth. 
Kirchenztg. u. d. Theol. Lit.-Bl. ; * Norden, 
Ostfriesl. 22. IV. 1845; t Leipzig 1 1. HI. — 
BJ XVI. 78 (Holscher); VZ 15. III. M.-A.; 
WI 4, 601; ELK 44, 240, 262; 45, Nr. 
11— 18; KL 191 1, 724; KJ 38, 659. 

Hdrmann, Karl, Dr. tried., Privatdoz. f. Gyna- 
kologie, seit 1900 Assist, a. d. Univ.- 
Frauenklinik i. MUnchen; * Neuburg a. D. 
24. II. 1875; f MUnchen 9. XII. — Chronik 
d. Univ. Munchen 1911/12, 6; AD 3, 158 
(W); UK S.-S. 1912, 1, 324. 



33' 



Totenliste 191 1 : van 't Hoft* — Huber. 



34* 



* Hoff, Jacobus Hcnricus van 't, Dr. phil. y med. f 
iur. et ing. h. c.„ Prof. d. Chemie a. d. Univ. 
Berlin, Mitgl. d. Akad. d. Wiss., Ritter d. 
Ordens Pour le m^rite; * Rotterdam 30. 
V1IL 1852; f Berl.-Steglitz 1. III. — BJ 
XVI, 185 (E. Zerner); VZ 2. 111. A.-A.; 
T 55 <P); W iqii, 392, 398 (P); 1Z 136, 472 
(E. Cohen m. P.); FZ 4. HI. A.-Bl. (W. Ost- 
wald); KL 1911, 709; WI 4, 604/05 (W); 
DZL 621/22; Chronik d. Univ.-Berlin 24, 8; 
NR 26, 244—47 (A. Coehn); DMW 37, 464; 
MMW 58, 803/04 (H. Schade); PF 3, i f 644 
(W); 4, 2, 1553/54 (W); SoziaHst Monatsh. 
15, 2, 1 1 18 (B. Borchardt); Marz 191 1, 1, 
552; BZ 28, 177 [Chemikerztg. Jg. 35* 289; 
Zeitschr. f. Elektrochemie u. angew. 
physikal. Chemie Jg. 17, 210; Ernahrung 
d. Pflanze Jg. 7, 93 (Krische); Kali, Zs. f. 
Gewinn. d. Kalisalze Jg. 5, 113 — 18 (H. 
Precht); Zeitschr. f. angew. Chemie Jg. 24, 
1074—87 (G. Bredig); Zeitschr. f. physikal. 
Chemie Bd. 76, 641 ; Zeitschr. f. d. physik. 
u. chem. Unterr. Bd. 24, 176], 29, 156 
f Bench te d. deutsch. chem. Gesellsch. 
]g. 44, 2217 (Gedachtnisfeier), 2219 — 52 
(W. Ostwald)], 30, 163 [Abhandl. d. Akad. 
d. Wiss., Berl. Physikal. Klasse Jg. 191 1 
(E. Fischer, Gedachtnisrede, 16 S.); Al- 
manach d. k. Akad. d. Wiss., Wien Jg. 61, 
382; Chemikerztg. Jg. 36, 665 (E. Cohen); 
Lotos Bd. 59, 91 (H. Milrath); Zukunft 
Bd. 79, 43i (E. Cohen, H. i. Deutschland)], 
31, 165 [Germania Beil. Nr. 52 (A. Gockel); 
BKW 49, 1870 (B. Laquer); Ernahrung d. 
Pflanze Jg. 8, 209—13 (R. Marc)]. 

Hoffmann, Alfred, Pfarrer, schriftst. tatig 
auf d. Geb. d. Philos.; * Wien 11. X. 1865; 
f Nordheim b. Heilbronn 4. VI. — Protest. 
Monatsh. 15, 309—13 (R. Zeller). 

Hoffmann II, Christoph, Vorsteher d. Deutsch. 
Tempelgesellsch. i. Jerusalem, der sich 
grofle Verdienste um d. deutsche Kolonisa- 
tion i. Palastina erworben hat; * Ludwigs- 
burg 9. XII. 1847; f Jerusalem 10. I. — 
DE 10, 193 — 95 (F. Lorch m. P). 

Hoffmann, Ferdinand, Dr. phil., Realgymn.- 
Prof. i. Gera, Schriftst. auf d. Geb. d. 
Kulturgesch., Germanistik u. klass. Philo- 
logie; * Uftrungen 2. IX. 1849; f Gera 
31. III. — KL 1911, 710/11 (W); 1912 
TL. 

Hoffmann, Wilhelm, (Pseud.), s. Bleysteiner 
Hugo. 

Hoffmarm-Scholtz, Friedrich, Generallt. z. D., 
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Chef d. Re- 
montierungs-Abt. i. Preufi. Kriegsminist. ; 
* Liegnitz 16. VI. 1842; f Schadewalde b. 
Marklissa 11. VI. — VZ 14. VI. A.-A.; 
OA 1908/09, 634. 

Hofmann, Johann Michael Heinrich, 

Biogr. Jahrbuch u. Deutschcr Nekrolog. 16. Bd. 



Prof., Historienmaler, Mitgl. d. Akad. d. 
bild. Kunste i. Dresden; * Darmstadt 19. 
III. 1824; t Dresden 1. VII. — Kchr N. F. 
22, 501; KFA 26, 504; MS 2, 193; BMW 
i» 557/58; SKL 1440; DZL 627; WI 4, 609. 
HoMer-Egger, Oswald, Geh. Reg.-Rat, Prof., 
Mitgl. d. Zentraldirekt. d. Monumenta 
Germaniae historica; * Bischofswerder i. 
Westpr. 19. Vlll. 1851; f Berlin 1. XI. — 
VZ 4. XI. M.-A., A.-A.; FZ 7. XI. 1. M.-Bl. 
(K. Hampe); HV 15, 127/28 (B. Schmeid- 
ler); WI 4, 614 (W); DZL 635; K. Zeuner, 
O. H.-E. Ein Nachruf. Hannover 1912. 
(A us: Neues Archiv d. Gesellsch. f. altere 
deutsche Geschichtskunde S. 823 — 54 m. 

♦Holmberg, August, Prof., Konservator u. 
Galerie-Direkt., Maler; * Munchen 1. VIII. 
1851 ; f das. 7. X. — BJ XVI, 23 (H. Hol- 
land); VZ 8. X. M.-A.; Kchr N. F. 23, 24; 
KFA 27, 100 (P); DZL 639; WI 4, 616; 
Bayerland 23, 53 (P). 

Holthof, Ludwig, Dr. phil % Schriftst., Ger- 
manist, Theaterreferent a. >Schwab. Mer- 
kur*; * K6ln 24. Vlll. 1840; f Stuttgart 
24. VI. — VZ 26. VI. A.-A.; LE 13, 1496; 
1Z 137, 79; NMZ 32, 403; KL 1911, 725 
(W); WJ 19 1 1 Nekr.; Schwab. Kron. 
Nr. 289. 

Holtz, Julius, Dr. med. f Kommerz.-Rat f 
einer d. fiihrenden Manner d. deutsch. - 
chem. Industrie, langjahr. Leiter d. Chem. 
Fabrik Schering, Vors. d. Vereins d. Chem. 
Industrie, Mitgl. d. Reichsgesundheits- 
amts; * 2. IX. 1836; f Berlin 8. VI. — 
VZ 9. VI. A.-A.; T 137 (P); Berichte d. 
deutsch. Chem. Gesellsch. Jg. 44, 3395 
(G. Kraemer). 

Holtzstamm, Waldemar, ehem. Schausp., d. 
letzte Oberlebende aus d. Glanzzeit d. 
Friedrich-Wilhelmstadt. u. d. Viktoria- 
Theaters i. Berlin; * Berlin 19. XI. 1826; 
f das. 29. IV. — NTA 1912, 162. 

Horion, Peter von, Wirkl. Geh. Rat, 1878 bis 
1900 Abt.-Chef i. wiirtt. Kriegsminist.; 

* 27. XI. 1836; f Stuttgart 24. II. — WJ 
191 1 Nekr.; Schwab. Kron. Nr. 92; OA 
1908/09, 653. 

Horn, Karl, 1891 — 1901 Reg.-Pras. i. Marien- 
werder; * Halberstadt 24. X. 1833; t 
G6ttingen 7. X. — VZ 10. X. M.-A.; OA 
1908/09, 654; BT 191 1, 45& 

Hoyermann, Gerhard, Fabrik- u. Gutsbes. i. 
Hannov., 1893 — 1 9°3 M. d. A., nationallib. ; 

* Hoheneggelsen b. Hildesheim 30. XI. 
1835 ; t Burgwedel Lohne b. Hannov. 9. VI. 
— VZ 12. VI. A.-A.; HA 1899, 256; WI 
4. 626. 

Huber, Paul, Dr. phil., Verlagsbuchh., Chef 
d. Kdselschen Buchh., hat 1901 mit Karl 

25 



o5 



Totenliste 191 1 : Httlskamp — Jellinek. 



?6* 



Muth d. »Hochlanck gegriindet; * Kempten 
2. VI. 1875; f das. 13. VII. — KVZ 14. VII. 
Mitt.-A.; KR 191 1, 207; Akad. Monatsbl. 
Jg. 23, 182 (K. Hoeber). 

*HiQskatnp, Franz, Dr. theol, Konviktspras. 
u. papstl. Hauspralat, Literarhist. ; * Essen 
i. Oldenb. 14. HI. 1833; f Miinster i. W. 
10. IV. — BJ XVI, 234 (E. Sartorius); 
VZ 10. IV. A.-A.; KVZ 10. IV. A. -A., 
25. IV. Mitt.-A. (M. Herbert, Eine Er- 
innerung an d. f Pralaten H.); LE 13, 
1133; KL 1911, 746 (W); WI 4, 630 (W); 
Katholik Jg. 91. 4- F. Bd. 7, 385— $7; KR 
191 1, 209 ^W); Literar. Handweiser Jg. 49, 
481 (A. Pdllmann). 

HttrHnuutn, Josef Dr. med. h. r., Arzt u. 
Historiker, Mitgl. d. Zuger Kant.- u. 
Erzieh.-Rats, Pras. d. Obergerichts, viel- 
fach literar. tatig; * Zug 4. VIII. 1851; 
f Unterageri 22. 1. — ASG 44, 370; Zuger 
Volksbl. 191 1, Nr. 1012; Zuger Nachr. 
191 1, Nr. 11 — 13; Geschichtsfreund Bd. 66, 
XXI; Jahrb. d. Schweiz. Gesellsch. f. 
Schulgesundheitspflege Jg. n f 485 — 91 
(C. Arnold); Zuger Neujahrsbl. 19 12, 

3—9- 
Hug, Friedrich, Geh. Finanzrat, kathol. Stifts- 
verw. i. Konstanz, seit 1890 M. d. R., Zentr.; 

* Aulfingen a. d. Baar i. Bad. 15. 111. 1839; 
f Konstanz 13. VIII. — KVZ 14. VIII. 
M.-A.; WI 4, 631; RH 1907, 295, 454 (P). 

Hugo, Konrad von, Gen. d. Inf. z. D., Ritter 
d. Eis. Kr 2. KL, 1862 Lt., 66 z. Stabs- 
wache d. Konigs komm.,- 69 Ob.-Lt., 71 
Lehrer a. d. Kriegssch. i. Neifie, 73 Haupt- 
mann, 84 Major, 90 Oberstlt., 93 Oberst u. 
Komm. d. Gren.-Reg. 2, 96 Gen. -Major u. 
Komm. d. 56. Inf.-Brig., 99 Gen.-Lt. u. 
Komm. d. 7. Div., 02 komm. Gen. d. 13. 
A.-K., 07 z. D.; * Wohlau i. Schles. 20. I. 
1844; f Stettin 24. I. — VZ 25. I. A.-A.; 
T 24 (P); WI 4, 632; MZ 1911, 70; LJ 38, 
446; DZL 658/59; Schlesien 4, 263. 

Hundrieser, Emil, Prof., Bildh., Mitgl. d. 
Akad. d. Kiinste, Direkt. d. Rauch-Mus.; 

• K6nigsberg 13. III. 1846; f Charlotten- 
burg 30. I. — VZ 30. I. A. -A.; T 27 (P): \V 
1911, 176, 182 (P); WI 4, 634; Kchr N. F. 
22, 245; KFA 26, 288; MS 2, 219; SKL450; 
DZL 663/64. 

Hussak, Franz Eugen, deutsch. Mineraloge, 
lebte seit 1887 i. Brasilien, entdeckte 
manche neuen Erze, wies in vielen Gegen- 
den d. Vorhandensein von Edelmetallen 
u. Diamanten nacb u. ver&ffentl. e. Reihe 
von naturwiss. Abh. ; * Wildon i. Steierm. 
10. III. 1856; t Caldas i. Bras. 15. IX. — 
VZT; GK 191 2; PF 4, i, 677/78 (W). 

Jacobs von Kantstein, Karl Frh., k. k. Feldm.- 
Lt. i. R.; * Neu-Gradiska 10. IX. 1850; 



t Mahr.-W T eiflkirchen 25. VIII. — FT 
1909, 367; 1912, 961. 

Jaeoteetl, Emil, Dr. phil. % Chemiker, humo- 
rist. Schriftst., wiss. Beirat d. Schering- 
schen Chem. Fabrik, Freund Stindes, 
Trojans u. Seidels; * Danzig; f BerL- 
Charlottenburg 11. II. — VZ 14. II. A.-A.; 
T 40 (P); Chem. Industrie Jg. 24, Nr. 5; 
Bursch. Bl. 25, 2, 37 (E. Krischnick m. 
P); Berichte d. deutsch. Pharmazeut. Ges. 
Bd. 21, 153—59 (H. Thorns). 

Jacobskotter, Johannes Karl Wilhelm, Schnei- 
derm. u. Stadtverordn. i. Erfurt, frilh. 
M. d. A. u. M. d. R., konserv.; * Erfurt 
27. VII. 1839; f das. 24. I. — VZT; WI 
4, 644; RH 1898, 207; HA 1904, 324, 14 

(P)- 

Jaenecke, Max, Dr. phih % Mitbes. d. Hannov. 
Couriers, Vors. d. Vereins deutsch. Zeitungs- 
verl., 1903 — 04 M. d. R. u. M. d. A., natio- 
nally.; * Hannover 28. VIII. 1869; f das. 
26. XI. — VZ 27. XI. A. -A.; WI 4, 647; 
IZ 137, 1074 (P), 1086; HA 1904, 325, 1 15 
(P); RH 1903, 249; KL 1911, 762; WI 4. 
647 (W). 

Jaffe, Max, Dr. med., Geh. Mediz.-Rat, o. 
Prof. f. Arzneimittellehre u. mediz. Chemie 
a. d. Univ. Kflnigsberg; * Griinbergi. Schl. 
25. VII. 1 841 ; f Konigsberg 25. X. — VZ 
25. X. M.-A.; WI 4, 647; AD 3, 61 (W); 
DMW 37, 2048, 1359/60 (Lichtheim, Z. 70. 
Geburtstage m. P); MMW 59, 92/93 (R. 
Cohn); BKW 49, 381—84 (A. Ellinger, Ge- 
denkrede, geh. i. Verein f. wiss. Heilkde. i. 
K6nigsberg); PBL 814 (P); HBL 3, 376: 
DZL 668; K 399; Archiv f. experim. Pathol, 
u. Pharmakol. Bd. 66, Beil. (Naunyn). 

Jaffe, Robert, Mitarb. d. Deutsch. Tagesztg., 
Schriftst., schrieb Romane u. Trauersp.; 
* Gnesen 7. II. 1870; f Berl. -Wilmersdorf 
20. VI. — VZT; KL 1911, 759; BR 3. 
333 (W). 

Jaidzewski, Ludwig von, Dr. theol, Prof., 
papstl. Hauspralat u. Stiftspropst i. Zduny, 
seit 1873 M. d. A., 1872—74, 1878—87 u. 
1890— 1906 M. d. R., Pole; * Posen 10. II. 
1838; f Berlin 23. I. — VZ 23. 1. A.-A.; 
W T I 4, 654; RH 1903, 250; HA 1908, 395, 
523 (P). 

Jeep, Ludwig, Geh. Reg.-Rat, Dr. phil., o. 
Prof. f. klass. Philolog. a. d. Univ. Konigs- 
berg; * Wolfenbuttel 12. VIII. 1846; f 
Konigsberg 4. I. — VZ 10. I. M.-A.; UK 
S.-S. 1911, 1, 320; DZL 675 (W); JAW 
Biogr. Jahrb. 1912, 121 — 133 (J. Tolkiehn 
m. W); K 404. 

♦Jellinek, Georg, Geh. Hofrat, Dr. iur. el 
phil., Prof. f. Staatsr., VSlkerr. u. Politik 
a. d. Univ. Heidelberg; * Leipzig 16. VI. 
1 85 1 ; f Heidelberg 12. I. — BJ XVI, 147 



37* 



Totenliste 191 1: Jena— Kekule von Stradonitz. 



38* 



(E. Zweig); NFP 13. I. A.-BL, 14. I. 
M.-B1. (E. Zweig — F. Klein — L. Vogler), 
15. I. M.-Bl. (L. Spiegel); FZ 21. I. M.-BL 
(R. Piloty); Jurist. Liter.-Bl. Bd. 23, Nr. 2 
(H. v. Frisch); Osterr. Zs. f. Strafr. Jg. 2, 
H. 1/2 (Laffler); Archiv f. Offentl. Recht 
Bd. 27, H. 3; HV 14, 304; DJZ 16, 196—98 
(Anschtitz); Frauenbewegung 17, 20 (E. v. 
Langsdorff); Hilfe 1911, 34; 1Z 136, 108 
(P); AD 2, 57 (W); KL 1911, 770 (W); 
WI 4, 654 (W); K 404. 
Jena, Eduard von, Gen. d. Inf. z. D., Ritter 
d. Eis. Kr. 1. KL, 1866 Oberlt., 70 Hauptm., 
85—88 Oberst u. Komm. d. Inf.-Reg. Nr. 24, 
88 — 91 Insp. d. Infanterieschulen, 96 — 99 
Gouv. v. Straflburg i. E.; * Dobbernitz 
28. III. 1834; t Eberswalde 21. III. — 
VZ 23. III. M.-A.; OA 1908/09, 685; MZ 

1911, 193M; DZL 675. 

Jensen, Wilhelm, Dichter; * Heiligenhafen 
15. 11. 1837; t Miinchen 24. XI. — VZ 
24. XI. A.-A.; NFP 24. XL A. -A.; T 278 
(P), 285 (K. Freye); Kieler Ztg. 25. XL 
M.-A. (G. Hoffmann); HC 15. II. 07 (A. 
Hagemann, W. J., Zu s. 70. Geburtst.); 
Flensburg. Nordd. Ztg. 15. II. 07 (W. Roth- 
barth, W. J. u. Flensburg); Kieler Ztg. 15. 
u. 16. II. 07 M.-A. (G. Hoffmann, Unser 
Landsmann W. J. Zu s. 70. Geburtst.); 
Hamb. Nachr. 13. II. 07 A.-A. (H. Grube, 
Z. 70. Geburtst. W. J.s); TRU 1907, Nr. 39 
(W. J M Zu s, 70. Geburtst.); Nord u. Sad 
Dez.-H. 191 1 (A. F. Krause); Bayerland 
Jg. 23, 211 (P); IZ 137, 1020 (P); MAZ 
114, 840/41 (Th. v. Sosnosky, Ein Ver- 
kannter. E. Nachr.); TRU Nr. 279 (W. Ar- 
minius, W. J., Ein letzter FreundesgruB), 

191 2, Nr. 102 (P. Heyse, An W. J. Verse 
gespr. b. d. Gedachtnisfeier i. Miinch. 
KUnstlerhause); KW 25, i, 427—28 (Ave- 
nanus); KL 191 1, 77*/73 (W); LE 14, 43 8 i 
477/78; BR 3, 352—54 (W); WI 4, 655/56 
(W); DZL 675/76 (W); W 191 1. 2023 (P); 
AL 1866—82. 1, 326—332 (W); BZ 29, 162 
[Gartenlaube Nr. 49 (A. Biese); KM Dez.- 
H. 318—24 (W. Rath); Allgem. deutsche 
Lehrerztg. 1911, 569 (E. Linde, E. Skizzen- 
buch)]. 

Direr, Emma, eine d. altesten u. tatkraf tigsten 
Agitatorinnen d. sozialdemokr. Partei, rief 
d, gewerkschaftl. Organisation d. Heim- 
arbeiterinnen ins Leben, Leiterin d. Ver- 
bandsorgans »D. Blumenarbeiter*; * Glatz 
3. I. 1857; f Berlin 8. I. — AF 47, 128; 
Sozialist. Monatsh. 15, 1, 114 — 17 (W. 
Zepler m. P). 

Joel, Arthur Eugen, Dr. med. % Spezialarzt f. 
Hals-, Ohren- u. Nasenkrankh., Leiter d. 
Romplerschen Heilanst. i. Breslau, Fach- 
schriftst.; * Greiffenberg 29. IX. 1873; 



t Breslau 27. III. — JSG 191 1 Nekr. 
11— 13 (F. Birke). 
Jung, Arnold, Kommerz.-Rat, GrUnder u. 
Inh. d. Jungenthaler Lokomotivfabrik, 
Vors. d. Aufsichtsr. d. A.-G. Bremerhatte, 
Mitgl. d. Prov.-Verb. d. nationallib. Partei; 

• Jungenthal b. Kirchen a. d. Sieg 8. I. 
1859; f das. 8. I. — SE 31, 1, 456 (P). 

Jungheim, Emil, M. d. A., nationallib.; 

* Hanau 5. VIII. 1850; f Meran 20. VII. 
— WGK 1911, 2, 223; WI 4, 666. 

Jungnickel, Friedrich, Wirkl. Geh. Ob.- 
Baurat, Eisenbahn-Direkt-Pras. a. D., 
Fachschriftst., hat sich groBe Verdienste 
um d. Einfuhrung d. Einheitszeit in 
Deutschland erworben, verdffentlichte 19 10 
e. Biographie d. Eisenb. -Ministers v. May- 
bach; * Breslau 1. VIII. 1839; f Altona 

I. VIII. — WGK 1911, 2, 223; DZL 689; 
ZB 191 1, 407/08 (O. Sarrazin m. P); WI 4, 
666; Zeitschr. d. Vereins deutsch. Eisenb.- 
Verwalt. Jg. 51, 978. 

Kablerske, Eugen, Dr. med., Sanitatsrat, 
Griinder d. Bresl. Hallenschwimmbades, 
hat sich um d. hygien. Verhaltnisse Breslaus 
verdient gemacht; * Breslau 2. II. 1855; 
t das. 30. III. — JSG 191 1 Nekr. 13/14 
(C. Partsch); Schlesien 4, 404. 

Kaiser, Eduard, Generaldirekt. d. Buderus- 
schen Eisenwerke i. Wetzlar, Pras. d. dorti- 
gen Handelsk., Mitgl. d. Kreist. u. Kreis- 
aussch., stellvertr. Mitgl. d. Landeseisen- 
bahnrats; * Witten 4. I. 1855; f Wetzlar 
27. VI. — SE 31, 2, 1203 (P). 

Kakksteln, Michael von, Rittergutsbes. i. 
Klonowken, 1871 — 77, 1881 — 98 M. d. A., 
Pole; * Klonowken 3. VII. 1830; f das. 
Mitte Sept. — VZT; RH 1893, 188; UT 

191 1, 349- 

Kallmann, Prof., Privatdoz. f. Elektrotechn. 
a. d. Techn. Hochsch. Berl.-Charl.; * Nakel 
4. VI. 1867; f Berlin 29. XL — Bericht 
d. Techn. Hochsch. Berl. -Chariot tenburg 
1911/12, 1/2. 

Kap6, Robert, Opernregiss. u. Tenorbuffo, 
bis 1908 a. Stadttheater i. Straflburg i. E.; 

♦ Hamburg 24. XII. 1847; f Straflburg 

II. III. — NTA 1912, is8; EG 497. 
Kekule von Stradonitz, Reinhard, Dr. phil. f 

Geh. Reg.-Rat t Prof. f. Archaologie a. d. 
Univ. Berlin, Direkt. d. antiken Skulp- 
turensamml. d. kgl. Museen, MitgL d. 
Akad. d. Wiss. f Lehrer Kaiser Wilhelms II. ; 

* Darmstadt 6. 111. 1839; f Berlin 22. III. 
— VZ 24. III. M.-A.; Bayreuth. Blatter 34, 
180/81 (H. Thode); IZ 136, 592 (J. Fender 
m. P); JAW Biogr. Jahrb. 1912, 1 — 40 
(H. Schrader m. W); Kchr N. F. 22, 
324/25; WI 4, 687 (W); W 191 1, 518 (P); 
KL 191 1, 819; K 428; Jahrb. d. kgl. preufl. 

25* 



39* 



Totenliste 191 1: Keller — Knabenbaucr. 



40' 



Kunstsamml. Bd. 32, 1 — 8 (H. Winne- 
feld); Almanach d. k. Akad. d. Wiss., Wien 
Bd. 61, 453—58 (E. Reisch). 

Keller, Adam, Dr. theol., Dekan, geistl. Rat 
u. papstl. Hauspralat, Stadtpf. i. Wies- 
baden, padagog. Schriftst., Mitred, d. 
»Samml. d. bedeutendst. padagog. Schrif- 
ten«; * Horbach 11. VIII. 1839; f Wies- 
baden 31. V. — KL 1911, 820 (W); 1912 
TL; WI 4, 687 (W); KR 1911, 230 (W). 

Keller, Adolf, Geh. Oberbaurat i. Preufi. 
Arbeitsminister., bed. Wasserbauer, Mitgl. 
d. Akad. d. Bauwes.; * Dillenburg i. Nass. 

25. VII. 1832; f Berlin 20. XII. — ZB 
1912, 12/13 (H. Keller m. P). 

♦Keller, Gustav, Zeichner u. Maler; * Etzen- 
hausen 20. X. i860; f Miinchen 18. VIII. — 
BJ XVI, 91 (H. Holland). 

KeDner, Oskar, Geh. Hofrat, Prof., Direkt. 
a. d. landwirtsch. Versuchsstation M 6c kern; 
* Tillowitz i. Schles. 13. V. 1 851; f Karls- 
ruhe 22. IX. — VZ 23. IX. M.-A.; IZ 137, 
587/88 (J. Volhard m. P); WI 4, 691; 
W 191 1, 1752 (P); Oberschlesien 10, 337; 
Mitt. d. deutsch. Landwirtsch. -Gesellsch. 

26. 541; BZ 29, 176 [Chemikerztg. Jg. 35, 
1 1 57 (J. K6nig); Ernahrung d. Pflanze 
Jg- 7. 145 (P- Kriesche); Friihlings land- 
wirtsch. Ztg. Jg. 60, 681 ; Monatsschr. f. 
Landwirtsch. Jg. 4, 231; Deutsche land- 
wirtsch. Presse 191 1, Nr. 77; D. land- 
wirtsch. Versuchsstationen Bd. 76, III bis 
XL IV (E. Honcamp); Zeitschr. f. d. land- 
wirtsch. Versuchswes. i. Osterr. Jg. 14, 
1 1 43 — 49 ( Bersch) ; Wiener landwirtsch. 
Ztg. 191 1, 897]. 

Kerschner, Ludwig, o. Prof. d. Histologic a. d. 
Univ. Innsbruck; * 27. II. 1859; f Inns- 
bruck 22. V. — DMW 37, 1088; UK 
191 2/13, 2, 326; K 433; Wiener klin. 
Wochenschr. Jg. 24, 1691 — 98 (H. Rabl). 

Key), Heinrich Bruno, Prof. u. kgl. sachs. 
Kammermus., 1851 — 91 Mitgl. d. Dresdn. 
Kgl. Kapelle, bed. Kontrabafi- Virtuose, 
Begr. e. eigenen hervorr. Lehrmethode, 
Komponist v. Romanzen u. Konzert- 
stiicken f. Kontrabafi; * Molbis b. Leipzig 

27. VII. 1829; t Berl.-Steglitz 31. III. — 
NTA 1912, 159. 

Kinel, Albert, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat, 
friih. Dirig. i. Reichsamt f. d. Verw. d. 
Reichseisenb., 1895 — *9 01 Pras - d. Preufi. 
Akad. d. Bauwes.; * Rosenberg i. Ob.- 
Schles. 21. IV. 1825; f Berlin 9. 11. — 
Schles. Ztg. 23. II. A.-B1.; ZB 1911, 101 
(L. Kriesche m. P). 

