Ein Blick in die Geschichte
der botanischen Morphologi e
und die Pericaulom -Theorie.
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Von
Dr. H. Potonie,
Kgl. preuss. Landesgeologen u. Professor bezw. Privat-Dozenten der PalaeobotaniV
an der Kgl. Bergakademie und der Universität zu Berlin.
Erweiterter Abdruck
aus der
Naturwissenschaftlichen Wochenschrift N. F. II. Bd., der ganzen
Reihe XVIII. Bd.
Mit 9 Abbildungen (in 6 Figuren).
a.
Jena.
‘Verlag von Gustav Fischer.
Verlag von Gustav Fischer ia Jena.
Soeben wurde vollständig:
Cllllll Aus den Tiefen des WeK ScMi-
^ derungen von der deutschen Tiefsee-Expedition. Mit
6 Chromolithographieh, 8 Heliogravüren, 32 als Tafeln ge-
drückten y ollbildern, 2 Karten und 482 Abbildungen im Text.
Zweite, uingearbeitete und durch neue AhMldungen
vermehrte Auflage, Preis des vollständigen Werkes:
broschiert iM, 18. — , elegant gebunden M. — . Ausführliche
Prospekte durch jede Buchhandlung zu erhalten.
Münchener Neueste Nachrichten Nr. 18, II. Januar 1901 über die i.Aufl. :
Die von uns wiederholt empfohleheh Schilderungen von der deutschen
Tiefsee-Expedition unter Leitung des Professors Dr. Carl Chun sind jetzt mit
dem Erscheinen der letzten Lieferungen abgeschlossen. Dem Werk ist ein
vortreffliches Eegister beigegeben worden ; eine geschmackvolle Ein-
banddecke ist zum Preise von 1 Mk. 60 Pf. zu beziehen. — Über das
monumentale Werk selbst können wir uns jetzt ganz kurz fassen: es
ist einer der vornehmsten und hervorragendsten Bei-
träge zur gemeinverständlichen wissenschaftlichen Litte -
ratur, ein glänzendes Zeugnis deutscher Forscher-
t ü ch t i gkeit, e i n b lei b en d e s w e r t v pl 1 es Denkmal e iner
e rg e bn i s r ei c h e n For schungs reise — - ein wahres Pr a cht-
werk für das deutsche Volk. Die Verlagsbuchhandlung
hat sich durch di e prachtvolle Ausstattung mit den zahl-
losen hochinteressanten Illustrationen ein ausserordent-
liches Verdienst erworb.en. Der Preis des W erkes ermöglicht eine
weite Verbreitung, die wir dem Chun sehen Buche aufrichtig wünschen.
o. ö. Professor der Botanik an der Universität Bonn. 9 Helte.
1888 — 1901. Lex.-Form. Preis: M. 109. — .
Heft 1 : S ob imp er , A. F. W., Die Wechselbezielmngen zwlsehen
Pflanzen und Ameisen im tropischen Amerika. 1888. Mit
3 Tafeln. Preis: M. 4.50.
Heft 2 : S c h i m p e r , A. F. W., Die epiphytische Vegetation
Amei'ikas. Mit 6 Tafeln. 1888. Preis : M. 7.50.
Heft 3: Schimper, A. F. W., Die indö-maläyische Strandflora.
Mit 7 Textfignren, einer Karte und 7 Tafeln. 1891, Preis:
.„.M. 10.—. - ■
Heft 4: Schenck, Dr. H., Privatdoceut an der Universität Bonn,
Beiträge zur Biologie und Anatomie der Lianenj im be-
sonderen der in Brasilien .einheimischen' Arten. I. Teil: Bei-
träge zur Biologie der Lianen. Mit 7 Tafeln. 1892. Preis:
. M.- 15.— -
Heft 5:. Schenck, H., Beiträge zur Biologie und Anatomie der
Lianen, im besonderen der in Brasilien einheimischen Arten.
II. Teil: Beiträge zur Anatomie der Lianen. Mit 12 Tafeln
und 2,Text-Zinkograph. 1893. Preis: M. 20.- .
Heft 6 : M ö^l 1 e r , Alfred, Die Pilzgärten einiger amerika-
nischer Ameisen. Mit 7 Tafeln und 4 Holzschnitten. 1893.
Preis M. 7. — .
Heft 7: Möller, Alfred, Brasilianische Pilzblumen. Mit 8
Tafeln. 1895. Preis: M. 11.— .
Heft8: Möller, Alfred, Protobasidiomyceten. Untersuchungen
aus Brasilien. Mit 6 Tafeln. 1895. Preis : M. 10.—*
Heft 9 : M ö Iler, Alfred, Phycomyceten und Ascomyceten.