Kirchbtch, Eugen von, Gen. d. Kav. z. D., 
Ritter d. Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d. 
32. Div. t 96 z. D. ; * Cunersdorf b. Kdnig- 
stein 1. Xll. 1835; f Dresden 10. II. — 



VZ 12. II. M.-A.; MZ 1911, 107; OA 
1908/09, 741; BT 1911, 5*4- 
Kircher, Robert, Kaufmann, Ehrenburger d. 
Stadt Fulda, 1 893—^98 M. d. A., Zcntr.; 

* Fulda 1. XII. 1852; t das. 27. VIII. — 
KVZ 30. VIII. M.-A.; HA 1894, 265. 

Kirn, Otto, Dr. theol. et phil., o. Prof. f. 
system. Theol. u. Direkt. d. theol. Sem. 
a. d. Univ. Leipzig; * Heslach b. Stuttgart 
23. I. 1857; f Leipzig 18. VIII. — VZ 
20. VIII. M.-A.; AD 1, 41 (W); WI 4, 704 
(W); KL i 9 n f 842; DZL 733/34; KJ 39, 
436; ELK 44, 8i5;WJi9ii Nekr,; WOrtt. 
Staatsanz. Nr. 194; Schwab. Merkur 
Nr. 387; K442; Neues sachs. Kirchenbl. 
191 1, Nr, 46 (K. Thieme); Sachs. Kirchen- 
u. SchulbL 1911, Nr. 40 (H. Preufi). 

Kimig, Alois, Landschaftsmaler; * Prag 1840; 
fdas. 25. I. — VZ27. I. M.-A.; MS 2, 343; 
BMW 1, 687. 

KifSCh, Theodor, Geh, Justizrat u. Amtsger.- 
Rat i. Dusseldorf, M. d. R. u. M. d. A., 
Zentr.; * Dusseldorf 17. IV. 1847; f das. 
31. V. — VZ 31. V. A.-A.; WI 4, 705; KR 
1911, 240; HA 1908, 398, 517 (P); RH 
1907, 301/02, 476 (P). 

Klapp, Ludwig, Pastor i. Hamburg, Mitarb. 
d. Protest. Kirchenztg., lange Jahre 
Wanderprediger d. Protestantenvereins, 
Mitbegr. d. Goethebundes u. Mitgl. seines 
Vorst., Grofimeister d. Provinzialloge i. 
Hamburg; * 27. X. 1835; f Hamburg 13. 
IV. — HC 15. IV. A. -A.; Protest. Monatsh. 
15, 243/44 (J. Websky). 

Klebs, Richard, Dr. phil. % Prof., wiss. Beirat 
d. kgl. Bernsteinwerke i. Kdnigsberg, 
Landesgeologe a. D., bek. durch zoolog. 
u. palaontolog. Untersuchungen iib. d. 
Bernstein; * Susczan b. Lyck 30. III. 
1850; f Kdnigsberg i. Pr. 20. VI. — HC 
23. VI. M.-A.; IZ 136, 1379; PF 4, i, 
754 (W). 

Klein-Hattingen, Oskar, Historiker, Autodi- 
dakt, schrieb e. Biogr. Bismarcks u. Napole- 
ons vom lib. Standpunkt u. e. Geschichte 
d. Liberalismus; * Elberfeld 8. IX. 1861; 
t Berl.-Friedenau 2. X. — VZ 3. X. A. -A.; 
In: Kl.-H., Geschichte d. Liberalismus 
Bd. 2, 658-61 (F. Naumann m. P); KL 
1911, 851; BR 4, 617. 

KleblhatlS 9 Karl, Generallt. z. D., alter kur- 
hess. Offizier, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. f 
zul. Komm. d. 7. Inf. -Brig., 1893 2 * D«? 

* Neuhof, Kr. Fulda 15. XII. 1836; f Mar- 
burg 27. I. — VZ 30. I. A. -A.; HL 25, 47; 
OA 1908/09, 752. 

Knabenbauer, Joseph, S. J., Dr. theol h. c. % 
Prof. d. Exegese i. Dilton Hall u. Balken- 
burg, Mitbegr. d. »Stimmen aus Maria 
Laach«; * Deggendorf i. Niederbay. 19. III. 



41' 



Totenliste 191 1 : Knapp — Kbpcke. 



42' 



1839; "f Maastricht 12. XL — Stimmen aus 
Maria Laach 81 f H. 5; Katholik 91, 4. F. 
Bd. 8, 466; KR 191 1, 246 (W). 
Kfiapp, Hermann Jakob, Prof. d. Augen- 
heilkde. a. d. Columbia-Univ. i. New York, 
Begr. d. »Archivs f . Augen- u.Ohrenheilkde.*; 

* Dauborn i. Hessen-Nassau 17. III. 1832; 
t New York 2. V. — DMW 37, 1179/80 
(P); MMW 58, 1 168; PBL 870; HBL 3, 
502 ; BZ 28, 200 [Zentralbl. f. prakt. Augen - 
heilkde. Jg. 35, 129—34 (J. Hirschberg); 
Klin. Monatsbl. f. Augenheilkde. Jg. 49, 
725 (W. Uhthoff)], 29, 181 [Verhandl. d. 
naturhist.-mediz. Vereins zu Heidelberg 
N. F. Bd. 11, 160—65 (Th. Lebor); Zeitschr. 
f. Ohrenheilkde Bd. 63, I (O. Kflrner)]. 

Knaudt, Otto, Kommerz.-Rat, Vorst.-Mitgl. 
d. A.-G. Schulz-Knaudt i. Essen, Mitgl. 
d. Deutsch. Dampfkessel-Normen-Kom- 
miss., viele Jahre Vors. d. Techn. Kommiss. 
d. Verb. Deutsch. Groflblech-Walzwerke, 
Mitgl. d. Stadtverordn.-Kolleg. i. Essen; 

* Duisburg 13. VI. 1855; f Essen 12. V. — 
SE 31, i, 912 (P). 

Knesebeck, Bodo v. d., Wirkl. Geh. Rat, Dr. 
med. h. c, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., Vize- 
oberzeremonienm. u. Kammerh. d. Kaise- 
rin, Einfuhrer d. diplom. Korps, Vors. d. 
Volksheilstatten -Vereins v. Roten Kreuz, 
stellvertr. Vors. d. Deutsch. Zentral- 
Komitees z. Bekampfung d. Tuberku- 
lose, Sekretar d. Schwarz. Adler-Ordens; 

* MUnchen 9. IV. 1851 ; f Kassel 6. V1I1. — 
VZ 7. VIII. A.-A., 8. VIII. M.-A.; WI 3, 
723; W 1911, 1330. 1336 (P); AF 49, 376; 
DMW 37, 1488; UT 1910, 418; D. rote 
Kreuz Jg. 29, 783 (Rothe). 

Kliorr, Georg, E Hinder d. Knorr-Bremse, 

Grunder u. Leiter d. Knorrbremse A.-G. 

i. Boxhagen-Rummelsburg; f Davos 15. 

IV. — VZ 19. IV. M.-A.; Organ f. d. 

Fortschr. d. Eisenbahnwes, i. techn. Bez. 

191 1, 181; Verkehrstechn. Woche Jg. 5, 

Nr. 31. 
*) KlMWT, Thomas, Mitinh. d. Verlags d. Munch. 

Neuest. Nachr., hat sich groBe Verdienste 

um d. Sache Rich. Wagners u. um d. 

Munch. Kunstleben erworben; * 9. VIII. 

1851; f MUnchen 13. XII. — VZ 13. XIL 

A.-A.; IZ 137, 1249/50 (A. Sonntag m. P); 

AMZ 191 2, 87 (P. Marsop); Bayerland 23, 

266 (P); WI 4. 725- 
KnOTZ, Ludwig, Geh. Reg.-Rat, Dr. iur. % 

Direkt. d. Hess. Landesversich.-Anst., 

Ehrenmitgl. d. Hess. Stadtetages, Mitgl. 

d. Ges.-Vorst. d. Hess. Geschichtsver. ; 

* Marburg 1 847 ; f Kassel 1 2. IV. — HL 25 1 



l ) Irrtiimlich schon in d. TL f. 1910 auf- 
genommen. 



120/21; Zeitschr. d. Vereins f. hess. Gesch. 
u. Landeskde. Jg. 45, 297 (Woringer). 

Koblinski, Eugen von, Gen. -Major z. D. f 
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. f zul. Komm. d. 
9. Kav.-Brig.; * Luxemburg 23. VIII. 
1847; f Berlin 29. XI. — VZ 30. XL A.-A.; 
OA 1908/09, 773- 

Koehler, Philipp, Landwirt, 1897— 1906 BUr- 
germ. i. Langsdorf, Mitgl. d. hess. Landt., 
seit 94 Vors. d. mitteldeutsch. Bauernver- 
eins, der 1904 in d. Bund d. Landwirte 
aufging, Mitbegr. d. Bauernztg. ^Deutsche 
Volkswacht*, M. d. R., wirtschaftl. Ver- 
einigg.; * Langsdorf i. d. Wetterau 6. VIII. 
1859; f das. 10. I. — HC 12. I. M.-A.; IZ 
136, 120; RH 1907, 303, 466 (P). 

Koehler, Rudolf Albrecht, Dr. med., Geh. 
Mediz.-Rat, Prof., Generaloberarzt a 1. s. 
d. Sanitatskorps, Prof. d. Kriegsheilkde. 
a. d. Kaiser- Wilhelm-Akad. ; * Berlin 22. 
XIL 1841; f das. 5. VII. — VZ 6. VII. 
M.-A.; PBL 883/84 (P); WI 4, 732; BKW 
48, 1312. 

*K8nlg von u. zu Warthausen, Karl Wilhelm 
Richard Frh. f Dr. h. c. d. Naturwiss. 
i. Tub., kgl. Wiirtt. Kammerh., bed. Orni- 
thologe; * Warthausen 6. II. 1830; f Stutt- 
gart 4. I. — BJ XVI, 57 (Lampert); VZ 
6. I. M.-A.; WJ 1911 Nekr.; Wiirtt. Staats- 
anz. Nr. 9; Schwab. Kron. Nr. 8; Aquila 
XVIII, 191 1, 437—395 FT 1909, 405; 
Jahreshefte d. Vereins f. vaterland. Natur- 
kunde i. WOrtt. Jg. 67, XLIV (Lampert); 
Journal f. Ornithologie Jg. 59, 613 — 19 
(W. Baumeister). 

KSnigshofer, Oskar, Dr. med., Geh. Hofrat, 
Prof. d. Augenheilkde. a. d. Tierarztl. 
Hochsch. u. Privatdoz. a. d. Techn. Hoch- 
schule i. Stuttgart; * Kaiserslautern 4. XII. 
1851; f Stuttgart 10. IV. — VZ 11. IV. 
A. -A.; MMW 58, 879; WI 4, 735 (W); WJ 
19 1 1 Nekr.; WOrtt. Staatsanz. Nr. 87; 
Schwab. Kron. Nr. 174; Mediz. Korrespon- 
denzbl. d. Wurtt. arztl. Vereins Jg. 81 , 

423. 
KSnigSWald, Gustav von, Amerikaforscher; 

* Kopenhagen 24. VI. 1863; f Karlsruhe 

13. XL - WI 4, 736 (W); 6 TL. 
Kfaneritz, Hans Frh. von, kgl. sachs. Wirkl. 

Geh. Rat, 1864—66 Ges. i. Manchen u. 

Stuttg., 66—73 Oes. a. Berlin. Hofe, 

73 — 9i Oberhofmarschall; * Hdsterwitz b. 

Dresden 20. VI. 1820; f Dresden 9. IV. — 

VZ 12. IV. M.-A.; WI 4, 736; DZL 777/78; 

OA 1908/09, 790; FT 191 2, 408. 
KSpCke, Klaus, Dr. tng., Geh. Reg.-Rat, 

Autoritat auf d. Geb. d. Bnicken- u. 

Eisenbahnbaues, ao. Mitgl. d. PreuB. Akad. 

dL Bauwes., Fachschriftst. ; * Borstel i. 

Hannov. 28. X. 1831 ; f Dresden 21. XL — 



43' 



Totenliste 191 1: Koerber — Krzyranowski. 



44' 



VZ 24. XL M.-A.; IZ 137, 1095 (P); W 
1911, 2093 (P); WI 4f 737; DZL 778; DBZ 
45, 810/11; ZB 1911. 630/31 (P). 

Koerber, Johannes, Dr. theoL, Domkapitular, 
o. Prof. d. Kirchengesch., Katechetik u. 
Homiletik a. Lyzeum i. Bamberg; * Stetten 
i. Ob.-Franken 7. II. 1842; f Bamberg 
8. IV. — KL 191 1, 892 (W); 191 2 TL; 
KR 191 1, 255 (W); Wl 4, 734 (W). 

Koll, Otto, Prof., Geh. Ob.-Finanzrat u. 
vortr. Rat i. preufl. Finanzminist., in d. 
8oer Jahren Lehrer d. Geodasie a. d. land- 
wirtsch. Akad. i. Poppelsdorf; * Hohen- 
westedt, Kr. Rendsburg 29. IX. 1851; t 
Berlin 21. III. — VZ 23. III. A. -A.; HC 
27. III. A. -A.; GK 1912, 59; DZL 769/70; 
Zcitschr. f. Vermessungswes. Bd. 40, 
358-63 (C. MOllcr). 

Kolltach, Karl, Schulrat u. Kreisschulinsp., 
Schriftst. auf d. Geb. d. Naturwiss., Geogr. 
u. Padagog.; * Mtihlbeim a. Rh. 5. X. 
1858; f Remagen 27. VI. — KL 191 1, 883 
(W); 1912 TL; KR 191 i f 252/53 (W); WI 
4, 744 (W> 

KoDer, Karl, Mitgl. d. Literar. Bureaus i. 
Wien, fruh. Red. d. »Vaterlands«; * Prefi- 
burg 5. XI. 1852; f Wien 26. X. — WI 4, 
744; 6 TL. 

Komorzynski, Johann von, Dr. phil., Reg.- 
Rat, ao. Prof. d. Nationalttkon. a. d. Univ. 
Wien, hat im politischen Leben Osterreichs 
als Deutschnationaler eine Rolle gespielt; 

* Wien 12. VI. 1843; t Gmunden 31. VIII. 
— NFP 1. IX. A,-A. ; BB Nr. 206 v. 5. IX. ; 
IZ 137, 448; UK W.-S. 1912/13, 2, 526; 
KL 191 1, 885 (W); WI 4, 745 (W); K 4 79- 

Kosdehkl, Josef Tbeodor Martin von, Ritter- 
gutsbes., M. d. H., 1889— -98 M. d. R., Pole; 

* Schl.-Sluzewo i. Polen 9. XL 1845; t Gut 
Miloslaw, Kr. Konitz 22. VII. —VZ 23. VII. 
M.-A.; MAZ 114, 509; HH 1907, 320; RH 

1893, 193; WI 4t 750- 
Kowarzlk, Joseph, Frankf. Bildhauer u. 
Kleinplastiker, 1905 — 08 Lehrer a. St&del- 
schen Inst., bes. hervorr. als Medailleur; 

* Wien 1. III. i860; f Cannes 14. 111. — 
FZ 15. III. A.-B1.; Kchr N. F. 22, 312; 
KFA 26, 360; MS Nachtr. 171; Alt- 
Frankfurt 3, 33—42 (F. Dessoff, K. als 
Medailleur). 

Kazlowskl, Thomas von, Rittergutsbes., 

1874—78 M. d. R., Pole; ♦ 21. XII. 1839; 

f Hohensalza 13. 11. — VZ 13. II. A, -A.; 

HPA 1877, 183. . 
KnuiB, Karl Frh., k. u. k. Sektionsrat i. 

Obersthofmarschall-Amt; * Wien 28. IX. 

i864;fdas.29.V. — FT 1909,416; 1912,962. 
Krefi von Kressemtein, Georg Frh., Dr. phil. 

h. c, Justizrat, in d. 8oer Jahren einer d, 

Ftihrer d. bayer. nationallib. Landespartei; 



* Nurnberg 20. IV. 1840; f das. 2. III. — 
VZT; MAZ 1 14, 135/36; FT 191 2, 420; WI 
4, 761 ; OA 1908/09, 816; Herald, -genealog. 
Blotter f. adelig. u. biirgerl. Geschlechter 
7, 90 (H. v. Kohlhagen). 

Krieg, Cornelius, Dr. theoL, Prof. d. Theol. 
a. d. Univ. Freiburg i. B.; * Weisenbach 
i. Murgtal 14. IX. 1839; f Freiburg 24. I. — 
VZ 25. I. M.-A.; KVZ 25. I. M.-A.; UK 
S.-S. 1911, 1, 320; AD 1, 76 (W); WI 4, 
763 (W); DZL 808; KL 1911, 916 (W); 
KR 191 1, 263/64 (W); K 500. 

Kroeck, Hermann, Kartograph, Assist, a. 
Geogr. Sem. d. Univ. Heidelb., Red. -Assist, 
d. Geogr. Zs.; * Bockenheim 7. V. 1880; 
t Heidelberg 12. VIII. — GK 1912, 59; 
Geogr. Zs. 17, 9, 481. 

*Kr5ner, Adolf von, Dr. phil. h. c. t Geh. 
Kommerz.-Rat, Seniorchef d. Cottaschen 
Verl., Ehrenmitgl. d. Borsenver.; * Stutt- 
gart 26. V. 1836; f das. 29. L — BJ XVI, 
247 (W. Koebner); VZ 30. I. A.-A.; T 28 
(P); BB Nr. 25 v. 31. I. u. Nr. 26 v. 1. II.; 
W 1911, 176, 182 (P); IZ 136, 195 a (P); 
LE 13, 761; WI 4. 764; WJ 191 1 Nekr.; 
Wttrtt. Staatsanz. Nr. 25; Schwab. Kron. 
Nr. 48. 

Krdner, Johann Christian, Prof., Tier- u. 
Jagdmaler; * Rinteln 3. II. 1838; f Dussel- 
dorf 16. X. — VZ 17. X. M.-A.; T 246 <P); 
W 1911, 1762, 1770 (P); IZ 137, 865 (A. 
Drossong m. P u. 111.); WI 4, 764; DZL 
811; Kchr N. F. 23, 35; KFA 27, 124; MS 
2,396; BMW 1, 772— 74; SKL 539; HL 25, 
318 (P); NS 17, 510—13 (H. Kraeger m. P 
u. HI.). 

Kroenlg, Georg, Dr. med., Prof. a. d. Univ. 
Berlin, dirig. Arzt d. inner. Abt. d. stftdt. 
Krankenh. a. Friedrichshain; * Potsdam 
22. IV. 1856; f Berlin 15. VI. — VZ 15. 
VI. A. -A., 16. VI. M.-A.; W 191 1, 1032, 
1036 (P); UK S.-S. 1911, 2, 518; AD 3, 86 
(W); Chronik d. Univ. Berlin 25, 8; PBL 
915/16 (P); D. Hygiene 191 1, 137 (Gra- 
witz); DMW 191 1, 1457 (Furbringer). 

Kropttschek, Alfred Ritter von, Feldzeugm., 
friih. General-Art-Insp., Erflnder, Kon- 
strukteur u. Organisator von Weltruf, 
Sch&pfer d. neuen Feldgeschiitzes i. Oster- 
reich; * Biehtz 30. I. 1838; f Lovrana 2. V. 
- NFP 3. V. M.-BL; IZ i 3 6 f Nr. 354N 
V1I/VIII (P); LJ 38, 446/47; Mitteil. Ob. 
Gegenst&nde d. Art.- u. Geniewesens 1, 
477—85. 

Krzyianowikl, Rudolf von, Hofkapellm. a, 
Weimar. Hof theater, bek. Wagner-Ding.; 

* Eger 5. IV. 1862; f Graz 21. VI. — NTA 
1912, 166; Musik 2. Juli-H. S. VIII; Ncue 
Zs. f. Musik 78, 433; NMZ 32, 403 (A. 
Richard); W r l 4, 772; DZL 816. 



45' 



Totenliste 191 1: Kuebne — Leopold. 



46* 



Kuehne, Karl, Generallt. z. D., zul. Komm. 

d. 86. Inf. -Brig.; * Berlin 13. II. 1847; f 

Hamburg 5. 11. — VZ 8. II. M.-A.; OA 

1908/09, 838. 
Kulpe, Wilhelm, Geh. Hofrat, Vorst. d. Be- 

hdrden-Bibl. i. Dessau, 1864 — 94 Lehrer d. 

neuer. Spr.; * Bernburg 11. XI. 1840; 

f Dessau 25. IX. — JB 9, 102; 10, 149. 
Ktlfltze, Oskar Theodor, Oberbtirgerm. v. 

Plauen, Ehrenfcurger d. Stadt, schrieb 

volkswirtschaftl. Schriften u. verf. Lieder; 

* Grimma 30. XI. 1827; f Plauen 7. II. — 
VZ 7. II. A. -A.; KL 191 1, 936. 

Kurtechob, Georg, Intendanzrat, Leiter d. 
Neuen Stadttheaters i. Liibeck; * Neurode 
25. X. 1859; f LUbeck 10. VI. —VZ 14. VI. 
M.-A.; Schles. Ztg. 17. VI. A.-Bl.; Musik 
1. Juli-H. S. IX; Schlesien 4, 589; W 1911, 
990; WI 4, 784. 

Kuzminy, Karl M., Kunstschriftst. u. Kriti- 
ker, friib. Germanist, Ref. £. osterr. Kunst 
in d. »Kunst fur Alle«, Auss tell. -Ref. d. 
Zeitschr. »Kunst u. Kunsthandwerk*, Voll- 
ender d. v. Hevesi begonn., v. Unter- 
richtsminist. brg. Monogr. lib. Rud. v. Alt; 

* Wien 1867; t das. 25. XI. — Kchr N. F. 
23, 118; KFA27, 196 (P); OR 30, 159. 

Lacomi, Gustav, Dr. ing. h. c. % Wirkl. Geh. 
Ob.-Finanzrat, 1896 — 1910 vortr. Rat i. 
Preufi. Finanzminist. ; * Berlin 21. XII. 
1849; t das. 10. 11. — VZ 11. II. M.-A., 

12. II. M.-A.; OA 1908/09, 851. 
*Ladenburg, Albert, Dr. phtL et med., Geh. 

Reg. -Rat, o. Prof. <L Chemie a. d. Univ. 
Breslau, Hrsg. d. grofien Handwdrterb. d. 
Chemie; * Mannheim 2. Vll. 1842; f Breslau 
15. VIII. — BJ XVI, 171 (E. Zerner); 
VZ 15. VIII. A.-A., 16. VI11. M.-A.; 
Schles. Ztg. 16. VIII. M.-A., 18. VIII. 
A.-A. (Beisetzung); Chronik d. Univ. 
Breslau 26, 216 — 21 (W. Herz); Schlesien 
4, 674 (P); PF4, 1. 825/26 (W); KL1911, 
943; WI 4, 786/87; DZL 829; K 515. 
Ladendorf, Otto, Dr. phil., Gymn.-Oberl., 
Schriftst. auf d. Geb. d. deutsch. Lit. u. 
Spr., Mithrsg. d. tZs. f. d. deutsch. Unter- 
richt«; * Dresden 13. VI. 1873; f Leipzig 
31. VII. — Zs. f. deutsch. Wortforschung 

13, 244 (F. Kluge); KL 191 1, 943 (W> 
Labner 9 Andreas, Dr. theol. et phil., Dom- 

kapitular u. Sekr. d. erzbischofl. General - 
vikariats Bamberg, Kirchenhist. ; * Lichten- 
fels i. Bay. 21. XII. 1836; f Bamberg 
25. VI. — KR 1911, 272; 1912 TL. 
Landftberg, Berohard, Gymn.-Prof., Schriftst. 
auf d. Geb. d. Naturgesch., Mithrsg. d. 
Monatsh. f. d. naturwiss. Unterricht; 

* Mehlkemen i. Ostpr. 9. IV. 1856; f Kdnigs- 
berg 17. 1. — KL 191 1, 949 (W); 1912 TL. 

Uflge, F. A., Holzhandler, d. letzte Offizier 



d. ehem. schlesw. -hoist. Marine, einer d. 

bek. Helden d. schlesw. -hoist. Freiheits- 

kampfes von 1848/51, der damals cin 

kleines Kanonenboot kommandierte, das 

er 1850 vor LUbeck in d. Luft sprengte, 

als es, auf Grund geraten, in Gefahr war, 

den Danen in d. Hande zu fallen; * Apen- 

rade 9. X. 1825; f Altona 10. I. — Kieler 

Ztg. 11. I. A.-A. 
Lange 9 Samuel de, bed. Komponist, friih. bes. 

ausgez. Orgelvirtuose, hielt auch a. Stuttg. 

Konserv. musikgeschichtl. Vorlesungen, 

1900 — 08 Direkt. d. Konserv., Chor- u. 

Orchester-Dirig. ; * Rotterdam 22. II. 

1840; f Stuttgart 7. VII. — Zs. d. intern. 

Musikges. 12, 324; Musik 1. Aug.-H. S. VI; 

Neue Zs. f. Musik 78, 446; NMZ 32, 423; 

R 308; W J 191 1 Nekr.; Wtirtt. Staatsanz. 

Nr. 152; Schwab. Kron. Nr. 312. 
Langefeld, Willy, Opernsanger a. Stadt- 

theater i. Wurzburg; * Kassel 24. XII. 

1867; fW0rzburg2. II. — NTA 1912, 157. 
Lautetein, August, papstl. Hauspralat, kathol. 

Marine-Oberpfarrer u. Garnisonpfarrer i. 

Kiel; * Nittritz, Kr. Gninberg 5. IX. 1845; 

f Kiel 25. II. — Schlesien 4, 375/76. 
*Le Feubure, Karl, Landschaftsmaler; * Miin- 

chen 1. 1. 1847; t Bad T6lz 2. XII. — BJ 

XVI, 91 (H. Holland). 
LeftraiUl, Salomon, o. Prof. f. Sanskrit u. 

altind. Kultur- u. Lit.-Gesch.; * Telgte 

i. Westf. 25. XII. 1831 ; t Heidelberg 16. I. 

— UK S.-S. 1912, 1, 324; WI 4, 809/10 

(W); DZL 853; K 532. 
Ldtetlberger, Otto Franz, Schriftst. u. Dichter; 

♦ Aussig L B6hm. 16. VIII. 1847; f Wien 

22. VII. — KVZ 30. VII. M.-A.; KR 1911, 

280 (W). 
Lengerke, Karl von, Gen.-Major a, D., Ritter 

d. Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d. 78. lnf.- 

Brig., 1883 a. D.; * Marburg 12. X. 1827; 

f Weimar 26. XII. — VZ 29. XII. M.-A.; 

MZ 1912, 23; HL 26, 31. 
Lent, Eduard, Dr. tned., Geh. Sanitatsrat, 

Prof., Begr. d. »Zentralbl. f. allgem. Ge- 

sundheitspflege<, Mitbegr. d. »Deutsch. 

Vereins f. bffentl. Gesundheitspflege* u. d. 

•Deutsch. Arztevereins-Bundew; * Wesel 

16. XI. 1831; f Koln 25. IV. — VZ 28. 

IV. M.-A.; DMW 37, 848, 940/41 (Prib- 

sting m. P); MMW 58, 1253 (M. Pistor); 

PBL 986; HBL 3, 670; BKW 48, 827; 

BZ 28, 216 [Zentralbl. f. allgem. Gesund- 

heitspfl. 30, 177 (Stlibben-Reichenbach); 

Mediz. Klinik 7, 872 (L. Bleibtreu)]; 29, 

198 [Deutsche Vierteljahrsschr. f. Sffentl. 

Gesundheitspfl. 43. I— IV]. 
Leopold Christian Gerhard, Dr. med. % Prof., 

Geh. Mediz.-Rat, einer d. bed. deutsch. 

Frauenarzte, Direkt. d. Frauenklinik i. 



47" 



Totcnliste 191 1: Lessing — Lueger. 



48* 



Dresden; * Meerane i. Sa. 24. II. 1846; 
f Ob.-Beerenburg b. Kipsdorf i. Erz- 
gebirge 12. IX. — VZ 14. IX. A.- A.; IZ 
137, 538/39 <P); DMW 37, 1853/54 (Marsch- 
ner m. P); MMW 58, 2222/23 ( E - Vogt); 
BKW 48, 1870/72 (Th. Lcisentz); W 1911, 
1588, 1592 (P); PBL 988 (P); HBL 3, 674; 
BZ 29, 198 [Archiv f. Gynakol. 95, I— IV; 
Zentralbl. f. Gynakol. 35, Nr. 42 Beibl.; 
Mediz. Klinik 7, 1717 (Brandenburg); 
Monatsschr. f. Geburtshilfe u. Gynakol. 
34, VII— XIV (A. Richter); Zeitschr. f. d. 
ges. Hebammenwes. 3, 193; Handb. d. 
Neurologie 2, 715]. 

Lessing, Karl Robert, Geh. Justizrat, Land- 
ger.-Direkt a. D., Bes. d. Voss. Ztg., Grofi- 
neffe Gotth. Eph. Lessings; * Poln.-Warten- 
berg 1 1. IX. 1827; f Berlin 28. I. — VZ 28. 
I. A. -A.; IZ 136, 190 (P); W 191 1, 182 (P); 
LE 13, 761; DJZ 16, 267; JSG 191 1 Nekr. 
16—21 (R. Salinger). 

Letocha, Paul, Geh. Justizrat, fruh. M. d. R. 
u. M. d. A., Zentr.; * Radzionkau i. Ob.- 
Schles. 17. I. 1834; f Ziegenhals 5. II. — 
VZ 6. II. A.-A.; T 34 (P); HA 1899, 274; 
RH 1898, 222. 

Llebermann von Sonnenberg, Max Hugo, seit 
1890 M. d. R., Mitbegr. d. deutsch-sozialen 
Partei, Begr. d. »Deutsch. Volksztg.* u. d. 
tDeutschsozial. Blatter*, fruh. Offizier, 
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., schrieb s. Erinne- 
rungen an d. Krieg 1870/71 u. d. Tit. »Aus 
d. Glilckszeit meines Lebens«; * Weifi- 
wasser i. Westpr. 21. VIII. 1848; f Berl.- 
Schlachtensee 18. IX. —VZ 19. IX. M.-A.; 
T 222 (P); W 1911, 1588, 1592 (P); RH 
1907, 3i4/i5. 466 (P); KL 191 1, 993; WI 
4, 833; Akad. Blatter 26, 219 (E. Hunkel). 

Linden, Ada, (Pseud.), s. Forster, Luise. 

LIppert, Julius, Dr. phil, Prof., Lehrer f. 
Haussa, Ful u. Arabisch a. Oriental. Sem., 
Bibliothekar d. Sem. u. Direkt.-Assistent; 

* Stameitschen, Kr. Gumbinnen 9. IX. 
1866; f Berlin 21. VI. — VZ 25. VI. M.-A.; 
KL 191 1, 1010 (W). 

Loeben, Konrad von, Gen. -Major a. D. t 

Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Kommand. 

d. 92. Inf. -Reg.; * Pulsberg 16. I. 1852; 

t Ballenstedt 4. IV. — VZ 8. IV. M.-A.; 

OA 1908/09, 911. 
*LoSs, Karl, Senatspras. a. Oberlandesger. 

zu Karlsruhe; * Oberdwisheim b. Bruchsal 

7. I. 1844; f Karlsruhe 22. V. — BJ XVI, 

71 (Heydweiller). 
LSwenhardt, Felix, Dr. med. f bed. Urologe, 

verf. zahlr. Schriften; * Brandenburg 

a. H.; f Breslau 28. X. — JSG 19 11 Nekr. 

21—23. 
Loga, Hermann von, Rittergutsbes., M. d. H.; 

* Wichorsee i. Westpr. 18. XL 1859; 



fdas. 6. XL —VZ 9. XL M.-A.; HHi907 f 
323; WI 4. 855. 

Lohmaim, Albert, Jusitzrat, 1893—95 M. d. 
A., Zentr.; * Brilon 29. IV. 1832; f das. 
11. VI. — VZ 14. VI. M.-A.; KVZ 13. VI. 
A. -A.; HA 1894, 278. 

Lohmeyer, Karl Ferdinand, Dr. med. % Geh. 
Mediz. -Rat, ao. Prof. d. Chirurgie a. d. 
Univ. G6ttingen; * Gfittingen 26. XII. 
1826; f das. 4. HI. — VK S.-S. 1911, i f 
320; DMW 37, 510; Chronik d. Univ. 
Gdttingen 1910, 8/9 (A. Cramer); PBL 
1040; K 565. 

Lorenz V. LIbernau, Josef Ritter von, Dr. phil., 
friih. Sektionschef i. Ackerbauminist., bek. 
als Klimatologe u. Bodenkundler; * Linz 
1825; f W f ien 13. XL — GK 1912, 60. 

1 )Lubllner f Hugo, (Pseud.: Hugo Burger), 
bek. Lustspieldichter; * Breslau 22. IV. 
1846; t BerHn *9- XII. — VZ 19. XII. 
A. -A.; T 300 (P);W 191 1, 2190 (P);1Z 138, 
20/21 (Th. Kappstein), 40 (P); LE 14, 587; 
BW 14, 1, 302; NTA 1913* 154; KL 1911, 
1032 (W); DZL 903/04. 

Lucadou, Paul Arm and von, Generallt. 
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, friih. Adjut. 
d. Kronprinzen Friedrich WilheJm u. Kaiser 
Wilhelms L, 1875 — 84 Komm. v. Frank- 
furt a. M.; * Berlin 15. VI. 1826; f Baden- 
Baden 23. IX. —VZ 26. IX. M.-A.; Schles. 
Ztg. 27. IX. M.-A.; MZ 1911, 554; LJ 

38, 447. 

Lltcae, August, Dr. med., Geh. Med.-Rat, 
Prof. u. Direkt. d. Ohrenklinik a. d. Univ. 
Berlin; * Berlin 24. VIII. 1835; f Berl.- 
Grunewald 17. III. — VZ 18. III. M.-A.; 
W 191 1, 554 (P); WMW 61, 991; Chronik 
d. Univ. Berlin 24, 8; HBL 4, 54; PBL 
1050/51 (P); AD 3, 273/74 (W); WI 4, 
861 (W); DZL 904; K 570; BZ 28, 220 
[Archiv f. Ohrenheilkde 85, I— XII (B. 
Heine); Mediz. Klinik 7, 557 (Claus); Mo- 
natsschr. f. Ohrenheilkde. u. Laryngo- 
Rhinol. 45, 369 (F. Grofimann)]; 29, 202 
[Beitr. z. Anat., Phys., Pathol, u. Ther. d. 
Ohren ... 4, V— X (F. Grofimann); Zeit- 
schr. f. Ohrenheilkde. 63, III (H. Claus)]. 

Lucke, Hans von, Landschaftsdirekt. d. G5r- 
litzer Furstent.-Landsch., Mitgl. d. Prov.- 
Aussch. u. nichtstand. Mitgl. d. Reichs- 
vers.-Amts, 1879 — 85 u. seit 1908 M. d. A., 
konserv.; * Muckenhain b. Rothenburg 
O.-L. 16. X. 1842; f das. 16. II. — VZ 
17. II. M.-A.; OA 1908/09, 926. 

Lueger, Otto, Dr. ing. h. c. % Prof. d. Wasser- 
baues a. d. Tcchn. Hochsch. i. Stuttg.. 
Hrsg. d. fLexikons d. ges. Technik«; 

*) Irrtumlich schon in d. TL f. 19 10 auf- 
genommen. 



49' 



Totenliste 191 1: Liippertz— May de Madiis. 



50* 



* Thengen i. Baden 1 3. IX. 1 843 ; f Stuttgart 
2. V. — VZ 2. V. A.-A.; IZ 136, 1018 (P); 
DBZ 45, 1, 320; WJ 191 1 Nekr.; Schwab. 
Kron. Nr. 201; DZL 908; K 575; Gesund- 
heitsingenieur 34, 365. 

Luppertz, Wilhelm, BaGbariton a. Stadt- 
theater i. Leipzig u. hervorr. Oratorien- 
sanger; * Krefeld 28. VII. 1877; f Leipzig 
17. III. — NTA 1912, 158, 

Lyon, Otto, Dr. phil., Prof., Stadtschulrat, 
Hrsg. d. »Zs. f. d. deutsch. Unterricht«; 

* Spittewitz b. MeiGen 10. I. 1853; f Dres- 
den 12. VII. — WI 4, 871 (W); 6 TL; KL 
1911, 1043/44- 

Mager, Bernhard, Dr. iur., Geh. Ob.-Reg.- 
Rat, Vizepras. d. Berl. Prov.-Schul-Kolleg.; 

* Stralsund 8. 1. 1857; f Berlin 2^/26. XII. 

— VZ 27. XII. A.-A.; Blatter f. h6her. 
Schulwes. 29, 2. 

MagntlS, Rudolf, Dr. med. % Schriftst. auf 
d. Geb. d. Biologie, Philos. u. Mediz.; 

* Hamburg 18. V. 1874; t Berlin 29. IV. 

— KL 1911, 1049 (W); 191 2 TL. 
'Mahler, Gustav, ber. Komponist u. Dirigent, 

friih. Direkt. d. Wiener Hofoper; * Iglau 
7. VII. i860; t Wien 18. V. — BJ XVI, 3 
(G. Adler); VZ 19. V., 21. V. M.-A. (Th. 
Spiering, 2 Jahre mit G. M. i. New York); 
NZ 20. V. (P. Bekker); T 119 (P), 125 (E. 
Bienenfeld); HC 19. V. A.-A. (M. Loewen- 
gard); NFP 19. V. M.-Bl. (1. Korngold— 
H. Gregor — A. Frh. v. Berger); WI 4, 
879; DZL 919; W 1911, 861 (O. Keller m. 
P); MAZ 114, 346/48 (P. Busching); IZ 
136, 1169/70 (A. Smolian m. P); AMZ ign, 
588/89 (P. Schwers m. P), 1230/31 (E. 
Schmitz, MUnch. Gedenkfeier f. G. M.); 
NMZ 32, 349/50 (P. Stefan u. L. Andro 
m. P); Neue Zs. f. Musik 78, 357 (L. Fran- 
kenstein); Zs. d. intern. Musikgesellsch. 12, 
293; NTA 191 2, 57—61 (P. Stefan m. P); 
KW 24, 3. 313—16 (R. Batka); BW 13, 2, 
299—301 (J. Reitlerm.P); Deutsche Arbeit 
1 1 , 30—38 (F. Adler m. P); OR 27, 406—08 
(Bach); Siidd. Monatsh. 9, i, 488—96 
(£. Kilian, M.s Karlsruher Erinnerungen); 
Marz 19 1 1, 3, 384 (F. St6ssinger); Sozialist. 
Monatsh. 15, 2, 800/01 (H. Leichtentritt); 
Hilfe 191 1 , 329/30 (Zschorlich m. P); R 859; 
BZ 28, 226 [Daheim 47, 38 (F. Pfohl); 
Signale f. d. musikal. Welt 191 1, 783 
(A. Spanuth); Gegenwart 191 1, Nr. 22 
(A. Schreiber, M. in memoriam)]; 29, 209 
[D. Aar Juli-H. 477 (M. Hermann); Hoch- 
land Juli-H. 480 (E. Schmitz); Turmer 
Juli-H. 553—62 (K. Storck); Westerm. 
Monatsh. Juli-H. 764 (W. Paetow); Xenien 
191 1, 20 (P. Riesenfeld); Musik Jg. 10, 
Aug.-H. 143 — 53 (E. Decsey, Stunden m. 
M.); Signale f. d. musikal. Welt 191 1, 



1027 (J. Stransky), 1685 (Gedachtn.- 

Feier)]. 
Malotki, Hermann von, Generallt. z. D. v 

Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d. 

4. Inf. -Brig.; * Friedrichsfelde 24. XII. 

1830; f Naumburg 14. IX. — VZT; OA 

1908/09, 945; MZ 1911, 542. 
Marmhardt, Heinrich Emil, bek. Vertr. d. 

amerik. Deutschtums, deutsch-amerik. Ge- 

schichtsforscher, Hrsg. d. deutsch-amerik. 

Geschichtsbl., Schriftf. d. D.-A. Hist. Ges. 

v. Illinois, friih. lange Zeit Red. d. grofien 

Chicagoer Sonntagsblatts; * Danzig 22. II. 

1841; f Chicago 18. IV. — DAG n, 124— 

128 (P); DE 11, 33/34 (P). 
Manz, Wilhelm, Geh. Hofrat, friih. Prof. d. 

Augenheilkde. a. d. Univ. Freiburg i. B.; 

* Freiburg i. B. 29. V. 1833; f das. 21. V. — 
VZ 21. IV. A. -A., 22. IV. M.-A.; DMW 37, 
1317/18 (Th. Axenfeld m. P); MMW 58, 
1 3 13— 15 (Th. Axenfeld); PBL 1088/89 
(P); HBL 4, 121; IZ 136, 827, 830 (P); 
DZL 926/27; K 583. 

Marcus, Viktor Wilhelm, Dr. iur. t Senator, 
1907 Pras. d. Senats, reg. Burgerm. v. 
Bremen; * Koln 9. VII. 1849; f Dresden 
(Weifi. Hirsch) 16. XL — VZ 18. XL M.-A.; 
W 1911, 1979 (P); IZ 137, 1044 (W. Ehlers 
m. P); WI 4, 6. 

Marcuse, Siegbert, Dr. wed., San.-Rat, Stabs- 
arzt a. D., bes. verdient um d. Standes- 
interessen d. Arzteschaft, 2. stellvertr. 
Vors. u. 1. Schriftf. d. Berl.-Brandenb. 
Arztekammer; * 30. V11I. 1844; f Berlin 
24. VII. — DMW 37, 1408; OA 1908/09, 
952. 

Marschall, Godfried, Dr. theol. % Weihbischof ; 

* Neudorf i. Nieder5sterr. 1. X. 1840; 
t Wien 23. III. - KVZ 23. HI. A.-A.; 
W191 1,^18 (P);IZ 136, 592 (P);OR 27,249. 

Marx, Heinrich, Dr. theol. % Weihbischof i. 

Breslau; * Antonia, Kr. Oppeln 3. 1. 1835; 

t Breslau 25. V1I1. — Schles. Ztg. 28. VIII. 

A. -A.; Schlesien 5, 96; WI 4, 894. 
MaaaMek, Franz, Schriftst. u. Feuilletonist; 

* Wien 4. X. 1840; f das. 6. IV. — KL 191 1 , 
1068; 1912 TL. 

Masillg, Berthold, Direkt. d. Schiffswerft 
»Kette« i. Obingau b. Dresden, auf der er 
d. 1. staatlich untersttitzte Versuchsstation 
schuf, die d. deutsch. SchirTb. v. grofiem 
Nutzen war; * Mustel auf d. Insel Osel i. 
Gouv. Livland 3. X. 1849; f Dresden 25. 
IV. — JSTG 13, 88—90. 

May de Madiis, Alexis Frh., bed. Geologe, der 
grofie Verdienste um d. Bergbau i. Karnten 
hat, Griinder d. »Carinthia-Gewerkschaft«; 

* Schl.-SchMtland b. Bern 13. XL 1852; 
f Villach 20. HI. — Carinthia 1911, 2, 
195 — 98 (R. Canaval). 



5'" 



Totenliste 191 1: Mayr — Michaelis. 



52* 



Mayr, Heinrich, Dr. phil. et oec. publ., Prof. f. 
Forstwiss. a. d. Univ. MOnchen, bes. Kenner 
d. Japan, u. Nordamerik. Waldungen, bc- 
gleitete 1902 d. Prinzcn Rupprccht v. 
Bayern auf s. Reise um d. Erde; * Lands- 
berg a. Lech 29. X. 1854; f Munchen 24. I. 

— VZ 1. II. M.-A.; Chronik d. Univ. MOn- 
chen 1910/11, 9; UK S.-S. 1911, 1, 320; 
BZ 28, 230 [Zentralbl. f. d. ges. Forstwes. 
37 1 2 39 (Schupfer); Forstwiss. Zentralbl. 33, 
241 — 47 (L. Fabricius); Allgem. Forst- u. 
Jagdztg. 8i, 215 (Bauer); Deutsche land- 
wirtsch. Presse 191 1 , Nr. 9], 29, 214 (Mitteil. 
d. dendrolog. Gesellsch. 191 1, 451 (P. v. 
Schwerin)]. 

Mayreder, Julius, Wiener Architekt, Erbauer 

d. Kreuzherrenhofes auf d. Wieden, hat 

e. Projekt f. e. Generalregulierungsplan 
von Wien ausgearbeitet; * i860; f Wien 
16. I. — OR 26, 405; IZ 136, 146; DBZ 
45, 1, 52; Zeitschr. d. 8sterr. Ingen.- u. 
Architekten-Vereins 63, Nr. 10 (A. Kirstein). 

Meier, Ernst von, Dr. iur. et phil., Geh. Ob.- 
Reg.-Rat, 1888—94 Kurator d. Univ. G6t- 
tingen, friih. a. d. Univ. Marburg, staats- 
wiss. u. jurist. Schriftst., am bed. sind s. 
Forschungen lib. d. Stein -Hardenb. Re- 
form u. iib. d. EinfluB d. franzds. Revolu- 
tion auf Stein; * Braunschweig 12. X. 
1832; f Berlin 21. IV. — VZT; KL 1911, 
1084 (W); OA 1908/09, 975- 

Meinhardt, Adalbert, (Pseud.), s. Hirsch, 
Marie. 

Meinke, Ernst, Geh. Reg.- u. Schulrat a. D., 
Pfarrer d. ev.-ref. Gem. i. Frankfurt a. O., 
als Padagoge u. Psychologe von Bedeutung, 
bek. ist s. Lehrbuch d. Relig.-Unterrichts 
an Seminaren, Mithrsg. d. Jahrb. »Aus 
Hdhen u. Tiefen«; * C6rlin 29. VI. 1844; 
t Frankfurt a. 0. 16. V1I1. — KJ 39, 438; 
KL 1911, 1088 (W). 

*Menger, Max, Edler v. Wolfensgriin, Dr. 
iur., Hof- u. Gerichts-Advokat, 1874 — 1901 
Reichsr.-Abg., 1870 — 95 MitgL d. Schles. 
Landt., schrieb iib. d. Wahlrefonn von 1873 
u. iib. d. B6hm. Ausgleich; * Neu-Sandec 
i. Galizien 10. IX. 1S38; t Mondsee 30. VIII. 

- BJ XVI, 221 (R. * Charmatz); NFP 
30. VIII. A.-BL, 31. VIII. M.-A.; KL 1911, 
1095; WI 4, 191 4. 

MetlSingy Franz, Vizeadm. z. D., zul. Komm. 
v. Helgoland, 1894 z.D.; * Buckeburg 
6. XII. 1843; t Wiesbaden 23. IV. — VZ 
24. IV. A. -A.; W 191 1, 690, 692 (P); 13, 
625; OA 1908/09, 983. 

Merguet, Hugo, Dr. phil., Gymn.-Prof. a. D. f 
Schriftst. auf d. Geb. d. klass. Philol. u. 
vergl. Sprachwiss.; * Pillau 1841; f Dre&~ 
den-Striesen 1. VII. — KL 1911, 1098 
(W); 1912 TL. 



Merk, Karl H., Ingenieur i. Rostow a. Don, 
hervorr. Techniker, auch schriftst. hervor- 
getreten; * Thengen i. Bad. 26. VII. 1875; 
t Neuenahr 20. VII. — JSTG 13, 99- 

Merkl, Rudolf Frh. von, k. u. k. Geh. Rat, 
Feldzeugm. i. R.; * Wien 28. III. 1831; 
f das. 22. I. — OR 26, 488; FT 1909, 527. 

Merkl (Merkl v. Reinsee), Thaddaus Frh., 
k. u. k. Reichsger.-Rat u. Pras. d. nieder- 
6sterr. Handels- u. Wechselger. a. D.; 
* Kremsier 23. IX. 1812; f Wien 24. VIII. 
— FT 1909, 528; 1912, 963- 

Messerschmidt, Leopold, Dr. phil., Kustos d. 
Vorderas. Abt. d. Kgl. Museen; * Berlin 
29. VIII. 1870; t das- 10. HI. — VZ 
15. III. M.-A.; KL 191 1, 1101 (W). 

Meyer, Adolf Bernhard, Dr. med., bis 1906 
Direkt. d. kgl. Zoolog. u. Anthropolog.- 
Ethnogr. Mus. i. Dresden, Forscher auf d. 
Geb. d. Zoolog., Autoritat i. Fragen d. 
Museums technik; * Hamburg 11. X. 1840; 
f Berlin 5. II. — VZ 8. II. M.-A.; GK 
1912, 60; PM 57, 135; DRG 33> 394; KL 
191 1, 1105/06 (W); WI 4, 922 (W> 

♦Meyer, Christian Friedrich, Dr. theol, Geh. 
Kirchenrat, Superint, einer d. Fahrer d. 
Ev. Bundes; * Annaberg i. Sa. 20. X. 
1840; t Zwickau 23. VIII. — BJ XVI, 217 
(C. Fey); VZ 23. VIII. A. -A.; T 207 (A. 
Brausewetter); W 1911, 1458, 1466 (r); 
Bursch. BI. 26, 26 (P); ELK 44, 839; 
KJ 39, 438; WI 4, 924 (W); KL 191 i f 
1 1 08; DZL 957; Neues sachs. Kirchenbl. 
191 1, Nr.41 (H. Guthe), Nr.36 (N); Evang. 
Kirchenztg. f. Osterreich 1911, 279; Re- 
formation 1911, Nr. 42 (W. Bgenstein). 

Meyer, Friedrich, Malerm. i. Bielefeld, Vors. 
d. Handwerkskam., seit 1903 M. d. A., 
konserv.; * Steinhagen i. Westf. 24. X. 
1840; t Bielefeld 8. I. — VZT; Reforma- 
tion 1911, 668/69 (W. Bgenstein); OA 
1908/09, 998; HA 1908, 411, 486 (P). 

♦Meyer-FrauenfeW, Johannes, Dr. phil. h. c, 
Kantonsarchivar u. Bibliothekar, Lehrer 
d. deutsch. Spr. u. Gesch. a. d. Kantons- 
schule i. Frauenfeld, Pras. d. Hist. Vereins 
d. Kant. Thurgau, Schriftl. d. Vereins f. 
Gesch. d. Bodensees; * Riidlingen, Kant. 
Schaffhausen 11. XII. 1835; f Frauenfeld 
8. XII. — BJ XVI, 182 (J. Schaltegger); 
ASG 44, 372; Thurg. Beitr. z. vaterl. Gesch. 
H. 52 (G. Btieler m. W); Wachter 191 1, 
Nr. 284; Neue Zur. Ztg. Nr. 343, 4. M.-Bl. 
(J. Walli). 

Mkhaelh, Wilhelm, Dr. phil., Prof., bet 
Chemiker u. Forscher, dem d. Wiss. u. 
Technik d. Zementindustrie ihre Grundlage 
verdanken; * Magdeburg 15. X. 1840; 
t 13./14. V. — SE 31, 1, 907 (H. Passow 
m. P). 



53' 



Totenlistc 191 1: Michel — MottL 



54" 



Michel, Julius von, Dr. med., Geh. Med. -Rat, 
o. Prof. d. Augenheilkde. u. Direkt. d. 
Augenklinik a. d. Univ. Berlin; * Franken- 
thal i. d. Pfalz 5. VII. 1843; t Berlin 28. 
IX. — VZ 29. IX A. -A., 30. IX. M.-A.; 
T 232 (P); IZ 137* 561 (P); W 191 1, 1676 
(P); AD 3, 251 (W); Wl 4. 93* (W); KL 
191 1, 1 1 19 (W); DZL 966; Chronik d. Univ. 
Berlin 25, 6; PBL 1134/35 (P); HBL4, 234; 
DMW 37, 1856, 2047/48 (Helbron m. P); 
MMW 58, 2277/78 (Vollert); BKW 48. 
1958/59 (L. Bach); K 618; BZ 27, 217 
[Mediz. Klinik 7, 1601 (C. Adam); Zentralbl. 
f. prakt. Augenheilkde. 35, 290 — 95; Klin. 
Monatsbl. f. Augenheilkde. 49, 661 fTh. 
Axenfeld); Zeitschr. f. Augenheilkde. 26, I. 
(Kuhnt)]. 

Mkkolelt, Kurt, (Pseud.: A. K. T. Tielo), Dr. 
phil., Schriftst. u. Lyriker; * Tilsit 11. 
VIII, 1874; t Berl.-Pankow 24. VIII. — 
VZ 24. VIII. A -A.; Schles. Ztg. 26. VIII. 
M.-A. (Ein Heimatdichter); T 201 (P); 
LE 13, 1783; 14, 45; KL 1911, 1121; 
DZL 966. 

MMdeMorf, Willi, kgl. Baurat, Baudirekt d. 
Emscher Genoss. i. Essen, ftihrte d. Em- 
scherregulierung durch; * Eickel b. Wanne 
19. III. 1858; t Essen 24. VIII. — DBZ 
45, 600; ZB 191 1, 447 (Unger m. P). 

Mkg, Mathieu, ehem. Groflindustr. i. Mulheim 
i. E., Mitbegr. d. dortig. »Industriellen Ge- 
sellschaft* u. insbes. Forderer des von d. 
Ges. unterhaltenen vaterland. Museums, 
auch auf anderen Gebieten d. Volkswohl- 
fahrt sehr ruhrig; f Miilhausen i. E. 1. I. 
62 J. alt. — AF 49, 128. 

MikllSCh-Buchberg, Viktor von, Gen. d. Inf. 
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1866 Lt, 
70 Generalst.-Offizier b. 7. A.-K., bis 88 
i. Generalst., 1889/90 Komm. d. 2. G.-G.- 
Rcg., 90 Oberquartierm. i. Generalst., dann 
Komm. d. 8. Div., 98 komm. General d. 
7. A.-K., 1900 z. D.; * Rawitsch 18. X. 
1842; t Baden-Baden 15. VIII. — VZ 
21. VIII. M.-A.; MZ 1911, 486; AF 49, 448. 

MJtscherllch, Alfred, Dr. med., Geh. Sanitats- 
rat, Oberstabsarzt a. D., frtih. Prof. a. d. 
Univ. Berlin; * Heidelberg 1832; f Berlin 
3. VII. — VZ3. VII. A-A.; W1911, 1 1 16. 

MSOer, Timm, stellvertr. Chefred. a. d. Alto- 
naer Nachr., vide Jahre 1. Vors. d. Freis, 
Volksp. i. Altona; * Kellinghusen 2. XI. 
1851; f Altona 25. XII. — VZ 28. XII. 
M.-A. 

MUhttlsen, Hermann, Wirkl. Geh. Rat, 
1898— 1903 Direkt. d. Verkehrsabt. i. Preufi. 
Minist. d. dffentl. Arbeiten, seitdem Auf- 
sichtsrat bei d. Berlin. Straflenb.-Ges.; 
• Kdslin 19. X. 1846; fSterzing 1. VIII. — 
Reichsanz. Nr. 1S1 v. 3. VIII.; OA 1908/09, 



1017; Zeitschr. d. Vereins deutsch. Eisenb.- 
Verw. Jg. 51, 977. 

Mohll, Paul, Prof., friih. Direkt. d. Berl. 
Kunstschule, Illustrator v. Marchen- u. 
Kinderbuchern in d. Art Ludw. Richters, 
dessen Schwiegersohn er war; * Meiften 
17. XI. 1842; f Berlin 21. II. — IZ 136, 
380; KW 24, 2, 414/15 (Avenarius); Kchr 
N. F. 22, 260; KFA 26, H. 13, Beil., VII; 
MS 3, 221 ; BMW 2, 64/65. 