Untersuchungen aus Brasilien. Mit 11 Tafeln und 2 Textab-
bildungen. 1901. Preis: M: 24.— \
botanische^ ans den Tropep, her-
Ein Blick in die Geschichte
der botanischen Morphologie
uad die Pericaulom -Theorie.
. Von
Dr. H. Potonie,
Kgl. preuss. Landesgeologen u. Professor bezw. Privat-Dozenten der Palaeobotanik
an der Kgl. Bergakademie und der Universität zu Berlin.
Erweiterter Abdruck
aus der
Naturwissenschaftlichen Wochenschrift N. F. II. Bd., der ganzen
Reihe XVIII. Bd.
Mit 9 Abbildungen (in 6 Figuren).
NEV/ YORK
iK>TANlCAL
ilAROEN
Verlag von Gustav Fischer.
1903.
Jena.
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Vorwort
Die vorliegende Abhandlung ist ein Wiederabdruck
von zwei zusammengehörigen aber aus bestimmten
Gründen getrennt gebrachten Veröffentlichungen, die unter
den Titeln:
1. Ein Blick in die Geschichte der botanischen Morpho-
logie mit besonderer Rücksicht auf die Pericaulom-
Theorie. (Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Jena 5. — 19. Oktober 1902), und
2. Die Pericaulom-Theorie (Berichte der Deutschen
Botanischen Gesellschaft. Berlin , Sitzung vom
31. Oktober 1902)
erschienen sind.
Dementsprechend mussten beide Artikel vorliegend
durch Veränderungen im Text einander angepasst werden;
ferner wurde die Gelegenheit benutzt hier und da zu
korrigieren und etwas zu erweitern.
Gr.-Lichterfelde-West bei Berlin im November 1902.
H. Potonie.
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J3a-S erste Bedürfnis, das sich der Lebewelt gegenüber
naturgemäss geltend macht, ist dies: in der zunächst ver-
wirrenden Mannigfaltigkeit der entgegentretenden Ge-
staltungen aus praktischen Rücksichten eine Uebersicht
zu gewinnen. Das ist nur möglich, wenn man den Ver-
such macht, in dieselbe Ordnung zu bringen, d. h. sie in
bestimmter Weise durch Aufsuchung von Gemeinsamkeiten
zu gruppieren, zu klassifizieren, begrifflich zusammenzu-
fassen. Aus diesem Bedürfnis heraus sind die Systeme
des Tier- und Pflanzenreichs entstanden.
Aber nicht nur die Individuen wollen klassifiziert sein,
sondern auch die Fülle der Teile, die Organe, die die
Individuen zusammensetzen.
Als Gesichtspunkt, nach welchem dies geschah, konnte
ursprünglich — da sich die Anknüpfung an das dem Menschen
zunächst liegende von selbst ergab, nämlich an den
Menschen selbst — kein anderer in Betracht kommen als
derjenige, der die Beziehungen der Organe zur Aussen weit
betrachtet, mit anderen Worten: das erste Prinzip der
Einteilung und dementsprechend Benennung der Organe
ist ein physiologisches ; denn es ist die stillschweigende
Annahme des Volkes, wenn es die von ihm geschaffenen
Begriffe Wurzel, Stengel, Blatt, Blüte u. dergl. ausspricht,
dass die Verschiedenheiten, die diese Worte zum Ausdruck
bringen sollen, solche physiologischer Art sind. Es ver-
knüpft sich beim Laien unfehlbar mit dem Gebrauch
irgend eines derselben der Gedanke an die Thätigkeit
(die Funktion), die Bedeutung der Organe für das Leben
der Pflanze.
Die erste eingehendere, wissenschaftliche Beschäftigung
mit den Pflanzen konnte daher nur von der physiologischen
Einteilung der Organe ausgehen : wir haben als erste wissen-
schaftliche Periode der Beschreibung der Organe (der
Organographie) die naive physiologische Periode.
Freilich konnte man mit dieser Betrachtungsweise, die
für das Tierreich durch seine nahe Beziehung zum Menschen
immer auffällig hervorgetreten ist, bei den Pflanzen nicht
weit kommen, da es zunächst an hinreichenden Kennt-
nissen über die Funktionen der Pflanzenorgane fehlte. Es
verlief sich daher die botanische Wissenschaft in eine lange
Zeit hindurch herrschende Beschreibung der äusseren und
inneren Gestaltungsverhältnisse, der blossen geometrischen
Formen der Organe, ohne diese Formen weiter in Zu-
sammenhang bringen zu können. Es ist das die Periode
der sogen, beschreibenden Botanik, „sogenannt“ weil der
Zusatz „beschreibend“ insofern unpassend gewählt ist, als
die Wissenschaft über Beschreibungen überhaupt nicht
hinauszukommen vermag, nur freilich mit dem Unter-
schiede, dass die Botanik der beschreibenden Periode im
wesentlichen über die Betrachtung der Einzelheiten nicht
hinauskam, während die jetzige Wissenschaft die Be-
schreibung der Beziehungen, der Zusammenhänge, als das
Wichtigere erkannt hat.