MOflSChaw, Rudolf Ritter u. Edler von, 
Gutsbes., 1882—92 M. d. A., Zentr.; 

* Scheuern 25. II. 1825; f Goch 30. III. — 
VZT; OA 1908/09, 1019; HA 1886, 253. 

Montb£, Alban von, sachs. Gen. d. Inf., Ritter 
d. Eis. Kr. 1. KL, 1839 Eintritt in d. Armee, 
66 Generalst. -Of fizier, 70/71 Oberst u. 
Generalm., 73 Komm. d. 24. Div., 85 z. D.; 

* Dresden 6. III. 1821; f das. 28. I. — 
VZ 30. I. A. -A.; Schles. Ztg. 1. II. M.-A; 
MZ 1911, 79; LJ 38, 448; MW 1911, 579/8o; 
DZL 981/82. 

MOSCT-Steinitz, Marie von, geb. Moser, ehem. 
Opernsangerin, bes. hervorr. als Wagner- 
Sangerin, 1873 — 80 a. Prager Landesthea- 
ter, vermahlt mit d. Gen. d. Inf. Ed. Ritter 
v. Steinitz; * Wien 1848; f das. 17. V. — 
NTA 1912, 163; EG 693; Neue Zs. f. Musik 
78, 37i. 

Mosfcr, Karl Friedrich, Dr. med. % Geh. Mediz.- 
Rat, Prof. a. d. Univ. Greifswald, 1864—99 
Direkt d. Mediz. Klinik; * Ortenberg 
8. III. 1831; f Greifswald 8. I. — DMW 
37, 128; Chronik d. Univ. Greifswald 25, 
8—10; PBL 1162/63; HBL 4, 292; K 631; 
Mediz. Klinik 7, 247 (Peiper). 

M06SC, Emil, ZeitungsverL, frtih. langj. 
Mitinh. u. Mitleiter d. Fa. Rud. Mosse, 
Mitgl. d. Vorst. d. Berl. Kaufleute u. ln- 
dustriellen; * Posen 1. II. 1854; f Berlin 
14. II. — IZ 136, 326 (P); Allg. Ztg. d. 
Judent. 1911, 87 (P); W 1911, 306, 310 (P). 
♦Mottl, Felix, Geh. Hofrat, kgl. bayer. Gene- 
ralmusikdirekt. i. Miinchen, hervorr. Diri- 
gent, Schiiler u. Mitarb. R. Wagners; 
* Unter-St-Veit b. Wien 24. VIII. 1856; 
t Miinchen 2. VII. — BJ XVI, 72 (A. Ett- 
linger); VZ 3. VII. M.-A.; T 154 (K. 
Krebs), 155 (P); MAZ 114, 457/58 (P. 
Busching), 477/78 (F. M. i. Karlsruhe); 
IZ 137, 14 (A. Smolian m. P); W 1911, 
1 1 16, 1 122; T 1912, 178 (v. Vignau, Persdnl. 
Erinnerungen an F. M.); OR 28, 184—86 
(H. Frh. v. d. Pfordten); Tilrmer Jg. 17, 
H. 11 (K. Storck); Marz 191 1, 2, 83/84 (H. 
Scholz); Sozialist. Monatsh. 15, 2, 997/98 
(H. Leichtentritt); KW 24, 4, 159—62 
(R. Batka); NTA 191 2, 168 (P); Bayreuther 
BL 34, 272 (H. v. Wolzogen), 273/74 (A. 
HCfler, Erinnerungen an F. M.s erstes 



55* 



Totenliste 191 1: Muller— Neldel. 



56* 



Wirken i. Wiener akad. Wagner-Verein); 
BW 19, 2, 380/81 (G. Schauraberg m. P); 
AMZ 1911, 742; Musik 40, 109/110 (E. 
lstel), 179 — 81 (M.-Nekrologie); Zs. d. 
Intern. Musikges. 12, 323/24; Neue Zs. f. 
Musik 78, 422/23 (W. Goetz m. P), 451—54 
(Erinnerungen an F. M.); NMZ 32, 409 — 12 
(A. Richard), 412 (Trauerfeier i. Munchen — 
Feuerbestattung i. Ulm), 413/14 (L. Pohl, 
Anekdotisches aus F. M.s Leben); Siidd. 
Monatsh. Aug.-H. 254 (W. Braunfels), 
Jan.-H. 1912, 488—96 (E. Kilian); R.- 
Wagner- Jahrbuch 4, 202 — 09 (W. Krienitz). 

Miiller, Eugen von, General d. Art., langj. 
Fliigel- u. Generaladjut. d. Groflh. Friedrich 
v. Baden, Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., 1864 Lt., 
68 Ob.-Lt., 70 — 72 auf d. Kriegsakad., 
73 — 75 i. Gr. Generals t, 75 Hauptm., 
77 Lehrer a. d. Art.- u. Ing.-Schule, 84 
Major u. Flugeladjut. d. GroBh. v. Baden, 
90 Oberstlt, 93 Oberst, 97 Generalm., 
1900 Generallt. u. Generaladjut., 04 Gen. d. 
Art, 08 z. D.; * Pforzheim 2. VI. 1844; 
t Karlsruhe 7. I. — VZ 10. 1. M.-A.; W 
191 1 • 168 (P); WI 41 958; DZL 994- 

Miiller, Georg, Prof., Landschaftsmaler; 
* Breslau 5. IX. 1856; f Schmiedeberg i. R. 
20. X. — Schles. Ztg. 21. X. A. -A.; Kchr 
N. F. 23, 53; KFA 27, 148; MS 3, 268 
BMW 2, 109; Schlesien 5, 142 — 44 (P). 

MUBer, Karl Friedrich, Dr. phil, Prof., Gymn.- 
Oberl. i. Kiel, Reuterforscher, auch auf d. 
Geb. d. klass. Philol. vielfach literar. tatig, 
hat sich auch um d. Pflege d. Musiklebens 
u. um d. Einrichtung von Volksunterhalt.- 
Abenden mannigfache Verdienste erwor- 
ben; * Aurich 28. VII. 1844; t Kiel 18. IV. 
— VZ 19. IV. M.-A.; LE 13, 1207; KL 
191 1, 1 148 (W). 

♦Milliner, Laurenz, Dr. phil. % Prof. d. Philos. 
u. Asthetik a. d. Univ. Wien; * GroB- 
Grillowitz i. Mahr. 29. VII. 1848; f Meran 
2 8. XL. — BJ XVI, 129 (J. Prenner); 
VZ 29. XL A. -A.; KL 1911, 1163; KR 1912, 
369 (W); Wl 4, 966. 

MOnsterberg, Emil, Dr. twr., Stadtrat, Leiter 
d. Berlin. Armenwesens, frUh. Burgerm. 
v. Iserlohn, Reorganisator d. Hamburg. 
Armenwesens; * Danzig 13. VII. 1855; 
f Berlin 25. I. — VZ 25. I. A. -A.; T 24 
(P); DJZ 16, 266 (Kohne); Hilfe 191 1, 66; 
AF 49, 126/27; KJ 38, 663; KL 1911, 1166 
(W); P. Felisch, Gedachtnisrede auf Stadtr. 
Dr. E. M. Leipzig 191 1 ; Blatter f. Hamburg. 
Armenwes. 1911, 11; Concordia Jg. 18, 69 
(A. Levy); Mediz. Reform 19, 53 (R. Lenn- 
hoff); Volkswohl 191 1, Nr. 7; Zeitschr. f. 
Armenwes. Jg. 12, 34—39- 

Muetch, Leo, Bildhauer, bes. bekannt s. 
Jubilaums-Brunnen i. Elberfeld u. s. Peter- 



Cornelius- Bnlnnen i. Diisseldorf ; * Diissel- 
dorf 26. II. 1846; t das. 6. 1. — KFA 26, 240; 
MS 3, 268. 
Mutt, Christian, Dr. phil. % Geh. Reg.-Rat, 
Prof., Rektor d. Kgl. Landesschule Pforta 
u. o. Hon. -Prof. f. Padag. u. klass. Philol. 
a. d. Univ. Halle, ausgez. Schulmann; 

* Treffurt a. d. Werra 14. VIII. 1841; f 
Naumburg 6. IV. — VZ 7. IV. M.-A.; IZ 
136, 696 (P); KL 191 1, 1143/44 (W); KJ 
38, 662; WI 4, 968 (W); Chronik d. Univ. 
Halle f. 1911/12, 6 — 10; Humanist. Gymn. 
22, 99—103 (G. Uhlig); Neue Jahrb. f. d. 
klass. Altert. 28, 457 — 74 (Br. Kaiser); 
JAW Biogr. Jahrb. 19 12, 145 ff.; Ecce d. 
Kgl. Landesschule Pforta f. Chr. M. Naum- 
burg a. S. 191 1 ; Pahncke, Ein Gedenkbl. 
auf Chr. M.s Grab. Predigt o. O. u. J.; 
Fr. Polack, Erinnerungen an einen Unver- 
geBlichen. Gedenkbl. auf d. Grab d. Dr. 
Chr. M. o. O. u. J. 

Munzinger, Karl, Dr. phil., Ding. d. Berner 
Liedertafel, d. Cacilienvereins u. d. Musik- 
gesellsch., Direkt. d. Musikschule i. Bern, 
Komponist von Chorwerken, hochverdient 
um d. Entwicklung d. Berner Musiklebens; 

* Balsthal, Kant. Solothurn 23. IX. 1842; 
t Bern 10. VIII. — Musik 1. Sept.-H. S.VII; 
Neue Zs. f. Musik 78, 507; R 963. 

Nagel, Wilibald, Dr. med. et rer. not., Prof. u. 
Direkt d. Physiolog. Instituts a. d. Univ. 
Rostock; * Tubingen 19. VI. 1870; f Ro- 
stock 13. I. — DMW 37, 176, 461/62 (W. 
Trendelenburg m. P); BKW 48, 366/67 
(R. du Bois-Reymond); UK S.-S. 19", 
1, 320; AD 3, 39; DZL 1005/06; Wiener 
klin. Wochenschr. 24, 217 (Durig). 

Nagele, Anton, Realschul-Direkt. a. D. v 
Feuilletonist u. Schriftst. auf d. Geb. d. 
Geschichte, Polit. u. Padag.; * Bozen 
1. XL 1 851; f Innsbruck 28. I. — 
KR 1911 334 (W); 1912 TL; KL 1911, 
1173. 

Natzmer f Friedrich Ernst von, Gen.-Lt. 
z. D., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. 
d. 13. Div. i. Munster, 06 z. D.; * Raden 
27. II. 1852; f Berl.-Charlottenburg 3. XII. 
— VZ 4. XII. A.-A., 5. XII. M.-A.; OA 
1908/09, 1055 . 

Negelein, Max von, Geh. Reg.-Rat u. Landrat, 
seit 1898 M. d. A., konserv.; * Gr.-Strehlitz 
29. IX. 1852; f Marburg 17. IV. — VZ 
18. IV. M.-A.; OA 1908/09, 1058; HA 1908, 
413, 487 (P). 

Nebchel, Adalbert, Dr. phil. t bayer. Major 
2u D., bek. Hshlenforscher; * MOnchen 12. 
IV. 1853; f Nurnberg 13. 1. — IZ 136, 146; 
Bayerland 22, 229 (A. Sieghardt m. P); 
PM 57, 81; GK 1912, 60. 

NeJdel, Karl, BaObuffo a. Stadttheater L 



57" 



Totenliste 191 1 : Nefller — Papke. 



58* 



Koln; * Hannover 22. V. 1863; f Koln 
20. VI. — NTA 1912, 165; EG 712. 
Nefller, Henry, Generalm. a, D., Ritter d. Eis. 
Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 162. Inf.-Reg.; 

* Berlin 25. I. 1851; f Liibeck 16. I. — 
VZ 18. I. M.-A.; OA 1908/09, 1061. 

Neumann, Johann Adalbert von, Ritterguts- 
bes., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, seit 1879 
M. d. A., konserv.; * Hanseberg 9. V. 1839; 
f das. 8. I. — VZ 9. I. A. -A.; OA 1908/09, 
1064; HA 1908, 414, 487 (P). 

Neumann, Julius, ehem. bad. Hofschausp., 
bed. Heldendarst.; * Alt-Ofen 4. VI. 1827; 
t Wiesbaden 7. VIII. — NTA 1912, 171/72. 

Niemeyer, Max, Dr. phtL h. c, Verlagsbuchh.; 

* Halle a. S. 2. VL 1841 ; f das. 17. VI. — 
VZ 18. VI. M.-A.; DZL 1023/24; Beitrage 
z. Gesch. d. deutsch. Spr. u. Lit. Bd. 37, 
341—47 (W. Braune); BB v. 21. VII. 

Nlethammer, Friedrich Frh. von, Wirkl. Geh. 

Rat, bayer. Reichsrat, Kamm. u. Stadtrat, 

Gesandter a. D.; * Milnchen 26. I. 1831; 

t Schl.-Tunzenberg b. Mengkofen i. Nied.- 

Bay. 4. VII. — VZT; OA 1908/09, 1075; 

DZL 1025/26; FT 1909, 561. 
Norman-Neruda (Hall6), Wilma, geb. Neruda, 

ausgez. Geigerin, einc d. bed. Virtuosinnen 

d. Gegenwart; * Brttnn 29. III. 1839; 

f Berlin 15. IV. — VZ 18. IV. M.-A.; AMZ 

191 1, 458/59 (O. Lefimann); NMZ 32, 

335/36 (E. Honold m. P); Musik 1. Mai-H. 

S. VII; R 984. 
Nostitz-Rletieck, Karl Erwein Graf, erbl. 

Mitgl. d. osterr. Herrenh., k. u. k. Karnmerh. 

u. Geh. Rat; * Smeczna 22. VI. 1850; 

t Schl.-Plan b. Marienbad 2. X. — NFP 

4. X. M.-BL; GT 191 1, 46. 
Oberl&nder, Heinrich, Prof., kgl. Schausp. a. 

Schauspielh. i. Berlin, bed. dram. Lehrer; 

* Landeshut 22. IV. 1834; f Berlin 30. I. — 
VZ 30. I. A.-A.; T 27 (P); W 1911, 176, 182 
(P); Schlesien 4, 292 (P); BW 13, Nr. 10; 
NTA 1912, 156/57 (P); WI 4t 1003; KL 
1911, 1212 (P); DZL 1036. 

Oberlinder, Philipp von, osterr. Grofiindustr., 

bek. Jager, bes. Tropenjager u. Jagd- 

schriftst.; * Hronov 1865; t Lavalle b. 

Chartum i. Sudan 3. II. — OR 27, 171; 

T 66 (P). 
Oertzen, Anton, Grofih. Mecklb. Oberforstm. 

a. D., 1887—92 M. d. R., konserv.; * Rog- 

gow 7. XL 1836; f Rostock 28. II. — VZT; 

OA 1908/09, 1 100; HPA 1887, 199; UT 

1914, 614. 
Oertzen, Gustav von, friih. deutsch. General - 

konsul i. Havre; * Kittendorf 23. I. 1836; 

t Dresden 22. XI. — VZ 6. XL A.-A.; 

UT 1914, 631. 
Oertzetl, Karl von, Gen.-Lt., Komm. d. 22. 

Div.; * Stralsund 8. 111. 1852; f Kassel 12. 



XL — VZT; OA 1908/09, 1099; UT 1914, 

621. 
•Oettll, Samuel, Dr. theol. h. c. % Geh. Kon- 

sistorialrat, bis 1908 Prof. d. Theol. a. d. 

Univ. Greifswald; * St. Gallen 29. VII. 

1846; f Dlenau i. Bad. 23. IX. — BJ XVI, 

140 (F. Wilke); VZ 28. IX. M.-A.; ELK 

44. 935; Reformation 191 1, 778 — 81 (0. 

Procksch, Gedachtnisrede); KJ 39, 439; 

Chronik d. Univ. Greifswald 26, 6/7 (0. 

Procksch); WI 4, 1000 (W); KL 1911, 1236; 

DZL 1057. 
Oncken, August, Dr. phil. t bis 1909 o. Prof. 

d. Nationalokonomie a. d. Univ. Bern; 

* Heidelberg 10. IV. 1844; f Schwerin i. M. 
10. Vll. — IZ 137, 149; WI 4. 1015; KL 

191 1, 1223 (W); DZL 1046; K 672. 
Osten-HOdebrandt, Rosa von der, geb. Rosa 

Hildebrandt, friih. kgl. sachs. Hofschausp., 
Gattin d. bek. Heldendarst Emil v. d. 
Osten; * Braunschweig 27. X. 1850; f 
Dresden 8. VII. — NTA 1912, 169; EG 

433/34. 
Otzen, Johannes, Dr. phil., Prof. d. Architek- 
tur a. d. Techn. Hochsch. i. Berlin, Mitgl. 
d. kgl. Akad. d. KOnste; * Sieseby i. 
Schlesw. 8. X. 1839; f Berlin 8. VI. — 
VZ 8. VI. A. -A., 9. VI. M.-A. (L. Pietsch); 
T 134 (P)i IZ 136, 1274 (P); W 191 1, 990, 
992 (P); Kchr N. F. 22, 473/74; ZB 1911, 
321 (Vollmer m. P); Bericht d. Techn. 
Hochsch. zu Berlin 1910/11, 4/5; WI 4, 
1025; KJ 39, 440; DZL 1058; K 679; 
Berlin. Architekturwelt 14, 125 (H. Schliep- 
mann); Neudeutsche Bauztg. Jg. 11, 329 
(F. Seesselberg, E. Gedenkwort); Heimat 

191 2, 10 (J. Vollmer). 

Pahst von Ohaln, Rudolf, Gen.-Lt. z. D., 
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. von 
Spandau, 1906 z. D.; * Berlin 6. XII. 1846; 
t Naumburg 27. VIII. — VZ 29. VIIL 
M.-A.; OA 1908/09, 1 1 1 1 ; MZ 191 1, 500; 
DZL 1061/62. 

*Pacher, Ferdinand, Genre- u. Landschafts- 
maler; * Reichenhall 20. II. 1852; f MOn- 
chen 14. V. — BJ XVI, 81 (H. Holland); 
Antiquitaten-Ztg. 191 1, 299 (P.s Gemalde). 

*PalmIf f Charles J., Landschaftsmaler; 

• Oschersleben 22. X. 1863; t Munchen 
14. VII. — BJ XVI, 98 (H. Holland); 
VZ 16. II. M.-A.; T 168 (P); Kchr N. F. 22, 
519; KFA 26, 552 (P); MS 3, 364; SKL 
703; WI 4, 1030; DZL 1063. 

Pabnii, Henry, Kommerzienrat, Mitinh. d. 
Bankh. Gunther u. Rudolph i. Dresden, 
gehbrte d. Verw. zahlr. sachs. u. aufler- 
sachs. A.-G. an; * Merseburg 1. V. 1844; 
t Dresden 21. IV. — JSTG 13, 88. 

Papke, August, Direkt. d. Deutsch- Sudameri- 
kan. Operettentourn^e, ursprgl. Kapitan* 



59" 



Totenliste 191 1: Pappers — Portig. 



60* 



brachte 1906 Jos6 Ferenczys Ensemble d. 

Berliner Zentraltheaters nach Siidamerika 

und bildete hier nach Ferenczys Tode 

mit Josefine Tuscher eine eigene Gesellsch., 

mit der er bahnbrechend f. d. deutsche 

Btihnenkunst i. Siidamerika wirkte; * KOslin 

5. I. 1843; f Antofagasta i. Chile 5. VIII. 
— NTA 1912, 171. 
Pappers, Josef, Red. d. »Volkswart« i. Kdln, 

Belletrist. u. padagog. Schriftst. ; * Aachen 

10. VII. 1877; t K6ln 22. VI. — KR 1911, 

353 (W); 1912 TL. 
Paschen, Karl, Admiral z. D., besuchte 1853 

d. osterr. Marineschule, trat 1867 in d. 

deutsche Marine ein, wo er zuletzt Chef d. 

Marinestation d. Nordsee war, 91 z. D.; 

* Schwerin 9. VI. 1235; f Kiel 24. II. — 

VZ 25. II. A. -A.; T 51 (P); 13, 488 (P); 

OA 1908/09, 1 1 16; WI 4, 1034; LA 77 (W). 
Pekrun, Otto, Fabrikdirekt. i. Coswig, dessen 

Erfindergabe d. Nahmaschinenfabrikation 

eine grofie Anzahl neuartiger Arbeits- 

maschinen verdankt, Erfinder d. »Pekrun- 

getriebe*; * Dresden 1850; f Coswig 22. 1. — 

JSTG 13, 85/86. 
Perger, Richard von, Komponist, Musik- 

schriftst. u. Padagoge, Generalsekretar d. 

Gesellsch. d. Musikfreunde; * Wien 10. I. 

1854; f das. 11. I. — IZ 136, 120; AMZ 

191 1, 85; NMZ 32, 203; Neue Zs. f. Musik 

78, 42; R 1067; WI 4, 1043. 
*Pernat, Franz, Bildnismaler, Schuler von 

Diez u. Lindenschmit; * Munchen 4. VII. 

1853; t das. 20. II. — BJ XVI, 100 (H. 

Holland); Kchr N. F. 22, 276; KFA 26, 336; 

MS 3, 406; SKL 723; MAZ 114, 147 (H. 

Holland); DZL 1081/82. 
Peschmaim, Max, s. Waldenburg. 
PctCT, Bruno, Dr. phil. % ao. Prof. f. prakt. 

Astronom. u. 1. Observator a. d. Univ.- 

Sternwarte i. Leipzig; * Weida i. Sa.-W. 

11. XII. 1853; f Leipzig 21. II. —VZ 22. II. 

M.-A.; GK 1912, 61; PM 57, 136; PF 4, 2 t 

1144 (W); UK S.-S. 1911, 1, 320; WI 

4, 1047. 
Peter, Gustav Jakob, Mitgl. d. Allgem. Gesch.- 

forsch. Gesellsch. d. Schweiz, d. Antiqu. 

Gesellsch. i. Zurich, Privatdoz. f. Schweiz. 

Verf.-Gesch. u. Zurcher Gesch. a. d. Univ. 

Zurich; * Aesch b. Brimensdorf 23. VIII. 

1872; f Zurich 19. VI. — ASG 44, 371; 

Neue Zurch. Ztg. 1911, Nr. 1702 M.-B1. 

(F. Zollinger]). 
Pfaff, Hermann, Dr. iur., Pras. d. ev. Ober- 

kirchenrats i. Osterr., Mitgl. d. Herrenh. 

u. Sektionschef; * Grafenort i. PreuQ.- 

Schles. 1854; f Karlsbad 12. IV. — OR 

27, 498; Schles. Ztg. 19. IV. A.-B1.; Evang. 

Kirchenztg. f. Osterreich 1911, 136. 
Pkhler, Fritz, Dr. phil, Prof. u. Vorst. d. 



epigr.-numism. Kabinetts a. d. Univ. Graz, 
Mitgl. d. Berlin. Archaolog. Ges., auch 
Lyriker u. Balladendichter; * Klagenfurt 
7. VII. 1834; f Graz 1 1. XI. — VZ 13. XL 
M.-A.; HV 15, 152; GK 1912, 61; KL 1911, 
1278 (W); WI 4, 1060 (W); K 704. 

Pletsch, Ludwig, Prof., Schriftst. u. Zeichner, 
bek. Kunstref., langj. Mitarb. d. Voss. Ztg.; 
* Danzig 25. X1L 1824; f Berlin 27. XL — 
VZ 27. XL A. -A., 28. XL M.-A. {M. Rot- 
heit, Kaiser Wilhclm u. L. P. — P. Meyer- 
heim, Ein Abschiedswort), 29. XL M.-A. 
(A. v. Werner, Meine Erinnerungen an 
L. P.); IZ 137, 1026 (P. Lindenberg m. P); 
W 191 i, 2023 (P); LE 14, 349» 479; KL 
191 1, 1280 (W); WI 4, 1061 (W); DZL 
1102/03; KW 25, 1, 444; Kchr N. F. 23, 
107; KFA 27, 196; MS 3, 437/38; BMW 
2, 268; SKL 739; Zs. L bild. Kunst Okt.-H. 
191 1, 26 — 37 (H. Mackowsky, L. P. als 
Zeichner m. 111.); Heimatland 191 1, 37; 
! 9 I2 » 55 (Beziehungen d. Schriftst. L. P. 
z. Eichsfelde); Nord u. Slid Jan.-H. 1912, 
67—72 (A. Klaar). 

Pltner, Maximilian Frh. von, k. u. k. Geh. 
Rat, osterr. Admiral i. R.; * Graz 16. XII. 
1833; t das. 21. X. — VZT; WGK 19", 
2, 226; FT 1909, 611. 

Pltfier, Hermann, Prof., Maler; * Schw.- 
Gmund 5. IV. 1863, f Stuttgart 6. 1. — 
IZ 136, 120; Hilfe 191 1, 30 (Th. Heu0); 
Kchr N. F. 22, 197/98; KFA 26, 240 (P); 
MS 3, 455; WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staats- 
anz, Nr. 6; Schwab. Kron. Nr. 9 u. 13. 

Polllf Robert, hervorr. Ingenieur, Obering. 
b. d. Hapag- u. b. d. Deutsch-Ostafrika- 
Linir, Sachverst. d. Seemaschinisten-Pruf.- 
Komm., i. Seeamt u. i. d. Handelsk. tatig; 

* Insterburg 22. I. 1846; f Gliicksburg a. 
Ostsee 31. 111. — JSTG 13, 86/87. 

Pollack, Heinrich, Dr. iur., Geh. Justizrat, 

Landger.-Rat a, D.; * Gr.-Glogau 14. IV. 

1844; f Berl.-Charlottenburg 6. X. — KL, 

1911, 1294 (W); 1912 TL. 
Poktorff, Karl, Geh. Reg. -Rat, ao. Prof. d. 

pharmaz. Chemie a. d. Univ. GSttingen; 

* Kirchdorf a. Deister 4. III. 1846; f G6t- 
tingen 3. VI. — VZ 9. VI. M.-A.; UK W.-S. 
191 2/13, 1, 332; Chronik d. Univ. Gtfttingen 
1911, 6—8; K 713. 

Polte, Eugen, Dr. ing. h. c. % Kommerz.-Rat, 
Gninder d. Polteschen Armaturen- u. Pa- 
tronenfabrik i. Magdeburg, die er auch 
durch mehrere Erfindungen fdrderte; 

* Magdeburg 12. VII. 1849; f das. 27. V. 
- IZ 136, 1270, 1274 (P); JSTG 13, 95-^97- 

Portig, Gustav, Hofrat, Dr. theol et phiL % 
Schriftst; * Leipzig 1. VI. 1838; f Stutt- 
gart 2. XII. — WJ 191 1 Nekr.; Schwab. 
Kron. Nr. 565; WI 4, 1081 (W). 



6i* 



Totenliste 191 1: Poschinger — Remak. 



62* 



Poschinger, Heinrich von, Dr. iur. t Geh. Reg.- 
Rat, bek. Bismarck-Forscher; * Munchen 
31. VIII. 1845; t La Bollfcne 10. VIII. — 
VZ 10. V1I1. A. -A.; NFP 27. VIII. M.-Bl. 
(A. Kohut, Erinnerungen an H. v. P.); 
LE 13, 1713; IZ 137, 268; KL 1911, 1300. 

PregCT, Theodor, Gymn.-Prof. a. Max-Gymn. 
i. Munchen, gediegener Forscher, bes. auf 
d. Gebiete d. Archaolog. u. Inschriftenkde. ; 
* Munchen 24. V. 1866; f das. 18. XII. — 
JAW Biogr. Jahrb. 1912, 134 — 43 (0. Hey 
m. W). 

Prietze, Hermann, Geh. Bergrat, 1901 — 03 
M. d. R., nationallib. ; * Berge, Kr. Oster- 
burg 8. VIII. 1839; f Goslar 10. II. — 
VZ 11. II. A. -A.; RH 1898, Nachtr. 1902, 

17. 
PrSlB, Johannes, Dichter u. Literarhist, 
1880—89 Feuilleton-Red. d. Frankf. Ztg., 
spater Beirat d. Verlagsges. »Union«, einige 
Jahre auch Red. d. »Gartenlaube«; * Dresden 
4. VI. 1853; f Degerloch 20. IX. — VZ 
21. IX. A. -A.; IZ 137, 513; NTA 1912, 172; 
LE 14, 145; KL 1911, 13M/15 (W); WI 

4, 1092 (W); WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. 
Staatsanz. Nr. 221 ; Schwab. Kron. Nr. 441. 

Puchsteln, Friedrich David, Dr. med. % Geh. 
Sanitatsrat; * Cammin i. Pom. 7. IV. 1844; 
f Berlin 19. VI. — VZT; GK 1912, 61; 
PM 57, 192; OA 1908/09, 1 172. 

Puchsteln, Otto, Dr. med. y Prof., Generalsekr. 
d. Deutsch. Archaol. Ins ti tuts; * Labes 
i. Pom. 6. VII. 1856; f Berlin 8. III. — 
VZ 10. III. A. -A.; T 64 (P); FZ 16. III. 
1. M.-Bl. (M. Maas); MAZ 114, 177 (Fr. W. 
v. Bissing); Kchr N. F. 22, 311/12; DRG 
33, 442; KL 1911, 1317/18 (W); WI 4, 
1094/95); Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur 

5, 47 — 52 (O. Winnefeld). 

Pilckler, Heinrich Graf von, Kammerh., 
Rittergutsbes., Erbherr auf Burkersdorf, 
sehr verdient um d. Wohltatigkeitspflege 
i. Schlesien; * Ob.-Weistritz 25. IV. 1851; 
t das. 15. I. — VZT; OA 1908/09, 1172; 
GT 1911, 718. 

Quatldt, Emil, Dr. theol, Superint. a. D., 
vorm. Direkt. d. Prediger-Sem. i. Witten- 
berg, zeitweil. Pastor d. deutsch. Gemeinde 
im Haag, hervorr. Prediger; * 1835; 
t Berlin-Lichterfclde 26. I. — KJ 38, 663; 
Pastoralbl. f. Predigt, Katechetik u. kirchl. 
Unterweisung Jg. 53, 449 (An Dr. E. Q.s 
Bahre). 

Radecke, Albert Martin Robert, Dr. phil., 
Prof., frith. Vorst. d. Kgl. Instituts f. Kir- 
chenmusik, Komponist, Pianist, Orgel- 
spieler u. Dirigent; * Dittmannsdorf, Kr. 
Waldenburg 31. X. 1830; t Berlin 21. VI. — 
VZ 21. VI. A. -A.; Schles. Ztg. 22. VI. 
M.-A.; IZ 137, 35 (A. Smolian m. P); W 



191 1, 1074, 1081 (P); NTA 1912, 167; AMZ 
191 1, 718/19 (Misch m. P); Musik 2. Juli-H. 
S. VII; NMZ 32, 403; Neue Zs. f. Musik 
78, 408 (L. Frankenstein); R 11 37; D. 
Stimme 5, 344 (W. Hastung). 
Randow, Hermann von, Gen.-Lt. z. D. f 
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 
24. Inf. -Brig., 1903 z. D., auch Schriftst,; 

* Naucke, Kr. Ols 29. 1. 1847; t Bad Nau- 
heim 6. VIII. — VZ 9. VIII. M.-A.; OA 
1908/09, 1 185; Schlesien 4, 646; KL 191 1, 

1329. 

Recke von der Horst, Eberhard Frh. von 
der, Dr. phil. h. c. f friih. preufi. Minister 
d. Innern, Oberpras. von W r estfalen, Kura- 
tor d. Univ. Munster, Chef d. Dortmund- 
Ems- Kanalverwaltung; * Berlin 2. IV. 
1847; t Munster 16. II. — KVZ 17. II. 
M.-A.; T 43 (P); IZ i36 f 326 (P); SE 31, 
*■ 372 (P); AF 49, 128; Chronik d. Univ. 
Munster 1910/11, 7; WI 4, 1114; DZL 
1151/52; FT 1912, 606. 

Reckendor!, Alois, Prof., Lehrer f. Klavier- 
spiel u. Theorie a. Leipz. Konserv.; * Tre- 
bitsch i. Mahr. 10. VI. 1841; f Leipzig i. 
April. — Musik 1. Mai-H. S. VII; R 1150. 

Regekberger, Ferdinand, Dr. iur., Geh. 
Justizrat, Prof. a. d. Univ. Gottingen; 

* Gunzenhausen 10. IX. 1831; f G6ttingen 
2. III. — VZ 3. III. M.-A.; UK S.-S. 191 1, 
1, 320; AD 2, 4 (W); WI 4, mo; KL 1911, 
1337 (W); DZL 1153/54; Chronik d. Univ. 
Gottingen 1910, 9/10; DJZ 16, 523/24 
(Kipp); Zur Rechtspflege i. Bayern 191 1, 
6 (v. d. Pfordten); K 733; Schweizer Ju- 
risten-Ztg. 191 1, 373 (H. F. Hitzig); 
Iherings Jahrb. 2. F. Bd. 24, 1 — 37 
TKnocke); Akad. Monatsh. 27, 90. 

Rachel, Wilhelm, Kommerz.-Rat, Verl. <L 
Augsb. Allgem. Ztg., 1900 — 04 lib. Landt- 
Abg., Mitgl. d. Handelsk. u. d. Gemeinde- 
kolleg.; * Augsburg 11. III. 1849; f Parten- 
kirchen 29. IX. — VZT; OA 1908/09, 1203. 

Reidelbach, Hans, Dr. phil., Prof., Hofrat, 
Realschull., schrieb patriot. Literatur u. 
vaterl. Geschichte; * Oberriedenberg 8. III. 
1847; f Munchen 24. IV. — Bayerland 22, 

535. 
ReiflJnger, Karl, Mitgl. d. 6sterr. Landt., 

deutsch-national, Pras. d. Handelsk. i. 

linz; * Wien; f Karlsbad 30. VII. — 

NFP 31. VII. A.-B1. 
Remak, Ernst Julius, Dr. med., Geh. Med.- 

Rat, Nervenarzt, Prof. a. d. Univ. Berlin; 

* Berlin 26. V. 1849; f Wiesbaden 24. V. — 
VZ 27. V. M.-A.; DMW 37, 1230 (T. Cohn 
m. P); BKW 48, 1020, 1067 (M. Bern- 
hardt); Chronik d. Univ. Berlin 25, 8; 
AD 3, 166 (W); PBL 1362/63 (P); HBL 
4, 703; WI 4, "28; KL 1911, 1354 (W); 



6 3 * 



Totenliste 191 1: Reufl — Rudolph* 



64* 



K 739; Zeitschr. f. mediz. Elektrologie 
Bd. 13, 33. 

RetlB, Eduard, Prof. u. Lehrer a. kgl. Konserv. 
zu Dresden, bek. Wagner- Schriftst., Schuler 
von Liszt, treffl. Pianist; * New York 16. 
IX. 1851; t Dresden 18. II. — VZ 18. II. 
A. -A.; IZ 136, 326/27 (P); W 1911, 426 (P); 
Bayreuther Blatter 34, 146 (H. v. Wol- 
zogen); AMZ 1911, 367/68 (P. Marsop); 

1 Neue Zs. f. Musik 78, 141/42 (K. Mey); NMZ 
32, 257 (O. Urbach m. P). 

ReuB, F r i e d r i c h Wilhelm Ludwig, Dir. 
d. Gymn. i. Wesel, erfolgr. Schulmann, ge- 
diegener Forscher, der seine wiss. Tatigkeit 
bes. d. griech. u. rom. Geschichtsschreibung 
gewidmet hatte; * Lohrhaupten i. Spessart, 
Kr. Gelnhausen 9. II. 1853; f Wesel 16. II. 
— JAW Biogr. Jahrb. 1912, 108—117 (U. 
Hoefer m. W). 

ReuB j. L. f Heinrich XVIII. Prinz, General 
d. Kav., Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1867 Lt. t 
72 Ob.-Lt., 77 Rittm., 83 Flugeladjut 
Kaiser Wilhelms I., 88 Oberstlt. u. Komm. 
d. 17. Drag.-Reg., 90 Oberst, 93 Generaim. t 
97 Gen.-Lt. u. Komm. d. 14. Div., 02 Gen. 
d. Kav.; * Leipzig 14. V. 1847; f auf der 
Eisenbahnfahrt zw. Schweinfurt u. Wurz- 
burg 15. VIII. — VZT; IZ 137, 306 (P); 
WI 4, A, 28; HK 1914, 72. 

ReuB, Heinrich XXV. Prinz; * Jankendorf 
27. VIII. 1856; f Gr.-Krausche 25. VIII. — 
VZT; WI 4, A, 28; HK 1914, 72. 

Richter, Balduin, Maler, Kustos d. herzogl. 
Lindenau-Mus. i. Altenburg; * Altenburg 
24. IX. 1846; t das. 23. V. — VZT; WI 
4. 1 139. 

Richter, Paul, Gymn. -Prof. i. Quedlinburg, 
Geologe, Verf. d. »Beitrage z. Flora d. 
Kreide*; * Gr.-Luja b. Spremberg 12. XII. 
l8 53; t Quedlinburg 9. X. — GK 1912, 61 ; 
PM 1911, 2, 341; Geolog. Magaz. 8 t 11, 528. 

Richthofen, Ludwig Frh. von, Geh. Justizrat, 
friih. Korpsauditeur d. G.-Korps; * Lesch- 
nitz 5. V. 1837; f Warmbrunn 8. X. — 
VZ 12. X. M.-A.; Schles. Ztg. 11. X. M.-A.; 
OA 1908/09, 1229; FT 1909, 670. 

Ricketlbach, P. Heinrich, Benediktiner, theol. 
Schriftst.; * Arth, Schwyz 20. II. 1831; 
t Einsiedeln, Schwyz 19. IV. — KR 1911, 
389/90 (W); 191 2 TL. 

*Rlehl, Berthold, Dr. phil, Prof. d. Kunst- 
geschichte a. d. Univ. Munchen, Sohn d. 
ber. Kulturhist.; * Munchen 10. VI. 1858; 
t das. 5. IV. — BJ XVI, 203 (A. Dreyer); 
VZ 6. IV. A. -A.; MAZ 114, 333/34 (W. Zils, 
Nachtragliches lib. B. R.); IZ 136, 696 (P); 
Kchr N. F. 22, 346; DBZ 45, 1, 244; Bayer- 
land 22, 534/35; Chronik d. Univ. Munchen 
1910/11, 14/15; HV 14, 463; WI 4, "45 
(W); KL 191 1, 1369; K 749. 



Riensberg, Karl, techn. Direkt. d. Briicken- 
bau Flender-A.-G., montierte d. grofie Elb- 
briicke b. Hamburg, d, Levensauer Hoch- 
briicke, d. Hamb. Hauptbahnhof, d. 1. 
Luftschiflhalle i. Friedrichshafen u. a. m.; 
* Rugenwalde i. Pom. 25. X. 1861; f Frei- 
burg i. B. 15. VIII. — JSTG 13, 99/ioo; 
SE31, 2, 1652 (P). 

Rleth, Otto, Prof., Architekt, fnih. Prof, a, 
Berl. Kunstgewerbemus. ; * Stuttgart 9. VI. 
1858; t das. 10. IX. — VZ 19. A.-A.; T 223 
(P); Kchr N. F. 23, 5; DBZ 45* 662/63; 
WJ 1911 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 213; 
Schwab. Kron. Nr. 422; Architekton. 
Rundsch. 28, 13 (Dellinger, O. Rieth als 
Architekt, Maler u. Bildhauer). 

Rieve, Johannes, Konteradmiral u. 2. Ad- 
miral d. 1. Geschwaders; * 24. IX. 1862; 
t Berlin 26. X. — VZ 28. X. M.-A.; D 14, 

188; w 191 1 ; 1923 (P). 
Ritter, Josef, ehem. Hofopernsanger i. Wien, 

bed. Mozart- Sanger; * Salzburg 3. X. 

1859; f das. 21. VI. — NTA 1912, 166/67; 

EG 834/35; IZ 137, 21; Musik 2. Juli-H. 

S. VIII. 
Rohrscheidt, Paul von, Generalm. z. D., Ritter 

d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 83. Inf.- 

Brig.; * Striegau 10. V. 1850; f Berlin 

16. VI. — VZ 17. VI. A. -A.; Schlesien 4, 

562; OA 1908/09, 1251. 
Roon, Ludwig von, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.- 

Rat, fruh. Senatspras. a. Oberverw.- 

Gericht; * Dusseldorf 2. IX. 1834; f das. 

9. VIII. — VZ 10. VIII. M.-A.; OA 1908/09, 

1255- 
*Rose, Julius, Landschaftsmaler; * Konigs- 

briick b. Dresden 24. X. 1828; f Munchen 

23. X. — BJ XVI, 101 (H. Holland). 
Rosenberg, Hermann, Grofih. Bad. Kammer- 

sanger, Vertr. d. Bel canto a. d. Karlsr. 

Hofbuhne; * Bukarest 15. XII. 1849; 

t Karlsruhe 18. V. —NTA 1912, 163; EG 

847; NMZ 32, 363. 
Rosenstelner, Hans, Musikdirekt., bis vor 

kurzem artist. Direkt. d. steiermark. Musik - 

vereins i. Graz; * Baden b. Wien 1. X. 

1862; f Wien 2. IX. — NMZ 33, 20; Neue 

Zs. f. Musik 48, 535. 
Rothschild, Albert Frh. von, Chef d. Wiener 

Hauses; * Wien 29. X. 1844; f das. 11. II. — 

NFP 11. II. A.-B1., 12. II. M.-B1.; T 39 

S>); W 191 1, 264, 266 (P); IZ 136, 326 (P); 
R 27, 77; Ost u. West 1911, 222/53 (P); 
FT 1909, 694; Osterr. Volkswirt 191 1, 385; 
D. Welt 191 1, 139 (J. Loewy). 
Rudolph, Ferdinand, kgl. preufi. Opernsanger 
u. Schausp. a. D., gleich bed. als Schausp. 
wie als Sanger, 1872 — 1904 a. Hof theater i. 
Wiesbaden; * Koburg 17. V. 1840; f Wies- 
baden 23. V. — NTA 1912, 164; EG 854. 



65* 



Totcnliste 191 1: Rttdt von Collnberg — Schede. 



66* 



Riidt VOfl Collenberg, Eduard Frb. f Generalm. 
a. D. t Ritter d. Eis. Kr. 2. KI. f zul. Komm. 
d. Landw.-Bez. Hannover; * Mannheim 

11. VII. 1849; f SchL-Eberstadt i. Bad. 

12. II. — VZ 18. II. A. -A.; OA 1908/09, 
1274; FT 1912, 668. 

Rtlge, Hans, Dr. med., Prof., Privatdoz. d. 

inneren Mediz. u. Balneologie a. d. Univ. 

Berlin; * Berlin 3. I. 1867; t das- 8. XI. — 

VZ 10. XL M.-A.; DMW 37, 2144; Chronik 

d. Univ. Berlin 25, 9; AD 3, 88 (W). 
Rltmmel, Anton von, WUrtt. Generalm. z. D., 

Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 

125. Inf.-Reg.; * Ulm a. D. 13. VIII. 1841; 

t Miinchen 10. IV. — VZT; OA 1908/09, 

1276; WJ 191 1 Nekr. 
Rumpf, Anton Karl, Bildhauer, Schuler 

Schillings; * Frankfurt a. M. 24. III. 

1838; f das. 9. V. — VZ 10. V. M.-A.; 

Kchr N. F. 22, 411; MS 4, 134. 
Rundnagel, Karl, Hof organist u. Kammermus. 

a. D., vorziigl. Bratschespieler, Komponist; 

* Hersfeld 4. IV. 1835; t Kassel 2. II. — 
HL 25, 59/60 (J. Lewalter). 

Runge, Paul, Hrsg. d. » Sangesweisen d. Col- 
marer Hs.«, der »Gesange d. Geister d. Pest- 
jahres 13494 u. d. Lieder d. Hugo v. Mon- 
fort u. d. Melodien d. Burk Mangold; 

* Heinrichsfeld i. Pos. 2. I. 1848; f Colmar 
i. E. 4. VII. — Zs. d. Intern. Musikges. 
12- 323; NMZ 32, 442; Neue Zs. f. Musik 
78, 456; R 1217/18. 

Saalfeld, Gunther, Dr. phiL, Mitbegr. u. 
Vorst-Mitgl.d.Allgem. deutsch. Sprachver., 
Verf. eines Fremd- u. Verdeutschungs- 
Worterbuches, friih. Oberlehrer; * Hamburg 
10. IV. 1852; f Berlin-Friedenau 2. II. — 
VZ 3. II. A. -A.; Zs. d. Allgem. deutsch. 
Sprachver. Jg. 26, 69/70 (H. Dunger); 
LE 13, 840; WI 4, 1 188 (W); KL 191 1, 
1417/18 (W). 

Sabel, Robert, Rektor, schles. Dialektdichter, 
sammelte auch Marchen u. Sagen d. Hei- 
mat; * Lindenau, Kr. Grottkau 4. V. i860; 
t Breslau 19. IX. — Oberschlesien io, 
336/37 (R. Kndtel); Schlesien 5, 35—37 
(P); BR 6, 95 (W). 

* Salomon, Ludwig, Dr. phil., Dichter, Jour- 
nalist, Literar- u. Kulturhist, friih. Chefred. 
d. Elberf elder Ztg.; * Gorden b. Elster- 
werda 25. XL 1844; f Dornburg b. Jena 
19. XL — BJ XVI, 61 (F. Zilcken); VZ 
21. XL A.-A.; LE 14, 439; HV 15, 152; 
KL 1911, 152; WI 4, ii95 (W); BR 3, 
385 (W). 

1 )Saba U. Ucttenau, Hermann Frh. von, kgl. 
sachs. Gen. -Major a 1. s. d. Kdnigs, 



*) IrrtUmlich schon in d. TL L 1910 auf- 
genommen. 

Biogr. Jahrbuch u. Dcutschcr Nekrolog". 16. Bd. 



sachs. Militarbevollm. i. Berlin; * Dresden 
3. IX. 1858; f Berlin 15. XII. — VZ 16. 
XII. M.-A.; MW 1912, 463; FT 1912, 670. 

SartKBCh, Siegfried, Schriftst. u. Journalist., 
30 J. lang Red. d. »Nationalztg.«; * Breslau 
1. III. 1846; f Berlin-Wilmersdorf 18. I. — 
VZ 19. I. A. -A.; LE 13, 761; IZ 136, 210; 
KL 191 1, 1426 (W); W 4, ii97 (W); BR 
3, 387 (W). 

SartortllS, Otto, Gutsbes. i. MuBbach, 1903 
bis 1906 M. d. R., Mitgl. d. freis. Volksp.; 

* Darmstadt 16. L 1842; f Mufibach 24. I. 
— VZT; RH 1903, 308; Ber. lib. Best. u. 
Wirken d. hist Vereins zu Bamberg Bd. 69, 
260 (C. Spielmann). 

Sauer, Karl Theodor von, General d. Art, 
Au tori tat auf d. Geb. d. Festungskrieges, 
Schriftst, 1853 Lt, 63 Ord.-Offizier KGnig 
Maximilians, 64 — 73 Fliigeladjut Ludwigs 
II., 76 Komm. d. 2. Fufi-Art.-Reg., 82 
Generalm. u. Komm. v. Germersheim, 88 
Gouv. u. Generallt v. Ingolstadt, 93 Gen. 
d. Art, 95 z. D.; * Innsbruck 20. XII. 1834; 
t Miinchen 19. V. — VZ 21. V. M.-A.; MZ 
19H,304;LJ38,449;MW 1911, 1601—05; 
Artillerist Monatsh. Juni-H.; Bayerland 
22, 618/19 (K. v. Landmann m. P); OA 
1908/09, 1293; DZL 1235. 

Sayn-Wlttgensteln-Berleburg, Otto Prinz, 
Gen.-Lt. a 1. s. d. GroBh. v. Sachsen; 

* Darmstadt 23. XL 1842; f Rottach 9. 
V. — WI 4, 1205; HK 1914, 194. 

Schall, Karl von, Dr. iur. f Wirkl. Staatsr., 
Mitgl. d. WUrtt. 1. Kammer; * Waldsee, 
Wurtt 26. V. 1843; t Stuttgart 20. II. — 
VZT; WJ 191 1 Nekr.; Wurtt Staatsanz. 
Nr. 43 u. 46; Schwab. Kron. Nr. 86 u. 91; 
WI 4, 1209. 

Schaper, Hermann, Kirchen- u. Historien- 
maler, auch an d. AusschmUckung d. 
Kaiser Wilhelm-Gedachtniskirche beteiligt; 

* Hannover 3. X. 1853; f das. 12. VI. — 
VZ 13. VI. M.-A.; KVZ 14. VI. Mitt-A.; 
IZ 136, 1324; DBZ 45. I, 4o8; ZB 191 1, 
309/10; MS Nachtr., 250; BMW 2, 533; 
KJ 39, 440; WI 4, 121 1. 

Schatte, Karl Frh. von, Bayer. Ob.-Landes- 
Gerichts-Rat a. D.; * 29. VIII. 1837; 
t Traunstein 13. III. — FT 1909, 721; 
191 2, 964. 

Schaimburg~Lippe, Georg Fiirst, Edler Herr 
zur Lippe, Graf zu Schwalenberg u. Stern- 
burg, preufi. Gen. d. Kav.; * Buckeburg 10. 
X. 1846; f das- 29. IV. — VZ 1. V. M.- 
A.; T 103 (P); IZ 136, 869 (P). 870; MZ 
1911,263; 13, 614; W i9ii,733(P);HK 
1914. 89. 

Schede, Ludwig, Generalm. z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. n. Fufi- 
Art-Brig.; * Greifswald 25. III. 1842; 

26 



67* 



Totenliste 191 1: Scheidlein — Schmitt. 



68' 



f Rhcydt 6. III. — VZ 9. III. M.-A.; 
OA 1908/09, 1308. 

Scheidlein, Casar Edler von, Schriftst. u. 
Dichter, verf. Romane, Gedichte u. Humo- 
ristika, Hrsg. d. Zs. »Naturlichere Heil- 
methoden*; * Wien 24. IV. 1842; f &**• 
5. II. — KL 1911, 1451 (W); 1912 TL. 

Schenck, Hermann von, Gen.-Lt. z. D. t 
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 
21. Div. i. Diisseldorf; * Potsdam 17. III. 
1824; t Berlin 4. H- — VZ 5. II. M.-A.; 
OA 1908/09, 1313. 

Schepers, Friedrich, Dr. iur. h. c, Gen. Ob.- 
Justiz-Rat, Senatspras. a. Kammergericht, 
stellvertr. Vors. d. Prtifungs-Komm. ; 
t Berlin 20. VI. 64 J. alt. — VZ 22. VI. 
M.-A. 

Scherft,Wilhelm Jonkheer von, General d. Inf., 
bed. Milit.-Schriftst., Ritter d. Eis. Kr. 
1. KL, 1852 Lt., 57 — 59 auf d. Kriegsschule, 
60 Adjut., 64 Hauptm., 66 i. Generalst., 
69 Major, 75 Chef d. 1. Abt. d. Grofi. 
Generalst., 78 Komm. d. 29. Inf.-Reg., 82 
Chef d. S tabes d. 11. A.-K., 83 General m., 
84 Komm. d. 41. Inf. -Brig., 88 Generallt. 
u. Komm. d. 33. Div., 89 Komm. d. 18. 
Div., 91 z. D. als General d. Inf.; * Frank- 
furt a. M. 16. II. 1834; f Naumburg 16. IV. 

— VZ 22. IV. A. -A.; MZ 191 1, 241/42 (W); 
LJ 38, 449/5o; MW 191 1, 1287—91; OA 
1908/09, 131 6; LA 92/93 (W). 

♦Scheuermann, Ludwig Gustav Wilhelm, 
Landschaftsmaler; * Burghersdorf i. Siid- 
afrika 18. X. 1859; f Herrsching a. Ammer- 
see 1. IX. — BJ XVI, 101 (H. Holland). 

*SctiewitsCh 9 Helene, verw. Racowitza, geb. 
v. Dbnniges, Schausp. u. Schriftst.; 
* Miinchen 21. III. 1845; f MUnchen 1. X. 

— BJ XVI, 198 (A. Dreyer); VZ 3. X. 
A.-A.; LEi4,2i9;Wi9ii v i67od(P);NTA 
1913,149; KL 1911, 1458 (W); DZL1140. 

SchOl, Adolf, Prof., Maler u. Architekt, Lehrer 
a. d. Dusseldorfer Kunstakad., Autoritat 
auf kunstgewerbl. Gebiet; * Stuttgart 14. 
V. 1848; f Dusseldorf 10. XL — VZ 11. 
XI. M.-A.; MS 4, 198; BMW 2 t 557; DBZ 
45, 800; WJ 191 1 Nekr.; Schwab. Kron. 
Nr. 533; DZL 1 26 1. 

Schiller, Mathilde Freifrau von, geb. v. Al- 
berti, Witwe von Schillers Enkel, d. letzte 
Namenstragerin d. geistigen Dynastde, ver- 
dient um d. Marbacher Schiller- Haus u. d. 
Schiller- Museum; * Hohenasperg 30. XL 
1835; f Stuttgart 5. IL — Blatter f, 
htiher. Schulwes. 28, 95/96; W 191 1, 220, 
225 (P); WJ 191 1 Nekr.; WiirtL Staatsanz. 
Nr. 30; Schwab. Kron. Nr. 59; FT 1909, 
732 ; D. alte Glaube Jg. 12, Nr. 25 (R. Schae- 
fer, D. letzte Tragerin d. Schillernamens). 

Schindler, Josef, Dr. theoL, Hofrat, fnih. Prof. 



<L Kirchengeschichte a. d. deutsch. Univ. 

Prag; * Lachowitz, Kr. Eger 23. VI. 1835; 

t Prag 22. II. — VZ 23. II. A.-A.; Wl 4. 

1226; UK S.-S. 1912, 518; Deutsche Arbeit 

io, 542-52 (J. Rieber m. P); K 807; Mitteil. 

d. Vereins f. Gesch. d. Deutsch. i. Bdhmen 

Bd. 49, 389—95 (G. C. Laube> 
Schlnzlnger, Albert, Or. mtd., Geh. Hofrat, 

frtih. Prof. d. Chirurgie a. d. Univ. Freiburg 

i. B.; * Freiburg i. B. 2. II. 1827; f das. 

Ende Juli. — DMW 37, 1448; UK W.-S. 

1912/13. 332; AD 3, 197 (W); Wl 4. 1226 

(W), K 807. 
Schksuig- Hobtein- Sonderburg-Gliicksburg, 

Johann Prinz zu, Dr. phil., dan. Generalm.; 

* Gottorp 5. XIL 1825; f Kopenhagen 
27. V. — VZT 191 1 ; Wl 4, A 61. 

Schleitsener, Georg, bek. Kirchendichter, friih. 
Archidiakonus a. d. Schloflkirche i. Witten- 
berg, Mitbcgr. d. Paul Gerhard- Stifts, zul. 
Superintend, i. Kochstedt, feinsinn. Lyri- 
ker; * Kamberg b. Wittenberg 6. V. 1841; 
t Halle a. S. 20. IV. — VZ 22. IV. M.-A.; 
LE 13, 1207; KL 1911, 1472 (W); BR 3, 
430/31 (W); Wl 4. 1230 (W). 

Schmidt Andreas, Dr. theol. % papstl. Haus- 
pralat, o. Prof. d. Pastoral theol., Homiletik, 
Liturgie u. Katechetik a. d. Univ. Miinchen; 

* Zaumberg 9. L 1840; f Immenstadt 23. 
IV. — KL 191 1, 1478 (W); 1912TL; Bayer- 
land 22, 535; Chronik d. Univ. Munchen 
1910/11, 12—14; K 812; Akad. Monatsbl. 
2 3» ! ^5 (J« E. Scheuermann). 

SchmWmann, Adolf, Dr. med. % Wirkl. Geh. 