Die lange Dauer der beschreibenden Periode wurde
durch das Erfordernis begünstigt, die zahlreichen zur
Kenntnis gelangenden Pflanzenarten schnell zu „bearbeiten“,
d. h. im „System“, das ursprünglich weiter nichts als ein
nach bestimmten praktischen Prinzipien geordneter Katalog
war , unterzubringen , um sie bequem wiederfinden zu
können.
Aber schon von vornherein haben einzelne hervor-
ragende Erforscher der Lebewesen (Biologen) mehr oder
minder klar bemerkt, dass gewisse Organe verschiedener
Funktion doch in gewissen Punkten auffällige organo-
graphische Aehnlichkeiten aufweisen, eine Thatsache, die
auf einen tieferen Grund hinwies, dessen Erforschung sich
aufdrängte. Gerade diese Einsicht in Verbindung mit der
auffälligen Mannigfaltigkeit z. B. der Blätter ist es, welche
überhaupt geistreichen Beschauern der Natur ein Problem
gesetzt hat, nicht minder wie der so variable und doch
nach bestimmten „Typen“ sich darstellende Gesamtbau
der Pflanzen (und Organismen überhaupt). So spricht
z. B. J. J. Rousseau von der unwandelbaren Aehnlich-
keit und doch so wunderbaren Verschiedenheit, die in der
Organisation der Pflanzen herrsche, und Goethe ’s viel-
citierte Verse: „Alle Gestalten sind ähnlich, und keine
gleichet der anderen; Und so deutet das Chor auf ein
geheimes Gesetz,“ drücken dasselbe mit anderen Worten
aus.
Die Bemühung diese gestaltlichen Beziehungen, die
die Organismen in besonderer Weise miteinander ver-
knüpfen, aufzusuchen und festzulegen hat eine Disziplin
geschaffen, die zu dem 1817 von Goethe vorgeschlagenen
Namen Morphologie geführt hat.
Danach v^äre — sofern man, wie ich das in dem
vorliegenden Fall für zweckmässig halte, die ursprünglichen
Begriffsbestimmungen festhalten will — scharf zu unter-
scheiden zwischen Organographie und Morphologie. Es
soll also im folgenden stets nur dann von morphologischen
Eigentümlichkeiten die Rede sein, wenn es sich um theo-
retische Erörterungen handelt, die sich aus der ver-
gleichenden Betrachtung der gestaltlichen Verhältnisse der
Organismen ergeben, während die Organographie sich
ganz allgemein — wenigstens der ursprünglichen Eassung
gemäss — mit den Gestaltungsverhältnissen und ihrer
praktischen Rubrizierung beschäftigt, ohne dabei theo-
retische Erwägungen anzustellen.
Es muss dies ja besonders betont werden, weil der
genauen Uebersetzung unseres Terminus gemäss heutzu-
tage unter Morphologie ganz allgemein auch einfach die
Betrachtung der Gestaltungsverhältnisse, der Eormen der
jeweilig berücksichtigten Objekte verstanden wird, gleich-
gültig ob diese der Natur oder menschlicher Thätigkeit
entstammen; so hat man sich denn gewöhnt, auch von
der Morphologie der Krystalle u. s. w. zu reden. Es
handelt sich also hier um die blosse Einzelbeschreibung
der Eormen der Einzelobjekte, und eine Hervorkehrung
„morphologischer“ Beziehungen bedeutet hier weiter nichts
als eine Bezugnahme auf formale Aehnlichkeiten. Um ein
besonderes Beispiel aus der Botanik zu erwähnen noch
die folgende Bemerkung.
Wenn De Bary von der „Morphologie“ eines Pilzes
spricht, so meint er damit ausschliesslich die auf den
Bau bezüglichen Verhältnisse desselben; spricht
jedoch ein Botaniker aus der Schule Alexander Brauns
von der „morphologischen Natur“ eines bestimmten
Organes, so will er, wie Goethe, die von ihm an die Be-
trachtung der Gestaltungen geknüpften theoretischen
Erörterungen besonderer Art als das Wesentliche seiner
Untersuchung angesehen wissen. Man versteht also
unterMorphologie zweierlei. Beschränken wir den
Sinn des Begriffs Morphologie (wenigstens in den biologi-
schen Disziplinen) wieder auf die ursprüngliche Eassung
desselben, so wäre der leider immer mehr in den Hinter-
grund gedrängte Terminus Organographie zur Be-
Gelegentlich wird auch der Ausdruck Organologie gebraucht ;
auch „Organogenie“ für den Teil der Organographie, der sich insbeson -
dere mit der Entwicklung der Organe beschäftigt , war früher hier und
da gebräuchlich und taucht jetzt wieder häufiger auf.