Ob.-Rcg.-Rat, Kurator d. Univ. Marburg, 

bis 19 10 vortr. Rat i. Kultusminist., Vors. 

d. deutsch. Vereins f. Volkshygiene, d. 

Vereins f. oflentl. Gesundheitspflege i. 

Berlin, Mitgl. d. Reichsgesundheitsamts u. 

d. Zentralstelle f. Volkswohlfahrt; * Wafi- 

mutshausen, Reg.-Bez. Kassel 13. II. 1851; 

f Marburg 21. V. — VZ 23. V. M.-A.; 

DMW 37, 1229/30 (R. Abel m. P); BKW 

48, 1020; PBL 1513; DZL 1287; Mitteil. 

d. Kgl. Prufungsanst. f. Wasserversorgung 

H. 15, I— IV; Vierteljahrsschr. f. gerichtl. 

Mediz. u. offentl. Sanitatswes. 3. F. Bd. 42, 

I— IV. 
Schmidt, Albrecht, Dr. iur. et theoL h. c, 

Wirkl. Geh. Rat, fruh. Pras. d. Konsist d. 

Prov. Brandenburg; * Laasphe i. Westf. 

19. VII. 1829; f Berlin 27. XII. — VZ 28. 

XIL M.-A.; KJ 39, 440/41; DZL 1278/79. 
Schmidt-Burgk, Johannes, Dr. iur. el med.h.c, 

Geh. Ob.-Reg.-Rat, Chef d. groflh. sachs. 

Gendarmerie, Vors. d. Statist Bureaus; 

* S6tern 23. XL 1846; f Weimar 2. II. — 
Bursch. Bl. 25, 242/43. 

Schmitt, Heinrich, Schriftst. auf d. Geb. d. 
Sozialpolitik u. Hygiene; * St. Johann 



69* 



To ten] is te 191 1: Schneider — Schulenburg. 



70* 



a. d. S. 27. VIII. 1876; f Bitburgi. d. Eifel 
20. III. — KL 191 1, 1497 (W); 191 2 TL. 

Schlldder, Karl August, Geb. Kommerz.-Rat, 
1881—84 M. d. R., nationallib.; * Tauber- 
bischofsheim 27. X. 1837; f Karlsruhe 15. I. 
— VZ 17. I. M.-A.; Nationallib. Parlamen- 
tarier 1866 — 1909, 1909, S. 78/79. 

♦Schneider, Richard, Dr. iur., Grofih. bad. 
Wirkl. Geh. Rat, Oberlandesger.-Pras. 
a. D.; * Ettenheim 2. V. 1823; f Karlsruhe 
3. XL — BJ XVI, 233 (Bujard). 

Schneider, Rudolf, klass. Philologe, bis 1903 
Oberl. a. Konigst&dt. Gymn. i. Berlin, be- 
schaftigte sich vor allem mit d. Kriegswes. 
d. Griechen u. R6mer, mit Casar u. Sopho- 
kles, wirkte bahnbrechend auf d. Geb. d. 
antik. Geschutzkunde u. d. C&sarkritik; 

* Muhlberg a. E. 12. VIII. 1852; f Heidel- 
berg 9. V. — JAW Biogr. Jahrb. 1912, 
99 — 104 (H. Meusel m. W). 

Schoen, Theodor, Hofrat, Kunstschriftst. u. 
Genealoge; * Hamburg 14. IV. 1855; 
t Stuttgart 8. XL — VZ 9. XL A.-A.; KL 
1911, 1513/14 (W); Wurtt. Staatsanz. 
Nr. 265; Schwab. Kron. Nr. 524; WJ 191 1 
Nekr. 

*Schoentadl, Anton Emanuel, Dr. pkil., Prof, 
d. Gennanistik a. d. Univ. Graz; * Rum- 
burg i. Nordbohm. 29. V. 1848; f Schruns i. 
Vorarlb. 25. VIII. — BJ XVI, 256 (E. v. 
Steinmeyer); VZ 26. VIII. A.-A., 27. VIII. 
M.-A.; FZ 30. VIII. A.-Bl. (A. Ritter); 
NFP 26. VIII. A. -A.; LE 13, 1783; 14, 44? 
HV 14, 599; OR 28, 395/96; KL 1911, 1 514 
(W); WI 4, 1257 (W); K 825. 

Sch&lfeld, Franz, Dr. phil., Kommerz.-Rat, 
Inh. d. weltbek. Kiinstlerfarben-Fabrik 
Schonfeld u. Co. i. Diisseldorf, dem d. 
Kunstlerfarbentechnik zahlreiche wichtige 
Neuheiten verdankt; * Diisseldorf u. VIII. 
1834; f das. 6. I. — VZ 8. 1. M.-A.; W 1911, 
212 (P); DZL 1301/02. 

Schotten, Alfred von, Gen.-Lt. z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 1. KL, zul. Komm. d. 6. Inf.-Brig., 
91 z. D.; * Berlin 26. I. 1832; f Luzern 
2. IX. — VZ 7. IX. M.-A.; MZ 191 1, 513; 
OA 1908/09, 1367. 

Schottlinder, Julius, Ehrenburger d. Stadt 
Mtinsterberg, Bes. umfangr. Giiter u. grofier 
industr. Unternehmungen, der aus Anlafi 
s. 70. Geburtstages d. Stadt Breslau 3 Mill. 
M. zu wohltatig. Zwecken spendetr ; * Mlin- 
sterberg 22. III. 1835; f Gut Hartlieb b. 
Breslau 1. 1. — VZ 2. I. A. -A.; Schles. Ztg. 
2. I. A. -A.; Allg- Ztg. d. Judent. 1911, 
Nr. 1, Beil. 2; Schlesien 4, 263. 

Schrader, Heinrkh, Prof., herzogl. Musik- 
direkt., Hof- u. Domorganist, Kompo- 
nist von Orgelstiicken u. Mannerchdren; 

* Jerxheim 13. VI. 1844; f Braunschweig 



30. VII. — VZ 1. VI11. M.-A.; IZ 137, 250; 
Musik 2. Aug.-H. S. VIII; Neue Zs. f. 
Musik 78, 497; R 1 27 1. 

Schrdber, Richard, Geh. Bergrat, Begr. 
d. Kartells d. deutsch. Kaliindustrie; 
♦ Schocken 9. I. 1840; f Berl.-Schlachten- 
see 17. IX. — W 1911, 1632, 1638 (P); 
OA 1908/09, 1380. 

Schrdber, Rudolf von, Wirkl. Geh. Rat, bis 
1909 Ober-Reg.- u. Ministerialrat i. Bayer. 
Minist. d. Innern, verdffentlichte eine 
Handausg. d. Gewerbeordnung u. schrieb 
auch lib. Bankwesen; * Ansbach 1. VII. 
1848; f Landh. Seeheim a. Starnberger See 
22. VI. — Bursch.- Blatter 26, 90—92 (S. 
Giinther m. P); MAZ 114, 417; Kali Jg. 5, 
451 (P. Krische). 

Schreiner, Moritz Ritter von, Dr. iur., MitgL 
d. osterr. Herrenh., einstiger Fiihrer d. 
lib. Partei i. Steierm.; * Graz 1824; f das. 
17. III. — NFP 17. IIL A.-B1.; OR 27, 249. 

*Scliroetter, Hugo, Prof. d. org. Chemie a. d. 
Univ. Graz; * Olmiitz 11. IX. 1856; 
t Graz 7. VII. — BJ XVI, 136 (E. Philippi); 
VZ 8. VII. M.-A.; WI 4, 1272; KL 1911, 
1534; PF 4, 2, 1356 (W); K 835. 

Schubert, Hermann, Dr. phil. % Prof., Dozent 
f. hohere u. niedere Mathem. i. Vorlesungs- 
wesen d. OberschulbehOrde i. Hamburg, 
fruh. langj. Lehrer a. d. Gelehrtenschule d. 
Johanneums, entwickelte eine umfangr, 
schriftst. Tatigkeit; * Potsdam 22. V. 1848; 
t Hamburg 20. VII. — HC 21. VII. A.-A.; 
KL 191 1 1536 (W). 

l ) Schuchardt, Bernhard, Dr. med., Geh. Reg.- 
Rat u. Ob.-Mediz.-Rat, Ehrenvors. d. 
allgem. Srztl. Vereins f. Thiiringen, Ehren- 
mitgl. d. kgl. preufi. Akad. f. gemeinniitzige 
Wiss. zu Erfurt, Fachschrif tst. ; * Teichhof 
b. Kassel 22. V. 1823; t Gotha 9. XII. — 
VZ 10. XII. M.-A.; IZ 138, 2i f 40 (P); 
DMW 37, 2344; PBL 1537/39 (P u- W). 

Schuchmann, Heinrich Frh. von, Oberst a. D., 
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, Generalsekr. d. 
Schles. Vereins f. Pferdezucht u. Pferderen- 
nen, erwarb sich grofie Verdienste um d. 
schles. Pferdezucht; * Auras 9. II. 1851; 
t Breslau 25. VIII. — Schles. Ztg. 26. VIII. 
A.-A.; FT 1909, 757. 

Schtiler, Edmund, Generalm. z. D., hervorr. 
Techniker, zul. Chef d. techn. Abt. i. 
Waffendepart. d. Kriegsminist. ; * Magde- 
burg 2. VI. 1837; t Steglitz 5. I. — VZ 
8. I. M.-A.; OA 1908/09, 1394. 

Schulenburg, Dietrich Graf von der, M. d. H., 
Vors. d. Brandenburg. Provinzial-Landt., 
Landrat a. D., Ehrenkommendator u. 



x ) Irrtiimlich schon in d. TL f. 1910 auf- 
genommen. 



7? 



Totenliste 191 1: Schulenburg-Beetzendorf — Siebold. 



72' 



Werkmeister d. Johannitcrordens; * Schl.- 
Lieberose 15. VIII. 1849; f das. 17. I. — 
VZ 18. I. M.-A.; HH 1907, 341; GT 1911, 
828; WI 4, 1278; DZL 1318. 
Schuknburg-BeetzendcMi, Ernst Friedrich 
Werner Graf von der, M. d. H. f Mitgl. d. 
konstit. u. d. Nordd. Reichst., Erb- 
kuchenmeister d. Kurmark Brandenburg; 

* Beetzendorf, Kr. Salzwedel 1. IV. 1829; 
f das. 5. I. — VZT; IZ 136, 120; KJ 38, 
664; HPA 9. Ausg. 1871, 256; GT 1911, 
831; OA 1908/09, 1393; WI 4, 1279. 

Schtlhe, Ewald, (Pseud.: E. Wald), Dr. phil, 

Schriftst, langj. Hrsg. d. »Nordmark- 

Korrespondenz«; * Magdeburg 27. I. 1857; 

t Kiel 25. V. — VZ 27. V. M.-A.; KL 1911, 

1553. 
Schumacher, Hubert, Stadtmissionar i. Wa- 

rendorf, Westf., Schriftst., Obers. u. 

Dichter; * Hagen, Westf. 4. IX. 1845; 

f Warendorf, Westf., 16. VI. — KR 191 1, 

452 (W); 191 2 TL. 
Schweinkhen, Constantin von, Major a. D. v 

Genealoge, Verf. d. umfangr. Werkes: 
♦Das Geschlecht derer von Schweinichen«; 

* Wasserjentsch, Kr. Breslau 17. Vlll. 1842; 
| Bad Altheide 7. VII. — Schlesien 4, 589. 

Scbwentfeger, Otto, Oberjustizrat, Oberamts- 
richter a. D., 1908 — 10 Vors. d. Leipz. 
Schiller-Vereins, verdient um d. Schiiler- 
Literatur durch Anlegung eines Katalogs 
d. Schiller- Bibliothek i, Schillerhauschen 
zu GohHs; * Leipzig 19. V. 1833; j- das. 
1. VIL - IZ 137, 79. 

Schwfeger, Meinrich, Dr. ing. y Geh. Baurat, 
Direkt. d. Eisenb.-Abt. d. A.-G. Siemens 
& Halske; * Quedlinburg 12. V. 1846; 
t Wiesbaden 16. IX. - WGK 191 1, 2, 
225; DBZ 45, 658; ZB 1911, 494/95 (Kem- 
mann m. P). 

Seckendorff, Max Gebhard Graf, hervorr. 
Journalist, Vertreter d. *New York Tri- 
bune*; * Briissel 1. XII. 1852; f Frankfurt 
a. M. 28. VIII. — VZ 30. VIII. M.-A.; GT 
1911, 858; OA 1908/09, 1426. 

Seebach, Wilhelmine, hervorr. Schausp. u. 
grofie Wohltaterin, Ehrenmitgl, d. Genoss. 
d. Buhnen-Angehdrigen, Stifterin d. Maria- 
Seebach-Stifts i. Weimar, d. Maria- Seebach- 
Stiftung f. arrae Schauspielerkinder »Kin- 
derhort* u. d. Seebach-Schule i. Berlin, 
die d. Kgl. Schauspielhause angegliedert 
Xst u. in der von tiichtigen Kr&ften unent- 
geltlich unterrichtet wird; * Berlin 4. VI. 
1832; f das. 19. V. — VZ 20. V. M.-A.; 
W 1911, 862, 866 (P); IZ 136, 1 1 76 (P); 
NTA 1912, 67—69; BW 13, 9, 218; 14, 1, 
53 — 69 (F. Deibel, W. S.s Autobiographic); 
WI 4, 1305; DZL 1345; EG 954. 

Seeberger, Georg, Kirchenrat u. Dekan i. 



Bamberg, Mitgl. d. Generalsynodal-Aus- 
schusses d. bayer. iSteuersynode*, Verf. d. 
»Handbuchs d. Amtsfuhrung f. d. protest. 
Geistlichen i. Kgr. Bayern*; * Leopoldsgrun 
x. Fichtelgebirge 1848; f Bamberg 1. XII. — 
KJ 39, 44i. 
Sdsetlberger, Michael, Dr. theoL, gebtl. Rat, 
Lyzeal-Prof. a. D. f. Exegese d. Neuen 
Test., Hermeneutik u. bibl. Arch&ologie; 

* Eberspoint 17. XL 1832; f Freising i. 
Bay. 2. VIII. — KL 1911, 1586 (W); 1912 
TL; KR 191 1. 462 (W); WI 4. 13*3 (W). 

♦Scltmann, Karl, Dr. theol, Domkapitular, 
o. Hon. -Prof. d. Theol. a. d. Univ. Breslau; 

* Neustadt i. Schles. 2. IV. 1842; f Breslau 
7. X. — BJ XVI, 127 (F. X. Seppelt); 
VZ 7. X. A. -A.; Schlesien 5, 124; WI 4, 
1316 (W); KL 1911, 1590 (W); KR 1911, 
463 (W). 

Semper, Emanuel, Prof., Bildh., hervorr. 
Portratist, Sohn Gottfried S.s; f Dessau 
16. XL — VZ 16. XL A.-A.; Kchr N. F. 
23, 107. 

Senator, Hermann, Dr. nud. t Prof., Geh. 
Mediz.-Rat, o. Prof. f. Gynakologie a. d. 
Univ. Berlin; * Gnesen 6. XII. 1834; 
t Tegel 14. VIL — VZ 14. VII. A.-A.; T 
165 (P); Allg. Ztg. d. Judent. 191 1, 341, 
364/65 (Scherbel); Jud. Presse 191 1, 379; 
Sozialist. Monatsh. 15, 2, 1058 (B. Chages); 
Aus d. Posener Lande Okt.-H. 191 1 (S. 
Scherbel); Chronik d. Univ. Berlin 25, 7; 
W 191 1, 1204, 1209 (P); WI 4, 1317 (W); 
KL 191 1, 1591 (W); PBL 1585/86 (P); 
HBL 5, 362; AD 3, 83/84 (W); DZL 1358; 
DMW 37, 1444 — 47 (A. Goldscheider m. 
P); MMW 58, 1733 (A. Wolff-Eisner); BKW 
48 f 1406—07 (H. Straufl), 1961—68 (Gold- 
scheider, Ged&chtnisrede); K 862; BZ 29, 
291 [Berlin. Arztekorresp. Jg. 16, 145 (X. 
Rosin); Allgem. mediz. Zentralztg. 80, 406; 
Arztl. Standesztg. Jg. 15, 385(Koritschan); 
Mediz. Klinik Jg. 7, 11 84 (Mosse); Mediz. 
Reform Jg. 19, 290 (R. Lennhoff); Zeitschr. 
f. Krankenpflege Jg. 33, 261 (P. Jacob - 
sohn)], 30, 294 [Ver6ffentl. d. Hufeland- 
schen Gesellsch. i. Berlin 1912, in]. 

Serpenthien 9 Klaudius, Musiklehrer, Cello- 
virtuose u. Liederkomponist, Teilnehmer 
a. Befreiungskampfe Schleswig-Holsteins 
1848; * Rendsburg 13. II. 1825; f San 
Bernardino i. Paraguay 17. XII. — Kieler 
Ztg. 24. IX. M.-A. (Enking). 

Seyfrkd, Hugo, Gen.-Lt. z. D., Ritter d. Eis. 
Kr. 2. KL, zul. Komm. d. 18. Div. i. Flens- 
burg, 92 z.D.;* Mainz 4. IV. 1838; f Kurh. 
Tegel 12. III. — VZ 14. III. M.-A.; OA 
1908/09, 1443. 

*SItbold, Alexander Frh. von, japan. Bot- 
schaftsrat a. D., Vizepras. d. deutsch-engl. 



73' 



Totenliste 191 1: Sieffert — Steinmann. 



74* 



Vers tandigungs- Komi tees; * Leyden 16. 
VIII. 1846; f Pegli b. Genua 23. I. — 
BJ XVI, 154 (A. Graf v. Brandenstein- 
Zeppelin); IZ 136, 380; FT 1909, 779. 

Sieffert, Friedrich Anton Emil, Dr. theol. et 
phil., Geh. Konsistorialrat, o. Prof. d. 
system. Theol. u. d. neutest. Exegese a. d. 
Univ. Bonn; * Kflnigsberg 24. XII. 1843; 
f Bonn 31. X. — VZ 3. XL M.-A.; WI 4, 
1325 (W); ELK 44, 1102; KJ 39, 441; 
Chronik d. Univ. Bonn 37, 6/7 (H. Boeh- 
mer); KL 1911, 1600 (W); DZL 1367; 
Ref. Kirchenztg. 191 1, Nr. 49 (Lang); 
Kirchenmusikal. Jahrbuch Jg. 24, 441. 

Singer, Paul t einfluBr. sozialdemokr. Fuhrer, 
seit 1884 M. d. R., Berlin. Stadtverordn. ; 
* Berlin 16. I. 1844; f das. 31. I. — VZ 
31. L A. -A.; T 28 (P); W 191 1, 176 (P); 
IZ 136, 238 (P); MAZ 114, 73-75 (P- 
Busching); Hilfe 191 1, 82/83 ( F - Nau- 
mann); AF 49, 128; RH 1907, 371, 512 
(P); Neue Zeit 29, 1, 649—52 (Mehring); 
Sozialist. Monatsh. 15, 1, 159 — 62 (M. 
Schippel m. P); WI 4, 1331. 

Smollan, Arthur, Prof., bek. Musikschriftst., 
zul. Musikref. d. Leipz. III. Ztg., auch 
Komponist; * Riga 3. XII. 1856; f Leipzig 
5. XL — VZ 6. XL A. -A.; IZ 137, 909 
(W. Niemann m. P); AMZ 1911, 1158; 
Musik 2. Nov.-H. S. VIII; NMZ 33, 94; 
R 1322; KL 1911, 1614 (W); Signale f. d. 
musikal. Welt 1911, 1565 (W. Niemann). 

Sohmen, Felix, Prof, d indogerm. Sprach- 
wiss. a. d. Univ. Bonn; * Schneidemuhl 
14. VII. 1865; f Mehlem b. Bonn 13. VI. — 
VZ 14. VI. A.-A.; IZ 136, 1324; Chronik d. 
Univ. Bonn 37, 2 — 6 (Jacobi); Aus d. 
Posener Lande Okt. 191 1 (Fr. Rheinsberg); 
KL 1911, 1618 (W); WI 4, 1338. 

Soltau, Franz, Dr. theol., Geh. Konsistorial- 
rat, seit 24 Jahren Superintend, von Lauen- 
burg u. Mitgl. d. Konsist.; * 27. VIII. 
1847; f Ratzeburg 30. IV. — ELK 44, 454. 

Speck V(M1 Sternburjg, Maximilian Alexander 
Frh., bek. Kunstsamml.; * Leipzig 6. XL 
1 821; f Liitzschena b. Leipzig 28. IV. — 
Kchr N. F. 22, 392; FT 1909, 791. 

Sperber, Eduard, Geh. Reg.-Rat, Reg.- u. 
Schulrat a. D., bed. Padagoge, bes. i. 
Religionsunterr., fur den er mehrere aner- 
kannte Lehrbucher schrieb; * Merseburg 
5. III. 1834; f Breslau 23-/24. I. — Schle- 
sien 4, 264. 

Spfelhagen, Friedrich, Dichter u. Schriftst.; 
♦Magdeburg 24. II. 1829; f Berlin 25. II. — 
VZ 25. II. A. -A.; Berl. Tagebl. 25. II. 
A.-A. (P. Schlenther); NFP 26. II. M.-Bl. 
(St. Hock); T 50 (P); W 191 1. 345—46 
(K. Frenzel), 351 <F); IZ 136, 379/80 (P); 
MAZ 114, 146/47; Hilfe 191 1, 141 (H. 



Kienzl); KW 24, 2, 392/93; LE 13, 913, 953 
-956; KL1911, 1630 (W); BR 6, 477/78; 
WI 4. 1349 (W); DZL 1393/94; Bursch. 
Blatter 25, 272/73; Bl. f. hoher. Schulwes. 

28, 139/140 (H. Sudermann an d. Bahre 
F. S.s); Sozialist. Monatsh. 15, 1, 349; 
Westerm. Monatsh. Mai 191 1, 356* — 60 (E. 
Mensch, Erinnerungen), April 191 1, 276 
(F. Dfusel] m. P); Velh. u. Klas. Monatsh. 
Mai 191 1, 124 — 28 (v. Zobeltitz, Persdnl. 
Erinnerungen); BZ 28, 310 [Gartenlaube 
191 1, Nr. 12 (A. Heilborn); Hochland 
April-H. 48 — 61 (M. Behr); Heimgarten 
35, 608 — 15 (Briefe von F. S. an d. alten 
Heimgartner); Masken v. 13. III. (A. W. 
Kahle); Tiirmer April-H. 48 (K. Storck)], 
30, 300 [Grenzboten 191 2 f Nr. 5 (V. Klempe- 
rer)], 31, 292 [Bursch. Bl. Jg. 27, 67 (R. 
Eickhotf, F. S. u. K. Schurz); Mitt. d. 
literarhist. Gesellsch. Bonn 7, 129 — 149 
(A. M. Morisse)]. 

Staack, Claudine, Hamb. Schriftst., schrieb 
Nov. u. Era.; * Suderheistedt, Dithm. 
30. I. 1 859 ; f Hamburg 12. IV. — VZ 
20. IV. M.-A.; Kieler Ztg. 13. IV. A. -A.; 
KL 191 1, 1635; BR 7, 13/14. 

Staack, Dora, Hamb. Schriftst.; * Krumstedt 
b. Meldorf i. Hoist. 9. XL 1855; f Hamburg 
2. I. — HC 3. I. M.-A.; Kieler Ztg. 13. IV. 
A. -A.; KL 1911; 1635; BR 7t *3/i4- 

Stangen, Karl Friedrich, Schriftst. u. Begr. 
d. K. Stangenschen Reisebureaus; * Ziegen- 
hals 5. V. 1833; t Berl.-Lichterfelde 21. XL 
— VZ 22. XL M.-A.; IZ 137, 1095 (P); 
W 1911, 2023 (P); KL 191 1, 1639 (W); 
WI 4, 1355; DZL 1400/01; BR 7, 21 (W). 

Stegemann, Friedrich, Dr. iur. % Mecklb. 
Minist.-Rat, vortr. Rat i. Minist d. Inn., 
Vors. d. Mecklb. Landes- u. Indus trieausst. 
i. Schwerin, Staatskommiss. d. Mecklb. 
Hypotheken- u. Wechselbank; * Parchim 
23. II. 1867; t Schwerin 25. VI. — VZT; 
WI 4, 1360. 

Steiflbach, Gustav, Dr. iur. % Journalist, Red. 
d. Neuen Fr. Presse i. Wien, hist.-polit. 
u. staatswiss. Schriftst.; * Pressburg 
18. II. 1848; t Meran 6. XII. — NFP 
7. XII. A.-BL; KL 191 1, 1651 (W). 

Steinberg, Ernst Friedrich Graf von, Kam- 
merh. u. M. d. H.; * Hannover 8. VIIL 
1848; f Schl. Bruggen, Prov. Hannover 

29. XII. — VZ 30. XII. M.-A.; HH 1911, 
346; FT 1909, 901. 

Steinert, Hans, Dr. med. % ao. Prof. a. d. Univ. 

u. Oberarzt d. mediz. Klinik u. d. stadt. 

Krankenh. i. Leipzig; * Dresden 10. IV. 

1875; t Leipzig 3. XL — VZ 6. XL A. -A.; 

UK S.-S. 191 2, 324; DMW 37, 2096; WI 

4, 1366 (W). 
Stdnmarm, Maximilian von, Gen.-Lt. z. D. 



75* 



Totenliste 191 1: Stcmrich — Tautenhayn. 



7<r 



Ritter <L Eis. Kr. 2. Kl. f zul. Komm. d. 
80. Inf.-Brig.; * Baumgarten 9. XII. 1842; 
t Wiesbaden 5. IV. — VZ 8. IV. M.-A.; 
OA 1908/09, 1489. 

Stemrich, Wilhelm, Wirld. Geh. Rat f Unter- 
staatssekr. i. Ausw. Amt, vorher Gesandter 
i. Teheran; * Miinster 18. III. 1852; 
t Berlin 19. X. — VZ 19. X. A. -A.; 
WI 4, 1368. 

Stern, Jakob, (Pseud.: Kurt Adelfeld), 
Schrifttt. auf d. Geb. d. Philos., Politik u. 
Sozialpolit., ehem. Rabbiner v. Butten- 
hausen, dann einer d. Fiihrer d. Wtirtt. 
Sozialdemokratie; * Niederstetten 28. V. 
1843; t Stuttgart 4. IV. — WJ 191 1 Nekr.; 
Schwab. Kron. Nr. 158; Schwab. Tag- 
wacht Nr. 79 u. 81 ; Neue Zeit 29, 2, 25—60 
(K. Zetkin); KL 191 1, 1664 (W); WI 4, 
1370/71 <W); BR 7l 64/65. 

Stern, Kurt, Regisseur u. Schausp. a. Deutsch. 
Landestheater i. Prag; * Berlin 19. IV. 
1871; t das. 27. X. — NTA 1913, 151. 

Stern, Ludwig, Dr. phil. % Prof., Direkt. d. 
Hs.-Abt d. Kgl. Bibliothek i. Berlin; * Hil- 
desheim 12. VIII. 1846; f Berlin 9. X. — 
VZ 11. X. M.-A.; Zentralbl. f. Bibliotheks- 
wes. 29, 26—31 (E. Jacobs); JB 9, 132; 
io, 150. 

Stern, Richard, Dr. med. t Prof. u. Direkt. d. 
mediz. Poliklinik a. d. Univ. Breslau; 
* Breslau 3. IX. 1865; f das. 1. II. — VZ 
3. II. M.-A.; Schles. Ztg. 1. II. A.-A. f 
Q. IV. M.-A.; Schlesien 4, 291/92; JSG 
191 1 Nekr. S. 29 — 32 (Schmid); Chronik 
d. Univ. Breslau 25, 207 — 11 (Schmidt m. 
W); UK S.-S. 191 1, i, 320; AD 3, 96 (W); 
Monatsschr. f. Unfallheilkde. Jg. 18, I 
(C. S. Freund). 

Stiehl, Karl, Prof., Musikschriftst, Dirig. d. 
Musikver. u. d. Singakad. i. Liibeck, 
Musikref. d. Ltibecker Ztg., Kustos d. 
musikal. Abt. d. Ltibecker Stadt-Bibl., 
deren Katalog er herausgab; * Liibeck 

12. VII. 1826; t das. 1. XII. — VZ 2. XII. 
M.-A.; LE 14, 517; KL 1911, 1670 (W); 
AMZ 191 1, 1272; Zs. d. Intern. Musikges. 

13, 148; NMZ 33, 142; Musik 2. Dez.-H. 
S. VII; R 1359. 

Stfllfried U. Rattonitz, Raimund Frh. von, 
Maler, einer d. ersten Vork. d. Photogr., 
bes. bek. durch seine Interieurs i. d. Wiener 
Hofburg u. i. Schtfnbr. Schlofi, friiher 
Offizier, Seemann, Kanzler u. japan. Prof.; 
* Komotau i. Bohm. 6. VIII. 1839; t Wien 
13. VIII. — VZ 14. VIII. M.-A.; OR 28, 
484; MS Nachtr. 267; WI 4, 1374/75; FT 
1912, 783. 

Stdhr, Phihpp, 0. Prof. u. Direkt. d. anatom. 
Anst a. d. Univ. Wurzburg; * Wurzburg 
13. VI. 1849; f das. 5. XI. — VZ 6. XL 



M.-A., 9. XI. M.-A.; DMW 37, 2096; MMW 
58, 2747 (Sobotta); PBL 1658; HBL 5, 
546; Chronik d. Univ. Wurzburg 1912, 
24/25; Bayerland 23, 179 (P); KL 1911, 
1675; WI 4, 1377; AD 3, 25 (W); DZL 
1419/20; K 902; Anatom. Anz. Bd. 40, 
551 — 56 (O. Schultze); Verhandl. d. physik.- 
mediz. Gesellsch. Wurzburg 42, 1 — 12; 
Vierteljahrsschr. d. naturforsch. Gesellsch. 
i. Zurich 56, 558. 

Stoetzer, Hermann, Dr. phil, Oberland- 
forstm., Direkt. d. Forstakad. i. Eisenach; 
* Wasungen i. Sa.-Mein. 22. V. 1840; 
t Eisenach 14. XI. — VZ 14. XL A. -A.; 
W 1911, 2051 (P); WI 4, 1379; KL 1911, 
1680 (W); DZL 1423. 

♦Struck, Adolf Hermann, Dr. phiU h. c, BibL 
d. Deutsch. Archaolog. Inst. i. Athen; * Kon- 
stantinopel 18. I. 1877; t Mainz 14. IX. 
— BJ XVI, 169 (W. Miiller); VZ 20. IX. 
M.-A.; DRG 34, 139; GK 1912, 62; Zeitschr. 
f. bild. Kunst N. F. Jg. 23, 223 (G. Her- 
mann). 

Stttve, Gustav, Dr. iur., Wirkl. Geb. Ob.-Reg.- 
Rat, Reg.-Pras. i. Osnabriick, friih. Pras. 
d. Reichs-Patentamts, 1888—91 M. d. A., 
Freikonserv., schrieb mehrere Werke ub. 
s. Oheim, d. hannov. Staatsmann Johann 
Karl Bertram StUve; * Osnabriick 2. V. 
1833; f das. 26. XL — VZ 27. XL A. -A.; 
WI 4, 1396; OA 1908/09, 1521; DZL 1445. 

Suphan, Bernhard, Geh. Hofrat, Prof., Dr. 
phil., langj. Direkt. d. Goethe- u. Schiller- 
Archivs i. Weimar; * Nordhausen 18. L 
1845; f Weimar 9. II. — VZ 10. II. M.-A.; 
NFP 12. II. M.-Bl. (St. Hock); LE 13, 
840; HV 14, 304; Bl. f. hSher. Schulwes. 
28, 96; W 191 1, 312 (P); KL 1911, 1701 
{W)\ WI 4, 1402 (W); Chronik d. Wiener 
Goethe-Vereins Bd. 25, 4 (St Hock); 
Goethe- Jahrb. 31, 1 — 6 (L. Geiger), 33, 
231 (L. Geiger). 

Slipper, Otto, Dr. iur., Finanzrat, Kollegial- 
mitgl. d. Generaldirekt. d. Wurtt. Staats- 
eisenbahnen, Schriftst. auf d. Geb. d. Ver- 
kehrswiss.; *G6ppingen 14. II. 1861 ; f Stutt- 
gart 13. VI. — WJ 191 1 Nekr.; Wurtt. 
Staatsanz. Nr. 137; Schwab. Kron. Nr. 269; 
OA 1908/09, 1522; KL 191 1, 1701 (W). 

Taglloni, Auguste, ehem. Schauspielerin a. 
Kgl. Schauspielh. i. Berlin, d. letzte Mitgl. 
d. bek. Kunstlerfamilie; sie u. ihre Schwester 
Marie, d. spatere Furstin Windisch-Gratz, 
waren d. Lieblinge Kaiser Wilhelms I.; 
* Berlin 1832; f das. 8. VI. — NTA 
1912, 166. 
Tautenhayn, Joseph, friih. Prof. d. Akad. d. 
bild. Kiinste i. Wien, einer d. hervorr. 
Plastiker Osterreichs; * Wien 5. V. 1837; 
f das. 3. IV. — OR 27, 411; WGK 191 1, 



IT 



Totenliste 191 1: Tebbe— Uhde. 



78* 



i, 226; Kchr N. F. 22, 346; MS 4, 385; 

SKL 927. 
Tebbe, Heinrich, Gymn.-Prof. i. Munster, 

Schriftst. auf d. Geb. d. klass. Philolog. u. 

Lit.-Gcsch.; * Herbern, Kr. Liidinghausen, 

23. IX. 1858; f Munster 30. VIII. — KR 

191 1. 493 (W); 1912 TL. 
TeBmar, Hugo, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rat, 

Direkt. i. PreuB. Minist. d. offentl. Arbeiten; 

* 17. XI. 1855; f Berlin 18. XL — Reichs- 
anz. Nr. 280 v. 28. XI. 

Teste, Karl, deutsch. Delegierter b. d. Turk. 
Staatsschuldenverw., friih. Ministerresid. i. 
Tanger, hervorr. Kenner d. tiirk. Verhalt- 
nisse; * Konstantinopel 9. V. 1840; f das. 
1. L — Schles. Ztg. 6. 1. M.-A.; OA 1908/09 
1534. 

Theuerkaut, Gottlob, Prof. u. Privatdoz. a. d. 
Techn. Hochsch. i. Berlin, Landsch.-Maler, 
Lithogr. u. Ulustr., auch hess. Dialekt- 
dichteru. Komponist; * Kassel 21. I. 1833; 
t Berlin 5. 111. — HL 25, 92/93. 

Thoemes, Nikolaus, Dr. phiL, Schriftst auf 
d. Geb. d. Theolog., Philolog., Sozialwiss., 
Rechtswiss. u. Gesch.; * Ruckweiler, 
Rh.-Prov. 1. 111. 1846; t Munster 13. IV. — 
KR 1911, 497 (W); 1912 TL. 

Tiburtius, Henrietta die erste Zahnarztin 
Deutschlands, Vors. d. Vereins z. Erziehung 
schulentlassener Madchen f. d. Hauswirt- 
schaft, verdient um d. deutsche Frauen- 
bewegung; * 1834; f Berl.-Marienfelde 
25. VIII. — VZ 27. VIII. M.-A.; W 1911, 
1458, 1466 (P); AF 49, 376; Frauenbewe- 
gung 17, 144; Neue Bahnen 46, 151/52; 
Frauen-Rundsch. 12, 450; D. Frau 19, 
56/57 (H. Lange); Daheim Jg. 48, Nr. 8 
(F. Tiburtius); D. deutsche Frau 1912, Nr. 3 
(F. Tiburtius). 

Tiede, August, kgl. Baurat, Prof., bes. bek. 
als Erbauer d. Naturhist. Museums u. d. 
Landwirtsch. Hochsch. i. Berlin; * Berlin 
4. VI. 1834; f das. 14. V. — VZ 17. V. 
A.-A.; DBZ 45, 344; ZB 1911, 271/72 (C. 
Weber m. P). 

TIetze, Ottokar, Magistrats-Baurat, der 1887 
bis 1892 in Japan tatig gewesen ist; 

* Protowitz i. O. -Schles. 31. X. 1858; 
t Berlin 27. IX. — DBZ 45, 688. 

Treskow, Hans von, Generalm. z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d. 13. Kav.- 
Brig.; * Quedlinburg 3. I. 1840; f Wies- 
baden 30. V. — VZ 2. VI. M.-A.; OA 
1908/09, 1559. 

Trotz, Hermann, kgl. Hofschausp. a. D. i. 
Stuttgart; * Lodz 13. VII. 1846; f Stutt- 
gart 30. XII. — NTA 1913. 154/55; EG 
1051. 

Ttehackert, Paul, Dr. theol. et phil, Geh. Kon- 
sistorialrat, Prof. d. Kirchengesch. a. d. 



Univ. Gottingen; * Freystadt i. Schles. 
10. 1. 1848; f Gottingen 7. VII. — VZ 
8. VII. A. -A.; HV 14, 464; ELK 44. 670/71 ; 
KJ 99* 441/42; Chronik d. Univ. G6ttingen 
1911, 8/9; AD i, 24 (W); WI 4, 1442 (W); 
DZL 1479; K 936. 

Tschischwitz, Wilhelm von, Gen.-Lt. z. D. f 
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. d, 
10. Inf.-Brig., 1888 z. D.; * Brieg 25. IV. 
1831; f Hirschberg 19. VII. — Schles. Ztg. 
20. VII. A.-B1.; Schlesien 4, 646. 

TschudJ, Hugo von, Geh. Reg.-Rat, Prof., 
Dr. phil. % Direkt. d. Bayer, staatl. Ge- 
maldegalerien, vorh. Direkt. d. Berlin. 
Nationalgalerie; * Gut Jakobshof i. Nieder- 
osterr. 7. II. 1851; t Val 1 b. Kannstadt 
23. XI. — VZ 24. XL A. -A.; NFP 24. XL 
A. -A.; T 278 (P), 279 (E. Heilbut); IZ 
137, 1020/21 (P); W 191 1, 2023 (P); Hilfe 
191 1, 781/82 (P. Schubring); KL 191 1, 
1748; WI 4, 1443 (W); DZL 1482; MAZ 
114, 839/40 (H. Cosserat); KW, 25 1, 443/44 
(Avenarius); HV 15, 152; Marz 191 1, 4, 
426 — 31 (H. Uhde-Bernays); SQdd. Mo- 
natsh. 9, 1, 559/60 (W. Heymel, T.s Toten- 
feier); Bayerland 23, 179 (P); Kchr N. F. 
23, 97 — 100 (W. Bayersdorfer), 131/32 
(W. v. Seydlitz); KFA 27, 164 (P); Cicerone 
3i 905; Gegenwart 191 1, Nr. 51 (E. Thoma); 
Guldenkammer 2, 224 (G. Pauli); Jahrb. 
d. kgl. preufl. Kunstsamml. 33, I — IV 
(W. Bode); Kunst u. Kunstler io, 179 
(M. Liebermann); Museumskde 8, 45 — 50 
(W. Graff); Repertor. f. Kunstwiss. Bd. 34, 
473 (H. Thode); Wissen u. Leben 191 2, 
499 (H. Trog); Kunst u. Kunstler 10, 
379—88 (H. Uhde-Bernays). 

♦TUrnplJng, Luise, geb. v. Boyen; * Berlin 
26. V. 1852; t Jena 3. VII. — BJ XVI, 59 
(P. Mitzschke). 

Uettzen, Wilhelm, Pastor em. i. Rostock, erst 
Insp. d. Lehrer-Sem. i. Hannover, dann 
Pastor i. Gr.-Heere b. Hildesheim, ver- 
weigerte 1866 d. Huldigungseid u. wurde 
abgesetzt, gab spater d. »Kirchenbiatt f. 
Braunschweig* heraus, ^Tirde in Hannover 
wegen Majestatsbeleidigung zur Festungs- 
haft verurteilt und aus s. Amte entfernt, 
77 in Mecklenburg wieder angestelit, wo 
er bis 97 im Dienst blieb, verf. theol. 
Schriften u. Predigt-Sammlungen; * 1825; 
f Rostock 17. XII. — KJ 39, 442. 

*Uhde, Fritz von, Maler, Pras. d. Munch. 
Sezession; * Wolkenburgi. Sa. 22. V. 1848; 
t Munchen 25. II. — BJ XVI, 214 (H. 
Holland); VZ 25. II. A.-A.; T 50 (P), 52 
(J. Elias); Berl. Tagebl. 25. II. A.-A. 
(F. Stahl); NFP 7. III. M.-Bl. (H. Uhde- 
Bernays); KVZ 5. III. (H. Reiners); FZ 
5. III. 1. M.-Bl. (F. Haack); W 1911, 347 



79" 



Totcnlistc 191 1 : Uhlig — ViUaume. 



80* 



(A. G. Hartmann), 353 (P); MAZ 114, 
145/46 (H. Cosserat); Hilfe 1911, 141 (Th. 
Heufi); Marz Jg. s, 525—35 (W. Hausen- 
stein); WI 4, M48 (W); ^ZL i486; MS 
4, 461; BMW 2, 906—08; SKL 968; KJ 
38, 665; 13, 493; ELK 44, 214, 439—41 
(J. Leipoldt); Protestantenbl. 44, 339 — 42 
(Kuhner); K\V 24, 2, 365/66 (Avenarius 
m. 111.); Christl. Freiheit 27, Nr. 11; Grenz- 
boten 70. Bd. 1, 543 (B. Haendckc); 
Wcstcrm. Monatsh. April 191 1 , 287/88 
(P); Turmer 13, H. 7 (K. Storck); Hoch- 
land Jg. 8, H. 7 (K. WeiB, F. v. U. als 
Kindermaler); Kunst u. Kunstler 9, 366; 
Kchr N. F. 22, 305—311 (P. Schumann); 
BZ 28, 334 [Deutsche Blatter f. erziehl. 
Untenr. 1911, Nr. 25 (E. Oppermann); 
Cicerone 3, 189; Daheim Jg. 47, Nr. 28 
(R. Burckhardt); KFA April-H. 489 (G. J. 
Wolf); Korrespond.-Blatt d. Gesamt- 
vereins d. deutsch. Gesch.- u. Altert.- 
Vereine April-H. 17 (G. Muschner); Pro- 
testantenbl. 1911, Nr. 14 (Kuhner); Neue 
Rundsch. 1911, 538 — 45 (J. Elias); Wart- 
burg 191 1, Nr. 14 (A. Troll); Geisteskampf 
d. Gegenw. 1911, 148 (Kuhner); Christl. 
Kunstbl. f. Kirche, Schule u. Haus 1911, 
113 (Totenfeier f. U. i. Munchen); Monats- 
schr. f. Gottesdienst u. kirchl. Kunst 191 1, 
no (G. Lasch, U. als religioser Maler)], 
30, 324 [D. alte Glaube 13, Nr. 35 (Hubener, 
Wie urteilen wir heute lib. U. ?)]. 

"Uhlig, Viktor, Prof. d. Geolog. a. d. Univ. 
Wien; * Karlshutte-Leskowitz, Ost.-Schles. 
2. I. 1857; t Karlsbad 4. VI. — BJ XVI, 
109 (F. E. Suefi); VZ 6. VI. M.-A., 7. VI. 
M.-A.; Schles. Ztg. 8. VI. M.-A.; NFP 
6. VI. Nachm.-Bl. (E. SueB, Z. Erinnerung 
an V. U.); IZ 136, 1317 (P); DRG 33, 4»9; 
34, 40/41 (E. Spengler m. P); GK 191 2, 62; 
PM 191 1, 2, 24; PF 4, 2, 1534 (W); WI 4, 
1449; UK W.-S. 1912/13. 2, 526; K 941; 
Verhandl. d. k. k. geolog. Reichsanst. 1911, 
209 (O. Ampferer); Osterr. Zeitschr. f. 
Berg- u. Huttenwes. 49, 727; Zeitschr. d. 
deutsch. Geolog. Gesellsch. Bd. 63, Beibl., 
3 8 5— 96 (W. Branca); Geolog. Mitteil. 42, 
243—58 (F. Schafarzik); Lotos 59, 217 
(A. Liebus); Geogr. Jahresber. aus Oster- 
reich 8, III. 

♦Umbeck, Philipp Valentin, Dr. theol h. c 9 
Wirkl. Konsistorialrat, Generalsuperint. d. 
Rheinprov.; * Vallendar a. Rh. 13. XL 
1842; t Koblenz 4. H. — BJ XVI, 106 
(Klingemann); VZ 5. II. M.-A.; ELK 44, 
166; Protestantenbl. 44, 193; KJ 38, 665. 

Uphlies, Josef, Prof., Bildhauer; * Sassenberg 
i. Westf. 23. V. 1850; f Berl.-Wilmersdorf 
2. I. — VZ 2. I. A.-A.; T 3 (P); IZ 136, 
6>/66 (P); KFA 26, 239 (P); Kunst u. 



Kunstler 9, 256; MS 4, 466; SKL 971; 
WI 4, 1454; DZL 1492. 

♦Vahletl, Johannes, Geh. Reg.-Rat, Dr. pkil. 
et iur. h. c. % Prof. a. d. Univ. Berlin, MitgL 
d. Akad. d. Wiss., Ritter d. Ordens Pour 
le meVite; * Bonn 27. IX. 1830; f Berlin 
30. XL — BJ XVI, 236 (E. Thomas); 
VZ 30. XL A. -A.; HV 15, 152; IZ 137, 
1078 (P); Blatter f. hoher. Schulwes. 28, 
518; JSG 191 1 Nekr. S. 34—35; Chronik 
d. Univ. Berlin 25, 7; W 191 1, 2064 (P); 
KL 1911, 1762; DZL M93/94; WI 4, 1457 
(W); K 347. 

Valentin, Adolf, Dr. med. % Prof. d. Oto- 
Laryngologie a. d. Univ. Bern; * 28. IX. 
1845; t Bern 17. V. — DMW 37, 1136; 
UK W.-S. 191 2/13, 2, 526; K 948. 

Valob, Karl Frh. von, Major z. D. u. kgL 
Kammerh., Vors. d. Ver. z. Fdrderung d. 
Museums vaterland. Altert, Ehrenkonser- 
vator d. Landesarmeemus. ; * Mannheim 
9. IV. 1857; f Stuttgart 15. IX. — WJ 
1911 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 216; 
Schwab. Kron. Nr. 432; FT 1909, 875; OA 
1908/09, 1 581. 

♦Van fcr Vetine, Adolf, Tier-, Genre u. Land- 
schaftsmaler; * Wien 16. IV. 1828; 
t Schweinfurt 23. IX. — BJ XVI, 102 
(H. Holland). 

"Vairentrapp, Konrad, Geh. Reg.-Rat, bis 
1909 Prof. d. Geschichte a. d. Univ. Mar- 
burg; * Braunschweig 17. VIII. 1844; f Mar- 
burg 28. IV. — BJ XVI, 122 (G. Meyer 
v. Knonau); VZ 30. IV. M.-A.; Chronik d. 
Univ. Marburg 25, 4 — 6 (v. d. Ropp); KL 
191 1, 1765; WI 4, H6i (W); DZL 1496; 
K 949. 

Verschner, Friedrich Wilhelm Frh. von, d. 
letzte Hofmarschall d. letzten hess. Kur- 
fursten'^Friedrich Wilhelm; * Kassel 26. 
VII. 1827; f Munchen 13. XII. — HL 25, 
364; FT 1909, 884. 

Vfflaret, Albert Heinrich, Dr. med. % General- 
arzt, zul. Insp. d. 2. Sanitats-Insp., schrieb 
lib. Hygiene u. Sanitats-Statistik, bes. ub. 
Milit-Sanitatswes., Hrsg. eines Hand- 
worterb. d. Medizin; * Emmerich 28. IL 
1847; t Eisenach 10. V. — DMW 37, 
1178/79 (Paalzow m. P); PBL 1772; WI 
4, 1467/68 (W); KL 191 1, 1772 (W); DZL 
1502. 

VfOaume, Hermann von, General d. Art. z. D., 
Ritter d. Eis. Kr. 2. KL, 1865 Eintritt in 
d. Armee, 1889 Major i. Milit.-Kabinett, 
1892 Abt.-Chef, 97 Flttgeladjutant, spater 
General m. u. General a 1. s. d. Kaisers, 1901 
Direkt. d. Kriegsdep. i. Kriegsmini6t., 
03 z. D. f 09 Charakter als Gen. d. Art.; 
* Potsdam 13. VI. 1846; f Berlin 18. XI. — 
VZ 20. XL A. -A.; OA 1908/09, 1588. 



8i* 



Totenliste 191 1: Vitzthum v. Eckst&dt— Weifl. 



82* 



Vitzthum v. EckstSdt, Paul Graf, kgl. sachs. 
Gen.-Lt. r u. Komm. d. 1. Sachs. Div.; 

* Ober-Lichtenau 5. VII. 1850; f Dresden 
5. VIII. — VZ 8. VIII. M.-A.; WI 5, 1522; 
GT 1911, 989. 

Voekker, Karl, Gen.-Lt. z. D., zul. Komm. d. 
56. Inf.-Brig., Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl.; 

* Ulm 19. IX. 1848; f Berlin 10. VI. — 
VZ 13. VI. M.-A.; OA 1908/09, 1596. 

Vogel, Heinrich, Geh. Kommerzienrat, Mit- 
begr. u. Seniorchef d. Schokoladenfabrik 
Hartwig u. Vogel, Vors. d. Exportvereins 
f. d. Kgr. Sachsen; * Herreth i. Oberfr. 
31. X. 1844; f Dresden 11. VI. — IZ 136, 
1317 (P); W 19x1, 1036 (P> 

Vogel, Paid Johannes, Dr. phil, Prof., Rektor 
d. Kdnigin Carola-Gymn. i. Leipz., Alt- 
philologe; * Plauen i. V. 27. IV. 1856; 
t Bad Kissingen 10. VII. — KL 1911, 1776 
(W); 1912 TL; WI 4, H7i <W> 

VogCS, Otto, Dr. phil., seit 1893 innerpolit. 
Red. d. Voss. Ztg., vorher Chef red. d. 
•Kieler Tageblatts*; * Berlin 29. VII. i860; 
t das. 6. VII. — VZT; DKZ 28, 477; WI 
4, 1472. 

Voigt, Karl von, Gen.-Lt z. D., Ritter d. Eis. 
Kr. 2. Kl., zul. Komm. d. 16. Kav.-Brig.; 

* Mainz 12. III. 1841; f Honnef 3. IX. — 
VZ 8. IX. M.-A.; OA 1908/09, 1594. 

*Vottz, Ludwig, bek. Munch. Tier- u. Land- 

schaftsmaler; * Augsburg 28. IV. 1825; 

t Miinchen 26. XII. — BJ XVI, 104 (H. 

Holland); VZ 28. XII. M.-A.; IZ 138, 78; 

Kchr N. F. 23, 181 ; MS 5, 34; BMW 2, 950. 
VopeUus-Sukbach, Richard von, HUttenbes., 

M. d. H., seit 1876 freikonserv. M. d. A., 

Mitgl. d. Direktor. d. Zentralverb. deutsch. 

lndustrieller; * Sulzbach 19. X. 1843; 

t St. Blasien 16. VIII. — VZ 17. VIII. 

A. -A.; W 191 1, 1491 (P); HH 1907, 350; 

HA 1894, 33i; WI 4, 1480; DZL 1516. 
VoB, Maximilian von, Dr. tur., Ob.-Reg.-Rat 

a. D., Rittergutsbes. i. Berkenbrugge, Kr. 

Arnswalde, seit 1907 konserv. M. d. A.; 

* Halle a. S. 10. I. 1847; f Berkenbrugge 
18. XII. — VZT; HA 1908, 439, 49i (P). 

Wagener, Bruno, Dr. phil, Schriftst., bis vor 
kurzem Chef red. d. »Strafiburger Post*; 

* Amoy i. China 27. V. 1866; f Baden- 
weUer i. Juli. — VZ 19. VIII. A.-A.; WI 
4, 1487. 

Waltz, Karl, Dr. phil, Hon.-Prof. d. Physik 
u. Astronomie a. d. Univ. Tubingen, bek. 
Schriftst. auf physik. u. meteorolog. Gebict; 

* Marburg 19. 1. 1853; f Tubingen 12. IX. — 
VZ 15. IX. M.-A.; GK 1912, 62; WJ 191 1 
Nekr.; Wtirtt. Staatsanz. Nr. 213; Schwab. 
Kron. Nr. 430; WI 4, 1491 (W); PF4, 2, 
1588 (W). 

Wald, E., (Pseud.), s. Schulze, Ewald. 

Biogr. Jahrbuch u. Deuttcher Nekrolog*. 16. Bd. 



WaUenburg, Max, (wirkl. Name: Max Pesch- 
mann), Schles. Dialektdichter; * Walden- 
burg 1852; f das. 1. XII. — Schlesien 5, 
175 (0. Ludwig). 

Wanjura, Gustav, Dr. theol, Pralat u. Dom- 
propst, Senior d. Posener ErzdiGzese, 
1859— -67 Reg.- u. Schulrat; * Stollarzo- 
witz 9. IV. 1827; f Posen 22. IV. — Schles. 
Zt 24. IV. A.-B1. 

Waser, Maurus, Prof., Pfarrer i. Schwyz, ver- 
dienstvoller Lokalhistoriker, Mitgl. d. All- 
gem. Gesch.-forsch. Ges. u. d. Hist. Vereins 
v. Schwyz; * Schwyz 12. VII. 1847; t das. 
1. XII. — ASG 44, 372; Bote d. Urschweiz 
191 1, Nr. 95/96; Schwyzer Ztg. Nr. 96, 
1. BL; Ncue Zurch. Ztg. Nr. 226, 1. Bl. u. 
Nr. 328 M.-Bl. 

Watter, Hermann Frh. von, Gen.-Lt. z. D., 
1892 — 1900 wurttemb. Milit.-Bevollm. i. 
Berlin, fruh. Flugeladjut. u. General & 1. s. 
d. Konigs v. Wiirttbg.; * Ludwigsburg 
17. I. 1848; t Stuttgart 8. III. — VZ 9. III. 
A. -A.; OA 1908/09, 1622; MZ 191 1, 163; 
WJ 191 1 Nekr.; Wurtt. Staatsanz. Nr. 57; 
Schwab. Kron. Nr. 113. 

Weber, Georg Viktor, Mitgl. d. Mainzer Dom- 
kapitels, der letzte aus d. Mainzer Kreis von 
Kettelers Mitarb., Griinder u. Leiter d. 
Mainzer Domchores; * 1838; f Mainz 24. 
IX. — Katholik Jg. 91. 4. F. Bd. 8, 393/94. 

Weiler, Johann August, Dr. phil, Prof., 
bis 1880 Oberl. a. Realgymn. i. Mannheim, 
Mathem., Geogr. u. Astronom.; * Mainz 
31. V. 1827; f Mannheim 10. X. — WGK 
191 1, 2, 226; DRG 34, 137; PF 3. 2, 1425 
(W); 4, 2, 161 1 (W); Astronom. Nachr. 
Bd. 189, 367 (H. Kobold). 

Weinwurm, Rudolf, Prof., Univ. -Musi kdirekt. 
i. Wien, Griinder d. Akad. Gesangvereins, 
fruh. Dirig. d. Wiener Singakad. u. d. 
Wiener Mannergesangvereins, veroffent- 
lichte musikp'adagog. Schriftcn; * Scheidel- 
dorf b. Waidhofen a. d. Thaya 3. IV. 1835; 
t Wien 27. V. — Musik 2. Juni-H. S. VIII; 
NMZ 32, 384; OR 28, 79; R 1536. 

*Wetoer f Josef, Prof., Historien- u. Genre- 
maler, Ehrenmitgl. d. Miinch. Kunstakad.; 

* Patschkau i. Schles. 10. V. 1847; j* Mun- 
chen 15. IV. — BJ XVI, 103 (H. Holland); 
VZ 18. IV. A. -A.; Kchr N. F. 22, 392; 
KFA 26, 408; MS 5, 73; MAZ 114, 282/83 
(H. Holland); Schlesien 4, 480. 

WeiB, Eduard ehem. Schausp., einer d. 
letzten Vertreter d. alten Berlin. Posse, 
in d. 70er Jahren wohl d. popul^rste Komi- 
ker Berlins u. d. starkste Magnet d. Kroll- 
schen Theaters unter d. »alten Engel^; 

* Berlin 19. XL 1836; f Miinchen 10. I. — 
NTA 1912, 156. 

WeiB, Karl, Schausp. u. Theater-Direkt, fruh. 

27 



83* 



Totcnliste 191 1: Weitbrecht— Wilbrandt. 



84* 



Direkt, d. Berliner Carl WeiB-Theaters u. d. 
alten Ostendtheaters, popularer Komiker; 

* Berlin 30. IX. 1850; f Monte Carlo 
31. III. — VZ I. IV. A. -A.; W 1911, 562, 
568 (P); NTA 1912, 159; EG 1107; BW 
13, 2, 131 (P); WI 4, 1522. 

Weitbrecht, Gottlieb von, Dr. iheol, Pralat, 
Stiftsprediger, Red. d. »Christenboten« 
u. d. »Jugendblatter«, bek. christl. Volks- 
schriftst.; * Calw i. W. 4. VI. 1840; f Stutt- 
gart 31. V. — VZ3. VI. A.-A.; BB Nr. 126 
v. 2. VI.; ELK 44. 55i; KJ 39, 44*/43; 
WJ 191 1 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz. Nr. 124; 
Schwab. Kron. Nr. 247; KL 191 1, 1845 (W). 

♦Wdtbrecht, Richard, Dr. theol., 1. ev. Stadt- 
pfarrer i. Wirapfen a. N., Literarhist., 
volkstiiml. Schriftst.; * Heumaden b. 
Stuttgart 30. II. 1 851 ; f Heidelberg 1. V. — 
BJ XVI, 1 16 (H. Mosapp); FZ 8. VI. 2. M.- 
Bl.; Eckart 5, io, 664—74 (K. Berger); 
LE 13, 1422; KL 1911, 1845 (W); BR 4, 
312 (W); WI 4, 1525; KJ 39, 443; DZL 
1552/53; WJ 1911 Nekr.; Wiirtt. Staatsanz. 
Nr. 126; Schwab. Kron. Nr. 249. 

Weitzel von Mudersbach, Reinhard Ludwig, 
1898 — 1903 konserv. M. d. R.; * Gr.-Wege- 
nitz i. d, Altmark 18. II. 1853; f Osterwein, 
Kr. Osterode 26. IV. — VZ 4. V. M.-A.; 
RH Nachtr. 1903, 78; BT 191 3, 859. 

Wetldt, Otto von, Prof. £. bUrgerl. Recht a. 
d. Univ. Tubingen, Vertr. d. Univ. in d. 
1. Kammer, Hrsg. d. frArchivs f. zivilist. 
Praxis* ; * Rostock 27. III. 1 846; f Tubingen 
30. VIII. — VZ 31. VIII. A.-A.; IZ 137, 
448; DJZ U34/35 (Ceib); WJ 191 1 Nekr.; 
Wiirtt. Staatsanz. Nr. 203; Schwab. Kron. 
Nr. 405; KL 191 1, 1851 (W); WI 4, 1529 
(W); AD 2, 12 (W); K 997; Archiv f. d. 
zivilist. Praxis* 108, 1, 3 — 39 (M. RUmelin). 

Wenker, Georg, Dr. phil., Prof., Oberbiblio- 
thekar a. d. Univ. Marburg, d. bedeutendste 
Vertr. d. deutsch. Mundartenforschung; 

* Dusseldorf 25. II. 1852; f Marburg 17. VII. 

— IZ 137, 250 (P); GK 19 1 2, 62; DRG 33, 
585; HL 25, 233/34; V JB 9, 137; io, 150; 
KL 191 1, 1853 (W); WI 4, 1530 (W). 

Wenzel, Johannes, geistl. Rat u. Domvikar 
in Bamberg, 1887 — 98 M. d. R. u. d. Zentr.; 

* Bamberg 9. L 1843; f das. 16. L — VZT; 
RH 1893, 254. 

Wemer-SchWBrzburg, Albert, Bildhauer, Leh- 
rcr a. d. Kunstschule i. Breslau, langj. 
Vors. d. Bresl. Ktinstlervereins, schuf d. 
Giebel reliefs a. d. Berlin. Kaiser- Wilhelm- 
Gedachtniskirche; * Gosselbrunn, Fiirst. 
Schwarzb. 14. X. 1857; f Breslau 28. XII. 

— VZ 29. XII. M.-A.; WGK 191 1, 2, 228; 
JSG 19M Nekr. 37—39; MS Nachtr. 284; 
Schlesien 5, 251. 

Wever, Hermann, Dr. med. h. c. Wirkl. Geh. 



Rat, 1909 — 10 Unterstaatssekr. i. PieuB. 
Minist. d. geistl. u. Unterr.-Angelegenheiten; 
* Cleve 27. XIL 1853; f Berlin 1. VI. 

— VZT; WI 4, 1539; IZ 136, 1270, 1274 
(P); OA 1908/09, 1661. 

!) Wfckenburg, Albrecht Graf, feinsinn. Dich- 
ter; * Graz 4. XIL 1838; f Wien 18. XIL 

— VZ 18. XIL A.- A.; NFP 18. XIL 
Nachm.-Bl.; LE 14, 587; OR 30, 69 — 70; 
WI 4, i54i (W); KL 1911, 1869; BR 7, 
426 (W); GT 1911, 1034; Heimgarten 36, 
364 — 70 (A. Graf v. W. u. s. Dichtergenossin). 

Wldmann, Bohuslav Adalbert Frh. von, 
k. u. k. Geh. Rat, bis 1890 Statth. v. Tirol, 
Ehrenbiirger v. Innsbruck, Mitgl. d. Reichs- 
rats; * Olmutz 12. III. 1836; f Wien 9. VI. 

— NFP 10. VI. M.-A.; FT 1909, 926. 
Wldmann, Joseph Viktor, Dichter, Schriftst 

u. Publizist, Red. d. Berner Ztg. fDer 
Bund*; * Nennowitz i. Mahr. 20. II. 1842; 
t Bern 6. XL — VZ 7. XL M.-A., 20. II. 
1912 A. -A. (Ed. Korrodi); T 267 (P); 
Deutsch. Tagesztg. Beil. »Zeitgeist* Nr. 265 
(E. Zahn); NFP 12. XL M.-Bl. (A. Bettel- 
heim, Biographisches von J. V. W.); IZ 
137, 989 (P); W 1911, 1890, 1897 (P); 
OR 29, 327—30 (W. Kosch); 30, 147/48 
(M. Necker, 2 Briefe von J. V. W.); WI 4, 
1543 (W); DZL 1565/66; KW 25, 1, 327— 44; 
D. Brenner Jg. 2, H. 12 (E. Dallago); 
Wissen u. Leben v. 15. Nov. 191 1 (H. Trog); 
Sch6ne Iiteratur Jg. 12, Nr. 25 (F. E. 
Willmann); Eckart 1911/12, 445 — 55 (E. 
Eschmann); NTA 1913, 151; LE 14, 365; 
J. Frankel, J. V. W. Eine Gedachtnisrede. 
Munch. 191 2; In: A. Bettelheim, Bio- 
graphenwege, Reden u. Auf satze. Berl. 1 9 1 3 ; 
Raschers Jahrb. 3, 314 — 20 (Korrodi); 
Schweizer. padagog. Zeitschr. 191 1 , 309—19 
(R. Hunziker); Heimgarten 36, 284 (K. 
Bienenstein); Deutsche Rundsch. Jan.-H. 
191 2, 140 (E. Korrodi); Sudd. Monatsh. 
Juni-H. 191 2, 320 (Hof miller); Westerm. 
Monatsh. Juni-H. 191 2, 503 (A. Beetschen, 
Aus Briefen). 

Wlelemarms, Edkr v. Montetorte, Alexander, 
Architekt, Oberbaurat, Ehrenmitgl. d. 
Akad. d. bild. Kunste i. Wien, sein Haupt- 
werk ist der 1876 — 81 erbaute Wiener 
Justizpalast; * Wien 4. II. 1843; f Dornbach 
7. X. — Kchr N. F. 23, 24/25; DBZ45, 708. 

Wilbrandt, Adolf, Dr. phiL, Dichter, Ehren- 
btirger von Rostock; * Rostock 24. VIII. 
1837; f das. 10. VI. — VZ 13. VI. M.-A. (Er- 
innerungen an A. W.); NFP 11. VI. M.-BL, 
13. VI. M.-Bl. (A. Frh. v. Berger— B. Bau- 
meister — E. Hartmann); T 137 (P), 138 (J. 

l ) IrrtUmlich in d. TL f. 19 10 aufge- 
nommen. 



85* 



Totenliste 191 1: Wildenfcls — Woermann. 



86* 



Hart); HC 12. VI. A. -A. (P. Burg, A. W.s 
lctztes Buch); MAZ 114, 10/11 ; IZ 136, 1270 
(P); DZL 1573; WI 4, 1548/49 (W); BR 7, 
442/43 (W); KL 1911, 1878/79 (W); LE 13, 
1385-1387; KW 24, 4, 29/30; Hilfe 1911, 
383 (H. Kienzl);OR 28, 73—75 (V, Klempe- 
rer); BW 13, 2, 378/79 (V. Klcmperer); 
NTA 1912, 165 (P); Hochland Jg. 8, H. 11 
(M. Behr, A. W. u. d. Grundlagen seines 
Schaffens); Gartenlaube 191 1, Nr. 28 (H. 
Landsberg); D. Rampe 191 2 (H. Eulenberg). 

Wfldenfeb, (Pseud.), s. Clasen-Schmid. 

Wflke, Richard, Dr. iur. % Geh. Justizrat, friih. 
Justitiar d. Preufi. Seehandl., Ehrenmitgl. 
d. Deutsch. Anwaltvereins; * 31. XII. 1830; 
t Potsdam 6. III. — VZ 8. III. M.-A.; 
Jurist. Wochenschr. 40, 257. 

WUle, Richard, Generalm. z. D., einer d. bed. 
Milit&rschriftst., friih. Direkt. d. Art.- 
Werkst&tten i. Spandau, namentl. auf d. 
Geb. d. Waffentechnik ganz hervorr. tatig; 

* Spandau 26. II. 1841; f Charlottenburg 
4. IV. — VZ 5. IV. A.-A.; 1Z 136, 696 (P); 
MZ 191 1, 207; LJ 38, 450/51; KL 1911, 
1883/84 (W); WI 4, 1553/54 (W); Zeitschr. 
f. d. ges. Schiefl- u. Sprengstoffwes. 191 1, 
161; LA 118 (W). 

Wibn, Nicolai von, bek. Tonktinstler u. 
Komp., auch Verf. e. Bds. Gedichte; * Riga 
4. III. 1834; f Wiesbaden 20. II. — VZ 
21. II. M.-A.; AMZ 191 1, 230; NMZ 32, 257 
nr. Canstatt m. P); R 1552; IZ 136, 386 (P). 

♦WflmamiS, Wilhelm, Dr. phil, Prof. f. 
deutsche Spr. u. Lit. a. d. Univ. Bonn; 

* Jiiterbog 14. III. 1842; f Bonn 29. I. — 
BJ XVI, 41 (E. Schroder); VZ 30. I. A.-A., 
31. I. A. -A.; KVZ 1. II. A.-A. (Schiller); 
HV 14, 304; Chronik d. Univ. Bonn 36, 
5—10 (Franck); KL 1911, 1886 (W); WI 
4, 1555 (W); LE 13, 762; Zeitschr. d. Allg. 
deutsch. Sprachvereins Jg. 26, 70 — 75 
(P. Pietsch); Zeitschr. f. deutsch. Wort- 
forschung 13, 80 (F. Kluge); K 1020. 

WlfKkel, Franz von, Dr. med. % Geh. Rat u. 
kgl. sachs. Ob.-Mediz.-Rat, einer d. bed. 
Gyn&kologen d. Gegenwart, o. Prof. u. 
Direkt. d. Frauenklinik a. d. Univ. Munchen; 

* Bereburg i. Westf. 5. VI. 1837; f Mun- 
chen 31. XII. — IZ 138, 78; Bayerland 
23, 305 (P); DZL 1580/81; AD 3, 156 (W); 
Chronik d. Univ. Munchen 1911/12, 7 — 11; 
MMW 59, 260/62 (L. Seitz); PBL 1861/02 
(P); HBL 6, 290/91; K 1020; Sexualpro- 
bleme 191 2, 112; Archiv f. Gyn&kologie 
Bd. 96, I— XXIV (M. Stumpf); Mediz. 
Klinik 191 2, 88 (A. Diihrssen); Monatsschr. 
f. Geburtsh. u. Gyn&kologie 35, 125 — 35 
(A. Martin); GynSLkol. Rundsch. 6, 93. 

WiflCkel, Heinrich, Generalm. z. D M Ritter 
d. Eis. Kr. 2. Kr., zul. Komm. d. Inf. -Reg. 



99; * K6ln a. Rh. 14. VII. 1835; f Wies- 
baden 29. III. — VZT; OA 1908/09, 1678. 

Winterer, Landelin, PrSLlat, Stadtpf. i. Mulh. 
i. E., 1874— 1902 M. d. R., Mitgl. d. Staatsr. 
u. d. Landesausschusses; * Ob.-Sulzbach 
28. II. 1832; f Mulhausen i. E. 29. X. — 
KVZ 31. X. M.-A.; RH 1898, 282; KR 
191 1, 544 (W). 

Wiflternltz, Leopold, (Pseud.: Walter Lindau), 
Dr. med. n Arzt, schrieb auch Lustsp. u. 
Operettentexte; * Jindrichowitz i. Bohro. 
26. I. 1833; f Wien 3. XII. — KL 191 1, 
1896 (W); 1912 TL. 

Wippermann, Karl, Dr. tur., Prof., 1877— 1905 
Mitgl. d. literar. Bureaus d. Staats- 
ministeriums i. Berlin, Geschichtsforscher 
u. Biograph, Hrsg. d. »Deutsch. Ge- 
schichtskalenders*; * Rinteln 14. III. 1831; 
t Berl.-Lichterfelde 24. II. — VZT; HL 25, 
75/76; KLi9ii,i896/97(W);Wl4,i56i(W). 

Wirth, Hermann, Geh. Kommerzienrat, Mit- 
begr. u. langjahr. Vors. d. Bundes d. In- 
dustriellen; * Toben i. Oberfr. 5. V. 1837; 
t Berlin 20. V. — IZ 136, 11 74, 11 76 (P). 

Wlskott, Max, Dr. phil. h. c. % Chef d. Finna 
E. P. Wiskott, Graph. Kunstanst., ausgez. 
Enthomologe, Ehrenmitgl. d. Schles. Ge- 
sellsch. f. vaterland. Kultur; * Breslau 
16. III. 1840; t das. 2. V. — Schles. Ztg. 
3. u. 4. V. M.-A.; Schlesien 4, 460; JSG 
191 1 Nekr. 40 — 42 (R. FSrster). 

Wlttcke, Friedrich, Generalm. z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. Kl., zul. Komm. v. Diedenhofen, 
1 89 1 z. D.; * Pasewalk 4. IX. 1833; f Stolp 
i. Pomm. 24. IV. — VZ 28. IV. M.-A.; OA 
1908/09, 1686. 

Wittenberg, Hans, Pastor an Gethsemane i. 
Berlin, Novellist u. volkswirtschaftlicher 
Schriftst; * Ratzebuhr 5. II. 1858; f Arco 
i. Tirol 2 5. IV. — KL 191 1,1902 (W);i9i2TL. 

Wrttenburg, Rudolf von, Wirkl. Geh. Ob.-Reg. 
Rat, ehem. Pr&s. d. Ansiedlungs-Kommiss. 
f. Westpr. u. Posen, 1901 a. D.; * Schlog- 
witz, Ob.-Schles. 17. VI. 1842; f Berl.- 
Grunewald 14. V. — VZ 16. V. M.-A.; 
W 191 1, 981 (P); DE 10, 145/46 (M. Loese- 
ner m. P); Schles. Ztg. 16. V. M.-A.; Schle- 
sien 4, 561/62; Oberschlesien 10, 142. 

Wittkowsky, Karl, Kaufmann, Verf. kleiner 
humorist -satir. Dichtungen, Erzahl. u. 
Episteln, Lebens- u. Gesellschaftsbilder, 
bed. Kunstsammler; * 1852; f Berlin 7. IV. 
— VZ 9. IV. M.-A. (L[udw.] P[ietsch]> 

WoerttUUm, Adolf, Chef d. Woermann-Linie u. 
d. bek. Rhedereifirma C. W., 1884 — 90 
M. d. R., nationallib., Vors. d. Hamb. 
Handelsk.; A. W. u. s. Finna sind f. d. 
Entwicklung d. deutsch. Kolonien i. Afrika 
von bahnbrechender Bedeutung gewesen; 
* Hamburg 10. XII. 1847; f das- 4- V. — 



8 7 * 



Totenliste 1911: Woerner — Zipperer. 



88* 



VZ 4. V. A.-A.; HC 4. V. A. -A.; T 107 
(P); MAZ 191 1, 306/07 (P. Busching); IZ 
136, Nr. 3541. VI, VIII (P); W 1911, 774, 
776 (P); DKZ 191 1 f 354/55 <P); Kolon. 
Rundsch. 1911, 465 — 71 (F. Dernburg); 
DRG 33, 489; AF 49, 256; JSTG 13, 91/92; 
WI 4, 1570; Deutsche Export-Revue 3, 
Nr. 19; Gartenlaube 1911, Nr. 16 (Tb. 
Hubbe, D. konigl. Kaufmann),. 

Woenier, Ulrika Carolina, Dichterin u. 
Schriftst., Schwester d. Lit. -Hist. Roman 
W.; * Bamberg 7. VIII. 1865; f Freiburg 
i. B. 14. I. — VZ 26. I. M.-A. (H. Mauth- 
ner); LE 13, 689; IZ 136, 146; KL 1911, 
1924; BR 8, 44 (P); Frauenzukunft 2, 135 
— 142 (A. v. Lieben); Neue Bahnen 191 1, 
no (A. Lenzmann). 

Wfrtlleifl, Artur, Verwaltungsdirekt. d. deut- 
schen Buchdruckerei-Vereins i. Leipzig, 
Schriftl. d* »Archivs f. Buchgewerbe*, 
leitete d. buchgewerbl. Gruppe auf d. Welt- 
ausst. i. Paris, St. Louis u. Briissel; * 13. I. 
1863; t Leipzig 1 2.;XIL— VZT; WI4, 1570. 

Wrede, Alfred Fiirst von, bayer. Kammerh.; 

* Mondsee 2. VII. 1844; f IschL 1. X. — 
VZT; HK 1914, 487. 

Wurmb, Robert von, Gen.-Lt. z. D., Ritter d. 
Eis. Kr. 2. KL, zul. Komm. v. Koblenz u. 
Ehrenbreitstein, 95 z. D. ; * Sondershausen 
12. V. 1835; t Biebrich a. Rh. 18. IX. — VZ 
21. IX. M.-A. ; MZ191 1 , 554; OAi9o8/o9,i7o6. 

Xylatlder, Emil Ritter von, bayer. General- 
oberst, 1851 Kadett, 54 Unterlt, 63 Oberlt., 
67 Rittm., 70 i. Generalst, 74 Major, 77 
Oberstlt, 84 — 90 Milit-Bevollm. i. Berlin, 
90 Gen.-Lt. u. Komm. d. 5. Div., 95 — 1905 
Kom. d. 2. A.-Korps, 191 1 Generaloberst; 

* Frankfurt a. M. 20. II. 1835; f Munchen 
7. X. — VZ 9. X. A. -A.; MZ 1911, 583; 
LJ 38, 45i; W 191 1, 1725 (P); Bayerland 
23. 53 (P); OA 1908/09, 1709. 

Zachadas, Eduard, Dr. phil. % Prof., Direkt. 
d. botan. Staatsinstituts i. Hamburg; 

* Berlin 16. V. 1852; f Hamburg 23. III. — 
VZ 25. III. M.-A.; HC 24. III. A.-A., 10. IV. 
A. -A. (E. Marberg); Mitt. d. deutsch. 
Landw.-Gesellsch. 26, 182; KL 191 1, 1935; 
WI 4, 1589; Archiv f. Hydrobiologie 6, 
358 (0. Zacharias); Gartenflora 191 1, 251 
(Brick); Berichte d. deutsch.. botan. Ge- 
sellsch. 29. G.-V. 26 — 48 (Brick); Jahresber. 
d. Vereinigg. f. angew. Botanik 8, I. 

Zacher, Albert, Schriftst., Rom. Korresp. d. 

Frankfurter Ztg.; * Bonn 20. II. 1861; 

t Rom 12. V. — VZ 13. V. A.-A.; LE 13, 

1280; KL 1911, 1936 (W); WI 4, 1589 (W> 
Zahfl, Wilhelm, Oberpfarrer i. Tangermiinde, 

Forscher auf d. Geb. d. altmark. Geschichte; 

* Rehfeld b. Torgau 25. VII. 1848; f Tan- 
germiinde 23. IV. — VZT ; KL 1 9 1 1 , 1 938 (W). 



Zddler, Jakob, k. k. Prof., Direkt-Stellvertr. 
d. Prufgs.-Kommiss. f. d. Lehramt f. Frei- 
handzeichnen u. f. d. Lehramt d. Musik, 
Mitgl. d. Prufgs.-Kommiss. f. hdhere Han- 
delsschulen; * Wien 13. IX. 1855; f Moi- 
ling 21. VIII. — OR 29, 90; WI 4, 1595 
(W); Monatsbl. d. Vereins f. Landeskde. 
i. NiederSsterr. io, 347—50 (J. W. Nagl). 

Zeisler, Moritz, Mitgl. d. Kgl. Schauspielh. i. 
Berlin, Prof. a. d. Marie-Seebach-Schule; 

* Freiberg i. Mahr. 3. XII. 1856; t Berl.- 
Charlottenburg 25. V. — VZ 26. V. A. -A.; 
W 1911, 906, 910 (P); NTA 1912, 164; 
EG 1 158; WI 4. 1595; DZL 1608. 

Zembsch, Otto, Kapitan z. S. z. D., ao. Ges. 
u. bevollm. Minister, 1886 — 88 i. lima, 
1888 — 1900 Ges. i. Ecuador; * Kempen 31. 
V. 1841 ; t Berlin 2. III. — VZT; 13, 488. 

Zenger, Max, Prof., Komponist, friih. Opern- 
u. Chordirigent; * Munchen 2. II. 1837; 
f das. 18. XI. — MAZ 114, 821; Bayerland 
23. 179 (P); WI 4, 1596; AMZ 1911, 1214, 
1 231 (M. Steinitzer, Eine Erinnerung an M. 
Z.);NMZ33,n8;Musiki.Dez.-H.VI;Ri587. 

ZgHnitzki, Paul von, General d. Art z. D. f 
Ritter d. Eis. Kr. 2. Kl. t 1870/71 Adjut. 
d. Prinzen Karl v. Preuflen, 74 Komm. d. 
1. G.-F.-Art.-Reg., 77 Komm. d. 9. F.- 
Art.-Brig., 83 Insp. d. 1. F.-Art.-Insp., 
85 Gen.-Lt, 88 z. D., 91 Gen. d. Art.; 

* Posen 15. III. 1830; t Dresden 18. II. — 
VZ 20. II. A. -A.; MZ 191 1, 134; WI 4, 
1598; DZL 161 1. 

Ziegler, Paul, Dr. med. % bed. Chirurg, Privat- 
doz. a. d. Univ. Munchen; * Munchen 29. I. 
1864; f das- 26. VII. — UK W.-S. 1912/13, 
1, 332; Chronik d. Univ. Munchen 1911/12, 
6; MMW 59, 313 ( R - Grashey); AD 3, 
216/17 (W). 

Zl nu ner ma im, Athanasius, S. J., Historiker; 

* Betra 5. XI. 1839; f Valkenburg 12. III. 

— KL 1911, 1955 (W); 1912 TL; WI 4, 
1603 (W); KR 1911, 556 (W). 

Zlnmierniailfl) Heinrich Edler von, Red. d. 
♦Leipziger Ztg.«, verf. eine Erg. z. Schiller- 
schen Demetrius, ein Trauersp. tSchubcrtf, 
zahlr. Lustsp., Festsp., Nov. u. Ged.; * Graz 
18. II. 1847; f Leipa 27. VII. — LE 13* 
1713; BR 8, 96/97 (W); KL 1911, 1956 (W). 

Zlmmermann, Karl Johann Christian, Hamb. 
Baudirekt. f. Hochbau, Schdpfer d. Kran- 
kenh. i. Eppendorf u. d. KunstgewerbemuS. ; 

* Elbing 8. XI. 1 831 ; f Wandsbeck 18. III. 

— DBZ 45. i» 243/44; ZB 1911, 169 (A. 
Erbe m. P). 

♦Zipperer, Wilhelm, Dr. phil., Ob.-Studienrat, 
Gymn.-Rektor, Philologe u. Dialektdichtcr; 

* MUnchen 18. XII. 1847; t Wurzburg 
9. X. — BJ XVI, 202 (A. Dreyer); KR 
I9ii f 558 (W); 1912 TL. 



Verlag von Georg Reimer Berlin W. 10 

Carl Schurz, Lebenserinnerungen 

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Portrat Lazarus'. Preis geheftet M.12. — , in Halbfranz gebunden M.14. — 

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Graf Alexander Keyserling 

Ein Lebensbild aus seinen Briefen und Tagebuchern zusammengestellt 
von seiner Tochter Freifrau Helene von Taube von der Issen. 



)GRAPHISCHES JAHRBUCH 



UNO 



:UTSCHER NEKROLOG 



FRttHER ERSCHIENEN DIE BANDE: 

I. DIE TOTEN DES JAHRES 1896 

MIT DEN BILDNISSEN VON H. VONTREITSCHKE 
UND E. DU BOIS-REYMOND 

II. DIE TOTEN DES JAHRES 1897 

MIT DEN BILDNISSEN VON JAC. BURCKHARDT 
UND JOH. BRAHMS 

III. DIE TOTEN DES JAHRES 1898 

MIT DEN BILDNISSEN VON TH. FONTANE UND 
C. F. MEYER 

IV. DIE TOTEN DES JAHRES 1899 

MIT DEM BILDNIS VON R. W. BUNSEN 

V. DIE TOTEN DES JAHRES 1900 

MIT DEM BILDNIS VON FRIEDR. NIETZSCHE 

VI. DIE TOTEN DES JAHRES 1901 

MIT .M BILDNIS VON ARNOLD BOCKLIN 

VII. DIE TOTEN DES JAHRES 1902 

MIT DEM BILDNIS VON RUDOLF VIRCHOW 

VIII. DIE TOTEN DES JAHRES 1903 

MIT DEM BILDNIS VON THEODOR MOMMSEN 

IX. DIE TOTEN DES JAHRES 1904 

MIT DEM BILDNIS VON FRIED RICH RATZEL 

X. DIE TOTEN DES JAHRES 1905 

MIT DEM BILDNIS VON ERNST ABBE 

XI. DIE TOTEN DES JAHRES 1906 

MIT \>EM BILDNIS VON CARL SCHURZ 

Xil. JIE TOTEN DES JAHRES 1907 

MIT DEM BILDNIS GROSSH. FRIEDRICHS I. VON BADEN 

XIII. DIE TOTEN DES JAHRES 1908 

MIT DEM BILDNIS VON WILHELM BUSCH 

XIV. DIE TOTEN DES JAHRES 1909 

MIT DEM BILDNIS VON THEODOR BARTH 

XV. DIE TOTEN DES JAHRES 1910 

MIT DEM BILDNIS VON GOTTLIEB KARL PLANCK 

REGISTER ZUM I. bis X. BAND (1896-1905) 



PREIS DES JAHRBUCHS PRO BAND BROSCHIERT M. 12.— j 

IV FKINKM HAI.RKRANZRAND M. 14 | 

EIS DES REGIS ,50 J 



{LAG VUN OtUKO KfclMfcK,BfcKLI^